Band 01 - Die Galeere der Verdammten Torgo - Prinz von Atlantis von Karl-Hans Koizar ISBN:
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Band 01 - Die Galeere der Verdammten Torgo - Prinz von Atlantis von Karl-Hans Koizar ISBN:
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Eben versank die Sonne im Meer. Ihr rotglühender Ball übergoß die Fluten mit brennendem Purpur. Weit spannte sich der Bogen eines wolkenlosen Himmels über Atlantis. Fernab lag die gewaltige Insel von den Gestaden Griechenlands und Ägyptens. Die Bewohner jener Länder kannten ihre Existenz nur in Form einer Sage, an die viele nicht glauben konnten. Denn Amur, der König der Atlanter, führte ein strenges Regiment. Jeder Fremde, der auf die Insel kam, verließ sie niemals wieder. Kaufleute, Reisende, ja selbst Schiffbrüchige, die nichtsahnend die Küste Atlantis' betreten hatten, wurden unbarmherzig getötet oder ins Landesinnere verschleppt, wo sie in den Kupferbergwerken ein elendes Ende erwartete. Und doch achteten die Atlanter ihren König. Über sein Volk war er ein strenger, aber gerechter Herrscher, ein Mann voll Mut und Entschlossenheit, und diese Eigenschaften schien er seinem Sohn, dem Prinzen Torgo, vererbt zu haben. In ihm sah man den künftigen Regenten. Torgo war im Kampfspiel geübt, geschmeidig und klug. Trotz seiner Jugend fehlte es ihm nicht an Erfahrung, und seine kühne Stirn zeugte von einem aufrechten Charakter. Er haßte nichts mehr als die Hinterlist, mit welcher der Hohepriester des Gottes Bel, Shidra, sich den Plänen des Königs widersetzte, um selbst an die Macht zu gelangen. Torgo stand auf der Spitze einer Felsklippe und sah hinaus auf das Meer. Er liebte die Stunden der Dämmerung. Dann lauschte er auf den Donner der Brandung, und in ihm erwachte die Sehnsucht nach der Ferne, nach jener Welt, die jenseits der Gewässer liegen mußte, welche die Wachboote der Atlanter durchkreuzten. Er hatte einmal mit Gefangenen gesprochen und sie von jener Welt erzählen gehört. Aber er hatte nur wenige Worte mit ihnen wechseln können und sein Vater hatte ihn danach streng gerügt. "Wünsche niemals, dorthin zu gelangen", hatte er gesagt. "Es ist eine grausame, heimtückische Welt voll Gefahren, und es ist nur recht, daß ihren Bewohnern in Atlantis das zuteil wird, was sie verdienen." Diese Worte hatten den jungen Prinzen nur noch neugieriger gemacht. Doch er wußte, daß er wohl kaum jemals Gelegenheit haben würde, die Insel zu verlassen. Vom Hafen drang gedämpft der Lärm der Stadt herüber. Hätte Torgo seinen Blick gewendet, so hätte er den prächtigen Palast seines Vaters sehen können und dahinter, auf dem Berg, den Tempel der goldenen Säulen, welcher dem Gott Bel gewidmet war, und wo Shidra, der Hohepriester, residierte. Aber Torgo sah sich nicht um. Sein Auge hatte ein feines Wölkchen am Horizont entdeckt, ein unscheinbares, graues Gespinst. Er wußte, was das bedeutete. Es würde Sturm aufkommen noch in dieser Nacht. Es war nötig, umzukehren. "Jargo! He, Jargo!" rief er seinem Diener zu, der am Fuße der Klippen mit einem prächtigen Schimmel auf ihn wartete. Mit gewandten Sprüngen bewegte er sich abwärts, von Stein zu Stein, während der Diener ihm mit dem Pferd so weit entgegenging, wie er vermochte. "Jargo, es kommt Sturm", rief Torgo, als er ihn erreicht hatte und sich in den Sattel schwang. "Geh und verständige die Hafenwache. Diese Schlafmützen haben gewiß wieder die Zeichen des Wetters übersehen. Man soll die Fischerboote warnen und alles, was auf See ist. Ich reite inzwischen heim in den Palast." "Ja, Herr", antwortete Jargo und schwang sich auf sein Pferd. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Sein Körper war braun und sehnig, und man sah die Muskeln seiner Arme, während seine Hände die Zügel fest umspannten. Zum Unterschied von dem prächtig gekleideten Prinzen war Jargo bis auf einen Lendenschurz fast nackt. Aber sein Pferd stand dem seines Herrn an Schnelligkeit kaum nach. Sie jagten die Küste entlang auf die Stadt Atlantis zu, welche der Insel ihren Namen gegeben hatte. Auf halbem Wege bog Jargo seitab nach den Wachtürmen zu, um den Befehl seines Herrn auszuführen. Torgo aber erreichte die Stadtmauer und ritt durch eines der offenen Tore, ohne den schnellen Lauf seines Pferdes zu zügeln. Die Wachen ließen ihn ohne Anruf passieren. Ihre grimmigen Mienen blieben unbewegt: Sie stützten sich auf ihre Speere und schienen die bunte Menge, welche sie umwogte, gar nicht zu erblicken. Eben schob ein Zitronenhändler seinen vollbeladenen Karren auf das Tor zu und pries mit lauter Stimme seine Ware an. Im nächsten Augenblick mußten Torgos Roß und der Wagen zusammenprallen. Der Alte sah den Reiter kommen. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, er schrie auf, warf die Arme in die Luft und rief Gott Bel zu Hilfe. Torgo lachte. "Heg!" rief er, nahm sein Pferd kräftig am Zügel und gab ihm Schenkeldruck. Und schon flogen Roß und Reiter in elegantem Bogen über den Wagen hinweg, ohne daß die Hufe des Tieres auch nur eine der prächtigen gelben Früchte berührt hätten. "Torgo - seht, das ist Torgo!" riefen die Umstehenden, die ihn nun erkannten. Aber schon jagte der Prinz weiter, voll Lust an der Schnelligkeit. Erst unter dem Torbogen des Palastes machte er halt, warf die Zügel des Pferdes einem der Diener zu, die sofort herbeieilten, als sie des Prinzen ansichtig wurden. "Wo ist mein Vater?" fragte er. "Im Beratungssaal", erhielt er zur Antwort. "Er hört gerade Sargas Bericht." Sarga war der Kommandant jener Wachtschiffe, welche weit um Atlantis' Küste kreuzten, und denen nichts entging, was für die Sicherheit der Insel von Bedeutung war. Der Besuch Sargas mußte einen wichtigen Grund haben. Torgo wurde von Neugier gepackt. Er sprang die prächtige, kunstvoll in Stein gehauene Treppe empor, welche zu dem Beratungssaal König Amurs führte. Auch vor diesem Raum standen Wachen. Aber Prinz Torgo hatte überall Zutritt. Er warf den schweren Vorhang zur Seite. Im Beratungssaal brannten in flachen, ölgefüllten Schalen Feuer. Ihr Schein erhellte flackernd den weiten, niederen Raum, welcher mit seltsamem Schmuck verziert war. Steinerne Götzenbilder und Statuen von Amurs Vorfahren, dem Herrscherhaus der Atlantiden entstammend, blickten ernst von den Wänden und starrten auf die kleine Gruppe von Männern, welche sich um den König versammelt hatte. Amur trug auf dem Haupt keinen anderen Schmuck als das schlohweiße Haar, welches seine hohe Stirne krönte. Aber unter dieser Stirn blickten zwei scharfe Augen in die Welt, Augen, die bis auf den Grund der Seele dringen zu können schienen. Diese Augen blickten milde auf, als der König seinen Sohn erkannte. Er erhob sich und deutete dem Prinzen mit einladender Gebärde, näher zu kommen. Des Königs Gewand war aus kostbaren Stoffen gewebt. Es glich einem weiten, faltenreichen Umhang, ähnlich jenem, wie man ihn in Griechenland zu tragen pflegte. Aber Sarga und seine Männer trugen blitzende Brustharnische von kunstvoller Schmiedearbeit. Ihre Füße steckten in Sandalen, deren mit gefährlichen Stacheln versehene Verschnürung bis hinauf unters Knie gebunden war. Es waren harte, kampferprobte, von Wind und Wetter gebräunte Männer, deren bartlose Gesichter kühn und trotzig geschnitten waren. "Tritt näher, Sohn" forderte Amur den Prinzen auf. "Sarga bringt uns wichtige Nachricht." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
,Sei gegrüßt, Prinz", sagte Sarga mit rauher Stimme. "Was gibt es?" fragte Torgo. "Habt ihr Feinde gesichtet?" "Eine Galeere aus dem Land der Pyramiden", meldete Sarga. "Sie nähert sich der Küste und scheint reich mit Schätzen beladen zu sein." "Sie ist wohl vom Kurs abgekommen", meinte Torgo. "Einerlei", rief Sarga, "sobald sie unsere Gewässer erreicht hat, ist sie unser! Des Königs Befehl gilt für alle!" Die beiden Männer, welche sich in Sargas Begleitung befanden, ließen beipflichtende Rufe hören. Alle aber sahen sie auf den König, als ob sie von ihm eine Entscheidung erwarteten. "Wie ist die Galeere bewaffnet?" fragte Amur nach kurzem Nachdenken. "Sie haben Schleudern für Steine und Feuer", antwortete Sarga. "Und gewiß auch Männer an Bord, welche mit Speeren und Pfeilen umgehen können." König Amur lächelte geringschätzig. Da kommen sie gegen deine Schiffe nicht an, Sarga", erklärte er. "Diese Leute sind unwissend. Sie sind Kinder dieser Welt, doch die Atlanter sind Kinder der Götter." "Wir werden also diese Galeere aufbringen, Herr", erklärte Sarga. Da hob Torgo die Hand. "Es gibt Sturm diese Nacht, Vater", sagte er. "Es ist nicht ratsam, auf See zu kreuzen." Sargas Miene verfinsterte sich. "Sturm?" fragte er. "Ja, und mein Diener Jargo hat die Küstenwachen bereits alarmiert." "Sind wir Fischer?" fragte Sarga unwillig. "Unsere Schiffe sind stark und fürchten das Unwetter nicht." "Aber vielleicht ist es das Verderben der Galeere, und es ist gar nicht, nötig, sie anzugreifen." "Torgo hat recht", meinte Amur. "Es ist ein kluger Rat. Wartet den Sturm ab: Die Strömung treibt das Schiff gewiß gegen unsere Klippen, wo es zerschellen wird. Dann, Sarga, kommst du mit deinen Männern von See - an Land aber erwartet sie Alwa mit seinen Leuten!" Sarga fletschte die Zähne. ,Ein guter Plan", sagte er anerkennend. "Da entkommt uns keiner. Wer überlebt, wird niedergemacht oder gerät in Gefangenschaft. Es wird reiche Beute geben, Herr!" "Ich möchte dabei sein, Vater", verlangte Torgo. Amur lächelte und schüttelte den Kopf. "Ich kann den Prinzen keinem so gefahrvollen Abenteuer aussetzen", wehrte er ab. "Er wird dereinst die Krone des Reiches tragen. Sein Leben ist kostbar und heilig." Sargas Blicke ruhten wohlgefällig auf Torgo. "Er ist noch jung, aber bereits ein ganzer Mann, Herr", sagte er. "Und ich verstehe, daß es ihm bei solchen Gelegenheiten in den Fäusten juckt. Laß ihn mit uns gehen, und ich bürge mit meinem Kopf für ihn. Wenn es die Götter bestimmt haben, so kehren wir alle heil wieder, und der junge Prinz erscheint ruhmbedeckt vor dem Volke." "Ja, Vater, ich möchte mit ihnen aufs Meer hinaus", bat Torgo. Der König sah, wie sehr es seinem Sohn mit diesem Wunsch ernst war. Er gab nach einigem Überlegen nach. "Gut", sagte er, "es sei. Sarga, du wachst mir über sein Leben." "Ich werde es mit meinem eigenen beschützen, Herr", erklärte Sarga. "Aber Jargo darf ich mitnehmen?" fragte Torgo. "Auch das ist dir gewährt." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Dann haltet euch bereit, Prinz", rief Sarga, "noch ehe der Mond aufgeht, brechen wir auf!"
* In ruhigen, gleichmäßigen Intervallen ertönte der Schlag der Hämmer des Rudermeisters auf der Galeere. Er gab den Rhythmus an, in welchem die Rudersklaven die gewaltigen Ruder bewegen mußten. Eine Welle von Schweiß und üblem Dunst wehte von den Ruderbänken her, an welche die Männer gekettet waren. Ihre krummgebeugten Rücken zeugten von der schweren Arbeit, welche sie tagaus, tagein auf dieser Galeere des Pharaos verrichteten. Längst hatte sich der Himmel mit dichtem, grauem Gewölk überzogen und die Nacht brach schneller als sonst herein. Mit sorgenvoller Miene blickte der Steuermann, der mit harten Fäusten das Ruder regierte, auf den Befehlshaber des Schiffes, welcher mit zwei Männern, deren gewählte Kleidung davon Zeugnis ablegte, daß sie von Rang und Bedeutung waren, über die Berechnung des Standortes gebeugt stand. Ein flackerndes Windlicht erhellte ihre finsteren Mienen. "Wir sind vom Kurs abgetrieben worden", sagte Damur, der ägyptische Kapitän. "Wir hätten längst die Küste Griechenlands erreichen müssen. Nun fahren wir in unbekannten Gewässern." "Wenn wir diesen Kurs halten, müssen wir einmal auf Land stoßen. In einer Woche oder zwei können wir vielleicht am Ziele sein." "König Telaus hat alles zum Empfang der jüngsten Tochter unseres Pharao vorbereitet. Man wird um uns in Sorge sein. Können wir die Sklaven nicht schneller rudern lassen?" Die beiden, die so gesprochen hatten, waren Nimbur und Nef-Naton, zwei hohe Würdenträger, welche der Pharao dazu bestimmt hatte, die Reise seiner Tochter Nif-Iritt nach dem fernen Griechenland zu begleiten. Der Kapitän schüttelte zu Nef-Natons Vorschlag heftig den Kopf. "Nein, Herr", sagte er. "Sie sind durch den Kampf mit der Strömung und den Wasserstrudeln entkräftet. Zudem kommt ein Sturm auf. Wir müssen sie jetzt schonen, wenn wir dann von ihnen um so mehr verlangen wollen. Denkt auch an den Wettkampf mit den griechischen Galeeren, den wir ganz sicher zu bestehen haben werden." "Aber die Prinzessin wird ungeduldig." "Sie mag den Göttern danken, daß sie am Leben ist, und sich einstweilen mit ihren Gespielinnen die Zeit vertreiben." Unmut klang in Ech Namurs Stimme. Nimbur und Nef-Naton fühlten es, aber sie schwiegen. Hier an Bord war der Kapitän der Herr, und von seiner Umsicht hing das Schicksal aller ab auch das von Nif-Iritt, der Tochter des Pharaos. Nif-Iritt lag in ihrer mit kostbaren Teppichen behangenen Kajüte auf den prunkvollen Kissen eines weichen Ruhelagers. Sie war noch jung, kaum siebzehn, und von schöner, ebenmäßiger Gestalt. Ihre Augen waren dunkel und rätselvoll. Ihr Antlitz war sorgfältig geschminkt, als befände sie sich auf dem Festland, im Palast des Herrschers von Ägypten. Zu ihren Füßen saß Aja, eine alte Nubierin, welche sie von Kindheit an betreut hatte, und eine äthiopische Sklavin namens Sil. Eben kam noch ein hellhäutiges Mädchen namens Gül-Gül hinzu, das aus dem Lande der Türken stammte und seiner hübschen Stimme wegen "Nachtigall" genannt wurde. Gül-Gül hatte ein Saiteninstrument gebracht, um ihrer Herrin vorzusingen, aber schon nach den ersten Tönen des Liedes winkte die Prinzessin ab. "Sil", frage Nif-Iritt, "sind wir weit vom Kurs abgekommen?"
(C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Sei ohne Sorge, Herrin", beruhigte sie Sil. "Es besteht keine Gefahr. Das Schiff ist stark und hat den heimtückischen Strudeln standgehalten. Wir kommen gewiß sicher nach Griechenland." "Aber ich sehne mich nicht nach Griechenland", erklärte Nif-Iritt. "Es ist ein kaltes Land mit strengen Männern und kühlen Frauen, ein Land voll seltsamer Gebräuche und merkwürdiger Ansichten. Ich werde mich dort niemals wohlfühlen, auch wenn ihr bei mir seid." "Herrin", entgegnete Sil, "du kennst deine Pflicht. Ein Bündnis mit König Telaus ist wichtig für Ägypten. Der König begehrt dich zur Frau - und welch besseres Bündnis könnte es geben als dieses? Auch ist Griechenland nicht kalt, und seine Männer sind weise. Erinnerst du dich des Mannes, welcher vor Jahren am Hofe deines Vaters war? Er hieß Solon." "Oh ja, ich erinnere mich! Er erzählte oft von einem .geheimnisvollen Reich, einer Insel, die weit draußen auf dem Meer liegen soll. Jeder, welcher die Insel betritt, muß sterben, so will es das Gesetz ihres Königs. Wie konnte er aber davon erzählen, wenn keiner sie lebend verließ?." fragte Nif-Iritt spöttisch. "So sieht es also mit der Weisheit der Griechen aus!" "Es gibt Leute, denen die Flucht gelang", antwortete Sil auf die Frage, "und die zu Tode erschöpft nach Griechenland oder Ägypten kamen. Von ihnen hat Solon die Geschichte gehört. Es sollen gefährliche Menschen auf dieser Insel wohnen, ihre Hauptstadt ist prächtig, aber sie haben barbarische Götter. Ihre Priester besitzen geheimnisvolle, magische Kräfte. Ich habe schon oft über diese Insel erzählen gehört." "Du machst mich neugierig:`, meinte Nif-Iritt. "Erzähle mir mehr von diesem Land." "Ich kann dir nur sagen, was Solon berichtet hat." "Sprich", befahl Nif-Iritt, und die drei Frauen rückten näher zueinander und Sil begann. "Die Atlanter sind Nachkommen des Gottes Poseidon. Ihr Reich ist groß und mächtig. Sie besitzen große Reichtümer, graben alle möglichen Arten von Metallen und Gesteinen in Bergwerken, und alles, was der Wald hervorbringt, ist reichlich vorhanden. Auch alle Arten von wilden Tieren gibt es auf der Insel. Das königliche Schloß liegt in der Mitte einer Stadt und ist von mehreren Wassergräben umgeben. In der Mitte des Schloßhofes erhebt sich ein heiliger Tempel, Klito und Gott Poseidon geweiht. Hier strömt man jedes Jahr zusammen und bringt Opfer von der reichen Ernte. Hier fließen auch zwei Quellen, die eine von warmem, die andere von kaltem Wasser. Sie fließen nach Poseidons Hain, wo die Bäume eine ungewöhnliche Höhe erreichen. Die Stadt ist umgeben von vielen Tempeln. Auch eine Rennbahn gibt es da, wo Wettrennen und Kampfspiele stattfinden." "Es muß eine prächtige Stadt sein", meinte Nif-Iritt. "Und es sind mächtige Leute", fuhr Sil fort. "Solon erzählte, sie hätten angeblich 10.000 Streitwagen und 1.200 bewaffnete Schiffe." "Er wird wohl übertrieben haben." "Er erzählte es, Herrin. Er sagte, die Atlanter seien reich, mächtig und wohnen in prächtigen Häusern." "So möchte ich diese Insel beinahe kennenlernen", meinte Nif-Iritt lachend. "Oh, wünsche dies nicht, Herrin. Keiner verläßt sie lebend." "Eine Tochter des Pharaos hält man nicht zurück, wenn sie gehen will", sagte Nif-Iritt hochmütig. "Aber vielleicht gefiele es mir so gut, daß ich dort bleiben wollte. Es kann schließlich nicht viel schlimmer sein als in dem langweiligen Griechenland." In diesem Augenblick ging ein seltsamer Laut durch den Körper des Schiffs. Es klang wie ein knarrendes Ächzen. Die Galeere legte sich ein wenig zur Seite und begann zu schlingern. "Was gibt es?" fragte Nif-Iritt erschrocken. "Sturm, Herrin", rief Nef-Naton, vom Deck kommend, in die Kajüte hinein. "Betet zu den Göttern, es gibt Sturm!"
* (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Fünf Kampfschiffe der Atlanter fuhren in die wolkenverhangene, pechschwarze Nacht hinaus, vertrauend auf ihre Kraft, auf den Mut ihrer Besatzungen und die Umsicht der Männer, unter deren Befehl sie standen. Fünf Kampfschiffe...Auf einem davon fieberte Prinz Torgo dem Abenteuer entgegen, das sie erwartete. Die Wachen standen vorn am Bug. Mit grimmigen, entschlossenen Gesichtern starrten sie hinaus in das Dunkel. Hochauf wogte der Gischt, sprühte salziges Wasser den Männern in die Gesichter. Auf und nieder ging das Schiff im Gange der Wellen. "Jargo, siehst du was?" fragte der Prinz seinen Diener, der gleich ihm in das Dunkel starrte. "Nein, Herr, nichts", kam es zurück. "Geduld, nur Geduld", klang es da hinter ihnen. Sarga war es. Er trat zu ihnen und lachte. "Könnt es wohl kaum erwarten, ihr beiden? Nur Geduld, wir sehen sie schon, sobald es soweit ist. Sie haben Pechfeuer brennen auf ihrem Schiff. Wir aber brennen keins. Wir brechen hervor aus dem Dunkel, wie eine Eule des Nachts über ihre Beute fällt." Pfeifend fegte ein Windstoß über das Schiff, daß das Takelwerk knarrte. Es war ein seltsamer, unheimlicher Laut. "Was ist das?" fragte Torgo. "Die Stimme des Windes, Herr. Wir haben ihn eingefangen, er muß uns Dienste tun. Die ägyptischen Schiffe bewegen sich mit Menschenkraft. Das haben wir nicht nötig. Uns ist wohl, wenn der Wind heult - um so rascher sind wir am Ziel!" "Der Sturm kommt auf, Herr", sagte Jargo. Er hatte Mühe, sich verständlich zu machen. Wie gespenstische Reiter jagten die weißen Wellenkämme gegen das Schiff. "Wenn ihr wollt, geht hinunter unter Deck", schlug Sarga vor. "Es wird kein angenehmes Wetter geben." "Unter Deck?" lachte Torgo. "Jetzt, wo es hier interessant wird?" "Dann bleibt meinetwegen, Herr, aber seid vorsichtig. Wagt euch nicht zu nahe an die Reling. Bei Sturm haben die Wellen schon manchen Menschen über Bord gespült." Sarga stapfte mit schweren Tritten davon. Er hatte erst ein paar Schritte getan, als plötzlich ein Blitz das Dunkel der Nacht zerriß. Grelle Lohe zeigte ihnen ein Inferno, in das sie hineinfuhren, und das in den nächsten Minuten auch über sie hereinbrechen würde. Donner grollte. Es war, als berste der Ozean entzwei. Ohrenbetäubendes Krachen erfüllte die Luft. Unbeweglich standen die Wachen vorne am Bug, kein Muskel zuckte in ihren Gesichtern und die Fäuste spannten sich um die Schäfte der Lanzen mit festem, entschlossenem Druck. Tief sogen Torgos Lungen die Luft ein. Der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen, als er jetzt Jargo zurief: "Was für eine Nacht - als ob sie die Götter für uns so geschaffen hätten!" Neue Blitze zuckten hernieder. Sargas Stimme klang brüllend durch den heulenden Sturm. Wie die Katzen kletterten die Männer in den Wanten. Die Masten bogen sich knarrend unter dem Druck der Segel. Und auch dort drüben, dort und dort -sie jagten dahin, beutelüstern, kampfesmutig, die fünf Schiffe aus Atlantis. Immer kräftiger tobte der Sturm. Mit entsetzlicher Macht peitschte er die Wellen. "Laßt Segel fallen", brüllte Sarga, "laßt fallen, fallt ab vom Wind!"
(C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die Fünf neigten sich schräg zur Seite, der Sturm faßte sie an den Breitseiten, drückte sie nieder, aber zäh und verbissen richteten sie sich wieder auf, beschrieben einen eleganten Bogen, als sei diese Fahrt für sie ein Kinderspiel. Berühmt waren die Schiffsbauer von Atlantis. Nun waren sie weiter vom Lande ab als die Galeere, hatten das ägyptische Schiff vor sich, konnten es vor sich hertreiben, auf die Küste zu. Dorthin, wo die Krieger warteten, versteckt zwischen Klippen und Felsen, bereit, über die Schiffbrüchigen herzufallen...
* Und die Galeere? "Wollt ihr von den Fischen gefressen werden? Rudert, Sklaven, rudert!" brüllte der Rudermeister. Aber seine Worte waren kaum zu hören, sie gingen unter im Heulen des Sturms, ebenso wie das Stöhnen der Sklaven, die ihr Letztes hergaben, aus Furcht vor dem entsetzlichen Ende, das sie erwartete. Blutig waren ihre Hände, blutig ihre Rücken, die sie vor der Peitsche duckten. Aber die Ruder brachen, eins nach dem anderen - und die Galeere wurde zum Spielball der Wellen und gehorchte dem Steuer nicht mehr. "Isis und Osiris, ihr Götter, errettet mich", betete in ihrer Kajüte Nif-Iritt. Auch Sil betete, Aja und Gül-Gül. Sie beteten zu verschiedenen Göttern, zu denen, welche in jenen Ländern verehrt wurden, aus welchem sie stammten. Nif-Iritt störte das nicht. Sie war von Todesangst erfüllt. Der Boden schwankte unter ihren Füßen und das Feuer in den Ölschalen flackerte. Die Galeere schlingerte und stürzte hinab in Abgründe aus Wasser, Gischt und Nacht. Droben schrien die Männer, brüllte der Kapitän heisere Befehle, die niemand zu befolgen imstande war. Bleich und zitternd vor Furcht und Übelkeit lehnte Nef-Naton am Abgang, an der Stiege, die hinab in die Tiefe des Schiffes führte. Er war am ganzen Leib durchnäßt und wagte dennoch nicht, diesen Platz zu verlassen. Er wollte vom Tod überrascht werden im Innern des Schiffes, wo es in den Augenblicken, wo es um Sein oder Nichtsein ging, keine Befreiung gab. Ungläubig starrte er mit schreckgeweiteten Augen auf ein Etwas, das plötzlich wie eine Vision vor ihnen auftauchte. Im grellen Lichtschein eines Blitzes sahen sie vor sich eine Felswand, die fast senkrecht gegen den Himmel wuchs. Auch der Kapitän hatte es gesehen - und ein zweiter Blick belehrte die erschrockenen Männer darüber, daß es keineswegs ein Trugbild war, dem sie sich hier gegenübersahen. Ein Schrei des Entsetzens ertönte auf der Galeere - ein Schrei aus vielen Kehlen, aus den Kehlen der Freien und Unfreien, aus den Kehlen jener, die, an die Ruderbänke gekettet, sich nicht befreien konnten. "Macht uns frei", brüllten die Sklaven, "schließt die Ketten auf, gebt uns frei!" Das Deck der Galeere glich einem Hexenkessel. Niemand gewahrte, wie aus dem Kajütenraum Rauch und Qualm drang, und die Frauen nach oben stürzten und wie gebannt stehen blieben vor dem entsetzlichen Schauspiel, das sich ihnen bot. Sil faßte sich zuerst. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Feuer!" rief sie. "Unter Deck ist Feuer!" "Nif-Iritts Kajüte brennt!" rief Aja. "Kommt zu Hilfe, löscht!" "Löschen?" lachte Nef-Naton grimmig. "Wozu denn löschen? Das wird die See besorgen, die See, in der wir alle ertrinken werden, noch ehe fünf Minuten um sind!" Wieder ließ ein gewaltiger Donnerschlag den ganzen Schiffskörper erbeben. Nif-Iritt schlug die Hände vors Gesicht, um nicht mitansehen zu müssen, was jetzt geschehen würde. Eine riesige Woge hob die Galeere hoch und setzte sie mit donnerndem Krachen auf die Klippen. Ein Bersten und Splittern ertönte, ein Schreien und Kreischen... Der Rumpf des Schiffes barst. Balken und Trümmer flogen durch die Luft, Menschen wurden emporgerissen oder hinabgeschleudert in den kochenden Schlund der See. Im nächsten Augenblick kämpfte auch Nif-Iritt mit den Wellen. Vor Angst und Entsetzen war sie fast besinnungslos. Sie erblickte neben sich ein bleiches Antlitz, das mit weit aufgerissenen Augen unter den Wellen versank. Es war das Gesicht Ech Namurs, des Kapitäns. Sein Körper war auf eine der Klippen aufgeschlagen; er lebte nicht mehr. "Hilfe!" rief Nif-Iritt. "Oh, ihr Götter, errettet mich!" Wie durch ein Wunder war es einigen von den Sklaven gelungen, sich von den Ketten zu befreien. Sie versuchten, sich aus der gefährlichen Nähe der sinkenden Trümmer der Galeere zu bringen. Aber keiner von ihnen kümmerte sich um die Tochter des Pharaos, ihres Unterdrückers. Wo war Sil? Wo Aja? Wo Gül-Gül? Mit letzter Kraft klammerte sich Nif-Iritt an ein aus dem Wasser ragendes Felsstück. Niederstürzende Wogen begruben sie fast, raubten ihr den Atem, ließen sie schreien vor Angst und Verzweiflung. Keiner hörte sie. Auch Nef-Naton hörte keiner. Er war auf ein schmales Stück Land gekrochen, und sah, wie unter donnerndem Bersten der Schiffskörper der Galeere von den Wassern zertrümmert wurde, wie Stück um Stück von dem Rumpf brach und in den kochenden Strudeln versank. Und zu all dem tobte und orgelte der Sturm mit unverminderter Kraft. Es war, als sei die Hölle losgelassen, als seien die bösen Geister der Finsternis befreit worden. Gab es noch Menschen auf der Galeere? Noch welche, die lebten? Nef-Naton wußte es nicht zu sagen. Er wußte auch nicht, wo sie sich befanden, ob es nur eine kleine Klippe war, die hier heimtückisch aus dem Meer ragte, ein Berg etwa, der vom Grunde des Ozeans aufwuchs, oder ob sie auf einer Insel gestrandet waren. Er wußte nur eines sicher - er lebte, hatte es überlebt. Und was er noch wußte, war, daß sie nicht so bald in das Reich des Königs Telaus gelangen würden...
* Unterdessen näherten sich die Kampfschiffe der Atlanter der Stelle des Schiffbruchs. Sie bildeten einen weiten Halbkreis, der sich, indem sie auf die Klippen zufuhren, immer mehr verengte. Sargas Ausguck hatte längst den Brand auf der Galeere gemeldet. Auf den Klippen flammte nun, durch den Sturmwind angefacht, das Feuer, das schon fast erloschen war, aufs neue (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
auf. Die hoch aufzüngelnden Flammen beleuchteten ein schauriges Bild. Die Reste der Galeere, soweit sie noch nicht im Meere versunken waren, brannten lichterloh und dienten den Atlantern als Wegweiser. Sie beleuchteten auch die klippenreiche Küste und das, was dort vor sich ging. Alwa war mit seinen Männern aus dem Hinterhalt hervorgebrochen und es gab unter den Überlebenden der Galeere ein blutiges Gemetzel. Wer sich zur Wehr zu setzen versuchte, wurde erbarmungslos getötet. Aber die meisten der Ägypter waren durch die überstandene Katastrophe so mitgenommen, daß sie sich auf Gnade und Ungnade ergaben. Sie entrannen so dem Tode, um einem Schicksal entgegenzugehen, von dem sie bald meinen würden, es sei ärger als der Tod. Wie gebannt betrachteten Jargo und Torgo dieses Schauspiel. Erst Sargas Stimme rief sie zur Besinnung. "Prinz", rief Sarga. "Wenn ihr beim Beutemachen mit dabei sein wollt, so kommt mit, wir setzen über. Wir holen aus dem Schiffsrumpf heraus, was noch drin ist. Was morsch und kaputt ist, ist weggebrochen. Das übrige sitzt auf den Klippen fest. Es ist nicht viel Gefahr dabei. Doch haltet euch trotzdem in meiner Nähe. Ein Brecher kann euch, wenn es die bösen Geister wollen, mit in die Tiefe nehmen. Da ist es wohl besser, wenn ich rechtzeitig zur Stelle bin." "Wir kommen mit dir, Sarga", antwortete Torgo beherzt. "Sei ohne Sorge. Mein Freund Jargo schwimmt wie ein Fisch und ich nicht minder. Wir gehen mit euch. Laßt nur das Boot in die Tiefe!" "Ho, Männer, das Boot!" ertönte Sargas Stimme weithin über das brausende Meer. Auch von den übrigen Atlanterschiffen ließ man Boote zu Wasser. Sie waren schmal, schnittig und kühn gebaut. Sie tanzten über die Wellen wie Nußschalen. Oft und oft kamen sie in gefährliche Nähe der Klippen und fast schien es, als würden sie im nächsten Moment zerschellen. Aber jedesmal waren die Atlanter dem rasenden Element überlegen. Eine geschickte Wendung brachte sie aus dem Gefahrenbereich. Sie nützten den Lauf der Wellen und ritten förmlich auf den Wogenkämmen auf ihr Ziel los. Die brennenden Teile des Wracks schafften ihnen Licht. Torgo und Jargo standen aufrecht in einem der Boote, bereit zum Sprung wie die anderen. Jetzt hob die Flut das Boot auf den Felsen. Schon sprangen die Männer auf den glatten Stein, kräftige Arme zerrten das Boot hoch, daß es sich nicht mehr befreien konnte. "Auf, zum Wrack!" rief Sarga. Allen voran betrat er das Wrack der Galeere. Torgo und Jargo schlossen sich ihm an. Beizender Rauch schlug ihnen entgegen. "Sucht alle Räume ab, Leute." Die Atlanter verteilten sich und stiegen, wie und wo sie konnten, in das Innere des Wracks. Jargo kletterte seinem Herrn voran. Oben auf Deck töteten die Atlanter die noch lebenden Galeerensklaven. Es waren ausgemergelte, durch den Schiffbruch mehr oder minder schwer verletzte Leute, die ihnen in den Bergwerken nichts mehr nützen konnten. Die rauhen Krieger des Königs Amur kannten keine Gnade. Und die Sklaven? Torgo verfolgte ihr Bitten und ihre Schreie bis hinab in die von Qualm erfüllte Tiefe des Schiffs und es berührte ihn seltsam. Etwas in seinem Innern lehnte sich auf gegen das, was hier geschah. Er fühlte ein Unbehagen in sich aufsteigen, das er sich nicht zu erklären wußte, denn es war Brauch so in Atlantis, wie Sargas wilde Leute handelten. Sie befanden sich in einem Teil des Mittelschiffs, welcher verhältnismäßig wenig in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Kajüte der Königstochter existierte nicht mehr. Sie war samt ihren Schätzen ins Meer gesunken. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Aber als sie die Kajüte des Kapitäns aufbrachen und die daneben gelegene Schatzkammer des Schiffs, welche die Aussteuer der Königstochter enthielt, blieb selbst der an Pracht und Prunk gewöhnte Prinz wie geblendet stehen. Da standen Schatullen, gefüllt mit Diamanten und Perlen, Ballen kostbarer Stoffe lagen durcheinandergeworfen umher. Krüge, gefüllt mit wohlriechenden Salben und Ölen, Gefäße mit Weihrauch und anderen Wohlgerüchen des Orients fanden sich ebenso wie Barren aus Kupfer und Gold. Goldene Standbilder fremder Götter mit Schädeln, welche denen von Vögeln glichen, waren ebenso vorhanden wie kostbare Teppiche, Schnitzwerk aus Elfenbein und andere Schätze. "Das ist ein Fang!" rief Sarga, welcher hinter ihnen die Schatzkammer betrat. "Davon habe ich geträumt! Die Götter haben mich heut' auf den rechten Weg geführt. Was sagst du, Prinz? Ich denke, dein Vater, der König, wird mit uns zufrieden sein!" "Das glaube ich wohl", meinte Torgo. Er trat näher, griff in die Schatullen, fühlte die glatte Kühle der Perlen und des Goldes und ein Rausch erfaßte ihn. Doch Sarga weckte ihn aus seinen Träumen. "Schätze sind gefährlich, Prinz", sagte er und berührte Torgos Schulter. "Vergiß nur darüber die Gegenwart nicht." "Ja, Herr", rief Jargo, "wir müssen diese herrlichen Dinge in Sicherheit bringen - das Schiff brennt, das Feuer greift um sich, und wenn der Sturm nicht nachläßt, wird auch dieser Teil des Wracks bald in hellen Flammen stehen." "Er hat recht", meinte Sarga hart. "Nimm davon, Prinz, was dir beliebt und behalte es. Die übrigen Dinge werden meine Männer auf die Schiffe schaffen." "Herr, wir nehmen, soviel wir tragen können" rief Jargo, den gleichfalls die Gier nach den Schätzen erfaßt hatte, "und wenn etwas davon für deinen Diener abfällt, so soll es mir nur recht sein." Torgo lachte. "Was möchtest du haben, Jargo?" fragte er. Jargo überlegte. "Hier, diesen Ring, und diesen Dolch, wenn ich ihn haben kann", bat er. "Sein Griff scheint aus purem Gold zu sein." "Nimm ihn", sagte Torgo. "Ich mag dieses Schwert und jenen Stoff hier, er muß ein prächtiges Gewand abgeben. Salben und Öle mag ich nicht, das ist etwas für Weiber. Aber hier ist noch ein Ring, der mir gefällt. Wenn es mein Vater erlaubt, werde ich ihn behalten." "Nehmt und laßt jetzt die Leute kommen", drängte Sarga. "Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit." Jargo und der Prinz nahmen an sich, was sie gewählt hatten. Kaum hatten sie die Schatzkammer verlassen, als Sarga einen gellenden Pfiff ausstieß, welcher seine Mannschaft herbeirief. Die Männer bildeten eine Kette bis hinauf auf das Verdeck. Von Hand zu Hand wanderte der gesamte Inhalt der Kammer. Über Strickleitern und mit Hilfe von Seilen schaffte man die Beute und alles, was noch an Brauchbarem in anderen Räumen der Galeere zustande gebracht worden. war, hinab in die Boote. Der Sturm hatte jetzt glücklicherweise etwas nachgelassen. Zwar fegte er noch in kurzen, heulenden Stößen von der See her und brauste um die Klippen, daß es wie eine Schar entfesselter Dämonen klang. Aber die aufgewühlte See beruhigte sich dennoch langsam, und das erleichterte den Verkehr der Boote zwischen den Schiffen und dem Wrack.
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Auf dem Lande war das Drama zu Ende. Man hatte die Gefangenen gleich einer Herde eingefangener Tiere im Schutze des hohen Felsens zusammengetrieben. Dort standen sie nun frierend und zitternd angesichts der drohend auf sie gerichteten Speere und erwarteten die Befehle des Kommandanten Alwa. Man hatte auch Nif-Iritt gefunden und mit zu der Schar der anderen geschleift. Sie hatte geschrien, getobt und gekratzt und jeder andere wäre längst niedergemacht worden. Aber die Männer Alwas waren beeindruckt von ihrer seltsamen Schönheit. Sie sahen, daß dieses Mädchen mit den übrigen Gefangenen nicht gleichzusetzen war, und Alwa befahl, sorgsam auf sie zu achten. Er fühlte, daß es mit dieser Gefangenen eine besondere Bewandtnis haben müsse. So stand Nif-Iritt, die Königstochter, inmitten ihrer Untergebenen und Sklaven, gleich einer von ihnen. Sie warf hochmütig ihren Kopf in den Nacken und begehrte Respekt wenigstens von diesen, aber es wurde ihr nur stumpfe Gleichgültigkeit zuteil, und sie spürte voll Verwunderung, daß ihre Macht hier nichts galt. Da gebrauchte sie eine gefährliche Waffe des Weibes - die Zunge. Aber auch ihre Verwünschungen nützten nichts, weder bei ihren eigenen Leuten noch bei den fremden Männern, deren Mienen nur finsterer und drohender wurden. "Schweige, Mädchen", befahl ihr Alwa, "wenn du nicht willst, daß wir dich lehren, den Mund zu halten!" Diese Worte trafen sie wie ein Peitschenhieb. So hatte noch niemand zu ihr gesprochen. "Was wagst du?!" rief Nif-Iritt. "Du befiehlst mir, zu schweigen, mir, der jüngsten Tochter des Herrschers von Ägypten?" "Du magst sein, wer du willst, hier bist du nicht anders als alle ringsum", antwortete Alwa rauh. "Daß dein Vater Herrscher ist, kümmert uns wenig. Hier gelten seine Befehle nichts. Hier ist das Reich des mächtigen Königs Amur." "Ich kenne König Amur nicht", antwortete Nif-Iritt heftig, "aber wenn er meinesgleichen ist, so verlange ich, sofort vor ihn gebracht zu werden." "Er ist nicht deinesgleichen, Mädchen", versetzte Alwa. "Du bist nichts anderes als eine Sklavin der Atlanter. Wenn dich der König sehen will, so hast du vor ihm zu erscheinen, sonst aber hast du zu schweigen und zu gehorchen, wenn du nicht die Peitsche schmecken willst." "Du mußt wahnsinnig sein", sagte Nif-Iritt, bleich einen Schritt zurücktretend. Alwa lachte rauh. Seine Rechte griff unwillkürlich nach dem Griff einer Peitsche aus Elefantenhaut, als wolle er Nif-Iritt beweisen, daß er durchaus klaren Sinnes sei. Aber er ließ es dabei bewenden. Es war etwas in Nif-Iritts Haltung, was ihn davor zurückhielt, sie zu schlagen. Er wendete sich um, plötzlich von einer Wut erfüllt, deren Ursache er nicht kannte. Wild schlug er auf die Männer ein, die Nif-Iritt umstanden, als wolle er der Königstochter dadurch seine Macht beweisen. "Herrin, Herrin!" rief es plötzlich. Sil war es. Auch sie hatte sich gerettet, drängte sich durch die Umstehenden und warf sich Nif-Iritt zu Füßen. "Sil", rief Nif-Iritt. "Wo sind Gül-Gül und Aja?" "Ich weiß es nicht Herrin", antwortete Sil schluchzend. Ich fürchte, sie werden nicht mehr am Leben sein..." Alwa hatte die Szene bemerkt. Er ließ von seinen Opfern ab und trat näher. "Wer ist das?" fragte er finster. "Meine Dienerin", antwortete Nif-Iritt stolz. "Dienerin?" hohnlachte der Hauptmann. "Eine Sklavin braucht keine Dienerin." Und zu Sil gewendet, rief er: "Steh' auf und stelle dich zu den übrigen. Wir marschieren jetzt ab, nach der Hauptstadt. Es ist ein langer Weg bis dahin. Macht euch darauf gefaßt!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Sil hatte sich zitternd erhoben. Nif-Iritt wagte keinen Einwand gegen Alwas Worte. Plötzlich schlug Sil ihre Hände vors Gesicht. "Oh Herrin," rief sie, "Bethseba -Bethseba ist noch auf der Galeere! Sie wird verbrennen, wenn sie nicht schon ertrunken ist!" Nif-Iritt stampfte zornig mit dem Fuß auf. "Was kümmert mich dieses Weib", zischte sie. "Mögen ihr ihre Götter doch helfen!" Die Soldaten Alwas hatten Fackeln entzündet. In ihrem Schein setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Nef-Naton sah es von seinem Versteck aus, wie Alwas Krieger mit den Gefangenen zwischen den Felsen verschwanden. Er hatte sich tief in eine Felsspalte gedrückt, angstvoll zitternd, stets der Entdeckung gewärtig. Denn sie hatten den ganzen Strand gründlich nach Überlebenden abgesucht. Aber sie hatten ihn nicht gefunden. Nef-Naton wagte nicht, sich in seinem Versteck zu rühren. Bleich vor Entsetzen hatte er die Gefangennahme der Königstochter mit angesehen. Er hatte nicht zu helfen vermocht - der Versuch einzugreifen wäre sinnlose Torheit gewesen. Und er sah auch die Schiffe, welche draußen auf See die Reste der Galeere umringten. Er erkannte, daß hier nach einem wohlüberlegten Plan gehandelt worden war, der den Gegnern reiche Beute brachte ohne daß es von ihnen die geringsten Verluste erforderte. Solange die Boote draußen auf See kreuzten und die Beute bargen, mußte Nef-Naton in seinem Versteck bleiben. Er durfte sich nicht hervorwagen, wollte er sich nicht der Gefahr der Entdeckung aussetzen. Und dann? Was sollte dann werden? Darüber gab sich der Ägypter noch keine Rechenschaft. Aber eines wußte er: daß er einem gefährlichen und ungewissen Schicksal entgegenging. Mittlerweile waren Prinz Torgo und sein Diener Jargo entgegen dem Rat Sargas noch tiefer in das Innere der Galeere eingedrungen. Im Bauch des Schiffes stießen sie auf Krüge mit Wein und Vorräten an Lebensmitteln. "Herr, hier gibt es einen prächtigen Trunk", rief Jargo begeistert, "das müssen wir Sarga melden! Dieser Wein muß gerettet werden. Bei allen Göttern und Bel im Besonderen - die Weine Ägyptens sind nicht zu verachten!" Er langte sich einen Schöpfer, tauchte ihn in einen der Krüge und führte ihn zum Mund. Er schmatzte vor Behagen, nachdem er gekostet hatte. "Eile dich, Jargo", rief Torgo. "Sie sollen kommen und den Wein bergen. Der Qualm wird dichter! Lauf schnell, ich bleibe einstweilen hier!" Jargo stürzte nach oben. Torgo setzte sich, Jargos Rückkehr erwartend, zu den Krügen. Er nahm den Schöpfer, den vorhin Jargo benutzt hatte, und trank mit durstigen Zügen. Der Wein war gut, aus ihm schmeckte man die Sonne Ägyptens. Aber die Luft wurde allmählich schwer atembar. Torgo hörte es in der Nähe knistern. Das Feuer fraß sich durch die Wände. Es würde den Laderaum bald erreicht haben. Plötzlich hörte Torgo, wie jemand hustete. Er hatte sich allein hier unten geglaubt, aber das schien nicht der Fall zu sein. Wer war außer ihm noch hier...? Von irgendwoher erklang plötzlich dumpfes Murmeln. "Hallo!" rief er, "ist hier jemand?" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Der Laut verstummte und wich der Stille, in der nichts als das Prasseln des Feuers zu hören war. "Ist hier jemand?" wiederholte Torgo. "Seid gnädig, laßt mich frei, ich ersticke", kam es plötzlich aus dem hintersten Winkel des Laderaumes. Da war ein Mensch in Gefahr! Es war die Stimme einer Frau gewesen. Torgo sprang auf. Er ließ den Weinschöpfer fallen und bahnte sich einen Weg in die Richtung, aus welcher er den Ruf vernommen hatte. "Wo bist du?" rief er. "Gib Antwort"!" "Hier - ich bin eingeschlossen - in der Kammer!" "In einer Kammer?" "Ja, ganz vorn, neben den Krügen!" Das Licht der Fackel, das Torgo bisher geleuchtet hatte, begann bedenklich zu flackern. Der Rauch wurde dichter, das Atmen schwer. Erneutes Husten, das aus der Kammer klang, belehrte Torgo darüber, daß sich dort ein Mensch in Not befand. "Halt' aus - ich komme!" rief Torgo. Plötzlich erfüllte flackernder Feuerschein den Raum. Die Flammen hatten sich durch eine Wand des Laderaumes hindurchgefressen. Torgo zauderte, doch nur einen Augenblick lang. Er sah die Tür, wenige Schritte trennten ihn von ihr - und ebenso viele nach der anderen Seite hätten ihn in Sicherheit bringen können. Torgo stürzte vorwärts. Die Tür zur Kammer war verschlossen. Ein Riegel verschloß sie. Mit einem Handgriff warf ihn der Prinz zurück. Ein Mädchen taumelte ihm halb besinnungslos aus der rauchgefüllten Kammer entgegen. "Prinz, Prinz!" rief es in diesem Augenblick hinter ihm. Jargo und Sarga waren es. "Prinz", rief Sarga entsetzt, "komm' nach oben! Wir haben Wein in Atlantis genug. Du weißt, daß ich König Amur Bürgschaft für dich geleistet habe. Willst du mich verderben?" Sarga war zornig. Torgo verstand ihn. "Aber hier ist ein Mensch", antwortete er, "ein Mensch, der umgekommen wäre!" "Was kümmert uns die Ägypterin," gab Sarga rauh zurück. "Wir haben auch genug Mädchen im Lande. Laß sie hier, sie ist' uns nur hinderlich." Das Mädchen brach in diesem Augenblick bewußtlos zusammen. Torgo sah im Schein der flackernden Flammen die fremdartige Anmut, die von ihren Zügen ausging. Er war weicher gestimmt als Sarga. Ohne ihn zu fragen nahm er das Mädchen auf seine Arme und strebte mit ihr dem Ausgang zu. Kopfschüttelnd folgte ihm Sarga. "Und deine Beute, Herr? Soll ich alles alleine tragen?" fragte Jargo entsetzt. Torgo antwortete nicht. Er hatte den Raum bereits verlassen. Jargo blieb nichts anderes übrig, als seine und Torgos Beutestücke aufzunehmen und sie im Schweiße seines Angesichts nach oben zu schleppen. Als Sarga die Absicht des Prinzen sah, das Mädchen von der Galeere zu bergen, war er ihm dabei behilflich, sie hinab in das Boot zu bringen, das sie wieder zurück nach dem Kampfschiff tragen sollte. Dabei sah er die Fremde näher und meinte kopfschüttelnd: "Das ist keine Ägypterin. Sie muß einem anderen Volke angehören. Sie ist ganz schmucklos und einfach gekleidet. Vermutlich (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
ist sie nichts anderes als eine Sklavin oder ganz niedrige Dienerin." "Einerlei", antwortete Torgo, ,wir konnten sie nicht einfach verderbenlassen." "Es sind viele verdorben in dieser Nacht", sagte Sarga kalt. Torgo gab ihm hierauf keine Antwort. Die Atlanter ruderten das mit reicher Beute beladene Boot nach dem Kampfschiff zurück. Es war das letzte, welches von der Galeere abstieß, deren Wrack bald darauf völlig in Flammen aufging. "Der Wein, der schöne, herrliche Wein", meinte Jargo in komischer Verzweiflung. Unterwegs nach dem Kampfschiff erwachte die Gerettete. Torgo hatte sich nicht von ihrer Seite gerührt. Als sie die Augen aufschlug, blickte sie verwundert um sich. "Wo bin ich?" fragte sie kaum hörbar. "Gerettet und in Sicherheit", antwortete Torgo. Wieder schloß das Mädchen die Augen, als lausche es auf den Klang von Torgos Stimme. "Wer bist du?" fragte er. "Bethseba", antwortete sie leise, "ich heiße Bethseba." "Und woher kommst du?" "Ägypten." "Du bist aber keine Ägypterin?" "Ich bin Jüdin." "Was bedeutet das?" "Ich zähle zu den Unterdrückten." Wieder schlug sie die Augen auf, aber sie blickte nicht auf Torgo, sondern ihre Blicke suchten den wolkenverhangenen Himmel. Ihre Augen waren weit offen und tränenlos. "Was heißt das, du zählst zu den Unterdrückten?" fragte Torgo, der sie nicht recht verstand. "Bist du Sklavin?" "Unser ganzes Volk ist ein Volk von Sklaven, Herr", antwortete Bethseba. "Wir leiden Erniedrigung und Schmach. Die Faust der Ägypter sitzt in unserem Nacken." "So haben sie euch besiegt?" "Oh nein, wir führen keine Kriege." "So müssen eure Söhne feige sein, weil ihr euch freiwillig habt aus eurem Land vertreiben lassen." "Oh, Herr, wir wurden nicht vertrieben. Wir besitzen kein Land, wir haben niemals welches besessen. Wir zogen hierhin und dahin. Als unsere Großväter nach Ägypten kamen, blieben sie und begannen Handel zu treiben. Bald ging es ihnen gut, aber das sahen die Ägypter nicht gern. Nun arbeiten wir in der Fron. Unsere Rücken sind krumm und unsere Hände voll Schwielen. Der Pharao haßt uns. Er hat die Kinder Levis, Judas und Benjamins und all die anderen Stämme Israels in seinen Dienst gezwungen. Wir arbeiten in den Ziegeleien am Nil und liefern die Lehmziegel für den Bau großer Städte. Doch nicht genug damit. Die Ägypter töten alle neugeborenen Knaben aus unserem Volke, deren sie habhaft werden können." Torgo schüttelte den Kopf. "Und das laßt ihr euch gefallen?" fragte er verwundert. "Wenn ihr dies alles mit euch geschehen laßt, ohne euch zur Wehr zu setzen, so verdient ihr es nicht besser." Bethseba senkte ihren Blick. "Der Herr schickt uns Prüfungen", sagte sie. "Welcher Herr?" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Unser Gott." Torgo lachte. "Und an so einen Gott glaubst du? Zu dem betest du? Zu einem Gott, der seinem Volk nicht einmal Land und Freiheit schenkt? Such' dir einen anderen Gott, Mädchen, einen, der mächtiger ist als der, zu dem du betest. Sieh' uns an. In unserem Lande herrscht Bel. Seine Priester taugen zwar nicht viel, aber der Gott ist mächtig. Er ist ganz aus Gold und thront in einem Tempel aus goldenen Säulen, welcher mitten im Haine Poseidons steht. Poseidon ist der Gewaltige, von dem alle Atlanter abstammen. Gott Bel kann alles. Er schenkt dir langes Leben und Reichtum, wenn du ihm opferst. Er hat nur eine Vorliebe - er trinkt gern Blut, warmes Blut von lebendigen Tieren..." "Und ist er auch noch so mächtig", antwortete Bethseba, "so muß er doch meinem Herrn gehorchen." "Was?" sprach plötzlich Jargo dazwischen, der Bethsebas letzte Worte mit angehört hatte, "unser Bel? Bist du verrückt? Du bist wohl wahnsinnig, Mädchen!" Auch Torgo fühlte in sich Zorn hochsteigen. "Sarga hatte recht", sagte er. "Wir hätten dich in der Galeere verbrennen lassen sollen. Ist dies der Dank dafür, daß wir dich gerettet haben, daß du unsere Götter beleidigst?" Bethseba schluchzte plötzlich auf. "Verzeih' mir, Herr, aber ich konnte nicht anders", sagte sie. "Die Ägypter haben mich zur Strafe in diese Kammer gesperrt, weil ich, wie sie meinten, ihre Götter beleidigte. Aber ich glaube einfach daran, daß es so ist, und würde ich es nicht glauben, so wäre ich schon längst verzweifelt." "Mir scheint", sagte Torgo mit Bedacht, "die Ägypter haben recht getan, dich zu bestrafen, und sie tun wohl auch redet daran, dies Volk, dem du angehörst, zu vertilgen. Es muß ein unangenehmes, aufsässiges, störrisches Volk sein. Doch du sollst wissen, daß du unsere Gefangene, unsere Sklavin bist. Wir werden dich an Land wieder denen zugesellen, die aus der Galeere stammen. Du hast zu gehorchen wie sie. Und sagst du ein Wort gegen Bel, so bist du des Todes." Sie waren bei dem Kampfschiff angekommen und stiegen an Deck. Rauh erklangen Sargas Befehle. Die atlantischen Schiffe wendeten ihre Schnäbel und umfuhren die Riffe, dem Hafen zu, den sie verlassen hatten. Während der ganzen Dauer der Fahrt sprach Torgo kein Wort mehr mit Bethseba. Sie saß schweigsam und verloren auf einem Haufen Tauwerk und ihr Blick war nach innen gekehrt. Der Sturm hatte nachgelassen. Das Gewölk klarte auf, und mit einem Male fiel das Mondlicht auf die Wasser. Das Meer glich einer trostlosen, düsteren Einöde, in der alles Leben erstorben war. Ruhig segelten die fünf Schiffe der Atlanter gleich dunklen, riesigen Schwänen dahin...
* Nef-Naton sah sie mit Befriedigung am Horizont verschwinden. Jetzt erst wagte er sich tief aufatmend aus seinem Versteck. Er warf sich nieder und flehte zu seinen Göttern - weil sie sein Leben beschützt hatten, und weil sie es fernerhin beschützen sollten. Er hörte leises Röcheln von den Klippen her. Dort war jemand am Leben, rang mit dem Tode - es mußte jemand von der Galeere sein. Nef-Naton hörte auch schwache Wehlaute von dort, wo die Krieger der Atlanter die Gefangenen zusammengetrieben hatten.
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Aber er dachte nicht daran, Hilfe zu bringen. Er war mit sich selbst beschäftigt, auf seine eigene Sicherheit bedacht. Er konnte sich nicht mit fremdem Leid befassen. Mochte doch jeder selbst zusehen, wie er weiterkam. Als er über den Strand schritt, sich vorsichtig nach allen Seiten umblickend, ob ihm von nirgendwoher Gefahr drohe, drang plötzlich ein schwacher Ruf an sein Ohr. "Nef-Naton...he, Nef-Naton!" Der Ägypter blieb stehen, als habe ihn der Blitz getroffen. Langsam wandte er sich um und sah zwei bleiche Hände, die sich am Felsgestein festgekrallt hatten, und den Körper einer Frau, welche sich nach oben zu ziehen versuchte. "Gül-Gül", entfuhr es Nef-Naton überrascht. "Ich lag da unten und war bewußtlos", rief Gül-Gül, "hilf mir, Nef-Naton, zieh mich hoch!" "Willst du wohl still sein", zischte Nef-Naton, "durch dein Geschrei wirst du uns noch verraten. Die Krieger dieses fremden, barbarischen Landes, an dessen Klippen wir gestrandet sind, haben alle unsere Leute umgebracht." "Zieh' mich hoch, oder ich schreie", keuchte Gül-Gül, welche Nef-Natons Art wohl kannte und wußte, daß er ihr nur helfen würde, wenn sie ihn dazu zwang. "Ja, ja, ich komme schon", antwortete Nef-Naton, kletterte vorsichtig bis zur Felskante vor und faßte dann nach den Armen des Mädchens. "Zieh, zieh", keuchte Gül-Gül, "ich selbst habe keine Kraft, ich kann nicht mehr." Nef-Naton legte sich wohl oder übel ins Zeug und half Gül-Gül nach oben. "Nun", sagte er, als sie schwer atmend neben ihm stand, "da bist du also. Nun schweige und laß mich gehen. Ein jeder muß sehen, wie er sich selbst helfen kann. Ich kann kein Weib in meiner Begleitung brauchen." "Aber ich bin dir nicht hinderlich, Nef-Naton", bat Gül-Gül. "Ein Mann allein ist vielleicht verdächtig, wenn sie nach Fremden suchen. Laß uns beisammenbleiben. Vielleicht finden wir gemeinsam einen Weg, um wieder von diesem Land fortzukommen." "Schön", sagte Nef-Naton überlegend, "dann bleibe meinetwegen bei mir. Nimm dich also zusammen und komm mit. Wir dürfen hier nicht länger bleiben. Wir müssen sehen, daß uns die Bewohner dieses Landes für Einheimische halten, oder zumindest für Freunde. Wir dürfen uns mit keinem Wort verraten. Hörst du?" "Ich bin schlau, wenn es sein muß", antwortete Gül-Gül. "Du wirst es noch erleben." Nef-Naton hatte sich die Richtung gemerkt, in der die Kolonne der Gefangenen verschwunden war. Dort mußte, den Worten des Hauptmannes nach, die Hafenstadt liegen, von der aus es vielleicht ein Fortkommen gab. Er schlug also die gleiche Richtung ein und Gül-Gül ging mit ihm. "Weißt du", fragte er, "was mit der Töchter des Pharaos geschehen ist?" "Nein", sagte Gül-Gül teilnahmsvoll. "Was ist mit ihr? Weißt du es?" "Ich wollte, ich wüßte nichts davon", meinte Nef-Naton grimmig. "So ist sie tot?" "Schlimmer. Sie lebt und ist in Gefangenschaft. Man hat sie zur Sklavin gemacht, sie muß dem fremden Volke dienen." "Das ist nicht wahr, du lügst, das kann nicht sein!" rief Gül-Gül entsetzt. "Doch, es ist so. Wenn der Pharao es wüßte, er käme mit seinem gesamten Heer, um seine Tochter zu befreien und dieses Land mit Krieg zu überziehen, daß von den Städten kein Stein auf dem anderen bliebe, und der Bauer nicht mehr ackern kann, weil alle Erde ringsum verbrannt ist." "Der Pharao ist weit", meinte Gül-Gül. ,;Und wahrscheinlich kennen die Menschen hier seine Macht gar nicht."
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"Doch, ich glaube, sie kennen sie. Aber sie scheinen sie nicht zu fürchten. Und wenn ich an ihre Schiffe denke, die ich gesehen habe, so meine ich zu wissen, warum." "Sind sie besser als unsere Schiffe?" "Sie sind besser. Und sie haben gute Krieger. Es ist ein mächtiges Volk. Der Hauptmann, welcher Nif-Iritt gefangennahm, nannte es das Volk der Atlanter." Unwillkürlich blieb Gül-Gül stehen. Sie mußte an das Gespräch in der Kajüte der Königstochter denken, das sie kurz vor dem entsetzlichen Ereignis geführt hatten. "Die Atlanter", sagte sie mit lauterer Stimme, als Nef-Naton lieb war. "Die Atlanter - die Menschen, von denen Solon am Hofe des Pharao erzählte...Also gibt es sie doch, diese geheimnisvolle Insel!" "Eine Insel, sagst du?" fragte Nef-Naton interessiert. "Ja, eine Insel! Wir sind auf einer gewaltigen Insel an Land gegangen, welche weitab der befahrenen Meere liegt, und die ein mächtiger König beherrscht, der alle Fremden tötet, welche ihren Boden betreten." Unwillkürlich fuhr sich Nef-Naton an die Kehle. Er glaubte schon ein blankes Schwert daran zu spüren. "Und ich habe es bisher stets für ein Märchen gehalten", sagte er. "Auch ich erinnere mich jetzt, von dieser sonderbaren Insel gehört zu haben. Jetzt wird mir manches begreiflich, was der Hauptmann gesagt hat." "Arme Nif-Iritt", klagte Gül-Gül. "Komm, bleib nicht stehen,", drängte Nef-Naton, "ich fürchte, es wird bald Tag, und da möchte ich nicht auf offenem Lande angetroffen werden." Er schlug eine raschere Gangart an und Gül-Gül hatte Mühe, ihm zu folgen. Ihr Weg führte sie steil bergan, bis sie ein Hochplateau erreichten, auf dem sie zu ihrer Überraschung eine sauber angelegte Straße fanden, welche entlang des Küstenstreifens verlief. Unschlüssig blieb Nef-Naton stehen. "Sicher haben sie diese Straße benutzt", sagte er. "Aber geht es hier nun nach rechts oder nach links?" Auch Gül-Gül war ratlos. "Nif-Iritt," meinte sie, "wir können sie doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen!" "Was willst du denn tun, dummes Ding?" fragte er unwillig. "Wir können ihr ja doch nicht helfen. Was sollen wir beide denn ausrichten gegen die Übermacht der Atlanter! Das einzige, was wir tun müssen, ist, von dieser Insel zu flüchten. Wir müssen irgendwie nach Ägypten oder nach Griechenland gelangen, wo König Telaus vergeblich seine Braut erwartet. Auch er würde diese Schmach nicht ungerächt lassen. Wenn sich die Heere Griechenlands und Ägyptens vereinigen, sehe ich schwarz für die Atlanter." "Dort vorne liegt etwas", bemerkte Gül-Gül. Es war ein abgerissener Mantelfetzen, welcher sicherlich einem der Gefangenen gehört hatte. Nun wußten sie wenigstens Bescheid über die Richtung, welche sie einzuschlagen hatten. Die Sterne begannen zu verblassen. Trotz ihrer Ermattung schritten sie wacker aus, einem unbekannten Ziel und Schicksal entgegen...
* Der Zug der Gefangenen bewegte sich auf der gleichen Straße wie Nef-Naton und Gül-Gül. Kaum einen Kilometer waren Nif-Iritt und ihre Unglücksgefährten ihnen voraus. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Vorwärts, bewegt eure Beine", schrie Alwa ein ums andere Mal, "geht, sage ich euch - wer hier liegenbleibt, stirbt auf der Stelle. Ich kann keinen zurücklassen. Darum sage ich euch, geht!" Nif-Iritt vermochte sich kaum mehr auf den Beinen zu halten. Sie war weite Märsche nicht gewöhnt. Dazu kam, daß sie über felsige Klippen hatte klettern müssen. Ihr Gewand war zerfetzt, feucht und kotig. Sie fühlte sich, bar jeder Würde, entsetzlich elend, aber in ihrem Innern kochte ein fürchterlicher Grimm gegen Alwa. Hätte sie einen Dolch zur Hand gehabt, sie wäre imstande gewesen, ihren Beleidiger auf der Stelle zu töten. Nicht gerade glücklich kamen auch die Galeerensklaven voran, welche die Schiffskatastrophe und das anschließende Gemetzel überlebt hatten. Sie waren erschöpft und hungrig, zerschunden und des Laufens urgewohnt. Manche von ihnen hatten die Ruderbank schon jahrelang gedrückt. Die Männer von der Schiffsbesatzung und die ägyptischen Krieger, welche Nif-Iritt zur Begleitung mitgegeben worden waren, befanden sich noch am Besten von allen. Aber sie berührte ihr Schicksal nicht minder als Nif-Iritt. Die Galeerensklaven hingegen trotteten dahin in einem Zustand stumpfer Gleichgültigkeit. Sie hatten eine Sklaverei mit der anderen vertauscht, es war ihnen gleich, was nun mit ihnen geschah, denn viel schlimmer als es bisher gewesen war, konnte es auch nicht werden. Allmählich verblaßte das Licht der Sterne. Im Osten dämmerte der neue Tag herauf. Nun sahen die Gefangenen die Kleidung der Krieger, ihre blitzenden Waffen und ihre kraftstrotzenden Gestalten, ihre Gesichter, die bei aller Rohheit doch ein gewisses Maß an Intelligenz verrieten. Sie sahen den gepflegten Zustand der Straße, die mit kluger Geschicklichkeit angelegt war, und sie erkannten, daß sie es hier mit einem hochentwickelten Volk zu tun hatten. Bisher war ihnen noch niemand begegnet. Mit wilden Zurufen trieben die Soldaten die Gefangenen zum Marsch an. Sie waren zu Fuß, bis auf Alwa, welcher ein braunes Pferd ritt. In zwei Reihen umgab ein Kordon Krieger die Gefangenen. Ein Entkommen war unmöglich, und dann - wohin...? Gegen vier Uhr morgens war Nif-Iritt am Ende ihrer Kraft. Doch als sie sah, wie einer der Atlanter einen offenbar beinverletzten Sklaven, der sich bis hierher geschleppt hatte und nun zusammenbrach, mit seiner Lanze auf der Stelle niedermachte, riß sie sich noch einmal zusammen. Dieses Schicksal wollte sie nicht erleiden. Sie wollte überleben - weiterleben für den Tag der Rache, der einmal kommen würde. Denn unmöglich konnte es sein, daß ihr Vater, der Pharao, dies alles mit ihr geschehen ließ. Im Geiste sah sie Alwa und den ihr noch unbekannten König der Atlanter unterm Beil. Sie sah ihre abgeschlagenen Köpfe, auf Lanzen gespießt, auf den Zinnen des Palastes und sie sah ägyptische Krieger auf allen Straßen, die mit den Atlantern ebenso verfuhren, wie diese mit den Männern der Galeere verfahren waren. Der Gedanke an diese schreckliche Rache hielt sie aufrecht. Sie biß ihre Zähne zusammen, wankte weiter und gab keinen Laut von sich. Nur hin und wieder trafen Blicke abgrundtiefen Hasses Hauptmann Alwa, der gleichgültig auf seinem Pferde saß und neben dem Zuge dahinritt. Da begann sich der Horizont purpurn zu färben. Eine Kette ferner Berge wurde sichtbar. Sie wuchsen schattengleich aus dem Dunkel. Flammende Blitze färbten ihre Gipfel, die Sonne tauchte empor, überstrahlte das Land mit mächtigem Feuer. Es war dieselbe Sonne, die auch auf Ägypten schien. Und doch, wie anders schien sie hier zu leuchten, wie anders war das Bild, das sie hier beschien, von der vertrauten Szenerie des Niltals und seiner Siedlungen und Städte. Was dort mächtig schien, war hier trotzig, was dort voll Anmut war, schien hier streng, und die kultischen Bauten, die in Ägypten frommen Schauder und ehrfurchtsvolles Staunen einflößten, erweckten den ahnungsvollen Schauder der schönheitsdurstigen Prinzessin.
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Denn gleich einem märchenhaften Traum war vor ihnen, zu ihren Füßen, die Stadt Atlantis aus dem Nebel der Nacht aufgetaucht. Da blitzten die weißgetünchten Häuser mit ihren flachen Dächern, da leuchteten die sieben Wassergräben glitzernd im Gefunkel der Morgensonne, und ihre Ringe umschlossen den Königspalast, dessen Zinnen weithin das Land ringsum beherrschten. Protzig thronte das Dach des Tempels auf seinen goldenen Säulen gleich einem ungeschlachten Riesen. Posaunenschall tönte vom Tempel her: Die Priester des Heiligtums grüßten den neuen Tag und weckten die Schläfer. Die Stadt erwachte. Vor den Toren erschienen Menschen, begehrten ein- oder hinausgelassen zu werden. Auf den Wällen sah man die Wachen patrouillieren und unten im Hafen bewegte sich eine mächtige Flotte. Unzählige kleine Fischerboote fuhren eben auf die offene See zum Fange aus. Und vom Hafen zum Schloß zu bewegte sich ein Strom von Menschen. Es schien ein Festzug zu sein, welcher, obgleich es noch sehr früh am Morgen war, doch sehr viele Neugierige anlockte. Nif-Iritt sah dies alles mit langsam erwachender Neugierde und Staunen. Der fremdartige Reiz dieses Bildes nahm sig gefangen. Sie hätte keine Frau sein müssen, wenn sie nicht den lebhaften Wunsch gefühlt hätte, mehr zu sehen, mehr zu erfahren und mehr von diesem Volke kennenzulernen. Wie kleideten sich seine Frauen? Wie schmückten sie sich? Wie sahen jene Männer aus, welche keine Krieger waren? Wie lebte man in jenen Häusern, welche aus der Ferne beinahe sauberer und gepflegter wirkten als die des Volkes in Ägypten? Welche Arten von Speise und Trank kannte man hier? Wie klangen ihre Lieder? Wie lebten, dachten und fühlten jene Menschen, die sich erkühnt hatten, eine ägyptische Königstochter gefangenzunehmen und ihren Sklaven gleichzusetzen? Es mußten erstaunliche Menschen sein, diese Atlanter... Und ihr König, wie war der? War er jung, hübsch, kräftig, - oder alt und gebrechlich und hatte er am Ende nicht viel zu sagen auf seinem wankenden Thron? All dies wollte Nif-Iritt im Laufe der nächsten Stunden erfahren. Sie hoffte, daß sie Gelegenheit finden würde, mit dem König zu sprechen. Wenn er nicht von allen guten Göttern verlassen war, so mußte er Nif-Iritt sofort in Freiheit setzen und ihr Sühne leisten für all das Geschehene. Das erwartete Nif-Iritt. Ihr Schritt wurde allmählich wieder fester, ihre Haltung sicherer. Sie besann sich von neuem auf ihre Würde und ihren Stand. Nein, sie konnte unmöglich wie eine Sklavin in diese Stadt einziehen - man mußte es wenigstens ihrer Haltung anmerken, daß sie nicht von niederem Stande war. Die Stadt lag tiefer als das Hochplateau, auf welchem sie bisher dahingezogen waren. Die Straße führte allmählich in sanften Serpentinen hinab. Schon waren die Stadttore deutlich zu erkennen, als dem Zug der Gefangenen die ersten Atlanter entgegenkamen, welche aus der Stadt in Geschäften aufs Land unterwegs waren. Es waren Leute, welche teils auf Pferden, teils auf Eseln ritten. Manche führten Packtiere neben sich am Zügel. Ein Paar Ochsen zog einen mächtigen Karren, welcher mit Gerät beladen war. Frauen, die Wasserkrüge auf den Köpfen trugen, kamen ihnen schwatzend entgegen. Sie erinnerten Nif-Iritt in ihrer Tracht an die Griechen, von denen sie öfter welche am Hofe ihres Vaters gesehen hatte. Sie trugen weite, faltenreiche Gewänder, die vor den Strahlen der Sonne und den Stichen der Insekten schützten und die sich, wie Nif-Iritt wohl wußte, kühl und angenehm trugen. Die Frauen waren nicht unhübsch. Sie waren hellhäutiger als die Ägypterinnen. Auch ihre Haartracht war anders. Sie verzichteten auf kunstvoll getürmte Frisuren und trugen ihr Haar in langen Locken, welche ihnen bis auf die Schultern niederwallten. Auch die einfachen Arbeiterinnen trugen Ringe und Ketten um Hals und Arme, was auf einen gewissen (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Wohlstand des Volkes schließen ließ. Als sich der Zug der Gefangenen herannahte, blieben die Passanten meist stehen oder wichen auf den Straßenrand aus. Die Soldaten wiesen sie mit barschen Zurufen an, Platz zu machen. Einige Fuhrwerker hatten ihre liebe Not, den Zug vorbeizulassen. Alle aber gehorchten ohne zu murren. Sie begrüßten die Gefangenen mit wüsten Zurufen und Schmähungen. Die Frauen stellten ihre Krüge ab und griffen nach Steinen, welche sie vom Straßenrand auflasen. "Zurück", schrie Alwa, "zurück - laßt sie passieren! Nichts da! Wollt ihr Sklaven zu Krüppeln machen?" In diesem Punkte aber verhielt sich das Volk nicht so diszipliniert, Alwa konnte nicht verhüten, daß Zitronen, Tomaten, Eier, Sand und Steine nach den Ägyptern geworfen wurden. Die Gefangenen heulten, fluchten oder schimpften zurück, je nach Temperament. Sie wurden unter Stößen und Schlägen weitergetrieben. Nif-Iritt erlebte einen Vorgeschmack dessen, was sie erwartete. Ihre Empörung wuchs. Sie sah, wie die Frauen ihre Haartracht und ihre Schminke, die längst unter der Einwirkung von Salzwasser, Schweiß und Tränen zerronnen war und das Gesicht der Königstochter zu einer kläglichen Grimasse verunstaltete, verlachten. Sie wurde die Zielscheibe einiger wohlgezielter Würfe und war nahe daran, aus dem Zug der Gefangenen auszubrechen und mit den Atlanterinnen handgreiflich zu werden, als Alwa durch den Lärm herbeigelockt wurde. Sein Blick und seine Miene verkündeten nichts Gutes. Seine Hand fuhr zum Gürtel - und Nif-Iritt gab ihre Absicht auf und trottete in der Reihe weiter, ihre Tränen und ihren Zorn beherrschend. Sie gehorchte - zum ersten Male in ihrem Leben - einem fremden Willen aus Furcht -- vor Strafe. Sie hatte nie an ihren Sklaven Gnade geübt. Oft genug waren sie Opfer ihrer Willkür und Ungerechtigkeit geworden. Ihre Tränen, ihr Schmerz hatten ihr nichts bedeutet. So hatte sie ihren kleinen Hofstaat regiert - und noch weit darüber hinaus Furcht und Schrecken verbreitet. Sie, des Königs jüngste, stolze Tochter, hoch über allem thronend, was der Gnade teilhaftig ward, seine Füße in den gleichen Staub zu drücken, der ihre Schuhe netzte...
* Nef-Naton und Gül-Gül wurden von fern des Stadttores ansichtig und sie sahen die Volksmenge, welche sich beim Einzug der Gefangenen in der Stadt zusammenfand. Von allen Seiten liefen sie zusammen, die Atlanter, ballten die Fäuste und gaben ihren Unmut gegenüber den Fremdlingen kund. "Löse deine Haare, Gül-Gül", verlangte Nef-Naton ängstlich, denn auch Gül-Gül war nach ägyptischer Art frisiert, "und ziehe ein Tuch über deinen Kopf. Ich fürchte den Augenblick, an dem wir den ersten Atlantern begegnen." Gül-Gül befolgte Nef-Natons Ratschlag. "In dir aber", meinte sie, "wird man sofort den Ägypter erkennen." Nef-Naton erschrak. Er hatte ganz darauf vergessen, daß sein Bart und seine Kleidung auch ihn verraten mußten. "Ihr Götter", rief er entsetzt, "was soll ich tun? Ich kann mir meinen Bart doch nicht ausreißen!" "Du mußt dich verbergen, Nef-Naton", sagte Gül-Gül nach kurzem Überlegen. "Ich habe keinen Bart, und in meiner Tracht unterscheide ich mich nur wenig von den Atlanterinnen. Ich werde trachten, dir ein Messer zu verschaffen, damit du deinen Bart abschaben kannst."
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"Oh, ihr Götter", jammerte Nef-Naton, "ich sehe entsetzliche Dinge über uns hereinbrechen! Wo soll ich mich denn verbergen? Bin ich ein Maulwurf, daß ich mich in der Erde verkriechen kann?" Unwillkürlich blickte sich auch Gül-Gül nach einem geeigneten Versteck für Nef-Naton um. Sie konnte keines finden. "Da ist freilich guter Rat teuer", sagte sie. Der Zug, den Nif-Iritt von weitem in den Straßen der Hauptstadt beobachtet hatte, war inzwischen, vom Hafen kommend, vor dem Palast des Königs angelangt. Es waren Prinz Torgo und sein Diener Jargo auf ihren prächtigen Pferden, und hinter ihnen drein marschierend, Sarga und seine Männer, welche die reiche Beute schleppten, die in der Galeere gemacht worden war. Sie trugen alles, so daß es ein jeder sehen konnte, stolz auf ihren Schultern, und die Atlanter jubelten ihnen zu. Strahlend lächelte Prinz Torgo und grüßte nach allen Seiten. Er kostete seine Beliebtheit, die Gunst des Volkes, gleich einem süßen Trank, der stets aufs neue beglückt, obgleich man ihn täglich zu trinken gewohnt ist. "Torgo! Hoch Prinz Torgo! Es lebe des Königs Sohn!" riefen die Leute. Welch ein Gegensatz zum Empfang der ägyptischen Königstochter am anderen Ende der Stadt. Prinz Torgo ahnte nicht, was dort geschah, wie Nif-Iritt von der Menge verlacht, beschimpft und bespien wurde. Er ritt hocherhobenen Hauptes, siegesbewußt und voll der Freude an dem erlebten Abenteuer vor das Portal des Palastes, sprang vom Pferd und warf dessen Zügel den Wachen zu, wie er es zu tun gewohnt war. Aber sein Vater empfing ihn diesmal bereits an der Treppe. "Ich sehe, du warst wacker, Torgo", wurde er von König Amur begrüßt. "Dein Gesicht glänzt vor Freude, und Alwas Männer haben uns reiche Beute mitgebracht. Was sehe ich? Ein kostbares Schwert an deiner Seite, und einen Ring an einem .Finger deiner rechten Hand? Möge dir beides Glück bringen, Sohn. Wenn du dereinst aus meinen Händen die Krone von Atlantis empfangen wirst, kann ich beruhigt die Tage meines Alters genießen, denn ich werde wissen, daß mein Volk von einem ganzen Manne regiert wird - so, wie er auf diesem uralten Herrscherstuhl notwendig ist." Die Männer Sargas waren stehengeblieben und hatten des Königs Begrüßungsworte mit angehört. Sie stimmten ein in die Freudenrufe der Umstehenden. Amur ging auch auf Sarga zu und legte ihm die rechte Hand auf die Schulter. "In dir grüße ich auch alle deine Männer", sagte er. "Ihr seid tapfer gewesen und habt reiche Beute mitgebracht. Die Schatzkammern von Atlantis füllen sich. Das ist euer Verdienst. Ihr werdet reich dafür belohnt werden. Dieser Tag soll für euch alle ein Freudentag sein." Wieder jubelten die Atlanter. Der König und Prinz Torgo ließen den Zug der Soldaten an sich vorbeiziehen, welche die geborgenen Schätze sogleich in die Schatzkammer des Schlosses schleppten. Aber die Menge verlief sich noch nicht. Man wußte, es würde noch mehr zu sehen geben. Da brachten die Letzten im Zuge ein Mädchen geschleppt - stießen es vor dem König zu Boden. "Die Gefangene, Herr", meldete Sarga. "Wer ist das?" fragte Amur. "Ich fand sie in der Galeere, Vater. Sie war eine Sklavin der Ägypter. Sie ist ein seltsames Mädchen, das einem fremden Glauben angehört."
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Bethseba lag mit dem Gesicht auf der Erde. Sie hielt die Augen geschlossen und es war, als lausche sie auf eine Stimme, die nur sie hören konnte, und welche nicht die des Königs war. Plötzlich hob sie ihren Kopf, sah Amur aus weit aufgerissenen Augen an und rief, indem sie sich halb aufrichtete und ihre Hände nach dem König ausstreckte: "Fürchte dich vor dem Herrn, König...dir droht Unheil...Flieh, verlaß dieses Land und flieh..." König Amur lachte. "Ihr Geist scheint verwirrt zu sein", sagte er. "Laß sie beiseite treten. Ich höre Alwas Leute. Schafft sie darin mit den anderen Gefangenen fort. Ich bin begierig zu sehen, was mir Hauptmann Alwa da anbringt." Allmählich immer lauter werdender Lärm kündigte das Nahen von Alwas Zug an. Schon erschien der Hauptmann an der Spitze auf seinem Pferd, und der Platz vor dem Palast füllte sich noch dichter mit Menschen, welche den Kriegern zujubelten und die Gefangenen schmähten, die in langer Reihe entkräftet und mutlos zwischen ihren Bewachern einherwankten. Torgos und Alwas Blicke fielen fast gleichzeitig auf Nif-Iritt, die durch ihre Haltung und ihr Gewand aus der Reihe stach. "Wer ist das?" fragte Amur. "Ich weiß nicht, Vater", antwortete der Prinz. "Ich habe dieses Mädchen noch nie gesehen." Alwa befahl den Soldaten und Gefangenen, sich der Treppe, auf welcher der König und sein Sohn standen, gegenüber aufzustellen. Dann trat er vor und meldete: "Ich bringe die neuen Sklaven, Herr!" "Gut, Hauptmann", lobte der König. "Sie werden uns in den Bergwerken gute Dienste leisten. Doch ich sehe auch zwei Frauen darunter - was ist mit diesen?" Er meinte Nif-Iritt und Sil. "Die eine behauptet, Tochter eines Königs zu sein", antwortete Alwa, "und die andere sagt, sie sei ihre Dienerin." Alwa verzog sein Gesicht zu einer komischen Grimasse, aber des Königs Miene blieb ernst. Nif-Iritt fühlte, wie seine Blicke prüfend auf ihr ruhten. Sie machte eine Bewegung, um vorzutreten, aber einer der Soldaten stieß sie hart zurück. Amurs Blick verfinsterte sich bei dieser Szene. Der Hauptmann bemerkte es. "Was soll mit ihnen geschehen, Herr?" fragte er. "Bringt die beiden Frauen unter Bewachung in den Palast", befahl er. "Und jene dort? Sie gehört wahrscheinlich dazu", sagte Alwa und deutete auf Bethseba. König Amur überlegte. "Sie hat unsere Götter gelästert, Vater", gab Torgo zu bedenken. Das gab den Ausschlag. "Laßt sie bei den übrigen", entschied der König. "Man bringe sie auf den Sammelplatz und schaffe sie von dort in die Bergwerke." "Los, geht, bewegt euch", schrien die Krieger die Gefangenen an und wieder setzte sich der Zug der Erschöpften in Bewegung. Nur Nif-Iritt und Sil wurden ausgesondert. Ein hochmütiger Blick der Königstochter traf den Hauptmann, der sich gleichmütig auf sein Pferd setzte. "Komm, Sil", sagte sie zu ihrer Dienerin, "nun wird sich weisen, was die Macht des Pharao auch in diesem barbarischen Lande vermag." Stolz schritt sie ihren Bewachern über die Treppe voran, als handle es sich um ihre Ehrengarde. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Auch der König und Prinz Torgo hatten sich bereits in das Innere des Palastes begeben. Es war die Stunde der Audienz. Der König gedachte, sich nach Anhörung der Bittsteller die beiden gefangenen Frauen kommen zu lassen. "Bleibe bei mir", bat er Torgo, "es ist vielleicht ganz gut, wenn du bei dieser Audienz mit anwesend bist. Moritur ist gekommen." Moritur war einer der Baumeister des Königs, welcher kühne Pläne für die Ausgestaltung der Insel hatte. Jargo, welcher ein paar Schritte hinter den beiden ging und seinem Herrn nicht von der Seite wich, warf im Vorbeigehen einen Blick in den Vorsaal, welcher bereits mit Kauf- und Handelsleuten, die dem König ihre Wünsche vorbringen wollten, mit angesehenen Bürgern, die für verliehene Auszeichnungen zu danken hatten, und mit allerlei anderen Leuten gefüllt war, die von ihrem Recht, beim König Gehör zu finden, aus irgendeinem Grunde Gebrauch machen wollten. "Nicht nur Moritur", sagte er zurücktretend, "ich sehe noch einen - Shidra ist da, der Hohepriester samt seinem Gefolge." "Aber er hat sich nicht angemeldet", meinte König Amur verblüfft. "Er kommt ohne Anmeldung", meinte Torgo, von Widerwillen erfüllt. "Er drängt sich in allem vor und fühlt sich immer mächtiger." "Ich hätte mir eigentlich denken können, daß er kommt", sagte König Amur ärgerlich. "Er hat von der Beute gehört, die wir gemacht haben, und schon ist er da. Er ist wie ein Aasgeier, der andere jagen läßt und selbst mit gierigen Krallen nach der Beute greift. Er will bestimmt unter einem Vorwand einen Anteil haben, und es wird nicht leicht sein, ihn loszuwerden." "O Herr," meldete sich Jargo zu Wort, "wenn du erlaubst, so laß mich das machen. Wir werden ihn los. Ich weiß zwar noch nicht, wie, aber mir wird schon etwas einfallen!" "Jargo ist ein Schlaukopf, Vater", meinte Torgo lachend. "Ich glaube, wir können ihm vertrauen." König Amur schmunzelte. Er hatte schon manchen Streich Jargos erlebt. "Schön", sagte er, "er soll es versuchen." Er winkte ihm gnädig Gewährung seines Vorhabens. Die Wachen rissen den Vorhang zur Seite und kündigten mit lauter Stimme das Erscheinen des Königs und des Prinzen an. Mit Ausnahme des Hohepriesters, der sich zur Begrüßung nur von seinem Sitz erhob, warfen sich die übrigen Audienzbesucher zu Boden, als die beiden durch den Raum hindurch und dem Throne zuschritten, welcher sich am Ende des angrenzenden Saales erhob. Der König grüßte den Hohepriester mit einem kurzen Neigen seines Kopfes, welches dieser auf schleimige Art erwiderte. Shidra war eher klein gewachsen, aber was ihm an Größe fehlte, machte er durch den Umfang seines Leibes wieder wett, ein Eindruck, der durch die talarartigen Kultgewänder, welche er trug, noch verstärkt wurde. Sein Gesicht drückte ebensoviel gespielte Demut wie Verschlagenheit und Gier nach Reichtum aus. Sein Blick verriet Kälte und Grausamkeit, und er wußte das. Darum hielt er die Lider meist auf fromme Art gesenkt. Nahe dem Thron stand Moritur. Er war ein schlankgewachsener, nicht mehr junger Mann mit langem schlohweißem Haar, dessen Augen den Prozeß des Alterns offenbar nicht mitgemacht hatten. Denn sie waren hell, scharf und lebendig und voll von jenem Fanatismus, welcher oft große Geister kennzeichnet. Moritur hatte zahlreiche mit Zeichnungen bedeckten Papyrusrollen mit sich gebracht. Er hatte wieder neue Pläne, welche mit dem Herrscher zu besprechen waren. Der König nahm auf dem Throne Platz und hieß seinen Sohn, sich neben ihn zu setzen. Torgo sah sich nach Jargo um, aber der war plötzlich verschwunden. Der König berief zunächst Moritur. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Unter den Wartenden entstand eine Bewegung. Sie ging von dem Hohepriester aus, der es als Beleidigung ansah, daß man ihn warten ließ - obwohl er sich nicht zu der Audienz angemeldet hatte. "Der König läßt mich, Bels Diener, warten!" murmelte Shidra, jedoch deutlich genug, daß es die Umstehenden hören konnten. "Wenn das den Gott nicht erzürnt! Das Verhalten des Königs wird noch Unglück über das ganze Land bringen." In diesem Augenblick wurde der Vorhang aufgerissen und Jargo stürzte ganz formlos herein. Er schien das Zeremoniell völlig vergessen zu haben. Er lief bis vor den Thron, warf sich dort auf die Knie und rief laut: "O König - Bel hat ein Wunder gewirkt, ein großes, gewaltiges Wunder!" Shidra sprang sofort auf. "Was sagst du da?" fragte er, gleichfalls formlos hinzutretend, denn er fühlte seine Macht durch den scheinbaren Aberglauben Jargos gestärkt. "Sprich, was ist geschehen? Rede nur ruhig, der König erlaubt es!" Der König hatte zwar kein Wort gesagt, aber Jargo redete trotzdem. "O mächtiger Priester des großen Bel", sprach er, indem er die Arme ausbreitete und sich zu Shidra wandte, "Bel hat an seinem gehorsamen Sohn Jargo ein Wunder getan." "Da hört ihr es", rief Shidra, "es ist ein Wunder geschehen! So mächtig ist Bel! Was für ein Wunder? Erzähle!" "Sage mir zunächst, Shidra, ob das, was die Gottheit spricht, wahr und unabänderlich ist?" "Gewiß ist das wahr und unabänderlich; doch der Gott spricht nur zu gewissen Zeiten." "Das ist ja das Wunder, Herr, er sprach soeben zu mir!" Shidra erschrak. "Unmöglich", rief er, denn er wußte sehr genau, daß der Gott nur mit Hilfe der Priester "sprechen" konnte. "Doch, es ist wahr", rief Jargo, "und wißt ihr auch, was er sagte? Er sagte: ,Jargo, geh sofort zum König! Du wirst dort auch Shidra, meinen Hohepriester finden. Geh hin und sage den beiden, von der Beute, welche aus der Galeere der Ungläubigen stammt, will ich nichts haben, nicht das Geringste, denn diese Menschen glauben nicht an mich, sondern an fremde Götter!' " Einen Augenblick lang stand Shidra wie vom Donner gerührt. Der schlaue Jargo hat mit diesem Schachzug alle seine Pläne durchkreuzt. Der König schmunzelte und Torgo hatte alle Mühe, ernst zu bleiben. "Dem Wunsche des Gottes müssen wir auf alle Fälle gehorchen, Vater, das sind wir unserer Ehrfurcht vor ihm und seinem Hohepriester schuldig!" sagte Torgo laut, allen vernehmlich. Shidra schnaubte, bleich vor Wut. "Bist du sicher, daß du den Gott auch richtig verstanden hast, Jargo?" fragte er. "Ganz sicher", antwortete Jargo triumphierend. "Dann", zischte Shidra, "ist meine Mission hier überflüssig. Ich will des Königs Zeit nicht länger in Anspruch nehmen!" Er gab seiner Gefolgschaft einen Wink und entfernte sich, vor heimlichem Grimm kochend. "Gelobt sei Bel! Gelobt sei der weise Shidra!" rief Jargo ihm nach, und die anderen, die den Vorgang kaum begriffen hatten, fielen aus Überzeugung mit ein und besprachen erregt das Wunder. "Den sind wir los", flüsterte Jargo heimlich zu Torgo.
* (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Zur gleichen Stunde war draußen vor den Toren der Stadt ein Mann nicht minder von Wut erfüllt wie der zurück zum Tempel marschierende Hohepriester. Es war Nef-Naton, der Ägypter. Nef-Naton hatte sich in das Innere eines hohlen Baumes verkrochen und wartete auf Gül-Gül, die mittlerweile unbehelligt an den Wachen vorbei durch das Stadttor gelangt war. Hier umgab das staunende Mädchen eine wundersame, bunte, lärmende Welt. Der Zug der Gefangenen hatte sich längst in der Tiefe der Stadt verloren. Gül-Gül stand vor einem bunten Gewirr von Straßen und Gassen, vor Häusern mit glatten Fassaden und vergitterten Fenstern, auf deren niederen, flachen Dächern sich Menschen bewegten. Sie ging durch dunkle Arkadengänge, in deren kühlen Schatten die Händler ihre Waren ausbreiteten. Aus Gaststätten dufteten fremdartige Speisen und Getränke. Sie hörte die Leute in allerlei Dialekten reden, die sie nur zum Teil verstand und bemerkte fremdartige Schriftzeichen, deren Sinn sie nur erahnen konnte. Atlantis war eine reiche, eine große und lebensfrohe Stadt: Gül-Gül hörte aus manchen Häusern Musik erklingen. Bald geriet sie auf einen Marktplatz. Schwatzende Frauen, feilschende Händler, Marktleute, die ihre Waren anpriesen, dazwischen Pferdegewieher und Hundebellen, das Gackern von Hühnern und das ohrenbetäubende Spiel einer kleinen Musikantentruppe, welche die Darbietungen eines Gauklers begleitete, mischten sich zu einem Lautwirrwarr, welcher die an größere Stille gewohnte Gül-Gül im ersten Augenblick fast betäubte. "Datteln, prächtige Datteln!" "Zitronen - kauft meine Zitronen!" "Saftige Orangen, so rot wie die Sonne, wenn sie im Meer untergeht!" Gül-Gül wurde von dem Lärm und den Düften des Marktes fast berauscht. Sie bekam Lust, in die saftigen Früchte zu beißen, die sie hier anlachten und gekauft sein wollten, und ihre Augen blieben an bunten Schnüren und Ketten hängen, welche man den Frauen zum Schmuck anbot. Nef-Naton? Der war bei diesem Anblick ganz vergessen. "Oh, Gül-Gül, diese schreckliche, gräßliehe Gül-Güll", jammerte Nef-Naton in seinem Baum. "Wenn sie jemals wiederkommt, werde ich sie in tausend Stücke reißen, falls ich bis dahin nicht selbst Zweige und grüne Blätter trage!" Glücklicherweise konnte Gül-Gül diesen schrecklichen Schwur nicht hören. Ihre Blicke hafteten wie gebannt an einem Mann, welcher mit seinen Füßen einen Schleifstein um eine Achse bewegte. Dieser Mann schliff stumpfe Messer. Und ein Messer, das war es, was Nef-Naton brauchte, um seinen Bart loszuwerden, der für ihn so verräterisch werden konnte... "Bringt eure Messer, bringt mir eure Messer!" rief der Mann hin und wieder und schliff zwischendurch den laut singenden, funkensprühenden Stahl an dem rotierenden, kleinen Rad. "Wie komme ich nur zu einem solchen Messer?" überlegte Gül-Gül. Hier bot sich ihr die gesuchte Gelegenheit, das war klar. Aber es mußte ohne Aufsehen geschehen. Niemand durfte es bemerken, sonst war sie verloren... Wie absichtslos näherte sie sich dem Messerschleifer, als beobachte sie zum bloßen Zeitvertreib sein Tun. Zu beiden Seiten des Rades hatte der Mann auf zwei flachen Steinen Messer neben sich liegen, deren Klingen in der Sonne funkelten. Gül-Gül sagte sich mit Recht, daß er unmöglich im Kopf haben könne, wieviele es waren. Wahrscheinlich würde er es gar nicht sogleich bemerken, wenn ihm eines fehlte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Sie sah an sich herab...betrachtete sich prüfend. Ihr langes Gewand reichte bis zu den Füßen. Durch eine Armbewegung konnte sie es scheinbar absichtslos über die Messer gleiten lassen. Aber von selbst würde keines der Messer an diesem Gewande hängen bleiben...Was war also zu tun? Gül-Gül entfernte sich wieder, ohne daß der Messerschleifer sie beachtet hatte. Sie ging den Markt und seine Umgebung ab und fand schließlich an einer Hauswand einen Strauch, von dem sie sich eine lange Gerte brach. Das Ende dieser Gerte brach sie zu einem Haken. Ein Stück Faden, das sie im Sande fand, half ihr, den Haken zu verstärken. Sie verbarg ihn unter den Falten ihres Gewandes. So ausgerüstet kehrte sie zu dem Messerschleifer zurück. Sie hatte auf einem der Steine einen zweischneidigen Dolch bemerkt, welcher am oberen Ende seines Griffs einen kleinen Ring besaß. Diesen Dolch wollte sich Gül-Gül im wahrsten Sinne des Wortes angeln... "Messer - bringt mir eure Messer und Dolche!" rief der Schleifer eintönig und drehte unentwegt seinen Schleifstein. Er hatte seinen Platz in unmittelbarer Nähe der Gaukler aufgeschlagen, und das war für Gül-Gül gut, denn dadurch war die Aufmerksamkeit der Passanten von ihm abgelenkt. Gül-Gül stellte sich zu ihm. Sein Blick streifte sie fragend. "Werden deine Füße nicht müde?" begann sie ein Gespräch. Er sah zu ihr auf. In diesem Augenblick hatte sich bereits der Haken der Gerte über den Ring des Dolches gesenkt. "Nein", antwortete er, "ich bin es gewohnt. Nur der Durst macht mir an heißen Tagen zu schaffen." "Aber deine Geschäfte gehen gut." "Es macht sich." Der Dolch hing fest... "Ich will dich nicht in deiner Arbeit aufhalten", sagte Gül-Gül, denn sie spürte an dem Gewicht des Stockes, daß die Beute ihre war. Sie murmelten beide einen Gruß und Gül-Gül entfernte sich... Stieß plötzlich mit einem Mann zusammen, der unachtsam im Gehen nach den Gauklern schaute... Klirrend fiel der Dolch zu Boden. Der Schleifer blickte bei dem Geräusch auf. Sah, daß der Dolch ihm fehlte. "Der Dolch! He, mein Dolch!" rief er. "Sie ist eine Diebin, sie hat mir einen Dolch gestohlen, haltet sie!" Blitzschnell hatte sich Gül-Gül gebückt und den Dolch wieder aufgehoben. Sie warf die Gerte weg, denn sie konnte ihr nun nichts mehr nützen. Entschlossen stieß sie die Umstehenden beiseite, bahnte sich einen Weg mitten durch die Musikantentruppe und verschwand in einer der vom Markt abzweigenden Gasse, so schnell ihre Beine sie zu tragen vermochten. Hinter ihr, auf dem Markt, erhob sich ein wüster Lärm. Die Musikanten klaubten ihre Instrumente zusammen, die ihnen vor Schreck entfallen waren. Der Messerschleifer hatte bei dem Versuch, Gül-Gül zu verfolgen, einen Wasserträger umgerannt. Der Inhalt von dessen Eimern hatte sich über die Umstehenden ergossen, welche laut schreiend und gestikulierend gegen diese Behandlung Protest erhoben. Ein Melonenverkäufer wurde unversehens und gegen seinen Willen zum Lieferanten für (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Wurfgeschoße und nur eine kleine Gruppe von Leuten, welche sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließen und genügend Geistesgegenwart besaßen, hatten sich an die Verfolgung Gül-Gülä gemacht. "Dort vorne läuft sie!" "Halt! Bleib stehen!" "Sie muß eine Fremde sein, sonst wüßte sie, daß diese Straße an einem Wassergraben endet!" Gül-Gül war eine Fremde und sie wußte es nicht. Sie stand plötzlich vor dem Ende der Straße, die ein blinkender Wassergraben beschloß, einer jener Gräben, die das Schloß umgaben. Was tun? Das Wasser war nicht tief und Gül-Gül eine geschickte Schwimmerin. Jenseits des Grabens befand sich offenbar eine Gartenanlage, hinter deren Sträuchern niemand zu bemerken war. Die Verfolger blieben überrascht stehen, als sie sahen, wie das Mädchen ins Wasser sprang. "Da ist nichts mehr zu machen", sagte einer. "Offenbar hat sie den Verstand verloren." Sie wandten sich um und gingen eiligen Schrittes zum Markt zurück, ohne sich weiter nach Gül-Gül umzusehen. Gül-Gül war kaum im Wasser, als sie auch schon mit Entsetzen begriff, warum ihr niemand folgte. Sie hörte ein Schnauben und Plätschern und sah, wie von allen Seiten große, fette Krokodile auf sie zuschossen. Das jenseitige Ufer war vielleicht zehn Meter weit entfernt. Sie hätte bei ihrem Vorsprung diese Strecke leicht geschafft, wenn ihr die Kleidung nicht hinderlich gewesen wäre. Entschlossen nahm sie den Dolch zwischen die Zähne und holte mit weiten Armtempis aus. Die Echsen waren plump, gewaltig und schnell. Mit ihren gefährlichen Schwänzen schlugen sie das Wasser, und ihre gräßlichen Rachen öffneten sich weit, beutelüstern und gierig schnappten sie bereits nach Gül-Gül, als sie sie noch gar nicht erreicht hatten. Gül-Gül sah sich ganz unerwartet vor der Möglichkeit eines gräßlichen Endes. Sie keuchte, schluckte Wasser und schwamm aus Leibeskräften. Ihre Blicke waren nach vorn auf das rettende Ufer gerichtet, das mit jeder Schwimmbewegung näher rückte. Doch auch der Abstand zwischen ihr und den Krokodilen verringerte sich immer mehr und mehr... "Hilfe, Hilfe!" rief Gül-Gül. Niemand war zu sehen, niemand weit und breit, der ihr hätte helfen können. Da rauschte es hinter ihr auf... Verzweifelt warf sich Gül-Gül zur Seite... Knapp neben ihr schoß der Rachen eines Krokodils vorbei, hatte sie verfehlt, setzte zu neuem Bisse an... Da! Sie hatte Boden unter den Füßen, schnellte sich vor, kroch wimmernd an Land, taumelte schreckerfüllt und am ganzen Leibe zitternd durch das Strauchwerk, immer weiter, nur fort. Nur fort von diesem entsetzlichen Wassergraben mit seinen Bestien. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gelangt war. Nur mühsam fand sie wieder zu sich selbst.. Zu schrecklich war dieses Erlebnis gewesen, das die im Grunde ihres Wesens fröhliche Gül-Gül betroffen hatte. Beinahe so schrecklich war es wie die Schiffskatastrophe in der vergangenen Nacht.
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Was war das? Hatten es die bösen Mächte auf sie abgesehen? War der Stab über sie gebrochen, sollte sie sterben? Gül-Gül setzte sich auf einen Baumstrunk. Sie strich sich das feuchte Haar aus der Stirn. Die warme Luft der Insel würde ihr Gewand bald trocknen. Den Dolch für Nef-Naton, den hatte sie... Wo befand sie sich? Was für ein Gebiet umschloß dieser Wassergraben? War es etwa eine verbotene Zone? Fast schien es so. Sie mußte fort von hier, wieder zurück in die Stadt und hinaus zu dem Ägypter gelangen. Sie mußte eine Brücke finden, welche wieder hinüberführte. Denn ein zweites Mal wagte sie sich nicht wieder in diesen Wassergraben mit seinen schrecklichen Bewohnern. Sie erhob sich und ging, vor Furcht zitternd, weiter. Wenn dies hier verbotenes Gelände war, dann konnte sie auch jeden Augenblick von Wachen aufgegriffen werden. Dann war alle ihre Mühe vergebens gewesen, und ihr Los würde das gleiche sein wie das Nif-Iritts... Gebückt und bemüht, sich durch keinen Laut zu verraten, schlich sie vorwärts. Hörte plötzlich ein dumpfes Brüllen in ihrer Nähe. Das - das mußten Raubtiere sein! Sie blieb stehen, betete zu allen ihren Göttern und wartete. Nichts geschah. Wieder machte sie sich auf den Weg, als ihr plötzlich der Wind einen eigentümlichen, scharfen Geruch zutrug, den sie von den Käfigen am Hofe des Pharaos, in denen Löwen gehalten wurden, kannte. Plötzlich traten die Büsche auseinander und sie sah sich vor einer niederen, im Viereck verlaufenden Mauer. Zögernd trat Gül-Gül vor, blickte über das brusthohe Mauerwerk und fuhr erschrocken zurück. Jenseits der Mauer ging es mehrere Meter senkrecht hinab, und aus der Tiefe tönte ihr ein fürchterliches Gebrüll entgegen. Es war eine Löwengrube, ein in das Erdreich eingelassener, gemauerter Zwinger, in dem sie fünf der schrecklichen Raubtiere erblickt hatte, welche da unten, des Futters gewärtig, auf und ab gingen. Als Gül-Gül zurücktrat, blickte sie auf. Jenseits des Zwingers gewahrte sie durch die umstehenden Bäume den Schimmer goldener Säulen: Es war Bels Tempel, der da stand, der Tempel des blutigen Gottes.
* König Amur hatte seine Audienz beendet. Befriedigt war Moritur gegangen. Er hatte für seine Pläne beim König ein gnädiges Ohr gefunden. Vielleicht hatten der König und Torgo diesmal auch nur mit halbem Ohr hingehört. Uneingestanden beschäftigten sie sich beide in Gedanken mit dem gleichen Gegenstand mit der Gefangenen, die sich als Tochter eines fremden Königs ausgegeben hatte. Als die Bittsteller gegangen waren, blieben der König, Torgo und Jargo allein im Thronsaal zurück. Nur die Wachen standen stumm und unbeweglich draußen jenseits des Vorhangs und zu beiden Seiten des Throns. "Nun", begann Torgo, "wie wäre es, Vater? Wollen wir uns die Fremde kommen lassen?" König Amur lächelte. "Gefällt sie dir?" fragte er forschend. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Torgo blickte verwundert auf. "Gefallen?" fragte er. "Wie kann mir so ein Wesen gefallen?" "Du hast sie beschmutzt und in Lumpen gesehen", meinte Amur. "Aber das ist sie gewiß nicht immer gewesen." "Einerlei", meinte Torgo. "Ich möchte nur wissen, was Wahres an der Geschichte ist, die uns Hauptmann Alwa über sie erzählt hat." "So mag Jargo gehen und sie kommen lassen", befahl Amur. Jargo gehorchte. Wenig später traten Nif-Iritt und Sil, begleitet von zwei bis an die Zähne bewaffneten Kriegern Alwas, in den Thronsaal und wurden bis vor den Thron geführt. Während sich Sil wie selbstverständlich auf den Boden warf, blieb Nif-Iritt aufrecht stehen. Sie war gewohnt, sich selbst Reverenz erweisen zu lassen, nicht aber, dies anderen zu tun. "Knie nieder", herrschte sie einer der Soldaten an und gab ihr einen Stoß. Aber Nif-Iritt wich zurück und spie ihn an. "Schweig, Sklave", schrie sie dabei, "knie du vor mir, ich bin die Tochter eines Königs!" "Wessen Königs Tochter bist du?" fragte Amur vom Thron her. "Laß sie zufrieden, Krieger! Sprich ruhig, Mädchen, ich will wissen, wer du bist, aber sage die Wahrheit!" "Ich bin Nif-Iritt, die jüngste Tochter des Pharao", antwortete sie. "Und ich verlange von dir Genugtuung für all die angetane Schmach, deren Zeuge du zum Teil selbst gewesen bist. Ich verlange Rückerstattung des Raubes, Ersatz aller Schäden und Sühne für die Getöteten. Und dann wünsche ich, daß man mich so schnell wie möglich nach Griechenland zu König Telaus bringt, der mich als mein Bräutigam erwartet." "Kurz und bündig gesprochen", meinte Amur stirnrunzelnd. "Befiehl deiner Dienerin, sich zu erheben, und dann sage mir, wie deine Galeere in meine Gewässer kam. Die Könige von Atlantis halten sich an das alte Gesetz, daß jeder Fremdling, welcher die Insel betritt, sie nie mehr verläßt, wer immer er auch sei er. Ich hoffe, du weißt das." Nif-Iritt erbleichte. "Erhebe dich, Sil" gebot sie ihrer Dienerin. "Du fragst viel auf einmal, König. Unsere Galeere war unterwegs nach Griechenland. Wir kamen vom Kurs ab und ein Sturm warf uns gegen eure Klippen. Anstatt Hilfe wurde uns Mord zuteil und Raub...Was nicht am Grunde des Meeres liegt von meiner Aussteuer und den Geschenken meines Vaters an den griechischen König, haben deine Krieger gestohlen. Ich verlange, daß du mir das alles wiedergibst." "Du nimmst den Mund sehr voll für eine Gefangene", rief Torgo tadelnd. "Als Sohn eines Königs solltest du dich schämen, so zu sprechen", entgegnete Nif-Iritt. "Hast du dich etwa, als du hier eintratest, wie eine Prinzessin benommen?" lachte Torgo unwillig. "Streitet euch nicht", verlangte König Amur. Und zu Nif-Iritt gewendet, fuhr er in ernstem Tone fort: "Du behauptest, eine Tochter des ägyptischen Pharao zu sein. Aber diese Behauptung ist durch nichts erwiesen. Wer garantiert uns, daß du uns nicht belügst? Vielleicht bist du nur die Tochter eines ägyptischen Kaufmannes und willst durch eine freche, erfundene Geschichte dein Schicksal zum Besseren wenden!" "Ich bin Nif-Iritt, und alle, die mit mir waren, können es bezeugen", erklärte die Prinzessin fest. "Und ich sage dir, König Amur, wenn du nicht tust, was ich von dir verlange, so wird es dein ganzes Land zu bereuen haben. Mein Vater wird kommen mit vielen Schiffen und Kriegern und König Telaus wird kommen. Sie werden deine Stadt niederbrennen und deinen Palast dem Erdboden gleichmachen, und du wirst den Tag verfluchen, an welchem ich meinen Fuß auf den Boden deiner Insel setzte!" Sie hatte voll Zorn gesprochen und stand jetzt hoch aufgerichtet da, herausfordernd und trotzig. Sie war sich der Macht ihres Vaters wohl bewußt und vertraute auf sie, und König Amur sah, daß dies nicht gespielt sein konnte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Aber der König war ein geschickter Diplomat. Die Königstochter in seiner Hand konnte ihm wertvolle Dienste bieten. "Es scheint, daß du die Wahrheit sprichst", sagte er, "aber deine Worte allein und die Worte deiner Mitgefangenen genügen nicht. Wir müssen uns erst Gewißheit verschaffen, bevor wir tun; was uns die Höflichkeit und Klugheit befiehlt." Nif-Iritt erkannte voll Enttäuschung, daß sich ihr Schicksal nicht sogleich zum Besseren wenden würde. "Was hast du mit mir vor?" fragte sie. "Und was soll aus denen werden, die sich mit mir auf der Galeere befanden?" "Was diese betrifft, so fallen sie unter das Gesetz meines Landes", erklärte König Amur hart. "Sie bleiben unsere Sklaven. Und du hast dasselbe Los zu erwarten, falls du uns belogen hast. Bis wir uns aber davon überzeugt haben, was es mit deinen Behauptungen auf sich hat, wollen wir dir Gastfreundschaft angedeihen lassen. Du sollst alle Vorteile deines angeblichen Standes genießen, bleibst aber unsere Gefangene. Du wirst den Palast nicht verlassen. Du wirst erhalten, was du brauchst, und deine Dienerin darf bei dir bleiben und dir zur Verfügung stehen. Machst du aber einen Fluchtversuch, so ziehe ich meine Hand von dir. Du hast in diesem Fall ein schreckliches Schicksal zu erwarten." "Wie stellst du dir das vor?" fragte Nif-Iritt. "Hoffst du etwa, ein Lösegeld von meinem Vater zu erpressen?" Eine Wolke des Unmuts umlagerte König Amurs Stirn. "Dein Vater hat dich nicht gelehrt, deine Zunge im Zaum zu halten", sagte er. "Aber er hätte besser daran getan, es zu tun, als dich zu verwöhnen. Die Sitten an eurem Hofe scheinen nicht die Besten zu sein, sonst würdest du wissen, wie es der Jugend geziemt, mit dem Alter zu sprechen." "Das ist keine Antwort auf meine Frage", erwiderte Nif-Iritt. "Und soll ich etwa in diesen Lumpen in deinem Palast wohnen? Meine Kleider sind zerrissen und von deinem Volk beschmutzt. Ich brauche ein Bad und ich will geölt und gesalbt werden; auch benötige ich Schminke und ein Mädchen, das mich frisiert. Die Nägel meiner Finger sind beim Klettern über eure Felsen gebrochen und meine Füße vom Gehen wund. Meinen Schmuck hat man mir abgenommen. Und ich hatte einen kleinen Kakadu, der sprechen konnte. Er ist auf der Galeere versunken." König Amur hatte bei der Aufzählung all dieser Dinge sein Lächeln wiedergewonnen. "Nif-Iritt", sagte er, "es wird für dich geschehen, was nötig ist. Ich werde dir Gemächer anweisen lassen, in denen du wohnen kannst. Du kannst deine Tage damit zubringen, dich pflegen zu lassen." "Und was den Kakadu angeht, so lauschst du am besten deiner eigenen Stimme", setzte Torgo spöttisch hinzu. Der König gab Anweisungen, welche die Prinzessin und ihre Diener betrafen, und befahl dann den Wachen, die beiden abzuführen. Die Richtung, in die man sie brachte, war nicht die, welche Hauptmann Alwa mit den anderen Gefangenen der Galeere genommen hatte.
* Zu beiden Seiten des Königspalastes, innerhalb des vorletzten Wasserringes, befanden, sich weitläufige kasernenartige Bauten, die teils tatsächlich den Kriegern als Unterkünfte dienten, teils aber auch in der Tiefe ihrer Kellergewölbe Gefängnisse bargen, in denen mancher dem Staate wichtige Gefangene schon seit Jahren schmachtete. Es gab hier auch ausgedehnte Kasematten, welche durchaus imstande waren, eine größere Anzahl Menschen aufzunehmen. In diesen brachte man jene unter, welche für die Bergwerke bestimmt waren. Man ließ stets einen größeren Trupp zusammenkommen, um dann alle gemeinsam in das Landesinnere abgehen zu lassen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Der Zug der Gefangenen unter Hauptmann Alwas Führung war bei diesen Kasematten angelangt. "Hinunter mit euch", befahl Alwa, von seinem Pferde steigend. "Hinunter - und versucht nicht zu fliehen. Es hat keinen Zweck, ihr könnt nicht entkommen. Hier ist alles ringsum von Wasser umgeben, und selbst wenn ihr über die Gräben kämet - aus der Stadt könnt ihr ja doch nicht. Aber soweit kommt ihr erst gar nicht. Vorher haben euch schon die Wachen getötet oder die Krokodile gefressen. Also versucht erst gar nicht, zu fliehen!" Mit stumpfer Gleichmütigkeit nahmen die Gefangenen seine Worte hin. Steile, roh behauene Stufen führten in die Tiefe der feuchten Keller hinab, und da hinunter trieb man sie alle, die den Untergang der Galeere überlebt hatten, auch Bethseba. Ermattet und mit letzter Kraft schleppten sie sich über die Stufen. Bei einigen halfen die Krieger mit den Schäften ihrer Speere nach; sie kollerten hinab und blieben bei den übrigen liegen. Oben schlossen sich schwere Gittertore. Dahinter war Sonne, war Freiheit -unten aber Elend und Verzweiflung. Bethseba hörte das Jammern und Wehklagen ringsum. Sie war nicht besser daran als die anderen, ja schlimmer noch, denn sie war eine Frau, der man das gleiche, schwere Schicksal aufgebürdet hatte wie den Männern. Aber sie klagte nicht. Sie fühlte Mitleid mit ihren Leidensgenossen. Sie erhob sich, ging von einem zum andern und versuchte, sie zu trösten. Aber überall wurde ihr mißgünstige Ablehnung zuteil. "Was willst du, Bethseba?" verspottete man sie. "Bete doch zu deinem Gott, damit er uns hier herausführt, oder wenigstens dich, die du so sehr an ihn glaubst!" "Ich bin gewöhnt, meinen Nacken unter das Joch zu beugen, und der Herr macht mir das Joch leicht", gab sie zur Antwort. "Aber ihr? Was ist euer Trost? Was nützen eure Götter? Sie lassen Leere in euren Herzen. Sie sind aus Stein, wie es auch eure Herzen sind. Ihr liegt hier und beklagt euer Schicksal. Aber gibt es nicht noch Schlimmeres als das, was uns geschieht?" "Sollen wir etwa jubeln?" fragte einer. "Haben wir Grund, uns unseres Lebens zu freuen? Was für ein Leben erwartet uns? Das Leben der Sklaven, in Ketten, geschunden, geplagt und dann, das Ende! Wir verrecken, krepieren wie die Hunde, werden verscharrt, und es ist aus - alles ist aus! Wir fühlen nichts mehr, wir werden Staub, es gibt kein Licht mehr für unsere erloschenen Augen! Wozu aber war das alles, wer hat es über uns verhängt? Und warum? Was haben wir getan, daß wir so leben müssen, während andere in Palästen hausen, sich in Gärten ergehen dürfen, satte Mägen haben und doch um nichts besser sind als wir?!" Bethseba trat vor den hin, der so gesprochen hatte. Er war ein Galeerensklave, trug das Los seiner Ketten seit Jahren und hatte sie doch noch nicht tragen gelernt. Der Funke der Freiheit war in seinem Herzen noch nicht erloschen. "Bruder", sagte sie, kniete neben ihm nieder und nahm seinen Kopf auf ihre Knie, "du bist nicht meines Volkes, nicht meines Glaubens, aber ich kenne die Flamme, die in dir brennt. Sie leuchtet auch meinem Volke. Sie leuchtet allen, die Sklaven sind. Aber zeigt dir ihr Licht nicht, wie wenig die frei sind, welche du um ihr Los beneidest? Sie sind Sklaven ihrer Macht, Sklaven ihres Besitzes, ihres Leibes. Fürchte nicht die Gitter, welche uns von der Welt trennen. Sie bewahren uns auch vor ihr. Fürchte nicht den Tod, denn er ist nicht das Ende. Er öffnet dir jede versperrte Tür, seine Flügel tragen dich über den tiefsten Graben, den Menschenhände errichten können. Er wird auch meiner Feinde spotten und mich hinübertragen in das Land, das unserem Volke verheißen ist. Auf die grüne Au, auf der mein Gott seine Schafe weidet!" Während Bethseba solcherart ihre Mitgefangenen zu trösten versuchte, hätte noch jemand dringend ihres Trostes bedurft: Gül-Gül. Sie stand im Tempelhain, einsam und völlig verzagt, und niemand war da, der ihr den Weg über den Wassergraben gewiesen hätte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Freilich hatte sie den Gefangenen die Freiheit ihres Handelns voraus - eine sehr beschränkte Freiheit allerdings, die sie in das Innere des Tempelbezirkes verbannte. Längst war es Mittag und ihr Magen verlangte lebhaft nach Stärkung. Und anstatt den Krokodilen oder den Löwen als Fraß zu dienen, wollte sie sich lieber selbst Nahrung beschaffen, wenn sie nur gewußt hätte, wo und wie. Während Gül-Gül in respektvoller Entfernung von seinem Ufer den Wasserring weiter entlangging, in der sicheren Annahme, daß es doch irgendwo eine Möglichkeit zum Übersetzen geben müsse, wehte ihr plötzlich der Wind einen Duft um das Näschen, der keineswegs der Ausdünstung eines Raubtieres entsprungen sein konnte. Er glich schon eher den Düften, welche knusprig gebratene Hühner verbreiten, und dieser Geruch wirkte auf Gül-Gül wie ein Magnet: Er lenkte ganz unwillkürlich ihre Schritte in eine neue Richtung. Hinter prachtvoll blühendem Gerank gewahrte sie einen Pavillon, in dem offenbar die verführerischen Gerüche ihren Ursprung nahmen. Gül-Gül schlich näher und gewahrte, durch die Blütenranken gedeckt, zwei Männer, welche in dem Pavillon bei einem opulenten Mahl saßen. Der eine war nicht sehr groß, aber fett und sein verschmitztes Vollmondgesicht drückte mehr Schlauheit als Würde aus. Der andere war etwas größer und entsetzlich hager. Hätten die Krokodile unter ihnen zu wählen gehabt, ihre Wahl wäre sicherlich auf den ersten der beiden geschilderten Männer gefallen. Er war der Hohepriester Shidra, welcher sich bei dem Mittagmahl für die im Audienzsaal erlittene Enttäuschung schadlos hielt, der andere war Taaf, der zweithöchste geistliche Würdenträger des Landes. Wer etwa geglaubt hätte, daß Taaf im Essen schmächtiger sei als Shidra, der täuschte sich, und das führte Shidra, eben als Gül-Gül ihren Lauscherposten erreicht hatte, zu folgender Bemerkung: "Ich möchte gerne wissen, wie du es anstellst, bei den Unmengen, die du verzehrst, kein Fett anzusetzen. Bei Bel, selbst wenn ich mir Mäßigkeit auferlegte, nützte es mir nichts, und deshalb will ich es auch erst gar nicht versuchen. An dir aber tun anscheinend die Götter ein Wunder, Taaf." "Ich habe mir noch nicht den Kopf darüber zerbrochen, wie das ist, Shidra", antwortete Taaf. "Ich habe ein anderes Problem, und es ist das Gleiche wie das deine. Du hast es eben erst bei der Audienz erlebt. Das war, glaube es mir, ein Streich des Prinzen Torgo. Er hat Jargo dazu angestiftet und uns um unseren Anteil an der Beute gebracht." Gül-Gül neigte sich ein wenig vor, um die beiden besser verstehen zu können. "Ja", sagte Shidra wütend. "Ich bin sicher, daß es Torgo war. Er hat keine Ehrfurcht vor den Göttern. Wenn er einmal die Herrschaft über das Reich antritt, wird es der Priesterschaft schlecht ergehen. Es wird unter ihm schlimmer als zu Amurs Zeiten." "Schlimmer?" lächelte Taaf, mit Genuß sein Hühnchen verzehrend, "aber ich finde, es ist doch jetzt gar nicht schlimm." "Nicht schlimm nennst du das, wenn wir auf unseren Anteil an der Beute verzichten müssen, wenn uns der König mit Argwohn entgegentritt und vielen unserer Unternehmungen hemmend entgegenwirkt? Wie mächtig wären wir bereits, wenn er uns gewähren ließe! Glaube mir, ich habe unseren Vorteil im Auge. Wir besitzen große Ländereien und Reichtümer. Aber wir hätten mehr, noch mehr, wenn wir einfach tun könnten, was uns beliebt. Und das kommt uns zu; denn wir dienen nicht dem König, sondern Bel, der über ihm steht." Taaf lächelte. "Du sprichst, als ob du tatsächlich an Bel glaubtest", meinte er mit einem süffisanten Lächeln auf den schmalen Lippen. Shidra wiegte ärgerlich den Kopf. "Ob ich das tue oder nicht ist eine ganz andere Sache", sagte er. ,Er hat daran zu glauben, nicht wir. Wir beide wissen, daß Bel nicht wirklich spricht..." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Das scheinen auch bereits andere Leute zu ahnen, nach dem, was du mir über den heutigen Vorfall erzählt hast", lachte Taaf. "...aber wer sagt dir, daß sich der Gott nicht unseres Mundes und vor allem unseres Geistes bedient, um das auszudrücken, was er sagen will?" Taaf schaute einen Augenblick lang betroffen auf. Dann verengten sich seine Augen zu einem schmalen Spalt. "Sehr schlau gedacht", sagte. er. "Von dieser Seite aus habe ich die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet." Über Shidras feistes Gesicht verbreitete sich ein triumphierendes Lächeln. "Nicht wahr?" sagte er. "Man kann es drehen, wie man will, man kommt nicht vorbei an Bel, er bleibt doch immer der Mächtigste." "Ja, der Mächtigste", zwinkerte Taaf. Und es war klar, wen er meinte -nicht Bel, sondern Shidra. Doch Shidras Miene verfinsterte sich. "Noch ist er es nicht wirklich", knurrte er. "Noch steht König Amur dazwischen und vor allem Torgo, sein Sohn. Torgo. Wenn ich nur an ihn denke! Er wird dereinst das Erbe von König Amur antreten, und alle meine Bemühungen werden vergeblich gewesen sein. Er wird den Thron festigen, die Macht der Priester noch weiter beschränken und unsere alten Rechte beschneiden, wenn wir ihn gewähren lassen!" "Wer sagt, daß wir dies tun müssen?" fragte Taaf. "Uns steht viel zu Gebote -vor allem die Meinung des Volkes, die wir nach unserem Gutdünken lenken können." "Ach", sagte Shidra, "wen triffst du schon in unseren Tempeln? Nichts als Weiber. Die Männer haben andere Dinge im Kopf." "Die Macht der Weiber ist groß, Shidra, du weißt es. Durch sie haben wir Einfluß auf die Männer. Aber wir können auch die Männer gewinnen. Es fehlt ein großes Schauspiel; Bel muß wieder einmal von sich reden machen." Shidra hatte aufgehorcht. "Keine schlechte Idee", brummte er. "Und was schlägst du vor?" "Ein Opferfest", meinte Taaf. "Warten wir einen geeigneten Anlaß ab und halten wir ein Opferfest, aber eines, das sie beeindruckt und wieder an die Macht des Göttes glauben läßt." Shidra winkte ab. "Das ist alles nichts Neues", sagte er. "Opferfeste gibt es jedes Jahr. Das Blut der heiligen Stiere fließt zu allen großen Festen. Und es ist an diesen Tagen kaum anders als sonst - die Gewohnheit stumpft ab!" "Das kommt daher, daß die Feste nicht anders als sonst sind", meinte Taaf. "Mach es doch einmal anders. Begehre ein - Menschenopfer..." "Ein Menschenopfer?" Shidras Augen weiteten sich. Dann schüttelte er sich, gepackt von Widerwillen. "Es kostet mich schon genug Überwindung, das warme Blut der Stiere über den Altar zu spritzen. Da verlangst du, daß ich es mit Menschenblut machen soll? Ich kann es nicht." "Ich schon", meinte Taaf gleichmütig und sah den Hohepriester abwartend an. "Freilich", meinte dieser nach kurzem Überlegen. "Ein Menschenopfer hat Bel schon seit vielen Jahren nicht mehr verlangt." "Seit sein Hohepriester kein Blut sehen kann", sagte Taaf und ein Anflug von Geringschätzigkeit lag in seiner Stimme. "Du darfst dich dann aber auch nicht darüber beklagen, daß niemand mehr dem Gott die notwendige Achtung zollt." Shidra legte verärgert den Hühnerknochen beiseite, den er bis auf das letzte Fleischfaserchen abgenagt hatte. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Mache es besser", verlangte er. "Schön", sagte Taaf, "dann lasse mich meinen Plan entwickeln." Er senkte unwillkürlich seine Stimme, so daß sich Shidra vorneigen und auch Gül-Gül alle Anstrengungen machen mußte, um ihn zu verstehen. "Man hat doch in der vergangenen Nacht Gefangene gemacht...Gefangene, verstehst du? Es sind Ungläubige aus Ägypten, Galeerensklaven, und, soviel ich hörte, auch einige Mädchen..." Taaf schwieg erwartungsvoll. Shidra zog die Augenbraue hoch. "Du bist schlau, Taaf", sagte er, "wahrhaftig, das bist du..." Die beiden Männer erhoben sich. Sie hatten offenbar ihre Mahlzeit beendet. Gül-Gül fürchtete, entdeckt zu werden, und zog sich eilig ins Gebüsch zurück, ohne das Ende des Gespräches mit anzuhören. Soviel allerdings hatte sie verstanden, daß den Gefangenen von diesen Priestern Gefahr drohte - eine schreckliche Gefahr, denn jemand von ihnen sollte für ein Menschenopfer auserkoren werden. Vielleicht war sogar Nif-Iritt selbst in Gefahr. Aber was konnte sie, Gül-Gül, tun? Gab es eine Möglichkeit, die Königstochter zu warnen, ihr zu helfen? Befand sich Gül-Gül nicht selbst in einer verzweifelten Lage? Sie hatte seit Stunden nichts gegessen, wußte Nef-Naton in seinem unbequemen Versteck und konnte selbst nicht aus dem Tempelbezirk, der von einem von Krokodilen bevölkerten Wasserring umgeben war. Sie war ja selbst eine Gefangene. Ratlos irrte sie durch das Strauchwerk, auf der Suche nach einer Möglichkeit, nach der Stadt zurück zu gelangen.
* Unterdessen hatte man Nif-Iritt und Sil in einen abseits gelegenen Pavillon in der Nähe des Palastes gebracht. Wusso, der Kommandierende der kleinen Wachtruppe, erklärte ihr: "Hier wirst du auf Weisung des Königs bleiben und mit deiner Dienerin wohnen. Der Garten ist ringsum von einer Mauer umgeben, die du nicht übersteigen kannst. Auch stehen jenseits derselben Wachen. Versuche also nicht, zu fliehen, es würde nur zu deinem Schaden sein. Im Garten findest du ein Becken, in welchem du baden kannst. Der König wird dir und deiner Dienerin Kleider schicken und alles, wessen du bedarfst. Hast du Wünsche, so bediene dich des Gongs. Sein Schall ist jenseits der Mauer zu hören, wo ich mit meinen Männern zu deiner Bewachung stehe." Wusso deutete einen Gruß an und ging. Er ließ Nif-Iritt und Sil allein. Der Pavillon war nicht groß und bescheiden, aber bequem eingerichtet. Es ließ sich hier leben, zumal im Garten bunt blühende Sträucher und Blumen wuchsen. Auf ihrem Weg zum Pavillon waren sie auch Pfauen und anderen seltenen Ziervögeln begegnet. Sil jedenfalls fand es hier hübsch, nur Nif-Iritt verzog geringschätzig und hochmütig ihr Näschen. Als Wusso mit seinen Männern gegangen war, setzte sie sich auf eine Ruhebank und ließ einen Seufzer hören. "Wenn dies alles der Pharao wüßte", klagte sie, "ich hier, bewacht und gefangen wie ein wildes Tier, in dieser unwürdigen Umgebung. Wenn ich nur wüßte, wie wir Botschaft nach Ägypten gelangen lassen könnten!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ich fürchte, Herrin, hierzu gibt es wohl kaum eine Möglichkeit", meinte Sil. "Mir genügt vorerst der Umstand, daß ich lebe, und daß mir das Schicksal der anderen erspart geblieben ist, die man irgendwohin in ein Bergwerk verschleppt, wie Bethseba." "Bethseba!" rief Nif-Iritt. "Erinnere mich nicht an diese fromme Heuchlerin! Sie hat unsere Götter gelästert und dafür wird ihr nun die verdiente Strafe. Was sie erleidet, ist nur gerecht. Im übrigen ist sie offenbar durch ein Wunder, welches die bösen Mächte gewirkt haben, dem Untergang auf der Galeere entgangen. Hast du gesehen, wie sie neben dem Sohn des Königs stand, hoch aufgerichtet, als sei sie selbst eine Herrscherin? Ihre Frechheit kennt keine Grenzen, und deshalb sorge ich mich nicht um sie. Ich bin sicher, daß sie auch diesmal wieder einen Weg finden wird, um alles für sich zum Guten zu wenden." "Wo nur die anderen geblieben sind, Herrin?" "Wo sollen sie geblieben sein? Tot werden sie sein. Die Alte konnte sich sicher nicht mehr retten und Gül-Gül kann nichts als singen. Ich bin froh, sie alle los zu sein. Sie wurden mir allmählich lästig. Wo nur die versprochenen Kleider bleiben! Soll ich vielleicht nach dem Bad wieder in diese Lumpen schlüpfen? Das kann dieser Barbarenkönig doch nicht im Ernst von mir verlangen." Nif-Iritt erhob sich empört und ging einige Schritte auf und ab. Da gewahrte sie im Garten die erwartete Sklavin, welche Salben und die Gewänder brachte. "Der Herr schickt mich", sagte sie. "Ich bringe alles, was du vonnöten hast." Nif-Iritt betrachtete die Gewänder, welche ihr die Sklavin vorlegte. "Wie heißt du?" fragte sie. "Natra; ich stamme von einer der griechischen Inseln." "Aus König Telaus Reich? Das ist gut. Weißt du, daß ich deine künftige Königin bin? Ich bin Nif-Iritt, die Tochter des Pharao von Ägypten und soll König Telaus' Weib werden." "Ich beklage dein jetziges Schicksal", sagte Natra. "Beklage es nicht, sondern beschaff' mir bessere Kleider. Wie kann Amur es wagen, mir solche Gewänder zuzumuten?" "Herrin", meinte Natra, "wenn ich dir raten darf..." "Nein, du darfst nicht", unterbrach sie Nif-Iritt unwirsch. "Laß die Salben da, nimm aber diese Gewänder und geh' zurück zu König Amur. Frage ihn, ob er von Sinnen ist, mir solche Gewänder anzubieten. Ich werde jetzt baden; wenn ich aus dem Wasser steige und du zurückkommst, will ich bessere Sachen haben - verstanden?" Auch Sil wagte einen Einwand, aber die empörte Königstochter jagte die Griechin davon. "Komm, Sil", lachte Nif-Iritt, als Natra gegangen war, "nimm die Salben. Wir gehen zum Badebecken und wollen uns säubern!" Sil gehorchte. Von den Dingen, welche Natra gebracht hatte, hatte Nif-Iritt nichts behalten als zwei große leinene Tücher um sich zu trocknen. Mit diesen und den Salben und wohlduftenden Ölen machten sich die beiden Mädchen auf den Weg zum Wasser. Nif-Iritts Empörung war fast ohne Übergang einer fröhlichen Laune gewichen. Sie lief unter lautem Schwatzen über den Rasen, gefolgt von Sil, welche Mühe hatte, ihrer Herrin so rasch zu folgen. Das Badebecken war aus kostbarem Gestein gefertigt und in das Erdreich eingelassen. Es hatte die Form eines großen Quadrats und durch die Wasserfläche schimmerte der Grund, zu dem man über Stufen hinabgelangen konnte, in den bunten Farben eines kostbaren Mosaiks. Das Wasser war warm. Nif-Iritt streifte ihre zerrissenen Kleider von sich und stieg hinab. "Komm, Sil!" rief sie und forderte ihre Dienerin auf, es ihr gleichzutun. Das wunderte Sil, denn die Tochter des Pharao hatte es bisher stets vorgezogen, allein zu baden. Aber offenbar schaffte die gegenwärtige Situation doch ein gewisses Gefühl der (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Zusammengehörigkeit auch bei Nif-Iritt. Auch Sil entkleidete sich also und stieg ins Wasser. Unter fröhlichem Plätschern badeten die beiden Mädchen. Unterdessen hatte Natra den Garten verlassen und war zurück in den Palast geeilt. Sie wollte, wie es ihr Nif-Iritt aufgetragen hatte, zu König Amur. Aber auf halbem Wege traf sie Prinz Torgo und seinen Diener Jargo. "Wohin, Natra?" fragte Jargo, während Torgo achtlos an ihr vorbei wollte. "Zum König, Jargo." antwortete Natra. "Die ägyptische Prinzessin schickt mich zu ihm." Torgo blieb stehen und horchte auf. "Nif-Iritt?" fragte er. "Was will sie, was hat sie für eine Botschaft an meinen Vater?" "Die Kleider, die er ihr sandte, sind ihr zu schlecht", antwortete Natra ein wenig verlegen. Torgo nahm der Dienerin die Kleidungsstücke aus der Hand. "Was?" fragte er erstaunt, indem er die Sachen betrachtete, "das soll zu schlecht sein für eine Gefangene? Diese Prinzessin aus Ägypten nimmt den Mund ein wenig zu voll; ich finde, es wird Zeit, daß ihr dies jemand klarmacht. Komm', Jargo, wir gehen zu ihr!" Natra wollte Einwände machen, aber Torgo hörte nicht auf sie. Ihn hatte der Zorn gepackt. Er behielt die Kleidungsstücke, welche durch den Druck seiner Hand ganz zerknüllt wurden, und stürmte den beiden voran. Er wußte, daß Nif-Iritt und Sil in dem Pavillon untergebracht waren. "Prinz," rief Natra, "Prinz, bleib' stehen, du kannst jetzt nicht zu ihr!" Aber Torgo lief, gefolgt von Jargo, ohne es zu hören weiter. Natra war nicht so schnell wie die beiden. Ehe sie sich's versah, hatte Torgo den Garten erreicht und stürmte über den Kiesweg in den Pavillon. Er war leer. "Nif-Iritt", rief er, "Nif-Iritt!" Die beiden Badenden hörten seine Stimme. "Das ist der Prinz, Herrin," rief Sil entsetzt. "Rasch, die Tücher", befahl Nif-Iritt und drückte sich tiefer ins Wasser. Ahnungslos verließ Torgo den Pavillon in Richtung auf das Bassin. Überrascht blieb er bei dem Anblick stehen, der sich ihm bot, und brach dann in ein lautes Lachen aus. Sil hatte die beiden Laken ins Wasser gezerrt und die beiden Mädchen standen nun, bis an den Hals eingehüllt, im nassen Element und boten einen unfreiwillig komischen Anblick. "Fort", schrie Nif-Iritt schrill, "fort mit dir - was hast du hier zu suchen!" Hinter Torgo tauchten Jargo und Natra auf. "Ich habe dir doch zugerufen zu bleiben, Prinz", rief Natra. "Diese Frechheit ist der Gipfel," schimpfte Nif-Iritt. "Fort, sage ich! Meine Empörung kennt keine Grenzen!" In ihrem Zorn bot Nif-Iritt, das sei zugegeben, einen ganz entzückenden Anblick. Prinz Torgo hätte kein Mann sein müssen, wenn er es nicht bemerkt hätte. "Schön", sagte er, "ich gehe. Erlaube mir nur, daß ich Abschied nehme, denn ich werde dich wohl nie wiedersehen." "Weshalb?" fragte Nif-Iritt erstaunt. "Weil es sich nicht schickt, Nif-Iritt. Die Gewänder, welche dir mein Vater sandte, willst du nicht tragen; andere wirst du nicht bekommen, und so wird es dir wohl unmöglich sein, Besuche zu empfangen." "Fort", schrie Nif-Iritt wütend, "fort mit dir, sage ich, sonst...sonst..." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Was, sonst?" fragte Torgo lachend. Nif-Iritt geriet in gelinde Verzweiflung; Torgo sah es und fand, daß es jetzt genug sei. "Ich kam nur, um dir zu sagen, daß du keine anderen Gewänder erhalten wirst", sagte er, ernst werdend. "Aber was sind Gewänder! Es kommt auf den an, der sie trägt..." Er nickte der Königstochter zu, gab Jargo einen Wink und die beiden entfernten sich. Nif-Iritt sah ihm nach, als sei sie erstarrt. Sil erwartete von ihr den Ausbruch eines Gewitters; aber Nif-Iritt stieg schweigsam aus dem Wasser, legte sich ins Gras und ließ sich ölen. "Gefällt dir der Prinz?" wagte Sil nach einer Weile eine vorsichtige Frage. Doch Nif-Iritt gab hierauf keine Antwort. Sie schien sie überhört zu haben. Der Schall von Posaunen schreckte sie aus ihrem Sinnen. "Was ist das?" fragte sie, "was hat das zu bedeuten?" "Im Tempel wird die Andacht abgehalten", antwortete Natra, "die Posaunen rufen das Volk über die Brücke." "Über welche Brücke?" "Es ist eine Zugbrücke, Herrin, welche nur zu den Stunden der Andacht herabgelassen wird. Der Tempelbezirk ist von einem Wasserring umgeben."
* Auch Gül-Gül vernahm den Posaunenschall in allernächster Nähe. Sie bemerkte, wie sich der Tempelbezirk mit Menschen füllte, deren Zustrom eine Quelle haben mußte. Sie sah sich plötzlich von Leuten umgeben, die nach dem Tempel wanderten, und indem sie die umgekehrte Richtung einschlug, gelangte sie zu der Zugbrücke, welche den Wassergraben überspannte. Zwar gab es einige erstaunte Gesichter, als Gül-Gül den umgekehrten Weg einschlug wie all die anderen, die an ihr vorbeipromenierten. Aber trotzdem gelangte sie unangefochten hinüber in die Stadt und durch eines der Tore derselben auf die Straße, welche in die Richtung führte, in der Nef-Naton sie sehnsüchtig erwartete. Gül-Gül schritt eilig voran. Es war gegen drei Uhr nachmittags; ihr Magen rebellierte. Im Gehen pflückte sie Früchte von den Bäumen, an denen sie vorbei kam, und aß. Sie nahm auch einige für Nef-Naton mit. Über einen von der Straße abzweigenden Feldweg gelangte sie schließlich bis an den hohlen Baum. Schon als sie näher kam, hörte sie ein fürchterliches Brummen und Schnaufen. "Eh", sagte Gül-Gül, "was ist los, Nef-Naton? Komm' heraus, ich bin es!" "Den Göttern sei Dank", stöhnte Nef-Naton und kroch ins Freie. "Noch ein wenig länger und ich wäre irrsinnig geworden. Ein ganzes Volk von Ameisen hatte begonnen, mich zu Mittag zu verspeisen! Und ich konnte mich nicht rühren, um die Biester zu zerdrücken! Es war schauderhaft, Gül-Gül, einfach schauderhaft! Und schuld an allem bist du, weil du mich so lange hast warten lassen. Hast du wenigstens ein Messer?" "Ja, Nef-Naton." "Gut. So kann die Prozedur beginnen. Daß ich mich nun auch noch von meinem Bart trennen muß, von der Zierde meines Angesichts! Wie herrlich er geflochten ist! Wie kunstvoll sein Zuschnitt! Es ist ein wahrer Jammer!" "Es nützt nichts, Nef-Naton, du mußt dich von ihm trennen," sagte Gül-Gül lachend. "Willst du etwa deines Bartes wegen in diesem Lande ermordet werden?" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Nein, nein," rief Nef-Naton, "schnell, gib mir das Messer. Es hilft nichts, es muß sein. Die Götter mögen mir beistehen. Hoffentlich ist das Messer scharf, daß es nicht gar zu sehr schmerzt." "Hier, nimm' und sei ein Mann, Nef-Naton", ermunterte ihn das Mädchen. "Das bin ich, deshalb trage ich ja einen Bart!" antwortete der Ägypter kläglich. "Diese bartlosen Atlanter kommen mir vor wie Weiber." "Mir nicht", antwortete Gül-Gül. "Man kann sich auch ohne Bart als Mann erweisen. Los, mach' schnell, bevor uns jemand hier sieht!" Diese Drohung half. Nef-Naton setzte das Messer an, tat einen kurzen Schnitt und stieß einen Laut des Schmerzes aus. "Dieser Dolch ist ja stumpf", rief er, "er müßte dringend geschliffen werden! Wie soll ich mich mit diesem Instrument denn rasieren?" "Ich habe ihn von einem Schleifer", meinte Gül-Gül, "aber er hatte ihn offenbar noch nicht geschliffen." "So lange hättest du noch warten können", schimpfte Nef-Naton. "Bei der Zeit, die du mich warten ließest, hätte das keine Rolle mehr gespielt." "Jammere nicht, sondern schneide", sagte Gül Gul, ärgerlich werdend. Nef-Naton setzte das Messer mit einem abgrundtiefen Seufzer wieder an und begann zu säbeln, daß ihm das Wasser in die Augen trat. Gül-Gül beachtete nicht die Äußerungen seines Schmerzes. "Wir müssen etwas unternehmen", sagte sie. "Man plant einen Anschlag gegen das Leben unserer Leute. Jemand soll einem Götzen geopfert werden." Vor Schreck hätte sich Nef-Naton beinahe in die Wange geschnitten. "Was sagst du da?" stotterte er erbleichend. "Woher weißt du das?" Gül-Gül berichtete ihm alles, was sie erlebt, und das Gespräch der Priester, das sie belauscht hatte. "Entsetzlich", sagte Nef-Naton, als sie fertig war. "Wenn man uns womöglich als Fremde erkennt und fängt, wird man am Ende uns opfern! Es ist höchste Zeit, daß wir von dieser Insel verschwinden." "Aber bedenke doch die Gefahr, in welcher sich die Königstochter befindet!" "Sie ist nicht größer als unsere. Von ihrem Haupt können wir sie aber nicht abwenden. Von unserem jedoch müssen wir es, Gül-Gül. Wir müssen sehen, wie wir nach dem Hafen gelangen; vielleicht gelingt es uns, bei Nacht ein Boot zu stehlen. Wenn wir Glück haben, kommen wir durch!" "Ja, und dann? Wohin rudern wir? Willst du in einem Fischerboot das Meer befahren? Und wovon sollen wir leben?" "Von Fischen, die wir fangen." "Und was trinken wir? Das Meerwasser ist ungenießbar." "Vielleicht können wir etwas Wein bekommen." "Wasser würde genügen. Aber um es aufzubewahren brauchen wir Krüge oder Schläuche." Nef-Naton hatte mittlerweile sein Werk vollendet. Gül-Gül schlug, als sie ihn ohne Bart sah, die Hände vor Überraschung zusammen. "Was ist los?" fragte Nef-Naton. "Machst du dich über mich lustig?" "Dazu ist jetzt keine Zeit", sagte Gül-Gül. "Dein Gesicht gleicht einer blutigen Distel. Die Stoppeln stehen nach allen Seiten und darunter ist deine Haut zerschunden, als hättest du Streit gehabt." (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ich sage einfach, du bist meine Frau und hättest mich so zugerichtet", erklärte Nef-Naton. "Bei deiner spitzen Zunge glaubt das jeder. Und jetzt gehen wir in die Stadt; wir müssen sehen, daß wir Gelegenheit zur Flucht finden." Im Gehen aßen sie die Früchte, die Gül-Gül unterwegs gesammelt hatte.
* Der Tag ging zur Neige, als Torgo und Jargo einen Besuch in der Zitadelle machten, um nach den Gefangenen zu sehen. Daar, der Wächter, führte den Prinzen und seinen Begleiter hinab in die Kerkergewölbe. "Habt ihr ihnen zu Essen gegeben?" erkundigte sich Torgo. "Ja, Herr, sie erhielten Wasser und Fleischsuppe. Sie müssen bei Kräften sein, wenn morgen früh der Marsch nach den Bergwerken beginnt." "Morgen früh schon?" fragte Jargo überrascht. "Ja, so hat es Hauptmann Alwa bestimmt. Die Truppe ist groß genug, um sogleich in das Innere des Landes gebracht zu werden. Es ist aber auch eine Frau dabei. Über ihr Schicksal ist wohl noch nicht entschieden; im Bergwerk würde sie nichts taugen, fürchte ich." "Ist es diese Bethseba?" "Ja, sie ist es. Sie scheint sehr gutmütig zu sein und kümmert sich um ihre Mitgefangenen." "Führe uns zu ihr." Daar führte die beiden Männer über die Steinstufen in die Tiefe. Die schweren Schlüssel klirrten, und dann öffneten sich die Gittertüren und flehende Hände streckten sich den beiden entgegen. "Gnade, Herr, Gnade - hab' Erbarmen, entlaß' uns, o Herr, wir haben nichts getan, wir sind Schiffbrüchige", riefen die Gefangenen. "Zurück! Schweigt, der Prinz will Bethseba sprechen", fuhr Daar sie an und ließ seine Peitsche durch die Luft knallen. Erschrocken wichen die Gefangenen zurück. "Wo ist Bethseba? Her mit dir, der Prinz will dich sprechen", wiederholte Daar. Bethseba kam aus dem finstersten Winkel des Raumes, wo sie einen Verwundeten gepflegt hatte. "Wie ist das mit dir, Gotteslästerin?" fragte Torgo sie finster. "Hast du eingesehen, daß dir dein Gott in unserem Lande nicht hilft?" "Ich habe es nicht eingesehen, Prinz", antwortete Bethseba. "Und ich werde es auch niemals einsehen. Du irrst, wenn du glaubst, er hülfe mir nicht. Er hilft mir stündlich, ich spüre es." "Dann bleibe weiter in deinem Irrglauben, starrsinniges Weib", antwortete Torgo ärgerlich. "Morgen geht es nach den Bergwerken. Vielleicht kommst du dort zur Einsicht." Bethseba erschrak. Torgo bemerkte es. "Aha", sagte er, "nun beginnst du zu zittern." "Es ist nicht meinetwegen, Prinz", antwortete Bethseba. "Aber wir haben Verwundete hier, von denen einer fiebert. Er wird den Marsch nicht überstehen." "Was kümmert das uns? Wäre er unserem Lande ferngeblieben. Wir haben ihn nicht gerufen." "Wie kannst du so sprechen? Du weißt, daß es nicht unsere Absicht war, Atlantis zu betreten." "Absicht oder nicht, ihr habt es getan und gegen das Gesetz verstoßen. Das erfordert Strafe. Die wird euch nun werden. Ihr werdet die Freiheit nie mehr wiedersehen."
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"Wenn eure Herzen so grausam sind wie eure Gesetze", antwortete Bethseba, "so müssen die Atlanter sehr unglücklich sein, und ihr König, der über ein Volk von Unglücklichen herrscht, am allerunglücklichsten. Ich beneide dich nicht, Prinz, um deine Freiheit in diesem Land. Ihr habt aber kein Recht, Kranke zu morden, indem ihr sie auf die Landstraße treibt." "Wir werden das nicht tun, sei ohne Sorge. Wir sind nicht so herzlos, wie du denkst. Wenn wir einen finden, der den Transport verzögern könnte, so werden wir ihn auf der Stelle töten. Er braucht dann den Marsch nach den Bergwerken gar nicht erst mitzumachen." Bethsebas Augen füllten sich mit Tränen. "Ihr seid schlimmer als ich dachte", sagte sie leise. "Laß' mich gehen, ich kann dich nicht so sprechen hören." Torgo lachte. "Gehe, wenn du willst", sagte er und wandte sich um. Und zu den Gefangenen gewendet, fuhr er laut fort: "Winselt nicht um Gnade, denn die wird euch nicht werden. Schlaft lieber. Ihr braucht morgen eure Kraft. Wer sie nicht aufbringen kann, der ist des Todes." Er wandte sich um und Daar schloß hinter ihm den Kerker ab, in dem ein lautes Klagen begann. "Dieses Mädchen tut mir leid", sagte Jargo, während sie nach oben stiegen. Torgo gab ihm hierauf keine Antwort. Er zog in Gedanken einen Vergleich zwischen Bethseba und einer anderen Gefangenen Nif-Iritt. Oben traf er in einem Korridor Hauptmann Alwa. "Gehen die Gefangenen wirklich schon morgen ab?" fragte er ihn. "Ja, Prinz, morgen. Es geht alles schnell bei uns; wir brauchen Arbeitskräfte in den Kupferbergwerken und wollen keine unnötige Zeit verlieren." "Aber das Mädchen?" fragte Torgo. Alwa zog die Brauen hoch. "Sie ist deine Gefangene", sagte er. "Wenn du sie hier behalten willst, so frage deinen Vater. Aber ich glaube nicht, daß er über eine, die Bel öffentlich lästert, seine schützende Hand halten wird." "Ich glaube es auch nicht, Prinz", meinte Jargo. "Ich habe gar nicht die Absicht, den König zu fragen", erklärte Torgo, ließ Hauptmann Alwa stehen und verließ das Gebäude, vor dem die Pferde warteten. Jargo betrachtete verstohlen des Prinzen verschlossene Miene. "Nicht wahr", fragte er, "des Mädchens Schicksal geht dir nahe?" "Es geht mir nicht nahe, laß mich zufrieden mit Bethseba", wies Torgo schroff ab. "Was kümmert mich die Ungläubige! Mag mit ihr geschehen, was immer!" Er gab seinem Pferd Schenkeldruck und sprengte mit ihm durch die Straßen dem Palaste zu. Unterwegs kamen sie an einem Haus vorbei, vor dem sich Menschen angesammelt hatten. Die beiden jungen Männer waren gezwungen, ihre Pferde zu zügeln. "Was ist hier los?" fragte Jargo. "Es ist nichts; nur ein blinder Mann mit einem Mädchen, welches fremdartige Lieder singt", bekam er zur Antwort. Torgo und Jargo ritten weiter, ohne dem Gesang des Mädchens gelauscht zu haben. Und das war gewiß ein Fehler, denn Gül-Gül hatte eine hübsche Stimme. Was den Mann anbetraf, so war es Nef-Naton, und der war keineswegs blind. Er stellte sich nur so und hatte einen Teil seines Gesichtes unter einer Kapuze verborgen.
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Während Gül-Gül sang, sammelte Nef-Naton bei den Umstehenden. Auf diese Weise kamen etliche Münzen zusammen. Es wurden mit der Zeit immer mehr. Als die Dunkelheit hereinbrach, verliefen sich die Leute und Nef-Naton fand, daß es genug sei, um ein warmes Abendessen und Wein zu kaufen. Es klimperten eine Menge Kupfermünzen in seinem Sack, den er sich an einem Gürtel um den Leib gehängt hatte. Von der ägyptischen Währung, die er bei sich trug, durfte er hier nichts ausgeben, weil er sich ja sonst als Fremder verraten hätte. "Es war eine gute Idee von dir zu singen," lobte Nef-Naton. "Nun müssen wir uns ein Gasthaus suchen. Ich habe Hunger wie ein Löwe. Und dir geht es offenbar nicht anders, Gül-Gül. So laut habe ich dich noch nie singen gehört." "Diese Früchte füllen den Magen, aber sie stillen nicht den Hunger", erklärte Gül-Gül. "Ich bin an andere Kost gewöhnt. Es geht doch nichts über saftige Fladen mit Honig." "Was mich angeht, so wäre mir ein über dem Feuer gebratenes Vögelchen schon lieber", meinte Nef-Naton genießerisch. "Sehen wir also zu, daß wir zu essen bekommen. Vielleicht können wir auch etwas über ein Boot in Erfahrung bringen." "Willst du etwa eines kaufen?" fragte Gül-Gül spöttisch. "Mit den paar Münzen, die man uns geschenkt hat, wird das wohl nicht möglich sein." "Es braucht ja niemand zu wissen, daß wir nur diese Münzen besitzen", erwiderte Nef-Naton. "Wenn ich nur wüßte, wieviel man für diese Münzen bekommt. Ich fürchte, ich werde mich, wenn es ans Zahlen geht, verraten." "Weshalb?" fragte Gül-Gül. "Du bist ja blind." "Noch schlimmer", seufzte Nef-Naton. "Dann streicht der Wirt womöglich alles ein. Laß' dir etwas einfallen, Gül-Gül, damit wir nicht in eine Falle tappen. Dieser König hat womöglich überall verkleidete Spione sitzen, um auf die Stimmung des Volkes zu lauschen. Das ist gefährlich, ich kenne das." Sie gingen die Straße entlang und gelangten in die Nähe des Hafens. Das hatte Nef-Naton beabsichtigt. Er hoffte, in den Fischerkneipen am ehesten zu erfahren, was er hören wollte. Sie fanden eine Taverne, vor der sich allerlei Volk tummelte. Im Hafen hatten die Fischer ihre Netze zum Trocknen ausgespannt. Fackeln und trübe Laternen erhellten den Platz vor der Taverne, vor der einige primitive Tische auf in den Boden gerammten Pflöcken errichtet waren. Hier ging es hoch her. Es war ein guter Fang gemacht worden, und das wurde gefeiert. Plötzlich hatte Gül-Gül einen Einfall. Sie stellte sich vor die Tische hin und begann zu singen. Nef-Naton begriff. Er mimte mit schauspielerischem Talent den Blinden. Nach dem ersten Lied klatschten die Gäste Beifall. Der Wirt kam herbei. "Singe weiter, Mädchen", verlangte er, "es gefällt!" "Wenn du mir und meinem blinden Bruder Speise und Trank gibst, gern", sagte Gül-Gül. "Daran soll es nicht fehlen", rief der Wirt. "Singe nur, Mädchen, und ihr werdet bei mir beide satt!" "Ausgezeichnet gemacht, Gül-Gül", murmelte Nef-Naton anerkennend und setzte sich sogleich in Erwartung kommender Genüsse an einen Tisch. Gül-Gül sang weiter. Der Wirt erschien und brachte einen Krug Wein und einen Teller voll Fische, neben den er Brot legte.
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"Iß, Blinder", sagte er. "Deine Schwester hat eine hübsche Stimme. Wenn ihr wollt, könnt ihr hier bleiben und meine Gäste auch morgen Abend unterhalten." "Darüber läßt sich reden", meinte Nef-Naton. "Wo kommt ihr her?" fragte der Wirt, während der Ägypter zugriff. "Ihr seid gewiß aus dem Landesinneren." "Ja, das sind wir", sagte Nef-Naton aus vollen Backen kauend. "Wir sind arme Leute; mein sehnlichster Wunsch war es, einmal das Meer kennenzulernen, von dem man mir so viel Wunderbares berichtet hat. Deshalb sind wir aufgebrochen, um nach der Küste zu wandern." "Wie, nicht die Hauptstadt hat dich hierhergelockt, sondern das Meer, das du gar nicht sehen kannst?" fragte der Wirt erstaunt. "Auch die Hauptstadt kann ich nicht sehen", meinte Nef-Naton listig. "Aber ich kann sie fühlen, riechen, hören, begreifst du? Das ist schon etwas. Und das Meer...Ich möchte einmal das Schaukeln eines Bootes erleben und Salzwasser riechen. Deshalb kam ich hierher, und vielleicht geht hier mein Wunsch in Erfüllung, indem mich jemand mit seinem Boot aufs Wasser hinaus mitnimmt." "Du bist ein sonderbarer Mann", fand der Wirt kopfschüttelnd. "Aber jeder hat eben so seine Wünsche. Ich wünsche mir nichts als ein paar Krüge voll Gold und Kupfer - in großen Münzen, versteht sich. Ich fürchte nur, daß mein Wunsch schwerer zu erfüllen ist als der deine." "Vielleicht verhelfen dir die Lieder meiner Schwester dazu", meinte Nef-Naton. "Und du könntest mir dann bei der Erfüllung des meinen helfen." "Das will ich gern tun", meinte der Wirt. Ein paar geharnischte Krieger gingen vorbei; ihre Aufgabe war es, für Sicherheit und Ordnung in der Stadt zu sorgen. Unwillkürlich zog Nef-Naton den Kopf ein und beugte sich tief über seinen Teller. Der Wirt sah es glücklicherweise nicht; er hatte sich bereits wieder zu seinen anderen Gästen begeben. Gül-Gül unterbrach ihren Gesang und setzte sich zu Nef-Naton. "Du hast beinahe alles aufgegessen", sagte sie, wütend auf den schon fast geleerten Teller weisend. "Du läßt mich singen und ißt währenddessen mein Mahl auf!" "Wärest du früher an den Tisch gekommen", meinte Nef-Naton. "Schweige nun und iß. Im übrigen stehen die Dinge gut für uns. Der Wirt hat uns eingeladen, bei ihm zu übernachten. Und er will mir zu einer Fahrt auf einem Fischerboot verhelfen." "Und ich? Was wird aus mir?" fragte Gül-Gül empört. "Willst du mich etwa hier zurücklassen?" "Natürlich nicht", zischte Nef-Naton. "Sprich leiser, bei allen Göttern, sonst wird man womöglich noch aufmerksam. Sitzen wir beide erst in dem Boot, dann ist es auch schon so gut wie unser. Laß' mich nur machen." "Wie willst du das denn anfangen?" fragte Gül-Gül zweifelnd. "Das laß' nur meine Sorge sein", flüsterte der Ägypter. "Noch habe ich ja den Dolch, den du auf dem Markt gestohlen hast." Gül-Gül erschrak. "Was - du willst...?" fragte sie schaudernd. "Den Fischer umbringen? Natürlich", antwortete Nef-Naton gleichmütig. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß er uns das Boot freiwillig schenken wird." "Aber du wolltest doch eines stehlen, bei Nacht", wandte Gül-Gül ein. " Überlege doch einmal! Wenn der Plan fehlschlägt, kostet es dich womöglich dein eigenes Leben, wenn nicht das von uns beiden!" "Das ist freilich wahr", brummte Nef-Naton. "Aber es muß gewagt werden. Vielleicht lädt uns jemand noch in dieser Nacht zu einer Spazierfahrt ein. Auch das ist möglich. Der Wirt will (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
sich für uns verwenden." "Dann müssen wir es abwarten", sagte Gül-Gül. "Ich für meine Person wäre dafür, daß wir versuchen, ein Boot zu stehlen." "Diese Möglichkeit haben wir immer noch", meinte Nef-Naton. "In diesem Falle müssen wir erst feststellen, wie die Bewachung des Hafens erfolgt; wir müssen die Leute ausfindig machen, welche auf die Boote achten, und wie das mit den Wachschiffen ist, müssen wir gleichfalls wissen." Gül-Gül hatte ihr Mahl beendet und stand auf, um noch ein Lied zu singen. Der Wirt mußte bei guter Laune gehalten werden. Während sie ihre Stimme erschallen ließ, erklangen im Tempel des Bel andere Weisen.
* Es war die Stunde, zu der allabendlich die große Andacht abgehalten zu werden pflegte, eine Andacht, zu der der Tempel meist gut besucht war. Man sah Leute aus allen Ständen und jeder Altersstufe; dennoch beherrschten die Frauen, und unter diesen wieder die älteren, das bunte Bild. Der Gott stand in der großen Halle des von goldenen Säulen getragenen Tempelbaues. In diese Halle gelangte man über einen Vorplatz und einen Vorsaal. Bel stand erhöht auf einem Altar, zu welchem man über eine Reihe von Stufen gelangen konnte. Aber das Betreten dieser Stufen war nur den Priestern des Heiligtums gestattet. Die Figur des Bel wuchs aus einer mächtigen Säule. Sie war aus purem Gold - so sagte man wenigstens - und reichte fast bis unter die Decke des Saales. Ihr mächtiger Schädel glotzte aus lichtlosen Augen auf die andächtige Menge herab. Der Mund weitete sich unter den mächtigen Nasenflügeln zu einer großen, beinahe trichterförmigen Öffnung. Aus dem Kopfe des Bel wuchsen seltsame, strahlenförmige Stäbe; der Körper Bels aber sah aus, als wäre er mit einer Art Anzug bekleidet, welcher beim Halse ringförmig und faltenreich gegen den Kopf zu abschloß, während die Hände in Fausthandschuhen mit langen Stulpen zu stecken schienen. Diese seltsame Figur des Bel symbolisierte einen der Riesen, welche den alten Mythen zufolge den Ehen der Götter mit Menschenfrauen entstammten, und die zu Urzeiten die Erde bevölkert haben sollten. Diesen Riesen wurde die Gabe zugesprochen, gleich ihren Vätern, den Göttern, sich in seltsamen Flugkörpern von der Erde erheben zu können. Sie waren reich an Weisheit und an Kenntnis den Menschen weit überlegen. Sie besaßen Wissen um viele Geheimnisse der Natur, ein Wissen, das längst verloren gegangen war. Die Atlantiden, die Beherrscher des Reiches, leiteten ihre Abstammung von Gott Poseidon ab, dem ein Hain mit einer heiligen Quelle im Tempelbezirk geweiht war. Poseidon war ihnen die oberste Gottheit, Bel aber ein Gott, der an Rang tiefer, an Popularität jedoch höher stand, weil er eben ein Halbgott war. Vor dem goldenen Götzenbild flammten die Opferschalen, stieg Weihrauch empor und verbreitete betäubenden Duft. Die andächtige Menge kniete in respektvoller Entfernung und beugte die Nacken tief, als Shidra jetzt, assistiert von einigen Priestern niederen Ranges, über die Stufen vor dem Altar schritt, um Gott Bel anzurufen. "Bel - großer, mächtiger Bel, höre mich!" rief Shidra mit lauter, weithin schallender Stimme, die in der Säulenreichen Halle des Tempels einen unheimlich klingenden Nachhall fand. Die Priester fielen in einen monotonen Gesang, dessen seltsam wiegender Rhythmus sich allmählich ihrem ganzen Körper mitzuteilen schien. Sie knieten vor der riesigen Statue und bewegten ihre Oberkörper wie in Trance. Das Haupt Bels thronte in Wolken von Weihrauch, der sich so dicht um die Decke lagerte, daß die Umrisse des Götzenbildes allmählich undeutlich zu werden begannen.
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Plötzlich erklang eine seltsam gepreßte Stimme, welche wie aus weiter Ferne zu kommen schien, von oben aus den Weihrauchwolken herab, auf die gläubige Versammlung. "Du hast mich gerufen, Hohepriester", klang es deutlich vernehmbar. "Was willst du von mir? Ich spreche mit dir, ich, Bel, dein Gott und der Gott aller Atlanter." Shidra war bei diesen Worten zusammengezuckt, und jetzt warf er sich flach zu Boden, als habe ihn ein Blitzstrahl getroffen. Die Menschen im Tempel wurden von panischem Schrecken erfüllt und wichen vor dem Altar zurück. "Ein Wunder", riefen sie, "ein Wunder! Bel spricht zum Hohepriester!" Jetzt richtete sich Shidra wieder auf, so, als müsse er sich selbst erst fassen. Sein ganzer Körper wurde sichtlich von Schauder geschüttelt. Trotzdem riß Shidra sich zusammen und fragte: "Bel, großer, mächtiger Gott, der du uns die Gnade erweisest, zu uns zu sprechen, antworte, bist du zufrieden mit deinen Kindern?" "Nein", antwortete Bel, "ich bin es nicht. Ich werde die Erde erbeben und schlechte Ernten kommen lassen über das Land. Die Sturmflut wird kommen und Krankheiten werden die Menschen in ihren Häusern fressen." Entsetzt schrien die Tempelbesucher auf. Die Priester begannen laut zu wehklagen, aber Shidra übertönte sie alle, indem er laut rief: "Bel - großer Bel, was haben wir dir getan, daß du dieses schreckliche Unglück über uns bringen willst?!" "Der König der Atlanter mißachtet meine Gebote. Er verweigert mir meinen Zehnten an aller Beute des Reiches." "Aber Bel", sagte Shidra, und es klang beinahe vorwurfsvoll, "hast du nicht dem Diener des Prinzen mitgeteilt, du wolltest nichts von dem Gute der Ungläubigen?" "Wenn ich dies gesagt habe", antwortete der Götze feierlich, "so meinte ich damit ihre Habe, nicht ihr Blut..." "Was meinst du damit, Gott Bel?" fragte Shidra, während sich atemlose, beklemmende Stille auf die Versammlung legte. "Daß mich dürstet nach dem Blut eines Ungläubigen. Ich trank schon lange kein Blut mehr kein Menschenblut, meine ich -, aber jetzt will ich welches trinken." "Du verlangst ein Menschenopfer, Gott Bel?" "Opfert mir einen der Ungläubigen, damit ich mich an seinem Blute satt trinke und die anderen meine Macht erkennen. Tut ihr dies, so will ich euch gnädig sein und meine Hand nicht von Atlantis ziehen. Euer Wohlstand wird sich mehren, eure Familien und eure Häuser und Besitztümer werden wachsen und das Reich wird mächtig sein und sein König lange leben..." Die Stimme verklang. Ihr Laut schien noch eine Weile unter den Gewölben der Tempeldecke zu schweben und dort Wiederhall zu finden, bevor sie gänzlich verstummte. Der Hohepriester war bei den letzten Worten Bels wieder in sich zusammengesunken. "Dank, Dank, großer Bel", rief er, "wir sind deine gehorsamen Diener. Wir werden tun, was du verlangst." Nach diesen Worten erhoben sich die Priester und begannen einen mystischen Reigentanz. Aus dem Hintergrund des Tempels ertönte Posaunenschall. Mit lauter Stimme sangen die Diener des Gottes dessen Lob. Über den Besuchern des Tempels aber schien noch immer ein Bann des Entsetzens zu liegen. Es war seit vielen Jahren nicht mehr vorgekommen, daß der Götze ein Menschenopfer gefordert hatte. Diese grausame Sitte, von der die älteren Leute noch erzählten, war beinahe (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
in Vergessenheit geraten. Viele der Anwesenden hatten selbst noch nie ein solches Opfer erlebt, allen aber schien die Empfindung teilhaftig zu sein, daß es sich um eine entsetzliche Zeremonie handeln müsse. Der Gott hatte sein Opfer gefordert. Diesem Wunsche mußte entsprochen werden. Was aber würde jetzt geschehen? Wen von den Gefangenen würde das schreckliche Schicksal treffen, auf dem Opferstein im Tempelhain lebendigen Leibes geschlachtet zu werden? Vorläufig wußte niemand auf diese Frage Antwort. Auch die Priester schienen es nicht zu wissen. Sie beendeten ihre Götzendienstzeremonie nach dem gewohnten Brauch. Dann verließen sie den Tempel und zogen sich in die hinter dem Tempel gelegenen Priesterbehausungen zurück. Die Lichter im Tempel verloschen. Das Volk strömte über die herabgelassene Zugbrücke in die Stadt zurück. Mit ihm verbreitete sich die Kunde von dem bevorstehenden Menschenopfer durch alle Straßen und Gassen und eilte wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus. Noch ehe eine Stunde vergangen war, wußte die ganze Hauptstadt bereits, daß der Götze das Blut eines lebendigen Menschen, eines ungläubigen Gefangenen von der ägyptischen Galeere gefordert hatte. Nur im Palast des Königs wußte man hiervon noch nichts. Hier erfuhr man es erst am folgenden Morgen.
* Als der Tag graute und die Hähne rings um die Stadt zu krähen begannen, erwachte Nef-Naton in der kleinen Kammer, die man ihm in der Taverne eingeräumt hatte. Gül-Gül schlief nebenan. Das heißt, sie schlief nicht mehr, sondern war schon wach und hinunter an den Strand gegangen, wie Nef-Naton befriedigt feststellte. Gül-Gül irrte den Strand entlang und suchte nach einem einsam vertäuten Fischerboot. Aber soweit sie sich auch vom Zentrum des Hafens entfernte, sie mußte doch die Feststellung treffen, daß die größeren Boote, denen man sich eventuell mit einiger Aussicht auf Sicherheit anvertrauen konnte, in Flotillen gemeinsam vor Anker lagen, und daß diese Flotillen unter Bewachung standen... Man hätte höchstens einige kleine Nachen auftreiben können, die nur zum Verkehr innerhalb des Hafens taugten. Diese kleinen Ruderboote waren für eine weite Fahrt über das Meer in jeder Hinsicht ungeeignet. Sich mit ihnen hinauszuwagen, wäre gleichbedeutend mit Selbstmord gewesen. Aber noch bevor Gül-Gül in die Taverne zurückkehrte, wurde es im Hafen lebendig. Die Fischer fuhren zeitig aufs Meer hinaus. Ihr Tagewerk begann früh, im ersten Schimmer des grauenden Tages. Gül-Gül sah ein, daß sie auf jeden Fall zu spät gekommen war. Am vergangenen späten Abend aber waren sie und Nef-Naton berauscht gewesen vom Genuß des Weines, den der Wirt ihnen noch zum Schluß als Dank für Gül-Güls Gesang gebracht hatte. Gül-Güls Kopf war schwer. Sie hatte die Wirkung des Weines noch nicht ganz überwunden. Aber soweit war sie durchaus denkfähig, daß sie verstand, was die Fischer, denen sie begegnete, einander in ziemlich aufgeregtem Tonfall erzählten. Das von Bel verlangte Menschenopfer war in aller Munde. Was sie erlauscht hatte, war also bereits in die Tat umgesetzt. Der Opfertod drohte, aber wem? Immer wieder mußte Gül-Gül an Nif-Iritt denken. War es denkbar, daß der Götze am Ende ihr Leben verlangen konnte? Dem Ehrgeiz der Priester war das zuzutrauen, es wäre ein Schauspiel ohnegleichen gewesen.
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Das Leben einer Tochter des Pharao, auf dem Altar der blutgierigen Gottheit der Atlanter dargebracht... Zur gleichen Stunde ließ Hauptmann Alwa in den Kellern der Zitadelle die Gefangenen wecken. Die meisten von ihnen hatten ohnehin kein Auge zugetan. "Auf, auf! Es ist Zeit: Regt eure Knochen! Macht euch bereit zum Abmarsch!" Unter Stöhnen und Klagen erhoben sich die Gefangenen von dem Stroh, auf welchem sie genächtigt hatten. "Los, hinauf mit euch! Macht schnell, ihr habt einen weiten Weg vor euch", klang es barsch. Der Hauptmann saß bereits im Hof der Zitadelle auf seinem Pferd. Ringsum im Viereck umstanden ihn die Soldaten der Wachmannschaft, welche den Zug der Gefangenen nach den Kupferbergwerken begleiten sollten. "Krieger", rief Alwa, "ihr macht diesen Marsch nicht zum erstenmal. Ihr wißt, was bei uns Brauch ist. Wer zu entfliehen versucht, oder unterwegs zusammenbricht und nicht mehr weiterkann, wird ohne Erbarmen getötet. Nicht alle, die diesen Marsch hier beginnen, werden in den Bergwerken ankommen. Aber das ist nicht eure Schuld, ihr habt nichts als euren Gehorsam zu erfüllen. Denkt daran, daß es für manchen vielleicht besser ist, wenn er das Bergwerk niemals erreicht, denn was ihn dort erwartet, das wißt ihr ebenso gut wie ich, ist manchmal schlimmer als der Tod auf der Landstraße." Die Krieger hatten, auf ihre Lanzen gestützt, schweigend seine kurze Rede mit angehört und erwarteten jetzt das Erscheinen der Gefangenen. Aber noch ehe die ersten von ihnen ans Tageslicht gekommen waren, erschien ein finster blickender, hoch aufgeschossener, hagerer Mann auf dem Platz. Taaf war es, und er trat vor Alwa hin und hob die Hand auf. "Im Namen Bels, des großen Gottes der Atlanter!" rief er. Die Priester des Tempels standen bei den Kriegern des Königs nicht allzu hoch im Ansehen. Alwa nahm sein Pferd ein paar Schritte zurück und fragte unfreundlich: "Was willst du, Priester?" "Ich komme als Abgesandter des Gottes", sagte Taaf wichtig. "Er hat gestern abend angesichts des ganzen Volkes, das im Tempel zur Andacht versammelt war, ein Blutopfer verlangt." "Und was soll's damit?" fragte Alwa ungehalten. "Hat er etwa meinen Kopf gefordert?" "Er forderte das Blut eines der Gefangenen." Alwa ließ sein Pferd tänzeln. "Das geht mich nichts an", sagte er, "darüber hat der König zu entscheiden. Mein Befehl lautet, die Gefangenen so vollzählig als möglich ins Bergwerk zu bringen. Geh' zur Seite, Priester, sie kommen." Taaf wurde noch um einen Schein bleicher als er bereits war. "Ich denke, du weißt nicht, was du sprichst", sagte er drohend. "Der Wunsch des Gottes ist oberstes Gebot, höher auch als das des Königs. Der Gott hat Atlantis eine schreckliche Rache angedroht, falls sein Wunsch nicht erfüllt wird. Willst du die Verantwortung dafür auf dich nehmen und dich der Wut des Volkes aussetzen? Sie werden dich in Stücke reißen, Alwa." Alwa lächelte grimmig. "So leicht ist das nicht. Ich trage hierüber gar keine Verantwortung. Der König allein hat zu entscheiden, was mit den Gefangenen geschieht, nicht ich. Ich führe meine Befehle aus und werde jetzt mit Sonnenaufgang abmarschieren." Er rief den Gefangenen zu, sich zu einem Zug zu formieren und schien die Worte des Priesters gar nicht weiter beachten zu wollen. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Warte noch einen Augenblick", fuhr Taaf ihn wütend an. "Der Hohepriester ist beim König. Die Nachricht von seiner Entscheidung kann jeden Augenblick hier sein!" Der Priester sah ihn mit finster-entschlossener Miene herausfordernd an. Sein Blick ließ es Alwa schließlich ratsam erscheinen, doch noch einzulenken. "Gut", sagte er. "Ich will mit dem Abmarsch warten, bis sich die Gipfel der Berge im Westen vom Sonnenlicht färben. So lange kann ich es auf mich nehmen. Hat der Hohepriester bis dahin aber keinen endgültigen Bescheid, so marschiere ich." Er schwang sich vom Pferd und blieb abwartend stehen. Die Strecke, welche zurückzulegen war; war so lang, daß ein späterer Abmarsch zu Schwierigkeiten führen konnte. Unter Umständen kam man in die Nacht hinein, und da war die Fluchtgefahr groß. Das wollte Alwa auf keinen Fall riskieren. Voll Unruhe warteten er und Taaf auf den Bescheid. Aber vorläufig zeigte sich niemand mit einer Nachricht, und die Gefangenen standen ratlos inmitten der sie umgebenden Soldaten. Auch die Krieger begannen, unruhig zu werden. Nicht minder ungeduldig als sie war aber Shidra, welcher im Vorzimmer des Audienzsaales wartete. Shidra wußte von dem baldigen Abtransport der Gefangenen. Er war daher noch zu nachtschlafener Stunde im Palast erschienen und hatte den König zu sprechen begehrt. Die Kunde davon war bis zu Torgo gedrungen. "Schlafe weiter, Vater", hatte er gesagt, "ich werde an deiner Stelle mit dem Hohepriester sprechen. Er soll nur sagen, was er uns mitzuteilen hat." König Amur war einverstanden. So kam es, daß der Hohepriester nach einiger Verzögerung nicht vom König, sondern vom Thronfolger empfangen wurde. "Der König schläft", begrüßte ihn Torgo. "Er bedarf dringend der Ruhe." "Aber es ist sehr wichtig", erklärte Shidra, unangenehm überrascht. "Du kannst mir sagen, was du ihm mitzuteilen hast", gab Torgo zurück. "Du weißt, daß das so gut ist, als hättest du mit dem König selbst gesprochen." Er bot dem Hohepriester einen Sitz an. Die Fackeln beleuchteten mit zuckendem Schein die Gesichter der beiden Männer - das offene, männlich-harte Prinz Torgos, und das feiste, verschlagene des Hohepriesters, der sich vergeblich bemühte, seinen Zügen einen sympathischen, gewinnenden Ausdruck zu verleihen. Shidra setzte sich. "Ich weiß nicht, ob du es bereits gehört hast," begann er. "Vergangenen Abend hatte ich ein schreckliches Erlebnis. Ich habe fast die ganze Nacht kein Auge zugetan." "Was ist geschehen?" fragte Torgo. "Der Gott sprach mich an", antwortete Shidra. "Während der gestrigen Abendandacht. Ich habe die ganze Nacht gefastet und gebetet, um seinen schrecklichen Wunsch abzuwenden, aber er gab mir kein neues Zeichen, und so komme ich, um das Verlangen Bels dem König mitzuteilen." Torgos Miene verdüsterte sich. "Was will der Gott?" fragte er kurz. Shidra hob bedauernd seine Hände. "Ich habe alles versucht, Prinz, du kennst meinen persönlichen Abscheu gegen derlei blutige Geschehnisse." "Was ist es? Mache es kurz", verlangte Torgo nochmals. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Shidra tat als koste ihn Überwindung, was er zu sagen habe. "Bel verlangt ein Menschenopfer", sagte er nach einer kurzen Pause, "er will das Blut eines der Gefangenen von der Galeere". "Wenn es weiter nichts ist", meinte Torgo, "dieser Wunsch ist ihm leicht zu erfüllen." Shidra entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. "Ich kann also einen der Gefangenen wählen?" fragte er, sich rasch erhebend: "Du mußt wissen, es eilt, weil Hauptmann Alwa mit der ganzen Truppe nach dem Kupferbergwerk marschieren will." Torgo nickte. "Ich denke schon", .sagte er. "Aber ich werde zur Sicherheit noch einmal meinen Vater fragen. Warte hier auf mich, es wird nicht lange dauern. Ich bin gleich zurück." Shidra setzte sich, neuerlich seufzend. Torgo aber eilte davon, um seinen Vater zu sprechen. Er hatte schon viel von solchen Opferfesten erzählen hören und empfand selbst eine gewisse Neugierde. Die Botschaft des Hohepriesters schien ihm deshalb gar nicht so unangenehm und er mußte zu seiner Verwunderung feststellen, daß sein Vater seine angenehmen Erwartungen keineswegs teilte, als er ihm die Frage des Hohepriesters übermittelt hatte. "Ein Menschenopfer?" fragte er düster. "Mein Sohn, weißt du, was das heißt? Das bedeutet einen Rückfall in Zeiten, die ich längst überwunden glaubte." "Aber weshalb denn, Vater?" fragte Torgo. "Weil es unser nicht würdig ist, einem Standbild das Leben von Menschen zu opfern." "Bel ist der Gott der Atlanter, Vater." "Gewiß, das ist er. Aber aus seinem Inneren spricht nicht seine Stimme. Es ist die Stimme der Priester, die aus ihm spricht. Sie wollen ihre Macht stärken und brauchen ein Schauspiel, um die Menge zu blenden. Ich kenne ihre Beweggründe. Aber das ist es nicht allein. Ich habe so einem Opfer in meiner Jugend beigewohnt. Ich will es nicht noch einmal erleben, Torgo. Und auch du wünsche dir das nicht." "Aber wir können es dem Hohepriester doch nicht verweigern?" "Leider können wir das nicht. Nach der Sitte müssen wir ihm einen Gefangenen geben." "Er sagt, er möchte den Gefangenen selbst wählen." König Amur überlegte. "Es ist lange her, seit es zum letzten Male geschah, und auch damals war es ein Fremder", sagte er, sich erinnernd. "Aber ich weiß es noch genau, wie es vor sich ging. Die Gefangenen hatten das Recht, durch Abstimmung aus ihrer Mitte den zu wählen, den sie am liebsten los sein wollten. Darüber gibt es eine alte Schrift von einem meiner Vorfahren. Sie ist heute noch in Gültigkeit, und der Hohepriester muß sich ebenso wie wir danach richten." Plötzlich fiel Torgo etwas ein. "Bel verlangte das Blut eines der Leute von der Galeere - wie ist das dann mit Prinzessin Nif-Iritt? Muß sie auch an der Abstimmung teilnehmen?" König Amur griff sich an die Stirn. "Nif-Iritt habe ich ganz vergessen. Ja, das muß sie, sie kann sich nicht ausschließen. Daß dieser Priester auch gerade jetzt auf den Einfall kommen mußte!" "Aber es ist doch Bels Wunsch, Vater", meinte Torgo verwundert. König Amur lächelte. "Du wirst noch hinter manches Geheimnis kommen, wenn du erst auf meinem Throne sitzt", sagte er. "Also auch Nif-Iritt?" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Ja, auch sie. Und ich hege ihretwegen sogar starke Bedenken. Ich kann mir nicht denken, daß sie bei ihren Leuten sehr beliebt ist." "Bei den Galeerensklaven wohl kaum", meinte Torgo. "Ich bin mir auch der übrigen nicht sicher." "Aber wir können doch nicht zulassen, daß - Vater, wenn sie nun wirklich eine ägyptische Prinzessin wäre!" Amur wiegte bekümmert den Kopf. "Es wird lange dauern, bis wir darüber Gewißheit haben", meinte er. "Was hast du in dieser Richtung unternommen?" "Ein Mann ist nach Griechenland unterwegs. Er ist ein geheimer Bote, den eines unserer Schiffe heimlich bei Nacht an Strand setzen wird. Wartet König Telaus tatsächlich auf eine Braut aus dem Hause des Pharao, dann werden wir es wissen." "Vorausgesetzt, daß unser Mann lebend wiederkehrt", meinte Torgo finster. "Wer sagt uns, daß Telaus mit ihm nicht so verfährt, wie wir mit den Leuten von der Galeere?" "Das wollen wir nicht hoffen", antwortete Amur. "Ich kenne König Telaus: Seine Gesetze sind nicht so streng wie die unseren. Er regiert ein Land, das ganz anders beschaffen ist. In Griechenland ist vieles anders, und man kann da keine Vergleiche ziehen." "Der Hohepriester wartet", erinnerte Torgo. "Was soll ich ihm also sagen?" "Teile ihm mit, daß wir dem Wunsche des Gottes willfahren müssen. Aber sage ihm, daß er nicht unter den Gefangenen wählen darf, welcher das Opfer sein soll. Die Gefangenen selbst können einen aus ihrer Mitte wählen, und wir werden die Abstimmung, um keine Zeit zu verlieren, noch heute stattfinden lassen." "Ich werde es Shidra mitteilen", antwortete Torgo. "Dies ist nicht alles", hielt ihn der König zurück, "du mußt einen Boten zu Alwa senden, der ihm Bescheid gibt. Am Besten, du nimmst Jargo." "Gewiß, Vater." Torgo entfernte sich eilig, während sich der König sorgenvoll wieder zu Bett legte. König Amur verfiel in einen unruhigen Schlummer, während sich Torgo mit eiligen Schritten zurück zu Shidra begab. Manches von dem, was ihm der König gesagt hatte, hatte ihm zu denken gegeben. Der Hohepriester hatte seine Ankunft bereits voll Ungeduld erwartet. "Nun, was ist, Prinz?" fragte er. "Der Vater ist einverstanden ", antwortete Torgo. "Er erfüllt die Sitte bereitwillig. Aber du kannst dir das Opfer nicht selbst auserwählen. Es gibt ein altes Gesetz, demzufolge es die Gefangenen selbst aus ihrer Mitte erwählen müssen." Shidra erinnerte sich. "Der König hat recht", sagte er. "Und ich habe nichts dagegen, daß es geschieht. Aber" setzte er mit schlauem Lächeln hinzu "wie ich höre, hat der Palast eine besondere Gefangene. Wie ist es mit dieser?" "Sie ist davon nicht ausgenommen", antwortete Torgo kurz. Shidra nickte befriedigt. "So ist alles in Ordnung", sagte er, "und ich kann gehen, um Hauptmann Alwa Bescheid geben zu lassen." "Das ist meine Sache", erklärte Torgo. "Ich schicke Jargo hin. Er hat ein schnelles Pferd und ist in kurzer Zeit im Hof des Zitadelle." Shidra war auch damit einverstanden und entfernte sich, vom Ergebnis seiner Mission diesmal hochbefriedigt. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Torgo weckte Jargo und sandte ihn mit der Botschaft zu Alwa, daß der Marsch der Gefangenen nach dem Bergwerk um einen Tag zu verschieben sei, weil Bel aus ihren Reihen ein Opfer wolle. Jargo jagte sein Pferd hinaus in den frühen Morgen. Er traf Taaf und Alwa im Hof der Zitadelle, angesichts der marschbereiten Leute und bereits in gereizter Stimmung. "Nun, wie ist es?" fragten Alwa und Taaf beinahe gleichzeitig. Jargo sprang vom Pferd. "Ich bring Nachricht von Torgo", rief er. "Der König hat dem Wunsche des Gottes entsprochen." Taaf seufzte erleichtert auf. "Also", rief Alwa ärgerlich, "dann alles zurück in den Kerker! Wir haben eine nette Überraschung für euch, ihr werdet Augen machen!" "Was bringst du, Prinz?" fragte Nif-Iritt, als Torgo in ihren Pavillon eintrat. Des Prinzen Miene war ernst. "Man wird dich in die Zitadelle schaffen, zu den übrigen Gefangenen von der Galeere", sagte er. Nif-Iritt erschrak. "Aus welchem Grunde?" fragte sie von ihrem Ruhelager aufspringend. "Dein Vater hat versprochen..." "Ich weiß, was mein Vater versprochen hat", unterbrach sie Torgo. "Mein Vater will sein Wort nicht brechen. Aber es sind Umstände eingetreten, welche es notwendig machen, dich und Sil für kurze Zeit in den Kerker hinab zu bringen." "In den Kerker?" rief Nif-Iritt. "Bin ich eine Verbrecherin? Was habe ich getan? Was ist geschehen?" "Wir wollen hoffen, daß du den Kerker bald wieder verlassen kannst, um hierher zurückzukehren, und daß es Sil ebenso geht wie dir" meinte Torgo. "Der Gott von Atlantis fordert ein Blutopfer, und unter den Gefangenen wird eine Abstimmung entscheiden, welcher von ihnen sterben soll." Nif-Iritt begriff die Bedeutung der Worte nicht sogleich. Als dies aber eintrat, erbleichte sie und legte die Hände vors Gesicht. "Nein", stammelte sie, "nein, das können meine Götter nicht wollen." "Deine Götter sind hier machtlos", meinte Torgo, "aber auch die Götter Ägyptens sind grausam. Worüber beklagst du dich also? Man wird dich und Sil in die Zitadelle bringen. Betet, daß die Entscheidung nicht dich oder sie trifft." Er nickte ihr zu und ging. Zwei vor banger Erwartung zitternde Frauen blieben im Pavillon zurück. Nif-Iritt sagte sich selbst, daß ihre Beliebtheit bei ihren Reisegefährten von der Galeere nicht die allergrößte sein konnte. Aber auch Sil hatte Furcht. Ein Zufall konnte es fügen, daß man sich gerade gegen sie entschied. Nach Ablauf von etwa zwei Stunden erschien Wusso mit seinen Männern. "Ich muß dich und deine Dienerin in die Zitadelle bringen, Prinzessin", erklärte er. "Sei gnädig", rief Nif-Iritt vor Furcht zitternd, "laß mich fliehen, mein Vater wird dich reich belohnen!" Sie bat und flehte, aber Wusso schüttelte den Kopf. "Es geht nicht, Prinzessin", sagte er. "Was würden die Geschenke deines Vaters nützen, wenn man mich hierzulande den Löwen zum Fraß vorwirft! Es hilft alles nichts, du mußt mit. Sträube dich nicht länger. Vielleicht hast du Glück!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Sil fügte sich still in ihr Geschick. Sie ging inmitten der finster blickenden, bis an die Zähne bewaffneten Männer, während sich Nif-Iritt mit Händen und Füßen sträubte. Schließlich packte Wusso die heftig Zeternde bei den Handgelenken und zerrte sie mit sich fort. Sie gelangten auf einem wenig begangenen Umweg über die trennenden Wassergräben hinüber nach der Zitadelle, in der ungewöhnliches Leben herrschte. Die Abstimmung, die in der Tiefe des Kerkers vor sich gehen sollte, warf ihre Wellen der Erregung bis ans Tageslicht. Man sprach von nichts anderem. Taaf hatte recht behalten: Das geplante Menschenopfer wurde zum Ereignis, das den blutigen Gott Bel wieder in aller Munde brachte. "Ich bringe die beiden Gefangenen aus dem Palast", meldete Wusso Hauptmann Alwa. "Ist in Ordnung", antwortete dieser. "Bringe sie gleich hinunter zu den übrigen, damit die Prinzessin einen Vorgeschmack von dem bekommt, was sie zu erwarten hat, wenn sich herausstellt, daß sie gar keine Prinzessin ist!" Die Umstehenden lachten gröhlend über den schlechten Witz: Nif-Iritt, welche fühlte, daß es jetzt ums Ganze ging, überschrie sie jedoch mit schriller Stimme. "Isis, Osiris, oh ihr Götter, - mein Vater, helft!" rief sie und stemmte sich vergebens gegen die rohe Kraft der Männerfäuste, welche sie hinab über die Steintreppe in die Tiefe der Kerker stießen. "Laßt mich frei, Leute, ich belohne euch! Ich bitte euch, laßt mich!" Aber sie hatten mit ihr kein Erbarmen. Man stieß Nif-Iritt und Sil hinab zu den übrigen. Nif-Iritts Augen gewöhnten sich nicht sogleich an das Dunkel. Sie gewahrte bleiche, entstellte Gesichter, die ihr erst allmählich bekannt vorkamen. Von Ekel und Schauder gepackt, wandte sie sich wieder um und warf sich gegen die Gitterstäbe. "Ihr Hunde", schrie sie, "mein Vater wird an euch schreckliche Rache nehmen... Er wirft euch den wilden Tieren vor zum Fraß... Er läßt euch lebendig einmauern..." Ihre Stimme hallte schauerlich durch die unterirdischen Gewölbe. Das war aber auch das einzige Echo, das sie fand. Allmählich wurde sie müde. Von Schluchzen geschüttelt sank sie an der Gittertür auf das feuchte Stroh, wandte sich um, sah, daß sie Blicke der Teilnahme streiften. Bethseba trat zu ihr. "Weine nicht, Nif-Iritt", sagte sie sanft. "Es geschieht alles, wie der Herr es will, und wie er will, so ist es gut." "Ah, Bethseba", rief Nif-Iritt von Neuem von Widerwillen und Abscheu geschüttelt. "Nif-Iritt", wiederholte Bethseba, näher tretend, "sei gefaßt und ruhig!" "Wie soll ich gefaßt und ruhig sein, wenn ich vielleicht sterben muß, ohne daß man meinen Leib in einer Kammer aufbewahrt und man mich nicht versieht mit Speise und Trank für das Jenseits? Meine Seele wird den Leib, der in Staub zerfällt, nie wiederfinden, und ich werde nie mehr wiederkehren, um zu leben!" "Du sorgst dich um unnütze Dinge", meinte Bethseba. "Deine Seele bedarf keines Goldes, keiner Edelsteine und keines Brotes und Weins." "Geh weg, du Ungläubige", rief Nif-Iritt, "dein Anblick ekelt mich! Berühre mich nicht, gehe mir aus den Augen! Du wärest die Richtige für den Opferstein." "Ich würde es gerne für dich auf mich nehmen, wenn mich die Entscheidung träfe", sagte Bethseba mit ruhiger Gelassenheit. Nif-Iritt sah sie erstaunt an. "Weshalb?" fragte sie verständnislos. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
Die beiden Frauen wurden in ihrem Gespräch unterbrochen. Hauptmann Alwa erschien. Er brachte einen Tonkrug mit und hinter ihm kam noch eine Anzahl von Soldaten, von denen jeder zwei kleine Krüge trug. Schließlich brachte der letzte noch eine Schale mit bunten Kieselsteinchen. Die Soldaten schienen das Ganze als fröhliches Spiel anzusehen. Es brachte Abwechslung in ihr eintöniges Leben. Alwa ließ sich aufschließen und die Tonkrüge wurden in das Innere des finsteren Kerkers gebracht. "Seht her", rief Alwa den Gefangenen zu, "hier sind Tonkrüge, für jeden von euch ist einer bestimmt. Alle diese Krüge haben Zeichen. Dies hier ist das Zeichen von Prinzessin Nif-Iritt, das ist das Zeichen von Sil. Das ist dein Zeichen und das deines." Er machte jeden der Gefangenen mit seinem Zeichen bekannt und fuhr dann fort: "Und hier habt ihr Steine. Jeder von euch wirft nun einen Stein in den Krug desjenigen, den er am liebsten los sein möchte. Wer die meisten Steine in seinem Krug hat, der ist es, welcher Gott Bel geopfert wird." "Und wie soll es vor sich gehen?" fragte einer von den Galeerensklaven. "Ihr könnt beraten oder auch nicht, das ist uns gleich", sagte Alwa. "Jedenfalls holen wir nach Verlauf von einer Stunde die Krüge ab. Nicht früher, da droben Wetten abgeschlossen werden. Die Krüge werden oben entleert und die Steine gezählt. Ihr erfahrt dann schon noch rechtzeitig, wen es traf." Lachend stellte er seinen Krug nieder und die Krieger folgten seinem Beispiel. Der Korb mit den Steinen wurde dazugesetzt. Unter fröhlichem Schwatzen entfernten sich Alwa und seine Männer, und der Schlüssel knirschte hinter ihnen im Schloß. Im Kerker aber begann die grausige Wahl...
* Torgo und Jargo erschienen noch vor Ablauf der Stunde im Hof der Zitadelle. Sie fanden die Krieger bei lebhaften Gesprächen. "Ich wette, daß es die Prinzessin wird", sagte einer. "Ihr würde ich es gönnen. Wenn ich auf ihrer Galeere gesessen und ihre Peitsche geschmeckt hätte, für mich wäre die Wahl gewiß kein Problem." "Ich glaube nicht, daß es die Prinzessin wird", sagte ein anderer. "Sie hat trotz allem viele Anhänger. Viele fürchten auch den Pharao. Wer weiß, vielleicht kommt er wirklich an der Spitze eines Heeres, um seine Tochter zu befreien. Und wenn es dann aufkommt, wer für den Tod der Prinzessin gestimmt hat ...Na, ich möchte dann nicht in der Haut der Betreffenden stecken, die das taten." "Wahr gesprochen", sagte Alwa, "ich täte es auch nicht. Wißt ihr, auf wen ich tippe?" "Nun, auf wen tippst du?" fragte Torgo gespannt. "Auf Bethseba." "Aber Bethseba tut doch keinem was zuleid", sagte Torgo ärgerlich. "Sie hat ihren Mitgefangenen doch nur Wohltaten erwiesen." "Eben deshalb", meinte der Hauptmann. "Nicht jedem ist das angenehm. Und zudem sehen sie selbst die Ägypter als Ungläubige an. Erinnere dich, wie du sie auf der Galeere fandest! Man hatte sie zur Strafe in eine Kammer gesperrt, in der sie beinahe verbrannt wäre. Zum Dank für ihre Rettung hat sie auch noch unseren Gott Bel gelästert. Ich finde, sie hätte vor allen den Tod auf dem Opferstein verdient." "Das ist doch Unsinn", entgegnete Torgo ärgerlich. "Dieses Mädchen wird falsch beurteilt. Daß sie nicht an Bel glaubt, ist ihre Sache. Ich kenne mehr Leute in Atlantis als du denkst, (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
welche es auch nicht tun." "...ohne allerdings davon zu reden", setzte Jargo grinsend hinzu.
* Drunten im Keller fielen unterdessen die Steine in die Krüge. Man hatte die Krüge in den dunkelsten Winkel des Kerkers gestellt: die Gefangenen standen mit den Gesichtern zu den Wänden. Dann schritt einer nach dem anderen zu den Krügen, nahm einen Stein aus dem Korb auf und warf ihn in den Krug desjenigen, dessen Tod er wünschte. Oh, es gab hier niemand, der nicht schon den Tod des einen oder anderen gewünscht hätte... Alte Feindschaften wurden ausgegraben, längst vergessen Geglaubtes aus der Erinnerung hervorgeholt. Auch Nif-Iritt hatte sich schließlich gefügt und machte es wie die anderen. Als die Zeit um war, waren sie längst fertig: die Krieger kamen, um mit neugierigen Mienen die Krüge abzuholen. Droben im Hof scharten sie sich zusammen, leerten die Krüge, zählten Stein um Stein... Die Spannung wuchs mit jedem Krug. Endlich kam der letzte an die Reihe und man gewann die Übersicht. "Es ist Bethseba", rief Hauptmann Alwa, stolz darüber, seine Voraussage bestätigt zu sehen. Habe ich es nicht gesagt - es ist Bethseba!" Torgo war von diesem Ergebnis betroffen. "Das ist doch nicht möglich", rief er, "zählt noch einmal, ihr müßt euch geirrt haben!" Aber es blieb bei diesem Ergebnis. Das Schicksal hatte entschieden. Bel hatte sich gerächt. "Gut", sagte Torgo, als es feststand, daß an dem Ergebnis nicht zu rütteln war, "dann werde ich ihnen selbst die Kunde bringen." Er und Jargo stiegen hinab zu den Unglücklichen. "Hast du das für möglich gehalten?" fragte er auf der Treppe. "Nif-Iritt, dieses eitle Gänschen, lassen sie am Leben, und Bethseba soll sterben? Ich kann es fast nicht glauben. Vielleicht haben sie sich in dem Zeichen geirrt!" "Das ist möglich", meinte Jargo, "das müssen wir feststellen." Torgo faßte eine vage Hoffnung. Er wurde mit Staunen gewahr, daß ihm das Schicksal Bethsebas näherging, als er gedacht hatte. Als sie den Keller erreicht hatten und ihnen der Schließer öffnete, lasen sie in den Gesichtern der Eingekerkerten die gleiche bange Frage: Wer ist es? "Es ist Bethseba", sagte Torgo heiser. "Das heißt, wenn ihr eure Steine nicht in den falschen Topf geworfen habt. Wir werden das gleich feststellen. Wer Bethseba wählte, der hebe die Hand." Fast zwei Drittel taten es. Da wußte Torgo, daß sie sich nicht geirrt hatten...Sie hatten es so und nicht anders gewollt. Ein grimmiger Zug legte sich in sein Gesicht und seine Hand fuhr unwillkürlich nach dem Schwert. (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Jeder von euch würde dafür zehnfach den Tod verdienen", stieß er hervor, "ich wiederhole es: jeder von euch." Seine Blicke fielen auf Bethseba. Sie lehnte bleich an einer der feuchten Mauern des Kerkers und ihre Augen waren von Tränen erfüllt. "Laß sie, Prinz", sagte sie leise. "Es ist des Herrn Wille und es ist gut so. Jeden von ihnen träfe es härter als mich." "Sie hat recht", mengte sich Nif-Iritt ins Gespräch. "Sie ist dumm und möchte gern sterben. Wenn wir hier fertig sind, hoffe ich, daß du mich so schnell wie möglich wieder fort aus diesem Kellerloch bringst, in welchem einem die Ratten über die Füße laufen." "Man wird dich von hier fortbringen, sobald es Zeit ist", erwiderte Torgo kalt. "Aber Prinz", schmeichelte Nif-Iritt und trat unwillkürlich näher an ihn heran, "was ereiferst du dich wegen dieses kleinen, dummen Dinges...Das Schicksal hat gewollt, daß sie sterben und ich leben soll... Und du tätest gut daran, dich mit mir darüber zu freuen." Torgo gab ihr keine Antwort. Er trat an Bethsebas Seite. "Weshalb", fragte er, "meinst du, daß dein Gott, an den du so glaubst, über dich den Tod verhängt hat und nicht über dieses eitle, törichte Weib?" Nif-Iritt fuhr mit einem empörten Laut zurück, als sie sich so nennen hörte. Bethseba lächelte unter Tränen. "Sieh an, wie schwach sie ist", sagte sie leise. "Ja, das ist wahr", antwortete Torgo. "Sie ist schwach und du stark. Fast glaube ich es. Und dennoch - weshalb diese fürchterliche Strafe? Wofür? Wodurch hast du deinen Gott beleidigt?" "Der Tod ist für mich keine Strafe", antwortete Bethseba zu seinem Erstaunen. "Der Herr hat beschlossen, mich in sein Reich zu rufen. Ich werde dort seine Herrlichkeit schauen." Torgo stampfte verärgert mit dem Fuß auf. "Aber es ist ungerecht", rief er, "begreifst du das denn nicht? Es ist ungerecht, und du bist noch damit einverstanden!" Er verließ wütend an Jargos Seite den Kerker. "Begreifst du das?" fragte er, während sie wieder nach oben stiegen. "Ehrlich gestanden, nein", gestand Jargo. "Aber ich denke, es muß an ihrem Gott liegen." "Fast wäre ich neugierig, diesen Gott kennenzulernen", brummte Torgo. "Ich glaube, dazu wird keine Zeit mehr bleiben", meinte Jargo. "Die Priester haben es offenbar eilig." Sie betraten den Hof der Zitadelle. In diesem Hof stand nun ein an ein Maultier gespannter, zweirädriger Karren, auf dessen Plattform aus starken Stäben eine Art Käfig gezimmert war. "Das ist für Bethseba?" fragte Torgo. "Ja, Herr", antwortete Jargo. "Sie gehört nun Bel und wird gleich in den Tempelbezirk gebracht, wo man sie bis zur Opferung gefangen halten wird." Taaf hatte mittlerweile seine gute Laune wiedergefunden. Er stand neben dem Karren, die Gefangene erwartend, und hieß Torgo und Jargo willkommen. "Es wird ein besonders schönes Opfer werden, Prinz", sagte er. "Bel hat eine gute Wahl getroffen. Ich hoffe, Prinz Torgo, du wirst bei der Zeremonie zugegen sein. Ein Menschenopfer gibt es schließlich nicht alle Tage." Torgo gab eine ausweichende Antwort. Er wollte nicht des Anblicks teilhaftig werden, wenn man Bethseba in den Käfig sperrte und durch die Straßen der Stadt nach dem Tempelbezirk fuhr.
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Dieser schlimme Weg, bei dem sie das Opfer des Spottes der Bevölkerung werden sollte, stand Bethseba noch bevor...
* "Ich habe eine Überraschung für dich", sagte zur gleichen Stunde der Wirt der Taverne zu Gül-Gül. "Morgen vormittag fährt ein Segelboot um die Klippen nach Mantaao. Das ist ein kleiner Ort etwas oberhalb unserer Stadt an der Küste. Dieses Segelboot nimmt dich und den Blinden mit. Ich werde dich noch heute mit seinem Besitzer bekanntmachen." "Gut", sagte Gül-Gül. "Wann kann ich mit ihm sprechen?" "Heute abend, beim Wein. Der Mann fährt allein. Er hat nur ein paar Krüge Wein nach Mantaao zu bringen. Es ist deshalb genügend Platz auf seinem Boot und er will mir den Gefallen gern tun, euch mitzunehmen." "Ich danke dir", sagte Gül-Gül und teilte diese Neuigkeit sogleich Nef-Naton mit. Der "Blinde" kicherte in seinen abrasierten Bart. "Das trifft sich gut", sagte er, "mit einem wird mein Messer leicht fertig." "Dieses Boot", meinte Gül-Gül, "könnte zur Not doch auch noch jemand mitnehmen." "Wen denn?" fragte Nef-Naton verwundert. Gül-Gül zauderte, bevor sie Antwort gab. "Nif-Iritt", sagte sie schließlich. Nef-Naton fuhr zurück. "Bist du von Sinnen?" fragte er erschrocken. "Laß die Finger von der Prinzessin. Mische dich in diese Dinge nicht hinein. Nach allem, was du mir erzählt hast, wird sie womöglich schon morgen von diesem goldenen Götzen verspeist." "Nein, die Wahl traf sie nicht," sagte Gül-Gül aufatmend. "So? Wen traf sie dann?" fragte Nef-Naton, nun doch neugierig geworden. "Die arme kleine Bethseba." "Den Göttern sei Dank", seufzte Nef-Naton dankbar, "ich fürchtete schon, sie hätten sich für meinen Freund Nimbur entschieden." "Ist Nimbur etwa auch unter den Gefangenen?" "Ja. Ich sah, wie sie ihn fortschleppten." "So muß er jetzt ins Bergwerk." "Recht geschieht ihm. Ich konnte ihn nie so recht leiden", sagte Nef-Naton widerspruchsvoll. "Ich gehe in die Stadt", meinte Gül-Gül. "Bleibe nicht zu lange und laß dich nicht erwischen. Ich will mich lieber hier in unserer Stube aufhalten. Da ist es mir sicherer", sagte Nef-Naton. Gül-Gül ging. Sie hatte durch allerlei Umfragen herausbekommen, wo die Prinzessin Nif-Iritt gefangen war. In einer Stadt wie Atlantis konnte das natürlich kein Geheimnis bleiben. Nun machte sie sich auf den Weg. Sie wußte, daß Nif-Iritts Aufenthalt in der Nähe des Tempelbezirks liegen mußte, in welchem sie selbst so unliebsame Abenteuer erlebt hatte. Gül-Gül schlenderte über die Straßen. Sie sah eine der Brücken über die Wasserrinne geöffnet und überschritt sie. Plötzlich hörte sie hinter sich Lärm.
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Ein Haufen Volkes wälzte sich durch die Straßen, Geschrei und Staub erfüllte die Luft. Den Mittelpunkt bildete ein Gefangenen-Karren. Unwillkürlich blieb Gül-Gül stehen. "Bethseba", entfuhr es ihr und sie erschrak über ihren eigenen Ruf. Sie fürchtete, sich den Umstehenden verraten zu haben. Aber niemand hatte sie beachtet. Nur Bethseba hatte sie gesehen und erkannt: Ihre Blicke trafen sich. Bethseba lächelte und Gül-Gül stand bleich und zitternd, wie gebannt, bevor sie weiterschritt. Sie sah, wie der Karren im Tempelbezirk verschwand. Bethseba...Verdiente nicht auch sie ihre Hilfe? Wie von ungefähr kam Gül-Gül an jene Mauer, an welcher Wussos Wachen patrouillierten. Gül-Gül schlenderte scheinbar absichtslos die Mauer entlang. Sie hatte erkannt, daß es der gesuchte Ort war, an welchem die Tochter des Pharao gefangen gehalten wurde. "He, was hast du hier zu suchen? Geh weiter!" fuhr sie einer der Krieger an. Gül-Gül machte, daß sie schleunigst aus seiner Sichtweite kam. Hart an der Mauer stand ein dichter Jasminstrauch. Geschickt gelang es Gül-Gül, hinter diesem Strauch zu verschwinden und sich unter den Blättern zu verbergen. Klopfenden Herzens wartete sie. Einmal glaubte sie, jenseits der Mauer Stimmen zu hören. Langsam verging die Zeit. Es wurde Abend und langsam Nacht. Und sicher warteten auf sie der Tavernenwirt und Nef-Naton. Dann wurden die Wachposten abgelöst. Das lenkte die Aufmerksamkeit der Krieger ab. Gül-Gül kletterte durch die dichten Zweige und erreichte, an Gesicht und Händen zerschunden, die Kimme der Mauer. Sie sah einen dunklen Park vor sich. Mit einem kühnen Sprung ließ sie sich fallen. Gül-Gül fiel hart; sie stieß einen Wehlaut aus. Offenbar hatte man ihn gehört, vielleicht auch sie selbst gesehen - jedenfalls erklangen von drüben wilde Rufe der Wachen. Fort, nur fort! Gül-Gül mußte sich verstecken. Man durfte sie hier nicht finden, Gül-Gül richtete sich auf und dabei entfuhr ihr unwillkürlich ein neuer Laut des Schmerzes. Sie hatte sich offenbar den Fußknöchel verrenkt und vermochte nicht aufzutreten. Mit zusammengebissenen Zähnen schleppte sie sich von der Mauer fort und ließ sich im Schutze eines dichten Gebüsches ins feuchte Gras nieder. "Oh, ihr Götter", klagte sie leise, "wäre ich doch nur bei Nef-Naton geblieben! Wenn sie mich nun hier finden!" Und wo war Nif-Iritt? Wie hätte Gül-Gül ihr jetzt zu helfen vermocht? Plötzlich sah sie, wie sich der Garten erhellte. Männer mit Fackeln liefen über die Wege, stießen aufgeregte Rufe aus, leuchteten überall umher. Gül-Gül begriff, daß diese Suche ihr galt. "Wie komme ich nur hier wieder heraus?" flüsterte sie und schleppte sich noch tiefer ins Gebüsch, wo sie sich mit angehaltenem Atem niederkauerte. Immer näher kamen die Krieger Wussos. "Hier ist niemand..." "Du mußt dich getäuscht haben!" "Aber nein, ich habe es doch ganz deutlich gesehen!" "Und ich hörte etwas, bei Bel!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Sucht weiter, Leute, sucht dort drüben." "Wenn hier jemand eingestiegen ist, so hat er sich sicher gut versteckt!" Hastig liefen die Suchenden umher, kamen immer näher. Furcht befiel das Mädchen... "Sie muß dort drüben herabgesprungen sein", rief einer und gleich darauf stieß ein Krieger einen lauten Ruf aus. "Hier, seht her! Hier sind ganz deutlich die Abdrücke im Erdreich zu sehen!" "Aber das ist doch...". "..eine Frauensandale", ergänzte Wusso, der rasch herbeigeeilt war. "Ob etwa die Prinzessin selbst zu fliehen versuchte?" "Das glaube ich nicht", sagte Wusso. "Seit sie heute Nachmittag aus der Zitadelle kam, ist ihr die Lust zu allen Abenteuern gründlich vergangen. Sie dankt den Göttern, daß sie am Leben bleibt und liegt im Pavillon, ohne schlafen zu können." Die Männer lachten rauh. Plötzlich hielt einer seine Fackel hoch. "Seht", rief er. "Sie ist geradewegs durch die Blumenbeete gelaufen...Sie muß dort drüben sein, in jenem Gebüsch oder dahinten!" Die Männer wurden vom Jagdeifer erfaßt. Stöhnend erhob sich Gül-Gül, um sich ein anderes Versteck zu suchen, aber sie taumelte Wussos rauhen Kriegern direkt in die Arme. "Ein junges Mädchen", knurrte Wusso, ihr ins Gesicht leuchtend. "Dich kenne ich ja... Hast du nicht gestern abend vor der Fischertaverne am Hafen gesungen?" Gül-Gül senkte den Blick und schwieg. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. "Gib Antwort", herrschte Wusso sie an, "was wolltest du hier? Weißt du nicht, daß das Betreten dieses Gartens verboten ist?" "Ich wollte nur - ich roch nur den .Duft der Blüten", stammelte sie verlegen, "ich wollte nur..." "Blumen stehlen?" lachte Wusso. "Ja, Herr, so ist es. Ich sollte schon längst wieder bei der Taverne sein." "Sie hat eine schöne, Stimme", erklärte Wusso den anderen. "Sie singt gut. Wenn wir dich wieder laufen lassen sollen, so mußt du uns auf der Stelle etwas vorsingen." "Gern", erklärte sich Gül-Gül bereit, "wenn ihr mich nur wieder gehen laßt!" Gül-Gül begann ein paar Takte eines Liedes zu singen, welches sie gestern Abend vor der Taverne zum Besten gegeben hatte, als sich die Tür des nahegelegenen Pavillons öffnete und Nif-Iritt mit Sil erschien. "Was ist?" fragte Nif-Iritt, und dann sah sie das Mädchen im Lichte der Fackeln. "Gül-Güll" rief sie aus. "Wie kommst du hierher?" Wusso stutzte. "Was?" fragte er. "Du kennst sie, Prinzessin?" "Aber natürlich", erklärte Nif-Iritt zu Gül-Güls Schrecken, "sie ist meine Dienerin, so wie Sil; ich hielt sie für ertrunken!" "Das ist ja toll", rief Wusso. "Du hast dich wohl hier eingeschlichen, um einen Versuch zu machen, deine Herrin zu befreien?" "Nein, ich..." "Dann war wohl auch der Blinde einer von der Galeere?" "Nein, nein!" (C) eBook-Edition 2003 by readersplanet GmbH, Passau
"Nun", rief Wusso, "das wird sich finden. Wir nehmen dich mit uns und werden dich verhören. Das Beste ist, du sagst gleich, was du weißt, wir kriegen es ja doch heraus. Wir haben Mittel, Mädchen; die dich in jedem Fall zum Sprechen bringen." "Was wollt ihr mit ihr?" rief Nif-Iritt. "Sie gehört zu mir!" "Zunächst ist sie unsere Gefangene", erklärte Wusso. "Vielleicht leben noch mehr Leute von der Galeere und haben sich heimlich in die Hauptstadt eingeschlichen. Deshalb muß dieses Mädchen mit uns, wir werden ihr andere Töne des Gesanges beibringen!" Die Männer packten Gül-Gül und stießen sie vorwärts, von dem Pavillon fort, vor dem Nif-Iritt noch immer verwundert stand...
* Nef-Naton saß finster brütend in seiner Kammer und wartete auf Gül-Gül... Ab und zu griff er nach dem Dolch, den er stets bei sich trug, seit Gül-Gül ihn ihm gebracht hatte. Nef-Naton dachte an den kommenden Morgen: Er hatte mit dem Besitzer des Bootes gesprochen und wußte, wo es vertäut lag. Der Mann hatte ihn und Gül-Gül eingeladen, schon während der Nacht an Bord zu kommen, da er sehr zeitig in See stechen wollte. Als Gül-Gül gegen Mitternacht noch immer nicht erschienen war, verließ Nef-Naton heimlich seine Kammer und schlich den Kai entlang. Er fand das Boot. "Ho", rief er, "ho - ich bins, der Blinde! Meine Schwester kommt nicht mit, ich fahre allein mit dir!" "Ist recht", rief der Bootsbesitzer. "Ich reiche dir meine Hand. Stütze dich auf mich. So, jetzt befindest du dich auf dem Brett, noch ein paar Schritte und du hast das Brett, welches das Boot mit dem Land verbindet, passiert. So. Nun bist du bereits im Boot, Blinder. Es schaukelt ein wenig, aber du gewöhnst dich daran. Und das Salzwasser, riechst du es?" "Ja, es riecht würzig", behauptete Nef-Naton, obwohl es im Hafen nach nichts als nach Fischen stank. "Da können wir ja gleich abfahren!" "Mir ist es recht." "Gut, dann fahren wir. - Was ist denn da drüben bei der Taverne los? Sieht beinahe so aus, als ob ein Trupp Krieger alles durchsuchte!" "Fahren wir", drängte Nef-Naton plötzlich. Er hatte mit einem Male das Gefühl, daß er keine Minute zu früh von dem Wirtshaus aufgebrochen war. Gül-Gül - wo war sie? Hatte man sie gefangen genommen? Hatte sie ihn verraten? Eine leichte Brise füllte das Segel, die Taue knarrten und das Segelboot löste sich vom Land. Nef-Natons Rechte umklammerte den Dolch, den er unterm Gewand verborgen trug. Lautlos glitt das Boot hinaus auf das nachtdunkle Gewässer...
* Und auch Bethseba starrte gegen den nachtdunklen Himmel. Man hatte sie in einen offenen Käfig geschlossen, welcher unmittelbar neben der Opferstätte stand.
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So hatte sie im bleichen Licht des Mondes den klobigen Stein vor Augen, auf dem sie zu Ehren der Gottheit sterben sollte. Wann würde es sein? Morgen? Übermorgen? Sie wußte es nicht. Aber sie hatte mit dem Leben abgeschlossen und war bereit. Sie dachte an Gül-Gül, der sie heute unterwegs begegnet war. Sie hatte sie erkannt und sie war voll Hoffnung und guter Wünsche für dieses Mädchen. Vielleicht gelang ihr die Flucht... Auch an Prinz Torgo dachte sie in dieser Nacht. Nein, der Prinz hatte sie nicht verstanden. Er begriff nicht, was sie meinte, und doch war es so einfach zu verstehen. Alle wahrhaft großen Dinge sind einfach... Aber gewiß steckte in Torgo ein guter Kern. Es war schade um ihn. Vielleicht - ja, vielleicht hätte man aus ihm einen guten Menschen machen können, vielleicht einen Menschen, der den wahren Weg beschreitet. Aber es blieb keine Zeit mehr, um Prinz Torgo diesen Weg zu weisen. So dachte Bethseba. Sie lehnte an den rohen Stäben des engen Käfigs, in den man sie gesperrt hatte, gleich jenen Raubtieren, von denen sie ab und zu aus nächster Nähe ein dumpfes Gebrüll vernahm. Allmählich verblaßte der Mond, langsam verschwanden die Sterne.
* In der Zitadelle war jetzt wieder alles zum Abmarsch bereit. Hauptmann Alwa hatte seine Krieger antreten lassen, und sie nahmen den Zug der Hoffnungslosen in die Mitte und drängten ihn zum Tor hinaus. "Etwas rascher, ihr Faulen!" rief Alwa. "Macht voran, bald wird es heiß, bald kommt die Sonne! Seht zu, daß wir bis dahin schon ein Stück Weges geschafft haben!" Auch die Soldaten halfen kräftig mit wilden Reden und Drohungen nach. Nimbur marschierte im Zuge der Gefangenen. Er hatte sich, als er als Würdenträger zum Begleiter der Königstochter ausersehen worden war, nicht träumen lassen, daß diese Galeerenfahrt in einem Kupferbergwerk auf Atlantis enden würde. Lustlos und gleichgültig wanderten die Gefangenen dahin. Die Kolonne bewegte sich durch die Stadt und auf eines der Tore zu. Eine staubige, trockene Landstraße nahm sie auf. Im Westen färbten sich die Gipfel der Berge rot im Widerschein des Sonnenballes, der tief im Osten, über der See, aufging. "Dort", rief Alwa, nach den Bergen deutend, "dort müssen wir hin! Dort werdet ihr künftig leben und schuften. Dreht euch noch einmal um nach Atlantis. So eine prächtige Stadt seht ihr nie wieder!" Aber keiner von den Gefangenen wandte seine Blicke. Stumpf und gleichgültig trotteten sie weiter. "Auch gut", knurrte Alwa. "Dann weiter, weiter. . ! Geht, geht schneller, geht voran!" Prinz Torgo sah von der Klippe aus, auf der er an jenem Morgen wieder stand, die graue Kolonne der Gefangenen von der Galeere, wie sie sich langsam über die Straße nach den fernen Bergen zu bewegte. Er verfolgte sie mit seinen Blicken eine ganze Weile.
*
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"Sieh, Herr, dieses Segelboot - es wollte gewiß nach Mantaao, nun ist es aber vom Kurs abgekommen!" riß ihn Jargo aus seinen Träumereien. Jargo wies auf die offene See hinaus, auf welcher sich ein kleines Boot immer mehr vom Lande entfernte. "Das ist aber seltsam", meinte Torgo. Und doch nahm er dieses Bild nicht wachen Sinnes in sich auf. Seine Gedanken weilten anderswo. Und da brachte ihn das Fischerboot auf einen Einfall. "Was meinst du", sagte er zu Jargo, "wenn wir etwas zu Bethsebas Befreiung unternähmen?" "Es ist gefährlich, Herr", meinte Jargo warnend. "Gefährlich? Ich fürchte die Gefahr nicht, und du denkst wie ich, Jargo, ich weiß es. Ich kann nicht daran glauben, daß dieses unschuldige Mädchen auf so grausame Weise ermordet werden soll." "Aber du versündigst dich gegen Bel", gab Jargo zu bedenken. "Wer sagt dir, daß der Hohepriester nicht seine Stimme auf die gleiche Weise vernahm wie du?" schmunzelte Torgo. Jargo schüttelte den Kopf. "Das war anders", sagte er. "Ich habe geschwindelt, aber er nicht. Zugleich mit ihm hörten alle, die im Tempel waren, seine Stimme."' "Dann hat Bel aber gelogen", meinte Torgo. "Ich hörte von Leuten, wie er von dem gesprochen haben soll, was er zu dir sagte, und daß sich sein Wunsch, nichts von der Beute haben zu wollen, nur auf die Habe, nicht aber auf das Blut der Gefangenen bezieht." "So?" staunte Jargo. Beide dachten in diesem Augenblick das Gleiche. "Ob es ein Schwindel ist?" sprach Torgo es aus. "Man müßte Gewißheit haben. Wenn man die Gläubigen hinters Licht geführt hat, dann ist es unsere Pflicht, das Mädchen zu retten." "Reiten wir nach der Stadt zurück", schlug Jargo vor, "und sehen wir, daß wir uns Klarheit verschaffen können." Sie bestiegen ihre bereitgehaltenen Pferde. "Wir müssen es schlau anstellen", brummte Torgo, "der Tempelbezirk birgt unbekannte Gefahren, und die Priester des Bel sind gefährlich..." ENDE
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