1.
Drei Männer kauerten hinter den Felsen und starrten hinüber auf den nächtlichen Marktplatz von Candis. Mitternacht ...
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1.
Drei Männer kauerten hinter den Felsen und starrten hinüber auf den nächtlichen Marktplatz von Candis. Mitternacht war vorüber, und der Platz lag leer wie auch die Kais. Die Schiffe, die eines neben dem andern ankerten, waren dunkel und ohne Lichter. Des Königs Flaggschiff, die Seehexe, war das einzige, auf dem noch vereinzelte Lampen brannten. Sie war das Ziel der drei Männer, aber um sie zu erreichen, mußten sie den Platz überqueren, und das war noch immer unmöglich, ohne daß die Deckwachen auf dem Flaggschiff sie bemerkten. Der Grund dafür, der den Männern leise Flüche entlockte, waren die Fackeln, die an den Eingängen dreier Tavernen brannten, und deren flackerndes Licht die Männer von ihrem Vorhaben abhielt. »Wie lange brennen die verdammten Dinger noch?« murmelte der eine mit zusammengepreßten Lippen. »Ich glaube, sie lassen sie niederbrennen.« »Ja, du magst recht haben, Daraq. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Was tun wir, Kommandant?« In den Tavernen war seit geraumer Weile alles still. Die letzten Zecher hatten sie längst verlassen. Die schweren Läden waren geschlossen. Daraq hatte recht.
Der Wirt würde sich nicht mehr um die Fackeln kümmern. Er schnarchte längst in seiner Kammer. Der Kommandant der Gruppe, ein Hüne von Gestalt, verzog das Gesicht. Im Widerschein des Lichtes sah es aus, wie das zerfurchte, boshafte Antlitz eines Trolls. Die lange Narbe auf der linken Wange trug nichts dazu bei, den abschreckenden Eindruck zu schwächen. »Wir werden sie löschen müssen. Das hält uns zwar auf, aber es geht vermutlich schneller, als hier zu warten, bis sie niedergebrannt sind. Außerdem werde ich krumm, wenn ich noch lange hier kauere. Wer geht? Qarin?« Der Angesprochene nahm seinen Bogen von der Schulter. »Wie wäre es damit, Kommandant?« Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bezweifele deine Treffsicherheit nicht. Aber die Fackeln stecken zu tief in den Halterungen, als daß ein Pfeil sie herausholen könnte. Abgesehen von dem Lärm, den der Beschuß verursachen würde. Es ist schade um die Geschosse. Wir könnten sie noch brauchen, mögen die Götter es verhüten. Wenn du aus einer der Gassen kommst, wird niemand Verdacht schöpfen. Du löscht sie aus, als wäre es deine Aufgabe, das zu tun. Laß dir Zeit, es darf nicht nach Hast oder Verstohlenheit aussehen. Ich bin sicher, daß die Deckwachen der Seehexe die Fackeln im Auge haben. Deine Uniform als
Soldat des Königs wird die Sache unverdächtig genug erscheinen lassen. Also vorwärts.« Qarin nickte, legte seinen Bogen ab und den Köcher und war einen Moment darauf zwischen den dunklen Felsen verschwunden. Es dauerte längere Zeit, bis sie ihn in einer Gassenmündung auftauchen sahen. Er ging ohne zu zögern auf die erste Taverne zu, nahm die erste Fackel aus dem Eisenring und tauchte sie in das Wasserbecken daneben, das zu diesem Zweck dort stand. Das Zischen drang deutlich bis zu den beiden Männern. Die zweite Fackel verlosch. Die dritte, vierte ... Niemand nahm daran Anstoß, und der Platz wurde dunkel. Die beiden Männer atmeten auf, als Qarin wieder bei ihnen auftauchte. »Alles klar, Kommandant. Laß mich einen Augenblick verschnaufen. Könnte ja sein, daß wir es plötzlich eilig haben.« Er grinste. So warteten sie, bis Qarin seine Waffen wieder aufnahm. Dann liefen sie gebückt, mit bloßen Füßen, im Schutz der Dunkelheit auf das Flaggschiff zu. Es war ein kitzliges Gefühl, denn eine der Deckwachen mochte sie bemerken und einer von den Kerlen sein, die erst schossen und dann fragten. Doch sie erreichten das Schiff unbemerkt. Der Koloß ragte vor ihnen hoch. Kleine Wellen brachen sich an den Bordwänden mit leisem Plätschern. Das war gut,
denn es würde kleine Geräusche übertönen. Daraq war der erste, der den Weg über das Seil nahm. Als er die Reling fast erreicht hatte, schien die Wache vom Bug irgendeinen Verdacht geschöpft zu haben, denn der Mann tauchte nicht weit von Daraq entfernt an der Reling auf und starrte in das dunkle Wasser. Überraschenderweise bemerkte er Daraq nicht. Nach einem Augenblick verschwand er, und sie hörten seine Schritte sich zum Bug hin entfernen. Qarin ließ aufatmend den Bogen sinken. Daraq schwang sich über die Reling und war einen Augenblick verschwunden. Als er wieder auftauchte, winkte er den beiden zu. Der Kommandant angelte sich als nächster an dem Seil hoch. Als er an Deck sprang, sah er in ein paar Schritt Entfernung den Wachposten liegen, gefesselt und geknebelt und offenbar noch ohne Bewußtsein. Gleich darauf war auch Qarin an Bord. »Keine Wache am Heck?« flüsterte er. »Sucht sie und macht sie unschädlich«, befahl der Kommandant. »Dann laßt ein Boot zu Wasser, und kappt die Taue von den übrigen. Und haltet euch bereit. Mag sein, daß es rasch gehen muß, wie du schon sagtest, Qarin.« Er wartete einen Augenblick, bis die Männer in der Dunkelheit mittschiffs verschwunden waren. Die
Seehexe war ein schneller Segler, ein Dreimaster wie die Schwarze Wellenreiterin, auf der er schon mit Kapitän Jaggar zusammen in Balava und Kyrien gewesen war. Er fand sich auf ihr recht gut zurecht. Auf einer der Galeeren wäre es schwieriger gewesen. Daß sie Jaggar nicht auf einer der Galeeren ans Ruder gekettet hatten, konnte nur eines bedeuten- daß sie Wichtigeres mit ihm vorhatten. Er war immerhin der Vertraute des Königs gewesen. Jaggar hatte recht gehabt mit seiner Behauptung, mit dem König sei nicht alles richtig, seit dieser Schlangenpriester nicht mehr von seiner Seite weicht. Er hörte vom Heck her ein ersticktes Aufstöhnen. Sie hatten die Wache. Rasch schlich er zur Kajütentreppe. Die Kapitänskajüte war leer. Der König würde erst im Morgengrauen an Bord gehen mit dem Priester. Sie mußten Jaggar irgendwo in den Laderäumen eingeschlossen haben. Er schlich an Deck zurück. Ein leises Scharren an der Bordwand sagte ihm, daß Daraq und Quarin dabei waren, das Boot hinabzulassen. Er erreichte den Niedergang zu den Mannschaftsräumen. Daran mußte er vorbei, wenn er zu den Laderäumen wollte. Der Kommandant fluchte lautlos. Es war eine Mausefalle. Wenn einer der Mannschaft ihn hörte und neugierig wurde, war der
Teufel los. Dann war es am besten, er schloß sich gleich selbst mit Jaggar ein. Er dachte, daß sie Jaggar ebensogut irgendwo in den Mannschaftsräumen eingeschlossen haben mochten. Das würde eine Befreiung unmöglich machen. Er wußte lediglich, daß Jaggar sich auf dem Schiff befand. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hatten sie ihn an Bord gebracht. Das hatte er beobachtet. Vorsichtig schlich er an den Kajüten vorbei. Schnarchen drang nach draußen. Da drinnen schien alles zu schlafen. Er erreichte die Laderaumeingänge. Die Finsternis war absolut. Er schob den schweren Riegel zur Seite, öffnete vorsichtig die Tür – fingerbreit um fingerbreit, denn sie knarrte, als gelte es, Tote aufzuwecken. Doch niemand erwachte. Er steckte den Kopf in die lautlose Finsternis dahinter. Er öffnete den Mund, um leise nach Jaggar zu rufen. Bevor er einen Laut herausbrachte, war eine Bewegung vor ihm. Hände faßten ihm ins Gesicht, glitten tiefer und hatten ihn in würgendem Griff am Hals, bevor er dazu kam, eine abwehrende Bewegung zu machen. Er wurde nach innen gerissen, während die Tür knarrend ganz aufflog und gegen die Wand knallte. Er bemühte sich verzweifelt, einen Aufschrei zu unterdrücken. Gleich darauf fiel es ihm nicht mehr
schwer, denn die Hände drückten erbarmungslos zu, und er hätte keinen Laut mehr hervorgebracht, selbst unter größter Anstrengung. Ein Schwindelgefühl erfaßte ihn. Er versuchte, seinem Gegner zuzukrächzen, daß er ein Freund war, aber das mißlang völlig. Denn der erste krächzende Laut veranlaßte den anderen, den Druck seiner Hände noch zu verstärken. Noch immer schien niemand etwas bemerkt zu haben. Von plötzlicher Wut erfüllt über diese irrsinnige Situation, in der das Opfer seinen Befreier auf die Balken legte, und unter Mißachtung aller Vorsicht ließ er sich fallen und riß seinen Gegner, der niemand anderer als Jaggar sein konnte, mit sich. Sie stießen gegen irgendwelche Fässer, vermutlich Ölfässer, und es gab ein höllisches Gerumpel. Den anderen schien das nicht zu stören, aber für ihn selbst gab es nur noch eines- ‚raus hier, bevor jemand sein Gesicht sah und erkennen konnte, daß der Kommandant von Pequa sich auf das Schiff des Königs schlich. Das würde das Ende bedeuten. Er bekam seinen Gegner an den Haaren zu fassen und riß ihn nach vorn über seinen Kopf. Das ging nicht ohne einen Aufschrei vor sich, aber die Hände gaben seinen Hals frei. Er bekam wieder Luft. »Ich bin es Moraq«, keuchte er. »Nergins Bart«, entfuhr es dem anderen. »Warum sagst du das nicht
gleich?« Moraq rieb seinen Hals. »Wir müssen hier heraus«, würgte er hervor. »Den Gedanken habe ich schon die ganze Zeit«, murmelte Jaggar. »Aber es sieht aus, als ob wir Pech hätten!« Lärm kam vom Korridor. Der Kommandant stieß einen Fluch aus. Es hörte sich an, als wäre das ganze Schiff lebendig. Selbst wenn der König und seine Leibgarde noch nicht an Bord war, mußten es wenigstens zwei Dutzend Leute sein. Gleich darauf flackerte draußen Feuer auf. Jemand hatte eine Fackel angezündet. Mit einem Sprung war Jaggar an der Tür und schloß sie. Der Riegel hing unterhalb der Sperre. Wenn sie die Tür verriegeln wollten, mußten sie sie erst einen Spalt öffnen. »Was nun?« keuchte Jaggar, der wußte, daß er die Tür solcherart nicht lange festhalten konnte. »Du hast doch einen Plan, oder?« »Nicht für den Fall«, erkärte Moraq brummend. »Die Deckluke scheint der einzige Zugang zu sein ...!« »Sie ist verschlossen. Das war das erste, das ich versuchte, als ich die Fesseln los war«, erklärte Jaggar zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Halt sie auf, solange es geht!« rief Moraq. Hastig begann er zwei der Fässer unter die Luke zu rollen und aufeinanderzustellen. Er kletterte hoch, erreichte die Luke und trommelte wild dagegen.
»Du wirst uns die ganze Flotte auf den Hals hetzen«, knirschte Jaggar. Moraq grinste. »Wart‘s ab.« Aber ganz sicher war er sich seiner Sache nicht. Alles hing davon ab, was seine Männer getan hatten. Wenn sie bei Losbrechen des Tumults in Panik geraten und geflohen waren, oder den Fehler begangen hatten, sich der Übermacht unter Deck entgegenzuwerfen, um ihrem Kommandanten zu helfen, dann standen die Chancen jetzt verdammt schlecht. Wenn sie aber klug waren und abwarteten, um eine Befreiung zu versuchen, wenn sich die ganze Aufregung wieder gelegt hatte, dann mußten sie nun auch das Pochen hören. Lange Augenblicke vergingen, während Jaggar einen aussichtslosen Kampf an der Tür focht. Die Männer draußen hatten sich darangemacht, in unregelmäßigen Abständen gemeinsam an der Tür zu reißen, so daß sie immer ein Stück aufruckte, aber doch nicht weit genug. Plötzlich ließ Jaggar los. Die Tür flog krachend auf. Die Männer kullerten aufbrüllend in die hinter ihnen stehenden Gefährten. Der Schwung fegte die halbe Belegschaft zu Boden. Noch bevor sie dazu kamen, sich aufzurappeln, versorgte Jaggar sie mit drei der schweren, vollen Ölfässer. Schmerzensschreie drangen in den Lagerraum.
Da endlich wurde das Klopfen des Kommandanten erhört. Die Luke über ihm knarrte und hob sich ein Stück. Aber statt der helfenden Hände Daraqs und Qarins kam ein Enterhaken herab, hieb dem Kommandanten auf die in der Öffnung festgeklammerten Fäuste, daß dieser schreiend den Halt verlor und in den Laderaum zurückfiel. Dann schloß sich die Luke wieder. Fluchend schnappte er eines der Fässer, um Jaggar zu Hilfe zu eilen. Aber in der Enge des Türbereichs kam er damit nicht an Jaggar vorbei, der alle Hände voll zu tun hatte, sich die Leute der Seehexe vom Leibe zu halten. Noch sah alles recht unblutig aus. Es war eine Rauferei ganz nach ihrem Geschmack, und keiner hatte eine Waffe bei sich, als sie aus ihren Kojen waren. Aber es gab keinen Zweifel darüber, daß hier kein Entkommen mehr war. Der Kommandant zwängte sich an Jaggar vorbei, der einen Bewußtlosen wie einen Schild vor sich hielt und damit die meisten Schläge abfing. Er entriß einem der Angreifer die Fackel. Er schwang sie und stieß damit zu, daß die Funken stoben, und die Männer aufbrüllend zurückwichen. Das war der erste Schritt zu einem Gemetzel. Nun war es keine Prügelei mehr. Die Angreifer erstarrten einen Augenblick. Manche Hand fuhr an den nicht
vorhandenen Gürtel und die nicht vorhandene Waffe. Sie erinnerten sich wieder, daß sie aus dem Nachtlager gesprungen waren, und daß es sie den Kopf kosten wurde, wenn der Gefangene des Königs entkam. Jaggar und Moraq waren bereits mitten unter ihnen, auf halbem Weg zur Treppe, die an Deck führte, als sie aus ihrer Starre erwachten und mit einem vielstimmigen Wutschrei auf die beiden eindroschen, als gelte es, eine gefährliche Bestie zu erschlagen. Der Kommandant sah, wie Jaggar zu Boden ging. Auch an seinen Armen klammerten sie sich fest. Die Fackel drohte ihm zu entgleiten. Aber instinktiv erkannte er, daß sie das Kostbarste war. Die Männer hatten sein Gesicht gesehen und ihn erkannt. Für ihn gab es keine Rückkehr mehr. Es sah nicht aus, als ob Jaggar mit seinen Plänen viel Erfolg haben wurde. Es blieb nur die Flucht oder der Tod, wobei ersteres natürlich vorzuziehen war. Er drehte sich mit einem gewaltigen Ruck herum und ließ die Fackel kreisen. Für einen Augenblick war er frei. Er wirbelte die Fackel, um sie sich vom Leib zu halten. Einem loderte das Haar plötzlich auf, und seine verzweifelten Löschversuche und sein Schreien lenkten die Männer lang genug von Moraq und Jaggar ab, daß es ihnen gelang, den Laderaum zu erreichen und die Tür zuzuschlagen. Mit Gebrüll stürzten die Seeleute hinterher und
versuchten die Tür erneut zu öffnen. Jaggar sprang zurück und hob eines der Fässer. Die Tür wurde aufgerissen, aber die Männer hielten inne, als sie die Gefahr sahen, die wenigstens auf die ersten von ihnen zukommen wurde. Dann kam eine befehlende Stimme von weiter hinten. Die Männer schlossen die Tür und schoben den Riegel vor. Jaggar ließ schwer atmend das Faß sinken und stellte es mit dumpfem Poltern auf den Boden. »Wie lange wird sie noch brennen?« keuchte er. »Lang genug, um dieses Schiff anzustecken«, erwiderte der Kommandant. Jaggar schüttelte den Kopf. »Wir werden nichts dergleichen tun, Freund. Wir würden sterben in dieser Mausefalle ...« »Das werden wir ohnehin. Für mich ist alles zu Ende. Die Männer haben mich erkannt. Selbst wenn wir hier fliehen, warten auf Pequa bereits die Schergen auf mich. Ebensogut kann ich ...« »Wir haben eine Chance«, unterbrach ihn Jaggar, »wenn wir den König überzeugen und für uns gewinnen können.« Der Kommandant lachte freudlos. »Der König ist auf unserer Seite. Das war deutlich genug zu sehen. Wenigstens war er sehr nachdenklich während des Gesprächs mit dir. Du hast ihm bereits die Augen
geöffnet. Aber der König vermag nichts gegen Serphat. Er ist ihm zu Willen, so vollkommen, wie nicht einmal ein Sklave zu sein vermag. Es ist, als ob Serphat mit des Königs Mund reden würde. Er ist eine Puppe. Du warst es nicht minder. Oder erinnerst du dich nicht mehr daran?« »Ich war ...?« begann Jaggar. »Ja, ich sah es mit eigenen Augen. Du warst nicht mehr du selbst. Du hättest dir einen Dolch in die eigene Brust gebohrt, wenn er es gewollt hätte. Aber er hat Pläne mit dir. Deine Beharrlichkeit, ihm an den Kragen zu wollen, hat ihn beeindruckt!« »Oh, ihr Götter«, stöhnte Jaggar. »Wie ist es geschehen?« »Erinnerst du dich an nichts, Kapitän?« Jaggar saß grübelnd auf dem Faß und versuchte in sich hineinzulauschen. »Doch«, sagte er dann. »Ich erinnere mich, daß der König plötzlich erstarrte und daß ich mein Geschick verfluchte, weil Serphat in der Tür stand, und ich wußte, daß alles verloren war ...« »Und dann?« fragte Moraq. Jaggar dachte eine Weile nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich wachte hier auf – verschnürt und halb erstickt von einem Knebel. Aber genug davon. Ich will es später noch genauer hören. Jetzt müssen wir sehen, daß wir hier verschwinden.« Moraq lachte erneut. »Ich schätze Humor, mein
Freund. Und ich bereue auch nicht, was mich in diese Lage gebracht hat. Seit ich im Palast sah, welche Teufelei im Gange ist, fühlte ich nur eines. Ich wollte an deiner Seite kämpfen, mein Freund. Wie in den alten Zeiten. Aber nun, da es vorbei ist ...« Jaggar unterbrach ihn grinsend. »Wie in den alten Zeiten. Wenn es nach dir gegangen wäre, wären wir schon ein Dutzend Tode gestorben. Schluß damit. Aber ich bin verdammt froh, daß du hier bist. Komm, wir wollen uns umsehen, so lange sie uns Zeit dazu lassen. Diese Lagerräume können manche Überraschung bergen, wenn man Licht hat und sich umsehen kann. Nur eines werden wir hier nicht finden- Schwerter. Sie haben die Handwaffen in der Waffenkammer, und die ist am Heck bei der Kapitänskajüte. Bist du allein gekommen?« Die Zuversicht Jaggars färbte auch auf Moraq ab. »Nein«, berichtete er. »Ich hatte zwei Männer dabei. Sie ließen eines der Boote zu Wasser, als ich nach unten kam. Wir haben einen Segler ein gutes Stück östlich in einer Bucht. Dort müßten wir hin ...« Jaggar nickte. Er winkte Moraq zu, mit der Fackel näher zu kommen. Als der herankam, durchwühlten sie die Ladung, die in der Hauptsache aus Tauen, Öl für die Lampen und zum Tränken der Katapultballen, Pfeile, Enterhaken, Fackeln ... Jaggar nahm einige der Fackeln und entzündete sie.
Er hing sie in die vorgesehenen Halterungen, von denen es drei im Laderaum gab. Er lachte, als der Raum mit blendender Helligkeit gefüllt war. »Nicht viel Brauchbares auf den ersten Blick, abgesehen von der gefüllten Speisekammer. Es kann nicht schaden, sich zu stärken.« Damit deutete er auf den Berg von Mehlsäcken, die großen Krüge mit Oliven, Hammelfett und allerlei anderen Dingen, die der Koch für eine lange Reise brauchen würde. Darüber hing Reihe um Reihe von Räucherfleisch und Fisch, die einen appetitanregenden Duft verbreiteten. »Wäre doch schade, das alles anzuzünden«, grinste Jaggar. »Komm nur. Es wird schon keine Henkersmahlzeit sein.« Moraq reichte Jaggar seinen Dolch. Bald saßen die beide kauend. »Wie lange, denkst du, haben wir Zeit?« fragte Moraq. Jaggar zuckte die Achseln. »Kommt darauf an, ob sie jemanden in den Palast geschickt haben, oder ob wir ihnen hier sicher genug sind. Ich denke, daß im Augenblick keine Maus ungesehen vom Schiff könnte. Vermutlich wird auch auf der Sturmjungfer inzwischen alles wach sein. Ich weiß nicht, welche Schiffe sonst noch nah genug liegen. Deine beiden Männer müssen verdammtes Glück gehabt haben, wenn sie ungesehen davongekommen sind.«
Der Kommandant nickte stumm. »Jedenfalls«, fuhr Jaggar fort, »werden sie nichts gegen uns unternehmen, solange der König nicht entschieden hat. Wir sind viel zu wichtige Gefangene. Wir haben also Zeit genug, uns etwas auszudenken.« »Deine Ruhe möchte ich haben«, erwiderte Moraq. Jaggars Heißhunger schien ihn anzustecken. Das Kauen drängte in der Tat die Gefahr ein wenig in den Hintergrund. »Was tun wir?« fragte er. »Schon eine Idee?« »Wir warten«, erklärte Jaggar. »Die Chancen stehen dafür, daß sie die Wachen verstärken und sich wieder schlafen legen. Und früher können wir nichts tun.« Er sah sich um, die fetten Finger an seinen Kleidern abwischend. »Hier muß doch irgendwo ...« Er begann einen Stapel Fässer zu untersuchen. »Das kann doch nicht alles Öl sein«, murmelte er dabei. Moraq wunderte sich, was er suchte. »Ah, hier«, meinte Jaggar zufrieden. Er rollte ein Faß nach vorn. »Gib mir eins der Eisen her.« Moraq gab ihm einen der Enterhaken. Im Nu hatte Jaggar das Faß offen. Er schöpfte ein wenig der roten Flüssigkeit heraus und trank aus der hohlen Hand. »Ah, bester Wein aus Balava. Wenn mich nicht alles täuscht, einer, den ich selbst gebracht habe.« Er ermunterte Moraq zu trinken. »Es hat seine Vorteile, auf dem Schiff des Königs eingesperrt zu sein. Was
denken diese Narren sich eigentlich, uns in ihre Speisekammer zu sperren.« Nach einigen kräftigen Schlucken sah alles schon wesentlich anders aus. Es war nicht die unangenehmste der Gefangenschaften. Und der Tod stand ohnehin in Aussicht – früher oder später! Moraq deutete mit einem Stück Dörrfisch nach oben. »Denkst du, daß vor der Luke einer steht?« »Darauf kannst du deinen Kommandantenposten verwetten«, meinte Jaggar. Moraq zuckte die Achseln. »Um den ist es ohnehin schlecht bestellt.« »Du siehst natürlich schon wieder schwarz. Wer soll dich schon gesehen haben? Im Fackellicht?« »Einer genügt«, brummte Moraq bitter. »Pah, keiner könnte es beschwören. Wenn überhaupt einer auf den Gedanken käme, daß der Kommandant von Pequa nachts auf Schiffen herumstrolcht, um des Königs Gefangene zu befreien.« Er lachte. »Nicht so laut!« zischte Moraq. »Sie können uns durch die Kajütenwand hören. Also, was tun wir? Ich halte das Herumsitzen nicht mehr aus!« Er sprang auf und schritt unruhig auf und ab. »Setz dich!« sagte Jaggar. »Setz dich und hör mir zu.«
Er wartete, bis Moraq wieder saß. »Mit einigem Glück haben wir Gelegenheit für einen Ausbruchsversuch. Für einen einzigen. Wenn er mißlingt, werden sie entweder kurzen Prozeß mit uns machen, oder uns so bewachen und lahmlegen, daß wir keinen Finger rühren können, ohne daß sie es merken. Das ist auch dir klar, nehme ich an?« Der Kommandant nickte zögernd. »Er kann aber nur gelingen«, fuhr Jaggar fort, »wenn wir nicht die ganze Meute gegen uns haben. Also wiegen wir sie in Sicherheit. Je mehr von den Kerlen sich wieder schlafen legen, desto besser stehen die Chancen für uns. Gut, ich sehe, das leuchtet dir ein. Ich kann mich auf mein Gehör noch immer recht gut verlassen. Wenn mich nicht alles täuscht, sind noch fast alle auf den Beinen. Es wäre also noch viel zu früh für einen Versuch. Außerdem war mir, als hätte ich Schritte über dem Laufsteg gehört. Jemand ist von Bord gegangen. Das kann nur bedeuten, daß sie den König holen. Er wird eine Mordswut im Bauch haben, aber er wird kommen ...« »Und Serphat wird kommen«, unterbrach ihn der Kommandant bleich. Jaggar nickte. »Mit ziemlicher Sicherheit.« »Dann sind unsere Chancen recht gering.« »Das würde ich nicht sagen«, widersprach Jaggar. »Unsere Chancen steigen schon gewaltig dadurch, daß
der König an Bord kommt, selbst wenn der Priester ihn in seiner Gewalt hat. Haben wir erst den König in der Hand, wird keiner wagen, die Waffe gegen uns zu erheben ...« »Du vergißt Serphats magische Kräfte, seine Macht, die er über andere hat. Er hatte dich schon einmal in seiner Gewalt. Das mag wieder geschehen. Mit dir und mit mir.« »Das ist das Risiko, das wir eingehen müssen, Moraq. Ich sagte nicht, daß es leicht sein wird. Aber wir haben das Feuer, und vielleicht die Überraschung auf unserer Seite. Feuer ist etwas, das der Priester fürchtet. Vielleicht das einzige. Da verliert er die Kontrolle über sich, erst recht über andere. Wenn wir ihn gleich vom ersten Augenblick an damit aus seiner Fassung bringen, dann wird er gar nicht dazu kommen, seine magischen Kräfte auf uns zu richten. Wir müssen es ganz einfach wagen. Und ich werde nicht ohne König Jellis hier verschwinden. Was dann geschieht, liegt in der Hand der Götter.«
2.
Es dauerte nicht lange. Während sie noch dabei waren, einige der schweren Wurfgeschosse für die Katapulte
auseinanderzunehmen und das brennbare Material zu kleineren, leichteren Bündeln zu schnüren und mit Öl zu tränken, vernahmen sie Hufgeklapper am Kai. Gleich darauf eilige Schritte auf der Laufplanke und schließlich Tumult an Deck. »Der König ist an Bord«, flüsterte Jaggar. »Jetzt wird es ernst.« Der Kommandant nickte. Sie rollten die Ballen zur Tür, den größten, um ihn dazwischenzuklemmen, wenn sie sich öffnen sollte, die anderen, um sie anzuzünden und hinauszuwerfen. Alles hing vom Überraschungsmoment ab und davon, ob der König für sie erreichbar war. Sie wußten, diesmal würde es keine Rauferei geben. Dieses Mal starrte da draußen alles vor Waffen. Der Ruhe nach zu schließen, wurden die Ankömmlinge von der Lage in Kenntnis gesetzt. »Warum der König sich unseretwegen in seiner Nachtruhe stören läßt und die Mühe nicht scheut, um diese Zeit an Bord zu kommen, will mir nicht recht einleuchten«, murmelte Moraq. Jaggar nickte. »Nun bist du es, der den Schlangenpriester vergißt. Er mag sich den König zum Sklaven gemacht haben und vielleicht noch zwei oder drei andere, aber nicht die ganze Bruderschaft des Großen Meeres. Er mag sie leicht überzeugen von seinen Plänen, besonders mit Hilfe des Königs, aber er
kann sich keine Aufwiegler unter den Kapitänen leisten, die den Spieß wieder umzudrehen versuchen, sobald er mit anderen Dingen beschäftigt ist. Daß jemand versucht hat, mich zu befreien, noch dazu jemand in der Uniform der Soldaten des Königs, das muß ihn verdammt bedenklich stimmen. Hoffen wir, daß es ihn nicht entmutigt, wenn unsere Flucht gelingt, und daß er der Intrigen müde wird.« »Was meinst du damit?« »Etwas scheint ihn nach Myra zu treiben – um jeden Preis. Er könnte es mit Gewalt versuchen, wenn es mit List nicht klappt. Ich weiß nicht, welcher Dinge er mit seinen Kräften fähig ist, aber die Götter mögen uns davor bewahren ... Still, sie kommen ...!« Schritte kamen die Treppe herab. Unverständliches Flüstern folgte. »Halte dich aus der direkten Sicht«, zischte Jaggar und winkte seinen Gefährten ungeduldig zur Seite. Moraq begab sich seitlich an die Tür. So konnte ihn erst jemand bemerken, wenn er im Raum stand. »Jaggar!« rief jemand dicht vor der Tür. Es war die Stimme des Königs. Sie klang befehlend. Jaggar grinste. »König?« erwiderte er. »Ich komme ’rein!« rief König Jellis. An seiner Stimme war schwer abzuschätzen, ob und wie stark er unter Serphats Einfluß stand.
»Nein«, widersprach Jaggar. »Ich komme ’raus! Oder es fließt Blut!« Einen Augenblick war Schweigen. Schließlich stimmte der König zu. »Welche Bedingungen stellst du?« Jaggar atmete auf. Man schien da draußen nicht auf einen Kampf erpicht. Man wollte ihn lebend. Blieb noch herauszufinden, warum. »Schick die Männer fort. Laß ein Boot zu Wasser. Wir gehen an deiner Seite von Bord. Ich will nur eine Unterredung mit dir, mein König. Allein – ohne Serphat!« Wieder war eine Weile Stille, in der die beiden Gefangenen mit angehaltenem Atem lauschten. Schließlich sagte der König: »Du verlangst viel!« »Ich bin nicht irgendeiner, mein König. Es gab eine Zeit, da genoß ich dein Vertrauen.« »Das ist noch immer so, Jaggar.« »Warum zögerst du dann, König?« Hastiges Flüstern folgte, als jemand auf den König einzureden versuchte. Aber Jellis unterbrach ihn mit einer barschen Bemerkung. Dann hörten sie, wie er Befehl gab, an Deck zu gehen und das Boot ins Wasser zu lassen. Grinsend wandte sich Jaggar an Moraq. Dieser schüttelte den Kopf. Er schien es nicht zu fassen. »Es ist ein Trick«, warnte er.
»Mit ziemlicher Sicherheit«, stimmte Jaggar zu. »Aber was macht das schon? Wenn wir erst von hier draußen sind und in dem Boot sitzen, sind unsere Chancen gewaltig gestiegen ...« »Es wird keine Reling im Umkreis geben, die nicht von gespannten Bogen, starrt. Es wird ein Preisschießen geben, und wir werden gespickt sein wie das Nadelkissen einer Jungfer.« »Nicht mit dem König im Boot«, beschwichtigte Jaggar ihn. »Es ist alles bereit, Kapitän«, rief Jellis. »Ich öffne jetzt.« Gleich darauf ging die Tür auf. Der König stand davor. In seinem Gesicht war wenig Freundlichkeit. »Wo ist Serphat?« fragte Jaggar. »Im Palast«, erwiderte der König. »Aber wir sollten keine Zeit vergeuden und den Augenblick nutzen, der uns gegeben ist.« Es klang beinah bittend. Jaggar sah den König verwundert an. Dann winkte er Moraq, der zögernd ins Licht trat und dem König unsicher entgegenblickte. Der König musterte ihn kurz und nickte. »Gehen wir?« Jaggar nickte. Sie nahmen den König in die Mitte und schritten den leeren Korridor entlang. »Ohne Fackel!« bestimmte Jaggar, als sie die Treppe erreichten. Er löschte beide. »Je weniger dein Gesicht
erkennen können, desto besser. Und sie werden nicht wissen, wer von uns der König ist. »Gib mir deinen Mantel, mein König.« In der Dunkelheit schlüpfte Jaggar in den Mantel. »Du bist ein umsichtiger Mann, Jaggar«, bemerkte Jellis. »Das ist der Grund, warum ich noch lebe«, erwiderte Jaggar ironisch. »Ich hätte auf dich hören sollen, nicht wahr?« Jaggar gab keine Antwort. »Vorwärts jetzt.« Sie schritten die Treppe hoch, langsam, fast unbekümmert. An Deck stand die gesamte Besatzung, mehr oder weniger verborgen. Ein Mann kam ihnen entgegen. Ein wenig furchtsam, wie es schien. Er deutete auf die Reling vor ihnen. »Das Boot wartet, Erhabener.« Dabei glitt sein Blick ein wenig zu forschend über die drei. Er hob die Hand, und es schien Jaggar wie ein Zeichen. Rasch faßte er den Mann am Arm. »Du kommst mit, mein Freund.« Es war auch um Moraqs willen, denn der Mann war nahe genug gewesen, um ihn zu erkennen. »Aber Kapitän ...« »Keine Widerrede!« Er schob ihn zwischen Moraq und den König. Sie erreichten die Reling. Jaggar warf einen Blick nach unten und sah beruhigt das Boot im Wasser. »Geh voran«, befahl er dem Bootsmann.
Als der unten war, folgte Moraq. Danach der König und zum Schluß Jaggar. Es war dunkel unten im Boot. Der Bootsmann und Moraq griffen zu den Rudern und stießen das Boot von der Bordwand ab. Jaggar runzelte die Stirn, während er die entschwindende Seehexe nicht aus den Augen ließ. An Deck begannen immer mehr Fackeln aufzuleuchten. Auch zwei der in der Nähe verankerten Schiffe hatten eine Menge Licht an Bord. »Aus dem Hafen, und dann nach Osten, der Küste entlang«, wies Moraq den Bootsmann an. Jaggar fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Es war alles zu glatt gegangen. »Wo ist Serphat?« fragte er den König noch einmal. Der König lächelte beruhigend. »Im Palast.« Irgendwie war alles falsch, durchfuhr es ihn plötzlich. Der König war zu freundlich, zu bereitwillig. Angst durchzuckte ihn, aber nur für einen Augenblick, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Es galt, das Gesicht zu wahren. Die beleuchteten Schiffe waren inzwischen weit genug weg, daß ihr Licht sie kaum noch erreichte. Die Hafenausfahrt lag vor ihnen. In der Lautlosigkeit der Nacht war nur das Plätschern der Ruder in dem ruhigen Wasser zu vernehmen. Links und rechts ragten die dunklen Kolosse der verankerten Schiffe in den Himmel. Auf ihnen war alles still. Ihre Besatzungen
schliefen den letzten Schlaf im Heimathafen für eine lange Zeit. Sobald der Morgen graute, würden sie aufbrechen nach Myra, und manch einer würde nicht mehr zurückkehren. Die Deckwachen schienen das kleine Boot nicht zu beachten. Außerhalb des Hafens bogen sie nach Osten ab. Die beiden Ruderer keuchten bereits vor Anstrengung. Jaggar löste Moraq ab. »Noch weit?« Moraq schüttelte den Kopf. »Nein. Hier kommt gleich eine Bucht. Wir gehen an Land und zu Fuß weiter.« Kurze Zeit später erreichten sie die Bucht und stiegen aus. Seltsamerweise erhob der König keinen Einwand, obwohl ihm bereits klar sein mußte, daß es nicht mehr um eine Besprechung ging, sondern um eine Entführung. Aber trotz seines Mißtrauens schrieb Jaggar es der Tatsache zu, daß Jellis sich vielleicht frei fühlte vom Joch des Priesters und hoffte, auf diese Art selbst entfliehen zu können. Das mochte vieles erklären, das Jaggar mit Mißtrauen erfüllte. Nicht weit entfernt sahen sie undeutlich ein zweites Boot. »Meine Begleiter sind hier in der Nähe«, erklärte Moraq. »Es muß ihnen im Hafen zu gefährlich geworden sein.«
Tatsächlich tauchten gleich darauf Daraq und Qarin aus der Dunkelheit der Felsen auf und begrüßten ihren Kommandanten und Jaggar freudig. Erst einen Augenblick später erkannten sie, daß auch der König dabei war, und sie schienen zu erkennen, daß sie an einer verdammt wichtigen Sache beteiligt waren. Die Gruppe bewegte sich unter Moraqs Führung einen schmalen Fischerpfad entlang. Jaggar bildete hinter dem König den Abschluß, während Moraqs Männer den Bootsmann der Seehexe in die Mitte genommen hatten, um ihn im Auge zu haben. Wenig später erreichten sie eine felsige Bucht, in der Moraqs Küstensegler ankerte. Sie waren am Ziel. Noch immer stellte der König keine Fragen. Und das war irgendwie beunruhigend. Sie begaben sich an Deck und lichteten Anker. Vier weitere Männer Moraqs bedienten die Ruder und lenkten die Schaluppe hinaus aus der Bucht. Das Segel wurde ausgerollt. Der Wind war nicht sehr günstig, aber Moraq war zuversichtlich, daß sie durch geschicktes Kreuzen Pequa in einer guten Stunde erreichen konnten, lange bevor der Morgen graute. Niemand würde Verdacht schöpfen. Aber als das Boot leicht gegen den Wind nach Westen stieß, gab Moraq plötzlich völlig gegenteilige Befehle, die selbst seine Männer verwirrten, denen sie aber nachkamen, als er sie mit Nachdruck wiederholte. »Kurs auf den Hafen!«
»Was?« entfuhr es Jaggar, der die ganze Zeit über den König nicht aus den Augen gelassen hatte. »Zurück zum Hafen«, wiederholte Moraq fest. Dann rief er Daraq und Qarin zu sich und deutete auf Jaggar. »Nehmt ihn fest!« »Bist du verrückt!« rief Jaggar. Daraq und Qarin zögerten. Sie verstanden nicht, was das alles sollte. Schließlich waren sie hierhergekommen, um Jaggar zu befreien. In der Dunkelheit war nicht viel zu erkennen, aber Jaggar fühlte, daß mit Moraq etwas nicht stimmte. Seine Stimme klang ... irgendwie leblos. Jaggar wandte sich dem König zu, der reglos an der Reling stand, den Blick auf Moraq gerichtet. Jaggar dämmerte, was vor sich ging, und in diesem panischen Begreifen tastete etwas nach seinem Verstand. Sein Kopf ruckte hoch, während Daraq und Qarin auf ihn zukamen. Er kümmerte sich nicht um sie, er sah nur des Königs Gesicht vor sich, das in der Dunkelheit wie das eines Dämons war – im Widerschein einer unirdischen Glut der Augen. Das war nicht der König! hämmerten Jaggars Gedanken. Das war Serphat! Daraq und Qarin waren nicht die Feinde, die er fürchten mußte. Sie nahmen ihn an den Armen in ihre Mitte, aber sie hielten ihn nicht zu fest. Sie wußten immer noch nicht, was nun eigentlich vorging.
Jaggars Gedanken drohten zu verschwimmen, als Serphat mit seinen Kräften nach ihm griff. Von Panik erfüllt, riß er sich aus Qarins Griff los und stieß Daraq auf den vermeintlichen König zu. Dabei zog er mit einem raschen Griff den Dolch aus seinem Gürtel. Jellis-Serphat hatte einen Augenblick Mühe, von dem Anprall des stürzenden Mannes nicht über die Reling geworfen zu werden. In dem Maß, in dem er mit sich selbst beschäftigt war, ließen die Kräfte nach, mit denen er Moraq in seiner Gewalt hatte und Jaggar zu fassen versucht hatte. Während Moraq noch dabei war, die Benommenheit abzuschütteln, sprang Jaggar vor, auf den taumelnden König zu, nur von einem Gedanken beseelt, ihm keine Chance zu geben, seine Kräfte noch einmal gegen sie anzuwenden. »Feuer!« brüllte er. »Bringt Fackeln!« Er stieß Jellis-Serphat im vollen Schwung seines Ansturms zu Boden und bohrte ihm mit beiden Händen den Dolch mitten in die Brust. Ein Zucken ging durch die Gestalt unter ihm. Dann kam ein Lachen aus des Königs Kehle, das nur ein Irrsinniger in dieser Lage hervorzubringen vermochte. Es war schwanger von Spott und Verachtung. Aber es überzeugte auch Moraq von der Gefahr, in der sie schwebten. Vielleicht erkannte er in diesem Augenblick noch nicht die volle Wahrheit wie Jaggar, aber er
spürte die Gefahr, und das Entsetzen ließ ihn handeln. »Feuer! Rasch!« rief er. Qarin sprang unter Deck, völlig verwirrt. Aber der Gedanke an Feuer und damit Licht verlieh ihm Flügel. Doch es dauerte endlos, bis der Funke endlich zündete und die erste Flamme an der Fackel in seinen zitternden Händen hochzüngelte. Daraq sprang instinktiv dem König zu Hilfe. Aber während er dabei war, Jaggar hochzureißen, sah er verblüfft, wie Moraq mit einem Enterhaken auf den König einschlug, daß der Schädel aufklaffte. Und mit noch mehr Verblüffung sah er, daß die Gestalt nicht starb, sondern sich wand und einen unmenschlichen Laut ausstieß, der ihm schier das Herz gefrieren ließ. Dann kam Qarin an Deck und brachte Helligkeit. Im flackernden Licht sahen sie mit Grauen, daß kein Tropfen Blut aus den Wunden des Königs sickerte, und daß der graue Stoff seines Körpers von eigener Lebendigkeit war. Die Züge zerrannen wie Teig und verloren alle Ähnlichkeit mit dem König. Der Schädel einer Schlange formte sich. Ein runder Leib reckte sich hoch. Moraq überwand sein Entsetzen. Oder es war das Entsetzen, das ihm Kraft gab. Er sah, wie Jaggars Dolch immer wieder in den grauen Körper fuhr, wie die Wunden sich schlossen, wie Jaggars Kraft erlahmte. Er riß Qarin die Fackel aus der Hand und bohrte die Glut
in den Rachen des Ungeheuers, das kreischend zurückwich und über die Reling fiel. Als die klatschenden Fluten sich schlossen, erstickte das Kreischen. Die Stille an Bord war unnatürlich. Sie schmerzte in den Ohren. Erst nach einem Augenblick ließen das Entsetzen und die Anspannung in den Männern nach. Moraq sah, daß Jaggar sich nicht regte. Er griff nach ihm und zog erschrocken seine Hand zurück. Jaggar war kalt wie Eis. »Wir brauchen mehr Licht«, rief Moraq. »Es wäre besser unter Deck, Kommandant. Die ganze Flotte sieht, wo wir ...« »Dann haben sie die eine bereits gesehen. Rasch.« Während er Daraq die eine Fackel zum Halten gab, rollte er Jaggar auf den Rücken. Erleichtert erkannte er, daß der Kapitän schwach atmete und nur bewußtlos schien. Wasser spritzte weit hinter dem Boot in der Dunkelheit, als tauchte ein großer Fisch aus den Fluten. Die Männer erstarrten. Sie dachten alle nur eines: Wer oder was immer sie eben noch an Bord bekämpft hatten, war noch nicht tot. Es eilte hinter ihnen her. Qarin kam mit einem Arm voll Fackeln. Er hatte unter Deck das Platschen nicht gehört, aber er sah die Männer erstarrt nach dem Heck blicken. Etwas Dunkles bewegte sich in der Luft.
»Kommandant!« rief er. Er sprang mit den Fackeln auf sie zu und entzündete mit fliegender Hast eine nach der anderen. Als er bei der vierten angelangt war, erklang ein Rauschen über dem Schiff, und ein Wind fegte über die kauernden Männer hinweg- ein Wind wie von gewaltigen Flügeln. Sie starrten hoch. Einer schrie auf vor Entsetzen. Ein riesiger Vogel flatterte mit ausgebreiteten Schwingen über dem Deck. Ein Geier! Und er senkte sich mit schrillen Schreien herab, hackte mit dem gewaltigen Schnabel nach den Männern, die hinter Masten und Aufbauten Schutz suchten. Nur Jaggar lag auf dem Deck. Er kam zu sich und richtete sich auf. Der Vogel nahm ihn wahr und stürzte auf ihn los. Die Krallen senkten sich herab. »Ihr Götter!« entfuhr es Moraq. Mit dem Mut der Verzweiflung verließ er seine Deckung und lief auf Jaggar zu. Er schwang die Fackel, versengte den Flaum des Gefieders am Bauch der Bestie. Diese wandte sich mit schrillen Lauten dem neuen Widersacher zu. Moraqs Fackel tanzte über das Gefieder, das Feuer fing und den Vogel zu einem wütenden Tanz auf dem schwankenden Deck veranlaßte. Quarin und Daraq und noch zwei Männer, auch der Bootsmann der Seehexe tauchten neben Moraq auf mit Fackeln in den Händen. Der Schnabel hackte mitten unter sie, traf einen, der mit einem spitzen Schmerzensschrei fiel.
Einer traf ein Auge des Vogels. Als das halbe Gefieder brannte, flatterte er kreischend hoch, taumelnd. Dann stieg er mit kräftigem Flügelschlag höher, und der Wind löschte einen Großteil des Feuers. Dennoch sah man ihn noch lange nach Süden, dem Land zu fliegen – ein Fanal von Göttern oder Dämonen, das sich tief in die Herzen jener brennen würde, die es sahen. Jaggar kam taumelnd auf die Beine. »Was war das?« Bleich antwortete der Kommandant: »Die Schlange scheint nicht die einzige Gestalt zu sein, die er anzunehmen vermag. Woher wußtest du, daß es nicht der echte König war?« »Als du Befehl gabst, zurück in den Hafen zu segeln, kam mir der Verdacht ...« »Ich gab was ...?« rief Moraq. »Und mich festzunehmen«, fuhr Jaggar fort. »Deine Männer hier werden es bestätigen.« Daraq und Qarin nickten bestürzt. »Dann war ich ... in seiner Gewalt ...?« murmelte Moraq. Jaggar nickte zustimmend. »Und ich war nahe dran.« Er schwankte erschöpft. »Es ist nicht ratsam, ihn zu berühren. Es ist, als ob das Leben ausfließt ...« Die Männer stützten ihn. Er deutete vor den Bug des Schiffes. »Das Schauspiel ist nicht unbemerkt geblieben.« Die Männer zuckten zusammen. Die gesamte Flotte
schien aus der nächtlichen Ruhe geweckt. Hunderte flackernder Lichter verwandelten das Gebiet um den Hafen in ein Feuermeer. Der Kommandant fluchte. »Das hat uns noch gefehlt. Hier kommen wir nicht unbemerkt vorbei. Verdammt, was tun wir? Irgendwelche Vorschläge, Käpt‘n?« »Jaaahh«, meinte Jaggar gedehnt, und es klang wie aus tiefster Seele ... weg von hier!« »Wohin? Nach Pequa? Das dürfte schwierig sein ...« »Gleich wie schwierig es auch ist, wir müssen hin. Löscht die Fackeln. Wir segeln nach Osten und machen einen weiten Bogen, und wenn wir den Rest der Nacht rudern müßten gegen diesen Wind. Es ist ein guter Wind, denn er wird die Flotte am Auslaufen hindern. So bleibt uns noch ein wenig Zeit. Wir müssen zu meinem Schiff. Es ist unsere einzige Chance, unseren Kopf zu retten. Vielleicht ergibt sich später eine Möglichkeit, noch etwas zu unternehmen. Auf dem Weg nach Myra.« Die Männer nickten beklommen. Sie wußten, sie waren nun Ausgestoßene wie Jaggar. Und sie hatten einen gewaltigen Feind. Aber es war auch Triumph in ihren Herzen. Ihr Feind war nicht allmächtig. Er hatte eine Schlappe erlitten. Die zweite bereits, wenn die Berichte des Käpt‘ns die Wahrheit waren.
Und sie zweifelten nicht daran. Dunkelheit umfing sie. Die Schaluppe drehte ihren Bug nach Osten und segelte neben dem Wind. Das Lichtermeer verschwand in der Ferne. Sie waren bald verloren in der Finsternis. Aber nun begann die harte Arbeit. Als im Osten die Dämmerung den Himmel emporkroch, rafften sie das Segel und ruderten nach Nordwesten. Sie hatten Glück. Der Wind drehte leicht, so daß sie ohne große Mühe nach Nordwesten kreuzen konnten, ohne mit der Flotte in Berührung zu kommen. Als die Sonne aufging, waren sie ein ganzes Stück nördlich von Pequa. Wie erwartet lief die Flotte nicht aus. Der Wind war zu ungünstig. Nicht für Moraqs Schaluppe, die gute Fahrt nach Süden machte und sich vorsichtig Pequa näherte. Sie bemerkten zwei Galeeren vor den Fischerdörfern. Ihre Bedeutung war unschwer zu erraten. Sie ankerten nicht, sie hatten die Ruder ausgelegt. Sie warteten. Jaggar bangte um die Schwarze Wellenreiterin. Aber als sie die Bucht erreichten, lag der Schnellsegler friedlich vor Anker. Sie verloren keine Zeit. Mit der Schaluppe im Schlepp lief die Wellenreiterin aus- direkt vor die Nasen der beiden Galeeren, die sofort einen Hagel von Geschossen losfeuerten, der, bedingt durch die Überraschung, verhältnismäßig harmlos verpuffte.
Keines der Segel wurde ernstlich beschädigt, und die Brandpfeile kohlten nur die Decksplanken an. Zu Katapultschüssen kam es nicht, weil diese aufwendigen und kostbaren Werfer allesamt noch dicht unter Segelplanen vertaut waren und erst kurz vor Erreichen Myras der derben Seeluft ausgesetzt werden sollten. Auf der Schaluppe befanden sich die gefangenen Seeleute aus Phelos. Jaggar ließ das Seil kappen, und das Boot kam einer der Galeeren zwischen die Ruder. Damit blieb nur mehr einer der Gegner. Der feuerte eine zweite Salve ab, die beinahe das Focksegel in Brand steckte. Dann machte sich jedoch die höhere Wendigkeit und Schnelligkeit der Wellenreiterin bemerkbar. Die Galeere fiel zurück und gab bald darauf die Verfolgung auf. Wenig später war sie nur noch ein dunkler Punkt am Horizont. »Ah«, seufzte Jaggar. »Hier auf meinem Schiff fühle ich mich endlich wieder wie ein Mensch. Die erste Runde haben wir für uns entschieden ...« »Ja«, meinte Moraq brütend. »Aber um welchen Preis! Wir sind Ausgestoßene.« »Wir werden es ändern, Freund«, erwiderte er zuversichtlich. »Noch ist die Flotte nicht in Myra.«
3.
Im marmornen Königspalast hoch über dem Hafen Myras währte eine Audienz weit über die mitternächtliche Stunde. Die Gesichter der Versammelten waren ernst. Dragon, der König, saß am Kopfende des langen Ebenholztisches in der privaten Audienzkammer im Flügel der königlichen Gemächer. Er hatte den Umhang mit dem myranischen Wappen achtlos von den Schultern gestreift, und die Schnüre des weißen Hemdes an der Brust offen. Es war heiß. Die übrigen Anwesenden hatten nicht minder zwanglos ihre Überwurfe abgelegt. Und der Inhalt der Besprechung war auch nicht dazu angetan, die Gemüter abzukühlen. Alle bis auf zwei waren Vertraute des Königs. Da war Partho, der Befehlshaber des Heeres, das östlich der Stadt lagerte, und Cheron, Oberhaupt von Myras kleiner Gruppe von Söhnen von Atlantis, sodann Yina, ein Mädchen von siebzehn Sommern mit dem Gesicht einer Maus und dem Geist einer Zauberin, denn sie vermochte die Gedanken der Menschen um sie zu lesen und so den König vor seinen Feinden zu warnen. An des Königs linker Seite, ein wenig abseits vom
Tisch, saß Ubali, ein schwarzhäutiger Hüne mit einem breiten, lebhaften, freundlichen Gesicht, der nicht nur einmal an des Königs Seite gefochten hatte. Die beiden Fremden waren ein junges Mädchen, schwarzhaarig, mit einer seltsamen Glut in den dunklen Augen, die in Dragon Erinnerungen an Arzan Shor weckten. Sie hieß Selaqua und war eine Iquani. Aber nur wenige wußten, was es bedeutete. Ihr junger Begleiter ahnte es, aber er vermied es, darüber nachzudenken. Sie war, wenn Kapitän Jaggar die Wahrheit gesagt hatte, eine Tochter König Jellis – eine, die er liebte und die er geheimhielt vor der Welt, weil die Menschen in Candis nichts mehr haßten und fürchteten als die Iquani. Ihr Begleiter war Wigor, ein keine zwanzig Sommer zählender Myraner aus Deyman, der auf eine abenteuerliche Fahrt gegangen war, um eine verlorene Braut zu suchen, und eine andere gefunden hatte. Die Beratung drehte sich um eine Nachricht, die mit den beiden Besuchern nach Myra gelangt war: Daß dreihundert Schiffe von der Schlangeninsel unterwegs waren, um Myra anzugreifen! Eine ungeheure Flotte! Eine, der Myra nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatte. Es blieb wenig Zeit. Zwei, höchstens drei Tage. Mindestens aber einen. Myras neue Verbündete, das Wasservolk der Tainu, hielt
Ausschau auf dem Meer und würde rechtzeitig warnen, wenn die Flotte in Sicht kam. Von diesem Augenblick an, da Yina die gedankliche Warnung des Wasservolks empfing, würde noch ein voller Tag vergehen, ehe die Segel von Jellis‘ Flotte vor dem myranischen Horizont auftauchten. Niemand in Myra außer den Versammelten wußte etwas von der drohenden Gefahr. Aber Boten waren bereits unterwegs, um die Kapitäne in den Palast zu beordern und die Daikane, soweit sie noch in der Stadt weilten. Es war alles im Umbruch, alles im Aufbau. Der Angreifer kam, gelinde gesagt: ungelegen.
Sie hatten Wigors Erzählung von der Flucht aus dem nächtlichen Hafen von Candis gelauscht. »Sagt mir eines, Herr Wigor«, wandte sich Yina an den Erzähler, während Dragon nachdenklich die Stirn runzelte. »Ihr berichtet von Kapitän Jaggar, als wäre er ein Edelmann und nicht der Schurke, der Mädchen raubt, mit seiner Besatzung wehrlose Dörfer überfällt und Opfer für den Krokodilsteich des Königs der Schlangeninsel beschafft ...« »Ihr sprecht fast, als ob ihr ihn kennt, junges Fräulein«, erwiderte Wigor mit der gezierten
Höflichkeit, wie sie in den südlichen Küstengegenden Myraniens zur allgemeinen Galanterie gehört, die dem Edelmann wie dem Bettelmann mit gleicher Leichtigkeit von der Zunge floß. »Ja, ich kenne ihn, ich war eine Gefangene auf seinem Schiff ...« »Und Ihr seid geflohen?« rief Wigor. Yina nickte zustimmend, ein wenig verwundert über sein seltsames Gebaren. »Dann habt Ihr also dem Kapitän den Kopf verdreht«, meinte Wigor mit einer Offenheit, die sie erröten ließ. Alle wandten sich ihr interessiert zu, und ihr Gesicht wurde noch dunkler. »Ich hatte was ...?« entfuhr es ihr. »Ah, verzeiht meine unbedachten Worte«, sagte Wigor entschuldigend ... Aber es ist wahr, der Käpt‘n war sehr angetan von Euch. Er sprach nur einmal von Euch, aber Ihr habt einen tiefen Eindruck in seinem Herzen hinterlassen, wie noch keine Frau zuvor. Und glaubt mir, er kennt viele Frauen!« »Er ist ein Schurke, ein Mörder, und sicherlich nicht eines solchen Gefühls fähig, wie Ihr ...« Wigor schüttelte den Kopf, und das Mädchen verstummte. »Er ist kein Mörder. Ich fand keinen faireren im Kampf. Und keinen besseren. Er ist ein Dieb, ja, das weiß ich, und auch auf diesem Gebiet leider einer der besten. Ein Pirat der Bruderschaft des
Großen Meeres ...« Dragon sagte plötzlich: »Ich glaube, es gibt keinen Zweifel darüber, wer dieser geheimnisvolle Priester der Schlange ist. Was meint ihr?« Er nickte Partho und Cheron zu. »Cnossos«, erwiderte Partho ohne Zögern. »Er hat wieder ein Heer gefunden, das er gegen uns zu Feld schicken kann. Wird das nie ein Ende haben?« »Wer ist Cnossos?« fragte Wigor. »Wir nennen ihn den Gott der vielen Namen. Er erscheint oft in Gestalt eines Geiers, und er besitzt Kräfte über den Geist mancher Menschen, daß sie ihm willige Sklaven bis in den Tod sind. Er hat nur ein Ziel: das zu zerstören, was ich aufbauen will. Eine bessere Zukunft, eine wie sie in meinen Erinnerungen und Träumen ist. Eine, die selbst nach den Sternen greift.« Letzteres hatte er mehr zu sich selbst gesagt. Dann straffte er sich und schüttelte die Gedanken ab. »Er kann die Gestalt jedes Menschen annehmen. Er tötete Zamoc und kam in seiner Gestalt an den Hof König Zogors. Und er hetzte Myranien in den Krieg gegen Urgor. Er hat seine Tempel und seine Verbündeten überall. Die Geschöpfe der Nacht sind es, die an seinen Altären beten. Er ist ein Gott oder ein Dämon. Er ist kein Mensch. Es gibt nur eine wirksame Waffe gegen ihn, der sich jeder bedienen kann: Feuer!« Wigor nickte hastig. »Dann sind Kapitän Jaggars
Gedanken richtig. Dieser Priester hat König Jellis in seiner Gewalt!« Dragon stimmte zu. »Unser alter Feind hat noch immer nicht genug.« »Aber laßt Euch nicht täuschen, erhabener König. Wenn Ihr diesen Cnossos erledigt, ist noch nicht alles abgetan. Auch ohne ihn hat der König der Schlangeninsel ein Auge auf Myra geworfen. Nicht Serphat oder Cnossos müßt Ihr schlagen, sondern die Flotte. Und es ist etwas, das längst fällig ist, damit die Menschen an Myraniens Küsten wieder frei atmen dürfen. Jellis‘ Piratenbruderschaft ist von Tag zu Tag frecher geworden und dünkt sich Herr über die Küsten des Großen Meeres, von Balava bis zur Totenküste. Es ist an der Zeit, daß jemand sie in ihre Schranken weist ...« Dragon schüttelte den Kopf. »Wir haben einer Flotte von dreihundert Schiffen nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Wir können sie abwehren und daran hindern, daß sie myranischen Boden betreten, wenn wir wissen, wo sie zuschlagen. Aber von, in die Schranken weisen, kann nicht die Rede sein. Und gehörte nicht das Volk der Tainu zu unseren Verbündeten, so könnte ein Überraschungsangriff der Flotte empfindliche Wunden schlagen. Mein junger Freund, ich fürchte, Ihr überschätzt die Schlagkraft eines Reiches, das erobert worden ist. Wir haben die
Männer, gewiß. Aber uns fehlen Schiffe ...« »Haben wir keine Verbündeten?« erwiderte Wigor heftig. »Doch«, gab Dragon zu. »Die Zunter sind auf unserer Seite. Und die Katmahzari. Und Dan. Es würde Wochen dauern, bis ihre Schiffe hier einträfen. Die feindliche Flotte aber mag morgen nacht schon vor Myra kreuzen.« Wigor nickte nachdenklich. »Verzeiht, mein König, daß ich so rasch mit der Zunge war und so langsam mit dem Verstand ...« Dragon lächelte. »Ihr seid ein mutiger junger Mann, wenn alles seine Wahrheit hat, das Ihr mir erzählt habt. Ich hoffe, Ihr werdet an meiner Seite kämpfen.« »Ja, mein König«, erwiderte Wigor freudig, während seine Begleiterin unwillig die Stirn runzelte, als hätte sie andere Pläne gehabt. »Issola meldet sich!« rief Yina plötzlich. Die Umsitzenden sahen sie gespannt an. Es konnte nur bedeuten, daß die Späher des Wasservolks die Flotte gesichtet hatten. »Ihre Beobachter sind noch weiter nach Süden vorgedrungen. Von der Flotte noch keine Spur. Die Winde sind sehr ungünstig. Aber sie können jederzeit umschlagen. Inzwischen hat das Talatta beschlossen ...« »Das Talatta?« unterbrach Wigor sie. »Um der Götter willen, was ist das?«
»Ihre Regierung«, erklärte Yina geduldig. »Die Runde der Seemütter. Es hat beschlossen, daß das Volk der Tainu nicht nur eine passive Rolle von Beobachtern und Spähern spielen wird. Zweihundert Männer werden noch in der Nacht in Myra eintreffen- mit wichtigen Schlachtplänen.« »Sage ihr unseren aufrichtigen Dank, Yina.« »Zweihundert nur«, meinte Wigor enttäuscht. »Als sie uns vor dem Ertrinken retteten, als der Orkan uns aus dem Boot schleuderte, und sie erfuhren, welche Gefahr Myra drohte, da wollten sie mit vollen Kräften zu Hilfe eilen ...« »Unterschätzt sie nicht«, unterbrach ihn der König. »Ihr müßt bedenken, daß sie ein sehr kleines Volk sind. Ein paar tausend von ihnen mag es geben, sicherlich nicht mehr. Aber das Wasser ist ihr Element. Auf See wiegt einer von ihnen ein Dutzend myranische Soldaten auf. In einer Schlacht auf See, wie sie uns wahrscheinlich bevorsteht, sind sie die besten Verbündeten, die wir finden können.« Zum erstenmal meldete sich das Mädchen zu Wort: »Diese Tainu können die Gedanken lesen, nicht wahr?« »Nur ihre Frauen«, erklärte Yina. Das Mädchen wurde ein wenig bleich, und Yina merkte sich vor, bei nächster Gelegenheit Issola darüber zu befragen, welches Geheimnis dieses Mädchen umgab.
Nach und nach kamen die Kapitäne und Daikane in den Palast, von den königlichen Boten aus tiefstem Schlummer gerissen. Als sie die Neuigkeit erfuhren, waren sie mit einem Schlage hellwach, besonders die Kapitäne. Es gab eine tumultartige Unterredung, bei der noch keine endgültigen Pläne gefaßt wurden. Man wollte erst die Ankunft der Wassermenschen abwarten. Dragon zweifelte nicht, daß Myra, die Stadt selbst, das Angriffsziel sein würde. Vielleicht hätte König Jellis andere, klügere Pläne gehabt. Aber nicht Cnossos, der nur nach Vergeltung und der Vernichtung Dragons dürstete. Es besaß also trotz allem Vorteile, daß wiederum Cnossos ihr Gegner war. So kannten sie sein Angriffsziel. Dragon! Wigor wurde immer wieder aufgefordert, von seiner Flucht zu berichten. Aus seiner Erzählung gingen einige wichtige Punkte hervor. Die Besatzungsstärke der Segler zum Beispiel, die Wigor mit einer Mindestzahl von zwei Dutzend anzugeben wußte. Bei den Galeeren mußten es über drei sein, wenn man von den Rudersklaven absah. Nahm man also an, daß ein kleiner Teil der Schiffe als Lastund Versorgungsschiffe dienten, so ergab sich noch immer die stattliche Anzahl von fünfzig bis sechzig Hundertschaften, die nach reicher Beute in Myra
lechzten. Das war eine mittlere Zahl. Es mochten weniger, aber auch mehr sein. Der Gedanke war alles andere denn erfreulich, vor allem in Anbetracht der vergleichsweise dürftigen Flotte, die Myra ihnen entgegenzusetzen hatte. Die Kapitäne rauften sich die Haare. Nur Partho schien zufrieden. Seine Rechnung war aufgegangen. Er hatte es für günstiger befunden, mit der Entlohnung der im Augenblick nicht benötigten Heereseinheiten zu warten, bis der ständige Zustrom einstiger Soldaten Zogors versiegte, die nun auch unter dem neuen König dienen wollten, vor allem, weil sie nicht viel anderes gelernt hatten als ein Schwert zu führen. So konnte er eine bessere Auswahl für das stehende Heer von etwa vierzig Hundertschaften treffen und einzelne Bereitschaftstrupps in ihre Heimatprovinzen entsenden, wo sie im Ernstfall das meiste leisten konnten, weil sie mit dem Land vertraut waren. Aber zur Entsendung war es noch nicht gekommen. Das Heer setzte sich aus siebzig Hundertschaften zusammen, ganz abgesehen von den zehn Hundertschaften urgoritischer Soldaten, die ihren Dienst als Wachen und Gardetruppen innerhalb der Stadt taten. Die Aufzählung der Kapitäne war weniger ermutigend. Hundert Schiffe würden bis zum Abend flott sein, viele von ihnen kleinere Segler, die nur
Zählwert hatten und keinen wesentlich strategischen. Daran war auch in den nächsten Tagen nichts zu ändern. Daraus ergaben sich verschiedene Probleme. Das Landheer war zu unbeweglich. Es nützte nur etwas, wenn es gelang, die feindliche Flotte in Myra festzunageln. Wenn diese jedoch erkannte, daß an Land eine Übermacht harrte, würde sie Myra verlassen und vielleicht an einer anderen Stelle der myranischen Küste landen. Die Schiffe waren in jedem Fall rascher als das Heer, das besonders im Süden des Reiches nur schwerlich Wege nach Osten fand. Es gab nur eine Möglichkeit: die feindliche Flotte in eine Falle zu locken. Die Chancen dafür standen gut genug, denn Jellis konnte nicht wissen, daß die Wassermenschen Myra bereits einen ganzen Tag vor Ankunft der Flotte zu warnen vermochten. Jellis mußte glauben, ein völlig unvorbereitetes Myra vorzufinden. In dem Glauben mußte man ihn lassen, bis es zu spät war. Ihn und Cnossos. Ein völlig friedliches, einladendes Myra mußte sich den Augen der Feinde bieten und sie reizen, in den Hafen einzufahren und die Stadt im Handstreich zu nehmen. Alle dreihundert Schiffe würden sicher nicht im Hafen Platz haben, auch nicht in dem langen Meeresarm bis Faraun. Aber das was draußen bleiben
mußte, damit würde die myranische Flotte fertig werden. Die Stimmung begann gewaltig zu steigen. Kurz vor dem Morgengrauen kam eine Abordnung der Wassermenschen, schlanke, hochgewachsene Männer mit feingliedrigen Körpern und schulterlangem weißem Haar. Seit Dragons Bündnis mit ihnen sahen die meisten myranischen Bürger sie mit anderen Augen. Waren sie vordem halb Legenden, halb kinderverschlingende Seegeister gewesen, so hatte ihnen die Tatsache, daß sie vor myranischen Schiffen oft unvermutet aus den Fluten tauchten und ohne Scheu ihren Gruß entboten, viel von ihrer Dämonie genommen. Aber noch immer war es ein Ereignis, ihnen gegenüberzustehen. So auch hier im Palast. Einzig Wigor und Selaqua, die einige Stunden der Erholung auf ihrer Insel zugebracht hatten, begegneten ihnen völlig ohne Scheu. Und Yina natürlich, die durch ihre fast artverwandte Gabe des Gedankenlesens längst Freunde unter den Tainu gefunden hatte. Ihre mächtigen Brustkörbe und die verkümmerten Ohren, hinter denen die Kiemenöffnungen sichtbar waren, sowie ihre blasse Haut bildeten einen unglaublichen Kontrast zu den dunkelgebrannten, untersetzten Bewohnern Myras. Sie sprachen das Myranische ein wenig zischend, und sie froren in der kühlen Nachtluft in ihren
spärlichen Hüllen aus Fischhaut. Dragon ließ ihnen Mäntel geben. Das war ein erneuter Gegensatz zu den heißblütigen Myranern und Urgoriten, denen die Nachtluft keine Kühlung zu bringen vermochte. Sie waren höflich und zurückhaltend und tief im Innersten erfüllt von der jahrhundertealten Furcht des kleinen Volkes vor einem gewaltigen Feind- dem Festlandmenschen, der sie aus Unverstand fürchtete und haßte und tötete. Bis Dragon gekommen war. Aber die alten Ängste erloschen nicht so rasch. Erst die Zeit würde die Wunden heilen. Die Zeit und gemeinsame Gefahren, die miteinander verbanden. Wie jetzt. Sie waren Kinder des Meeres – und Meister des Meeres. Sie bereicherten Dragons Pläne und erhöhten seine Zuversicht gewaltig. Die Aufforderung des Königs, an seiner Seite zu kämpfen, war so recht nach Wigors Geschmack. Er hatte bereits begonnen, das Leben an Jaggars Seite zu vermissen. Daran vermochte auch Sela nichts zu ändern, obwohl er eine manchmal beinahe schmerzliche Zuneigung für sie empfand. Er sehnte sich nach ihr. Seit Tagen war er mit ihr zusammen, und nie hatte sich die Gelegenheit ergeben, das zu tun, wonach ihn seine seltsame Leidenschaft drängte, wenn
er das Mädchen nur anblickte. In ihren Augen glaubte er zu sehen, daß auch sie nichts anderes mehr zu wünschen schien. Aber im Boot hatte sie der Sturm überrascht, und im Sturm die Wassermenschen, die ihnen das Leben retteten. Und seither hatte es wenig mehr als die nötigste Ruhe gegeben. Jetzt endlich, als die Audienz beim König vorüber war, und Iwa, eine ältere Frau, ihnen Gemächer im Palast anwies, in denen sie bis auf weiteres wohnen sollten, damit Dragon sie jederzeit bei der Hand hatte, wenn er Auskünfte brauchte, jetzt schien der Augenblick gekommen, da er sie in die Arme nehmen konnte. »Du wirst nicht an des Königs Seite kämpfen, mein Geliebter«, sagte sie drängend, als sie allein waren. Er sah sie verblüfft an. »Aber warum, Sela? Es ist eine große Ehre, für den König zu kämpfen ...« »Und zu sterben, ich weiß.« Sie nickte. »Aber nicht du. Wenn du kämpfen und sterben mußt, dann für mich. Ich bin eine Iquani, die ihr Herz nur einem Mann schenken ...« Er nahm sie in die Arme. »Und seine Seele dafür nehmen?« fragte er neckend. Sie nickte ernst. »Du wirst nicht für den König kämpfen. Nicht gegen meinen Vater ...« Er starrte sie an. »Es geht gar nicht gegen deinen
Vater, sondern diesen Cnossos, dessen Sklave dein Vater ist.« Sie achtete nicht auf seine Worte. »Der König wird mich als Geisel verwenden. Er weiß, daß ich Jellis‘ Tochter bin ...« »Woher?« Sie machte sich aus seinen Armen frei. »Hast du es nicht gehört? Die Tainufrauen können die Gedanken lesen. Sie wissen alles über uns- über das, was du über uns beide weißt. Ich vermag mich dagegen zu schützen. Alles aber, was du weißt, ist diesen Fischweibern ein offenes Buch gewesen, in dem sie eifrig geblättert haben. Diese Yina weiß inzwischen sicher alles, was sie erfahren haben. Und was dieses Mädchen weiß, erfährt der König. Du kannst dich darauf verlassen. Wir sind keine Gäste hier im Palast, sondern Gefangene. Und wir werden heute noch fliehen.« »Nein, Sela«, erwiderte er heftig. »Das werden wir nicht. Ich habe keine Mühen gescheut, um hierherzukommen und den König zu warnen ...!« »Du hast ihn gewarnt. Genügt das nicht?« »Nein, Sela, es genügt nicht. Es ist mein Kampf ebenso wie der des Königs ...« »Pah«, unterbrach sie ihn. »Des Königs! Er ist kein myranischer König, hast du das vergessen? Er ist ein Eroberer ...!«
»Und wenn schon«, sagte er ungehalten. »Er ist ein guter König. Darin sind sich alle einig. Keiner von diesen despotischen Teufeln, denen ein Menschenleben nichts bedeutet. Wie es Zogor war. Und wie es dein Vater ist ...!« Überraschenderweise nickte sie »Es stimmt, was du sagst. Aber eine Iquani wird sich niemals gegen ihr Blut wenden, was es auch immer tut. Mein Geliebter, du wirst dich entscheiden müssen ...« »Zwischen dir und dem König?« fragte er und schüttelte den Kopf. »Sela, das ist nicht dein Ernst ...« »Ich will dich ganz. Ohne Myranien.« Sie sah forschend in seine Augen, und er dachte, wie wunderschön sie war. Der Gedanke kam so plötzlich und lenkte ihn von seinen zwiespältigen Überlegungen ab. Verlangen erfüllte ihn mit einer schmerzlichen Heftigkeit. Es war ihm fast, als könne er nicht mehr klar denken. »Armer Wigor«, murmelte sie und schlang die Arme um ihn. Ihre Nähe hatte etwas Berauschendes. Und er mochte den Blick nicht abwenden vom Wunder ihrer dunklen Augen. »Mein Liebster«, murmelte sie. »Komm. Für dich ist schon längst entschieden.« Er verstand nicht, was sie sagte. Es gelangte nicht in seine trunkenen Sinne. Aber er begriff die Lockung
ihrer Arme, ihrer Lippen, ihres Körpers, der wie das rollende Meer unter ihm war mit einem dunklen, schimmernden Grund, in dem er sich verankert fühlte. Immer aber ruhten ihre Augen auf ihm, und in all der Leidenschaft, die er verspürte, hatte er das beängstigende Gefühl, etwas zu verlieren. Wider Erwarten gab es ein Emportauchen an Licht und die Nüchternheit von Marmor und seidenen Decken, kostbaren Teppichen und dem Lächeln Selas. Er fühlte sich leer. Sein Blick fiel auf sein Schwert an der Seite des Bettes, halb verdeckt von seinen Kleidern. Er berührte es. Es fühlte sich kalt und fremd an. Was war nur mit ihm los? Er drehte sich herum, starrte an die Decke und kämpfte gegen die plötzliche Furcht in seinem Herzen. Aber erst Selas Gesicht, das sich zu ihm herabneigte, löschte sie aus. Ihr schwarzes Haar berührte seine Wangen, strich wie der sanfteste Wind darüber. Sie küßte ihn. Wieder fingen ihre Augen die seinen und hielten sie fest wie etwas Greifbares. Instinktiv wußte er, was geschehen war, noch bevor sie es sagte. »Du gehörst nun mir, mein Liebster, das weißt du, nicht wahr?« »Ja«, sagte er tonlos. »Du weißt auch, daß ich deine Seele habe, damit du
mir gehorchst, wo immer du bist, damit du meinen Ruf hörst, wenn ich dich brauche, und damit unsere Tochter nicht ohne Seele geboren wird ...« »Ja, Sela, ich weiß es.« Sie richtete sich auf. Ihre Finger strichen liebkosend über seinen Mund, aber mit keiner sinnlichen Zärtlichkeit, sondern dem abwesenden Spiel mit einem goldenen Armreif, oder einer kostbaren Fibel – einem Stück Schmuck, von dem man sich gedankenlos überzeugt, daß es noch da ist. Sie dachte an die Dinge, die es nun zu tun galt. Ihr Kopf war voller Pläne. Und voll Triumph. Sie besaß eine Seele. Und mit ihr einen Geliebten, der selbst den König töten wurde, wenn sie es ihm befahl. Vielleicht ... vielleicht würde sie es ihm befehlen ... Als die Versammlung beendet war, und die Männer sich daranmachten, erste Vorbereitungen zur Verteidigung zu treffen, erwartete Yina Dragon an der Tür des Audienzraumes. »Onkel«, sagte sie und zog ihn ein Stück mit sich fort. »Ich habe Neuigkeiten.« Dragon lächelte müde. Er hatte in dieser Nacht kaum ein Auge zugetan. »Noch mehr Neuigkeiten, Yina?« Sie nickte. »Über Selaqua ... diese Freundin des
Herrn Wigor ...« »Ja?« meinte Dragon. »Ist sie nun doch nicht die Tochter König Jellis‘?« »Doch. Daran besteht kein Zweifel. Ich habe versucht, ihre Gedanken zu lesen. Es ... es ging nicht. Sie vermag eine Art Mauer zu errichten, und sie scheint zu spüren, wenn man in ihren Gedanken zu lauschen versucht. Aber die Tainu fanden doch einiges heraus während des Aufenthalts auf ihrer Insel, denn Selaqua war zu erschöpft, um auf ihre Abwehr zu achten. Sie ist eine Iquani ...« »Ja, davon habe ich gehört. Wigor sprach davon. Weißt du, was es bedeutet?« »Ein wenig«, erklärte das Mädchen. »Sie sind ein Stamm von Frauen. Nur Frauen, nicht wie die Katmahzari, bei denen die Männer da sind, nur eben eine untergeordnete Rolle spielen. Es heißt, daß sie nur einen einzigen Mann lieben können in ihrem Leben, und daß sie ihm während des Liebesakts die Seele rauben ...« Yina errötete. »Die Seele?« fragte Dragon verständnislos. »Soviel die Tainu herausbekamen, lähmen sie den Mann mit ihrem Blick ... und nehmen seinen Willen irgendwie auf. Sie verstehen es auch nicht ganz. Aber der Mann ist ihnen danach vollkommen zu Willen, so lange sie leben. Er würde sich selbst töten, wenn sie es verlangten. Die Liebesgemeinschaft hält nie lange an,
meist nur bis zur Geburt des Kindes, das immer eine Tochter ist, auf die die geraubte Seele übergeht.« »Auch die Macht über den Vater?« »Nein. Sonst hätte Selaqua auch Macht über Jellis haben müssen. Die hatte sie nicht ...« »Wo ist ihre Mutter. Hat sie keine Macht über Jellis?« »Ihre Mutter ist tot. Nicht durch seine Hand. Aber weiter: Sobald das Kind geboren ist, trennen sich die Eltern. Aber wie groß die Entfernung auch immer sein mag, wenn sie ihn ruft, muß er gehorchen. Es heißt, daß selbst über das Große Meer hinweg der Ruf einer Iquani vom Geliebten immer gehört wird. Und daß er dem Ruf Folge leistet, wie wichtig auch gerade seine Aufgaben sein mögen.« »Es ist eine ähnliche Kraft, wie Cnossos sie hat«, murmelte Dragon nachdenklich. »Ja, Onkel«, stimmte das Mädchen zu. »Vielleicht sind sie von seinem Blut«, sann Dragon. Dann sah er sie an. »Sie ist auf Wigor aus, oder?« »Ja, und er ist ihr verfallen. Er dachte immer nur an sie.« Wiederum errötete sie. »Es waren gute Gedanken ...« »Du meinst, kein Trick von ihr?« Yina nickte. »Aber sie will ihn. Und sie will zur Schlangeninsel zurück. Sie wird keine Mühen scheuen. Auch Blut nicht. Sie könnte ihm befehlen, sie
zurückzubringen, und er würde es um jeden Preis zu tun versuchen.« »Er würde auch mich töten, wenn ich mich ihm in den Weg stellte ...?« fragte Dragon. »Ja«, sagte sie eindringlich. »Obwohl er sehr viel Achtung vor dir hat, das konnte ich seinen Gedanken entnehmen. Er wäre dir ein guter Gefolgsmann ... Onkel ...« Sie zögerte. »Wenn es wirklich geschieht, daß sie ... ihm seine Seele nimmt, und daß du in seinem Weg stehst ... laß nicht ihn für ihre Taten büßen.« Dragon sah sie erstaunt an. »Er scheint dir ans Herz gewachsen, Maus.« »Seine Gedanken gefallen mir. Er wäre ein guter Freund ...« »Und ein guter Tröster für Bodo?« »Onkel!« rief sie empört. »Ich wollte dich nicht kränken«, sagte er lächelnd. »Ich werde Wigor im Auge behalten – wenn ich sie noch lange genug offenhalten kann ...« »Sonst werde ich es für dich tun.« »Bist du nicht müde?« fragte er verwundert. »Noch nicht. Ich ...« Sie bekam einen roten Kopf. »Ich möchte sehen, was geschieht.« »Kannst du ihn nicht warnen?« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Er liebt sie zu sehr, als daß er auf mich hören würde. Außerdem glaube ich, daß es bereits zu spät ist. Ich höre ...« Sie ließ
Dragon plötzlich los und lief den Korridor hinab zu den Besuchergemächern. Der König starrte ihr kopfschüttelnd nach. Sie begann erwachsen zu werden, und er ahnte, daß ihr diese Gabe des Gedankenlesens noch viel Kummer bereiten würde. Yina fühlte, wie Wigors Gedanken kräftiger wurden, je näher sie den Gemächern kam, die er mit Sela teilte. Ihre hingegen waren so verschlossen, daß nicht die Spur nach außen drang. So, als wäre sie nicht hier. Aber Yina spürte instinktiv, daß das Iquani-Mädchen bei Wigor war. Nah bei Wigor, dessen Gedanken so voller Leidenschaft waren, daß Yinas Gesicht heiß wurde. Sie schämte sich ihrer Neugier und wollte kehrtmachen. Aber dann gewahrte sie eine rasch wachsende Verwirrung in Wigors Gedanken. Undeutlich hörte sie Sela sagen: »Armer Wigor.« Etwas geschah mit Wigors Verstand, das Yina nicht begriff, etwas, das mit Selas Augen zusammenhing. Dann war da wieder Selas Stimme, beschwörend: »Mein Liebster. Komm, für dich ist längst entschieden.« Noch einmal das Aufwallen der Leidenschaft, das Yinas Gesicht erglühen ließ. Dann mit einmal nichts mehr. Absolute Leere. So
wie sie es bisher nur empfunden hatte, wenn einer starb und sein Geist erlosch. Aber Wigor war nicht gestorben. Im Gegenteil. Sein Geist schwieg, aber sein Körper lebte um so deutlicher in Selas Armen. Er lebte in den höchsten Sphären. Bleich wandte Yina sich ab und lief den Korridor zurück und die Treppen hoch zu den königlichen Gemächern. Dort hielt sie keuchend an und lehnte sich gegen den kühlen Marmor. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Wigor war tot und doch nicht tot. Was hatte das Mädchen mit ihm gemacht? War er ein Zomby – wie jene Sklaven Cnossos‘ auf Koroskhyr? Sie schauderte.
4.
Die Schwarze Wellenreiterin kreuzte seit dem frühen Morgen vor der Küste Samarkins, einer von zahlreichen kleineren Inseln auf dem geradesten Kurs nach Myra. Der zweite Tag ihrer Flucht war angebrochen. Das Wetter hatte sie gut vorankommen lassen, obwohl das Schiff nur über die halbe Besatzung verfügte, die es eigentlich brauchte, wenn die See
stürmisch war. Ein gutes Dutzend waren sie, ein verschworener Haufen, der es sich vorgenommen hatte, gegen einen Dämon zu kämpfen. Samarkin war einer der besten Punkte, um auf die Flotte zu warten. Hier konnten sie Lebensmittel und Frischwasser laden. Und in diesem Gewirr von Inseln konnten sie tagelang Versteckspielen, wenn die Flotte sie entdecken und verfolgen sollte. Aber tagelang hatte Serphat nicht Zeit. Natürlich würde die Flotte nicht in Sichtweite der Küste oder der Fischerboote vorbeisegeln. Sie würden jedwedes Land vermeiden und Schiffe gefangennehmen, die ihren Weg kreuzten. Niemand sollte erfahren, daß die Schlangeninsel ohne Schutz war, eine leichte Beute- für die kyrischen Nachbarn beispielsweise ... Deshalb wagte sich die Wellenreiterin weit genug nach Westen, um sicherzugehen, daß die Flotte nicht vielleicht einen Bogen um Naphir machte und westlich von Morgos nach Norden segelte. Aber sie kamen auf dem geraden Kurs an Samarkin vorbei. Es war kurz vor Sonnenuntergang, und die Wellenreiterin zog sich an die felsige Küste zurück, die zum Teil bereits im Schatten lag. Hier würden die Späherschiffe sie nicht mehr ausmachen können. Eines dieser Späherschiffe, ein Dreimaster wie die Wellenreiterin, aber kleiner und gedrungener, kein
Schnellsegler, sondern ein bauchiger Händler, den Jellis beschlagnahmt hatte, brachte Jaggar auf eine Idee. Die Wellenreiterin mußten sie früher oder später zurücklassen. Sie war zu auffällig. Die gesamte Flotte hielt vermutlich nach ihr Ausschau. Aber mit einem dieser Späherschiffe mußte es möglich sein, an das Flaggschiff und den König heranzukommen. Ganz unbemerkt blieb die nach Norden vorstoßende Flotte nicht. Mehrere Fischerboote kamen hastig in die Häfen zurück, kurz bevor zwei Segler mit dem Piratenbanner der Schlangeninsel ziemlich nahe der Insel vorbeikamen. Sie waren Teile der Nachhut. Die Wellenreiterin blieb unentdeckt. Jaggar wartete ungeduldig, bis die Schiffe außer Sichtweite waren. Die Sonne verschwand im Meer. Die Dunkelheit fiel rasch, als Jaggar die Verfolgung aufnahm. Er hatte keine Angst, die Flotte aus den Augen zu verlieren, die aus verschiedenen Schiffen bestand und sich nicht schneller bewegen konnte, als das langsamste ihrer Schiffe. Die Nacht war angebrochen, als sie das Inselgebiet hinter sich ließen. Vor ihnen war das Meer offen. Die Flottenkapitäne sahen keine Gefahr, in der Finsternis weiterzusegeln, solange der Wind nicht kräftiger wurde. Gefährlich würde die Strecke erst gegen Morgen werden, wenn sie die Untiefen von Marakor erreichten.
Der Himmel war wolkenlos. Der Kurs konnte leicht nach den Sternen bestimmt werden. Jaggar machte gute Fahrt, und bald tauchten dunkle Kolosse auf dem flach rollenden Meer auf. Sie hatten den Anschluß an die Flotte geschafft. Nun galt es vorsichtig zu sein. Die Nachhut mochte sie trotz des dunkleren südlichen Himmels entdecken. Wenn sie sie auch nicht zu identifizieren vermochten, so würden sie sich doch wundern, daß hinter ihnen noch etwas kam. Ein dünnes, halbverwehtes Hornsignal ertönte. Augenblicke später leuchteten Lampen auf. Das ganze Meer vor der Wellenreiterin war übersät mit schwachen Lichtpünktchen. Es war ein faszinierender Anblick. Die Lampen gaben nur gedämpftes Licht. Man hatte sie offenbar mit Ruß bestrichen, damit ihr Licht nicht zu weit reichte, aber doch weit genug, daß die Schiffe genügend Abstand voneinander halten konnten. Nur die Nachhutschiffe blieben dunkel. Aber gegen den helleren nördlichen Himmel waren sie deutlich zu sehen. Unaufhaltsam pirschte sich die Wellenreiterin näher an sie heran. Moraq war nervös. Er schlich mit geballten Fäusten an Deck umher. Das Wagnis schien ihm zu groß. Aber er wußte auch, daß ihnen nicht viele andere Möglichkeiten blieben, wenn sie nicht den Ausgang der Schlacht abwarten wollten. Das wollte
Jaggar nicht. Er wollte dem König vorher die Augen öffnen, daß ein Teufel sie um jeden Preis in ein Abenteuer stürzen wollte, das auch ihr Verderben sein konnte. Moraq hingegen meinte, daß der Angriff auf Myra nun nicht mehr aufzuhalten sei, daß auch der König ihn nicht mehr abbrechen würde. Die Dinge waren zu weit fortgeschritten, und Jellis hatte immer schon im Sinn gehabt, Myra anzugreifen. Warum also nicht die Schlacht abwarten? Aber Jaggar glaubte, daß es nach dieser Schlacht, ob sie nun siegten oder verloren, keinen König Jellis mehr geben würde – nur noch Serphat in seiner Gestalt. Und noch etwas war für ihn ausschlaggebend: Er glaubte nicht, daß er nach dieser entscheidenden Schlacht je seine alten Ehren wieder zurückgewinnen würde. Jetzt war der Augenblick zu handeln. Eines der Nachhutschiffe begann zurückzubleiben. Trotz der Dunkelheit war zu erkennen, daß der Abstand zwischen ihm und seinen beiden Begleitern sich vergrößerte. Gleichzeitig verringerte sich der Abstand zur Wellenreiterin. Das konnte nur bedeuten, daß es den Nachzügler entdeckt hatte und sich überzeugen wollte, wer da noch Anschluß suchte. Jaggar ließ einen Teil der Segel reffen. Die Wellenreiterin verlor an Fahrt. Aber auch das andere Schiff verlangsamte. Mehr und mehr
verschwanden die Lichter der Flotte am Horizont. Auch von den anderen Nachhutschiffen war bald keine Spur mehr zu sehen. »Jetzt lassen wir ihn herankommen«, entschied Jaggar. Bald war das Schiff so nah, daß die Männer das Ächzen der Masten und Takelagen über dem Rauschen des Wassers vernehmen konnten. »Sie werden uns erkennen«, warnte Moraq. »Daß der Name verdeckt ist, wird sie stutzig machen.« »Siehst du ihren Namen?« erwiderte Jaggar. »Es ist viel zu dunkel, daß sie etwas Genaueres erkennen könnten. Außerdem erwarten sie sicher nicht, daß wir der Flotte folgen. Und wenn sie Verdacht schöpfen, wird es zu spät sein. Wenn alles klappt«, fügte er hinzu. »Ja, das mögen die Götter geben«, murmelte Moraq, dem die ganze Sache nicht gefiel. Wenig später waren Jaggar und seine Männer bereit. Das andere Schiff lag fast längsseits. Undeutlich sahen sie mehrere Männer an der Reling. »Wer seid ihr?« kam eine Stimme über die Gischt. »Gib ihnen Antwort«, sagte Jaggar zu Moraq. »Das ist zwar keiner der Kapitäne der Bruderschaft, aber es mag mit dem Teufel zugehen, daß er mich trotzdem erkennt ...« »Und mich als Kommandant von Pequa erst recht«,
brummte Moraq. Achselzuckend formte er mit den Händen einen Trichter vor seinem Mund. »Hier ist Mezkin, Kapitän der Schwert von Candis!« rief er. »Wir haben eine Botschaft für den König.« »Welche Botschaft?« rief der andere zurück. »Eine sehr wichtige!« erklärte Moraq. »Wir begegneten kyrischen Kriegsschiffen in der Nähe von Thira!« »Kelims Blut!« entfuhr es dem anderen. »Bei Thira sagst du? Dann mögen sie die Flotte gesehen haben ...« »Das ist leicht möglich. Kannst du uns zum Flaggschiff bringen?« »Das ist unmöglich! Bei der Fahrt die ihr macht, sind wir eher in Myra!« »Wir hatten ein Gefecht«, erklärte Moraq, »und haben einen Teil unserer Segel eingebüßt. Könnt ihr uns Tuch geben?« »Warum steigst du nicht über? Wir bringen dich rasch zum König!« »Das will ich gern tun, wenn ich mein Schiff versorgt weiß. Wir brauchen auch ein paar Männer. Wir hatten einige Tote. Wie ist es? Helft ihr uns aus?« Eine kurze Pause folgte, während der sich der Kapitän mit einigen seiner Leute besprach, und während der das Schiff ganz längsseits kam. Nun konnten sie ihren Namen lesen. Es war die Meleqa von Lithiq aus einem Hafen der Südküste der
Schlangeninsel. Moraq atmete auf. Es war unwahrscheinlich, daß der Kapitän ihn kannte. Lichter begannen aufzuleuchten auf der Meleqa. Gleich darauf meldete sich die Stimme des Kapitäns wieder. »Wie viele Männer braucht ihr?« »Fünf«, erwiderte Moraq, als Jaggar ihm mit gespreizten Fingern einer Hand deutete. »Gut«, gestand der Kapitän zu. »Zündet Lampen an und macht alles zum Übersteigen bereit!« Moraq bestätigte, und Jaggar gab Anweisung, die Reling zu beleuchten und die Entertaue festzuzurren. »Wer steigt über?« fragte Moraq. »Du«, meinte Jaggar. »Aber nicht allein. Ich komme mit – als kyrischer Gefangener. Ebenso Daraq, sein krauses Haar sieht am meisten nach kyrischem Blut aus. Wir werden uns ein wenig herrichten. Ein paar kleinere Schnitte geben genügend Blut, um unsere Gesichter unkenntlich zu machen. Ihr bringt uns mit gefesselten Händen nach drüben. Aber so, daß wir die Fesseln im rechten Augenblick lösen können ...« »Ihr?« fragte Moraq. »Ja, du und zwei meiner Männer. Qarin soll das Schiff führen während unserer Abwesenheit. Er scheint mir der fähigste Mann. Und er wird doppelt vorsichtig sein müssen, weil fünf fremde Seeleute an Bord sind, die keinen Verdacht schöpfen dürfen.« Lampen erhellten das Deck der Wellenreiterin.
Kaum fünf Mannslängen neben ihr hob und senkte sich die Meleqa in den langen, flachen Wogen. Enterhaken kamen durch die Dunkelheit. Männer sprangen, um die Taue zu befestigen. Strickleitern wurden von Schiff zu Schiff gezogen. Während dieser Vorbereitungen, machten sich die Männer, die mit Moraq gehen sollten, bereit. Jaggar und Daraq wurden bis auf die unteren Beinkleider entkleidet. Geringfügige Wunden, deren Blutfluß rasch stockte, gaben ihnen ein verwildertes Aussehen, wozu zerrauftes Haar, Schmutz und ein notdürftiger Verband an Jaggars rechter Schulter noch ihren Teil beitrugen. Dazu kamen Ketten, die ihnen wohl gestatteten, die Arme zu bewegen, aber sie doch in ihrer Bewegungsfreiheit sehr einschränkten. Die Gelenkstücke allerdings waren leicht zu öffnen, was aber nur jemand erkennen würde, der sich die Mühe nahm, sie eingehend zu prüfen. Wozu es gar nicht erst kommen sollte. Als Moraq mit seinen beiden Gefangenen und den zwei Wachen wieder an Deck kam, waren die fünf Seeleute der Meleqa bereits bei ihrem waghalsigen Balanceakt über die schwankenden Strickleitern keine zwei Lanzenlängen über dem schwarzen, schäumenden Wasser. Moraq begrüßte sie an Bord und erklärte ihnen, daß sie bis zur Rückkehr seinem Stellvertreter Qarin unterstanden.
Dann machte sich Moraqs Gruppe auf den nicht ungefährlichen Weg. Ein Absturz mochte den Tod bedeuten. In der Finsternis würde man den unglücklichen Schwimmer rasch aus den Augen verlieren. Abgesehen davon, daß die Haie in diesem Gebiet gefürchtet waren. Es gab einen kitzligen Augenblick, als Daraq ausglitt und sich einzig mit seinen Ketten vor dem Absturz zu retten vermochte. »Du bringst vier Männer mit dir?« fragte der Kapitän verwundert. »Ja, aber du wirst diesen Umstand bestimmt verstehen. Zwei sind kyrische Gefangene. Aber rasch jetzt. Löst die Taue. Je früher wir den König erreichen, desto besser. Es ist gut möglich, daß wir gar nicht nach Myra fahren mit der kyrischen Flotte im Rücken.« Der Kapitän nickte. »Komm in meine Kajüte. Es mag einige Stunden dauern, bis wir die Flotte eingeholt und das Flagschiff erreicht haben. Deine Männer ...« »Sie bleiben bei den Gefangenen, wenn du erlaubst, Kapitän ...« »Ich bin Kapitän Liglin. Komm, ich bin sicher, du weißt eine Menge zu erzählen.« Er gab seinen Männern Anweisung, die Taue zu lösen und die Leitern einzuziehen. Und die Lampen zu löschen, bis sie wieder Anschluß an die Flotte hatten.
Als er hinter Liglin in die Kajüte trat, war die Wellenreiterin bereits zurückgefallen und wurde rasch von der Dunkelheit verschluckt. Der Mond ging auf und warf verwaschene Flecken von Silber auf das Meer. Kurz nach Mitternacht befanden sie sich schon mitten in der Flotte. Mit einer charakteristischen Anordnung seiner Decklichter ließ Kapitän Liglin die Schiffe wissen, daß er als Späherschiff mit einer dringlichen Nachricht zum König unterwegs war. Es entstand eine freie Wasserstraße, durch die die Meleqa mit merklich schnellerer Geschwindigkeit segelte. Auf den meisten der Schiffe waren nur verstärkte Deckwachen und Ausguckposten wach, außer dem Steuermann, der in wichtigen Angelegenheiten den Kapitän wecken würde. Der Großteil der Mannschaften schlief. Die äußeren Schiffe an den Flanken würden wohl ebenso wie die Späherschiffe auch nachts in ständiger Bereitschaft sein. Das Flaggschiff, die Seehexe, befand sich in der vordersten Ansammlung von etwa drei Dutzend Schiffen. Es fuhr in ihrer Mitte, geschützt und im Sichtbereich aller. Kapitän Liglin war einigermaßen neugierig, aber Moraq wußte die Begegnung mit den Kyriern so lebendig zu schildern, daß der Kapitän beeindruckt
war und keinen Zweifel hegte, sondern vielmehr mit der Frage beschäftigt war, ob die Kyrier die Chance nützen würden, die ihrer Verteidigungskräfte entblößte Schlangeninsel anzugreifen. Vermutlich sah er seine Heimatstadt bereits in Flammen. Moraq lächelte. Der gute Glauben des Mannes gab ihm Zuversicht. Es mochte nicht schwer sein, auch die anderen zu täuschen- bis es zu spät war. Als sie in die Gruppe um das Flaggschiff vorstießen, hielt Jaggar die Zeit für gekommen. Er streifte die Ketten ab und gab Daraq ein Zeichen. Auch der entledigte sich seiner Fesseln. Gemeinsam mit ihren beiden Wachen marschierten sie zur Kapitänskajüte. Einige Männer begegneten ihnen, die aber nichts daran ungewöhnlich fanden, daß die Gefangenen zum Käpt‘n gebracht wurden. Es war schließlich sein gutes Recht, sie genauer in Augenschein zu nehmen. Daß sie nicht mehr gefesselt waren, fiel in der Dunkelheit niemandem auf. Liglin sah erstaunt auf, als er die Schritte mehrerer Männer vernahm, die auf die Kajüte zukamen. Moraq ahnte, daß der Zeitpunkt zum Handeln war. Unauffällig machte er sich zum Aufspringen bereit. Seine Hand glitt an den Dolch in seinem Gürtel. Die Tür sprang auf. Die Gefangenen stolperten herein, gefolgt von Jaggars Männern. »Was ...?« begann Liglin. Dann sah er, daß die
Gefangenen frei waren. Seine Hand fuhr ans Schwert, aber Moraq stand an seiner Seite und setzte ihm das Messer an den Hals, was den Kapitän stocksteif innehalten ließ. Moraqs zweite Hand griff nach dem Schwert des Kapitäns und zog es aus der Hülle. Er tastete ihn nach weiteren Waffen ab und fand einen Dolch. Auch den nahm er an sich, während Liglin mit dem Messer an der Kehle keinen Laut von sich zu geben wagte. »Gebt auf die Tür acht!« befahl Jaggar seinen beiden Männern. »Laßt niemanden herein.« Dann deutete er auf Liglin. »Laß ihn sich setzen. Er versteht auch so, scheint mir, daß sein Hals der erste ist, der seinen Kopf verliert, wenn ihm irgendwelche Ideen kommen.« Moraq nahm das Messer fort, hielt aber das Schwert bereit und trat einen Schritt zurück, damit Liglin sich setzen konnte. Der blickte bleich in die entschlossenen Gesichter. »Wer ... wer seid ihr?« »Das tut nichts zur Sache. Sagen wir, wir sind Freunde des Königs und wollen ihm aus einer verdammt mißlichen Lage helfen ...« »Aber ...«, stammelte Liglin, »wozu dann die Gewalt? Wir ... wir sind doch alle für den König ...« »Das Dumme ist«, fuhr Jaggar fort, »der König weiß nichts von seiner Lage, und du könntest denken, wir hätten etwas Krummes mit ihm vor. Deshalb fragen
wir dich gar nicht erst um deine Meinung. Du wirst uns behilflich sein oder keine Gelegenheit mehr haben, uns im Weg zu stehen. Leuchtet dir das ein?« Wütend starrte der Kapitän die Eindringlinge an. Moraqs auffordernder Ruck mit der Schwertspitze schien ihm die Entscheidung jedoch mehr oder weniger abzunehmen. Er nickte zähneknirschend. »Bevor du dich in deinem scheinbar so gerechten Zorn zu Unbedachtsamkeiten hinreißen läßt«, mahnte Jaggar eindringlich, »für die alle Reue zu spät kommen würde, laß dir sagen, daß der König unser Handeln schätzen wird. Wenn du klug bist, wartest du ab, bis du keine Zweifel mehr hast, wer Freund und Feind ist. Vorwärts jetzt!« Moraq schob ihn zur Tür, wo die beiden Wachen zur Seite traten. »Kelims Bart! Was erwartet ihr von mir?« rief der Kapitän. »Laß ein Boot zu Wasser!« befahl ihm Jaggar. Er deutete auf Daraq. »Ich werde mit dem Mann hier übersetzen, um mit dem König zu reden. Du wirst dem Schiff drüben begreiflich machen, daß ein Mann mit einer wichtigen Botschaft, mit einer vertraulichen Botschaft für den König an Bord gelassen werden möchte. Und denk an meine Worte, Kapitän!« Sie traten aus der Kajüte und schoben den Kapitän voraus. Der sah sich zögernd um. Dann schritt er
entschlossen aufs Vordeck und gab einem Bootsmann den Befehl, eines der Boote zu Wasser zu lassen und Taue bereitzuhalten. Jemand würde auf das Flaggschiff übersetzen. Das Flaggschiff war zum Greifen nahe. Dort war man inzwischen auf das herankommende Schiff der Nachhut aufmerksam geworden. Die Deckwachen winkten mit Fackeln, ein Zeichen, das Liglin erwidern ließ. Eine Losung wurde verlangt, die der Kapitän gab, worauf er erklärte, was sein Begehr sei. Es gab eine kurze Pause, dann kam vom Flaggschiff der Befehl, den Nachrichtenbringer überzusetzen. Entertaue flogen von Reling zu Reling. An einem hing das Boot, in dem Jaggar und Daraq saßen. Da die Schiffe ihre Geschwindigkeit nicht verminderten, wäre ein Hinüberrudern unmöglich gewesen. Statt dessen hing es wie eine Fähre am Tau und wurde von einem Dutzend Leute der Seehexe Zug um Zug eingeholt. Jaggar überprüfte das Seil, das er um seinen Oberkörper geschlungen hatte. Daraq war der erste, der die Strickleiter an der Bordwand des Flaggschiffes hochkletterte. Jaggar folgte ihm. Sein Gesicht sah noch immer entstellt genug aus, daß ihn wohl kaum einer auf den ersten Blick erkennen würde. Und so lange, daß es für einen zweiten Blick reichte, hatte er nicht vor an Bord zu bleiben. Das Problem war Serphat, der Schlangenpriester. Es
konnte geschehen, daß sie wiederum einen falschen König entführten. Aber es war doch unwahrscheinlich, denn sicher hatten sowohl der König, als auch der Priester bequeme Räumlichkeiten, und der Priester würde nicht das Risiko eingehen, vor den Augen einiger der engsten Vertrauten des Königs vielleicht Fehler zu begehen, die unnötiges Mißtrauen hervorriefen. Er hatte den König gut genug in der Gewalt. Daß er im Ernstfall die Gestalt des Königs selbst annehmen würde, das war ein Trumpf, den er sich sicherlich zum Schluß aufsparen würde. Aber möglicherweise war Serphat bei der Unterredung zugegen. Dann war höchste Vorsicht und schnellstes Handeln geboten. Und vor allem eines, das er auch Daraq eingeschärft hatte: Sie durften nicht an ihren Plan denken – mit keinem Gedanken. Denn der Priester vermochte Gedanken zu erkennen. Sie würden dieses Schiff nicht mehr verlassen. Als sie an Deck kamen, betrachteten die Männer der Seehexe sie neugierig, aber vorerst schien keiner Verdacht zu schöpfen. Sicher trugen auch die Dunkelheit und das flackernde Licht dazu bei, daß man Jaggar nicht erkannte. »Folgt mir. Der König erwartet euch.« Das war Merkin, der Kommandant der Garde, und die Götter mochten wissen, was er auf dem Flaggschiff sollte. Sicher war es eine von Jellis Launen. Oder eine von
Serphat? Er führte die beiden zur Kajütentreppe. Dort warteten zwei Männer, denen er einen Wink gab, worauf sie sich daran machten, Jaggar und Daraq nach Waffen abzusuchen. Sie fanden nichts außer dem Seil, das Jaggar bei sich hatte. Einer der Wachen wollte es ihm abnehmen, aber Merkin winkte ab. Er schritt mit der Fackel voran die Treppe hinab und pochte an der Tür. Jaggar und Daraq folgten ihm. »Kommt ‚rein.« Das war Jellis‘ Stimme. Sie traten ein, Merkin voran, der ihnen die Tür aufhielt, sie hinter ihnen wieder schloß, aber keine Anstalten machte, zu gehen. Jaggar musterte Jellis. Allen Anschein nach war es der König, aber Jaggar war klug genug, vorsichtig zu sein mit seinen Gedanken, und er hoffte, daß Daraq es auch war. Im Hintergrund der Kajüte war eine Tür, die einen Spalt offenstand. Die Dunkelheit dahinter war wie eine fühlbare Drohung. Er hatte das unbestimmte Empfinden, daß dort etwas lauerte. Es konnte wenig Zweifel darüber geben, was dieses Etwas war: Serphat! Aber Jellis schien frei von Serphats Geist, wenigstens von dessen dirigierender Kraft. Es schien Jaggar, als wollte Serphat abwarten, was geschah, um im rechten Augenblick einzugreifen. »König Jellis?« fragte Jaggar. Der König nickte. Jaggars Stimme schien ihm
irgendwie vertraut. Es war deutlich zu sehen, daß er aufhorchte. Unbeirrt fuhr Jaggar fort: »Es ist eine vertrauliche Nachricht.« Der König nickte. »Laß uns allein, Merkin.« Der Gardekommandant ging widerwillig. Jaggar warf einen Blick auf die offene Tür im Hintergrund. »Hier ist niemand«, stellte der König verärgert fest. Aber es klang nicht überzeugend. Der König wußte genau, wer dort stand und lauschte. Auch der vertraute Ärger war ein gutes Zeichen. Im Augenblick wenigstens hatte Serphat den König nicht in seiner Gewalt, er mochte vielleicht in seinen Gedanken lauschen, aber er beherrschte ihn nicht. Noch ließ er ihn selbst handeln und entscheiden. Das war eine günstige Voraussetzung. »Es würde mich aber beruhigen, o König, wenn sie geschlossen wäre«, erwiderte Jaggar vorsichtig. »Zweifelst du etwa an meinem Wort?« brauste Jellis auf. »Es heißt, daß ein Priester deine Gunst hat, König. Und daß er wundersame Dinge vollbringt. Es heißt aber auch, daß er mehr Macht über dich hat, als recht ist«, meinte Jaggar gleichmütig. »Es spricht sich herum, daß der König nur ein Sklave ist, und der Priester sein Herr ...« »Wer sagt das?« rief Jellis und wurde blaß.
»Jedermann. Das Volk ist nicht blind.« Er gab Daraq einen Wink. »Laß meinen Begleiter die Tür schließen. Ich bezweifle deine Worte nicht. Aber ich werde erst reden, wenn ich deine Ohren als die einzigen weiß, die mich vernehmen können.« »Du wagst eine ganze Menge, Fremder. Weißt du nicht, daß ich dich auspeitschen lassen könnte, bis dir die Worte von den Lippen kommen wie ...« »Es würde dir nicht gefallen, König«, unterbrach ihn Jaggar rasch. »Es wäre dir unangenehm, wenn andere hörten, was ich dir zu sagen habe. Also?« Es gab eine merkliche Pause, so als gäbe etwas dem König die Erlaubnis. Dieser nickte schließlich, und Daraq ging zur Tür und schloß sie. Er schob den Riegel vor. »Nun sind wir unter uns«, sagte der König. »Wer bist du, und wie lautet deine Botschaft?« Jaggar nickte Daraq zu. Dieser schlich auf den König zu, umklammerte ihn plötzlich von hinten, wobei er ihm mit der Linken den Mund zuhielt und mit der Rechten nach dem Dolch im Gürtel griff. Kaum daß Jellis sich von seiner Überraschung erholt hatte, schlug ihn Daraq mit dem Dolchgriff gegen den Kopf. Jellis‘ Gestalt sackte zusammen. Währenddessen hatte Jaggar das Seil von der Schulter gezogen, halb ausgerollt und das eine Ende um Jellis‘ Mitte geschlungen und mit dem Gürtel
verschnürt. Daraq kam mit einem Schwert auf ihn zu, das er in der Kajüte entdeckt hatte. Alles war in wenigen Augenblicken geschehen. Aber nicht unbemerkt! An der hinteren Tür rüttelte etwas mit erschreckender Wildheit. Ein wütender Laut drang in die Kajüte. Dann begann etwas, das Jellis und Daraq das Blut in den Adern gefrieren ließ. Eine graue Masse quoll durch den Türspalt und floß wie eine dünne Gallerte am Holz entlang. Jaggar sprang mit einem Fluch zur Wand und riß die Öllampe aus der Halterung. Er warf sie gegen die Tür. Das Glas splitterte in tausend Teile. Das Öl floß über das Holz und die graue Masse. Das Feuer züngelte hinterher. Es machte keinen Unterschied zwischen Holz und der Masse. Es brannte lichterloh. Die Gallerte zuckte zurück und wand sich wie ein flachgetretener riesiger Wurm. Ein unheimlicher Laut hallte durch das ganze Schiff, einer, der aus großer Qual geboren war. Jellis erwachte. Er sah, was an der Tür geschah und versuchte aufzuspringen. Daraq und Jaggar hielten ihn fest. »Fort von hier!« rief Jaggar. »Solange uns noch Zeit bleibt!« Sie brauchten den König nicht mitzuzerren. Seine Augen waren weit aufgerissen. Er war frei von allem,
was über ihn geherrscht hatte. »Ihr Götter!« stammelte er. »Fort. Nur fort!« Er wich zurück vor dem dämonischen Schauspiel der sich windenden, zurückziehenden Masse. Alle drei erreichten die Tür und stürzten nach draußen, während der Kajütenteil aufloderte und den blendenden Schein der Flammen über das ganze Schiff warf. Merkin kam ihnen entgegen, als sie die Treppe hochhasteten. Er versuchte, sie aufzuhalten, aber der König schob ihn einfach zur Seite. »Verlaßt das Schiff!« krächzte er, und Merkin, der nur das Feuer sah und nicht wußte, was sich in der Kajüte abgespielt hatte, sah ihn verständnislos an. »Mein König ...«, begann er. »Rasch«, drängte Jellis. Er meinte seine beiden Begleiter. Merkin legte es anders aus. Er brüllte etwas von Löschkommandos. Ein eiliges Durcheinander entstand, das die Fliehenden unbemerkt zur Reling gelangen ließ. Jaggar band sich hastig das andere Ende des Seils um die Mitte, während Daraq nach unten kletterte. Plötzlich fühlte Jaggar, daß mit dem König eine Veränderung vorging. Er erstarrte mitten in der Bewegung. Jaggar wußte, was es bedeutete. Serphat hatte das Feuer überlebt und trachtete nun danach, den König wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Und allem Anschein nach hatte er damit Erfolg. Jaggar zögerte nicht. Er umklammerte den König, daß dessen Arme an seinen Leib gepreßt waren, und er sich mit den Händen nirgends festhalten konnte. Niemand schien sie zu beobachten. Alle waren mit dem Feuer beschäftigt. Nur Serphat lauerte irgendwo in der Dunkelheit. Jaggar schwang sich über die Reling und zerrte den sich plötzlich wehrenden König mit sich. Sie fielen beide. Einen Augenblick fürchtete Jaggar, sie könnten in das Boot fallen und sich das Genick brechen. Aber dann tauchten sie in das kalte heftig schäumende Wasser, das in einem raschen Strom zwischen den beiden Schiffen dahinschoß. Es gab einen schmerzhaften Ruck, und sie hingen an dem Seil wie an einer Angel. Jaggar kam hoch und schnappte nach Luft. Direkt neben ihm befand sich das Boot, das wild in den Heckwirbeln der Meleqa tanzte. Daraq hatte das Seil gekappt, mit dem das Boot mit der Seehexe verbunden gewesen war. Es hing nun nur noch an der Meleqa, gute zehn Lanzenlängen hinter dem Heck. Niemand auf dem Schiff machte sich daran, das Tau mit dem Boot einzuholen. Aber Moraq schien auf dem Posten, denn die Meleqa vergrößerte den Abstand zur Seehexe. Helfende Hände griffen nach Jaggar. Daraq versuchte ihn in das schwankende Boot zu zerren.
Aber er war zu schwach, denn am Seil hing auch noch der König, der verzweifelt gegen die Strömung kämpfte. Jaggar kämpfte sich Griff um Griff am nassen Rand des Bootes entlang, bis auch Jellis es fassen konnte. Danach war es einfacher. Mit Daraqs Hilfe gelang es ihnen, sich über den Bootsrand zu ziehen, von wo sie erschöpft in das Innere fielen. Das Feuer auf der Seehexe wurde schwächer. Die Mannschaft schien seiner Herr zu werden. Ein Teil stand mit Fackeln an der Reling. Undeutlich sahen die drei im Boot, wie einige Bogenschützen sich unter die Fackelträger mischten. Gleich darauf flogen die ersten Brandpfeile zur Meleqa, auf der die Mannschaft sich jedoch auf das Löschen beschränkte und das Feuer nicht erwiderte. Sie gewann stetig Abstand und würde bald außerhalb der Reichweite der Bogenschützen sein. Diese hatten jedoch plötzlich das Boot entdeckt, das hinter der Meleqa im Schlepp hing. Die drei Insassen legten sich flach auf den Boden. Bald war das Boot gespickt von brennenden Geschossen, die das schäumende »Wasser jedoch rasch löschte. Einen Moment, während das Boot schaukelte, sahen sie eine von den Fackeln hell beleuchtete Gestalt an der Reling der Seehexe stehen. Sie war zu deutlich zu sehen, als daß es ein Irrtum hätte sein können. »Der König ist noch an Bord!« entfuhr es Daraq
verblüfft. Jaggar schüttelte den Kopf. Er sah triumphierend auf Jellis, der hinter ihm im Boot lag und mit weit aufgerissenen Augen auf sein Ebenbild an der in der Dunkelheit entschwindenden Reling der Seehexe starrte. Die Pfeile kamen nun zu kurz und tauchten zischend in das Wasser. Die Schützen schienen es einzusehen, denn sie stellten den Beschuß ein. Eines der Begleitschiffe kam langsam näher. Aus der Entfernung ließ sich nicht viel erkennen, aber die gesamte Besatzung schien an Deck versammelt zu sein, der Anzahl von Fackeln und Lampen nach zu schließen. Das kleine Feuergefecht war nicht unbemerkt geblieben. Aber wenn die Meleqa ihren Kurs beibehielt, gelangten sie aus der Gefahrenzone, ohne weiteren Schiffen allzu nahe zu kommen. Außerdem hatten die Männer der Meleqa begonnen, das Boot einzuholen. »Überzeugt, mein König?« rief Jaggar über das Rauschen. Jellis kam aus seiner Starre und schüttelte verwundert den Kopf, so als gelte es eine Benommenheit abzuschütteln. Aber die Benommenheit nahm zu. Sein Gesicht verzerrte sich plötzlich. »Helft ... mir ...!« krächzte er plötzlich, und bevor einer der beiden ihn festhalten konnte, sprang er auf und stürzte
sich in die Fluten. Geistesgegenwärtig warf sich Daraq auf Jaggar. Der Ruck, als sich das Seil spannte, das noch immer den König an Jaggar fesselte, ließ die beiden Männer schmerzhaft gegen die Bootswand schlagen. Verzweifelt klammerte sich Jaggar an einer der Bänke fest, während Daraq sich daranmachte, das Seil einzuziehen. Es war ein mühevolle Tätigkeit, um so mehr, als der König selbst keinerlei Hilfe war. Er schien die Besinnung verloren zu haben. Er regte sich auch nicht, als sie ihn ins Boot zogen. Aber er atmete schwach. Jaggar war vorsichtig genug, das Seil vorerst nicht zu lösen, bis er ganz sicher sein konnte, daß Serphats Macht über den König gebrochen war. Keiner konnte sagen, wie weit sie reichte. Vielleicht hörte sie niemals auf, aber deutlich erkennbar war, daß sie mit der Entfernung schwächer wurde. Jaggar dachte, daß es von nun an gefährlich sein würde, den König allein und ohne Aufsicht zu lassen, auch wenn sein Hilferuf deutlich gemacht hatte, daß er wieder frei denken konnte wenigstens zeitweilig. Sie näherten sich immer mehr den äußeren Schiffen der Flotte. Das ließ sich leicht an den Lichtern erkennen. Zwei oder drei Schiffe mochten noch zwischen ihnen und der schützenden Dunkelheit liegen. Aber sie waren keine große Gefahr mehr. Sie
segelten zu weit am Rand, als daß sie etwas von dem mitbekommen hatten, was auf dem Flaggschiff geschehen war. Vor allem würden sie es nicht mit der Meleqa in Verbindung bringen. Das Boot war bald so weit eingeholt, daß es scharrend an der Bordwand hing. Strickleitern kamen herab. »Du zuerst«, befahl Jaggar und starrte Daraq nach, während dieser hochkletterte. Der König kam stöhnend zu sich, als Jaggar ihn aufrichtete und über die Schulter werfen wollte, um so mit ihm hochzusteigen. Jaggar ließ ihn wieder los und wartete, bis der König sichtbar wahrnahm, was um ihn geschah. Jellis starrte ihn an und erkannte zum erstenmal, wen er vor sich hatte. »Jaggar«, murmelte er betroffen. Jaggar nickte. »Ja, mein König. Wirst du Kraft genug haben, hinaufzusteigen?« Jellis sah hoch und nickte. Er stieg die ersten Sprossen der schwankenden Strickleiter hoch, glitt ab, aber Jaggar, der dicht hinter ihm die Leiter ergriffen hatte, fing ihn. »Ein Seil!« rief er. Gleich darauf fiel ein Seil nach unten. Das Ende baumelte neben ihnen. Jaggar nahm es und schlang es um Jellis. »Hoch! Aber langsam!« Er selbst folgte vorsichtig, als er das Seil, das ihn mit dem König verband, von seinem Gürtel gelöst hatte. Es wäre zu gefährlich gewesen. Einer hätte den anderen
mitgerissen, wenn er abgestürzt wäre. Oben angekommen, gab es eine Überraschung. Daraq lag bewußtlos am Boden, und zwei Männer der Besatzung waren dabei, ihn kunstgerecht zu verschnüren. Jaggars Blick flog in die Runde. Er gewahrte Moraq und die beiden Männer der Wellenreiterin entwaffnet und mit erhobenen Händen vor dem Steuerhaus, während mehrere Männer sie mit blanken Klingen in Schach hielten. Jaggar unterdrückte das Verlangen, einfach zurückzuspringen. Statt dessen ergriff er den König am Arm, der schwankend auf Deck stand und sich verwundert umsah. »Mein König«, sagte er rasch. Kapitän Liglin kam mit entschuldigender Miene auf Jellis zu. Aber man sah ihm auch die Verblüffung an. Denn wie alle anderen hatte er König Jellis zuletzt an der Reling des Flaggschiffes gesehen, und zwar, als das Boot schon längst nur noch im Schlepp der Meleqa hing. Aber es zweifelte doch keiner, den König vor sich zu haben, von denen, die ihn von Angesicht zu Angesicht kannten. Jellis mochte noch immer verwirrt sein, aber er begriff rasch. »Deine Männer?« fragte er Jaggar. Der nickte. »Laß sie frei!« befahl der König mit schwacher Stimme. Es war nicht zu übersehen, daß er erschöpft war – aber nicht vom Körper her. Etwas lag lähmend
über seinen Gedanken. »Laßt diese Männer frei!« wiederholte er, als die Besatzung nicht sofort reagierte. Er wartete, bis die Fesseln gefallen waren und nickte den Befreiten mühsam zu. »Ich danke euch.« Kapitän Liglin sah sich von den Umständen überrumpelt. Er stand unsicher vor dem König. »Wir sind alle deine Diener, König«, sagte er. »Wir dachten ...« Jellis unterbrach ihn mit einem kurzen Nicken. »Dieses Schiff ... wie ist sein Name?« »Meleqa von Lithig«, antwortete Liglin stolz. »Die Meleqa von Lithig steht ab sofort unter meinem Kommando«, erklärte Jellis. Er griff nach Jaggars Arm. »Kapitän Jaggar ist mein Stellvertreter. Seine Anordnungen sind ohne Widerrede zu befolgen.« Erstauntes Raunen ging durch die Männer der Meleqa. »Jaggar?« entfuhr es Liglin. »Der Verräter ...?« Er griff unbewußt nach seinem Schwert. »Ja«, erwiderte Jellis. »Jaggar, der Verräter. Aber wenn einer es wagen sollte, dieses Wort in den Mund zu nehmen, wird es sein letztes sein!« Er schwankte. Er preßte seine Fäuste an die Stirn. »Bringt mich hier weg«, sagte er beinahe flehend. Sein Blick verschleierte sich. Die Männer wichen entsetzt zurück. Sie wußten nicht, was mit dem König geschah, aber sie spürten instinktiv, daß etwas Dämonisches vorging, etwas Gespenstisches. Als wären zwei Seelen in ihm, die
miteinander rangen. »Das ist Serphats Werk!« rief Jaggar. »Rasch, in die Kajüte. Wir müssen ihn festbinden, bis er wieder frei ist. Es mag sein, daß er über die Reling springt oder Amok läuft ...!« »Festbinden?« schrie der Kapitän. »Den König festbinden?« Jellis begann sich zu wehren. Jaggar und Moraq nahmen ihn in die Mitte und führten ihn auf die Kajüte zu. Er fluchte innerlich. Das war der ungünstigste Augenblick für einen Angriff des Priesters. Der Kapitän fing erneut an, die Lage mißzuverstehen. Wahrscheinlich glaubte er, der König wäre in seiner, Jaggars Gewalt. Aber jetzt blieb keine Zeit, nachzudenken. Sie schoben den König in die Kajüte, während Daraq und die beiden Männer Jaggars ihnen den Rücken deckten. Die Mannschaft begann sich drohend zusammenzurotten. Jellis begann sich immer mehr wie ein Wahnsinniger zu betragen, während die beiden ihn in der Koje festzubinden versuchten. Er schrie und biß, und Schaum trat vor seinen Mund, als wäre er krank. Jaggar gebrauchte seine Faust. Er schlug mit zusammengebissenen Zähnen zu. Die Gestalt wurde schlaff. Die Züge entspannten sich augenblicklich. In dem Augenblick, da er die Besinnung verlor, hörte
auch die Kontrolle des Priesters auf. Jaggar atmete auf. Das war wenigstens etwas. Er fing an, für die kleinen Dinge dankbar zu sein. Sie banden ihn fest und waren kaum fertig, als Daraq hereingestürmt kam. »Käpt‘n! Sie werden uns angreifen ...!« Durch die offene Kajütentür sahen sie die Männer der Besatzung herankommen. Langsam und noch ein wenig zögernd. Aber mit blanker Klinge. Jaggar nahm den Dolch, den er dem König abgenommen hatte und drückte ihn mit der Schneide an Jellis‘ Kehle. Er sah auf, als seine beiden Männer hereinkamen und die Besatzung durch die enge Tür zu quellen begann. Moraq griff entschlossen zu einem runden, niedrigen Hocker, den er an einem Bein wie einen Schild hielt, in der anderen Hand einen Dolch. Als sie den Dolch an der Kehle des Königs sahen, wollten sie zurückweichen, aber die hinter ihnen Kommenden schoben mit aller Gewalt herein. »Einen Schritt noch, und es fließt Blut«, sagte Jaggar ruhig. Ein Tumult begann, als die vordersten mit aller Gewalt zurückdrängten. Plötzlich torkelte einer aus der bereits halb im Raufen begriffenen Besatzung. Liglin. Er starrte bleich auf Jaggar und den zu sich kommenden König.
»Nun, wie ist es, Liglin«, fragte Jaggar drohend ... Willst du den König haben?« »Ja. Jaggar«, erwiderte der Kapitän zähneknirschend. »Aber nicht tot ...« »In deiner Hand wäre er tot besser aufgehoben«, meinte Jaggar. »Was willst du damit sagen, du ...« Das Wort Verräter lag ihm sichtlich auf der Zunge. Aber etwas an dem erwachenden Blick des Königs ließ ihn stocken. »Das mag er dir selbst sagen, wenn die Flotte weit genug fort ist. Vorerst lautet des Königs Befehl, daß du meine Befehle befolgst. Und er hat ihn noch nicht widerrufen. Bring uns zu meinem Schiff zurück. Moraq, geh an Deck und wache darüber, daß keine Signale ausgetauscht werden. Und nimm meine beiden Männer mit. Daraq bleibt hier!‘ »Gut. Käpt‘n.« Moraq und Jaggars Männer verschwanden, und Kapitän Liglin mit ihnen, um seiner Mannschaft klarzumachen, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als zu gehorchen. Vorerst. Aber seine Blicke ließen keinen Zweifel darüber, daß er abrechnen wurde.
5.
Am Tag sah alles anders aus. Wigor blinzelte in der Sonne, als er den Palast verließ. Der König war im Hafen, und zu ihm wollte er. Es sollte eine Hochzeit geben, noch vor dem Angriff, und dazu wollte er des Königs Segen. Das war eine große Ehre, die ihm in Deyman viel Ansehen verschaffen wurde. Er war zwar keiner, den die Standesdünkel plagten, aber die Gelegenheit war günstig. Der König schien ihm gut gesinnt, und außerdem- wenn er an des Königs Seite focht, warum sollte er nicht auch an des Königs Seite heiraten? Sela bedeutete ihm viel. Er spürte es mit jeder Faser seines Körpers. Die vergangene Nacht mit ihr war etwas, das sich tief in sein Herz und seinen Verstand geprägt hatte. Und symbolisch, ja, symbolisch, dachte er, hatte sie ihm seine Seele genommen. Auf eine wunderbare Weise war er ihr verfallen. Aber war das nicht bereits auch vorher so gewesen? Als er mit ihr von Kapitän Jaggars Schiff floh? Hatte er da nicht auch bereits das übermächtige Verlangen gespürt, sie in den Armen zu halten? Wäre er wahrhaftig ohne sie geflohen? Nein, er liebte sie ... seit ... vielleicht seit dem Augenblick, da er sie zum erstenmal sah. Es war nichts wirklich Magisches an diesem Seelenraub, dem die Iquani-Mädchen soviel Bedeutung beizumessen schienen. Doch, es war
magisch, aber nicht auf dämonische Weise. Wenn diese Liebe Ketten waren, nun gut, dann war sie leichter zu tragen als manche Freiheit. Daß Sela nicht dulden wollte, daß er an der Seite des Königs focht, war eine keineswegs ungewöhnliche weibliche Einstellung. Welche Frau ließ ihren Mann gern in den Krieg ziehen. Dazu kam ein wichtiger Punkt, der ihm selbst einige Kopfzerbrechen bereitete. Er würde gegen Selas Vater und gegen Kapitän Jaggar kämpfen müssen. Was geschah, wenn er tatsächlich Jaggar gegenüberstand? Würde er zustoßen? Oder Selas Vater. König Jellis, an dessen Blut er nun teilhatte? Er schob den Gedanken beiseite. Dieser Umstand würde wohl kaum eintreten. Der Zufall wäre zu groß. Sein Platz war hier. Seine Heimat war bedroht. Sein König rief ihn. Nichts würde ihn davon abhalten, in der Verteidigung Myras seinen Mann zu stehen. Auch nicht seine geliebte Sela. Es war ihr Vater, der den Krieg begann mit oder ohne den Priester. Er wußte, daß Sela anders dachte, daß eine Iquani nicht wie eine gewöhnliche Frau denkt. Aber er glaubte, daß er sie letztendlich überzeugen konnte, daß es für sie beide jetzt keinen Weg zurück ins Meer gab, aus dem sie gekommen waren. Ganz abgesehen davon, daß kein Schiff Myra im Umkreis von zwei Tagesritten verlassen konnte, ohne daß die Späher der
Wassermenschen es bemerkt hätten. Und sie ließen keines der Schiffe durch. Niemand durfte das Gebiet um Myra verlassen. Nicht das unbedeutendste Fischerboot wurde außer acht gelassen. So lautete des Königs Anordnung. Niemand sollte die Flotte warnen können vor der Falle, die man emsig vorbereitete. Während er die gewundene Straße des Glanzes in das Hafenviertel hinabritt, kam ihm etwas in den Sinn, das ihn trotz der warmen Luft frösteln ließ, obwohl er sich dabei einen Narren schalt. Irgendwo in dieser Nacht mit Sela war ein dunkler Punkt. Da war immer ein Gefühl der Panik, wenn seine Gedanken in diese Richtung wanderten. Eine instinktive Furcht. Irgend etwas war geschehen, das er nicht verstand, oder besser, an das er sich nicht zu erinnern vermochte, so sehr er es auch versuchte. Es mochte ebensogut ein Traum gewesen sein. Aber etwas in ihm wollte sich mit dieser einfachen Erklärung nicht zufriedengeben. Augen hatten etwas mit dieser Furcht zu tun. Dunkle Augen. Selas Augen? Er erreichte die Kais und sah sich staunend um. Der Hafen bot ein ungewöhnliches Bild. Die großen Schiffe der Flotte waren alle ausgelaufen. Dennoch wirkte der schmale, lange Meeresarm alles andere denn leer. Kleinere Segler wechselten wie Fähren von einem
Ufer zum anderen. Große Flöße aus gewaltigen Stämmen hatten Schleudermaschinen geladen, dazu Geschosse und Taue, Ölfässer und Wasserbehälter. Dutzende dieser Maschinen wurden herangeschafft und gut getarnt an den steilen Hängen beidseitig des Hafenbeckens aufgestellt. Für die feindliche Flotte würden sie selbst für scharfe Augen bis zum Einsatz unsichtbar sein. Dann allerdings würden sie große Gesteinsbrocken und Feuerbrände auf die Schiffe hinabschleudern. Steinlawinen wurden aufgeschüttet die mit einem Axthieb in Bewegung gesetzt werden konnten. Die ganze Stadt war an den Arbeiten beteiligt. Jeder, der eine Axt nicht nur zum Kämpfen zu verwenden wußte, wurde gebraucht. Und jeder half bereitwillig genug. Sie wußten, daß es um ihr Leben ging. Und des Königs Plan war gut. Nicht ein Stein Myras würde vom anderen gerissen werden, wenn er Erfolg hatte. Wigor sah auch, daß ein Großteil des Heeres aus dem Osten der Stadt heranrückte. Ein Teil würde wohl die Flotte bemannen, die zwar genügend Seeleute und Ruderer hatte, aber zu wenig Krieger, um volle Manövrierfähigkeit und Kampfkraft zu haben. Faszinierend zu beobachten waren die Tainu, die mit ihren Delphinen und den kleinen Wassergleitern die wichtigsten und schnellsten Helfer im Hafen waren. Sie sprangen mit halsbrecherischer
Behendigkeit über die Wellen. Es hieß, daß der König eine ganz besondere Verwendung in der Schlacht für sie hätte, eine, die sie ihm selbst vorgeschlagen hatten, eine zudem, die ihm große Zuversicht gab. Noch immer war von den Tainu-Spähern keine Nachricht gekommen. Das bedeutete, daß wenigstens noch der ganze Tag und die folgende Nacht Zeit für die Vorbereitungen blieb. Wigor riß sich los von dem Anblick des regen Hafens und begann sich gezielt umzusehen. Wo sollte er den König finden? Aber er spürte, daß es nicht schwer sein würde. Er brauchte nur abzusitzen und weiterzugehen. Etwas würde ihn direkt zum König führen. Das war ein höchst verwunderlicher Gedanke, und Wigor lächelte innerlich darüber, aber der Gedanke kam beharrlich wieder. Er spürte einen deutlichen Drang, abzusteigen und auf eines der Schiffe zuzugehen. Er schüttelte den Kopf. Was sollte der König dort ...? Aber dann sah er ein Mädchen in hellen Röcken über die Laufplanke rennen und auf dem Kai warten. Er erkannte sie sofort wieder. Das war Yina, die immer in der Nähe des Königs anzutreffen war. Der König konnte also nicht weit sein. Gleich darauf kam auch Dragon vom Schiff und schritt an Yinas Seite auf wartende Pferde zu. Hinter ihnen kam der schwarzhäutige Krieger aus Shi-but,
den Wigor schon bei der Besprechung bemerkt hatte. Er schien seine Leibwache zu sein. Das erschwerte alles ein wenig, aber er brauchte nur Vertrauen in seine Kraft. Die Überraschung war auf seiner Seite. Er kam nicht mehr dazu, über diesen seltsamen Gedanken nachzudenken. Er sprang in den Sattel und trieb sein Pferd an. In gestrecktem Galopp raste er auf die Gruppe zu und fühlte mit einem Mal einen Dolch in seiner Faust. Als er heran jagte, drehte das Mädchen sich plötzlich herum. Sie rief etwas – etwas, das dem König das Leben rettete. Denn Dragon duckte sich, und Wigors Dolch stieß ins Leere. Einen Augenblick war ein schmerzliches Gefühl des Versagens in ihm und etwas Tröstendes. Dann fühlte er sich umklammert und aus dem Sattel gerissen. Er sah schwarze Arme, die ihn wie in einer Zange hielten. Dann kam der steinerne Boden auf ihn zu. Der Aufprall brachte die ganzen widerstreitenden Empfindungen und Gedanken in ihm zum Erlöschen. Als er erwachte, fand er sich in einem kleinen Raum wieder, vor dessen Eingang ein Soldat mit einer Lanze stand. Auf Wigors Stöhnen warf er einen Blick hinein. »Endlich wach«, murrte er. »Wenn‘s nach mir gegangen wäre, hätten die Fische an dir was zu beißen gehabt. Aber unser König, die Götter mögen ihn uns
lang erhalten, hat ein verdammt weiches Herz. Er meinte, mit dir wäre nicht alles richtig. Scheint mir auch so.« Er wandte sich wieder nach draußen, ohne eine Antwort des Gefangenen abzuwarten. »He, Jagor, du kannst die Kleine benachrichtigen. Der Messerstecher ist aufgewacht.« Die Wache schien wenig Liebe für ihn zu hegen. Was war nur geschehen? Wigor versuchte sich zu erinnern. Er war auf dem Weg zum Hafen gewesen. Wußten sie nicht, wer er war? Warum hatten sie ihn hier eingesperrt? Sein Kopf schmerzte, und seine Unterarme waren notdürftig verbunden. Hatte es einen Kampf gegeben? War etwa schon die Schlacht vorbei? Er hatte gehört, daß es Männer gab, die im Kampf verwundet wurden und ihr Gedächtnis verloren. War er nun einer von ihnen? Wohl kaum. Den Worten der Wache nach zu schließen, mußte er viel eher ein Verbrechen begangen haben. Er zermarterte sich eine Weile vergeblich sein Gehirn, bis sich Schritte näherten, und ein Mädchen eintrat. Yina, die Begleiterin des Königs. Als sie seine Verwirrung sah, schüttelte sie traurig den Kopf. »Herr Wigor«, sagte sie vorwurfsvoll, »was habt Ihr da nur angestellt?« »Ja«, sagte er heiser, »was ... was habe ich denn
angestellt?« »Wißt Ihr es denn nicht?« »Nein«, erwiderte er gequält. Sie starrte ihn einen Moment lang an, dann nickte sie, als begriffe sie, was geschehen war. Offenbar zweifelte sie nicht an seiner Antwort, so unglaublich sie auch klingen mußte. Sie ballte ihre kleinen Fäuste. »Wenn ich Euch nur helfen könnte ... Wenn ich Euch nur irgendwie schützen könnte ...« »Schützen«, meinte er verständnislos. »Wovor?« »Vor Euch selbst, Herr Wigor. Und vor dem, was sich in Euch eingenistet hat. Ihr habt heute morgen versucht, den König zu ermorden.« Wigor wurde bleich. »Ich habe waaaas ...?« Sie nickte. »Irgend etwas warnte mich, und ich sah Euch rechtzeitig kommen. Ubali hat Euch vom galoppierenden Pferd gerissen. Es war sein Meisterstück.« Ihre Anerkennung schwand rasch und machte der Traurigkeit wieder Platz. »Und was geschieht jetzt?« fragte er. »Onkel Dragon ... der König will mit Euch sprechen. Kommt mit, Herr Wigor. Und habt keine Furcht, ich werde für Euch sprechen ... das heißt, wenn Ihr mich als Eure Fürsprecherin annehmt ...?« Sie lächelte und schritt voran. Mehrere Wachen
folgten. Menschen blieben stehen und starrten ihn an. Es war ihm, als müsse er versinken. Sie befanden sich im Hafengebiet. In einem Schiff am Kai erwartete der König sie. Er war allein. Sie fanden ihn über Pläne gebeugt. Er musterte Wigor prüfend. Die Zerknirschung des Jungen entging ihm nicht. Er warf einen fragenden Blick auf Yina. Diese nickte. »Alles deutet darauf hin, daß meine Vermutung stimmt. Da er sich nicht erinnert ...« »Bist du dessen sicher, Yina? Sagtest du nicht, es wäre dir bei ihm nicht möglich, so etwas festzustellen ...?« »Das ist es auch nicht«, gab das Mädchen zu. »Aber ich bin dennoch sicher, daß er die Wahrheit sagt ...« »Du darfst dich nicht von freundschaftlichen Gefühlen leiten lassen.« Yina nickte. »Das tu ich auch nicht, Onkel, aber Herr Wigor ist unschuldig.« »Ja«, entfuhr es Wigor in impulsivem Einverständnis. Er hatte noch gar nicht daran gedacht – aber nun, da das Mädchen es sagte, gab es gar keinen Zweifel mehr. Er war unschuldig. Erstaunt lauschte er, wie das Mädchen fortfuhr. »Es ist Selas Werk, Onkel.« Dragon runzelte die Stirn. »Dann stimmt es also, daß die Iquani-Mädchen ihren Geliebten die Seele rauben,
damit er ihnen gehorsam bleibt bis zum Tod?« »Nein, ich glaube, es stimmt nicht ganz«, widersprach Yina. »Soviel ich mitbekam«, dabei wurde sie ein wenig rot und vermied es tunlichst, Wigor anzusehen, »... ist das mit der Seele nur symbolisch zu nehmen – was die Leute von ihnen glauben, weil sie es nicht besser wissen ...« »Was ist es dann?« fragte Dragon. »Ich glaube, die Iquani nehmen den Männern nichts weg, sondern sie pflanzen ihnen etwas von sich ein ... in ihren Geist. Damit können sie dann ihren Willen beherrschen.« »Aber wie ...«, begann Dragon. »Mit der Kraft ihrer Augen«, erklärte das Mädchen. »So wie Arzan Shor es bei mir gemacht hat«, murmelte Dragon nachdenklich. »Wahrscheinlich.« Das Mädchen nickte. »Wollt Ihr damit sagen, mein Fräulein«, brach es aus Wigor hervor, »daß Sela mir befahl, den König zu töten ...?« »Ja«, sagte Yina traurig. »Warum sollte sie den Tod König Dragons wünschen?« rief er. Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Vielleicht, weil der König Euch seine Gunst geschenkt hat, weil Ihr an seiner Seite kämpfen wollt –
gegen ihren Vater ...« »Das wißt Ihr?« entfuhr es Wigor. Yina nickte. »Wir wissen eine ganze Menge«, erklärte Dragon. »Von den Tainu. Sie haben starke Geisteskräfte, denen nicht vieles verborgen bleibt. Sie sagen auch, daß die Iquani nicht ganz menschlich sind. Sie meinen, daß sie von den Göttern stammen, die vor vielen tausend Jahren auf die Erde kamen und sich mit irdischen Frauen vermählten ...« »Legenden ...«, meinte Wigor. Dragon nickte. »Ja, vielleicht. Aber sie würden die Kräfte erklären, die die Iquani besitzen. Aber all das ist jetzt unwichtig. Betrachtet es als ein Zeichen unseres guten Willens und unseres Vertrauens, Herr Wigor, daß wir Euch nach dieser Tat weder bestrafen, noch in den Kerker werfen. Da wir aber fürchten müssen, daß der Vorgang sich wiederholen könnte, muß ich Euch überwachen lassen und muß Euch bitten, Ubalis Gegenwart bis auf weiteres zu dulden.« Wigors Gesicht war anzusehen, daß ihm das gar nicht gefiel, aber er widersprach nicht. Er schien einzusehen, daß er sich dem Willen des Königs wohl beugen mußte, nach allem, was geschehen war, wenn er nicht sein Vertrauen verlieren wollte. Während er mit Ubali das Schiff verließ, in dem König Dragon vorübergehend sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, schlich sich ein anderer Gedanke
in sein Herz, der noch wesentlich schmerzlicher war: Wenn es stimmte, was sie sagten, daß es Selas Wille war, daß er den König ermorden sollte, dann bedeutete ihr sein Geschick wenig oder gar nichts. Wäre Zogor noch König gewesen, dann hätte den Meuchelmörder auf der Stelle sein Schicksal ereilt. Sela schien nicht davor zurückzuschrecken, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Er zweifelte nicht, daß etwas Fremdes in ihm war. Er hätte nie selbst den Dolch erhoben gegen einen Mann, der mit dem Rücken zu ihm stand. Das Etwas in ihm hatte weniger Skrupel. Konnte es wirklich Sela sein? Er mußte Klarheit haben. Der König hatte recht, es konnte jederzeit wieder geschehen. Er hatte keinen ruhigen Augenblick mehr. Entschlossen wandte er sich an seinen schwarzen Begleiter. »Du heißt Ubali?« Der Schwarze nickte grinsend. Er schien keinen Groll gegen ihn zu hegen. Wigor atmete auf. »Hältst du mich für einen Mörder?« fragte er. »Der König sagt, nein«, erwiderte Ubali. Damit schien die Sache auch für ihn geklärt. »Aber du würdest mir eher den Hals umdrehen, als mich entwischen zu lassen, hm?« Das Grinsen des Schwarzen wurde breiter. Es war ansteckend. Wigor konnte nicht umhin, ebenfalls zu grinsen, obwohl ihm nicht danach zumute war. Ubali war ein Kerl nach seinem Geschmack. Furchtlos,
geschickt. Einer wie Jaggar ... Entschlossen wandte er sich um. »Komm, mein schwarzer Freund. Mit Bewachen allein ist nicht viel gewonnen. Wir werden der Sache auf den Grund gehen. Zum Palast!« Ubali nickte. Er war erfreut, daß er nicht einfach hinter dem Jungen herzustapfen brauchte. Dieser Wigor war ein Mann der Tat. Und für Taten war Ubali immer zu haben. Sie gingen zu den Pferden und ritten durch das Hafenviertel zur Straße des Glanzes. Viele Menschen waren hier nicht unterwegs, nur ein Karren kam, mit dem alle Tage Wein und Fleisch und Brot und allerlei andere Dinge in den Palast gebracht wurden. Als sie den halben Weg zum Palast hinter sich hatten, fühlte Wigor eine verwirrende Betäubung in seinem Kopf. Instinktiv erinnerte es ihn an eine Empfindung, die er heute schon einmal erlebt hatte. Er wußte nicht wo, aber er hatte plötzlich Angst. »Ubali!« rief er und wandte sich um. Sein Gesicht verzerrte sich. Ubali sah es und handelte sofort. Er trieb sein Pferd vorwärts, um Wigor zu halten. Aber der trieb im selben Augenblick seinem Pferd die Fersen in die Weichen, daß es sich aufbäumte und die steile Serpentinenstraße vorwärtsraste, als wäre der Teufel hinter ihm her. Ubali, obwohl ein ausgezeichneter, ja, vielleicht
sogar der bessere Reiter der beiden, hatte Mühe, dranzubleiben. Den jungen Wigor schien seiner Meinung nach ein Dämon vorwärtszutreiben. So war es auch. Er nahm nicht mehr wahr, was um ihn geschah. Etwas hatte von ihm Besitz ergriffen. Etwas rief ihn. Etwas, wogegen er sich nicht zu wehren vermochte, das ihn völlig für sich beanspruchte. Etwas, das seine Hilfe brauchte. Ubali sah verblÜfft, daß Wigor nicht die Straße zum Palast nahm, sondern hinter dem Kamm des Berges verschwand. Es war ein halsbrecherischer Ritt, der selbst Ubali die Zähne zusammenbeißen ließ. Wigor verließ die Straße und nahm einen schmalen Pfad den Berg der Könige hinab, ohne seine Geschwindigkeit merklich zu vermindern. Unten erreichten sie die Straße, die in den nördlichen Hafen Myras führte, den ältesten Teil der Stadt. Es war die Straße der Henker, die direkt auf den alten Richtplatz mundete. Hier standen auch die ältesten Häuser- seltsam verschnörkelte, schlanke, turmartige Häuser aus einer Zeit vor den großen myranischen Königen, die noch von alten Völkern kündeten, die hier vor den myranischen Eroberern lebten. Auch die verfallenen Tempel waren fremdartig und beherbergten Götter und Altäre, zu denen seit Jahrhunderten niemand mehr betete.
Obwohl viele diesen Ort mieden und abergläubische Scheu davor empfanden, war er nicht unbewohnt: ein Viertel, das allen jenen Unterkunft bot, die den Hunger mehr fürchteten als die alten Götter. Auch in diesem Stadtteil waren die Vorbereitungen für den Empfang der feindlichen Flotte bereits weit gediehen, und niemand hatte in diesen Stunden wohl viel Zeit, an die alten Götter und Dämonen zu denken. Ein Großteil des Heeres benutzte die Straßen, um die Nordküste des Hafenarmes zu erreichen und dort die Stellungen zu beziehen, wie der König mit Hilfe Parthos und der Daikane und ihrer Vertreter festgelegt hatte. Wigor kümmerte sich wenig um die Menschen auf den Straßen. Manch einer, der nicht schnell genug zur Seite sprang, machte Bekanntschaft mit dem harten Pflaster und dem Schmutz, mit dem der spärliche Regen nicht fertig wurde. Ubali konnte es sich nicht leisten, langsamer zu sein. Aber er hatte als der Verfolger den Vorteil, daß die Straßen bereits frei waren. Es war ein bereits bekanntes Gebäude, vor dem Wigor aus dem Sattel sprang ... Arzan Shors Turm – aus dem sie den König befreit hatten. Das lag erst ein paar Tage zurück. Ubali nahm sich keine Zeit für verwunderte Überlegungen. Er eilte hinter Wigor die schmalen
Treppen hoch. Von oben kam ein knirschendes, brechendes Geräusch. Dann ein wütender Aufschrei. Und gleich darauf eine weibliche Stimme voller Triumph: »Töte ihn! Töte ihn, mein Geliebter!« Ubali erreichte die Tür, die Wigor eingeschlagen hatte, und sah ein gefesseltes Mädchen auf einem schweren, altarartigen Tisch. Es war Sela, die sich in ihren Fesseln krümmte, um zu sehen, was hinter ihr vorging. Immer wieder stachelte sie Wigor zum Töten auf. Ubali stürzte auf die beiden ineinander verkrallten Männer zu und stieß sie mit der ganzen Wucht seines gewaltigen Körpers zu Boden. Die Kämpfenden prallten zurück und stürzten. Aber Wigors Fäuste gaben den Schwarzgekleideten nicht frei. »Das Mädchen!« kreischte Wigors Gegner. »Sie lenkt ihn!« Ubali verstand nicht, was es bedeutete – nicht den wahren Sinn. Aber er sah, daß die Rufe des Mädchens Wigor aufstachelten. »Töte ihn, Wigor! Töte! Töte!« Und Wigor verdoppelte seine Anstrengungen. Er schleuderte den eingreifenden Ubali wie ein Kind zur Seite. Er hatte keine Waffe bei sich, aber seine Fäuste bearbeiteten seinen schwarzgekleideten Gegner, die nur auf eines hindeuteten- er wollte ihn töten! Benommen sah Ubali die verzerrten Züge Wigors.
Er war von Sinnen. Da dämmerte Ubali die Wahrheit. Was er von Yina und dem König gehört hatte, kam ihm in diesen Augenblicken in den Sinn. Das Mädchen! Sie mußte die treibende Kraft sein. Sie besaß Wigors Seele. Das war es wenigstens, das er mitbekommen hatte. Er zögerte nicht länger. Er sprang zum Tisch, faßte das Haar der sich Windenden und drehte ihren Kopf zur Seite. Ein spitzer Schrei entrang sich ihren Lippen. Gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln, wie Wigor von seinem Gegner abließ und sich aufrichtete. Sein irrer Blick richtete sich auf Ubali. Mit einem raschen Schlag gegen die Schläfe brachte er das Mädchen zum Schweigen. Sie sank zusammen. Stille herrschte einen Augenblick in dem Raum, und nach dem Schreien und Brüllen und Kampflärm wirkte sie unnatürlich. Wigor war mitten in der Bewegung erstarrt. Seine Augen weiteten sich. Entsetzen kam in seine Züge. »Ubali ...«, murmelte er. »Was ist ...?« Erleichtert grinste Ubali ihm zu. »Eine Hexe«, sagte er einfach und deutete auf die bewußtlose Sela. »Sollten sie töten!« Wigor sah ihn groß an. »Nein!« rief er und sprang auf Sela zu. Er stellte sich schützend vor sie. »Sie mag an all dem schuld sein, aber ich liebe sie nun einmal ...« Ubali schüttelte den Kopf. »Ihr mordet Herr ... auf ihr Geheiß. Niemand sonst.«
Bevor Wigor antworten konnte, begann sich der Schwarzgekleidete zu regen und erhob sich mühsam. Den spitzen Bart, die stechenden Augen, das dunkle Gesicht ... Ubali glaubte auf Grund der Erzählung Dragons zu wissen, wen er vor sich hatte. »Arzan Shor«, rief er und griff zum Messer. Der nickte und hob abwehrend die Hände. »Ja, ja, ich bin es. Woher du auch immer meinen Namen weißt, schwarzer Bruder ...« »Kein Bruder«, sagte Ubali drohend. Wigor, der merkte, daß Ubali gründliche Arbeit geleistet hatte und all sein Streicheln die bewußtlose Sela nicht zu sich brachte, ließ von ihr ab und versuchte, seinen schwarzen Freund zu beruhigen. »He! Hört auf zu streiten!« Er wandte sich Arzan Shor zu. »Ihr, mein Herr, habt mir einiges zu erklären.« Der Magier nickte hastig. »Aber laßt sie nicht aufwachen!« Er deutete auf das Mädchen. »Und sprecht die Wahrheit! Oder Ihr würdet es bereuen!« sagte er drohend. Arzan Shor schob die Faust beiseite, mit der Wigor vor seinem Gesicht fuchtelte. »Das wiederum würdet Ihr bereuen, junger Freund ...« »Ich glaube nicht, daß ich Euer junger Freund bin«, erwiderte Wigor barsch. Der Magier lächelte. »Das mag sich rasch ändern. Ich kann Euch nämlich helfen ...«
»Ihr könnt mir ...?« entfuhr es Wigor, und Ubali beugte sich interessiert näher. »Euch helfen«, ergänzte Arzan Shor. »Wieder von Eurer Freundin frei zu sein.« Ungläubig starrte Wigor ihn an. »Was wißt Ihr davon?« »Mehr als Ihr denkt. Ich kenne die Kräfte, die ihr innewohnen. Ich besitze sie selbst auch. Das ist der Grund, warum ich sie entführte ...« »Ihr meint«, unterbrach ihn Wigor, »Ihr habt die Kräfte der Iquanis?« »Ich kann Menschen durch die Kraft meines Willens lenken«, erklärte der Magier, »ohne daß sie wissen, was sie tun. Ihr könnt El Dschafar, den Dieb, fragen. Oder auch den König. Und ich brauche dazu weder seine Liebe, noch seine Seele.« Letzteres klang verächtlich. »Aber meine Kräfte haben ihre Grenzen. Durch eine Verbindung mit ihr hoffte ich, meine Macht zu vergrößern ...« »Ihr habt sie aus dem Palast entführt?« Arzan Shor nickte. Er lächelte. »Es war nicht schwer. Sie war tief in Trance, als ich sie fand ...« »In Trance ...?« fragte Wigor verständnislos. »Ein magisches Wort, mein Freund, das bedeutet, daß der Geist tief in einem inneren Sehen begriffen ist. Aber was erkläre ich einem sterblichen Narren die Dinge jenseits der Seele ...«
»Vorsicht, Magier«, knurrte Wigor verärgert, »so unsterblich seid Ihr auch nicht. Die Faust bringt meist den Geist zum Schweigen, bevor die großen Dinge gedacht sind!« Ubali berührte ihn an der Schulter. »Wenn er helfen kann, Herr Wigor ...« »Was wolltet Ihr von ihr?« fragte Wigor den Magier. »Ihr klarmachen, was für eine Zukunft vor uns läge, wenn sie sich mit mir zusammentät ...« »Auf diese Art wolltet Ihr das tun?« Wigor deutete auf das gefesselte Mädchen. Arzan Shor nickte freudlos. »Das war ein Versuch, sie wenigstens dazu zu bringen, daß sie mir zuhörte. Aber sie hatte andere Pläne, und zwar mit Euch. Aber das merkte ich erst, als Ihr zur Tür hereinbracht ...« Wigor konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen. »Und Ihr könnt mich frei machen von dieser Macht, die sie über mich hat?« Der Magier nickte erneut. »Wenn Ihr dafür Euren Groll begrabt ...« »Auch ohne diese Bedingung würdet Ihr es liebend gern tun, oder?« fragte Wigor. »Wenn sie nämlich erwacht, wird sie sich zuerst an Euch erinnern. Ich wette, Ihr seid der erste, den sie mir zu erwürgen befehlen wird ...« Er sah Ubali an. »Aber ich bin nicht nachtragend, und die Sache ist für uns beide von
Gewinn. Was meinst du, Ubali, können wir ihm trauen?« »Ich glaube ziemlich sicher, Herr Wigor.« Dabei ballte er seine mächtigen Fäuste, und seine weißen Zähne blitzten. Arzan Shor starrte ihn bleich an. »Ihr könnt mir trauen, edler Herr. Aber wir sollten rasch handeln ... bevor sie wieder aufwacht ...« »Dann wird Ubali sie noch einmal streicheln.« »Ihr scheint sie nicht mehr zu lieben«, begann der Magier. »Mehr denn je, wenn ich erst frei bin von ihr. Aber sie hat eine kleine Abreibung verdient für das, was sie mit mir getan hat.« »Vielleicht liegt es in ihrer Natur ...« Ungeduldig unterbrach ihn Wigor. »Ich werde es herausfinden. Wie ist es? Was habe ich zu tun?« Arzan Shor trat nah zu ihm. »Seht mir in die Augen.« Er hätte nachher nicht zu sagen vermocht, was geschehen war. Nur an ein Gefühl erinnerte er sich, so als ob jemand durch seine Augen in seinen Schädel gestiegen wäre und etwas sehr Schmerzliches getan hätte. Als er in die Wirklichkeit zurückfand, sah er Ubali über Sela gebeugt, die Hand zum Schlag erhoben, denn das Mädchen kam stöhnend zu sich. Als dieser sah,
daß Wigor und der Magier zum Ende gekommen waren, richtete er sich erleichtert auf. Wigor sah sich verwirrt um. Er fühlte keinen Unterschied. »Hast du gesehen, was er getan hat, Ubali?« Der Schwarze nickte. »Nur tief in die Augen gesehen und gemurmelt. Mächtige Formeln ...« »Aha«, meinte Wigor. »Formeln. Wie ein Wunderheiler! Schwarzkünstler!« Arzan Shor hob drohend die Faust und schüttelte sie. »Das sagt Ihr nicht mir, nicht Arzan Shor, der Königen in die Seele gesehen hat ...!« Eine neue Stimme ließ sie beide herumfahren. Das Mädchen hatte sich in den Fesseln aufgebäumt und starrte die beiden an. Ihr Gesicht war verzerrt vor Anstrengung – weitaus mehr Anstrengung, als für das Aufbäumen notwendig gewesen wäre. »Wigor!« kreischte sie. »Töte ihn!« Aber Wigor fühlte keinerlei Verlangen danach. Ubali entspannte sich, als er es sah. Und Arzan Shor tat, als war das selbstverständlich für ihn. Das Mädchen hingegen sah ungläubig von einem zum ändern. »Warum gehorchst du mir nicht, mein Geliebter?« »Das ist vorbei, Sela«, erklärte Wigor ruhig. »Binde sie los, Ubali.« Er trat zu ihr und drehte ihr Gesicht, daß sie ihn ansehen mußte. »Es gibt jetzt nur noch eine
Macht, die mich an dich kettet – die des Herzens. Und das verdanken wir diesem Meister aller ...« Verblüfft stellte er fest, daß sich der Magier aus dem Staub gemacht hatte. Von der Straße drangen hastige Schritte herauf. Ubali grinste. »Scheint seine Art zu sein. Er lief auch beim erstenmal weg.« Sela sah Wigor bleich an und setzte sich auf, als die letzten Stricke fielen. »Dieser Scharlatan hat wahrhaftig alles ausgelöscht, was du von mir in dir hattest?« »Allerdings, mein Liebling«, erwiderte Wigor. »Und ich bin einigermaßen froh darüber. Das kannst du mir wohl glauben ...« »Oh, ihr Götter!« flüsterte sie. Sie sank zurück auf den Tisch und barg den Kopf in den Armen. »Oh, ihr Götter«, schluchzte sie.
6.
Als der Morgen dämmerte, waren sie bis zur Nachhut zurückgefallen. Kapitän Liglin hatte wohl im stillen beschlossen, abzuwarten, denn er unternahm nichts gegen die Männer der Wellenreiterin. Sie waren weit außerhalb der Flotte gesegelt, um König Jellis aus dem Einflußbereich des
Schlangenpriesters zu bringen, denn Jaggar war fest davon überzeugt, daß mit der Entfernung die Kraft schwand. Er behielt auch recht. Nach und nach fiel alle Benommenheit von Jellis ab. Er konnte freier denken. Ein porgisches Fischerboot begegnete ihnen. Sie mußten sich also bereits auf der Höhe von Porga befinden. Mit gutem Wind würde die Flotte am nächsten Morgen vor Myra stehen. Ein Späherschiff kam näher, erkannte die Meleqa. Die Männer winkten. Sie hatten keinen Verdacht, und sie schienen nichts von den nächtlichen Geschehnissen zu wissen. Jaggar weckte den König aus seinem Schlummer, um ihn von der Lage zu unterrichten. Die Gelegenheit wäre günstig gewesen, das Späherschiff auf ihre Seite zu bringen. Es war an der Zeit, ihre Streitmacht zu vergrößern, denn früher oder später wurden sie sich gegen den falschen König stellen müssen. Jellis fühlte sich völlig frei von jedem Zwang. Serphats Griff war gebrochen, Die Erleichterung in Jaggars Zügen entlockte dem König ein Lächeln. »Später«, sagte er, »wirst du mir berichten, wie das alles geschehen ist.« Er erhob sich und griff nach seinem Waffengurt. Er sah Daraq im Hintergrund der Kajüte und nickte dem Mann zu, der seinen Schlaf mit dem Schwert bewacht hatte.
»Ich habe tapfere Männer um mich und weiß es nicht. Was bin ich nur für ein König! Aber ihr sollt nicht länger allein kämpfen.« »Als erstes«, sagte Jaggar, als sie die Kajüte verließen, »gilt es, Kapitän Liglin zu überzeugen. Er denkt, wir hielten dich gefangen. Er versteht nicht, daß es nur zu deinem Schutz war, daß wir dich festbinden mußten ...« »Ihr mußtet mich festbinden?« fragte der König. »Ja, König. Der Priester hatte dich so fest in seiner Gewalt. Du wolltest über Bord. Es gibt nur eine Erklärung dafür: Er wollte dich töten.« Jellis nickte langsam. »Das mag schon sein. Damals in Candis, als du in den Palast kamst, da glaubte ich dir nur halb. Aber inzwischen hat Serphat seine Maske fallenlassen. Er ließ es mich fühlen, daß ich nach seinem Willen tanzte. Und er wird es büßen.« Kapitän Liglin verlor seine feindliche Haltung weitgehend, als er Jaggar an der Seite des Königs auf Deck sah. Aber er beobachtete Jaggar mißtrauisch. »Käpt‘n Liglin«, sagte Jellis streng. »Hab ich dir nicht befohlen, den Befehlen dieses Mannes Folge zu leisten?« Dabei deutete er auf Jaggar. Liglin nickte unsicher. »Statt dessen bekämpfst du ihn. Bist du von Sinnen?« Bleich antwortete der Kapitän: »Ich wähnte dich in
Gefahr, mein König. Es sah aus, als ...« »Kümmere dich nicht darum. Es sind Teufelskräfte in mir, die nur langsam ihre Wirkung verlieren. Jaggar weiß es. Er weiß auch, wann sie beginnen, und was zu tun ist. Behindert ihn nicht mehr, Kapitän. Er hat mein volles Vertrauen.« »Ja, mein König«, beeilte sich Liglin zu versichern. Er sah noch immer nicht ganz klar, aber er hatte erkannt, daß Jaggar nicht der Schurke war, für den er ihn gehalten hatte. Aber weder der König noch Jaggar hatten Zeit, nachtragend zu sein. Außerdem war beiden klar, daß Liglin nur aus gutem Gewissen so gehandelt hatte und auf des Königs Seite stand. Es galt keine Zeit zu verlieren. Das Späherschiff schien genug gesehen zu haben. Es fiel zurück und nahm Kurs auf Porga. »Wer ist der Kapitän dieses Schiffes?« fragte Jellis. »Larenque«, erwiderte Liglin. Der König nickte. »Einer der Bruderschaft also. Gut. Gebt ihm Signal, längsseits zu gehen. Ich möchte an Bord.« Der Kapitän ließ Klüver- und Besansegel einholen, was die Geschwindigkeit des Schiffes merklich verringerte. Hornsignale machten die Maranqa, so hieß das Späherschiff, auf ein Bord-an-Bord-Manöver aufmerksam.
Von da an schien alles einfach. Die Maranqa stellte sich ohne Zögern in den persönlichen Dienst des Königs. Nach ihr auch zwei Nachhutschiffe, die Sturmvogel und die Meliqa. Sie hatten nun genügend Männer, um auch die Wellenreiterin ausreichend zu bemannen. Qarin war erfreut, sie wiederzusehen. Er hatte schon Angst gehabt, die Gefährten in Ketten in Myra wiederzutreffen. Die kleine Flotte von fünf schnellen Seglern nahm unter der Führung der Schwarzen Wellenreiterin, auf der sich nun auch der König befand, Kurs nach Nordosten, zur Insel Vassor. Für Jaggar war dies ein vertrautes Gebiet. Dorthin hatten seine Beutefahrten ihn oft geführt. Von dort aus gelangte man an einen günstigen Punkt der myranischen Küste, von dem aus Myra zu Pferd in wenigen Stunden erreichbar war. Die Kapitäne hatten anfangs darauf gedrängt, weitere Schiffe auf ihre Seite zu bringen, aber Jellis wollte die Flotte nicht schwächen. »Ihr werdet verstehen, daß es im Grunde völlig gleich ist, wer Myra erobert. Dieser Priester vermag das ebenso gut wie ich. Was ihm an strategischem Verstand fehlen mag, ersetzt er durch andere Eigenschaften. Mit diesem Aufgebot an Schiffen und dem überraschenden Auftauchen der Flotte müßte es mit Quel zugehen,
wenn wir Myra nicht im Handstreich nehmen.« Die Kapitäne nickten. Jaggar nur zögernd. Gewiß, es war eine gewaltige Macht. Aber dieser Dragon hatte nicht nur eine Stadt erobert, sondern das ganze myranische Reich. Er mußte stark sein. Die Dinge wiederholten sich, dachte er ein wenig bitter. Nun stand er wieder vor dem König und warnte ihn. »Es dürstet diesen Priester nach Myra«, fuhr Jellis fort. »Er will es um jeden Preis haben. Er wird alles tun, um es zu erobern. Einen besseren Verbündeten könnten wir uns gar nicht wünschen – bis nach der Schlacht.« Er sah von einem zum anderen. »Solange er sich als der König ausgibt, und seine gestaltwandlerische Fähigkeit macht ihm dies leicht genug, solange gehorchen ihm die Kapitäne der Bruderschaft ohne Disput. Er wird also seine Maske solange wie möglich aufrechthalten, und wir werden sie nicht aufdecken. Aber er wird den Thron Myras nie besteigen. Ich werde es sein. Und keiner wird den Tausch bemerken ...« »Warum erst so spät?« wandte einer der Kapitäne ein. »Warum ein Risiko eingehen, wenn du die Flotte um vieles besser führen könntest? Wäre es nicht möglich, ihn bereits auf dem Schiff ...« »Nein«, entschied der König. »Das wäre das wirkliche Risiko. Jaggar mag ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, an das Flaggschiff
heranzukommen. Die meisten würden in gutem Glauben und Gewissen so handeln wie Kapitän Liglin ...« »Und dann ist noch etwas zu bedenken«, ergriff Jaggar das Wort. »Wir standen diesem Teufel schon einmal auf der Wellenreiterin gegenüber, und später auf dem Boot Moraqs. Es ist zu leicht für ihn, dem Feuer zu entkommen. Er ist der Priester der Schlange, vergeßt das nicht. Und als solcher ist das Wasser sein zweites Lebenselement. Er braucht nur über Bord zu verschwinden. In Myra aber haben wir ihn an Land. Dort mag es eher gelingen, ihn in die Enge zu treiben und sich zu vergewissern, daß nichts den Flammen entkommt.« Nachdenklich fügte er hinzu. »Ich warne immer noch vor einem allzu sorglosen Angriff auf Myra, aber unter den gegebenen Umständen ist des Königs Plan der beste.« Der Wind blieb günstig während der ganzen Fahrt. Sie vermieden die gefährlichen Gewässer der Marakorinseln mit ihren Untiefen und Tangfeldern. Unangefochten erreichten die fünf Schiffe in der Abenddämmerung Vassor, wo sie sich bis Einbruch der Dunkelheit verborgen hielten. Als der Mond aufging, wagte sich die kleine Flotte an die myranische Küste heran. Das Wasser war ruhig, fast glatt, die Nacht unglaublich still. Sie machten nur
geringe Fahrt in dem spärlichen Wind. »Bei Quel«, murmelte der König. »Eine Flaute hat uns noch gefehlt.« Jaggar gab keine Antwort. Leises Plätschern übertönte gelegentlich das Rauschen des Wassers an Bug und Heck. Die vier Schiffe waren nicht mehr als dunkle Flecken hinter ihnen, kaum vom Wasser zu unterscheiden. Jaggar begab sich zum Ausguckposten am Bug. »Was ist da draußen los?« »Nichts zu sehen, Käpt‘n. Ich denke, es sind Haie. Soll eine Menge davon hier geben.« Jaggar nickte. »Halte die Augen offen.« »Sicher, Käpt‘n.« Nach einer Weile hatte er das Gefühl, daß sich ihre Fahrt beschleunigte. Der Bootsmann blickte von der Reling auf und starrte verwundert auf die kaum geblähten Segel. »Käpt‘n«, sagte er, »ich weiß, es ist unmöglich, aber wir machen plötzlich mehr Fahrt!« »Allerdings«, knurrte Jaggar. »Und es gefällt mir so wenig wie dir.« Er begab sich an die Reling und starrte in das Wasser. Zu sehen war nichts. Sollte es hier Strömungen geben? Sie waren ihm bei seinen bisherigen Fahrten in diesem Gebiet verborgen geblieben. Aber es gab keinen Zweifel, sie wurden merklich schneller, und auch die
Richtung stimmte nicht mehr. Er lief zum Steuerhaus. Im Mondlicht sah er plötzlich nasse Fußspuren quer über das Deck. »Was zum ...!« entfuhr es ihm. Irgendwoher kam ein Stöhnen. Er hielt den Atem an und lauschte. Es kam von unter Deck. Er wollte sich der Kajütentreppe zuwenden, als der Steuermann aus seinem Haus kam. »Käpt‘n!« rief er. Jaggar lief auf ihn zu. »Wir sind vom Kurs ab, Mann!« sagte Jaggar barsch, um das Gefühl der Unsicherheit zu verbergen. »Siehst du das nicht?« »Doch, Käpt‘n!« erwiderte der Steuermann keuchend. »Aber das Steuer spricht nicht an. Sieh selbst!« Es stimmte. Jaggar drehte, aber das Schiff behielt seinen Südostkurs bei. Irgend etwas geschah mit ihnen. Die Gefahr schien fast greifbar. Da war eine Bewegung an Deck, zu rasch, um sie genau zu erfassen. Vom Bug her war ein kurzes Aufblitzen zu sehen. Jaggar stürmte an Deck. Als er am Bug angelangte, sah er frische Fußspuren- naß, als wäre jemand aus den Fluten gestiegen und über Deck gelaufen, Wasser um sich sprühend. Der Bootsmann war verschwunden. Von plötzlicher abergläubischer Furcht erfüllt, starrte er um sich. An Deck war alles still. »Steuermann!« rief er
halblaut. Keine Antwort. Er hastete zurück. Es war leer. Das große Rad drehte sich unter unsichtbarer Führung. Die Haare in seinem Nacken begannen sich zu sträuben. Aus den Augenwinkeln glaubte er eine Bewegung zu sehen. Rasch fuhr er herum. Aber das Deck war leer bis auf diese nassen Fußstapfen, die quer über Deck zum Steuerhaus führten. Die Segelstangen knarrten leise an den Masten. Wie in Panik fuhr Jaggar herum. Aber es war nur der Wind. Er sah nach dem Heck. Neues Entsetzen packte ihn. Die vier Schiffe waren verschwunden. »Verrat!« rief er. »Mein König ...!« Eine nasse, kalte Hand legte sich über seinen Mund und erstickte die Rufe. Ein Arm umschlang seinen Körper und preßte seine Arme an seinen Körper. Der Geruch von Meerwasser war das letzte, das seine Sinne wahrnahmen.
7.
Als der erste Schimmer der Morgendämmerung hinter den Hügeln Myras in den Himmel griff, lag die Flotte
in Formation vor dem Kap von Karanya. Seit einer guten Stunde waren zwei Späherboote unterwegs, um den Hafen auszukundschaften und Lotungen vorzunehmen. Merkin, der bärtige Kommandant der Garde, blickte düster in das schwachschimmernde Wasser des Hafens. Noch war nichts zu erkennen, außer den helleren Umrissen des Wassers. Er wandte sich um und musterte den König mit einem tiefempfundenen Mißtrauen. Seit dem Besuch Jaggars und dem Brand auf dem Schiff war mit dem König etwas geschehen. Gewiß war es nichts Neues. Seit der Ankunft des Priesters der Mis in Candis war der König schon seltsam verwandelt gewesen. Aber hier hatte es sich noch verstärkt. Der Priester selbst war seit Jaggars Flucht nicht mehr an Deck gewesen. Es war eine schweigsame Fahrt gewesen während der letzten beiden Tage. Verschlossen wie des Königs Miene war auch die Mannschaft ihrer Arbeit nachgegangen. Der Schlachtplan war besprochen, die Schiffe lagen zum Losschlagen bereit – zum Losschlagen auf einen Feind, der im eigenen Blut erwachen würde aus seiner Ahnungslosigkeit. Der Haß in den Augen und Worten des Königs war es vor allem, der Merkin zu denken gab. Denn es war nicht des Königs Art, zu hassen. Sein Jähzorn mochte
ihn zu manchem hinreißen, aber er hatte nie gehaßt. Die Männer ließen sich auch nicht anstecken davon. Sie waren hier, weil sie sich stark fühlten, weil sie auf Eroberung aus waren, weil sie reiche Beute erhofftenaber nicht, weil sie haßten! Leise Ruderschläge näherten sich dem Flaggschiff. Der König erwachte aus seiner brütenden Starre. Merkin sah eines der Späherboote aus der Dunkelheit auftauchen. Einer der Männer kam an Bord und erstattete Meldung. Tatsächlich schien Myra völlig ahnungslos. Einige Kriegsschiffe lagen im Hafen, auch einige Händler, aber keine abwehrbereite Flotte. »Könnte es eine Falle sein?« fragte Merkin und erntete dafür einen kalten Blick des Königs. »Wenn, dann ist es eine verdammt gute und auf lange Zeit vorbereitet ...« »Wenn sie von unserer Ankunft wüßten, dann würde hier heute keine Seele schlafen«, unterbrach ihn der König ungeduldig. »Sie könnten es nicht früher als ein paar Stunden vor unserer Ankunft erfahren haben und hätten kaum Zeit gehabt, Vorbereitungen zu treffen.« »Trotzdem erscheint es mir verwunderlich«, erwiderte Merkin, »daß keine Flotte im Hafen ist, daß Myra so vollkommen schutzlos daliegen sollte ...« »Da kann ich dich beruhigen, Kommandant«,
meinte der Späher. »Sie hatten ihre Hafenschenken noch auf. Wir konnten einiges erfahren. Sie erwarten Schiffe aus Dan und Nicos. Es scheint ziemlich wichtig zu sein, denn ein Teil der Flotte ist als Begleitschutz unterwegs ...« »Und der Rest?« fragte Merkin mißtrauisch. »Das war nicht zu erfahren. Leider, Kommandant«, meinte der Mann. »Sie muß in der Nähe sein ...«, begann Merkin. »Und wenn schon«, schnitt ihm der König das Wort ab. »Wir haben nicht erwartet, Myra auf goldenen Tabletten überreicht zu bekommen. Natürlich wird es Kampf geben. Doppeltes Glück, daß die halbe Flotte unterwegs ist. So machen wir in Ruhe die eine Hälfte fertig und warten auf die andere. Wie ist die Einfahrt?« »Nicht sehr breit, mein König. Links ist das Wasser zu seicht. Dort ankern auch keine Schiffe ...« »Wie viele nebeneinander?« Der Mann runzelte die Stirn. »Es war sehr dunkel und schwer abzuschätzen, aber ein halbes Dutzend, wenn sie dicht fahren. Aber ich fürchte, da werden die Ruder einander behindern. Drei nebeneinander wären eine sichere Sache ...« »Wir fahren zu sechst«, sagte der König hart. »Das ist gefährlich in der Dunkelheit«, wandte Merkin ein, und der Kapitän pflichtete ihm bei. »Die Schiffe werden sich behindern ...«
»Genug!« sagte der König scharf. »Der erste Schritt ist der wichtigste. Die vordersten Reihen müssen den empfindlichsten Schlag führen. Wir haben nicht den ganzen Morgen Zeit, um einzulaufen. Irgendwo im Osten der Stadt lagert das Urgoriterheer, das uns früher oder später auf den Pelz rücken wird. Zu diesem Zeitpunkt müssen wir die Stadt in der Hand haben. Es wird leichter sein, sie gegen ein Heer zu verteidigen, als sie einem Heer abzunehmen. Zu sechst also. Und laßt keinen mehr etwas über die Dunkelheit sagen. Die Schiffe, die am rechten Ufer ankern, werden uns den Weg leuchten. Gebt das Zeichen!« Lichter flammten auf. Signalmänner schwenkten Laternen und Fackeln. Am Flaggschiff vorbei glitten die großen, dunklen Formen der Galeeren unter dem dumpfen Trommelschlag des Rudermeisters und dem Ächzen der Rudersklaven, dem Geklirr ihrer Ketten und gedämpften Kommandorufen. Sie formierten sich weit voraus in eine Sechserreihe. Eine zweite folgte. Eine dritte, vierte ... Fünf Dutzend Schiffe fuhren in den schmalen Meeresarm, der schließlich in den Hafen von Myra mündete. Dann setzte sich das Flaggschiff in Bewegung. Ein weiteres halbes Hundert Galeeren folgte. Damit glitt ein Großteil von Jellis‘ Macht in den Hafen. Zurück blieben die kriegsuntüchtigen Händlerschiffe, die
rekrutiert worden waren, um den Waffen und Nahrungsnachschub zu tragen, und etwa zehn Dutzend schnelle Segler, die in dem schmalen Hafenbecken zu eingeengt gewesen wären, um viel zu leisten. Ihre Stunde war gekommen, wenn der erste Schlag getan war. Ein Dutzend Galeeren blieben zu ihrem Schutz bei ihnen, für den Fall, daß die myranische Flotte einen Angriff wagen sollte, die Serphat-Jellis nicht sehr schlagkräftig einschätzte, und die Dan wohl nur erobert hatte, weil dieses keinen Widerstand leistete. Merkin sah, wie auf einem der in der wachsenden Dämmerung nun deutlich gegen den östlichen Himmel erkennbaren Berge ein großes Feuer aufflackerte. »Das ist das Leuchtfeuer von Faraun«, murmelte einer der Männer, die mit dem Schwert in der Faust an der Reling standen. »Jetzt haben sie uns entdeckt.« Drinnen im Hafen antwortete ein Feuer. Das Signal war gesehen worden. Nun würden sich die wenigen wachen Augen auf die Hafeneinfahrt richten und es nicht fassen. Der Auftakt zur Panik! Rechterhand hoben sich die felsigen, teils verwachsenen Hänge steil in den Himmel. Hier war kein Landen möglich. Es gab keinen Uferweg. Feuerpfeile zuckten weit voraus in die Dunkelheit zur Rechten. Zögernd erst, dann immer rascher fraßen sich die Flammen in das erste der ankernden Schiffe. Es
wurde zu einer gewaltigen Fackel, die bis in den Hafen hinein leuchtete und die ersten Häuser des Hafenviertels in fahles, flackerndes Licht tauchte. Die Hügel hinter dem Hafen erwachten aus ihrer Düsternis. Zahllose Lichter flammten auf. Merkins Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Der Schwertgriff fühlte sich klamm an in seiner Faust. Das große Erwachen begann. Für viele das letzte. Der östliche Himmel hinter der Stadt wurde heller, rötlich in der Vorahnung des Blutes. Ein Regen von Feuerpfeilen ergoß sich gegen das dunkle Ufer. Zwei, drei, vier Schiffe begannen zu brennen. Die Einfahrt begann taghell zu werden. Das Flaggschiff glitt an dem ersten der brennenden Schiffe vorbei. Der Gluthauch nahm den Männern den Atem. Ein starker Geruch von Oliven lag in der Luft. Dann griff der Kapitän sich plötzlich an die Brust. Zwei Bootsleute neben ihm ebenfalls. Sie taumelten, brachen zusammen- lautlos in dem ohrenbetäubenden Prasseln der Flammen. Merkin sah gefiederte Schäfte aus ihren Körpern ragen. Die Umstehenden hatten es noch nicht begriffen. Selbst der König stand schutzlos auf Deck, hell beleuchtet von dem brennenden Schiff, hinter dem sich die Schützen befinden mußten. An der Reling taumelten die Männer zurück und stürzten, als mähte eine unsichtbare Hand sie nieder. Eine Falle! dachte Merkin. Ihr Götter, es war doch
eine Falle. Er wollte schreien, aber wie gelähmt sah er, wie das Deck plötzlich gespickt war von dunklen Schäften, wie der König gegen den Mast gerissen wurde von der Gewalt der Pfeile. Und sein Grauen wuchs, als er sah, wie der König sich losriß von seinen gefiederten Nägeln, ohne daß Wunden blieben. Aber er kam nicht mehr dazu, über dieses unheimliche Geschehen nachzudenken. Zwei, drei Pfeile bohrten sich mit pochendem Aufschlag in die Planken zu seinen Fußen. Zwei durchbohrten seine Brust und rissen ihn herum wie ein welkes Blatt. Wigor starrte in die Finsternis jenseits des Hafens. Wenn die Tainu recht gehabt hatten, mußte die Flotte bereits da draußen stehen. Aber es war zu dunkel, um irgend etwas zu erkennen. Das Boot, das vor einer Weile im Hafen angelegt hatte, mochten Späher gewesen sein, aber das war von hier aus nicht zu erkennen. Er kauerte hinter den Felsen des Steilhangs. Seine war die dritte Hundertschaft von Männern, die kampfbereit in den Felsen lauerten. Unter ihnen, zwischen den Büschen und vereinzelten Bäumen standen vier der mächtigen Schleudermaschinen und warteten auf das Kommando. Sechs weitere standen bis zum eigentlichen Stadtbeginn, die letzte zwischen
den ersten Häusern. Man würde sie vorrollen, sobald der Feind in Schußweite war. Weitere fünf Hundertschaften sperrten den Uferweg in die Stadt. Aus dem Hafenviertel selbst waren alle Frauen, Kinder und älteren Leute in Sicherheit gebracht worden, mit Ausnahme der Spelunken, in denen noch vereinzelte Mädchen den flüchtigen Beobachter darüber hinwegtäuschten, daß die ganze Stadt ein Heerlager war. Auch das jenseitige Ufer der Bucht war besetzt, und keine Maus würde unbemerkt einen Fuß an Land setzen. »He, laßt los!« hörte er plötzlich eine weibliche Stimme in der Dunkelheit hinter sich. »Von solch trautem Führen war nicht die Rede! Ihr solltet mich lediglich zu eurem Kommandanten bringen.« Selas Stimme! durchfuhr es ihn. Gleich darauf kam das Mädchen zwischen den Felsen hervor, flankiert von zwei Soldaten, die sie mehr oder weniger robust in ihrer Mitte hatten. Sie konnten nicht wissen, daß Sela vermutlich besser kletterte als sie und ihnen wahrscheinlich auch mit dem Schwert überlegen war. Aber Sela hatte ungewöhnliche Geduld mit ihnen. Das mußte Gründe haben. Die beiden Soldaten nickten Wigor zu. »Sie wollte unbedingt zu dir, Kommandant.« »Es ist schon recht. Seid bedankt.« Die beiden zögerten. »Wenn du uns brauchst, um das Fräulein
zurückzubringen ...« »Ich finde den Weg allein«, sagte Sela heftig. »Schon gut, schon gut«, lachte der eine. »Da ist Feuer drin, was?« meinte der andere. Dann machten sie, daß sie wegkamen. Wigor nahm das verärgerte Mädchen in die Arme und zog sie zu sich auf den Boden. »Es ist verrückt, jetzt hierherzukommen«, sagte er. »Jeden Augenblick mag der Angriff folgen ...« »Ich habe mir alles überlegt«, unterbrach sie ihn. »Du liebst mich, und ich gehöre zu dir. Oder hast du inzwischen begonnen, mich zu hassen?« »Nein«, sagte er rasch. »Trotz all der Dinge, die ich ...?« »Nein«, wiederholte er. »Du bist eine Iquani, und du bist anders als die gewöhnlichen Menschen. Ich darf dich nicht mit ihren Maßstäben messen. Es scheint mir, ihr könnt nicht lieben- nicht mit dem Herzen. Ich bin traurig darüber, weil es uns beide trifft. Aber wie könnte ich dich deshalb hassen, wenn ich dich liebe?« Er küßte sie, und sie ließ es willig geschehen. Sie schlang sogar die Arme um ihn. Das war die erste Zärtlichkeit, die sie ihm erwies, seit sie aus Arzan Shors Turm zurückgekehrt waren. »Es ist zu gefährlich, hierzubleiben«, sagte er. »Geh in den Palast zurück, ich ...« »Hältst du mich für ein myranisches Mädchen?« unterbrach sie ihn. »Hast du vergessen, wie wir auf der
Wellenreiterin kämpften? Ich wäre dir eine schlechte Gefährtin, wenn ich jetzt nicht an deiner Seite bliebe. Laß mich an deiner Seite kämpfen! Laß mich es sein, die deinen Rücken deckt! Laß mich so beweisen, daß ich ...« »Daß du mich doch liebst?« fragte er. »Daß du mir soviel bedeutest wie mein Leben«, ergänzte sie. »Vielleicht ist das ein wenig von der Liebe, die du möchtest.« Sie spürte plötzlich ein unwirkliches Gefühl von Geborgenheit, als er sie an sich gedrückt hielt. Es war vollkommen ungewohnt – etwas, das wohl noch keine Iquani empfunden hatte. Das Verlangen, etwas Männliches zu ... sie fand kein rechtes Wort dafür. Aber es erfüllte sie mit einem plötzlichen Drang, sich anzuvertrauen, zu reden ... »Ich bin keine Iquani mehr!« stieß sie hervor, und bevor Wigor es richtig begriffen hatte, fuhr sie fort: »Das, was die Iquani Liebe nennen – daß sie einem Mann die Seele nehmen, um sie für ihre Tochter zu besitzen –, das geschieht nur einmal im Leben eines Iquani-Mädchens. Danach nie wieder. Daß dieser Magier dich mir genommen hat, bedeutet, daß das Kind, das du mir gezeugt hast, nicht sein wird wie eine Iquani Tochter. Ich bin noch zu jung, um es genau zu verstehen, aber die alten Mütter wissen es. Sie sagen, daß ein Teil der Kraft des Mannes während der Schwangerschaft auf die Frau überfließt, und daß sie
mit dieser Kraft das Kind in ihrem Leib formt, so daß es wird wie sie – ihr Ebenbild.« Sie stockte, fuhr dann aber tapfer fort: »Von dir fließt nun keine Kraft über. Ich fühle mich so leer. Ich werde mein Kind nicht formen können. Es wird keine Iquani. Es wird vielleicht nicht einmal ein Mädchen. Es wird nackt und schutzlos sein. Vielleicht werde ich es nicht einmal lieben können. Würdest du es denn lieben? So wie mich?« »Ja«, sagte er einfach, und sie empfand es wundervoll tröstlich. »So wie dich ...« »Auch wenn sie ohne Seele ist?« Sie hielt den Atem an. Er lächelte, aber sie sah es nicht in der Dunkelheit. »Ich glaube viel eher, daß es nun eine Seele bekommen wird. Ich bin sehr froh darüber, was mit uns geschehen ist ...« Eine Weile saßen sie stumm in der Finsternis, aneinandergelehnt. Dann flüsterte Sela: »Ich auch ... eines Tages. Ja, eines Tages, Wigor ...« Das Leuchtfeuer in Faraun flammte auf. »Sie kommen«, murmelte Wigor. Er hatte keine Furcht, aber er fühlte sein Herz wilder schlagen, wie immer vor dem Kampf. Mochten sie kommen, die Teufel aus dem Süden. Er hatte Sela gewonnen. Er würde auch eine Schlacht gewinnen! »Versprich mir eines, mein Geliebter«, sagte Sela.
»Mein Vater wird nicht durch deine Hand fallen, wenn es die Götter wollen, daß du ihm gegenüberstehst.« »Du hast mein Wort. Und versprich du mir eines: Jaggar wird nicht durch deine Hand fallen!« »Du magst ihn?« Sie nickte. Es war eigentlich keine Frage. »Ich auch. Er war der einzige, der meinem Vater zu widersprechen wagte. Ich möchte noch immer wissen, warum er mich auf sein Schiff entführt hat. Er war der einzige außer dem König, der von mir wußte ...« »Es war die beste Tat seines Lebens. Du wärst heute nacht nicht an meiner Seite ohne ihn!« Zwei seiner Männer kamen aus den Stellungen unter ihm. »Sollen wir sie zurückbringen, Kommandant?« »Nein, sie bleibt hier. Wir können jeden Mann brauchen ...« »Mann?« meinte einer. Wigor grinste. »Im Kampf zählt nur die Klinge, Freund.« Er sah aus den Augenwinkeln, wie Sela ihre Röcke abstreifte. Sie trug die Beinkleider der Soldaten darunter und die Stiefel mit dem Eisen an Schienbein und Ferse und über dem Hemd das bis auf die Schenkel reichende Kettenhemd. Aber sie hatte keine Waffen. Die Männer boten sich an, ihr welche zu bringen, und kamen gleich darauf mit einer Klinge und Schild zurück.
Inzwischen hatten unten am Ufer die ersten Kampfhandlungen begonnen. Brennende Pfeile von den Angreifern steckten eines der geankerten Ölschiffe in Brand. »Sie schaufeln sich ihr eigenes Grab«, murmelte Wigor und sah fasziniert die schier endlose Reihe von nun nicht länger gedämpften Lichtern und Fackeln, die in den Hafen glitt. Noch fiel kein menschlicher Laut. Noch hielt alles den Atem an. Weitere Schiffe gingen am Ufer in Flammen auf. Es wurde hell im Hafen. Die Sechserreihen der angreifenden Schiffe waren deutlich zu erkennen. Die Männer standen im hellen Licht. Die ersten Schiffe hatten fast die Kais erreicht, als die Falle in Bewegung kam. Die myranischen Bogen begannen zu singen und pflückten die Krieger auf den Schiffen wie reife Früchte von überladenen Bäumen. Die gleichmäßigen Ruder wurden stockend. Die ufernächsten Schiffe fielen aus der Formation und verkeilten sich mit ihren Nachbarn. Schreie klangen hoch, vermischt mit dem Prasseln und Knacken des Feuers und halb verweht vom Wind. Sie schienen langsam da unten zu begreifen, daß sie in der Falle saßen. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie versperrten einander selbst den Weg. Sie hatten nicht damit gerechnet, umkehren zu müssen. Sie waren auf einen leichten Sieg gekommen.
Aber das war erst der Beginn. Die in den Uferhängen aufgestellten Schleudermaschinen traten in Aktion. Sie warfen schwere Gesteinsbrocken bis in die dritte und vierte Reihe der Schiffe. Das Krachen und Bersten splitternden Holzes erfüllte den Hafen, vermischt mit vielfachen Schreien. Vereinzelte Schleudermaschinen auf den Schiffen warfen Feuerbrände gegen die Uferhänge, und wo sie auf das trockene Buschwerk trafen, begann es lichterloh zu brennen. Aber die Angreifer waren noch immer blind. Sie warfen aufs Geratewohl. In den zerklüfteten Felswänden waren die Verteidiger nur schwer zu sehen. Außerdem blendeten sie die brennenden Schiffe am Ufer, während sie selbst ein deutliches Ziel abgaben. Dann barst das erste der Ölschiffe auseinander, das bis auf den Laderaum niedergebrannt war. Die Flammen schlugen haushoch in den Himmel. Öl aus Dutzenden von Fässern floß zwischen die Angreiferund die Flammen mit ihm. Ein Teil des Hafens war ein Flammenmeer geworden. Dutzende von Schiffen wurden vom Feuer erfaßt und konnten sich nicht mehr befreien. Es fraß mit gierigen Zungen alles, was brennbar war- die Schiffe, die Männer, den Traum vom Sieg. Die Schwerter und Äxte und Schilde sanken auf den Meeresgrund hinab wie in einen dunklen Schlund
hinter dem feurigen Rachen. Einige der Galeeren versuchten, sich auf das andere Ufer zu retten, aber sie blieben im Sand der Untiefen hängen, und das Feuer holte sie ein. Die Haie hatten reiche Beute. Und die wenigen Krieger, die das Ufer schwimmend erreichten, wurden zwischen den Felsen mit scharfen Klingen empfangen. Das zweite und dritte Ölschiff brachen fast gleichzeitig auseinander, und nun brannte beinahe die gesamte rechte Hälfte der Hafeneinfahrt bis Faraun und wetteiferte mit der Helligkeit der ersten Sonnenstrahlen, die auf den Schauplatz des Dramas fielen. Mehr als dreiviertel der feindlichen Galeeren brannten, und die Glut ließ die Männer an den Hängen schwerer atmen. Noch hatte kein feindlicher Krieger den Fuß auf myranischen Boden gesetzt. Jene, die ihren Blick auf das offene Meer richteten, sahen auch jenseits von Faraun schwarzen Rauch in den Himmel steigen. Dort hatte König Dragon mit der myranischen Flotte den zweiten Teil der Candisser Streitmacht angegriffen. Wigor dachte an die Rudersklaven, die in ihren Ketten da unten verbrannten, ohne eine Chance zu haben. Und es erfüllte ihn mit Stolz und Dankbarkeit, daß auf myranischen Schiffen solches Unrecht nicht mehr geschah; daß die Männer das Ruder mit der
Klinge vertauschen konnten, wenn der Augenblick gekommen war. Das Chaos im Hafen hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die wenigen Schiffe, die sich aus den verkeilten hilflosen, brennenden Wracks zu lösen vermochten, sahen nur eine Chance – die Küste zu erreichen und sich dem Feind entgegenzuwerfen. Nicht mehr als ein halbes Dutzend Galeeren erreichten das Ufer. Die Krieger sprangen an Land; rußgeschwärzt tauchten sie aus dem Flammenmeer auf und kamen wie Dämonen aus der Unteren Welt herangestürmt. Eine der aufgehäuften Steinlawinen ergoß sich zwischen sie und begrub die meisten. Dann begannen die ersten Schwerter aufeinanderzuklirren, und der metallische Klang von Schwerthieben auf die runden Schilde hallte über den Hafen. Das letzte der manövrierfähigen Schiffe legte mit einem Brechen von Rudern an Wigors Teil der Küste an. Er hörte, wie Sela den Atem scharf einzog und nach ihrem Schwert griff. Jetzt war der Augenblick des Kampfes gekommenMann gegen Mann. Als die Krieger aus dem Schiff stürmten, gab Wigor Befehl, die Steine loszulassen. Ein Schwert durchhieb ein Seil, und- wie an den anderen vorbereiteten Stellen auch- eine Lawine von Felsgestein begann ins Tal zu
poltern. Aber nur ein kleiner Teil der Angreifer wurde von ihr überrascht. Als der Staub sich legte, sah Wigor, die Angreifer ausschwärmen. Er gab Befehl zum Angriff. Dann stürmten sie hinab. Wigor vergewisserte sich, daß Sela bei ihm blieb. Sie in diesem Kampf zu verlieren, wäre unerträglich für ihn gewesen. Aber sie blieb an seiner Seite, auch als sich ihnen die ersten Gegner in den Weg stellten. Es gab Augenblicke, da waren sie vollkommen von feindlichen Kriegern umgeben. Schon im nächsten aber mochte es sein, daß Wigors Männer tiefe Lücken in die feindlichen Reihen hieben. Schreien und Klirren und der Geruch von Schweiß war um sie; wütende Rufe, Flüche, die Geräusche von Töten und Sterben. Dann standen sie plötzlich vor dem Schiff. Hinter ihnen erklang nur noch vereinzelt Kampf lärm. Das Schiff ragte vor ihnen auf- leer und verlassen. Sie kletterten an Bord. Es lag seltsam tief im Wasser. Als sie unter Deck starrten, sahen sie, daß der Ruderraum voller Wasser war. Die spitzen Felsen mußten den Rumpf aufgerissen haben. Die Rudersklaven waren alle ertrunken. Sie kamen an Deck zurück. Sela deutete auf einen Segler, der scheinbar steuerlos heranglitt. Er mutete seltsam an, denn er war das einzige Segelschiff des Feindes, das in den Hafen gekommen war.
Es war die Seehexe. »Vaters Schiff!« entfuhr es Sela. »Das Flaggschiff?« »Ja.« Sie wich zurück. »Es wird uns rammen!« Jetzt erst bemerkten sie die einsame Gestalt am Bug, halb auf dem Klüverbaum stehend. Als der Bug des Seglers scharrend und polternd die Bordwand der Galeere entlangscheuerte, sprang er. »Vater!« rief Sela, die sofort König Jellis erkannte. Aber der König kümmerte sich gar nicht um das Mädchen. Er schien sie nicht zu erkennen. Sie war auch nicht erkennbar in den Soldatenkleidern, mit dem verrußten Gesicht und dem blutigen Schwert in der Faust. Der König eilte an ihr vorüber. »Vater!« rief sie erneut. »Ich bin es, Sela ...!« Sie stürzte auf ihn zu, als er über die Bordwand an Land klettern wollte, um ihn aufzuhalten. Sie warf das Schwert fort und griff nach ihm. Wigor machte unwillkürlich einen Schritt auf die beiden zu, als Sela mit einem spitzen Aufschrei zurückfuhr und zu Boden stürzte. Wigor lief zu ihr und sah das Entsetzen in ihren Augen. »Er war ...«, stammelte sie, »... kalt wie Eis ...« »Wie Eis?« rief er, als die Erinnerung auftauchte an das nächtliche Erlebnis auf der Wellenreiterin. »Serphat!« stieß er hervor. »Das ist nicht dein Vater
gewesen, Sela. Das war Serphat in seiner Gestalt ...!« Er sprang auf und starrte auf den von Männern schwärmenden Hang. Es war unmöglich, einen einzelnen herauszufinden. Bleich lehnte er sich an die Reling des Totenschiffs. Nun war das Grauen in Myra gelandet. Dragon versuchte den dichten Qualm zu durchdringen. Seine Schiffe standen in weitem Halbkreis vor der Bucht, so daß dem Feind nur die Wahl blieb, in den Hafen zu fahren- aber da hielt der Tod reiche Ernteoder sich zum Kampf zu stellen. Und das tat er – siegessicher mit mehr als zehn Dutzend kampffähigen Schiffen und schnellen Seglern. Aber dann hatte plötzlich ein Alptraum begonnen. Bei Dutzenden von Schiffen gehorchte gleichzeitig das Steuer nicht mehr. Die Schiffe prallten gegeneinander, verkeilten sich auf dem offenen Meer. Manche sanken. Es war ein gespenstischer Anblick, der die Männer mit abergläubischer Furcht erfüllte. Dragons Männer beobachteten es nicht minder fasziniert. Aber sie empfanden keine Furcht. Sie wußten, daß ihre Verbündeten, die Wassermenschen mit ihren Delphinen, am Werk waren und die Steuerruder der feindlichen Schiffe verkeilten.
Dann begann der zweite Streich. Während die feindliche Flotte ihre Schleudermaschinen nicht in Schußstellung zu bringen vermochte, da die Schiffe ihnen nicht gehorchten, begannen Dragons Katapulte einen wahren Feuerhagel auf den in Panik geratenen Feind. Immer mehr der Schiffe gerieten außer Kontrolle. Gleichzeitig mußten sie mitansehen, wie im Hafen der Hauptteil ihrer Kriegsschiffe in Flammen aufging. Sie begannen sich zu ergeben- vereinzelte Schiffe erst, die die Aussichtslosigkeit des weiteren Kampfes einsahen und bemerkten, daß ihnen auch eine Flucht verwehrt war; und nach und nach die gesamte Flotte. Beziehungsweise die Schiffe, die noch von ihr übrig waren. Gegen Mittag erst ließ sich das volle Ausmaß der Verwüstung abschätzen. Von den über hundert Galeeren, die in den Hafen eingedrungen waren, hatte keine den Kampf unbeschädigt überstanden. Die meisten waren verbrannt oder gesunken, viele lagen halb mit Wasser vollgelaufen auf den untiefen Stellen der Hafenbucht. Die Besatzungen der Galeeren waren bis auf etwa hundert Gefangene ertrunken, verbrannt oder erschlagen. Das war mehr als die Hälfte von König Jellis Streitmacht. Beinahe zwei Dutzend
Hundertschaften. Von König Jellis selbst fehlte jede Spur. Wigor und Sela berichteten Dragon von ihrer Begegnung mit dem König, der niemand anderer gewesen sein konnte als der Schlangenpriester Serphat oder – wie Dragon ihn nannte – Cnossos. Cnossos in Myra – kein angenehmer Gedanke. Auch wenn er eben wieder eine Schlappe erlitten hatte. Yina brachte dann die verblüffendste Botschaft von Issola und den Tainu: Fünf Schiffe seien auf dem Weg nach Myra, eines davon die Schwarze Wellenreiterin. Auf ihr seien König Jellis und ein alter Bekannter von Yina: Kapitän Jaggar. Die Schiffe waren in der Nacht von den Tainu gekapert worden und die Mannschaften gefangengenommen. Ihre Gedanken gaben reichlich Aufschluß über die Geschehnisse der letzten Tage.
8.
Jellis blickte düster auf den myranischen König, der nicht einen Fingerbreit von seinen Forderungen abwich. Die Hälfte der verbliebenen Flotte sollte in Myra
bleiben, unter anderem die Wellenreiterin. Wie sollte er mit dem kärglichen Rest an Schiffen die Schlangeninsel verteidigen, wenn es diesen verdammten Kyriern einfallen sollte anzugreifen? Aber man hielt ihm entgegen, daß er sich um diese Frage auch nicht gekümmert habe, als er mit der gesamten Flotte nach Myra aufbrach. Richtig? Richtig. Die Auflösung der Bruderschaft! Welch ein Jammer, diese Geißel des Großen Meeres einfach auszulöschen! Niemand würde mehr ein Piratenschiff von der Schlangeninsel fürchten- weil keine Macht mehr dahintersteckte! Zudem waren es zwei Gründe, daß sein engster Vertrauter ihn verließ. Kapitän Jaggar würde unter Dragons Flagge segeln, mit Wigor zusammen, der sich seine Iquani-Tochter angelacht hatte. Der Junge würde sich noch wundern. Jaggars Abschied war am schmerzlichsten für Jellis. Aber er wußte, daß Jaggar auch an seinem Hof nur die Bruderschaft gehalten hatte, und die Freiheit, die sie ihm garantierte, und das Abenteuer, das er auf den Meeren fand. Dies alles konnte ihm jetzt nur noch Dragon bieten. »Ihr werdet einen Eid schwören, König von Candis«, sagte Dragon fest, »bei der Ehre Eures Königshauses und bei Eurem Leben, daß unter Eurer Regentschaft
künftig weder Ihr noch einer Eurer Untertanen die bewaffnete Hand erhebt wider ein myranisches Schiff oder Leben oder gegen einen Wassermenschen. Vor den hier versammelten Zeugen, Euren Kapitänen der einstigen Bruderschaft, erklärt Ihr Euch selbst für vogelfrei, wenn Ihr Euer Wort brecht. Dann mag Euch jeder einfache Mann töten, jeder Bürger Eures Landes, ohne daß er dafür bestraft wird. Schwört es, Jellis!« Und Jellis schwor- mit zusammengebissenen Zähnen. Dann meinte er: »Aber eines mußt du einsehen, König von Myra, das Volk der Schlangeninsel ist arm. Wenn wir keine Flotte mehr haben, um uns zu nehmen, was wir brauchen, wird unsere Armut ohnegleichen sein. Du kannst nicht verlangen, daß wir auch die Sklaverei abschaffen. Sie ist die Grundlage unserer ...« Dragon unterbrach ihn tadelnd: »Wir wollen nicht verhandeln, König. Ihr habt meine Bedingungen zu ...« Ubali unterbrach den König mit einem warnenden Ausruf. Seine Hand deutete zum Himmel. Über der Stadt schwebte ein ungewöhnlich großer Geier. »Cnossos!« entfuhr es ihm. Auch die anderen starrten nun, während das Tier majestätisch seine Kreise zog- so, als wollte es gesehen werden. Es hielt etwas Weißes in den Krallen, das aus dieser Entfernung nicht zu erkennen war.
Plötzlich schien der Geier der Kreise müde zu sein. Er stieß einen Schrei aus, der triumphierend klang, und verschwand mit mächtigen Flügelschlägen nach Süden. Yina wurde mit einemmal aschfahl. Mit zitternder Stimme sagte sie: »Onkel ... da ist eine Nachricht von Kim aus dem Palast ... Prinz Atlantor ist verschwunden ...« ENDE Die »Bruderschaft des Großen Meeres« mußte kapitulieren, der Kampf um Myra wurde zugunsten des Atlanters entschieden. Dennoch kann auch der Balamiter einen wichtigen Punkt für sich buchen, indem es ihm gelingt, Dragons Kind aus dem myranischen Königspalast zu entführen und den König zu erpressen. Die erste Forderung des Cnossos lautet: »Töte den WÄCHTER DER TOTENKÜSTE« ... WÄCHTER DER TOTENKÜSTE unter diesem Titel erscheint auch der nächste Dragon-Band. Verfasser des Romans ist Ernst Vlcek. Der Roman selbst wird, wie seit Anbeginn der Serie, nach einem Expose von G. M. Schelwokat geschrieben.