Terra Astra 459
Der Zeit-Fürst von PETER TERRID Die Abenteuer der Time-Squad 16. Roman
Die Hauptpersonen des Romans: ...
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Terra Astra 459
Der Zeit-Fürst von PETER TERRID Die Abenteuer der Time-Squad 16. Roman
Die Hauptpersonen des Romans: Imhotep — Der Erbauer der Zeit-Festung.
Manhaar — Imhoteps Vater.
Darcyr — Fürst der Blauen Sonnen.
Ghanee — Darcyrs schöne Tochter.
1. „Der Fürst erwartet Euch, Herr!“ Der Robot nahm die vorgeschriebene und einprogrammierte Demutshaltung ein, bis er aus Imhoteps unwilliger Geste folgerte, daß er sich wieder rühren sollte. Die Maschine, silberbeschlagen und mit dem Wappen des Fürsten auf der Front, nahm den weiten karmesinfarbenen Umhang entgegen, den Imhotep von den Schultern streifte. „Bringe mich zum Fürsten“, sagte Imhotep. Er hatte es eilig. Von dem Robot geführt, wanderte er durch die Gänge des Palasts. Manhaar, Fürst zu Egol, als solcher Mitglied des Imperialen Rates und einflußreicher Politiker, galt als der kunstsinnigste unter den Räten. Seine Sammlungen hatten hohen Ruf, seine Monographie über Simchod den Einäugigen galt als ebenso wissenschaftlich wie brillant geschrieben. Manhaar genoß den Ruf eines vorzüglichen Gastgebers, - rühmte sich des edelsten Weinkellers und gebot über eine Privatarmee von annähernd zwei Millionen Mann. Außerdem war Manhaar, Fürst zu Egol, Imhoteps Vater. Entsprechend dem Ruf des Fürsten war sein Palast ausgefallen. Zehntausend Personen konnten gleichzeitig bedient werden, im Notfall verkrafteten Küchen, Keller und Vergnügungsräume noch etliches mehr. An diesem Tag war der Palast verwaist. In den nächsten Tagen würde es keine Feiern und Feste geben. Der Kaiser lag im Sterben, sein Nachfolger war insgeheim bereits bestimmt. Zehn Mann aus Manhaars Leibgarde, jeder ein ausgesucht guter Einzelkämpfer, hielten Wache vor den privaten Gemächern des Fürsten. Sie kannten Imhotep und präsentierten ihre Waffen. Eine breite Tür, mit kostbaren Bronzebeschlägen verziert, wurde geöffnet, dann trat Imhotep in das Besuchszimmer. Manhaar saß in einem bequemen Sessel. Die Vorhänge waren zugezogen. Er hörte Imhotep kommen, sah auf und machte eine fragende Miene. „Er lebt“, sagte Imhotep zur Eröffnung. „Noch.“
Manhaar nickte. „Ich habe mit ihm gespielt, als wir Kinder waren. Seltsamer Gedanke, daß ich ihn begraben soll.“ „Und beerben, Vater“, sagte Imhotep. „Du weißt, daß du als nächster Kaiser so gut wie feststehst?“ Der Fürst winkte ab. „Es interessiert mich nicht“, murmelte er. „Ich verliere einen Freund und du redest vom Thron.“ „Ich rede von Glyssaan, Vater“, beharrte der junge Mann. „Vom Kaiserreich, das bald einen neuen Herrscher brauchen wird.“ „Der alte ist einstweilen gut genug“, versetzte Manhaar. „Jetzt setze dich erst einmal. Ruhe ist eine Eigenschaft, die einem Manne wohl ansteht.“ Imhotep stutzte, dann warf er sich in einen Sessel in der Nähe seines Vaters. In der Tastatur der Lehne gab es auch einen Knopf, der einen Robot mit einem Erfrischungsgetränk erscheinen ließ. Obwohl auch die Robots des fürstlichen Haushalts doppelt und dreifach gesiebt worden waren, wartete Imhotep, bis die Maschine den Raum verlassen hatte. „Wir müssen zur Initiative übergehen, Vater“, sagte er nach dem ersten Schluck, nun etwas ruhiger. „Du weißt, daß Glyssaan von allen Seiten bedroht ist. Die Turqaaner sind im Aufstand, von den Blauen Sonnen droht Gefahr, und von unserem eigentlichen Erz- und Hauptgegner brauche ich wohl nicht zu sprechen.“ „Was willst du tun?“ fragte der Fürst. Sein Gesicht zeigte keinerlei Gemütsregung. Es war vom Alter gezeichnet, von viel Erfahrung und noch mehr Gelassenheit. „Expandieren“, sagte Imhotep. „Leute zusammenrufen, neue Planeten besuchen und besiedeln - und zwar in der Vergangenheit.“
„Du willst durch die Zeit reisen?“ fragte Manhaar betroffen. „Woher weißt du überhaupt, daß
es Zeitmaschinen gibt?“
Imhotep grinste breit.
„Ich bin der gewitzte Sohn eines klugen Vaters“, sagte er. „Auch ich habe meine
Verbindungen. Ich weiß sogar noch mehr.“
Der Fürst kniff die Augen zusammen.
„Mein Sohn“, sagte er sehr deutlich, „du mischst dich in Angelegenheiten, die dir nicht
zukommen. Du bist Edler, kein Fürst. Du bist noch nicht reif für diese Geheimnisse, nicht als
Mensch und auch nicht als mein Sohn.“
„Ich habe bereits ein Memorandum abgegeben, Vater“, erklärte Imhotep. „Es liegt dem Kaiser
vor, und wenn er nicht erkrankt wäre, hätte er es bereits gelesen. Er kennt mich, und ich
erfreue mich seiner Wertschätzung, auch ohne deine Protektion, Vater.“
Ein leises Summen verriet, daß jemand Einlaß begehrte. Manhaar betätigte den Knopf, der
dem Robot den Eintritt befahl.
„Darcyr, Fürst der Blauen Sonnen, bittet um Audienz“, sagte der Robot. „Einlaß“, antwortete
Manhaar sofort. Er sah seinen Sohn an. „Dein Werk?“
„Keineswegs, Vater. Ich verbünde mich nicht mit einem Feind des Reiches.“
„Darcyr, Fürst der Blauen Sonnen, Edler zu...“
„Willkommen“, sagte Manhaar. Höflich erhob er sich aus seinem Sessel.
„Ich muß Euch sprechen, Fürst“, sagte Darcyr ohne Umschweife. Er nahm in einem der
Sessel Platz. Manhaar glitt langsam in seinen Sessel zurück. „Es geschehen wichtige Dinge.
Der Kaiser ist krank.“
„Er wird genesen“, sagte Manhaar ruhig. „Ich hoffe für die Gesundheit des Monarchen.“
„Machen wir uns nichts vor“, sagte Darcyr scharf. „Der Kaiser wird sterben, wenn nicht jetzt,
dann wenig später. Er wird den Jahreswechsel in keinem Fall mehr erleben.“
„Wie darf ich diese letzte Bemerkung auffassen?“ erkundigte sich der Fürst. „Als
Prophezeiung?“
„Als Mutmaßung“, versetzte Darcyr. Er wählte sich einen Drink. „Ihr und ich, wir sollten schon jetzt beraten, was aus dem Imperium werden soll. Einer von uns beiden wird der Nachfolger sein.“ „Ich beschäftige mich nicht mit dieser Frage“, erklärte Manhaar. „Der Imperiale Rat wird über dieses Thema zu befinden haben, mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ Darcyr nippte an seinem Getränk. Sein Gesicht war verschlossen. „Es muß etwas getan werden“, sagte er. „Der Kaiser ist in seinem derzeitigen Zustand nicht in der Lage, wichtige Entscheidungen zu treffen. Abzuwarten, hieße dem Gegner in die Hand zu spielen. Es klingt grotesk, ist aber wahr - jeder Tag, den der Kaiser in seinem Zustand länger lebt, bedeutet eine Gefahr für das Imperium. Die augenblickliche Führungsschwäche ist für Glyssaan lebensgefährlich.“ „Und was wollt Ihr dagegen unternehmen?“ Darcyr machte eine wegwerfende Geste. „Tun wir uns zusammen“, sagte er. „Wir beide vereint stellen eine Macht dar, der niemand im Imperium zu trotzen wagt. Wir beide regeln einvernehmlich die Geschäfte des Imperiums, als Prokuratoren oder in ähnlicher Position.“ „Und der Kaiser?“ „Wird selbstverständlich gepflegt und gehegt, bis an sein Ende, das sich unter diesen Umständen hinausziehen mag, solange es will.“. „Ich werde der Majestät von Eurer Großzügigkeit zu berichten wissen“, versetzte Manhaar gelassen. „Und was wird nach Eurer. Meinung geschehen, wenn der Kaiser endgültig stirbt?“ „Der Imperiale Rat ernennt einen Nachfolger, Fürst, ganz einfach.“ „Und warum, lieber Ratskollege, habt Ihr diesen Plan nicht bereits dem Imperialen Rat vorgetragen?“ „Ohne Eurer Zustimmung gewiß zu sein? Ihr scherzt, Manhaar. Unterstützen wir beide diesen Plan, wird der Rat ihn billigen. Trägt einer von uns ihn allein vor, schmeckt er nach Hochverrat.“ „Ich bewundere die Feinnervigkeit Eurer Zunge“, sagte Manhaar sanft. „Mir drängte sich der gleiche Gedanke auf.“ „Eure Entscheidung?“ „Ist längst gefallen, Fürst der Blauen Sonnen. Ich werde dem Kaiser dienen, bis er stirbt, nicht ihn stürzen. Der Rat wird entscheiden, was im Einzelfall zu tun ist, die kleineren Entscheidungen werden, wie bisher auch, von den Fürsten und Edlen des Reiches in ihren Bezirken gefällt. Zu einem Vorgehen, wie Ihr es plant, fehlt jeglicher Grund - außer einem ganz bestimmten.“ „Und der wäre?“
Manhaar erhob sich langsam aus seinem Sessel und deutete damit an, daß er die Unterredung
zu beenden wünschte. Darcyr blieb sitzen.
„Ihr sucht nach einem Vorwand, Fürst der Blauen Sonnen, Eure bewundernswert tapferen und
trainierten Truppen in der Nähe von Glyssaan zusammenziehen zu können. Ich bezweifle, daß
ich noch lange zu leben hätte, würde ich Euch in diesem Vorhaben unterstützen.“
„Wollt Ihr mich des Meuchelmords bezichtigen?“ fragte Darcyr scharf.
„Nichts dergleichen“, entgegnete Manhaar. „Ich lebe ja noch. Im übrigen bin ich Vater eines
Sohnes, der wohl in der Lage wäre, meinen Tod zu sühnen. Versteht mich recht, Fürst - zu
sühnen, nicht zu rächen. Ich bin ein Mann des Gesetzes.“ Darcyr stand langsam auf. „Ihr lehnt
ab?“
„Unwiderruflich“, sagte Manhaar. Er reichte Darcyr die Hand. „Lebt wohl, Fürst. Wir sehen
uns morgen in der Sitzung des Rates.“
Darcyr machte eine leidlich freundliche Miene. Erst als er das Zimmer verließ, zeigte sein
Gesicht deutlichen Unmut.
„Du hast dir einen Feind gemacht, Vater“, sagte Imhotep. Manhaar lächelte zurückhaltend.
„Gemacht?“ fragte er. „Er war mein Feind schon an dem Tag, da er geboren wurde; die
Feindschaft zwischen Egol und den Blauen Sonnen ist so alt wie das Licht selbst.“
„Trotzdem mußt du auf der Hut sein. Er wird dir nach dem Leben trachten.“
„Das tut er, seit er mich kennt“, sagte Manhaar. „Du sagtest, du hättest einen Plan?“ Imhotep
zögerte.
„Du wirst mich anhören, ohne mir ins Wort zu fallen?“ „Sprich.“
„Meine Idee ist diese“, begann Imhotep, nachdem er einen großen Schluck aus seinem Glas
genommen hatte. „Wir versammeln einige tausend Kolonisten und siedeln sie auf einigen
neuentdeckten Planeten an.“ „Das ist nicht weiter neu“, versetzte Manhaar.
„Neuartig daran ist, daß wir sie nicht nur durch den Raum transportieren, sondern auch durch
die Zeit. Wir beginnen mit der Besiedlung in der Vergangenheit.“
Er verstummte. Manhaar nickte bedächtig. „Und dann?“
„Sie können uns helfen, diese Kolonisten. Wir werden ihnen genügend Zeit lassen, damit sie
aus ihren Planeten große, blühende Welten machen können. Und wir werden dafür sorgen,
daß diese Kolonisten mit all ihrer Macht plötzlich auftauchen und die Pläne des Fürsten
Darcyr zunichte machen. Gleichzeitig gewinnen wir so neue Kräfte in unserem Kampf gegen
unseren Hauptfeind.“
„Dein Eifer ist lobenswert“, sagte Manhaar leise. „Hast du die Einzelheiten deines Planes
durchdacht? Woher willst du die Kolonisten bekommen?“
„Hauptsächlich von den Turq-Welten“, erklärte Imhotep. „Dort werde ich mit Sicherheit
genügend Leute anwerben können.“ Wieder lächelte der Fürst. „Und woher willst du die
Zeitmaschine nehmen, die du dazu brauchst?“
„Nun, ich habe mit deiner Hilfe gerechnet, Vater“, sagte Imhotep.
„Und ich habe mit einer Bitte dieser Art gerechnet“, erklärte Manhaar. „Ich kann dir nicht
helfen. Die Zeitmaschinen sind Eigentum des Kaisers, nur er kann über sie verfügen.“
„Er ist unfähig, Entscheidungen zu treffen“, sagte Imhotep. „In diesem Punkt stimme ich mit
Darcyr überein. Etwas muß geschehen, sonst taumelt Glyssaan von einer Krise in die
nächste.“
„Und der einzige, der Abhilfe schaffen könnte, bist du, nicht wahr?“
„Das weiß ich nicht, Vater. Aber ich weiß, daß etwas geschehen muß, sonst werden wir
niemals mehr Herr der Gefahren.“
Manhaar stand auf und ging zu den Fenstern hinüber. Er zog den Vorhang etwas zur Seite und
blickte hinaus auf die Fläche des weitläufigen Parks.
„Man kann jedes Zeitmanöver anpeilen“, sagte Manhaar leise. „Dies ist der Grund, warum die
Zeit-Offensive unserer Gegner gestoppt worden ist. Jetzt spielt sich wieder alles in
herkömmlichen Kategorien ab, Schlachten werden geschlagen, Spione ausgesandt, das alte
Spiel.“
„Du weißt so gut wie ich, daß es inzwischen Schirmfelder gibt, die die typischen
Abstrahlungscharakteristika einer Zeitmaschine unterdrücken. Wir können die Zeitmaschinen
jetzt wieder einsetzen.“
„Was ist, wenn die Abschirmung nicht hundertprozentig hält? Wenn der Gegner merkt, daß
wir wieder zu diesem Hilfsmittel greifen? Eine solche Frage kann nur der Kaiser
entscheiden.“
„Das kann er eben nicht, Vater!“ rief Imhotep. „Er liegt im Sterben, und die Zeit drängt.“
„Das ändert nichts an dem Tatbestand, daß die Entscheidung über die Verwendung einer
Zeitmaschine nur vom Kaiser getroffen werden kann.“ Imhotep holte tief Luft und ballte die
Hände zu Fäusten.
„Vater“, sagte er dann mit verhaltener, mühsam beherrschter Stimme. „Wenn du nicht weißt,
was zu tun ist, dann werde ich die Verantwortung übernehmen.“
Der Fürst drehte sich langsam zu seinem Sohn um.
„Nicht nur den Kaiser willst du absetzen, mich auch?“
„Davon ist nicht die Rede“, wehrte Imhotep ab. „Ich werde tun, was ich für richtig halte.“„
„Gegen meinen ausdrücklichen Befehl?“
„Du hast mir nichts zu befehlen. Im Rahmen meiner Befugnisse kann ich nach eigenem
Ermessen handeln. Solange ich keine gegenteilige Order erhalte, kann ich mit meinem
Kreuzer machen, was ich will.“
„Das stimmt“, sagte Manhaar. „Du verscherzt dir aber meine Freundschaft, wenn du meinen
Anordnungen nicht folgst.“
Einen Augenblick lang herrschte betroffenes Schweigen im Raum, dann sagte Imhotep mit
fester Stimme: „Lieber verliere ich deine Freundschaft als meine Selbstachtung. Du
entschuldigst mich, Vater!“
Er grüßte und verließ den Raum. Manhaar, Fürst zu Egol, sah seinem Sohn ein paar
Augenblicke nach, dann betätigte er die Tastatur seines Sessels, in dem er wieder Platz
genommen hatte. Die energetische Projektion eines kostbaren Gemäldes verschwand und
machte einem großflächigen Bildschirm Platz.
„Ich wünsche, mit dem Kaiser zu sprechen“, sagte Manhaar zu dem Mann, der auf dem
Schirm sichtbar wurde.
„Das wird kaum möglich sein, Fürst“, sagte der Offizier. „Der Kaiser ist sehr schwach.“
„Ich bitte um eine Audienz“, sagte Manhaar ruhig. „Sagen Sie dem Kaiser das - wörtlich.“
Für ein paar Augenblicke wurde der Bildschirm dunkel, dann flammte er wieder auf und
zeigte das Gesicht eines sehr müden, alten Mannes.
„Ich bedaure, zu stören“, sagte Manhaar leise. „Aber ich sehe keine andere Wahl. Bedrohliche
Entwicklungen zeichnen sich ab.“
Der alte Mann auf dem Schirm lächelte schwach.
„Rede“, sagte der Kaiser. „Rede, alter Freund...“
2. Imhoteps Schiff stand startfertig auf dem Raumhafen. Die KOLTHAN war eines der besten Schiffe der Imperialen Flotte, was vor allem Imhoteps Führung zuzuschreiben war. Ein Gleiter brachte Imhotep zum Raumhafen. Im Antigravschacht schwebte der Edle von Glyssaan hinauf zur Spitze des Schiffes. Dort lag die Zentrale, in der die Offiziere auf Imhotep warteten. „Fehlschlag“, sagte Imhotep, kaum, daß er die Zentrale betreten hatte. „Mein Vater sperrt sich.“ „Was also tun wir jetzt?“ fragte Lispar, Erster Offizier des Kreuzers und mit Imhotep seit Jahren befreundet. „Wir fliegen ins Turq-System“, gab Imhotep bekannt. „Noch habe ich nicht aufgegeben, noch nicht.“ Die Offiziere eilten an ihre Plätze. Das Schiff war startfertig und hatte vom Kontrollturm bereits die Freigabe erhalten. Wenige Augenblicke, nachdem Imhotep sein Schiff betreten hatte, erhob sich die Doppelpyramide in die Luft. Einen Augenblick lang sah Imhotep nachdenklich auf Glyssee herab, die Hauptstadt des Glyssaan-Imperiums, dann schoben sich Wolken ins Bildfeld, und wenig später hing die KOLTHAN so hoch in der Luft, daß von der Stadt nicht mehr viel zu sehen war. „Es sieht so aus, als würden wir verfolgt“, sagte Lispar. Er schaltete die Dateneinspielung der Ortungssysteme auf den größten Bildschirm der Zentrale. „Tatsächlich!“ rief Imhotep. „Zwei Schiffe, die kurz nach uns gestartet sind.“ „Das muß nicht unbedingt etwas mit uns zu tun haben“, meinte Lispar. „In diesen Tagen herrscht auf dem Hafen ein ziemlich starker Andrang. Aber was mich wundert, ist die Tatsache, daß es sich dabei um zwei Zylinderschiffe handelt - und die werden bekanntlich nur von den Blausonnenleuten geflogen.“
„Darcyr“, sagte Imhotep leise. „Der Fürst der Blauen Sonnen plant etwas.“ „Vermutlich will er uns den Weg abschneiden“, sagte ein Mitglied der Zentralebesatzung. „Bestimmt nicht“, erwiderte Imhotep. Er schnallte sich auf dem Sessel des Kommandanten an. Die KOL-THAN beschleunigte weiter und entfernte sich dabei immer mehr von Glyssaan. Die beiden Blausonnenschiffe - gedrungene Zylinderkonstruktionen - folgten beharrlich; sie steuerten präzise den gleichen Kurs. „Das ist kein Zufall“, sagte Imhotep. „Dahinter steckt Absicht.“ Er kannte die konstruktiven Merkmale der Zylinderschiffe recht gut; sie waren den Doppelpyramiden durchaus gewachsen. Die KOLTHAN aber flog mit normalen Werten hätten es die Zylinder darauf angelegt, Imhoteps Schiff einzuholen, hätten sie dies längst tun können. „Sie bleiben außerhalb der Reichweite der Geschütze“, gab Lispar bekannt. „Sie können uns nicht erreichen.“ „Vielleicht wollen sie das auch gar nicht“, murmelte Imhotep. Ihn beschlich die Ahnung, daß die Blausonnenleute vielleicht etwas ausgetüftelt hatten, das zwar theoretisch denkbar war, praktisch aber nicht gebaut werden konnte - eine Waffe, die es möglich machte, feindliche Schiffe im Hyperraum anzugreifen und zu vernichten. Imhotep wußte aus eigener Erfahrung, daß in den letzten Jahren fieberhaft geforscht worden war, hauptsächlich auf diesem Gebiet und auf dem der Zeitforschung. Er wußte, daß es auf dem Gebiet der Zeitforschung einige bahnbrechende Neuigkeiten gab warum sollte den Hyperraumtechnikern nicht ähnliches gelungen sein. „Wir treten in wenigen Minuten in den Hyperraum ein“, verkündete Lispar. Imhotep preßte die Lippen aufeinander. „Bereitet euch darauf vor, blitzartig den Hyperraum wieder zu verlassen und einen neuen Kurs zu programmieren“, sagte er. „Alles muß sehr schnell gehen, bevor die da drüben Wind von unserem Manöver bekommen.“ „Was hast du vor?“. fragte Lispar. Imhotep winkte ab. Aufmerksam betrachtete er die Instrumente. Die Zylinderschiffe beschleunigten mit den gleichen Standardwerten wie die KOLTHAN. Unter normalen Umständen hätte dies Imhotep weiter nicht beunruhigen können - dergleichen spielte sich auf einem vielbesuchten Raumhafen immer wieder ab. In diesem Fall aber lagen die Dinge anders. Es ging um einen hohen, vielleicht den höchsten Einsatz. Wenn der alte Kaiser starb, rückte - höchstwahrscheinlich - Manhaar nach; damit bekam Imhotep eine hervorragende Chance, nächster Fürst von Egol zu werden. Und ein Verbund der kaiserlichen Macht mit den privaten Mitteln des Egol-Fürstentums war im Glyssaan-Imperium unüberwindlich. Wenn Darcyr überhaupt etwas erreichen wollte, dann mußte er sehr bald handeln. Galt dieses seltsame Manöver etwa Imhoteps Leben? Imhotep rechnete kurz nach, wer nach ihm Aussichten hatte, Egol-Fürst zu werden. Es gab da verschiedene Männer und Frauen, bei keiner dieser Personen hatte Imhotep den Verdacht, daß jemand versuchen könnte, der natürlichen Erbfolge nachzuhelfen oder sich gar auf die Seite der Blausonnenleute zu schlagen. Zwischen Egol und dem Fürstentum der Blauen Sonnen herrschte eine subtile Feindschaft, die mehrere Jahrhunderte alt war und von beiden Parteien sorgfältig bewahrt wurde - nicht selten zum Nutzen des Imperiums, das aus diesem ewig bereiten Reservoir von talentiertem Nachwuchs hervorragende Kräfte bezog. „Absprung!“ rief Lispar. Auf den Bildschirmen erfuhr das Bild einen Ruck, dann schienen sich die Sterne plötzlich mit großer Geschwindigkeit zu bewegen. Gleichzeitig überzogen sich die Schirme mit jenem unverkennbaren gelblichen Schleier, der jedem sagte, daß das Schiff nunmehr mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit durch das All flog. „Austritt!“ rief Imhotep, kaum daß auf den Bildschirmen die Markierungen für die beiden Blausonnenschiffe aufgetaucht waren. Die Zylinder waren von den Ortungsgeräten der
KOLTHAN erfaßt und in den Datenstrom eingespeist worden, der auf einen der großen Bildschirme projiziert wurde. Zu sehen war unter den Bedingungen des Hyperraums nichts, daher übernahm der Bordrechner die Aufgabe, die komplizierten Meßimpulse in eine übersichtliche Sternenkarte zu verwandeln, auf dem auch die relativen Positionen anderer Schiffe vermerkt waren. Das gelbe Leuchten verschwand. Imhotep griff jetzt selbst in die Steuerung ein. Er beschleunigte die KOLTHAN, die beim Wiedereintritt in den Normalraum stark an Fahrt verloren hatte. Gleichzeitig zwang er das Schiff auf einen völlig neuen Kurs. Im Innern der KOLTHAN wurde es laut. Was Imhotep praktizierte, war ein Gewaltmanöver, für das die KOLTHAN nicht gebaut worden war. Die Masseträgheit hielt das Schiff auf dem alten Kurs, die aufbrüllenden Triebwerke versuchten, es auf einen neuen Kurs zu bringen die Verbände knirschten und ächzten bedrohlich. „Und wieder Absprung!“ schrie Imhotep, um den Lärm in der Zentrale zu übertönen. Erneut tauchte die KOLTHAN in den Hyperraum. Schlagartig wurde es wieder still in der Zentrale. Imhoteps erster Blick galt dem Übersichtsschirm. Von den Blausonnenschiffen war nichts zu sehen. Sie hatten längst den Bereich der Naherfassung verlassen. Vermutlich suchten ihre Kommandanten jetzt wütend und fluchend nach dem Leuchtpunkt auf ihren Schirmen, der die KOLTHAN darstellen sollte. „Sehr oft wird der Kahn solche Manöver nicht ertragen“, sagte Lispar spöttisch. „Und mir ist es egal, ob ich im Hyperraum zerschelle oder unter Geschützfeuer sterbe.“ „Wo fliegen wir eigentlich nun hin?“ fragte ein anderer. „Ins Bulthen-System“, gab Imhotep bekannt. „Und von dort steuern wir in aller Ruhe die Turq-Welten an.“ „Es bleibt also beim alten Ziel?“ „Wir brauchen die Turq-Leute als Kolonisten“, sagte Imhotep. „Auf keiner anderen Welt können wir so schnell so viele Bewohner mobilisieren. Also bleibt es dabei.“ „Hoffentlich geht das gut“, murmelte Lispar. „Ich habe da ein Gefühl, Freund, ein Gefühl...“ * Nachdenklich betrachtete Imhotep die Karte auf dem Tisch. Sie zeigte, gerade erst auf den letzten Stand gebracht, die Machtverteilung innerhalb der bekannten Galaxis. Blau war darauf das Glyssaan-Imperium eingezeichnet; in aggressivem Rot leuchtete das Gebiet des Feindes. Dieser Kampf zwischen Blau und Rot tobte seit Jahrtausenden, und es war kein Ende abzusehen. Imhotep wußte, daß der Kampf erst dann ein Ende finden würde, wenn einer der beiden Gegner vollständig besiegt war. Das hieß: Entweder ergab sich Glyssaan auf Gnade und Ungnade und wurde unausweichlich zum Sklaven des Gegners, oder aber der Gegner wurde bis zum letzten Individuum niedergemacht. Es war die Unausweichlichkeit dieser Alternative, die den Krieg zwischen Blau und Rot so fürchterlich machte. Es gab keinen dritten Weg, eine Verständigung war - zumindest aus der Sicht des Gegners ausgeschlossen. Seine Natur ließ keinen Kompromiß zu. Dennoch gab es Zeiten des Stillstands. Seit zwei Jahrhunderten beispielsweise war keine große Schlacht mehr geschlagen worden. Man beließ es bei Einzelaktionen, Spionageunternehmungen, Verrat, Sabotage, Überfällen. Merklich zurückgegangen waren die Aktionen, die sich einer Zeitmaschine bedienten. Eine Zeitlang war der gesamte Kampf praktisch mit Zeitmaschinen geführt worden - bis zu jenem Tag, da das Spiel von vorher und nachher, von gestern, heute und morgen, von Ursache und Wirkung, durch Zeit-Manöver beider Parteien derartig durcheinander gebracht worden war, daß auf beiden Seiten die Rechner unter dieser Belastung zusammengebrochen waren. Diese Zeiten - man erinnerte sich auf beiden Seiten nur mit Schaudern daran - waren so chaotisch gewesen, daß danach
Zeitmaschinen nur noch sehr selten eingesetzt worden waren. Inzwischen gab es auch eine Methode, Zeit-Manipulationen frühzeitig anzumessen. Kommandounternehmungen durch die Zeit waren damit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Imhoteps Blick blieb auf einem schmalen, gelblich schraffierten Streifen der Karte hängen. Im Niemandsland zwischen den Parteien war noch Bewegung möglich. Dort hatte der Gegner in der letzten Zeit einige bescheidene Vorstöße unternommen, dort wollte Imhotep zum Schlag ausholen, der den Gegner endgültig in die Defensive treiben sollte. Gern hätte Imhotep gewußt, wer eigentlich dieser Gegner war, aber man hatte ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Es gab nur die zahlreichen Hilfsvölker des Gegners, die immer wieder mit todesverachtender Kühnheit angriffen und geschlagen wurden. Ein großer Teil dieser Völker war biologisch mit den Glyssaanern verwandt, teilweise so stark, daß Spione ohne jede Maskerade auskamen. Nicht zuletzt das machte den Krieg zwischen den beiden Parteien so absurd und grausam. Der Summer ertönte. Imhotep drückte einen Knopf und ließ Lispar eintreten. „Nun?“ fragte Imhotep. „Der neue Kurs ist abgesteckt, wir werden bald bei den Turq-Welten angelangt sein“, erklärte Lispar. „Und du brütest über deinen Plänen?“ Imhotep nickte. „Sieh her“, sagte er und deutete auf die Karte. „Hier gibt es ein paar Sonnen mit durchaus geeigneten Planeten. Sie sind in keiner offiziellen Karte verzeichnet, und nach meinem Kenntnisstand findet man sie auch nicht auf Kartenmaterial des Gegners.“ „Welten dieser Art gibt es viele“, erwiderte Lispar. „Aber nicht in diesem Bereich der Milchstraße“, antwortete Imhotep. „Diese Welten sind für unsere Zwecke beinahe ideal geeignet.“ „Mag sein“, versetzte der Erste Offizier der KOLTHAN. „Aber du wirst niemals die Genehmigung bekommen, dieses Projekt durchzuführen.“ „Das wird sich zeigen“, sagte Imhotep energisch. „Wann werden wir im Turq-System auftauchen?“ „Innerhalb der nächsten Minuten“, antwortete Lispar. Imhotep stand auf. „Ich befürchte, daß die Blausonnen-Leute dort bereits auf uns warten“, sagte er. „Ich will unsere Ankunft lieber in der Zentrale erleben.“ Gemeinsam suchten sie die Zentrale der KOLTHAN auf. Imhotep ging sofort zu seinem Sitz und kontrollierte die Abbildungen der Hypertaster. Von den Schiffen des Fürsten der Blauen. Sonnen war nichts zu sehen. Vermutlich hatten sie Turq bereits erreicht und den Hyperraum verlassen, um die KOLTHAN im Normaluniversum abfangen zu können. „Alarmbereitschaft“, verkündete Imhotep. „Alle Mann auf ihre Plätze.“ * „Geschütze fertig machen?“ fragte die Feuerleitzentrale an. „Fertig machen“, bestimmte Imhotep. „Aber gefeuert wird. erst auf mein Kommando.“ „Glaubst du wirklich, sie werden so dreist sein und die KOLTHAN überfallartig angreifen?“ fragte Lispar. „Wahrscheinlich nicht“, gab Imhotep zurück. Er verfolgte anhand der Kontrollinstrumente, wie die KOLTHAN gefechtsklar gemacht wurde. „Aber ich möchte Darcyrs Leuten keine unnötige Chance einräumen. Vergiß nicht, wir haben hier keinen offiziellen Auftrag, wir sind sozusagen zu unserem Privatvergnügen unterwegs.“ „Austritt!“ schallte der Ruf durch die Zentrale. * Die KOLTHAN fiel in den Normalraum zurück, und im gleichen Augenblick wurde das Turq-System auf den Schirmen sichtbar.
Turq selbst war eine ziemlich hellgelbe, normalgroße Sonne. Das Gestirn besaß sieben
Planeten, von denen zwei besiedelt waren - noch.
„Reger Schiffsverkehr“, stellte der Ortungsoffizier fest. „Von den Blausonnenschiffen fehlt
jede...“
„Dort sind sie!“ rief Imhotep und deutete auf den Schirm vor ihm. Im gleichen Augenblick, in
dem die KOLTHAN im Turq-System angekommen war, waren auch die Verfolger
eingetroffen.
„Sie haben einen ähnlichen Haken geschlagen wie wir“, murmelte Imhotep.
„Sie steuern einen abweichenden Kurs“, verkündete die Ortung. „Keinen Kollisionskurs.“
„Das sieht Darcyr und seinen Männern gar nicht ähnlich“, sagte Imhotep mißtrauisch. „Ich
wittere eine Falle.“
„Mit den paar Schiffen kann er ohnehin nichts ausrichten“, sagte Lispar. „Im Raum wimmelt
es von Schiffen der Imperialen Flotte.“
„Die Blausonnen-Schiffe gehören ebenfalls zur Flotte“, erinnerte Imhotep.
Die KOLTHAN flog genau auf die wichtigste der Turq-Welten zu, auf Turqaan, den dritten
Planeten des Systems. Dort lebten fast zwei Millionen Kolonisten, die nun mit immer
größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und daher gegen die Regierung revoltierten.
„Wir verzögern“, gab Imhotep bekannt. „Und stellt eine Verbindung zur Flotte her.“
Sekunden später erschien das Anrufzeichen der Imperialen Flotte auf dem Schirm, dann
flackerte das Bild, und ein Gesicht tauchte auf.
„Vandaar“, sagte Imhotep fröhlich. „Ich grüße dich, alter Freund.“
Der Mann auf dem Schirm lächelte vergnügt. Vandaar, Edler und Befehlshaber der Flotte im
Turq-System, war sichtlich zufrieden, Imhotep in seiner Nähe zu wissen.
„Ich unterstelle mich selbstverständlich deinem Befehl“, sagte Imhotep.
Theoretisch hätte er als ranghöchster der Offiziere die Befehlsgewalt für sich beanspruchen
können, aber das lag nicht in seinem Interesse. Imhotep, wollte, wenn er es für richtig hielt,
schnell wieder aus dem System verschwinden - und das ließ sich für einen Untergebenen weit
leichter ins Werk setzen als für den Befehlshaber.
„Was gibt es an Neuigkeiten“, fragte Imhotep.
„Schlechte Nachrichten“, gab Vandaar bekannt. „Die Nahrungsmittelknappheit wird immer
größer. Die Ernteausfälle erreichen katastrophale Größenordnungen, und die Leute werden
naturgemäß immer rebellischer. Statt sich um ihr Land zu kümmern, stellen sie Forderungen
an die Zentralregierung - und das macht die Schwierigkeiten noch größer.“
„Hat es bereits Schießereien gegeben?“
„Bis jetzt noch nicht, aber es kann jederzeit dazu kommen“, erklärte Vandaar. „Gehören die
beiden anderen Einheiten zu dir?“
„Zylinderschiffe?“ fragte Imhotep, „Ein absurder Gedanke. Nein, es handelt sich um zwei
Schiffe aus Darcyrs Aufgebot. Die Burschen sind schon seit unserem Start hinter uns her.“
Auf dem großen Bildschirm in der Zentrale der KOLTHAN blinkte es in einer Ecke auf. Das
Anrufzeichen verriet, daß sich der Befehlshaber der beiden Blausonnenschiffe in die
Funkverbindung einschalten wollte. „Legen Sie ihn auf die Leitung“, befahl Vandaar einem
seiner Offiziere.
Auf allen beteiligten Bildschirmen geschah jetzt das gleiche; die Projektionen wurden
umgeblendet. Alle am Gespräch Beteiligten erschienen jetzt gleichgroß. Imhotep konnte
Vandaar sehen und einen Mann in der dunkelblauen Uniform der Zylinderschiffleute.
„Jurtheen“, stellte sich der Blausonnenmann vor. „Ich unterstelle mich Eurem Befehl, Edler
Imhotep!“
„Mißverständnis“, sagte Imhotep amüsiert. „Vandaar ist Kommandant der Flotte.“ „Nicht
Ihr?“
„Ich bin am Oberbefehl nicht interessiert“, sagte Imhotep. „Aber ich wüßte dennoch gern, was
zwei Schiffe des Blausonnen-Fürstentums dazu bewegt, sich an meine Fersen zu heften.“
„Wir haben Auftrag, über Eure Sicherheit zu wachen“, sagte der Offizier des Zylinderschiffs. „Ach?“ meinte Imhotep spöttisch. „Und wer gab den Befehl für diese Vorsichtsmaßnahme?“ „Ich!“ sagte eine Stimme, die Imhotep nur zu gut kannte. Vor der Optik des Blausonnenschiffs tauchte eine vertraute Gestalt auf - Darcyr, Fürst der Blauen Sonnen.
3. Im ersten Augenblick war Imhotep sprachlos. Daß Darcyr ihm ein Kommando von Spitzeln hinterherschickte, damit hatte er gerechnet; dergleichen Aktionen war im immerwährenden Konflikt der beiden größten Fürstentümer gleichsam an der Tagesordnung. Daß sich aber Darcyr höchstpersönlich auf Imhoteps Spur setzte, gab dem Vorgang ein unerhörtes politisches Gewicht. Imhotep fühlte schlagartig sein Mißtrauen erwachen. „Ihr, Fürst?“ sagte er hilflos, um ein wenig Zeit zu gewinnen. „Ich wollte mit Euch reden, Imhotep“, sagte Darcyr. „Ich schlage vor, daß wir uns auf dem Raumhafen von Turqaan zusammensetzen. Es gibt wichtige Dinge zu bereden.“ Darcyr trennte die Verbindung und überließ es Imhotep, sich einen Reim auf diese Sätze zu machen. Vandaar sah Imhotep mit sichtbarer Verwunderung an. „Höre, Imhotep“, sagte er beschwörend. „Ich weiß, daß es von alters her Rivalität gibt zwischen Egol und den Blauen Sonnen. Bitte, tragt diesen Konflikt nicht ausgerechnet in meinem Befehlsbereich aus - ich habe mit den Aufständischen dort unten mehr als genug zu tun.“ „Ich verspreche es“, sagte Imhotep, obwohl er überhaupt nicht wußte, was Darcyr plante und wie er diese Zusage im Zweifelsfalle einhalten sollte. „Können wir landen?“ „Ich lasse euch Plätze freiräumen“, sagte Vandaar. „Unmittelbar nebeneinander?“ „Meinetwegen“, erklärte Imhotep. Die Verbindung wurde unterbrochen, der Bildschirm verdunkelte sich. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr“, murmelte Imhotep. „Worauf will Darcyr hinaus?“ „Ich habe eine Ahnung“, sagte Lispar. „Darcyr plant irgendeinen Schurkenstreich. Nimm dich in acht, Imhotep. Wenn er dich zu fassen bekommt... du bist eine wertvolle Geisel.“ Imhotep wehrte ab. „Das wird Darcyr nicht wagen“, sagte er beruhigend. „Er würde der Reichsacht verfallen, und das ist selbst für einen Fürsten der Blauen Sonnen entschieden zuviel.“ „Ich rede nicht von einem direkten Angriff“, sagte Lispar. „Ich denke an irgendeinen durchtriebenen Streich, bei dem niemals herauskommen wird, wer ihn verübt hat. Wir müssen auf jeden Fall auf der Hut sein.“ „Schon allein wegen der Aufständischen“, ergänzte Imhotep. „Wir landen!“ Die KOLTHAN sank langsam auf den Planeten herab. Turqaan war eine Welt, wie es sie im Imperium zu Hunderten gab, nicht sehr üppig besiedelt, von mäßiger Fruchtbarkeit und mit einem hinreichenden Vorrat an Bodenschätzen ausgestattet. Im Imperium wurde darauf geachtet, daß bei gleichbleibendem Verbrauch die Rohstoffvorräte in der Gesamtrechnung für ein Jahrtausend ausreichten. Das hörte sich gewaltig an, war aber nur eine logische Folge der ungeheuren Größe des Imperiums. Ein so riesiges soziales und wirtschaftliches Gebilde wie das Imperium im Fall einer Rohstofferschöpfung vollkommen umzukrempeln, dauerte seine Zeit und ließ sich keinesfalls übers Knie brechen. In der Vergangenheit war es einige Male zu Rohstoffengpässen gekommen, die sich nicht so schnell hatten erledigen lassen - und gerade in dieser Zeit hatte der Gegner vernichtende Schläge gegen den Bestand des Imperiums führen können. Infolgedessen gab es auf Turqaan im Augenblick eine entsetzliche Hungersnot. Es war grundsätzlich nicht gestattet, künstlichen Dünger zu verwenden. Schon in grauer Vergangenheit hatte sich gezeigt, daß künstlich gedüngte Spezialzüchtungen früher oder
später zum biologischen Zusammenbruch neigten. Auf Turqaan war es - wieder einmal in der Geschichte des Imperiums - zu einer ökologischen Katastrophe gekommen. Das auf dem Planeten angesetzte Zuchtgetreide, speziell auf die Bedingungen dieses Planeten abgestimmt, war umgekippt. Irgendeiner der Zehntausenden von hochkomplizierten ökologischen Faktoren, die die biologische Umwelt des Planeten regelten, war nicht hinreichend beachtet worden und machte sich bemerkbar. Im Falle von Turqaan war die ökologische Kette ebenso lang wie verwickelt. Es gab, was selbst die Experten nicht herausgetüftelt hatten, jedenfalls nicht rechtzeitig, einen hochspezialisierten Kreislauf, an dem zwei verschiedene Spezies von Süßwasserfischen, ein halbes Dutzend Mikrolebewesen, vier Bodenbakterien sowie eine sehr gefräßige und lästige Vogelart beteiligt waren. Außerdem hatte das dürre Steppengras dazugehört, das durch die Neuzüchtung des Saatgetreides ersetzt und verdrängt worden war. Dank einer üblen Panne in der ökologischen Abstimmung hatte sich nun ein Parasit gebildet, der den Siedlern das Getreide schneller zerfraß, als sie es anbauen konnten. Die Natur des Planeten machte sich daran, zwei Störenfriede auszuscheiden - zuerst das Saatgetreide, danach die Spezies, die von diesem Saatgetreide unmittelbar abhängig war. Es war dies die erste ökokatastrophe in diesem Jahrhundert, und viele Bewohner des Imperiums hatten schon geglaubt, dergleichen spiele sich nurmehr in der Phantasie der Ökologen ab. Zu ihrem Leidwesen mußten gerade die Turqaaner erkennen, daß die Herrschaft des Menschen über die Natur nicht vollkommen war und auch niemals sein konnte. Für die Turqaaner hieß das, daß sie entweder verhungern mußten oder aber gezwungen waren, sich schnellstens eine neue Heimat zu suchen. Und was das bedeutete, war jedem Bewohner des Planeten klar - er mußte wieder bei Null anfangen. „Kontakt!“ rief Lispar. Ein sanfter Ruck ging durch die KOLTHAN, das Schiff hatte aufgesetzt. „Vom Kontrollturm nähert sich ein Fahrzeug“, wurde gemeldet. Die Stimme erklang im linken der beiden Kopfhörer, die Imhotep aufgesetzt hatte. „Eine Gesandtschaft - jedenfalls nähern sie sich unter Parlamentärflagge.“ „Laßt Wachen aufziehen“, bestimmte Imhotep. „Ich werde die Gesandten empfangen.“ * Sie waren so höflich und liebenswürdig, wie es die Etikette vorschrieb. Sie waren aber auch so hartnäckig, wie es ihre Notlage erzwang. Imhotep hatte die Botschafter in seiner Kabine empfangen. Die Turqaaner hatten zwei hohe Mitglieder der Regierung entsandt, dazu zwei Wissenschaftler der Universität auf Turqaan. „Wir bitten ja nur um eine Chance“, sagte der Anführer der kleinen Gesandtschaft, der Wirtschaftsminister des Planeten. Dem Rang nach war er ein Edelmann, er gehörte allerdings zum Amtsadel, der bei seinem Tod oder seiner Dienstenthebung erlosch. Deltyan hieß der Mann, und er war Imhotep reichlich unsympathisch. „Zunächst einmal“, wiederholte Imhotep, was er bereits einmal gesagt hatte, „bin ich für dieses Problem überhaupt nicht zuständig. Wenden Sie sich an den Kommandeur der Flotte.“ „Machen wir uns doch nichts vor, Edler Imhotep“, sagte der Minister. „Der Kaiser liegt im Sterben, und Ihr Vater wird nach seinem Tod das Imperium leiten. Ihr Einfluß ist doch entschieden größer als der des Flottenkommandierenden.“ „Auf Dinge dieser Art habe ich keinen Einfluß“, verkündete Imhotep. „Sie wissen das, meine Herren.“ „Wir sind sicher“, sagte einer der beiden Wissenschaftler, „ja, wir garantieren sogar dafür, daß wir dieses Problem in den Griff bekommen werden. Alles, was wir verlangen, ist ein wenig Zeit, mehr nicht.“ „Sie wissen so gut wie ich, daß das unmöglich ist“, erwiderte Imhotep steif. „Es gibt
einschlägige Gesetze des Imperiums.“ „Aber wir können das Problem doch lösen“, wiederholte der Wissenschaftler. „Wir kennen ja schon die Ursache, warum sollten wir dann nicht auch die Lösung finden. Ob man aus den imperialen Vorräten Getreide nach Turqaan schafft oder ob man die Vorräte anderswo verteilt, ist doch schließlich gleichgültig.“ „Keineswegs“, wurde er belehrt. Imhotep wußte, was er sagte. Er hatte sich mit dieser Problematik eingehend beschäftigt. „Die Anpassung des Menschen an diesen Planeten ist nicht gelungen“, stellte er fest. „Obwohl es auf den ersten Blick so aussah, ließen sich die Bedingungen des Planeten nicht mit den Bedürfnissen des Menschen vereinbaren. Die Natur des Planeten weist uns ab, oder wollen Sie das bestreiten?“ „Ich wiederhole: Wir können das Problem lösen. Dazu müssen wir nur...“ Imhotep wußte, daß die ganze Diskussion fruchtlos war, daher fiel er dem Wissenschaftler ins Wort. „... einen Fehler mit einem zweiten korrigieren? Nein, mein Bester, die Vorschriften sind absolut eindeutig. Einen zweiten Eingriff in das Öko-System des Planeten darf und wird es nicht geben. Wir kennen die Ergebnisse dieser ökologischen Flickschusterei viel zu gut, um erneut in die katastrophalen Fehler vergangener Jahrtausende zu verfallen. „Sie haben das Spiel mit diesem Planeten verloren, und niemand im Imperium wird Ihnen. bei einem zweiten Versuch helfen. Es gibt Welten genug, auf denen sich die Bewohner von Turqaan ansiedeln können, um dort einen neuen Versuch zu wagen.“ „Damit werden unsere Leute nicht einverstanden sein“, murrte der Minister. „Ich befürchte das Schlimmste.“ „Wir sind dazu da, das Schlimmste abzuwenden“, sagte Imhotep. „Diese Schiffe dienen nicht nur dazu, unsere Gegner abzuschrecken. Sie haben auch den erklärten Zweck, ein Prinzip durchzusetzen - den Grundsatz nämlich, daß es niemanden im Imperium gibt, für den die Gesetze nicht überall und jederzeit in vollem Umfange gültig sind. Das gilt auch für die Bewohner von Turqaan. Sie haben Pech gehabt, und ich bedaure das, aber an dem Grundsatz läßt sich nichts ändern.“ „Wir werden alles verlieren, was wir mühsam aufgebaut haben“, sagte der Minister verbittert. „Wir haben nicht nur Felder angelegt, wir haben auch Häuser gebaut, Straßen und Kanäle. Diese Welt ist unsere Heimat.“ Imhotep schüttelte den Kopf. „Sie ist es nicht“, sagte er. „Unsere Heimat ist irgendeine unbekannte, ferne Welt, deren Namen wir nicht kennen. Dort ist unsere Spezies entstanden, dort war sie in die Natur eingebettet, ein Bestandteil der Natur. Jetzt, im Imperium von Glyssaan, genießen wir überall nur Gastrecht. Und wenn die Natur einer Welt uns abweist, dann haben wir zu gehen.“ „Und unsere Häuser, unser Vermögen?“ Imhotep bedachte den Sprecher mit einem kalten Blick. „Sie wollen herumwursteln, nicht wahr? Hier ein Eingriff in die Natur, dort ein zweiter, demnächst ein dritter. Und weil dann das gesamte Öko-System nicht mehr richtig läuft, wird weitergeflickt und repariert und eingegriffen - und eines Tages kracht dieser ganze morsche Bau in sich zusammen. Und wer, frage ich Sie, wird dann die Zeche zahlen? Jetzt müssen Sie Ihre Häuser aufgeben, das ist wahr. Lassen wir Sie aber gewähren, dann werden in zehn, hundert oder tausend Jahren Ihre Urenkel ihre Häuser verlieren - und diese Katastrophe wird weit größer sein.“ „Haarspalterei“, wehrte der Minister ab. „Keineswegs“, sagte Imhotep mit aller Schärfe. „Ich kenne solche Reden, ich weiß, was für ein Gedanke Sie bewegt - Sie haben die feige, infame Absicht, für die Fehler, die Sie aus Faulheit und Genußsucht zu begehen nötig haben, Ihre Enkel zahlen zu lassen, und es ist Ihnen egal, wie hoch dieser Preis sein wird. Sie werden ja dann nicht mehr leben, wenn die
Natur eines derart geschändeten Planeten zusammenbricht.“ „Unerhört!“ rief der Minister. „Ich werde mich beschweren.“ „Das bleibt Ihnen unbenommen“, sagte Imhotep. „Ich betrachte Ihren Besuch als abgeschlossen. Im übrigen möchte ich Sie darauf verweisen, daß die Evakuierung des Planeten in den nächsten Wochen beginnen wird. Des weiteren kann ich ihnen mitteilen, daß die ersten Getreideschiffe in den nächsten Tagen hier eintreffen werden. Sie werden auf Turqaan genug Getreide für die nächsten Monate anlanden, genug für alle, bis zum Ende der Evakuierung. Danach wird kein imperiales Schiff diesen Planeten mehr anfliegen. Das TurqSystem wird zur Sperrzone erklärt.“ Der Minister knirschte hörbar mit den Zähnen, dann sagte er leise: „Wir werden hierbleiben, das verspreche ich Ihnen. Wir werden auf diesem Planeten bleiben.“ Imhotep zuckte mit den Schultern. „Ihr Problem“, sagte er knapp. „Wir liefern Getreide für die Übergangszeit, danach wird kein Körnchen den Planeten mehr erreichen. Ich überlasse es Ihnen, Ihr Volk auf den Hungertod vorzubereiten.“ Höflich, aber innerlich wutschnaubend verließen die Turqaaner das Schiff. Sie hatten kaum den Boden des Planeten erreicht, als sich auch schon Darcyr wieder meldete. Die Verbindung wurde in Imhoteps Kabine durchgeschaltet. „Ich würde mich freuen, Euch an Bord meines Schiffes begrüßen zu dürfen“, sagte Darcyr verbindlich. Lispar hatte unterdessen die Kabine betreten. Er machte ein Handzeichen, versuchte, Imhotep zurückzuhalten. Darcyr mußte die Bewegung auf seinem Schirm sehen, aber er zuckte mit keiner Wimper. „Ich komme“, sagte Imhotep. „Wenn es Euch paßt, Fürst, dann komme ich sofort.“ „Es wird mir ein Vergnügen sein“, sagte Darcyr und lächelte. Der Schirm wurde dunkel. „Du mußt von Sinnen sein, Imhotep!“ sagte Lispar. „Dies alles stinkt förmlich nach Verrat. Darcyr wird...“ „Er wird die Gesetze achten“, sagte Imhotep und öffnete die Tür des Kleiderschranks. „Er ist kein Dummkopf, vergiß das nicht. Nirgendwo sind wir im Augenblick sicherer als an Bord von Darcyrs Schiff.“ „Wir?“ „Natürlich“, sagte Imhotep und wählte ein passendes Gewand aus. „Du wirst mich doch wohl begleiten wollen, oder?“ * Lispar war gewiß kein Feigling, aber er machte ein Gesicht, als werde er seinem Henker vorgestellt, als er langsam über das Landefeld hinüberschritt zum Schiff des Fürsten der Blauen Sonnen. „Eine Falle“, murmelte er immer wieder. „Ich schwöre, daß er uns eine Falle stellen will.“ „Nimm dich zusammen“, sagte Imhotep scharf. „Wir wollen einen anständigen Eindruck machen.“ Imhotep trug eine schlichte Borduniform. Nur die Embleme auf den Schulterblättern verrieten dem Kundigen, daß es sich bei Imhotep um einen Edlen des Imperiums handelte, der im Rang eines Raumschiffskapitäns stand. Ein Empfangskommando von zehn ranghohen Offizieren erwartete Imhotep am unteren Ende des zentralen Antigravschachts, der die einzelnen Etagen des Schiffes miteinander verband. Schweigend glitt die Gruppe in die Höhe, bis die Zentrale erreicht war. Einmal mehr stellte Imhotep fest, daß die Blausonnenleute Extravaganz liebten. Während die Gänge und offiziellen Räume der Egol-Schiffe von karger Schlichtheit waren, strotzten die Blausonnenschiffe vor Prunk. Weiche Teppiche lagen auf den Gängen, die Wände waren teils mit Paneelen bedeckt, teils mit kostbaren Wandbehängen. Die Griffe bestanden aus kunstvoll bearbeitetem Messing, die Lampen der Bordbeleuchtung waren
kleine Kostbarkeiten.
Die Zentrale des Schiffes ertrank gleichsam in Luxus und Bequemlichkeit. In Darcyrs
Kommandosessel ließ es sich vermutlich besser schlafen als auf Imhoteps Pritsche.
„Willkommen“, sagte Darcyr, Fürst der Blauen Sonnen. Er stand von seinem Sessel auf,
breitete die Arme aus und ging Imhotep entgegen. Ein Robot mit kunstvoll gearbeiteter Brust
- Imhotep hatte noch nie eine so kostbar ziselierte Maschine gesehen - trug ein Silbertablett mit Brot und einen kleinen hölzernen Salznapf. „Seid mein Gast“, sagte Darcyr strahlend. Er schnippte mit den Fingern, der Robot trat vor. Die Ziselierung auf der Brust zeigte eine wundervoll gearbeitete Sternenkarte des Blausonnenfürstentums. Imhotep nahm von dem Brot und dem Salz, und nach dieser kleinen Zeremonie wußte er sich an Bord dieses Schiffes so sicher wie im kaiserlichen Palast. Darcyr war gewiß ein Schlitzohr, das in der Galaxis seinesgleichen suchte, aber bestimmt kein Verbrecher, der sich sogar über das Gastrecht hinwegsetzte. Es gab gewisse Bräuche, die im Imperium als heilig galten; sie bildeten - bei aller denkbaren Feindschaft untereinander - die Basis, auf der sich alle Bewohner des Imperiums zusammenfanden, wenn es nötig war, gegen den Gegner anzutreten. „War Eure Mission erfolgreich?“ erkundigte sich Darcyr höflich. Er bot den beiden Besuchern Plätze an. „Ich habe keine Mission“, sagte Imhotep knapp. „Ich wollte mich nur umsehen. Ich habe mein Schiff dem Oberbefehl meines Freundes unterstellt. Genügt diese Auskunft, Fürst?“ ‘ Darcyr lächelte. Zum erstenmal saß Imhotep dem Erzfeind seines Hauses so nahe gegenüber. Er nahm sich Zeit, Darcyr ausgiebig zu mustern. Man konnte gegen den Fürsten vorbringen, was man wollte. An seinem guten Aussehen ließ sich nicht rütteln. Der Fürst war hochgewachsen und breitschultrig, seine Bewegungen verrieten Kraft und Geschmeidigkeit zugleich. Das dunkle Haar trug er lang, und seine dunklen Augen konnten jede nur denkbare Gefühlsregung mühelos und glaubwürdig ausdrücken. Die Gesichtszüge waren von vollendetem Ebenmaß. Imhotep wußte, daß Darcyrs geistige Fähigkeiten seinem Aussehen in nichts nachstanden. Darcyr war hochintelligent, gut aussehend und hochgradig gefährlich. „Wir sollten uns zusammentun, Imhotep“, sagte Darcyr. Er besaß eine dunkle, volltönende Stimme, mit der er streicheln und prügeln konnte, ganz nach Belieben. „Ich glaube kaum, daß sich das ermöglichen lassen würde“, bemerkte Imhotep. „Wir sollten Euren Plan, Edler, gemeinsam ausführen. Er ist richtig und findet meine Zustimmung.“ „Von welchem Plan redet Ihr, Fürst?“ Darcyr lächelte liebenswürdig. „Von Eurem Memorandum, das Ihr dem Kaiser vorgelegt habt“, sagte er wie beiläufig.
4. Imhotep konnte sich nicht länger beherrschen. Er sprang auf. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte er erregt. „Wollt Ihr damit zugeben, daß Ihr selbst in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers Eure Spitzel und Spione sitzen habt?“ „Setzt Euch, Imhotep. Der Zorn kleidet Euch nicht. Ja, ich habe meine Freunde auch in der Nähe des Kaisers. Ich kenne das Memorandum, Ihr werdet auf dem Tisch dort eine Abschrift finden, die ich mir verschafft habe.“ Imhotep ging zu dem Tisch hinüber, nahm den dünnen Band auf, der auf der Platte lag, und öffnete ihn. Bereits der erste Blick bewies ihm, daß Darcyr keineswegs geblufft hatte. Dies
war seine Arbeit, die er in aller Heimlichkeit angefertigt und dem Kaiser zugespielt hatte.
Wutentbrannt drehte er sich zu Darcyr um.
„Besänftigt Euch, Imhotep. Ich sagte Euch bereits, daß ich Euren Plan billige. Mehr noch, ich
werde ihn unterstützen.“
Imhotep setzte sich wieder. Er bestellte ein Erfrischungsgetränk und nahm einen großen
Schluck davon, bevor er redete.
„Ich werde auf diese Falle nicht hereinfallen“, sagte er scharf.
Darcyr wiegte lächelnd den Kopf.
„Lieber Freund“, sagte er sanft. „Ihr lebt zu sehr in der Vergangenheit. Ihr kommt aus dem
Klischee der ewigen Feindschaft zwischen Egol und den Blausonnenleuten nicht heraus. Was
von einem Blausonnenmann kommt, ist immer gefährlich, nicht wahr? Habt Ihr Euch nie
gefragt, warum dieses Geschlecht von Halsabschneidern, Gaunern und Ganoven immer
wieder hervorragende Kaiser gestellt hat - nicht anders als der Stamm der Egol-Fürsten?“
An diesem Argument war etwas, das Imhotep anerkennen mußte.
„Außerdem darf ich Euch daran erinnern, daß zu diesem Spiel stets zwei Parteien gehören.
Eure Vorfahren waren auch nicht zimperlich im Umgang mit den Meinigen.“
„Mag sein“, gab Imhotep unwirsch zu. „Und wozu das alles?“
„Ich will Euch ein Abkommen vorschlagen“, sagte Darcyr ohne Umschweife. „Eine
Vereinbarung über die Vergabe der Kaiserwürde. Wenn wir beide uns einig sind, wird dem
Imperialen Rat keine andere Wahl möglich sein - nicht nur, weil wir beide stärker sind als der
Rat, sondern hauptsächlich, weil wir die bessere Alternative darstellen.“
Imhotep kniff die Augen zusammen.
„Wie soll dieses Abkommen aussehen?“ fragte er lauernd. Lispar, der bereits in dieser Frage
so etwas wie Familienvarrat witterte, zog hörbar die Luft ein.
„Der Kaiser wird bald sterben“, sagte Darcyr. „Euer Vater wird danach die Regierung
übernehmen, und das ist gut so.“
„So viel Edelmut? Ganz plötzlich?“
„Manhaar von Egol ist derzeit der beste Mann für dieses wichtige Amt“, erklärte Darcyr. „Er
ist kräftig und gesund genug, die Würde für mindestens zwei Jahrzehnte tragen zu können.“
„Und wie hieße der nächste Kaiser? Darcyr von den Blauen Sonnen?“
„Richtig“, bestätigte Darcyr. „Dann wäre meine Zeit gekommen. Unterdessen, lieber Freund,
hättet Ihr mit Euem verwegenen Plan genügend Gelegenheit, dem Imperium unschätzbare
Dienste zu erweisen. Ich würde Euch dabei helfen, selbstverständlich. Denn Ihr sollt meine
Nachfolge antreten. Ich halte es für besser, diese Reihenfolge bereits jetzt klarzustellen, als sie
später auszukämpfen. Denn wir vergeuden Zeit, Geld und Mühe, wenn wir unsere Kräfte
darauf beschränken, uns gegenseitig das Leben schwerzumachen.“
„Weise gesprochen“, sagte Imhotep mit hörbarem Spott. „Ich soll, wenn ich Euch richtig
verstanden habe, Euch auf den Kaiserthron helfen. Haltet Ihr mich tatsächlich für so dumm,
das Tau zu scheren, mit dem ich aufgeknüpft werden soll?“ Darcyr winkte ab. „Ihr vergeßt
eines, Imhotep, Edler zu Egol. Ich habe keinen männlichen Erben, ich werde auch keinen
Erben haben. Die Linie der Blausonnen-Fürstentümer ist nach mir erloschen.“
„Ihr habt eine Tochter, hörte ich.“ „Sie könnte meine Nachfolge antreten“, sagte Darcyr. „So
gut wie irgendein Mann. Aber die Erbfolgeregeln im Fürstentum der Blauen Sonnen sind
recht veraltet, und auch ich konnte sie nicht abschaffen. Meine Linie wird erlöschen,
günstigstenfalls kann ich bewirken, daß die Nachfolge dem Ehemann meiner Tochter
übertragen wird.“
„Ich ahne etwas“, sagte Imhotep. „Mir schwant Fürchterliches.“
Darcyr zog die Brauen zusammen.Über diesen Punkt wünschte er keine Spaße zu hören.
„Ihr wollt mir Eure Tochter andrehen“, sagte Imhotep höhnisch. „Und ich finde es,
zugegebenermaßen, schmeichelhaft, daß Ihr dabei an mich gedacht habt, aber ich lehne ab.“
„Unklug“, seufzte Darcyr. „Dennoch, ich bin sicher, Ihr werdet Eure Meinung ändern.“
„Niemals“, sagte Imhotep überzeugt.
Ein Offizier trat aus dem Halbdunkel der Zentrale nach vorn und übergab Darcyr eine Notiz.
Der Fürst überflog die Nachricht, dann sah er Imhotep an.
„Ich habe schlechte Nachrichten für Euch“, sagte Darcyr beherrscht. „Die Turqaaner haben
Euer Schiff überfallen und Eure Besatzung gefangengesetzt. Sie verlangen, daß in ihrem Fall
eine Ausnahme gemacht wird.“
„Meuterer!“ rief Imhotep und sprang auf.
„Licht“, befahl Darcyr knapp. „Die Wachen heraus, Klar Schiff zum Gefecht. Besetzt die
Eingänge. Ich wünsche eine Verbindung zur KOLTHAN, und zwar sofort.“
Die Besatzung des Schiffes war nicht minder präzise eingearbeitet als Imhoteps Crew. In
kurzen Abständen trafen die Klarmeldungen der einzelnen Stationen in der Zentrale ein.
„Verbindung steht!“ erklang es aus dem Lautsprecher.
Imhotep hatte unterdessen, von Darcyr mit knappen Gesten dazu aufgefordert, auf dem Platz
des Kommandanten Platz genommen.
„Imhotep spricht“, begann der junge Mann. „Ich möchte einen meiner Offiziere sprechen.“
„Ihr werdet mit uns sprechen, Imhotep“, klang es zurück. Auf dem großen Schirm stabilisierte
sich das Bild des Ministers, der sich offenbar zum Befehlshaber der Meuterer
aufgeschwungen hatte.
„Die KOLTHAN ist in unserer Hand, und wenn man uns nicht alle Bedingungen erfüllt, die
wir zu stellen haben, werden wir die Geiseln töten.“
„Ich unterstelle mich Euch“, sagte Darcyr zu Imhotep gewandt. „Einschließlich meiner
Flotte.“ Imhotep dankte mit einem Blick.
Er wußte, daß Darcyr es ehrlich meinte. Beide Männer waren daran interessiert, das Imperium
einmal zu regieren - aber beide brauchten für ihre Pläne ein funktionierendes Reich.
Aufstände konnten sie nicht gebrauchen.
„Ich lehne eure Forderungen ab“, sagte Imhotep. „Mir ist es gleichgültig, was ihr fordert - ich
lehne alles ab. Mit Leuten wie euch wird nicht verhandelt.“
„Nicht provozieren“, murmelte Darcyr, so leise, daß ihn nur Imhotep verstehen konnte.
„Wollt Ihr sehen, wie Eure Freunde sterben?“ fragte der Minister.
Imhotep wußte, daß er in diesem Fall eigentlich nur verlieren konnte. Gab er den Aufrührern
nach, um seine Freunde zu retten, verlor er alles Ansehen in der Politik; blieb er hart, um des
Gründsatzes willen, verlor er seine Freunde - und damit ebenfalls Sympathie, die er dringend
brauchte. So oder so - die Lage war überaus verzwickt für Imhotep.
Der Minister folgerte aus Imhoteps Schweigen, daß der Edle verhandlungsbereit war.
„Wir erwarten vom Imperium genügend Getreide für die nächsten beiden Jahre“, sagte er
energisch. „Natürlich nicht geschenkt, wir beantragen einen entsprechenden Kredit. Die
Umsiedlungsaktion unterbleibt, alle Turqaaner bleiben in ihren Häusern.“
„Ist das alles?“ fragte Imhotep.
„Allerdings“, antwortete der Minister.
„Sie haben etwas vergessen“, sagte Imhotep, sich mühsam beherrschend. „Eine
Generalamnestie für sich selbst und Ihre Spießgesellen!“
„Laß dich nicht erpressen“, erklang eine Stimme aus dem Hintergrund der Zentrale der
KOLTHAN, gefolgt von einem Schmerzenslaut. Imhotep blieb ungerührt, zumindest zeigte er
sich so.
„Sie werden verstehen, daß ich darüber nicht entscheiden kann“, erklärte er dann. „Meine
Kompetenzen reichen nicht so weit, einmal ganz davon abgesehen, daß ich dem Oberbefehl
Vandaars unterstehe.“
„Erzählen Sie mir nichts“, antwortete der Minister kalt. „Ich weiß, was für einen Einfluß Sie
haben.“
Allein die Anrede verriet, daß der Minister Imhotep provozieren wollte, aber der junge Mann
ging auf den durchsichtigen Versuch nicht ein.
„Ich werde mich vielleicht mit meinem Vater und dem Kaiser in Verbindung setzen“, sagte
Imhotep abschließend. „Mehr kann ich im Augenblick nicht versprechen.“
Mit diesen Worten unterbrach er die Verbindung. Er wandte sich zu Darcyr um.
„Was meint Ihr, Fürst?“
Darcyr nickte langsam.
„Grundsätzlich habt Ihr recht, Imhotep“, entgegnete er. „Ich habe aber einen anderen Plan,
den ich Euch anbieten möchte.“
„Ich höre.“
„Wir stürmen Euer Schiff. Ich stelle meine Männer zur Verfügung, und ich nehme nicht an,
daß sich die Meuterer bereits in der KOLTHAN festgesetzt haben. Wenn wir ohne jedes
Zögern zuschlagen, können wir sie überraschen.“
Imhotep zögerte nicht lange.
„Ich nehme Euer Angebot an. Wieviel Zeit werden wir brauchen, um den Schlag
vorzubereiten?“
Darcyr sah seine Offiziere an. Er lächelte zufrieden.
„Zwei, drei Stunden“, sagte er. „Bei Einbruch der Dunkelheit werden wir angreifen!“
* „Hoffentlich geht das gut“, murmelte Lispar. Die Truppe hatte sich im großen Hangar von Darcyrs Schiff getroffen, knapp zweihundert Mann, bestens bewaffnet und hervorragend geschult. Imhotep kam nicht umhin, die Qualität von Darcyrs Soldaten zu bewundern. Der Gedanke, daß sich Egol und die Blauen Sonnen verbanden, begann Imhotep zu gefallen. Nun, der Ablauf der Befreiungsaktion mußte erst abgewartet werden. Darcyr hatte sich entschlossen, an vorderster Front mitzukämpfen. Ein Feigling war er nicht, stellte Imhotep fest. * „Wir werden uns im Schutz der Fahrzeuge an die KOLTHAN heranarbeiten“, sagte Darcyr. Zwischen dem Schiff des Fürsten, und dem Kontrollturm war ein reger Fahrzeugverkehr im Gange. Seit der Landung des Schiffes wurden die erschöpften Vorräte des Schiffes ergänzt. Wasser wurde an Bord gebracht, Nahrung, Brennmaterial und vieles mehr. Sich in diesen Fahrzeugstrom einzuschleusen, sollte eigentlich nicht schwerfallen. „Los jetzt!“ stieß Darcyr hervor. Ein Dutzend seiner Männer sprang vor. Sie stürzten sich auf die völlig überraschten Fahrer der gerade erst entladenen Transporter. Bevor die Männer auch nur dazu kamen, den Mund zu einem Schreckensruf zu öffnen, waren sie bereits betäubt. Hastig zogen Darcyrs Männer die Betäubten aus und schlüpften in deren Uniformen. „Auf die Ladeflächen“, bestimmte Imhotep. Er wußte Lispar neben sich und achtzehn Blausonnenleute hinter sich. Fast lautlos huschten die Gestalten durch das nächtliche Dunkel auf die Ladefläche des Transporters zu. Imhotep schwang sich als erster hinauf, nach ihm kam Lispar. Imhotep hastete sofort zur Fahrerkabine nach vorn. Der Tausch war rasch und präzise vonstatten gegangen. „Abfahren!“ flüsterte Imhotep dem Fahrer ins Ohr. „Wir müssen den normalen Zeitplan einhalten.“ Unter dem Blausonnenschiff, wo üblicherweise verladen wurde, erklangen die typischen Geräusche, mit denen ein solcher Vorgang stets verbunden war - Kommandorufe, leises Fluchen und Knurren, Witzworte und ab und zu das Poltern eines herabfallenden Gepäckstücks. Darcyrs Männer hatten Anweisung, dieses akustische Täuschungsmanöver solange wie möglich durchzuhalten.
Imhoteps Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Der Kurs führte fast zwangsläufig dicht an der
Luke der KOLTHAN vorbei. Den ganzen Nachmittag lang hatte Imhotep die Piraten
beobachtet. Sie hatten vier Wachen am unteren Ende des zentralen Antigravs postiert.
Vermutlich hielten zehn weitere Männer ein Stück weiter oben Wacht, so daß an ein
Eindringen von dieser Seite nicht zu denken war.
Darcyrs Plan sah anders aus. Er wollte seinen Männern zumuten, an den Landestützen in die
Höhe zu turnen und dort ungesehen in das Schiff einzudringen.
Das hörte sich recht leicht an, war aber eine selbstmörderische Unternehmung, bei der man
sehr leicht den Tod finden konnte. Der Gleiter mit den darauf versteckten Soldaten glitt an
dem offenen Antigravschacht der KOLTHAN vorbei und tauchte wieder in das Dunkel, das
über dem größten Teil des Landefelds lag.
„Einer nach dem anderen!“ zischte Imhotep.
Er selbst sprang als erster von dem langsam fahrenden Gleiter, kam glatt auf und rannte sofort
auf die nächste Stütze zu. Ohne jedes Zögern machte er sich an den Aufstieg.
Die Landestütze bestand aus bestem, sorgsam vernietetem Stahl. Hände und Füßen fanden an
der recht groben Konstruktion guten Halt.
Imhotep kam sicher in die Höhe.
In die KOLTHAN einzudringen, war nicht weiter schwierig. Mit einem Angriff von dieser
Seite hatte niemand je gerechnet, daher gab es ein halbes Dutzend Öffnungen, durch die man
ins Schiffsinnere gelangen konnte.
Imhotep sah sich kurz um. Er war allein in diesem Winkel seines Schiffes. Er steckte die
Waffe in den Gürtel zurück und half den Nachrückenden ins Innere der KOLTHAN. Lispar
blieb verabredungsgemäß außen, um den Fortgang der anderen verfolgen zu können. Er trug
ein spezielles Nachtglas mit Restlichtverstärker, der es ihm ermöglichte, seine Kameraden zu
sehen.
„Alle Mann sind an Bord“, sagte er schließlich. „Wir können losschlagen.“
Imhotep griff zur Waffe. Mit einem Handgriff öffnete er die Tür zum nächsten Korridor. Er
war leer.
„Mir nach!“ flüsterte Imhotep.
Er kannte die KOLTHAN besser als seine eigene Wohnung. Daher hatte er wenig Mühe,
einen Schleichweg zu finden, der ihn ungesehen bis dicht an die Zentrale brachte. Er näherte
sich ihr von oben und nicht von unten, wo die Piraten auf ihn warteten.
„Auf mein Zeichen“, sagte Imhotep sehr leise. „Ich gehe voran!“
Er schwang sich in den Antigravschacht und sank langsam hinab.
Dann tauchte Imhotep in der Zentrale auf.
Er zögerte keinen Herzschlag lang. Deutlich waren die beiden Gruppen in der Zentrale zu
erkennen - auf der einen Seite die Geiseln, auf der anderen die Besetzer der KOLTHAN.
Imhotep zog den Abzug seiner Waffe durch, während er sich aus dem Antigravschacht heraus
in die Zentrale bewegte. Schreie erklangen, während die ersten Besetzer zusammenbrachen.
Hinter Imhotep tauchten weitere Kämpfer auf und fielen in das Feuer ein. Nach wenigen
Augenblicken befand sich die Zentrale in der Hand der Eindringlinge.
Imhotep rannte ohne Zögern auf seine gefangenen Gefährten zu und befreite sie. Gleichzeitig
sorgte Lispar dafür, daß die Bordbeobachtung eingeschaltet wurde. Auf allen Bildschirmen
waren Kämpfe zu sehen. Überall drangen die Blausonnenleute siegreich vor - nicht selten
zum größten Entsetzen der KOLTHAN-Besatzung.
„Heilige Galaxis!“ stöhnte ein junger Offizier auf. „Blausonnenleute in unserem Schiff!“
„Es kommt noch viel schlimmer“, sagte Imhotep lachend. Er deutete auf die Gestalt, die in
diesem Augenblick in der Zentrale der KOLTHAN auftauchte. „Wir haben sogar den Fürsten
selbst an Bord.“
Imhotep steckte seine Waffe weg und ging dem Fürsten entgegen.
„Willkommen“, sagte er lächelnd und reichte Darcyr die Hand. „Ich freue mich, einen Freund
begrüßen zu können.“
5. „Damit hätten wir die halbe Regierungsspitze der Turqaaner in unseren Händen“, stellte
Lispar fest. „Das heißt, daß Turqaan praktisch führerlos ist.“
Vier dieser Regierungsmitglieder standen gefesselt in der Zentrale und starrten dumpf zu
Boden.
„Was machen wir mit diesen Leuten“, fragte Lispar. Imhotep überlegte nicht lange. „Ich maße
mir nicht an, über sie zu urteilen“, sagte er. „Wir fliegen zurück nach Glyssaan und nehmen
sie mit. Auf Glyssaan sollen sie abgeurteilt werden.“
„Wozu der Aufwand“, fragte Deltyan, vormals Minister auf Turqaan. „Macht ein Ende, Herr,
wir bitten Euch.“
„Noch ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen“, sagte Imhotep kalt. „Ich
werde der normalen Gerichtsbarkeit nicht vorgreifen.“
Er winkte einem Offizier, der die Gefangenen aus der Zentrale entfernte.
Von einem großen Bildschirm sah das Gesicht des Blauonnen-Fürsten auf Imhotep herab.
Darcyr lächelte zufrieden.
„Fliegt voran, Imhotep“, sagte Darcyr freundlich. „Ich werde die Turqaaner auf die
kommenden Ereignisse vorbereiten. Anschließend werde ich Euch auf Glyssaan besuchen.“
„Ich freue mich darauf“, entgegnete Imhotep und verneigte sich leicht. Die Schirme
verdunkelten sich.
„Starten wir!“ bestimmte Imhotep. Die KOLTHAN hob rasch ab und ließ Turqaan hinter sich.
Imhotep war mit sich und seiner Leistung zufrieden. Seinen Plänen stellte sich vorläufig
nichts mehr in den Weg, ausgenommen sein Vater, aber den hoffte Imhotep noch zu
überzeugen. Und wenn Darcyr seine Pläne aktiv unterstützte...
Imhotep hatte sich nicht erkundigt, wie Darcyrs Tochter aussah wenn sie ihrem Vater ähnelte,
mußte sie ebenso schön wie gefährlich sein, eine Kombination, die Imhotep zu gefallen
begann.
Während die KOLTHAN Kurs auf Glyssaan nahm und sich auf den Eintritt in den Hyperraum
vorbereitete, suchte Imhotep seine Kabine auf. Die Roboter und ein Dutzend Soldaten waren
gerade erst damit fertig geworden, die Schäden zu beseitigen, die die Besetzer angerichtet
hatten.
Die Turqaaner hatten an Bord der KOLTHAN wie besessen gewütet. Sie hatten Polster
aufgeschlitzt, Leitungen durchschnitten, Gläsernes zerbrochen, Wände beschmiert kurz, sie
hatten sich so schlecht aufgeführt, wie das nur möglich war.
Imhotep hatte Deltyan nach dem Grund für diese Verwüstungen gefragt, aber keine
brauchbare Antwort bekommen.
Es war ein Glück, daß sie lebenswichtige Teile verschont hatten, dachte Imhotep, als er seine
Kabinentür hinter sich schloß. Sehr wohnlich sah der Raum nicht mehr aus, nur notdürftig
waren die Spuren des Überfalls getilgt worden.
Imhotep öffnete seinen kleinen Privattresor, in dem er seine Pläne aufbewahrte. Vergeblich
hatten die Plünderer das kleine Behältnis aufzubrechen versucht, aber nur oberflächliche
Schäden angerichtet. Die Pläne waren unversehrt.
Wieder einmal studierte Imhotep sein Vorhaben.
Sein Plan war kühn, aber erfolgversprechend. Und jetzt, da er der Unterstützung des
Blausonnen-Fürsten sicher sein konnte, nahm das ganze Projekt völlig neue Züge an.
Vielleicht gelang mit vereinten Kräften - Egol und das Fürstentum -, was bisher nie gelungen
war: zu einem Schlag auszuholen, der den ewigen Krieg in der Galaxis zu einem endgültigen
Abschluß brachte, zum letzten Sieg für das Imperium.
Imhotep lächelte verhalten.
„Man wird sehen“, sagte er halblaut.
* Zwei Gleiter warteten auf dem Landefeld von Glyssan: ein großes Transportfahrzeug, das die Gefangenen in die nächstgelegene Haftanstalt verfrachtete und ein Gleiter mit der kaiserlichen Standarte auf Imhotep. Der erste Blick des jungen Mannes ging hinauf zur Palasthöhe, wo der Marmorpalast des Kaisers zu sehen war. Die Fahne wehte am Mast, nahe der Spitze, und die wenigen Passanten, die Imhotep zu sehen bekam, machten zufriedene Gesichter. „Wie geht es dem Kaiser?“ fragte Imhotep, kaum, daß er in dem Gleiter Platz genommen hatte. „Besser“, antwortete der Robot, der das Fahrzeug steuerte. „Werde ich erwartet?“ fragte Imhotep weiter. „Der Kaiser erwartet Euch“, gab der Robot bekannt. Imhotep hatte damit gerechnet, daß sein Vater nach ihm schickte, nicht aber mit einer Einladung des Kaisers. Hatte Darcyr aus der Ferne seine Fäden spielen lassen? Einen Augenblick lang überfiel Imhotep wieder das Gefühl der Unsicherheit, das er stets hatte, wenn er es mit Darcyr zu tun bekam. So offen und ehrlich und vernünftig sich der Fürst der Blauen Sonnen auch gab eine gewisse Zurückhaltung erschien Imhotep dennoch angebracht. Er ahnte nur, über welche Mittel, Hilfsquellen und Verbündete der Blausonnen-Fürst gebot, und diese Ahnung allein war bedrückend. So verlockend Darcyrs Freundschaft war, so bedrohlich erschien sie auch in manchen Augenblicken. Dies war ein solcher Augenblick, und einen Herzschlag lang befürchtete Imhotep allen Ernstes, daß auch der Fahrer-Robot in Darcyrs Diensten stand und ihm gehorchte und eine Waffe zog und den Fahrgast über den Haufen schoß. Dann aber wurde Imhotep das Lächerliche dieser Angst bewußt, und das Gefühl schwand. Über die breite Prachtstraße, die Avenue der Tausend Welten, die den Raumhafen und den Palast verbanden, glitt der Gleiter mit der Kaiserlichen Standarte. Es. gab keine Vorschrift, die diesem Fahrzeug Vorrang eingeräumt hätte. Daß die Mehrzahl der Verkehrsteilnehmer freiwillig Platz machte, zeigte Imhotep deutlich, wie beliebt der sterbende Kaiser bei den Bewohnern seiner Welt war. Es würde nicht leicht werden, diesen hervorragenden Mann würdig zu ersetzen. Das Gebäude, in dem der Kaiser des Imperiums von Glyssaan seinen Amts- und Wohnsitz hatte, galt als ein architektonisches Juwel, das seinesgleichen in der Galaxis suchte. Erbaut von den größten Künstlern ihrer Zeit, stellte es den Gipfel dessen dar, wozu künstlerisches Vermögen und handwerkliches Geschick überhaupt imstande waren. Seinen Namen verdankte das Gebäude dem grandiosen Relief, das sich rund um den weitläufigen Palast zog. In mehrfarbigem Marmor aus den besten Steinbrüchen war in diesem Relief die Geschichte des Imperiums nachgebildet. Die Kunst bestand dabei nicht nur in der vollendeten Harmonie der einzelnen Figuren, sondern nicht zuletzt in der atemberaubenden Perfektion, in der der jeweils verwendete Marmor ausgesucht, behauen und zum Gesamtkunstwerk zusammengefügt worden war. Die blauen, braunen oder gelben Augen waren keineswegs gefärbt - der Marmor hatte ursprünglich diese Farbe gehabt, und das gleiche galt für das metallene Blitzen der Waffen und die Hauttöne der Kämpfer. Teilweise war der Marmor jahrhundertelang nur zu diesem einen Zweck gleichsam gezüchtet worden. Das gesamte Relief war erst vor zwei Jahrhunderten fertig geworden, und seither zierte es den Palast des Kaisers.
Imhotep kannte die kilometerlange Mauer fast auswendig, er verschwendete keinen Blick
mehr darauf.
Der Gleiter steuerte die Auffahrt zum Großen Tor an. Über den beiden bronzenen Flügeln des
Tores - auch sie erlesene Kunstwerke - war der breite Balkon zu sehen, von dem aus der
Kaiser sich dem Volk zu zeigen pflegte.
Darüber wiederum wehte die Flagge des amtierenden Kaisers, und ihr Standort an der Stange
verriet im Zweifelsfall, ob der Kaiser gesund war oder nicht.
In diesem Fall verriet der Flaggenstand, daß der Beherrscher des Imperiums wohlauf war
allerdings mit den Einschränkungen, die das vorgerückte Alter des Kaiser nötig machte. Daß
der Kaiser den Jahreswechsel erleben würde, erwartete nicht einmal er selbst.
Das Signal, das der Fahrerrobot zum gleichfalls robotischen Torposten gefunkt hatte, ließ die
Torflügel geräuschlos aufschwingen. Der Weg in den vordersten Innenhof wurde frei.
Der Palast war weitläufig angelegt, entsprechend der Bedeutung des Kaisers für das
Imperium. Der Gleiter durchfuhr die vordersten Innenhöfe und hielt vor dem Eingang zum
eigentlichen Wohngebäude des Kaisers. Imhotep stieg aus und wurde an der Tür von zwei
Robotern empfangen, die nur aus Gold und Glas zu bestehen schienen. Die Gemeinschaft der
Bildhauer von Glyssaan hatte dem Kaiser diese beiden Maschinen verehrt.
Die Robots geleiteten Imhotep durch die Gänge des Palasts.
Vor einer schmucklosen, hölzernen Tür blieb der kleine Trupp stehen. Höflich klopfte der
Robot an. Das Holz gab einen hellen, wohlklingenden Ton, dann sagte eine matte Stimme:
„Herein!“
Die Tür schwang nach innen auf, die Robots traten respektvoll zur Seite, und Imhotep trat ein.
Jarhaan, Fürst zu Guloor, zur Zeit Kaiser des Imperiums von Glyssaan, lag in seinem Bett,
das bestimmt schien, sein Sterbelager zu werden. Der Kaiser war hochbetagt, weiße Haare
und eine fleckige, pergamenten wirkende Haut bildeten den Beweis dafür. Einzig seine
Stimme verriet, daß Jarhaan noch bei vollem Bewußtsein war und sein scharfer Geist nichts
von seiner Geschmeidigkeit eingebüßt hatte.
Imhotep kniete neben dem Lager nieder und küßte den schlichten Ring aus graviertem Stahl.
Auf der anderen Seite des Bettes, dessen Vorhänge zurückgeschlagen waren, erkannte
Imhotep seinen Vater mit finsterer Miene. Auf der dünnen Decke lag, Imhotep bis in die
kleinste Einzelheit vertraut, der Schriftsatz seines Memorandums.
„Erhebt Euch, Edler Imhotep!“ sagte der Kaiser. „Setzt Euch und berichtet mir von Eurer
letzten Unternehmung. Ihr habt einen Aufstand niedergeschlagen?“
Imhotep lächelte.
„Eine unbedeutende Revolte“, sagte er ruhig. „Aufstände erübrigen sich in Glyssaan.“
Dann berichtete er knapp und klar, wie er es auf der Raumfahrtakademie gelernt hatte.
„Gute Arbeit“, lobte Jarhaan. „Und ich verstand, daß Ihr Euch mit dem Fürsten der Blauen
Sonnen verbündet habt?“
„Man kann es so nennen“, antwortete Imhotep zögernd. Er sah den düsteren Blick seines
Vaters auf sich gerichtet. „Der Fürst unterstützt das Vorhaben, das ich Euch unterbreitet
habe.“
„Tut er das?“ fragte der Kaiser und sah Imhotep aufmerksam an.
„Er sagt so“, antwortete Imhotep. „Der Fürst ist, gleich mir, der Meinung, daß das Imperium
einer grundlegenden Stärkung bedarf und dazu könnte mein Vorhaben beitragen.“
„Wenn ich Euren Plan richtig verstanden habe, dann wollt Ihr Siedler in der Vergangenheit
auf noch unbewohnten Planeten absetzen?“
„Das ist der Kern des Planes“, sagte Imhotep. „Ich weiß - erspart es mir, die Quelle dieser
Information zu benennen -, daß es ein Gerät gibt, mit dem Zeitoperationen wirkungsvoll
verschleiert werden können. Mein Plan macht sich dieses Gerät zunutze.“
„Ich bitte um Einzelheiten“, sagte Jarhaan.
„Das Imperium braucht, wenn es noch einmal gegen den großen Feind antreten will, mehr
Schiffe und auch mehr Menschen. Jeder besiedelte Planet aber kann, wenn er nicht ruiniert werden soll, höchstens 500 Millionen Menschen Platz bieten.“ „Das ist bekannt“, warf Manhaar unwillig ein. „Diese Zahl liegt in der Praxis noch wesentlich niedriger“, fuhr Imhotep fort. „Dazu kommt, daß neubesiedelte Welten immer ein gewisses Risiko darstellen. Wir erleben es gerade wieder auf Turqaan. Manchmal stellt sich erst nach vielen Jahrzehnten heraus, daß die Siedler und ihre Welt einfach nicht zusammenpassen - in diesem Fall sind Jahrhunderte harter Arbeit vertan, und entsprechend niedrig ist die Zahl derer, die bereit sind, auf neuen Welten zu siedeln.“ „Zur Sache“, forderte Manhaar. „Mein Vorschlag ist der; Wir siedeln eine kleine Zahl qualifizierter Menschen, hauptsächlich Bauern und Ökologen, auf einer neuentdeckten Welt an - aber tief in der Vergangenheit. Dieser Gruppe können wir dann nötigenfalls Jahrtausende Zeit lassen, Getreide und andere Nutzpflanzen langsam so zu züchten, daß sie perfekt mit der Ökologie des betreffenden Planeten harmonieren. Wohlgemerkt: Diese Siedler sollen nicht unter dem Druck stehen, für eine immer größer werdende Siedlung Nahrungsmittel zu erzeugen. Sie sollen nur eines - das Saatgut kommender Jahrtausende entwickeln, langsam, in aller Ruhe, ohne übereilte und gefährliche Eingriffe in die natürliche Umwelt des betreffenden Planeten.“ „Das hört sich vernünftig an“, sagte der Kaiser. „Was sagt Ihr dazu, alter Freund?“ Die Frage galt Manhaar, der bedächtig den Kopf wiegte. „Auf den ersten Blick hört sich das gut an“, meinte er. „Wie soll das in der Praxis aussehen?“ „Ich habe bereits eine Gruppe von denkbaren Welten gefunden“, sagte Imhotep. „Ich schlage vor, auf einer dieser Welten einen großen Stützpunkt anzulegen, dort sollten auch Raumschiffe stationiert werden, aber nicht sehr viele.“ „Wie wollt Ihr den Verkehr zwischen den einzelnen Welten bewerkstelligen?“ „Jedenfalls nicht mit Raumschiffen, deren Impulse angemessen werden könnten“, versetzte Imhotep. „Ich hatte daran gedacht, auf Nullzeit geschaltete Zeitmaschinen zu verwenden.“ Imhotep sah, wie Jarhaan schluckte. Die Zeitmaschinen gelten als das größte Geheimnis des Imperiums. „Ihr geht recht locker mit diesen Kostbarkeiten um“, stellte der Kaiser fest. „Es sind Geräte, die einen Zweck haben“, konterte Imhotep. „Also sollte man sie ihrem Zweck entsprechend einsetzen. Im übrigen wird der Verkehr zwischen den einzelnen Siedlungswelten sehr knapp ausfallen. Wir wollen den Gegner nicht vorzeitig alarmieren. Er wird genug damit zu tun haben, die Tatsache zu verdauen, daß vor seiner Nase plötzlich ein Dutzend oder gar mehr bewohnte Welten auftauchen, wohlgerüstet und bewaffnet.“ „Der Plan gefällt mir“, sagte Jarhaan nach kurzer Überlegung. „Was werdet Ihr brauchen?“ „Zunächst nur mein Schiff, eine Tausendschaft Arbeitsroboter und ein paar Dutzend Spezialisten. Zuerst sollte das Fort erbaut werden, von dem aus die Aktion geleitet werden wird.“ „In welche Zeit wollt Ihr vorstoßen“, erkundigte sich der Kaiser. Imhotep wiegte den Kopf. „Das wissen wir noch nicht genau“, sagte er. „Es gibt da viele Möglichkeiten. Ich dachte an drei bis vier Jahrtausende, das gibt uns in jedem Fall genügend Raum.“ Für kurze Zeit herrschte Schweigen. Die Entscheidung, die hier und jetzt gefällt werden mußte, war überaus schwerwiegend. „Also gut“, sagte Jarhaan schließlich leise. „Versucht Euer Glück.“ Imhotep küßte dankbar den schlichten Ring.
6.
„Seid vorsichtig mit dem Ding!“ rief Imhotep. Die Mahnung war mehr als überflüssig. Entweder waren die Robots so fehlprogrammiert, daß sie die kostbaren Teile fallen ließen, dann konnte Imhoteps Ruf nichts daran ändern, oder aber sie folgten ihrer Programmierung, dann war eine solche Panne von vornherein ausgeschlossen. Imhoteps Ruf entsprach mehr einer grundsätzlichen Sorge als einer akuten Furcht. Gewiß, die Einzelteile der Zeitmaschine waren empfindlich, und das galt ganz besonders für das Zusatzgerät, mit dem die Impulse der Zeitreise unanmeßbar gemacht wurden. Fiel dieses Bauteil aus, lieferte die Zeitmaschine jedem Lauscher des Gegners einen leuchtfeuerähnlichen Hinweis auf den Standort der KOLTHAN. „Ich muß dich beglückwünschen“, sagte Kyarx, einer der jüngeren Offziere, die Imhotep auf diese Reise mitgenommen hatte. „Diese Welt ist wirklich herrlich. Fast könnte man die Siedler beneiden, die hier leben sollen.“ Imhotep lächelte zurückhaltend. „Ob das Projekt ein voller Erfolg wird, muß sich erst noch zeigen“, murmelte er. Er stand an der Küste und blickte hinunter auf die windgepeitschte See, die gegen die Steilküste brandete. Shyftan hatte Imhotep diese Welt genannt. Es war eine aus dem Verbund von insgesamt siebzehn bewohnbaren Welten, die Imhotep in der näheren Umgebung entdeckt und zur Besiedlung vorgesehen hatte. Hinter ihm, am Ufer des Kontinents Gardahn - so hatte Imhotep das Land getauft -, nahm die große Festung immer mehr Gestalt an. Die Außenmauern waren nahezu vollständig, desgleichen die Innenausstattung. Neben dem riesenhaften Gebäude stand ein Transportraumer, auf der Hülle das Emblem der Blausonnenfürstentümer. Seine Besatzung entlud gerade das Kernstück des Weltenverbundes, die zentrale Zeitmaschine. Das Gerät war eine Sonderanfertigung - nicht nur groß genug, um den gesamten Nachschub für das Unternehmen transportieren zu können, sondern auch in der Lage, eine komplette Zeitmaschine in Normalausführung durch Raum und Zeit zu schicken, einschließlich eines Batteriesatzes, der für den Rücktransport des Expeditionskorps ausreichte. In den nächsten Tagen und Wochen sollten Trupps die kleinen Maschinen zu den anderen sechzehn Stationen bringen und dort aufbauen. Imhotep winkte Tosalf heran, einen anderen der jungen Offiziere. „Wie sieht es bei euch aus?“ fragte er. Tosalf leitete das Ökologenteam, das seit dem Beginn der Expedition nichts anderes tat, als die Umweltbedingungen Shyftans genauestens zu untersuchen. „Wird es schwierig werden, unsere Nahrungsmittel an den Planeten anzupassen?“ „In einigen Fällen wird es recht leicht sein, in anderen wiederum schwierig“, gab Tosalf Auskunft. „Diese Information hilft mir nicht weiter“, erklärte Imhotep. „Einzelheiten!“ „Das Saatgetreide ist mit den Grassorten des Planeten recht verwandt“, wußte Tosalf zu berichten. „Das gleiche gilt auch für einige andere Feldfrüchte. Ich nehme an, daß wir in weniger als zweihundert Jahren bei natürlicher Auslese ein Brotgetreide haben werden, das ohne künstliche Düngung oder übertriebene Schädlingsbekämpfung genügend Ertrag liefert, um auf der bäuerlichen Grundstruktur eine gemäßigte Industrie aufzubauen.“ „Das höre ich gern“, sagte Imhotep. „Und was ist mit den Tieren?“ „Da steht es nicht ganz so gut“, erwiderte Tosalf. „Wir werden erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden haben. Es gibt hier eine Sorte Huftiere, die man vielleicht zum Reit- und Nutztier zurechtzüchten kann, dazu ein paar Sorten Schlachtgetier. Ansonsten existiert die übliche Vielfalt von großen und kleinen Lebewesen. Und wie überall dominieren die Insekten. Wir haben allein in dieser Gegend mehr als zweitausend verschiedene Insekten gezählt.“ Imhotep wußte, daß dies keineswegs ungewöhnlich war. „Irgend etwas Gefährliches darunter?“
Tosalf nickte. „Leider ja“, sagte er. „Wir haben zwei Hundertschaften verschiedener Blutsauger gefunden, die meisten davon sind vergleichsweise harmlos. Dann gibt es noch ein paar Spezies, die ganz spezielle Arten Fruchtzucker sammeln, enzymatisch aufbereiten und sogar lagern. Einen Teil dieser Insekten kann man vielleicht züchten, die meisten Sorten aber würde ich lieber in Ruhe lassen - ein paar von den Viechern haben häßliche Stacheln mit scheußlichen Nesselgiften daran.“ „Alles in allem“, faßte Imhotep zusammen, „teils gut, teils schlecht.“ „Das sagte ich am Anfang schon“, bemerkte Tosalf trocken. Er grinste Imhotep an. Die beiden jungen Männer waren seit Jahren befreundet, und Imhotep hatte Tosalf dazu bestimmt, die Leitung dieser Unternehmung zu übernehmen, sobald Imhotep sich anderen Aufgaben zuwenden würde. In der Festung, die in wenigen Wochen fertiggestellt sein würde, waren sieben Schlafplätze bereitgestellt worden. Dort sollten Tosalf und sechs seiner Gefährten die nächsten Jahre ihres Lebens verbringen - im lebenserhaltenden Tiefschlaf. Nur ab und zu sollte einer der sieben erwachen, per Transmitter eine Inspektion des Projekts vornehmen und wieder in den Kälteschlaf zurückkehren. „Wann erwartest du die ersten Siedler von den Turq-Welten?“ fragte Tosalf. Imhotep sah auf das Chronometer an seinem Handgelenk. Er rechnete rasch nach. „In höchstens zwei Wochen“, sagte er. Das Chronometer, nagelneu und sehr kostbar, war ein Geschenk Darcyrs. „Auf meine Empfehlung hin sind die Anführer der Rebellion übrigens begnadigt worden. Sie werden als erste auf Shyftan eintreffen.“ Tosalf leckte sich die Lippen. Imhoteps knappe Auskunft machte klar, daß die Arbeiten an diesem Projekt rasch und zügig vonstatten gingen. Kein Wunder, bedachte man, daß sich die beiden bekanntesten und einflußreichsten Sippen des Imperiums geschlossen darum bemühten, dieses Projekt zu fördern - dieser geballten Macht war nahezu alles möglich. Das Chronometer fiepte. Imhotep stellte die Verbindung zur KOLTHAN her. Ein Bild erhielt er nicht, dafür aber war die Tonleitung bestechend klar und sauber. „Ein Schiff ist soeben im Raum angekommen“, meldete die Ortung. „Dem Kennimpuls nach muß es sich um Darcyrs Schiff handeln.“ Imhotep zog die Brauen in die Höhe. Was suchte Darcyr auf Shyftan? Höflichkeit? Politisches Kalkül? Imhotep war immer noch auf der Hut. Einen regelrechten Schurkenstreich traute er Darcyr nicht mehr zu, dafür war Darcyr als Charakter einfach zu stilvoll. Aber eine erlesene Büberei, ein raffiniertes, elegantes Täuschungsmanöver - das war genau das, was Imhotep diesem Schlitzohr von einem imperialen Fürsten zutraute, eine kunstvoll arrangierte Falle, so gekonnt aufgestellt, daß dem darin Gefangenen der Mund vor Bewunderung offenblieb. „Ich grüße Euch, Imhotep“, sagte eine klangvolle Stimme aus dem kleinen Lautsprecher des Chronometers. „Dürfen wir landen?“ Imhotep konnte sich eine kleine Spitze nicht verkneifen. „Wenn es Euch gelingt, die Frequenz herauszutüfteln, auf die ich mein neues Chronometer eingestellt habe, wenn es Euch obendrein gelingt, den winzigen Raffer zu überlisten, den ich in das Ding habe einbauen lassen - wenn Euch das gelingt, wie könnte ich Euch eine solche Bitte abschlagen.“ Aus dem winzigen Lautsprecher kam ein halblautes Lachen. „Verzeiht“, sagte Darcyr. „Es ist halt meine Gewohnheit, alles in Erfahrung zu bringen.“ Imhotep spähte in die Höhe. Dort sank das Zylinderschiff des Fürsten langsam auf Shyftan herab. „Er braucht nur einmal die Triebwerke auf Vollschub zu stellen“, sagte Tosalf langsam, „dann sind wir gewesen.“ „Das sieht Darcyr gar nicht ähnlich“, bemerkte Imhotep. „Viel zu grobschlächtig - unser Freund bevorzugt feinere Methoden. Er vergießt ungern Blut.“
Imhotep sah zu, wie Darcyrs Schiff neben der KOLTHAN landete. Kurze Zeit nach der Bodenberührung wurde eine Schleuse geöffnet, ein Gleiterfahrzeug schoß aus der Öffnung und preschte ins Freie. „Vorsicht!“ rief Tosalf. „Ein Angriff!“ Es sah wahrhaftig danach aus, aber Imhotep sagte sich, daß Darcyr zu anderen Mitteln greifen würde, wenn er Imhotep ans Leben wollte. Daher blieb Imhotep gelassen auf seinem Platz stehen und sah vergnügt zu, wie der Gleiter mit höchster Fahrt auf ihn zuschoß. Erst in buchstäblich letzter Sekunde machte der Fahrer eine Ausweichbewegung, bei der sich der Gleiter fast überschlug. Aus dem Innern des Fahrzeugs erklangen Geräusche, wie sie Imhotep von einem Gleiter noch nie gehört hatte. Der Fahrer hatte ganz offenkundig den Verstand verloren. Neben dem verrückten Fahrer erkannte Imhotep Darcyr, und wenn Imhotep die Haltung des Blausonnenfürsten richtig deutete, dann klammerte sich der Fürst an alle nur erreichbaren Griffe. Nach einem aberwitzigen Dreher kam der Gleiter hart neben Imhotep zum Stillstand. Erst jetzt erkannte Imhotep, daß es sich bei dem Fahrer um eine Frau handelte. Um eine sehr schöne Frau, wie er sich im gleichen Augenblick korrigierte. Die Frau war so alt, wie er selbst, schlank und wohlproportioniert, sie trug schulterlanges, dunkles Haar und glich ihrem Vater Darcyr sehr. „Meine Tochter“, stellte Darcyr vor, nachdem er sich von der Fahrt erholt hatte. Die junge Frau lächelte vergnügt. Imhotep zuckte mit keiner Miene. „Jetzt verstehe ich Eure Schwierigkeiten, Fürst, bei der Erbfolge in Eurem Fürstentum“, sagte er trocken. Er reichte der jungen Dame die Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Die Edle Dame übersah die Geste und sprang aus dem offenen Gleiter. „Ghanee, Edle zu Kalh“, stellte sie sich vor. „Ihr müßt Imhotep sein.“ „Richtig“, bestätigte Imhotep. Er begrüßte Darcyr mit Handschlag und einem leicht anzüglichen Lächeln. „Was führt Euch her?“ „Ich wollte mich nach dem Fortgang der Arbeit erkundigen“, erklärte Darcyr. „Außerdem soll ich Grüße überbringen, sowohl von Jarhaan, dem es ein wenig besser geht, als auch von Eurem Vater, dessen Laune nicht die beste ist.“ „Das bin ich gewohnt“, sagte Imhotep. Er nutzte die anschließende kleine Pause, um Ghanee zu betrachten. Wenn das Mädchen an geistigen und charakterlichen Vorzügen ähnlich wuchern konnte wie mit ihrem Aussehen, verstand Imhotep allerdings, daß Darcyr so schnell keinen passenden Schwiegersohn für seine Tochter fand. In diesem Fall nämlich durfte Ghanee mit Fug und Recht unter dem Besten Ausschau halten, was die Galaxis zu bieten vermochte. Imhotep konnte sich nicht erinnern, jemals eine faszinierendere Frau gesehen zu haben. „Wie Ihr sehen könnt, ist die Festung bald fertig“, sagte Imhotep. „Dies hier ist das Land Gardahn, der Streifen dort drüben am Horizont wird Hirath genannt. Dort werden wir die Bauern ansiedeln. Das Land hat ein angenehmes Klima und scheint recht fruchtbar zu sein.“ „Eine schöne Welt“, sagte Ghanee. „Wenn man das Land unter den Pflug nehmen muß, wirkt es nicht mehr ganz so anheimelnd“, sagte Tosalf. „Was auf die Siedler wartet, ist eine gewaltige Portion Arbeit, mehr nicht. Wir legen strikten Wert darauf, im Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten des Planeten zu leben - wir wollen uns mit ihm anfreunden, nicht ihn brechen, um ihn zu unserem Sklaven zu machen.“ „Ein idealistisches Ziel“, sagte Ghanee halblaut. „Keineswegs“, versetzte Tosalf. „Dieses Ziel ist praktisch und vernünftig - das beweist beispielsweise der Zusammenbruch der Turq-Siedlung. Wenn Mensch und Natur nicht im Einklang leben, wird die Natur eines Tages dafür sorgen, daß der Mißklang ein Ende hat. Es genügt meist eine winzige genetische Veränderung, eine unscheinbare Mutation und schon ist
die Katastrophe da. Und je höher spezialisiert die mißtönende Spezies ist, um so leichter und
schneller ist sie von der Natur auszumerzen.“
„Ich verstehe“, sagte Ghanee. Imhotep hatte unterdessen einen Robot herbeigewinkt und ihm
einen Auftrag zugeflüstert. Die Maschine kehrte gerade von diesem Ausflug zurück.
„Im Auftrag meines Herrn“, sagte der Robot freundlich und drückte der völlig entgeisterten
Frau einen Strauß Blumen in die Arme.
Die Geste wäre zweifelsohne gut angekommen, wenn Imhotep die Blumen selbst ausgesucht
hätte. Das aber hatte er dem Robot überlassen. Die Maschine, hochwertig und sehr leicht
programmierbar, hatte ihre Sammlung auch sehr brav nach herkömmlichen ästhetischen
Kriterien ausgesucht. Schön waren die Blumen, und viele waren es auch - nur stammten sie in
der Mehrzahl aus dem nahe gelegenen Sumpfgebiet.
Ghanee schluckte, Darcyr preßte die Zähne aufeinander, um nicht loszuplatzen, Imhotep wäre
am liebsten im Boden versunken, und Tosalf lachte aus vollem Hals.
Dann begann auch die Fürstentochter zu lachen.
„Ich danke Euch, Edler Imhotep, für diese freundliche Aufmerksamkeit. Ihr seid doch so gut,
die Blumen in eine Vase zu stellen?“
Mit diesen Worten drückte sie das wunderhübsche Schlammbündel Imhotep in die Arme.
* Imhotep hob sein Glas. „Auf Shyftan und seine Bewohner“, sagte er. Die Zahl der Gäste war gering, und es war das erstemal, daß Imhotep in der Festung aß. Er konnte mit sich und seiner Arbeit zufrieden sein. Vor allem in den zur privaten Nutzung bestimmten Räumen hatten die Innenarchitekten kleine Wunder vollbracht. „Die Festung erscheint mir reichlich groß für sieben Schläfer“, sagte Ghanee. „Sie ist auch für entschieden mehr Menschen gedacht“, entgegnete Imhotep. Er lächelte geheimnisvoll. Ein rascher Blick ging hinüber zu Darcyr, der leise mit Tosalf plauderte. Der Fürst verstand es vortrefflich, junge Leute zu bezaubern. „Ich habe erfahren“, sagte Imhotep, „daß es bei einem erfolgreichen Ende dieser Unternehmung ein paar Erhebungen geben wird. Die sechzehn Welten, die wir von Shyftan aus besiedeln werden, sollen in unserer Gegenwart zum Fürstentum Shyftan ernannt werden.“ Ghanee hob ihr Glas. „Auf Imhotep, Fürst zu Shyftan“, sagte sie lächelnd. „Ihr solltet erst einmal die Fürstin sehen“, sagte er anzüglich, mit einem Seitenblick auf Darcyr, der keine Miene verzog. „Nur eines verstehe ich nicht“, sagte Ghanee. „Die Position dieser Welten ist streng geheim. In unserer Zeit kennt sie niemand.“ „Das ist Absicht“, erklärte Imhotep. „Ich werde Shyftan in schätzungsweise einem Jahr verlassen - für immer. Dann kehre ich in unsere Gegenwart zurück - um dort Shyftan und die anderen Welten neu für das Imperium zu entdecken, wohlhabende, bestgerüstete Welten, bereit zur Aufnahme in das Imperium.“ „Und wer kontrolliert, ob die Ereignisse richtig laufen?“ fcagte Ghanee. „Wir haben uns etwas ausgedacht“, sagte Imhotep und drückte einen Knopf. Wenig später marschierten sieben Gestalten in den Raum. „Donnerwetter!“ rief Darcyr, ehrlich verblüfft. „Das sind die besten Robotkopien, die ich je gesehen habe.“ Es waren die robotischen Doppelgänger der sieben Schläfer, die ziemlich betretene Gesichter machten, als ihre Ebenbilder überraschend beim Essen auftauchten. „Laßt Euch nicht täuschen“, sagte Imhotep. „Diese Doppelgänger sind nicht annähernd so hochwertig, wie sie auf den ersten Blick aussehen.“
„Taugen die Vorlagen nichts?“ fragte Darcyr mit leisem Spott.
„Die Vorlagen sind vorzüglich“, konterte Imhotep, ebenfalls lächelnd. „Es sind einige Eurer
Leute darunter. Wir haben diese Kopien nicht herstellen lassen, um Menschen unserer Zeit
damit zu beeindrucken. Wir rechnen vielmehr damit, daß unter den Siedlern sehr bald das
Wissen um das Imperium schwinden wird. Das ist der Grund, warum die Schläfer immer
wieder auftauchen und für Ordnung sorgen sollen.“
„Ziemlich viel Arbeit, verteilt auf einige Jahrtausende und siebzehn Welten“, sagte Darcyr.
„Deswegen die Robotkopien“, sagte Imhotep. „Sie sollen so oft wie möglich anstelle der
menschlichen Kontrolleure eingesetzt werden. Wir möchten unsere Freunde am Ende des
Experiments schließlich nicht als Greise wiedersehen.“
Er befahl den Maschinen, sich zurückzuziehen.
„Ich sehe“, sagte Ghanee, „Ihr habt diesen Plan bis in alle Einzelheiten bedacht und
ausgetüftelt. Meine Komplimente.“
Imhotep verneigte sich höflich.
„Morgen oder übermorgen werden wir eine der anderen Welten besuchen“, sagte er. „Wenn
Ihr interessiert seid... ich würde mich über Eure Begleitung freuen.“
Darcyrs Blick wechselte rasch von seiner Tochter zu Imhotep.
„Wir bleiben“, entschied er. „Diese Sache interessiert mich ungemein. Wohin soll die Reise
gehen?“
„Das wird sich morgen herausstellen“, sagte Imhotep. „Es soll nur ein Probelauf für unsere
Zeitmaschine sein. Dabei fällt mir ein, Fürst Waren die Impulse unserer Arbeit in dieser Zeit
anpeilbar?“
„Wir haben nicht den kleinsten Impuls anmessen können“, antwortete Darcyr. „Und das,
obwohl wir wußten, wo und wann wir zu suchen hatten.“
Imhotep lächelte zufrieden.
„Dann können wir uns ja sicher fühlen“, meinte er erleichtert.
7. „Das ist die erste richtige Zeitmaschine, die ich zu Gesicht bekomme“, sagte Ghanee. „Ich kenne sie nur aus Büchern.“ Angesichts von so viel Ehrlichkeit verzichtete Imhotep darauf, den Besserwisser zu markieren. „Mir geht es ähnlich“, sagte er. „Vor allem ist dies die erste Zeitmaschine unter meiner Verantwortung. Seid ihr fertig, Jungs?“ Tosalf, der in Imhoteps Abwesenheit Leiter der Station war, machte eine Geste der Zustimmung. Auf der großen Zeitmaschine standen, sorgsam in Kisten und Kästen verpackt, die Bauteile einer zweiten, kleineren Maschine. Sie sollte als erstes an den fernen Zielort geschickt werden. „Weg mit dem Ding!“ bestimmte Imhotep. Über der Transportfläche der Zeitmaschine baute sich das unverkennbare grünliche Leuchten des Zeitfelds auf. Es begann die Bauteile einzuhüllen. Gleichzeitig würde Druckluft von unten durch die Transportplatte gepreßt - die zu transportierenden Teile mußten frei schweben, sonst wären Teile der Transportplatte mit auf die Reise gegangen. Das Zeitfeld wurde stärker und gleichzeitig dichter. Dann begannen die Konturen der eingehüllten Gegenstände zu verschwimmen, und einen Augenblick später waren sie zur Gänze verschwunden. Gleichzeitig verlor das Transportfeld an Intensität. „Der nächste“, sagte Tosalf.
Imhotep setzte sich in Bewegung. Er hatte einen Kampfanzug angezogen, an seiner Hüfte steckten rechts und links je eine Waffe. Imhotep schwang sich auf die Platte und streckte sich darauf aus. Die Druckluft ließ ihn eine Handbreit in die Höhe steigen. Er sah, wie die Konturen um ihn herum verschwammen, dann überfiel ihn ein unwiderstehliches Gefühl der Müdigkeit. Im Bruchteil einer Sekunde war er eingeschlafen...... und erwachte schlagartig wieder. Imhotep spürte weichen Grasboden unter seinem Rücken, stand auf und sah zu, daß er sich davonmachte. „Willkommen“, sagte einer der Roboter, die unterdessen dafür gesorgt hatten, daß Imhotep bei seiner Ankunft auf dem Planeten nicht auf den Bauteilen der Zeitmaschine landete. Als nächstes erschien Darcyr, dann folgte Ghanee. In kurzen Abständen transportierte die Zeitmaschine den kleinen Trupp ans Ziel. „Wo sind wir?“ wollte Ghanee wissen. „Wie heißt diese Welt?“ „Sie hat noch keinen Namen“, verriet Imhotep. „Wenn Ihr gestattet, werden wir sie Ghanees Garten nennen.“ Die junge Frau sah Imhotep von der Seite her an. „Übertreibt das Schmeicheln nicht“, sagte sie trocken. „Dies ist kein Garten, dies ist ein Urwald.“ Ghanee hatte zweifelsfrei recht. Der Landeplatz, auf dem die Gruppe herausgekommen war, lag auf einem Bergplateau. Hinter der Gruppe ragte ein Gebirge in die Wolken hinauf, vor der Gruppe lag zunächst ein breiter, bewaldeter Streifen, dahinter ein ausgedehntes Flachland, durchzogen von einem Fluß, dessen Wasser herüberblinkte. Die Luft war trocken und leidlich warm. „Gibt es hier Raubtiere?“ fragte Kyarx. „Das werden wir erst feststellen müssen“, sagte Imhotep. Er hatte bereits seine Waffe gezogen. „Über Ghanees Garten ist uns nur sehr wenig bekannt - darum habe ich diesen Planeten auch für unseren Ausflug ausgesucht.“ „Dort unten sollen wohl die Siedlungen gebaut werden?“ vermutete Darcyr. Auch der Blausonnenfürst hatte inzwischen seine Waffe gezogen. Imhotep war nicht entgangen, daß auch Ghanee bewaffnet war, und sie machte nicht den Eindruck, als trage sie die Waffen zur Zierde. „Platz genug gibt es“, erwiderte Imhotep. „Wasser auch. Auf der anderen Seite des Gebirges soll es eine weitgestreckte Seenplatte geben. Auch diese Welt scheint mir zum Siedeln wie geschaffen.“ „Hoffentlich denken die Turqaaner genauso“, wünschte Darcyr laut. „Wollen wir uns die Ebene einmal ansehen?“ „Besser die Ebene als die Seenplatte“, bemerkte Ghanee mit einem spöttischen Seitenblick auf Imhotep. „Dort sind die Blumen nicht ganz so feucht.“ „Ich schwöre Euch, daß Ihr niemals wieder Blumen von mir bekommen werdet“, sagte Imhotep feierlich. „Nicht doch“, stöhnte Ghanee auf. „Jetzt will er mir komplette Seen zukommen lassen.“ Das allgemeine Gelächter hielt an, bis der erwartete Gleiter auf Ghanees Planet eintraf, ein kleines, überaus wendiges Fahrzeug, das sechs Personen Platz bot. Imhotep nahm hinter dem Steuer Platz, Darcyr und Ghanee stiegen ebenfalls ein, die restlichen drei Plätze wurden von Offizieren belegt, denen die Anwesenheit von so viel Prominenz auf engstem Raum sichtlich Kopfzerbrechen bereitete. Imhotep steuerte den Gleiter in die Höhe, über die Baumwipfel hinweg. Er fuhr in Richtung der breiten Savanne, die sich bis zum Horizont erstreckte. Unter sich sahen die Passagiere den Wald, ein in sich verfilztes Geflecht aus Bäumen, Wurzeln, Sträuchern und Kräutern. Dieses Gebiet war noch nie von einem Menschen betreten worden. Ab und zu stob ein Schwärm Vögel in die Höhe, umkeifte die Passagiere und zog krächzend wieder ab. Einmal deutete Imhotep kurz in die Höhe - hoch über den Gleiter zog ein Raubvogel seine Kreise. Irgendwann schien er begriffen zu haben, daß aus dieser Beute
wenig zu machen war; er schwebte majestätisch davon, auf das Gebirge zu. „Von hier aus sieht das Gebirge wie eine Bedrohung aus“, sagte Ghanee. Imhotep konnte dem nur zustimmen. Das Gefühl war ganz plötzlich über ihn hereingebrochen, und es sagte ihm, daß er in Gefahr schwebte. Irgend etwas, irgend jemand lauerte auf den Gleiter und seine Besatzung. „Haltet Ausschau nach allen Seiten“, warnte Imhotep seine Begleiter. „Ich spüre, daß hier etwas nicht in Ordnung ist.“ Nach kurzer Fahrzeit war die Ebene erreicht. Lang streckte sie sich hin, grasbestanden, von der Sonne durchglüht. Es war nicht gerade das ideale Weideland für intensive Viehhaltung, aber dieses Verfahren galt ohnehin als verpönt. Zweck der Ansiedlung war nicht, aus dem Land so schnell wie möglich Profit herauszudreschen und es danach sich selbst zu überlassen. Ziel der Aktion war es, aus dem Land einen größtmöglichen Ertrag herauszuholen, ohne es auch nur im geringsten zu schädigen. Imhotep schaltete das schwache Energiefeld ein, das Insekten und andere Kleintiere von den Passagieren fernhalten sollte. Er tat dies nicht gern, denn auch die Insekten hatten eine wichtige Position im ökologischen Kreislauf - er wollte lediglich verhindern, sich irgendeine unbekannte Infektion einzufangen. Die Chance war nicht sehr groß, aber Imhotep wollte kein Risiko eingehen. „Diese Welt könnte für die Fleischversorgung des Imperiums unerhört wichtig werden“, stellte Darcyr fest. „Ich muß Euch beglückwünschen, Imhotep, Ihr habt Euch vom Samt des Alls die schönsten Perlen herausgesucht. Sind die anderen Welten ähnlich gut?“ „Ich hoffe es“, entgegnete Imhotep. „Dieser Anblick hier sagt wenig über die Verwendbarkeit des Planeten aus. Ich erinnere an die Turq-Welten, die auch einmal als neue Paradiese gepriesen wurden.“ „Können wir am Fluß halten?“ fragte Ghanee. „Ein Bad ist ausgeschlossen“, sagte Imhotep sofort. „Wir wissen nicht, was für ein Viehzeug sich im Wasser tummelt.“ „Ich hatte nicht vor, zu baden“, gab Ghanee spitz zurück. „Es sei denn, ich bekäme wieder Seeblumen geschenkt.“ Imhotep ging darauf nicht ein. Er ließ den Gleiter in der Nähe des Flusses landen. Das war keine einfache Aufgabe, denn der Fluß war breit, und es ließ sich nicht so ohne weiteres ausmachen, wo das Ufer aufhörte und der Fluß begann. Auch daran würde sich nach Imhoteps Willen nicht viel ändern. Imhotep verließ den Gleiter als erster. Der Boden war weich, aber er trug. Langsam ging Imhotep auf den Fluß zu, der an dieser Stelle eine Breite von mehr als drei Kilometern hatte. Wenn es gelang, das Wasser dieses Flusses für menschliche Zwecke zu nutzen und das umliegende Land damit zu bewässern, konnte dieser Landstrich eine der fruchtbarsten Gegenden des Planeten werden. Mit ein wenig Nachhilfe konnte sich der Name Ghanees Garten durchaus als präzise Beschreibung erweisen. „Ihr könnt näherkommen“, rief Imhotep. Das Wasser des Flusses war verblüffend klar und sauber. Man konnte die Kiesel am Ufer sehen, darüber huschten Schwärme kleinerer Fische auf der Jagd nach Wasserinsekten und noch kleineren Tieren. Imhotep kniete nieder. Das Wasser war erfrischend kühl, und die Tiere darin hatten offenbar noch nie einen Menschen erfahren - sie setzten ihre Jagd nach Futter fort, ohne sich um Imhoteps Hand im Wasser zu kümmern. „Ghanees Garten könnte fast eine Alternative zu Shyftan sein“, bemerkte Kyarx, als er Imhotep erreicht hatte. „Shyftan liegt zentraler“, erklärte Imhotep. „Dieser Fluß ist ein Himmelsgeschenk für Angler“, sagte Darcyr. „Schade, daß wir keine Geräte mitgebracht haben.“ Imhotep grinste vergnügt. „Ein Stock läßt sich finden“, sagte er. „Leine haben wir dabei, und Haken und Köder sollte ein geübter Fischer schnell
improvisieren können!“
Imhotep behielt recht. Bereits nach wenigen Minuten tauchte eine rasch gefertigte Angel in
das Wasser des Flusses.
„Man könnte glauben, wir machten lediglich einen Ausflug“, sagte Kyarx.
Imhotep nickte.
Er dachte an seine Aufgabe, an das Imperium, dessen Sicherheit noch längst nicht garantiert
war. Solange der geheimnisvolle Feind noch Kraft hatte, das Imperium zu bedrohen, konnten
die Bewohner des Glyssaan-Reiches nicht in Frieden leben. Imhotep hoffte aber, mit dieser
Aktion dem Gegner einen Schlag versetzen zu können, von dem er sich so schnell nicht
würde erholen können.
„Erfolg!“ rief Ghanee erfreut und zerrte an der Angel. „Ein Tier hat angebissen.“
Es schien ein ziemlich großer Fisch zu sein, den sie erwischt hatte, denn Ghanee mußte alle
Kraft aufbieten, um nicht ins Wasser gezerrt zu werden.
„Ich helfe Euch!“ rief Imhotep und griff nach der straff gespannten Schnur. Das dünne Seil
konnte nicht reißen, es war ausgelegt auf eine Zugbelastung von mehreren Tonnen; wohl aber
konnte sehr bald der Stock brechen, den Ghanee als Ersatz für eine Rute verwendete.
Die Schnur schnitt in Imhoteps Fleisch, als der Fisch immer wütender um seine Freiheit
kämpfte. Langsam ging Imhotep zurück, Schritt um Schritt, um das Tier an Land ziehen zu
können.
Dann wurde die Schnur plötzlich schlaff.
„Vorsicht!“ schrie Kyarx. „Er greift an!“
Aus der Tiefe des Flusses schoß das Tier in die Höhe, und was Imhotep davon zu sehen
bekam, war schreckerregend. Ein riesiger Kopf, gespickt mit Zähnen, ein nicht minder
monströser Leib, schuppengepanzert, vom Wasser umschäumt, durch das der Koloß brach,
um nach vorn zu jagen, auf Imhotep zu.
„Laßt Euch fallen!“ schrie Ghanee und zog ihre Waffe.
Imhotep zögerte nicht und warf sich hin. Während er der Länge nach im Uferschlamm
landete, zuckte der erste Strahlschuß aus Ghanees Waffe über ihn hinweg und traf. Imhotep
konnte das Ungeheuer brüllen hören, und als er den Kopf zur Seite wandte, sah er die
Flutwelle, die das Flußtier aufgetürmt hatte. Das Wasser brach über Imhotep herein, er sah
und hörte gar nichts mehr. Verzweifelt schnappte er nach Luft, als er wieder den Mund öffnen
konnte.
„Ihr könnt aufstehen, Edler Imhotep“, sagte eine klare Frauenstimme. „Das Tier ist tot,
zumindest verjagt. Es besteht keine Gefahr mehr!“
Langsam richtete sich Imhotep auf. Seine Kleidung war schlammverschmiert, und auch sein
Gesicht verriet deutlich, wo er sich in den letzten Sekunden aufgehalten hatte.
Mit versteinert wirkendem Gesicht sah Imhotep an sich herunter.
„Ghanees Garten“, murmelte er dann. „Scheint sich nicht um einen Blumengarten zu
handeln!“
Er hatte vorläufig genug von dieser Welt. Die Gruppe nahm wieder im Gleiter Platz, und
Imhotep lenkte das Fahrzeug zum Standort der Zeitmaschine zurück.
Während der Abwesenheit des Befehlshabers waren die Robots fleißig gewesen. Die kleine
Zeitmaschine war aufgebaut worden, in der Nähe wurden bei Imhoteps Ankunft gerade die
letzten Batterieblöcke zusammengeschaltet.
„Soll die Maschine so stehen bleiben?“ fragte Darcyr.
„Wir werden eine Art Tempel darum herumbauen“, verriet Imhotep. „Die Maschinen sollen
nur bestimmten Personen zugänglich sein, deshalb werden wir sie mit ein paar
geheimnisvollen Tricks gegen unbefugtes Betreten sichern. Ich habe mir da einiges einf allen
lassen.“
„Zeitfeld steht“, gab der leitende Robot bekannt.
„Machen wir uns auf die Reise“, sagte Imhotep. „Ich gehe voran.“
Die Prozedur nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Nach wenigen Minuten stand die Gruppe wieder auf dem Boden des Planeten Shyftan, wo Imhotep mit seiner lehmverschmierten Kleidung nicht geringes Aufsehen hervorrief. Er zog es vor, sich schnellstens abzusetzen, um seine Kleidung zu wechseln und ein Bad zu nehmen, bevor sein Aufzug noch mehr Aufsehen erregte. Während er sich umkleidete - seine Schränke waren wohlgefüllt mit Kleidung für alle nur denkbaren Gelegenheiten -, ließ er sich über einen Bildschirm die letzten Nachrichten zuspielen. Was er las und sah, war erfreulich. Die Arbeiten machten rasche Fortschritte, es gab keinerlei Verzögerungen. Vermutlich konnte Imhotep schon in wenigen Tagen damit beginnen, die ersten Siedler nach Shyftan zu verfrachten. Kandidaten dafür hatte er genug auf den Turq-Welten wurde die Lage zusehends kritischer. Verzweifelte Versuche der Bevölkerung, die ökologische Katastrophe doch noch abzuwenden, hatten zu entsetzlichen Fehlschlägen geführt und die Lage noch mehr zugespitzt. Imhotep konnte damit rechnen, daß er für sein Experiment einige Tausend Freiwillige bekam, mehr als genug, um seine Pläne durchführen zu können. Das einzige Problem bei der Anwerbung bestand darin, den Kandidaten klarzumachen, daß sie nach Antritt der Reise in die Zeit niemals wieder Kontakt mit ihren Freunden und Verwandten haben konnten. Die Gebote der Geheimhaltung waren strikt und unwiderruflich ein einziger unvorsichtiger Brief, eine leichthin gemachte Bemerkung, ein versteckter Hinweis konnten das Unternehmen platzen lassen. Und eines war für alle an der Planung Beteiligten klar gewesen wenn der Feind von diesem Plan erfuhr, war es um die Siedler geschehen. Die Macht des Feindes reichte weit durch Raum und Zeit, und Imhotep wußte, daß Jarhaan keine Schlachtflotte aussenden würde, um ihm beistehen zu können, wenn es brenzlig wurde. Einmal gestartet, hatte das Projekt autark zu sein, war es auf sich selbst gestellt. Imhotep trocknete sich das Haar, dann schlüpfte er in die frische, behutsam angewärmte Kleidung. In der großen Kuppelhalle neben dem Innengarten der Festung war zum Essen gedeckt worden. Schon jetzt, da das Projekt kaum gestartet war, wollte Imhotep ein wenig von dem Prunk entfalten, der später selbstverständlich sein würde, wenn er erst einmal Fürst der Shyftan-Region sein würde. Allein der Garten hatte ein Vermögen gekostet, aber er war es wert, stellte Imhotep fest, als er durch das Grün schritt. „Das tägliche Bad bekommt Euch über die Maßen gut“, spöttelte Ghanee, als Imhotep den Raum betrat. Es gibt Euren Haaren Glanz, verleiht Euren Wangen die vornehme Röte...“ „Ihr solltet meinem Beispiel folgen“, sagte Imhotep trocken. „Schaden würde es Euch nicht.“ Die junge Frau quittierte die Bosheit - die sie provoziert hatte - mit einem Lächeln. Das Essen nahm einen ruhigen Verlauf. Imhotep hatte aufgeboten, was seine Vorräte herzugeben vermochten, und er wollte sich nicht lumpen lassen. Auf der anderen Seite sagte er sich, daß es an Bord von Darcyrs prunkvollem Schiff wahrscheinlich einen besseren Weinkeller gab als in seiner Festung. Das Essen wurde erst dann lebhaft, als plötzlich - ohne Voranmeldung ein Robot den Raum betrat. Die Maschine marschierte sofort auf Imhotep zu und übergab ihm einen Datenstreifen, der offensichtlich vom großen Rechner der Festung stammte. Imhotep überflog hastig die Symbole. Sein Gesicht verfärbte sich. „Sind diese Daten sicher?“ fragte er den Robot. „Sie wurden mehrmals überprüft und gegengerechnet“, antwortete die Maschine. Imhotep drehte sich mitsamt seinem Sessel herum. Die Lehne klappte unter seiner Hand auf und gab eine Tastatur frei. Imhotep tippte ein paar Kommandos hinein. Die Wand zwischen Speisesaal und Garten wurde erst undurchsichtig, dann verwandelte sie
sich in einen riesigen Bildschirm.
„Was gibt es?“ fragte Darcyr. „Schwierigkeiten?“
„Unter Umständen weit Schlimmeres“, murmelte Imhotep.
Ein kleines Mikrophon leitete seine Befehle an den Rechner weiter, der über diese Leitung
und den Bildschirm mit Imhotep kommunizieren konnte.
„Karte!“ forderte Imhotep.
Auf dem Bildschirm erschien eine astronomische Karte der näheren Umgebung, deren
Maßstab sich langsam vergrößerte. Immer mehr Sterne wurden sichtbar.
Dann tauchte auf dem Schirm ein Stern auf, der sich von den anderen stark unterschied.
Dieser Punkt war nicht einfach weiß auf schwarzem Untergrund. Er leuchtete.
Es war die Farbe dieses Leuchtens, die dem Blausonnenfürsten ein Aufstöhnen entlockte.
Der Punkt leuchtete grün.
Zeit-Alarm.
8. „Kennst du das System?“ fragte Imhotep den Blausonnenfürsten; er war so aufgeregt, daß er
sogar die korrekte Anrede vergaß. Darcyr zwinkerte.
„Es könnte das Sol-System sein“, sagte er schließlich. „Genaues kann ich aber nicht sagen.
Schließlich ist diese Karte nicht mehr auf dem neuesten Stand - ich weiß nicht, was sich
zwischen unserer Gegenwart und der aktuellen Gegenwart des Imperiums alles getan hat.“
„Ich tippe ebenfalls auf die. Sol-Sonne“, sagte Imhotep. „Obwohl ich nicht begreife, was es
ausgerechnet dort an Wichtigem geben soll.“
„Liegt das System nicht mitten im Gebiet des Gegners?“
Imhotep beantwortete Ghanees Frage.
„Allerdings“, sagte er. „Aber es war und ist ziemlich uninteressant, sowohl für uns als auch
für den Gegner.“
„Und was bedeutet es, daß für diesen Bereich Zeit-Alarm gegeben wird?“ fragte Ghanee
weiter.
„Wenn ich das wüßte“, murmelte Imhotep, dann fuhr er lauter fort: „Es bedeutet, daß in
diesem Gebiet innerhalb einer gewissen Zeitspanne eine Zeitreise stattgefunden hat.“
„Unvorstellbar“, sagte Tosalf. „Wer sollte diese Reise unternommen haben?“
„Wir nicht“, sagte Darcyr. „Unsere Zeitmaschinen sind abgeschirmt und nicht anzumessen
und daß unser Gegner dort etwas unternimmt, erscheint mir mehr als unwahrscheinlich.“
„Wenn nicht der Gegner, noch wir wer dann?“ faßte Tosalf zusammen.
Imhotep nickte.
„Das möchte ich auch wissen“, sagte er. „Und es gibt nur eine Methode, das herauszufinden.“
„Hinfliegen und nachsehen“, sagte Kyarx.
„Genau das werden wir tun“, sagte Imhotep. „Euer Standpunkt, Fürst?“
Darcyr runzelte die Stirn.
„Mir gefällt das alles nicht“, sagte er. „Ob der Gegner von unserem Projekt Wind bekommen
hat und eine Flotte in die Vergangenheit geschickt hat, um uns auszuheben?“
Imhotep schüttelte den Kopf.
„Völlig ausgeschlossen“, sagte er. „Die genauen Koordinaten dieser Welt sind niemandem
bekannt, sie unterliegen der striktesten Geheimhaltung. Wenn mich jetzt und hier der Schlag
treffen sollte, kann keine Verbindung zur Gegenwart hergestellt werden - und wenn doch,
dann würde es jahrelanger Arbeit bedürfen. Wir stehen gleichsam auf verlorenem Posten.“
„Eure Vorsichtsmaßnahmen erscheinen mir etwas übertrieben“, sagte Darcyr mit leisem
Tadel. „Aber lassen wir dieses Thema. Was habt Ihr vor, Imhotep?“
„Ich werde die KOLTHAN klarmachen lassen und hinfliegen“, sagte Imhotep. „Tosalf wird
mit den anderen dazu bestimmt, die Station auf Shyftan aufzubauen, und was Ihr zu
unternehmen gedenkt, Fürst, werdet Ihr mir sicher sagen.“
„Sind die Hangars der Festung bestückt?“
„Noch nicht“, sagte Imhotep. „Euer Schiff und die KOLTHAN sind die einzigen
überlichtschnellen Einheiten in diesem Raum und in dieser Zeit. Wir müssen also
entsprechend vorsichtig vorgehen.“
„Mir mißfällt der Gedanke, in diesem Revier abgeschnitten zu sein, wenn Euch etwas
zustößt“, sagte Darcyr offen. „Wir beide haben uns verbündet, um dem Imperium gemeinsam
zu helfen - was soll aus Glyssaan werden, wenn wir beide nicht mehr greifbar sind.“
„Der Einwand ist berechtigt“, sagte Imhotep. „Was schlagt Ihr vor?“
„Wir schicken Ghanee in die Gegenwart zurück“, sagte Darcyr. „Für alle Fälle.“
Die junge Frau lächelte.
„Irrtum, Vater“, sagte sie. „Du wirst nach Glyssaan fliegen, ich werde hierbleiben. Während
Imhotep sich um die Geheimnisse des... wie hieß das System?“
„Sol-System“, antwortete Kyarx. „So ist es jedenfalls in unseren Atlanten eingezeichnet.“
„Imhotep wird sich darum kümmern, und ich werde mir einige der anderen Welten im
Shyftan-Revier ansehen. Du, Vater, kannst außerdem dafür sorgen, daß die ersten Turqaaner
nach Shyftan umgesiedelt werden.“
Darcyr überlegte nicht lange.
„Einverstanden“, sagte er. Er sah Imhotep scharf an. „Bringt mir meine Tochter zurück,
Imhotep.“
„Mit größtem Vergnügen“, sagte der Edle. „Wer möchte sie schon behalten wollen?“
* „Was ergibt die Auswertung?“ „Schwierig, zu sagen“, erklärte Imhotep. „Die räumliche Eingrenzung des Alarms scheint richtig zu sein. Die Zeit-Versetzung fand auf einer der Welten des Sol-Systems statt, allerdings können wir nicht genau sagen, auf welchem Planeten. Unsere Daten sind recht dürftig, wenn es das Kerngebiet des Feindes betrifft.“ Imhotep deutete auf die astrographische Projektion. „Obendrein scheint es sich um sehr kleine Zeitmaschinen zu handeln“, fuhr er fort. „Die Leistung ist jedenfalls nicht bedeutend. Es wurden bestenfalls ein paar Leute mit Material auf die Reise geschickt. Dennoch sollten wir uns der Sache annehmen.“ Die Arbeitsteilung war klar und genau abgesprochen. In den nächsten Stunden würde die KOLTHAN mit Imhotep und Lispar starten. Ghanee wollte noch die Ankunft der ersten zweitausend Turqaaner abwarten und sich danach auf die Reise machen. Darcyr war bereits in der Realzeit eingetroffen und bereitete den Nachschub vor - der von Imhotep jederzeit abgerufen werden konnte. „Gibt es noch irgendwelche Fragen?“ erkundigte sich Imhotep. Es gab, wie er sehr wohl wußte, noch eine riesige Menge an Fragen, aber auf den größten Teil davon gab es keine Antworten. Da war allein das Problem, daß die ganze Operation mit der Person Imhoteps stand und fiel. Stieß ihm etwas zu, war Shyftan abgeschnitten, auch Glyssaan konnte dann nicht mehr helfen. Auf diese Weise war das Projekt gegen Verrat in der Gegenwart vollkommen gefeit - aber wehe den Bewohnern von Shyftan, wenn Imhotep starb. „Keine? Dann machen wir uns an die Arbeit!“ Imhotep grüßte höflich seine Freunde - Ghanee einige Sekunden länger und intensiver, als es die Etikette verlangte -, dann verließ er den Raum. Soweit dies in seinen Möglichkeiten stand, war Imhotep auf alles vorbereitet. Der große Rechner in der Zentrale der Festung war programmiert, außerdem gab es noch die Freunde und Ghanee - sollte Imhotep sterben, war zumindest das persönliche Überleben der Freunde gewährleistet.
„Noch eines“, sagte Imhotep und steckte den Kopf durch die Tür. „Wenn wir mit der KOLTHAN in Schwierigkeiten geraten sollten keine Hilfsexpedition, verstanden?“ Seine Augen suchten Ghanee. Sie nickte. Imhotep lächelte, dann schloß er die Tür. Ein Gleiter brachte ihn zur KOLTHAN, die startbereit auf dem Landefeld stand. Wenige Minuten, nachdem Imhotep das Schiff betreten hatte, hob die KOLTHAN ab, beschleunigte und stieß in den freien Raum vor. * Der Flug verlief ohne jede Schwierigkeit - Imhotep hatte auch nichts anderes erwartet. In dieser Zeitebene war es von jeher sehr ruhig zugegangen, seltsamerweise hatten sich weder die Glyssaaner noch der Gegner bei ihren wilden Zeit-Operationen auf diese Zeit konzentriert. Auch der Raumsektor war aus galaktostrategischer Sicht keineswegs bedeutsam. Imhotep wußte, daß das Imperium von Glyssaan ungefähr 4000 Jahre alt war - in seiner Gegenwart. Die Operation Shyftan führte Imhotep in eine Ära, die ungefähr 1700 Jahre von seiner Gegenwart entfernt war. Vorstöße der Glyssaaner in die Vergangenheit hatten ergeben, daß das Reich des Gegners um diese Zeit praktisch noch nicht vorhanden war. Erst Jahrhunderte später würde es gleichsam über Nacht entstehen und sich blitzartig ausbreiten. Imhotep brütete über den Daten, die ihm der Bordrechner zu dieser Problematik lieferte. War es denkbar, daß die KOLTHAN zufällig den Zeitpunkt getroffen hatte, an dem der Gegner erstmalig auf den Plan getreten war? Vielleicht - Imhotep wurde von wilden Hoffnungen erfaßt - war es möglich... Nein, er verwarf den Gedanken. Denkbar war es schon, daß die KOLTHAN über der ersten Ansiedlung des Gegners auftauchte, sie zerstörte und damit der Bedrohung durch den Feind für immer ein Ende bereitete. In der Praxis aber waren solche Aktionen ausgeschlossen. Die Glyssaaner hatten schon mehr als einmal versucht, durch Zeit-Attacken den Gegner ein für allemal zu besiegen, aber jeder dieser Angriffe war gescheitert. Obendrein ergaben sich besonders bei so grundlegenden Daten Zeitverschiebungen und Paradoxa, die jeden Logiker das Fürchten lehren konnten und zu nicht vorhersehbaren Konsequenzen führten. Natürlich hätte Imhotep gerne gewußt, woher dieser furchtbare Gegner der Glyssaaner überhaupt kam denn niemals hatte man einen dieser Gegner wirklich zu Gesicht bekommen. „Man wird sehen“, murmelte Imhotep. Er verließ seine Kabine. Nach seinen Berechnungen mußte die KOLTHAN bald im SolSystem eintreffen. Der Stern war schon auf den Tastern deutlich zu erkennen - eine unscheinbare Sonne, ein Gestirn, wie es zu Tausenden in der Galaxis vorkam. Das Muttergestirn besaß neun Planeten, von denen zwei oder drei Leben tragen konnten. Genaueres würde sich erst sagen lassen, wenn die Planeten erreicht waren. Es erschien Imhotep absurd, daß ausgerechnet in diesem verlassenen Winkel der Galaxis mit der Zeit herumexperimentiert wurde, aber die Meßwerte waren völlig eindeutig. Sie besagten sogar noch mehr - es gab eine ganze Reihe größerer und kleinerer Zeit-Spuren im Raum-ZeitGefüge des Sol-Systems, die allerdings kein geschlossenes System in sich darstellten, wie man es normalerweise erwarten durfte. Fast sah es so aus, als experimentiere dort jemand mit einer selbsterfundenen Zeitmaschine herum - obwohl das natürlich nicht der Fall sein konnte. Imhotep tauchte in der Zentrale der KOLTHAN auf. „Eintritt in das Normalkontinuum in wenigen Augenblicken“, sagte der kommandierende Offizier Lispar. Wortlos nahm Imhotep in seinem Sessel Platz. Wenig später fiel die KOLTHAN in den Normalraum zurück. Imhoteps erster Blick galt der Raumüberwachung. „Kein Schiffsverkehr in diesem Sektor“, sagte er. „Nun, das stand zu erwarten.“
Der Raum in der Nähe der gelben Sonne war geradezu leergefegt. Außer den Planeten, einer Unzahl größerer und kleinerer Monde und Ringe um diverse Planeten, war nichts zu sehen. Die schnell bewegten Körper, die man auf den ersten Blick für Raumschiffe hätte halten können, entpuppten sich bei genauerem Hinsehen als ein Asteroidenschwarm, der eine Lücke zwischen zwei Planeten ausfüllte. Das Ganze war so langweilig und banal, wie man es sich nur vorstellen konnte. Es war durchaus denkbar, daß es in diesem ganzen Sonnensystem nicht die geringste Spur höherentwickelten Lebens gab. Und doch blieb die Tatsache bestehen, daß ausgerechnet in diesem System mit der Zeit herumexperimentiert worden war. „Wir haben sie verpaßt“, sagte Lispar, der aufmerksam den Datenstrom kontrollierte. „Die Meßwerte besagen, daß es ein Zeitmanöver in die ferne Vergangenheit gegeben hat, außerdem noch eines in unsere Relativzukunft - mehr kann man nicht sagen.“ „Hm“, machte Imhotep, dem nichts Besseres einfallen wollte. „Und von welcher Welt stammen die Impulse?“ „Das ist das Lustige bei der Sache“, meldete Lispar. „Die Impulse konzentrieren sich auf den drittinnersten Planeten. Er ist Start und Ziel in einem - sehr merkwürdig.“ Imhotep lächelte erheitert. Er konnte Lispars Verblüffung gut verstehen. Diese Meßwerte konnte man so interpretieren, als hätten die Eingeborenen eine Zeitmaschine entwickelt, ohne fremde Hilfe. Dergleichen war natürlich ein Unding. „Fliegen wir den Wunderplaneten einmal an“, sagte Imhotep. Er programmierte einen entsprechenden Kurs. „Ich bin gespannt, was wir dort finden werden.“ Während die KOLTHAN die dritte Welt des Systems ansteuerte, stellte Imhotep eine Funkverbindung nach Shyftan her. Das war zwar ein wenig leichtsinnig, aber die offenkundige Verlassenheit des Sol-Systems ließ das Risiko für Imhotep tragbar erscheinen. Nach kurzer Zeit hatte er ein Bild auf seinem Schirm. Ghanee war am anderen Ende der Leitung. „Wie sieht es aus?“ fragte sie sofort. Imhotep lächelte zuversichtlich. „Harmlos“, sagte er leichthin. „Jedenfalls bis zu diesem Augenblick. Keinerlei Schiffsverkehr, nicht einmal in der näherem Umgebung. Es ist nur seltsam, daß unsere Taster anzeigen, daß es hier tatsächlich Zeit-Experimente gegeben hat. Aber es ist ja auch denkbar, daß es sich dabei um natürliche Phänomene handelt.“ „Gibt es das?“ Imhotep nickte. „Jede Zusammenballung von Materie verändert die Raum-Zeit-Struktur“, versuchte er zu erklären. „Diese Veränderungen sind meßbar - wir betreiben unsere Ortungsgeräte nach diesem Grundsatz. Es ist nun denkbar, daß auch primitive Völker zufällig Bauwerke oder andere große Gebilde herstellen, deren spezifiche Raum-Zeit-Krümmung einer Zeitmaschinenamplitude ähnlich sieht. Der Marmorpalast beispielsweise ist auf den ZeitTastern mühelos zu erkennen, eine unverwechselbare Zacke, wenn auch sehr klein. Wie sieht es bei Euch aus?“ „Die ersten Turqaaner werden gerade abgesetzt“, erklärte Ghanee. „Ich werde Shyftan in den nächsten Stunden verlassen.“ „Ich wünsche Euch viel Vergnügen“, sagte Imhotep. Ghanee lächelte. Dann sah Imhotep im Hintergrund, hinter der linken Schulter der jungen Frau, eine Gestalt auftauchen. „Vorsicht, Ghanee!“ rief Imhotep. Die junge Frau warf sich sofort zur Seite, rollte ab und kam auf die Füße. Ihre Rechte fuhr hinab zum Gürtel. „Zwecklos“, sagte der Mann hämisch. „Nehmt die Hände hoch, sonst werdet Ihr den nächsten Herzschlag nicht mehr erleben.“
„Deltyan!“ knirschte Imhotep, der seine Großmut bitter bereute.
„Richtig!“ sagte der ehemalige Minister von Turqaan. „Ich bin es, begnadigt dank Eurer
Großherzigkeit. Und jetzt bin ich mit meinen Leuten hier gelandet.“
„Das war mein Plan“, sagte Imhotep.
„Daraus wird nichts“, sagte Deltyan grimmig. „Wir werden hier das Kommando übernehmen,
niemand sonst.“
Imhotep sah, wie Ghanee sich leise davonmachte. Die Angreifer schienen ihrer Sache sehr
sicher zu sein, sie bewachten die junge Frau nicht. Imhotep konnte sehen, wie sie aus dem
Raum huschte.
„Wir weigern uns, Eure Pläne auszuführen, versteht Ihr? Wir werden nur das tun, was uns
paßt. Wir müssen Euch zwar dankbar sein, denn diese Welt hier ist nicht schlecht, aber
dennoch - Ihr habt ausgespielt, Imhotep!“
Imhotep wollte Zeit gewinnen. Vielleicht gelang es Ghanee, ihr Schiff zu erreichen. Dann sah
die Lage gänzlich anders aus.
„Was verlangen Sie?“ fragte Imhotep.
Deltyan grinste.
„Nichts“, sagte er. „Wir haben alles, was wir brauchen. Wir werden diese Festung zerstören
und dann in Ruhe hier leben.“
„Sie greifen uns an!“ schrie eine Stimme aus dem Hintergrund. „Wir müssen uns wehren!“
Imhotep sah einen der Turqaaner nach vorn stürzen.
„Die Festungsbewohner greifen uns an.“
Der ehemalige Minister zögerte keinen Augenblick.
„Macht sie nieder!“ bestimmte er. „Wer sich ergibt, darf leben; wer sich uns widersetzt, wird
sterben.“
Imhotep wußte, daß die Turqaaner gewaltig in der Überzahl waren. Es gab dennoch Mittel
und Wege, diesem Angriff zu begegnen. In der Festung gab es bereits Tausende von Kampf
robotern, die vorsorglich dort eingelagert worden waren. Ein Wort genügte, um sie in Marsch
zu setzen.
Der Bildschirm flackerte, dann tauchte in einer Einblendung Ghanee auf.
„Ich habe mein Schiff übernommen“, sagte sie erklärend. „Und jetzt werden Sie die Waffen
niederlegen, Deltyan, sonst werde ich Sie mit den Geschützen meines Schiffes dazu
zwingen.“
Der Ex-Minister stieß ein höhnisches Lachen aus.
„Ihr glaubt, Ihr könntet uns drohen?“ fragte er.
Er wandte sich zu seinen Leuten um.
„Los, holt sie herunter!“ Ghanee riß überrascht die Augen auf. Auch für Imhotep kam der
Befehl wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
„Ghanee!“ rief er. „Zieht Euch zurück. Sie haben die Geschütze der Festung besetzt. Dem
seid Ihr nicht gewachsen!“
„Bluff!“ rief die junge Frau. „Leute, an die Geschütze!“
„Aufhören!“ schrie Imhotep. „Ihr bringt euch nur gegenseitig um, ohne irgend jemandem zu
nützen. Hört auf!“
„Feuer!“ befahl Ghanee. Imhotep sah, wie das Bild flackerte, und einen Herzschlag später
konnte er über viele Lichtjahre hinweg das ohrenbetäubende Krachen hören, mit dem
Ghanees erster Feuerstoß in der Festung einschlug.
Der Boden vibrierte, und Deltyan wurde von den Beinen gerissen. Er kam aber sehr schnell
wieder auf die Füße.
„Holt diese Hexe vom Himmel!“ schrie er gellend. „Feuert, Leute!“
Dann sah Imhotep, wie Ghanees Bild zu zittern begann. Er ballte die Fäuste in hilfloser Wut.
„Treffer!“ rief eine Stimme, und Imhotep konnte nicht sagen, ob diese Stimme aus der
Festung gerufen hatte oder von Bord des Blausonnenschiffs.
Dann aber bekam ,er Gewißheit. Ghanee tauchte wieder auf, das Gesicht blutverschmiert.
„Ihr hattet recht, Imhotep!“ sagte sie. „Wir sind schwer getroffen und setzen uns ab.
Versucht...“
Das Bild flackerte noch einmal und erlosch dann. Imhotep knirschte mit den Zähnen.
„Flieht!“ kreischte eine Stimme. „Lauft um euer Leben, Leute. Der Rechner ist
übergeschnappt und hat die Kontrolle übernommen.“
Imhotep konnte sich vorstellen, was passiert war. Bei dem kurzen Schußwechsel war der
große Rechner getroffen worden, der dazu bestimmt war, den Erfolg der Mission
sicherzustellen, indem er nach dem Einschläfern der sieben Kontrolleure die Kontrolle über
das gesamte Projekt übernahm.
War er getroffen worden, konnte niemand ermessen, wie sich dadurch seine Programmierung
änderte.
„Wir werden dieses Ding zerstören“, schrie Deltyan wild. „Wenn nicht jetzt, dann später.
Aber für dich, Imhotep, haben wir noch eine besondere Überraschung. RACHE FÜR
TURQAAN!“
Die Stimme des Mannes überschlug sich fast. Einen Augenblick lang war es danach still.
In diese Stille hinein erklang ein Geräusch.
Ein Geräusch, das aus der Zentrale der KOLTHAN kam.
9. Imhotep fuhr herum, und noch in der Drehung griff er nach der Waffe. Ein Schuß löste sich und traf. Der Roboter, der plötzlich in der Zentrale der KOLTHAN erschienen war, verging. Imhotep konnte nicht sehen, woher die Maschinen kamen, aber er sah, daß sie auftauchten und sofort auf alles zu schießen begannen, was sich regte. Ein Feuersturm tobte durch die Zentrale, und aus dem Lautsprecher, der nach Shyftan geschaltet war, erklang ein irrwitziges Lachen, das ganz abrupt endete, als der Bildschirm dunkel wurde. „Hilfe!“ schrie eine grelle Stimme. Die Roboter - woher mochten sie kommen - kannten keine Gnade. Sie waren überall, feuerten ohne Zögern - und sie trafen. Neben Imhotep brach Lispar zusammen, tödlich getroffen. Im Tod nahm sein letzter Schuß noch einen Robot mit, einen weiteren setzte Imhotep außer Gefecht. Es waren keine Glyssaaner-Roboter, das stand sofort fest. Imhotep hatte solche Konstruktionen nie zuvor gesehen. In der Zentrale war er so gut wie verloren, das stellte sich sehr bald heraus. Es gab für Imhotep nur eine Chance, er mußte einen Winkel des Schiffes finden, der nicht pausenlos von den Robotern angegriffen wurde. „Mir nach!“ schrie Imhotep, wie er es auf der Raumakademie gelernt hatte. Ein Feuerstoß aus seiner Waffe ließ zwei Roboter zusammenbrechen, die aus dem Antigravschacht aufsteigen wollten. Im Laufen bückte sich Imhotep und riß eine fast volle Waffe hoch, die einem Toten aus der Hand gefallen war. Der Antigravschacht war nicht leer, drei weitere Maschinen versuchten, auf diesem Weg in die Zentrale vorzudringen. Imhotep feuerte wie rasend, und er schaffte es, alle drei Maschinen außer Gefecht zu setzen. Niemand half ihm. Er war allein. Die Besatzung der Zentrale war verwundet oder tot. Ein Streifschuß hatte Imhotep am Bein verletzt. Er blutete heftig, und der Schmerz machte ihn halb wahnsinnig. Aber er setzte seine Flucht fort. Über sich, in der Zentrale, hörte er das Werk der Zerstörung. Obwohl in der Zentrale nicht
länger gekämpft wurde, fielen Schüsse. Die Roboter nahmen die einzelnen Teile der Zentrale unter Beschüß. Offenbar waren sie darauf programmiert, das Schiff gründlich zu zerstören wahrscheinlich sogar völlig zu vernichten. Eine Sirene gellte auf, eine zweite fiel ein. Die Existenz des Schiffes war gefährdet. „Folge mir!“ schrie Imhotep einen Mann an, der plötzlich neben ihm auftauchte. „Wir müssen uns zum Beiboot durchschlagen.“ „Sinnlos“, sagte der Mann, dessen Gesicht von Angst und Schmerz verzerrt war. „Schon zerstört. Sie haben in den Wänden gesteckt, die verdammten Dinger.“ Sein Kopf fiel zur Seite, die Augen brachen. Jetzt begriff Imhotep. Während die Turqaaner das Schiff besetzt hatten, hatten sie insgeheim jeden nur denkbaren Winkel mit Robotern vollgestopft. Die furchtbaren Verwüstungen, die sie im Schiffsinnern angerichtet hatten, waren ein Täuschungsmanöver gewesen - die Turqaaner hatten damit lediglich ihre Tarnungsarbeiten vertuschen wollen. Deltyans Schrei Rache für Turqaan war der Auslöser gewesen, der geheime Befehl, der die Robots in Tätigkeit setzte. Eine diabolische List, ein Plan von teuflischer Heimtücke, und es sah ganz danach aus, als sei dieser Plan aufgegangen. Imhotep versuchte, sich zu orientieren. Von allen Seiten bekam er Kampflärm zu hören, der aber immer schwächer und schwächer wurde - gegen die erbarmungslos feuernden Kampfroboter hatten die völlig überraschten Menschen keine Chance. Was sich an Bord der KOLTHAN abspielte, war kein Kampf mehr. Immer wieder mußte Imhotep seine Waffe betätigen. Einen Robot nach dem anderen erledigte er auf seiner Flucht. Was ihn rettete, war der Umstand, daß er sich unablässig bewegte. Die Robots hatten untereinander keine Koordination. Wo sich eine verzweifelte Gruppe von Besatzungsmitgliedern zum Widerstand zusammengefunden hatte, dort ballten sich auch die Robots zu Aktionseinheiten zusammen, und diesem geballten Angriff hatte keine der Gruppe bisher standhalten können. Wo aber einer allein versuchte, sich durchzuschlagen, verloren die Maschinen offenbar den Überblick. Imhotep kämpfte sich in die Außenbezirke seines Schiffes vor. Er wußte, daß er um sein Leben rannte das Schrillen der Sirenen wurde immer lauter. Kreuzer, wie die KOLTHAN einer war, konnten eine Menge verkraften, aber einem pausenlosen, zerstörerischen Beschuß von innen waren sie auf Dauer nicht gewachsen. Früher oder später mußte das Schiff explodieren. In den Außenbezirken waren die Hangars für die Rettungsboote, die mehr als dreimal soviel Platz boten, wie zur Rettung der Besatzung nötig gewesen wäre. Imhotep erreichte den ersten Hangar, und er wußte, daß er diese Hoffnung begraben konnte. Das Beiboot war in einem Ausmaß zerstört, daß an eine Reparatur selbst dann nicht zu denken war, wenn man das Boot einer der staatlichen Werften überlassen hätte. Das Beiboot stellte gerade noch Schrottwert dar. Imhotep hastete weiter. Unterwegs ersetzte er seine leergeschossene Waffe durch die eines Toten. Der zweite Beiboothangar bot ein ähnliches Bild wie der erste, und Imhotep begriff, daß auf diesem Wege keine Rettung möglich war. Einen Augenblick lang blieb er stehen, den Rücken gegen ein Schott gelehnt, tief atmend. „Dann gibt es nur noch eines“, murmelte Imhotep. Eine ganze Reihe von Schiffen verfügte zusätzlich noch über eine Rettungskapsel, ein raumtaugliches Fahrzeug, das allerdings nur innerhalb eines Planetensystems einzusetzen war. Zu Hyperraumflügen war diese Rettungskapsel nicht zu gebrauchen. Imhotep wußte, daß er damit nicht viel gewonnen hatte. Aber vielleicht konnte er mit dem Funkgerät der Rettungskapsel Ghanee erreichen vorausgesetzt, die junge Frau lebte überhaupt
noch.
Imhoteps Lage war verzweifelt, und er wußte das. Aber der Mann dachte nicht daran,
aufzugeben.
Sein Atem ging pfeifend. Imhotep war am Ende seiner Kräfte, aber der Wille, zu leben, hielt
ihn aufrecht.
Er mußte sich seinen Weg freikämpfen, denn immer wieder stieß er auf Turqaan-Roboter, die
jetzt nur noch ein Ziel kannten - die KOLTHAN zu vernichten.
Ein drittesmal mußte sich Imhotep eine frische Waffe besorgen, kein sehr großes Problem
angesichts der Waffen, die überall herumlagen.
Der Sirenenton änderte sich, schwoll an und wieder ab. Imhotep wußte, was das hieß: Die
KOLTHAN würde binnen weniger Minuten explodieren.
„Saubere Arbeit!“ keuchte Imhotep.
Er hatte den kleinen Hangar für die Rettungskapsel erreicht. Die Tür stand offen, wie er mit
Entsetzen registrierte. Wenn Imhotep es nicht schaffte, sich mit der Kapsel aus der Zone der
Vernichtung zu entfernen, war er rettungslos verloren.
Imhotep stürzte in den Hangar, die Waffe schußbereit in der Hand.
Der Robot stand mitten in der geöffneten Kapsel und schoß. Er hatte sich gerade erst ans
Werk gemacht, das konnte Imhotep mit einem Blick sehen.
„Aufhören!“ schrie Imhotep.
Der Robot fuhr herum, genau, wie Imhotep es berechnet hatte. Der Schuß aus der Waffe des
Mannes, gezielt mit der Nervenstärke der Verzweiflung und einer Hand, die ruhig war, weil
sie ruhig sein müßte, traf den Robot an seinem metallenen Schädel.
Die Maschine brach zusammen, ohne einen weiteren Schuß abgeben zu können.
Imhotep atmete erleichtert auf.
Er wußte, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Die Sekunden waren jetzt wichtig. Er packte zu
und schaffte das Wrack des Robots aus der Rettungskapsel.
Einen Augenblick lang zögerte er danach.
Gab es noch andere Überlebende des Massakers? Wenn ja, dann versperrte er ihnen die letzte
Rettungsmöglichkeit, sobald er das Schott der Kapsel schloß. Auf der anderen Seite - der
furchtbare Sirenenton verriet es überdeutlich - hatte er praktisch keine Zeit mehr zu verlieren.
Imhotep drückte den Knopf, der das Schott schloß. Es klackte leise, als die Verschlüsse
einrasteten. Gleichzeitig lief die Selbstversorgung der Kapsel an.
Ein weiterer Knopfdruck sorgte dafür, daß Imhotep an seinen Sitz gefesselt wurde.
Rettungskapseln kannten keinen Komfort.
Dann betätigte Imhotep den entscheidenen Knopf, der die Triebwerke der Rettungskapsel
zündete.
Ein Schlag ging durch das Gefährt, als abrupt die Beschleunigung einsetzte. Das Gefährt kam
in Bewegung. Eine Sprengladung entfernte es von dem Wrack der KOLTHAN. Als sich die
kugelförmige Kapsel einmal drehte, konnte Imhotep die KOLTHAN sehen - schon von außen
war sie als hoffnungslos zerstört einzustufen. Große Löcher klafften in der Außenhaut, dort
waren die Reaktoren von Rettungsbooten detoniert und hatten die Boote und den Hangar
zerfetzt.
Imhotep griff in die Steuerung ein. Es galt, keine Zeit zu verlieren. In den wenigen
Augenblicken, die der Rechner brauchte, um sich im Sonnensystem zu orientieren und einen
Kurs zum nächstgelegenen Planeten zu programmieren, konnte schon zuviel sein. Imhotep
kannte in diesem Augenblick nur ein einziges Programm - weg von der KOLTHAN, und das
so schnell, wie nur irgend möglich.
Es war schwer, sich gegen die Beschleunigung zu bewegen, aber Imhotep schaffte es, die
Rettungskapsel auf einen schnurgeraden Kurs zu bringen, der sie von der KOLTHAN
wegführte.
Dann zuckte greller Lichtschein über die kleinen Fenster. Die KOLTHAN war endgültig
explodiert. Imhotep wußte, daß er noch nicht in Sicherheit war. Ein entsetzlicher Ruck ging durch die Kapsel. Ein Gurt platzte mit einem häßlichen Geräusch. Die Kugel wirbelte um drei Achsen, und Imhoteps Glieder ruderten haltlos in der Luft herum. Aus seiner linken Hand flog die, schußbereite Waffe, prallte gegen einen harten Gegenstand und löste einen Schuß aus, der irgend etwas in der Kapsel traf und zerstörte. Imhotep konnte nicht feststellen, wo der Schaden lag und wie groß er war, denn er konnte in diesem Augenblick so gut wie nichts sehen. Die Bewegungen der Kapsel warfen ihn gegen die Gurte, ließen seine Augen aus den Höhlen quellen und seinen Herzschlag in aberwitzige Höhe schnellen. Imhotep war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, alles um ihn herum verschwamm in einem wirbelnden Chaos aus irrlichternden Farben. Dann verlor er das Bewußtsein. * Daß er überhaupt wieder erwachte, erschien ihm fast wie ein Wunder. Imhotep kam zu sich. Beklemmende Stille, ja, eine fast gespenstische Ruhe umgab ihn. Imhotep erinnerte sich. Er steckte in der Rettungskapsel. Ein Blick aus dem Fenster. Zu sehen war nur der Raum. Von der KOLTHAN fehlte jede Spur. „Überlebt!“ murmelte Imhotep. Er allein hatte den infamen Anschlag der Turqaaner überlebt. Angesichts der Umgebung erschien es Imhotep zweifelhaft, ob er sich bei seinem Geschick für diese Gunst bedanken sollte. Sein Körper schmerzte an vielen Stellen, aber es gelang ihm, dieses Gefühl zu unterdrücken. Er wußte, daß es viel Arbeit für ihn gab. Als erstes mußte er herausfinden, wie weit er sich von der Stelle entfernt hatte, an der die KOLTHAN explodiert war. Außerdem wollte er ermitteln, welche Schäden die Rettungskapsel erlitten hatte. Bereits eine flüchtige Musterung zeigte Imhotep, daß die Kapsel schwer angeschlagen war. Die knapp zehn Meter durchmessende Kugel war im Normalzustand in der Lage, sicher auf einem Planeten zu landen, den sie zuvor mit ihren Treibwerken angeflogen hatte. Von dieser Möglichkeit konnte Imhotep nur wenig Gebrauch machen. Das Funkgerät, Opfer des ersten Schusses, war nicht mehr als ein ausgeglühter Metallklumpen, und bei dem Schuß, der sich aus Imhoteps Waffe gelöst hatte, war die Steueranlage stark beschädigt worden. Imhotep kalkulierte seine Lage durch. Er hatte knapp einen Tag Zeit, sich einen Planeten zu suchen und darauf zu landen. Mehr Zeit blieb ihm nicht - seine Sauerstoffvorräte waren begrenzt. Nun, in einem Tag konnte die Rettungskapsel eine erhebliche Strecke zurücklegen - allerdings nur, wenn sie einwandfrei funktionierte. Es war Zufall, daß ihr augenblicklicher Kurs sie zum dritten Planeten des Systems führte - einer Welt also, auf der Leben denkbar war. Es kostete Imhotep zwei Stunden Arbeit, dann befand sich die Kapsel präzise auf dem Kurs. Danach gab es - vorläufig - nicht mehr viel zu tun. Zeit zum Nachdenken, auch! wenn es weh tat. Was besagte die Bilanz, die nüchterne, leidenschaftslose Auflistung von Gutem und Bösem? Er lebte noch, er besaß die Kapsel, und er flog einen Planeten an, auf dem er - hoffentlich überleben konnte. Überleben hieß: Er würde mit Mühe in der Lage sein, sich Nahrungsmittel zu beschaffen, sich gegen Tiere zur Wehr zu setzen, eine Behausung zu bauen und - ein wenig Glück vorausgesetzt - alt und grau zu werden. Er besaß einen hervorragend funktionierenden Verstand, der ihm sicherlich helfen würde, mit dieser Lebensform zurechtzukommen. Die Passiv-Seite der Bilanz sah weniger gut aus.
Er war abgeschnitten, rettungslos verschollen im Raum und Zeit. Er hatte keine Möglichkeit, sich mit seinen Leuten auf irgendeine Art und Weise in Verbindung zu setzen. Selbst wenn er überlebte, würde er in jedem Fall einsam sein, der einzige seiner Art im Umkreis von Lichtjahrhunderten. Körperlich würde er dieser Belastung vermutlich gewachsen sein. Fraglich war, ob er es ertrug, bis ans Ende seiner Tage allein zu leben - in einem Ausmaß allein, das jedes bekannte Maß sprengte. Zu dieser Einsamkeit gesellte sich nämlich die Aussichtslosigkeit. Es gab nur eine Chance - nämlich die, daß Ghanee den Turqaaner-Verrat überlebt hatte und nach ihm suchte. Die Explosion der KOLTHAN mußte weithin anmeßbar gewesen sein, gleichsam ein Leuchtfeuer, wenn auch nur von kurzer Brenndauer. Es war also denkbar, daß Ghanee diese Explosion geortet hatte und im Sol-System nach ihm fahndete. Im ungünstigsten Fall gab es in diesem System drei bewohnbare Planeten, die Ghanee dann nach ihm abzusuchen haben würde. Mit seinen beschränkten Hilfsmitteln war Imhotep nicht in der Lage, Ghanee durch Zeichen einen Hinweis zu geben. Wie groß war die Chance, einen einzigen Mann auf einem ansonsten verlassenen Planeten zu finden? Der Wert lag in der Nähe von Null. Die Chance, die sich Imhotep ausgerechnet hatte, bestand nur in der Theorie. In der Praxis gab es sie nicht. Mit einer Kaltblütigkeit, die ihn selbst erstaunte, rechnete Imhotep die Bilanzposten gegeneinander auf. Es war sehr bald klar, daß die Passiv-Seite bei weitem überwog. Das Leben, das Imhotep bevorstand, würde gekennzeichnet sein von einer Unmenge harter Arbeit, von Einsamkeit und Verzweiflung, von grenzenloser Hoffnungslosigkeit. Von den Dingen, die Imhotep früher als wichtig erachtet hatte, würde er nichts mehr zu sehen bekommen; alles, was vorher das Leben lebenswert gemacht hatte, fiel unter diesen Bedingungen weg. Es gab keine Macht zu gewinnen, er konnte keine Pläne mehr schmieden und ausführen. Vor wenigen Tagen noch hätte er eine kleine Flotte zusammenstellen können jetzt würde er froh sein, wenn er es mit primitiven Werkzeugen schaffte, sich ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Obendrein konnte der Planet, auf dem er landen würde, eine ganze Menge Widrigkeiten zu bieten haben - gefährliche Raubtiere, Krankheiten, Hungersnöte, Durst, Kälte und Nässe. Die Schlußfolgerung lag auf der Hand - Imhotep ging einem endlosen Martyrium entgegen, vor dem ihn nur eines bewahren konnte... Imhotep sah auf seine Waffe. Das Magazin war fast leer, aber für diesen Zweck würde es ausreichen. „Erste Lösung“, sagte er. Ihm fiel eine weitere ein. Er suchte in der Bordapotheke nach. Nach kurzer Zeit hatte er gefunden, was er brauchte. Es gab noch eine Lösung des Problems. Er konnte sich einschläfern, die dazu notwendigen Medikamente besaß er. Irgendwann, vielleicht in ein paar Jahrtausenden, vielleicht früher, würde man ihn - vielleicht finden und vielleicht - aufwecken und vielleicht - zu seinen Leuten zurückkehren lassen. „Man wird sehen“, sagte Imhotep. Sein Entschluß war gefaßt. Er wollte versuchen, was in seiner Macht stand. Sterben konnte er immer noch.
10. Ein seltsames Gefühl beschlich Imhotep, als er den Planeten unter sich sah.
Viel Blau war auszumachen, dazwischen Braun, ein wenig Grün.Über allem weißliche
Strukturen. Imhotep kannte sich aus. Viel Wasser, ein wenig Land, ein Teil davon bewachsen,
darüber Wolken. Dieser Anblick war Imhotep von vielen Planeten vertraut. Dennoch fühlte er
sich befangen. Es wurde Zeit, die Rettungskapsel zu landen. Fraglich war nur, wo er niedergehen sollte. Wenn es dort unten Leben gab, dann war es mit Sicherheit an das Vorhandensein von Wasser gebunden. Folglich mußte er sich einen Küstenstrich aussuchen, am besten ein Gebiet, in dem reichliches Grün kräftigen Pflanzenwuchs verriet. Es gab ein sehr großes, zusammenhängendes Grüngebiet auf einem der Kontinente, aber Imhotep entschied sich nicht für diesen Landeplatz das Grün war so dicht und der dazwischen liegende Fluß so häufig verästelt, daß man mit einiger Gewißheit auf einen sumpfigen Dschungel schließen konnte. An der Nahtstelle zweier Kontinente fand Imhotep dann das, was er suchte - ein mächtiger Fluß, rechts und links gesäumt von einem breiten, grünen Streifen. Dort beschloß Imhotep zu landen. Wenn es auf dem Planeten - was ihm unwahrscheinlich erschien - höheres Leben geben sollte, dann vermutlich an solchen Flüssen. Es wurde ohnehin höchste Zeit, mit der Landung zu beginnen. Imhoteps Treibstoffreserven schmolzen immer stärker dahin, und in kurzer Frist würden auch die Batterien des Lebenserhaltungssystems erschöpft sein. Imhotep leitete den Landeanflug ein. Er wußte: Dies war eine Maßnahme, die sich nicht mehr umkehren ließ. Dazu fehlten ihm alle technischen Voraussetzungen. Einmal auf dieser Welt gelandet, würde er dort bleiben müssen, bis er entweder abgeholt wurde oder starb. Die Kapsel tauchte in die Lufthülle des Planeten ein. Die Außentemperatur begann rasch zu steigen. Vor den Fenstern bildeten sich die feurigen Schleier, die stets bei solchen Manövern auftraten. Vor der abstürzenden Rettungskapsel entstand ein immer dicker werdendes Polster aus ionisierter Luft; es unterband den Funkverkehr und versperrte die Sicht. Die Landung wurde von der Automatik der Rettungskapsel übernommen. Imhotep leckte sich über die Lippen. Wurde es wirklich wärmer im Innern der Kapsel, oder träumte er das nur? Würde die Kapsel wegen eines falsch gewählten Einflugwinkels in der Atmosphäre verglühen, oder aber - fast noch schlimmer - von der äußersten Schicht der Lufthülle zurückschnellen wie ein flach auf Wasser geworfener Stein? Im einem Fall würde er verglühen, im anderen Fall zurückgeschleudert werden in den Raum, ohne die geringste Aussicht auf Rettung. Draußen kreischte und tobte es. Die Kapsel machte bei ihrer Landung einen infernalischen Lärm. Imhotep blickte auf das kleine Thermometer. Es wurde nicht wesentlich wärmer in der Kapsel. „Noch einmal davongekommen“, murmelte Imhotep. Ein heftiger Ruck ging durch die Kapsel. Die großen Fallschirme hatten sich geöffnet. An ihnen sollte Imhotep mit seiner Kapsel langsam hinunterschweben auf den Boden des Planeten. Es war dunkel geworden draußen. Imhotep würde sein Ziel bei Nacht erreichen. Er hoffte, daß die Kapsel auf festem Land aufsetzte - dann hatte er später vielleicht eine Chance, das kostbare Metall zu Werkzeugen umzuarbeiten. Wenn er hingegen Pech hatte, fiel die Kapsel ins Wasser und versank. Imhotep bereitete sich auf die eigentliche Landung vor. An Ausrüstung besaß er nicht mehr viel; ein Messer, wie es üblicherweise zum Kampfanzug gehörte, stellte seinen wertvollsten Besitz dar. Der Kampfanzug war zerschlissen und nur mehr ein Bündel Lumpen. Imhotep spähte nach draußen. Er konnte etwas sehen, aus großer Höhe. Lichter! Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er wußte, was das hieß. Lichter, Leben - der Planet hatte Bewohner. Vielleicht konnte man sich mit ihnen in Verbindung setzen. Möglich, daß die Fähigkeiten dieser Bewohner über das Feuermachen nicht hinausgingen, aber das ließ sich ändern.
Imhotep setzte sich wieder auf seinen Platz und schnallte sich fest. Die Kapsel konnte in jedem Augenblick den Boden berühren. Dann war es soweit. Ein entsetzlicher Schlag, der Imhoteps Magen in seinen Brustkorb zu schießen schien, ein Kreischen, krachen und Schmettern, dann war Stille. „Geschafft“, murmelte Imhotep, als er wieder atmen konnte. Langsam stand er auf und horchte. Nein, er war auf festem Boden niedergegangen, nicht auf Wasser. Er konnte also das Schott öffnen. Reine, klare Luft, unverbraucht, schlug Imhotep entgegen, als er das Schott aufschwingen ließ. Es war angenehm kühl draußen, der Himmel sternenklar. Imhotep blickte in die Höhe. Irgendwo dort - er kannte die Konstellationen nicht - war Shyftan, war Glyssaan, war Ghanee. Schmerzlich wurde sich Imhotep der Tatsache bewußt, daß der Plan des Blausonnenfürsten voll und ganz aufgegangen war. Er, Imhotep, hatte sich in Darcyrs Tochter verliebt, und er empfand auch die Ironie, die darin lag, daß er das erst bemerkte, als es schon viel zu spät war. „Vergangenheit“, murmelte er. Es galt, die Zukunft zu erobern. Imhotep sprang aus der Kapsel und sah sich an dem Landeplatz um. Er war auf einem Feld gelandet, auf einem richtigen, gepflügten Feld mit sehr sorgsam abgesteckten Begrenzungen. Folglich kannte man auf diesem Planeten die Grundbegriffe der Mathematik - es würde nicht schwer sein, die Einwohner auf diesem Weg weiterzuführen. Imhotep hatte sieben Jahre gebraucht, um sein technisches Wissen zu erlangen - er rechnete sich aus, daß er vielleicht ein Jahrzehnt benötigen würde, bis die Eingeborenen unter seiner Leitung... Er brach den Gedankengang ab. Er war Gast auf diesem Planeten, die kleinste nur denkbare Minderheit. Undenkbar, daß der ganze Planet auf sein Kommando hören würde. „Man wird sehen“, sagte Imhotep. Er verspürte Hunger und Durst. Es wurde Zeit, die Eingeborenen auf sich aufmerksam zu machen. Imhotep brauchte nicht lange, bis er die Fallschirmseide zusammengetragen und auf einen Haufen geschichtet hatte. Er brauchte auch nicht lange, um den Haufen zu entzünden. Nach kurzer Zeit stieg neben der Rettungskapsel eine Feuersäule in die Höhe, die man in der Nacht kilometerweit sehen mußte. Imhotep setze sich in die Nähe des Feuers und wartete. * Imhotep klatschte in die Hände. Eine Sklavin erschien und brachte das Essen. Sie sah Imhotep furchtsam an. Imhotep wußte, warum. Sein Gesicht war hart geworden in der letzten Zeit, gezeichnet von herben Enttäuschungen und Bitterkeit Noch vor vier Jahren war er selbst Sklave gewesen, willfähriger Diener des primitiven Mannes, der ihn gefunden hatte. Acht Jahre waren vergangen, seit Imhotep auf diesem elenden Planeten gelandet war, dessen Bewohner primitiv und dumm waren. Sie hatten sich um seine Proteste nicht geschert, und unter dem Schwung der Geißel hatte auch Imhotep das bittere Brot des Gehorsams zu essen gelernt. Inzwischen hatte er eine kleine Karriere gemacht. Er galt als großer Heilkundiger, weil er mit dem Messer umgehen konnte. Vor allem vermochte er, auf geheimnisvolle Weise einen Trank zu brauen, der den Schmerz verfliegen ließ - Imhotep verstand die Kunst, aus hochdestilliertem Schnaps und mühsam hergestellter Schwefelsäure Schwefeläther herzustellen. „Ein Gesandter, Herr!“ sagte die Sklavin. „Laß ihn ein“, bestimmte Imhotep. Er verfluchte den Tag seiner Landung, der ihn dazu verurteilt hatte, unter diesen Barbaren zu
leben und als einer der ihren eines Tages auch zu sterben. Er hatte gehofft, eine unfertige
Gesellschaft vorzufinden, die er nach seinen Vorstellungen leiten und beeinflussen konnte
statt dessen hatte man ihn genötigt, sich den barbarischen Bräuchen des Planeten anzupassen.
Dabei war das schmutzige Gesindel nicht einmal so gebildet, zu wissen, daß es auf einem
Planeten lebte.
Ein Mann trat ein, dem Wanst nach zu schließen, ein hoher Beamter. Das Gesindel fraß sich
auf Kosten der Sklaven und Bauern fett.
Der Mann grüßte Imhotep zurückhaltend.
„Setz dich“, sagte Imhotep. „Was führt dich zu mir? Eigene Probleme?“
„Mein Herr will dich sprechen“, sagte der Bote. „Er bittet dich, dich sofort zu ihm zu
bemühen. Eine Sänfte steht bereit.“
Der Auftraggeber des Fettwansts schien recht hochgestellt zu sein, wahrscheinlich der
Gouverneur dieser Provinz. Imhotep tippte, daß der hohe Herr durch übermäßigen
Alkoholgenuß und monströse Fettleibigkeit den Verlust seiner Manneskraft herbeigeführt
hatte und nun nach einem Wunderheiler schrie, der ihn ohne Mühe binnen kurzem zum
feurigen Jüngling umwandelte.
„Ich bin nicht billig“, sagte Imhotep.
„Mein Herr ist nicht arm“, versetzte der Bote. „Und er wartet nicht gern.“
„Ich komme“, sagte Imhotep. „Weißt du, worum es geht?“
„Um ein Gebäude“, sagte der Bote. „Ein großes Gebäude.“
Während des Transports aus der kleinen Siedlung heraus ins Land, zerbrach sich Imhotep den
Kopf über die Frage, wer der Unbekannte wohl sein mochte. Imhotep hatte in der näheren
Umgebung einige großartige Bauwerke erbauen lassen - sein damaliger Herr und Meister
hatte Imhoteps Talent ausgenutzt.
Was also mochte der Fremde von ihm wollen?
Als die beiden Sänften das Lager erreichten, begann Imhotep zu dämmern, mit wem er es zu
tun hatte. Ein Provinzgouverneur reiste nicht mit einer solchen Begleitmannschaft mindestens
eine Tausendschaft geschulter Krieger.
In einem großen Prunkzelt wurde Imhotep erwartet.
Imhotep machte den vorgeschriebenen Fußfall. Der Mann auf dem Thron war der Pharao -
Imhotep hatte ihn nie gesehen, wußte aber, wie er aussah.
„Steh auf“, sagte der Pharao. Djoser war sein Name. „Du bist der Mann, den man Imhotep
nennt, der Baumeister und Heilkundige?“
„Man nennt mich so“, sagte Imhotep. Er fragte sich, wie sein Ruhm falls es einer war - bis
zum Pharao durchgedrungen war.
„Ich habe einen Wunsch“, sagte Djoser. Er sah durch Imhotep hindurch in die Ferne. „Ich
möchte ein Haus bauen, ein großes Haus, meiner Person würdig.“
„Einen neuen Palast?“ fragte Imhotep. Das war keine sehr schwierige Aufgabe. Ein paar
Säulen hier, ein paar Säulen dort - die Architektur dieser Leute war nicht überwältigend
schwierig.
„Es soll hinaufragen in den Himmel“, sagte Djoser. „Es soll den Sternen meinen Ruhm
verkünden. Es soll die Jahrtausende überdauern, und es soll sicher sein. Denn wisse, Imhotep,
daß dieses Bauwerk das Kostbarste enthalten soll, was auf Erden denkbar ist - meinen Leib
nach meinem Tode.“
Ein Raunen ging durch die Schar der Hofschranzen und Ratgeber des Pharaos.
Imhoteps Gedanken überschlugen sich.
Ablehnen durfte er keinesfalls - es bedurfte nur eines Winkes, und der Henker des Pharaos
machte sich an die Arbeit. Ungeachtet aller Unbequemlichkeiten, fand Imhotep dieses Leben
auf diesem Planeten immer noch angenehmer als den Tod.
Aber wie sollte er den Plan des Pharaos ausführen? Diese Leute waren eifrig, gewiß, aber sie
verstanden nichts von Statik, von Drücken und deren Verteilung. Allein das Planieren eines
Baugeländes warf ungeahnte Schwierigkeiten auf.
„Darf ich darüber nachdenken?“ fragte Imhotep.
„Ich erwarte dich morgen“, sagte der Pharao und entließ Imhotep.
Im Freien, auf dem Platz des Lagers, holte Imhotep erst einmal tief Luft.
Er wußte, daß er jetzt um sein Leben denken mußte.
Wie baute man ein möglichst hohes Gebäude mit so primitiven Mitteln? Das Problem schien
kaum lösbar.
Imhotep wanderte unruhig durch das Lager.
Djoser, Herr Unter- und Oberägyptens, reiste mit gewaltigem Aufwand. Er schleppte nicht
nur seine Leibwache mit sich herum, mit ihm reisten auch Dutzende seiner Kebsweiber und
deren Nachwuchs.
Imhotep kam am Spielplatz vorbei, wo man für die Kinder des Pharaos ein paar Spielzeuge
bereitgestellt hatte.
Eines der Kinder, ein Junge, ebenso fröhlich wie schmutzig, hatte einen Eimer Wasser über
dem Sand ausgegossen und spielte nun hingebungsvoll mit dem feuchten Brei.
Imhotep sah ihm zu...
* „In diesem Augenblick kam mir der Gedanke“, sagte Imhotep. „Er war ebenso einfach wie genial. Es gab nur eine einzige Möglichkeit für dieses wenig fortschrittliche Volk, ein hohes Bauwerk zu errichten, das einigermaßen standfest war. Das Kind mit seinem Sand gab mir die grobe Form vor - einen Kegel. Der nächste Schritt, zur stufenweise errichteten, immer wieder vergrößerten Pyramide, war danach nicht schwer.“ Ein Teil der Mitarbeiter klatschte, darunter auch Demeter Carol Washington. Imhotep lächelte freundlich. „Dazu kam dann noch ein Gedanke, noch weit verwegener, als der Pharao ahnen konnte. Eine so gigantische Masse Gestein, auf engstem Raum konzentriert, veränderte natürlich das Raum-Zeit-Gefüge nicht sehr stark, dafür aber eindeutig.“ „Das tut jeder beliebige Berg auch“, sagte Inky. „Aber nicht mit der Regelmäßigkeit und Präzision eines solchen Bauwerks“, gab Imhotep zurück. „Außerdem habe ich natürlich dafür gesorgt, daß es im Innern der Pyramide ein paar sorgfältig berechnete Räume gab, in denen sich die Schwerkraft gleichsam brach oder bündelte und so einen noch wesentlich deutlicheren Effekt hervorrief. Mein Plan stand fest ich wollte die Pyramide bauen und damit meine Freunde informieren. Es würden Jahrhunderte vergehen, bis sie das Signal registrieren konnten, aber das störte mich nicht - ich hatte ja mein Schlafpräparat.“ „Durch diesen Plan hat der Djoser dann einen Strich gemacht“, sagte Inky grinsend. „Dieser scheinheilige Lump“, sagte Imhotep, gleichfalls grinsend. „Nun, er hat wenigstens dafür gesorgt, daß die Bewohner des Planeten ein Rätsel zu lösen bekamen, an dem sie einige Jahrtausende herumraten konnten - warum haben die alten Ägypter Pyramiden gebaut?“ „Mag sein, daß dieses Rätsel gelöst ist“, sagte Joshua Slocum, der sich noch immer nicht ganz von den schweren Verletzungen erholt hatte, die er bei unserem letzten Einsatz abbekommen hatte. Dieser Einsatz hatte uns ins alte Ägypten geführt; dort hatten wir Imhotep gefunden und nach Shyftan gebracht - in jene Festung, die er selbst geplant hatte. „Wie sieht die Geschichte von Shyftan weiter aus?“ wollte Demeter wissen. Imhotep preßte die Lippen aufeinander. „Ich habe die Daten geprüft, Chefin“, sagte er langsam. „Der Rechner wurde damals beschädigt, konnte aber dank der Robotkopien und der anderen Maschinen die Kontrolle übernehmen. Die Turqaaner haben sich nach Hirath geflüchtet, die Festung wurde vom Rechner wieder repariert. Danach hat der Rechner nach eigenem Ermessen gehandelt mit
einigen sehr kuriosen Fehlprogrammen, die sich daraus erklären, daß er seine eigenen
Schäden ja nicht als solche erkennen und beheben konnte.“
„Deine Freunde? Und Ghanee?“
„Meine Gefährten sind bei den Kämpfen gestorben“, sagte Imhotep. „Und von Ghanee weiß
ich nichts die Daten des Rechners besagen, daß sie sich hat absetzen können, mehr weiß ich
auch nicht. Der Rechner hatte seit Jahrhunderten keinen Kontakt mehr zu den anderen
Planeten unseres Reviers - er hat zwar dafür gesorgt, daß die Transmitterstationen gebaut
wurden, aber mehr hat er nicht getan.“
„Auf Delta Rebecca hat der Rechner eine ganze Stadt bauen lassen“, warf Demeter ein. „Sie
ist verlassen und zerfallen - dort hat niemals jemand gewohnt.“
Zwei weitere Fragen drängten sich quasi auf.
„Du siehst aus wie ein Mensch, Imhotep - bist du ein Mensch?“
„Wahrscheinlich“, sagte Imhotep, der Mann aus dem Imperium von Glyssaan. „Irgendwie
muß Glyssaan mit der Erde verbunden sein.“
„Es ist überhaupt sehr seltsam, daß immer wieder die Erde Mittelpunkt des Geschehens ist“,
sagte Demeter. „Dafür muß es irgendeinen Grund geben.“
„Wer weiß schon, was die Oberen planen“, warf jemand ein.
„Die Oberen?“
Demeter beantwortete Imhoteps Frage.
„Unser Feind, und ich würde mich sehr wundern, wenn er nicht mit eurem Widersacher
identisch wäre.“
„Seltsame Zufälle“, sagte Imhotep. „Aber Sie haben recht - auch bei uns ist der Gegner unter
diesem Namen bekannt.“
Ich meldete mich.
„Tovar?“
„Könnten wir mit Imhoteps Hilfe einmal genau ausrechnen, in welcher Zeit wir uns überhaupt
befinden?“ wollte ich wissen.
„Das haben wir bereits getan“, sagte Demeter. „Die Zeittafel ist etwas verwirrend, daher nur
die wichtigsten Informationen. Während wir hier sitzen, toben auf der Erde die Kämpfe
zwischen Menschen und Nokthern. Die Reise von der Erde nach Delta Rebecca und Shyftan
hat dafür gesorgt - purer Zufall, aber sehr hilfreich -, daß wir uns praktisch in unserer
Normalzeit befinden. Für Imhotep heißt das, daß er sich von seiner Zeit um fast zweieinhalb
Jahrtausende entfernt hat.“
„Gibt es das Imperium von Glyssaan überhaupt noch?“
„Möglich“, sagte Imhotep. „Ich kann diese Frage nicht beantworten. Es ist sehr vieles im
Unklaren.“
„Wir werden demnächst darüber sprechen“, sagte Demeter. „Für heute haben wir genug
getan.“
Damit war die Versammlung entlassen. Die Mitarbeiter der Time-Squad verließen den Raum,
um an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Es gab viel zu tun für uns.
Mir bedeutet D. C., am Ort zu bleiben, desgleichen Imhotep.
„Kommt mit“, sagte sie. „Ich muß euch etwas zeigen.“
Sie ging voran, durch die Korridore und Gänge der riesigen Festung. Ein Reich, das einen
solchen Bau in so kurzer Zeit aus dem Boden stampfen konnte, konnte uns ein wertvoller
Verbündeter sein - wenn es uns überhaupt als Verbündeten ansah.
Wenn selbst das große Imperium der Glyssaaner gegen die Oberen und ihre Helfer machtlos
gewesen war - wie sollten wir dann gegen sie erfolgreich sein wollen. Die Time-Squad war
nicht mehr als ein Haufen Verzweifelter.
Wir stiegen in die Tiefe der Festung hinab. Dieses Bauwerk war nicht nur beeindruckend breit
und lang - es reichte auch ein paar Stockwerke tief in den Boden des Planeten hinab.
Demeter ging voran. Ich ahnte, was für ein Raum ihr Ziel war. Und ich irrte mich nicht.
Vor einer Krankenabteilung blieben wir stehen. Demeter öffnete die Tür. Dahinter lag eine
Krankenstation. Ein Arzt geleitete uns in den Raum, den wir suchten.
Dort lag, an Lebenserhaltungssysteme angeschlossen, ein junger Mann. Er lag im Sterben.
„Dies“, sagte Demeter leise, „ist unser Freund Diversion. Der Körper dieses Wesens stammt
von der Erde. Der Geist, der diesen Körper beseelte, stammt aus einem anderen Universum.
Divorsion ist ein Jaynum, er kommt aus dem Universum der Oberen.“
Imhotep kniff die Augen zusammen. Ich sah, daß der Mann Mühe hatte, diese Informationen
zu verarbeiten.
„In Divorsions Universum läuft die Zeit rückwärts“, fuhr Demeter fort. „Wir haben das daran
gemerkt, daß Divorsions Geist in unserer Zeit immer jünger und jünger wurde. Er hat nur
noch ein paar Monate zu leben, dann wird er - nun, nicht sterben, sondern zurückkehren in
den Zustand des Nichtgeboren-Seins.“
„Großes Glyssaan“, flüsterte Imhotep. „Jetzt begreife ich, warum es kein Pardon geben kann
in diesem Krieg.“
„Niemals“, sagte Demeter. „Die Oberen - wie immer sie aussehen mögen - sind sterblich wie
wir. Wenn sie aber zwischen beiden Universen pendeln können, sind sie unsterblich. Und
darum kennen sie nur ein einziges Ziel - beide Universen zu beherrschen und zwar auf ewig,
bis zum Ende aller Zeiten.“
„So weit sind wir nie gekommen“, sagte Imhotep. „Sie wissen mehr als wir, viel mehr - und
doch sind Sie so wenige, und wir hatten ein Imperium.“
„Es liegt wahrscheinlich daran, daß aus unerfindlichen Gründen die Erde Zentrum dieses
Kampfes ist!“ sagte Demeter.
Wir verließen Divorsion, dem keiner von uns zu helfen vermochte.
„Das habe ich nicht gewußt“, sagte Imhotep leise. „Unser Kampf erhält dadurch völlig neue
Aspekte.“
„Willst du uns dabei helfen, Imhotep?“
Imhotep lächelte.
„Selbstverständlich“, antwortete er ruhig. „Wir haben einen gemeinsamen Feind, also sollten
wir gemeinsam handeln.“
„Was für eine Zeitreise mag der Taster der KOLTHAN erfaßt haben“, überlegte ich laut.
„Unseren Ausflug nach Alexandria? Oder den Sprung tief in die Vergangenheit, in die
Sahara?“
„Unter Umständen“, sagte Imhotep. „Hätte ich die Impulse angemessen, die von den
Pyramiden ausgelöst wurden - dann hätte ich mir mein Grab beinahe selbst geschaufelt.“
„Ist das denkbar?“ fragte Demeter. „Durchaus“, sagte Imhotep.
Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr mich.
„Wenn das so ist“, sagte ich laut, „dann haben wir vielleicht auch eine Erklärung für die
Zentralstellung der Erde in diesem Konflikt - unser Gegner hat die gleichen Überlegungen
angestellt und sich nur deshalb um die Erde gekümmert.“
Imhotep wurde blaß.
„Keine Sorge“, sagte Demeter. „Ich glaube nicht an diese Interpretation.“
„Es wäre ein furchtbarer Gedanke“, sagte Imhotep.
Wir hatten den Garten erreicht, den Imhotep für sich hatte anlegen lassen. Er blühte schön wie
immer.
Demeter gönnte sich diesen Anblick nur für kurze Zeit, dann sagte sie, was sie stets und
überall sagte. Es war das Motto, unter dem wir zu leben hatten.
„An die Arbeit!“
ENDE