Den Namen Albert Schweitzer kennt heute jedes Kind. Alle wissen, daß der „Urwalddoktor“ in Lambarene eine ärztliche Sta...
47 downloads
489 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Den Namen Albert Schweitzer kennt heute jedes Kind. Alle wissen, daß der „Urwalddoktor“ in Lambarene eine ärztliche Station, ein Krankenhaus für die Neger eingerichtet hat. Ist das etwas so Besonderes? Etwas Alltägliches ist es natürlich nicht, wenn auch längst vor Schweitzer Missionare und Ärzte Eingeborenen ferner Länder medizinische Hilfe gebracht haben, ohne daß ihr Name auch nur in Zeitungsartikeln erwähnt worden ist. Also muß noch etwas bei der gewiß bahnbrechenden Tat Albert Schweitzers mitspielen, etwas, das über seinen Beruf als Arzt hinausgeht. Das wollen wir in den folgenden Zeilen zu ergründen suchen. Dazu müssen wir etwas vom Leben Schweitzers wissen, müssen uns darüber klarwerden, wie er zu dem Entschluß kam, „Urwalddoktor“ zu werden. Schweitzer ist der Sohn eines Pastors. In Kaysersberg im Elsässischen wurde er 1875 geboren. Seine Kindheit verlebte er in dem Dorfe Günsbach an den Hängen der Vogesen. Schon als Kind war er von leidenschaftlicher, jähzorniger Natur und be-
gann frühzeitig, an sich zu arbeiten, um die Neigungen, die er als schädlich erkannt hatte, zu unterdrücken. Sein Verhältnis zur Natur war schon in seinen Kinderjahren herzlich, ja, innig. Seine musikalische Begabung zeigte sich früh. In Glaubensfragen war er tolerant erzogen. Mit acht Jahren bereits besuchte er die Realschule in Münster, wo er, 18 Jahre alt, sein Abitur „baute“. Als junger Student zog er in die Universität Straßburg ein und belegte theologische und philosophische Vorlesungen. 1898 bestand er das Examen und blieb vorläufig noch in Straßburg, wo er in demselben Hause wohnte, in dem einst Goethe ein Zimmer hatte. Von Straßburg ging Schweitzer nach Paris und von da nach Berlin, wo er noch einmal die Universität besuchte, um seine Kenntnisse zu erweitern. Mit 24 Jahren promovierte er zum Doktor und hielt als junger Vikar Kindergottesdienste. Er gab auch Religionsunterricht an Schulen. Im übrigen waren seine offiziellen kirchlichen Amtshandlungen nicht gerade zahlreich, und er selber hat bestimmt nicht daran gedacht, als er Theodor und Elli Heuss traute, daß der junge Historiker nach großen Fortsetzung auf der 3. Umschlagseite
Band 201
Von HANS WARREN
Neues Verlagshaus für Volksliteratur GmbH. Bad Pyrmont, Humboldtstraße 2 Mitglied des Remagen er Kreises e. V.
Nachdruck verboten . Alle Rechte, auch das der Übersetzung, Dramatisierung und Verfilmung, von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten Copyright 1930, 1958 by Neues Verlagshaus für Volksliteratur G. m. b. H. Bad Pyrmont Printed in Germany 1958 Druck: Erich Pabel, Druck- und Verlagshaus, Rastatt (Baden) Die Auslieferung erfolgt nur durch Erich Pabel, Verlagsauslieferungen, Rastatt (Baden), Pabel-Haus Verlagsauslieferung in Österreich: Buch- und Zeitschriftenvertrieb Wtlhelm Swoboda, Wien XIV, Penzinger Str. 33 – 37, Stg. IX Verlagsauslieferung im Saarland: Zeltschriften-Großvertrieb J. Klein, Saarbrücken, St.-Johanner Straße 66
„Rolf Torrings Abenteuer“ dürfen nicht in Leihbücherelen geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden
1. Kapitel In einer von dichtem Urwald umwucherten, schmalen Bucht des Kongos ankerte unser Reiseboot. Mitternacht war schon vorüber. Langsam wanderte ich an Deck hin und her. Am Bug hielt Tobo Wache, während meine Aufgabe darin bestand, hauptsächlich das Heck des Fahrzeuges zu beobachten. Der Mond erleuchtete die Umgebung fast taghell, und zwischen dem Boot und dem Ufer lag ein
etwa sechs Meter breiter Wasserstreifen. Niemand konnte somit ungesehen an Bord gelangen. Trotzdem hatten wir bei Einbruch der Nacht nach kurzer Beratung beschlossen, uns selber an den Nachtwachen zu beteiligen, die sonst ausschließlich der Mannschaft überlassen waren. Ein uns entgegenkommender kleiner Dampfer hatte uns gewarnt. Eine Bande, bestehend aus zwei Weißen und ungefähr zehn Negern, machte den Fluß zwischen Bonga und Bolobo unsicher. Eine Anzahl kleinerer Reiseboote war schon überfallen worden. Die französische und die belgische Regierung machten große Anstrengungen, die Bande aufzuspüren, allerdings ohne bisher den geringsten Erfolg zu haben. Der Kapitän des kleinen französischen Dampfers, der uns warnte, war der Ansicht, daß die Bande ihr Versteck in der Nähe der Alemamündung haben müsse; dort hatten nämlich die meisten Überfälle stattgefunden. Infolge unserer üblen Erfahrung mit Flußpiraten, die ich eingehend in früheren Bänden schilderte, nahmen wir uns die Warnung zu Herzen. Ich war für die dritte Wache eingeteilt und hatte Rolf vor einer Viertelstunde abgelöst. Unsere Ankerstelle hatte ihre Vor- und Nachteile. Vom Fluß aus war das Vorhandensein dieser kleinen Bucht kaum zu ahnen, insofern waren wir
vor Entdeckung ziemlich sicher. Waren wir aber einmal entdeckt, konnte die Nähe der Ufer zu beiden Seiten – wie erwähnt je 6 Meter – uns gefährlich werden. Demgemäß war ich auf der Hut und ließ die beiden Ufer nicht aus den Augen. Die üblichen Nachtgeräusche des Urwaldes drangen an mein Ohr. Ab und zu vernahm ich aus der Ferne auch das Brüllen einer Raubkatze. Nahe bei unserem Boot ließ sich aber nichts Verdächtiges hören. Eine Stunde mochte so hingegangen sein, als ich auf dem Wasser einen dunklen Gegenstand zu sehen glaubte. War das der Kopf eines Krokodils? Dazu war er eigentlich zu klein. Es sei denn, es handelte sich um ein Jungtier. Ich trat unwillkürlich an die Bordseite heran. Automatisch hatte ich die Rechte an den Kolben der Pistole gelegt. Da verschwand der Gegenstand unter Wasser und tauchte nicht wieder auf. Vielleicht war es doch der Kopf eines Krokodils gewesen. Ich hatte in der Bucht, als wir in sie hineinfuhren, zwar keine Alligatoren bemerkt, aber das hatte nicht viel zu sagen. Deutlich hatte ich nichts erkennen können, weil der Vorgang sich im Mondschatten der Urwaldbäume abgespielt hatte. Eine Viertelstunde stand ich an der gleichen Stelle. Alles blieb ruhig. Vielleicht war das Ganze eine Täuschung gewesen. Trotzdem unterrichtete
ich Fleet, der mich ablöste von meiner Beobachtung. Wie ich anderntags hörte, waren die weiteren Wachen völlig ereignislos verlaufen. Da ich Gewißheit über die nächtliche Erscheinung haben wollte, bat ich Pongo, das Ufer zu untersuchen. Pongo ruderte bereitwillig hinüber. Kurz nachdem er an Land gestiegen war, rief er herüber: „Masser Warren, hier Mensch gestanden hat und ins Wasser gegangen ist. Pongo deutlich die Spuren sehen kann.“ „Wie alt sind sie, Pongo?“ fragte ich. „Mann vor wenigen Stunden hier gewesen, Pongo glauben, daß Neger gewesen ist, der an anderes Ufer gegangen. Pongo drüben auch suchen wir.“ Nachdem unser Gefährte das rechte Ufer in ziemlich großer Breite abgesucht hatte, fuhr er zurück und begann auch am linken Ufer eine ausgedehnte Suche. Kopfschüttelnd betrachtete er lange Zeit den Boden und rief mir schließlich zu: „Masser Warren, Pongo nicht wissen, wo Mann geblieben ist. Mann weder am rechten noch am linken Ufer wieder an Land gegangen. Mann vielleicht geschwommen bis zum Kongo.“ Rolf und Fleet waren inzwischen zu mir getreten. „Wenn der Mann nicht etwa ertrunken ist, kann es kaum anders sein“, erklärte Fleet. „Sie ha-
ben ihn doch untergehen sehen, Mister Warren, nicht wahr?“ „Wenn jemand im Begriff ist unterzugehen, ruft er um Hilfe“, entgegnete ich. „Also ist der Mann getaucht, bis er außer Sichtweite war. Die Sache ist verdächtig.“ „Zerbrechen wir uns nicht länger den Kopf“, sagte der Amerikaner. „Fahren wir weiter!“ Rolf schien die nächtliche Erscheinung des Mannes nicht ganz leicht zu nehmen. Vielleicht hielt er ihn für einen Spion der Bande, von der uns berichtet worden war. Er äußerte zwar nichts, aber ich kannte ihn gut genug, um eine gewisse Besorgnis an ihm festzustellen. „Wie weit wollen Sie heute noch fahren?“ fragte ich den Amerikaner. „Bis Bolobo!“ antwortete er. „Meinen Sie, ob heute ein Dampfer stromab fährt?“ Fleet schüttelte den Kopf. „Warum fragen Sie?“ „Wir hätten uns ihm anschließen können.“ „Haben Sie Angst vor der Bande?“ „Nicht gerade, aber…“ Ich unterbrach im Satz und schloß mich Fleets Lachen an. Das Boot hatte inzwischen Fahrt aufgenommen. Weil die Bucht zu schmal war, um wenden zu können, mußten wir nach rückwärts herausfahren. Wieder auf dem Kongo, nahm uns der Reiz der
Szenerie bald ganz in Anspruch, und wir dachten nicht mehr an das Vorkommnis. Der Karte nach mußte der Kongo hier schon fünf Kilometer breit sein. Viele kleinere und größere Inseln unterbrachen die Wasserfläche, so daß wir in einem richtigen Labyrinth dahinfuhren. Ich mußte an den Spreewald in Deutschland denken, dessen Landschaftsbild eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Teil des Kongos hat. Der Kenner des Spreewalds muß sich allerdings das Kanalnetz weit verworrener, mannigfaltiger und viel ausgedehnter vorstellen, die Verzweigungen sind so breit, daß man oft die Hauptfahrrinne nicht zu bezeichnen weiß. Statt der Inselchen mit Erlenbestand muß er sich größere, mit Sumpfland bedeckte, vorstellen. Die tropische Vegetation überzieht diese Inseln mit einem schier undurchdringlichen Dickicht. Zwar könnten die graugrünen Büsche der Parinarien und die einförmigen Alchorneen mit ihrem pappelartigen Laub heimische Sträucher und Bäume vortäuschen, aber die dunklen Kopal-bäume und die zähen Rotanglianen, die mit ihren Angelpeitschen und mit den graziösen Wedeln alles durchweben, sorgen für einen völlig fremdartigen Eindruck. Oft flicht sich hier der Rotang zu dichten Beständen zusammen, in denen keine andere Pflanze
hochkommt. Nur die Fruchttrauben der Palme malen weithin leuchtende rote und gelbe Farbflecke in den sonst gleichförmigen Bewuchs. Wie im Spreewald sieht man aber gelegentlich auch im Insellabyrinth des Kongos freie, weite, grüne Flächen. Allerdings bestehen diese teilweise aus einem trügerischen, schwimmenden Krautgeflecht, das durch die Wellen jedes vorüberfahrenden Dampfers in schwingende Bewegung gerät. Häufig reißen sich Teile dieser Flächen los und bilden schwimmende Ambatsch- und Papyrusinseln, die man allenthalben den unteren Kongo hinuntertreiben sieht. Durch dieses Insellabyrinth nun fuhren wir auf dem Boot Fleets, das wir immer noch „unser Nilboot“ nannten, obwohl wir den Nil längst verlassen hatten. Die Gegend war für Flußpiraten wie geschaffen, da sie hier überall Schlupfwinkel fanden. Manche größere Insel war von einem so undurchdringlichen Urwalddickicht bedeckt, daß man Tage gebraucht hätte, um bis in ihr Inneres vorzudringen. Wenn sich Flußpiraten auf einer solchen Insel ihren Stützpunkt eingerichtet hatten, würde man sie dort so leicht nicht aufstöbern können. Auch war die Orientierung in diesem Teil des Kongos sehr schwer, selbst die sonst so untrüglichen Landmarken, die Einmündungen der Nebenflüsse, versagten
hier. Sie gingen in dem Gewirr der Nebenarme unter. Ich stand in Betrachtung versunken an der Backbordseite des Bootes, als Pongo angelaufen kam: „Masser Warren, bitte mitkommen! Fremder Neger an Bord. Pongo auch Masser Torring und Masser Fleet holen.“ Ich folgte ihm und wir fanden Rolf und Fleet am Heck des Bootes, wo Tobo eben die Motoren mit frischem Öl versah. Erstaunt blickten sie auf, als Pongo ihnen einen Wink gab, mit ihm zur Seite zu treten. Der Riese überzeugte sich erst, daß niemand in der Nähe stand, der mithören konnte, dann berichtete er: „Pongo jetzt weiß, Massers, wo Neger geblieben ist, der gegangen ist in Wasser letzte Nacht und nicht wieder aufgetaucht. Pongo hat Mann auf Boot hier entdeckt. Neger sich versteckt halten vorn in Verschlag. Pongo so getan, als ob ihn nicht gesehen hätte, weil erst holen wollte Massers.“ „Sehr gut, Pongo“, lobte der Amerikaner und wandte sich auffordernd an uns. „Den wollen- wir doch gleich unter die Lupe nehmen, meine Herren.“ „Massers, Pongo hinten auf Boot erst alles nachsehen möchte, ob noch mehr Neger gekommen sein an Bord. Massers bitte warten auf Pongo.“
Jetzt wußten wir erst, warum unser Begleiter so geheimnisvoll getan hatte. Er rechnete mit dem Vorhandensein weiterer blinder Passagiere, und wollte erst Gewißheit über die Lage haben, bevor er etwas unternahm. Doch blieb seine Suche erfolglos. Langsam, als hätten wir keine bestimmte Absicht, schlenderten wir dann mit ihm nach vorn. Als wir uns dem Verschlag soweit genähert hatten, daß der darin versteckte Neger uns nicht mehr entkommen konnte, eilten wir auf die schmale Holztür zu. Der Verschlag diente dazu, die Reserveteile der Motoren und des Segels vor Regen und Hitze zu schützen. Pongo riß die Tür auf. Da niemand zu sehen war, trat er ein und warf das Großsegel beiseite, hinter dem der Mann versteckt sein mußte, wenn überhaupt jemand im Raum anwesend war. Verdutzt rollte er# die Augen, als sich nur gähnende Leere enthüllte. Der Neger hatte also Verdacht geschöpft und sich entfernt, während Pongo uns herbeiholte. Wir befragten die Neger, die in der Nähe des Verschlages sich aufhielten. Sie hatten nichts gesehen und auch auf den Verschlag gar nicht geachtet. Wir stellten ein Suchkommando zusammen und durchforschten planmäßig das ganze Boot. Nach einer Stunde war es gewiß, daß der blinde Passa-
gier unmöglich noch an Bord sein konnte. Wahrscheinlich hatte er sich gleich hinter dem Verschlag ins Wasser gelassen, war eine Strecke weit getaucht und auf eine der zahlreichen Inseln zugeschwommen, ein Unternehmen, das wegen der vielen Krokodile ein ziemliches Wagnis war. Enttäuscht stellten wir die Nachforschungen ein. Wir wußten nicht, ob es sich um einen harmlosen Mann gehandelt hatte, der billig und schnell eine Strecke auf dem Kongo hatte mitkommen wollen, oder um einen Spion der Flußpiraten. Für jeden Fall schärften wir der gesamten Besatzung größte Wachsamkeit ein und organisierten einen systematischen Ausguck nach allen Seiten. Ich war für den Augenblick frei und gab mich wieder dem Zauber der Landschaft hin. Nach geraumer Zeit störte mich ein Ausruf Pongos auf. „Massers, Kanu kommen, weißer Mann darin sitzen.“ Tatsächlich hielt ein Boot auf uns zu, das ein Weißer in Tropenkleidung ruderte. Nach den Zeichen, die er schon von weitem gab, wünschte er an Bord zu kommen. „Weiter hinten zweites Boot“, rief Pongo. Wir nahmen die Gläser hoch, um einen entfernten Punkt zu untersuchen, den Pongo ebenfalls für ein Boot halten mochte. Er hatte sich nicht getäuscht. Es war ein schnittiges, von drei Schwarzen
besetztes Kanu. Als wir es ausgemacht hatten, zog es gerade aus der Hauptfahrrinne ab und verschwand in der Inselwirrnis. Fleet ließ den Motor abstellen, um dem Ankömmling das Übersteigen zu ermöglichen. Als der Ruderer längsseits war, schwang er sich geschickt aus dem Kanu zu uns an Bord und trat höflich grüßend zu uns. „Ich freue mich sehr, Ihr Boot getroffen zu haben, meine Herren“, begann er. „Ich befinde mich auf der Flucht und kenne mich in der Wirrnis der Inseln nicht aus. Ich heiße Jackson und stamme aus Borna. Mein Boot wurde gestern von Flußpiraten überfallen. Meine Besatzung und ich wurden gefangengenommen. In der Nacht gelang es mir zu entfliehen. Aber man ist mir bereits wieder auf der Spur, ohne Ihre Dazwischen-kunft wäre ich verloren. Ich konnte meine Waffen nicht zurückgewinnen und hätte keine Möglichkeit, meine Verfolger abzuwehren.“ Rolf stellte sich und uns vor und bat Jackson auf der „Veranda“ Platz zu nehmen. Dabei gab er Fleet einen Wink, das Boot vorerst nur treiben zu lassen. Da der Mann ziemlich erschöpft war, ließen wir Erfrischungen und Speisen bringen, deren er sich gerne bediente. Sobald er sich gestärkt hatte, bot ihm Rolf zu rauchen an und begann die Unterhaltung.
„Wo wurden Sie überfallen, Mister Jackson? Sie müssen während der Nacht eine ansehnliche Strekke zurückgelegt haben.“ „Im Gegenteil! Bald nach meinem Entrinnen versteckte ich mich am Ufer einer Insel, um den Tag abzuwarten. Auf dieser Insel machte ich dann eine merkwürdige Entdeckung, meine Herren. Ich war an einer verhältnismäßig wenig bewachsenen Stelle an Land gegangen und suchte einen bestimmten Umkreis ab, teils um mir die Füße zu vertreten, teils um mich wenigstens der nächsten Umgebung zu versichern. Dabei stieß ich auf einen breiten Pfad, der sich zum Innern der Insel hinzog. Aus Wißbegierde schlich ich auf ihm ein Stück entlang. Schon nach einigen hundert Metern stand ich vor dem Tor einer hohen Umzäunung. Bei dem hellen Mondlicht der gestrigen Nacht fand ich unschwer eine Ritze, durch die ich das Innere des Krals betrachten konnte. Was glauben Sie wohl, meine Herren, was dort war?“ Er sah uns der Reihe nach erwartungsvoll an, wobei ihm die Vor freude über unsere kommende Überraschung, mit der er zweifellos rechnete, aus den Augen leuchtete. „Sicher das Lager der Flußpiraten!“ rief Fleet wie elektrisiert. „Nein, etwas anderes!“ sagte Jackson nun richtig triumphierend. „Ich glaubte zuerst auch, auf das
Lager der Flußpiraten gestoßen zu sein, aber ich erblickte hinter den Pfählen zu meinem Erstaunen Urwald, wie vor den Pfählen, durch den der Weg weiterführte und zwar – denken Sie meine Herren – , auf eine Lichtung mit einer riesigen Figur aus Stein. Ich meinte, in Indien zu sein und einen überlebensgroßen Buddha vor mir zu haben. Das war nun allerdings eine Sinnestäuschung beim ersten Eindruck, denn bei näherem Zusehen stellte sich die Figur als ein großer Affe dar. Ein kunstvoll nachgebildeter, großer Affe, auf einem Postament, vielleicht einer Art Opfertisch. Und das hier im Regenwald des Kongos!“ Wir blickten den Mann und dann uns erstaunt an. Was er vorbrachte, war reichlich phantastisch. Nach einer etwas peinlichen Pause sagte Rolf: „Sie müssen sich getäuscht haben, Mister Jackson. Eine solche Statue – in dieser Gegend – wäre ein umwälzender wissenschaftlicher Fund.“ Rolf hatte nur zu recht. Die Figur – wenn sie wirklich vorhanden war – setzte einen vorgeschichtlichen Kulturzustand der Kongobevölkerung voraus, von dem bisher kein Wissenschaftler auch nur geträumt hatte. Immerhin – gerade Afrika wartete nicht nur hinsichtlich der Tierwelt immer wieder mit den unglaublichsten Überraschungen auf. In Gebieten, die man für ebenso Vorge-
schichtslos wie das Kongogebiet gehalten hatte, waren schon die erstaunlichsten Funde zutage getreten und hatten die Meinung der Wissenschaft umgestürzt. Waren nun wir auf der Spur einer umwälzenden Entdeckung? Ich fühlte eine ungeheure innere Erregung in mir aufsteigen. Jackson weidete sich offensichtlich an unserer großen Überraschung. „Ich habe mich nicht getäuscht, meine Herren“, sagte er fast angriffslustig, „und kann Sie jederzeit zu der Insel führen. Allerdings muß ich Ihnen sagen, daß es mir persönlich wichtiger ist, meine Verfolger loszuwerden. Nachdem ich mich aber in Ihrer Gesellschaft und auf Ihrem Boot in ziemlicher Sicherheit befinden dürfte, bin ich dazu bereit, wenn Sie es wünschen. Falls Sie die Gelegenheit zu einer Forschungsexpedition wahrnehmen wollen, muß ich aber raten, das Unternehmen bei Nacht durchzuführen.“ „Natürlich fahren wir hin“, rief Fleet begeistert. „Aber warum sollen wir nur nachts dort landen? Bei Tag sieht man doch alles viel besser.“ „Und wird auch viel leichter bemerkt, Mister Fleet! Was meinen Sie dazu, Mister Torring?“ „Sie werden recht haben, Mister Jackson. Wir wollen die Insel lieber am Abend aufsuchen. Jetzt können wir ruhig weiterfahren und in der Nähe der Insel Anker werfen, um sie von weitem zu beob-
achten. Übrigens, wir sahen Ihnen ein von Schwarzen bemanntes Kanu folgen und dann vom Hauptarm abbiegen. Waren das die Verfolger, von denen Sie sprachen?“ „Ich möchte das annehmen“, erwiderte Jackson. „Sie werden begreifen, daß ich keine Lust hatte, mich dessen aus der Nähe zu vergewissern. Das „Verschwinden des Bootes bei Ihrer Annäherung dürfte Ihre und meine Vermutung bestätigen.“ Rolf nickte zustimmend, und Fleet erhob sich, um das Boot wieder in die Strömung steuern zu lassen. Wir anderen baten Jackson zum Bug, von wo aus wir bessere Beobachtungsmöglichkeit hatten. Der Amerikaner hatte keinen Motor anwerfen lassen, weshalb wir uns langsam aber geräuschlos der Stelle näherten, wo vor einer halben Stunde das verdächtige Kanu verschwunden war. Hier gab es eine ganze Anzahl kleiner, schmaler Nebenkanäle, die wir unmöglich absuchen konnten, weshalb wir die Sache auf sich beruhen ließen.
2. Kapitel Außer den Verfolgern Jacksons waren vermutlich keine Flußpiraten in der Nähe. Die Stelle, wo Jacksons Reiseboot überfallen worden war, befand sich
noch in ziemlich großer Entfernung. Wir baten nun unseren Gast zu berichten, wie sich alles zugetragen hatte. Vor allem interessierte uns, ob auch Weiße beteiligt waren. „Nein“, antwortete Jackson auf Rolfs Frage. „Wenigstens habe ich keinen gesehen. Als ich am Ufer des Kongos ankerte, drangen aus dem Dikkicht etwa zehn Schwarze hervor. Ehe ich überhaupt an Verteidigung dachte, hatten sie meine schwarzen Begleiter überwältigt und mich niedergerungen.“ „Wir müßten den Versuch machen, Ihre Begleiter zu befreien“, meinte Rolf. „Das ist nicht nötig“, erwiderte Jackson. „Gewöhnlich lassen die Flußpiraten die Eingeborenen nach kurzer Zeit wieder laufen, weil sie kein Lösegeld einbringen. Um meine Begleiter brauchen wir uns also nicht zu sorgen. Wenn wir die geheimnisvolle Insel besucht haben, könnten wir versuchen, das Lager der Piraten aufzuspüren, falls Sie etwas Besonderes tun wollen, wozu Sie als Durchreisender aber vermutlich wenig Lust haben.“ Rolf ließ diesen Punkt unerörtert und kam hartnäckig auf seine erste Frage zurück. „Wie uns der Kapitän eines französischen Dampfers berichtete, Mister Jackson“, erklärte er, „sollen die Piraten von zwei Weißen angeführt
werden. Ich wundere mich, daß Sie keinen gesehen haben.“ „Vielleicht blieben sie im Hintergrund oder die Schwarzen haben auf eigene Faust etwas unternommen. Ich wurde – das möchte ich nicht verschweigen – recht gut von ihnen behandelt. Sie verlangten aber ein hohes Lösegeld, andernfalls sie mich den Krokodilen als Futter vorwerfen würden. Auch das kann übertrieben gewesen sein.“ Ich ahnte, warum Rolf die Kunde von weißen Flußpiraten beunruhigte. Er dachte an den Piratenhäuptling „the black spirit“, dem wir am oberen Kongo das Handwerk gelegt hatten. Er war damals aber entkommen, und es war durchaus möglich, daß er sein „Arbeitsfeld“ verlegt und hier eine neue Bande zusammengestellt hatte (siehe Band 194 „In schwerer Gefahr“). Wenn es sich wirklich um den „Schwarzen Geist“ handelte, mußten wir uns in acht nehmen. Er würde alles daransetzen, uns wieder in die Hände zu bekommen, um sich an uns zu rächen. Da mein Freund Jackson gegenüber, „the black spirit“ nicht erwähnte, schwieg auch ich. Ich verließ die beiden und trat zu Fleet. „Haben Sie wieder einmal an „the black spirit“ gedacht?“ fragte ich ihn. Er sah mich verblüfft an.
„Sie meinen also, der Piratenhäuptling, der diese Gegend unsicher macht, ist unser alter Freund vom oberen Kongo. Nun, unmöglich wäre das nicht.“ „Auch mein Freund scheint das stark zu vermuten, verschwieg aber Jackson seinen Verdacht. Wie gefällt Ihnen der Mann?“ „Er gefällt mir eigentlich ganz gut. Sein Benehmen ist offen und natürlich. Wenn ich an den ,Schwarzen Geist’ und an unseren blinden Passagier denke, ist mir sein Auftauchen aber nicht ganz geheuer.“ „Und seinen Bericht von der geheimnisvollen Insel? Halten Sie den für Wahrheit?“ „Tja, ich weiß nicht“, meinte Fleet. „Reichlich phantastisch, aber wir werden ja sehen. Jedenfalls,Mister Warren, bin ich furchtbar gespannt. Das wäre eine Sache – eine Bombenreportage! Stellen Sie sich die Augen meiner früheren Kollegen vor: Ausgerechnet ein Reporter im Ruhestand läßt den ,Knüller des Jahres’ los.“ Ich mußte herzlich in Fleets Lachen einstimmen und schlenderte zu Rolf zurück, der sich von Jackson gelöst hatte und uns entgegenkam. „In zwei Stunden haben wir die Insel erreicht, von der Mister Jackson sprach“, empfing mich Rolf. „Ein Versteck für unser Boot zu finden, sollte nicht schwer sein. Ich glaube, die kommende Nacht werden wir allerhand erleben, Hans.“
Bei den Worten blickte mich Rolf mit einem Ausdruck an, in dem sich Tatenlust oder versteckte Bedeutung geheimnisvoll mischten. Indessen konnte ich das Thema nicht aufnehmen, denn Jackson gesellte sich wieder zu uns. Aber ich begriff ohnehin, was Rolf ausdrücken wollte. Er glaubte nicht an das Vorhandensein der merkwürdigen Statue. – Er witterte einen Hinterhalt der Piraten! Es ging schon auf Mittag zu, als Jackson uns die Nähe der geheimnisvollen Insel verkündete. „Wenn wir die nächste Biegung genommen haben, meine Herren“, sagte Jackson, „können wir die Insel schon liegen sehen. Die Insel rechts vor der Flußbiegung besitzt eine kleine Bucht, in die Sie das Fahrzeug steuern lassen können, Mister Fleet. Wenn wir uns dort durch die Büsche vorarbeiten, sehen wir die andere Insel schräg gegenüber vor uns. Einen besseren Beobachtungsstand finden wir nirgendwo.“ Rolf warf uns einen bedeutungsvollen Blick zu. Er dachte dasselbe wie wir, wie nämlich Jackson so gut Bescheid wissen könne, wenn er, wie er behauptete, hier nur während der Nachtstunden gewesen war. Dann setzte aber Jackson hinzu. „Ich kam im Morgengrauen hier vorüber, und sehe nun, da,ß es mir geglückt ist, mir die Lage gut genug einzuprägen, um das geheimnisvolle Eiland wieder zu finden.“
Nun, das klang sehr natürlich. Jedenfalls wäre es falsch gewesen, Mißtrauen zu zeigen, und Fleet gab auf Rolfs Aufforderung die nötigen Anweisungen, um in der Bucht beizulegen. Rolf schickte sofort Pongo aus, sich auf der Insel etwas umzusehen. Da Jackson das gar nicht zu beachten schien, schwand mein Mißtrauen gegen ihn etwas. Wenig später saßen wir beim Mittagessen und besprachen die bevorstehende Unternehmung. Noch einmal versicherte uns Jackson, daß wir alles so vorfinden würden, wie er es beschrieben hatte. Er riet uns, die Insel während des Tages nicht aus den Augen zu lassen, um feststellen zu können, ob die Flußpiraten auf ihr zu Hause wären. Wenn Jackson wirklich mit den Flußpiraten in Verbindung stand, machte er jedenfalls seine Sache recht geschickt. Am Nachmittag lagen wir hinter Büschen versteckt am Ufer und blickten zu der geheimnisvollen Insel hinüber. Sie war sehr dicht bewachsen. Nirgends zeigte die Pflanzendecke über ihr ein Anzeichen – etwa eine feine Linie – – , das auf einen breiten Pfad deutete, der sie durchziehen sollte. Auch sonst war unsere Beobachtung vergebens, kein Geräusch tönte herüber, keine Bewegung war zu sehen. Langsam vergingen die Stunden. Noch bevor sich die Dunkelheit über die Erde senkte, gingen wir zum Boot, um zu Abend zu essen, und
machten uns bereit, mit Beginn der Dämmerung im Beiboot hinüberzufahren. Endlich war es soweit. Mit Jackson und Pongo an Bord ruderten wir zur Insel hinüber und versteckten unseren Kahn im dichten Ufergebüsch. Es war hier tatsächlich eine Stelle mit geringem Bewuchs. Jackson führte und deutete schließlich auf ein Buschwerk. Wir durchdrangen es und fanden alles so, wie er es gesagt hatte. Ein Pfad zog sich zum Innern der Insel hin. Wir betraten ihn mit größter Vorsicht. Pongo eilte uns wie immer sichernd voraus. Nach einigen hundert Metern kamen wir an eine Umzäunung, die quer über den Weg verlief. Bisher hatte alles gestimmt, was Jackson gesagt hatte. Jetzt kam es darauf an, ob wir hinter der Palisade auch die Affenstatue sehen würden. Wenn das der Fall war, hatten wir wenig Ursache, Jackson noch zu mißtrauen. Jackson wurde nicht verlegen, als Rolf ihn bat, uns zu der Stelle zu führen, wo man durch die Umzäunung hindurch in das Innere des Krals sehen könnte. Er führte uns ein Stück seitwärts und deutete auf einen Spalt in die Umzäunung. Kaum hatte Rolf hindurchgeblickt, als er leise durch die Zähne pfiff, zurücktrat und Fleet und mich hindurchschauen ließ.
Tatsächlich – in einiger Entfernung war eine Lichtung mit einer Statue auf einem Sockel. Da der Mond noch nicht aufgegangen war, konnte ich nicht erkennen, was sie darstellte. Den Umrissen nach zu urteilen, konnte es sich aber sehr wohl um einen Affen handeln. „Wollen wir eindringen?“ fragte Fleet meinen Freund leise. „Natürlich, deshalb sind wir doch hergekommen! Versuchen wir, ob sich das Tor öffnen läßt.“ „Ich habe es noch nicht untersucht“, erklärte Jackson. „Kommen Sie mit, meine Herren! Sicherheitsschlösser wird man hier ja nicht kennen.“ Rasch folgten wir Jackson zum Tor zurück. Dort stand Pongo, und erklärte, es sei nur durch einen von innen vorgeschobenen Balken gesichert. „Pongo über Zaun steigen und Tor von innen öffnen wird!“ war unser schwarzer Gefährte gleich zur Hand. Rolf nickte ihm zu; wir stellten uns so an die Palisade heran, daß Pongo auf unsere Schultern steigen konnte. Von da aus konnte er den oberen Rand der Umzäunung erfassen und sich hinaufziehen. Suchend blickte er sich oben sekundenlang um, dann schwang er sich hinüber. Gleich darauf hörten wir, wie der schwere Balken am Tor zurückgelegt wurde. Im nächsten Augenblick sprang das Tor auf,
und wir konnten das Innere der Umzäunung betreten. Rolf wollte das Tor weit offen lassen, aber Jackson meinte, dies würde uns verraten, falls sich von außen jemand nähern sollte. Wir stimmten ihm bei, und so schlossen wir nicht nur das Tor, sondern legten auch den Balken wieder vor. Vorsichtig schritten wir weiter; ein Pfad führte auf die Lichtung mit der Statue. Je näher wir ihr kamen, desto deutlicher konnten wir sie erkennen. Es war tatsächlich ein Affe, den die Figur darstellte, ein Gorilla in Überlebensgröße. Als wir dicht vor dem Bild standen, erkannten wir, wie großzügig es stilisiert war. Die Gesichtszüge des Affen, die Gliedmaßen, die Haltung, alles nur angedeutet und doch großartig wirkungsvoll! Wir standen wie gebannt. Das war tatsächlich eine Schöpfung aus der Urzeit der Menschheit. Die Statue war ein typisches Erzeugnis der unerreichbaren Symbolkunst primitiver Völker. Jahrtausende vielleicht sahen auf uns herab. Wir alle, sogar Pongo, standen ergriffen. Mit einer gewissen Scheu streckte ich die Hand aus, um den Ehrfurcht gebietenden, grau verwitterten Stein zu berühren. Die Glätte, die ich unter meiner Hand fühlte, ließ einen unbestimmten Verdacht in mir aufsteigen. Sie paßte nicht zu dem Eindruck der Verwitterung. Mehr unwillkürlich als
überlegt pochte ich mit der geballten Faust dagegen. Mit dem hohlen Laut, der meinem Klopfen antwortete, überfiel mich die blitzartige Erkenntnis, daß wir in der Falle saßen. Die Statue war eine Attrappe! Aber es war schon zu spät! Ein Schlag traf mich von rückwärts über den Kopf, ich fühlte mich wanken und Dunkelheit stürzte auf mein Bewußtsein. Mein letzter Gedanke galt Jackson, dem Meister verräterischer Heuchelei. * Als ich wieder erwachte, war es noch Nacht. Ich fühlte mich an Händen und Füßen gefesselt. Allmählich ordnete ich meine Gedanken. Langsam fiel mir ein, v/ie alles sich zugetragen hatte, und ein furchtbarer Zorn auf Jackson kam über mich. Ich wälzte mich seitwärts, um festzustellen, ob jemand in der Nähe lag. Als ich gegen einen Körper stieß, der sich leicht bewegte, fragte eine Stimme: „Sind Sie es, Mister Warren? Ich glaube, wir sind schlimm daran. Haben Sie eine Ahnung, wer uns niederschlug?“ Der diese Worte gesprochen hatte, war – Jackson.
„Sie, Jackson!“ rief ich, wie aus allen Wolken gefallen. Jackson lachte: „Ich sehe, Sie hielten mich für einen Verräter. Nun, das ist verständlich. Fast tut es mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, denn unsere Lage scheint wenig erfreulich.“ „Woher wußten Sie denn, daß gerade ich hier liege, Mister Jackson?“ „Ich glaubte Sie zu erkennen, als vor einer Viertelstunde jemand hereinleuchtete, war mir aber nicht sicher.“ „Also sind wir in einer Hütte?“ „Ja – wir beide, wo die anderen sind, weiß ich nicht.“ „Hat es einen Kampf gegeben?“ „Offenbar nicht. Ich hörte den Schlag auf Ihren Kopf, dann hatte es mich auch schon erwischt.“ „Sicher waren es diese Piraten!“ „Ganz bestimmt. Der Mann, der hereinsah, gehört zu ihnen, ich habe ihn wiedererkannt.“ Eine Weile war es still zwischen uns. Dann fing Jackson die Unterhaltung wieder an: „Hoffentlich haben die Burschen Ihr Boot nicht entdeckt, sonst sitzen wir hier fest.“ „Das klingt, als hätten Sie eine Idee, wie wir das Boot erreichen könnten.“ Jackson lachte wieder: „Das gerade nicht, aber deswegen gedenke ich nicht aufzugeben.“
„Da haben Sie recht!“ sagte ich, und gab mir zu, mich in Jackson getäuscht zu haben. „Still, Mister Warren, ich glaube, es kommt jemand. Ich bin gespannt, was man von uns will.“ „Vor allem natürlich ein Lösegeld! Aber verlassen Sie sich darauf, von uns erhält er keinen Cent.“ Die Matte vor dem Eingang wurde zurückgeschlagen. Heller Lichtschein drang in die Hütte hinein. Ein großer weißer Mann erschien, dem ein Neger folgte, der eine brennende Fakel trug. Ich erkannte den Weißen sofort wieder. Es war wirklich der Pirat, dem wir schon einmal das Handwerk legten. Er blieb vor mir stehen und sagte lächelnd: „Sie hatten bestimmt nicht gedacht, mich noch einmal wiederzusehen!“ „Tatsächlich. Ich hätte diese Anhänglichkeit nicht erwartet!“ „Ich war stets in Ihrer Nähe und sehnte den Augenblick herbei, Sie wieder in meine Hände zu bekommen. Meine Kundschafter teilten mir laufend mit, wo Sie sich mit Ihrem Boot befanden. Jetzt ist es soweit! Jetzt kann ich Ihnen endlich meinen Dank aussprechen für das, was Sie mir antaten.“ Bitterer Hohn klang in den Worten mit. Ich erwiderte nichts. Auch der Pirat schwieg eine Weile. Dann begann er wieder: „Hoffen Sie nicht darauf, wieder einen Trick landen zu können, oder schlimmstenfalls mit einem
Lösegeld davonzukommen. Ihr Schicksal ist besiegelt! Sie sind mir nicht nur zu gefährlich, ich habe zuviel an Ihnen zu rächen. „Vielleicht versüßt es aber Ihr Schicksal, daß Sie auf keinen gewöhnlichen Trick hereingefallen sind. Diese hübsche Niederlassung hier habe ich allein für Sie eingerichtet. Jackson allein, so gerieben er ist, wäre ein zu durchsichtiger Köder für Sie gewesen, da mußte schon noch etwas anderes her. Ist doch auch für einen Piraten etwas wert, sich etwas archäologische Bildung angeeignet zu haben.“ Damit beugte sich der Pirat nieder und durchschnitt Jacksons Fesseln. „Verdammt“, sagte dieser, „warum hast du mich solange warten lassen! Diese Burschen könnten ihre Kalbsaugen besser aufsperren, welcher Idiot hat mir denn eins auf den Kopf gegeben?“ Während Jackson sich aufrichtete und seine Gelenke zu massieren begann, kicherte Black Spirit belustigt. „Was mußtest du auch deine Nase so nahe an das Kunstwerk halten. Aber tröste dich, du Banause, es war ein Opfer im Dienst der Wissenschaft.“ Erstarrt hatte ich Jacksons Befreiung verfolgt und der Unterhaltung der beiden Gauner zugehört. Zunächst konnte ich vor Wut über Jackson und auch über mich, der ich trotz aller Vorbehalte auf
ihn hereingefallen war, nicht sprechen. Dann stieß ich hervor: „Sie Schuft, Sie gemeiner! Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, werden Sie als erster von ihr ereilt! Und es gibt sie, Jackson, es gibt sie!“ Jackson stand jetzt höhnisch lachend auf und sagte: „Sieh an, Sie sind nicht nur ein Träumer in Dingen der Kunst und der Wissenschaft, Sie haben es ja auch mit der Religion. Als guter Christ sollten Sie aber jetzt an Ihre eigenen Sünden denken. Ich schätze jedenfalls, Black Spirit hat schon eine Grube auswerfen lassen, die Sie und Ihre Freunde demnächst aufnehmen wird.“ „Ich bin ein fürsorglicher Mann, Jackson“, lachte jetzt Black Spirit häßlich. „Ich werde jedem Gelegenheit zu mehr als einem Stoßgebet geben, wenn sie nämlich Stück für Stück auseinandergerissen werden. Komm jetzt!“ Lachend entfernten sich die Banditen und ließen mich wütend und beunruhigt über das Kommende zurück. Als es draußen tagte, wurde die Matte zurückgeschlagen und zwei große Neger traten ein. Wortlos ergriffen sie mich und trugen mich hinaus. Jetzt sah ich, daß am Rand der Lichtung kleine Hütten standen, die wir in der Nacht nicht bemerkt hatten. Sie dienten den Piraten nicht als Wohnung, sondern
waren, wie ich später erfuhr, für die Aufnahme der Gefangenen bestimmt. Dicht vor dem Affenstandbild wurde ich zu Boden gelegt. Kaum war es geschehen, als andere Neger die Gefährten herbeitrugen. Auch Pongo sollte anscheinend von seinen Landsleuten nicht geschont werden; er war besonders schwer gefesselt. Als wir alle in „Reih und Glied“ lagen, schlenderten Black Spirit und Jackson herbei. Letzterer trat lässig an Fleet heran, betrachtete ihn höhnisch lächelnd und sagte: „Na, Fleet, großer Reporter, was wird nun aus Ihrem Knüller?“ Ich sah zu Fleet hinüber. Er schluckte mit übermenschlicher Kraftanstrengung seine Wut hinunter und sagte dann mit aufreizender Freundlichkeit: „Sie haben ein so hübsches, liebes Kinn, Jackson. Wenn ich Gelegenheit habe, knülle ich Ihrem lieblichen Auswuchs einen hin, daß Sie bestimmt das Aufstehen vergessen. Das wird dann der ,Knüller meines Lebens’, Freundchen.“ Trotz meiner schlimmen Lage mußte ich innerlich lachen, über Fleet nicht weniger als über Jackson. Fleets „Knüller“ saß ausgezeichnet. Jackson War eitel und sein hervortretendes, ziemlich häßliches Kinn schien sein wundester Punkt zu sein. Er schluckte krampfhaft, wurde fast grün vor Wut und konnte sich nicht einmal mit einer passenden Ant-
wort erleichtern, obwohl er sichtlich, aber vergeblich nach einer solchen rang. Sogar Black Spirit machte die Sache Spaß, aber er kam seinem schurkischen Genossen doch zu Hilfe. „Sie werden noch genügend Gelegenheit erhalten, Gentlemen. mit Ihren Fäusten zu ,knüllern’. Glauben Sie mir, ausreichend auch für Ihren Geschmack. Sie werden völlig .freie Hand’ hier innerhalb der Umzäunung haben. Aber stecken Sie Ihre Reporter- und Gelehrtenköpfchen nicht über die Umzäunung, wenn Sie nicht von den Speeren meiner Neger unangenehm gekitzelt werden wollen.“ „Innerhalb der Umzäunung sollen wir uns frei bewegen dürfen“, fragte Rolf erstaunt. „Allerdings! Sie können aber auch im Sitzen meine Rache erwarten. Ganz, wie es Ihnen Spaß macht. Ich denke aber, Sie werden einen Marathonlauf vorziehen.“ Nun ahnte ich, was kommen würde. Wir sollten um unser Leben kämpfen. Und dieser Unmensch würde uns einem Gegner gegenüberstellen, der uns, waffenlos wie wir waren, zerfleischen würde. Und diese Bestie von einem Flußpiraten würde vermutlich noch das Schauspiel seiner Rache mit eigenen Augen genießen wollen, wie seinerzeit verkommene römische Cäsaren sich an öffentlichen Blutbädern ergötzten.
Auf einen Wink des Piratenkapitäns zogen sich die Neger zurück und verließen den Kral. Er selber näherte sich Fleet und löste ihm die Handfesseln. „So, nun können Sie knüllen“, sagte er. Dann schritt er ebenfalls dem großen Eingangstor zu, an dem jetzt ein Riegel von außen angebracht und vorgelegt wurde. Fleet wartete nicht erst ab, bis sich Black Spirit entfernt hatte, sondern knotete eilig seine Fußfesseln auf und befreite zunächst Pongo, weil er der Stärkste von uns war. Kurz darauf waren wir alle frei. Suchend sahen wir uns nach allen Seiten um; wir konnten keinen Gegner erblicken. Der Kral war nicht allzugroß. Außer der Lichtung umschloß er rings noch einen schmalen Waldstreifen, der wohl für Schattenplätze zu jeder Tageszeit sorgen sollte. Ich hatte etwa 20 Neger gezählt, die jetzt wahrscheinlich alle außerhalb der Umzäunung verteilt waren und uns am Überklettern hindern würden, falls wir den Versuch machen sollten. „Jeder von uns muß sich zunächst eine Waffe suchen“, schlug Rolf vor. „Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun bekommen werden. Ein handlicher Prügel ist auch eine Waffe, die nicht zu verachten ist.“ Wir waren einverstanden. Gerade als wir uns brauchbare Äste abknicken wollten, setzte ein Ge-
räusch ein, das wir nur allzugut kannten, das grauenerregende, bis zu ohrenzerreißender Stärke anschwellende Gebrüll eines – Gorillas! Wenig später hörten wir auch das Trommeln, das er hervorbringt, wenn er sehr eregt ist: er pocht sich dann mit beiden Fäusten so ungeheuer schnell und hart gegen die Brust, daß es wie Trommeln klingt. Woher hatten die Piraten den Menschenaffen? Einen Gorilla! Das Gorillastandbild war nicht nur ein guter Köder für Globetrotter, sondern auch ein grimmiger Witz. Und jetzt sollten wir dem riesigen Menschenaffen nur mit den Fäusten entgegentreten. Rolf musterte die Bäume und rief, während sich das Gebrüll näherte: „Auf die Bäume! Sie sind unsere einzige Rettung.“ „Ein Gorilla kann auch klettern!“ wandte Fleet ein. „Gewiß! Aber er tut es nur ungern. Wir müssen bis zu den schwächeren Ästen hoch, die uns, aber nicht mehr ihn tragen.“ „Massers schnell folgen müssen! Pongo wissen, was Massers unternehmen müssen!“ ließ sich unser Schwarzer vernehmen. Damit eilte er in eine Richtung, in der man sich von dem Gebrüll des Affen entfernte, es uns überlassend, ihm sofort zu folgen. Wir besannen uns nicht eine Sekunde und hatten bald den Waldstreifen auf der gegenüberliegenden Seite erreicht. Hier
kamen wir nicht mehr so schnell vorwärts, weil die alles überwuchernden Lianen den Weg versperrten. Dort stand Pongo schon am Fuße eines dicken Baumes und deutete uns an, ihn zu erklettern. Wir taten es und waren bald im dichten Laubwerk verborgen. Pongo blieb – ich erschrak darüber heftig – unten und entfernte sich jetzt sogar. Er schritt auf die Lichtung zurück, die wir von unserem luftigen Sitz aus gut übersehen konnten. Dort stand hochaufgerichtet ein riesiger Gorilla, der sich suchend nach allen Seiten umblickte. Als er Pongo gewahr wurde, ging er schwankend, wie es seine Gangart ist, auf unseren treuen Begleiter zu. Pongo schien jedoch nicht die Absicht zu haben, ihn zu erwarten. Er schlug einen Haken und eilte zu dem Waldstück hinüber, aus dem der Gorilla gekommen war. Der Menschenaffe folgte ihm, indem er die Arme mit zum Springen benutzte. Trotz der beschleunigten Gangart des Tieres war Pongo schneller. Beide verschwanden Sekunden später im Wald. Wir erwarteten nun, daß er einen Haken schlagen und zurückkehren würde. Aber wir sahen uns vergeblich nach ihm die Augen aus. Ab und zu – in längeren Abständen – vernahmen wir das Gebrüll des Gorillas und fürchteten jedesmal für unseren Gefährten. Fast eine Stunde ging das so.
Plötzlich erschrak ich heftig: auf dem großen Nebenbaum hatte es verdächtig geraschelt und in den Zweigen geknistert. Unwillkürlich riß es uns herum. Wen sahen wir? Pongo! Er schwang sich an einer Liane, die er pendeln ließ, vom Nachbarbaum zu uns herüber. Leise berichtete er: „Massers, Pongo Gorilla getäuscht hat. Affe glaubt Pongo auf hohem Baum und wartet unten. Er versuchte zweimal zu klettern hinauf, zweimal aber umgekehrt. Affe wahrscheinlich gelebt hat von Kindheit an in Gefangenschaft, er nicht sehr gewandt sein. Pongo auch entdeckt, daß an Zaun drüben großer Käfig steht, worin Affe hierhergebracht wurde. Dort auch außerhalb von Zaun Neger warten. Pongo von Baum aus weitergeklettert und hierher geeilt sein. Neger haben Zaun ganz umstellt, aber Pongo schon wissen, wie Massers entkommen können. Massers auch von Baum zu Baum klettern müssen, dann Neger nicht merken, wenn weit draußen Massers wieder hinabsteigen von Baum.“ Pongos Vorschlag wies zweifellos den Weg, auf dem wir hoffen konnten, zu entkommen. Jch hatte selbst schon daran gedacht und Fleet sicher auch. Wir beide hatten uns ja auf diesem Gebiet schon bestens bewährt (siehe Band 198: „Ein Schurkenstreich“).
„Gut Pongo“, sagte Rolf. „Hallo, Hans, du und Fleet werden mir jetzt nichts mehr Äffisches voraushaben. – Hoffentlich kommt uns der Gorilla nicht nach.“ „Er drüben aufpassen auf Pongo, glauben, daß Pongo noch immer sitzen oben auf Baum. Gorillas sehr viel Zeit haben“, beruhigte Pongo. Wir kletterten höher, um uns einen Überblick über das Flucht“gelände“ zu verschaffen. Da wir auf einen der stattlichsten Bäume geflüchtet waren, gelang es uns, einen Standpunkt zu erreichen, der die Kronen der meisten Bäume überragte. Die Palisade war, wie wir von hier aus feststellen konnten, etwa zehn bis fünfzehn Meter sowohl von den Bäumen diesseits wie jenseits entfernt, aber einige wenige, besonders mächtige Waldriesen vereinigten doch da und dort ihre Kronen über die künstliche Lücke hinweg. Diese Nachlässigkeit unserer Kerkermeister kam uns jetzt sehr zustatten. Offenbar hatten sie nicht damit gerechnet, auch einmal „Affenmenschen“ zu Gefangenen zu haben. Sie hielten hier ja für gewöhnlich keine Eingeborenen, sondern Weiße, von denen sie ein artiges Lösegeld erhoffen konnten. Und je lösegeldfähiger ein Mann war, desto behäbiger und untrainierter war er auch meist und damit untauglich zu luftigen Spaziergängen.
Wir hatten Glück, in etwa hundert Meter Entfernung sichteten wir die nächste Baumgruppe. Befriedigt kletterten wir wieder tiefer, wo Gelegenheit war, auf den Nachbarbaum hinüberzuwechseln. Hier übernahm Pongo die Führung. Er war in diesen Kunststücken naturgemäß am besten bewandert und würde die Richtung am ehesten einhalten können. Denn dies war nicht eben leicht. Das dem Blick undurchdringliche Blättermeer beschützte uns zwar ausgezeichnet vor feindlicher Entdekkung, ließ einen aber auch wie im Nebel herumtappen. Sogar Pongo mußte zweimal „auf den Kirchturm“, weil er die Richtung verloren hatte. Dabei hatten wir es natürlich denkbar eilig. Nicht nur konnte der Gorilla wieder auftauchen, auch unsere Bewacher mußten schließlich unruhig werden, wenn unsere „Abschlachtung“ gar keine Fortschritte machen wollte. Mit Hilfe Pongos aber erreichten wir ohne böse Zwischenfälle die „Luftbrücke“ und überwanden sie, ohne entdeckt zu werden. Wir waren einer hinter den anderen geklettert und jeder war riesig erleichtert, als sein Vordermann – nach endlos dünkender Zeit – endgültig nach unten verschwand. Pongo wartete, bis wir wieder alle beisammen waren, dann winkte er und lief in einer bestimmten Richtung davon. Dies war wieder eine der Situatio-
nen, in denen Pongo einfach unbezahlbar war. Er schlug einige Haken, und kurz darauf erkannte ich, wo wir waren – in der Nähe der Uferstelle, an der wir unser Boot zurückgelassen hatten. Hier allerdings mußten wir eine große Enttäuschung hinnehmen: Das Boot war verschwunden! Das war zwar kein Wunder, denn Jackson wußte ja, wo wir es versteckt hatten. Aber wie sollten wir nun endgültig entrinnen? „Suchen wir in verschiedenen Richtungen“, schlug Rolf vor. „Irgendwo muß es sein. Oder wir finden ein Fahrzeug der Piraten. Sie sind zu zahlreich, um in einem einzigen Boot hierhergekommen zu sein. Das vergrößert unsere Aussichten.“ Pongo nickte eifrig und setzte hinzu: „Besser Massers verstecken sich noch einmal auf Baum, Pongo allein suchen. Pongo weniger auffallen, weil hier viele schwarze Piraten. Sie denken, Pongo auch sein Pirat.“ Dagegen war nicht viel zu sagen. Was wir durch eine allgemeine Suche vielleicht an Zeit gewonnen hätten, wog nichts gegen das viel größere Risiko, entdeckt und wieder ergriffen zu werden. Pongo verschwand, und wir suchten uns einen passenden Baum am Ufer aus, erkletterten ihn und versteckten uns in seinem dichten Laub. Gerade als wir uns dort „wohnlich eingerichtet“ hatten, ertönten vom Innern der Insel her laute Schreie. Wir
glaubten zuerst, daß die Neger unsere Flucht bemerkt hätten. Dann aber hörten wir das Gebrüll und das Trommeln des Gorillas. Möglicherweise hatte sich jemand in das Gehege begeben, um nach unserem Verbleib zu forschen, und war von dem Gorilla gestellt worden. Die Befehlsstimme eines Mannes, vermutlich eines der beiden Weißen, mischte sich in den Lärm. Dann erst erkannten wir richtig, was sich ereignet hatte. Laut schreiend kamen die Neger den Pfad zum Ufer hinabgestürmt und verschwanden nach links, in die Richtung also, wo sich jetzt vermutlich auch Pongo befand. Hinter den Negern erschienen die beiden Weißen, die Waffen schußbereit in den Händen. Sie blickten sich häufig um, als befürchteten sie einen Gegner im Rücken. „Der Gorilla ist ausgebrochen!“ sagte Rolf leise, aber mit tiefer Befriedigung. „Deshalb fliehen sie alle. Vielleicht haben sie unseren Ausbruch noch gar nicht mitbekommen.“ „Hoffentlich treffen sie nicht auf Pongo, Rolf!“ „Kaum. Das Geschrei wird ihn rechtzeitig gewarnt haben. Sieh mal! Dort am Ufer muß etwas passiert sein!“ Wiederholtes ängstliches Rufen bestätigte das. Eilig strebten jetzt auch die beiden weißen Piraten der Uferstelle zu, wo ein wirres Durcheinander zu herrschen schien. Ich fürchtete schon, Pongo sei
mit den Negern in ein Handgemenge geraten, als ich ihn zu meiner Freude plötzlich unter unserem Baum entdeckte. Er turnte herauf und setzte sich lächelnd neben uns. 3. Kapitel „Massers, Gorilla ausgebrochen, kommt gerade Pfad herunter. Alle Neger geflohen. Wollen in Kanu davonrudern, aber nur eines gefunden, weil Pongo das andere versteckt hat gut. Ein Kanu mit Negern jetzt überlastet, vielleicht wird sinken, weil zuviel Neger darin.“ So schnell können aus Verfolgern Verfolgte werden. Wir hörten noch immer verworrenes Geschrei, bis die beiden Weißen Ordnung schafften. In dem Augenblick erschien der Gorilla am Ufer und stieß seinen Kampfruf aus. Sofort stoben die Neger auseinander und suchten Deckungen auf. Der Gorilla lief suchend umher und kam uns aus den Augen. Nach einiger Zeit stieß ein großes Kanu vom Ufer ab, in dem eine Menge Neger saßen. Dem Kanu folgte das Beiboot unseres „Nilbootes“. In ihm saßen die Weißen und zwei Neger. Der Gorilla brach jetzt aus dem Dickicht hervor, aber er kam zu spät. Die Piraten nahmen Kurs auf die Insel, in deren Bucht wir das Nilboot verankert hatten. Gespannt erwarteten wir das Kommende. Würde sich nun Bird übertölpeln lassen oder mit
dem Maschinengewehr sprechen? Falls die Piraten überhaupt einen Anschlag im Schilde führten. Tatsächlich bogen die Flußpiraten in den Wasserarm ab, der an der Ankerbucht vorbeiführte. Wir kletterten in Eile höher, um ihren weiteren Kurs verfolgen zu können. Von dort aus hatten wir Sicht auf die Mündung der Bucht – und sahen die Boote der Piraten in ihr verschwinden. Wir lauschten mit angehaltenen Atem, aber kein Anruf, kein Warnungsschuß oder irgendein anderes Geräusch kam zu uns herüber. Das konnte nur eines bedeuten, und Fleet faßte es mit betrübter Stimme in Worte: „Sie haben das Boot bereits – sie haben es noch in der Nacht überfallen, während wir in ,Narkose’ waren.“ Das war natürlich jetzt eine üble Sache. Die Piraten waren vermutlich der Ansicht, wir seien auf ihrem zweiten Boot bereits geflohen. Deshalb hatten sie sich als erstes des Nilbootes versichert, damit wir es nicht zurückerobern konnten. Wahrscheinlich hatten sie nur eine schwache Besatzung darauf zurückgelassen. Und nun wollten sie auf uns mit dem Nilboot Jagd machen. Wir hatten wenig Aussicht, ihnen zu entgehen. Waffenlos, wie wir waren, würden wir uns nicht einmal verteidigen können.
Nach kurzer Beratung beschlossen wir, vorerst auf der Insel zu bleiben, denn hier würde man uns nicht mehr vermuten. Wenig später kam unser Reiseboot wieder aus der Mündung heraus. Die zwei anderen Boote hatte es unbesetzt im Schlepptau. Sie nahmen Kurs auf unsere Insel und fuhren in geringer Entfernung vorbei. Black Spirit und Jackson sahen mit Gläsern herüber. Unwillkürlich ballte ich die Hände zu Fäusten, als unser Boot in fast greifbarer Nähe vorbeifuhr. Ich sah Bird und Goliath gefesselt an Bord liegen, während unsere schwarze Besatzung gezwungen wurde, den Dienst weiter zu versehen. Auch Tobo und Pilo waren tätig, was uns sehr befriedigte. Da machte Black Spirit in Unkenntnis ihrer Qualitäten einen Fehler. Sie würden bestimmt die erste sich bietende Gelegenheit ergreifen, mit einem Boot der Piraten zu entkommen und nach uns zu forschen. Wenige Minuten später war die Piratenflotte unseren Blicken entschwunden. „Nun, meine Herren“, sagte Rolf gemütlich, „die Sache macht sich ja recht nett, nicht wahr?“ Ich sah meinen Freund verständnislos an. Er setzte’sich bequem in einer Astgabel zurecht, klammerte sich geschickt mit den Beinen fest, um seine Hände freizuhaben, und fischte nach seinem Zigarettenetui. Mit genüßlichen Gesten entzündete
er die Zigarette und lächelte uns, überlegen den Rauch blasend, etwas geringschätzig an. Nun wußte ich Bescheid. Rolf wollte jetzt wieder eine Kette überraschender Schlußfolgerungen vortragen. „Dann schieß los, Rolf, mit deiner Weisheit“, schmunzelte ich erwartungsvoll. „Mach es nicht so spannend.“ „Meine Herren“, sagte Rolf, „wenn Sie auf jemand Jagd machen wollen und haben drei Boote zur Verfügung, was tun Sie dann? Nehmen Sie dann zwei Boote unbemannt in Schlepp und fahren schnurstracks davon? Und wenn Sie vermuten, Ihr Wild befindet sich auf dem Wasser, suchen Sie dann mit dem Fernglas eine Insel ab, von der Sie mit Bestimmtheit vermuten, s;e sei längst von ihm verlassen?“ „Sie meinen also, die Piraten hätten die Gegend endgültig verlassen, und vertrauten immer noch darauf, wir säßen auf der Insel fest und würden eine Beute des Gorillas?“ „Genau das, Fleet“, antwortete Rolf behaglich. Rolfs Begründungen hatten viel für sich, und seine Schlußfolgerungen bei ähnlichen Anlässen hatten sich fast immer hinterher als haarscharf zutreffend erwiesen, aber diesmal hatten sie meiner
Ansicht nach ein Loch, das unmöglich zu verstopfen war. „Guter Gott, Rolf“, sagte ich, „das klingt ja recht hübsch, aber es ist einfach unmöglich, glatt unmöglich. So dumm sind diese Burschen bestimmt nicht. Sie sind mit zwei Booten gelandet und müssen einfach aus dem Fehlen des einen erkennen – “ „Woher weißt du denn, ob die Piraten mit zwei Booten gekommen sind?“ unterbrach mich mein Freund. „Gar keine Notwendigkeit, sie hatten doch recht gut auf dem einen Platz!“ Ich gab mich noch nicht geschlagen. „Schön, aber wo kommt dann das zweite Boot her?“ „Von den Piraten natürlich“, antwortete Rolf unschuldig. „Von wem denn sonst? Die legen hier bestimmt oft mit Kähnen an, und haben bei irgendeiner Gelegenheit dieses Boot abgestellt. Sie brauchen es gar nicht vergessen zu haben, es genügt, wenn Black Spirit und Jackson von diesem an und für sich geringfügigen Umstand nichts wußten. Die anderen sind ja alle Hals über Kopf ausgerissen, vielleicht waren die betreffenden Leute auch gar nicht unter ihnen.“ Das ließ sich wiederum hören. Doch hatte ich noch einen Einwand. „Dann konnten die Boote nicht nebeneinandergelegen haben, Pongo sagte aber, es waren zwei.“
„Nun Pongo, wo war das Boot?“ fragte Rolf nachlässig. Pongo hatte aufmerksam zugehört und antwortete: „Pongo nur ein Boot gesehen und gedacht, weil für alle zu klein, noch anderes Boot da.“ So, da hatten wir es wieder. Ohne eine weitere Beratung abzuwarten, schnippte Rolf sein Zigarettenende weg und lachte: „Auf, Gentlemen, ins Boot und hinterher! Die rechnen nicht damit, uns auf den Hacken zu haben!“ Pongo hatte offenbar Rolfs Darlegungen voll begriffen, seinen Entschluß vorausgesehen und gebilligt, denn er war bereits im Hinunterklettern, bevor mein Freund geendet hatte. Wir folgten eiligst nach. Als wir durch die Büsche bis zum Ufer vordrangen, schob er schon ein Kanu, in dem wir bequem Platz hatten, ins Wasser. Wir stiegen ein. Nur Pongo stand noch am Ufer. Da knackte es hinter ihm in den Büschen. Gleich darauf brach der Gorilla hervor. Pongo gab dem Kanu einen kräftigen Stoß und schwang sich rasch hinein. Schnell ergriff er ein Paddel. Der große Affe stand am Wasser, trat noch vor, bis ihm das Wasser hüfthoch reichte und trommelte mit den Fäusten gegen den Brustkasten. Da tauchte dicht neben ihm ein Krokodil auf und stieß mit aufgerissenem Rachen auf ihn zu.
Der Affe aber erkannte die Gefahr. Er trat schnell aufs Trockene zurück. Dort blieb er stehen und blickte wütend auf den Alligator nieder, der ihm gefolgt war. Da, wir sperrten Mund und Nase auf, war der Gorilla mit einem Satz wieder im Wasser und schwang sich auf den Rücken des Krokodils! Rittlings saß er in der nächsten Sekunde dicht hinter dessen Kopf und begann mit den Fäusten auf der Echse herumzuhämmern. Gleichzeitig schien er die Panzerechse mit den Füßen längs der weicheren Unterseite zu bearbeiten, und ehe sie wieder untertauchen konnte, zerfleischte er sie derart, daß sich das Wasser von ihrem Blut rötete. Der Kampf war entsetzlich anzuschauen. Wir hatten einen ähnlichen einmal zwischen einem Krokodil und einem Orang-Utan mit angesehen, dieser war aber nur kurz und unentschieden gewesen. Diesmal blieb der Affe Sieger. Zwar näherten sich im Verlauf des wahnsinnigen Ringens mehrere Krokodile. Sie kamen aber nicht dem angegriffenen Artgenossen zu Hilfe, sondern warteten, bis der Gorilla das verwundete Tier freigab. Dann stürzten sie sich auf die zu Tode getroffene Echse und zerrissen sie vollständig.
Die Angriffslust des Gorillas schien verraucht zu sein. Der Riese trottete dem Ufer zu und verschwand zwischen den Büschen. Pongo hatte unser Kanu längst aus dem Gefahrenbereich des Kampfes herausgebracht. Jetzt ergriffen auch wir die bereitliegenden Paddel. Von leichten Ruderschlägen getrieben, flog das Kanu nur so über das Wasser dahin. Obwohl wir ziemlich Zeit verloren hatten, glückte es uns, einigermaßen auf der Spur der Banditen zu bleiben. Sie hatten die Außenbordmotoren eingeschaltet. Wir mußten nur von Zeit zu Zeit mit dem Rudern aussetzen, um uns von dem entfernten Motorengeräusch den Weg weisen zu lassen. Jetzt erst wurde uns unsere verzweifelte Lage so recht deutlich. Wir hatten weder Waffen, noch Proviant, noch Trinkwasser. Vielleicht waren wir bald gezwungen, das gelblich trübe Wasser des Kongos zu trinken. Zwei Stunden lang fuhren wir hinter unserem Boot her. Als wir wieder einmal aussetzten, waren die Motorengeräusche verstummt. Wir ruderten nun nicht mehr weiter und ließen uns von der Strömung treiben. Jetzt hieß es vorsichtig sein, um nicht selbst ertappt zu werden, während wir den Feind ausspähen wollten. Mich plagte schon der Hunger, und den Gefährten ging es wohl nicht anders. Wir hätten an einer
Insel anlegen können und Pongo nur auszuschicken brauchen. Er würde uns Früchte, die eßbar waren, gebracht haben, aber dazu fehlte uns jetzt die Zeit. Dicht am Ufer entlangfahrend, spähten wir eifrig voraus. Als wir wieder eine Biegung passierten, hörten wir vor uns Stimmen. Weit vor uns sahen wir das bisher im Schlepp gewesene Piratenboot fortrudern. Vom Nilboot war nichts zu sehen. Wir vermuteten, daß Black Spirit es in der Nähe versteckt hatte und von dorther die Stimmen kamen. Sofort machten wir am Ufer fest. Pongo verließ das Kanu. Die Insel, an der wir angelegt hatten, war ausnehmend lang und dicht bewaldet. Wenn unser Boot wirklich in der Nähe war, mußte man es in eine versteckte Bucht gebracht haben. Schweigend warteten wir auf Pongos Rückkehr. Aber Stunde auf Stunde verging. Erst kurz vor Einbruch der Dämmerung tauchte er auf. Er brachte herrliche Früchte mit, an denen wir uns zunächst einmal sättigten. Während wir aßen, berichtete er in seiner knappen Art, daß er unser Nilboot gesichtet und beobachtet habe. Soviel er feststellen konnte, waren acht Neger zurückgeblieben. Zuerst hatte er geglaubt, die Weißen hätten sich in den Kabinen schlafen gelegt. Da sie aber auch nach Stunden nicht zum Vorschein kamen, waren sie wohl mit dem anderen Boot fortgefahren.
Unsere schwarze Besatzung hatte man jetzt gefesselt. Von einem auf dem Kongo vorüberfahrenden Fahrzeug konnte das Reiseboot nicht bemerkt werden. Die Einfahrt in den Wassereinschnitt war durch vorspringende Teile der Insel gedeckt und außerdem ziemlich verwachsen. Wir beschlossen gleich mit Einbruch der Dunkelheit die Rückeroberung unseres Bootes zu versuchen. Black Spirit war zwar bestimmt auf Kaperfahrt, kehrte aber vielleicht doch noch lange vor Tagesanbruch in seinen Schlupfwinkel zurück. Da war es besser, so zeitig wie möglich zu handeln, um von ihm nicht überrascht zu werden. Da es bald Nacht sein würde, suchten wir ein geeignetes Versteck für das Kanu und brachen auf, um noch bei Tageslicht so nahe wie möglich an unser Boot heranzukommen. Unter Pongos Führung hatten wir das bald geschafft, denn wir brauchten die Bucht nicht zu umgehen, weil das Boot ohnehin in der Mitte zwischen den beiden Ufern verankert war. Die Negerpiraten hatten sich bereits schlafen gelegt, nur zwei Mann gingen als Wache auf und ab. Wenn wir Waffen besessen hätten, wäre es ganz einfach gewesen, jetzt wieder Besitz von unserem Eigentum zu ergreifen.
Pongo erklärte, die beiden Neger allein auf sich nehmen zu wollen. Wir sollten indessen das Heckhäuschen nach Schußwaffen absuchen. Als es dunkel geworden war, ließen wir uns vorsichtig ins Wasser und schwammen geräuschlos zum Heck. Denn von dort wollten wir den Angriff starten, weil die Piraten sich am Bugaufbau schlafen gelegt hatten. Beim Aufentern mußten wir besonders vorsichtig sein. Die leiseste schaukelnde Bewegung des Bootes hätte die Wachen alarmieren können. Pongo war als erster oben und wartete, gedeckt vom Heckaufbau, bis wir der Reihe nach ebenfalls an Bord waren. Als sich der Mond hinter eine Wolkenwand schob, verließ Pongo die Deckung des Heckhäuschens und schlich sich hinter den einen Posten, der an der Bordseite lehnte und zum Wald, hinüber beobachtete. Wie ein Geist tauchte er plötzlich hinter ihm auf, griff zu und lag plötzlich mit ihm am Boden, ohne daß man auch nur einen Laut gehört hätte. Schon nach Sekunden richtete sich Pongo wieder auf, schob den Mann an die Reling und nahm dann die gleiche Stellung ein, die der Posten innegehabt hatte. Nach einiger Zeit kam der zweite Wächter auf Pongo zu und sprach ihn an. Pongo wirbelte mit ausgestrecktem Arm herum und traf den verdutzten
Wächter mit der Handkante am Halsansatz. Der Schlag saß sichtlich, wo er sitzen sollte, nämlich an der Halsschlagader, denn der Mann gab keinen Laut von sich und wäre zu Boden gestürzt, wenn ihn Pongo nicht aufgefangen und sachte hätte niedergleiten lassen. Jetzt sprangen wir vor. Rolf und Fleet beobachteten die am Bug schlafenden Neger, während ich den Heckaufbau betrat, um dort nach Waffen zu suchen. Schon nach kurzer Zeit fand ich sie. In Fleets Kabine lag auf dem Tische unser gesamtes Eigentum, das die Piraten uns auf der Insel abgenommen hatten: Waffen, Taschenlampen, Messer, Uhren, Geldtaschen und alles andere, was wir bei uns getragen hatten. Eilig schnallte ich meinen Waffengurt um, ergriff die Pistolen der Gefährten, überzeugte mich, daß sie geladen waren, eilte nach vorn und übergab sie Rolf und Fleet. Pongo hatte inzwischen bereits mit dem Messer des einen Wächters die Männer unserer Besatzung von ihren Fesseln befreit. Bird war sofort an das Maschinengewehr geeilt und hatte es schußfertig gemacht. Jetzt warfen sich alle auf die noch immer schlafenden Piraten, die im nächsten Augenblick überwältigt und gefesselt waren. Sie flehten in ihrer Muttersprache um Gnade.
Der Streich war geglückt. Jetzt kam es nur noch darauf an, den Wassereinschnitt heimlich zu verlassen, denn hier wollten wir mit den Piraten nicht zusammentreffen. In Eile machten wir das Boot flott, holten die Anker hoch und stakten das Boot aus der kleinen Bucht ins freie Wasser. Unser Beiboot war an Bord gewesen, so daß wir alle unsere sieben Sachen wieder beisammen hatten. Geräuschlos glitten wir weiter. Als wir die Enge der Bucht glücklich passiert hatten, schalteten wir einen Außenbordmotor ein. Wir wollten möglichst schnell den Hauptarm des Kongos erreichen, denn nach Aussagen der Gefangenen waren die Piraten ausgefahren, um diesen „abzugrasen“. 4. Kapitel Bei dieser Tätigkeit der Flußpiraten beabsichtigten wir nun, ein ernstes Wörtchen mitzureden. Wir fuhren deshalb den Hauptarm ein großes Stück hinunter, um die Piraten abfangen zu können, bevor sie auf dem Rückweg im Inselgewirr in der Nähe ihres Unterschlupfes untertauchten. Sodann legten wir bei, verteilten Wachen, insbesondere auch am Maschinengewehr, und gönnten uns dann einige Stunden unbedingt nötiger Ruhe. Mit Sonnenaufgang waren wir wieder auf den Füßen und setzten die Fahndung nach den Piraten stromab fort.
Gegen Mittag sichteten wir ein gekentertes Boot. Es schwamm kieloben und hatte an der Seite ein großes Leck. Wir schleppten das Wrack ans Ufer und drehten es um, weil wir nach Spuren suchen wollten, die uns über den Hergang des Unglücks und des Bootseigentümers aufklären konnten. Wie groß war unser Erstaunen, als wir unter dem Boot einen Mann fanden, der vollkommen erschöpft war. Er war so gut wie bewußtlos und hielt sich nur mehr instinktiv an die Innenverkleidung des Bootes verkrallt. Sofort trugen wir ihn an Deck unseres Bootes und holten ihn mit Mitteln unserer Reiseapotheke in das Bewußtsein zurück. Er blickte uns entsetzt an, als er erwachte, er glaubte sich in den Händen der Flußpiraten. Nachdem wir ihn aufgeklärt hatten, flehte er uns an, wir sollten ihn nicht verlassen und – wenn möglich – seine Tochter retten, die von den Flußpiraten geraubt worden war. Da in dem gekenterten Boot nichts mehr zu finden und es für eine Weiterfahrt nicht mehr brauchbar war, ließen wir es am Ufer liegen und fuhren weiter. Wir wollten am nächsten Wasserarm wieder abbiegen und versuchen, die schmale Bucht, in der wir unser Boot zurückerobert hatten, früher zu erreichen als die Piraten.
Der Gerettete war ein belgischer Kaufmann, der sich auf der Fahrt nach Bonga befand, wo er einkaufen wollte. Er hatte sechs Neger und seine Tochter, die ihn durchaus begleiten wollte, an Bord gehabt. Die große Summe baren Geldes, die er mit sich geführt hatte, war von den Piraten natürlich geraubt worden. Sie hatten das Boot geplündert, es leckgeschlagen, umgekippt und sich nicht weiter um den Mann gekümmert, ihn praktisch also den Krokodilen überlassen. Er hieß Mentor und hatte die Fahrt nach Bonga schon oft gemacht. Zwar hatten ihn zwei Kapitäne kleiner Dampfer vor den Piraten gewarnt und aufgefordert, diesmal die Fahrt mit ihnen zurückzulegen, aber Mentor lehnte das ab, da er gewohnt war, allein zu reisen. Er glaubte auch nicht an die Existenz von Flußpiraten und meinte, die Kapitäne wollten nur ein Geschäft machen, weil sie Bezahlung für das Schutzgeleit gefordert hatten. „Sie werden Ihre Tochter bald wiedersehen“, versicherte. Rolf. „Wir wissen, wo wir die Piraten zu suchen haben, und werden früher als sie an ihrem Schlupfwinkel sein.“ Mentor bat uns, uns für seine Tochter einzusetzen, zumal seine Frau nicht mehr lebte und sie das einzige Wesen sei, für das er arbeite. Er versprach uns hohe Belohnungen, die wir natürlich lächelnd und gerührt zurückwiesen. Unseren Negern, meinte
Fleet, könnte er mit Kleinigkeiten natürlich eine Freude bereiten. Rolf schlug Mentor vor, sich zur Ruhe zu legen, da wir die versteckte Bucht der Piraten erst am Nachmittag erreichen würden. Wir würden ihn rechtzeitig wecken. Obwohl der Mann so erschöpft war, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte, weigerte er sich zunächst. Aber schließlich fielen ihm die Augen von selber zu. Als ich ihm dann mein Lager anbot, legte er sich nieder. Bald sank er in tiefen Schlaf. „Meine Herren“, sagte Fleet, „es ist an uns, Black Spirit das Handwerk zu legen, da es anscheinend weder der französischen noch der belgischen Regierung gelingt, seiner habhaft zu werden. Wir haben die Mittel und wir dürfen nicht zusehen, daß dieses Mädchen und noch mehr Menschen ihm zum Opfer fallen.“ Wir waren einverstanden, zumal wir ihm auch persönliche Rache geschworen hatten. „Hoffentlich droht er nicht, dem jungen Mädchen etwas anzutun, wenn wir ihn angreifen“, bemerkte der Amerikaner. „Damit rechne ich sogar“, erwiderte Rolf, „aber wir werden sehen, was wir tun können. Auf keinen Fall verlassen wir die Gegend früher, bevor das
Mädchen befreit und ,the black spirit’ gefangen ist.“ Gegen Mittag erhob sich leichter Ostwind, so daß wir das kleine Segel setzen und die Außenbordmotoren abstellen konnten, die unser Kommen stets schon auf große Entfernung anzeigten. Ziemlich rasch glitten wir vorwärts. Masuf lenkte geschickt das Fahrzeug durch die engsten Passagen, ohne die Hilfe unserer schwarzen Besatzung in Anspruch nehmen zu müssen. Wir blieben während der ganzen Fahrt auf Wache und beobachteten die Gegend. Als wir uns am Nachmittag der versteckten Bucht näherten, hielten wir „Kriegsrat“ ab. Rolf war der Ansicht, wir sollten das Boot gut versteckt verankern und im Kanu nach der Bucht fahren, um zunächst einmal die Ankunft des Piraten un.d seine nächsten Maßnahmen abzuwarten. „Vielleicht rechnet er“, fuhr Rolf fort, „das Verschwinden des Nilbootes gar nicht uns zu, die er noch im Gorillawald glaubt. Er nimmt dann an, seine eigenen Leute wären mit dem Nilboot auf und davon gefahren, um eine selbständige Bande zu gründen.“ „Dann wird er den Meuterern nachsetzen und das Mädchen vielleicht unter geringer Bewachung zurücklassen. Das wäre dann die beste Gelegenheit, es zu befreien“, ergänzte ich.
„Das wäre herrlich!“ sagte Fleet begeistert. „Da hätten wir gewonnenes Spiel. Je öfter sich die Bande teilt, desto leichter können wir die einzelnen Abteilungen überwältigen.“ „Das gibt mir einen Gedanken“, sagte ich. „Die Piraten werden doch wohl in der Nähe der Bucht ein festes Lager haben, wohin Black Spirit seine Gefangenen zu bringen pflegt. Er muß doch auch damit rechnen, daß sein Boot einmal verunglückt. Wenn er dann kein festes Lager hätte, wäre er ja verloren!“ „Dafür hat er ja die Gorilla-Insel“, wandte Fleet ein. „Das schließt aber nicht das Vorhandensein eines zweiten Stützpunktes aus. Deshalb, meine Herren, an die Arbeit!“ Wir waren alle einverstanden und brachten das Nilboot in ein geeignetes Versteck. In dem Wasserarmlabyrinth gab es davon zur Genüge, und schon kurze Zeit nach der Besprechung lag das Boot unter tief herabhängenden Zweigen verborgen. Dann bestiegen Rolf, Fleet, Pongo und ich das Kanu und brachen zur Bucht auf. Wie hielten uns stets in der Nähe des Ufers, um sofort landen und verschwinden zu können, falls die Piraten überraschend auftauchten. Nach einer Stunde Fahrt erreichten wir die Stelle, wo wir am Abend vorher gelandet waren. Hier versteckten wir das Kanu und schlichen durch das
uns ja bekannte Dickicht der kleinen Bucht zu. Aber die Flußräuber waren noch nicht zurückgekehrt. „Pongo zum Ufer gehen werden und Spuren suchen“, erbot sich unser treuer Gefährte. „Dann Lager bald gefunden sein.“ Rolf nickte und sagte: „Wir warten hier auf dich, Pongo. Sie, Mister Fleet, postieren sich am besten an der Einfahrt, damit wir nicht durch das plötzliche Erscheinen der Piraten überrascht werden. Wenn Pongo das Lager gefunden hat, gebe ich Ihnen sofort Bescheid.“ Fleet war einverstanden, zumal er jeden Augenblick mit dem Erscheinen der Piraten rechnete. „Vielleicht waren sie schon hier und sind bereits wieder abgefahren“, warf ich ein. „Möglich, Hans, aber nicht wahrscheinlich“, erwiderte Rolf. „Genaues können wir darüber erst sagen, wenn es uns gelungen ist, das Lager der Piraten zu finden.“ „Sie können auch zu ihrem zweiten Lager, zum Gorilla-Wald, gefahren sein“, äußerte sich Fleet. „Kaum“, tat Rolf den Einwand ab. „Sie haben im Augenblick noch zuviel Angst vor dem Gorilla, der frei auf der Insel umherläuft.“ Fleet und Pongo verschwanden in verschiedenen Richtungen. Der Riese untersuchte das Ufer und schien schon nach kurzer Zeit eine Fährte gefunden
zu haben, der er in den Wald hinein folgte. Schon nach einer Stunde kam er zurück und berichtete: „Pongo festes Lager der Piraten gefunden, Massers. Nur drei Neger dort. Vier große Hütten. Pongo belauscht, was Neger miteinander sprachen. Neger sehr ängstlich sind, sie wissen schon, daß Nilboot verschwunden ist, aber sie denken, daß Kameraden geflohen sind damit, weil sie nicht bleiben wollen bei dem ,schwarzen Geist’.“ „Hast du eine Stelle gefunden, Pongo, wo wir uns gut verstecken können?“ Pongo nickte. „Pongo Massers hinführt, dann Pongo selbst Posten an der Einfahrt übernimmt.“ Wir folgten dem Schwarzen durch das Dickicht und sahen die vier Hütten des Lagers bald vor uns. Pongo wies uns einen Baum, auf den wir klettern sollten. Er hatte auf zwei Ästen schon bequeme Sitze bereitet, von denen aus wir das Lager gut übersehen konnten. „Masser Warren einstweilen unten am Baum stehenbleiben muß“, erklärte Pongo, „damit Masser Fleet finden kann Baum leicht.“ Ich war einverstanden, und Pongo verschwand wieder im Dickicht. Rolf blieb einstweilen noch neben mir stehen. Auch vom Fuße des Baumes aus konnten wir das Piratenlager übersehen. Die drei Neger saßen in gebückter Haltung vor einer der
Hütten, als hätten sie schon jetzt Angst vor dem ,Schwarzen Geist’. Was sie miteinander sprachen, konnten wir nicht verstehen, aber es war uns sehr lieb, daß sie ihre Plätze nicht verließen, um nach den Kameraden Ausschau zu halten. Nach einer Viertelstunde erschien Fleet bei uns. Er winkte uns schon von weitem zu, daß er etwas entdeckt habe. „Sie kommen!“ berichtete er. „Gerade als Pongo bei mir eintraf, bog das Piratenboot um die nächste Biegung des Wasserarmes. Pongo will das Boot noch beobachten und kommt dann nach.“ „Schnell auf den Baum!“ ordnete Rolf an. „Ich wünschte, das Gesicht des Kapitäns sehen zu können, wenn er entdeckt, daß unser Boot verschwunden ist.“ Wir erstiegen den Baum und nahmen die von Pongo sorgfältig vorbereiteten Plätze ein. Ich saß sehr bequem und konnte mich sogar anlehnen. Eine halbe Stunde verging noch, ehe wir von der Bucht her Rufe vernahmen. Dann kam Pongo, der sich erst zurückgezogen hatte, als die Piraten in den Wassereinschnitt einfuhren. „Piraten haben junge Weiße bei sich, Massers“, erklärte Pongo sofort, als er neben uns in den Zweigen saß. „Großer Weißer, sehr wütend, daß Boot von Massers verschwunden sein. Hat gedroht mit Strafgericht, wenn er nicht wiederfindet Boot.“
„Das wird einen schönen Tanz geben!“ lachte Fleet leise. „Vielleicht bekämpfen sich die Piraten noch gegenseitig, so daß uns kaum etwas zu tun übrig bleibt.“ „Achtung, sie kommen!“ kündigte ich die Piraten an. Dann sahen wir Black Spirit und Jackson mit nur sechs Negern herankommen, die in ihrer Mitte eine junge Weiße führten. Im Lager erhoben sich die drei zurückgebliebenen Neger und sahen die Weißen angsterfüllt an. Black Spirit rief ihnen in englischer Sprache zu: „Wo ist das Boot?“ Furchtsam beteuerten die drei Neger, daß sie es nicht wüßten. „Gemeutert habt ihr, Kerls!“ rief Black Spirit, und riß die Pistole aus dem Gurt. Jackson fiel ihm in den Arm. „Die Leute sind doch unschuldig!“ sagte er. „Wenn sie Meuterer wären, würden sie ja nicht hier geblieben sein.“ Das leuchtete dem Piratenkapitän ein. Er steckte die Pistole wieder in den Gurt, machte den drei Negern aber die schwersten Vorwürfe, daß sie nicht aufmerksam genug gewesen wären. Mentors Tochter wurde in eine Hütte gebracht, vor der zwei Neger Aufstellung nahmen. Black Spirit drohte ihnen strengste Bestrafung an, wenn
es der jungen Weißen möglich sein sollte, zu entfliehen. Sie war übrigens nur an den Händen gefesselt gewesen. Dann verschwanden die weißen Gauner in der größten Hütte.
5. Kapitel Die Neger verhielten sich im Lager, wohl aus Furcht vor den Weißen, ganz ruhig. Black Spirit und Jackson traten nach einer Viertelstunde wieder aus der Hütte heraus und ließen sich davor nieder. Wir saßen so nahe, daß wir jedes Wort, das sie miteinander sprachen, verstehen konnten. „Ich habe das alles jetzt hier satt, Charles“, erklärte Black Spirit, „ich mache Schluß. Rache an den Globetrottern habe ich genommen. Mich hält hier nichts mehr. Übrigens haben meine Kundschafter mir mitgeteilt, daß die belgische Regierung Soldaten gegen uns aufgeboten hat. Sie werden zu spät kommen!“ „Und warum hast du die Kleine noch mitgenommen, James?“ fragte Jackson verwundert. „Sie behindert dich doch nur, wenn du hier einen Strich unter alles ziehen willst.“
„Mit ihr habe ich noch etwas Besonderes vor, was ich dir später erklären werde, Charles. Als letzte Tat hier will ich noch den Meuterern folgen, die das Boot der Globetrotter mitgehen hießen. Wenn wir das Reiseboot haben, verbrennen wir unser eigenes und fahren mit dem der Globetrotter den Kongo hinunter. Auf dem Boote sind die Papiere der Männer. Die Männer sind tot. Wir können ihre Rollen übernehmen.“ Und was hast du mit den Negern vor, die uns bisher geholfen haben?“ „Sechs nehme ich mit, die anderen zahle ich aus. Wenn sie sich von den Belgiern nicht erwischen lassen, können sie irgendwo ein gutes Leben führen.“ „Hat sich der Beutezug hier in der Gegend gelohnt, James?“ „Das kann man wohl sagen. Ich bin ganz zufrieden.“ Eine Weile schwiegen beide, dann sagte Black Spirit: „Paß auf! Wir schaffen jetzt die Säcke mit Beute in das kleine Fahrzeug, das noch immer versteckt im Busch liegt. Den Negern erzählen wir, daß wir die Wertsachen in Sicherheit bringen müssen, weil ihre Landsleute sie stehlen könnten, wie sie auch mit dem Boot der Globetrotter fortgefahren sind. Das kleine Fahrzeug bemannen wir mit vier Ne-
gern. Die sechs Neger, die darauf sind – sechs oder acht, ich weiß nicht ganz genau – können wir leicht überwältigen. Wenn wir das Reiseboot haben, kehren wir hierher zurück, holen das Mädchen, zahlen die Neger aus und verschwinden auf Nimmerwiedersehen.“ „Der Plan ist gut, James! Aber weißt du denn, wohin sich die Neger mit dem Reiseboot gewandt haben?“ „Stromauf, Charles, sonst hätten wir ihnen ja begegnen müssen. Sie werden sich hüten, mit dem Boote den Kongo zu befahren. Vielleicht hoffen sie, noch einige Gleichgesinnte anzuheuern, die ihnen bei ihren Streifzügen auf eigene Faust helfen. Aber ich mache ihnen einen Strich durch die Rechnung.“ „Wann willst du aufbrechen?“ „Sofort! Wenn es dunkel wird, müssen wir fahrbereit sein. Die Neger, die hier zurückbleiben, dürfen nicht wissen, in welche Richtung wir fahren.“ Beide erhoben sich. Während Jackson die Neger hoite, um die Säcke zur Bucht tragen zu lassen, betrat Black Spirit die Hütte, in die das junge Mädchen gefesselt geführt worden war. Nach kurzer Zeit erschien er wieder, gerade in dem Augenblick, als die Neger von der Bucht eintrafen, Sie mußten drei große Säcke schultern und wurden nach der Bucht zurückgeschickt. Den übri-
gen Negern erzählte Black Spirit, daß er die Beute für alle vor dem eventuellen Zugriff der Meuterer in Sicherheit bringen müsse. Sie sollten auf die junge Weiße und das große Boot aufpassen, während er nur mit dem kleinen Boote wegfahren wolle. Die Neger verrieten mit keiner Miene ihre Gedanken. Geduldig hörten sie ihm zu und nickten dann, als er seine Rede beendet hatte. Rasch schritt er darauf mit Jackson zur Bucht. Die zurückgebliebenen Neger verhielten sich schweigend, sie machten auch kein Lagerfeuer an, als die Dunkelheit hereinbrach. Anscheinend war ihnen das Feuermachen verboten worden. Wir mußten uns beeilen, um auf unser Reiseboot zu kommen. Da der Piratenkapitän stromauf fahren wollte, kam er in die Gegend, in der unser Boot versteckt lag. Zwar würde er es in der Nacht nicht finden, aber wir wollten ihn trotzdem nicht aus den Augen lassen. Vorsichtig kletterten wir vom Baume hinab. Pongo gab uns ein Zeichen, uns langsam vom Baume zu entfernen. Er wollte das junge Mädchen allein aus der Hütte herausholen, ohne zu warten, bis die Neger eingeschlafen waren. Pongo verschwand lautlos. Die Minuten wurden uns zu Stunden. Wir erwarteten, vom Lager her
Lärm zu hören, der anzeigte, daß Pongo entdeckt worden war, aber alles blieb ruhig. Plötzlich stand der Riese mit dem Mädchen in den Armen vor uns. „Massers, schnell Pongo helfen! Junges Mädchen ohne Besinnung ist!“ Wir waren über die gelungene Entführung sehr froh, und beeilten uns, ihm zunächst darin behilflich zu sein, daß wir ihm den Weg freihielten, damit er rascher vorwärtskam. Als wir die Bucht erreichten, waren die Piraten schon abgefahren. Nur das große Piratenboot lag noch da. Bald hatten wir unser Kanu erreicht und betteten Fräulein Mentor hinein. Unbehelligt erreichten wir das „Nilboot“, auf dem Rolf das junge Mädchen sofort untersuchte. Sie war nur vor Erschöpfung ohnmächtig geworden und schlief tief und ruhig. Auch ihr Vater war noch nicht erwacht. Wir hielten es für besser, beide schlafen zu lassen. Nachdem wir die Wachen ausgelost hatten, legten auch wir uns nieder. Während der Nacht ereignete sich nichts. Mit den ersten Strahlen der neuen Sonne waren wir wieder auf den Beinen. Jetzt stellten wir doppelte Wachen aus, damit uns auf dem Wasserlaufe nichts entgehen konnte.
Als Mentor frisch gestärkt am Frühstückstisch erschien, wollte er gerade fragen, wann wir nach seiner Tochter suchen würden, als sie schon selber erschien. Fleet hatte ihr bereits mitgeteilt, daß sie gerettet war. Freudig fiel sie ihrem Vater um den Hals. Als sich die erste Freude der beiden Mentors gelegt hatte, schlug Rolf vor, den Piraten mit einer List beizukommen. An Deck unseres Bootes sollten nur sechs Neger verbleiben, die anderen sollten sich ebenso wie wir in die Deckhäuschen zurückziehen. Wenn der Piratenkapitän und Jackson aufkreuzten, sollte es so aussehen, als ob er mit seiner Annahme einer Meuterei seiner Leute recht hätte. Wir waren einverstanden. Fleet bat sich nur aus, ihm Jackson zu überlassen. Den Kinnhaken, den er ihm zugedacht hatte, sollte er erhalten, und er wollte ihn nicht von Pappe sein lassen! Zwei Stunden später meldete Goliath, der die rechte Seite in Fahrtrichtung unserer Bootes zu beobachten hatte, daß er die Piraten in der Ferne gesichtet habe. Seine Beobachtung stimmte. V/ir überzeugten uns sofort davon, indem wir die Ferngläser vor die Augen nahmen. Bis auf die sechs Neger verschwanden wir alle in den Deckaufbauten. Von unserem Kabinenfenster aus konnten wir gut beobachten, wie die beiden Weißen allmählich näherkamen. Unsere Schwarzen
taten, als ob sie sehr erschrocken wären, als sie den „Chef“ herankommen sahen. Sie liefen zuerst wie verwirrt an Deck umher und setzten dann das Boot in Fahrt, als verbuchten sie zu fliehen. Das veranlaßte Black Spirit und Jackson, selber auch zu den Paddeln zu greifen. Wir hetzten unsere Verfolger durch wechselnde Geschwindigkeiten ordentlich ab, damit sie ermatteten, ließen sie aber doch schließlich näher und näher herankommen. Jetzt waren sie nur noch dreihundert Meter entfernt. In wenigen Minuten mußten sie unser Boot erreicht haben. Daß auf dem Boote nicht ihre Neger tätig waren, hatten unsere Verfolger noch gar nicht bemerkt. Als das Piratenfahrzeug sich längsseits unseres Bootes legte, sprangen die beiden Weißen zuerst an Deck. Sie erschraken fürchterlich, als wir plötzlich aus den Deckhäuschen hervortraten. Pongo ergriff sofort den Piratenkapitän und warf ihn mit Schwung in sein Fahrzeug zurück, wo er auf seine Neger fiel, die eben auch die Waffen ergriffen hatten. Bewußtlos blieb er liegen. Inzwischen war Fleet auf Jackson zugeeilt und donnerte ihm wortlos einen Haken an das Kinn, daß der Mann zusammensackte, ohne einen Laut
von sich zu geben. Pongo warf ihn gleichfalls in das Piratenboot zurück. „Mein Wunsch ist also doch noch in Erfüllung gegangen“, stellte Fleet befriedigt fest. Die vier Schwarzen, die sich wieder erhoben hatten, reckten die Arme hoch und baten um Gnade. Einzeln mußten sie an Bord des „Nilbootes“ kommen, wo sie von unseren Leuten gefesselt wurden. Als wir gerade „the black spirit“ an Bord holen wollten, erwachte er. Er würdigte uns keines Blikkes, langte aus einer seiner Taschen eine Ampulle heraus, zerbiß den gläsernen Hals mit den Zähnen und schluckte die zwei oder drei Kubikzentimeter Flüssigkeit, die sie enthielt. Gift! Ein paar Zuckungen noch, dann lag der Piratenkapitän still. Er war tot. Jackson dagegen war nicht weiter verletzt und wurde ebenfalls gefesselt und an Bord geholt. Wir nahmen die drei Säcke mit Wertsachen an uns, um sie bei der nächsten Behörde abzuliefern, und beschlossen, die Neger in der versteckten Bucht noch gefangenzunehmen. Das geschah ohne Schwierigkeit, da sie sich sofort ergaben, als wir bewaffnet vor sie hintraten. Wir nahmen das Piratenboot in Schlepp und fuhren stromab, bis wir den Kongo wieder erreichten. In
einem der Säcke war Mentors Geld, das wir ihm sofort aushändigten. Am Nachmittag trafen wir auf dem Kongo ein französisches Boot, das mit Militär besetzt war. Es suchte die Piraten. Wir hielten es an und übergaben das Boot mit den Gefangenen dem Kommandanten, ebenso die Säcke mit den Wertsachen. Nachdem wir unser Erlebnis mit den Piraten geschildert hatten, dankte uns der Kommandant. Wir fuhren weiter und erreichten am Abend Bolobo.
– Ende –
Sicher sind Sie einer Meinung mit uns, daß wir uns durch die Aufbringung der Flußpiraten eher den Dank als den Undank der Behörden verdient hatten. Schließlich hatten wir diesen äußerst gefährlichen Flußpiraten Black Spirit wiederholt unter Lebensgefahr gejagt und schließlich zur Strecke gebracht, obwohl er ein schlüpfriger Fisch war, daß er sowohl der französischen wie der belgischen Kongoverwaltung immer wieder durch die Finger glitt. Trotzdem, ziehen Sie bitte nicht aus den folgenden Begebenheiten den Schluß, Undank sei tatsächlich immer der Welten Lohn. Vielmehr ist es Schluß, Undank sei tatsächlich immer der Welt Lohn. Vielmehr ist es sacher entsteht; das ist ein Grundgesetz des Lebens und sollte niemand hinreißen – in seinem eigenen Interesse – verbitterte und schiefe Verallgemeinerungen zu machen. Einen solchen Widersacher hatten wir uns bei unserem Abenteuer in Pongos Dorf in Leutnant Calier gemacht. In dem nächsten Band
„Auf höheren Befehl“ berichte ich Ihnen den ersten Akt unserer Auseinandersetzung mit Calier. Hier zogen wir einmal den Kürzeren. Aber, liebe Freunde, ein Sprichwort gibt es, das bestimmt immer wahr ist, nämlich „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Es grüßt Sie Ihr Hans Warren
Fortsetzung von der 2. Umschtagseite
politischen Umwälzungen einmal der erste Präsident einer nach einem zweiten Weltkrieg geschaffenen Bundesrepublik Deutschland werden könnte. Noch zeichneten sich ja nicht einmal die Schatten eines ersten Weltkrieges am Horizont ab. Ein älteres Fräulein brachte ihm damals zahlreiche Missionshefte, nachdem er einer Fürsorgevereinigung beigetreten war. An einem Herbstabend 1905 las er in einem dieser Hefte, daß es der Mission in Gabun, der nördlichen Provinz des Kongogebietes, an Leuten mangele. Das war für ihn der Ruf Gottes. Dorthin mußt du gehen, sagte er zu sich selbst. Dort braucht man dich. Und jetzt kommt etwas typisch Schweitzerisches. Als er erfahren hatte, daß Ärzte am Kongo besonders dringend gebraucht wurden, legte er Amt und Würden nieder und begann als Dreißigjähriger neu zu studieren: Medizin. Er war bereit, alles zu opfern, was ihm lieb und teuer war, auch seine Musik, auch seine Forscherneigungen, um Tropenarzt im Innern Afrikas zu werden. 1911 machte er sein Staatsexamen, und fuhr Ende Februar 1913 mit seiner Frau per Schiff von Bordeaux über Dakar nach Cap Lopez und von da mit einem kleinen Dampfer zwei Tage und zwei Nächte den Ogowe hinauf nach Lambarene.
Lambarene, das Ziel der langen Fahrt, erwies sich als ein freundlicher Ort auf sanften Hügeln, im Angesicht des seenartig sich ausweitenden Ogowe. Faktoreien, ein amtliches Gebäude, Wohnhäuser mit offenen Veranden. An einem Nebenarm des Flusses, durch Boote erreichbar, die Missionsanstalt. Die Missionare mit ihren Frauen und die Kinder der Missionsschule begrüßten Schweitzer mit Früchten und mit Blumen. Während des ersten Weltkrieges blieb Schweitzer in Lambarene. Mit unendlicher Mühe, aber mit einem nie versagenden Optimismus baute er seine ärztliche Station auf. 1920 treffen wir Schweitzer in Schweden, wo er an der Universität Upsala Vorlesungen hält. Er gab dort auch Konzerte. Warum? Lambarene war zerstört, und Schweitzer sammelte Geld, um es wieder aufzubauen. Jeden Pfennig, den er in der Folge bei seinen Vortrags- und Konzertreisen durch ganz Europa erübrigen konnte, sparte er für Lambarene. Er baute es tatsächlich wieder auf, größer und schöner als vorher, obwohl die Arbeitskräfte fehlten. Zweihundert Kranke konnte sein Dorf bald aufnehmen. Freiwillige Helfer meldeten sich. Mehrmals kehrte Schweitzer, der 1953 mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, nach Europa zurück, immer aber ging er wieder nach Lambarene, wo er
schließlich auch noch ein Dorf für 250 Leprakranke baute. Das Leben Albert Schweitzers ist der eindeutige Beweis dafür, wie wichtig und wertvoll der Wille und die Kraft eines einzelnen Menschen sind, sein können. Schweitzers große Bedeutung liegt, weit über sein ärztliches Wirken im Kongogebiet hinaus, darin, daß er in einer Zeit der Weltkriege, der Raketengeschosse und Atomwaffen, in einer Zeit der Willkür und des Hasses, der Hetze und der Geldgier entschieden Nein gesagt hat, daß er durch die Tat zur Besinnung aufrief und einen Ausweg für uns alle zeigte. —aoa—