Nr. 114
Der Weltraumzirkus Vorstoß ins Leere - die Mächtigen bewahren ihr Geheimnis von Hans Kneifel
Auf den Stützpun...
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Nr. 114
Der Weltraumzirkus Vorstoß ins Leere - die Mächtigen bewahren ihr Geheimnis von Hans Kneifel
Auf den Stützpunkten der USO, auf den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Mitte September des Jahres 2842 – eines Jahres, dessen erste Hälfte recht turbulent verlief, wie die vorangegangenen Ereignisse eindeutig bewiesen. Jetzt herrscht in der Galaxis relative Ruhe. Der Aufbau des Solaren Imperiums geht kontinuierlich voran. Es gibt im Augenblick weder im Bereich des Inneren noch im Bereich des Äußeren Schwierigkeiten von Bedeutung. Kein Wunder daher, daß Perry Rhodan, der Großadministrator, Staatsgeschäfte Staatsgeschäfte sein läßt und zusammen mit seiner Frau Mory Abro, der Regierungschefin von Plophos, zu einer Expedition in ein weit entferntes Sonnensystem aufgebrochen ist. Dabei wäre, wie es sich plötzlich herausstellt, die Anwesenheit von Perry Rhodans Frau auf Plophos gerade jetzt dringend erforderlich! Denn Plophos, das zu einem Transplantationszentrum ersten Ranges geworden ist, wird von einer solchen Welle von Terrorakten heimgesucht, daß dem Stellvertretenden Obmann des Planeten nichts anderes übrigbleibt, als die USO zu alarmieren. Ein seltsames Spezialisten-Team der USO nimmt die Arbeit auf und durchforscht die OrganBanken des Planeten nach Spuren der Verbrecher, die für den Terror auf Plophos verantwortlich sind. Dann, urplötzlich, verlagern sich die Ermittlungen in das All – und auf den WELTRAUMZIRKUS …
Der Weltraumzirkus
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Die Hautpersonen des Romans: Nancy Chessare - Weibliches Mitglied eines seltsamen USO-Spezialisten-Teams. Stuckey Folus und Thow Tanza - ›Pa‹ und ›Opa‹ verfolgen einen Weltraumzirkus. Alvmut Terlahe - Leiter einer Untersuchungskommission. Corm Damagger - Kommandant des USO-Forschungskreuzers GERAKINI. Lenny - Ein Chefeinkäufer ist mißtrauisch.
1. »Ma« Nancy Chessare hatte sich vorgenommen, diesen Abend zu genießen. Allein und völlig entspannt, ohne Verpflichtungen. Bisher hatte sie es geschafft, der Hektik der Tage und der turbulenten Vorkommnisse ein paar Stunden abzugewinnen – auch heute. Nancy hatte ihr Haar waschen lassen und trug es jetzt in weichen, schulterlangen Wellen. Sie saß ausgestreckt in einer Ecke der überdimensionalen Couch ihres Apartments und ließ die Klänge der Musik auf sich einwirken. Auf einem niedrigen Tischchen standen Gläser, Zigaretten, Aschenbecher und andere Kleinigkeiten. Nancy trug einen hautengen Freizeitanzug, der vor einer halben Stunde in der Halle des Hotels – das in Wirklichkeit ein Gästehaus der Administration von Plophos war – einen mittleren Aufruhr angerichtet hatte. Neben ihr lag ein großer Lesewürfel, auf dem Bilder und Texte sich langsam bewegten. »Sehr schön, diese Ruhe!« murmelte die USO-Spezialistin und dachte flüchtig an die beiden anderen Mitglieder der Familie, die diese kurze Zeitspanne zwischen den Aktionen sicherlich ebenfalls zu schätzen wußten. Aber … die Ruhe würde sicherlich nicht sehr lange anhalten. Nancys Gedanken glitten zurück. Die ausnehmend hübsche Spezialistin, zusammen mit Pa Folus und Opa Tanza auf diesem Planeten eingesetzt, befand sich wieder am Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen. Nach wie vor waren alle Organbanken geschlossen, aber in einigen Fällen wurde dennoch, höchst unoffiziell und unter strengster Geheimhaltung, operiert. So konnten
trotzdem laufend wertvolle Menschenleben gerettet werden. Nancy Chessare griff nach der Mokkatasse und trank einen Schluck. Dann roch sie an dem großen Glas, in dem ein Rest wohlriechenden Alkohols schwankte. Nancy hob das Glas an die Lippen, von denen sie wußte, daß ihr Anblick Stuckey Folus halb wahnsinnig machen konnte. Abgesehen von der nervenaufreibenden Kleinarbeit, die jedem Spezialisten sehr wohl bekannt war, gab es in den letzten Tagen hier in New Taylor und auf dem Planeten Plophos keine größeren Zwischenfälle. Nach der kleinen Operation, in deren Verlauf Thow Tanzas Hautimplantat wieder durch seine normale Haut ersetzt worden war, kehrte Opas eigener, freier Wille wieder zurück. Aber über die Zeit, in der er unter dem Befehl einer fremden Macht gestanden hatte, konnte er keine Einzelheit berichten. So blieb die Absicht der Fremden im dunklen. Es klirrte leise, als Nancy das leere Glas wieder abstellte. Dann griff sie zu der Dose, entnahm ihr eine lange Zigarette und setzte sie in Brand. Wieder wandte sich die Spezialistin ihrem Lesewürfel zu und blieb entspannt und ruhig. Sie hatte keinen Grund, der Ruhe zu mißtrauen, aber dennoch tat sie es. Langsam verstrichen die Minuten dieses späten Abends. Auch Opa und Stuckey würden diese Ruhe begrüßen. Aber an anderen Stellen war die Ruhe trügerisch … Auf Plophos wurden ununterbrochen Ermittlungen angestellt. Alle interessierten Bürger und erst recht die Angehörigen der Sicherheitsbehörden versuchten, potentielle »Marionetten« festzustellen und in Sicher-
4 heit vor ihren rätselhaften Auftraggebern zu bringen. Man wußte genau, daß zumindest hier eine noch unbekannte Menge von ehemaligen Patienten neue Organe oder neue Körperteile trugen, die nur scheinbar vollwertiger Ersatz waren: Auch sie waren mit den Gallertkörnchen durchsetzt, in denen man die Empfänger unsichtbarer und unhörbarer Befehle vermutete. Vor allem die vielen Dienststellen der Untersuchungskommission, die unter dem Befehl von Alvmut Terlahe standen, arbeiteten rund um die Uhr. Sie bemühten sich um die Aufklärung der Fälle, und sie versuchten, aus denjenigen Patienten etwas herauszuholen, die man in Schutzhaft gebracht hatte. Viel war es nicht, was man bisher in Erfahrung gebracht hatte … »Und noch immer ist der Obmann nicht verständigt!« murmelte Nancy leise. Sie streifte die Asche der Zigarette ab und schloß die Augen. Die »Familie« hatte es gegen den Widerstand der Terlahe-Kommission durchsetzen können, daß man sie sofort benachrichtigte, wenn ein Fall von dem abwich, was man inzwischen als normal definiert hatte. Wie sollte das alles enden? »Wenn ich mir die Folgen vorstelle«, flüsterte die rothaarige Schönheit. »Dann gerate ich in Panik!« Jeder Tag, der ohne dramatische Vorkommnisse verstrich, war zugleich eine Atempause und eine unverhüllte Drohung. Die Ruhe vor dem wütenden Sturm! Noch immer bestand die Gefahr, daß eine große Masse von Menschen von einer Sekunde zur anderen einem »großen Unsichtbaren« gehorchte. Die Folgen waren vorstellbar – sie waren durchaus beschreibbar. Die Aussage mündete in die Formulierung, daß sich das Chaos eines Teiles der Galaxis bemächtigen würde. Und mitten in diese Überlegungen hinein ging der Summer des Interkoms. Das Geräusch war fast so etwas wie eine Erlösung aus dem qualvollen Warten. »Endlich!« bemerkte Nancy lakonisch,
Hans Kneifel drückte ihre Zigarette aus, schaltete den Lesewürfel ab und stand auf. Sie ging hinüber zu dem Bildschirm und drückte die bewußte Taste. Sie blinzelte überrascht, als sie Terlahe erkannte. Er sah wie der Überbringer einer Hiobsbotschaft aus, und überdies schien er eben mit einem unglaublichen Geschehen konfrontiert worden zu sein. Als sein Blick Nancy traf, machte er den schwachen Versuch eines Lächelns. »Ich sehe, Sie sind noch nicht schlafen gegangen!« sagte er. »Wir haben da eine Sache …« Nancy nickte verständnisvoll und richtete ihre Augen fragend auf den übermüdeten, nervösen Mann. »Ich habe Ihren Anruf fast erwartet. Was ist geschehen?« Terlahe sagte tonlos: »Ein Mann ist explodiert. Bei der Explosion wurde eine Polizeistation halbwegs demoliert. Einige Verletzte.« »Wo? Wann?« Terlahe gab ihr die Adresse durch und sagte die Uhrzeit. Nancy notierte beides und erwiderte: »Wir kommen. Ich verständige Folus und Tanza. In etwa fünfundvierzig Minuten sind wir an Ort und Stelle.« »Es scheint ein aufwendiger Selbstmord gewesen zu sein. Meine Beamten sagen aus, daß …« Nancy winkte ab. »Das alles läßt sich klären, wenn wir an Ort und Stelle sind. Wir werden ein ausgezeichnetes Labor und noch bessere Fachleute brauchen. Bitte, richten Sie es so ein, daß beides in Kürze zur Verfügung steht. Polizeieskorte?« »Ja. Ich sage die Meldung an die Begleitfahrzeuge durch.« Er nickte ihr grüßend zu, und unterbrach die Verbindung. Nancy wählte die beiden Zimmeranschlüsse ihrer Freunde, unterrichtete sie kurz von dem Vorgefallenen und verabredete sich mit ihnen in wenigen Minuten vor dem Ausgang des Gästehauses. Vor dem Ausgang erwarteten sie zwei
Der Weltraumzirkus schwere Gleiter der städtischen Polizei. Opa nickte ihnen zu und schwang sich hinter das Steuer ihres neuen Dienstfahrzeugs. Die Lichter der Begleitgleiter flammten auf und begannen sich zu drehen. Der Lichtschein huschte über die grünen Gewächse um das Haus und ließ aus dem Spiegel des nächtlichen Teiches reflexhafte Lichter sprühen. Ein paar kleine Wildvögel flogen auf und schwirrten durch die Zweige. Über den nächtlichen Himmel zogen schnell treibende Wolken und verhüllten einen Teil der Sterne. Stuckey brummte ungehalten: »Ein Mann soll explodiert sein! Ich bin gespannt, was die Untersuchungen ergeben werden. Ich kann es nicht glauben, daß sich ein Mensch in einer Polizeistation selbst in die Luft sprengt.« »Ich hingegen könnte es aufs Wort glauben!« schränkte Opa ein. »Leider habe ich einschlägige Erfahrungen!« »So ist es. Auch meine Meinung – aber sehen wir dort weiter!« erwiderte Nancy. Stuckey Folus roch ihr abenteuerliches Parfüm und blickte sie von der Seite an. In seinen Augen lagen uneingeschränkte Bewunderung und auch etwas von jenem Hundeblick, der alle Verliebten auszeichnete. »Wie weit?« fragte Opa über Funk. Aus dem Lautsprecher krächzte die Stimme eines der begleitenden Polizisten: »Etwa dreißig Minuten scharfer Fahrt.« »Danke!« Vor sich einen Gleiter mit sechs bewaffneten Männern, die mißtrauisch in alle Richtungen spähten und die Warngeräte eingeschaltet hatten, dann fünfzig Meter Abstand, hinter sich im selben Abstand einen zweiten Gleiter, beide mit aufgeblendeten Scheinwerfern und mehrfarbigen Drehlichtern, ging die rasende Fahrt in einen Stadtbezirk, der nicht gerade zum prächtigsten gehörte, was New Taylor zu bieten hatte. Etwas mehr als eine halbe Stunde später bremsten alle drei Fahrzeuge nebeneinander. Sie wurden erwartet.
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* Obwohl das Ereignis vor einigen Stunden stattgefunden hatte, glich der Platz vor der Polizeistation noch immer einem Chaos. Eine Menge verschiedener Gleiter standen mit eingeschalteten Scheinwerfern vor dem Haus, Polizisten und Roboter bildeten einen Kordon, der die Masse der Neugierigen zurückdrängte. Der Boden war von Scherben und Mauerbrocken übersät. Ein paar Reinigungsrobots machten sich daran zu schaffen, wurden aber immer wieder von Beamten in ihrer Arbeit gestört. Die Mitglieder der Familie stiegen aus und schoben sich, nachdem sie legitimiert worden waren, durch die aufgeregte Menge. »Wir haben die verletzten Beamten in ein Krankenhaus geschafft!« sagte ein Polizeileutnant. »Die Leute von der Spurensicherung glauben, eine Menge zerfetzter Leichenteile gefunden zu haben.« »Ich verstehe!« erwiderte Nancy und strahlte den Leutnant an. »Wo ist Alvmut Terlahe?« Der Leutnant deutete auf eine schmale, verschlossene Tür. »Danke!« Sie sahen sich um. Die Explosion mußte im Zentrum eines großen Büros stattgefunden haben. Ein Polizeibeamter mit einem breiten Pflaster an der Stirn kam aus dem Nebenraum, erkannte Nancy und Opa und sagte: »Terlahe wartet bereits auf Sie. Bitte, kommen Sie herein!« »Einen Augenblick!« erwiderte Stuckey und ging vorsichtig zwischen den Trümmern des Mobiliars, den umgestürzten Tischen und den knirschenden Scherben und Steinbrocken einmal durch den Raum. Derjenige, der hier ferngesteuert in die Luft gesprengt worden war, mußte eine beachtliche Menge hochwirksamen Sprengstoff an sich getragen haben, denn die Zerstörung war groß. Nur durch eine Serie unglaublicher Zufälle hatte es keine Toten unter den Polizisten gegeben.
6 Der Raum jedoch war fast unbrauchbar, und Blutspritzer waren überall an den Wänden, dem Boden und der Decke. Scharf zeichneten sich die Umrisse von Möbelstücken und Interkomen ab, die während der Explosion wie Schablonen gewirkt hatten. Es stank nach kaltem Rauch und einer Menge unbeschreiblicher Dinge. Die Spurensicherer waren an der Arbeit. Blitzlichter flammten auf, und ein Infrarotspürgerät arbeitete summend. Stuckey hatte genug gesehen und folgte Ma und Opa in den Nebenraum. Ein bleicher, verletzter Terlahe stand auf und kam ihnen entgegen. Er schüttelte ihre Hände und sagte: »Alle Polizeistationen waren angewiesen, an mich zu melden, wenn sich etwas Ungewöhnliches ereignen sollte. Das scheint tatsächlich hier der Fall gewesen zu sein. Der Ergriffene hat sich selbst vernichtet.« »Oder er ist ferngesteuert ermordet worden!« schränkte Opa grimmig ein. »Vergessen Sie nicht, daß ich darin einige leidvolle Erfahrungen habe.« Terlahe war ratlos, das war deutlich zu erkennen. In dem kleinen Raum hielten sich einige Polizisten auf und zwei weitere Mitglieder der Untersuchungskommission. »Ich kann nicht an diese Ihre Version glauben, Spezialist Tanza!« sagte Terlahe deutlich. »Unsere Leute haben die Überreste, soweit noch feststellbar, im Labor zusammengetragen.« Stuckey hob die Hand und deutete auf den leichtverletzten Polizisten. »Bitte, zunächst eine zusammenfassende Schilderung, ja?« Der Beamte nickte und berichtete kurz; er schien diese Geschichte schon mehrmals erzählt zu haben. »Vielleicht hätten Sie uns anrufen sollen, ehe Sie diesen Algo zu verhören begannen!« sagte Nancy. Der Beamte warf einen ratlosen Blick auf Terlahe und erwiderte halblaut: »Erstens hatten wir andere Anweisungen, und zweitens hatten wir nicht den leisesten Verdacht, daß es sich um einen der ehemali-
Hans Kneifel gen Speichererbsen-Patienten handeln könnte.« »Leuchtet mir ein!« gab Opa finster zu. »Nichts ist aber geklärt. Wo ist dieses Labor?« »Im Keller!« Terlahe stieß sich von der Tischkante ab und blieb vor den Spezialisten stehen. »Sie können doch nicht einfach die Untersuchungen an sich reißen, kaum, daß Sie hier aufgetreten sind!« »Wir können, und wir werden«, sagte Nancy mit einem süßen Lächeln. Sie stürzte damit Terlahe noch tiefer in seine Verwirrung. »Denn es gibt bestimmte Dinge, die uns aufgefallen sind. Wir haben in solchen Untersuchungen viel mehr Routine als Sie, glauben Sie mir!« »Außerdem müssen wir Ihnen sagen, daß Ihre Beamten nicht vorsichtig genug zu Werk gegangen sind. Sie waren einfach nicht mißtrauisch genug!« meinte Folus und nickte dem verletzten Beamten beschwichtigend zu. Opa schlug knurrend vor: »Gehen wir erst einmal hinunter ins Labor. Dann werden wir vielleicht erkennen können, ob es sich um ferngesteuerten Mord handelt, was wir annehmen, oder um Selbstvernichtung, wie Sie glauben. Sind die Reste des Unglücklichen genügend groß, um eine Identifikation zu ermöglichen?« Wortlos schüttelte der Beamte den Kopf. Sie verließen den Nebenraum. Die anderen Anwesenden schlossen sich wortlos an; wieder war der Effekt zu beobachten gewesen, daß die kühle Entschlossenheit der Spezialisten zögernde Männer mit sich riß. Durch das verwüstete Büro gingen sie auf einen kleinen Lift zu, der hinter einer Schutzmauer lag. Nacheinander sanken die Männer nach unten. Nancy blieb stehen und sah den Beamten bei ihrer Arbeit zu. Etwas fiel ihr auf, aber sie war noch nicht in der Lage, genau zu sagen, was sie bei diesem Vorfall mehr als gewohnt stutzig machte. Es war alles zu schnell gegangen, zu leicht: Ein Verdächtiger wurde vernommen
Der Weltraumzirkus und sprengte sich in die Luft, ohne daß eine Spur von Gemütsbewegung registriert worden wäre. Ein weiteres Indiz in dieser Kette von unglaublichen Zwischenfällen. Schließlich zuckte Nancy Chessare die Schultern und folgte dem kleinen Trupp hinunter in das kleine Labor der Polizeistation. An drei Wänden breiteten sich weiße Labortische aus, auf denen Präparate lagen und Maschinen und Geräte standen, deren Bedeutung bestenfalls Stuckey Folus bekannt war. Weißgekleidete Polizeimänner beugten sich über Okulare und untersuchten die Proben. Im Zentrum des Kellerraums, auf einem riesigen Tisch, lagen auf einer Plastikfläche die eingesammelten Leichenteile; eine grausige Kollektion von zerfetzten Hautfetzen und Körperteilen. Folus schlüpfte in einen Laborkittel, nahm das chirurgische Besteck in die Finger und beugte sich über eine blutige, gespreizte Hand. Er zog während die anderen ihm schweigend zusahen und einen Kreis um den Tisch bildeten, eine Handlupe hinzu, nahm schließlich eine Hautprobe und richtete sich nach einigen Minuten am Spezialmikroskop wieder auf. »Der Mann ›Algo‹ war kein menschliches Lebewesen«, sagte er hart. »Es war eindeutig ein Androidenkörper.« »Nein!« stöhnte Terlahe. »Nicht auch noch das! Ein Androide! Das bedeutet …« Opa vollendete kurz: »Das bedeutet eine Armee von Androiden, die als lebende Bomben herumlaufen und unermeßlichen Schaden anrichten können.« »Jedenfalls waren wir sicher, einen heruntergekommenen Menschen vor uns zu haben!« verteidigte sich ein Beamter aufgeregt. Opa winkte ab. Für ihn stand es fest, daß die Beamten keine Schuld traf, denn sie operierten von ganz anderen Voraussetzungen aus. »Hören wir mit den lächerlichen Beschuldigungen auf!« schlug Folus laut vor. »Alles andere ist wichtiger. Setzen Sie sofort eine Gruppe auf diesen Androiden an. Stellen Sie
7 fest, woher der Androide kommt. Vielleicht führt er uns auf eine wichtige Spur!« »In Ordnung!« Terlahe begann, auf einen seiner Männer einzureden. Folus organisierte inzwischen eine schnelle, gründliche Untersuchung der wenigen Reste des Androidenkörpers. Nach etwa einer Stunde, als alle Leute in diesem Labor ihre Präparate nach besonderen, jeweils unterschiedlichen Gesichtspunkten studierten und ihre Messungen und Analysen machten, stand es hundertprozentig fest, daß es sich um einen Androidenkörper gehandelt hatte. »Ich sehe es einigermaßen klar«, sagte Opa und schob das Mikroskop zurück. »Der Androide scheint den unheimlichen Herrschern irgendwie entkommen zu sein. Dann, als er bereit war, zu reden, vernichteten sie ihn. Ich weiß es genau, denn auch als ich keine Fluchtmöglichkeit mehr sah, wollte ich mich ferngesteuert erschießen.« Folus massierte sich die Augen und schaltete einen Bildschirm ein. Sein Gesicht wirkte verkniffen, als er wartete, bis Tanza ausgeredet hatte und endlich selbst sagte: »Ich muß meinen ersten deutlichen Verdacht bestätigen, auch die anderen Analysen haben dies ergeben. Es war mit hundertprozentiger Sicherheit ein Androide. Aber ich habe hier in einem Stück Gewebe interessante Feststellungen machen müssen. Ich führe eine Bildreihe vor.« Schon kurz nach den ersten Untersuchungen hatten sie feststellen müssen, daß auch das Androiden-Gewebe mit den Speichererbsen durchsetzt war, jenen winzigen Gallert oder Plasmakügelchen, die ein Zeichen der Marionetten waren. Nancy fragte beunruhigt: »Hängt deine Beobachtung mit der Explosion zusammen?« »Vermutlich mit der Freiwerdung derjenigen Energie, die bei der Explosion wirkte!« bestätigte Folus. »Sehen Sie selbst, meine Herren!« Jemand verringerte die Intensität der Raumbeleuchtung, und auf dem Bildschirm zeichnete sich jetzt klar und deutlich ein
8 Stück Hautgewebe ab. Es war unzweifelhaft einer der wenigen Reste des Androiden. Das Bild wechselte in eine stärkere Vergrößerung. Die Männer, die auf den Schirm starrten, hielten den Atem an. Nancy wußte mit einiger Sicherheit, was jetzt folgen würde. Mit ruhiger Stimme gab Stuckey Folus einige Erklärungen ab. »Dieses Labor ist zu klein und mit zu wenigen Geräten ausgestattet. Wir können nur feststellen, daß auch dieses Gewebe mit Plasmakügelchen durchsetzt ist. Hier der Beweis.« Dreimal wechselten die Vergrößerungen. Sie erschienen plastisch, farbig und gestochen scharf auf dem Bildschirm. Die Aufnahmen waren von einer schweigenden Drohung erfüllt. Alle Anwesenden waren mit den Vorgängen genügend vertraut, so daß sie wußten, was dies bedeutete. Ein Zellverband trug, wie große Viren oder Bakterien, fremde Eindringlinge, die wie kleine Monde vor einem farbigen Weltallhintergrund aussahen. »Sehen Sie diesen Verband von fünf Kügelchen? Erinnern Sie sich an die vorhergehenden Aufnahmen?« fragte die dunkle Stimme Folus' durch die halbe Dunkelheit. »Ja!« ächzte Terlahe. Er erinnerte sich. Die Aufnahmen waren mit mehrminütigem zeitlichem Abstand gemacht worden. Von Bild zu Bild, von einer Vergrößerung zur anderen, hatten sich die Plasmakügelchen entscheidend verändert. Die Energie, die bei der Sprengung des Androiden freigeworden war, schien tatsächlich die Natur der Plasmakugeln verändert zu haben. »In welcher Weise sie verändert wurden, das ist hier nicht festzustellen«, sagte Folus hart. »Und da wir inzwischen auch eine Menge anderer Großlabors kennen, weil wir weiterhin mit anderen Störungen rechnen, werden wir die folgenden Untersuchungen an anderer Stelle durchführen lassen.« Um das Arbeitsklima nicht noch mehr zu verschlechtern, schwieg Folus darüber, daß er mit den Störungen den Versuch der Kom-
Hans Kneifel mission unter Terlahe meinte, die Untersuchungen an sich zu reißen. Die Kügelchen hatten eine Art mysteriöses Eigenleben entwickelt. Sie verhielten sich nicht mehr wie annähernd feste Körper, sondern wie Amöben oder fließende Materie. Von Bild zu Bild hatten sie mehr von ihrer Kugelform eingebüßt und streckten Pseudopodien aus, strebten zueinander. Sie versuchten eindeutig, sich miteinander zu einer größeren Form zu verbinden. »Das letzte Bild!« sagte Stuckey leise. »Sehen Sie nach rechts unten!« Auf dem Schirm zeichnete sich leuchtend eine neue Form ab. Vier oder fünf der Gallertkugeln hatten sich zu einer größeren Kugel vereinigt. Hinter sich ließen sie eine Bahn zerstörten Gewebes zurück, die deutlich zu sehen war. Die Speichererbsen hatten sich durch das Gewebe gezwängt, angetrieben von geheimnisvollen Kräften und gesteuert von einer nicht minder unerklärlichen Energie. »Das ist grotesk!« stellte Opa fest. »Diese Dinger haben Eigenleben!« »Oder sie werden gesteuert. Natürlich nicht mit Befehlen, die auf jedes einzelne Kügelchen einwirken.« »Auch das ist eine Möglichkeit!« stimmte Nancy zu. »Ich schließe mich deinem Vorschlag an, Pa!« »Gut. Um so mehr, als du der Kurier sein wirst!« bestätigte er. »Einverstanden.« Der Bildschirm wurde desaktiviert, die Raumbeleuchtung wurde heller. Die Anwesenden hatten weiße Gesichter und blickten sich voller Spannung an. Immer mehr wurde der Planet Plophos in dieses undurchsichtige Geschehen hineingezogen. Die Gefahr wuchs, ohne daß es einen Menschen gab, der ihr begegnen konnte. Was sollten sie tun? Was konnten sie unternehmen? Opa versuchte, etwas Systematik in die folgenden Aktionen hineinzubringen. Er deutete auf den nervösen Terlahe und fragte scharf:
Der Weltraumzirkus »Ist die Gruppe gebildet? Wir werden uns in den nächsten Tagen mit den Androiden auf Plophos beschäftigen müssen – falls es hier Androiden gibt.« »Wir haben die betreffenden Männer und Frauen benachrichtigt. Sie stehen in den frühen Morgenstunden bereit!« erwiderte Terlahe. »Und sie werden Ihnen alle Unterstützung geben, die Sie brauchen.« »Wir werden viel Unterstützung brauchen!« sagte Stuckey. »Ein Auftrag für dich, Nancy!« »Ja. Ich bin bereit!« »Laß dir eine Tasche geben, in der ein Tiefkühlaggregat eingebaut ist. Nimm sämtliche Reste und Gewebeproben und laß dich zum Raumhafen bringen. Seit einigen Tagen ist dort ein Kurierboot; ich habe es herbeibeordert. Nimm die Maschine und laß die Proben in den Labors von Quint-Center analysieren. Dann komme hierher zurück – oder an eine andere Stelle, deren Koordinaten wir dir übermitteln werden.« »Geht in Ordnung. Sofort, Folus?« Er warf ihr ein scheues Lächeln zu. »Sofort«, erwiderte er. Folus und Opa wandten sich wieder an die Männer rund um Terlahe. »Wir verlassen jetzt dieses Labor und kümmern uns wieder um die Routinearbeiten. Haben Sie Rhodan oder Mory Abro noch immer nicht verständigt?« »Nein. Jalzaar Awrusch hat es strengstens verboten!« war die erwartete Antwort. Langsam verließen die Gruppen das Labor, und Ma kümmerte sich um ihre Spezialtasche. Sie verabschiedete sich von Opa und küßte Stuckey auf die Wange, dann war sie mit ein paar Untersuchungsbeamten allein. »Jungens«, sagte sie, »es werden harte Wochen und Monate über euch kommen!« »Wir stellen uns Ihre Arbeit auch nicht gerade als leicht und sonnig vor!« erwiderte der Mann, der eine schwarze Spezialtasche brachte und das winzige Energieaggregat einstellte. Sorgfältig wurden die verschiedenen Reste des Androiden in Folie verschweißt und mit Nummern versehen. Eine
9 genaue Liste, ebenfalls sicher verschweißt, kam zu diesen Präparaten. Dann wurde der Deckel geschlossen und versiegelt. »Brauchen Sie auch eine Kette, die mit Schloß am Handgelenk befestigt wird?« erkundigte sich ein Polizist ironisch. Nancy schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein. Aber Sie können mich zum Raumhafen eskortieren.« »Einverstanden. Ich habe bereits seit zwei Stunden Dienstschluß!« Nancy nahm den mittelschweren Isolierbehälter in die Hand und verließ zusammen mit einigen Beamten das Labor. Sie kam wieder durch das große Büro, in dem die Spurensicherer ihre Arbeit beendet hatten. Der Morgen graute bereits, als sich der schwere Polizeigleiter in Bewegung setzte, sich auf der Stelle drehte und aus dem Verband ausscherte. Nancy Chessare winkte ein letztes Mal Pa und Opa zu, die neben Terlahe standen und mit einigen Gruppen uniformierter Männer sprachen. Dann schwebte der Gleiter denselben Weg zurück, den sie vor Stunden gekommen waren; das erste Ziel war das Gästehaus der Regierung.
* Die Maschinen der schweren Space-Jet liefen bereits, als der Gleiter neben der Polschleuse bremste. Nancy stieg aus. Sie trug nur eine große Flugtasche und den bewußten Isolierbehälter bei sich. Der Polizist begleitete sie bis zur Schleuse. »Wie beurteilen Sie die Lage, Spezialistin?« fragte er halblaut. »Ich muß sagen, daß wir alle sehr skeptisch geworden sind.« »Dazu haben Sie auch allen Grund!« erwiderte Nancy und ergriff den Haltebügel, nachdem sie ihre Flugtasche in die Schleuse gestellt hatte. »Wir werden in Quint-Center alles tun, was wir können. Vermutlich komme ich zumindest mit einer heißen Spur zurück.« »Wir alle hoffen darauf! Machen Sie dem
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Hans Kneifel
Spuk ein Ende!« Nancy stieg ein und beugte sich noch einmal hinaus. Sie rief leise: »Helfen Sie bitte meinen Kollegen so gut es geht. Wir haben eine Aufgabe übernommen, deren Größe sich noch nicht abschätzen läßt!« Der Beamte grüßte kurz und versicherte ihr: »Ich kann es Ihnen im Namen meiner Kollegen versprechen, Spezialistin. Ich wünsche einen guten Flug! Und kommen Sie bald mit guten Ergebnissen zurück!« Sie nickte ihm lächelnd zu und drückte den Schalter herunter, der die Schleuse schloß. Dann summten die Maschinen auf, und die Jet stieg senkrecht in den Morgenhimmel über New Taylor. Das schnelle Kurierschiff würde sie nach Quint-Center bringen. Dort warteten zu diesem Zeitpunkt bereits die fähigsten Wissenschaftler und die besten Geräte, um eine abschließende Analyse anzufertigen. Es mußte doch möglich sein, von der Natur dieser Plasmaeinschüsse ausgehend, eine Spur der unsichtbaren Herrscher zu finden! Sekunden später war die Jet nur noch ein winziger, aufblitzender Lichtfunken im fahlblauen Himmel über der Stadt.
2. Opa suchte eine Weile in der Brusttasche seiner Jacke, dann fischte er eine kurze, schwarze Zigarre heraus und steckte sie zwischen die Zähne. »Nimm's nicht schwer, Junge!« sagte er und blickte auf die Uhr. Sein Feuerzeug klickte. »Was soll ich nicht schwernehmen?« erkundigte sich Stuckey Folus. »Nancy ist weg.« »Aha«, machte Pa. »Sie wird wiederkommen. Hoffentlich bald. Und was halten wir von der Schlagfähigkeit der Behörden hier?« Mit seinem gefürchteten Grinsen erklärte Thow Tanza: »Wir halten nicht viel von ihr. Aber sie
sollten dennoch in Kürze feststellen können, wieviel Androiden auf Plophos leben. Unter Umständen haben wir einige Tage der Reisen vor uns.« »Du sagst es!« Nur langsam zerstreuten sich die Gruppen. Endlich konnten die Reinigungsroboter voll arbeiten. Einige der frühen Straßenreinigungsmaschinen kamen brummend heran und säuberten die Fahrbahn und den breiten Fußgängerstreifen von den restlichen Scherben und Trümmern. Gleiter um Gleiter fuhr ab, und schließlich befanden sich nur noch drei Männer vor der Front der verwüsteten Station. Terlahe murmelte unschlüssig: »Es dauert sicher nicht lange, bis in der Einwohnermeldekartei die betreffenden Daten zur Verfügung stehen. Was haben Sie vor?« »Frühstück!« erklärten Pa und Opa wie aus einem Munde. »Ich rufe Sie also im Gästehaus an!« erwiderte Terlahe. »Wollen Sie mich jetzt bitte entschuldigen? Ich habe eine harte Nacht hinter mir, und ein schwerer Tag liegt unzweifelhaft vor mir.« »Wir wünschen Ihnen trotzdem viel Erfolg!« knurrte Opa. Je mehr er mit Terlahe zusammenarbeitete, desto kritischer gegenüber diesem skrupelbehafteten Mann verhielt er sich. Er deutete fragend auf den Gleiter, und Folus nickte zustimmend. »Fahren wir los!« sagte er. Eine halbe Stunde später befanden sie sich im Gästehaus. Sie forderten ein umfangreiches Frühstück an und warteten förmlich darauf, daß die nächste Störung sie mitten in diesem spärlichen Vergnügen erreichen würde. Sie irrten sich – der Anruf kam erst nach Ende der Mahlzeit. Es war, natürlich, Alvmut Terlahe. Er starrte neiderfüllt auf den Frühstückstisch und dann in die zufriedenen Gesichter der beiden Männer, die inzwischen zahlreiche Vermutungen und Möglichkeiten ausgetauscht und diskutiert hatten. »Guten Appetit!« sagte Terlahe. »Danke. Gehabt. Was können Sie uns be-
Der Weltraumzirkus richten? Was sagen die klugen Speicher der großen Maschine?« Terlahe zog die Schultern hoch wie ein frierender Vogel. »Sie sagen klar aus, daß in den letzten Jahren keine Anträge auf Beschäftigung eines Androiden gestellt worden und keine entsprechenden Meldungen entgegengenommen wurden. Auf ganz Plophos gibt es keine Androiden. Die Bevölkerung scheint zu diesen hochorganisierten Züchtungen ein merkwürdiges Verhältnis zu haben und weigert sich offensichtlich, Androiden in ihrer Nähe zu haben. Lediglich eine einzige Information liegt uns vor.« »Lassen Sie hören!« forderte ihn Opa auf. »Eine Information, die vom Personal der Hafenverwaltung stammt. Dort, auf dem alten, abseits liegenden Landeplatz, hält sich ein Weltraumzirkus auf. Dort sind zweifelsfrei einige Androiden beschäftigt.« Opa und Folus wechselten einen schnellen Blick. »Wo ist der Landeplatz?« »Die ORBAG MANTEY, das Zirkusschiff, wurde auf Platz vier eingewiesen. Sie finden den Landeplatz rechts, also östlich des normalen Raumhafens.« Noch während ihnen Terlahe den Weg beschrieb, griffen die Männer zu ihren Waffen und zu ihrer Ausrüstung. Sie nahmen sich nicht einmal die Zeit, den Bildschirm auszuschalten, sondern rannten fluchtartig aus dem Raum, durch die Gänge und hinunter zum Parkplatz. Noch immer wartete der Gleiter mit den Beamten, die sie bis hierher eskortiert hatten. Opa rief den Männern zu, welches Ziel sie suchten, und beide Gleiter schossen mit aufheulenden Maschinen zwischen den Bäumen hervor und rasten über den Kies hinaus auf die Gleiterpiste. Mit aufheulender Sirene schuf der vorausfahrende Polizeigleiter Platz, und Opa steuerte in halsbrecherischem Tempo hinterher. Als sie den Nebenbezirk des Raumhafens erreichten, mußten sie erkennen, daß nur
11 kleinere Schiffe hier standen. Das Zirkusschiff war verschwunden …
* Beide Gleiter schwebten sehr schnell, fast nebeneinander, durch die Sperre des Hafens. Sie brauchten nicht mehr zu fragen – das Zirkusschiff befand sich nicht mehr hier, und sie waren sicher, den richtigen Platz angesteuert zu haben. Opa deutete mit dem Kinn hinüber zu dem System von Lagerhallen, Schachteingängen in die unterirdischen Verladeanlagen und zu den Kränen und hydraulischen Maschinen. »Dorthin. Wir brauchen Informationen.« »Verstanden!« Folus gab den begleitenden Beamten per Funk die neue Richtung an. Die auffallend lackierten Fahrzeuge drehten in eine enge Kurve, fuhren rücksichtslos quer über die halbe Fläche des Landeplatzes und zwischen den stählernen Landestützen einiger Schiffe hindurch. Dann bremsten sie hart vor den Schuppen und Rampen ab. Die Insassen sprangen hinaus und verteilten sich zu zwei Gruppen zu jeweils vier Mann. »Der Zirkus ist nicht mehr hier!« sagte einer der Beamten. »Uns liegt keine Meldung vor, nach der er um Starterlaubnis gebeten hätte.« Ein anderer kratzte sich am Kinn und sagte nachdenklich: »Noch heute früh habe ich eine Werbedurchsage in den Nachrichten gesehen. Das Gastspiel dauert offiziell noch drei oder vier Tage.« »Also Flucht!« knurrte Opa. Für ihn gab es bereits eine Verbindung zwischen dem Zirkus, der als einziger Betrieb Androiden beschäftigte, und dem detonierten Androiden, dessen Reste jetzt mit Ma nach QuintCenter unterwegs waren. »Danach sieht es aus. Vielleicht war die Detonation das Startsignal. Dort drüben ist die Kanzel der Lademeisterei – gehen wir hinüber und fragen wir!« schlug ein Polizist vor.
12 »Ganz meine Meinung!« erwiderte Folus. Er entsicherte seine Waffe und schob sie wieder in die Schutztasche zurück. Die acht Männer bewegten sich schnell auf die gläserne Kanzel zu, die auf einer glänzenden Stahlsäule fünfzig Meter oder mehr über dem Hafenniveau stand. Hinter den Scheiben zeichneten sich menschliche Gestalten ab. »Zwei Mann Wache, hier unten, neben dem Lift!« sagte ein Polizeioffizier. Die sechs Männer schwebten im Lift aufwärts und fragten sich nach dem Leiter der Station durch. Sekunden später standen sie in seinem Büro. Es war nichts anderes als ein abgeteilter Raum, mit externen Elementen eines großen Computers vollgestopft, eine gläserne Röhre inmitten des runden Großraumbüros, in dem sämtliche Lademanöver dieses Teiles des Raumhafens überwacht und kontrolliert wurden. Lard Aumere, das stand auf dem leuchtenden Schild der Schreibtischplatte. Ein kleiner, sehr beschäftigt aussehender Mann schob Papiere hin und her und blickte überrascht hoch, als er sah, wie sich sechs Männer in das Büro hineindrängten. »Polizei? Das muß einen ernsten Grund haben. Was gibt es?« fragte er mit rostig klingender Stimme. »Wir brauchen Informationen über den Zirkus!« erklärte Folus. Aumere hob die runden Schultern. »Weg!« sagte er. »Heute noch während der Dunkelheit gestartet. Funkverbindung inzwischen abgerissen, also längst in den Linearraum gegangen.« »Fabelhaft!« murmelte Opa, ebenso im Telegrammstil. »Gastspiel vorzeitig und völlig überraschend abgebrochen, ja?« »Ja. Gaben interne Schwierigkeiten als Grund an. Die bereits gelösten Karten behalten Gültigkeit für den nächsten Besuch. Mehr und größere Attraktionen, das sagten sie.« »Und nahmen alle ihre Androiden mit, wie?« fragte Opa weiter, schob ein dickes
Hans Kneifel Bündel computergeschriebener Frachtbriefe zur Seite und setzte sich auf die Kante des Schreibtisches. »Weniger wäre mehr, Mister Aumere – nämlich weniger Kürze wären mehr Informationen. Wir brauchen Informationen ebenso dringend wie Atemluft und Essen. Haben Sie ein wenig Zeit für uns?« Die Polizeibeamten bauten sich im Hintergrund auf, und Aumeres Grinsen wurde von Sekunde zu Sekunde breiter. Er schob seinen Sessel zurück, bis er an die gläserne Wand stieß, dann schlug er die Beine übereinander und faltete die Hände über dem Knie. »Sie sind die USO-Spezialisten? Wo ist die tolle Rothaarige, von der sämtliche Polizisten schwärmen?« »Wir haben sie weggeschickt!« sagte Folus und setzte wahrheitsgemäß hinzu: »Leider.« »Sehr bedauerlich. Was wollen Sie wissen?« »Alles über diesen Zirkus. Wir haben die Explosion eines Androiden registrieren müssen, und nur die MANTEY beschäftigt diese Züchtungen.« »Also …«, murmelte Aumere, leckte sich die trockenen Lippen und warf einen langen Blick zur Decke, als erwarte er von den Gittern der Lüftungsanlage Hilfe. »Nun, da wäre folgendes zu sagen: Regelmäßig kommen Zirkusse hierher. Das ist absolut nichts Ungewöhnliches, denn unsere Planetarier brauchen – wie alle denkenden Menschen – Ablenkungen, und die Zirkusse bieten diese Ablenkungen, Spiele, Illusionen und ähnliches. Die ORBAG landete vor genau siebzehn Tagen und bestellte ihr gewöhnliches Kontingent an Futter, an Hilfskräften und an Reklamematerial … ich brauche das wohl nicht ausführlich zu erklären. Sie haben sicher die Meldungen, die Ausschnitte aus dem Programm und die Werbung gehört und gesehen. Dort unten, rechts von dem neuen weißen Schuppen, stehen noch einige Container, die zum Zirkus gehören; bestellte Waren, Futter für die Tiere und so weiter.
Der Weltraumzirkus Es war kurz nach Anfang meiner Schicht, als mich die Hafenleitung verständigte. Wir sollten jeglichen Güterumschlag augenblicklich einstellen. Der Zirkus habe um die Erlaubnis für einen Schnellstart nachgesucht. Eine ganze Reihe von Gründen läge vor, hieß es auf meine neugierige Frage. Jedenfalls gab es für den Tower keinen Grund, die Starterlaubnis nicht zu erteilen.« »Ernste Gründe?« erkundigte sich Opa. »Wie man's nimmt. Nicht für mich, aber vermutlich ernst für den Chef dieser Raumschiffschau. Der Tower überspielt Ihnen gern die Aufzeichnung. Später. Wir stoppten also unsere Maschinen und Laderobots und zogen die Anlagen zurück. Keine Minute zu spät, denn die Schleusen schlossen sich, das Schiff startete mit verdächtiger Eile. Das ist an und für sich die ganze Geschichte, meine Herren.« »Keine schöne Geschichte«, sagte Stuckey. »Nicht schön für uns. Eine Verfolgung ist sinnlos, aber wir sollten unsere Behörde einschalten, Opa?« Tanza nickte grimmig. »Wir sollten. Wir fahren anschließend zum Tower und funken unseren Chef an.« »Einverstanden. Und zuerst hören wir uns noch dort unten um. Gibt es etwas, das – abgesehen von dem überhasteten Start des Schiffes – Ihnen, Mister Aumere, merkwürdig vorgekommen ist? Denken Sie bitte nach! Ihre Information kann von großer Wichtigkeit sein!« Bedauernd schüttelte Lard Aumere den Kopf. »Nein. Ich habe mir nicht einmal eine einzige Vorstellung angesehen. Alles war so normal oder so wenig normal, wie es in der Umgebung eines Zirkus wohl sein muß. Sie beschäftigten Androiden, das ist richtig. Nicht gerade wenig, würde ich sagen.« Ja, dachte Opa, so war es immer. Angeblich verlief das Leben eines USOSpezialisten in einer Kette voller schillernder Abenteuer, die ihn langsam in den Rang eines unüberwindlichen Supermannes hoben. Aber die Wirklichkeit war anders. Sie
13 bestand im wesentlichen aus unendlich vielen Fragen, ebenso vielen Gedanken und Kombinationsversuchen, und eines Tages hatte man auf einer großen Tischplatte viele Mosaiksteinchen liegen und mußte sie ordnen. Manchmal gelang es, manchmal nicht. In diesem Fall konnte er weder das eine noch das andere vermuten. Er würde also warten müssen, bis eventuell Pa etwas herausfand oder Ma mit aufregenden Nachrichten zurückkam. Noch halb in Gedanken hörte er, wie Stuckey Folus mit einiger Schärfe fragte: »Wofür beschäftigt der Zirkus diese Androiden?« Aumere hob seine Schultern und machte eine Geste der Ahnungslosigkeit. »Ich weiß es nicht. Ich nehme an, für alle Arbeiten, die Roboter noch nicht und Menschen nicht mehr tun wollen oder können. Ich weiß es wirklich nicht, tut mir leid. Aber …« Etwas im Ton des Mannes veranlaßte Opa, schärfer hinzuhören. »Ja?« »Gehen Sie dort hinunter. Sie sehen neben den Maschinen eine Gruppe von Ladearbeitern stehen. Sie hatten engsten Kontakt zu einigen der Zirkusleute.« »Danke für den Tip, Mister Aumere!« erwiderte Stuckey. »Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, erreichen Sie uns über jede Polizeistation oder über Alvmut Terlahe!« »Soso!« machte Lard Aumere und stand auf. »Sollte mich freuen, wenn ich helfen konnte.« »Uns auch!« knurrte Opa. Sie verabschiedeten sich kurz voneinander. Auch Lard Aumere begann zu ahnen, daß sich das mehr oder weniger unsichere Herumtasten der Spezialisten langsam der wirklichen Spur näherte. Er war ein Mann, der sein Leben lang seine Pflicht getan und sich von allen Gefahren möglichst ferngehalten hatte. Als er die beiden entschlossenen, wortkargen Männer vor sich sah und ihren
14 Händedruck erwiderte, dachte er flüchtig daran, daß sie – und unzählige andere – es waren, die ihn und seinesgleichen beschützten. Diesmal vor einer Macht, die Menschen im Amokläufer und willenlose Werkzeuge verwandelte. Und jetzt sogar Androiden manipulierte. »Viel Erfolg. Berufen Sie sich dort unten auf mich, wenn Sie Schwierigkeiten bekommen.« »Wird gemacht!« Sie glitten durch den kleinen Antigravschacht wieder abwärts und blieben kurz stehen, um sich am Fuß des Turmes zu orientieren. Ein undeutliches Gefühl warnte Tanza und Folus, aber sie ließen sich von den vorwärtsdrängenden Polizisten anstecken und gingen in die Richtung auf den Schuppen. »Ich bin sicher, daß wir eine Menge herausfinden, wenn wir uns hier umsehen«, warf einer der Polizisten ein. Opa hob die Hand und deutete nach vorn. »Wir sehen uns um!« sagte er schroff. »Die Waffen sollten entsichert sein, meine Herren!« »Das ist Ausdruck unseres leider sehr berechtigten Mißtrauens«, erklärte Folus und machte eine bedauernde Bewegung. Sie gingen in einer lockeren Reihe hinüber zu den Containern und Maschinen. Die Männer, die rauchend unter dem Vordach im Schatten standen und diskutierten, drehten die Köpfe und sahen den acht Männern neugierig entgegen. Es waren ausnahmslos Männer in den dunklen Overalls des Ladepersonals. »Rechnen Sie mit einem Überfall?« erkundigte sich ein Offizier. »Nicht unbedingt. Aber wir lassen uns ungern überraschen!« erklärte Stuckey mißmutig. Auch er haßte diese mühevolle Kleinarbeit von Fragen und Antworten, von Überlegungen und Fehlschlägen. Ein Polizist stellte kurz die beiden Spezialisten vor und begann mit den Fragen. Der Fahrer eines schweren Ladegerätes deutete auf eine umgestürzte Mauer aus Strohballen
Hans Kneifel und sagte langsam: »Wir wundern uns nicht weniger über den schnellen Start.« »Gab es Anzeichen, die darauf hindeuteten?« Opa spähte aufmerksam in das dunkle Innere des Ladeschuppens, aber er konnte nur Container und viele andere Behälter erkennen. »Nein, definitiv keine!« beharrte der Mann. »Wir haben mit den Leuten der ORBAG MANTEY gesprochen, und sie schienen selbst nichts vom Start gewußt zu haben. Vom überstürzten Start, meine ich.« Stuckey stellte eine Reihe Fragen, die sich ausnahmslos auf die Verwendung von Androiden bezogen. Alle Weltraumzirkusse beschäftigten Androiden. Ihre Anzahl schien ziemlich hoch zu sein, machte aber nur einen Bruchteil der Schiffsbesatzung aus. Hier war nichts Neues zu erfahren. Weder über die Androiden, noch über die Plasmakügelchen oder den Start. Nichts. Nur Bestätigungen dessen, was sie bereits wußten. Opa hob einen Fuß und stellte ihn auf einen Strohballen. Er biß auf seine Unterlippe und zuckte die Schultern. »Verdammt!« sagte er und hörte zu, was die Arbeiter erklärten. Langsam bewegte er den Kopf und kniff gegen das grelle Sonnenlicht die Lider zusammen. Als seine Augen einen Punkt zwischen den Behältern und gestapelten Kisten fixierten, glaubte er, ein metallisches Funkeln wahrzunehmen. Seine Muskeln spannten sich, und automatisch wanderte seine Hand an den Kolben der Waffe. »Vorsicht, Pa!« flüsterte er zischend. Folus drehte sich schnell herum. Auch einige der Beamten zuckten zusammen. Sie blickten in die Richtung, in die Opa deutete. »Was ist das?« rief ein Polizist. Die Männer in den Overalls drehten sich um, einer sagte unschlüssig: »Keine Ahnung. Dort hinten war vorhin noch niemand.« »Los!« sagte Tanza laut. »Auseinander. Das kann eine weitere Falle sein!«
Der Weltraumzirkus Sämtliche Männer handelten richtig und schnell. Der erste Schuß krachte und traf einen der gepreßten Strohballen. Das Stroh flog in einer schweren Explosion brennend nach allen Richtungen, und im Schuppen ertönte ein donnernder Krach. Opa warf sich zu Boden und feuerte zurück. »Also doch – Überfall!« Es waren mehrere Leute, die sich in dem Schuppen verbargen. Sie wechselten in Sprüngen von einer Deckungsmöglichkeit zur anderen. Aus dem Halbdunkel zischten die Feuerstrahlen ihrer Waffen. Zwischen den Polizisten, die im Zickzack flüchteten, detonierten die Einschüsse. Einer der Arbeiter riß die Arme hoch und wälzte sich am Boden. Opa lag hinter einem qualmenden Strohballen und zielte. Als einer der undeutlichen Schatten mit einem riesigen Satz nach vorn sprang und ununterbrochen schoß, krümmte sich Opas Zeigefinger um den Auslöser. Der Schuß aus dem Paralysator donnerte. Der Angreifer schien mitten im Sprung gegen eine unsichtbare Wand zu prallen und wurde zu Boden geschleudert. Opa kam auf die Füße, rannte zehn Meter geradeaus und stieß einen Ladearbeiter zur Seite. Zwischen ihnen pfiff der Spurstrahl einer tödlichen Entladung hindurch. Opa drehte sich auf dem Absatz und feuerte auf zwei Schatten. Er wartete das Resultat nicht ab und vergewisserte sich durch einen schnellen Rundblick, daß drei Polizisten eben die Gleiter erreichten und dahinter in Deckung gingen. »Nehmt die Lähmstrahler!« schrie Folus. Der junge Mann stand ruhig da und gab gezielte Schüsse ab. Überall stiegen kleine Rauchsäulen in die Luft. Brennendes Stroh und anderes Material flogen nach allen Seiten. Jetzt war man auch an anderer Stelle auf den Lärm aufmerksam geworden und merkte, daß es ein Überfall auf die Spezialisten war. »Es sind Marionetten! Sie kämpfen bis zur Selbstaufgabe!« schrie Opa und rannte ebenfalls im Zickzack auf die Gleiter zu. Jetzt sah er die vier Männer, die sich unter
15 dem Vordach ins Sonnenlicht hinausgewagt hatten und blindwütig auf jeden schossen, der sich bewegte. Die Ladearbeiter rannten auseinander und befanden sich inzwischen in sicherem Abstand. Wieder zielte und feuerte Opa, und der donnernde Krach der Entladung seiner Waffe mischte sich mit dem Geräusch aus der Lähmwaffe Stuckeys. Zwei Männer fielen torkelnd um, drehten sich um die eigene Achse und blieben bewegungslos liegen. Die beiden anderen liefen von zwei Seiten auf den übriggebliebenen Polizisten und Folus zu. »Verdammt! Sie haben also noch einige Zirkusangehörige hiergelassen!« knurrte Opa und traf einen der Rennenden in die Brust. Obwohl er das Zentrum von Explosionen, Feuersäulen und Rauchwolken war, lähmte Folus den letzten Mann mit einem einzigen Schuß. Dann, als nur noch das Knistern der Flammen die Stille durchbrach, hörten sie die Sirenen anderer Fahrzeuge, die auf den Ort des Überfalls zurasten. Langsam ging Opa auf Folus zu und sah seinem Freund ins Gesicht. »Verletzt?« »Nein«, sagte Stuckey hart. »Ich bewundere deine Augen. Du hast fabelhaft reagiert.« »Nur der Arbeiter ist verletzt. Ich wette mein gesamtes Vermögen, daß es sich hier ebenfalls um Opfer der Speichererbsen handelt. Sehe ich dort drüben auch einen Krankengleiter?« »Richtig.« Langsam kamen die beiden Fahrzeuge näher, in denen sie diesen Ort erreicht hatten. Gleichzeitig mit den Polizeigleitern trafen die alarmierten Maschinen der Hafenfeuerwehr der Hafenpolizei und ein Krankenfahrzeug ein. Der Rest war Routine und die beiden Spezialisten gingen zu dem weißgekleideten Mediziner. Opa sagte: »Es sind Marionetten. Schaffen Sie sie in eine Klinik und untersuchen Sie die Bewußtlosen daraufhin, ob man ihnen Organe oder
16 Körperteile oder nur Haut überpflanzt hat. Sie werden auch hier jene gefürchteten Plasmakugeln finden.« Der Arzt sah zu, wie die Medorobots den Verletzten und die Bewußtlosen versorgten. »Ich bin überzeugt, daß Sie recht haben!« sagte er. »Ich muß den Vorfall natürlich Terlahes Kommission melden!« Folus wischte sich das Gesicht ab und verstaute die heißgeschossene Waffe. »Tun Sie das. Wir sind in der nächsten Stunde in der Hafenverwaltung zu finden und eventuell in der Hyperfunkstation.« »Verstanden! Wir bringen Sie hin.« Hier war nichts mehr zu tun. Die Flammen wurden erstickt, die Polizisten rauchten nervös, und irgendwann würden sie alle ein Protokoll unterschreiben müssen. Opa sah sich um und erkannte, daß dies eine der Situationen war, die er in seinem Leben schon so oft erlebt hatte, daß sie ihn kaum mehr zu berühren vermochte. »Was haben wir letztlich erreicht?« fragte Folus bitter. Opa grinste ihn an und entgegnete achselzuckend: »Du wirst dich an solche Sachen gewöhnen müssen. Viele Aufregungen und wenig Ergebnisse. Wer immer dafür verantwortlich ist, er muß gewußt haben, daß ein Fluchtstart des Zirkusschiffes uns hierher bringen wird. Nur für uns waren jene Marionetten aufgehoben worden. Sieben Männer, sie warteten auf uns und sollten uns töten. Wir haben ihr Leben gerettet, indem wir sie betäubten.« Das Schiff war fort, eine Verfolgung war absolut sinnlos. Man wußte nur, daß die Unsichtbaren nach wie vor am Werk waren und jetzt auch Androiden verwendeten, um ihre teuflischen Manipulationen durchzuführen. Und man wußte ferner, daß sich die Plasmakügelchen unter Einwirkung einer bestimmten Schockenergie verwandelten und ein Eigenleben begannen. »So ist es. Trotzdem sträube ich mich dagegen, nach einem fast tödlichen Gefecht ungerührt wieder zur Tagesordnung zurückzukehren.«
Hans Kneifel Opa lachte kurz. »Würde es dir helfen, wenn wir eine Schweigeminute einlegten?« »Nein. Aber du verstehst, was ich meine?« Sie setzten sich auf den Bug des Gleiters und sahen zu, wie die Robots die Türen des Krankenfahrzeugs schlossen. Einer der Polizisten gab einem Kollegen von der Hafenpolizei einen Bericht, den dieser über Funk in seiner Dienststelle speicherte. »Ich verstehe dich. Dort drüben ist unsere nächste Station. Ich kann dir, glaube ich, für die nächste Zeit einige Bewegung garantieren.« Opa gab den Polizisten einen Wink, und nach Abfahrt des letzten Gleiters fuhren die beiden Polizeifahrzeuge langsam am Innenrand des Raumhafens entlang, auf die riesigen Gebäude des Kontrollcenters zu. »Alles paßt zusammen!« murmelte Folus nachdenklich. »Was paßt?« erkundigte sich ein Beamter. »Ein Zirkus verfügt über genügend spezialisiertes Personal, um einen Einbruch in eine Organbank veranstalten zu können. Ich versuche mir vorzustellen, wie willenlose Schlangenmenschen und Hochseilakrobaten die Präparate auswechseln. Und die Schiffe sind groß genug, um eine Menge von technischen und sonstigen Geheimnissen verbergen zu können.« »Wir kommen der Lösung der Rätsel um einen kleinen Schritt näher!« prophezeite Thow Tanza und blickte zum Fenster hinaus. Im Augenblick allerdings war die Wahrscheinlichkeit für einen zweiten Überfall denkbar gering. »Um einen sehr kleinen Schritt!« schränkte Pa ein. Man erwartete sie bereits. Ein junger Hafenoffizier führte sie durch ein technisches Labyrinth bis hinauf in ein großes Büro an der Spitze des Towers. Über ihnen war nur noch das geschwungene Dach mit der langen nadelförmigen Antenne, die im Wind unmerklich wippte. Akir Torget stand auf der halbdurchsichti-
Der Weltraumzirkus gen Tür. Bevor sie eintraten, drehte sich Folus um und sagte leise: »Du bist doch auch sicher, daß es willenlose Gallertkugel-Marionetten waren, Opa?« Tanza nickte grimmig und versicherte ruhig: »Hundertprozentig!« Zuerst überraschte sie der Ausblick auf den gesamten Hafen und auf weite Teile des Schutzgürtels aus Wäldern und Robotfabriken zwischen dem Raumhafen und New Taylor selbst. Dann schüttelten sie einer Frau von etwa fünfunddreißig Jahren die Hand. »Sie sind der Chef des Hafens?« erkundigte sich Folus. »Zu fünfzig Prozent. Die Tagschicht. Mister Aumere rief mich an. Sie wollen von mir Informationen?« »Es wird Sie nicht lange aufhalten!« entgegnete Opa und betrachtete sie genauer, nachdem sie ihre Aufforderung, sich zu setzen, befolgt hatten. Mittelgroß, schlank und etwas zu kühl für seinen persönlichen Geschmack. Dunkelblond, mit einem schmalen Gesicht und langen Fingern. Tanza sah einen auffallenden Ring mit einem exotischen Stein. »Ich habe Zeit. Kann ich Ihnen für den ausgestandenen Schrecken etwas anbieten?« Opa sah auf die Uhr und nickte. »Man kann den Tag schlechter anfangen. Wir bitten darum, Miß Torget.« Sekunden später standen auf dem Schreibtisch drei hohe Gläser und eine merkwürdige Flasche. Sie bestand aus Glas, auf das ein prunkvolles, offensichtlich handgeschriebenes Etikett geklebt war. Dann schien man die Flasche mit einer Art Klebstoff bestrichen und in feinkörnigen weißen und schwarzen Sand gewälzt zu haben. Als sich der Korken mit dem vertrauten Geräusch löste, drang der strenge Geruch eines Kräuterdestillats durch den Raum. »Riecht gut!« brummte Opa. »Bewirten Sie alle Ihre Gäste so, Miß?« »Nur die ausgesuchten. Ich habe gehört,
17 was eben passiert ist. War es für Sie wichtig?« Folus kicherte hohl. »Abgesehen davon, daß wir beinahe gestorben wären – nein, nicht besonders wichtig. Gehört zur täglichen Arbeit. Jeden Morgen ein Feuergefecht. Schenken Sie trotzdem recht voll.« Als Opa das Glas hob, daran schnupperte und einen vorsichtigen Schluck nahm, sagte Folus: »Stichwort Weltraumzirkus. Wir wissen, daß es mehrere solcher Institutionen gibt. Unsere Frage lautet: Welche Schiffe landeten an welchen Daten hier auf Plophos?« Akir lächelte kurz, dann glitten ihre Finger über eine Tastatur. Während sie gleichzeitig schrieb, das externe Element des Computers bediente und Folus musterte, sagte sie: »Eine Kleinigkeit für unsere Buchhaltung. Achten Sie bitte auf diesen Schirm dort. Wollen Sie den Text ausgedruckt?« »Bitte!« Das Gerät summte, und der Schirm erhellte sich. In rasender Geschwindigkeit erschienen dort Zahlen und Worte und summierten sich zu einem engstehenden Text in verschiedenen Farben. Gleichzeitig ratterte ein Schreibgerät los und schob einen breiten Streifen aus einem Schlitz heraus. »Sehr aufschlußreich!« sagte Opa nach einer Weile, in der er, das Glas in den Fingern, den Text aufmerksam studiert hatte. »Ich sehe drei Namen, die häufig wiederkehren.« »Das ist richtig!« stimmte Miß Akir Torget zu. »Wir erhalten sehr häufig Besuch von diesen drei Unternehmen.« ORBAG MANTEY … COMOTOOMO … TERKMAS … »Drei Zirkusse kommen also in die engere Wahl. Sie besuchten diesen Planeten auch in der Zeitspanne, in der die auffallenden Ereignisse liegen, relativ häufig«, meinte Opa und analysierte die Daten. Es konnte ein Zufall sein, aber Plophos schien am Ende einer
18 langen Tour zu liegen, wo die Schiffe ein letztes Ziel anflogen, umkehrten und einzelne Planeten ein zweites Mal besuchten. Bei den drei ausgesuchten Namen schien es sich jedenfalls um einen solchen Zufall zu handeln. Das Schreibgerät hörte auf zu summen. »Zufrieden?« fragte Miß Torget leise. »Noch nicht ganz«, erklärte Folus. »Diese Zirkusse müssen doch so etwas wie eine Heimatwelt haben, eine Art Winterlager und Ausbildungsstätte. Soviel ich noch aus meiner Schulzeit weiß …« Miß Torget nickte. »Sie haben damals gut aufgepaßt Spezialist Folus«, antwortete sie. »Diese Heimatwelt ist der Kolonialplanet Kerim.« »Im Sharfost-System etwa?« warf Opa ein. »Ja. Ich lasse gleich die Koordinaten aufschreiben.« Das Schreibgerät fügte der langen Aufzählung noch ein paar Zeilen hinzu, dann trennte Akir das Blatt ab und schob es über den Tisch. »Wir danken Ihnen sehr!« sagte Thow Tanza und vergaß für einige Augenblicke seine Bärbeißigkeit. »Um Ihre Güte auf eine harte Probe zu stellen – befindet sich in diesem gemütlichen Büro zufällig auch eine Anlage, von der aus ich Ihren planetaren Hypersender bedienen kann?« Natürlich hatte Opa das Gerät längst gesehen, und er registrierte zufrieden, daß Akir aufstand und ihm den schmalen Sitz vor einem hochmodernen Sendeelement zeigte. »Wir haben Anweisungen, Sie in allem zu unterstützen. Soll ich einen Funker kommen lassen, oder …?« »Ich kann es selbst!« sagte Opa. »Es dauert nur wenige Minuten, dann sind Sie uns los!« »Ich kann es kaum erwarten!« meinte sie in leichter Ironie. Opa setzte sich vor das Gerät, schaltete und drückte Tasten, stimmte ab und sagte dann eine Reihe Codewörter ins Mikrophon, deren Bedeutung in diesem Raum nur er und
Hans Kneifel Folus kannten. Als das Bestätigungssignal aufleuchtete, schaltete Opa die Anlage aus, stand auf und verbeugte sich. »Danke«, führte er aus, »das war alles. Zu Ihrer Information: Ich habe unseren zentralen Stützpunkt angefunkt und um die Entsendung eines Schiffes gebeten, das uns an Bord nimmt. Wir müssen, fürchte ich, diesen Planeten bald verlassen. Was mir besonders schwerfällt, seitdem ich Sie kennenlernen durfte.« Sie glaubte ihm kein Wort, bedankte sich aber trotzdem artig für dieses nette Kompliment. Sie tranken die Gläser leer, wechselten noch ein paar unwichtige Sätze und verabschiedeten sich dann. Auf dem Weg nach unten sagte Opa zu Folus: »Ich habe einen Kreuzer angefordert. Die Sache nimmt größere Dimensionen an, Freund Folus.« »Ich glaube es auch. Weißt du, wen sie einsetzen?« »Sie versprachen, die GERAKINI zu schicken.« »Das ist immerhin ein konkurrenzfähiger Brocken!« stimmte Pa zu. »Kommt Ma mit dem Schiff zurück?« Opa grinste ihn diabolisch an. »Zähme deine Verliebtheit, Pa. Sie kommt nicht, weil sie zu tun hat. Außerdem habe ich nicht gefragt, denn sie kann noch nicht in Quint-Center sein. Schließlich hat sie eine Jet benutzt und keinen Transmitter.« »Das stimmt mich traurig. Und was machen wir in den nächsten Tagen, bis dieser Kreuzer landet?« »Ich bin sicher, daß sich einige Untersuchungen, einige Überfälle und mehrere andere lästige Dinge finden lassen werden, du Optimist!« entgegnete Opa. Sie ließen sich in das Gästehaus zurückbringen und verbrachten den Rest des Tages damit, Visiphongespräche zu führen, den gesamten großen Fragenkomplex noch einmal von allen nur denkbaren Seiten zu durchleuchten und sich ein wenig von den Schrecken der vergangenen Stunden zu erholen.
Der Weltraumzirkus
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Die Jagd wurde in eine größere Dimension verlagert. Sie löste sich von dem Planeten und griff auf das Weltall über.
3. Corm Damagger war ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, der Opa verblüffend glich. Nicht unbedingt in Größe und Gestik, sondern mehr in seinem Verhalten. Er war der Kommandant des Forschungskreuzers. »Ich begrüße Sie an Bord, Spezialist Tanza!« sagte er und schüttelte Opas Hand. Es war nicht die Regel, daß sich USOSpezialisten kannten, denn es gab so viele von ihnen, aber er war als Kommandant eine markante Figur, und sowohl Opa als auch Pa kannten ihn aus zahlreichen Besprechungen in Quint-Center. Er hatte einen mindestens ebenso guten Ruf wie die Familie. »Ich freue mich, bei Ihnen an Bord zu sein!« sagte Stuckey und fürchtete um seine Finger, als er einen Händedruck wechselte. Die GERAKINI war längst gestartet und raste durch den Raum des Systems. Opa und Pa gaben einen kurzen Abriß ihrer bisherigen Tätigkeit und der aufgetretenen Probleme. Die Situation auf Plophos hatte sich in den Tagen, an denen sie auf die Landung des Forschungskreuzers gewartet hatten, als stabil erwiesen. Es hatte keinen einzigen Zwischenfall gegeben, wenn man davon absah, daß sich ehemalige Patienten freiwillig meldeten und sich untersuchen ließen. Also hatte auch Terlahe einen bescheidenen Erfolg zu verbuchen gehabt. Als Opa geendet hatte, murmelte der untersetzte Spezialist mit den auffallend buschigen Brauen: »Warum diese Narren nicht Mory Abro oder die Administration alarmieren, wird mir schleierhaft bleiben. In einem einzigen Großeinsatz wäre das Problem schnell zu lösen.« »Wären Sie ein ehrgeiziger Politiker, Damagger, würden Sie's verstehen!« erklärte Opa und lehnte sich zurück. Er fühlte sich plötzlich wohl in der ruhigen, gepflegten
Zentrale des fünfhundert Meter durchmessenden Schiffes, das ein neues Ziel ansteuerte. »Vermutlich. Und was tun Sie auf dem Planeten Kerim?« »Informationen einholen!« sagten Opa und Pa gleichzeitig. Inzwischen hatten sie sich über diese Welt im Sharfost-System informiert. Zweifellos erwartete sie ein kleines Abenteuer, das freilich ziemlich kurz sein würde. Sie ahnten, daß die Schiffe untereinander in Verbindung standen, zumindest die betroffenen drei Zirkusse. Pannen und Rückschläge waren nicht nur zu erwarten, sondern würden sich zwangsläufig einstellen. »Informationen?« »Ja. Zunächst einmal die Reisepläne der drei höchst verdächtigen Unternehmen!« erklärte Stuckey Folus. »Wir haben ja keinen einzigen echten Beweis, sondern nur eine Menge Vermutungen und Verdächtigungen. Wir müssen feststellen, wo sich die einzelnen Zirkusse befinden, und welche Welten sie in welchen Abständen anfliegen. Und wie lange sie dort Gastspiele geben. Das ist zunächst einmal das Wichtigste, das wir auf Kerim suchen.« Das Scharfost-System lag 21.268 Lichtjahre von Terra entfernt und beherbergte einen der Kolonialplaneten im südlichen Gebiet der Galaxis. Eine nicht sehr alte Kolonialwelt, auf der teilweise recht bizarre Verhältnisse herrschten. Jedoch war ein Großteil der Wirtschaft darauf abgestimmt, daß die Weltraumzirkusse hier für länger Station machten. Hier wurden Artisten ausgebildet, hier gab es die verschiedenen biologischen Bedingungen für die Tiere aus dem Programm oder der Tierschau, hier schlugen die meisten Zirkusse ihr Hauptquartier auf. Es gab sonst alles das, was eine junge Kolonialwelt auszeichnete oder zu einer Gegend machte, die für exotische Abenteuer wie geschaffen schien. »Haben Sie eine Ahnung, wie lange der Einsatz der GERAKINI dauern wird, Opa?« erkundigte sich Damagger von seinem Kom-
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mandatensessel aus. »Nein.« »Wir fliegen also ins Blaue, sozusagen?« Pa nickte zufrieden. »Sozusagen, ja.« Das kleine geheime Büro der USO auf Plophos war von allem verständigt worden. In Quint-Center kannte man das Fahrtziel. Ma war auf dem Weg in die Labors dieser Großanlage. Einige interessante Spuren zeichneten sich ab, aber sogar Damagger begriff sehr schnell, daß die Spur weder heiß noch aufregend war. Er beneidete die drei Mitglieder der Familie nicht im geringsten um ihre Arbeit. »Hätten Sie Lust, heute abend in meiner Kabine ein scharfes F'firgna-Spiel zu machen?« Opas Augen leuchteten begeistert auf. »Ja, aber nicht um Geld. Um Punkte.« »Meinetwegen«, sagte auch Pa, obwohl er sich lieber in seiner eigenen Kabine verkrochen und an Ma gedacht hätte.
* Rund fünfzig Stunden später erhielten sie ohne Rückfragen Landeerlaubnis von dem Funkturm des überraschend großen Raumhafens von Kerim. Die GERAKINI, die nicht nur ein Forschungskreuzer, sondern darüber hinaus ein modernes, schnelles und gut bewaffnetes Schiff war, sank durch die Lufthülle abwärts und landete ohne Zwischenfälle am Rand des Platzes. Auf den ersten Blick waren elf Zirkusschiffe vom Typ der ARTIST QUEEN zu erkennen, aber keines der drei gesuchten Schiffe stand hier. Pa und Opa hatten sich entschlossen, möglichst unauffällig, also auch ohne offizielle Unterstützung irgendeiner Behörde zu arbeiten. Corm Damagger sollte sich bei der Hafenleitung erkundigen, ob man eines der drei Schiffe in der nächsten Zeit erwartete. Stuckey Folus und Thow Tanza liehen sich von Besatzungsmitgliedern einige Kleidungsstücke aus, und als die beiden Männer,
zusammen mit einer Gruppe von Schiffsangehörigen, die Schranken passierten, wirkten sie keineswegs wie informationshungrige USO-Spezialisten. Auch das erste Ziel konnte schon klassisch genannt werden: das Hafenviertel der Bars und Schenken, der schäbigen Hotels und der noch schäbigeren Vergnügungsstätten. Und da sich hier Artisten aus allen Teilen der bekannten Galaxis versammelt hatten, war auch dieses Viertel entsprechend exotisch.
* Sie standen am Anfang einer krummen, abwärtsführenden Gasse. Sie war mit schwarzem Bruchstein gepflastert, zwischen dessen einzelnen Brocken Gräser und Moos wuchsen. Es gab keinen Bürgersteig, so daß sich Fußgänger, Tiere, Exoten und Gleiter in einem wilden Durcheinander zwischen den engen Hausfronten bewegten. Opa hob den Kopf und musterte das Schild der ersten Bar. Zum dreifachen Knoten. Das Schild, in einfacher Stahlschneidearbeit ausgeführt, zeigte den bis zur Unkenntlichkeit verknoteten Körper eines Schlangenmenschen. Als die drei Männer näher kamen, sahen sie durch eine mäßig saubere Panoramascheibe, die unzweifelhaft aus einem verschrotteten Raumschiff stammte, daß das Lokal dahinter nicht ungemütlich eingerichtet war. »Wir scheinen in dieser Gasse richtig zu sein!« murmelte Opa und zwängte sich zwischen zwei Ertrusern hindurch, die ihn wie kleine Gebirge überragten und in eine phantastisch bunte Kleidung gehüllt waren. Offensichtlich, wie die meisten Menschen hier, Artisten eines der vielen Zirkusse. »Ich habe es Ihnen ja gesagt, Partner! Hier sind wir auf alle Fälle richtig, wenn wir etwas erfahren wollen!« sagte Jasuah Bengtstrom. Er war der Chef der planetologischen Abteilung der GERAKINI, aber niemand glaubte es ihm. Er packte eine zierliche Terranerin, die nicht ausweichen wollte, an der
Der Weltraumzirkus Taille und setzte sie nach einer halben Drehung wieder hinter sich ab. Ein kleiner Gleiter, aus dem Gläser und Flaschen ausgeladen wurden, versperrte die Gasse fast völlig. »Zunächst einmal ein Rundgang!« sagte Pa in dem Tonfall, der verriet, daß er nicht mehr diskutieren wollte. »Einverstanden. Schließlich müssen wir die Schönheiten erst kennenlernen.« Es ging ein leichter Nieselregen über der Siedlung Kerfankel nieder, diesem Teil des Planeten Kerim. Jasuah Bengtstrom war ein Hüne; zwei Meter und ein paar Zentimeter groß. Es schien, als bestünde er nur aus Muskeln und Knochen. Er sprengte fast die Wildlederkleidung, die ihm das Aussehen eines Waldläufers gab. Obwohl seine Schultern breit und seine Hände gewaltige Pranken waren, überraschte sein Gesicht. Jasuah besaß einen schmalen Kopf mit einer kühn vorspringenden Hakennase, und aus dem braungebrannten Gesicht strahlten hellblaue Augen mit einer Intensität, die unwahrscheinlich wirkte. Ein ungebändigter Schopf blauschwarzer Haare vollendete diesen überraschenden Kontrast. Er konnte Terkonitstangen biegen, aber ebenso geschickt gingen seine Finger mit winzigen Zeichengeräten und hauchdünnen Folien um. Er bewegte sich mit der unauffälligen Leichtigkeit eines Ballettänzers, und die beiden Spezialisten wußten, daß sie schwerlich einen besseren Führer durch die Altstadt von Kerfankel hätten finden können. »Wir werden keinen der drei Zirkusse hier finden!« sagte Opa. Es war eine Feststellung. »Wir brauchen nur die Informationen über den Reiseplan. Und die können wir von der Raumhafenverwaltung nicht bekommen.« »Höchst unwahrscheinlich, daß wir gleich auf jemanden stoßen, der die Daten im Kopf hat.« »Schließlich sind wir voller Geduld. Wie gute Jagdhunde!« knurrte Opa. Sie gingen langsam die lange Gasse ab-
21 wärts. Aufmerksam betrachteten sie die Fronten der Gebäude. Hier gab es keinen Stil – oder jeden Stil, was zum selben Ergebnis führte. Bruchstein und Fachwerk, stählerne Verkleidungsplatten und hölzerne Schnitzereien, Ziegel und Beton in allen nur denkbaren Farben, Formen und plastischen Wucherungen bildeten verwirrende Bilder und ließen diese Gasse als ein Stück exotische, aber von humanoiden Wesen bewohnte Stadt erscheinen. »Lauter irre Baumeister!« murmelte Pa. »Keine Baumeister. Ich weiß, daß es die Siedler waren, die ihren persönlichen Geschmack und ihre Auffassung vom Bauen hier austobten!« erklärte Bengtstrom ruhig. Sie schoben sich weiter durch das Gedränge und hörten Terranisch ebenso wie Interkosmo und unbekannte Idiome. Gerüche und Laute wechselten. Die Gasse ging plötzlich in einen kleinen, runden Platz über. Er war von uralten Bäumen umstanden, von deren Blättern schwere, dicke Tropfen fielen. Man hatte offensichtlich, als man die Stadt Kerfankel baute, diese Bäume bewußt stehengelassen. »Dort drüben ist ein Restaurant, in dem sich nur Tierpfleger treffen!« erläuterte Jasuah leise. »Wir brauchen ein ganz bestimmtes Publikum!« »Und eine gehörige Portion Glück.« Sie kamen aus dem engen Schlund der Gasse und traten auf den Platz hinaus. Es herrschte hier wenig Verkehr, und der leichte Regen hatte aufgehört. Über den Himmel trieben dicke, weiße Wolken, sehr tief und regenschwer. Hin und wieder blitzte ein Sonnenstrahl auf und reflektierte in dem Metall der Schiffe auf dem nahen Raumhafen. »Ich hatte es nicht anders erwartet«, sagte Stuckey, »aber wenn ich mich hier umsehe … ein eigenartiges Völkchen, eine merkwürdige Umgebung.« »Es ist ein Planet der Weltraumzirkusse. Mit allem, aber auch allem, was dazugehört.« »Das ist selbst für mich zu begreifen!«
22 stellte Pa lachend fest. Auf gewisse Weise genossen sie das bunte, exotische Bild. Sie hatten nur nicht genügend Zeit und auch keine innerliche Ruhe, um es richtig würdigen zu können. Die Passanten und die Taxipiloten beachteten die Spezialisten kaum, aber hin und wieder warfen sie den schwarzhaarigen Riesen einen neugierigen Blick zu. Langsam überquerten die drei Männer den Platz und blieben vor der breiten, niedrigen Front des Restaurants stehen. »Ich habe Hunger!« stellte Opa plötzlich fest. Das Lokal hieß Zum brennenden Reifen und sah überraschend sauber und trotzdem originell aus. Die Fenster, die unter einem geschnitzten Vordach zum Platz wiesen, ließen im Innern kleine Tische erkennen und allerlei exotische Dekorationsartikel an den Wänden. Uralte Balken stützten Decken und Vordach ab. Im Innern saßen eine Menge Gäste. »Hinein!« sagte Bengtstrom entschlossen, packte Opa und Pa an den Ellenbogen und zog sie mit sich. Eine schmale Tür öffnete sich knarrend nach außen. Geruch nach Speisen, feuchter Kleidung und allen möglichen Tabaksorten schlug den Männern entgegen, und sie registrierten mit Zufriedenheit, daß weder die Unterhaltungen leiser wurden, noch daß ihnen mehr als die normale Menge verwunderter oder aufmerksamer Blicke zugeworfen wurde. Sie sahen sich um; das Lokal war zu zwei Dritteln voll. Im Hintergrund glänzte eine lange Theke, deren Oberfläche Metall war. »An die Bar?« fragte Opa. Er steuerte bereits langsam zwischen Tischen und Stühlen hindurch. Mit einem Blick stellte er fest, daß es hier von ungewöhnlichen Menschen wimmelte. Jeder war auf seine deutlich erkennbare Art irgendwie besonders. Also vermutlich alles Artisten und Zirkusangehörige und wenige Siedler dieses Kolonialplaneten. »Natürlich. Ich habe einen starken Kaffee mehr als nötig!« erwiderte Stuckey. Er folg-
Hans Kneifel te Opa und versuchte ebenfalls, das Fluidum auf sich einwirken zu lassen. Er spürte die Fremdartigkeit des Publikums, und er fragte sich, ob sie Erfolg haben würden. Er ließ sich zwischen Opa und Jasuah auf einem gepolsterten Barhocker nieder und bestellte bei einem aparten, vollschlanken Mädchen eine große Tasse Kaffee. Nachdem die Getränke vor ihnen standen, wandte sich Opa an das Mädchen: »Sie können uns sicher helfen, Schönste.« Sie zuckte ihre Schultern, ließ ihre Augen von einem zum andern gehen und bedachte sie mit prüfenden Blicken. »Vielleicht!« sagte sie und nahm an einer anderen Stelle der Theke eine Bestellung entgegen. »Vielleicht auch nicht.« Bengtstrom strahlte sie an und hob die Tasse hoch. »Ich wußte doch, daß ich in diesem Lokal schnell Freunde finden werde. Ich täusche mich nie. Verstehen Sie etwas von Panbiotika?« »Von wem?« Opa drückte ein Grinsen zurück und erklärte: »Das ist ein neues Mittel, mit dem man bei einer Unzahl von Lebewesen Verwundungen heilen, Infektionen verhindern und eine Unmenge positiver Dinge bewirken kann. Ein Mittel, das wir vertreten.« In den Augen des Mädchens zeigte sich flüchtiges Interesse. »Da müssen Sie mit Lenny sprechen.« »Gern«, murmelte Stuckey und musterte die Gäste an den umstehenden Tischen, »aber wer ist Lenny?« Das Mädchen stellte einige Gläser auf die Theke und deutete ins Lokal. Irgendwohin. »Lenny ist der Chefeinkäufer der Zirkusse. Sie sollten sich vielleicht an ihn wenden.« »Danke für den Tip. Wer Lenny ist, wissen wir. Aber wo ist er?« »Sitzt dort drüben neben den Schlangenmenschen.« »Danke!« murmelte Stuckey. »So jung und schon so gut zu den Gästen!«
Der Weltraumzirkus Die Atmosphäre hatte sich nicht verändert. Gäste gingen und kamen. Robotkellner und Androiden servierten und kassierten. Die drei Männer drehten sich auf den Barhockern um und blickten in die Richtung, in die das Mädchen gezeigt hatte. Dort saß an einem Tisch, dicht neben einem Fenster, ein seltsames Quartett. Ein kleiner Terraner kauerte wie ein Jockey auf einem Stuhl, und um ihn herum saßen steif und groß drei humanoid aussehende Männer mit dunkler Haut. Sie sahen aus, als hätten sie keine Gelenke. »Vorausgesetzt, das Trinkgeld fällt entsprechend aus.« Wieder strahlte Jasuah das Mädchen an. »Wir werden Sie mit Gold überschütten.« Folus und Opa wechselten einen kurzen Blick, dann stand Opa auf und knurrte: »Das ist wohl ein Job für mich.« Langsam näherte er sich dem Tisch, an dem Lenny saß. Niemand beachtete ihn. Er blieb hinter dem kleinen, schmalen Mann mit dem Gesicht eines intelligenten Wiesels stehen und tippte ihm kurz auf die Schulter. »Gehen Sie«, sagte Lenny. »Ich brauche nichts.« »Sie sind alt und klug genug, um zu wissen, daß man einen guten Rat immer brauchen kann!« erwiderte Opa mit regungslosem Gesicht. Er spürte vorsichtige Distanz und Ablehnung. Die drei Schlangenmenschen sahen ihn mit großen, traurigen Augen an. Millimeterweise bewegte sich Lenny und drehte sich endlich um. Ein Blick voll abgrundtiefen Mißtrauens traf Opa. »Weise Sprüche kaufe ich nicht!« sagte er. »Wer sind Sie?« »Sprüche bekommen Sie gratis. Ich bin Kontakter.« »Kontakter für wen oder was? Woher kommen sie eigentlich?« Opa lehnte sich an die leere Tischkante des Nebentisches und musterte Lenny genauer. Er hatte einen von Arbeit und Streß geplagten Mann vor sich, dessen Gesicht sorgenvoll wirkte. Jede Bewegung sprach davon, daß der Einkäufer mehr arbeitete, als ihm guttat.
23 »Ich komme von Terra, beziehungsweise von Plophos. Ich bin Kontakter für ein Programm neuartiger Medikamente, mit denen Sie alle Tiere aller Ihrer Zirkusse verwöhnen können. Keine Angst, ich verkaufe nichts. Ich bin nur daran interessiert, von Ihnen einige Tips zu bekommen.« »Schießen Sie los!« In einigen ruhigen, kurzen Sätzen erklärte Opa, was er – anscheinend – wollte. Er versuchte dabei den Eindruck zu erwecken, daß er weniger an einem Gespräch mit Lenny, sondern viel mehr an einer Liste interessiert war. Einer Liste, anhand derer er die einzelnen Planeten und die Daten der Gastspiele der augenblicklich reisenden Weltraumzirkusse erfahren konnte. Ärgerlich knurrte Lenny: »Wozu diese Liste? Was wollen Sie mit den Daten?« Mit unerschütterlicher Höflichkeit entgegnete Opa, der die aufmerksamen Blicke der beiden Freunde in seinem Rücken spürte: »Um mit den verantwortlichen Chefs der betreffenden Zirkusse selbst reden zu können. Wissen Sie, wir wollen diese Medikamente auf breiter Basis verkaufen und bekanntmachen. Ich denke mir, daß diese vielen Tiere aus allen möglichen Welten Betreuung brauchen …« Lenny winkte schroff ab. »Geschenkt!« sagte er. »Besuchen Sie mich morgen in meinem Büro. Da können wir in Ruhe über alles reden!« »Wo?« Lenny nannte eine Adresse, und als eine halbe Stunde später Opa die entsprechenden Kontrollen vornahm, erfuhr er, daß diese Adresse richtig war. Vorerst dankte er dem kleinen Mann und kehrte zu den Freunden an die Theke zurück. Später aßen sie ein exotisches Gericht, das erstaunlich feurig gewürzt war. Als sie zum Raumschiff zurückkehrten, entging ihnen, daß sie beobachtet und verfolgt wurden.
*
24 Es war gegen elf Uhr, als der Taxigleiter vor dem Mäuerchen bremste. Der Pilot meinte: »Soll ich warten? Kostet extra!« »Gute Idee. Warten Sie. Es dauert nicht länger als eine Stunde.« Der Pilot nickte, warf die Tür zu und ließ den Gleiter auf die Kufen absinken. Das Haus, in dem Lenny residierte, war ein nüchterner, aber schöner Zweckbau inmitten eines ausgedehnten Grundstücks, das ohne Zäune in den umgebenden Wald überging. Nur zur Straße hin war es durch eine Steinmauer abgetrennt. Opa ging auf das Tor zu, passierte es unbehelligt und stapfte über einen Weg, der mit weißem Kies bestreut war. Kleine, seltsame Tiere huschten die Baumstämme aufwärts und abwärts und betrachteten ihn mit schwarzen Knopfaugen. »Etwas abgelegen für jemanden, der viele Kontakte braucht!« stellte Opa fest und blieb am Fuß einer Treppe stehen, die aus weißen Betonplatten schwerelos vom Haus bis zum Rand eines kleinen Teiches führte. Langsam stieg er aufwärts und legte seinen Finger auf den Knopf des Summers. Kaum hatte er ihn berührt, ertönte innen der wütende Schrei eines saurierartigen Wesens. Opa erschrak ein wenig, dann grinste er. Er drückte ein zweites Mal auf den Knopf, und wieder schrie das Tier in höchster Wut auf. »Ein merkwürdiges Signal!« brummte der Spezialist und dachte an den entsicherten Lähmstrahler und das eingeschaltete Aufnahmegerät, die er mit sich herumtrug. Bisher hatte er keinen Grund, hinter der Tür manipulierte Androiden oder von Plasmakügelchen verseuchte Menschen zu vermuten, trotzdem blieb er mißtrauisch und vorsichtig. Die Tür öffnete sich. Und Opa starrte verblüfft nach oben. Ein etwa drei Meter großer, breitschultriger Saurier hatte die Tür geöffnet und blickte ihn aus tiefliegenden Augen an. Das Tier sah aus wie ein riesiges Känguruh mit hellgrünem Schuppenpanzer: »Sie wünschen?« fragte der Saurier. Opa
Hans Kneifel war irritiert, trotzdem antwortete er langsam: »Lenny erwartet mich. Ich bin Thow Tanza.« Der Saurier, dessen lange, dünne Zunge seitlich aus dem Reptilrachen hing, stellte die Ohren auf und zog die Tür noch ein Stück zurück. Dann sagte er mit durchaus menschlicher Stimme: »Bitte, warten Sie hier!« Opa trat ein, lehnte sich gegen eine Wand und sah dem Saurier nach, der mit wiegenden Schritten auf seinen riesigen Hinterbeinen davonschaukelte. Der riesige Schwanz schwankte balancierend auf und ab, als sich eine andere Tür öffnete und der Saurier einige undeutliche Worte sagte. Lennys Stimme war lauter, sie drang bis zu Opa, der überrascht zwinkerte. »Kommen Sie herein, Tanza!« Opa machte einige Schritte, quetschte sich an dem Saurier vorbei, der aufdringlich nach Moschus roch, und er fand sich in einem riesigen Zimmer wieder, an dessen Wänden ein Mosaik von rechteckigen Schirmen glühte. Auf jeder Bildscheibe war ein Tier, ein Artist oder eine Zirkusnummer abgebildet. Es sah aus wie eine Galerie der Möglichkeiten, Körper zu verbiegen oder gefährliche Situationen zu schildern. Beim zweiten Blick merkte Opa, daß dies nicht nur Bilder, sondern Filme oder Bänder waren, die ununterbrochen abliefen und dieselbe Szene immer wieder zeigten. Mindestens dreihundert solcher Schirme waren in Tätigkeit. Erst auf den dritten Blick sah der Spezialist die fünf Männer, die in tiefen Sesseln saßen – und Lenny, der hinter einem Schreibtisch thronte. »Guten Tag«, sagte Opa, den ein ungutes Gefühl beschlich. »Etwas ungewöhnlich haben Sie es hier!« Er schlug seine Jacke so weit zurück, daß er innerhalb eines Sekundenbruchteils die Waffe ergreifen konnte, dann ging er auf den Schreibtisch zu und ergriff Lennys Hand. »Ungewöhnlich für Sie. Und jetzt, mein Freund: die Wahrheit. Wer sind Sie?«
Der Weltraumzirkus Opa hob die Schultern und wußte, daß er sich gefährlich weit in eine Falle hineingewagt hatte. »Ich habe seit gestern meine Identität und meinen Beruf nicht gewechselt«, sagte er bissig. »Noch immer der alte.« Lenny grinste. Es war ein sparsames, sardonisches Lächeln. Seine Augen gingen blitzschnell zu der Gruppe von Männern hinüber. »Sie sind alles mögliche, aber kein Kontakter für neuartige Medikamente«, sagte er. »Was sind Sie wirklich? Sagen Sie es, und Sie haben mein offenes Ohr.« »Ich bin der Doppelgänger von Perry Rhodan!« knurrte Opa. »Hören Sie, Lenny! Ich beabsichtige weder, Sie zu betrügen, noch habe ich vor, die Zirkusse in die Luft zu sprengen.« Lenny stand auf. In dieser Bewegung lag, trotz der geringen Größe des Mannes, eine unverhüllte Drohung. Opa hob langsam seinen Arm und näherte die Hand der Waffe. »Wissen Sie«, meinte Lenny träge, »ich betreibe meinen Job schon seit fünf Jahrzehnten. Und ich habe einen verdammt guten Blick für das Echte und das Unechte. Sie sind unecht. Hier habe ich die Liste mit den Daten – überzeugen Sie mich.« Opa drehte sich langsam um, als er eine Veränderung im Blick Lennys sah. Die fünf Männer waren aufgestanden und sahen ihn aufmerksam, aber ohne besonderes Interesse an. Er schien für sie kein Risiko zu sein, sondern ein Fall. Einer der Männer hielt eine lange Peitsche in der linken Hand, der andere mindestens ein Dutzend schwerer Wurfmesser in der Rechten. Der dritte hielt den Kontaktfaden einer Blitzspinne, der vierte ließ eine schwere weiße Kugel in seiner Hand herumrollen, und der letzte war Kunstschütze; in seiner Rechten ruhte ein vierundzwanzigschüssiger antiker Revolver mit einer Trommel, die so groß wie ein Kinderkopf war. Sie sahen ihn mit der Ruhe der wahren Professionellen an. »Soll ich Ihnen Formeln herunterleiern? Möchten Sie Dokumente sehen? Oder soll
25 ich Ihnen Salbe aufs Ohr schmieren?« erkundigte sich Opa und schätzte seine Chancen ab. Er kam zu einem Ergebnis, das ihn nicht aufmuntern konnte. »Sie sind von der GERAKINI?« »Richtig. Ein Passagier.« Lenny sagte schneidend scharf: »Dieses Schiff ist eine militärische Einheit. Das haben wir schnell herausgefunden. Warum stellen Sie sich als Handelsvertreter vor, wenn Sie Angehöriger der Flotte sind? Und was wollen Sie wirklich von uns? Wir sind Artisten, und keiner kann uns nachsagen, daß wir uns nicht an die Gesetze halten.« »Ich sagte bereits, daß ich ein Passagier bin. Sehe ich wie ein Raumsoldat aus? Oder wie ein Schnüffler?« »Ich sehe auch nicht wie der erfolgreichste Einkäufer von drei Planeten aus«, erklärte Lenny. »Sie lügen.« Opa schwieg. Er stand jetzt so, daß er sowohl die fünf schweigenden Artisten als auch Lenny sehen konnte. Das Faktotum des Hauses, der grüne Saurier, war nirgendwo zu sehen. Geduldig begann Thow Tanza von neuem: »Ich bin kein Schnüffler oder Detektiv. Ich bin auch kein Angehöriger der terranischen Flotte. Ich bin ein Mann, der Sie um einige Adressen bittet, um damit sein Brot zu verdienen. Das ist die Wahrheit.« Das ist tatsächlich die Wahrheit, dachte er. Lenny zuckte die Schultern; sein Mißtrauen schien nicht gewichen zu sein. »Überzeugt ihn davon, Jungens, daß wir die Wahrheit wissen wollen«, sagte er nur und setzte sich wieder in einen Sessel, der viel zu groß für ihn war. Opa handelte so schnell, wie es die Umstände zuließen. Er hielt seine Waffe in der Hand und feuerte auf den Mann mit der Peitsche. Der Arm dieses Mannes zuckte gerade abwärts, und die lange Peitschenschnur bewegte sich wie eine Schlange auf Tanza zu. Mitten in der Bewegung verlor die Schnur ihr Ziel und fauchte harmlos. Tanza sprang zurück, feuerte ein zweites Mal und sprang mit einer
26 mühelos erscheinenden Bewegung über die Tischplatte. Der Mann mit der Peitsche sackte auf der Stelle zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. In dem Augenblick, in dem Opa neben Lenny landete, krachte die unförmige Artistenwaffe auf. Ein riesiges Projektil fuhr aus dem Lauf, und der Mann wurde in eine Wolke von verbrannten Gasen und Rauch gehüllt, hinter der er und sein Nachbar halbwegs verschwanden. Dann bewegte sich blitzartig der Arm des Messerwerfers. Opa duckte sich, und die Waffe in seiner Hand bellte auf. Die Entladung traf Lenny in beide Knie und fesselte ihn in seinen Sessel. Das geschleuderte Messer zischte parallel zur Tischplatte darüber hinweg und bohrte sich knirschend in die hölzerne Wandverkleidung. Es blieb stecken und vibrierte leise surrend. »Hört auf, ihr Narren!« schrie Opa. Der andere Artist warf sich zur Seite, als Opa erneut feuerte. Die Blitzspinne, ein halbsynthetisches Wesen, flog in einer leichten Parabel durch die Luft und begann, ihre fast unzerreißbaren Fäden zu spinnen, kaum, daß sie die Hand des Werfers verlassen hatte. Sie landete dicht neben Opa auf dem Boden und zog ein Netz dünner Fäden hinter sich her. Opa schüttelte den Kopf und rammte das Tier mit dem Absatz in den Teppich. »Hört auf!« schrie er abermals. Die Männer gehorchten ihm nicht. Er tauchte hinter der Tischplatte auf und feuerte gezielt. Der Mann, der die Spinne geschleudert hatte, schrie leise auf und fiel über seinen Sessel. Aber wieder krachte ein Schuß, und zwei Messer zischten an ihm vorbei. Opa sprang auf, machte eine Rolle nach vorn und hörte, wie Lenny laut schrie: »Zeigt es ihm, Jungens!« Jetzt zielten drei Männer auf ihn. Der eine warf mit Messern, der andere feuerte eine antike Waffe ab, der dritte schleuderte seine Kugeln. Die Projektile suchten sich ihr Ziel bis zu einer bestimmten Distanz der Annä-
Hans Kneifel herung selbst. Sie surrten durch den Raum, wurden abgelenkt, sprangen im Zickzack hin und her und trafen Opa schmerzhaft. Er wechselte wieder seinen Standort und sah, wie die drei Männer aus drei verschiedenen Richtungen näher kamen. Wieder krachte seine Waffe auf. Der Revolverschütze brach zusammen. »Es ist sinnlos!« schrie Opa. Aber sie waren entschlossen, es »ihm zu zeigen«. Er stand auf und wich einem Messer aus. Eine Kugel traf ihn am Handgelenk, und er ließ die Waffe fallen. Noch ehe sie den Boden berührte, sprang er vorwärts und schlug den Mann mit den Kugeln nieder. Jetzt war er dem letzten Mann zu nahe, als daß dieser seine Messer schleudern konnte. Opa entging, indem er fintete und sich zur Seite warf, einem Angriff mit dem letzten Messer. Dann schnellte sein Bein hoch. Die Spitze seines Stiefels traf die Hand des Messerwerfers, und in derselben Bewegung warf sich Opa nach vorn und schlug den Mann mit drei schnellen Griffen der Nahkampftechnik bewußtlos. Dann blieb er stehen und sah sich um. Er war allein – allein mit Lenny, der versuchte, sich mit seinem Sessel an der Schreibtischkante entlang nach vorn zu ziehen und ein Messer oder die Waffe zu erreichen, die Tanza hatte fallen lassen. »Jetzt geht es auf meine Weise weiter!« keuchte Thow, wirbelte herum und schwang sich über den Tisch. Er ergriff die Waffe mit der linken Hand und steckte sie zurück. Der Raum war verwüstet, und es stank nach dem altertümlichen Pulver. Die fünf Männer lagen in verzerrten Stellungen auf dem Boden, und Lenny blickte Opa haßerfüllt an. Opa griff nach den Aufschlägen der Jacke des Mannes und hob ihn dreißig Zentimeter hoch aus dem Sessel. Die Beine des kleinen Mannes baumelten, als ob sie abgetrennt wären. »Ich bin Thow Tanza und Spezialist der
Der Weltraumzirkus United Stars Organisation«, sagte Thow leise. Seine Augen bohrten sich in die des Mannes vor ihm. »Ich wollte nichts anderes als diese Informationen. Es gibt einige Zirkusse, die ihre Gastspielreisen als Vorwand für Verbrechen benutzen, die scheußlicher sind als alles, was ich bisher kannte. Aus diesem Grund brauche ich die Informationen, aus keinem anderen. Ich werde mich, wenn die Angelegenheit geklärt ist, Ihrer sehr genau erinnern, Lenny. Und dann komme ich zurück und mache Ihnen ernsthafte Vorhaltungen.« Er löste den Griff und ließ Lenny in den Sessel zurückfallen. »Ich … ich hatte keine Ahnung!« sagte Lenny. Sein Blick sagte Opa, daß er wirklich nichts von den Verbrechen wußte. »Nein. Aber Sie versuchten, fünf Artisten auf mich zu hetzen. Jeder von ihnen hätte mich töten können!« »Sie sollten nur … die Wahrheit …« »Sie sind widerwärtig«, sagte Opa und betrachtete seine Jacke, die verschmutzt und in Fetzen an ihm herunterhing. »Und wenn Sie das, was ich Ihnen jetzt sagte, weitergeben, dann verfolge ich Sie persönlich durch die halbe Galaxis. Die GERAKINI ist ein USO-Forschungskreuzer. Ist diese Liste vollständig?« Lenny nickte angstvoll. »Ja. Sie ist auf dem letzten Stand«, murmelte er. Er war halb zusammengebrochen und legte seine zitternden Finger auf die Schreibtischplatte. »Ich gehe jetzt«, erklärte Opa mit harter, unbarmherziger Stimme. Am liebsten hätte er Lenny gepackt und in seine ständig laufenden Bildschirm-Attraktionen geworfen, aber er beherrschte sich. »Und wenn ich erfahre, daß Sie schwatzen, dann trifft Sie die vereinigte Wut der United Stars Organisation. Haben Sie mich klar verstanden?« »Ja!« gurgelte Lenny. »Entschuldigen Sie, Spezialist … ich hielt Sie für einen Betrüger.« Opa nahm die Liste, die eine Maschinenkopie einer anderen Liste war, las einige
27 Zeilen und faltete das Papierbündel dann zusammen. Er steckte es in die Tasche der Hose und blieb vor Lenny stehen. Der Agent blickte ihn schweigend und mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck an. »Glauben Sie mir jetzt?« erkundigte sich Opa und deutete flüchtig auf das Chaos innerhalb des Raumes. »Ja. Tatsächlich!« erwiderte Lenny. »Sie scheinen vom Teufel besessen zu sein. Fünf der besten Artisten, die sich auf diesem Planeten aufhalten.« »Vergessen Sie nicht, daß USO-Agenten eine recht gute Ausbildung haben und ständig im Ernstfall trainieren«, gab Thow Tanza zurück. »Ich fahre jetzt zurück zur GERAKINI. Und Sie wissen nichts. Und Sie werden es auch nicht wagen, einen der Zirkusse zu verständigen!« »Nein!« Tanza wußte, daß dies keine Garantie war. Lenny konnte schweigen oder nicht. Am Ergebnis würde beides nichts ändern. Ungünstigenfalls dauerte die Jagd dann noch etwas länger. »Ich verlasse mich auf Sie. Eines Tages werden Sie erfahren, was die Leute von der ORBAG MANTEY taten. Und dann werden Sie wissen, warum ich hier etwas rücksichtslos vorgehen mußte. Wird Ihr ButlerSaurier mich auch noch überfallen?« Lenny schüttelte wild seinen Kopf. Er wirkte plötzlich entspannt und gar nicht mehr ängstlich. »Nein. Er ist harmlos!« stieß er hervor. »Gut!« erwiderte Opa. Er ging langsam hinaus und betrachtete angelegentlich einige der immerwährenden Attraktionen. Dann riß er die Tür auf, ging an dem schweigenden Saurier vorbei und die Treppenstufen abwärts. Die frische Luft tat ihm wohl, und zwischen Büschen und Bäumen sah er den wartenden Gleiter. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß er mehr als zwanzig Minuten im Innern des Hauses verbracht hatte. Als der Pilot seine Schritte hörte, schaltete
28 er das Prallfeld ein und öffnete die Tür neben dem Fahrersitz. »Mann!« sagte er in ehrfürchtiger Bewunderung. »Sind Sie zwischen eine der Keulennummern Lennys gekommen?« »So ähnlich!« brummte Opa. »Fahren Sie los!« »Wohin?« »Zum Raumhafen. An die Polschleuse der GERAKINI.« »Selbstverständlich, Mac!« Der Gleiter fuhr nicht schnell, aber zügig in die Richtung des Raumhafens. Opa fühlte weder besonders große Erschöpfung noch Bedauern. Er wunderte sich ein wenig über sich selbst, aber diese kühle Betrachtung von Abenteuern und Zwischenfällen schien er sich im Alter anzugewöhnen. Er hatte erreicht, was er wollte, und alles andere zählte nicht. Das nächste Ziel des Schiffes, das überhastet von Plophos gestartet war, brauchten sie erst gar nicht anzufliegen, obwohl der betreffende Planet deutlich in der langen Liste vermerkt war. Dieser Zirkus hatte sich in ein Versteck zurückgezogen, wo immer es liegen mochte. Er würde in der nächsten Zeit zweifellos keine Vorstellungen mehr geben. Aber das machte ihn nicht weniger gefährlich. Trotzdem würde die GERAKINI noch heute starten. Drei Zirkusse waren verdächtig, und nach dem Ausfall der ORBAG blieben noch zwei der Riesenschiffe übrig. Und … jetzt kannten sie das Ziel dieser Zirkusschiffe. »Im Ernst!« sagte der Taxipilot nach einer Weile. »Hatten Sie Ärger mit Lenny? Er ist ein Hitzkopf, müssen Sie wissen. Und seit dem Cephalo-Zwischenfall reagiert er auf Fremde meist allergisch!« Opa schüttelte den Kopf und blickte den Piloten von der Seite an. »Ärger? Nein«, entgegnete er leise. »Wir unterhielten uns kurz, aber mit einigen schweren Argumenten.« »Falls er entgleist sein sollte«, warf der Pilot nach längerem Schweigen ein, »so nehmen Sie's ihm nicht übel. Er hat harte
Hans Kneifel Zeiten hinter sich. Seine einzigen Freunde waren damals die Artisten.« »Ich verstehe«, antwortete Thow Tanza und rieb sich die Hand, an der ihn die verrückte Kugel getroffen hatte. »Das Leben ist hart.« »Sie sagen es, Mac!« schloß der Pilot. Nachdem sie das Schiff erreicht hatten, gab Tanza dem Piloten ein großzügiges Trinkgeld. Dann ging er hinauf in die Zentrale und bat Corm Damagger, schnell zu starten und den Planeten Targros anzufliegen.
4. Die drei Männer saßen in der geräumigen Kabine des Kommandanten und bewegten die siebeneckigen Steine des Spieles langsam hin und her und setzten sie in der Mitte des Tisches zu Konstellationen und Gruppen zusammen. Das Schiff raste durch den Linearraum und näherte sich der Welt Targros. Mehr als sechszehntausend Lichtjahre waren zurückzulegen. »Ihnen brauche ich es ja nicht zu sagen, aber unser Junior hier scheint langsam die Geduld zu verlieren«, murmelte Damagger. »Allerdings. Es geht nicht vorwärts!« maulte Pa. »Seit Nancy nicht mehr bei uns ist, mangelt es an der Aktion.« Opa dachte an seinen Kampf in dem fabelhaften Bildschirm-Arbeitszimmer des Einkäufers und schüttelte sich. Er schob vier Steine zusammen und setzte sie an eine Konfiguration. Sieben Punkte für ihn! Ein guter Zug. »Du junger Spund, Pa!« sagte er. »Schließlich hast du nicht gegen Kugeln, Messer, eine Peitsche, eine Spinne und einen Revolver gekämpft, und nicht gegen Mißtrauen und Unwilligkeit.« Begreiflich, daß Stuckey abermals ungeduldig wurde. Sie bewegten sich in Schlangenlinien vorwärts und sahen zu, wie kostbare Zeit verstrich. »Auf Targros wird es nicht anders sein!« beharrte Folus. Sein Gesicht hatte einen
Der Weltraumzirkus träumerischen Ausdruck. Vermutlich dachte er an Nancy, aber er ahnte nicht einmal, ob Nancy auch an ihn dachte. »Was wird nicht anders sein?« erkundigte sich Opa vorwurfsvoll. »Die Ergebnisse. Die TERKMAS oder der Zirkus TERKMAS wird längst gewarnt worden sein und ist natürlich geflohen. Wir werden ihn um Stunden verfehlen. Ich bin sicher, daß diese pessimistische Annahme sich als richtig herausstellen wird.« »Vielleicht haben wir einmal auch etwas Glück!« knurrte der ältere Mann und sah voll Interesse zu, wie Damagger mit einem sarkastischen Grinsen seine Steine schob und Opa um vier Punkte schlug. Ein Teil der Steine begann bereits zu glimmen, und in Kürze würde sich ein dreidimensionales Bild aufbauen. »Ihr seid beide ausgesprochen schlecht gelaunt!« stellte der Kommandant fest. »Wie?« machte Folus. »Nicht ohne Grund. Wir fliegen eine Strecke von sechzehntausendundeinhundertzweiundachtzig Lichtjahren. Richtig?« Pa und Opa nickten gleichzeitig. »Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß es der ORBAG MANTEY gelingt, die TERKMAS zu warnen. Kein Sender arbeitet über solche Entfernungen hinweg. Und mit einiger Sicherheit werden die drei – oder mehr – betroffenen Verbrecher-Zirkusse es nicht riskieren, ihre gegenseitigen Informationen über das Relaisnetz abzustrahlen. Es könnte ja sein, daß sich jemand an die Mühe des Entschlüsselns macht.« Pa blickte Opa überrascht an und setzte einen Stein an die falsche Stelle. Sofort verlor er sechs Punkte. »Das ist richtig! Verdammt!« sagte er. Opa nickte. Er hatte sich darüber bereits eine Menge eigener Gedanken gemacht. Dieser Planet im Quuleut-System war eine noch sehr junge Kolonialwelt, voll abhängig von der Unterstützung Terras und der Raumflotte. Nur dreißigtausend Siedler lebten dort, aber immerhin war es die Heimatwelt des Weltraumzirkusses TERKMAS. Laut der
29 Liste, die Opa erbeutet hatte, brach dieses Schiff zu einer längeren Vorführungsreise auf. In wenigen Tagen bereits sollte der Start erfolgen. »Die Spezifikationen von Targros kennen Sie?« erkundigte sich Damagger. »Ja. Eine rauhe Sauerstoffwelt mit rauhen Bewohnern!« »In Ihren Kabinen liegen Auszüge aus dem ›Handbuch‹«, erklärte Corm. »Wie wäre es, wenn Sie sich etwas mehr auf das Spiel konzentrieren würden? Oder möchten Sie auch Ihren letzten Sold an mich verlieren?« »Keineswegs«, sagte Opa, grinste kurz und setzte neun Steine an. Das Zentrum dieses Puzzlespieles begann zu glühen und ließ ein undeutliches Bild in der Luft über der präparierten Tischplatte entstehen. »In Kürze sind Sie geschlagen, Kommandant.« »Nicht von Ihnen, Spezialist!« »Abwarten!« drohte Opa und trank einen tiefen Schluck, bevor sich das Bier erwärmen konnte. »Abgesehen von den Scherzen unter USO-Leuten«, fragte der Kommandant. »Wie haben wir uns zu verhalten, falls wir die TERKMAS tatsächlich entdecken?« Opa erwiderte hart: »Wir haben Generalvollmachten. Eine Mannschaft dieses Schiffes ist ermächtigt, die TERKMAS zu betreten und zu durchsuchen. Wir sind abgesichert.« »Verstanden. Und wenn sie sich weigern oder gar wehren?« »Dann müssen wir die Durchsuchung mit Gewalt erzwingen. Notfalls kann ich Schießvollmacht erteilen.« »Das ist eine Reihe deutlicher Hinweise«, sagte der Kommandant, setzte an vier Ecken seine Steine an und erlebte, wie das dreidimensionale Bild deutlicher wurde. Die Umrisse einer exotischen Pflanze wurden sichtbar, aber noch fehlten wichtige Elemente des Bildes. Es war noch leblos und ohne jede Bedeutung. »Sie sagen es, Corm. Ich bin ziemlich sicher, daß wir auf Targros wichtige Dinge er-
30 fahren werden. Mir persönlich dauert die Suche und die Jagd auch schon zu lange. Und immer dann, wenn ich unruhig zu werden beginne, pflegt sich rasch das Ende anzukündigen. So war es wenigstens bisher!« meinte Opa und schob seine restlichen Steine an die richtigen Stellen. Das Glühen der Farben wurde deutlicher und plastischer. »Neun Punkte«, registrierte Stuckey Folus. Er war ein guter Verlierer, denn er sah keine Gelegenheit, seine letzten Spielsteine zu assoziieren. »Jedenfalls ist keiner von Ihnen beiden mit besonders großen Minderwertigkeitsgefühlen geschlagen!« knurrte Damagger. »Dazu hat auch keiner von uns einen Grund!« meinte Opa voller Zuversicht. Er hob das Glas als Damagger seinen letzten Stein in die einzig mögliche Lücke schob und damit das Spiel halb beendete. Das Bild war jetzt fertig und bewegte sich. Opas Grinsen wurde breiter. »Gewonnen!« sagte er laut. »Das ist noch nicht ganz bewiesen!« meinte der Kommandant schwach. »Sehen wir nach.« »Gern!« erwiderte Thow zuvorkommend. Vor Beginn des Spiels hatten die drei Männer jeweils ein Bild entworfen, das sie innerhalb gewisser Grenzen selbst beeinflussen konnten. Was sich jetzt über der Tischplatte erhob, war eine exotische fleischfressende Pflanze, die sich wurzellos dahinbewegte und mit einem kleinen Tier einen erbitterten, aber lautlosen Kampf ausfocht. Sie war die Summe aller Spielzüge, von drei Personen ausgeführt, die jeder gegen jeden spielten und das Bild vollendet hatten. Opa drückte auf einen Knopf, und auf einem Bildschirm flammten Wörter auf. Hinter den Initialen eines jeden Mitspielers stand ein Begriff ausgeschrieben. Hinter Opas Kürzel stand zu lesen: »Fleischfressende Pflanze ringt mit insektenähnlichem Tier. Wurzellos.« Opa hatte vorgelesen und deutete auf den Schirm. »Sie sind bis zum Jahr achtundzwanzig-
Hans Kneifel fünfundvierzig bei mir verschuldet, Corm!« rief er. »Haben Sie Familie?« »Nein!« Der Kommandant ärgerte sich sichtlich. Natürlich hatten sie nicht um Geld gespielt. »Also wird es Ihnen leichtfallen, in den Korridoren von Quint-Center um milde Gaben zu betteln!« sagte Opa und schaltete die Projektion aus. »Den Teufel werde ich tun!« verkündete Damagger. »Sie haben geschwindelt, Thow!« Opa verkündete mit unbewegtem Gesicht: »Ich lüge nie. Aber … noch zwei Freiwachen, und wir müßten in unmittelbarer Nähe des Planeten sein!« »Richtig!« Der Planet, auf dem sich angeblich der zweite verdächtige Zirkus befand, kam immer näher. Nach der Liste, die Opa ausgearbeitet hatte, würde dieses Schiff noch rund zwanzig Tage bleiben und dann erst starten. Trotzdem war es denkbar, daß die Besitzer gewarnt worden waren. Aber die GERAKINI konnte unmöglich noch schneller fliegen …
* Die Borduhren zeigten das Datum des 24. September des Jahres 2842, als die GERAKINI innerhalb des QuuleutSystems auftauchte. Corm Damagger und Thow Tanza hatten mit Schwierigkeiten gerechnet, und deshalb befand sich die Mannschaft in Alarmbereitschaft. »Da ist er!« sagte Opa und deutete auf die Panoramaschirme. Mit einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit schwebte die stählerne Kugel des USOForschungskreuzers näher. Der Planet Targros, mehr als sechzehntausend Lichtjahre von Kerim entfernt, tauchte aus der Schwärze des Alls auf. »Landeanflug entsprechend der vorgegebenen Koordinaten!« ordnete Damagger an. »Verstanden, Chef!« erwiderte der Pilot. Sie flogen den Planeten mit der Sonne im
Der Weltraumzirkus Rücken an. Langsam schälte sich die vorwiegend weiße Kugel aus der Dunkelheit. Der Kranz riesiger Wolken wurde sichtbar und die tief herabgezogenen Polkappen. Wachsam beobachteten die Verantwortlichen das Bild. »Funkzentrale!« rief Damagger leise. »Wir haben soeben den ersten Ortungsimpuls erhalten«, war die Antwort. »Soll ich in die Zentrale umlegen?« »Bitte sofort!« knurrte Thow Tanza. Dort unten war unzweifelhaft der zweite Zirkus, den sie mit den manipulierten Androiden und dem Verbrechen in den Organbanken auf Plophos in Verbindung brachten. Aus den Lautsprechern kamen die vertrauten Laute der Störungen, dann wurden Stimmen laut. Schließlich hörten Damagger, Opa und Pa: »Hier Kreuzer der United Stars Organisation GERAKINI. Wir erbitten dringend Landeerlaubnis.« Die ferne, verzerrte Stimme des Chefs jenes kleinen planetaren Raumhafens war zu hören. »Landeerlaubnis selbstverständlich erteilt. Bitte landen Sie auf Koordinaten …« »Danke. Eine Frage: Befindet sich das Zirkusschiff TERKMAS noch auf Ihrem Hafengelände?« Eine kurze Pause entstand. Opa und Damagger sahen sich fragend an. Pa betrachtete mit äußerster Spannung die Bildschirme, auf denen der Planet wuchs und wuchs. »Hören Sie?« »Wir hören!« Damagger schaltete einige Monitoren ein, stülpte sich die Kopfhörer über das Haar und bog das Mikrophon zu sich heran. Dann murmelte er fragend: »Noch keine Bildfunkverbindung?« »Sofort, Chef!« Der Verantwortliche des provisorischen Raumhafens von Targros sagte mit einem alarmierten Unterton in der Stimme: »Eben hat die TERKMAS um Starterlaubnis nachgesucht. Sie scheinen überstürzt
31 abfliegen zu wollen. Was haben Sie vor?« Gleichzeitig mit dem Augenblick, als das Bild auf dem Monitor erschien, sagte Damagger: »Übermitteln Sie bitte dem Weltraumzirkus TERKMAS, daß er auf uns zu warten hat. Wir müssen das Unternehmen schärfstens untersuchen.« »In Ordnung.« »Rechnen Sie damit, Skipper, daß die dort unten sich an unsere Empfehlungen halten?« erkundigte sich Opa spöttisch. Seine Augenbrauen sträubten sich. Er witterte förmlich die Gefahren. »Nein!« sagte Corm Damagger mit Nachdruck. »Dann sind wir uns ja einig über das, was zu geschehen hat.« »So ist es.« Damagger beugte sich nach rechts hinüber, schob die durchsichtige Plastikverkleidung von einem Schalter und preßte den Knopf tief in die Fassung. Der Knopf war tiefrot. Durch das Schiff gellten die Sirenen und die Glocken. Alarm! Gleichzeitig knackten die Lautsprecher in sämtlichen Räumen des Kreuzers. »Hier spricht der Kommandant. Wir müssen damit rechnen, daß sich der Weltraumzirkus unseren Anordnungen widersetzt und einen Fluchtstart versucht. Wir müssen bereit sein, unserer Forderung Nachdruck zu verleihen. Geschütze bemannen, Schutzschirme einschalten, Alarm Stufe zwei. Bitte, warten Sie auf die Anordnungen aus der Zentrale.« Damagger wandte sich wieder dem Monitor zu, auf dem der Oberkörper und das Gesicht eines Mannes in mittleren Jahren zu erkennen waren. Hin und wieder flimmerte das Bild. Der Raumhafenleiter fühlte sich augenblicklich nicht sehr wohl in seiner Haut. »Ich habe der TERKMAS gesagt was Sie mir aufgetragen haben. Keine Reaktion, keine Antwort. Und wir haben hier nicht die Mittel, das Schiff aufzuhalten, Kommandant.«
32 Damagger versicherte grimmig: »Wir hingegen verfügen über diese Mittel. Sagen Sie der Schiffsleitung, daß wir ihr Startverbot erteilen. Andernfalls müßten wir den Start verhindern!« Jetzt war der Raumhafenleiter verzweifelt: »Ich werde es weitergeben, aber vermutlich habe ich damit ebensowenig Erfolg!« »Wir helfen Ihnen!« rief Opa wütend. Der Planet wuchs jetzt über die Bildschirme der Panoramagalerie hinaus. Deutlich war die Tiefebene zu erkennen; sie war fast völlig wolkenfrei. Irgendwo dort unten bereitete die TERKMAS ihren Alarmstart vor. Um mehr als zwei Wochen zu früh, wie man anhand der Liste wußte. Das kam einem direkten Schuldbekenntnis gleich. »Was immer passiert, Corm – wir müssen ins Schiff hinein und es von oben bis unten durchsuchen.« Corm nickte nur. »Das ist mir klar. Wenn sie zu starten versuchen, werden wir sie stoppen. Zuerst mit Argumenten, nötigenfalls mit den Geschützen!« »Leider haben wir keine andere Wahl!« Das Raumschiff bremste seine Geschwindigkeit mehr und mehr ab. Überall im Innern der GERAKINI rannten die Männer zu den Geschützen. Einige Gruppen zogen sich die Kampfanzüge an. Die Schutzschirme flammten auf, während die Projektoren ihr helles Winseln begannen. Die Wolken vor dem Bild der Tiefebene wichen zurück, und die ersten deutlichen Konturen der Landschaft zeichneten sich auf den Schirmen der Panoramagalerie ab. Das Rund des Raumhafens lag als relativ winziger Ausschnitt direkt in der verlängerten Geraden der Flugbahn. »Sie sollten vielleicht den Raumsoldaten und den Spezialisten sagen, daß sie sich unter Umständen bereithalten müssen!« warf Thow Tanza ein. Der kleine Mann vibrierte förmlich vor Anspannung und Nervosität. Jetzt hatten sie zum erstenmal eine echte Chance, den furchtbaren Geheimnissen di-
Hans Kneifel rekt auf die Spur zu kommen. »In Ordnung!« entgegnete Damagger. Langsam legte sich die Aufregung innerhalb des Schiffes. Die Männer saßen an ihren Plätzen. Der Forschungskreuzer hatte sich in eine bewaffnete Einheit verwandelt, die voll in der Lage war, die Forderungen zu erzwingen. »Raumhafen! Kontakt!« rief eine Stimme aus den Lautsprechern. Corm wandte sich wieder den Monitoren zu. »Hier GERAKINI!« sagte er. »Was haben Sie zu erklären?« Der Mann war verzweifelt. Er fuchtelte mit den Händen und rief durch die Mikrophone: »Ich habe die TERKMAS mehrmals gewarnt. Sie hören einfach nicht. Sie werden in wenigen Sekunden starten. Offensichtlich wollen sie nicht mit Ihnen zusammentreffen. Was soll ich tun?« Damagger erwiderte schroff: »Nichts. Zeichnen Sie sämtliche Gespräche auf und halten Sie sich als Zeuge bereit. Wir werden die Flucht des Schiffes verhindern. Haben Sie die Frequenz des Schiffes?« »Ja. Hier ist sie!« Die Männer in der kleinen, aber leistungsfähigen Funkzentrale des USO-Kreuzers schalteten ihre Geräte auf den betreffenden Kanal um. Schließlich, während das Schiff die ersten Spuren der Lufthülle durchraste, meldete sich der Chef dieser Abteilung. »Chef, sie hören zu, aber sie antworten nicht. Wir können einen Funkspruch absetzen, dann wissen die Leute von der TERKMAS, was wir wollen.« Corm brauchte nicht mehr zu überlegen. Er nickte und erwiderte kurz: »Okay. Legen Sie auf meine Geräte um!« »Verstanden!« Die GERAKINI näherte sich dem Boden. Der Abstand zur Oberfläche der rauhen Sauerstoffwelt betrug nicht mehr als dreißig Kilometer. Jetzt hatte der Pilot die Geschwindigkeit drastisch verlangsamt. Das Schiff senkte sich wie ein Lift dem Boden entge-
Der Weltraumzirkus gen. Die ersten Wolkenfetzen wurden durchstoßen und blendeten für wenige Sekunden die Bildschirme. Wieder wurde das Bild deutlicher und klarer. Die vergrößernden Geräte zeigten auf Spezialschirmen den Raumhafen und eine Reihe kleinerer Schiffe. Die riesige Konstruktion des Zirkusschiffes befand sich am Rand des Flugfeldes, das nichts anderes als ein planierter Kreis in einer sandigen Ebene war. Rund um dieses Schiff schien der Hafen ausgestorben zu sein. »Fünfundzwanzigtausend Meter!« kam eine Durchsage vom Pilotensitz. »Halten Sie zehn Kilometer über dem Raumhafen an!« ordnete der Kommandant an. Pa und Opa saßen neben ihm und bereiteten sich auf einen Zusammenstoß vor. Die Stimmung an Bord war ruhig, aber konzentriert. Stuckey Folus selbst war von zwiespältigen Gedanken erfüllt. Einerseits rechnete er fest mit irgendeiner Art von Auseinandersetzung, andererseits wußte er genau, daß nur eine kleine Zahl innerhalb des Schiffes wußte, welche Verbrechen die Zirkusse unterstützten. Es würde also wieder Opfer unter Unschuldigen und Verführten geben. Ihn widerte dieser Umstand an, aber er sah sich außerstande, etwas dagegen unternehmen zu können. So beschränkte er sich darauf, zuzusehen und zu warten. »Zehn Kilometer. Verstanden!« Die Spannung stieg. Die Besatzungen der Feuerleitzentralen waren selbständig und wußten genau, was sie zu tun hatten. Sämtliche Geschütze zielten während des bewußt langsamen Anflugs auf die TERKMAS. Die Schutzschirme machten den USO-Kreuzer nahezu unverwundbar. »Die Verantwortlichen der TERKMAS sind zweifelsohne von denen der ORBAG MANTEY gewarnt worden«, sagte Opa ruhig. »Also versuchen sie zu fliehen. Das beweist, daß der warnende Funkspruch nicht direkt aufgefangen wurde, sondern den langsamen Weg ging. Sonst hätten wir nicht mehr als einen leeren Raumhafen angetroffen.«
33 »Auch meine Meinung, Opa!« antwortete Folus. Er würde sich weitaus wohler gefühlt haben, wenn Ma neben ihm sitzen würde. Jetzt sprach Corm Damagger. Ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu zeigen, daß er zu allem entschlossen war. »Hier spricht Damagger, der Kommandant des USO-Kreuzers GERAKINI!« sagte er laut und deutlich. Sie alle wußten, daß man seine Stimme in der Leitzentrale des Zirkusschiffes genau hören konnte, aber niemand rechnete mit einer Antwort. Die Augen der Männer schienen die Bildschirme der Bodenerfassung durchbohren zu wollen. Sie erlebten förmlich mit, wie das Schiff dort unten in fünfzehn Kilometern den Start anlaufen ließ. Die TERKMAS gab keine Antwort. »Wir können von hier aus erkennen, daß Sie Ihr Gastspiel abgebrochen haben und einen Fluchtstart vorbereiten. Wir stehen in wenigen Sekunden zehntausend Meter über dem Raumhafen und werden diesen Start zu verhindern versuchen. Wir haben nicht vor, Ihr Schiff zu beschießen oder zu vernichten, sondern müssen lediglich eine Durchsuchung bei Ihnen vornehmen. Unsere Forderungen: Brechen Sie erstens Ihre Startvorbereitungen ab! Lassen Sie ein Prisenkommando an Bord. Wenn Sie unschuldig sind, werden wir uns entschuldigen und wieder starten. Und versuchen Sie keinen Fluchtstart. Wir müßten dies nach unseren Erlebnissen mit der ORBAG MANTEY als Schuldbeweis werten. Ich wiederhole: Bleiben Sie auf dem Raumhafen und widersetzen Sie sich nicht einer Durchsuchung. Ende.« Schweigen … Die Lautsprecher pfiffen und rauschten. Auf den Monitoren zeichneten sich keine Bilder ab. Die GERAKINI bremste jetzt und schwebte wie ein kleiner Mond über dem Raumhafen. Plötzlich ging ein Summer, und eine Stimme schrie aufgeregt: »Sie starten, Chef!« »Verstanden. Warnschuß über den oberen
34 Pol! Feuer frei!« Corm und Stuckey wechselten einen Blick. Pa zog die Schultern hoch; er konnte nichts mehr ändern. In der Steuerzentrale des Kreuzers breitete sich ein angestrengtes Schweigen aus. Die Entladung des Geschützes erschütterte kurz das Schiff. Über der TERKMAS erschien ein glühender Feuerball, der sich schnell ausbreitete und auflöste. Damagger schrie ins Mikrophon: »Es ist uns ernst! Ich warne Sie! Starten Sie nicht!« Die Zirkusleute schienen entschlossen, weder auf die Warnungen noch auf die Drohungen hören zu wollen. Die TERKMAS startete. Die gewaltige Masse des untypisch geformten Schiffskörpers wurde bewegt. Die Aufwärtsbewegung wurde schneller und schneller, der Abstand zum Boden wuchs. Das Zirkusschiff versuchte, schräg hochzusteigen und von dem Punkt zu fliehen, an dem die GERAKINI stand. Einige Sekunden vergingen, in denen alle Insassen des Kreuzers gebannt auf die Schirme und in die Anzeigen der Geräte blickten. Jetzt betrug der Abstand zum Boden mehrere hundert Meter. Die Fahrt des Zirkusschiffes wuchs, wurde schneller, und jetzt lösten sich die letzten Schleier des glühenden Gases auf. Ein Schutzschirm flammte auf und hüllte die TERKMAS ein. »Offensichtlich glauben sie uns nicht – oder sie sind verzweifelt!« stellte Opa fest. »Verzweifelt oder nicht, sie müssen sich ausrechnen können, daß es nur einen Sieger geben kann!« ächzte Corm Damagger. Er sträubte sich ebenfalls dagegen, das Schiff unter schweren Beschuß zu nehmen. »Jemand spielt dort ein hartes Spiel. Vielleicht rechnen sie mit unseren Skrupeln!« warf Pa ein. »Dann haben sie sich verrechnet!« sagte Corm kurz und drückte auf einen Schalter. »Feuerleitzentrale!« »Hier!« »Eine Salve dicht vor das Schiff. In die Fahrtrichtung. Wir müssen die TERKMAS
Hans Kneifel unbedingt stoppen.« »Verstanden!« Alle Augen hingen an den Schirmen. Nach wie vor schwebte der Kreuzer auf seinen Antigravstrahlen unverändert rund zehntausend Meter über der Fläche des Raumhafens. Vielleicht waren jetzt alle dreißigtausend Einwohner dieser Welt alarmiert und starrten in den blassen Himmel hinauf. Das Zirkusschiff hatte inzwischen eine gewisse Geschwindigkeit erreicht und raste nach Westen davon. Die Höhe betrug etwa fünf Kilometer, die absolute Entfernung von dem Kreuzer war nicht größer als zehn Kilometer. Undeutlich hörten die Männer in der Zentrale die Anordnungen und Befehle aus der Feuerleitzentrale mit. Dann erschütterte ein zweiter, weitaus schwerer Schlag die Zelle des Schiffes. Sieben Geschütze hatten synchron gefeuert und vereinigten ihre Strahlen vor dem fremden Schiff. Eine kleine Sonne entstand einige hundert Meter vor dem oberen Pol des Zirkusschiffes. Sie überschüttete das Land und die Bildschirme mit gleißender Helligkeit. Nur der Schall der ungeheuren Detonation war hier nicht zu hören – er würde Sekunden später den Boden erreichen und allen Bewohnern von Targros sagen, daß sich ein Kampf anbahnte. Als die blendende Helligkeit von den Schirmen der Panoramagalerie gewichen war, sagte Opa: »Das war die dritte Warnung.« »Richtig. Jetzt müssen wir Ernst machen!« erklärte der Kommandant. »Sonst entkommen sie in den Raum und womöglich auch noch in den Linearraum.« Er gab eine Reihe von Befehlen, und das Schiff verließ seinen Standort und beschleunigte. Die GERAKINI sackte kurz durch, dann gewann sie wieder Höhe und flog in die Richtung, in der das Zirkusschiff floh. Niemand hatte bisher geantwortet, und die Zirkusleute schienen sich noch immer reelle Chancen zur Flucht auszurechnen. Corm blickte Opa fragend an, und der Spezialist nickte. Schließlich sagte er: »Letzte Chance, Corm!«
Der Weltraumzirkus »In Ordnung!« Corm sendete abermals auf dem Kanal, auf dem ihn die Piloten des Zirkusschiffes hören mußten. Die GERAKINI flog jetzt siebentausend Meter hinter der TERKMAS her und heftete sich genau auf deren Kurs. Mit allen Kräften versuchte das andere Schiff, den Weltraum zu erreichen, aber der Versuch war, verglichen mit den Möglichkeiten des Kreuzers, ein Witz. Sie hatten keine ernsthafte Chance, außer sie wechselten aus dieser geringen Geschwindigkeit direkt in den Linearraum über, was angesichts der Maschinenleistung und der Größe des Zirkusschiffes nahezu undenkbar schien. »Hier spricht die GERAKINI. Der nächste Akt wird ein Wirkungstreffer sein. Ich fordere Sie zum letztenmal auf, zu landen. Ich gebe Ihnen dreißig Sekunden Zeit, den Fluchtversuch abzubrechen. Dies ist die letzte Durchsage.« Er schwieg kurz, dann sagte er scharf und betont: »Nach dreißig Sekunden eröffnen wir das Wirkungsfeuer. Ende.« Wieder keine Antwort. Die TERKMAS beschleunigte immer mehr. Die drei verantwortlichen Männer in der Steuerzentrale des USO-Schiffes fragten sich zum wiederholten Mal, warum diese Wahnsinnigen in der Zentrale des Zirkusschiffes nicht reagierten. Sie mußten wissen, daß sie keine Chance mehr hatten! Thow Tanza sagte leise: »Verdammt. Sie rennen freiwillig ins Verderben. Entweder sind sie alle wahnsinnig, oder keiner von ihnen besitzt mehr seinen freien Willen.« »Ich bezweifle«, murmelte Stuckey Folus, »daß jemand, der mit Plasmakügelchen oder Speichererbsen verseucht ist, ein Schiff steuern und schwerwiegendste Entscheidungen treffen kann.« »In diesem Schiff«, warf Damagger ein, »gibt es mit einiger Sicherheit nicht nur Leute, die manipuliert sind. Eine Menge Androiden – gut. Aber die Verantwortlichen sind unter Garantie immun und völlig Herr
35 ihrer Entschlüsse.« »Sicher haben Sie recht, Corm«, meinte Opa. »Wir haben angefangen, also bringen wir es auch zu Ende.« Dann überstürzten sich die Ereignisse. Die beiden Schiffe rasten auf demselben Kurs über die Oberfläche des Planeten dahin. Ihr Abstand bis zum Boden betrug etwas mehr als elftausend Meter. Das Zirkusschiff flüchtete mit der vollen Leistung seiner Maschinen. Es schien keine Geschwindigkeitssteigerung mehr möglich. Der USOKreuzer jagte dem Zirkusschiff hinterher. Sämtliche Geschütze hatten ihr Ziel exakt erfaßt. Corm sagte: »Feuerleitzentrale! Jungens, schießt ihn flugunfähig. Aber vermeidet unnötige Zerstörungen. Das Schiff muß auf dem Planeten landen können.« »Geht in Ordnung!« Die einzelnen Geschützbedienungen sprachen sich miteinander ab. Dann feuerten die Geschütze. Auf den Bildschirmen sahen die Männer in der Zentrale die Ergebnisse. Jede Detonation, jeder Treffer setzte eines der Antriebselemente außer Tätigkeit. Das Zirkusschiff begann zu taumeln und verringerte seine Geschwindigkeit. Wieder donnerten einige Geschütze und ließen die Schiffszellen vibrieren. »Aufhören!« schrie Damagger. Opa und Pa zuckten zusammen und konzentrierten sich auf das, was sie auf den Schirmen sahen. Einige Antriebselemente waren ausgefallen. Aus anderen quoll dichter Rauch. Die TERKMAS verlor schnell an Höhe, und ihre Flugbahn ging in eine flache Parabel über. Wieder hämmerte Opa mit der Faust auf das Pult. Er sah deutlich voraus, daß das Zirkusschiff abstürzte. In den Lautsprechern bahnte sich ein akustisches Chaos an. Der Funkturm des Raumhafens sendete ununterbrochen. Gleichzeitig wurden die TERKMAS und die GERAKINI angefunkt. Nichts half, keiner der beiden Kommandanten antwortete. Der Flug des Zirkusschiffes führte in ge-
36 rader Linie weiter nach Westen. Dadurch verließ das Schiff die bewohnte Zone und entfernte sich in Richtung auf die unbewohnten Teile des Planeten. »Sie ist schwer getroffen!« sagte Opa kurz. »Weiter verfolgen.« »Natürlich!« Das Zirkusschiff flog weiter. Aber das Schiff torkelte, verlor ständig an Höhe und näherte sich mehr und mehr dem Erdboden. Der USO-Kreuzer folgte dem anderen Schiff unbarmherzig. Rauchwolken verdunkelten hin und wieder die Bildschirme. Es war klar, daß dieses Schiff nicht mehr in der Lage war, den Weltraum zu erreichen. »Das Schiff wird abstürzen!« rief Pa leise. »Hinterher!« »Genau das habe ich vor!« brüllte der Pilot. »Schließlich ist das mein Beruf hier an Bord!« »Zugegeben«, knurrte Opa und stand auf. »Wo willst du hin?« fragte Pa. »Den Schlafanzug anziehen, du Anfänger!« knurrte der Ältere. Das Zirkusschiff verlor nicht nur Höhe, sondern die Maschinen waren auch außerstande, den genauen Kurs zu halten. Die Höhe verringerte sich mehr und mehr. Aber die Flugbahn wies nach wie vor genau nach Westen. Aus den Düsen quoll schwarzer Rauch, einige tiefhängende Wolken schoben sich ins Blickfeld. Beide Schiffe rasten hindurch. Ein Gebirge tauchte weit vor ihnen auf, zusammengesetzt aus einer Kette von Bergen mit schneebedeckten Gipfeln. Eine Masse von Hochplateaus, ebenfalls weiß und im Sonnenlicht leuchtend, baute sich vor den Zacken auf. »Das Schiff wird dort auf dem Hochplateau abstürzen!« sagte Stuckey ruhig und sah zu, wie Thow den Kampfanzug überstreifte. »Mit einiger Sicherheit!« gab Corm Damagger zu. Das Zirkusschiff taumelte im Zickzack dem Erdboden entgegen. Jetzt fuhren die riesigen Landestützen aus, obwohl die Geschwindigkeit für eine Landung viel zu hoch
Hans Kneifel war. Die Besatzung des Kreuzers beobachtete jedes Manöver mit schärfster Aufmerksamkeit. Aus den Partikeltriebwerken, die nicht beschädigt waren, fauchten gewaltige Feuerstrahlen, als sich das flüchtende Schiff dem Zentrum der zerklüfteten, schnee- und eisbedeckten Hochfläche näherte. Die Geschwindigkeit verringerte sich geringfügig. Inzwischen rüsteten sich im Innern des Kreuzers die ausgesuchten Kommandos, die die Aufgabe hatten, das Schiff zu durchsuchen. Sie alle warteten ab. Wieder verging einige Zeit, in der das Zirkusschiff verzweifelt versuchte, eine einigermaßen gefahrlose Landung zu ermöglichen. »Das wird ein klassischer Absturz!« bemerkte Tanza, der inzwischen in seinem Kampfanzug steckte und die Schirme betrachtete. Drei Kilometer Distanz trennten den Verfolger von dem verfolgten Schiff. Wieder schienen die Piloten oder der Kommandant verzweifelt zu versuchen, das Schiff zu landen. Es hatte fast keine Vorwärtsfahrt mehr und schwebte mit wild feuernden Düsen und eingeschalteten Antigravprojektoren über dem Zentrum der Hochfläche. Aber die Anziehungskraft war zu groß. Die Leistung der Maschinen reichte nicht mehr aus, um den Koloß in der Luft zu halten. Gerade, als Pa etwas sagen wollte, sackte das Schiff um mindestens eintausend Meter senkrecht ab und fing sich wieder. Eine riesige schräge Rauchwolke, aufgegliedert in mehrere breite Ströme, kennzeichnete den letzten Weg dieses Schiffes. Ein Lautsprecher knackte. »Feuerleitzentrale hier. Noch einen Wirkungstreffer?« »Negativ!« brüllte Damagger. »Wir sind keine Mörder. Das Schiff stürzt auch ohne unsere Hilfe ab!« »Verstanden.« »Wir haben sie mehrmals gewarnt. Wir haben alles getan, was möglich war. Und diese Wahnsinnigen haben versucht, uns zu entkommen. In einigen Sekunden ist alles vorbei. Aber ich habe dennoch den Eindruck, als würden sie sich bis zur letzten Se-
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kunde wehren!« murmelte Corm Damagger. Er war alles andere als glücklich über den Ausgang dieses Versuchs. »Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Kommandant!« warf Tanza ein. Er stand aufgerichtet in der Mitte der Zentrale und starrte auf die Schirme des Sektors West. Der Kreuzer schwebte einen Kilometer über der Oberfläche des Tafelberges und mehr als tausend Meter von dem stürzenden Schiff entfernt im Osten. Dann kamen die letzten Sekunden der TERKMAS.
5. Über die Hochfläche fauchte ein schneidender Wind. Er heulte zwischen den nackten, kahlgefegten Felsen hindurch, wirbelte Schnee und Eiskristalle hoch, ließ aus dem Schnee kleine Dünen im Windschatten der Felsentürme und Trümmer entstehen und trug sie wieder ab. Er kam von Norden, war eiskalt und erreichte eine ungewöhnliche Stärke. Nicht ungewöhnlich für diesen rauhen Planeten, aber zu stark für die Norm, die Terraner von ihrer Heimatwelt gewohnt waren. Es erfaßte das riesige Schiff, das viel zu schnell dem eisigen Boden entgegensank. Er trieb den schwarzen Rauch, der nicht nur aus den Triebwerksöffnungen kam, sondern auch aus einigen offenen Luken, nach Süden ab und vermischte den Ruß mit dem Schnee und den beißenden Kristallen, die die Wirkung von einem rasenden Sandstrahlgebläse hatten. Das Schiff, das in seinem Innern die Tiere und Geräte, die Menschen und Androiden, die technischen Einrichtungen und die Arenen verbarg – und ein geheimnisvolles Verbrechen mit sich trug! –, sank wie ein langsam fallender Meteor der weißen Fläche entgegen. Sämtliche Landestützen waren ausgefahren. Alle Maschinen des Schiffes arbeiteten ununterbrochen auf Vollast. Aus den Düsen, den Projektoren und selbst dem interstella-
ren Antrieb rasten breite Bahnen reiner Energie. Aber sie konnten den Fall des Schiffes nicht aufhalten. Der Koloß fiel herunter. Die Landeteller berührten den Schnee, durchstießen ihn mühelos und trafen auf den gewachsenen Fels. Die hydraulischen Federungen fingen einen Teil der Energie ab, dann waren sie an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt und versagten. Die Erschütterung setzte sich fort und sprengte die Druckkammern. Als die dickwandigen Tanks explodierten und ihre Energie vernichtend verstreuten, berührte auch die Schleuse des unteren Pols den Felsen. Ein gewaltiger Schlag ging durch die Metallkonstruktion. Trägerelemente barsten und knickten ab. Die einzelnen Decks wurden von den schweren Maschinen durchschlagen. Die Käfige der Tiere, die immer unruhiger geworden waren, sprangen auf. Die Antriebsmaschinen und die Meiler bohrten sich, aus den wuchtigen Verankerungen gerissen, der negativen Beschleunigung gehorchend, durch die Außenhülle und zerbrachen, zerbarsten, detonierten. Unter dem Schiff breitete sich eine Gluthölle aus, die den Schnee und die massiven Eisplatten schmolz. Eine riesige Dampfwolke breitete sich aus, schwebte in die Höhe und wurde von dem strengen Nordwind erfaßt und abgetrieben. Gegenstände fielen aus den Schleusen. Der ganze Koloß verlor seine Form und senkte sich dem Felsboden entgegen. Das Gebiet war mehrere tausend Kilometer vom Raumhafen des Planeten entfernt und mehr als eintausendfünfhundert Kilometer von der letzten Siedlung. Dann, als die Zerstörung nicht mehr zu steigern war, weil alles detoniert und auseinandergerissen war, schwiegen auch die letzten feuernden Triebwerke. Ruhe breitete sich aus. In dem Heulen und Wimmern des Sturms war nicht mehr zu hören, wie fünfhundert Meter entfernt die GERAKINI aufsetzte, halb geschützt durch einen natürlichen Wall
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Hans Kneifel
aus Felsen, Schneedünen und Eisbrocken.
* Das Gesicht des alten Spezialisten war eine Maske ohne jeden Ausdruck. Selbst Folus, der Opa lange genug kannte und mit ihm seit Jahren zusammenarbeitete, konnte nicht sagen, was Opa dachte, welche Empfindungen ihn beherrschten. »Gehen wir!« krächzte Opa. »Rufen Sie Ihre Kommandos zusammen, Corm.« »Schon geschehen.« Die Linsensätze aus der oberen Polkuppel des Kreuzers erfaßten das Bild dort draußen. Unterhalb des Schiffes brach das Chaos aus. Die Flammen waren erloschen, aber aus einer Unmenge von Luken und Öffnungen flogen, sprangen und flohen Menschen und Tiere. Sie flüchteten einfach vom Schiff weg, nach allen Richtungen. Gleiter und Beiboote, zum Teil mit farbigen Reklameaufschriften, schossen wie Korken aus einer Flasche aus den Öffnungen. »Sie fliehen.« »Niemand wird besonders weit kommen. Wer nicht tot ist, wird in dieser mörderischen Kälte sterben«, sagte der Pilot, der aufgestanden war und sich auf die Rückenlehne seines schweren Kontursessels stützte. Opa brummte: »Bringen wir es hinter uns, Leute. Vielleicht finden wir die Lösung des Rätsels.« Damagger nickte und ließ sich helfen. Er schlüpfte in einen Kampfanzug, und auch Pa rüstete sich aus. Einige kleine Schleusen des Kreuzers öffneten sich. Etwa fünfhundert Männer nahmen an diesem Einsatz teil. Sie bildeten kleine Gruppen und verließen das Schiff. Die Mehrzahl von ihnen besaß flugfähige Kampfanzüge. »Sie werden angreifen!« sagte Pa. »Wir haben überschwere Narkosegeschütze!« versicherte der Kommandant. »Sie sind auf das Ziel justiert.« »Gut. Einverstanden.« Noch immer hatte niemand von der TERKMAS geantwortet. Fluchtversuch und
Zusammenbruch waren, was den Funkverkehr betraf, in völliger Lautlosigkeit erfolgt. Das brachte in diesen Kampf eine gespenstische Note. Opa und Pa dachten wieder an den Androiden, der sich selbst in die Luft gesprengt hatte oder ferngelenkt getötet worden war. Einem ähnlichen Phänomen würden sie auch hier gegenüberstehen. Wieder betrachtete Folus die Schirme. Er sah in der Vergrößerung groteske Szenen, und ihm entging, daß sich die Zentrale langsam leerte. Die Männer schlossen sich den Kommandos an. Zirkustiere, die allen bekannten und darüber hinaus unbekannten Formen glichen und auf der weißen Fläche verwirrende Farbmuster bildeten, flohen in den Schneesturm hinaus und trampelten Menschen nieder. Sie bewegten sich in heller Panik und rasten davon. Einige von ihnen, groß wie ausgestorbene terranische Saurier, bahnten riesige Spuren in den Schnee und stießen mit der Wucht von Planierraupen durch die Schneewehen. Zwischen ihnen rannten Menschen, klein wie Ameisen, ebenfalls in alle Richtungen. In der Nähe des oberen Pols explodierte ein Teil des Schiffes. Glühende Trümmer und Fetzen wirbelten durch die Luft und wurden schräg abgetrieben. Sie drehten sich durch die Luft und bohrten sich in den Schnee. Dort, wo sie auftrafen, brachen Dampffontänen aus. Sie erschlugen wahllos Tiere und Menschen. Folus schloß seinen Helm und stolperte aus der Zentrale.
* Langsam drangen die Gruppen aus dem Raumschiff vor. Opa, Pa und Damagger befanden sich in einem schweren Luftgleiter, der in einem weiten Bogen auf das rauchende Wrack zusteuerte. »Offensichtlich nicht sehr viele Opfer!« brummte der Kommandant und deutete mit der behandschuhten Rechten nach vorn. »Ein Großteil zieht sich zwischen die Fel-
Der Weltraumzirkus sen und in die Eishöhlen dort hinten zurück!« meinte Stuckey. Die Spezialisten und Raumsoldaten waren genau darüber unterrichtet worden, wonach sie zu suchen hatten. Opa hatte ihnen erklärt, was auf Plophos vorgefallen war. Sowohl die Gleiter als auch die kleinen Gruppen der Soldaten, die sich zu einer halbkreisförmigen Anordnung auseinanderzogen, wurden von dem wütenden, eisigen Wind abgetrieben. Vor ihnen lagen die riesigen Kadaver seltsamer Zirkustiere. Der Schnee war rot von Blut und von zahllosen Füßen zertrampelt. An einigen Stellen, meist um kleinere Felsen herum, gerieten die Fluchtbewegungen der Zirkusleute ins Stocken. »Ich kann es noch immer nicht begreifen!« sagte der Kommandant und betrachtete das Gelände, dessen Rand sie jetzt gerade erreichten. »Was?« fragte Folus. »Es können doch nicht alle Insassen der TERKMAS Verbrecher sein, die vor uns flüchten. Unschuldige würden stehenbleiben und nichts gegen eine Untersuchung einzuwenden haben.« »So ist es … Achtung!« Gleichzeitig mit Opas Warnruf drückte der Pilot den Gleiter scharf nach unten. Ein Feuerstrahl fauchte über sie hinweg. Hinter einem Haufen Felsen und Eisstücken verborgen, feuerte ein kleines Geschütz oder eine schwere, tragbare Waffe auf den Gleiter. »Hier haben Sie Ihre Unschuldigen!« stellte der ältere Spezialist fest. »Sie sind offensichtlich in der Einzahl.« »Schon möglich.« Der Kommandant griff nach einem zweiten Mikrophon und sagte deutlich betont: »Damagger spricht. Wir sind eben beschossen worden. Bei jedem Versuch der Gegenwehr sofort schießen, aber nur mit den schweren Paralysatoren. Geht kein Risiko ein, Jungens.« »Verstanden!« Die Zone der Zerstörung rund um das Wrack hatte sich drastisch geleert. Aber auch aus einigen Luken schlug ihnen von
39 den Verteidigern Feuer entgegen. Eine Gruppe verständigte sich mit der Feuerleitzentrale der GERAKINI. Daraufhin strahlte die Funkzentrale des Kreuzers eine Warnung aus. Die Geschütze begannen gezielt zu feuern; es waren die schweren Narkosebatterien des Kreuzers. Schlagartig wurde das Feuer aus dem Wrack eingestellt. Das war aber die einzige Folge. Die Männer aus dem Raumschiff hatten jetzt ihr Umgehungsmanöver beendet. Sie waren in kleinen Gruppen rund um das Schiff verteilt und rückten langsam vor. Immer wieder blitzte es zwischen den Kadavern auf und die Soldaten schossen zurück. Sie verwendeten Paralysatoren, die Insassen des Wracks verwendeten hingegen tödliche Waffen. »Sie zwingen uns förmlich dazu, Gewalt anzuwenden!« knurrte Opa. Er war sich nun seiner Sache vollkommen sicher. Zumindest die beiden Schiffe waren mit den Verbrechen auf Plophos in Verbindung zu bringen. Die ORBAG MANTEY ebenso wie die TERKMAS, und der dritte Zirkus wahrscheinlich ebenfalls. »Los! Wir greifen ein!« sagte er entschlossen. Sie schalteten die Narkosestrahler des Gleiters ein und setzten sich hinter die Zielerfassungsoptiken. Der Gleiter wurde schneller, näherte sich dem Boden und flog einen Kurs, der ihn über die Köpfe der vordringenden Soldaten hinweg rund um das Wrack führte. Damagger wandte hin und wieder seine Energiewaffe an, um Angreifer aus der Deckung zu treiben. Unter seinen Schüssen barsten Felsen, verwandelten sich riesige Eisschollen in Dampf und Eissplitter. Die Männer, die er veranlaßte, ihre sicheren Schlupfwinkel zu verlassen, liefen in die krachenden Garben aus den Lähmungsstrahlern. »Ein Teil ist verschwunden. Vielleicht tatsächlich die Unschuldigen?« meinte Opa und betätigte seine Feuerknöpfe. Die Geschütze erschütterten den Gleiter, der jetzt auf eine Gruppe von Verteidigern zuraste,
40 die sich auf einem großen Felsen verschanzt hatten und die anrückenden Soldaten unter Beschuß nahmen. Zwischen den Männern, die dort oben lagen, detonierten einige Schüsse aus Damaggers Waffe, dann krachten wieder die Lähmstrahler und ließen die Männer zusammenbrechen. Einer der Schützen verkrampfte seine Finger um den Abzug einer schweren Waffe, und ein senkrechter Feuerstrahl zuckte hinauf in den fahlen Himmel. Als der Gleiter in einer kühnen Kurve schnell wendete und zurückflog, beobachteten die Männer unter sich etwas Erstaunliches. Sechs schlanke Gestalten verließen den Raum unterhalb des Schiffswracks, in dem sie sich bisher verborgen hatten. Sie rannten in verschiedene Richtungen auseinander und liefen mit hocherhobenen Armen auf die Raumsoldaten zu. Die Soldaten zögerten begreiflicherweise damit, auch diese Menschen zu lähmen, die sich offensichtlich ergeben wollten. Einer aus dieser Gruppe war besonders schnell und erreichte jetzt eine Gruppe. Er verringerte seine Geschwindigkeit und blieb endlich stehen. Die Mündungen mehrerer Waffen deuteten auf ihn. »Nein … das ist …«, begann Opa. Zu spät. Sie mußten zusehen, wie die Gestalt sich in einer furchtbaren Explosion auflöste. Ein stechend weißer Glutball erschien, dann schleuderte der Druck der Explosion die terranischen Raumsoldaten nach allen Richtungen in den Schnee. Einer, der sich fliegend der Gruppe genähert hatte, segelte, sich mehrmals überschlagend, durch die Luft davon. »Denkst du, was ich denke?« fragte Stuckey, während der Gleiterpilot das Fahrzeug geistesgegenwärtig herumgerissen hatte und auf die anderen Androiden zusteuerte. »Androiden. Selbstmörder. Oder gesteuerte Marionetten. Sagen Sie es durch, Corm!« rief Opa. Er eröffnete das Feuer auf die näher kommenden Androiden. Zwei von ihnen detonierten im freien Feld
Hans Kneifel zwischen einer Gruppe Soldaten und dem Wrack. Zwei andere lähmten die Waffen des Gleiters, und der letzte Androide schlug einen Haken und spurtete mit unglaublicher Geschwindigkeit auf eine andere Gruppe zu. Der Gleiter verfolgte ihn. Als Corm diese neue Entwicklung lautstark über Funk durchgab, raste der Gleiter über die zusammengebrochenen Androiden hinweg. Sie detonierten nur wenige Meter unter dem Kiel des Fahrzeugs – gleichzeitig. Die Druckwelle warf das Heck der Maschine hoch, und der Pilot riß an den Hebeln der Steuerung. Schlingernd und bockend raste der Gleiter weiter, und diesmal feuerte Damagger auf den Androiden. Wieder riß eine Detonation einen tiefen Krater in den schneebedeckten Boden. Eine Dampfwolke verhüllte den Explosionsort. »Der Kampf wird schärfer!« schrie Opa. So war es. Eine neue Gruppe von schwerbewaffneten Männern strömte aus der deformierten Bodenschleuse und aus einigen Löchern in der Außenhülle des Wracks und begann sofort in alle Richtungen zu feuern. Die Soldaten warfen sich zu Boden und schossen gezielt zurück. Wieder spurteten aus bisher unbekannten Verstecken die Androiden hervor und rannten auf die Linien der Raumsoldaten zu. Rund um das Schiff breiteten sich pausenlos Explosionen aus. Schüsse fauchten hin und her. Dampf und Rauch legten sich als ringförmige, durchbrochene Mauer um das Schiff. Menschen rannten hin und her, griffen an und wurden zurückgeschlagen. Der Gleiter kreiste durch den Rauch und feuerte seine Narkosegeschütze ab. Zweifellos gelang es in diesem Durcheinander nicht wenigen der Leute, aus dem Zirkusschiff zu fliehen. »Hier spricht der Kommandant. Die Gruppen im Osten bleiben auf ihren Plätzen und schießen nur auf die Selbstmordkommandos der Androiden. Die drei anderen Seiten rücken auf. Die Linie der Verteidiger wird dünner.« Überall dort, wo die Soldaten von den
Der Weltraumzirkus TERKMAS-Leuten in schwere Gefechte verwickelt wurden, griff Damagger mit dem Gleiter und den beiden Spezialisten ein. Die Maschine war mehrmals getroffen worden, blieb aber flugfähig. Unter ihnen detonierten abermals Androiden – jetzt waren es mindestens schon sechzig oder mehr dieser Unglücklichen, die man ferngesteuert gesprengt hatte. Es war derselbe Effekt wie in der Polizeistation auf Plophos. »Ich gehe kein Risiko ein!« sagte Damagger plötzlich, als sich der Rauch wieder einmal kurz verzogen hatte. »Das Schiff?« »Richtig.« Corm griff nach dem Funkgerät und rief den Piloten des Schiffes und die verantwortlichen Chefs der Waffenleitzentrale. Er ordnete an, daß der Kreuzer unverzüglich starten und seine Narkosegeschütze einsetzen sollte. Die Bestätigung erfolgte in Sekundenschnelle. Der Gleiter griff augenblicklich wieder in den Kampf ein. Offensichtlich versuchte der Großteil der Zirkusleute, auf der östlichen Seite auszubrechen. »Wir müssen höllisch aufpassen, Freunde!« warnte Stuckey Folus und feuerte ununterbrochen auf eine Gruppe, die von Deckung zu Deckung rannte und in den Schneewehen verschwand. Wieder donnerten die Hochenergiewaffen auf und zwangen die Soldaten dazu, sich zu verstecken und unter den Strahlen zu ducken. Hin und wieder blieb einer der Angreifer liegen, wenn ihn ein Schuß aus dem Gleiter getroffen hatte. Im Hintergrund startete der Kreuzer in einer gewaltigen Wolke von hochgewirbeltem Schnee. »Wir passen immer auf. Sie schicken schon wieder ihre Androidenselbstmörder voraus!« Corm nickte Opa zu und deutete auf den Schwarm von mindestens hundert Androiden, die in einigen weit auseinandergezogenen Angriffsreihen auf die Soldaten zurannten. Diese Wesen schienen exakte Befehle zu haben, denn sie bewegten sich in einer merkwürdigen Weise. Zunächst rannten sie
41 rasend schnell, vermutlich schneller als ein Mensch. Dann wechselten sie unaufhörlich die Richtung und rannten in einem nicht anmeßbaren Zickzack. Gleichzeitig nutzten sie auch die geringste Deckung aus. Das wütende Feuer, das ihnen entgegenschlug, richtete wenig Schaden an. Aber nun kreiste die GERAKINI über dem Schlachtfeld, und ihre schweren Narkosegeschütze dröhnten auf. Trotzdem erreichten die meisten Androiden den Gürtel der Raumsoldaten. Dort lösten sie sich in krachenden, gleißenden Explosionen auf. Aber die Männer waren jetzt geschützt; sie hatten die Schutzanzüge geschlossen und krallten sich in den Boden. Hin und wieder zuckte eine Energiewaffe auf und schleuderte einen Androiden, ehe er sich selbst auflöste, um Meter zurück. Auf der sturmerfüllten Hochebene dröhnte es wie bei einem Dutzend Gewitter, die sich gleichzeitig entluden. Zwischen den Tierkadavern sprangen Männer umher und versuchten, dem Zugriff von oben und von vorn zu entkommen. Aus der Richtung des Schiffes ertönte ein urweltliches Brüllen. Aus der zerfetzten Schleuse schob sich ein riesiges Tier; es hatte eine blutrote Haut und sah, soweit man es von hier aus erkennen konnte, wie ein Saurier aus. »Hier Raumschiff. Wir haben die Zone rund ums Schiff mit den Narkosegeschützen förmlich gebadet.« »Fliegt nach Osten. Hier werdet ihr gebraucht!« rief der Kommandant. Während der Kreuzer herumschwenkte und den neuen Standort anflog, detonierten die letzten Androiden mitten in den Reihen der Angreifer. Nur noch an wenigen Punkten gab es Widerstand. Aus den Luken des Wracks schoß niemand mehr, aber überall, wo die eigenen Kommandos vorrückten, fanden sie bewußtlose Menschen. Nicht nur Terraner, sondern Angehörige aller denkbaren galaktischen Völker und Gruppen. Dann schluckte das Dröhnen der Schiffsgeschütze jeden anderen Lärm und übertönte selbst das schneidende Heulen des Windes.
42 »Dieses Tier … es hat sich losgerissen. Vermutlich ist dies die letzte Aufregung!« sagte Pa und preßte sein Gesicht gegen die Scheiben. Unter dem Gleiter konnte er kaum noch Widerstand oder Bewegung feststellen. Der Kampf schien zu Ende zu sein. »Mit einiger Sicherheit sind wir fertig. Ich bin gespannt«, erwiderte Opa, »was wir im Schiff finden werden.« »Das sind wir alle!« bestätigte der Kommandant und bedeutete dem Piloten, sich aus der Gefahrenzone zu begeben; über ihnen setzte das Schiff zu einem seiner letzten Angriffe an. Jetzt rammte das Tier, das einen riesigen Reptilienschädel hatte, mit den knochengepanzerten Schultern die Kanten der Schleuse. Es zwängte sich hindurch und blickte sich wild um. Offensichtlich suchte es einen Angreifer. Es war wütend und auf das höchste gereizt. Dann sah es eine Gruppe von Menschen, die weit drüben zwischen den rettenden Felsen stand. Es waren unbewaffnete Männer, soweit dies die Gleiterbesatzung erkennen konnte. Das Tier senkte den Kopf, stieß einen markerschütternden Schrei aus und nahm den Gegner an. Von den Flanken und dem Rücken des saurierähnlichen Riesen hingen an Ringen lange, farbige Seile. Sie schleiften durch den Schnee und das aufwirbelnde Eis nach, als sich der Riese mit der Geschwindigkeit eines startenden Beiboots in Bewegung setzte. Er rannte genau geradeaus. Unter seinen acht stämmigen Säulenbeinen wurden die ausgeglühten Fetzen der Schiffstrümmer zusammengetreten. Hinter dem Tier stand eine Wolke aus Schnee und Eiskristallen in der Luft. Einige bewegungslos liegende Körper wurden entweder zertrampelt oder mit den langen, korkenzieherartig gebogenen Stoßzähnen meterhoch in die Luft geworfen. Die Lautsprecher zischten auf. »Raumschiff. Wir können keine Bewegung mehr entdecken. Sollen wir das Tier von seinen Schmerzen erlösen?« Corm zögerte etwas mit der Antwort,
Hans Kneifel dann sagte er: »In Ordnung. Es würde ohnehin sterben.« Es war deutlich, daß dieses schuppige, achtbeinige Ungeheuer halb wahnsinnig war. Als die Vergrößerung in den Bildschirmen des Gleiters auftauchte, mußten die schweigenden Männer erkennen, daß riesige Brandwunden und Verletzungen den Körper des Tieres über und über bedeckten. Das Raumschiff drehte sich um neunzig Grad, dann feuerte ein einziges Geschütz. Das Tier wurde, nur fünfzig Meter von der ängstlich auseinanderrennenden Gruppe zwischen den Felsen, buchstäblich in einem Sekundenbruchteil in Stücke gerissen. Wieder griff Corm nach dem Mikrophon. »Der Kampf ist beendet«, sagte er halblaut. »Das Schiff landet möglichst dicht, aber mit dem notwendigen Sicherheitsabstand neben der TERKMAS. Bringt die Bewußtlosen in unser Schiff und funkt den Raumhafen an. Sie sollen den Rest abholen.« »Verstanden, Kommandant.« Als sich der Gleiter aus der Zone dicht neben dem Wrack entfernte, warf Stuckey zufällig einen Blick nach hinten. Er sah einen dünnen Ring von Männern, der sich immer mehr verengte. Die Kommandos näherten sich von allen Seiten dem Schiff und schleppten die Bewußtlosen zusammen. Plötzlich zuckte der Spezialist zusammen. Er schlug dem Piloten auf die Schulter und stieß hervor: »Schnell! Zurück! Das Schiff …« Der Gleiter machte einen Satz gleichzeitig starrten die vier Männer nach hinten. Aus sämtlichen Schleusen und Rissen in der Schiffshülle drang jetzt, offensichtlich unter starkem Druck, weißlichgelber Qualm. Der Wind riß den Rauch mit sich. Opa schrie knirschend: »Sie haben das Schiff angezündet. Warnen Sie die Kommandos.« »Augenblick!« Die Hand des Kommandanten zuckte nach vorn und riß das Mikrophon aus der Halterung. Dann brüllte Damagger seine Anordnungen in die Mem-
Der Weltraumzirkus brane. Der Gleiter zog sich in sichere Entfernung zurück. Dann sahen Hunderte von Männern zu, wie das Wrack an allen möglichen Stellen gleichzeitig zu brennen begann. Es war keine große Explosion, sondern ein schwelender Brand, der sich ausbreitete. Der Rauch färbte sich schwarz und wurde dicker und fetter. In der Außenhülle des Schiffes erschienen kleine Zentren, die in weißer Glut leuchteten. Von ihnen ging der Brand aus. Er weitete sich aus, die Kreise des schmelzenden und blasenwerfenden Metalls wurden immer größer. Hin und wieder krachte eine kleine Explosion und riß die Schale auf. Die weißglühenden Kanten des Metalls wölbten sich nach außen. Es sah aus, als wäre das gesamte Schiff aus Papier, das fast flammenlos in einer gewaltigen Hitze vergilbte und sich auflöste. »Selbstzerstörung. Sie hinterlassen keine Spuren!« Opa begann erbittert zu fluchen. Sie hatten das Schiff untersuchen wollen, aber sie würden, nachdem es ausgebrannt war, keinerlei Spuren mehr finden. Schließlich schüttelte er den Kopf und stützte seinen Kopf in die Hände. Sie sahen niedergeschlagen und enttäuscht zu, wie sich die TERKMAS von innen heraus selbst vernichtete. Einzelne Teile der Schiffshülle verwandelten sich in graue Asche oder Schlacke und fielen ab wie der Verputz von einem alten Haus. Dahinter loderten massive Träger und die verschiedenen Schichten der Sandwichbauteile auf. Das Raumschiff schien sich an einigen Stellen aufzublähen und an anderen Stellen zu schrumpfen. An anderen Stellen detonierten Maschinen und Aggregate. Sie sprengten die Außenhülle und schickten lodernde Feuersäulen und heißes Plasma nach allen Seiten und entfesselten in den Tiefen des riesigen Wracks eine Hölle aus Gammastrahlen und Hitze. Luken wurden vom Explosionsdruck
43 aufgesprengt. Schließlich verwandelte sich die gesamte Konstruktion in ein loderndes Meer aus Flammen. Corm sagte: »Hier haben wir nichts mehr zu suchen. Das Schiff ist als Objekt von Tests und Untersuchungen ein für allemal unbrauchbar geworden. Das ist, nehme ich an, für Sie ein Schuldbeweis.« Opa klappte seinen Helm nach hinten und fluchte erst einmal kräftig, dann antwortete er bissig: »Es ist ein Schuldbeweis, richtig. Aber wir haben darüber hinaus mit einem gewaltigen Aufwand nichts erreicht.« »Ich denke an die Verwundeten oder Toten unter unseren Männern!« warf Stuckey ein. »Schließlich haben sie sich eingesetzt, damit die USO hinter das Geheimnis der Speichererbsen kommt und hinter die Verbrecher.« Während das Schiff brannte und sich selbst vernichtete, schwebte der Gleiter zurück zum Kreuzer, der nur vierhundert Meter entfernt gelandet war. Ein breiter Zug von Raumsoldaten bewegte sich vom Kampfplatz bis zum Schiff. Viele trugen Bewußtlose mit sich. Vielleicht erfuhren sie etwas, wenn sie die Männer aus dem Wrack vernahmen.
6. Der schneidende Wind heulte um das Wrack. Es bot einen grausigen Anblick. Die gitterförmige Konstruktion hatte keinen einzigen rechten Winkel mehr; alle Träger waren verbogen, in sich zusammengeschmolzen und teilweise bis zur Unkenntlichkeit verzogen. In diesem Schiff gab es nicht einmal mehr eine Mikrobe, die überlebt hatte. Stellenweise hatte sich bereits Schnee zwischen den grauen Resten abgelagert. Die Kommandos der GERAKINI und die Mannschaften der beiden planeteneigenen Raumschiffe, die zu Hilfe geeilt waren, hatten die Bewußtlosen aufgelesen und sie zusammengetragen. Sie lagen in den leeren
44 Laderäumen der drei Raumschiffe und wurden von Raumsoldaten mit schußbereiten Schockwaffen bewacht. »Fast alle Besatzungsmitglieder des Zirkusschiffes haben den Absturz und den Kampf überlebt«, sagte Thow Tanza und sah sich um. In der Zentrale des Kreuzers herrschte ein wohlkontrolliertes Durcheinander. Raumsoldaten kamen und gingen, überbrachten Meldungen und fragten den Kommandanten. »Immerhin etwas!« erwiderte Stuckey. Seine Laune war auf einem Tiefpunkt angelangt. Er sah den vollkommenen Zusammenbruch voraus – sie hatten alles versucht und nicht das geringste Ergebnis hervorbringen können. Alles war schiefgelaufen. Kampf und Vernichtung waren übriggeblieben, aber es gab keine Beweise, mit denen sie und die United Stars Organisation etwas anfangen konnten. Alles blieb undeutlich und verschwommen. Eine gewisse Sicherheit der Gedanken und Mutmaßungen war das gesamte Ergebnis, das ihnen blieb. »Ein Teil der Besatzungsmitglieder hat sich in die Felsen und die Eishöhlen zurückgezogen. Inzwischen sind sie zurückgekommen. Sie werden gerade verhört.« Pa sprang auf. »Wo?« »Drüben in dem Handelsschiff!« »Geben sie Auskünfte, mit denen man etwas anfangen kann?« »Wie man's nimmt«, war die Antwort. »Auch eine negative Antwort kann eine Auskunft sein.« »Mit Einschränkungen!« Opa nickte Folus zu. Die ersten flüchtigen Untersuchungen hatten ergeben, daß sämtliche Androiden gestorben waren. Sie waren gesprengt worden oder hatten sich selbst umgebracht, indem sie Selbstmordkommandos bildeten und versuchten, die Raumsoldaten in den Tod mitzunehmen. Zweifellos versuchten auch noch einige der Insassen des Raumschiffes, sich der Gerechtigkeit zu entziehen und flohen weiter durch die sturmerfüllte Stein und Eiswildnis
Hans Kneifel des Hochplateaus. Früher oder später würden sie aufgeben müssen. »Gehen wir hinüber und befragen die Gefangenen?« erkundigte sich Folus. »Selbstverständlich«, sagte Opa. »Nichts ist im Augenblick wichtiger.« »Gut.« Sie verließen die Zentrale, in der Corm Damagger stand und Anordnungen gab und Befehle erteilte. Die Planetarier würden die Überlebenden der Kämpfe zum Teil im Gefängnis behalten, zum anderen Teil nach Kerim zurückschaffen. Insofern hatten die Leute der GERAKINI keine Arbeit mehr und konnten sich anderen Aufgaben widmen. Im Antigravschacht fragte Folus: »Glaubst du, Opa, daß es möglich ist, daß wir trotz aller Rückschläge noch etwas entdecken? Zugegeben, es erscheint fraglich. Aber jemand muß doch Bescheid wissen! Ich glaube allerdings, daß ein Teil der TERKMAS-Leute mit diesen Plasmakügelchen verseucht ist und daher ausfällt.« Opa schien für wenige Minuten seine bissige Art vergessen zu haben, denn er erwiderte: »Damit rechne ich, Freund Stuckey. Offensichtlich verließ uns das Glück, als wir Nancy nach Quint-Center schickten.« »Ich bin ganz deiner Meinung, Opa.« Sie verließen den Kreuzer und gingen durch das Schneetreiben vorbei an dem ausgeglühten Wrack des Zirkusschiffes. Der Boden rund um das Wrack war wieder vom Schnee bedeckt und lag unter der Wirkung des heulenden Windes auf dieser Hochebene. Beide Männer stemmten sich gegen den Sturm und tappten halbblind hinüber zu dem nächsten Raumschiff. Sie kamen an den wuchtigen Landebeinen vorbei und erreichten die Polschleuse. »Gibt es eine Möglichkeit, festzustellen, ob die Insassen des Zirkusschiffes mit Speichererbsen verseucht sind?« erkundigte sich der schlanke Mann mit den abstehenden Ohren. »Ich denke, in der GERAKINI wird es ein Positronenmikroskop geben«, erwiderte
Der Weltraumzirkus Opa. »Wir können also erste Tests unternehmen.« »Obwohl die Tests nur Bestätigungen unserer ziemlich sicheren Vermutungen sein werden. Bestenfalls!« knurrte Pa. Ein Posten erwartete sie. »Sir«, sagte er, zu Opa gewandt, »ich habe den Eindruck, daß unsere Gefangenen nahe daran sind, den Verstand zu verlieren!« »Wie kommen Sie zu dieser Auffassung?« fragte Opa. »Sehen Sie selbst!« Sie durchquerten die Schleuse und kamen, nachdem sie einen Antigravschacht benutzt hatten, in einen Laderaum. Er war von vielen Tiefstrahlern in gleißendes Licht getaucht, und mindestens hundert Männer standen, saßen und lagen darin. Einige Raumsoldaten gingen langsam und wachsam mit gezogenen Strahlern zwischen den Männern umher, die inzwischen wieder aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht waren. Von den Soldaten waren gewaltige Berge von modernen Waffen zusammengetragen und in Sicherheit gebracht worden. Opa ging langsam, neben sich Folus, zwischen den Männern hindurch und spähte aufmerksam in die Gesichter der Gefangenen. »Sind die Flüchtigen eingefangen worden?« brummte er. Der Posten hinter ihm schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein. Wir haben eine Menge Spuren entdeckt, aber einige Gruppen von Jägern sind hinter ihnen her. Früher oder später werden sie wohl die Leute erwischt haben. Der Planet ist an dieser Stelle besonders unfreundlich.« »Ich verstehe.« Opa vertiefte sich in den Ausdruck der Gesichter, die seltsam weiß und unbeteiligt unter den Tiefstrahlern glänzten. Wieder einmal wurde er mit der Beobachtung konfrontiert, die er in seinem Leben schon mehrmals gemacht hatte: Hier gab es nur Opfer, die weitgehendst ihres eigenen Willens beraubt worden waren. Sie blickten mit
45 stumpfen Augen an ihm vorbei. Opa drehte sich um und sagte zu den Posten: »Ich muß versuchen, aus den Gefangenen einige Informationen herauszukitzeln. Bringen Sie bitte diejenigen, die ich bezeichne, hinüber in den Kreuzer.« »In Ordnung. Wen sollen wir euch bringen?« »Moment.« Pa und Opa verständigten sich wortlos. Sie sichteten nach ganz bestimmten Merkmalen und bezeichneten insgesamt zwölf Männer. »Laßt die anderen frei, oder schickt sie zurück, dorthin, woher der Zirkus kam. Dieses Dutzend bitte hinüber zur GERAKINI.« »Geht in Ordnung, Spezialist … Entschuldigung, Opa.« Tanza funkelte den Mann an und knurrte bissig: »Ich habe Ihnen nicht gestattet, mich ›Opa‹ zu nennen. Oder können Sie sich daran erinnern, daß ich Ihnen dieses Privileg eingeräumt habe?« Der Posten war sichtlich irritiert und stotterte: »Nein … entschuldigen Sie bitte.« Opa winkte Stuckey und verließ den Raum. Sie gingen zurück in die GERAKINI und warfen sich in der Zentrale in die schweren Sessel.
* Es befanden sich jetzt, einige Stunden nach Abbruch sämtlicher Aktionen, nur noch wenige Personen in der Zentrale des Kreuzers. Sie blickten auf die drei Gefangenen, die vor ihnen saßen. Opa setzte den Becher mit Kaffee ab und deutete auf einen der Männer. »Wir haben Sie gefangengenommen. Sie sind Angehöriger des Zirkusschiffes. Wir haben gegeneinander gekämpft. Warum haben Sie sich nicht ergeben? Sie mußten wissen, daß wir jeden Fluchtversuch verhindern konnten.« Der Angesprochene, ein breitschultriger,
46 stämmiger Mann, zuckte die Schultern und starrte an Opa vorbei gegen die Wand. »Ich verstehe nicht«, sagte er. »Die Mächtigen haben es uns befohlen.« Opa zuckte zusammen. Wieder war ein irrationales Element in die Geschichte hineingebracht worden. »Welche ›Mächtigen‹?« fragte Stuckey Folus. »Die Mächtigen. Einfach die Mächtigen. Sie haben uns alles befohlen. Wir gehorchten ihren Anordnungen und Befehlen.« »Ich höre wohl nicht recht«, sagte Corm Damagger leise. »Sie haben wirklich den Verstand verloren.« »Welchen Verstand?« fragte der Gefangene. Opa schüttelte sich. Nicht einmal einigermaßen klare Auskünfte konnten sie erhalten. »Wer sind diese Mächtigen? Sie müssen doch wissen, wer Ihnen die unsinnigen Befehle gab?« erkundigte sich der Kommandant. »Wir haben Sie niemals gesehen.« Von einem der Gefangenen, also einem Mann, der gegen die Raumsoldaten gekämpft und verloren hatte, war ein Stück Haut abgenommen worden. Diese Haut, in mehrere kleinere Präparate aufgeteilt, wurde in den kleinen Labors des Kreuzers von den USO-Technikern und Spezialisten untersucht. Sie konnten natürlich nicht mit den Möglichkeiten in Quint-Center selbst konkurrieren, aber hier ging es mehr um eine Bestätigung eines Verdachts. Waren auch alle Insassen der TERKMAS von Speichererbsen verseucht? Opa und Pa waren davon überzeugt, aber sie brauchten einen definitiven Beweis für ihre Annahme. »Sie haben die Mächtigen niemals gesehen? Auf welche Weise wurden dann zum Beispiel die Befehle übermittelt, vor uns zu fliehen und diesen Alarmstart zu versuchen? Wer hat Sie gewarnt? Die Mannschaft der ORBAG MANTEY?« Alle drei Gefangenen zuckten die Schultern.
Hans Kneifel »Wir wissen es nicht. Der Entschluß war plötzlich da.« »Auch der Entschluß, die Androiden als Selbstmordkommandos gegen unsere Männer zu schicken?« »Das habe ich nicht veranlaßt. Ich kenne keine Androiden, die sich selbst umbringen.« Tanza blickte den Kommandanten hilflos an. Auch Damagger hob die Schultern hoch. Er wußte nicht, was er von allem zu halten hatte. Die Geräte, mit denen die Gefangenen getestet wurden, sagten eindeutig aus, daß sie nicht logen. Jedenfalls nicht bewußt die Unwahrheit sprachen. »Also auch keine Klarheit über die Androiden. Haben Sie niemals erlebt, wie sich einer der Zirkus-Androiden selbst in die Luft sprengte?« Die Antwort war zu erwarten gewesen. »Nein.« »Aber Sie wissen, daß sich ein Androide auf Plophos, dem Planeten, selbst in die Luft gesprengt hat?« »Noch niemals etwas davon gehört. Die Mächtigen …« Stuckey stand auf und baute sich vor den drei Gefangenen auf. Er blickte ernst von einem zum anderen und sagte: »Sie wissen vermutlich, daß das Zirkusschiff vernichtet ist. Es ist mehr als ein Wrack – dort auf den Bildschirmen können Sie es erkennen. Was wissen Sie von den sogenannten Mächtigen?« Einer der drei schien zu begreifen jedenfalls machte er ein weniger unsicheres Gesicht. »Die Mächtigen werden sich eines fernen Tages vereinigen.« »Wie bitte?« »Wir wissen, daß sich die Mächtigen vereinigen werden. Sie haben sich niemals gezeigt. Ich kenne sie nicht. Niemand kennt sie. Ihre Befehle sind plötzlich da … sie sind in uns.« Pa drehte sich um und schaute den Kommandanten und dann seinen Freund lange, schweigend und hilflos an.
Der Weltraumzirkus »Nichts zu machen. Sie sind tatsächlich weitgehendst ohne freien Willen«, sagte er leise. »Warten wir die Bestätigung der Labors ab. Noch zu früh?« meinte Opa. »Nein. Sie müßten längst fertig sein.« Der Kommandant ging hinüber zum Pult, ohne die drei Gefangenen zu beachten. Es waren die letzten, und immer wieder hatten sie dieselben Fragen gestellt und dieselben Antworten erhalten. Bei der Festnahme schienen die Gefangenen ihren Verstand verloren zu haben, denselben Verstand, der sie dazu befähigt hatte, stundenlang erbitterten Widerstand zu leisten und das Schiff in die Luft zu sprengen. Sie alle hatten nur undeutlich geantwortet und sich immer wieder auf jene mysteriösen Mächtigen berufen. »Sind die Untersuchungen fertig?« fragte der Kommandant ruhig. »Wir wollten eben anrufen«, war die Antwort. »In Ordnung. Und wie ist die Untersuchung ausgefallen?« Der Bildschirm blieb dunkel. »Sämtliche Präparate sind befallen. Wir haben überall Speichererbsen beziehungsweise Plasmakügelchen entdeckt.« »Ich habe es geahnt.« Sie hatten es geahnt! Sie hatten es sozusagen gewußt. Ein Großteil der Besatzung des Zirkusschiffes stand also unter dem Einfluß eines fremden Willens – ebenso wie Opa, als er sich das Stück Haut hatte einpflanzen lassen. Opa, der schweigend die Gefangenen beobachtete und zuhörte, zweifelte mittlerweile daran, daß es sich bei den Plasmakügelchen um »echte Katschkarits« handelte. Es mußten andersartige, sehr merkwürdige Plasmastrukturen sein, denn sonst würde ihre Erforschung keine solchen Schwierigkeiten mit sich bringen. Er warf einen Blick auf die Ziffern des Bordchronometers. Der Vierundzwanzigste. Und in dieser Zeit befand sich Nancy Chessare bereits im Hauptquartier und startete dort ihre Analysen. »Was jetzt?« fragte der Kommandant aus
47 dem Hintergrund. »Werfen Sie die Kerle hinaus und starten Sie. Irgendwohin!« murmelte Opa, dann entschloß er sich dennoch, seinen Unmut nicht zu sehr zu zeigen und weiterhin zu versuchen, aus der Situation das Beste zu machen. »Vergessen Sie's«, sagte er. »Warten wir darauf, ob uns die Jäger und Hirten des Planeten einige von den Leuten bringen, die wir als unschuldig klassifiziert haben.« »Möglicherweise haben Sie recht«, sagte Damagger. »Und je länger mein Schiff auf diesem zugigen Planeten steht, desto mieser fühle ich mich.« »Glauben Sie, mir geht es anders?« Sie waren überzeugt davon, daß es nichts half und auch keine neuen Erkenntnisse bringen würde, aber sie versuchten es noch einmal. Sie verhörten mit der Unterstützung einiger anderer Spezialisten die zwölf Männer ein zweites und ein drittes Mal. Aber sie brachten nichts aus den geistig unselbständigen Männern heraus. Sie sprachen nach wie vor undeutlich über alles, was sie erlebt hatten und zu tun vorgehabt hatten. Aber immer wieder dann, wenn es sich um die Verantwortung handelte, tauchte das gespenstische Schlagwort von den Mächtigen, die sich eines Tages vereinen werden, in allen Antworten auf. Schließlich, als es spät nachts war, stand der Kommandant auf und ging unruhig in der Zentrale hin und her. »Start morgen früh, ja?« fragte er. »Einverstanden«, entgegnete Stuckey Folus. »Warten wir nur noch ab, ob man uns einige der Normalen bringt.« »Auch damit sind wir einverstanden!« Es war also eine beschlossene Sache – sie alle litten unter der Erfolglosigkeit. Sie waren durchaus in der Lage, sich vorstellen zu können, daß es im Leben eines Spezialisten der United Stars Organisation nicht nur eine Kette von dauernden, strahlenden Erfolgen geben konnte. Aber sie befanden sich jetzt schon zu lange in der Pechsträhne. Viel Aufwand und keine Ergebnisse. Klar war nur eines:
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Die beiden Spezialisten und alle, die an diesem aufwendigen und nutzlosen Einsatz beteiligt waren, wußten genau, daß die Zirkusse eine verhältnismäßig große Anzahl von Androiden beschäftigten und demnach auch transportierten. Die Androiden waren die Transporteure von verseuchten Körperteilen. Sie hatten die Lager von Plophos und vermutlich auch auf anderen Planeten infiziert. Also bleiben die drei Weltraumzirkusse weiterhin die Hauptverdächtigen. Opa sagte: »Ich werde erst einmal lange schlafen und viel nachdenken. Morgen sehen wir weiter. Bis dahin ist vielleicht einiges geschehen. Auf alle Fälle können wir uns überlegen, was wir tun.« Der Kommandant warf Opa einen Blick zu, der Skepsis und Nachdenklichkeit enthielt. »Das war an sich mein Vorschlag. Morgen machen wir einen letzten Versuch, von dem wir alle wissen, daß er einigermaßen sinnlos ist. Trotzdem werden wir uns nichts vorzuwerfen haben. Einverstanden, Spezialisten?« Auch Folus war einverstanden. »Ich brauche ebenfalls Ruhe. Sehen wir morgen weiter. Ist das Verfahren mit den Gefangenen geklärt?« »Ja. Es wird verfahren, wie es ausgemacht war.« »Gute Nacht.« Die Männer schüttelten sich kurz die Hände, dann zogen sie sich in ihre Kabinen zurück. Ein Gefühl der tiefen Niedergeschlagenheit erfüllte sie. Der große Schlag war ins Wasser gegangen.
* Der letzte Tag auf diesem Planeten zeigte sich von seiner schönsten Seite. Der wütende Schneesturm hatte aufgehört, aber über Nacht war aus dem schwarzen und grauen Skelett des Schiffes ein bizarres Gebilde aus Eiszapfen, schmelzendem Schnee und Eis-
platten geworden. Das Wrack hatte sich drastisch verändert. Zwischen ihm und den zwei Schiffen – eines war nachts gestartet und zum Raumhafen zurückgeflogen – breitete sich eine einzige weiße Fläche aus. Es gab keine Wolke am Himmel, und die Sonne strahlte und wurde vom Schnee grell reflektiert. Opa erwachte, und er fühlte sich nicht wesentlich besser als gestern abend. Er zog sich an, frühstückte in Ruhe und ging dann hinunter in die Zentrale des Schiffes. »Wie geht es Ihnen, Spezialist?« »Ziemlich schlecht. Ich werde mich erst dann wieder einigermaßen wohl fühlen, wenn das Schiff im Raum ist.« »So ähnlich geht es auch mir. Aber ich habe eine winzige Überraschung für Sie, Opa.« »So? Welche?« Thow Tanza starrte die Bildschirme an und ärgerte sich über den Sonnenschein. Als sein Blick auf das schnee und eisverkrustete Wrack fiel, wurde seine Miene wieder betreten. »Wir saßen noch die halbe Nacht zusammen und diskutierten. Abgesehen von den Beweisen, die wir gestern entdeckten, haben die Planetarier rund fünfzig Menschen retten können, die sonst erfroren wären.« »Immune oder solche, die sich dem lautlosen Befehl der Mächtigen beugen?« »Immune. Sie sind höllisch froh, daß sie gefunden wurden. Wir haben sie mit Kaffee und Schnaps und trockener Kleidung versorgt. Aber ich möchte Sie ausdrücklich vor allzu großem Optimismus warnen.« Opa kicherte sarkastisch und sah den Kommandanten an. Sein Gesicht war ausdruckslos, und er bot das Bild eines Mannes, der seit einem Jahrzehnt nicht mehr gelacht hatte. »Glauben Sie, daß ich ein Optimist bin, Corm?« Damagger schüttelte energisch den Kopf. »Nein, ganz bestimmt nicht. Wo ist Ihr jüngerer Kollege?« »Vermutlich sitzt er in seiner Kabine«, er-
Der Weltraumzirkus widerte Opa, »und ärgert sich.« »Dann kann ich ihm auch nicht helfen. Kommen Sie?« »Ja, natürlich.« Während die zwei Männer durch das Schiff gingen, berichtete der Kommandant, was zwischenzeitlich passiert war. Die Mitglieder, die vor und während des Kampfes von der TERKMAS in die Eishöhlen und die Felsen geflohen waren, kamen bei Anbruch der Dunkelheit und der steigenden Kälte freiwillig zurück. Die Suchkommandos hatten leichte Arbeit gehabt. Aber bereits die ersten Fragen brachten ans Tageslicht, daß die Geflohenen nicht wegen der Mächtigen geflohen waren, sondern deshalb, weil sie an die Zerstörung des Schiffes dachten und zwischen sich und die detonierenden Meiler eine möglichst große Entfernung bringen wollten. Sie waren alle unbewaffnet und überhaupt nicht ausgerüstet. Sie hatten keine Ahnung … Sie saßen und standen in den unteren Korridoren des Kreuzers, hatten Kleidung der USOLeute an. Einige schliefen, die anderen tranken ununterbrochen heiße Getränke. Als Opa die ersten der Flüchtigen sah, winkte er ab. »Was haben Sie, Tanza?« erkundigte sich der Kommandant leise. »Ich ärgere mich weiterhin!« stellte Opa fest. »Aus welchem Grund?« Opa deutete anklagend auf die Jammergestalten und sagte laut und deutlich: »Sehen Sie sich die Leute an. Sie sind froh, nicht erfroren zu sein. Welch ein Unterschied zu den Geistlosen und Willenlosen von gestern! Wenn ich jetzt meine Fragen stelle, dann werde ich Antworten bekommen …« »… zweifellos …« »… aber auch sie werden in diese dunkle Geschichte keinerlei Aufhellung bringen. Warten Sie es ab. Ich fange an.« Opa zog einen der Männer, der nach seiner Meinung am intelligentesten aussah, mit sich. Er brauchte nicht lange zu suchen,
49 dann fand er einen kleinen, leeren Raum. Dort setzten sich die drei Männer, und der Spezialist richtete seine Fragen an den Überlebenden. »Warum sind Sie geflohen, als das Schiff landete?« »Weil ich Angst hatte. Unser Schiff befand sich noch niemals in einer solchen Lage.« »Und was wissen Sie von den ›Mächtigen‹?« »Von wem?« »Von jenen Wesen oder jenen Befehlshabern, die Ihre Vorgesetzten dazu brachten, einen Fluchtstart einzuleiten und uns einen wütenden Kampf zu liefern?« »Ich weiß es nicht. Die Chefs taten oft Dinge, die uns unerklärlich waren und bis heute geblieben sind. Sagen Sie … was geschieht jetzt mit uns?« »Später!« meinte Opa. »Was wissen Sie von den Androiden?« »Die Androiden«, sagte der Mann, und es war Corm und Opa klar, daß er nicht log, »haben in unserem Schiff vielfältige Aufgaben gehabt. Sie versorgten die Tiere und machten all die Arbeiten, die kein anderer machen wollte. Sie waren sozusagen die Sklaven, die Parias des Zirkusschiffes.« »Haben Sie gesehen, daß Androiden wie besessen auf die angreifenden Raumsoldaten zugerannt sind und sich dann, wenn sie die Kampfgruppen erreicht hatten, selbst in die Luft sprengten? Sie bildeten Selbstmordkommandos!« Der Mann starrte die beiden Spezialisten begriffsstutzig an, schüttelte den Kopf und erwiderte im Ton absoluten Unverständnisses: »Das habe ich nicht gesehen. Davon weiß ich nichts. Auch meine Freunde dort unten haben es nicht bemerkt, denn sonst hätten sie darüber gesprochen.« Opa stand auf. »In Ordnung«, sagte er. »Gehen Sie mit allen Ihren Freunden hinüber zum anderen Raumschiff und lassen Sie sich zum Raumhafen bringen, heuern Sie bei einem anderen
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Weltraumzirkus an oder züchten Sie Spinat oder Kaninchen. Ich brauche Sie nicht mehr. Weder Sie noch einen Ihrer Freunde.« Der Mann stolperte verwirrt hinaus. Damagger richtete einen fragenden Blick auf den Spezialisten. »Sie verlieren die Geduld, Thow Tanza.« »Ich pfeife auf Ihre salbungsvollen Trostworte!« erwiderte Opa bissig. »Sehen Sie zu, daß Sie ihre lahme Mühle in die Luft bringen.« Der Kommandant zuckte die Schultern. »Einverstanden. Die Androiden sind explodiert, die Eingeweihten sind geistig nicht mehr normal, das Schiff ist verbrannt. Die wenigen Leute, die nicht von den Plasmakugeln verseucht sind, haben keine Ahnung, und Ihre Stimmung ist nicht mehr zu unterbieten. Starten wir also. Aber trotzdem wüßte ich gern, in welche Richtung.« »Ich habe gestern nacht meine Liste zu Rate gezogen. Unser nächstes Ziel ist Terrakon auf Smogoon II.« Damagger schüttelte den Kopf. »Noch nie gehört.« »Ich auch nicht. Ist aber im Flottenhandbuch beschrieben. Dort gastiert angeblich der dritte der verdächtigen Zirkusse.« »Wenn Sie meinen …«, erwiderte der Kommandant gedehnt. Er legte, als sie die kleine Kammer verließen, dem Spezialisten tröstend die Hand auf die Schulter. Opa spürte genau, daß auch Damagger unter dem Mißerfolg litt. Als sie wieder in der Zentrale waren, setzte sich Corm an seinen Platz und gab eine lange Reihe von Anordnungen an die verschiedenen Stationen des Schiffes durch. »Startfertig?« erkundigte sich Opa. »Noch nicht, aber in dreißig Minuten.« Die Gäste wurden dringend aufgefordert, das Schiff zu verlassen. Die geretteten Angehörigen des Weltraumzirkus wurden in das andere Schiff hinübergebracht. Die Siedler, die sich innerhalb der GERAKINI aufhielten, verabschiedeten sich. Das Raum-
schiff wurde in routinehafter Präzision startfertig gemacht. Es waren weder Vorräte noch Treibstoff zu ergänzen. Auch von Quint-Center lagen keine neuen Nachrichten vor. Opa blätterte abermals seine Liste durch und entschied sich endgültig, dem Kommandanten den Planeten Smogoon II als neues Ziel anzugeben. Dort würden sie, wenn sie Glück hatten, den dritten verdächtigen Weltraumzirkus finden und überraschen. Es war die COMOTOOMO … »Geht in Ordnung«, sagte Corm Damagger. Auch er war schlecht gelaunt. Die beiden Spezialisten hatten ihn angesteckt. »Wir können starten. Wenn wir Glück haben …« Opa lachte schallend, aber es lag keinerlei Humor in diesem Gelächter. »… wenn wir Glück haben, Freund Damagger«, sagte er, »dann erwischen wir den Zirkus. Und wenn wir kein Glück haben, dann wiederholen wir alles, was wir hier erlebt haben.« Corm sagte: »Sie sind ein Zyniker. Ein Skeptiker!« Opa warf ihm einen Blick zu, der andere Menschen hätte erstarren lassen. Corm steckte ihn ungerührt ein. »In diesen Zeiten? Nach diesen Vorkommnissen? Erwarten Sie, daß ich lachend durch das Schiff springe und gute Laune verbreite?« Damagger winkte ab. Er schüttelte den Kopf und sah Opa an, als sähe er ihn heute zum erstenmal. »Wir alle sind keine strahlenden Helden, Tanza«, meinte er schließlich. »Und wir sollten es noch einmal versuchen. Auf in die Richtung des Planeten Smogoon II, zum Zirkusschiff COMOTOOMO!« ENDE
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