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Peter Pernthaler
Die Identitat Tirols in Europa
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Peter Pernthaler
Die Identitat Tirols in Europa
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Univ.-Prof. Dr. Peter P e r n t h a l e r Institut fiir Offentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre, Universitat Innsbruck, Innsbruck, Osterreich
Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.
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Bibliograhsche Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograhe; detaillierte bibliograhsche Daten sind im Internet iiber http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-211-73753-8 SpringerWienNewYork
Gedruckt mit Unterstiitzung von:
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Bundesministerium fiir
BunJe^:-' nisterium fur Wissenschaft und Forschuni
Kultur
Wissenschaft und Forschung
Tirol Kultur Land Tirol
Autonome Provinz Bozen-Siidtirol
Laurin-Stiftung
In dankbarer Erinnerung an Felix ErmacorUy
den unermudlichen Vorkampfer fiir Menschenrechte, Autonomie und ethnische Partnerschaft in Siidtirol
Vorwort Der Begriff „Identität“ soll in dieser Untersuchung die komplexe Grundlage der regionalen Selbständigkeit und politgeographischen Einheitlichkeit des Landes auszudrücken. Die Identität des Landes hat wichtige historische Wurzeln; sie ist heute aber vor allem ein dynamischer Prozess der Entwicklung und Veränderung. Eine wesentliche Ursache dieser Dynamik ist die Trennung der Landesteile (Bundesland Tirol und autonome Provinz Bozen-Südtirol) in unterschiedliche nationalstaatliche Systeme mit eigenen gesellschaftlichen, politischen und staatsrechtlichen Grundlagen. Die Identität des „ganzen Landes“ (Tiroler Landesverfassung) kann daher nur als ein Komplex von unterschiedlichen nationalen Autonomien beschrieben werden, zwischen denen es einige rechtliche und politische Verbindungen gibt (Pariser Abkommen 1946; Paketlösung und Streitbeilegung 1969/1992; Schutzmachtfunktion Österreichs), die auf den kulturellen und ethnischen Gemeinsamkeiten der Bevölkerung der Landesteile beruhen. Gegenüber der Dynamik der eigenen Identität der Landesteile treten diese integrierenden Elemente aber immer mehr zurück. Auch das Projekt einer rechtlichen Institutionalisierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Landesteile in einer „Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“ trägt bisher wenig zur Integration der Landesteile bei. Ein Schwergewicht der Untersuchung liegt in der Analyse der widersprüchlichen Auswirkungen der europäischen Integration – vor allem der EU – auf die regionale Identität der Landesteile und Gesamttirols: Die zentralisierenden Tendenzen der europäischen Planungen, Politik, Bürokratie und Rechtsentwicklung sind ebenso wie die Auswirkungen der „europäischen Grundfreiheiten“ auf die regionale Identität, insbesondere auf den Minderheitenschutz und auf sensiblen ökologischen Lebensbedingungen im Alpenraum, mit den wichtigen Ansätzen des europäischen Föderalismus und Regionalismus abzuwägen. Die Untersuchung entwickelt eine eigene wissenschaftliche Methode, um die politische und staatsrechtliche Selbständigkeit von Gliedstaaten eines Bundesstaates und autonomen Regionen eines dezentralisierten Einheitsstaates zu beschreiben, zu vergleichen und nach einem „föderalistischen Standard“ in einem System des funktionalen Föderalismus zu bewerten. Durch diesen systemübergreifenden Ansatz ihrer Föderalismustheorie gewinnt die Untersuchung besondere Bedeutung für die wissenschaftliche Durchdringung der Autonomie der Regionen als unabdingbare Bausteine einer bürgernahe gegliederten Demokratie in der Integration Europas.
X
Vorwort
Als Kategorien der Selbständigkeit einer Region werden hier die Elemente „Land“, „Volk“ und „Heimat“ zugrundegelegt. Das „Land“ bezeichnet einerseits die geschichtsräumliche Grundlage und den Lebensraum als Komplex von Landschaft, Siedlung und Kultur eines Regionalvolkes; anderseits ist das Land als „Gebietskörperschaft“ die unaufhebbare Einheit von Landesvolk und Landesgebiet als Rechtssubjekt und juristischer Träger der Autonomie bzw gliedstaatlichen Selbständigkeit der Landesteile. Die Untersuchung analysiert daher in zwei umfassenden Abschnitten die sehr unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen der Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol als Gliedstaat des österreichischen Bundesstaates und der Autonomie Südtirols als „spezielle Autonomie“ auf der Grundlage der italienischen Staatsverfassung (Autonomiestatut), der völkerrechtlichen Absicherung und eines besonderen politischen Systems der Kooperation der Sprachgruppen im Lande. Das Element „Volk“ wird in getrennten Abschnitten als Träger des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und als Subjekt demokratischer Rechte im Bundesland und in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol analysiert. Auch hier zeigen sich gravierende Unterschiede und wenig Übereinstimmung in den Demokratiesystemen der Landesteile. Typisch für das Element „Heimat“ ist die Wechselwirkung von individuellen Elementen des Erlebens und Empfindens mit der überindividuellen Integration in einen Raum-, Kultur- und Gemeinschaftszusammenhang der Menschen. Es gibt daher ein individuelles „Heimatrecht“ und eine rechtliche Einheit von Volk und Volksgruppe mit einem bestimmten Territorium, in dem sie beheimatet sind. Diese ethnopolitische Bedeutung der Heimat ist in den Merkmalen „Ansässigkeit“ („Autochthonie“) einer Ethnie, im Selbstbestimmungsrecht, im Schutz vor Vertreibung und Überfremdung begründet und in Südtirol in speziellen Regelungen des Minderheitenschutzes rechtlich verankert, deren Vereinbarkeit mit dem EU-Recht problematisiert wird. Der liberal-demokratische Heimatbegriff schließt zwar die räumliche Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb des Staatsgebietes der EU ein und begründet die prinzipielle Gleichberechtigung der Staats-(Europa-)bürger mit den Einheimischen. Da die Mehrheit der Bevölkerung aber regelmäßig stabil bleibt, kann die Kontinuität regionaler Kultur und Eigenart normaler Weise durch Integration der Zugezogenen auch in liberalen Systemen gewahrt bleiben. In einem letzten Teil der Arbeit werden in Form separater „Länderberichte“ kompakte Informationen über die gesellschaftlichen, rechtlichen, politischen und ökonomischen Determinanten der Identität der Landesteile Tirol und Südtirol mit den entsprechenden Quellen angeboten. Diese „Länderberichte“ wurden selbständig von Dr. Irmgard Rath-Kathrein (Bundesland Tirol) und Dr. Florian von Ach (Südtirol) verfasst. In besonderen Anhängen werden zwei für die Untersuchung wichtige zeitgeschichtliche Dokumente (Petition Klecatsky und Tabelle zweisprachiger Ortsnamen) abgedruckt. Südtirol und die „Einheit des ganzen Landes“ haben für mich nicht nur eine wissenschaftliche Bedeutung. Meine Vorfahren sind durch Jahrhunderte am
Vorwort
XI
Ritten bei Bozen ansässig gewesen; mein Vater wurde 1925 vom faschistischen Regime aus Italien ausgewiesen. Ich selbst habe gemeinsam mit meinem Lehrer Felix Ermacora die jahrzehntelangen Bemühungen um den Abschluss und die Umsetzung der Paketlösung einer erneuerten Autonomie für Südtirol mit verfolgt. Nach der Streitbeilegung (1992) versuchte ich als Abteilungsleiter der Europäischen Akademie Bozen, die Südtirol-Autonomie gemeinsam mit engagierten Mitarbeitern wissenschaftlich aufzuarbeiten; ich musste aber bald erkennen, dass meine österreichischen föderalistischen und verfassungsrechtlichen Vorkenntnisse und Erfahrungen nicht mehr geeignet waren, die neue Selbständigkeit der Südtiroler Verfassung richtig zu erfassen. Aus dieser komplexen geschichtlichen, politischrechtlichen und persönlichen Erfahrung entstand der Plan für die vorliegende Untersuchung, die vielfache Unterstützung durch deutsch- und italienischsprachige Kollegen in Bozen und Trient erfahren hat. Die Laurin-Stiftung förderte die Forschungen und die Drucklegung des Buches finanziell, ohne auf den Inhalt der wissenschaftlichen Untersuchungen irgendeinen Einfluss zu nehmen. Die Mitarbeiterinnen am Institut für öffentliches Recht sind mir wie immer bei der Literaturbeschaffung und der Herstellung des Manuskriptes über alle „Dienstpflichten“ hinaus engagiert beigestanden. Ihnen allen und den Mitarbeiterinnen des Springer-Verlages sei auch an dieser Stelle herzlich für ihre Mitarbeit an diesem Buch gedacht. Innsbruck im Juni 2007
Peter Pernthaler
Inhaltsverzeichnis Summary.................................................................................................................... 1 Einleitung .................................................................................................................. 3 I. Allgemeine und methodische Grundlagen................................................. 4 1. Beschreibung des Forschungsvorhabens ............................................. 4 a) Begriff „Identität Tirols“ ................................................................. 4 aa) Geographische Einheit oder ein Komplex von Gebieten, die ein in sich geschlossenes Gefüge darstellen ................................................................................... 4 bb) Eine Bevölkerung, die durch gewisse gemeinsame Elemente gekennzeichnet ist................................................... 5 cc) Die Art der gemeinsamen Elemente der Bevölkerung......... 5 dd) Der politische Wille zur Selbständigkeit ............................... 6 ee) Die rechtliche Einrichtung ...................................................... 6 b) Dynamische Elemente der Tiroler Identität.................................. 7 aa) Die Trennung der Landesteile in unterschiedliche nationalstaatliche Systeme....................................................... 7 bb) Südtirol-Autonomie und Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol .................................................................. 7 cc) Föderalismus-Entwicklung in Österreich, Italien und Europa ....................................................................................... 7 dd) Europäische Integration (EU) ................................................ 7 ee) Die Region in der Globalisierung .......................................... 8 c) Die dreifache Begründung der Identität Tirols ............................. 9 2. Wissenschaftliche Methode ................................................................. 10 a) Die Notwendigkeit einer komplexen Methode .......................... 10 b) „Funktionaler Föderalismus“ als Vergleichsrahmen .................. 10 aa) Bundesstaat und Regionalstaat ............................................. 10 bb) Vergleichbarkeit der staatsrechtlichen Funktionen............ 11 cc) Vergleichbarkeit des politischen Föderalismus .................. 12 dd) Die geschichtsräumliche Identität der Regionen als Basis des Vergleiches.............................................................. 12 ee) Die modernen Staatsaufgaben als Vergleichsmaßstab........ 13 c) Kriterien der Untersuchung .......................................................... 13 aa) Materielle Verfassungs- und Völkerrechtsdogmatik.......... 13 bb) Länderberichte über die beiden Landesteile ....................... 14 3. Kooperation als Zukunft der Autonomie? ........................................ 15 a) Der „Megatrend“ zur Kooperation (Verflechtung).................... 15 b) Europäischer Exekutivföderalismus............................................. 17
Inhaltsverzeichnis
XIII
c) Kooperation als Reformdynamik..................................................18 d) Autonomie als dynamische Balance von Selbständigkeit und Kooperation.....................................................................................19 II. Tirol als Land im Rechtssinn .....................................................................20 1. Die geschichtsräumliche Identität des Landes...................................20 2. Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Festlegung der Landesgrenzen.......................................................................................21 3. Das Land als Gebietskörperschaft ......................................................23 4. Das Land als Lebensraum ....................................................................25 III. Die Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol ............................................27 1. Die historische Identität des Landes...................................................27 2. Tirol als Gliedstaat Österreichs...........................................................28 3. Teilung der Staatlichkeit zwischen Bund und Land .........................29 4. Gleichheit und Unabhängigkeit der Staatsgewalt Tirols ..................30 5. Mitwirkung Tirols an der Staatsgewalt des Bundes ..........................31 6. Die Verfassungsautonomie des Landes ..............................................32 a) Die Teilung der Verfassungshoheit...............................................32 b) Die Länder als Gliedstaaten ...........................................................33 c) Die Landesverfassung als Staatsverfassung ..................................33 d) Die bundesverfassungsrechtliche Begründung der Autonomie .......................................................................................34 7. Die Präambel zur Tiroler Landesverfassung......................................35 8. Föderalistische Finanzordnung ...........................................................36 9. Zentralistische Elemente der österreichischen Bundesstaatlichkeit ...............................................................................37 10. Mitwirkungsrechte des Landes im Rahmen der EU .........................38 11. Das Land als Völkerrechtssubjekt (Art 16 B-VG) ............................39 IV. Die Autonomie Südtirols ...........................................................................41 1. Autonomie und „Selbständigkeit“ ......................................................41 a) Autonomie als staatliche Dezentralisation...................................41 b) Autonomie als „funktioneller Föderalismus“..............................42 2. Die dreifache rechtlich-politische Grundlage der Autonomie ........43 a) Italienisches (Staats-)Verfassungsrecht und Durchführungsnormen ..................................................................44 aa) Die „Spezialität in der Spezialität“ .......................................44 bb) Elemente „politischer Verfassungsautonomie“ im Statut ........................................................................................44 b) Völkerrechtliche Absicherung der Autonomie ...........................45 c) Das autonome politische System...................................................46 3. Die Grundpfeiler der Autonomie .......................................................47 a) Primäre Autonomie der Provinz...................................................47 b) Verbindung von Territorialautonomie und Sprachgruppenschutz .....................................................................49 c) Besondere Rechtsschutzeinrichtungen.........................................50 aa) Verletzung der Rechte der Sprachgruppen..........................50
XIV
V.
Inhaltsverzeichnis bb) Konflikte über Haushaltskapitel .......................................... 51 cc) Das autonome Verwaltungsgericht Bozen .......................... 51 dd) Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof ..................... 52 4. Der Inhalt der Autonomie................................................................... 53 a) Die unterschiedlichen Systembezüge ........................................... 53 b) Die Autonomie im italienischen Regionalismus ......................... 54 c) Die Autonomie als Sprachgruppenschutz ................................... 55 d) Überblick über die wesentlichen Kompetenzbereiche............... 56 aa) Ethnopolitische Kompetenzen ............................................. 56 bb) Regionalpoltische Kompetenzen.......................................... 57 cc) Kompetenzverflechtung ........................................................ 58 5. Das Finanzsystem der Autonomie ..................................................... 58 6. Die Südtirolautonomie und die EU.................................................... 60 Die rechtliche Identität Gesamttirols ....................................................... 63 1. Der Untergang des Landes als einheitliche Gebietskörperschaft.... 63 2. Die Verankerung der Landeseinheit in der Tiroler Landesverfassung.................................................................................. 63 a) Die Präambel der Tiroler Landesordnung................................... 63 b) Die Selbständigkeit des Landes und der Beitritt zum Bundesstaat...................................................................................... 64 c) Die Berufung auf das „geschichtliche Erbe“ ............................... 66 d) Die Verankerung der „Einheit des ganzen Landes“ ................... 68 e) Die rechtliche Bedeutung der Präambel....................................... 69 f) Die außerjuristische Bedeutung der Präambel ............................ 70 g) Die „vorläufige“ Festlegung des Landesgebietes durch die Landesverfassung............................................................................ 71 3. Die Verankerung der Landeseinheit in der Bundesverfassung........ 72 a) Gewährleistung der Identität des Landes .................................... 72 b) Projekt einer Südtirol betreffenden Staatszielbestimmung........ 73 c) Entschließung des österreichischen Nationalrates vom 21. 9. 2006 ........................................................................................ 74 4. Die Verankerung der Landeseinheit im Völkerrecht........................ 75 a) Selbstbestimmungsrecht der Völker............................................. 75 b) Pariser Abkommen (1946) ............................................................. 76 c) Die völkerrechtliche Verankerung durch die Streitbeilegung (1992)................................................................................................ 78 5. Die grenzüberschreitende „Europaregion Tirol“ ............................. 83 a) Das „Accordino“ ............................................................................ 83 b) Die politische und administrative Kooperation .......................... 83 c) Der politische Auftrag des Vierer-Landtages und sein Scheitern .......................................................................................... 86 d) Die pragmatische Minimallösung des Abkommens 1998 .......... 88 aa) Organisationsformen ............................................................. 89 bb) Gegenstände der Zusammenarbeit ....................................... 89 cc) Koordination und Kooperation ........................................... 89
Inhaltsverzeichnis
XV
dd) Zusammenarbeit der Landtage..............................................91 ee) Rechtsgrundlage der Vereinbarung ......................................91 ff) Rechtsnatur der Vereinbarung ..............................................91 e) Politische und funktionale Zusammenarbeit ...............................92 f) Ergebnis der bisherigen Ansätze einer Europaregion ................95 VI. Das Tiroler Volk als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker ...........................................................................................................96 1. Das Volk als dynamisches Element der politischen Identität ..........96 2. Staatsvolk (Nation), Landesvolk, Volksgruppe.................................97 3. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker............................................98 a) Entwicklung und Subjekte des Selbstbestimmungsrechts..........98 b) Äußeres und inneres Selbstbestimmungsrecht ............................99 4. Selbstbestimmung im Land Tirol ......................................................100 5. Das Selbstbestimmungsrecht Südtirols.............................................102 6. Das Selbstbestimmungsrecht Gesamttirols......................................103 7. Anwendungsfälle des Tiroler Selbstbestimmungsrechts ................104 a) Bundesland Tirol...........................................................................105 b) Autonomie Südtirols ....................................................................107 VII. Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte ...........................111 1. Das Landesvolk des Bundeslandes Tirol..........................................111 2. Volk und Sprachgruppen in Südtirol ................................................114 a) Das doppelte Demokratiesystem der Autonomie.....................114 b) Die Sprachgruppenfeststellung....................................................115 c) Ethnischer Proporz.......................................................................116 d) Sprachgruppenschutz im politischen Prozess............................116 aa) Beschränkung der Gesetzgebung .......................................116 bb) Zuordnung der Kandidaten bei Wahlen ............................117 cc) Vertretung der Sprachgruppen in der Regierung..............117 dd) Zuordnung der Präsidenten.................................................117 ee) Getrennte Abstimmung nach Sprachgruppen...................117 e) Die politische Funktion des Sprachgruppenschutzes ...............118 f) Das besondere System der Mehrheitsdemokratie in Südtirol..119 3. Das Problem einer demokratischen Legitimation der Europaregion .......................................................................................121 a) Die Vorgeschichte des Vierer-Landtagsbeschlusses .................121 b) Vom Vierer-Landtag (1993) zur Minimallösung des DreierLandtages 1998 ..............................................................................123 c) Das Scheitern der innerstaatlichen Genehmigung ....................124 VIII. Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität ..........................127 1. Der vorrechtliche Heimatbegriff.......................................................127 a) Allgemeine Bedeutung .................................................................127 b) Heimat und Volksgruppe.............................................................128 c) Heimat als individueller Wert......................................................129 2. Das historische Heimatrecht .............................................................130 a) Die dreifache „Bürgerschaft“.......................................................130
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Inhaltsverzeichnis
b) Heimatrecht als Anspruch auf Fürsorge.................................... 131 c) Hauptwohnsitz und Ansässigkeit............................................... 132 3. Das Recht auf Heimat ........................................................................ 132 a) „Beheimatung“ (Autochthonie) der Volksgruppen ................. 132 b) Heimat als Element der Selbstbestimmung ............................... 133 c) Der Schutz vor Vertreibung und Überfremdung ..................... 135 d) Die Regelung der Südtiroler Optantenfrage.............................. 137 aa) Die Vorgeschichte ................................................................ 137 bb) Die Durchführung des Abkommens ................................. 138 cc) Pariser Abkommen und Optantengesetz .......................... 140 e) Die historische Dimension des Rechtes auf Heimat................. 141 4. Schutz und Pflege der Heimat als öffentliche Aufgabe .................. 142 a) Heimatpflege als Verfassungsauftrag.......................................... 142 b) Heimatpflege in Südtirol.............................................................. 143 c) Heimat als Lebensraum der Bevölkerung.................................. 144 d) Das Problem der Ortsnamengebung in Südtirol ...................... 145 aa) Historischer Ursprung ........................................................ 145 bb) Pariser Abkommen .............................................................. 145 cc) Autonomiestatut .................................................................. 147 dd) Politische Umsetzungsversuche ......................................... 147 ee) Gemeindekompetenzen in der Mikrotoponomastik ....... 149 5. Heimat als Innenseite der Territorialautonomie............................. 151 a) Heimat als rechtliche Institution ................................................ 151 b) Heimat im liberal-demokratischen Sinn .................................... 152 c) Der transnationale Heimatbegriff............................................... 155 aa) Der ethnopolitische Regionalismus ................................... 155 bb) Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ........................... 157 IX. Die Identität Tirols in der EU................................................................. 158 1. Die EU als Verbund der Nationalstaaten ........................................ 158 a) Die völkerrechtliche Grundlage.................................................. 158 b) Der Eurozentralismus .................................................................. 159 c) Das Vordringen des kooperativen Föderalismus...................... 160 d) Der Wandel des Exekutivföderalismus ...................................... 162 2. EU als neue Chance regionaler Identität?........................................ 163 a) Europäischer Regionalismus ....................................................... 163 b) Die Regionen in der EU .............................................................. 164 3. Die innerstaatlichen Länderbeteiligungensverfahren ..................... 164 a) Die österreichische Lösung ......................................................... 164 b) Die Länderbeteiligung in Italien (Südtirol) ............................... 166 4. Der EU-Beitritt Österreichs als Chance und Krise der regionalen Identität............................................................................. 168 5. „Europäischer Föderalismus“ als Alternative? ............................... 170 a) Begriffsbestimmung...................................................................... 170 b) Das politische Programm ............................................................ 171 c) Das Subsidiaritätsprinzip............................................................. 172
Inhaltsverzeichnis
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d) Die Vertretung der Länder im Rat..............................................172 e) Der Ausschuss der Regionen.......................................................174 f) Die „Verbindungsbüros“ der Regionen .....................................176 g) Hauptprobleme des „Europäischen Föderalismus“ .................177 6. Perspektiven der Entwicklung in Europa ........................................179 a) Die notwendige Doppelbewegung der Reform.........................179 b) Verfassungsrechtliche Reform auf staatlicher Ebene ................180 c) Europarechtliche Organisations- und Demokratiereform.......182 d) Neuer ökonomischer Föderalismus in der Globalisierung ......183 7. Entwicklung neuer politischer Werte und Ziele regionaler Identität ................................................................................................184 a) Das neue Heimatbewusstsein ......................................................184 b) Sicherung des Lebensraumes durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit............................................................................184 c) Vorbildwirkung des „Modells Südtirol“ ....................................185 d) Entwicklung einer „Tiroler Regionalgemeinschaft“.................185 X. Europäische Regionalgemeinschaft Tirol: Ein neues europapolitisches Konzept für den Ausbau der Autonomie und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Landesteile ......................186 1. Begriff und Merkmale der Europäischen Regionalgemeinschaft im Allgemeinen ...................................................................................186 2. Konstituierende Elemente der Regionalgemeinschaft Tirol ..........187 a) Autonomie nach dem Modell „Regionsstaat“ ...........................188 b) Reform der interregionalen Beziehungen ..................................190 c) Die europäische Dimension der Regionalgemeinschaft ...........191 3. Der rechtliche und politische Entwicklungsprozess der Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol ......................................191 a) Elemente des Gründungsvertrages..............................................191 b) „Startkompetenzen“ .....................................................................192 c) Schrittweiser Ausbau der Organisation der Gemeinschaft ......192 d) Präzisierung der Rechtsformen der Zusammenarbeit ..............193 4. Europäische Regionalgemeinschaft Tirol als Zielvorstellungen für die österreichische und italienische Politik ................................194 XI. Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols ....196 A. Südtirol...........................................................................................................196 1. Kurze Landeskunde............................................................................196 a) Territorialbestand .........................................................................196 b) Geschichtliche Entwicklung ........................................................197 c) Bevölkerung...................................................................................198 d) Konfessionelle Gliederung und Bistumseinteilung...................199 2. Verfassungsmäßiger Zustand .............................................................199 a) Kompetenzen ................................................................................199 aa) Vorbemerkung ......................................................................199 bb) Die Kompetenzen auf dem Gebiet der Gesetzgebung.....203 cc) Die Kompetenzen auf dem Gebiet der Verwaltung .........209
XVIII
Inhaltsverzeichnis
b) Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Kultur ............ 211 aa) Schulwesen ............................................................................ 211 bb) Volkskultur ........................................................................... 214 cc) Erwachsenenbildung............................................................ 215 dd) Wissenschaftsförderung ...................................................... 216 ee) Ortsnamengebung................................................................ 216 ff) Kunst ..................................................................................... 221 c) Organisation der Regierung und Verwaltung ........................... 222 aa) Vorbemerkung...................................................................... 222 bb) Die Organe des Landes Südtirol ........................................ 223 cc) Verwaltung............................................................................ 224 dd) Gerichtsbarkeit..................................................................... 228 ee) Die demokratische Struktur................................................ 230 ff) Das Verhältnis des Landes Südtirol zum italienischen Zentralstaat ........................................................................... 232 3. Finanzielle Situation ........................................................................... 234 a) Allgemeines ................................................................................... 234 b) Der Landeshaushalt...................................................................... 235 aa) Die Einnahmen des Landes (alle Angaben in Mio €)...... 235 bb) Die Ausgaben des Landes (alle Angaben in Mio €).......... 236 cc) Die Ausgaben nach Sektoren (in Mio €)............................ 236 c) Die finanziellen Kontrollmechanismen ..................................... 237 aa) Die Haushaltsgarantie.......................................................... 237 bb) Der Rechnungshof ............................................................... 238 4. Wirtschaft ............................................................................................ 238 a) Landeskundliche Voraussetzungen der Wirtschaftsstruktur .. 238 b) Wirtschaftsstruktur ...................................................................... 239 c) Wirtschaftsförderung und Wirtschaftslenkung......................... 239 aa) Maßnahmen am Arbeitsmarkt............................................ 239 bb) Maßnahmen für die Industrie ............................................. 240 cc) Maßnahmen für den Handel ............................................... 241 dd) Maßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft............... 242 ee) Maßnahmen für den Fremdenverkehr............................... 243 ff) Maßnahmen für das Handwerk.......................................... 245 d) Wirtschaftskooperation ............................................................... 246 aa) Die Kooperation auf dem Energiesektor zwischen SEL AG und TIWAG.................................................................. 246 bb) Die EU-Förderprogramme in Südtirol............................. 248 cc) EURES TransTirolia........................................................... 250 5. Politische Wirklichkeit....................................................................... 251 a) Parteien .......................................................................................... 251 aa) Im Landtag vertretene Parteien: ......................................... 251 bb) Kommunale Parteien und Bürgerlisten ............................. 251 b) Verbände........................................................................................ 252
Inhaltsverzeichnis
XIX
aa) Die Handels-, Industrie-, Handwerks- und Landwirtschaftskammer ......................................................252 bb) Spezielle Interessenverbände...............................................252 cc) Genossenschaften .................................................................253 dd) Gewerkschaften ....................................................................253 c) Politische Beziehungen zur Zentrale ..........................................254 d) Politische Beziehungen zur Region und zum Trentino ...........254 6. Kooperationsformen und -einrichtungen ........................................255 a) Regionale Zusammenarbeit innerhalb der Staatsgrenzen.........255 b) Kooperation auf zwischenstaatlicher Ebene..............................256 aa) Die Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP)......256 bb) Arbeitsgemeinschaft der Länder und Regionen der Ostalpengebiete (ARGE Alpen-Adria) .............................257 cc) Die Versammlung der Regionen Europas (VRE) .............257 dd) Der Vierer- bzw Dreierlandtag...........................................257 ee) Europaregion Tirol-Südtirol/Alto Adige-Trentino (Europaregion Tirol) ............................................................259 7. Schlussbetrachtung .............................................................................264 8. Quellenverzeichnis .............................................................................269 B. Tirol................................................................................................................272 1. Kurze Landeskunde............................................................................272 a) Territorialbestand .........................................................................272 b) Geschichtliche Entwicklung ........................................................273 aa) Bis 1918..................................................................................273 bb) Seit 1918 .................................................................................273 c) Bevölkerung...................................................................................274 d) Landeskundliche Voraussetzungen der Wirtschaftsstruktur...275 e) Konfessionelle Gliederung und Bistumseinteilung...................275 2. Verfassungsmäßiger Zustand .............................................................276 a) Kompetenzen ................................................................................276 aa) Allgemeines ...........................................................................276 bb) Landeskompetenzen auf dem Gebiet der Gesetzgebung........................................................................276 cc) Die Kompetenzen auf dem Gebiete der Verwaltung .......277 dd) Die Kompetenzverteilung im Bereich „Kultur“ ...............278 b) Organisation der Regierung und Verwaltung ...........................280 aa) Die Landesregierung ............................................................280 bb) Die Organisation der Landesverwaltung...........................281 c) Demokratische Struktur...............................................................282 aa) Allgemeines ...........................................................................282 bb) Die Wahlen zum Landtag....................................................283 cc) Direktdemokratische Einrichtungen..................................283 dd) Die demokratische Struktur der Gemeinden ....................284 d) Das Verhältnis des Landes zum Bund ........................................285 aa) Allgemeines ...........................................................................285
XX
Inhaltsverzeichnis bb) Die einzelnen Institute der Bundesaufsicht ...................... 285 cc) Ansätze einer „Landesaufsicht“ ......................................... 288 dd) Kooperationsinstitute .......................................................... 289 3. Finanzielle Situation ........................................................................... 291 a) Steuerhoheit................................................................................... 291 b) Steuerverbund ............................................................................... 291 c) Transfers (Dotationssystem) ....................................................... 292 aa) Schlüsselzuweisungen.......................................................... 293 bb) Bedarfszuweisungen ............................................................ 293 cc) Zweckgebundene Zuschüsse............................................... 293 dd) Kostenersatz für die Landeslehrer ..................................... 293 ee) Landesumlage ....................................................................... 294 ff) Finanzzuweisungen des Landes an die Gemeinden ......... 294 d) Konsultationsmechanismus und Stabilitätspakt ....................... 294 e) Überblick über die Lage des Budgets......................................... 295 f) Finanzielle Kontrolle durch den Bund....................................... 296 aa) Allgemeines........................................................................... 296 bb) Die Dominanz in der Gesetzgebung ................................. 296 cc) Das besondere Einspruchsrecht gegen LandesAbgabengesetze .................................................................... 296 dd) Besondere Bindungen der Budgethoheit........................... 297 ee) Der Rechnungshof des Bundes........................................... 297 ff) Antragbefugnis des Bundes................................................. 297 gg) Das Vordringen kooperativer Mechanismen .................... 297 4. Politische Wirklichkeit....................................................................... 298 a) Parteien .......................................................................................... 298 aa) Rechtliche Grundlagen ........................................................ 298 bb) Parteien in Tirol.................................................................... 298 b) Verbände........................................................................................ 299 aa) Rechtliche Grundlagen ........................................................ 299 bb) Einflussnahme der Verbände .............................................. 301 c) Wirtschaftliche Struktur ............................................................. 302 d) Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung.. 303 aa) Volkswahlen ......................................................................... 303 bb) Direkt-demokratische Einrichtungen................................ 304 e) Politische Beziehungen zur Zentrale .......................................... 305 5. Kooperationsformen und -einrichtungen ........................................ 305 a) Verfassungsrechtlich geregelte innerstaatliche Zusammenarbeit ........................................................................... 305 aa) Staatsrechtliche Vereinbarungen nach Art 15a B-VG...... 306 bb) Anhörungsrecht der Länder ............................................... 307 b) Bedeutsame Fälle sonstiger innerstaatlicher Zusammenarbeit ........................................................................... 307 aa) Länderkonferenzen .............................................................. 307 bb) Verbindungsstelle der österreichischen Bundesländer..... 308
Inhaltsverzeichnis
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cc) Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK).......308 dd) Beteiligung der Länder an der Bundesgesetzgebung........308 c) Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ....................................309 6. Wirtschaftsförderung und Wirtschaftslenkung ...............................310 a) Wirtschaftsförderung....................................................................310 b) Wirtschaftslenkung .......................................................................311 7. Quellenverzeichnis .............................................................................312 Anhang 1: Petition Klecatsky für eine Staatszielbestimmung betreffend Südtirol in der österreichischen Bundesverfassung .......................................... 314 Anhang 2: Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol ................................................................................................ 324 Literaturverzeichnis.............................................................................................. 334
The Identity of Tyrol in Europe Summary In this study, the term “identity” shall express the complex basis of regional autonomy and politico-geographical unity of the Land Tyrol. The historic roots of the Land’s identity are certainly important. Today, however, identity of the Land means a dynamic process of development and change. The most relevant reason for this dynamism is the division of the region into different parts (Land Tyrol and Autonomous Province of Bozen-South Tyrol) that belong to heterogeneous national systems with their own social, political and constitutional fundament. The identity of the “Land as a whole” (Constitution of the Land Tyrol) must thus be described as a complex of different national autonomies that are linked legally and politically (Treaty of Paris, 1946; “package solution” and settlement of disputes, 1969/1992; protecting power of Austria) which is based on the common culture and ethnicity of the regional populations. These integrating elements, however, play an increasingly minor role, being confronted by the dynamics of the respective part’s “own” regional identity. Even the project of a legal institutionalisation of regional transborder co-operation within a “European Region of Tyrol-South TyrolTrentino” has so far hardly contributed to their integration. The focus of this study is set on the analysis of conflicting effects of European integration – especially, the EU – on the regional identity of the regional parts and of Tyrol as a whole: Centralising tendencies of European planning, policies, bureaucracy and legal development as well as the consequences of the “European fundamental freedoms” on regional identity, particularly on minority protection and sensitive ecologic living conditions in the Alpine area, are to be balanced against significant tendencies towards European federalism and regionalism. The study develops its own scientific method in order to describe the political and constitutional self-government of the constituent units of a federal state and the autonomous regions of a decentralised unitary state, and to compare and to evaluate them according to a “standard of functional federalism”. Due to this comprehensive theoretical approach, the study is of particular relevance for the scientific analysis of autonomous regions as indispensable components of citizen-orientated compound democracy in European integration. The elements of “land”, “people” and “home” are taken as basic categories of regional autonomy. On the one hand, “land” stands for the historic area and living space as a complex of landscape, settlement and culture of
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Summary
a regional people. On the other hand, the Land, as a “territorial entity”, is the unit of Land people and Land territory being a legal subject and holder of regional autonomy or constituent state respectively. In two extensive chapters, the study seeks to analyze the highly heterogeneous law that forms the basis of the self-government of the Land Tyrol, which is a constituent unit of the Austrian federal state, and the autonomy of South Tyrol, which is a kind of “special autonomy” based on the Italian Constitution (Special Autonomy Statute), international law and a special political system of co-operation of the linguistic groups in this region (Consociational democracy). In separate chapters the element “people” is analyzed as a holder of the right of self-determination and as a subject of democratic rights in the Land Tyrol and the Autonomous Province of Bozen-South Tyrol. Again, it is shown that the democratic systems in the regional parts have only little in common. The interdependency between individual elements of experience and feeling and super-individual integration into a spatial, cultural and community context is typical of the element “home”. Thus, there exists an individual right of residence as well as a legal unity of people and ethnic group within a certain area of settlement (“Right of home”). This ethno-political meaning of individual and collective residence is embodied in the characteristic concept of autochthonous ethnic groups, in the right of self-determination, in the protection against expulsion and foreign infiltration and, in South Tyrol, in the specific law pertaining to minority protection, which is not always seen as compatible with EU law. It is true that the liberal-democratic concept of “home” includes the spatial freedom of movement and establishment within the state territory/EU and constitutes the basic equality between state (European) citizens and local residents. Since the majority of the population, however, remains the same, the continuity of the regional culture and character, even in liberal systems, may be usually maintained by integrating new residents. National minorities, however, need special legal protection of their cultural identity within their autochthonous territory of settlement. Finally, the study includes separate “regional reports” that offer consolidated information on the social, legal, political and economic determinants of the regional identity of Tyrol and South Tyrol with all relevant sources.
Einleitung Die Themenstellung der vorliegenden Untersuchung hat eine historische, geographische, politische und rechtliche Komplexität, die sich dem Leser nur erschließt, wenn er ein bestimmtes Vorverständnis ihrer Schlüsselbegriffe kennt. Vier Vorbemerkungen erscheinen mir deshalb an dieser Stelle angebracht: 1. „Tirol“ verstehe ich im Folgenden sowohl als Bundesland Tirol als auch als Autonome Provinz Südtirol und darüber hinaus als Einheit des ganzen Landes. Ich folge damit der Präambel der Tiroler Landesordnung 1989, die von „der geistigen und kulturellen Einheit des ganzen Landes“ spricht. Im Sinne einer Entschließung des Tiroler Landtages vom 23. November 1994 (Sten.Ber. XII./2, 19) ist unter „ganzes Land“ Nord-, Ost- und Südtirol (Autonome Provinz Bozen) zu verstehen. Gleichzeitig ist allerdings zu beachten, dass die „Brennergrenze“ seit ihrem Bestehen durch 90 Jahre unterschiedliche staatsrechtliche und gesellschaftliche Entwicklungen der beiden „Tirol“ bewirkte, welche die Einheit des Landes immer stärker relativieren. 2. Unter „Europa“ verstehe ich hauptsächlich die Europäische Union, aber auch den Geschichtsraum gemeinsamer kultureller, politischer und rechtlicher Werte und Traditionen über die Europäische Union hinaus, wie er sich etwa im Europarat manifestiert. Man kann also „Europäer“ sein und dennoch einen kritischen Standpunkt außerhalb der Europäischen Union beziehen. 3. Die „Identität Tirols“ ist in seiner geschichtsräumlichen Landschaft als Heimat eines Landes- und Regionalvolkes im europäischen Sinn begründet; sie wird durch die politische und staatsrechtliche Selbständigkeit (Autonomie) dieses Volkes im angestammten Siedlungsgebiet geprägt, die ihrerseits auf den objektiven Merkmalen und dem politischen Willen zur Existenz als eine Sprach-(Volks)gruppe bzw als ein Landesvolk beruhen und dadurch ihr Selbstbestimmungsrecht begründen. 4. Die Identität Tirols ist keine fixe Größe oder Qualität, sondern entsteht aus einer Reihe von Integrationsprozessen im Raum, in den politischen Systemen und den rechtlichen Institutionen. Sie beruht daher auf der Entwicklung, Erneuerung und Selbstfindung des Volkes in den Autonomien der Landesteile und ihren Beziehungen zueinander. Die Untersuchung ist daher eine entwicklungsgeschichtlich angelegte Analyse der Dynamik der Autonomien im Rahmen der nationalen Verfassungs- und Politiksysteme und der europäischen Integration.
I. Allgemeine und methodische Grundlagen 1. Beschreibung des Forschungsvorhabens a) Begriff „Identität Tirols“ Der Ausdruck „Identität“ wird in der vorliegenden Untersuchung deshalb verwendet, um die komplexe Grundlage der regionalen Selbständigkeit und politgeographischen Einheitlichkeit des Landes auszudrücken. Die Identität des Landes und der Landesteile ist daher begrifflich sehr gut durch die Merkmale umschrieben, welche die „Gemeinschaftscharta der Regionalisierung“ des Europäischen Parlaments vom 18. 11. 1988, ABl 1988, C 326/289, verwendet; danach ist eine selbständige Region durch folgende Elemente gekennzeichnet: aa) Geographische Einheit oder ein Komplex von Gebieten, die ein in sich geschlossenes Gefüge darstellen Die geographische Einheit des „Landes im Gebirge“, wie die historische Bezeichnung Tirols lautet, ist sowohl für die Landesteile, als auch für Gesamttirol gegeben. Es handelt sich einerseits um die Tallandschaften des Inns und der Etsch mit ihren Nebenflüssen; anderseits um die Gebirgslandschaften der diese Täler begrenzenden und begleitenden Nordalpen. Alpen und Täler bildeten für die hier siedelnden Menschen eine natürliche, sehr komplexe und in sich stark gegliederte Einheit, die besondere Wirtschaftsformen (insbesondere der Land- und Forstwirtschaft), besondere Siedlungsweisen, und daran angepasste rechtliche und politische Gemeinschaften auf genossenschaftlicher Basis hervorbringen mussten, um ein Leben in den stark von der Natur abhängigen und bedrohten Räumen überhaupt zu ermöglichen.1 Im Besonderen bildeten die Nord- und Südabhänge der Alpen seit unvordenklichen Zeiten eine wirtschaftliche und siedlungsgeographische Einheit, die durch die Verbindungswege über Pässe und Jöcher ständig aufrecht erhalten wurde. Der wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Zusammenhang zwischen den klimatisch unterschiedlichen Landesteilen wurde lange vor der Entwicklung moderner Verkehrsmittel durch uralte alpenüberquerende Straßen und Saumpfade dauernd gesichert, sodass dem Land im Gebirge geradezu eine verkehrspolitische Schlüsselrolle zwischen Nord und Süd zukam.
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Emil Egli, Die Daseinsbeziehung zwischen Mensch und Landschaft als Grundlage der Rechtsordnung, in: Kurt Rabl, Inhalt, Wesen und gegenwärtige praktische Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Völker (1964) 18 ff.
Allgemeine und methodische Grundlagen
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Tirol ist daher als geographische Einheit vor allem ein Passland, dessen nördliche und südliche Alpenabhänge wirtschaftlich, aber auch bevölkerungsmäßig stark zusammenhängen, während die eigentlichen siedlungsgeographischen Grenzen in den Talengen im Norden und Süden (Ehrenberger Klause, Loisach-Durchbruch, Porta Claudia, Achensee, Salurner Klause ua) liegen. Dagegen bildet der Alpenhauptkamm, mit den heutigen, durch den Staatsvertrag von Saint Germain (1919) geschaffenen politischen Grenzen geographisch überhaupt keine Grenze des Landes. Im Ganzen stellt Tirol nämlich ein Geflecht von streifenförmig besiedelten Tälern dar, die nicht nur über die niedersten Alpenpässe (Brenner, Reschen, Toblacher Feld) unmittelbar zusammenhängen, sondern auch entlang des Zentralalpenraumes durch sehr hohe Übergänge (Ötztaler, Zillertaler Alpen, Krimler Tauern, Birnlücke) miteinander verbunden sind.2 Der Versuch, die Brennergrenze als „Wasserscheide“ geographisch zu begründen, war eine rein politische und ideologische Argumentation, die wissenschaftlich unhaltbar ist und heute auch nicht mehr von italienischer Seite vertreten wird.3 bb) Eine Bevölkerung, die durch gewisse gemeinsame Elemente gekennzeichnet ist Dieses Element des europäischen Regionsbegriffes zielt auf die Identität des Volkes in Tirol. Über dieses wichtige Kennzeichen der Tiroler Identität wird die vorliegende Untersuchung auf zwei Ebenen Kriterien der Eigenständigkeit zu ermitteln und zu prüfen haben: „Volk“ ist einerseits eine vorstaatliche, ethnisch begründete, politische Einheit von Menschen, die heute völkerrechtlich als Träger (Subjekt) des Selbstbestimmungsrechts der Völker anerkannt ist. Anderseits ist das „Volk“ im demokratischen Sinne jene verfassungsrechtliche Einheit der Bürger, die nach dem Prinzip der Volkssouveränität der Träger der staatlichen Souveränität in der Demokratie ist. Beide Begriffe des Volkes sind im Selbstbestimmungsrecht miteinander verkoppelt, aber dennoch unterschiedliche Kategorien der Selbständigkeit. Die Bevölkerung einer Region ist häufig als Volksgruppe oder Landesvolk Teil eines größeren Gesamtvolkes („Nation“) und insofern nicht (für sich genommen) „souverän“ im staats- und völkerrechtlichen Sinne. Auch darauf wird die Untersuchung einzugehen haben, weil diese Frage für die Identität des Tiroler Volkes und die Art seines Selbstbestimmungsrechtes ausschlaggebend ist. cc) Die Art der gemeinsamen Elemente der Bevölkerung Im europäischen Vergleich kann die regionale Identität des „Volkes“ einer Region sehr unterschiedlich begründet sein. Als wichtigste Kriterien werden in 2
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Hans Kinzl, Südtirol, geographisch betrachtet, in: Franz Huter, Südtirol. Eine Frage des europäischen Gewissens (1965) 236 ff. Viktoria Stadelmayer, Die italienischen Argumente für die Brennergrenze, in: Franz Huter, Südtirol, aaO 254 ff.
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Beschreibung des Forschungsvorhabens
diesem Zusammenhang genannt: Eigene Sprache, besondere Kultur und Gesellschaftsordnung, eigene geschichtliche Tradition, besondere Wirtschaftsund Sozialordnung, ökologische Besonderheiten, siedlungsgeographische und infrastrukturelle Zusammenhänge, andere politgeographisch begründete Elemente.4 Die Untersuchung wird zu klären haben, welche dieser Kriterien für die Identität der Landesbevölkerung Tirols in Betracht kommen und welches Gewicht ihnen jeweils in den Landesteilen und in Gesamttirol zukommt. dd) Der politische Wille zur Selbständigkeit Die Grundthese der vorliegenden Untersuchung ist, dass die Identität Tirols zwar auf natürlichen, relativ stabilen Voraussetzungen der Landschaft aufbaut, darüber hinaus aber eine dynamische gesellschaftliche und politische Kategorie ist, die sehr stark im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sein muss, um wirksam zu sein.5 „Identität Tirols“ wird es also in Europa nur geben, wenn die Landespolitik die in dieser Untersuchung behandelten „Eigenheiten“ des Landes nicht nur bewahrend konserviert, sondern dynamisch weiterentwickelt, um durch die Autonomie den kulturellen, sozialen, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt der Bevölkerung auch in Zukunft zu gewährleisten. ee) Die rechtliche Einrichtung Regionen sind in Europa zunächst subnationale Gebietskörperschaften, das heißt sie sind durch die Nationalstaaten – meist auf der Ebene des Verfassungsrechts – eingerichtet. Auf dieser Grundlage können Regionen aber auch grenzüberschreitend tätig werden und mittelbar oder unmittelbar in die Organisation und den Tätigkeitsbereich der EU und des Europarates integriert werden. Eine effiziente rechtliche Institutionalisierung der Regionen ist ganz wesentlich für die Gewinnung und Erhaltung der regionalen Identität, weil dadurch eine autonome politische Willensbildung und Verwaltung, im Idealfall auch eine eigene Verfassungs- und Gesetzgebungshoheit in einem unabhängigen demokratischen System möglich wird. Die Untersuchung wird daher eingehend die Stellung der Landesteile in den beiden Verfassungs- und Verwaltungssystemen analysieren und vergleichend bewerten, ob danach regionale Eigenständigkeit und grenzüberschreitende Integration der Landesteile in einer „Europaregion“ möglich ist. Der übergreifende rechtliche Bezugsrahmen ist dabei nicht nur die jeweilige nationale Staatsverfassung, sondern in zunehmenden Maße auch das Völkerrecht und das europäische Gemeinschaftsrecht.
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Robert Breton, Les Ethnies (1981) 14. Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 216 ff: „Zur Identität von Land und Leuten“.
Allgemeine und methodische Grundlagen
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b) Dynamische Elemente der Tiroler Identität Das Hauptinteresse des gegenständlichen Forschungsvorhabens richtet sich nicht auf einen statischen oder historischen Begriff der Identität Tirols, sondern auf die Bedingungen seiner Entwicklung und Veränderung. Diese Zielsetzung soll durch die wissenschaftliche Untersuchung folgender dynamischer Elemente in der Begründung und Auseinandersetzung mit Gegenkräften der Autonomie verfolgt werden: aa) Die Trennung der Landesteile in unterschiedliche nationalstaatliche Systeme Seit der Annexion Südtirols durch Italien kann die Autonomie des „ganzen Landes“ (Tiroler Landesordnung) nicht mehr einheitlich begründet werden, sondern ist ein Komplex von unterschiedlichen nationalen Autonomien, ihren Beziehungen zueinander und zu den jeweiligen Nationalstaaten. bb) Südtirol-Autonomie und Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol Die Identität der beiden Landesteile als Regionen beruht heute auf ganz unterschiedlichen staatsrechtlichen, gesellschaftlichen und politischen Grundlagen, deren Dynamik daher gesondert untersucht werden muss. Es gibt darüber hinaus einige rechtliche und politische Verbindungen der Landesteile, die vor allem durch das Pariser Abkommen (1946) und seine Durchführung im „Paket“ (1969/1992), die Schutzmachtfunktion Österreichs und durch die kulturelle und ethnische Gemeinsamkeiten der Bevölkerung begründet werden. Gegenüber der Dynamik der Identität der Landesteile – insbesondere seit dem Paket-Abschluss – treten diese verbindenden Integrationskräfte allerdings immer mehr zurück. Ob das Konzept der „Europaregion“ etwas daran zu ändern vermag, wird zu prüfen sein. cc) Föderalismus-Entwicklung in Österreich, Italien und Europa Schicksalhaft eingebettet ist die regionale Identität der Landesteile Tirols in die Dynamik der Föderalismusentwicklung Österreichs (als Bundesstaat eigener Art) und Italiens (als quasi-föderaler Regionalstaat) und in die Dynamik des Europäischen Regionalismus in der EU, im Europarat und in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Die Untersuchung wird daher die zentralisierenden Tendenzen der überregionalen Systeme mit gegenläufigen Entwicklungen abzuwägen und die nationalen und europäischen Reformen in ihren Auswirkungen und die Selbständigkeit und Integrationskraft der Landesteile zu beurteilen haben. dd) Europäische Integration (EU) Ein Schwergewicht des Forschungsvorhabens liegt in der Analyse der widersprüchlichen Auswirkungen der europäischen Integration, vor allem im Rah-
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Beschreibung des Forschungsvorhabens
men der EU, auf die regionale Identität der Landesteile und Gesamttirols. Vom europäischen Gemeinschaftsrecht und den europäischen Planungen gehen einerseits sehr starke zentralisierende und vereinheitlichende Tendenzen aus; die „europäischen Grundfreiheiten“ (EU) richten sich direkt gegen regionale Abgrenzungen und Maßnahmen des Schutzes vor Überfremdung. Anderseits relativieren sich in der EU die nationalstaatlichen Grenzen und erleichtern rechtliche und wirtschaftliche Verbindungen zwischen den Landesteilen, wenn diese – in der neuen regionalen Konkurrenzsituation Europas – überhaupt noch gesucht werden. Schließlich gibt es auch wichtige Ansätze regionalistischer Politik, Planung und Förderung im Rahmen der EU und des Europarates, deren Auswirkungen auf die Identität und Entwicklung Tirols zu prüfen sind. ee) Die Region in der Globalisierung Die Globalisierung der Kommunikationssysteme, der Wirtschaft, Zivilisation und Technik, ansatzweise auch des Rechts und der Gesellschaft, hat zunächst negative Auswirkungen auf die regionale Identität, weil damit eine radikale Grenzöffnung und Relativierung des traditionellen Raumbezuges der öffentlichen Ordnung verbunden ist.6 Die wirtschaftliche und soziale Ordnung der Region ist einem verschärften internationalen Konkurrenzdruck ausgesetzt; das Passland Tirol leidet unter den ökologischen Folgeschäden des ständig steigenden Straßenverkehrs; die traditionellen gesellschaftlichen Strukturen und Werte der Gesellschaft des Landes – die in der Präambel zur Tiroler Landesordnung noch beschworen werden7 – verlieren (bis auf die persönliche Freiheit) in der Bevölkerung und in der Politik zunehmend an Bedeutung, weil die medial verbreitete Weltzivilisation ganz andere Werte vorgibt. Aber die Globalisierung hat nicht nur negative Auswirkungen auf die regionale Identität. Die zunehmende Entgrenzung und Dynamik aller Lebensbereiche erzeugt gleichzeitig ein verstärktes Bedürfnis nach räumlicher Nähe und Geborgenheit, wodurch die polit-geographischen Kleinordnungen – vor allem die Gemeinden und Regionen – neue Bedeutung als „nahe“ und überschaubare Strukturen und damit als „Heimat“ gewinnen. Daher ist der Regionalismus in politischer und sozialpsychologischer Hinsicht auch eine Antwort auf die Globalisierung und muss in dieser Funktion verstärkt eingesetzt werden. Auch europa- und völkerrechtliche Bindungen der Bundes- und Landespolitik – insbesondere im Bereich des Landschafts-, Natur- und Umweltschutzes – sind nicht nur negativ zu beurteilen, sondern können zum Schutz 6
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Peter Pernthaler, Die Globalisierung als Herausforderung an eine moderne Staatslehre, in: FS Koja (1998) 69 ff. „Die Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe; die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes; die Freiheit und Würde des Menschen; die geordnete Familie als Grundzelle von Volk und Staat“; vgl dazu Peter Pernthaler, Die Präambel zur Tiroler Landesordnung. Ein Beitrag zur verfassungsrechtlichen GrundwerteFormulierung, FS Kostelecky (1990) 143 ff.
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und zur Entwicklung der regionalen Identität beitragen. In dieser Hinsicht werden vor allem die Alpenkonvention und europarechtliche Naturschutzregelungen („Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie“ und andere) in ihren Auswirkungen auf die Landschaft und Lebensqualität in Tirol zu untersuchen sein. c) Die dreifache Begründung der Identität Tirols Die Tiroler Identität wirft zunächst die Frage nach der regionalen Selbständigkeit (Autonomie) der Landesteile auf. Die Brennergrenze als „Narbe der Geschichte“ wie sie im Sprachgebrauch des Europarates genannt wird, bewirkt eine unterschiedliche staatsrechtliche, politische, kulturelle und zivilisatorische Integration des Landes Tirol und der Autonomen Provinz Südtirol in die nationalstaatlichen Systeme von Österreich und Italien. Diese beiden Nationalstaaten sind aber durch das Pariser Abkommen (1946), das Paket und seine Durchführung (1965–1992), und durch die Schutzmachtfunktion Österreichs kunstvoll zu einem völkerrechtlichen und politischen Garantiesystem der Südtiroler Autonomie verknüpft.8 Die Tiroler Identität ist daher heute nicht mehr einfach, sondern dreifach zu definieren: aa) Die „Selbständigkeit“ (Art 2 B-VG) des Landes Tirol im Bundesstaat Österreich; bb) die durch die italienische Verfassung (Sonderstatut), das Pariser Abkommen und das Paket begründete Spezial-Autonomie Südtirols im Rahmen des föderalisierten Regionalstaates Italien; cc) die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes, die – außer im Selbstbestimmungsrecht – einer umfassenden staats- oder völkerrechtlichen Verankerung entbehrt, wohl aber in einzelnen völkerrechtlichen Abkommen zwischen Italien und Österreich vorausgesetzt wird (Pariser Abkommen 1946, Streitbeilegung 1992), sich in besonderen regionalen Rechtsbeziehungen (Europaregion, gemeinsame Landtage ua) konkretisiert, in außerrechtlichen Gemeinsamkeiten des Volkes und des Landes begründet ist und durch die Schutzmachtfunktion Österreichs als solche gewährleistet wird. In allen drei Ebenen der Tiroler Identität lässt sich diese definieren über die drei Elemente „Land, Volk und Heimat“.9
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Vgl Michael Gehler, Vollendung der Bilateralisierung als diplomatisch-juristisches Kunststück: Die Streitbeilegungserklärung zwischen Italien und Österreich 1992, in: Siglinde Clementi/Jens Woelk (Hg), 1992: Ende eines Streits (2003) 17 ff. Peter Pernthaler, Land, Volk und Heimat als Kategorien des österreichischen Verfassungsrechts (1982).
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Wissenschaftliche Methode
2. Wissenschaftliche Methode a) Die Notwendigkeit einer komplexen Methode Das im vorigen Punkt beschriebene Forschungsvorhaben ist weder mit einer formal-positivistischen Rechtslehre nach Art der „Wiener Schule“,10 noch mit einer rein empirisch ausgerichteten Politikwissenschaft sachgerecht zu bearbeiten. Notwendig ist vielmehr eine komplexe und auf klare Wertungen aufbauende, staatsrechtliche und staatswissenschaftliche Methode, wie sie die Innsbrucker Föderalismusschule entwickelt hat.11 Diese Methode setzt einerseits die Bedachtnahme auf die Wertgrundlagen der staatsrechtlichen Einrichtungen des Föderalismus voraus und erfordert anderseits die Einbeziehung einer Reihe von außerrechtlichen Grundlagen der Selbständigkeit und Identität des Landes und des Volkes von Tirol.12 b) „Funktionaler Föderalismus“ als Vergleichsrahmen aa) Bundesstaat und Regionalstaat Die methodische Hauptschwierigkeit der vorliegenden Untersuchung liegt darin, dass die Landesteile Tirols heute in zwei unterschiedliche nationalstaatliche Verfassungs- und Verwaltungssysteme integriert sind, die auch verschiedenen Staatstypen – Bundesstaat und dezentralisierter Einheitsstaat (Regionalstaat) – entsprechen. Auf Grund einschlägiger theoretischer und praktischer Vorstudien der Innsbrucker Föderalismusschule kann man aber Kriterien eines „föderalistischen Standards“ ermitteln, der die politische raumbezogene Selbständigkeit („regionale Autonomie“) sowohl von Gliedstaaten eines Bundesstaates als auch von autonomen Regionen eines dezentralisierten Einheitsstaates zu beschreiben und zu vergleichen ermöglicht.13 Allerdings setzt dies voraus, dass man den Begriff „Föderalismus“ nicht auf Bundesstaaten im klassischen Sinn begrenzt und auch nicht in einem rein juristischen Sinn auslegt, sondern als eine (systemübergreifende) typologische Ordnungsvorstellung politräumlicher Selbständigkeit („Autonomie“) innerhalb eines größeren nationalen und supranationalen Gesamtsystems versteht. Da es dabei weniger auf die
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Die „Wiener Schule“ der Rechtswissenschaft („Reine Rechtslehre“) wurde von Hans Kelsen und Adolf Merkl begründet und wird heute von Robert Walter, Heinz Mayer, Rudolf Thienel ua weiter geführt; vgl Felix Ermacora, Allgemeine Staatslehre (1970) 130 ff. Vgl dazu: Peter Pernthaler, Bundesstaatsreform und Föderalismusforschung in Österreich, in: derselbe (Hg), Bundesstaatsreform als Instrument der Verwaltungsreform und des europäischen Föderalismus (1997) 6 ff. Karl Weber, Elemente eines umfassenden Föderalismusbegriffes, in: FS Klecatsky (1980) 1013 ff; derselbe, Kriterien des Bundesstaates (1980) 65 ff. Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Der Föderalismus im Alpenraum (1982) 33 ff.
Allgemeine und methodische Grundlagen
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formale juristische Begründung der Selbständigkeit als vielmehr auf die Art der dadurch gewährleisteten Funktionen und das Maß ihrer tatsächlichen Unabhängigkeit ankommt, wird dieses System auch als „funktionale Autonomie“ oder „funktionaler Föderalismus“ bezeichnet.14 Abgestellt wird bei diesem systemübergreifenden Maßstab der regionalen Selbständigkeit (Identität) der Landesteile einerseits auf die staats- und völkerrechtliche Einrichtung der Landesteile als autonome „Gebietskörperschaften“ Österreichs und Italiens und auf ihren rechtlichen und politischen Zusammenhang als „Einheit des ganzen Landes“ Tirol. Anderseits werden aber auch die außerrechtlichen Merkmale der Identität des Landes und seines Volkes als Elemente eines umfassenden („integralen“) Föderalismus gewertet. Die Untersuchung erstreckt sich daher bewusst auch auf die historisch-kulturellen, geographischen, ethnischen und sozial-ökonomischen Grundlagen der Selbständigkeit und Einheit der Landesteile. bb) Vergleichbarkeit der staatsrechtlichen Funktionen Voll vergleichbar miteinander sind zunächst die entscheidenden staatsrechtlichen Funktionen der betroffenen Regionen: Es bleibt – unter juristischen Gesichtspunkten – gleichgültig, in welchem staatsrechtlichen Gesamtsystem etwa bestimmte Kompetenzen einer Gebietskörperschaft zur Gesetzgebung oder selbständigen Verwaltung begründet sind, wenn sie inhaltlich und in ihrem rechtlichen Unabhängigkeitsgrad übereinstimmen. Daher können sich unter übereinstimmenden föderalistischen Zielsetzungen und Rechtsvorstellungen auch so extreme Gegenpositionen wie die Dezentralisationstheorie und die Souveränitätsteilungstheorie des Bundesstaates völlig treffen.15 Es erscheint daher unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten völlig legitim, dieselben rechtlichen Staatsfunktionen autonomer Körperschaften und Gliedstaaten – zB Gesetzgebung, Verwaltung, Kompetenzkataloge, Staatsaufsicht, Finanzausgleich – miteinander zu vergleichen und daraus einen gemeinsamen „föderalistischen Standard“ zu entwickeln. Dies umso mehr, als nach Auffassung vieler Rechtswissenschaftler zwischen Bundesstaat und dezentralisiertem Einheitsstaat ohnedies kein Wesensunterschied, sondern nur graduelle Unterschiede der Autonomie bestehen und die österreichische Verfassung und Verfassungswirklichkeit weithin von diesem Denkmodell des Bundesstaates geprägt ist, sodass dieser Staat weithin als Übergangsform oder Kompromiss zwischen Bundesstaat und Einheitsstaat gilt. 14
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Peter Pernthaler, Asymmetrischer Föderalismus als systemübergreifender Ordnungsrahmen der Regionalautonomie, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 97 ff. Vgl dazu die Hinweise bei Karl Weber, Kriterien des Bundesstaates (1980) 65 ff und die Bezugnahme von Peter Pernthaler, Das Forderungsprogramm der österreichischen Bundesländer (1980) 23 f auf die „Dezentralisationstheorie“ von Kelsen und Koja; einen Überblick über die verschiedenen Bundesstaatstheorien bietet: Peter Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht (2004) 294 ff.
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Wissenschaftliche Methode
cc) Vergleichbarkeit des politischen Föderalismus Soweit der Föderalismus als politische Kategorie des Denkens und Handelns verstanden wird – nämlich als politische Lebensordnung und Wertvorstellung einer Gemeinschaft – ist sein Vorhandensein überhaupt nicht an den „Bundesstaat“ im juristischen Sinne geknüpft. Unter diesem Gesichtswinkel will Föderalismus die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der kleineren Gemeinschaften und ihre Integration in bestimmt strukturierte größere Gemeinschaften verwirklichen, wobei das Subsidiaritätsprinzip, gegliederte Demokratievorstellungen oder Kooperationsmodelle verschiedenster Art als „föderalistisch“ im eigentlichen Sinne angegeben werden, ohne dass es aber in entscheidender Weise auf die juristische Form der Verwirklichung dieser Postulate ankäme. Für die politologische Betrachtungsweise kann daher ein größeres Maß an Autonomie sehr viel „föderalistischer“ sein als eine Gliedstaatlichkeit ohne wichtige Kompetenzen und reale Unabhängigkeit von der Zentrale. Auch unter diesem Gesichtspunkt scheint es daher methodisch ohne weiteres zulässig, einen übergreifenden politikwissenschaftlichen Standard des Föderalismus zu entwickeln und daran Vergleichsregionen in verschiedensten staatsrechtlichen Gesamtbezügen zu messen, wenn sie – was vorausgesetzt wird – ein bestimmtes Minimum an regionaler Unabhängigkeit und Eigenständigkeit aufweisen und eine Vergleichung so sinnvoller Weise überhaupt möglich ist. dd) Die geschichtsräumliche Identität der Regionen als Basis des Vergleiches Die „Bedingung der Notwendigkeit“ eines föderalistischen Vergleiches der Tiroler Landesteile ist aber in einer noch hinter alle wissenschaftliche Bemühungen reichenden historischen Wurzel zu erkennen: Die hier verglichenen Regionen (Land, Autonome Provinz) sind in ihrer Eigenart und politischen Identität historische und polit-geographische Einheiten, deren naturräumliche, kulturelle, ethnische und ökonomische Voraussetzungen der Autonomie unabhängig von den zentralstaatlichen („nationalen“) Systemen begründet wurden, in denen sie heute stehen. Ihre Ansprüche auf Erfüllung des „föderalistischen Standards“ gründen daher auch nicht in den verschiedenartigen nationalstaatlichen Systemen, sondern treten diesen als eigene Ansprüche auf föderalistische Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der in diesen Regionen lebenden Landesvölker und Volksgruppen gegenüber. Föderalismus ist insofern auch ein Prozess der Selbstfindung und der Neubelebung der alten Kulturlandschaften im Kern Europas als politische Einheiten der in ihnen lebenden Menschen.16
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So grundlegend: Hans R. Klecatsky, Region und Landschaft, in: FS Hellbling (1980) 241 ff (mit zahlreichen Hinweisen).
Allgemeine und methodische Grundlagen
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ee) Die modernen Staatsaufgaben als Vergleichsmaßstab Nichts wäre aber verfehlter, als die moderne regionalistische Entwicklung – in deren Gesamtstrom die Bildung eines vergleichenden föderalistischen Standards steht – als eine restaurativ-tradionalistische Bewegung gegen die Entwicklung des modernen Staates zum Wirtschafts-, Leistungs- und Umweltgestaltungsstaat zu sehen! Im Gegenteil: Wie sich aus der hier vorgelegten Untersuchung erweisen wird, geht die Entwicklung des Föderalismus unter bewusster Förderung durch die Europäische Union eindeutig dahin, dass die Regionen und Kommunen immer mehr Aufgaben der Daseinsvorsorge, Raumplanung und Umweltgestaltung zu übernehmen haben und dass auch von den klassischen „nationalen“ Aufgaben – wie Kulturförderung, Wirtschafts-, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheits- und Sozialpolitik, Verkehrserschließung und viele andere – die Regionen (und ihre Zusammenschlüsse) immer mehr Leistungen übernehmen oder zumindestens mitverantworten müssen. Ohne auf die Hintergründe dieser europäischen und weltweiten Entwicklung eingehen zu können, sei auch an dieser Stelle klar ausgedrückt, dass die Gründe dafür sicherlich in den „Grenzen des Wachstums“ zentralistischer Leistungs- und Versorgungssysteme und den Vorzügen dezentraler („föderalistischer“) Leistungseinrichtungen liegen.17 Da es bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit (Effizienz) dieser öffentlichen Leistungssysteme nicht auf die staatsrechtliche Konstruktion ankommt (vergleiche etwa in dieser Hinsicht die unterschiedlichste Konstruktion von Sozialleistungen, Förderungen oder Versorgungen oder die Unterscheidung von privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Organisation), sondern unter föderalistischen Gesichtspunkten allein ausschlaggebend ist, ob und wie die Region oder zentrale Einrichtungen die Leistung erbringen, kann auch in diesem immer wichtigeren Bereich die Vergleichung von autonomen Regionen und Gliedstaaten ohne alle methodischen Bedenken erfolgen und ein übergreifender „föderalistischer Standard“ entwickelt werden. c) Kriterien der Untersuchung Die regionale Identität der Landesteile und Gesamttirols wird methodisch auf zwei unterschiedliche Weisen untersucht und begründet. aa) Materielle Verfassungs- und Völkerrechtsdogmatik Auf Grund einschlägiger Vorstudien wird die Autonomie und Identität Tirols zunächst unter den wertbezogenen und geschichtlich verankerten rechtlichen
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Vgl dazu: Ferdinand O. Kopp, Die Leistungsfähigkeit des Bundesstaates, in: Hermann Wiesflecker/Richard Novak/Ferdinand O. Kopp, Historische und aktuelle Probleme des Föderalismus in Österreich (1977) 57 ff; Peter Pernthaler, Der moderne Staat an den Grenzen des Wachstums, ÖZÖRV 35 (1984) 115 ff.
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Wissenschaftliche Methode
Kategorien „Land, Volk und Heimat“ untersucht.18 Das Schwergewicht in diesem Teil der Untersuchung liegt auf der Erarbeitung vergleichbarer und übergreifender staats- und völkerrechtlicher Kriterien der regionalen Selbständigkeit der Landesteile und Gesamttirols. bb) Länderberichte über die beiden Landesteile Um einen konkreten Vergleichsmaßstab der Grundlagen und des aktuellen Zustandes der regionalen Identität der Landesteile zu gewinnen, wird die Untersuchung das Bundesland Tirol und die autonome Provinz Bozen-Südtirol nach einem einheitlichen „föderalistischen Standard“ untersuchen.19 Er umfasst folgende rechts- und sozialwissenschaftliche Kriterien: •
Realien der Länder
In einer kurzen „Landeskunde“ soll der Territorialbestand, die geschichtliche Entwicklung, die Bevölkerungs- und Wirtschafsstruktur und die konfessionelle Gliederung der Landesteile dargestellt werden. •
Verfassungsmäßiger Zustand
Hier sollen die Zuständigkeiten, die Organisation der autonomen Staatsfunktionen, die Gemeinden und Selbstverwaltungseinrichtungen, das demokratische System und das Verhältnis zum Zentralstaat dargestellt werden. •
Finanzielle Situation
Sie richtet sich nach dem Maß an eigener Abgabenhoheit, dem System und den Funktionen des Steuerverbundes, den Transfers, dem Regionalbudget, und der Finanzaufsicht des Staates. •
Politische Wirklichkeit der Landesteile
Hier sollen die Politischen Parteien, die Verbände, die Mitwirkungsrechte der Bevölkerung und die politischen Beziehungen zur Zentrale untersucht werden. •
Kooperationsformen
Hier sollen die Einrichtungen und Verfahren des kooperativen und grenzüberschreitenden Föderalismus in Bezug zu den beiden Landesteilen gesetzt werden. •
Ökonomischer Föderalismus
Hier sollen die Wirtschafsstruktur, die Wirtschaftsförderung und die wirtschaftlichen Kooperationsformen in den Landesteilen und über die Landesgrenzen hinweg analysiert werden. Es sind nicht zuletzt die Erfolge der öko18
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Vgl dazu Peter Pernthaler, Land, Volk und Heimat als Kategorien des österreichischen Verfassungsrechts (1987) 12 ff. Theoretisch entwickelt und praktisch getestet wurde dieser Maßstab in: Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 76 ff.
Allgemeine und methodische Grundlagen
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logisch eingebundenen Wirtschaftspolitik der Landesteile, welche das Bild Tirols als besonders attraktive regionale Lebensordnung und seine daraus abgeleitete politische Kraft der Selbständigkeit begründen.
3. Kooperation als Zukunft der Autonomie? Das Forschungsprojekt untersucht die Identität der Landesteile Gesamttirols in einer dynamischen Perspektive unter Berücksichtigung der innerstaatlichen Verfassungsentwicklung und der fortschreitenden Integration Europas. Der Aspekt „Zukunft“ bedingt dabei, dass die Untersuchung Entwicklungslinien („Trends“) zu erkennen trachtet, welche die Selbständigkeit und Eigenart des Landes fördern oder gefährden. Ein zentraler Gesichtspunkt wird dabei die Dynamik von Kooperation und Selbständigkeit in der Autonomie sein. a) Der „Megatrend“ zur Kooperation (Verflechtung) In allen föderalistischen Systemen der Welt herrscht heute eine starke Entwicklungslinie zum „kooperativen Föderalismus“. An die Seite und an die Stelle des klassischen Grundprinzips der Trennung staatlicher Zuständigkeiten und Befugnisse in unterschiedliche Ebenen („dual government“) tritt immer mehr das Prinzip des Zusammenwirkens und der Verflechtung unterschiedlicher Kompetenzbereiche und Organe zur Bewältigung komplexer Sachmaterien und Planungen. Der Begriff „kooperativer Föderalismus“ kommt aus den USA und hat sich heute in allen föderalistischen und regionalistischen Systemen durchgesetzt.20 Man versteht darunter die Zusammenarbeit selbständiger oder autonomer Ebenen untereinander und mit dem Zentralstaat, um kompetenzüberschreitende Angelegenheiten gemeinsam zu regeln und zu vollziehen. Im amerikanischen Bundesstaat sollte der kooperative Föderalismus das dort besonders stark ausgeprägte bundesstaatliche Trennungsprinzip („dual government“) überwinden; gleichzeitig diente er aber auch der ursprünglich schwach ausgebildeten Zentralgewalt dazu, einheitliche Regeln, Planungen und Standards durch finanzielle Förderungsprogramme und dadurch motivierte Kooperation der Gliedstaaten und Lokalverwaltungen durchzusetzen. In den kontinentalen Bundesstaaten stand ursprünglich die Koordination der selbständigen Gesetzgebung und Verwaltung der Länder im Vordergrund der bundesstaatlichen Kooperation; im Zuge der Entwicklung von Raumordnung, Umweltschutz, Wirtschafts- und Finanzplanung und der zunehmenden Forderung nach einheitlichen Lebensverhältnissen stieg aber auch hier der Druck zur wechselseitigen Abstimmung und Verflechtung von Bundes- und Landesstaatsgewalt bei der Lösung öffentlicher Ordnungsaufgaben. Die zunehmende Komplexität al20
Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre (19861) 444 ff; Ronald Watts, Comparing Federal Systems (19992) 60.
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Kooperation als Zukunft der Autonomie?
ler politischen Entscheidungen macht eine kompetenzüberschreitende Zusammenarbeit aller Gebietskörperschaften in immer stärkerem Ausmaß notwendig und ist der Grund dafür, dass der kooperative Föderalismus im nationalen und zwischenstaatlichen Bereich sich ständig weiterentwickelt. Im Zusammenhang damit steht auch die Erweiterung vom kooperativen Bundesstaat zum kooperativen Föderalismus: Der erste Begriff bezieht sich nur auf das klassische Partnerschaftsverhältnis von Bund und Ländern; „kooperativer Föderalismus“ bezieht auch die Ebenen der Lokalverwaltung (in Österreich: Gemeinden)21 in die Zusammenarbeit ein und verstärkt so den Trend zum „dreigliedrigen Föderalismus“22 und zu außerrechtlichen Formen der Zusammenarbeit aller Ebenen der öffentlichen Aufgabenerfüllung. Einen gewaltigen Schub erhielt der kooperative Föderalismus durch die europäische Integration: Sowohl innerstaatlich als auch in Beziehung zu den europäischen Organen entscheidet Kooperation über die Durchsetzung regionaler Interessen und Zuständigkeiten im Geflecht nationaler und europäischer Kommissionen und Verhandlungen zur Mitwirkung an und Umsetzung von EU-Politik und EU-Recht. Der Einfluss des kooperativen Föderalismus auf die regionale Autonomie der Gebietskörperschaften ist zwiespältig: Einerseits wurden dadurch so bedeutende Fortschritte in der Aufgabenerfüllung und in Reformprozessen erzielt, dass auf Kooperation heute nicht mehr sinnvoller Weise verzichtet werden kann. Anderseits hat die Praxis stark verflochtener föderalistischer Systeme eine Reihe schwerwiegender Nachteile und unerwünschter Rückwirkungen auf das Verfassungssystem erkennen lassen, die mit den unbestreitbaren Vorteilen der koordinierten Aufgabenerfüllung abzuwägen sind.23 Die wichtigsten dieser Nachteile sind •
zunehmende Abhängigkeit von zentralen Planungen
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Vordringen der Exekutive (Administration) zulasten der Parlamente
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Ansteigen des Koordinations- und Organisationsaufwandes
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Vereinheitlichende Tendenzen zulasten föderalistischer Vielfalt
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Zurückdrängung des föderalistischen Wettbewerbes und der selbständigen Kostenverantwortung.
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Diese werden gem Art 115 Abs 3 B-VG durch den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund vertreten; vgl auch Art 23 c Abs 4 und Art 23 d Abs 1 B-VG sowie das BVG über Ermächtigungen des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes (BGBl I 1998/61). Vgl dazu Karl Weber, Zwei- oder dreigliedriger Bundesstaat, in: FS Pernthaler (2005) 413 ff. Peter Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht (2004) 456 f.
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Allgemeine und methodische Grundlagen
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Übermäßige Verflechtung wird daher heute in vielen föderalistischen Systemen als wichtige Reformaufgabe gesehen.24 b) Europäischer Exekutivföderalismus Schon im innerstaatlichen Demokratiesystem ist – auch im Zusammenhang mit dem kooperativen Föderalismus – ein ständiges Vordringen der Regierungs- und Verwaltungsfunktionen zulasten der parlamentarischen Gesetzgebungshoheit festzustellen; auf Landesebene verstärkt sich dieser Trend durch den sog „Vollzugsföderalismus“. Vor allem die österreichischen Länder verlieren immer mehr Gesetzgebungsfunktionen an den Bund oder die EU, sodass das Schwergewicht ihrer Selbständigkeit sich auf die Ebene der Vollziehung (Verwaltung) verlagert, wobei die „mittelbare Bundesverwaltung“ – die Vollziehung der Bundesgesetze durch den (weisungsgebundenen) Landeshauptmann (Art 102 B-VG) – diesen Trend verstärkt.25 In Südtirol ist dieser Trend zwar grundsätzlich ebenfalls wirksam, aber durch die zahlreichen Gesetzgebungsbefugnisse und das besondere Demokratiesystem des Sprachgruppenschutzes in Landtag und Regierung weniger stark als im Bundesland Tirol.26 Im Zusammenhang mit der ständig dichter werdenden europäischen Integration (EU) dringt der Exekutivföderalismus wegen der dort herrschenden Organisationsstruktur (Überwiegen der Regierungs- und Verwaltungsorgane) ständig vor; die Landesvollziehung verwandelt sich in diesem System aber auch inhaltlich. Im europäischen Politik-, Normen- und Planungsverbund wird Landespolitik und Landesverwaltung immer mehr zum regionalen Wirtschafts- und Verwaltungsmanagement statt der klassischen Funktionen selbständiger Gestaltung und Vollziehung von Landesgesetzen.27 Die Vielzahl an unselbständigen Teilkompetenzen der Umsetzung und Vollziehung von nationalen Vorschriften und EU-Normen führt zu einer zunehmenden finanziellen und administrativen Belastung der Länder ohne wirklichen Gewinn an Selbständigkeit. Der Widerstand gegen neue „Aufgabenteile“ der Landesvollziehung von überregionalen Vorschriften und Planungen
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Reinhard C. Meier-Walser/Gerhard Hirscher (Hg), Krise und Reform des Föderalismus (1999); Konrad Morath (Hg), Reform des Föderalismus (1999); Hans-Peter Schneider, Politikentflechtung in Deutschland, in: FS Pernthaler (2005) 369 ff. Karl Weber, Die mittelbare Bundesverwaltung (1987); Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 374 ff. Vgl dazu die Ausführungen unter IV. 4 und VII. 2. Klaus Firlei, Föderalismus und Integration, in: Zukunfts- und Kulturwerkstätte (Hg), Designing Europe – Entwürfe zur politischen Architektur Europas (1994) 125 ff; Christian Märk, Die Reform der Struktur- und Regionalpolitik der EU unter besonderer Berücksichtigung der Bundesländer Tirol und Vorarlberg (iur Diss Innsbruck 1999); Peter Pernthaler/Helmut Schreiner (Hg), Die Landesparlamente als Ausdruck der Identität der Länder (2000).
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Kooperation als Zukunft der Autonomie?
tritt immer mehr an die Stelle des Kampfes an neue Kompetenzen.28 Diese Tendenz ist auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung zum Staatsabbau und der Deregulierung („lean government“) zu sehen; Tendenzen, die für die Landesverwaltungen wegen ihrer Aufgabenfülle und Bürgernähe besondere Bedeutung haben.29 c) Kooperation als Reformdynamik In beiden Landesteilen gewann das Kooperationsprinzip dadurch besondere Bedeutung, dass wichtige Reformen des Systems durch Verhandlungen zwischen Repräsentanten gegensätzlicher Interessen (Volksgruppe – Mehrheitsnation, Zentralstaat – Autonomien) erarbeitet und in der Folge auch rechtlich verwirklicht wurden. In Südtirol war dafür der Prozess der Erarbeitung und Durchführung des „Paketes“ und der „Neuen Autonomie“ maßgeblich;30 im Land Tirol war die „kooperative Bundesstaatsreform“ der Auslöser für eine ganze Reihe weiter Organisations- und Verfahrensformen des kooperativen Föderalismus.31 Im Land Tirol bewährte sich die Kooperationsstrategie vor allem im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt,32 wo sie zu dauernden Mitwirkungsbefugnissen der Länder (Art 23 c, 23 d B-VG), nicht aber zur versprochenen „Strukturreform des Bundesstaates“ führte.33 In Südtirol blieb als Frucht der kooperativen Autonomiereform das Instrument der – an die Zustimmung von paritätischen Kommissionen gebundenen – „Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut“, die eine der wesentlichen Bedingungen der erfolgreichen Umsetzung und Weiterentwicklung („Dynamik“) des Paketes und der Autonomie wurde. Während in Südtirol das Regierungssystem von Kooperationsprinzip der Reform teilweise dauernd geprägt wurde und heute eine Mischung zwischen
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Peter Pernthaler, Verfassungsentwicklung und Verfassungsreform in Österreich, in: Bernd Wieser/Armin Stolz (Hg), Verfassungsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit an der Schwelle zum 21. Jahrhundert (2000) 67 ff, 109. Peter Pernthaler (Hg), Dezentralisation und Selbstorganisation (1982); Bernhard Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht (1998) 66 ff; Klaus Müller, Lean Government – Ansatzpunkte und Voraussetzungen einer Effizienzsteigerung im öffentlichen Sektor, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, 459 ff. Siehe dazu insbesonders IV. 2. c „Das autonome politische System“. Peter Pernthaler, Föderalistische Verfassungsreform. Ihre Voraussetzungen und Wirkungsbedingungen in Österreich, ÖZP 1992, 365 ff; Heinz Schäffer/Harald Stolzlechner (Hg), Reformbestrebungen im Österreichischen Bundesstaatssystem (1993). Wolfgang Burtscher, EG-Beitritt und Föderalismus (1990); Fritz Staudigl, Zur Rolle der österreichischen Länder im europäischen Integrationsprozess, in: ZÖR 46 (1993) 41 ff; Werner Pressien, Föderalistische Strukturverschiebungen (1996) 52 f und 64 ff. Peter Pernthaler, Verfassungsentwicklung, aaO 105 ff.
Allgemeine und methodische Grundlagen
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Mehrheits- und Konkordanzdemokratie (im Sprachgruppenschutz) darstellt,34 hat das Land Tirol 1998 das traditionelle System der Proporzregierung in den österreichischen Ländern gegen eine reine Mehrheitsregierung ausgetauscht, wodurch die Regierungs(Verwaltungs)lastigkeit des Systems noch weiter verstärkt wurde.35 d) Autonomie als dynamische Balance von Selbständigkeit und Kooperation Die Entwicklung der Südtiroler Autonomie seit dem „Paket“ zeigt in besonders eindrücklicher Weise das Spannungsverhältnis zwischen Selbständigkeit und Kooperation (Konsens) in der Erringung und Weiterentwicklung der Autonomie auf. Ohne Kooperation der Sprachgruppen wäre die Autonomie weder reformiert worden noch praktisch lebensfähig; diese Kooperation im Land war auch die Vorbedingung der notwendigen Kooperation mit der Schutzmacht Österreich und mit dem Zentralstaat Italien, um den Reformprozess rechtlich zu verwirklichen. Anderseits musste aber im Kooperationsprozess der Reform ständig an einem wirksamen Ausmaß der Selbständigkeit der Volksgruppe festgehalten werden, was auch zu schwersten internen Auseinandersetzungen in der Volksgruppe an den Stationen der Verwirklichung führte.36 Auch in der Dynamik der Weiterentwicklung des Statutes – insbesondere auch unter europäischen Perspektiven – wiederholt sich dieses Spannungsverhältnis der Autonomie zwischen Selbständigkeit und der notwendigen Kooperation ständig. Eines der wichtigsten Forschungsziele der vorliegenden Untersuchung ist es daher, die konkreten Auswirkungen von Kooperation auf die Selbständigkeit und Identität der Landesteile und der „Einheit des ganzen Landes“ zu erkennen und zu beurteilen.
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Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie von konkordanzdemokratischen Garantien zur territorialen „Selbstbestimmung“, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 69 ff. Peter Pernthaler, Mehrheitsregierung: Eine neue Chance für Demokratie und Parlamentarismus in den Ländern? in: Journal für Rechtspolitik 1999, 202 ff. Vgl dazu IV. 7 „Anwendungsfälle des Tiroler Selbstbestimmungsrechts“.
II. Tirol als Land im Rechtssinn 1. Die geschichtsräumliche Identität des Landes Der moderne Staat kennzeichnet sich noch immer als „Territorialstaat“, dh als eine politische Ordnung, die ein abgegrenztes Stück Boden mit unentrinnbarer und höchster Macht beherrscht.37 Nur dem Eingeweihten wird dabei bewusst, dass in der mittelalterlichen Kategorie der „Landeshoheit“ – die dem modernen Begriff der Souveränität im „Staatsgebiet“ entspricht – ein tragendes Element des mittelalterlichen Staatsrechtes mitschwingt, in dem das „Land“ eine zentrale politische Ordnungskategorie bedeutete.38 Durch viele Jahrhunderte verkörperte nämlich das „Land“ die konkrete, auf Boden und Volksstamm bezogene Rechts- und Herrschaftsordnung, über die sich die universale, übernationale und übergeschichtliche Ordnung des „Reiches“ spannte. Entsprechend den damaligen Repräsentationsvorstellungen wurde das Land und seine Bewohner von den Ständen – den meliores ac maiores terrae – verkörpert und in die politische Großordnung des Reiches eingefügt. Bis ins 19. Jahrhundert war der Begriff „Nation“ daher für die österreichischen Länder – insbesondere auch für Tirol – durchaus üblich und entsprach dem Landes-, Volks- und Geschichtsbewusstsein der Tiroler.39 Durch die ständische Mediatisierung geriet aber das „Land“ als der ursprüngliche „Träger“ aller Herrschaft immer mehr in die Rolle des dienenden Widerparts der politischen Gewalt, so dass es am Beginn der Neuzeit nur in wenigen Extremlagen gegenüber der römisch-rechtlichen Vorstellung vom dominium terrae, der Grundherrschaft, seine eigene und ursprüngliche ordnungsstiftende Gewalt erhalten konnte. Aber auch in dieser verwandelten Rechtsform blieb der Boden im absoluten Staat die Legitimation aller politischen Gewalt der Herrscher.40 Darüber hinaus konnten sich Reste der alten dualistischen Reichs- und Landesordnung 37
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Sowohl in der Völkerrechtspraxis als auch in der Staatslehre ist die klassische Definition des Staates durch die drei Elemente „Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt“ nach Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (19143) 394 ff, nach wie vor die herrschende Auffassung. Otto Brunner, Land und Herrschaft (1965)5 165 ff. Peter Pernthaler, Die Präambel, aaO 148. Insbesondere in Österreich blieb das „patrimonium“ – eine Art Grundherrschaft des Monarchen über sein Staatsgebiet – bis zuletzt der eigentliche rechtliche Einheitsgrund der Staatsgewalt (und der Verfassung!); siehe Peter Pernthaler, Das Staatsoberhaupt in der parlamentarischen Demokratie, VVDStRL 25 (1967) 100 ff.
Tirol als Land im Rechtssinn
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unter mannigfachen staatsrechtlichen Institutionen – vor allem im Rahmen des Föderalismus, der Gemeindeautonomie und des Parlamentarismus – in die konstitutionelle Epoche herüberretten. Die demokratische Ideologie hat zwar den Boden seiner ordnungsstiftenden Funktion völlig entkleiden und Herrschaft allein auf das Phänomen „Volk“ begründen wollen. Auch darin liegt aber – durch das Merkmal des in seinem angestammten Siedlungsgebiet sesshaften Volkes („autochthone Volksgruppe“) – ein mittelbares Bekenntnis zum „Land“ als einer letzten Einheit aller politischen und staatsrechtlichen Gliederungen. Daher definieren in föderalistischen Systemen die Verfassungen den Begriff „Landesbürger“ – als den Träger des demokratischen System des Landes – raumbezogen durch das Merkmal der „Ansässigkeit“ des Staatsbürgers im Land.41 Noch heute ist also das „Land“ eine geschichtsräumliche und rechtliche Verknüpfung von Volk, Herrschaft und Territorium. Dass diese politgeographische Grundlage der Territorialautonomie eine unaufhebbare Grundlage der Selbständigkeit des Landes ist, soll im Folgenden noch näher begründet werden.
2. Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Festlegung der Landesgrenzen Das Landesgebiet wird räumlich durch den Verlauf der Landesgrenzen festgelegt. Soweit diese mit den Staatsgrenzen zwischen Österreich und Italien zusammenfallen, sind sie völkerrechtlich, durch den Staatsvertrag von Saint Germain, StGBl 1920/303, und den zu seiner Durchführung berufenen „Grenzregelungsausschüsse“ und ihren „Grenzdokumenten“, festgelegt und durch den italienischen Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 bzw den österreichischen Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 bestätigt worden. Auch das Pariser Abkommen vom 5. September 1946 gilt als völkerrechtliche Verankerung der Landesgrenzen Südtirols, die durch die völkerrechtliche Anerkennung der Streitbeilegungserklärung (1992) neuerlich bestätigt wurde.42 Diese völkerrechtliche Verankerung der Landesgrenzen Südtirols hat eine zwiespältige Bedeutung für die Identität Tirols: Positiv ist daran, dass dadurch der territoriale Bestand Südtirols (Provinz Bozen) und damit die Gebietskörperschaft als Träger der Spezialautonomie gegen Eingriffe des italienischen Verfassungsgesetzgebers in die Integrität des Landesgebietes – auch in seiner Abgrenzung gegenüber dem italienischen Staatsgebiet – geschützt ist. Dieser Schutz hat für den gesicherten Bestand der Autonomie deshalb besondere Be-
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Vgl dazu Art 6 Abs 2 und 3 B-VG; Art 25 des Autonomiestatutes in der Fassung des Verfassungsgesetzes Nr 2/2001. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Grundzüge des italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Autonomie (20042) 245 und 248.
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Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Festlegung der Landesgrenzen
deutung, weil die italienische Verfassung nach dem Grundprinzip des dezentralisierten Einheitsstaates keine Garantie gegen verfassungsrechtliche Manipulationen des Bestandes, der territorialen Ausdehnung oder Gliederung der Regionen kennt.43 Negativ an dieser besonderen völkerrechtlichen Verankerung der Landesgrenzen Südtirols ist, dass dadurch die Abgrenzung gegenüber Österreich („Brennergrenze“) neuerlich völkerrechtlich bestätigt und vom Vertragspartner Österreich als Bedingung der Autonomie eindeutig anerkannt wurde.44 Dadurch ist zwar nicht das Selbstbestimmungsrecht des Südtiroler Volkes aufgehoben worden, wohl aber haben sich die Staaten Österreich und Italien auf den Bestand der „Brennergrenze“ und damit auf die Teilung des Landes Tirol – völkerrechtlich geeinigt und verpflichtet. Abgesehen von diesen speziellen völkerrechtlichen Verankerungen der Landesgrenzen sind diese jedenfalls für beide Landesteile verfassungsrechtlich festgelegt. Für das Bundesland Tirol sind die Landesgrenzen bundesverfassungsrechtlich dadurch vorausgesetzt, dass die historische Identität des „selbständigen Landes Tirol“ als (unaufhebbarer) Bestandteil des Bundesstaates erklärt wird.45 Gegenüber einer Änderung sind die Landesgrenzen durch das besondere Verfahren der paktierten Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder geschützt (Art 3 Abs 2 B-VG). Auf die besondere Bedeutung dieses Verfahrens für die Selbständigkeit und Identität des Landes Tirol sei ausdrücklich hingewiesen: Das Land kann gegen seinen Willen weder aufgehoben noch in seinem territorialen Bestand einseitig durch Bundesverfassungsrecht – auch nicht durch eine „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ nach Art 44 Abs 3 B-VG – verändert werden.46 Die Landesgrenzen des Bundeslandes Tirol sind auch durch die Tiroler Landesordnung (Landesverfassung) festgelegt, die aber bis heute die „Brennergrenze“ nicht als endgültige Landesgrenze anerkannt hat, sondern ausdrücklich von einer „derzeitigen“ Regelung des Landesgebietes ausgeht.47 Tirol hat auch nie an einem Verfahren der verfassungsrechtlichen Feststellung des Grenzverlaufes der Staats- und Landesgrenze zu Italien mitgewirkt, weil 43
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Art 132 der italienischen Verfassung; Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, aaO 245. Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 62. Art 2 Abs 2 B-VG; zur Unaufhebbarkeit der österreichischen Bundesländer vgl Peter Pernthaler/Fried Esterbauer, Die Entstehung des österreichischen Bundesstaates als geschichtlicher Vorgang und staatstheoretisches Problem, Montfort 1973, 128 ff; Peter Pernthaler, Die Konstituierung des Bundesstaates Österreich aus der Sicht der selbständigen Länder Tirol und Vorarlberg, FS Grass (1974) 725 ff. Peter Pernthaler, Die Stellung der Länder in der Bundesverfassung, in FS 75 Jahre Bundesverfassung (1995) 659 ff, 661 f. Art 2 der Landesordnung 1989 lautet: „Das Land Tirol umfasst derzeit die politischen Bezirke Imst, Innsbruck, Innsbruck Land, Kitzbühel, Kufstein, Landeck, Lienz, Reutte und Schwaz“. Der Zusatz: „vorbehaltlich der endgültigen Festlegung seiner Grenzen durch Staatsvertrag“ (Landesordnungen 1921 und 1946) wurde erst 1988 entfernt.
Tirol als Land im Rechtssinn
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es darin eine Anerkennung der unter Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes zustandegekommenen und aufrechterhaltenen „Brennergrenze“ erblickt. Die Landesgrenzen Südtirols sind verfassungsrechtlich in der allgemeinen italienischen Staatsverfassung (Art 116 Abs 1 und 2) und im besonderen Verfassungsgesetz über das Autonomiestatut 197248 als bestehend vorausgesetzt und könnten – vorbehaltlich der völkerrechtlichen Verankerung im Pariser Abkommen – nur durch Verfassungsgesetz verändert werden. Tatsächlich hat bereits das Erste Autonomiestatut (1948) die Provinzgrenze zwischen Bozen und Trient, allerdings zugunsten der deutschsprachigen Volksgruppe, verschoben, sodass das Pariser Abkommen dadurch nicht verletzt wurde: An die Provinz Bozen angegliedert wurden die deutschen Gemeinden des Bozner Unterlandes, die vier deutschen Gemeinden im oberen Nonsberg sowie Truden und Altrei im Fleimstal, nicht aber – wie von Österreich gefordert – die drei ladinischen Gemeinden der Provinz Belluno (Ampezzo, Buchenstein und Colle S. Lucia).49 Seit dieser – von Südtiroler Vertretern geforderten – Grenzänderung ist der territoriale Geltungsbereich des Pariser Abkommens nicht – wie Italien behauptet – die Region Trentino-Südtirol, sondern die Provinz Bozen-Südtirol.50 Durch die Maßnahmen des „Paketes“ und die damit verbundene Aufwertung der Autonomie Südtirols ist zwar der Streit um den territorialen Geltungsbereich des Pariser Abkommens praktisch entschärft worden; solange die Region Trentino-Südtirol aber noch weiter in der italienischen Staatsverfassung (Art 116 und 131) und im Autonomiestatut verankert ist, bleibt die Frage des territorialen Geltungsbereiches des Pariser Abkommens im Hinblick auf die Provinz Trient umstritten.
3. Das Land als Gebietskörperschaft Die staatsrechtliche Bedeutung der Landesgrenzen liegt darin, dass dadurch die eigene Hoheitsgewalt der Landesteile territorial abgegrenzt wird. Da die Hoheitsgewalt sowohl im Bundesland Tirol als auch in der autonomen Provinz Bozen-Südtirol kraft eigenen, durch die Verfassung begründeten Rechts ausgeübt wird, muss der Träger dieser Hoheitsgewalt als eine juristische Person organisiert sein. Der dafür übliche Ausdruck „Gebietskörperschaft“ – der auch für den Staat gilt – soll zweierlei ausdrücken: Einmal ist im Begriff „Körperschaft“ das personelle Element der Bürgerschaft des Landes als Grundlage der juristischen Person angesprochen; zum anderen steckt im „Gebiet“ das territoriale Element des geographisch abgegrenzten Landesgebietes als eigener
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Dekret des Präsidenten der Republik (DPR) Nr 670/1972 in der Fassung des Verfassungsgesetzes Nr 2/2001 (Statutsnovelle). Herbert Miehsler, Das Gruber-De Gasperi-Abkommen und seine Auslegung, in: Franz Huter, Südtirol. Eine Frage des europäischen Gewissens (1965) 385 ff, 401. Herbert Miehsler, aaO 401 ff.
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Das Land als Gebietskörperschaft
Siedlungsraum dieser Bürgerschaft und gleichzeitig als Geltungsbereich der Landesrechtsordnung. In dieser juristischen Doppelnatur der Gebietskörperschaft „Land“ liegt im ethnisch gemischten Gebiet Südtirol ein latenter ethnopolitischer Konfliktsherd, der strukturell dem zwischen den Nationalitäten eines Nationalitätenstaates (zB Spanien oder Belgien) entspricht: Die Landesbürgerschaft Südtirols wird nicht nur durch die autochthone Abstammungs- und Sprachgemeinschaft der Deutschsprechenden bestimmt, sondern durch die (mindestens vierjährige) Ansässigkeit im Landesgebiet,51 sodass das „Landesvolk“ im juristischen Sinn auch die Sprachgemeinschaften der Italienischsprachigen und Ladiner umfasst.52 Die Autonomie Südtirols ist – nach ihrer völkerrechtlichen Grundlage im Pariser Abkommen – primär ein Schutzinstrument der deutschen Sprachgruppe im italienischsprachigen Nationalstaat. Rechtssubjekt dieser Autonomie ist aber die gemischtsprachige Gebietskörperschaft Südtirol, was eine Reihe typischer Merkmale dieser Autonomie – vor allem ihren grundsätzlichen Proporz- und Ausgleichscharakter – erklärt.53 Im Bundesland Tirol fehlt dieser Aspekt der Gebietshoheit; dafür bildet hier die völkerrechtlich verankerte Landesgrenze – ebenso wie in Südtirol – eine rechtliche Schranke aller Bemühungen um „die Einheit des ganzen Landes“, der die vorsichtige Formulierung dieser Einheit in der Präambel der Landesverfassung54 Rechnung trägt: Auch nur der Anschein einer Ausdehnung der Gebietshoheit über die Landesgrenzen – oder auch nur eines einseitigen Anspruchs darauf – wird dadurch sorgfältig vermieden. In beiden Landesteilen bedeutet die Rechtsnatur als „Gebietskörperschaft“ auch, dass die Hoheitsgewalt des Landes sich – innerhalb der Sachkompetenzen – auch auf Nichtbürger erstreckt, die sich im Landesgebiet aufhalten. Von diesen sind wiederum die Staatsbürger und EU-Bürger durch den Gleichheitsgrundsatz privilegiert, während die Fremden lediglich allgemeinen Menschenrechtsschutz, nicht aber volle Gleichheit mit Bürgern genießen. Fördernder Minderheitenschutz und Gleichheitsgrundsatz stehen in einem latenten Spannungsverhältnis zueinander, das sich durch den Einfluss des EU-Rechtes verschärft und zu Sonderproblemen der Südtirol-Autonomie führt.55 Im Bundesland Tirol gilt außer dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz für die österreichischen Staatsbürger (Art 7 B-VG) auch ein besonderes Verbot von regio51 52
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Vgl Art 25 des Autonomiestatuts in der Fassung des Verfassungsgesetzes Nr 2/2001. Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie von konkordanzdemokratischen Garantien zur territorialen „Selbstbestimmung“ in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 69 ff. Siehe dazu die ausführliche Analyse des doppelten Südtiroler Demokratiesystems unter IV. 3 und 4 und VII. 2 dieser Untersuchung. Siehe dazu ausführlich: V. 2 dieser Untersuchung. Vgl dazu Gabriel N. Toggenburg, Europas Integration und Südtirols Autonomie: Konfrontation – Kohabitation – Kooperation?, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 448 ff.
Tirol als Land im Rechtssinn
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nalen wirtschaftlichen Absperrungsmaßnahmen zwischen den Ländern (Art 4 B-VG), das heute allerdings durch die viel strengeren Grundsätze des freien Warenverkehrs und freien Wettbewerbs innerhalb der EU an Bedeutung verloren hat. Regionale Strukturpolitik oder regionale Differenzierungen der Wirtschaft als Folge von kompetenzmäßigen Gesetzen oder Verwaltungsmaßnahmen des Landes sind dadurch grundsätzlich nicht unzulässig,56 unterliegen aber der rechtlichen Freiheits- und Wettbewerbsprüfung durch die EU.
4. Das Land als Lebensraum Im staatsrechtlichen Begriff „Land“ drückt sich die unaufhebbare rechtliche Einheit von Landesvolk und Landesgebiet als Rechtssubjekt und juristischer Träger der Autonomie bzw gliedstaatlichen Selbständigkeit aus. Der eigentliche Grund für diese enge Verbundenheit von Land und Volk sind aber nicht juristische Konstruktionen wie die „Gebietskörperschaft“ oder der „räumliche Geltungsbereich der Landesrechtsordnung“, sondern die existenzielle Hinordnung des Menschen und menschlicher Ordnungen auf seine natürliche und kulturelle „Mitwelt“, von der die österreichische Staatsrechtslehre – anders als die schweizerische57 – nichts mehr zu sagen weiß. Es handelt sich dabei zunächst um die lebensräumliche Verbundenheit des Menschen in Siedlung und Landschaft, die den Wert und Sinn des „Landes“ für den Menschen ausmachen und den Anspruch begründen, über Ordnung und Nutzung dieses Landes im Verein mit den „Landsleuten“ selbst zu bestimmen. Gerade im Zeitalter des neuen Verständnisses für die ökologischen Bedingungen menschlicher Kultur und Zivilisation und der Renaissance der „politischen Geographie“ in der Erkenntnis der Prägekraft natürlicher Landschaften58 kann diese Komponente des „Landesbewusstseins“ der Men-
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Karl Weber, Wirtschaftseinheit und Bundesstaat, in: FS Klinghofer, ÖZORSupplementum 10 (1988) 141 ff. Vgl Hans Marti, Urbild und Verfassung (oJ); Dietrich Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur4 (1967) – vor ihm wurde der Begriff „ambiance“ geprägt (94) und vor allem Martin Usteri, Das Konzept eines modernen, menschengerechten Gemeinwesens, in: FS Kägi (1979) insb 406 f; Werner Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates (1945; Neudruck 1971); Kurt Eichenberger, Der Staat der Gegenwart (1980) uva. Hans R. Klecatsky, Region und Landschaft, in: FS Hellbling (1981) 241 ff; Karl Schmid, Versuch über die schweizerische Nationalität, in: Aufsätze und Reden (1957) 9 ff; Emil Egli, Mensch und Landschaft (1975); ders, Geborgenheit im Raum – Marginalien zum Begriff der Heimat, in: Landschaft und Mensch. Abhandlungen der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung Bd 6 (1981).
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Das Land als Lebensraum
schen, das die Verfassung in der föderalistischen (regionalistischen) Ordnung voraussetzt, nicht länger vernachlässig werden.59 Dazu kommt ein weiteres: Wie die neuere Schweizerische Staatsrechtslehre erkennt,60 verkörpern sich im „Land“ für den Menschen eine Reihe von Phänomenen des kollektiv Bewussten und Unbewussten, die sich in Bildern, Sagen, Mythen, Traditionen, Verhaltensweisen und Vorstellungen ausdrücken, welche über lange Ketten von Generationen die Identität eines Volkes in seinem Lande mit begründen. Man sollte die Integrationskraft derartiger geschichts- und raumverbundener Wertvorstellungen und Lebensformen eines Volkes auch im Zeitalter der Telekommunikation und Schnellverkehrsmittel nicht gering schätzen, aber auch nicht passiv preisgeben. Denn daran ist nicht nur das (volks- und landesgebundene) Funktionsschema unserer Verfassungen, sondern – nach der neuesten Erkenntnis – die Gesundheit des Menschen ebenso wie die Zukunft der öffentlichen Ordnung des Staates an den Grenzen des Wachstums geknüpft: Nur wer „das Land“ im Zusammenhalt der Generationen als „Heimat“ erfährt, wird es nach dem „Nachhaltigkeitsprinzip“61 so nutzen, dass seine ökologische und kulturelle Substanz und Identität erhalten bleibt; nur er wird zu jenen persönlichen Opfern bereit sein, die in verwandelter Form von jeder Generation dafür gefordert werden.
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Georg-Christoph von Unruh, Land, Landschaft und Heimat im deutschen Verfassungsrecht, Bayerisches Verwaltungsblatt 2004, 365 ff. Martin Usteri, Die Unverwechselbarkeit der schweizerischen Eidgenossenschaft und die Grundnormen für Revision und Auslegung der Bundesverfassung, in FS Nef (1981) 299 ff. Ursprünglich ein Prinzip der Forstwirtschaft; siehe Bach/Pevetz/Mayr/Eckmüller/ Wimmer, Fortschritt und Bewahrung. Über das Problem der Dauer und Nachhaltigkeit in der Land- und Forstwirtschaft (1969); zur neuen Erkenntnis des uralten Prinzips der (ökologischen) Nachhaltigkeit siehe Christoph Binswanger/Werner Geissberger/Theo Ginsburg (Hg), Wege aus der Wohlstandsfalle. Der „NAWUReport“ (1979) 261 ff; vgl dazu auch die Verankerung der „Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen“ und des Nachhaltigkeitsprinzips in der neuen Schweizer Bundesverfassung 1999 (Präambel und Art 2).
III. Die Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol 1. Die historische Identität des Landes Die verfassungsgestaltende Grundentscheidung des Art 2 B-VG, welche die Republik Österreich als Bundesstaat einrichtet, setzt die Identität der Länder, aus denen der Bundesstaat gebildet wird, als historische Individualitäten voraus, indem sie diese einzeln mit ihren überkommenen Namen anführt. Ihre Selbständigkeit als Länder wird von der Bundesverfassung in Art 2 nicht begründet, sondern als bestehend vorausgesetzt. Die sprachliche Formulierung: „Der Bundesstaat wird aus den selbständigen Ländern …. gebildet“ soll nämlich nicht nur an den historischen Vorgang der Staatsgründung Österreichs aus den Ländern erinnern, sondern die primäre Existenz der Länder und die davon abgeleitete Existenz des Bundes zum Ausdruck bringen.62 Das selbständige Land Tirol im Sinne des Art 2 B-VG ist also identisch mit dem ehemaligen Kronland Tirol der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, das sich auf Grund des Selbstbestimmungsrechts am 26. 10. 1918 für unabhängig erklärt hat und in dieser Selbständigkeit 1918–1920 den Bundesstaat mitbegründete.63 Durch die Unabhängigkeitserklärung des Landes Vorarlberg64 und den Staatsvertrag von Saint Germain, StGBl 1920/303, wurde zwar das Gebiet des ehemaligen Kronlandes drastisch reduziert, an der politischen und staatsrechtlichen Identität des Landes Tirol hat sich dadurch aber nichts geändert. Auch im Jahre 1945 wurde der Bundesstaat wieder aus den Ländern neu begründet, wobei die Länder damals bewusst an ihre historische Identität als Glieder des Bundesstaates Österreich vor 1938 anknüpften.65 Zwar weisen auch die italienischen Regionen und die autonome Provinz Bozen-Südtirol eine eigene historische Identität auf, die in den meisten Fällen vor die Staatsgründung – jedenfalls der Republik Italien – zurückreicht und sich in ihren Namen und (zum Teil) in ihrem Territorium ausdrückt. Staatsrechtlich gesehen sind sie aber Geschöpfe des Einheitsstaates, der ihre Autonomie verfassungsrechtlich begründet hat und auch wieder ohne ihre Mitwirkung verän-
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Peter Pernthaler, Die Konstituierung des Bundesstaates „Republik Österreich“ aus der Sicht der selbständigen Länder Tirol und Vorarlberg, FS Grass (1974) 725 ff. Peter Pernthaler, Die Staatsgründungsakte der österreichischen Bundesländer (1979) 21 ff. Am 3. 11. 1918; siehe dazu die Dokumente im Anhang II bei Peter Pernthaler, aaO 83 ff. Peter Pernthaler, aaO 35 ff.
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Tirol als Gliedstaat Österreichs
dern kann.66 Dies ist bei den österreichischen Bundesländern nicht möglich, weil sie eine absolute Garantie ihres territorialen Bestandes durch das Verfahren der übereinstimmenden Verfassungsgesetze (Art 3 Abs 2 B-VG) haben.
2. Tirol als Gliedstaat Österreichs Die Schweizer Bundesverfassung bezeichnet die Kantone als „souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist“.67 Die österreichische Bundesverfassung bezeichnet die Länder als „selbständig“, wobei Kelsen auch für Österreich ursprünglich die Bezeichnung „souverän“ vorgesehen hatte.68 In der Sache macht dies keinen Unterschied, weil beide Bezeichnungen die Unabhängigkeit der Länder als Gliedstaaten eines Bundesstaates ausdrücken sollen. Im Sinne des klassischen Bundesstaateskonzeptes der USA und der Schweiz – von dem die Bundesverfassung ausgegangen ist – haben die österreichischen Länder (so wie die Schweizer Kantone) eine ursprüngliche Allgemeinzuständigkeit (Art 15 Abs 1 B-VG), Verfassungsautonomie (Art 99 Abs 1 B-VG) und eine absolute Garantie ihres territorialen Bestandes (Art 3 Abs 2 B-VG), sodass man von einer Teilung der Staatlichkeit (Souveränität) zwischen Bund und Länder sprechen kann. Die Bundesverfassung geht von der originären Entstehung der Staatlichkeit der Länder aus und anerkennt ihre, dadurch begründete „Selbständigkeit“ durch die Konstituierung als Gliedstaaten. Die Länder sind – nach dem Wortlaut und der ganzen Konstruktion der Bundesverfassung – ebenso „Subjekt“ der österreichischen Staatsgewalt wie der Bund und nicht – wie die „Dezentralisationstheorie“ der Wiener Schule vermeint – vom Bund geschaffene autonome Gebietskörperschaften.69 Auf dieser Gliedstaatsqualität Tirols beruhen die im Folgenden näher behandelten Strukturmerkmale der verfassungsrechtlichen Selbständigkeit des Landes.70
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Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 242. Art 3 der Schweizer Bundesverfassung 1999. Felix Ermacora/Hans Wirth, Die österreichische Bundesverfassung und Hans Kelsen (1982) 40. Zur Gegenüberstellung von Staatenstaats- und Dezentralisationstheorie des Bundesstaates siehe Peter Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht (2004) 296 ff. Vgl dazu im Einzelnen: Peter Pernthaler, Die Stellung der Länder in der Bundesverfassung, in: FS 75 Jahre Bundesverfassung (1995) 657 ff; Karl Weber, Art 2 in: Karl Korinek/Michael Holoubek (Hg) Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar (1999).
Die Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol
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3. Teilung der Staatlichkeit zwischen Bund und Land Die gesamte Staatsgewalt ist durch die Kompetenzverteilung (insbesondere Art 10 bis 15 B-VG) zwischen Bund und Ländern verfassungsmäßig aufgeteilt. Ihre Änderung zu Lasten der Länder kann nur mit Zustimmung der Länderkammer, des Bundesrates, erfolgen (Art 44 Abs 2 B-VG). Die Länder sind wie der Bund unmittelbare Träger der Staatsgewalt. Beide sind folglich im Rahmen ihres jeweiligen Wirkungsbereiches „Staaten“ und konstituieren den Bundesstaat damit als „Staatenstaat“. Als originäre, zu einem Bundesstaat zusammengeschlossene Staaten können die Länder selbst durch eine Gesamtänderung der Bundesverfassung (Art 44 Abs 3 B-VG) nicht beseitigt werden. Dies schlägt sich außer in Art 2 Abs 2 B-VG, wo die „selbständigen Länder“ als konstituierende Bestandteile des Bundesstaats und historische Individualitäten aufgezählt werden, insbesondere auch in Art 3 Abs 2 B-VG nieder, der das Staatsgebiet der Länder durch das Erfordernis übereinstimmender Verfassungsgesetze des Bundes und des betreffenden Landes vor Veränderungen schützt. Die Länder sind daher im Sinne der internationalen Föderalismustheorie „indestructible states“.71 Die Länder haben diese Staatlichkeit auch immer in Anspruch genommen. Das hat sich nicht nur im Zuge der Staatswerdung der Republik, vor allem in den Unabhängigkeitserklärungen der provisorischen Landesversammlungen bzw in den unter ausdrücklichem Vorbehalt ihrer Souveränität und originären Staatlichkeit erfolgten Beitrittserklärungen der Länder, gezeigt, sondern wird auch heute noch in zahlreichen Landesverfassungen deutlich. Am klarsten formuliert Art 1 Abs 2 der Vorarlberger Landesverfassung: „Als selbständiger Staat übt Vorarlberg alle Hoheitsrechte aus, die nicht ausdrücklich dem Bund übertragen sind oder übertragen werden.“ In der Sache gleich, in der Formulierung „entschärft“, bestimmt etwa Art 1 der Tiroler Landesordnung: „(1) Das Land Tirol ist ein selbständiges Land der Republik Österreich. (2) Das Land Tirol nimmt alle staatlichen Aufgaben wahr, die nicht ausdrücklich dem Bund übertragen sind. (3) Träger der Staatsgewalt des Landes Tirol ist das Landesvolk.“ Derartige und ähnliche Erklärungen finden sich am Beginn aller Landesverfassungen. Das darin zum Ausdruck kommende Selbstverständnis von der originären Staatlichkeit der Länder fand von Anfang an auch in der Rechtsprechung des VfGH Anerkennung, sodass diese auch dadurch „Wirklichkeit“ der österreichischen Bundesstaatlichkeit geworden ist. Am deutlichsten kommt das in VfSlg 2092/1951 zum Ausdruck, wo der VfGH feststellt, „dass
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Peter Pernthaler, Der differenzierte Bundesstaat (1992) 5 (mit weiteren Nachweisen bei FN 18).
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Gleichheit und Unabhängigkeit der Staatsgewalt Tirols
den Ländern gemäß dem bundesstaatlichen Prinzip die Stellung von Staaten (Gliedstaaten) zukommt“.72
4. Gleichheit und Unabhängigkeit der Staatsgewalt Tirols Die Zuständigkeitsbereiche des Bundes und der Länder stehen unabhängig und gleichrangig nebeneinander. Weder gibt es einen Vorrang des Bundesrechts vor dem Landesrecht (und damit keinen Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“),73 noch ist die Bundesregierung den Landesregierungen bzw die Bundesverwaltung den Landesverwaltungen übergeordnet. Der Kompetenzverteilung liegt das Prinzip der Kompetenztrennung und der Exklusivität der Kompetenzbereiche zugrunde. In Österreich gibt es somit ein echtes „dual government“ im Sinne der klassischen Bundesstaatsidee. Bund und Länder sind jeweils in sich geschlossene Staatssysteme, zwischen denen es nach dem bundesstaatlichen Trennungsprinzip grundsätzlich keine organisatorischen und funktionellen Verbindungen geben darf, wenn die Bundesverfassung dies nicht ausdrücklich anordnet.74 Ihre Staatsorgane (Parlamente, Regierungen, Verwaltungsbehörden) sind voneinander unabhängig (organisatorische Trennung). Diese Unabhängigkeit der obersten Organe ist der Prüfstein ihrer „Staatlichkeit“ und der Unterschied zur Selbstverwaltung. Ein Bundesstaat im organisatorischen Sinne liegt nämlich nur vor, wenn ein Dualismus und Parallelismus von Organen der Staatsgewalt gegeben ist und diese nach bestimmten Organisationsmerkmalen voneinander getrennt sind. Darüber hinaus ist das bundesstaatliche Trennungsprinzip Grundlage der bundesstaatlichen Gewaltenbalance und Gewaltenverschränkung („checks and balances“). Diese organisatorische Trennung der Staatsgewalt im Bundesstaat erhält durch die auf sie bezogene materielle Trennungsordnung jenes Substrat, durch das sie sich in der Staatswirklichkeit realisieren kann. Das heißt, es bedarf einer lückenlosen Aufteilung abstrakter Staatsaufgaben („Verantwortungsbereiche“) zwischen Bund und Gliedstaaten nach einem bestimmten System, um reale Zuständigkeiten der beiden Organisationskomplexe zu begründen. Aus dem Zusammenhalt von organisatorischem und materiellem Trennungsprinzip ergibt sich die grundsätzliche Gleichordnung von Bundes- und Landesfunktionen (formelle Parität). Sie ist das Grundkonzept des österreichischen Bundesstaats. Dieser baut auf der wechselseitigen Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit und der dadurch verbürgten Selbständigkeit und Vielfalt der politisch-rechtlichen Ordnungen unter der einigenden Bundesverfassung auf. 72 73 74
Vgl auch VfSlg 935/1928; 2092/1951; 7593/1975. Vgl VfSlg 1882/1949; 10.292/1984. Vgl VfSlg 1030/1928; 3362/1958; 4413/1963; 15.986/2000.
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Davon zu unterscheiden ist die materielle Parität zwischen Bund und Ländern. Diese hängt von der tatsächlichen Kompetenzausstattung der beiden Ebenen ab und ist in Österreich in Richtung eines klaren Übergewichts des Bundes verschoben.
5. Mitwirkung Tirols an der Staatsgewalt des Bundes Wenn auch die Bundesverfassung primär vom bundesstaatlichen Trennungsprinzip als föderalistischer Grundstruktur ausgeht, sieht sie selbst eine Reihe von Ausnahmen von diesem Grundsatz in Form wechselseitiger Verflechtungen und gemeinsamer Einrichtungen von Bund und Ländern vor. Darin liegt die Konsequenz des Bundesstaats als System der „checks and balances“ und damit durchaus eine klassische föderalistische Struktur nach dem Modell der USA (Mitwirkung an der Gesetzgebung und Vollziehung der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft, Bundesaufsicht, gemeinsame Verfassungsgerichtsbarkeit als Hüter der konstitutionellen Wirkungsbereiche). Die wichtigste Ausnahme vom bundesstaatlichen Trennungsprinzip ist die Partizipation der Länder an der Gesetzgebung des Bundes, gleichzeitig essentielles Strukturmerkmal jeder Bundesstaatlichkeit. Diese, institutionell hauptsächlich über den Bundesrat erfolgende Ländermitwirkung erschöpft sich allerdings regelmäßig in einem bloß suspensiv wirkenden Veto gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrats (Art 42 B-VG). Nur ausnahmsweise ist sie als Zustimmungsrecht der Länderkammer (zB Art 44 Abs 2 B-VG) bzw unmittelbar der Länder selbst (zB Art 3 Abs 2, Art 102 Abs 1, Art 129 a Abs 2 B-VG) ausgestaltet.75 Umgekehrt bestehen auch Mitwirkungsbefugnisse des Bundes an der Landesgesetzgebung in Form eines allgemeinen Einspruchsrechts der Bundesregierung gegen alle Gesetzesbeschlüsse der Landtage (Art 98 B-VG) und ihr vereinzelt zukommenden Zustimmungsrechten (zB Art 97 Abs 2 B-VG). Für die Länderbeteiligung an der Rechtsetzung der EU sieht die Bundesverfassung ein spezielles Verfahren vor (Art 23 d Abs 1, 2 und 4 B-VG). Die Länder wirken aber nicht nur an der Gesetzgebung, sondern in Form der mittelbaren Bundesverwaltung (Art 102 ff B-VG) auch an der Vollziehung des Bundes mit (Art 102 B-VG).76 Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl „gemeinsamer Einrichtungen“ von Bund und Ländern mit bereichsübergreifenden Zuständigkeiten, die funktionell Aufgaben des Bundes oder der Länder übernehmen können, je nachdem in welchem Funktionsbereich sie tätig werden. Organisatorisch sind sie Bundeseinrichtungen, soweit es sich um „oberste Organe“ (VfGH, VwGH, Rech75 76
Vgl dazu: Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 349 ff. Grundlegend: Karl Weber, Die mittelbare Bundesverwaltung (1987).
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nungshof, Volksanwaltschaft), Gerichte, Wachkörper (Bundespolizei) oder die bewaffnete Macht (Bundesheer) handelt; hingegen sind sie Landeseinrichtungen, soweit es sich um nachgeordnete Verwaltungsorgane wie Bezirksverwaltung, Amt der Landesregierung oder Selbstverwaltungskörper im Zuständigkeitsbereich der Länder, insbesondere Gemeinden, handelt. Letztere konstituieren auf der ersten und zweiten Verwaltungsebene das System der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern,77 welches aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Kostenersparnis in erster und zweiter Instanz gemeinsame Verwaltungseinrichtungen von Bund und Ländern vorsieht, die organisatorisch den Ländern zugehören, funktionell aber entweder als Bundes- oder als Landesorgane tätig werden.
6. Die Verfassungsautonomie des Landes a) Die Teilung der Verfassungshoheit Die Landesverfassung – als die oberste staatliche Grundordnung des Landes – steht in einem doppelten Systemzusammenhang mit der Bundesverfassung und dem durch sie eingerichteten Bundesstaat: Sie ist einerseits Ausdruck der selbständigen Verfassungshoheit des Landesvolkes und damit der bundesstaatlichen Teilung und Gemeinschaft der Volkssouveränität der Republik (Art 1 und 2 B-VG); sie begründet andererseits die Verfassungsstaatlichkeit des Landes, die in die Verfassung des Gesamtstaates eingebettet ist und durch die „Verfassung“ der Europäischen Union begrenzt wird. Dass es im Bundesstaat zwei miteinander verbundene und zugleich autonome Verfassungssysteme gibt, hängt also damit zusammen, dass die Staatlichkeit hier auf zwei selbständige Ebenen aufgeteilt ist, welche gleichzeitig als rechtsstaatliche Demokratien verfasst sind. Anders als im völkerrechtlichen Verhältnis der Staaten zueinander soll im Bundesstaat die Teilung der Staatlichkeit von einer gemeinsamen Souveränität und Verfassungshoheit überwölbt werden; die darauf beruhende Bundesverfassung muss aber die Selbständigkeit der Länder und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung wahren. Ausdruck dieses komplizierten Wechselspiels von rechtlicher Selbständigkeit und Integration der demokratischen Systeme und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung im Bundesstaat ist die Autonomie der Landesverfassung im Rahmen der Bundesverfassung.78
77 78
Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 382 ff. Peter Pernthaler, Die Verfassungsautonomie der österreichischen Bundesländer, JBl 1986, 477 ff; Richard Novak, Artikel 99, in: Karl Korinek/Michael Holoubek (Hg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar (1999).
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b) Die Länder als Gliedstaaten Die Verfassungsautonomie der Länder ist zunächst darin begründet, dass die Länder Gliedstaaten eines Bundesstaates und nicht Selbstverwaltungskörper eines Einheitsstaates sind. Die Staatsgewalt ist im Bundesstaat auf zwei Ebenen der Staatlichkeit geteilt („dual government“); die Länder sind – ebenso wie der Bund – Träger originärer Staatlichkeit, die nicht vom Bund abgeleitet, sondern im Landesvolk selbständig begründet ist. Träger der Verfassungshoheit für die Landesverfassung („pouvoir constituant“) ist also das Landesvolk, das sich in revolutionärer Weise zweimal in der Geschichte Österreichs (1918 und 1945) selbst konstituiert hat und als solches den Bundesstaat mit begründete.79 Die Landesverfassung ist daher die Verwirklichung des „internen Selbstbestimmungsrechts“ des Landesvolkes und als solche die politische Grundentscheidung über die Staatlichkeit des Landes im Rahmen des Bundesstaates „Republik Österreich“. Alle Landesverfassungen formulieren dies ausdrücklich so in den einleitenden Bestimmungen; die Tiroler Landesordnung sogar ausdrücklich als Grundlage der „Staatsform und Staatsgewalt“ des Landes.80 Hinter der Landesverfassung stehen also eigenständige politische Grundentscheidungen und rechtliche Grundvorstellungen, die das Landesvolk als Grundlage für seine eigene Staatlichkeit gewählt hat. Unabhängig davon sind die bundesverfassungsrechtlichen Schranken zu beurteilen, welche die Verfassungsautonomie der Länder begrenzen. c) Die Landesverfassung als Staatsverfassung Die Bundesverfassung unterscheidet klar zwischen dem „Landesverfassungsgesetz“ und der „Landesverfassung“ (Art 99 B-VG). Diese Unterscheidung ist nur sinnvoll, wenn ein inhaltlicher Begriff der „Landesverfassung“ vorausgesetzt wird. Dieser Inhalt der Verfassung der Länder ist zwar in wesentlichen Grundzügen von der Bundesverfassung bereits vorgeprägt (insb im IV. Hauptstück des B-VG), darüberhinaus aber nur durch den Begriff (staatliche) „Verfassung“ selbst und die Zuständigkeiten des Landesgesetzgebers (Art 15 Abs 1 B-VG) begrenzt.81 Der Begriff „Verfassung“ ist im Sinne der modernen „kodifizierten“ Grundordnung des Staates („geschriebene Verfassung“) aufzufassen, wie er sich im 18. und 19. Jahrhundert, ausgehend von den USA und Frankreich, als Grundlage der rechtsstaatlichen Demokratie entwickelt hat. Das heißt aber, dass die Landesverfassung nicht nur als rechtliche Grundnorm für den politischen Prozess im Lande (Organisationsstatut und Verfahrensordnung) zu verstehen ist, sondern nach ältester Verfassungstradition auch politische Grund-
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81
Peter Pernthaler, Die Staatsgründungsakte, aaO (1979) 19 ff und 35 ff. Art 1 Abs 3 Tiroler Landesordnung: „Träger der Staatsgewalt des Landes Tirol ist das Landesvolk“. Friedrich Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer (19882).
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entscheidungen über das Verhältnis Mensch-Staat, die öffentlichen Aufgaben, die obersten rechtlichen Wertvorstellungen, Staatszielbestimmungen uÄ enthalten kann. d) Die bundesverfassungsrechtliche Begründung der Autonomie Die „Verfassungsautonomie“ der Länder wird im B-VG nicht ausdrücklich geregelt, weil sie sich – ebenso wie die Verfassungshoheit des Bundes – aus der (Glied-)Staatsqualität der Länder ergibt: Indem Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird, ist die ursprüngliche, nicht abgeleitete Staatsqualität der Länder anerkannt (Art 2 B-VG), und damit ist die Verfassungsautonomie notwendig verbunden. Die Verfassungsautonomie ist der entscheidende Unterschied zwischen Ländern und Selbstverwaltungskörpern (insb Gemeinden): Länder können sich nach eigenen Vorstellungen (in den Schranken der Bundesverfassung) selbst einrichten, Gemeinden werden eingerichtet und üben öffentliche Funktionen für Bund oder Länder in den von diesen vorgeschriebenen Formen und Verfahren aus. „Autonomie“ heißt hier also nicht nur eine vom Staat begründete und beaufsichtigte relative Unabhängigkeit im Rahmen allgemeiner Vorschriften – wie dies für die Gemeindeautonomie zutrifft –, sondern inhaltliche Selbstordnungsfähigkeit und „Selbständigkeit“, wie sie der Gliedstaatsbegriff der Länder im Rahmen des Bundesstaats zum Ausdruck bringt (Art 2 und 15 Abs 1 B-VG). So wie die staatliche Souveränität rechtlich als „Verfassungshoheit“ im Rahmen der Völkerrechtsordnung und der Verfassung der EU verstanden wird, bedeutet die Verfassungsautonomie inhaltliche Selbständigkeit der Landesrechtsordnung im Rahmen der Bundesverfassung. Die Bundesverfassung legt daher zwar die „Form“ des Landesverfassungsgesetzes (Art 97 und 99 B-VG) und gewisse inhaltliche Mindestbedingungen fest; darüber hinaus richtet sich aber der Inhalt der Landesverfassung nach der (undefinierten) Allgemeinzuständigkeit des Art 15 Abs 1 B-VG und nicht etwa nach einer historisch versteinerten Kompetenz „Landesverfassung“. Die Verbindung der Landesverfassung zu Art 15 Abs 1 B-VG ist deshalb wichtig, weil auch diese Bestimmung keinen abgeschlossenen Inhalt hat, sondern Ausdruck der ursprünglichen Staatsgewalt der Länder im Bundesstaat ist, welche durch Bundesverfassungsgesetz zwar begrenzt, aber nicht begründet wird. Auch die neuere Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes betont – seit sie den Begriff „Verfassungsautonomie“ verwendet – das Wesen dieser Autonomie als freie politische Gestaltbarkeit in den „sehr weit gezogenen“ Grenzen der Bundesverfassung. Ganz im hier vertretenen Sinne hat der Verfassungsgerichtshof präzisiert, dass dort, wo das B-VG keine Regelung über Gegenstände der Landesverfassung trifft, „den Ländern dabei völlig freie Hand gelassen wird“.82
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Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 5676/1968.
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7. Die Präambel zur Tiroler Landesverfassung Die Präambel zur Tiroler Landesordnung 1989 verankert in provokanter Abweichung vom Stil und Inhalt der Bundesverfassung folgende Staatsziele: 83 •
die Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe,
•
die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes,
•
die Freiheit und Würde des Menschen,
•
die geordnete Familie als Grundzelle von Volk und Staat.
Dieses geschlossene System von gesellschaftlichen und rechtlichen Wertvorstellungen bezeichnet die Präambel zur Tiroler Landesordnung 1989 als „geistige, politische und soziale Grundlagen des Landes Tirol“ und überträgt ihre Wahrung und ihren Schutz als „oberste Verpflichtung“ der Gesetzgebung und Verwaltung des Landes Tirol. Es handelt sich also zweifellos um eine Staatszielbestimmung im umfassenden Sinne. Die Formulierung dieser Präambel geht auf einen Landtagsbeschluss vom 9. 2. 1960 zurück und sollte verfassungspolitisch den geistigen Gehalt des Gedenkjahres 1959 – die Erinnerung an den Tiroler Volksaufstand von 1809 – als Grundlage der politischen Tradition und Identität Tirols für die Zukunft festschreiben. Die Publikation dieses Landtagsbeschlusses verzögerte sich um 20 Jahre, weil die erhoffte Gesamtreform der Verfassung, für die der Text bestimmt war, nicht zustande kam. Die Form der „Präambel“ – im österreichischen Rechtsleben bis dahin eher unüblich – wurde gewählt, weil gegen die ursprüngliche Absicht eines Einbaues in die Landesverfassung das Bundeskanzleramt kompetenzrechtliche Bedenken geltend gemacht hatte. Man war damals auf Bundesseite der Meinung, eine derartige landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung greife in die Zuständigkeit „Bundesverfassung“ (Art 10 Abs 1 B-VG) ein, weil sie „Grundrechte“ zum Gegenstand habe. Obwohl diese Auffassung schon damals vom Land zurückgewiesen wurde – und heute in dieser Form wohl auch vom Bund nicht mehr vertreten würde –, suchte der Landtag diese Bedenken dadurch zu entkräften, dass er dieselbe Staatszielbestimmung als „Präambel“ beschloss. Nach seiner Meinung wurde dadurch klargestellt, dass dieser Bestimmung keine unmittelbare normative Bedeutung zukäme – sie stünde ja „vor“ dem eigentlichen Gesetzestext –, sondern dass sie lediglich die „Motive“ des Gesetzgebers zum Ausdruck brächte, die für die Erlassung der Landesverfassung maßgebend gewesen seien.84 Diese in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende positivistische Deutung der Rechtsnatur der Präambel, die sie juristisch weitgehend abwertet, ist verfassungsdogmatisch keinesfalls zwingend und mit dem objektiven normativen Gehalt der Bestimmung weitgehend unvereinbar: Eine „oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und Verwaltung“, welche die Verfassung inhalt83 84
Vgl dazu: Peter Pernthaler, Die Präambel, aaO 143 ff. Peter Pernthaler, Die Präambel, aaO 143 ff.
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Föderalistische Finanzordnung
lich aufgegliedert selbst festlegt, ist eben ihrem Wesen nach eine komplexe Staatszielbestimmung (bzw ein Komplex von Staatsgrundsätzen), gleichgültig, ob sie der Gesetzgeber in Artikel oder Paragraphen kleidet oder als normative Prägungen seines „Bewusstseins“ kundtut. So oder so kann die Staatszielbestimmung nur nach Maßgabe ihres (objektiven) normativen Inhaltes und dessen Akzeptanz durch die Verfassungsinterpretation, Verfassungshandhabung und Verfassungskontrolle reale rechtliche Bedeutung und durch ihre die Verfassungsgesinnung prägende Kraft integrative Funktion für den politischen Prozess und die politische Bildung gewinnen. Aus diesen Erwägungen ist der normative Unterschied zwischen der Präambel zur Tiroler Landesverfassung und den in den Verfassungstext aufgenommenen Staatszielbestimmungen nicht allzu hoch zu veranschlagen.
8. Föderalistische Finanzordnung Trotz stark zentralistischer Züge ist die Finanzordnung der Bundesverfassung (Finanz-Verfassungsgesetz 1948) im Kern föderal.85 Bund und Länder verfügen über eigene Besteuerungsrechte und Anteile an den gemeinschaftlichen Abgaben;86 sie haben eigene Budgethoheit und können sich zu einer gemeinsamen Budgetpolitik verpflichten (Stabilitätspakt).87 Jede Gebietskörperschaft muss im Rahmen des Finanzausgleiches nach ihrer Leistungsfähigkeit die zur Besorgung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel erhalten (Finanzausgleichsgerechtigkeit, § 4 F-VG). Zwar erfolgt die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge durch ein einfaches Bundesgesetz, das Finanzausgleichsgesetz (§ 3 Abs 1 F-VG); der Finanzausgleich kommt aber regelmäßig nur mit Zustimmung der beteiligten Partner zustande.88
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Hans Georg Ruppe, Finanz-Verfassungsgesetz, in: Karl Korinek/Michael Holoubek (Hg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar (2000). Diese werden durch das „Finanz-Ausgleichsgesetz“ – derzeit FAG 2005 – festgelegt (§§ 7–14). Derzeit Stabilitätspakt 2005; vgl dazu das BVG BGBl I 1998/61 und die Vereinbarung über den „Konsultationsmechanismus“, BGBl I 1999/35; Anna Gamper, Der Stabilitätspakt 2001 im Spannungsfeld von Budgetkonsolidierung und Finanzausgleichsgerechtigkeit, Journal für Rechtspolitik 2002, 240 ff; Heinz Schäffer, Konsultationsmechanismus und innerstaatlicher Stabilitätspakt, ZÖR 56 (2001) 145 ff. Zur Bedeutung des „Finanzausgleichspaktum“ vgl die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg 12.505/1990 und Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 417 f.
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9. Zentralistische Elemente der österreichischen Bundesstaatlichkeit Der österreichische Bundesstaat ist schon 1920 als „historischer Kompromiss“ zwischen Zentralisten und Föderalisten entstanden und seither ständig weiter in diese Richtung fortentwickelt worden. Seine verfassungsrechtliche Grundstruktur weist daher für einen Bundesstaat ungewöhnlich starke zentralistische Züge auf. Zu nennen sind hier vor allem: •
die extrem bundeslastige Kompetenzverteilung, welche die politisch und wirtschaftlich wichtigsten Staatsaufgaben, insgesamt über 100 Aufgabenbereiche, in die Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz des Bundes verweist, sodass den Ländern nur wenige und eher unbedeutende Restzuständigkeiten verbleiben. Parität besteht nur in der sog Privatwirtschaftsverwaltung (Art 17 B-VG);
•
die institutionell wie in der Verfassungspraxis extrem schwache Stellung des Bundesrates;
•
die durch umfangreiche bundesverfassungsrechtliche Vorgaben äußerst beschränkte Verfassungsautonomie der Länder;
•
die für die klassischen Bundesstaaten völlig untypische Zentralisierung wichtiger Staatsfunktionen beim Bund, vor allem der gesamten Gerichtsbarkeit (ordentliche Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit), fast der gesamten Kulturhoheit und der Polizeiorganisation (Wachkörper und Sicherheitsverwaltung);
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die Besorgung zahlreicher Vollzugsaufgaben durch die Länder in mittelbarer Bundesverwaltung (Art 102 B-VG) und damit unter Weisungsabhängigkeit des Landeshauptmannes (Art 103 B-VG) und Aufsicht der obersten Organe des Bundes;
•
die extrem zentralistische Finanzordnung (Kompetenzhoheit des einfachen Bundesgesetzgebers), welche die großen dynamischen und ertragreichen Besteuerungsrechte dem Bund vorbehält, Länder und Gemeinden aber in gleicher Weise dem Bund unterordnet („hinkendes Drei-Partner-System“).
Auf Grund dieser starken Zentralisierung gilt Österreich international gesehen als „Grenzfall eines föderalistischen Systems“.89
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Theo Öhlinger, Ein Bundesstaat auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft, FS Helmrich (1994) 379 ff (381 f); ähnlich die Einschätzung von Karl Loewenstein, Verfassungslehre (19753) 321 f und Ronald Watts, Comparing Federal Systems (19992) 25.
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Mitwirkungsrechte des Landes im Rahmen der EU
10. Mitwirkungsrechte des Landes im Rahmen der EU Die Länder werden durch die Organisationsform der EU von der direkten Willensbildung in den EU-Organen aber auch von der Mitwirkung an diesen ausgeschlossen, weil nur der Gesamtstaat („Republik“) als Völkerrechtssubjekt Mitglied der EU ist und in dieser Funktion durch den Bund und seine Organe vertreten wird. Das steht in Widerspruch zur Wirkungsweise des EURechts im innerstaatlichen Bereich: Dafür ist die innerstaatliche Kompetenzverteilung maßgebend,90 sodass EU-Recht im Kompetenzbereich der Länder entweder (mit Anwendungsvorrang!) unmittelbar gilt oder von den Ländern autonom umzusetzen ist. Die Länder haben daher ein hohes Interesse am EURecht in ihrem Kompetenzbereich, vor allem in der Phase der Entstehung, weil sie in dieser Phase möglicher Weise ihre politischen Interessen an einer bestimmten inhaltlichen Gestaltung noch durchsetzen können. Aus diesem Gunde ist es den Ländern gelungen, im Rahmen des EUBeitrittsverfahrens ein besonderes „Mitwirkungsrecht bei Vorhaben der EU“ zu verankern, soweit ihr selbständiger Wirkungsbereich berührt wird (Art 23 d B-VG). Soweit nur ihr Interesse berührt wird, haben sie ein umfassendes Informationsrecht und das Recht, zu den sie berührenden Vorhaben Stellung zu nehmen. Soweit die Gesetzgebungskompetenzen der Länder berührt werden, haben sie das Recht, eine „einheitliche Stellungnahme“ abzugeben, an die der Bund bei Ausübung der österreichischen Mitgliedsrechte gebunden ist. Er darf von derartigen Stellungnahmen „nur aus zwingenden außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichen“ (Art 23 d Abs 2 B-VG) und hat diese Gründe den Ländern unverzüglich bekanntzugeben. Innerstaatlich wird die einheitliche Länderstellungnahme regelmäßig durch die Landeshauptmännerkonferenz erzeugt, wobei Stimmenthaltungen, nicht aber Gegenstimmen einzelner Länder möglich sind. Besonders hervorzuheben ist, dass der Bundesvertreter bei der Handhabung der Mitgliedschaftsrechte im Rat der EU eine doppelte staatsrechtliche Verantwortlichkeit trägt: Soweit er in Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung tätig wird, ist er gegenüber dem Nationalrat verantwortlich; soweit er in Angelegenheiten der Landesgesetzgebung tätig ist, kann er durch gleichlautende Beschlüsse aller Landtage vor dem Verfassungsgerichtshof wegen Gesetzverletzung angeklagt werden (Art 142 Abs 2 lit c B-VG). Aus dieser – vor allem staatstheoretisch bedeutsamen – Verantwortungsregelung ergibt sich, dass die Länder hier tatsächlich eine sanktionierte Aufsicht über Bundesorgane nach dem klassischen Modell der Bundesaufsicht ausüben können. Der Grund für diese ungewöhnliche Konstruktion liegt in der kooperativen Grundstruktur der Ländermitwirkung in EU-Angelegenheiten, welche die 90
Vgl dazu Art 23 d Abs 5 B-VG, der inhaltlich sehr stark von der Umsetzungspflicht der Länder für Staatsverträge (Art 16 Abs 4 und 5 B-VG) abweicht.
Die Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol
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Länder im Zusammenhang mit dem Beitrittsverfahren durchsetzten. In der Tiroler Landesverfassung wurde durch ein eigenes Landes-Verfassungsgesetz (LGBl 1993/17) ein besonderes Mitwirkungsrecht des Landtages und eine Bindung des Landeshauptmannes an die Willensbildung des Landtages im Rahmen des Länderbeteiligungsverfahrens an EU-Vorhaben verankert. Bemerkenswert ist auch, dass die B-VG-Novelle 1994 die im Vertrag von Maastricht vorgesehene Mitwirkung von Ländervertretern an der Willensbildung des Rates (Art 146 EGV) verfassungsrechtlich konkretisiert (Art 23 d Abs 3 B-VG) und die Ernennung der österreichischen Vertreter im Ausschuss der Regionen an Vorschläge der Länder bindet (Art 23 c Abs 4 B-VG).
11. Das Land als Völkerrechtssubjekt (Art 16 B-VG) In fast allen Bundesstaaten ist die völkerrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit dem Bund vorbehalten; nur untergeordnete Teilkompetenzen der Vertragsfähigkeit sind den Gliedstaaten überlassen.91 Dies entspricht auch der Struktur des Völkerrechts, das im Allgemeinen nur ein einheitliches Völkerrechtssubjekt „Staat“ kennt und die bundesstaatliche Gliederung als „interne Angelegenheit“ der Staaten behandelt. Dem entsprach auch die Kompetenzverteilung des B-VG in seiner ursprünglichen Fassung, wo „äußere Angelegenheiten, insbesondere Abschluss von Staatsverträgen“ als ausschließliche Bundeskompetenz festgelegt waren (Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG), und dem entspricht auch, dass der Bundespräsident (noch heute) „die Republik nach außen vertritt und Staatsverträge abschließt“ (Art 65 Abs 1 B-VG). Im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung des europäischen Regionalismus und einer hochentwickelten politischen und administrativen Zusammenarbeit mit Nachbarregionen erhoben die Länder die Forderung nach teilweiser Völkerrechtsfähigkeit zur grenzüberschreitenden Kooperation im Rahmen ihrer Zuständigkeiten. Der Bund erfüllte diese Forderung in der B-VG-Nov 198892 teilweise durch eine neue beschränkte Staatsvertragskompetenz der Länder zum Abschluss von Staatsverträgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten „mit an Österreich angrenzenden Staaten oder deren Teilstaaten“ (Art 16 Abs 1 B-VG). Gleichzeitig behielt er sich aber seine eigene umfassende Staatsvertragskompetenz gemäß Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG weiterhin vor und übertrug dem Bundespräsidenten auch den Abschluss der neuen Länder-Staatsverträge.93
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Wolfgang Burtscher, Die völkerrechtlichen Aspekte des Forderungskataloges der österreichischen Bundesländer im Vergleich zu bestehenden „Außenkompetenzen“ anderer Gliedstaaten, ZÖR 39 (1988), 137 ff. BGBl 1988/685. Clemens Jabloner, Gliedstaatsverträge in der österreichischen Rechtsordnung, ÖZÖRV 40 (1989), 225 ff; Michael Thaler, Die Vertragsschlusskompetenz der ös-
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Das Land als Völkerrechtssubjekt (Art 16 B-VG)
Aus dieser komplizierten Zuständigkeitsverteilung und der oben angeführten zentralistischen Grundstruktur des (klassischen) Völkerrechts ergeben sich die besonders weitreichenden Vorbehalte und Eingriffsrechte der Bundesaufsicht über Länderstaatsverträge:94 Sie sollen insgesamt die völkerrechtliche Vorrangstellung des Bundes absichern. Bemerkenswert ist der Unterschied dieser Regelungen zu den viel weiterreichenden Mitwirkungsrechten der Länder im Rahmen der EU, die wenige Jahre später – allerdings auf Grund einer intensiven Kooperation von Bund und Ländern im Rahmen des Beitrittsverfahrens – in die Verfassung und eine verfassungsändernde Bund-LänderVereinbarung aufgenommen wurden.95 Die Stellung der Länder im Rahmen der EU entspricht weit mehr ihrer bundesstaatlichen „Selbständigkeit“ als die stark eingeschränkte, untergeordnete und beaufsichtigte Staatsvertragskompetenz nach Art 16 B-VG. Die Landesverfassung führt die neue Staatsvertragskompetenz des Landes in Art 71 a der Landesordnung 1989 näher durch, wobei die umfassenden Aufsichts- und Mitwirkungsrechte des Bundes in die Landesverfassung inkorporiert und besondere Mitwirkungsbefugnisse des Landtages begründet werden. Wie in allen anderen Bundesländern ist auch in Tirol diese neue Staatsvertrags-Befugnis des Landes bis jetzt nie angewendet worden.
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terreichischen Bundesländer (1990); Stefan Hammer, Länderstaatsverträge (1992); derselbe, Art 16 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (1999); Klaus Berchtold, Zur völkerrechtlichen Vertragsabschlußkompetenz der Länder, ZÖR 40 (1989), 217 ff; Christoph Grabenwarter, Die Verteilung völkerrechtsbezogener Zuständigkeiten nach der österreichischen Bundesverfassung, ZÖR 50 (1995), 79 ff. Vgl dazu Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 503 ff. Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gem Art 15a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration, BGBl 1992/775; Art 23d B-VG.
IV. Die Autonomie Südtirols 1. Autonomie und „Selbständigkeit“ Das Bundesland Tirol wird in der Bundesverfassung als „selbständig“ bezeichnet (Art 2 und 15 Abs 1 B-VG). Dies entspricht der Ideologie und Realität des Bundesstaates, der auf einer Teilung der Staatlichkeit (Souveränität) zwischen Zentral- und Gliedstaaten beruht, die ihrerseits im (internen) Selbstbestimmungsrecht und der (relativen) Verfassungshoheit der Landesvölker begründet ist. Dies ist nicht nur eine historische Aussage über die Entstehung des Bundesstaates aus dem Zusammenschluss der Länder mit einer Zentralgewalt, sondern bleibt während des ganzen Bestandes des Systems eine Voraussetzung der Staatlichkeit der Länder und des Bundes.96 a) Autonomie als staatliche Dezentralisation Die Autonomie Südtirols scheint zunächst keines dieser Kriterien der „Selbständigkeit“ zu erfüllen, sondern einer anderen staatsrechtlichen Kategorie und Systematik, nämlich der Dezentralisation der Staatsgewalt im Einheitsstaat, zu entsprechen. In diesem Sinne könnten zunächst die historischen Vorgänge um die Entstehung der italienischen Staatsgewalt in Südtirol unter Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes und die darauf beruhende zentralstaatliche „Gewährung“ der Autonomie unter Wahrung der (zentral-)staatlichen Souveränität und „Einheit“ Italiens gedeutet werden. Auch die aktuelle internationale und nationale Rechtslage der Südtiroler Autonomie liefert für ein solches, dem traditionellen Staatsdenken verhaftetes Modell gewichtige Argumente: Das Pariser Abkommen (1946) vermeidet peinlich eine direkte Berechtigung der Südtiroler Volksgruppe oder gar die Anerkennung ihres Selbstbestimmungsrechtes und überantwortet ihr Schicksal der Durchführung durch die italienische (Verfassungs)Gesetzgebung. Die Autonomie ist auf dieser Grundlage durch zentralstaatliches Verfassungsrecht und seine Durchführung begründet; von einer Verfassungsautonomie oder Selbstbestimmung des Südtiroler Volks findet sich weder im Statut noch im Pariser Abkommen irgendein Hinweis. Im Gegenteil! Noch heute gilt Art 1 des Statutes, der ebenso wie Art 5 der Staatsverfassung von der „einen und unteilbaren Republik“ spricht, in deren Rahmen sich „die Dezentralisation“ durch
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Peter Pernthaler, Die Stellung der Länder in der Bundesverfassung, aaO 659 f.
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Autonomie und „Selbständigkeit“
„autonome Körperschaften“ (Art 114 der Staatsverfassung) zu halten hat. Mag auch die „Autonome Provinz Bozen“ inzwischen als primäre Gebietskörperschaft mit Autonomie verfassungsrechtlich anerkannt sein.97 Nach wie vor ist aber das Autonomiestatut ein staatliches Verfassungsgesetz, das nach dem Verfahren des Art 138 der Staatsverfassung98 – also ohne formelle Mitwirkung der autonomen Provinz – zustandekommt. Paradoxer Weise ist die Rechtslage der Regionen und der Provinzen mit Spezialstatut derzeit im Hinblick auf die Verfassungsautonomie schlechter als die der Regionen mit Normalstatut: Nach dem neuen Art 123 der Staatsverfassung können diese nämlich – im Rahmen der Verfassung – politisch und rechtlich fast völlig frei durch eigenes Gesetz über ihr Statut verfügen, ohne irgendeiner staatlichen politischen Kontrolle durch Parlament oder Regierung unterworfen zu sein.99 Allerdings kann die Initiative zur Änderung des Spezialstatutes auch von den Autonomen Provinzen ausgehen, deren Landtage einen entsprechenden (gemeinsamen) Vorschlag an das zentralstaatliche Parlament im Wege des Regionalrates erstatten können (Art 103 Autonomiestatut). Nach derselben Bestimmung hat umgekehrt auch die Zentralregierung die Provinzlandtage über Änderungsvorschläge im Parlament zu informieren, die von der Regierung oder Parlamentsabgeordneten eingebracht werden. Daraus kann man ableiten, dass nach der Verfassung (Autonomiestatut) Reforminitiativen jedenfalls politisch in einem Konsensverfahren mit den Autonomen Provinzen erstellt werden sollen.100 Einen Ansatz einer „materiellen Verfassungsautonomie“ der Autonomen Provinzen bildet der neue Art 47 des Autonomiestatutes: Danach kann der Landtag durch Landesgesetz – teilweise mit Zweidrittelmehrheit – sehr weitgehend autonom „die Regierungsform der Provinz“, die Landtagswahl, die direkte Demokratie, die Direktwahl des Landeshauptmannes ua festlegen, wobei das Landesvolk auch Gelegenheit zur Sanktionierung dieser Bestimmungen der autonomen „Landesverfassung“ durch Volksabstimmung hat (Art 47 Abs 5 und 6 Autonomiestatut). b) Autonomie als „funktioneller Föderalismus“ Wie im Folgenden näher ausgeführt wird, lassen sich die schon im Pariser Abkommen angelegten Elemente der Südtiroler Autonomie im Prozess ihrer Entfaltung und Verwirklichung auch stärker in Richtung einer quasibundes-
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Art 116 Abs 2 der Staatsverfassung und Art 10 der Übergangsbestimmungen der Verfassungsnovelle Nr 3/2001; Art 3 Abs 3 des Autonomiestatutes. Ausgeschlossen ist allerdings gemäß Art 103 Autonomiestatut (in der Fassung von 2001) die (gesamtstaatliche) Volksabstimmung zur Bestätigung der Verfassungsänderung. Anna Gamper, Die Regionen mit Gesetzgebungshoheit (2004) 304 ff. Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 69 ff, 86.
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staatlichen „Selbständigkeit“ und (internen) Selbstbestimmung des Landes im Rahmen des italienischen politischen und rechtlichen Systems deuten.101 Grundlegend dafür war die Abkehr vom System der einseitigen obrigkeitsstaatlichen Oktroyierung des ersten Autonomiestatutes gegen die wirklichen Schutzinteressen der Südtiroler Volksgruppe und die konsequente Begründung der Autonomie im System der – schon im Pariser Abkommen vorgesehenen – ethnischen Partnerschaft und Konkordanzdemokratie. Man kann in dieser Hinsicht geradezu von einem – auch auf der (internen) Selbstbestimmung der Südtiroler beruhenden – „Gründungspakt“ der Autonomie sprechen, der Ansatzpunkte für die Auslegung als föderalistischer Verfassungsvertrag („Constitutional Compact“) bietet102 und den „bündischen“ Charakter des (funktionierenden) Systems betont. Allerdings erkennt man diese Qualität der „funktionellen Autonomie“103 nur, wenn man – wie dies im Folgenden geschieht – die politischen Bedingungen und die „gelebten“ Grundwerte des Verfassungskonsenses in die Untersuchung der rechtlichen Institutionen einbezieht.
2. Die dreifache rechtlich-politische Grundlage der Autonomie Die (funktionierende) Autonomie Südtirols ist ein außerordentlich komplexes rechtliches und politisches System des „asymmetrischen Föderalismus“, das schon aus diesem Grund mit der „Selbständigkeit“ des Bundeslandes Tirol schwer vergleichbar ist.104 Systemtheoretisch beruht diese Autonomie auf der Kombination von drei selbständigen Ordnungsbereichen mit unterschiedlichen Strukturen und Akteuren, die allerdings untrennbar aufeinander bezogen und miteinander verknüpft sind.
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Grundlegend in diese Richtung Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie, aaO 72 f; über die Auslegung des italienischen Verfassungssystemes insgesamt als „quasibundesstaatliches“ System vgl Anna Gamper, Die Regionen, aaO 304 ff. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre (19962) 295. Vgl dazu Peter Pernthaler, Asymmetrischer Föderalismus als systemübergreifender Ordnungsrahmen der Autonomie, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung, aaO 97 ff. Österreich zeigt zwar einige Ansätze eines asymmetrischen Föderalismus, verwirklicht aber im Ganzen sehr konsequent das Modell eines homogenen, ja „unitarischen“ Bundesstaates; vgl dazu Peter Pernthaler, Der differenzierte Bundesstaat (1992) 3 ff.
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Die dreifache rechtlich-politische Grundlage der Autonomie
a) Italienisches (Staats-)Verfassungsrecht und Durchführungsnormen aa) Die „Spezialität in der Spezialität“105 Die italienische Verfassung sieht ein in sich differenziertes System des Regionalismus vor, in dessen Rahmen die Autonomie Südtirols eingebettet ist. Unterschieden wird zunächst zwischen 15 Regionen mit Normalstatut und fünf Regionen mit Spezialstatut (Art 116 der Staatsverfassung); von diesen unterscheidet sich wiederum die Region Trentino/Südtirol, weil sie aus den zwei Autonomen Provinzen Trient und Bozen besteht, denen seit dem neuen Autonomiestatut (1972) die wichtigsten autonomen Kompetenzen zukommen, während der Region nur einige unbedeutende Restkompetenzen verblieben sind (Art 4–7 Autonomiestatut). Die Autonomie der Provinz Bozen-Südtirol unterscheidet sich schließlich von allen anderen italienischen Autonomien durch ihre besonderen Schutznormen zugunsten der deutschsprachigen und ladinischen Volksgruppe und die organisatorischen Normen über die Rechte und Beziehungen der Sprachgruppen untereinander im Sinne eines konkordanzdemokratischen Modells. bb) Elemente „politischer Verfassungsautonomie“ im Statut Das Spezialstatut der Region Trentino-Südtirol ist – wie alle anderen Spezialstatute – formell italienisches Staatsverfassungsrecht, das im Verfahren nach Art 138 der Verfassung ohne Mitwirkung der autonomen Region (Provinzen) vom Zentralparlament beschlossen wird, wobei das gesamtstaatliche (bestätigende) Referendum für Statutsänderungen ausgeschlossen ist (Art 103 Autonomiestatut). Allerdings ist nach der neuen Fassung des Statutes (Art 103) ein Vorschlags- und Anhörungsrecht der Provinzen und der Region zu Statutsänderungen vorgesehen, woraus man zumindest ein politisches Verhandlungsund Konsenserfordernis ableiten kann.106 Wichtig ist auch festzuhalten, dass die geltende Fassung des Autonomiestatutes inhaltlich auf die Vorschläge einer paritätischen Kommission („Neunzehnerkommission“) und auf die „Paketlösung“ (1965/1992) zurückgeht, an der auch die Südtiroler Volksgruppe beteiligt wurde.107 Die praktisch überaus wichtigen Durchführungsnormen zum Autonomiestatut dürfen nur auf Grund einer Stellungnahme der (paritätischen) Sechserkommission für die Provinz und der Zwölferkommission für die Region erlassen werden.108 Diese Durchführungsnormen sind gesetzvertretende Verordnungen (Dekrete des Präsidenten der Republik), die das Statut er-
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Roberto Toniatti, aaO 75. Roberto Toniatti, aaO 80 f. Vgl dazu die Ausführungen unter VI. 7 „Anwendungsfälle des Selbstbestimmungsrechts in der Autonomie Südtirols“. Art 107 Autonomiestatut; Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 324 f.
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gänzen und auch neue Anwendungsfälle regeln können.109 Als Durchführungsnormen zum Statut stehen sie im Rang zwar unter dem Verfassungsrecht, aber über dem einfachen Gesetzesrecht und stellen daher ein sehr flexibles Instrument der Anpassung und Weiterentwicklung des Autonomiestatutes dar. Beide Rechtsquellen sind allerdings staatliches Recht und schalten damit die Verfassungsautonomie der Region und der Provinzen aus, während die Regionen mit Normalstatut gemäß Art 123 der Verfassung (Fassung 2001) über eine sehr weitgehende Verfassungsautonomie verfügen.110 Diese Ungleichstellung der Autonomien mit und ohne Sonderstatut ist sachlich und rechtsdogmatisch höchst unbefriedigend und sollte durch die angekündigte Reform der Spezialstatute (Art 10 der Verfassungsnovelle 2001) beseitigt werden, ohne die staatsverfassungsrechtliche Garantie der Spezialautonomie zu relativieren. Eine Erweiterung der autonomen Rechtsetzungsbefugnis um das „Landesverfassungsrecht“ würde vor allem dem politischen Charakter und der Dynamik der Entfaltung der Autonomie dienen. Kriterien, die schon jetzt zu den Wesensmerkmalen der „materiellen Verfassung“ Südtirols gehören. Dies könnte in der Weise verwirklicht werden, dass die Staatsverfassung Rahmenbestimmungen der Landesverfassung vorgibt, die durch ein autonomes Landes (-Verfassungs)gesetz umzusetzen sind. b) Völkerrechtliche Absicherung der Autonomie Über den Umfang der aus dem Pariser Abkommen (1946) abzuleitenden völkerrechtlichen Garantie der Südtirol-Autonomie bestand lange Zeit zwischen Österreich und Italien ein scheinbar unüberbrückbarer Gegensatz. Während Italien stets darauf beharrte, durch das Erste Autonomiestatut (1948) alle völkerrechtlichen Verpflichtungen aus diesem Vertrag erfüllt zu haben und insbesondere die gesamte Weiterentwicklung durch das Zweite Autonomiestatut (1972) und das „Paket“ als rein „inneritalienische Angelegenheit“ bezeichnete, vertrat Österreich den Standpunkt, dass erst diese (kooperativ erarbeitete) Weiterentwicklung der Autonomie die Vertragsverpflichtungen aus dem Pariser Abkommen erfüllt habe. Mangels eines ausdrücklichen oder auch nur konkludenten Vertragswillens Italiens versuchte man, die völkerrechtliche Absicherung der neuen Autonomie Südtirols über den völkerrechtlichen Vertrauensschutz („EstoppelPrinzip“) zu konstruieren.111 Da mit diesem Ansatz aber eine Reihe von unabwägbaren Auslegungsproblemen verknüpft sind, suchte Österreich im Rah-
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Vgl dazu das umfassende Verzeichnis der Durchführungsbestimmungen in: Autonome Provinz Bozen Südtirol (Hg), Das neue Autonomiestatut (200511) 123 ff. Vgl allerdings die oben angeführte „materielle Verfassungsautonomie“ der Autonomen Provinzen nach dem neuen Art 47 des Autonomiestatutes. Karl Zeller, Das Problem der völkerrechtlichen Verankerung des Südtirol-Paketes und die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes (1989) 51 ff.
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Die dreifache rechtlich-politische Grundlage der Autonomie
men der Streitbeilegungserklärung (1992) eine bestätigende Äußerung Italiens über den Zusammenhang der Paketmaßnahmen mit den Verpflichtungen aus dem Pariser Vertrag zu erlangen. Hilfreich war in diesem Zusammenhang, dass auch der italienische Verfassungsgerichtshof inzwischen den Zusammenhang der Südtirol-Autonomie mit dem Pariser Vertrag ausdrücklich anerkannt hatte.112 Der Note über die vollständige Umsetzung des Paketes der italienischen Regierung an Österreich vom 22. April 1992 wurden Anhänge beigefügt, welche die italienische Auffassung erkennen lassen, dass die Regierung nunmehr von der internationalen Verankerung der Südtirol-Autonomie ausgehe.113 Da Österreich in seiner Streitbeilegungserklärung ausdrücklich darauf Bezug nahm und alle einschlägigen Akte international bekannt gab, kann man heute von einer – auch von Italien anerkannten – völkerrechtlichen Absicherung der (neuen) Südtirolautonomie sprechen, aus der Österreich eine besondere Schutzmachtfunktion ableiten kann.114 In Übereinstimmung mit dieser Auffassung hat der italienische Außenminister aus Anlass der Änderung des Autonomiestatutes im Jahre 2000 sich an die österreichische Außenministerin mit der Bitte um die „notwendigen Absprachen im Hinblick auf den internationalen Charakter des Südtirol-Paketes“ gewendet.115 c) Das autonome politische System Die kunstvollen rechtlichen Konstruktionen der Südtirolautonomie und ihrer internationalen Absicherung spiegeln den komplizierten Prozess ihrer Entstehung aus widersprüchlichen politischen und rechtlichen Standpunkten und Einigungszwängen wieder; gleichzeitig wären sie aber totes Recht geblieben oder sofort blockiert worden – wie die weitgehenden Minderheits-Schutzbestimmungen in der Zypernverfassung von 1960 –, wenn sich nicht im langwierigen Prozess der kooperativen Ausarbeitung des neuen Statutes und der notwendigen Durchführungsbestimmungen in Erfüllung des „Paketes“ ein spezifisches politisches System der ethnischen Partnerschaft und Konkordanzdemokratie entwickelt hätte, das man mit Recht als „materielle Verfassung“ der Autonomie bezeichnet hat.116 Dieses politische System beruht insgesamt auf einem Komplex bestimmter gemeinsamer Wertvoraussetzungen; dazu gehören insbesondere:
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Die Anerkennung der Vielfalt der Kulturen,
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die gemeinsame Wertschätzung des Landes und seiner Autonomie,
Urteil des Verfassungsgerichtshofes Nr 242/1989. Peter Hilpold, Die völkerrechtliche Absicherung der Südtirolautonomie, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung Südtirols (2005) 38 ff, 44 f. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 248 f; Siglinde Clementi/Jens Woelk (Hg), 1992: Ende eines Streites (2003) 17 ff und 83 ff. Peter Hilpold, aaO 46. Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie, aaO 69 ff
Die Autonomie Südtirols
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die politischen Garantien des Gleichgewichtes der Sprachgruppen und ihrer partiellen Selbstregierung,
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die Verhandlungsmethode nach innen und nach außen,
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die Gewährleistung des demokratischen Prozesses innerhalb der Gruppen und auf dieser Grundlage auch innerhalb der autonomen Provinzen und der Region.
Letztlich ausschlaggebend für das Funktionieren des komplizierten Systems waren die Verfahren und Institutionen der wechselseitigen Vertrauensbildung zwischen der deutschen und italienischen Sprachgruppe: Die italienische Seite akzeptierte die deutschsprachige Vorherrschaft in der autonomen Provinz Bozen nur deshalb, weil diese Vorherrschaft nicht zur Unterdrückung der italienischen Minderheit benutzt wurde, sondern die politischen Garantien der Konkordanzdemokratie und des Gleichgewichtes der Gruppen – auf die noch einzugehen ist – sorgfältig gewahrt wurden. Dass es dabei trotzdem immer wieder zu politischen Auseinandersetzungen und Konflikten zwischen des Sprachgruppen und ihren politischen Repräsentanten kam und kommt, versteht sich von selbst, da es sich ja nicht zuletzt auch um ein System der (friedlichen) Konfliktsbewältigung zwischen den Sprachgruppen handelt. Diese Besonderheiten des politischen Systems Südtirols müssen in zunehmendem Maße als Kriterien der Identität dieses Landesteiles und seines Volkes in einem System der „funktionellen Autonomie“ der Provinz und Region beachtet werden. Diese Kriterien unterscheiden sich zwar wesentlich vom politischen System des Bundeslandes Tirol; sie können aber gleichzeitig durch ihre Achtung der ethnischen Pluralität und Selbstregierung der Sprachgruppen im System der Konkordanzdemokratie sehr gut auch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Landesteile in europäischer Dimension begründen, die ja nur auf einer konsequenten Verhandlungsmethode aufgebaut werden kann.117
3. Die Grundpfeiler der Autonomie a) Primäre Autonomie der Provinz Die Übertragung der Autonomie an die Region Trentino-Südtirol war der entscheidende Fehler des ersten Autonomiestatutes (1948), da damit infolge der Mehrheitsverhältnisse kein Schutz und keine Selbstregierung der deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol erreicht werden konnte. „Los von Trient“ war daher seit der Kundgebung von Sigmundskron (17. 11. 1957) das Motto
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Dazu siehe unten, Punkt V. 5. (Die grenzüberschreitende „Europaregion Tirol“) und Abschnitt X (Europäische Regionalgemeinschaft Tirol).
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Die Grundpfeiler der Autonomie
der Politik Südtirols, die von Magnago auf dieser Versammlung zum ersten Mal formuliert wurde.118 Erst der langwierige Verhandlungsprozess, der zum Autonomiestatut 1972 und zum Paketabschluss (1992) führte, konnte dieses politische Ziel in einer für Südtirol und Italien akzeptablen Kompromisslösung verwirklichen: Die Region Trentino-Südtirol wurde zwar als Gebietskörperschaft (ebenso wie der Basistext des Autonomiestatutes von 1948) beibehalten; die Stellung der Autonomen Provinzen gegenüber der Region und die innere Verfassung der Provinz Südtirol aber völlig neu geordnet: Nunmehr sind rechtlich und politisch die Autonomen Provinzen die primäre Träger der Autonomie; die wichtigsten Kompetenzen werden ihnen übertragen und der Regionalrat zu einem Vertretungsorgan zweiten Grades abgewertet, dessen Zusammensetzung sich aus den direkt gewählten Landtagen ergibt.119 Die neue Fassung des Art 116 Abs 2 der Staatsverfassung formuliert dementsprechend, dass „die Region sich aus den Autonomen Provinzen Trient und Bozen zusammensetzt“, wodurch die primäre Autonomie der Provinz – entgegen der Systematik des (auf dem alten Text der Staatsverfassung beruhenden) Autonomiestatutes – klargestellt wurde. Inhaltlich hat sich dadurch nichts geändert, weil die Unabhängigkeit der Autonomie des Landes von der Region sich schon bisher rechtlich aus dem Autonomiestatut und seinen Durchführungsbestimmungen ergab.120 Auch die neue Allgemeinzuständigkeit der Regionen (Art 117 Abs 4 Staatsverfassung) kommt den Provinzen und nicht der Region zu.121 Damit ist die Abkehr vom seinerzeitigen System der Delegation von Regionskompetenzen an die Provinzen122 und die primäre Autonomie des Landes verfassungsrechtlich neuerdings bestätigt worden. Der Region bleiben einige selbständige Kompetenzen (Art 4–7 Autonomiestatut), die vor allem Organisationsbestimmungen, soziale und Gesundheitseinrichtungen betreffen. Keinesfalls kommt der Region in den Zuständigkeiten der autonomen Provinzen irgendwelche integrierende Aufsichts- oder Koordinierungsbefugnisse zu.123
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Die Rede Magnagos ist abgedruckt in: Südtiroler Schützenbund (Hg), Sigmundskron. Demonstration für Selbstbestimmung (1997) 28 ff. Ausdrücklich verankert wurde die Direktwahl der Landtage durch die Verfassungsnovelle zur Änderung des Autonomiestatutes Nr 2/2001 (Art 4 Abs 1); vgl dazu die Art 47–51 des Autonomiestatutes in der geltenden Fassung. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 251. Urteil des Verfassungsgerichtshofes 312/2003. Art 14 des Autonomiestatutes von 1948. Sergio Bartole, Integration der Autonomie und Einheit der italienischen Rechtsordnung, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 115 f, 117.
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b) Verbindung von Territorialautonomie und Sprachgruppenschutz Die Südtirolautonomie hebt sich nicht nur dadurch vom System des italienischen Regionalismus ab, dass hier die Provinz – und nicht die Region – die Trägerin der primären Autonomie ist. Eine weitere Besonderheit ist die spezifische Berücksichtigung der drei Sprachgruppen innerhalb der Organisation und Rechtsordnung der autonomen Provinz Bozen als unmittelbare Bezugspunkte von Schutzrechten. Zwar sind die Sprachgruppen nicht als Personalkörperschaften organisiert und damit selbst Träger von kollektiven Rechten. Sie bleiben vielmehr heterogene gesellschaftliche Gruppierungen, die allerdings vom Autonomiestatut und der autonomen Rechtsordnung vorausgesetzt, ja rechtlich vorgeschrieben werden, wenngleich sie auf der Basis der Feiwilligkeit (Bekenntnisprinzip!) durch das Instrument der (perodischen) Sprachgruppenzugehörigkeits-Erklärung gebildet werden.124 Mittelbar sind die Sprachgruppen allerdings in ihrer ethnischen und kulturellen Dimension, aber auch als politische Einheiten und wirtschaftliche Bezugssysteme sehr wirkungsvoll rechtlich geschützt. Die Instrumente sind einerseits der ethnische Proporz mit allen seinen Konsequenzen für den Einzelnen und die autonome Landesverwaltung;125 anderseits die Rechte der Sprachgruppen im Landtag und in der Landesregierung, die eine doppelte Zuordnung der Repräsentanten zu den politischen Parteien und zu den Sprachgruppen auf Grund der Erklärungen der Kandidaten und des speziellen Verhältniswahlrechtes voraussetzen.126 Die Konsequenz dieser Doppelkonstruktion der Autonomie ist, dass das politische und rechtliche System Südtirols auf einer Verbindung der Mehrheitsdemokratie der Bürger des Landes mit der Konkordanzdemokratie der Sprachgruppen beruht, wobei beide Systeme gleichzeitig dem Schutz der deutschsprachigen Volksgruppe und der italienischsprachigen Minderheit in der Provinz dienen. Auch die aus der Sprachgruppenzugehörigkeit und dem ethnischen Proporz abgeleiteten individuellen Schutz- und Leistungsrechte dienen mittelbar der Identität und Entfaltung der Sprachgruppen.127 Unmittelbar diesen (kollektiven) Schutzzielen dienen dagegen die den Sprachgruppen vorbehaltenen Selbstregierungsrechte, vor allem auf dem Gebiet der Kulturförderung und der Schulpolitik. Die Doppelstruktur der Autonomie auf territorialer und ethnischer bzw sprachgruppenspezifischer Grundlage hat zur Konsequenz, dass es hier politisch und rechtlich keine eindeutige Zuordnung 124
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Vgl dazu im Einzelnen die Ausführungen unter Punkt VI. 2. (Volk und Sprachgruppen in Südtirol). Vgl Giovanni Poggeschi, Der ethnische Proporz, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 322 ff. Vgl dazu auch die spezielle „Vertretungsgarantie“ der Sprachgruppen auf Grund der Urteile des Verfassungsgerichtes 261/1995 und 356/1998 zugunsten der ladinischen Sprachgruppe. Vgl dazu: Peter Pernthaler, Der Schutz der ethnischen Gemeinschaften durch individuelle Rechte (1964) 32 ff.
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der Sprachgruppen zur „Mehrheit“ oder „Minderheit“ mehr gibt, sondern dass diese Kategorien je nach Materie und Gesichtspunkt wechseln und im Vordergrund der Schutz der Identität, Vielfalt und des friedlichen Ausgleiches der Gruppen steht. Die Territorialautonomie verhält sich gegenüber diesen Aspekten weitgehend neutral, sodass eine zunehmende Integration auch über die historischen Konfliktslinien der beiden dominanten Sprachgruppen in die territoriale Identität des Landes feststellbar ist. Das neue Autonomiestatut ist in vieler Hinsicht kein Instrument des Minderheitenschutzes der deutschsprachigen Volksgruppe, sondern vor allem ein kunstvoller Rechtskomplex des Ausgleiches der Gruppeninteressen auf Basis des individuellen und kollektiven Sprach- und Kulturschutzes in einem pluralistischen Gesamtsystem der territorialen Autonomie auf dem Boden des alten Siedlungsgebietes der deutschen und ladinischen Volksgruppen in Südtirol.128 c) Besondere Rechtsschutzeinrichtungen An sich sind die durch das Statut geschützten besonderen Schutz- und Sprachgebrauchsrechte individuelle verfassungsmäßig gewährleistete Rechte – teilweise mit kollektivrechtlichem Bezug –, die in den regulären Rechtsschutzverfahren von den betroffenen Bürgern durchzusetzen sind. Gleichzeitig enthält das Statut aber auch eine Reihe spezieller Rechtsschutzeinrichtungen, die dem politischen Charakter der Autonomie und der „ethnischen Partnerschaft“ entsprechen und daher mit dem politischen System verknüpft sind oder (rechtlichen) Schiedscharakter in ethnischen Konflikten haben. Dazu gehören vor allem die Verfahren der Konfliktslösung zwischen den Sprachgruppen nach Art 56 und Art 84 des Autonomiestatutes. aa) Verletzung der Rechte der Sprachgruppen Der erste Fall (Art 56 Autonomiestatut) regelt den Schutz der „Gleichheit der Rechte zwischen den Bürgern verschiedener Sprachgruppen“ oder der „ethnischen und kulturellen Eigenart einer Sprachgruppe“ im Gesetzgebungsverfahren. Die Mehrheit der Abgeordneten einer Sprachgruppe können mit dieser Begründung eine nach Sprachgruppen getrennte Abstimmung verlangen. Wird diesem Antrag nicht stattgegeben oder das Gesetz trotz einer Zwei-DrittelMehrheit an Gegenstimmen in der Sprachgruppe beschlossen, so kann die Mehrheit der Abgeordneten dieser Sprachgruppe das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof anfechten. Dies ist eine verfassungsrechtliche Besonderheit,
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Auf dieses Siedlungsgebiet als völkerrechtlich garantiertes Territorium der Schutzbestimmunen für die Volksgruppen und Sprachgruppen verweisen ausdrücklich Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 321 f im Zusammenhang mit Angliederungswünschen ladinischer Gemeinden außerhalb Südtirols.
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weil es der einzige Fall ist, dass (eine Gruppe von) Einzelpersonen ein Gesetz direkt vor dem Verfassungsgerichtshof anfechten können.129 bb) Konflikte über Haushaltskapitel Der zweite Fall (Art 84 Autonomiestatut) regelt die nach Sprachgruppen getrennte Abstimmung über einzelne Haushaltskapitel, die als rein politischer Konflikt keiner rechtlichen Begründung bedarf. Nach einem Schiedsverfahren vor einer paritätischen Kommission aus den beiden stärksten Sprachgruppen, entscheidet das autonome Verwaltungsgericht Bozen in einem Schiedsspruch endgültig und zwar statt dem Landtag. Da dieses Verwaltungsgericht selbst paritätisch zusammengesetzt ist (Art 91 Autonomiestatut), ist anzunehmen, dass eine derartige Entscheidung nach Gesichtspunkten der inter-ethnischen Partnerschaft und Billigkeit zu treffen ist und den Prinzipien der Sachgerechtigkeit des umstrittenen Budgetansatzes entsprechen muss. Den zuletzt genannten Gesichtspunkt hat die österreichische Verfassungsrechtsprechung in ständiger Judikatur über den Finanzausgleich als durchaus justiziabel („Finanzausgleichsgerechtigkeit“) qualifiziert.130 Eine Überprüfung des Schiedsspruches durch den italienischen Verfassungsgerichtshof wird aber ausdrücklich ausgeschlossen (Art 84 Abs 7 Autonomiestatut). cc)
Das autonome Verwaltungsgericht Bozen
Eine durch ihre Organisation und ihre Kompetenzen besonders wichtige, aber auch charakteristische Einrichtung des speziellen Rechtsschutzes der Autonomie und der ethnischen Partnerschaft ist das autonome Verwaltungsgericht Bozen, das im Statut noch als „autonome Sektion des regionalen Verwaltungsgerichtshofes für die Provinz Bozen“ eingerichtet ist, seiner Rechtskonstruktion nach aber von der Praxis als selbständiges „Verwaltungsgericht Bozen“ bezeichnet wird.131 Dieses Verwaltungsgericht setzt sich paritätisch aus acht Richtern der deutschen und italienischen Sprachgruppe zusammen; die Richter beider Sprachgruppen werden zur Hälfte auf Vorschlag des Präsidenten des Ministerrates und zur Hälfte auf Vorschlag des Südtiroler Landtages vom Präsidenten der Republik ernannt. Für alle deutschsprachigen Richter ist die Zustimmung des Südtiroler Landtages erforderlich. Dieses politisch kontrollierte Ernennungsverfahren der Richter ist für ein Verwaltungsgericht untypisch und weist auf die funktionell verfassungsgerichtlichen und schiedsgerichtlichen Kompetenzen des Gerichtes zur Sicherung 129
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Vgl dazu (mit Hinweisen auf die Judikatur): Eleonora Maines, Die QuasiRechtspersönlichkeit der Sprachgruppen, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 297 ff. Zum Verfassungsprinzip der „Finanzausgleichsgerechtigkeit“ vgl Peter Pernthaler, Österreichisches Bundesverfassungsrecht (2004) 416 ff und die dort angeführte Verfassungsrechtsprechung, insbes VfSlg 9280/1981. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 329 ff.
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Die Grundpfeiler der Autonomie
der Rechte der Sprachgruppen und der ethnischen Partnerschaft hin. In der Tat ist dieser Verwaltungsgerichtshof neben seinen regulären Befugnissen der Verwaltungsrechtskontrolle auch zur Entscheidung in fünf Sachbereichen zuständig, die entweder den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit zwischen den Sprachgruppen zum Gegenstand haben132 oder politischen Charakter haben wie die oben erwähnten Schiedssprüche in Budgetangelegenheiten (Art 84 Abs 5 Autonomiestatut) oder über die Repräsentativität ethnisch organisierter Gewerkschaften.133 In diesen fünf Sachbereichen gibt es weder ein Dirimierungsrecht des Präsidenten des Verwaltungsgerichtes, noch eine Berufung an den Staatsrat, der in allen anderen Fällen die reguläre Instanz für Rechtsmittel gegen das Verwaltungsgericht ist und daher auch zwei Mitglieder der deutschen Sprachgruppe als Richter enthalten muss. In den fünf genannten Fällen soll vor allem der deutschen Sprachgruppe garantiert werden, dass nicht die italienische zentrale Staatsgewalt – auch nicht die Gerichtsbarkeit – über interethnische Konflikte zulasten der Minderheiten entscheidet. Umgekehrt soll das streng paritätische Schiedsverfahren im Verwaltungsgericht – das an sich dem Grundsatz des ethnischen Proporzes im öffentlichen Dienst widerspricht – dem in der gesamten Autonomie verankerten Grundsatz der Konkordanzdemokratie zur Sicherung des interethnischen Friedens zwischen den Sprachgruppen dienen. dd) Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof Zum Unterschied von diesen quasipolitischen Verfahren zum Schutz der ethnischen Partnerschaft in der Provinz kennt das Autonomiestatut aber auch rein rechtliche Kontrollbefugnisse des Verfassungsgerichtshofes über die Einhaltung des Statutes und des Grundsatzes der Gleichheit zwischen Sprachgruppen. Die außerordentliche Anfechtungsbefugnis der Sprachgruppen nach Art 56 des Statutes im Falle der getrennten Abstimmung im Landtag (Regionalrat) wurde bereits angeführt. Reguläre Anrechtungsbefugnisse haben die Staatsregierung gegen Regional- oder Landesgesetze und die Landtage der Provinzen gegenüber Regionalgesetzen bzw der Regionalrat gegenüber Landesgesetzen (Art 97 Autonomiestatut). Im Zusammenhang mit der gleichfalls im Statut verankerten Anfechtungsbefugnis von Staatsgesetzen und Akten mit Gesetzeskraft (Art 98 Autonomiestatut) taucht bezeichnender Weise statt des sonst im Statut verwendeten Ausdruckes „Sprachgruppen“ die Bezeichnung „Schutz der deutschen und ladinischen sprachlichen Minderheit“ auf.134 Der Grund dafür ist einerseits die Le-
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Art 91, 92 und 19 Abs 3 Autonomiestatut. Vgl dazu den „Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbund“ – Art 9 DPR 58/1978; LD vom 31. 03. 1998, Nr 80; Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie (20058) 299 ff. Ebenso in Art 4 und 8 des Autonomiestatutes im Zusammenhang mit der Definition „der nationalen Interessen“.
Die Autonomie Südtirols
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galvermutung, dass ein italienisches Staatsgesetz wohl nicht die Schutzinteressen der italienischen Sprachgruppe in Südtirol verletzten wird. Anderseits wird dadurch die „Waffengleichheit“ der deutschsprachigen Volksgruppe und ladinischen Minderheit im Verhältnis zur einseitigen Anfechtungsbefugnis der italienischen Regierung gegenüber Landes- und Regionalgesetzen nach Art 97 Abs 2 Autonomiestatut verankert, wodurch die scheinbare Asymmetrie zulasten der italienischen Sprachgruppe im Hinblick auf die strukturelle Minderheitensituation der anderen Sprachgruppen im gesamten Staatsgebiet gerechtfertigt wird.135 Die zuletzt genannte Bestimmung des Autonomiestatutes wurde durch das gesetzesvertretende Dekret des Präsidenten 266/1992 zu einem wichtigen Rechtsschutz der autonomen Gesetzgebung gegenüber der Staatsgesetzgebung ausgestaltet.136 Nach diesem Dekret werden Staatsgesetze, welche die Region oder die Provinzen binden, in Südtirol nicht – wie in anderen Regionen – unmittelbar wirksam, sondern müssen innerhalb von sechs Monaten durch Regional- oder Landesgesetz umgesetzt werden. Erst nach dieser Frist kann die Regierung mit der neuen staatlichen Regelung unvereinbare Landesgesetze vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art 97 Abs 2 Autonomiestatut anfechten, was in anderen Regionen nicht möglich ist. Damit ist einerseits eine Sicherung der autonomen Rechtsordnung gegen unkontrollierte Einwirkungen der staatlichen Rechtsvorschriften gewährleistet und anderseits der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Verhältnis konkurrierender Rechtsnormen gedient. Von besonderer Bedeutung ist auch, dass sich dieses Dekret nicht nur auf Staatsgesetze, sondern auch auf die staatliche Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis bezieht (Art 3 Abs 7) und auch autonome Programme und Finanzierungen von staatlichen Eingriffen schützt (Art 4 Abs 3). Die unmittelbare Anwendung auch dieser staatlichen Rechtsakte an Stelle der landesgesetzlichen Vorschriften ist ausgeschlossen; ihre Umsetzung hat in einem Verfahren des „loyalen Zusammenwirkens“ zu erfolgen.137
4. Der Inhalt der Autonomie a) Die unterschiedlichen Systembezüge Die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem italienischen (Zentral-)staat und der autonomen Provinz Bozen/Südtirol steht sehr deutlich unter zwei unterschiedlichen Systemgesetzen: Sie muss einerseits dem allgemeinen System des 135 136
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Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie, aaO 76. Vgl zum Folgenden Roberto Bin, Die asymmetrische Rechtsordnung der Provinz Bozen. Ursprung, Ursachen und Perspektiven, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 123 ff, 130 f. Roberto Bin, aaO 130.
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Der Inhalt der Autonomie
italienischen Regionalismus entsprechen; anderseits ist sie ein Instrument des ethnischen Minderheitenschutzes der deutschsprachigen Volksgruppe und steht in dieser Hinsicht auch unter dem Maßstab der völkerrechtlichen Schutzvorschriften, insbesondere des Pariser Abkommens (1946). Unter dem zuletzt genannten Gesichtspunkt kann auch noch geprüft werden, ob die autonomen Kompetenzen den politischen Vorstellungen der Volksgruppe entsprechen und daher eine Verwirklichung ihres (internen) Selbstbestimmungsrechtes darstellen. Unter europäisch-regionalistischen Gesichtspunkten wäre schließlich zu untersuchen, ob die Kompetenzen Südtirols dem eingangs dargestellten „föderalistischen Standard“ entsprechen138 und daher mit denen des Bundeslandes Tirol vergleichbar sind. b) Die Autonomie im italienischen Regionalismus Die heute geltende Fassung der Südtirolautonomie lässt sich nicht ohne Brüche in das italienische System des Regionalismus einordnen; sie gilt als „Besonderheit in der Besonderheit“ der italienischen Autonomien.139 Die erste Besonderheit ist die direkte Übertragung der wichtigsten Kompetenzen an die Autonome Provinz, sodass diese materiell im italienischen System den Status einer Region mit Spezialstatut hat, während die Region Trentino-Südtirol nach ihren Kompetenzen und der Struktur ihres politischen Systems eher dem Typus einer integrativen „Regionalgemeinschaft zweiter Ordnung“ entspricht.140 Zwar ist das Spezialstatut auch nach der Fassung 1972 formal noch immer ein solches der Region Trentino-Südtirol; inhaltlich sind aber fast alle Kompetenzen – teils schon nach dem Statut, teils nach den zahlreichen ergänzenden Durchführungsbestimmungen – zu den beiden Provinzen gewandert. Die allgemeine Typik dieser Kompetenzen entspricht dem System des italienischen Regionalismus: Die Autonomen Provinzen haben Kompetenzkataloge der primären, sekundären, delegierten und ergänzenden Gesetzgebung, die – wie bei den Regionen mit Spezialstatut – durch Aufzählung im Statut einzeln benannt werden, während die Allgemeinzuständigkeit („Residualkompetenz“) ursprünglich beim Staat verblieb.141 Nach der Verfassungsnovelle Nr 3/2001 soll dieses Verhältnis zwischen Generalklausel und Enumeration zwischen Staats- und Regionalkompetenzen umgekehrt sein (Art 117 Abs 2 138
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Vgl dazu die Ausführungen oben I.2.b („Funktionaler Föderalismus“ als Vergleichsrahmen). Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie, aaO 74. Vgl dazu die Reformkonzepte für die Region bei Gulio Andreatta, Peter Pernthaler, Roberto Toniatti (Hg), Proposte per l’adeguamento dello statuto della Regione (1999). Vgl dazu Art 8, 9 und 10 des Autonomiestatutes; die Allgemeinzuständigkeit des Staates ergab sich bis zur Verfassungsnovelle 2001, Nr 3 aus der Staatsverfassung; heute kommt sie nach der Übergangsbestimmung des Art 10 dieser Verfassungsnovelle den Autonomen Provinzen zu; vgl dazu die folgende FN.
Die Autonomie Südtirols
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und 4 Staatsverfassung), was aber für die Regionen mit Spezialstatut erst umzusetzen ist.142 Die Vollzugskompetenzen folgen im Allgemeinen den Gesetzgebungszuständigkeiten und kommen damit gleichfalls primär den Autonomen Provinzen zu, die sie teilweise an die Gemeinden delegieren.143 Dies steht – im Hinblick auf die Allgemeinzuständigkeit der Gemeinden – seit der Verfassungsnovelle Nr 3/2001 in Widerspruch zur allgemeinen Regionalverfassung Italiens; nach herrschender Auffassung wurde die Verwaltungszuständigkeit der Provinzen aber vorläufig durch eine besondere Verfassungsbestimmung für die Autonomien mit Spezialstatut aufrechterhalten.144 Aus der Formulierung dieser Übergangsbestimmung und dem Systemwiderspruch zu den Regionen mit Normalstatut ergeben sich aber schwierige Auslegungs- und Anwendungsprobleme der Verfassungsnovelle 2001, die durch eine Novellierung des Spezialstatutes – die allerdings sehr sensibel ist – behoben werden müssen.145 c) Die Autonomie als Sprachgruppenschutz Inhaltlich und in den Verfahrensvorschriften ihrer Handhabung und ihrer dynamischen Weiterentwicklung unterscheiden sich die Kompetenzen der Südtirolautonomie wesentlich von den übrigen Normal- und Spezialautonomien. Ihre „Besonderheit zweiten Grades“ ist die Ausrichtung an den Schutzzielen der deutschsprachigen Volksgruppe als Minderheit im italienischen Staat und an dem allgemeinen Schutz der Sprachgruppen in Südtirol nach dem Prinzip der „interethnischen Partnerschaft“. Die systematische Missachtung dieser besonderen inhaltlichen und verfahrensmäßigen Zielsetzungen führte bekanntlich zum Scheitern des ersten Autonomiestatutes (1948) als Instrument des Minderheitenschutzes und zum langwierigen Prozess seiner Reform bis zum Paketabschluss (1992). Nach dem Prozess der kooperativen Erarbeitung und Formulierung des neuen Statutes und seiner Durchführungsbestimmungen in paritätischen Kommissionen unter Beteiligung der Sprachgruppen, der Vertreter des italienischen Staates und der Schutzmacht Österreich kann man davon ausgehen, dass dabei das Subsidiaritätsprinzip jedenfalls als Verfahrensgrundsatz angewendet wurde und für die „Dynamisierung der Autonomie“ weiter angewendet werden soll. Als Verfahrensgrundsatz besagt das Subsidiaritäts142
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Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 235 unter Hinweis auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofes 236/2004; ähnlich Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie (20058) 158 f. Art 16 Abs 1 und 18 Abs 2 Autonomiestatut. Art 10 Verfassungsgesetz Nr 3/2001 sieht nur für „Erweiterungen“ der Autonomie der Autonomen Provinzen unmittelbare Anwendbarkeit der Verfassungsnovelle vor; die neue Allgemeinzuständigkeit der Gemeinden (Art 118 Staatsverfassung) ist aber eine Beschränkung der bisherigen umfassenden Landeskompetenzen der Verwaltung. Vgl dazu Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 253 f, 310 ff, 318 ff.
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Der Inhalt der Autonomie
prinzip, dass die Aufgabenzuordnung in einem föderalistischen System nur in einem koordinierten Verfahren entschieden werden kann, wobei der unteren Ebene eine ausreichende Mitwirkung an der Formulierung ihrer Zuständigkeiten gewährleistet sein muss.146 d) Überblick über die wesentlichen Kompetenzbereiche Die Kompetenzen des Landes werden unten147 geschlossen dargestellt. Hier sollen einige typologische Hinweise die Zusammenhänge der Zuständigkeiten mit der ethnopolitischen Identität der deutschsprachigen Volksgruppe einerseits und der territorialen Selbständigkeit der Region anderseits klären. aa) Ethnopolitische Kompetenzen Der Identität der Volksgruppe – allerdings im Kontext der ethnischen Partnerschaft der Sprachgruppen – dienen unmittelbar alle Zuständigkeiten die mit Kultur, Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit und bei den Behörden, Schutz und Pflege der geschichtlichen, künstlerischen und volklichen Werte, Medien, Schule und Erziehung zusammenhängen. Mittelbar gehören dazu aber auch wirtschafts- und sozialpolitische Zuständigkeiten, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Diskriminierung der Minderheit in Italien, dh gegenüber Angehörigen der italienischen Sprachgruppe, verhindern sollen. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang der geförderte Wohnbau,148 aber auch die Wirtschaftsförderung der Land- und Forstwirtschaft, des Fremdenverkehrs, des Handels und Gewerbes und des Handwerks, welche die einseitige Förderung der Industrie in den Ballungszentren ausgleichen soll, wie sie in der Vergangenheit als Instrument der Zuwanderung und Italienisierung der Bevölkerung betrieben wurde. Besonderes Gewicht kommt nach den negativen Erfahrungen der Vergangenheit auch dem verhältnismäßigen Anteil („ethnischer Proporz“) der Volksgruppe und der Sprachgruppen im öffentlichen Dienst (Verwaltung und Gerichtsbarkeit) und im politischen System des Landes zu.149 Allerdings hat sich die Bedeutung dieser ethnopolitisch begründeten Zuständigkeiten und Garantien in der Praxis der Autonomie sehr bald von der primären Schutzrichtung der deutschsprachigen Volksgruppe – wie dies im 146
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Zum Subsidiaritätsprinzip als Verfahrensgarantie vgl die Hinweise bei Peter Pernthaler, Asymmetrischer Föderalismus des systemübergreifenden Ordnungsrahmen, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtirolautonomie (2005) 97 ff, 99 ff. Vgl dazu den Landesbericht „Südtirol“ unten XI. B; vgl dazu auch Giuseppe Avolio/Leonhard Voltmer, Übersicht über die autonome Gesetzgebung, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtirolautonomie (2005) 135 ff. Giuseppe Avolio/Leonhard Voltmer, Übersicht, aaO 147. Vgl Art 89 und 50 Autonomiestatut und dazu: Giovanni Poggeschi, Der ethnische Proporz, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtirolautonomie (2005) 322 ff.
Die Autonomie Südtirols
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Pariser Abkommen (1946) vorgesehen ist – zu einer Garantie der ethnischen Partnerschaft und der verhältnismäßigen Beteiligung aller Sprachgruppen in Südtirol verschoben. Insofern ist auch die demokratische Mehrheitsherrschaft der deutschsprachigen Volksgruppe in der Provinz – die eines der vordringlichsten ethnopolitischen Anliegen der Autonomie war und ist – durch den ethnischen Proporz und die Schutzbestimmungen für die Gleichheit der Sprachgruppen relativiert.150 Eine ethnopolitisch außerordentlich bedeutsame Kompetenz, die Regelung der Ortsnamenfrage konnte aus diesen Gründen bis heute nicht realisiert werden, weil die damit verknüpfte Verpflichtung zur Zweisprachigkeit die Beteiligung der italienischen Sprachgruppe voraussetzt und diese bis heute darauf beharrt, dass die vom Faschismus eingeführte zwangsweise künstliche Italienisierung der deutschen Ortsnamen151 als „Zweisprachigkeit“ anerkannt werde, während in Wahrheit nur eine begrenzte Anzahl der Südtiroler Ortsnamen echte historische und im Kulturgut begründete Zweisprachigkeit in der Namensgebung aufweisen.152 bb) Regionalpoltische Kompetenzen Neben diesen primär ethnopolitischen Kompetenzen hat das Land eine Reihe typisch regionalpolitischer Ordnungshoheiten, die mittelbar natürlich auch der Volksgruppe zugutekommen, unmittelbar aber dem Land Südtirol als besondere territoriale Einheit (Gebietskörperschaft) und seiner gesamten Bevölkerung dienen. Dazu gehören vor allem Landschafts-, Naturschutz- und Umweltkompetenzen (Land- und Forstwirtschaft), Raumordnung, Baulandplanung, Infrastruktur und Verkehr (Straßen, Verkehrsunternehmen), Bergbau und Steinbrüche, Wasserbau und Wasserwirtschaft, Hygiene- und Gesundheitswesen, Krankenanstalten, Sozialfürsorge, Berufsbildung ua. Die angeführten Kompetenzbereiche sind teilweise durch Staatsgesetze und EU-Vorschriften eingeschränkt; in manchen Bereichen aber auch durch Delegation staatlicher Kompetenzen erweitert.
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Siehe zum besonderen Verhältnis von Mehrheits- und Konkordanzdemokratie in Südtirol die Ausführungen unten, VII. 2. d und e. Nach dem „Prontuario dei nomi locali dell’ Alto Adige“ von Ettore Tolomei; vgl dazu: Peter Hilpold, Die Regelung der Toponomastik in Südtirol, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtirolautonomie (2005) 386 ff. Vgl zur Ortsnamenproblematik im Einzelnen die Ausführungen unten, VIII. 4. d und im Landesbericht „Südtirol“, XI. B; Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie (20058) 227 ff sowie die Liste der historisch mehrsprachigen geographischen Namen in Südtirol, Anhang 2 dieser Untersuchung.
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Das Finanzsystem der Autonomie
cc) Kompetenzverflechtung Insgesamt lässt sich daher – wie in allen föderalistischen (regionalistischen) Systemen153 – auch in Südtirol ein starker Trend zur Kompetenzverschränkung mit übergeordneten Zuständigkeiten und Planungen feststellen.154 Die autonomen Kompetenzen nehmen dadurch auf weite Strecken die Funktion von Ausführungs-, Durchführungs- und Anpassungsvorschriften höherrangiger Normen und Planungen an; eine Tendenz, die sich zwar auch an nationalen Kompetenzen im Verhältnis zur EU feststellen lässt, für die ethno- und regionalpolitische Selbständigkeit des Landes aber besondere Probleme aufwirft, auf die noch gesondert eingegangen wird.155
5. Das Finanzsystem der Autonomie Eine Autonomie ohne ausreichende Selbständigkeit der Aufgabenfinanzierung ist rechtlich und politisch wertlos. Finanzwissenschaftlich unterscheidet man verschiedene Systeme föderalistischer (regionalistischer) Finanzsysteme, wobei nach heute herrschender Auffassung die verbundene Steuerwirtschaft mit einem überwiegenden Anteil des Abgabenteilungssystems wirtschaftspolitisch die optimale Lösung ist, weil sie genügend Finanzautonomie der Gebietskörperschaften, gleichzeitig aber auch den Wirtschaftssubjekten einheitliche Steuerbedingungen im Staatsgebiet sichert.156 Davon unabhängig ist die Ausgabenhoheit, das ist die selbständige politische Entscheidung über die Verwendung der öffentlichen Mittel („Budgethoheit“), die auch bei einem Abgabenteilungssystem, nicht aber bei einem Transfer(Dotations)system gesichert ist. Beim Abgabenteilungssystem hängt die finanzielle Selbständigkeit der Autonomie wiederum schwergewichtig davon ab, welche Autorität – Verfassung, einfaches Gesetz, Vereinbarung zwischen den Finanzausgleichspartnern – die Abgabenteilung und die Höhe der Anteile an den geteilten Abgaben bestimmt. Es ist nun höchst bemerkenswert, dass die Südtiroler Finanzautonomie nicht nur die volle Ausgabenhoheit umfasst und fast ausschließlich auf dem Abgabenteilungssystem und nicht auf einem Dotationssystem beruht, wie es an sich für den dezentralisierten Einheitsstaat typisch ist. Auch im schmalen Bereich des staatlichen Dotationssystems durch Regionalförderungen hat das 153
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Vgl dazu Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 433 ff („Kooperativer Föderalismus“) und 456 ff („Die negativen Auswirkungen übersteigerter Kooperation“). Guiseppe Avolio/Leonhard Voltmer, Übersicht, aaO 179: „Die Folge davon ist, dass praktisch jede ganzheitliche Regelung in verschiedene Kompetenzbereiche hineinspielt, sodass immer weniger die formale Frage nach ausschließlicher oder konkurrierender Gesetzgebungsbefugnis für diesen oder jenen Artikel eines Gesetzes gestellt wird, sondern häufig eine Zusammenarbeit der verschiedenen Regierungsebenen notwendig ist.“ Vgl dazu die Ausführungen unten, Punkt 6. (Die Südtirolautonomie und die EU). Peter Pernthaler, Österreichische Finanzverfassung (1984) 32 ff.
Die Autonomie Südtirols
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Land größere Ausgabenautonomie als die übrigen Regionen, weil nicht konkrete vorzulegende Vorhaben gefördert werden, sondern die zugewiesenen Mittel nur sektoral gebunden sind und nach der Landesverfahrensordnung durch das Land selbst autonom vergeben werden.157 Auch die Abgabenteilung ist rechtlich optimal abgesichert: Sie beruht entweder auf dem Statut als Verfassungsgesetz (Art 70 ff des Autonomiestatutes) oder aber auf dem Einvernehmen zwischen den Autonomen Provinzen und dem Staat in Form eines gemeinsam beantragten Staatsgesetzes (Art 104 Autonomiestatut). Die Rechtslage in Südtirol unterscheidet sich damit sehr wesentlich von der viel ungünstigeren Position des Bundeslandes Tirol nach der österreichischen Finanzverfassung.158 Wesentlich für die heutige günstige Ausgestaltung der Finanzautonomie Südtirols war die schrittweise Anpassung einer „Übergangsfinanzordnung“ an den fortschreitenden Ausbau der autonomen Kompetenzen im Zuge der Paketverwirklichung zwischen 1972 und 1988.159 Mit Hilfe einer relativ einfachen finanzmathematischen Formel des Südtiroler Anteiles an den gleichartigen Staatsausgaben erreichte man in dieser Zeit eine fast 44fache Erhöhung des veränderlichen Anteiles der abzutretenden Staatsabgaben (Art 78 des Autonomiestatutes). Da eine Reduktion der Finanzanteile angesichts der autonomen Aufgabenfülle nicht in Betracht kam, musste der Staat in der endgültigen Regelung160 neben den Landesabgaben einen hohen Anteil an den im Landesgebiet erhobenen und sich auf das Landesgebiet beziehenden Staatsabgaben an die autonome Provinz abtreten, wobei der feste Anteil an diesen im Jahre 2000 ca 75%, die Landesabgaben ca 12%, die Einkünfte auf Grund Vereinbarung 10,64% der Einkünfte des Landes ausmachten.161 Insgesamt umfasst der Landeshaushalt fast das ganze Abgabenaufkommen im Landesgebiet, sodass der Staat die Kosten der Staatsverwaltung im Land – die allerdings relativ gering sind (ca 10% des Landeshaushaltes) – aus den Einnahmen im übrigen Staatsgebiet finanzieren muss. Die Finanzlage des Landes ist daher sehr stark von der Wirtschaftslage des Landes abhängig, was den Grundregeln eines wettbewerbsorientierten „ökonomischen Föderalismus“ und „Fiscal Federalism“ entspricht.162 Gleichzeitig ist die Schutzwirkung dieser 157 158
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Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie (20058) 81 f. Finanzausgleich durch einfaches Bundesgesetz; hoher Anteil an Überweisungen, Abgabenteilung in einem hinkenden Drei-Partner-System mit den Gemeinden uva; vgl dazu Peter Pernthaler, Finanzverfassung, aaO 119 ff. Ines und Gennaro Pellegrini, Die Finanzverfassung der Autonomen Provinz Bozen, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 227 ff, 230 f; Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 66 ff. Staatsgesetz Nr 386 vom 30. 11. 1989. Ines und Gennaro Pellegrini, aaO 236; Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 93 ff. Dieter Bös, Eine ökonomische Theorie des Finanzausgleichs (1971); Erich Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus (1986).
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Die Südtirolautonomie und die EU
Regelung durch die Verankerung im Statut bzw in einem einvernehmlich beantragten Staatsgesetz gemäß Art 104 Autonomiestatut – und damit mittelbar auch im Pariser Abkommen – und durch den hohen Anteil an fixen Abgabenteilen sehr stark ausgeprägt. Der in dieser Finanzordnung begründete Staatsanteil für die Kosten der staatlichen Verwaltung im Land entspricht dem finanzverfassungsrechtlichen Prinzip der eigenen Kostenverantwortung der Gebietskörperschaften für die eigenen Aufgaben, das in jeder föderalistischen Finanzordnung gelten soll.163 Mit einer Subventionierung der Autonomie Südtirols oder der besonderen minderheitspolitischen Ziele dieser Autonomie hat diese Regelung nicht unmittelbar zu tun; wohl aber ist die zuvor dargestellte Gesamtstruktur der Finanzautonomie und ihre starke rechtliche Verankerung in diese Richtung zu deuten.
6. Die Südtirolautonomie und die EU Während das Völkerrecht seit dem Pariser Abkommen (1946) und seiner Konkretisierung durch das Paket und die Streitbeilegungserklärung (1992) als wichtige zusätzliche Garantie der Südtirolautonomie gilt, trifft dies auf das Europarecht nicht zu. Zunächst gibt es für Südtirol – zum Unterschied von einigen anderen autonomen Regionen164 – keine Verankerung von Sonderrechten im EU-Primärrecht. Anlässlich des Beitrittes Österreichs zur EU wurde ein entsprechender Vorbehalt nach dem Muster der Åland Inseln erwogen,165 konnte aber gegenüber dem Rechtsstandpunkt des Gründungsmitgliedes der EG Italien nicht durchgesetzt werden. Das dichte rechtliche Netz der (privilegierenden) Schutzbestimmungen und Sonderregelungen der Südtirol-Autonomie steht aber in einem nicht zu übersehenden Spannungsverhältnis zu den Grundprinzipien und sekundärrechtlichen Ausführungsnormen der auf Homogenität, Mobilität und territoriale Durchlässigkeit des Binnenmarktes aufbauenden EU. Diese Spannungen, die auch wissenschaftlich eingehend (kontrovers) untersucht wurden,166 sind erst mit dem Abschluss des Paketes und dem Ausbau der EU zum Binnen163
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Vgl dazu § 2 des österreichischen Finanz-Verfassungsgesetzes: „Der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften tragen, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt“; Felix Ermacora, Die bundesstaatliche Kostentragung gemäß § 2 F-VG (1979). Vgl Art 299 EG-Vertrag: Sonderregelungen für die Åland-Inseln, Azoren, Madeira und Kanarischen Inseln; Ausnahmen für die Faröer-Inseln, die Kanal-Inseln, die Insel Man und Zypern. Vgl dazu das sog „Åland Protokoll“ Nr 2 zum Beitrittsvertrag 1995. Vgl dazu die Hinweise bei Gabriel N. Toggenburg, Europas Integration und Südtirols Autonomie, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 449 ff.
Die Autonomie Südtirols
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markt und zur umfassenden rechtlichen und politischen Union in voller Schärfe bewusst geworden. Es geht vor allem um die Vereinbarkeit von Sonderregelungen im Bereich des Proporzes, des Sprachgruppenschutzes, der Ansässigkeitsklausel, der Volkszählung, des Wahlrechts, der Schule, der Wirtschaftsförderung, der Arbeitsvermittlung und um die Mitwirkung und Rechtsumsetzung durch die Provinz im Verhältnis zum Europarecht.167 Allerdings entwickelte sich ansatzweise auch im Rahmen der EU ein neues Bewusstsein für die Anliegen des Minderheitenschutzes als Zielsetzung der Union, das in ihrer Entwicklung zur politischen Union und den damit verbundenen Grundsätzen der Subsidiarität, des Schutzes von Identität und Kultur und der Bewahrung der Vielfalt in Europa begründet ist. Gleichzeitig hat sich aber auch die Autonomie Südtirols dynamisch weiterentwickelt und wurde in vielen rechtlichen Einzelheiten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben angepasst, sodass rechtliche Spannungen entschärft wurden. Dennoch bleiben Konfliktsfelder, weil der Minderheitenschutz auf europäischer Ebene noch wenig entwickelt ist168 und die Judikatur des europäischen Gerichtshofes zum hier maßgebenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schwankend und unvorhersehbar ist. Die beiden einschlägigen Urteile des EuGH zu Aspekten der SüdtirolAutonomie, die Fälle Bickel/Franz und Angonese,169 haben zwar einzelne Aspekte der Zweisprachigkeitsregelungen (gerichtliche Amtsprache und Zweisprachigkeitsprüfung) europarechtskonform ausgelegt, die Grundfragen der Autonomie und ihrer Sonderregelungen aber nicht berührt. Da der ethnopolitische Kern der Autonomie, nämlich der Schutz und die politische Selbstbestimmung der deutschen Volksgruppe gegenüber der italienischen Staatsnation, auch in einer, auf ethnischer Partnerschaft aufgebauten, „dynamischen“ Statutarverfassung Südtirols nicht aufgegeben werden kann, sind einer europarechtlichen Flexibilisierung des „dritten Autonomiestatus“ 170 unübersteigbare Schranken gesetzt. Die Judikatur des EuGH erkennt dies auch bereits in Ansätzen, vor allem im Zusammenhang mit der Pflicht zur Zweisprachigkeit im Verhältnis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU-Bürger, wobei keine besondere Prüfung (nach Art des Südtiroler „patentino“) verlangt werden darf, wenn die notwendigen Sprachkenntnisse anders nachgewiesen werden171 Auch die Zweisprachigkeit von Produktbezeichnungen im Handel, insbesondere von Arzneimit-
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Roland Riz/Esther Happacher, Verfassungsrecht, aaO 249 ff. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung stellte die geplante Verankerung des nationalen Minderheitenschutzes im Rahmen des Artikels über „die Werte der Union“ (Art I-2) des Verfassungsentwurfes von 2004 dar. EuGH Urteile vom 24. 11. 1998, Slg I-7637 und vom 6. 6. 2000, Slg I-4139. So: Gabriel N. Toggenburg, aaO 455. EuGH, Urteile Groener (1989) und Angonese (2000).
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Die Südtirolautonomie und die EU
teln172 könnte als Beschränkung der gemeinschaftsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit aufgefasst werden, wenn man die einschlägige Richtlinie der EU173 nicht autonomiefreundlich auslegt. Besondere Schwierigkeiten europarechtlicher Natur werfen die Regelungen über den „ethnischen Proporz“ auf, die man zu Recht als wichtiges „Herzstück“ der Südtirolautonomie nach dem Statut 1972 bezeichnet hat. Spannungsfelder ergeben sich insbesondere, wenn man den Proporz auf italienische Staatsbürger beschränkt, an Wohnsitzerfordernisse knüpft oder als verpönte „Quotenregelung“ für ausländische Arbeitnehmer auffasst. Die Südtiroler Praxis wendet aber seit 1995 den Proporz auch auf EU-Bürger an174 und Wohnsitzerfordernisse werden europarechtlich höchst unterschiedlich bewertet und auch gerechtfertigt175 Da der Proporz im Einzelfall nicht auf einer staatlichen Anordnung, sondern auf einer freiwilligen Erklärung über die eigene Zuordnung zu einer Sprachgruppe beruht, stellen die Proporzregelungen auch keine verpönten „Quoten“ für EU-Bürger dar, die im Verhältnis zu Südtiroler Bürgern Diskriminierungen oder Beschränkungen bewirken würden. Allerdings sind alle aus dem Rechtswert des Minderheitsschutzes abgeleiteten Rechtfertigungen europarechtlicher Sonderbehandlung der Südtirolautonomie letztlich von der Judikatur des EuGH abhängig und damit unvorhersehbar und unsicher.176 Es bleibt daher ein wichtiges rechtspolitisches Anliegen, eine klare primärrechtliche Verankerung der Autonomie im Rahmen der EU zu erreichen. Mit der zunehmenden Orientierung des Völkerrechts und des Europarechts an den Prinzipien der Subsidiarität, des Minderheitenschutzes und der substanziellen Gleichbehandlung bisher diskriminierter Gruppen scheint eine Verankerung der besonderen Südtirolautonomie im Rahmen der europäischen Regionalismusentwicklung durchaus möglich zu sein.
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Vgl dazu die Südtiroler Verordnung DPR 574/1988 in der Fassung gvD 283/2001, Art 14, Amtsblatt Nr 13/I-II vom 26. 3. 2002, über die Pflicht zu zweisprachigen Beipackzettel in der Provinz Bozen, die in der Praxis allerdings wenig wirksam wurde. Richtlinie 2001/83/EG vom 6. 11. 2001 über den Gemeinschaftskodex für Humanmedizin. LG vom 10. 8. 1995, Nr 16 Art 11. Gabriel N. Toggenburg, aaO 479 f. Vgl dazu Roland Riz/Esther Happacher, Verfassungsrecht, aaO 315 ff.
V. Die rechtliche Identität Gesamttirols 1. Der Untergang des Landes als einheitliche Gebietskörperschaft Seit der Annexion Südtirols durch Italien ist „Gesamttirol“ als einheitliches Land der ehemaligen Monarchie Österreich-Ungarn untergegangen. Alle Versuche, die Landeseinheit im Jahre 1918/19 auf republikanischer Basis zu erhalten,177 blieben ebenso erfolglos wie das Bemühen um Wiedervereinigung der Landesteile auf Grund der Selbstbestimmung für Südtirol im Jahre 1945/46.178 Wenngleich „Gesamttirol“ daher kein „Land“ im Sinne einer staats- oder völkerrechtlich begründeten Gebietskörperschaft mehr ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden, dass es nach wie vor eine Reihe von rechtlicher Grundlagen für die Identität des „Landes Tirol“ als übergreifende politgeographische Einheit des Bundeslandes Tirol und Südtirols (der Autonomen Provinz Bozen) gibt; eine Einheit, die in der gemeinsamen Geschichte der Landesteile und der dadurch geprägten ethnischen Struktur ihrer Bevölkerung begründet ist.
2. Die Verankerung der Landeseinheit in der Tiroler Landesverfassung a) Die Präambel der Tiroler Landesordnung Die Präambel zur Tiroler Landesordnung 1989179 lautet: „Der Landtag hat in Anerkennung des Beitritts des selbständigen Landes Tirol zum Bundesstaat Österreich, in Anerkennung der Bundesverfassung, im Bewußtsein, dass –
die Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe,
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die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes,
–
die Freiheit und Würde des Menschen,
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Richard Schober, Die Tiroler Frage auf der Friedenskonferenz von Saint Germain (1982); Ernst Eigentler, Tirol im Inneren während des Ersten Weltkrieges, Phil. Diss Innsbruck (1964); Florian von Ach, Das Nachwirken des Tiroler Unabhängigkeitsgedankens in der neutralen Republik Tirol von 1918 bis zur Europäischen Region Tirol, Jur. Diss Innsbruck (2004). Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 40 ff. LGBl 1988/61 in der Fassung LGBl 2003/125.
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Die Verankerung der Landeseinheit in der Tiroler Landesverfassung
die geordnete Familie als Grundzelle von Volk und Staat
die geistigen, politischen und sozialen Grundlagen des Landes Tirol sind, die zu wahren und zu schützen oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und der Verwaltung des Landes Tirol sein muß, beschlossen.“ Diese Präambel geht inhaltlich auf einen Landtagsbeschluss des Jahres 1960 zurück (9. 2. 1960), der den geistigen Gehalt des Gedenkjahres 1959 als Grundlage der politischen Identität Tirols für die Gegenwart und Zukunft verfassungspolitisch festschreiben wollte. Landtagspräsident Obermoser formulierte dieses Motiv des Landtages wie folgt:180 „Das Gedächtnis an 1809 wäre sinnlos, wäre es nicht vom Willen getragen, das innere Vermächtnis unserer Heldenväter in Gegenwart und Zukunft in Treue zu verwirklichen. Zu diesem Zweck soll nach dem Abschluß aller Gedächtnisfeierlichkeiten der Inhalt dieser Vermächtnisse an einer Stelle niedergeschrieben und festgehalten werden, die der Angelpunkt ist für die gesamte Rechtsordnung, die Gesetzgebung und Vollziehung unseres Landes, in der Tiroler Landesverfassung.“ Nachdem diese Präambel im Jahre 1980 im Landesgesetzblatt in erweiterter Form publiziert wurde,181 stellte sie der Landtag im Jahre 1989 im Wesentlichen unverändert der gesamterneuerten Landesordnung voran.182 Für die Verankerung der Landeseinheit als Grundbedingung der rechtlichen und politischen Identität des Landes sind vor allem drei Erklärungen der Präambel ausschlaggebend: •
Die Betonung der „Selbständigkeit des Landes im Bundesstaat“
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die Berufung auf das „geschichtliche Erbe“
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„die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes“.
Diese drei Elemente der Wertentscheidung für die Landeseinheit sollen im Folgenden in ihrer staatstheoretischen und verfassungsrechtlichen Bedeutung näher untersucht werden. b) Die Selbständigkeit des Landes und der Beitritt zum Bundesstaat Der föderalistische Teil der Präambel soll hier nur soweit kurz charakterisiert werden, als es zum Verständnis des zweiten Teiles erforderlich ist: Es steht dahinter der staatstheoretische Streit um das Wesen und die Entstehung des
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Sten Ber des Tiroler Landtages, IV. Periode, 25. Tagung, 2. Sitzung (9. 2. 1960), 13 f. LGBl 1980/48; diese Verfassungsnovelle erweiterte die Präambel um die föderalistischen Deklarationen über die Selbständigkeit des Landes Tirol, den Beitritt zum Bundesstaat Österreich und die Anerkennung der Bundesverfassung. Tiroler Landesordnung 1989, LGBl 1988/61; vgl dazu Peter Pernthaler, Die Präambel zur Tiroler Landesordnung. Ein Beitrag zur verfassungsrechtlichen GrundwerteFormulierung, in: FS Kostelecky (1990) 143 ff.
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Bundesstaates.183 Die Landesverfassung ergreift klar Partei für die ursprüngliche und unabgeleitete Begründung der Landes-Staatsgewalt im Landesvolk (Art 1 Abs 3 Landesordnung), das die „Selbständigkeit des Landes Tirol“ konstituiert, aber auch den „Beitritt zum Bundesstaat Österreich“ vollzieht und damit auch die Bundesverfassung anerkennt und dadurch mit-konstituiert.184 Eine Bundesverfassung „begründet“ nach dieser Auffassung die Selbständigkeit der Länder nicht, sondern ist umgekehrt von dieser Selbständigkeit ständig mitgetragen. An der Wurzel dieser Selbständigkeit des Landes steht also nicht eine „Dezentralisation“ der einheitlichen Staatsgewalt (zentralstaatliche Souveränität), sondern das politische und staatrechtliche Selbstbestimmungsrecht des Landesvolkes, das sich für die bundesstaatliche Integration und Selbstregierung entschieden hat und ständig neu entscheidet. Maßgeblich für die Begründung der Selbständigkeit des Landes und des freiwilligen Beitrittes zum Bundesstaat sowie der Anerkennung der Bundesverfassung im „freien Selbstbestimmungsrecht des Landes“ sind vor allem zwei Entschließungen des (frei gewählten) verfassungsgebenden Landtages Tirols, nämlich •
die Entschließung des Tiroler Landtages vom 27. 9. 1919 über die staatsrechtliche Stellung Tirols in seinen Beziehungen zur Republik Österreich,185 und
•
die Entschließung des Tiroler Landtages vom 25. 11. 1920, betreffend Wahrung des Selbstbestimmungsrechts und Anerkennung der Bundesverfassung.186
Für den zweiten Teil der Präambel hat diese föderalistische Erklärung insofern grundlegende Bedeutung, als dadurch klargestellt wird, dass die obersten politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Wertvorstellungen des Landesvolkes autonom sind. Sie unterliegen als solche keiner zentralstaatlichen Erlaubnis oder Genehmigung, sondern beanspruchen umgekehrt durch den Beitritt zum Bundesstaat ihre Gewährleistung in der Verfassungsautonomie und den Schutz durch eine sie achtende Bundesstaatsgewalt.187 Föderalistische Selbständigkeit im Sinne der Tiroler Landesordnung heißt also Anerkennung 183
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Vgl dazu: Peter Pernthaler, Die Staatsgründungsakte der österreichischen Bundesländer (1979); derselbe, Land, Volk und Heimat als Kategorien des österreichischen Verfassungsrechts (1982); dagegen: Friedrich Koja, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, in: Ernst Hellbling/Theo Mayer-Maly/Herbert Miehsler (Hg), Föderative Ordnung III (Theorie und Praxis des Bundesstaates) 61 ff; Rudolf Thienel, Ein „komplexer“ oder normativer Bundesstaatsbegriff, ÖZÖR 42 (1991) 215 ff; Theo Öhlinger, Der Bundesstaat zwischen Reiner Rechtslehre und Verfassungsrealität (1976). Ausführlich dazu: Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 15, 27 f. Sten Ber des verfassungsgebenden Tiroler Landtages 18. Sitzung, 428. Sten Ber des verfassungsgebenden Tiroler Landtages, 52. Sitzung, 1347; beide Entschließungen sind abgedruckt bei: Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 73 f. Vgl dazu Art 51 und 52 der Schweizer Bundesverfassung 1999: Der Bund gewährleistet und schützt die verfassungsmäßige Ordnung der Kantone.
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und Schutz der Identität des Landes(volkes), die ihrerseits durch die in derselben Präambel angeführten Grundwerte konstituiert wird. Der zweite Teil der Präambel enthält seit seiner erstmaligen Formulierung (1960) dieselben obersten Wertvorstellungen als „Grundlagen“ des Landes Tirol und oberste Verpflichtung der Wahrung und des Schutzes durch die Landesstaatsgewalt. Diese Wertvorstellungen werden als „die geistigen, politischen und sozialen Grundlagen des Landes Tirol“ bezeichnet und drücken damit bereits ein Menschen- und Gesellschaftsbild aus, das die vielfältige Schichtung der menschlichen Individualität und einer sie respektierenden politischen und staatsrechtlichen Ordnung ernst nimmt: Der Mensch und seine Beziehungen zum Land als Heimat werden nicht nur durch individuelle Bewusstseinsprozesse, durch Nahebeziehungen und gesellschaftliche Funktionen oder durch Machtbeziehungen festgelegt, sondern durch ein unentwirrbares Geflecht aller dieser und noch tieferer ontologischen Schichten begründet, die ihn zu sich selbst als je einmalige Persönlichkeit und zum Bürger eines geschichtlich je einmaligen Volkes in einer dies alles prägenden besonderen Landschaft188 machen. Eine Präambel, die nicht diese Vielschichtigkeit des Menschen und seiner gesellschaftlichen Beziehungen ernst nimmt, sie sprachlich zu formulieren und rationalisieren versucht, erreicht niemals die wahren Dimensionen der politischen Existenz und des Selbstbehauptungswillens eines Volkes.189 c) Die Berufung auf das „geschichtliche Erbe“ Für die Verankerung der Landeseinheit hat die Verbindung zur Geschichte deshalb besondere Bedeutung, weil die Grenzen des „ganzen Landes“ heute nur mehr historisch begründbar sind. Dass die historisch begründete Sprachgrenze Südtirols aber heute noch maßgeblich für den völkerrechtlichen Schutz der Autonomie und die verfassungsrechtliche Abgrenzung der Provinz Bozen-Südtirol ist,190 zeigt dass die historischen Grenzen des „ganzen Landes“ durchaus heute noch rechtliche Bedeutung haben. Hier wie insgesamt darf die Verpflichtung zum „geschichtlichen Erbe“191 nicht als ein rein traditionalistischer, intoleranter politischer Fundamentalismus missverstanden werden.
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Über den Zusammenhang zwischen Landschaft und politischem Bewusstsein, Status und Volkscharakter (der bis in die Welt der Mythen und Sagen reicht) siehe Hans R. Klecatsky, Region und Landschaft, in: FS Hellbling (1981) 241 ff; Emil Egli, Mensch und Landschaft (1975); Hans Marti, Urbild und Verfassung (1945); Josef Matznetter (Hg), Politische Geographie (1977). So treffend: Peter Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS Johannes Broermann (1982) 212 ff (232); Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre (1986) 43. So mit besonderem Nachdruck: Roland Riz/Esther Happacher, Verfassungsrecht, aaO 245 und 321. Im ursprünglichen Text der Präambel vom 9. 2. 1960 lautete die Formulierung noch „zum Erbe der Väter“, was ein traditionalistisches Verständnis besonders nahe legte.
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Die Präambel sucht dieser Gefahr dadurch entgegenzuwirken, dass sie ausdrücklich die Freiheit und Würde des Menschen als obersten Wert der poltisch-staatsrechtlichen Ordnung im Lande verankert192 und in der Landesverfassung selbst – die ja mit der Präambel zusammen zu sehen und auszulegen ist – wird der liberale Grundzug der Verfassung ausdrücklich vertieft.193 Außerdem würde „Treue“ als menschliche Haltung und sittlicher Wert gründlich missverstanden, wenn man darunter ein starres Festhalten an äußeren Formen und Gebräuchen verstünde: Erst in der lebendigen Auseinandersetzung mit ständig wechselnden Situationen und Anforderungen kann der Mensch Treue zu religiösen und geschichtlichen Überlieferungen entwickeln und sich darin als Identität finden. Für ein Volk – konfrontiert mit immer überstürzteren zivilisatorischen und massen-kommunikatorischen Entwicklungen – kann nichts anderes gelten. Starrheit und Blindheit gegenüber den Zeitproblemen ist keinesfalls jene „Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe“, welche die Präambel als Bedingung der politischen Identität und des politischen Lebens einer zukunftsoffenen Gemeinschaft im Auge gehabt hat.194 So darf denn auch das in der Präambel angesprochene „geschichtliche Erbe“ Tirols nicht nur in folkloristischer Brauchtumspflege oder denkmalschützerisch gesehen werden, sondern bedeutet heute vor allem auch die Bewahrung der hochsensiblen Gebirgslandschaft und ihrer bedrohten ökologischen Systeme für kommende Generationen. Auch darin, in der jahrhundertealten gemeinschaftlichen Pflege der ständig bedrohten Böden und Wälder im Gebirge, liegt ein Wesensmerkmal Tirols und seiner charakteristischen Rechtsverhältnisse,195 die es zu erhalten und zeitgemäß weiter zu entwickeln gilt. Dass hier dramatische Auseinandersetzungen zwischen Landwirtschaft und 192
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Ausdrücklich auf diese „Balance“ weist Peter Häberle, „Gott“ im Verfassungsstaat, in: FS Zeidler, Bd 1 (1987) 3 ff, 11, hin; in den Debatten anlässlich der Formulierung der Präambel hat insbesondere der (sozialistische) Abg Dr. Kunst auf die Bedeutung des liberalen Elementes „Freiheit und Menschenwürde“ hingewiesen (Sten Ber IV. GP/25 Tagung, 2. Sitzung, 13 f). Vgl dazu insbesondere Art 7 der Landesordnung 1989 („Ziele und Grundsätze des staatlichen Handelns“) und die übrigen landesverfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte; zusammenfassend: Alois Partl, Die Verwirklichung liberaler Grundprinzipien in der neuen Tiroler Landesverfassung, in: Festschrift des Österreichischen Gewerbevereins zum 150. Bestandsjubiläum (1990) 74 ff. Die Debatten im Landtag des Jahres 1960 und 1980 (Stenographische Berichte, IV. GP, 25. Tagung, 2. Sitzung und 9. GP, 6. Tagung, 1. Sitzung) belegen vielmehr, dass es gerade um eine Sicherung der Aktualität des historischen Erbes unter drastisch gewandelten gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen durch verfassungsrechtliche Verankerung von Grundwerten gegangen ist. Vgl etwa die agrar- und forstrechtlichen Sonderrechte in Tirol und die darin verankerten, vor allem auf Gemeinschaftsnutzung und „Nachhaltigkeitsprinzip“ ausgerichteten Wirtschaftsformen; dazu Eberhard Lang, Die Teilwaldrechte in Tirol, 1978; derselbe, Tiroler Agrarrecht I, 1989; derselbe, Aspekte einer Rechtlichen Zeitgeschichte in Tirol, in: FS Pernthaler (2005) 189 ff; Helmut Schwamberger, Bemerkungen zum Alpschutz, JBl 1985, 276 ff.
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Naturschutz, zwischen ökonomischem Verbrauch und reservathafter Konservierung der Landschaft in der Wertformel der Präambel verborgen liegen, sei nicht verschwiegen: Sie gehören zur politischen Aneignung und Entfaltung eines „historischen Erbes“ in jeder Generation! d) Die Verankerung der „Einheit des ganzen Landes“ Schon äußerlich an hervorragender Stelle, nämlich unmittelbar nach der „Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe“ verankert die Landesverfassung das „Herzensanliegen unseres Volkes, die Landeseinheit“196 Die Landesverfassung kann die politische oder staatsrechtliche Einheit des Landes, welche die historische Identität des „Landes im Gebirge“ durch Jahrhunderte geprägt hat, nicht einmal fordern, geschweige denn gewährleisten. So verweist sie denn auf eine „geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes“, die es als obersten Wert zu bewahren gilt. Die Präambel unterscheidet sich in dieser Formulierung sehr deutlich vom seinerzeitigen Wiedervereinigungsgebot der Präambel des deutschen Grundgesetzes oder der Verfassung des Kantones Jura: Sie enthält nicht den Auftrag zur Herstellung der politischen Einheit oder zu irgendeiner Form der Grenzrevision, sondern zur Erhaltung einer als bestehend vorausgesetzten geistigen und kulturellen Einheit der Landesteile und ihrer Bevölkerung.197 Auch dieser Auftrag ist historisch-dynamisch zu verstehen: Die „kulturelle Einheit“ Tirols kann heute nicht – noch weniger als in der Geschichte – ohne Achtung und Integration der ladinischen und italienischen Minderheiten (in Südtirol) und ihrer kulturellen Ansprüche verstanden werden. Die „geistige Einheit“ der immer mehr auseinander driftenden Landesteile (oder schon „Länder“) aufrechtzuerhalten, ist ein außerordentlich mühsames und anspruchsvolles politisch-kulturelles Zielbündel, das vom Land alleine schon auf Grund der Kompetenzverteilung niemals bewältigt werden könnte. Dennoch bleibt es im Sinne der Präambel eine dauernde Verpflichtung der Nordtiroler Staatsgewalt, dieser Einheit im Grundsätzlichen ebenso wie in alltäglichen Ordnungsproblemen Rechnung zu tragen. Die grenzregionale Zusammenarbeit im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses kann hier vielfältig unterstützen und wurde auch von Tirol stets in dieser Absicht gefördert.198
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Landtagspräsident Obermoser, in: Sten Ber Tiroler Landtag, IV. Periode, 25. Tagung, 2. Sitzung (9. 2. 1960) 13 f: „Der zweite Teil zählt die obersten Werte unserer Tiroler Rechtsordnung auf, wobei das Herzensanliegen unseres Volkes, die Landeseinheit, an die Spitze gestellt ist …“; im selben Sinne äußerten sich alle anderen Debattenredner. So sehr deutlich Obermoser, in: Stenographische Berichte aaO: „Indem ausdrücklich nur von der kulturellen Einheit die Rede ist, sind völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken hinfällig …“. Vgl dazu die Entwicklung und die Zielsetzung der „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP)“ sowie die Bemühungen um grenzregionale Zusammenarbeit im Rahmen des Europarates; vgl dazu Hans R. Klecatsky, Europäischer Regionalismus
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Am Vorabend des Beitrittes Österreichs zur Europäischen Union hat der Tiroler Landtag – neuerlich unter ausdrücklicher Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht – klargestellt, dass er „die Einheit des ganzen Landes“ nach wie vor auf die geschichtliche Einheit von Nord-, Ost- und Südtirol bezieht.199 Der Text dieses wichtigen Dokumentes der Erläuterung, Klarstellung und Aktualisierung der Präambel lautet wie folgt: „In der Präambel zur Tiroler Landesverfassung 1989 bekennt sich der Tiroler Landtag zur geistigen und kulturellen Einheit des ganzen Landes. Der Tiroler Landtag stellt dazu fest, dass sich die geistige und kulturelle Einheit damit auf Nord-, Ost- und Südtirol, also auch auf die derzeitige Autonome Provinz Bozen bezieht. Der Tiroler Landtag bekennt sich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entschließung des Nationalrates vom 5. Juni 1992 (Sten Prot XVIII. GP S 7856, 542 BlgNr XVIII. GP) zur Wahrung und Entfaltung des fundamentalen und unveräußerlichen Menschenrechts der Selbstbestimmung, wie dies im jeweiligen Art 1 Abs 1 der Menschenrechtspakte sowie der KSZE-Schlußakte von Helsinki zum Ausdruck kommt. Der Tiroler Landtag geht davon aus, dass die völkerrechtliche Schutzfunktion Österreichs in bezug auf Südtirol in ihrem gesamten Umfang durch den EU-Beitritt nicht berührt wird.“ e) Die rechtliche Bedeutung der Präambel Die rechtliche Bindungswirkung der Präambel ist differenziert zu sehen.200 Die oben dargestellten föderalistischen Teile (Selbständigkeit, Beitritt zum Bundesstaat, Anerkennung der Bundesverfassung) enthalten – was schon aus ihrer sprachlichen Formulierung hervorgeht – staatspolitische und staatsrechtliche Voraussetzungen der Verfassungsgebung des Landes und proklamieren daher – als Grundlage der Landesverfassung – die selbständige verfassungsgebende Gewalt des Landes (pouvoir constituant), die als solche vor der eigentlichen Verfassungsgesetzgebung liegt. Dagegen enthalten die vier Teile, welche die „geistigen, politischen und sozialen Grundlagen des Landes“ formulieren, schon nach ihrer sprachlichen Formulierung eine „oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und Verwaltung“, sie zu „wahren und schützen“ und sind daher normativ verbindliche
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und Raumplanung, JBl 1972, 241 ff; Fried Esterbauer (Hg), Regionalismus. Phänomen, Planungsmittel Herausforderung für Europa, 1979; Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Der Föderalismus im Alpenraum, 1982; Ulrich Beyerlin, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, 1988; ausführlich dazu unten, V. 5 und VII. 3. Entschließung des Tiroler Landtages vom 23. 11. 1994, Sten Ber des Tiroler Landtages XII. 2. Tagung, 2. Sitzung, S 19. Ebenso: Peter Häberle FS Broermann, aaO 224 ff, 240 ff.
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Staatszielbestimmungen oder Staatsgrundsätze.201 Besonders klar ist dies dort, wo die Landesverfassung in ihren Bestimmungen Teile der Präambel aufnimmt und konkretisiert. Dies trifft insbesondere auch auf die Verankerung der „Einheit des ganzen Landes“ zu, die in der Formulierung des territorialen Geltungsbereiches der Landesverfassung (Art 2 „Landesgebiet“) eine deutliche Entsprechung findet.202 Dass der historische Verfassungsgesetzgeber nicht nur seine „Motive“ für die Verfassungsgebung bekannt machen wollte, sondern unmittelbare Bindungswirkungen im Verfassungsrang festgelegt hat, ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Präambel, sondern auch aus den parlamentarischen Materialien.203 Die – an Art 1 des deutschen Grundgesetzes anklingende – Formulierung der Präambel, dass die in ihr verankerten Werte „zu wahren und zu schützen“ seien, richtet sich gegen eine verengte liberale Betrachtungsweise der Präambel als reine Abwehrgarantien gegen Missbräuche der Staatsgewalt und soll die umfassende Geltung dieser Werte in der Gesellschaft und Rechtsordnung des Landes durch staatlichen Schutz und staatliche Gestaltung sicherstellen.204 Wie alle Staatszielbestimmungen richten sich die Anordnungen der Präambel primär an die obersten Staatsorgane und sollen Politik, Verfassungsanwendung und Verfassungsauslegung, aber auch die Gesetzgebung, Budgetierung, Hoheits- und Förderungsverwaltung durch ihre Zielsetzungen „final determinieren“ (steuern).205 f) Die außerjuristische Bedeutung der Präambel Verfassungen sind Ausdruck einer bestimmten Verfassungskultur und Verfassungsgesinnung;206 als solche sind sie eingebettet in die gesamte politische Kultur eines bestimmten Volkes in einer konkreten historischen und geopolitischen Situation. Insofern ist die Präambel der Tiroler Landesordnung die be-
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Peter Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht (2004) 475. Siehe dazu die Ausführungen unter Punkt g (Die „vorläufige“ Festlegung des Landesgebietes). Sehr treffend hat diese bindende (normative) Funktion der Präambel Landtagspräsident Obermoser, in: Stenographische Berichte aaO zum Ausdruck gebracht: „Wenn der Tiroler Landtag die Verpflichtung zur Wahrung und zum Schutz dieser Existenzgrundlagen des Landes an die Spitze der Rechtsordnung setzt, so verleiht er nicht nur dem Wesen seiner einzigartigen Jubiläumsfeier den verfassungsgesetzlichen Ausdruck, sondern bindet seine Gesetzgebung und Vollziehung unmittelbar an ihre wesentlichste Aufgabe.“ Vgl dazu: Friedrich Lehne, Grundrechte achten und schützen? JBl 1986, 341 ff und 424 ff, insbes 435. Vgl dazu Karl Weber, Die Konkretisierung verfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen am Beispiel jener über den umfassenden Umweltschutz, in: FS 75 Jahre Bundesverfassung (1995) 709 ff. Peter Pernthaler, Die Verfassungsautonomie der österreichischen Bundesländer, JBL 1986, 477 ff, 482 f.
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sondere Artikulation der ihr eigenen Verfassungskultur und ihrer prägenden Grundlagen. Verfassungen haben aber außer ihrer juristischen Bedeutung vor allem auch edukative und integrative Funktionen: Sie sollen die Verfassungsgesinnung eines Volkes prägen und so seine politische Identität auf geistiger Ebene mitbegründen und tragen.207 Zu diesem Zweck formulieren Verfassungen Grundziele und Grundwerte, indem sie den politischen Konsens darüber normativ verankern. Eine Entfaltung dieser Funktion der Verfassung setzt allerdings normativ denkende Menschen voraus, die „sich geistige Unabhängigkeit, Werteinsicht und unversehrte Intentions- und Initiativmöglichkeiten bewahrt haben“.208 Ob die Tiroler Präambel die Verfassungs- und Staatspraxis des Landes prägt, ist also nicht zuletzt auch ein Indiz für das Maß an normativer Gesinnung und Werteinsicht in diesem Lande. Auch die verbindliche Anordnung, „die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes … zu wahren und zu schützen“, teilt dieses normative Schicksal der Präambel zur Tiroler Landesordnung. g) Die „vorläufige“ Festlegung des Landesgebietes durch die Landesverfassung Die ursprüngliche Fassung der Tiroler Landesordnung, LGBl 1921/145, die durch das LVG vom 31. 1. 1946, LGBl 1946/1, wieder in Wirksamkeit gesetzt und durch LGBl 1946/2 und 1953/24 wiederverlautbart wurde hatte, in § 2 Abs 1 den vorläufigen Charakter der verfassungsrechtlichen Festlegung des Landesgebietes besonders deutlich wie folgt formuliert: „Das Land Tirol umfasst – vorbehaltlich der endgültigen Festsetzung seiner Grenzen durch Staatsvertrag – derzeit die politischen Bezirke Imst, Innsbruck, Kitzbühel, Kufstein Landeck, Lienz, Reutte, Schwaz und den Stadtbezirk Innsbruck“. Aber auch in der geltenden Fassung der Landesordnung 1989 formuliert Art 2 Abs 1 noch immer klar, dass die Landesverfassung das Landesgebiet nur vorläufig festlegt. Die Bestimmung lautet: „Das Landesgebiet umfasst derzeit das Gebiet der politischen Bezirke Imst, Innsbruck-Land, Innsbruck-Stadt, Kitzbühel, Kufstein, Landeck, Lienz, Reutte und Schwaz“. Diese Formulierung nimmt zwar einerseits Rücksicht auf die völkerrechtliche Festlegung der „Brennergrenze“ durch die Staatsverträge von Saint Ger207
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Dietrich Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur, 19674, 94; Peter Häberle, FS Broermann, aaO 231 ff; zur „edukativen“ Funktion des Kärntner UmweltVerfassungsgesetzes vgl die treffenden Ausführungen von Ralf Unkart, Normenadressat und Norminhalt als Kriterium der Legistik, in: Theo Öhlinger (Hg), Recht und Sprache, 1986, 177 ff. Hans Huber, Das Recht im technischen Zeitalter, in: derselbe, Rechtstheorie – Verfassungsrecht – Völkerrecht. Ausgewählte Aufsätze, hg von Kurt Eichenberger/Richard Bäumlin/Jörg Paul Müller, 1971, 57 ff (70 f).
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main (1919) und Wien (1955) und ihre Bestätigung durch das Pariser Abkommen (1946) und die Streitbeilegungserklärung (1992). Anderseits hält sie durch die „vorläufige“ verfassungsrechtliche Festlegung des Landesgebietes eine Änderung der Landesgrenze durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Südtiroler Volkes – und damit die „geistige Einheit des ganzen Landes“ – ausdrücklich offen. Bis heute hat kein Akt des Tiroler Landesverfassungsgesetzgebers die „Brennergrenze“ als endgültige Grenze des Landes Tirol anerkannt und damit in seinem kompetenzrechtlich und völkerrechtlich beschränkten Wirkungsbereich (Art 99 Abs 1 B-VG) an der „Einheit des ganzen Landes“ unverbrüchlich festgehalten.
3. Die Verankerung der Landeseinheit in der Bundesverfassung a) Gewährleistung der Identität des Landes Die österreichische Bundesverfassung enthält zwar – anders als die Schweizer Bundesverfassung209 – keine ausdrückliche Garantie des Bestandes der Länder und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung. Allerdings bedeutet schon die bundesstaatliche Struktur der Verfassung, dass die Identität der Länder als Voraussetzung der verfassungsmäßigen Ordnung anerkannt wird. Art 2 Abs 2 B-VG drückt dies so aus, dass „der Bundesstaat aus den selbständigen Ländern (die einzeln namentlich aufgezählt werden) gebildet wird“. Diese Formulierung erinnert einerseits an die historische Entstehung des Bundesstaates, die zweimal (1918–1920 und 1945) aus dem Zusammenschluss der selbständigen Länder mit der Zentralgewalt des Bundes erfolgte.210 Anderseits bedeutet diese Aussage aber auch, dass der Bundesstaat in jedem Augenblick seines Bestandes sowohl von der verfassungsgebenden Gewalt des Bundesvolkes als auch von der unabgeleiteten Verfassungsautonomie der Länder getragen wird.211 Infolge dessen sind die Länder auch nicht durch einen einseitigen Akt des Bundes – nicht einmal durch eine Gesamtänderung der Bundesverfassung nach Art 44 Abs 3 B-VG – in ihrem Bestand, ihrem Territorium (Art 3 Abs 2 B-VG) und ihrer Identität zu beseitigen.212 Für Tirol als Land des Bundesstaates Österreich bedeutet dies im Konkreten Folgendes: Das Land ist 1918/1920 und 1945 dem Bundesstaat auf Grund des freien Selbstbestimmungsrechtes und der darauf gründenden Verfassungs209
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Vgl Art 51–53 der Schweizer Bundesverfassung 1999: „Bundesgarantien“ der Verfassungen, des Bestandes und des Gebietes der Kantone. Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 19 ff und 35 ff. Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 58 f und 63. Peter Pernthaler/Fried Esterbauer, Die Entstehung des österreichischen Bundesstaates als geschichtlicher Vorgang und als staatstheoretisches Problem, in: Montfort (Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwartskunde Vorarlbergs) 1973, 128 ff.
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autonomie als selbständiges Land beigetreten, wie die Landesverfassung noch heute klar genug ausdrückt.213 Seit dem Jahre 1918 hat das republikanische Land Tirol ständig daran festgehalten, dass die Landeseinheit „des ganzen Landes“ – also einschließlich Südtirols – die Grundlage im Selbstbestimmungsrecht des Tiroler Volkes habe, das nur „derzeit“ aus rechtlichen und faktischen Gründen nicht ausgeübt werden könne. Die Tiroler Landesordnung hat dies – wie oben aufgezeigt wurde – seit 1921 formell immer wieder rechtlich zum Ausdruck gebracht und in dieser verfassungsrechtlichen Struktur ist das Land dem Bundesstaat beigetreten und bis heute als „selbständiges Land Tirol“ Träger der Bundesverfassung nach Art 2 B-VG. Auch das verfassungsrechtlich absolut geschützte Landesgebiet nach Art 3 Abs 2 B-VG steht unter diesem Vorbehalt des Selbstbestimmungsrechtes des Tiroler Volkes und ist daher nur „derzeit“ durch die Nord- und Osttiroler Bezirke begrenzt (Art 2 Landesordnung 1989). In dieser – die Landeseinheit des „ganzen Landes“ rechtlich wahrenden Form – ist Tirol auch Teil des Bundesgebietes, das „die Gebiete der Bundesländer umfasst“ (Art 3 Abs 1 B-VG). Damit lastet die Verantwortung für die Wahrung und den Schutz der „geistigen und kulturellen Einheit des ganzen Landes“, die im Selbstbestimmungsrecht des Tiroler Volkes begründet ist, wie eine unaufhebbare Hypothek auch auf dem Territorium der Republik Österreich als Bundesstaat. b) Projekt einer Südtirol betreffenden Staatszielbestimmung Österreich ist auf Grund der im nächsten Punkt aufgezeigten völkerrechtlichen Verankerung „Schutzmacht Südtirols“ im Sinne einer Garantiefunktion der auf dem Zweiten Autonomiestatut (1972) und der „Paketlösung“ beruhenden Autonomie der Provinz Bozen-Südtirol. Im österreichischen Bundesverfassungsrecht ist aber bis heute weder das Pariser Abkommen (1946) noch seine Fortentwicklung durch die Streitbeilegung (1992) verankert. Diesbezüglich gibt es nur eine Entschließung des Nationalrates vom 5. Juni 1992,214 die einen Teil der völkerrechtlichen Streitbeilegung bildet, innerstaatlich aber keine normative Verbindlichkeit aufweist. Hans R. Klecatsky hat daher in einer ausführlichen „Petition an den Tiroler Landtag“ vom 19. 1. 2004 die Einfügung einer Staatszielbestimmung in die Bundesverfassung vorgeschlagen (geplanter Art 2 Abs 3 B-VG), wonach „die Wahrung und Entfaltung der Selbstbestimmung des Südtiroler Volkes“ ein Staatsziel der Republik Österreich sein soll.215 Diese Petition stand im Zu-
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Präambel und Art 1 Landesordnung 1989; vgl dazu auch die oben zitierten Entschließungen des verfassungsgebenden Tiroler Landtages vom 27. 9. 1919 und 25. 11. 1920 über die Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes und Anerkennung der Bundesverfassung; Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 73 und 74. Sten Prot XVIII. GP; 7856 und 542 der Blg NR XVII. GP. Vgl dazu den Text dieser Petition Klecatsky im Anhang dieser Untersuchung.
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sammenhang mit dem Projekt eines „Österreich-Konventes“ zur Ausarbeitung einer gesamterneuerten Bundesverfassung, der allerdings ohne Einigung auf einen neuen Verfassungstext im Jänner 2005 aufgelöst wurde;216 der Vorschlag hat aber auch unabhängig davon grundlegende Bedeutung für die bundesverfassungsrechtliche Verankerung der Schutzmachtfunktion Österreichs. c) Entschließung des österreichischen Nationalrates vom 21. 9. 2006 Die Tiroler Schützenkompanien, 113 (von 116) Bürgermeister bzw Vizebürgermeister der Südtiroler Gemeinden und ein Großteil der Bürgermeister Nord- und Osttirols überreichten dem Nationalrat am 18. Jänner 2006 folgende Petition (80/Pet): „Die unterzeichneten Schützenkompanien und Bürgermeister aus allen Teilen des historischen, großen Tirol ersuchen den Nationalrat bei den derzeit laufenden Beratungen über eine neue österreichische Bundesverfassung auf der Grundlage der Beratungen des Österreich-Konvents in der Präambel einer solchen Verfassung folgende Worte aufzunehmen: 1. Die Republik Österreich anerkennt die historisch gewachsenen Volksgruppen in Österreich und setzt sich für Schutz und Förderung der mit Österreich geschichtlich verbundenen deutschsprachigen Minderheiten, insbesondere auch der Südtiroler ein. 2. Die Republik Österreich bekennt sich zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des vom Land Tirol abgetrennten Tiroler Volkes deutscher und ladinischer Sprache und zum besonderen Schutz der Rechte der Südtiroler auf der Grundlage des Völkerrechtes.“ Diese Petition – die inhaltlich der Petition Klecatsky entspricht – wurde dem Außenpolitischen Ausschuss zugewiesen, der sie dem SüdtirolUnterausschuss zur Vorberatung überwies. Eine Delegation dieses Ausschusses beriet diese Petition mit Vertretern des Südtiroler Landtages und dem Landeshauptmann. In der Folge wurden Gutachten des BundeskanzleramtesVerfassungsdienst und des Völkerrechtsbüros und Stellungnahmen des Tiroler Landtages, Landeshauptmannes und des Bundes der Schützenkompanien eingeholt. Während der Verfassungsdienst keine rechtlichen Bedenken äußerte, hielt das Völkerrechtsbüro zum Punkt 2 der Petition (Selbstbestimmungsrecht) Folgendes fest: „Das in der Petition 80/PET ebenfalls angesprochene „Selbstbestimmungsrecht“ ist als Grundsatz und als kollektives Recht von Völkern etwa über Art. 1 Abs. 2 der Satzung der Vereinten Nationen (Grundsatz der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker) und die gleichlautenden Art. 1 der beiden Menschenrechtspakte vom 19. Dezember 1966 im Völkerrecht fest verankert und kommt auch in der Prinzipiendeklaration der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1970 und der 216
Theo Öhlinger, Verfassungsrecht (20056) 51.
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Prinzipienerklärung der Schlussakte von Helsinki vom 1. August 1975 zum Ausdruck. Daher scheint ein Bekenntnis dazu im Rahmen einer österreichischen Bundesverfassung nicht nötig.“ Auf Grund der Beratungen im Außenpolitischen Ausschuss217 beantragte dieser Ausschuss folgende Entschließung: „Der Nationalrat unterstützt bei einer Verfassungsreform die Aufnahme einer Bestimmung in die österreichische Bundesverfassung, welche die Schutzfunktion für die österreichische Volksgruppe in Südtirol verankert. Die Beachtung der Schutzfunktion anderer Staaten für ihre in Österreich lebenden Volksgruppen (Art. 8 Abs. 2 B-VG) soll gleichermaßen in die Verfassung aufgenommen werden. Die Bundesregierung wird ersucht, in diesem Sinne vorzugehen.“ Auf Grund dieses Antrages fasste der Nationalrat in seiner Sitzung vom 21. 9. 2006 mit großer Mehrheit eine gleichlautende Entschließung.218 Bei der Beratung der neuen Verfassung im zuständigen Ausschuss des Nationalrates einigten sich ÖVP, SPÖ und Freiheitliche/BZÖ darauf, die Schutzfunktion Österreichs für die Südtiroler österreichische Minderheit in einem neuen Absatz 2 des Art 9a B-VG zu verankern.219 Dies stellt eine Verbesserung gegenüber dem Österreich-Konvent dar, wo die Schutzfunktion Österreichs nur in der Präambel zur Bundesverfassung erwähnt werden sollte.
4. Die Verankerung der Landeseinheit im Völkerrecht a) Selbstbestimmungsrecht der Völker Sowohl die Entschließung des Tiroler Landtages vom 23. 11. 1994 über die „Einheit des ganzen Landes“220 als auch die Entschließung des Nationalrates vom 5. Juni 1992 über die Streitbeilegungserklärung berufen sich ausdrücklich auf das menschen- und völkerrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Völker,221 um die Verbundenheit ihrer Politik mit Südtirol zu begründen. Auch die Vertreter des Volkes von Südtirol haben sich immer wieder auf das Selbstbestimmungsrecht gestützt, um ihre Forderungen nach Vereinigung des „ganzen Landes“ zu begründen. Seit 1946 hat man stattdessen das Ziel einer rechtlich und politisch ausreichenden Autonomie für Südtirol verfolgt, um das 217 218 219
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Vgl dazu Nr 1610 der Beilagen zu den Sten Prot des NR XXII. GP. Vgl dazu Sten Prot der 163. Sitzung, XXII. GP, 111. Vgl dazu: Peter Hilpold/Christoph Perathoner, Die Schutzfunktion des Mutterstaates im Minderheitenrecht (2006) 100 und 363. Siehe den Text dieser Entschließung oben, Punkt 2. d (Die Verankerung der „Einheit des ganzen Landes“). Wesen, Inhalt und „Arten“ des Selbstbestimmungsrechts der Völker werden ausführlich unter VI. (Das Tiroler Volk als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts) behandelt.
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Überleben der deutschsprachigen Volksgruppe im Nationalstaat Italien zu sichern, wenn eine Grenzänderung nicht erreichbar war. Wenngleich eine, inhaltlich den Bedürfnissen der Volksgruppe entsprechende, Autonomie selbst als eine Art der Verwirklichung des „inneren Selbstbestimmungsrechts“ angesprochen werden kann,222 haben die Vertreter der Südtiroler auch im Zusammenhang mit der politischen Kooperation, die zur „Paktlösung“ führte, ebenso wenig wie das Bundesland Tirol oder die Republik Österreich jemals auf das Selbstbestimmungsrecht des Südtiroler Volkes zugunsten der Autonomielösung formell „verzichtet“. Ein solcher „Verzicht“ wäre auch rechtlich unwirksam, weil das Selbstbestimmungsrecht als völkerrechtlich begründetes Menschenrecht mit naturrechtlicher Wurzel ein unaufhebbares und unverfügbares Recht darstellt. Davon zu unterscheiden ist freilich die Frage der Anwendung und (politischen) Handhabung dieses Rechtes, die von einer Reihe anderer völkerrechtlichen Regeln und Gesichtspunkten der (situationsbedingten) politischen Abwägung und Klugheit unterliegt. Dennoch bleibt es wichtig, die menschenrechtliche Begründung aller Schutzmaßnahmen für die Südtiroler Volksgruppe im Selbstbestimmungsrecht – verankert auf völkerrechtlicher Ebene – im Auge zu behalten, weil nur daraus ihr eigentlicher Sinn, nämlich das Überleben der Volksgruppe als ethnische Identität in einem fremdnationalen Staat deutlich wird. Solange dieser Zustand fortdauert, bleibt das völkerrechtlich begründete Selbstbestimmungsrecht, in seiner Bezogenheit auf die Einheit des Volkes und des Landes von Tirol, der eigentliche Orientierungsmaßstab und die letztmögliche Sanktion aller rechtlichen Schutzmaßnahmen zugunsten der Südtiroler Volksgruppe. b) Pariser Abkommen (1946) Das Pariser Abkommen enthält selbstverständlich keine ausdrückliche Verankerung der „Einheit des ganzen Landes“, weil es ja gerade als Alternative zur Gewährung des „äußeren Selbstbestimmungsrechts“ und damit als Anerkennung des status quo der „Brennergrenze“ konzipiert war. Dennoch lässt sich aus dem Abkommen sehr deutlich ein mittelbarer Bezug zur Landeseinheit ableiten, der den Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zweifellos bewusst war, aber aus unterschiedlichen politischen Gründen beider Seiten nicht ausdrücklich formuliert wurde. Schon der Zweck des gesamten Abkommens, „to safeguard the ethnical character and the cultural and economic development of the German speaking element“223 weist eindeutig auf den Schutz von Existenz und Entwicklung der 222
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Felix Ermacora, Autonomie als innere Selbstbestimmung, Archiv des Völkerrechts 38 (2000) 285 ff; vgl dazu die Ausführungen unten, VI. 4, 5 und 7 zur Tiroler Selbstbestimmung. Art 1 des Abkommens; vgl Herbert Miehsler, Das Gruber-De Gasperi-Abkommen und seine Auslegung, in: Franz Huter (Hg), Südtirol (1965) 385 ff, 397 f.
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deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol hin. Diese Volksgruppe ist aber gerade dadurch charakterisiert, dass sie jener Teil des (einheitlichen) Landesvolkes von Tirol ist, der durch die „Brennergrenze“ im Staatsverband Italiens lebt. Anders als durch den ethnischen Zusammenhang mit dem „Stammvolk“ Tirols lässt sich die Südtiroler Volksgruppe und ihr spezielles Schutzbedürfnis im italienischen Staat, dem das Pariser Abkommen Rechnung tragen soll, überhaupt nicht erklären. Daher weist auch der personelle Geltungsbereich des Abkommens – „German-speaking inhabitants“ (bzw „the said German-speaking citizens“) – auf die staats- und völkerrechtliche Trennung der Südtiroler Volksgruppe von Gesamttirol als eigentlichen Grund des Abkommens – als „Ersatz“ für die verweigerte Selbstbestimmung – hin. Ohne diese Trennung gäbe es kein Minderheitenproblem des „deutschsprachigen Elementes“ in Südtirol und daher auch kein Pariser Abkommen, das diese Trennung nicht aufheben soll, aber angemessene Lebensbedingungen für die Südtiroler in Italien trotz dieser Trennung gewährleisten wollte. Daher ist die Trennung der Landesteile – und die Relativierung ihrer ethnopolitischen Auswirkungen – der eigentliche Grund für das Pariser Abkommen. „Trennung“ (einer Volksgruppe) setzt aber das Bewusstsein einer Einheit voraus, wovon der ethnische Charakter der Volksgruppe stammt und in der dieser ethnische Charakter noch heute als solcher ausschließlich begründbar ist. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang, wenn man den territorialen Geltungsbereich des Pariser Abkommen betrachtet. Richtig interpretiert umfasst er ausschließlich die Provinz Bozen-Südtirol in ihrer heutigen, durch das Erste Autonomiestatut (Art 3) festgelegten Südgrenze, welche die im Pariser Abkommen erwähnten deutschsprachigen Gemeinden des Trentino wieder an Südtirol angliederte.224 Die italienische Auffassung, wonach der territoriale Geltungsbereich des Pariser Abkommens sich auf das Gebiet der 1948 neu geschaffenen autonomen Region (mit Sonderstatut) Trentino-Südtirol beziehe, widerspricht klar dem Wortlaut des Abkommens (Art 1 Abs 1) und seiner Entstehungsgeschichte und wurde durch das zweite Autonomiestatut (1972), die Paketlösung und die Streitbeilegungserklärung praktisch revidiert. Das Gebiet der heutigen Provinz Bozen-Südtirol ist aber – selbst in seiner unseligen Verknüpfung mit der Autonomen Provinz Trient – in seiner räumlichen Abgrenzung nur erklärbar aus der historischen Kontinuität des Gebietes mit dem ehemaligen Kronland „Gefürstete Grafschaft Tirol“ der österreichischen Monarchie, das eben durch die „Brennergrenze“ in zwei Teile unterschiedlicher staatlicher Souveränität geteilt wurde. Indem das Pariser Abkommen den südlichen Teil des ehemaligen Kronlandes Tirol – richtig interpretiert bis zur Sprachgrenze – unter völkerrechtlichen Schutz stellt, bezieht es sich logischer Weise auf diese Teilung des Landes 224
Herbert Miehsler, aaO 401 ff; Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 242, 245, 321.
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(durch die „Brennergrenze“) als den eigentlichen Grund für den Schutz und reflektiert damit das historische Ganze des Landes, von dem der (territoriale) Schutzbereich des Abkommens eben die südliche Hälfte ist. Es ist daher kein Zufall, sondern die Konsequenz der historischen Entwicklung der Südtirolautonomie, dass ihre räumliche Abgrenzung noch heute durch die Grenzen des Kronlandes Tirol und seine Teilung (durch die „Brennergrenze“) bestimmt werden. Da auch das Bundesland Tirol durch die historische Kontinuität mit dem ehemaligen „Kronland Tirol“ und der Teilung durch die Brennergrenze räumlich abgegrenzt wird (Art 2 der Landesordnung 1989), entspricht der räumliche Geltungsbereich des Pariser Abkommens, nämlich die Autonome Provinz Bozen-Südtirol, gemeinsam mit den Teilen Nordtirol und Osttirol des Bundeslandes Tirol jener „Einheit des ganzen Landes“, von der die Präambel der Tiroler Landesordnung und die Entschließung des Tiroler Landtages vom 23. 11. 1994 spricht. Ohne dieses „Ganze“ des historischen Tirol ist dessen Teil, nämlich das Gebiet von Südtirol weder rechtlich, noch in seiner Bedeutung als angestammte Heimat des Südtiroler Volkes erklärbar.225 c) Die völkerrechtliche Verankerung durch die Streitbeilegung (1992) Über die Frage der internationalen Verankerung der Südtirolautonomie herrschte zwischen Italien und Österreich lange Zeit ein unüberbrückbarer Gegensatz. Italien hielt daran fest, dass es durch das Erste Autonomiestatut (1948) das Pariser Abkommen und die daraus ableitbaren völkerrechtlichen Verpflichtungen richtig und vollständig umgesetzt habe. Die Begründung für diese Auffassung lieferte eine objektiv unrichtige Auslegung des territorialen Geltungsbereiches des Abkommens und die daraus abgeleitete Möglichkeit, den „Rahmen“ („frame“) der im Vertrag zugesicherten Autonomie (Punkt 2) territorial zu verstehen und daher auf die Region Trentino-Südtirol auszudehnen, insbesondere wenn die im Vertrag vorgesehenen „Konsultationen“ mit den Repräsentanten der deutschsprachigen Bevölkerung stattfanden und (angeblich) Zustimmung signalisierten.226 Dazu kam eine ständige Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes, der – entsprechend dem italienischen System der Transformation von Völkerrecht in nationales Verfassungsrecht – das Autonomiestatut nicht als Umsetzung der internationalen Verpflichtung prüf-
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Zum Zusammenhang von „Selbstbestimmung“ und „Recht auf Heimat“ vgl den Teil VIII dieser Untersuchung („Die Heimat Tirol als Element rechtlicher Identität“). Vgl dazu den missverständlichen Brief der damaligen Südtiroler Repräsentanten Amonn und von Guggenberg vom 28. 1. 1948 an den Präsidenten der Unterkommission der Verfassungsgebenden Versammlung Tomaso Perassi und die Hintergründe dieser scheinbaren Zustimmung bei Herbert Miehsler, aaO 409 f.
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te, sondern als italienisches Verfassungsrecht qualifizierte, das diese Verpflichtung erfüllt habe.227 Eine Lösung der unerträglichen Situation der Volksgruppe („Todesmarsch“)228 und des Südtiroler Wunsches „Los von Trient“229 konnte daher nur auf politischem Weg, nämlich in Verhandlungen innerhalb Italiens230 und auf zwischenstaatlicher Ebene mit Italien231 erreicht werden. Allerdings musste auf diese Weise (zunächst) der italienische Rechtsstandpunkt akzeptiert werden, dass die völkerrechtlichen Verpflichtungen Italiens durch das Autonomiestatut 1948 erfüllt seien und alle Verbesserungen der Rechtslage der Südtirolautonomie ausschließlich Sache der italienischen Politik, des italienischen Gesetzgebers und der italienischen Verfassung seien. Darauf war auch der zwischen Italien und Österreich vereinbarte „Operationskalender“ (1969)232 zur Verwirklichung des Paketabkommens zur Verbesserung der Autonomie abgestellt, sodass jedenfalls keine internationale Vereinbarung über das Paket und eine Schutzmachtfunktion Österreichs zustande kommen konnte.233 Infolge des ungewöhnlich langen und im Ergebnis durchaus kooperativ verlaufenden Verhandlungsprozesses über 30 Jahre konnte man aber schon nach dem völkerrechtlichen Vertrauensgrundsatz („Estoppel-Prinzip“) mit guten Gründen davon ausgehen, dass aus diesem Verhandlungsprozess auf italienischer Seite völkerrechtliche Bindungen an das Ergebnis des Verhandlungsprozesses – eben die „Paketlösung“ und das neue Autonomiestatut (1972) – entstanden seien und daher eine einseitige innerstaatliche Änderung nicht mehr ohne weiteres rechtlich möglich wäre.234 Da diese Konstruktion aber von zahlreichen Zweifelsfragen und unabwägbaren Auslegungsproblemen belastet war, drängte vor allem die Südtiroler Sei227 228
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VfGH Urteile 49/1963 und 32/1960. Die Formulierung „Todesmarsch“ stammt von Kanonikus Michael Gamper; vgl „Dolomiten“ 28. Oktober 1953. Formuliert 1957 auf Sigmundskron, vgl Alfons Gruber, Die Kundgebung von Sigmundskron am 17. 11. 1957 in: Sigmundskron. Demonstration für Selbstbestimmung (1997) 19 ff. Einsetzung der „19er Kommission“; vgl Roland Riz, Die letzten Etappen auf dem Weg zur Streitbeilegung, in: Siglinde Clementi/Jens Woelk (Hg) 1992: Ende eines Streits (2002) 83 f. Weg zur „Paketlösung“, vgl dazu Michael Gehler, Vollendung der Bilateralisierung als diplomatisch-juristisches Kunststück, in: Siglinde Clementi/Jens Woelk, aaO 17 ff. Zur Entstehung und zum Wortlaut des „Operationskalenders“, vgl Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 143 ff und 492. Peter Hilpold, Die völkerrechtliche Absicherung der Südtirolautonomie, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 38 ff. Vgl Karl Zeller, Das Problem der völkerrechtlichen Verankerung des SüdtirolPaktes und die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes (1989) 54 ff; Wolfgang Karl, Vertrag und spätere Praxis (1986); vorsichtig abwägend dagegen Peter Hilpold, aaO 42 ff.
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te vehement auf eine eindeutige internationale Verankerung des „Paketes“ vor der „Streitbeilegung“.235 Gleichzeitig änderte sich die italienische Verfassungsrechtsprechung236 und die allgemeine politische Wertschätzung der Südtirolautonomie als menschenrechts- und minderheitschutzrechtliches Prestigeobjekt Italiens im internationalen Bereich:237 Zur Zeit der italienischen Ratspräsidentschaft der EU (2003) regte Italien sogar die Verankerung der „nationalen Minderheiten“ als menschenrechtliches Ziel der EU im Verfassungsvertrag (Art I-2) an.238 Unter diesen Voraussetzungen war es möglich, in den Notenwechsel über die Streitbeilegung (1992) von italienischer Seite den Zusammenhang des Paketes und des neuen Autonomiestatutes mit dem Pariser Abkommen und dem KSZE-/OSZE-Minderheitenschutz ausdrücklich zu artikulieren und damit die internationale Verankerung rechtlich außer Streit zu stellen.239 Anderseits hat das österreichische Parlament in seiner Entschließung zur Streitbeilegung vom 5. Juni 1992,240 die Italien durch eine Verbalnote vom 11. 6. 1992 formell mitgeteilt wurde, ausführlich auf den Zusammenhang der Südtirolautonomie mit dem Selbstbestimmungsrecht des Südtiroler Volkes (Punkt 4), auf die „beiden Landesteile Nord- und Südtirol“ (Punkt 8) und auf die „Tiroler Landeseinheit als gemeinsamer Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsraum“ (Punkt 9) hingewiesen. Durch den Notenwechsel zwischen der italienischen und österreichischen Regierung und die Mitteilung dieses Notenwechsels an die Vereinten Nationen und an andere internationale Organisationen sollte die völkerrechtliche Verankerung des Paketes und des neuen Autonomiestatutes (1972) zum Zeitpunkt der Streitbeilegung (1992) entsprechend veröffentlicht werden. Heute scheint diese Qualität der Südtirolautonomie ebenso wie die damit verknüpfte Schutzmachtfunktion Österreichs grundsätzlich – nicht in operativen Details – außer Streit zu stehen.241 Die scharfe Kritik des früheren stellvertretenden Parteiobmannes der SVP, Alfons Benedikter, an der Streitbeilegungserklärung242 hat sich in der seitherigen Staatenpraxis nicht als zutreffende Analyse der italienischen und österrei-
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Roland Riz, Die letzten Etappen, aaO 85 f. Urteil des VerfGH 242/1989: Berücksichtigung völkerrechtlicher Verpflichtungen bei der Auslegung der Südtirolautonomie. Peter Hilpold, aaO 44 ff. Vgl Gabriel N. Toggenburg, Europas Integration und Südtirols Autonomie, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung Südtirols (2005) 449 ff, 454. Peter Hilpold, aaO 45 f. Sten Prot NR XVIII GP, 7856 und Nr 542 Blg XVIII GP. Peter Hilpold, aaO 46; Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 248 f; Michael Gehler, Vollendung der Bilateralisierung, aaO 42 ff; Peter Hilpold, Schutzfunktion, aaO 93. Vgl dazu die Hinweise bei Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino-Südtirol (1996) 108 f.
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chischen Auffassung über die internationale Dimension der Südtiroler Autonomie erwiesen.243 Mit der internationalen Dimension der Streitbeilegung ist aber auch der territoriale Schutzbereich der Autonomie – nämlich die Autonome Provinz Bozen-Südtirol – im Sinne der richtigen Auslegung des Pariser Abkommens gesichert und die notwendige Kooperation für die notwendige Weiterentwicklung der Autonomie mit der deutschen Volksgruppe rechtlich neuerlich bestätigt worden.244 Durch die starke Betonung der Sonderstellung der Autonomie Südtirols in der italienischen Verfassungsordnung, die durch die Statutsnovelle 2001 (Verfassungsgesetz 2/2001) noch gesteigert wurde,245 gewinnt die Selbständigkeit des Landes Südtirol gegenüber dem italienischen Zentralismus jene rechtliche Eigenständigkeit, welche die Streitbeilegung in ihrem verfahrensmäßigen Schutzmechanismus für die Südtiroler Volksgruppe vorausgesetzt hat. Allerdings ist damit die Entwicklung einer ausgeprägten eigenständigen rechtlichen und politischen Identität des Südtiroler Landesteiles verbunden, worauf die vorliegende Untersuchung unter zahlreichen Aspekten hinweisen wird.246 Der Paketabschluss und seine völkerrechtliche Verankerung im Verfahren der Streitbeilegung haben damit für die rechtliche Identität Gesamttirols eine zwiespältige Bedeutung, deren endgültige Auswirkungen noch gar absehbar sind. Positiv ist jedenfalls die dadurch praktisch und rechtlich endlich erreichte korrektere Umsetzung des Pariser Abkommens durch Italien, insbesondere seines territorialen Geltungsbereiches (Bozen-Südtirol) und die massive Erweiterung der autonomen Kompetenzen, des Sprachenschutzes und der Proporzregelungen. Wichtig ist auch die damit verbundene erweiterte völkerrechtliche Garantie mit der Schutzmachtfunktion Österreichs für die reformierte Autonomie der Provinz Bozen.247 Die Schutzfunktion des Pariser Abkommens und der Autonomie für die Selbständigkeit der Südtiroler Volksgruppe in ihrer Heimat wurde durch die Paketlösung und ihre völkerrechtliche Verankerung nicht nur gestärkt, sondern in Wahrheit erst rechtlich und praktisch wirksam. Die Auswirkungen der ethnopolitischen Unterwerfung 243
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Vgl dazu Robert Gismann, Die Südtiroler Autonomie und die österreichische Schutzfunktion – Neue Entwicklungen aus österreichischer Sicht, in: Europa Ethnica 2003, 10 ff. Zum allgemeinen verfassungsrechtlichen Kooperationsgebot für die Spezialautonomie und seine Auswirkungen auf die Südtirolautonomie vgl Francesco Palermo, Südtirol und die italienische Föderalismusreform, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 415 ff; 421 ff. Francesco Palermo, aaO 428 f. Vgl dazu vor allem die Entwicklung eines besonderen rechtlichen und politischen Systems in Südtirol, unten VII. 2 und die komplexe Begründung der Autonomie in IV. 2–5 sowie die notwendige besondere Konstruktion einer europarechtlich begründeten „Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol“ (Abschnitt X). Die völkerrechtliche Garantie aus der Streitbeilegung (1992) und die damit verbundene Schutzmachtfunktion Österreichs bezieht sich auf die durch die „Paketlösung“ erreichte Autonomiereform 1972 und ihre Durchführung bis 1992.
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des Südtiroler Volkes unter die fremdnationale Souveränität durch die Trennung der Landesteile wurde zweifellos dadurch gemildert, dass in einem autonomen politischen System eine eigenständige und erfolgreiche Wirtschafts-, Sozial- und Kulturentwicklung der Bevölkerung in (innerer) Selbstbestimmung möglich gemacht wurde. Die damit – in ständiger Kooperation mit der Volksgruppe – erreichte rechtliche Sicherung ihrer ethnischen Selbständigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten stärkt mittelbar auch die „Einheit des ganzen Landes“, weil es sich eben um einen Teil des Tiroler Volkes handelt, dessen Lebensbedingungen in seiner angestammten Heimat verbessert wurden. Diesen positiven Auswirkungen stehen aber rechtliche Konsequenzen der Paketlösung und ihrer völkerrechtlichen Verankerung gegenüber, die sich negativ auf die Identität des „ganzen Landes“ auswirken können. Dazu gehört vor allem die außerordentlich komplexe rechtliche Verankerung der Autonomie in der italienischen Rechtsordnung und ihre subtile verfassungsrechtliche Absicherung in der Verfassung, in der Verfassungsrechtsprechung und in ungeschriebenen Verfassungsprinzipien. Dadurch wurde ein rechtliches System begründet, das vor allem intensive Verflechtungen und Kooperationszwänge in Italien für die politische Repräsentanten der Volksgruppe mit sich bringt und deren Beziehungen zu Gesamttirol in den Hintergrund drängt. Dazu kommt, dass die neue Autonomie sehr stark auf die Kooperation mit den Sprachgruppen ausgerichtet ist248 und daher eine sehr komplexe politische, rechtliche und gesellschaftliche Identität Südtirols entwickelt, die sich von der des Bundeslandes Tirol völlig unterscheidet. Dieses kommt daher immer weniger rechtlich oder politisch für Südtirol als „Urbild“ der gesamttirolischen Identität in Betracht, wie es dem Konzept der „abgetrennten Volksgruppe“ und ihrem „Vaterland Österreich“ entsprechen würde.249 Völlig offen ist schließlich, wie sich die „Dynamik der Autonomie“ im Zusammenhang mit europarechtlichen Vorgaben, der italienischen Verfassungsentwicklung und dem fortschreitenden gesellschaftlichen Wandel im Zusammenleben der Sprachgruppen in Südtirol entwickeln wird.250 Fest steht jedenfalls, dass ein starres Festhalten an historischen Rechtsformen der „Einheit des ganzen Landes“ angesichts der durch das Paket und die Streitbeilegung in Gang gesetzten Entwicklung Südtirols den Zusammenhang mit der rechtlichen und politischen Wirklichkeit des Landesteiles immer mehr verlieren und daher auch keine identitätsstiftende Funktion mehr entfalten können.251 Ob es im Lichte der europäischen Integration und der Entwicklung des europäischen Regionalismus neue identitätsstiftende Verfahren und Einrichtungen für die
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Vgl dazu eingehend unten, VII. 2 (Volk und Sprachgruppen in Südtirol). Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 158 ff. Vgl dazu die Beiträge im letzten Teil von Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 415 ff. So schon: Peter Pernthaler, Tirol und die Neuordnung Europas, in: Das Fenster 50/51 (1991) 4982 ff.
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„Region Gesamttirol“ gibt, wird daher ein ausschlaggebendes Kriterium für die Zukunft der „Einheit des ganzen Landes“ sein.252
5. Die grenzüberschreitende „Europaregion Tirol“ a) Das „Accordino“ Schon das Pariser Abkommen sah eine Erleichterung des Grenzverkehrs und der lokalen Wirtschafsbeziehungen „zur Herstellung gut nachbarlicher Beziehungen zwischen Österreich und Italien“ vor; ein Vertragsziel, das in der Folge durch mehrere Grenzverkehrsabkommen253 und das „Accordino“ (1949) näher ausgeführt und institutionell konkretisiert wurde.254 Während der verkehrs- und wirtschaftspolitische Inhalt dieser Abkommen heute – im Zeichen des EU-Binnenmarktes und des Schengenabkommens – keine Bedeutung mehr haben, ist ihre klare völkerrechtliche Verankerung, ihr offener Bezug zum Pariser Abkommen und ihre, die Zentralstaaten und die betroffenen Regionen integrierende organisatorische Struktur bis heute das einzige wirksame Modell der völkerrechtlichen Verankerung einer institutionalisierten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Raum des „ganzen Landes“ Tirol geblieben.255 b) Die politische und administrative Kooperation Seit Beginn der 1970er Jahre entwickelten sich in Europa zwei neue Bewegungen des Regionalismus, die aus unterschiedlichen Motiven, aber mit übereinstimmenden Verfahren und Ergebnissen danach trachteten, die klassischen nationalstaatlichen Grenzen als „Narben der Geschichte“ (Europarat) kooperativ auf regionaler Ebene zu überbrücken. Die eine Linie dieser regionalen Kooperation war die grenzüberschreitende Raumordnung und Regionalpolitik,256 die vor allem vom Europarat, später 252
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Siehe dazu die Ausführungen unter IX, 2–7 und X („Europäische Regionalgemeinschaft Tirol“). Diese Abkommen regelten Erleichterungen im grenzüberschreitenden Eisenbahnund Straßenverkehr und im „erweiterten Grenzverkehr“; vgl Herbert Miehsler, Das Gruber-De Gasperi-Abkommen, aaO 423 f. Das „Accordino“ wurde – zum Unterschied vom Pariser Abkommen – im BGBl 1957/125 publiziert; seit dem Beitritt Österreichs zum „Europäischen Wirtschaftsraum“ (EWR-BVG, BGBl 1993/115, EWR-Abkommen BGBl 1993/909) und zur EU (1994/95) gilt das Accordino als überholt und wird nicht mehr angewendet; Siegbert Morscher, Das Accordino, in: FS Hans Klinghoffer, ÖZOR Supplementum 10 (1988) 44 ff. Allerdings mussten in den Geltungsbereich des Accordino auf Drängen Italiens Vorarlberg und Trient einbezogen werden; Herbert Miehsler, aaO 424. Peter Pernthaler, Organisationsformen und Verfahren grenzüberschreitender Planung, in: FS v d Heydte (1977) 1107 ff.
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auch von der EG gefördert wurde. Die zweite Bewegung war das Erwachen der alten staatenlosen Völker und Volksgruppen in Europa, die ihre regionale, territoriale und ethnische Identität wieder fanden und daraus Ansprüche auf politische Autonomie und Selbstbestimmung ableiteten. Die Gründe für beide Bewegungen lagen in der Entstehung und Struktur der europäischen Staatsgrenzen, die aus historischen Gründen häufig künstlich Landschaften und Volksgruppen zerschneiden und die Grenzregionen innerhalb des Staatsgebietes sozial, wirtschaftlich und gesellschaftlich an den Rand drängten.257 Die Regionen reagierten darauf – im Rahmen ihrer Kompetenzen und Planungshoheit – zunächst in spontanen Formen der politischen und administrativen Zusammenarbeit; später bildeten sich institutionalisierte „Arbeitsgemeinschaften“ und regelmäßige Konferenzen regionaler politischer Organe. Die „Alpenländer“ waren eine der ersten, durch Grenzen zerschnittenen Räume, die sich auf diese Weise auch formell als „Grenzregionen“ organisierten. Grund dafür war sicher ihre besondere landschaftliche und siedlungsgeographische Situation, die schon in der Geschichte verbindend wirkte, aber auch – im Falle Tirols – die ethnische Verbundenheit über die „Brennergrenze“ hinweg.258 Im Zuge dieser vom Europarat259 sehr geförderten Entwicklung260 entstanden in Tirol zuerst die gemeinsamen Sitzungen der Landtage von Tirol und Südtirol (ab 1970) und die von Tirol initiierte „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“ (1972). Diese umfasst 11 Mitglieder, darunter Länder Österreichs und Deutschlands, Kantone der Schweiz, Regionen und die beiden autonomen Provinzen Bozen und Trient von Italien.261 Die Arbeitsgemeinschaft Alpenländer entwickelten ein „Gemeinsames Leitbild für die Entwicklung und Sicherung des Alpengebietes“ (1981), das inhaltlich viel von den Zielsetzungen der späteren Alpenkonvention vorwegnahm. Die wichtigsten Elemente dieses alpenregionalen Leitbildes waren:262
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Peter Pernthaler, Raumordnung und Verfassung, Bd I (1975) 340 ff, 352 f. Vgl dazu Hans R. Klecatsky, Die Funktion Tirols im europäischen Regionalsystem, in: Verkehrsannalen 1971, 533, 541; Hans Köchler, Die europäische Aufgabe der Alpenregion (1972). Vgl dazu Herbert Miehsler, Grundsätze und Ziele der internationalen Raumordnung (1977) 100 ff. Vgl dazu insbesondere die „Europäischen Symposien der Grenzregionen“; Hans R. Klecatsky, Europäischer Regionalismus und Raumplanung, in: Juristische Blätter 1972, 242 ff; Hans Köchler (Hg), Transnationale Zusammenarbeit in der Alpenregion (1973). Vgl dazu Fried Esterbauer (Hg), Regionalismus (1978) 137 ff und die jährlichen Übersichten über die Tätigkeit der Arge Alp in: Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich (jährlich ab 1977), Abschnitt „E. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Länder“. Vgl dazu: Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 66 ff.
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Autonomie (Selbstbestimmung) der Region
Den Bewohnern der Regionen soll eine eigenständige Gestaltung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in einer ökologisch ausgeglichenen Umweltsituation ermöglicht werden; die Alpen sollen nicht zu einem Objekt fremddeterminierten Nutzung und Planung werden. •
Die besondere politische Bedeutung des Bodens und der Biosphäre in den Alpen
Der Boden ist hier einerseits Ausdruck der geschichtsräumlichen Verankerung einer bestimmten politischen Kultur und die Heimat konkreter Völker und Volksgruppen; anderseits hat der Boden hier besondere ökologische und geographisch-politische Bedeutung als Landschaft für die hier wohnenden Menschen.263 Die Konsequenzen dieser besonderen Funktion und Bedeutung des Bodens im Alpenraum reichen in alle Bereiche der öffentlichen Ordnung; den Alpenregionen sollen in allen davon betroffenen Sachbereichen ausreichende Zuständigkeiten zukommen, die regionale Bodenordnung eigenverantwortlich zu gestalten und mit den Nachbarregionen kooperativ zu harmonisieren. •
Demokratischer Standard der Alpenregionen
Demokratie und Föderalismus sind im Alpenraum geschichtlich stets vereint als einheitliches politisches Strukturprinzip aufgetreten; das eine ist hier ohne das andere nie praktisch existent gewesen. Das hat die politische Tradition und Kultur der hier lebenden Völker und Volksgruppen entscheidend geprägt. Historisch begünstigt wurde diese Lebensform durch die geographische Situation der Bergwelt, die Zentralisierung und Fremdbestimmung ausschloss und Eigenverantwortung der hier lebenden Menschen förderte. Daher hielten sich hier lange Zeit ein politisch und ökonomisch selbständiges Bauerntum und Bürgertum sowie gewerbliche Betriebsformen, die stark auf Mitbeteiligung und Mitbestimmung der Arbeitenden abgestellt waren. •
Anspruch auf eigene Kulturentwicklung
Der Anspruch auf Kulturhoheit und kulturelle Selbständigkeit der Regionen richtet sich gegen die überlieferte Metropolitankultur, der die Öde „kultureller Provinz“ gegenüber steht. Neben eigenständiger Volkskultur im weitesten Sinn soll vor allem ausreichende regionale Versorgung mit Bildungseinrichtungen aller Stufen und die Pflege (Förderung) föderalistischer Vielfalt der Kultur treten.264 Dazu gehören auch Erwachsenbildung, Ortsbildpflege, Denkmalschutz, politische Bildung, Kunstpflege, kulturelle Jugendarbeit, Brauchtum ua.
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Hans R. Klecatsky, Region und Landschaft, in: FS Hellbling (1981) 241 ff. Peter Häberle, Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat (1980).
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c) Der politische Auftrag des Vierer-Landtages und sein Scheitern Während alle Versuche der 1980er Jahre scheiterten, eine ethnopolitisch fundierte Selbstbestimmung der Südtiroler Volksgruppe in einem „Freistaat Südtirol“265 oder einer Wiedervereinigung mit Österreich zu erreichen,266 fand die Idee einer „Europaregion Tirol“ – die ursprünglich gleichfalls ethnopolitisch als Selbstbestimmungslösung formuliert wurde267 – eine neue Anhängerschaft bei den politisch führenden Funktionären Nord- und Südtirols, aber auch Trients, offenbar unter dem Eindruck der europäischen Doppelbewegung268 des Regionalismus („Europa der Regionen“) und der erfolgreichen Entwicklung der Südtirolautonomie. Einer der letzten Verfechter der Selbstbestimmungslösung für Südtirol in der SVP, Franz Pahl,269 entwickelt ein Modell einer grenzüberschreitenden Europaregion, bestehend aus Südtirol und dem Bundesland Tirol, auf Grund eines bilateralen Vertrages von Italien und Österreich mit einem Gesetzgebungsorgan zur Harmonisierung der Rechtsordnungen in den beiden Landesteilen.270 Nach einer gemeinsamen Erklärung der Landeshauptleute von Südtirol, Tirol und Trient vom 8. 6. 1989 über die Absicht einer vertieften „Zusammenarbeit auf politischer und technisch-administrativer Ebene auf den Gebieten der Kultur, des Gesundheitswesens, des Umweltschutzes und des Verkehrswesens“, kam es am 21. 5. 1991 zur konstituierenden Sitzung des „Vierer-Landtages“ in Meran, in dem die Länder Tirol und Vorarlberg und die autonomen Provinzen Bozen-Südtirol und Trient vertreten waren. In einer grundlegenden „Resolution über die verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ vom gleichen Tag setzte sich der Vierer-Landtag „die Vertiefung der kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit zwischen den vier Ländern“ zum Ziel. Unabhängig davon forderte der Zweier-Landtag Tirol-Südtirol auf seiner Sitzung in Bozen am 27. 2. 1992 die Einberufung eines „Runden Tisches“ zur
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Felix Ermacora, Verfassungsmodell für einen europäischen Freistaat Süd-Tirol, in: Europa-Union (Hg) Süd-Tirol, Weg in die Zukunft (1985) 59 ff. Vgl dazu die sorgfältige Dokumentation aller dieser Bestrebungen bei Florian von Ach, Das Nachwirken, aaO 146 ff. Eduard Stoll/Fried Esterbauer, Tirol und Europa, Europa-Union Tirol (Hg) 1979; Christian Waldner, Europäische Region Tirol, in: Europa der Regionen. Edition Themen (1993) 70 ff. „Doppelbewegung“ deshalb, weil der Regionalismus sowohl in der Organisation und den Funktionen der EU verankert wurde („top-down“), als auch auf der Ebene der Regionen und ihrer Zusammenschlüsse („bottom-up“) sich kräftig entwickelte; Peter Pernthaler, (Kon-)föderalismus und Regionalismus als Bewegungsgesetze der europäischen Integration, in: Journal für Rechtspolitik 1999, 48 ff, 59 ff, 61 f. Vgl Franz Pahl, Tiroler Einheit – jetzt! Der Plan zur Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich (1991). Franz Pahl, Neuanfang nach Paketrunde, in: Südtirol in Wort und Bild 1992 (I/92) 1 ff.
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Ausarbeitung eines Konzeptes zur Schaffung einer Europaregion Tirol.271 Auch der Vierer-Landtag fasste am 2. 6. 1993 einen Grundsatzbeschluss über die Einrichtung einer „europäischen Region“ und die „Koordinierung und Harmonisierung der Gesetzgebung“ der Länder Tirol, Südtirol und Trentino durch die „Installierung eines gemeinsamen koordinierenden Organes“. Der Beschluss des Vierer-Landtages lautete wörtlich: „Die Landesregierungen werden aufgefordert, erstens auf die konkrete verfassungs- und kompetenzrechtliche Lage der Länder Südtirol, Tirol und Trentino zugeschnittene sowie die zwischen Österreich und Italien bestehenden völkerrechtlichen Verträge, insbesondere den Pariser Vertrag und die Madrider Konvention berücksichtigende Modellvereinbarungen zur Schaffung einer europäischen Region auszuarbeiten und Möglichkeiten zur Mitwirkung Vorarlbergs vorzusehen. Unter dieser Voraussetzung: zweitens Grundsätze für eine künftige Koordinierung und Harmonisierung der Gesetzgebung dieser Länder unter Mitwirkung der Landtage zu erstellen, und drittens ein Modellstatut über die Installierung eines gemeinsamen koordinierenden Organes mit dem Ziele einer größeren und wirksameren Integration auf allen Ebenen in diesen Ländern auszuarbeiten“. Der „Runde Tisch“ wurde daraufhin um Vertreter der autonomen Provinz Trient erweitert. Der rechtliche Unterausschuss des „Runden Tisches“ arbeitete auf der Grundlage eines Entwurfes von Roberto Toniatti ein „Gründungsabkommen“ und ein „Statut der Europaregion Tirol“ aus,272 das den Landeshauptmännern am 25. 10. 1995 übergeben wurde. In der Sitzung des Dreier-Landtages273 in Riva (31. 5. 1996) sollte die Europaregion Tirol auf der Grundlage dieses Entwurfes gegründet werden. Auf Grund massiver politischer Widerstände und Aktionen in Italien, verfassungs- und völkerrechtlicher Bedenken aus Österreich (Bundesregierung) und politischer Widerstände selbst im Tiroler Landtag274 wurde das Projekt „Europaregion“ in der vorliegenden Form zurückgestellt. Der politische Wille
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Vgl zum Folgenden Franz Watschinger, Die rechtlichen und politischen Grundlagen einer Europaregion Tirol. Juristische Diplomarbeit (Innsbruck 1997) 64 ff; Marco Viola, Die Europaregion Tirol als Beispiel einer engen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft, in: Fritz Staudigl/Renate Fischler (Hg), Die Teilnahme der Bundesländer am europäischen Integrationsprozess (1996) 17 ff. Beide abgedruckt als „Anhang“ bei Franz Watschinger, Europaregion, aaO 93 ff. Vorarlberg schied im Jahre 1994 – wegen seiner regionalen Verflechtungen im Bodenseeraum – auf eigenem Wunsch aus dem Vierer-Landtag aus. Franz Watschinger, aaO 65 ff, 83 f; Peter Pernthaler/Sergio Ortino (Hg), Europaregion Tirol/Euregio Tirolo. Rechtliche Voraussetzungen und Schranken der Institutionalisierung (1997).
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der beiden Landeshauptmänner von Nord- und Südtirol stand offenkundig nicht mehr hinter dem Projekt, während der Landeshauptmann von Trient – der ja schon 1993 Toniatti mit der Ausarbeitung des Statutes beauftragt hatte – dieses noch im Jänner 1996 im Alleingang der Presse vorstellte, obwohl es in Innsbruck und Bozen als „vertrauliche Information“ streng gehütet wurde.275 Der Entwurf Toniatti, der eine starke rechtliche Institutionalisierung der Europaregion in einer Körperschaft öffentlichen Rechts vorsah, war damit politisch gescheitert und wurde in der Folge nicht weiter betrieben, sondern auf „minimalistischer Basis“ eine rechtliche Verankerung der Europaregion angestrebt. Dieses Ziel sollte in der im Folgenden dargestellten Vereinbarung von 1998 verwirklicht werden. d) Die pragmatische Minimallösung des Abkommens 1998 Auf Grund der politischen Widerstände und verfassungsrechtlichen Bedenken suchten die beteiligten Landesregierungen – unter massiver völkerrechtlicher Beratung276 – nach einer Lösung ohne allgemeine institutionelle Verankerung in besonderen gemeinsamen Organen und speziellen grenzüberschreitenden Rechtsformen. Begünstigt wurde dieser neue Anlauf durch die inzwischen eingetretene politische und rechtliche „Entspannung“ der Konflikte um die grenzregionale Zusammenarbeit in Italien;277 dass die (kritische bis negative) Haltung der „Zivilgesellschaft“ in den beteiligten Ländern maßgeblich zu dieser Wende zum „Pragmatismus“ der Europaregion beigetragen habe,278 scheint dagegen im Hinblick auf ihren geringen Einfluss auf die politischen Eliten eher unwahrscheinlich. Die von den Landesregierungen im Jahre 1998 ausgearbeitete Minimallösung verweist zwar noch in der Präambel neben vielen anderen Motiven für die Vereinbarung (insgesamt elf Absätze!) auf die „durch lange Perioden gemeinsamer Geschichte entwickelten Gemeinsamkeiten und Besonderheiten, die das Gebiet und die Bevölkerung der Autonomen Provinz Bozen, der Autonomen Provinz Trient und des Landes Tirol kennzeichnen“ hin. Ein Bezug auf das Pariser Abkommen, das gerade deshalb den Minderheitenschutz für Südtirol verankert hat, fehlt aber, sodass die Vereinbarung von vorneherein jeglicher ethnopolitischer Bedeutung entkleidet scheint. Allerdings wird dieser Be275 276
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Franz Watschinger, aaO 65. Gutachten erstellten ua Waldemar Hummer, Renate Kicker, Walter Obwexer, Giorgio Conetti, vgl dazu die Nachweise bei Franz Watschinger, aaO 88 ff. Vgl dazu die Urteile des italienischen Verfassungsgerichtshofes 343/1996 und 428/1997, die allerdings in der Folge wieder eingeschränkt wurden, VfGH Urteil 238/2004; Francesco Palermo/Jens Woelk, Grenzüberschreitender Regionalismus als Konfliktslösungsinstrument? Die Entwicklung der Brennerkooperation, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung Tübingen (Hg) Jahrbuch des Föderalismus 2003, 389 ff. Günther Pallaver, Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 493 ff, 504 f.
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fund durch die hohe Allgemeinheit der Vereinbarung wieder relativiert, weil danach nicht auszuschließen ist, dass einzelne konkrete „Organisationsformen“ im Sinne des Artikel 1 oder „Projekte“ im Sinne des Artikel 2 der Vereinbarung eine derartige Funktion des Schutzes oder der Entwicklung der Südtiroler Volksgruppe entfalten.279 Inhaltlich gliedert sich die Vereinbarung in folgende Unterabschnitte: aa) Organisationsformen Die Vereinbarung regelt nicht selbst die Organisationsform der Europaregion, sondern enthält einen Vorbehalt spezieller „rechtlicher und operativer Organisationsformen“, die in verbindlicher Weise eine „wirksame, zweckmäßige, rasche und wirtschaftliche Zusammenarbeit“ sicherstellen sollen; dabei soll auch die „eigenständige grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Talgemeinschaften, Gemeindeverbänden und Gemeindekonsortien“ gefördert werden. Im Hinblick auf die Rechtsnatur der Vereinbarung selbst280 kann es sich bei diesen „Organisationsformen“ nur um privatrechtliche oder verwaltungsrechtliche Vereinbarungen (ohne eigene Rechtspersönlichkeit) handeln, die als Subverträge zum österreichisch-italienischen Rahmenabkommen (1993) anzusprechen sind. Allerdings verweist Art 5 der Vereinbarung auch auf die Rechtsform der „Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung“ gemäß Verordnung (EWG) Nr 2173/85 des Rates, ABl 1985, Nr L 199, 51 ff, die für gemeinsame Vorhaben mit und ohne EU-Bezug verwendet werden kann. bb) Gegenstände der Zusammenarbeit Die Vereinbarung regelt auch den Inhalt der Zusammenarbeit nicht selbst, sondern enthält dafür einen Vorbehalt spezieller „Projekte“, das sind „gemeinsame Vorhaben die Stärkung und Weiterentwicklung der nachbarschaftlichen Beziehungen sowie die Lösung gemeinsamer Probleme und der optimalen Nutzung der jeweiligen Ressourcen dienen“. Zur Beratung, Planung und Festlegung gemeinsamer Projekte und Maßnahmen der Zusammenarbeit – einschließlich der gemeinsamen Teilnahme an EU-Programmen und EUInitiativen sollen gemeinsame Konferenzen der beteiligten Landesregierungen stattfinden (Art 4 Abs 2 der Vereinbarung). cc) Koordination und Kooperation Ohne konkrete Verpflichtung bleibt auch dieser allgemeinste Bereich der interregionalen Zusammenarbeit. Die Vereinbarung enthält diesbezüglich nur eine Absichtserklärung der kontinuierlichen „gegenseitigen Abstimmung“ in Bereichen von gemeinsamen Interesse durch „Informationsaustausch, Konsul-
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Vgl dazu den Text der Vereinbarung im 23. Föderalismusbericht (1998) 324 ff. Dazu siehe die Ausführungen unten, Punkte ee) und ff).
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tation und Beschlussfassung“; die Bereiche „gemeinsamer Interessen“ werden in der Folge durch die wörtliche Übernahme des Kataloges in Art 4 des Rahmenabkommens zwischen Österreich und Italien (1993) umschrieben. Das Hauptproblem bei diesem Katalog ist die komplizierte kompetenzrechtliche Situation in den Partnerländern der Vereinbarung, die sich im Bundesland Tirol aus der Bundesverfassung, in den Autonomen Provinzen Südtirol und Trient aus dem Statut (1972) und einer Vielzahl von Durchführungsbestimmungen (Paketlösung und spätere Maßnahmen) ergibt, wobei in beiden Fällen überdies die Judikatur der Verfassungsgerichte zur Auslegung der Kompetenzen zu beachten ist. Wenngleich die Kompetenzen der Autonomen Provinzen Südtirol und Trient im Allgemeinen viel weitergehend sind als die des Bundeslandes Tirol,281 sind diese Kompetenzen durch zentralstaatliche Vorbehalte und Eingriffsmöglichkeiten belastet, die der österreichischen Kompetenzverteilung fremd sind. Darüber hinaus ist das Land Tirol ohne Rücksicht auf die Kompetenzverteilung zuständig in allen Angelegenheiten privatrechtlich zu handeln282 und in diesem Bereich auch Förderungen durchzuführen und gesetzliche Regelungen zu treffen.283 Den autonomen Provinzen dagegen fehlt diese Möglichkeit, sodass sie auch in privatrechtlichen Formen nur im Bereich ihrer Zuständigkeiten tätig werden können. Insgesamt ergibt sich aus der Kompetenzverteilung beider Staaten, dass eine übereinstimmende Zuständigkeit der Vertragspartner – ohne Mitwirkungsbefugnisse des Zentralstaates – in relativ wenigen Bereichen gegeben ist, sodass der umfassende Katalog des Rahmenabkommens wegen des Verfassungsvorbehaltes praktisch auf eine sehr eingeschränkte Wirkungsmöglichkeit der transnationalen Zusammenarbeit auf autonomer Basis zusammenschrumpft. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte das Accordino eine komplexe BundLänder-Organisation vorgesehen, der auf italienischer Seite eine Kooperation von Zentrale und Autonomien entsprach. Ohne eine Verfassungsänderung oder eine spezielle Vereinbarung auf Völkerrechtsebene über die „Europaregion“ ist eine sinnvolle rechtliche Organisation der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit daher kaum möglich.284
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Vgl Siegbert Morscher, Land und Provinz. Vergleich der Befugnisse der autonomen Provinz Bozen mit den Kompetenzen der österreichischen Bundesländer (1981); Walter Obwexer, Gutachten für die „Junge Generation der SVP“ publiziert in einem gemeinsamen „Impulspapier Europaregion Tirol“ mit der „Jungen Volkspartei Tirol“ (1994). Sogenannte „Privatwirtschaftsverwaltung“, Art 17 B-VG; vgl Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 316 f. Karl Korinek/Michael Holoubek, Grundlagen der Privatwirtschaftsverwaltung (1993). Franz Watschinger, Europaregion, aaO 38 und 62; Ivo Rungg, Das rechtliche Konzept einer Europaregion unter besonderer Berücksichtigung einer Europaregion Tirol-Trentino (1995) 169.
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dd) Zusammenarbeit der Landtage Die Vereinbarung regelt auch diesen Bereich nicht selbst, sondern enthält einen Vorbehalt zugunsten der Landtage der beteiligten Länder, „gemeinsam für ihren Bereich Formen und Verfahren der gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung“ festzulegen und damit nähere Regelungen für die Geschäftsordnung und Organisation der Dreier-Landtage zu treffen, die bis dahin ohne rechtliche Grundlage politisch vereinbart wurden. Die Vereinbarung nennt daher neben den Landesregierungen auch die Landtage der drei Länder als „Träger der Vereinbarung“, wobei die Abgrenzung der Befugnisse zwischen diesen beiden Organen – entsprechend dem allgemeinen Vorbehalt der innerstaatlichen Rechtsordnung (Art 3 Abs 1) – sich nach ihren jeweiligen verfassungsmäßigen Zuständigkeiten bestimmt. ee) Rechtsgrundlage der Vereinbarung Der ausdrückliche Hinweis auf die Rechtsgrundlage der Vereinbarung im „Rahmenabkommen zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften“ (1993) und die Beschränkung der Geltungsdauer der Vereinbarung auf die Dauer dieses Rahmenabkommens (Art 7) stellen klar, dass es sich bei dieser Vereinbarung nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, weil weder das Madrider Rahmenübereinkommen noch seine Ausführung durch das bilaterale Abkommen zwischen Österreich und Italien die Gebietskörperschaften zu derartigen Akten ermächtigen. Allerdings wären nunmehr sowohl das Bundesland Tirol nach Art 16 B-VG als auch die autonomen Provinzen Bozen und Trient nach Art 117 Abs 9 der Staatsverfassung in der Fassung 2001 ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschließen,285 doch wollte man diesen Weg offenbar bis heute nicht beschreiten und hat daher weder in Österreich noch in Italien das Verfahren zum Abschluss eines „Länderstaatsvertrages“ eingeleitet. ff)
Rechtsnatur der Vereinbarung
Die gegenständliche Vereinbarung ist daher ein öffentlichrechtlicher (verwaltungsrechtlicher) Vertrag, der in den beteiligten Ländern jeweils auf der Grundlage der betreffenden innerstaatlichen Rechtsordnung gilt.286 Daraus
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Vgl Art 117 Abs 9 der italienischen Verfassung, in der Fassung des Art 6 des Gesetzes „La Loggia“ (I 31/2003), wonach den Regionen (auch der autonomen ProvinzBozen-Südtirol) unter schwerwiegenden staatlichen Vorbehalten die Befugnis für grenzüberschreitende Abkommen und Vereinbarungen übertragen wurde, dazu bestätigendes Urteil des VfGH 238/2004; Karl Zeller, Die rechtlichen Grundlagen für eine verstärkte Zusammenarbeit in der Europaregion Tirol, in: Simon Laimer (Hg) Euregio – quo vadis (2006) 65 ff (67 f). Vgl dazu: Theo Öhlinger, Das Problem des verwaltungsrechtlichen Vertrages (1974); Werner Doralt, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, in: Felix Ermacora et al (Hg),
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folgt, dass die Vereinbarung und ihre Subvereinbarungen auf Grund des in beiden Rechtsordnungen geltenden Legalitätsprinzipes und des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts weder gegen Gesetze noch gegen verbindliche europarechtliche Vorschriften verstoßen dürfen und daher – ohne weitere Rechtsgrundlagen – auch nicht unmittelbar in Rechte der Bürger eingreifen oder solche begründen können. Dies mag für die Vereinbarung selbst – die ja auch erst „nach Abschluss der innerstaatlich vorgesehenen Verfahren“ in Kraft treten sollte – wegen der zuvor genannten „Vorbehalte“ und der hohen Abstraktheit ihrer Verpflichtungserklärungen kein Problem sein; die diese Vereinbarung konkretisierenden Projekte und Subvereinbarungen müssen sich aber um ausreichende Rechtsgrundlagen bemühen, wenn sie „in verbindlicher Weise“ Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften sicherstellen wollen (Art 1). Dass dies in allen „Bereichen von gemeinsamen Interessen“ (Art 2 Abs 3) überhaupt möglich sein wird, kann angesichts der oben dargestellten kompetenzrechtlichen Situation der Vertragspartner nicht angenommen werden. e) Politische und funktionale Zusammenarbeit Trotz aller „Vorbehalte“ und der überwiegenden „soft-law-Elemente“ der Organisation und des Verfahrens der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist die gegenständliche Vereinbarung nur von den beteiligten Landesregierungen und vom Dreier-Landtag im Jahre 1998 beschlossen worden.287 Die nach Art 9 der Vereinbarung notwendigen innerstaatlichen Ratifikationsverfahren sind nur im Land Tirol und in Südtirol, nicht aber im Landtag von Trient durchgeführt worden, sodass die Vereinbarung letztlich bis heute nicht formell in Kraft getreten ist. Da ihre Substanz aber ohnedies in politischen Verwendungszusagen und in politischen und administrativen Kooperationsformen der beteiligten Landesregierungen, Landtage und Landesverwaltungen bestand, hat dies für die praktische Wirksamkeit der vorwiegend pragmatisch und funktional ausgerichteten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Europaregion Tirol kaum nachteilige Folgen gezeigt. 288 Schon vor dem Vertragsabschluss 1998 hatte ja die Europaregion durch die Eröffnung des gemeinsamen Vertretungsbüros der drei Länder in Brüssel (1995) ein so kräftiges Signal nach außen gesetzt, dass die italienischen Strafgerichte und der italienische Verfassungsgerichtshof damit beschäftigt wurden,
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Allgemeines Verwaltungsrecht (1979) 205 ff; Franz Watschinger, Europaregion, aaO 50 ff (unter Hinweis auf Toniatti ua). Die Vereinbarung wurde formell vom Dreier-Landtag (Meran) am 19. Mai 1998 „genehmigt“, nachdem sie zuvor von allen drei Landesregierungen „beschlossen“ wurde. Vgl dazu: Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK), Schriftenreihe Nr 169: „Europaregionen“ – Herausforderungen, Ziele, Kooperationsformen (2005), Fallbeispiel Tirol-Südtirol-Trentino 40 ff und die jährlichen „Berichte des Landeshauptmannes (Tirol) für den Budgetlandtag“, Kapitel „Europaregion“.
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die Aktion zu verhindern.289 Das Urteil des Verfassungsgerichtes290 hat neben einer ausdrücklichen staatsgesetzlichen Ermächtigung (Nr 52/1996) zur völligen Legitimierung dieser euroregionalen „Außenrepräsentanz“ beigetragen. Eine weitere wichtige Aktivität „nach außen“ war die gemeinsame Beteiligung an der Expo Hannover (2000), wo es der „Europaregion“ erstmals gelang, auf einer Weltausstellung, neben den Nationalstaaten als regionale Ebene in einem eigenen Pavillon vertreten zu sein. Die Beteiligung wurde zwar in Form einer „Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung“ gemäß der oa EWGVerordnung Nr 2173/85 organisiert; im Kern beruhte sie aber auf der politischen Kooperation der drei Länder, während die Rechtsform kaum einen Beitrag für die „Verbindlichkeit“ oder gar für die Durchsetzbarkeit der dafür notwendigen Absprachen und Vereinbarungen lieferte. Für die Diskussion über eine gemeinsame Identität im Raum der drei Länder besonders wichtig war die 2000 in Trentino, Südtirol und Osttirol gleichzeitig stattfindende Landesausstellung zur (gemeinsamen) Geschichte dieser drei Regionen zwischen ausgehendem Mittelalter und beginnender Neuzeit. Die gegenwärtige, vorwiegend funktional ausgerichtete Zusammenarbeit schließt eine Anzahl von INTERREG-Projekten ein (teilweise unterhalb der Landesebene, zum Teil aber auch in einem größeren Rahmen unter Einschluss von Kärnten und Veneto), ferner Kooperationen in den Bereichen der Organtransplantation, der Bergrettung per Hubschrauber (in Kooperation mit Schweizer Behörden) und der Kultur (Projekte und Ausstellungen). Alle Aktivitäten werden in rechtlich verschiedenen Formen durchgeführt, deren Auswahl lediglich von der Art der Veranstaltung bzw des Projektes bestimmt wird. Von 1993 bis 2002 verabschiedeten die Dreier Landtage insgesamt 65 Resolutionen zur Stärkung der Zusammenarbeit ihrer Länder in verschiedenen Bereichen wie Europäische Initiativen, Verkehr, Umwelt, öffentliches Gesundheitswesen, Sozialfürsorge, Landwirtschaft und kulturelle Aktivitäten.291 Von diesen Beschlüssen wurden in der Folge 49 in den einzelnen Ländern umgesetzt, wobei ein deutliches Nord-Südgefälle zwischen dem Bundesland Tirol und der Provinz Trient festzustellen ist, das „als Indiz für den politischen Stellenwert des Dreierlandtages angesehen werden kann“.292 Zu den jüngsten Entwicklungen im Bereich der „soft law-Kooperation“ zwischen den drei Ländern zählen die Einigung auf einen integrierten Universitätsstudiengang für Ingenieurwissenschaften im Januar 2001 (Universitäten Trient und Innsbruck) sowie die Unterzeichnung der „Alpendeklaration“ am 26. Januar 2001. Dieses Dokument, das aus einer Präambel und neun Kapiteln besteht, enthält in Form einer „Absichtserklärung“ eine spezielle Grundlage
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Francesco Palermo/Jens Woelk, Grenzüberschreitender Regionalismus, aaO 388 f. Urteil 428/1997, abgedruckt in: Le Regioni 1998, 406 ff mit Erläuterungen von Lorenza Violini ebenda 409 ff. Vgl dazu die Übersicht bei: Günther Pallaver, Europaregion, aaO 506 f. Günther Pallaver, aaO 507 f.
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für gemeinsame Aktionen und zielt so auf eine gemeinsame Politik der drei Alpenregionen in verschiedenen Bereichen, zB Landwirtschaft, Fremdenverkehr, Wirtschaftswachstum, Verkehr und Infrastruktur, Ausbildung, Wissenschaft und Kultur sowie die gemeinsame Nutzung europäischer Fonds.293 In diesem Zusammenhang erscheint bemerkenswert, dass die Europäische Kommission die Schaffung gemeinsamer Organisationen zur Durchführung europäischer Programme der Kooperation von Grenzregionen ausdrücklich befürwortet und unterstützt. In der Gemeinschaftsinitiative Interreg III wird die getrennte Führung der Interreg-Projekte kritisiert und die Schaffung von „Europaregionen“ ausdrücklich empfohlen. Allerdings bezieht sich Interreg III zunächst nur auf Tirol und Südtirol; ausnahmsweise können aber auch angrenzende Gebiete einbezogen werden. Ob die Unterzeichnung des Zweiten Zusatzprotokolls zur Madrider Rahmenkonvention (1995) durch Italien (5. 12. 2000) und Österreich (28. 2. 2001) tatsächlich einen Fortschritt für die rechtliche Organisation der Europaregion bringen wird, scheint zweifelhaft,294 weil keiner der beiden Staaten Art 5 des Protokolles in Kraft setzen wird, der eine öffentlichrechtliche Körperschaft als Organisationsform grenzüberschreitender Zusammenarbeit vorsieht. Daher wird man um eine völkerrechtliche (staatsvertragliche) Begründung der Europaregion nicht herumkommen, wenn dafür die politische Bereitschaft bei beiden Staaten besteht.295 Einigermaßen erfolgreich funktionierte – trotz der teilweise verweigerten rechtlichen Sanktionierung der Vereinbarung 1998 – die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der drei Landtage. Es fanden nicht nur regelmäßige Sitzungen der gemeinsamen Vierer- (bis 1993) und Dreier-Landtage statt; ihre Beschlüsse wurden auch zu einem hohen Prozentsatz innerstaatlich umgesetzt.296 Dies ist allerdings darauf zurückzuführen, dass eine „Interregionale Landtagskommission“ die Tagesordnung schon vorweg politisch „entschärft“. Soweit dies nicht gelang, wie bei einer beantragten Resolution über die Begnadigung ehemaliger „Südtirol-Aktivisten“ auf dem Dreier-Landtag von Riva del Garda (2002) kam es zum politischen Eklat und Abbruch der Sitzung.
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Weitere Initiativen sind die Unterzeichnung der Alpenkonvention und der Aktionsgemeinschaft Brennereisenbahn für einen Brennerbasistunnel; vgl dazu den Themenschwerpunkt in der Zeitschrift Le Regioni 5/2001; zur Information über die Europaregion, vgl auch http://www.europaregion.info/de/23.htm. Zu optimistisch in dieser Hinsicht: Francesco Palermo/Jens Woelk, Grenzüberschreitender Regionalismus, aaO 391 f. Die beiden derzeit als öffentlichrechtliche Körperschaften existierenden Europaregionen, die Euregio Rhein-Waal und die Ems Dollart Regio stützen sich auf ein bilaterales völkerrechtliches Abkommen zwischen den Niederlanden und Deutschland, das 1991 in Anholt geschlossen wurde. Vgl dazu Günther Pallaver, Europaregion, aaO 505 ff; Martin Oberhofer, Der Dreierlandtag. Innsbrucker pol. Diplomarbeit (2003) 128 ff.
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f) Ergebnis der bisherigen Ansätze einer Europaregion Zusammenfassend kann man daher über den Beitrag der Europaregion zur rechtlichen Identität des „ganzen Landes“ Tirol folgendes Urteil abgeben: Die von Roberto Toniatti im Auftrag der autonomen Provinz Trient ausgearbeitete Lösung einer grenzüberschreitenden Körperschaft „Europaregion Tirol/Euregio Tirolo“ mit eigenen Organen und eigenen Funktionen hätte einen wesentlichen Fortschritt in der Konstituierung einer rechtlichen Identität Gesamttirols gebracht; ob diese Lösung allerdings auf der Grundlage des Madrider Rahmenübereinkommens ohne spezielle völkerrechtliche Verankerung rechtlich durchführbar gewesen wäre, scheint zweifelhaft. Die minimalistische Lösung des Abkommens von 1998 hätte auf die körperschaftliche Institutionalisierung der Europaregion von vorneherein verzichtet und die Rechtsformen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unter zahlreiche rechtliche Vorbehalte und Absichtserklärungen gestellt. Ihre kompetenzrechtliche Grundlage im innerstaatlichen Verfassungsrecht wäre dünn bis fragwürdig gewesen. Die Vereinbarung ist – wegen der fehlenden Ratifizierung im Trienter Landtag – nie rechtlich in Kraft getreten. Einige europarechtliche Ansätze einer Begründung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gibt es im Rahmen der Regionalprogramme der EU für Grenzregionen (Interreg III ua); sie müssten aber nach Auffassung der Europäischen Kommission grenzüberschreitend organisationsrechtlich ausgebaut werden, um effektiv zu sein.297 Die vorliegende Studie wird daher einen rechtspolitischen Vorschlag einer (gemeinschaftsrechtlich begründeten) „Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol“ formulieren,298 um die rechtliche Organisation und Identität des „ganzen Landes“ im Rahmen der europäischen Integration neu zu begründen. Bis dahin müssten die außerrechtlichen Formen der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und administrativen Zusammenarbeit der Landesteile fortgesetzt und intensiviert werden, um die Realität der Europaregion weiterzuentwickeln. Alle rechtlichen Instrumente der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – insbesondere im Rahmen der EU und der Alpenkonvention – müssten in den Dienst spezieller Projekte dieser Zusammenarbeit gestellt werden, bis eine rechtliche Konstituierung und Institutionalisierung der Gesamtregion Tirol auf neuer Grundlage möglich wird. Auf die ethnopolitische Bedeutung der grenzüberschreitenden „Einheit des ganzen Landes“ für die Südtiroler Volksgruppe in Italien darf weder beim Prozess der „pragmatischen Entwicklung“ in der Realität, noch bei der rechtlichen Verankerung der Institutionalisierung der Europaregion verzichtet werden.
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Siehe dazu den Entwurf eines „Europäischen Verbundes für grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ der Europäischen Kommission, KOM (2004) 496. Siehe Abschnitt X dieser Untersuchung.
VI. Das Tiroler Volk als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker 1. Das Volk als dynamisches Element der politischen Identität So wichtig – gerade im Falle Tirols – die Landschaft für die politgeographische Einheit und Identität des Landes ist; die politische Selbständigkeit und die Forderung nach staats- und völkerrechtlicher Anerkennung dieser Selbständigkeit in geeigneten Institutionen gründen sich ausschließlich im Bewusstsein und Wollen der Bevölkerung des Landes. Dass dieses Bewusstsein selbst wieder geschichtlich, kulturell (vor allem sprachlich) und durch eine Generationen währende Ansässigkeit in einem Territorium geprägt ist, macht das Wesen dieser grundlegenden Verbundenheit von Menschen in einem Volk oder einer Volksgruppe (nationale Minderheit) aus. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass die demokratische Bewegung nicht nur das Volk als Staatsnation zur politischen Identität und Selbständigkeit geführt hat, sondern auch die politische Autonomie der Länder und Regionen im heutigen Staats- und Völkerrecht begründet. Durch die Institutionen und Prozesse der politischen Legitimierung in den demokratischen Systemen – also durch Repräsentation, plebiszitäre Rechte und Partizipation299 – steuert und kontrolliert das Volk laufend die politische Willensbildung und damit die Selbständigkeit und Identität des Landes. Das Volk – repräsentiert durch die politischen Eliten und die politisch aktiven Bürger („Zivilgesellschaft“) – verkörpert daher auch das dynamische Element jeder politischen Selbständigkeit und entscheidet über ihre Weiterentwicklung oder Stagnation. Entscheidend für die politische Identität Tirols und ihre Zukunft sind daher die Prozesse der politischen Selbstbestimmung des Volkes in der Vergangenheit ebenso wie der Gebrauch der darauf beruhenden demokratischen Rechte ihrer Bürger. Das Volk ist aber nicht nur wegen der Notwendigkeit ununterbrochener politischer Bewusstseinsbildung und Betätigung des politischen Willens das dynamische Element der Selbständigkeit des Landes; sowohl der Begriff wie die Wirklichkeit des Volkes sind durch innere Widersprüche und Gegensätze ständig in Bewegung gehalten und zu einer permanenten Auseinandersetzung
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Vgl dazu Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre (1996) 177 ff.
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um Einheit und politischer Willensbildung gezwungen. Beim Volk des Landes oder der Region vervielfältigen sich diese Spannungen und Antinomien durch die Abgrenzung und Kooperationszwänge mit den höheren rechtlichen und politischen Ordnungen des Nationalstaates und der europäischen Integration. Auch hier gilt es, politische Identität in demokratischen Prozessen der Repräsentation lokaler und regionaler Interessen zu wahren und dauernd weiter zu entwickeln, da davon das Ausmaß und die Inhalte der Autonomie wesentlich mitbestimmt werden. Ob die dafür notwendigen Prozesse der Kooperation und Integration im nationalen Föderalismus und europäischen Konföderalismus letztlich zur Stärkung oder Schwächung der Identität des Landes beitragen, ist eine der Schicksalsfragen, die mit dieser Verflechtungs-Dynamik unaufhebbar verknüpft sind, aber in der politischen Hektik des Tagesgeschehens selten reflektiert werden.300
2. Staatsvolk (Nation), Landesvolk, Volksgruppe Verfassungs- und Völkerrecht differenzieren zwischen dem Volk, das – als „Nation“ – dem Gesamtstaat (der „Republik“) und dem Volk, das einem Teilstaat („Land“) oder einer Region zugeordnet wird, und heben davon wiederum die „Volksgruppe“ (nationale Minderheit) ab. Der Grund für diese Unterscheidung ist, dass die völkerrechtliche Souveränität dem Gesamtstaat und die innerstaatliche Verfassungshoheit den Repräsentanten des Gesamtvolkes („Nation“) zugeordnet werden. Das Landesvolk und die Länder sind daher nicht im völkerrechtlichen Sinne „souverän“,301 sondern im verfassungsrechtlichen Sinne selbständig („autonom“). Wie noch näher zu begründen sein wird302 verfügt aber auch das Landesvolk im Bundesstaat über ein selbständiges demokratisches System, das politisch nicht auf zentralstaatlicher Ermächtigung, sondern auf dem inneren Selbstbestimmungsrecht des Landesvolkes beruht und damit gleichfalls die Volkssouveränität in den Ländern verwirklicht. Auch die Volksgruppe ist ein besonderes – demokratisch strukturiertes – Subjekt des Völkerrechts und des Staatsrechts, dem nach richtiger Auffassung nicht nur Minderheitenrechte, sondern das Selbstbestimmungsrecht zukommt. Dies ist darin begründet, dass die ethnische Struktur von Volk und Volksgruppe identisch ist303 und die Volksgruppe häufig – wie auch im Fall Südtirols – einen Teil des durch die Staatsgrenze getrennten Stammvolkes bildet. 300
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Vgl dazu Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 456 ff: „Die negativen Auswirkungen übersteigerter Kooperation“ und die Ausführungen oben I. 3 („Kooperation als Zukunft der Autonomie?“). Wenn die Schweizer Bundesverfassung die Kantone als „souverän“ bezeichnet (Art 3), meint sie damit nicht die völkerrechtliche Souveränität, sondern die verfassungsrechtliche Selbständigkeit. Sie dazu unten, VIII. 1 „Das Landesvolk des Bundeslandes Tirol“. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 49 ff.
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Auch die Regionen mit eigenem demokratischen System verfügen in höher entwickelten regionalistischen Verfassungssystemen – wozu auch Italien zählt – über ein Maß an politischer und rechtlichen Autonomie, die der inneren Selbstbestimmung der Landesvölker in föderalistischen Systemen entspricht.304 Für Südtirol ergibt sich daraus – wie im Folgenden aufgezeigt wird305 – das Problem eines doppelten Volksbegriffes: Dem verfassungsrechtlich eingerichteten „Volk“ der demokratischen Institutionen der Autonomen Provinz Bozen und der Region Trentino/Südtirol steht die Volksgruppe der deutschsprachigen Südtiroler als selbständiges völkerrechtliches Subjekt der Schutznormen und des Selbstbestimmungsrechts gegenüber. In der Teilung des zuerst genannten staatsrechtlichen „Volkes“ Südtirols in Sprachgruppen hat diese Verdoppelung des Volksbegriffes auch im positiven Verfassungsrecht des Statutes einen Niederschlag gefunden, der allerdings das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durch Kooperationszwänge gleichzeitig schützt und relativiert.
3. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker a) Entwicklung und Subjekte des Selbstbestimmungsrechts Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde als politisches Prinzip schon im 19. Jahrhundert entwickelt und von Präsident Wilson (USA) als Kriegsziel des Ersten Weltkrieges formuliert. In der Zwischenkriegszeit wurde ethnisch begründete Selbstbestimmung in einer Reihe von Plebisziten verwirklicht, in vielen Fällen – darunter auch in Südtirol – aber auch aus machtpolitischen Gründen verweigert.306 Eine internationale rechtliche Anerkennung fand das Selbstbestimmungsrecht der Völker erst durch die UNO-Satzung307 und in den Art 1 der beiden UN-Menschenrechtspakte vom 16. 12. 1966 (in Kraft getreten 1976). Rechtlich präzisiert wurde das Selbstbestimmungsrecht durch die ständige Praxis der Vereinten Nationen, insbesondere in ihrer Deklaration über freundschaftliche Beziehungen und die Zusammenarbeit der Staaten vom 24. 10. 1970, Nr 2625 (XXV). Inhaltlich damit übereinstimmend wurde das Selbstbestimmungsrecht auch in der Schlussakte der „Konferenz für Sicherheit und Zu-
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„Föderalistischer Standard“, vgl Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus im Alpenraum, aaO 57 ff. Siehe dazu VII. 2 „Volk und Sprachgruppen in Südtirol“. Felix Ermacora, Ursprung und Wesen des Selbstbestimmungsrechts der Völker und seine Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Kurt Rabl (Hg) Inhalt, Wesen und gegenwärtige praktische Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts (1964) 50 ff. Art 1 § 2; Art 55, 73 lit b und 76 lit b.
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sammenarbeit in Europa“ (KSZE; heute: OSZE) von Helsinki (1975) formuliert.308 In der Rechtslehre und in der Rechtspraxis ist aber umstritten, wer die Träger des Selbstbestimmungsrechts sind. In der Staatenpraxis der Vereinten Nationen und von einem Teil der Völkerrechtslehre wird das Selbstbestimmungsrecht den Staatsnationen und den kolonisierten Völkern (innerhalb der künstlichen Kolonialgrenzen) vorbehalten, vor allem soweit damit das „äußere Selbstbestimmungsrecht“, also die Veränderung von Staatsgrenzen, gemeint ist.309 Richtiger Weise ist aber als das Subjekt des Selbstbestimmungsrechtes jedes Volk im ethnischen Sinn – dh unabhängig von staatlicher Organisation – und jede Volksgruppe (nationale Minderheit) anzusprechen, wenn sie die üblichen Merkmale einer volklich-politischen Identität haben.310 b) Äußeres und inneres Selbstbestimmungsrecht Vor allem seit der oben erwähnten UNO-Deklaration vom 24. 10. 1970 wird in der Völkerrechtslehre und Staatenpraxis zwischen einem „äußeren“ und einem „inneren“ Selbstbestimmungsrecht unterschieden. Das „äußere Selbstbestimmungsrecht“ ist auf die Errichtung eines eigenen Staates, auf die Verschiebung von Staatsgrenzen oder die Vereinigung von Staaten gerichtet und berührt damit die völkerrechtliche Souveränität und Integrität von Staaten. Obwohl dies die aus der Geschichte der nationalen Einigungs- und Unabhängigkeitsbewegungen stammende ursprüngliche und primäre Bedeutung des Selbstbestimmungsrechtes ist,311 stellen sich seiner Durchsetzung in der Praxis fast unüberwindliche Widerstände entgegen. Die Änderung von Staatsgrenzen oder gar der der Souveränität eines Staates ist ohne Zustimmung des betroffenen Staates nach geltendem Völkerrecht nicht möglich. Ein Sezessionsrecht gegen den Willen des Staates könnte einem Volk oder einer Volksgruppe nur
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„Korb“ I. 1. a und „Korb“ VIII. Vgl dazu: Agenda for Peace des UNO-Generalsekretärs von 1992, UN-Doc S/24 111, § 17; UNO-Sonderbericht für Minderheiten, (A. Eide) UN-Doc E/CN 4/Sub 2/1993/34, §§ 76 und 82; Christoph Gusy, Selbstbestimmung im Wandel, Archiv des Völkerrechts 1992, 385 ff. Zu diesen Merkmalen vgl Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 49 ff; zum Selbstbestimmungsrecht im hier verstandenen Sinne, ebenda 54 ff; Karl Dochring, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: Bruno Simma (Hg), Charta der Vereinten Nationen (1991) 15 ff; Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht, in: Der Staat 1984, 523 ff; Christian Tomuschat, Protection of Minorities under Article 27 of the International Covenant on Civil and Political Rights, in: FS Mosler (1983) 949 ff. Felix Ermacora, Die Selbstbestimmungsidee – Ihre Entwicklung von 1918–1974 (1974); Daniel Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: Archiv des Völkerrechts 1984/2, 113 ff.
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Selbstbestimmung im Land Tirol
dann zugestanden werden, wenn deren Menschenrechte eklatant, dauernd und schwerwiegend verletzt werden.312 Das wichtigste Instrument der gewaltfreien Verwirklichung des äußeren Selbstbestimmungsrechts ist das ethnische Plebiszit, die Abstimmung darüber, welchem Staat ein Volk oder eine Volksgruppe angehören will. Ob eine solche Abstimmung zugelassen wird, hängt ausschließlich vom Staat ab, der die Souveränität über das Siedlungsgebiet der betreffenden Ethnie ausübt. In der Regel scheitert daran die Verwirklichung des äußeren Selbstbestimmungsrechts. Das innere Selbstbestimmungsrecht – das heute von der Staatengemeinschaft deutlich bevorzugt wird – besteht in der „freien Wahl des politischen Status“ eines Volkes oder einer Volksgruppe innerhalb des Staates, in dem sie lebt. Es sollen also nicht dessen Souveränität oder Staatsgrenzen berührt werden, sondern „Selbstregierung“ des Volkes oder der Volksgruppe nach eigenen politischen Vorstellungen gewährt werden.313 Verwirklicht wird das innere Selbstbestimmungsrecht entweder durch eine ausreichende, vom Volk selbst gewählte und (mit)gestaltete Territorialautonomie, durch die Errichtung eines eigenen Gliedstaates in einem föderalistischen System oder durch die Bildung eines multinationalen Staatswesens aus mehreren gleichberechtigten Sprachgruppen oder Nationalitäten.314 Wendet man das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf Tirol an, so muss man wiederum zwischen den Landesteilen Tirol und Südtirol und der „Einheit des ganzen Landes“ differenzieren und dabei zwischen dem gegenwärtigen Zustand und historischen Anwendungsfällen des Selbstbestimmungsprinzips in Tirol unterscheiden.
4. Selbstbestimmung im Land Tirol Das Volk des Bundeslandes Tirol ist gegenwärtig als „Landesvolk“ eines bundesstaatlichen Systems gleichzeitig eine konkret vorstaatliche Einheit und die Vielheit der Landesbürger. Das Landesvolk als Einheit ist das Subjekt der Landesverfassungshoheit und der Träger des inneren Selbstbestimmungsrechts für das Land Tirol. Die Landesverfassung drückt dies so aus, dass sie einerseits „den Beitritt des selbständigen Landes Tirol zum Bundesstaat Österreich“ anerkennt und andererseits das Landesvolk als „Träger der Staatsgewalt des 312
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Karl Dochring, aaO 15 ff; Christian Tomuschat, aaO 949 ff; Peter Hilpold, Der Osttimor-Fall. Eine Standortbestimmung zum Selbstbestimmungsrecht der Völker (1996); derselbe, Sezession und humanitäre Intervention, ZÖR 1999, 529 ff. Felix Ermacora, Über die innere Selbstbestimmung, FS Veiter (1982) 31 ff; derselbe, Autonomie als innere Selbstbestimmung, Archiv des Völkerrechts 38 (2000) 285 ff; Theodor Veiter, Das Selbstbestimmungsrecht als Menschenrecht, in: FS Klecatsky, Bd 2 (1980) 967 ff; Daniel Thürer, Self-Determination, in: Rudolf Bernhard (Hg), Encyclopedia of Public International Law Bd IV (2000) 364 ff. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 56 und 60 ff.
Das Tiroler Volk als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker
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Landes Tirol“ normiert.315 Die Bundesverfassung normiert ihrerseits in Art 2 Abs 2 B-VG, dass das individuell mit seinem Namen bezeichnete „selbständige Land Tirol“ in seiner historisch gewachsenen und 1918–1920 bzw 1945 demokratisch (revolutionär) neu konstituierten Identität316 gemeinsam mit den anderen Ländern „den Bundesstaat Österreich bildet“. Damit wird von der Bundes- und Landesverfassung in gleicher Weise anerkannt, dass das Land Tirol nicht nur durch sein (unantastbares) Landesgebiet (Art 3 Abs 2 B-VG), sondern vor allem durch die Entscheidung seines selbständigen Landesvolkes zum demokratischen Gliedstaat eines demokratischen Bundesstaates geworden ist und die Bundesstaatlichkeit auch jetzt noch laufend legitimiert.317 Dies folgt nicht nur aus der Art der Gründung des demokratischen Bundesstaates Österreich – die sich in einem zweifachen revolutionären Vorgang mit wechselseitiger Anerkennung vollzog318 – sondern ist auch in der Struktur des gegliederten „Volksbegriffes“ im demokratischen Bundesstaat Österreich für die Dauer der Geltung der Bundesverfassung unaufhebbar verankert. Dieses Landesvolk als politische Einheit soll die Verbundenheit der „Landsleute“ in einer gemeinsamen Geschichte, gemeinsamen Kultur – allenfalls auch in subethnischer Besonderheiten319 – und den darin begründeten gemeinsamen Wertvorstellungen ausdrücken. In besonderer Weise werden sich darin auch regionale und landschaftsgebundene Gemeinsamkeiten und Lebensformen verkörpern, die wiederum in bestimmten Strukturen des kollektiven Unbewussten begründet sind, welche sich in Mythen, Sagen, Liedern und Bräuchen des Landes niederschlagen.320 Auch sprachliche Eigenheiten, eigenartige Siedlungs-, Sozial- und Wirtschaftsstrukturen, besondere religiöse oder künstlerische Traditionen prägen die Individualitäten der Landesvölker Österreichs, deren Vielfalt – vom Bürgertum der Stadtkultur Wiens bis zum typisch alemannisch geprägten Volk Vorarlbergs – erst die Eigenart des „österreichischen Volkes“ im oben beschriebenen Sinne konstituiert.321 Durch die Teilung der Staatlichkeit zwischen Bund und Länder – als Kennzeichen des bundesstaatlichen Systems – ist der Zusammenhang zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und der Gemeinschaft der staatlichen Souveränität im Bundesstaat hergestellt: Die Länder können als „indestructable 315 316 317
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Präambel und Art 1 Abs 3 der Landesordnung 1989; siehe dazu oben, V. 2. b. Siehe dazu: Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 19 ff, 39 f, 53, 67 ff. Peter Pernthaler/Fried Esterbauer, Die Entstehung des österreichischen Bundesstaates, aaO 148 f. Nämlich 1918 und 1945; Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte 52 ff. Dies gilt vor allem für das Landesvolk Vorarlbergs; vgl dazu Art 5 der Landesverfassung: „Pflege der in Vorarlberg beheimateten Mundarten“ als Staatszielbestimmung. Vgl Martin Usteri, Unverwechselbarkeit der schweizerischen Eidgenossenschaft, in: FS Nef (1981) 301 ff; derselbe, Das Verhältnis von Staat und Recht zur Wirtschaft in der Schweizerischen Eidgenossenschaft (1981) 1 ff. Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 62 f.
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Das Selbstbestimmungsrecht Südtirols
states“322 nicht ohne die Mitwirkung ihrer Landesvölker bzw ihrer Repräsentanten in ihrer Selbständigkeit als Gliedstaaten beeinträchtigt werden.323 Ein äußeres Selbstbestimmungsrecht kommt dem Volk des Bundeslandes Tirol gegenwärtig nicht mehr zu.324 Dies ergibt sich daraus, dass Tirol durch seinen Beitritt zum Bundesstaat Österreich325 ein Gliedstaat der Republik geworden ist und als solcher nach herrschender Auffassung kein (einseitiges) Sezionsrecht hat. Diese Frage wurde in Österreich besonders intensiv im Zusammenhang mit der Anschlussbewegung Vorarlbergs an die Schweiz (1919/21) diskutiert326 und dort ebenso wie bei den Anschluss-Volksabstimmungen in den anderen österreichischen Ländern im Ergebnis negativ beurteilt. Maßgebend für die Ablehnung war auch, dass es in den betreffenden österreichischen Ländern – anders als im Falle Südtirols – keine eigenen Volksgruppen oder gar eigene Völker gibt, die gegenüber dem österreichischen Volk ein Selbstbestimmungsrecht geltend machen könnten.
5. Das Selbstbestimmungsrecht Südtirols Das Landesvolk Südtirols setzt sich heute – anders als im Jahre 1918 – aus einer deutschsprachigen Mehrheit, die noch immer eine eigene Volksgruppe (Ethnie) bildet, einer italienischen Sprachgruppe, die derzeit 26,47% der Bevölkerung umfasst und einer kleinen ladinischen Sprachgruppe (4,37%) zusammen. Durch das Autonomiestatut (1972) und die „Paketlösung“ werden die Sprachgruppen Südtirols zu einem kooperativen System der Konkordanzdemokratie verkoppelt, sodass das „Landesvolk“ im verfassungsrechtlichen Sinn ethnisch komplex ist. Das Selbstbestimmungsrecht kommt jedenfalls der deutschsprachigen Volksgruppe zu, weil sie selbst eine eigene Ethnie ist und darüber hinaus vom Stammvolk durch die Staatsgrenze getrennt ist.327 Die deutschsprachige Volks322
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Hans Huber, Die Gleichheit der Gliedstaaten im Bundesstaat, in: ÖZöRV 1968, 247 ff (256) unter Hinweis auf USA, Australien, Brasilien, Kanada ua. Peter Pernthaler, Die Stellung der Länder, aaO 661; Art 35 Abs 2 der Vorarlberger Landesverfassung: zwingende Volksabstimmung im Lande zusätzlich zur Volksabstimmung im Bund gemäß Art 44 Abs 3 B-VG. Zur historischen Lage 1918 siehe unten, Punkt 7. a. 1918/20 und 1945; siehe dazu Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 19 ff, 35 ff, 67 ff. Adolf Merkl, Die Vorarlberger Frage im Lichte des Selbstbestimmungsrechtes, in: Schweizer Juristenzeitung 1920/21, 133 ff; Daniel Witzig, Die Vorarlberger Frage (1974). Zum Selbstbestimmungsrecht des Südtiroler Volkes vgl ua Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 19 ff, 339 ff; Hector Gros Espiell, Das Selbstbestimmungsrecht des Volkes Südtirols auf Grund des Völkerrechts (1987); Otto Kimminich, Der Selbstbestimmungsanspruch des Südtiroler Volkes, in: EuropaUnion Tirol (Hg), Süd-Tirol. Weg in die Zukunft (1985) 45 ff; Guy Héraud, Gut-
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gruppe in Südtirol ist zwar ein „eigenständiges Volk“ im ethnischen Sinn328 und hat als „deutsprachige Minderheit in der Autonomen Provinz Bozen“ auch eine gewisse völkerrechtliche Anerkennung durch das Pariser Abkommen (1946) und den Prozess der Streitbeilegung (1992) gewonnen.329 Dennoch kann sie aus rechtlichen und faktischen Gründen das äußere Selbstbestimmungsrecht nur gemeinsam mit der italienischen und ladinischen Sprachgruppe im Territorium der Autonomen Provinz Bozen handhaben, da anders ein ethnisches Plebiszit – als Instrument der Verwirklichung des (äußeren) Selbstbestimmungsrechts – nicht durchführbar wäre.330 Damit deckt sich in der praktischen Anwendung das Subjekt des äußeren Selbstbestimmungsrechts mit dem „Volk“ des demokratischen Systems in Südtirol. Auch dieses ist – wie noch darzustellen ist331 – das ethnische komplexe „Landesvolk“ der Autonomen Provinz Bozen als Subjekt der Mehrheitsdemokratie und (in der Pluralität der Sprachgruppen) als das gemeinsame „Subjekt“ der Konkordanzdemokratie in Südtirol. Für das innere Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler Volksgruppe gilt diese Anwendungsbeschränkung nicht; es kann, wie im Folgenden dargestellt wird,332 von der Volksgruppe autonom gebildet und gehandelt werden.
6. Das Selbstbestimmungsrecht Gesamttirols Aus den bisherigen Analysen folgt deutlich, dass Gesamttirol (der „Einheit des ganzen Landes“) gegenwärtig kein Selbstbestimmungsrecht mehr zukommt, wenngleich es historisch gesehen einmal das Selbstbestimmungsrecht hatte und auch politisch in Anspruch nahm.333 Der Grund dafür ist, dass Gesamttirol weder eine staatsrechtliche Einheit ist, deren Bevölkerung ein „inneres Selbstbestimmungsrecht“ zukommen könnte, noch über ein gemeinsames „eigenständiges“ Volk verfügt, das als Subjekt des „äußeren Selbstbestimmungs-
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achten über den Anspruch des Südtiroler Volkes auf das Selbstbestimmungsrecht, zitiert bei: Florian von Ach, Das Nachwirken des Tiroler Unabhängigkeitsgedankens, aaO 146 f. Vgl zu dieser Begriffsbildung: Max Hildebert Boehm, Das eigenständige Volk in der Krise unserer Zeit, FS Hugelmann Bd I (1959) 77 ff; Rudolf Laun, Der Wandel der Ideen Staat und Volk als Äußerung des Weltgewissens (1933). Vgl dazu: Peter Hilpold, Die völkerrechtliche Absicherung, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 44 ff. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 55. Siehe unten VII. 2. Siehe dazu Punkt 7. b dieses Abschnittes. Vgl dazu die Konstituierung der „Tiroler (Landes)Nationalversammlung“ vom 26. 10. 1918 und des „Tiroler Nationalrates“ am 1. 11. 1918; Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 67 f; Friedrich Granichstaedten-Czerva, Tirol und die Revolution (1920) 15 f.
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Anwendungsfälle des Tiroler Selbstbestimmungsrechts
rechts“ in Betracht käme.334 Zwar kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Landesvölker der beiden Landesteile nach wie vor über einige gemeinsame Merkmale der Identität eines „eigenständigen Volkes“ verfügen, wie gemeinsame Abstammung („Volksstamm“), Sprache, Religion, Geschichte, Territorium (Landschaft) ua; es fehlt ihnen aber das entscheidende Kriterium des gemeinsamen Volksbewusstseins und des politischen Willens zur gemeinsamen volklichen Identität335 gegenwärtig ganz offenkundig. Als Folge der getrennten staatsrechtlichen und politischen Entwicklung durch fast 90 Jahre und der Entfaltung eines eigenen Südtiroler Landes- und Volksbewusstseins im komplexen politischen und verfassungsrechtlichen System der Südtiroler Autonomie seit 1972336 gibt es wohl noch eine gewisse „geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes“,337 die aber nur mehr zu pragmatischen Einzelaktionen grenzüberschreitender Zusammenarbeit der Landesteile führt. Die oben dargestellte Entwicklung der „Europaregion Tirol“ zeigt deutlich, dass ein darüberhinausgehender politischer Wille zur rechtlichen oder organisatorischen Integration der Landesteile im Sinne einer ethnopolitischen Einheit gegenwärtig nicht vorhanden ist. Es scheint eher so zu sein, dass die selbständige Entwicklung und die daraus folgende Konkurrenzsituation der Landesteile ein politisches Gegengewicht zur „Einheit des ganzen Landes“ bildet, das zumindest die politischen Eliten der Landesteile stärker beeinflusst, als der Wille zur Integration der Landesteile. Die vorliegende Untersuchung wird daraus die Konsequenz eines besonderen, auf die Selbständigkeit Tirols und Südtirols aufbauenden europäischen Regionalverbundes338 ziehen, um eine regionale Identität des Landes auf neuer Grundlage zu entwickeln.
7. Anwendungsfälle des Tiroler Selbstbestimmungsrechts Wenn im Folgenden „Anwendungsfälle“ des Selbstbestimmungsrechts des Tiroler Volkes dargestellt werden, so soll damit keine bloße Aufzählung historischer Ereignisse geliefert werden, sondern die Entstehung der gegenwärtigen staatsrechtlichen und politischen Identität der Landesteile aus der Selbstbestimmung ihres Volkes – vermittelt durch seine Repräsentanten – erläutert werden. Daher fehlen in der folgenden Darstellung alle fehlgeschlagenen oder erfolglosen Versuche, aus dem Selbstbestimmungsrecht die Wiedervereinigung 334
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Peter Pernthaler, Tirol und die Neuordnung Europas, in: Das Fenster 50/51 (1991) 4982 ff. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 51 f. Vgl dazu die Beiträge in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005). Aus der Präambel der Tiroler Landesordnung 1989; siehe dazu die Ausführungen oben, III. 7 und V. 2. Siehe unten, Abschnitt X („Europäische Regionalgemeinschaft Tirol“).
Das Tiroler Volk als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker
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der Landesteile oder eine Selbständigkeit Tirols (als ganzes) oder Südtirols (Freistaatlösung) zu begründen.339 Unter dieser Voraussetzung sind die folgenden Anwendungsfälle des Selbstbestimmungsrechts als Grundlagen der heutigen Identität der Landesteile anzusprechen. a) Bundesland Tirol •
Die Konstituierung der „Tiroler Nationalversammlung“ und des „Tiroler Nationalrates“ am 26. 10. und 1. 11. 1918: 340
Durch diesen Akt des „äußeren Selbstbestimmungsrechts“341 wurde aus dem ehemaligen „Kronland“ der Österreichisch-Ungarischen Monarchie das republikanische Land Tirol, das sich in der Folge (auf Grund seines internen Selbstbestimmungsrechts) selbständig demokratisch organisierte und in dieser Form dem Bundesstaat Österreich – unter Vorbehalt des Selbstbestimmungsrechts342 – beitrat. Die mit diesem Akt noch beabsichtigte Gründung eines (Südtirol einschließenden) republikanischen Gesamttirol ist fehlgeschlagen. •
Entschließung des verfassungsgebenden Tiroler Landtages vom 27. 9. 1919 über die staatsrechtliche Stellung Tirols in seinen Beziehungen zur Republik Österreich: 343
Diese Entschließung bringt den Beitrittswillen des Landtages zu einer „föderativen Staatsverfassung“ Österreichs zum Ausdruck, beauftragt die Landesregierung (den damaligen „Landesrat“), gemeinsam mit anderen Ländern an der Ausarbeitung der Bundesverfassung mitzuwirken – was tatsächlich durch die „Länderkonferenzen“ und Verhandlungen des Staatssekretärs für Verfassungsreform mit den Ländern geschah344 – und wahrte dem Land die „endgültige Entscheidung über die Annahme des Verfassungsentwurfes“. In der Folge ist den Ländern die Mitwirkung an den Verfassungsarbeiten mehr und mehr entglitten und auf die politischen Parteien übergegangen.345 Dennoch bleibt die zitierte Entschließung als Beleg für die Verankerung des Bundesstaates im inneren Selbstbestimmungsrecht des Landes wichtig, weil sie vom ersten freigewählten Landtag des republikanischen Landes den Willen zum Bundesstaat klar zum Ausdruck bringt und die Mitarbeit der Länder an 339
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Vgl dazu Felix Ermacora, Südtirol, aaO 19 ff; Florian von Ach, Das Nachwirken, aaO 60 ff, 146 ff. Abgedruckt bei: Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 67 f. Die österreichischen Länder beriefen sich dabei auf den Untergang der „Pragmatischen Sanktion“ (1713) als Grundlage der österreichischen Monarchie und ihre dadurch erlangte Unabhängigkeit; vgl dazu: Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 23. Siehe dazu die folgenden, im Text zitierten Entschließungen. Sten Ber des verfassungsgebenden Tiroler Landtages, 18. Sitzung, 428. Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 28 ff. Felix Ermacora, Österreichischer Föderalismus (1976) 48 ff, 219 ff; Christa Altenstetter, Der Föderalismus in Österreich (1969) 14 ff.
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Anwendungsfälle des Tiroler Selbstbestimmungsrechts
der Bundesverfassung demokratisch legitimierte. Der in der Entschließung geäußerte Wunsch nach einem „dem Muster der Schweizer Eidgenossenschaft nachgebildeten Bundesstaat“ ist ebenso fehlgeschlagen wie die Einbringung eines, von Tirol ausgearbeiteten Verfassungsentwurfes (Entwurf Falser346) in die Ausarbeitung der Bundesverfassung.347 •
Entschließung des verfassungsgebenden Tiroler Landtages vom 25. 11. 1920 betreffend Wahrung des Selbstbestimmungsrechts und Anerkennung der Bundesverfassung: 348
Der Tiroler Landtag beruft sich neuerdings auf die „dem Lande kraft seines nach dem Umsturz wiedererlangten Selbstbestimmungsrechtes“ zustehenden Rechte und nimmt „nur unter ausdrücklicher Wahrung dieser Rechte die Wahl in den Bundesrat und die weiteren Schritte vor, die ihm in der Durchführung des Bundesverfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 als der Landesvertretung obliegen.“ Erst durch die Entsendung der Bundesräte durch den frei gewählten und durch das Land selbst konstituierten Landtag ist – unter Wahrung des Rechtes des Landes auf freie Selbstbestimmung – der Bundesstaat auf Grund der Bundesverfassung von 1920 rechtlich und faktisch in Wirksamkeit getreten. Erst in der Folge wurde die – zunächst weiter geltende – Landesordnung der Bundesverfassung angepasst.349 •
Entschließung der „Provisorischen Tiroler Landesversammlung“ vom 8. 10. 1945 über die Wahrung der Bundesstaatlichkeit.350
Die unter Mitwirkung des „Exekutivausschusses“ und der drei demokratischen Parteien der Widerstandsbewegung am 10. 6. 1945 konstituierte „Landesversammlung“ war eine (beratende) Körperschaft zur Vertretung des Landesvolkes gegenüber den „Spitzen der Administration“ (Landeshauptmann und provisorische Landesregierung).351 In dieser Entschließung „bekennt sich die Landesversammlung zum wieder entstandenen Österreich als Bundesstaat; sie verwahrt sich aber gleichzeitig entschiedenst gegen die Missachtung und Hintansetzung der Rechte des Landes Tirol, hält unverbrüchlich daran fest, dass Österreich aus dem freiwilligen Bunde der selbständigen Bundesländer hervorgegangen ist und versagt daher den bisher erschienenen, von der Staats-
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Abgedruckt bei: Felix Ermacora, Quellen zum österreichischen Verfassungsrecht (1967). Vgl dazu Rudolf Palme, Der Anteil Tirols am Entstehen der österreichischen Bundesverfassung vom Jahre 1920, in: Tiroler Heimat Bd 45 (1981/82) 105 ff (108); Felix Ermacora, Tirol und die Bundesverfassung 1920, FS Grass (1986) 160 ff. Sten Ber des verfassungsgebenden Tiroler Landtages, 52. Sitzung 1374. Vgl die Übergangsbestimmung des § 31 Übergangsgesetz 1920 und dazu: Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 33 f. Die Landesordnung wurde zunächst novelliert (LGBl 1920/130) und in der Folge völlig neu erlassen (LGBl 1921/145). Blg 1 zu den Sten Ber des Tiroler Landtages, 3. Sitzung vom 8. 10. 1945. Vgl dazu die bei: Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 76 f abgedruckten Dokumente.
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regierung erlassenen Gesetzen und Verordnungen, insoweit sie die Zuständigkeit des Bundes überschreiten, die Anerkennung und fordert die Vertreter Tirols in der Länderkonferenz auf, dahin zu wirken, dass der bundesstaatliche Charakter Österreichs im Sinne der Verfassung von 1929 vollauf gewahrt werde“. Das Tiroler Volk werde es „nie und nimmer dulden, dass dem Land Tirol nun das Joch einer zentralistischen Regierung auferlegt wird“. Vorbereitet durch die erste Länderkonferenz (24. – 26. 9. 1947 in Wien) wurde entsprechend dieser Entschließung – die inhaltlich von allen Ländern unterstützt wurde – die „Vorläufige Verfassung“ vom 1. 5. 1945, StGBl Nr 5 durch die Verfassungsnovelle vom 12. 10. 1945, StGBl Nr 196, im bundesstaatlichen Sinne abgeändert und die Beteiligung der Länder an der Staatsregierung durchgesetzt.352 Erst auf Grund dieser bundesstaatlichen Verfassungsnovelle konnte die „Provisorische Staatsregierung“ – durch die Unterstützung der westlichen Bundesländer – ihre Anerkennung beim „Alliierten Rat“ und die Ausdehnung ihrer Staatsgewalt auf ganz Österreich durchsetzen.353 Aus dieser Entschließung folgt daher, dass auch die Staatsgründung der Zweiten Republik auf dem inneren Selbstbestimmungsrecht der Länder beruht und dieses nach wie vor die Grundlage der Selbständigkeit des Landes Tirol im Rahmen und auf der Grundlage der bundesstaatlichen Verfassung Österreichs ist.354 b) Autonomie Südtirols In Südtirol kann man seit 1918 zahlreiche eindrucksvolle, aber vergebliche Äußerungen des Selbstbestimmungsrechts des Volkes historisch dokumentieren.355 Für die hier vertretene These, dass die gegenwärtige Autonomie der Provinz Bozen/Südtirol und ihre völkerrechtliche Verankerung im Verfahren der Streitbeilegung (1992) auf dem inneren Selbstbestimmungsrecht des Südtiroler Volkes beruht,356 sind die folgenden Akte der Repräsentanten der Südtiroler Volksgruppe wesentlich:
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Felix Ermacora, Österreichischer Föderalismus, aaO 76 ff; Christa Altenstetter, aaO 26 ff. Peter Pernthaler, Staatsgründungsakte, aaO 45 f. So auch die Präambel und Art 1 der Tiroler Landesordnung 1989; siehe dazu oben, III. 7 und V. 2. Vgl die Hinweise bei Felix Ermacora, Südtirol, aaO 19 ff, 40 ff, 339 ff. Zur Abgrenzung vom „äußeren Selbstbestimmungsrecht“ Südtirols, das dadurch nicht berührt wird vgl Felix Ermacora, Über die innere Selbstbestimmung, in: Veiter-Festschrift (1982) 31 ff; derselbe, Autonomie als innere Selbstbestimmung, Archiv des Völkerrechts 38 (2000) 285 ff.
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Anwendungsfälle des Tiroler Selbstbestimmungsrechts
Resolution der Landesversammlung vom 17. November 1957 in Sigmundskron357
In der Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei (mehr als 35.000 Teilnehmer) wurden die Weichen für die spätere Paketlösung gestellt: Nicht mehr Wiedervereinigung des Landes auf Grund des äußeren Selbstbestimmungsrechts wurde gefordert, sondern „Los von Trient“, das heißt eine eigene Gesetzgebungs- und Verwaltungsautonomie für die Provinz Bozen/Südtirol und wirksame Schutznahmen, um den ethnischen Charakter Südtirols „als deutsches Land seiner abgestammten Bevölkerung in ihrer geschichtlich gewordenen Einheit“ zu erhalten. Dabei wurde der Pariser Vertrag (1946) ausdrücklich als geeignetes Instrument „der Sicherung der Lebensrechte der Südtiroler Volksgruppe“ angesprochen und seine Verwirklichung „nach Sinn und Zweck des Vertrages“ verlangt. Der Versuch der Südtiroler Abgeordneten, im Sinne dieser Forderungen im italienischen Parlament ein neues Autonomiestatut für Südtirol durchzusetzen (Gesetzesentwurf vom 11. Februar 1958, abermals eingebracht am 12. 12. 1958 und 20. 5. 1959) schlug fehlt: Der Entwurf wurde weder von der Regierung noch vom Parlament behandelt.358 •
Einsetzung der Neunzehnerkommission der italienischen Regierung zur Beratung des Südtirolproblems und Formulierung von Gesetzesentwürfen am 1. September 1961.359
Diese paritätische Kommission wurde zwar von der italienischen Regierung (Innenminister Scelba) eingesetzt, geht aber auf einen Antrag Südtiroler Abgeordneter im Parlament zurück360 und wurde „paritätisch“, dh aus 11 Italiener, 7 Südtiroler und 1 Ladiner, zusammengesetzt. Die „Studienkommission“ hat nach 200 Arbeitssitzungen einen Bericht über Maßnahmen zugunsten der sprachlichen Minderheit (I), über die Ordnung der Provinzial- und Regionalautonomie (II) und über den Schutz der Rechte der Sprachgruppen und Garantien auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit (III) erarbeitet.361 Wesentlich für die weitere Entwicklung der Südtirol-Autonomie war vor allem die Bereitschaft der Südtiroler, ihre Forderungen nach einer eigenen Region362 unter der Bedingung zurückzustellen, dass in der Kommission zwischen den italieni357
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Abgedruckt bei: Felix Ermacora, Südtirol, aaO 442; vgl dazu auch: Sigmundskron. Demonstration für Selbstbestimmung. Hg vom Südtiroler Schützenbund (1997) 19 ff. Zum mühevollen Weg, „Los von Trient“ kompromisshaft durch das neue Autonomiestatut und die Paketlösung durchzusetzen, vgl die Darstellung und sorgfältige Dokumentation bei Felix Ermacora, Südtirol, aaO 64 ff und 128 ff. Vgl dazu Roland Riz, Die letzten Etappen auf dem Weg zur Streitbeilegung, in: Siglinde Clementi/Jens Woelk (Hg) 1992: Ende eines Streits (2003) 83 ff. Antrag Roland Riz, Haushaltsdebatte im Abgeordnetenhaus, Sitzungsprotokoll vom 13. Juli 1961. Der Bericht der Neunzehner-Kommission ist abgedruckt bei: Alessandro Pizzorusso, Le minoranze nel diritto publico interno (1967) 801 ff. Gesetzentwurf vom 11. 2. 1958, siehe oben im Text.
Das Tiroler Volk als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker
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schen und deutschen Vertretern Einigung erzielt werde. Wenngleich im Abschlussbericht vom 10. 4. 1964 nicht in allen Fragen Übereinstimmung erzielt werden konnte, wurde doch in vielen Fragen eine Einigung erzielt, sodass der Bericht in der Folge für alle weiteren Verhandlungen inhaltlich grundlegende Bedeutung erlangte.363 Bedeutsam ist diese Kommission vor allem durch ihr Verfahren geworden: Die damit eingeleitete „Große Kooperation und ethnische Partnerschaft“ hat in zahllosen Verhandlungen und Beratungen, die Ergebnisse der Neunzehnerkommission zum „Paket“ konkretisiert und angereichert364 und ist in der Folge zum eigentlichen Motor der „Neuen Autonomie“ (1972) und ihrer Durchführung in der Zwölfer- und Sechserkommission365 geworden. Aus diesem Grund ist die Entscheidung der Südtiroler zur Kooperation in der Neunzehnerkommission als ein echter Akt der inneren Selbstbestimmung – und zwar in Richtung eines konkreten Verfahrens der Reform – zu bewerten. •
Entschließung der Landesversammlung vom 22. November 1969 in Meran über die Annahme von Paket und Operationskalender.366
Durch die knappe Mehrheit für die Annahme (583 zu 521) nach 14stündiger Debatte wurde deutlich, wie schwierig die Entscheidung für die Kompromisslösung des Paketes und die fehlende internationale Garantie mit der Alternative des „Operationskalenders“ war. Der zu dieser Zeit noch völlig offene Erfolg der Paketdurchführung war ein weiterer Faktor der Unsicherheit für die Landesversammlung. In Wahrheit entschied erst der durch diese Entschließung in Gang gesetzte Verhandlungsprozess durch zwei Jahrzehnte über die endgültige Gestalt der Südtirolautonomie, die zu dieser Zeit erst in Umrissen erkennbar war.367 •
Zustimmung der Landesversammlung vom 30. 5. 1992 zur Streitbeilegung
Als letzter Akt der Anerkennung des neuen Autonomiestatutes (1972) und der Realisierung des Paketes durch Italien sollte die Südtiroler Volksgruppe gemeinsam mit Österreich der „Streitbeilegungserklärung“ im Sinne des 1969 vereinbarten „Operationskalenders“ (Punkt 13) zustimmen. Dies geschah nach neuerlichen heftigen internen Auseinandersetzungen durch den Beschluss der Landesversammlung der SVP am 30. 5. 1992 in Meran, die mit hoher Mehrheit (82,86%) einen positiven Beschluss fasste, nachdem Partei363 364 365
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Vgl Felix Ermacora, Südtirol, aaO 113 ff. Felix Ermacora, aaO 134 ff. Diese Kommissionen sind zur Mitwirkung an den praktisch überaus bedeutsamen Durchführungsbestimmungen zum Statut berufen; vgl dazu Art 107 Autonomiestatut. Abgedruckt bei Felix Ermacora, Südtirol, aaO 147 ff. Felix Ermacora, Südtirol, aaO weist darauf hin, dass es selbst zur damals vorliegenden Abstimmungsgrundlage Textunklarheiten der deutschen Übersetzung, und strittige Fragen zu 20 Paketmaßnahmen gegeben habe, die durch „Interpretationen“ Magnagos in Fußnoten zum Text geklärt werden sollten.
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Anwendungsfälle des Tiroler Selbstbestimmungsrechts
obmann Dr. Roland Riz die komplizierte Form einer internationalen Verankerung des Paketes – entgegen dem ursprünglichen Konzept des Operationskalenders – erläuterte.368 Ein entscheidender Streitpunkt war – neben der Frage der internationalen Verankerung – insbesondere die italienische „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ der Zentralregierung, durch die einseitig in Autonomierechte eingegriffen wurde.369 Ob diese Eingriffe durch die „Bremse“ des Dekretes 266/1992 (keine unmittelbare Geltung in der Provinz) verhindert werden können,370 war zum Zeitpunkt der Streitbeilegung ungewiss. Die erwähnte Beschlussfassung stellt insofern einen Akt der inneren Selbstbestimmung des Südtiroler Volkes dar, als dadurch das im Verfahren der Paketdurchführung entwickelte und im Statut 1972 selbst verankerte politische und rechtliche System der „Kooperation und ethnischen Partnerschaft“ aller Sprachgruppen ebenso wie die kompromisshaft-komplizierte „internationale Verankerung“ der neuen Autonomie und des Paketes durch eine grundlegende Entscheidung der „Landesversammlung“ der Volksgruppe anerkannt wurde. Erst auf Grund dieser Entscheidung haben die österreichischen Organe (Bundesregierung, Nationalrat, Tiroler Landtage) ihrerseits der Streitbeilegungserklärung zugestimmt, wobei auf das (äußere) Selbstbestimmungsrecht des Südtiroler Volkes und die völkerrechtliche Schutzmachtstellung Österreichs als Voraussetzungen der Streitbeilegung ausdrücklich Bezug genommen wurde. Auch die innere Selbstbestimmungserklärung der Meraner Landesversammlung 1992 ist unter diesen Vorbehalten abgegeben worden.
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Michael Gehler, Vollendung der Bilateralisierung als diplomatisch-juristisches Kunststück, in: Siglinde Clementi/Jens Woelk, 1992, aaO 17 ff, 42; Roland Riz, Die letzten Etappen auf dem Weg zur Streitbeilegung, ebenda 83 ff. Alfons Benedikter, Tatbestände des Verrates, Beilage zur Zeitung der Union für Südtirol Nr 8 (1993), zitiert in: Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Trentino-Südtirol (1996) 108f. Vgl dazu Roberto Bin, Die asymmetrische Rechtsordnung der Provinz Bozen: Ursprung, Ursachen und Perspektiven, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 123 ff, 129 f; Jens Woelk, Südtirol im kooperativen Regionalismus Italiens, ebenda 274 ff.
VII. Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte Während das Volk als Träger des Selbstbestimmungsrechts eine „natürliche“, dh vorstaatliche Einheit darstellt, ist das Volk als Organ im demokratischen System durch die Verfassung „konstituiert“, das heißt rechtlich definiert und in seinen Befugnissen festgelegt: Die demokratische Legitimation vollzieht sich in den verfassungsrechtlichen Institutionen durch die damit gewährleisteten politischen Rechte der Bürger. Daraus folgt für Tirol, dass die Rechte des Volkes in den (national-)staatsrechtlichen Systemen der Landesteile unterschiedlich sind; ob es darüber hinaus eine demokratische Legitimation der Europaregion – als Substrat der „Einheit des ganzen Landes“ – gibt, soll geprüft werden.
1. Das Landesvolk des Bundeslandes Tirol Die Tiroler Landesordnung 1989 legt zunächst in traditioneller Formulierung das Prinzip der Volkssouveränität des Landesvolkes fest371 und definiert sodann das „Landesvolk“ durch den bundesverfassungsrechtlich festgelegten Begriff der „Landesbürger“.372 Dies war deshalb notwendig, weil die Bundesverfassung die wichtigste demokratische Institution der Länder – den Landtag – ausführlich regelt und dabei auch ausdrücklich das Wahlrecht den „Landesbürgern“ (im bundesverfassungsrechtlichen Sinn) vorbehält.373 Die den österreichischen Ländern formell eingeräumte „Verfassungsautonomie“374 ist inhaltlich sehr stark durch Bundesverfassungsrecht eingeschränkt, das von der Verfassungsrechtsprechung vor allem im Bereich des demokratischen Systems als Garantie einer möglichst großen Homogenität im Bundes- und Landesbereich ausgelegt wird. Die weitgehenden direktdemo371
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Art 1 Abs 3: „Träger der Staatsgewalt des Landes Tirol ist das Landesvolk“; vgl dagegen die von Kelsen inspirierte Formulierung des Art 1 B-VG: „Ihr Recht geht vom Volk aus“. Art 3 Abs 1 und 2 Landesordnung; Art 6 Abs 2 B-VG „Jene Staatsbürger, die in einem Land den Hauptwohnsitz haben, sind dessen Landesbürger“; Peter Pernthaler/Karl Weber, Landesbürgerschaft und Bundesstaat (1983); Rudolf Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Bd II (1990) 29 ff, 38 ff. Art 95 Abs 1 B-VG; Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 113 f. Art 99 B-VG; Peter Pernthaler, aaO 459 ff; siehe dazu auch oben, III. 6 dieser Untersuchung.
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Das Landesvolk des Bundeslandes Tirol
kratischen Rechte der Vorarlberger Landesverfassung wurden daher durch ein (verfehltes) Erkenntnis des VfGH als „bundesverfassungswidrig“ aufgehoben.375 Die Tiroler Landesordnung kennt dagegen nur sehr eingeschränkte Formen der „semidirekten Demokratie“ nach dem Muster der Bundesverfassung.376 Aus diesem Grund ist das politische System des Landes Tirol sehr stark durch die repräsentative Demokratie geprägt, wozu auch die Verankerung der politischen Parteien in der Landesverfassung (Art 8 Landesordnung) sehr gut passt. Innerhalb des repräsentativen Systems ist wiederum die Stellung der Landesregierung und vor allem die des Landeshauptmannes deutlich stärker als die des Landtages, sodass das System auch als „Exekutivföderalismus“ bezeichnet wird.377 Die verfassungsmäßigen Rechte der Landesbürger als „Landesvolk“ im demokratischen System beschränken sich daher im Wesentlichen auf das Wahlrecht zum Landtag nach dem Verhältniswahlsystem378 und auf die Stimmrechte bei Volksbegehren, Volksabstimmung und Volksbefragung.379 Die Einrichtungen der direkten Demokratie werden praktisch nicht genutzt, obwohl es eine Form der Volksabstimmung gibt, die sogar die repräsentative Gesetzgebung des Landtages blockieren könnte. Es ist dies das sogenannte „Vetoreferendum“ gemäß Art 39 Abs 1 Landesordnung, das auf Grund eines Volksbegehrens innerhalb von sechs Wochen nach Beschlussfassung eines Landesgesetzes über das Inkrafttreten dieses Gesetzes durchzuführen ist. Ob das „Vetoreferendum“ mit dem von der Bundesverfassung den Ländern vorgeschriebenen Repräsentativsystem und dem Monopol des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens (Art 97 B-VG) vereinbar ist, wird von der Lehre bezweifelt380 und dürfte auch vom Verfassungsgerichtshof negativ beurteilt werden.381 Außer durch diese politischen Rechte auf Landesebene – von denen nur das Wahlrecht praktische Bedeutung hat – trägt der Landesbürger auch zur (indirekten) demokratischen Legitimation des Bundes und der Europäischen Union bei. An beiden überregionalen Systemen der Politik, Planung und 375
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VfSlg 16.241/2001; Anna Gamper, Direkte Demokratie und bundesstaatliches Homogenitätsprinzip, in: ÖJZ 2003, 441 ff. Volksbegehren: Art 37 Landesordnung; Volksabstimmung: Art 39 Landesordnung; Volksbefragung: Art 60 Landesordnung; zum Begriff „semidirekte“ Demokratie vgl Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 83 ff. Richard Novak, Ist ein „Vollzugsföderalismus“ noch föderalistisch?, in: derselbe, Historische und aktuelle Probleme des Föderalismus in Österreich (1977) 27 ff. Art 95 B-VG; Art 17 Landesordnung. Art 37, 39 und 60 Landesordnung. Heinz Mayer, Plebiszitäre Elemente in der staatlichen Willensbildung, FS 75 Jahre B-VG (1995) 348 ff; dagegen: Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 85 f. Vgl dazu VfSlg 16.241/2001; kritisch dazu: Peter Pernthaler, Demokratische Identität oder bundesstaatliche Homogenität der Demokratiesysteme in Bund und Ländern, JBl 2000, 808 ff; Anna Gamper, aaO; Theo Öhlinger, Bundesverfassungsrechtliche Grenzen der Volksgesetzgebung, Montfort 2000, 402 ff.
Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte
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Rechtsetzung wirken nämlich Vertreter des Landes mit, die ihrerseits vom Landesvolk demokratisch legitimiert werden. Auf Bundesebene sind dies die Vertreter Tirols im Bundesrat,382 die vom Landtag nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden (Art 35 B-VG). Der Bundesrat ist zwar von der Bundesverfassung als zweite Kammer des Parlaments vorgesehen (Art 24 B-VG). Im Verfahren der Bundesgesetzgebung und in der politischen Kontrolle der Bundesregierung kommen ihm aber gegenüber dem Nationalrat nur untergeordnete Funktionen zu.383 Da die Länder im Bundesrat nicht gleichmäßig, sondern nach ihrer Größe vertreten sind (Art 34 B-VG), kommen den fünf kleineren Ländern – darunter Tirol – gegenüber den vier größeren nur eine Minderheitsbeteiligung von nicht einmal einem Drittel der Abgeordneten zu. Nicht zuletzt darauf beruht auch die schwache Stellung der österreichischen Länder im bundesstaatlichen System der Bundesverfassung. Die Repräsentanten der Länder haben auch gewisse unmittelbare Mitwirkungsrechte an der Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes384 und an Vorhaben der EU durch Informationspflichten des Bundes und Rechte zu bindenden Stellungnahmen im Rahmen der Landeskompetenzen.385 Daneben sind die Länder auch unmittelbar im Ausschuss der Regionen in der EU vertreten, wobei diesem Ausschuss freilich nur beratende Funktionen zukommen.386 Ein weites Feld politischer und administrativer Mitwirkungsrechte eröffnet den Ländern der kooperative Föderalismus mit dem Bund, aber auch mit Organen der EU, vor allem im Bereich der Regionalprogramme und der innerstaatlichen Umsetzung von EU-Normen und Planungen auf Landesebene.387 Durch diese Partizipationsrechte der Länder an den Funktionen des Bundes und der EU werden diese – allerdings sehr stark mediatisiert – auch durch das Tiroler Landesvolk demokratisch legitimiert.
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Fünf von 62 Mitgliedern des Bundesrates; vgl dazu Art 34 B-VG und die Entschließung des Bundespräsidenten BGBl II 2002/444. Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 349 ff. Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 363 ff. Sog „Länderbeteiligungsverfahren“; vgl dazu Art 23 d B-VG und die Vereinbarung zwischen Bund und Länder, BGBl 1992/775; Peter Pernthaler, Das Länderbeteiligungsverfahren an der europäischen Integration (1992); Heinz Schäffer, Österreichs Beteiligung an der Willensbildung in der Europäischen Union, ZÖR 50 (1996) 3 ff; Theo Öhlinger, Art 23 d, in: Karl Korinek/Michael Holoubek, Bundesverfassungsrecht (1999); vgl für Tirol und Südtirol unten, IX. 3. a) und b). Siehe dazu unten, IX. 5. e). Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 433 ff; Christian Ranacher, Die Funktion des Bundes bei der Umsetzung des EU-Rechts durch die Länder (2002) 80 ff.
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Volk und Sprachgruppen in Südtirol
2. Volk und Sprachgruppen in Südtirol a) Das doppelte Demokratiesystem der Autonomie Der Volksbegriff in Südtirol ist in staatsrechtlicher Sicht komplex: Seit dem neuen Statut (1972) – und noch klarer seit der Novelle dieses Statuts durch das Verfassungsgesetz Nr 2/2001388 – ist das „Volk Südtirols“ einerseits die Summe der im Landtag vertretenen Bürger der Autonomen Provinz;389 anderseits bilden das Volk aber auch die im Landtag vertretenen drei Sprachgruppen, die als solche eigens repräsentiert werden und die komplizierten Regeln und Verfahren der ethnischen Konkordanzdemokratie in Südtirol begründen. Das demokratische System der Autonomen Provinz beruht daher auf einer doppelten Repräsentation, nämlich der des Landesvolkes in Mehrheitsdemokratie und seiner drei Sprachgruppen in Konkordanzdemokratie; auch für die plebiszitären Rechte gilt dieselbe Doppelstruktur als unaufhebbare Verpflichtung:390 Erst das Zusammenwirken dieser beiden Demokratieformen ermöglicht das Funktionieren des Systems.391 Diese Verdoppelung des politischen Systems auf Grund des komplexen Volksbegriffes ist ansatzweise schon im Pariser Abkommen (1946) grundgelegt, das ja einerseits dem „Germanspeaking element“ und seinen „local representatives“ gewisse Rechte gewährleistet; anderseits der „population (of the Bolzano province)“ ein autonomes Gesetzgebungs- und Vollziehungssystem verspricht, das wiederum „in Konsultationen“ mit den deutschsprachigen Repräsentanten ausgearbeitet werden soll. Erst der Prozess der (kooperativen) Ausarbeitung und Umsetzung des „Paketes“ hat dieses Versprechen realisiert und – im Verfahren von jahrzehntelangen Verhandlungen und dem damit verbundenen „confidence-building“ – erwiesen, dass ein solches, janusköpfiges Demokratiesystem nicht nur funktionsfähig ist, sondern auch das Zusammenwirken selbständiger und selbstbewusster Gruppen trotz (oder besser: wegen) ihres prinzipiellen Bestandsschutzes gewährleistet (Modell des „integralen Föderalismus“). Ob die politische Zersplitterung der italienischen Sprachgruppe mehr zum Funktionieren des Systems beiträgt als die relative politische Geschlossenheit der deutschsprachigen Gruppe,392 ist nach den bisherigen Erfahrungen, jedenfalls aber im Zeitablauf ungewiss. Dasselbe gilt für die Entwicklung der ethnopolitischen Iden388
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Durch diese Statutsnovelle wurde die Direktwahl des Südtiroler Landtages eingeführt; vgl dazu Art 47 und 48 Autonomiestatut. Dies meint offenbar der unscharfe Ausdruck des Art 48/bis Autonomiestatut „Die Mitglieder des Landtages vertreten die gesamte Provinz“. Vgl dazu die Schutzbestimmungen der Art 5 Abs 2 und 15 Abs 2 des Landesgesetzes über Volksbegehren und Volksabstimmung vom 18. 11. 2005, Nr 11. Vgl dazu im Einzelnen Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 77 ff. So Roberto Toniatti, aaO 80 f.
Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte
115
tität der Südtiroler Volksgruppe im Wandel der Gesellschaftsstruktur durch die Prozesse der Konkordanzdemokratie393 und die von ihr getragene Dynamik der Südtirolautonomie seit der Streitbeilegung.394 Inhaltlich zerfällt der Sprachgruppenschutz – und damit das System der ethnischen Konkordanzdemokratie – in mehrere funktionell ganz unterschiedliche Bereiche. b) Die Sprachgruppenfeststellung Grundlegend ist zunächst die Sprachgruppenfeststellung. Sie erfolgt – entsprechend dem (liberalen) Bekenntnisprinzip – durch die individuelle Sprachgruppen-Zugehörigkeitserklärung, die im Zusammenhang mit den periodischen Volkszählungen abzugeben ist. Da nicht nur die zahlenmäßige Stärke der Sprachgruppen, sondern auch die Zugehörigkeit der einzelnen Bürger ermittelt wird, ergeben sich eine Reihe grund- und menschenrechtlicher Probleme aus dieser Erklärungspflicht, die zu permanenten politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen und einem ständig verfeinerten Feststellungsverfahren führten.395 Es gibt rechtlich nur die Möglichkeit, sich einer der drei „historischen“ Sprachgruppen zugehörig zu erklären oder sich einer dieser Gruppen „anzugliedern“. Ein kompliziertes Verfahren sichert die Anonymität und den Datenschutz des Erklärenden.396 Dennoch kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen individuellen Freiheitsansprüchen und der notwendigen Sicherung der kollektiven Rechte der Sprachgruppen durch die Rechtspflicht zur Zugehörigkeitserklärung (die auch für die minderjährigen Kinder abzugeben ist).397 Die Ergebnisse der letzen Volkszählungen zeigen aber, dass das System der Sprachgruppenrechte – die auf der Zugehörigkeitserklärung aufbauen – der Südtiroler Volksgruppe Schutz und Entwicklungsmöglichkeit geboten hat.398
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Felix Ermacora, Südtirol, aaO 216 ff. Vgl dazu die Beiträge im 4. Teil „Dynamische Autonomie“ in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 415 ff. Karl Zeller, Volkszählung und Sprachgruppenzugehörigkeit in Südtirol (1991); Giovanni Poggeschi, Volkszählung und Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 306 ff mit umfassenden Hinweisen auf Judikatur und Literatur; Ulrich Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitsfeststellung aus verfassungsrechtlicher Sicht: Entwicklung und aktueller Stand (2007). Giovanni Poggeschi, aaO 311 f. Prominentes Opfer des Erklärungszwanges war Alexander Langer (1995); vgl dazu und zu den datenschutzrechtlichen Problemen und Neuerungen der SprachgruppenErklärung: Giovanni Poggeschi, aaO 312 und 313 f. Die Ergebnisse lauten: 1981: Deutsch 66,4% Italienisch 29,38% Ladinisch 4,21% 1991: Deutsch 67,99% Italienisch 27,65% Ladinisch 4,36% 2001: Deutsch 69,15% Italienisch 26,47% Ladinisch 4,37% Quelle: Statistisches Jahrbuch für Südtirol (ASTAT).
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Volk und Sprachgruppen in Südtirol
Auf der periodischen Sprachgruppenfeststellung bauen die Schutzbestimmungen der Sprachgruppen in den verschiedenen Bereichen des ethnischen Proporzes, im politischen Prozess und in den nach Sprachgruppen getrennten Verwaltungen des Schuldienstes (Art 19 des Autonomiestatutes) auf. c) Ethnischer Proporz Der ethnische Proporz findet als grundlegendes Organisationsprinzip des ethnischen Pluralismus vor allem in drei Bereichen Anwendung: •
In der staatlichen Verwaltung (Stellenpläne der Bediensteten); 399
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in der Verteilung von Haushaltsmitteln für Förderungszwecke, insbesondere für den geförderten Wohnbau (Art 15 Autonomiestatut);
•
in der Zusammensetzung der Organe der „örtlichen öffentlichen Körperschaften“.400 Dazu gehören insbesondere: die Landesverwaltung, der Südtiroler Landtag (nur Personal), die Gemeinden, die Sanitätseinheiten, die Berufsfeuerwehr Bozen, die Regionalverwaltung, die Handelskammer Bozen, das Institut für den geförderten Wohnbau, der Verkehrsverbund ua.
d) Sprachgruppenschutz im politischen Prozess Im politischen Prozess gibt es drei unterschiedliche Kategorien von speziellen Schutzbestimmungen der Sprachgruppen und ihrer „ethnischen und kulturellen Eigenart“:401 aa) Beschränkung der Gesetzgebung Das Statut normiert zunächst eine allgemeine Beschränkung der Gesetzgebung der Region (Art 4 Autonomiestatut) und der Provinz (Art 8 Autonomiestatut) durch die Pflicht zur Achtung des Schutzes der örtlichen sprachlichen Minderheiten. Konkretisiert wird diese Schutzbestimmung durch das Landesgesetz über Volksbegehren und Volksabstimmung vom 18. 11. 2005, Nr 11, wonach Volksabstimmungen über Bestimmungen unzulässig sind, „welche die Rechte und den Schutz der Sprachgruppen betreffen“ (Art 5 Abs 2 und 15 Abs 2). Klarer kann die Beschränkung der Mehrheitsdemokratie durch das System der ethnischen Konkordanzdemokratie nicht ausgedrückt werden. Im Hinblick auf das Legalitätsprinzip der Verfassung gelten die statutarischen Beschränkungen der Gesetzgebung zugunsten des Sprachgruppen-Schutzes auch als
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Vgl Art 89 Autonomiestatut und die Durchführungsbestimmung, DPR 752/1976; Giovanni Poggeschi, Der ethnische Proporz, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 321, 326 ff. Art 61 Abs 1 Autonomiestatut; zur Durchführung vgl Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie (20058) 101 ff, 104 f. Diese Formulierung des eigentlichen Schutzzieles stammt aus Art 56 Autonomiestatut; vgl dazu Punkt ee).
Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte
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Verpflichtung für die Verwaltung und den Rechtsschutz gegen Akte der Verwaltung.402 bb) Zuordnung der Kandidaten bei Wahlen Die Erklärung über die Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe gilt als Voraussetzung für die Kandidatur zu den Wahlen in die gesetzgebenden Körperschaften und Gemeinderäten (bzw Bürgermeisterwahlen).403 cc) Vertretung der Sprachgruppen in der Regierung Die Zusammensetzung der Landesregierung und der Landeshauptmannstellvertreter richtet sich nach dem Verhältnis der Sprachgruppen im Landtag;404 eine analoge Schutzbestimmung gilt für die Zusammensetzung der Gemeindeausschüsse nach dem Verhältnis der Sprachgruppen im Gemeinderat.405 Diese Bestimmung zwingt die Mehrheit zu Koalitionen mit Parteien anderer Sprachgruppen und belastet die (deutschsprachige) Mehrheitsherrschaft durch den Zwang zur ethnischen Konkordanz. dd) Zuordnung der Präsidenten Der Proporz der Sprachgruppen im Landtag gilt auch für die Präsidenten und Vizepräsidenten des Landtages; für diese Funktionen gilt außerdem das Rotationsprinzip (Art 48/ter Abs 2 und 3 des Autonomiestatutes). ee) Getrennte Abstimmung nach Sprachgruppen Im Landtag gilt als Schutz der Sprachgruppen die Möglichkeit der getrennten Abstimmung nach Sprachgruppen; es sind zwei unterschiedliche Fälle dieses Schutzmechanismus im Statut vorgesehen: •
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Die Abstimmung über einzelne Kapitel der Haushaltsvorschläge der Region oder der Provinz (Art 84 Autonomiestatut) – hier ist ein besonderes Vermittlungsverfahren durch eine paritätische Kommission oder den Verwaltungsgerichtshof Bozen vorgesehen; die Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof ist ausgeschlossen.
Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 113 f und 170 f. Vgl dazu für den Landtag derzeit noch Art 19 Abs 5 der Regionalwahlordnung, die durch ein Südtiroler Wahlgesetz ersetzt werden soll (Art 47 Abs 2 des Autonomiestatutes); für die Gemeinden Art 18 DPR 752/1976 bzw Art 1 gvD vom 1. 8. 1991, Nr 253. Art 50 Autonomiestatut mit der neuen Schutzbestimmung zugunsten der ladinischen Sprachgruppe in Abs 3; vgl Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 42 ff. Giuseppe Negri, Die Gemeindeverfassung, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 217 ff, 220.
118 •
Volk und Sprachgruppen in Südtirol
Die Verletzung der Gleichheit oder der ethnischen und kulturellen Eigenart der Sprachgruppen (Art 56 Autonomiestatut) – hier kann eine Sprachgruppe im Landtag getrennte Abstimmung beantragen, die Mehrheit beschließt darüber; wird der Antrag abgelehnt, kann diese Sprachgruppe den Gesetzesbeschluss aus diesen Gründen beim Verfassungsgerichtshof anfechten.406 Wenngleich noch nie eine nach Sprachgruppen getrennte Abstimmung nach Art 56 Autonomiestatut im Landtag durchgeführt wurde, ist die durch die besondere Verfassungsgerichtsbeschwerde sanktionierte Einrichtung eine der zentralen Garantien der politischen und rechtlichen Selbständigkeit der Sprachgruppen im Demokratiesystem Südtirols; sie war daher auch ein wichtiger Punkt der Einigung in der NeunzehnerKommission,407 die in der Folge ins „Paket“ und in die Paketdurchführung übernommen wurde.
e) Die politische Funktion des Sprachgruppenschutzes Realistischer Weise muss man festhalten, dass die Schutzbestimmungen zugunsten der Sprachgruppen, die an die Rechtskonstruktion des „Mährischen Ausgleiches“ (1905) zwischen Tschechen und Deutschen in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie erinnern,408 heute vor allem als Beschränkung der deutsprachigen Mehrheit und als politische und rechtliche Sicherung der italienischsprachigen und ladinischen Minderheit im demokratischen System der Autonomie der Provinz Bozen-Südtirol wirken, da die Kompetenzen der Region – wo der Sprachgruppenschutz auch als Sicherung der deutschsprachigen Minderheit wirkt – kaum noch Bedeutung haben. Diese Beschränkung der Mehrheitsherrschaft der deutsprachigen Volksgruppe in ihrem Land war einerseits der Preis für die (weitgehende) Trennung der Autonomie von der italienischen Mehrheitsherrschaft in der Region Trentino-Südtirol; anderseits wurde dadurch das System der ethnischen Konkordanzdemokratie in Südtirol eingeführt und gewährleistet. Die speziellen Strukturen (vor allem der ethnische Proporz) und Verfahrensweisen (vor allem die Einigungszwänge) dieses Systems wirken nicht nur im Inneren der Autonomie Vertrauen-bildend und als relative Friedenssicherung zwischen den Sprachgruppen; sie dienen gleichzeitig auch als Sicherung der Autonomie und des Minderheitenschutzes „nach außen", dh im Verhält406
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Vgl Eleonora Maines, Die Quasi-Rechtspersönlichkeit der Sprachgruppen, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 297 ff; dort auch die beiden Verfassungsbeschwerden, die auf Grund Art 56 Autonomiestatut 1994 und 1998 (beide von der ladinischen Minderheit gegen Regionalgesetze) eingebracht wurden. Vgl Punkt 1 des III. Teiles des Abschlussberichtes, abgedruckt bei Alessandro Pizzorusso, Le minoranze nel diritto publico interno (1967) 801 ff. Vgl Horst Glassl, Der mährische Ausgleich (1967); Gerald Stourzh, Die Gleichberechtigung der Volksstämme als Verfassungsprinzip 1848–1918, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg), Die Habsburgermonarchie, Bd III, 2. Teilband (1980) 975 ff, 1080 ff, 1171 ff.
Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte
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nis zur Herrschaft der Mehrheitsdemokratie des italienischen Nationalstaates. Entscheidend waren und sind in dieser Hinsicht die verfahrensmäßigen Sicherungen der rechtlichen Durchführung und Weiterentwicklung der Autonomie durch die paritätischen Kommissionen (Sechser- und Zwölferkommission) nach Art 107 des Autonomiestatutes und die verfassungsrechtlichen Garantien „des Schutzes der örtlichen sprachlichen Minderheiten“ (Art 4 und 8 Autonomiestatut), die vor allem durch die neuere Verfassungsrechtsprechung autonomieschützend ausgelegt werden.409 Ob das neue Verfahren der Änderung des Statutes (Art 103 Autonomiestatut) sich im Ergebnis als Garantie der ethnischen Partnerschaft mit der Südtiroler Volksgruppe in der neuen „Dynamik der Autonomie“ auswirken wird, kann man derzeit noch nicht abschätzen.410 f) Das besondere System der Mehrheitsdemokratie in Südtirol Das politische System Südtirols unterscheidet sich von dem des Bundeslandes Tirol nicht nur durch die im vorigen Punkt dargestellte Verknüpfung mit dem Sprachgruppenschutz (ethnische Konkordanzdemokratie); auch das System der Mehrheitsdemokratie ist in Südtirol anders als im Bundesland Tirol. Paradoxer Weise ist diesbezüglich schon die (materielle) Verfassungsautonomie Südtirols seit der Statutsnovelle 2001, Nr 2 weitergehend als die des Bundeslandes: Durch Landesgesetz gemäß Art 47 des Statutes kann nicht nur „die Regierungsform der Provinz“ in ihren wesentlichen Elementen weitgehend frei ausgestaltet werden; auch die Wahl des Landeshauptmannes durch Landtag oder das Landesvolk kann (mit Zweidrittelmehrheit) landesgesetzlich geregelt werden.411 Zwar ist für Südtirol412 – auch im Sinne des Sprachgruppenschutzes – das Verhältniswahlsystem für die Landtagswahl verfassungsrechtlich vorgeschrieben (Art 47 Abs 3 Autonomiestatut); im Übrigen aber können die „Modalitäten der Wahl“ des Landtages, des Landeshauptmannes und der Landesräte ebenso durch Landesgesetz festgelegt werden, wie die Ausgestaltung der Instrumente der direkten Demokratie im Land.413 Das neue Landesgesetz über Volksbegehren und Volksabstimmung 2005, Nr 11 sieht nicht nur das in Österreich selbst schon umstrittene414 „Vetorefe409
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Vgl etwa – für die staatliche Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis – die Hinweise bei: Jens Woelk, Südtirol im kooperativen Regionalismus Italiens, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 273 ff. Vgl dazu Francesco Palermo, Südtirol und die italienische Föderalismusreform, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 429 f; sehr skeptisch: Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 242 und 319 f. Im Bundesland Tirol ist dies der Bundesverfassungsgesetzgebung (Art 101 B-VG), möglicher Weise (wegen der Änderung des parlamentarischen Systems) sogar einer „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ gemäß Art 44 Abs 3 B-VG vorbehalten. Anders als in der Provinz Trient; vgl dazu Art 47 Abs 2 und 3 Autonomiestatut. Zu diesbezüglich besonders engen Schranken der Verfassungsautonomie im Bundesland siehe die Ausführungen oben, VII. 1. Siehe dazu die Hinweise unter VII. 1 (Das Landesvolk des Bundeslandes Tirol).
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Volk und Sprachgruppen in Südtirol
rendum“ (vor Inkrafttreten eines Landesgesetzes) vor, sondern normiert in den Einrichtungen der „Aufhebenden“ und der „Gesetzeseinführenden Volksabstimmung“ eine echte Volksgesetzgebung gegen oder ohne einen Gesetzesbeschluss des Landtages. In Österreich wurde dies durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg 16.241/2001 als Verletzung des Systems der repräsentativen Demokratie bezeichnet, die den Ländern jedenfalls, möglicher Weise aber auch dem „einfachen“ Bundesverfassungsgesetzgeber untersagt ist.415 Auch die in Art 47 Abs 2 und 3 des Statutes genannten Landesgesetze über die „Regierungsform“ und die Wahlen im Land sind besonderen Volksabstimmungen nach Art 47 Abs 4 und 5 des Statutes unterworfen. Ganz anders als im Bundesland Tirol sind auch die Funktionen des Landeshauptmannes in Südtirol: Der Südtiroler Landeshauptmann ist nicht nur – als „primus inter pares“ – Vorsitzender des Kollegialorganes „Landesregierung“; er ist vielmehr ein echter Regierungschef (Premierminister), der die Aufgabenverteilung unter den Landesräten selbst bestimmt (Art 52 Abs 3 Statut) und dem – neben seiner Funktion als „Provinzoberhaupt“ – wesentliche Regierungsbefugnisse vorbehalten bleiben.416 Darüber hinaus sind dem Landeshauptmann eine Reihe von Aufgaben des staatlichen Sicherheitswesens übertragen (Art 20–22 Autonomiestatut),417 während die problematische Rechtsfigur der „mittelbaren Staats(Bundes-) verwaltung“, die den österreichischen Landeshauptmann kennzeichnet,418 dem Südtiroler Verwaltungssystem im Allgemeinen fremd ist.419 Anders als im Bundesland Tirol ist auch – bis zur Anpassung des Statuts an die Verfassungsnovelle 2001, Nr 3 – die Stellung der Gemeinden in Südtirol: Sie verfügen nicht über eine verfassungsrechtlich abgesicherte Autonomie gegenüber der Landesverwaltung, sondern das Land hat im Umfang seiner verfassungsrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen auch die „Verwaltungsbefugnisse“ (Art 16 Autonomiestatut) und kann einzelne aus diesen an die Gemeinden übertragen (Art 18 Abs 2 Statut). Dieser Rechtszustand der Kompetenzverteilung widerspricht der Autonomie des örtlichen Demokratiesystemes, das im Statut – einschließlich des Sprachgruppenschutzes – verfassungsrechtlich besonders abgesichert ist (Art 61–63 Autonomiestatut). Wenngleich es heute besonders weitreichende Verfassungsgrundsätze über die Gemeindeselbstverwaltung gibt (Art 114, 118, 119 Staatsverfassung), gelten diese in Südtirol nach herrschender Auffassung noch nicht, weil dies einer be415
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Vgl dazu: Anna Gamper, Direkte Demokratie und bundesstaatliches Homogenitätsprinzip, ÖJZ 2003, 441 ff. Vgl dazu Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 48 ff. Im Bundesland Tirol ist dafür das Bundesorgan „Sicherheitsdirektion“ zuständig; vgl Art 78 b B-VG, § 7 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl 1991/566. Zu den föderalistischen und demokratischen Problemen dieser Organisationsform vgl Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 374 ff, 377 f. Vgl allerdings die besonderen Ermächtigungen der Art 16 Abs 3 und 4 und 17 des Autonomiestatutes.
Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte
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sonderen „Anpassung“ des Spezialstatutes vorbehalten ist.420 Von einer „gleichberechtigten Regierungsebene“ kann daher gegenwärtig bei den Südtiroler Gemeinden nicht die Rede sein.421
3. Das Problem einer demokratischen Legitimation der Europaregion Das Schicksal der „Europaregion Tirol“ – von weitreichenden Grundsatzbeschlüssen über euphorische Pläne der Institutionalisierung bis zum Scheitern der letzten „Minimallösung“ von 1998422 – ist auch ein Lehrstück über das Elend der Demokratie in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Länder und Regionen, das bemerkenswerte Parallelen zum Scheitern des „Verfassungsvertrages“ der EU aufweist. Da wie dort scheint das Grundproblem der Integration die dominante Rolle der Regierungen und Bürokratien zu sein, die im Prozess der zunehmenden Politik-, Verwaltungs- und Wirtschaftsverflechtung die demokratische Glaubwürdigkeit ihrer (repräsentativen und funktionellen) demokratischen Legitimation gegenüber den Völkern verlieren, aus denen sie diese Legitimation herleiten. Ein gemeinsames Volk aber, das diese Legitimation verschaffen könnte, ist weder in Europa noch gar in der „Europaregion Tirol“ erkennbar und offenkundig auch gar nicht das Ziel der integrierenden Politiker und Bürokraten. Dies soll an den folgenden Stationen des Aufstieges und des Falls der Europaregion aufgezeigt werden, die anschaulich das dialektische Miteinander und Gegeneinander von Regierungen, Parlamente und Öffentlichkeit im System der grenzüberschreitenden Integration erkennen lassen. a) Die Vorgeschichte des Vierer-Landtagsbeschlusses Der politische „Startschuss“ zur Institutionalisierung der Europaregion, die Entschließung des Vierer-Landtags vom 2. 6. 1993,423 hatte eine mehrjährige, sehr wechselhafte Vorgeschichte, die bisher vor allem unter ideologischen Gesichtspunkten untersucht wurde.424 Es zeigt sich an dieser Vorgeschichte aber auch sehr deutlich das (vergebliche) Bemühen um eine komplexe demokrati420
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Art 10 des Verfassungsgesetz Nr 3/2001; Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 322. Missverständlich insofern: Guiseppe Negri, Die Gemeindeverfassung, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 218 f. Vgl dazu die Ausführungen oben, V. 5 (Die grenzüberschreitende „Europaregion Tirol“); Simon Laimer (Hg), Euregio – quo vadis? (2006) 15 ff. Diese Entschließung wird noch in der „Minimalvereinbarung“ von 1998 als „Grundlage“ zitiert! Vgl dazu (mit reichen Hinweisen) Günther Pallaver, Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 493 ff, 501 ff.
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Das Problem einer demokratischen Legitimation der Europaregion
sche Legitimation der „kleinen Außenpolitik“ (small diplomacy) der Länder im Zusammenwirken und in Konkurrenz von Landtagen und Landesregierungen.425 Der eigentliche Beginn der Europaregion war eine gemeinsame Erklärung der Landeshauptmänner von Südtirol, Tirol und Trient am 8. Juni 1989 in Innsbruck, in der sie „ihren Willen zur Zusammenarbeit auf politischer und technisch-administrativer Ebene auf den Gebieten der Kultur, des Gesundheitswesens, des Umweltschutzes und des Verkehrswesens“ bekanntgeben. In Durchführung dieser gemeinsamen Regierungserklärung kam es in der Folge zur konstituierenden Sitzung des „Vierer-Landtages“ der Länder Südtirol, Tirol, Trient und Vorarlberg am 21. 5. 1991 in Meran; in der dort beschlossenen „Resolution über eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ wurde als Zielsetzung dieses „Vierer-Landtages“ die „Vertiefung der kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit zwischen den vier Ländern“ angeführt. War in diesen beiden Erklärungen zwar das Grundkonzept einer besonderen multinationalen regionalen Kooperation im Raum des ehemaligen „Kronlandes Tirol“ bereits erkennbar, so fehlte jede institutionelle Konkretisierung oder auch nur ein politischer Auftrag in diese Richtung. Ein Grundproblem in dieser Hinsicht war die Einbindung des Trentino in die geplante Kooperation.426 Während die (damalige) politische Führung des Trentino vehement für diese Integration mit Tirol und Südtirol eintrat, war die Stimmung in Südtirol/Nordtirol im Hinblick auf die negativen Erfahrungen mit der Region Trentino-Südtirol eher skeptisch bis negativ; anderseits sprach für die Einbeziehung des Trentino auch bei diesen beiden Ländern die Abgrenzung von radikalen ethnopolitischen Einigungskonzepten auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts, von denen sich die politischen Eliten (teilweise) distanzieren wollten. Ein Indiz für die anfangs herrschende politische Unsicherheit in dieser Frage war die Einrichtung des Runden Tisches „Europaregion Tirol“. Zunächst wurde der Auftrag zur Einberufung eins Runden Tisches „Europaregion Tirol“ vom Zweier-Landtag Südtirol-Tirol am 27. 2. 1992 an die beiden Landesregierungen – also unter Ausschluss des Trentino – erteilt. Der Runde Tisch konstituierte sich in der Folge aus Vertretern dieser beiden Länder im Juli 1993. Die Landesregierungen verstanden die Europaregion zu dieser Zeit als „grenzüberschreitenden operativen Rahmen, in dem sich die Zusammenarbeit der beiden Länder Südtirol und Tirol vollzieht“. Etwa gleichzeitig erteilte aber auch die Landesregierung des Trentino den Auftrag an Professor Roberto Toniatti, ein Statut für eine grenzüberschreitende Region Tirol – unter Ein425
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Peter Pernthaler, Landesparlamente im Trend des europäischen Vollzugsföderalismus, in: derselbe (Hg), Die Landesparlamente als Ausdruck der Identität der Länder (2000) 99 ff. Vgl dazu Franz Watschinger, Die rechtlichen und politischen Grundlagen einer Europaregion Tirol (1997) 70 ff.
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schluss des Trentino – auszuarbeiten427 Gegenüber den „klein-tirolischen“ Integrationsplänen der beiden Tiroler Landesregierungen – und eher im Sinne der Trentiner Pläne – setze nun wiederum der zweite Vierer-Landtag vom 2. 6. 1993 in Innsbruck den entscheidenden politischen Akzent in Richtung einer Einbeziehung des Trentino durch eine Aufforderung an die Landesregierungen, diesbezüglich konkrete Modellvereinbarungen zwischen den drei Ländern zur Schaffung einer europäischen Region auszuarbeiten und eine Teilnahme Vorarlbergs vorzusehen. (Diese unterblieb in der Folge auf eigenen Wunsch Vorarlbergs). Dabei sollte die verfassungsrechtliche und kompetenzrechtliche Lage der Länder und die völkerrechtlichen Verträge zwischen Österreich und Italien, insbesondere das Pariser Abkommen und die Madrider Rahmenkonvention berücksichtigt werden.428 In Umsetzung dieses Beschlusses kam es schließlich zu einer Integration der Tirol-Trentiner Parallelaktionen durch den Beschluss der beiden Tiroler Landesregierungen vom 20. 10. 1994, das Trentino an der Europaregion zu beteiligen; dieses Land trat der Vereinbarung über den Runden Tisch eine Woche später bei, worauf der Runde Tisch um Experten aus dem Trentino erweitert wurde.429 Der rechtliche Unterausschuss beriet den Entwurf Toniatti und legte am 25. 10. 1995 den Landeshauptmännern der vier Länder den Entwurf eines Gründungsabkommens und eines Statuts der Europaregion Tirol vor. Es wurde vereinbart, diese Abkommen auf dem Vierer-Landtag vom Mai 1996 in Riva beschließen zu lassen. b) Vom Vierer-Landtag (1993) zur Minimallösung des Dreier-Landtages 1998 Das Scheitern des von Toniatti ausgearbeiteten und vom Runden Tisch beschlossenen Gründungsabkommens und Statutes der „Europaregion Tirol“ am Dreier-Landtag von Riva (31. 5. 1996) wurde oben mit allen Hintergründen geschildert.430 Maßgebend waren nicht nur die Widerstände der nationalstaatlichen Regierungen in Wien und Rom, sondern auch demokratiepolitische Bedenken von Seiten der Grünen431 und der Freiheitlichen.432 Bei beiden politischen Lagern – die sonst wenig verbindet – stand die mangelnde demokratische Verankerung der geplanten Europaregion im Zentrum der Kritik, da we427
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Marco Viola, Die Europaregion Tirol als Beispiel einer engen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft, in: Fritz Staudigl/Renate Fischler (Hg), Die Teilnahme der Bundesländer am europäischen Integrationsprozess (1996) 13 ff, 17. Vgl dazu Robert Gismann, Die (Vor-)Geschichte des Statut-Entwurfs, in: Peter Pernthaler/Sergio Ortino (Hg), Europaregion Tirol/Euregio Tirolo (1997) 53 ff. Teilnehmer des Runden Tisches zitiert bei Franz Watschinger, Grundlagen, aaO 65. Vgl dazu die Ausführungen unter V. 5. c) und Franz Watschinger, Grundlagen, aaO 83 f. Vgl dazu die Hinweise bei Günther Pallaver, Europaregion, aaO 503 f. Siegfried Dillersberger, Europaregion Tirol, in: Freie Argumente 2/93; später auch gemeinsam mit den Grünen im Tiroler Landtag, Franz Watschinger, aaO 83.
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Das Problem einer demokratischen Legitimation der Europaregion
der eine wirksame Einbindung der Landtage noch der Landesvölker vorgesehen war oder bei der Vorbereitung der Vereinbarungen stattgefunden hatte. Auch der Landtagspräsident Helmut Mader (ÖVP), einer der „Architekten“ der Zusammenarbeit der Landtage, trat schließlich für eine „Verschiebung“ der Ausrufung der Europaregion ein. In der Folge wurde die interregionale Zusammenarbeit der drei Länder zunächst ohne rechtliche Grundlage auf der Ebene der „Dreier-Landtage“ und der Landesregierungen (und ihrer Ämter) weitergeführt.433 Auf Grund der politischen und verfassungsrechtlichen „Entspannung“ rund um die Aktivitäten der euroregionalen Zusammenarbeit (insbesondere im gemeinsamen Vertretungsbüro in Brüssel) und des Inkrafttreten des Rahmenübereinkommens zwischen Österreich und Italien über „die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften“ am 1. 8. 1995 unternahmen die Landesregierungen der drei Länder einen neuen Anlauf einer rechtlichen Verankerung der Europaregion durch die oben dargestellte „Minimalvereinbarung“ über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen einer Europaregion.434 Diese wurde zunächst zwischen den Landesregierungen der drei Länder im März 1998 beschlossen und sollte sodann dem Dreier-Landtag zur Genehmigung vorgelegt werden, weil auch die Landtage (gemeinsam mit den Landesregierungen) als „Träger“ der Vereinbarung vorgesehen waren. Der Dreier-Landtag vom 19. 5. 1998 „genehmigte“ daraufhin (bei neun Gegenstimmen) diese Vereinbarung.435 c) Das Scheitern der innerstaatlichen Genehmigung Da der „Dreier-Landtag“ aber selbst keine rechtliche, sondern nur eine politische Grundlage hat, ja in Wahrheit überhaupt kein Organ im Rechtssinn darstellt, entbehren auch seine Beschlüsse irgendeiner rechtlichen Qualifikation im Sinne der jeweiligen nationalen Verfassungen.436 Aus diesem Grunde musste die Vereinbarung – um rechtsverbindlich zu werden – von den zuständigen innerstaatlichen Organen in den verfassungsmäßig vorgesehenen Verfahren genehmigt werden, was Art 9 der Vereinbarung auch ausdrücklich vorsah. Die innerstaatliche Einordnung der Vereinbarung in die verfassungsrechtliche Organisations- und Rechtsformentypik ist nicht einfach. Sicher ist, dass es sich um keinen (Länder-) Staatsvertrag im völkerrechtlichen Sinn gemäß Art 16 B-VG bzw Art 71 a Tiroler Landesordnung und noch weniger um eine staatsrechtliche Vereinbarung im Sinne des Art 15 a B-VG bzw 71 der Tiroler
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Vgl Günther Pallaver, Europaregion, aaO 505 ff. Siehe dazu oben, V. 5. d). Abgedruckt im 23. „Föderalismusbericht“ des Föderalismusinstitutes (1999) 324 ff. Dies kommt in der eingehenden Analyse der „Euregio-Landtagssitzungen“ bei Günther Pallaver, Europaregion, aaO 505 ff nicht zum Ausdruck.
Das Tiroler Volk als Subjekt demokratischer Rechte
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Landesordnung handelt.437 Da aber die Wirkungsbereiche der Landtage betroffen werden – jedenfalls durch Art 4 der Vereinbarung,438 möglicher Weise aber auch durch Bindungen ihrer Budgethoheit gemäß Art 1 der Vereinbarung439 – müssen die Landtage in den dafür innerstaatlich vorgesehenen Verfahrens- und Beschlussformen die Vereinbarung genehmigen. Rechtlich handelt es sich dabei um innerstaatliche Durchführungsakte zum bilateralen Abkommen zwischen Italien und Österreich über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf der Grundlage der Madrider Konvention, das am 1. August 1995 in Kraft getreten ist. Da dieses Abkommen mehrfach auf die (unverändert geltenden) innerstaatlichen Verfassungsvorschriften verweist, müssen sich die gegenständlichen Landtagbeschlüsse – mangels einer speziellen rechtlichen Ermächtigung für grenzüberschreitende Aktivitäten und Rechtsformen – auf die allgemeinen Verfassungs- und Geschäftsordnungsvorschriften für „Resolutionen“ oder „Beschlüsse“ der Landtage in den drei betroffen Ländern abstützen.440 Für Österreich erscheint es zweifelhaft, ob der Charakter des Landtages als parlamentarisches Gesetzgebungsorgan (Art 95 B-VG) und die dadurch nach der Gewaltenteilung beschränkten Befugnisse des Landtages eine derartige Ausweitung des Tätigkeitsbereiches des Landtages auf die verfassungsrechtlich nicht vorgesehene Funktion und Normentype „Grenzüberschreitende Vereinbarung der Landtage“ überhaupt zulassen.441 Für die Landtage der Autonomen Provinzen Südtirol und Trient gelten diese Bedenken nicht, weil zwischen Landesregierung und Landtag der Provinzen nach italienischem Verfassungsrecht kein so strenges formelles Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung besteht, vielmehr beide Organe nach dem für Selbstverwaltungen typischen „Ausschusssystem“ organisatorisch und funktionell eng miteinander verknüpft sind. Jedenfalls gilt aber auch für das italienische Verfassungsrecht (Autonomiestatut), dass rechtliche Bindungen der Landtage, wie sie die Vereinbarung über die Grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen der Europaregion vorgesehen hat, einer Genehmigung (Beschlussfassung) durch die Landtage bedürfen. Während diese notwendigen 437
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Beide Einrichtungen fehlten den italienischen Regionen und Autonomen Provinzen, sodass sich diesbezüglich keine entsprechenden Rechtsnormen im Autonomiestatut finden; seit der Verfassungsnovelle 2001 und ihrer Durchführung durch das Gesetz „La Loggia“ (Nr 131/2003) haben die Regionen und die Autonomen Provinzen Bozen und Trient unter bestimmten staatlichen Mitwirkungs- und Aufsichtsbefugnissen das Recht Verträge mit ausländischen Staaten und Gebietskörperschaften abzuschließen. Diese Bestimmung ermächtigt die Landtage, „Formen und Verfahren der gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung gemeinsam festzulegen“. Diese Bestimmung ermächtigt, „in verbindlicher Weise rechtliche und operative Organisationsformen zu schaffen“. So auch: Renate Kicker, Entwurf für ein Abkommen zur Gründung der Europaregion Tirol, unveröffentlichtes Gutachten (1996). Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 480, 567.
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Das Problem einer demokratischen Legitimation der Europaregion
innerstaatlichen Genehmigungsbeschlüsse der Vereinbarung durch die Landtage von Tirol und Südtirol im Sinne des Art 9 der Vereinbarung gefasst wurden, hat der Landtag von Trient die Vereinbarung nicht genehmigt; sie ist daher rechtlich auch nicht in Kraft getreten. Demokratiepolitisch ist dies nicht überraschend, da die Europaregion in der Bevölkerung und bei den politischen Eliten der Provinz Trient nur von einer Minderheit (etwa 15–20%) als politisches Ziel bejaht wird.442 Die Einbeziehung des Trentino in die Europaregion entsprang in Wahrheit einem Bündel von gegensätzlichen politischen und ideologischen Motiven einer Expansion der Autonomie des Trentino und einer Sicherung der ethnischen Pluralität Südtirols gegenüber der deutschsprachigen Mehrheit in einer Europaregion. Beide Anliegen berührten die Bevölkerung des Trentino kaum; sie konnten dort jedenfalls keinen Zusammenschluss mit den anderen Partnern der Europaregion politisch begründen. Die von einigen politischen Lagern geforderten Volksabstimmungen über das Projekt fanden nie statt und hätten wahrscheinlich auch keine anderen Ergebnisse gebracht. Die Europaregion hat daher bis heute keinen rechtlichen oder politischen Beitrag zur Identität des Volkes von Tirol in der „Einheit des ganzen Landes“ erbracht. In ihrer heutigen Funktionsweise als politische Kooperationsbasis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf „kulturell-pragmatischer Grundlage“443 ist sie dazu auch gar nicht bestimmt, wozu auch treffend passt, dass man im pompösen Vorspann der Vereinbarung 1998 auf alle möglichen Motive, nicht aber auf die Durchführung des Pariser Abkommens (1946) Bezug nahm.
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Franz Watschinger, Europaregion, aaO 70; Rainer Nick, Günther Pallaver, „Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“ – Die Meinung der Bevölkerung (1996). Günther Pallaver, Europaregion, aaO 495 und 504; treffend auch die Analyse von Franz Pahl, Werdegang und Status der Europaregion Tirol, in: Simon Laimer (Hg), Euregio – quo vadis (2006) 143 ff (148).
VIII. Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität 1. Der vorrechtliche Heimatbegriff Wie viele Begriffe des Staats- und Völkerrechts hat auch der Begriff „Heimat“ seinen Ursprung außerhalb der Rechtsordnung und die rechtlichen Bedeutungen verweisen auf dieses, in der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft und Kultur begründete Vorverständnis. Zu unterscheiden ist die allgemeine Bedeutung des Begriffes „Heimat“ von den speziell mit kollektiven Bezügen (vor allem der Volksgruppe) und individuellen Empfindungen (Wertvorstellungen) zusammenhängenden Aspekten. a) Allgemeine Bedeutung Die Wortbedeutung des Begriffes Heimat war ursprünglich eng mit der eigenen Wohnung, dem eigenen Zuhause verknüpft.444 Im ländlichen Tiroler Dialekt wird „Hoamat“ in dieser Bedeutung noch heute als der eigene Bauernhof der Familie verwendet; die alte rechtliche Einrichtung der „Heimatzuflucht“ in Not geratener Familienmitglieder auf den „heimatlichen“ Bauernhof bezieht sich auf dieses Verständnis. Auch die im deutschen Recht aus dem USamerikanischen Recht übernommene Regelung der „Heimstätten“ („Homestead“) geht auf diesen engeren Heimatbegriff zurück.445 Wesentlich für den Begriff „Heimat“ schon in dieser ursprünglichen Wortbedeutung, aber auch in der heutigen Verwendungsweise ist, dass er ein doppeltes räumliches Naheverhältnis des Menschen zu einem Ort oder ein Territorium ausdrückt. Dieses Naheverhältnis ist sowohl in der besonderen Eigenart der Heimat als auch in den Menschen selbst begründet, die diesen Ort/dieses Territorium als ihre Heimat definieren und empfinden. Die Doppelnatur der Raumbeziehungen „Heimat“ beruht aber auch darauf, dass es sowohl natürliche, landschaftsbezogene Elemente sind als auch kulturelle und geschichtliche Formungen und Überformungen des Wohn- und Siedlungsgebietes von (sesshaften) Menschen sind, welche – für sich genommen und in ihrem Zusammenwirken – „Heimat“ begründen. 444
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Vgl dazu die Doppelbedeutung des verwandten englischen Wortes „home“ als Zuhause und als Heimat. Das deutsche „Reichsheimstättengesetz“ wurde 1945 in die österreichische Rechtsordnung übernommen und in Landesrecht transformiert; Ludwig Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts, 19535, 135 f.
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Der vorrechtliche Heimatbegriff
Zur „Heimat“ im territorialen Sinn des Wortes gehört also primär die Eigenart der natürlichen Landschaft in ihrer Funktion als jeweils besondere geographische und ökologische Grundlage des Lebens-, Siedlungs- und Wirtschaftsraumes der dort wohnenden Menschen. Im Begriff der – heute vorherrschenden – „Kulturlandschaft“ – ist bereits das zweite Element des Heimatbegriffes, die geschichtlich gewordene Gestaltung einer bestimmten Landschaft, integriert. „Heimat“ im vollen Sinn des Wortes wird eine Landschaft aber erst in Verbindung mit der Bau-, Wohn- und Siedlungskultur des Menschen, die Dörfer, Märkte und Städte, aber auch Verkehrswege, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen geschaffen haben. Zur „Heimat“ gehört jedoch nicht nur das besonders geordnete Ensemble aller dieser Raumgestaltungen, sondern auch deren spezielle kulturelle Formung durch Handwerk, Kunst, Brauchtum und die vielfältigen Gemeinschafts- und Gesellschaftsbeziehungen der dort „beheimateten“ Menschen. Schließlich gehören zur Heimat auch eine Reihe von Phänomenen des kollektiven Bewussten und Unbewussten der dort lebenden Menschen, die sich in Sprache, Bildern, Sagen, Mythen, Traditionen, typischen Verhaltensweisen und Vorstellungen ausdrücken, welche die Identität der Menschen prägen. Für den Begriff Heimat ist also auch die typische Wechselwirkung von individuellen Elementen des Erlebens und Empfindens und der überindividuellen Integration in einen – im erweiterten Sinn als „eigen“ empfundenen – Raum-, Kultur- und Gemeinschaftszusammenhang der Menschen wesentlich. Der Begriff Heimat hängt – wegen des Elementes der Sesshaftigkeit – sehr intensiv auch mit den Auswirkungen der Generationenfolge zusammen und zwar in doppelter Hinsicht: Einmal wird die besondere Qualität „Heimat“ durch vergangene Generationen geprägt; zum anderen sind kommende Generationen von der Pflege und Erhaltung dieser Qualität durch die jetzt dort lebende Bevölkerung abhängig. b) Heimat und Volksgruppe So wie das Staatsvolk schon vorrechtlich dadurch gekennzeichnet ist, dass es die Gesamtheit der in einem bestimmten Territorium lebenden „sesshaften Menschen“ darstellt,446 verkörpert auch die Volksgruppe – als „Volk im kleinen“447 – die Einheit von sprachlich-kulturellen Gruppen mit einem historisch entwickelten Eigenleben und einem bestimmten Territorium, in dem sie beheimatet sind.448 Daher ist der – auf dem Heimatprinzip aufbauende – Sprach-
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Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (19143)179 ff. Peter Pernthaler, Volksgruppe und Minderheit als Rechtsbegriffe, in: Georg Wittmann/Stefan Bethlen (Hg), Volksgruppenrecht. Ein Beitrag zur Friedenssicherung (1980) 9 ff; derselbe, Der Schutz der ethnischen Gemeinschaften durch individuelle Rechte (1964) 20 unter Hinweis auf die Ethnosoziologie. Theodor Veiter, Das österreichische Volksgruppenrecht seit dem Volksgruppengesetz 1976 (1979) 32.
Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität
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gebietsschutz auch die unabdingbare Funktionsgarantie einer auf Dauer lebensfähigen Sprachgemeinschaft.449 Auch die Volksgruppe hat daher als natürliche und unaufhebbare Existenzbedingung einen bestimmt abgegrenzten Lebensraum als „Heimat“ zur Voraussetzung.450 Welche Konsequenz daraus für den territorialen Geltungsbereich und die Funktionen des Südtiroler Volksgruppenschutzes abzuleiten sind, war eine wichtige Schlüsselfrage der jahrzehntelangen Verhandlungen um die Verwirklichung der „Paketlösung“ der Südtirolautonomie. In besonders tragischer Weise hat sich der unaufhebbare Zusammenhang zwischen der „Heimat Tirol“ und der ethnischen Existenz der Südtiroler Volksgruppe im Zusammenhang mit der Optantenfrage aus dem Hitler-Mussolini-Abkommen (1939) gezeigt. Ihre Lösung war daher für die Südtiroler Volksgruppe die wichtigste Triebfeder für die Annahme des Pariser Abkommens (1946) und des ersten Autonomiestatutes (1948).451 c) Heimat als individueller Wert So wichtig die Heimat als Integrationskraft für Völker und Volksgruppen, aber auch für das Leben territorialer staatsrechtlicher Einheiten („Gebietskörperschaften“) ist, ausschlaggebend für den wieder neu entdeckten hohen Wert der Heimat in den modernen liberalen und „mobilen“ Gesellschaften ist ihre Bedeutung für das Individuum und seine „Lebensqualität“.452 In dieser Hinsicht ist eine wachsende Wertschätzung der räumlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Nahebeziehungen des Menschen als Gegengewicht zur Entgrenzung in der Globalisierung zu beobachten, die sehr viel Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und Ungeborgenheit mit sich bringt. Nicht nur die kleineren staatsrechtlichen Einheiten – Gemeinden und Länder –, sondern auch die sie prägenden landschaftlichen und kulturellen Besonderheiten werden in zunehmendem Maße als wichtige Elemente individueller Lebensbedingungen in räumlicher Nahebeziehung empfunden. Erst der Verlust dieser Beheimatung des Menschen in „eigenen“ kulturell-räumlicher Lebensbeziehung durch Flucht, Vertreibung oder auch freiwilliger Emigration macht ihren Wert voll bewusst: Es muss – oft im Generationenablauf – eine neue Heimat gefunden werden, um ein volles Lebensgefühl in der Fremde zu erlangen. Da die moderne technisch-industrielle Zivilisation und ihre Sozial- und Wirtschaftsordnung („Neo-Liberalismus“) eine zunehmende „Entfremdung“ 449 450
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Rudolf Viletta, Grundlagen des Sprachenrechts Bd 1 (1978) 320 ff. Ralf Unkart, Ein Beitrag zur Auslegung des Art 7 des Staatsvertrages von 1955, ÖJZ 1974, 91 ff (93). Vgl dazu: Franz Huter, Option und Umsiedlung, in: derselbe (Hg), Südtirol. Eine Frage des europäischen Gewissens (1965) 340 ff, 354; Herbert Miehsler, Das Gruber-De Gasperi-Abkommen, ebenda 420 ff. Herbert Dachs, Heimat – Dimension eines rehabilitierten Begriffes, in: Eberhard Zwink (Hg), Salzburg-Diskussionen. II. Salzburger Landessymposion (1981) 11 ff.
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Das historische Heimatrecht
des Menschen mit sich bringt, bedeutet die Wiederentdeckung der raumkulturellen Nahbeziehungen in der Heimat ein wichtiges Gegengewicht, dem auch in der öffentlichen Ordnung der Staaten und supranationalen Organisationen durch Föderalismus, Autonomie und wirksame Grundrechte der Gemeinschaftsbeziehungen Rechnung getragen werden muss. 453
2. Das historische Heimatrecht a) Die dreifache „Bürgerschaft“ Ähnlich wie die Schweizer Bundesverfassung (Art 37), enthielt Art 6 B-VG in der ursprünglichen Fassung den Grundsatz, dass die Bundesbürgerschaft der Landesbürgerschaft und diese dem Heimatrecht in einer Gemeinde des Landes folge.454 Voraussetzung für den Erwerb der Landes- und Bundesbürgerschaft war daher das Heimatrecht; „heimatlose“ Staatsbürger sollte es nicht geben. Dieses System ging – mit Ausnahme der Landesbürgerschaft – auf das altösterreichische Staatsbürgerschaftssystem zurück, das seit dem „Heimatrechtsgesetz“, RGBl 1863/105, die Staatsbürgerschaft an das Heimatrecht in einer Gemeinde band.455 Der Rechtsbegriff „Heimat“ bezeichnete hier die engere örtliche Verbundenheit eines Menschen mit einer Gemeinde, die zu dieser Zeit noch als genossenschaftlicher und nachbarschaftlicher Sozialverband („Kommune“) verstanden wurde. Im föderalen System entsprach diese dreifache Bürgerschaft aber auch dem nach dem Subsidiaritätsprinzip gegliederten Demokratiesystem von der nächsten bis zur entfernteren Gebietskörperschaft und Repräsentation. Die Beseitigung des Heimatrechts und die Einführung einer direkten österreichischen Staatsbürgerschaft im Jahre 1945 hat zwar das Verhältnis zwischen Landesbürgerschaft und Staatsbürgerschaft umgekehrt und Art 6 B-VG wurde dem angepasst;456 die demokratiepolitische Bedeutung einer dreifachen selbständigen Bürgerschaft blieb davon aber unberührt, weil sie auf der Autonomie der unterschiedlichen Demokratiesysteme beruht.457 Daher gibt es diese dreifache
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Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre (19861) 139 ff, 145. Karl Waldert, Das österreichische Heimat- und Staatsbürgerschaftsrecht (1926). Ludwig Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts Bd II (19535) 17 f. B-VG Novelle 1988 BGBl Nr 658; die Einführung einer Bundes- und Landesbürgerschaft nach dem Muster des früheren Art 6 B-VG „bleibt einer besonderen bundesverfassungsrechtlichen Regelung vorbehalten“ (Art III Abs 2 der B-VG-Novelle 1988). Peter Pernthaler/Karl Weber, Landesbürgerschaft und Bundesstaat (1983).
Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität
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Bürgerschaft auch in Südtirol, obwohl es hier weder Heimatrecht noch Landesbürgerschaft im formellen Sinn gibt.458 Ein letzter Rest der verfassungsrechtlichen Verankerung des „Heimatrechts“ („pertinenza“) findet sich in Art 64 des Staatsvertrags von Saint Germain (1919), eine Bestimmung, die gemäß Art 149 B-VG noch heute im Verfassungsrang steht. Diese Bestimmung sollte die Aufteilung der Angehörigen der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie auf die Nachfolgestaaten nach dem Territorialprinzip regeln,459 nachdem die einseitig innerstaatliche Regelung durch Österreich fehlgeschlagen war.460 b) Heimatrecht als Anspruch auf Fürsorge Die eigentliche Bedeutung des Heimatrechts lag in der Verknüpfung zwischen der Gemeinde und dem Anspruch auf Fürsorge im umfassenden Sinn. Dieses Prinzip beruhte einerseits auf der Ansässigkeit der Gemeindebewohner und anderseits auf der genossenschaftlichen Struktur der Gemeinde und ihrer, auf Naheverhältnisse aufbauenden Wirtschafts- und Gesellschaftsformen. Dieses Rechtsprinzip, wonach jede „Gemeinde“ ihre eigenen Hilfsbedürftigen zu unterstützen habe, war im gesamtdeutschen Raum verbreitet461 und wurde in Österreich im Zusammenhang mit grundlegender Gemeindereform von 1862462 reformiert.463 Noch unter dem B-VG in der Fassung von 1920 gehörte das „Armenwesen“ (Art 12 Abs 1 B-VG) zu den wichtigsten Funktionen des Heimatrechts. Die zunehmende Mobilität der Bevölkerung und das Prinzip der Gleichberechtigung aller Bundesbürger in jedem Land464 bereiteten dem System schon in der Ersten Republik zunehmende Schwierigkeiten. Die Einführung des deutschen Fürsorgerechts und der einheitlichen Staatsbürgerschaft entzogen dem „Heimatrecht“ endgültig die rechtliche Bedeutung als Teilhabeanspruch im „kommunalen Armenwesen“. Unabhängig davon bleiben der Gemeinde als Selbstverwaltungskörper wichtige Aufgaben der Fürsorge (Sozialhilfe), die aber nicht mehr mit der Gemeindebürgerschaft verknüpft sind.
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Vgl dazu allerdings die vierjährige Ansässigkeit als Voraussetzung des aktiven Wahlrechtes in der Provinz Bozen nach Art 25 und 63 des Autonomiestatutes. VfGH Erk Slg 1456/1932. Vgl dazu das Gesetz StGBl 1918/91 in Verbindung mit dem als Staatsgebiet in Anspruch genommenen Territorium StGBl 1919/4. Georg-Christoph von Unruh, Land, Landschaft und Heimat im deutschen Verfassungsrecht, Bayerisches Verwaltungsblatt 2004, 365 ff. Reichsgemeindegesetz RGBl 1862/18; Josef Redlich, Das Wesen der österreichischen Kommunalverfassung (1910). Heimatrechtsgesetz RGBl 1863/105. Art 6 Abs 2 B-VG 1920; vgl dazu auch das Grundsatzerkenntnis des VfGH VfSlg 2455/1952.
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Das Recht auf Heimat
c) Hauptwohnsitz und Ansässigkeit Mit der Neueinführung der Landesbürgerschaft hat die Bundesverfassung gleichzeitig einen neuartigen örtlichen Heimatbegriff eingeführt, den sie den „Hauptwohnsitz“ einer Person nennt.465 Der Hauptwohnsitz ist zwar nicht mehr ein spezielles „Recht“ – die Wahl des Wohnsitzes beruht vielmehr auf dem allgemeinen Grundrecht der Freizügigkeit466 –, wohl aber drückt sich darin jenes räumliche Naheverhältnis der „beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person“ (Art 6 Abs 3 B-VG) aus, das eben die davon betroffene Gemeinde zur „Heimat“ im Rechtssinn für diese Person macht. Deshalb ist es im föderalistischen und demokratischen Sinn konsequent, wenn die Bundesverfassung und die Landesverfassungen, sowohl die Landesbürgerschaft als auch die Gemeindebürgerschaft (Art 117 Abs 2 B-VG) an den Hauptwohnsitz der Staatsbürger knüpfen.467 In Südtirol – das den Begriff des Hauptwohnsitzes nicht kennt – übernimmt das Erfordernis der vierjährigen „Ansässigkeit“468 die notwendige Schutzfunktion des personellen Geltungsbereiches der Südtiroler Autonomie im Rahmen des Volksgruppenschutzes gegen Überfremdung. Auch darin liegt ein wichtiger Aspekt des rechtlichen Schutzes der Heimat für das Südtiroler Volk.
3. Das Recht auf Heimat a) „Beheimatung“ (Autochthonie) der Volksgruppen Der innere Zusammenhang zwischen dem Charakter als „Nationalität“ (Volksgruppe) und der Ansässigkeit in einem bestimmten Ort oder Territorium wurde als Rechtsproblem zuerst im Nationalitätenrecht der österreichisch-ungarischen Monarchie erkannt. Ausschlaggebend dafür war die Formulierung des Art 19 Abs 2 und 3 StGG, wo von „landesüblichen Sprachen“ und „Volkstämmen, die in Ländern wohnen“ die Rede war. In einem Schlüsselerkenntnis zur Frage der Errichtung von tschechischen Volksschulen in Wien entschied nun das Reichsgericht, dass der „böhmische Volkstamm dort (in Wien) nicht als nationale Individualität“ bestehe; er habe dort noch nicht die dafür typischen „historischen Wurzeln geschlagen“. Das 465
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Art 6 Abs 3 B-VG; vgl dazu auch das Hauptwohnsitzgesetz BGBl 1994/505; Rudolf Thienel, Meldung und Hauptwohnsitz, Journal für Rechtspolitik 1999, 124 ff; derselbe, Der „Wohnsitz“ im Wahlrecht, ÖJZ 2000, 251 ff. Art 6 StGG; Art 2 des 4. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Rudolf Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Bd II (1990) 38 ff; derselbe, ÖJZ 2000, 251 ff. Art 24 und 63 des Autonomiestatutes in der Fassung des Verfassungsgesetzes 2001/Nr 2.
Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität
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Erkenntnis wurde in der Formulierung zusammengefasst: „Der tschechoslawische Volksstamm wohnt in Wien nicht“.469 Am Beispiel der Großstadt Wien hat das Reichsgericht so schon sehr früh den heute aktuellen Unterschied zwischen Migrationsminderheiten und eingesessenen Minderheiten thematisiert und gleichzeitig in sehr treffender Weise die Verbindung zwischen der Volksgruppe und ihrem angestammten Siedlungsgebiet als Wesensmerkmal der „nationalen Individualität“ der ethnischen Minderheiten bzw Nationalitäten erkannt. Seit dieser Zeit ist das Merkmal der durch Generationen in einem Gebiet ansässigen („autochthonen“) Minderheit zum allgemein akzeptierten Kriterium der Unterscheidung der Volksgruppen von Flüchtlings- und Migrationsminderheiten geworden.470 Das aus der Ethnologie („Völkerkunde“) übernommene Merkmal „autochthon“ bezeichnete ursprünglich die „Ureinwohner“ eines Gebietes – was heute mit dem Begriff „indigene Völker“ erfasst wird – und behielt von dieser ursprünglichen Bedeutung das Element der langandauernden (historischen) „Verwurzelung“ einer Volksgruppe (Minderheit) in ihrem Wohngebiet bei. In dieser Verwendungsweise entspricht der Begriff exakt der oben dargestellten Bedeutung der „Heimat“ für die Identität der Volksgruppe. Es ist daher konsequent, wenn die – Fremdworte nach Möglichkeit vermeidende – Vorarlberger Landesverfassung statt des Ausdruckes „autochthon“ den Begriff „beheimatet“ verwendet.471 Es ist wohl kein Zufall, sondern seht typisch, dass die Judikatur des EuGH zum Südtiroler Sprachenschutz den Zusammenhang zwischen Sprache und „Beheimatung“ des geschützten Personenkreises völlig löst und auf diese Weise die ursprüngliche ethnopolitische Bedeutung des Sprachenschutzes zugunsten der Gleichheit und Freizügigkeit der Europabürger hintansetzt.472 Da diese beiden Entscheidungen aber auf den – in der Sache ausschlaggebenden – Sprachgebietsschutz keine negativen Auswirkungen hatten, wurde damit der Zusammenhang zwischen Sprachenschutz und angestammtes Territorium („Heimat“) der Südtiroler Volksgruppe im Kern nicht beeinträchtigt.473 b) Heimat als Element der Selbstbestimmung Das Recht auf Selbstbestimmung geht von einem untrennbaren Zusammenhang zwischen Volk (Volksgruppe) und Territorium als angestammtes 469
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Erkenntnisse des Reichsgerichtes Slg Anton Hye/Karl Hugelmann Nr 1284 und 1285/1904; Monika Glettler, Die Wiener Tschechen um 1900 (1972) 277 ff. Vgl für Österreich: Art 8 Abs 2 B-VG; Art 7 StV von Wien (1955); Erk des VfGH Slg 12.245/1989 ua. Art 5 der Vorarlberger Landesverfassung ordnet (als einzige Österreichs) an: „Das Land bekennt sich zur Pflege der in Vorarlberg beheimateten Mundarten“. Vgl dazu die beiden Schlüsselentscheidungen: Horst Otto Bickel und Ulrich Franz (24. 11. 1998) Slg I-7637; Angonese (6. 6. 2000) Slg I-4139. Vgl dazu Gabriel N. Toggenburg, Europas Integration und Südtirols Autonomie, in: Joseph Marko, Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 463 ff und 470 ff.
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Das Recht auf Heimat
Siedlungs- und Kulturgebiet dieses Volkes aus. Das liegt beim äußeren Selbstbestimmungsrecht schon deshalb auf der Hand, weil sich dieses auf Grenzen und Staatsgebiet bzw auf die Souveränität über dieses Gebiet bezieht. Aber auch das innere Selbstbestimmungsrecht setzt begrifflich ein Territorium voraus, auf das sich die Autonomie oder Gliedstaatlichkeit – als Gegenstand der Selbstbestimmung – beziehen soll.474 Das „eigene“ Territorium und der historisch begründete Siedlungsraum, auf den sich der Anspruch eines selbständigen räumlichen Herrschaftsbereich im Selbstbestimmungsrecht bezieht, ist aber nichts anderes als die Heimat des betreffenden Volkes bzw der betreffenden Volksgruppe. Daher ist die „Ansässigkeit“ in dieser Heimat nicht nur ein Wesensmerkmal des Volkes (der Volksgruppe), sondern zugleich auch ein Rechtsanspruch aus dem Selbstbestimmungsrecht, der sich gegen alle Störungen dieses unabdingbaren Elementes der ethnischen Selbständigkeit richtet. Erst nach dem Zeiten Weltkrieg wurde vor allem von der deutschen Völkerrechtslehre versucht, diesen uralten Grundsatz des „ius publicum Europaeum“475 in die Begrifflichkeit eines „Rechts auf die Heimat“ einzufangen.476 Man versteht darunter das Recht einer Volksgruppe oder eines Volkes und ihrer Angehörigen, auf einem bestimmten historischen Siedlungsgebiet frei von kollektiver Unterdrückung, Zwang zur Assimilation oder Auswanderung zu leben und – nach Vertreibungen – dorthin zurückzukehren können. Insbesondere richtet sich das „Recht auf Heimat“ gegen die Vorgänge der kollektiven Umsiedlung, Aussiedlung oder des Bevölkerungsaustausches, die im Zusammenhang mit Kriegen und Kriegsfolgen zu massenhaften Vertreibungen und Fluchtbewegungen ganzer Volksgruppen geführt haben. 477 Wie immer man die völkerrechtliche Positivierung dieses Grundsatzes beurteilt – ein sicherer Nachweis ist außerhalb des Geltungsbereiches der MRK (Art 3 des 4. Zusatzprot) wegen der staatsorientierten Auslegung des Selbstbestimmungsrechts schwer möglich478 – es steht fest, dass die verfassungsrechtliche Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts durch Österreich und seine Länder in der konkreten Beziehung auf das Gebiet (die Grenzen) der Re474
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Zum Begriff und zu den Arten des Selbstbestimmungsrechts siehe die Ausführungen oben VI.3. Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (1950); ders, Recht und Raum, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann (1951) 241 ff. Siehe dazu das Monumentalwerk von Kurt Rabl (Hg), Das Recht auf die Heimat, 5 Bde (1958–1965); Otto Kimminich, Recht auf die Heimat (1978); weitere Literatur angeführt bei Theodor Veiter, Das österreichische Volksgruppenrecht (1979) 10 und 32. Im österreichischen Verfassungsrecht ist das Recht auf die Heimat in eben diesem Zusammenhang zum ersten Mail in Art 5 a des KriegsverbrecherG, StGBl 199/1945 („Vertreibung aus der Heimat“) ausgesprochen worden; gemäß Art 10 StV von Wien, BGBl 152/1955 (mit BVG vom 4. März 1964, BGBl 59, in den Rang einer Verfassungsbestimmung erhoben) ist Österreich verpflichtet, das KriegsverbrecherG aufrecht zu erhalten. Siehe dazu Otto Kimminich, Recht auf die Heimat, aaO 106 ff.
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publik bzw der Länder auch das „Recht auf die Heimat“ verwirklichen wollte, weil anders die Souveränität eines Volkes (Volksstammes) auf seinem angestammten Siedlungsgebiet nicht denkbar ist. In schmerzlicher Weise wurde und wird dieser Zusammenhang zwischen Volk, Souveränität und Heimat an den Beispielen der abgetrennten deutschen Volksteile der Monarchie (Sudentenländer)479 bzw der altösterreichischen Länder – insbesondere Südtirols – bewusst. Die Republik Österreich ist eben wegen der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes nicht die Heimat aller Tiroler, Steirer und Kärntner geworden und insofern durch die Macht fremder Staaten an ihrer vollen territorialen Souveränität gehindert worden. Einzig die Tiroler Landesverfassung spiegelt diese „Narbe der Geschichte“480 noch wider und hat deshalb auch „die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes“ ausdrücklich als obersten Wert der Landesrechtsordnung inartikuliert.481 Aber auch ohne diese ausdrückliche Bezugnahme sind die Verfassungskategorien „Volk“, „Land“, „Österreich“, „Bundesgebiet“ uä – insbesondere wenn ihre „Einheit, Unverletzlichkeit und Unabhängigkeit“482 beschworen wird – nicht anders als in Konkretisierung des Begriffes „Heimat“ zu deuten. c) Der Schutz vor Vertreibung und Überfremdung Alle Bemühungen um eine eindeutige völkerrechtliche Verankerung des „Rechtes auf Heimat“483 leiden unter der derzeitigen Staatenpraxis und der Auffassung der Vereinten Nationen, dass das Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich nur „Staatsvölkern“ zukommen solle und Volksgruppen bzw staaten479
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Die Provisorische Nationalversammlung hatte ursprünglich die deutschsprachigen Gebiete des Sudetenlandes als deutsch-österreichisches Staatsgebiet bzw als deutschösterreichischen „Rechtsbereich“ in Anspruch genommen; siehe G vom 22. November 1918 über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich, StGBl 40, und die Staatserklärung vom 22. November 1918 über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich, StGBl 41, und dazu Hans Kelsen, Verfassungsgesetze, 1. Teil (1918) 69 ff. Dieser Ausdruck wird im offiziellen Sprachgebrauch des Europarates als ein Grund für die Zusammenarbeit der Grenzregionen verwendet; siehe Peter Pernthaler, Organisationsformen und Verfahren grenzüberschreitender Planung in europäischen Grenzgebieten, in: FS v d Heydte (1977) 2. Halbband, 1108; Viktor Freiherr v Malchus, Partnerschaft an europäischen Grenzen (1975); Les Régions Transfrontaliéres de l’Europe. Colloque de Genéve (1975); Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 54 f. Siehe die durch Landesverfassungsgesetz vom 2. Juli 1980, LGBl 48 erstmals in die Landesordnung aufgenommene Präambel; vgl auch § 2 Abs 1 Tir LO, in dem die Festlegung des Landesgebietes nicht endgültig erfolgt, sondern das Land Tirol „derzeit“ die Nordtiroler politischen Bezirke umfasst; vgl dazu die Ausführungen unter III. 7 und V. 2 dieser Untersuchung. Art 9 a B-VG; BVG v 26. 10. 1955, BGBl 211 über die Neutralität Österreichs. Eine besondere verfassungsrechtliche Verankerung des „unveräußerlichen Menschrechtes auf die Heimat“ findet sich in Art 2 der Landesverfassung von BadenWürttemberg.
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Das Recht auf Heimat
lose Völker nicht als Träger des Selbstbestimmungsrechts anerkannt werden.484 Vertreibung von Völkern (Volksgruppen) durch Staaten aus deren eigenem Staatsgebiet wird also im allgemeinen Völkerrecht höchstens als Menschenrechtsproblem, nicht aber als Verletzung des Rechtes auf Heimat anerkannt.485 Wohl aber gibt es in regionalen Völkerrechtspakten – wie der Europäischen Menschenrechtskonvention – einen Schutz vor Vertreibung durch den eigenen Staat486 und einen Anspruch auf Rückkehr in den Heimatstaat und ein Verbot der Kollektivausweisung von Fremden.487 Auch der Schutz des eigenen Wohn- und Siedlungsgebietes vor „Überfremdung“, dh vor Zuwanderung durch nicht dem Volk (der Volksgruppe) angehörige Menschen steht grundsätzlich nur den Staatsvölkern zu, die jedenfalls die Einwanderung durch rechtliche Vorschriften und staatlichen Zwang lenken können, soweit nicht die europäischen Freiheiten im Rahmen der EU davon berührt werden. Einer, innerhalb des Staates lebenden Volksgruppe (Minderheit) steht dieses Recht weder gegenüber dem Mehrheitsvolk noch gegenüber EU-Bürgern zu, weil beide sich auf die Grundrechte der Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit berufen können. Das Gleiche gilt für Landesvölker innerhalb föderalistischer Systeme oder im Rahmen von verfassungsrechtlichen Regionalautonomien: Sie können ihr Gebiet grundsätzlich nicht gegenüber den Zuzug aus anderen Ländern oder dem Staatsgebiet insgesamt abschließen. Für Südtirol ergab sich daraus die Notwendigkeit einer speziellen rechtlichen Verankerung des „Rechtes auf Heimat“ in zweifacher Hinsicht: Es musste einerseits das Unrecht der „Optantenlösung“ durch den Hitler-MussoliniPakt (1939) wiedergutgemacht werden, das in seinen Auswirkungen einem Zwang zur Ausbürgerung aus der Heimat gleichkam; anderseits musste ein Weg gefunden werden, die im Faschismus begonnene und auch nach dem Faschismus fortgesetzte staatlich gelenkte Zuwanderung von Italienern nach Südtirol zu beenden, ohne mit dem verfassungsmäßigen Recht auf Freizügigkeit der Staatsbürger in Konflikt zu geraten. Die zuerst genannte Problematik wurde schon im Pariser Abkommen (1946) angesprochen und zur Lösung „im Geiste der Billigkeit und Weitherzigkeit“ Italien „nach Beratung mit der österreichischen Regierung“ aufgetragen.488
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Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 52 ff. Otto Kimminich, Das Recht auf Heimat (1978) 106 ff. Vgl Art 3 des Vierten Zusatzprotokolls zur MRK: „Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger“, wobei sowohl Einzel- als auch Kollektivmaßnahmen unter dieses Verbot fallen. Art 3 Abs 2 und 4 des erwähnten Zusatzprotokolls zur MRK. Punkt 3 a des Pariser Abkommens; vgl dazu den folgenden Punkt „Die Regelung der Südtiroler Optantenfrage“.
Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität
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Die zweite Problematik, die in Südtirol selbst als „Todesmarsch“ der Volksgruppe empfunden wurde,489 wurde durch eine Reihe von wirtschaftlichen und sozialen Förderungsmaßnahmen in Verbindung mit dem ethnischen Proporz durch das „Paket“ und seine Durchführung gelöst.490 Im Ergebnis konnte so – ohne formelle rechtliche Beschränkung des Zuzuges aus Italien – die Überfremdung der Heimat der Südtiroler Volksgruppe gestoppt werden.491 d) Die Regelung der Südtiroler Optantenfrage aa) Die Vorgeschichte Die Optantenproblematik in Südtirol entstand aus dem Südtiroler Umsiedungsabkommen vom 23. Juni 1939, das im Pariser Abkommen als „HitlerMussolini-Abkommen von 1939“ bezeichnet wird. Die Gründe für dieses Abkommen waren komplex: Die italienische Seite wollte die Minderheitsproblematik in Südtirol durch Aussiedlung des „deutschsprachigen Elementes“ lösen, da die bis dahin betriebene Assimilationspolitik nicht den erhofften Erfolg gebracht hatte. Da eine zwangsweise Totalaussiedlung zu diesem Zeitpunkt weder von Deutschland akzeptiert wurde noch für Italien aus wirtschaftlichen Gründen erstrebenswert war, verfiel man auf italienischer Seite auf die Kombination von formaler Freiwilligkeit mit gleichzeitigem Druck, um einen entsprechenden Teil der Deutschsprechenden zur Absiedlung zu bewegen und den Rest leichter zu assimilieren. Der „Architekt“ dieser Lösung war der Bozner Präfekt, Mastromattei, der in der Folge auch den entsprechenden Druck auf die Südtiroler ausübte, später allerdings die Option für Deutschland behinderte.492 Auf deutscher Seite war man an dem Abkommen interessiert, weil die Lösung der „Südtiroler Problematik“ eine Voraussetzung der deutsch-italienischen Bündnispolitik („Stahlpakt“ vom 22. Mai 1939) war; aber auch deshalb, weil man die Südtiroler Volksgruppe zur Ansiedlung im deutschen Machtgebiet ohne direkte Zwangsmaßnahmen bewegen wollte. Ein zwangsweiser „Abtransport“ der Südtiroler – also eine offene Vertreibung – kam für die deutsche Seite aus politischen Gründen nicht in Betracht und wurde stets ab-
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Der Ausdruck wurde von Kanonikus Michael Gamper schon 1953 geprägt und hat die Bewegung „Los von Trient“ beflügelt; vgl dazu Alfons Gruber, Das Volk von Südtirol hat gesprochen, in: Sigmundskron. Demonstration für Selbstbestimmung (1997) 19 ff. Siehe dazu die Ausführungen unter IV. 4 und VII. 2 dieser Untersuchung. Vgl dazu die Entwicklung der Sprachgruppen – Zählung in Südtirol bei Giovanni Poggeschi, Volkszählung und Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 313; vgl dazu auch die Ergebnisse der Volkszählungen 1981–2001 in FN 398. Winfried Schmitz-Esser, Die Genesis des Südtiroler Umsiedlungsabkommens vom 23. Juni 1939, in: Franz Huter, Südtirol, aaO 321 ff, 333.
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Das Recht auf Heimat
gelehnt.493 Dennoch war man an einer Umsiedlung der deutschen Volksgruppe – auch aus volks- und siedlungspolitischen Gründen – interessiert und wollte dazu die von italienischer Seite vorgeschlagene Optionslösung benützen. Auf einer Geheimkonferenz in Berlin (23. 6. 1939) wurde zwar die Optionslösung in großen Zügen beschlossen, wichtige Einzelheiten aber nicht festgelegt, weil beide Seiten unterschiedliche Ziele verfolgten und das Gesamtkonzept bewusst unklar lassen wollten; nicht einmal ein schriftliches Dokument über das Abkommen wurde unterzeichnet.494 Dies hatte zur Folge, dass bis 1941 eine große Zahl von Richtlinien, Durchführungsbestimmungen, Erläuterungen, Zusatzvereinbarungen und Abkommen, Grundsätze und Bekanntmachungen erlassen werden mussten, um rechtliche und praktische Probleme der Umsiedlung zu lösen.495 bb) Die Durchführung des Abkommens Bei den notwendigen Durchführungsverhandlungen zur Optionslösung erzielte Deutschland insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht weit günstigere Ergebnisse, als Italien ursprünglich zugestehen wollte; vor allem erreichte man eine individuelle Berechnung der Entschädigung der Abwanderer statt der von Italien vorgeschlagenen Pauschalabgeltung. Ausschlaggebend für die weitere Durchführung des Abkommens war auch, dass die Entschädigung in einem komplizierten Verfahren von Wertfestsetzungskommmissionen auf Grund von Selbsteinschätzungen festzusetzen war, was die Abwanderung der Besitzgebundenen wesentlich verzögerte und schließlich zum Erliegen brachte.496 Die große Zahl von Optionen für Deutschland497 brachte ein für Italien politisch und wirtschaftlich unangenehmes Ergebnis, das von der beabsichtigten „kleinen Lösung“ weit entfernt war und daher auch nicht mit letzter Konsequenz realisiert werden sollte. Der große Anteil der für Deutschland Optierenden erklärte sich aus der jahrzehntelangen Unterdrückungspolitik der ethnischen Identität der Südtiroler durch den Faschismus und aus den Drohungen der italienischen Seite nach vollständiger Assimilation der „Dableiber“. Die menschenunwürdige Schicksalsfrage für die Optanten lautete daher: Verlust der Heimat oder des Volkstums? Nach heutiger Auffassung wäre diese Alternative ein eindeutiger 493 494 495
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Winfried Schmitz-Esser, aaO 328 ff. Winfried Schmitz-Esser, aaO 336 f. Vgl die umfangreiche „Handausgabe der Umsiedlungsbestimmungen“, hg vom Leiter der Amtlichen Deutschen Ein- und Rückwanderungsstellen, Bozen (19412); Details dazu bei Winfried Schmitz-Esser, aaO 361. Vgl zum Folgenden Carl Friedrich Latour, Südtirol und die Achse Berlin – Rom 1938–1945. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nr 5 (1962) 28 ff; Franz Huter, Option und Umsiedlung, in: derselbe, Südtirol, aaO 340 ff. Nach österreichischen Quellen 86% in der heutigen Provinz Bozen bzw 211.799 Personen; nach italienischer Version 69% mit etwa 12.000 „Umoptionen und strittigen Fällen“; Franz Huter, aaO 341.
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Rechtsbruch; in der damaligen Situation wurde sie als unerträglicher schicksalhafter Druck empfunden, der auch in der Volksgruppe einen tiefen Riss erzeugte. Dazu kamen schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Pressionen durch die faschistische Assimilationspolitik, die vor allem die Arbeiter, weichenden Bauernsöhne und Kleingewerbetreibenden zur Option für Deutschland bewegten. Diese Gruppe der „Nicht-Besitzgebundenen“ stellte dann auch die größte Zahl an tatsächlich abgewanderten Optanten, wobei eine exakte zahlenmäßige Festlegung dieser Gruppe heute nicht mehr möglich ist; die Schätzungen der „Umsiedler“ schwanken zwischen 65.000 und 74.500.498 Die Umsiedlung wirkte daher sehr stark als berufliche und soziale Auslese und betraf am meisten die Zentren der gewerblichen Wirtschaft, Bozen, Meran, Brixen und Bruneck, die Abwanderungsverluste von über 40% erlitten, die rasch durch nachströmende Italiener ersetzt wurden, da dies ihre bevorzugten Siedlungsgebiete waren.499 Insofern hatte die Option die italienische politische Zielsetzung der „kleinen Lösung“ der Abwanderung der Südtiroler Volksgruppe jedenfalls teilweise erreicht. Die verzögerte Abwanderung des landwirtschaftlichen Bevölkerungsanteiles (etwa 9%) war auch das Ergebnis einer sehr erfolgreichen Selbsthilfeorganisation („Arbeitsgemeinschaft der Optanten“), die vor allem gerechte Schätzungen des Besitzes durchsetzten und übereilte Abwanderungen verhinderten.500 Vor allem wurde so die von deutscher Seite schon zugesagte geschlossene Teilumsiedlung der Ladiner nach Osttirol – die von Italien massiv verlangt wurde – erfolgreich verhindert. Ab dem Herbst 1941 ging die Umsiedlung allmählich zu Ende, nachdem bis Feber 1941 etwa 59.000 Optanten vor allem „Nicht-Besitzende“ – überwiegend aus Bozen und Meran – ausgesiedelt wurden. Der größte Teil, nämlich 81% dieser Umsiedler blieben im heutigen Österreich, davon 59% in Tirol und Vorarlberg501 Der Sturz Mussolinis und der Übertritt Italiens auf die Seite der Feinde Deutschlands im Jahre 1943 beendete auch formell das Umsiedlungsprogramm, ohne freilich die durch die Option entstandenen Probleme – vor allem Verlust der Heimat für die Abwanderer und der Verlust der italienischen Staatsbürgerschaft aller Optanten für Deutschland (70–80% der Volksgruppe) – zu lösen. In dieser Situation stand die Südtiroler Volksgruppe vor Abschluss des Pariser Abkommens und vor seiner problematischen Ausführung durch das Autonomiestatut 1948.
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Franz Huter, aaO 357 und Adolf Leidlmair, Bevölkerung und Wirtschaft 1919– 1945, in: Franz Huter, Südtirol, aaO 362 ff, 367; eine Dunkelziffer stellen auch die etwa 20.000 zur deutschen Wehrmacht einberufenen Südtiroler dar. Adolf Leidlmair, aaO 367. Franz Huter, aaO 358 f. Vgl Franz Huter, aaO 357.
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cc) Pariser Abkommen und Optantengesetz Im Pariser Abkommen (1946) war eine Regelung der Optantenfrage im Geiste der „Billigkeit und Weitherzigkeit“ durch Italien zugesagt worden (Art 3 lit a). Eine solche Regelung war einerseits die Voraussetzung dafür, dass die Volksgruppe die zugesagte Autonomie und sonstigen Rechte überhaupt nützen konnte, weil es sich dabei überwiegend um Staatsbürgerrechte handelte. Anderseits galt die Regelung der Optantenfrage als eine der größten Erfolge des Abkommens, weil dadurch eine völkerrechtliche Absicherung des „Rechtes auf Heimat“ und der Wiedergutmachung des – im Ergebnis einer Vertreibung der Volksgruppe gleichkommenden – „Umsiedlungsabkommens“ von 1939 erblickt wurde. Daher war die Lösung der Optantenfrage sowohl für Gruber als auch für die Vertreter Südtirols ein wichtiges Motiv für die Zustimmung zum Pariser Abkommen trotz der damit verbundenen völkerrechtlichen Anerkennung der „Brenner-Grenze“. Nach schwierigen Verhandlungen kam es am 22. 11. 1947 zu einer Einigung über die Optantenfrage; Italien erließ aber zunächst kein Optantengesetz, sondern verschärfte sogar den Druck auf die nichtabgewanderten Optanten.502 Erst als die Südtiroler Vertreter dem Autonomiestatut 1948 zugestimmt hatten503 und dieses von der verfassungsgebenden Versammlung beschlossen war (30. 1. 1948) erließ der Präsident das Optantengesetz vom 2. Feber 1948, das bis dahin zurückgehalten wurde. Das Optantengesetz, Nr 23/ 1948, unterschied drei Personengruppen: •
Italienische Staatsbürger, die für Deutschland optiert, die deutsche Staatsbürgerschaft aber nicht erworben hatten. Diese größte Gruppe (ca 115.000) konnte durch eine Erklärung die Staatsbürgerschaft behalten.
•
Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben, aber nicht abgewandert sind; diese Gruppe (mehr als 40.000) konnten die Staatsbürgerschaft durch eine Erklärung ex tunc wiedererlangen.
•
Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erworben und das Land verlassen hatten. Von dieser Gruppe, deren genaue Zahl nicht feststeht,504 hatten etwa 50.000 „rückoptiert“. Sie mussten – ebenso wie gewisse Ausnahmefälle der zweiten Gruppe – um eine förmliche Wiederverleihung der Staatsbürgerschaft ansuchen.
Trotz einiger Erleichterungen für den Vermögenstransfer und italienischer Wiederaufnahmemaßnahmen waren die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen einer Wiedereingliederung der Optanten so ungünstig, dass nur etwa 12.000 Rückoptanten tatsächlich nach Italien zurückkehrten.505 Das bedeu502
503 504 505
Herbert Miehsler, Das Gruber-De Gasperi-Abkommen, in: Franz Huter, Südtirol, aaO 421. Sog „Perassi-Brief“ vom 28. 1. 1948, vgl Herbert Miehsler, aaO 409 f. Schätzungen reichen von 60.000 bis 80.000; vgl Adolf Leidlmair, aaO 367. Herbert Miehsler, aaO 422.
Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität
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tet, dass die einer „ethnischen Säuberung“ gleichkommende Aussiedlung der Optanten aus ihrer angestammten Heimat durch das Hitler-MussoliniAbkommen 1939 nicht vollständig rückgängig gemacht wurde und so die auch nach dem Krieg weiter betriebene „Überfremdung“ der Südtiroler Volksgruppe bis zur „Paketlösung“ massiv verstärkt wurde.506 Das „Recht auf Heimat“ wurde daher durch die Optantenlösung des Pariser Vertrags und ihre Durchführung für die Südtiroler Volksgruppe nur teilweise wiederhergestellt. e) Die historische Dimension des Rechtes auf Heimat Die Problematik des Rechtes auf Heimat liegt in seiner historischen Dimension. „Heimat“ („Autochthonie“) wird rechtlich begründet durch den Zeitablauf des Wohnens in einem Gebiet durch Generationen. Die Sprache – vor allem in den Mundarten – und die Ortsnamen geben Zeugnis von der Durchdringung von Landschaften durch Völker und der Überformung früherer Siedlungsschichten im selben Raum. Auf Grund geschichtlicher und sprachwissenschaftlicher Forschungen steht fest, dass Tirol in allen seinen Landesteilen bis zur Sprachgrenze bei Salurn durch Jahrhunderte ein rein deutsprachiges Land war, wenn man von den ladinischen Siedlungsgebieten absieht.507 Erst die faschistische Ortsnamengebung durch künstliche Übersetzungen historischer deutscher Ortsnamen hat diese siedlungsgeschichtlichen Erkennungsmarken der Beheimatung im Lande beseitigt und eine italienische Namensgebung im ganzen Land zu dokumentieren getrachtet.508 Damit ist zwar die Heimat der hier ansässigen deutschsprachigen Volksgruppe nicht im territorialen Sinn verloren gegangen, wohl aber im kulturellen Sinn entfremdet geworden und gleichzeitig – in Verbindung mit einer national gelenkten Siedlungs- und Zuwanderungspolitik – „Heimat“ für die italienische Sprachgruppe neu begründet worden. Dies sollte – in Verbindung mit der geplanten Absiedlung der Optanten – eine Änderung der politgeographischen Struktur des Landes herbeiführen, die im Zeitablauf zur Begründung einer neuen „Autochthonie“ der italienischen Bevölkerung in Südtirol geführt hätte. Zwar ist die mit dem Hitler-Mussolini-Abkommen (1939) angestrebte „Endlösung“ in diesem Sinne nicht zustandegekommen und auch der „Todesmarsch“ der Südtiroler Volksgruppe unter dem ersten Autonomiestatut durch das „Paket“ und seine Umsetzung gestoppt worden. Aber im Generationenablauf ist seit 1919 zweifellos „Heimat“ für die italienische Sprachgruppe in Südtirol begründet worden, die heute rechtlich ebenso geschützt ist wie die der deutschsprachigen Volksgruppe. Auf dieser Grundlage beruht das oben
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Vgl dazu die Ergebnisse der Volkzählungen bei Felix Ermacora, Südtirol und das Vaterland Österreich (1984) 65. Karl Finsterwalder, Sprache und Ortsnamen als Geschichtsquellen, in: Franz Huter, Südtirol, aaO 19 ff. Siehe dazu die Ausführungen unter 4. d („Das Problem der Ortsnamengebung in Südtirol“).
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Schutz und Pflege der Heimat als öffentliche Aufgabe
dargestellte komplexe politische System und Sprachenrecht Südtirols in der besonderen Form seiner Spezialautonomie. Auch Migrationsminderheiten erwerben nach einiger Zeit nicht nur ein Aufenthaltsrecht in der Fremde, sondern gleichfalls ein Recht auf Heimat im Gastland, was zu weiteren gesellschaftlichen Überformungen der Bevölkerung des Landes führt. Im Hinblick auf die Freiheitsrechte auf nationaler und europäischer Ebene ist ein absoluter rechtlicher Schutz vor Zuwanderung nicht möglich. Das „Recht auf Heimat“ in einer Region bietet daher heute nur mehr einen sehr eingeschränkten Schutz vor Überfremdung im Zusammenhang mit dem Minderheitenschutz.509 Für das Bundesland Tirol kommt dieser Aspekt aber nicht in Betracht, was zu einer weiteren rechtlichen Differenzierung der Landesteile führt.
4. Schutz und Pflege der Heimat als öffentliche Aufgabe a) Heimatpflege als Verfassungsauftrag Eine Reihe von Landesverfassungen enthalten den Begriff „Heimatpflege“ als Staatszielbestimmung in Verbindung mit dem Auftrag zur Kulturförderung durch das Land.510 Diese spezielle Bedeutung des Begriffes „Heimat“ geht auf die deutsche Verwaltungspraxis zurück, die im Zuge der Rechtsüberleitung 1945 gemeinsam mit dem deutschen Raumordnungs-, Naturschutz- und Baugestaltungsrecht übernommen wurde. Die deutsche Praxis ging ihrerseits auf eine um 1900 entstandene Kulturbewegung zurück („Heimatschutz und Heimatpflege“), welche die Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlichen Eigenart schützen, traditionelle Bau-, Wohn- und Handwerkskultur, lokales Brauchtum (Veranstaltungen und Vereine), aber auch die Landschaft und Natur schützen und pflegen wollte.511 Zum „Heimatschutz“ (zur „Heimatpflege“) im Sinne dieser deutschen Verwaltungspraxis gehörte also nicht nur die kulturpolitische Dimension, sondern auch der Landschafts- und Naturschutz, die Ortsbildpflege und der Denkmalschutz, die Raumplanung und Siedlungs- und Baupolitik, einschließlich der
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Vgl dazu die komplizierten Regelungen zugunsten des Schutzes des türkischen Siedlungsgebietes in Zypern in der geplanten Lösung des Generalsekretärs der UNO vom 26. 2. 2003, dargestellt bei: Peter Pernthaler, Der Plan einer „Umfassenden Regelung des Zypernproblemes“, Europa Ethnica 2003, 18 ff. Art 4 Z 5 Niederösterr Landesverfassung; Art 10 Tiroler Landesordnung Art 9 Vorarlberger Landesverfassung. Vgl dazu: Gesellschaft der Freunde des Deutschen Heimatschutzes (Hg), Der Deutsche Heimatschutz. Ein Rückblick und Ausblick (1930).
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sog „Verunstaltungsverordnung“, die eine „anständige Baugesinnung, werkgerechte und in die Umgebung passende Baugestaltung“ forderte.512 Die Überleitung dieses Rechtsmaterials in die österreichische Rechtsordnung musste daher nicht nur eine inhaltliche Rechtsbereinigung im liberaldemokratischen Sinn vornehmen,513 sondern den übergeleiteten Rechtsstoff auch systematisch nach der österreichischen Verwaltungstradition neu gliedern und einordnen.514 Daher entstanden aus dem deutschen „Heimatschutz“ in der österreichischen Rechtsordnung (der Länder) eine ganze Reihe von Verwaltungsmaterien, die den traditionellen österreichischen Rechtsbegriffen zugeordnet, inhaltlich aber meist aus dem deutschen Recht weiterentwickelt wurden. „Heimatschutz und Heimatpflege“ ist daher heute ein umfassender Komplex von Verwaltungsmaterien, der vom Natur(Umwelt-)schutz über Bauund Raumplanungsrecht bis zur Kulturpolitik (einschließlich der Denkmalpflege) und dem Veranstaltungswesen reicht. In der Regel sind dafür Landeszuständigkeiten gegeben; soweit dies nicht der Fall ist, werden die betreffenden Verwaltungsaufgaben (vor allem Förderungen) in Form von (kompetenzneutraler) Privatwirtschaftsverwaltung (Art 17 B-VG) durch die Länder erbracht. Ein großer Teil der Verwaltungsaufgaben der „Heimatpflege“ wird auch durch die Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich erbracht; ein eigener Kompetenztatbestand der „örtlichen Kulturpolitik“ fehlt allerdings im Katalog des Art 118 Abs 3 B-VG. Im Hinblick auf die umfassende Formulierung der örtlichen Allgemeinzuständigkeit der Gemeinden (Art 116 Abs 2 und 118 Abs 2 B-VG) spielt dies aber weder rechtlich noch praktisch eine Rolle. b) Heimatpflege in Südtirol In Südtirol fehlt eine eigne Kompetenz „Heimatpflege“, was offenbar mit der besonderen, oben dargestellten Transformation aus dem (reichs)deutschen Recht in die österreichische Rechtsordnung zusammenhängt. Inhaltlich umfassen die Kompetenzen der Autonomen Provinz aber jedenfalls die dem Land Tirol zukommenden (volks-)kulturellen, veranstaltungspolizeilichen, raumordnerischen und landschaftsschützenden Zuständigkeiten; darüber hinaus hat Südtirol auch die überwiegende Kompetenz des Denkmalschutzes, des Höferechts und der Landwirtschaft, sodass die Aufgaben der „Heimatpflege“
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Verordnung des Reichsarbeitsministers über Baugestaltung vom 10. 11. 1936; in den meisten österreichischen Ländern nach 1945 in das Landesrecht übergeleitet. Vgl dazu die „Transformationsschleuse“ des § 1 Rechts-Überleitungsgesetz, StGBl Nr 6. Vgl zur analogen Problematik der Einordnung des deutschen Raumordnungsrechts in die österreichische Rechtsordnung: Peter Pernthaler, Raumordnung und Verfassung, Bd 1 (1995) 37 ff.
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Schutz und Pflege der Heimat als öffentliche Aufgabe
in umfassender Weise durch das Land wahrgenommen werden können.515 Allerdings ist zu beachten, dass das politische System Südtirols auch die Integration der italienischen Sprachgruppe in den demokratischen Prozess gewährleistet,516 was zu politischen Konflikten rund um „Schutz und Pflege der geschichtlichen und volklichen Werte“ (Art 8 Z 3 Autonomiestatut) führen kann.517 Zu einem bis heute unlösbaren Problembereich der „Heimatpflege“ hat sich die Ortsnamengebung in Südtirol entwickelt, worauf noch näher einzugehen ist.518 c) Heimat als Lebensraum der Bevölkerung Eine neue Dimension des „Schutzes und der Pflege der Heimat“ eröffnete die Salzburger Landesverfassung 1999, indem sie in Art 9 dem Land die Aufgabe übertrug „für eine geordnete Gesamtentwicklung des Landes zu sorgen, die den wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Bedürfnissen seiner Bevölkerung auch in Wahrnehmung der Verantwortung für künftige Generationen Rechnung trägt“. Eine ähnliche Bestimmung enthält auch die Landesverfassung von Niederösterreich (Art 4), allerdings noch ohne Bezugnahme auf die „Verantwortung für künftige Generationen“.519 Den selben Gedanken eines umfassenden „Lebensraum-Schutzes“ für die Bevölkerung unter Einbindung in die sozialen, geschichtlichen und ökologischen Determinanten des Landes hat Südtirol bereits frühzeitig durch seine „Landes-Entwicklungsprogramme (LEP)“ verwirklicht. In diesen Planungen wurden kooperativ – unter Bedachtnahme auf ethnopolitische Zielsetzungen der Südtiroler Volksgruppe – nachhaltige Entwicklungsziele, Wachstumsbegrenzungen und ökologische Verantwortungsbereich getreu nach dem Modell des ökonomischen Gleichgewichtsstaates („equilibriumstate“) festgelegt.520
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Vgl dazu Art 8 (in Verbindung mit Art 109) des Autonomiestatutes und die einschlägigen Durchführungsbestimmungen bei: Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie (20058) 224 ff. Vgl dazu oben IV. 3 und VII. 2. Vgl dazu die bei Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 225 angeführten Beispiele der Auseinandersetzungen um „nationale Kulturgüter“ (ursprünglich auch Schloss Tirol und der Dom von Brixen) und den „Siegesplatz“ bzw das „Siegesdenkmal“ in Bozen. Vgl unten, Punkt d) dieses Kapitels. Vgl dazu – in Verbindung mit der Formulierung des Nachhaltigkeitsprinzips – die Schweizer Bundesverfassung, Präambel und Art 2. Zum Begriff des „ökonomischen Gleichgewichtsstaates“ vgl Peter Saladin, Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer 35 (1977) 45; Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 108.
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d) Das Problem der Ortsnamengebung in Südtirol aa) Historischer Ursprung Die heutige Problematik der Ortsnamenbezeichnung in Südtirol geht auf die Einführung italienischer Ortsnamen während der faschistischen Diktatur zurück und zwar im Konkreten auf die Legislativ-Dekrete vom 29. 3. 1923 und vom 10. 7. 1940, womit die Bezeichnungen des „Prontuario dei nomi locali dell’ Alto Adige“ (19353) für amtlich erklärt wurden. Dieses Verzeichnis, das im Wesentlichen von Ettore Tolomei verfasst wurde, stellt – mit wenigen Ausnahmen – eine Sammlung von Übersetzungen dar, die in Südtirol nicht in Gebrauch standen und daher reine Kunstprodukte waren. Der politische Sinn dieser Namensgebung war, Südtirol bis zur „Brennergrenze“ als historisches italienisches Siedlungsgebiet zu begründen und gleichzeitig den italienischen Zuwanderern das Land als ihre Heimat zu vermitteln.521 Die italienischen Ortsbezeichnungen stellen vielfach reine Phantasienamen dar, die nicht einmal sprachwissenschaftlich korrekt gestaltet wurden.522 Die willkürliche Namensschöpfung sollte nicht nur die italienischen Territorialansprüche legitimieren, sondern auch die natürlich gewachsene, die Bevölkerung kennzeichnende, kulturelle und historische Identität auslöschen. Von den ca 8000 italienischen Bezeichnungen des Prontuario wird ein Großteil auch heute noch nicht gebraucht, während die Zahl der in Südtirol verwendeten deutschen Orts- und Flurbezeichnungen wesentlich höher liegt. Die Verwendung dieser althergebrachten deutschen Namen wurde durch die angeführte faschistische Regelung untersagt. Eine kurzfristige Erlaubnis der „gleichberechtigten Verwendung“ deutscher Bezeichnungen523 ging mit dem Zusammenbruch der deutschen Besetzung der „Operationszone Alpenvorland“ wieder zu Ende. bb) Pariser Abkommen Auf diese Rechtslage traf das Pariser Abkommen (1946), das den deutschsprachigen Staatsbürgern der Provinz Bozen im Besonderen „Gleichberechtigung der deutschen und italienischen Sprache … auch in zweisprachigen topographischen Namen“ gewährleistet (Art 1 Abs 2 lit b). Die Durchführung dieser Maßnahme sollte „in Übereinstimmung mit bereits erlassenen oder zu erlassenden Gesetzen“ erfolgen. Da es auf dem Gebiet der Ortsnamenregelung keine italienische Ge-
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Vgl dazu Eduard Kühebacher, Amtlicher Gebrauch des geographischen Namensgutes in Südtirol, in: Europa Ethnica 1999, 65 ff. Cristian Kollmann, Schall und Rauch – Faschistische Relikte in Südtirol (2003). Verordnung über die vorläufige Ortsbezeichnung in der Provinz Bozen vom 17. 9. 1943.
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setzgebung über die Zweisprachigkeit gab,524 muss diese Bestimmung so ausgelegt werden, dass die „Gleichberechtigung der deutschen und italienischen Sprache“ in der Ortsnamenregelung erst durch einen Akt der Gesetzgebung herzustellen ist, weil sie ja – wie angeführt – zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bestand. Umstritten ist die Auslegung dieser Garantie des Pariser Abkommens im Hinblick auf die Auslegung und Tragweite des Begriffes „zweisprachige Ortsnamengebung“: Bedeutet diese Norm, dass die „Gleichberechtigung der deutschen und italienischen Sprache“ dadurch hergestellt wird, dass alle topographischen Bezeichnungen zweisprachig auszuführen sind oder dass in zweisprachigen Ortsnamen die deutsche und italienische Bezeichnung gleichberechtigt sein sollen? Die zuerst genannte Auslegung führt dazu, dass die italienischen Bezeichnungen des Tolomeischen „Prontuario“ in eine neue gesetzliche Regelung übernommen werden müssen und sogar weiter auszubauen sind, wo es bis jetzt keine italienische Bezeichnung für einen deutschen Orts- oder Flurnamen gibt.525 Damit wäre – was offenkundig nicht der Sinn des Pariser Abkommens sein kann – das faschistische Projekt einer Entnationalisierung des deutschsprachigen Südtirols durch italienische Phantasienamen für die Orte und Fluren im System des ethnischen Minderheitenschutzes weiterzuführen und rechtsstaatlich-demokratisch zu legitimieren. Die zweitgenannte Auslegung stützt sich auf die unterschiedliche Formulierung der „Gleichberechtigung der Sprachen“ in „öffentlichen Ämtern und amtlichen Urkunden“ einerseits und in der Ortsnamengebung anderseits: Nur bei den Ortsnamen wird auf das Merkmal „zweisprachig“ noch zusätzlich abgestellt. Daraus wird abgeleitet, dass nicht in allen Ortsnamen Südtirols die Gleichberechtigung der Sprachen herzustellen ist, sondern eben nur in den „zweisprachigen Ortsnamen“.526 Da darunter nicht die (rein italienischen) Bezeichnungen des „Prontuario“ zu subsumieren sind, muss auf die historisch gewachsenen zweisprachigen Ortsnamen in Südtirol abgestellt werden, die es tatsächlich gibt.527 Diese Auffassung wurde in der Folge von der deutschspra-
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Zu den zur Zeit des Pariser Abkommens bereits erlassenen Zweisprachigkeitsregelungen vgl Herbert Miehsler, Das Gruber-De Gasperi-Abkommen, aaO 414 und Leo Weisgerber, Vertragstexte als sprachliche Aufgabe (1961) 56. Im Falle der Ortschaft „Laimburg“ ist dies auch geschehen: Als eine Autobahnraststätte „Laimburg“ eröffnet wurde, musste durch Landesgesetz ein neuer italienischer Ortsname „erfunden“ werden („Castelvarco“), den es bis dahin nicht gab! MMag. Cristian Kollmann, in einem nicht veröffentlichen Gutachten „Bestimmungen über die Ortsnamengebung im Pariser Vertrag und im Autonomiestatut“ (2003); vgl dazu auch die Kurzfassung: derselbe, Toponomastik: Welche Lösung für Südtirol, in: „Südtirol in Wort und Bild“, Beilage zu 3/2004. Vgl dazu die von Kollmann erstellte Liste dieser zweisprachigen Ortsnamen in Anlage 2.
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chigen Volksgruppe weitgehend übernommen und in mehreren Anläufen durchzusetzen versucht.528 cc) Autonomiestatut Verkompliziert wird die Rechtslage dadurch, dass das Autonomiestatut (sowohl in Fassung 1948 wie 1972) eine „Verpflichtung zur Zweisprachigkeit für die Ortsnamengebung“ (Art 8 Z 2) enthält und die amtliche Verwendung der deutschen Ortsnamen an eine ausdrückliche landesgesetzliche “Feststellung ihres Vorhandenseins“ und „Genehmigung der Bezeichnung“ knüpft (Art 101). Da auch diese beiden Verfassungsnormen keine nähere Bestimmung über das Merkmal der „Zweisprachigkeit“ der Ortsnamen enthalten, trifft die unterschiedliche Auslegungsmöglichkeit – analog zur oben dargestellten Auslegung des Pariser Abkommens – auch für diese verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu: Sie werden von der deutsprachigen Volksgruppe als „historisch gewachsene“ Zweisprachigkeit bestimmter Ortsnamen und nicht als Verpflichtung zur Übernahme des faschistischen „Prontuario“ in das – dem Minderheitenschutz dienende – Autonomierecht verstanden.529 Die italienische Sprachgruppe vertritt demgegenüber einen differenzierten, auch wechselnden Standpunkt, der von absoluter Zweisprachigkeit aller Ortsnamen bis zu einem, der deutschsprachigen Auslegung angenähertem „historisch-kulturellem“ Begriffsverständnis der „Zweinamigkeit“ von Ortsbezeichnungen reicht. dd) Politische Umsetzungsversuche In der Folge kam es zu mehreren Koalitionsabkommen der Landesregierung (1984, 1988) und einem Parteiübereinkommen von fünf (auch italienischen) Parteien vom 9. Juli 1993 über einen Kompromiss zum weiteren Verfahren in der Ortsnamenregelung: Es sollte eine paritätisch zusammengesetzte Expertenkommission geschaffen werden (drei Deutsche, drei Italiener bzw drei Ladiner, ein Deutscher ein Italiener), die feststellen soll, welche Namen dem geschichtlichen Kulturgut der jeweiligen Sprachgruppe angehören bzw fester Bestandteil ihres täglichen Gebrauchs sind und zwar ohne dabei den faschistischen Dekreten der Jahre 1923 und 1940 Rechnung zu tragen.530 Im Rahmen dieser Expertenkommission wurde ein Gutachten der Professoren Dr. Josef Breu (Wien) und Dr. Peter Glatthard (Zürich) erarbeitet, das im Wesentlichen die Auslegung bestätigte, dass es keine Verpflichtung zu einer durchgehenden Zweisprachigkeit aller Ortsnamen unter Verwendung der italienischen Bezeichnungen des „Prontuario“ gebe. Der erwähnte Fünf-Parteien-Kompromiss 1993 enthielt auch bereits die rechtliche Zweiteilung der Ortsnamenrege528 529
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Vgl dazu Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 227 ff. Vgl dazu die Resolutionen der Landesversammlungen der SVP vom April 1991 und November 2001. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 229 f.
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Schutz und Pflege der Heimat als öffentliche Aufgabe
lung in eine (vom Land zu regelnde) „Makrotoponomastik“ und eine örtliche „Mikrotoponomastik“, die von der Gemeinde vorgeschlagen und vom Land genehmigt werden sollte. Im Jahre 1997 kam es im Verfassungsausschuss des römischen Abgeordnetenhauses zu einer Debatte über fünf unterschiedliche Gesetzesvorschläge zur Ortsnamenfrage in Südtirol; mit knapper Mehrheit genehmigt wurde schließlich ein von der SVP und drei italienischen Parteien gemeinsam formulierter Beschluss, der nach Auffassung der SVP „die Tür für eine einvernehmliche Lösung in der Toponomastikfrage immerhin offenlasse“.531 Wichtig waren an diesem Beschluss die Feststellungen, •
dass der Kultur und den Empfindungen der Südtiroler Bevölkerung durch die vom Faschismus vorgenommene Abschaffung der deutschen und ladinischen Ortsnamen eine „überaus große Verletzung“ („gravissima offesa“) zugefügt worden ist
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dass die Empfehlungen C und D der UNO-Resolution Nr 4 von 1967 die Mitgliedsstaaten auffordern, bei der Festlegung geographischer Namen gewisse Grundsätze einzuhalten532
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dass der rechtliche Rahmen, auf dem die Autonomie fasst, zwar die Zweisprachigkeit der Ortsnamen vorsehe, es aber „gewisse Schwierigkeiten bei der konkreten Festlegung der offiziellen Ortsnamengebung“ gebe
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und dass daher die Staatsregierung dazu verpflichtet wird, im Einvernehmen mit dem Land „jegliche nützliche Initiative zu ergreifen, um die Bestimmungen des Autonomiestatutes in ihrem Wortlaut und ihrem Geist voll durchzuführen“.
Da die Gesetzgebung in der Ortsnamenfrage dem Land zukommt, kann diese Aufforderung sich nur auf die – auch von Südtirol gewünschte – Erlassung einer Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut (Art 107 Abs 2 Autonomiestatut) beziehen, in der die Zweisprachigkeit der Ortsnamenfestsetzung im Sinne des historischen Kulturgutes der Sprachgruppen interpretiert wird. Bis heute ist aber weder eine solche Durchführungsverodnung, noch ein Landesgesetz zur Regelung der Ortsnamen ergangen. Wohl aber hat der Landeshauptmann im Jahre 2000 einen neuen Gesetzentwurf zur Regelung der Ortsnamenfrage als „Diskussionsgrundlage“ vorgestellt, in dem er die Teilung der Materie in eine „Makro-“ und eine „Mikrotoponomastik“ neuerdings aufgreift. Im Landesgesetz soll nur die „Makrotoponomastik“ geregelt werden, welche an die 550 topographische Bezeichnungen umfasst (Namen von Gemeinden, Fraktionen und sonstige Ortsteile, Gewässer, Berge), welche zwei- oder dreisprachig festgelegt werden sollen. Die übri-
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Karl Zeller, zitiert bei Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 231. Vgl zum Inhalt dieser Empfehlungen: Peter Hilpold, Die Regelung der Toponomastik in Südtirol, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 389 f, wobei wohl zu Unrecht eine Anwendbarkeit auf Südtirol ausgeschlossen wird.
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ge Ortsnamengebung („Mikrotoponomastik“) soll den Gemeinden überlassen werden. Die Abgrenzung der beiden Teilmaterien soll grundsätzlich nach der Größe der Ortschaften erfolgen: Gesetzlich geregelt werden sollen die Namen von allen Südtiroler Gemeinden (116) und von Ortschaften über 100 Einwohner, ferner die Namen von Gewässer, die mehrere Gemeinden berühren, von Pässen und von größeren Gebirgsstöcken. Die Teilung der Ortsnamenregelung in Gesetzentwurf in eine Mikro- und Makrotoponomastik wurde von Völkerrechtsexperten begrüßt;533 im Allgemeinen aber wurde die vorgeschlagene Regelung scharf kritisiert. So hat etwa die Arbeitsgruppe der Vereine für die Ortsnamenregelung der deutschsprachigen Volksgruppe in einem offenen Brief vom 1. 7. 2004 den Entwurf abgelehnt, weil nicht nur die historischen zweisprachigen Ortsnamen verwendet werden, sondern flächendeckend alle Gemeinden Südtirols und andere topographische Bezeichnungen, die im faschistischen „Prontuario“ festgelegten italienischen – zum größten Teil frei erfundenen – Bezeichnungen erhalten sollen. Darüber hinaus wird die vorgeschlagene Teilung in eine Makro- und Mikrotoponomastik abgelehnt, weil den Gemeinden durch das Gesetz keine verbindlichen Richtlinien für eine Ortsnamengebung im historischen, wissenschaftlich begründeten Sinn mitgegeben werde. Aber auch von italienischer Seite kam massiver politischer Widerstand gegen den Gesetzentwurf,534 sodass der Entwurf politisch nicht weiter verfolgt wurde.535 ee) Gemeindekompetenzen in der Mikrotoponomastik Die Rechtsfrage, ob eine Teilung der Ortsnamengebung in eine „Makro- und Mikrotoponomastik“ dem Statut entspricht und auf die Verpflichtung zur Zweisprachigkeit eine Auswirkung hat, ist wie folgt zu beantworten: Eine Gemeindezuständigkeit in der Festlegung topographischer Bezeichnungen ist schon nach geltender Rechtslage für Straßenbezeichnungen und einen Teilbereich der „Mikrotoponomastik“ gegeben. Für Straßenbezeichnungen (einschließlich Plätze und sonstige öffentliche Verkehrsflächen) sind die Gemeinden nach der (staatlichen) Kompetenz „Meldewesen“ („anagrafi“) zuständig.536 Sie unterliegen dafür derzeit noch der Landesaufsicht (Genehmigungspflicht) nach Art 5 des Landesgesetzes vom 12. 6. 1975, Nr 26, das wiederum in den Landeskompetenzen nach Art 8 Z 2 und 3 des Autonomiestatutes begründet ist. Diese Bestimmungen enthalten die Landeskompetenzen „Ortsnamengebung“ bzw „Schutz und Pflege der geschichtlichen, künstlerischen und volklichen Werte“. Für die Ortsnamen von Vororten und Fraktionen („borgate e frazioni“) sind die Gemeinden nach Art 16 der Delegationsgesetze Nr 382/75 und DPR 533 534 535 536
Peter Hilpold, Die Regelung der Toponomastik, aaO 393. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, aaO 232. Peter Hilpold, aaO 394. Art 10 des Staatsgesetzes vom 24. 12. 1954, Nr 1228; DPR v 30. 5. 1989, Nr 223.
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Nr 616/77 gleichfalls zuständig, wobei die Genehmigungspflicht der Landesregierung nach dem erwähnten Landesgesetz auch hier besteht. Zu diesen „Kleinorten“ zählen wohl auch Weiler, Riede und Streusiedlungen mit eigenen Namen. Wird den Gemeinden durch Landesgesetz ein weiterer Bereich der Toponomastik übertragen – was im Sinne der neuen Verfassungsnovelle 2001/3 notwendig sein wird –, so ist dabei die grundsätzliche Kompetenz des Landesgesetzgebers nach dem Statut (Art 8 Z 2 und 3, Art 101) für die Ortsnamengebung zu wahren und sind die neuen Abgrenzungskriterien des Art 118 Abs 1 der Staatsverfassung („Subsidiarität, Differenzierung und Angemessenheit“) zwischen Gemeinde und Land anzuwenden. Das bedeutet, dass jedenfalls die Kriterien der Zweisprachigkeit von Ortsnamen landesgesetzlich festgelegt werden müssen, weil es sich dabei um ein grundlegendes ethnopolitisches Problem des Landes handelt, das nach einheitlichen Richtlinien gelöst werden muss. Eine Genehmigungspflicht durch die Landesregierung dürfte sich aber nach der neuen Verfassungslage – Primärkompetenz der Gemeinde – nur mehr auf die Kontrolle dieser Richtlinien für eine landeseinheitliche Vollzugspraxis erstrecken. Die Pflicht zur Zweisprachigkeit bezieht sich auf Gemeindeebene nicht auf Straßenbezeichnungen, weil es sich hierbei um eine andere Verwaltungsmaterie als „Ortsnamen“ im Sinne der Art 8 Z 2 und 101 Autonomiestatut handelt.537 Im Sinne der Gemeindeautonomie schließt dies aber nicht aus, dass der Gemeinderat zweisprachige Straßenbezeichnungen aus politischen Gründen festsetzt, wobei aber Namen nicht übersetzt werden sollen, weil dies der verpönten Vorgangsweise des „Prontuario“ entsprechen würde. Soweit der Landesgesetzgeber für die Zweisprachigkeit der übrigen kommunalen Mikrotoponomastik538 nichts anordnet, gilt dafür nach der neuen Verfassungslage eine primäre Gemeindekompetenz, die durch die Verpflichtung zu Zweisprachigkeit in weit geringerem Maße beschränkt ist, als dies für den Landesgesetzgeber zutrifft. Dies folgt einmal daraus, dass es hier kaum historische oder allgemein gebräuchliche italienische Ortsnamen geben wird und eine Pflicht zur Rezeption der faschistischen Phantasiebezeichnungen des „Prontuario“ durch die Gemeinde oder gar zur Neuübersetzung deutscher Namen aus minderheitsrechtlichen und völkerrechtlichen Gründen nicht angenommen werden kann.539 Zum anderen ist auch zu erwägen, dass sich die Verpflichtung zu Zweisprachigkeit nach dem Statut primär an den Landesgesetzgeber wendet und die Gemeindeautonomie nach der neuen Verfassungslage eben nur insoweit beschränkt sein wird, als der Landesgesetzgeber nach
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Meldewesen („anagrafi“) siehe vorige Anm. Namen von Fluren, Gewässern, Almen, Bergen, Rieden uä, von Weilern, Vororten, Fraktionen und anderen „Kleinorten“. Rechtsgutachten über Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der Zweisprachigkeit der Ortsnamenregelung in Südtirol von Peter Pernthaler/Peter Hilpold (2004).
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den oben angeführten Gesichtspunkten grundsätzliche Regeln und Richtlinien für die Zweisprachigkeit zu erlassen haben wird. Gegenwärtig gibt es derartige landesgesetzliche Beschränkungen der Gemeindeautonomie nicht; wohl aber dürfte die in der Staatsverfassung begründete (Art 118 Abs 1) primäre Gemeindekompetenz für Mikrotoponomastik im Gemeindebereich bereits jetzt gegeben sein. Dies folgt aus der Übergangsbestimmung des Art 10 der Verfassungsnovelle 2001/3, wonach auch im Bericht der Sonderstatute die Bestimmungen dieser Verfassungsnovelle anwendbar sind, „in denen Formen der Autonomie vorgesehen werden, die über die bereits zuerkannten hinausgehen“. Da bisher die Gemeinden in Südtirol keine primären Kompetenzen hatten540 ist die durch Art 118 Staatsverfassung begründete primäre Allgemeinzuständigkeit der Gemeinden „eine Form der Autonomie, die über die bereits zuerkannte hinausgeht“ und damit kraft der genannten Übergangsbestimmung der Verfassungsnovelle 2001/3 auch in Südtirol unmittelbar wirksam geworden.541
5. Heimat als Innenseite der Territorialautonomie a) Heimat als rechtliche Institution Wenngleich das historische, auf die Gemeinde bezogene „Heimatrecht“ weder in Südtirol noch im Bundesland Tirol heute mehr gilt, drückt sich darin ein institutioneller Grundgedanke aus, der für alle demokratisch strukturieren Gebietskörperschaften die rechtlichen Nahebeziehungen des Bürgers zu „seiner“ Autonomie charakterisiert. Dieser Grundgedanke ist beispielhaft in Art 118 Abs 2 B-VG bei der Umschreibung des einen Wirkungsbereiches der Gemeinde formuliert:542 Demokratische Autonomie eines Territoriums beruht – in relativer Weise – auf eben jenen drei Elementen, die im Selbstbestimmungsrecht der Völker zum absoluten Anspruch verdichtet werden: •
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der räumlichen Verbundenheit von Menschen in einem klar abgegrenzten Gebiet und dem daraus abgeleiteten Anspruch auf einen konkreten räumlichen Herrschaftsbereich;
Art 16 und 18 Abs 2 Autonomiestatut: Primäre Vollzugskompetenz der Provinz; Delegationsmöglichkeit an die Gemeinde. Peter Pernthaler/Peter Hilpold, aaO 27 ff. Die Formulierung des Art 118 Abs 2 B-VG lautet: „Der eigene Wirkungsbereich umfasst … alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden.“ Zur Auslegung dieser Bestimmung siehe Peter Oberndorfer, Gemeinderecht und Gemeindewirklichkeit (1971) 145 ff; Peter Pernthaler, Raumordnung und Verfassung I (1975) 243 ff ua.
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der geistigen Verbundenheit von Menschen in einer gemeinsamen Interessenslage und gemeinsamen Ordnungsvorstellungen für ihr Gebiet und ihren Herrschaftsbereich;
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der (selbständigen) Verfügungsmöglichkeit über die eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten des Gebietes, die sich in einer autonomen sozioökonomischen Basis der politischen Ordnung, aber auch in den technischzivilisatorischen Voraussetzungen der „Selbständigkeit“ eines Gebietes ausdrücken.
In allen drei Elementen verkörpert sich aber für den Menschen – wie im nächsten Kapitel dargelegt wird auch für den modernen „mobilen Menschen“ – „Heimat“ im objektiv-institutionellen Sinne: Ein Herrschafts-, Lebens- und Wirtschaftsraum, der ihm in Gemeinschaft mit anderen nahesteht und kollektiv verfügbar erscheint.543 Die neuere Schweizer Staatsrechtslehre definiert diese territorial-demokratische Grundstruktur als das „Grundmuster des kleinen Kreises“, wodurch die Geschlossenheit, Nähe und Überschaubarkeit politischer Ordnungen ausgedrückt werden soll. 544 b) Heimat im liberal-demokratischen Sinn Diese institutionelle Sicht ist jedoch nur eine (die gruppenbezogene) Seite des verfassungsrechtlichen Heimatbegriffes. Das besondere am liberal-demokratisch strukturierten Heimat-Begriff ist die Ablösung von der seinerzeitigen Vorstellung einer zwangsweisen Verbundenheit von Territorium und Menschen in politischen Ordnungen545 und die Garantie der vollen räumlichen Bewegungsfreiheit, die auch die Wahl der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Ordnung des betreffenden Raumes einschließt. Notwendig verbunden ist mit dieser räumlichen Liberalität die Garantie der Gleichberechti-
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So auch Herbert Dachs, Heimat – Dimension eines rehabilitierten Begriffes, in: Eberhard Zwink (Hg), Salzburg-Diskussionen II. Salzburger Landessymposion (1981) 11 ff; vgl dazu außer den Hinweisen bei Martin Usteri, Das Konzept eines modernen menschengerechten Gemeinwesens, in: FS Kägi (1979) 401 ff; auch Beisel, Kinder-Gärten der Menschheit, in: Natur 9/1982, 55 ff und 98; Elmar Grabherr, Vorarlberger Land (1981) 55 f. Martin Usteri, Das Verhältnis von Staat und Recht zur Wirtschaft in der schweizerischen Eidgenossenschaft (1981) 12 f; Karl Schmid, Versuch über die schweizerische Nationalität, in: Aufsätze und Reden (1957) 88 ff; kritisch: Otto Staub, Die Tyrannei der Minderheiten, in: Schweizer Monatshefte (1980) 997 ff. Grundherrschaft bzw fehlende räumliche Bewegungsfreiheit, vgl Wilhelm Brauneder/Friedrich Lachmayer, Österreichische Verfassungsgeschichte2 (1980) 39 ff, 67, 99, 103 ff; vgl auch die Formulierung des Art 7 StGG von 1867, RGBl 142 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger: „Jeder Untertänigkeits- und Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben“.
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gung des „Fremden“ („Zugezogenen“) mit dem „Einheimischen“ innerhalb des gesamten Staatsgebietes546 (Bundesstaatliches Homogenitätsprinzip).547 All dies sind im Übrigen keine Errungenschaften der Republik – oder gar der Abschaffung des „Heimatrechtes“ (durch das Großdeutsche Reich!) – sondern im liberalen Staatsrecht des vorigen Jahrhunderts längst verwirklicht: Art 4, 6, 7 und 8 StGG verbürgen die volle räumliche und persönliche Bewegungsfreiheit des Staatsbürgers und Art 4 Abs 2 StGG hatte bereits das heute geltende Prinzip der Gleichheit aller Staatsbürger in allen Ländern und Gemeinden im Kern verwirklicht.548 Gehört diese individuelle Wahlmöglichkeit (sogar über die Staatsgrenzen hinweg)549 ganz wesentlich zum modernen staatsrechtlichen „Heimat“-Begriff (ähnlich wie das „Bekenntnisprinzip“ zum Volksbegriff), so wird die Frage unausweichlich, ob auf dieser Grundlage überhaupt ein räumlich gegliederte politische Ordnung in „Gebietskörperschaften“ durchführbar ist, die offenbar eine dauernde räumliche Verbundenheit und Stabilität der in ihren Grenzen lebenden Menschen nach dem Muster der „Ortsansässigkeit“ („Autochthonie“) voraussetzt. Diese Frage ist keinesfalls eine „rein theoretische“ – wenn sie auch an die letzten Voraussetzungen des modernen Staates (als der Ordnung „sesshafter Menschen“)550 rührt – sondern spielt im Rahmen des Finanzausgleiches,551 der Wahlkörper552 und der Wirtschaftskraft der Gebietskörperschaften553 eine eminent praktische Rolle. 546
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Art 6 Abs 3 B-VG und Art 117 Abs 2 B-VG; Art 16 italienische Staatsverfassung; Art 25 und 63 Autonomiestatut. Vgl dazu Peter Bußjäger/Anna Gamper, The Homogeneity of Democracy, Rights and the Rule of Law in Federal or Confederal Systems (2003); Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 461 f, 645 f. Art 4 Abs 3 StGG lautet: „Allen Staatsbürgern, welche in einer Gemeinde wohnen und daselbst von ihrem Realbesitze, Erwerbe oder Einkommen Steuer entrichten, gebührt das aktive und passive Wahlrecht zur Gemeindevertretung unter denselben Bedingungen, wie den Gemeindeangehörigen“. Vgl Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte (1963) 112. Nunmehr klar verbürgt im Art 2 des 4. Zusatzprotokolls zur MRK, BGBl 434/1969. Siehe die Definition bei Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (19143) 179 ff, 267 f, 395 f zum Merkmal der Sesshaftigkeit. Durch den „abgestuften Bevölkerungsschlüssel“ – für Gemeinden im Finanzausgleich (§ 9 FAG); siehe Manfried Gantner, Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel als Problem der Länder und der Gemeinden (1978); Gabriel Obermann, Zur Diskussion über den abgestuften Bevölkerungsschlüssel im österreichischen Finanzausgleich, ZfV 1981, 531 ff sowie das Erk des VfGH VfSlg 9280/1981. Nationalrats-, Bundesrats-, Landtags- und Gemeinderatsmandate werden nach der Zahl der Staatsbürger berechnet, die in dem jeweiligen Wahlkörper ihren „Hauptwohnsitz“ haben; vgl Art 26 Abs 2, Art 34, Art 95 Abs 3 und 117 Abs 2 B-VG. Wesentliche Teile des „horizontalen Finanzausgleiches“ zwischen den Gebietskörperschaften und damit die „Finanzkraft“ beruhen auf der Bevölkerungszahl (vgl zB §§ 9 und 11 FAG); darüber hinaus hängt natürlich auch der Umfang der eigenen Abgaben und sonstigen Einnahmen entscheidend von der Bevölkerungszahl ab; vgl
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Die Lösung dieses Wechselverhältnisses zwischen Verbundenheit in eigenständigen territorialen Gemeinschaften und der Feizügigkeit, diese zu verlassen bzw zu wechseln, kann in formaler Weise – nach dem Muster des Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses über die Abschaffung der Landesbürgerschaft554 – oder aber in materieller Weise – unter Besinnung auf das eigentliche Ziel von Föderalismus und Gemeindeautonomie – erfolgen. In formaler Weise lösen sich die Probleme durch die Lückenlosigkeit der Gebietshoheiten555 und das Anknüpfen an den „Hauptwohnsitz“ – allenfalls eine kurz bemessene Mindestdauer des Aufenthalts in der Gebietskörperschaft.556 „Heimat“ im verfassungsrechtlichen Sinne wird dadurch weder erzeugt noch verloren. Um aber „Heimat“ im verfassungsrechtlichen Sinne zu erhalten bzw dauernd neu zu begründen, muss man hinter diese formalen Vorgänge auf die materiellen Kriterien von Offenheit und Stabilität territorialer politischer Ordnungen zurückgehen. Danach gehört wohl die individuelle Wahlfreiheit zwischen Gebietskörperschaften zum Wesen der – auf Wettbewerb ausgerichteten – Föderalismus- und Autonomiesysteme;557 aber derartige Bewegungen sollen sich unter normalen Verhältnissen nur in begrenztem Ausmaß, keinesfalls in massenhafter Form vollziehen.558 Dadurch wird gewährleistet, dass eine stabile Mehrheit der Bevölkerung die Kontinuität lokaler oder regionaler Ei-
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für Südtirol die Ausführungen unter IV. 5, für Tirol: Peter Pernthaler, Österreichische Finanzverfassung (1984) 173 ff. Siehe Erk des VfGH Slg 2455/1952; Leopold Werner, Die Beseitigung der Landesbürgerschaft, JBl 1953, 277 ff; Hans Spanner, Landesbürgerschaft und Bundesbürgerschaft. Eine offene Verfassungsfrage, ÖJZ 1952, 449 ff; Felix Ermacora, Verfassungslehre (1970) 262; Peter Pernthaler/Karl Weber, Landesbürgerschaft und Bundesstaat (1983). Art 3 Abs 2, 116 Abs 1 B-VG: Eine der grundlegenden Errungenschaften des modernen Staates ist die territoriale Geschlossenheit des Staatsgebietes; vgl Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre (19662) 20 ff. So im Wesentlichen die Wahlordnungen für Landtage und Gemeinderäte (vgl dazu Art 117 Abs 2 B-VG: ein Jahr!) im Anschluss an die Rechtsprechung des VfGH (siehe VfSlg 5796/1968 ua); für Südtirol siehe Art 25 und 63 Autonomiestatut (Ansässigkeit von vier Jahren!). So insbesondere die Schweizer Theorie des „ökonomischen Föderalismus“; vgl René L. Frey, Die ökonomische Theorie des Föderalismus (1979); René L. Frey, Zwischen Föderalismus und Zentralismus (1977) ua; siehe auch die Darstellungen bei Erich Thöni, Föderalismus aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Fried Esterbauer/Erich Thöni, Föderalismus und Regionalismus in Theorie und Praxis (1981) 70 ff; Peter Pernthaler, Föderalismus – Bundesstaat – Europäische Union. 25 Grundsätze (2000) 74 f. Zu den ökonomischen Grenzen der Wanderungsbewegung siehe Erich Thöni, Föderalismus aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Fried Esterbauer/Erich Thöni, Föderalismus und Regionalismus, 72; treten massenhafte Wanderungen auf, etwa in Form von Fluchtbewegungen, werden sie als Staatsgefährdung aufgefasst und müssen verhindert werden (Berliner Mauer, „Eiserner Vorhang“ uä).
Die „Heimat Tirol“ als Element rechtlicher Identität
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genart bewahrt und zur Integration der „Zugezogenen“ beiträgt. Im Zuge dieser Integrationsvorgänge – die sich oft erstaunlich rasch,559 mitunter freilich unter schwerwiegenden Konflikten vollziehen – können sich auch tiefgreifende Wandlungen der angestammten lokalen und regionalen Ordnung vollziehen, die aber im verfassungsmäßigen Modell der „offenen Heimat“ systembedingt sind und durch die gemeinsamen Werte und Ordnungsvorstellungen des Landes und des Gesamtstaates in Grenzen gehalten werden sollen. In diesem Sinne der wertbezogenen, aber „offenen“ Heimat des Verfassungsrechts sind auch die einfachgesetzlichen Erziehungsaufträge des Schulrechts auszulegen, soweit sie das Erziehungsziel „Heimatverbundenheit“ rechtlich vorschreiben.560 c) Der transnationale Heimatbegriff aa) Der ethnopolitische Regionalismus Ab den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts gewann der von der NSIdeologie in der rassistischen „Blut- und Bodenmythologie“ missbrauchte landschafts- und volksverbundene Heimatbegriff neue politische Bedeutung als Integrationskraft und Reformantrieb regionalistischer Bewegungen. Man beobachtete vor allem in den klassischen Zentralstaaten – aber auch in „national gemischten“ Kantonen der Schweiz561 – eine Renaissance der alten Kulturlandschaften und ihrer eingeschmolzenen oder unterdrückten Volksgruppen:562 559
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Dies trifft etwa auf die große Zahl von Zuwanderern nach Vorarlberg zu, die sich nach kurzer Zeit als „Landesbürger“ und regelmäßig in der zweiten Generation schon als (Sprach-)Alemannen bekennen, vgl Theodor Veiter, Das österreichische Volksgruppenrecht (1979) 38; anders wäre das Ergebnis der Volksabstimmung vom 15. 6. 1980 über die Stärkung des Landes (der Gemeinden) im Rahmen des österreichischen Bundesstaates gar nicht erklärbar; siehe dazu: Siegbert Morscher, Pro Vorarlberg, in: Andreas Khol/Alfred Stirnemann (Hg), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1980 (1981) 31 ff. So § 1 lit b BundesgrundsatzG für land- und forstwirtschaftliche Berufsschulen, BGBl 1975/319; § 1 lit b BundesgrundsatzG für land- und forstwirtschaftliche Fachschulen; BGBl 1975/320 und § 118 ForstG (für die Forstfachhochschulen des Bundes); BGBl 1975/440; vgl auch Hans-Ulrich Evers, Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der österreichischen Schule als Rechtsproblem, RdS 2/1982, 42. Vor allem im Jura: Theodor Veiter, Das Selbstbestimmungsrecht als Menschenrecht, in: FS Klecatsky, 2. Teilband (1980) 989; ansatzweise aber auch in Graubünden bezüglich der Rätoromanen: (Arthur Bauer, Wo steht das Rätoromanische heute? in: Jahrbuch der eidgenössischen Räte (1955); Rudolf Viletta, Grundlagen des Sprachenrechts, Band I (1978); Theodor Veiter, Volksgruppenrecht, aaO 57. Vgl dazu Theodor Veiter (Hg), System eines internationalen Volksgruppenrechts, 1. Teil (1970), 2. Teil (1972), 3. Teil (1978) und die schon „klassisch“ gewordene Untersuchung von Guy Héraud, L’Europe des Ethnies (19742) sowie die Länderbeiträge über Großbritannien, Italien, Frankreich und Spanien, in: Fried Esterbauer/Guy Héraud/Peter Pernthaler, Föderalismus als Mittel permanenter Konfliktregelung (1977).
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Heimat als Innenseite der Territorialautonomie
Der „neue Regionalismus“563 hat eine ausgesprochen polit-geographische Struktur in dem Sinne, dass er an natürliche Gliederungen der Landschaft anknüpft, welche dem Menschen wiederum als „Heimat“ in geographischethnischem Sinn bewusst werden.564 Parallel dazu geht eine Wiedergeburt der inneren Beziehungen der in einem bestimmten Raum lebenden Menschen zu „ihrer“ Landschaft unter ökologischen Gesichtspunkten.565 Die Grenzen der Belastbarkeit und Benutzbarkeit werden gerade auch im Verhältnis zu auswärtigen Landschaftsverbrauchern als Problem des Heimatschutzes neu formuliert (Beispiel: Kraftwerksbau, Autobahnbau, Gletschererschließung usw).566 Dies ist keine Wiedergeburt „nationaler“ Vorstellungen im klassisch imperialistischen Stil auf der Ebene der Regionen, sondern bedeutet ein engeres Zusammenwachsen der Regionen über die Grenzen hinweg.567 Von einer Einschmelzung zum „gesichtslosen Weltbürger“ ist dieser transnationale Integrationsprozess jedoch gerade durch die Grundlage im neuen „Heimatbewusstsein“ gefeit.568
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Siehe dazu Fried Esterbauer (Hg), Regionalismus (1978) sowie die zweibändige Dokumentation „Regionalismus in Europa“, hg vom Internationalen Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus (1981). So grundlegend Paul Mudrich/Peter Wessenberg, Europarat und Regionen, in: Fried Esterbauer (Hg), Regionalismus, aaO 149 ff; Hans R. Klecatsky, Region und Landschaft in: FS Hellbling (1981) 241 ff; vgl auch das gemeinsame Leitbild für die Entwicklung und Sicherung des Alpengebietes, das in der Konferenz der Regierungschefs der Arge Alp am 29. Juni 1981 in Feldkirch beschlossen wurde. Siehe dazu vor allem die Standardwerke zur Umweltpsychologie: William H. Ittelson/Harold M. Proshansky/Leanne G. Rivlin/Gary H. Winkel, Einführung in die Umweltpsychologie (1977) und Gerhard Kaminski (Hg), Umweltpsychologie (1976). Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 67 ff; zum Problem der „Belastbarkeit“ von Fremdenverkehrsräumen s auch Helmuth Barnick, Alpine Raumordnung, in: Berichte zur Raumforschung und Raumplanung, Heft 5/1980, 3 ff. Siehe die Madrider Rahmenkonvention (1980) mit Zusatzprotokoll (1995) sowie die 1972 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“, vgl dazu Helmut Vaitl, Die Arbeitsgemeinschaft Alpenländer/Arge Alp, in: Fried Esterbauer (Hg), Regionalismus, 137 ff und die jährlichen Übersichten über die Tätigkeit der Arge Alp in den „Berichten über die Lage des Föderalismus in Österreich“ (1977 ff) des Instituts für Föderalismusforschung; Karl Stiglbauer, Grenzüberschreitende Raumordnung in Österreich, in: Berichte zur Raumforschung und Raumplanung, Heft 4/1980, 3 ff sowie Rudolf Kathrein, Grenzüberschreitende Raumplanung – Initiativen Tirols, in: Berichte zur Raumforschung, Heft 4/1980, 11 ff. Daher gilt der kulturelle Föderalismus als Basis des Neuen Regionalismus; vgl Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 70 ff; Gemeinsames Leitbild für die Entwicklung und Sicherung des Alpengebietes (siehe oben, V. 5. b); Peter Häberle, Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat (1980).
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bb) Grenzüberschreitende Zusammenarbeit Für die europäischen Grenzregionen im Allgemeinen und die Tiroler Landesteile im Besonderen bedeutete das neue Heimatbewusstsein nicht nur eine Belebung traditioneller und – im Falle Südtirols – neu zu entfaltender rechtlicher Strukturen der Autonomie. Infolge seines neuartigen grenzüberschreitenden Zielhorizontes entwickelte sich daraus auch ein Ansatz einer neuartigen internationalen Entwicklung: Der unmittelbaren – dh nicht durch die Zentralstaaten vermittelten – Zusammenarbeit von Grenzregionen und Grenzgemeinden.569 Diese Zusammenarbeit hat auf politischer und administrativ-technischer Ebene ein beachtliches Niveau erreicht.570 Die rechtliche Verankerung einer Europaregion Tirol – auf Grund des Madrider Rahmenübereinkommens und seiner Durchführung durch Italien und Österreich – ist dagegen, wie oben dargestellt wurde,571 über Projekte und gescheiterte Konzepte nicht hinausgekommen. Dies ist auch deshalb bedauerlich, weil dadurch alle ethnopolitischen Ansätze eines neuen transnationalen Tiroler Heimatbewusstseins in der Europaregion Tirol verschüttet wurden.572 In Verbindung mit den dynamischen Aspekten des europäischen Regionalismus573 – vor allem auch auf der Ebene der EU – wird die vorliegende Untersuchung daher einen neuen Reformansatz der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in einer europarechtlich begründeten „Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol“ entwickeln.574
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Vgl dazu die umfassende Dokumentation des Europarates „Cooperation Transfrontaliére“ und Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 52 ff mit ausführlicher Bibliographie. Vgl dazu: Peter Pernthaler, Organisationsformen und Verfahren grenzüberschreitender Planung in europäischen Grenzgebieten, in: FS v d Heydte (1977) 2. Halbband, 1107 ff; Abschnitt „Grenzregionale Zusammenarbeit“ in den jährlichen Föderalismusberichten, hg vom Föderalismusinstitut (ab 1977); Sylvia Pintarits, Macht, Demokratie und Regionen in Europa (1996) 87 ff, 148 ff, 332 ff. Siehe V. 5 und VII. 3. Begrüßt wird dies in der Analyse von Günther Pallaver, Europaregion TirolSüdtirol-Trentino, in: Joseph Marko, Die Verfassung, aaO 493 ff, 503 ff; vgl dagegen die positive Zielvorstellung bei: Peter Pernthaler, Tirol und die Neuordnung Europas, in: Das Fenster (1991) 4982 ff; derselbe, Land, Volk und Heimat, aaO 41 ff (43). Vgl dazu Peter Pernthaler, (Kon)Föderalismus und Regionalismus als Bewegungsgesetze der europäischen Integration, in: Journal für Rechtspolitik 1999, 48 ff, 69 ff. Siehe dazu Abschnitt X der vorliegenden Untersuchung.
IX. Die Identität Tirols in der EU 1. Die EU als Verbund der Nationalstaaten a) Die völkerrechtliche Grundlage Das Grundproblem der Regionen und Länder in der EU ist die rechtliche Doppelnatur („Janusköpfigkeit“) der EU: Sie ist in ihrer primärrechtlichen Grundlage („Verfassung“) eine klassische völkerrechtliche Staatenverbindung; in ihren Normen und Rechtsakten ist sie aber zum überwiegenden Teil im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten eine „supranationale“ Organisation, die tief in das innerstaatliche Recht mit Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts einwirkt. Das bedeutet, dass vollberechtigte Partner der EU nur die Mitgliedsstaaten als Völkerrechtssubjekte sind, während die Rechtsnormen des Sekundärrechts auch im Kompetenzbereich der Länder/Regionen mit unmittelbarer Verbindlichkeit wirken, ohne dass die Länder/Regionen daran mitgewirkt hätten. Der Grund für diese Doppelstruktur der EU ist, dass das Völkerrecht bis heute fast ausschließlich Staatenrecht ist und als Rechtssubjekte im Allgemeinen nur die Zentralstaaten anerkannt sind.575 „Der Staat ist ein Haus mit einer einzigen Tür“;576 daher ist für das Völkerrecht die innere Struktur der Staaten als Einheits-, Bundes- oder Regionalstaaten gleichgültig. Dieser „Föderalismusblindheit“ des Völkerrechts entspricht auch die – völkerrechtlich festgelegte – organisatorische Grundstruktur der EU bis heute.577 Auch die EU betrachten daher die Länder/Regionen als „subnationale Einheiten“, mit denen sie nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt durch die Zentralstaaten in rechtliche Beziehungen steht.578 Dazu kommt, dass die Mitgliedstaaten der EU zum überwiegenden Maße Einheitsstaaten sind, die nur zu einem geringen Teil so stark dezentralisiert sind, dass ihre Regionen einen mit
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Walter Rudolf, Bundesstaat und Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts 27 (1989) 1 ff; Ignaz Seidl-Hohenveldern, Die Staaten, in: Hanspeter Neuhold/Waldemar Hummer/Christoph Schreuer (Hg), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd 1 (19912) 129 ff (142). Friedrich Wolgast, Die auswärtige Gewalt des Deutschen Reiches, Archiv des öffentlichen Rechts 1923, 1 ff (78). Hans Peter Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, in: FS Hallstein (1966) 248; Josef Isensee, Der Bundesstaat – Bestand und Entwicklung, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001) 717 ff, 753 f. Theo Öhlinger/Michael Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht (20012) 28.
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Gliedstaaten vergleichbaren „föderalistischen Standard“ aufweisen.579 Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten müssen daher bei ihren Aktivitäten in der EU ebensowenig Rücksicht auf regionale politische Interessen nehmen, wie die Organe und die Administration der EU selbst. Dies drückt sich in der Planung, Politik und Rechtsentwicklung – besonders auch durch die Judikatur des EuGH – in der EU deutlich aus, die insgesamt eine stark zentralistische Dynamik entfalten. b) Der Eurozentralismus Der in der Organisationsstruktur, aber auch in den grundlegenden Zielen und in der besonderen juristischen Funktionsweise der EU begründete „Eurozentralismus“ besteht einerseits in einer ständigen Expansion der Anordnungs-, Planungs- und Entscheidungskompetenzen der EU und der damit verbundenen „Höherzonung“ der Politik, Rechtsetzung und Rechtsprechung. Dieser Prozess wird durch ein Zusammenspiel formeller Änderungen des (völkerrechtlichen) Primärrechts, dynamischer Ausnützung finaler Ermächtigungen und extensiver legitimierender Judikatur vorangetrieben.580 „Eurozentralismus“ spielt sich aber nicht nur auf der supranationalen Bühne ab: Er wird in sehr charakteristischer Weise auch durch jene Allianz zwischen nationaler und supranationaler Hochbürokratie und Sachpolitik gefördert, die man salopp als „Fachbrüderschaft“ oder „Ressortkumpanei“ bezeichnet hat: Probleme, die sich national nicht lösen lassen, werden auf die supranationale Ebene geschoben und dort in Fachkooperation gegen nationale und regionale Widerstände immunisiert.581 Eurozentralismus setzt sich auch insoferne innerstaatlich fort, als die staatliche Zentralgewalt – als europäisch alleinverantwortliche Instanz – über die Durchführung und Umsetzung von Europarecht neuartige Aufsichts- und Koordinationsbefugnisse erlangt.582 579
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Die EU hat nur drei Bundesstaaten (Belgien, Deutschland, Österreich) und zwei höher entwickelte Regionalstaaten (Italien und Spanien) als Mitgliedstaaten, während die übrigen Staaten mehr oder weniger dezentralisierte Einheitsstaaten sind; John Loughlin, Subnational Democracy in Europe (2001). Die meisten der durch den Vertrag von Maastricht formell neu verankerten Zuständigkeiten der EG waren entweder zur Gänze oder zumindest in wesentlichen Ansätzen schon zuvor durch Praxis und Judikatur entwickelt worden; von einer „juristischen Revolution“ spricht daher nicht zu Unrecht Sonja Puntscher-Riekmann, Politische Theorie und Praxis europäischer Integrations-/Desintegrations-Szenarien, in: Sylvia Pintarits, Macht, Demokratie und Regionen in Europa (1996) 289 ff (303 f). Fritz W. Scharpf, Die Politikverflechtungsfalle, PVS 1985, 323 ff; jetzt auch in: derselbe, Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa (1994) 11 ff; 323 ff; Karl Weber, Der Föderalismus, in: Emmerich Tálos/Gerda Falkner (Hg), EUMitglied Österreich (1996) 50 ff. In Österreich zB erkennbar im Naturschutzrecht (Landessache) im Verhältnis zu europäischen und internationalen Schutznormen; vgl Peter Pernthaler/Stefan Ebensperger, Rechtliche Auswirkungen völkerrechtlicher Abkommen und Normen
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Die EU als Verbund der Nationalstaaten
Auch ist die komplizierte und aufwendige föderale/regionale Umsetzung europäischer Normen, die häufig wenig Spielraum für Diversifikation lassen, aus Effizienzgründen ein beständiger Stimulus für Zentralisation der davon betroffenen Sachmaterien.583 Schließlich ist der partizipative Einfluss der Gliedstaaten (und noch mehr: der Regionen) auf die europäische Politik und Rechtsetzung trotz formeller Beteilungsverfahren und regionalen Lobbyings praktisch eher gering und nicht mit dem bundesstaatlichen Standard vergleichbar. Im Rahmen des Eurozentralismus läuft also die Integration föderalistischer Systeme in supranationalen Organisationen nicht auf das Modell des „doppelstöckigen Bundesstaates“,584 sondern auf die Abwertung der Gliedstaaten/Regionen zu höherrangigen Lokalverwaltungen ohne zentralen Einfluss („Provinzen“) hinaus. c) Das Vordringen des kooperativen Föderalismus Schon auf nationaler Ebene ist sowohl im Bundesstaat Österreich als auch im Regionalstaat Italien ein ständiges Vordringen des kooperativen Föderalismus festzustellen.585 Im großen Stil zwingt auch die europäische Integration zur Kooperation und Koordination der nationalen Föderalismen und Regionalstrukturen, weil europäische Normen, Richtlinien und Programme (Planungen) nicht auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung abgestellt, sehr wohl aber ihr entsprechend innerstaatlich zu erfüllen sind586 und daher häufig komplexe Kompetenzen und Koordinations(Aufsichts)befugnisse des Bundes/Zentralstaates – als
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der EU auf die Kompetenzverteilung und Vollziehung des Naturschutzrechts, Föderalismus-Dokumente, Bd 3. Innsbruck: Institut für Föderalismusforschung – Eigenverlag, 1999; grundlegend: Christian Ranacher, Die Funktionen des Bundes bei der Umsetzung des EU-Rechts durch die Länder (2002). Vgl dazu: Theo Öhlinger, Bundesstaatsreform und Europäische Integration, in: Peter Pernthaler (Hg), Bundesstaatsreform als Instrument der Verwaltungsreform und des europäischen Föderalismus (1997) 48 ff. Vgl dazu die berühmte Studie Hans Kelsens über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich: Die staatsrechtliche Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, ZÖR 6 (1927) 329 ff; Ferdinand O. Kopp, Föderalismus – demokratische Struktur für Deutschland und Europa, in: Stefan Bohr (Hg), Föderalismus (1992) 163 ff (179). Peter Pernthaler, Bundesstaatsrecht, aaO 433 ff; Jens Woelk, Konfliktsregelung und Kooperation im italienischen und deutschen Verfassungsrecht (1999); derselbe, Südtirol im kooperativen Regionalismus in Italien, in: Joseph Marko et al, Die Verfassung, aaO 239 ff; vgl dazu auch die Ausführungen oben, I. 3 dieser Untersuchung. Vgl etwa Art 23 d Abs 5 B-VG bzw Art 117 Abs 5 der italienischen Staatsverfassung mit Durchführungsgesetzen Nr 131/2003 und Nr 11/2005; Meinhard Hilf/Torsten Stein/Michael Schweizer/Dietrich Schindler, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus, VVDStRL 53 (1994) 8 ff; Rudolf Streinz, in: Michael Sachs (Hg), Grundgesetz, Kommentar (1996) 717 und die Ausführungen unter Punkt 3 dieses Kapitels.
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des völkerrechtlich Alleinverantwortlichen für korrekte Umsetzung bzw Erfüllung – erzeugen.587 Die Gründe für das ständige Vordringen der kooperativen Komponente des Föderalismus sind vielfältig. Sie liegen einerseits in bestimmten nationalen oder historischen Eigenarten der jeweiligen Systeme (zB USA, Österreich);588 andererseits sind dafür aber auch Sachgesetzlichkeiten der modernen öffentlichen Aufgabenerfüllung verantwortlich, vor allem die ständig steigende Komplexität, Vernetzung und integrative Struktur der Aufgabenerfüllung sowie die permanente „Höherzonung“ der grundlegenden Planungen, Programmierungen und Standardisierungen. Daher verlängern (und verkomplizieren) sich auch die Kooperationsstränge ständig, und die maßgeblichen Voraussetzungen autonomer Aufgabenerfüllung müssen sehr frühzeitig und weit entfernt gesteuert werden, wenn sie überhaupt noch beeinflussbar bleiben sollen. Die negativen Aspekte dieser Strukturen werden von der Politik- und Verwaltungswissenschaft unter dem Schlagwort „Verflechtungsfalle“ eingehend erörtert.589 Positiv daran sind jedenfalls die Partizipationsmöglichkeiten der „unteren“ Ebenen, die dadurch erreichte Komplexität der Informationssysteme und politische Pluralität der Entscheidungsprozesse, die trotz aller Mühsal der Verfahren des Ausgleiches auch sachlich in der Regel zentralistischen „einfachen Lösungen“ überlegen sind, was sich häufig erst in der Umsetzungsphase auf regionaler und lokaler Ebene herausstellt. Nicht zu Unrecht nimmt daher der österreichische Verfassungsgerichtshof die kooperative Struktur des Finanzausgleiches – im Wege der Übereinkunft aller drei Ebenen („Finanzausgleichspaktum“) – als Indiz der Sachlichkeit der erzielten Lösung.590
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Peter Pernthaler, Die Bundesstaatsreform aus der Sicht der Föderalismusforschung, in: derselbe (Hg), Bundesstaatsreform als Instrument der Verwaltungsreform und des europäischen Föderalismus (1997) 23; Christian Ranacher, Die Funktionen des Bundes, aaO. Die Gründe für das Vordringen des kooperativen Föderalismus in USA und Österreich sind gegensätzlicher Natur: Während in den USA die Kooperation als Instrument zur Überwindung der strikten Kompetenztrennung diente und so zentralisierend wirkte, war diese in Österreich das bedeutendste Instrument der Länder und wirkte in Richtung einer Stärkung ihrer rechtlichen und politischen Stellung; vgl dazu Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre (19962) 303 ff; derselbe, Raumordnung und Verfassung 3 (1990) 208 ff. Grundlegend: Fritz W. Scharpf/Bernd Reissert/Fritz Schnabel, Politikverflechtung, 2 Bde (1976/77); Joachim J. Hesse, Politikverflechtung im föderativen Staat (1978); Fritz W. Scharpf, Die Politikverflechtungsfalle, PVS 1985, 323 ff; jetzt auch in: derselbe, Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa (1994) 11 ff; kritischabwägend: Klaus H. Goetz, Kooperation und Verflechtung im Bundesstaat, in: Rüdiger Voigt (Hg), Der kooperative Staat (1995) 145 ff. VfSlg 12.505/1990; 12.784/1991; 14.168/1995.
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d) Der Wandel des Exekutivföderalismus Das Überwiegen der Vollzugsaufgaben und die ständige Erosion der gesetzgebenden Funktionen der Gliedstaaten waren schon vor der europäischen Integration eine allgemein beobachtete Tendenz in den europäischen Bundesstaaten.591 Die Mitgliedschaft in der EU brachte durch die neuen europäischen Kompetenzen einer (überaus dynamischen) Rechtsetzung einen gewaltigen Schub an Exekutivföderalismus für die unteren Ebenen. Alle diese Tendenzen führen dazu, dass an die Stelle der klassischen „bürokratischen“ Routine reiner Gesetzesvollziehung in den Verwaltungen der unteren autonomen Ebenen (die auch unter viel höherem politischen Druck und Erfolgszwang gegenüber „ihren“ Bürgern stehen als zentrale Systeme) heute hochkomplexe Verfahren und Einrichtungen des Verwaltungsmanagements und der Verwaltungsplanung getreten sind, deren ununterbrochene Aktivität und Dynamik letztlich über den Erfolg oder das Scheitern der jeweiligen Regional- oder Lokalautonomie entscheiden.592 In Verbindung mit der zuvor dargestellten Tendenz des kooperativen Föderalismus/Regionalismus führt die beschriebene Entwicklung zu einer bedeutenden Stärkung der Verwaltung – und ihrer Ausgliederungen – gegenüber der ständig sinkenden Bedeutung regionaler Gesetzgebung. Regionalparlamente müssen daher trachten, in die angeführten politischen Planungen (Entscheidungen) und in die politische Kontrolle des „neuen“ Exekutivföderalismus effizient eingebunden zu werden; darüber hinaus müssen sie neue Funktionen kompetenzübergreifender politischer Artikulation und Deliberation gewinnen, soll das demokratische System der Autonomien seine parlamentarische Grundstruktur glaubhaft und wirksam beibehalten.593
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Andreas Bieri, Vollzugsföderalismus (1979); Richard Novak, Ist ein „Vollzugsföderalismus“ noch föderalistisch?, in: Richard Novak/Berthold Sutter/Gernot D. Hasiba (Hg), Historische und aktuelle Probleme des Föderalismus in Österreich (1977) 27 ff; Christian Starck (Hg), Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat (1988); Karl Weber, Macht im Schatten, ÖZP 1992, 405 ff. Klaus Firlei, Föderalismus und Integration, in: Zukunfts- und Kulturwerkstätte (Hg), Designing Europa (1994) 125 ff; derselbe, Landesverfassungsreform in einem turbulenten Umfeld, in: Peter Pernthaler (Hg), Bundesstaatsreform als Instrument der Verwaltungsreform und des europäischen Föderalismus (1997) 84 ff; Klaus H. Goetz, Verwaltungswandel – ein analytisches Gerüst, in: Edgar Grande/Rainer Prätorius (Hg), Modernisierung des Staates? (1997) 177 ff. Peter Pernthaler, EU-Mitgliedschaft, Bundesstaatsreform und Verwaltungsentlastung, ZÖR 53 (1998) 19 f.
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2. EU als neue Chance regionaler Identität? a) Europäischer Regionalismus Gestützt auf die zuvor dargestellte neue Dynamik der regionalen Entwicklung als Planungs-, Wirtschafts- und Verwaltungsmanagement gewannen die Regionen in Europa neue politische Bedeutung im Rahmen der europäischen Integration. Unabhängig von ihrer völkerrechtlichen Mediatisierung entwickelten die Regionen Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der europäischen Kooperation auf politischer und administrativer Ebene, die man als „regionale Außenpolitik“ („Small diplomacy“) bezeichnete.594 In besonderer Weise wurde diese Bewegung von Anfang an durch den Europarat unterstützt.595 In einer Reihe wichtiger Konferenzen und Konventionen wurde die Entwicklung und der Schutz lokaler und regionaler Autonomien zu einem ständigen Ziel der Politik und Rechtsentwicklung des Europarates. Auf dieser europäischen Ebene und unabhängig davon entwickelte sich ein dichtes Geflecht von Konferenzen und Organisationen der europäischen Regionen zur wechselseitigen Information, Zusammenarbeit und gemeinsamen politischen Aktionen. Tirol und Südtirol beteiligten sich frühzeitig im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“596 an der „grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ der europäischen Regionen.597 Die vom Europarat angestrebte rechtliche Formalisierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der „Madrider Rahmenkonvention“ (1980) mit ihren beiden Zusatzprotokollen (1995 und 1998) hatte wegen des hinhaltenden Widerstandes der Zentralstaaten, die darin eine Gefahr für ihre Souveränität sahen, zunächst keinen Erfolg. In der Folge versuchten die europäischen Regionen über ihre beiden wichtigsten Zusammenschlüsse, die „Versammlung der Regionen Europas“ (gegründet 1987) und die „Konferenz der Regionen Europas“ (gegründet 1989) verstärkten Einfluss auf die Organisationsstruktur und Funktionsweise der EU zu gewinnen, um den von ihr ausgehenden Eurozentralismus zu bremsen.598
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Peter Pernthaler (Hg), Außenpolitik der Gliedstaaten und Regionen (1991); Ulrich Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt (1986); Francesco Palermo, Die Außenbeziehungen der italienischen Regionen in rechtsvergleichender Sicht (1999). Waldemar Hummer/Sebastian Bohr, Die Rolle der Regionen im Europa der Zukunft, in: Peter Eisenmann/Bernd Rill (Hg), Das Europa der Zukunft (1992) 65 ff, 86 f. Siehe dazu die Hinweise bei Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 54 ff. Vgl dazu Viktor von Malchus, Partnerschaft an europäischen Grenzen 1975. Vgl dazu die sorgfältige Dokumentation bei Stefan Mayer, Regionale Europapolitik (2002) 77 ff.
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Die innerstaatlichen Länderbeteiligungensverfahren
b) Die Regionen in der EU Der europäische Regionalismus fand – vor allem auf Drängen des Europäischen Parlaments599 – seit den späten 80er Jahren auch allmählich Eingang in die EG.600 Während die EG die „Regionen“ – in einem technokratisch verstandenen Sinn – bis dahin doch vorwiegend als bloße Objekte ihrer auf „Kohäsion“ ausgerichteten Regionalpolitik behandelten,601 begannen sie seitdem stärker auf ihre Individualität Bedacht zu nehmen und ihre Mitwirkung an der Formulierung und Umsetzung regionalpolitischer Programme zu akzeptieren („Prinzip der Partnerschaft“).602 Ein neues Muster autonomiefreundlicher Regionalpolitik entwickelte das Programm „Interreg“.603 Auch begann die Vorstellung zu wirken, dass der Widerstand gegenüber europäischer Zentralisation und Bürokratie durch bewusste Integration der regionalen Ebenen in die Formulierung und den Vollzug europäischer Normen und Planungen abzubauen sei. Die Ansätze einer formellen Verankerung der Regionen/Länder in der primärrechtlichen Organisation der EU werden unter der dafür gebräuchlichen Bezeichnung „Europäischer Föderalismus“ unten geschlossen dargestellt.604
3. Die innerstaatlichen Länderbeteiligungensverfahren a) Die österreichische Lösung Zum Zeitpunkt des österreichischen EU-Beitrittes war die oben beschriebene janusköpfige Grundstruktur der EU als supranationale Staatenverbindung
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Siehe vor allem die „Gemeinschaftscharta der Regionalisierung“, ABl 1988, C 326/296 und laufende Entschließungen über „die Beteiligung der Regionen am europäischen Aufbauwerk“ und am „Ausschuss der Regionen“; vgl dazu Peter Häberle, Der Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtliche Maxime, AÖR 1993, 1 ff (16 f). Vgl zur bisherigen und zukünftigen Entwicklung der regionalen Dimension in der europäischen Integration sehr ausführlich Sylvia Pintarits, Macht, Demokratie und Regionen in Europa: Analysen und Szenarien der Integration und Desintegration (1996) insbesondere 87 ff sowie 332 ff. Vgl Art 2 und 158–162 EGV und dazu Gabriele Tondl, Herausforderungen für die EG-Regionalpolitik in den neunziger Jahren, in: Stefan Griller (Hg), Auf dem Weg zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (1993) 131 ff; Franz Riedinger, Struktur und Perspektiven der Regionalförderung (1993); Gerhard Strejcek/Michael Theil (Hg), Regionalisation in Österreich und in Europa (1996) 1 ff (9 ff). Vgl dazu Waldemar Hummer, Das neue „Prinzip der Partnerschaft“ als Sonderform gemeinschaftlicher Subsidiarität, FS Schwind (1993) 269 ff. Vgl die Mitteilung der Kommission in ABl 1990, C 215/4 und den Vorschlag der Kommission über eine Verordnung bezüglich der Schaffung eines Europäischen Verbundes für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, KOM (2004) 496. Siehe IX. 5.
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und die daraus für die Länder drohenden negativen Auswirkungen (weitere Kompetenzverluste, völkerrechtliche Mediatisierung, Aushöhlung des Länderparlamentarismus) bereits voll absehbar. Die Länder verlangten daher – im Ausgleich für ihre Zustimmung und Unterstützung des Beitrittes – Schutzund Ausgleichsmaßnahmen, insbesondere ein kooperatives Beitrittsverfahren, ein wirksames Länderbeteiligungsverfahren nach dem Beitritt und eine tiefgreifende Bundesstaatsreform im Gleichtakt mit dem EU-Beitrittsverfahren.605 In einer „kleinen Föderalismusnovelle“ BGBl 1992/276 wurde das Länderbeteiligungsverfahren in seinen Grundzügen verfassungsrechtlich verankert606 und in einer staatsrechtlichen Vereinbarung (BGBl 1992/775) näher ausgeführt. Die mit dem Bund politisch vereinbarte „Strukturreform des Bundesstaates“ kam dagegen nicht zustande, weil die Länder einen im Nationalrat geänderten Gesetzesvorschlag nicht akzeptierten.607 Das Länderbeteiligungsverfahren608 gibt den Ländern zunächst ein Recht auf umfassende Information über alle Vorhaben der EU, „die ihren selbständigen Wirkungsbereich berühren oder sonst für sie von Interesse sein könnten“ (Art 23 d Abs 1 B-VG). Alle Länder können zu diesen Vorhaben Stellung nehmen; geben die Länder zu einem Vorhaben, das ihre Gesetzgebungskompetenzen berührt, eine einheitliche Stellungnahme ab, so ist der Bund an diese einheitliche Stellungnahme bei Verhandlungen und Abstimmungen in der EU rechtlich gebunden und „darf davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen“ (Art 23 d Abs 2 B-VG). Die einheitliche Stellungnahme der Länder sollte ursprünglich in einem eigenen Organ, der „Integrationskonferenz der Länder“ erzeugt werden;609 in der Praxis wurde aber statt diesem Organ regelmäßig die Landeshauptleutekonferenz oder andere Organe der Länderkooperation damit befasst und der Bund hat sich daran gehalten. Die Verfassungspflicht des Bundes zur Befolgung der einheitlichen Stellungnahme steht unter der Sanktion einer staatsrechtlichen Anklage des österreichischen Vertreters im Rat der EU, die allerdings nur durch einen
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Nachweise für diese Länderforderungen, die durchwegs von der Landeshauptmännerkonferenz formuliert wurden, finden sich in den vom Institut für Föderalismusforschung herausgegebenen 15.–19. Föderalismusberichten der Jahre 1990–1995. In der Folge unverändert in Art 23 d B-VG übernommen. Vgl dazu Theo Öhlinger, Das Scheitern der Bundesstaatsreform, in: Andreas Khol et al (Hg), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1994, 543 f; Peter Pernthaler/Gert Schernthanner, Bundesstaatsreform 1994, ebenda 572 ff. Vgl dazu Josef Unterlechner, Die Mitwirkung der Länder am EU-Willensbildungsprozess (1997); Andreas Rosner, Koordinationsinstrumente der österreichischen Länder (2000); Heinz Schäffer, Österreichs Beteiligung an der Willensbildung in der Europäischen Union, ZÖR 50 (1996) 3 ff; Karl Weber, Österreichs kooperativer Föderalismus auf dem Weg in die EU, in: FS Schambeck (1994) 1041 ff; Peter Bußjäger/Andreas Rosner, Mitwirken und Mitgestalten – Europa und die österreichischen Länder (2005). Peter Pernthaler, Das Länderbeteiligungsverfahren an der europäischen Integration (1992) 68 f.
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Die innerstaatlichen Länderbeteiligungensverfahren
übereinstimmenden Beschluss aller Landtage geltend gemacht werden könnte (Art 142 Abs 2 lit c B-VG). In der Praxis ist es – trotz zahlreicher einheitlicher Stellungnahmen610 – erst dreimal überhaupt zu einem Abweichen des Bundesvertreters von einer derartigen einheitlichen Länderstellungsnahme gekommen.611 Wenngleich gezweifelt wurde, ob eine nationale Rückbindung von Vertretern der Mitgliedsstaaten im Rat im Hinblick auf die notwendige Kompromissfähigkeit gemeinschaftsrechtlich überhaupt zulässig sei,612 haben sich die Vorbilder des deutschen und österreichischen Länderbeteiligungsverfahrens613 durchgesetzt und auch vergleichbaren Mitwirkungsbefugnissen der Regionen in allen höher entwickelten Regionalstaaten begründet.614 b) Die Länderbeteiligung in Italien (Südtirol) Im Besonderen hat die „Föderalismusnovelle“ zur italienischen Staatsverfassung Nr 3/2001, im Titel V grundlegende Bestimmungen über die Beziehungen der Regionen zur EU getroffen, welche die Kompetenzverteilung (Art 117 Abs 2 und 3 Staatsverfassung) und das Mitwirkungsverfahren an der Rechtsetzung der EU (Gemeinschaftsrecht und seine nationale Umsetzung) regeln (Art 117 Abs 5 Staatsverfassung). Die Bestimmungen der Verfassung sind aber – zum Unterschied von der Regelung in der österreichischen Bundesverfassung – sehr allgemein und unbestimmt, sodass es auf die Art der gesetzlichen Durchführung ankommt, welche tatsächlichen Rechte daraus den Autonomen Provinzen erwachsen. Für Südtirol war die erste und entscheidende Verschlechterung der Rechtslage schon die Übertragung der Durchführungskompetenz an ein Staatsgesetz, während bis dahin – zumindest für die Umsetzung des EU-Rechts in Landesangelegenheiten – eine Durchführungsbestimmung zum Statut (DPR Nr 526/1987) maßgeblich war, die gemäß Art 107 Abs 2 Autonomiestatut kooperativ mit der Volksgruppe (nämlich unter Mitwirkung der „Sechserkommission“) zu erlassen war. Schon zu dieser Zeit wollten die Staatsvertreter eine Ver-
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Bis 1. 12. 2005 gab es 62 „einheitliche Stellungnahmen der Länder“; diese sind lückenlos dokumentiert bei: Peter Bußjäger/Andreas Rosner, Mitwirken und Gestalten, aaO 98 ff. Vgl dazu Andreas Rosner, Zulässigkeit des Abweichens von einer einheitlichen Länderstellungnahme, in: Peter Bußjäger/Andreas Rosner, Mitwirken und Mitgestalten, aaO 58 ff (62 ff). Vgl Stefan Griller, Verfassungsfragen der österreichischen EU-Mitgliedschaft, ZfRV 1995, 89 ff (105 ff); Theo Öhlinger, in: Karl Korinek/Michael Holoubek (Hg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Art 23 e B-VG, Rz 18 (1999). Für Deutschland vgl Art 23 GG, der eine Mitwirkung der Länder in Angelegenheiten der EU „durch den Bundesrat“ vorsieht. Anna Gamper, Die Regionen mit Gesetzgebungshoheit (2004) 447 ff.
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fahrensordnung durch Staatsgesetz durchsetzen, was ihnen aber nicht gelang.615 Das erste Durchführungsgesetz zu Art 117 Abs 5 Staatsverfassung, das Gesetz Nr 131/2003 („La Loggia“) wurde vergeblich von den fünf Regionen mit Spezialstatut wegen Verfassungswidrigkeit angefochten: Die Regionen hatten sowohl das Gesetz als Ganzes als auch im Besonderen die alleinige Befugnis des Staates zur Reglung der allgemeinen Verfahrensfragen einer regionalen Einbeziehung in den Entscheidungsprozess und die Umsetzung von Gemeinschafsrecht als verfassungswidrig angegriffen; der Verfassungsgerichtshof hielt im Urteil 239/2004 beides für verfassungskonform. Damit war bereits eine wesentliche Weichenstellung für eine vereinheitlichende und weitaus zentralistischere Regelung der Mitwirkungsbefugnisse an der Rechtsetzung der EU getroffen, als sie bis dahin in Südtirol – auf Grund der italienweit einzigartigen Sonderregelung der erwähnten Durchführungsbestimmung zum Statut DPR Nr 562/1987 – gegolten hat. Die Neuregelung erfolgte durch das allgemeine (Durchführungs)Gesetz über die Beteiligung Italiens am Rechtsetzungsprozess der EU und über die Verfahren der Durchführung von Gemeinschaftsverpflichtungen vom 4. Feber 2005, Nr 11/2005 (Gesetz „Buttiglione“). Ähnlich wie schon das Gesetz „La Loggia“ sieht das Gesetz nicht nur einseitige staatliche Anordnungen über das „Verfahren“ der Mitwirkung der Regionen (Autonomen Provinzen) an der Rechtsetzung der EU und Durchführung ihrer Normen und Anordnungen vor,616 sondern bindet auch die Mitwirkung der Autonomen Provinz an der Willensbildung der EU-Rechtsetzung an allgemeine Einigungszwänge der Regionen untereinander und – selbst im Rahmen der eigenen Kompetenzen – an die Vereinbarung mit dem Staat! Dem Urteil der Kommentatoren, dass es sich bei diesem Gesetz „um eine eher zentralistische Regelung handelt“617 ist – vor allem im Vergleich zu den oben dargestellten „Modellregelungen“ Österreichs – voll zuzustimmen. Zu beachten ist auch, dass ein Einigungszwang mit den übrigen Regionen oder gar mit dem Zentralstaat für Südtirol eine ganz andere Bedeutung hat wie für die österreichischen Länder, wo es bei der Einrichtung der „einheitlichen Länderstellungsnahme“ (Art 23 d Abs 2 B-VG) eine ähnliche Kooperationspflicht – allerdings nur der Länder untereinander – gibt. In Österreich sind die Länder Gliedstaaten eines sehr homogenen, ja unitarischen Bundesstaates,618 615 616
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Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 315 f. Vgl dagegen in Österreich die durch staatsrechtliche Vereinbarungen (Art 15 a B-VG) geregelten Verfahren der Mitwirkung der Länder an der europäischen Integration, BGBl 1992/775 und der gemeinsamen Willensbildung der Länder in Angelegenheiten der europäischen Integration, TiLGBl 1993/18. Francesco Palermo/Jens Woelk, Italien auf dem Weg zum Föderalismus: zwei Schritte vor und einer zurück?, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung – Jahrbuch des Föderalismus 2005, 388 ff, 394 f. Peter Pernthaler, Der differenzierte Bundesstaat (1992) 3 ff.
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während die Autonomie Südtirols – als „Besonderheit in der Besonderheit“ der italienischen Regionalautonomien619 – geradezu ein Musterbeispiel für „asymmetrischen Föderalismus“ ist. Im Hinblick auf diese – im Minderheitenschutz begründete – Besonderheiten der Autonomie wirft gerade die Befolgung und Umsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechts in Südtirol schwerwiegende Sonderprobleme auf,620 für deren Lösung ein Einigungszwang mit den übrigen Regionen völlig sinnwidrig wäre, während der Einigungszwang mit dem Staat Rechtsprobleme im Hinblick auf den völkerrechtlich gewährleisteten Minderheitsschutz aufwirft.621 In dieser Hinsicht erwecken auch die raschen und einseitigen staatlichen Ersatzkompetenzen bei Untätigkeit der Autonomen Provinz im Umsetzungsprozess622 und die weitgehende Bindung der autonomen Umsetzung an „unabänderliche Grundsätze“, die der Staatsgesetzgeber festlegt,623 verfassungsund völkerrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Südtirolautonomie nach dem Stand der Streitbeilegung (1992).624 Möglicherweise wollte das Gesetz Nr 11/2005 aber diese Konsequenz gerade vermeiden, indem es in Art 20 anordnete, dass sowohl die „besonderen Autonomiestatute“ als auch ihre maßgebenden Durchführungsbestimmungen unberührt bleiben.625
4. Der EU-Beitritt Österreichs als Chance und Krise der regionalen Identität Der EU-Beitritt Österreichs (1994) wurde von den österreichischen Ländern und von Südtirol626 ursprünglich mit Optimismus als neue Möglichkeit der Entwicklung von Autonomie und grenzüberschreitender Zusammenarbeit der Regionen begrüßt und politisch unterstützt.627 Der Grund dafür war, dass man 619 620 621
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Roberto Toniatti, Die Evolution der Südtiroler Sonderautonomie, aaO 74 ff. Vgl dazu oben, IV. 6. und Gabriel N. Toggenburg, Europas Integration, aaO 462 ff. Pariser Abkommen 1946 und Streitbeilegung 1992; siehe oben IV. 2. b und Peter Hilpold, Die völkerrechtliche Absicherung, aaO 44 ff. Art 16 Abs 3 in Verbindung mit Art 11 Abs 8 des Gesetzes „Buttiglione“; vgl dagegen das kooperative Verfahren nach Art 8 der Durchführungsbestimmung DPR 526/1987. Art 16 Gesetz „Buttiglione“; vgl dagegen Art 7 der Durchführungsbestimmung DPR 526/1987 „unbeschadet der Gesetze des Staates“. Vgl dazu: Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 314 ff, 317. Art 20 des Gesetzes „Buttiglione“ lautet: „1. Per le regioni a statuto speziale e le province autonome resta fermo quanto previsto nei rispettivi statuti speciali e nelle relative norme di attuazione”. Vgl etwa: Autonome Region Trentino-Südtirol (Hg), Europäische gemeinschaftliche Dimension und regionaler Kontext im Hinblick auf die Europäische Union (1994). Wolfgang Burtscher, EG-Beitritt und Föderalismus (1990); Fritz Staudigl, Zur Rolle der österreichischen Länder im europäischen Integrationsprozess, ZÖR 46 (1993)
Die Identität Tirols in der EU
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sich von der europäischen Regionalpolitik und den politischen Bewegungen des europäischen Regionalismus628 eine Stärkung der Selbständigkeit der Regionen erhoffte. Speziell in Tirol glaubte man an eine „Relativierung der Brennergrenze“ durch den Beitritt Österreichs zur EU und setzte in diesem Zusammenhang große Hoffnungen auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Nordund Südtirol.629 Man glaubte, dass die Programme und rechtlichen Organisationsformen des Europarechts zu einer neuen Identität Gesamttirols als „Europaregion“ führen würden.630 Bald stellte sich aber heraus, dass dieser Optimismus der Regionen im Zusammenhang mit der Entwicklung der EU nicht begründet war. Der zunehmenden politischen und rechtlichen Ohnmacht der Regionen gegenüber dem europäischen Zentralismus in Brüssel entsprach gleichzeitig eine Stärkung der Nationalstaaten durch ihre Mitgliedschaft in den Entscheidungsorganen der EU.631 Dazu kommt in Südtirol das Bewusstsein einer zunehmenden Gefährdung der Autonomie durch die „europäischen Freiheiten“, vor allem im Zusammenhang mit dem Schutz der Volksgruppe gegenüber Zuwanderung und dem ethnischen Proporz. Zwar werden Schutzmaßnahmen zugunsten von Minderheiten grundsätzlich auch im EU-Recht als „positive Diskriminierungen“ rechtlich anerkannt; wenn sich aber die Situation der faktischen Benachteiligung einer Volksgruppe ändert, müssen Schutzmaßnahmen möglicherweise revidiert werden, um die Gleichheit herzustellen.632 Auch in Nordtirol wird die EU zunehmend als Bedrohung regionaler Interessen und Lebensgrundlagen empfunden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den heftigen politischen Widerstand gegen die Freigabe des Tran-
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41 ff; Peter Pernthaler, Das Länderbeteiligungsverfahren an der europäischen Integration (1992); Michael Morass, Regionale Interessen auf dem Weg in die Europäische Union (1996). Fried Esterbauer, Europäischer Regionalismus am Wendepunkt (1991); Peter Häberle, Der Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und europarechtliche Maxime, Archiv des öffentlichen Rechts 1993, 1 ff; Gerhard Strejcek/Michael Theil (Hg); Regionalisation in Österreich und in Europa (1996); Stefan Wally/Martin Panosch, Europäischer Regionalismus, Journal für Rechtspolitik 1997, 178 ff; Peter Pernthaler, Konföderalismus und Regionalismus als Bewegungsgesetze der europäischen Integration, Journal für Rechtspolitik 1999, 58 ff. Vgl dazu die Entwicklung in der „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“, dargestellt bei: Fried Esterbauer (Hg), Regionalismus (1978) 137 ff; Roland Riz, Euregio Alpina, in: Regionalismus in Europa (1991) 278 ff. Vgl dazu die Ausführungen zur „Europaregion Tirol“, oben V. 5 und VII. 3. Siehe dazu oben IX. 1. b („Der Eurozentralismus“). Gabriel N. Toggenburg, Europas Integration und Südtirols Autonomie, aaO 462 ff; Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 249 ff.
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„Europäischer Föderalismus“ als Alternative?
sits,633 an die Probleme der Beibehaltung von Beschränkungen des Grundverkehrs634 und an die negativen Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels im „freien Wirtschaftsraum“ Europa.635
5. „Europäischer Föderalismus“ als Alternative? a) Begriffsbestimmung Der Ausdruck „Europäischer Föderalismus“ wird in ganz unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Man kann damit die Übertragung der Grundsätze und Organisationsstrukturen des klassischen staatlichen Föderalismus auf die EU bezeichnen und damit das Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedsstaaten beschreiben wollen.636 Wenngleich dies eine wissenschaftlich nicht korrekte Verwendungsweise des Begriffes ist – die EU sind in Wahrheit keine föderalistische, sondern eine konföderalistische Staatenverbindung –, hat diese Ausdrucksweise sich allgemein eingebürgert und es sprechen auch einige Argumente für diese analoge Begriffsbildung.637 Insbesondere gelten sowohl im Bundesstaat wie in der EU das Subsidiaritätsprinzip, eine Kompetenzverteilung, eine doppelte Repräsentation der Bürger und der Mitgliedsstaaten, ein Finanzausgleich, ein dem Bundesstaat ähnliches Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, der EuGH ist eine Art Bundesverfassungsgericht (bzw „Supreme Court“) uva. Neben dieser „supranationalen“ Verwendungsweise des Begriffes kann als „europäischer Föderalismus“ aber auch die Einbeziehung der nationalen föderalistischen Einheiten (Länder und Regionen) in die Organisation und Funktionsweise der EU und des Europarates gemeint sein.638 Schließlich kann man unter „europäischen Föderalismus“ auch ein übergreifendes System unterschiedlicher staatsrechtlicher (föderalistischer, regionalistischer) und völkerrechtlicher (supranationaler) Aufgabenerfüllung in einem, nach mehreren 633
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Michael Sprenger, Transit- und Naturschutzpolitik, in: Ferdinand Karlhofer/Anton Pelinka (Hg), Politik in Tirol (2004) 227 ff; Fritz Gurgiser, Tatort Brenner Bd 3 (2001). Günter Herzig, Grundverkehrsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, WBl 1999, 395 ff; Christian Schneider, Die „Konle“-Entscheidung des EuGH, ZfV 2000, 16 ff. Max Preglau, Sozialstruktur und Sozialpolitik, in: Ferdinand Karlhofer/Anton Pelinka, Politik in Tirol (2004) 187 ff (195 ff). Heinz Laufer/Thomas Fischer, Föderalismus als Strukturprinzip für die Europäische Union (1996); Waldemar Hummer, Subsidiarität und Föderalismus als Strukturprinzipien der Europäischen Gemeinschaften?, ZfRV 1992, 81 ff. Peter Pernthaler, (Kon-)Föderalismus, aaO 49. Heinz Schäffer, Europäische Integration und Föderalismus, ZSR 113 (1994) 155 ff; Stefan Huber/Peter Pernthaler, Föderalismus und Regionalismus in europäischer Perspektive (1988); Peter Pernthaler, Konföderalismus, aaO 58 ff.
Die Identität Tirols in der EU
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Ebenen gegliederten „Gemeinwesen“ verstehen, in dem der Nationalstaat nicht mehr die höchste, sondern eine mittlere Ebene einnimmt.639 In dieser Bedeutung wird der Begriff im Folgenden verwendet, weil anders die rechtliche Zwischenlage der Europäischen Integration zwischen Innen- und Außenpolitik und die zunehmenden Auswirkungen der EU-Politiken und des supranationalen Gemeinschaftsrechtes auf die rechtliche und politische Lage der Länder bzw Regionen nicht ausgedrückt werden kann. b) Das politische Programm Die dynamische Entwicklung der EU, insbesondere ihre ständige Kompetenzausweitung und Wandlung zur politischen Union beunruhigten die deutschen Länder und höher entwickelten Regionen Europas (vor allem Belgiens und Spaniens) und führten zur Gründung wirksamer Interessenverbände der Regionen auf europäischer Ebene.640 Nach dem Vorbild des innerstaatlichen „Drei-Ebenen-Föderalismus“ (Bund, Länder und Gemeinden)641 wollten die deutschen Länder eine (dreigliedrige) Föderalisierung der EU durch Einbeziehung der Länder und Regionen in den Willensbildungsprozess und die Kompetenzverteilung erreichen. Seit 1990 fassten sie ihre politischen Forderungen in vier Kernthesen zusammen: •
Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in den Gemeinschaftsverträgen
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Öffnung des Ministerrates für Vertreter von Länder und Regionen
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Schaffung eines besonderen Regionalrates
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Einräumung eines eigenständigen Klagerechtes für Länder und Regionen.642
Gelegenheit zur Umsetzung dieser Forderungen bot die grundlegende Reform der EU durch den Vertrag von Maastricht (1992), während die späteren Verträge von Amsterdam (1997) und Nizza (2001) keine wesentlichen Fortschritte brachten. Zwar wurde die ursprünglich vorgesehene Bezeichnung 639
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Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 17 und 38 ff; Peter Saladin, Wozu noch Staaten (1995); Daniel Thürer, Perspektive Schweiz: Übergreifendes Verfassungsdenken als Herausforderung (1998) 211 ff, 228 ff. Rat der Regionen Europas (1984); Versammlung der Regionen Europas (1987); Konferenz „Europa der Regionen“ (1989); Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen; Konferenz der Regionen mit Legislativkompetenzen ua; vgl dazu Stefan Mayer, Regionale Europapolitik (2002) 77 ff, 90 ff. Vgl dazu die Hinweise bei Peter Pernthaler, Verfassungsentwicklung und Verfassungsreform, aaO 110 f; Karl Weber, Zwei- oder dreigliedriger Bundesstaat, in: FS Pernthaler (2005) 413 ff. Vgl dazu Franz Borkenhagen, Europa der Regionen – Hintergründe und Potentiale, in: Hartmut Klatt (Hg), Das Europa der Regionen nach Maastricht. Analysen und Perspektiven (1995) 49 ff; Sylvia Pintarits, Macht, Demokratie und Regionen in Europa (1996) 87 ff.
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„Europäischer Föderalismus“ als Alternative?
„Union mit föderaler Ausrichtung“ wegen des Widerstandes Englands nicht in den Vertrag aufgenommen643 wohl aber drei der obigen „Kernthesen“ – zumindest kompromisshaft – verwirklicht, nur das Klagerecht der Regionen wurde (bis heute) nicht eingeführt. Als Ersatz für die Bezeichnung „föderal“ wurde in Art 1 EUV das Prinzip der „bürgernahen Entscheidungen“ verankert, das – wenn es befolgt würde – garantierte, dass Entscheidungen der EU in einem Prozess der „gegliederten Demokratie“ – also in einem noch überschaubaren politischen Entscheidungssystem – getroffen würden.644 Weder die formelle Organisation noch die Praxis der Entscheidungsfindung in der EU entspricht aber bis heute diesem Prinzip der „Bürgernähe“, worin wohl ein wesentlicher Grund für das Scheitern des „Verfassungsvertrages“ (2004) gelegen war. c) Das Subsidiaritätsprinzip Das Subsidiaritätsprinzip wurde in Art 2 EUV und Art 5 EGV – aber nur für den Bereich der konkurrierenden Zuständigkeiten der EG und der Mitgliedsstaaten – verankert. Es bezieht sich allerdings nur auf das Verhältnis EU – Mitgliedsstaaten, nicht auf Länder und Regionen. Ob das – zunächst rein politische – Prinzip in dieser supranationalen Dimension eine rechtliche Wirkung entfalten wird, hängt von der Anwendung durch die Judikatur des EuGH ab.645 Keinesfalls ist das Subsidiaritätsprinzip in der geltenden Fassung aber geeignet, den von den Ländern/Regionen geforderten „Drei-Ebenen-Föderalismus“ in der EU zu begründen. d) Die Vertretung der Länder im Rat Die mögliche Mitwirkung der Länder/Regionen im Rat wurde in Art 203 EGV in der Weise verankert, dass im Rat der EG („Ministerrat“) „ein Vertreter jedes Mitgliedstaates auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaates verbindlich zu handeln“ aufgenommen werden kann. Diese Bestimmung ermöglicht die Teilnahme von Länder/Regionsvertreter unter einer Reihe von Voraussetzungen:
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Herbert Schambeck, Europäische Integration und Föderalismus, ÖJZ 1996, 527; Peter Pernthaler, Auswirkungen einer Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union auf die österreichischen Bundesländer, in: Waldemar Hummer, Die Europäische Union und Österreich (1994) 192. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre, aaO 189 ff; Peter Bußjäger/Andreas Rosner, Mitwirken und Mitgestalten, aaO V. Anwendungsorientierungen für das Subsidiaritätsprinzip versuchen das dem Vertrag von Amsterdam (1997) beigefügte „Protokoll Nr 30“ und die „Erklärung Nr 43“ zu geben; zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips im europäischen (Kon)Föderalismus vgl Peter Pernthaler, (Kon-)Föderalismus, aaO 56 ff und die dort angeführten bibliographischen Hinweise.
Die Identität Tirols in der EU
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Es muss sich zunächst um ein Organ auf „Ministerebene“ handeln, was auf die Herkunft aus der Dogmatik des (deutschen) Bundesstaatsrechts hindeutet und auf Organe von Autonomien in echten Einheitsstaaten kaum zutreffen wird. Der Delegierte vertritt eigentlich auch nicht sein Land/seine Region, sondern den Mitgliedstaat und muss daher von diesem nach innerstaatlichem Recht zu dieser Funktion ermächtigt sein; diese Ermächtigung begründet in Wahrheit seine Funktion als Staatsdelegierter und damit als Mitglied des Rates, nicht aber das Gemeinschaftsrecht, das sie voraussetzt. In Österreich wurde die Bestimmung des Art 203 EGV zwar verfassungsrechtlich (Art 23 d Abs 3 B-VG) auf „einen von den Ländern namhaft gemachten Vertreter“ konkretisiert, aber zugleich stark eingeschränkt: Die Bundesregierung kann dem Ländervertreter die Mitwirkung übertragen, wenn ein Vorhaben der EU auch Landeskompetenzen in der Gesetzgebung betrifft; die Wahrnehmung der Vertretungsbefugnis erfolgt aber unter Beteiligung des Bundesvertreters und in Abstimmung mit diesem. Vorausgesetzt wird dabei von der Verfassung, dass es sich beim Ländervertreter um ein Organ „auf Ministerebene“ handelt, was nach der österreichischen Bundesstaatsdogmatik jedenfalls für Mitglieder der Landesregierung, insbesondere den Landeshauptmann, zutrifft.646 Wie die Kooperation mit dem Bundesvertreter zu erfolgen hat, ist verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich geregelt, dürfte aber – da der Ländervertreter ja auch den Bund mit repräsentiert – in jedem Fall über eine bloße Informations- und Anhörungspflicht hinausgehen, weil ja schon wegen der völkerrechtlichen Außenvertretung der Republik, die damit erfolgt, auch Bundeskompetenzen immer mit berührt werden (Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG). Der Landesvertreter ist daher auch staatsrechtlich doppelt nämlich den Landtagen und dem Nationalrat gemäß Art 142 Abs 2 lit c B-VG verantwortlich. Aus der Zusammenschau aller dieser rechtlichen Bedingungen und Einschränkungen der Beteiligung von Landesvertretern im Rat ergibt sich, dass es sich dabei wohl nur um eine symbolische Partizipation handelt, die zwar der bundesstaatlichen Ideologie entspricht, eine wirkungsvolle Vertretung regionaler Interessen bei der Willensbildung der EG aber kaum ermöglicht. Wohl aus diesem Grunde dürfte davon in Österreich bisher auch noch nie Gebrauch gemacht worden sein. In der Praxis ist es vielmehr umgekehrt: Politische Ländervertreter nehmen als Mitglied österreichischer Delegationen im Rat gelegentlich teil; ihre Interessen vertritt aber das zuständige Bundesorgan; eine Ermächtigung des Landesorganes gemäß Art 23 d Abs 3 B-VG findet dagegen nicht statt.647
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Paul Sieberer, Rechtsfragen bei der Mitwirkung von Landesorganen auf EU-Ebene, Journal für Rechtspolitik 2001, 209 ff (217 f); Theo Öhlinger, in: Karl Korinek/Michael Holoubek (Hg), Bundesverfassungsrecht, Art 23 d B-VG, Rz 21 ff (1999). Peter Bußjäger/Andreas Rosner, Mitwirken und Gestalten, aaO 12 f.
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„Europäischer Föderalismus“ als Alternative?
In der italienischen Staatsverfassung gilt zwar gleichfalls eine abstrakte Ermächtigung der Regionen und Autonomen Provinzen Trient und Bozen in ihrem Kompetenzbereich „zur Beteiligung an den Entscheidungen, die zur Schaffung von Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts führen“ (Art 117 Abs 5 Staatsverfassung). Das dafür maßgebliche Ausführungsgesetz Nr 11/2005 („Buttiglione“) sieht aber nur ein innerstaatliches Kooperationsverfahren eines Regionenvertreters mit dem zuständigen Fachminister und dem Außenminister vor, das zwar „am Sitz der EU“ stattzufinden hat, aber von den staatlichen Ministern in den Rat einzubringen ist.648 Wenngleich auch die italienische Verfassung grundsätzlich die staatliche Ermächtigung der Regionen und Autonomen Provinzen für völkerrechtliche Handlungen kennt,649 hat man die von Art 203 EGV eröffnete Möglichkeit der Ermächtigung eines Regionsvertreters zur Mitgliedschaft im Rat im italienischen Recht nicht umgesetzt, wohl weil man noch zurückscheut, Mitgliedern der Regional- oder Provinz-„Regierungen“ (der italienische Ausdruck dafür lautet bis heute „Giunta“-Ausschuss) die dort erforderliche „Ministerebene“ zuzubilligen. Obwohl die mögliche Vertretung der Länder im Rat der EG auch in Österreich nur eine „symbolische Repräsentation“ bedeutet, drückt sich in der unterschiedlichen Regelung der nach wie vor bestehende Abstand Italiens von einem echten föderalistischen System aus, der auch auf die Qualität der Südtirol-Autonomie negativ durchschlägt.650 e) Der Ausschuss der Regionen Mit dem „Ausschuss der Regionen“ (Art 263–265 EGV) wurde zwar durch den Vertrag von Maastricht der Aufbau der EU aus den drei Ebenen: Union – Mitgliedstaaten – Regionen erstmals im Primärrecht anerkannt und damit einer wichtigen Forderung der Regionen/Länder formal entsprochen.651 Im Hinblick auf seine Funktionen und seine organisatorische Stellung kann dieser Ausschuss aber nicht als echte Regionenkammer bezeichnet werden. Er ist ein Nebenorgan652 ohne Mitentscheidungsbefugnis und Klagebefugnis vor dem EuGH mit nur wenigen obligatorischen Beratungsbefugnissen.653
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Zum Verfahren vgl Art 5 Abs 7 des Gesetzes Nr 11/2005 („Buttiglione“) in Verbindung mit Art 5 des Gesetzes Nr 131/2003 („La Loggia“), das ausdrücklich für anwendbar erklärt wurde (Art 5 Abs 12). Art 117 Abs 9 Staatsverfassung; Gesetz Nr 131/2003 („La Loggia“) Art 6. So mit Recht: Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, aaO 316 und 318. Rudolf Hrbek, Der Ausschuß der Regionen – Eine Zwischenbilanz zur Entwicklung der jüngsten EU-Institution und ihrer Arbeit, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung (Hg), Jahrbuch des Föderalismus 2000, 461 ff. Die Bestimmungen über den Ausschuss der Regionen finden sich nicht unter dem Kapitel „Die Organe“ (Art 189–248), sondern in einem eigenen Kapitel (Art 263– 265); vgl dazu Andreas Kiefer, Die österreichischen Länder und Gemeinden im Aus-
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Der Rat oder die Kommission können zwar zusätzlich Stellungnahmen einholten und der Ausschuss kann auch aus eigenem Antrieb initiativ werden; keine der Stellungnahmen entfalten aber eine bindende Wirkung. Der Ausschuss der Regionen hat daher Entscheidungsprozesse der EU bisher kaum nennenswert beeinflusst und wird von der Öffentlichkeit praktisch nicht wahrgenommen. Wesentliche Verbesserungen wurden – trotz diesbezüglicher Forderungen der Länder und des Ausschusses – weder durch den Vertrag von Amsterdam (1998) noch durch den Vertrag von Nizza (2001) erreicht und waren auch in dem (gescheiterten) Verfassungsvertrag (2004) nicht vorgesehen. Der Ausschuss ist auch deshalb keine echte Regionenkammer der EU, weil seine Mitglieder nicht von den Regionen gewählt, sondern vom Rat auf Vorschlag der Mitgliedstaaten ernannt werden.654 Darüber hinaus sind die Mitglieder des Ausschusses – wegen der unterschiedlichen subnationalen Struktur der Mitgliedstaaten – nicht nur Regionsvertreter, sondern auch (sogar in der Mehrzahl!) Vertreter der lokalen Gebietskörperschaften.655 Dies führt zu Interessengegensätzen, Erschwerungen der internen Willensbildung und verdünnten Kompromissen, wodurch die Schlagkraft des Ausschusses weiter reduziert wird. Auch sind die Vertreter gegenüber den entsendenden Mitgliedstaaten und Gebietskörperschaften weisungsfrei und nur dem Wohl der Gemeinschaft verpflichtet, sodass sie – ähnlich wie die Mitglieder des österreichischen Bundesrates – nicht als Vertreter ihrer eigenen Gebietskörperschaft, sondern als Vertreter der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften insgesamt anzusprechen sind. An diesem – insgesamt negativen – Befund ändert auch das qualifizierte innerstaatliche Ernennungsverfahren der Mitglieder des Ausschusses der Regionen, das in Österreich sogar bundesverfassungsrechtlich verankert ist (Art 23 c Abs 4 B-VG), wenig: Zwar ist danach den österreichischen Ländern je ein Vertreter der zwölf Mitglieder gewährleistet, die politisch hochrangig mit den Landeshauptmännern besetzt sind; an der geringen faktischen Bedeutung dieser Repräsentation für die Interessen des Landes in der EU ändert dies
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schuss der Regionen, in: Fritz Staudigl/Renate Fischler, Die Teilnahme der Bundesländer am europäischen Integrationsprozess 1996, 39 ff. Diese sind im EGV abschließend aufgezählt; vgl dazu Rudolf Streinz, Die Position der Regionen im institutionalen System der EU, in: Bayerischer Landtag (Hg), Die Regionen in der EU im Hinblick auf die bevorstehende Osterweitung (2002) 82 ff (93 ff); Thomas Wiedmann, Der Ausschuß der Regionen nach dem Vertag von Amsterdam, EuR 1999, 49 ff (57 ff); derselbe, in: Jürgen Schwarze, EU-Kommentar (2000) Art 263 EGV Rz 7 ff und 18 ff sowie Art 265 EGV. Seit dem Vertrag von Nizza (2001) müssen die Mitglieder Mandatare einer Gebietskörperschaft oder zumindest dieser politisch verantwortlich sein. Zur Mitgliederstruktur des Ausschusses der Regionen vgl Thomas Wiedmann, Ausschuß, aaO 81 ff; Rudolf Hrbek, Der Ausschuß, aaO 466 f, 473 f.
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ebenso wenig wie die dem jeweiligen österreichischen Delegationsleiter zukommende Funktion eines „Vizepräsidenten“ des Ausschusses. In Italien stehen von den diesem Mitgliedstaat zustehenden 24 Sitzen, fünf den Regionen mit Sonderstatut, sieben jenen mit Normalstatut, fünf den Provinzen und sieben den Gemeinden zu.656 Hervorzuheben ist, dass dem Land Südtirol einer der Sitze der Provinzen durch ein eigenes Dekret des Ministerpräsidenten (vom 24. 9. 1993) rechtmäßig vorbehalten ist, während für Trient keine derartige Sonderregelung besteht. f) Die „Verbindungsbüros“ der Regionen Da der Ausschuss der Regionen aus den angeführten Gründen keine wirksame, sondern bestenfalls eine symbolische organisatorische Repräsentation der Länder/Regionen im Primärrecht der EU gewährleistet, unterhalten die meisten Länder und Regionen informelle Interessenvertretungen in Form von Verbindungsbüros bei den Organen der EU in Brüssel.657 Auf die Besonderheit der gemeinsamen Vertretung der Länder Tirol, Südtirol und Trient durch das Verbindungsbüro der „Europaregion“ wurde bereits oben hingewiesen.658 Diese Verbindungsbüros entfalten – ohne diplomatischen oder „offiziellen“ Vertretungsstatuts – folgende wichtige Aufgaben: •
Aufbau und Pflege eines Netzwerks von Kontakten zu wichtigen Personen in EU-Institutionen, Vertretungen anderer Mitgliedstaaten, Parlamentariern etc,
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Beschaffung und umgehende Weitergabe von wichtigen Informationen über europäische Vorhaben und Entwicklungen,
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Vertretung spezifischer Landesinteressen durch gezielte Einflussnahme bei europäischen Institutionen und Entscheidungsträgern,
•
Herstellung von Querverbindungen zu Einrichtungen und Organisationen mit gemeinsamen Interessen,
•
sowie die flankierende Förderung der Anliegen des Landes durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Positionierung des Verbindungsbüros als Serviceeinrichtung für Unternehmen und Einzelpersonen (Hilfestellung im Kontakt zu EU-Institutionen).
Dabei lässt sich naturgemäß schwer abschätzen, in welchem Ausmaß es diesen regionalen Interessenvertretungen, die natürlich im Wettbewerb mit den mindestens ebenso intensiven Lobbying-Aktivitäten einer großen Zahl 656 657
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Dekret des Ministerpräsidenten vom 6. 8. 1993, Art 1. Vgl dazu Thomas Fischer, Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union (1997) 95 ff; Josef Unterlechner, Die Mitwirkung der Länder am EU-Willensbildungsprozess (1997) 85 ff; Fritz Staudigl, Die Rolle der Regionen aus der Perspektive (erfolgreichen) Lobbyings, in: Simon Laimer (Hg), Euregio – quo vadis (2006). Siehe dazu V. 5. e („Politische und funktionale Zusammenarbeit“).
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sonstiger Interessensvereinigungen stehen und gewissermaßen in „Konkurrenz“ zu den offiziellen Einflusskanälen auf politischer Ebene (Ständige Vertretung, COREPER, Ratsarbeitsgruppen, Ministerielle Kontakte) treten, tatsächlich gelingt, substantiellen Einfluss auf Entscheidungsprozesse zu gewinnen.659 g) Hauptprobleme des „Europäischen Föderalismus“ Die bisher beschriebenen Ansätze einer aktiven Beteiligung der Regionen (Gliedstaaten) an der europäischen Integration dürfen jedoch nicht überbewertet werden. Ihnen wirken nicht nur die ungebrochenen Kräfte des Eurozentralismus entgegen, sondern auch innere strukturelle Schwierigkeiten des Euroregionalismus selbst, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll. Die meisten Staaten Europas sind Einheitsstaaten, für die Föderalismus – wenigstens bis jetzt noch – eine verfassungswidrige und darüber hinaus auch politisch schlechte und unannehmbare Struktur bedeutet, die Partikularismus und Separatismus indiziert.660 Sie können Regionalismus nur unter der Bedingung nationaler Souveränität und „Kohäsion“ akzeptieren. Diese Staatengruppe verhinderte die Aufnahme des „föderalistischen Prinzips“ in den Vertrag von Maastricht (1993) und würde jede Entwicklung der Union in diese Richtung ebenso erfolgreich blockieren. Die im vorigen Punkt beschriebenen (geringen) Ansätze einer „Regionalisierung“ der Organisation und der Funktionen der EU werden dadurch praktisch in ihrer Wirksamkeit behindert, dass die europäischen Regionen teilweise ganz unterschiedliche Strukturen aufweisen und in manchen Mitgliedsstaaten überhaupt fehlen.661 Die Politik der Mitgliedsstaaten in der eigentlichen Willensbildung der EG (vor allem im Rat) muss also zT wenig, zT überhaupt nicht auf regionale Interessen Bedacht nehmen, was deren Durchsetzbarkeit und das politische Gewicht des Ausschusses der Regionen erheblich beeinträchtigt. Auch für die (unabhängige) Europäische Kommission und das Europäische Parlament liegen Interessen einzelner Regionen im Allgemeinen noch ferner als nationale Standpunkte. Die dritte „antiföderalistische“ Grundtendenz der europäischen Integration (vor allem im Sinne der an ihr teilnehmenden Bundesstaaten) ist die organisatorische Verknüpfung von Regionen (Gliedstaaten) und lokalen Gebietskör-
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Vgl dazu die überaus positive Analyse bei Fritz Staudigl, Die Rolle der Regionen, aaO. Georg Lienbacher, Regionalisation in der EU, in: Gerhard Strejcek/Michael Theil (Hg) Regionalisation in Österreich und in Europa (1996) 48 ff. René Frey, Regionalismus in der EU: politische Chancen und Hindernisse, in: Gerhard Strejcek/Michael Theil (Hg), Regionalisation, aaO 28 ff.
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perschaften zu gemeinsamen Organen.662 Dadurch werden nicht nur zwei unterschiedliche politische Phänomene und Bewegungen – Regionalismus/Föderalismus einerseits und Lokalismus andererseits663 – gleichgeschaltet, sondern auch die Bedeutung der so zusammengesetzten Organe praktisch reduziert: Nach allen Theorien und Erfahrungen des kollektiven Handelns ist die Willensbildung in einem so zusammengesetzten Organ durch die fehlende Homogenität und die internen Interessengegensätze erschwert; es lassen sich nur verdünnte Kompromisse durchsetzen; die notwendige Allianzbildung wird außerordentlich kompliziert. Ein politisches Gegengewicht gegen die innere Homogenität der Ratsmitglieder als (prinzipiell noch souveräne) Staatenvertreter kann ein solches Organ schon strukturell sehr schwer werden. Andererseits muss man die Realität der europäischen Staatenwelt zur Kenntnis nehmen: Vielfach, insbesondere in den skandinavischen Ländern, in Großbritannien, in Holland und in den 10 neuen Mitgliedsstaaten von 2003, ist die Lokalverwaltung die gewichtigste Form der inneren Dezentralisation der Staaten; jede andere Lösung des Organisationsproblems auf europäischer Ebene wäre daher gegenwärtig ebenso problematisch wie die Koppelung von Regionen und Lokalverwaltungen. Im Ergebnis konnte daher der „Europäische Föderalismus“ in seinen bescheidenen primärrechtlichen Ansätzen weder die rechtliche noch die politische Mediatisierung der Länder/Regionen gegenüber der EU als völkerrechtlicher Staatenverbund wirkungsvoll aufheben oder auch nur abmildern. Wohl aber scheint es den Ländern und höher entwickelten Regionen zu gelingen, ihre Interessen auf außerrechtlichen Wegen und in Kooperation mit Organen der EU und der Mitgliedstaten geltend zu machen.664 In der der Umsetzung von EU-Programmen und EU-Rechtsnormen im innerstaatlichen Bereich sind die Länder und Regionen zu wichtigen Partnern und Institutionen der “funktionellen Legitimation“ der EU geworden. Allerdings handelt es sich dabei um – zum Teil neuartige – Erscheinungsformen eines reinen „Vollzugsföderalismus“,665 der wenig zur Autonomie und regionalen Identität der Länder als europäische „Erfüllungsgehilfen“ beiträgt. Das Verhalten der Länder/Regionen bestimmt sich in diesem Vollzugssystem nach dem theoretischen Ansatz des Prinzipal-Agent-Modelles: Der „Prinzipal“ EU veranlasst die „Agenten“ Län-
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Vgl dazu die Zusammensetzung des Ausschusses der Regionen gemäß Art 263 EGV (siehe oben Punkt e) und des „Kongresses der Gemeinden und Regionen“ im Europarat. Vgl dazu Peter Häberle, Der Regionalismus, aaO 35. Vgl dazu Peter Bußjäger, Die österreichischen Länder und die EU – eine Bilanz in: Peter Bußjäger/Andreas Rosner, Mitwirken und Gestalten, aaO 7 ff; Roberto Scarciglia, Unione europea e autonomie regionali. Prospettive per una Costituzione Europea (2003). Siehe oben, IX. 1. d.
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der und Regionen im Rahmen ihrer eigenen Zielvorstellungen die Ziele des Prinzipals mitzuverfolgen.666
6. Perspektiven der Entwicklung in Europa a) Die notwendige Doppelbewegung der Reform Angesichts der dargestellten Probleme des Euroregionalismus ist eine Entwicklung der EU in Richtung eines „europäischen Föderalismus“ mehrerer Ebenen nur in einer typischen Doppelbewegung der Strukturen „von unten“ und „von oben“ her denkbar: Einerseits können und werden sich die Autonomien föderalistischer und regionalistischer Systeme einander in staatsrechtlicher Perspektive annähern;667 andererseits dürfte der supranationale Konföderalismus immer mehr Züge eines föderalistischen Systems annehmen, ohne zu einem „Bundesstaat“ zu werden. Beide Entwicklungen müssen freilich von der heutigen rechtlichen Realität eines doppelten Antagonismus der zu integrierenden Systeme in Europa ausgehen: Dem grundlegenden verfassungsrechtlichen Unterschied zwischen Einheitsstaaten und Bundesstaaten668 und einer „föderalismusblinden“ Völkerrechtsordnung,669 auf der das Primärrecht der EU bis heute beruht. Diese Antagonismen sind indessen nicht absolut und könnten nach meiner Grundvorstellung in einem staatenübergreifenden System des „differenzierten (asym-
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Peter Pernthaler, Österreichische Finanzverfassung (1984) 44 (mit Hinweisen). Dieser Prozess, der durch die grenzregionale und europäische Zusammenarbeit von Gliedstaaten und Regionen, aber auch durch nationale Verfassungsentwicklung (besonders deutlich in Spanien, Italien und Großbritannien) in Gang gehalten wird, soll im Idealfall in Richtung eines „föderalistischen Standards“ von Gliedstaaten und Regionen verlaufen; vgl dazu die folgenden Ausführungen im Text sowie die Hinweise unten Punkt I. 2. b) dieser Untersuchung; im selben Sinne Peter Häberle, Der Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtliche Maxime, AÖR 1993, 1 ff (16 f). Ich halte – wie die eingangs (I. 2. b) dargestellte Begriffsbestimmung deutlich macht – in Übereinstimmung mit der internationalen Föderalismustheorie an dieser Unterscheidung fest; anders die von der „Reinen Rechtslehre“ geprägte österreichische Linie der Bundesstaatstheorie, welche keinen Unterschied zwischen dezentralisierten Einheitsstaaten und Bundesstaaten kennt; vgl dazu Friedrich Koja, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, in: Ernst Hellbling/Theo Mayer-Maly/Herbert Miehsler (Hg), Theorie und Praxis des Bundesstaates (1974) 61 ff und Rudolf Thienel, Ein „komplexer“ oder ein normativer Bundesstaatsbegriff, ÖZÖR 42 (1991) 215 ff. Walter Rudolf, Bundesstaat und Völkerrecht, ArchVR 27 (1989) 1 ff; Waldemar Hummer, Subsidiarität und Föderalismus als Strukturprinzipien der Europäischen Gemeinschaften?, ZfRV 1992, 81 ff; Michael Schweitzer, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, VVDStRL 53 (1994) 48 ff (56 f).
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metrischen) Föderalismus“670 schrittweise abgebaut werden. Dies müsste in einer rechtlichen Doppelbewegung „von unten“ und „von oben“, staatsrechtlich und europarechtlich, verwirklicht werden. b) Verfassungsrechtliche Reform auf staatlicher Ebene Nach einem schon weitgehend vorhandenen Standard „europäischen Verfassungsrechts“ sollten Regionen und höherrangige Lokalverwaltungen, welche dieselben Funktionen ausüben, in den jeweiligen staatsrechtlichen Systemen der Mitgliedsstaaten der EU einem homogenen Grundmodell der Autonomie entsprechen.671 Dieses setzt jedenfalls ein eigenes politisches (Demokratie-) System voraus, das den eingangs dargelegten Strukturen des modernen kooperativen Föderalismus entspricht und vor allem partizipativ in das nationalstaatliche politische System integriert ist. Viele höherentwickelte Regionalismen Europas, insbesondere in Spanien und Italien, sind auf diesem Weg schon sehr weit fortgeschritten. Im Hinblick auf die Kompetenzzuweisung an die Autonomien kann und soll Einheitlichkeit in Europa nicht erzielt werden:672 Regionen mit eigenen Volksgruppen, Nationalitäten oder Sprachminderheiten brauchen andere Zuständigkeiten als territoriale Untergliederungen eines insofern homogenen Staatsvolkes. Je nach der (eigenen) Formulierung ihrer Identität werden diese eher kulturelle, wirtschafts- und sozialpolitische, raumordnerische oder ökologische Befugnisse für ihre Selbständigkeit als wesentlich erachten. In vielen modernen Verwaltungsbereichen wird es Gemeinschaftsaufgaben mit höheren Ebenen und ein Nebeneinander von regionalen und überregionalen Zuständigkeiten geben müssen; daher sind die oben angesprochenen Kooperationsund Partizipationsrechte der Regionen so wichtig. Zwar braucht jede Autonomie eigene Rechtsetzungsbefugnisse; in den Rechtsformen kann es hier aber wiederum Unterschiede geben, die den traditionellen Widerständen der Einheitsstaaten gegen regionale (oder gar lokale)
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Peter Pernthaler, Der differenzierte Bundesstaat (1992) 78; der Ausdruck „asymmetrischer Föderalismus“ ist im romanischen Sprachgebrauch üblich – vgl dazu die Sondernummer 47 (II) 1997 der Rivista Vasca de Administracion Publica, die als „Monográfico sobre Symetria y Asymetria en el estado de las Autonomias“ erschien; ferner Francesco Palermo, Federalismo asimmetrico e reforma della costituzione italiana, Le regioni XXV (1997) 291 ff. Dies ist auch die Grundvorstellung von Peter Häberle, Der Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtliche Maxime, AÖR 1993, 1 ff (16 f). Es sollte vielmehr – nach dem Muster der Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung (BGBl 1988/357) – ein „Menü an regionalen Autonomieelementen“ geschaffen werden, aus dem die Staaten nach ihren historischen und nationalen Sonderentwicklungen die für sie passenden Elemente übernehmen können; so schon Peter Pernthaler, Föderale Perspektiven als Begrenzung von Eurozentralismus, DIF-Mitteilungen 4 (1994) 6 ff.
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Gesetzgebung Rechnung tragen und einen schrittweisen Übergang der Gesetzgebung ermöglichen.673 Dasselbe gilt von den „Außenbeziehungen“ der Regionen: Auch hier ist eine unterschiedliche und schrittweise Entwicklung – ausgehend von der Madrider Rahmenkonvention,674 allenfalls auch vom „Europäischen Verbund für grenzüberschreitende Zusammenarbeit“675 – durchaus denkbar. Als erste Schritte in diese Richtung wären die Intensivierung und rechtliche Strukturierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Grenzregionen – auch mit Hilfe des Europarates und der EU – zu entwickeln. Freilich setzt auch dieser Prozess bereits eine größere staatsrechtliche Homogenisierung der beteiligten Regionen und den Abbau nationalstaatlicher „Souveränitätsvorbehalte“, aber auch regionalen Konkurrenzdenkens, zugunsten gemeinsamer Zielsetzungen voraus.676 Alle höherentwickelten Regionen müssen aber auch die (verfassungs- und europarechtliche) Fähigkeit erhalten, in unmittelbare Beziehungen zur Europäischen Integration – Europarat und EU – zu treten, soweit ihre eigenen Angelegenheiten davon betroffen werden. Ansatzweise ist dies – wie oben angeführt – bereits jetzt in einzelnen nationalstaatlichen Verfassungen und der Praxis bzw Organisation von Europarat und EU verwirklicht. Diese Ansätze müssen aber – als Alternative zu Eurozentralismus und Europrovinzialismus – in Richtung eines mehrgliedrigen europäischen Föderalismus677 ausgebaut wer-
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Eigene Gesetzgebungsbefugnisse haben in Europa – außer den Gliedstaaten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz – nur die Regionen Belgiens, Spaniens, Italiens (vor allem die mit Spezialstatut), Schottland und die autonomen Inseln der Kanaren (Spanien), Madeira und Azoren (Portugal) sowie Åland (Finnland); vgl zu diesem wesentlichen Unterscheidungsmerkmal regionaler Identität: Anna Gamper, Die Regionen mit Gesetzgebungshoheit (2004) 87 ff. Die Madrider Rahmenkonvention wurde in Österreich in BGBl 1983/52 publiziert; das Zusatzprotokoll, das bereits seit 1995 zur Unterzeichnung aufliegt, ist von Österreich bis heute nicht ratifiziert worden; vgl dazu Renate Kicker, Eine Beurteilung aus völkerrechtlicher Sicht, in: Peter Pernthaler/Sergio Ortino (Hg), Europaregion Tirol – Euregio Tirolo (1997) 71 ff (75f) und den Text des Zusatzprotokolls, ebenda 271 ff. Siehe dazu den Entwurf einer Verordnung der Europäischen Kommission, KOM (2004) 496. Paradigmatisch für die Initiativen, aber auch die Widerstände und Rückschläge in diesem Prozess scheint mir die Entwicklung der „Europaregion Tirol-SüdtirolTrentino“ zu sein; siehe die Ausführungen unter V. 5 und VII. 3. Modell hierfür könnte einerseits die theoretische Konstruktion Kelsens, Die staatsrechtliche Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, ZÖR 6 (1927) 329 ff; sein; andererseits sollten auch praktisch die Ansätze eines „DreiEbenen-Föderalismus“ im Finanzausgleich oder im Konsultationsmechanismus bzw Stabilitätspakt Österreichs beachtet werden, wo Bund, Länder und Gemeinden prinzipiell koordinativ zusammenwirken; vgl dazu Peter Pernthaler, Österreichische Finanzverfassung (1984) 119 f; derselbe, Bundesstaatsrecht, aaO 418 ff; Johannes Hengstschläger, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, in: Herbert Schambeck (Hg), Bundesstaat und Bundesrat in Österreich (1997) 181 ff (196 ff).
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den, je weiter die Homogenisierung der Regionen und die Ausdehnung der Zuständigkeitsbereiche der EU voranschreiten. c) Europarechtliche Organisations- und Demokratiereform Darin liegt die zweite der oben angesprochenen Bewegungen, nämlich die Entwicklung des europäischen Konföderalismus („von oben“) in Richtung eines „europäischen Föderalismus“ neuer Art: Je weiter und je intensiver die europäische Rechtsordnung, Planung und Politik in Richtung der Erfüllung traditioneller Staatsaufgaben und Staatsfunktionen fortschreiten, desto mehr dringen sie in das – föderalistisch/regionalistisch gegliederte – Innere der Staaten ein und müssen demgemäß ihre traditionelle „Föderalismusblindheit“ überwinden oder aber – wie bisher – noch weiter zentralisierend wirken. Die Rechtswirkungen des Europarechtes werden – im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten – schon heute mit bundesstaatlichen Funktionen verglichen,678 ohne dass freilich die EU ein „Staat“ wäre. Das bedeutet aber – vom Inneren der Bundesstaaten und Regionalstaaten her gesehen –, dass ein mehrgliedriges Föderalismus-/Regionalismussystem entsteht, dessen oberste Ebene teilweise in unmittelbaren, teilweise in mittelbaren Rechtsbeziehungen zur Gliedstaats(Regions-)ebene steht. Für die Beziehungen der europäischen Politik und Administration zu den gliedstaatlichen/regionalen Politik- und Verwaltungssystemen gilt dasselbe. Nach den immanenten Bewegungsgesetzen des Föderalismus679 leiten sich daraus Kooperations- und Partizipationsforderungen der „unteren Ebenen“ ab, denen sich die Entwicklung der EU auf Dauer nicht wird widersetzen können, wenn die Regionen/Gliedstaaten entsprechend den hier aufgezeigten Entwicklungsmöglichkeiten ihre rechtliche Struktur und ihr politisches und ökonomisches Gewicht in Europa weiter verstärken und koordinieren. Die eigenberechtigte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung der EU würde ihre derzeitige – überwiegend passive – Rolle im Rahmen des „europäischen Vollzugsföderalismus“ im Sinne des heutigen europäischen Standards an Demokratie und Selbstbestimmung680 in eine partnerschaftliche Funktion der selbstverantwortlichen Aufgabenerfüllung verwandeln. Autonomie ohne Mitbestimmung in den übergeordneten Ebenen ist in einem System des kooperativen Aufgabenverbundes – wie es die EU darstellt – undemokratisch, aber auch ineffizient. Schon jetzt sind die Länder/Regionen zu wichtigen Partnern der Umsetzung von EU-Programmen und EU-Recht gewor678
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Theo Öhlinger, Unmittelbare Geltung und Vorrang des Gemeinschaftsrechts und die Auswirkungen auf das verfassungsrechtliche Rechtsschutzsystem, FS Rill (1995) 359 ff (361): „Gemeinschaftsrecht gilt in den Mitgliedstaaten nicht anders als Bundesrecht in den Teilstaaten (Ländern) eines Bundes gilt“. Vgl dazu Peter Pernthaler, Konföderalismus, aaO 48 f und 63 f. Vgl dazu sogar die heutige Position der Katholischen Kirche, in „Gaudium et spes“ – Pastoralkonstitution des Zeiten Vatikanischen Konzils 1965, Kapitel „Die Mitarbeit aller am öffentlichen Leben“; Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre (19861) 224 f.
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den; ihre längst fällige aktive Einbindung in den Willensbildungsprozess der EU würde dieser jenen Schub an Bürgernähe und zusätzlicher demokratischer Legitimation verschaffen, den die Organisation gerade in ihrer gegenwärtigen krisenhaften Situation so dingend benötigt. d) Neuer ökonomischer Föderalismus in der Globalisierung Dies führt zu einem letzten regionalen Trend, der noch über die Entwicklung Europas hinausweist. Der Konkurrenzdruck des sich aus dem Nationalstaat emanzipierenden gemeinsamen Marktes und seiner Erweiterung in der Globalisierung führt nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer deutlich wahrnehmbaren Stärkung hochentwickelter föderalistischer und regionalistischer Untergliederungen.681 Die Probleme der ökonomischen und sozialen Strukturänderungen europäischer und globaler Entwicklungen des „freien Marktes“ äußern sich nicht nur in den statistischen Zahlen und Entwicklungstrends von Großräumen, sondern menschlich, ökologisch und gesellschaftlich sehr konkret „vor Ort“, in lokalen und regionalen Einheiten. Sie sind auch nicht mehr durch großräumige Planungen und Maßnahmen allein lösbar, sondern verlangen auch regionales und lokales Krisen- und Ordnungsmanagement neuen Stils, das allerdings im föderalistischen Verbund mit höheren Ebenen der Aufgabenbewältigung, aber eben eigenverantwortlich und initiativ handeln muss.682 Wenn die Bürger diese spezifische Leistungsfähigkeit ihrer Region in den europäischen und globalen Prozessen erkennen, werden sie sich nationalstaatlicher und eurokratischer Zentralisierung widersetzen und die Ziele einer konsequent föderalistischen Entwicklung der europäischen Integration als „ihre Politik“ zu formulieren und durchzusetzen trachten.
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So im Prinzip auch Stefan Wally/Martin Panosch, Europäischer Regionalismus, JRP 5 (1997) 190, 192 f; Sylvia Pintarits, Macht, Demokratie und Regionen in Europa: Analysen und Szenarien der Integration und Desintegration (1996) insbesondere 225 ff; Sergio Ortino, La sfida federalista nell’ era della globalizazione, Studi parlamentari e di politica costituzionale 29 (1998) 53 ff; Peter Pernthaler, Die Globalisierung als Herausforderung an eine moderne Staatslehre, FS Koja (1998) 69 ff (71, 79) ua. Hervorragend analysiert diese Tendenzen Klaus Firlei, Föderalismus und Integration, in: Zukunfts- und Kulturwerkstätte (Hg), Designing Europa (1994) 125 ff; derselbe, Landesverfassungsreform in einem turbulenten Umfeld, in: Peter Pernthaler (Hg), Bundesstaatsreform als Instrument der Verwaltungsreform und des europäischen Föderalismus (1997) 84 ff; vgl dazu auch Peter Pernthaler, EU-Mitgliedschaft, Bundesstaatsreform und Verwaltungsentlastung, ZÖR 53 (1998) 19 f; Jürgen Franke, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft (1989); Peter Pernthaler/Barbara Prantl, Raumordnung in der europäischen Integration. Rechtliche und rechtspolitische Auswirkungen des EG-Rechts und der EG-Planungen auf die österreichische Raumordnung und ihre Organisation (1994) 314 ff; Markus Ott, Regionalmarketing, und Gerhard Strejcek, Reform der österreichischen Regionalpolitik, beide in: Gerhard Strejcek/Michael Theil (Hg), Regionalisation in Österreich und Europa (1996) 68 ff und 86 ff.
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Entwicklung neuer politischer Werte und Ziele regionaler Identität
7. Entwicklung neuer politischer Werte und Ziele regionaler Identität Die Entwicklung der europäischen Integration ist – wie in den vorigen Punkten dargestellt wurde – offen und unvorhersehbar in ihren Auswirkungen auf die regionale Identität. Da die europäische Entwicklung vom Land nur mittelbar und in sehr begrenztem Maße beeinflusst werden kann, bleiben autonome Prozesse der Selbstfindung und Selbstgestaltung für die notwendige Entwicklung der Eigenständigkeit in einer überaus dynamischen Umwelt besonders wichtig. Einer rein historischen Ausrichtung an überkommenen Faktoren der Identität sollte daher im Bündel an aktuellen politischen Werten und Zielen der Landespolitik gegenüber gestellt werden, die den Bürgern des Landes die Wichtigkeit seiner Autonomie und Eigenständigkeit für die heutige Lebenssituation der hier beheimateten Menschen nahebringen können. a) Das neue Heimatbewusstsein Am wichtigsten scheint mir in diesem Zusammenhang die Entwicklung eines neuen Heimatbewusstseins als Antwort auf die wirtschaftlichen Entwicklungen des europäischen Marktes und der Globalisierung. In diesem Zusammenhang spielt auch die Wiederentdeckung der Landschaft und der Ökologie als Grund für die politische Identität der hier lebenden Menschen eine bedeutende Rolle. Die Mechanismen dieses neuen Prozesses der politischen Selbstfindung des Landes zeigten sich besonders deutlich im Zusammenhang mit dem Transitproblem: Ausgehend von landesweiten Bürgeraktionen (zB „Transitforum“)683 kam es in Nordtirol zu zahlreichen Resolutionen des Landtages, Einflüssen auf die Bundespolitik und Protestbewegungen. Ein verspotteter, aber meines Erachtens wichtiger Ansatz stellt in diesem Zusammenhang die ökologische Bildungsinitiative der Südtiroler Schützen dar. b) Sicherung des Lebensraumes durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit Im Zusammenhang mit den neuen ökologischen Bedrohungen des Lebensraumes in den Alpen und der Notwendigkeit einer, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaftsform in der sensiblen Gebirgslandschaft, arbeiten die Landesteile Nord- und Südtirol intensiv zusammen. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang scheint mir die selbständige und koordinierte Umsetzung der Alpenkonvention durch die Landesteile.684 683
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In der Tiroler Sammelbewegung „Transitforum Austria-Tirol“ sind – neben anderen Organisationen – auch die Bürgermeister sämtlicher betroffener Anrainergemeinden (über 50) des Inn-, Eisack-, Puster- und Wipptales vertreten. Eine durchgängige Beeinflussung der Landespolitik blieb dem Transitforum versagt; es bleibt daher auf kritischer Distanz zum Repräsentationssystem. Vgl dazu die vom Ständigen Sekretariat der Alpenkonvention (Innsbruck-Bozen) herausgegebenen Publikationen, insbesondere: Das Mehrjährige Arbeitsprogramm
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Neben dieser ökologischen Zusammenarbeit sollte aber auch die kulturelle Selbständigkeit und die Gemeinsamkeit des historischen Kulturraumes verstärkt grenzüberschreitend intensiviert werden.685 c) Vorbildwirkung des „Modells Südtirol“ Einen Ansatz der Wiederbelebung der historischen, multikulturellen Identität des ganzen Tirols sehe ich aber auch in der Dynamik der Autonomie Südtirols als Modell eines im Ganzen gesehen erfolgreichen regionalen Nationalitätsund Minderheitenschutzes. Man müsste in diesem Zusammenhang auch von Seiten Nordtirols gründlichere Kenntnisse und ein neues Verständnis für das Zusammenleben der deutschsprachigen Volksgruppe mit den ladinischen und italienischsprachigen Sprachgruppen in dem besonderen politischen und rechtlichen Autonomiesystem des Landes als eine Grundlage der Gesamttiroler Identität finden. Auch die systematische Unterstützung des Nationalitäten- und Minderheitenschutzes in Europa – wie sie Österreich schon gegenwärtig betreibt – sollte stärker als bisher in den Dienst der politischen Selbstfindung der Regionalautonomien im Allgemeinen und Tirols im Besonderen gestellt werden. d) Entwicklung einer „Tiroler Regionalgemeinschaft“ Das in dieser Untersuchung dargestellte Schicksal der „Europaregion Tirol“686 sollte eine Warnung davor sein, die Integration, des „ganzen Landes“ auf nicht mehr aktuellen historischen Voraussetzungen und verfehlten Ansätzen rechtlicher Modelle neu begründen zu wollen. Nach den Ergebnissen der vorliegenden Studie kann nur eine, auf der Autonomie der Landesteile aufbauende und in die europäische Integration verankerte Reformbewegung auf nationaler und europäischer Ebene687 eine neue zukunftsoffene Identität des „ganzen Landes“ begründen. Das dafür maßgebende Reformkonzept wird im folgenden Abschnitt entwickelt.688
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2005–2010; Alpenkonvention konkret. Ziele und Umsetzung (Alpensignale 2); Grenzübergreifender ökologischer Verbund. Netzwerk Alpiner Schutzgebiete (Alpensignale 3); sowie: Österreichischer Alpenverein (Hg), Die Alpenkonvention – Markierungen für ihre Umsetzung. Alpine Raumordnung Nr 24 (2004). Vgl dazu: Lebensministerium/Österreich (Hg), Sozioökonomische Dimension der Alpenkonvention unter besonderer Berücksichtigung der Alpenstädte (2005) mit Beiträgen von Ettore Bonazza, Werner Bätzig ua zum Thema „Bevölkerung und Kultur“. Siehe dazu oben V. 5 und VII. 3. Siehe dazu die Ausführungen unter Punkt 6 dieses Abschnittes. Zum ersten Mal vorgestellt wurde dieses Konzept in: Südtiroler Schützenbund (Hg), Sigmundskron. Demonstration für Selbstbestimmung (1997) 35 ff.
X. Europäische Regionalgemeinschaft Tirol: Ein neues europapolitisches Konzept für den Ausbau der Autonomie und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Landesteile Die fortschreitende Integration der beiden Nationalstaaten Österreich und Italien in die Europäischen Union und der damit verbundene Abbau der nationalstaatlichen Souveränität machen ein neues Konzept der Autonomie und Selbstbestimmung des Tiroler Volkes im Rahmen des Europas von morgen notwendig. Nicht mehr die rückwärts gewendete territoriale Veränderung der Nationalstaatlichkeit mit ihren unantastbaren Grenzen und völkerrechtlichen Souveränitätsansprüchen, sondern die Entwicklung einer interregionalen ,,europäischen Gemeinschaft“ im kleinen auf der Basis ausreichender regionaler Autonomie muss das neue Ziel der Tiroler Politik beider Landesteile werden. Das hier vorgestellte Konzept unterscheidet sich von dem verbreiteten politischen Schlagwort ,,Europa-Region Tirol“ deutlich, weil es nicht auf den bestehenden, teilweise unzureichenden und sehr unterschiedlichen Autonomien des Bundeslandes Tirol und der Autonomen Provinz Bozen (Südtirol) aufbaut, sondern diese dynamisch weiterentwickeln will. Auch soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eng in die europäische Integration eingebaut werden, sodass das Endziel der Entwicklung ein europarechtliches Statut689 der neuen Regionalgemeinschaft ist, das beispielgebend für zahlreiche ähnliche Fälle grenzüberschreitender Integration auf regionaler Ebene in Europa sein könnte.
1. Begriff und Merkmale der Europäischen Regionalgemeinschaft im Allgemeinen Die ,,Europäische Regionalgemeinschaft“ ist bis jetzt kein Rechtsbegriff, sondern eine regionalpolitische Konzeption. Diese politische Zielvorstellung baut auf dem Begriff ,,Region“ im wissenschaftlichen und politischen Sprachgebrauch Europas auf, der ansatzweise auch schon im Europarecht verankert 689
Vgl dazu den Vorschlag der Kommission der EU für eine Verordnung bezüglich der Schaffung eines europäischen Verbundes für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, KOM (2004) 496.
Europäische Regionalgemeinschaft Tirol
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ist. In diesem Sinne ist eine ,,Region“ gekennzeichnet durch folgende Merkmale:690 •
Geographische Einheit oder ein Komplex von Gebieten, die ein in sich geschlossenes Gefüge darstellen;
•
eine Bevölkerung, die durch gewisse gemeinsame Elemente gekennzeichnet ist;
•
diese ,,gemeinsamen Elemente“ sind vor allem Sprache, Kultur, geschichtliche Tradition, Interessen der Wirtschaft und des Verkehrswesens;
•
politischer Wille, diese ,,Eigenheiten“ der Region zu bewahren und weiterzuentwickeln, um den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt der Bevölkerung zu gewährleisten;
•
rechtliche Einrichtung der Region; sie erfolgt durch internes Staatsrecht, in der Regel auf der Stufe der Verfassung. Europarechtliche Vorschriften bauen auf der nationalen rechtlichen Verankerung der Regionen auf.
Eine Europäische Regionalgemeinschaft ist eine „grenzüberschreitende Region“691, auf die alle angeführten Merkmale der „Region“ zutreffen bis auf die rechtliche Einrichtung. Diese kann nicht einseitig durch Staatsrecht erfolgen sondern nur durch eine Kombination nationaler und internationaler Rechtsakte, auf deren Eigenart im Folgenden näher einzugehen ist.
2. Konstituierende Elemente der Regionalgemeinschaft Tirol Die Europäische Regionalgemeinschaft ist zunächst ein (regionaler) Zusammenschluss der bestehenden „Regionen“ Tirol (Nord- und Osttirol) und Südtirol; eine darauf abgestimmte enge regionalpolitische Zusammenarbeit mit der Autonomen Provinz Trentino ist vorzusehen. Die europäische Integration ist der gemeinsame Rahmen und „Entwicklungsschub“ der Europäischen Regionalgemeinschaft. Der Bestand und die Entwicklung der Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol ist also rechtlich und politisch abhängig von drei Voraussetzungen: •
690
691
einer ausreichenden Autonomie der konstituierenden Regionen in den beiden Nationalstaaten Österreich und Italien;
Gemeinschaftscharta der Regionalisierung des Europäischen Parlaments vom 18. 11. 1988; vgl dazu die Konkretisierung dieser Merkmale für Tirol, oben I. 1. a dieser Untersuchung. Zur (planungswissenschaftlichen) Typologie und den Funktionen grenzüberschreitender Regionen vgl die Studie der ÖROK (Hg), Europaregionen – Herausforderungen, Ziele, Kooperationsformen. Schriftenreihe der ÖROK Bd 169 (2005) 19 ff und 93 ff.
188
Zielvorstellungen für die österreichische und italienische Politik
•
den besonderen Rechtsbeziehungen und gemeinsamen organisatorischen Einrichtungen zwischen den konstituierenden Regionen;
•
dem kontinuierlichen Integrationsprozess der beiden Nationalstaaten Österreich und Italien in den Rechts- und Organisationsformen der europäischen Integration, insbesondere im Rahmen der Europäischen Union und des Europarates.692
Da eine Europäische Regionalgemeinschaft – als Region zweiter Stufe – nur aus der Kombination dieser drei Elemente entstehen kann, ist auf den Gleichklang (die „Konzertierung“) der Entwicklung in der Autonomie, in den Rechts- und Organisationsbeziehungen und in der europäischen Integration der beiden Landesteile (in Kooperation mit dem Trentino) zu achten. a) Autonomie nach dem Modell „Regionsstaat“ Der Kern und wichtigste Teil aller drei Elemente der Europäischen Regionalgemeinschaft ist die Autonomie der Landesteile, die auf dem Selbstbestimmungsrecht des Tiroler Volkes in den Landesteilen beruht693 und in den Staatsverfassungen Österreichs und Italiens nach dem Modell eines ,,Regionsstaates“ zu entwickeln ist. Als „Regionsstaat“ bezeichne ich eine autonome Region (innerhalb des Nationalstaates), deren Kompetenzen nach dem Grundsatz der regionalen Allzuständigkeit in allen öffentlichen Angelegenheiten in einem bestimmten Territorium ausgestaltet sind.694 Die zentralstaatlichen Aufgaben müssten dabei ausdrücklich nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgezählt und beschränkt sein. Weitere wichtige Elemente der Regionsstaatlichkeit sind die Verfassungsautonomie, finanzielle Selbständigkeit und wirksame Kooperation mit dem Zentralstaat. Alle diese Elemente sind gegenwärtig – wie die vorliegende Untersuchung aufgezeigt hat – sowohl im Bundesland Tirol als auch in der autonomen Provinz Bozen-Südtirol entsprechend einem „föderalistischen Standard“ ansatzweise rechtlich und politisch verwirklicht.695 Sie bedürfen jedoch in beiden Landesteilen eines systematischen Ausbaues, um dem Modell “Regionsstaat” zu entsprechen und damit als Grundlage für die “Regionalgemeinschaft Tirol” fungieren zu können. Im Bundesland Tirol ist vor allem die verfassungsmäßige 692
693 694
695
Die verstärkte Einbeziehung der Integration durch den Europarat ist für das vorliegende Konzept deshalb wichtig, weil die regionale und lokale Ebene in der Organisation, den Funktionen und dem Recht des Europarates gegenwärtig noch ein weit größeres Gewicht hat als im Rahmen der EU. Siehe dazu die Ausführung oben VI. 4–7. Zur kompetenztheoretischen Bedeutung der Allgemeinzuständigkeit der Länder vgl Peter Pernthaler, Kompetenzverteilung in der Krise (1989) 43 ff und 132 ff; Anna Gamper, Die Regionen, aaO 102 ff. Vgl dazu die Ausführungen unter III (Selbständigkeit des Bundeslandes Tirol) und IV (Die Autonomie Südtirols).
Europäische Regionalgemeinschaft Tirol
189
Kompetenzverteilung nach dem Modell des „unitarischen Bundesstaates“ völlig ungeeignet für eine sinnvolle grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Südtirol, woran – unter anderem – auch die „Europaregion Tirol“ scheitern musste.696 In Südtirol ist zwar die Kompetenzausstattung der Provinz grundsätzlich besser geeignet; dafür fehlt es aber hier an der selbständigen völkerrechtlichen Handlungsbefugnis und an der echten staatsrechtlichen Gleichordnung der autonomen Befugnisse mit der staatlichen Zentralgewalt, um von einem echten „Regionsstaat” im hier verstandenen Sinn zu sprechen. Ohne eine wirksame Föderalismusreform in den Landesteilen nach den im Folgenden aufgezeigten Gesichtspunkten kann es daher auch keine effiziente grenzüberschreitende Zusammenarbeit nach dem Modell einer „Regionalgemeinschaft“ geben. Die Kompetenztechnik der regionalen Allzuständigkeit697 bringt es mit sich, dass es in einer Reihe von Staatsaufgaben neben regionalen auch überregionale Ordnungsaufgaben gibt. Dieselbe Struktur findet sich bei den Gemeindeaufgaben und bei der Abgrenzung von Kompetenzen der EU gegenüber den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten. In diesen Fällen ist die Landesaufgabe auf die regionale Ordnung der betreffenden Angelegenheit beschränkt (zB regionale Raumordnung, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Umweltschutzaufgaben, Verkehrsplanung, Öffentliche Sicherheit, Energieversorgung uva).698 Der Nationalstaat hätte in diesen komplexen Ordnungsaufgaben – ähnlich wie die EU – grundsätzlich nur finale Rahmenbestimmungen (,,Richtlinien“) zu erlassen, die regional auszuführen und zu vollziehen wären.699 Dagegen sollte es in den eigentlichen autonomen Aufgaben keine nationale Aufsicht oder Richtlinienkompetenz geben, sondern der Status der autonomen Regionen muss inhaltlich und organisatorisch unabhängig und mit dem Zentralstaat gleichgeordnet sein wie in einem echten Bundesstaat (Modell des „dual government“ statt des regionalen Vollzugsföderalismus). Regionalkompetenzen sind danach – entsprechend einem europäischen Maßstab – insbesondere in folgenden Aufgabenbereichen zu begründen, wo-
696 697
698
699
Siehe dazu die Ausführungen unter V. 5. d. Die regionale Allzuständigkeit ist nicht mit der „Residualkompetenz“ zu verwechseln, die als „Restzuständigkeit“ neben aufgezählten Staatskompetenzen den Ländern verbleibt; sie umfasst vielmehr (nach dem Muster des Art 118 Abs 2 B-VG) alle Angelegenheiten im regionalen Interesse, die mit eigenen Kräften besorgt werden können; vgl dazu die Hinweise bei FN 542. Eine ähnliche komplexe Kompetenzstruktur herrscht gegenwärtig in vielen Bereichen der Gemeindeautonomie in Österreich, wo „örtliche“ von „überörtlichen“ Aufgaben voneinander abgehoben werden; vgl dazu Art 118 Abs 3 B-VG. Zum ersten Mal wurde diese normative Teilung und Verflechtung von Kompetenzen des Bundes und der Länder am Beispiel der Raumordnung entwickelt; vgl dazu Peter Pernthaler, Raumordnung und Verfassung III (1990) 335 ff.
190
Zielvorstellungen für die österreichische und italienische Politik
bei überregionale Kompetenzen in denselben Bereichen durchaus möglich sind. •
Landesverwaltung, öffentliche Einrichtungen und Unternehmen im Landesbereich
•
Raumordnung und Bodenordnung (Grundverkehr)
•
Sozialpolitik, insbesondere Wohnungswesen, Familienpolitik, Gesundheitswesen (Spitäler)
•
Regionale Wirtschaftspolitik insbesondere Arbeitsplatzsicherung, Wirtschaftsförderung, Fremdenverkehr, Handel, Gewerbe und Industrie
•
Bauwesen, Städtebau, Denkmalschutz
•
Nutzung der Bodenschätze, Wasserrecht und Wasserwirtschaft, Bergbau
•
Öffentlicher Verkehr, Nachrichtentechnik (Kommunikation), Energieversorgung und Energieleitungen
•
Land- und Forstwirtschaft, Bodenreform, Alpschutz
•
Kultur, Erziehung, Volksbildung, Brauchtum, Heimatschutz
•
Sicherheit, Polizei, Ausländerwesen
•
Schutz vor Naturgewalten einschließlich aller dazu erforderlichen Bauten
•
Umweltschutz- und Landschaftsschutz.
Rechstechnisch müsste dieses neue Ordnungsprinzip der Kompetenzverteilung jedenfalls durch eine Kombination von Allgemeinzuständigkeit und demonstrativer Aufzählung von Einzelkompetenzen nach dem Muster der Art 118 Abs 2 und 3 B-VG (Verankerung der Gemeindeautonomie) konkretisiert werden. Eine ausreichende Ausstattung mit Finanzmitteln zur Erfüllung dieser Aufgaben nach dem Muster des § 4 Finanz-Verfassungsgesetz 1948 („Finanzausgleichsgerechtigkeit“) müsste gleichfalls sichergestellt werden. b) Reform der interregionalen Beziehungen Die grenzüberschreitende Dimension der Europäischen Regionalgemeinschaft ist auf der Basis der im angeführten Sinn reformierten Regionalautonomie der Landesteile – anders als die Entwicklung in der Europaregion – gleichzeitig auf zwei, aufeinander abgestimmten Entwicklungsebenen voranzutreiben: Erstens durch Harmonisierung der regionalen Politik und Rechtsordnung700 und zweitens durch einen ,,Gründungsvertrag“ auf Grund der selbständigen oder durch den Zentralstaat ermächtigten völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit der Länder. Das Ziel eines solchen Gründungsvertrages, der selbst eine Art ,,Vorverfassung“ ist, muss die Entwicklung eines ,,Statutes“ – also einer autonomen „Verfassung“ – der Europäischen Regionalgemeinschaft als selb700
Während die Rechtsharmonisierung auf EU-Ebene ein wichtiges Anliegen ist fehlt dieses Ziel auf interregionaler Ebene gegenwärtig völlig; vgl dazu Peter Pernthaler/Irmgard Kathrein/Karl Weber, Föderalismus, aaO 241 ff.
Europäische Regionalgemeinschaft Tirol
191
ständige Rechtseinheit sein; diese muss durch einen besonderen Verfassungsvertrag („Constitutional Compact“) der beiden Länder als Abschluss der Entwicklung geschaffen werden. c) Die europäische Dimension der Regionalgemeinschaft Die ,,europäische Dimension“ der Europäischen Regionalgemeinschaft ist durch ,,Konzertierung“ der EU-Regionalpolitik, der Rechtspolitik des Europarates, durch gemeinsame Vertretung in europäischen Organen (Europarat und EU) und durch koordinierte Durchführung der Konventionen des Europarates, des EU-Rechtes und der EU-Programme, insbesondere im Rahmen der Förderung und Regionalpolitik in den beiden Landesteilen, zu verwirklichen. In diesem Bereich sollte von Anfang an die unmittelbare Unterstellung der gemeinschaftlichen Aktionen und Programme unter die EU und den Europarat gelten. Der Kern der Europäischen Regionalgemeinschaft sollte also aus der (autonomen) europäischen Rechts- und Programmvollziehung auf regionaler Ebene entstehen. Dagegen sollten die autonomen Landesaufgaben zunächst koordiniert und harmonisiert, nicht aber sofort von der Regionalgemeinschaft übernommen werden.
3. Der rechtliche und politische Entwicklungsprozess der Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol Die Verwirklichung der Europäischen Regionalgemeinschaft ist ein Prozess, der in die Dynamik der europäischen Integration eingebunden sein soll und durch gemeinsame Organe ebenso wie durch die Koordinierung der regionalen Politik und Harmonisierung der Rechtsentwicklung herbeigeführt werden muss. a) Elemente des Gründungsvertrages Der ,,Gründungsvertrag“ der Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol muss daher folgende Elemente vorsehen: •
Eine regionalpolitische Zielformulierung der Zusammenarbeit in Richtung einer fortschreitenden Integration der Landesteile.
•
Organisationsformen der Zusammenarbeit – diese sollten stufenweise entwickelt werden, wie im Folgenden noch näher konkretisiert wird.
•
Wechselseitige Koordinations(Harmonierungs-)verpflichtungen der Politik und Rechtsentwicklung in den Landesteilen auf Grund der regionalen Kompetenzen und der Möglichkeiten der europäischen Integration. Es sind eigene Organe und Verfahren vorzusehen, welche diese Politik-, Planungs- und Rechtsharmonisierung laufend durchführen und überwachen.
192
Zielvorstellungen für die österreichische und italienische Politik
•
Konkrete Politik- und Rechtsbereiche, auf die sich die Zusammenarbeit erstrecken soll und die gleichzeitig den „Grundriss der Zuständigkeiten“ der Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol bilden müssten.
b) „Startkompetenzen“ Als erste Stufe der Zusammenarbeit sollten – neben den europäischen Rechts-, Planungs- und Politikbereichen – insbesondere folgende regionale Rechts- und Politikbereiche gemeinsam, also ,,interregional“, bearbeitet werden, in denen bereits jetzt Ansätze einer „grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ bestehen.701 •
gemeinsame Außenvertretung der Länder gegenüber EU und Europarat, gemeinsame Außenbeziehungen der Länder („small diplomacy“);
•
ökonomische und sozialpolitische Nahe- und Wechselbeziehungen;
•
Schule, Erziehungswesen, Zusammenarbeit der Universitäten, Akademien uä, Kulturpolitik, gemeinsames historisches Erbe, Erwachsenenbildung;
•
ökologische und landschaftliche Schutz- und Pflegemaßnahmen; Alpenländische Wasser-, Agrar- und Forstpolitik, Harmonisierung der Raumordnung und Bodenordnung, integrierte Umsetzung der Alpenkonvention;
•
Regionale Verkehrsprobleme insbesondere gemeinsame Transitpolitik;
•
Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Katastrophen- und Zivilschutzes, des regionalen Sicherheitswesens.
Im Endausbau der Europäischen Regionalgemeinschaft müssten alle autonomen Angelegenheiten und Vollzugsbereiche des nationalen und europäischen Rechts daraufhin überprüft werden, ob sie nicht besser und effizienter auf ,,interregionaler Ebene“ geführt werden könnten. Es sollte also rechtlich eine dynamische Zielformel der ,,Gemeinschaftszuständigkeiten“ verankert werden.702 c) Schrittweiser Ausbau der Organisation der Gemeinschaft Die Organisationsformen der Zusammenarbeit sollen zunächst auf der Basis der politischen und administrativen Organisation der Landesteile, später aber in Richtung einer ,,supraregionalen Organisation“, dh mit unmittelbaren Or-
701 702
Siehe dazu die Ausführungen oben, V. 5. e. Vgl dazu die nach dem Subsidiaritätsprinzip formulierte Allgemeinzuständigkeit der österreichischen Gemeinden (Art 118 Abs 2 B-VG), welche – im Gegensatz zu den Landeskompetenzen – als „dynamische Generalklausel“ verstanden wird; ähnlich die Abgrenzungskriterien des Art 118 Abs 1 der italienischen Staatsverfassung, die gleichfalls als dynamische Kompetenzabgrenzung der Ebenen verstanden werden.
Europäische Regionalgemeinschaft Tirol
193
ganfunktionen und Rechtsakten der Europäischen Regionalgemeinschaft als einer selbständig demokratisch legitimierten Körperschaft entwickelt werden. Diese autonome Körperschaft sollte zunächst auf der Basis bereits eingelebter Formen der Zusammenarbeit zwischen den Landesteilen, also ,,konföderalistisch“ eingerichtet werden: Neben dem gemeinsamen Landtag (und seinen Ausschüssen) sollten gemeinsame Regierungskonferenzen der Gesamtregierung oder einzelner Regierungsmitglieder und eine gemeinsame Geschäftsstelle in einer der Landesverwaltungen mit einzelnen Abteilungen in der anderen vorgesehen werden.703 Erst mit zunehmendem Ausbau der interregionalen Kooperation müsste eine besondere Verwaltungsstelle der Regionalgemeinschaft mit organisatorischer Selbständigkeit gegenüber den Landesverwaltungen geschaffen werden, die unmittelbar der Regierungskonferenz unterstehen sollte. Auf besondere „Direktwahlen“ zum gemeinsamen Landtag müsste zunächst verzichtet werden, weil die politischen Systeme und Demokratieformen in den Landesteilen so unterschiedlich sind, dass ein gemeinsames Wahlrecht heute funktionswidrig wäre.704 d) Präzisierung der Rechtsformen der Zusammenarbeit Entsprechend den völkerrechtlichen und europarechtlichen Möglichkeiten705 sollte ein ganzes Bündel verschiedenartiger rechtlicher Integrationsformen – einschließlich spezieller völkerrechtlicher Abkommen – angewendet werden. Anzustreben ist insbesondere auch die Möglichkeit der Schaffung von „supraregionalem Recht“ eigener Organe der Europäischen Regionalgemeinschaft wie sie Art 5 des Zusatzprotokolls zur Madrider Rahmenkonvention (1995) und der Entwurf eines „europäischen Verbundes“ der EU vorsehen. Eine eigene Vertretung der Europäischen Regionalgemeinschaft beim Europarat und bei der EU ist anzustreben und völkerrechtlich abzusichern. Ebenso müsste eine begrenzte völkerrechtliche Handlungsfähigkeit der Regionalgemeinschaft – neben der der Regionen – im Rahmen ihrer Zuständigkeiten begründet werden.706
703
704 705
706
Nach diesem Organisationsmodell ist die politisch überaus erfolgreiche Zusammenarbeit der Länder in Österreich, insbesondere auch die „Verbindungsstelle der Bundesländer“, organisiert; vgl dazu Peter Pernthaler, Verfassungsrecht, aaO 446 ff; Andreas Rosner, Koordinationsinstrumente der österreichischen Länder (2000); Gernot Meirer, Die Verbindungsstelle der Bundesländer (2003). Vgl dazu die Ausführungen oben IV. 3 und VII. 2. Vgl dazu die Madrider Rahmenkonvention mit Zusatzprotokollen und den Vorschlag eines „europäischen Verbundes“ der Kommission der EU, KOM (2004) 496. Vgl dazu das – noch nicht in Kraft getretene – Zweite Zusatzprotokoll zur Madrider Rahmenkonvention (1998), das auch eine internationale Zusammenarbeit – außerhalb der Grenzregionen – regionaler Gebietskörperschaften vorsieht.
194
Zielvorstellungen für die österreichische und italienische Politik
4. Europäische Regionalgemeinschaft Tirol als Zielvorstellungen für die österreichische und italienische Politik Die europäische Integration hat für Tirol nur dann eine im Ganzen positive Bedeutung, wenn sie bewusst als Instrument der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes des Tiroler Volkes in beiden Landesteilen eingesetzt wird.707 Die bedeutet zunächst eine Reihe konkreter Zielsetzungen für die österreichischen Bundespolitik und die italienische Staatspolitik. Österreich und Italien müssen gemeinsam ihre völkerrechtliche Verantwortung gegenüber Südtirol effizienter als bisher wahrnehmen, damit der Weg Südtirols zum autonomen Regionsstaat unterstützt und die Verflechtung mit dem Bundesland Tirol völkerrechtlich und nach dem italienischen Verfassungsrecht abgesichert werden kann. Die Föderalismusnovelle der italienischen Staatsverfassung, Nr 3/2001 und die Statutsnovelle, Nr 2/2001, haben zwar einige Fortschritte für die Südtirol-Autonomie gebracht; von einem echten Bundesstaat ist Italien aber noch weit entfernt.708 Die österreichische Politik muss gleichzeitig die autonomen Gestaltungsmöglichkeiten des Bundeslandes Tirol (Kompetenzen und delegierte Befugnisse) soweit entwickeln, dass eine sinnvolle Integration mit den (jetzt viel umfangreicheren) autonomen Befugnissen Südtirols überhaupt möglich ist. Dies wird nur nach dem Modell des ,,differenzierten Bundesstaates“ zu verwirklichen sein.709 Das heißt, die Sonderstellung des Landes Tirol als selbständiger und integrationsfähiger Partner Südtirols muss auch in der österreichischen Bundesverfassung klar verankert werden. Österreich und Italien sollen im Rahmen der europäischen Integration (vor allem EU und Europarat) alle Bestrebungen der europäischen Föderalisierung und Regionalisierung nachhaltig fördern und die entstehende Europäische Regionalgemeinschaft Schritt für Schritt als direkten Partner der europäischen Organisationen integrieren. Als Endziel ist eine europarechtliche Verankerung des Statutes der Europäischen Regionalgemeinschaft vorzusehen. Die Realisierung der Europäischen Regionalgemeinschaft als Zielvorstellung der Landespolitik muss durch den Gründungsvertrag gesteuert und schrittweise ausgebaut werden. Dies ist ein Prozess der mit der Integration der Nationalstaaten in der europäischen Integration, vor allem in der Europäischen Union vergleichbar ist. Es soll eindeutig klargestellt werden, dass damit eine schrittweise Übertragung von Landeskompetenzen auf die Europäische Regionalgemeinschaft Ti707
708 709
Peter Pernthaler, Tirol und die Neuordnung Europas, in: Das Fenster 50/51 (1991) 4982 ff. Anna Gamper, Die Regionen, aaO 264 ff, 358. Peter Pernthaler, Der differenzierte Bundesstaat (1992) 41 ff.
Europäische Regionalgemeinschaft Tirol
195
rol verbunden sein wird. Aber ebenso wie die Nationalstaaten Europas auf absehbare Zeit nicht als Motor und Partner der europäischen Integration ersetzbar sind (,,verschwinden“), wird aber auch das Bundesland Tirol und die Autonome Provinz Bozen (Südtirol) auf absehbare Zeit nicht in einer Europäischen Regionalgemeinschaft Tirol zur Gänze aufgehen können, da dies eine völlige Verwandlung des österreichischen Bundesstaates und des italienischen Regionalstaates voraussetzen würde. Dennoch müssen ernsthaftere regionale Integrationsschritte als bisher gesetzt werden, soll eine neue interregionale politische und rechtliche Identität der beiden Landesteile im Rahmen der europäischen Integration realisiert und nicht bloß „beredet“ werden.
XI. Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols A. Südtirol Bearbeitet von: Florian von Ach, Bozen
1. Kurze Landeskunde a) Territorialbestand Südtirol ist mit 7400 km2 die drittgrößte der 92 italienischen Provinzen; der flächenmäßige Anteil am ital Staatsgebiet beträgt 2,45%. 84% der Gesamtfläche liegen über 1000 m Seehöhe, 64% sogar über 1500 m (22,5% Ödland); die Bevölkerungsdichte ist 64 Einwohner pro km2 (190 im italienischen Staatsdurchschnitt); 85% der Bevölkerung wohnt und arbeitet auf 6% der Gesamtfläche – auf diesen 6% beträgt die Bevölkerungsdichte 810 Einwohner pro km2, im Ballungszentrum Bozen 1.836 Einwohner/km2.710 Südtirol gliedert sich in 116 Gemeinden, deren Autonomie verfassungsrechtlich verankert ist. Jede Gemeinde gibt sich eine eigene Satzung, welche die grundlegenden Bestimmungen über die Tätigkeit und den Aufbau beinhaltet. Die Organe der Gemeinde sind der Rat, der Ausschuss und der Bürgermeister.711 Weiters gibt es in Südtirol 7 Bezirksgemeinschaften (Burggrafenamt, Eisacktal, Pustertal, Salten-Schlern, Überetsch-Südtiroler Unterland, Vinschgau, Wipptal). Wie die Gemeinden haben auch die Bezirksgemeinschaften eine eigene Satzung. Die Bezirksgemeinschaften fungieren als Planungs- und Interessengemeinschaften und haben die Aufgabe, die gemeinsamen Belange des Bezirkes zu verfolgen und einzelne Maßnahmen der vertretenen Gemeinden zu koordinieren. Weiters nehmen die Bezirksgemeinschaften die ihnen von den Gemeinden übertragenen Aufgaben wahr, so zB im Bereich der Sozialdienste. Die Organe der Bezirksgemeinschaften sind der Bezirksrat, der Bezirksausschuss, der Bezirksvorsitzende sowie die Rechnungsprüfer.712
710
711 712
Alle Angaben: Südtirol in Zahlen 2004, hg vom Landesinstitut für Statistik der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, Bozen 2004, 9. Südtirol Handbuch, hg von der Südtiroler Landesregierung, Bozen 2004, 185. Südtirol Handbuch, 186.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
197
b) Geschichtliche Entwicklung Bis 1918 teilte Südtirol das politische Schicksal mit Nord- und Osttirol. 1282
„Tiroler Landrecht“ – Meinhard von Tirol bringt Tirol in den Rang eines souveränen Landes
1363
Wahl des Habsburgers Rudolfs IV. zum Landesfürsten; fortan enge politische Bindung Tirols an Österreich
26.4.1915
Geheimvertrag von London zwischen Italien und den Alliierten (ua Zusage der Unterstützung, dass Italien die Brennergrenze bekommen werde)
12.11.1918
Ausrufung der Republik Deutschösterreich, in der Folge Vorrücken der Italiener an den Brenner und Abtrennung Südtirols von Nord- und Osttirol.
10.09.1919
Im Friedensvertrag von Saint Germain wird Südtirol, gegen den erklärten Willen seiner Bevölkerung, Italien zugeschlagen. Italien erhält keinerlei Auflagen für den Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit.
30.10.1922
Machtübernahme durch die ital Faschisten in Bozen; in der Folge Verbot des Namens „Tirol“; Einführung der italienischen Amts- und Unterrichtssprache bei gleichzeitigem Verbot des Gebrauchs der deutschen Sprache; Auflösung aller deutschen Vereine.
1926
Aufteilung in die Provinzen Bozen und Trient.
Ab 1929
Italianisierung der Wirtschaft (Abschaffung des tirolischen Höferechts, Gründung der „Ente per le tre Venezie“; Industriezone Bozen), staatlich gelenkte Massenzuwanderung von Italienern nach Südtirol
31.12.1939
Option aller in Südtirol Geborenen (von 246.036 Optionsberechtigten entschieden sich 211.799 bzw 86,09% für Deutschland, 34.237 bzw 13,91% für Italien)713
5.9.1946
„Pariser Abkommen“ (Gruber – De Gasperi – Abkommen): Zusicherung von Minderheitenschutz für die deutschen Bewohner Südtirols und Zusage von Gesetzgebungs- und Verwaltungsautonomie für die Provinz Bozen
27.6.1947
Schaffung der Region Trentino-Tiroler Etschland (Südtirol)
29.1.1948
Genehmigung des Autonomiestatutes für Trentino-Tiroler Etschland (Südtirol) durch die Verfassunggebende Nationalversammlung, aber: wesentliche Zuständigkeiten bleiben bei
713
Zahlen nach dem Südtirol Handbuch 2004; die sog „Graue Option“ für Italien wird nach neueren Erkenntnissen als Versuch der ital Propaganda bezeichnet, die Zahlen in ihrem Sinne zu frisieren und nicht mehr berücksichtigt, siehe Südtirol Handbuch 2004, 25.
198
Kurze Landeskunde
der italienisch dominierten Region, Gleichstellung von deutschen Südtirolern mit Italienern (Amtssprache, Aufnahme in öffentlichen Dienst) nicht verwirklicht; ungebremste, staatlich unterstützte Zuwanderung von Italienern nach Südtirol 1956
Erste Sprengstoffanschläge von Südtirol-Aktivisten
1960/1961
Südtirol-Frage vor der UNO; Höhepunkt der Sprengstoffanschläge
Nov./Dez. 1969 Positive Beschlüsse der SVP, des italienischen Parlamentes und des österreichischen Nationalrates zum „SüdtirolPaket“: Provinz Bozen erhält mehr Zuständigkeiten 31.8.1972
Dekret des Präsidenten der Republik (Nr 670) über das Sonderstatut für die Region Trentino-Südtirol; in den folgenden Jahren zähes Ringen zwischen SVP und römischer Regierung um die Erlassung von Durchführungsbestimmungen zum Sonderstatut
30.1.1992
Italien genehmigt die letzten noch ausstehenden Durchführungsbestimmungen
11.6.1992
Abgabe der Streitbeilegungserklärung, formeller Abschluss der Südtirol-Verhandlungen zwischen Österreich und Italien
1.1.1995
EU-Beitritt Österreichs; dadurch Eröffnung neuer Möglichkeiten in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Nord-, Süd- und Osttirol
1.4.1998
Inkrafttreten des Schengen-Abkommens zwischen Italien und Österreich; symbolische Beseitigung des Grenzbalkens am Brenner durch den Nord- und den Südtiroler Landeshauptmann
19.5.1998
Dreierlandtag (Tirol, Südtirol, Trentino) beschließt eine „Vereinbarung über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen einer Europaregion“
8.3.2001
Verabschiedung der Verfassungsreform im römischen Parlament. Aufnahme des deutschen Namens „Südtirol“ in die Verfassung.
c) Bevölkerung Die Wohnbevölkerung Südtirols beträgt nach den Ergebnissen der Volkszählung 2001 462.999 Einwohner. Die Bevölkerung ist ethnisch gegliedert (nach der Volkszählung 2001):
199
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
•
Deutsche
296.461
(69,15%)
•
Italiener
113.494
(26,47%)
•
Ladiner
18.736
(4,37%)714
d) Konfessionelle Gliederung und Bistumseinteilung Die Bevölkerung Südtirols ist zu fast 98% katholisch. Evangelische Gemeinden gibt es in Bozen (ca. 600 Mitglieder) und Meran (ca. 200 Mitglieder). In Meran besteht zudem noch eine kleine israelitische Kultusgemeinde mit ca. 60 Mitgliedern und im Ansitz Zarenbrunn eine russisch-orthodoxe Kirche, jedoch ohne Seelsorger. Stark zugenommen haben infolge der Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten in jüngster Zeit in Südtirol die Moslems. 715 Südtirol ist konfessionell zu einer Diözese, zur Diözese Bozen-Brixen, zusammengefasst. Sitz des Bischofs ist seit 1964 Bozen. Seit 1986 ist Dr. Wilhelm Egger Bischof der Diözese Bozen-Brixen.
2. Verfassungsmäßiger Zustand a) Kompetenzen aa)
Vorbemerkung
Der verfassungsrechtliche Zustand Südtirols hat in jüngster Zeit wichtige Änderungen erfahren. Zwei Verfassungsgesetze, das Verfassungsgesetz Nr 2 vom 31.1.2001 und das Verfassungsgesetz Nr 3 vom 18.10.2001, brachten einschneidende Neuerungen, wobei sich das erste Gesetz direkt auf Südtirol bezieht und in Kapitel 3.a) ausführlich besprochen wird, während durch das zweite Gesetz eine Reform des italienischen Staatsaufbaus erfolgte, wenn auch keine so umfassende, wie von manchen Kommentatoren erwartet (oder, je nach politischer Couleur, befürchtet) worden war. Der Terminus „Föderalismusreform“, der sich für das VerfG 3/2001 eingebürgert hat, bedeutet in keiner Weise, dass die Autonome Provinz Bozen-Südtirol716 dadurch zu einem Gliedstaat eines Bundesstaates geworden wäre. Südtirol ist vielmehr Autono714
715
716
Alle Angaben nach: Südtirol in Zahlen 2004, 15; 34.308 haben keine Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung abgegeben; hierbei handelt es sich um Jugendliche unter 14 Jahren, die keine Erklärung abgeben müssen, um Ausländer und zu einem kleinen Teil um Personen, die die Erklärung aus politischen Gründen verweigern. Alle Angaben aus: Südtirol Themen, hg von der Südtiroler Landesregierung, Bozen 2004, 21; laut Auskunft der freiheitlichen Landtagsabgeordneten Ulli Mair befinden sich in Südtirol ca 5.000 Personen moslemischen Glaubens, diese Zahl ist aber bis dato nicht belegbar. In der Folge wird Südtirol als „Land Südtirol” bezeichnet, da sich diese Bezeichnung in der deutschen Rechtsliteratur durchgesetzt hat. Die offizielle Bezeichnung lautet allerdings „Autonome Provinz Bozen-Südtirol“.
200
Verfassungsmäßiger Zustand
me Provinz eines nunmehr regionalisierten Einheitsstaates („stato regionale“), wie Italien nach der Verfassungsnovelle von der neuesten ital Staatsrechtslehre bezeichnet wird.717 Die Kompetenzen sind trotz der Verfassungsreform nach wie vor nicht originäre, im Staatscharakter des Gemeinwesens wurzelnde, sondern sie sind vom Zentralstaat abgeleitet und juristisch von diesem gewährt. Die wesentliche Neuerung der Verfassungsnovelle 3/2001 besteht darin, dass nun die Kompetenzen des Staates taxativ aufgezählt werden und es eine Generalklausel zugunsten der Regionen gibt, also ein Umkehrung des bisherigen Verhältnisses stattfand;718 dies kommt einer Selbstbeschränkung des Staates gleich, nicht jedoch einer Zuerkennung originärer Gesetzgebungsbefugnis an die Regionen. Die taxative Aufzählung der Kompetenzen des Staates ist zudem sehr umfassend, außerdem ist durch die Einführung von „konkurrierenden“ Gesetzgebungsbefugnissen, in denen der Staat die grundlegenden Prinzipien vorgibt und den Regionen die Detailgesetzgebung überlassen bleibt, sowie der Ausarbeitung sog „transversaler Werte“ durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) weiterhin ein umfassendes Eingriffsrecht des Staates in die Kompetenzen der Regionen gewährleistet.719 Die anfängliche Skepsis auf Südtiroler Seite, die Verfassungsnovelle würde zu einer Stärkung der Region und einer Schwächung des Landes führen, da nur die Regionen als Träger der neuen Kompetenzen ausdrücklich genannt werden,720 hat sich nicht bewahrheitet. Alle seitdem erlassenen Gesetze (va das Ausführungsgesetz zur Verfassungsnovelle, Gesetz 131/2003, sog „Legge La Loggia“) sprechen die Kompetenzen ausdrücklich den beiden Autonomen Provinzen Bozen und Trient zu, nicht der Region. Die Formulierung des Art 116 Abs 2 der Verfassung, der vorsieht, dass die Region Trentino-Südtirol aus den Autonomen Provinzen Trient und Bozen-Südtirol besteht, hat offensichtlich gehalten, was man sich davon versprach. Zudem garantiert die Anpassungsbestimmung des Art 10 VerfG 3/2001, dass bis zur Angleichung des Autonomiestatutes dem Land Südtirol nur neue Kompetenzen zuerkannt werden können und keine bereits bestehenden Befugnisse aberkannt werden dürfen. Wie es nach einer Angleichung des Statutes ausschauen wird, ist je-
717
718
719
720
Diritto Costituzionale, XIX Edizione, Edizioni Giuridiche Simone, Napoli 2004, 515; auch nach der sog „Föderalismusreform“, dh der Abänderung des V. Titels des 2. Teils der italienischen Verfassung durch das Verfassungsgesetz Nr 3/2001 hat sich am derivativen Charakter der Regionen und Autonomen Provinzen nicht das geringste geändert, vgl Diritto Costituzionale, 34. Giuseppe Avolio, Il riparto delle competenze legislative dopo la riforma del titolo V, in: La riforma del titolo V, parte seconda, della Costituzione italiana, analisi ed effetti per la Provincia Autonoma di Bolzano, Arbeitsheft 46, hg von der Europäischen Akademie, Bozen 2004, 13. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Grundzüge des italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Autonomie, Studia Universitätsverlag, Innsbruck 2003, 253 f. Va Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 250 ff.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
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doch noch nicht geklärt. Angesichts der schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit ist Vorsicht geboten. Zudem ist die Verfassungsreform noch nicht abgeschlossen: in beiden Kammern (Abgeordnetenkammer und Senat) des Parlamentes fand das sog „Devolution“-Gesetz (Gesetzesentwurf 2544-B/2005) eine absolute Mehrheit.721 Diese „Devolution“,722 die allerdings noch einer Volksabstimmung unterzogen werden muss, sieht einerseits eine Erweiterung der regionalen Kompetenzen in den Bereichen Innere Sicherheit, Schule und Gesundheitswesen vor; auf der anderen Seite würde das sog „nationale Interesse“, ein Rechtsinstitut, mit dem die Südtiroler sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben,723 wieder eingeführt werden. Die „Devolution“ war die Kernforderung der föderalistischen „Lega Nord“, die Teil der Regierungskoalition ist. Dieser Gesetzentwurf sieht die Umgestaltung des derzeitigen Senates in eine Länderkammer nach bundesdeutschem Vorbild vor; weiters werden den Regionen neue Kompetenzen eingeräumt, und zwar die ausschließliche Kompetenz im Bereich der Schule und des Gesundheitswesens sowie eine gänzlich neue Zuständigkeit im Bereich der Inneren Sicherheit. Das würde dazu führen, dass die Regionen, nach bundesdeutschem Vorbild, eigene Landespolizeieinheiten schaffen könnten. Die Vertreter der Südtiroler Volkspartei (SVP) im römischen Parlament haben aufgrund der Wiedereinführung des „nationalen Interesses“ als Schranke der regionalen Gesetzgebung gegen die „Devolution“ gestimmt. Weiters stieß jene Bestimmung (Art 38 Abs 1 Gesetzesentwurf 2544-B/2005), die die Anpassung des Autonomiestatutes durch das Parlament mit Zweidrittelmehrheit vorsieht, wobei dem Land nur das Recht einer nicht bindenden Stellungnahme zukommt, auf Ablehnung. Trotz dieser verständlichen Ablehnung durch die SVP könnten sich für Südtirol einige interessante Möglichkeiten ergeben, sollte dieses Verfassungsgesetz durch die Volksabstimmung bestätigt werden und damit in Kraft treten.724 Der gesamte Übergang der Kompetenzen im Bereich des Schulwesens würde es dem Land erlauben, eine Schule nach österreichischem Vorbild auf721
722
723
724
Die Abstimmungen fanden am 15. 10. 2004 in der Abgeordnetenkammer und am 23. März 2005 im Senat statt; die „Devolution“ fand jeweils die Zustimmung der Regierungsmehrheit. Der Begriff „Devolution“ wurde in Anlehnung an die Staatsreform des Jahres 2001 in Großbritannien gewählt, bei der Schottland und Wales ein eigens Regionalparlament zugesprochen wurde. Das „nationale Interesse“ diente der römischen Regierung und dem italienischen VfGH jahrzehntelang als Handhabe, Südtiroler Landesgesetze zurückzuweisen bzw aufzuheben. Die berüchtigte „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ (AKB) des Staates, die dem Staat den Eingriff auch in primäre Kompetenzen des Landes gestattete, fußte auf dem „nationalen Interesse“. Der Termin für die Volksabstimmung wurde noch nicht festgelegt.
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zubauen. Dies wäre für die Stärkung des Tiroler und des österreichischen Bewusstseins von eminenter Bedeutung. Bis jetzt besitzt das Land im Bereich der Schule zwar weitreichende Kompetenzen, der Staat kann aber immer noch entscheidend eingreifen (Einschränkungen gibt es va bei der organisatorischen Gliederung der Schulen in Gymnasien, Handelsoberschulen, Technische Schulen etc, die der gesamtstaatlichen Organisationsform unterworfen bleiben und daher nicht nach österreichischem Vorbild erfolgen kann). Die alleinige Zuständigkeit im Gesundheitswesen würde eine bessere Zusammenarbeit mit Nordtirol erleichtern und eine eigene Landespolizei wäre ein weiteres identitätsstiftendes Element (man denke nur an die Möglichkeit, sich in Organisation und Uniformierung an österreichischen Vorbildern orientieren zu können). Dennoch muss man die Ablehnung der „Devolution“ durch die SVP verstehen: es wäre undenkbar, dass Südtiroler Abgeordnete der Wiedereinführung des „nationalen Interesses“ zustimmen, gegen das jahrzehntelang angekämpft wurde und in dessen Namen die unzähligen Versuche Roms erfolgten, die Autonomie auszuhöhlen. Eine wesentliche Beschränkung oder Verschlechterung der aktuellen Südtiroler Situation wäre aber von einem Wiederaufleben des „nationalen Interesses“ wohl nicht zu erwarten: für die Kompetenzen, die sich aus dem Autonomiestatut ergeben und die für Südtirol die wesentlichen sind, bildet das „nationale Interesse“ ohnehin immer noch eine Schranke (näheres dazu siehe unten, Kapitel II. 1. b) aa) „Primäre Gesetzgebung“). Für die Autonome Provinz Bozen-Südtirol erfolgt die wesentliche Kompetenzzuweisung nach wie vor durch das im Verfassungsrang stehende Sonderstatut von 1972. Es ist die wichtigste rechtliche Grundlage für den aktuellen Stand der Südtiroler Selbstverwaltung und sieht weit umfassendere Gesetzgebungskompetenzen vor als durch die Verfassungsnovelle 3/2001 den Regionen gewährt wurden.725 Das Statut regelt die Kompetenzen folgendermaßen: Art 4–7 beinhalten die Kompetenzen der Region Trentino-Südtirol, in Art 8ff werden sodann die Kompetenzen der Autonomen Provinzen Trient und Bozen-Südtirol festgelegt. Unterschieden wird dabei zwischen primärer (ausschließlicher) Gesetzgebung, in der das Land frei von zentralstaatlicher Bevormundung ist, sekundärer (konkurrierender) Gesetzgebung, in der der Staat die grundlegenden Prinzipien vorgibt und dem Land die Detailgesetzgebung obliegt, und der tertiären Gesetzgebung. Um die im Statut enthaltenen grundlegenden Normen in die Praxis umzusetzen, waren Durchführungsbestimmungen erforderlich, mit denen die Befugnisse bis in alle Einzelheiten festgelegt wurden.
725
Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht 257.
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Die Durchführungsbestimmungen wurden von der italienischen Regierung in Form von Legislativdekreten (LD) erlassen und besitzen „verstärkte Gesetzeskraft“ („forza prevalente“), dh sie haben Vorrang vor den ordentlichen Staatsgesetzen, da sie sich direkt auf das im Verfassungsrang stehende Autonomiestatut beziehen;726 dies ist für Südtirol von eminenter Bedeutung, denn eine Abänderung der Durchführungsbestimmungen käme einer Aushöhlung der Prinzipien des Statutes gleich. Wäre dies durch ein einfaches Staatsgesetz möglich, könnte jede italienische Regierung nach Belieben in die Belange des Landes eingreifen. Die Mitsprache der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol bei der Erlassung der Durchführungsbestimmungen ist durch die Zwölferkommission (zuständig für die Belange der beiden Provinzen Bozen und Trient sowie der Region) und die Sechserkommission (zuständig für die Belange der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol) gewährleistet, die die Durchführungsbestimmungen erarbeiten. Alle notwendigen Durchführungsbestimmungen für die Wahrnehmung der im Sonderstatut von 1972 vorgesehenen Kompetenzen sind, nach jahrzehntelangem politischen und juristischen Tauziehen zwischen Rom und Bozen, bis zum Jahre 1992 erlassen worden. In der Folge wurden weitere Durchführungsbestimmungen erlassen, die über die im Sonderstatut vorgesehenen Kompetenzen hinausgehen und Südtirol weitere Befugnisse im Verwaltungsbereich einräumen. Dies erfolgte aus der Notwendigkeit heraus, zur Sanierung des Staatshaushaltes Sparmaßnahmen zu ergreifen. Anstatt der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol die Finanzmittel zu kürzen, überließ der Staat mittels Durchführungsbestimmungen der Provinz neue Zuständigkeiten, für deren Kosten zur Gänze das Land Südtirol aufkommt (so zB die Arbeitsvermittlung und das Amt für die Zivilmotorisierung).727 bb) Die Kompetenzen auf dem Gebiet der Gesetzgebung (1) Primäre (ausschließliche) Gesetzgebung (Art 8 Statut) Die Provinzen Bozen-Südtirol und Trient sind befugt, im Rahmen der im Artikel 4 gesetzten Grenzen Gesetzesbestimmungen auf folgenden Sachgebieten zu erlassen: •
Ordnung der Landesämter und des zugeordneten Personals;
•
Ortsnamengebung, mit der Verpflichtung zur Zweisprachigkeit im Gebiet der Provinz Bozen;
•
Schutz und Pflege der geschichtlichen, künstlerischen und volklichen Werte;
726
727
Urteil des ital VfGH 249/2005; vgl auch Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 332. Es handelt sich um die Legislativdekrete 429/1995 (Zivilmotorisierung) und 430/1992 (Arbeitsvermittlung).
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•
örtliche Sitten und Bräuche sowie kulturelle Einrichtungen (Bibliotheken, Akademien, Institute, Museen) provinzialen Charakters; örtliche künstlerische, kulturelle und bildende Veranstaltungen und Tätigkeiten; in der Provinz Bozen können hierfür auch Hörfunk und Fernsehen verwendet werden, unter Ausschluss der Befugnis zur Errichtung von Hörfunk- und Fernsehstationen;
•
Raumordnung und Bauleitpläne;
•
Landschaftsschutz;
•
Gemeinnutzungsrechte;
•
Ordnung der Mindestkultureinheiten, auch in Bezug auf die Anwendung des Artikels 847 des Bürgerlichen Gesetzbuches; Ordnung der geschlossenen Höfe und der auf alten Satzungen oder Gepflogenheiten beruhenden Familiengemeinschaften;
•
Handwerk;
•
geförderter Wohnbau, der ganz oder teilweise öffentlich-rechtlich finanziert ist; dazu gehören auch die Begünstigungen für den Bau von Volkswohnhäusern in Katastrophengebieten sowie die Tätigkeit, die Körperschaften außerprovinzialer Art mit öffentlich-rechtlichen Finanzierungen in den Provinzen entfalten;
•
Binnenhäfen;
•
Messen und Märkte;
•
Maßnahmen zur Katastrophenvorbeugung und –soforthilfe;
•
Bergbau, einschließlich der Mineral- und Thermalwässer, Steinbrüche und Gruben sowie Torfstiche;
•
Jagd und Fischerei;
•
Almwirtschaft sowie Pflanzen- und Tierschutzparke;
•
Straßenwesen, Wasserleitungen und öffentliche Arbeiten im Interessenbereich der Provinz;
•
Kommunikations- und Transportwesen im Interessenbereich der Provinz einschließlich der technischen Vorschriften für Seilbahnanlagen und ihren Betrieb;
•
Übernahme öffentlicher Dienste in Eigenverwaltung und deren Wahrnehmung durch Sonderbetriebe;
•
Fremdenverkehr und Gastgewerbe einschließlich der Führer, der Bergträger, der Schilehrer und der Schischulen;
•
Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Forstpersonal, Vieh- und Fischbestand, Pflanzenschutzanstalten, landwirtschaftliche Konsortien und landwirtschaftliche Versuchsanstalten, Hagelabwehr, Bodenverbesserung,
•
Enteignungen aus Gründen der Gemeinnützigkeit in allen Bereichen der Landeszuständigkeit;
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•
Errichtung und Tätigkeit von Gemeinde- und Landeskommissionen zur Betreuung und Beratung der Arbeiter auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung;
•
Wasserbauten der dritten, vierten und fünften Kategorie;
•
öffentliche Fürsorge und Wohlfahrt;
•
Kindergärten;
•
Schulfürsorge für jene Zweige des Unterrichtswesens, für die den Provinzen Gesetzgebungsbefugnis zusteht;
•
Schulbau;
•
Berufsertüchtigung und Berufsausbildung.
Die primären Gesetzgebungsbefugnisse stehen ausschließlich dem Land zu. Art 4 Statut bezeichnet als Schranken dieser Kompetenz die Verfassung, die Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung, die Achtung der internationalen Verpflichtungen und der nationalen Interessen – welche auch den Schutz der örtlichen sprachlichen Minderheit einschließt – sowie die grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik Italien. Nach der Verfassungsreform von 2001 machte sich allenthalben in Südtirol die Hoffnung breit, dass sich diese Schranken auf drei vermindert hätten, und zwar auf die Verfassung, die EU-Verpflichtungen und die weiteren internationalen Verpflichtungen Italiens, da im neuen Titel V der Verfassung nur mehr diese drei Erwähnung finden. Diese Erwartungen erfüllten sich allerdings nicht: der Verfassungsgerichtshof hat in zwei Erkenntnissen die Schranken der grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik, der nationalen Interessen und der Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung bestätigt.728 Nach dem Verfassungsgerichtshof bestünden die obgenannten Schranken für die Wahrnehmung der im Sonderstatut von 1972 vorgesehenen Kompetenzen unverändert weiter; für die neuen Kompetenzen, die Südtirol durch die Verfassungsreform 2001 erhält, würden hingegen nur die Schranken der EU-Verpflichtungen, die anderen internationalen Verpflichtungen Italiens und die Verfassung gelten.729 (2) Die sekundäre (konkurrierende) Gesetzgebung (Art 9 Statut) Die Provinzen erlassen im Rahmen der in Art 5 gesetzten Grenzen Gesetzesbestimmungen auf folgenden Sachgebieten: •
Ortspolizei in Stadt und Land;
•
Unterricht an Grund- und Sekundarschulen (Mittelschulen, humanistische Gymnasien, Realgymnasien, pädagogische Bildungsanstalten, Fachoberschulen, Fachlehranstalten und Kunstschulen);
•
Handel;
728 729
Urteile des VfGH Nr 536/2002 und 48/2003. Giuseppe Avolio, competenze, 34.
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•
Lehrlingswesen, Arbeitsbücher, Kategorien und Berufsbezeichnungen der Arbeiter,
•
Errichtung und Tätigkeit von Gemeinde- und Landeskommissionen zur Kontrolle der Arbeitsvermittlung;
•
Öffentliche Vorführungen, soweit es die öffentliche Sicherheit betrifft;
•
Öffentliche Betriebe, unbeschadet der durch Staatsgesetze vorgeschriebenen subjektiven Erfordernisse zur Erlangung der Lizenzen, der Aufsichtsbefugnisse des Staates zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und des Rechts des Innenministeriums, im Sinne der staatlichen Gesetzgebung die auf diesem Gebiete getroffenen Verfügungen, auch wenn sie endgültig sind, von Amts wegen aufzuheben. Die Regelungen der ordentlichen Beschwerden gegen die genannten Verfügungen erfolgt im Rahmen der Landesautonomie;
•
Förderung der Industrieproduktion;
•
Nutzung der öffentlichen Gewässer, mit Ausnahme der Großableitungen zur Erzeugung elektrischer Energie;
•
Hygiene und Gesundheitswesen, einschließlich der Gesundheits- und Krankenhausfürsorge;
•
Sport und Freizeitgestaltung mit den entsprechenden Anlagen und Einrichtungen.
Die sekundären Gesetzgebungsbefugnisse entsprechen etwa der Rechtsfigur der Ausführungsgesetzgebung des Art 12 des österr B-VG; dh die Grundsätze, die im Staatsgesetz festgelegt sind, sind zu respektieren, das Land hat aber in der Detailgesetzgebung freie Hand. Neben den oben (aa) angeführten Schranken besteht noch zusätzlich die Bindung an die „grundlegenden Prinzipien“, die der Staat festlegt. Diese Formulierung „grundlegende Prinzipien“ ersetzt seit der Verfassungsreform von 2001 die vorherige Bestimmung, dass sich das Land in der Ausübung der sekundären Gesetzgebungsbefugnis an die „in den Gesetzen des Staates festgelegten Grundsätze“ zu halten habe und erlaubt Südtirol somit einen größeren autonomen Spielraum in diesem Bereich.730 (3) Die tertiäre Gesetzgebungsbefugnis Diese dritte Gesetzgebungsbefugnis, auch „ergänzende“ Gesetzgebungsbefugnis731 genannt, ist in Art 6 Statut und Art 10 Statut geregelt und betrifft in erster Linie die Sozialfürsorge und die Arbeitsvermittlung.732 Sie dient zur „Ergänzung der staatlichen Gesetzesbestimmungen“ (Art 10 Statut), dh es be730
731 732
Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, hg von der Südtiroler Landesregierung, 7. Auflage, Bozen 2002, 158. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 159. Oskar Peterlini, Autonomie und Minderheitenschutz in Südtirol und im Trentino, hg vom Präsidium des Regionalrates der Autonomen Region Trentino-Südtirol, Bozen/Trient 2000, 129.
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steht für das Land Südtirol die Möglichkeit, in diesen beiden Bereichen weitere Gesetzesbestimmungen zu erlassen. Zwar gelten die Staatsgesetze uneingeschränkt auch für Südtirol, aber das Land kann „ergänzend“ tätig werden. Ihre Schranken sind äußerst umstritten; von Südtiroler Seite geht man davon aus, dass dabei nur die Schranken der primären Gesetzgebung einzuhalten seien.733 (4) Die „delegierte Gesetzgebung“ und die „dynamische Autonomie“ Die Grundlage der „dynamischen Autonomie“, einer Weiterentwicklung der Südtirol – Autonomie im Sinne eines Ausbaus der Landeskompetenzen findet sich bereits im Art 17 Statut: „Mit Staatsgesetz kann der Region und den Provinzen die Befugnis zuerkannt werden, Gesetzesbestimmungen für Dienste zu erlassen, die sich auf Sachgebiete beziehen, die nicht in die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche gemäß diesem Statut fallen“. Demnach kann der Staat über die vom Statut zuerkannten Gesetzgebungsbefugnisse hinaus noch weitere Gesetzgebungsbefugnisse zuerkennen; diese Möglichkeit wird als „delegierte“ oder „übertragene“ Gesetzgebungsbefugnis bezeichnet.734 Die Notwendigkeit zur Sanierung der Staatsfinanzen hat den Staat bewogen, dieses jahrzehntelang ungenutzte Rechtsinstitut zu nutzen. Der Staat ging auf das Angebot des Landes Südtirol ein, anstelle einer Kürzung der Finanzmittel dem Land neue Zuständigkeiten zu übergeben, für deren Kosten zur Gänze oder zumindest zu einem Großteil das Land aufkommen würde. 735 So kam es zu mehreren Delegierungen des Staates, die zwar vorderhand Verwaltungsfunktionen zum Gegenstand hatten, gleichzeitig aber auch einige neue Gesetzgebungskompetenzen des Landes begründeten: mit LD vom 21. 09. 1995, Nr 429, wurden dem Land Südtirol die Ämter der Zivilmotorisierung und für die konzessionierten Transporte delegiert und gleichzeitig diese Ämter auch überstellt; mit LD vom 21. 09. 1995, Nr 430 wurden dem Land die Arbeitsvermittlung übertragen, das bisher zuständige Regionalamt aufgelöst.736 Für beide „Delegierungsfälle“ wurde bestimmt, dass das Land Südtirol die Organisation dieser Verwaltungsbefugnisse mit Landesgesetzen zu regeln hätte: also eine den übertragenen Verwaltungskompetenzen immanente Gesetzgebungsbefugnis. Ein „Qualitätssprung“ in der delegierten Gesetzgebung wurde durch das Staatsgesetz vom 28. 12. 1995, Nr 549 erreicht, das seitdem als Grundlage der sog „dynamischen Autonomie“ gilt.737 Dieses Staatsgesetz 549/1995 über „Maßnahmen zur Rationalisierung der öffentlichen Finanzen“ sah einen Ausbau der Zuständigkeiten der Regionen mit Normalstatut vor, um den Staatshaushalt zu entlasten. Unter Art 54 Abs 56 dieses Gesetzes wurde folgende Bestimmung zugunsten der Regionen mit Sonderstatut sowie der Provinzen 733 734 735 736 737
Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 159. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 156. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 156. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 157. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 162.
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Bozen und Trient eingefügt: „Den Regionen mit Sonderstatut und den Autonomen Provinzen Trient und Bozen sind, mittels Durchführungsbestimmungen und nach Einholen des Gutachtens der entsprechenden paritätischen Kommissionen (der Sechser- und der Zwölferkommission, Anm), weitere Funktionen übertragen, um die in den jeweiligen Sonderstatuten vorgesehenen Kompetenzen zu vervollständigen; um die organische Ausübung der übertragenen Zuständigkeiten zu ermöglichen, werden mit denselben Durchführungsbestimmungen den Regionen und Autonomen Provinzen selbst, für das jeweilige Gebiet, auch die Ausübung von Gesetzgebungsbefugnissen sowie jene Befugnisse der Verwaltung delegiert, die von den unterdrückten staatlichen Ämtern ausgeübt wurden und in der Zuständigkeit des Staates verblieben sind“.738 Damit ergaben sich für Südtirol folgende Vorteile: •
zum einen konnte ab nun die Delegierung staatlicher Kompetenzen an das Land durch Durchführungsbestimmungen erfolgen und musste nicht mehr als Staatsgesetze den umständlichen Weg durch beide Kammern des römischen Parlamentes gehen, wie noch in Art 17 Statut vorgesehen;
•
zum anderen handelt es sich um eine Generalermächtigung, die nicht bereichsspezifisch ist und somit nicht von Fall zu Fall gesetzliche Einzelermächtigungen erteilt werden müssen;739
•
weiters wurde die Existenz der Sechser – und der Zwölferkommission gesichert, die ursprünglich, nach Erfüllung des Paketes, nur mehr für etwaige Abänderungen an bestehenden Durchführungsbestimmungen zuständig gewesen wären und nun aber auch für die neuen Durchführungsbestimmungen zuständig sind.740 Damit ist die Mitwirkung Südtiroler Vertreter an der Ausarbeitung der neuen Durchführungsbestimmungen gesichert.
Allerdings weist diese Regelung auch zwei Nachteile auf: es handelt sich dabei um eine Gesetzgebungsbefugnis auf Zeit, dh sie ist jederzeit widerrufbar; zudem wurde dem Regierungskommissar, seit jeher der ungeliebte Vertreter der römischen Zentralregierung in Südtirol, das Kontrollrecht für jene Zuständigkeiten zugesprochen, die der Staat delegiert hat.741
738 739 740
741
Übersetzung zitiert nach Oskar Peterlini, Minderheitenschutz, 153. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 163. Oskar Peterlini, Minderheitenschutz, 153; Peterlini stützt diese These noch mit einer Erkenntnis des Staatsrates, der im Gutachten 3302/95 vom 29. November 1995 folgendes ausführte: „Die beiden Autonomiekommissionen sind nicht nur für alle Abänderungen an bestehenden Durchführungsbestimmungen zuständig, sondern auch für alle weiteren Durchführungsbestimmungen, die bislang noch nicht geregelte Themenbereiche betreffen.“ Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 276.
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Die Finanzierung der neuen Zuständigkeiten hat gem Staatsgesetz 549/1995 so zu erfolgen, dass Einsparungen für den Staatshaushalt gesichert werden. Aufgrund des Staatsgesetzes 549/1995 sind an das Land die Zuständigkeiten für die Staatsstraßen und die medizinischen Notdienste delegiert worden; aufgrund des Art 54 Abs 56 desselben Gesetzes wurden im Laufe der Jahre dem Land Südtirol die Kompetenzen im Bereich des Dienst – und Besoldungsrechtes des Lehrpersonals (LD 434/1996) und der Energie und der öffentliche Gewässer (LD 463/1999) abgetreten. (5) Besondere Befugnisse des Landes Laut Art 11 Statut kann das Land, nach Einholen der Stellungnahme des Schatzministeriums, die Eröffnung und Verlegung von Bankschaltern von Kreditanstalten „örtlichen, provinzialen und regionalen Charakters“ genehmigen. Weiters ernennt das Land, nach Einholen einer Stellungnahme des Schatzministeriums, den Präsidenten und Vizepräsidenten der Südtiroler Sparkasse (Art 11 Abs 3 Statut). Laut Art 73 Statut kann das Land Zuschläge auf die von der Region festgesetzten Abgaben vorschreiben. Nach Art 96 Statut kann der Landesgesetzgeber in Gemeinden, die in Ortschaften oder Fraktionen unterteilt sind, eigenständige Ämter des Friedensrichters einrichten. cc) Die Kompetenzen auf dem Gebiet der Verwaltung (1) Die eigene Verwaltung Nach Art 16 Statut ist die Provinz auf allen Gebieten, in denen ihr eine Gesetzgebungskompetenz zukommt, auch zur Verwaltung berufen. Dieses Grundprinzip der „Parallelität“742 zwischen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen könnte durch die Verfassungsreform von 2001 bedroht sein: nunmehr sind die Verwaltungsfunktionen in erster Linie den Gemeinden zugewiesen (Art 118 Abs 1 Verf). Bis jetzt hat sich Südtirol einer Abgabe von Verwaltungskompetenzen mit dem Hinweis auf die Anpassungsbestimmung des Art 10 VerfG 3/2001 entzogen. In dieser Anpassungsbestimmung wird ausdrücklich festgelegt, dass bis zur Angleichung des Autonomiestatutes an die neue Verfassung nur solche Bestimmungen gelten, die dem Land ein mehr an Autonomie bringen. Nun bringt die Bestimmung in Art 118 Abs 1 Verf nicht dem Land, sondern den Gemeinden mehr Kompetenzen und ist daher nicht anwendbar, so die Meinung des Landes. Eine aus autonomiepolitischer Sicht durchaus verständliche Haltung, denn aus einer Aufwertung der Gemeinden als vorrangige Träger der Verwaltungsfunktionen könnten sich bedenkliche Situationen ergeben: nur das Land Süd-
742
Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 173.
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tirol als solches besitzt einen verfassungsrechtlichen Sonderstatus. Demnach könnte, bei einer Verlagerung von Verwaltungskompetenzen vom Land an die Gemeinden, der Staat in den Verwaltungsbereichen der Gemeinden eine Gesamtregelung für das Staatsgebiet suchen, die Gemeinden müssten sich dieser anpassen und die Landeskompetenzen auf Verwaltungsebene könnten schrittweise ausgehebelt werden.743 Daher ist bei der Delegierung von Verwaltungsfunktionen an die Gemeinden höchste Vorsicht geboten und es ist zu hoffen, dass die Südtiroler Politik diese Achillesferse erkennt und von Kompetenzabgaben absieht. (2) Die übertragene Verwaltung Der Staat kann durch Gesetz dem Land Aufgaben seiner eigenen Verwaltung übertragen, wobei die Kosten der Staat trägt. Diese Bestimmung wurde in dieser Form nie angewendet. Von Bedeutung sind dagegen die Verwaltungsbefugnisse, die dem Land Südtirol durch Staatsgesetze und Durchführungsbestimmungen übertragen wurden, für deren Kosten zur Gänze das Land aufkommt. Dies erfolgte, wie bereits erwähnt, aus der Notwendigkeit des Staates heraus, Sparmassnahmen zu ergreifen. Im Zuge der Entwicklungen der letzten Jahre, vor allem der Herausbildung der sog „dynamischen Autonomie“ durch das Staatsgesetz 549/1995, erhielt das Land somit bedeutende Verwaltungskompetenzen, die über das Statut hinausgehen. Von besonderer Bedeutung ist hier die Übertragung neuer Zuständigkeiten im Bereich der Energiewirtschaft. Dem Land wurde mit Gesetzesvertretendem Dekret (GvD) Nr. 463 vom 11. 11. 1999 die bisher vom Staat ausgeübte Zuständigkeit zur Vergabe von Konzessionen für Großkraftwerke übertragen.744 Laut Statut besaß Südtirol bis dato nur die Möglichkeit, die Konzessionen für kleine Wasserableitungen zur Energieerzeugung zu vergeben (Art 9 Nr 9 Statut). Weiters sind noch zu nennen die neuen Kompetenzen im Schul- und Hochschulwesen (siehe unten, 2.). (3) Die von der Provinz besorgte Regionalverwaltung Nach Art 18 Statut übt die Region ihre Verwaltungsbefugnisse dadurch aus, dass sie diese Befugnisse den Provinzen, den Gemeinden und den anderen örtlichen Körperschaften überträgt oder sich deren Ämter bedient. Diese Bestimmung führte dazu, dass nunmehr alle Verwaltungsbefugnisse, die bis vor kurzem die Region ausübte, an das Land übergegangen sind.745 Man spricht in diesem Zusammenhang auf Südtiroler Seite von der sog „Aushöhlung“ der ungeliebten Region.
743 744 745
Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 329. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 252 ff. RG Nr. 3 vom 17. 4. 2003, zitiert nach www.regione.taa.it, abgerufen am 22. 2. 2005.
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b) Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Kultur aa)
Schulwesen
Im Bereich des Schulwesens besitzt das Land Südtirol eine Reihe sehr bedeutsamer Kompetenzen in Gesetzgebung und Vollziehung. Obwohl diese zum Teil fragmentarischen Charakters sind, sichern sie dem Land doch die Möglichkeit, das Bildungswesen in beträchtlichem Maße entsprechend den ethnischen Bedürfnissen Südtirols mitzubestimmen. Die Durchführungsbestimmung LD 434/1996 hat zudem im Bereich der Verwaltung dem Land Südtirol bedeutende neue Kompetenzen zugesprochen, die laut Statut bisher dem Staat vorbehalten waren. Die primäre Gesetzgebung und Vollziehung steht dem Land in den Bereichen Schulbau, Schulfürsorge, Berufsertüchtigung und Berufsausbildung zu (Art 8 Nr 27-29 Statut), was einen wesentlichen Teil der berufsbildenden Schulen umfasst. Die sekundäre Gesetzgebung und die darauf bezogenen Verwaltungsbefugnisse stehen dem Land in den Angelegenheiten des Unterrichts an Grundund Sekundarschulen (Mittelschulen, humanistische Gymnasien, Realgymnasien, Pädagogische Bildungsanstalten, Fachoberschulen, Fachlehranstalten und Kunstschulen) zu (Art 9 Nr 2 Statut). Durch Art 19 Statut wird zunächst die Schulsprache nach dem Prinzip der Muttersprache geregelt, wobei der Unterricht in der jeweils anderen Landessprache ab der 2. Klasse Grundschule an Pflicht ist; seit dem Schuljahr 2003/2004 wurde an den deutschen Schulen Italienisch ab der 1. Klasse Grundschule eingeführt, eine Maßnahme, die eindeutig im Widerspruch zu Art 19 Statut steht. Dieser umstrittenen Regelung gingen Monate teils sehr polemischer Diskussionen voraus, denn die Begründung für diesen Schritt war sehr fragwürdig: da die Südtiroler Schüler anscheinend Schwächen im Erlernen des Italienischen aufgewiesen hätten, sei das Vorziehen einer Wochenstunde „spielerischen“ Italienischunterrichts in die erste Klasse unumgänglich, so die damals zuständige Schullandesrätin Sabina Kasslather-Mur (SVP). Nun geht es aber in einem Minderheitengebiet primär darum, dass Kinder zuerst die eigene Muttersprache gut beherrschen, bevor sie sich einer zweiten Sprache, die im restlichen Staatsgebiet ohnehin die dominierende ist, annähern. In Südtirol kommt noch hinzu, dass die deutschen Kinder die Hochsprache erst erlernen müssen, da sie in einem dialektalen Umfeld aufwachsen. Ein Vorziehen des Italienischen kann hier wohl kaum etwas bringen, wenn schon hätten Maßnahmen in den späteren Schuljahren erfolgen sollen (zB Ausweitung des Italienischunterrichts im Gymnasium etc, in einem Alter also, in dem die Muttersprache beim Schüler schon gefestigt ist). Mit dieser Entscheidung wurde von der Südtiroler Volkspartei ein Grundprinzip des Autonomiestatutes, die muttersprachliche Schule, zumindest gefährdet, denn es wird in Zukunft schwer sein, den Verfechtern einer „gemisch-
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ten“ Schule entgegenzutreten, die schon jetzt die Ausweitung des Italienischunterrichts in der 1. Klasse verlangen. Ziel dieser sog „interethnischen“ Gruppen (die va in der Linkspartei „Die Grünen“ vertreten sind) ist die Zerstörung der deutschen Schule und die Schaffung einer gemischtsprachigen Einheitsschule für deutsche und italienische Kinder, um das „Zusammenleben“ durch das Auslöschen des jeweiligen Volkstums möglichst „friedlich“ zu gestalten. Ein positiver Aspekt der neuen Schulpolitik ist hingegen, dass vom einstigen Ziel der Zweisprachigkeit abgegangen wurde; nunmehr soll das Erreichen der „funktionalen Mehrsprachigkeit“ (Unterricht in der Muttersprache, Schulstufen- und klassengerechter Fremdsprachenunterricht in Italienisch bzw Deutsch und in Englisch) gefördert werden.746 Das Erreichen einer perfekten Zweisprachigkeit wird, zu Recht, als Utopie bezeichnet und stattdessen eine funktionale Mehrsprachigkeit (Deutsch, Italienisch, Englisch) gefordert; „funktionale Mehrsprachigkeit“ bedeutet, dass zB in deutschen Schulen Italienisch Schulstufen- und klassengerecht gelehrt wird und zwar als Fremdsprache. Bisher verlangte das Schulkonzept eine andere Auslegung des Italienischen als „Zweite Sprache“, die keine Fremdsprache zu sein hatte, sondern gleichberechtigt neben dem Deutschen, auf gleichem Niveau, gelehrt werden müsse. Hintergrund war die nationalistische Auffassung Roms, dass Italienisch in Italien in staatlichen Schulen nicht als Fremdsprache behandelt werden dürfe. Dies war die eigentliche Ursache dafür, dass die Sprachkompetenz der deutschen Schüler in Italienisch stark nachgelassen hat. Dem wird nun entgegengewirkt; allein, es bleibt der schwere Fehler, durch das Vorziehen des Italienischunterrichts in die 1. Klasse der „gemischten“ Schule eine Hintertür geöffnet zu haben. Diskussionen diesbezüglich wird es in Zukunft in Südtirol zuhauf geben. Es ist ein volkstumspolitisches Problem, das völlig unnötigerweise durch das unerklärliche Einknicken der SVP vor „interethnischen“ Kreisen geschaffen wurde. Das Land besitzt im Bereich des Schulwesens weiters eine Reihe bedeutsamer Verwaltungsbefugnisse, die durch das LD 434/1996 noch erheblich erweitert wurden: •
746
Die Südtiroler Landesregierung ernennt den Hauptschulamtsleiter (zuständig für die Verwaltung der italienischen Schulen und die Aufsicht über die deutschen und ladinischen Schulen) im Einvernehmen mit dem Ministerium für den öffentlichen Unterricht, den deutschen und ladinischen Schulamtsleiter (Zuständig für die Verwaltung der deutschen bzw der ladinischen Schulen) nach Anhörung des Ministeriums. Diese Neuregelung durch das LD 434/1996 delegiert somit dem Land Südtirol das Ernennungsrecht für alle drei Schulamtsleiter, das in
Programm der Landesregierung für die Legislaturperiode 2003–2008, zitiert nach www.provinz.bz.it; SVP-Grundsatzpapier zur Sprachenfrage in deutschen Schulen und Kindergärten (überarbeitete Fassung vom 17. 1. 2005), zitiert nach www.svpartei.org, beide Seiten abgerufen am 22. 2. 2005.
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Art 19 Statut für den Hauptschulamtsleiter und den ladinischen Schulamtsleiter noch dem Staat vorbehalten war. •
Das Land Südtirol ist zuständig für die Besoldung und das Dienstrecht des Lehrpersonals, der Direktoren und Inspektoren.
•
Das Land kann mit Gesetz die staatlichen Lehr- und Prüfungspläne und die Unterrichtszeiten abändern sowie neue Unterrichtsfächer einführen.747
Der Staat hat sich aber noch gewichtige Mitspracherechte im Bereich des Schulwesens vorbehalten, sodass von einem gänzlichen Übergang des Schulwesens in die ausschließliche Verwaltungsbefugnis des Landes („Schule beim Land“, eine langjährige Forderung der Südtiroler) noch nicht gesprochen werden kann.748 Durch die bereits erwähnte „Devolution“ könnten sich hier interessante Entwicklungen ergeben. Die Kompetenzen auf dem Gebiet des Hochschulwesens sind nach dem Statut gering: nach Art 19 Abs 15 hat der Staat vor der allfälligen Errichtung von Universitäten im Bereich des Landes die Stellungnahme der Region und der Provinzen einzuholen. Durch das Dekret des Präsidenten der Republik (DPR) 575/88 wurde dem Land Südtirol die Zuständigkeit im Bereich der Hochschulfürsorge zugesprochen. Einen Durchbruch auf dem Gebiet des Hochschulwesens bedeutete das Staatsgesetz Nr 127 vom 15. 05. 1997, das dem Land Südtirol die Zuständigkeit einräumte, eine nichtstaatliche Hochschule zu gründen, geführt von Privaten oder einer Körperschaft. Am 31. Oktober 1997 erfolgte der Gründungsakt der „Freien Universität Bozen“, die mittlerweile 4 Fakultäten umfasst (Wirtschaft, Design, Bildungswissenschaften und Informatik) und an der 2000 Studenten inskribiert sind.749 Im Sinne des Art 17 Statut wurde dem Land weiters die Zuständigkeit zur Finanzierung dieser Universität sowie auf dem Sachgebiet Universitätsbauten delegiert.750 Weiters wurde, immer aufgrund des Gesetzes 127/1997, eine „Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe“ in Bozen gegründet, die die Ausbildung des nichtärztlichen Personals im Gesundheitsbereich zum Ziel hat. Die Gründung der „Freien Universität Bozen“ war heftigst umstritten. Volkstumspolitische Kreise befürchteten, nicht zu Unrecht, dass diese Gründung das Verhältnis zur offiziellen Gesamttiroler Landesuniversität Innsbruck trüben könnte und es durch die Universität Bozen zu einer größeren italienischen Zuwanderung kommen könnte. 747 748 749 750
Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 196. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 187. Zitiert nach www.unibz.it, abgerufen am 23. 2. 2005. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 212 ff.
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Verfassungsmäßiger Zustand
Dazu ist zu sagen, dass die Angst vor einer Zuwanderung sich als unbegründet erwies: der Großteil der Bozner Studenten sind bundesdeutsche „Numerus-clausus-Flüchtlinge“. Das Verhältnis zwischen der neuen Bozner Universität und der Innsbrucker Landesuniversität ist, entgegen den offiziellen Verlautbarungen, allerdings mehr als schlecht.751 Besorgniserregend waren zudem die Äußerungen des Südtiroler Landeshauptmannes Luis Durnwalder, der von einer Verlegung des Institutes für integrierte Rechtswissenschaften (italienisches Recht) von Innsbruck nach Bozen sprach.752 Dieser Plan traf zwar auf die einhellige Ablehnung der SVP, allerdings ist es doch beunruhigend, mit welch mangelnder Sensibilität gegen Eckpfeiler der Gesamttiroler Identität vorgegangen wird. bb) Volkskultur Im Bereich der Volkskultur kommt dem Land eine Palette von zum Teil sehr umfassenden Kompetenzen zu: (1) Die primäre Gesetzgebung und Vollziehung steht dem Land Südtirol auf folgenden Gebieten zu: •
Schutz und Pflege der geschichtlichen, künstlerischen und volklichen Werte (Art 8 Nr 3 Statut);
•
örtliche Sitten und Gebräuche sowie kulturelle Einrichtungen (Bibliotheken, Akademien, Institute, Museen) provinzialen Charakters; örtliche künstlerische, kulturelle und bildende Veranstaltungen und Tätigkeiten; es können hierfür auch Rundfunk und Fernsehen verwendet werden, unter Ausschluss der Befugnis zur Errichtung von Hörfunkund Fernsehstationen (Art 8 Nr 4 Statut).
•
Ordnung der geschlossenen Höfe und der auf alten Satzungen oder Gepflogenheiten beruhenden Familiengemeinschaften (Art 8 Nr 8 Statut).
(2) In Ausführung dieser Kompetenzbestimmungen erließ die Landesregierung ein Kulturförderungsgesetz, das die Einsetzung von drei Kulturbeiräten vorsah: je einer für die deutsche, italienische und ladinische Volksgruppe. Ein Koordinierungskomitee behandelt und begutachtet etwaige gemeinsame Vorhaben der drei Volksgruppen.753 Es wurde sodann eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, die der Erhaltung der Südtiroler Volkskultur dienen:
751
752 753
Vortrag von o.Univ.-Prof. Dr. Bernhard Eccher vor dem „Südtiroler Freundeskreis der Universität Innsbruck“ im November 2004; der Verfasser war persönlich anwesend und war von der Offenheit, mit der diese Problematik angesprochen wurde, mehr als überrascht. Hier scheint hinter den Kulissen wirklich mit harten Bandagen gekämpft zu werden. Dolomiten vom 6. 6. 1995. Südtirol-Themen, hg von der Südtiroler Landesregierung, Bozen 2002, 25.
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•
Eine Reihe von Institutionen wurde zur Darstellung, Förderung, Erforschung und Koordinierung der Volkskultur eingerichtet, wie das Landesdenkmalamt, das Landesarchiv, das Ladinische Kulturinstitut sowie eine Reihe von Landesmuseen, unter denen das Volkskundemuseum in Dietenheim und das international bekannte Archäologiemuseum in Bozen (mit der 4.000 Jahre alten Gletschermumie „Ötzi“) hervorragen.754
•
Daneben wird das Land durch Beiträge und andere Fördermaßnahmen zur Pflege der vielfältigen Südtiroler Volkskultur (210 Musikkapellen, 390 Chöre, 206 Laienspielbühnen sowie eine Vielzahl von Trachtenund Volkstanzgruppen)755 tätig.
(3) Da dem Land laut Statut das Betreiben eigener Hörfunk- und Fernsehstationen verboten ist, wurde durch das DPR 691/1973 eine eigene deutsche Abteilung des staatlichen Rundfunks RAI in Bozen eingerichtet. Dieser RAISender Bozen hat die Aufgabe, Hörfunk- und Fernsehprogramme in deutscher und ladinischer Sprache zu produzieren und auszustrahlen und ist vor allem von lokaler Bedeutung.756 (4) Laut Art 10 Statut ist das Land ermächtigt, den Empfang von Hörfunkund Fernsehprogrammen aus dem deutschen Kulturraum „mittels Verwendung jeglichen technischen Mittels zu ermöglichen“. Dazu wurde die Rundfunk- und Fernsehanstalt Südtirol RAS gegründet, die durch ein weit verzweigtes Netz an Umsetzerstationen den Empfang von österreichischen, deutschen und schweizerischen Programmen in Südtirol ermöglicht.757 cc) Erwachsenenbildung Auch auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung besitzt das Land Südtirol wichtige Kompetenzen. Eine Reihe von primären Gesetzgebungskompetenzen ermöglicht es dem Land, Regelungen über die Berufsausbildung und –fortbildung zu treffen bzw die Weiterbildung zu fördern (Art 8 Nr 20, 21 29 Statut). Auch unter den oben beschriebenen Kompetenztatbestand des Art 8 Nr 4 Statut (örtliche Sitten und Bräuche) fallen eine weite Reihe bedeutsamer Möglichkeiten der Erwachsenenbildung, was durch die weite Formulierung begünstigt wird. Auch könne unter dem Titel „Freizeitgestaltung“ Regelungen gemäß Art 9 Statut (sekundäre Gesetzgebungskompetenz) erlassen werden.
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Südtirol-Themen, 25. Südtirol-Themen, 24. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 215. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 218.
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Verfassungsmäßiger Zustand
dd) Wissenschaftsförderung Neben der Bereitstellung von Stipendien für Studenten wird vor allem konkret verwertbare Forschung durch das Landesinstitut für Statistik ASTAT (Arbeitsmarktentwicklung, Demographie, Entwicklungsplanung) sowie durch die landwirtschaftliche Versuchsanstalt Laimburg (Obstanbau, Schädlingsbekämpfung) betrieben. Weiters wird durch umfangreiche Landesförderungen die Forschung und Lehre der „Europäischen Akademie Bozen“ in den Bereichen „Sprache und Recht“, „Ethnische Minderheiten und regionale Autonomien“, „Alpine Umwelt“ und „Management und Unternehmenskultur“, sowie der bereits erwähnten „Freien Universität Bozen“ und der „Internationalen Hochschule für Alpinen Tourismus“ in Bruneck ermöglicht. ee)
Ortsnamengebung
Dieses Kapitel ist das „heißeste Eisen“ unter den offenen volkstumspolitischen Fragen Südtirols. Es handelt sich bei der sog „Toponomastik“ um die Wiedergutmachung eines faschistischen Unrechts, nämlich der Italianisierung der Südtiroler Ortsnamen in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.758 Unter dem faschistischen Regime wurden die deutschen Ortsnamen verboten und durch italienische ersetzt;759 dabei stützte man sich auf das sog „Prontuario dei nomi locali dell'Alto Adige“ des ital Nationalisten Ettore Tolomei (18561952), der durch die zT willkürliche Erfindung einer italienischen Ortsnamengebung die angebliche „Italianità“ Südtirols beweisen wollte. Ausgehend von der Veramtlichung der wenigen historisch gewachsenen italienischen Ortsnamen760 wurde unter Rückgriff auf lateinische Bezeichnungen bzw reine Erfindungen eine neue, flächendeckende Ortsnamengebung geschaffen und als allein gültige festgeschrieben. Die Ausgangslage vor den Autonomieverhandlungen war demnach die, dass nur italienische Ortsnamen amtliche Gültigkeit besaßen.761
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Über den Unrechtscharakter von willkürlichen Übersetzungen von Orts- und Flurnamen, die als unzulässiger Eingriff in die Identität des davon betroffenen Volkes betrachtet werden, siehe Peter Hilpold, Modernes Minderheitenrecht, Innsbruck 2001, 360. Die entsprechenden Regelungen finden sich im KglD Nr 800/1923, im Gesetz Nr 473/1925 und im MD vom 10. 7. 1940; näheres dazu siehe: Peter Pernthaler/Peter Hilpold, Rechtsgutachten Gemeinde Moelten, 7 f. Dies waren 29 Ortsnamen: Appiano, Bolzano, Brennero, Bressanone, Bronzolo, Brunìco, Cortina, Egna, Gargazzone, Laives, Magré, Merano, Ora, Postal, Slorno, San Candido, Stérzen (anstatt Vipiteno), Trodena, Vadena, Venosta, Passiria, Brugraviato, Pusteria, Adige, Isarco, Drava; vgl dazu auch die Tabelle im Anhang 2 dieses Buches. Ein kurzes Intermezzo bildete dabei die Zeit von 1943–1945, in der Südtirol der „Operationszone Alpenvorland“ angegliedert war und somit der deutschen Zivilverwaltung unterstand. In dieser Zeit wurde die grundlegenden Rechte der deutschen und ladinischen Volksgruppe wiederhergestellt und durch die „Verordnung
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Im Pariser Vertrag von 1946 findet sich unter Art 1 b) die Bestimmung, dass die deutsche Sprache der italienischen „…in öffentlichen Ämtern und amtlichen Urkunden wie auch in der zweisprachigen Ortsnamengebung“ gleichgestellt sei. Dieser Terminus der „zweisprachigen Ortsnamengebung“ fand Eingang in das zweite Autonomiestatut von 1972, das dem Land in diesem Bereich die primäre Gesetzgebungskompetenz zuspricht (Art 8 Nr 2 Statut) und darüberhinaus bestimmt, dass „…die öffentlichen Verwaltungen gegenüber den deutschsprachigen Bürgern auch die deutschen Ortsnamen verwenden (müssen), wenn ein Landesgesetz ihr Vorhandensein festgestellt und die Bezeichnung genehmigt hat“ (Art 101 Statut). Ein entsprechendes Landesgesetz ist bis heute nie erlassen worden. Der Grund für diese Säumigkeit des Landesgesetzgebers liegt in der volkstumspolitischen Brisanz des Regelungsgegenstandes: während Vertreter der deutschen Volksgruppe die Abschaffung der faschistischen Ortsnamen fordern, beharren die Mandatare der italienischen Volksgruppe auf dem Status quo und wären höchstens bereit, den deutschen Namen amtliche Gültigkeit zu verleihen und sie den italienischen zur Seite zu stellen. In dieser Debatte kommt der Interpretation des Terminus „zweisprachige Ortsnamen“ besondere Bedeutung zu: die Vertreter der deutschen Volksgruppe unterstreichen, dass „Zweisprachigkeit“ nicht „Zweinamigkeit“ bedeuten müsse und daher trotz der problematischen Formulierung des Autonomiestatutes nicht davon auszugehen ist, dass den historisch gewachsenen deutschen Ortsnamen zwangsläufig ein italienischer zur Seite zu stellen sei. Diese Ansicht wird auch durch eine teleologische Interpretation des Autonomiestatutes gestützt: das Statut dient, neben dem Schutz der deutschen und ladinischen Volksgruppe, vor allem der Wiedergutmachung faschistischen Unrechtes.762 Nun wurden von den Tausenden deutschen Orts- und Flurnamen nicht alle, sondern nur 8.000 von Tolomei übersetzt und durch faschistische Dekrete als amtlich eingeführt. Eine wörtliche Auslegung des Art 8 Nr 2 Statut würde bedeuten, dass für alle, auch die noch nicht übersetzten Ortsnamen, eine italienische Bezeichnung gefunden werden müsste.763 Dies käme einer Fortschreibung der faschistischen Zwangsmassnahme gleich und wäre mit dem Geist des Statutes unvereinbar. Daher kann man davon ausgehen, dass es sehr wohl Spielraum für eine den Südtiroler Gegebenheiten angemessene Lösung gibt.
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über vorläufige Ortsbezeichnungen in der Provinz Bozen“ auch die deutschen Ortsnamen wieder für amtlich gültig erklärt. Vgl Peter Pernthaler/Peter Hilpold, Rechtsgutachten Gemeinde Mölten, 10. Im Falle der Ortschaft Laimburg ist dies auch geschehen: als in den 1970er eine Autobahnraststätte mit dem Namen Laimburg eröffnet wurde, musste vom Land dem deutschen Namen Laimburg ein italienischer zur Seite gestellt werden; es wurde der Name „Castelvarco“ gewählt und mit Landesgesetz eingeführt. Sollte beispielsweise der Gesetzesentwurf der „Grünen“ verwirklicht werden, der die generelle Zweinamigkeit aller Orts- und Flurnamen in Südtirol vorsieht, würde dieses Paradoxon in ganz Südtirol Anwendung finden.
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Verfassungsmäßiger Zustand
Auf deutscher Seite gibt es hierzu zwei Vorschläge, die auf eine weitgehende Abschaffung der (unhistorischen) italienischen Ortsnamen abzielen. Der Vorschlag der „Arbeitsgruppe der Vereine für die Ortsnamengebung“764 sieht die Anerkennung der historisch gewachsenen italienischen Ortsnamen765 vor bei gleichzeitiger Abschaffung der faschistischen Dekrete, die die Einführung der Namen des „Prontuario“ und deren alleinige amtliche Gültigkeit vorsehen und bis heute gelten. Innerhalb der „Arbeitsgruppe“ gibt es auch Überlegungen, anstatt der Anerkennung der wenigen historisch gewachsenen italienischen Ortsnamen eine sog „Prozentlösung“ nach Kärntner Vorbild zu praktizieren. Erreicht die italienische Volksgruppe in einer Gemeinde eine bestimmte Prozentzahl,766 so führt die Gemeinde zusätzlich zum deutschen auch einen italienischen Namen. Die rechtliche Grundlage dieser Lösungen sieht die Arbeitsgruppe in dem sog Martinez-Cobo-Bericht767 bzw in dem Entwurf der UNO-Deklaration über die „Rechte der indigenen Völker“, die die willkürliche Übersetzung von Ortsnamen als „kulturelle Aggression“ bezeichnen und deren Rücknahme fordern. Daher, so die Arbeitsgruppe, sei der im Autonomiestatut verwendete Terminus „zweisprachige Ortsnamen“ nicht im Sinne von „Zweinamigkeit“ zu interpretieren, da dies der UNO-Deklaration und dem Geist des Autonomiestatutes widerspreche768. 764
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In dieser Arbeitsgruppe sind folgende Vereine organisiert: Südtiroler Bauernbund, Südtiroler Bauernjugend, Südtiroler Schützenbund, Alpenverein Südtirol, Landesverband für Heimatpflege; diese Vereine haben insgesamt über 80.000 Mitglieder und bilden daher eine nicht zu unterschätzende Lobby. Wobei hier die Definition „historisch gewachsene italienische Ortsnamen“ bereits sehr weit gezogen wird: laut dem Gesetzesvorschlag der Union für Südtirol vom Februar 2005 würden nicht nur die Ortsnamen in Betracht kommen, die nachweislich amtlichen Charakter hatten, sondern auch all jene, die mündlich überliefert sind; alles in allem wären dies 200 Ortsnamen, vgl http://www.unionfs.com/ 12d2449.html. Meist wird hier von 20% gesprochen, vgl „Tiroler Stimmen in Strassburg“, Interview mit dem Vorsitzenden der Südtiroler Freiheitlichen, Pius Leitner, Junge Freiheit Nr 31-32/1999. Dieser Bericht wurde in den 1970er Jahren erstellt und diente der Vorbereitung des 1992 genehmigten Entwurfs der „UNO-Deklaration der Rechte der indigenen Völker“ von 1992, vgl http://www.learnline.nrw.de/angebote/agenda21schulen/medio/ Chatderweten/Indigene/mat_indigene/Reader_Indigene_Voelker_und_Landrechte. pdf. Peter Hilpold, Toponomastik und Völkerrecht, Finden sich im Völkerrecht Lösungen für die Südtiroler Toponomastikdiskussion, in: Academia, Heft 21, DezemberMärz 2000, abgerufen unter http://www.eurac.edu/Press/Academia/21/Art_9.asp am 10.08.2005, widerspricht dieser Auslegung: da es sich bei den Südtirolern um kein indigenes Volk handle, sei eine Analogie nicht zulässig. Allerdings stellt sich mE bei diesem Einwand die Frage, ob damit nicht überaus formalistisch auf die Definition eines Volkes als „Stammesvolk“ oder „indigenes Volk“ abgestellt wird und dem Hauptpunkt der Regelungsmaterie der UNO-Deklaration, die Wiedergutmachung imperialistischen Unrechts, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. ME ist ein Analogieschluss angesichts des unbestreitbaren imperialistischen Unrechts,
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Der Südtiroler Landeshauptmann Durnwalder trat im Januar 2000 mit einem Gesetzentwurf an die Öffentlichkeit, der einen Kompromiss darstellen sollte. Es sollte eine Unterteilung der Ortsnamen in eine sog „Makrotoponomastik“ (die Namen der 116 Südtiroler Gemeinden, der Fraktionen mit mehr als 100 Einwohnern, der Flüsse, die ein ganzes Tal durchqueren sowie der wichtigsten Pässe und Gebirgsstöcke), die zweinamig, und eine „Mikrotoponomastik“, die alle anderen Ortsnamen umfasst und deren Gestaltung (einnamig, zweinamig oder, etwa im Falle der ladinischen Täler, dreinamig) den Gemeinden überlassen bleibt, vorgenommen werden. Während im Falle einer „historischen Lösung“ oder einer „Prozentlösung“ eine sehr geringe Zahl an italienischen Ortsnamen anerkannt werden würden, hätte die Verwirklichung des Durnwalder-Vorschlages die Anerkennung von 550 faschistischen Übersetzungen, noch dazu der wichtigsten Ortsnamen, zur Folge. Dies ist der Hauptkritikpunkt volkstumspolitischer Kreise, die darin eine Festschreibung des faschistischen Unrechtes sehen. Beiden Lösungsmodellen ist gemein, dass ihre Realisierung auf große Schwierigkeiten stoßen wird.769 Zwar könnte die SVP mit ihrer Mehrheit im Landtag den Durnwalder – Vorschlag durchbringen, doch hat die italienische Rechtsopposition in der Vergangenheit wiederholt mit Obstruktion gedroht, sollte die Ortsnamenregelung auf die Tagesordnung des Landtages gesetzt werden. Sollte nun die Beschlussfassung im Landtag glücken, so wird sicher der VfGH angerufen werden, und es ist sehr zweifelhaft, ob dessen Entscheidung in dieser volkstumspolitisch heiklen Frage dem berechtigten Anliegen der Südtiroler entgegenkommt. Wahrscheinlicher wäre wohl eine Aufhebung des Gesetzes. Eine Lösung dieser Frage könnte die Erarbeitung einer entsprechenden Durchführungsbestimmung in der Sechserkommission bedeuten, die, wie Pernthaler/Hilpold in ihrem Rechtsgutachten zu dieser Materie feststellten, „…zwar auch nicht am Wortlaut der einschlägigen Autonomiebestimmungen vorbei kann, mit welcher aber die einschlägigen Regelungen minder-
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das den Südtirolern durch die tolomeischen Übersetzungen zugefügt wurde, durchaus möglich. Die Tatsache, ob es sich bei den Leidtragenden um ein indigenes Volk handelt oder nicht, ist mE nicht von Bedeutung, denn die globale Wiedergutmachung und zukünftige Vermeidung solch imperialistischer Akte ist die ratio der UNO-Deklaration. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie man, wie Hilpold, mit solch einer formalistischen Argumentation dann den Durnwalder-Vorschlag rechtfertigen kann, nur einige wenige Ortsnamen einnamig zu benennen; handelt sich es um ein Unrecht, so ist es wiedergutzumachen, abgesehen von der rechtlichen Einordnung des betroffenen Volkes oder der betroffenen Volksgruppe (wobei auch Kompromisse zu schließen sind), handelt es nicht um ein Unrecht, so muss man die Zweinamigkeit akzeptieren. Die Einteilung in Mikro- und Makrotoponomastik ist hierbei nicht hilfreich und geht am Problem vorbei. Der Punkt „Ortsnamenregelung“ befindet sich seit 20 Jahren ununterbrochen in Regierungsprogramm der Landesregierung, ohne dass die Materie geregelt worden wäre.
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heitenfreundlich präzisiert werden könnten und die dann auch nicht mehr vor dem Verfassungsgerichtshof beanstandet werden könnte“.770 Angesichts dieser schwierigen Ausgangslage stellt sich die Frage, ob es seitens des Südtiroler Landeshauptmannes politisch opportun war, sich auf einen Kompromissvorschlag festzulegen, der von vorneherein mit der gesamten Makrotoponomastik den Kernbereich der Ortsnamengebung aufgibt. Wenn man bedenkt, wie die Autonomieverhandlungen in den Jahrzehnten zuvor verlaufen waren, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Durchführungsbestimmungen hart erkämpfte Kompromisse darstellen. Geht man, wie die SVP in der Toponomastikfrage, schon von vorneherein mit einem Minimalprogramm in die Verhandlungen der Sechserkommission, wären weitere Zugeständnisse wohl unvermeidbar. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Durnwalder – Vorschlag als „Kompromiss“ gescheitert ist, denn er war unter den gemäßigten Italienern nicht mehrheitsfähig.771 Es steht zu befürchten, dass am Ende eine weitgehende Festschreibung des faschistischen Namenswerkes die Folge sein wird. Es gibt in Italien einen Präzedenzfall für die Lösung einer strittigen Ortsnamenfrage, der für Südtirol als Vorbild dienen könnte und zwar die Toponomastikregelung der Autonomen Region Aosta. Diese mehrheitlich französische Region im Nordwesten Italiens verfügt über eine mit Südtirol vergleichbare Autonomie. Auch hier wurde unter dem faschistischen Regime die historisch gewachsene französische Toponomastik durch willkürliche italienische Ortsnamen ersetzt. Eine Neuregelung dieser Materie war die jahrelange Forderung der Partei der französischen Aostaner, der Union Valdotaine. Als diese im Jahre 1976 die absolute Mehrheit im Regionalrat errang, wurde mit einem Regionalgesetz (Regionalgesetz Nr 61 vom 2. Dezember 1976) die Makrotoponomastik (darunter verstand man die Namen der 73 Gemeinden) geregelt. Alle Gemeinden, mit Ausnahme der Hauptstadt Aosta/Aoste, tragen seitdem allein ihren historischen, französischen Namen. Die Mikrotoponomastik wurde durch Dekrete des Landeshauptmannes,772 nach Einholung einer Stellungnahme der betroffenen Gemeinde, festgelegt; auch sie ist ausschließlich an der „historischen Lösung“ orientiert, dh nur historisch gewachsene Namen wurden anerkannt. Die Folge davon war, dass in Aosta nun eine historisch gewachsene, ausschließlich französische Toponomastik gibt.773
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Peter Pernthaler/Peter Hilpold, Rechtsgutachten Gemeinde Mölten, 21. Vgl die Presseaussendungen der italienischen Mitte-Links-Parteien „Democratici di sinstra“ http://www.dsbz.org/20022.html, der Trentiner „Föderalisten“ (!) http://www.societaperta.it/articoli/regionali/referendum_vittoria/ghezzi.htm und der „Grünen“, http://omnibus.grueneverdi.bz.it/nr/de/171/35/content.html zu diesem Thema. Die offizielle Bezeichnung des aostanischen Regierungschefs ist „capitano della Valle“. Vgl dazu als Beispiel das Statut der Gemeinde St. Vincent unter http://www.comune.saint-vincent.ao.it/index_statuto.asp.
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Der entscheidende Unterschied zu Südtirol bestand allerdings in der Tatsache, dass im Sonderstatut der Region Aosta kein Hinweis auf eine Zweisprachigkeit der Ortsnamen enthalten war. Dennoch doch bildet dieses Beispiel einen interessanten Präzedenzfall, der in der aktuellen Südtiroler Diskussion viel zu wenig Beachtung findet, denn bei der Toponomastikfrage handelt es sich in erster Linie um ein politisches Problem, das, wenn es als solches begriffen und entschlossen angegangen wird, durchaus einer annehmbaren Lösung zugeführt werden könnte. Wie oben besprochen, ist der problematische Terminus „zweisprachige Ortsnamen“ nicht notgedrungen ein Grund, eine generelle Verpflichtung zur Zweinamigkeit anzunehmen. Ein geschlossenes Auftreten und fundierte Argumente könnten hier einiges bewegen; die Aostaner haben dies vorgezeigt. ff)
Kunst
Das Statut erwähnt den Begriff „Kunst“ nicht ausdrücklich, doch sind sowohl im Rahmen des Kompetenztatbestandes „Volkskultur“ als auch durch konkrete Förderungstätigkeit dem Land Südtirol Möglichkeiten eingeräumt, Einfluss auf die Entwicklung des künstlerischen Schaffens des Landes zu nehmen. Aushängeschilder Südtirols im Bereich der Kunst sind die „Gustav-MahlerMusikwochen“ in Bruneck, der international renommierte „Busoni-KlavierWettbewerb“ und das „Haydn-Orchester“ in Bozen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der geplante Übergang der Verwaltungszuständigkeit für das Bozner Musikkonservatorium „Claudio Monteverdi“ vom Staat auf das Land. Dadurch käme die anspruchsvolle musikalische Hochschulausbildung in den Kompetenzbereich des Landes. Die entsprechende Durchführungsbestimmung wurde zwar schon im März 2001 in der Sechserkommission erarbeitet, es fehlt aber immer noch die formelle Zustimmung des Zentralstaates.774 Weiters wurde durch das Dekret des Landeshauptmannes (DLH) 30/1988 die Möglichkeit des Kunstankaufes seitens des Landes geschaffen. Die angekauften Werke werden im Museion ausgestellt.775
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Pressemitteilung des Landespresseamtes vom 22. November 2004, zitiert nach www.provinz.bz.it; kurios ist in diesem Zusammenhang, dass auf der selben (!) Homepage kundgetan wird, das Musikkonservatorium sei bereits 2001 an das Land übergegangen. Zum „Museion“, dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen vgl die umfassende Information auf www.museion.it.
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Verfassungsmäßiger Zustand
c) Organisation der Regierung und Verwaltung aa) Vorbemerkung Das Regierungs- und Verwaltungssystem Südtirols ist im Art 47ff des Autonomiestatutes von 1972 geregelt. Durch das Verfassungsgesetz Nr 2 vom 31. 1. 2001, in Kraft getreten am 16. 2. 2001, wurde das Statut in wesentlichen Punkten abgeändert. Insbesondere wurde dem jahrelangen Drängen Südtirols nachgegeben, sein Regierungs- und Verwaltungssystem unabhängig vom Trentino zu gestalten. Die Änderungen waren so bedeutend, dass man auf Südtiroler Seite von einem „Dritten Autonomiestatut“ (nach dem ersten von 1948 und dem zweiten von 1972) spricht.776 Die wesentlichen Neuerungen betreffen das Verhältnis Region – Autonome Provinzen, das Regierungssystem, die Wahlgesetzgebung, die Zusammensetzung der obersten politischen Organe und im Besonderen das Vertretungsrecht der Ladiner.777 So verliert die Region ihre „Klammerfunktion“ und die damit verbundene Vorrangstellung gegenüber den beiden Autonomen Provinzen Trient und Bozen. Die beiden Provinzen werden demgemäß aufgewertet und bilden nun die Basiskörperschaften, auf denen die Region aufgebaut ist.778 Somit ist der Bestand der Provinzen nicht mehr an den Bestand der Region gebunden. Die beiden Provinzen können nun bedeutende Bereiche des politischen Lebens unabhängig voneinander regeln. Der neue Art 47 Statut ermöglicht es dem Land Südtirol, seine Regierungsform mittels Landesgesetz festzulegen, die somit nicht mehr die gleiche sein muss wie die des Trentino. Unter der Festlegung der Regierungsform versteht man die Wahlform des Landeshauptmannes und der Landesräte (Direktwahl oder Wahl durch den Landtag) und des Landtages (Verhältniswahlrecht oder Mehrheitswahlrecht), die Festlegung des Verhältnisses zwischen den Organen des Landes, der Unwählbarkeits- und Unvereinbarkeitsgründe, die Regelung des Misstrauensvotums gegenüber dem Landeshauptmann sowie die Einführung von Instrumenten direkter Demokratie wie Volksbegehren und Volksbefragungen (Art 47 Abs 2 Statut). Es gelten für diese neuen Gesetzgebungsbefugnisse die üblichen Schranken: die Verfassung, die Grundsätze des italienischen Rechtssystems sowie die internationalen Verpflichtungen Italiens und die Grundnormen der wirtschaftlichen und sozialen Reformen. Eine weitere positive Neuerung für Südtirol ergibt sich aus dem verfahrensrechtlichen Sonderstatus dieser Landesgesetze: sie unterliegen keiner präventiven Kontrolle durch den Zentralstaat und können demnach von diesem 776
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Ivo Winkler, Jetzt gilt Autonomiestatut Nummer drei, in: Das Land Südtirol, Monatszeitschrift der Südtiroler Landesverwaltung mit Landtagsteil 3/2001, hg von der Südtiroler Landesregierung, Bozen, März 2001, 1. Ivo Winkler, Autonomiestatut, 2. Ivo Winkler, Autonomiestatut, 2.
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erst nach ihrer Kundmachung vor dem VfGH angefochten werden (Art 47 Abs 4 Statut). Allfällige Änderungen am Autonomiestatut gehen zwar weiterhin vom Regionalrat aus, allerdings bedarf es zur Ausübung dieses Initiativrechtes nun eines entsprechenden Antrages eines der beiden Länder. Sollte der Staat eine Änderung des Autonomiestatutes beabsichtigen, so muss er zunächst eine Stellungnahme des betroffenen Landes (oder beider Länder) einholen.779 Die Mitglieder des Landtages müssen nun nicht mehr das Eintreten für das Wohl des Staates und der Region geloben, da sie auch nicht mehr als Vertreter der Region gelten, sondern als Vertreter des Landes. Der zu leistende Eid bezieht sich nur mehr auf die Verfassung (Art 48bis Statut). Weiters wurde in Südtirol die Besetzung oberster politischer Ämter neu geregelt: die sog „Berufung von außen“ wurde ermöglicht, dh die Angehörigen der Landesregierung müssen nicht mehr Landtagsabgeordnete sein, sondern es können auch nichtgewählte Personen ein Amt als Landesrat bekleiden. Für diese „Berufung von außen“ muss ein entsprechender Antrag einer Landtagsfraktion vorliegen, dem die Landtagsabgeordneten, die derselben Volksgruppe des Vorgeschlagenen und der Regierungsmehrheit angehören, zustimmen. Schlussendlich muss der Landtag mit 2/3 Mehrheit dem Vorschlag zustimmen (Art 50 Abs 2 Statut). bb) Die Organe des Landes Südtirol Die Organe des Landes Südtirol sind gem Art 47 Statut der Landtag, der Landesausschuss (die Landesregierung) und der Landeshauptmann. (1) Der Landtag Der Landtag besteht aus 35 Abgeordneten. Er wird nach dem Verhältniswahlrecht in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt und bleibt fünf Jahre im Amt (Art 48 Abs 1 Statut). Die Vertretung der ladinischen Volksgruppe muss gewährleistet sein (Art 48 Abs 2 Statut). Die Hauptaufgabe des Landtages liegt in der Gesetzgebung. Der Landtag wählt aus seiner Mitte die Landesregierung bzw beruft einzelne Mitglieder der Landesregierung „von außen“ und übt die politische Kontrolle über Regierung und Verwaltung aus (Interpellationen, Beschlussanträge, Untersuchungskommissionen). (2) Die Landesregierung (der Landesausschuss) 780 Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, zwei Landeshauptmann-Stellvertretern und den Landesräten (Art 50 Abs 1 Statut). 779 780
Ivo Winkler, Autonomiestatut, 3. Die Bezeichnung „Landesausschuss“ findet sich immer noch im Statut, auch wenn in Gesetzestexten und in der Rechtsliteratur schon seit langem ausschließlich die Bezeichnung „Landesregierung“ benutzt wird.
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Verfassungsmäßiger Zustand
Die Zusammensetzung erfolgt nach dem ethnischen Proporz, der sich nach der Stärke der Volksgruppen im Landtag richtet. Derzeit besteht die Landesregierung aus 11 Mitgliedern, wobei 8 der deutschen (Landeshauptmann, ein Landeshauptmannstellvertreter, 6 Landesräte), 2 der italienischen (ein Landeshauptmannstellvertreter und ein Landesrat) und 1 der ladinischen Volksgruppe (ein Landesrat) angehören. Die Kompetenzen der Landesregierung sind in Art 54 Statut geregelt: •
Beschlussfassung über Verordnungen;
•
Verwaltungstätigkeit für die Angelegenheiten von Landesinteresse;
•
Verwaltung des Landesvermögens;
•
Gemeindeaufsicht;
•
„Notverordnungsrecht“ in Angelegenheiten, die dem Landtag zustehen;
•
Aufgaben, die in besonderen Staats- oder Regionalgesetzen dem Land zugewiesen sind.
(3) Der Landeshauptmann Die Kompetenzen des Landeshauptmannes ergeben sich zum Teil aus dem Statut, zum Teil aus dem Staatsgesetz Nr 118 vom 11. 3. 1972, „Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung Südtirols“ und umfassen: •
Vertretung des Landes; •
Erlassung bestimmter dringlicher Maßnahmen auf dem Gebiet des öffentlichen Sicherheits- und Gesundheitswesens,
•
Verteilung der Agenden unter die Mitglieder der Landesregierung;
•
Beteiligung an Ministerratssitzungen in Rom, wenn Fragen behandelt werden, die das Land oder den Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit betreffen;
•
Beurkundung der Landesgesetze und Verlautbarung der Verordnungen der Landesregierung;
•
Abschluss von Verträgen im Namen des Landes;
•
Vornahme von Enteignungen im öffentlichen Interesse;
•
Bestimmte Befugnisse in Belangen der Einwohnerregister.
cc) Verwaltung (1) Die Organisation Die Südtiroler Landesverwaltung ist in eine Generaldirektion, 11 Ressortdirektionen und 40 Abteilungen gegliedert. Die Generaldirektion umfasst die Abteilungen Präsidium, Zentrale Dienste, Anwaltschaft des Landes, Landesinstitut für Statistik und Europa – Angelegenheiten und ist dem Landeshauptmann unterstellt.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
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Die 11 Ressortdirektionen unterstehen den einzelnen Landesräten und dem Landeshauptmann, der sich im Rahmen der Ressortzuteilung einzelne Ressorts vorbehalten kann. Die Zuteilung und Zusammensetzung der Ressorts ist provisorischer Natur; im Zuge der Verhandlungen bei der Bildung der Landesregierung werden den einzelnen Landesräten verschiedenste Sachbereiche zugeteilt, die dann zu einem Ressort zusammengefasst werden. Abhängig ist die Zusammensetzung der Ressorts somit vom Ausgang der Wahlen und der Stärke der einzelnen politischen Gruppierungen. Daher werden meist nach jeder Landtagswahl die Ressorts wieder gänzlich anders zusammengestellt. Die Ressortdirektionen nach jetzigem Stand (Februar 2005) im Einzelnen: •
Ressort für deutsche und ladinische Berufsbildung, Bildungsförderung und Universität;
•
Ressort für Arbeit, Innovation und Forschung, Genossenschaften, Chancengleichheit und italienische Berufsbildung;
•
Ressort für Bauten, ladinische Schule und Kultur;
•
Ressort für Denkmalpflege, deutsche Kultur und Familie;
•
Ressort für Gesundheit und Sozialwesen;
•
Ressort für Handwerk, Industrie, Handel, Finanzen und Haushalt;
•
Ressort für Landwirtschaft, Informationstechnik, Grundbuch und Kataster;
•
Ressort für Personal, Tourismus und Mobilität;
•
Ressort für Raumordnung, Umwelt und Energie;
•
Ressort für Vermögensverwaltung, italienische Kultur und Wohnungsbau;
•
Ressort für örtliche Körperschaften, Brand- und Zivilschutz, Forstwirtschaft, Wasserschutzbauten und land- und forstwirtschaftliches Versuchswesen.781
Die 40 Abteilungen sind ihrerseits wieder in 178 Amtsdirektionen unterteilt. Der ranghöchste Beamte der Landesverwaltung ist der Generaldirektor, der direkt dem Landeshauptmann unterstellt ist und gleichzeitig die Funktion eines Generalsekretärs der Landesregierung ausübt. Das Bindeglied zwischen der politischen Führung, den Landesräten, und der Verwaltung sind die Ressortdirektoren. Jedem Landesrat untersteht je ein Ressortdirektor, dem Landeshauptmann deren zwei. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche, vom Land finanzierte und mit besonderen Aufgaben betraute Sonderverwaltungen, Institute und Landeskörperschaften.782 Insgesamt stehen 11.593 Personen im Dienste der Landesverwaltung.783
781 782
Alle Angaben zitiert nach www.provinz.bz.it, abgerufen am 28. 2. 2005. Südtirol-Handbuch, 121.
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Verfassungsmäßiger Zustand
(2) Beiräte und Kommissionen Dabei ist eine schwer überschaubare Fülle zu konstatieren. In der Folge sollen die wichtigsten Landesbeiräte kurz genannt werden: Der Landesbeirat für Sozialwesen erarbeitet Programme für die Schaffung von Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder, die Arbeitseingliederung von Menschen mit Behinderung und die Altenpflege. Der Landesbeirat für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) arbeitet Kriterien für die UVP aus und prüft Großprojekte hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Ökosystem. Im kulturellen Bereich sind besonders der bereits erwähnte Landeskulturbeirat und der Landesschulrat zu nennen. Im Bereich Kommunikationswesen, Information, Fernmeldewesen und Multimedia ist der Landesbeirat für Kommunikationswesen als beratendes Organ tätig. Um Diskriminierungen aufgrund des Geschlechtes entgegenzuwirken wurde der Landesbeirat für Chancengleichheit eingerichtet. (3) Der ethnische Proporz Das Prinzip des ethnischen Proporzes bei der Stellenbesetzung in der öffentlichen Verwaltung ist eines der bedeutendsten Merkmale der Südtiroler Autonomie. Der ethnische Proporz ist im Autonomiestatut (Art 61 Abs 1 und Art 89) vorgesehen und durch die Durchführungsbestimmung DPR Nr 49 vom 1. Februar 1973 (sog „Proporzdekret) geregelt worden und sieht vor, dass der zahlenmäßige Bestand des Verwaltungspersonals unter den Volksgruppen im Verhältnis zu ihrer numerischen Stärke aufgeteilt wird. Die Stärke der Volksgruppen wird alle 10 Jahre durch Volkszählungen ermittelt. Bei dieser Volkszählung müssen alle Bewohner Südtirols eine sog „Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung“ abgeben, mit der sie sich zu einer der drei Volksgruppen zugehörig erklären; die Ergebnisse dieser Volkszählung bilden die Grundlage des ethnischen Proporzes. Diese Erklärung ist für 10 Jahre gültig und in dieser Zeit unwiderruflich. Der ethnische Proporz war zunächst als „Wiedergutmachung“ der faschistischen Politik gedacht, die zur Folge hatten, dass Südtiroler vom öffentlichen Dienst de facto ausgeschlossen waren. Der Proporz sollte ursprünglich bis zum Jahr 1991 gelten, eine Anwendung über dieses Datum hinaus sollte auch in Zukunft einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen der Volksgruppen sicherstellen. Diese Norm war vor allem von italienischen Rechtsparteien und sog „interethnischen Kreisen“ vehement abgelehnt worden, die darin eine Benachteiligung der Italiener zu erkennen glaubten. Es hat sich jedoch gezeigt, dass der Proporz allen Volksgruppen zugute kommt, vor allem aber den Italienern, de783
Südtirol-Handbuch, 121.
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ren Volksgruppe sich in den letzten Jahrzehnten zahlenmäßig stark verringert hat (von 34,3% im Jahre 1961 auf 26% im Jahre 2001). Dank der Proporzregelung sind ihnen weiterhin die ihnen nach ihrer Zahl zustehenden Stellen in der öffentlichen Verwaltung garantiert, ohne dass diese an Südtiroler vergeben werden könnten, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Lande und den politischen Gegebenheiten durchaus der Fall sein könnte; dies vor allem auch aufgrund der Tatsache, dass für die öffentliche Verwaltung in Südtirol die verpflichtende Zweisprachigkeit gilt. Nun ist es eine durch die Praxis hinreichend belegte Tatsache, dass die Italiener in Südtirol sich nach wie vor in großer Mehrheit dem Erlernen der deutschen Sprache verschließen. Es wäre nun ein Leichtes, alles ausgeschriebenen Stellen mit Deutschen, die beide Landessprachen beherrschen, zu besetzen. Doch aufgrund des Proporzes ist den de facto einsprachigen (italienischsprachigen) Kandidaten eine Aufnahme in den öffentlichen Dienst gesichert. Zudem ist an den Proporz die Bestimmung gekoppelt, dass Personen, gleich welcher Volksgruppe, die mindestens zwei Jahre in Südtirol ansässig sind, bei der Stellenbesetzung Vorrang haben. Dies sichert den Italienern Südtirols den Vorrang gegenüber der Konkurrenz ihrer Landsleute aus dem restlichen Staatsgebiet. Die Vorzüge dieser Regelung wurden mittlerweile auch von den italienischen Rechtsparteien erkannt und im Jahre 2003 bekannte sich Giorgio Holzmann, der Landesvorsitzende der rechtsgerichteten Alleanza Nazionale, der italienischen Mehrheitspartei in Südtirol, zur Notwendigkeit des ethnischen Proporzes.784 Das Proporzsystem gilt, abgesehen von der Landes- und Gemeindeverwaltung, auch bei den staatlichen und halbstaatlichen Stellen (etwa RAI, NISF/INPS, Rotes Kreuz, Italienischer Automobilclub usw.) sowie bei den privatisierten, ehemals öffentlichen Körperschaften (zB den Staatsbahnen und der Post) und den „Agenturen“, staatlichen Einrichtungen neuerer Art, die zwar der Kontrolle eines Ministers unterliegen, aber nicht Teil des Ministeriums sind und nach privatrechtlichen Modellen organisiert werden (zB die Agentur der Einnahmen, vergleichbar mit dem österreichischen Finanzamt).785 Keine Anwendung findet der ethnische Proporz im Bereich der Streitkräfte, des gehobenen Dienstes der Zivilverwaltung des Innenministeriums, für die Bediensteten der Staatspolizei und für die Verwaltungsbediensteten des Verteidigungsministeriums. Im Zuge der Einsparungen bei staatlichen Körperschaften ist in jüngster Zeit vermehrt der Versuch unternommen worden, den ethnischen Proporz durch die Verlegung von Dienststellen aus Südtirol in die Nachbarprovinz Trient zu unterlaufen. Da der Proporz nur in Südtirol gilt, können diese Ämter im Trentino ohne Rücksicht auf die ethnischen Verteilungskriterien besetzt 784 785
Zitiert nach www.suedtirolernachrichten.it , abgerufen am 27. 6. 2005. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 121 ff.
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Verfassungsmäßiger Zustand
werden, obwohl es sich in der Regel um südtirolspezifische Agenden handelt und die Verwaltung des Landes weiterhin, aber nunmehr von außen, von diesen Ämtern besorgt wird.786 Eine weitere Gefahr droht dem ethnischen Proporz und der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung von autonomiefeindlichen Kreisen (va der sog „interethnische“ Verein Convivia, der der Partei „Die Grünen“ zuzurechnen ist), die die Anwendung dieser grundlegenden Instrumente der SüdtirolAutonomie für EU-rechtswidrig halten. Der Proporz verstoße gegen das Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU und die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung gegen den Datenschutz; gefordert wird die Einführung einer sog „Ad hoc“ – Erklärung, mit der sich ein Bewerber erst kurz vor der Aufnahme in den öffentlichen Dienst zu einer Volksgruppe bekennen muss. Ist also eine Stelle ausgeschrieben, die der deutschen Volksgruppe vorbehalten ist, könnte sich ein interessierter Italiener nach Belieben zum Deutschen erklären und die Stelle antreten. Nach der geltenden Rechtslage ist dies derzeit nicht möglich: die bei der Volkszählung abgegebene Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung behält 10 Jahre ihre Gültigkeit und dementsprechend kann man sich nur für jene Stellen bewerben, die jener Volksgruppe offen stehen, zu der man sich bei der Volkszählung bekannt hat. Dieses Instrument hat bisher bestens funktioniert und dafür gesorgt, dass keine Volksgruppe benachteiligt wurde. Eine „Ad hoc“ – Erklärung würde das grundlegende Prinzip des Proporzes, einen Ausgleich zwischen den Volksgruppen zu schaffen, ad absurdum führen. Um ihr Ziel zu erreichen, führte die „Convivia“ bereits Beschwerde vor der EU-Kommission. EU-Binnenkommissar Frits Bolkestein erwog, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien vor dem EuGH anzustrengen. Durch den Einsatz Österreichs konnte dies bis auf weiteres verhindert werden.787 Es wird zur Zeit in der Sechserkommission über eine Reform der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung verhandelt, um diese „EU-sicher“ zu machen. Eine Aufweichung der bisher geltenden Regeln (Gültigkeit der Erklärung für 10 Jahre, keine „Ad hoc“ – Erklärung) gilt aber als sicher. dd) Gerichtsbarkeit Die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Verfassungsgerichtsbarkeit fallen in die Kompetenz des Zentralstaates. Art 125 der Verfassung sieht jedoch regionale Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Ein solcher Regionaler Verwaltungsgerichtshof (RegVwGH) wurde in
786 787
Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 125. Dolomiten vom 3. 1. 2004, 15. 1. 2004, 14. 2. 2004; Presseaussendung des Landespresseamtes vom 24. 2. 2004, zitiert nach www.provinz.bz.it abgerufen am 28. 2. 2005; Pressemitteilung des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten vom 17. 2. 2004, zitiert nach www.bmaa.gv.at, abgerufen am 28. 2. 2005.
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der Region Trentino-Südtirol durch die Durchführungsbestimmung Nr. 426 vom 6. 4. 1984 errichtet. Nach Art 90 Statut wurde beim RegVwGH eine Autonome Sektion für das Land Südtirol errichtet, deren acht Mitglieder in gleicher Zahl der deutschen und der italienischen Volksgruppe angehören. Die eine Hälfte der Mitglieder (zwei Deutsche, zwei Italiener) wird mit Dekret des Präsidenten auf Vorschlag des Ministerpräsidenten ernannt, wobei für die Ernennung der Richter, die der deutschen Volksgruppe angehören, die Zustimmung des Südtiroler Landtages erforderlich ist; die andere Hälfte wird vom Südtiroler Landtag vorgeschlagen und mit Dekret des Präsidenten ernannt. Hier sind für den Landtag die Vorschläge der jeweiligen Volksgruppenvertreter bindend: die zwei italienischen Vertreter werden von den italienischen Abgeordneten, die zwei Deutschen von den deutschen Abgeordneten bestimmt.788 Mittlerweile hat sich die Autonome Sektion Bozen des RegVwGH Trient de facto zu einem eigenständigen Verwaltungsgerichtshof entwickelt, sodass man in der Praxis und in Gesetzestexten (zB Art 4 GvD 161/1991) von einem „Verwaltungsgericht Bozen“ (VwG Bozen) spricht.789 Das VwG Bozen hat zwei Kompetenzbereiche: 1) Die allgemeine Zuständigkeit als regionales Verwaltungsgericht. Hier ist durch Urteil über die Anfechtung fehlerhafter Verwaltungsakte zu entscheiden, womit das Verfahren erster Instanz abgeschlossen ist. 2) Daneben hat das VwG Bozen als politische Entscheidungsinstanz einen besonderen verfassungsrechtlichen Auftrag. Dazu gehören: •
die Entscheidung mittels „Schiedsspruch“ über die nach Art 84 Statut angefochtenen Haushaltskapitel (sog „Haushaltsgarantie“) und über Rekurse gegen die Feststellung des Südtiroler Landtages, welcher Gewerkschaft der größte Vertretungsanspruch („Repräsentativität“) unter der deutschen und ladinischen Volksgruppe zukommt;
•
die Entscheidung mittels „Urteil“ über Rekurse gegen Verwaltungsmaßnahmen, die die Gleichheit zwischen den Volksgruppen verletzen sowie über Rekurse gegen die Verweigerung der Einschreibung in die Schulen anderer Muttersprache;
•
die Entscheidung mittels eines „Aktes“ über Rekurse, die von Landtagsabgeordneten oder Gemeinderatsmitgliedern gegen Verwaltungsakte eingebracht wurden, die den Grundsatz der Gleichheit der Volksgruppen verletzen.790
Besonderes Gewicht verleiht dem VwG Bozen der Umstand, dass es in den unter 2.) genannten, „politischen“ Punkten letztinstanzlich entscheidet, 788
789 790
Christoph v. Ach, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Gewerkschaftsrecht in Südtirol, jur Diplomarbeit, Innsbruck 2003, 7. Christoph v. Ach, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 6 ff. Christoph v. Ach, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 9 ff.
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dh es ist keine Berufung an den Staatsrat in Rom (mit dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof vergleichbar) möglich;791 für die Rekurse unter Punkt 1.) besteht hingegen dieses Rechtsmittel. ee) Die demokratische Struktur (1) Allgemeines Die italienische Verfassung bekennt sich in Art 1 zum demokratischen Prinzip. Art 48 normiert allgemein das demokratische Wahlrecht, Art 49 das freie Recht der Parteiengründung. Diese Rechte gelten selbstverständlich auch für das Land Südtirol. Sowohl der Landtag als auch die Gemeindevertretungen sind demokratisch durch Wahlen legitimiert. Daneben weisen noch weitere Organe (Landesregierung, Landeshauptmann, ein Teil der Richter des VwG Bozen) mittelbare demokratische Legitimität auf. Weiters nimmt die Südtiroler Bevölkerung an den staatsweiten Referenden, den Wahlen zum Zentralparlament (Kammer und Senat), etc teil. (2) Die Wahlen zum Landtag Wie bereits unter 3. a) geschildert, wurde das Statut durch das Verfassungsgesetz 2/2001 dergestalt abgeändert, dass es zu einer signifikanten Aufwertung der beiden Provinzen gegenüber der Region kam. Diese Aufwertung zeigt sich am augenfälligsten anhand der Wahlgesetzgebung: während bisher der Regionalrat gewählt wurde, dessen Abgeordnete gleichzeitig die Landtage des Trentino bzw Südtirols bildeten, werden nun die Landtage gewählt, deren Abgeordnete dann den Regionalrat bilden (Art 25 Statut); also eine Umkehrung des bisherigen Verhältnisses. Für Südtirol wurde eine Wahlgesetzgebung erlassen, die das Verhältniswahlrecht (Art 47 Abs 3 Statut) sowie die vierjährige Ansässigkeitsklausel für die Ausübung des aktiven Wahlrechtes vorsieht (Art 25 Abs 2 Statut).792 Für die Ausübung des passiven Wahlrechtes ist die Abgabe der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung vorgeschrieben. Ein wichtiger Punkt des als „Drittes Autonomiestatut“ bezeichneten Verfassungsgesetzes 2/2001 ist das verbesserte Vertretungsrecht der Ladiner: während es früher für ladinische Abgeordnete unmöglich war, zB das Amt des Landtagspräsidenten zu bekleiden, so wurde dies durch den neuen Art 48ter Statut nun ermöglicht, sofern sowohl die deutschen als auch die italienischen Abgeordneten dem zustimmen. Weiters kann ein Ladiner in die Landesregierung berufen werden und das in Abweichung zum ansonsten gültigen ethnischen Proporz, dem die Zusammensetzung der Landesregierung unterworfen ist (Art 50 Abs 3 Statut). 791
792
Christoph v. Ach, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 8; Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 346. Die Ansässigkeitsklausel sieht vor, dass dem Bürger das aktive Wahlrecht erst zusteht, wenn er vier Jahre in einer Südtiroler Gemeinde ansässig gemeldet war.
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Erstmals wurde den Ladinern des Trentino ein Vertretungsrecht im Trentiner Landtag zugesprochen: Art 48 Abs 3 Statut sichert einen Sitz des Landtages den Dolomitenladinern des Fassatales (der sog „Magnifica comunitá di Fassa“) zu. (3) Die Wahlen zum Gemeinderat Art 63 Statut übernimmt die Bestimmungen des aktiven Wahlrechtes für den Landtag auch für die Wahlen zum Gemeinderat. Die Zusammensetzung des Gemeindeausschusses muss der Stärke der Volksgruppen entsprechen, wie sie im Gemeinderat vertreten sind. Jede Volksgruppe hat das Recht im Gemeindeausschuss vertreten zu sein, wenn sie im Gemeinderat mit wenigstens zwei Ratsmitgliedern vertreten ist. (4) Direkt demokratische Einrichtungen Art 71 und 75 der italienischen Verfassung sehen als direkt demokratische Einrichtungen die Volksinitiative und die Volksbefragung vor. Nach der Reform durch das Verfassungsgesetz 2/2001 ermächtigt der neue Art 47 Abs 2 Statut das Land Südtirol, mittels Landesgesetz die „aufhebende, beschließende und konsultative“ Volksabstimmung und das Volksbegehren auf Landesebene zu regeln. Dieses Landesgesetz befindet sich gerade in der Beschlussfassung. Es wurden kürzlich die ersten Bestimmungen dazu verabschiedet, die folgendes vorsehen: •
mindestens 8.000 Wahlberechtigte, die in den Wählerlisten eingetragen sind, müssen ein Volksbegehren unterzeichnen;
•
damit dieses Volksbegehren abgehalten wird, muss es von mindestens 3 Wahlberechtigten unterzeichnet und beim Landtagspräsidenten eingereicht werden;
•
für die darauf folgende Volksabstimmung reichen 40% Wahlbeteiligung der eingetragenen Wähler aus, um die Gültigkeit zu erreichen; es entscheidet dann die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, ob das Gesetz angenommen oder abgelehnt wird.793
Interessant ist dabei der Schwenk der SVP: zunächst forderte Landeshauptmann Durnwalder (SVP) ein Mindestquorum von 50% der Wahlbeteiligten für die Gültigkeit eines Referendums. Aufgrund von innerparteilicher Kritik wurde dieses Quorum auf 40% zurückgefahren.794 Dies kann als eindeutiger Sieg der Verfechter der direkten Demokratie und der innerparteilichen Kritiker des Landeshauptmannes bewertet werden.
793 794
Zitiert nach www.stol.online.it, abgerufen am 1. 7. 2005. Zitiert nach ff, Die Südtiroler Illustrierte, abgerufen unter www.ff-online.it am 30. 7. 2005.
232 ff)
Verfassungsmäßiger Zustand
Das Verhältnis des Landes Südtirol zum italienischen Zentralstaat
(1) Allgemeines Das Verhältnis der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol zum italienischen Zentralstaat lässt sich, im Lichte der jüngsten italienischen Verfassungsreform, mit dem Begriff „Regionalisierung“ umschreiben. Auf keinen Fall kommt dem Land Südtirol der Status eines Bundeslandes nach österreichischem Vorbild zu. Die Autonomie und ihr Umfeld sind durch Verfassungsgesetzte (das Autonomiestatut von 1972), Bestimmungen mit verstärkter Gesetzeskraft (die Durchführungsbestimmungen zum Statut) und Staatsgesetze (va das Staatsgesetz Nr 118 vom 11. 3. 1972 „Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung Südtirols“ sowie das Staatsgesetz Nr 549 vom 28. 12. 1995, das die Grundlage der „dynamischen Autonomie“ bildet) geregelt. Der genaue Umfang des Kompetenzzuwachses durch die Verfassungsreform von 2001 ist noch nicht abzusehen, dürfte aber gering sein.795 Es stellt sich nun die Frage, ob der italienische Zentralstaat, angesichts der mangelnden originären Staatlichkeit des Landes, Südtirols Autonomie durch Verfassungs- oder Staatsgesetze abändern oder beseitigen kann. Über diesen Punkt wurde eine jahrelange, sehr heftige Diskussion geführt. Aus österreichischer und Südtiroler Sicht handelt es sich beim sog „Paket“ (Autonomiestatut, Durchführungsbestimmungen, Staatsgesetz Nr 118/1972, Operationskalender) um eine international verankerte, „starre“ Verfassungsbestimmung, die von Italien nicht ohne Zustimmung der Südtiroler aufgehoben werden kann.796 Die völkerrechtliche Verankerung ergebe sich aus dem Wortlaut der Streitbeilegungserklärung von 1992: darin wird das Paket als „Akt in Ausführung des Pariser Vertrages“ bezeichnet. Dieser Pariser Vertrag bildete die Grundlage für das erste Autonomiestatut von 1948, dessen internationale Verankerung selbst Italien immer anerkannt hat. Weiters, so die Südtiroler Sichtweise, sei die Entstehungsgeschichte des Paketes, bilateral vereinbart zwischen Österreich und Italien nach Aufforderung durch zwei UN-Resolutionen, völkerrechtlicher Natur gewesen.797 Zudem sei das Paket 1992 bei allen bedeutenden internationalen Gremien und in Wien hinterlegt worden.798 Der italienische Zentralstaat vertrat in der Vergangenheit immer die Ansicht, das Paket sei eine inneritalienische Angelegenheit, dementsprechend 795 796
797 798
Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 260. Karl Zeller, Das Problem der völkerrechtlichen Verankerung des Südtirol – Pakets und die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs, Ethnos Band 34, hg von Franz Hieronymus Riedl und Theodor Veiter, Willhelm Braumüller Universitätsbuchhandlung GmbH, Wien 1989, 75; desgleichen Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 267 f. Karl Zeller, Verankerung, 75. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 268.
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auch durch innerstaatliches Recht einseitig abänderbar;799 an dieser Rechtsansicht hat sich bis heute nichts geändert.800 Die italienische Sichtweise lässt allerdings den völkerrechtlichen Charakter der Paketverhandlungen völlig außer Acht: Die Basis der Paket – Verhandlungen bildete ein völkerrechtlicher Vertrag, der Pariser Vertrag; zwei UN – Resolutionen haben das Vorhandensein einer Streitigkeit um seine Durchführung festgestellt und beide Parteien aufgefordert, eine gemeinsame Lösung zu finden; daraufhin wurde das „Paket“ (und der „Operationskalender“) bilateral vereinbart; die Durchführung der Paketmaßnahmen wurde sowohl der Generalversammlung der Vereinten Nationen, als auch Österreich gegenüber zugesichert; Österreich hat jahrelang die Einhaltung der Zusagen gefordert, ohne dass Italien widersprochen hätte; Paketdurchführung und Durchführung des Pariser Vertrages sind faktisch nicht zu trennen (so auch die italienische Rechtsprechung: Urteil des VfGH Nr 312/1983). Demgegenüber steht einzig und allein das formale Argument der italienischen Regierung, dass dem „Paket“ nur innerstaatlicher, nicht aber völkerrechtlicher Charakter zukomme. Die Wahrscheinlichkeit, dass das rein auf Souveränitätsüberlegungen gestützte italienische Argument im Falle einer Befassung des IGH Bestand haben würde, ist als gering einzuschätzen. (2) Das Verhältnis des autonomen Rechts zum staatlichen Recht Art 117 Verfassung sieht vor, dass Staat und Regionen die Gesetzgebungsbefugnis unter „Wahrung der Verfassung sowie der aus der gemeinschaftlichen Rechtsordnung (gemeint sind damit die EU-Normen) und aus den internationalen Verpflichtungen erwachsenden Einschränkungen“ ausüben. Art 4 Statut sieht noch zusätzliche Begrenzungen regionaler bzw. der Landesgesetzgebung vor: die Grundsätze der Rechtsordnung des Staates, die nationalen Interessen, die Achtung der grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik. Alle diese Schranken wurden durch die VfGH – Urteile 536/2002 und 48/2003 bestätigt.801 Daneben gibt es im Rahmen der sekundären Gesetzgebungsbefugnis des Landes Südtirol noch die Bindung an die Grundsatzgesetze des Staates (Art 8 Statut). Zur Überwachung der Einhaltung dieser Grenzen ist der Verfassungsgerichtshof in Rom berufen. (3) Die Einrichtungen der Staatsaufsicht 1) Der Zentralstaat besaß, vor der Verfassungsreform von 2001, eine umfangreiche Kontrolle über Gesetzgebung und Verwaltung des Landes. Hauptinstrument dieser Kontrolle war der Regierungskommissar, der jedes Landes799 800
801
Karl Zeller, Verankerung, 75. Die Vertreter der römischen Regierungsparteien Alleanza Nazionale und Forza Italia bekräftigten am 5. 3. 2005 im Südtiroler Landtag, dass das Paket eine „inneritalienische Angelegenheit“ sei, vgl www.stol.it, abgerufen am 5. 3. 2005. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 318.
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Finanzielle Situation
gesetz auf seine Vereinbarkeit mit den Autonomieschranken hin prüfte und mit einem Sichtvermerk versah (sog „präventive Kontrolle“). Wurde der Sichtvermerk nicht erteilt, so wurde das Gesetz an den Landtag rückverwiesen; fasste dieser einen Beharrungsbeschluss, konnte die Zentralregierung das Gesetz vor dem VfGH anfechten. Durch das Verfassungsgesetz 2/2001 wurde die „präventive Kontrolle“ aufgehoben. Das Verfassungsgesetz 3/2001 schaffte die Institution des Regierungskommissars in Italien ab. In Südtirol blieb dieses Instrument des Zentralismus, wenn auch mit beschränkten Kompetenzen, bestehen. Es entfiel zwar die präventive Kontrolle der Landesgesetze, doch wurden dem Regierungskommissar neue Kompetenzen im Bereich der delegierten Gesetzgebung und auf dem Gebiet der Volkszählung zugewiesen.802 Er behält zudem die Zuständigkeit für die Koordinierung der staatlichen Ämter in Südtirol. Auf Südtiroler Seite besteht die nicht unbegründete Befürchtung, dass der Regierungskommissar durch die Wahrnehmung der staatlichen Grundlagen- und Ausrichtungskompetenz in der konkurrierenden Gesetzgebung der neuen Verfassung wieder verstärkt in die legislative Tätigkeit des Landes eingreifen wird.803 2) Die Verwaltungsakte des Landes unterliegen der Rechtmäßigkeitskontrolle des staatlichen Rechnungshofes. Zur Ausübung dieser Kontrolle wurde in Bozen eine eigene Sektion des Rechnungshofes eingerichtet, auf die in Kapitel III.5 näher eingegangen wird.
3. Finanzielle Situation a) Allgemeines Eine Steuerhoheit kommt dem Land Südtirol nicht zu. Allerdings bestimmt Art 73 Statut, dass das Land zusätzlich zu den staatlichen Steuern „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des staatlichen Steuersystems mit Gesetzen eigene Steuern auf den in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Sachgebieten“ einführen kann. Von dieser Möglichkeit hat das Land äußerst vorsichtigen Gebrauch gemacht.804 Angesichts der hohen Belastung der Bürger durch staatlichen Steuern sowie die geringe Gestaltungsmöglichkeit, die die Formulierung „Übereinstimmung mit den Grundsätzen des staatlichen Steuersystems“ zulässt, ist dies nachzuvollziehen. 802 803 804
Südtirol-Themen, 52. Roland Riz/Esther Happacher Brezinka, Verfassungsrecht, 334. Haushalt 2005, hg vom Assessorat für Finanzen – Abteilung Finanzen und Haushalt der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, Bozen 2005, 2; darin werden folgende Landesabgaben aufgeführt: IRAP (regionale Wertschöpfungssteuer), regionaler Zuschlag IRPEF (Einkommenssteuer), KFZ-Steuer, Zuschlag auf den Stromverbrauch und andere Abgaben. Insgesamt machen diese Abgaben nicht mehr als 15% der Landeseinnahmen aus.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
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Die Finanzierung der Südtiroler Autonomie erfolgt in erster Linie durch die Beteiligungen an bzw Abtretungen und Zuweisungen von staatlichen Steuern, Abgaben und Gebühren. Eine grundsätzliche Regelung dazu findet sich im VI. Abschnitt des Statuts (Art 69–86). Die Detailregelung enthalten die Durchführungsbestimmungen LD Nr 268 vom 16. 03. 1992 und LD Nr 432 vom 24. 07. 1996 sowie das Staatsgesetz Nr 386 vom 30. 11. 1989. Der Umstand, dass diese Zuweisungen des Staates größtenteils ohne Zweckbindung erfolgen, wird als „Finanzautonomie“ bezeichnet.805 Demnach bezieht das Land seine Einkünfte aus zwei Einnahmequellen: 1) Der Überweisung des gesamten Betrages oder eines Anteils an bestimmten Steuern und Gebühren, die in Südtirol eingehoben werden (Art 70, 71, 75, 76, 77 Statut). 2) Der sog „veränderlichen Quote“, die jährlich im Einvernehmen zwischen Land und Staat festgesetzt wird und einen Anteil an den übrigen, nicht unter Punkt 1.) fallenden Steuern und Gebühren des Staates vorsieht, die in Südtirol eingehoben werden (Art 78 Statut). Bei der Festsetzung dieses Anteils werden – auf der Bemessungsgrundlage von Fläche und Bevölkerung – auch die allgemeinen Aufwendungen des Staates berücksichtigt, die im übrigen Teil des Staatsgebietes auf denselben Sachgebieten verfügt werden. Durch diese beiden Einnahmequellen ist die Finanzierung der Südtiroler Autonomie gesichert. Die staatlichen Zuweisungen haben aber niemals das örtliche Steueraufkommen übertroffen.806 b) Der Landeshaushalt Um die finanzielle Situation Südtirols zu veranschaulichen, soll in der Folge der Landeshaushalt 2005 überblicksmäßig dargestellt werden, wobei die Durchlaufposten in Höhe von € 330 Mio nicht berücksichtigt sind: aa) Die Einnahmen des Landes (alle Angaben in Mio €) 807 Der Gesamtbetrag der Einnahmen beläuft sich auf € 4.666,6 und lässt sich wie folgt aufschlüsseln: •
Haushaltsüberschuss des vergangenen Haushaltsjahres € 293,5;
•
Einnahmen aus Landesabgaben, Beteiligungen und Zuweisung staatlicher Abgaben: € 3.247,9;
•
Einahmen aus Zuwendungen des Staates, der Region sowie der EU: € 356,7.
Vermögenseinkünfte des Landes: € 118,3; 805 806 807
Haushalt 2005, 1. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 67. Alle Angaben: Landeshaushalt 2005, 3.
236 •
Finanzielle Situation
Darlehen: € 650,0.808
bb) Die Ausgaben des Landes (alle Angaben in Mio €)809 Die im Haushalt eingetragenen Ausgaben sind folgende: •
laufende Ausgaben von € 2.880,7. Darunter fallen alle Ausgaben für den Betrieb der institutionellen Organe, das Personal, den Ankauf von Gütern und Dienstleistungen, die laufenden Zuwendungen und andere laufende Ausgaben.
•
Investitionsausgaben von € 1.783,8. Darunter fallen die Ausgaben für Güter und Immobilien, Bewegliche Güter, Geräte und Maschinen, Zuwendungen für Investitionen, Aktienbeteiligungen und Kapitaleinbringungen, Kredite und Bevorschussungen für Produktionszwecke sowie andere Investitionsaufgaben.
•
Zur Tilgung von Darlehen wurden € 2,1 aufgewandt.
cc) Die Ausgaben nach Sektoren (in Mio €)810 Institutionelle Organe und Beziehungen
€
12,0
Allgemeine Verwaltungsdienste
€ 531,4
Brand- und Zivilschutz
€
Bildung
€ 529,3
– davon Schulpersonal
€ 400,2
24,2
Berufsbildung
€
54,3
– davon vom Europ. Sozialfonds finanzierte Maßnahmen
€
33,8
Denkmalpflege und Kultur
€
67,2
Sport und Freizeit
€
15,5
Geförderter Wohnbau
€ 200,0
Familie und Sozialwesen
€ 237,3
Schutz der Gesundheit
€ 1.050,9
Arbeit und Beschäftigung
€
3,5
Transport- und Kommunikationswesen
€
98,0
Landwirtschaft
€ 105,1
Forst- und Bergwirtschaft
€
808
809 810
30,0
Die beträchtliche Verschuldung im Haushalt 2005 rechtfertigt sich durch ein ehrgeiziges Entwicklungsziel: es sollen die Wasserkraftzentralen der ENEL auf dem Landesgebiet angekauft werden, um die Unabhängigkeit des Landes auf dem Energiesektor zu sichern, vgl Landeshaushalt 2005, 3. Alle Angaben: Landeshaushalt 2005, 5. Alle Angaben: Landeshaushalt 2005, 6 f.
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Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
Handel- und Dienstleistungen
€
15,6
Industrie und Bodenschätze
€
30,3
Handwerk
€
44,0
Fremdenverkehr und Gastgewerbe
€
46,1
Weitere Maßnahmen für die Wirtschaft
€
23,1
Straßennetz
€
73,0
Öffentliche Bauarbeiten u. Infrastrukturen
€
54,9
Wasserbauten und Bodenschutz
€
21,4
Gewässerressourcen und Energie
€
25,1
Raumordnung
€
3,3
Umweltschutz
€
13,8
Lokalfinanzen
€ 382,0
Kataster und Grundbuch
€
Finanzielle Dienstleistungen, Reserven und nicht zuteilbare Lasten
€ 760,9
– davon finanzielle Lasten
€
14,4 9,8
– davon finanzielle Beteiligungen
€ 686,1
– davon Reserve- und Sonderfonds
€
53,4
– von der EU finanzierte, intersektorielle Programme
€
4,6
– andere
€
3,4
Summe
€ 4.666,6
c) Die finanziellen Kontrollmechanismen aa)
Die Haushaltsgarantie
Eine Besonderheit im Haushaltsrecht Südtirols stellt die sog „Haushaltsgarantie“ (zugunsten der italienischen Volksgruppe) dar (Art 84 Abs 2 Statut): Auf Antrag der Mehrheit der Landtagsabgeordneten einer Volksgruppe muss über die einzelnen Kapitel des Haushaltsvoranschlages des Landes nach Volksgruppen gesondert abgestimmt werden. Die Haushaltskapitel, die nicht die Mehrheit der Stimmen jeder einzelnen Volksgruppe erhalten haben, werden binnen drei Tagen einer aus vier Landtagsabgeordneten (zwei Deutsche, zwei Italiener) bestehenden Kommission unterbreitet; diese Kommission wird vom Landtag zu Beginn der Legislaturperiode für deren ganze Dauer gewählt. Diese Kommission muss innerhalb von fünfzehn Tagen die endgültige Benennung der Kapitel festsetzen; ihre Entscheidung ist für den Landtag bindend. Die Entscheidung wird mit einfacher Mehrheit getroffen, wobei die Stimmen aller Abgeordneten gleichwertig sind. Wenn in der Kommission keine Mehrheit für einen Lösungsvorschlag erreicht wird, so übermittelt der
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Landtagspräsident innerhalb von sieben Tagen den Entwurf des Haushaltsvoranschlages dem VwG Bozen, das innerhalb von 30 Tagen mit unanfechtbaren Schiedsspruch (siehe oben Punkt 3.d)) über die Benennung der nicht genehmigten Kapitel und über die Höhe der entsprechenden Ansätze entscheiden muss. bb) Der Rechnungshof Der staatliche Rechnungshof („corte dei conti“) prüft die Verwaltungsakte des Landes hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit dem Gesetz und unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung des Haushaltes. Weiters prüft er die Haushaltsführung an sich. Dazu wurde in Bozen mit DPR 305/1988 eine Kontrollsektion des Rechnungshofes eingerichtet. Verweigert die Sektion Bozen die Registrierung eines ihrer Kontrolle unterworfenen Verwaltungsaktes, kann die Landesregierung beantragen, dass die Vereinigten Senate des Rechnungshofes in Rom entscheiden. Ohne Registrierung durch den Rechnungshof bleiben die Verwaltungsakte unwirksam. Mit LD 212/1999 wurde der Kontrollsektion Bozen eine weitere, rechtsprechende Sektion des Rechnungshofes mit einer eigenen Staatsanwaltschaft zur Seite gestellt. Aufgabe dieser rechtsprechenden Sektion ist es, über Pensionsstreitigkeiten und Schadenersatzverfahren gegen Bedienstete der öffentlichen Verwaltung zu entscheiden.811 Die Zusammensetzung der Bozner Sektionen des Rechnungshofes unterliegt, wie auch jene des VwG Bozen, der ethnischen Parität: jeweils die Hälfte der Mitglieder müssen der deutschen bzw der italienischen Volksgruppe angehören.
4. Wirtschaft a) Landeskundliche Voraussetzungen der Wirtschaftsstruktur Die gebirgige Lage und das milde Klima sind wichtige Faktoren für die Wirtschaft Südtirols. Die landschaftlichen Schönheiten sind Voraussetzung für den stark entwickelten Fremdenverkehr. Die gebirgige Lage lässt aus verkehrstechnischen Gründen für die Industrialisierung nur die Talsohlen der großen Täler (Eisack-, Etsch- und Pustertal) in Frage kommen. Die gebirgige Lage erlaubt eine gute Nutzung der Wasserkraft. Das milde Klima und die geologischen Voraussetzungen ermöglichen einen qualitativ hochwertigen Weinbau und eine intensive Obstproduktion (knapp 10% der gesamten Apfelernte der EU kommt aus Südtirol812). Die verkehrsgünstige Lage ermöglicht gute Handelsverbindungen sowohl in die oberitalienischen Industrie- und Handelsmet811 812
Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 174. Zitiert nach: www.suedtirol-marketing.info, abgerufen am 17. 2. 2004.
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ropolen der Poebene als auch in den österreichischen und süddeutschen Raum. b) Wirtschaftsstruktur In den drei grundlegenden Sektoren der Wirtschaftsstruktur, der Landwirtschaft, dem produzierenden Gewerbe und dem Dienstleistungsbereich, hat sich in Südtirol in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Verschiebung des Schwerpunktes von der Landwirtschaft hin zum Dienstleistungsbereich vollzogen. Die Gründe für diese Entwicklung liegen in der Expansion der Tourismuswirtschaft, der gewaltigen Zunahme der öffentlichen Dienstleistungen aufgrund der durch die Autonomie gewonnenen Kompetenzbereiche und der für den Handel günstigen Lage Südtirols zwischen deutschem und italienischem Wirtschaftsraum. Trotz dieses eindeutigen Trends hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft spielt die Landwirtschaft in Südtirol im Vergleich zu Nordtirol und dem Trentino nach wie vor eine wichtige Rolle.813 Eine Aufschlüsselung nach BIP bzw Beschäftigungsanteil ergibt folgendes Bild der Südtiroler Wirtschaftsstruktur: Land- und Forstwirtschaft
4,9% bzw 11,9%
Produzierendes Gewerbe
26,54% bzw 26%
Dienstleistungen
68,6% bzw 63,1%814
Kennzeichnend ist die starke Verflechtung der wirtschaftlichen Sektoren. So erhält die Landwirtschaft die Kulturlandwirtschaft für den Fremdenverkehr, von dem wiederum Baugewerbe und Handel abhängen. c) Wirtschaftsförderung und Wirtschaftslenkung Das Land Südtirol besitzt aufgrund des Autonomiestatutes eine Reihe bedeutender Kompetenzen für die regionale Wirtschaftsförderung und Wirtschaftslenkung. aa)
Maßnahmen am Arbeitsmarkt
Das Land Südtirol besitzt keine Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Arbeitsrechtes, das dem Staat vorbehalten bleibt, wobei festzuhalten ist, dass das italienische Arbeitsrecht in der Praxis auf den gesamtstaatlichen Kollektivverträgen fußt, denen Gesetzeskraft zukommt. Das Land Südtirol besitzt gemäß dem Autonomiestatut eine Reihe von Kompetenzen im Bereich der Arbeitsvermittlung, die durch das LD 430/1995 wesentlich erweitert wurden. Somit stellt sich die Situation heute folgendermaßen dar:
813 814
Zitiert nach www.eures-transtirolia.org, abgerufen am 5. 3. 2005. Südtirol in Zahlen 2004, 33.
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Südtirol besitzt laut Statut die primäre Gesetzgebungskompetenz sowohl bei der Errichtung von Kommissionen zur Betreuung und Beratung von Arbeitnehmern als auch auf dem Gebiet der Berufsausbildung und –fortbildung. Die in Ausübung obiger Befugnisse gebildete Landesarbeitskommission berät die Landesregierung in allen Fragen der Arbeitsmarktpolitik. Einen großen Stellenwert nimmt in diesem Zusammenhang die Arbeitsmarktbeobachtungsstelle des Landes ein, die wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung des Arbeitsmarktes liefert. Durch den Übergang des Amtes für Arbeitsvermittlung durch das LD 430/1995 kann die Betreuung und Vermittlung der Arbeitnehmer direkt durch das Land Südtirol erfolgen. Die Tätigkeit dieses Amtes und der zahlreichen privaten Arbeitsvermittlungen werden von der Landeskontrollkommission für Arbeitsvermittlung geprüft. bb) Maßnahmen für die Industrie Die Südtiroler Landesverwaltung war nach dem Inkrafttreten des Statutes 1972 bemüht, durch flächenmäßig ausgewogene Industrieansiedlungen eine gleichmäßige Entwicklung im Lande zu fördern und der Abwanderung in die Industriezonen der Ballungszentren Bozen und Meran entgegenzuwirken. Es wurden neun Entwicklungszentren (sog „Produktionszonen von Landesinteresse“ in Neumarkt, Bozen, Lana, Schlanders, Prad, Lajen, Brixen, Sterzing und Bruneck) ausgewiesen, in denen die Ansiedlung von Klein- und Mittelunternehmen gezielt gefördert wurde. Weiters werden durch großzügige Subventionen die maroden Bozner Schwerindustriebetriebe (va die Stahlwerke „Acciaierie Valbruna“) am Leben erhalten. Zudem haben die Südtiroler Gemeinden jeweils eigene Produktionszonen (sog „Handwerkerzonen“) für Kleinbetriebe ausgewiesen, um Arbeitsplätze vor Ort zu sichern. Die gesetzliche Grundlage dieser Förderungen bildete das Landesgesetz Nr. 66/1973, dem das Landesgesetz (LG) Nr. 4/1997 (sog „Wirtschaftsförderungsgesetz“) folgte. Nach dem neuen Wirtschaftsförderungsgesetz werden direkte Investitionsbeihilfen mit indirekten Fördermaßnahmen ergänzt. Schwerpunkt dabei ist neben dem bisherigen Ziel, eine ausgewogene Entwicklung der Industrie im Lande zu fördern, die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte, die Exportförderung und die Erschließung neuer Märkte. Die autonomiepolitische Grundlage dieser Gesetze findet sich in Art 9 Nr 8 Statut, das dem Land Südtirol die sekundäre Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Industrieförderung zuspricht. Es muss erwähnt werden, dass die Industrieförderung, deren Finanzierung durch die proportionale Beteiligung des Landes an staatlichen Ausgaben für Industrieförderung in anderen Regionen des Staates erfolgt, einen eminent volkstumspolitischen Charakter hat. So unterliegen diese Mittel nicht der Finanzautonomie, dh Südtirol ist gezwungen, die staatlichen Gelder zweckgebunden für die Industrie einzuset-
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zen. Hintergrund dieser Bestimmung ist folgender: anfangs der 1970er Jahre wies das Land Südtirol, mit Ausnahme der Industriezone Bozen, einen sehr geringen Grad an Industrialisierung auf. Die Industriezone Bozen hingegen arbeitete seit ihrem Bestehen Ende der 1930er Jahre stark defizitär. Die Betriebe wurden nicht aus ökonomischen Erwägungen dort angesiedelt, sondern dienten der Italienisierung des Landes, da sie den zugewanderten Italienern Arbeit boten. Um das Überleben dieser defizitären Schwerindustrie zu sichern und ein Abwandern von Italienern zu verhindern, bestand der Staat bei den Autonomieverhandlungen auf der Zweckbindung der Industrieförderung. Die 1997 erfolgte „Rettung“ der damals endgültig vor dem Aus stehenden Bozner „Valbruna“ – Stahlwerke, dem „Flaggschiff“ der Bozner Industriezone, und der damit verbundenen 2.000 italienischen Arbeitsplätze durch erhebliche Landessubventionen ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Das Abwandern von 2.000 italienischen Arbeitern mit ihren Familien hätte das ethnische Gleichgewicht noch mehr zugunsten der deutschen Volksgruppe verschoben, als es in den letzten Jahrzehnten durch die demographische Entwicklung ohnehin der Fall gewesen war. Allerdings war diese Maßnahme Gegenstand einer Untersuchung der EU-Kommission, die den Umfang der vorgesehenen Förderungen wesentlich reduzierte.815 Eine Wiederholung dieses Kraftaktes ist kaum vorstellbar. Positiver Aspekt der Zweckbindung der Industrieförderung war die Tatsache, dass für die traditionellen Südtiroler Klein- und Mittelunternehmen immer genügend Mittel zur Verfügung standen. cc) Maßnahmen für den Handel Der Handel hat in Südtirol aufgrund seiner Brückenfunktion zwischen deutschem und italienischem Wirtschaftsraum große Bedeutung. Nicht verwundern kann daher die Tatsache, dass Italien, Österreich und Deutschland mit weitem Abstand Südtirols wichtigste Handelspartner sind. Das Land hat laut Statut die sekundäre Gesetzgebungskompetenz für den Handel (Art 9 Nr 3 Statut), diese wurde aber durch die Verfassungsreform von 2001 zu einer primären aufgewertet. Weiters hat das Land die primäre Zuständigkeit für Messen und Märkte (Art 8 Nr 12 Statut). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass in Südtirol der Einzelhandel weit verbreitet ist und somit eine fast lückenlose Nahversorgung garantiert. Die 815
Entscheidung 2000/66/EGKS vom 28. Oktober 1998; die Beihilfen waren von der Landesregierung aufgrund des LG 4/1997 gewährt worden und gliederten sich folgendermaßen auf: 12,447 Mrd ITL Umweltbeihilfe zur Erneuerung von Filtern, Reinigungsanlagen etc; 1,6 Mrd ITL Forschungsbeihilfe zur Entwicklung neuer Stahlprodukte. Die EU-Kommission hat in ihrer Entscheidung hervorgehoben, dass die Höhe dieser Beiträge unangemessen und mit dem gemeinsamen Markt nicht vereinbar ist und zu einem guten Teil nur der Modernisierung der bestehenden Anlagen und dem Ausbau der bisherigen Produktion dient. Daher wurden die Beihilfen auf 11,145 Mrd ITL (Umweltbeihilfe) und 794 Mio. ITL (Forschungsbeihilfe) gekürzt.
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diesbezüglich ausgerichtete Förderungspolitik der Landesregierung war somit ein voller Erfolg und kann angesichts des desolaten Zustandes der Nahversorgung in Nordtirol nur positiv hervorgehoben werden. Zündstoff für die Zukunft könnte die derzeitige Diskussion um die Lizenz für Großeinkaufszentren bergen, die dem Einzelhandel in den Dörfern (siehe das abschreckende Beispiel Nordtirol) schwer schaden würden. Der Großhandel erfolgt in den sog „Handwerkerzonen“ und den ausgewiesenen „Handelszonen von Landesinteresse“ in Bozen-Süd, Neumarkt und Meran-Sinich. Die Förderung des Handels erfolgt, wie das der Industriebetriebe, durch das Wirtschaftsförderungsgesetz LG Nr 4/1997. Besonders zu erwähnen ist hier die Absatzförderung landestypischer Südtiroler Produkte, die aufgrund der Landesgesetze 10/73 und 44/76 erfolgt. Praktische Ausdrucksform der Absatzförderung ist die Vertretung Südtirols an internationalen Messen, in der die Südtiroler Produkte mittels Ständen beworben werden sowie die Herausgabe eines Qualitätssiegels mit der Ursprungsbezeichnung „Südtirol – Alto Adige“. dd) Maßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft Das Land Südtirol hat in der Land- und Forstwirtschaft primäre Gesetzgebungskompetenzen (Art 8 Nr 21 Statut). Eine Vielzahl von Landesgesetzen regeln die großzügigen Fördermaßnahmen für die Landwirtschaft, die angesichts der Südtiroler Realität als bäuerlich geprägtes Land völlig gerechtfertigt sind. Es werden Beiträge in folgenden Bereichen vergeben: Alpungsprämie, Ankauf von landwirtschaftlichen Gebäuden und Grundstücken, Ausgleichszulage, Bauarbeiten, Haltung von Stieren, Bodenverbesserungs- und Bonifizierungskonsortien, Ausmerzung von Tierkrankheiten, Erstniederlassungsprämie, Gebührenermäßigung, Innenmechanisierung, Kulturverbesserung, landwirtschaftliche Maschinen, Treib- und Brennstoffe, Umweltmaßnahmen, Unwetterschäden, Urlaub auf dem Bauernhof, Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Versicherung, Viehwirtschaftskredite, Ökologischer Landbau. Vor allem der Förderung der Bergbauern wird seitens der Landesregierung hohe Priorität eingeräumt (ua mit der Einrichtung eines bäuerlichen Notstandsfonds). Dank der Fördertätigkeit des Landes konnte das Phänomen der „Landflucht“ nahezu beseitigt werden. Die Südtiroler Landesregierung legt in der Landwirtschaft besonderes Augenmerk auf die Förderung einer qualitätsmäßig hochstehenden Produktion sowohl in der Milchwirtschaft als auch im Obst- und Weinanbau.816 Durch das LG 3/2003 wurde den Südtiroler Bauern erstmals die Möglichkeit gebo816
Südtirol-Themen, 26.
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ten, Förderungen für umweltgerechte und den Lebensraum schützende landwirtschaftliche Produktionsverfahren zu erhalten. ee)
Maßnahmen für den Fremdenverkehr
Gemäß Art 8 Nr 20 Statut sind dem Land Südtirol primäre Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs und des Gastgewerbes eingeräumt. Mit Landesgesetz Nr 33 vom 18. 8. 1992 wurde die Tourismusorganisation geregelt und ein landesweiter Landesverband der Tourismusorganisationen Südtirols (LTS) gegründet,817 der koordinierend zwischen den Fremdenverkehrsorganisationen der einzelnen Gemeinden wirkt. Die Tourismuswerbung im In- und Ausland wird von der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG) wahrgenommen. An der SMG sind das Land Südtirol sowie die wichtigsten Südtiroler Wirtschafts-, Tourismus- und Handwerkerverbände sowie die landwirtschaftlichen Genossenschaften beteiligt. Die Bewerbung Südtirols erfolgt mittels Erarbeitung von Marketingstrategien und Werbekampagnen; besondere Bedeutung hat dafür die „Dachmarke Südtirol“, ein einheitliches Logo, unter dem die Kampagnen stattfinden. Weiters fungiert die SMG neben diesem Kerngeschäft als Marketingplattform für alle Wirtschaftssektoren im Handel.818 Die SMG und ihre Vorgängerorganisation Südtiroler Tourismuswerbung (STW) agierten nicht immer unumstritten: waren es in den 1980er Jahren die eigenwilligen Werbeslogans, die viel Kritik ernteten und manchmal nah an der Grenze zur Lächerlichkeit waren (zB „Sag Du zu Südtirol“, Werbeslogan der STW 1987; „Südtirol: fließend deutsch und warmes Wasser“, Werbeslogan der STW 1983819), so entfachte die SMG mit der Bewerbung Südtirols als „Toskana des Nordens“ unter der Dachmarke „Südtirol, Italia“ große Empörung in volkstumspolitischen Kreisen und weit darüber hinaus.820 Diese italophile 817 818 819
820
Südtirol-Themen, 37. Zitiert nach www.suedtirol-maketing.com, abgerufen am 22. 4. 2005. Persönliches Gespräch mit Günther Werth, ehemaliger Geschäftsführer der STW, vom 14. 5. 2005; laut Herrn Werth war der Slogan „Südtirol: fließend deutsch und warmes Wasser“ allerdings ein voller Erfolg, da er genau das ansprach, was der bundesdeutsche Tourist suchte: gesunde Bergwelt, deutsche Umgebung, guten Service. Der Werbeslogan „Südtirol, Italia“ bedeutete eine Abkehr vom bisherigen Südtirolbild der Fremdenverkehrsindustrie, die vor allem gesunde Bergwelt und gelebtes Tiroler Brauchtum in den Vordergrund stellte. Man setzte nun ganz auf die Propagierung von Südtirol als „Genussland“, in dem sich italienische und deutsche Einflüsse auf das beste vermischt hätten. Abgesehen davon, dass von einer solchen Vermischung in den weitesten Teilen des Landes nicht die Rede sein kann und somit schlicht ein falsches Bild vermittelt wurde, war auch der Zeitpunkt für diese Werbeoffensive (2003) denkbar schlecht gewählt. Im Sommer 2003 hatte der italienische Unterstaatssekretär für Tourismus, Stefano Stefani, die deutschen Touristen als „dicke Säufer, die über unsere Strände herfallen“ bezeichnet. Dies führte in Deutschland zu einem Aufschrei in den Medien und einem großen Imageschaden für die italienische Tourismuswerbung. Durch die eindeutige Bezugnahme auf Italien in der SMG-Werbung wurde auch Süd-
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Werbelinie wirkte umso unverständlicher, bedenkt man die nationalistischen Beschränkungen, denen die Südtiroler Fremdenverkehrswerbung im Ausland in der Vergangenheit unterlag. Zwar war es dem Land Südtirol gestattet, Fremdenverkehrswerbung im Ausland zu betreiben ohne das staatliche Tourismusinstitut ENIT einschalten zu müssen (wie es für die anderen italienischen Regionen verpflichtend war); doch gab es interne Rundschreiben der römischen Ministerien, die dazu aufforderten, auch im Ausland nur in italienischer Sprache zu werben (der gegebenenfalls eine deutsche Fassung beigestellt werden könne), es gab eine Weisung aus Rom, die es immer nur je einem Vertreter der Landesregierung erlaubte, an Tourismusveranstaltungen im Ausland teilzunehmen und schlussendlich unterlag die Tourismuswerbung laut dem Urteil des VfGH Nr. 564/1988 der berüchtigten „Ausrichtungs- und Koordinierungskompetenz“ des Staates.821 Kaum waren diese Beschränkungen beseitigt, wurde von Südtiroler Seite mit der umstrittenen Werbelinie „Südtirol, Italia“ den bisher bekämpften römischen Gängelungen ungefragt und freiwillig entsprochen.822 Die neue Werbelinie (seit 2004) der SMG verzichtet nun auf die umstrittene Bezeichnung „Südtirol, Italia“ und wirbt nur mehr mit dem Landesnamen „Südtirol“ bzw „Alto Adige“, ist aber dennoch alles andere als geglückt zu bezeichnen. Massiv kritisiert wurde die neue Dachmarke sowohl in künstlerischgrafischer Hinsicht (das Symbol wurde irrtümlich von der Dachmarke für chilenischen Wein abgekupfert, war aber dennoch unverhältnismäßig teuer) als auch aus volkstumspolitischer Sicht (sie enthält weiterhin die Bezeichnung „Alto Adige“ anstatt, wie ursprünglich geplant, entweder nur die deutsche Bezeichnung oder die korrekte Übersetzung „Sudtirolo“ zu führen). Von einer gemeinsamen Bewerbung Süd- und Nordtirols als einziges Tourismusland, eine ua von der deutschen Opposition im Südtiroler Landtag erhobene Forderung,823 ist man, abgesehen von einzelnen Initiativen (zB anlässlich der EXPO 2000 in Hannover), noch weit entfernt.
821 822
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tirol von diesem Skandal in Mitleidenschaft gezogen. Es kam zu Stornierungen von Urlaubsreisen deutscher Touristen und verärgerten Reaktionen der betroffenen Fremdenverkehrsbetriebe. Die sehr polemische Diskussion darüber und die harte Kritik am dem Direktor der SMG Christoph Engl füllten wochenlang die Südtiroler Medien. Im Jahre 2004 wurde daher eine neue Werbelinie vorgestellt, die umstrittene Bezeichnung „Südtirol, Italia“ kommt darin nicht mehr vor. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 297 f. Laut SMG-Direktor Engl sei diese Werbelinie notwendig gewesen, um den bundesdeutschen Verbrauchern klarzumachen, dass Südtirol in Italien liege. Die Tatsache, dass nach einer Meinungsumfrage viele Bundesdeutsche Südtirol als österreichisches Bundesland bezeichneten, wäre, so Engl ein „Imageschaden“, vgl Interview mit SMG-Direktor Engl im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ 9/2003, S. 98 f. Antrag des Landtagsabgeordneten Andreas Pöder im Südtiroler Landtag vom 20. 2. 2004, zitiert nach www.unionfs.com.
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ff)
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Maßnahmen für das Handwerk
Gemäß Art 8 Nr 9 Statut besitzt das Land Südtirol im Bereich des Handwerks primäre Zuständigkeit. Mit Landesgesetz vom 16. 02. 1981 Nr 2 wurde eine Handwerksordnung erlassen, die der jahrhundertelangen Tradition des Tiroler Handwerks Rechnung trägt: die Definition des Handwerks, die Gliederung der handwerklichen Tätigkeiten und insbesondere die Meisterprüfung als Voraussetzung für die Ausübung des Berufes orientieren sich an den deutschen und österreichischen Vorbildern. Eine starke Einschränkung der primären Zuständigkeit des Landes erfolgte durch den italienischen VfGH durch das Urteil 168/1987, in dem die Meisterprüfung zwar nicht abgeschafft, aber als Voraussetzung für die Berufsausübung für verfassungswidrig erklärt wurde.824 Um dieser neuen Situation zu begegnen und um die hohen Maßstäbe des Südtiroler Handwerks zu sichern, erließ das Land eine Reihe von Maßnahmen, die das Anstreben des nunmehr freiwilligen Meistertitels fördern sollten. Es wurde ein Meisterdiplom geschaffen, welches als amtliches geschütztes Gütesiegel den Meisterbetrieb schützt, es werden einem Handwerksmeister höhere Subventionen zugesprochen als einem Nichtmeister, es wurde ein landeseigenes Meisterausbildungszentrum in Bozen geschaffen, um die handwerklichen Fachkräfte entsprechend zu schulen und die Meisterausbildung als solches wird vom Land mit Beiträgen gefördert. Das mit dem Handwerk eng verbundene Lehrlingswesen war laut Statut nur eine sekundäre Zuständigkeit, kam aber durch die Verfassungsreform von 2001 in den primären Zuständigkeitsbereich des Landes. Es folgt einem dualen Ausbildungssystem, vergleichbar dem in Österreich (praktische Ausbildung im Betrieb, Besuch der Berufsschule). Allerdings wird das Verhältnis zwischen Lehrherrn und Lehrling nicht von Landesgesetzen geregelt, sondern vom gesamtstaatlichen Kollektivvertrag, dem in Italien, wie bereits erwähnt, Gesetzeskraft zukommt. Auf der Grundlage der Handwerksordnung wurde vom Land eine Landeshandwerkskommission bestehend aus Handwerkern, Berufsschuldirektoren und Vertretern der Abteilung Handwerk der Landesverwaltung gebildet.825 Sie berät die Landesregierung in allen bereichsspezifischen Fragen. Gefördert werden zudem die Teilnahme an Messen, Tagungen und Handwerksausstellungen sowie die Werbekampagnen für das Südtiroler Handwerk. Im Jahre 1997 wurde vom Institut für Unternehmensführung der Universität Innsbruck und der Abteilung Handwerk der Südtiroler Landesverwaltung der „Fachplan für das Südtiroler Handwerk“ ausgearbeitet, der Richtli-
824
825
Anlass für dieses Erkenntnis war die Klage eines aus Süditalien nach Branzoll zugewanderten Fliesenlegers, vgl Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 284. Südtirol-Themen, 16.
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Wirtschaft
nien für die weitere Entwicklung und Förderung des Handwerks in Südtirol enthält. d) Wirtschaftskooperation aa) Die Kooperation auf dem Energiesektor zwischen SEL AG und TIWAG Die Energiewirtschaft ist, aufgrund des Wasserreichtums des Landes, einer der wichtigsten und zukunftsträchtigsten Wirtschaftsbereiche Südtirols. Südtirol produziert 2,7% der in Italien erzeugten elektrischen Energie, hat aber nur 1% Anteil am gesamtstaatlichen Verbrauch.826 Das Bestreben des Landes war verständlicherweise seit Jahrzehnten darauf gerichtet, einen angemessenen Anteil und eine entsprechende Mitbestimmung bei der Nutzung der Südtiroler Wasserkraft zu erlangen. Die Grundlage einer eigenständigen, wenn auch beschränkten Energiepolitik des Landes Südtirol wurde bereits in Art 9 Nr 9 Statut verankert, womit dem Land die sekundäre Kompetenz für die Nutzung der öffentlichen Gewässer zugesprochen wurde, allerdings mit Ausnahme der Großableitungen zur Erzeugung elektrischer Energie. Diese Beschränkung bedeutete, dass das Land Konzessionen für „kleine“ Wasserableitungen zur Energieerzeugung vergeben konnte. Der Grenzwert war hierfür bei einer Leistung von bis zu 3.000 kW festgesetzt. Über die Vergabe von Konzessionen für große Wasserableitungen zur Erzeugung von Energie entschied der Staat, und zwar gemäß Art 13 Abs 4 Statut der Minister für öffentliche Arbeiten im Einvernehmen mit dem Minister für Industrie, Handel und Handwerk. Die Rolle des Landes war dabei auf die Einreichung etwaiger Bemerkungen, Einsprüche und Beschwerden beschränkt, über die das Oberste Gericht für öffentliche Gewässer in Rom entschied. In der Praxis führte diese Regelung dazu, dass über 90% der in Südtirol erzeugten Energie von den italienischen Großkonzernen ENEL und Edison produziert wurde, die 28 der 33 Großkraftwerke im Land betreiben.827 Eine entscheidende Wende brachte hier die Durchführungsbestimmung GVD Nr 463 vom 11. 11. 1999. Diese Durchführungsbestimmung übertrug dem Land Südtirol die Zuständigkeit für „die Suche nach und die Erzeugung, Speicherung, Erhaltung, den Transport und die Verteilung jedweder Art von Energie“, dh alle staatlichen Kompetenzen im Bereich der Energiewirtschaft wurden dem Land übertragen. Hinzu kam, dass dem Land die bisher vom Staat ausgeübte Zuständigkeit zur Erteilung der Konzessionen für große Wasserableitungen abgetreten wurde. Man spricht in diesem Zusammenhang auf Südtiroler Seite wohl zu Recht von einer „Heimholung des Stroms“ und der
826 827
Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 250 f. Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 256; 21 werden von ENEL, 7 von Edison betrieben.
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„wirtschaftlich wichtigsten Kompetenz nach dem Abschluss des neuen Autonomiestatutes“.828 Um diese neuen Kompetenzen wahrnehmen zu können, wurde die SEL AG (Südtiroler Elektrizitäts AG) gegründet, an der das Land mit 93,88% und die Südtiroler Gemeinden und Bezirksgemeinschaften mit 6,12% beteiligt sind.829 Zu den Aufgaben der SEL AG zählt die Errichtung und Unterhaltung von Hochspannungsleitungen, die Übernahme der Niedrig- und Mittelspannungsleitungen der ENEL, die technische und administrative Unterstützung der Gemeinden bei der Elektrizitätsverteilung und, neben diesen mehr verteilungstechnischen Aufgaben von besonderer Bedeutung, die langfristige Übernahme der bisher von den italienischen Konzernen betriebenen Südtiroler Großkraftwerke. Zur Erreichung dieser Ziele wurde von der SEL AG eine Reihe von Tochterunternehmen gegründet: SELTRADE (Strom- und Gashandel), SELGas (Gasverteilung), SELEDISON (gemeinsame Gesellschaft von SEL AG und Edison zur Führung der Großkraftwerke Reschenstausee und Kastelbell), FHS GmbH (Fernheizwerk Sexten) und FHK GmbH (Fernheizwerk Klausen).830 Mit der SEL AG sollte es gelingen, die Südtiroler Großkraftwerke der italienischen Konzerne entweder zu übernehmen oder, über gemeinsame Gesellschaften (siehe SELEDISON), zu kontrollieren. Um diesem Ziel gerecht zu werden, wurde im Landeshaushalt 2005 ein Sonderposten von € 650 Mio eingeplant. Diese beeindruckende Summe sollte dazu dienen, die Großkraftwerke der ENEL anzukaufen.831 Durch die neueste Entwicklung auf dem italienischen Strommarkt wurde dieses Projekt zunächst zurückgestellt und das Land zog es vor, sich in den zweiten in Südtirol tätigen italienischen Stromkonzern, der Edison AG, einzukaufen. Es wurden um € 100 Mio Anteile an dem Mehrheitseigentümer der Edison AG, der Italenergia, angekauft.832 Die Absicht bestand nicht im Erwerb von mehr oder weniger gewinnträchtigen Aktien, sondern des damit verbundenen Vorkaufsrechtes an den 7 Südtiroler Großkraftwerken. Das Land plant nun, in den nächsten 4-5 Jahren diese Aktien abzustoßen und mit dem Erlös das Vorkaufsrecht an den 7 Kraftwerken wahrzunehmen sowie die 42% Anteile, die Edison im Rahmen der gemeinsamen Gesellschaft SELEDISON am Reschenstausee hält, aufzukaufen.833 Sollte dies gelingen, so wäre das ein großer Schritt in Richtung einer völligen Unabhängigkeit des Landes im Stromsektor.
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Lukas Bonell/Ivo Winkler, Südtirols Autonomie, 254. Energie für unser Land, Vorstellung der SEL AG, hg von der SEL AG, Bozen 2005, 4. Energie für unser Land, 10. Landeshaushalt 2005, 4. Zitiert nach www.stol.it, SEL AG erwirbt Anteile am Stromriesen Edison, abgerufen am 7. 5. 2005. Zitiert nach http://www.landtag-bz.org/press-landtag/lndtg_news_d.asp?art= 107735& HLM=1, abgerufen am 1. 8. 2005.
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Die Zusammenarbeit seitens der SEL AG mit der Nordtiroler TIWAG war anfangs von der Notwendigkeit geprägt, von der Erfahrung der Nordtiroler im Bereich der Energiewirtschaft zu profitieren. Für Südtirol bedeutete die Übernahme sämtlicher Kompetenzen im Energiebereich eine völlig neue Herausforderung.834 Darüberhinaus eröffneten sich neue Möglichkeiten, die durch die Brennergrenze bedingten Folgen der Landesteilung, zu beseitigen: vor 40 Jahren wurden die grenzüberschreitenden Stromlinien unterbrochen. Die Aufgabe der SEL AG als Stromverteiler ermöglicht nun deren Wiederherstellung in Zusammenarbeit mit der TIWAG; dies bedeutet, dass durch den daraus folgenden Stromaustausch die Versorgungssicherheit in beiden Landesteilen gewährleistet wäre. Es wird an grenzüberschreitenden Stromleitungen an den Grenzübergängen Winnebach und Reschenpass gearbeitet; die Leitungen am Brenner werden noch von der ENEL betrieben, über eine Beteiligung der SEL AG an dieser sog „Brennerlinie“ wird verhandelt.835 Eine besonders enge Kooperation zwischen SEL AG und TIWAG besteht im Bereich der Erdgaswirtschaft. SELGas und Tigas, zwei Tochterunternehmen von SEL AG und TIWAG, sollen zukünftig im Rahmen einer gemeinsamen Gesellschaft zusammenarbeiten. Der erste Schritt dahin besteht im Zusammenschluss der von der Tigas aufgekauften Südtiroler Unternehmen Südgas und Energas. In einem zweiten Schritt sollen 60% der Anteile dieser neuen Gesellschaft an die SELGas verkauft werden. Im Gegenzug werden die Anteile der Tigas an der SELGas von 30 auf 40% erhöht.836 Eine strategische Partnerschaft besteht zudem zwischen der SELTRADE und der TIWAG, die 9% der Anteile an dem Südtiroler Unternehmen hält. bb) Die EU-Förderprogramme in Südtirol 837 Im Rahmen der Eu-Förderprogramme ergeben sich für Süd- und Nordtirol zahlreiche Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Insbesondere die Gemeinschaftsinitiative Interreg III A ist hier von Interesse, da es sich hierbei um die Förderung der grenzüberschreitenden Kooperation zwischen Italien und Österreich handelt; weiters gibt es noch die Programme Interreg III B, Interreg III B – Cadses und Interreg III C. Finanziert werden alle Programme aus den Strukturfonds der EU, wobei für das Programm Interreg III A ein Gesamtbudget von EUR 14.406.148, für Interreg III B EUR 119.445.600, für Interreg III B – Cadses EUR 233.061.954 und für Interreg III C EUR 292.500.000 vorgesehen ist. 834
835 836 837
So Klaus Stocker, Präsident der SEL AG, in einem Vortrag vor der Arbeitsgemeinschaft Tirol (AGT) in Vahrn im Herbst 2003. APA-Meldung vom 8. 9. 2004. APA-Meldung vom 8. 9. 2004. Alle Angaben: EU-Förderungen in Südtirol, 3. überarbeitete Auflage, hg von der Südtiroler Landesregierung, Abt. 39 Europa-Angelegenheiten, Bozen, März 2004.
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Interreg III A: dieses Programm fördert gezielt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Italien und Österreich. Beteiligt ist die Region Trentino-Südtirol, das Bundesland Tirol, die Bundesländer Salzburg und Kärnten sowie die Regionen Friaul-Julisch-Venetien und das Veneto. Gefördert werden Projekte von öffentlichen Körperschaften, Verbänden oder Privatpersonen in den Bereichen Raum- und Regionalentwicklung, Umwelt, Kultur, Gesundheits- und Sozialwesen, Tourismus, Land- und Forstwirtschaft und Arbeitsmarkt.
Im Rahmen dieses Projektes wurden folgende Gesamttiroler Projekte verwirklicht: Es wurde ein digitaler Gesamttiroler Atlas, der Tirol Atlas, geschaffen. Dieser interaktive multimediale Atlas entstand unter der Federführung des Instituts für Geographie der Universität Innsbruck und soll in den kommenden fünf Jahren zu einem umfangreichen Internet-Atlasinformationssystem ausgebaut werden mit dem Schwerpunkt, einen Überblick zu verschiedensten thematischen Bereichen der Raumentwicklung für alle Interessierten zu jeder Zeit bereit zu halten (abzurufen unter www.tirolatlas.uibk.ac.at). Das Projekt „Fastlink Tyrol“838 hat die Errichtung und Vereinheitlichung der seismologischen Messnetze und die Verwirklichung eines integrierten grenzüberschreitenden virtuellen Netzwerkes zum Ziel, mithilfe dessen den Nord- und Südtiroler Zivilschutzstellen innerhalb kürzester Zeit zuverlässige Informationen über das Ausmaß des Erdbebens und die Lage in den am stärksten betroffenen Gebieten übermittelt werden können. Im Rahmen des Projektes werden in Südtirol sieben und in Tirol drei Erdbebenstationen errichtet. Beteiligt sind die Abteilung Zivil- und Katastrophenschutz des Landes Tirol und das Amt für Zivilschutz der Südtiroler Landesregierung. Im Projekt INTEGRALP839 untersuchten Nord- und Südtiroler Wissenschaftler die Auswirkungen von Bewirtschaftungsänderungen (Extensivierung, Brachlegung, Intensivierung, Umwandlung von Mähwiesen in Weiden, Aufforstung) in den Tiroler Gebirgslandschaften. Beteiligt waren das Amt für Forstwirtschaft der Südtiroler Landesregierung und das Institut für Botanik der Universität Innsbruck. Der grenzüberschreitende Wanderweg „Tiroler Höhenweg“,840 der von Mayrhofen im Zillertal nach Meran führt, wurde ebenfalls mit Förderungen aus dem Interreg-Programm verwirklicht. •
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Interreg III B: dieses Programm dient der Förderung der transnationalen841 Zusammenarbeit im Alpenraum, ausgehend von den französi-
Vgl http://www.tirol.gv.at/themen/sicherheit/katziv/lwz/projekt_fastlink.shtml abgerufen am 9. 8. 2005. Vgl http://www.eurac.edu/Org/AlpineEnvironment/AlpineEnvironment/Projects/ Integralp/index_de.html, abgerufen am 11. 8. 2005. Vgl http://www.eisacktal.info/hoehenweg/ abgerufen am 11. 8. 2005.
250
Wirtschaft
schen Alpenregionen über die gesamte Schweiz, Liechtenstein, Südtirol, Oberbayern und Baden-Württemberg, Österreich bis nach Slowenien. Die Foerderschwerpunkte liegen in den Bereichen alpine Wirtschaft, der Transportsysteme und einer nachhaltigen Handhabung der Natur- und Kulturressourcen. Ansprechpartner sind öffentliche und private Projektträger. Um in den Genuss der Förderungen zu kommen, müssen die Projekte eine grenzüberschreitende Partnerschaft im Alpenraum aufweisen und im Kooperationsraum verwirklicht werden. •
Interreg III B – Cadses: dieses Programm richtet sich an die Länder des Donau-Adria-Raumes (Cadses: Central Adriatic Danubian SouthEastern Europe Space). Mitgliedsstaaten sind Italien (die Region Trentino-Südtirol und weitere 8 Regionen), Österreich, Deutschland (Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, SachsenAnhalt, Berlin, Brandenburg, Thüringen), Griechenland und seit 1. Mai 2004 die neuen EU-Mitglieder Tschechien, Ungarn, Polen, Slowakei und Slowenien. Ziel dieses Programmes ist es, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, zur Erhaltung des Natur- und Kulturerbes beizutragen.
•
Interreg III C: dieses Programm verfolgt die Erweiterung der transnationalen Zusammenarbeit der Interreg-Programme und fördert die Bildung von Netzwerken zwischen den beteiligten Regionen. Ansprechpartner sind hierin erster Linie regionale Körperschaften.
cc) EURES TransTirolia 842 EURES TransTirolia ist eine Initiative der Europäischen Union zur Förderung der grenzüberschreitenden Beschäftigung in den Regionen Nord/Ost-, Südtirol und Graubünden. Ziel dieses „Bündnisses für Arbeit” ist es, über Stellenangebote und gesuche in der Grenzregion zu informieren, Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Arbeits- und Lebensbedingungen im Nachbarland zu informieren und zu beraten (Sozial-, Arbeits- Pensions- und Tarifrecht). Weiters soll mit gemeinsamen Projekten zur Schaffung eines homogenen Arbeitsmarktes und zur Förderung der Beschäftigung im Grenzraum beigetragen werden. Zielgruppen der Initiative sind Arbeitnehmer und Arbeitsuchende, die in einem der beteiligten Länder arbeiten möchten bzw Arbeitgeber, die Arbeitnehmer aus den beteiligten Ländern beschäftigen möchten.
841
842
Im Unterschied zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit findet die transnationale Zusammenarbeit auch zwischen Regionen statt, die nicht direkt aneinander grenzen. Alle Angaben: http://www.eures-transtirolia.org/eures/grundinfo_d.htm , abgerufen am 1. 8. 2005.
251
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
Die Rahmenvereinbarungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Arbeitsverwaltungen und der Arbeitgeberorganisationen Tirols und Südtirols wurden 1997 unterzeichnet, im Mai 2000 erneuert und auf weitere Organisationen ausgedehnt. Im November 2002 ist Graubünden mit dem Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) der EURES TransTirolia beigetreten.
5. Politische Wirklichkeit a) Parteien aa) Im Landtag vertretene Parteien: (1) Parteien der deutschen und ladinischen Volksgruppe: Parteien
Stimmen
%
Sitze
167.353
55,6
21
UfS – Union für Südtirol
20.554
6,8
2
Die Freiheitlichen
15.121
5,0
2
SVP – Südtiroler Volkspartei
(2) Parteien der italienischen Volksgruppe: Parteien
Stimmen
%
Sitze
Alleanza Nazionale
25.382
8,4
3
Insieme a Sinistra – Pace e Diritti
11.575
3,8
1
Unione Autonomista
11.179
3,7
1
Forza Italia
10.186
3,4
1
4.499
1,5
1
Unitalia (3) „Interethnische” Parteien Verdi del Sudtirolo/Grüne Südtirols
23.708
7,9%
3 Sitze
bb) Kommunale Parteien und Bürgerlisten Daneben gibt es noch einige Ableger rein italienischer Parteien (zB „Rifondazione Communista“, „Unione Democratica Cristiana“, „Radicali“), die nur auf kommunaler Ebene, und auch dort nur in Gemeinden mit starkem italienischen Bevölkerungsanteil, eine geringe Rolle spielen. In den ladinischen Tälern (Gröden, Gadertal) besteht seit Anfang der 1990er Jahre eine ladinische Partei, die Liste „Ladins“, die für zwei Legislaturperioden im Landtag vertreten war (199–2003). Bei der letzten Wahl schaffte sie den Sprung in den Landtag nicht mehr und hat nur mehr begrenzte Bedeutung in den ladinischen Gemeinden.
252
Politische Wirklichkeit
Auf kommunaler Ebene ist in Südtirol das Phänomen der Bürgerlisten weit verbreitet. Diese Bürgerlisten lassen sich in vier Kategorien einteilen: •
der SVP nahe stehende Bürgerlisten (sog „Kleine Edelweißlisten“);
•
den Grünen nahe stehende Bürgerlisten;
•
der UfS und den Freiheitlichen nahe stehende Bürgerlisten;
•
Bürgerlisten mit rein kommunaler Ausrichtung.
Die Gemeinderatswahlen 2005 haben den verschiedenen Bürgerlisten große Gewinne in fast allen Gemeinden des Landes gebracht. b) Verbände aa) Die Handels-, Industrie-, Handwerks- und Landwirtschaftskammer Dabei handelt es sich um eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit Sitz in Bozen. Die Kammer ist das zentrale Organ der Interessenvertretung der Südtiroler Wirtschaft und weist eine Gliederung in Sektionen (Handel, Verkehr, Fremdenverkehr usw) und eine weitere Untergliederung in Fachkommissionen auf. Von zunehmender Bedeutung ist die Schiedsgerichtsbarkeit der Handelskammer, die wesentlich schneller und effizienter arbeitet als das schwerfällige italienische Gerichtswesen. Aus volkstumspolitischer Sicht entwickelt sich die Handelskammer leider immer mehr zum Problem: im Mai 2005 verkündete die Handelskammer in einer Aussendung an bundesdeutsche Zeitungsredaktionen, dass man Südtirol nicht als Teil Tirols sehen dürfe, sondern als „Entität sui generis“, dem eine eigene Identität zukomme.843 Es sei ein Land, in dem sich „mediterranes und alpines Lebensgefühl“ mischen würden. Erst nach Protesten seitens der Südtiroler Wirtschaftsverbände wurde diese Aussage zurückgenommen. 844 bb) Spezielle Interessenverbände Neben der Handelskammer als „offizieller“ Interessensvertretung der Südtiroler Wirtschaft hat sich noch eine Reihe von Verbänden auf der Grundlage der Selbstorganisation zu spezieller Interessensvertretung gebildet, die zT sehr großen Einfluss auf die Landespolitik ausüben. Die bedeutendsten dieser Verbände sind: Südtiroler Bauernbund, Industriellenvereinigung, Hoteliers- und Gastwirteverband, Landesverband der Handwerker, Südtiroler Wirtschaftsring. Daneben bestehen eine Reihe von Berufskammern: Ärztekammer, Notariatskammer, Apothekerkammer, Rechtsanwaltskammer, Architektenkammer, Ingenieurkammer, Berufskammer der Agronomen und Forstwirte usw.
843 844
Zitiert nach www.wianet.at , abgerufen am 2. 7. 2005. Zitiert nach www.wianet.at , abgerufen am 2. 7. 2005.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
253
cc) Genossenschaften Genossenschaften sind im Bereich der Südtiroler Landwirtschaft von großer Bedeutung. Die einzelnen Genossenschaften sind in Fachverbänden zusammengefasst (zB Verband der Obstgenossenschaften VOG, Verband der Kellereigenossenschaften usw) und vereinigen einen hohen Produktionsanteil von landwirtschaftlichen Gütern auf sich (zB der VOG ist die größte Vermarktungsorganisation für Äpfel in ganz Europa845). Daneben fungiert die „Landwirtschaftliche Hauptgenossenschaft Südtirol“ (LHG) als Warenvermittlungszentrale und Beratungsdienst für Landwirte. dd) Gewerkschaften Die Gewerkschaftsstruktur Südtirols spiegelt die ethnische Situation der Arbeitnehmer des Landes wieder. Neben dem Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB), der den Großteil der deutschen und ladinischen Arbeitnehmer vereinigt, gibt es noch Landesorganisationen der italienischen Gewerkschaften. Die wichtigsten Gewerkschaften: ASGB
Autonomer Südtiroler Gewerkschaftsbund
AGB/CGIL
Allgemeiner Gewerkschaftsbund, Landesorganisation der Confederazione Generale Italiana del Lavoro (postkommunistisch)
SGK/UIL
Südtiroler Gewerkschaftskammer, Landesorganisation der Unione Italiana del Lavoro (sozialdemokratisch)
SGB/CISL
Südtiroler Gewerkschaftsbund, Landesorganisation der Confederazione Italiana Sindacati Liberi (christlichsozial)
Daneben bestehen zahlreiche Fachgewerkschaften, die zT in obige Organisationen integriert, zT autonom sind (zB FABI, Federazione Autonoma Bancari Italiani). Abgesehen vom ASGB, der nur deutsche und ladinische Arbeitnehmer aufnimmt, vertreten alle anderen Gewerkschaften offiziell einen „interethnischen“ Kurs, dh sie geben sich offen für Arbeitnehmer jeder Volksgruppe. Kennzeichnend für die Landesgruppen der italienischen Gewerkschaften ist allerdings ihre starke Abhängigkeit von der römischen Zentrale. Der ASGB als einziger unabhängiger Gewerkschaftsbund Südtirols hat hier wesentlich mehr Spielraum, die Interessen der Südtiroler Arbeiterschaft zu vertreten.
845
Zitiert nach www.vog.it, abgerufen am 4. 3. 2005.
254
Politische Wirklichkeit
c) Politische Beziehungen zur Zentrale Das Verhältnis Südtirol-Rom war in der Vergangenheit durch das Ringen um die Landesautonomie gekennzeichnet. Nach dem Abschluss des Paketes und dem Erlass des Autonomiestatutes von 1972 vergingen noch 20 Jahre mühsamster Verhandlungen um Detailfragen, Durchführungsbestimmungen, Finanzregelung, immer bedroht von den italienischen Versuchen, die zugestandene Autonomie wieder auszuhöhlen. Erschwerend hinzu kam noch eine ausgesprochen zentralistische Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in Rom, der Südtiroler Landesgesetze wegen angeblicher Überschreitung der Autonomieschranken reihenweise aufhob. Nach der Streitbeilegungserklärung und der Erfüllung des „Pakets“ 1992 normalisierte sich die Situation. Die oben besprochenen Delegierungen zusätzlicher Kompetenzen des Staates trugen dazu wesentlich bei. Dennoch kam es immer wieder zu Problemen, sobald sich die Südtiroler Landesregierung auf neues Terrain wagte (zB im Zusammenhang mit der Europaregion Tirol). Konfliktpotential für die Zukunft könnte die Verfassungsreform von 2001 bergen: in Art 10 des Verfassungsgesetzes 3/2001 ist die Angleichung des Statutes der Region Trentino-Südtirol an die Regionen mit Normalstatut vorgesehen. Diese Angleichung soll vom italienischen Parlament im Wege einer Verfassungsänderung vorgenommen werden, wobei dem Land nur das Recht einer Stellungnahme zukommt. Es bleibt zu hoffen, dass es zu einer Angleichung „in bonam partem“ kommt. Abhängig sind die Beziehungen zur Zentrale zudem von der Zusammensetzung der Zentralregierung, wobei festgestellt werden kann, dass es mit Linksregierungen tendenziell weniger Probleme gibt als mit Rechtsregierungen (Ausnahme dabei im rechten Parteienspektrum: die föderalistische Lega Nord). d) Politische Beziehungen zur Region und zum Trentino Die Tatsache, dass Südtirol mit der Nachbarprovinz Trient in einer Region zusammengeschlossen ist, ist nach wie vor einer der Hauptkritikpunkte der Südtiroler. Die Erfahrungen mit der Region, in der die Trentiner die Mehrheit stellen, sind mehr als schlecht. Die Region fungierte bis zum zweiten Autonomiestatut von 1972 als Instrument des Zentralstaates, dem Land Südtirol die im Pariser Vertrag garantierten Zuständigkeiten de facto zu verweigern, indem diese Kompetenzen der Region zugesprochen wurden, in der die (italienische) Trentiner Mehrheit gegenüber der (deutschen und ladinischen) Südtiroler Minderheit dominierte. Die Folge war ein „Aushungern“ der Südtiroler Autonomie.846
846
Othmar Parteli, Südtirol 1918–1970, in: Geschichte des Landes Tirol, Band 4/I, Verlagsanstalt Athesia, Tyrolia Verlag, Bozen/Innsbruck 1988, 486ff. Das „Aushungern“ der Südtiroler Autonomie seitens der Region stellte sich folgendermaßen dar:
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
255
Durch das Statut von 1972 wurde dieser Missstand beseitigt, denn die meisten Kompetenzen wurden den zwei Provinzen zugesprochen und die der Region verbleibenden Kompetenzen wurden nach jahrelangen Verhandlungen an Südtirol bzw das Trentino delegiert. Das VerfG 2/2001 brachte für Südtirol weitere Verbesserungen und eine noch größere Unabhängigkeit von der Region; das VerfG 3/2001 trug dem dadurch Rechnung, dass nun in der Verfassung ausdrücklich auf die beiden Autonomen Provinzen Bezug genommen wird (Art 116 Abs 2: „Die Autonomen Provinzen Trient und Bozen bilden die Region Trentino – Alto Adige/Südtirol“). Eine völlige Abschaffung der Region ist aber nicht gelungen. Weiters muss erwähnt werden, dass das Trentino zwar mit Südtirol und Nordtirol im Rahmen einer Europaregion zusammenarbeitet, aber häufig als Bremsklotz agiert.847
6. Kooperationsformen und -einrichtungen a) Regionale Zusammenarbeit innerhalb der Staatsgrenzen Die Verfassungsreform von 2001 hat mit der zentralistischen Tradition Italiens gebrochen. Anstelle des verflochtenen Überwachungssystems (Staat kontrolliert über Regierungskommissar die Region, die Region über eigene Organe die Provinzen und Gemeinden) wurde ein „kooperativer Regionalismus“ („regionalismo cooperativo“)848 gesetzt. Es wurden ständige Kommissionen eingerichtet, die aus den Regionalpräsidenten aller Regionen und den Landeshauptleuten Südtirols und des Trentino einerseits und aus dem Ministerpräsidenten und den Regierungsmitgliedern andererseits bestehen; diese sollen allfällige Konflikte zwischen Regionen und Staat einvernehmlich lösen. Kommt keine Einigung in diesen Kommissionen zustande, so ist nach wie vor der Staat, aber neuerdings auch die Region befugt, eine für verfassungswidrig erachtete Staats – bzw Regionalnorm vor dem VfGH anzufechten (Art 127 Abs 2 itVerf). Solche „Ständigen Kommissionen“ gibt es auch zwischen Regionen und Provinzen, Gemeinden und Großstädten mit besonderem Statut.849
847
848 849
fasste die Südtiroler Mehrheit im Südtiroler Landtag einen Beschluss, so musste über dessen Finanzierung die Mehrheit der Abgeordneten des Regionalrates zustimmen. Wurde eine Zustimmung im Regionalrat von der Trentiner Mehrheit verweigert, so entschied über die Finanzierung das Innenministerium von Amts wegen. Und dieses entschied in den meisten Fällen abschlägig. Grund für diese Haltung der Trentiner ist die unstabile politische Situation im Trentino, die von häufigen Regierungswechseln gekennzeichnet ist. Zudem ist im Trentino nur eine im Landtag vertretene Partei, der Partito Popolare Trentino-Tirolese (PATT), vorbehaltlos für die Europaregion. Diritto Costituzionale, 515. Diritto Costituzionale, 234.
256
Kooperationsformen und -einrichtungen
b) Kooperation auf zwischenstaatlicher Ebene Das Land Südtirol hat, aufgrund der Verfassungsreform von 2001, nunmehr eine eingeschränkte Befugnis zu hoheitlicher Kooperation mit dem Ausland. Die entsprechende Bestimmung findet sich in Art 117 Abs 9 der ital Verfassung: „Die Region kann für Sachgebiete in ihrem Zuständigkeitsbereich Abkommen mit Staaten und Vereinbarungen mit Gebietskörperschaften eines anderen Staates in den durch Staatsgesetze geregelten Fällen und Formen abschließen.“ Das Ausführungsgesetz zu dieser Norm, das Staatsgesetz 131/2003 (sog „Legge La Loggia“) spricht diese Kompetenz ausdrücklich auch den beiden Autonomen Provinzen Bozen-Südtirol und Trient zu. In der Praxis wurde diese Möglichkeit bis jetzt nicht wahrgenommen. An nichthoheitlicher Kooperation nimmt Südtirol seit Jahren in beträchtlichem Ausmaß teil und ist in folgenden Organisationen vertreten: aa) Die Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP)850 Die ARGE ALP wurde am 12. Oktober 1972 in Mösern/Nordtirol gegründet und besteht aus dem Land Südtirol, dem Land Tirol, dem Trentino, dem Freistaat Bayern, dem Kanton Graubünden, der Region Lombardei, dem Kanton St. Gallen, dem Land Salzburg, dem Kanton Tessin und dem Land Vorarlberg. Ziel der ARGE ALP ist es, die Kooperation zwischen den Mitgliedsländern in den Bereichen Verkehr, Umweltschutz, Raumordnung, Landwirtschaft, Kultur, Gesundheitswesen, Familienpolitik und Wirtschaft zu fördern. Als oberstes Organ fungiert die Konferenz der Regierungschefs. Diese Konferenz legt Zielsetzungen und Arbeitsprogramme fest, wacht über deren Umsetzung und verfasst Resolutionen an die Bundes- und Zentralregierungen der vertretenen Länder. Zur Vorbereitung der Beschlüsse sind Kommissionen aus Fachleuten berufen, die durch den Leitungsausschuss für Fragen der Organisation, Koordination und Finanzierung ergänzt werden. Die administrativen Aufgaben besorgt die Geschäftsstelle, die beim Amt der Tiroler Landesregierung in Innsbruck eingerichtet ist.
850
Alle Angaben: Statut der Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer (ARGE ALP), zitiert nach www.argealp.org, abgerufen am 20. 3. 2005.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
257
bb) Arbeitsgemeinschaft der Länder und Regionen der Ostalpengebiete (ARGE Alpen-Adria)851 Die ARGE Alpen-Adria wird von den selben Mitgliedern wie die ARGE ALP gebildet; zusätzlich sind noch die Komitate Györ-Moson-Spopron, Vas, Zala, Somogy und Baranya, die Regionen Lombardei und Emilia-Romagna, die Länder Kärnten, Steiermark, Burgenland Oberösterreich sowie Slowenien und Kroatien vertreten. Die Zielsetzungen sind ähnlich der ARGE ALP: Förderung der Zusammenarbeit im Bereich Landwirtschaft, Umweltschutz, Raumordnung, Kultur sowie zusätzlich in den Gebieten Hafenverkehr, Energie und Städtebau. Die ARGE Alpen-Adria verfügt über 5 Kommissionen, die wiederum in Arbeitsgruppen unterteilt sind und die Beschlüsse der „Vollversammlung der regionalen Regierungschefs“ vorbereiten. Die Kommission der leitenden Beamten koordiniert die einzelnen Kommissionen. Das Generalsekretariat der ARGE Alpen-Adria, eingerichtet beim Amt der Kärntner Landesregierung, nimmt die administrativen Aufgaben wahr; unterstützt wird es dabei von den Geschäftsstellen, die in jedem Mitgliedsland bestehen. cc) Die Versammlung der Regionen Europas (VRE) Die VRE wurde 1985 gegründet und umfasst heute 290 Regionen aus ganz Europa. Sie ist die politische Vertretung der Regionen bei der EU, dem Europarat und der OSZE. Ihr gehören alle österreichischen Bundesländer und die Region Trentino-Südtirol an. dd) Der Vierer- bzw Dreierlandtag Am 19. Juni 1970 fand in Bozen eine gemeinsame Sitzung des Nord- und Südtiroler Landtages statt.852 Am 14. Mai 1971 kam es im Alten Landhaus zu Innsbruck zu einer weiteren Sitzung: es trafen sich dort nach 57 Jahren die Abgeordneten aus Nord-, Süd- und Osttirol im alten Sitzungssaal des Tiroler Landtages. Es kam zu einer Institutionalisierung dieser Treffen, dem sog „Zweierlandtag“. Es folgten 16 weitere Treffen der Nord- und Südtiroler Landtage, bis 1991 beim Viererlandtag in Meran auch das Trentino und Vorarlberg in die gemeinsamen Sitzungen miteinbezogen wurden; ein solcher Viererlandtag fand 1993 in Innsbruck statt. Vorarlberg schied jedoch bald als Vollmitglied des gemeinsamen Landtages aus: seit der dritten Begegnung des Viererlandtages am 31. Mai 1996 in Riva nimmt Vorarlberg auf eigenen Wunsch nur mehr als Beobachter an den Tref851 852
Alle Angaben zitiert nach www.alpeadria.org, abgerufen am 20. 3. 2005. Alle Angaben: www.europaregion.info, abgerufen am 20. 3. 2005.
258
Kooperationsformen und -einrichtungen
fen der drei Landtage teil, daher wird diese Institution nunmehr „Dreierlandtag“ genannt. Zu einer wichtigen Sitzung kam es am 19. Mai 1998 in der alten Tiroler Landeshauptstadt Meran: im Mittelpunkt stand dabei eine Vereinbarung über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen der Europaregion und die Erarbeitung einer gemeinsamen Geschäftsordnung für den Dreierlandtag. Dieser erste Schritt zu einer organisatorischen und institutionellen Strukturierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den Landesteilen des historischen Tirol gilt als bisher wichtigste Leistung des Dreierlandtages. Die Geschäftsordnung regelt die Zusammensetzung und die Aufgaben des Dreierlandtages: er besteht aus den Landtagsabgeordneten der Landtage des Bundeslandes Tirol und der Autonomen Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino, während der Präsident des Vorarlberger Landtages als Beobachter teilnimmt, und befasst sich mit Angelegenheiten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den Landesteilen, zu denen gemeinsame Entschließungen gefasst werden.853 Die Entschließungen werden den Landesregierungen der beteiligten Länder zur Kenntnisnahme übermittelt.854 Ein Jahr nach der letzten Sitzung des Dreierlandtages übermitteln die Landeshauptleute von Südtirol, Tirol und dem Trentino dem Geschäftsführenden Präsidenten des Dreierlandtages (dies ist der Landtagspräsident des Landesteiles, in dem der Dreierlandtag stattfindet) einen Bericht über die Umsetzung der Entschließung.855 Die Anträge, die im Rahmen des Dreierlandtages zur Abstimmung kommen, werden von der Interregionalen Landtagskommission vorbereitet. Diese setzt sich aus den Präsidenten der drei Landtage und jeweils sechs von den drei Landtagen namhaft gemachten Abgeordneten zusammen.856 Die Kommission erstellt die Tagesordnung für die Sitzungen des Dreierlandtages und berät über die eingebrachten Anträge.857
853
854 855 856
857
Geschäftsordnungen für den Dreier-Landtag (Landtage Südtirol, Tirol und Trentino sowie Vorarlberger Landtag mit Beobachterstatus) und für die Interregionale Landtagskommission – Dreier-Landtag (Landtage Südtirol, Tirol und Trentino sowie Vorarlberger Landtag mit Beobachterstatus), genehmigt in der gemeinsamen Landtagssitzung vom 19. Mai 1998, Art 1, zitiert nach www.europaregion.info, abgerufen am 20. 3. 2005. Bei der Abstimmung über Anträge können die Abgeordneten eines Landesteils auch die Abstimmung nach Landtagen verlangen, dann gilt ein Antrag nicht mit der Mehrheit der anwesenden Abgeordneten als angenommen, sondern wenn alle drei Landtage mit Mehrheit ihrer Mitglieder zustimmen (Art 9). Geschäftsordnung, Art 9. Geschäftsordnung, Art 10. Geschäftsordnung für die Interregionale Landtagskommission, Art 1, zitiert nach www.europaregion.info, abgerufen am 20. 3. 2005. Ebd, Art 2; dass es dabei durchaus turbulent zugehen kann, beweist der Dreierlandtag vom 29. Mai 2002 in Riva. In der Interregionalen Kommission war ein Antrag der Union für Südtirol angenommen worden, der den italienischen Staatspräsidenten
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259
Somit wurde, auf dem Zweierlandtag des Bundeslandes Tirol und Südtirols fußend, ein Instrument entwickelt, das alle drei Teile des historischen Tirol zusammenführt und der gemeinsamen Bewältigung aktueller Probleme gewidmet ist. ee) Europaregion Tirol-Südtirol/Alto Adige-Trentino (Europaregion Tirol)858 Die Europaregion Tirol bezeichnet die verstärkte Kooperation der drei Landesteile des historischen Tirol (Tirol, Südtirol, Trentino) in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Kommunikation, Forschung, Kultur, Bildung und Fremdenverkehr mit dem Ziel, die gemeinsamen geschichtlichen und kulturellen Wurzeln zu stärken und gemeinsame Ressourcen besser zu nutzen. 859 Als Startschuss für die Europaregion Tirol gilt der Beschluss des Viererlandtages vom 2. Juni 1993, „Modellvereinbarungen zur Schaffung einer europäischen Region“ zu erarbeiten.860 Zu diesem Zweck wurde ein „Runder Tisch Europaregion Tirol“ eingerichtet, der aus Beamten und Experten der drei Landesteile bestand. Rechtliche Grundlage der Zusammenarbeit bildete das Europäische Rahmenabkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften vom 21. Mai 1981 (sog Madrider Konvention), das sowohl von Italien als auch von Österreich unterzeichnet und ratifiziert wurde. Ein erster Schritt in Richtung Institutionalisierung der Europaregion wurde mit der Einrichtung eines gemeinsamen Tiroler EU-Büros in Brüssel gemacht, das seit 1994 erfolgreich folgende Aufgaben wahrnimmt:
858 859 860
•
vorteilhafte Positionierung der Region durch Öffentlichkeitsarbeit;
•
Vertretung spezifischer Anliegen der Region;
•
Aufbau eines Netzwerkes an Kontakten;
•
Betreuung von politischen Delegationen;
•
Unterstützung von Förderungsansuchen und Notifizierungen;
•
Hilfestellungen für Interessenvertretungen.
Ciampi aufforderte, die Südtiroler Freiheitskämpfer der 50er und 60er Jahre zu begnadigen. In der Sitzung des Dreierlandtages wurde der Antrag dann mit den Stimmen der Trentiner Abgeordneten abgelehnt, die gemäß Art 9 der gemeinsamen Geschäftsordnung für den Dreierlandtag eine Abstimmung nach Landtagen verlangten. Daraufhin verließen die Abgeordneten der Union für Südtirol, der Südtiroler Freiheitlichen und der FPÖ aus Protest den Dreierlandtag und fordern seitdem eine Rückkehr zum Zweierlandtag, vgl „Welsch-Tiroler lehnen Begnadigung der SüdTiroler Freiheitskämpfer ab!“, zitiert nach www.ahb-tirol.at, abgerufen am 20. 3. 2005. Es wird in der Folge der Terminus „Europaregion Tirol“ gebraucht. Zitiert nach www.europaregion.info, abgerufen am 20. 3. 2005. Christoph Stadelmann, Die neuere Entwicklung der Europaregion Tirol-SüdtirolTrentino, jur Diplomarbeit, Innsbruck 2001, 8.
260
Kooperationsformen und -einrichtungen
Wie argwöhnisch jede Gesamttiroler Initiative von Italien beobachtet wird, zeigt die Tatsache, dass bereits 1995 das Verbindungsbüro in einem Bericht des italienischen Innenministeriums als „umstürzlerische Tätigkeit“ und als „subversive, antiitalienische Aktion“ bezeichnet wurde.861 Der italienische VfGH erklärte in seinem Urteil Nr 428/1997 den Beschluss des Südtiroler Landtages zur Errichtung des Gesamttiroler EU-Büros für ungültig. Erst durch die Intervention der SVP-Abgeordneten im römischen Parlament wurde 1998 eine entsprechende Gesetzesänderung erlassen, die die Errichtung solcher grenzüberschreitenden Verbindungsbüros ausdrücklich erlaubt.862 Im Jahre 1996 wurde der Entwurf für ein Abkommen zur Gründung und ein Statut für die „Europaregion Tirol“ vorgestellt, der unter Federführung von Univ.-Prof. Toniatti von der Universität Trient ausgearbeitet worden war (sog „Entwurf Toniatti“). Dieser Entwurf sah eine Institutionalisierung der Europaregion Tirol vor: es sollten ein Rat, eine Versammlung und ein Geschäftsführer bestellt werden (Art 9 Statut Europaregion). Dem Rat sollten die drei Landeshauptleute des historischen Tirol und, in beratender Funktion, der Geschäftsführer angehören. Die Beschlussfassung sollte einstimmig erfolgen. Die Versammlung würde aus den Landtagsabgeordneten des Trentino, Südtirols und Tirols gebildet, deren Beschlussfassung mit Zwei-Drittel-Mehrheit erfolgen würde (Art 11 Statut Europaregion). Der Geschäftsführer sollte das Exekutivorgan der Europaregion Tirol sein, der die Durchführung der Beschlüsse überwacht (Art 12 Statut Europaregion). Die Durchführung selbst bliebe den einzelnen Landtagen überlassen. Zur Unterstützung der Tätigkeit des Geschäftsführers waren Beiräte vorgesehen, die fachmännische Stellungnahmen zu den einzelne Gebieten erarbeiten sollten (Art 13 Statut Europaregion). Das auf die Europaregion Tirol anzuwendende Recht wäre das innerstaatliche Recht Italiens und Österreichs gewesen (Art 3 Abkommen Europaregion). Die Inhalte, über die eine gemeinsame Beschlussfassung im Rahmen der Europaregion Tirol getroffen werden sollte, waren (Art 4 Statut Europaregion): Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Energieversorgung, Natur- und Umweltschutz, grenzüberschreitende Naturparks, Handwerk und Berufsausbildung, Gesundheitswesen, Kultur, Sport und Freizeit, Zivilschutz, Fremdenverkehr und Probleme, die sich durch Grenzgänger stellen. Dieser Entwurf wurde vom Trentiner Landeshauptmann Andreotti 1996 der Presse vorgestellt,863 und es gab einen Aufschrei in den italienischen Me-
861
862 863
Christian Mandl, Dynamische Interpretation der politischen Entwicklung in Südtirol unter besonderen Berücksichtigung der Durchführung des „Südtirol-Paketes“ 1992, phil Diplomarbeit, Wien 1998, 105. Christian Mandl, Politische Entwicklung, 106. Robert Gismann, Die (Vor-)Geschichte des Statut-Entwurfs, in: Peter Pernthaler/Sergio Ortino, Europaregion Tirol – Rechtliche Voraussetzungen und Schranken der Institutionalisierung , hg von der Autonomen Region Trentino-Südtirol, Bozen 1997, 54 f.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
261
dien, man sprach von „pantirolischem Separatismus“,864 etc; wie beim Tiroler EU-Büro reagierte der Zentralstaat überaus empfindlich auf dieses Gesamttiroler Vorhaben. Dem medialen Protest folgte eine demonstrative Aktion der römischen Regierung: im Jänner 1996 wurde von der italienischen Justiz Ermittlungen wegen des Verdachts staatsgefährdender Tätigkeiten aufgenommen und Akten in Bozen und Trient beschlagnahmt.865 Im italienischen Parlament kam es zu Protesten der Rechtsparteien, die damals in der Opposition waren.866 Zu diesen politischen Komplikationen stellte sich noch die Frage, ob überhaupt eine rechtliche Befugnis der beiden Provinzen Bozen-Südtirol und Trient gegeben sei, eine derartige Vereinbarung abzuschließen.867 Angesichts dieser Schwierigkeiten wurde der Entwurf ad acta gelegt. Zwei Jahre später, im Jahre 1998, wurde vom Dreierlandtag eine „Vereinbarung über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen einer Europaregion“ genehmigt, die der „Runde Tisch“ ausgearbeitet hatte.868 Mit dieser Vereinbarung wurde der Wille zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in folgenden Bereichen bekräftigt: •
Verkehrs- und Nachrichtenwesen,
•
Energieversorgung;
•
Natur- und Umweltschutz;
•
grenzüberschreitende Naturparks;
•
Handwerk und Berufsausbildung;
•
Gesundheitswesen;
•
Kultur, Sport und Freizeit;
•
Probleme von Grenzgängern im Bereich Mobilität und Soziales;
•
wirtschaftliche Vorhaben, Förderung des Handels, Messen und Märkte;
•
Verbesserung der Agrarstruktur;
•
soziale Einrichtungen;
•
angewandte wissenschaftliche und technologische Forschung.
Von einer Institutionalisierung der Europaregion Tirol wurde nicht mehr gesprochen.
864 865 866
867
868
Christian Mandl, Politischen Entwicklung, 105. Tiroler Tageszeitung vom 17. Jänner 1996, Tiroler Protestnote nach Rom, S. 1 f. Vgl Wortprotokoll der Senatssitzung vom 23. 5. 1996 unter http://www.senato.it/ leg/13/BGT/Testi/Resaula/00004659.htm. Renate Kicker, Eine Beurteilung aus völkerrechtlicher Sicht, in: Pernthaler/Ortino, Europaregion Tirol, 71 ff, bezweifelt die Existenz einer solchen Kompetenz der beiden Autonomen Provinzen. Christoph Stadelmann, Entwicklung Europaregion, 11.
262
Kooperationsformen und -einrichtungen
Am 26. Jänner 2001 folgte die Unterzeichnung der „Alpendeklaration“ bezüglich der nachhaltigen Entwicklung der drei Landesteile. Als praktische Auswirkungen dieser letzten beiden Erklärungen sind im Bereich der Kultur die gemeinsamen Landesausstellungen, im Bereich der Förderung von Messen und Handel das gemeinsame Auftreten bei der EXPO 2000 in Hannover, im Bereich Energieversorgung die enge Zusammenarbeit der Südtiroler Landesenergiegesellschaft SEL AG mit der Nordtiroler TIWAG und im Verkehrswesen die koordinierte Politik der Verlagerung des Schwerverkehrs von der Straße auf die Schiene zu nennen. Von großer Bedeutung für die Institutionalisierung der Europaregion Tirol könnte die durch die Verfassungsnovelle 3/2001 geschaffene neue Kompetenz Südtirols sein, mit Gebietskörperschaften anderer Staaten Vereinbarungen zu schließen (Art 117 Abs 9 Verf); die früher angezweifelte treatymaking-power des Landes ist damit gegeben. Die Institutionalisierung der Europaregion, wie sie im Entwurf Tonini vorgesehen war, könnte nun durch den Abschluss einer solchen Vereinbarung zwischen Süd- und Nordtirol erfolgen. Die herrschende italienische Rechtslehre geht davon aus, dass die Regionen und Autonomen Provinzen im Rahmen dieser Vereinbarungen mit ausländischen Gebietskörperschaften gemeinsame Einrichtungen öffentlichen Rechtes schaffen können, um gemeinsame Interessen wahrnehmen. Es ist auch möglich, diesen Einrichtungen Kompetenzen zu übertragen, die ansonsten in den ausschließlichen Bereich der Region oder Autonomen Provinz fallen.869 Eine solche Vereinbarung würde als internationales Verwaltungsabkommen qualifiziert und diese Einrichtung würde dem Recht desjenigen Staates unterliegen, in dem sie ihren Sitz hätte. Dies sah auch der Entwurf Tonini (Art 3 Abkommen Europaregion) vor und diese Möglichkeit internationaler Verwaltungsabkommen zur Einrichtung von gemeinsamen Körperschaften öffentlichen Rechtes ist ebenso das Herzstück des Zweiten Zusatzprotokolls zur Madrider Konvention, das von Österreich bereits ratifiziert, von Italien bis dato aber nur unterzeichnet ist. Diese neue Befugnis des Landes wird durch das Ausführungsgesetz zur Verfassungsnovelle 3/2001, dem Gesetz 131/03, detailliert geregelt. In Art 6 Abs 2 dieses Gesetzes wird dem Land der Abschluss solcher Vereinbarungen in allen Bereichen der ausschließlichen Gesetzgebung zur Förderung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Entwicklung erlaubt. Auch diese Bestimmung deckt sich mit dem Entwurf Tonini, der eine Kooperation der Landesteile in jenen Bereichen vorsah, in denen eine ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der beteiligten Länder bestand (Art 4 Statut Europaregion). Das Prozedere zum Abschluss einer solchen Vereinbarung ist denkbar günstig für das Land: vor der Unterzeichnung muss der Text der Vereinbarung dem
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Renzo Dickmann, Il „potere estero“ delle Regioni e delle Province autonome“, in: Beniamino Caravita di Torritto (Hg), I processi di attuazione del federalismo in Italia, Giuffrè Editore, Mailand 2004, 194 ff.
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Amt für regionale Angelegenheiten des Ministerpräsidenten und dem Außenministerium zugestellt werden. Diese haben 30 Tage Zeit, sich dazu zu äußern. Erfolgt innerhalb dieser dreißig Tage keine Stellungnahme, so kann das Land diese unterzeichnen und sie gilt als geschlossen. So vielversprechend dieses Gesetz für die grenzüberschreitende Tätigkeit des Landes zu sein scheint, gibt es doch einen Passus, der den Abschluss einer Vereinbarung stark erschwert. Der Beginn von Verhandlungen muss nämlich dem römischen Außenministerium mitgeteilt werden, das jederzeit eingreifen und dem Land Richtlinien aufzeigen kann, die aus Rücksicht auf die staatliche Außenpolitik zu befolgen sind. Werden diese vom Land abgelehnt, so wird entscheidet die römische Regierung über die Fortführung der Verhandlungen. Dem Land kommt hierbei nur das Recht einer Stellungnahme zu (Art 6 Abs 5 Gesetz 131/03). Hier muss hervorgehoben werden, dass der Staat zwar eine starke Eingriffsmöglichkeit besitzt, diese aber genau begrenzt ist: nur wenn die fragliche Vereinbarung in die staatliche Außenpolitik eingreifen sollte, kann eingeschritten werden; in allen anderen Bereichen, die in die ausschließliche Kompetenz der beteiligten Provinzen/Regionen fallen, kann der Staat seinerseits nur beratend tätig werden, dh er hat keine Möglichkeit, den Abschluss der Vereinbarung zu verhindern.870 Die oben geschilderte Gesetzeslage würde es dem Land Südtirol erstmals erlauben, das 1993 mit sehr viel Elan gestartete Projekt einer Europaregion Tirol zu institutionalisieren. Angesichts der Kontrollmöglichkeiten des Außenministeriums bedarf es dabei natürlich einer günstigen politischen Konstellation auf Staatsebene sowie einer geschickten Verhandlungsführung in Rom. Diese beiden Erfordernisse sind altbekannte conditiones sine quo non jeder Südtiroler Autonomiepolitik. Vor allem braucht es aber den politischen Willen, das Projekt der Europaregion Tirol konsequent weiter zu verfolgen. Daran scheint es offensichtlich zu mangeln: seit Jahren ist die Europaregion aus dem politischen Diskurs verschwunden und findet nicht einmal mehr in den Sonntagsreden der maßgeblichen Politiker Erwähnung.871 Damit wird der Gesamttiroler Identität und dem europäischen Gedanken ein denkbar schlechter Dienst erwiesen. Es läge in der Hand der Politik nördlich und südlich des Brenners, dem Projekt Europaregion Tirol neue, entscheidende Impulse zu geben. Die verfassungsrechtliche Stellung Südtirols seit der Verfassungsnovelle 3/2001 würde, bei entsprechendem politischem Geschick, die Umsetzung des Entwurfes Tonini ermöglichen. Es scheint allerdings der politische Wille dazu völlig zu fehlen.872 Beispielgebend für die mangelnde Bereitschaft, in der Frage 870
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Damiano Florenzano, L’autonomia regionale nella dimensione internazionale, hg vom Dipartimento di Scienze Giuridiche, Università di Trento, Trient 2004. 341. So wurde die Europaregion Tirol selbst in der Rede des Parteiobmannes Elmar Pichler-Rolle auf der 60. Landesversammlung der SVP am 2. 4. 2005 in Meran nicht erwähnt. Telefongespräch mit Dr. Robert Gismann, Leiter der Abteilung Europaregion Tirol/Südtirol beim Amt der Tiroler Landesregierung. Auf die neuen Möglichkeiten
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Schlussbetrachtung
der Europaregion vorwärts zu kommen, sind die dauernd vorgebrachten Aufforderungen seitens namhafter SVP-Vertreter873 an die Adresse Roms, endlich das Zusatzprotokoll zur Madrider Konvention zu ratifizieren, denn ohne die Ratifikation dieses Zusatzprotokolls, so die SVP, gehe mit der Institutionalisierung der Europaregion nichts voran. Dabei wird wohlweislich übergangen, dass nach der Verfassungsnovelle 3/2001 alle Möglichkeiten, die sich eventuell aus dem Zusatzprotokoll ergeben würden, schon längst wahrgenommen werden könnten.
7. Schlussbetrachtung Südtirol stellt sich heute als politisch stabiles und wirtschaftlich prosperierendes, selbstbewusstes Land dar. Nach jahrzehntelangem Ringen mit Rom konnte mit dem Autonomiestatut von 1972 ein modus vivendi gefunden werden, der das Überleben der deutschen und ladinischen Volksgruppe im italienischen Staat sicherstellt. Die Segnungen der weitgehenden Selbstverwaltung durchziehen alle Bereiche: Kultur, Wirtschaft, Politik. Es stellt sich die Frage, ob der Versuch, eine gemeinsame Tiroler Identität unter Nutzung der europäischen Rahmenbedingungen wiederherzustellen, angesichts dieser Situation erfolgversprechend ist oder ob sich in Südtirol bereits eine „Regionalidentität“, losgelöst von einer Gesamttiroler Identität, gebildet hat. Weiters stellt sich die Frage, ob wirtschaftlich und politisch eine Wiederbelebung der Gesamttiroler Identität opportun erscheint. Betreffend die Identität gilt es mE den einzelnen Volksgruppen Südtirols zu unterscheiden. Ein „Regionalvolk“ im Sinne einer „interethnischen“ Identität ist in Südtirol nicht gegeben. Die italienische Volksgruppe ist, obwohl sie am wirtschaftlichen Wohlstand des Landes teilhat, weit davon entfernt, sich als Südtiroler zu sehen und sich mit dem Land, seiner Geschichte und seinen Traditionen zu identifizieren. Dieser Umstand wird als sog „disagio“ der Italiener bezeichnet. Dieser „disagio“, das Unwohlsein der italienischen Volksgruppe, steigert sich in dem Maße, wie sich Südtirol von den Wunden erholt, die ihm vom italienischen Nationalismus geschlagen wurden und, dank der Autonomie, seine Normalität als Teil Tirols wieder herstellt. Je tirolischer das Land wieder wird, desto fremder wird es den dort lebenden Italienern. Dieser Prozess wird da-
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angesprochen, die die italienische Verfassung nun bieten würde, meinte Dr. Gismann, dass niemand in Bozen oder Innsbruck Interesse an einer Institutionalisierung der Europaregion Tirol hätte. Es wäre damit eine Abgabe von Kompetenzen der beteiligten Länder an die Europaregion verbunden, und das sei mit den derzeitigen Landesregierungen nicht zu machen. So am 18. 2. 2005 LH Durnwalder im Gespräch mit Regionenminister Enrico La Loggia, vgl http://www.oe-journal.at/Aktuelles/!2005/0205/W3/12102bozen.htm , abgerufen am 1. 8. 2005.
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durch bestärkt, dass die zahlenmäßige Stärke der italienischen Volksgruppe kontinuierlich abnimmt: von 33% im Jahre 1971 sank der Anteil der Italiener an der Gesamtbevölkerung auf 26% im Jahre 2001, wobei bei der nächsten Volkszählung wohl eine weitere Abnahme in Richtung 20% zu verzeichnen sein wird.874 An sich ist der „disagio“ eine natürliche Entwicklung, denn es gelang der italienischen Volksgruppe nicht, eine eigene Regionalidentität aufzubauen: das wenige, auf das sie sich beruft, sind faschistische Denkmäler (zB das Siegesdenkmal) und faschistische Ortsnamen sowie die Pflege des Andenkens an den vermeintlichen Sieg im 1. Weltkrieg. Die Folge davon ist ein Anwachsen der nationalistischen Ressentiments in der italienischen Volksgruppe: man denke nur an das Referendum über die Rückbenennung des Bozner Friedensplatzes in Siegesplatz und den Ausgang der Bozner Gemeinderatswahl 2005. Seit Jahren ist die stärkste italienische Partei in Südtirol die postfaschistische „Alleanza Nazionale“. Unter diesen Voraussetzungen wird eine neue, „interethnische“ Südtiroler „Regionalidentität“ nur der Wunschtraum einer kleinen, unbedeutenden Gruppe, die sich in der Partei der „Grünen“ sammelt, bleiben. Eine etwaige Belebung der alten multikulturellen Identität Tirols könnte daher vielleicht mit den Trentinern gelingen, niemals mit den Italienern in Südtirol. Einhergehend mit der zahlenmäßigen Abnahme und der Weigerung, sich mit dem Land zu identifizieren, geht natürlich auch die politische Relevanz der italienischen Volksgruppe in Südtirol immer weiter zurück. Mit Ausnahme der Hauptstadt Bozen und, wenn auch weit weniger, der Stadt Meran, ist die italienische Volksgruppe in Politik, Kultur und Wirtschaft nicht mehr ausschlaggebend und wird in Zukunft weiter, wahrscheinlich dramatisch, an Bedeutung verlieren.875 Daher kann, wenn man die Identitätsbildung Südtirols betrachtet, nur die deutsche und ladinische Volksgruppe von Interesse sein. Hier kann man durchaus davon ausgehen, dass mittlerweile eine gewisse „Südtiroler Identität“ im Entstehen ist, die aber noch sehr diffus und rein deutsch/ladinisch geprägt ist. Eine „Südtiroler Identität“ abseits von einer „Tiroler Identität“ ist, aufgrund der offensichtlichen Verwandtschaft in Kultur,
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Der Trientner Soziologe Rino Fasol hat in einer Studie nach gewiesen, was aus „politischer Korrektheit“ von offizieller Seite immer bestritten worden war: die italienische Volksgruppe ist völlig überaltert, die demographische Entwicklung ist katastrophal (bedingt vor allem dadurch, dass es sich bei den Italienern fast ausschließlich um eine städtische Bevölkerung handelt) und der Prozentsatz von 26% bei der letzten Volkszählung ist nur dem Umstand geschuldet, dass sich die Nicht-EUAusländer in Südtirol als Italiener erklärten. Die Studie wurde im Alto Adige vom 25. 7. 2005 veröffentlicht, abzurufen unter http://www.altoadige. quotidianiespresso.it/giornalilocali/index.jsp?s=altoadige. So der Trientner Soziologe Fasol im Alto Adige vom 25. 7. 2005; Sebastiano Vassalli, Blut und Boden, Edition Drumlin, Mailand 1985, hat schon frühzeitig ein sehr (Südtirol-) kritisches, aber zutreffendes Bild dieser Entwicklung gezeichnet.
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Schlussbetrachtung
Brauchtum, Geschichte und Sprache zu Nordtirol, nach wie vor illusorisch. Denn in Ermangelung eines volksgruppenübergreifenden „Regionalvolkes“, das sich eigene Bräuche und Sitten schaffen könnte, bleibt in Brauchtum, Sprache und Kultur nur die Tiroler Identität, auf die man sich berufen kann. Der Grad der Entfremdung zwischen den Landesteilen ist zwar beträchtlich und angesichts der über 80jährigen Zugehörigkeit Südtirols zu Italien nicht zu leugnen, doch bleibt festzuhalten, dass es in diesen Jahrzehnten zu keiner kulturellen Abnabelung zum nördlichen Landesteil kam. Im Gegenteil: durch die offenen Grenzen im Zuge des EU-Beitrittes Österreichs kam es eher zu einer Annäherung. Eine „Südtiroler Identität“ könnte mangels ethnischer, sprachlicher und kultureller Differenzierung zu Nordtirol, wenn überhaupt, nur als „Willensidentität“ begründet werden. Vergleichbar wäre hier die Situation in Österreich, wo unter dem Schlagwort einer „Österreichischen Nation“ eine Abkapselung von der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft stattfand, allein aufgrund des Diktums einer „Willensnation“, ebenfalls unter gänzlichem Fehlen von sprachlichen, ethnischen oder kulturellen Differenzierungsmerkmalen zu Deutschland. Doch dazu fehlt in Südtirol bis dato der Konsens in Politik, Kultur und Gesellschaft. Die Politik des Südtiroler Landeshauptmannes Durnwalder, durch einen eigenen Flugplatz, eigene Universität, eigenen Bergzoo in Tisens, eigener Rodelbahn in Meransen oder eigene Landesauszeichnungen eine Abnabelung vom großen Bruder im Norden herbeizuführen, geht zwar in diese Richtung und ist der Gesamttiroler Sache abträglich, ist aber im Lande äußerst umstritten. Der mangelnde Erfolg dieser Großprojekte (man bedenke die finanziellen Schwierigkeiten des Flugplatzes, die Ablehnung des Bergzoos und der Meranser Rodelbahn bei Volksbefragungen, den Rückzieher des Landeshauptmannes bei den Südtiroler Landesauszeichnungen) bewirkt hier ein Übriges. Demnach würde auf der Ebene der Identitätsbildung eine Wiederherstellung bzw Belebung der Gesamttiroler Identität keine großen Hindernisse erwarten; es würde vielmehr bedeuten, dass der Prozess der Normalisierung Südtirols zurück zu einem Tiroler Landesteil, der seit dem Erringen der Autonomie im Gange ist, seine logische Fortsetzung findet. Es sei aber darauf hingewiesen, dass es hierbei um die Gesamttiroler Identität handelt; eine österreichische Identität, im Sinne einer Zugehörigkeit zu einer fiktiven „Österreichischen Nation“, würde in Südtirol nicht mehrheitsfähig sein. In wirtschaftlicher Hinsicht ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit Nordtirol unerlässlich, um in einer globalisierten Wirtschaftswelt überleben zu können. Allein auf sich gestellt, als kleine Provinz, wird es Südtirol wohl nicht schaffen. Geeignete Partner finden sich in Nordtirol für alle Wirtschaftsbereiche. Eine Besinnung auf die gemeinsame Tiroler Identität ist eine natürliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunftssicherung, denn entweder man kooperiert mit den Nordtirolern und bewahrt sich so beiderseits eine Unabhängigkeit in den entscheidenden Wirtschaftssektoren oder man riskiert, zwischen den großen Wirtschaftsräumen Norditalien und Deutschland aufgerieben zu werden. Aus der möglichen Brückenfunktion, die Gesamttirol ein-
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nehmen könnte, würde ein Wurmfortsatz im Gefolge der großen deutschen und italienischen Konzerne werden. Als Beispiel mag hier die Zusammenarbeit zwischen der SEL AG und der TIWAG im Stromsektor dienen, ein für die Zukunft entscheidender Sektor. In politischer Hinsicht könnte das Hinarbeiten auf eine gemeinsame Tiroler Identität ein Ausweg für die Regierungspartei SVP aus ihrer sich ankündigenden Krise sein (die beiden deutschen Oppositionsparteien Union für Südtirol und Freiheitliche arbeiten ohnehin für Gesamttirol). Denn nach dem Erreichen der Autonomie und aufgrund des Wegfalles des ethnischen Konfliktes mit dem italienischen Mehrheitsvolk verliert die traditionelle Parole der SVP, man müsse als Volksgruppe „zusammenhalten“, zusehends an Zugkraft. Die Einbußen bei den Landtagswahlen 2003 konnten noch in Grenzen gehalten werden, doch bei den Europawahlen und den Gemeinderatswahlen gab es dramatische Verluste. Ohne eine Zukunftsvision wird sich die SVP auf Dauer nicht in diesem Umfange die Macht sichern können. Die reine Verwaltungstätigkeit, die die SVP zur Zeit ausübt, reicht nicht, um ein einigendes Band zu bilden. In allen Wählerschichten werden die jetzige Politik der Landesregierung und das peinliche Feilschen der SVP-Landtagsabgeordneten nach der letzten Landtagswahl als Privilegienrittertum kritisiert. Eine Partei wie die SVP braucht ein einigendes Band, um als ethnische Sammelpartei bestehen zu können. In der Vergangenheit war dies durch den Kampf um die Landesautonomie gegeben, zudem bestand das Feindbild Rom bzw Italien. Die Autonomie ist erreicht, die italienische Volksgruppe aufgrund ihrer zahlenmäßigen Schwäche nicht mehr bedrohlich und das Feindbild Rom ist abgebraucht. Abgesehen davon hat die sog „Kuschelpolitik“ des Landeshauptmannes Durnwalder gegenüber den Italienern den ethnischen Zusammenhalt geradezu obsolet werden lassen. Eine Positionierung als Regionalpartei, die das „Modell Südtirol“ verteidigt, ist sehr fragwürdig, denn die Volkspartei hat das Problem, keine klare ideologische Ausrichtung zu haben: als ethnische Sammelpartei konzipiert, vereinigt sie in ihren Reihen Christdemokraten, Sozialisten (die Arbeitnehmer) und Rechtsliberale (der Wirtschaftsflügel), ist aber weder eine eindeutig christdemokratische noch eine sozialdemokratische Partei. Ein Vergleich mit erfolgreichen Regionalparteien wie zB der bayrischen CSU ist daher nicht möglich, denn die Arbeitnehmer in der SVP sind mitnichten Christlichsoziale, etwa im Stile des ÖAAB, sondern deklarierte Sozialdemokraten. Ein kleinster gemeinsamer Nenner, der in der Machtteilung und im Postenschieben besteht, wie es derzeit der Fall ist, macht eine Partei extrem anfällig für oppositionelle Kritik und wird über kurz oder lang zu Abspaltungen führen, wie sie bei den Arbeitnehmern schon seit Jahren immer wieder diskutiert wird. Denn das Argument der Einheit der Volksgruppe verliert nicht nur in der Wählerschaft, sondern auch innerhalb der SVP an Zugkraft. Ohne ein positives Leitbild für die Zukunft wird sich daher nach 60 Jahren unumschränkter SVP-Herrschaft die Frage stellen, ob es eine ethnische Sammelpartei überhaupt noch braucht und ob es nicht an der Zeit wäre, auch parteipolitischen Pluralismus zuzulassen.
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Schlussbetrachtung
Hier bietet sich die Belebung der Tiroler Identität unter Ausnutzung der günstigen europäischen Rahmenbedingungen an, um der Sammelpartei SVP wieder das nötige einigende Band zu liefern. Die „Europaregion Tirol“ könnte ein Zukunftsideal sein, unter dem Volksgruppe noch einmal geeint werden könnte und der SVP den Machterhalt sichern würde. Völlig unverständlich erscheint daher die jetzige Politik des Landeshauptmannes Durnwalder, die auf eine Begünstigung einer eigenen „Südtiroler Identität“ hinausläuft und die wenigen Gesamttiroler Einrichtungen untergräbt, anstatt diese auszubauen. Man verbaut sich seitens der SVP selbst eine wichtige Zukunftsoption. Somit ist ein Politikwechsel für die SVP eine politische Notwendigkeit, will sie nicht mittelfristig ihre Vormachtstellung abgeben. Ausschlaggebend für einen solchen Politikwechsel wäre die Erkenntnis, dass es sich bei der Südtirol-Autonomie keineswegs um einen Endpunkt einer politischen Entwicklung handelt, sondern dass das „Paket“ nur ein Zwischenschritt Südtirols in Richtung Österreich darstellt. Diese Sichtweise wurde von allen maßgeblichen SVP-Politikern in den 80er Jahren immer wieder vertreten, allen voran von Altlandeshauptmann Silvius Magnago, der betonte, es sei zwar nicht die Zeit, um die Selbstbestimmung zu verlangen, sollten sich die politischen Gegebenheiten aber ändern, werde man selbstverständlich darauf hinarbeiten. In einem Europa, in dem die Grenzen gefallen sind und somit das „strategische Argument“ der Brennergrenze nicht mehr gilt, angesichts der wirtschaftlichen Vorteile der EU, die beiderseits der Brennergrenze in gleichem Maße gelten, angesichts der kulturellen Entwicklung in Südtirol, die dank der Autonomie von der gesamtitalienischen Entwicklung abgekoppelt ist, angesichts der Tatsache, dass aufgrund der Finanzautonomie 90% der Steuergelder im Lande bleiben und der italienische Staat somit nicht einmal finanziellen Gewinn aus seiner nördlichsten Provinz abschöpfen kann, stellt sich wirklich die Frage, welche Berechtigung der derzeitige Zustand Südtirols noch hat und warum die SVP nicht entschlossen die vorhandene Möglichkeit einer Europaregion nutzt, um ein weiteres Stück an Österreich heranzurücken. Immerhin findet sich entsprechende Forderung im Parteiprogramm876 und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird das „Vaterland Österreich“ beschworen. Abschließend sei festgestellt, dass nach Ansicht des Autors eine Gesamttiroler Identität in Europa politisch, wirtschaftlich und kulturell nicht nur opportun wäre, sondern unausweichlich ist, einer natürlichen Entwicklung gleich. Denn mit wem möchte man auf Südtiroler Seite denn wirtschaftlich zusammenarbeiten: etwa mit der Lombardei oder Bayern? Wie glaubt man in einer EU bestehen zu können, deren Gleichmacherei auch vor den Autonomiebestimmungen nicht haltmacht und gegen die aus Rom keine und aus Wien 876
Das heute gültige Parteiprogramm vom 8. Mai 1993, abgerufen unter www.svpartei.org am 22. 8. 2005, ist hier an Klarheit nicht zu überbieten; zudem findet sich folgender Punkt in diesem Parteiprogramm: „… Die SVP bekräftigt die
Unverzichtbarkeit des Selbstbestimmungsrechtes der Südtiroler.“
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nur geringe Schützenhilfe zu erwarten ist? Wie möchte man denn die großen Zukunftsprobleme wie Transit, Umweltschutz, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung angehen, ohne es gemeinsam mit den Nordtirolern zu versuchen? Diese Probleme zu erkennen und die logische Konsequenz daraus zu ziehen, dh die Belebung der Gesamttiroler Identität in allen Bereichen zu suchen, sollte Aufgabe der Südtiroler Politik, va der alles bestimmenden SVP, sein. Sofern hier nicht ein Umdenken einsetzt, riskiert man, trotz bester Ausgangspositionen, sich die Zukunft zu verbauen.
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www.junge-freiheit.de www.suedtirolernachrichten.it www.bmaa.gv.at www.stol.online.it www.ff-online.it www.stol.it www.suedtirol-marketing.info www.eures-transtirolia.orgwww.unionfs.com www.landtag-bz.org www.wianet.at www.vog.it www.argealp.org www.alpeadria.org www.europaregion.info
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B. Tirol Bearbeitet von: Irmgard Rath-Kathrein, Innsbruck
1. Kurze Landeskunde a) Territorialbestand Mit einer Fläche von 12.648 km2 ist Tirol das drittgrößte der neun österreichischen Bundesländer; der flächenmäßige Anteil am Bundesgebiet beträgt 15%. Bedingt durch den gebirgigen Charakter des Landes sind von der Gesamtfläche jedoch lediglich 12% dauernd besiedelbar. Die Bevölkerungsdichte beträgt 53 Einwohner pro km2, in den Dauersiedlungsräumen ca. 450 und in den Ballungsräumen (wo über 50% der Bevölkerung leben) über 500 Einwohner pro km2. Besonders die Inntalfurche zählt zu den dichtest besiedelten Gebieten Europas. Politisch ist das Land in neun politische Bezirke – Innsbruck-Stadt, Innsbruck-Land, Imst, Kitzbühel, Kufstein, Lienz, Landeck, Reutte und Schwaz unterteilt. Diese sind wiederum in 279 Gemeinden gegliedert, worunter sich 11 Städte befinden und die Landeshauptstadt Innsbruck als einzige Stadt mit eigenem Statut. In Ausführung der Raumordnungsgesetze war das Landesgebiet viele Jahre lang in 55 Planungsräume (Kleinregionen) abgegrenzt. Die einzelnen Planungsräume fassten das Gebiet mehrerer Gemeinden mit jeweils spezifischen gleichen wirtschaftlichen und funktionalen Ausprägungen zusammen und bildeten die Bezugsgröße für zahlreiche Landesplanungen; ferner war in jeder Kleinregion ein Beratungsorgan für die Behandlung von RaumordnungsAngelegenheiten auf unterster Ebene eingerichtet. Durch eine Novelle des Raumordnungsgesetzes im Jahr 2005 wurde diese Gliederung durch ein neues System der regionalen Raumordnung abgelöst: Nunmehr wird das Landesgebiet in geographisch abgegrenzte Planungsgebiete eingeteilt und die in einem Gebiet liegenden Gemeinden werden zu einem Planungsverband zusammengeschlossen; jeder Planungsverband hat einerseits an der überörtlichen Landesplanung der Landesregierung mitzuwirken und soll andererseits die Gemeinden des Planungsverbandes bei der Erfüllung der örtlichen Gemeindeplanungsaufgaben unterstützen. Die Bildung der Planungsverbände erfolgt durch die Landesregierung und soll so erfolgen, dass die Gebiete nach natürlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten abgegrenzt werden – derzeit sind 36 Planungsverbände errichtet. Sie haben Rechtspersönlichkeit, da sie laut Raumordnungsgesetz Gemeindeverbände iSd Tiroler Gemeindeordnung und somit Körperschaften öffentlichen Rechts darstellen. Ein Problem bildet das Verhältnis Nord- und Osttirol, da beide Landesteile keinen topographischen Zusammenhang mehr aufweisen. Osttirol kann von
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Nordtirol aus (und umgekehrt) nur über Salzburg, Kärnten oder das Pustertal (Italien) erreicht werden. Diese geographische Zerrissenheit ist insbesondere im Hinblick auf die Wahlkreiseinteilung des Art 26 Abs 2 B-VG von verfassungsrechtlicher Problematik. Daneben bedeutet diese Landeteilung aber auch einen Bruch der Einheit des tirolerischen Wirtschaftsgebietes, was sich praktisch in vielfältigen Wirtschaftsproblemen auswirkt. b) Geschichtliche Entwicklung aa) Bis 1918 Römerzeit:
Teil der Provinz Rätien bzw Italiens (ungefähre Sprachgrenze bei Salurn)
6 Jhd:
Einwanderung der Bajuwaren und Eingliederung ins Karolingische Reich
Um 1000:
Aus den ehemaligen Karolingischen Grafschaften bilden sich die geistlichen Fürstentümer Brixen und Trient – deren Fürstbischöfe verleihen den Grafen von Tirol ihre Hoheitsrechte
13. Jhd:
Die Grafen von Tirol erlangen Oberhoheit über die Bischöfe und bilden das Land Tirol aus
1363:
Margarete Maultasch übergibt Tirol an die Habsburger. Tirol wird mehrfach von eigenen Landesfürsten regiert; zu den Landständen zählen auch die Bauern, die nur beschränkt der grundherrlichen Macht unterliegen; der Landtag bleibt auch unter Habsburger bestehen
16. Jhd:
Endgültige Gebietsgestaltung durch Erwerb von Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg sowie des Pustertals und südlicher Grenzgebiete
18. Jhd:
Eingliederung in die Erbländer der Habsburger durch Zentralisierungsreformen Maria Theresias
1805:
Abtretung Tirols an Bayern im Frieden von Preßburg – nach der erfolglosen Erhebung gegen Napoleon (1809) zunächst Teilung, dann
1814:
Wiedervereinigung mit Österreich
bb) Seit 1918 Oktober 1918:
Provisorische Nationalversammlung“ versucht Österreich als zentralistischen Einheitsstaat auszurufen
1.11.1918:
Konstitutionalisierung des Tiroler Nationalrates
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Kurze Landeskunde
25.11.1918:
Der Tiroler Nationalrat entscheidet sich für dien Anschluss an die Republik Deutsch-Österreich. Dies wird durch die vom Volk gewählte „Tiroler Landesversammlung“ bestätigt
März 1921:
Formelle Beitrittserklärung des Tiroler Landtages. Der Beitritt erfolgt unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht Tirols als souveräne Gewalt
12.3.1919:
Rechtsverwahrung der Tiroler christlich-sozialen Abgeordneten in der konstituierenden Nationalversammlung
3.5.1919:
Beschluss der Tiroler Landesversammlung, eine selbständige Republik Tirol zu erklären, wenn dadurch die Landeseinheit (Nord- und Südtirol) zu verwirklichen wäre
10.9.1919:
Staatsvertrag von St. Germain
24.4.1921:
Volksabstimmung über den Anschluss an Deutschland
13.3.1938:
„Anschluss“ an das Deutsche Reich
1945:
Vorläufige Verfassung richtet Österreich als Einheitsstaat ein. Landtage übernehmen wieder effektiv die Staatsgewalt, bis der Bundesstaat wieder errichtet wird
ab 1945:
Aufstieg Tirols zu einem führenden Fremdensverkehrsland
1964/1976:
Olympische Winterspiele in Innsbruck
ab 1971:
Phase der regionalen Integration im Alpenraum
1972:
Gründung der ARGE ALP (Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer) in Mösern
1988:
Neue Tiroler Landesverfassung
1995:
Beitritt Österreichs zur EU
1998:
Änderung der Landesverfassung: Bildung der Landesregierung künftig nicht mehr nach Proporzsystem, sondern nach Mehrheitswahlprinzip
c) Bevölkerung Die Bevölkerung Tirols ist ethnisch gemischt, was sich trotz der Kleinheit des Landes in einer bemerkenswerten kulturellen Vielfalt äußert. Rätoromanen, Bajuwaren, Alemannen sowie Italiener („Welsche“ aus Großtirol) sind die ethnischen Elemente und Wurzeln des Tiroler Volkes. Die Wohnbevölkerung betrug bei der letzten Volkszählung im Jahre 2001 673.504 Personen und ist mit Stand des Jahres 2004 auf 692.281 gestiegen. Mehr als die Hälfte der Einwohner Tirols wohnt in Gemeinden mit mehr als 3.000 Einwohnern, wobei 115.825 Menschen in der Landeshauptstadt Innsbruck leben. Innsbruck ist die mit Abstand größte Gemeinde Tirols, die Abstände zu den übrigen Gemeinden sind bemerkenswert: Außer der Stadt Kufstein mit 15.941 Einwohnern hat keine andere Gemeinde über 15.000 Ein-
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wohner und nur 5 weitere Gemeinden haben zwischen 10.000 und 15.000 Einwohner. 10% der Wohnbevölkerung haben eine ausländische Staatsangehörigkeit. Die größte Gruppe der ausländischen Wohnbevölkerung bilden mit Stand 2004 Staatsangehörige anderer EU-Länder (rd 35%, von denen über 2/3 deutsche Staatsangehörige sind) gefolgt von Staatsangehörigen der jugoslawischen Nachfolgestaaten (rd 30% der ausländischen Wohnbevölkerung) und der Türkei (rd 20% der ausländischen Wohnbevölkerung). Seit etwa 10 Jahren stammen auch die meisten eingebürgerten Personen in Tirol aus den jugoslawischen Nachfolgestaaten und der Türkei. d) Landeskundliche Voraussetzungen der Wirtschaftsstruktur Tirol ist charakterisiert durch seine gebirgige Lage im „Herzen“ Europas, was Tirol als Verkehrsland für den Nord-Süd-Verkehr so bedeutend macht. Wurde dies noch bis in die Siebzigerjahre des vorigen Jh uneingeschränkt positiv gesehen, so hat sich dies infolge der enormen und ständig steigenden Transitbelastung geändert. Die landschaftlichen Schönheiten wurden im 20. Jh besonders für den Fremdenverkehr nutzbar gemacht – Tirol zählt heute zu den bedeutendsten Fremdenverkehrsregionen der Welt: Im Jahr 2004 konnten 8,4 Mill Gäste und über 42 Mill Nächtigungen verzeichnet werden. Tirol besitzt kaum Rohstoffe, sondern nur geringe, allerdings qualitativ hochwertige Vorkommen von Magnesit und Wolfram. Nicht als Rohstoff, aber doch als wichtige Ressource sind die enormen Trinkwasserreserven zu nennen. Dieser Wasserreichtum und die gebirgige Lage erlauben eine optimale Ausnützung der Wasserkraft. Die verkehrsgünstige Lage – vor allem des Inntals – stellt eine gute Standortvoraussetzung für Industriebetriebe dar; was Anzahl und Produktabsatz betrifft führen Betriebe der chemischen Industrie, gefolgt von Maschinen- und Stahlbaubetrieben, Elektro- und Elektronikbetrieben sowie Betrieben der Bauindustrie. e) Konfessionelle Gliederung und Bistumseinteilung Die Bevölkerung Tirols ist zum überwiegenden Teil römisch-katholisch – bei der Volkszählung 2001 gaben 83,4% der Bevölkerung dieses Religionsbekenntnis an. 2,4% sind evangelisch, 1,6% gehören einer orthodoxen Kirche an und 4% bekennen sich nach der Volkszählung 2001 zum Islam. Tirol zerfällt in zwei voneinander unabhängige Kirchengebiete. Die Diözese Innsbruck umfasst Nordtirol westlich des Zillers und Osttirol. Das Gebiet östlich des Zillers ist Teil der Erzdiözese Salburg. Beide Diözesen gehören zur Kirchenprovinz Salzburg.
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Verfassungsmäßiger Zustand
2. Verfassungsmäßiger Zustand a) Kompetenzen aa) Allgemeines Art 15 B-VG normiert eine Generalklausel zugunsten der Länder. Die Zuweisung der Bundeskompetenzen erfolgt durch die Art 10–14 b B-VG. Daneben enthalten zahlreiche einfache Gesetze Verfassungsbestimmungen kompetenzrechtlichen Inhalts, was die Übersichtlichkeit über den Stand der Kompetenzverteilung sehr erschwert. Auch inhaltlich ist die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern unsystematisch und vielfach nicht mehr zeitgemäß, jedoch sind alle bisherigen Versuche, den Bundesstaat und damit auch die Kompetenzverteilung grundlegend zu reformieren – zuletzt im Rahmen des Österreich-Konvents – gescheitert. Die Kompetenzverteilung der Bundesverfassung weist einige, für einen Bundesstaat ungewöhnliche, Besonderheiten auf: So ist die Gerichtsbarkeit zur Gänze Bundessache; im Schulwesen besteht eine Generalklausel zugunsten des Bundes (Art 14 B-VG); das Finanzverfassungsgesetz (F-VG) weist dem einfachen Bundesgesetzgeber die Kompetenzkompetenz auf dem Gebiet des Abgabenwesens zu. Die zentralistische Grundstruktur der Kompetenzbestimmungen der Verfassung wird auch durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verstärkt, weil er durch seine Interpretation der Kompetenzbestimmungen (Versteinerungstheorie, Adhäsionstheorie, Gesichtspunktetheorie ua) vielfach verhindert, dass neu auftauchende Materien in die Landeskompetenz fallen. Schließlich wurden auch durch zahlreiche Verfassungsänderungen Kompetenzverschiebungen zu Lasten der Länder durchgeführt – die jüngste Verschiebung einer Kompetenz von den Ländern zum Bund erfolgte im Bereich des Tierschutzes.877 bb) Landeskompetenzen auf dem Gebiet der Gesetzgebung Die gesetzgeberische Landeskompetenz umfasst einerseits die Befugnis zur umfassenden gesetzlichen Regelung einer Materie (Art 15 Abs 1 B-VG), andererseits die Kompetenz, Ausführungsgesetze zu Bundes-Grundsatzgesetzen zu erlassen (Art 12 B-VG). Die umfassenden Gesetzgebungskompetenzen des Landes sind im Verhältnis zu denen des Bundes von beschränkter Bedeutung – zu den wichtigsten auf Art 15 B-VG beruhenden Regelungsbefugnissen gehören Raumordnung, Bauwesen, Naturschutz, Teile des Fremdenverkehrs und der Landwirtschaft, Sittlichkeitspolizei, Veranstaltungswesen, Grundverkehrsrecht, Landesstraßen, Teile des Umweltschutzes und der Abfallbeseitigung, Jagd, Fischerei, örtliche Sicherheitspolizei, Jugendschutzpolizei, Landesbrauchtum, Teile 877
B-VG Novelle, BGBl I 2004/118.
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des Gemeinderechts und der Organisation der Landesverwaltung; aus Art 14 und 14a B-VG ergeben sich weiters noch punktuelle Zuständigkeiten im Bereich des land- und forstwirtschaftlichen Schulwesens und ganz untergeordnete Kompetenzen im Bereich des allgemeinen Schulwesens. Die Kompetenz zur Ausführungsgesetzgebung bezieht sich zum einen auf die Materien des Art 12 B-VG, wo ua Armenwesen, Krankenanstalten, Kuranstalten, natürliche Heilvorkommen, Teile der Sozialfürsorge, Bodenreform, Teile des Elektrizitätswesens, land- und forstwirtschaftliches Arbeitsrecht, Bodenreform und Pflanzenschutz genannt sind; nach Art 14 Abs 3 und Art 14a Abs 4 B-VG sind weiters auch Teile des allgemeinen Schulwesens (äußere Organisation der Pflichtschulen und Schülerheime, Organisation der Schulbehörden in den Ländern) und Teile des land- und forstwirtschaftlichen mittels Landesausführungsgesetzen zu regeln. Gemäß Art 15 Abs 9 B-VG sind die Länder im Bereich ihrer Gesetzgebung befugt, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auch auf dem Gebiet des Straf- und Zivilrechts zu erlassen – damit haben die Länder eine Anhangzuständigkeit zur Erlassung zivil- und strafrechtlicher Einzelbestimmungen, die aber vom Verfassungsgerichtshof äußerst restriktiv ausgelegt wird. cc) Die Kompetenzen auf dem Gebiete der Verwaltung Die Landeskompetenzen im Bereich der Verwaltung umfassen zum einen die Vollziehung der Landesgesetze, wozu neben den autonomen Landesgesetzen auch die vorhin genannten Ausführungsgesetze der Länder gem Art 12, 14 Abs 3, 14a Abs 4 B-VG gehören. Darüber hinaus weist das B-VG mehrfach die Vollziehung von Bundesgesetzen den Ländern als eigene Landeskompetenz zu: Zu diesem bundestaatstypischen Kompetenzteilungsmodell – Gesetzgebung Bundessache, Vollziehung Landessache – gehören beispielsweise Staatsbürgerschaft, Teile der beruflichen Vertretungen, Volkswohnungswesen (außer Wohnbauförderung), Straßenpolizei, Assanierung, Umweltverträglichkeitsprüfung, Binnenschifffahrt, Tierschutz (alle in Art 11 B-VG), Lehrerdienstrecht für Pflichtschulen (Art 14 und 14a B-VG), Teile der öffentliche Auftragsvergabe (Art 14b Abs 2 Z 2). Auf Grund der fehlenden Gericht- und Polizeihoheit der Länder sieht Art 97 Abs 2 B-VG die Möglichkeit vor, Landesgesetze durch Bundesbehörden vollziehen zu lassen bzw ihre Mitwirkung vorzusehen. Durch die bundesverfassungsrechtlich vorgeschriebene mittelbare Bundesverwaltung sind die Länder maßgeblich an der Vollziehung des Bundes beteiligt: Art 102 B-VG sieht vor, dass – soweit nicht eigene Bundesbehörden eingerichtet sind (was wiederum nur in den verfassungsrechtlich aufgezählten Fällen möglich ist) – die Verwaltung des Bundes in den Ländern vom Landeshauptmann und den ihm unterstellten Landesbehörden ausgeführt wird. Die Behörden sind dabei funktional Bundesorgane, organisatorisch aber Landesorgane. Das zentrale Organ der mittelbaren Bundesverwaltung ist der Lan-
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Verfassungsmäßiger Zustand
deshauptmann; er ist im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung an die Weisungen des zuständigen Bundesministers gebunden. Durch die personelle Identität von Bundes- und Landesorganen ist den Ländern ein bedeutsamer Einfluss auf die Durchführung von Bundesgesetzen eingeräumt. dd) Die Kompetenzverteilung im Bereich „Kultur“ Die Bundesverfassung trifft keine allgemeinen Regelungen über die Kulturhoheit des Bundes und der Länder, sondern schafft ein kompliziertes System von Einzelzuständigkeiten. Wenn auch im Ergebnis das Schwergewicht der Kompetenzen beim Bund liegt, sind die Länder von allem über Förderungstätigkeiten in zahlreichen kulturellen Bereichen tätig; diese Förderungen erfolgen infolge fehlender hoheitlicher kultureller Landeskompetenzen überwiegend in privatrechtlichen Rechtsformen, weil nach Art 17 B-VG die Kompetenzverteilungsschranken der Art 10–15 keine Geltung haben, sobald Bund oder Länder als Träger von Privatrechten agieren. •
Gemäß Art 10 B-VG sind dem Bund wichtige kulturrelevante Bereiche in Gesetzgebung und Vollziehung zugewiesen, namentlich das Presserecht, Denkmalschutz, wissenschaftliche und künstlerische Sammlungen des wissenschaftliche und fachtechnische Archiv- und Bibliotheksdienst, das Urheberrecht, Bundestheater.
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Durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz, das RundfunkBVG 1974, ist der Bund zur gesetzlichen Regelung des Rundfunks zuständig gemacht worden: Das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk regelnde ORF-Gesetz des Bundes enthält gewisse föderalistische Elemente (zB eigenes Hörfunkprogramm für jedes Bundesland; Berücksichtigung der Länderinteressen in den beiden bundesweiten Fernsehprogrammen; Landesstudios; Entsendung von Mitgliedern durch die Bundesländer in das ORF-Organ Stiftungsrat), während die den privaten Rundfunk regelnden Bundesgesetze (PrivatradioG und PrivatfernsehG) lediglich Stellungnahmerechte der Länder in den von einer speziellen Bundesbehörde geführten Zulassungsverfahren vorsehen.
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Im Schulwesen (Art 14 und 14a B-VG) bestehen ausgedehnte Bundeszuständigkeiten: Das Hochschulwesen, die mittleren und höheren Schulen, das Verhältnis Schule-Kirche und die Privatschulen sind Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung.
Die Länder sind nur in Teilbereichen zur Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung berufen: Sie regeln die äußere Organisation der Pflichtschulen878 und die Zusammensetzung der Schulbehörden des Bundes879 durch Ausführungsgesetze und sind für die Vollziehung zuständig; beim Dienstrecht der
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879
Tiroler SchulorganisationsG, LGBl 1991/84 idF LGBl 2002/89; Tiroler BerufsschulorganisationsG, LGBl 1994/90. Tiroler Schulaufsichts-AusführungsG, LGBl 1963/22 idF LGBl 2003/45.
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Pflichtschullehrer haben sie – mit gewissen Ausnahmen – keine Gesetzgebungs-, sondern nur die Vollziehungskompetenz. Über die Vollzugstätigkeit der Länder hat der Bund ein Aufsichtsrecht und kann dem Landeshauptmann Weisungen zur Abstellung von Mängeln erteilen. Das land- und forstwirtschaftliche Schulwesen ist grundsätzlich Landessache, aber der Art 14a B-VG behält dem Bund in wichtigen Bereichen entweder die volle Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz oder die Gesetzgebung oder die Grundsatzgesetzgebung vor. •
Volksbildung und außerschulische Erziehung:
Hier fehlt bis heute eine klare und umfassende gesetzliche Regelung dieser Bereiche, weil es Unklarheiten bzw Erschwernisse in der Kompetenzverteilung gibt: Einerseits gilt für die beiden Angelegenheiten noch die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung 1867, wonach der Bund nur Grundsätze aufstellen kann und andererseits auch die in der Schulverfassungsnovelle 1962 angeordnete Bindung, dass Änderungen der Gesetzeslage in den Bereichen Volksbildung und außerschulische Jugenderziehung nur durch übereinstimmende Gesetze des Bundes und der Länder bewirkt werden können; umstritten ist, wer die Vollziehungskompetenz hat, da historische Vollziehungsbestimmungen fehlen und Änderungen der Rechtslage eben nur durch paktierte Gesetze möglich sind, die aber bis jetzt nicht ergangen sind. Der Bund hat 1973 ein „Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung und der Volksbüchereien aus Bundesmitteln“ erlassen, wobei auf die Förderung kein Rechtsanspruch besteht. Ursprünglich richtete das Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz Förderungsstellen des Bundes in den Ländern ein, Diese wurden 2003 aufgelassen, weil Bund und Länder vereinbart hatten, dass künftig die Länder in Eigenkompetenz, mit eigenem Personal und eigenen Einrichtungen, die Aufgaben der Förderungsstellen besorgen. Im Übrigen nehmen die Interessenvertretungen und auch die politischen Parteien weite Teile der Erwachsenenbildung wahr. •
Gem Art 15 Abs 1 B-VG verbleiben den Ländern folgende kulturrelevante Agenden zur Gesetzgebung und Vollziehung: Das Theater-, Kino-, und Veranstaltungswesen880 – allerdings sind hier gemäß Art 15 Abs 3 B-VG Bundesbehörden an der Vollziehung der Landesgesetze zu beteiligen; Brauchtum und Volkskunst881 und der Sport.882
Aufgrund der geringen hoheitlichen Kompetenzen im Kulturbereich greifen die Länder vielfach zum Instrument der privatrechtlichen Förderung (vgl Tiroler KulturförderungsG) bzw privatrechtlicher Vorgangsweise (Tiroler
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Tiroler VeranstaltungsG, LGBl 2003/86 idF LGBl 2004/72. Im Tiroler VeranstaltungsG erfasst. Tiroler LandessportG, LGBl 1972/65 idF LGBl 2005/7.
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Verfassungsmäßiger Zustand
MusikschulG: Gemeinden und Land schließen einen Vertrag über die Gründung und Erhaltung von Musikschulen). •
Auch die Koordination zwischen Bund und Ländern erfolgt vor allem in der Rechtsform der Förderung gem Art 17 B-VG; dabei fördern einerseits die Länder im Bundesbereich, zB bei der Errichtung von Schulgebäuden Grundstücke bereitstellen, Denkmalpflege und Museen subventionieren ua), andererseits auch der Bund im Länderbereich (zB Bundes– SportförderungsG, Unterstützung von Landestheatern ua).
b) Organisation der Regierung und Verwaltung Die Regierung – verstanden als Träger staatsleitender Funktionen – besteht aus dem Landtag als gesetzgebendem und die Verwaltung kontrollierendem Organ und aus der Landesregierung als vollziehendem, aber auch planendem und staatsleitendem Organ. aa) Die Landesregierung Gemäß Art 44 der Tiroler Landesordnung (TLO) besteht die Landesregierung aus dem Landeshauptmann, zwei Stellvertretern sowie mindestens zwei und höchsten fünf weiteren Mitgliedern (Landesräte).883 Die gesamte Landesregierung wird laut Art 45 der TLO vom Landtag mit einfacher Stimmenmehrheit in einem Wahlgang gewählt. Die früher in der Tiroler Landesverfassung vorgesehene Verhältniswahl der Landesregierung, die alle im Landtag vertretenen Parteien auch mit Regierungssitzen versah, wurde 1989 abgeschafft – nunmehr hat nach der Neuwahl des Landtages der Listenführer der stimmenstärksten im Landtag vertretenen Partei die anderen Parteien nur mehr zu Verhandlungen über die Bildung der neuen Landesregierung einzuladen. •
Der Landeshauptmann
Er hat – außer dem Vorsitz bei Sitzungen der Landesregierung – keine materielle Sonderstellung gegenüber den Landesräten; er besitzt jedoch eine Reihe von organisatorischen Befugnissen: So ist er Vorstand des Amtes der Landesregierung und Vorgesetzter aller Bezirkshauptmannschaften. Seine wichtigste Funktion liegt jedoch im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung und der Auftragsverwaltung (mittelbare Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes). •
Die Landesregierung als Kollegialorgan
Die Geschäftsordnung der Landesregierung884 weißt eine Reihe von Angelegenheiten885 der Landesregierung zur kollegialen Beschlussfassung zu. Dazu zählen zB Regierungsvorlagen, Verfassungsgerichtshofbeschwerden, Bestel883 884
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Derzeit gibt es fünf Landesräte. Verordnung der Landesregierung über die Geschäftsordnung der Landesregierung, LGBl 1999/14 idF LGBl 2006/1. Derzeit listet die GeO 52 Punkte auf.
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lung des Landesamtsdirektors, des Landesgrundverkehrsreferenten sowie andere wichtige personalpolitische Entscheidungen, Verleihung der Staatsbürgerschaft, wichtige Gemeindeaussichtsbefugnisse ua. Die Beschlüsse der Landesregierung in diesen Angelegenheiten müssen einstimmig erfolgen, Stimmenthaltungen sind aber zulässig. •
Die Landesregierung im Ressortsystem
Was nicht der kollegialen Beschlussfassung vorbehalten ist, ist von den einzelnen Mitgliedern der Landesregierung – also durch die Landesräte und den Landeshauptmann – selbständig zu besorgen; die Zuweisung der Verwaltungsbefugnisse an die einzelnen Landesräte und den Landeshauptmann erfolgt ebenfalls durch die Geschäftsordnung der Landesregierung. Die Landesräte besorgen auch Agenden der mittelbaren Bundesverwaltung, die wegen ihres Zusammenhanges mit den von ihnen zu besorgenden Landesaufgaben durch die Geschäftsordnung in die Kompetenz der einzelnen Landesräte übertragen sind. bb) Die Organisation der Landesverwaltung •
Das Amt der Landesregierung
Es handelt sich um ein bundesverfassungsrechtlich vorgegebenen einheitliches Hilfsorgan des Landeshauptmannes, der Landesräte und der Landesregierung als Kollegialorgan: Das Amt der Landesregierung führt unter der Leitung der Landesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder die Geschäfte der Landesverwaltung und unter der Leitung des Landeshauptmannes die Agenden der mittelbaren Bundesverwaltung. Vorstand ist der Landeshauptmann, Die Leitung des inneren Dienstes obliegt dem Landesamtsdirektor, der der unmittelbaren Aufsicht des Landeshauptmannen untersteht. Das Amt der Landesregierung gliedert sich in Gruppen, Abteilungen und Sachgebiete – die Geschäftseinteilung des Amtes886 kennt derzeit neun Gruppen887, in denen 48 Abteilungen zusammengefasst sind, die ihrerseits teilweise in Sachgebiete weiter unterteilt sind. •
Bezirkhauptmannschaften
In Tirol bestehen acht888 Bezirkshauptmannschaften, die als monokratisch organisierte, erstinstanzliche Landesbehörde subsidiär zur Besorgung aller Angelegenheiten des Bundes- und der Landesverwaltung berufen sind. Entscheidendes Organ ist der Bezirkshauptmann, der von der Landesregierung
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Verordnung des Landeshauptmannes über die Geschäftseinteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung, LGBl 2005/112. Gruppen Agrartechnik und Agrarförderung; Gemeinde, Finanzen und Tourismus; Gesundheit und Soziales; Landesbaudirektion; Landesforstdirektion; Präsidium; Raumordnung, Bau und Umwelt; Schule, Kultur und Sport; Wirtschaft und Verkehr. Innsbruck-Land, Imst, Kufstein, Kitzbühel,. Landeck, Lienz, Reutte, Schwaz.
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bestellt wird. Die nähere Organisation wie zB die Gliederung in Referate und die Festlegung der örtlichen Sprengel erfolgt durch ein Organisationsgesetz.889 Die Bezirkshauptmannschaften bestehen für jeden politischen Bezirk mit Ausnahme des politischen Bezirkes Innsbruck-Stadt, denn als Stadt mit eigenem Statut hat Innsbruck laut B-VG neben den Aufgaben der Gemeindeverwaltung auch die der Bezirksverwaltung zu besorgen – dies geschieht durch den Stadtmagistrat unter Leitung des Bürgermeisters. •
Sonderbehörden
Die Organisationsgewalt des Landesgesetzgebers erlaubt es ihm, neben dem beschriebenen Verwaltungsaufbau Sonderbehörden der Landesverwaltung einzurichten. Schon im B-VG vorgeschrieben sind Agrarbehörden.890 Durch Landesgesetz wurden vor allem für den Grundverkehr und die Baulandumlegung Sonderbehörden eingerichtet (Grundverkehrsbehörden, Höfebehörden, Bauoberkommission). •
Die Gemeinden
Neben dem eigenen Wirkungsbereich, den die Gemeinden frei von Weisungen besorgen, sind sie im übertragenen Wirkungsbereich, wenn sie Landesgesetze vollziehen, funktionell als Landesorgane tätig und an die Weisungen der übergeordneten Landesorgane gebunden. In der Regel besteht auch ein Instanzenzug an die Landesregierung. c) Demokratische Struktur aa) Allgemeines Art 1 B-VG normiert die demokratische Staatsform Österreichs. Das B-VG legt in Art 95 B-VG die Grundsätze für die demokratische Struktur der Länder bindend fest. Die Landesverfassung kennt auch noch die direktdemokratischen Einrichtungen des Volksbegehrens (Art 37 TLO), der Volksabstimmung (Art 39 TLO) und der Volksbefragung (Art 60 TLO). Die demokratische Struktur Tirols ist – wie jene des Bundes – repräsentativ mit direktdemokratischen Elementen. Dieses Demokratieverständnis wurde auch vom VfGH in einem heftig diskutierten Erkenntnis aus dem Jahre 2001 bestätigt – Instrumente der direkten Demokratie sind danach nur unter Wahrung des Gesetzgebungsmonopols des Landtages zulässig.891 Allerdings bestand bis zur großen Reform der Tiroler Landesverfassung 1998 ein großer Unterschied zur demokratischen Struktur auf Bundesebene: Die Landesregierung war kraft Verfassung eine Proporzregierung, da in die
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Gesetz über die Organisation der Bezirkshauptmannschaften, LGBl 1977/11 idF LGBl 1991/72. Art 12 Abs 2 B-VG; Agrarbezirksbehörden, Landesagrarsenate. VfSlg 16241/2001.
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Mitglieder des Landesregierung vom Landtag nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wurden. Seit der TLO-Novelle im Jahre 1998 besteht das Mehrheitsprinzip. bb) Die Wahlen zum Landtag Der Tiroler Landtag (LT) setzt sich aus 36 Abgeordneten zusammen, die für eine fünfjährige Gesetzgebungsperiode gewählt werden. Die Landtagswahlordnung 2002 teilt das Landesgebiet in 9 Wahlkreise ein, die mit dem Gebiet der politischen Bezirke identisch sind. Die Zuweisung der Mandate erfolgt in zwei Ermittlungsverfahren nach dem Grundsatz der Verhältniswahl. Die bundesverfassungsrechtlichen Wahlprinzipien (freies, gleiches, geheimes, persönliches und unmittelbares Verhältniswahlrecht) und die Regelung des Wahlalters für die Wahl zum Nationalrat stellen kraft Art 95 B-VG für die LT-Wahl Minimalerfordernisse dar. Art 17 der TLO kann daher diese Festlegungen nur wiederholen und überlässt die nähere Ausgestaltung der Wahlen dem einfachen Landesgesetzgeber – es handelt sich derzeit um die Tiroler Landtagswahlordnung 2002.892 Das aktive Wahlrecht zum Tiroler Landtag ist an die Vollendung des 18. Lebensjahres, die österreichische Staatsbürgerschaft und an den Hauptwohnsitz in einer Gemeinde Tirols gebunden. Für das passive Wahlrecht ist die Erreichung des 19. Lebensjahres Bedingung. cc) Direktdemokratische Einrichtungen •
Ein Volksbegehren beinhaltet den Antrag auf Erlassung, Änderung oder Aufhebung eines Landesgesetzes und kann in Form eines Gesetzesentwurfes oder auch eines einfachen Vorschlages gestellt werden. Für die Einleitung eines Volksbegehrens ist die Unterstützung von mindestens 750 Stimmberechtigten nötig.893 Wenn es die Unterstützung von mindestens 7.500 Wahlberechtigten oder von mindestens 40 Gemeinden oder von der Stadt Innsbruck erhält, ist es unverzüglich dem Landtag vorzulegen (Art 37 TLO). Eine weitergehende Bindungswirkung ist nicht vorgesehen.
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Eine Volksabstimmung findet über einen Gesetzesbeschluss des Landtages vor seiner Kundmachung statt und berechtigt alle zum LT Wahlberechtigten zur Stimmabgabe darüber, ob der Gesetzesbeschluss in Kraft treten soll. Eine Volksabstimmung findet entweder statt, wenn der Landtag dies beschließt – er kann dies tun, muss es aber nicht – oder wenn 7.500 Wahlberechtigte oder mindestens 40 Gemeinden binnen sechs Wochen nach der
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Gesetz über die Wahl des Landtages in Tirol, LGBl 2002/91 idF LGBl 2003/126. Dies bestimmt § 3 des Gesetzes über Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen, LGBl 1990/56 idF LGBl 2003/61.
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Beschlussfassung eines Gesetzesbeschluss eine Volksabstimmung verlangen (Art 39 TLO). •
Eine Volksbefragung legt den Stimmberechtigten – ds alle zum LT Wahlberechtigten – eine oder mehrere Fragen über eine Angelegenheit aus der Zuständigkeit des Landes vor. Die Volksbefragung kann landesweit oder nur in einem Landesteil durchgeführt werden. Sie kann von der Landesregierung angeordnet werden bzw muss von der Landesregierung durchgeführt werden, wenn der Landtag dies beschließt oder wenigstens 7.500 zum Landtag Wahlberechtigte oder wenigstens 40 Gemeinden dies verlangen; bei einer gebietsweise eingeschränkten Volksbefragung genügen für ein Verlangen nach ihrer Durchführung 25% der dortigen Bevölkerung bzw die dortigen Gemeinden.
Die genannten in der TLO vorgesehenen und einfachgesetzlich näher geregelten894 direktdemokratischen Instrumente sind in der politischen Realität von nur untergeordneter Bedeutung. dd) Die demokratische Struktur der Gemeinden Das B-VG sieht in Art 117 die Volkswahl von zwei Gemeindeorganen – des Gemeinderates und des Bürgermeisters – vor: Art 117 Abs 1 ordnet für jede Gemeinde die Volkswahl des Gemeinderates an und gibt in Art 117 Abs 2 als Grundsätze für diese Wahl das gleiche, unmittelbare, geheime und persönliche Verhältniswahlrecht vor; Art 117 Abs 6 B-VG bestimmt zunächst, dass der Bürgermeister vom Gemeinderat gewählt wird, eröffnet aber der Landesverfassung auch die Möglichkeit, statt dessen die Volkswahl des Bürgermeisters vorzusehen – von dieser Ermächtigung hat das Land Tirol Gebrauch gemacht und in einer Verfassungsbestimmung in der Gemeindewahlordnung die sog Direktwahl des Bürgermeisters in allen Tiroler Gemeinden mit Ausnahme der Stadt Innsbruck angeordnet; die Bürgermeisterwahlen unterliegen dem gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Mehrheitswahlrecht. Die Gemeindewahlordnung 1994 präzisiert die Verfassungspostulate für die Wahl des Gemeinderates und des Bürgermeisters. Die Tiroler Gemeindeordnung 2001 kennt an direktdemokratischen Einrichtungen die Volksbefragung und die Gemeindeversammlung. Die Volksbefragung (§ 61 TGO) findet über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde statt, wenn dies wenigstens ein Sechstel der Stimmberechtigten verlangt oder der Gemeinderat mit einer zwei Drittel Mehrheit beschließt; auch der Bürgermeister kann eine Volksbefragung darüber verlangen, ob er Beschlüsse des Gemeindevorstands oder Gemeinderats vollziehen soll, von denen er glaubt, dass sie Interessen der Gemeinde verletzten.
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Gesetz über Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen, LGBl 1990/56 idF LGBl 2003/61.
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Mindestens einmal jährlich hat der Bürgermeister in einer öffentlichen Gemeindeversammlung über die wichtigsten Angelegenheiten, die die Gemeinde seit der letzten Gemeindeversammlung betroffen haben, zu berichten und einen Ausblick auf die weiteren Vorhaben zu geben. Anschließend ist den Gemeindebewohnern Gelegenheit zur Abgabe einer Äußerung zu geben. d) Das Verhältnis des Landes zum Bund aa) Allgemeines Das Verhältnis Bund-Länder ist in der österreichischen Verfassungsrechtsordnung durch eine Reihe von Rechtsinstituten gekennzeichnet, die eine Verschränkung des Rechtshandelns des Bundes mit dem der Länder bewirken und trotz des erdrückenden materiellen Übergewichts des Bundes doch ein prinzipiell koordinatives Rechtsbeziehungssystem erkennen lässt. Kennzeichen des rechtlichen Verhältnisses Bund-Länder sind die Institute der Bundesaufsicht, Ansätze einer Landesaufsicht und die verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen der Zusammenarbeit. bb) Die einzelnen Institute der Bundesaufsicht Die Bundesverfassung kennt keine einheitliche Institution der Bundesaufsicht, sondern eine Vielzahl von konkreten Verfahren, Befugnissen und Sanktionen, die im Zusammenhang mit der Kompetenzverteilung und der bundesstaatlichen Organisation geregelt werden. Die Instrumente der Bundesaufsicht haben einerseits eine Beobachtungsfunktion, andererseits auch eine Berichtigungsfunktion und beziehen sich sowohl auf die Landesgesetzgebung als auch auf die Landesverwaltung. Nicht zur Bundesaufsicht im eigentlichen Sinn gehören die Aufsichtsbefugnisse des Bundes, die er gemäß Art 102–105 BV-G im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung gegenüber den die Bundesgesetze vollziehenden Landesorganen hat – da es sich nur organisatorisch um Landesorgane, funktionell hingegen um Bundesorgane handelt, liegt hier ein Weisungsverhältnis iS des Art 20 B-VG innerhalb einer bundesstaatlichen (Teil-)Staatsgewalt vor. Im Folgenden werden die wichtigsten Institute der Bundesaufsicht überblicksartig vorgestellt. •
Bundesaufsicht über die Landesgesetzgebung
Art 98 B-VG räumt dem Bund ein Beobachtungsrecht über die gesamte Legistik der Länder ein, weil alle Gesetzesbeschlüsse der Landtage vor ihrer Kundmachung dem Bundeskanzleramt bekannt zu geben sind. Im Weiteren steht gemäß Art 98 B-VG der Bundesregierung ein suspensives Vetorecht gegen die Gesetzesbeschlüsse der Landtage wegen Gefährdung von Bundesinteressen zu: Der Einspruch der Bundesregierung kann durch einen Beharrungsbeschluss des Landtages überwunden werden.
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Verfassungsmäßiger Zustand
Vereinzelt normiert die Bundesverfassung Zustimmungsrechte der Bundesregierung zu Landesgesetzen: Wenn ein Landesgesetz bei der Vollziehung die Mitwirkung von Bundesorganen vorsieht (Art 97 Abs 2 B-VG), wenn ein Landesgesetz die bestehende Organisation der Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern ändert oder neu regelt (Art 15 Abs 10 B-VG) und wenn ein Landesgesetz eine Stadt mit eigenem Statut errichtet (Art 116 Abs 3 B-VG); weitere Zustimmungsrechte des Bundes gegenüber der Landes-Verwaltungsorganisation enthalten auch § 8 Abs 5 des ÜG 1920 und das BVG über die Einrichtung der Ämter der Landesregierung. Ausführungsgesetze des Landes zu Bundesgrundsatzgesetzen unterliegen der beobachtenden Bundesaufsicht nach Art 15 Abs 8 B-VG: Danach hat der Bund das Recht, die Einhaltung der von ihm im Bereich des 12 B-VG erlassenen Vorschriften wahrzunehmen, was aber lediglich Informationsrechte über die Einhaltung der Bundesvorschriften beinhaltet. Bestimmte Gesetzgebungskompetenzen der Länder devolvieren im Fall der Säumnis an den Bund: So die Kompetenz zur Ausführungsgesetzgebung von Bundesgrundsatzgesetzen (Art 15 Abs 6 B-VG), die Kompetenz zur Durchführung von Staatsverträgen des Bundes (Art 16 Abs 4 B-VG) und die Kompetenz zur Durchführung von EU-Recht (Art 23d Abs 5 B-VG). Eine stark ausgebaute Bundesaufsicht besteht gegenüber Staatsverträgen der Länder, die diese in Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches mit an Österreich angrenzenden Nachbarstaaten schließen können: Sowohl die Aufnahme von Verhandlungen als auch der Abschluss dieser Staatsverträge bedarf der Zustimmung des Bundes (Art 16 Abs 2 B-VG) und der Bund kann auch die Kündigung eines Landes-Staatsvertrages verlangen (Art 16 Abs 3 B-VG). Bei Gliedstaatsverträgen der Länder untereinander hat der Bund allerdings gemäß Art 15a Abs 2 B-VG lediglich ein Beobachtungsrecht, da ihm solche Vereinbarungen nur zur Kenntnis zu bringen sind. Nicht gegen einen Akt der Gesetzgebung, aber gegen das gesetzgebende Organ des Landes richtet sich die schärfste politische Aufsichtsmaßnahme des Bundes: Gemäß Art 100 B-VG kann der Bundespräsident auf Antrag der Bundesregierung einen Landtag auflösen, braucht dazu allerdings die Zustimmung des Bundesrates. •
Bundesaufsicht über die Landesverwaltung
Art 15 Abs 8 B-VG räumt dem Bund das Recht ein, die Einhaltung der von ihm im Bereich der Art 11 und 12 B-VG erlassenen Vorschriften wahrzunehmen. Damit wird eine allgemeine Bundesaufsicht über die selbständige Landesvollziehung von Bundesgrundsatzgesetzen des Art 12 und Bundesgesetzen des Art 11 normiert, die allerdings wiederum nur Informationsrechte des Bundes beinhaltet. Daneben gibt es in einigen spezifischen Angelegenheiten besondere Aufsichtsrechte des Bundes über den selbständigen Landesvollzug, die regelmäßig über bloße Informationsrechte hinausgehende Aufsichtsmöglichkeiten bein-
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halten: Zu nennen ist hier die Sonderaufsicht des Bundes in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung und in Angelegenheiten des Tierschutzes, die laut Art 11 Abs 9 B-VG Befugnisse der Akteneinsicht, der Berichtsanforderung und der Auskunftsanforderung enthält; weiters die Sonderaufsicht des Bundes im Schulwesen nach Art 14 Abs 8 B-VG und die Sonderaufsicht des Bundes über die örtliche Sicherheitspolizei nach Art 15 Abs 2 B-VG, die jeweils Inspektions- und Weisungsrechte umfasst. Gemäß Art 16 Abs 5 B-VG stehen dem Bund bei der Durchführung von Staatsverträgen des Bundes durch Akte der Landesvollziehung die gleichen Rechte wie in der mittelbaren Bundesverwaltung – also insbesondere ein Weisungsrecht – zu. Als Sanktion für Säumigkeit der Länder bei Akten der Landesvollziehung ist verschiedentlich ein Zuständigkeitsübergang auf eine Bundesbehörde vorgesehen: In Art 15 Abs 7 B-VG bei allen geteilten Bundeskompetenzen, wenn ein Akt der Vollziehung für mehrere Länder wirksam werden soll und das vorgeschriebene einvernehmliche Vorgehen der Länder nicht erfolgt; in Art 16 Abs 4 B-VG und Art 23d Abs 5 B-VG bei Säumigkeit der Länder in der Durchführung von Staatsverträgen bzw von EU-Recht. •
Anfechtungsbefugnisse
Zur Bundesaufsicht können schließlich auch die Anfechtungsbefugnisse des Bundes vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts gezählt werden. So kann die Bundesregierung beim VfGH Landesgesetze und Landesverordnungen anfechten und ihre Aufhebung beantragen (Art 140 und Art 139 B-VG) sowie die Entscheidung von Kompetenzkonflikten (Art 138 B-VG) oder die Feststellungen im Zusammenhang mit staatsrechtlichen Vereinbarungen (Art 138a B-VG) beantragen; die Bundesregierung kann Landesorgane wegen Nichtbefolgung von im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung oder im Rahmen der Bundesaufsicht erteilten Weisungen beim VfGH anklagen (Art 142 B-VG); schließlich kann der zuständige Bundesminister Bescheide der Landesverwaltung, die in den Angelegenheiten der geteilten Gesetzgebungsund Vollzugskompetenz (Art 11, 12, 14 Abs 2 und 3, 14a Abs 3und 4) ergehen, beim VwGH anfechten (Art131 Abs 1 Z 2 B-VG). Diese Befugnisse nehmen eine Mittelstellung zwischen beobachtender und berichtigender Funktion ein. Sie gehen insoweit über die Beobachtung hinaus, als sie ein rechtlich relevantes Tätigwerden darstellen, das auf die Herstellung der Übereinstimmung des Länderverhaltens mit dem bundesrechtlichen Maßstab abzielen. Sie können aber nicht im eigentlichen Sinn als berichtigende Mittel bezeichnet werden, da der Bund die eigentliche Berichtigung nicht selbst vornimmt, sondern diese – mit Ausnahme von Maßnahmen im Anwendungsbereich des Art 146 B-VG – einem „pouvoir neutre“ überlässt. Allerdings ist der VfGH nicht nur organisatorisch ein Bundesorgan, sondern auch funktionell insofern, als die Bundesverfassung – als Bundesrecht – Maßstab für die Landesgesetzgebung und Landesvollziehung ist.
288 •
Verfassungsmäßiger Zustand
Zu den Aufsichtsbefugnissen auf dem Gebiete des Finanzwesens siehe unten 3.f.
cc) Ansätze einer „Landesaufsicht“ Im Vergleich zu den Möglichkeiten der Bundesaufsicht fehlt den Ländern regelmäßig die Kompetenz zur Berichtigung von Bundesakten, weshalb auch nur von Ansätzen einer „Landesaufsicht“ die Rede sein kann. Spiegelbildlich zum Bund stehen auch den Ländern Anfechtungsbefugnisse vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zu; die Länder haben damit die Möglichkeit, die Übereinstimmung von Bundesverhalten mit dem das bundesstaatliche Grundgesetz darstellende B-VG zu überwachen und den VfGH mit der Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes zu beauftragen: Jede Landesregierung kann ein Bundesgesetz oder eine Bundesverordnung beim VfGH anfechten und die Aufhebung beantragen (Art 140 und Art 139 B-VG) sowie die Entscheidung von Kompetenzkonflikten (Art 138 B-VG) oder die Feststellungen im Zusammenhang mit staatsrechtlichen Vereinbarungen (Art 138a B-VG) beantragen. Einen besonderen Rechtsschutz gegen den im Finanzausgleich dominanten Bundesgesetzgeber vermittelt Art 137 B-VG: Danach entscheidet der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche an Gebietskörperschaften, für die kein anderer Rechtsweg eröffnet ist; zu diesen Ansprüchen zählt der VfGH auch Ansprüche aus dem Finanzausgleich und prüft bei den von Ländern angestrengten Verfahren über solche Ansprüche die bundesgesetzlichen Regelungen des Finanzausgleiches nach einem besonderen Maßstab der sachlichen Rechtfertigung. Den VwGH kann eine Landesregierung gegen einen Bescheid des Bundesministers in einem Spezialfall der geteilten Kompetenz (Art 15 Abs 5 B-VG – Baurechtszuständigkeit für bundeseigene Gebäude wie Kasernen, Schulen ua) anrufen (Art 131 Abs 1 Z 3 B-VG). Durch den Bundesrat – das in der Verfassung vorgesehene Vertretungsorgan der Länder, dessen Mitglieder von den Landtagen gewählt werden – wirken die Länder zum einen an der Gesetzgebung des Bundes mit. Allerdings hat der Bundesrat nur in wenigen Fällen ein echtes Zustimmungsrecht, so etwa bei Kompetenzänderungen zu Lasten der Länder (Art 44 Abs 2 B-VG); ansonsten steht ihm gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates nur ein suspensives Veto zu, das durch einen Beharrungsbeschluss des Nationalrates überwunden werden kann (Art 42 B-VG). In Bezug auf die Bundesverwaltung stehen dem Bundesrat gewisse parlamentarische Kontrollrechte gegenüber der Bundesregierung zu, namentlich das Interpellations- und Resolutionsrecht. In einigen wenigen Fällen verlangt die Bundesverfassung – zusätzlich zur Mitwirkung des Bundesrates – für die Gültigkeit von Bundesgesetzen die Zustimmung der (beteiligten) Länder. Es handelt sich um Bundesgesetze, die vom Organisationsprinzip der mittelbaren Bundesverwaltung abweichen wollen (Art 101 Abs 1 B-VG letzter Satz und Art 102 Abs 4 B-VG), um bestimmte Vergaberegelungen des Bundes (Art 14b Abs 4 B-VG; es handelt sich um
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289
Fälle, für die ursprünglich eine Landeskompetenz bestand) und um Bundesgesetze, die die Anfechtung bestimmter erstinstanzlicher Entscheidungen unmittelbar beim UVS vorsehen wollen (Art 129a Abs 2 B-VG; es handelt sich um Entscheidungen in der mittelbaren Bundesverwaltung und in Angelegenheiten des Art 11 und 12 B-VG). Vereinzelt kennt die Bundesverfassung Devolutionsrechte zugunsten der Länder, also einen Zuständigkeitsübergang vom Bund auf die Länder. Dazu zählt die Notstandsregelung des Art 102 Abs 5 B-VG, wonach der Landeshauptmann auch in der unmittelbaren Bundesverwaltung zur Schadensabwehr zuständig wird, wenn die obersten Bundesorgane wegen höherer Gewalt verhindert sind. Nach Art 15 Abs 6 B-VG sind die Länder zur freien gesetzlichen Regelung von Angelegenheiten der Grundsatzgesetzgebung befugt, solange der Bund keine Grundsätze aufgestellt hat. dd) Kooperationsinstitute Im B-VG finden sich eine Reihe von Bestimmungen, die ein Zusammenwirken von Bund und Ländern in verschiedenen Kooperationsformen vorsehen. Neben traditionellen, von Anfang an in der Verfassung verankerten Formen koordinierter Rechtsetzung und gegenseitigen Mitwirkungsrechten in der Vollziehung enthält die Verfassung auch jüngere Kooperationsinstrumente wie die 1974 eingeführte staatsrechtliche Vereinbarung zwischen Bund und Ländern (Art 15a-Vereinbarung), das 1994 eingeführte Länderbeteiligungsverfahren in Angelegenheiten der europäischen Integration und den 1998 eingeführten Konsultationsmechanismus. •
Paktierte Gesetze
Manche Materien, die Bund und Länder betreffen, können nur durch übereinstimmende Gesetze des Bundes und der Länder geregelt werden, zB Teilbereiche des Volksbildungs- und Erziehungswesens (Art VIII der Schulverfassungsnovelle 1962) und in der Straßen- und Schifffahrtspolizei (Art 15 Abs 4 B-VG). Änderungen des Bundes- und Landesgebietes sowie Grenzänderungen zwischen Ländern können sogar nur durch paktierte – also übereinstimmende – Verfassungsgesetze von Bund und Ländern erfolgen (Art 3 Abs 2 B-VG). •
Bund-Länder-Verträge (Art 15a B-VG)
Mit dieser 1974 geschaffenen Kooperationsmöglichkeit sollten Bund und Länder in die Lage versetzt werden, sog Querschnittsmaterien in vielen modernen Verwaltungsmaterien wie Umweltschutz, Abfallbeseitigung, Raumordnung, Energiewirtschaft ua partnerschaftlich regeln zu können. Wenn die Verträge nicht nur die Vertragspartner binden sollen, müssen sie durch eigene Gesetze oder Verordnungen des Bundes und der Länder durchgeführt werden (spezielle Transformation). Siehe näher zu diesen Vereinbarungen unten Pkt 5. a.aa.
290 •
Verfassungsmäßiger Zustand
Gegenseitige Mitwirkungsrechte
Neben rechtlich schwachen Formen wie zB dem Stellungnahmerecht der Länder vor dem Erlass eines sie betreffenden Staatsvertrages (Art 15 Abs 3 B-VG) kennt die Verfassung auch zahlreiche Fälle der Zustimmung – hier ist die zu einem Akt der der Gesetzgebung oder Verwaltung die Zustimmung der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft nötig, zB bei der Errichtung von landund forstwirtschaftlichen Fachschulen und Versuchsanstalten (Art 14a Abs 5 B-VG), bei der Behördenorganisation (Art 15 Abs 10 und Art 102 Abs 1 B-VG), bei der Mitwirkung von Bundesorganen an der Vollziehung von Landesgesetzen (Art 97 Abs 2 B-VG) ua. Ein echtes Mitwirkungsrecht des Bundes an Landesvollziehungsangelegenheiten findet sich laut Art 15 Abs 3 B-VG auch im Veranstaltungswesen der Länder. •
Konsultationsmechanismus und Stabilitätspakt
Aufgrund einer 1998 geschaffenen besonderen bundesverfassungsrechtlichen Ermächtigung haben Bund, Länder und Gemeinden ein wechselseitiges Informations- und Sanktionssystem in finanziellen Angelegenheiten vereinbart, um die gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen über die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten (“Maastricht-Kriterien“) umzusetzen – siehe dazu näher unten Pkt 3. d. •
Kooperation im Zusammenhang mit der europäischen Integration
Die österreichischen Bundesländer haben in der Bundesverfassung ein innerstaatliches Länderbeteiligungsverfahren durchgesetzt, das eine Bindung der Bundesorgane bei der Ausübung europäischer Mitgliedschaftsrechte in Landesangelegenheiten – vor allem in Bereichen der Landesgesetzgebung – bewirkt. Dabei treffen den Bund zunächst umfassende Informationspflichten und die Länder können den Bund durch Abgabe einer einheitlichen Stellungnahme binden (Art 23d B-VG); allerdings kann der Bund von einer Länderstellungnahme aus „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen“ abweichen. Auch der Bundesrat hat ein allgemeines Informationsrecht und bei Einschränkungen von Landeskompetenzen ein den Bund bindendes Stellungnahmerecht, das aber aus den erwähnten Gründen ebenfalls durchbrochen werden kann (Art 23e Abs 1 und Abs 6 B-VG). •
Außerverfassungsrechtliche und politische Kooperationsinstrumente
Die soeben kurz vorgestellten Formen der rechtlichen Zusammenarbeit geben allerdings ein unvollständiges Bild vom Zustand des kooperativen Föderalismus in Österreich, weil sich in der politischen Realität bedeutsame außerverfassungsrechtliche und politische Kooperationsinstrumente etabliert haben – sie werden unter Pkt 4. und 5. angesprochen.
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3. Finanzielle Situation a) Steuerhoheit § 3 Abs 1 Finanzverfassungsgesetz 1948 (F-VG) weist die Abgrenzung der Kompetenzen auf dem Gebiet des Finanzwesens dem einfachen Bundesgesetzgeber zu. § 6 F-VG bestimmt Abgabentypen (5 Hautformen mit mehreren Unterformen), die neben ausschließlichen Abgaben einer Ebene von Gebietskörperschaften zahlreiche Mischformen darstellen. Die Ausübung der Steuerhoheit wird vom Bund dadurch wahrgenommen, dass durch einfaches Bundesgesetz eine konkrete Steuer einem dieser Typen zugeordnet wird. Diese bundesgesetzliche Festlegung erfolgt üblicherweise durch ein Finanzausgleichsgesetz (FAG) des Bundes, das – nach politischen Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden – etwa alle 4 Jahre neu erlassen wird. Derzeit befindet sich das FAG 2005 in Geltung.895 Erst an diese finanzausgleichsrechtliche Zuordnung der konkreten Abgabe knüpfen die Bundes- oder Landeszuständigkeiten nach §§ 7 und 8 F-VG zur Gesetzgebung und Vollziehung an. Die meisten Abgabenformen des § 6 F-VG haben allerdings nur mehr historische Bedeutung und werden nicht oder nur ganz zurückhaltend verwendet; praktisch am wichtigsten sind heute die Abgabenformen „ausschließliche Bundesabgaben“ (hier fließt der Ertrag ausschließlich dem Bund zu), „gemeinschaftliche Bundesabgaben“ (hier sind Bund, Länder und Gemeinden am Ertrag beteiligt, wobei der Bund das Ausmaß der Beteiligung festsetzt) und – in weitem Abstand – die ausschließlichen Gemeindeabgaben (hier fließt der Ertrag ausschließlich den Gemeinden zu). Soweit der Bund Besteuerungsrechte nicht in Anspruch nimmt, kommt den Ländern das sog. Abgabenfindungsrecht zu, das zwar theoretisch beliebig erweiterungsfähig ist, praktisch jedoch nicht bedeutsam ist, weil der Bund alle wichtigen Steuerquellen bereits in Anspruch genommen hat und strenge Einschränkungen für „gleichartige Abgaben“ und Zuschläge der Länder zu Bundesabgaben bestehen (§ 8 Abs 3 F-VG). b) Steuerverbund Besondere Bedeutung für den Bund-Länder-Finanzausgleich kommt den zwischen Bund und Ländern (Gemeinden) geteilten Abgaben zu, die im Finanzausgleichsgesetz festgelegt werden. Dabei ist sind vor allem die gemeinschaftlichen Bundesabgaben von Relevanz: Die gemeinschaftlichen Bundesabgaben, das sind die Abgaben, die durch den Bund erhoben werden und aus denen dem Bund und den Ländern (Gemeinden) Ertragsanteile zufließen, sind in § 8 FAG 2005 taxativ aufgezählt. Die wichtigsten sind die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Umsatzsteuer, die Tabaksteuer, die Elektrizitätsabgabe, die Alkoholsteuer, die 895
Finanzausgleichsgesetz 2005 (FAG 2005), BGBl I 2004/156 idgF BGBl 2005/34
292
Finanzielle Situation
Mineralölsteuer, die Erbschafts- und Schenkungssteuer und die Kraftfahrzeugsteuer. Geteilt wird der Reinertrag der Abgaben nach vorherigem Abzug pauschalierter Kosten des Bundes (zB Kosten der Einhebung). Besondere Abzüge vor der Teilung erfolgen ferner für die Finanzierung der Beitragsleistungen Österreichs an die EU und für verschieden Zwecke oder Fonds (zB für Familienlastenausgleich, Katastrophenfonds, Krankenanstaltenfinanzierung, Wasserwirtschaft). Die Teilung der nach den Abzügen verbleibenden Reinerträge erfolgt zwischen Bund und Ländern seit dem FAG 2005 nach einem einheitlichen Schlüssel (nämlich: Bund: 73,204%, Länder: 15,191%, Gemeinden: 11,605%) ; für einzelne Abgaben erfolgt eine Verteilung auf die Bundesländer und Gemeinden nach verschiedenen, im FAG (§§ 9 ff) festgelegten Schlüsseln. Für die Länder stellen die Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben eine ganz zentrale Einnahmequelle dar. Die anderen Einnahmequellen – Zuschlagsabgaben, ausschließliche und gemeinschaftliche Landesabgaben – sind dagegen in ihrer Bedeutung als sehr gering anzusetzen. Auch die Einnahmen der Gemeinden stammen zu mehr als der Hälfte aus Ertragsanteilen von gemeinschaftlichen Bundesabgaben. c) Transfers (Dotationssystem) Die zweite Säule des Finanzsystems bildet das sog Dotationssystem, das nicht auf der Teilung von Abgaben (Abgabenerträgen), sondern auf direkten oder indirekten Transfers beruht. Direkte Transfers sind Finanzleistungen der gebenden an die empfangende Gebietskörperschaft; indirekte Transfers sind vor allem Kostenübernahmen für Aufgaben fremder Gebietskörperschaften, wodurch bei diesen eine entsprechende Kostenentlastung eintritt. § 12 F-VG unterscheidet bei den direkten Transfers Finanzzuweisungen (in Form von Schlüsselzuweisungen und Bedarfszuweisungen) sowie zweckgebundene Zuschüsse, die vom Bund an die Länder (Gemeinden) fließen oder von den Ländern an die Gemeinden. Alle Zuweisungen und Zuschüsse bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und müssen den Verfassungsvorgaben des § 12 F-VG entsprechen. Bei den indirekten Transfers ermächtigt § 2 des F-VG den „zuständigen Gesetzgeber“ zur Verschiebung der Kosten der Aufgabenbesorgung. „Zuständig“ für Kostenverschiebungen ist einerseits der nach der allgemeinen Kompetenzverteilung der Art 10–15 B-VG zuständige Gesetzgeber, aber auch der Finanzausgleichsgesetzgeber. Die einfachgesetzliche Regelung zahlreicher Transfers findet sich im FAG, aber auch in Materiengesetzen des Bundes. Insgesamt sind Volumen und Auswirkungen der Transfers beträchtlich, wobei sich vornehmlich die Einnahmensituation der Länder dadurch ändert – bei den Gemeinden werden Finanzmittel fast im selben Ausmaß zugewiesen wie entzogen. Im Verein mit den Anteilen an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben bilden die Transfers mit rd 96% die Haupteinnahmequelle der Länder dar. Die für die Länder bedeutsamen Transfers werden nachfolgend kurz vorgestellt:
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293
aa) Schlüsselzuweisungen Hier werden nach bestimmten Schlüsseln (Verhältnisanteilen) die Ertragsbeteiligungen der Länder (und Gemeinden) an den gemeinschaftlichen Abgaben ergänzt und so die allgemeinen Haushaltsmittel der empfangenden Gebietskörperschaft aufgestockt. Traditionell kennt das FAG zB einen „Kopfquotenausgleich“ (§ 20 Abs 1 FAG 2005) – danach erhalten jene Länder, deren Ertragsanteile pro Kopf geringer sind als der gesamtösterreichische Durchschnitt, vom Bund Finanzzuweisungen in der Höhe von 87,9% des Differenzbetrages. Weitere Schlüsselzuweisungen gewährt der Bund den Ländern für den öffentlichen Personennahverkehr, für die Landwirtschaftsförderung und für Energiesparmaßnahmen (§ 20 Abs 4, 6 und 2 FAG 2005). bb) Bedarfszuweisungen Sie können nach dem F-VG zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichts im Haushalt, zur Deckung außergewöhnlicher Erfordernisse oder zum Ausgleich von Härten gewährt werden, die sich bei der Verteilung der Ertragsanteile oder Schlüsselzuweisungen ergeben. Nach dem FAG 2005 erhalten die Länder beispielsweise Bedarfszuweisungen für das Haushaltsgleichgewicht und als Ausgleich für Ausgaben im Zusammenhang mit Ausgliederungen, die auf die Länder nach ihrer Volkszahl aufgeteilt werden (s § 22 und § 23a FAG). cc) Zweckgebundene Zuschüsse Sie werden für bestimmte Verwaltungsaufgaben geleistet, die dadurch gefördert werden sollen. Wenn der Bund diese Zuschüsse leistet, muss er das entweder im FAG oder in einem Bundesgesetz, das die diesbezügliche Aufgabe regelt, vorsehen. Das FAG 2005 sieht solche Zuschüsse an die Länder zur Abdeckung der Defizite von Landestheatern, zur Förderung des Umweltschutzes, insbesondere für Müllbeseitigungsanlagen und für die Krankenanstaltenfinanzierung vor (§ 24). dd) Kostenersatz für die Landeslehrer Ein bedeutsamer Posten für die Landesfinanzen stellt die Kostenersatzregelung im Zusammenhang mit den Landeslehrern dar, die sich schon viele Jahre in den FAG findet. Nach dem derzeitigen FAG 2005 (§ 4) trägt der Bund die Kosten der Besoldung der Landeslehrer an öffentlichen allgemein bildenden Pflichtschulen zur Gänze, an berufsbildenden Pflichtschulen zur Hälfte. Überdies leistet der Bund den Ländern einen Kostenersatz für den Mehraufwand, der den Ländern aus Strukturproblemen infolge sinkender Schülerzahlen und des Unterrichts für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf bei den Personalkosten entstehen.
294
Finanzielle Situation
ee) Landesumlage Als Ausgleich für den Verlust der eigenen Landesabgaben in der 1. Republik zugunsten der Gemeinden erhielten die Länder im F-VG 1948 (§ 3 Abs 2) die verfassungsrechtliche Ermächtigung, ihren offenen finanziellen Bedarf auf die Städte und Gemeinden umzulegen (Recht der Landesumlage); seit einer eigenen Verfassungsbestimmung von 1967 ist die Landesumlage nicht mehr an einen offenen Bedarf geknüpft, sodass sie den Charakter eines Abgabenteiles angenommen hat. Das Höchstausmaß der Landesumlage wurde regelmäßig im FAG des Bundes begrenzt und liegt seit 2001 bei 7, 8% der ungekürzten rechnungsmäßigen Ertragsanteile der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben (§ 6 FAG 2005). Die Aufteilung der Landesumlage auf die Gemeinden erfolgt durch Landesgesetz. ff)
Finanzzuweisungen des Landes an die Gemeinden
Finanzielle Transfers des Landes an die Gemeinden werden vor allem zum Ausgleich großer Belastungen durch kommunale Investitionen auf verschiedensten Gebieten getätigt. Die Hauptform sind Bedarfszuweisungen, als deren Adressaten zunehmend auch die Gemeindeverbände bzw interkommunale Fonds und Projektgemeinschaften auftreten. d) Konsultationsmechanismus und Stabilitätspakt Mit einem eigenen Bundesverfassungsgesetz (BGBl I 1998/61) wurden 1998 Bund, Länder und Gemeinden – diese vertreten durch den Österreichischen Städtebund und den Österreichischen Gemeindebund – ermächtigt, miteinander Vereinbarungen über einen Konsultationsmechanismus und einen Stabilitätspakt abzuschließen. Laut dem 1999 vereinbarten Konsultationsmechanismus (BGBl I 1999/135) übermitteln Bund und Länder sich wechselseitig bzw dem Städte- und Gemeindebund ihre Gesetzes- und Verordnungsentwürfe zur Stellungnahme hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen der Entwürfe. Wenn eine der Gebietskörperschaften zusätzliche (dh über die prognostizierten Kosten hinausgehende) Folgekosten für ihren Haushalt befürchtet, kann sie die Einberufung eines Konsultationsgremiums verlangen, das Konsultationsgremium hat dann Verhandlungen über die Abdeckung der Mehrkosten zu führen und soll eine einvernehmliche Empfehlung zur Kostenfrage abgeben soll. Gelingt keine einvernehmliche Empfehlung oder wird diese nicht befolgt oder wird bereits die Stellungnahmemöglichkeit nicht eingeräumt oder das Verlangen auf Einberufung des Konsultationsgremiums nicht befolgt, tritt folgende Sanktion ein: Der betreffende Rechtssetzer (also Bund oder Land) muss die tatsächlich verursachten Kosten der geplanten Maßnahme ersetzen. Die Ersatzpflicht von Mehrkosten greift auch dann, wenn ein Gesetzesbeschluss vom im Konsultationsverfahren behandelten Gesetzesentwurf abweicht oder der Gesetzesentwurf keine Regierungsvorlage ist und daher von vornherein nicht dem Konsultationsverfahren unterlag (zB Initiativanträge oder Volksbegehren).
295
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Im Stabilitätspakt – erstmals 1999 vereinbart, derzeit als Stabilitätspakt 2005 (BGBl I 2006/19) in Geltung – verpflichten sich Bund, Länder und Gemeinden zur Sicherstellung der Einhaltung der im EG-Vertrag festgelegten Kriterien über die Haushaltsdisziplin (Maastricht-Kriterien) durch Erbringung von Stabilitätsbeiträgen. Für 2005–2008 sollen die Länder laut dem Pakt gewisse Überschüsse in ihren Haushalten erreichen, dem Bund werden Defizite zugestanden und die Gemeinden sollen ausgeglichene Haushalte vorlegen. Im Fall des Nichterreichens der eingegangenen Verpflichtungen ist ein Schlichtungsgremium zu befassen, das allfällige Sanktionsbeiträge vorschreiben kann. e) Überblick über die Lage des Budgets Die Lage des Budgets des Landes Tirol ist – wie bei allen Bundesländern – durch die weitgehende Abhängigkeit der Landeseinnahmen vom bundesgesetzlich normierten Finanzausgleich gekennzeichnet:896 Von den für 2006 veranschlagten Einnahmen in der Höhe von rd 2,4 Mrd Euro stammen nur ca 61 Mio Euro aus ausschließlichen Landesabgaben und ca 41,5 Mio Euro aus der Landesumlage, während der „Rest“ aus den Ertragsanteilen an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben (ca 1/3 der Einnahmen) sowie den Transfers stammt. Die Transfers des Landes an die Gemeinden betragen etwa 146 Mio Euro.897 Das FAG 2005 bringt gegenüber dem vorigen FAG zusätzliche Leistungen des Bundes an die Länder in der Höhe von 112 Mio Euro, die Gemeinden erhalten 100 Mio Euro zusätzliche Finanzzuweisungen vom Bund. Diese Mehrleistungen stellen aber Ausgleichsmaßnahmen des Bundes dar, die die durch frühere Steuerreformmaßnahmen des Bundes bewirkte Mindereinnahmen auf Seiten der Länder und Gemeinden abfedern müssen. Ein Überblick über das Budget des Landes Tirol für 2006 zeigt folgende Einnahmen- und Ausgabenstruktur: Gesamtübersicht Ordentlicher Voranschlag Einnahmen
Ausgaben
in Euro Gruppe 0 Vertretungskörper u.allgem.Verwaltung 1 Öffentliche Ordnung und Sicherheit 2 Unterricht, Erziehung, Sport u.Wissenschaft 3. Kunst, Kultur und Kultus
2006
in Euro 2005
2006
2005
27.433.600
25.825.900
234.097.100
803.500
759.500
8.547.100
231.945.900 8.768.700
396.883.600
387.385.800
494.482.100
480.169.300
11.227.300
10.458.100
62.491.200
62.447.100
4 Soziale Wohlfahrt u. Wohnbauförderung
428.977.700
406.172.700
597.010.100
561.864.000
5 Gesundheit
278.348.100
268.258.200
403.776.700
383.270.500
896 897
S dazu Punkt 1–3 dieses Abschnittes. Die näheren Angaben zu den Zahlen können der homepage des Landes Tirol unter www.tirol.gv.at/themen/zahlenundfakten/landesbudget entnommen werden
296 6 Straßen- und Wasserbau, Verkehr 7 Wirtschaftsförderung 8 Dienstleitungen 9 Finanzwirtschaft Summe Abgang
Finanzielle Situation 72.384.800
73.222.000
152.973.200
149.119.600
349.700
700.200
145.434.900
134.007.700
4.294.800
4.706.000
8.350.400
6.034.500
944.548.100
911.839.900
122.588.400
133.101.000
2.165.251.200 2.089.328.300 2.229.751.200 2.150.728.300 64.500.000
61.400.000
Außerordentlicher Voranschlag
187.398.300
110.164.000
Abgang = Fremdkapital
137.804.500
42.200.500
Maastricht Defizit/Überschuss
187.398.300
110.164.000
1.282.100
16.285.300
f) Finanzielle Kontrolle durch den Bund aa) Allgemeines Entsprechend dem bundesstaatlichen Aufbau Österreichs ist eine direkte Kontrolle der Gebarung des Landes durch den Bund ausgeschlossen. Doch kennt das österreichische Finanzsystem eine Reihe von Instituten, die zumindest in ihrer praktischen Auswirkung – als Kontrolleinrichtung bezeichnet werden können. bb) Die Dominanz in der Gesetzgebung Die effektivste Kontrolle steht dem Bund schon durch seine beherrschende Stellung auf den Gebiet der Finanzgesetzgebung zu, die es ihm ermöglicht, die Art und den Umfang der Landessteuern genau zu bestimmen und auch das Steuerfindungsrecht der Länder faktisch zu limitieren. Vor allem durch das Finanzausgleichsgesetz (einfaches Bundesgesetz!) besitzt der Bund eine zentrale Einflussmöglichkeit auf die Situation der Landesfinanzen. Dazu kommen noch zahlreiche, im F-VG niedergelegte besondere Eingriffsermächtigungen der Bundesgesetzgebung, die den Zuständigkeitsbereich der – an sich schon sehr schmalen – Landes-Abgabengesetzgebung weiter beschränken können (s insbes § 7 Abs 4 und § 8 Abs 3-4 F-VG). cc) Das besondere Einspruchsrecht gegen Landes-Abgabengesetze Beeinsprucht die Bundesregierung einen Gesetzesbeschluss des Landtages, der Landes-(Gemeinde-)abgaben zum Inhalt hat, und fasst der Landtag hierauf einen Beharrungsbeschluss, so entscheidet gem § 9 F-VG ein „ständiger gemeinsamer Ausschuss“ des National- und Bundesrates über den Einspruch, falls die Bundesregierung ihre Einwendungen nicht zurückzieht. Bei positiver Entscheidung darf das Gesetz nicht veröffentlicht werden. Der Ausschuss setzt sich paritätisch aus Bundes- und Nationalratsmitgliedern zusammen, ist also ein Bundesorgan.
Kompakt-Informationen über die Identität der Landesteile Tirols
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dd) Besondere Bindungen der Budgethoheit Das F-VG kennt im Bereich der Finanzzuweisungen und Finanzzuschüsse eine Art „Haushaltsaufsicht“ des Bundes. Die Gewährung von Bedarfszuweisungen und zweckgebundenen Zuschüssen kann an Bedingungen geknüpft werden, deren Einhaltung der Bund wahrnehmen kann (§ 13 F-VG). Dasselbe gilt für Darlehen, die der Bund den Ländern auf Grund besonderer Bundesgesetze gewährt (§ 15 F-VG). Schließlich kann der Bund die Vorschläge und Rechnungsabschlüsse der Länder einsehen und Auskünfte über die Finanzwirtschaft der Länder einholen (§ 16 F-VG). In diesem Bereich liegt das materielle Schwergewicht. ee) Der Rechnungshof des Bundes Dieser ist zwar bei der Überprüfung der Landesgebarung funktionell ein Landesorgan, organisatorisch jedoch Bundesorgan. ff)
Antragbefugnis des Bundes
Die Antragsbefugnis des Bundes, Rechtsakte der Länder beim Verfassungsgerichtshof anzufechten (Art 137, 139 und 140 B-VG) bezieht sich auch auf solche mit finanziellen Aspekten. gg) Das Vordringen kooperativer Mechanismen •
„Finanzausgleichspaktum“
Seit 1948 strebt die politische Praxis an, den Finanzausgleich und alle wesentlichen Änderungen der Länder- und Gemeindefinanzen nur im Einvernehmen aller Gebietskörperschaften durchzuführen; dementsprechend enthielten alle Finanzausgleichsgesetze eine Verhandlungspflicht des Bundes (s derzeit § 6 FAG 2005). Dem jeweiligen Finanzausgleichsgesetz liegt daher regelmäßig das sog „Finanzausgleichspaktum“ zugrunde, das die wesentlichen Bestimmungsgründe der Einigung der Finanzausgleichspartner enthält. Rechtlich gesehen handelt es sich um eine wechselseitige politische Zusage, vereinbarungsgemäß zu handeln, wobei die Hauptverpflichtung politischer Art den Bund bei der Erlassung des FAG trifft. Der VfGH hat aber in einer 190 beginnenden Rechtsprechung die Paktierung des Finanzausgleichs als Indiz für die – in § 4 F-VG geforderte und vor dem VfGH in Verfahren nach Art 137 B-VG einklagbare – Sachgerechtigkeit des Finanzausgleiches gewertet: Kommt es zu keiner Einigung in den Finanzausgleichsverhandlungen, führt das zwar nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit des Finanzausgleiches, ist aber für den VfGH ein Hinweis auf eine mögliche Verkennung oder Missachtung der im Finanzausgleich zu berücksichtigenden Interessenlage eines „Partners“. •
Konsultationsmechanismus und Stabilitätspakt
Auch der Konsultationsmechanismus ist durch kooperative Elemente gekennzeichnet (siehe vorhin Pkt d) und die im Stabilitätspakt vorgesehene Ko-
298
Politische Wirklichkeit
ordinierung der Haushaltspolitik soll grundsätzlich kooperativ erfolgen: Vertreter der Gebietskörperschaften sind außer in den bereits erwähnten Schlichtungsgremien auch in Koordinationskomitees vorgesehen, welche Informations-, Beratungs-, empfehlungs- und Überwachungsaufgaben haben.
4. Politische Wirklichkeit a) Parteien aa) Rechtliche Grundlagen Erst durch das 1975 geschaffene Parteiengesetz898 des Bundes ist eine rechtliche Basis für politische Parteien zumindest in Ansätzen vorhanden; es fehlen aber eine Begriffsbestimmung sowie Vorschriften über innerparteiliche Demokratie. Das ParteienG regelt zum größten Teil Finanzierungsfragen. Artikel I Parteiengesetz, der im Rang einer Verfassungsbestimmung steht, bestimmt: „§ 1 (1) Die Existenz und Vielfalt politischer Parteien sind wesentliche Bestandteile der demokratischen Ordnung der Republik Österreich (Art. 1 B-VG). (2) Zu den Aufgaben der politischen Parteien gehört die Mitwirkung an der politischen Willensbildung.“ Die Absätze 3 und 4 des Art 1 § 1 Parteiengesetz regeln das Postulat der freien Gründung politischer Parteien: Ein Parteienverbot kann nur durch Bundesverfassungsgesetz erfolgen; die Tätigkeit von Parteien darf keinen Beschränkungen durch besondere Rechtsvorschriften unterworfen werden (Abs 3). Mit Hinterlegung der Satzung – deren Mindestinhalt die Festlegung der Rechte und Pflichten der Mitglieder und der Organe ist – beim Innenminister erlangt die politische Partei Rechtspersönlichkeit (Abs 4). Die Landesverfassungsgesetze enthalten keine Vorschriften über die rechtliche Stellung der Parteien. bb) Parteien in Tirol Im Landtag waren über 40 Jahre die drei Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ vertreten; seit 1989 – hier erreichten erstmals die Grünen Landtagssitze – bis heute sind es 4 politische Parteien. Bei der letzten Landtagswahl am 28. 09. 2003 wurden folgende Ergebnisse erzielt: Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) erhielt 49,8% der Stimmen und damit 20 Landtagssitze. Die Sozialdemokratische Partei Österreich (SPÖ) erreichte 25,8% der Stimmen und damit 9 Mandate. 898
Bundesgesetz über die Aufgaben, Finanzierung und Wahlwerbung politischer Parteien (Parteiengesetz – PartG), BGBl 1975/404 idF BGBl I 2003/71.
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Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) errang 7,9% der Stimmen und damit 2 Mandate. Die Grüne Alternative Tirol erreichte 15,5% der Stimmen und 5 Mandate. Zur Wahl angetreten, aber nicht im Landtag vertreten ist die KPÖ, die 0,7% der Stimmen erhielt. Auf Gemeindeebene beteiligen sich neben den etablierten, im Landtag vertretenen Parteien eine Reihe anderer wahlwerbender Gruppen, vor allem sog „Namenslisten“. Diese Namenslisten sind im Bereich der Kommunalwahlen von großer Bedeutung, weil sie zum einen vielfach Sitze in den allgemeinen Vertretungskörpern der Gemeinden – dem jeweiligen Gemeinderat – erlangen. Außerdem lässt die Gemeindewahlordnung die Koppelung von Wahlvorschlägen zu (§ 37), was Koalitionsbildungen und stabile Mehrheitsverhältnisse begünstigt. Echte Landesparteien gibt es nicht: Alle im Landtag vertreten Parteien sind „Landesorganisationen“ von Bundesparteien. Diese Landesorganisationen sind zwar gemäß den Parteistatuten weitgehend selbständig, doch sind die Bundesparteiorgane bei allen vier Landtagsparteien juristisch und vor allem politische übergeordnete Instanzen. Die Parteien weisen sohin keine föderalistischen Strukturen aus, sondern sind dezentralisiert. Die Landesorganisationen besitzen zwar im Bereich der Landespolitik weitgehende politische Autonomie, doch besteht in den wichtigsten politischen Fragen eine Bindung an die Beschlüsse und Richtlinien der Bundesparteileitungen. b) Verbände aa) Rechtliche Grundlagen Die rechtlichen Grundlagen bilden einerseits das Vereinsrecht und andererseits für die Berufsvertretungen besondere Gesetze, die Aufgaben und Organisation näher regeln. Überblick über die wichtigsten Verbände: •
Kammern
Die gesetzlichen Berufsvertretungen (Kammern) sind als Körperschaften öffentlichen Rechts mit Zwangsmitgliedschaft eingerichtet und sind dazu berufen, die Interessen der ihnen angehörenden Mitglieder zu vertreten. Diese Aufgabe haben sie im sog eigenen Wirkungsbereich – also autonom und insbesondere frei von staatlichen Weisungen – wahrzunehmen während ihnen allenfalls durch Gesetz übertragene Verwaltungsaufgaben den übertragenen Wirkungsbereich bilden. Drei Kammern sind besonders bedeutsam: Wirtschaftskammern (sie erfassen zahlreiche selbständig tätige Unternehmer) Kammern für Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammern; sie erfassen zahlreiche unselbständig tätige Arbeitnehmer) und Landwirtschaftskammern. Wirtschafts- und Arbeiter-
300
Politische Wirklichkeit
kammern sind durch Bundesgesetz errichtet899, Die Landwirtschaftskammern durch Landesgesetze. Die in den einzelnen Ländern bestehenden Landesorganisationen (hier: Wirtschaftskammer Tirol, Arbeiterkammer für Tirol, Tiroler Landwirtschaftskammer) haben auf Bundesebene jeweils eine Dachorganisation (Wirtschaftskammer Österreich, Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern), die die gesamtösterreichischen Interessen der betreffenden Berufsgruppe vertritt. Während die Wirtschaftskammer Österreich und die Bundes-Arbeiterkammer gesetzlich vorgesehene Dachorganisationen und Körperschaften öffentlichen Rechts sind, ist die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern ein Verein. Einige Landwirtschaftskammern weisen eine für die österreichischen Verbände untypische Besonderheit auf. Sie setzen sich aus zwei Sektionen oder Kammern – einer Arbeitnehmer- und einer Arbeitgebersektion oder -kammer900 – zusammen, die beide zusammen den Gesamtverband bilden. Sonstige gesetzliche Berufsvertretungen sind die Ärzte-, Apotheker-, Rechtsanwaltskammer, die Kammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten, die Kammer für Wirtschaftstreuhänder ua. •
Öffentlich-rechtliche Verbände
Daneben gibt es eine Reihe weiterer öffentlich-rechtlicher Verbände, die in verschiedenen Materiengesetzen vorgesehen sind und mit den Verwaltungsbereichen zusammenhängende Aufgaben – sowohl im eigenen als auch im übertragenen Wirkungsbereich – wahrzunehmen haben; sie sind regelmäßig als Körperschaften öffentlichen Rechts eingerichtet und haben Pflichtmitglieder. Aus dem Landesbereich seien folgende Beispiele genannt: Tourismusverbände nach dem Tiroler Tourismusgesetz901, der Schilehrerverband nach dem Tiroler Schischulgesetz902, der Bergsportführerverband nach dem Tiroler Bergsportführergesetz903, die Bergwacht nach dem Tiroler Bergwachtgesetz904. •
Österreichischer Gewerkschaftsbund
Der österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) ist ein Verein, der in 13 Einzelgewerkschaften unselbständig Erwerbstätige erfasst und deren Interessen gegenüber Arbeitgebern und Staat vertritt. Der ÖGB ist der Dachverband für die 13 Einzelgewerkschaften, die nach Berufsfeldern gebildet sind. Er zeigt 899
900
901 902 903 904
Wirtschaftskammergesetz, BGBl I 1998/103 idF BGBl I; Arbeiterkammergesetz, BGBl 1991/626 idF BGBl I 2006/4. In Tirol gliedert sich die Landeslandwirtschaftskammer in die Bauernkammer und die Landarbeiterkammer; s Tir Landwirtschaftskammergesetz, LGBl 1993/79 idF LGBl 2001/109. LGBl 2006/19. LGBl 1995/15 idF LGBl 2002/89. LGBl 1998/7 idF LGBl 2003/50. LGBl 2002/90.
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eine stufenweise Organisation in Form von Landesorganisationen und Bezirkssekretariaten, hat aber einen stark zentralistischen Einschlag, denn die wichtigsten Entscheidungsbefugnisse liegen bei den Bundesorganen. Der ÖGB hat gemäß dem Arbeitsverfassungsgesetz die Kollektivvertragsfähigkeit zugesprochen erhalten, womit er die potentiell auch den gesetzlichen Interessenvertretungen zukommende Kollektivvertragsfähigkeit verdrängt. •
Österreichische Industriellenvereinigung
Die Vereinigung der österreichischen Industrie – Industriellenvereinigung (IV) ist ein Verein, der den Großteil der privaten österreichischen Industrieunternehmen umfasst. Der jeweiligen Landesgruppe obliegt die unmittelbare Betreuung und Beratung der Mitglieder sowie die Unterstützung der Mitglieder in Angelegenheiten, die in die Kompetenz der Länder, Bezirksverwaltungsbehörden und der Gemeinden fallen. Daneben entfaltet die Landesgruppe rege Aktivitäten auf den Gebieten der wirtschaftspolitischen Diskussion, der Stellungnahmen zu Landesgesetzesentwürfen usw.
bb) Einflussnahme der Verbände
Solche finden in allen Staatsfunktionen in hohem Ausmaß statt, vor allem in den Bereichen der Raumordnung, des Wirtschafts- und Arbeitsrechts und des Ausbildungsrechts; sie sind zum Teil gesetzlich vorgesehen: Das gilt vor allem für die Begutachtungsrechte (durch die Kammern) von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen, soweit ihre Interessen berührt sind, für die Entsendung von Vertretern in die verschiedensten Beiräte und Kommissionen, die Beschickung von Arbeitsgerichten bzw Schiedsgerichten der Sozialversicherung mit Beisitzern und Sachverständigen. Der überwiegende Teil der Einwirkung der Verbände spielt sich aber in gesetzlich nicht vorgesehen Formen ab: Regelmäßig werden Sachverständige in Parlamentsausschüsse entsandt oder eingeladen; die politischen Parteien (vor allem ÖVP und SPÖ) sind mit den führenden Verbänden (Arbeiter-, Wirtschafts- Landwirtschaftskammern und ÖGB) eng verzahnt: Es bestehen weitgehende Personalunionen zwischen Parlaments/Regierungsmitgliedern und Verbändefunktionären. Bei den Verbandswahlen kandidieren die Parteien als Fraktionen, sodass – je nach Wahlergebnis – die Verbände einer Partei „nahestehen“ (Arbeiterkammer und ÖGB – SPÖ dominiert; Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammern von ÖVP).
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Politische Wirklichkeit
c) Wirtschaftliche Struktur 905 Die wirtschaftliche Struktur Tirols ist durch eine bedeutende Rolle des Tourismus gekennzeichnet: 2004 verzeichnete Tirol rd 42 Mio Nächtigungen, was einem Anteil von 35% bezogen auf alle Nächtigungen in Österreich entspricht; auch sind etwa 10% aller Beschäftigten in diesem Wirtschaftsbereich tätig. Die Beiträge von Industrie, Gewerbe und Handel zur Wirtschaftsleistung des Landes sind aber – gemessen an der Zahl der dort Beschäftigten und dem Anteil an der Wertschöpfung – höher. Die Industriebetriebe Tirols sind genauso wie seine Handels- und Gewerbebetriebe überwiegend kleinbetrieblich strukturierte Unternehmen. Bei den Industriebetrieben sind fast drei Viertel Klein- und Kleinstbetriebe im Sinne der EU-Definition – diese zählt dazu Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten; in der gewerblichen Wirtschaft beträgt der Anteil der Klein- und Kleinstbetriebe sogar 97%, wobei der Löwenanteil (70%) der Betriebe unter 6 Beschäftigten liegt. Bei den Industriebetrieben beschäftigten ca 60% der Betriebe unter 24 Personen. Auch in Tirol ist seit vielen Jahren die Entwicklung feststellbar, dass der Sektor Land- und Forstwirtschaft in seiner Bedeutung abnimmt, während der Dienstleistungssektor, ua auch durch den Tourismus, in seiner Bedeutung weiter gewinnt. Die Wirtschaftsstruktur Tirols ist durch teilweise erhebliche regionale Unterschiede gekennzeichnet. Bei den wirtschaftlich schwächeren Gebieten handelt es sich fast durchwegs um verkehrsentlegene Grenzgebiete der politischen Bezirke Lienz, Imst, Landeck und Reutte. Zu den größten Unternehmen Tirols zählen ua die Swarovski-Werke (Schmucksteine, Optik, Schleifmittel), die Jenbacher Werke (Maschinen und Motoren), die Planseewerke (Metall) sowie die TIWAG (Tiroler Wasserkraftwerke), die zugleich auch von größter Bedeutung für den Export sind. Einige Zahlen: Die Zahl der Beschäftigten in Tirol betrug 2004 276 337 Unselbständige und 38 700 Selbständige; 0,9% arbeiteten in der Land- und Forstwirtschaft, 26,8% im produzierenden bereich und 68% im Dienstleistungssektor. Die durchschnittliche Arbeitslosenrate lag 2004 bei 5,6% (in Österreich bei 7,1%). Bemerkenswert ist, dass die Rate nach Bezirken sehr unterschied905
Die im Folgenden verwendeten Quellen sind: Arbeiterkammer Tirol (Hg), Die Lage der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Tirol 2006, Innsbruck 2006; Walter Hämmerle, Regionalwirtschaft Tirol 1995-2003, Tiroler regionalpolitische Studien Nr 21, Innsbruck 2004; Wirtschaftskammer Tirol (Hg), Beschäftigtenstatistik zum 1. August 2005. Dienstgeberbetriebe und Beschäftigte in der gewerblichen Wirtschaft Tirols, Innsbruck 2005; Industriellenvereinigung Tirol (Hg), Jahresbericht 2004; Statistik Tirol/Tirol Daten 2005 (unter www.tirol.gv.at) sowie Angaben auf den homepages der Wirtschaftskammer Tirol (www.wko.at/tirol), der Arbeiterkammer Tirol (www.ak-tirol.com) und der Industriellenvereinigung Tirol (www.ivtirol/at).
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lich ist und etwa im Tiroler Oberland und in Osttirol deutlich höhere Werte erreicht. Mehr als die Hälfte aller Arbeitslosen (55%) gehören zu den saisonabhängigen Branchen Bauwesen, Beherbergungs- und Gaststättenwesen. Das Bruttoregionalprodukt betrug 2001 17.860 Mio Euro. Die Anteile der Wirtschaftssektoren liegen folgendermaßen: Land- und Forstwirtschaft: 1,5%; sekundärer Sektor (Sachgütererzeugung, Bergbau, Energie- und Wasserversorgung, Bauwesen): 28,7%; tertiärer Sektor (Handel, Beherbergungs- und Gaststättenwesen, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, Kredit- und Versicherungswesen, Realitäten, Wirtschaftsdienste, Öffentliche Verwaltung ua): 69,7%. Im Einzelnen stammen dabei erhebliche Branchenbeiträge aus den Bereichen Sachgütererzeugung (18,5%, Realitäten und Unternehmensdienste (14,6%), Beherbergungs- und Gaststättenwesen (12%), Handel (10,4%), Verkehr und Nachrichten (9,3%), Bauwesen (7,7%). d) Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung Charakteristisch ist die stark repräsentative Struktur sowohl des Staates als auch der Parteien und Verbände. aa) Volkswahlen •
Landtage
Der Landtag wird aufgrund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechts – diese in Art 17 der TLO genannten Prinzipien sind durch Art 95 B-VG vorgeschrieben – von österreichischen Staatsbürgern mit vollendetem 18. Lebensjahres und Hauptwohnsitz in Tirol gewählt (siehe oben Pkt II.3). Nach der Landtagswahlordnung906 kann der Wähler seine Stimme nur einer Wählergruppe geben; er kann allerdings einem Bewerber der von ihm gewählten Wählergruppe eine Vorzugsstimme geben und damit allenfalls die Reihenfolge der Bewerber auf dem Wahlvorschlag der betreffenden Wählergruppe verändern: Erreicht ein Kandidat ausreichend viele Vorzugsstimmen, erhält er ungeachtet seiner Position auf dem Wahlvorschlag ein Landtagsmandat; ansonsten entscheidet über den Einzug in den Landtag die Reihenfolge der Bewerber auf dem Wahlvorschlag, wie er von der wahlwerbenden Gruppe eingebracht wurde (Listenwahlrecht).907In der Praxis wirkt sich das Vorzugstimmensystem wenig aus, weil einerseits davon wenig Gebrauch gemacht wird und überdies für eine allfällige Änderung der Reihenfolge relativ viele Vorzugstimmen nötig sind; sodass in der Regel doch die von der wahlwerbenden Gruppe vorgenommenen Reihung entscheidend ist.
906 907
LGBl 2002/91 idF LGBl 2003/126). §§ 50, 51 und 64 TLWO.
304 •
Politische Wirklichkeit
Gemeinderat
Der Gemeinderat wird ebenfalls nach dem gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrecht gewählt. Auch hier kann die Landesverfassung nur wiederholen, was bereits bundesverfassungsrechtlich in Art 117 B-VG vorgegeben ist – Art 75 der TLO verweist im übrigen für die nähere Ausgestaltung des Wahlrechts zum Gemeinderat auf ein Landesgesetz, welches derzeit die Tiroler Gemeindewahlordnung 1994 ist.908 Aktiv wahlberechtigt ist laut § 7 der GWO jeder Unionsbürger, der in der Gemeinde seinen Hauptwohnsitz hat, der sich ferner seit mehr als einem Jahr in der Gemeinde aufhält und dessen Aufenthalt offensichtlich nicht nur vorübergehend ist. Als Altersgrenze ist die Vollendung des 18. Lebensjahres spätestens am Tag der Wahl gefordert. Es gilt wieder das Listenwahlrecht, dh man kann nur einen Wahlvorschlag wählen und Reihungen der Bewerber durch Vergabe einer Vorzugsstimme vornehmen.909 •
Bürgermeister
Seit 1991 gibt es die Volkswahl des Bürgermeisters in den Tiroler Gemeinden, nicht aber in der Landeshauptstadt Innsbruck. Tirol war damit nach Kärnten das zweite Bundesland, das von der bundesverfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art 117 Abs 6 B-VG Gebrauch gemacht hat. Laut dem im Rang einer Landesverfassungsbestimmung stehenden § 1 Abs 3 der GWO wird der Bürgermeister von der Gesamtheit der Wahlberechtigten der Gemeinde auf Grund des gleichen, unmittelbaren , geheimen und persönlichen Mehrheitswahlrechtes gewählt. Die Praxis zeigt, dass auch Kandidaten zum Bürgermeister gewählt werden, die nicht von den bereits im Gemeinderat vertretenen oder zur Gemeinderatswahl antretenden Parteien oder Listen aufgestellt werden. bb) Direkt-demokratische Einrichtungen Auf Landesebene gibt es die Instrumente Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung (siehe oben Pkt 2.c.cc). Auf Gemeindeebene gibt es in Tirol lediglich die nicht bindende Volksbefragung und die – mehr den Charakter einer Informationsveranstaltung tragende – Gemeindeversammlung (siehe oben Pkt 2. c.dd. Damit hat Tirol von der 1984 eingeführten bundesverfassungsrechtlichen Ermächtigung für einen
908
Gesetz, mit dem die Wahl der Organe der Gemeinde geregelt ist, LGBl 1994788 idF LGBl 2003/127. 909 §§ 55, 56 und 69 GWO; im Fall von gekoppelten Wahlvorschlägen können zwar mehrere Wahlvorschläge angekreuzt werden, die Stimme gilt aber nur für die zuerst gereihte Wählergruppe der gekoppelten Wahlvorschläge.
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Ausbau der direkten Demokratie910 auf kommunaler Ebene keinen Gebrauch gemacht, insbesondere gibt es keine Volksabstimmung auf Gemeindeebene.911 e) Politische Beziehungen zur Zentrale Schon im Rahmen der verfassungsrechtlich geregelten Institutionen (der 15a – Vereinbarungen, dem Anhörungsrecht der Länder nach Art 10 Abs 3 B-VG, im Bundesrat, beim Länderbeteiligungsverfahren in EU-Angelegenheiten) ergeben sich naturgemäß Kontakte; ein Großteil der politischen Beziehungen findet aber auf partei- und verbandspolitischer Ebene statt, wobei vor allem Nationalratsabgeordnete, Regierungsmitglieder und Verbändefunktionäre der „eigenen“ Partei die Adressaten der Einflussnahmen bilden. Als weitere wichtige Plattformen, auf denen es zu politischen Kontakten zwischen Bunds- und Ländervertretern kommt, sind die Länderkonferenzen (Landeshauptleute, Landesamtsdirektoren, Fachreferenten) zu nennen, an denen regelmäßig Vertreter des Bundes teilnehmen; ferner die Verbindungsstelle der Bundesländer, deren Aufgabe ua darin besteht, den Kontakt der Länder mit der Bundesregierung zu gewährleisten und die gemeinsamen Einrichtungen zwischen Bund und Ländern wie etwa die österreichische Rumordnungskonferenz; schließlich die – näheres dazu im folgenden Punkt 5. Die wichtigsten Bereiche politischer Kooperation stellen vor allem wirtschaftliche Fragen, insbesondere Fragen des gemeinsamen Vorgehens bei sektoralen und überregional spürbaren Konjukturkrisen dar, weiters „gemeinsame Projekte“ der Verkehrsplanung, bei denen die Länder meistens finanziell Vorleistungen erbringen, Förderungsaktionen der Landwirtschaft ua. Oft verdichten sich diese politischen Kooperationsformen institutionell zu formalen Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG.
5. Kooperationsformen und -einrichtungen a) Verfassungsrechtlich geregelte innerstaatliche Zusammenarbeit Neben bereits besprochenen Formen (mittelbare Bundesverwaltung, Bundesaufsicht, paktierte Gesetzgebung, Konsultationsmechanismus, Finanzausgleichspaktum, Länderbeteiligungsverfahren an der europäischen Integration ua – siehe oben insbes Pkt 2.d. und Pkt 3.d.) sollen noch folgende Kooperationsinstitute der Bundesfassung behandelt werden:
910
911
Gemäß Art 117 Abs 8 B-VG kann der. Landesgesetzgeber die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vorsehen Vgl dazu Peter Pernthaler/Barbara Gstir, Direkte und repräsentative Demokratie auf Gemeindeebene. Stellenwert der Gemeindevolksabstimmung, ZfV 2004, 748 ff.
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Kooperationsformen und -einrichtungen
aa) Staatsrechtliche Vereinbarungen nach Art 15a B-VG Durch die B-VG Novelle 1974 wurde die Möglichkeit der Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG (auch „Gliedstaatsverträge“ genannt) geschaffen. Sie können von den Ländern untereinander oder zwischen Bund und (einzelnen oder allen) Ländern geschlossen werden •
Vereinbarungen zwischen den Ländern
Diese sind gemäß Art 15a Abs 2 B-VG nur über Angelegenheiten ihres eigenen Wirkungsbereiches möglich und müssen der Bundesregierung unverzüglich zur Kenntnis gebracht werden. ohne Verletzung der Einheitlichkeit des Wirtschaftsgebietes (Art 4 B-VG und Art 15a B-VG) Die TLO beruft in Art 71 die Landesregierung zur Entscheidung über den Abschluss einer staatsrechtlichen Vereinbarung und bestimmt, dass der Landeshauptmann das Land Tirol beim Abschluss vertritt. Soll durch eine Vereinbarung der Landtag gebunden werden, muss der Landtag die Vereinbarung genehmigen Das Verfahren: In der Vereinbarung kann die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes vorgesehen werden. Dieser kann aber nur feststellen, ob eine Vereinbarung vorliegt und ob die aus der Vereinbarung folgenden Verpflichtungen – ausgenommen vermögensrechtliche Ansprühe – erfüllt worden sind (Art 138a Abs 2 B-VG). Vermögensrechtliche Streitigkeiten entscheidet der VfGH nach Art 137 B-VG oder die Vertragsparteien unterwerfen sich einer Schiedskommission. •
Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern
Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern sind laut Art15a Abs 1 B-VG über Gegenstände ihres jeweiligen Wirkungsbereiches möglich. Für den Abschluss gelten auf Landesseite die vorhin genannten Regelungen des Art 71 TLO; auf Bundesseite treten – je nach Gegenstand der Vereinbarung – die Bundesregierung oder Bundesminister auf. Wenn Organe der Bundesgesetzgebung gebunden werden sollen, ist eine Genehmigung des Nationalrates nötig (Art 15a Abs 1 B-VG). Anders als bei den reinen Ländervereinbarungen ist der VfGH von den Vertragsparteien auch ohne diesbezügliche Festlegung in der Bund-LänderVereinbarung anrufbar zur Feststellung darüber, ob eine Vereinbarung überhaupt vorliegt und ob die aus der Vereinbarung resultierenden Verpflichtungen – ausgenommen vermögensrechtliche Ansprüche – erfüllt worden sind. •
Beispiele
Ländervereinbarungen, an denen auch Tirol beteiligt ist, wurden zB geschlossen über die Errichtung einer gemeinsamen Filmbewertungskommission (LGBl 1978/74 idF LGBl 1995/50), über eine gemeinsame SchulbuchBewertungskommission für land- und forstwirtschaftliche Schulen (LGBl 1992/49), über den Landesgrenzen überschreitenden Berufsschulbesuch (LGBl
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1993/32), über die Umsetzung der Bauprodukten-Richtlinie (LGBl 1993/37) und die Verwendbarkeit von Bauprodukten (LGBl 1998/1029, über die gemeinsame Willensbildung der Länder in Angelegenheiten der europäischen Integration (LGBl 1993/18). Bund-Länder-Vereinbarungen unter Beteiligung Tirols bestehen zB zu folgenden Themen: Über zivilrechtliche Bestimmungen betreffend den Verkehr von Baugrundstücken (LGBl 1993/733 idF LGBl 2005/42), über die Einsparung von Energie (LGBl 195/54), über die Mitwirkung von Ländern und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration (LGBl 1993/7); über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens (LGBl 2005/56), über die Grundversorgung von Asylwerbern und von schutz- und hilfsbedürftigen sonstiger Fremden (LGBl 2004/59), über die Krankenanstaltenfinanzierung (LGBl 1988/33 idF LGBl 1997/21), über gemeinsame Maßnahmen für pflegebedürftige Personen (LGBl 1993/56), über die Sicherstellung von Patientenrechten (LGBl 2003/90), über die partnerschaftliche Durchführung der Regionalprogramme der EU-Strukturfonds (LGBl 2001/137). bb) Anhörungsrecht der Länder Art 10 Abs 3 B-VG bestimmt, dass der Bund vor Abschluss von Staatsverträgen den Ländern Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss, wenn die Länder Durchführungsmaßnahmen setzten müssen oder wenn die Länder sonst in ihrem Wirkungsbereich betroffen sind. Zur Durchführung sind die Länder laut Art 16 B-VG dann verpflichtet, wenn die erforderliche Durchführungsmaßnahme in ihre Kompetenz fällt. b) Bedeutsame Fälle sonstiger innerstaatlicher Zusammenarbeit Die sonstige, außerhalb der Verfassung stattfindende Zusammenarbeit ist gekennzeichnet durch spärliche rechtliche Regelungen der verschiedenen Zusammenarbeitsformen, insbesondere können die verschiedenen Einrichtungen großteils keine rechtlich verbindlichen Beschlüsse fassen – dessen ungeachtet sind sie in der Regel von hoher politischer Effizienz. aa) Länderkonferenzen Es handelt sich bei den sog Länderkonferenzen um regelmäßige, nach klaren Verfahrensregeln ablaufende Konferenzen von Regierungsmitgliedern und Spitzenbeamten der Länder, in denen in denen es um Informations- und Erfahrungsaustausch sowie die Koordinierung der politischen Entscheidungen der Länder untereinander sowie gegenüber dem Bund geht. Es hat sich eingebürgert, dass auch Vertreter des Bundes an diesen Konferenzen der Länder teilnehmen, weil regelmäßig „gemeinsame“ Probleme von Bund und Ländern behandelt werden. Die Verfahrensweise ist streng kooperativ, es wird nicht abgestimmt, sondern eine Einigung herbeizuführen getrachtet, die Beschlüsse sind nur politisch verpflichtend. Wenn allerdings vor allem in der Landes-
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Kooperationsformen und -einrichtungen
hauptmännerkonferenz eine Einigung gelingt, ist realpolitisch dagegen kaum eine Bundesmaßnahme durchführbar. An der Spitze der Länderkonferenzen steht die Landeshauptmännerkonferenz. Sie dient der politischen Koordination der Länderstandpunkte und findet routinemäßig zweimal jährlich statt. Beratend nehmen an ihnen die Spitzenbeamten der Länder (Landesamtsdirektoren) sowie Spitzenorgane des Bundes teil. In der Landesamtsdirektorenkonferenz treffen sich die Spitzenbeamten der Länder; sie nimmt neben der Vorbereitung Landeshauptmännerkonferenz Kooperationsaufgaben der Landesverwaltungen untereinander und gegenüber dem Bund wahr. Zu den sog Ressortkonferenzen zählen einerseits die Treffen von Landesräten, die für dieselben Ressorts politisch zuständig sind – die wichtigste von diesen politischen Fachkonferenzen ist die Landesfinanzreferenten-Konferenz., an der ebenfalls regelmäßig Vertreter des Bundes teilnehmen. Weiters tagen routinemäßig auch Fachbeamte in Ressortkonferenzen (zB Sozialreferenten, Gewerbereferenten, Kulturreferenten usw), um Gesetzes- und Verwaltungsvorhaben untereinander und gegenüber dem Bund zu koordinieren, gemeinsame Länderstandpunkte zu erarbeiten ua. bb) Verbindungsstelle der österreichischen Bundesländer Sie wurde 1951 von den Ländern gegründet und ist beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung angesiedelt. Sie hat keine eigene Rechtspersönlichkeit und dient als reiner Geschäftsapparat der Länderkooperation. Die Verbindungsstelle gilt als „Drehscheibe der Länderzusammenarbeit“ – sie betreut und bereitet die Länderkonferenzen vor; sie stellt die ständige Verbindung zwischen den Ländern bzw mit dem Bund her; sie ist Anlauf- und Sammelstelle für Stellungnahmen, Gesetzesentwürfe uä; sie hat eine besondere „Außenstelle“ in Brüssel zur Vertretung der Länderinteressen bei Organen der EU. cc) Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) Die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) wurde 1971 durch Absprache zwischen Bund, Ländern und Gemeinden errichtet. Ihr gehören Vertreter des Bundes, der Länder, des österreichischen Städte- und Gemeindebundes sowie der Interessenvertretungen an. Die ÖROK koordiniert Raumforschung und Raumplanung auf gesamtösterreichischer Ebene und gibt diesbezügliche fachliche Empfehlungen ab. In regelmäßigen Abständen erarbeitet sie dabei das „Österreichische Raumordnungskonzept“ und wirkt an der nationalen Vorbereitung bzw Umsetzung der EU-Regionalförderung mit. dd) Beteiligung der Länder an der Bundesgesetzgebung Eine solche erfolgt weniger durch den dafür im B-VG vorgesehenen Bundesrat, sondern durch die von den Ländern direkt vorgenommene Begutachtung von Regierungsvorlagen und Gesetzesentwürfen. Diese werden von der Zentrale an die Verbindungsstelle geschickt und von dort wieder an die Länder.
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c) Grenzüberschreitende Zusammenarbeit Mit der B-VG Novelle 1988 wurde einer langjährigen Forderung der österreichischen Bundesländer entsprochen. Diese können seither gemäß Art 16 Abs 1 B-VG in Angelegenheiten, die in ihren selbständigen Wirkungsbereich fallen, mit an Österreich angrenzenden Staaten oder deren Teilstaaten Staatsverträge abschließen. Allerdings stehen dem Bund ausgebaute Aufsichts- und Zustimmungsrechte zu (s oben Pkt II.4.b.aa). In der Praxis ist daher diese Möglichkeit der Länder ohne Bedeutung geblieben. Statt dessen spielen sich die Außenaktivitäten der Länder – wie schon vor Einführung der Staatsvertrags-Kompetenz der Länder in Art 16 B-VG – überwiegend in privatrechtlichen oder rein politischen, rechtlich unverbindlichen Formen ab oder auch im Rahmen des Europäischen Regionalismus. Aus Tiroler Sicht sollen hier beispielhaft kurz folgende Aktivitäten vorgestellt werden912: •
In der seit den 70erJahren des vorigen Jahrhunderts bestehenden Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer (Arge Alp) arbeiten inzwischen elf Länder, Provinzen, autonome Regionen und Kantone aus Österreich, Deutschland, Schweiz und Italien zusammen. Schwerpunkte der Zusammenarbeit sind Raumordnung, Verkehrspolitik, Tourismus, Landwirtschaft, Umwelt, Kultur, Wirtschaft und Arbeit, wo gemeinsame Leitbilder und Resolutionen verabschiedet werden sowie Projekte durchgeführt bzw finanziert werden. Neben der jährlich stattfindenden Konferenz der Regierungschefs gibt es vorbereitende Kommissionen und Arbeitsgruppen.
•
Die Gesprächsgruppe Bayern-Tirol ist ein – schon seit vielen Jahren regelmäßig stattfindendes – das Zusammentreffen leitender Fachbeamter, die beispielsweise gemeinsam interessierende Verkehrsfragen, Fragen der Umwelt und Wasserwirtschaft beraten und Informationen austauschen.
•
Die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino913 beruht auf einer Vereinbarung über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Landtage und Landesregierungen der drei Regionen. Die Arbeitsbereiche umfassen gemeinsame Ausstellungen, Verkehrsprojekte, Wirtschafts- und Kulturpolitik sowie eine gemeinsame Interessenvertretung (Regionalbüro) bei der EU.
•
Im Rahmen von EUREGIOS gibt es auch mehrfach eine Tiroler Beteiligung: Mit Bayern bestehen die EUREGIOS „Inntal“ und „ZugspitzeWetterstein-Karwendel“; in der „Euregio Via salina“ kooperieren aus Tiroler Sicht das Außerfern mit Allgäu, Bregenzer Wald und Kleinwalsertal.
912
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Zu den verschiedenen grenzüberschreitenden Aktivitäten der österreichischen Bundeslände geben die jährlich vom Institut für Föderalismusforschung hg „Berichte über die Lage des Föderalismus in Österreich“ im Kapitel „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ nähere Angaben Vgl dazu Peter Pernthaler/Sergio Ortino (Hg), Europaregion Tirol (1997); ÖROK (Hg), „Europaregionen“ – Herausforderungen, Ziele, Kooperationsformen (2005) 40 ff.
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Wirtschaftsförderung und Wirtschaftslenkung
6. Wirtschaftsförderung und Wirtschaftslenkung a) Wirtschaftsförderung Soweit Bund und Länder in ihrer Förderungstätigkeit privatrechtlich agieren, sind sie nicht an die Kompetenzverteilung der Art 10–15 B-VG gebunden. Trotzdem nimmt der Bund aufgrund seiner finanziellen Übermacht eine überragende Stellung ein. Die Formen der Wirtschaftsförderung sind sehr vielfältig: •
Als Subventionen erfolgt die Förderung in Form von Darlehen, Annuitäten-, Zinsen- oder Kreditkostenzuschüssen, Bürgschaftsübernahmen uä. Dafür bestehen nur zum Teil gesetzliche Regelungen, überwiegend scheinen diese vermögenswerten Zuwendungen nur als Ansatz im Budget der betreffenden Gebietskörperschaft auf – so weist der Budgetvoranschlag des Landes Tirol für 2006 für den Bereich Wirtschaftsförderung 145.434.900 Euro an Ausgaben aus – und werden im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung, somit ohne Rechtsanspruch, vergeben. Allerdings bestehen vielfach verwaltungsinterne Richtlinien: In Tirol hat die Landesregierung eine „Rahmenrichtlinie für die Wirtschaftsförderung des Landes Tirol“ beschlossen, die auch allgemein zugänglich ist – darin sind auch Schwerpunkte und Grundsätze der Förderung festgelegt. Als Gegenstand der Wirtschaftsförderung sind darin drei Förderungsprogramme genannt: Das Wirtschaftsförderungsprogramm, das Raumordnungs-Schwerpunktprogramm und der Tiroler Wirtschaftsförderungsfonds. Spezielle landesgesetzliche Regelungen in Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung sind etwa das Tiroler Wirtschaftsförderungsfondsgesetz914, das Tiroler Zukunftsstiftungsgesetz915 und das Landwirtschaftsgesetz.916
•
Steuerbegünstigungen sind meist gesetzlich festgelegt und aufgrund der kompetenzrechtlichen Übermacht des Bundes vor allem in Bundesgesetzen zu finden.
•
Indirekte Förderungen erfolgen vor allem in Gemeinden, beispielsweise durch Bereitstellung von Grundstücken, Gestaltung der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung, entsprechende Gestaltung ihrer Verkehrsund Versorgungspolitik ua.
•
Schließlich fließen auch erhebliche Mittel aus EU-Förderungen in die verschiedensten Bereiche; zu erwähnen ist hier zunächst die EU-Regionalförderung, wo in Tirol vor allem Ziel 2-Gebiete ausgewiesen sind und wei-
914
915
916
Gesetz über die Errichtung eines Fonds zur Förderung von Klein- und Mittelbetrieben der gewerblichen Wirtschaft, LGBl 1989/16 idF LGBl 2002/74. Gesetz über die Errichtung der Tiroler Zukunftsstiftung, LGBl 1997/88 idF LGBl 2005/93. Gesetz über die Förderung der Landwirtschaft in Tirol, LGBl 1975/3.
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ters Förderungen über die Gemeinschaftsinitiativen INTERREG III und LEADER+ erfolgen.917 b) Wirtschaftslenkung Die Kompetenz zur Ordnung und Lenkung der Wirtschaft ist überwiegend beim Bund konzentriert, weil ihn einerseits bereits nach der allgemeinen Kompetenzverteilung des Art 10 Abs 1 B-VG die meisten einschlägigen Kompetenzen zukommen (zB Zoll-, Geld-, Kredit. Börse-, Bankwesen, Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie, Bergwesen, Forstwesen usw). Überdies hat sich der Bund durch Sonderverfassungsbestimmungen in verschiedensten Wirtschaftslenkungsgesetzen (MarktordnungsG, EnergielenkungsG, LebensmittelbewirtschaftungsG, WeinG ua) die Kompetenz zu direkten hoheitlichen Eingriffen gesichert und überdies die Vollziehung dieser Gesetze Bundesbehörden oder besonderen Fonds übertragen. Für die Länder bestehen aber dennoch verschiedene Möglichkeiten, der Entfaltung einer wirtschaftsordnenden und –lenkenden Tätigkeit: •
In einzelnen Sachbereichen der Wirtschaft bestehen Landeskompetenzen, so etwa im Agrarrecht in Gestalt von Zuständigkeiten für Bodenreform, Grundverkehr, Tierzucht oder Pflanzenschutz und im Fremdenverkehr: Das Tiroler Tourismusgesetz sieht die Schaffung von Tourismusverbänden, Förderungsmaßnahmen ua vor; allerdings gilt für beide fälle, dass sie von Bundeskompetenzen vielfach berührt oder überlagert werden und durch seine umfassenden finanziellen Möglichkeiten die Vormachtstellung innehat.
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Gewisse Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich durch das System der mittelbaren Bundesverwaltung, weil hier der Landeshauptmann und die ihm nachgeordneten Behörden die Vollziehung von Bundeswirtschaftsgesetzen – zB der Gewebeordnung – besorgen.
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Auch durch die im vorigen Punkt geschilderte Förderungstätigkeit können die Länder wirtschaftssteuernd und – beeinflussend agieren – allerdings macht auch der Bund von dieser nicht-hoheitlichen Lenkungsmaßnahme ausgiebig Gebrauch.
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Im Rahmen der Raumordnungsbefugnisse ergeben sich hoheitliche und nichthoheitliche Steuerungsmöglichkeiten: Zunächst legt das Tiroler Raumordnungsgesetz918 in den von der Landesregierung zu beachtenden Zielen der überörtlichen Raumordnung ua fest, dass „die Erhaltung und
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Eine österreichweite Darstellung über den Umsetzungsstand der EU-Regionalpolitik findet sich bei Wolfgang Hesina/Petra Wagner-Luptacik, Partnerschaftliche Umsetzung der EU-Regionalpolitik 2000-2006, in: ÖROK (Hg), Elfter Raumordnungsbericht, 2005, 57 ff; zu den INTERREG-Förderungen Richard Hummelbrunner, Grenzüberschreitende und transnationale Kooperation, in: ÖROK (Hg), Elfter Raumordnungsbericht, 2005, 77 ff. Wiederverlautbart in LGBl 2006/27.
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Quellenverzeichnis
zeitgemäße Entwicklung einer leistungsfähigen, den Gegebenheiten am Arbeitsmarkt, den Versorgungsbedürfnissen der Bevölkerung und den Erfordernissen des Umweltschutzes entsprechenden Wirtschaft“ anzustreben ist“ (§ 1 Abs 2 lit g). Die überörtlichen Raumordnungsziele sind einerseits von der Landesregierung bei der Erlassung der überörtlichen Planungsverordnungen – den Raumordnungsprogrammen – zu beachten; sie sind darüber hinaus laut § 16 TROG auch bei sonstigen Verordnungen auf Grund von Landegesetzen sowie bei Investitionen und Förderungsmaßnahmen des Landes zu berücksichtigen. Mit Raumordnungsprogrammen für Einkaufszentren, für Golfplätze und bereffend Seilbahnen und Schigebiete hat die Landesregierung jeweils erhebliche Lenkungs- und Steuerungsmaßnahmen getroffen, weil die Errichtung von Einkaufszentren, Golfplätzen bzw die Erweiterung von Schigebieten in diesen Verordnungen beschränkt und an zahlreiche Voraussetzungen geknüpft wird. Neben diesen im TROG vorgesehenen Raumordnungsprogrammen gibt es in der Praxis auch diverse Konzepte, Grundsätze oder Leitbilder, in denen die Landesregierung planerische Absichtserklärungen zu bestimmten Teilbereichen formuliert – sie sind zwar keine rechtsverbindlichen Verordnungen. Können aber bei der Vergabe von Förderungen oder der Erteilung von Bewilligungen zum Tragen kommen, zuletzt wurde etwa ein „Leitbild Zukunftsraum Tirol“ erarbeitet.
7. Quellenverzeichnis Arbeiterkammer Tirol (Hg), Die Lage der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Tirol 2006, Innsbruck 2006 Hämmerle Walter, Regionalwirtschaft Tirol 1995-2003, Tiroler regionalpolitische Studien Nr 21, Innsbruck 2004 Hesina Wolfgang/Wagner-Luptacik Petra, Partnerschaftliche Umsetzung der EU-Regionalpolitik 2000-2006, in: ÖROK (Hg), Elfter Raumordnungsbericht, Wien 2005, 57 ff Hummelbrunner Richard, Grenzüberschreitende und transnationale Kooperation, in. ÖROK (Hg), Elfter Raumordnungsbericht, Wien 2005, 77 ff Industriellenvereinigung Tirol (Hg), Jahresbericht 2004 Institut für Föderalismusforschung (Hg), 29. Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich (20049, Wien 2005 ÖROK (Hg), „Europaregionen“ – Herausforderungen, Ziele, Kooperationsformen , Wien 2005 Pernthaler Peter, Österreichisches Bundesstaatsrecht. Lehr- und Handbuch, Wien 2004
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Pernthaler Peter/Gstir Barbara, Direkte und repräsentative Demokratie auf Gemeindeebene. Stellenwert der Gemeindevolksabstimmung, ZfV 2004, 748 ff Pernthaler Peter/Ortino Sergio (Hg), Europaregion Tirol, Trient 1997 Wirtschaftskammer Tirol (Hg), Beschäftigtenstatistik zum 1. August 2005. Dienstgeberbetriebe und Beschäftigte in der gewerblichen Wirtschaft Tirols, Innsbruck 2005 Homepages: Land Tirol: www.tirol.gv.at Arbeiterkammer Tirol: www.ak-tirol.com Industriellenvereinigung Tirol: www.iv-tirol/at Wirtschaftskammer Tirol: www.wko.at/tirol
Anhang 1: Petition Klecatsky für eine Staatszielbestimmung betreffend Südtirol in der österreichischen Bundesverfassung 9. Jänner 2004 An den Präsidenten des Tiroler Landtages, Vorsitzenden des „Tirol -Konvents“, Mitglied des „Österreich- Konvents“, Professor Ing. Helmut Mader Landhaus 6020 Innsbruck
Sehr geehrter Herr Präsident ! Unter der – so ist zu hoffen – gesicherten Annahme, dass der gegenwärtig tagende „Österreich-Konvent“, ebenso wie der „Tirol-Konvent“ in seinen Vorschlägen zur Ablösung der gegenwärtigen österreichischen Bundesverfassung auch in Hinkunft den föderalistischen Staatsaufbau und in dessen Verband die Selbständigkeit des Landes Tirol unangetastet lässt, richte ich hiemit als österreichischer Staats- und Tiroler Landesbürger an den Tiroler Landtag und den „Tirol-Konvent“ gemäß Art. 11 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl 1867/142, und § 77 der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages, LGBl 1998/110, die
Petition,
der Tiroler Landtag und der „Tirol-Konvent“ mögen sich – was immer der „Österreich-Konvent“ zustande- oder nicht zustandebringen mag – sofort und mit allen Kräften dafür einsetzen, dass jedenfalls und vorweg in der „konventisierten“ oder schließlich „unkonventisiert“ bleibenden österreichischen Bundesverfassung dem Artikel 2 des jetzigen Verfassungstextes oder der diesem Artikel wortwörtlich gleichenden Bestimmung des konventisierten Verfassungstextes ein Absatz 3 folgenden Inhalts angefügt wird:
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„Die Republik Österreich bekennt sich zur Wahrung und Entfaltung der Selbstbestimmung des vom Land Tirol abgetrennten Tiroler Volkes (deutscher und ladinischer Sprache)“.1 Oder: „Die Republik Österreich bekennt sich zur Wahrung und Entfaltung der Selbstbestimmung des (der außerhalb der österreichischen Staatsgrenzen lebenden) Südtiroler Volkes (Südtiroler Volksgruppen deutscher und ladinischer Sprache)“.2 B e g r ü n d u n g: 1.1. Einen Vorschlag dieser Art zur Ergänzung der österreichischen Bundesverfassung in Sachen Südtirols habe ich bereits zur Zeit der parlamentarischen Verabschiedung der österreichisch-italienischen Streitbeilegung nach Punkt 13 des Südtirol-Operationskalenders in der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ vom 24. August 1992 („Südtirol und die österreichische Bundesverfassung“) veröffentlicht und zugleich Ablichtungen davon u. a. dem Bundespräsidenten, dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten und dem Landeshauptmann von Tirol übersandt. Ich lege der gegenwärtigen Petition eine Ablichtung dieses nach wie vor aktuellen Vorschlages bei, dessen Sinnhaftigkeit auch von den eben erwähnten obersten Staatsorganen nicht in Frage gestellt werden konnte, der ihnen aber damals, als Österreich noch vor Abschluss der Verhandlungen und vor der Volksabstimmung (12. Juni 1994) über den EU-Beitritt (1. Jänner 1995) stand, als öffentlicher Diskussionsstoff unerwünscht erschien. 1.2. Wie dem Vorschlag zu entnehmen ist, geht er von der in der Präambel der Tiroler Landesordnung ex 1989 beschworenen „geistigen und kulturellen Landeseinheit“ Tirols unter Einschluss des gegenwärtigen Südtirols aus und zielt darauf ab, sie von Bundes wegen unter verfassungsrechtlichen Schutz der gesamten Republik Österreich nach Innen und Außen zu stellen. Eine neue und erste Bundesverfassung im Rahmen der sich mehr und mehr verdichten1
2
Vom „Selbstbestimmungsecht der Völker“ her gesehen ist es terminologisch besser vom „abgetrennten Volk“ zu sprechen, soweit es von seinem (österreichischen) Land Tirol abgetrennt ist. Den Klammerausdruck benötigt man nicht Die Ladiner (in Südtirol) haben zum „Tiroler Volk“ gehört – ich verweise dazu auf die Rede Landeshauptmanns Dr. Weingartner in der Sitzung des Tiroler Landtages, Sten. Berichte XII. Periode 2. Tagung 2. Sitzung, S. 145 – und gehören weiter dazu. Diese Variante ist alltagssprachlich klarer. Der Klammerausdruck ist an sich wieder überflüssig (siehe FN 1). Das Wort „Südtirol“ ist bekanntlich auch in die italienische Sprache eingegangen, es umfasst nicht das Trentino. Die Variante folgt der Entschließung des Tiroler Landtages vom 23. 11. 1994 (2.2. dieser Petition).
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den rechtlichen Bindungen, denen Österreich zufolge seines Beitritts zur Europäischen Union – bis zu einer schließlich die österreichische Restsouveränität total aufsaugenden EU-Verfassung – ausgesetzt bleibt, kann und darf zu diesem historischen Kardinalthema österreichischer Außenpolitik nicht schweigen, ohne sich der Gefahr der Einrede rechtsförmlichen Verschweigens dessen auszusetzen, was sowohl der Nationalrat, wie der Tiroler Landtag der Substanz nach bereits in einfachen Entschließungen ausgesprochen haben – und nun eben aus Anlass einer neuen, zeitgemäßen Verfassungsgebung in Form eines für Verfassungssätze geeigneten Konzentrats der gesamtösterreichischen Schutzstaatsverpflichtung gegenüber Südtirol wegen in den Rang einer bundesverfassungsrechtlichen „Staatszielbestimmung“ erhoben werden muss! Dazu die folgenden Erinnerungen. 2.1. Zunächst zur „Tiroler Landeseinheit“: Die in der Zweiten österreichischen Republik vom Land Tirol in seiner Landesordnung zunächst territorial offen gehaltenen Aussagen über die „Landeseinheit“ (vgl. § 2 Abs. 1 des Landesverfassungsgesetzes, LGBl 1946/1, § 2 Abs 1 der Landesordnung 1946, § 2 Abs 1 der Landesordnung 1953: .....vorbehaltlich der endgültigen Festsetzung seiner Grenzen...“) gingen in drei Phasen (9. 2. 1960, 2. 7. 1980, 21. 9. 1988; darüber grundlegend Pernthaler: „Die Präambel zur Tiroler Landesverfassung“ in FS-Kostelecky [(1990)], 143 ff) in die heutige Präambel zur Landesordnung 1989, LGBl 1988/61, über. Diese Präambel sagt in dem hier maßgebenden Belang: „Der Landtag hat in Anerkennung des Beitritts des selbständigen Landes Tirol zum Bundesstaat Österreich, in Anerkennung der Bundesverfassung, im Bewusstsein, dass... die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes die geistigen, politischen und sozialen Grundlagen des Landes Tirol sind, die zu wahren und zu schützen oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und Verwaltung des Landes Tirol sein muß, beschlossen....“ 2.2. Diese Präambel gründet sich auf die „Selbstbestimmung des Landesvolks“ (Pernthaler, aaO, 144 ff, auch unter Hinweis auf Veiter in FSKlecatsky (1980), 48 ff) und stellt eine „Staatszielbestimmung“ normativen Gehalts (Pernthaler, aaO, 154 ff; vgl. auch VfSlg 7338, 9238, 12.184) „mit hohem Konkretisierungsbedarf“ (Pernthaler, aaO, 154) dar. Eine den Gegenstand der vorliegenden Petition aufgreifende (im Hinblick auf das knapp bevorstehende Inkrafttreten des EU-Beitritts) dringlich behandelte Initiative der Landtagsabgeordneten Dr. Dillersberger u.a. vom 11. Mai 1994 (Landtagspräsidium Zl. 84, 85/1994) führte – nach anfänglicher Irritation – schließlich zu der mit großer Mehrheit angenommenen Entschließung des Tiroler Landtages vom 23. November 1994 (Stenographische Berichte des Tiroler Landtags XII., 2. Tagung, 2 .Sitzung, S 19) mit der die Präambel zur Tiroler Landesordnung wie folgt „konkretisiert“ wurde: „In der Präambel zur Tiroler Landesverfassung 1989 bekennt sich der Tiroler Landtag zur geistigen und kulturellen Einheit des ganzen Landes. Der Tiroler Landtag stellt dazu fest, dass sich die geistige und kulturelle Einheit
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damit auf Nord-, Ost- und Südtirol, also auch auf die derzeitige Autonome Provinz Bozen bezieht. Der Tiroler Landtag bekennt sich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entschließung des Nationalrates vom 5. Juni 1992 (Sten. Prot. XVIII. GP S. 7856, 542 BlgNr XVIII. GP) zur Wahrung und Entfaltung des fundamentalen und unveräußerlichen Menschenrechts der Selbstbestimmung, wie dies im jeweiligen Art. 1 Abs. 1 der Menschenrechtspakte sowie der KSZE-Schlußakte von Helsinki zum Ausdruck kommt. Der Tiroler Landtag geht davon aus, dass die völkerrechtliche Schutzfunktion Österreichs in Bezug auf Südtirol in ihrem gesamten Umfang durch den EU-Beitritt nicht berührt wird.“ 3.1. Der Tiroler Landtag tat gut daran, sich in dieser seiner noch vor dem Inkrafttreten des österreichischen EU-Beitritts gefassten Entschließung ausdrücklich auf die darin zitierte Entschließung des Nationalrates vom 5. Juni 1992 anlässlich der parlamentarischen Behandlung der österreichischitalienischen Streitbeilegung zu berufen. Diese Entschließung ist ein integrierender Bestandteil des österreichisch-italienischen Streitbeilegungsvorganges; ihr Wortlaut wurde dem italienischen Botschafter in Wien mit Verbalnote (Ziffer 2) des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten vom 11. Juni 1992 (GZ. 605.02.00/87-II.2/92) bekannt gegeben. Sie enthält an sich mehr – worauf noch zurückzukommen ist – als die Entschließung des Tiroler Landtags vom 23. November 1994, doch ist solcherart ausdrücklich auch die Konvergenz des Bundes (Z. 4 der Nationalratsentschließung) und des Landes (Abs. 2 der Landtagsentschließung) in der z e n t r a l e n Frage des Selbstbestimmungsrechtes des vom Land Tirol durch den Zwangsvertrag von St. Germain „abgetrennten (Süd-) Tiroler Volks“ klargestellt – zentral insofern, als von diesem seinen Selbstbestimmungsrecht die italienische Autonomie der Südtiroler und ihr und ihnen gegenüber die völkerrechtliche Schutzfunktion Österreichs wechselseitig abhängen. 3.2. Und konvergent sind die beiden in Rede stehenden Entschließungen auch hinsichtlich der „Wahrung und Entfaltung“ des Südtiroler Selbstbestimmungsrechtes, wie es von der vorliegenden Petition verlangt wird. Der Absatz 2 der Landtagsentschließung verwendet diese Wortverbindung ausdrücklich, was die Nationalratsentschließung in Z. 4 („Wahrung“), Z. 6 („Wahrung“: gegenüber „Aushöhlung der Autonomie“, Z. 10 („Wahrung und Entfaltung“ hinsichtlich der deutschsprachigen Sprachinseln in der Autonomen Provinz Trient) und Z. 7 („Wahrung und Entfaltung“ allgemein) wie folgt anspricht „In Anerkennung der Erfahrungen, die im Bereich der Europäischen Integration sowie des Minderheitenschutzes gewonnen werden konnten und die Wichtigkeit des Subsidiaritätsprinzips auch in staatsrechtlicher Hinsicht bestätigen, wird die Bundesregierung ersucht, gegenüber Italien für eine Weiterentwicklung der autonomen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt Südtirols einzutreten“.
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3.3. Der inhaltliche Gleichklang der beiden Entschließungen des Landtages und Nationalrates besteht – um abermals auf zentralen Punkt zu gelangen – im gemeinsamen Verständnis des Zusammenhanges von „Selbstbestimmung“, Autonomie und Schutzstaatsfunktion im Sinne modernen internationalen Volksgruppenrechtes. 3.4. Ich zitiere aus dem StenProtNR XVIII. GP, S. 7808 über die Streitbeilegungssitzung des Nationalrates die geradezu klassische Sentenz des damals amtierenden österreichischen Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten und Hauptredners Dr. Mock (ÖVP): „Für Österreichs Südtirol-Politik stellt das Autonomiestatut sicher keinen Schlußpunkt dar. Auch was das Verhältnis zu unseren Südtiroler Landsleuten betrifft, schlagen wir ein neues Kapitel auf. Auch nach der Abgabe der Streitbeilegungserklärung bleibt Österreich natürlich die Schutzmacht Südtirols, dessen Selbstbestimmungsrecht unverzichtbar ist.“ Und von einem anderen prominenten Abgeordneten, ehemaligen Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten und erfahrenen Berufsdiplomaten Dr. Jankowitsch (SPÖ, StenProt NR S. 7816) wurde schon damals eben diese untrennbare Verknüpfung zwischen der Schutzstaatsfunktion, dem Selbstbestimmungsrecht der außerhalb des Schutzstaates lebenden Volksgruppe und der ihr dort zustehenden Autonomie mit Recht und über die Grenzen Österreichs und Italiens hinweg als zukunftsweisend betrachtet: „Wenn Österreich daher in Zukunft auch seine Funktion als Schutzmacht Südtirols ausüben wird, eine Funktion, meine Damen und Herren, die durch diese Lösung noch mehr Legitimität, noch mehr Stärke erhält, so vielleicht nicht nur für unsere eigene Volksgruppe, sondern für die Idee des Volksgruppenschutzes überhaupt.“ 3.5. Darum geht es im Bemühen um friedliche, menschenrechtsgemäße Korrekturen von historischer Macht gezogener, heute unannehmbarer Staatsgrenzen in der Tat weltweit. Ich zitiere hier nur beispielsweise aus überreicher Literatur einen weit über die Grenzen Europas hinaus bekannten und geachteten wissenschaftlichen Experten des Völker- und Staats-, im besonderen des internationalen Volksgruppenrechtes, Otto Kimminich („Minderheiten und Selbstbestimmung“ in dem von Ermacora/Tretter/Pelzl herausgegebenen Sammelwerk: “Volksgruppen im Spannungsfeld von Recht und Souveränität in Mittel- und Osteuropa“, Wien 1993, S.202): „Damit ist zugleich der wahre Zusammenhang zwischen Minderheitenschutz und Selbstbestimmungsrecht der Völker aufgezeigt.... Vielmehr hat Minderheitenschutz – in moderner Terminologie: Volksgruppenschutz nur dort eine Chance, wo das Selbstbestimmungsrecht der Völker vorher bejaht worden ist. Die Kritiker des Selbstbestimmungsrechtes der Völker haben stets übersehen, dass die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts keineswegs immer zum Zerreißen von Vielvölkerstaaten führen muss. Das Selbstbestimmungsrecht ist nichts anderes als das Recht eines Volkes oder einer Volksgruppe, frei über seine politische Zukunft zu entscheiden. Entscheidet sich ein
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Volk oder eine Volksgruppe für den Verbleib in einem Vielvölkerstaat oder für den Eintritt in einen solchen, so ist die Garantie der Volksgruppenrechte die selbstverständliche Folge, nicht als Gnadenakt der Staatsnation, sondern als unveräußerliches Recht des betreffenden Volkes beziehungsweise der betreffenden Volksgruppe, in voller Gleichberechtigung mit anderen ethnischen Gruppen auf dem Territorium desjenigen Staates, dem sie aufgrund freier Entscheidung angehören“. 4.1. Osteuropäische Staaten haben das nach der großen Wende der Jahre 1989/90 voll erfasst und sich nicht gescheut, ihrer Verantwortung für die außerhalb ihrer Staatsgrenzen lebenden Volksgruppen in ihren neuen demokratischen Staatsverfassungen offen Ausdruck zu verleihen. 4.2. Darunter vor allem Ungarn, Opfergenosse Österreichs der Pariser Vororteverträge von St. Germain und Trianon 1919/20. In ihrem Artikel 5 Absatz 3 tritt die Ungarische Verfassung ex 1990 für die außerhalb Ungarns lebenden Ungarn wie folgt ein: „The Republic of Hungary recognizes its responsibilities toward Hungarians living outside the borders of the country and shall assist them in fostering their relations to Hungary”. 4.3. Oder Artikel 49 der Mazedonischen Verfassung (1991): „The Republic cares for the status and rights of those persons belonging to the Macedonian people in neighbouring countries, as well as Macedonian expatrates, assists their cultural development and promotes links with them. The Republic cares for the cultural, economic and social rights of the citizens of the Republic abroad”. 4.4. Oder Artikel 7 der Rumänischen Verfassung (1991): „The State shall support the strengthening of links with the Romanians living abroad and shall act accordingly for the preservation, development and expression of their ethnic, cultural, linguistic and religious identity under the observance of the legislation of the state of which they are citizens”. 4.5. Oder Artikel 10 Absatz 2 der Kroatischen Verfassung (1990, 1997): „Parts of the Croation nation in other states shall be guaranteed special concern and protection by the Republic of Croatia” 4.6. Oder Artikel 12 der Ukrainischen Verfassung (1996): “Ukraine provides for the satisfaction of national, cultural and linguistic needs of Ukrainians residing beyond the borders of the State”. 5.1. Ein Jahrzehnt nach der Streitbeilegung fand in der Sitzung des Nationalrates vom 12. Juni 2002 (StenProtNR XXI. GP, S. 65 ff) der österreichische Weg zu Paketlösung, Streitbeilegung, und österreichischer Schutzstaatsfunktion rückschauenden Beifall aller Fraktionen, als die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten erklärt hatte: „Ich halte es für wichtig, der Öffentlichkeit diese Abläufe in Erinnerung zu rufen, ebenso die Tatsache, wie intensiv sich das Parlament damals mit dem
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Thema Südtirol auseinander gesetzt hat. Darin kommt eben vor allem der staatspolitische Stellenwert zum Ausdruck, welcher der Südtirolfrage mit guten Grund stets beigemessen worden ist. Ich halte es daher auch für wichtig, dass der Unterausschuss für südtirolpolitische Fragen nach Streitbeilegung weiter besteht, wodurch sinnfällig zum Ausdruck gebracht wird, dass die Schutzfunktion Österreichs für Südtirol auf der Grundlage des Pariser Abkommens weiterhin gegeben ist und auch auf einem parteienübergreifenden Konsens beruht.“ 5.2. Der bisher letzte „Bericht der Bundesministerin für Auswärtige Angelegenheiten betreffend Südtirol-Autonomieentwicklung seit 2000“ (BlgNR XXI. GP, S) vom 2003 hält fest: „Österreich steht in Ausübung seiner Schutzfunktion für die österreichische Volksgruppe in Südtirol in ständigem Kontakt mit den politischen Vertretern derselben. Dabei betonen die Südtiroler immer wieder, wie wichtig es für Südtirol gerade in einer für die Autonomieentwicklung schwierigen Situation ist, sich auf die Schutzmacht Österreich verlassen zu können. Österreich lässt keinen Zweifel daran, dass die Schutzfunktion selbstverständlich voll aufrecht ist und bleibt. Darüber besteht ein politischer Konsens aller im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien“. 5.3. Ich verweise auch auf die von besonderer Sach- und Problemkunde getragene Abhandlung des Leiters der Südtirolabteilung im Amt der Tiroler Landesregierung, Robert Gismann: “Die Südtiroler Autonomie und die österreichische Schutzfunktion – Neue Entwicklungen aus österreichischer Sicht“. Europa Ethnica 2003, S. 10 ff. Diese Abhandlung macht auch – praktisch-politisch gesehen – die nach wie vor aus der grundsätzlichen Divergenz des italienischen und des österreichischen Rechtsstandpunktes möglichen Bedrohungen der Südtiroler Selbstbestimmung in Form der Autonomie und damit der Anerkennung der österreichischen Schutzstaatsfunktion auf Grund des bis heute nicht im Bundesgesetzblatt auffindbaren (und heute in seiner ursprünglichen Fassung dorthin auch nicht mehr gehörigen) Pariser Abkommens klar. Über die bislang nur völkerrechtlich – gewiss zu Recht – behauptete, aber österreichischerseits bis heute innerstaatlich nicht hinreichend verarbeitete Schutzstaatspotentialität vgl. etwa die aufschlussreiche Abhandlung Hafners: “Schutzmachtfunktion und völkerrechtliches Interventionsverbot“ in dem schon erwähnten Sammelwerk: “Volksgruppen im Spannungsfeld von Recht und Souveränität“, S. 125 ff. 6. Die Streitbeilegungsentschließung des Nationalrates vom 5. Juni 1992 – die politisch-geschriebene Quelle dessen, was nun nach dieser Petition in österreichischen Bundesverfassungsrang werden erhoben werden soll – ist nicht nur mit aller völker- und verfassungsrechtlichen, sondern auch europarechtlichen Umsicht formuliert. Sie trägt – auch vom Sprecher der heutigen, großen Opposition anlässlich der unter 5.1. dieser Petition bezeichneten Erinnerungssitzung des Nationalrates vom 12. Juni 2002 ausdrücklich eingeräumt
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(Schieder, laut StenProtNR GP XXI,S) eingeräumt – „weitgehend“ die Handschrift des gegenwärtigen Präsidenten des Nationalrates, eines Staatsrechtslehrers (Süd-) Tiroler Abkunft, Andreas Khol, der selbstverständlich wie alle anderen Abgeordneten wusste3, was damit gesagt sein sollte – nur offenbar von Jugend auf in die europäische Zukunft engagierter und als ein in Straßburg ge3
Hier nur und das zu Beweiszwecken darf der Petent etwas persönlich werden: Ich erinnere mich, dass ich in der ersten, internationalen Tagung, die in Tirol der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unter der Ägide des Europarates stattfand, veranstaltet von der „Arbeitsgemeinschaft für Wissenschaft und Politik“ in der Innsbrucker Hofburg am 2./3. Juni 1971, zum Thema „Die europäische Aufgabe der Alpenregion“ (Dokumentation herausgegeben von dem überaus um die Thematik verdienten Tiroler, dem heutigen ,allerdings weltweit tätigen, Innsbrucker Universitätsprofessor Hans Köchler). Auch bildlich findet man in der Dokumentation die drei „Hauptreferenten“ des Symposions: rechts von dem damaligen Studenten Köchler den damaligen, eben aus dem Europarat gekommenen Dozenten Dr. Khol und links davon den Petenten, der schon für das erste Treffen der beiden Tiroler Landtage am 14. Mai 1971 die Rede des Tiroler Landeshauptmannes Eduard Wallnöfer auf dessen Bitte entworfen hatte (Konzept noch in meiner Hand). Der Generalsekretär des Europarates Dr. Toncic-Sorinj und der Stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Justizminister Dr. Held waren allerdings, wie einige andere Teilnehmer – so der große Menschenrechtsaktivist und Südtirolexperte Felix Ermacora – nur durch meine telefonische Intervention veranlasst, zu kommen. Mein darum gebetener bayerischer Freund Philipp Held brachte die Schussresolution ein. Im übrigen habe ich in zahlreichen Schriften den Fortgang der von Landeshauptmann Wallnöfer und mir schon im Wiener Parlament am 15. 12. 1969 im Anschluss an die denkwürdige Sitzung des Nationalrates über den Südtirol-Operationskalender sofort erörterte grenzüberschreitenden Kooperation von Nord- und Südtirol unter dem rechtlichen Dach zunächst des Europarates in Form einer „Chronik einer transnationalen europäischen Alpenregion“ (mit der Südtirolerin Beate Lutz in der FSGuy Heraud, 1989, S 202 ff) näher beschrieben. Ich habe an der Gründung der „Arge Alp“ und der als transnationale Rechtsperson (1973–1987) tätigen „Euregio Alpina“ als Gründungsmitglied teilgenommen und war deren Wissenschaftlicher Leiter unter den Präsidentschaften des Vorarlberger Landeshauptmannes Dr. Herbert Kessler, dann des Südtiroler Spitzenpolitikers Senator Univ.-Prof. Dr. Roland Riz. Die Kooperation mit der italienischen Provinz Trient und der Region Trentino-Südtirol war vorzüglich, desgleichen mit den österreichischen Ländern: Salzburg und Steiermark, wiewohl natürlich das Kooperationsfeld der „Landeseinheit“ Tirols im Zentrum stand. Offenbar fühlten sich Berufsbürokraten und Berufspolitiker durch die ehrenamtliche Arbeit der Funktionäre in ihrem monopolistisch aufgefassten Wirken für die „Landeseinheit“ gestört (siehe auch Veiter, in „Europa Ethnica“ 1987, S. 209). Um Missverständnisse auszuschließen, erkläre ich ausdrücklich, dass es sich dabei keinesfalls um Beamte der Südtirolabteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung handelte. Zeitgeschichtlich Interessantes könnte dazu insbesondere der aus einer großen Unterinntaler Bauernfamilie stammende, außerordentlich verdiente und organisatorisch tüchtige ehemalige Generalsekretär der „Euregio Alpina“, Univ.-Prof. Dr. Hans Köchler, erzählen. In dieser Fußnote finden sich nur Andeutungen. Sicherlich gibt es noch viele andere Menschen diesund jenseits der Brennergrenze, die nicht nur von Berufs wegen für die „Landeseinheit“ Tirols ungefragt gearbeitet haben und unverdrossen weiterarbeiten, ohne dass dies wahrgenommen wird.
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schulter Jurist die Integrationschancen innerhalb des „ganzen“ Tirol im europäischen Umfeld schärfer erkennend – wenn es in den Ziffern 8 und 9 der Streitbeilegungsentschließung vom 5. Juni 1992 vorwärtsblickend auf den Eintritt in die Europäische Union heißt: „Der Nationalrat stellt fest, dass die gedeihliche Entwicklung der österreichischen Volksgruppe in Italien in den letzten Jahren in enger Korrelation zur Verbesserung der österreichisch-italienischen Beziehungen in ihrer Gesamtheit gestanden ist. Der Nationalrat begrüßt die Bemühungen zu mehrsprachigem Zusammenleben, interkulturellem Austausch bei Erhaltung der kulturellen Identität jeder Volksgruppe, großzügiger Rücksichtnahme auf die „anderen“ und ersucht die Bundesregierung, diese Bestrebungen zu fördern, im Bewusstsein, dass eine gemeinsame Verantwortung aller Volksgruppen für Südtirol ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Paketbestimmungen sein wird.“ „Der Nationalrat ist überzeugt, dass die Beendigung des Streites vor den Vereinten Nationen über die Rechte der österreichischen Volksgruppe in Italien im europäischen Geist einen wichtigen Beitrag zur kulturellen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Zusammenarbeit der beiden Landesteile Nordund Südtirol bildet.“ „Das Ziel der Europäischen Union und des im Maastrichter Vertrag zum Ausdruck kommenden Subsidiaritätsprinzips der Einrichtung und Stärkung von Regionen verdient die Unterstützung der gesamten Bundesregierung. Im Sinne dieses europäischen Regionalismus wird die Bundesregierung ersucht, die Tiroler Landeseinheit mit dem Ziele eines gemeinsamen Kultur-, Sozialund Wirtschaftsraumes durch alle geeigneten Maßnahmen auf dem Gebiet von Bildung, Ausbildung, Berufsausbildung, Wissenschaft, Kulturförderung im Geiste der europäischen Einigung zu unterstützen.“ 7.1. Somit drängt vom Positiven und vom Negativen her alles zur Aufnahme einer Staatszielbestimmung der vorgeschlagenen Art in die alte oder neue Bundesverfassung. Vom Positiven her: das staatspolitische Gewicht der in die Zukunft weisenden Grundmaxime jahrzehntelanger österreichischer Außenpolitik: die „Landes- und Bundeseinheit“, vom Negativen her: die von Außen kommenden Beschränkungen und Bedrohungen dieser historischen „geistigen und kulturellen“ Einheit, denen zumindest eine die österreichischen Identitäts- und Rechtsvorstellungen deutlich bekundende Bundesverfassungsnorm entgegengesetzt werden muss. 7.2. Entschließungen und Präambeln haben gewiss ihren Sinn, aber höheren rechtlichen und politischen Wert haben eben Verfassungsnormen der hier vorgeschlagen Art – gewiss nicht der verfassungsrechtliche Krimskram, durch den die österreichische Bundesverfassung – nun endlich politisch eingestandenermaßen – zu dem Ruinenfeld gemacht wurde, das jetzt von einem „Österreich-Konvent“ mit Unterstützung durch den „Tirol-Konvent“, künftiges Europaverfassungsrecht – oder auch nur mehr oder minder rechtlich ungebundene Praktiken der Unionspartner vorausschauend- saniert werden soll. Dass bei diesem für sich – schon kalendarisch – riskanten Vorhaben einem Tiroler
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Landtag und einem „Tirol-Konvent“ der Schutz der „Landeseinheit“ Hauptsorge ist, darf vorausgesetzt werden. 7.3. Um dieser ureigensten Sorge willen, sollten der „Tiroler Landtag“ und der „Tirol-Konvent“ in erster Linie auch nicht das Gelingen oder ein sich dahinschleppendes Misslingen der Pläne des „Österreich-Konvents“ abwarten, sondern sich für eine sofortige Bundesverfassungsaktion zugunsten der wohlverstandenen „Landes- und Bundeseinheit“ einsetzen, bevor auch noch der seit Jahrzehnten existierende politische Österreich-K o n s e n s hinsichtlich Südtirols in dem schon programmierten Pro und Kontra, dem Drunter und Drüber der derzeit noch unbekannten , aber jedenfalls erst volksabstimmungsreif zu machenden „Verfassungsentsorgungspläne“ des „Österreich-Konvents“ endgültig erodiert wird. Denn zu der hier vorgeschlagenen T a t des Schutzes der Tiroler Landes- und Bundeseinheit bedarf der Bundesverfassungsgesetzgeber weder weiterer Diskussionen noch einer Volksabstimmung! Beilage
Anhang 2: Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol MMag Cristian Kollmann
Historisch mehrsprachige geografische Namen im Gebiet des heutigen Südtirols Namen der Gemeinden 1. Altrei / Anterivo 2. Auer / Ora 3. Badia / Abtei 4. Bolzano / Bozen 5. Brenner / Brennero922 6. Brixen / Bressanone 7. Bronzolo923 / Branzoll 8. Bruneck / Brunìco924 9. Burgstall / Póstal925 10. Corvara / Kurfar 11. Deutschnofen / Nova Tedesca926 922
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Der Name Brennero war nie amtlich. Erstmals bezeugt ist er in der Mitte des 19. Jahrhunderts in irredentistischen Kreisen. Die Anhängung von -o wurde wohl durch den maskulinen Artikel gestützt. Im Jahr 1903 finden wir den Namen Brennero schließlich auch in einem in Deutschland erschienenen deutschitalienischen Wörterbuch. Der Name Brennero bezog sich allerdings immer nur auf den Pass und nie auf den Ort. Der Name Bronzolo ist weitaus seltener schriftlich bezeugt als Branzollo, Bronzollo. Die Form mit einem l ist aber sprachlich richtiger. Sie entspricht der lokalen italienisch-mundartlichen Form Bronsól. Der Name Brunìco war nie amtlich, er entspricht aber italienisch-mundartlichem Bornìch im Cadore und in Agordo. Auf frühneuzeitlichen Karten ist neben dem deutschen Namen Bruneck auch das entsprechende italienisch-mundartliche Exonym Branich (Verschreibung für Brunich) eingetragen. Der Name Postal war nie amtlich. Er ist aber mündlich tradiert. Wohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der deutsche Name Burgstall von den zugezogenen Welschtirolern mit Postal übersetzt, das seinerseits ein altes deutsches Lehnwort ist mit eben derselben Bedeutung wie Burgstall ‘Stelle einer Burg’. Der Name Nova Tedesca taucht relativ häufig in italienischen Texten seit der frühen Neuzeit auf. Amtlich ist er nur sporadisch bezeugt.
Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
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12. Eppan / Appiano927 13. Franzensfeste / Fortezza928 14. Gargazon / Gargazzone929 15. Innichen / San Candido 16. Kaltern / Caldaro 17. Karneid / Corné930 18. Kastelruth / Ciastel931 / Castelrotto 19. Klausen / Chiusa 20. Kurtatsch / Cortaccia932 21. Kurtinig / Cortina 22. La Val / Wengen / La Valle 23. Laives933 / Leifers 24. Lajen / Laion934 25. Laurein / Lauregno 26. Mareo / Enneberg / Marebbe 27. Margreid / Magré 28. Martell / Martello935 29. Meran / Merano 30. Montan / Montagna936
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Der Name Appiano war nie amtlich. Sporadisch ist er in italienischen Texten des 17. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts bezeugt. Das Exonym am benachbarten Welschnonsberg lautet Pian, was verkürztes Appiano darstellt Der Name Fortezza war nie amtlich. Schon vor dem Faschismus wurde der deutsche Name Festung, Franzensfeste von den Italienern übersetzt, zumal dieser Name vielmehr als Wort empfunden wurde. Der Name Gargazzone entstand durch kanzleisprachliche Anhängung von -e an den deutschen Namen Gargazón (< rom. Garganzano). Amtlich sind im 19. Jahrhundert zweimal italienisch Gargazone und einmal Cargazone bezeugt. Die moderne Schreibung mit Doppel-z ist insofern vertretbar, als dieses im Italienischen für das Welschtiroler stimmlose z bzw. das Deutschtiroler z steht. Der Name Corné war nie amtlich. Wir finden ihn aber in italienischen Texten des 17.–19. Jahrhunderts aus dem Fleims- und Fassatal. Die ladinische Fraktion Runggaditsch (Runcadic) gehört zur Gemeinde Kastelruth. Ladinisch ist in der Gemeinde Kastelruth auch Amtssprache. Daher sollte neben dem deutschen und italienischen Namen auch der ladinische Name angeführt werden. Neben Cortaccia finden wir in italienischen Texten auch Cortazza (mit italienischmundartlichem zz für standarditalienisch cci). Der Name Laives hat – obwohl er nie amtlich bezeugt ist – eine 600 Jahre alte mündliche Tradition, und zwar in den italienischen Mundarten des welschen Tirols. Um ca. 1400 wurde er aus spätmittelhochdeutsch Laivers importiert. Der Auslaut rs wurde im Italienischen zu -s vereinfacht. Der Name Laion war nie amtlich. Er ist primär ladinischer Prägung. Wir finden ihn aber auch in einem italienischen Text des 17. Jahrhunderts aus dem Fassatal. Der Name Martello war nie amtlich. Wir finden ihn aber auf geografischen Karten des frühen 20. Jahrhunderts.
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Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
31. Neumarkt / Egna 32. Proveis / Proves 33. Salorno / Salurn 34. San Martin de Tor / Sankt Martin in Thurn / San Martino 35. Sankt Leonhard in Passeier / San Leonardo in Passiria 36. Sankt Lorenzen / San Lorenzo 37. Sankt Martin in Passeier / San Martino in Passiria 38. Sankt Pankraz / San Pancrazio 39. Santa Cristina / Sankt Christina 40. Sɺlva / Selva / Wolkenstein 41. Sexten / Sesto 42. Sterzing / Stérzen937 43. Stilfs / Stelvio938 44. Taufers / Tubre939 45. Terlan / Terla940 46. Tirol / Tirolo941 47. Tisens / Tesimo942
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Der Name Montagna war nie amtlich. Er ist jedoch des Öfteren in italienischen Texten des 17.-19. Jahrhunderts bezeugt. Der Name Stérzen war nie amtlich. Er stellt einen italienisch-mundartlichen Import aus deutsch Sterzing dar mit Vereinfachung des Auslautes. Schriftlich ist der Name Stérzen sporadisch ab dem 17. Jahrhundert bis ins zwanzigste Jahrhundert herauf bezeugt. Selbst Tolomei verwendet bis 1916 durchwegs die Form Stérzen. Doch dann der plötzliche Wechsel zu Vepiteno, Vipiteno. Tolomei begründet die Form Vepitèno folgendermaßen: „Quando si fosse trattato d’un villaggio d’una piccola borgata ci saremmo tenuti ad una delle forme italianate correnti. (Per questo luogo son parecchie: fin qui abbiamo usato, di preferenza, Stérzen). Ma nessuna di cotesti suoni deformati s’addice al decoro d’una città, quando essa è per entrare nel novero delle cento sorelle. Abbiamo proposto la resurrezione del nome antico: Vepitèno.” Tolomei hat der italienische Name Stérzen, der wie gesagt als Exonym in den oberitalienischen Mundarten geläufig war, offenbar deswegen gestört, weil er lediglich aus dem Deutschen importiert war, zu wenig italienisch anmutete und daher als Beweis dienen konnte, dass der Ort Sterzing keine romanische Sied1ungskontinuität aufweist. Der Name Stelvio war nie amtlich. Wir finden ihn aber in italienischen Texten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, allerdings vorwiegend nur in Bezug auf das Joch: Giogo di Stelvio. Der Name Tubre war nie amtlich. Sporadisch findet man in italienischen Texten auch die Form Tobre. Beide Formen sind im Veltlin bodenständig. Der Name Terla ist nur einmal amtlich bezeugt. Sporadisch finden wir ihn auch in sonstigen italienischen Texten. Am Welschnonsberg ist Terla noch heute geläufig. Es handelt sich um einen Import aus deutsch Terlan mit Vereinfachung des Auslautes, genauso wie übrigens bei Ghirla für Girlan. Der Name Tirolo stellt einen Import aus mittelhochdeutsch *Tirål dar mit kanzleisprachlicher Anhängung von -o an den Auslaut. Der Name des Ortes Tirol bzw. des dazugehörigen Schlosses hatte für die Italiener, insbesondere die Welschtiroler, freilich seit je einen hohen Verkehrswert.
Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
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48. Toblach / Dobbiaco943 49. Tramin / Termeno 50. Truden / Trodena 51. Ulten / Oltemo944 52. Unsere liebe Frau im Walde – Sankt Felix / Senale – San Felice 53. Urtijɺi / Sankt Ulrich / Ortisei 54. Vadena / Pfatten 55. Welschnofen / Nova (Ladina/Italiana)945 Namen der Fraktionen und kleineren Einheiten 1. Al Plan / Sankt Vigil in Enneberg / San Vigilio di Marebbe 2. Altenburg / Castello (Kaltern / Caldaro)946 3. Antermɺia / Untermoi / Antermoia (San Martin de Tor / Sankt Martin in Thurn / San Martino) 4. Basling (/ Basiano947 [Tscherms]) 5. Cauria / Gfrill (Salorno / Salurn) 6. Colfosch / Kolfuschg / Colfosco (Corvara / Kurfar / Corvara) 7. Dogana / Zur Lende (Bronzolo / Branzoll)
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Der Name Tesimo ist in dieser Form nie schriftlich bezeugt. Er baut aber auf das Nonsberger Exonym Tésim, Tésem auf, dem de facto ein italienisch-standardsprachliches Tésimo entsprechen würde Der Name Dobbiaco war nie amtlich. Wir finden ihn aber, neben Tobbiacco und Toblaco, sporadisch in italienischen Texten des 19. Jahrhunderts. Der Name Oltemo ist in der Mitte des 17. Jahrhunderts einmal schriftlich bezeugt. Er ist die italienisch-standardsprachliche Entsprechung zu nonsbergisch Óutem (< Óltemo). In italienischen Texten ist der Name Welschnofen seit der frühen Neuzeit als Nova Latina und Nova Ladina dokumentiert. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurde er durch Nova Italiana mehr und mehr verdrängt. In kanzleisprachlichen Kreisen wurde der Begriff Welsch im Italienischen offenbar mit Italiana gleichgesetzt. Welsch meint aber weder eindeutig ‚italienisch’, noch eindeutig ‚ladinisch’, sondern allgemein ‚romanisch’, denn eine Differenzierung zwischen Italienisch und Ladinisch war im Mittelalter noch nicht möglich. Siedlungsgeschichtlich lässt sich die Bezeichnung Welschnofen dadurch erklären, dass in Welschnofen sich das romanische Element länger halten konnte als in Deutschnofen, daher die Unterscheidung zwischen Welsch- und Deutsch-. Einen analogen Fall finden wir auch bei Welschmetz (= Mezzolombardo) und Deutschmetz (= Mezzotedesco), jetzt Mezzocorona (Kronmetz). Das moderne Fassaner Exonym für Welschnofen lautet Neva ladina, aber auch einfach nur Neva. Andererseits finden wir in einem fassanischen Wörterbuch aus dem Jahr 1914 die Form Neva taliana. Da der Ort seit der frühen Neuzeit vielfach auch als Nova – also ohne weiteren Zusatz – belegt ist, und da diese Form auch in fassanisch Neva weiterlebt, wäre einfaches Nova auch amtlich zu empfehlen. Die Bezeichnungen Nova Ladina als auch Nova Italiana sind siedlungsgeschichtlich bedenklich (am ,,korrektesten“ wäre – wenn man so will – Nova Latina, aber diese Form liegt zu weit zurück). Zu nonsberg. ûiastèl. Auch im Schriftitalienischen einmal als Castello belegt. Basiert auf dem Nonsberger Exonym Basiàn.
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Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
8. Gfrill (/ Cauria948 [Tisens / Tesimo]) 9. Girlan / Ghirla (Eppan / Appiano) 10. Graun / Curon (Kurtatsch / Cortaccia) 11. Grissian (/ Grissano949 [Tisens / Tesimo]) 12. Gschnon (/ Casignano950 [Montan / Montagna]) 13. Guggal / Cucal (Altrei / Anterivo) 14. Innichberg / Monte San Candido (Innichen / San Candido) 15. Kalditsch / Doladizza (Montan / Montagna) 16. Kaltenbrunn / Fontanefredde (Montan / Montagna) 17. Kaltenbrunn / Fontanefredde (Truden / Trodena) 18. Koppara / Copara (Truden) 19. La Ila / Stern / La Villa (Badia / Abtei) 20. La Pli / Pfarre / La Pieve (Mareo / Enneberg / Marebbe) 21. Laag / Laghetto (Neumarkt / Egna) 22. Le Malgreien / Zwölfmalgreien (Bolzano / Bozen) 23. Longiarü / Campill / Lungiarù / (San Martin de Tor / Sankt Martin in Thurn / San Martino) 24. Masetta / Wachsbleiche (Vadena / Pfatten) 25. Missian (/ Missano951 [Eppan / Appiano]) 26. Monte / Gmund (Vadena / Pfatten) 27. Montiggl (/ Montìchel952 [Eppan / Appiano]) 28. Mühlen / Molini (Aldein) 29. Mühlen / Molini (Truden / Trodena) 30. Niclàr / Entiklar (Kurtatsch / Cortaccia) 31. Oberfennberg / Favogna di Sopra (Kurtatsch / Cortaccia) 32. Obermais / Maia Alta (Meran / Merano) 33. Oberplanitzing (/ Planezza953 di Sopra [Kaltern / Caldaro]) 34. Pfuss (/ Fus954 [Kaltern / Caldaro]) 35. Pinzon / Pinzano (Montan / Montagna) 36. Pochi / Buchholz (Salorno / Salurn) 37. Säben / Sabiona (Klausen / Chiusa) 38. San ûiascian / Sankt Kassian / San Cassiano (Badia / Abtei / Badia) 39. Sankt Andrä / Sant’Andrea (Brixen / Bressanone) 948
949 950 951 952
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Basiert auf dem Nonsberger Exonym ûiaurìa, das schriftitalienisch einmal als Caoria belegt ist. Der Name Gfrill bei Tisens kommt – genauso wie Gfrill bei Salurn – ebenfalls von rom. *CavrƯlia ‚Ziegenställe’ (Mehrzahl) und nicht von rom. *CavrƯle ‚Ziegenstall’ (Einzahl) < lat. caprƯle. Letzteres hätte im Nonsbergischen ûiauríl und im Deutschen Gfreil ergeben. Basiert auf dem Nonsberger Exonym Grissàn. Basiert auf dem Fleimser Exonym Casignàn. Basiert auf dem Nonsberger Exonym Missàn. Basiert auf dem Nonsberger Exonym Montìüiel (zur Endung vgl. nonsberg. Mèüiel [Fraktion von Cles] zu standardital. Mèchel). Basiert auf dem Nonsberger Exonym Planézza. Basiert auf dem Nonsberger Exonym Fus.
Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
40. Sankt Anton / Sant’Antonio (Kaltern / Caldaro) 41. Sankt Florian / San Floriano (Neumarkt / Egna) 42. Sankt Georgen / San Giorgio (Bruneck / Brunìco) 43. Sankt Gertraud / Santa Geltrude (Barbian) 44. Sankt Gertraud / Santa Geltrude (Ulten / Oltemo) 45. Sankt Jakob / San Giacomo (Ahrntal) 46. Sankt Jakob / San Giacomo (Villnöss) 47. Sankt Johann / San Giovanni (Ahrntal) 48. Sankt Konstantin / San Constantino (Völs) 49. Sankt Leonhard / San Leonardo (Brixen / Bressanone) 50. Sankt Lugan / San Lugano (Truden / Trodena) 51. Sankt Magdalena / Santa Maddalena (Gsies) 52. Sankt Magdalena / Santa Maddalena (Villnöss) 53. Sankt Martin / San Martino (Gsies) 54. Sankt Michael / San Michele (Eppan / Appiano) 55. Sankt Michael / San Michele (Kastelruth / Ciastel / Castelrotto) 56. Sankt Moritz / San Maurizio (Villanders) 57. Sankt Nikolaus / San Nicolò (Kaltern / Caldaro) 58. Sankt Nikolaus / San Nicolò (Ulten / Oltemo) 59. Sankt Oswald / Sant’Osvaldo (Kastelruth / Ciastel / Castelrotto) 60. Sankt Pauls / San Paolo (Eppan / Appiano) 61. Sankt Peter / San Pietro (Ahrntal) 62. Sankt Peter / San Pietro (Lajen / Laion) 63. Sankt Peter / San Pietro (Villnöss) 64. Sankt Sigmund / San Sigismondo (Kiens) 65. Sankt Stefan / Santo Stefano (Villanders) 66. Sankt Valentin / San Valentino (Villanders) 67. Sankt Valentin / San Valentino (Villnöss) 68. Sankt Vigil / San Vigilio (Kastelruth / Ciastel / Castelrotto) 69. Sankt Walburg / Santa Valburga (Ulten / Oltemo) 70. Scofahof/ Maso Scofa (Truden / Trodena) 71. Sulden / Solda (Stilfs / Stelvio) 72. Tonna / Sinaplana (Laurein / Lauregno) 73. Unterfennberg / Favogna di Sotto (Margreid / Magré) 74. Untermais / Maia Bassa (Meran / Merano) 75. Unterplanitzing (/ Planezza955 di Sotto [Kaltern / Caldaro]) 76. Vill / Villa (Neumarkt / Egna) 77. Völlan / Foiana956 (Lana) Namen der Pässe, Täler, Gebirge und Gewässer (Auswahl) 1. Antersass / Infra i Sassi / Zwischenkofel (Sella) 2. Armuntarora / Armentarola (Badia / Abtei) 955 956
Basiert auf dem Nonsberger Exonym Planézza. Basiert auf dem Nonsberger Exonym Foiana.
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330 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
Bozner Unterland / Basso Lungadige, Basso Bolzanino Brennerpass / Passo del Brennero Burggrafenamt / Burgraviato Dolomiten / Dolomites / Dolomiti Drau/Drava Drei Zinnen / Tre Cime di Lavaredo (Sexter Dolomiten / Dolomiti di Sesto) 9. Dreiherrenspitz / Picco dei Tre Signori 10. Dürrensee / Lago di Landro (Rienz / Rienza) 11. Eggental / Val d’Ega 12. Eisack / Isarco 13. Eisacktal / Val d’Isarco 14. Elferkofel / Cima Undici (Sexter Dolomiten / Dolomiti di Sesto) 15. Etsch / Adige 16. Etschland / Lungadige 17. Etschtal / Val d’Adige 18. Gampenpass / Passo Palade 19. Gandkofel / Macaion (Etschtal – Nonsberg / Val d’Adige – Val di Non) 20. Gherdɺina / Gröden / Gardena 21. Gran Ega / Gader / Gadera 22. Großer Fossessee / Lago Grande (Fanes-Sennes) 23. Großer Göller / La Cerva (Etschtal – Nonsberg / Val d‘Adige – Val di Non) 24. Halseck / Dosso del Colle (Etschtal – Zimmerstal / Val d’Adige – Val di Cembra) 25. Haselgruber Seen / Laghi Corvo (Ultental – Rabbital / Val d’Oltemo – Val di Rabbi) 26. Hinterer Eggenspitz / Cima Sternai (Ultental – Rabbital / Val d’Oltemo – Val di Rabbi) 27. Hinterer Nonnenspitz / Cima di Rabbi (Martelltal – Rabbital / Val Martello – Val di Rabbi) 28. Hochbrunnerschmied / Monte Popera (Sexter Dolomiten / Dolomiti di Sesto) 29. Hofbichl / Solomp (Etschtal – Nonsberg / Val d’Adige – Val di Non) 30. Hofmahd / Castrin (Ultental – Nonsberg / Val d’Oltemo – Val di Non) 31. Hohe Geisel / Croda Rossa (Pragser Dolomiten / Dolomiti di Prags) 32. Hohe Schneide / Monte Cristallo (Ortler / Ortles) 33. Hohe Tauern / Alti Tauri 34. Höhlensteintal / Val di Landro 35. Höhlental / Val dei Molini (Margreid / Magré) 36. Höhlentalbach / Val Molino (Kalterer See / Lago di Caldaro) 37. Hornspitz / Monte Corno (Etschtal – Zimmerstal / Val d’Adige – Val di Cembra) 38. Jochbodenkopf/ Piz Russenna (Sesvenna) 39. Jochgrimm / Occlini
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40. Ju de Frea / Grödner Joch / Passo Gardena 41. Kalterer See / Lago di Caldaro 42. Karer Pass / Passo di Costalunga (Eggental – Fassatal / Val d’Ega – Val di Fassa) 43. Karer See / Lago del Latemar 44. Kirchbergjoch / Passo di Rabbi (Ultental – Rabbital / Val d’Oltemo – Val di Rabbi) 45. Kleiner Kornigl / La Vècla (Ultental – Nonsberg / Val d’Oltemo – Val di Non) 46. Kleiner See / Lago Piccolo (Fanes-Sennes) 47. Köllkuppe / Cima Marmotta (Martelltal – Peio – Rabbital / Val Martello – Peio – Val di Rabbi) 48. Königsspitz / Gran Zebrù (Ortler / Ortles) 49. Kornigl / La Gióuna (Ultental – Nonsberg / Val d’Oltemo – Val di Non) 50. Kreuzbergpass / Passo di Monte Croce (Drau – Piave / Drava – Piave) 51. Kristallspitz / Cima di Campo (Ortler / Ortles) 52. Langenfernerjoch / Passo del Cevedale 53. Laugen / Luco (Ultental – Nonsberg / Val d’Oltemo – Val di Non) 54. Mandlspitz / Monte ometto (Ultental – Nonsberg / Val d’Oltemo – Val di Non) 55. Maraunbach / rio Morona (Sankt Pankraz / San Pancrazio) 56. Martelltal / Val Martello 57. Mendelpass / Passo della Mendola 58. Mont de Sela / Sellajoch / Passo di Sella 59. Montiggler Seen / Laghi di Montìchel957 60. Nebelspitz / Cima Tuatti (Ultental – Rabbital / Val d’Oltemo – Val di Rabbi) 61. Ortler / Ortles 62. Ötztaler Alpen / Alpi di Ötztal 63. Passeier / Passiria 64. Paternkofel / Monte Paterno 65. Pescara / Fischbach 66. Poppekanzel / Cima Poppe (Latemar) 67. Pustertal / Pusteria 68. Rienz / Rienza 69. Rosengarten / Ciadenac / Catinaccio 70. Rote Wand / Remeda Rossa (Pragser Dolomiten / Dolomiti di Prags) 71. Rotwandsee / Lago di Remeda (Fanes-Sennes) 72. Sallentjoch / Passo di Saént (Martelltal – Rabbital / Val Martello – Val di Rabbi) 73. Sallentspitz / Cima di Saént (Martelltal – Rabbital / Val Martello – Val di Rabbi) 74. Sam / Monte Ori (Laurein – Kastelpfund / Lauregno – Castelfondo) 957
Zu nonsberg. LaƧi de Montìüiel.
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Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
75. Sarntaler Alpen / Alpi di Sarntal 76. Sas Mesdì / Sasso di Mezzodì / Mittagskofel (Sella) 77. Saslonch / Langkofel / Sassolungo 78. Scharljöchl / Cruschetta (Sesvenna) 79. Schöngrub / Chìbel (Ultental – Nonsberg / Val d’Oltemo – Val di Non) 80. Schwarzes Rienztal / Val di Rimbòn (Rienz / Rienza) 81. Schwarzhorn / Cima di Rocca (Etschtal – Fleimstal / Val d‘Adige – Val di Fiemme) 82. Seespitz / Cima Lavazzé (Nonsberg – Ultental / Val di Non – Val d’Oltemo) 83. Sexter Dolomiten / Dolomiti di Sesto 84. Stilfser Joch / Giogo dello Stelvio (Ortler / Ortles) 85. Stubaier Alpen / Alpi di Stubai 86. Trudner Horn / Corno di Trodena 87. Überetsch / Oltradige 88. Ultental / Val d’Oltemo 89. Vajolettürme / Torri di Vajolet (Rosengarten / Catinaccio) 90. Val Badia / Gadertal 91. Val Stanàusera / Steinhauser Tal (Salorno / Salurn) 92. Veneziaspitz / Cima Venezia 93. Vinschgau / Venosta 94. Walscher Berg / Cima Trenta (Ultental – Brisental / Val d’Oltemo – Val di Bresimo) 95. Zanggenberg / Pala di Santa (Fassatal – Eggental / Val di Fassa – Val d’Ega) 96. Zillertaler Alpen / Alpi di Zillertal 97. Zwölferspitz / Croda dei Toni (Sexter Dolomiten / Dolomiti di Sesto) Ladinische Namen für Örtlichkeiten in Deutsch-Südtirol a) Namen der Gemeinden: Antaríf = Altrei (Fassa); Aóra = Auer (Fassa); Ba1sàn (Gadertal), Bu1sàn (Gröden), Busàn (Fassa) = Bozen; Bornéch = Bruneck (Gadertal); Braies (Gadertal) = Prags; Branzuél (Gröden), Branzél (Fassa) = Branzoll; Ciastél (Gröden), Ciastelrót (Fassa) = Kastelruth; Cornéi (Fassa) = Karneid; Chìenes (Gadertal) = Kiens; Ciudàr = Kaltern (Gröden, Fassa); Diér (Fassa) = Tiers; Falzes (Gadertal) = Pfalzen; Fíe (Gröden) = Völs; Funés (Gröden), Fonés (Gadertal) Villnöß; Le Sest (Gadertal) = Sexten; Maràn = Meran; Neva Todescia (Fassa) = Deutschnofen; Neva (Ladina, Taliana) (Fassa) = Welschnofen; Pêrbian (Gröden, Gadertal) = Barbian; Laión (Gröden, Fassa), Laiùn (Gadertal) = Lajen; Lujón (Gröden), Lijùn (Gadertal) = Lüsen; Olàneres (Gadertal) = Villanders; Pèrca (Gadertal) = Percha; Persenón (Gröden, Fassa), Porsenù (Gadertal) = Brixen; Prèner = Brenner; Pruca (Gröden), Bruca (Fassa) = Waidbruck; Redànch, Redànt (Gröden, Gadertal) = Rodeneck; Renón (Gröden), Rignùn (Gadertal), Retenón (Fassa) Ritten; Sanüiana (Gadertal) = Innichen; San Lorònz, San Laurɺnz (Gadertal) = Sankt Lorenzen; Tluses (Gröden), Tlüses (Gadertal) = Klausen; Toblàch (Gadertal) = Toblach; Türesc (Gadertal) = Tau-
Tabelle der historischen zweisprachigen geographischen Namen in Südtirol
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fers; Valdàora (Gadertal) = Olang; Vàlsperch (Gadertal) = Welsberg; Vandóies (Gadertal) = Vintl. b) Namen der Fraktionen und kleineren Einheiten In Brixen: A1bɺies = Albeins; Èores (Gadertal) = Afers; Planciós (Gadertal) = Palmschoß; San André = Sankt Andrä. In Bruneck: Plan de Corones (Gadertal) = Kronplatz; Ràiscia (Gadertal) = Reischach; San Iere, San Iöre = Sankt Georgen; San Sciomùn = Stegen. In Deutschnofen: Biaséch (Fassa) = Birchabruck. In Karneid: Gómber (Fassa) Gummer. In Kastelruth: Cepɺi = Tschapit; Fórcia de Sɺura = Oberfurtsch; Mont de Sɺuc (Gröden), Munt de Sûc (Gadertal) = Seiser Alm; Sɺuc (Gröden), Sûc (Gadertal) = Seis; Scilíer (Gröden) = Schlern; Tisàn = Tisens; Trebe = Treba. In Klausen: Gudón (Gröden), Godùn (Gadertal) = Gufidaun; Jévun (Gröden), Jên, Jéun, Jôn, Jéo (Gadertal) = Säben. In Lajen: Cíeves (Gröden) = Tschöfas; Tanúrz (Gröden) = Tanirz. In Mühlbach: Spines = Spinges. In Olang: La Pli de Valdàora = Niederolang; Sorafurüia = Geiselsberg; Valdàora damèz = Mitterolang; Valdàora dessóra = Oberolang. In Rasen-Antholz: Rasùn (Gadertal) = Rasen. In Sankt Lorenzen: Àrnpurch = Ehrenburg; ûiastel Badia = Sonnenburg; Florònz = Pflaurenz; Le Crist = Heiligkreuz; Mantɺna Todɺscia = Montal; Moja = Moos; Ognes = Onach; Rina Todɺscia = Ellen; San Martin = Sankt Martin; San Stefo = Stefansdorf; Sares = Maria Saalen. In Sexten: Moja Moos. In Villnöss: San Madalena = Sankt Magdalena; San Pire = Sankt Peter; Tɺies = Teis. In Vintl: Vandóies dessóra = Obervintl. Rätoromanische Namen für Örtlichkeiten in Deutsch-Südtirol a) Namen der Gemeinden Cluorn = Glurns; Curón = Graun im Vinschgau; Damàl = Mals, Maràn = Meran; Prada = Prad; Schlònder = Schlanders; Schlüdèrn = Schluderns; Stielva = Stilfs. b) Namen der Fraktionen und kleinerer Einheiten In Graun im Vinschgau: Raisch = Reschen. In Laas: Dür = Eyrs. In Mals: Bargùsch = Burgeis; Schlü = Schleis; Lad = Laatsch; Schléngia = Schlinig; Planüra de Damàl = Malser Haide; In Stilfs: Sulda = Sulden.
Literaturverzeichnis Ach Florian von, Das Nachwirken des Tiroler Unabhängigkeitsgedankens in der neutralen Republik Tirol von 1918 bis zur Europäischen Region Tirol, Jur. Diss Innsbruck (2004) Adamovich Ludwig, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts Bd II (19535) Altenstetter Christa, Der Föderalismus in Österreich (1969) Andreatta Gulio, Pernthaler Peter, Toniatti Roberto (Hg), Proposte per l’adeguamento dello statuto della Regione (1999) Autonome Provinz Bozen Südtirol (Hg), Das neue Autonomiestatut (200511) Avolio Giuseppe/Voltmer Leonhard, Übersicht über die autonome Gesetzgebung, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtirolautonomie (2005) 135 ff Barnick Helmuth, Alpine Raumordnung, in: Berichte zur Raumforschung und Raumplanung, Heft 5/1980, 3 ff Bartole Sergio, Integration der Autonomie und Einheit der italienischen Rechtsordnung, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 115 f Bauer Arthur, Wo steht das Rätoromanische heute? in: Jahrbuch der eidgenössischen Räte (1955) Beisel, Kinder-Gärten der Menschheit, in: Natur 9/1982, 55 ff und 98 Benedikter Alfons, Tatbestände des Verrates, Beilage zur Zeitung der Union für Südtirol Nr 8 (1993) Berchtold Klaus, Zur völkerrechtlichen Vertragsabschlußkompetenz der Länder, ZÖR 40 (1989) 217 ff Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich, hg vom Institut für Föderalismusforschung (jährlich ab 1977), Abschnitt „E. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Länder“ Beyerlin Ulrich, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (1988) Bieri Andreas, Vollzugsföderalismus (1979) Bin Roberto, Die asymmetrische Rechtsordnung der Provinz Bozen. Ursprung, Ursachen und Perspektiven, in: Joseph Marko et al (Hg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie (2005) 123 ff
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