Geister � Thriller � Nr. 16 � 16
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Die Hölle speit � Feuer �
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Die Erde erbebte. Und dann öffnete sie ...
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Geister � Thriller � Nr. 16 � 16
W.A. Hary �
Die Hölle speit � Feuer �
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Die Erde erbebte. Und dann öffnete sie sich wie das Maul der Hölle. Erst nur einen Spalt. Flüssige Lava floß heraus, zäh wie Brei. Tausende von Grad heiß. Im nächsten Augenblick spie das Maul der Hölle aus. Ein Glutstrahl fauchte in den Himmel, verdunkelte die Sonne über der Insel Tomaro, ließ die Südseeinsel in ihren Grundfesten erzittern, schoß viele tausend Meter hinauf, breitete sich zu einem rauchenden, brennenden und heißen Pilz aus – und regnete wieder herab. Feurige Asche fiel zischend ins Meer. Tropfen von Lava klatschten auf die Insel und steckten die Wälder in Brand. Tomaro – so wurde sie von ihren Bewohnern genannt. Tomaro, das war die fruchtbarste aller Inseln in der Südsee. Selbst im alten Vulkankegel auf der anderen Seite der Insel, Luftlinie zehn Kilometer vom Dorf der Tomaren entfernt, hatte üppiger Pflanzenbewuchs die steilen Hänge erobert. Hier hätten die Tomaren ihre Herden weiden lassen können, aber eine heilige Furcht hatte sie stets in gebührendem Abstand vom alten Vulkan gehalten. Mit Recht! Das wurde jetzt auf einmal klar. Kein Seismologe hätte je mit einem so heftigen Ausbruch des Vulkans gerechnet. Völlig unvermittelt
erfolgte er jetzt, nur mit einem ganz kurzen Erdstoß zur Warnung. Die Zeit war viel zu knapp zur Flucht. Die Tomaren rannten kopflos durcheinander. Einige versuchten, ihre Boote zu erreichen, mit denen sie sonst zum Fischen hinaus aus der friedlichen Bucht fuhren. Jetzt wollten sie damit in See stechen, um vor dem Ascheregen zu fliehen. Asche und Lava steckten sämtliche Wälder in Brand, aber im Dorf selbst ging nichts nieder. Das Dorf wurde auf wundersame Weise verschont. Während die Tomaren fassungslos zum Vulkankegel hinüberstarrten, während sie beobachteten, daß ein erneuter Feuerstrahl in den Himmel raste, damit er schwarz wurde wie in finsterster Nacht, machte sich im Dorf nicht einmal das Erdbeben bemerkbar, das mit dem Ausbruch einherging. Die Tomaren spürten nur ein winziges Erzittern des Bodens, während außerhalb der Bucht das Wasser von der Hitze des Glutregens kochte. Das hielt sie von der überstürzten Flucht ab. Sie blieben in ihrem Dorf und vertrauten auf die Weisheit ihres Zauberers Helmor, denn er allein schien zu wissen, warum die Insel ihr Leben zum Himmel spie, aber die Ansiedlung verschont blieb. Sie wagten nicht, Helmor zu stören. Sie wagten nicht, ihn nach den Gründen zu fragen. 3 �
Er saß in seiner Hütte, mitten auf dem festgetrampelten Boden, im Schneidersitz, die Augen geschlossen, die offenen Hände wie bettelnd auf den Knien. Sein Gesicht wirkte entspannt. Als würde ihn das Inferno auf der Insel nicht berühren. Doch in seinem Innern tobte selber ein Vulkan. Er sah, ohne die Augen zu öffnen. Nichts entging ihm. Kein Atemzug der Tomaren blieb dem Zauberer verborgen. Er atmete mit seinem Volk, mit jeder Faser des Dorfes und dieser engen, friedlichen Gemeinschaft. Die Insel Tomaro spielte außerhalb keine Rolle. Fremde waren gekommen und wieder gegangen. Sie hatten die Erinnerung an das Erlebte zurückgelassen. Weil Helmor es gewollt hatte! Die dörfliche Gemeinschaft blieb über alle Zeiten unberührt, wie Helmor es seinem Vorgänger versprochen hatte und dieser Vorgänger seinem eigenen Vorgänger… Die Legende sagte, die Tomaren wären im Schoß der Erde entstanden. Sie wären mit dem letzten Vulkanausbruch aus der Sicherheit des Erdschoßes herausgeschleudert worden, verurteilt zu einem Leben auf dem Bauch der Erde, auf ihrer Insel Tomaro. Und die Legende behauptete weiter, daß sie keine gewöhnlichen Menschen wären, sondern Kinder der Ehe zwischen Mutter Erde und dem mächtigsten aller Götter:
Vulcanos, dem Gott des Feuers. Und die Legende schrieb das Schicksal der Tomaren fest. Dieses Schicksal bestimmte das Leben der Tomaren, bestimmte es von der ersten Sekunde bis zur letzten. Und die Legende wußte, daß eines Tages Vulcanos zurückkehren würde, um seine Kinder in den Schoß der Erde zurückzuholen. Helmor wußte es von seinem Vorgänger und dieser wiederum von seinem Vorgänger… So hatte sich die Legende über die Zeiten hinweg gehalten. Und jetzt sah Helmor mit seinem magischen Blick die ganze Insel, spürte ihr Beben und Zittern, spürte die Angst seines Volkes. Von ihm ging die Kraft aus, damit das Dorf verschont blieb und der Frieden wieder in die Herzen der Tomaren einkehrte. Sie warteten ab, schauten stumm zum Vulkan hinüber und waren ruhig. Sie rannten nicht mehr kopflos umher, sondern vertrauten ihrem Zauberer Helmor. Denn wenn dieser sie nicht mehr beschützen konnte, dann gab es überhaupt keinen Schutz mehr für sie. Helmor wandte sich dem Zentrum des Vulkans zu, diesem speienden Höllenschlund. Es war ein schauriges Spiel der Naturgewalten. Helmor wußte von Menschen, die dieses Spiel schön fanden. Ihn erinnerte es an das Erbrechen eines Giganten. 4 �
Die flüssige Lava breitete sich aus wie der Schleim des Todes. Sie fraß die Insel auf. Tief im Innern der Erde grollte es mächtig. Nur Helmor allein wußte, was das war. Und er spürte jetzt die Angst, die er von seinen Tomaren fernhielt. Sie war so mächtig wie das Grollen. Denn Helmor wußte, dies war Vulcanos persönlich. Ihm war der Ausbruch zu verdanken. Er hatte seinen Weg zur Erde gefunden. Er war erwacht. Wie es in der Legende hieß, die Wort für Wort im Gehirn von Helmor festgebrannt war. Das Ende der Tomaren war gekommen. Vulcanos forderte seine Kinder zurück. Er wollte sie in den Glutschoß der Erde zurückholen. Und zum erstenmal in seinem Leben wurde dem Zauberer Helmor bewußt, daß die Legende einen wichtigen Punkt völlig ausließ: Warum hatte Vulcanos so lange gewartet? Warum kam er ausgerechnet jetzt? Vor allem: Wer oder was hatte ihn geweckt? Fragen, die keine Antwort fanden, in keinem Wort der Legende. Da war lediglich vom Ende der Tomaren die Rede. Dieses Ende würde irgendwann kommen – durch Vulcanos. Es war, als hätte die Rasse der Tomaren nur so lange auf ihrer Insel
Tomaro gewartet, bis sich ihr Schicksal endlich erfüllte. Und ausgerechnet Helmor gab sich damit nicht mehr zufrieden! Für ihn war die Legende um ihre Erfüllung stets heilig gewesen, aber von wem stammte die Legende? Wer hatte sie einst geschrieben und bestimmt, daß sie in den Köpfen der amtierenden Zauberer des Volkes der Tomaren erhalten blieb? Helmor stand auf. Breitbeinig stand er in seiner Hütte, die Hände nicht wie bettelnd mit der Innenfläche nach oben gedreht, sondern in jenem Zorn geballt, wie er laut Legende nur dem Gott des Feuers Vulcanos zustand. Helmor stieß einen schrillen Schrei aus. Nur seine sechs Jünger hörten diesen Schrei und reagierten darauf, indem sie rasch zu seiner Hütte eilten. Einer von den Jüngern sollte einst das Amt von Helmor übernehmen, doch das Schicksal hatte es anders bestimmt. Denn schließlich stand jetzt das Ende der Tomaren unmittelbar bevor. Die Worte der heiligen Legende hallten in Helmors Kopf wie gebrüllt wider. Immer von vorn bis zum Ende. Er nahm nur am Rande wahr, daß seine Jünger hereinstürmten und sich sofort um ihn scharten. Sie bildeten einen Kreis und reichten sich gegenseitig die Hände, wie sie 5 �
es von ihm gelernt hatten. Sie ließen sich im Schneidersitz nieder und beugten in Demut ihre Häupter, wie er sie immer geheißen hatte. Sie versanken in Trance und wurden zu Helmors Werkzeug. Denn nach dem Gesetz der magischen Sieben war jetzt die Loge vollkommen. Und er, Helmor, war als der siebte der Logenführer. Er ließ sich ebenfalls nieder und vereinte die Geister seiner sechs Jünger mit seinem eigenen Geist. Sie erlebten die Insel, als wäre sie ihr eigener, sterbender, von heißem Fieber geschüttelter, flüssige Lava erbrechender Körper. So sahen sie, daß aus der grollenden Tiefe der Erde Vulcanos hervortrat. Er war ein Glutschemen, eine wabernde Flamme der Zerstörung, kein Ding von fester Gestalt, sondern nur bestehend aus der Energie der Vernichtung, geballt vom mächtigen Urwillen des Bösen. Man nannte Vulcanos einen Gott, aber er war in Wirklichkeit ein Dämon. Es war dies der Zeitpunkt, da die letzte Seite des Buches der heiligen Legende aufgeschlagen wurde. Und auf dieser letzten Seite standen Worte, die Helmor bis dato nicht gekannt hatte. Genauso wenig wie seine Vorgänger. Er erfuhr Antworten auf Fragen,
die sich nun erst stellten. Es waren die Antworten auf die Fragen, die ihm erst vor Minuten gekommen waren: Die Tomaren stammten aus dem Schoß der Erde und mußten auf ihrer Insel bleiben, um das Erwachen von Vulcanos nicht zu verfehlen. Sie mußten zur Stelle sein. Es war die Bestimmung ihrer Rasse, immer zur Stelle zu sein. Sie mußten auf der Insel ausharren – bis zu diesem Zeitpunkt. Und auf der letzten Seite der heiligen Legende stand der Hinweis, daß einst die Goriten Vulcanos von der Erde verbannt hatten. Aber sie waren nicht sicher gewesen, ob es ihnen für immer gelungen war. Deshalb hatten sie die Tomaren als Wächter bestimmt. Die Kinder aus dem Schoß der Erde nahmen ihre Aufgabe wahr. Einer von ihnen, der jeweils amtierende Zauberer und Hohepriester, trug die Legende in sich, bis sein Ende kam und er sie seinem Nachfolger auf magischem Wege weitergab. Bis zum heutigen Tag. Und dieser eine, der in der Gegenwart Helmor hieß, hatte von den Goriten die magische Macht geerbt, sein Volk vor dem Ende zu bewahren, obwohl sich der Schoß der Erde öffnete, um sie zu verschlingen. Es war sein magisches Geheimnis. »Wir wurden aus dem Schoß unserer Mutter geboren und kehren in 6 �
diesen Schoß wieder zurück – in Sicherheit!« legte Helmor die Worte der heiligen Legende aus. »Aber bevor wir dies tun, müssen wir das Erwachen von Vulcanos melden. Das ist unsere letzte Pflicht. Gemeinsam rufen wir nach den Goriten. Und wenn diese nicht mehr sind, dann rufen wir nach ihren Erben.« Die siebenköpfige magische Loge der Tomaren rief, und dieser Ruf war mächtiger noch als das Grollen der Erde. Er konnte sogar von Vulcanos nicht verhindert werden, der sich erst einmal in seiner neuen Situation zurechtfinden mußte. Schließlich war er soeben erst aus seinem Jahrtausende währenden Schlaf erwacht! Der magische Ruf war für das Ohr der Goriten bestimmt, aber es gab die Goriten lange nicht mehr. Es gab nur noch einen einzigen Erben der Goriten auf dieser Welt. Dieser Erbe hieß Mark Tate! Er war der Geister-Killer Mark Tate, der sich zu diesem Zeitpunkt auf Schloß Pannymoore aufhielt, dem Schloß seines Freundes Lord Frank Burgess. Er hörte diesen Ruf, und es traf ihn wie ein Schock. Denn dieser Ruf war so mächtig, daß er ihn beinahe getötet hätte. Kaum war es geschehen, als das letzte Grollen aus der Tiefe der Erde endgültig den Untergang von Tomaro ankündigte.
Die Insel barst auseinander mit einer gigantischen Detonation. Im Meer öffnete sich ein schlauchähnlicher Trichter wie ein riesiger Strudel. Von diesem Punkt aus raste ein mächtiger Sturm um die ganze Erde. Ganz auf der anderen Seite des Globus, in Deutschland, in England, auch in Amerika und sogar hoch im Norden, würde dieser Sturm Bäume entwurzeln und Häuser abdecken. Die Meteorologen würden vor einem Rätsel stehen und noch Jahre über dem Problem brüten, ohne jemals zu einem Schluß zu kommen, denn bis dahin war aus dem Strudel längst eine neue Insel emporgewachsen, flüssige Glut noch, aber im Kern bereits so gefestigt, daß sie stabil war. Auf der Insel hockte das Böse in der Gestalt von Vulcanos. Er hockte darauf wie eine Spinne in ihrem Netz. Denn er wußte, daß der Ruf in letzter Sekunde doch noch hinausgegangen war und daß irgendwo in der Welt jemand war, der diesen Ruf vernommen hatte. Dieser Jemand war Geister-Killer Mark Tate! * Als ich die Augen aufschlug, brummte es in meinem Kopf wie ein Schwarm von Hornissen. Ich verzog das Gesicht und versuchte meine Gedanken zu ordnen, um die Hor7 �
nissen zu vertreiben. Es gelang mir nicht. Verschwommen sah ich ein Gesicht über mir. Es war das Gesicht eines Mannes. Seine Augen schienen zu glühen. Ich runzelte die Stirn. Das Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor. Und dann drang der Blick des Mannes in mich hinein. Ich konnte es nicht verhindern. Seine Gedanken drängten sich in mein Denken, um es zu ordnen, um mich endgültig in das Reich der Lebenden zurückzulocken. Er strengte mich zu sehr an. Meine Augen fielen wieder zu. Schwärze kam über mein Bewußtsein und hüllte es in Vergessen. Bis zum erneuten Erwachen. Diesmal war mein Blick nicht verschwommen. Ich spürte eine leichte Übelkeit und rang um Erinnerung. Ich wußte nichts. Nicht einmal meinen Namen. Ich richtete mich mühsam auf und schaute umher. Die Möbel des Raumes, in dem ich mich befand, waren in mittelalterlichem Stil gehalten. Sie wirkten ein wenig protzig, als würde ich mich auf einer alten, uneinnehmbaren Burg befinden. Ich war nicht allein im Raum. Dieser Mann war wieder da und eine Frau, die auf der linken Seite meines Bettes stand. »Wer bist du?« fragte der Mann ernst.
»Keine Ahnung!« antwortete ich wahrheitsgemäß und wunderte mich dabei, daß ich überhaupt sprechen konnte. Wer hatte mir diese Sprache beigebracht? »Du bist Mark Tate!« behauptete der Mann. Mark Tate? grübelte ich prompt. Mark Tate? Dieser Name kam mir in der Tat irgendwie bekannt vor. Ich selber sollte das sein? Ich schüttelte den Kopf und wandte mich an die Frau. Von ihr ging etwas Geheimnisvolles aus, Sie war keine gewöhnliche Frau. Das spürte ich sofort. Ich fand sie schön. Sie hatte einen schlanken, durchtrainierten Körper. Ich konnte mir gut vorstellen, daß sie einen Mann niederschlug, falls dieser es darauf ankommen ließ. Dabei war ihre kräftige Muskulatur unter den weiblichen Rundungen versteckt – und unter ihrer weichen, seidigen Haut. Ein seltsames Gefühl stieg in mir empor, und ich wußte auf einmal, daß ich diese Frau liebte. Dabei kannte ich sie nicht einmal! Weil ich mich einfach an nichts erinnern konnte! Sie nickte mir zu, lächelte mich an. »Ja, du bist Mark Tate, der GeisterKiller. Ich bin May Harris, deine Lebensgefährtin.« Sie streckte den Arm aus und zeigte auf den Mann. »Und dies hier ist Lord Frank Burgess, dein bester Freund, der Herr von Schloß Pannymoore, auf dem 8 �
du dich befindest.« Es waren viele Informationen auf einmal, die mich verwirrten. Ich schloß die Augen und ließ mich in die weichen Kissen zurücksinken. Und dann sickerte eine Erinnerung in mein Denken: Tomaro, die Tomaren, der Gott des Feuers… »Vulcanos!« schrie ich und richtete mich im Bett auf. Das Entsetzen hielt mich gepackt. Es beutelte mich. »Vulcanos!« brüllte ich. »Er wartet auf mich!« Der schwarze Mantel des Vergessens kam wieder und deckte mein Bewußtsein zu. Fast erschien es mir so, als sollte es für immer sein… * Ich erwachte zum dritten Mal, und diesmal war alle Erinnerung da: Ich hatte den Schock des Rufes endgültig überwunden. Frank war an meinem Bett, genauso wie May Harris. Ich ergriff die Hand von May und drückte sie fest. So wußte sie, daß ich mich wieder erinnerte. Gerade öffnete sich die Tür. Butler James kam herein. Er trug ein Tablett mit duftenden Speisen. Sein gewohnt hochnäsiges Gesicht verriet keine Gefühlsregung, aber in seinen Augen las ich die Freude darüber, daß es mir offensichtlich wieder besser ging. Frank ignorierte seinen Butler. Er
beugte sich über mich und sah mir forschend ins Gesicht. Dann streckte er die Rechte aus und ergriff etwas, was auf meiner Brust lag. Er hob es hoch und ließ es mich sehen. Es war der Schavall, jenes geheimnisvolle goritische Amulett, in dem scheinbar universelle Kräfte gespeichert waren. Es war das Amulett des Guten, in der Form eines Auges, das rot aufglühte, wenn es mit Kräften des Bösen in Berührung kam. Hätte ich es vermocht, dieses Amulett, das ich wegen seiner optischen Eigenschaften auch oft Dämonenauge nannte, nach meinem Willen einzusetzen, wäre das Böse von mir auf einen Schlag besiegt gewesen. Aber damit hätte ich das Rad der Zeit angehalten. Ich hätte den Gang aller Dinge aufgehalten, den das Böse mußte existieren wie der Schatten dort, wo es Licht gab. Die Spannungen zwischen Gegensätzen waren der Motor des Universums, ja, aller Vorgänge überhaupt. Jedes Ding strebte zum Ausgleich. Kälte wollte sich erwärmen und Hitze wollte abkühlen. Die Sonnen verstrahlten ihre Energie verschwenderisch in die leeren Tiefen des Alls, um sie auszufüllen und um sich selbst aufzulösen. Das eherne Naturgesetz. Wenn es einst den Ausgleich zwischen sämtlichen Gegensätzen gab, dann gab es auch nicht mehr den Gegensatz zwischen Gut und Böse 9 �
wie zwischen kalt und warm, hell und dunkel. Dann gab es gar nichts mehr! Und deshalb, weil die Macht des Schavalls ausreichen würde, diesen Zustand des absoluten Nichts und des Endes von allem Sein herzustellen, konnte kein lebendes und denkendes Wesen diese Macht steuern. Der Schavall war die Macht schlechthin und er blieb sie für sich allein. Auch wenn ich als Träger des Schavalls galt. »Was ich nicht verstehe«, sagte Frank gedehnt: »Der Schavall hat auf den magischen Angriff überhaupt nicht reagiert. Du wärst beinahe umgekommen, Mark, verstehst du? Ich habe gemeinsam mit May alles getan, um dich ins Leben zurückzubringen. Der Angriff erfolgte nicht nur, ohne daß der Schavall etwas dagegen getan hätte, sondern er durchschlug auch sämtliche Sicherheitszonen des Schlosses. Du weißt, daß es für Kräfte des Bösen unmöglich ist, in das Schloß einzudringen. Es ist perfekt geschützt, aber dieser Angriff…« »Es war kein Angriff«, belehrte ich ihn lächelnd. »Es war ein – Hilferuf!« Frank und May tauschten einen Blick. Ich fügte hinzu: »Ein Hilferuf aus der Südsee. Die Insel hieß Tomaro, ehe sie verging. Darauf lebte das
Volk der Tomaren…« Ich richtete mich auf und erzählte alles, was ich erfahren hatte. Sie lauschten gespannt. Niemand achtete jetzt mehr auf den Butler, der mit dem vollen Tablett dastand und darauf wartete, daß ihn jemand absetzen ließ – so wie er es als Butler der alten englischen Schule gelernt hatte. Als ich geendet hatte, sah ich zu ihm hinüber. »Für wen sind die Speisen?« »Mit Verlaub, Sir, Ihre Lordschaft hat vorausgesehen, daß Sie bald wieder erwachen werden. Er rechnete mit einem gesegneten Appetit, wenn ich Ihre Lordschaft zitieren darf.« Es stimmte: Ich hatte einen gewaltigen Hunger, als hätte ich drei Wochen nichts gegessen. Ich sah Frank an. »Wie lange bin ich ohne Bewußtsein gewesen?« »Drei Wochen!« antwortete er prompt. Ich schüttelte den Kopf darüber. Auf einmal hatte sogar der Ruf der Tomaren für mich keine Bedeutung mehr, denn mein Körper verlangte nach den Speisen. Ich winkte dem Butler zu. Er klappte die Stützen aus dem Tablettboden und stellte das Tablett wie einen kleinen Tisch auf das Bett. Ich griff zu und ließ mich durch nichts und niemand mehr stören. * 10 �
Als sich der Schoß der Erde öffnete, um die Tomaren zu verschlingen, schien es erst, als würde sich das Maul der Hölle endgültig auftun, doch der Schoß war nicht die Hölle. Er war Sicherheit und Geborgenheit zugleich. Helmor und seine Loge spürten es. Sie alle purzelten in die Tiefe des Schoßes. Die Gluthitze verwandelte sich rasch in angenehme Wärme. Alle Ängste vergingen. Sie hörten nichts, sie sahen nichts… gerade so, als wären sie bereits tot. Helmor wußte es besser und seine Tomaren ebenfalls. Der Prozeß kam zu einem Ende und an diesem Ende spürten sie wieder festen Boden unter sich. Es war nicht der Boden der Insel Tomaro: Sie waren angelangt am Ursprung ihrer Rasse! Nach einem langen, Jahrtausende währenden Aufenthalt auf der Erde. Das war endgültig der Beweis dafür, daß sie keine normalen Menschen waren, daß die Erde niemals ihre Heimat gewesen war, sondern der Schoß dieser Erde. Der Schoß hatte einen roten Himmel. Es gab keine Sonne, keinen Mond, keine Sterne, sondern nur dieses ewige Rot. Das Land war karg. Es wuchsen nur wenig Pflanzen, aber die Tomaren wußten, daß sie in diesem Land niemals Hitze,
Kälte, Hunger oder Krankheit spüren würden. Sie würden alle ein hohes Alter erreichen. Sie würden sich fortpflanzen, würden Kinder haben und irgendwann ihr Leben aushauchen – auch hier. Aber sie würden es friedlich tun. Helmor breitete die Arme aus. Die Loge bestand noch. Die sieben Geister waren miteinander vereint. So hatte Helmor noch die Macht, seine Gedanken über das Land ihres Ursprungs zu schicken und dieses Land zu erforschen. Es schien kein Ende zu haben, und doch war es begrenzt. Richtete man einen Gedanken in eine bestimmte Richtung, so kehrte derselbe Gedanke irgendwann wieder zum Ursprung zurück. Ein seltsamer Zustand, in dem sich dieser Ort im Schoß der Erde befand. Helmor war sicher, daß seine Urvorfahren niemals einen Gedanken darüber verschwendet hatten, aber er war schließlich nicht hier, sondern als Abkömmling dieser Vorfahren auf der Erde geboren. Und die Erde hatte ihn ein Mindestmaß an Neugierde gelehrt! Deshalb wunderte sich Helmor. Er erforschte abermals das Land und stellte dabei fest, daß es sich um eine magische Weise in sich geschlossene Sphäre handelte. Als das Volk der Tomaren einst in dieser Sphäre gehaust hatte, war sie tatsächlich vollkommen von allem abgeschlos11 �
sen gewesen. Aber irgendwann hatten sie die Sicherheit dieses Schoßes der Geborgenheit verlassen. Irgendwann. Warum? Weil sich Vulcanos mit Mutter Erde verbunden hatte? Weil sie als Folge dieser Verbindung aus dem Schoß der Erde geboren worden waren? Helmor dachte darüber nach, unterstützt von den Geistern seiner Jünger. Auf einmal erschien ihm diese Erklärung gar nicht mehr so plausibel wie sonst immer. Die Erklärung hatte keinen endgültigen, sondern nur einen symbolischen Wert. Es war die Erklärung der Goriten, die sie mit der heiligen Legende auf magische Weise im Gehirn seines Urvorgängers verankert hatten. Die Goriten selber wußten den Schoß der Erde, den Ursprung der Tomaren, zu deuten. Aber sie belasteten die Tomaren nicht mit diesem Wissen. Als hätten sie damals befürchtet, das wahre Wissen würde an die falschen Ohren kommen. »Jetzt nicht mehr«, sagte Helmor laut vor sich hin. Alle Tomaren schauten zu ihm und seiner Loge. »Jetzt sind wir an unserem Ursprung. Die Goriten befürchteten, daß Vulcanos uns folgen könnte, falls er zuviel über den Schoß der Erde wüßte. Von uns kann er nichts erfahren haben, weil wir selbst keine Ahnung hatten.« Er schaute sich um und sagte zu
seinem Volk: »Der Schoß der Erde ist eine andere Welt, jenseits von der Erde. Sie ist eingebettet im Nirgendwo, solange wir nicht wissen, ob sich nicht auch noch andere Sphären neben unserer hier befinden.« Längst erfüllten seine Gedanken die gesamte Sphäre – genauso wie seine Gedanken vorher die Insel Tomaro erfüllt hatten. Deshalb entging ihm die Veränderung nicht. Helmor verstummte schlagartig, denn er hatte auf einmal Angst. Er verstärkte seine Gedanken, unterstützt von seinen Logenjüngern, und wandte sich an das Fremde, das ihre Welt betrat. Ja, etwas Fremdes drang in ihre Sphäre ein. Fremd, weil es niemals zuvor hier gewesen war. Dieses Fremde war ein – Mann! Und er spürte die Gedanken von Helmor, die auf ihn einstürmten und die er mit einem blankgezogenen Schwert abwehrte. Es war ein magisches Schwert. Deshalb wirkte es gegen die Gedanken von Helmor. Er konnte dem Fremden nichts anhaben. »Wer bist du?« fragte er deshalb ängstlich. Fast erwartete er als Antwort, daß es sich um einen Gesandten von Vulcanos handelte. »Mein Name ist Don Cooper!« antwortete der riesenhafte Mann. Helmor bewunderte die mächtigen 12 �
Muskeln des Kriegers. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen. Er hätte nicht einmal für möglich gehalten, daß es so etwas gibt. »Woher kommst du?« fragte Helmor. »Das fragst ausgerechnet du mich, der mich hierher entführt hat?« »Entführt?« echote Helmor verblüfft. Der Hüne schaute sich um. »Ich höre deine Stimme, aber ich sehe niemanden. Wer oder was bist du? Warum hast du mich entführt? Ich bin Don Cooper, der Herrscher von Karta-ahn. Ich befand mich auf dem Weg zu meinem Volk, nachdem mich mein Freund und Mitstreiter Mark Tate verlassen hat.« »Mark Tate?« fragte Helmor verwundert. »Du kennst den Namen?« »Natürlich, denn so heißt der einzige Erbe der Goriten!« »Dann hast du mich etwa seinetwegen entführt? Ich hatte das Nebelland hinter mich gebracht, wo Mark Tate mich verlassen, wo er den Weg zur Erde zurückgefunden hat. Wir waren gemeinsam im Land der Magie ORAN gefangen gewesen. Ich blieb freiwillig zurück, weil ich meine Aufgabe nicht mehr auf der Erde, sondern in Karta-ahn sehe.« »Dann hast du den Erben der Goriten im Stich gelassen?« rief Helmor anklagend. Er hatte keine Furcht mehr vor
dem Fremden, der sich Don Cooper nannte, sondern grenzenloses Vertrauen. Schließlich konnte er die Gedanken des Hünen lesen und wußte deshalb, daß Don Cooper die Wahrheit sagte. Er berichtete dem Hünen alles. Dann zeigte er ihm den Weg zu den Tomaren. * Don war verwirrt. Er brauchte eine Zeitlang, bis er alles verarbeitet hatte, was Helmor ihm mitgeteilt hatte. Was spielte er in dieser phantastischen Geschichte eigentlich für eine Rolle? Warum war er plötzlich hier? Ja, es war ganz unverhofft gekommen: ein ungeheurer Sog, der ihn vom Boden weggepflückt hatte. Er war wie von einem Sturmwind davongetragen worden – bis hierher! »Es ist eine Sphäre innerhalb der Welt der Magie mit Namen ORAN!« erklärte Don Cooper den Tomaren. Helmor hatte die Loge aufgelöst. Er und seine Jünger hatten sich zu den anderen Tomaren gesellt. Sie hörten, was Don ihnen zu erzählen hatte. Durch seinen Mund erfuhren sie seine Geschichte. »Mark Tate und ich wurden auf magische Weise in das Land der Magie ORAN verbannt. Wir suchten nach einem Tor zurück zur Erde. Auf unserem Weg kamen wir nach 13 �
Karta-ahn. Ein uralter Fluch lastete über diesem Ort. Einst war Kartaahn eine Stadt auf der Erde gewesen. Eine friedliche Stadt. Da kam SonarEn, der Nordler. Er war ein unbesiegbarer Kämpfer und Eroberer. Und so brach er in die Friedlichkeit der Stadt ein und tötete viele ihrer Bewohner. Um seine Macht zu vervollkommnen, raubte er sogar das Heilige Schwert. Dadurch brachte er die Magie der Stadt durcheinander und erzeugte den Fluch. Sonar-En war so mächtig, daß ihn die Magie der Stadt nicht einfach vernichten konnte. Durch die unglaublichen Vorgänge wurde Karta-ahn nach ORAN verbannt. Dort lebte der Fluch weiter, in einer eigenen Sphäre rund um Karta-ahn. Längst hatte der Nordler seinen Fehler eingesehen, aber er konnte ihn nicht mehr rückgängig machen. Jedesmal, wenn ein Unschuldiger in den Bann des Fluches geriet, wurde er von der Sphäre gefangen und mußte sich mit dem Geist des Nordlers verbünden. Dann kämpfte er den alten Kampf allein gegen die Übermacht der Karta-ahner. Ein ewiger Kampf, denn sobald das Wesen starb, das den Geist des Nordlers in sich aufgenommen hatte, entstand ein neues Unentschieden, weil der Nordler selbst unbesiegbar war. So war es, bis sich der Geist des Nordlers mit mir verband. Mark Tate war bei mir, und er entschied
als zusätzlicher Faktor den Kampf, indem er es schaffte, den Fluch außer Kraft zu setzen. Noch jetzt bin ich, Don Cooper, mit dem Geist des Nordlers verbunden. Ich bin jetzt so, wie er war und er ist so wie ich. Wir beide verschmolzen zu einem einzigen Wesen. Später machte ich mich wieder mit Mark Tate auf den Weg. Als er zur Erde zurückkehrte, machte ich mich wieder auf, um nach Karta-ahn zu gehen.« Helmor hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Der weise Zauberer wußte nun, was geschehen war. »Du bist zu einer Hälfte ein Wesen von ORAN und zur anderen Hälfte ein Wesen von der Erde. Vulcanos erwachte. Dies und meine Magie öffneten das Tor von der Erde hierher. Dieser Vorgang war nicht ohne Folgen für ORAN. Doch die Wirkung blieb auf dich beschränkt, weil du als einziges Wesen in ORAN einen direkten Bezug zur Erde hast. Nicht wir haben dich hierher entführt, sondern die Energie des Tores. Wie ein gewaltiger Magnet einen Eisenspan an sich bindet!« Don Cooper sah den Weisen überrascht an. »Und du hast wirklich niemals deine Insel verlassen, Helmor?« Der Zauberer lächelte hintergründig. »Ich bin der Zauberer der Tomaren. Ich weiß, was die Menschen wissen und kenne die heilige 14 �
Legende. Jetzt kann ich sogar ihre Symbolik entschlüsseln. Der Zauberer der Tomaren brauchte nicht seine Insel zu verlassen, um zu den Wissenden zu gehören.« Don Cooper packte sein Schwert mit beiden Händen und sagte grimmig: »Dann hör mir zu, Helmor: Gibt es für mich eine Möglichkeit, zur Erde zurückzukehren? Kartaahn, die Stadt, in der ich Herrscher wurde, wartet auf mich. Aber auch mein Freund Mark Tate braucht mich!« »Ein großer Konflikt für dich, nicht wahr?« »Ja, Helmor.« »Dieses Problem ist sogar noch größer, als den Weg zur Erde zu finden.« Überrascht ließ Don das Schwert wieder sinken. »Wie meinst du das, Helmor?« »Für dich ist es größer!« berichtigte Helmor sich selbst. »Und für dich?« fragte Don Cooper lauernd. Helmor lächelte wieder. »Sieh, Don, du hast mir deine Geschichte erzählt. Ich entnahm daraus, daß dich ORAN verändert hat. Dadurch erst wurdest du zu einem idealen Träger des Geistes von Sonar-En. Ist es nicht so, daß du sogar stärker bist als er? Denn sonst würdest du dich nicht Don Cooper nennen, sondern Sonar-En!« Don verstand: »Du meinst, meine
Persönlichkeit überwog die Persönlichkeit des Nordlers?« »Gewiß nur, weil der Nordler für ungeheure Zeit im Fluch gefangen war. Er gehorchte im Grunde nur noch dem Fluch und hat seine Persönlichkeit verloren. Durch dich ist sie erneut entstanden, aber du hast sie unterdrückt mit deiner eigenen Persönlichkeit. Doch der Nordler ist immerhin so stark in dir, Don Cooper, daß er deine Freundestreue gegenüber Mark Tate entscheidend stört. Sonst wärst du natürlich gemeinsam mit ihm zur Erde zurückgekehrt und nicht nach Kartaahn gegangen.« Don Cooper nickte. Ihm schwindelte unwillkürlich. Helmor sagte ihm da Dinge, auf die er eigentlich hätte allein kommen müssen. Helmor sprach sie so selbstverständlich aus, als würden sie auf der Hand liegen. Und doch war Helmor der erste und einzige, der alles so klar und deutlich sah. Unerbittlich fuhr Helmor fort: »Denn du gehörst zur Erde, Don Cooper, und nicht in das Land der Magie ORAN. Das ist sicher. Sonst wärst du nicht bei uns. Während du deine Geschichte erzähltest, las ich deine Gedanken, und ich las auch solche, die dir nicht einmal selbst bewußt zu sein scheinen. Ich sehe in deiner Erinnerung die Weiße Hexe Kalimbah. Sie ist eine Karta-ahnerin. Sie stand an dei15 �
ner Seite, als Karta-ahn nach deiner Machtübernahme von der Göttin der Finsternis und ihren höllischen Schergen angegriffen wurde. Ich sehe ihr flammend rotes Haar, die grauen Augen, die grellweißes Feuer sprühen können, ihre athletische Gestalt, die an eine Tigerkatze erinnern läßt… Ich frage mich, warum sie einen so fest verankerten Platz in deiner Erinnerung hat. Ich wundere mich darüber, daß Don Cooper noch nicht bemerkt haben sollte, daß ihn die wahre Liebe mit dieser Frau verbindet. Sie paßt zu dir, Don Cooper, wie sonst keine Frau im Diesseits und im jenseitigen Land ORAN. Oder sollte ich besser sagen: Sie paßt zu dir, Sonar-En!« Dons Atem ging keuchend. Er mußte sich auf den Knauf seines Schwertes stützen. Sein Schwert. Ja, war es nicht in Wirklichkeit das Schwert von Sonar-En, dem Nordler? Sie waren aneinandergefesselt, zwei Wesen zu einem verschmolzen. Das hatte seinen Sinn gehabt – während des Kampfes gegen den Fluch. »Don Cooper«, sagte Helmor gedehnt, »dir war es nicht möglich, die Verbindung zu kappen, wieder ganz du selbst zu sein und Sonar-En wieder zu dem werden zu lassen, was er einst, lange vor dem Fluch schon, gewesen war. Niemand hatte die Kraft dazu. Aber die Ereignisse
seitdem haben den Konflikt in dir selbst deutlicher gemacht. Don Cooper und Sonar-En grenzen sich mehr und mehr voneinander ab – so sehr, daß ich es deutlich spüre. Ich wiederhole: Dein Hiersein hat es nur noch klarer gemacht.« »Du meinst…« Don brach ab. »Helmor, du meinst, daß du die Macht hast, aus einem Wesen wieder zwei entstehen zu lassen – mich, wie ich ursprünglich war, und Sonar-En?« Helmor schüttelte den Kopf. »Ich nicht allein, Don: Du mußt mir dabei helfen, und ich bin ganz sicher, daß du bereit bist dazu.« »Ja, ich bin bereit!« antwortete Don Cooper fest. »Aber was muß ich tun?« »Du mußt nur zurück zur Erde wollen, Don Cooper. Dir kann es gelingen, aber Sonar-En nicht!« »Zurück zur Erde?« fragte Don tonlos. »Wie wäre es möglich? Hast du nicht von dem Tor erzählt, durch das ihr hierher gekommen seid. Hast du nicht davon erzählt, daß auf der anderen Seite des Tores Vulcanos lauert? Gut, daß dieses Tor verschlossen ist!« Helmor sagte ernst: »Ja, Don, gut, daß dieses Tor verschlossen ist. Würde ich es öffnen, wären die Folgen unabsehbar. Auf jeden Fall würde keiner von uns überleben. Aber du übersiehst etwas, Don Cooper: Ich habe dieses eine Tor öff16 �
nen können, weil ich die Macht dazu habe. Ich werde auch ein anderes Tor öffnen können, wenn ich es will.« »Außerhalb von dieser Sphäre, Helmor?« »Das wird nicht notwendig sein, Don Cooper: Innerhalb dieser Sphäre, denn hier ist meine Magie wirksamer als sonstwo im Lande ORAN.« »Wie soll es geschehen?« »Es bedarf der sorgfältigen Vorbereitung, Don. Es wird auch sehr viel Kraft kosten. Soviel, daß wir verloren sind, falls Vulcanos auf uns aufmerksam wird. Denn dann wird es mir nicht mehr möglich sein, ihm den Zutritt zu diesem Ort der Geborgenheit zu verwehren.« Don Cooper trat einen Schritt vor und stieß das Schwert mit der Spitze in den Boden. Zitternd blieb es stecken. »Ich bin bereit!« bekräftigte er. Helmor deutete auf das Schwert. »Gehe sanft damit um, Don. Nicht nur, weil es dir nicht gehört. Es ist auch so, daß wir es für das, was uns bevorsteht, noch dringend brauchen.« Don verstand diesen Hinweis auf die Magie des Schwertes nicht. Es war ihm auch egal. Er dachte an die Erde und an Mark Tate! »Auf baldiges Wiedersehen, Mark!« murmelte er vor sich hin. Und er freute sich darauf.
*
Es brauchte seine Zeit, bis ich satt war. Aber dann wurde ich aktiv, obwohl May prompt Bedenken anmeldete. Ich hielt ihr entgegen: »Bist du dir darüber im klaren, May, daß die Insel Tomaro vor nunmehr drei Wochen untergegangen ist? Seitdem hockt Vulcanos darauf. Er läßt sich Zeit – und genau die haben wir nicht.« Auch Frank erhob einen Einwand: »Ich nehme an, daß unsere Todfeinde dafür verantwortlich zeichnen, Mark: Der Schwarze Adel! Wenn wir sie noch länger gewähren lassen, wird sich wenig ändern. Die Sache gilt dir, Mark. Solange Vulcanos auf dich lauert, hast du außerhalb der Südsee deine Ruhe.« Ich ließ mich nicht darauf ein, sondern warf die Decke beiseite und ging in das Bad. Es dauerte insgesamt zwanzig Minuten, dann stand ich fix und fertig in der Tür. »Worauf wartet ihr denn noch?« Die beiden gaben es auf, mich belehren zu wollen. Außerdem demonstrierte ich ihnen deutlich genug, daß ich mich endgültig von den drei Wochen, in denen ich überwiegend bewußtlos war, erholt hatte. Das Packen war für uns keine 17 �
Affäre. Wir waren so oft unterwegs, daß wir längst Routine darin entwickelt hatten. Am wenigsten hatte Frank damit zu tun. Ihm genügte eine leichte Reisetasche. Was er darin hatte, war mir unbekannt, denn Frank mußte als Magie und Gestaltswandler mit anderen Maßstäben gemessen werden. Man konnte ihn nicht mit einem Menschen vergleichen. Zumindest würde sich in der Tasche keine Zahnbürste befinden, denn es war kaum vorstellbar, daß ein Wesen, das jede beliebige Gestalt annehmen konnte ob Mann oder Frau! –, irgendwann schlechte Zähne bekommen sollte. Auch Kleidung brauchte Frank nicht: Die sichtbare Kleidung war ein Bestandteil seines Körpers! Nun, auch daran hatte ich mich längst gewöhnt. Lord Frank Burgess war ein Freund, wie er besser gar nicht sein konnte. Und was noch wichtiger erschien: Er kämpfte auf derselben Seite! Minuten später schon brachen wir auf. Eine kurze Mitteilung an den Butler genügte: James war Kummer dieser Art gewohnt! Mit dem Jaguar setzten wir uns in Richtung London in Marsch. Der Lord fuhr selbst, wie er es immer tat. Sein persönliches Geheimnis war nur noch uns und dem Butler bekannt. Anderes Personal hatte er nicht. Zweimal die Woche kam ein
Putztrupp aus dem Ort und brachte das Schloß auf Vordermann. Große Feste wurden auf dem Schloß kaum gefeiert, da Frank sowieso die meiste Zeit unterwegs war. So wie jetzt. Der Lord hatte zwar in LondonHeathrow einen Privatjet stehen, aber den benutzten wir nicht. Wir nahmen das Linienflugzeug. Mir erschien es sicherer, obwohl Frank immer noch der Meinung war, daß im Moment vom Schwarzen Adel nichts zu befürchten war. Ich konnte mir gut vorstellen, wie diese besondere Gemeinschaft der Dämonen vorgegangen war. Eigentlich müßten sie froh sein, daß Vulcanos schlief, denn seine Macht war eine direkte Konkurrenz für sie. Aber es ging ihnen darum, für mich eine Falle zu basteln. Zumindest hofften sie, mich mit Vulcanos so lange zu beschäftigen, bis sie etwas anderes hatten. Mir war es recht. Ich hatte den Kampf des Bösen mein Leben gewidmet. Ich scheute keine Begegnung mit den Dämonen. Nach einigen Zwischenlandungen und reichlich geschlaucht von der Reise, erreichten wir endlich Honolulu, die Hauptstadt des Inselstaates Hawaii. Die Inselgruppe gehörte zu den nördlichsten in der Südsee – womit eigentlich nichts anderes gemeint war als der südliche Teil des Pazifischen Ozeans. 18 �
Honolulu war schon ein Erlebnis. Ich hätte gern noch ein paar Tage hier verbracht, aber jetzt war nicht die Zeit für Urlaubsgedanken. Wir charterten eine zweimotorige Piper und setzten unsere Reise fort – nicht bevor wir auf unserem äußersten Zielpunkt, der Insel Oroia, einen Hubschrauber geordert hatten. Eine Idee von Frank, obwohl ich nicht sehr begeistert davon war. Eine hochseetüchtige Yacht wäre mir persönlich lieber gewesen. Aber Frank wollte auf Nummer Sicher gehen und erst einmal das Meer zwischen der untergegangenen Insel Tomaro und der Insel Oroia checken. Das ging mit dem Hubschrauber besser als mit einer Yacht, denn immerhin betrug die Entfernung zwischen Oroia, dem letzten Zipfel der Zivilisation, und der Stelle, wo Tomaro untergegangen war, rund dreihundert Kilometer! Ich fügte mich. May pflichtete weder Frank noch mir bei. Sie hielt sich aus allem heraus. Überhaupt war sie seit meinem Erwachen ein wenig verschlossen mir gegenüber. Nach der Landung auf Oroia, auf einem Flughafen, der mir besser zur Hühnerzucht geeignet schien, erwischte ich einen Augenblick, um sie zu fragen, was mit ihr los sei. Sie packte meine Schultern und schaute mich an. In ihren Augen flackerte ein unbestimmtes Licht. »Ich habe Angst um dich, Mark!«
Ich wollte sie umarmen, aber sie wehrte sich dagegen und schüttelte den Kopf. »Weiche mir bitte nicht aus, Mark. Wir sind drei gegen den Feuergott Vulcanos. Unsere Gegner haben irgendwie das Geheimnis von Tomaro herausbekommen – wenigstens soviel, um es gegen uns einzusetzen. Glaubst du wirklich, wir könnten einfach hingehen, den Feuergott vernichten, und dann wieder nach Hause fliegen?« »Hast du einen besseren Vorschlag, May?« Sie hielt meinem Blick sekundenlang stand. Dann schlug sie die Augen nieder. Ich nahm sie diesmal ohne Widerstand in die Arme. Für einen Moment versank die Welt um uns herum. Wir waren zusammen und gaben uns gegenseitig Kraft, aber es half nicht sehr viel: Bei aller Zuversicht, die ich seit meinem Erwachen zur Schau trug, war mir schon klar, wie aussichtslos unser Vorhaben eigentlich war. Aber wir durften nicht zögern. Mir erschien jede Sekunde wichtig. Solange Vulcanos auf der ehemaligen Insel Tomaro weilte, konnte er kein Unheil anrichten. Aber die Frage war: Weilte er überhaupt noch dort? Ich schrak unwillkürlich zusammen. May merkte es. »Was ist, Mark?« 19 �
»Ich habe eben überlegt, warum ich immer noch der Meinung sein kann, daß Vulkcanos unverrichteterdinge auf mich wartet!« Sie runzelte die Stirn. Frank trat herbei. Er hatte gerade alle Formalitäten wegen des Hubschraubers erledigt. Er grinste breit. Aber dann sah er die Sorge in unseren Gesichtern und fragte: »He, ist euch ein Geist begegnet?« »Wenn es nur das wäre…«, murmelte May bitter. Ich klärte Frank auf, aber der Lord verlor sein Grinsen nicht. »Was glaubst du, Mark, warum ich darauf bestanden habe, einen Hubschrauber zu mieten?« Er winkte uns zu und stiefelte in Richtung Hubschrauber davon. Es dauerte eine Weile, bis wir wieder in der Lage waren, ihm zu folgen. Es hatte den Anschein, als hätte Frank die Sache diesmal besser im Griff als ich, und das ärgerte mich maßlos. Aber unterwegs zum Hubschrauber beruhigte ich mich wieder. Ich lächelte sogar. Hand in Hand mit May schritt ich hinter Frank her. Wir waren ein Team. Es war völlig egal, wer von uns dominierte. Hauptsache war und blieb, daß wir zusammenhielten und das Problem gemeinsam angingen! *
Der Hubschrauber schwebte über einer felsigen Landschaft: Vulkangestein! Es erinnerte mich an die Vorgänge auf Tomaro. Das Meer tauchte auf. Ein weißer Strand, vereinzelt mit Palmen. Dieser Teil der Insel Oroia war eher karg. Man konnte sich gar nicht recht vorstellen, daß es auf der anderen Seite üppigen Dschungel geben sollte. Wir hatten diesen kleinen Umweg gemacht, um niemandem Aufschluß über unser eigentliches Ziel zu geben. Frank war ein geschickter Pilot. Der Helikopter flog tief, unmittelbar über dem Meer. Wir brausten dahin. Vom Flughafen aus konnte uns niemand beobachten. Wir befanden uns unterhalb jeder Radarkontrolle. Und dennoch waren wir auf dem Weg nach Tomaro oder zu dem, was daraus geworden war. Die Angst griff wie mit eisiger Hand nach meinem Herzen. Die Hände von May umklammerten meinen Oberarm. Auch sie spürte die Angst. Nur Frank schien von alldem nicht berührt zu werden, er wirkte locker und gelöst. Durch die Glaskanzel schauten wir hinaus. Das Meer breitete sich scheinbar endlos weit unter uns aus. Ich hatte keine Ahnung, was ich wirklich erwartete, aber ich harrte darauf, daß irgendetwas geschah, 20 �
das diese verdammte Spannung von uns nahm. Vulcanos – hatte er unser Nahen gespürt? Zögerte er nur noch, bis wir nahe genug waren? »Weiß man auf Oroia etwas vom Untergang Tomaros?« fragte ich Frank. »Ich hatte eher den Eindruck, die wußten überhaupt nichts davon, daß es Tomaro jemals gegeben hat!« entgegnete er. Er schaute konzentriert nach vorn und bediente die Instrumente des Hubschraubers, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Das Meer war ungewohnt ruhig. Die Südsee war nicht nur ein Urlaubsparadies. Hier gab es auch die besten Wellenreiter der Welt. Kein Wunder, denn nirgendwo sonst erreichten die Brandungswellen solche Ausmaße. Schließlich war der Pazifische Ozean die größte Wasserfläche der Erde. Je größer eine Wasserfläche, desto größer waren die Wellen. »Windstille?« fragte ich Frank. Gewiß hatte er vor dem Abflug den Wetterbericht eingeholt. Er nickte. »Der Himmel ist blau und glasklar, Mark. Das wird sich auch nicht ändern.« Ich schaute May an. Gleichzeitig umklammerte meine Linke den Schavan. Er blieb völlig neutral. »Spürst du was?« fragte ich May.
Sie erwiderte meinen Blick. »Nein!« antwortete sie. »Es ist, als wäre das Meer leer.« Frank lachte heiser. »Ja, Mark, als wäre das Meer einfach leer. Bist du sicher, daß es Tomaro überhaupt jemals gegeben hat?« Ich blickte ihn überrascht an. »Was soll das, Frank?« »Sei mir nicht böse, Mark. Ich wollte nicht an dir zweifeln, aber ich richte mich genau nach den Koordinaten, die du mir gegeben hast.« »Ich fühle genau, wo sich Tomaro befand! Helmor hat es mir übermittelt!« sagte ich mit Nachdruck. »Wir werden sehen!« meinte Frank und schaute nach vorn. May zuckte die Achseln. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln. Zorn keimte in mir auf. Sie sah es mir an und beugte sich rasch vor, um mich zu küssen. Ich erwiderte den Kuß nicht, sondern starrte auf das Meer hinunter wie auf einen bösen Feind. Es blieb ruhig, als würde seit Wochen kein Lüftchen in diesem Breitengrad wehen. Alles schien in Ordnung, eine wahrhaft heile Welt. Und genau das schien hier die Teufelei zu sein. »Die Hälfte der Strecke haben wir!« berichtete Frank. »Ich gehe jetzt höher. Dann müßten wir eigentlich etwas sehen.« Er tat wie angekündigt, zog den Hubschrauber von der Wasserober21 �
fläche weg, der Sonne entgegen. Bis wir hoch genug waren. Fast hätten wir die Küste der Insel Oroia sehen können und bald schon mußten wir die Stelle sehen, wo Tomaro gewesen war. Ich ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. »Reicht unser Sprit für den doppelten Weg?« fragte ich. »Können wir hinfliegen, und kommen wir dann auch wieder heil zurück?« »Dicke!« antwortete Frank salopp. Dort war er, der verfluchte Fleck, wo noch vor drei Wochen eine Insel mit Namen Tomaro gewesen war. Ich sah den Fleck und wußte hundertprozentig genau, daß es dort war. Ich war absolut sicher, obwohl überhaupt nichts zu sehen war. Die spiegelnde Wasseroberfläche, scheinbar endlos weit. Der Hubschrauber knatterte dahin. »Dort!« sagte ich brüchig und deutete hinüber. Frank nickte ernst. »Wie ich befürchtet hatte.« »Was hast du befürchtet?« brüllte ich ihn unbeherrscht an. Er antwortete nicht sofort. Die Hände von May umklammerten meine Oberarme. Sie hielt mich fest, als fürchtete sie, ich würde mich sonst auf den Freund stürzen. »Nicht das, was du glaubst, Mark! Weißt du, ich bin der Meinung, daß dich der Hilferuf von Helmor verwirrt hat.«
»Verwirrt?« »Sieh mal, Mark, ich zweifele nicht an dem Hilferuf. Das mußt du begreifen. Ich bezweifele auch nicht, daß die Insel Tomaro untergegangen ist. Ich bin auch sicher, daß es dort drüben war, obwohl nichts darauf hindeutet. Wir wissen alle drei, daß es einen furchtbaren, scheinbar weltweiten Sturm gegeben hat. Es paßt alles gut zusammen. Der Ursprung dieses Sturmes kann durchaus hier zu finden sein.« »Aber?« Frank wandte zum erstenmal den Blick und sah mich an. »Der Hilferuf von Helmor hat dich hierher gezwungen, Mark. Sonst hatte nichts mehr in deinem Denken Platz. Du hast die ganze Zeit über Angst gehabt, du könntest zu spät kommen. Es ist nicht zu spät, Mark, sondern eher zu früh.« »Zu früh?« Ich begriff überhaupt nichts mehr. Frank deutete hinunter. »Dort unten erwachte Vulcanos zu neuem Leben in einer für ihn völlig veränderten Welt, die er erst einmal kennen lernen mußte. Er selbst ist der Sturm gewesen! Er hat die ganze Erde erst einmal untersucht.« Ich riß mich von May los und packte Frank an den Schultern. »Jetzt weiß ich, was du sagen willst, Frank: Die Nachricht von Helmor beherrscht mein Denken und erschwert es mir, die richtigen 22 �
Schlüsse zu ziehen. Ich mußte hierherkommen, Frank, um von hier aus den Kampf zu beginnen. Und ich bin keineswegs zu früh hier, denn Vulcanos hat dort unten sein Zentrum wie erwartet.« Ich zeigte Frank und May meinen Schavall. Er glühte wie ein Stück Kohle im Ofen. Ein rotes Auge, das uns zu mustern schien. Oder schaute es durch die Kanzel auf das Meer hinunter? »Die Tarnung ist gut«, murmelte ich. Jetzt fühlte ich mich wie im Fieber, »aber nicht perfekt genug!« Wir waren inzwischen immer näher gekommen. Frank hielt nach wie vor Kurs. Ich zitterte wie Espenlaub und konnte nichts dagegen tun. Aber das wollte ich auch nicht. »Kehre um, Frank!« rief May. Meine Hand krallte sich in sein Jackett. »Nein, Frank, das wirst du nicht tun! Gewiß, die Nachricht von Helmor hat meine Sinne verwirrt und hat mich beeinträchtigt, aber es war nicht schlecht. Es ist, als wäre ein Teil von Helmor auf mich übergegangen. Ich weiß, was er über Tomaro und über Vulcanos wußte. Das ist wichtig. Sehr wichtig!« betonte ich. Frank hielt den Kurs, obwohl May wieder versuchte, ihn davon abzubringen. War er unschlüssig? Ich konnte ihm nicht mehr ins
Gesicht blicken, sondern hatte nur noch Augen für das spiegelnde Meer unter uns. Wir flogen in einer Höhe von über tausend Metern und hatten das Ziel erreicht. Mein Ziel! Ich umklammerte meinen Schavall. Er glühte und erzeugte eine ungeheure Hitze, aber diese Hitze konnte mir nichts anhaben. »Nein!« schrie May, aber es war zu spät. Meine Faust mit dem Schavall schoß vor. Ich hatte den Schavall von der Kette gelöst. Ich stieß mich ab. »Mark!« Nichts und niemand konnten mich aufhalten. Ich durchstieß die gläserne Kanzel und krachte ins Freie. Über tausend Meter über dem Meeresspiegel! Mit einem Schrei sprang ich aus dem Hubschrauber! * Wie soll es geschehen? fragte Don Cooper sich. Die Andeutungen des Zauberers Helmor genügten ihm nicht, um sich ein Bild zu machen. Mit einer Mischung aus Bedauern und Sehnsucht dachte Don Cooper über das Problem nach. Hatte er es richtig verstanden, daß ihn der Zauberer auch auf einen anderen Ort auf der Erde versetzen konnte? Der Zauberer war zu keiner Ant23 �
wort mehr bereit. Er hatte gemeinsam mit seinen Jüngern erst einmal die Tomaren angeleitet, hatte ihnen alles erklärt und ihnen auch Tips gegeben, ein Lager zu errichten. Dazu machten sie sich auf den Weg zu einem nahen Felsenhain. Der karge Bewuchs hier schien den Tomaren nicht zu gefallen. Sie waren die üppige Pflanzenwelt von Tomaro gewöhnt. Außerdem waren sie zu Fischern erzogen worden, während es hier keinen Tropfen Wasser zu geben schien. In dieser Hinsicht konnte auch Helmor ihnen keinerlei Hoffnung machen. Don Cooper hatte den Eindruck, als würden die Tomaren, zu ihrer ursprünglichen Heimat zurückgekehrt, ganz persönliche Schwierigkeiten entwickeln, sich in dieser Heimat auch auf Dauer zurechtzufinden. Die anfängliche Euphorie war längst gewichen. Schließlich stand fest, daß sie hier bis zum Ende aller Tage leben mußten, unter einem ununterbrochen roten Himmel, in einer Welt, in der es niemals den Wechsel zwischen Tag und Nacht gab, in einer Welt also, die von stetiger Gleichförmigkeit geprägt war. Don Cooper wußte am besten, daß dies nicht unbedingt so sein mußte, aber hatte er nicht immer wieder von einer Sphäre in die andere übergewechselt? Für ihn war niemals das Gefühl der Langeweile entstanden.
Es hatte überhaupt keine Chance gehabt. Er schüttelte den Kopf und schaute zum Himmel empor. Seine Linke ruhte auf dem Schwertgriff. Das Heilige Schwert, das eigentlich nicht ihm, sondern Sonar-En gehörte. Aber noch waren Don Cooper und Sonar-En ein und dieselbe Person. Don knirschte mit den Zähnen. Die Erinnerung des Nordlers an eine längst vergangene Zeit war so wach in seinem Gedächtnis, als wäre er selbst immer der Nordler gewesen. Aber daneben gab es seine Erinnerung an sein irdisches Leben als Don Cooper. Don war ein Frauenheld gewesen. Jetzt war er keineswegs stolz darauf. Er sah das eher als eine Schwäche denn eine Stärke an. Aber das war er gewesen: Don Cooper! Jetzt war er ein anderer. Er war eine Art Kompromiß, aber kein Mensch! »Nicht mehr lange!« murmelte er vor sich hin. »Vielleicht!« sagte Helmor leise. Er war unbemerkt nähergetreten. Don schaute nach den Jüngern des Zauberers. Sie standen ein wenig abseits und blickten ernst drein. Die anderen Tomaren waren am Felsenhain beschäftigt. Mit primitiv gefertigten Werkzeugen brachen sie die ewigen Steine und schichteten sie aufeinander. Offensichtlich wollten sie sich daraus Häuser bauen. Sie hatten ihre Beschäftigung 24 �
gefunden. Don Cooper sah mit eigenen Augen, daß Arbeit Menschen glücklich machen konnte. Allerdings nur dann, wenn sie in dieser Arbeit einen Sinn sahen! Sonst nicht! »Was soll das heißen?« fragte Don Cooper rauh. »Unsere Vorbereitungen sind getroffen, Don Cooper. Jetzt geht es an dich. Aber ich muß meine anfängliche Zuversicht einschränken. Unerwartetes ist passiert.« »Berichte!« Don Cooper schluckte schwer. Sollte er sich doch noch zu früh gefreut haben? »Es ist schnell erzählt, Don. Wir haben unsere Brüder und Schwestern angeleitet. Wir haben unser Land erforscht. Dies ist unser Tomaro, seit die Insel nicht mehr existiert. Es ist ein gutes Tomaro. Unser Volk wird sich an die veränderten Lebensbedingungen gewöhnen. Zwangsläufig. In ein paar Monaten irdischer Zeitrechnung werden sie sich kaum noch an das Südseeparadies erinnern können. Dies hier ist ebenfalls ein Paradies, wenn auch von anderer Beschaffenheit.« Er schöpfte tief Atem. Don Cooper hatte den Eindruck, er wollte Zeit gewinnen. Warum sonst kam Helmor nicht sofort auf den Kern zu sprechen? »Wir haben in der Loge auch die Grenzen der Sphäre abgetastet. Es ist leichter, die Grenze zu den Nachbar-
sphären zu durchdringen. Wir haben dabei erkannt, daß wir uns mit der Magie dieser Sphäre hier sehr gut gegen Angriffe von außen verteidigen können. Unser Volk hat die Chance, den Frieden für immer fortzusetzen. Gleichermaßen haben wir festgestellt, daß der Weg hierher für uns eine Einbahnstraße war. Als unsere Aufgabe erfüllt war, gelang es uns relativ leicht, das Tor nach ORAN zu öffnen, aber der umgekehrte Weg bleibt uns verwehrt. Es ist nicht schlimm für uns, aber es erschwert die Sache erheblich für dich. Ich bin von einer falschen Voraussetzung ausgegangen und habe unnötige Hoffnungen in dir geweckt, Don Cooper. Dafür muß ich mich entschuldigen.« »Soll das heißen, es geht jetzt doch nicht?« fragte Don Cooper zornig. »Nein!« Der Zauberer wehrte mit beiden Händen ab, »das wollte ich damit nicht ausdrücken, aber ich wollte deine Erwartungen ein wenig dämpfen. Es ist nicht sicher, ob es gelingt. Vor allem ist eines nicht sicher…« Er sprach nicht weiter. »Was?« bohrte Don Cooper. »Wir können nicht bestimmen, an welchem Ort der Erde, du ORAN verläßt!« Jetzt war Don Cooper klar, warum der Zauberer die ganze Zeit über um den heißen Brei herumgeredet hatte. Er ballte die Hände zu Fäusten. 25 �
Seine Muskeln traten in dicken Strängen hervor. Seine Bizeps waren wie Fußbälle, die sich steinhart aufwölbten. »Du willst mir also auf diplomatischem Wege beibringen, daß ich möglicherweise direkt vor dem Rachen des Feuergottes lande?« »Es ist sogar sehr wahrscheinlich, Don Cooper. Wenn du ORAN verläßt, wirst du dort erscheinen, wo sich früher die Insel Tomaro befand. Das heißt, Don Cooper, du bist des Todes!« »Ich verstehe mich zu wehren!« »Nicht gegen den Feuergott!« Don riß das Heilige Schwert aus der Scheide so schnell, daß man diese Bewegung unmöglich mit den Augen verfolgen konnte. Er war der sagenhafte, niemals ermüdende Krieger, der ein ganzes Heer allein besiegen konnte. Das hatte er nicht nur einmal bewiesen. Er hatte gegen Monster gesiegt, die so groß waren wie ein Haus ohne daß er auch nur einen Kratzer dabei abbekommen hätte. Helmor schüttelte bedauernd den Kopf. »Du vergißt eines, Don Cooper: Wenn du zur Erde zurückkehrst, bleibt Sonar-En, der Nordler, bei uns! Er wird sein Schwert packen, es in die Scheide stecken und zu seinem Volk nach Karta-ahn aufbrechen. Er wird Sonar-En, der Herrscher von Karta-ahn, sein. Er wird Kalim-bah zu seiner Frau neh-
men. Er wird so aussehen, wie du jetzt aussiehst, Don Cooper, denn du nennst dich zwar so, wie du auf der Erde geheißen hast, du hast auch zum großen Teil deine alte Persönlichkeit behalten, aber diese Persönlichkeit steckt in einem Körper, der nicht so aussieht wie Don Cooper, sondern genauso wie Sonar-En!« »Ich werde also gewissermaßen mit leeren Händen vor dem Feuergott erscheinen. Ich werde nicht mit magischen Künsten aufwarten können, sondern werde ein Mensch sein.« »Ich weiß aus deinen Gedanken, Don Cooper, daß du für irdische Verhältnisse ebenfalls ein unglaublicher Kämpfer warst, aber kein Übermensch wie Sonar-En. Du wirst gegen den Feuergott keinerlei Chancen haben.« »Und warum stehen wir dann hier herum und reden darüber?« brüllte Don Cooper. »Das ist doch der blanke Hohn! Ich werde mich nicht von Sonar-En trennen, sondern werde mein Schwert nehmen und euch jetzt schon den Rücken kehren!« Helmor sagte nichts dazu. Er wartete ab, bis sich Don Cooper wieder beruhigt hatte. Das ging schnell. Er schüttelte den Kopf und schaute den Zauberer an. »Nein, wir reden hier herum, weil es eine winzige Hoffnung gibt, nicht wahr?« Helmor nickte zögernd. 26 �
»Jetzt können wir wieder über Möglichkeiten und über Hoffnungen sprechen, ohne daß falsche Vorstellungen und Erwartungen entstehen, Don Cooper. Als wir uns zum erstenmal unterhielten, war ich überzeugt davon, dich auf jeden Ort der Erde hinauslassen zu können. Das hat sich zerschlagen, weil sich die Situation geändert hat: Die Zeit in dieser Sphäre hier und die Zeit auf der Erde verlaufen unterschiedlich. Es ist unberechenbar, Don Cooper. Ich weiß also überhaupt nicht, ob seit unserem Hiersein nur Sekunden oder gar Jahre vergangen sind. Ich weiß nur, daß die Macht des Feuergottes ungebrochen bleibt – genauso wie sein Haß auf uns, die wir ihn an Mark Tate verraten haben. Dies ist die Gefahr und gleichzeitig die Chance für dich. Der Feuergott wacht darüber, ob sich nicht wieder ein Tor zur Erde öffnet, weil er dann sofort zuschlagen wird. Aber wenn Mark Tate kommt und…« »Hoffentlich erwartest du nicht zuviel von Mark Tate!« unterbrach Don Cooper ihn. »Er ist der Erbe der Goriten und die Goriten hatten die Macht des Guten!« »Ganz so einfach verhält es sich nicht«, widersprach Don Cooper. »Mark Tate war einst ein Gorite, und als er starb, wanderte sein Geist in einen anderen Körper. Nach jedem Tod gab es eine Wiedergeburt. So
hat Mark Tate bis zum heutigen Tag tausend Leben hinter sich gebracht. Aber er ist immer nur so mächtig, wie es ihm die Fähigkeiten der jeweiligen Persönlichkeit erlauben, die er annimmt. Er kann das nicht beeinflussen.« Helmor runzelte die Stirn. Don Cooper winkte ab. »Ich sehe schon, daß ich dir deine Illusionen nicht rauben kann, was die Möglichkeiten von Mark Tate betrifft.« Helmor schüttelte den Kopf. »Ich glaube, daß wir uns gründlich mißverstehen, Don Cooper: Nicht ich habe auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Mark Tate zu hoffen, sondern du! Denn nur wenn Mark Tate es schafft, den Feuergott auf sich zu lenken und das auch noch zu überleben, hast du eine Chance. Wir müssen den Augenblick genau abpassen. Du mußt im richtigen Moment den Übergang schaffen, Don Cooper.« »Und wenn Mark Tate unterliegt?« Helmor zuckte die Achseln. Das war Antwort genug. Don Cooper knirschte mit den Zähnen. »Ich habe hier keinen Platz mehr. Der Platz, den ich einnehme, gebührt einem anderen: Sonar-En. Ich jedoch gehöre zur Erde – an die Seite meiner Freunde. Wenn Mark Tate besiegt wird, dann ist das auch ein Sieg über mich – egal, wo ich mich auch befinde. Selbst wenn es genau im Schlund des Feuergottes 27 �
ist.« Er atmete tief durch. »Und außerdem: Ein Mann kann schließlich auch nur einmal sterben, nicht wahr?« »Aber dieser Tod kann so sein wie tausend Tode zugleich!« orakelte Helmor. Nein, er weckte wirklich keine falsche Zuversicht in Don Cooper, aber dessen Entschluß stand unverrückbar fest: »Ich werde es dennoch wagen!« Daraufhin bildete Helmor mit seinen Jüngern eine Loge und hieß Don Cooper, in den magischen Kreis einzutreten. Er setzte sich Auge in Auge mit Helmor. Und dann ließ Don Cooper seinen Geist fallen. Er gab ihn in die Obhut des Zauberers. Er spürte, daß er zwei war. Er spürte sich als SonarEn und spürte sich als Don Cooper. Er sah sich in Soho. Er wurde verfolgt: zwei finstere Typen mit Revolvern. Er selbst war unbewaffnet. Don Cooper flankte mit seiner angeborenen artistischen Geschicklichkeit quer über ein geparktes Auto und entging somit den tödlichen Kugeln. Er hatte dies tatsächlich erlebt, während Mark Tate an anderer Stelle einen Kampf auf Leben und Tod geführt hatte. Er sah sich als Sonar-En, mitten in einer Schlacht. An seiner Seite stand der Tod, unsichtbar, nach den ent-
weichenden Seelen der Erschlagenen haschend. An der Seite des Nordlers hielt er immer reiche Beute. So unterstützte er auch dessen Unbesiegbarkeit mit dämonischer Macht. Bis zur Läuterung von Sonar-En in Karta-ahn als es bereits zu spät war. Es war die Läuterung, die den Fluch bewirkte. Sonst hätte Sonar-En gesiegt. Er hätte Karta-ahn ausgerottet und wäre als der Killer Sonar-En weitergezogen – mit seinem besten Freund, dem Tod. Don sah sich im Dschungel des Amazonas, abgezehrt, abgehetzt, gejagt von Kopfjägern. Ein tödlicher Kampf, den er für sich entschied. Die übrigen Kopfjäger ergaben sich ihm, weil sie glaubten, ein Gott würde seine Hand führen. Sie verehrten ihn. Er verbündete sich mit dem Zauberer, bis er wieder gesund war und endlich fliehen konnte. Vielleicht warteten sie dort immer noch auf den »Weißen Gott«? Zwei Leben, so unterschiedlich wie zwei Leben nur sein konnten, aber sie hatten eines gemeinsam: Es waren abenteuerliche Leben! Nur daß Don Cooper kein wahrer »Schlagetot« war, sondern ein Mann, der sich zu verteidigen wußte. Don Cooper, aus sehr reichen Verhältnissen stammend, galt in seiner Familie als Nichtsnutz, als Abenteurer, den es immer hinaus in die Ferne zog. Aber dabei nutzte er auch 28 �
der Familie, obwohl das niemand anerkannte: Auf seinen ausgedehnten Reisen in alle Welt hatte er wichtige Geschäftsverbindungen geknüpft, zu denen weder sein Vater noch sein Bruder Robert jemals gekommen wären. Der Konzern seines Vaters bekam durch Don wichtige Impulse und breitete sich weltweit aus. Es waren gute Geschäftsverbindungen, die allen Partnern Nutzen brachten und niemanden ausbeuteten. Dafür hatte Don stets gesorgt, denn er war kein Geschäftemacher, sondern hatte immer einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit bewiesen – bei allem Freiheitsdrang, der unbändig in ihm schlummerte. Freiheitsdrang! Dies war die Zauberformel. Freiheitsdrang: Solange er mit Sonar-En verbunden war, waren beide unfrei. Sie waren nicht sie selbst, sondern mußten ihre Gedanken und ihren Willen teilen. Niemals wurde es Don so bewußt wie jetzt unter der behutsamen Führung von Helmor. »Es ist soweit!« sagten die Gedanken von Helmor sanft. Es dauerte eine Weile, bis Don Cooper/Sonar-En begriffen: Die Trennung stand bevor! Jetzt schon – und deshalb halbwegs unerwartet. Sie waren miteinander verbunden gewesen, wie es unter normalen Umständen Menschen nicht möglich
war. Sie waren eine Seele und ein Körper gewesen. Und nun gab es nicht einmal ein Wort des Abschieds. Doch wie hätte ein solcher »Abschied« auch aussehen sollen? »Spürt ihr Bedauern?« fragte Helmor in seiner Sanftheit. »Die Trennung wäre irgendwann sowieso erfolgt. Sie hat sich schon deutlich abgezeichnet. Ein schizophrenes Wesen wäre entstanden. Ein Bewußtsein hätte sich vom andern abgekapselt. Sie hätten sich gewissermaßen in der Führung des Körpers abgewechselt. Ein Zustand des Wahnsinns. So, meine Freunde, ist es besser!« Und es tat überhaupt nicht weh. Es war nur so, daß die Erinnerung an ORAN auf einmal verblaßte, als wäre alles nur ein Traum gewesen. Don spürte die Veränderung, ihm war zumute wie jemandem, der am Morgen erwacht und überlegt, was am Abend gewesen war. Man ist wieder da, und die Träume der Nacht haben keine Bedeutung mehr… * Ich fiel aus über tausend Metern Höhe aus dem Helikopter, unter mir die spiegelglatte Wasseroberfläche. Die Höhe war beachtlich, mindestens doppelt so hoch, wie sich normalerweise Wolken befanden. Das 29 �
war so hoch, daß dies niemand überleben konnte. Auch unter den besten Bedingungen nicht. Es sei denn, die Bedingungen waren unnatürlich. Und es erwies sich, daß die spiegelnde, glatte Oberfläche des Meeres nur ein Trugbild war, eine Tarnung des Feuergottes, der sich in den letzten Wochen sehr gut an die ungewohnte Umwelt angepaßt hatte. Offenbar hatte Vulcanos inzwischen erkannt, daß er seine Macht nicht frei entfalten konnte, denn schließlich hatten ihn die mächtigen Dämonen der Welt nur meinetwegen geweckt. Er sollte für sie die Kastanien aus dem Feuer holen. Außerdem wurde dabei der neutrale Bereich von Tomaro ein für allemal zerstört. Es war die Sache der Dämonen, zu vernichten, zu verstümmeln, das Böse über die Welt zu bringen, und wenn es nur um des Bösen willen war und sonst keinerlei Nutzen versprach. Obwohl es hier zusätzlich einen solchen Nutzen gab: meine Vernichtung. Und die Rechnung schien sogar aufzugehen. Bis jetzt hatte alles genau wie geplant geklappt. Bis jetzt! Aber wie ich da aus großer Höhe hinunterstürzte, die geballte Faust nach unten, das Gesicht unmenschlich verzerrt, die Sinne verwirrt, war
ich nicht mehr einfach der Mensch Mark Tate. Ich war etwas anderes: ein magischer Faktor! Anders konnte man es nicht bezeichnen zumindest nicht so treffend. Meine Verbindung mit Helmor hatte das goritische Erbe in einem Maße zum Vorschein gebracht, wie es vorher nie der Fall gewesen war. Frank hatte recht: Es hatte mich verwirrt! Ich war nicht mehr in der Lage gewesen, in gewohnter Klarheit zu denken. Kein Wunder, denn Helmor hatte seine Uraufgabe auf mich übertragen! Das Volk der Tomaren war Träger der Aufgabe gewesen, die Verbannung des mächtigen Feuergottes Vulcanos zu überwachen. Nunmehr war Vulcanos zu neuem, furchtbarem Leben erwacht, nach unschätzbaren Zeiten, und die Tomaren hatten alles dies auf mich übertragen, was die Goriten ihnen auferlegt hatten. Danach waren die Tomaren von der Bildfläche abgetreten. Sie waren nicht mehr da. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht einmal, wo sie sich nun befanden. Irgendwo im Hinterstübchen wußte ich nur, daß ich um eine wesentliche Komponente bereichert worden war: Ich hatte den Auftrag, den Feuergott zu vernichten – wie es die Goriten seinerzeit getan hatten. Sie waren nicht ganz sicher gewesen, ob es ihnen gelungen war. Mit Recht! 30 �
Ich sollte ihm jetzt den Rest geben! Und Helmor trug die Macht dazu in sich. Nur war er so nahe am Geschehen gewesen, daß er diese Macht nicht wirkungsvoll genug hatte einsetzen können. Schließlich war er ein Wächter sozusagen ein Geister-Wächter – gewesen und ich ein Geister-Killer! Ich hatte die Macht von Helmor übernommen. Sie bereicherte mein Wissen um magische Dinge und meine Möglichkeiten, aber nur in diesem einen Kampf gegen den Feuergott Vulcanos. Und diese Macht verbündete sich mit dem Schavall! Es war ein einmaliger Fall, und es beherrschte mich mehr, als daß ich es beherrschte. Ich war nichts anderes als nur ein Werkzeug in diesem besonderen Kampf. Meine eigenen Wünsche, die Sorgen meiner Gefährten, unsere Bedürfnisse – dies alles mußte hintenanstehen. Wichtig war einzig und allein der Kampf. Und so raste ich hinunter. Der Wind zerrte an meinen Haaren, an meinen Kleidern, raubte mir den Atem. Der Schavall in meiner Faust war ungeheuer heiß und schwoll an, als wollte er meine Faust sprengen, aber die Faust wuchs mit. Es schmerzte, aber dieser Schmerz war nichts gegen das, was dann geschah: Die Welt riß entzwei! Ja, so empfand ich es. Ich traf mit Donner-
getöse auf einen Widerstand hoch über der Wasseroberfläche, die soeben noch ruhig und friedlich gewirkt hatte. Ich durchbrach den Widerstand, und dabei barst die Welt in einem höllischen Inferno, als wollte sie für immer untergehen. Tatsächlich war es nur die magische Tarnung, die von mir mit Hilfe des Schavalls zerstört wurde. Unter mir war nicht mehr nur Wasser, sondern eine Insel, wild zerklüftet, riesig, viel größer als Tomaro jemals war, mit brodelnden Wasserflächen, einem kochenden Meer ringsum. Die Lava war längst noch nicht ganz abgekühlt. Wahrscheinlich deshalb, weil die Insel immer noch wuchs, als wollte sie irgendwann den ganzen Pazifischen Ozean bedecken. Oder weil sich der Feuergott nur in dieser Gluthitze wohl fühlen konnte? Ich glaubte kaum, daß Vulcanos auf solche Äußerlichkeiten angewiesen war. Er war der Feuergott, weil er aus dem Feuer seine Kraft bezog und weil er es deshalb beeinflussen und sogar beherrschen konnte. Aber er hieß nicht Feuergott, weil er sich nur im Feuer oder in der Glut der Erde wohl fühlen konnte. Brüllend raste ich auf die Insel zu. In der Mitte war sie soweit erkaltet, daß sich darauf ein normaler 31 �
Mensch ohne Schwierigkeiten hätte aufhalten können. Das bestätigte meine Theorie, daß die Insel ganz ohne Zutun von Vulcanos stetig wuchs, weil aus dem Innern der Erde immer mehr glühend heiße Lava emporstieg, als wollte der Meeresboden des Pazifiks »ausbluten«. Und in der Tat: An dieser Stelle hier war die Erde Verletzt wie nirgendwo sonst. Die schlimme Wunde vernarbte zu einer wachsenden Insel. Ich hielt auf das erkaltete Zentrum zu. Es war schätzungsweise allein so groß wie die Gesamtfläche von London. Ja, die Hauptstadt von Großbritannien hätte bequem darin Platz gefunden. Und dann kam der unvermeidliche Aufprall. Das zweite Inferno, der zweite Weltuntergang ganz für mich persönlich. Ich spürte diesmal keinen Schmerz – nicht einmal den Schrecken, denn ich konnte nichts tun. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit dazu, Angst zu verspüren. Die Magie beherrschte mich ganz und machte mich zu einem relativ unbeteiligten Beobachter. Bis ich mich in einem tiefen Krater aufrappelte und verwundert feststellte, daß ich unverletzt geblieben war. Es war durch die magische Macht ein Anschlag auf Vulcanos erfolgt
mit mir als Werkzeug. Erfolg: Die magische Tarnung der Vulkaninsel bestand nicht mehr! Das war jedoch das einzige. Vulcanos, obwohl durch den plötzlichen Angriff gewiß überrascht worden, hatte seine Fühler rechtzeitig zurückgezogen, um nicht direkt mit dem Schavall konfrontiert zu werden. War ihm denn die Macht des Schavalls bekannt? Oder war es nur in der üblichen Feigheit der Dämonen geboren, daß er sich so vorsichtig verhielt? Ich glaubte eher, daß er erst einmal seine Möglichkeiten ausloten wollte, ehe er etwas unternahm. Außerdem neigte ich zu der Ansicht, daß die Insel hier keineswegs so tot war, wie es den Anschein hatte. Vulcanos wurde der Feuergott genannt, aber in Wirklichkeit war er kein Gott – falls man darunter das Sinnbild des Guten verstehen sollte! Vulcanos war ein mächtiger Dämon, der direkt aus der Hölle zu stammen schien. Er war es gewesen, der in den alten Mythen der Menschheit überhaupt die Vorstellung geweckt hatte die Hölle müßte aus Feuer, Glut und Schwefel bestehen – wie das Erdinnere, in dem sich Vulcanos am wohlsten fühlte. Er entsprach am ehesten der Vorstellung einer furchtbaren Unterwelt! Es war das Wesen eines Dämons, daß er nicht zu den Lebenden 32 �
gezählt werden konnte. Das war kein Leben im biologischen, streng wissenschaftlichen Sinne. Das war ein Bestandteil der sogenannten Geisterwelt. Das war nichts Greifbares, Gegenständliches, sondern nichts anderes als eine Zusammenballung negativer Energien, die sich irgendeiner Erscheinungsform bedienten und nur einen einzigen Zweck erfüllten: die gezielte, negative Einwirkung auf geordnete Abläufe. Dies war die Erklärung eines Eingeweihten, als den ich mich ohne Übertreibung getrost sehen durfte. Eine Zusammenballung negativer Kräfte in der Erscheinungsform von Vulcanos, das mußte direkte Folgen haben – vor allem hier, wo er einen Weg zur Erde gefunden hatte. Es war nicht unbedingt gesagt, daß Vulcanos diese Folgen im Griff hatte und steuern konnte. Er überließ sie sich selber. Seine »Persönlichkeit« in der Zusammenballung negativer Kräfte produzierte die Folgen wie negative Gedanken, die sich den Naturgesetzen als negative Ergänzungen anpaßten und so wirksam wurden. Anders bezeichnet: Scheinbar real gewordene Formen negativen Wollens! Als wenn tödliche Radioaktivität zu einem sichtbaren Wesen werden würde, das einen eben mit den naturwissenschaftlich beschreibbaren Wirkungen von Radioaktivität qualvoll umbringt.
Ich war jedenfalls auf alles gefaßt, nur nicht auf etwas Gutes, als ich mich anschickte, die Kraterwand zu erklimmen. Immer wieder hielt ich ein und sicherte nach oben. Nichts rührte sich, aber ich hatte ein bohrendes Gefühl in der Magengegend, das mich warnte. Mir war zumute, als würde ich geradewegs in eine Falle hineinklettern. Aber ich konnte schließlich nicht unten am Fuß des Kraters hocken bleiben und auf eine positive Wendung hoffen. Ich war hier, um zu kämpfen, ob ich nun wollte oder nicht! Fast hatte ich den obersten Kraterrand erreicht, als ein Gluthauch über mich hinwegging – wie der Atem eines Drachens, der bereit war, mir einen tödlichen Flammenstrahl entgegenzuspeien. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein und verharrte einen Augenblick unschlüssig. Aber dann hob ich den Blick doch über den Kraterrand. Ich schaute genau auf ein paar nackte Füße, Menschenfüße! Es erschreckte mich mehr, als hätte ich Panzerzehen eines Ungeheuers vor mir. Ich tastete mit meinen Blicken die Beine empor. Kräftige Waden, die einen guten Läufer verrieten, aber nicht zu kräftig. Es schien sich um einen hochgewachsenen Mann zu handeln, größer als ich es war. Ich 33 �
sah die muskulösen Oberschenkel. Nicht so dick wie bei einem Gewichtheber im Superschwergewicht, aber auch nicht so schlank wie bei einem Leichtathleten. Eher wie die Oberschenkel eines durchtrainierten Bodybuilders, der zur Weltklasse gehört. Das bewiesen auch die stahlharten Bauchmuskeln. Die gab es sonst höchstens noch bei guten Turnern. Die Brustmuskeln waren auch eher so wie bei Bodybuildern. Sie waren stark genug, daß dieser Mann einen Schwächeren zu Tode drücken konnte – allein mit den Armen. Breite Schultern gegenüber schmalen Hüften, kein Gramm Fett zuviel, ausgeprägte Armmuskulatur, gewissermaßen das Sinnbild des Bodybuilders überhaupt. Eine völlig ausgewogene Körperharmonie ohne zweckgerichtete Einseitigkeit, die irgendeiner speziellen Sportart am ehesten hätte dienlich sein können. Ein Mann, der in jeder Sportart außerordentliche Leistungen vollbringen konnte, ohne dort jedoch je bis zur Spitze vordringen zu können. Dagegen war selbst ein Zehnkämpfer spezialisiert. Ich kannte nur einen einzigen Menschen, auf den eine solche Beschreibung passen konnte. Er war ein Mann, der in einer ganz bestimmten Sportart sicherlich den höchsten Titel hätte erringen können: Bodybuilding! Ein Mann, der
genauso aussah, als wäre er gerade erst zum »Mister Universum« gekürt worden, obwohl nicht mit den eher unharmonisch zueinander stehenden Muskelbergen eines Arnold konkurrieren Schwarzeneggers konnte. Diesen Mann konnte und durfte es eigentlich gar nicht mehr geben, denn als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren seine Muskeln in einem solchen Maße angeschwollen gewesen, daß sie ihn auf der Erde mit ihrem viel zu großen Gewicht eher behindert als genutzt hätten. Dieser Mann hieß Don Cooper! Ich schaute in sein Gesicht und erkannte ihn. Gleichzeitig wußte ich, daß er es nicht war. Weil es einfach nicht sein durfte! Don Cooper – das war der Muskelriese mit dem Heiligen Schwert, der Herrscher von Karta-ahn. Don Cooper befand sich im magischen Land ORAN und niemals auf der Feuerinsel hier. Er streckte mir seine Hand hin. Ich deutete es als Angriff und fuhr zurück. Beinahe verlor ich den Halt. Aber ich konnte den Sturz abfangen und rutschte nur ein Stück tiefer. Don Cooper trat an den Kraterrand und sagte ernst: »Ich bin es wirklich, Mark!« Ich glaubte es nicht. Ich glaubte eher an ein verdammtes Trugbild, an einen dreckigen Trick des Fein-
des. »Ich bin es wirklich!« wiederholte Don eindringlich. »Erinnere dich doch, Mark: Meine endgültige Verwandlung in den sagenhaften, schier unbesiegbaren Helden erfolgte in Karta-ahn, als durch die Einwirkung des damaligen Fluches Sonar-En sich mit mir verband. Diese Verbindung wurde jetzt aufgehoben durch Helmor, der dich rief. Denn die Tomaren stammen ursprünglich aus ORAN. Die Goriten wußten mehr über ORAN, als wir dachten mehr sogar, als du dich erinnern kannst. Sonst hätten sie nicht die Tomaren als Wächter erwählt.« Das überzeugte mich! Er sprach mit der Stimme und in der Art des Don Coopers, wie ich Don von der Erde her kannte. Don war wieder der alte! Ich spürte, wie mir Tränen die Wangen hinunterliefen. Es war die Wiedersehensfreude, und diesmal verlor ich beinahe endgültig den Halt, aber nicht, weil ich vor Don zurückschreckte, sondern weil ich nicht schnell genug hinaufkam. Er half mir mit einem kräftigen Zug seines Armes. Ich landete federnd vor ihm. Wir starrten uns an. Zwei Freunde, die gemeinsam mehr als einmal die wahre Hölle erlebt hatten, die sich gegenseitig mehr als einmal das Leben gerettet hatten, die füreinander das eigene
Leben, ohne zu zögern, geopfert hätten. Wir flogen uns in die Arme und umklammerten uns sekundenlang, so übermannte uns die Wiedersehensfreude. »Don!« sagte ich. »Endlich wieder daheim!« sagte er. Und dann wurde uns wieder bewußt, in welcher Umgebung wir uns befanden – gewiß kein idealer Ort, um Wiedersehen zu feiern. Wir schauten uns um und gewahrten jetzt erst die Feuerkugeln, die dicht über dem Boden schwebten und von allen Seiten kamen. Sie hatten ein gemeinsames Ziel: uns! * Frank behielt einigermaßen die Nerven. Der Lord hatte genug in seinem Leben erfahren, und er war diszipliniert. Ihn konnte so schnell nichts erschüttern. May gehörte normalerweise auch zu dieser Sorte von Menschen, aber wenn es um Mark Tate ging, fiel es ihr schwer. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Herzens, und so verlor sie die Nerven, als es geschah: Sie schnellte vor, griff nach Mark Tate, um ihn aufzuhalten. Dabei prallte sie gegen die Glaskanzel. Benommen sank sie zu Boden. Frank rüttelte an ihrer Schulter. Er hatte alle Hände voll zu tun, den
Hubschrauber auch weiterhin im Griff zu behalten, aber er sorgte sich um May. »He, hast du dir was getan?« Benommen schüttelte May den Kopf. Mühsam richtete sie sich auf. Sie streckte die Hand aus und betastete das Glas der Kanzel: Unbeschädigt! Nicht einmal ein Kratzer! Und doch war Mark Tate vor Sekunden erst hindurchgebrochen, mit vorgestreckter Faust, die den Schavan hielt. »Auf magische Weise!« murmelte sie vor sich hin. »Ja!« sagte Frank bitter. Er deutete nach unten. Sie sahen, wie der magische Tarnschirm zerplatzte. Ein greller Lichtblitz. Es war ihnen, als würden Lichtfetzen nach allen Seiten davonfliegen. Unter ihnen war die riesige Insel, die allmählich zu einem Kontinent zu wachsen schien – und Mark Tate als ferner, langsam entschwindender Punkt. »Aus dieser Höhe dauert es bis zum Aufprall über eine Minute, wenn ich mich nicht verschätze«, sinnierte Frank. »Hör auf!« schrie May und trommelte gegen die Glaskanzel. Frank tat nichts, um sie davon abzuhalten. Er wußte, daß das Glas eine solche Attacke durchaus vertragen konnte. Sonst wäre es unmöglich gewesen; mit dem Hubschrauber in solcher Höhe zu fliegen.
May beruhigte sich allmählich. Aber sie zitterte immer noch an Armen und Beinen, als sie sich auf ihren Platz setzte. »Die Magie hat Mark vollkommen im Griff. Er muß ihren Gesetzen gehorchen – mehr denn je«, führte Frank wie im Selbstgespräch aus. »Wir wissen, wie sehr Mark meistens in seiner Rolle als Geister-Killer leidet. Er sehnt sich nach einem geruhsamen Leben hinter dem Ofen höchstens noch mit den eher harmlosen Aufregungen, wie er sie als Streifenpolizist im Londoner Westend vor vielen Jahren einmal gehabt hat.« Mays Gesicht war kreidebleich. Sie starrte nach unten, als wollte sie allein mit ihrem Blick ihren Lebensgefährten wieder heraufbefördern. »Er – er kann es nicht überlebt haben!« flüsterte sie heiser. Frank sah ihr an, daß sie ihre magischen Fähigkeiten anstrengte, um nach Mark Tate zu forschen. Er legte seine Hand auf ihren Arm und sah sie beschwörend an. »Nein, May, tu es nicht! Es wäre sehr unklug. Wir dürfen Vulcanos nicht auf uns aufmerksam machen!« Jetzt erst bemerkte May, daß er den Hubschrauber absinken ließ. Es ging so schnell abwärts wie mit einem Fahrstuhl. »Was hast du vor, Frank?« fragte sie erschrocken. »Ganz einfach: Vulcanos war auf
Mark Tate fixiert gewesen. Dieser hat ihm jetzt eine Nuß zu knacken gegeben, indem er gewaltsam in das Reich des Feuergottes eindrang. Wenn wir jetzt mit dem Hubschrauber abdrehen, wird Vulcanos sich an uns schadlos halten. Er wird uns hinwegfegen, als wären wir lästige Krümel auf seiner sauberen Tischdecke.« »Du hast eine umwerfende Art, Vergleiche anzustellen!« murrte May. »Nicht wahr?« Frank stieß ein humorloses Lachen aus. »Statt dessen willst du mitten im Kuchen landen, was? Weil dort Krümel am wenigsten auffallen, wie?« »Du hast es erfaßt, May!« sagte er grimmig. Er ließ den Helikopter so schnell absinken, wie es die Technik zuließ, ohne daß beim späteren Abfangen die Rotorblätter brachen. »Wir haben es eilig«, bemerkte er dazu. »Vulcanos hält sich zurück und sondiert die Lage. Hoffentlich entdeckt er dabei nicht ausgerechnet uns. Schirme deine Gedanken ab, May. Es soll nichts nach außen sickern. Als wäre niemand mehr an Bord. Als wäre Mark allein gekommen und der Hubschrauber nunmehr herrenlos.« Er ließ den Hubschrauber noch ein wenig trudeln, um es glaubwürdiger zu machen. Und sie hatten offensichtlich Erfolg: Sie spürten nichts von Vulca-
nos. Also wurden sie vom Feuergott nach wie vor ignoriert. Was hätte er auch mit einem herrenlosen Hubschrauber anfangen wollen? Er interessierte ihn einfach nicht. »Jetzt!« brüllte Frank. Es war soweit. Er konnte es nicht länger riskieren, den Hubschrauber stürzen zu lassen. Er mußte ihn jetzt abfangen, wenn er keine Bruchlandung riskieren wollte. Da fauchte draußen ein Sturmwind vorbei. »Aufwinde!« rief Frank erschrocken, »erzeugt durch die Hitze über der Insel. Turbulenzen!« Im nächsten Augenblick stand der Hubschrauber Kopf und wurde hinweggefegt, daß May wieder der Vergleich mit den Krümeln auf der sauberen Tischdecke einfiel. Aber Frank verlor nicht die Orientierung. Er hatte ein Gefühl für das Fliegen wie kein Mensch. Er war ja auch kein normaler Mensch. Er hatte das Einfühlungsvermögen eines Vogels, der zum Fliegen geboren war. Nur deshalb gelang es ihm, den Helikopter einigermaßen in der Flugbahn zu stabilisieren und den Hubschrauber sogar aus der Zone der stärksten Turbulenzen herauszumanövrieren. Mit einem anderen Piloten wären sie unweigerlich in den Tod gestürzt. Zumindest wären die Rotorblätter zerbrochen. 37 �
»Glück gehabt!« stieß Frank erleichtert hervor. Sie waren über dem kochenden Wasser. Einige Spritzer flogen empor und klatschten gegen die Kanzel. Sie waren so heiß, daß May befürchtete, das Glas müßte splittern, aber sie folgten den gültigen Naturgesetzen und verdampften sofort. Es blieb nicht einmal ein Kondenshauch übrig. Frank zog die Maschine auch aus dieser Gefahrenzone, und dann hatten sie Erde unter sich neue Erde, soeben erst aus der Tiefe gestiegen, an der Oberfläche schwarz verkrustet, im Innern noch weißglühend. Gasblasen fanden ihren Weg ins Freie, fackelten ab und ließen die Kruste wieder platzen. Sie bewegte sich wie der Rücken eines kriechenden Monsters. Es war ein Monster: ungeheure Hitze, die sie herunterlockte, nach ihnen griff, um sie zu rösten. Rechtzeitig brachten sie es hinter sich. Vor ihnen lag vollends erstarrte Lava. Es gab qualmende Erdspalten, Pfützen aus flüssiger Glut, aber die Hitze war nicht mehr so stark hier oben spürbar. Und Frank »roch« die nächsten Turbulenzen regelrecht. Er drosselte die Geschwindigkeit, ehe ein Gluthauch den Hubschrauber packte und in die Rotorblätter fuhr. Der Hubschrauber wurde heruntergedrückt. Das hätte die Rotoren über-
dreht. Frank gab wieder Gas und fing den Helikopter ganz knapp über dem heißen Boden ab. Sie gewannen wieder an Höhe. Allmählich wurde das Gestein immer kühler. Sie näherten sich dem Innern der riesigen Insel. »Das ganze Unternehmen hat einen gravierenden Fehler«, murmelte Frank: »Wir werden nie mehr die Insel verlassen können, weil unser Sprit nicht ausreicht. Durch unsere waghalsigen Flugmanöver verbrauchen wir wesentlich mehr, als wir uns leisten können.« May sagte nichts dazu, Sie spürte einen imaginären Kloß in ihrer Kehle. Alle Hoffnung drohte sie zu verlassen. Sie hatte gesehen, was mit Mark Tate geschehen war – und nun dieses. Gefangene der Feuerinsel? Wie sinnlos doch der Kampf gegen die ungeheure Macht des Feuergottes war. Vulcanos konnte sich getrost Zeit lassen. Ja, er brauchte im Grunde sogar überhaupt nichts anderes zu tun als abzuwarten, bis sie verhungert und verdurstet waren. Selbst die speziellen Fähigkeiten von Frank nutzten da nichts mehr. Sollte er sich in einen Vogel verwandeln, davonfliegen und von den Glutwinden gar kochen lassen? Er war ein Gestaltsumwandler, aber um die Gestalt eines Wesens annehmen zu können, mußte er 38 �
genau seine Struktur kennen – entweder durch direkte intensive Forschung auf magische Weise, oder indem er einfach aus seiner Erinnerung schöpfte. Aber Frank hatte keine Erinnerung an ein irdisches Wesen, das hier überleben konnte außer gewissen Kleinstlebewesen. Doch soweit ging seine Fähigkeit bei weitem nicht! * Die Feuerkugeln waren so dick wie Bälle und rasten auf uns zu. Genau an der Stelle, wo wir standen, würden sie sich zu einem einzigen riesigen Glutball vereinen – und wir mitten drin! Don Cooper duckte sich wie zum Sprung, aber was würde das nutzen? Die Feuerkugeln kamen wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht. Die ersten würde er noch überspringen können. Er würde herumhüpfen müssen wie jemand, der mit nackten Sohlen auf eine Feuerplatte gelangt war. Aber irgendwann würde er mit den Feuerkugeln doch kollidieren. Sie würden ihn auf schreckliche Weise umbringen. Er hatte es geschafft, zur Erde zurückzukehren als der, der er hier immer gewesen war. Aber zu welchem Preis! Die Freude über das Wiedersehen mit Mark Tate war nur von vorübergehender Dauer gewesen.
Aber ich war schließlich auch noch da. Ich lief von Don Cooper weg, genau auf die Feuerkugeln zu. Ich mußte ihnen zuvorkommen, damit Don Cooper nicht gefährdet wurde. Schon trafen sie auf mich. Ich spürte ihre wahnsinnige Hitze. Sie wollten sich in meine Beine bohren, mich zu Fall bringen, über mich herfallen, mich verbrennen, mich verglühen lassen. Es gelang im Ansatz. Die Hitze an den Beinen erzeugte einen schrecklichen Schmerz und riß mich um. Ich fiel genau in die heranschwebenden Feuerkugeln hinein. Aber wo ich sie traf, zerplatzten sie wie Seifenblasen. Der Schmerz in den Beinen verging. Es blieb noch nicht einmal angesengter Stoff. Ich sprang auf und lief zu Don Cooper zurück. Die Feuerkugeln von der anderen Seite erreichten ihn. Jetzt sprang er empor. Ich trat unter ihm hindurch gegen die Feuerkugeln, ehe er mitten in ihnen landete. Auch diese hier zerplatzten, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich trat und schlug nach den Kugeln, fegte um Don Cooper herum, um die tödliche Gefahr von ihm fernzuhalten. Mein Atem ging keuchend. Sterne tanzten vor meinem Augen. Aber ich schaffte es schließlich. Die Gefahr war gebannt. 39 �
Wenigstens für den Moment? Ich ließ mich schwer atmend zu Boden sinken und blieb erst einmal liegen. Mein Blick richtete sich zum Himmel. Rauchwolken zogen darüber hinweg wie echte Wolken. Aber diese hier brachten keinen kühlenden Regen. Schwitzend richtete ich mich wieder auf. Don Cooper stand neben mir und beugte sich über mich. »Danke!« sagte er leise. Ich lachte heiser. »Wofür? Das Leben retten heißt lediglich: das Leben verlängern. Manchmal verlängert man damit nur die Qualen wo es keine Freuden mehr gibt.« Ich stand auf, obwohl ich mich am liebsten lang ausgestreckt hätte, um den Schlaf des Vergessens zu finden. Ein frommer Wunsch, den mir niemand erfüllen konnte. Am allerwenigsten Vulcanos. Ich schaute wieder empor. Dabei war mir, als würden sich die gewaltig angewachsenen Rauchwolken zusammenballen. Sie quirlten durcheinander, nahmen allmählich eine Gestalt an. Es war die Gestalt einer brennenden Fackel, doch statt Feuer produzierte sie nur schwarzen Qualm, der alles Licht des Tages schluckte wie ein gefräßiges Untier. Die Fackel löste sich auf. Der Rauch wallte auf. Und dann entstand ein anderes
Mal: ein glutrotes Feuermal. Es stand ruhig am Himmel, unübersehbar, gigantisch, bedrohlich. Es war linsenförmig, also oval gestaltet, mit einer zerrissenen Linie von oben bis unten, die aussah wie eine Narbe. »Eine Wunde, die sich geschlossen hat, aber die immer noch glutrot brennt!« sagte Don an meiner Seite. Er sah es also genauso wie ich. »Als würde sie jederzeit wieder aufreißen können.« »Sieht sich Vulcanos so?« sinnierte ich. Das Mal blieb nicht. Es löste sich auf wie die Fackel, und dann entstand ein Glutgesicht mit schwarzen buschigen Augenbrauen, glühenden Augen, verzerrten Zügen. Die Fratze riß den Rachen auf und lachte ein lautloses Lachen, das Qualm produzierte, der so stark herausschoß, daß bald die Fratze nicht mehr zu sehen war. »So sieht er sich wohl eher!« fügte ich hinzu und schüttelte den Kopf. Hoch über dem Meer wurden die Rauchwolken vom Wind zerfetzt und davongetragen. »Ende der Vorstellung«, sagte Don heiser. »Und was steht als nächstes auf dem Programm?« »Auf jeden Fall unser Ableben!« »Irrtum, Mark!« Don Cooper hob den Arm und deutete auf einen Punkt, der hinter meinem Rücken lag. Ich wirbelte herum und traute meinen Augen nicht: der Hub40 �
schrauber mit May und Frank! Er knatterte dicht über dem kargen Vulkanboden herbei. »He!« rief ich und begann, mit beiden Armen zu winken. Don Cooper blieb ruhig. »May und Frank!« rief ich ihm zu. Er reagierte gar nicht. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er dem Hubschrauber entgegen. Was hatte er denn? Der Helikopter knatterte wie der Sturmwind heran, Frank flog wie der Teufel. Er war schon relativ nahe, als Frank endlich mit der Geschwindigkeit herunterging, um uns nicht über den Haufen zu fliegen. Jetzt erst entspannte sich der Gesichtsausdruck von Don Cooper. Der Hubschrauber landete wenige Schritte von uns entfernt. Die Pilotenkanzel wurde geöffnet. May und Frank saßen da und starrten uns fassungslos an. Es war schon viel für sie, mich völlig unverletzt hier stehen zu sehen. Sie schienen erst an ein Trugbild geglaubt zu haben. Aber dann der Anblick von Don Cooper… Ich spürte die tastenden Gedanken von May und ließ sie prompt zu mir herein. »Er ist es wirklich, ihr beiden: unser Don!« Frank schüttelte den Kopf. Ich konnte mir vorstellen, daß er längst einen Gedankenimpuls zu Don
geschickt hatte. Don nickte ihm lächelnd zu. Die beiden waren schon Freunde gewesen, lange bevor sie mich gekannt hatten. Ich erinnerte mich noch so gut an meine erste Begegnung mit Don, als wäre es erst vor einem Tag geschehen. Es war in London. Ich befand mich an Bord eines Schiffes, das in Richtung Indien in See stach. Ich wollte dem Ruf eines indischen Freundes folgen, der inzwischen nicht mehr lebte. Don war mir als nervöses Nervenbündel erschienen. Keinerlei Selbstvertrauen, völlig konfus, nur noch der vage Schatten seiner selbst. Er hatte sich mir in eigentlicher ungebührlicher Art genähert, indem er mich einfach gebeten hatte, in meiner Kabine übernachten zu dürfen. Dabei war sein Ansinnen keineswegs unanständig gedacht gewesen: Don hatte solche Angst, daß er nicht mehr allein sein konnte. Er erkannte mich durch einen Zeitungsartikel als einen Detektiv in Sachen Geister und sah in mir den einzigen Menschen, der ihm den gewünschten Schutz gewähren konnte. Ich gewährte ihn ihm. Und dann war Don aufgetaut und hatte mir die haarsträubende Geschichte von dem Fluch erzählt, der auf dem Schloß seines Freundes Lord Frank Burgess lastete! Er selbst 41 �
war in diesem Fluch gefangen gewesen und hatte es geschafft, ihm zu entfliehen. Er hatte allerdings auch einen hohen Preis gezahlt, denn er war zu einem wimmernden, angstschlotternden Nervenbündel geworden. Ich half ihm und Frank. Ich brach den Fluch. Seitdem waren wir Freunde. Alle drei! Und nun waren wir wieder zusammen, was wir schon gar nicht mehr zu hoffen gewagt hatten! * Ja, wir waren zusammen, aber unter welchen Bedingungen! Don trat auf den Freund zu. Sie schauten sich stumm an – er und der Lord. Dann sprang Frank aus dem Helikopter und reichte Don die Hand. Er klopfte Don auf die Schulter – irgendwie zaghaft, als hätte er Angst, ihm weh zu tun. Aber dann brachen die beiden in ein wahres Freudengeheul aus. Sie hüpften umher wie ausgelassene Jungen, hieben sich immer wieder heftig auf die Schultern und wollten sich gar nicht mehr beruhigen. Bis May neben sie trat. Sie lächelte und hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Don reichte auch ihr die Hand. Sie umarmten sich kurz. »Gern würde ich sagen: ›Willkom-
men daheim, Don!‹ Aber das geht leider nicht. So bleibt mir nur: ›Willkommen auf der Erde!‹« Sie schob Don auf Armlänge zurück und sah ihn an. Da erst wurde ihm bewußt, daß er splitternackt war. Er schaute ein wenig beschämt an sich herab. Dann lächelte er verlegen. May mußte laut lachen. Sie brach die Linke hinter dem Rücken hervor und zeigte Don eine Hose. Sie gehörte mir. Es war mir gar nicht aufgefallen, daß May sie aus dem Gepäck gekramt hatte. Don bedankte sich und schlüpfte in die Hose. Ich sicherte in der Zwischenzeit immer wieder nach allen Seiten. Bei aller Wiedersehensfreude durfte ich nicht vergessen, in welcher Gefahr wir uns befanden. Und so sah ich den Krebs mit den Feuerarmen als erster! Er war groß wie ein Haus, hatte riesige, glotzende Augen, die uns kalt musterten – und Feuerarme! Sie brannten anscheinend lichterloh, bestanden nur noch aus wabernder Glut, aus der die Flammen hochschlugen, aber dem Krebs schien das nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil. Ein Felsbrocken lag ihm im Weg. Er packte mit seinen Feuerarmen zu. Im Nu sprang die ungeheure Hitze auf den Felsbrocken über und ließ ihn aufglühen. Dann begann er zu 42 �
schmelzen, zu zerfließen. Der Krebs trat in die entstehende Lavapfütze, ließ den flüssigen Felsen aufschwappen und schob sich näher. Noch etwa fünfzig Meter. Bei seiner Größe waren das nur ein paar Schritte bis zu uns. Schon glaubte ich, die Hitze seiner Feuerarme zu spüren. Trotz der Distanz. Jetzt sahen die Gefährten ihn auch. Sie waren anscheinend sprachlos vor Entsetzen, denn keiner reagierte auf den Anblick. Ich sah nur, daß der Hubschrauber sich zwischen uns und dem Ungeheuer befand. Als erstes würde der Helikopter daran glauben müssen. Aber den brauchten wir schließlich noch dringend, denn wir wollten ja wieder fort. Ich verließ die Gruppe und lief am Hubschrauber vorbei direkt auf das Untier zu. »Mark!« rief May mir nach. Ich winkte nur ab, warf nicht einmal einen Blick zurück. Jetzt spürte ich die Hitze der Feuerarme tatsächlich. Das Untier bäumte sich auf und öffnete sein breites Maul, aus dem ein Gluthauch fauchte – mir entgegen und so heftig, daß er mich rücklings zu Boden warf. Mit einem einzigen Satz war das Untier heran. Ich lag genau richtig. »Mark!« schrie May wieder. Sie konnte mir nicht mehr helfen.
Niemand konnte das, denn die Feuerarme schlossen sich bereits als tödliche Zange. Es ging so schnell, daß ich nicht einmal mehr aufspringen konnte. Es hätte sowieso nichts genutzt. Die Feuerarme, die einen Felsbrocken verflüssigen konnten, allein mit ihrer Hitze, schlossen sich um mich. Die grausame Hitze fraß sich in meinem Körper und lähmte jede Bewegung. Ich brüllte wie am Spieß – und so etwas Ähnliches widerfuhr mir auch. Der Schmerz verschleierte meinen Blick. Ich spürte, wie sich die Feuerarme in meinen Körper gruben, um mich zu vernichten. Aber das gelang ihnen nicht! Sie konnten einen Felsbrocken, der harmlos im Weg lag, verflüssigen, aber nicht den Träger des Schavalls, den Erben der Goriten. Dieses primitive Wesen, das nur aus zusammengeballter Schwarzer Magie bestand, traf auf zusammengeballte Weiße Magie in der Form des Schavalls. Blindlings hatte es mich vernichten wollen, ohne Rücksicht auf den Schavall, weil ein solches Wesen nur einen einzigen Sinn seines verfluchten Daseins kannte: Vernichtung! Die Macht des Schavalls entlud sich in einem grellen Lichtblitz, der die magische Manifestation des Riesenkrebses mit den Feuerarmen wie eine Seifenblase zerplatzen ließ. Ich krümmte mich am Boden, doch 43 �
die Schmerzen klangen ab. Benommen blieb ich liegen, bis mich jemand auf den Rücken drehte und sich besorgt über mich beugte: Es war May. Als sie sah, daß ich unverletzt war, traten Tränen in ihre Augen. Sie nahm meinen Kopf in beide Hände und küßte mich. Dann half sie mir auf die Beine. »Du sollst nicht sagen können, daß man dich auf der Erde nicht gebührend empfangen hätte, Don, nicht wahr?« Er erwiderte mein verzerrtes Grinsen. Galgenhumor! * May und ich kehrten zu Don und Frank zurück. Ich deutete auf den Hubschrauber. »Es dürfte wohl nur mit ihm möglich sein, von der Insel wegzukommen!« Frank lachte humorlos. Dann klärte er mich darüber auf, welchen Höllenflug er und May hinter sich gebracht hatten. Danach war ich gar nicht mehr so zuversichtlich, daß der Hubschrauber überhaupt noch einen Nutzen für uns haben könnte. Ich schaute mich um. Wir waren von einem weiten Ring von Qualm umgeben. Weiter draußen brannte die Erde, kochte das Meer, vergrößerte sich die Insel mehr und mehr, wuchs tatsächlich zu einem neuen
Kontinent heran. Wann würde das enden? Und war das nun auf ein magisches Phänomen zurückzuführen oder auf tektonische Folgen der Eruption? Ich tippte eher auf Folgen der Eruption ganz in der Regel der bekannten Naturgesetze. In diesem Augenblick entstand hoch über uns, allerdings in Richtung Küste von Oroia, ein ultragreller Lichtblitz. Er war so gewaltig, daß er uns blendete, obwohl wir überhaupt nicht direkt hineinsahen. Es geschah völlig überraschend, und ich glaubte, daß wir es allein den Dampf- und Rauchmassen verdankten, die sich zwischen dem Lichtblitz und uns befanden, daß wir nicht erblindeten. Ich hatte nicht den leisesten Verdacht, um was es sich handeln könnte. Da schrie Don entsetzt: »Atomblitz!« Und schon hechtete er zum Krater, in dem ich angekommen war. Wir folgten ihm, ohne zu überlegen, und ließen den kostbaren Helikopter im Stich. Kaum hockten wir am Fuße des Kraters, als das Inferno losbrach: Ein Sturmwind brauste über die Feuerinsel, nahm den Helikopter ein Stück mit, den niemand verankert hatte, fauchte zu uns herein und wollte gar nicht mehr aufhören in dem Bemü44 �
hen, uns aus dem Krater herauszupflücken. Als es schließlich doch vorbeiging, Wollte ich mich aufrichten, aber Don hielt mich fest. »Denke an die zweite Druckwelle, Mark!« Ich duckte mich wieder. Ich konnte es immer noch nicht begreifen. Atomblitz? Sollte das etwa heißen, dort oben hatte eine Atomexplosion stattgefunden? Ich konnte es nicht lassen und hob trotz der Warnung Dons den Blick in die Richtung, in der dieser grelle Lichtblitz aufgeleuchtet war. Rauch und Dampf waren hinweggewischt worden von der ersten gewaltigen Druckwelle, die dort oben eine unglaubliche Wirkung gehabt hatte. Dafür war ein mächtiger Rauchpilz entstanden, der sich immer noch sowohl nach unten als auch nach oben ausbreitete, wobei er oben eine Haube ausbildete. Der berüchtigte Atompilz! Das war das Antlitz des Todes, erzeugt von der modernen Technik der Menschen! Ja, der Menschen! Ich duckte mich wieder nieder. Der Menschen, hämmerte es in meinem Schädel, aber nicht eines Feuergottes! Was hatte Vulcanos mit einer Atomexplosion zu tun? Als die Goriten ihn einst verbannten, hatte niemand an so etwas wie eine Atomexplosion gedacht.
Menschen! Es war so gut wie bewiesen, daß die Atomexplosion durch Menschenhand ausgelöst worden war, trotz aller internationalen Abkommen. Wer auch immer dies getan hatte es würde weltweit politische Konflikte auslösen. So einfach war das heutzutage nicht mehr. Wer hatte das getan und vor allem warum? Die zweite, gegenläufige Druckwelle kam. Wir mußten sie über uns ergehen lassen. Dann erst konnten wir es wagen, den Krater zu verlassen. Konnten wir das wirklich? Was, wenn die zweite Detonation erfolgte? Mir standen die Haare zu Berge. Verdammt noch mal, ich war ein Geister-Killer. Was hatte ich denn mit Atomwaffen zu schaffen? Ein einmaliger Fall, in seiner ganzen Tragweite noch gar nicht zu übersehen. Wir schauten zum Himmel hinauf. Direkt über unseren Köpfen war der Himmel glasklar, als hätte eine göttliche Macht mit dem Besen gründlich saubergemacht. Aber es war keine göttliche Macht, und es war vor allem kein Besen! Uns schauderte. Don sprach als erster, während Frank sich um den Hubschrauber kümmerte, der ein wenig mitgenommen aussah. Aber besser noch so als das, was ich schon befürchtet hatte. 45 �
Ich hatte dem Helikopter kaum Chancen gegeben, die beiden Druckwellen überhaupt heil zu überstehen. »Das kann nicht von Vulcanos erzeugt worden sein!« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Don, da hast du wohl recht, aber möglicherweise hat er doch seine Hände, Klauen oder Krallen im Spiel – was immer er auch hat.« Ich schnalzte mit der Zunge und zwang mich zu einem sarkastischen Lächeln. »Nicht direkt, Don, sondern indirekt.« »Indirekt?« echote er verblüfft. Ich zuckte die Achseln. »Wer weiß?« Als wäre das ein verabredetes Signal für Vulcanos gewesen, entstanden inmitten der niedergedrückten, dichten Bank aus Qualm und Dampf über dem Boden der Insel Schiffskonturen. Ein Trugbild? Allmählich wurden die Umrisse schärfer so deutlich, daß man unschwer erkennen konnte, daß es sich um einen US-Zerstörer handelte. Einer der ganz großen Klasse. Er wurde so deutlich, daß man Einzelheiten ausmachen konnte sogar die herumrennenden Besatzungsmitglieder. Und dann hörten wir das schrille Pfeifen der Kommandopfeife. Die Besatzung lief scheinbar kopflos durcheinander. Das war in Wirklichkeit allerdings wohl anders: Jeder
wußte haargenau, was er zu tun hatte! Es war ein seltsames Bild. Am seltsamsten dabei jedoch war die Tatsache, daß eines der Bordgeschütze anscheinend mitten durchgeschnitten war. Und zwar so, daß man es regelrecht auseinanderklappen konnte. Darunter war eine klaffende Öffnung entstanden. Das Durcheinander auf dem Zerstörer kam allmählich zur Ruhe. Lautsprecherstimmen hallten herüber, vom Wind zerrissen, so daß man nicht verstehen konnte, was da gesprochen wurde. Das zweite Geschütz klaffte auseinander! Ein gespenstischer Augenblick, dessen Tragweite ich nicht sofort begriff. Bis ich sah, daß darunter keineswegs die zweite klaffende Öffnung entstand, sondern etwas ganz anderes: die Spitze einer Rakete! Niemand brauchte mir extra zu sagen, um was für eine Rakete es sich handelte: eine mit Atomsprengkopf! Jetzt wußten wir, wer die erste Atomexplosion erzeugt hatte, und wir sahen mit eigenen Augen, daß die zweite bereits vorbereitet wurde. Vor dem riesigen Atompilz am Himmel entstand eine Feuerfratze: Zwei Augen glühten auf uns herab. Es wirkte geringschätzig. Dann öffnete er das Maul und lachte sein lautloses Lachen. 46 �
Er schaute zum Zerstörer hinunter. Die Atomrakete war abschußbereit. »Sie gilt uns!« murmelte May brüchig. Sie drängte sich näher an mich heran. Ich legte den Arm um sie und drückte sie fest. Ich wollte etwas sagen, aber ein verdammt trockenes Gefühl im Hals verhinderte es. »Ja, uns!« murmelte Don. In seinen Augen stand die nackte Angst. Eine Atomrakete – das moderne Sinnbild sinnloser Zerstörungswut. Das Werkzeug der Menschheit zum Selbstmord. Dagegen erschien mir in diesem Moment selbst die Macht der Geister und Dämonen, das Böse überhaupt, als ein kleines Übel! »Ja, sie gilt uns allein!« würgte ich mühsam hervor. »Aber die Soldaten wissen es nicht. Vulcanos hat sie herausgefordert. Sie glauben, sich wehren zu müssen – mit dem äußersten Mittel. Wir wissen schließlich nicht, was passiert ist, seit die Insel durch mich für jedermann sichtbar ist. Und wir wissen auch nicht, in welcher Weise Vulcanos den Männern dort drüben zusetzt.« »Da!« brüllte Frank und streckte den Arm aus. Der Zerstörer war nicht allein. Da war eine ganze Flotte. Aber die Schiffe blieben Schatten ohne Bedeutung. Nur der Zerstörer mit den Atomraketen blieb wichtig. Vulcanos hatte dieses Bild von der
Realität dort draußen erzeugt. Er wollte damit demonstrieren, daß er nicht selbst Hand an uns zu legen brauchte, sondern daß das Menschen für ihn besorgen würden. In der spektakulärsten Art und Weise, die denkbar war. Ja, da gab es keine Steigerung mehr! Die zweite Rakete würde gezündet werden. Sie würde abgefeuert werden. Sie würde besser treffen als die erste, nämlich mitten im Zentrum der Insel, wo wir uns befanden. Und Vulcanos zeigte uns auch gleich, warum dies so war, warum der Zerstörer Atomwaffen einsetzte. Er ließ uns über diese Frage nicht im Ungewissen. Wir sollten wissen, warum wir in den Augen der Menschen sterben sollten. Von der Flotte fehlten zwei Schiffe! Ihre rauchenden Trümmer trieben im Meer. Ihre Zerstörung konnte niemand an Bord überstanden haben. Das sagte alles. Das Bild verblaßte. Nur der Zerstörer mit der abschußbereiten Rakete blieb. Und da löste sich die Rakete. Sie wurde von Druckluft getrieben, wurde emporgeschleudert, einen weißen Kondensstreifen hinterlassend. Dann zündete der Treibsatz, heiß wie die Sonne. Die Rakete schoß in den Himmel. Das Bild des Zerstörers verblaßte 47 �
ebenfalls. Die Fratze von Vulcanos lachte ihr lautloses Lachen und verschwand. Die Rakete wurde sichtbar, und zwar mit bloßem Auge. Sie nahte im hohen Bogen, kletterte bis zum höchsten Gipfelpunkt hinauf und raste dann wieder dem Boden zu, mit tödlicher Sicherheit vom Computer an Bord gesteuert. Er würde die Rakete ins Ziel lenken – genau hierher, wo wir standen. Wir konnten uns ruhig im Krater verkriechen. Wir konnten tun, was wir wollten: Es würde uns keine Rettung bringen. Und der Schavall mit seinen universellen Möglichkeiten half lediglich gegen magische Gewalten, nicht gegen weltliche. Gegen eine Atombombe war er genauso machtlos wie wir als Menschen. Nein, für uns gab es kein Entrinnen. Nur noch Sekundenbruchteile bis zu unserem ganz privaten Ende der Welt! Vor meinem geistigen Auge sah ich noch das lautlose, triumphale Lachen des Feuergottes. Er hatte auf der ganzen Linie gesiegt, und es war ihm nicht einmal schwergefallen. Ich selbst hatte ihm den Weg gezeigt, als ich die Tarnung der Feuerinsel zerstört hatte. Es war zu spät, dieses zu bedauern.
*
»Mark Tate!« Ich hörte die Stimme in der Sekunde, in der jeder von uns mit dem Leben abgeschlossen hatte. Keiner machte auch nur die geringsten Anstalten, sich in Deckung zu werfen. Es wäre einfach lächerlich erschienen. »Mark Tate!« Die Stimme kannte ich, aber es war keine Stimme eines Gefährten. Wer sonst? »Mark Tate!« May und ich wandten gleichzeitig die Köpfe. Hinter uns stand ein Mann. Nein, es war ein Schemen, kein Mensch. Es schwebte knapp über dem Felsboden, die Augen geschlossen, mit bebenden Lippen. Der ganze Körper zitterte wie unter unmenschlichen Anstrengungen. Ich erkannte ihn. »Helmor!« entfuhr es mir. Und auch Don rief: »Helmor!« Er breitete die Arme aus. »Kommt, ihr braucht es nur zu wollen!« Und ob wir wollten! Wir öffneten unsere Seelen für seine Magie, ließen seine Gedanken ungehindert zu uns herein, verschmolzen mit ihm zu einer magischen Einheit. Ein ohrenbetäubendes Krachen, ein Donnern und Fauchen, ungeheure Helligkeit, der Weltuntergang, wie wir ihn erwartet hatten. Aber 48 �
wir waren nicht mehr auf der Erde. Wir waren auch nicht im magischen Land ORAN. Wir waren irgendwo dazwischen, von den Gedanken Helmors gehalten. Er konnte nicht zu uns auf die Erde kommen. Das war ihm nunmehr verwehrt. Er konnte uns auch nicht ganz zu sich holen. Sonst gab es möglicherweise für uns keine Rückkehr zur Erde mehr. Wir blieben hier. Nicht nur als Seelen, die im Nichts schwebten, sondern ganz real. Wir nahmen sogar ein Stück der Umgebung mit: Felsgestein, auf dem wir standen, und den Hubschrauber! Es hatte sich ein Stück aus der Realität gelöst, mit einem Durchmesser von vielleicht zehn Metern. Das genügte. Wir waren hier und wußten nicht wie lange, während um uns herum das Donnern und Brausen des Weltuntergangs toste. Ja, so mußte die Apokalypse in der Vorstellung dessen ausgesehen haben, der die Schöpfungsgeschichte niedergeschrieben hatte. Das Inferno konnte nicht furchtbarer sein. Doch die Gedanken Helmors beruhigten uns: »Es wird vorbeigehen! Ich bin glücklich, Mark Tate helfen zu können. Ich bin glücklich, daß du es geschafft hast, herzukommen, Erbe der Goriten!« Ich war ganz und gar nicht glücklich darüber, doch das sagte ich natürlich nicht. Don sprach an meiner Stelle: »Wie
geht es Sonar-En? Was macht der Nordler?« »Es geht ihm gut, Don. Er ist längst aufgebrochen nach Karta-ahn. Für die Karta-ahner hat sich nichts geändert. Sie werden zu ihrem Herrscher nur Sonar-En sagen müssen anstatt DC, wie sie dich getauft hatten. Dabei wird ihr Herrscher haargenau so aussehen, so sprechen und handeln, wie sie es gewohnt sind. Du hattest in der Gemeinschaft mit dem Nordler zwar deine Persönlichkeit im Vordergrund, weshalb die Gemeinschaft sich auch Don Cooper nannte, aber das Wesen war im Grunde immer das des Nordlers gewesen.« Nun hörten wir es aus erster Hand. Ich sagte: »Und was ist, wenn deine Kraft erschöpft ist, Helmor? Es muß dich ungeheuer viel Energie kosten, uns zu helfen, nicht wahr?« »Gewiß, Mark Tate, es geht auch nur dieses eine Mal. Mit meiner Loge wollte ich herausfinden, ob Don Cooper überlebte. Ich hatte dich gespürt. Deshalb vollzog ich die Trennung zwischen Don Cooper und Sonar-En und ermöglichte Don damit die Rückkehr in seine Heimat. Aber ich konnte natürlich nicht sicher sein, ob es wirklich so gelungen war, wie ich es hoffte. Als ich, unterstützt von der Loge, meine Nachforschungen begann, sah ich die furchtbare Gefahr für euch. Ich 49 �
handelte.« »Damit ist dein Volk schutzlos in seiner Sphäre, Helmor. Du weißt, welche Gefahren im Lande ORAN lauern? Nur wer achtsam ist und die Grenzen seiner Sphäre stark hält, darf in Frieden leben.« »Ja, ich weiß, Mark Tate, aber ich war es euch schuldig. Ein letztes Mal. Wenn die Kräfte erschöpft sind und der Kontakt reißt, wird es mir vielleicht für immer unmöglich sein, einen solchen Kontakt wieder aufzunehmen.« Ich gab es auf. Warum sollte ich Helmor Vorwürfe machen, wenn er alles getan hatte, um uns zu retten? Helmor hatte es in einer völlig selbstlosen Art und Weise getan, aber vielleicht hatte noch ein wenig der alte Auftrag der Goriten mitgeschwungen? Denn es war das einzige, was Helmor überhaupt noch im Sinne des Auftrages tun konnte: uns retten, damit wir den Kampf gegen Vulcanos fortsetzen konnten. Aber es blieb die Frage: Was tun, wenn der Kontakt riß? Würden wir dann nicht in einer radioaktiven Hölle auftauchen? Helmor antwortete auf die Frage: »Ich weiß es nicht! Dann wäre allerdings mein Opfer völlig sinnlos gewesen. Ich sah einfach keine andere Möglichkeit. Es verbraucht so viel Kräfte, daß ich euch nicht an einen anderen Ort versetzen kann, auch wenn ihr eure eigenen Kräfte
zusätzlich dafür einsetzt.« Das brüllende Inferno außerhalb der kleinen Sphäre, die sich um uns gebildet hatte, war verstummt. Wartete jetzt die radioaktiv verseuchte Hölle auf uns? Wir würden nur Sekunden zu überleben haben, wenn überhaupt. Da half nichts. Da halfen Frank auch nicht seine speziellen Fähigkeiten. Oder gab es doch noch eine winzige Hoffnung? Wie sah sie aus? Was konnte einen schon erwarten nach einer atomaren Detonation? Aussichtslos! konstatierte ich, obwohl ich wirklich nicht so leicht die Flinte ins Korn warf. Ich war in diesem Moment davon überzeugt, daß Helmors Opfer wirklich umsonst gewesen war. Wir würden es bald am eigenen Leib erfahren, unaufhaltsam, denn unser neuerliches Auftauchen ließ sich nicht mehr länger verzögern. »Leb wohl!« sagte Helmor besorgt. »Ich werde leider nicht mehr erfahren, was aus euch geworden ist.« »Doch!« antwortete ich zerknirscht: »Wenn Vulcanos dir in ORAN einen Besuch abstattet – wenn er die Möglichkeit dazu gefunden hat –, dann wirst du wissen, daß wir gescheitert sind!« »Ich glaube nicht daran, denn du bist Mark Tate, der rechtmäßige Erbe der Goriten – und die Goriten haben einst das Gute auf die Welt 50 �
gebracht!« Es war schade, daß ich seinen Optimismus nicht im geringsten teilen konnte. »Leb wohl und – danke!« rief ich ihm nach. Ich sah sein verzerrtes, von der Erschöpfung gezeichnetes Lächeln, ein schwaches Winken, dann kam die Realität wieder zu uns zurück. Wir tauchten auf. Die Wirklichkeit hatte uns wieder mit allen Konsequenzen, wie immer diese auch aussehen mochten. * Wie das Sprichwort schon sagt: »Unverhofft kommt oft!« Diesmal konnte man es durchaus positiv auslegen, auch wenn wir es wirklich nicht mehr erwartet hatten. Wir tauchten auf, und zwar genau an der Stelle, wo wir verschwunden waren. Mit uns kam jenes Stückchen Land, das wir gewissermaßen mitgenommen hatten. Keine radioaktive Hölle! Über unseren Köpfen gab es einen mächtigen Atompilz, doch er befand sich hoch genug, begann erst in einer Höhe von einigen hundert Metern. Wir kamen aus einer neutralen Zone zwischen Diesseits und Jenseits und befanden uns jetzt ebenfalls wieder in einem neutralen Raum.
Doch nicht von Anfang an! Genau in dem Augenblick, da wir wieder Berührung mit dem Diesseits hatten, spürte ich die Anwesenheit des Bösen – und große Hitze, wie sie im Innern eines tätigen Vulkans nicht größer sein konnte: Vulcanos! Und das zeigte mir, was geschehen war seit unserem Verschwinden: Die Bombe war detoniert, mit allen furchtbaren Konsequenzen, nur waren wir nicht mehr dagewesen. Es war Vulcanos nicht verborgen geblieben. Er war sofort herbeigeeilt, weil er mit einem Tor nach ORAN rechnete. Er sah die Chance, sich an Helmor und den Tomaren zu rächen. Während unserer Abwesenheit verdrängte er mit seiner Präsenz die Folgen der Detonation, um das Tor nach ORAN für sich nutzbar machen zu können. Allein: Es gab überhaupt kein Tor in dieser Art! Ehe er seinen Irrtum einsehen konnte, tauchten wir schon wieder auf, und vor dem direkten Kontakt mit dem Schavall floh er wieder, der mächtige Feuergott Vulcanos. Deshalb war hier alles »sauber«. Im magischen Sinne, weil Vulcanos kein unnötiges Risiko eingehen wollte. Im physikalischen Sinne, weil Vulcanos selbst alles »gesäubert« hatte. Ob er nun wußte, was für einen Fehler er im Kampf gegen uns 51 �
begangen hatte? Er selbst hatte uns eine sichere Rückkehr zur Erde garantiert. Die Wut mußte ihn schier zerreißen! In der aufstiebenden Wolke des Atompilzes erschien sein Fratzengesicht. Diesmal gab es kein Gelächter seinerseits. Seine Augen glühten haßerfüllt. »Die erste Runde ging unentschieden aus!« brüllte ich hinauf – sicher, daß er mich hörte und auch verstand. Das Fratzengesicht verschwand. Ich betrachtete den Atompilz und fragte mich ernstlich, wie groß die Dosis von Radioaktivität schon war, die wir vier aufgenommen hatten, denn ein Atompilz strahlte Radioaktivität aus. Soviel stand fest. Und wir befanden uns genau darunter. Die Gegend hier würde nicht mehr länger »sauber« bleiben. Es war wirklich an der Zeit, von hier zu verschwinden. Ich lief zum Hubschrauber, kaum daß ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Don Cooper folgte mir auf dem Fuße. Nur May und Frank blieben zurück und machten auch keine Anstalten, uns zu folgen. Ich warf einen Blick über die Schulter, während ich in den Helikopter stieg. May und Frank standen da, mit gebeugten Häuptern und entrückten Mienen.
Was war los mit Ihnen? Aber dann begriff ich es: Sie hatten ihre Gedanken magisch miteinander verbunden. Eine Art Miniloge. Ihre Gemeinschaft war mehrfach so stark als es jeder einzeln gewesen wäre. Was hatten sie vor? Aber auch das war mir klar: May und Frank versuchten, den Kontakt mit den Menschen auf den Kriegsschiffen herzustellen! Sie wollten diese darauf aufmerksam machen, daß sich jemand auf der Insel befand, der mit dem Untergang von zwei Schiffen absolut nichts zu tun hatte. May und Frank wollten bewirken, daß nicht noch weitere Atomwaffen eingesetzt wurden! Als sich ihre Gesichter wieder entspannten und sie herüberkamen, wußte ich, daß es nicht gelungen war. Ich griff hinter mich, nahm die Gepäckstücke und warf sie achtlos aus dem Hubschrauber hinaus. Wir mußten Platz schaffen – für Don! Schließlich hatten wir mit einem zusätzlichen Fluggast nicht gerechnet. Außerdem würde es wahrscheinlich lebensentscheidend sein, wenn wir möglichst wenig Gewicht mitführten. Die Gefährten waren mit dieser Maßnahme einverstanden. Unser Leben war wichtiger als diese Gepäckstücke. Auch wenn mir im Nachhinein das Herz blutete, als ich 52 �
meine persönliche Habe da liegen sah – für immer verloren! Frank schloß die Glaskuppel und startete die Rotoren. Die Turbine brauchte ihre Zeit, um die nötige Betriebstemperatur zu erreichen. Mir war das noch nie zuvor so lange vorgekommen. Und dann hob der Helikopter ab. Aus den Rauchwolken über uns erscholl dröhnendes Gelächter und mündete in urweltliches Donnergrollen: Vulcanos! Es war ihm nicht entgangen, daß wir einen verzweifelten Fluchtversuch wagten. Ob er uns gelingen würde? Aber es blieb uns nichts anderes übrig. May wandte sich an mich. »Wir kamen nicht durch. Vulcanos hat uns mit Leichtigkeit abgeblockt. Das einzige, was der Feuergott fürchtet, ist der Schavall. Ohne ihn würde er uns zertreten wie lästiges Gewürm.« Der Schavall. Ich umschloß ihn mit der Linken, denn ich hatte das Amulett wieder an der Silberkette befestigt. Der Schavall glühte sanft, als wäre er ein Verwandter des Feuergottes, aber der Schavall war das genaue Gegenteil. Er beinhaltete das Feuer des Guten, der Läuterung – und nicht das Feuer der Schmerzen und der Zerstörung. Obwohl er mir auch schon mit diesem Feuer Schmerzen bereitet hatte. Aber ich war ein normaler Mensch, mit allen Fehlern, die Menschen zu
eigen sind. Ich war niemals ein Heiliger gewesen, obwohl man mich für den einzigen rechtmäßigen Erben der Goriten hielt. Ich war tausendmal ein Mensch gewesen, hatte tausend menschliche Leben gelebt. Das machte niemanden zu einem Heiligen oder gar zu einem unfehlbaren Gott. Ich wurde immer wieder das gleiche: ein Mensch! Und wenn das Schicksal mich niemals mit Magie und Okkultismus konfrontiert und mir niemals den Schavall zugespielt hätte, wäre ich irgendein Polizist in London, der seine Streife ging und bereits das Stehen im Parkverbot als den Gipfel einer bösen Tat empfand. Ich war sicher, daß ich in dieser Rolle glücklicher gewesen wäre, denn ich war im Grunde meines Wesens ein eher bequemer Mensch, der die Einfachheit, Beschaulichkeit und Romantik über alles liebte. Ich eignete mich nicht zum Streber und war alles andere als ein Karrieremensch. Ich ging lieber mal ins Kino, als selbst Abenteuer zu erleben. Aber mein Trachten und Wollen war die eine Seite – und die Aufgaben, die das Schicksal mir ständig stellte, war die andere. Dieser Seite war ich gezwungen, mich zu widmen. Ruhe und Beschaulichkeit blieben für mich ein unerfüllbarer Traum. Ich war ständig auf Achse, ständig in Lebensgefahr, in wilde Kämpfe verstrickt gegen das Böse in Reinkultur. 53 �
So wie hier und heute. Ich stieß einen lästerlichen Fluch aus und schaute hinaus. Der Hubschrauber flog mit Höchstgeschwindigkeit über nacktem Felsen. Die Felsstruktur war schwarz und zerrissen. Die Kanten waren messerscharf und erschienen hart wie Granit. Vulkangestein, noch jungfräulich. Keines Menschen Fuß hatte es jemals berührt, denn es war erst aus dem Schoß der Erde emporgequollen und kaum erkaltet. Wir flogen lange, bis wir jüngeres Gestein fanden. Hier gab es teilweise noch die Lavalachen. Kochend heißer Dampf zischte aus Erdspalten. Irgendwo ging eine Wasserfontäne hoch: ein Geysir. Es würde Jahrhunderte dauern, bis sich dies alles beruhigt hatte, falls die Insel überhaupt so lange bestand. Denn sie war das Domizil des Feuergottes, und wir waren schließlich hier, diesen zu vernichten. Das erschien absolut lächerlich angesichts der Lage, in der wir uns befanden, aber unser Willen war ungebrochen, unsere Aufgabe zu erfüllen. Es wurde heißer. Wie groß war die Insel inzwischen? Seit unserem Verschwinden war sie noch gewachsen. Ich schätzte ihren Durchmesser auf fünfzig Kilometer. Sie war nicht mehr zu übersehen – im wahrsten
Sinne des Wortes. Unter uns gab es die ersten Ausläufer des Meeres. Es kochte und brodelte, und aus der Tiefe stiegen Lavabrocken empor, verließen fast die Wasseroberfläche und sanken zurück. Gasmassen kamen aus der Tiefe, entzündeten sich an verschiedenen Stellen und fackelten aus. Das wirkte, als würde das Meer brennen. Das Lachen von Vulcanos war wieder über uns, und da traf den Hubschrauber der erste Schlag. Vulcanos hatte uns eine Galgenfrist gelassen bis hierher, aber nicht weiter. Und er ging sehr vorsichtig zu Werke, denn die direkte Konfrontation mit dem Schavall war nach wie vor gefährlich für ihn. Doch er hatte gelernt. Die zweite Runde des Kampfes zwischen ihm und uns war längst eingeläutet. Er würde die Fehler der ersten Runde nicht wiederholen. Der Hubschrauber wurde mächtig gebeutelt. Die Turbine spuckte. Der Hubschrauber legte sich auf die Seite und stürzte beinahe ab. Frank fing ihn dicht über der kochenden Wasseroberfläche ab und zog ihn ein wenig höher. In diesem Augenblick stieg neue Lava aus der Tiefe herauf. Ein fast kreisrunder Fleck mit dunklem Kranz – dort, wo die Lava mit dem Wasser in Berührung kam und geringfügig an Temperatur verlor. Das sah aus wie ein riesiges Glut54 �
auge, das aus dem Meer auftauchte und uns anstarrte. Und es erinnerte an den Schavall. Ich nahm das Amulett von der Silberkette und umklammerte es mit der linken Hand. Ich stieß die Faust hinauf, berührte damit das Dach des Hubschraubers. Ich saß mit Don Cooper auf den Rücksitzen. Vor mir war May. Neben ihr hockte Frank hinter dem Steuerknüppel. Er bediente die Schaltelemente des Helikopters mit ungeheurer, unnachahmlicher Virtuosität. Ich hatte mir gewünscht, Frank hätte sich in die Gestalt eines der Feuermonster verwandeln können, aber es war ihm nur möglich, lebendige Wesen nachzugestalten. Deshalb hatte er eine genauso geringe Chance, von hier zu entkommen, wie wir. Aber wie gering war die Chance denn in Wirklichkeit? Hatte ich nicht das Erbe der Goriten durch Helmor angetreten – für den Kampf gegen Vulcanos? Nachdem ich mit dem Schavall das Dach des Hubschraubers berührt hatte, war es Vulcanos kaum noch möglich, von hier aus einen erneuten Schlag gegen den Helikopter zu führen. Aber das hatte er auch gar nicht vor. Er hatte sich etwas ganz anderes ausgedacht. Klar wurde das erst, als es für uns
bereits zu spät war: Das Glutauge, das aus dem Meer stieg, platzte auseinander. Ein Schwall von verflüssigtem Gestein wurde emporgeschleudert. Mit ungeheurer, tödlicher Präzision traf es die Unterseite des Helikopters, trieb ihn höher. Im nächsten Augenblick war der Hubschrauber an seiner Unterseite weißglühend. Die Hitze ließ den Hubschrauber schmelzen. Im Handumdrehen verwandelte er sich in einen Metallklumpen. Wenn sie den Treibstofftank erreichte, war es aus. Die Glanzkanzel zersplitterte in tausend Scherben. Die Hitze kam zuerst zu uns herein, ehe sie den Treibstofftank mit einem fürchterlichen Knall detonieren ließ. Es war wie zu dem Zeitpunkt, als ich aus dem Hubschrauber gesprungen war: Ich brüllte wie am Spieß. Der Schavall schwoll an bis zur Größe eines Fußballs. Meine Faust wuchs mit. Mein ganzer Körper glühte. Da war etwas in mir, das sich mächtig regte und sich mit der Macht des Schavalls verband. Eine Einheit, die mich packte und aus der Gefahrenzone riß. Aber der Hubschrauber mit seinen Insassen wurde mitgerissen. Kaum waren wir aus der direkten Gefahrenzone heraus, als wir aus dem Wrack fielen. Wir stürzten auf die dunkle Oberfläche des Meeres zu. Hinter uns detonierte der Hub55 �
schrauber mit ohrenbetäubendem Krachen. Da blieb nichts mehr übrig außer glühenden Metallfetzen, die in alle Richtungen flogen. Und wir, die wir auf die Oberfläche des Meeres prallten! Wir erwarteten, daß das Wasser an dieser Stelle kochte, aber das war ein Irrtum glücklicherweise. Es war zwar ziemlich heiß, aber nicht so heiß, daß wir uns verbrüht hätten. Wir vier waren gute Schwimmer. Wir tauchten richtig ein und gelangten auch rasch wieder an die Oberfläche. Hinter uns brüllte und donnerte es: Die entfesselten Naturgewalten, die die Feuerinsel immer größer werden ließen. Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß hier ein neuer Kontinent entstehen würde: der Feuerkontinent! Wie groß würde er werden? So groß wie der Pazifische Ozean? Würde er die Wassermassen gegen die bestehenden Kontinente drängen? Würde er dafür sorgen, daß alle anderen Kontinente überspült wurden? Ich hatte mal irgendwo gelesen, das sämtliche Wasser der Erde, gleichmäßig verteilt, ein erdumspannendes Meer ohne auch nur einen Quadratzentimeter Land bilden würde. Die Meerestiefe würde dabei sogar noch mehr als zweitausend Meter betragen! Es war nicht mehr auszuschließen, daß es in einigen Jahren spätestens!
nur noch den Feuerkontinent geben würde. Alle anderen Landmassen würden versinken und mit ihnen sämtliche Menschen! Auch geologisch war das durchaus erklärbar. Man brauchte dazu nicht einmal die Magie eines Feuergottes mit Namen Vulcanos. Denn die riesigen Landmassen von Europa, Asien und Afrika auf der einen Seite und von Nordamerika und Südamerika auf der anderen Seite schoben sich unaufhaltsam seit Jahrtausenden, ja, sogar seit Jahrmillionen auseinander und bildeten dabei den breiten Graben des Atlantiks. Wo der Pazifik war, dort drängten dieselben Landmassen natürlich zusammen! Dabei erzeugten sie im Erdinnern einen ungeheuren Drück und gleichzeitig Erdbebengebiete wie in Japan, gegenüber in Kalifornien, inmitten des Pazifiks auf den Südseeinseln. Und nun erzeugten sie den Feuerkontinent! Der ungeheure Druck, der sich in Jahrmillionen stetig gesteigert hatte, fand nun sein Ventil, begünstigt und ausgelöst von Vulcanos. Der Feuerkontinent war eine unvermeidbare Konsequenz. Die Welt der Menschen ging unter – hier und heute! Wir waren mitten drin und erlebten den Anfang dieses Untergangs. Es wurde uns zum erstenmal bewußt, daß es im Grunde über56 �
haupt nicht mehr allein um einen Kampf zwischen Vulcanos und uns ging, sondern tatsächlich um den Fortbestand der Menschheit! Wir schwammen im heißen Wasser und versuchten, der Hitze aus zuweichen. Wir entfernten uns von dem entstehenden Kontinent – schwimmend. Entsprechend gering war unsere Aussicht, die Rettung letztlich auch zu schaffen. Ein Angriff durch Vulcanos erfolgte im Moment nicht. Wahrscheinlich lauerte er nur darauf, daß uns das heiße Meerwasser umbrachte, denn die Temperaturen konnten schlagartig steigen, falls sich unter unseren Füßen am Meeresboden wieder eine neue Erdspalte auftat und glühende Lava herausließ. Vulcanos konnte sich also wieder Zeit lassen und brauchte nicht Gefahr zu laufen, mit dem Schavall in Berührung zu kommen. Und wir kämpften einen aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die hohen Wellen des aufgeheizten Pazifischen Ozeans. * Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir mit der Todesangst im Nacken dahingeschwommen waren. Lange konnte es noch nicht gewesen sein, obwohl es uns vorkam wie eine Ewigkeit.
»Es klappt!« brüllte Frank auf einmal außer sich. »Was klappt?« fragte ich. Frank schwamm neben mir. Die Rauchmassen und der Dampf, der ständig emporstieg, verfinsterten die Sonne, so daß ein unwirkliches, gespenstisches Licht über dem Meer erschien und das Wasser schwarz erscheinen ließ. Manchmal wurde die Unterseite der Wolken rot beschienen – dann, wenn neue Lava emporstieg und das Meer zum Kochen brachte. »Ich hatte mich einmal in einen Hai verwandelt«, erläuterte Frank. Er knirschte mit den Zähnen. »Es ist mir jetzt wieder möglich. Ich spüre es. Ich mußte mich nur wieder zur Ruhe bringen. Vulcanos hat sich zurückgezogen und beeinträchtigt mich nicht.« »Das Wagnis ist zu groß!« warnte ich Frank. »Sobald du dich von mir entfernst, wirst du nicht mehr indirekt vom Schavall geschützt. Vulcanos wird sich in aller Ruhe mit dir beschäftigen können.« Abermals knirschte er mit den Zähnen. »Dieses Risiko muß ich eingehen. Wenn ich scheitere, haben wir Pech gehabt. Wenn nicht…« »Ja, was dann?« »Ich muß versuchen, bis zu den Zerstörern, bis zur Flotte vorzudringen. Dort verwandele ich mich wieder in einen Menschen. Ich gebe mich als Schiffsbrüchiger aus und 57 �
behaupte, daß es noch andere Unglückliche gibt: euch! Sie werden euch suchen und durch mich auch finden.« Es klang gut und durchaus vernünftig, aber ich konnte nicht glauben, daß es zum Erfolg führen konnte. Mir wäre es lieber gewesen, Frank und May hätten mit ihren magischen Kräften versucht, die Soldaten auf uns aufmerksam zu machen. Doch das war schon einmal gescheitert. Darauf war Vulcanos gefaßt und auf der Hut. Bestand denn die Möglichkeit, daß er von Franks Spezialbegabung überhaupt nichts wußte? Mein Herz schlug unwillkürlich schneller. Ich sah einen winzigen Silberstreif am Horizont unseres Schicksals. »Okay!« sagte ich zu Frank, obwohl ich sicher war, daß er auch ohne meine Zustimmung so gehandelt hätte. Und dann begann die Verwandlung. Ich hatte das schon häufiger an ihm beobachten können, aber ich war noch nie dabeigewesen, als sich Frank in ein Tier verwandelt hatte. Vor meinen Augen entstand ein denkender Hai. Er war der intelligenteste Hai, den es jemals gegeben hatte. Die Verwandlung ging relativ schnell vonstatten. Zuerst bildeten
sich Kiemen aus. Frank wurde dabei zu einem unansehnlichen Monster, das mit dem Kopf unter Wasser tauchte, wo sich dann der Rest vollzog. Eigentlich ahnte ich es mehr, als daß ich es sah. Als die berüchtigte Dreiecksflosse aus dem Meer auftauchte, wußte ich, daß die Verwandlung abgeschlossen war. Mit einem einzigen kräftigen Schwanzschlag hatte der Hai uns verlassen. Die Dreiecksflosse durchpflügte die Wasseroberfläche, wir konnten sie deutlich sehen. Ich war sicher, daß man den Hai von einem echten Hai überhaupt nicht unterscheiden konnte, denn es gehörte zur Spezialität von Frank, daß er ein Lebewesen bis in jede Zelle hinein nachbildete. Das war keine Maske, sondern eine echte Verwandlung. Das hieß: Frank spielte nicht einen Hai, sondern er war ein Hai! Die Dreiecksflosse entschwand in dem düsteren Zwielicht, das entstanden war. Vielleicht konnte May noch den Weg des Hais verfolgen? Sie war eine Weiße Hexe und hatte ganz andere Möglichkeiten als Don und ich. Wir schwammen mit kräftigen Zügen weiter und hofften, daß es gut ausgehen würde für Frank und damit gleichzeitig auch für uns!
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*
Der Hai war ein besonders kräftiges Exemplar. Er fühlte sich wie der König der Meere. Haie waren normalerweise unglaublich dumm. Sie waren lebende Freßmaschinen, die alles wegfraßen, was ihnen in den Weg kam und was sich bewegte. Dieser Hai hatte zusätzlich zu seinen körperlichen Möglichkeiten seine Intelligenz – eine menschliche Intelligenz! Und er nutzte sie. Mit seinen feinen Sinnen erkannte er ganz genau, wo die Flotte der USStreitkräfte lag. Er konnte sogar die Standorte der einzelnen Schiffe bestimmen. Der Hai schwamm den nächsten Zerstörer an. Es war der gleiche, der zwei Atomraketen losgeschickt hatte. Möglicherweise hatte dieser Vorgang allein schon eine internationale Krise auf allerhöchster politischer Ebene heraufbeschworen. Aber das würde sowieso erst der Anfang der bevorstehenden weltweiten Krise sein, wenn den Menschen erst einmal bewußt wurde, welche tödliche Gefahr hier im Pazifik für alle entstand. Der Hai spürte auch noch andere Dinge, denn zu seinen natürlichen Sinnen kamen die magischen Sinne hinzu. Frank hatte sie komplett behalten auch in der Gestalt des Tie-
res. Er spürte recht deutlich, daß er sich inmitten des Einflußbereiches von Vulcanos befand. Der Feuergott kontrollierte jeden Kubikzentimeter Wasser und auch die gesamte Insel, als wäre diese Insel sein eigener Leib! Es gab kaum noch Fische in diesem Bereich: Die es konnten, waren geflohen. Frank war der einzige Hai, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Diese Räuber der Meere gab es überall, und Frank schirmte sich so perfekt ab, daß er wie ein ganz normaler Hai erschien, der die Panik seiner potentiellen Opfer ausnutzen wollte. Für einen solchen Hai gab es hier keine Gefahr. Er hielt genügend Abstand zu den unterseeischen Beben und konnte schnell Reißaus nehmen, falls es doch noch kritisch werden sollte. Vulcanos ignorierte den Hai. Er hatte ganz andere Sorgen, als sich um jeden niedrigen Meeresbewohner zu kümmern. Während seine Macht gleichzeitig mit dem Feuerkontinent wuchs, galt sein Hauptinteresse zunächst Mark Tate und seinem Team. Sie waren seine hauptsächlichen Feinde. Solange Mark Tate und seine Gefährten existierten, solange der Schavan von Vulcanos nicht einfach neutralisiert werden konnte, weil die Verbindung zwischen ihm und Mark Tate eine ganz besondere Form angenommen hatte 59 �
– war das Vorhaben von Vulcanos letztlich aussichtslos. Er wußte genauso wie Mark Tate, daß sein Feuerkontinent heranwachsen und die gesamte Menschheit bedrohen würde. Vulcanos konnte es nicht völlig aufhalten, selbst wenn er gewollt hätte, aber er hatte die Möglichkeit, korrigierend einzugreifen. Im Moment wollte er das Maximum an Gefahr für die Menschen. Das würde ihm den nötigen Respekt verschaffen. Er würde die Welt beherrschen. Doch der Weg zur unbeschränkten Macht über Leben und Tod führte unmittelbar über Mark Tate und seinen Schavall. Das brachte den Feuergott zur Raserei. Es äußerte sich darin, daß über der Feuerinsel ein Sturm entfacht wurde. Im Nu fegte er den Himmel sauber und zerfetzte die nachfolgenden Rauch- und Dampfmassen. Die Wolken hatten sich bereits weit über den Pazifik verteilt und würden in wenigen Tagen auch den Himmel über den Küsten Floridas und später auch Japans verfinstern. Die Männer an Bord des Zerstörers schauten empor. Einen Moment wunderten sie sich über den wütenden Sturm über der Insel. Aber sie schrieben es den besonderen Umständen zu und glaubten, es wäre durch den Austausch warmer
und kalter Luftmassen über der Feuerinsel entstanden. An Vulcanos dachte keiner. In diesem Augenblick entdeckte einer der Offiziere den Schiffbrüchigen im wogenden Meer. »Hilfe!« wehte es kaum verständlich zu ihnen herauf. Sie starrten hinunter und wollten es nicht begreifen. Dann dachten sie an die beiden zerstörten Schiffe. Jedermann hatte die Atomrakete gesehen, ehe sie auf dem Wasser aufgetroffen war – direkt zwischen den Zerstörern. Mit den bloßen Augen hatten sie es gesehen, als die Detonation die Schiffe regelrecht hatte zerplatzen lassen. Nur noch rauchende Trümmer waren übriggeblieben. Niemand glaubte, daß auch nur ein Mensch überlebt hatte. Es sprach noch nicht einmal dagegen, daß man anschließend nicht die geringste Strahlung aufgenommen hatte, wie es eigentlich bei einer Atomexplosion üblich gewesen wäre. Man akzeptierte es so, wie es war – auch, daß die Radargeräte als eindeutigen Abschußort der Atomrakete das Zentrum der Insel vor ihnen ermittelt hatten. Der Flottenkommandant hatte sich entscheiden müssen sehr schnell sogar: Die fünfte US-Flotte war mit Atomwaffen angegriffen worden, und zwar völlig ohne Vorwarnung! 60 �
Und dann kam über die Funkempfänger das Ultimatum herein. In gebrochenem Englisch und mit völlig undefinierbarem Akzent war die fünfte Flotte zur sofortigen Aufgabe aufgefordert worden. Es hatte den Ausschlag gegeben. Der Flottenkommandant sah genügend Gründe für den atomaren Gegenschlag. Die erste Rakete war nicht ins Ziel gegangen. Ein Fehler, der ihnen in der Aufregung unterlaufen war. Die zweite Rakete jedoch hatte genau getroffen. Seitdem war die Aufforderung zur Kapitulation der fünften Flotte nicht wiederholt worden. Längst waren die obersten Sicherheitsbehörden der USA in Kenntnis gesetzt. Auch die Nato-Partner. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hatte persönlich den Hörer vom roten Telefon genommen und hatte den Führer der Warschauer-Pakt-Staaten von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt. Die sofortige Protestnote des Ostens hatte nichts mehr ändern können: Abgeschossene Raketen konnte man schwerlich wieder zurückholen, und zwei Atomexplosionen konnte man mit keiner Macht der Welt ungeschehen machen. Die Erklärung der USA auf die Protestnote des Ostens hin, daß das Ultimatum keineswegs von einem Russen gesprochen worden war, wie
am Akzent zu erkennen, hatte nur zur Hälfte den erwünschten Erfolg gebracht. Eine weltweite politische Krise, wie Mark Tate es befürchtet hatte – und das alles innerhalb einer guten Stunde! Und nun mußten die braven USMariner annehmen, der Mann, den sie an Bord hievten, sei ein Überlebender von den beiden zerstörten Schiffen. Ein Kamerad also. Deshalb zögerten sie auch nicht. Es fiel ihnen im Eifer des Gefechts nicht auf, daß der Schiffbrüchige keine Uniform anhatte. Als er schließlich an Bord des Zerstörers gelandet war, konnte man ihn schwerlich wieder ins Wasser werfen, nur weil man sich geirrt hatte. »Danke!« sagte der Mann außer Atem. »Wer sind Sie?« herrschte ihn der Gefechtsoffizier an. »Lord Frank Burgess – ist mein Name!« »Ein Engländer!« sagte einer und rümpfte dabei die Nase. Frank schickte ihm einen strafenden Blick. »Ich – ich bin nicht der einzige«, fügte er rasch hinzu und schaute wieder den Gefechtsoffizier an. »Verdammt, wir hatten mehr Glück als Verstand. Mit euren beiden Atomraketen hättet ihr uns beinahe umgebracht.« Dem Offizier gingen schier die 61 �
Augen über. Er dachte an das Ultimatum per Funk. Nein, das war kein Engländer gewesen. Dieser angebliche Lord kam also nicht in Frage. Aber vielleicht gehörte er doch zu den Leuten von der Insel? Matrosen aus aller Welt neigen zu voreiligen Schlüssen, wenn ein kriegsähnlicher Zustand ihre ganze Nervenkraft forderte – in einer Situation, wo man den zweifelhaften Vorzug hat, seit Ende des zweiten Weltkrieges wieder als erster die schrecklichste Waffe aller Zeiten eingesetzt zu haben. Atombombe! »Wie sind Sie in diese Lage gekommen?« fauchte der Gefechtsoffizier mühsam beherrscht. Er hätte Frank am liebsten gleich für alles verantwortlich gemacht und auf der Stelle standrechtlich erschießen lassen. Es war etwas eingetreten, womit Frank am allerwenigsten gerechnet hätte: Sein unerwartetes Erscheinen hatte ihn automatisch zum geeigneten Buhmann werden lassen! In hilfloser Verzweiflung ballte er die Hände zu Fäusten. »Mein Gott, wir sind Touristen, verstehen Sie? Einfach nur Touristen. Wir haben einen Hubschrauber gechartert und sind mit ihm ein bißchen spazierengeflogen.« »Spazieren, eh?« »Ja, ganz genau: spazierengeflogen! Da tauchte unter uns die Insel auf. Ein einmaliges Schauspiel, das
wir uns nicht hatten entgehen lassen wollen. Wir haben uns die Insel angeschaut und landeten auch mal. Da erfolgte der Angriff mit Atomraketen. Ich nehme an, das wart ihr, nicht wahr? Ist das hier neuerdings ein Versuchsgelände für Atomwaffen, oder wie sehe ich das? Warum hat man uns nicht auf Oroia davor gewarnt? Dort haben wir nämlich den Hubschrauber gechartert. Was Sie übrigens leicht nachprüfen können.« »Wenn ich mich nicht irre, darf man mit einem solchen Hubschrauber die Dreimeilenzone der Standortinsel nicht verlassen?« Frank schaute betreten zu Boden. »Stimmt«, sagte er kleinlaut, »wir haben diese Bestimmung verletzt.« »Dann konnte Sie auch niemand warnen.« »Ja, genau, das wird der Grund sein.« Frank versuchte ein Lächeln. Es wurde eine verzerrte Grimasse daraus. »Und die Insel war völlig unbewohnt?« fragte der Offizier lauernd. Es war Frank sofort klar, daß der Mann ein Nein erwartete und anschließend wohl eine genaue Beschreibung dessen, was Frank angeblich vom Hubschrauber aus gesehen hatte. Das erschien Frank nun aber doch zu gewagt. Deshalb schüttelte er den Kopf und sagte: »Wir haben niemanden gesehen. Wie sollte jemand auf 62 �
dieser Insel wohnen? Meines Wissens gibt es sie überhaupt nicht auf der Karte!« »Schlauer Bursche, was?« fragte der Offizier und schaute sich beifallheischend um. Dann ließ er die Zügel schießen. Seine Beherrschung hatte ein Ende. »Abführen!« brüllte er außer sich. »Da scheinen ein paar von diesen Schweinen auf der Insel überlebt zu haben. Diese Terroristen, weiß der Teufel, wie die an eine Atomrakete gekommen sind. Denkt an die toten Kameraden von den beiden Schiffen, Leute! Die sind zu rächen! Und haltet die Augen auf, falls da wirklich noch ein paar Figuren im Meer herumschwimmen sollten. Sie dürfen uns nicht entkommen. Wir brauchen jeden einzelnen und zwar gesund und munter. Wir werden sie an den Pranger stellen. Unser Vorgehen muß vor der ganzen Welt gerechtfertigt werden!« Das machte die Sachlage klar. Frank wurde unsanft von zwei stämmigen Matrosen abgeführt. Sie knufften und traten und zwickten ihn unterwegs. Sie machten ihn für die ganze weltweite Krise verantwortlich. Der Gefechtsoffizier hingegen beeilte sich, bei seinem Kommandanten Meldung zu machen. Die ganze fünfte Flotte mußte von dem unerwarteten Fund in Kenntnis gesetzt werden. Und dann galt es
Ausschau nach den anderen angeblichen Schiffbrüchigen zu halten. Niemand kam auch nur für eine Sekunde auf die Idee, in Oroia nachzufragen, ob dort wirklich ein Hubschrauber gechartert worden war. Während Frank in seine Zelle marschierte, fragte er sich ernstlich, ob Vulcanos ihn als Hai wirklich übersehen hatte. Oder hatte der Feuergott geahnt, wie sich die Dinge entwickeln würden? Schließlich hatte Vulcanos selbst über die Funkempfänger der Flotte dieses Ultimatum gestellt! Für den mächtigen Gott des Feuers war das ein Spaß, klar, aber für die Menschen war das bitterer Ernst. Frank kam zu dem Schluß, daß Vulcanos ihn absichtlich hatte gewähren lassen und daß er nun aus der Distanz heraus und voller Schadenfreude beobachtete, wie Mark Tate und seine Gefährten vom Regen direkt in die Traufe gelangten. * Ich konnte nur ahnen, welche technischen Möglichkeiten die US-Marine hatte, um Schiffbrüchige aufzufinden wenn sie erst einmal wußten, daß es überhaupt welche gab. Jedenfalls ging es relativ schnell, bis sie uns ausgemacht hatten. Wir schwammen zwar mit aller Kraft, aber wir waren schon erlahmt, 63 �
und das Wasser wurde uns buchstäblich zu heiß. Es hatte die Temperatur eines heißen Vollbades. Wenn man da auch noch kräftig schwimmen sollte, brachte es einen um. Als das Boot mit dem Seitenbordmotor herantuckerte, erschien uns das Motorengeräusch fast wie Engelsgesang. Wir begannen zu jubeln und winkten wie verrückt, damit sie uns auch ja nicht verfehlten. Das Boot tauchte aus dem inzwischen allgegenwärtig gewordenen Dunst. Weiter hinten gab es eine krachende Detonation: eine Gasentladung. Eine Stichflamme schoß empor. Wir freuten uns so auf die Rettung, daß wir weder darauf noch auf die grimmigen Gesichter der Mariner achteten. Daß einer vorn am Bug stand, die Maschinenpistole in der Armbeuge, das war für uns ganz normal. Schließlich hatten wir es ja mit Militärs zu tun. Daß die Maschinenpistole jedoch mit dem Lauf genau auf uns zeigte, das übersahen wir großzügig. Schließlich handelte es sich ja um Retter. Sie fischten uns nacheinander aus dem Wasser. Es wäre vielleicht besser gewesen, May hätte die Gedanken der Männer vorher belauscht. Sie wäre rechtzeitig im Bilde gewesen. Doch wenn man gerecht war, es hätte nichts
geändert. Wir hatten nur die Wahl zwischen den Matrosen oder hier im Meer gar gekocht zu werden. Da zogen wir die Mariner natürlich vor. Wir dampften wie manchmal Teebeutel, wenn man sie aus dem heißen Wasser zieht. Aber auch die Luft um uns herum war nicht viel kühler. Unter diesen Umständen brauchten wir so etwas wie Erkältung nicht zu befürchten. Das Boot drehte ab und brachte uns schleunigst von der kochenden, brodelnden und teilweise sogar brennenden Küste weg. Wie groß war die Insel inzwischen geworden? Hatte sie die fünfzig Kilometer schon weit überschritten? Ich hatte das Gefühl, daß sie inzwischen noch schnell wuchs, aber ich mochte mich irren. Die Mariner sprachen kein einziges Wort. Jetzt fiel es uns schon auf, daß MPs auf uns gerichtet waren. Ich wollte etwas sagen, aber May winkte ab. Das genügte mir: Sie hatte angefangen, ihre Gedanken zu belauschen und brauchte dazu alle Konzentration. Ich wußte, wie sehr sie es haßte, so vorzugehen. Sie hatte mir mal erklärt, daß es alles andere als ein Vergnügen war, die Gedanken der lieben Mitmenschen zu lesen. Diesmal tat sie es dennoch aus der Not heraus. Und May war gewissermaßen eine Expertin darin. 64 �
Ich sah, wie bleich sie war. May war sehr nervös geworden. Hinweis genug darauf, daß irgend etwas schiefgegangen war. Aber was? May sagte es mir, als sie sich einmal zu mir beugte: »Die halten uns für die Angreifer. Sie glauben, wir hätten die beiden Zerstörer versenkt und unterhielten auf der Insel einen Terroristenstützpunkt!« »Ruhe!« schrie uns einer an und fuchtelte mit seiner Waffe vor unseren Nasen herum. »Auseinander!« Hoch über unseren Köpfen erscholl ein schadenfrohes Gelächter. Die Mariner hörten es ebenfalls, denn sie schauten empor. Aber das Gelächter verwandelte sich in grollenden Donner: Vulcanos! Über unseren Köpfen braute sich ein Gewitter zusammen. Kein Wunder bei dem, was hier geschah. Das brachte das Wetter nicht nur im gesamten Pazifik durcheinander, sondern in spätestens einer Woche auf der ganzen Welt. Überall würden die Temperaturen steigen. Sogar an den Polen, wenn das so weiterging. Wenn aber die Durchschnittstemperatur auf der Erde nur um ein einziges Grad höherkletterte, stieg auch gleichzeitig der Meeresspiegel durch die Abschmelzung an den beiden Polen. Das konnte bis zu zehn Meter ausmachen, die Wasserverdrängung der Feuerinsel mit einbezogen, die auch in den nächsten Wochen mehr und mehr eine Rolle
spielen würde. Man konnte sich vorstellen, wie die Hafenstädte aussahen, wenn der Wasserspiegel um ganze zehn Meter stieg! Eine Katastrophe für alle Küsten der Welt. New York beispielsweise würde überspült sein, sämtliche Straßen von Manhattan, außer der Park Avenue, die höher lag. Also würden in New York nur die reichsten der Reichen die Sache trockenen Fußes überstehen. Und der Matrose fuchtelte mit der MP herum und machte uns für alles Elend dieser Erde verantwortlich. Dabei durften wir ihn nicht einmal eines Besseren belehren. Wir durften es nicht einmal versuchen. Dem war noch zuzutrauen, daß er uns einfach über den Haufen ballerte wie räudige Hunde. Einer bediente sein Funkgerät und meldete, daß er »die verdammte Brut« aufgefischt habe. Wörtliches Zitat! Na, das kann ja heiter werden, dachte ich. May nahm den Satz auf. Sie antwortete telepathisch, damit man uns nicht mehr stören konnte: »Das kannst du laut sagen!« »Lieber nicht, May. Unser Wächter hat einen äußerst nervösen Zeigefinger.« »Man sollte ihn ins Wasser werfen, damit er sich abkühlt, der Bursche.« »Ist aussichtslos, May. Du weißt ja, wie heiß das Wasser ist. Das heizt 65 �
ihn nur noch mehr an. Der kriegt sich nicht mehr ein!« Ich lächelte den Mariner freundlich an. Von unserem Gespräch hatte er natürlich nichts mitbekommen. Der Matrose deutete das Lächeln schon richtig, denn er trat mir mit voller Wucht gegen das Schienbein. Das ließ mich schnell wieder ernst werden. Unsere Lage war nach wie vor ziemlich übel. Da nutzte auch kein Wort der Beschönigung! * Ich rieb mein geschwollenes Schienbein noch, als wir an Bord anlangten. Man trieb uns umher wie Schlachtvieh. Wir gehorchten wortlos und ohne eine Miene zu verziehen. Das erschien uns am ratsamsten. Vergeblich hatte man bei uns nach Waffen gesucht. Auch May hatte man nicht gerade zimperlich behandelt. Ich mußte an mich halten, um die ungehobelten Burschen nicht zu lehren, wie man mit einer Dame umgeht, aber ich hätte zweifelsohne den kürzeren gezogen. Daher hielt ich mich zähneknirschend zurück. Auch May ließ es mit Bravour über sich ergehen. Der Flottillenkommandant war im Range eines Admirals, wie ich an den Rangabzeichen sah. Er war ein älterer Mann mit breiten Schultern
und grauen Schläfen. Er schaute uns der Reihe nach an. Sein Blick blieb kurz an dem ungewöhnlich muskulösen Oberkörper von Don Cooper hängen. Dann betrachtete er May. Sie richtete sich stolz auf und erwiderte seinen Blick. Er blinzelte scheinbar verwirrt und wandte sich dann an mich. »Wer sind Sie?« »Mark Tate, Privatdetektiv aus London!« antwortete ich prompt. »Was haben Sie auf der Insel gemacht?« »Gute Frage – vor allem, da Sie mit Atomraketen auf uns geschossen haben!« erwiderte ich. »Antworten Sie gefälligst nur auf meine Fragen und ersparen Sie mir alles Überflüssige!« »Jawohl, Herr Admiral!« Er schien zu überlegen, ob ich ihn nun auf den Arm genommen hatte oder ob ich es ernst meinte. Ich ließ ihm keine Gelegenheit, die richtigen Schlüsse zu ziehen, und fuhr rasch fort: »Wir haben mit dem Hubschrauber die Insel entdeckt und landeten darauf. Atomschlag. Flogen mit dem stark beschädigten Helikopter von der Insel weg. Nahe der Küste stürzte der Hubschrauber ab. Wir landeten im Wasser. Einer fehlte. Wir waren vorher zu viert. Dann kam das Boot und nahm uns auf.« Er war mit dem Bericht zufrieden, zumindest mit der Art des Vortra66 �
ges. Was den Inhalt betraf – da hegte ich meine berechtigten Zweifel. Es schien nicht in sein Konzept zu passen. Er ließ die Geschichte auch noch von May und Don herunterbeten. »Die Terroristenschlampe hat auch nichts dabei!« rief der Offizier irgendwohin. Ich schwor mir, ihn zu ohrfeigen, sobald ich es tun konnte, ohne mein Leben zu riskieren. Das hatte er nicht umsonst gesagt. Jetzt war ich am Ende mit meinem Verständnis. Ich hatte mich vorher einigermaßen in die Lage der Mariner versetzen können. Aber jetzt wurde mir klar, daß wir als Sündenböcke dienen sollten. Schließlich hatte der Zerstörer zwei Atomraketen eingesetzt. Dafür mußte der Flottenkommandant geradestehen. Dafür waren wir ihm gut genug, wie es schien. Ich hoffte, den Mann bald zu Gesicht zu bekommen. Es war allmählich an der Zeit, daß ich mal jemand meine Meinung sagen konnte. Zu dritt wurden wir über das Deck getrieben. Hin und her. Anscheinend wußte man nicht so recht, wohin mit uns. Oder man wollte uns in Bewegung halten, damit wir nicht die Situation ausnutzen konnten. Obwohl mir das kindisch erschien. Was hätten wir denn auf einem Zerstörer der fünften Flotte ausrichten
können? May hielt mich telepathisch auf dem laufenden. Plötzlich signalisierte sie mir: »Der Flottillenkommandant kommt!« Ein Boot mit Außenbordmotor legte längsseits an. Jemand wurde an Bord geholt. Wir wurden bewacht wie die größten Verbrecher aller Zeiten. Ich hätte schwören mögen, daß es keine einzige Waffe mehr an Bord gab, die nicht irgendwie auf uns gerichtet war. Außer vielleicht den noch vorhandenen Atomraketen! Aber selbst das hatten wir ja schon hinter uns gebracht! Dann kam seine nächste Frage: »Ist die Insel bewohnt?« Ich grinste schief. Das konnte ich mir nicht verkneifen. »Wie denn wohl? Ist ja offensichtlich erst vor kurzem entstanden, so wie sie aussieht. Ist nicht einmal auf der Karte eingezeichnet.« »Ich hatte Sie gebeten, alles Überflüssige…«, bellte er. Jetzt platzte mir der Kragen. Bei aller Selbstbeherrschung – irgendwo hatte, ich meine Grenzen. Da war es mir egal, ob man Waffen auf mich richtete oder nicht. »Es reicht!« knurrte ich zurück. »Ich verlange Aufklärung darüber, warum Sie uns hier so behandeln! Wir sind friedliche Zivilisten, die ein Recht…« »Friedliche Zivilisten, eh?« fragte 67 �
der Admiral gefährlich leise. »Der andere ist weg!« brüllte jemand in unserem Rücken. »Wir waren die ganze Zeit über zu dritt geblieben. Ich hatte mich schon gewundert, daß Frank nicht da war. Warum hatte man ihn nicht auch geholt?« Er war weg? Der Admiral zuckte zusammen. »Was?« Ein Maat eilte herbei. Er war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. »Es – es ist unmöglich, Sir!« Der militärische Gruß mißlang total. »Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Mann!« brüllte der Admiral. »Kein Fenster, kein nichts. Kabine streng bewacht. Ich wollte den Burschen herausholen. Der war weg!« Unwillkürlich ging der gestrenge Admiralsblick in die Runde. »Der gute alte Frank. Ich konnte mir vorstellen, wie er das geschafft hatte. Vielleicht zwei Wachen? Kein Problem für ihn. Warum war er schließlich ein ausgewachsener Magier?« Er hatte die beiden Burschen beeinflußt und seelenruhig sein Gefängnis verlassen. Möglicherweise stand er ganz in der Nähe und lachte sich eins ins Fäustchen – als einer der Mariner! »Abführen!« knurrte der Admiral. »Um die kümmere ich mich später.« »Ich verlange…«, begehrte ich auf.
Ich kam nicht weiter. Jemand hieb mir den MP-Kolben gegen den Hinterkopf, daß ich tausend, Sterne tanzen sah. Es war wieder der Offizier, der meine May eine Terroristenschlampe genannt hatte. Dieses Gesicht hätte ich unter Tausenden auf Anhieb wiedererkannt. Man trat und stieß uns über Deck. »Ausschwärmen, suchen!« befahl der Admiral in seiner knappen Art. Der Schiffskommandant eilte herbei. Wir waren offenbar so wichtig, daß bei der Ankunft des Admirals auf das übliche Ritual zur Begrüßung völlig verzichtet worden war. »Du mußt mehr Verständnis für die Situation der Mariner aufbringen, Mark!« ermahnte May telepathisch. Sie hatte anscheinend etwas von meinen wüsten Racheplänen mitbekommen. Für mich war im Moment nur wichtig, daß dieser Offizier hinter mir war und mir immer wieder die Mündung seiner MP ins Kreuz stieß. Nicht zehnmal, sondern mindestens zwanzigmal. Bis wir vor einer Kabine stehenblieben. Ich wußte schon gar nicht mehr, wo im Schiff wir uns befanden. »Mark!« mahnte May eindringlich. Ich drehte mich herum. Sie waren zu siebt und bis an die Zähne bewaffnet. Der Offizier führte sie. Er hatte es offensichtlich auf mich abge68 �
sehen. Jetzt betrachtete er auf einmal den Schavall. »Scheint sich um so eine Art Sekte zu handeln«, knurrte er. »Das sind nicht nur einfach Terroristen mit pseudopolitischen Motiven, sondern Wahnsinnige, die die ganze Welt umkrempeln wollen. Wahrscheinlich ist die neue Insel für sie so eine Art Gotteszeichen. Deshalb werfen sie Atombomben auf Kriegsschiffe und stellen der Flotte ein Ultimatum. Aber wir haben ihnen gezeigt, wo’s langgeht!« Er griff blitzschnell nach meinem Schavall und riß ihn mit einem Ruck von der Kette. Er wog den Schavall prüfend in der Hand. Dabei betrachtete er mich abschätzig. »Das da scheint so eine Art Oberguru zu sein.« Er zeigte auf mich. Ich dachte an die Bezeichnung »Terroristenschlampe«, dachte an den Kolbenhieb gegen meinen Hinterkopf, dachte an genau zwanzig schmerzhafte Pikser in meinen Rücken und gelangte gerade beim »Oberguru« an, als ich die Nerven verlor. Ich hatte mir geschworen, dem Kerl eine runterzuhauen. Aber dabei blieb es nicht. Ich achtete überhaupt nicht mehr auf seine MP, sondern schlug zu so plötzlich, daß es für ihn völlig unerwartet kam. Einmal rechts und einmal links. Schavall fal-
len lassen! Einmal rechts und einmal links – ich hob den Schavall auf. Und noch den Ellbogen in die Magengegend. Der Offizier hatte nicht nur den Schavall verloren, sondern auch die Courage. Er wechselte die Farbe und klappte zusammen. Seine Leute wußten im Moment nicht, ob sie mich niedermähen sollten oder ob es besser war, ihren Offizier zu stützen. Wenn sie jetzt schossen, gefährdeten sie ihn. Er hatte sich zu nahe gewagt. Er krümmte sich und preßte die Arme in den Bauch. Dabei stöhnte er herzerweichend. Jetzt war die Schußlinie frei. Ich sah den blanken Tötungswillen in ihren Augen. Sämtliche MPs waren auf mich gerichtet… * »Was geht hier vor?« bellte eine zornige Stimme. Es war die Stimme des Admirals! Keines geringeren! Die Männer zuckten zusammen. Ein Guß kaltes Wasser hätte keine andere Wirkung haben können. Der Admiral stand da in voller Lebensgröße. Er hatte etwas Bedrohliches an sich. »Was machen Sie da auf dem Boden, Mann? Stehen Sie gefälligst auf, wenn ich mit Ihnen spreche!« Der Offizier brauchte viel Über69 �
windungskraft, denn schließlich mußte er meine Hiebe noch verdauen. Meine Ohrfeigen hatten sein Gesicht anschwellen lassen. Er rappelte sich auf und bot eine ziemlich schlechte Figur. »Stehen Sie gerade, Mann! Wie laufen Sie denn herum? Was ist denn das für ein unordentlicher Anfang? Und Sie wollen ein Vorbild für die Mannschaft sein?« Die anderen hielten sich wohlweislich aus der Sache heraus. »Sir, ich…«, stammelte der Offizier. Auf uns wurde eigentlich gar nicht mehr geachtet. Ich steckte den Schavall in die Tasche und nahm mir vor, die Silberkette später zu reparieren. »War auch nicht gerade eine Heldentat!« rügte May mich telepathisch. »Er hatte den Schavall!« verteidigte ich mich. »Stell dir vor, der Bursche hätte ihn weggetragen. Wir wären ohne Schutz gewesen!« Ich schaute sie an. May lächelte. Also hatte sie vollstes Verständnis für meine Handlungsweise. Ich lächelte zurück. Der Admiral putzte noch ein wenig seinen Offizier herunter. Dann hieß er die Mariner, uns endlich einzusperren. »Oder soll ich das auch noch selbst machen?« fügte er hinzu. Den Offizier schickte er mit fünf Mann weg,
um den verschwundenen Frank zu suchen. Zwei wurden abkommandiert, um uns zu bewachen. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: der Admiral? Grinsend ließ ich mich einsperren. Kaum war das geschehen, machten sich die Matrosen mit ihrem zerknirschten Offizier endlich auf die Suche ausgerechnet nach dem Mann, der zur Zeit als ihr Admiral herumlief! Ergo gab es den Admiral im Moment zweimal auf dem Schiff. Aber nur einer war echt. Der unechte beeinflußte die Wachen und schloß unser Gefängnis wieder auf. Daß May ihm dabei geholfen hatte, sah ich an ihrem starren Blick. Sie standen in magischer Verbindung. Die Verbindung blieb, als wir hinausgetreten waren. Aber nur noch für Sekunden. Ihre Augen wurden wieder klar. »Im Augenblick droht uns hier keine Gefahr«, sagte der falsche Admiral. Es fiel mir richtig schwer zu glauben, daß ich in Wirklichkeit Frank vor mir hatte. Der Lord fuhr fort »Ich habe das Schiff kurz durchsucht. Es sieht im Moment nicht gut aus für uns. Eigentlich sind wir auf dem Schiff am sichersten. Das heißt, wir können es nicht verlassen. Aber dabei bleiben wir in der Nähe von Vulcanos, denn die Flotte hat Befehl hierzubleiben. Daß man uns fand, geht schon als Sensationsmeldung um die Welt. 70 �
Gottlob lassen sie unsere Namen dabei aus dem Spiel.« »Erwähnen die auch unsere Erklärung mit dem Hubschrauber?« fragte ich. »Leider nicht«, antwortete Frank. »Aber ich hoffe trotzdem, daß die auf Oroia nicht auf den Ohren sitzen und sich zu Wort melden.« »Zu schön, um wahr zu sein«, sagte Don. »Was jetzt?« fragte May. Frank zuckte die Achseln. »Vielleicht sollten wir brav unsere Zellen aufsuchen und abwarten? Wenn wir uns friedlich verhalten, kann uns eigentlich nicht viel passieren. Das sind zwar alles rauhe und äußerst nervöse Mariner und die gegenwärtige Situation läßt alle ein wenig überdreht und mörderisch erscheinen, aber es handelt sich immerhin um die Besatzung der fünften Flotte!« Er schnalzte mit der Zunge, wie es der echte Admiral wohl in einer solchen Situation auch getan hätte. »Dein Wort in das Ohr des Allmächtigen!« murmelte ich. Dann folgten wir seinem Rat: Wir ließen uns von ihm wieder einschließen, und er ging zu seiner alten Zelle. Dort würde er sich wieder in den uns bekannten Lord Frank Burgess verwandeln. *
Danach herrschte zunächst eine Menge Verwirrung an Bord des Superzerstörers der US-Marine. Uns ließ man dabei mehr oder weniger in Ruhe – selbst als man entdeckte, daß Frank scheinbar nach wie vor in seiner Zelle saß und diese laut eigener Aussage natürlich keine Sekunde lang verlassen hatte. Man mußte ihm glauben. Was sonst? May und Frank blieben ständig in Kontakt. So waren wir über alles bestens informiert. Don und ich beratschlagten über die Situation. Don faßte seine eigene Theorie in folgende Worte: »Vulcanos hat uns genau da, wo ihm der Schavall keinen Schaden zufügen kann. Auch seine Insel ist nun frei von uns. Aber er wird sich natürlich nicht damit zufriedengeben, uns abgeschoben zu haben. Wenn er merkt, daß die Mariner nicht einfach kurzen Prozeß mit uns machen, sondern uns nur wie Gefangene behandeln, die irgendwann vor ein ordentliches Gericht gehören, wird er Maßnahmen ergreifen. Fragt sich nur, welche? Ich denke da an das Munitionsarsenal an Bord und auch an die zweifelsohne noch vorhandenen Atomraketen. Der Schavall schützt schließlich nicht den Zerstörer!« Das war alles. Aber es war auch genug! Don hatte vollkommen recht: Ganz so sicher waren wir in unseren Zellen doch nicht. 71 �
Obwohl noch nichts geschah. May und Frank standen wieder im Kontakt. Es war diesmal intensiver als vorher. Ich sah, daß plötzlich Schweißperlen auf die Stirn von May traten. Im nächsten Augenblick wurde ihr Blick wieder klar. »Die Verbindung ist abgerissen. Etwas hat sich dazwischengeschoben – eine ungeheure Machtfülle. Wir wären besser zusammengeblieben!« Jetzt war es zu spät, sich Vorwürfe zu machen. Als wir uns so entschieden hatten, war es uns sehr vernünftig vorgekommen. Schließlich waren wir uns keinerlei Schuld bewußt und würden irgendwann wieder freigelassen werden. Wenn wir uns nicht gut benahmen, würde anschließend ein Zivilverfahren gegen uns erfolgen. Und jetzt nutzte Vulcanos die Situation aus, daß wir voneinander getrennt waren. Ich mußte zu Frank – wir alle mußten zu ihm. Aber wie? »He, ich möchte zum Admiral!« rief ich den beiden Wachen zu. Der eine grinste mich durch das Guckloch an. »Wenn du vielleicht auf meine Beförderung warten willst? Ich meine, dann hast du nicht so weit zu laufen, nicht wahr?« Der andere lachte schadenfroh. »Mir ist nicht zum Scherzen zumute!« Das war nicht übertrieben.
»Sorgt dafür, daß wir zum Admiral kommen. Wir haben ihm etwas zu sagen. Es ist wichtig. Dem Schiff droht eine große Gefahr, wovon er nichts ahnt. Wir halten es nicht mehr aus. Wir kamen von der Insel als – lebende Bomben!« Mißtrauisch runzelte er die Stirn. »Wie war das?« »Wir sind lebende Bomben und gehen jeden Moment hoch!« bestätigte ich. »Wir wurden von den anderen auf der Insel präpariert, wie ein Kamikaze, wenn dir das was sagt.« »Ihr würdet dabei selbst sterben!« »Ja, das war so vorgesehen, aber es ist sinnlos, wenn wir alle zusammen sind. Dann trifft es nur diesen einen Zerstörer. Wenn man uns jetzt auf andere verteilt hätte…« »Aha, du willst also nicht sterben?« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Du vielleicht?« »Nee!« »Dann beeile dich lieber. Wie gesagt: Ich kann jeden Augenblick hochgehen!« Es wirkte endlich. Die beiden Wachen nahmen die Beine in die Hand und rannten davon. Angeblich, um den Admiral zu holen. Auf jeden Fall war die Luft für den Moment rein. May widmete sich dem Schloß. Sie hätte auch die beiden Mariner direkt beeinflussen können, aber das 72 �
hätte sie so beansprucht, daß sie nicht das Schloß hätte öffnen können. Denn die beiden Mariner hatten keinen Schlüssel. Anders als bei den Wachen von Franks Zelle. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, da schnappte das Schloß auf. Die Tür schwang auf. Wir stürmten hinaus. May zeigte uns den Weg, indem ich vorauslief. Und da rannten wir genau in eine flirrende Wand hinein, die urplötzlich vor uns entstand. Vor mir wich sie aus. Wütend zog ich den Schavall aus der Tasche. May und Don brachen schreiend zusammen und wälzten sich am Boden. Da war ein Flirren und Quirlen um sie herum und hockte sich auf ihre Körper. Lauter schwarze Punkte, Milliarden davon. Sie waren überall im Schiff, so schien es mir. Nur vor mir wichen sie zurück. Ich hatte den Schavall in der linken Faust und spürte die Kraft in mir pochen. Sie verband sich mit dem Schavall und entfaltete sich. Ich verlor meinen Einfluß darauf. Die Magie wurde nicht von mir beherrscht, sondern sie beherrschte mich. Ich war nur ein Träger dieser Magie, degradiert zu einem Werkzeug. Ein ungeheurer Sog entstand und saugte das Flirren und Quirlen herbei. Es wurde einfach aufgesaugt
und war im nächsten Augenblick verschwunden. Alles war wieder normal. May und Don stellten sich sofort auf die Situation ein und sprangen auf. May lief wieder voraus. Wir waren aufgehalten worden. Hoffentlich kamen wir nicht zu spät. War Frank überhaupt noch am Leben? * Ein unmenschliches Brüllen kam durch den Gang. Wir rannten so schnell wir konnten. Niemand kam uns entgegen. Der Gang war völlig menschenleer. Wie leergefegt. »Frank!« schrie May. Sie hatte etwas mit ihren magischen Sinnen entdeckt etwas, was Don und mir verborgen blieb. Und wieder: »Frank!« Keine Antwort. Auch das Brüllen verebbte. Und dann erreichten wir die Stelle: eine geschlossene Kabine. Keine Wachen davor. Wo waren denn die ganzen Matrosen geblieben? May kümmerte sich um das Schloß. Da ging ein dumpfer Schlag durch das gesamte Schiff. Was ging draußen vor? Abermals ein dumpfer Schlag. Wir hörten eine ferne Detonation. Maschinen rumorten im Bauch des 73 �
Schiffes, daß einem die Haare senkrecht in den Himmel stiegen. Erst einmal Frank! Die Tür flog auf. Wir stürmten in die Kabine, die als Zelle diente. Da war kein Mensch mehr, sondern nur ein formloser, zuckender Klumpen. Eine Ansammlung von Biomasse. Das hatte ich schon einmal erlebt. Wenn der Lord buchstäblich am Ende war, wenn ihn sämtliche Kräfte verließen, vermochte er es nicht mehr, mit seiner Magie die Biomasse, aus der er letztlich nur noch bestand, in einen brauchbaren Körper zu verwandeln. Er konnte sie einfach nicht mehr formen. »Frank!« murmelte May verzweifelt. Ich hatte immer noch den Schavall in der Faust. Schwarze Magie hatte Frank in diesen schrecklichen Zustand versetzt. Wir waren beinahe zu spät gekommen. Nur mit Weißer Magie konnte man etwas dagegen tun. Der Schavall glühte auf, als er mit dem schwarzmagischen Bereich in Berührung kam. Er neutralisierte die schwarzmagische Wirkung. Damit war Frank natürlich noch nicht völlig gerettet. Er mußte sich erst erholen, mußte sich erneut mit magischer Energie vollpumpen. May half ihm dabei mit ihren Hexenkräften. Der nächste Schlag ging durch das
Schiff. Die Maschinen im Rumpf rumorten. Ein heller Knall ging durch die Wandungen. »Die schießen!« rief Don fassungslos. Er hatte endlich die einzig brauchbare Erklärung für die Geräusche gefunden. »Alle sind auf Gefechtsstation. Jeder Mann wird gebraucht. Deshalb sind wir keinem begegnet.« »Vulcanos!« knurrte ich. »Das ist wieder eine Teufelei, wie schon von dir vermutet, Don.« Ich schaute auf den Bioklumpen hinunter, der allmählich wieder Gestalt annahm. May schwitzte im wahrsten Sinne des Wortes Blut und Wasser. Es verlangte ihr alles ab, was sie zu geben in der Lage war. »Wir müssen hinauf und nachsehen, was da läuft!« sagte Don eindringlich. May hörte ihn nicht. Frank nahm seine Gestalt an, wie wir ihn kannten. Doch das dauerte viel zu lange. Es geschah für uns wie im Zeitlupentempo, denn mir mußten schleunigst an Deck. Vielleicht war jeder Sekundenbruchteil wichtig! Aber wir konnten doch nicht Frank und May einfach sich selbst überlassen! Vulcanos würde nur darauf lauern. Sobald die beiden nicht mehr durch die Anwesenheit des Schavans geschützt waren, würde er sein schlimmes Werk 74 �
vollenden. Da kam mir ein Gedanke: Hätte seine Macht nicht ausgereicht, Frank einfach zu vernichten? Auch wenn Vulcanos gleichzeitig mit anderen Dingen beschäftigt war? Ich traute es ihm zu, und daß er es nicht getan hatte, mußte einen guten Grund haben: Er wollte uns damit vom Wesentlichen ablenken! Jetzt wußte ich es ganz sicher, aber ich blieb dennoch stehen und rührte mich nicht vom Fleck. Bis Frank am Boden lag und blinzelnd die Augen öffnete. Es schien, als wisse er im Moment gar nicht, wo er sich befand. Ich streckte ihm die Hand hin und half ihm auf die Beine. May schwankte hin und her wie ein Schilfhalm im Wind. Frank ging es schon wieder viel besser. Ich stützte May. Sie winkte ab. »Laß nur, Mark. Wir müssen hier weg. Wir müssen an Deck. Da geht was vor.« Es war, als würde das Schiff leicht in die Knie gehen. »Ein Raketenabschuß!« schrie Don Cooper außer sich. »Die haben wieder eine Atomrakete auf die Reise geschickt. Das hat Vulcanos bewirkt!« Schon sprintete er los. Viel zu schnell. Wir konnten ihm nicht folgen. Dafür waren May und Frank zu angeschlagen. »Langsam, Don!« rief ich ihm
nach. »Es ist zu gefährlich, wenn wir nicht zusammenbleiben.« Eine Sirene heulte los. Im nächsten Augenblick hatte sie schon eine Lautstärke erreicht, daß man meinen mußte, der Schädel würde einem zerplatzen. Da erschienen wir an Deck. Alles quirlte durcheinander wie in einem Ameisenhaufen. Diesen Anblick kannten wir schon. Aber es ging diesmal nicht nur um den Raketenabschuß, sondern auch um die Geschütze – um solche, die nicht gerade zur Tarnung der Raketen dienten, also bloß Attrappe waren. »Vorsicht!« gellte Mays Warnung. Sie und Frank hatten mit ihren magischen Sinnen Sekundenbruchteile vor der Atomexplosion das Geschehen vorausgeahnt. Die Warnung erfolgte rechtzeitig. Wir warfen uns zu Boden und bedeckten die Köpfe mit den Händen. Das Gesicht preßten wir auf den Boden. Trotzdem nahmen wir den Atomblitz wahr. Die Atomrakete war abgeschossen worden, um irgendwo ins Ziel zu gehen. Wir wußten nicht, wo. May oder Frank hätten es vielleicht sagen können, aber ich ahnte schon: Der Zerstörer hatte die eigenen Begleitschiffe angegriffen! Ein wahrhaft selbstmörderisches Unterfangen. 75 �
Selbstmörderisch, ja denn genau das war schließlich beabsichtigt: Keiner der wackeren US-Mariner war Herr seiner Sinne. Sie handelten unter der Knechtschaft eines Mächtigeren: Vulcanos! Die Macht des Feuergottes trieb sie sogar dazu, eine Atomrakete gegen die eigenen Kameraden loszuschicken! Wir durften uns wieder aufrichten – kurz vor der unvermeidlichen Druckwelle. Immer zwei Druckwellen: die eine unmittelbar vor der Detonation verursacht, die andere nur mittelbar. Es handelte sich dabei um zum Explosionsherd zurückströmende Luftmassen! Wir sprangen auf. Offensichtlich war die Atomrakete von den anderen Schiffen abgefangen worden. Sie war also in der Höhe detoniert und hatte dort keinen großen Schaden angerichtet bis den radioaktiven Regen auf irgendwo in der Welt, der noch genug Unheil anrichten würde. Man hatte Atomversuche in der Atmosphäre nicht umsonst verboten! Dies war nun schon die dritte Detonation innerhalb so kurzer Zeit gewesen. Das waren entschieden drei zuviel, fand ich und rannte mit meinen Gefährten zum Kommandostand. Don Cooper war schneller als ich.
Er überholte mich, hetzte über den Aufgang zur Brücke. Die Tür flog auf. Ein stämmiger Offizier wollte Don Cooper den Weg verstellen. Don packte kurz zu und fegte den Mariner beiseite wie eine Strohpuppe. Ich war heran. Der Weg war frei. Im Kommandostand war man gerade dabei, die nächste Atomrakete zum Abschuß klarzumachen. Etwas wummerte herbei. Ein heftiger Schlag traf das Schiff, genau oberhalb der Panzerschürze. Ich prallte gegen den Türpfosten. Die Detonation der Granate gellte in meinen Ohren. Es war nicht der erste Treffer, den das Schiff traf. Bisher waren die Kameraden auf den anderen Schiffen noch rücksichtsvoll gewesen. Jetzt kannten sie diese Rücksicht nicht mehr. Kein Wunder, schließlich hatte die erste Rakete ihnen gegolten. Ich stürmte hinein. Allein schon meine Anwesenheit bewirkte etwas. Ich hatte den Schavan in der linken Faust. Die Matrosen schauten verwirrt umher, als wüßten sie überhaupt nicht, wer und wo sie waren. »Schnell!« brüllte ich sie an, »eine Verbindung mit den anderen Schiffen!« Eine Stimme ertönte aus dem Lautsprecher. Der Zerstörer wurde lau76 �
fend angerufen, bloß antwortete von hier niemand. Sie waren nur beschäftigt gewesen, alles zu tun, damit sie von den eigenen Kameraden abgeschossen wurden. Weil wir an Bord waren! Vulcanos wollte uns allein, und dafür sollten alle anderen sterben. Weil er seine Macht nicht direkt gegen uns ausspielen konnte, sondern nur über andere. Er spielte mit Menschenleben, als wäre das gar nichts. Er war das Böse! Bevor sich der Kommandant melden konnte, kam die Druckwelle, wie schon befürchtet. Sie erzeugte eine haushohe Woge, die gegen den angeschlagenen Schiffsrumpf schwappte und ihn ins Schwanken brachte. Ich konnte mich nicht auf den Beinen halten und rutschte aus. Ein ungeheurer Sturm fauchte über das Schiff hinweg. Ich fand Halt an der Reling. Meine Beine hingen in der Luft. Von irgendwo hörte ich May rufen, aber ich konnte nicht sehen, wo sie war, denn ich mußte mich voll und ganz darauf konzentrieren, nicht vom Sturm über Bord geweht zu werden. Außerdem mußte ich den Schavall festhalten. Als ich schon glaubte, es nicht mehr schaffen zu können, verebbte der Sturm schlagartig. Eine ungeheure Stille trat ein, die schon wie-
der unnatürlich war. Es war so ruhig, daß es einem fast weh tat. Und dann hörten wir das aufgewühlte Meer, das den Zerstörer wie einen Spielball behandelte. Auch die anderen Schiffe wurden wild geschaukelt, aber sie waren nicht angeschlagen wie unser Zerstörer. Über kurz oder lang würde der Zerstörer untergehen. Das war sicher. Vielleicht schon vor der nächsten Druckwelle? An den Geschützen war niemand mehr. Ich sah keinen Matrosen auf seinem Posten. Sie hatten überhaupt nicht auf die Druckwelle reagiert, beeinflußt vom Feuergott. Das war ihnen zum Verhängnis geworden. Und dann kam die nächste Granate herangewummert zu allem Überfluß. Ich warf mich rechtzeitig in Deckung, als sie nur fünfzehn Meter von mir entfernt detonierte. Als ich den Kopf wieder hob, brach die Brückenverkleidung wie in Zeitlupe ab. Sie senkte sich genau auf mich nieder. Ich konnte nicht rechtzeitig ausweichen, weil ich es zu spät gesehen hatte. Sie würde mich zerschmettern… * Da waren plötzlich zwei starke Arme, die mich wegrissen. Die Brückenverkleidung ging zwar don77 �
nernd nieder, aber sie traf mich nicht mehr. »Mayday, Mayday!« rief der Kommandant im Kommandostand in das Mikrofon des Funkgeräts. Ich hörte es mit halbem Ohr und hob meinen Blick zu meinem Retter auf. Don Cooper! Ich lächelte ihn an. »So schnell bekommt man Gelegenheit, sich zu revanchieren, nicht wahr?« »Danke, Don!« Ich lachte und vergaß für Sekunden den Ernst der Situation. »Mayday!« rief der Kommandant. Das bedeutete soviel wie SOS, und das war der internationale Hilferuf, wenn ein Schiff sich in Not befand. Endlich wurde etwas erwidert. Doch man konnte nichts verstehen, denn eine Granate wummerte herab und schlug am Bug ein. Ein Geschützstand kippte ins Meer. May und Frank waren plötzlich da, wie aus dem Nichts aufgetaucht. »Die armen Kerle«, sagte May mitleidig, »wir haben niemanden mehr gefunden an Bord.« Ihre Gedanken fügten hinzu: »Der Admiral ist auch unter den Toten! Denn als der Tanz begann, war er noch an Bord!« Ich schaute an ihr vorbei und sah den – Admiral! »Mayday!« rief der Kommandant wieder. Der Admiral trat näher. Natürlich, es handelte sich wieder um Frank.
Ja, er hatte sich wirklich schnell und gut erholt. Seine Kleidung war arg mitgenommen. Er schien verletzt zu sein. Es gehörte zu dem Spiel, das er und May anscheinend ausgeheckt hatten. Der Kommandant sah auf und begegnete dem Blick des Admirals. Der Kommandant zuckte erschrocken zusammen. Der Admiral nahm ihm das Mikrofon aus der Hand, ehe der Mann reagieren konnte. Dann brüllte er hinein: »Hier spricht Admiral Conwoy. Ich befinde mich immer noch an Bord des ersten Zerstörers. Eine verdammte Sauerei ist hier passiert: Das Schiff ist gekapert worden. Die kamen mit Taucheranzügen direkt aus dem Meer. Weiß der Himmel, wie die das in dieser brodelnden Hölle dort draußen geschafft haben. Aber jetzt haben wir sie geschafft, wenn auch mit hohen Verlusten. Sofort Feuer einstellen! Und noch etwas: Die vier Gefangenen sind unschuldig, wie sie behauptet haben! Sie haben mit der ganzen Geschichte nicht das geringste zu tun!« Der falsche Admiral gab das Mikrofon zurück und ging zur Tür. »Kommen Sie herein!« schnauzte er uns an. May und ich gehorchten, Don zögerte. »Sie auch! Was erwarten Sie von 78 �
mir? Eine Extraeinladung? Eine schriftliche Entschuldigung mit der Weihnachtspost? Hier gibt es anderes zu tun, wie Sie sehen.« Er stampfte hinaus. »Wo ist denn der andere, dieser Lord?« knurrte er. Und da kam die zweite Druckwelle. Der Admiral verschwand schlagartig aus dem Blickfeld. Ich dachte an den echten Admiral und daran, daß er tot war. Frank würde sich jetzt zurückverwandeln. Er würde die Sturmhölle dort draußen gewiß überleben. Das traute ich ihm zu. Dann würde er als der Lord zurückkommen. Es war der schlaueste Schachzug, den er überhaupt machen konnte, denn er hatte der Flotte nicht nur eine saubere Erklärung für das seltsame Verhalten des Zerstörers und seiner Besatzung geliefert, sondern uns gleichzeitig reingewaschen. Ich hätte jubeln mögen. Statt dessen hatte ich alle Hände voll zu tun, nicht durch die offene Tür hinausgefegt zu werden, denn das Schiff wurde noch heftiger gebeutelt als beim ersten Mal. Es hatte bereits schwer Schlagseite und war nicht mehr zu retten. Hoffentlich gluckerte es nicht gerade jetzt ab. Der tosende Sturm erzeugte Brecher, die jeden Schwimmer zerschmettert hätten. Wer von Bord eines Schiffes gefegt wurde, war rettungslos verloren. Die Schräglage war jetzt so deut-
lich, daß der Kommandant und seine Leute Mühe hatten, auf ihren Plätzen zu bleiben. Frank stand draußen. Er hatte an der Reling Halt gefunden. Jetzt kam er herein. Er war kreidebleich. »Der – der Admiral!« stammelte »Was ist mit dem Admiral?« rief der Kommandant ahnungsvoll. »Ich habe ihn gesehen. Er – er…« »Was ist?« drängte der Kommandant. »Weiter vorn, bei einem Geschützstand, eingeklemmt… Er – er muß vom Sturm hingeschleudert…« Frank brach ab. Er drehte sich um und würgte. Der Kommandant konnte es sich nicht verkneifen: Er schnallte sich los und ging los, um nachzusehen. Als er zurückkam, war er grün um die Nase. Er ging zum Funkgerät. Wie durch ein Wunder funktionierte das noch. Dann machte er Meldung über den Tod des Admirals und forderte Hubschrauber an, denn der Zerstörer würde unweigerlich untergehen. Bevor die Helikopter zu unserer Rettung kamen, blickte ich über das Meer draußen. Die See war aufgewühlt. Schwerer Wellengang wie nach einem heftigen Sturm. Und wir hatten gleich mehrere davon erlebt! *
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Mit dem Hubschrauber wurden wir zum Leitschiff des Flottenverbandes gebracht. Durch May wußte ich schon, daß die fünfte Flotte im Pazifik gerade bei einem Manöver war, als es passierte. Der Pazifische Ozean hatte für den Westen enorme strategische Bedeutung und kostete die USA sehr viel Geld, denn diese größte Wasserfläche der Erde mußte strategisch überwacht werden. Nichts durfte den Amerikanern entgehen. Selbst das kleinste Boot, das unangemeldet über das große Wasser kam und an ihrer Küste landen wollte, mußte entdeckt und aufgebracht werden. Und im Pazifik konnte man nicht so auf Unterstützung hoffen wie auf der anderen Seite beispielsweise in Europa. Wir wurden auf dem Leitschiff freundlich empfangen. Gar kein Vergleich damit, wie es uns auf dem Zerstörer ergangen war. Dann kam die Überraschung des Tages. Dagegen erschien mir sogar eine Atombombe wie eine Knallerbse: Der Offizier, den ich geprügelt hatte, war ebenfalls noch am Leben. Er war mit uns an Bord des Leitschiffes. In der Offiziersmesse trat er auf uns zu. Wir warteten gerade auf ein entsprechendes Essen, das man extra für uns zusammengestellt hatte. Eigentlich hing mir der Magen schon in den Kniekehlen aber ich vergaß sogar den Hunger, als der
Offizier kam. Er salutierte vor mir, und dann entschuldigte er sich für sein Vorgehen. Er erklärte es damit, daß er in uns tatsächlich die Verursacher des ganzen Dilemmas gesehen hätte. Er sei Augenzeuge des Untergangs der beiden Zerstörer gewesen. Außerdem sei der Atomschlag schließlich keine Kleinigkeit und so weiter und so fort. Nachdem er mir versichert hatte, aus diesem Fehler wichtige Lehren gezogen zu haben, reichte ich ihm die Hand, klopfte ihm auf die Schulter und lud ihn neben mich zu sitzen ein. Dadurch wurde ich zwar von Don getrennt, den alten Freund, aber es war notwendig. Nur May beschwerte sich später, daß ich mich zu wenig um sie gekümmert hätte, denn ich hatte mich angeregt mit dem Offizier unterhalten. Später, als wir einen Hubschrauber besteigen mußten, der uns nach Oroia zurückbringen sollte dorthin, wo wir erst vor Stunden mit einem privaten Hubschrauber gestartet waren. Es war eine Art Schicksalsschlag, daß wir auf diese Weise abgeschoben wurden. Ich empfand es jedenfalls so. Auch auf der Insel Oroia würden wir nicht mehr ohne Aufsicht bleiben. Ich dachte schon an die Schar von Journalisten und wie man sie am besten umgehen konnte, damit 80 �
wir unerkannt blieben. Ich war schon immer der festen Überzeugung gewesen, daß ein Privatdetektiv viel effektiver tätig werden konnte, wenn ihn nicht gleich jeder erkannte. Wir baten deshalb den Hubschrauberpiloten, nicht am Flughafen zu landen. Diesen Gefallen versprach er uns zu tun. Der Militärhubschrauber ging weit außerhalb von dem winzigen Nest nieder, zu dem der Flughafen gehörte. Wir schauten zum Horizont hinüber. Dort war ein dicker schwarzer Balken, der sich von links bis weit nach rechts entlangzog. Niemand brauchte uns zu sagen, was sich dort befand: die Feuerinsel! Wir waren zwar abgeschoben worden, doch das hatte nichts zu sagen. Das letzte Wort war längst noch nicht gesprochen. Auch wenn die fünfte US-Flotte weiterhin in diesen Gewässern operierte. Man hatte angedeutet, die Insel näher zu untersuchen. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, daß dies nicht ohne Folgen bleiben konnte. Aber es wäre unsinnig und völlig aussichtslos gewesen, die Mariner davor warnen zu wollen.
Viele würden in ihr Verderben gehen. Wir konnten es beim besten Willen nicht verhindern. Zu Fuß gingen wir zum Ort. Wir hatten richtig vermutet. Das Hauptinteresse galt dem Flughafen. Man erwartete uns. Nur wußte leider niemand, wie wir aussehen sollten. Wäre es nicht so gewesen, hätte man uns auf der Straße erkannt. So aber kümmerte sich niemand um uns. Wir kamen zu dem schäbigen Hotel des Ortes und konnten dort die letzten beiden Doppelzimmer beziehen. Alle anderen waren von Journalisten mit Beschlag belegt worden. In der Halle hing ein Schild, daß das Vermieten von Booten, Yachten und auch von Flugobjekten von den Militärs streng untersagt worden war. »Ich glaube, wir müssen uns noch eine Menge einfallen lassen, wenn wir nicht warten wollen, bis sich Vulcano wieder von allein um uns kümmert«, murmelte Don Cooper. Aber zuerst einmal gingen wir auf die Zimmer. Wir hatten uns eine Pause redlich verdient. Die letzte Pause vor dem nächsten Kampf gegen Vulcanos!
ENDE
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