Nr. 406
Die Ewige Karawane Der Kampf gegen die Burg der Düsteren von H. G. Francis
Als Atlantis-Pthor, der durch die ...
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Nr. 406
Die Ewige Karawane Der Kampf gegen die Burg der Düsteren von H. G. Francis
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht, – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Nach gefährlichen Abenteuern auf Enderleins Tiegel, dem Schrottplaneten, auf Xu don, dem Marktplaneten, und bei den Insektoiden von Gooderspall wirkt sich die Be gegnung mit dem Spezialkurier beinahe tödlich für den Arkoniden und seine Gefähr ten aus. Jedenfalls sind Atlan und die Mitglieder seiner Gruppe wieder einmal zu Gejagten geworden. Um den Nachstellungen ihrer Verfolger zu entgehen, bietet sich ihnen nur eine Chance: der Anschluß an DIE EWIGE KARAWANE …
Die Ewige Karawane
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Thalia - Der Arkonide und seine Gefährtin erkämpfen sich den Zugang zur Burg der
Düsteren.
Hordinal - Ein Geschöpf der Ewigen Karawane.
Fälser - Leiter von Atlans Dellos.
Kerelkrejan - Anführer einer Gruppe von Krejoden.
Kärtel - Ein Scuddamore.
1. »Wir müssen uns entscheiden«, sagte Thalia. »Wir müssen etwas tun. Wir wissen, daß die Scuddamoren uns jagen. Darauf müssen wir reagieren.« »Die Frage ist nur, wie«, entgegnete At lan. Sie befanden sich in der Zentrale der HORIET. Bei ihnen waren vier Dellos. Die anderen Androiden hielten sich in anderen Räumen des Schiffes auf und ruhten. Der Arkonide wandte sich an Bronniter-Vrang, die lebende Galionsfigur des Raumers. »Kannst du uns eine Welt nennen, auf die wir uns für einige Zeit zurückziehen kön nen?« fragte er. »Ich könnte schon«, antwortete BronniterVrang. »Du könntest, aber du hast Bedenken«, erwiderte Atlan. »Auf einer solchen Welt könnten wir uns verstecken und warten, bis über die Nergal-Sache Gras gewachsen ist. Ich kann mir allerdings nur schwer vorstel len, daß die Jagd auf uns jemals eingestellt wird.« »Die Landung auf einem Planeten würde bedeuten, daß wir im Fall einer Entdeckung in einer Sackgasse sitzen«, stellte BronniterVrang fest. Seine Stimme hallte aus den Lautsprechern an der Decke. »Eine Flucht in den Weltraum wäre schwierig.« »Sich zurückzuziehen wäre nicht gut«, stimmte Atlan zu. »Uns wären die Hände gebunden«, sagte Thalia. »Wir kämen bei unseren Ermittlun gen nicht weiter und könnten keine Nachfor schungen anstellen, was ja schließlich der Sinn unseres Unternehmens ist.« »Du hast recht«, erwiderte der Unsterbli
che. »Vergessen wir diese Idee. Es lohnt sich nicht, sich damit zu befassen. Unsere Freunde auf Pthor brauchen Hilfe. Wir kön nen es uns nicht leisten, in einem Versteck zu warten.« »Bronniter-Vrang, hast du …?« begann Thalia, kam jedoch nicht weiter, weil der Angesprochene sie unterbrach. »Moment mal, bitte«, rief die Galionsfi gur. »Da ist etwas.« »Du hast etwas geortet?« fragte sie. »Ja – eine Flotte«, antwortete BronniterVrang. »Stört mich jetzt nicht: Ich fürchte, es ist eine Jagdflotte der Scuddamoren.« Atlan und Thalia blickten sich an. Sie wa ren bleich geworden. Sie waren sich darüber klar, daß sie einer ganzen Flotte von suchen den Raumschiffen nicht entgehen würden. Einige Minuten verstrichen. Vergeblich sprach Atlan Bronniter-Vrang in dieser Zeit an. Die Galionsfigur der HORIET antworte te nicht. Schließlich schwieg der Arkonide, um sie bei ihrer Arbeit nicht zu stören. Schließlich aber meldete das blaue Qual lenwesen, daß es sich geirrt hatte. »Es kann keine Jagd oder Suchflotte sein«, berichtete es. »Organschiffe sind nicht dabei. Es sind auch keine Raumschiffe der Hauptvölker des Marantroner-Reviers darunter.« »Hast du solche Schiffe schon mal gese hen?« fragte Atlan. »Noch nie«, antwortete Bronniter-Vrang. »Die Raumschiffe ziehen in einer langen Kette dahin.« Jetzt endlich erhellten sich die Ortungs schirme in der Zentrale, so daß Atlan, Thalia und die Dellos die Flotte sehen konnten. Sie war allerdings so weit von der HORIET ent fernt, daß auf den Schirmen nur Lichtpunkte
4 zu erkennen waren. Bronniter-Vrang aber wußte mehr. Er verfügte offenbar über bes sere Instrumente. »Es sind faßförmige Raumschiffe«, be richtete er und erklärte, sie seien etwa drei hundert Meter lang und einhundert Meter dick. Sie hätten verschiedenartige Auswüch se, deren Funktion jedoch nicht auszuma chen sei. Er schätzte die Zahl der Raum schiffe auf annähernd dreitausend und er klärte, alle flögen im Abstand von etwa ein hundert Meter zueinander. Die Geschwin digkeit betrüge etwas mehr als halbe Licht geschwindigkeit. »Was ist das für eine Flotte?« fragte Tha lia. »Ich habe eine Vermutung«, sagte Bron niter-Vrang, »aber es fällt mir schwer, daran zu glauben, daß sie richtig ist.« »Sprich sie aus«, forderte Atlan ihn auf. »Es könnte sich um die Ewige Karawane handeln«, erwiderte das Quallenwesen. »Was ist die Ewige Karawane?« fragte Thalia, als Bronniter-Vrang nicht weiter sprach. »Ich habe nur wenig von ihr gehört«, ant wortete das Quallenwesen nach einiger Zeit. »Eigentlich nur als Gerücht. Ich glaube, nie mand im Marantroner-Revier weiß genau, ob es die Ewige Karawane wirklich gibt. Wenn auf den Ortungsschirmen jedoch kei ne Phantombilder erscheinen, dann muß das da draußen diese Karawane sein.« »Diese Flotte ein Gerücht?« Atlan schüt telte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vor stellen. Niemand soll sie bisher gesehen ha ben? Bei der technischen Ausstattung der Organschiffe ist das unwahrscheinlich.« »Es muß ein besonderes Rätsel um die Ewige Karawane geben«, bemerkte Thalia. »Wir werden die Gelegenheit ergreifen und uns die Karawane ansehen«, sagte At lan. »Vielleicht gelingt es uns, einige Ant worten auf unsere Fragen zu bekommen.« »Ich halte das für zu gefährlich«, wandte Thalia ein. »Wenn es lediglich Gerüchte um die Ka rawane gibt, dann stellt sie wahrscheinlich
H. G. Francis keine Macht des Schwarzen Oheims dar. Vielleicht vereinigten sich in ihr gar die Ge genkräfte. Wenn es so ist, dann ist es für uns um so wichtiger, Verbindung mit ihr zu be kommen. Ich schlage daher vor, daß wir uns vorsichtig an die Karawane …« »Sie ist weg«, schrie Bronniter-Vrang. »Die Karawane ist verschwunden!« Verblüfft blickte Atlan auf die Ortungs schirme. Tatsächlich zeichnete sich dort kein Reflex mehr ab. Die Karawanenschiffe wa ren von einem Augenblick zum anderen ver schwunden. »Damit wird natürlich erklärbar, wieso sie bisher nicht entdeckt und verfolgt werden konnten«, sagte der Arkonide, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Er fühlte sich unwillkürlich an geschicht liche Ereignisse von der Erde erinnert. Gab es dort nicht auch zahllose Erzählungen über »Geisterschiffe« und über einen »Fliegenden Holländer«? Einige dieser Berichte waren stets als »Seemannsgarn« abgetan worden, andere wiederum hatten sich als wahr erwie sen. Standen er und seine Begleiter vor ei nem vergleichbaren Phänomen? Bronniter-Vrang meldete sich erneut. »Ortung«, sagte er erregt. »Die Scudda moren haben uns entdeckt.« Ein Verband von Organschiffen erschien auf den Ortungsschirmen. Er kam schnell näher. »Sie funken uns an«, berichtete das Qual lenwesen, das als lebende Galionsfigur diente. Es nahm eine Umschaltung vor, so daß Atlan, Thalia und die Dellos die Stim men der Scuddamoren hören konnten. »Ergeben Sie sich«, hallte es aus den Lautsprechern. »Sie können uns nicht mehr entkommen.« »Ich will das nicht hören«, sagte der Ar konide. »Ausschalten, Bronniter-Vrang. Wir fliehen.« »Dazu ist es zu spät«, entgegnete Thalia. »Sie erwischen uns.« »Das wäre das sichere Ende«, stellte der Unsterbliche fest. »Führe uns dorthin, wo die Karawane verschwunden ist.«
Die Ewige Karawane Die HORIET beschleunigte mit Höchst werten. Dennoch holten die Verfolger auf. »Wir schaffen es nicht«, sagte Thalia ent setzt. »Wir kommen nicht weg.« Atlan schwieg. Er war der gleichen An sicht wie sie, dennoch ließ er die Flucht nicht abbrechen. Er wollte nicht aufgeben, solange noch ein Funke Hoffnung in ihm war, zumal er sich gut vorstellen konnte, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie den Scuddamoren in die Hände fielen. Gna de hatten sie nicht zu erwarten. Bronniter-Vrang meldete sich. »Sie geben uns eine letzte Frist«, erklärte er. »Wenn wir nicht kapitulieren, schießen sie uns ab.« Atlan blickte zu den Bildschirmen. Auf ihnen war auch ohne die Hilfe der Rechner zu erkennen, daß die Verfolger sie in weni gen Minuten eingeholt haben würden. »Wir müssen versuchen, sie aufzuhalten«, sagte er. »Vielleicht können wir verhandeln. Versuche, eine Verbindung mit ihnen herzu stellen. Ich will mit ihnen reden.« »Warte«, bat das Quallenwesen. Während der Arkonide überlegte, was er den Scuddamoren anbieten sollte, geschah erneut etwas Überraschendes. Die Verfol gerschiffe verschwanden plötzlich. »Die Karawanenschiffe sind wieder da«, rief Thalia. Die Dellos schwatzten aufgeregt. Thalia blickte Atlan hilfesuchend an. Sie konnte sich das Phänomen nicht erklären. »Wie ist das möglich?« fragte sie ver wirrt. »Es war, als seien wir in eine Art Schleier eingetaucht«, teilte Bronniter-Vrang mit. »Auf irgendeine Weise sind wir in zwi schendimensionale Bereiche eingedrungen«, sagte Atlan. »Vielleicht haben die Karawa nenschiffe so etwas wie ein Energiefeld hin terlassen, das uns mitgerissen hat.« »Warum folgen uns die Scuddamoren nicht?« fragte Thalia. »Können Sie nicht auch in diese Bereiche eintauchen?« »Schwer zu sagen. Vielleicht unterschei den wir uns maßgeblich von ihnen durch et
5 was, was wir an Bord haben. Vielleicht durch die große Plejade oder durch die Be satzung? Vielleicht hat uns aber auch die Besatzung der Karawanenschiffe geholfen. Vermutlich werden wir noch erfahren, wa rum.« Atlan und seine Begleiter warteten ab. Mehr als eine Stunde verstrich, ohne daß et was geschah. Die Verfolgerschiffe tauchten nicht auf. Es schien, als sei die HORIET in Sicherheit. In regelmäßigen Abständen ver suchte Bronniter-Vrang über Funk Verbin dung mit den Besatzungen der Karawanen schiffe aufzunehmen, doch er erhielt keine Antwort. Schweigend raste die Ewige Karawane durch die Unendlichkeit. Die HORIET nä herte sich ihr allmählich. Sie flog mit glei cher Geschwindigkeit auf Parallelkurs auf der Höhe des hinteren Drittels der Karawa ne. Bronniter-Vrang ließ die HORIET lang sam an die tonnenförmigen Schiffe heran treiben. Hin und wieder diskutierten Atlan und er über Sinn und Funktion gewisser Teile an den Karawanenschiffen, ohne dabei jedoch zu schlüssigen Ergebnissen zu kommen. Schließlich trennten die HORIET kaum noch hundert Meter von einem der anderen Raumschiffe. »Wir steigen aus«, entschied der Arkoni de. »Wir sehen uns an Bord dieses Schiffes um.« Er zeigte auf den Bildschirm. BronniterVrang näherte sich dem anderen Raumschiff noch weiter, bis die HORIET nur noch we nige Meter von ihm entfernt war. Thalia nickte Atlan zu. Sie schloß ihren Raumanzug. Wenig später schwebte sie neben dem Ar koniden zu dem Karawanen-Raumschiff hinüber. Sie glitten zu einer kastenförmigen Erhebung. Diese hatten sie bereits vorher mit Hilfe der Beobachtungsgeräte ausge macht. Sie waren sich einig darüber, daß es das Schott einer Schleuse war. Atlan gelang es nach mehreren vergeblichen Versuchen, es zu öffnen. Er zog Thalia in eine erleuch
6 tete Schleusenkammer. Das Schott schloß sich hinter ihnen, und dann strömte eine würzige Luft in die Schleuse. Das Innen schott glitt zur Seite. »Das dürfte eine Aufforderung sein«, sag te der Arkonide. »Man gibt also die bisheri ge Zurückhaltung auf.« Atlan betrachtete die technische Einrich tung der Schleuse. Er stellte fest, daß sie sich auf einem hohen Niveau befand. Sie hielt jeden Vergleich mit entsprechenden Einrichtungen auf terranischen Raumschif fen stand. Der Arkonide und das Mädchen traten auf einen Gang hinaus, der mit einem weißen Material verschalt war. Die Wände waren mit sinnlos erscheinenden Zeichnun gen verziert. Eine Reihe von fremdartigen Schriftzeichen auf dem Boden und an der Decke weckte seine Aufmerksamkeit. Atlan hatte das Gefühl, sie entziffern zu können. »Sieh dir das an«, sagte er und deutete auf den Boden. Die Zeichen schimmerten in ei nem Farbton, der zwischen Gold und Rot lag. »Kommt dir das nicht bekannt vor?« »Ja – irgendwie schon.« Der Arkonide schritt den Gang hinunter, wobei er mal auf den Boden, mal zur Decke blickte. Das Licht kam aus Leuchtbändern an der Decke. Es schien zu pulsieren, sobald Atlan sich jedoch darauf konzentrierte, ging eine beruhigende Kraft von ihm aus. »Nein, wir haben uns geirrt«, sagte Tha lia, die dem Arkoniden gefolgt war. »Ich kenne nichts von diesen Schriftzeichen. Zu nächst dachte ich, ich hätte das eine oder an dere schon mal gesehen. Aber das stimmt nicht.« Der Gang endete an einem Schott. Es öff nete sich, als Atlan es mit den Fingerspitzen berührte. Dahinter lag ein quadratischer Raum, von dem vier schmale Türen abgin gen. Zwei von ihnen führten zu Lagerräu men, die jedoch lediglich leere Gestelle ent hielten, eine zu einem weiteren Gang, und die vierte zum Maschinenraum. Atlan ver nahm das gleichmäßige Summen des Antrie bs, als er die Tür öffnete. »Sehen wir uns das mal an«, schlug er
H. G. Francis vor. »Wenn wir Glück haben, finden wir je manden im Maschinenraum. Wartungsfrei ist dieses Schiff jedenfalls nicht.« Er betrat einen Vorraum und öffnete ein weiteres Schott. Dann sah er einen Teil der Maschinenanlage. Das Summen des Antrie bs steigerte sich zum Getöse. »Warum gehst du nicht weiter?« fragte Thalia. Atlan streckte den Arm aus. Seine Finger spitzen berührten ein unsichtbares Energie feld. Es war hart wie Stahl. »Es geht nicht«, erwiderte er. »Man ge währt uns zwar einen Blick auf die Maschi nen, mehr aber auch nicht.« Er machte Thalia Platz, damit sie eben falls in den Maschinenraum sehen konnte. »Niemand hält sich darin auf«, stellte sie fest. »Es lohnt sich also nicht, noch länger hier zu bleiben.« »Jedes Raumschiff hat eine Hauptleitzen trale«, sagte er. »Dort sollte sich jemand aufhalten, falls überhaupt jemand im Schiff ist.« Sie gingen weiter. Mühelos drangen sie in die verschiedenen Bereiche des Raumschiffs ein, wobei Atlan immer wieder konstatierte, daß sich die technischen Einrichtungen auf einem hohen Entwicklungsstand befanden. Sie waren teilweise besser als die der HO RIET. Eine Besatzung schien nicht vorhanden zu sein. Auch in der Zentrale war niemand. Atlan untersuchte die Anlagen der Zentra le. Sie unterschieden sich wesentlich von de nen der HORIET und von denen, die er von arkonidischen und terranischen Raumschif fen her kannte. Dennoch stellten sie kein Geheimnis für ihn dar. Nach einiger Zeit gelang es ihm, Funkver bindung mit Bronniter-Vrang aufzunehmen. Er berichtete ihm, was sie vorgefunden hat ten. »An Bord hält sich niemand auf«, schloß er. »Ich glaube auch nicht, daß die anderen Schiffe der Karawane eine Besatzung ha ben.« »Irgendeinen Sinn muß die Karawane ha
Die Ewige Karawane ben«, entgegnete das Quallenwesen. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Geister schiffe durch die Peripherie der Schwarzen Galaxis fliegen, ohne eine Aufgabe zu erle digen.« »Ich auch nicht«, sagte Thalia. »Die Kara wane muß eine Aufgabe haben.« »Das ist nicht unbedingt richtig«, wider sprach der Arkonide. »Gibt es etwas im Zu sammenhang mit der Ewigen Karawane, was du uns nicht erzählt hast, BronniterVrang?« »Nein. Nichts. Ich verstehe, was du meinst. Du glaubst, es könne das Gerücht umgehen, daß jeder sterben muß, der ein Schiff der Karawane betritt. Daß ein Fluch auf den Schiffen liegt oder etwas ähnliches. Das ist nicht der Fall. Es gibt nur das Ge rücht, daß diese Karawane existiert, daß sie seit Äonen durch diese Galaxis geistert. Ich habe niemals etwas über die Besatzung ge hört und auch niemals etwas darüber, daß es vielleicht gar keine Besatzung gibt.« »Was wirst du tun?« fragte Thalia. »Willst du alle Raumschiffe untersuchen?« »Das ist unmöglich. Wenn ich für jedes nur eine Stunde nähme, wären wir auf Mo nate hinaus damit beschäftigt.« »Aber irgend etwas müssen wir tun.« »Wir können uns wieder von der Karawa ne entfernen und zu irgendeinem Sonnensy stem fliegen, das in Richtung Zentrum der Schwarzen Galaxis liegt. Wir könnten der Karawane aber auch folgen, bis sich etwas Neues ergibt.« Der Arkonide ging zum Steuerleitpult, dessen Hauptschaltungen mit blaßblauen Energiestrahlen versiegelt war. »Wir könnten aber auch eine Provokation versuchen«, fuhr er fort. »Wir könnten ir gend etwas tun, was den Gesamtbetrieb der Karawane stört, und dann die Reaktion ab warten. Ich kann mir vorstellen, daß die Ka rawane so etwas wie eine übergeordnete Zentrale hat, die dafür sorgt, daß der Betrieb aller Raumschiffe der Karawane störungsfrei verläuft.« »Das wäre ein Angriff«, wandte Thalia
7 ein. »Vielleicht wollen diejenigen, die die Karawane fliegen, uns prüfen? Warum war ten wir nicht ab?« »Wie lange?« »Ich weiß auch nicht, wie lange. Viel leicht genügen einige Stunden?« Atlan fand den Vorschlag nicht befriedi gend, wußte jedoch auch keinen besseren zu machen. Er wandte sich an Bronniter-Vrang. »Kannst du irgendwo Unterschiede fest stellen?« fragte er. »Gibt es irgendwo etwas, was auffällt, oder sind alle dreitausend Raumschiffe völlig identisch miteinander?« »Sie sind alle gleich«, erwiderte das Qual lenwesen nach einiger Zeit, die es für eine nochmalige Überprüfung benötigte. »Ich kann keine Unterschiede feststellen.« »Gibt es irgendwo Anzeichen für eine Be satzung?« »Keine Anzeichen.« Atlan blickte Thalia an. »Vielleicht hast du recht«, sagte er. »Es könnte besser sein, einige Zeit abzuwarten. Wir werden uns einige Tage lang von der Karawane mitführen lassen und abspringen, wenn sich irgendwo ein interessantes Ziel bietet. Einverstanden?« »Einverstanden«, erwiderten Thalia und Bronniter-Vrang wie aus einem Mund. »Wir werden einige Dellos als Wache auf diesem Karawanenschiff lassen«, erklärte Atlan. »Immerhin könnte es sein, daß eine Botschaft über die Bildgeräte kommt. Wenn jemand hier ist, empfangen wir sie.« Er wollte die Zentrale verlassen, als Bron niter-Vrang sich plötzlich wieder meldete. »Da ist etwas«, rief er. Seine Stimme beb te vor Erregung. »Ich habe etwas gesehen.« »Was hast du gesehen?« fragte der Arko nide. »Beschreibe es.« »Das kann ich nicht. Es ging zu schnell. Da war irgend etwas außen an eurem Schiff.« Ein schwerer Körper prallte gegen das Schiff, das wie eine Glocke dröhnte. Ein Licht über dem Symbol einer Tür zeigte an, daß etwas durch die Schleuse eingedrungen war.
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H. G. Francis
Atlan und Thalia waren nicht mehr allein an Bord.
2. Thalia sprang auf. Sie blickte sich veräng stigt um. Sie suchte nach einer Waffe, mit der sie sich gegen den Unbekannten behaup ten konnte. Atlan blieb in seinem Sessel sitzen. »Willst du nichts tun?« fragte sie. »Willst du warten, bis es hier ist?« »Warum nicht? Ich kann mir nicht vor stellen, daß es gekommen ist, um uns umzu bringen.« »Und wenn es doch so ist?« Er stand auf und reckte sich. »Es ist absolut unlogisch, daß hier irgend etwas sein sollte, das nichts anderes im Sinn hat, als uns zu töten.« »Wenn es nur Verbindung mit uns auf nehmen will, könnte es das über Funk tun.« »Auch richtig. Es steht jedoch noch lange nicht fest, daß es diese Technik auch be herrscht. Warten wir erst einmal ab.« Atlan gab sich betont sorglos, obwohl er das nicht war. Er wollte Thalia jedoch nicht unnötig beunruhigen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich sehe nach, was da zu uns gekommen ist.« Sie machte Anstalten, die Zentrale zu ver lassen, doch der Arkonide hielt sie zurück. »Ich gehe.« Er drückte einige Tasten auf dem Instru mentenpult, die nicht durch Energiestrahlen versiegelt waren. Er hoffte, sie mit Hilfe ei nes Beobachtungssystems informieren zu können, aber die Monitorschirme erhellten sich nicht. Es schien, als hätten seine Schal tungen überhaupt keinen Effekt. »Ich bleibe nicht hier«, sagte Thalia ent schlossen. »Wir gehen zusammen.« »Was ist los?« fragte er. Ihm fiel auf, daß sie ungewöhnlich bleich war. »Ich weiß auch nicht«, entgegnete sie mit stockender Stimme. »Ich spüre etwas, was mir nicht gefällt.« Damit sprach sie aus, was den Arkoniden
ebenfalls beunruhigte. Er wehrte sich mit al ler Macht gegen ein Gefühl der Beklem mung. Am liebsten hätte er das Raumschiff fluchtartig verlassen. Doch das hätte bedeu tet, daß er sich auch mit der HORIET hätte zurückziehen müssen und daß er auf die In formationen verzichtete, die er dringend be nötigte. Er ging zum Schott und öffnete es. »Komm«, sagte er. »Wir sehen uns an, was da hereingeschneit ist.« Voller Unbehagen verließen sie die Zen trale. Je weiter sich Atlan von ihr entfernte, desto intensiver wurde das Gefühl der Be drohung. Es ist eine Waffe, stellte der Logiksektor fest. Das fremde Wesen besitzt eine Aus strahlung, die diese Empfindungen bei dir und Thalia auslöst. Das läßt darauf schlie ßen, daß es körperlich schwach ist. Hoffentlich stimmt das, entgegnete der Arkonide in Gedanken, während er sich ver geblich bemühte, einen Wandschrank zu öff nen. Er hoffte, darin Waffen zu finden. Thalia trat einige Schritte weiter gegen die Tür eines anderen Schrankes. »Wenn ich nur irgend etwas hätte, mit dem ich mich wehren könnte«, sagte sie. Atlan stand vor dem Schott am Ende des Ganges. Er wartete auf sie. Als sie noch et wa fünf Meter von ihm entfernt war, legte er seine Hand auf die Sensorplatte neben dem Schott. Lautlos glitt es zur Seite. Thalia schrie auf. Kaum drei Schritte von dem Arkoniden entfernt kauerte ein schwarzes Wesen, das aussah wie eine Mischung aus einem schwarzen Panther und einer Schildkröte. Es hatte einen muskulösen Leib mit sechs kräf tigen Beinen. Der Rücken war mit Hornplat ten gepanzert. Der Kopf glich dem einer rie sigen Schildkröte. Der Schwanz ragte steil in die Höhe. Er war mit fingerlangen Dornen besetzt, deren Spitzen mit Widerhaken ver sehen waren. Es griff wild an. Atlan konnte nicht mehr zur Seite springen. Die Pranken erfaßten ihn und schleuderten ihn zu Boden. Die Krallen
Die Ewige Karawane bohrten sich in das Goldene Vlies, konnten es jedoch nicht durchstoßen. Der Arkonide schlug mit voller Kraft nach dem Kopf des Angreifers. Er traf ihn seitlich an der Kinnlade an einer Stelle, an der er äußerst empfindlich zu sein schien. Brüllend wich das monströse Wesen zurück. Es schlug mit den Pranken um sich und fetz te die Wandverkleidung herunter. Atlan rollte sich zur Seite, schnellte sich hoch und drückte die Hand gegen die Sen sorplatte. Das Schott schloß sich. Thalia blickte ihn an. »Ich dachte, jetzt erwischt es dich«, sagte sie entsetzt. Atlan lehnte sich gegen die Wand. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Was war das nun?« fragte er. »War das ein Tier, eine Halbintelligenz oder ein intel ligentes Wesen?« Er gab ihr mit einem Handzeichen zu ver stehen, daß sie weiter zurücktreten sollte. Dann legte er die Hand erneut gegen die Sensorplatte. Das Schott glitt zur Seite. Das monströse Wesen war mehr als zwanzig Me ter von ihm entfernt. Es lag mitten auf dem Gang und blickte aus verengten Augen zu ihm herüber. Aus seinem geöffneten Rachen kam ein drohendes Zischen. »Schluß jetzt«, sagte Atlan. Er sprach Garva-Guva. Wenn das Wesen aus dieser Galaxis stammte, mußte es ihn verstehen. »Es scheint so, als ob wir allein auf den Schiffen der Karawane sind. Unter diesen Umständen hat es wenig Sinn, wenn wir uns gegenseitig bekämpfen.« Das katzenähnliche Wesen griff erneut an. Atlan bemerkte, daß sich die Muskeln des Wesens spannten, dann raste es auch schon auf ihn zu. Er drückte die Hand gegen die Sensorplatte. Das Schott schloß sich. Der Angreifer prallte dagegen. »Es sieht nicht so aus, als könnten wir mit Vernunft etwas ausrichten«, sagte er zu Tha lia. »Wir müssen eine Falle bauen«, entgeg nete sie. »Es greift blindlings an.«
9 Sie deutete auf den Boden, um anzuzei gen, was sie meinte. »Wir lösen einige Bodenplatten und las sen es in ein Loch fallen, aus dem es allein nicht mehr herauskommt.« »Und dann? Willst du es verhungern las sen?« »Wir müssen irgend etwas tun«, stellte sie fest. »Richtig. Wir müssen uns mit ihm ver ständigen. Nur so kommen wir weiter.« Er hob die Hand, um das Schott erneut zu öff nen, doch Thalia fiel ihm in den Arm. »Nein«, entgegnete sie. »Das ist zu ge fährlich. Warum verlassen wir das Schiff nicht einfach? Wir könnten zur HORIET überwechseln und das Biest allein lassen.« »Wenn ich wüßte, wie wir an ihm vorbei zur Schleuse kommen, würde ich das tun.« Sie kehrten in die Zentrale zurück. Atlan hoffte, hier Hinweise über den Aufbau des Raumschiffes zu finden. Er suchte alle ihm zugänglichen Bereiche der Zentrale ab, be mühte sich, elektronische Sperren und Ener giesiegel zu beseitigen, erzielte jedoch keine wesentlichen Erfolge. Daher beschloß er, von der HORIET Hilfe anzufordern. Die Dellos konnten sich mit allerlei Geräten be waffnen und so ausgerüstet gegen das mon ströse Wesen vorgehen. Als er das Funkgerät einschalten wollte, rumpelte und polterte es plötzlich im Schiff. Immer wieder prallte ein schwerer Gegen stand gegen die Wand. Atlan öffnete das Schott und blickte auf den Gang hinaus. Jetzt war der Kampflärm wesentlich lauter. Er hörte das Brüllen und Kreischen der Bestie. Kunststoffmaterial zersplitterte. »Was hat das Biest vor?« fragte Thalia. Atlan trat auf den Gang hinaus, blieb je doch nach einigen Schritten zögernd stehen. Während er sich zu Thalia umwandte, stütz te er sich mit einer Hand an der Wand ab. Plötzlich glitt eine Platte zur Seite. Dahinter wurde ein Schrankfach sichtbar, in dem al lerlei Ausrüstungsgüter lagerten. In einer Schlaufe hing eine pistolenförmige Waffe
10 mit kurzem Lauf. Der Arkonide nahm sie an sich. Sie lag gut in der Hand. »Das ist schon was«, sagte er. Thalia kam zu ihm. Sie durchwühlte den Schrank, entdeckte jedoch keine zweite Waffe. Mit den anderen Gegenständen im Schrank wußte sie nichts anzufangen. »Nimm sie«, sagte Atlan und reichte ihr die Waffe. »Aber sei vorsichtig. Ich habe keine Ahnung, wie sie funktioniert.« Sie lächelte dankbar und nahm die Waffe entgegen. Währenddessen wurde es ruhiger im Schiff. Nur hin und wieder brüllte das fremde Wesen noch einmal auf. Thalia hantierte an der Waffe, bis die Bat teriekammer aufsprang. »Leer«, sagte sie enttäuscht. Sie richtete den Projektor auf das Schott, hinter dem sich das monströse Wesen befand, und drückte auf den Auslöser. Nichts geschah. Thalia wollte die Waffe in den Schrank zurücklegen. »Behalte sie«, sagte Atlan. »Vielleicht finden wir etwas, womit wir sie laden kön nen.« »Du hast recht«, erwiderte sie und steckte die Waffe ein. Sie zeigte auf das Schott, hin ter dem das fremde Wesen war. »Wir sollten nachsehen, was da los war.« Das Biest ist tot, signalisierte Atlans Lo giksektor. Es gibt keine Parastrahlung mehr. Der Arkonide horchte überrascht in sich hinein. Tatsächlich fühlte er sich nicht mehr so bedroht wie zuvor. Dennoch mochte er nicht daran glauben, daß der schwarze Ein dringling tot war. Er ging zum Schott und legte die Hand gegen die Sensorplatte. Das Schott glitt zu Seite. »Das ist doch nicht möglich«, sagte Tha lia verstört. Sie kam zu dem Arkoniden. Ih nen bot sich ein chaotisches Bild. Auf dem Gang hatte ein schwerer Kampf stattgefunden. Die Wände waren aufgeris sen. Kunststoffsplitter bedeckten den Boden. Aus der Decke hingen Versorgungsleitungen herab. Eine gelbe Flüssigkeit sickerte aus der Wand.
H. G. Francis Auf dem Boden lag das monströse Wesen inmitten von Trümmern. Es blutete aus zahl losen Wunden. Es war noch nicht tot, aber Atlan zweifelte nicht daran, daß es in weni gen Minuten tot sein würde. »Die Verletzungen kann es sich nicht selbst beigebracht haben«, sagte Thalia. »Es hat mit jemandem gekämpft.« »Außer uns ist niemand an Bord«, stellte der Arkonide fest. »Das ist ein Irrtum«, widersprach Thalia. »Es muß jemand da sein. Wer sollte dieses Biest denn sonst umgebracht haben?« »Das soll uns egal sein. Wir verschwin den. Ich hätte gern gewußt, wer dieses We sen ist. Ich hätte auch gern mehr über die Karawane erfahren, aber es sieht nicht so aus, als lohnte es sich, noch länger hier zu bleiben.« Etwa fünf Meter von Atlan entfernt öffne te sich eine winzige Luke in der Wand. Ein krebsähnlicher Roboter kroch aus der Wand. Er eilte auf sechs Beinen quer über den Gang und verschwand in einer anderen Öff nung, die plötzlich entstand und sich wieder schloß, als der Roboter hindurchgekrochen war. »Ganz allein scheinen wir doch nicht zu sein«, bemerkte der Arkonide. »Zumindest einen Roboter gibt es hier.« »Zwei.« Thalia deutete auf einen anderen Roboter, der den Gang überquerte. Er sah ebenfalls aus wie ein Krebs. Er hatte vier Arme, die in verschiedenen Werkzeugen endeten. Der Roboter verschwand jedoch nicht in der Wand. Er schweißte eine zerrissene Leitung zusammen. Zwei weitere Roboter gleicher Art schwebten aus der Decke herab. Sie wa ren ebenfalls nur so groß wie eine Männer hand. Sie begannen damit, die zerstörten Wandplatten abzulösen und die Reste zu entfernen, um Platz für neue Platten zu ma chen. Aus dem Boden tauchten wie aus dem Nichts sieben weitere Roboter auf und kehr ten die Splitter zusammen. Ein Schott öffnete sich. Eine Platte schwebte herein. Ihr folgten etwa zwanzig
Die Ewige Karawane Roboter, die mit zahllosen Werkzeugen aus gerüstet waren. Sie hoben das monströse Wesen hoch und legten es auf die schweben de Platte. Dann begleitete ein Teil von ihnen die Platte auf dem Rückweg, während die anderen blieben und ebenfalls mit Aufräumund Reparaturarbeiten begannen. Innerhalb weniger Minuten füllte sich der Gang mit Hunderten von Robotern. Sie ar beiteten unglaublich schnell und genau, be achteten Thalia und Atlan jedoch nicht. Der Arkonide bückte sich und griff nach einem von ihnen. Der Roboter wich so schnell aus, daß Atlan ihm kaum mit den Blicken folgen konnte. »Glaubst du, daß sie dieses Wesen umge bracht haben?« fragte Thalia. »Es sieht so aus.« »Laß uns verschwinden, bevor sie uns an greifen.« »Das hätten sie längst tun können, wenn sie es gewollt hätten, oder wenn ihnen je mand den Befehl dazu gegeben hätte.« Unschlüssig beobachtete der Arkonide das Geschehen. Die Roboter kamen rasch voran. Nach kaum zwanzig Minuten sah der Gang wieder so aus, als habe nie ein Kampf stattgefunden. Die Roboter verschwanden in den Wänden, im Boden und in der Decke, wobei sich die Öffnungen fugenlos wieder schlossen, sobald sie hineingekrochen wa ren. »Ich schlage vor, daß wir in die Zentrale gehen«, sagte der Unsterbliche. »Eigentlich müßte sich jemand bei uns melden.« Als sie die Zentrale betraten, sahen sie einen Roboter aus dem Steuerleitpult krie chen. Seine Arme waren mit winzigen La serstrahlern, Linsen und Klebertuben verse hen. »Das ist immerhin schon mehr als vor hin«, stellte Atlan fest. Als sich das Schott hinter ihm und Thalia geschlossen hatte, tauchten überall Roboter auf. Sie krochen, flogen und hüpften scheinbar ziel und plan los in der Zentrale umher. Atlan und die Tochter Odins beobachteten sie und ver suchten, ihr Verhalten zu enträtseln. Als et
11 wa hundert Roboter in der Zentrale waren, klang plötzlich eine Stimme auf. Sie sprach in einer Atlan unbekannten Sprache. »Verstehst du etwas?« fragte er. Sie schüt telte den Kopf. Die Stimme klang erneut auf. Sie war voll und kräftig. Atlan konnte nicht bestimmen, woher sie kam. Er glaubte jedoch, daß ein Roboter, der über das Instru mentenpult kroch, zu ihm sprach. Er antwor tete in Pthora, doch diese Sprache schien wiederum der Roboter nicht zu beherrschen. Er sagte erneut etwas, was weder Atlan noch Thalia verstand, wechselte dann offensicht lich in eine andere Sprache über und danach in eine vierte. Atlan hob bedauernd die Hände. »Ich spreche nur Garva-Guva«, sagte er. »Wie steht es damit?« »Fabelhaft«, erwiderte der Roboter. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Wieso habt ihr euch während der ganzen Zeit in einer fremden Sprache miteinander unterhalten? Warum nicht in Garva-Guva? Alles wäre viel leichter für uns gewesen.« »Das ist mir gar nicht aufgefallen«, erwi derte der Arkonide. »Außerdem wußten wir nicht, daß jemand an Bord war, der uns be lauscht. Andernfalls hätten wir Grund ge habt, Garva-Guva zu sprechen, denn wir wollten ja Kontakt haben.« »Das ist uns klar geworden. Wir haben euch beobachtet.« »Warum habt ihr das schwarze Wesen ge tötet?« fragte Thalia. »Warum laßt ihr uns in Ruhe?« »Den Schwarzen jagen wir schon seit Jah ren«, erklärte der Roboter. Atlan sah, daß er seinen Laser hob. »Er hat es verstanden, uns zu neutralisieren. Irgend etwas Unerklärli ches war an ihm, das ihn unangreifbar für uns machte. Dann seid ihr gekommen. Er hat sich durch euch bedroht gefühlt und sei ne ganze Kampfkraft auf euch gerichtet. Wir wurden dadurch frei und konnten ihn end lich für die Schäden zur Verantwortung zie hen, die er an Bord der Raumschiffe ange richtet hat, auf denen er war.« »Armer Teufel«, sagte Atlan in Pthora, so
12 daß nur Thalia ihn verstand. »Ihn hat es auf ein Schiff der Ewigen Karawane verschla gen. Er hat sich gegen die Roboter behaup tet, und irgendwann hat er wahrscheinlich den Verstand verloren. Wenn es uns doch geglückt wäre, uns mit ihm zu verständi gen.« Er wandte sich an den Roboter. »Gibt es sonst noch jemanden in der Ka rawane der Raumschiffe, gegen den ihr kämpft?« »Es gab einige«, erwiderte der Roboter und richtete sich höher auf. »Wir haben sie alle besiegt und in die Schranken verwiesen. Niemand kann den Großen Wächter über winden.« »Der Große Wächter?« fragte Thalia. »Wer ist das?« »Ich«, brüllten alle Roboter in der Zentra le. »Ich«, dröhnte es aus den Lautsprechern an der Decke. »Wer war das?« forschte Thalia. Der Roboter auf dem Steuerleitpult lachte. »Fehlt nur noch, daß er sich gegen die Brust klopft«, murmelte Atlan. Es war das Raumschiff, konstatierte der Logiksektor. Der Große Wächter ist das Schiff mit allen Einrichtungen. Die Roboter eingeschlossen. »Wir sind also die einzigen lebenden We sen in der Karawane«, bemerkte der Arkoni de. »Wir möchten euch dafür danken, daß ihr uns geholfen habt. Unser Raumschiff wurde verfolgt, und ohne eure Hilfe wären wir verloren gewesen.« »Wir haben die positiven Impulse emp fangen«, erklärte der Roboter, während er eine winzige Luke am Steuerleitpult öffnete. Er holte eine Glaslinse aus einer Vertiefung und hielt sie sich vor die Optik, die für Atlan und Thalia plötzlich deutlich vergrößert er schien. Der Arkonide und seine Begleiterin hatten das Gefühl, daß der Roboter sie durch die Linse musterte, doch Atlan wußte, daß es eine andere Erklärung für das Verhalten des Roboters geben mußte. Er vermutete, daß die »Linse« ein hochentwickeltes Unter-
H. G. Francis suchungsinstrument darstellte, das alles an dere, nur keineoptischen Aufgaben zu be wältigen hatte. »Die positiven Impulse waren Anlaß ge nug für uns, euch zu helfen«, fuhr der Robo ter in seiner Erklärung fort. Atlan vermutete, daß er die von der großen Plejade ausgehenden Impulse mein te, wollte jedoch auch nicht ausschließen, daß die Impulse des Zellaktivators gemeint waren. Er hielt es auch für möglich, daß der Zellaktivator die Wirkung der großen Pleja de verstärkte. »Wohin fliegt die Karawane?« fragte Thalia. »Können wir für einige Zeit bei euch bleiben, bis wir vor den Verfolgern sicher sind?« »Wir bringen euch zur Silberwelt«, er klärte der Roboter und ließ die Linse im Pult verschwinden. »Ein seltsamer Name für einen Planeten«, sagte Atlan. »Was bedeutet er?« Der Roboter antwortete nicht. Er öffnete eine Klappe zwischen den Instrumentenan zeigen, kletterte hinein und zog sie hinter sich zu. »Moment mal«, rief der Arkonide. »Erwartet ihr, daß wir an Bord dieses Schif fes bleiben, oder seid ihr damit einverstan den, daß wir zur HORIET zurückgehen?« Die Klappe öffnete sich wieder. Der Ro boter blickte heraus und winkte mit einem Arm. »Geht nur zu eurem Schiff. Ich habe nichts dagegen.« »Danke.« »Wie großzügig«, spöttelte Thalia, als sie die Zentrale verließen. Mittlerweile hatten sich alle Roboter zurückgezogen. Jetzt wirk te das Schiff wieder so, als seien sie allein an Bord. Wenig später schwebten sie zur HORIET hinüber, ohne aufgehalten zu werden. »Ich möchte wissen, was passiert, wenn wir mit der HORIET flüchten«, sagte Thalia, als sie ihren Raumhelm aufklappte. »Ob der Große Wächter damit einverstanden wäre?« »Lassen wir es lieber nicht auf einen Ver
Die Ewige Karawane such ankommen.« Sie gingen in die Zentrale, wo sich alle dreißig Dellos versammelt hatten, und be richteten, was geschehen war. BronniterVrang hörte mit. Er stellte hin und wieder eine Frage und ließ erkennen, daß er von den freundschaftlichen Absichten des Robo ter überzeugt war. »Ich habe niemals etwas Negatives über die Ewige Karawane gehört«, erklärte er. »Daher glaube ich, daß wir dem Großen Wächter vertrauen können.« »Eine Überraschung hat er noch für uns bereit«, sagte Thalia und deutete auf einen der Bildschirme. Eine menschenähnliche Gestalt schwebte auf die HORIET zu. Sie sah bizarr und un fertig aus. Atlan hatte den Eindruck, sie wer de im nächsten Moment zerfallen und sich in Einzelteile auflösen. »Was soll das sein?« fragte Fälser, der Kommandant der Dellos. »Eine Karikatur?« »Das sind lauter kleine Roboter, die sich zu dieser Gestalt zusammengefügt haben«, stellte Thalia fest. »Laß das Ding herein, Bronniter-Vrang«, befahl Atlan. »Ich habe die Schleuse geöffnet«, erwi derte das Quallenwesen. Einige Minuten verstrichen. Dann glitt das Schott der Zentrale auf, und die bizarre Gestalt trat schwankend und wankend ein. Sie setzte sich aus mehr als hundert Einzel robotern zusammen, die sich in ständiger Bewegung befanden. Dabei veränderte die Gestalt ihr Aussehen mehr und mehr, so daß sie dem Äußeren eines Menschen immer ähnlicher wurde. Unsicher schritt sie in der Zentrale auf und ab, doch gelang es ihr von Minute zu Minute besser, die Bewegungen zu koordinieren. »Hordinal«, verkündete sie schwerfällig und kaum verständlich. »Nennt mich Hordi nal. Das ist mein Name.« »Hordinal«, antwortete der Arkonide. »Du bist uns willkommen. Was führt dich zu uns?« »Ich will euch helfen«, erwiderte das Ro
13 botergebilde. Seine Stimme wurde klarer und verständlicher. »Die Karawane wird bald zum überlichtschnellen Flug überge hen. Dann müßt ihr bei ihr bleiben können. Dazu sind einige Berechnungen und Neu programmierungen notwendig. Ich werde sie gemeinsam mit dem Organteil dieses Schif fes erarbeiten.« Wiederum schritt er in der Zentrale auf und ab. Jetzt waren seine Bewegungen si cher. Sie wirkten leicht und geschmeidig. Das Robotergewirr war zur Ruhe gekom men. Jeder einzelne Roboter schien seine endgültige Position gefunden zu haben. Plötzlich wandte sich Hordinal dem Steuer leitpult zu. Er betrachtete es einige Minuten lang und führte dann eine Reihe von Schal tungen durch. Bronniter-Vrang meldete sich. Er gab knappe Kommentare zu den Schal tungen ab und bestätigte immer wieder, daß sie richtig durchgeführt wurden. Dann ent wickelte sich ein technischer Dialog zwi schen Hordinal und Bronniter-Vrang, und plötzlich beschleunigte das Raumschiff. At lan blickte auf die Bildschirme. Die Sterne verfärbten sich. Die Ewige Karawane be schleunigte ebenfalls. Die HORIET verän derte ihre Position zu ihr nicht. Dann ver schwanden die Sterne von den Bildschir men. Weiße, wabernde Glut schien das Schiff zu umhüllen. Die Schiffshülle begann zu dröhnen. Thalia legte Atlan besorgt die Hand auf den Arm. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er beruhi gend zu ihr. »Die HORIET fliegt schneller, als sie je geflogen ist. Sie muß es, wenn sie mithalten will.«
3. Als die Sterne wieder auf den Bildschir men erschienen, glitt die HORIET an einer riesigen blauen Sonne vorbei. BronniterVrang ermittelte innerhalb von Sekunden, daß die Sonne vierzehn Planeten hatte. Hordinal nahm eine Kurskorrektur vor, die das Schiff von der Ewigen Karawane
14 trennte. Gleichzeitig sank die Geschwindig keit der HORIET. Sie näherte sich dem vier ten Planeten der blauen Sonne, einer Welt, die von einer leuchtenden Aura umgeben zu sein schien. »Es ist die Silberwelt«, erklärte Hordinal. »Dort könnt ihr euch für einige Zeit ver stecken. Auf ihr seid ihr sicher vor euren Verfolgern.« »Das kann niemand wissen«, entgegnete Atlan. »Sie werden euch nicht finden«, betonte der Roboter. »Ich werde bei euch sein und euch helfen, das Raumschiff an einen Ort zu bringen, an dem niemand es entdecken wird.« Die Karawane verschwand aus dem Or tungsbereich der HORIET, als diese die Sil berwelt erreichte. Gebannt blickten Atlan, Thalia und die Dellos auf die Bildschirme. Der Planet leuchtete hell wie eine Sonne. Der Arkonide zählte neun Kontinente, wäh rend die HORIET die Silberwelt umkreiste und dabei in die Atmosphäre glitt. Auf allen Kontinenten gab es weite Landstriche, die intensiv strahlten. »Was ist das?« fragte Thalia. »Wieso leuchten diese Gebiete so?« »Ich kann noch nichts erkennen«, erwi derte der Unsterbliche. »Es könnten Kristall wälder sein. Das würde dieses Strahlen und Flimmern erklären.« Die HORIET näherte sich der Küste eines Kontinents, der auf der südlichen Halbkugel des Planeten lag. Die Konturen der Land schaft waren nicht auszumachen. Sie wurden von dem intensiven Leuchten und Glitzern überstrahlt. Hordinal lenkte das Raumschiff auf eine Landzunge zu, die weit ins Meer ragte. Auf ihr erhob sich ein Felsen, auf dem eine Burg stand. Riesige Wellen brandeten gegen die Küste. Sie brachen sich gischtend an Mau ern, die rings um die Landzunge errichtet waren. Wo die Landzunge ins Ufer über ging, stand ein Tor, das von zwei vogelähn lichen Metallgebilden flankiert wurde. Das ist kein Versteck, warnte der Logik-
H. G. Francis sektor, als erkennbar wurde, daß Hordinal in unmittelbarer Nähe des Tores landen wollte. Hier sitzt ihr wie auf dem Präsentierteller. Atlan schnellte sich mit aller Kraft gegen Hordinal. Er schleuderte ihn zur Seite und überraschte ihn. Der Roboter stürzte zu Bo den und löste sich scheppernd und krachend in seine Einzelteile auf. Ein chaotisches Durcheinander von Kleinstrobotern ent stand, während der Arkonide die Schaltun gen änderte. »Weiterfliegen, Bronniter-Vrang«, schrie er. »Wir dürfen auf keinen Fall hier landen.« Er blickte auf den Boden. Die Kleinstro boter krochen übereinander und setzten sich erneut zu einem menschenähnlichen Gebilde zusammen. Atlan konnte absehen, daß Mi nuten vergehen würden, bevor Hordinal wie der aktionsfähig war. Die HORIET stieg wieder an und raste über die Burg hinweg. Bei den beiden Me tallvögeln blitzte es auf. Ein heftiger Schlag traf die HORIET und warf sie herum. Für einen kurzen Moment schien es, als werde sie auseinanderbrechen. »Sie haben uns getroffen«, rief BronniterVrang entsetzt. »Ich kann das Schiff nicht mehr halten. Helft mir.« Atlan unterstützte das Quallenwesen so gut er konnte. Die HORIET entfernte sich von der Burg. Sie jagte über strahlende und glitzernde Kristallwälder. »Schaffst du es?« fragte Thalia. »Nein«, antwortete der Arkonide. »Das Schiff ist verloren. Sie haben den Antrieb getroffen.« Er verzögerte. Die HORIET schüttelte sich, als wenn sie von zahllosen Geschossen getroffen würde. Gleichzeitig sackte sie ab. Sie streifte die Spitzen einiger hoch aufra gender Kristalle. Dann öffnete sich ein grü nes Tal vor ihr. Atlan machte die letzten Kräfte der Maschinen mobil. Schwankend und bebend setzte die HORIET auf. Gleich zeitig erschütterten mehrere Explosionen das Schiff. »Verlaßt das Schiff«, befahl der Arkoni de. »Schnell.«
Die Ewige Karawane Thalia und die Dellos rannten aus der Zentrale. Hordinal richtete sich schwerfällig auf. Er folgte ihnen. Atlan blieb noch am Steuerleitpult. »Bronniter-Vrang«, sagte er leise. »Hörst du mich?« »Ich höre dich, Atlan.« »Ich habe alles versucht und getan, was in meiner Macht stand.« »Ich weiß es.« »Es tut mir leid.« »Du kannst mein Schicksal nicht ändern. Nicht du bist schuld, sondern jene, die mich mit diesem Schiff verbunden haben. Geh jetzt, sonst ist es zu spät für dich.« »Ich verliere einen Freund.« »Du gibst mir Mut. Ich danke dir.« Atlan senkte den Kopf. »Ich werde dich rächen, Bronniter-Vrang. Ich werde dafür kämpfen, daß die Schuldi gen bestraft werden, und daß sie nie wieder in der Lage sein werden, anderen das anzu tun, was sie dir angetan haben.« »Ich weiß es, Atlan.« Die Stimme des Quallenwesens klang gequält. Sie ließ er kennen, daß Bronniter-Vrang Schmerzen litt. Rauchwolken zogen in die Zentrale. »Geh jetzt. Das Schiff steht in Flammen. Wenn du noch länger bleibst, kannst du die HORIET nicht mehr verlassen. Mein Tod ist nicht das Ende. Ich werde in anderer Form leben. Das ist gewiß, und dadurch wird mir das Sterben leichter. Lebe wohl, Atlan.« Ein lautes Knacken zeigte dem Arkoniden an, daß Bronniter-Vrang die Verbindung ab gebrochen hatte. Der Boden unter den Füßen des Arkoni den erzitterte. Immer neue Explosionen er schütterten das Schiff. Atlan wandte sich um und rannte durch das offene Schott hinaus. Überall im Schiff brannte es. Der Boden wurde immer heißer unter den Füßen des Unsterblichen. Die Wandplatten barsten un ter dem Einfluß der Hitze. Rauchschwaden zogen durch das Schiff. Hustend und keuchend erreichte Atlan die Schleuse. Er floh taumelnd aus dem sterbenden Schiff.
15 Thalia, die Dellos und Hordinal warteten etwa hundert Meter von der HORIET ent fernt auf ihn. »Verräter«, sagte Atlan zum Roboter. »Du hast uns hierher gelockt, obwohl du ge nau wußtest, daß man uns angreifen würde. Du hast uns in eine Falle geführt.« »Das ist nicht wahr«, entgegnete Hordinal entrüstet. »Der Große Wächter hat mir be fohlen, euch hierher und in Sicherheit zu bringen.« »Du bist der Große Wächter«, erwiderte Atlan erregt. Seine Augen tränten. »Ich bin nur ein Teil von ihm«, stellte Hordinal richtig. »Allein kann ich nicht ent scheiden.« Atlan fühlte, daß die Erregung ihn zu übermannen drohte. Er wußte, daß sie darauf zurückzuführen war, daß Bronniter-Vrang in diesen Sekunden mit der HORIET starb. Er mußte an sich halten, um sich nicht auf Hor dinal zu stürzen. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn plötzlich. »Die große Plejade«, sagte er und klopfte seine Taschen ab. »Sie ist nicht da.« »Du hast sie in der Zentrale abgelegt«, be merkte Thalia. »Ich habe es gesehen. Sie liegt in einem Fach am Steuerleitpult.« »Ich muß sie holen«, sagte Atlan und rannte los. »Sie darf nicht mit dem Schiff untergehen.« »Das ist Wahnsinn«, rief Thalia. »Du kannst sie nicht mehr retten.« Atlan ließ sich nicht aufhalten. Er rannte auf das Raumschiff zu, dessen Heck bereits rotglühend war. Auch der Bug stand in hel len Flammen. Die transparente Halbkugel, in der Bronniter-Vrang gelebt hatte, war zer borsten. Von dem Quallenwesen war nur noch ein schwärzlich verbrannter Klumpen übrig. »Bleib hier«, brüllte Hordinal und eilte mit Riesensätzen hinter dem Arkoniden her. Er holte ihn etwa dreißig Meter vor dem Raumschiff ein, packte ihn an der Schulter und riß ihn zurück. Atlan strauchelte und stürzte zu Boden. Der Roboter eilte an ihm vorbei.
16 »Ich hole die große Plejade für dich«, rief er ihm zu. »Ich werde dir beweisen, daß ich kein Verräter bin.« Atlan richtete sich langsam auf. Flammen schossen aus der Schleuse. Hordinal sprang mitten in sie hinein, als habe er die Hitze nicht zu fürchten. In diesem Moment wurde dem Arkoniden klar, daß er es nicht ge schafft hätte, ins Schiff zu kommen. Die glühende Hitze hätte ihn zurückgetrieben. Nur ein Roboter durfte es noch wagen, die HORIET zu betreten. Er benötigte keinen Sauerstoff für seinen Betrieb, konnte sich al so selbst mitten im Feuer noch bewegen, wo jeder Mensch augenblicklich bewußtlos ge worden wäre. Schritt für Schritt wich Atlan vor dem Raumschiff zurück. Einige Explosionen ris sen das Heck der HORIET auf. »Sei froh, daß er dich zurückgehalten hat«, sagte Thalia, als er sie und die Dellos erreichte. »Hätte er es nicht getan, wärest du jetzt schon tot.« »Die große Plejade ist zu wertvoll«, be merkte der Arkonide. »Sie hat eine zu große Bedeutung für die Völker dieser Galaxis. Ich hätte nicht so leichtfertig damit umgehen dürfen.« »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu ma chen«, widersprach sie. »Du konntest nicht wissen, daß man uns angreifen würde. Im Gegenteil. Wenn du nicht rechtzeitig rea giert hättest, dann hätten die beiden Metall vögel das Schiff noch besser getroffen, und wir wären auf der Stelle abgestürzt. Nie mand wäre lebend herausgekommen.« »Mag sein, aber das ist kein Trost für mich.« Nach einigen weiteren Explosionen zer brach die HORIET in drei Teile. Glutflüssi ges Material sickerte aus den Bruchstellen. »Ich glaube, wir müssen Hordinal ab schreiben«, sagte Thalia, als etwa fünf Mi nuten verstrichen waren. »Er kommt nicht mehr.« »Und die große Plejade«, fügte Atlan hin zu. Er wollte sich bereits abwenden und den
H. G. Francis Dellos befehlen, sich weiter vom Wrack, zu rückzuziehen, als sich ein glühendes Gebilde aus den Trümmern löste. Er bewegte sich torkelnd auf ihn zu. »Hordinal«, rief Thalia. »Aber das ist doch nicht möglich.« Von Hordinal war kaum mehr als ein zer schmolzenes und verbogenes Stück Metall übriggeblieben, das sich nur mühsam voran bewegte. Und auch dieser Rest hielt sich nicht, sondern löste sich auf. Atlan rannte auf das Roboterwrack zu, obwohl die Hitze nahezu unerträglich wur de. Schützend hielt er die Hände vor das Ge sicht. »Hordinal«, schrie er. »Hast du die große Plejade?« Im gleichen Augenblick schalt er sich einen Narren. Er konnte nicht annehmen, daß dieses glühende Stück Metall ihn hören konnte. Doch dann zeigte sich, daß seine Skepsis verfrüht war. Hordinal stürzte zu Boden und löste sich dabei in seine Einzelteile auf. Dabei kamen einige Kleinstroboter zum Vorschein, die noch nicht glühten. Eine Kugel rollte über den Boden auf Atlan zu. Die große Plejade! Sie war so heiß, daß sich das Gras verfärbte, wo sie es traf. Atlan blickte zu Hordinal hinüber. Er sah, daß die Einzelroboter bewegungslos liegen blieben. Sie hatten ihren letzten Auftrag er füllt. Jetzt vergingen sie. Die große Plejade blieb vor seinen Füßen liegen. Er glaubte, ihre Ausstrahlung zu füh len. Er warf etwas Erde über sie, um sie ab zukühlen, entfernte sie nach einigen Sekun den und tauschte sie gegen kühle Erde aus. Diese Prozedur wiederholte er einige Male, bis die Plejade sich so weit abgekühlt hatte, daß er sie in die Hände nehmen konnte. Er steckte sie ein und eilte zu Thalia. »Wir haben noch einmal Glück gehabt«, sagte er. »Komm.« Sie entfernten sich hinter einige Erdwälle, so daß sie bei einer Explosion des Trieb werks einen gewissen Schutz hatten. Jetzt erst nahm Atlan sich die Zeit, sich umzuse
Die Ewige Karawane hen, um sich darüber zu informieren, wo sie gelandet waren. Sie befanden sich in einem üppig grünenden Tal, das durch sanft anstei gende Hügelketten begrenzt wurde. An eini gen Stellen erhoben sich Kristallwälder. Sie glichen zu Bündeln zusammengefaßten Scheinwerferstrahlen, die von Vertiefungen im Boden ausfächerförmig zu den Wolken aufstiegen. Dabei strahlten und funkelten die Kristalle in gleißendem Licht. Sie schienen das Licht des Feuers in sich aufzusaugen, um es vielfach verstärkt und farblich ver fremdet wieder abzustrahlen. Die Pflanzen hatten fremdartige Formen, die Atlan an Bilder aus dem Mikrokosmos erinnerten, so daß er das Gefühl hatte, in ei ne Welt geraten zu sein, in der Viren und Bakterien herrschten, die ins Gigantische vergrößert waren. Zwischen den Bäumen und Büschen die ser seltsamen Vegetation wimmelte es von fliegenden Insekten aller Art und Größe. Glücklicherweise belästigten sie Atlan und seine Begleiter nicht. »Was jetzt?« fragte Fälser, der Komman dant der Dellos. »Ich schlage vor, daß wir zur Burg ge hen«, erwiderte der Arkonide. »Es ist das einzige Bauwerk, das ich bei unserem Ab sturz beobachtet habe.« »Genügt dir die Abfuhr noch nicht, die wir uns geholt haben?« fragte Thalia. Atlan lächelte nachsichtig. »Dir sitzt der Schreck noch in den Glie dern, Thalia«, sagte er. »Ich gebe zu, daß es nicht besonders angenehm ist, mit einem Raumschiff abzustürzen. Nach einer solchen Schlappe neigt man dazu, den Gegner zu überschätzen. Es bleibt uns jedoch nichts an deres übrig, als uns mit der Burg zu befas sen.« »Willst du mir Feigheit vorwerfen?« frag te sie hitzig. »Du weißt, daß ich das nicht will«, ant wortete er. »Du weißt aber auch, daß wir keine andere Möglichkeit haben, als gegen die Burg zu kämpfen. Oder willst du aufge ben, dich hier irgendwo auf der Silberwelt
17 ansiedeln und Pthor vergessen? Auf Pthor gibt es immer noch einige, die glauben, daß wir vor den drohenden Gefahren weggelau fen sind. Ich werde ihnen nicht dadurch recht geben, daß ich mich verstecke und den Dunklen Oheim gewähren lasse.« »Du hast recht«, sagte sie. »Wie immer.« Sie lächelte unsicher und fuhr sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. »Wir werden es denen in der Burg heim zahlen, daß sie uns abgeschossen haben.« »Ich weiß auch jetzt noch nicht, ob Hordi nal uns betrogen hat oder nicht.« »Ich glaube nicht.« »Ich neige auch dazu, das anzunehmen, andernfalls hätte er wohl kaum die große Plejade gerettet und sich dabei geopfert. Ich meine, daß Hordinal durch den Angriff überrascht wurde. Er wollte, daß wir in der Nähe der Burg landen. Daraus können wir schließen, daß die Burg eine Schlüsselstel lung auf der Silberwelt einnimmt. Wir müs sen zur Burg, wenn wir klären wollen, wel ches Geheimnis es um die Silberwelt gibt und wenn wir wieder zu einem Raumschiff kommen wollen, mit dem wir diesen Plane ten verlassen können.« »Ich sagte ja schon, daß du recht hast«, entgegnete Thalia gereizt. »Wir sollten nicht reden, sondern endlich aufbrechen.« »Dagegen habe ich nichts einzuwenden.« Atlan erstieg einen der Hügel in der Nähe, um von hier aus die Richtung festzulegen, in die sie gehen mußten. Die landende HO RIET hatte eine deutliche Spur im Boden hinterlassen, so daß noch gut zu erkennen war, aus welcher Richtung sie gekommen war. Der Weg zur Burg führte durch glit zernde und strahlende Kristallwälder, die sich bis zum Horizont erstreckten. Atlan schätzte, daß sie wenigstens fünfzig Kilome ter bis zur Küste zurücklegen mußten. Die Sonne hatte den Horizont überschrit ten. In einigen Stunden war der Tag zu Ende. Dennoch entschloß er sich dazu, sofort auf zubrechen, um keine Zeit zu verlieren, zu
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H. G. Francis
mal sie keinen Vorteil davon hatten, wenn sie in der Nähe der HORIET blieben. Er gab Thalia und den Dellos das Zeichen zum Aufbruch.
* Ein geheimnisvolles Wispern erfüllte den Kristallwald. Es schien aus ständig wech selnden Richtungen zu kommen. Tausend fältig brach sich das Licht der untergehen den Sonne in den Kristallen und schuf Trug bilder. Mehrere Male mußte Atlan beruhi gend auf die Dellos einreden, um sie vor ei ner sinnlosen Flucht zu bewahren. Sie mein ten, fremdartige Gestalten zwischen den Kri stallgebilden wahrgenommen zu haben, und sie fühlten sich bedroht. Je weiter sie in den Wald vordrangen, desto verschüchterter wirkten sie. Das war für Atlan um so überra schender, als sie sich bisher als zuverlässig und furchtlos erwiesen hatten, seit sie Pthor verlassen hatten. Selbst Fälser, der sonst nicht so leicht zu beeindrucken war, wurde immer unsicherer. Er suchte in auffallender Weise die Nähe Atlans. Mühsam arbeiteten sich Atlan und seine Begleiter voran. Sie mußten ständig über Hindernisse aus Kristallen oder umgestürz ten Bäumen klettern. Je tiefer die Sonne sank, desto lauter wur de das Wispern und Flüstern, bis selbst At lan glaubte, menschliche Stimmen zu ver nehmen. Er blieb stehen und hob die Hand, um den anderen zu bedeuten, daß sie ruhig sein soll ten. Er glaubte, eine humanoide Gestalt zu sehen, die sich zwischen den hoch aufragen den Kristallen vor ihm bewegte. »Wir sind nicht allein«, wisperte Thalia. »Irgend jemand ist da.« Sie zeigte auf die Kristalle, die bis zu ei ner Höhe von zwanzig Metern und darüber aufragten. »Jemand verfolgt uns.« Atlan lief los. Er schnellte sich über eini ge Kristalle hinweg und stürmte auf eine glitzernde Wand zu, hinter der er deutlich ei-
ne hochgewachsene Gestalt erkannte. Als er auch das letzte Hindernis umlaufen wollte, prasselte plötzlich ein Kristallschau er gegen seinen Rücken. Dann zuckten Blit ze aus den Wolken herab. Eine Bö fegte über das Land und wirbelte Milliarden von winzigen Kristallen auf. Zahllose Kristallge bilde, die bis dahin wie unzerstörbare Monu mente einer fremden Macht erschienen wa ren, zerplatzten in winzige Fragmente, die vom Wind aufgewirbelt wurden. Atlan hielt sich die Hände schützend vor die Augen. Thalia und die Dellos schlossen ihre Raumhelme. Die fremde Gestalt war verschwunden. Atlan ging einige Schritte weiter, weil er hoffte, sie doch noch zu se hen, aber er blickte nur in ein Gewirr von glitzernden, schimmernden und strahlenden Kristallen, die alles Licht in sich zu vereinen schienen. Der Wind steigerte sich zum Sturm. Er trieb Kristalle vor sich her, die Faustgröße erreichten und wie Geschosse auf Atlan, Thalia und die Dellos herabprasselten. »Legt euch auf den Boden«, schrie der Arkonide, der Mühe hatte, sich auf den Bei nen zu halten. Er sah, daß einige Dellos flie hen wollten, obwohl es nirgendwo einen Ort gab, an dem sie vor dem Kristallsturm in Si cherheit waren. Er kämpfte sich zu ihnen hin und warf sie zu Boden. Schützend kreuzten sie die Arme über dem Kopf. Atlan sank neben Thalia nieder. Ihre Au gen waren weit geöffnet. Ein Kristall hatte sie so unglücklich getroffen, daß sie das Be wußtsein verloren hatte. Er konnte nichts tun. Er konnte nur ab warten, bis der Sturm abflaute, doch Stunde um Stunde verstrich, ohne daß sich etwas änderte. Der Sturm peitschte die Kristalle mit unverminderter Wucht über das Land. Die Dunkelheit brach an, und die Nacht senkte sich herab. Atlan spürte, wie die Kri stalle gegen seinen Körper prallten. Er hatte den Wunsch, sich irgendwo zu verkriechen, wo er vor dem Trommelfeuer der Kristalle sicher war, doch es schien nichts in seiner Nähe zu geben, was Schutz gewährte.
Die Ewige Karawane Erst als der Tag anbrach, ließ der Sturm nach. Überall hatten sich Kristallwehen ge bildet, die teilweise so hoch waren, daß die Dellos darunter verschwunden waren. Atlan raffte sich mühsam auf. Er kämpfte sich zu einem Dello vor, von dem nur noch die Beine zu sehen waren. Mit den Händen schaufelte er die Kristalle zur Seite, bis er den Dello aus dem glitzernden Berg ziehen konnte. Es war Fälser. Sein Gesicht war ein gefallen und von den überstandenen Strapa zen gezeichnet. Die anderen Dellos sahen nicht anders aus. Sie waren so erschöpft, daß sie sich nicht auf den Beinen halten konnten. Auch Thalia war so geschwächt, daß sie auf dem Boden sitzen blieb. »Ich muß etwas trinken«, sagte sie, nach dem sie den Raumhelm geöffnet hatte. »Wir haben nichts«, erwiderte Atlan. »Uns fehlt überhaupt so ziemlich alles, was wir benötigen.« Thalia schrie auf. Atlan fuhr herum. Zwi schen den hoch aufragenden Kristallen, die den Sturm zum Teil unbeschädigt überstan den hatten, tauchten ausgemergelte Gestal ten auf. Es waren Krejoden. Sie waren so dürr, daß es Atlan wie ein Wunder erschien, daß sie sich auf den Beinen halten konnten. Sie trugen Metallstangen in den Händen. Grüßend hob der Arkonide die rechte Hand. »Endlich treffen wir jemanden«, sagte er. »Wir dachten schon, wir seien allein auf die sem Planeten.« Er zählte zwanzig Krejoden. Sie waren al le über zweieinhalb Meter groß. Sie wirkten besonders groß und dünn, weil sie alle fast nackt waren. Und was sie noch am Leib tru gen, hing in Fetzen herunter. Einer der Krejoden gab knarrende Töne von sich. Atlan verstand seine Worte nicht, begriff deren Sinn jedoch augenblicklich. Die Krejoden griffen an. Sie stürmten auf ihn und den erschöpften Dellos zu. Atlan warf sich ihnen entgegen, obwohl er wußte, daß er sich gegen sie nicht be haupten konnte. Er stand ihnen praktisch al lein gegenüber, weil Thalia und die Dellos
19 zu geschwächt waren. Er wehrte einige Hie be mit den Händen und den Armen ab. Dann riß ihn ein Krejode von hinten um, und eine Metallstange traf ihn am Kopf. Wie gelähmt fiel er zu Boden. Er verlor das Bewußtsein nicht, doch die Schmerzen, die seinen Kör per überfluteten, waren so stark, daß er sich nicht mehr erheben konnte. Jegliches Gefühl wich aus Armen und Beinen, während die Krejoden ihm alles ab nahmen, was er bei sich trug. Er sah, daß sie auch Thalia und die Androiden ausplünder ten. Niemand leistete ernstzunehmenden Widerstand. Der Anführer der Gruppe trat an Atlan heran und stieß ihm den Fuß in die Seite. »Das hat euch nicht gefallen«, sagte er in Garva-Guva. »Natürlich nicht. Es ist jedoch nicht zu ändern. Seht zu, daß ihr weiter kommt. Dies ist unser Gebiet. Wenn ihr es noch einmal betretet, sehen wir uns gezwun gen, andere Waffen einzusetzen.« Er griff unter die schmutzigen Fetzen, die seinen Körper bedeckten, und zeigte Atlan einen Energiestrahler. Dann gab er seinen Begleitern das Zeichen zum Aufbruch und verschwand mit ihnen im Kristallwald.
4. »Ich gebe die große Plejade nicht auf«, sagte Atlan. »Wir holen sie uns wieder.« »Trotz der Waffe?« fragte Fälser, der sich inzwischen etwas erholt hatte. Atlan lächelte. Er hatte die Lähmung überwunden. »Er muß uns erst einmal beweisen, daß sie auch geladen ist.« Er folgte den Krejoden ins Dickicht des Kristallwalds. Thalia gab den Dellos einen befehlenden Wink und schloß sich ihm an. Er kletterte auf einen scharfkantigen, etwa zehn Meter hohen Kristall. Von hier aus hat te er einen guten Überblick. Er sah, daß die Krejoden etwa hundert Meter von ihm ent fernt in eine Höhle stiegen. Zwei von ihnen blieben zurück. Sie gingen zu einem meter hohen Spinnennetz, das sich zwischen den
20 Kristallen spannte. Mit einigen Schlägen vertrieben sie große, dunkle Spinnen aus dem Netz. Dann nahmen sie mehrere faust große Kugeln daraus hervor und eilten nun ebenfalls in die Höhle. »Sie haben ein Spinnennetz geplündert«, berichtete Atlan, als er wieder bei Thalia war. »Willst du behaupten, daß sie Spinneneier essen?« fragte sie und erschauerte vor Ab scheu. »Ich weiß nicht, ob sie sie essen«, erwi derte er. »Ich kann mir allerdings nicht vor stellen, wozu sie die Eier sonst verwenden.« »Ich würde eher sterben, als Spinneneier zu essen.« »Du bist keine Krejodin. Wenn du eine wärst, würdest du sie vielleicht sogar als De likatesse ansehen.« Sie schüttelte sich vor Entsetzen und bat ihn zu schweigen. »Laß uns lieber weitergehen«, sagte sie. »Die Krejoden rechnen bestimmt nicht da mit, daß wir ihnen schon jetzt folgen.« »Diesen Eindruck hatte ich allerdings auch.« Vorsichtig drangen Atlan und seine Begleiter weiter vor, wobei sie sich bemüh ten, jegliches Geräusch zu vermeiden. Bald zeigte sich, daß die Krejoden tatsächlich nicht mit einer Verfolgung rechneten. Sie hatten nur wenig erbeutet, und nichts davon mochte ihnen so wertvoll erscheinen, daß je mand dafür sein Leben riskierte. Atlan erreichte den Höhleneingang, ohne bemerkt worden zu sein. Er bestimmte ne ben Fälser noch vier weitere Dellos, die ihn in die Höhle begleiten sollten. Die anderen sollten unter Thalias Kommando vor der Höhle bleiben. Doch damit war die Tochter Odins nicht einverstanden. »Sie sind in der Überzahl«, sagte sie. »Wir müssen mit allen Dellos angreifen.« »Wir würden uns nur den Fluchtweg ver sperren, wenn wir mit zuvielen in die Höhle gehen«, widersprach Atlan. »Wenn sich zeigt, daß sich ein Angriff lohnt, hole ich die anderen nach.« Der in die Tiefe führende Gang erwies
H. G. Francis sich als so schmal, daß die Männer nur lang sam vorankamen. Kristalle ragten an vielen Stellen in den Gang. Sie verbreiteten so viel Licht, daß der Gang ausreichend beleuchtet war. Die Kristalle leiteten das Sonnenlicht, das sie über den Felsen einfingen, in die Tie fe. Als Atlan etwa zwanzig Meter weit vor gedrungen war, vernahm er die knarrenden Stimmen der Krejoden. Vorsichtig schob er sich weiter vor, bis er über einige Fels brocken hinweg in eine weite Höhle sehen konnten. Hier hielten sich etwa vierzig Kre joden auf. Sie befanden sich alle in einem äußerst schlechten Zustand. Die meisten von ihnen sahen aus, als stünden sie unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Sie scharten sich um einen meterhohen, blau strahlenden Kri stall, auf dem ein Krejoden-Junges hockte. Dieses Kind machte einen ausgesprochen gesunden und frischen Eindruck. Es spielte mit der großen Plejade. Es warf die Kugel in die Höhe und fing sie wieder auf, wobei es vergnügt knarrte. Atlan wußte, daß die Krejoden ihre Kin der wie Götter behandelten. Für ihn war klar ersichtlich, daß die Krejoden in der Höhle sich für das Kind aufopferten. Sie selbst leb ten in ärgster Not. Sie hungerten und gaben dem Kind alles, was dieses haben wollte. Dieses Kind war wahrscheinlich das ein zige Krejoden-Kind auf der Silberwelt. Da durch war es für die Krejoden besonders wichtig, es zu pflegen und umhegen. Atlan zog sich einige Schritte weit zurück und befahl einem der Dellos, Thalia und die anderen Androiden zu holen. Der Dello eilte davon. Atlan kehrte zu seinem Beobach tungsplatz zurück. Er sah, wie die Krejoden sich mit dem Kind beschäftigten, wie sie al les nur Erdenkliche taten, es zu unterhalten. Dabei übersahen sie völlig, daß das Kind viel lieber mit sich und den Sachen allein gewesen wäre, die sie ihm zum Spielen ge geben hatten. Einige Minuten verstrichen. Dann erschi en Thalia neben dem Arkoniden. Sie berie ten sich flüsternd. Thalia war sofort mit dem
Die Ewige Karawane Vorschlag einverstanden, den der Unsterbli che ihr unterbreitete. Atlan drehte sich um und gab Fälser das Zeichen zum Angriff. Die Dellos brüllten laut auf und warfen sich in die Höhle. Der Arkonide schnellte sich über die Fels brocken hinweg, hinter denen er sich ver steckt hatte, und rannte auf das Kind zu. Die Krejoden warfen sich ihm entgegen. Sie versuchten, ihn aufzuhalten, doch sie waren viel zu schwach. Sie konnten sich ge gen ihn nicht behaupten. Er fegte sie mit den Armen zur Seite und kämpfte sich zum Kind durch. Er packte es mit der rechten Hand, nahm die große Plejade mit der linken und flüchtete zu einer Felswand. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und umklam merte das Kind, das vor Angst knarrende Laute von sich gab. Die Krejoden standen wie gelähmt in der Höhle und blickten ihn an. Einige von ihnen waren zusammengebrochen. Sie lagen be wegungslos auf dem Boden. Die Dellos hat ten gar nicht in den Kampf eingegriffen. Le diglich Thalia hatte gekämpft. Sie hatte eini ge Gegner niedergeschlagen. »Rückt die Sachen wieder heraus, die ihr uns abgenommen habt«, befahl der Arkoni de. Der Anführer der Krejoden trat auf ihn zu. Er hielt den Energiestrahler in den Hän den. »Niemals«, rief er. Atlan lachte lautlos. Er drückte das Kind fester an sich. »Schon gut«, sagte er. »Hoffentlich ver kraftet ihr die Folgen.« Der Anführer der Krejoden schrie auf. »Du wirst dem Kind nichts tun.« »Wir wollen zur Küste«, erklärte Atlan. »Wir werden die Burg angreifen. Deshalb interessiert uns eure Situation nicht. Wir be nötigen jedoch die Ausrüstung. Wir nehmen sie uns zurück und verschwinden. Daran wird uns niemand hindern. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch uns anschließen. Wenn ihr nicht wollt, bleibt hier. Aber haltet uns nicht auf.« Der Anführer der Krejoden schob seine
21 Waffe wieder in den Gurt, der seinen dürren Körper umspannte. »Ihr seid Narren«, sagte er mit knarrender, schwer verständlicher Stimme. »Die Burg ist unangreifbar. Auf dieser Welt kann man nur eines tun. Man muß sich ganz dar auf konzentrieren zu überleben. Alles andere kommt einem Selbstmord gleich. Aber was rede ich. Euer Verhalten zeigt, daß euch mit Vernunft nicht beizukommen ist. Ihr habt euer Leben gewagt, um ein paar Nebensäch lichkeiten zurückzugewinnen. Ihr werdet nicht überleben.« »Ihr ebenfalls nicht«, entgegnete Atlan. »Ihr habt euch schon aufgegeben. Ihr kämpft nicht mehr. Ihr begreift noch nicht einmal, daß ihr diesem Kind keine Chance gebt.« »Das kannst du wohl kaum beurteilen.« »Seht euch doch an. Ihr alle steht vor dem Zusammenbruch. Keiner von euch sieht auch nur halbwegs gesund aus. Was wird aus dem Kind, wenn keiner von euch mehr lebt? Wer wird es dann versorgen? Es ist noch klein. Es ist abhängig von euch. Wenn ihr sterbt, dann stirbt es auch.« »Verschwende deinen Atem nicht. Wir tun das, was wir als richtig erkannt haben.« »Kämpft. Kommt mit uns und kämpft ge gen jene, die in der Burg sitzen.« »Niemand kommt an den metallenen Gei ern vorbei. Sie töten jeden, der der Burg zu nahe kommt.« »Habt ihr es versucht?« »Wir sind keine Narren.« »Ihr seid abgeschossen worden?« »Sonst wären wir nicht hier.« »Nun gut. Wenn ihr nicht kämpfen wollt, dann bleibt hier. Wir geben nicht auf. Del los. Nehmt euch eure Sachen, aber nur sie.« »Ihr seid Narren«, sagte der Anführer der Krejoden verächtlich. »Mit dieser Einstel lung werdet ihr nicht überleben. Ihr könnt nur durchkommen, wenn ihr alles nehmt, was ihr bekommen könnt.« »Ein seltsamer Vorschlag des Opfers«, entgegnete Atlan. »Er mag sogar richtig sein. Dennoch werden wir nichts von eurem Eigentum nehmen.«
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Einer der anderen Krejoden trat neben den Anführer. »Der Fremde hat recht«, sagte er. »Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, müssen wir zugeben, daß wir Sterbende sind. Das Kind hat nur eine Zukunft, wenn wir kämpfen. Ich schlage vor, daß wir die Fremden zur Burg begleiten.« Dieser Vorschlag traf den Anführer und die anderen Krejoden völlig überraschend. Er löste eine heftige Diskussion aus, die nicht in Garva-Guva, sondern in der Sprache der Krejoden geführt wurde, so daß Atlan nichts verstand. Die Dellos holten sich ihre Sachen zurück, die man ihnen widerspruchs los überließ. Atlan hielt das Kind fest. Er rechnete damit, daß es versuchen würde, sich zu befreien, doch es blieb ruhig. Etwa zwanzig Minuten verstrichen. Dann wechselten die Krejoden zu Garva-Guva über. Sie wollten, daß Atlan sie verstand. Schließlich wandte sich der Anführer dem Arkoniden zu. »Wir werden euch begleiten«, sagte er, »wenn ihr wollt. Wir werden zur Küste ge hen, weil die Lebensbedingungen dort viel leicht besser sind als hier, wo wir nur Spin neneier essen können. An der Küste werden wir dann entscheiden, ob wir mit euch zu sammen kämpfen oder nicht.« Er zog seine Waffe und reichte sie Atlan. »Sie ist nicht geladen«, erklärte er. »Ich habe kein Magazin dafür.« Der Arkonide nahm die Waffe und unter suchte sie. Der Krejode hatte die Wahrheit gesagt. »Also gut«, sagte Atlan. »Packt eure Sa chen und kommt mit.«
* Die Krejoden räumten die Höhle und schlossen sich Atlan und seinen Begleitern an. Dabei beförderten sie so wenig Habse ligkeiten zu Tage, daß Atlan sich wunderte, daß sie unter den extremen Bedingungen der Silberwelt überlebt hatten. Wichtigstes Aus rüstungsstück schien ihnen eine primitive
Trage zu sein, die sie selbst gebaut hatten. Sie setzten das Kind darauf und sechs Män ner trugen es, obwohl es selbst hätte gehen können. »Muß das sein?« fragte Atlan Kerelkre jan, den Anführer der Krejoden. »Wir kom men schneller voran, wenn das Kind geht.« »Katelphe wird getragen«, erwiderte der Krejode energisch. »Darüber reden wir nicht.« Atlan erkannte, daß eine Diskussion über das Kind das Verhältnis zu den Krejoden unnötig belasten würde. Er ging an die Spit ze der Gruppe. Der Weg führte durch dichte Kristallwälder. Er war beschwerlich, weil die Hindernisse oft nur mühsam überklettert werden konnten. Immer wieder mußten At lan, Thalia und Dellos warten, weil die Kre joden das Kind vorsichtig und behutsam über die Kristalle hoben. Als sie eine Hügelkette erstiegen, konnten Atlan und seine Begleiter das Meer sehen. Zu dieser Zeit hatten sie etwa zwanzig Kilo meter zurückgelegt. »Von jetzt an wird es leichter«, sagte Tha lia. »Die wenigen Kristallinseln vor der Kü ste können wir umgehen.« Das Gelände war übersichtlicher als bis her. Aus dem Grün der Bäume und Büsche erhoben sich nur wenige Kristalle. Der Bo den schien fest und trocken zu sein. Auf ei nigen Lichtungen sah Atlan äsende Tiere. »Warum habt ihr nicht hier gelebt?« frag te er den Anführer der Krejoden. »Habt ihr nicht gewußt, daß hier keine Kristallwälder sind?« »Wir konnten es nicht riskieren«, erwider te Kerelkrejan. »Es gibt gefährliche Tiere in dieser Gegend. Daher konnten wir nicht si cher sein, daß wir Katelphe schützen kön nen.« »Hat sich jetzt etwas geändert?« »Wir haben erkannt, daß wir in der Höhle verhungert wären. Das wäre auch für Katel phe das Ende gewesen. Wir werden auf der Hut sein. Zudem seid ihr bei uns. Die Grup pe ist größer geworden. Wenn ständig genü gend Männer bei Katelphe sind, kann nichts
Die Ewige Karawane passieren.« Atlan ging schweigend weiter. Es war ein Fehler, sie mitzunehmen, si gnalisierte der Logiksektor. Sie sind nicht in der Lage zu kämpfen. Sie behindern dich, weil sie nur an das Kind denken. Du mußt dich von ihnen trennen. Doch dazu war der Arkonide nicht bereit. Er fühlte sich in gewisser Weise für die Kre joden verantwortlich, weil er sich darüber klar war, daß sie sich selbst nicht helfen konnten. Wenn er sie verließ, würden sie sich in ihrer Angst um das Kind wieder in die Kristallwälder zurückziehen und dort umkommen. Er ließ die Dellos ausschwärmen. In brei ter Front drangen sie in das offene Land vor, während die Krejoden sich ängstlich um das Kind scharten. Die Dellos an den Flügeln gingen schneller, als die in der Mitte, so daß sich bald ein Halbkessel bildete. Er schloß sich zu einem Kessel, als mehrere antilopen ähnliche Tiere in den Halbkreis gerieten. Die Dellos trieben die Tiere vor sich her. Ei nige Tiere brachen aus dem Kessel aus, zwei aber landeten in den Armen der Dellos. Die Androiden töteten sie und weideten sie aus. Sie schichteten Holz auf und zündeten ein Feuer an, um das erlegte Wild darüber zu garen. Danach ließ Atlan ein Lager errichten, das durch Büsche und Äste nach außen hin ge schützt wurde. Am nächsten Morgen gingen Thalia und der Arkonide voraus. Bald darauf konnten sie die Burg sehen, vor der sich die metalle nen Vögel erhoben. Ein steifer Wind blies von See her. Er peitschte das Wasser auf. Ei nemächtige Brandung brach sich an der Kü ste. Atlan hatte sich während der Nacht einen Plan zurecht gelegt. Er wollte ein Floß bauen und die Burg von See her angreifen. Jetzt erkannte er, daß er sich in dieser tosen den Brandung niemals halten konnte. Er mußte warten, bis es windstill wurde. Aber selbst dann schienen die Aussichten, von der Rückseite her an die Burg zu kommen, ge ring zu sein, denn die Wasserbewegungen
23 ließen erkennen, daß es starke Strömungen gab. »An den Metallvögeln kommen wir nicht vorbei«, sagte Thalia. »Sie speien Feuer und verbrennen uns.« »Ich vermute, daß Thermostrahler in ih nen verborgen sind«, entgegnete der Arkoni de. »Wahrscheinlich sind sie nur in begrenz tem Maß schwenkbar. Es könnte also sein, daß wir uns dem Tor von der Seite her nä hern können, ohne angegriffen zu werden.« Kerelkrejan kam zu ihnen, um sich eben falls ein Bild von der Lage zu machen. »Wir benötigen Waffen«, sagte er. »Als wir abge schossen wurden, habe ich gesehen, daß in dieser Gegend die Wracks von Raumschif fen lagen. Wir sollten sie aufsuchen. Viel leicht finden wir darin etwas, was wir ge brauchen können.« »Ich habe nichts gesehen«, erwiderte At lan. »Wieso seid ihr eigentlich zur Silber welt gekommen?« »Wir haben gegen die Macht des Schwar zen Oheims gekämpft«, erwiderte der Krejo de. »Es war ein aussichtsloser Kampf. Ich weiß es heute, aber wir mußten ihn aufneh men, weil das Leben unserer Kinder bedroht war.« »Ist es das jetzt nicht mehr?« fragte Tha lia. »Nur noch Katelphe lebt«, antwortete der Krejode. »Du wolltest uns sagen, wie ihr zur Sil berwelt gekommen seid«, bemerkte Thalia. »Die Mächte des Schwarzen Oheims ha ben uns angegriffen. Wir wurden bis zu ei ner Raumschiffswerft zurückgedrängt. Uns blieb nur die Flucht. Wir wußten jedoch nicht, wohin wir fliehen sollten. Da kam Hordinal. Er hat es uns gesagt.« »Hordinal? Hast du wirklich Hordinal ge sagt?« »Das habe ich gesagt, Thalia. Kanntest du ihn? Er war ein Roboter, der sich aus mehr als hundert kleinen Robotern zusammensetz te. Er gehörte zur Werft.« »Ja«, erwiderte Thalia. »Ich kannte Hor dinal.«
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»Hordinal ist mit uns an Bord eines Raumschiffs gegangen, das zur Wartung in der Werft war. Damit sind wir geflüchtet. Hordinal hat uns zur Silberwelt gebracht. Er sagte, hier seien wir sicher. Doch dann woll ten wir landen. Wir kamen in die Nähe der Burg und wurden beschossen. Es gelang uns, das Raumschiff bis in die Nähe der Kri stallwälder zu bringen. Dort stürzte es ab. Wir konnten das Schiff verlassen. Hordinal ist darin verbrannt.« »Bist du sicher?« »Ganz sicher. Ich habe gesehen, wie er in geschmolzenes Metall stürzte und darin ver brannte.« »Vielleicht ist es nur ein Zufall«, sagte Atlan. »Es ist kein Zufall, daß wir von einem Roboter der gleichen Art hierhergebracht wurden«, widersprach Thalia. »Wir suchen nach dem Wrack. Vielleicht finden wir tatsächlich etwas.« »Tatsächlich habe ich auch in einem an deren Fall von Hordinal gehört«, sagte der Krejode, während sie zu den anderen zu rückkehrten. »Für einige Tage war ein Ha vare bei uns. Er war der Sohn eines Raum fahrers, der von der Ewigen Karawane ge rettet worden ist.« Atlan und Thalia blickten sich flüchtig an. Sie wollte Kerelkrejan Fragen stellen, doch in diesem Moment eilte ein Dello auf sie zu. »Ich habe das Wrack eines Raumschiffs gesehen«, berichtete er. »Es ist in gutem Zu stand. Es ist zerbrochen, aber es ist nicht ausgebrannt.« »Das sehen wir uns an«, sagte der Arkoni de. »Komm. Führe uns.«
* Das Wrack lag nur etwa einen Kilometer entfernt in einer Bodenrinne hinter hohen Bäumen verborgen, so daß man es erst sah, wenn man direkt davor stand. Es war das Wrack eines stabförmigen Raumers, der et wa vierzig Meter lang und fünfzehn Meter dick war. Beim Absturz war es in drei Teile
zerbrochen. An einem Ende befand sich die Hauptleitzentrale in einem halbkugelförmi gen Aufbau, der durch eine transparente Haube überdeckt war. »Hast du schön einmal so ein Schiff gese hen?« fragte Atlan den Krejoden. »Noch nie. Ich weiß auch nicht, wer es geflogen haben könnte.« Atlan betrat das Wrack durch eine offene Schleuse. Thalia und einige Krejoden folg ten ihm. Sie untersuchten das Schiff, das in nen beträchtliche Beschädigungen aufwies. Von der ehemaligen Besatzung waren nur noch Skelette übrig. Diese lagen so im Schiff verteilt, daß für Atlan mühelos zu er kennen war, daß sie vergeblich versucht hat ten, das Schiff zu verlassen. Im Wrack be fanden sich noch zahllose Gegenstände, die als Ausrüstung für Atlan und seine Begleiter interessant waren. Der Arkonide rief auch die Dellos ins Schiff, um auch sie suchen zu lassen. Er selbst interessierte sich nur für die Hauptleit zentrale: Er hoffte, dort Hinweise auf die Bewaffnung des Schiffes zu finden. Die Ein richtungen des Instrumentenpults waren je doch so fremdartig, daß er sie nicht entzif fern konnte. Er verließ das Raumschiff wie der und untersuchte die Außenhaut. Bald entdeckte er mehrere Ausschußöffnungen. Sie waren mit Platten verschlossen. Er ver suchte, sie zu öffnen. Nachdem er fast eine Stunde daran gearbeitet hatte, sprang eine der Platten plötzlich zur Seite, nachdem er eine andere leicht verschoben hatte. Unter der Platte verbarg sich die Spitze eines Ra ketengeschosses. Jetzt öffnete Atlan auch die anderen Verschlüsse und legte auf diese Weise sieben Raketen frei. Die Geschosse waren etwa zwei Meter lang. Atlan rief Ke relkrejan zu sich und zeigte ihm den Fund. »Wir müssen versuchen, sie zu zünden und auf die Metallvögel zu lenken«, sagte er. »Wenn wir das schaffen, nehmen wir die Burg ebenfalls. Das ist dann kein Problem mehr.« Zusammen mit dem Anführer der Krejo denkehrte er in die Hauptleitzentrale zurück.
Die Ewige Karawane Er diskutierte die Einrichtungen mit ihm, konnte sich jedoch nicht mit ihm darüber ei nigen, von wo aus die Raketen gelenkt wur den. »Wir sollten versuchsweise eine Rakete abfeuern«, schlug Kerelkrejan vor. »Das wäre ein Fehler. Wir würden unnö tig Aufmerksamkeit erregen und jene alar mieren, die in der Burg sind«, widersprach Atlan. Er schlug vor, eine der Raketen aus einanderzunehmen und zu untersuchen. Da mit war der Krejode einverstanden. Einige Dellos holten eine Rakete aus dem Abschußrohr. Die Krejoden zogen sich fluchtartig zurück und gaben Atlan damit deutlich zu verstehen, für wie gefährlich sie sein Experiment hielten. Thalia blickte ihnen bestürzt nach. »Geh ruhig mit ihnen«, sagte der Arkoni de lächelnd, »wenn dir danach ist.« Sie setzte sich ins Gras. »Feiglinge«, sagte sie verächtlich. »Wir hätten sie nicht mitnehmen sollen. Hast du gesehen, daß einer von ihnen einen Energie strahler gefunden hat? Jetzt haben sie eine Waffe, mit der sie uns deutlich überlegen sind.« Atlan schraubte den Kopf der Rakete ab, nachdem er einige Sicherungen entfernt hat te. Der Kopf ließ sich in zwei Teile zerlegen, die sich wiederum öffnen ließen. »Atomare Sprengsätze«, stellte der Arko nide fest. »Die Sprengwirkung dürfte jedoch gering sein.« Er baute den Kopf wieder zusammen und untersuchte danach den Treibkörper der Ra kete. Die Technik war einfach und über schaubar. Die Rakete wurde von festem Treibstoff angetrieben. Die Zündung erfolg te elektronisch über ein halbkreisförmiges Gerät im Abschußrohr. Nachdem Atlan die Rakete untersucht hatte und wußte, wie sie funktionierte und gesteuert wurde, versuchte er erneut, den Feuerleitstand zu finden. Es gelang ihm auch jetzt nicht. »Es hilft alles nichts«, sagte der Arkonide zu Thalia, die ihn auf Schritt und Tritt be
25 gleitete. »Ich muß mir meinen eigenen Feu erleitstand bauen.« »Kannst du das denn?« »Ich muß wohl.« Der Unsterbliche begann nun damit, das Instrumentenpult auseinanderzubauen und Teile des Computers herauszulösen. Kerel krejan kam und sah ihm zu. Er verstand von diesen Dingen ebensowenig wie Thalia. Nach einiger Zeit gelang es dem Arkoniden, aus verschiedenen Einzelteilen einen neuen Computer zu bauen und mit einem Bild schirmgerät zu koppeln. Danach hatte er ei nige Stunden damit zu tun, den Computer mit Informationen zu füttern und diese zu speichern. Darüber brach die Nacht herein. Thalia wurde ungeduldig. »Ich verstehe nicht, warum das so lange dauert«, sagte sie. »Ich bin gleich fertig«, erwiderte Atlan. »In zehn Minuten können wir eine Raketen salve abfeuern.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Kerelkrejan, der sich ihnen unbemerkt genähert hatte. »Wir schießen zunächst eine Rakete ab. Erreicht sie ihr Ziel, feuern wir die anderen hinterher.« »Welchen Sinn sollte das haben?« »Ich muß an Katelphe denken«, erläuterte der Krejode. »Wenn es über der Burg einen Energieschirm gibt, oder wenn die Metallvö gel die Raketen abschießen, bekommen wir die Wirkung der Explosionen zu spüren. Da durch könnte das Kind gefährdet werden. Du verstehst jetzt hoffentlich, daß wir dieses Risiko nicht eingehen können. Erst eine Ra kete, und wenn wir Erfolg haben, alle. So und nicht anders gehen wir vor.« »Ach, nein«, sagte Atlan. »Wirklich?« »Ich sehe, daß du mich verstanden hast.« »Du scheinst vergessen zu haben, daß wir euch mitgenommen haben, um euch zu hel fen. Das Kommando führe immer noch ich«, entgegnete Atlan. »Ich mache dir nicht das Kommando streitig«, sagte Kerelkrejan. »In dieser Hin sicht habe ich keinen Ehrgeiz. Ich denke nur an Katelphe. Seine Sicherheit geht vor.«
26 »Dann bringt den verdammten Jungen doch weg«, schrie Thalia zornig. »Geht weit weg mit ihm.« »Das geht nicht«, erwiderte der Krejode ruhig. »Wenn wir uns von euch entfernen, gehen wir ein Sicherheitsrisiko ein. Wenn zu wenig Männer zu seinem Schutz bei ihm sind, könnte er von wilden Tieren angefallen werden. Er bleibt hier.« »Ich ändere den Plan nicht«, erklärte At lan. »Du willst keine Rücksicht auf Katelphe nehmen? Der Krejode war fassungslos. Er schien sich nicht vorstellen zu können, daß sich je mand über die Interessen Katelphes hinweg setzte. Und er begriff nicht, daß der Junge für Atlan nur ein Junge war, aber kein göttli ches Wesen. »Grabt euch mit Katelphe ein«, schlug der Arkonide vor. »Zieht euch in eine Senke oder einen Graben zurück, in dem ihm nichts geschehen kann. Macht ein Feuer an, um die wilden Tiere zu vertreiben. Wenn ihr wollt, stelle ich euch alle Dellos als Wachen zur Verfügung, aber haltet mich nicht auf.« Kerelkrejan griff unter sein zerfetztes Ge wand und holte einen Energiestrahler her vor. Er richtete ihn auf den Unsterblichen. »Dieses Mal habe ich eine Waffe, mit der ich auch schießen kann«, erläuterte er. »Und ich werde es tun, wenn du dich meinen Be fehlen widersetzt.« Atlan lehnte sich seufzend zurück. »Ich beuge mich deinen überaus überzeugenden Argumenten«, sagte er. »Ich werde also nicht alle Raketen auf einmal abfeuern, son dern erst eine.« »Und das auch nicht während der Dunkel heit«, befahl Kerelkrejan. »Warum das denn nicht?« fragte Atlan überrascht. »Wenn die in der Burg keine Ra daranlage haben, können sie die Raketen während der Dunkelheit kaum abwehren. Die besten Chancen haben wir daher jetzt.« »Katelphe schläft«, erklärte der Krejode. »Der Lärm würde seine Ruhe stören.« »Das darf doch nicht wahr sein«, sagte
H. G. Francis Thalia ärgerlich. »Wir riskieren Kopf und Kragen, aber ihr denkt nur daran, daß Katel phe auch ja ruhig schläft.« »So ist es«, bestätigte Kerelkrejan. »Je früher du das begreifst, desto besser.«
5. Als der neue Tag anbrach, war Atlan sich mit Thalia darüber einig, daß sie sich dem Diktat des Krejoden nicht beugen würden. Sie waren entschlossen, sich nur nach strate gischen Notwendigkeiten zu richten. Atlan bereitete den Abschuß der Raketen vor. Noch einmal überprüfte er die Program mierung des Computers und dessen fehler freies Funktionieren. Thalia besprach wäh renddessen mit Fälser, was mit Kerelkrejan geschehen sollte. Zusammen mit einigen Dellos wollte sie ihn abfangen und entwaff nen, bevor er Atlan in die Arme fallen konn te. Doch dann kam alles anders als erwartet. Der Dello Caahan kam zu dem Arkoniden. Er hatte auf einem Hügel gestanden und Wache gehalten. »Gleiter verlassen die Burg«, rief er er regt. »Sie kommen in unsere Richtung.« Atlan erschrak. Zu keiner Zeit hatte er da mit gerechnet, daß irgend jemand die Burg verlassen und zur Offensive übergehen wür de. »Sage den anderen Bescheid«, rief er dem Dello zu. »Sie sollen sich unter Bäumen und Büschen verstecken. Auch die Krejoden.« Hastig schichtete er Trümmerstücke des Raumschiffs über die Teile seiner Raketen abschußanlage, die er zwangsläufig unter freiem Himmel hatte errichten müssen. Da nach rannte er zu einem Hügel. Als er ihn erreicht hatte, sah er die Gleiter. Sieben große, gepanzerte Maschinen be wegten sich langsam in südöstlicher Rich tung auf die Kristallwälder zu. Für Atlan war augenblicklich klar, daß die Besatzun gen es nicht auf sie abgesehen hatten, son dern auf jemanden, der weit von ihnen ent fernt in den Kristallwäldern lebte. Die Scheiben der Gleiter waren verspie
Die Ewige Karawane gelt, so daß der Arkonide die Insassen nicht sehen konnte. Thalia und Kerelkrejan kamen zu ihm. Die Gleiter waren etwa hundert Meter von ihnen entfernt. Sie waren mit Raketenwer fern und Energiestrahlprojektoren großen Kalibers bestückt und stellten eine unbe zwingbare Übermacht dar. Langsam zogen die Maschinen vorbei. Sie flogen in einer Höhe von nur etwa dreißig Metern. »Hoffentlich werden sie nicht mißtrau isch«, sagte der Krejode. »Die Feuerstellen können sie gar nicht übersehen. Daraus müs sen sie schließen, daß wir hier in der Gegend sind. Wenn sie Infrarotortungsgeräte haben, finden sie uns mühelos.« »Auf jeden Fall müssen wir mit dem Ra ketenangriff auf die Burg warten, bis sie zu rückgekehrt sind«, stellte Atlan fest. »Wir müssen ganz darauf verzichten«, entgegnete der Krejode. »Unter diesen Um ständen wäre es Selbstmord, die Burg anzu greifen.« »Es steht euch frei, abzuziehen«, sagte Atlan. »Kehrt in die Kristallwälder zurück und bleibt dort, bis der Kampf hier zu Ende ist. Haben wir ihn verloren, spielt das für euch keine Rolle. Es ändert sich nichts. Ha ben wir ihn gewonnen, könnt ihr kommen und euch uns wieder anschließen.« »Du wirfst uns Feigheit vor«, erwiderte Kerelkrejan. »Darüber werden wir noch zu reden haben. Jedoch nicht jetzt. Dafür ist die Bedrohung für Katelphe zu groß.« Die Kampfgleiter aus der Burg hatten die Kristallwälder erreicht. »Als wir in den Kristallwäldern waren, haben wir außer euch niemanden getroffen«, sagte Thalia. »Wißt ihr, ob noch andere Ge strandete in den Wäldern leben?« »Noch viele«, antwortete der Krejode. »Ehrlose Noots, Havaren, verkommene Camagurs, nutzlose Tamater und noch viele andere. Sie hausen in versteckten Höhlen. Keiner von ihnen wagt sich in die fruchtba ren Wälder oder Ebenen hinaus. Keiner von ihnen ist aber auch bereit, dieses Land oder
27 gar diesen Kontinent zu verlassen, um ir gendwo an anderer Stelle auf diesem Plane ten zu leben. Es ist der Abschaum aller Völ ker.« »Ihr Krejoden seid eine löbliche Ausnah me«, bemerkte Atlan ironisch. »In der Tat«, erwiderte Kerelkrejan über zeugt. »Wir verehren die göttlichen Kinder, wir achten sie und wir stellen unser Leben auf sie ein. Von niemandem sonst wird ihre Göttlichkeit anerkannt.« Atlan und Thalia wechselten einen flüch tigen Blick miteinander. Kerelkrejan hatte deutlich gemacht, daß auch sie nicht beson ders hoch in seiner Achtung standen, da sie Katelphe ebenfalls nicht den Respekt entge genbrachten, den er für unabdingbar hielt. »Ich verstehe«, sagte der Arkonide. Bei den Kristallwäldern blitzte es auf. Die sieben Gleiter zogen in weitgefächerter For mation nach Südosten. Dabei feuerten sie nahezu pausenlos mit Raketenwerfern und Thermostrahlern in die Kristallwälder. Über all stiegen pilzförmige Explosionswolken auf. »Das ist nicht das erste Mal«, bemerkte Kerelkrejan. »Es kommt ihnen darauf an, die Gestrandeten zu vernichten. Kein Gegner des Schwarzen Oheims soll jemals wieder die Gelegenheit haben, gegen die Mächte des Schwarzen Oheims zu kämpfen.« Die Augen des Arkoniden begannen zu tränen. »Es ist ungeheuerlich«, sagte er. »Ich verstehe nicht, daß sich niemand wehrt«, bemerkte Thalia, die nicht weniger erschüttert war als er. »Warum tun sich nicht alle Gestrandeten zusammen und greifen die Burg an? Wenn alle an einem Strang ziehen, muß es möglich sein, die Burg zu erobern.« »Jeder denkt nur ans Überleben. Jeder hofft, daß die anderen die Burg stürmen, und daß man sich anschließen kann, wenn alles vorbei ist«, antwortete der Krejode. »Wir sind da anders. Wir hätten den Kampf längst auf genommen, wenn wir nicht auf Katelphe hätten Rücksicht nehmen müssen. Wäre das Kind nicht hier auf der Silberwelt, hätten wir
28 die Burg längst erobert.« »Natürlich«, sagte Atlan, obwohl er von dem Gegenteil überzeugt war. »Das hättet ihr getan.« Der Krejode wandte sich würdevoll ab. »Man muß diesen Kampf nicht unbedingt sehen«, sagte er. »Wichtiger ist jetzt, Katel phe in Sicherheit zu bringen. Wir müssen damit rechnen, daß die Gleiter uns aufspü ren. Ich erwarte, daß ihr sie dann auf euch lenkt.« Er schritt davon. Thalia blickte ihm verblüfft nach. »Ich könnte ihm den Hals umdrehen«, er klärte sie, als er außer Hörweite war. »Was bildet er sich eigentlich ein? Glaubt er denn wirklich, daß wir uns opfern, damit dieses Balg überlebt?« Atlan lächelte nachsichtig. »Ja. Das glaubt er, Thalia. Und wir dürfen es ihm noch nicht einmal übelnehmen. Er ist im Glauben an die Göttlichkeit der Kinder aufgewachsen. Als er Kind war, wurde er selbst als gottähnliches Wesen behandelt. Wie sollte er jetzt umdenken können?« Der Boden erzitterte unter ihren Füßen. Pausenlos schlugen die Raketen ein, bis eine dichte, schwarze Wolkenwand über dem Kristallwald hing. Dann kehrten die Gleiter zurück. »Wir greifen an«, sagte Atlan entschlos sen. »Sobald die Gleiter die Burg erreicht haben, schieße ich die Raketen ab. Du bleibst hier auf dem Hügel und beobachtest die Gleiter. Gib mir ein Zeichen, wenn es soweit ist.« »Du kannst dich auf mich verlassen«, er widerte Thalia. Atlan eilte davon, während sie unter eini ge Büsche kroch, um sich vor den Besatzun gen der Gleiter zu verstecken. Der Arkonide sah, daß die Kampfmaschinen wesentlich schneller flogen als zuvor. Das war ein beru higendes Zeichen für ihn, glaubte er doch daraus schließen zu können, daß die Besat zungen ihn und seine Begleiter nicht be merkt hatten. Die Gleiter zogen in schneller Fahrt an
H. G. Francis dem Hügel vorbei, auf dem Thalia lag. In fieberhafter Eile bereitete Atlan den Ab schuß der Raketen vor, während Fälser und einige andere Dellos ihn abschirmten. Der Arkonide fürchtete, daß Kerelkrejan eingrei fen würde, doch der Krejode ließ sich nicht blicken. Thalia tauchte zwischen den Büschen auf. Sie winkte mit beiden Armen. Atlan drückte einige Knöpfe und warf sich hinter eine Bo denwelle. Fauchend schossen die Raketen aus den Rohren. Sie stiegen steil auf, gehorchten dann den Funkimpulsen und schwenkten herum. Atlan sprang auf. Er rannte auf Thalia zu und stürmte zu ihr auf den Hügel. Doch er kam zu spät. Er sah nur noch, daß die Rake ten explodierten. Ein riesiger Feuerball stieg über der Burg auf, und ein glühend heißer Wind schlug ihm entgegen, so daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Auf allen vieren kroch er den Hügel hinauf. »Eine Rakete ist angekommen«, schrie ihm Thalia zu. »Die anderen haben sie vor her abgeschossen. Ich glaube, alle sieben Kampfgleiter sind erledigt.« Atlan richtete sich auf der Kuppe des Hü gels auf. Er schützte die Augen mit den Händen. Die Burg war unversehrt. Nur an ihrer Rückseite klaffte ein riesiges Loch in der Schutzmauer. Die Brandung gischtete hinein und löschte die Glut. Auf dem Vorhof der Burg lagen die Gleiter. Thalia hatte sich ge irrt. Die Raketen hatten nicht sieben Maschi nen zerstört, sondern nur sechs. Eine Ma schine schien noch relativ unbeschädigt zu sein. Zudem waren die Gleiter nicht völlig zerschlagen worden. Atlan konnte nicht erkennen, was aus ih rer Besatzung geworden war. Ein Schott im Boden öffnete sich. Der stählerne Arm eines Krans hob sich aus ihm hervor, ergriff ein Gleiterwrack und trug es in die Tiefe. Gleich darauf erschien der Arm wieder, um das nächste Wrack zu holen. Kaum fünf Minu ten verstrichen, und alle Trümmer waren aus dem Vorhof entfernt, ohne daß jemand von
Die Ewige Karawane der Gleiterbesatzung ausgestiegen wäre. Kerelkrejan stürmte den Hügel hoch. Er hielt den Energiestrahler in den Händen. Be vor er ihn jedoch auf den Arkoniden richten konnte, stürzten sich Fälser und vier weitere Dellos auf ihn und entrissen ihm die Waffe. »Für dieses Verbrechen wirst du mir bü ßen«, schrie der Krejode mit knarrender Stimme. »Das war gegen alle Abmachun gen.« »Vielleicht«, entgegnete der Arkonide ge lassen. »So aber haben wir wenigstens eine Rakete ins Ziel gebracht. Alle anderen wur den in der Luft abgeschossen, und das, ob wohl der Angriff völlig überraschend ge kommen sein muß. Was glaubst du wohl, was passiert wäre, wenn ich erst einmal eine Rakete zur Probe abgeschossen hätte? Die Kampfgleiter wären hier erschienen und hät ten uns einen nach dem anderen getötet, oh ne daß wir etwas dagegen hätten tun kön nen.« »Sie werden auch jetzt kommen«, erwi derte Kerelkrejan. »Wir sind verloren.« »Noch lange nicht. Ich führe sie in die Ir re.« Atlan deutete nach Norden. »Geht ihr an der Küste entlang bis zu den Felsen dort hinten. Versucht, einen Unterschlupf zu fin den. Ich gehe mit Thalia nach Süden und le ge eine falsche Spur. Ich komme später zu euch.« »Du willst Katelphe und uns in den siche ren Tod schicken.« »Ich gebe euch die Dellos mit. Sie werden für eure Sicherheit sorgen«, entgegnete At lan und tat, als habe er die Anschuldigung nicht gehört. Dann nahm er von Fälser den Energiestrahler entgegen und bat Thalia, ihn zu begleiten. Sie schloß sich ihm sofort an. »Was hast du vor?« fragte sie, als sie sich weit genug von dem Krejoden und den Del los entfernt hatten. »Das, was ich gesagt habe. Ich werde sie auf eine falsche Spur locken.« »Das verstehe ich nicht.« »Es ist ganz einfach. Ich habe den Ener giestrahler. Den stelle ich auf Minimalwir kung und schieße damit in den Boden.« At
29 lan richtete die Waffe auf den Waldboden, nachdem er sich unter einen Baum mit weit ausladender Krone gestellt hatte. Ein nadel feiner Energiestrahl fuhr in den Boden, und ein glühender Fleck blieb zurück. Während er weiterging, erläuterte er: »Wahrscheinlich wird man uns mit Hilfe von Infrarotgeräten suchen. Dann wird man die Wärmequellen auf dem Boden rasch fin den. Vielleicht lassen sich unsere Verfolger täuschen. Vielleicht glauben sie, daß wir diese Wärme ausstrahlen, oder daß wir diese intensiv strahlenden Spuren hinterlassen ha ben.« »Die Hitze ist viel zu groß«, gab Thalia zu bedenken. »Sie paßt nicht zu lebenden Wesen.« »Zu lebenden Wesen, von denen die Burgbesatzung absolut nichts weiß. Am we nigsten ist sie über unsere Körpertemperatur informiert. Die Täuschung könnte also durchaus gelingen. Wir müssen es jedenfalls versuchen.« Atlan war sich darüber klar, daß die Er folgsaussichten seiner Täuschungsmethode nicht so groß waren, wie er Thalia glauben machen wollte. Wenn die Unbekannten in den Kampfgleitern Individualtaster hatten, und damit rechnete er insgeheim, dann er reichte er mit der Hitzespur überhaupt nichts. Er dachte jedoch nicht daran, von vorn herein aufzugeben. Als sie etwa zehn Kilometer zurückgelegt hatten, wandte der Arkonide sich der Küste zu. Sie kehrten in Richtung Burg zurück. »Ein Gleiter kommt«, sagte Thalia wenig später, als sie eine Felsbarriere überklettert hatten. Eine Kampfmaschine stieg über der fer nen Burg auf und flog landeinwärts, bog je doch schon bald in ihre Richtung ab. Wenig später blitzte der Thermostrahler auf. Der Energiestrahl war gegen den Boden gerich tet und setzte einige Bäume in Brand. »Sie fallen darauf herein«, sagte Atlan. »Sie wissen nicht, was die Wärmeherde sind, und schießen.«
30 »Sie sind zu feige, sich aus der Nähe an zusehen, was sie unter den Bäumen vermu ten.« »Sie gehen kein Risiko ein«, stellte Atlan fest. »Man kann es ihnen noch nicht einmal verdenken. Sie wissen, daß sie verhaßt sind, und sie rechnen ständig damit angegriffen zu werden. Also sind sie vorsichtig.« »Sie müßten längst gemerkt haben, daß keiner von den Gestrandeten kämpft. Ich glaube, sie wollen nur vernichten. Niemand soll überleben. Sie wollen diesen Planeten für sich allein. Aus welchen Gründen auch immer.« »Wir gehen weiter«, sagte Atlan. »Achte darauf, daß wir in Deckung bleiben, damit sie uns nicht zufällig entdecken.« Während sie sich der Burg näherten, folg te der Kampfgleiter der Hitzespur, die Atlan gelegt hatte. Immer wieder feuerte die Be satzung der Maschine den Energiestrahler ab. Atlan und Thalia versteckten sich hinter hoch aufragenden Felsen, als sich der Glei ter mit ihnen auf gleicher Höhe befand. In einer Entfernung von etwa zweihundert Me tern zog er an ihnen vorbei. Die Besatzung schoß in Abständen von vierzig bis fünfzig Sekunden. Überall stiegen Flammen auf. Der Wind wehte landeinwärts und trieb das Feuer vor sich her. Es war abzusehen, daß die Vegetation bis hin zu den Kristallwäl dern verbrennen würde, aber das schien die Besatzung des Gleiters nicht zu stören. Atlan und Thalia begannen zu rennen. Sie wollten die Burg passiert haben, wenn der Gleiter zurückkehrte. Doch das schafften sie nicht. Die Tochter Odins blickte immer wie der zurück. Sie bemerkte den Gleiter zuerst. »Er kommt«, schrie sie. Atlan zog sie hinter eine Felsnadel, die sich aus dem weißen Sand erhob. Die Wel len brandeten nur wenige Schritte von ihnen entfernt ans Ufer. Vorsichtig spähte der Ar konide um die Felskante. Erschrocken fuhr er zurück. Der Gleiter raste heran. Er hatte die Felsnadel fast erreicht. Atlan riß Thalia herum und flüchtete, um die Felsen zwischen sich und die vorbeiflie-
H. G. Francis gende Maschine zu bringen. Die Tochter Odins begriff und folgte ihm. Die Kampfmaschine kam hinter dem Fel sen hervor und raste mit hoher Geschwin digkeit an ihnen vorbei. Atlan und Thalia glaubten bereits, es geschafft zu haben, als der Gleiter jäh verzögerte. Dem Arkoniden war augenblicklich klar, was das bedeutete. Er verließ die sichere Deckung und stürmte auf den etwa fünfzig Meter entfernten Gleiter zu, der nun in einer Höhe von kaum fünf Metern über dem Strand schwebte und sich drehte. Die Besat zung wollte die Bugstrahler auf den Arkoni den richten. Der Unsterbliche blieb stehen und riß den Energiestrahler hoch. Er hielt ihn mit beiden Händen und zielte auf den Gleiter. Ein dün ner Energiestrahl jagte aus dem Projektor der Waffe und schlug krachend in die Seite des Kampfgleiters. Glutflüssiges Metall spritzte zu den Seiten weg. Atlan schoß erneut. Dieses Mal zielte er auf die spiegelnden Scheiben der Maschine. Er traf, doch seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Die Scheiben barsten nicht. Sie ver färbten sich und warfen sich in Blasen auf, gaben das Geheimnis der Insassen der Ma schine jedoch nicht preis. Die Besatzung stand offenbar unter einem Schock. Sie schien nicht damit gerechnet zu haben, mit einer derart wirksamen Waffe an gegriffen zu werden. Atlan gelang ein dritter Treffer. Dieses Mal schlug der Energiestrahl ins Heck der Maschine. Dabei hatte der Ar konide die drei Schüsse in so schneller Fol ge abgegeben, daß der Gleiter sich noch im mer nicht voll gedreht hatte. Mit dem letzten Schuß riß Atlan einen Teil der Heckverkleidung weg. Der Gleiter sackte plötzlich bis fast auf den Boden ab. Atlan warf sich hinter einen Felsen in Deckung, doch der befürchtete Angriff kam nicht. Die Besatzung der Maschine fühlte sich offenbar zu stark gefährdet. Der Pilot zog den Gleiter herum und flüchtete. Atlan feuerte seine Waffe noch einmal ab, doch der Energiestrahl zog wirkungslos an der
Die Ewige Karawane Kabine vorbei. »Du hast sie in die Flucht geschlagen«, rief Thalia jubelnd. »Du hast es ihnen ge zeigt.« Sie eilte durch den weichen Sand zu ihm hin. »Um ehrlich zu sein«, sagte er, »habe ich nicht mehr daran geglaubt, daß sie auf geben würden. Ich dachte, sie würden we nigstens einen Schuß auf mich abgeben.« »Es wäre einer zuviel gewesen«, stellte sie fest. »Das war mir klar. Ich hatte jedoch keine andere Wahl. Wenn sie uns beide voll im Visier gehabt hätten, wäre ich nicht mehr zum Schuß gekommen.« »Auf jeden Fall sind sie gewarnt. Sie wis sen, daß sie es bei uns nicht mit Feiglingen zu tun haben und daß wir zumindest eine gu te Waffe haben.« »Hoffentlich nützt uns das etwas.« Er ging jetzt landeinwärts, weil er fürchtete, daß die Unbekannten der Burg mit einem anderen Gleiter zurückkehren und den Strand nach ihm absuchen würden. Der Wind drehte, so daß sich das Feuer nicht weiter landeinwärts ausbreiten konnte. Dich te Rauchwolkenschlugen Atlan und seiner Begleiterin entgegen, so daß Thalia es vor zog, den Raumhelm zu schließen. Im Schutz der Rauchwolken eilten sie an der Burg vorbei, während dort ein Kampf gleiter aufstieg und sich in entgegengesetz ter Richtung entfernte, um nach ihnen zu su chen. Wenige Minuten später trafen sie den Dello Pagir, der auf sie wartete, um sie zu den anderen zu führen. Nach etwas mehr als einer Stunde anstrengenden Marsches durch die Wildnis erreichten sie die anderen An droiden und Kerelkrejan mit seinen Beglei tern. Der Krejode kam sofort zu Atlan, als er ihn sah. »Ich erwarte, daß du mir die Waffe wie dergibst«, eröffnete er ihm. Der Arkonide schüttelte ablehnend den Kopf. »Das können wir uns nicht leisten«, erwi derte er. »Du bist nicht bereit, die Waffe
31 konsequent gegen die schwarzen Mächte einzusetzen. Ich verstehe das sogar, denn du darfst wegen Katelphe kein Risiko einge hen.« »Du willst das Kind einem Risiko ausset zen?« fragte der Krejode empört. »Nein, das will ich nicht«, antwortete At lan. »Ich bin jedoch nicht bereit, mein Leben aufs Spiel zu setzen, um Katelphes Leben für einige Stunden zu retten. Ich will eine Lösung, die uns endgültig von jenen Mäch ten in der Burg befreit, und keine, die uns nur vorübergehend Sicherheit gibt.« »Du willst mir die Waffe also nicht ge ben?« »Nein.« »Dann werden wir euch allein lassen. Auf unsere Hilfe müßt ihr verzichten.« »Willst du dich wieder in die Kristallwäl der zurückziehen?« »Das habe ich vor.« »Wenn du diese Gegend verläßt, läufst du in den sicheren Tod. Die Wesen in der Burg warten nur darauf, daß sich irgend etwas in dem Gelände zwischen der Küste und den Kristallwäldern bewegt. Sobald du dich mit deinen Männern und Katelphe dort sehen läßt, schießen sie.« »Wir werden die Dunkelheit nutzen.« »Die Dunkelheit hilft dir nicht. Du weißt ebensogut wie ich, daß die Gleiter über Or tungsgeräte verfügen, mit denen man dich auch in der Nacht findet. Bleib hier, Kerel krejan. Nur hier hast du eine Chance.« »Welchen Plan hast du?« »Ich will die Burg angreifen«, erklärte der Unsterbliche. »Ich werde mir aus den Raum schiffwracks Teile ausbauen und daraus ein Floß konstruieren. Dann werde ich auf die See hinausfahren und mich der Burg von der Rückseite her nähern.« »Das ist unmöglich.« »Das wird sich zeigen«, erwiderte Atlan kühl.
6. Wildes Geschrei weckte Atlan in der
32 Nacht. Er fuhr auf. Jemand packte ihn. »Was ist los?« fragte er. »Still«, flüsterte ihm eine männliche Stimme zu. Er glaubte, die Stimme Fälsers zu erkennen. »Die Krejoden spielen ver rückt.« Ein Feuer flammte auf. Atlan sah mitein ander kämpfende Gestalten. Dann goß je mand Wasser in die Flammen, und das Feu er erlosch wieder. »Sie wollten über dich herfallen«, berich tete Fälser. »Sie wollten dich erstechen und dir die Waffe abnehmen. Wir konnten sie je doch aufhalten.« »Es ist gut. Danke«, erwiderte Atlan. Er schob Fälser von sich. Dann rief er mit lauter Stimme: »Schluß jetzt. Hört auf. Wenn die Krejo den nicht sofort Ruhe geben, werde ich den Energiestrahler abfeuern. Minuten später sind die Bewohner der Burg hier. Ich werde für meine Leute und mich kämpfen, nicht je doch für die Krejoden, wenn sie nicht au genblicklich Ruhe geben.« Es wurde still. Einige Minuten verstri chen. Dann hallte die knarrende Stimme Ke relkrejans durch die Nacht. »Wir sind einander zu fremd«, sagte er. »Unsere Ansichten decken sich nicht. Wir können nicht miteinander auskommen. Das ist mir jetzt klar. Deshalb werden wir euch verlassen, bevor wir uns gegenseitig töten.« »Wohin wollt ihr gehen?« fragte Atlan. »Zu den Kristallwäldern. Wir werden schon irgendwie überleben. Vielleicht ver lassen wir dieses Land ganz und ziehen wei ter in den Süden. Ich habe gehört, daß es dort Land geben soll, in dem man leben kann.« »Warte noch einige Tage«, bat der Arko nide. »Oder wenigstens solange, bis ich die Burg angreife. Das lenkt die aus der Burg ab und verschafft euch Luft. Wenn ihr jetzt geht, finden sie euch und töten euch.« »Keine Angst. Sie finden uns nicht.« Atlan, der davon überzeugt war, daß die Krejoden unter den gegebenen Umständen keine Chance hatten, versuchte geduldig,
H. G. Francis Kerelkrejan davon zu überzeugen, daß er bleiben mußte. Über eine Stunde lang disku tierte er mit ihm, um ihn vom Abzug zu rückzuhalten. Der Krejode zeigte sich unein sichtig. Er glaubte, daß er das Leben Katel phes nur retten könnte, wenn er sich von At lan und seinen Begleitern trennte. Kein Ar gument konnte ihn davon abbringen. Er war noch nicht einmal bereit, einige Stunden zu warten. Schließlich gab der Arkonide auf. »Ihr müßt wissen, was ihr tut«, sagte er. »Vielleicht schafft ihr es ja tatsächlich.« »Gib uns die Waffe mit.« Atlan lehnte ab, da er fürchtete, daß Ke relkrejan den Energiestrahler gegen ihn rich ten würde, sobald er ihn hatte. Die Krejoden standen schweigend auf und gingen wortlos davon. Sie verabschiedeten sich nicht, und sie dankten nicht für den Schutz, den Atlan ihnen gewährt hatte. »Undankbare Geschöpfe«, sagte Thalia ärgerlich. »Warum gabst du dich so lange mit ihnen ab?« »Sie sind nicht undankbar«, widersprach er. »Sie sind fest davon überzeugt, daß sie weitaus mehr geleistet haben als wir, und daß wir ohne sie nicht überlebt hätten. Sie sehen die Ereignisse der letzten Tage völlig anders als wir.« »Du bist zu tolerant«, warf sie ihm vor. »Die Krejoden waren anmaßend und belei digend. Sie waren feige und haben immer uns vorgeschickt, wenn es darauf ankam. Sie selbst haben nichts geleistet.« »Du irrst dich«, erwiderte er lächelnd. »Aus ihrer Sicht haben sie sehr viel getan. Katelphe lebt und erfreut sich bester Ge sundheit. Das ist für die Krejoden mehr wert als alles andere.« Der neue Tag kündigte sich an. Es däm merte. Atlan schickte die Dellos aus. Sie sollten nach Raumschiffswracks suchen. Er selbst beteiligte sich auch an der Suche, hat te jedoch keinen Erfolg. Als er an den La gerplatz zurückkehrte, wartete Fälser auf ihn. »Ich habe ein Raumschiff gefunden«, be
Die Ewige Karawane richtete er. »Es ist das Wrack eines Organ schiffs. Es ist völlig schwarz.« Thalia tauchte zwischen den Felsen auf. »Ein Gleiter verläßt die Burg«, sagte sie erregt. »Kommt er hierher?« fragte Fälser. »Nein – er fliegt zu den Kristallwäldern. Von da oben kann man ihn sehen.« Sie zeigte auf eine Felsspitze, die leicht zu erklettern war. Zusammen mit Atlan und Fälser stieg sie nach oben. Alle drei ahnten, was der Start des Gleiters zu bedeuten hatte, doch keiner sprach aus, was er dachte. Als er den Gipfel erreicht hatte, sah der Arkonide die Maschine. Sie war etwa sieben Kilometer von ihm entfernt und flog in ge ringer Höhe. Er kreuzte über einem von Bü schen bewachsenen Gelände. Trotz der Ent fernung konnte Atlan die hochgewachsenen Gestalten der Krejoden deutlich erkennen, die in wilder Panik vor dem Gleiter flüchte ten. »Ich habe es geahnt«, sagte Thalia stöh nend. »Sie rennen in ihr Verderben.« »Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen«, bemerkte Atlan. »Du hast alles getan, sie davon abzuhal ten«, erklärte Fälser. »Sie wollten nicht blei ben.« Beim Gleiter blitzte es auf. Sonnenhelle Energiestrahlen rasten auf die Fliehenden herab und töteten sie. Die Besatzung der Kampfmaschine kannte keine Gnade. Sie feuerte, bis sich niemand mehr auf dem Ge lände bewegte. »Vielleicht haben es einige doch noch ge schafft«, sagte Thalia erschüttert. »Vielleicht sind einige entkommen.« Atlan schwieg. Er glaubte nicht daran. Die Besatzung des Gleiters war taktisch äu ßerst geschickt vorgegangen. Der Gleiter kreiste noch einige Minuten lang über den brennenden Büschen, ohne abermals zu schießen. Dann flog er zur Burg zurück und landete dort. »Sie haben noch immer wenigstens einen Gleiter«, bemerkte Thalia. »Wenn wir uns ihnen vom Meer her nähern, könnten, sie
33 uns damit angreifen. Wir würden nichts ge gen sie ausrichten, wenn sie uns auf dem of fenen Meer überraschen.« »Das ist mir klar«, antwortete der Arkoni de. »Dennoch werde ich es versuchen. Du brauchst mich nicht zu begleiten.« »Ich bin dabei«, erklärte sie energisch. »Wir sollten jedoch nach einem Material su chen, das nicht so leicht zu orten ist.« Atlan lächelte nachsichtig. »Das ist nicht so einfach«, erwiderte er. »Wir können es nur versuchen. Da wir je doch nicht genau wissen, wie ihre Ortungs geräte arbeiten, und worauf sie ansprechen, können wir auch nicht sagen, welches Bau material wir nehmen müssen.« Fälser führte sie nun zu dem Wrack, das er gefunden hatte. Es lag fast zehn Kilome ter vom Lager entfernt an der Küste in einer von hohen Felsen geschützten Bucht. Es war ein Organschiff von fast zweihun dert Metern Länge. Es war zylinderförmig. Das Heck mit dem größten Teil des Trieb werks war nicht mehr da. Die Brandung hat te es weggerissen. Die Außenhaut des Schif fes bestand aus einem schwarzen, licht schluckenden Material. Breite Risse und klaffende Einschußlöcher zeugten davon, daß der Raumer von der Burg aus beschos sen worden war. »Ich begreife nicht, daß so viele Schiffe zur Silberwelt gekommen und hier abge schossen worden sind«, sagte Thalia. »Glaubst du, daß der Roboter Hordinal die Aufgabe hat, die Raumschiffe in eine Falle zu führen?« »Nein, das glaube ich nicht«, antwortete der Arkonide, während er damit begann, das Wrack zu untersuchen. Er fand eine offene Schleuse und betrat das Schiff. Er wandte sich dem Heck zu. »Was willst du da?« fragte Thalia über rascht. »Da hinten ist doch alles zerstört.« »Ich brauche Material für ein Floß«, er klärte er. »Das finde ich am ehesten im Triebwerksbereich.« Je weiter er zum Heck hin vordrang, desto stärker wurden die Zerstörungen, die die See
34 angerichtet hatte. Doch das störte den Arko niden nicht. Er wollte keine intakten Ma schinen aus dem Triebwerk entfernen. Er suchte nach Tanks oder anderen geschlosse nen Behältern, die er für ein Floß verwenden konnte. Im Maschinenraum eines Raum schiffs gab es immer derartige Behälter, die meistens aus einem hochwertigen, korrosi onsfesten Material bestanden. »Ich schlage vor, daß Fälser und ich uns nach Waffen umsehen«, sagte Thalia. »Bestimmt gibt es noch welche an Bord.« »Einverstanden«, erwiderte Atlan. »Ich habe schon gefunden, was ich suche. Wahr scheinlich benötige ich einige Stunden, um alles auszubauen und aus dem Schiff zu bringen. Fälser könnte zu den anderen lau fen und Hilfskräfte für mich holen.« Der Dello nickte Atlan zu und eilte davon. Thalia blieb noch einige Minuten bei dem Arkoniden, der damit begann, einen vier Meter langen Metallzylinder abzuschrauben. Der Zylinder hatte einen Durchmesser von etwa achtzig Zentimetern. Er bildete zusam men mit vier anderen Zylinder gleicher Art eine Tankeinheit. »Wie willst du das Floß steuern?« fragte sie. »Die Wellen sind mindestens zwei Me ter hoch, und die Strömung ist stark. Sie reißt uns weg, wenn wir keine vernünftige Steuereinrichtung haben.« »Ich habe gesehen, daß dieses Raumschiff viele kleine Steuerdüsen hat«, erklärte der Arkonide. »Das ist bei allen Raumern dieser Bauweise so. Das Schiff muß stabilisiert werden, wenn es im Raum ist. Es muß den Kurs jederzeit ändern können. Dazu genü gen Hecktriebwerke nicht. Diese Düsen las sen sich wahrscheinlich recht leicht ausbau en. Ich werde sie nehmen und am Floß befe stigen, wenn ich den notwendigen Treibstoff und eine entsprechende Elektronik finde, mit der ich die Triebwerke steuern kann. Dazu gehören Treibstoffpumpen, Druckleitungen und Ventile.« »Ich verstehe«, erwiderte sie. »Eine kom plizierte Arbeit.« »Leider. Anders geht es nun mal nicht,
H. G. Francis wenn wir überhaupt eine Chance haben wol len.« Er wandte sich der Arbeit zu. Thalia ver ließ den Triebwerksbereich. Der Arkonide baute zunächst alle Teile aus, die er benötig te, und schleppte sie dann durch die Schleu se nach draußen. Als er etwa eine Stunde ge arbeitet hatte, trafen die ersten Dellos ein. Sie halfen ihm, so daß er nun schneller vor ankam und nicht jeden Handgriff selbstma chen mußte. Erfreut stellte er fest, daß er auch für die Düsensteuerung alles zur Verfügung hatte, was er benötigte. Diese Teile des Raum schiffs waren nicht zerstört worden. Einige Male kam Thalia zu ihm und teilte ihm mit, daß sie keinen Erfolg bei ihrer Su che nach Waffen gehabt hatte. »Entweder hat die Schiffsbesatzung alles mitgenommen«, sagte sie, »oder die Leute aus der Burg sind hier gewesen und haben alles herausgeholt, was man als Waffe ver wenden kann.« Atlan bat sie, weiterzusuchen. Er zeigte ihr den Energiestrahler, den er dem Krejo den abgenommen hatte. »Wir haben diese gefunden«, sagte er, »und wir finden vielleicht auch noch mehr. Die Dellos sollen dir helfen.« Doch auch mit Unterstützung der Andro iden war Thalia nicht erfolgreicher. Atlan kam mit seiner Arbeit gut voran. Das Floß nahm Gestalt an. Er koppelte die Zylinder aneinander, so daß sie eine feste Basis bildeten. Es war leicht und tragfähig, wie ein kurzer Test in der Brandung bewies. Danach montierte der Arkonide die Steuer düsen an. Er befestigte sie an einer Brü stung, die er an allen vier Seiten des Floßes errichtete. Dabei war er sich darüber klar, daß er sie nicht ganz vor dem Wasser schüt zen konnte. Er kalkulierte ein, daß die Bre cher über das Floß schlagen und die Arbeit der Düsen beeinträchtigen würden. Lieber hätte er einen Unterwassermotor eingebaut, weil dieser einen besseren Vortrieb geleistet hätte. Doch dazu fehlten ihm alle notwendi gen Bauteile. Er konnte nur das nehmen,
Die Ewige Karawane was ihm das Raumschiff bot. Während des Tages berichtete ihm Fälser, daß der Gleiter mehrere Male von der Burg zu Suchaktionen startete. »Die Zeit wird knapp«, sagte Thalia, als sie davon hörte. »Früher oder später wird man uns hier auch finden, wenn wir nicht bald verschwinden.« »Wir brechen beim ersten Tageslicht auf«, entgegnete Atlan. »Vorher schaffe ich es nicht.« Es war schon lange her, daß er eine so umfangreiche und komplizierte Arbeit hatte ausführen müssen, und daß er dabei ganz auf sich allein angewiesen war. Keiner der ande ren verstand genügend von Technik, um ihm helfen zu können. Lange vor Anbruch des neuen Tages war er fertig. So blieb ihm noch etwas Zeit zum Schlafen. Er legte sich in der zerstörten Hauptleitzentrale des Schiffes in einen der gepolsterten Sessel und schlief augenblick lich ein. Thalia weckte ihn einige Stunden später. »Es ist soweit«, sagte sie leise. »In einer Stunde beginnt der neue Tag. Wir sollten aufbrechen, bevor es hell wird.« Atlan war sofort wach. Er ging mit Thalia hinaus. Es war noch dunkel, doch ein leich tes Licht stieg über dem Meer auf, so daß zumindest zu erkennen war, wo das Wasser war. »Wenn wir jetzt losfahren, sind wir schon weit draußen, wenn es hell wird«, sagte Tha lia. »Das hat den Vorteil, daß man uns von der Burg aus bestimmt nicht beobachtet.« »Einverstanden«, erwiderte der Arkonide. Er ging zum Wasser und erfrischte sich, in dem er sich das Gesicht benetzte. Dann be fahl er den Dellos, das Floß zu Wasser zu bringen. Zehn Androiden nahmen es auf. Es erwies sich als schwerer als erwartet. Dennoch war Atlan davon überzeugt, daß es sicher schwimmen würde. Ein steifer Wind wehte von See her. Er peitschte das Wasser auf und trieb mehrere Meter hohe Wellen an die Küste. Donnernd brach sich die Brandung
35 im flachen Wasser. Die Dellos scheiterten bei dem ersten Versuch, das Floß durch die Brandung zu bringen. Sie gingen nicht ener gisch genug vor, und eine gischtende Welle schleuderte das Floß bis auf den Strand zu rück. »Wir packen mit an«, entschied Atlan, der ursprünglich geplant hatte, erst ins Wasser zu gehen, wenn das Floß vor der Brandung schwamm. Auch Thalia griff beim zweiten Versuch mit zu. Atlan wartete einen günstigen Mo ment ab. Dann gab er den Befehl. Die Män ner stürmten mit dem Floß ins Wasser und warfen sich der Brandung entgegen. Für ei nige Sekunden schien es, als würden sie wie Spielbälle hinweggeschleudert. Tosend und donnernd brach das Wasser über ihnen zu sammen. Der Boden schien unter ihren Fü ßen in Bewegung geraten zu sein. Dann durchstieß das Floß die schäumende Welle. Es schoß nach vorn in das nächste Wellental hinein. Atlan sprang auf das Floß. Er riß Thalia zu sich hoch, während die Dellos es weiterschoben. Einer der hinteren Düsenmotoren heulte auf. Er warf das Floß nach vorn. Atlan schrie den Dellos zu, sich zurückzuziehen. Doch das war gar nicht nötig. Sie konnten sich ohnehin nicht mehr halten. Die Bran dungswelle packte sie und warf sie auf den Strand. Das Floß tauchte tief ins Wasser, bis At lan einen weiteren Motor zündete. Dann richtete es sich wieder auf und überwand die nächste Welle. »Wir haben es geschafft«, schrie Thalia. Atlan antwortete nicht. Voller Bedenken blickte er auf die Brandungswellen zurück. Noch hatte er sich nicht aus ihrem Sog be freit. Er schaltete einen weiteren Motor auf Vortrieb, und jetzt endlich schob sich das Floß weiter hinaus aufs Meer. Atlan und Thalia hielten sich an der Brüstung fest. Die Wellen rissen das Floß mehrere Meter hoch, um es im nächsten Moment wieder in die Tiefe stürzen zu lassen. Dabei war es so dunkel, daß Atlan die Richtung nur ahnen
36 konnte, in die sie fahren mußten. Das Don nern der Brandung hinter ihm gab ihm ein wenig Orientierungshilfe. Die Strömung vor der Küste wirbelte das Floß herum, so daß der Arkonide immer wieder Kurskorrekturen vornehmen mußte. Je weiter sie sich von der Küste entfernten, desto schwieriger wurde es für ihn und die Tochter Odins, ihre Position zu bestimmen. Das ändert sich auch nicht, als es endlich hell wurde. Die See ging hoch. Das Floß tanzte auf den Wellen, und der Gischt schäumte. Er bildete einen Dunstschleier über der See, der die Sicht bis auf wenige hundert Meter beschränkte. So sehr Atlan und Thalia sich auch be mühten, sie konnten die Küste nicht mehr sehen. Allein die Windrichtung zeigte ihnen an, wo sie sein mußte. Der Arkonide gestand sich schon bald ein, daß er sich einen Angriff auf die Burg von See her leichter vorgestellt hatte. Er begann zu zweifeln, daß sein Plan realisierbar war. »Wir müssen näher an die Küste«, rief er Thalia zu. Er hatte ein eigenartiges Gefühl im Ma gen, wie er es noch nie erlebt hatte. Sein Magen schien sich selbständig zu machen. Die Bewegungen des Floßes lösten zuneh mendes Unbehagen in ihm aus. Du wirst seekrank, stellte der Logiksektor fest. Alles in ihm sträubte sich gegen diese Er kenntnis. Er war über zehntausend Jahre alt und war unzählige Male auf See gewesen. Nicht ein einziges Mal war er seekrank ge worden. Und ausgerechnet jetzt sollte ihm so etwas passieren? Mit aller Kraft kämpfte er gegen das Ge fühl der Übelkeit an, gleichzeitig aber er wachte so etwas wie Haß gegen das Floß in ihm. Das primitive Gefährt rüttelte sich, es stampfte und schlingerte, bäumte sich auf und schien immer wieder kentern zu wollen, wenn es zu den Wellenkämmen hinaufklet terte. Es knirschte und krachte in allen Fu gen, als würde es sich schon im nächsten Moment in lauter Einzelteile auflösen.
H. G. Francis Der Wind steigerte sich zum Sturm, der den aufschäumenden Gischt über das Was ser trieb. Thalia klammerte sich an die Brü stung. Sie kniete, weil sie sich sonst nicht halten konnte. Immer wieder blickte sie zu Atlan hinüber, als könne er das Toben der Gewalten beenden. Der Arkonide hantierte an der Steuerung der Düsenmotoren. Er war bleich, und seine Augen tränten, so daß er kaum etwas sehen konnte. Selbst das Goldene Vlies bot ihm nun keinen Schutz mehr. Plötzlich schrie Thalia auf. Das Floß schoß mit scharfer Beschleunigung auf einen Wellenkamm. Die Tochter Odins streckte den Arm aus. Atlan richtete sich auf, um besser sehen zu können. Für einen kurzen Moment erkannte er die Burg, doch sie lag in einer ganz anderen Richtung als vermutet. Erschrocken stellte er fest, daß der Wind gedreht hatte. Er schaltete die Motoren hoch. Das Floß wälzte sich herum. Ein Brecher überspülte es und riß Thalia mit, obwohl sie sich ver zweifelte bemühte, an Bord zu bleiben. Atlan sah sie in den Fluten verschwinden. Er warf sich nach vorn und versuchte, sie zu packen, doch er erreichte sie nicht. Das Floß stürzte in ein Wellental. Eine Welle brach über ihm zusammen, und der Arkonide ver sank bis zum Hals im Wasser. Er glaubte, daß das Floß unter ihm wegsackte und von der Strömung in die Tiefe gezogen wurde. Doch dann stieg es wieder in die Höhe und tauchte auf. Thalia befand sich kaum zwei Meter ne ben ihm. Atlan zündete einen der Motoren. Das primitive Gefährt reagierte überra schend schnell. Es schob sich nach vorn. Die Tochter Odins klammerte sich an die Stahl stangen der Brüstung. Abermals rollte ein Brecher über das Floß und begrub Thalia und Atlan unter sich. Der Arkonide fürchtete, daß die Tochter Odins sich nicht halten konnte. Er konnte ihr nicht helfen, wenn er sich nicht selbst aufge ben wollte. Es schien, als werde das Floß nie mehr auftauchen. Die Wassermassen schienen
Die Ewige Karawane sich höher und höher über ihm aufzubauen. Atlan blickte mit weit geöffneten Augen um sich. Das Wasser sah schwarz aus. Nirgend wo war Licht. Er war versucht, die Brüstung loszulassen und sich nach oben zu arbeiten. Dann plötz lich zerriß die Wasserwand. Das Floß tauch te auf. Es schwebte für einige Sekunden wie schwerelos auf einem Wellenkamm. Atlan warf sich nach vorn. Er packte die Schultern Thalias und half ihr, auf das Floß zu kommen. »Wir müssen uns festbinden«, schrie er ihr zu. »Wir müssen zurück zur Küste«, rief sie. »So schaffen wir es nie. Es ist unmöglich.« Sie wollte noch mehr sagen, aber ein wei terer Brecher erstickte jedes weitere Wort. Atlan kämpfte mit zunehmender Übelkeit. Zugleich fuhr er die Düsenmotoren auf hö here Leistung. Es gelang ihm, das Floß zu stabilisieren. Er brachte es auf einen günsti geren Kurs, bei dem es nicht gegen die Wel len kämpfte, sondern ihre Bewegungen nutz te. Er ließ sich gezielt auf die Wellenkämme tragen und lernte bald, das Floß auch dann auf Kurs zu halten, als die Wellen es von hinten bedrängten. Thalia erholte sich rasch. Sie richtete sich hoch auf und gab dem Arkoniden wenig später an, wo die Burg lag. Der Sturm steigerte sich noch weiter, doch überraschenderweise gefährdete er das Floß nun weit weniger als zuvor. Bald sah auch Atlan die Burg. Die Wellen brachen sich an ihren Mauern und gischteten mehrere Meter hoch. Deutlich war die Lücke zu erkennen, die die Rakete gerissen hatte. Noch war die Burg etwa zwei Kilometer entfernt. Das Wasser sah hell aus und brach sich überall an Steinen und Klippen. Thalia legte Atlan die Hand an den Arm. Er wandte sich ihr zu. Schweigend deutete sie aufs Wasser hinaus. Ein Schwarm großer Fische näherte sich ihnen. Die Tiere schnellten sich spielerisch leicht über die Wellen. Atlan schätzte, daß
37 sie wenigstens vier Meter lang waren. »Das sind Raubfische«, sagte sie, als die Fische sich ihnen bis auf etwa zwanzig Me ter genähert hatten. »Sie haben es auf uns abgesehen.« Sie hatte diese Worte kaum über die Lip pen gebracht, als der erste der Fische aus dem Wasser sprang und wuchtig gegen die Reling prallte. Thalia konnte ihre Hände ge rade noch zurückreißen. Nur knapp entging sie den Zähnen. Dann jagten zwei weitere Fische heran, schnellten sich aus dem Was ser und griffen den Arkoniden und das Mäd chen an. Einer von ihnen wagte sich so weit vor, daß er auf das Floß zu fallen drohte. Er hing auf der stählernen Brüstung und schlug wild mit den Flossen. Atlan warf sich mit der Schulter gegen ihn und stieß ihn in die Wellen zurück, während sich das Floß be drohlich neigte. Kaum hatte es sich ein we nig wieder aufgerichtet, als die nächsten An griffe erfolgten. Die Fische stürzten sich auf das Floß und versuchten, es umzukippen. Thalia und Atlan kämpften verzweifelt. Sie stießen die Fische zurück, wobei sie Mühe hatten, den Zähnen der Räuber zu entgehen. »Sie sind intelligent«, rief Thalia. »Sie wissen genau, daß sie uns nur erwischen, wenn es ihnen gelingt, das Floß zum Ken tern zu bringen.« Das primitive Gefährt kam aus dem Kurs. Die Strömung wirbelte es herum, und wie der rollten die Brecher über die beiden In sassen hinweg. »Du mußt schießen«, sagte die Tochter Odins. »Es geht nicht anders.« Atlan blickte zur Burg hinüber. Er wollte ihre Insassen nicht auf sich aufmerksam ma chen, doch jetzt blieb ihm keine andere Wahl mehr. Die Fische waren allzu gefähr lich, und nur mit der Schußwaffe konnte er sie abwehren. Er ließ sich auf die Knie sinken, während Thalia mit beiden Fäusten auf die Räuber einschlug, die nun nach den Stahlstangen der Brüstung schnappten, um das Floß in die Tiefe zu ziehen. Atlan tauchte den Energie strahler ins Wasser und löste ihn aus. Ein
38 sonnenheller Energiestrahl schoß aus dem Projektor. Das Wasser verdampfte. Die Fische ließen sich fallen. Sie tauchten weg. Das vor Hitze brodelnde Wasser ver scheuchte sie. Nur zwei blieben an der Ober fläche. Sie umkreisten das Floß in sicherer Entfernung. Atlan steuerte die Düsen aus und erhöhte die Schubleistung. Abermals stabilisierte sich das Floß und glitt auf die Burg zu. Der Arkonide tauchte die Hand ins Wasser und schoß. Dieses Mal raste der Energiestrahl dicht unter der Oberfläche durch die Wellen. Er verbreitete glühende Hitze, und jetzt er griffen auch die letzten beiden Fische die Flucht. »Ich dachte, wir schaffen es nicht mehr«, sagte Thalia erleichtert. Die Entfernung bis zur Burg betrug nur noch etwa eintausend Meter. Eine Barriere von Klippen trennte sie von dort. Atlan be griff, daß er die Burg nicht erreichen würde, wenn das Floß so weitertrieb wie bisher. »Wir richten alle Abstrahldüsen nach un ten«, sagte er. »Schnell. Hilf mir.« Sie stellte keine Frage, sondern packte wortlos mit an. Sie vertraute Atlan und sei nen technischen Kenntnissen blind. Zunächst änderte sich nicht viel, als alle Düsen nach unten gerichtet waren. Dann aber erhöhte der Arkonide die Leistung der Motoren bis zur Höchstgrenze. Eine Welle packte das Floß und trug es in die Höhe. Thalia erwartete, daß es danach wie so oft wieder absinken würde, doch es geschah nicht. Das Floß blieb auf der Höhe der Wel lenkämme. Atlan veränderte die Stellung der hinteren Triebwerke. Sie drückte das Floß voran, so daß es wie ein Antigravgleiter über die Wel len glitt. Jetzt kamen sie schnell voran. Die Burg rückte in greifbare Nähe. »Warum haben wir das nicht schon viel früher gemacht?« fragte Thalia. Verwundert stellte sie fest, daß sich Atlans Gesicht grün lich verfärbt hatte. Gequält schnappte er nach Luft.
H. G. Francis »Weil dann der Treibstoffvorrat längst zu Ende wäre«, antwortete er.
7. Das Floß schwebte über das gischtende und brodelnde Wasser hinweg, das vom Sturm gegen die Klippen getrieben wurde und von diesen zu dichten Schleiern aufwir belte. Atlan blickte zu den Mauern der Burg hinüber. Ihm war so schlecht, daß er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Er sehnte das Ende der Fahrt herbei. Du bist eben auch nur ein Mensch, stellteder Logiksektor fest. »Ich habe nie etwas anderes behauptet«, erwiderte er mit schwankender Stimme. »Sagtest du etwas?« fragte Thalia. Er schüttelte den Kopf. Die Triebwerke begannen zu stottern. Das Floß schwankte und sackte auf der einen Seite immer wieder ab. Atlan zog Thalia zur anderen, um die ge fährdete Seite zu entlasten. Noch etwa hun dert Meter trennten sie von den Mauern der Burg. Sie erreichten ruhigeres Wasser. Atlan sah, daß sich zwischen scharfkantigen Fel sen immer wieder tiefe Mulden befanden. Er hatte den Eindruck, daß sich bizarres Getier darin bewegte, konnte jedoch keine Einzel heiten erkennen. Er hantierte an den Moto ren und legte den Treibstoffbehälter auf die Seite, um auch die letzten Tropfen Treib stoff herauszuholen. Doch schließlich war alle Mühe vergebens. Die Triebwerke ver stummten. Das Floß stürzte ins Wasser und prallte gegen eine Klippe. Krachend zer platzte ein Trägerkörper. Das Floß sank in eine Mulde und verfing sich in den Felsen. Nur noch knapp fünfzig Meter trennten Atlan und seine Begleiterin von den Mauern der Burg. Der Arkonide sah, daß diese auf gewachsenem Felsen errichtet war. Ihre Wand war so glatt, daß er sie nicht besteigen konnte, zumal sie größtenteils mit Algen be deckt war. Diese hielten sich, obwohl die Wellen pausenlos gegen die Mauer brande ten. Doch etwa zweihundert Meter von At
Die Ewige Karawane lan entfernt befand sich die Lücke. Dort war die Mauer so weit aufgerissen, daß sie ein dringen konnten. »Es hilft nichts«, sagte der Arkonide. »Wir müssen aussteigen.« Er fühlte sich bereits wesentlich besser, da das Floß endgültig zur Ruhe gekommen war. Thalia blickte auf die Felsen, die sie noch von der Mauer trennten. »Mir wäre es lieber gewesen, wir wären bis an die Mauer geflogen«, erwiderte sie mit einem matten Lächeln. »Aber jetzt ist wohl nichts mehr zu ändern.« Sie sprang über die Brüstung und landete auf einer Klippe. Das Wasser reichte ihr bis über die Knie. Atlan folgte ihr. »Hoffentlich zerschlagen die Wellen das Floß«, sagte er. »Wir brauchen es nicht mehr. Es könnte uns höchstens verraten.« »In einer halben Stunde ist es weg«, schätzte sie, während sie sich vorsichtig vor antastete. Sie konnte nicht verhindern, daß eine Welle sie von dem Felsen trieb. Schwimmend erreichte sie die nächste Klip pe. Atlan schnellte sich von Felsen zu Felsen, wobei er die Wellen geschickt nutzte. Er sah einige armlange Krebstiere, die vor ihm flüchteten. Der Arkonide half Thalia aus dem Wasser und arbeitete sich gemeinsam mit ihr voran. Je näher sie der Mauer kamen, desto leichter wurde es für sie. Jetzt zeigte sich, daß das Glück auf ihrer Seite war. In diesem Bereich der Burg befanden sich so viele Felsen, daß die stärkste Brandung weit vor der Burg lag. In anderen Bereichen war das nicht der Fall. Dort rollten Wellen von mehreren Metern Höhe bis an die Mauer. In ihnen wären At lan und Thalia verloren gewesen. Sie hätten sich nicht in ihnen halten können. Erschöpft sanken sie auf die Felsen, als sie die Mauer erreicht hatten. Atlan spürte, daß der Zellaktivator ungewöhnlich heftig pulsierte. Das war ein deutliches Zeichen dafür, daß er seinem Körper die letzten Re serven abverlangt hatte.
39 Er blickte an der schimmernden Mauer empor. Wenn jetzt jemand aus dem Innern der Burg erschien, war er nicht in der Lage, Gegenwehr zu leisten. Thalia ging es noch schlechter als ihm. Sie war einem Zusammenbruch nahe. Teil nahmslos blickte sie auf die Wellen, und es störte sie nicht, daß ihr der Gischt ins Ge sicht flog. »Wenn ich vorher gewußt hätte, was auf uns wartet«, sagte sie, nachdem fast eine Stunde verstrichen war, »hätte ich nach ei nem anderen Weg gesucht.« »Wir haben jetzt den Vorteil, daß uns aus dieser Richtung bestimmt niemand erwar tet«, erwiderte Atlan. »Und wir haben keine andere Wahl. Wir müssen etwas gegen die Insassen der Burg tun, oder wir bleiben für den Rest unseres Lebens auf der Silber welt.« »Das ist nicht gerade das, wovon ich träu me«, gestand sie. »Ich denke fast ständig an Pthor, und ich frage mich, ob wir es jemals wiedersehen werden.« »Wenn wir hier sitzen bleiben, bestimmt nicht.« Sie lächelte flüchtig. »Du hast recht. Wir müssen weiter.« Die Sonne stand bereits im Zenit. Atlan erhob sich und half Thalia hoch. Einige Me ter weit konnten sie aufrecht auf den Felsen gehen. Dann mußten sie ein Stück durch die Brandung zu einem anderen Felsen schwim men. Doch jetzt strengte sie der Kampf ge gen die Wellen nicht mehr so an wie zuvor. Sie wußten, daß sie es praktisch schon ge schafft hatten. Nach etwa einer Stunde er reichten sie die Lücke in der Mauer. Atlan kletterte auf herabgefallenen Steinen hoch und blickte hindurch. Die Burg lag greifbar nahe vor ihm. Auf ihrer Rückseite sah sie aus, als sei sie aus zahlreichen Röhren zu sammengesetzt, von denen jede einen Durchmesser von wenigstens zehn Metern hatte. Die grauen und schwarzen Flächen wurden von silbrig schimmernden Fenstern in allen nur erdenklichen Formen unterbro chen.
40 Die Rückseite der Burg war etwas mehr als hundert Meter von dem Arkoniden ent fernt. Zwischen ihm und ihr befand sich ein unübersichtliches Gelände, in dem rote und grüne Büsche und Bäume wuchsen. Ver steckt zwischen ihnen lagen einige primitive Holzhütten. Zwischen ihnen und der Burg erhob sich ein Stahlgitter, dessen Höhe Atlan auf vier Meter schätzte. Ein Tor war mit einer Eisen kette verriegelt. Thalia schloß zu ihm auf. »Hast du schon gesehen, daß es Öffnun gen in der Mauer gibt?« fragte sie. »Komm mit.« Sie führte ihn einige Meter weit an der Mauer entlang bis zu einem Stahlgitter. Es war von innen mit mächtigen Riegeln ver schlossen. Ein mehrere Meter breiter Was sergraben reichte etwa zehn Meter weit in den Innenhof der Burg. In ihm schwammen drei Fische von der Art, die das Floß ange griffen hatten. Sie hingen an Metallschnü ren, die am Ufer befestigt waren. Atlan erkannte sogleich, was das zu be deuten hatte. »Verstehst du?« fragte er. »In den Hütten wohnen Wesen, die von den Bewohnern der Burg innerhalb der Mauern geduldet wer den. Es sind Fischer. Sie fangen diese Fische mit langen Schnüren und zerren sie in diesen Graben. Hier bleiben die Tiere, bis die Be wohner der Burg frisches Fleisch verlan gen.« Er deutete auf einen Platz an der Mauer, an dem sich zahllose Fischskelette stapelten. »Also haben wir es doch noch nicht ge schafft«, sagte sie enttäuscht. »Wir müssen an den Fischern vorbei und über das Gitter klettern.« Atlan zeigte ihr den Energiestrahler. »Damit zerschneide ich die Gitterstäbe«, erwiderte er. »Das ist kein Problem.« Sie lächelte. »Daran habe ich nicht gedacht«, sagte sie. »Wollen wir es jetzt versuchen, oder warten wir, bis es dunkel wird?« »Jetzt.«
H. G. Francis Atlan blickte auf die tobende See hinaus. Von dem Floß war nichts mehr zu sehen. Die Wellen hatten es an den Felsen zer schmettert. »Solange der Sturm anhält, rechnet da drinnen ohnehin niemand damit, daß von hier jemand kommt.« Sie kehrten an die Lücke in der Mauer zu rück und stiegen in den Innenhof. Sie ver steckten sich hinter einem Busch und warte ten einige Minuten. Doch nichts regte sich. Geduckt eilten sie auf das Gitter zu. Plötzlich tauchten überall zwischen den Büschen zwergenhafte Gestalten auf. Sie waren humanoid, erreichten jedoch nur eine Größe von etwa einem Meter. Dabei waren ihre Köpfe nicht kleiner als der Atlans. Sie hatten untersetzte, muskulöse Körper und wirkten ungemein kräftig. Ihre Gesichter waren mit hellen Farben bemalt und wirkten geisterhaft und leer. Feuerrote Ringe umga ben die Augen. Die Ohren wurden durch überwiegend grüne Farben betont. Atlan sah aber auch einige Männer, die rote und blaue Ohren hatten. Es schien, als führten die Männer mit den roten Ohren das Komman do. Die Fischer waren mit Messern und klei nen Beilen bewaffnet. Damit stachen und hieben sie auf Atlan und Thalia ein. Diese konnte sich ihrer kaum erwehren. Der Arkonide zögerte, seinen Energie strahler gegen sie einzusetzen. Die Fischer kamen ihm wegen ihrer geringen Körpergrö ße zu schwach und unterlegen vor. So stieß er sie mit Händen und Füßen zu rück. Die Messerklingen und die Beile prall ten wirkungslos am Goldenen Vlies ab. Auch konnten sie das Material des Rauman zugs von Thalia nicht durchdringen. Sie brachten ihnen nur einige Kratzer bei, die weiter nicht gefährlich waren. Schließlich aber sprangen die zwergenhaften Männer an Atlan und Thalia hoch und klammerten sich an sie. Als sie merkten, daß sie damit die Kampf kraft der beiden erheblich verringerten, taten es ihnen andere gleich, so daß der Arkonide
Die Ewige Karawane und seine Begleiterin unter einer Traube von Angreifern zu versinken drohten. Jetzt griff Atlan energisch an. Er drehte sich mehrmals um seine Achse und schleuderte die Fischer von sich. Diejenigen, die auch dann noch nicht wichen, stieß er mit den Fäusten fort. Thalia übernahm seine Kampftaktik sofort und befreite sich auf diese Weise ebenfalls. Atlan zog den Energiestrahler aus dem Gürtel. »Zurück zur Mauer«, rief er Thalia zu. Sie erkannte seine Absicht und rannte zur Mauer, um wenigstens den Rücken frei zu haben. Atlan schoß in den Boden. Die Fi scher fuhren schreiend vor dem glühenden Fleck zurück, der im Sand entstand. Einige von ihnen schleuderten ihre Waffen nach dem Arkoniden, verfehlten ihn jedoch. Atlan und Thalia lehnten mit dem Rücken an der Wand. Die Fischer verharrten etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt bei den Büschen und blickten sie forschend an. »Wir wollen nichts von euch«, rief der Arkonide ihnen in Garva-Guva zu. »Laßt uns durch. Wir müssen zur Burg.« Ein Fischer, der rote Ohren hatte, antwor tete mit einem Beilwurf. Er traf Atlan an der Schulter, verletzte ihn jedoch nicht. Die zwergenhaften Wesen sahen, daß sie auf diese Weise nichts erreichten. Einige von ihnen drängten sich zusammen und be rieten, wobei sie immer wieder zu Atlan und Thalia blickten. Der Arkonide überlegte verzweifelt, wie er den Bereich der Fischer durchbrechen konnte. Nach wie vor war er entschlossen, die Energiestrahlwaffe nicht einzusetzen, um niemanden zu töten oder zu verletzen. Doch er sah keinen Ausweg mehr. »Wenn wir nicht bald etwas tun, ist es zu spät«, sagte Thalia. »Haben wir soviel ris kiert, um jetzt aufzugeben?« Sie rückte näher an ihn heran. »Wenn du nicht willst, nehme ich die Waffe. Ich setze sie ein. Mir tun diese Unge heuer nicht leid. Siehst du denn nicht, daß sie nichts anderes im Sinn haben, als uns umzubringen? Sie stellen keine Fragen. Sie
41 versuchen noch nicht einmal, mit uns zu re den. Sie wollen nur töten.« »Das ist kein Grund für mich, es genauso zu machen«, erwiderte Atlan. »Außerdem wollte ich die Leute in der Burg nicht durch eine Schießerei aufmerksam machen. Aber Vorsicht ist nun wohl unangebracht.« Atlan schoß abermals in den Boden. Schreiend wichen die Fischer zurück, wäh rend der Arkonide noch einmal feuerte. Die ses Mal aber schlug der Energiestrahl einige Meter neben der ersten Einschußstelle ein, so daß zwei Glutseen entstanden. »Komm«, sagte er, eilte vor und löste die Waffe in schneller Folge mehrere Male aus. Die Energiestrahlen rasten in den Sand. Die ser glühte auf und verflüssigte sich. So bil dete sich innerhalb weniger Sekunden eine Doppelreihe von Hitzeherden, die die Fi scher auseinandertrieb. Atlan und Thalia, die durch ihre Anzüge ausreichend geschützt waren, drangen unter diesem Hitzeschild vor. Die Fischer heulten und brüllten vor Wut. Sie schleuderten ihre Waffen, Äxte und Stei ne gegen den Arkoniden und das Mädchen, konnten ihren Vormarsch jedoch nicht auf halten. Einige von ihnen warfen Seile und hofften, daß Atlan oder Thalia sich darin verfangen würden, erreichten jedoch auch damit nichts. Die Büsche und Bäume fingen Feuer. Das Holz war feucht und entwickelte beißenden Rauch, der den Fischern am mei sten zusetzte. Atlan sah, daß viele von ihnen zum Was ser eilten, um den Brand zu löschen. Die Angriffe auf ihn und Thalia wurden schwächer. Die Fischer zogen sich vor dem Stahlgitter zusammen. Ein letztes Mal bäumten sie sich gegen die Eindringlinge auf. Doch als Atlan direkt vor ihnen weitere Glutherde entstehen ließ, flüchteten sie. Un gehindert erreichte der Arkonide das mit ei ner Kette gesicherte Tor. Er schoß auf die Kette. Sie platzte aufglühend auseinander, und das Tor öffnete sich wie von selbst. Die Fischer brüllten vor Wut, versuchten jedoch nicht, Atlan und das Mädchen aufzuhalten.
42 Atlan betrat den Innenhof, während Thalia ihm rückwärtsschreitend folgte. Sie wollte verhindern, daß sie von den Fischern ver folgt wurden. Sie schlug das Tor zu. »Du mußt es verschließen«, sagte sie und versuchte, einen Stein vor das Tor zu wäl zen. Atlan richtete den Energiestrahler auf ei nes der Torscharniere und verwandelte es in einen Klumpen geschmolzenen Metalls. Da nach behandelte er ein Scharnier des ande ren Torflügels ebenso. »Das ist viel wirksamer«, sagte er. Thalia nickte nur. Sie war bleich. Unruhig blickte sie zur Burg. Zwischen ihr und ihnen befand sich freier, deckungsloser Raum. Auch links und rechts von der Burg gab es nichts, was ihnen irgendeinen Schutz ge währt hätte. Die Mauern ragten steil zu bei den Seiten auf. Sie waren auch von der In nenseite her nicht zu erklimmen. Eine Entscheidung mußte fallen. Atlan und Thalia konnten sich nicht mehr zurück ziehen. Der Arkonide beobachtete die Fenster. Alles blieb ruhig. Nirgendwo war eine Be wegung zu sehen. Es schien, als sei die Burg ausgestorben. »Ob niemand darin lebt?« fragte Thalia beklommen, während sie sich dem Gebäude näherten. »Ich weiß es nicht«, antwortete der Un sterbliche. »Vielleicht ist die Burg nicht mehr als eine automatische Überwachungs station, ausgerüstet mit ein paar Robotern.« Er beschleunigte seine Schritte. »Wir müssen zur Vorderseite«, sagte er. »Ich fürchte, daß sie uns einen Kampfgleiter entgegenschicken. Wir müssen ihn rechtzei tig abfangen.« Sie begannen zu laufen, wobei sie ständig damit rechneten, daß einer der Gleiter vor ihnen auftauchen würde. Doch als sie die Vorderseite der Burg erreichten, sahen sie, daß das Schott im Boden noch geschlossen war. Es bestand aus einem dunklen Metall und war mehr als zwanzig Meter breit. »Man muß uns doch bemerkt haben«,
H. G. Francis sagte Thalia. »Man hat uns auch bemerkt. Davon bin ich überzeugt. Ich weiß nur nicht, weshalb man nicht auf uns reagiert.« »Ich glaube nicht, daß es nur Roboter in der Burg gibt«, sagte die Tochter Odins. »Die Fischer versorgen die Leute in der Burg. Also müssen es lebende Wesen sein.« »Das ist nur eine Annahme, die durch nichts bewiesen ist«, widersprach der Arko nide. Er entfernte sich etwa zehn Meter von der Burg und blickte nach oben. Die Fenster glitzerten in der Sonne, als spiegelten sich die Kristallwälder in ihnen. Nirgendwo be wegte sich etwas. Thalia ging zögernd weiter. Sie suchte nach einem Eingang. »Irgendwo muß eine Tür sein«, rief sie Atlan zu. Sie wurde von Minute zu Minute unruhiger. Sie hatte sich den Angriff auf die Burg ganz anders vorgestellt. Sie hatte damit gerechnet, auf heftigen Widerstand zu sto ßen und kämpfen zu müssen. Daß nichts ge schah, zerrte stärker an ihren Nerven, als je der Kampf es getan hätte. Atlan schloß sich ihr an. Zusammen mit ihr umrundete er die Burg. Es gab keinen Eingang. »Was jetzt?« fragte sie. »Wir müssen warten«, entgegnete er. »Wenn sich das Schott öffnet, werden wir eindringen.« »Vielleicht öffnet es sich erst in einem Jahr. Dann sind wir verhungert. Warum schießen wir nicht ein Loch in die Mauer der Burg und steigen dort ein?« »Wenn sich nicht bald etwas tut, bleibt uns nichts anderes übrig.« Nachdenklich blickte Atlan zum Tor und den beiden Me tallvögeln, die schimmernd in die Höhe rag ten. »Vielleicht ist das aber gar nicht not wendig. Vielleicht gibt es am Tor einen Ein gang, durch den wir zu den Anlagen unter uns kommen, und von dort aus geht es dann wahrscheinlich weiter bis in die Burg.« Sie eilten zum Tor, das die Burganlage von der Außenwelt trennte. Thalia suchte
Die Ewige Karawane nach einem Öffnungsmechanismus, doch sie fand keinen. Es gab auch keine Tür in der Mauer, durch die sie hätten eindringen kön nen. Wir haben keine Wahl«, sagte Thalia und zeigte auf die Burg. »Wir müssen uns hin einschießen.« Sie wollte fortfahren, doch Atlan bat sie durch ein Zeichen, ruhig zu sein. Dann hörte sie es auch. Ein fernes Donnern kündigte ein Raumschiff an. »Das nächste Raumschiff, das in die Falle geht?« fragte sie. »Es sieht so aus.« Atlan zeigte nach Norden. Ein dunkler Körper näherte sich ihnen. Schon nach we nigen Sekunden stand fest, daß er sich auf einem Landekurs befand, der dem der HO RIET exakt glich. Das Raumschiff war trop fenförmig. Es ließ einen rötlichen Streifen verbrannter Gase hinter sich. Atlan und Thalia wichen bis an die Mauer zurück. Sie spürten die Gefahr, konnten je doch nichts tun, um sie abzuwehren. Das Raumschiff raste heran. Rasch verlor es an Höhe. Die Bugtriebwerke heulten auf. Sonnenhelle Glutstrahlen schossen aus den Abstrahlschächten. Der Raumer wurde lang samer und glitt in einer Höhe von kaum mehr als hundert Meter über die Burg. Es flog in Richtung Kristallwälder. Als das Schiff etwa hundert Meter von den Mauern der Burg entfernt war, geschah, was Thalia und Atlan erwartet hatten. Die Energiestrahler, die in den Schnäbeln der metallenen Vögel verborgen waren, blitzten auf. Armdicke Energiestrahlen rasten auf das Raumschiff zu, erreichten und durch bohrten es. Für einige Sekunden schien es, als hätten sie keinerlei Wirkung. Der Raumer flog wei ter und schien zur Landung anzusetzen. Dann aber brachen die Metallwände auf. Das Raumschiff explodierte. Eine ungeheure Druckwelle fegte über den Vorhof der Burg und schleuderte Atlan und Thalia zu Boden. Obwohl der Arkonide geblendet war, er kannte er, daß ein ovaler Körper aus dem Feuer der Explosion aufstieg und sich
43 schnell entfernte. Einige der Besatzungsmitglieder hatten sich in einem Rettungsboot aus dem Raumer geschleudert und flohen. Das Raumschiff stürzte auf die Ebene vor den Kristallwäldern. »Ich wußte es«, sagte Thalia erschüttert. »Hordinal hat uns in eine Falle geführt. Wir kommen hier nicht mehr weg. Uns wird es genauso ergehen wie allen anderen. Dies ist das Ende.« Atlan sah, daß sie Tränen in den Augen hatte. Ihr Gesicht war von Verzweiflung ge zeichnet.
8. Sie sind in einem Beiboot entkommen, stellte der Logiksektor fest. Das können sie nicht zulassen. Sie müssen es verfolgen, denn das Beiboot könnte in den Weltraum entkommen. Er packte Thalias Arm. »Komm«, rief er und sprang auf. »Wo willst du hin?« fragte sie. »Zum Schott. Es öffnet sich gleich. Schnell, sonst kommen wir zu spät.« Sie erhob sich und folgte ihm zögernd. »Das hat doch alles keinen Sinn mehr«, sagte sie. »Es ist zu spät für uns. Wir hätten niemals hierher fliegen dürfen.« »Noch gebe ich nicht auf.« Das Schott im Boden des Burghofs zog Atlan förmlich an. Er spürte, daß es sich in wenigen Sekunden öffnen würde. Dann wollte er bereit sein. Neben dem Schott legte der Arkonide sich auf den Boden. »Hinlegen«, befahl er. »Schnell.« »Ich weiß nicht, was das soll«, erwiderte Thalia, gehorchte jedoch. »Einige sind aus dem Raumschiff geflo hen«, erklärte Atlan. »Ich habe es gesehen, und ich bin sicher, daß man sie verfolgt.« Kaum hatte er zu Ende gesprochen, als sich das Schott bewegte. Es spaltete sich in der Mitte und glitt zu den Seiten weg. Atlan und Thalia preßten sich auf den Boden. Sie
44 hörten das Dröhnen und Heulen von Ma schinen. Der Arkonide hob den Kopf und blickte in die Öffnung. Er konnte jedoch nur eine senkrecht abfallende Stahlwand sehen. Dann stieg ein kleines Raumschiff auf. Es hatte einen Durchmesser von kaum zehn Metern und sah aus wie eine mit zahllosen Stacheln bewehrte Kugel. Röhrend und heulend schwebte es aus dem subplanetarischen Hangar empor. Eine Welle glühend heißer Luft jagte über Atlan und Thalia hinweg. Der Arkonide robbte sich an die Öffnung im Boden heran. Er schützte das Gesicht mit den Händen, während das Raumschiff scharf beschleunigte und rasch an Höhe gewann. Etwa drei Meter unter dem Schott befand sich ein Kampfgleiter, der in einer Nische parkte. »Komm«, rief der Arkonide seiner Begleiterin zu. Er ließ sich über die Kante fallen. Thalia folgte ihm augenblicklich. Sie landeten auf dem Dach des Gleiters, wäh rend sich über ihnen das Schott wieder schloß. Der Arkonide hielt den Energiestrahler schußbereit in den Händen. Sie befanden sich in einer Halle, die etwa hundert Meter hoch war, und einen Durchmesser von mehr als zweihundert Metern hatte. Sie reichte weit über die Mauern der Burg hinaus. In der Halle standen nur zwei Gleiter und ein Raumschiff. Es war ein zylinderförmiges Schiff, das eine gewisse Ähnlichkeit mit den Raumern der Ewigen Karawane hatte. »Wie ist das möglich?« fragte Thalia. »Das Raumschiff ist so groß, daß es nicht durch das Schott paßt. Es kann unmöglich starten. Es muß hier gebaut worden sein.« Das Raumschiff war etwa sechzig Meter lang und hatte einen Durchmesser von annä hernd fünfzehn Metern. Es konnte die Halle nicht durch das Schott verlassen. »Es ist für den Notfall«, entgegnete der Arkonide. »Wenn es startet, durchbricht es die Decke und zerstört alles.« »Es ist niemand in der Halle«, sagte sie. »Man hat uns nicht bemerkt.« Atlan stieg vom Gleiter, der hoch über
H. G. Francis dem Boden der Halle in einer Parknische stand. Eine Treppe führte in die Tiefe. Der Arkonide ging jedoch noch nicht nach un ten, sondern sah sich erst in der Halle um. Sie bot keine Überraschungen, sondern glich den Hangars, die er von Raumschiffen und von Stützpunkten kannte. Das Raumschiff war von technischen Einrichtungen umge ben, die der Wartung dienten. An den Wän den standen einige Maschinen, deren Funkti on er nicht kannte. Ein runder Schacht stieg an der Stelle zur Decke der Halle auf, über der sich die Burg erhob. Atlan öffnete die Tür des Gleiters. Es war die Maschine, die er beschossen und beschä digt hatte. »Wir müssen nach unten«, sagte Thalia drängend. »Hier verlieren wir nur Zeit.« »Ich suche eine Waffe für dich«, erklärte er. Der Gleiter hatte vier gepolsterte Sitzplät ze. Das Instrumentarium war eindeutig für Lebewesen eingerichtet, die anatomisch kaum anders gebaut waren als der Arkonide. Atlan setzte sich hinter das Steuer. »Roboter haben diese Maschine jedenfalls nicht geflogen«, sagte er. »Weiß der Teufel, wie die Fremden aussehen, Roboter sind es jedenfalls nicht.« Er durchsuchte die Kabine, öffnete sämtli che Fächer, blickte unter die Sitze und in die Stauräume an Heck und Bug, fand jedoch nichts, was sich als Waffe eignete. »Es hilft nichts«, sagte er. »Wir müssen es so versuchen.« Er reichte Thalia den Energiestrahler, doch sie wies ihn zurück. »Behalte du ihn«, bat sie. »Du brauchst keine Rücksicht auf mich zu nehmen«, sagte er. »Ich werde vorangehen, während du mir den Rücken deckst. So kommen wir ganz gut aus.« Zögernd nahm sie die Waffe. »Außerdem bin ich im Goldenen Vlies ganz gut geschützt«, fügte er hinzu und ging die Treppe hinunter. Sie folgte ihm. Hin und wieder blieb er
Die Ewige Karawane stehen und horchte. Je tiefer sie kamen, de sto stärker wurde das Gefühl, eingeschlossen zu sein. Es gab keine seitlichen Ausgänge. Sie mußten bis zum Ende der Treppen ge hen, wenn sie die Halle wieder erreichen wollten. Als sie etwa die Hälfte des Weges zurück gelegt hatten, zeigte ihnen ein lautes Dröh nen und Heulen an, daß das Raumschiff zu rückkehrte. »Schnell«, sagte Atlan. »Wir müssen un ten sein, wenn es gelandet ist.« Sie übersprangen mehrere Stufen zu gleich. Atlan glaubte schon, daß sie es schaffen würden, rechtzeitig zum Ende der Treppe und damit zum Zugang zur Halle zu kommen, als sie plötzlich auf ein Stahlschott stießen. In aller Hast untersuchte der Arkonide es, fand jedoch keine Sensorplatte als Öff nungsschalter. Die Triebwerksgeräusche verstummten. »Wir müssen es aufschießen«, sagte Tha lia. »Aber nicht jetzt«, erwiderte er. »Wir müssen warten, bis die Besatzung des Raumschiffes die Halle verlassen hat.« Er nahm sich nun mehr Zeit, das Schott zu untersuchen, fand aber keinen Schalter. »Wie öffnen sie es?« fragte Thalia. »Sie müssen doch irgend etwas haben, mit denen sie es öffnen, wenn sie vom Gleiter kommen und in die Halle wollen.« »Bestimmt sogar. Wahrscheinlich hat die Tür einen Individualtaster, der auf ihre Ge hirnschwingungen anspricht. Eine bessere Sicherung gibt es nicht.« »Wie lange warten wir?« »Einige Minuten«, erwiderte er. »Sie müssen in der Burg sein, sonst erwischen sie uns noch auf der Treppe.« »Ich laufe nach oben und sehe nach.« »Nein. Sie könnten dich bemerken. So ist es besser.« Endlos langsam verstrich die Zeit. Thalia wurde von Minute zu Minute unruhiger. Sie wollte den entscheidenden Kampf. Sie woll te um keinen Preis auf der Silberwelt blei
45 ben. »Könnten wir nicht versuchen, mit dem Raumschiff zu fliehen?« fragte sie. »Wir kämen nicht weit. Erstens weiß ich nicht, wie das große Schott geöffnet wird, und zweitens würden sie uns sofort abschie ßen, wenn es uns gelänge zu starten.« Er ließ sich den Energiestrahler geben, trat einige Schritte zurück und schoß auf die Stelle, an der er den Verschluß vermutete. Das Schott sprang unter der Wucht des sich plötzlich ausdehnenden Materials auf. Atlan gab Thalia die Waffe zurück und eilte die letzten Stufen der Treppe hinunter, begleitet vom Heulen einer Alarmsirene. Ein offener Durchgang führte zum Han gar. Atlan sah, daß sich mehrere Türen geöff net hatten. Kugelförmige Roboter rollten auf Raupenketten auf ihn zu: Sie waren mit al lerlei Werkzeugen für die Arbeit am Raum schiff ausgerüstet, nicht jedoch mit Waffen. »Schieß«, rief er Thalia zu, als er sah, daß sie zögerte. Sie feuerte auf den Roboter, der Atlan am nächsten war. Der Energiestrahl durchschlug die Kugel und zerstörte das Triebwerk. At lan deutete auf den Aufgang zur Burg. »Dorthin«, sagte er. Sie schoß erneut und zerstörte einen zwei ten Roboter. Aus einer Öffnung im Boden stieg eine Platte mit drei Robotern auf. Sie hatten ebenfalls einen Kugelkörper, verfügten je doch über gefährlich aussehende Zangen und Schweißgeräte. Thalia zielte sorgfältig. Sie umfaßte den Griff mit beiden Händen. Atlan sah, daß ein anderer Roboter sie von hinten angriff. Er kehrte um und warf sich auf den Automaten. Er packte ihn an zwei Werkzeugarmen und stürzte ihn um. Währenddessen hatte Thalia geschossen. Damit hatte sie die beiden gefährlichsten Roboter ausgeschaltet. Sie zeigte Atlan die Waffe. »Ich glaube, das Magazin ist bald leer«, sagte sie. »Die Strahlen waren schwach.« Er nahm die Waffe, während sie einigen
46 angreifenden Roboter auswichen, und über prüfte sie. Obwohl sie ihm fremd war, und er ihre Technik nicht ganz verstand, erkann te er, daß Thalia recht hatte. »Geh sparsam damit um«, bat er. »Du hast vielleicht noch vier oder fünf Schüsse. Mehr nicht. Sie könnten entscheidend sein.« Sie rannten unter das Raumschiff. Thalia lockte einen Roboter auf sich, der ihnen be drohlich nahe gekommen war. Atlan blieb hinter einem der Stützbeine des Raumschif fes stehen. Surrend schob sich der Roboter an ihm vorbei. Er setzte ihm nach, packte ihn an den hinteren Armen und versuchte, ihn umzuwerfen. Doch jetzt merkte er, daß er dem Roboter in die Falle gelaufen war. Die Maschine krallte die Metallfinger in sei ne Arme und hielt ihn fest. Atlan schrie vor Schmerz auf. Der Roboter warf ihn zu Boden. Thalia blieb keine andere Wahl. Sie muß te schießen, um die Maschine schnell funkti onsunfähig zu machen. Atlan sah, daß der Energiestrahl nur noch blaß war. Er reichte jedoch aus, den Roboter zu zerstören. Die Stahlklauen lösten sich. Atlan sprang auf. Jetzt waren die anderen Automaten bis auf wenige Schritte heran. »Schnell. Zum Aufgang«, rief Thalia. »Sonst schaffen wir es nicht mehr.« Sie trennten sich und zwangen die Robo ter dadurch, sich für einen von ihnen zu ent scheiden. Dadurch verschafften sie sich eini ge Sekundenbruchteile Vorsprung. Doch die genügten. Der Vorsprung vor den Maschi nen wuchs. Sie erreichten ein offenes Schott, eilten hindurch und befanden sich in dem Turm, der die Verbindung zur Burg darstell te. Eine breite Spirale führte nach oben. At lan sah eine Sensorplatte neben dem Schott, legte seine Hand dagegen und schloß das Schott, so daß die Roboter ihnen nicht fol gen konnten. Dann eilte er auf das Band der Spirale. Ein Kraftfeld erfaßte ihn und trug ihn nach oben. Thalia blieb bei ihm. Sie hielt den Energiestrahler schußbereit in der Hand. Atlan versuchte stehenzubleiben und um-
H. G. Francis zukehren, um sich zu vergewissern, ob er es im Notfall auch tun konnte. Es ging nicht. Das Energiefeld schob ihn und Thalia mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt nach oben. »Vorsicht«, warnte Atlan, als sie sich dem Ende der Spirale näherten. »Inzwischen weiß man hier oben, daß wir kommen.« Thalia zielte mit ausgestreckten Armen auf die nächste Biegung. Sie war bereit, so fort zu schießen, wenn sich irgend jemand über ihnen zeigte. Atlan blickte sich immer wieder um. Er glaubte, Geräusche wahrzunehmen, die ein Verfolger verursachte. Dann tauchte plötzlich eine schattenhafte Gestalt vor ihnen auf. Thalia feuerte. Der Energiestrahl zuckte zu der Gestalt hinüber, verfehlte sie jedoch. Er schlug in die Wand und riß aufglühende Kunststoffbrocken her aus. Atlan rannte los. Er überholte Thalia. Er wollte sich auf die schattenhafte Gestalt werfen, die er eben noch auf dem Band der Spirale gesehen hat te. Er erreichte das Ende des Transport bands. »Er ist weg«, sagte er verblüfft. Vor ihnen lag ein langer Gang, von dem einige andere abzweigten. Der Boden war tiefschwarz. Die Decke bestand aus mehre ren Lichtbändern, die den Gang erhellten. Seltsame Zeichnungen, die eine düstere Ausstrahlung besaßen, verzierten die Wän de. »Er kann doch nicht einfach verschwun den sein«, bemerkte Thalia verstört. »Was war das überhaupt? Ein Schatten?« »Ich weiß nicht«, erwiderte der Arkonide. »Genau habe ich es nicht gesehen. Es ging viel zu schnell.« Er ging einige Schritte weiter. »Vielleicht war es nur eine Projektion, mit der man uns verleiten wollte, die Waffe abzufeuern. Das ist ja auch gelungen.« Thalia reichte ihm den Energiestrahler. »Ich glaube, jetzt ist Schluß«, sagte sie. Er überprüfte die Energiekammer. Dann
Die Ewige Karawane richtete er die Waffe auf das Ende des Gan ges und drückte ab. Die Waffe versagte ihm den Dienst. Acht los warf er sie zur Seite. »Ich hätte mir bessere Voraussetzungen für einen Kampf gewünscht«, sagte er sarka stisch. »Die Chancen sind ein wenig un gleich verteilt.« »Es tut mir leid. Ich hätte nicht schießen dürfen.« »Ich mache dir keinen Vorwurf. Ich hätte es auch getan.« »Warum greifen sie uns nicht energischer an?« fragte Thalia. »Sind sie so sicher, daß wir nichts gegen sie erreichen?« Atlan erreichte einen abzweigenden Gang. Einige Meter von ihm entfernt stand ein düsteres Schattenwesen. Der Arkonide glaubte, seltsam fließende Bewegungen hin ter dieser Schattenwand zu erkennen, die er als Energieschirm identifizierte. »Ein Scuddamore«, sagte Thalia. Atlan warf sich dem Düsteren entgegen. Ein blasser Energiestrahl schoß aus der schattenhaften Gestalt hervor und schlug ihm ins Gesicht. Für einen kurzen Moment schien es so, als werde das Goldene Vlies ihn beschützen, doch dann brach er zusam men. Eine Lähmung erfaßte seinen ganzen Körper. Bei vollem Bewußtsein sah er, daß auch Thalia vergeblich versuchte, den Scuddamo ren anzugreifen. Ihr erging es nicht anders als ihm. Paralysiert stürzte sie zu Boden. Sie fiel auf das Gesicht, während er auf dem Rücken lag und sehen konnte, was geschah. Der Scuddamore zog sich zurück. Er bewegte sich lautlos wie ein fließender Schatten. Es schien, als habe er keine Berüh rung mit dem Boden unter seinen Füßen. Doch Atlan glaubte zu spüren, daß es nicht so war. Verzweifelt bemühte er sich, die Läh mung zu überwinden. Er hatte damit gerech net, überraschend einem Gegner gegenüber zustehen, aber er hatte sich auch eine Chan ce ausgerechnet. Er hatte sich auf seine Re
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aktionen und seine Erfahrung verlassen, doch die hatten ihm nichts geholfen. Dennoch gab er noch nicht auf. Der Scuddamore hatte ihn paralysiert. At lan war sich darüber klar, daß er ihn auch hätte töten können. Die Erfolgsaussichten des Unternehmens waren von Anfang an zu gering, konstatierte der Logiksektor. Wir hatten keine andere Wahl, als es den noch zu versuchen, dachte er. Wir mußten es tun. Der Logiksektor schwieg. Zwei Scuddamoren erschienen in seiner Nähe. Ein Antigravfeld erfaßte den Arkoni den und hob ihn hoch. Es richtete ihn auf. Ein Schatten senkte sich über ihn. Es schien, als ob das Licht ausginge. Atlan fühlte, daß er bewegt wurde. Wenig später wurde es wieder hell. Er be fand sich in einem kleinen Raum. Durch ein Fenster sah er die Wellen, die gegen die Burgmauern brandeten. Thalia stand neben ihm. Drei Scuddamoren erschienen vor ihnen. Vergeblich versuchte der Arkonide, die dü steren Energieschirme mit seinen Blicken zu durchdringen. »Ihr habt es geschickt angestellt«, sagte einer der Spezialagenten des Neffen. »Beinahe wäre es euch gelungen, uns zu überraschen. Wir haben in der Tat nicht da mit gerechnet, daß jemand so verrückt sein könnte, uns von See her anzugreifen.« »Bedauerlich, daß euch die Fischer in die Quere gekommen sind«, bemerkte ein ande rer Scuddamore höhnisch. »Durch sie sind wir auf euch aufmerksam geworden.« »Wer seid ihr?« fragte Atlan mühsam. Die Lähmung ließ nach, doch er war noch weit davon entfernt, sich frei bewegen zu können. »Ich bin Kärtel«, erklärte der größte der drei Scuddamoren. »Ich bin der Komman dant. Es würde mich interessieren, wen du eigentlich hier in der Burg erwartet hast. Solltest du nicht damit gerechnet haben, uns hier vorzufinden?«
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H. G. Francis
»Nein«, erwiderte der Arkonide aufrich Seite. Als er wieder in Atlans Blickfeld er tig. »Das habe ich nicht. Ich habe Hordinal schien, zeigte er ihm die Plastikbehälter mit vertraut, und im Grunde genommen tue ich den 250 Kügelchen. das jetzt auch noch.« »Wir haben sie natürlich rechtzeitig aus Er glaubte, ein höhnisches Lachen zu hö dem Wrack geholt«, erklärte Kärtel. »Die ren. Kästen bestehen aus einem hitze- und feuer »Hordinal meint es tatsächlich ehrlich«, beständigen Kunststoff.« antwortete Kärtel mit sichtlichem Vergnü »Wir haben nichts davon bemerkt«, ge gen. »Er ahnt nicht, daß die Silberwelt eine stand Atlan bestürzt. Kärtel lachte erneut. Falle ist. Irgendwann in ferner Vergangen »Es war nicht unsere Absicht, euch etwas heit ist die Ewige Karawane aus einer ande merken zu lassen.« ren Galaxis zu uns gekommen. Sie verfügt Atlan hatte das Gefühl, auf der ganzen Li über einen Kollektivschirm, mit dessen Hilfe nie verloren zu haben. Die Scuddamoren sie sich unsichtbar machen kann. Ihr selbst hatten in ihm und Thalia die wichtigsten habt es erlebt.« Mitglieder der HORIET-Besatzung erkannt. Für ihn war deutlich geworden, daß die »In der Tat«, entgegnete Atlan. »Die Roboter der Ewigen Karawane, die Scuddamoren an den Dellos nicht das ge ringste Interesse hatten. sich den Kollektivnamen Hordinal zugelegt haben, haben sich gegen die Neffen gestellt, »Wir werden euch nach Breisterkähl-Fehr bringen«, eröffnete ihm Kärtel. »Dort wer doch schon bald gelang es den Mächten um det ihr untersucht und verhört werden.« Chirmor Flog, die sogenannten Rettungswel ten der Ewigen Karawane, zu denen auch »Was geschieht danach?« fragte Thalia die Silberwelt gehört, aufzuspüren und unter mit krächzender Stimme. ihre Kontrolle zu bringen.« »Danach ist euch der Tod sicher«, be »Dann ist die Ewige Karawane unfreiwil merkte der Anführer der Scuddamoren. lig zu einem Verbündeten Chirmor Flogs ge Atlan dachte an Atlantis. Er konnte sich worden«, stellte Atlan erschüttert fest. »Man nicht vorstellen, daß es ihm noch einmal ge läßt die Karawane gewähren, um auf diese lingen würde, nach Pthor zurückzukehren. Weise alle Gegner einfangen zu können.« Noch hatte er die große Plejade in der Ta »Ich kann dich nur loben«, sagte der sche des Goldenen Vlieses, darauf stützten Scuddamore höhnisch. »Du hast die volle sich seine letzten Hoffnungen. Wahrheit erfaßt. Rebellen und Abtrünnige »Bringt sie in die Energiekabinen«, befahl werden auf diese Weise in gut vorbereitete Kärtel. »Das Abholkommando wird bald Fallen geleitet – und vernichtet. Auch du hier sein.« bist in eine solche Falle gegangen.« Einer der Scuddamoren richtete ein ka stenförmiges Gerät auf den Arkoniden. At »Aber ihr habt mich nicht getötet wie jene lan fühlte, daß er angehoben und herumge dort draußen in den Kristallwäldern.« »Willst du dich deswegen beschweren?« drückt wurde. Er konnte sich nur wenig be »Natürlich nicht.« Atlan schluckte müh wegen. Es schien, als spannten sich unsicht sam. Seine Kehle war so trocken, daß er bare Energiefelder um ihn. kaum noch sprechen konnte. »Leider habt Vor dem Scuddamoren schwebte er durch ihr einen schwerwiegenden Fehler ge die Gänge der Burg und über die Spirale macht.« hinab in den Raumschiffshangar. Wenig »Ausgeschlossen.« später tauchte Thalia neben ihm auf. »Bei der Vernichtung der HORIET habt Der Scuddamore brachte ihn und sie an ihr auch die Ärgetzos verbrannt.« Bord des kleinen Raumschiffs, ohne daß sie Jetzt vernahm der Arkonide ein deutliches sich dagegen wehren konnten. In einem Bei boothangar befanden sich zwei Energiebla Lachen. Einer der Scuddamoren glitt zur
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sen. Der Düstere schuf Strukturlücken und schob die Gefangenen in die Blasen. Hier sanken sie auf den Boden. Atlan richtete sich sogleich wieder auf, während Thalia hilflos liegen blieb. Der Scuddamore verschwand.
Es ist vorbei, stellte der Logiksektor fest. Ohne Hilfe von außen kommst du hier nicht wieder heraus.
ENDE
Weiter geht es in Band 407 von König von Atlantis mit:
Sklaven des Mittleren Forts von Peter Terrid