OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
ZEIT UND EWIGKEIT Unter diese...
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OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
ZEIT UND EWIGKEIT Unter diesem Titel erscheint in Kürze der Doppelband 21/22 der neuartigen Weltgeschichte. Der Doppelband behandelt das dreizehnteJahrhundert n.Chr. Das Jahrhundert des großen Staufenkaisers Friedrich II., sein Kampf mit der Kirche, stürzt alle Volker des Abendlandes in den erschütternden Konflikt zwischen der Welt Gottes und der des Irdischen. Jäh versinken die Hohenstaufen, aber mit ihnen bricht auch eine Säule der Kuppel, welche die mittelalterliche Menschheit beschirmte. Faustrecht, Auflösung und schwerwiegende wirtschaftlich-soziale Umschichtungen rütteln an den Grundfesten der Zeit. Das Habsburger Kaisertum ist nur mehr ein Schatten einstiger Caes a renherrli chkeit Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Ei kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM 6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert Erschienen ist seit Januar 1951 monatlich ein Band. Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/MÜNCHEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
KIIBT
HEFTE
VETHAKE
Die Brooklynbrücke Aus dem Leben eines großen Brückenbauers
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG SEBASTIAN LUX * MURNAU / MÜNCHEN
Das alte New York
Mr. Kennedy hat es eilig;. . . „Ich muß Sie enttäuschen", sagt Jack Morton zu Mr. Kennedy, dem Allgewaltigen der Pennsylvania-Kanal-Gesellschaft; „aber ich fürchte, die Brücke wird nicht gebaut werden." Der also Angesprochene blickt erstaunt auf. „Das heißt, Sie schaffen es nicht, Mr. Morton!" „Ich fürchte, Sie werden auch keinen anderen finden, der sie Ihnen baut." Um den Mund Mr. Kennedys spielt ein ungläubiges Lächeln. „So —• meinen Sie?" „Glauben Sie m i r , . . . es ist unmöglich, in dieses höllische Wasser Pfeiler zu setzen, die der Last des Kanals und der Kähne standhalten können." Ingenieur Jack Morton tritt ans Fenster des Baubüros. Man kann von hier den Fluß übersehen und die Reste des alten Aquädukts, die hier und da schwarzglänzend aus den Fluten ragen. An beiden Ufern des Allighany erkennt man die tiefen Einschnitte des nun trocken liegenden Schiffahrtskanals, dessen Wasserstraße man vor Jahren auf einer Holzbrücke quer über den Strom geführt hat. Aber das Werk ist zusammengebrochen, kaum daß die ersten Kanalschiffe die Brücke befahren haben.
„Wenn die Pfeiler nichts taugen, so bauen wir die Brücke eben ohne Stützpfeiler, bemerkt Mr. Kennedy leichthin. „Ohne Pfeiler?" Der Ingenieur glaubt nicht richtig gehört zu haben. „Sie wollen den 200 m langen Aquädukt ohne Pfeiler bauen?" Er sieht sein Gegenüber erstaunt an. „Sie wissen selbst, daß dies unmöglich ist!" Der Direktor der Kanalgesellschaft muß zugeben, daß eine solche Spannweite ohne Pfeilerunterstützung aller Erfahrung widerspricht. Es gibt anscheinend keinen Ausweg. Sein Gesicht spiegelt Enttäuschung. „Mit anderen Worten: Wir kommen nicht weiter?" „Ja, es ist schade um jede Minute, die wir mit solchen Ideen vertun", bestätigt der Ingenieur. „Glauben Sie mir . . . ich kenne den Brückenbau in aller W e l t . . . " Seine Bewegung ist beredter als jedes Wort; „Es geht nicht ohne die Strompfeiler." „Wissen Sie auch, was es bedeutet, wenn die Brücke nicht erneuert wird?" fragt Mr. Kennedy. t Der Ingenieur nickt. „Schätze, daß wir den ganzen Kanal wieder zuschütten können.'* „Mehr noch!" stöhnt Mr. Kennedy. „Die Arbeit von Jahren wird umsonst sein. Wer ersetzt uns die Gelder, die wir in das Unternehmen gesteckt haben?" Nachdenklich streicht er über seinen Spitzbart. Seine geröteten Lider zucken. „Wir sind erledigt, wenn wir nicht eine Lösung finden!" Der Ingenieur überlegt. Dann sagt er: „Darf ich meinen Gehilfen Roebling herbeiziehen? Er hat siel» manche Gedanken um das Werk gemacht und manches berechnet und überlegt. An Erfahrung fehlt es ihm nicht. Sah sich gründlich um im Lande und weiß oft einen Ausweg, wo es anscheinend keinen mehr gibt!" Der Direktor nickt. Als Roebling ins Zimmer tritt, blickt Mr. Kennedy überrascht auf. Der junge Mann —• er mag in den Dreißigern sein — schaut keineswegs verschüchtert in die Welt. Ein jungenhaftes Lächeln spielt um seine Lippen. Mr. Kennedy sieht ihn lange prüfend in die Augen. Dann sagt er. „Sie sind Mr. Roebling, wie mir Mr. Morton sagt. Sie wissen, um was es geht. Also, Sie glauben, einen Vorschlag machen zu können?" i Roebling beginnt von seinen Reisen zu erzählen, von den Brücken und Brückenplänen, die er überall in den Staaten mit technischem Verstand studiert und deren Maße und Konstruktionen er alle im
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Kopfe hat. Als er auf die an Ketten hängende Brücke über den Jacobs-Creek zu sprechen kommt, die Finlay im Jahre 1796 gebaut hat, horcht Mr. Kennedy überrascht auf. Sie denken an eine hängende Brücke, wenn ich Sie recht verstehe?" „Ja", erwidert Roebling", man muß von den geschwungenen Steinbögen und den alten Konstruktionen abgehen. Dazu ist der Allighany zu breit und'zu störrisch." „Würde mich brennend interessieren, wie Sie dann bauen wollen, Roebling!" mischt sich Ingenieur Morton ins Gespräch. „Man könnte das hölzerne Kanalbett an . . . Seile aus . .. gewundenem Draht hängen!" „An Seile aus gewundenem D r a h t ? " Morton glaubt nicht recht verstanden zu haben. „Mir scheint, Sie haben eine blühende Phantasie!" Mr. Kennedy aber überhört den Spott. „Vielleicht würde eine Konstruktionszeichnung . . ." „Aber Mr. Kennedy!" fällt ihm der Ingenieur ins Wort. „Sie glauben doch nicht etwa wirklich.»..?" Er bricht kopfschüttelnd ab. Um seinen Mund spielt ein nachsichtiges Lächeln. „Immerhin!" beharrt Mr. Kennedy. „Ich möchte nichts unversucht lassen." Er sieht fragend auf Roebling. „Bis wann könnten Sie mir die Zeichnungen vorlegen? Sie wissen, es eilt!" „Ich habe die Zeichnungen bei mir!" sagt Roebling und nimmt behutsam einige Blätter aus seinen Papieren. Mr. Kennedy ist überrascht. „Sie haben sie bereits fertig? Nun, das vereinfacht die Sache! Wollen Sie mir die Blätter für ein paar Tage überlassen? Unsere Sachverständigen werden sie prüfen." Roebling nickt nur. Mr. Kennedy hat es plötzlich eilig. Er hat seinen Mantel überworfen. „Sie hören von mir! Auf Wiedersehen, meine Herren!" Er springt auf den wartenden Pferdewagen. Roebling steht in der Tür der Bauhütte. Er sieht dem Gefährt lange nach, wie es in eine Staubwolke gehüllt davonrollt. In der Ferne blauen die Berge der Alleghanies. Er blickt in den strahlenden Frühlingstag und nimmt doch nichts wahr. Seine Gedanken gehen seltsame Wege. Dieser Verlauf der Dinge hat ihn völlig überrascht. , Was wird daraus werden? Hat er erreicht, was ihm vor Augen gestanden hat seit damals . . . 4
Anno 1830 im Thüringischen Johann August Roebling hat in Berlin das Baufach studiert, ehe er in seiner Heimat, in Mühlhausen in Thüringen, Gehilfe eines Baumeisters geworden ist. Sie haben eine Straße gebaut und eine Brücke über die Unstrut vermessen, bis sie der strenge Winter des Jahres 1830 zur Einstellung der Arbeit gezwungen hat. Aber nicht nur der Winter ist daran schuld. Die Staatskassen sind leer. Niemand weiß, wie es weitergehen könnte in diesen schlimmen Zeiten.
* Die kleine verräucherte Gaststube des Dorfkrugs ist fast leer, als sie sich erbittert und ohne Hoffnung rings um den großen Tisch niedersetzen, um zum letzten Mal ein Glas Kornbranntwein zu trinken. Es ist ein naßkalter Novemberabend. Roebling sieht das alles noch ganz deutlich vor sich: die großen, kräftigen Gestalten der Bauarbeiter, die Petroleumlampe, die einen heimeligen Lichtkreis um sich legt, den rotglühenden Ofen, die Butzenscheiben und den dienstfertigen Wirt, der hinter der Theke hantiert; sein Gesicht strahlt, wenn er die Gläser nachfüllen kann. Roebling besinnt sich auf ihre Unterhaltung. Lange Zeit haben sie schweigend gesessen. Dann hat der Baumeister plötzlich gefragt: „Du gehst also nach Amerika Roebling?" „In vierzehn Tagen geht's los!", bestätigt der Assistent. „Du hast Mut, Junge!" „Mut? Angst habe ich, daß ich hier keine Arbeit mehr finde!" Baumeister Bartels sieht ihn fragend an. „Ja . .. glaubst du denn, daß die drüben auf dich warten?" „Warten werden sie nicht. Aber dort gibt's genug zu tun. Mir ist jede Arbeit willkommen!" Roebling ist fünfundzwanzig Jahre alt. Man weiß, daß er zupacken kann, wenn Not am Mann ist. Doch der Baumeister hat seine Bedenken. „Wovon willst du leben, Roebling? Du brauchst Geld, wenn du drüben bist. Es ist ein gewagter Schritt, so mit leeren Händen!" „Leere Hände?" lacht Roebling und klopft dem Alten freundlich auf die Schulter. „Schau Dir diese Pranken an! Damit schaff ich's auch ohne Geld!" Und er denkt: 3
Ist Amerika nicht ein großes Land, in dem Männer gebraucht werden? Gibt es dort nicht Land in Hülle und Fülle, Urwälder mit unendlich viel Holz und fruchtbarstem Boden, den man kostenlos bekommen kann. Und auch sonst hat er den Kopf voller Pläne. Amerika baut Straßen. Wo man Straßen baut, werden auch Brücken gebraucht, große herrliche Brückne, die in das Land der ungeheueren Ausmaße passen. Sein Entschluß steht fest. Er wird hinüber gehen, wie Tausende in dieser Zeit! Gerührt hört er die wohlmeinenden Ratschläge der Arbeitskameraden. Ein Unterton klingt in ihnen, die Erkenntnis, daß ihnen selber die Entschlußkraft fehlt, es ihm gleich zu tun. Nur Wilhelm Freimann, der Jugendgefährte meint: „Wenn du drüben einmal einen tüchtigen Kerl brauchst, so denk' an mich!" Und Roebling verspricht ihm, daß er ihn nachholen-wird, sobald er selbst Fuß gefaßt hat. Der Baumeister bestellt schweigend eine Runde. Die Männer sprechen von diesem und jenem, der schon den Sprung über den großen Teich gewagt und gute Nachricht herüber geschickt hat. Man drückt sich die Hände. „Mach's gut, Johann! Roebling, leb wohl!" Sie wissen alle, daß jeder, der es in dieser jammervollen Zeit zu etwas bringen will, außer Landes gehen muß; denn das Leben ist miserabel. Es gibt keine Arbeit. Nein daheim ist nichts mehr zu holen! Die Neue Welt bringt vielleicht das Glück. Voller Ungeduld erwartet Roebling den Augenblick, da er die Schiffsplanken unter den Füßen hat. Vierzehn Tage später ist es so weit. Ein trüber Dezembertag! Nasser Nebel liegt schwer über der Elbe, als er in Hamburg an Bord geht. Kein Wetter, das einen froh machen könnte! Aber nun gibt's kein Zurück mehr.
* Viele kehren in dieser Zeit Europa den Rücken — nicht nur Deutsche; auch Franzosen, Italiener, Spanier, Engländer, Iren. Sie alle wollen jenseits des Ozeans neu beginnen. Für sie ist Amerika das Land, das ihnen Arbeit und Brot bieten kann. Die übervölkerten Heimatländer sind arm, und die politischen Zustände sind vielerorts für freiheitlich Denkende unerträglich. Die Überfahrt auf einem der hölzernen Segelkähne ist im Jahre 1830 ein Abenteuer und ein Spiel um Leben und Tod. Hart im 6
Raum stoßen sich die Dinge und Menschen. Bösartig schaukelt das Schiff Wochen um Wochen im harten Anprall des Wintersturms und des Seegangs. Die Balkendecken der Unterschiffräume sind, um Platz zu gewinnen, tief herabgezogen; kaum daß man aufrecht stehen kann. Wer sich im Freien ergehen will, stolpert über Tauwerk,, festgezurrte Frachtballen und Kisten. Grausam sind die Nächte auf den muffigen Lagerstätten. Die wenigen Rüböllampen werden früh wegen der Feuergefahr gelöscht, das Heulen des Windes, das Rufen der Schiffsleute, die über Nacht den Segeldienst versehen, rauben den Schlaf. Das mitgenommene Hartbrot ist durch den feuchten Dunst, der durch die Luken hereinschlägt, mit Schimmel überzogen; das Trinkwasser ist brakig; aber der Durst ist so groß, daß die gering zugeteilten Portionen des widerlichen Getränks gierig heruntergespült werden. Zum Essen gibt es Salzfleisch und gesalzenen Fisch aus den Fässern. Nur selten bringt eine warme Suppe aus der Schiffsküche Abwechslung in die eintönigen Mahlzeiten. Aber nicht nur Roebling nimmt das alles in Kauf. Alle Gespräche und Vorstellungen kreisen um den einen Gedanken, daß jeder Tag sie der ersehnten Küste näherbringt; in der Mühsal der Reise erscheint sie als das doppelt Gelobte Land. Roebling hat sich einer Gruppe von Landsleuten angeschlossen, die in Beaver Country im Staate New York eine Siedlung gründen wollen. Die Männer wollen Land erwerben; nur wenige Handwerker sind unter ihnen; sie hüten die Kästen mit ihrem Werkzeug wie Schatztruhen. Den meisten in der Runde aber sieht man an, daß sie noch nie eine Axt in der Hand gehabt haben. Roebling denkt an die Arbeiter vom thüringischen Straßenbau, das wären Männer gewesen, wie man sie in den Staaten brauchen könnte. Sichtlich wächst die Ungeduld der Auswanderer. Sie stehen Tag um Tag im eisigen Nordost an der Reeling und spähen nach Westen. Dreißig lange Tage nichts als das Grau des Wassers und die dunkel ziehenden Wolken, das Klatschen der wassertriefenden Segel und der Wogenschwall gegen die Schiffswände. Da endlich, als die fünfte Woche zu Ende geht, treffen die Matrosen die ersten erkennbaren Vorbereitungen für eine baldige Landung.
* An einem dieser Tage geht der erregende Ruf „Land in Sicht" durch das Schiff.