Andreas K. Gruber Der Weg nach ganz oben
Andreas K. Gruber
Der Weg nach ganz oben Karriereverläufe deutscher Spitzen...
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Andreas K. Gruber Der Weg nach ganz oben
Andreas K. Gruber
Der Weg nach ganz oben Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2008
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16299-7
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen ........................................................................................ 8 Vorwort .............................................................................................................................................. 11
1.
Politische Karrieren als Untersuchungsgegenstand .............................................................13
2.
Zur Theorie politischer Karrieren 2.1
2.2 2.3
3.
21 24 32 41 42 51
Auswahl und Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe ........................................ 63 Befragungsdesign und Datensammlung ........................................................................ 71 Ausschöpfungsquoten .................................................................................................... 74
Soziodemographischer Hintergrund deutscher Spitzenpolitiker 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
5.
19 19
Untersuchungsdesign und Ausschöpfungsquoten 3.1 3.2 3.3
4.
Politische Elite – Zur Geschichte, Definition und Einordnung eines Begriffs ............. 2.1.1 Elite – Von Schwierigkeiten und Konjunkturen eines Begriffs.......................... 2.1.2 Der Elitebegriff im zeitlichen Wandel 2.1.2.1 Die klassischen Arbeiten moderner Elitetheorien ............................... 2.1.2.2 Konjunkturen des Elitebegriffs nach 1945 .......................................... 2.1.3 Politische Elite und politische Klasse ................................................................ 2.1.4 Spitzenpolitiker als politische Elite .................................................................... Zum Begriff der Professionalisierung der Politik ......................................................... Karrieretheoretischer Forschungsansatz und institutionelle Determinanten politischer Karrieren ............................................................................................................
Zur Bedeutung des sozialen Hintergrunds .................................................................... Altersschichtung ............................................................................................................ Geschlecht ...................................................................................................................... Bildung .......................................................................................................................... Konfessions- oder Religionszugehörigkeit ...................................................................
79 80 82 89 94
Der Weg nach ganz oben: Strukturmuster politischer Karriereverläufe 5.1 5.2
Ein Phasenmodell politischer Karrieren ........................................................................ 97 Frühe politische Sozialisation ..................................................................................... 100
5
5.3
5.4
5.5 5.6 5.7
5.8
6.
Berufliche Laufbahn 5.3.1 Zusammenhang zwischen Berufslaufbahn und politischer Karriere ............... 5.3.2 Berufseinstieg ................................................................................................... 5.3.3 Politik als Beruf ................................................................................................ 5.3.4 Rekrutierungsfelder und Berufssektoren .......................................................... Innerparteiliche Laufbahn 5.4.1 Die Parteien als „Gatekeeper“ .......................................................................... 5.4.2 Parteimitgliedschaft .......................................................................................... 5.4.3 Parteizugehörigkeit ........................................................................................... 5.4.4 Parteieintritt und Eintrittsmotive ...................................................................... 5.4.5 Rolle der Jugendorganisationen ....................................................................... 5.4.6 Innerparteiliche Funktionen und Aufstiegsprozesse ........................................ 5.4.7 Die Bedeutung innerparteilicher Arbeitsgemeinschaften und anderer Netzwerke ......................................................................................................... 5.4.8 Parteiwechsel .................................................................................................... Ehrenamtliche Ämter in der Kommunalpolitik ........................................................... Hauptamtliche politische Ämter: Das Cross Over in die Berufspolitik 5.6.1 Erstes bezahltes Amt oder Mandat und Vorpositionen .................................... 5.6.2 Ein Modell der individuellen politischen Professionalisierung ....................... Politische Spitzenpositionen 5.7.1 Erste politische Spitzenfunktion ....................................................................... 5.7.2 Alter beim Karriereschritt „Spitzenpolitiker“ .................................................. 5.7.3 Parteipositionen und kommunalpolitische Ämter bei der Rekrutierung in Spitzenpositionen .............................................................................................. 5.7.4 Innerparlamentarische Karrieren ...................................................................... 5.7.5 Höhepunkt politischer Laufbahnen: Exekutive Spitzenämter ......................... 5.7.6 „Hoch, höher, am höchsten“ – Politische Wunschpositionen .......................... Allgemeine Erfolgsfaktoren des politischen Aufstiegs ...............................................
104 106 109 114 122 123 124 125 129 137 142 147 149 155 160 167 169 171 175 186 199 201
Der Weg nach ganz oben: Typologien politischer Karrieren 6.1 6.2 6.3 6.4
Bisherige Typologisierungsversuche ........................................................................... 209 „Standard-Karriere“, „Cross Over“ und „reine Polit-Karriere“: Noch immer gültig? ................................................................................................................................216 Bundespolitiker vs. Landespolitiker – Landespolitik als Karrierearena? .................... 226 Eine neue Typologie politischer Karrieren ................................................................. 232
7.
Zur Debatte über die Professionalisierung der Politik ..................................................... 239
8.
Berufswunsch: Spitzenpolitiker – Eine Anleitung ............................................................ 243
9.
Fazit ........................................................................................................................................ 255
10. Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 259
6
Anhang Anhang I: Die Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe (Stichtag: 1. März 2006) ................ 275 Anhang II: Die Zusammensetzung der Kontrastgruppe (Stichtag: 1. März 2006)............................288 Anhang III: Fragebogen .................................................................................................................. 293
7
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabellen Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37:
8
Mandate in der Bundesrepublik Deutschland ........................................................ 58 Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe ........................................................ 70 Zusammensetzung der Kontrastgruppe .................................................................. 71 Ausschöpfungsquoten nach Teilgruppen ............................................................... 75 Ausschöpfung nach Partei, Ebene und Funktionsgruppe ....................................... 76 Ausschöpfungsquoten in der Kontrastgruppe ........................................................ 77 Frauenanteil unter Parteimitgliedern 1995 – 2007 ................................................. 82 Frauenanteil in den Landesparlamenten ................................................................. 83 Entwicklung des Frauenanteils im Deutschen Bundestag ...................................... 84 Frauen in politischen Spitzenpositionen ................................................................. 88 Höchster erreichter Schulabschluss ..........................................................................91 Hochschulbildung deutscher Spitzenpolitiker ........................................................ 92 Studienschwerpunkte ............................................................................................... 93 Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs deutscher Spitzenpolitiker............................. 96 Gespräche über Politik im Elternhaus .................................................................. 102 Politische Aktivität der Eltern .............................................................................. 103 Alter bei erster beruflicher Tätigkeit .................................................................... 106 Zeitdifferenz zwischen Parteieintritt und Berufsbeginn (in Jahren) .................... 108 Zeitdifferenz zwischen dem erstem Parteiamt und dem Berufsbeginn ................ 109 Alter beim Wechsel in die Berufspolitik (erstes Amt oder Mandat) ................... 111 Dauer der Berufstätigkeit vor dem Wechsel in die Berufspolitik ......................... 111 Einstieg in die Berufspolitik nach Alterskohorten ............................................... 113 Anteil der Berufspolitik am gesamten Erwerbsleben ........................................... 114 Berufssektoren vor der Übernahme des ersten Amts oder Mandats .................... 116 Häufigkeit unterbrochener politischer Karrieren ................................................. 119 Beruflicher Status vor Wechsel in die Berufspolitik ............................................ 120 Alter beim Parteieintritt ........................................................................................ 126 Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen der Parteien (Spitzenpolitiker) ...... 132 Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen (Nachwuchspolitiker) .................... 133 Bedeutung der Jugendorganisation für die politische Karriere (Selbsteinschätzung)....................................................................................................................... 137 Durchschnittliche Dauer (in Jahren) bis zur Übernahme des ersten Parteiamts... 138 Die „Ochsentour“ – Innerparteiliche Karriereverläufe ........................................ 140 Anteil der Kommunalpolitiker: Parteiunterschiede .............................................. 151 Stellung des kommunalpolitischen Engagements im Karriereverlauf ................. 153 Erste hauptberufliche politische Position ............................................................. 155 Zeitabstände (Mittelwerte) zwischen der Übernahme innerparteilicher Funktionen und dem Wechsel in die Berufspolitik in Jahren ....................................... 158 Zeitabstände (Mittelwerte) zwischen kommunalpolitischen Funktionen und dem Wechsel in die Berufspolitik in Jahren ......................................................... 159
Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48: Tabelle 49: Tabelle 50: Tabelle 51: Tabelle 52: Tabelle 53: Tabelle 54: Tabelle 55: Tabelle 56: Tabelle 57: Tabelle 58: Tabelle 59: Tabelle 60: Tabelle 61: Tabelle 62: Tabelle 63: Tabelle 64: Tabelle 65: Tabelle 66: Tabelle 67: Tabelle 68: Tabelle 69:
Altersunterschied beim Wechsel in die Berufspolitik zwischen den Parteien...... Korrelationen zwischen Parteikarrierevariablen und dem Alter beim Wechsel in die hauptamtliche Politik ................................................................................... Politische Mentoren .............................................................................................. Korrelationen zwischen weiteren Karrierevariablen und dem Alter beim Wechsel in die hauptamtliche Politik .................................................................... Erste Spitzenposition der politischen Führungskräfte .......................................... Alter bei Übernahme der ersten politischen Spitzenposition ............................... Parteiunterschiede beim Erreichen der Spitzenposition ....................................... Zeitdifferenzen zwischen der Übernahme und der Aufgabe parteiinterner Ämter und der erstmaligen Ausübung einer Spitzenfunktion............................... Kommunalpolitische Betätigung vor Übernahme der ersten Spitzenposition...... Kandidaturen und Mandate im Überblick ............................................................ Alter beim ersten Mandat ..................................................................................... Parlamentarische Führungspositionen im Überblick ............................................ Häufigkeiten einzelner parlamentarischer Führungspositionen ........................... Durchschnittliche Zeitdifferenzen zwischen Wechsel in die Berufspolitik und der Übernahme von Führungspositionen im Bundestag ...................................... Durchschnittliche Zeitdifferenzen zwischen Wechsel in die Berufspolitik und der Übernahme von Führungspositionen in einem Landesparlament .................. Positionen vor dem Sprung in eine gouvernmentale Funktion ............................ Vorpositionen der Bundesregierungsmitglieder seit 1994 ................................... Vorpositionen von Exekutivpolitikern auf Landesebene ..................................... Vorpositionen nach Kategorien von Bundesländern ............................................ Vorpositionen der Ministerpräsidenten seit 1949 ................................................ Politische Wunschpositionen ................................................................................ Differenzen zwischen der gewünschten und der geltenden Frauenquote in der Partei des Befragten .............................................................................................. Karriererelevanz von Frauenquoten ..................................................................... Stellung politischer Mentoren .............................................................................. Faktoren erfolgreicher politischer Karrieren ........................................................ Typologie politischer Karrieren nach Golsch ...................................................... Unterschiede in Karrieremerkmalen nach Karrieretypen ..................................... Zentrifugal- und Zentripetalraten unter deutschen Spitzenpolitikern .................. Bundespolitiker, Landespolitiker und Ebenenwechsler ....................................... Kombination zweier Typenmodelle ..................................................................... Operationalisierung konventioneller Karrieren .................................................... Konventionelle Karrieren bei deutschen Spitzenpolitikern .................................
161 162 165 166 168 170 170 172 173 176 177 180 181 185 186 188 190 193 195 197 200 203 203 204 206 210 224 228 230 231 233 235
Abbildungen Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4:
Abgrenzung der politischen Klasse als Kategorie .................................................. Politische Karrieren und politische Professionalisierung I .................................... Politische Karrieren und politische Professionalisierung II ................................... Prozessmodell der politischen Führungsauswahl nach Herzog ..............................
38 50 51 55
9
Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7:
Austauschrate des politischen Personals im Deutschen Bundstag ......................... 59 Modell politischer Rekrutierung nach Norris ......................................................... 62 Dimensionen von Macht und Methoden zur Elitenidentifkation............................ 64
Abbildung 8:
Altersschichtung der Spitzenpolitiker nach Parteien in Prozent ..................................................................................................................... 81 Anteil von Spitzenpolitikerinnen nach Parteien ..................................................... 85 Konfessionelle Zugehörigkeit unter den Spitzenpolitikern .................................... 95 Ein Phasenmodell politischer Karrieren ................................................................. 98 Positive und negative Anreize zur Partizipation in politischen Parteien .............. 128 Karriere-Zusammenhang zwischen Jugendorganisation und Partei ..................... 130 Zeitdifferenz zwischen dem Eintritt in die Jugendorganisation und dem Parteieintritt............................................................................................................ 135 Ausstieg der Kommunalpolitiker nach dem Wechsel in die Berufspolitik .......... 174 Parlamentarische Zuständigkeitsbereiche in Abhängigkeit von der Zugehörigkeitsdauer .......................................................................................................... 179 Die Rolle des fachpolitischen Sprechers .............................................................. 182 Die Rolle der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ........................................ 183 Karrieretypen in deutschen Landtagen nach Borchert/Stolz ................................ 213 Typologie politischer Rekrutierung nach Voicu .................................................. 214 Durchschnittlicher Karriereverlauf deutscher Spitzenpolitiker ........................... 253 Durchschnittlicher Karriereverlauf bei jungen Abgeordneten ............................. 253
Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22:
10
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der politischen Führungsauswahl in der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund, wieso sich der Verfasser gerade für dieses Thema entschieden hat, ist ein sehr einfacher. Eigentlich könnte man sagen, der Grund ist ein Buch, und zwar Dietrich Herzogs Werk „Politische Karrieren – Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen“ aus dem Jahr 1975. Dieser Meilenstein der Rekrutierungsforschung hat den Verfasser seit der ersten Lektüre nie wieder richtig losgelassen. Dies lag zum einen an dem interessanten Gedanken einer ‚Karriere’. Wer träumt nicht von der eigenen Karriere oder bewundert Menschen, die – wie es so schön heißt – ‚Karriere gemacht’ haben. Zum anderen könnte man einen gewissen Periodeneffekt anführen. Die Themenauswahl fiel in eine Zeit, in der es an Beispielen ungewöhnlicher politischer Karrieren nicht zu mangeln schien. Von publizistischer Seite wurde gerade in der Zeit eine Häufung außergewöhnlicher Karriereverläufe konstatiert, als es 1998 zur Bildung der ersten rot-grünen Regierungskoalition kam. Wer dachte in dieser Zeit nicht sofort bei dem Begriff Karriere an einem am Kanzleramt rüttelnden Niedersachsen, der schließlich sein persönliches Karriereziel erreichen konnte? Oder an einen Taxi fahrenden Schulabbrecher und ehemaligen Steinewerfer, der im Laufe seines politischen Wirkens zum beliebtesten deutschen Politiker wurde? Hier schließt sich der gedankliche Kreis. Wer politische Karrieren als ‚ungewöhnlich’ etikettiert, der wird sich selbst dabei ertappen, dass er in seinem Kopf ein Bild augenscheinlich gewöhnlicher Karrieren hat. Wie genau eine typische politische Karriere allerdings aussieht, blieb nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unklar und vor allem unerforscht. Die Arbeiten von Dietrich Herzog versuchten, diese Forschungslücke zu beseitigen. Herzog beschrieb als Erster den Gesamtprozess politischer Führungsauswahl in der Bundesrepublik Deutschland. Von ihm stammt der Begriff der „StandardKarriere“, der immer anklingt, wenn von typischen oder atypischen, gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Karrieren die Rede ist. Dieser Gedankengang führte den Autor zur Zielsetzung, die Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker zu untersuchen. Schreiben muss am Ende jeder Doktorand seine Arbeit alleine. Wer jedoch von Anfang an auf sich selbst gestellt ist, wird sich über den gesamten Zeitraum der Promotion schwer tun. Dank gebührt daher vielen Menschen, die den Verfas11
ser dieser Zeilen nicht alleine gelassen haben. An erster Stelle ist die Betreuerin dieser Arbeit zu nennen. Frau Prof. Dr. Ursula Hoffmann-Lange ist eine der profiliertesten Elitenforscherinnen in Europa und der Verfasser hatte das Glück, von ihr auf dieses Thema und die damit verbundenen wissenschaftlichen Fragestellungen aufmerksam gemacht worden zu sein. Frau Prof. Dr. Hoffmann-Lange war Antreiberin, Motivatorin, Kritikerin und große Hilfe in Personalunion. Dafür sei ihr an dieser Stelle herzlichst gedankt. Ebenfalls ein Elitenforscher von großem Renommee ist Prof. Dr. Hans-Ulrich Derlien, dessen Arbeiten zu Eliten in Politik und Verwaltung bereits während des Studiums mein Interesse an der Thematik geweckt haben. Prof. Derlien hat dankenswerterweise die Rolle des Zweitgutachters übernommen. Seine Tür stand zu jeder Zeit für Fragen offen. Eine empirische Untersuchung wie die vorliegende benötigt zum Gelingen einen ausgewiesenen empirischen Praktiker. Mit Dr. Zoltán Juhász, dem Geschäftsführer des Bamberger Centrums für Empirische Studien (BACES), führte mit mir zusammen ein Wissenschaftler die Politiker-Befragung durch, der für jedes Problem eine passende Lösung zu haben scheint. Dafür sei ihm ebenfalls herzlichst gedankt. Ohne die Mitarbeit der befragten Spitzenpolitiker und jungen Abgeordneten wäre diese Arbeit ebenfalls unmöglich gewesen. Trotz großer zeitlicher Belastung haben viele Politiker sich die Mühe gemacht, den 20-seitigen Fragebogen auszufüllen. Ich danke allen, die an der Befragung teilgenommen und sich damit als Forschungsobjekt zur Verfügung gestellt haben. Eine große Hilfe waren meine Arbeitskollegen und Freunde an der OttoFriedrich-Universität Bamberg. Charlotte Kellermann, Roland Abold, Carolin Stange, Markus Steinbrecher und Eva Wenzel waren nicht nur Kommilitonen im Studium und später allesamt Arbeitskollegen. Ohne ihre jahrelange Hilfsbereitschaft, ihre Ratschläge und Ermunterungen hätte sich das Fertigstellen der Arbeit wohl deutlich länger hingezogen. Ich sage allen ein herzliches Danke schön, vor allem für das Eintüten von über 1000 Fragebögen. Für wichtige und umfangreiche Recherchearbeiten sei den studentischen Hilfskräften Benjamin Faude, Sarah Preiss, Christian Hübner und Henning Brinker gedankt. Für wertvolle Korrekturarbeiten schulde ich Gerhard Hopp und Stefanie Weber Dank. Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Eltern, Karl-Heinz und Mariele Gruber, ohne deren Rückendeckung ich nicht studiert hätte.
Bamberg, im August 2008
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1. Politische Karrieren als Untersuchungsgegenstand
Als Angela Merkel am 22. November 2005 zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, schrieb Roger Köppel, der Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“, in einem Kommentar: „Deutschland bleibt nach dem Abgang Schröders ein Biotop ungewöhnlicher politischer Karrieren“ (Köppel 2005: 1). Er suggerierte damit, dass sowohl Merkel als auch ihr Amtsvorgänger politische Werdegänge aufweisen, die offenbar von einer gedachten Schablone abweichen. Neben Gerhard Schröder verließ nach der Bundestagswahl 2005 mit Vize-Kanzler und Außenminister Joseph Martin (‚Joschka’) Fischer eine Figur das Spotlicht der Politik, deren Laufbahn sogar noch mehr als die von Merkel und Schröder als außergewöhnlich galt. Merkel, Schröder und Fischer – Gerade die politischen Karrieren dieser drei Spitzenpolitiker wurden von journalistischer Seite immer wieder als ungewöhnlich bezeichnet, als politische Laufbahnen, die sich von denen anderer Spitzenpolitiker auf eine bestimmte Art und Weise abhoben. Anders fiel das publizistische Urteil nach dem Wechsel an der Parteispitze der SPD von Matthias Platzeck zu Kurt Beck im April 2006 aus. Beck wurde von einigen politischen Beobachtern eine „typische sozialdemokratische Karriere“ attestiert. Angela Merkels Karriere ist zweifelsohne interessant. Eine promovierte Naturwissenschaftlerin, die über eine Bürgerrechtsbewegung der DDR ihren Weg in die Regierungsmannschaft Helmut Kohls findet, ihren Förderer im Zuge der CDU-Spendenaffäre vom Thron stößt, die erste Generalsekretärin und erste weibliche Vorsitzende der CDU Deutschlands wird, bei einem Frühstück dem Bayerischen Ministerpräsidenten die Kanzlerkandidatur überlässt, um dann 2005 selbst zur Bundeskanzlerin gewählt zu werden – das ist eine bemerkenswerte politische Laufbahn, aber ist es auch eine ungewöhnliche Karriere? Einen Tag nach der Wahl Merkels zur Bundeskanzlerin kommentierte der Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Berthold Kohler: „(...) Kanzler oder Kanzlerin, wie man von nun an sagen muß, wird man nicht durch Zufall. Der Weg ins Kanzleramt ist steinig; er ist übersät mit Möglichkeiten des Scheiterns.“ (Kohler 2005: 1)
Die Karriere ihres Amtsvorgängers verbindet man mit dem sagenumwobenen Rütteln am Zaun des Kanzleramtes, mit dem Abitur auf dem zweiten Bildungs13
weg, vielleicht auch mit vier Ehen oder einem am Ende gespaltenen Verhältnis zur eigenen Partei. Gerade der Ruf vor den Toren des Kanzleramtes („Ich will hier rein!“) wurde gelegentlich so interpretiert, dass der Weg bis an die Spitze der Bundesrepublik Deutschland auch Ausdruck eines subjektiven Wollens sei. Auf der anderen Seite legt das Karriereende Schröders die Vermutung nahe, dass die Verankerung in und das Verhältnis zur eigenen Partei nicht irrelevant sind. Joschka Fischer war jahrelang der beliebteste Politiker der Bundesrepublik Deutschland. Im Zuge der „Visa-Affäre“ ließ zwar der öffentliche Zuspruch nach, dennoch war Fischer in allen Meinungsumfragen stets auf vorderen Plätzen zu finden. Für viele politische Beobachter lag die Beliebtheit Fischers in seiner spezifischen politischen Karriere begründet. Die Tatsache, dass Fischer sowohl Gymnasium als auch eine Lehre als Fotograf abgebrochen hatte und mit TaxiFahren und anderen Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt bestritt, machte ihn ebenso zu einer schillernden politischen Figur wie seine Vergangenheit als „Sponti“ oder seine Vereidigung als hessischer Umweltminister in Jeans und Turnschuhen – Kleidungsstücke, die im Laufe seiner politischen Karriere von Dreiteiler und italienischen Lederschuhen ersetzt wurden. Dagegen wirkt die politischen Karriere Kurt Becks beim ersten Hinsehen eher bodenständig. Nach acht Jahren Volksschule folgte eine Lehre als Elektromechaniker, der Realschulabschluss auf dem zweiten Bildungsweg, der Eintritt in die SPD und ein Engagement in der Gewerkschaft. Der Einzug in den rheinland-pfälzischen Landtag als Dreißigjähriger ebnete den Weg zur erfolgreichen politischen Laufbahn, die ihn über die Stationen des parlamentarischen Geschäftsführers und des Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion in Mainz auf den Sessel des Ministerpräsidenten führte. Der Focus-Redakteur Thomas Zorn schrieb dazu am Tag nach Becks Übernahme des kommissarischen SPDVorsitzes: „Er machte eine klassische SPD-Karriere, wie sie heute selten sind“ (Zorn 2006). Im Internetauftritt der Tagesschau findet man am darauf folgenden Tag den Satz: „Vielleicht ist Kurt Beck das Musterbeispiel eines sozialdemokratischen Politikers“ (o.V. 2006: Aus kleinen Verhältnissen nach oben: Porträt Kurt Beck). Typisch, interessant, gewöhnlich, schillernd – all das sind Attribute, die man politischen Karrieren gerne anheftet. Implizit schwingt dabei immer der Gedanke mit, dass politische Laufbahnen einem bestimmten Muster folgen. Wenn der Aufstieg eines Politikers von diesem gedachten Muster abweicht, neigt man dazu, eine Karriere als ungewöhnlich zu bezeichnen. Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gestellt, jene tatsächlichen oder potentiellen Muster in den Karriereverläufen deutscher Politiker zu identifizieren. Zentrale Zielsetzung ist, den populären Begriff der politischen Karriere wissenschaftlich zu analysieren. Damit wird keineswegs Forscher-Neuland betreten. Der Begriff der politischen
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Karriere ist eng mit dem Namen Dietrich Herzogs verknüpft. Herzog war der Erste, der in Deutschland systematisch Karriereverläufe deutscher Politiker untersuchte. Er prägte den wissenschaftlichen Begriff der politischen Karriere: „Politische Karrieren im engeren Sinne sind die exklusive Domäne Dietrich Herzogs und einiger seiner Schüler geblieben. Herzog hat wie kein anderer immer wieder den analytischen Gehalt, der im Karrierebegriff steckt, betont.“ (Borchert/Stolz 2003: 149)
In seinem 1975 erschienen Werk „Politische Karrieren - Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen“ (Herzog 1975), das wohl ohne Übertreibung als wichtigster Meilenstein der politischen Karriereforschung angesehen werden kann, gelang es Herzog mit Hilfe 124 halbstrukturierter qualitativer Interviews Licht ins Dunkel politischer Karriereverläufe zu bringen. Herzog hatte damit ein wichtiges Ziel seiner Untersuchung erreicht, das er bereits im Vorwort formulierte: „Ein Ziel der vorliegenden Untersuchung ist daher, politische Führungsauswahl nicht nur als Summe individueller Aufstiegserfolge oder als bloßes Substrat gesellschaftlicher Bedingungen, sondern als einen Prozeß des Handelns von Personen im Kontext sozialstruktureller und organisatorischer Möglichkeiten zu verstehen und zu analysieren.“ (Herzog 1975: 5)
Herzog kam zum Schluss, dass man nicht alleine durch Zufall oder aufgrund individueller Anstrengung oder Begabung Spitzenpolitiker wird. Vielmehr hätten sich für politische Spitzenkarrieren bestimmte Muster herausgebildet: „Politische Karrieren sind, wie andere Karrieren auch, gesellschaftlich strukturiert, sie bilden ‚Muster’ (im Englischen patterns), und zwar in dem Sinne, daß es in jeder historischen Situation nicht unendlich viele, jeweils individuell gestaltbare Aufstiegswege gibt, sondern nur wenige, über die dann immer wieder neue Generationen von politischem Personal in gleichartiger Weise rekrutiert werden.“ (Herzog 1990: 35)
Es ist das große Verdienst Dietrich Herzogs, dass er diese Aufstiegswege als Erster beschrieb und damit die erste Typologie politischer Karrieren aufstellte, die bis heute Geltung beansprucht. Als dominierenden Typus politischer Karrieren, den etwa 60 Prozent des politischen Spitzenpersonals als Karrieremuster aufweisen, identifizierte er die „Standard-Karriere“ (Herzog 1990: 40). Diese Politiker zeichnen sich dadurch aus, dass ihre politische Laufbahn zunächst als zweite, parallele Karriere verläuft. Bei den meisten Spitzenpolitikern sind bereits in frühen Jahren politisches Interesse und Engagement vorhanden, die politische Karriere im engeren Sinne wird jedoch erst dann eingeschlagen, wenn sich die betreffenden Personen beruflich etabliert haben. Eingangsstufe der Karriere ist dabei für gewöhnlich eine Vorstandsposition in der Basisgliederung der politischen Parteien, in der Regel auf Ortsebene. Herzog stellte zudem fest, dass gerade diese Positionen an der Parteibasis auch dann beibehalten werden, wenn die
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politische Karriere voranschreitet und der angehende Spitzenpolitiker sukzessiv höhere politische Ämter und Mandate bekleidet. Es ist die viel beschriebene „Ochsentour“, „die langwierige, beharrliche Bewährung in lokalen und regionalen Funktionen“ (Golsch 1998: 142), welche Politiker im Muster der StandardKarriere durchlaufen. Nicht zuletzt dieses Bild einer Standard-Karriere ist wohl gelegentlich im Hinterkopf, wenn man von einer „typischen“ Karriere spricht. Es ist offenbar das vorherrschende Karrieremuster, das auch in zahlreichen Untersuchungen nach Herzogs Standardwerk immer wieder empirisch festgestellt wurde (vgl. Golsch 1998: 128). Die zu Beginn beleuchteten Karrieren von Angela Merkel, Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Kurt Beck sind daher vor diesem Hintergrund zu betrachten. Dabei kann man beim ersten Hinsehen schon erahnen, dass nicht alle Karrieren, die von publizistischer Seite als untypisch oder schillernd dargestellt werden, sich auch im Sinne einer wissenschaftlichen Betrachtung als ungewöhnlich erweisen. Eines der Ziele dieser Arbeit wird sein, empirisch festzustellen, ob sich bestimmte Karrieremuster in der Realität wieder finden lassen und Herzogs Karrieretypen nach wie vor vorhanden sind. Die Arbeit will damit einen Beitrag leisten, den Prozess der politischen Elitenrekrutierung zu verstehen. Sie ist mehr als lediglich die Frage, wer Spitzenpolitiker ist und woher das politische Spitzenpersonal gesellschaftlich kommt. Daher bleibt sie nicht auf der Stufe der Social Background Analysis stehen, sondern will die Bildung politischer Eliten in ihrer Gesamtheit begreifen. Herzogs Untersuchung ist eine der wenigen, die diesen Ansatz verfolgt und die Aufstiegswege der Spitzenpolitiker verlaufssoziologisch untersucht. Dementsprechend stellt Wiesendahl bei der Betrachtung von Spitzenpolitikern mit Recht fest: „Bekannt ist, wer sie [die Abgeordneten; Anm. d. Verf.] sind. Im Dunkeln bleibt, bis auf die singuläre Untersuchung der Karrieren von Spitzenpolitikern aus den späten sechziger Jahren durch Herzog, wie sie über welche Selektionsprozesse und -kanäle in ihre Ämter gelangt sind.“ (Wiesendahl 2004: 126)
Die Untersuchung setzt genau an diesem Punkt an. Sie stellt den Versuch dar, die Strukturmuster politischer Laufbahnen herauszuarbeiten und baut dabei auf dem grundlegenden Forschungsansatz Dietrich Herzogs auf, ergänzt oder modifiziert ihn jedoch an der einen oder anderen Stelle. Der Fokus der Untersuchung liegt auf deutschen Spitzenpolitikern. Für das Vorhaben wurden 369 Inhaber politischer Spitzenpositionen ausgewählt. Bei diesen wurde von der Annahme ausgegangen, dass zum Erreichen ihrer Spitzenposition eine längere Karriere notwendig war. Von Beyme begründet das spezielle Interesse an politischen Karrieren: „Die Erforschung von Politikerkarrieren hat, abgesehen von ihrem mittelbaren Aufschluß über politischen Einfluß bei ‚key decisions’, ihren Wert auch für die Erforschung von Parteistruktu-
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ren, die Wirkungen von Institutionen auf politisches Verhalten, die Erhellung der Zusammenhänge von Bundes-, Landes- und Lokalpolitik, Kabinettsstabilität und Ämterrotation, die Wirkung von Ausbildungssystemen, die Interdependenz von Wirtschaft, Massenmedien, Kirchen, Verbänden und anderen gesellschaftlichen Bereichen und der Politik.“ (Von Beyme 1971: 16f)
In einer repräsentativen Demokratie kommt es entscheidend auch auf die Repräsentanten an. Oder wie es Patzelt treffend formuliert: „Wenn wir (...) den so wichtigen persönlichen Faktor gerade auch parlamentarischdemokratischer Politik nicht ignorieren wollen, und wenn wir gar zur besseren Rekrutierung und Sozialisation politischen Führungspersonals beitragen wollen, dann müssen wir uns ganz einfach damit befassen, wer in die Politik geht, warum, und auf welchen Wegen.“ (Patzelt 1999: 243)
Politische Karrieren stellen aus einem weiteren Grund einen interessanten Untersuchungsgegenstand dar. Sollte die Analyse zeigen, dass politische Karrieren einem eindeutigen Muster folgen, wäre dies ein deutliches Zeichen für eine weitere Zunahme der Professionalisierung der Politik. Sollten politische Karrieren dagegen nur Produkte glücklicher Umstände sein, würde dies gegen die Annahme sprechen, dass man Politik als Profession ansehen kann. So spricht beispielsweise Best der Berufspolitik den Charakter einer Profession ab und bezeichnet sie lediglich als ein „prekäres Beschäftigungsverhältnis“, da die Berufspolitik „ungesichert, episodisch, unscharf in der Bestimmung des Berufsfeldes, der qualifikatorischen Voraussetzungen und des Karriereverlaufs“ (Best/Jahr 2006: 79) sei. Die Arbeit will daher die Karriereverläufe im Hinblick auf mögliche Muster untersuchen und Typen von Karriereverläufen identifizieren. Sie will auch aufzeigen, was sich gegebenenfalls im Vergleich zur Studie Herzogs im Prozess der politischen Elitenrekrutierung in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Um weiter gehende Tendenzen zu überprüfen, wurde neben den Spitzenpolitikern des Bundes und der Länder eine Kontrastgruppe jüngerer Bundes- und Landtagsabgeordneter ausgewählt. Ein Blick auf deren Karriereverlauf kann möglicherweise Aufschluss geben, in welche Richtung sich die Rekrutierung politischer Eliten in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Da die zentrale Rolle politischer Parteien im Rekrutierungsprozess weiterhin uneingeschränkt zu beobachten ist und sich weitere institutionelle Determinanten politischer Karrieren nicht substantiell verändert haben, wird erwartet, dass 40 Jahre nach der Erhebung von Herzog nach wie vor Spitzenkarrieren in der überwiegenden Zahl der Fälle einem klar strukturierten Muster folgen, dass man als Standard-Karriere oder konventionelle Karriere bezeichnen kann. Nach dieser Einleitung (Kap. 1), spannt die Arbeit zunächst einen theoretischen Rahmen auf (Kap. 2). Dazu ist es notwendig, dass der Begriff der politischen Elite konzeptionell fassbar gemacht wird, die Begriffsgeschichte beleuch17
tet und er auch von konkurrierenden Vorstellungen und Konzepten, wie der politischen Klasse, abgegrenzt wird. Dies macht es unentbehrlich, auf die Debatte über die Professionalisierung der Politik einzugehen, die von Anhängern des Konzepts der politischen Klasse vorangetrieben wurde. Dietrich Herzog und sein karrieretheoretischer Forschungsansatz stehen im Mittelpunkt, wenn die Theorie politischer Karrieren, sowie institutionelle Karrieredeterminanten vorgestellt werden. In Kapitel 3 wird das Design der Untersuchung detailliert beschrieben. Dazu wird zunächst erläutert, mit welcher Identifikationsmethode die Gruppe der Spitzenpolitiker ausgewählt wurde, wie sich die Untersuchungsgruppe zusammensetzt, mit welchen Erhebungsinstrumenten die Befragung durchgeführt wurde und welche Ausschöpfungsquoten erzielt wurden. Kapitel 4 untersucht den soziodemographischen Hintergrund der Spitzen- und Nachwuchspolitiker. Dabei werden die Merkmale Alter, Geschlecht, Bildung und Konfessions- oder Religionszugehörigkeit unter die Lupe genommen. Den Hauptteil der Arbeit stellt Kapitel 5 dar. In einem „Phasenmodell politischer Karrieren“ werden die Aufstiegsprozesse der Politiker nachgezeichnet und Karrieremuster herausgearbeitet. Ermittelte Regelmäßigkeiten der Rekrutierung politischen Personals werden in Kapitel 6 zu Typen politischer Karrieren aggregiert. Zuvor wird dabei darauf eingegangen, welche Typenmodelle in der Politikwissenschaft diskutiert werden, und ob und inwiefern die Karrieretypen Herzogs noch Geltung beanspruchen können. Zudem versucht die Arbeit eine Antwort auf die Frage zu geben, ob die Landespolitik eine eigene politische Karrierearena darstellt. Sollten sich eindeutige, wiederkehrende Karriereverläufe eruieren lassen, hätte dies Auswirkungen auf die These der Professionalisierung der Politik. In Kapitel 7 wird dieser Frage nachgegangen. Kapitel 8 fasst die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammen. Diese Zusammenfassung wird in Form eines Erfolgsrezepts geschrieben. Sie soll auf empirischen Fakten aufbauend als Anleitung für Politiker verstanden werden, die eine politische Spitzenkarriere anstreben. Ein Fazit (Kapitel 9) rundet die Arbeit ab.
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2. Zur Theorie politischer Karrieren
2.1 Politische Elite – Zur Geschichte, Definition und Einordnung eines Begriffs
2.1.1 Elite – Von Schwierigkeiten und Konjunkturen eines Begriffs Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen Spitzenpolitiker als ein Teil der politischen Elite in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Aussage zu Beginn des Abschnitts wirkt harmlos, enthält jedoch einige theoretische Prämissen, über die sich Wissenschaftler trefflich streiten können. Sie unterstellt, dass es Eliten in einer Gesellschaft gibt, dass die Elitenstruktur pluralistisch ist und es folglich eine Teilelite im Sektor Politik geben kann. Mit dem gewählten Begriff der Elite wird zudem angedeutet, dass andere theoretische Konzepte, wie jenes der politischen Klasse, der herrschenden Klasse oder der Oberschicht, keine Anwendung finden werden. Im Folgenden soll daher der Begriff der politischen Elite genauer als Rahmen dieser Arbeit eingeführt werden. Da Begriffe oft auch Forschungsparadigmen symbolisieren, empfiehlt es sich, neben der Definition von Eliten auch auf die Geschichte und den Stand der (politischen) Elitenforschung einzugehen. Bei der Durchsicht der Literatur über politische Führungsgruppen fällt auf, dass zwei Aspekte offensichtlich in keiner Publikation fehlen dürfen. Zum einen scheint der Hinweis ein wissenschaftliches Muss zu sein, dass der Begriff der Elite oder Eliten – die Verwendung von Singular oder Plural besitzt durchaus theoretische Relevanz – nach der „ideologischen Vereinnahmung und weltanschaulichen Aufladung“ (Imbusch 2003:12) in der Zeit des Nationalsozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg über mehrere Jahre hinweg kritisch beäugt wurde. Der Elitebegriff habe in der deutschen Forschungstradition eine „besonders wertgeladene Interpretation“ (Bürklin 1997: 14) erfahren. Der selbstverständlichen Verwendung stehe der „totalitäre Missbrauch des Begriffs in den dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte“ (Kaina 2004: 16) im Weg. Ergänzt wird dies zumeist durch die Feststellung, dass sich in den letzten Jahren ein verstärktes wissenschaftliches Interesse an den „oberen Rängen der Gesellschaft“ (Krais 2003: 35) herausgebildet habe. Fast jede aktuelle Publikation aus dem Bereich der Eliteforschung konstatiert ein „starkes Interesse an den 19
Eliten“ (Schubert 2006: 1). Dies kann man nicht nur für den Bereich der Wissenschaft und Forschung konstatieren. Auch in der Politik scheint der Begriff der Elite wieder verstärkt Anklang zu finden. Immer häufiger ist der Ruf nach einer gezielten Eliteförderung zu vernehmen. Die Diskussion um „Eliteuniversitäten“ oder anderen „Exzellenzzentren“ unterstreicht dies (vgl. Hartmann 2002: 9). Der Begriff an sich löst dabei offensichtlich kein Stirnrunzeln mehr aus. Eher das Gegenteil ist der Fall. Der Terminus Elite scheint wieder Konjunktur zu haben. Neben dem Wunsch nach einer Förderung der Eliten kommt zum neuen Interesse an Eliten offensichtlich noch eine weitere Facette. Von Seiten des Journalismus und der Wissenschaft wird Kritik am Verhalten von Eliten laut, vor allem bei einem angenommenen oder tatsächlich vorliegenden Versagen von Eliten oder öffentlichkeitswirksamen Fehltritten einzelner Elitemitglieder. Ein fehlendes Elitenethos oder mangelnde Orientierung am Gemeinwohl werden angeprangert, zunehmend ist ein Ruf nach „neuen Eliten“ zu hören. Man benötige eine „leistungsfähige, die soziale Zusammensetzung der Gesellschaft repräsentierende und in ihren Einkommens- und Versorgungserwartungen zurückhaltende Elite“ (Münkler/Bohlender/Straßenberger 2006:12). Münkler schließt in diesem Zusammenhang den Kreis zur Thematik dieser Untersuchung. Seine These geht davon aus, dass Eliten durch das reibungslose Funktionieren von Institutionen mehr oder weniger unsichtbar werden: „Wo Institutionenvertrauen vorherrscht, muss über Eliten nicht viel gesprochen werden. Aber wenn Institutionenvertrauen erodiert, wächst das Interesse der Gesellschaft an ihren Eliten (...).“ (Münkler 2006: 31)
Seiner Auffassung nach folgt der Erosion des Institutionenvertrauens die Erosion des Elitevertrauens. Dieses abnehmende Vertrauen fördern zahlreiche Meinungsumfragen zur Stellung und Rolle politischer Institutionen und den Inhabern politischer Spitzenpositionen immer wieder ans Tageslicht. Nach Münkler reagiert die Gesellschaft mit einer genaueren „Inaugenscheinnahme der Rekrutierungsmuster und Auswahlmechanismen von Eliten“ (Münkler 2006: 31). Das zweite, immer wiederkehrende Motiv in Publikationen der Elitenforschung ist die Feststellung einer angeblich vorliegenden Unklarheit über die Begrifflichkeit und die Definition von Eliten. Wie Kaina mit Recht feststellt, scheint der etymologische Ursprung des Elitebegriffs einer der wenigen gemeinsamen Ankerpunkte einer „Vielzahl von Definitionen und Bindestrich-Termini“ (Kaina 2004: 16) zu sein. Elite geht zurück auf das lateinische Verb eligere, das man mit „auslesen“ übersetzen könnte, so dass Eliten demnach als Auslese der Besten verstanden werden können. Die Bezeichnung „Elite“ tauchte im 17. Jahrhundert als Bezeichnung für besonders gute Waren auf. Später stand der Begriff für hervorragende Militäreinheiten und die höheren Ränge des Adels (vgl.
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Endruweit 1979: 31; Bottomore 1967: 7). In der Regel sind mit dem Hinweis auf die Genese die Gemeinsamkeiten aufgezehrt. Die Suche nach einem allgemein akzeptierten Elitebegriff ist laut Schäfers „der Sache nach so alt wie die ersten systematischen Entwürfe einer gesellschaftlichen Ordnung“ (Schäfers 2004: 3). Verschiedene Elitenkonzepte wie die Vorstellungen einer Funktions-, Positions-, Leistungs-, Wert-, Macht-, Geburts- und Deutungselite konkurrieren miteinander: „Trotz einer in jüngerer Zeit wieder zunehmenden akademischen Neugier an Eliten und eines wachsenden öffentlichen Bewusstseins für ihre Existenz und Notwendigkeit in modernen Flächendemokratien scheint ein Konsens über Elitenbegriff und -verständnis nach wie vor in weiter Ferne.“ (Kaina 2004: 18)
Bevor man jedoch versucht, den Elitebegriff für die vorliegende Arbeit zu konzipieren, muss man sich im Klaren sein, dass bereits die Verwendung des Begriffs „Elite“ umstritten ist. Neben „Elite“ und den bereits skizzierten BindestrichEliten tauchen in der Literatur die Begriffe „politische Klasse“, „herrschende Klasse“, „Führungsschicht“, herrschende oder regierende „Oberschicht“, führende „Cliquen“ oder „Führungsgruppen“ auf. Daher kann man Weege zustimmen: „Wohl kaum ein sozialwissenschaftlicher Forschungsbereich ist durch so eine so verwirrende Vielfalt an Begriffen gekennzeichnet wie die Erforschung der Spitzenpositionen eines Sozialsystems.“ (Weege 1992: 35)
Eine plausible Erklärung für die komplexe Begriffswelt ist in der wechselvollen Geschichte und der Dynamik des Elitebegriffs zu sehen. Seit den klassischen Elitetheoretikern wird der Begriff bis heute immer wieder anders verstanden oder konzeptionell erfasst. Ein Rückblick auf den Wandel des Elitebegriffs erfüllt daher eine Doppelfunktion. Er ist Skizzierung der wichtigsten Werke der Eliteforschung und damit auch ein Versuch der Begriffsklärung. Um im Folgenden mit einer klaren Vorstellung und Konzeption von Eliten arbeiten zu können, ist die retrospektive Aufarbeitung des Begriffs an dieser Stelle unverzichtbar.
2.1.2 Der Elitebegriff im zeitlichen Wandel
2.1.2.1
Die klassischen Arbeiten moderner Elitetheorien
Während doch einige Verwirrung um einen allgemeinen akzeptierten Elitebegriff herrscht, ist der Ausgangspunkt der europäischen Eliteforschung unstrittig. Vor dem Hintergrund der zweiten großen Industrialisierungs- und Demokratisierungswelle am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten 21
Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto und Robert Michels das Konzept der Elite (vgl. Münkler/Bohlender/Straßenberger 2006; Blondel/Müller-Rommel 2007) Diese klassischen Arbeiten der modernen Elitetheorie etablierten die Analyse der Träger gesellschaftlicher und politischer Herrschaft als eigenständige Forschungsdisziplin (vgl. Boll 2005: 730). Die Arbeiten Moscas (1884), Paretos (1916) und Michels (1911) werden auch als „machiavellistisch“ bezeichnet (vgl. Stammer 1951: 518; Hartmann 2002: 10; Krais 2003: 36). In diesem machiavellistischen Verständnis von Elite herrscht die Annahme eines überhistorischen „Gesetzes“ vor, wonach in jeder Gesellschaft notwendigerweise eine kleine Minderheit über die Mehrheit herrscht. Besonders deutlich wird dies in Moscas Werk: „Unter den beständigen Tatsachen und Tendenzen des Staatslebens liegt eine auf der Hand: In allen Gesellschaften, von den primitivsten im Aufgang der Zivilisation bis zu den fortgeschrittensten und mächtigsten, gibt es zwei Klassen, eine die herrscht, und eine die beherrscht wird. Die erste ist immer die weniger zahlreiche, sie versieht alle politischen Funktionen, monopolisiert die Macht und genießt deren Vorteile, während die zweite, zahlreichere Klasse von der ersten befehligt und geleitet wird.“ (Mosca 1959 [1895]: 53)
Weege weist darauf hin, dass die Bezeichnung „herrschende Klasse“ erst in der deutschen und in der englischen Übersetzung („ruling class“) auftaucht (vgl. Weege 1992: 38). In der italienischen Originalfassung sei hingegen von der „classe politica“, also der politischen Klasse die Rede. Dieser Hinweis ist von Bedeutung, da Moscas Theorie der Elitenherrschaft dezidiert gegen den marxistischen Ansatz der Klassenanalyse mit ihrem Begriff der „herrschenden Klasse“ gerichtet ist. Mosca wollte dies offensichtlich mit seiner Begriffswahl auch terminologisch deutlich machen. Im Gegensatz zur marxistischen Klassentheorie, die als Ergebnis des Klassenkampfs die Auflösung aller Klassen und damit von Herrschaft insgesamt prognostiziert, will Mosca die Unaufhebbarkeit der Herrschaft von Eliten zeigen (vgl. Münkler 2000: 78) oder in den Worten von Hoffmann-Lange die „Universalität sozialer und politischer Ungleichheit und der Existenz von Eliten“ (Hoffmann-Lange 2004: 25) betonen. Mosca will den Beweis von Herrschaft als konstitutivem Element aller Gesellschaften führen. Die „herrschende Klasse“ erlangt in seiner Theorie ihre herausragende Machtstellung aufgrund ihrer Fähigkeit zur Organisation. Die organisierte Masse steht dem Individuum der Masse gegenüber, das dadurch isoliert und ohnmächtig wird. Die politische Klasse kann sich organisieren, da sie von geringer Zahl ist und sich aus überlegenen Individuen zusammensetzt, die gesellschaftlich hoch geschätzte und Einfluss verleihende Eigenschaften besitzen (vgl. Weege 1992: 39). Sie sind Inhaber der politischen Herrschaftspositionen und verfügen über einen sehr großen Handlungsspielraum zur politischen Gestaltung. Mosca sieht zwar die politische Klasse als ein Gebilde mit hoher sozialer Kohärenz und als einen monolithischen Block. Allerdings weist er gelegentlich auch darauf hin, dass es eine 22
gewisse Interessen- und Gruppenpluralität geben kann. Vor allem für die politische Klasse in repräsentativen Demokratien sei dies festzustellen. Die Repräsentation sozialer Kräfte in der politischen Klasse und das Wirken der um Wählerstimmen konkurrierenden Parteiorganisationen resultieren in Mechanismen der Wechselwirkung und Kontrolle zwischen beherrschten Massen und herrschender Minderheit. Zudem wird das starre Konzept von Elite und Masse dadurch aufgeweicht, dass Mosca eine mit der politischen Klasse auf das engste verbundene Unterelite einführt, zu der beispielsweise Staatsbeamte, Manager, Ingenieure, Wissenschaftler und ähnliche Gruppen gehören. Diese bilden das Rekrutierungsreservoir für die politische Klasse (vgl. Weege 1992: 40). Stammer ist der Auffassung, dass man in Moscas Begriff der „herrschende Klasse“ bereits einen soziologischen Elitebegriff sehen kann: „Moscas ‚herrschende Klassen’ sind also schon aufzufassen als Eliten, deren Funktion die Ausübung von Herrschaft in einem sozialen System ist, die also durch ihr sittliches, ihr soziales und ihr politisches Verhalten auch ihre Aufgabe verfehlen können.“ (Stammer 1951: 520)
Vilfredo Pareto spricht in seinem Hauptwerk (vgl. Pareto 1955 [1916]) nicht wie Mosca von politischer oder herrschender Klasse, sondern von „politischer Elite“. Wegen seines ähnlich gelagerten Ansatzes wird er stets mit Mosca in einem Atemzug genannt. Er teilt Moscas Ansicht einer Unterscheidung in eine herrschende Minderheit und eine beherrschte Masse. Pareto erhöht die Qualität dieser Dichotomie noch dadurch, dass er sie über den politischen Sektor hinaus auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausweitet und in erster Linie psychologisch begründet (vgl. Hartmann 2002: 11). Er unterteilt die Elite in eine regierende Elite, eine nicht regierende Elite und eine Gegenelite (vgl. Pareto 1955 [1916]: 221ff). Kern seiner Theorie ist die Zirkulation von Eliten als ein Modell sozialen Wandels. Dieser Kreislauf der Eliten ist kontinuierlich und langsam angelegt und vollzieht sich ohne Störung des gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichts. Die Rekrutierung neuer Elitemitglieder geschieht durch Kooptation, einem einstufigen Mobilitätssprung einzelner besonders begabter Individuen aus den beherrschten Massen (vgl. Weege 1992: 40). Gelingt es einer regierenden Elite nicht, genügend zur Herrschaft befähigte Personen zu rekrutieren, können sich in den Unterschichten Personengruppen mit zur Herrschaft geeigneten Persönlichkeitsmerkmalen konstituieren und die Übernahme der Herrschaftsgewalt anstreben. Nach Pareto sind in derartigen Situationen die Bedingungen für das Entstehen von Revolutionen gegeben. Allerdings ändert sich auch nach einer Revolution nichts an der dichotomen Gesellschaftsordnung. Soziale Merkmale der Elitenschicht können sich Paretos Theorie zufolge ändern, die entscheidende Tatsache der gesellschaftlichen Teilung zwischen Herrschenden und Masse jedoch nicht.
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Diese Trennung in Elite und Masse ist auch das Ergebnis der viel zitierten „Soziologie des Parteienwesens“ von Robert Michels. Am Beispiel der SPD während der Zeit des Deutschen Kaiserreichs zeigte Michels auf, dass Massenparteien, selbst wenn sie sich nachdrücklich zum Demokratieprinzip bekennen, zu bürokratischen Verkrustungen sowie zur Ausbildung einer oligarchischen Führungsstruktur neigen (vgl. Detjen 2001: 471). Genau dies besagt Michels berühmtes „ehernes Gesetz der Oligarchie“: „Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie. Im Wesen der Organisation liegt ein tief aristokratischer Zug. Die Maschinerie der Organisation ruft, indem sie eine solide Struktur schafft, in der organisierten Masse schwerwiegende Veränderungen hervor. Sie kehrt das Verhältnis des Führers zur Masse in sein Gegenteil um. Die Organisation vollendet entscheidend die Zweiteilung jeder Partei bzw. Gewerkschaft in eine anführende Minorität und eine geführte Majorität.“ (Michels 1970 [1911]: 25)
Michels leitet daraus ab, dass damit eine reale Demokratie ausgeschlossen sei, wobei er sich an den Demokratiebegriff Rousseaus anlehnt. Die Gründe für die Oligarchisierung menschlicher Zweckorganisationen sind seiner Auffassung nach technisch-administrativer, psychologischer und intellektueller Natur. Michels verweist auf die Richtigkeit der Theorien Moscas und Pareto und stellt fest, dass die Gesellschaft nicht ohne herrschende oder politische Klasse existieren kann, dass entgegen dem Demokratieversprechen nicht die Masse herrscht und dass die Politik in Kämpfen zwischen einer sich um den Besitz der Herrschaft wehrenden alten Minderheit und einer in der Eroberung der Macht begriffenen, ehrgeizigen neuen Minderheit besteht (vgl. Detjen 2001: 471). Michels „Soziologie des Parteienwesens“ ist mit dem gewählten fundamentalen Demokratiebegriff und der Bestätigung seines „ehernen Gesetzes“ eine Widerlegung der Möglichkeit der innerparteilichen Demokratie (vgl. Stölting 2000: 308).
2.1.2.2
Konjunkturen des Elitebegriffs nach 1945
Allen drei machiavellistischen Elitetheorien ist gemeinsam, dass sie von einer strikten Dichotomie zwischen Elite und Masse ausgehen und damit unter anderem auch die Absicht verfolgen, die Idee der Demokratie zu diskreditieren und ins Reich der Utopie zu verweisen (vgl. Hoffmann-Lange 2004: 25). In der Nachkriegszeit, vor allem in den fünfziger Jahren, ging man jedoch davon aus, dass Modelle einer dichotomen Machtverteilung auf die durch „einen hohen Differenzierungsgrad und komplexe Formen der Arbeitsteilung gekennzeichneten soziopolitischen Systeme der Gegenwart“ (Weege 1992: 41) nicht anwendbar seien. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche Subsysteme
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und Sektoren konnte daher für die Elitenstruktur nicht folgenlos bleiben. Hoffmann-Lange bringt dies auf den Punkt: „Der Modernisierungsprozess hat neben tiefgehenden Änderungen in der Sozialstruktur auch Auswirkungen auf die Elitenstruktur moderner Gesellschaften mit sich gebracht. Im Zuge dieses Prozesses wurde eine kleine, homogene, durch Zugehörigkeit zur Erbaristokratie legitimierte herrschende Klasse abgelöst durch einen Elitenpluralismus, der sich aus der organisatorischen Ausdifferenzierung eines freien Unternehmertums, moderner Massenmedien sowie unabhängiger politischer Parteien und Verbände ergab.“ (Hoffmann-Lange 2004: 25)
Da den Klassikern „jede Vorstellung eines gesellschaftlichen Strukturwandels“ (Herzog 1975: 24) fehlte, hatten ihre Theorien für die spätere Eliteforschung nur noch beschränkten Wert. Das pluralistische Paradigma der Elitenforschung (vgl. Hoffmann-Lange 1990: 15; Hoffmann-Lange 2003: 1; Keller 1991 [1963]) löste die klassischen Elitetheorien ab und dominiert als Elitenkonzept die aktuelle empirische Forschung (vgl. Derlien/Lang 2004: 169). Suzanne Keller gilt als eine der wichtigsten Theoretikerinnen des Elitenpluralismus. Ihrer Theorie strategischer Eliten zufolge führen vier gesellschaftliche Differenzierungsprozesse zu einem Übergang von einer homogenen Elite zu einem Elitenpluralismus: Bevölkerungswachstum, gesellschaftliche Arbeitsteilung, die Herausbildung gesellschaftlicher Großorganisationen und die Pluralisierung der Werte. In der Folgezeit spricht die Forschung daher nicht mehr von einer monolithischen Elite, sondern von sektoralen Eliten oder konstitutiven Gruppen, aus denen sich die pluralistische Elite zusammensetzt (vgl. Hoffmann-Lange 2003). Unter Elitenforschern lässt sich kein Konsens darüber ausmachen, welche Elitesektoren relevant sind. In der Regel werden die Sektoren Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Verbände und soziale Bewegungen, Medien, Wissenschaft und Kultur genannt (vgl. Hoffmann-Lange 2003: 114). Zudem lässt sich ein weiterer Grund anführen, wieso nach Ende des Zweiten Weltkrieges das Elitenverständnis von Mosca oder Pareto nicht länger geteilt wurde. Krais gibt zu Bedenken, dass der machiavellistische Elitebegriff – vor allem im Sinne Paretos – von den Faschisten aufgegriffen wurde: „Der faschistische Anspruch auf totalitäre Herrschaft gründet sich auf die unüberbrückbare Kluft zwischen Masse und Elite, eine Kluft, die im Führerprinzip mit der mythischen Gestalt des Führers und den entsprechenden Unterführern, vor allem der SS, einen extremen Ausdruck fand.“ (Krais 2003: 37)
Diese ideologische Vereinnahmung und weltanschauliche Aufladung des klassischen Elitebegriffs durch den Nationalsozialismus und die italienischen Faschisten einerseits und die Anerkennung gesellschaftlicher Modernisierungs- und Ausdifferenzierungsprozesse andererseits führten in der Nachkriegszeit zu einer neuen Sicht auf Eliten. Lautete die Frage bei Mosca, Pareto und Michels noch
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„Eliten oder Demokratie?“, beschäftigte man sich in der Nachkriegszeit mit „Eliten und Demokratie“, ging also der Frage nach, wie demokratische Eliten möglich seien (vgl. Münkler/Bohlender/Straßenberger 2006: 13). Die Vereinbarkeit von Demokratie und Elitenherrschaft wurde nicht länger angezweifelt. Schumpeter sah im Wettbewerb um politische Herrschafts- oder Elitepositionen gar das konstitutive Merkmal einer Demokratie (vgl. Schumpeter 1993 [1942]). Für Vertreter der Theorie der demokratischen Elitenherrschaft wie Dahl (vgl. Dahl 1961; Dahl 1971) verhindert der Pluralismus autonomer Eliten, die in vieler Hinsicht gegenläufige oder zumindest nicht übereinstimmende Interessen vertreten, die „Zusammenballung gesellschaftlicher Macht bei einer kleinen, sozial und interessenmäßig homogenen Elite“ (Hoffmann-Lange 2004: 26). Aus diesem Verständnis heraus wurde Elite neu definiert. Münkler gibt zu bedenken, dass in den klassischen Theorien „der Elitebegriff noch kaum differenziert genug verwendet wird, um unterschiedliche Typen von Eliten (Wert-, Leistungs-, Funktions- oder Machteliten) zu unterscheiden“ (Münkler 2000: 80). Viele Forscher sehen aber genau im Übergang vom Begriff der Wertelite zum Begriff der Funktionselite den entscheidenden Paradigmawechsel (vgl. Stammer 1951; Bürklin 1997; Bude 2000). Unter Werteliten können diejenigen Minderheiten verstanden werden, welche „die in der Gesellschaft gültigen Grundwerte besonders glaubwürdig vertreten und somit Vorbildcharakter gewinnen“ (Kaina 2004: 18). Die Wertelite – und damit ist man bei der ersten Definition oben angedeuteter Bindestrich-Eliten – ist „die Auslese der jeweils besten einer Gesellschaft, die in ihren persönlichen Eigenschaften und ihrem Lebensstil die höchsten Werte des Gemeinwesens in exemplarischer Weise verkörpern“ (Bürklin 1997: 16; vgl. dazu ebenfalls: Lenk 1982). Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus war es eine wichtige Voraussetzung für die Revitalisierung der Eliteforschung, zu einer objektiveren Definition von Eliten zu kommen. Mit dem Begriff der Funktionseliten wurde dies erreicht. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Arbeiten Otto Stammers. Für Stammer erschien der Wertbegriff der Elite für die Analyse der Herrschaftsordnungen in Demokratien nicht brauchbar, da er auf philosophischen und weltanschaulichen Prämissen in Form der selbsttätigen Herrschaftsausübung durch eine Auswahl der entweder im moralischen, im geistigen oder im gesellschaftlich-ständischen Sinn Besten beruhte (vgl. Stammer 1951: 521). Daher führte er für die Analyse der Herrschaftsstruktur in Demokratien den Begreif der Funktionseliten ein: „In den Systemen demokratischer Herrschaft sind aber als Eliten anzusehen lediglich die mehr oder weniger geschlossenen sozialen und politischen Einflußgruppen, welche sich aus den breiten Schichten der Gesellschaft und ihren größeren und kleineren Gruppen auf dem Weg der Delegation oder der Konkurrenz herauslösen, um in der sozialen oder der politischen Organisation des Systems eine bestimmte Funktion zu übernehmen." (Stammer 1951: 521)
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Die ausgeübte Funktion der Person oder der Gruppe und die damit verbundene Möglichkeit zur Ausübung von Macht und Einfluss stehen im Vordergrund der Definition. Der Begriff der Funktionselite findet sich in einer Vielzahl von Publikationen wieder. Hoffmann-Lange weist auf eine interessante Nuance im Begriffsverständnis hin. Sie steht der Interpretation, dass Funktionseliten einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Gesellschaftsstruktur leisten und die Herrschenden ihre Macht folglich zum Wohle der Gesellschaft einsetzen, kritisch gegenüber. Ihrer Auffassung nach subsumiert man unter der Funktion der Eliten besser die Beeinflussung sozialer Prozesse (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 20). Davon abgesehen diente der Funktionselitenbegriff von Stammer vielen Forschern als Orientierung, beispielsweise der Tübinger Forschergruppe um Zapf und Dahrendorf. Zapf untersuchte die Entwicklung der Führungsgruppen zwischen 1919 und 1961. Sein Fokus lag auf ausgewählten Inhabern von Machtund Einflusspositionen (vgl. Zapf 1965: 61). Er verglich die Sozialstruktur von Eliten in zeitlicher Abfolge während der verschiedenen politischen Systeme in Deutschland. Dahrendorfs Untersuchung erlangte durch das viel zitierte „Kartell der Angst“ Aufmerksamkeit. Darunter verstand er vor allem die mangelnde soziale Kohäsion deutscher Eliten. Dahrendorf begründete dies mit der fehlenden Institution einer gemeinsamen Elitensozialisation und -rekrutierung. Daher mangele es an sozialen Bindungen und die Elitemitglieder seien nicht durch biographische Merkmale miteinander verbunden. Eliten seien damit „keine reale Gruppe, Schicht oder Klasse, sondern eine bloße Kategorie, eine abstrakte Elite“ (Dahrendorf 1965: 306), aus deren Unwillen zur Konkurrenz der ängstliche Zusammenschluss zu einer Art gegenseitigem Nichtangriffspakt resultiere (vgl. Golsch 1998: 26). Eng verbunden mit dem Konzept der Funktionseliten oder in Ablehnung dazu entstanden drei weitere Elitebegriffe. Kaum vom funktionalen Verständnis von Eliten zu trennen ist der Leistungsgedanke. Stellt man sich die Frage, was die Inhaber von Elitepositionen berechtigt, Funktionen in der Gesellschaft zu übernehmen, kommt man sehr schnell zum Begriff der Leistungselite. Systematisch herausgearbeitet wurde diese Variante zu Beginn der 60er Jahre von Dreitzel. Er erläutert, was die Zugehörigkeit zu einer Elite in einer modernen Gesellschaft ausmacht: „Der Elitebegriff bezeichnet die Inhaber von Spitzenpositionen in der Gesellschaft, die auf Grund einer sich wesentlich an der (persönlichen) Leistung orientierenden Auslese in diese Positionen gelangt sind.“ (Dreitzel 1962: 67)
Das tragende Element dieses Begriffs ist die persönlich zurechenbare Leistung, „nicht aber ein Besitztitel oder ein durch Geburt vorliegendes Prinzip“ (Krais 2001: 19). Auch andere Autoren verweisen auf das enge Verhältnis zwischen
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Funktionseliten und „einem formalen, wertneutralen Leistungsbegriff, der auf den Zugang zu Elitepositionen über Qualifikation (Bildungsabschlüsse) und beruflichen Erfolg (Alter bei Besetzung von Führungspositionen) abhebt“ (Münkler/Bohlender/Straßenberger 2006: 18). Hoffmann-Lange weist darauf hin, dass in modernen Gesellschaften „in erster Linie meritokratische Kriterien für die Elitenrekrutierung bedeutsam“ (Hoffmann-Lange 2004: 27; HoffmannLange 2007) sind. Herrschaft legitimiere sich demnach durch Leistung. Angelehnt an Dreitzel betont Krais, dass die Leistungsqualifizierung grundsätzlich auf jedem Gebiet erfolgen könne, das für die Gesellschaft von Interesse und Bedeutung ist. Denkbar sind somit unter anderem militärische, sportliche, unternehmerische oder kulturelle Leistungen. Der Begriff der Leistungselite sieht sich aber auch Kritik ausgesetzt. Für Krais ist es problematisch, die für den Zugang zu Spitzenpositionen unterstellte Leistung tatsächlich zu messen (vgl. Krais 2001: 50). Ihr zentraler Einwand gegen die Verwendung eines so verstandenen Elitebegriffs liegt in der ihrer Meinung nach extrem vereinfachten Vorstellung von Gesellschaft. Demnach werde mit dem Elitebegriff noch immer der Gegensatz von Masse und Elite verbunden. Zwar werde die Elitestruktur plural aufgefasst, die nicht zur Elite gehörenden Personen würden dagegen als bloßer „Rest“ erscheinen oder gar mit den „verächtlichen Begriff der Masse belegt“ (Krais 2001: 50). Sie kommt zum Schluss: „So naheliegend der Elitenbegriff daher in einer lebensweltlichen Perspektive manchem erscheinen mag, so kann diese Perspektive doch nicht den primären Bezugspunkt für die soziologische Analyse abgeben.“ (Krais 2001: 50)
Hartmann sieht den auf Leistung beruhenden Elitenbegriff ebenfalls kritisch (vgl. Hartmann 2002; Hartmann 2004a; Hartmann 2004b). Die Kernthese seiner Untersuchung lautet, dass für Spitzenkarrieren in Deutschland die soziale Herkunft und nicht die individuelle Leistung entscheidend ist. Nach Hartmann haben sich die Erwartungen der funktionalistischen Elitentheorie, die soziale Öffnung der Hochschulen werde zu einer sozialen Öffnung des Zugangs zu Eliten führen, nicht erfüllt (vgl. Hartmann 2002: 151). Allerdings gelte dies nicht für alle Elitesektoren gleichermaßen. Die Rekrutierungsprozesse in der Politik sind nach Hartmanns Erkenntnissen wesentlich offener als die im Sektor Wirtschaft. Für eine politische Karriere kann eine soziale Herkunft aus einem Arbeiter- oder Angestelltenhaushalt durchaus förderlich sein. Auch bei den Berufskarrieren in der Justiz sei ein deutlicher Unterschied zum Wirtschaftssektor festzustellen. Hier gebe es zwar keine signifikante Bevorzugung einer sozialen Herkunft, wohl aber dominiere die Form der Berufsvererbung. Allein der Wissenschaftsbereich stelle für die „Normalbevölkerung“ denjenigen Sektor dar, in dem die Karrierechancen weitgehend von der sozialen Herkunft unabhängig seien (vgl. Hartmann
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2002: 145). Hartmann bezeichnet den Begriff der Leistungselite daher als einen Mythos. Der Begriff der Machtelite liegt ebenfalls konträr zu einem elitenpluralistischen Verständnis, wie es dem Funktionselitenbegriff zugrunde liegt. Das Werk von C. Wright Mills über die amerikanische „power elite“ (vgl. Mills 1956) befindet sich in „bewusster Frontstellung gegen das in der amerikanischen Sozialwissenschaft der fünfziger Jahre dominierende Pluralismusmodell“ (Weege 1992: 44). Diese Machtelite sei ein Netz einander ergänzender Positionsträger, welches sich aus Inhabern der höchsten Kommandopositionen in der Regierung, dem Militär und der Wirtschaft zusammensetze. Die Machtelite zeichne sich durch die Betonung der Elitenkohäsion und der geringen Responsivität gegenüber den Wünschen der Bevölkerung aus. Damit würde die Machtelite dem Elitenmodell der klassischen Elitetheorien ähneln (vgl. Hoffmann-Lange 2004: 29). Die in der Elitenkohäsion zum Ausdruck kommende Kooperation lasse sich durch einen gemeinsamen sozialen Hintergrund begründen, „der von den Merkmalen Reichtum, vorzügliche Bildung, enge persönliche und familiäre Bindungen und einem ähnlichen, den großstädtischen Oberschichten entsprechenden Lebensstil“ (Weege 1992: 45) geprägt werde. Innerhalb der Machtelite dominieren Mills zufolge die wirtschaftlichen Eliten. Sie sind Inhaber von Elitepositionen, die nicht durch Wahl oder bürokratische Beförderung besetzt werden, sondern durch Kooptation. Dadurch werde die Politik in wesentlichen Punkten der öffentlichen Auseinandersetzung entrückt. Der Begriff der Macht steht auch im Mittelpunkt des modernen sozialwissenschaftlichen Elitebegriffs, wie er vor allem in der Eliteforschung Mannheimer Provenienz verwendet wird. Dies soll am Ende dieses Abschnitts skizziert werden. Der Begriff der Macht taucht auch hier auf: „In den Sozialwissenschaften besteht weitgehend Konsens darüber, Eliten als Personen zu definieren, die sich durch ihre gesellschaftliche Macht bzw. ihren Einfluß auf gesellschaftlich bedeutsame Entscheidungen auszeichnen.“ (Hoffmann-Lange 1992: 19)
Nach Hoffmann-Lange hat man daher „die Gruppe der gesellschaftlich Mächtigen im Auge“ (Hoffmann-Lange 2004: 25; Hervorhebung im Original), wenn man über Eliten spricht. Dieses Eliteverständnis knüpft am Konzept funktionaler Eliten an. Die Funktion der zahlenmäßig kleinen Gruppe der mächtigsten Personen in einer Gesellschaft ist die Teilnahme an den für die Gesamtgesellschaft zentralen Entscheidungen. Der Machtbegriff wird aber genauer spezifiziert. Die Macht derart verstandener Eliten ist institutionalisiert, so dass sie als Ausdruck einer dauerhaften Machtstruktur aufgefasst werden könne (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 19). Nach Bürklin muss diese Mitwirkung an bedeutsamen Entscheidungen „maßgeblich und regelmäßig sein“ (Bürklin 1997: 16; Higley/Field/Gröholt
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1976: 16). So sei beispielsweise der Einfluss des Wählers zwar regelmäßig, aber dennoch nicht maßgeblich. Der Anschlag einer terroristischen Gruppe könne maßgeblich die nationale Politik beeinflussen, nicht aber regelmäßig. In modernen Gesellschaften sei regelmäßige und maßgebliche Machtausübung überwiegend institutionalisiert und an Ämter und Führungspositionen gebunden. Bewusst vernachlässigt werden in dieser Sichtweise „graue Eminenzen“ in Form kleiner Gruppen von Personen, welche auch ohne Amt Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben können. Nach Bürklin ist somit „die nationale Elite durch den Personenkreis definiert, der die Führungspositionen in den wichtigsten Institutionen und Organisationen einer Gesellschaft innehat“ (Bürklin 1997: 16). Bürklin ersetzt seinen Angaben zufolge mit dieser Konkretisierung den eher unspezifischen Begriff der Funktionselite durch den in seinen Augen exakteren Begriff der Positionselite. Wichtig für das Eliteverständnis der Mannheimer und Potsdamer Eliteforschung ist der formale Charakter des Elitebegriffs, wodurch auch der Unterschied zum Machtelitebegriff nach Mills offensichtlich wird: „Der hier gewählte Elitebegriff ist ein rein formaler Begriff, d.h. er beinhaltet lediglich die Annahme, dass Macht in der Gesellschaft ungleich verteilt ist, sagt jedoch nichts über die Gestalt und die Merkmale einer gesellschaftlichen Elite aus. So bleibt offen, ob es sich bei einer bestimmten Elite um eine herrschende Klasse, eine kohäsive Machtelite oder um eine Konfiguration weitgehend autonomer und pluralistischer Führungsgruppen handelt, aus welchen Basisgruppen und aufgrund welcher Kriterien ihre Mitglieder rekrutiert werden, oder ob diese ihre Macht zum Wohl oder Wehe der Gesellschaft einsetzen.“ (Hoffmann-Lange 1992: 20)
Dieser formale Machtbegriff muss nach Ansicht der Eliteforschung Mannheimer Provenienz erst empirisch mit Inhalt gefüllt werden. Die drei Mannheimer Elitestudien von 1968, 1972 und 1981 (vgl. Wildenmann 1968; HoffmannLange/Neumann/Steinkemper 1980; Wildenmann/Kaase/ HoffmannLange/Kutteroff/Wolf 1982; Hoffmann-Lange 2000) und die Potsdamer Elitestudie von 1995 (vgl. Bürklin/Rebenstorf/u.a. 1997) haben dazu eine breite empirische Datenbasis geliefert. Im Mittelpunkt der Elitestudien stehen die Rekrutierung, Repräsentation, Kohäsion und Kontaktmuster in Eliten-Netzwerken. Dahrendorfs These vom mangelnden Ausmaß der Kohäsion deutscher Eliten und vom „Kartell der Angst“ wird von Hoffmann-Lange zu Beginn der 90er Jahre bestritten. Sie konstatiert trotz der sozialen Heterogenität und der beruflichen Spezialisierung eine regelmäßige Interaktion zwischen den Organisationen und Sektoren. Das breite Tätigkeits- und Kontaktspektrum und ihre dediziert politischen Präferenzen sprächen gegen die Annahme einer defensiven Haltung der Eliten in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 405). Ein wichtiges Forschungsergebnis war unter anderem auch, dass die politische Elite als Teilelite eine Sonderstellung innehat. Sie nimmt überdurchschnittlich häufig
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zentrale Positionen in Elitennetzwerken ein und weist damit eine Scharnierfunktion zwischen den einzelnen Teileliten auf: „Die zentrale Position des Sektors Politik zeigt sich sowohl im Hinblick auf die Bedeutung der politischen Parteien bei der Strukturierung gesellschaftlich-politischer Konfliktmaterien als auch auf die Zentralität von politischen Institutionen und Politikern im Organisations- und Personennetzwerk. Zwar ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Überordnung der politischen Instanzen gegenüber den übrigen Sektoren, aber sie verleiht dem Sektor Politik ein erhebliches Maß an Autonomie, da seine Mitglieder bis zu einem gewissen Grade die Möglichkeit haben, durch selektive Mobilisierung von Unterstützung die Dinge in ihrem Sinne zu beeinflussen.“ (Hoffmann-Lange 1992: 403f; Hervorhebung im Original)
Diese Ergebnisse wurden in der ersten gesamtdeutschen Elitestudie, der Potsdamer Elitestudie von 1995, bestätigt. Die Forscher um Wilhelm Bürklin stellten im Vergleich zur Mannheimer Elitestudie von 1981 fest, dass sich die Aufstiegschancen für Kinder aus der Nichtdienstklasse verbessert hätten und die Rekrutierungsbasis für Elitepositionen in Deutschland insgesamt breiter und offener geworden sei. Großen Raum nehmen in der Potsdamer Studie die Fragen nach Unterschieden zwischen West- und Ostdeutschland ein. Gemessen am ostdeutschen Bevölkerungsanteil sind demnach Ostdeutsche mit einem Anteil von knapp 12 Prozent in der Führungsschicht des vereinten Deutschlands unterrepräsentiert (vgl. dazu auch: Hoffmann-Lange 2000). Aufgrund der in den vier großen Elitestudien festgestellten Zentralität der politischen Elite verwundert es nicht, dass diese Subelite auf ein besonderes Forschungsinteresse stößt. Auf die Untersuchung Dietrich Herzogs aus dem Jahr 1975 wurde bereits in der Einleitung verwiesen. Auch Herzog wählte einen positionalen Eliteansatz. Für seine Analyse der Selektion und Professionalisierung deutscher Spitzenpolitiker führte er im Frühjahr 1968 124 „halbstrukturierte Interviews“ (Herzog 1975: 57) mit offenen Fragen durch. Er konzentrierte sich dabei auf die politische Elite im engsten Sinn, nämlich die Inhaber politischer Führungspositionen in Bundesregierung, Bundestag und den Parteien. Herzog beschränkte sich jedoch nicht auf die herkömmliche Analyse der sozialen Herkunft der Spitzenpolitiker, sondern wollte den gesamten Prozess der Elitenrekrutierung verlaufssoziologisch analysieren. Als Ergebnis legte Herzog eine Typologie politischer Karrieren vor, wonach zwischen einer Standard-Karriere, einer Cross-Over-Karriere und einer reinen Polit-Karriere unterschieden werden kann. Herzogs Forschungsansatz und seine Typenbildung werden in den Abschnitten 2.4 und 6.2 noch ausführlicher behandelt. Zahlreiche Untersuchungen der politischen Elite operieren mit dem Ansatz Herzogs und dem Konzept der Positionseliten. Zu nennen wären beispielsweise die Untersuchung von Spitzenpolitiker durch von Beyme (vgl. von Beyme 1971), die Arbeit Langes über Mitglieder westdeutscher Landesregierungen (vgl. Lange 1976), Holls Analyse westdeut-
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scher Landespolitiker (vgl. Holl 1990), die Untersuchung von Parlamentariern in den ostdeutschen Bundesländern von Derlien/Lock und Lohse (vgl. Derlien/Lock 1994; Lohse 1999) oder die Analyse von Golsch zu Hinterbänklern im Deutschen Bundestag (vgl. Golsch 1998). Zwar kritisieren Borchert und Stolz an Herzog die zu starke Fixierung auf politische Führungsgruppen und die zu sehr auf eine berufsstrukturelle Sicht beruhende Typenbildung (vgl. Borchert/Stolz 2003: 149). Dennoch legt die Fragestellung vorliegender Arbeit es nahe, sich an Herzogs Forschungsansatz zu orientieren. Der Gegenstand der Arbeit sind politische Karrieren und selbst über dreißig Jahre nach der Veröffentlichung von „Politische Karrieren – Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen “ führt nur sehr schwer ein Weg an Herzog und seinen Ergebnissen vorbei. Am Ende dieses ausführlichen Rückblicks auf Entstehung und Entwicklung des Elitebegriff und der damit verbundenen einschlägigen Forschungsarbeiten bleibt die Frage zu beantworten, auf welchen Begriff sich die Arbeit im Folgenden stützt. Es ist der Begriff der politischen Elite, verstanden im Sinne der Eliteforschungen Mannheimer Provenienz als eine Positionselite, bestehend aus den noch zu identifizierenden politischen Führungsgruppen der Bundesrepublik Deutschland.
2.1.3 Politische Elite und politische Klasse Das Konzept der politischen Elite als „funktional und positionell abgrenzbare Führungsgruppen des politischen Systems, deren Macht in der Demokratie nur als Derivat der Volkssouveränität gerechtfertigt werden kann“ (von Beyme 1971: 10), steht allerdings seit Beginn der 90er Jahre in der Kritik. Auf Hartmanns Kritik vom „Mythos der Leistungseliten“ wurde bereits ebenso verwiesen, wie auf die kritischen Anmerkungen zum Elitebegriff – vor allem in der Variante der Leistungseliten – von Krais. An anderer Stelle wird deutlich, dass sich gerade Krais hauptsächlich an der Fokussierung auf die Spitzen der Gesellschaft und der damit ihrer Meinung nach vernachlässigten Betrachtung der Beziehungen zwischen Elite und Nichteliten stößt: „In den Horizont der Analyse geraten nur Positionen und Personen bzw. Personengruppen, die – nach welchen Kriterien auch immer – zu einer ‚Elite’ gehören. Es ist kein Zufall, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nur als Restkategorie auftaucht, als undifferenzierte, amorphe ‚Masse’. Die Beziehungen zwischen ‚Eliten’ und dem Rest der Bevölkerung bleiben im Dunkeln.“ (Krais 2003: 101)
Andere Autoren gehen noch einen Schritt weiter und kritisieren nicht nur eingeschränkte Sichtweisen, sondern stellen das Begriffspaar „Elite“ und „Masse“ an sich in Abrede. Die Gegensätze zwischen Führung und Geführten seien „in einer 32
versöhnten Gesellschaft überflüssig“ (Demirovic 2003: 129). Oder noch deutlicher: „Elitepositionen fördern zwangsläufig immer auch Inkompetenz, Korruption, Bluff, Arroganz, Befehlshaltung, Distanz zu allen, die unten stehen oder durch ein solches Verhalten nach unten gedrängt werden sollen.“ (Demirovic 2003: 131)
Allerdings bleibt eine fundierte Begründung für diese Extremhaltung aus. In dieser Kritik klingt jedoch eine Sichtweise auf politische Führungsgruppen an, die den Inhabern politischer Top-Positionen die Eigenschaft zuschreibt, sie würden als eine „Interessengruppe für sich selbst“ (von Beyme 1993: 33) agieren. In diesem Zusammenhang taucht immer wieder der Begriff der politischen Klasse auf. Dabei empfiehlt es sich, zwischen der Verwendung des Begriffs in der politischen Publizistik und seines Gebrauchs als wissenschaftliche Kategorie und neue „Dimension der Elitenforschung“ (von Beyme 1992; von Beyme 1996) zu unterscheiden. In der publizistischen Verwendung kann man – Borchert und Golsch folgend – fünf Angriffspunkte identifizieren (vgl. Borchert/Golsch 1995: 610f). Mit dem Etikett der „politischen Klasse“ sprechen Autoren die Tatsache an, dass Politik in modernen repräsentativen Demokratien als Beruf betrieben wird, die staatlichen Entscheidungsstellen demnach von Berufspolitikern besetzt werden. Zudem taucht der Begriff meist verstärkt auf, wenn die Selbstbedienungsmentalität der Politiker thematisiert wird. Dies ist vor allem zu beobachten, wenn politische Skandale, Korruption oder umstrittene Diätenerhöhungen der Abgeordneten die Schlagzeilen dominieren. Mit „politischer Klasse“ wird zudem versucht, den Parteienstaat als Ausprägung der Parteiendemokratie zu kritisieren. Demnach würde die Gesellschaft mehr und mehr durch das Kartell politischer Parteien kolonialisiert (vgl. von Beyme 1993: 58ff). Einen weiteren Angriffspunkt sehen Borchert und Golsch im Verfall der Opposition. Dies werde am zunehmenden Verwischen erkennbarer programmatischer Unterschiede zwischen den Parteien deutlich, was nicht zuletzt an den Zwängen und Restriktionen der internationalen Ökonomie liege. Schließlich wird die Handlungsfähigkeit der Politik an sich kritisch betrachtet. Der Nationalstaat habe immer geringere Möglichkeiten, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme innerhalb seiner Grenzen zu lösen. Die „Politikerkaste“ könne viele ihrer Wahlversprechen nicht einlösen. In der Alltagsdiskussion besteht, zusammenfassend gesagt, die politische Klasse aus „Berufspolitikern, die abgehoben haben von der Bevölkerung“ (Scheuch/Scheuch 1995: 115). Die Beiträge von Arnims gehen in eine ähnliche Richtung (vgl. Von Arnim 1996, 1997, 1998, 2000). Auch Holtmann weist darauf hin, dass in der politischen Publizistik die so apostrophierte politische Klasse „auf einem virtuellen Schinderkarren durch die Lande gefahren wird“ (Holtmann 2004: 42).
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Verwendet werde der Begriff der politischen Klasse als „Denunziationsbegriff“ (Mayntz 1999: 425) mit einer polemischen Färbung, wobei man Meyer zustimmen muss: „Polemische Begriffe haben etwas Grobschlächtiges. Sie legen wenig Wert auf begriffliche Schärfe. In einem Randbereich sind sie von gehöriger Unschärfe.“ (Meyer 2001: 19)
Nicht nur deswegen haben Soziologie und Politikwissenschaft versucht, den Begriff der politischen Klasse – fernab seiner journalistischen oder semiwissenschaftlichen Verwendung – als wissenschaftliche Kategorie zur Analyse politischen Personals einzuführen. Hierbei lassen sich vier Konzeptionen unterscheiden. Im Rahmen seiner Forschungen zur gesellschaftlichen Verankerung von Bundestagsabgeordneten verwendete Herzog zu Beginn der 90er Jahre den Begriff der politischen Klasse (vgl. Herzog/Rebenstorf/Werner/Wessels 1990; Herzog 1992; 1993). Er bleibt im Wesentlichen seiner früheren Argumentation des Funktionswandels der Parlamente treu. Infolge fortschreitender Individualisierung und Pluralisierung sowie einer zunehmenden Mobilisierung der Bevölkerung lösten sich stabile Koalitionen zwischen sozialen Gruppen und der Politik auf. Gesellschaftliche Konflikte würden damit fragmentierter. Das Parlament habe die Aufgabe, diese unterschiedlichen Interessen in politische Strategien zu übersetzen. Das Parlament sei entscheidend an der Staatsleitung beteiligt und müsse daher aktiv am Prozess der „soziopolitischen Steuerung“ (Herzog 1993: 44) teilnehmen. Die Selektion gesellschaftlicher Interessen und die Aufrechterhaltung der Steuerungskapazität des Parlaments seien demnach die Aufgaben der politischen Klasse. Sie würde von Berufspolitikern wahrgenommen, welche die dazu notwendigen Fähigkeiten im Laufe ihrer politischen Karriere erworben hätten. Andere Autoren sehen in Herzogs Konzeption nur eine „weitere strukturfunktionalistische Variante des Elitenbegriffes“ (Golsch 1998: 30), wodurch der Begriff der politischen Klasse kein genuines analytisches Potential entwickeln könne. In der Tat stellt Herzog fest, dass „innerhalb des gesamten Kommunikationsnetzwerks ein ‚strategisches Zentrum’ existiert, wo gleichsam ‚die Fäden zusammenlaufen’: in den parlamentarisch-gouvernementalen Führungsgruppen, also in den Fraktionsvorständen, der Regierung und den Spitzen der Ministerialbürokratie. Hier liegt offensichtlich der Kern der politischen Klasse“ (Herzog 1992: 141). Herzog bleibt damit größtenteils nahe an der Begriffsdefinition der politischen Elite. Die Konzeption von Rebenstorf (vgl. Rebenstorf 1995) weist Unterschiede auf. Sie sieht die Notwendigkeit des Klassenbegriffs in der Schwäche bestehender Ansätze bei der Erforschung von Führungsgruppen. Diese würden sich zu sehr auf die Personengruppen fixieren, die bestimmte Staatsfunktionen erfüllen.
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Vor allem fehle jedoch eine Erklärung für das nach ihrer Meinung erforderliche Mindestmaß an Kohäsion: „Ein Klassenmodell kann zeigen, welche Macht Führungsgruppen haben, woher sie diese beziehen, wieweit sie ihre Macht einzusetzen vermögen und wie Führungsgruppen verschiedener Bereiche miteinander kommunizieren. Die Anwendung eines Klassenmodells ermöglicht es, Abgrenzungen vorzunehmen, die Aufschluß darüber geben, welche Personen bzw. Positionen der eigentlichen politischen Klasse zugehören und welche Positionen außerhalb dieser bleiben, auch wenn von ihnen Eingriffe in die Politikgestaltung vorgenommen werden.“ (Rebenstorf 1995: 62)
Sie lehnt ihre Version der politischen Klasse an das Modell Bourdieus an (vgl. Rebenstorf 1995: 64ff; Bourdieu 1982). Demnach weisen die Mitglieder der politischen Klasse einen gemeinsamen Habitus auf, bestimmte Verhaltens- und Benimmregeln, welche im Laufe der politischen Sozialisation und Professionalisierung entstehen. Rebenstorf will diesen gemeinsamen spezifischen Habitus nachweisen, „über den sich die politische Klasse als reale Klasse konstituiert und reproduziert“ (Rebenstorf 1995: 116). Ihre politische Klasse besteht aus einem Zentrum, nämlich dem Deutschen Bundestag, und darüber hinaus den Bundesund Landesvorständen der Parteien sowie der Bundesregierung. Kritisiert wird an ihrem Modell vor allem, dass es sehr stark auf das politische Systems Frankreichs zugeschnitten zu sein scheint, vor allem in Hinblick auf die Rolle der „grandes écoles“ für die Rekrutierung der Mitglieder der politischen Klasse. In Deutschland fehlten jedoch derartige zentrale Rekrutierungsinstanzen, die gleichzeitig auch Sozialisationsaufgaben wahrnehmen und damit helfen, einem gemeinsamen Habitus herauszubilden (vgl. Bourdieu 1982; Golsch 1998: 31f). Die dritte Konzeption einer politischen Klasse ist im Bereich der Parteienforschung angesiedelt und geht zurück auf Klaus von Beyme. Er versucht eine exakte Trennung zwischen den Begriffen politische Elite und politische Klasse vorzunehmen: „Die politische Elite versucht, zugunsten Dritter zu handeln. Ihr Interesse ist ein Steuerungsinteresse. Die politische Klasse ist selbstreferentiell in des Wortes wörtlichster Bedeutung angelegt. Sie ist innerhalb der politischen Führungskräfte gleichsam eine Interessengruppe für sich selbst.“ (von Beyme 1993: 31; Hervorhebung im Original)
Das Interesse des Mitglieds der politischen Klasse bestehe daher nicht in der Steuerung des politischen Systems, sondern in der eigenen beruflichen Karriere. Zentrales Mittel zur Zielerreichung ist nach von Beyme der Parteienstaat. Er dient dazu, die berufliche Karriere voranzutreiben oder erst zu ermöglichen. Eingeschlossen in sein Konzept der politischen Klasse sind durch die Klammer des Parteienstaates Spitzenpositionen in der Verwaltung, der Wirtschaft oder den Medien (vgl. von Beyme 1993: 58ff). Die analytische Trennung zwischen politi-
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scher Elite und politischer Klasse bedeutet bei von Beyme jedoch nicht, dass es sich um zwei unterschiedliche Personenkreise handelt. Im Gegenteil existiere vielmehr eine umfangreiche personelle Schnittmenge. Das Konzept der politischen Klasse weist eine größere Reichweite auf. Es enthält Akteure, die in der berühmten Diktion Webers „von der Politik leben“ (Weber 1992 [1919]: 169f). Dies können politische Akteure sein, die Politik professionell betreiben, ohne aber politische Entscheidungsprozesse nennenswert und kontinuierlich zu beeinflussen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Hinterbänkler in den Parlamenten, Spitzenpersonal auf kommunaler Ebene oder parteipolitisch besetzte Posten in kommunalen Wirtschaftsbetrieben oder den Rundfunkanstalten. Golsch weist zu Recht darauf hin, dass der Ansatz von Beymes die politische Klasse als eine integrative Kategorie auffasst (vgl. Golsch 1998: 33). Allerdings entdeckt er in der Fokussierung von Beymes auf den Parteienstaat ein Negativum. Für das politische Systems Deutschlands sei diese Sichtweise zwar plausibel, für die vergleichende Forschung habe diese Konzeption aber erhebliche Nachteile. So würden Systeme mit schwächeren politischen Parteien, wie beispielsweise in den USA, aus „der Reichweite des Konzepts entfernt“ (Golsch 1998: 33). Gerade dort gebe es aber eine Fülle von Forschungsarbeiten, die das Karriereinteresse von Berufspolitikern in den Mittelpunkt des Interesses stellen. In der Tat hat in den Vereinigten Staaten der Aspekt der Rekrutierungsforschung eine lange Tradition, die sich mit dem persönlichen Ehrgeiz von Kandidaten und der durch die Schwäche der amerikanischen Parteien und das Wahlsystem bedingten Selbstrekrutierung von Parlamentsabgeordneten auseinandersetzt. Vor allem Schlesingers „ambition theory“ ist hier erwähnenswert (vgl. Schlesinger 1966). Borchert und Golsch sehen zudem eher in den Parlamenten als in den politischen Parteien den Kern der politischen Klasse, da die Abgeordneten wesentlich über die Bedingungen der Politik als Beruf mitentscheiden (vgl. Borchert/Golsch 1995: 613; Golsch 1998: 33). Aus diesen Kritikpunkten an von Beyme entwickelte die Göttinger Forschergruppe um Jens Borchert und Lutz Golsch eine neue Konzeption einer politischen Klasse. Sie wollen analog zu von Beyme eine klare analytische Trennung zwischen politischer Elite und politischer Klasse vornehmen. Steht bei ersterer Kategorie die Ausübung von Macht in Form der Beeinflussung gesamtgesellschaftlich bedeutsamer Entscheidungen im Vordergrund, dominiert bei letzterer der Gedanke individueller und kollektiver Eigeninteressen politischer Akteure: „Politische Elite bezieht sich dabei u.E. auf die Ebene der Macht und umfaßt all jene, die wesentlichen Einfluß auf politische Entscheidungen, die politische Agenda bzw. das politische Denken nehmen oder nehmen können. Politische Klasse bezieht sich dagegen auf die Professi-
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onalität und das daraus erwachsende individuelle und kollektive Eigeninteresse politischer Akteure.“ (Borchert/Golsch 1995: 612; Hervorhebungen im Original).
Nach Golsch wird die Zugehörigkeit zur politischen Klasse somit „im Gegensatz zur politischen Elite, bei der die tatsächliche Einflußnahme auf den politischen Entscheidungsprozeß ausschlaggebend ist, durch die Ausübung von Politik als dauerhafter Tätigkeit zur Erzielung eines regelmäßigen Einkommens determiniert“ (Golsch 1998: 34; Hervorhebung im Original). Aus zwei Gründen stellen sie die Parlamente in den Mittelpunkt der Analyse. Die Parlamente nähmen in den jeweiligen politischen Systemen eine zentrale Funktion ein und seien damit sowohl Zielpunkt politischer Laufbahnen als auch Ausgangspunkt für einen weiteren politischen Aufstieg. Damit spielten Parlamente insgesamt für politische Karrieren eine Schlüsselrolle. Darüber hinaus werden nach Golsch die Interessen der politischen Klasse an diesem „Kristallisationspunkt“ besonders deutlich (Golsch 1998: 35). Im Parlament könne man erkennen, dass die Politik ein besonderer Beruf sei, da keine andere Berufsgruppe derartig viele Möglichkeiten auf die Ausgestaltung des eigenen beruflichen Umfeldes habe. Parlamente sind das „Nadelöhr“ (Borchert 1999: 11) sowohl für politische Karrieren als auch für institutionelle Reformen mit Auswirkungen auf die jeweiligen Karrierebedingungen. Damit rücke der Zusammenhang der aus der Professionalisierung der Politik erwachsenden Karriereinteressen und der von den individuellen Akteuren bewusst betriebenen Anpassung der politischen Institutionen an die eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt (vgl. Golsch 1998: 36). Diese Konzeption einer politischen Klasse schlage damit eine Brücke zum in der amerikanischen Politikwissenschaft vorherrschenden „supply-side-approach“, der den einzelnen Politiker als Nutzen maximierenden und strategischen Akteur auffasse. Dieser bediene sich seines institutionellen Umfelds zu seinem eigenen Vorteil. In der deutschen und europäischen Perspektive dominiere dagegen der „demand-sideapproach“: Die wachsenden Anforderungen des politischen Systems, die Ausweitung der Funktionen des Staates und der Funktionswandel der Parlamente erzeuge Bedarf an professionellen Vollzeitpolitikern (vgl. Golsch 1998: 35). Die Kategorie der politischen Klasse könne beide Ansätze verbinden. Borchert und Golsch sehen in der politischen Klasse eine strukturell durch Professionalisierung geprägte Gruppe, die gleichzeitig als kollektiver Akteur auftritt. Sie rekurrieren auf Webers Unterscheidung zwischen einem Leben von und für die Politik und auf die Marxsche Unterscheidung zwischen einer Klasse an sich und einer Klasse für sich. Aus der Kombination bilden sie vier Gegenstände der Erforschung von Politikern, mit der Konzentration auf der für sie entscheidenden Kategorie der politischen Klasse (vgl. Abb. 1).
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Abbildung 1:
Abgrenzung der politischen Klasse als Kategorie Leben für die Politik (Macht – Gemeinwohl)
Leben von der Politik (Eigeninteresse – Professionalität)
Klasse an sich (strukturelle Ebene)
Politische Elite
Berufspolitiker
Klasse für sich (Akteursebene)
Machtelite, herrschende Klasse
Politische Klasse
Quelle: Borchert/Golsch 1995: 614; Borchert 1999: 10
Ein derartiges Konzept muss in der Lage sein, Mitglieder der politischen Klasse abzugrenzen. Hier tauchen jedoch einige Schwierigkeiten auf. Für eine empirisch angelegte Forschung reicht der Hinweis nicht aus, es handele sich um alle Personen, die nach Weber „von der Politik“ leben. Borchert und Golsch haben in einigen Publikationen versucht, den Personenkreis einzugrenzen: „Sicher dazu gehören neben den Parlamentariern die Regierungsmitglieder, die hauptamtlichen Parteifunktionäre, Parlamentarier und Regierungsmitglieder auf bundesstaatlicher und supranationaler Ebene – soweit vorhanden – sowie die Mitarbeiter von Abgeordneten und Fraktionen. Dazu gehört auch ein Teil der politischen Beamten, auf politischer Basis ernannte Richter und Medienintendanten, Vertreter der Politik in öffentlichen Unternehmen und Stiftungen sowie Bürgermeister und Stadtdirektoren.“ (Borchert/Golsch 1995: 613f)
Sie müssen jedoch einräumen, dass es gerade bei letztgenanntem Personenkreis erhebliche „Abgrenzungsprobleme“ und „Streitfälle“ gibt (vgl. zur Abgrenzungsproblematik: Borchert/Golsch 1995: 614; Golsch 1998: 38; Borchert 1999; Borchert/Golsch 1999: 123f) und verweisen auf weiteren Forschungsbedarf. Gerade diese Abgrenzungsproblematik ist ein Schwachpunkt des Konzepts der politischen Klasse.1 Es fehlt eine klare Definition, wer Mitglied der politischen Klasse ist. Anhänger der Kategorie würden dies einem positionalen Elitebegriff zwar in gleicher Weise vorwerfen, jedoch scheint der formale, durch die Position definierte Einfluss auf bedeutsame politische Entscheidungen einfacher zu bestimmen zu sein als eine Gruppe politischer Akteure, die durch ein kollektives oder individuelles Eigeninteresse verbunden ist – zumal man in der Verwendung des Elitenkonzepts auf die umfangreichen Erfahrungen der Elitebefragungen aus Mannheim und Potsdam zurückgreifen kann. Golsch stellt zu Recht fest: 1
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Neben den folgenden konzeptionellen Kritikpunkten wird in der Literatur auch bemängelt, dass der Klassenbegriff zu sehr marxistisch konnotiert sei (vgl.: Klingemann/Stöss/Weßels 1991: 28).
„Nur die empirische Analyse kann (...) feststellen, ob eine kollektiv im Eigeninteresse agierende politische Klasse existiert, oder ob sie ein bloßes analytisches Konstrukt ist.“ (Golsch 1998: 38, Hervorhebung im Original)
Für diese empirischen Forschungsarbeiten müsste jedoch der zu untersuchende Personenkreis feststehen. Womöglich kann man hierin auch den Grund dafür sehen, dass sich die Forschung in der Anwendung der Kategorie der politischen Klasse auf die nationalen Parlamente beschränkt. Wie bereits angedeutet zählen Borchert und Golsch die Mitarbeiter von Abgeordneten, Fraktionen und Parteien zur politischen Klasse, in den empirischen Studien spielt die Gruppe der „Organisationsangestellten“ (Borchert/Golsch 1999) keine Rolle. Damit fallen jedoch mehrere tausend Mitglieder der politischen Klasse aus der Forschung heraus2, ganz zu schweigen von den durch die Mechanismen des Parteienproporzes besetzten Personengruppen, wie beispielsweise den Journalisten in öffentlichen Rundfunksendern. Daher merkt Weege berechtigterweise an: „Im übrigen stellt sich angesichts des vorherrschenden Bezugs auf empirische Untersuchungen über Berufspolitiker der Verdacht ein, daß sich die politische Klasse auf der empirischen Ebene eben doch wieder institutionell über die Inhaber formaler Positionen und Rollen im politischadministrativen System konstituiert, was mit dem Konzept der politischen Klasse ja gerade vermieden werden sollte.“ (Weege 1992: 61)
Auch Herzog stellt die Frage, ob nicht die Bedeutung der „Regierung, der Ministerialbürokratie, bestimmten föderativen Institutionen oder bestimmten gesellschaftlichen Machtgruppen“ (Herzog 2000: 749) von Borchert und Golsch übersehen werde. Holtmann argumentiert ähnlich. Er kritisiert ebenfalls die unzweckmäßige Eingrenzung der politischen Klasse, da Borchert und Golsch seiner Meinung nach übersehen, dass der am komplexen Prozess des Regierens beteiligte Personenkreis sich keineswegs auf die Inhaber politischer Wahlämter und Mandate beschränke. Die Reduzierung des Kreises auf die Parteipolitiker schreibe den „urdeutschen Topos einer Trennung von Staat und Gesellschaft fort“ (Holtmann 2004: 50). Eine politische Klasse hat nach der Konzeption von Beymes und in der Auffassung von Borchert und Golsch ein gemeinsames Interesse an einer dauerhaften Tätigkeit zur Erzielung eines regelmäßigen Einkommens. Offen ist, wie dieses individuelle und kollektive Interesse als innere Kohäsion empirisch festgestellt werden kann. Dies ist allein mittels einer gezielten Befragung der Klassenmitglieder möglich. Dabei können berechtigte Zweifel angemeldet werden, ob Mitglieder der politischen Klasse in einer Befragungssituation dieses mate2
Borchert und Golsch sprechen allein bei den Mitarbeitern der Bundestagsabgeordneten von über 2.300 Personen zu Beginn der 90er Jahre.
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rielle Eigeninteresse äußern werden. Zudem sehen Ergebnisse von Abgeordnetenbefragungen das gemeinsame Band zwischen Bundestagsabgeordneten eher in der „politischen Erfolgsmotivation“, bestehend aus Verlangen nach einem Aufstieg in wichtige politische Ämter und dem Durchsetzen politischer Vorhaben (vgl. Mayntz/Neidhardt 1989; Mayntz 1999). Renate Mayntz stellt dazu fest: „Gemeinsam ist ihnen eine mehr durch den institutionellen Kontext als durch Quelle und Höhe ihres Einkommens bestimmte objektive Lage, aus der ein auf diesen Kontext bezogenes Bündel informeller Verhaltensregeln und Handlungsorientierungen erwächst (...).“ (Mayntz 1999: 433)
Zudem fehlen Studien, die mit der Kategorie der politischen Klasse als unabhängige Variable operieren. Das Ergebnis von Golsch, dass die Hinterbänkler im Bundestag die treibenden Kräfte bei der Erhöhung von Mitteln für persönliche Mitarbeiter oder beim Ausbau der parlamentarischen Altersversorgung gewesen seien (vgl. Golsch 1998: 294), reicht sicher nicht aus. Herzog hat Recht, wenn er dieses Ergebnis als „trivial“ bezeichnet, da jede Berufsgruppe darauf aus sei, ihre Ressourcenausstattung zu verbessern (vgl. Herzog 2000: 739). Eine systematische Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Eigeninteresse der Mitglieder der politischen Klasse und institutionellen Wandels steht bislang aus. Der Verweis auf die Erhöhung der Diäten, die Einführung der Abgeordnetenpensionen und die Steigerung der Zahl der Abgeordnetenmitarbeiter genügt hier nicht – zumal einige dieser institutionellen Reformen bereits seit Jahrzehnten umgesetzt sind. Weege gibt darüber hinaus zu bedenken, dass die Verwendung des Begriffs der politischen Klasse „tendenziell einem Ideologieverdacht“ (Weege 1992: 57) ausgesetzt sei. Auch wenn Autoren wie Borchert versuchen, den Begriff als wissenschaftliche Kategorie einzuführen und ihn bewusst von der journalistisch diffamierenden oder polemischen Verwendung zu differenzieren versuchen, klingt doch immer wieder eine Werthaltung gegenüber dem politischen Personal an. Die politische Klasse wäre eine Klasse in dem Sinn, dass sich ihre Angehörigen vom Rest der Bevölkerung absondern, daß sie kollektive Interessen und ein kollektives Bewusstsein über Parteigrenzen hinweg entwickeln (...). (Borchert 2003: 131) Durch eine derartige Betonung angeblicher Absonderungs- oder Abschottungstendenzen kann man eine ideologische Aufladung nicht vollständig verhindern. Holtmann stellt dazu fest: „Die Dämonisierung des Berufspolitikers, die im Begriff der „Politische Klasse“ angelegt ist und, in Verbindung mit „Parteienstaat“ gebracht, dessen negative Konnotationen verstärkt, ist (...) für differenzierte Analysen von Machtpositionen und Machtgebrauch in modernen politischen Systemen eher hinderlich.“ (Holtmann 2004: 58)
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Holtmann identifiziert im Konzept von Borchert und Golsch eine zusätzliche Schwäche. Die Architekten der politischen Klasse würden sich zwar auf Max Weber berufen, hätten aber seine klassischen Ausführungen in doppelter Weise gedanklich verkürzt. So würden sie Berufspolitikern unzulässigerweise absprechen, politische Ziele zu verfolgen, was bei Webers „von“ der Politik lebenden Politikern so nicht vorgesehen sei. Zudem tauchten Webers Verantwortungsethiker nicht mehr in der politischen Klasse auf (vgl. Holtmann 2004: 49).
2.1.4 Spitzenpolitiker als politische Elite Nachdem nun ein breites Bündel an Begriffen und Konzepten vorgestellt wurde, muss entschieden werden, mit welchem Elitebegriff oder welcher Kategorie im Folgenden operiert werden soll. Nach der Kritik am Konzept der politischen Klasse liegt eine Entscheidung nahe. Die zu untersuchenden Spitzenpolitiker werden als Teil der politischen Elite verstanden, nicht aber als Teil einer politischen Klasse. Ausgegangen wird dabei von einem positionalen Elitenbegriff. Die Tatsache, ob jemand Spitzenpolitiker ist oder nicht, wird anhand der politischen Position des Individuums bestimmt. Die Arbeit folgt daher konzeptionell der Elitebefragung von Herzog, der die von ihm untersuchten 154 deutschen Spitzenpolitiker ebenfalls mit Hilfe des Positionsansatzes bestimmte, und knüpft an die Mannheimer und Potsdamer Eliteuntersuchungen an. Mit der Entscheidung für eine eng umgrenzte Positionselite unterstellt man nicht, dass die ausgewählten Minister oder Spitzen des Parlaments immer die Mächtigsten und Einflussreichsten im System sind. Vielmehr geht man von Beyme folgend von einigen grundlegenden Hypothesen aus (vgl. von Beyme 1971: 16f). Die ausgewählten Personen haben dank ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen und der Ämterkumulation, welche die Positionseliten mit den gesellschaftlichen Machtzentren verbindet, eine größere Chance zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen als andere Gruppen. Dies muss aber nicht bedeuten, dass die Positionsinhaber tatsächlich Macht ausüben. Zudem ergibt eine Auswahl von Führungspositionen und ihre Addition noch keine einheitlich handelnde, homogene Gruppe mit einem kollektiven Bewusstsein. Hier liegt ein wichtiger Unterschied zum Konzept der politischen Klasse. Dieser „esprit de corps“ müsste erst empirisch festgestellt werden. Ausgegangen wird auch davon, dass der institutionelle Rahmen des politischen Systems einen starken Einfluss auf die Rekrutierung und die Karriere von Spitzenpolitikern hat. Auf diesen Punkt ist bei der Vorstellung des karrieretheoretischen Forschungsansatzes noch einzugehen.
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2.2 Zum Begriff der Professionalisierung der Politik Ohne der genauen Auswahl und Untersuchung der Gruppe der deutschen Spitzenpolitiker vorgreifen zu wollen, liegt eine Gemeinsamkeit der Personen auf der Hand: Sie alle üben Politik als Beruf aus. Schon allein die Arbeitszeit und die damit verbundene Alimentierung der Politiker weisen auf diese Tatsache hin. Den Ergebnissen der Abgeordnetenbefragung 2007 des Sonderforschungsbereichs 580 an den Universitäten Halle und Jena zufolge arbeiten Bundestagsabgeordnete zwischen 50 und 80 Stunden pro Woche, bei Landtagsabgeordneten liegt die wöchentliche Arbeitszeit zwischen 40 und 70 Stunden (vgl. Best/Edinger/Schmitt/Vogel 2007: 7). Für diese Arbeit werden Abgeordnete aus öffentlichen Mitteln finanziert. Spätestens mit dem berühmten Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 wurde das politische Mandat als ein Vollzeitberuf anerkannt, der gehaltsähnlich bezahlt wird. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass Bundestagsabgeordnete eine Vergütung erhalten sollten, die es ihnen erlaube, unabhängig von zusätzlichen Einkünften ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (BVerfGE 40: 314). Das daraus hervorgegangene Abgeordnetengesetz billigte den Mandatsträgern ein ansehnliches zu versteuerndes Monatseinkommen sowie eine steuerfreie Kostenpauschale zu. Zusammen mit den Ruhestandsgehältern, Übergangsgeldern oder anderen, mit der Mandatstätigkeit verbundenen Annehmlichkeiten, wie beispielsweise das kostenlose Telefonieren oder Benutzung der Bahn, ergibt sich eine Entlohnung, die zwar nicht mit möglichen Einkommen in der Privatwirtschaft vergleichbar ist (vgl. Derlien 1994: 182f), den einzelnen Abgeordneten jedoch gut „von der Politik“ leben lässt. Die meisten Landesparlamente sind dem Beispiel des Bundestages gefolgt, so dass sich die Diäten eines Landtagsabgeordneten nicht mehr stark von denen seines Kollegen auf Bundesebene unterscheiden (vgl. Borchert/Golsch 1999: 134). Spitzenpolitiker betreiben also Politik als Beruf. Darauf hat Max Weber bereits im Winter 1918 in seiner grundlegenden Rede „Politik als Beruf“ vor Münchner Studenten hingewiesen. Der Freizeit- oder Gelegenheitspolitiker werde abgelöst durch den Vollzeit- oder Berufspolitiker. Webers Terminus des Lebens „von der Politik“, in dem der Einzelne „im innerlichen Sinne“ sein Leben und eine „dauernde Einnahmequelle“ aus der Politik mache, wurde zu einer der meist zitierten Passagen in Politik und Soziologie. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, wie man den Wandel der Politik zu einem eigenständigen Berufsfeld bezeichnen kann. Einige Autoren bezeichnen den Prozess der Ablösung ehrenamtlich tätiger durch hauptamtliche Politiker als „Verberuflichung“ (vgl. Daheim 1982: 318; Golsch 1998: 41). Andere Forscher sehen darin die Entwicklung der Politik zu einer Profession (vgl. Herzog 1975; Burmeister 1993; Borchert 2003). Wiesendahl, der Verberuflichung als die „dauerhafte und vollzeitli-
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che Inanspruchnahme und Bezahlung politischer Tätigkeit“ definiert, ist der Auffassung, dass Verberuflichung im soziologischen Begriffsverständnis nichts mit Professionalisierung gemein habe. Verberuflichung sei lediglich die Voraussetzung für Professionalisierung, dem Streben einer Berufsgruppe, „den Status einer Profession für sich zu verwirklichen“ (Wiesendahl 2001: 151). Geißel, Edinger und Pähle verweisen darauf, dass die sozialwissenschaftliche Parlaments- und Abgeordnetenforschung Beruf und Profession nicht als Gegensätze ansieht, sondern als Eckpunkte eines Kontinuums (vgl. Geißel/Edinger/Pähle 2004: 38). Im Folgenden soll dargestellt werden, ob der berufssoziologische Professionalisierungsbegriff auf die Berufspolitik angewendet werden kann. Dies ist für die Fragestellung der Arbeit von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da politische Karrieren und politische Professionalisierung in einem besonderen Verhältnis zueinander stehen, worauf im Folgenden noch näher eingegangen wird. Die Diskussion über Politik als Profession wurde gerade in letzter Zeit von den Anhängern des Konzepts der politischen Klasse vorangetrieben. Für Borchert ist die politische Klasse untrennbar mit der politischen Professionalisierung verbunden: „Grundlage der Entstehung einer politischen Klasse ist in jedem Fall ein vorausgegangener Professionalisierungsprozeß – ohne politische Professionalisierung keine politische Klasse.“ (Borchert 1999: 14)
In einer späteren Publikation baut er zudem die politische Professionalisierung in seinen „vicious circle“ (Borchert 2003: 41) der Demokratie ein. Der Prozess bringe Berufspolitiker hervor, die materiell und psychisch an ihrem Beruf hängen. Der Wahlmechanismus sorgt jedoch dafür, dass der Arbeitsplatz der PolitProfis unsicherer Natur ist. Nach Borchert reagieren die Politiker auf die Unsicherheit mit Ausgrenzung gegenüber Neupolitikern, die sie als Konkurrenten empfinden. Diese Schließungs- und Abkapselungsprozesse werden von den Bürgern als undemokratisch wahrgenommen, sie reagieren unzufrieden und kritisch. Dadurch wird die berufliche Unsicherheit der Politiker weiter verstärkt. Für eine derartige Verwendung muss jedoch zunächst der Nachweis erbracht werden, dass die hauptamtliche Politik einer Profession gleicht. Dabei stellt man sehr schnell fest, dass bereits Uneinigkeit darüber besteht, wie man den Begriff der Professionalisierung definieren kann. Bevor man sich an eine Definition wagt, ist ein Zwischenschritt notwendig. Zunächst ist zu unterscheiden, in welchem Bedeutungszusammenhang der Professionalisierungsbegriff verwendet wird. Hier sind zwei grundsätzliche Stoßrichtungen erkennbar. Die eine begreift Professionalisierung als einen historisch-institutionellen oder „makro-historischen“ (Borchert 2003: 149) Prozess. In diesem Sinn handelt es sich um das Entstehen neuer Professionen oder die „Umwandlung bestehender
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Berufe in professionalisierte Berufe im zeitlichen Verlauf“ (Herzog 1975: 181). Davon zu trennen ist eine zweite akteursorientierte, individuelle Begriffsverwendung. Professionalisierung wäre dann eine bestimmte Stufe in der individuellen Karriere eines Politikers: „Bei der zweiten, longitudinalen Betrachtungsweise, geht es um den Lebensverlauf von Individuen. Untersucht werden hierbei die typischen Muster des Prozesses des Lernens, der Qualifikation und der beruflichen Sozialisation von einzelnen Personen. In dieser Perspektive bedeutet Professionalisierung also die Art und Weise, wie Personen im Verlauf ihres Lebens von ‚Laien’ zu ‚Professionals’ werden.“ (Herzog 1990: 33, Hervorhebung im Original)
Letztere Verwendung des Begriffs ist unumstritten, erstere dagegen durchaus. Dies erkennt man bereits an sehr unterschiedlichen Definitionsversuchen. Auf Wiesendahls Verständnis von Professionalisierung als Streben einer Berufsgruppe, den Status einer Profession für sich zu verwirklichen, wurde bereits verwiesen. Best betont dagegen mehr den Prozess der sozialen Schließung: „Mit politischer Professionalisierung ist hier also jenes Ensemble von sozialen Prozessen und informellen Strukturen gemeint, das neben den in Verfassungen und Gesetzen formal festgeschriebenen Kriterien und Verfahrensweisen die Übernahme von politischen Wahlämtern steuert, ein insider-outsider Gefälle erzeugt und das Aggregat der Personen stabilisiert, die den Zugang einmal geschafft haben.“ (Best 2003: 370; vgl. dazu ebenfalls: Best/Jahr 2006: 64f)
Hier klingen einige Kriterien an, welche die Berufssoziologie als Antwort auf die Frage vorgegeben hat, wann ein Beruf als Profession anzusehen ist. Allerdings ist der Kriterienkatalog selbst umstritten. Borchert zufolge bestehe die Professionssoziologie seit über 70 Jahren, habe aber immer noch keine Einigkeit darüber gefunden, welche Berufe als Professionen anzusehen seien (vgl. Borchert 2003: 150). Die unterschiedlichen Kriterienlisten bei Herzog, Burmeister, Wiesendahl oder Borchert erstaunen daher nicht. Nur sporadisch lassen sich Arbeiten finden, die sich mit dem Professionscharakter der Politik auseinandersetzen (vgl. Hohm 1987). Im Folgenden sollen die in der Regel genannten Kriterien zur Professionalität von Berufen kurz erläutert werden, um sie dann auf die Kategorie der Polit-Profis anzuwenden. Rekurriert wird dabei oft auf die Kriterien von Wilensky, die später auch von Daheim aufgegriffen wurden (vgl. Wilensky 1964; Daheim 1972). Demnach vollzieht sich die Entwicklung zu einer Profession in verschiedenen Stufen. Auf der ersten Stufe dieses Prozesses wird die Tätigkeit zum Beruf, zu einer dauerhaften und bezahlten Vollzeittätigkeit. Der zweite Schritt wird im Aufbau einer Ausbildungsstätte gesehen, wobei eine Verbindung zu den Hochschulen gesucht wird. Damit wird die Ausbildung standardisiert und der Abschluss entwickelt sich zur Zugangsvoraussetzung für jeden Interessenten. Drittens entstehen Berufsverbände, die Anforderungen formulieren und Zugangsvoraussetzungen
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festsetzen. Sie versuchen, „nicht qualifizierte Laien an der Ausübung des Berufs zu hindern“ (Borchert 2003: 152) und Konkurrenz durch andere Organisationen auszuschalten. Die Berufsverbände erreichen im vierten Schritt einen staatlichen Schutz für ihre Berufsbezeichnung, die Ausbildung und Zulassung. Die Bildungsabschlüsse werden staatlich anerkannt, die Ausübung des Berufs durch Nicht-Qualifizierte wird kriminalisiert. Als letzten Schritt verabschiedet der Berufsverband einen Ehrenkodex für seine Mitglieder, der Verhaltensregeln festschreibt, Fehlverhalten sanktioniert und den Wettbewerb innerhalb der Profession begrenzt. Burmeister verweist zusätzlich noch darauf, dass sich dadurch ein ‚esprit de corps’ unter den Mitgliedern der Profession herausbildet. Zudem nennt sie existierende Karrieremöglichkeiten als Kriterium für eine professionalisierte Berufsgruppe (vgl. Burmeister 1993: 63). Enke sieht in der Karriere ebenfalls ein zentrales Kriterium, „die Stationen der Karriere innerhalb einer der Profession sind festgelegt, der Aufstieg erfolgt nach anerkannten Regeln“ (Enke 1974: 135). Geißel, Edinger und Pähle ordnen in Anlehnung an Kurtz (vgl. Kurtz 2002) noch andere Kriterien als bedeutend ein. Sie nennen beispielsweise den Kompetenzvorsprung und die Asymmetrie im Verhältnis von Professionellem und Klient, die Erbringung von Dienstleistungen und Werten für die Gesellschaft und einen hohen Grad an Autonomie bei der Tätigkeitsausübung der Professionals als weitere Merkmale einer Profession. Zuletzt sei auch gesellschaftliches Ansehen der Profession ein mögliches Kriterium (vgl. Geißel/Edinger/Pähle 2004: 38f). Wiesendahls Merkmalsliste enthält elf Punkte, unterscheidet sich aber nicht grundsätzlich von den bereits genannten Vorschlägen – abgesehen vom Hinweis, dass Professionen ihre gesellschaftliche Geltung durch Teilhabe an weit überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen und herausgehobenen Status und Lebenswandel unterstreichen (vgl. Wiesendahl 2001: 154). Als Beispiele für etablierte Professionen werden in der Regel Ärzte oder Mediziner genannt. Werden diese Kriterien für das Vorhandensein einer Profession als gültig zugelassen, stellt sich die Frage, welche davon von der Berufspolitik erfüllt werden. Hier gehen die Meinungen in der Literatur weit auseinander. Die Richtung der Argumentation ist dabei oft eine Frage der Sichtweise. Geht man nach dem Ja-Nein-Prinzip vor, kann die Politik nicht als Profession angesehen werden. Es gibt keine formelle und vor allem keine akademische Ausbildung zum Politiker, es existieren keine Politiker-Berufsverbände und Politiker genießen keinen staatlichen Schutz vor unbefugten Konkurrenten. Nach Borchert sind in dieser vereinfachenden Betrachtung lediglich die Kriterien der Vollzeitigkeit und des Vorhandenseins einer Ehrenordnung erfüllt (vgl. Borchert 2003: 152). Für eine vertiefende Beantwortung empfiehlt es sich, die Merkmale als einen Idealtyp anzu-
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sehen, dem sich die Politik in einem bestimmten Maß annähern kann. Dazu sollten funktionale Äquivalente herangezogen werden (vgl. Borchert 2003: 152). Das Kriterium des Zeitbudgets und der Existenzsicherung ist unproblematisch. Auf die zeitliche Belastung einer Mandatsausübung und die dafür vorgesehene Alimentierung wurde bereits verwiesen, dieser Punkt ist für die Berufspolitik zutreffend. Zu Kontroversen führt die Frage der Ausbildung der Politiker. Ein Studiengang „Berufspolitik“ lässt sich in keinem Vorlesungsverzeichnis einer Universität finden. Hier muss auf eine Besonderheit des Berufsfeldes Politik hingewiesen werden. Der Politiker gelangt durch Wahl in sein Amt: „Von daher wird sich kaum jemand zu einer mehrjährigen Ausbildung entschließen können, ohne daß er mit Sicherheit von einer späteren ‚Anstellung’ durch Wahl ausgehen kann.“ (Burmeister 1993: 55)
Eine formelle Beschränkung des Zugangs, die an einen bestimmten Abschluss gebunden ist, wäre zudem in einem repräsentativ-demokratischen System abwegig. Jeder Bürger, der die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, muss sich in einer Demokratie zur Wahl stellen dürfen. Wiesendahl und von Arnim spitzen diesen Gedanken zu: „Andererseits wirkt hier aber auch wiederum das uneingeschränkte demokratische Gleichheitsprinzip nach, weil prinzipiell jeder Mann, jede Frau hierzulande ohne Nachweis irgendeiner Qualifikation, ohne Prüfung oder Examina, ohne Intelligenztest und selbst ohne Gesundheitscheck oder Überprüfung der charakterlichen Eignung Berufspolitiker werden kann.“ (Wiesendahl 2001: 157; vgl. dazu auch: Von Arnim 1997: 101ff)
Ob der letzte Punkt nicht für Anwälte und Mediziner in ähnlicher Weise gilt, sei an dieser Stelle dahin gestellt. Viel wichtiger ist der Hinweis, dass die Zusammensetzung des Parlaments nie ein soziales Spiegelbild der Gesellschaft war. Der Anteil der Polit-Profis „ohne Nachweis irgendeiner Qualifikation“ ist verschwindend gering. Eher trifft das Gegenteil zu: „Angesichts des hohen Akademikeranteils kann man jedoch sagen, daß ein Studium mittlerweile der Demokratietheorie zum Trotz fast zur Voraussetzung die Rekrutierung in die professionelle Politik geworden ist. Jedenfalls ist es eine Ressource, die ihren Inhabern deutliche Vorteile bringt.“ (Borchert 2003: 153)
Zudem ist die Reduktion der Ausbildung auf ein entsprechendes Studium eine fragwürdige Verkürzung, findet doch die eigentliche politische Ausbildung in der Praxis statt. Die als „Ochsentour“ bezeichnete Phase der Lehrzeit in verschiedenen innerparteilichen und kommunalpolitischen Funktionen ist durchaus als Ausbildung anzusehen. Hier werden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die in der professionellen Politik von großem Nutzen sein können. Borchert zufolge findet hier auch ein Selektionsprozess statt, der spätere Berufspolitiker
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aus der Masse der politisch aktiven Bürger herausfiltert (vgl. Borchert 2003: 154f). Auf den Gedanken, die politische Karriere als spezielle Ausbildungsform von Berufspolitikern anzusehen, hat bereits Herzog hingewiesen (vgl. Herzog 1975: 183f; Herzog 1990: 34). Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass das über die Karriere vermittelte Spezialwissen in der Politik und die langjährigen Erfahrungen von doch immenser Bedeutung zu sein scheinen. Dies wird vor allem deutlich, wenn man sich den Misserfolg einiger Seiteneinsteiger vor Augen führt. Jost Stollmann, Walter Riester oder der im Bundestagswahlkampf 2005 eher unglücklich agierende Paul Kirchhoff sind Beispiele, bei denen die fehlende Polit-Ausbildung offensichtlich zu einem „Scheitern in fremder Umgebung“ (Borchert 2003: 155) geführt hat. Die Lehrzeit in Jugendorganisationen der Partei, in Vorstandsämtern der Partei und in der Kommunalpolitik lässt sich daher begründet als ein funktionales Äquivalent für eine formelle, zertifizierte Berufsausbildung auffassen. Als weiteres Argument gegen die Interpretation von Politik als Profession ist das angebliche Fehlen eines kontrollierenden und sanktionierenden Berufsverbandes. Herzog sieht in den politischen Parteien ein Äquivalent zu den Berufsverbänden: „Was die speziellen Berufs- oder Standesorganisationen betrifft, so kann man die modernen, organisatorisch verfestigten Parteien grosso modo durchaus mit den entsprechenden privatberuflichen Institutionen vergleichen. Auch sie kontrollieren – zwar nicht monopol-, aber doch oligopolartig – den Zugang zu politischen, zumal zu hauptamtlich politischen Positionen.“ (Herzog 1975: 184)
Borchert sieht dieses Argument kritisch und argumentiert, dass Parteien auch nicht-professionelle Politiker oder Gelegenheitspolitiker organisieren. Anders als Berufsverbände befänden sich Parteien zudem im ständigen Wettbewerb mit ihren Konkurrenten. Für ihn besteht das Äquivalent zu den Standesorganisationen „allenfalls in einem komplexen institutionellen Arrangement“ (Borchert 2003: 157), bestehend aus dem Parlament als institutionellem Zentrum, den Parteien als intermediären Organisationen und dem Parteienkartell als kohäsive Kraft. Dennoch kann man sich Herzogs Argument nicht verschließen, dass Parteien Nicht-Mitglieder im Großen und Ganzen vom Wettbewerb um politische Posten ausschließen (Herzog 1990: 34). Dazu kommt nach Burmeister noch, dass Parteien Regelungen geschaffen haben, um die Konkurrenz durch andere Organisationen der politischen Personalrekrutierung wie beispielsweise freie Wählervereinigungen auszuschalten (vgl. Burmeister 1993: 58; Herzog 1975: 184). Geißel, Edinger und Pähle schließen sich dieser Sichtweise an: „Die Funktion der Schließung und Selektion übernehmen in der Politik die Parteien. Sie steuern in allen etablierten europäischen Demokratien den Zugang zu bezahlten politischen Ämtern
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und Mandaten und fungieren insofern zumindest partiell als funktionales Äquivalent zu Berufsverbänden.“ (Geißel/Edinger/Pähle 2004: 39)
Gegen den Professions-Charakter der Politik spricht der fehlende staatliche Schutz vor unbefugten Konkurrenten, die vierte Stufe in Wilenskys Schema. Im demokratischen Rechtsstaat kann der Staat beispielsweise bei Wahlen keine unliebsamen oder unqualifizierten Mitbewerber ausschließen. Allerdings entdeckt Borchert auch an dieser Stelle Mechanismen, die im Ergebnis genau dies bewirken: „Parteien- oder Wahlkampffinanzierung, welche die etablierten Parteien und Kandidaten begünstigen, prozentuale Sperrklauseln im Wahlsystem als Hürde für neue politische Kräfte oder hohe Anforderungen an die Zahl der zu erbringenden Unterschriften für eine Kandidatur.“ (Borchert 2003: 157)
Vor diesem Hintergrund fällt ein eindeutiges Nein in diesem Punkt doch sehr schwer. Auch bei der Frage nach ethischen Kodizes ergibt sich ein ambivalentes Bild. Nach Wilensky und Daheim ist ein derartiger ‚code of ethics’ Kennzeichen eines professionalisierten Berufes. Für die Bundestagsabgeordneten bestehen seit dem 21. September 1972 die „Verhaltensregeln für Abgeordnete“, welche durchaus als Entsprechung angesehen werden können (vgl. Burmeister 1993: 59). Geißel, Edinger und Pähle identifizieren jedoch die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten als kritischen Punkt dieser Sichtweise: „Während die Standesregeln der Ärzteschaft im Zweifelsfall ein scharfes Schwert sind und bis zum Verlust der Approbation führen können, verdeutlichen Skandale der letzten Jahre, dass Parlamentarier selbst bei schweren Verfehlungen drastische Konsequenzen nicht (Causa Kohl) oder nur in Gestalt politischer Sanktionen (Causa Scharping) zu fürchten haben.“ (Geißel/Edinger/Pähle 2004: 38)
Wiesendahl bemängelt ebenfalls das Fehlen einer „moralisch hochwertigen und verbindlichen Berufsethik für Politiker“ (Wiesendahl 2001: 157). Im Gegensatz dazu handeln nach Burmeister die Berufspolitiker im Weberschen Sinne verantwortungsethisch. Diese gemeinsame Verantwortungsethik könne als gemeinsame Professionsethik im Bereich des Politischen aufgefasst werden (vgl. Burmeister 1993: 60). Nach Meinung Herzogs verbindet die Berufspolitiker über ein geteiltes Berufsethos hinaus ein ‚esprit de corps’ über Partei- oder Fraktionsgrenzen hinweg. Dieses Gemeinschafts- oder ‚Wir-Gefühl’ erkenne man beispielsweise an Redewendungen, wie die von den „Menschen draußen im Lande“ (Herzog 1975: 185; Herzog 1990: 34). Zudem könne man diese kollektive Identität an gemeinsamen Verhaltensmustern erkennen, wie einer ähnlichen Sprachform, den gleichen Kleidungsgewohnheiten oder der Verwendung der politischen Titel in privaten
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Beziehungen als „weiteres, äußeres Kennzeichen professioneller Exklusivität“ (Herzog 1975: 185; Burmeister 1993: 62). Geißel, Edinger und Pähle sehen einige ihrer Kriterien als bestenfalls schwach erfüllt an. So seien der für Professionen typische Kompetenzvorsprung und die Asymmetrie im Verhältnis von Professionellen und Klienten im Bereich der Politik problematisch, da Politiker in Demokratien auf ihre Wähler angewiesen sind. Dies mindere die Asymmetrie doch stark (vgl. Geißel/Edinger/Pähle 2004: 38). Umstritten ist zudem, ob Berufspolitiker über einen, durch das spezifische Expertenwissen erlangten hohen Grad an Autonomie verfügen und in ihrem Bereich ein Deutungsmonopol besitzen. Politiker verfügten zwar über einen erheblichen Gestaltungsfreiraum, könnten aber im Gegensatz zu Angehörigen klassischer Professionen kein Monopol für ihre Problemsicht und Handlungsvorschläge beanspruchen und müssten sich dem Wettbewerb stellen (vgl. Geißel/Edinger/Pähle 2004: 39). Bei der anhaltenden Unzufriedenheit mit dem politischen Personal könne man sicher nicht von einem besonderen Sozial- oder Berufsprestige sprechen, was auch als ein Merkmal einer Profession gelte. Dagegen spreche die Erbringung von Dienstleistungen für die Gesellschaft, die man der Politik durchaus zusprechen könne, eher für den Professionscharakter der Politik. Das Fazit fällt differenziert aus. Herzog identifiziert – wie später Burmeister – viele Merkmale, die für eine Herausbildung einer politischen Profession sprechen (vgl. Herzog 1975: 185; Herzog 1990: 35; Burmeister 1993). Dagegen kommt Wiesendahl genau zum gegenteiligen Schluss: „Alles in allem fehlt der politischen Klasse dermaßen viel – kein hochrangiges Spezialistentum, kein privilegierendes theoretisches Wissen, keine anspruchsvolle Berufsqualifizierung, keine Selbstkontrolle über den Zugang, die Rekrutierung und Ausübung des Politikerberufes, keine berufsständische Interessenorganisation, kein verbindliches Berufsethos, kein Gesellschaftsprestige, als dass man ihr auch nur entfernt den Status einer vollentwickelten Profession zubilligen könnte.“ (Wiesendahl 2001: 159)
Wiesendahls Argumentation ist jedoch insgesamt von einem stark negativ wertenden Grundton durchzogen, was nicht unbedingt zu einer überzeugenden Klärung der Frage beiträgt. Best konstatiert, dass der Beruf des Politikers „ungesichert, episodisch, unscharf in der Bestimmung des Berufsfeldes, der qualifikatorischen Voraussetzungen und des Karriereverlaufs“ (Best 2006: 79) sei. Demnach könne man die Berufspolitik nicht als Profession, sondern allenfalls als „prekäres Beschäftigungsverhältnis“ bezeichnen. Allerdings setzt sich Best nicht mit den klassischen Kriterien der Berufssoziologie auseinander. Geißel, Edinger und Pähle sehen starke Ähnlichkeiten zu klassischen Professionen, sprechen jedoch aufgrund einiger Unterschiede ebenfalls von einem prekären Professions-
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status (vgl. Geißel/Edinger/Pähle 2004: 40). Man ist geneigt, sich dem Mittelweg Borcherts anzuschließen: „Insgesamt zeigt sich, (...) daß die Berufspolitik erstaunlich viele Merkmale einer Profession erfüllt. Dabei ist sie jedoch in einer Reihe von Punkten so untypisch, dass sie in der Professionssoziologie kaum als Profession eingestuft wird. Nach diesen Überlegungen erscheint uns Politik als professionsähnlicher Beruf mit besonderen Stärken und Schwächen. Ihre Stärke liegt dabei in dem Ausmaß an Kontrolle, das sie über ihre eigenen Geschicke als Profession ausübt, ihre Schwäche an dem demokratischen Anspruch aller Bürgerinnen und Bürger, der jeden professionellen Forderung nach Autonomie im Wege steht.“ (Borchert 2003: 163)
Borchert schließt damit, die Berufspolitik als eine „äußerst prekäre Profession“ (Borchert 2003: 167) aufzufassen, die Kriterien einer Profession in einer von anderen Berufen abweichenden Weise erfüllt. Am Ende dieses Abschnitts muss die Frage beantwortet werden, wieso die Professionalisierungs-Debatte für diese Arbeit von Belang ist. Man kann Borchert zustimmen, dass es durchaus fruchtbar ist, die Berufspolitik mit dem analytischen Repertoire der Professionssoziologie zu erfassen. Für die noch genauer zu beleuchtende Fragestellung ist das Konzept vor allem deswegen interessant, weil sich ein spezieller Zusammenhang zwischen Professionalisierung und politischen Karrieren beobachten lässt. Zur Professionalisierung gehört – wie oben beschrieben – eine spezialisierte technische Fertigkeit. Diese wird in der Berufspolitik nicht im Prozess der Ausbildung erworben, wie es beispielsweise bei Medizinern oder Juristen der Fall ist, sondern „im Verlauf längerer praktischer Tätigkeit in politischen Rollen, das heißt: im Verlauf politischer Karrieren“ (Herzog 1975: 184). Je länger und vielfältiger die Karrieren verlaufen, desto größer sind die technischen Fähigkeiten und desto eher kann der KarrierePolitiker Herzogs Auffassung nach als politischer Professional bezeichnet werden. Abbildung 2:
Politische Karrieren und politische Professionalisierung I
Politische Karrieren
Politische Professionalisierung
Borchert sieht den Zusammenhang in einem ähnlichen Licht und begreift die Karriereaussichten als eine strukturelle Voraussetzung der politischen Professionalisierung. Wie in anderen Berufen auch, so sei auch die Politik „durch die 50
verläßliche Aussicht auf eine Karriere, d.h. auf einen weiteren Aufstieg auf einem bereits etablierten Karrierepfad, wesentlich attraktiver“ (Borchert 2003: 25). Demnach führt die Existenz klar definierter Karrieremuster zu einem Mehr an politischer Professionalisierung (vgl. Abb. 2). Best und Jahr argumentieren ähnlich, wenn sie angesichts des Fehlens klarer Karrieremuster der Politik den Professionscharakter absprechen (vgl. Best/Jahr 2006: 79). Nach Geißel, Edinger und Pähle ist die Professionalisierung ebenfalls „durch die Planung politischer Karrieren und die Entwicklung von mehr oder minder ausgefeilten Strategien, um den Verbleib in der (bezahlten) Politik zu sichern“ (Geißel/Edinger/Pähle 2004: 39), gekennzeichnet. Golsch wiederum dreht die Kausalität um: Für ihn führt die politische Professionalisierung zu einer Verfestigung organisationsinterner Verfahrensweisen und Karrierewege (vgl. Abb. 3): „Mit der Professionalisierung der Politik etablierten sich Karrieremuster, die den Typus des Berufspolitikers hervorbrachten.“ (Golsch 1998: 48)
Auch für Herzog ist diese Sichtweise legitim, da man „vom Grad der carrièrisation des politischen Auswahlprozesses auf den Grad der Professionalisierung schließen“ (Herzog 1975: 184) könne. Abbildung 3:
Politische Karrieren und politische Professionalisierung II
Politische Professionalisierung
Politische Karrieren
Da in dieser Arbeit der Versuch unternommen wird, Karrieremuster deutscher Spitzenpolitiker zu identifizieren, ist eher die erste Betrachtungsweise von Belang. Die Untersuchung des „Weges nach ganz oben“ kann in der Hinsicht einen Beitrag zur Debatte leisten, ob die Berufspolitik als Profession anzusehen ist.
2.3 Karrieretheoretischer Forschungsansatz und institutionelle Determinanten politischer Karrieren Im bisherigen Verlauf der Arbeit wurde der zentrale Begriff der Karriere bereits mehrfach verwendet, ohne ihn im Sinne Herzogs als Analyseinstrument einzu51
führen. Dies soll an dieser Stelle erfolgen. Der Begriff begegnet einem in der Umgangssprache nahezu täglich. Egal ob Fußball-Profi, Schauspieler, Manager oder Politiker – vielen unterschiedlichen Personen wird nachgesagt, sie hätten „Karriere gemacht“. Dabei wird in der Regel auf einen Aufstiegsprozess abgehoben, bei dem der oder die Karrieremachende einen schnellen und außergewöhnlichen Zugewinn an Einkommen, Macht oder Prestige verzeichnen kann. Steigt dagegen jemand nur langsam oder in winzigen Schritten kontinuierlich beruflich auf, fällt der Begriff der Karriere eher selten. Die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs operiert oft mit einer Phaseneinteilung. Man spricht im positiven Sinne „vom Beginn einer großen Karriere“, während der Karriere kann es zu „Höhepunkten“ oder „Wendepunkten“ kommen. Eher bedauernd wird häufig das „Ende der Karriere“ ausgemacht. Wer eine erfolgreiche Karriere aufweisen kann, steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Er oder sie wird wahlweise bewundert, beneidet, zum Vorbild genommen, nachgeahmt oder kritisch beäugt. All dies sind „populäre Wertimplikationen“ (Herzog 1975: 49), die eine wertneutrale Definition unumgänglich machen. Der Begriff kann nur sinnvoll für die politisch-soziologische Elitenforschung verwendet werden, wenn er von der umgangssprachlichen Verwendung abgegrenzt und als wissenschaftliches Instrument eingeführt wird. Als „Erfinder“ des karrieretheoretischen Forschungsansatzes der Elitenforschung hat Dietrich Herzog dies in „Politische Karrieren“ 1975 getan. Da sich diese Untersuchung an den Ansatz Herzogs anlehnt, sollen die Grundzüge der Herzogschen „Theorie politischer Karrieren“ im Folgenden aufgegriffen werden. Herzog verwendet bei seiner Konzeption Ergebnisse der Berufssoziologie und Berufspsychologie. Bei diesen wissenschaftlichen Betätigungsfeldern entlieh er sich die beiden elementaren Definitionsmerkmale für seinen Karrierebegriff. An erster Stelle ist hierbei der Prozess beruflicher Positionssequenzen zu nennen. Herzog begreift eine einzelne Position, die eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Berufsbereich einnimmt, als Glied in einer Kette von Positionen. Diese Kette kann in ihrer Länge variieren (vgl. Herzog 1975: 41). Die einzelne Position steht demnach nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses, sondern ihr Platz in der Sequenz und ihre Funktion für die weitere berufliche Entwicklung. Das Amt des parlamentarischen Geschäftsführers ist beispielsweise nicht mehr als solches an sich von wissenschaftlichem Interesse, sondern als womöglich unverzichtbare Durchgangsstation auf dem Weg in die Spitze einer Fraktion. Zweites konstitutives Merkmal ist bei Herzog die persönliche Karriereperspektive. Seiner Auffassung nach gehören dazu „Motivation und Anspruchsniveau, aber auch der Prozeß der Qualifikation, der Anpassung an bzw. die Ausgestaltung von Rollen oder die Adaption an bestimmte Berufsnormen und Verhaltensregeln“ (Herzog 1975: 41). Während Herzog den Prozess der
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Positionssequenzen als objektives Merkmal ansieht, ist die individuelle Karriereperspektive der „subjektive“ Bestandteil einer politischen Karriere. Herzog verweist ausdrücklich darauf, dass „subjektiv“ nicht bedeutet, man könne das Merkmal empirisch nicht feststellen (vgl. Herzog 1975: 41). Hier kann man Herzog nur zustimmen. So lassen sich beispielsweise an erfolgreichen, gescheiterten oder nicht versuchten Kandidaturen Motivation oder Anspruchsniveau einer Karriere ablesen. Nach Herzog können Karrieren in unterschiedlichen Bereichen verschiedene Muster haben. So sei die Laufbahn in der öffentlichen Verwaltung ein Beispiel für eine „besonders streng fixierte Positionssequenz“ (Herzog 1975: 42). Neben diesen Mustern im Sinne berufstypischer Aufstiegssequenzen wird die Klassifikation verschiedener Karrierephasen als eine zweite Dimension des Karrierebegriffs eingeführt (vgl. Herzog 1975: 43). Diese Merkmale und Dimensionen fügt Herzog zu einer Definition zusammen: „Als Karriere wird eine Sequenz von Positionen verstanden, die ein Individuum sukzessiv durchläuft. Diese Positionen sind gewöhnlich (aber nicht notwendig) in einer hierarchischen Rangordnung im Hinblick auf Einfluß, Prestige und/oder Einkommen gestaffelt. In ihrer ‚subjektiven’ Dimension stellt eine solche Positionssequenz eine Abfolge von persönlichen Entscheidungen, Verhaltensorientierungen, Anpassungen und Erwartungen unter den jeweiligen sozialen und politischen Strukturbedingungen dar, in denen die einzelnen Positionen ihren Platz haben. Mit der fortlaufenden Übernahme neuer Positionen ist gewöhnlich ein Lernprozeß verbunden, der auch als ‚Qualifikationsprozeß’ verstanden werden kann.“ (Herzog 1975: 44)
Herzog teilt politische Karrieren in vier verschiedene Phasen ein, in denen Individuen von „bloß Interessierten zu politisch Engagierten, dann zu ehrenamtlichen Funktionsträgern und schließlich zu Berufspolitikern werden“ (Herzog 1973: 110). Phasen sind nach Herzog „Abschnitte im Verlauf objektiver Rollen-, Positions- und Statusveränderungen von Individuen mit den jeweils phasenspezifischen Veränderungen (subjektiver) politischer Einstellungen, Motivationen, Kenntnisse, Fähigkeiten, usw.“ (Herzog 1975: 46). Die erste Phase bezeichnet er als politische Sozialisation, gibt aber zu bedenken, dass diese Phase verlaufssoziologisch der eigentlichen Karriere vorgelagert ist. Individuen würden in diesem Abschnitt ihres Lebens erste Kenntnisse über Positionen und Aufstiegschancen gewinnen und möglicherweise bereits erste Karrieremotivationen entwickeln (vgl. Herzog 1975: 44). Ihr schließt sich die Phase der politischen Rekrutierung an. In einer Parteiendemokratie wie der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Stöss 2001) und der damit verbundenen Bedeutung politischer Parteien bei der Auswahl politischen Personals besteht die politische Rekrutierung vor allem im Beitritt zu einer politischen Partei. Die Übernahme politisch verantwortlicher Positionen kennzeichnet die dritte Phase, welche Herzog die „(eigentliche) politische Karriere“ nennt. Sie ist im gesamten Elitenbildungsprozess die bedeutendste. In
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ihr findet die „Erwachsenen-Sozialisation“ (Herzog 1975: 51) statt, die Vermittlung politischer Werte, Einstellungen und Verhaltensmuster. In dieser Karrierephase entstehen spezielle fachliche Interessen, politische Qualifikationen werden erworben, und die Individuen identifizieren sich im Laufe der Zeit zunehmend mit der politischen Tätigkeit und nehmen diese als Berufslaufbahn wahr. Die letzte Phase ist die Elitenrekrutierung in einem engeren Sinne, nach Herzog die Rekrutierung von Personen aus „Vorpositionen“ in politische Spitzenfunktionen (vgl. Herzog 1975: 48). Die Phase des Elitenabgangs spielt dagegen in Herzogs Modell eine untergeordnete Rolle. Bei Personen, die aus Spitzenpositionen ausscheiden, jedoch im politischen Selektionsprozess verbleiben, wird dies als spezifischer Teil ihrer Karriere empirisch mit erfasst. Nicht berücksichtigt werden in diesem analytischen Modell dagegen Politikerinnen und Politiker, die ganz aus dem Sektor Politik ausscheiden.3 In diesen vier skizzierten Phasen der Karriere wird der Auswahlprozess durch bestimmte Strukturen determiniert. Unter Strukturen versteht Herzog „alle Gruppen, Organisationen und Institutionen (...), die für den Auswahlprozess relevant sind, sei es, daß sie als Filter fungieren, sei es, daß sie indirekt politische Karrierechancen beeinflussen“ (Herzog 1975: 46). Strukturen gliedern sich nach Herzog in die des Sozialisationssystems und die des Selektionssystems. „Diese Unterscheidung entspricht den unterschiedlichen Funktionen beider Systeme im Elitenbildungsprozeß. Während die Familie, die Jugendgruppe und die Bildungsinstitutionen erste politische Orientierungen und allgemeine politische Handlungsmotivationen vermitteln sowie zusätzlich einen Einfluß auf die politische Rekrutierung, insbesondere den Beitritt zu einer Partei haben können, werden Chancen in der politischen Karriere durch diejenigen Strukturen bedingt, in denen sich das Erwachsenenleben abspielt.“ (Herzog 1975: 49)
Den größeren Einfluss nimmt nach Herzog das Selektionssystem. Zu ihm gehören die politischen Parteien, Parlamente und der Staatsapparat genauso wie Berufe, Vereine und Verbände oder auch die vorherrschenden Normen, wie beispielsweise die Statuten der Partei oder das Wahlsystem. Abb. 4 kombiniert Phasen und Strukturen einer politischen Karriere und visualisiert Herzogs analytisches Modell des Auswahlprozesses. In der angloamerikanischen Literatur wird das Selektionssystem oft mit dem Ausdruck „structure of opportunities“ um3
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Ein gutes Beispiel für diese Unterscheidung sind ehemalige Mitglieder der rot-grünen Bundesregierung. So schied zum Beispiels Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach der knappen Wahlniederlage der SPD aus der Politik aus, während Teile seines Kabinetts in ihren Führungspositionen verblieben, wie die Ministerinnen Ulla Schmidt (Gesundheit), Heidemarie Wieczorek-Zeul (Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) oder Brigitte Zypries (Justiz). Andere ehemalige Regierungsmitglieder wechselten auf parlamentarische Führungspositionen wie beispielsweise Verteidigungsminister Peter Struck, der auf dem ihm bereits bekannten Sitz des Vorsitzenden der SPD-Fraktion zurückkehrte, oder Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, die Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages wurde.
schrieben. Herzog selbst weist auf die Nähe dieses Konzepts zum Selektionssystem seines Modells hin (vgl. Herzog 1975: 51). Der Begriff wurde von Schlesinger in die Politikwissenschaft eingeführt (vgl. Schlesinger 1996; Schlesinger 1991). Die Opportunitätsstruktur besteht im Wesentlichen aus den institutionellen Rahmenbedingungen des politischen Systems. Politische Karrieren können daher nicht losgelöst vom institutionellen Rahmen betrachtet werden, der „die Optionen und Strategien potentieller Berufspolitiker vorstrukturiert“ (Borchert/Stolz 2003: 151). Auch von Beyme gibt zu bedenken: „Soweit Elitenforschung im Rahmen der Politikwissenschaft betrieben wird, muß sie auch den institutionellen Aspekt in die Betrachtung einbeziehen. Institutionelle Variablen, wie Föderalismus, Stellung des Parlaments, Organisation der Regierung u.a., haben Einfluß auf die Elitenrekrutierung und bestimmen nicht unwesentlich mit, welche einflussreichen sozialen Daten sich im politischen Handeln der Eliten niederschlagen.“ (von Beyme 1971: 19)
Abbildung 4:
Prozessmodell der politischen Führungsauswahl nach Herzog
Strukturen
Sozialisationssystem
Selektionssystem Parteien Parlamente Staatsapparat
Familie Jugendgruppen Bildungsinstitutionen (Schule, Fach- und Hochschule)
Eliten Vorstände Regierungen Führungspositionen
Berufe Vereine, Verbände Normen (Parteistatuten, Wahlgesetz u.ä.)
Phasen
(Frühe) Politische Sozialisation
Politische Rekrutierung (Parteibeitritt) Aktivierung
Politische Karriere
Elitenrekrutierung
(Ehrenamtlich Æ Hauptamtlich) Wahl in Spitzenpositionen
Quelle: Herzog 1975: 47
Herzog weist darauf hin, dass in der amerikanischen Forschungsliteratur häufig die structure of opportunities als Bedingungsgefüge konzipiert wird, das vor Beginn der politischen Karriere den Rahmen für individuelle Karriereentscheidungen bildet. Dies ist in seinen Augen jedoch eine problematische Verkürzung. Vielmehr müsse man die structure of opportunities „als Gesamt der gesellschaft-
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lichen Bedingungen (...) verstehen, an denen sich der individuelle Akteur fortlaufend, d.h. im Zuge sukzessiven Rollenwechsels orientiert und nach denen er sein Verhalten einrichtet“ (Herzog 1975: 52). Es bleibt festzuhalten, dass Institutionen – in einem sehr weiten Begriffsverständnis – eine große Rolle für individuelle politische Karrieren spielen. Von enormer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Vorgaben des Wahlrechts (vgl. Norris/Lovenduski 1995: 21-33), aber auch die Struktur des Parteiensystems. Institutionelle Determinanten, die bei der Diskussion um den Verlauf politischer Karrieren immer wieder genannt werden, sind materielle und immaterielle Entschädigungen für die Ausübung politischer Funktionen, Parteiensystem und -wettbewerb, das Wahlrecht, die Organisationsstrukturen der politischen Parteien, ihre ideologische Ausrichtung, die Bindung von Parteien an Interessengruppen sowie die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber Parlamentariern (vgl. Borchert 1999: 20ff).4 Der Einfluss des Wahlrechts auf die Rahmenbedingungen politischer Karriereverläufe ist nicht von der Hand zu weisen, man denke beispielsweise nur an so unterschiedliche Regelungen wie ein Vorwahlsystem nach USamerikanischen Vorbild einerseits und einem System starrer Parteilisten, wie es in einigen europäischen Demokratien vorzufinden ist, andererseits. In ihrem „new institutionalism“-Ansatz nennt Norris das Wahlrecht bei der Beschreibung der politischen Chancenstruktur aus gutem Grund an erster Stelle (vgl. Norris 1997: 9-14). Auch Golsch setzt die Vorgaben des Wahlrechts an die erste Stelle seiner Liste potentieller institutioneller Determinanten politischer Karrieren (vgl. Golsch 1998: 86). Er diskutiert dabei wahlrechtliche Aspekte (aktives und passives Wahlrecht, Inkompatibilitäten) und Auswirkungen des Wahlsystems. Das bundesdeutsche Zwei-Stimmen-Wahlsystem gibt bei der Aufstellung der Direktkandidaten den Wahlkreisparteigliederungen die alleinige Kompetenz (§21 Abs.1 BWahlG), für Listenbewerber liegt diese Befugnis in der Regel bei Landesdelegiertenkonferenzen (Landesparteitagen) der Parteien (vgl. Wessels 1997: 79). Golsch weist auch auf den Zusammenhang zwischen Wahl- und Parteiensystem hin. Die Mehrheitswahl in Einpersonenwahlkreisen tendiere dazu, die Parteienkonkurrenz auf zwei große Parteien oder Lager zu reduzieren. Demnach wäre es für Kandidaten ratsam, bei ihrer Entscheidung zum Beitritt einer Partei auf potentiell siegreiche Parteien zu setzen (vgl. Golsch 1998: 89). Allerdings sollte man den Einfluss des Wahlsystems nicht überschätzen. Kleine Parteien mit regionalen Hochburgen können auch im „First past the post“-System erfolgreich sein. Genau so gut können kleinere Parteien im Verhältniswahlsystem scheitern – beispielsweise an restriktiven Sperrklauseln. Faktoren, wie beispielsweise die 4
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Man kann sich hierbei jedoch die Frage stellen, ob der Begriff der Institution bei einer so breiten Auslegung nicht überstrapaziert wird.
Cleavage-Struktur eines Landes, bestimmen das Parteiensystem zu einem gewissen Grad mit (vgl. Nohlen 2004), so dass nicht alles vom Wahlsystem abhängig gemacht werden kann. Das Parteiensystem ist ein wichtiger Faktor im Hinblick auf politische Karrieren. Parteien, die Aussichten auf den Einzug in den Deutschen Bundestag haben, sind – bildlich gesprochen – die Terminals für den Abflug nach Berlin. Nachdem das Parteiensystem der Bundesrepublik in Übereinstimmung mit der Freezing-Hypothese von Lipset und Rokkan in den 60ern und 70ern (vgl. Lipset/Rokkan 1967) erstarrt schien und nur noch vier Parteien im Parlament vertreten waren (CDU, CSU, SPD und FDP), kamen zu Beginn der 80er mit den Grünen (vgl. Raschke 1993) und mit der PDS zu Beginn der 90er Jahre zwei weitere Parteien auf Bundesebene hinzu. Von der Parteienkonkurrenz und den Stärkeverhältnissen der Parteien, insbesondere der regionalen Stärke oder Schwäche der Parteien (vgl. zur Definition von „Hochburgen“ und „Diasporagebieten“: Kaack 1971: 570f), hängt es ab, wie viele Wahlkreise als sicher oder „stabil“ (vgl. Kaack 1971: 574f) anzusehen sind.5 In sicheren Wahlkreisen muss sich der spätere Bundestagsabgeordnete daher vorrangig im Nominierungsverfahren der eigenen Partei durchsetzen. Die eigentliche Wahl ist dagegen oft nur Formsache. Zudem erhöht eine verstärkte Volatilität in einem Parteiensystem die Unsicherheit die Wiederwahl von Parlamentariern oder sorgt für den Einzug von Abgeordneten, die zuvor als chancenlos galten. So spülte es beispielsweise im Sog der Kanzlerkandidatur von Edmund Stoiber und den damit verbundenen überdurchschnittlichen Wahlergebnissen für die CSU bei der Bundestagswahl 2002 und der bayerischen Landtagswahl 2003 eine beachtliche Zahl junger Abgeordneter trotz ungünstiger Listenplätze in den Bundestag und den Landtag. Eine weitere institutionelle Determinante neben dem Wahl- und Parteiensystem ist die Struktur des politischen Systems an sich. Von Bedeutung ist dabei, ob Staaten föderal organisiert sind oder eher zentralstaatlich. In föderalen Staaten steigt die Zahl der verfügbaren Wahlämter. Auf Landesebene in Deutschland werden über 1800 Mandate vergeben, was Golsch – nicht zu unrecht – als „expansive Wirkung des föderalistischen Staatsaufbaus“ (Golsch 1998: 94) bezeichnet. Dazu kommen neben den 614 Bundestagabgeordneten (Stand 2007) zusätzlich noch 99 deutsche Europaabgeordnete. Die Integration Deutschlands in supranationale Organisationen als Teil des politischen Systems bleibt somit nicht ohne Auswirkung auf politische Karrieremöglichkeiten. Insgesamt werden daher in Deutschland über 2500 Mandate vergeben (vgl. Tabelle 1).
5
Kaack bezeichnet einen Wahlkreis dann als sicher, wenn der Vorsprung eines Kandidaten vor dem Nächstplatzierten mindestens 16 Prozentpunkte beträgt oder eine Partei dauerhaft einen Vorsprung von mindestens 8 Prozentpunkten aufweist (vgl. Kaack 1971: 575).
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Tabelle 1: Mandate in der Bundesrepublik Deutschland Zahl der (deutschen) Abgeordneten (Stand 2007)
Ebene
Parlament
Europa Bund
Europäisches Parlament
Bundesländer
Gesamt a
a
Deutscher Bundestag Landtag von Baden-Württemberg Bayerischer Landtag Abgeordnetenhaus von Berlin Landtag Brandenburg Bremische Bürgerschaft Hamburgische Bürgerschaft Hessischer Landtag Landtag Mecklenburg-Vorpommern Niedersächsischer Landtag Landtag Nordrhein-Westfalen Landtag Rheinland-Pfalz Landtag des Saarlandes Landtag von Sachsen-Anhalt Sächsischer Landtag Schleswig-Holsteinischer Landtag Thüringer Landtag
99 598 139 180 149 86 84 121 110 71 183 187 101 51 97 124 69 88 2537
Ohne Überhangmandate
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Aufgrund des parlamentarischen Regierungssystems sind auch Positionen in der Exekutive Teil der Chancenstruktur. Diese Positionsinhaber werden mit Ausnahme direkt gewählter Exekutivspitzen auf kommunaler Ebene (wie zum Beispiel Landräte) von der zuständigen legislativen Körperschaft berufen. Zwar kann man durch die Legislative auch gewählt werden, wenn man kein Mandat inne hat, allerdings stellen derartige Wahlakte eher die Ausnahme dar. Im Parlamentarismus ist das gleichzeitige Bekleiden exekutiver und legislativer Funktionen an der Tagesordnung, was Herzog dazu brachte, neben der „vertikalen Ämterkumulation“ (beispielsweise ein Amt im Kreis- und im Landesvorstand einer Partei) auch die „horizontale Ämterkumulation“ unter deutschen Spitzenpolitikern zu untersuchen (vgl. Herzog 1975). Es ist offensichtlich, dass nicht alle Mandate zum Zeitpunkt der Wahl auf dem politischen Markt und daher verfügbar sind. Um zu verdeutlichen, wie groß 58
die personelle Kontinuität der Abgeordneten ist, oder umgekehrt der Anteil der Parlamentsneulinge, werden in der Parlamentssoziologie Austauschraten des politischen Personals (im Englischen: „turnover rates“) berechnet (vgl. Golsch 1998: 93). Für den Bundestag liegen diese Raten bei 25 bis 30 Prozent. Die bedeutet, dass im Normalfall über 70 Prozent der Mandate bei einer Bundestagswahl in Händen der Amtsinhaber verbleiben (vgl. Abb. 5). Abbildung 5:
Austauschrate des politischen Personals im Deutschen Bundestag.
50% 48% 45% 40% 35%
35% 31%
30%
30%
28%
29%
30% 23%
25% 23%
25% 25%
25%
24%
21%
20% 15%
18%
10% 5% 0% 1953
1957
1961
1965
1969
1972
1976
1980
1983
1987
1990
1994
1998
2002
2005
Bundestagswahl
Quelle: Eigene Berechnung; Parlamentsgrößen und Zahl der Neulinge aus: Schindler 1984; Schindler 1995; Feldkamp 2003; Feldkamp 2005; Feldkamp 2006; www.bundeswahlleiter.de; www.bundestag.de.
Die legislative Rekrutierung ist im Hinblick auf eine politische Spitzenkarriere ein Meilenstein, jedoch nicht der einzige. Um in politische Spitzenpositionen aufzusteigen, müssen sich Politiker im Parlament und in ihrer Partei profilieren. Zu den unterschiedlichen Rollen, die Abgeordnete im Parlament spielen können, hat von Oertzen eine detaillierte und lesenswerte Übersicht vorgelegt (vgl. von Oertzen 2006). Erfolgreiches Wirken in Arbeitskreisen, Ausschüssen und Fraktionen bringen den einzelnen Politiker in die Nähe des Bereichs „Vorstände, Regierungen, Führungspositionen“ in Herzogs Prozessmodell und damit in den Bereich der Elitenrekrutierung im engeren Sinn. Jedoch können politische Spitzenfunktionen in der Exekutive, analog zur Frage frei werdender Mandate, für einige Bewerber außer Reichweite sein. Dies gilt zum einen für Politiker von Oppositionsparteien. Man denke dabei nur an Landespolitiker der SPD, der Grünen oder der FDP in Bayern, die sich mit einer seit über 40 Jahren allein regie-
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renden CSU konfrontiert sehen. Gehört man zwar der Mehrheitsfraktion an, wird aber von den maßgeblichen Selektoren, die Patzelt als die „Türhüter des Auswahlverfahrens“ (Patzelt 1999: 250) bezeichnet, als „Hinterbänkler“ eingestuft, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Beförderung auf ein innerfraktionelles oder gar exekutives Spitzenamt deutlich. Zudem können auch profilierte Politiker aus den Mehrheitsfraktionen bei der sprichwörtlichen Verteilung des Fells des Bären, der Regierungsbildung, leer ausgehen, wenn Ressortzuschnitt, Koalitionsarithmetik oder Faktoren symbolischer Politik gegen sie sprechen (vgl. Derlien 1996; Derlien 2001a). Im Abschnitt über die Professionalisierungs-Diskussion wurde bereits auf die Verdienstmöglichkeiten als Politiker verwiesen, ohne dabei ins Detail zu gehen. Die Alimentierung politischer Tätigkeiten kann zweifelsohne auch als institutionelle Determinante politischer Karrieren angesehen werden, da sie die Attraktivität hauptberuflicher politischer Betätigung erhöht. Politische Ämter üben ergänzend dazu einige immaterielle Reize aus. Allerdings muss man bei dieser Argumentation Vorsicht walten lassen, da dem „smell of leather“ (Gallagher/Laver/Mair 2001: 342) – dem Geruch des Leders im Dienstwagen – und der Gesamtheit der Vorzüge der Amtsausübung einige Widrigkeiten hauptamtlicher politischer Tätigkeiten gegenüber stehen. Da in der Politik der Aufstieg oder Verbleib in bezahlten Positionen von Nominierungsgremien, Wahlen und persönlichen Konstellationen abhängt, unterliegt dieses Betätigungsfeld einer größeren Unsicherheit als in anderen Gesellschaftsbereichen (vgl. Patzelt 1999: 250; Borchert/Stolz 2003). Darüber hinaus existieren Berufsgruppen, die sich finanziell verschlechtern, wenn sie in den Bundestag oder ein Landesparlament einziehen. Für diese Personen bilden Abgeordnetenentschädigungen kein Anreizsystem. Patzelt weist darüber hinaus darauf hin, dass Politiker mehr als andere Angehörige politischer Eliten einer strengeren, oft ungerechten, öffentlichen Kritik unterliegen (vgl. Patzelt 1996; Patzelt 1999; Patzelt/Algasinger 2001). Wiesendahl fasst die angeblichen Nachteile des Berufspolitikerdaseins folgendermaßen zusammen: „Dem politischen Stellenmarkt geht insgesamt vieles ab, was ihn für herausragende Führungstalente attraktiv machen könnte. Wer will sich schon die Aussicht auf schlechten Leumund, zeitliche, mentale und familiäre Überbelastung antun und das noch ohne absehbare und planbare Gewissheit, politisch Karriere zu machen oder stattdessen abgewählt zu werden. Für hoch qualifizierte Führungstalente versprechen andere Elitensektoren generell ertragreichere und reizvollere Perspektiven.“ (Wiesendahl 2004: 134)
Die finanzielle Ausstattung politischer Ämter ist nichtsdestoweniger ein „wesentliches Element der politischen Chancenstruktur.“ (Golsch 1998: 99) So erhält beispielsweise ein bayerischer Landtagsabgeordneter seit dem 1. Juli 2006 eine steuerpflichtige Abgeordnetenentschädigung in Höhe von 6.166 Euro. Dazu 60
kommt eine steuerfreie Kostenpauschale von 2.883 Euro (Stand: 1. Juli 2006), zusammen 9.049 Euro. Die Abgeordnetendiäten in den Landesparlamenten der Stadtstaaten sind dagegen niedriger, in der Hamburger Bürgerschaft bekommt ein Mitglied des Parlaments Diäten in Höhe von 2.303 Euro und eine Kostenpauschale von 350 Euro pro Monat, zusammen also 2.653 Euro. Bundestagsabgeordnete erhielten zu Beginn des Jahres 2008 Diäten in Höhe von 7.009 Euro und eine Kostenpauschale von 3.720 Euro (vgl. zur Kritik an den Abgeordnetendiäten und vor allem an der steuerfreien Kostenpauschale: von Arnim 2001a; von Arnim 2006). Ihre europäischen Kollegen haben sich im Sommer 2005 mit dem Rat auf ein neues Abgeordnetenstatut einigen können. Die bisherige Regelung, dass Abgeordnete Bezüge in gleicher Höhe erhalten wie ihre Kollegen in den nationalen Parlamenten, wurde zugunsten einer europaweit gleichen Entschädigung von 38,5 % der Grundbezüge eines Richters am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften fallen gelassen. Europaabgeordnete erhalten demnach ab 2009 ein zu versteuerndes Gehalt von 9.053 Euro (vgl. Europäisches Parlament 2005; kritisch hierzu: von Arnim 2004). Gemäß §11 des Bundesministergesetzes (BMinG) erhält der deutsche Bundeskanzler ein Amtsgehalt in der Höhe von einzweidrittel (Bundesminister: eineindrittel) des Grundgehalts der Besoldungsgruppe B 11 einschließlich zum Grundgehalt allgemein gewährter Zulagen, einen Ortszuschlag und eine Dienstaufwandsentschädigung. Er oder sie kommt somit auf ca. 200.000 Euro im Jahr, was im Vergleich zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, doch bescheiden erscheint, der im Jahr 2006 13,2 Millionen Euro verdiente (vgl. o.V. 2007: Managergehälter 2006). Allgemein lässt sich sagen, dass sich in Teilen der Privatwirtschaft mehr Geld verdient werden kann als in der Berufspolitik. Dennoch kann man davon ausgehen, dass der „supply of aspirants“ (vgl. Abb. 6) angesichts der Bezüge von Parlamentariern hinreichend groß sein dürfte. Pippa Norris hat die institutionellen Determinanten politischer Karrieren und die politische Chancenstruktur in ihren "supply-and-demand"-Ansatz eingebettet (vgl. Abb. 6). Sie fügt damit die angebots- und nachfrageorientierten Ansätze der Rekrutierungsforschung zusammen. Wie Borchert feststellt, tendieren die amerikanischen Sozialwissenschaftler dazu, sich auf das Angebot an möglichen Abgeordneten zu konzentrieren, auf ihre Rekrutierung in die Politik, ihre Wahl und Wiederwahl und die Eigeninteressen, die sie im Verlaufe dieses Prozesses entwickeln. Europäer richten den Blick eher auf die Struktur der institutionellen Nachfrage nach Abgeordneten, auf die Selektivität der Rekrutierung und ihren Einfluß auf das Verhalten von Abgeordneten (vgl. Borchert 1999: 19). Zusammen mit dem karrieretheoretischen Forschungsansatz von Herzog und dessen Prozessmodell der politischen Führungsauswahl ist der theoretische Rahmen für die Untersuchung der Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker
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damit aufgespannt. Im Folgenden soll die Zusammensetzung der Gruppe der Spitzenpolitiker und das Design der Untersuchung beschrieben werden. Abbildung 6:
Modell politischer Rekrutierung nach Norris
Legal system Supply of aspirants Electoral system
Recruitment processes (rules and procedures)
Outcome
Demands of gatekeepers Party system
Quelle: Norris 1997: 2.
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3. Untersuchungsdesign und Ausschöpfungsquoten
3.1 Auswahl und Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe Da die Untersuchung die Zielsetzung verfolgt, Spitzenpolitiker in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf ihre Karriereverläufe zu untersuchen, ist zunächst der Personenkreis zu benennen, der im Folgenden als Spitzenpolitiker verstanden werden soll. Dafür ist eine Methode zur Identifikation dieser Eliten festzulegen. Die Auswahl der Spitzenpolitiker in der Bundesrepublik Deutschland wurde mit Hilfe der „Positionsmethode zur Elitenidentifikation“ vorgenommen (vgl. Hoffmann-Lange 1992; Hoffmann-Lange 2003; Hoffmann-Lange 2004; Machatzke 1997). Ausgewählt wurden ausschließlich Personen, die formale politische Führungspositionen inne hatten oder haben und aus diesen heraus Macht und Einfluss im folgenden Verständnis ausüben können: „Macht und Einfluss werden hier nicht als individuelle Eigenschaften verstanden, sondern als Ressourcen einer Führungsposition, die einem Individuum nur für die Zeit zur Verfügung stehen, in der es diese Position innehat.“ (Machatzke 1997: 45)
Inhaber dieser Positionen kann man mit Hilfe des Positionsansatzes identifizieren und von Nicht-Eliten abgrenzen. Diese Methode ist aus forschunstheoretischen und -praktischen Gründen zur gängigsten Methode zur Bestimmung nationaler Eliten geworden (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 356), sie ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit zur Identifikation von Eliten. Die Reputationsmethode verlässt sich auf das Urteil von Experten, wer zu den Mächtigen in einer Gesellschaft zählt. Diese Einschätzungen sind jedoch zwangsläufig subjektiv. Angehörige der Elite werden mit dieser Methode am besten erfasst, wenn der befragte Experte selbst Mitglied der zu untersuchende Elite ist. Bei der Entscheidungsmethode wird der Einfluss auf gesellschaftliche Entscheidungen direkt gemessen. Mitglieder der Elite werden als solche ausgemacht, wenn sie sich bei empirischen Untersuchungen von Entscheidungsprozessen als besonders einflussreich erwiesen haben. Hoffmann-Lange weist darauf hin, dass diese drei Methoden Macht oder Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Entscheidungen in unterschiedlicher Weise messen, und zwar im Hinblick auf zwei Dimensionen von Macht: Die Art der Einflussressourcen (formale, an Führungspositionen gebundene Machtressourcen oder neben diesen auch noch informelle, personenenbezogene 63
Ressourcen) und die Art des Einflusses (direkte Teilnahme an Entscheidungen oder daneben auch die Berücksichtigung eines indirekten Einflusses). Dies lässt sich in einer Vierfeldertafel veranschaulichen, wenn man die Analyse von institutionellen Entscheidungsregeln noch hinzu nimmt (vgl. Abb. 7). Wie in Herzogs Untersuchung und in den Elitestudien Mannheimer Provenienz greift auch diese Untersuchung auf den Positionsansatz zurück. Neben theoretischen Überlegungen lag dies nicht zuletzt auch an finanziellen Restriktionen, die beispielsweise Voruntersuchungen im Rahmen des Reputationsansatzes a priori ausschlossen. Abbildung 7:
Dimensionen von Macht und Methoden zur Elitenidentifkation Art des Einflusses
Einflußressourcen
nur positionelle Machtressourcen formale und informelle Ressourcen
Nur aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen
direkter und indirekter Einfluss
Institutionelle Entscheidungsregeln
Positionsmethode
Entscheidungsmethode
Reputationsmethode
Quelle: Hoffmann-Lange 1992: 357.
Bei der Positionsmethode sieht man sich in der Regel mit zwei Grundsatzentscheidungen konfrontiert, der horizontalen und der vertikale Abgrenzung der Zielpopulation (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 88). Die horizontale Abgrenzung betrifft die in eine Untersuchung miteinbezogenen Sektoren (beispielsweise Verwaltung, Gewerkschaften, Massenmedien). Da im Fokus der Untersuchung deutsche Spitzenpolitiker stehen, ist diese Abgrenzung unproblematisch. Bei Spitzenpolitikern handelt es sich um den Sektor der „politischen Elite“. Allerdings gibt es zahlreiche Repräsentanten von Organisationen, die aktiv am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess mitwirken, ohne zum Sektor Politik zu zählen. Man denke beispielsweise an die Spitzen der Gewerkschaften oder einflussreiche Interessenverbände. Im Hinblick auf die zu untersuchenden Spitzenpolitikern spricht man daher häufig von „politischen Eliten im engeren Sinne“ (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 86). Weitaus problematischer ist die vertikale Abgrenzung. Hierbei muss man innerhalb des Sektors eine Auswahl der zu
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berücksichtigenden Organisationen treffen und innerhalb der Organisation wiederum in Frage kommende Hierarchieebenen identifizieren. So verständlich und praktisch die Positionsmethode zur Elitenidentifikation auch sein mag, wird an dieser Stelle ihr Schwachpunkt augenscheinlich: „Die vom Forscher getroffenen Entscheidungen über die Bedeutung der einzelnen Subgruppen, die ausschlaggebend dafür sind, mit welchen Fallzahlen bestimmte Sektoren und Organisationen in der Untersuchungsgruppe repräsentiert werden, lassen sich (...) schwerlich objektivieren.“ (Hoffmann-Lange 1992: 90)
Ein weiterer Kritikpunkt bei der Verwendung der Positionsmethode ist die Gleichsetzung von potentiellem mit tatsächlichem Einfluss. Bei den Inhabern formaler politischer Führungspositionen kann man von einem „begründeten Machtverdacht“ (Hoffmann-Lange 1992: 92) ausgehen. Allerdings ist zu vermuten, dass bei politischen Entscheidungen auch Politiker Macht und Einfluss ausüben, die kein formales Amt innehaben. Hoffmann-Lange nennt drei Personengruppen, die man an dieser Stelle beachten muss. Zum einen gehören Aufsteiger dazu, die zwar einflussreich sind, aber noch nicht in Führungspositionen aufgerückt sind. Zum anderen sind die so genannten elder statesmen zu nennen, die zwar bereits aus formalen Elitepositionen ausgeschieden sind, aber weiterhin informellen Einfluss ausüben können. Zum dritten übersieht die Positionsmethode graue Eminenzen, die im Hintergrund die Fäden ziehen und faktischen Einfluss ausüben, der über die Bedeutung ihrer formalen Funktion hinausgeht (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 92). Aufgrund dieser Kritikpunkte am Positionsansatz ist es dienlich, sich bei der Auswahl der Führungspositionen an objektivierbaren Kriterien zu orientieren, auf Erfahrungen bereits vorliegender Untersuchungen zurückgreifen und dabei den finanziellen Rahmen eines Forschungsprojektes nicht aus den Augen zu verlieren. Herzog versucht in seiner Untersuchung ein derartiges objektivierbares Kriterium vorzulegen. Er berücksichtigt ausschließlich Spitzenpositionen im Sektor Politik, bei denen anzunehmen ist, dass zu ihrer Erlangung sowohl eine innerparteiliche als auch eine parlamentarische Karriere üblicherweise notwendig sind (vgl. Herzog 1975: 56). Diese Selektionsprämisse ist im Hinblick auf das Forschungsinteresse, dem Verlauf politischer Karrieren, von elementarer Bedeutung. Im Fokus steht die maßgebliche und regelmäßige Mitwirkung an für die Gesamtgesellschaft zentralen Entscheidungen, die an Ämter und Führungsfunktionen gebunden ist. Im Folgenden soll nun die Auswahl und die sich daraus ergebende Gruppe der deutschen Spitzenpolitiker erläutert werden. Als Subsektoren wurden die Exekutive und die Legislative ausgewählt. Anders als Herzog und im Unterschied zu den vier großen nationalen Elitestudien der Mannheimer Schule wurde die Parteiorganisation nicht als eigener Subsektor
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in die Befragung aufgenommen. Dies lag nur zu einem geringeren Teil am überschaubaren finanziellen Spielraum der Befragung. Vielmehr stellte sich bei der positionellen Selektion heraus, dass die horizontale Ämterkumulation so weit verbreitet ist, dass fast alle Mitglieder der Parteivorstände oder Parteipräsidien gleichzeitig ein herausragendes exekutives Amt oder eine Führungsfunktion in den Parlamenten innehatten. Rechnet man diese Doppelfunktionen aus dem Subsektor Parteiorganisation heraus, bleiben zum einen lediglich altgediente Spitzenkräfte der Partei wie beispielsweise die Ehrenvorsitzenden übrig, zum anderen lediglich Parteifunktionäre, bei denen das Herzogsche Kriterium der längeren parteiinternen Karriere eher angezweifelt werden kann. Der Personenkreis wäre daher für einen intersubsektorellen Vergleich zahlenmäßig zu klein gewesen und wurde daher nicht berücksichtigt. Da man aber davon ausgehen muss, dass die Spitzenkräfte der Parteien auch dann Macht und Einfluss haben, wenn sie kein formales Führungsamt in Regierung oder Parlament ausüben, wurden die Parteivorsitzenden, Generalsekretäre und Bundsgeschäftsführer der im Bundestag vertretenen Parteien zum Subsektor Legislative hinzugerechnet, sofern sie über ein Bundestagsmandat verfügten. Im Sinne der von Hoffmann-Lange aufgestellten Machtdimensionen (vgl. Abbildung 7) ist es nämlich durchaus plausibel, dass Parteivorsitzende wie Claudia Roth oder Lothar Bisky auch ohne formales Amt in ihrer Bundestagsfraktion über einen nicht zu unterschätzenden Einfluss verfügen. Der Typ des Parteifunktionärs im klassischen Weberschen Sinn, der zum Zeitpunkt von Herzogs Untersuchung Ende der 60er Jahre durchaus noch Bedeutung hatte, büßte in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Stellenwert ein und fand daher bei der Auswahl der Spitzenpolitiker keine Berücksichtigung. Im Subsektor Exekutive wurden neben der Bundesexekutive in Form der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretäre auch die Mitglieder der Landesexekutiven aufgenommen, also die Regierungschefs der Länder und die Landesminister oder Senatoren. Das Hinzunehmen der Landespolitiker diente dem Ziel, nach Unterschieden der Karrieremuster bundesund landespolitischer Eliten zu suchen und der Frage nachgehen zu können, ob der Zusammenhang zwischen den Ebenen des politischen Systems eher paralleler oder serieller Natur ist. Damit soll untersucht werden, ob die Landespolitik lediglich eine Durchgangsstation auf dem Weg in die Bundespolitik darstellt oder eine eigenständige Karrierearena ist (vgl. Stolz 2003). Im Hinblick auf die Mitglieder der Landesregierungen ist dies zudem theoretisch begründet. Denn bei politischen Entscheidungen, die die Gesellschaft als Ganze betreffen (vgl. Higley/Field/Gröholt 1976), sind die Mitglieder der Landesregierungen über ihre gesetzgeberischen Mitwirkungsrechte im Bundesrat fast immer beteiligt. Der Exekutiveföderalismus deutscher Ausprägung und die damit zusammenhängende Koordination der Bundesländer auf der „dritten Ebene“ des Föderalismus, bei-
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spielsweise in Form der Ministerpräsidentenkonferenz oder verschiedener Fachministerkonferenzen, sichert landespolitischen Eliten Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Entscheidungen in Deutschland zu. Die deutliche Umgestaltung des deutschen Föderalismus durch die Große Koalition Mitte der 60er Jahre, beispielsweise durch die Einführung des großen Steuerverbundes, war zum Zeitpunkt der Herzogschen Feldforschung 1968 noch nicht umfassend ersichtlich. Nur so ist es nachvollziehbar, dass Herzog beispielsweise einen Abteilungsleiter in der Bundesgeschäftsstelle einer Partei als Mitglied der politischen Führungsgruppe der Republik ansah, den Bayerischen Ministerpräsidenten hingegen nicht.6 Da die Teilgruppe „Landesexekutive“ im Vergleich zu den anderen Teilgruppen sehr umfangreich ist, wurde darauf verzichtet, die Staatssekretäre mit Kabinettsrang (zum Beispiel die Bayerischen Staatssekretäre) in die Erhebungsgruppe aufzunehmen, um das Ungleichgewicht nicht noch zu verstärken. Zur Exekutive zählt formal auch der Bundespräsident. In den Mannheimer und der Potsdamer Elitestudie wurde er aufgrund seiner Rolle in politischen Krisensituationen, als ausgleichende Gewalt, als Schlichter von Kontroversen und aufgrund seines unbestrittenen informellen Einflusses zur politischen Elite gezählt (vgl. Hoffmann-Lange 1992: 93f; Machatzke 1997: 39). Da er, wie das Beispiel Horst Köhlers zeigt, jedoch nicht immer das Herzogsche Kriterium einer längeren parteiinternen oder parlamentarischen Karriere erfüllt, fand er bei der positionellen Auswahl keine Berücksichtigung. Ebenfalls nicht mit aufgenommen wurden europäische Spitzenpolitiker aus Deutschland. Zwar gab es zum Zeitpunkt der Untersuchung gerade in den Fraktionen des Europäischen Parlaments einige bedeutende deutsche Europapolitiker. Die Gruppe wäre jedoch insgesamt für einen Vergleich zahlenmäßig zu gering gewesen.7 Daher fanden auch Exekutivpolitiker auf europäischer Ebene, wie der stellvertretende Kommissionspräsident und Kommissar für Industrie- und Unternehmenspolitik Günter Verheugen, keine Berücksichtigung.
6
Herzog weist in diesem Zusammenhang auch auf einen einfachen forschungspraktischen Grund hin. Er wollte alle zu untersuchenden Personen möglichst an einem Ort versammelt wissen, da er mit persönlichen Interviews arbeitete und sich nicht in der Lage sah, seine Interviewer im ganzen Bundesgebiet herumzuschicken (vgl. Herzog 1975: 57).
7
In Frage gekommen wären im März 2006 die drei deutschen Vize-Präsidenten des Europäischen Parlaments (Ingo Friedrich, Dagmar Roth-Behrendt, Sylvia-Yvonne Kaufmann), die Fraktionsvorsitzenden der EVP und der SPE (Hans-Gert Pöttering, Martin Schulz), der Co-Vorsitzenden der Fraktion der Grünen (Daniel Cohn-Bendit) und die stv. Fraktionsvorsitzende der Fraktion der Liberalen (Silvana Koch-Mehrin). Zudem hatten einige Europaparlamentarier Führungsaufgaben in den Ausschüssen des Parlaments inne, beispielsweise der CDU-Politiker Elmar Brok als Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten.
67
Im Subsektor Legislative wurden auf Bundesebene Mitglieder des geschäftsführenden Vorstandes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, des geschäftsführenden Vorstandes der SPD-Bundestagsfraktion, des Fraktionsvorstandes der FDPBundestagsfraktion, des Fraktionsvorstandes der Fraktion Die Linke, des Fraktionsvorstandes der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, die Mitglieder des Bundestagspräsidiums, die Vorsitzenden der ständigen Bundestagsausschüsse und die Parteivorsitzenden, Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer mit Bundestagsmandat aufgenommen. Die Rolle der Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse ist umstritten. Von Oertzen gibt zu Bedenken, dass die inhaltlichen Entscheidungen nicht mehr in den Ausschüssen des Bundestages fallen, sondern innerhalb der Regierungsmehrheit. Dazu komme, dass die Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse in der Regel nicht Vorsitzende der Arbeitskreise oder Sprecher der Fraktion für den entsprechenden Politikbereich sind. Dies führe dazu, dass manche Ausschussvorsitzenden sogar Weisungen der Arbeitskreisvorsitzenden bezüglich des Ausschuss-Prozederes akzeptieren (vgl. von Oertzen 2006: 213f). Von Oertzen bezeichnet die Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse daher in Teilen als „Moderator ohne Macht“ (von Oertzen 2006: 213), weist jedoch darauf hin, dass sich Ausschussvorsitzende verhältnismäßig einfach innerhalb des Parlaments und gegenüber der Öffentlichkeit Gehör verschaffen können. Von Beyme ordnet die Rolle der Ausschussvorsitzenden dagegen als stark ein (vgl. von Beyme 1997: 195). Da ihre Rolle zumindest umstritten ist, man den Ausschussvorsitz jedoch als Position in einer Sequenz im Rahmen der innerparlamentarischen Karriere ansehen kann, wurden die Ausschussvorsitzenden in die Untersuchungsgruppe aufgenommen. Im Gegensatz zu Herzogs Untersuchung und den vier großen nationalen Elitebefragungen wurden die stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse nicht ausgewählt. Was von Oertzen über die Vorsitzenden schreibt, muss für die stellvertretenden Vorsitzenden in noch stärkerem Maß gelten. Ebenfalls keine Berücksichtigung fanden die Vorsitzenden der „Arbeitsgruppen“ (CDU/CSU und SPD) oder der „Arbeitskreise“ (FDP, Linke, Grüne) der Bundestagsfraktionen. Diese sind zwar häufig „machtvolle oberste Fachpolitiker“ innerhalb der Fraktion (von Oertzen 2006: 142), im Rahmen des Positionsansatzes mussten sie aus mehreren Gründen unberücksichtigt bleiben. Die grüne Fraktion kennt keine Arbeitskreisvorsitzende, sondern lediglich fünf „politische Koordinatoren“. Diese sind Mitglied im Fraktionsvorstand und in dieser Funktion bereits in der Erhebungsgruppe enthalten. Die sechs Leiter der Arbeitskreise der Linksfraktion sind gleichzeitig stellvertretende Fraktionsvorsitzende und haben durch die Zugehörigkeit zum Fraktionsvorstand Eingang in die Untersuchungsgruppe gefunden. Bei der FDP gehören zwei der sechs Arbeitskreisleiter dem Fraktionsvorstand an. Aus den drei Oppositionsfraktionen hätte man
68
daher nur vier zusätzliche legislative Spitzenpolitiker in die Erhebungsgruppe aufnehmen können. Aus den Reihen der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD hätten dagegen insgesamt 43 Arbeitsgruppenleiter ausgewählt werden müssen, was zu einer noch größeren Unausgeglichenheit zwischen den kleineren und den größeren Parteien geführt hätte. Zudem haben die Leiter der Arbeitsgruppen der beiden großen Bundestagsfraktionen in den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, die für bestimmte Politikbereiche zuständig sind, eine Art „Vorgesetzten“ über sich. Von Oertzen bezeichnet diese zu Recht als „OberArbeitskreisvorsitzende“ (von Oertzen 2006: 145) und spricht ihnen ein erhebliches Machtpotential zu, was zu Lasten der Arbeitsgruppenvorsitzenden geht. Insgesamt hätte sich die Zahl der Positionen in der Teilgruppe „Bundeslegislative“ um knapp 50 Personen erhöht, was im Rahmen der begrenzten finanziellen Ressourcen des Forschungsprojektes problematisch geworden wäre. Aus theoretischen und praktischen Gründen wurden die Vorsitzenden der fraktionsinternen Leiter der Arbeitskreise und Arbeitsgruppen daher nicht in die Erhebungsgruppe aufgenommen. Auf Landesebene konnten lediglich die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen Eingang in die Erhebungsgruppe finden. Wenn man bedenkt, dass sie in der Regel vier Stellvertreter haben und es zwischen drei und sechs Fraktionen in jedem der 16 Landesparlamente gibt, wird ersichtlich, dass ein Hinzunehmen der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden in den Landesparlamenten die Erhebungsgruppe um knapp 200 Personen vergrößert hätte. Tabelle 2 gibt die Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe wieder.8 Befragt wurden alle Personen, die im März 2006 (nach der Bundestagswahl 2005 und vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) die in der Tabelle dargestellten Spitzenpositionen innehatten. Insgesamt wurden mit Hilfe des Positionsansatzes 370 Spitzenpositionen ausgewählt. Nach Abzug einer Doppelfunktion wurden 369 deutsche Spitzenpolitiker identifiziert. Die Untersuchung ist damit enger gefasst als beispielsweise die letzte Mannheimer Eliteuntersuchung im Sektor Politik (541 Positionen; vgl. Hoffmann-Lange 1992: 95) oder die Potsdamer Elitestudie, die im Sektor Politik 1.082 Positionen auflistet. Die hohe Zahl der politischen Spitzenpositionen der Potsdamer Studie liegt vor allem an der Auswahl der Fraktionsvorstände auf Landesebene (232 Positionen) und der Landesvorstände der Parteien (342 Positionen). Zudem wurden mit Europa und den Kommunen zwei weitere Ebenen im politischen System und mit den parteinahen Stiftungen ein neuer Subsektor miteinbezogen (vgl. Machatzke 1997: 41). Kaack kommt bei seiner Abgrenzung der Positionselite im Sektor Politik zu Beginn der 80er Jahre auf 547 Positionen (vgl. 8
Eine detaillierte Auflistung der Untersuchungs- und Kontrastgruppe mit den Namen und Positionen der Politiker findet sich im I. und II. Teil des Anhangs.
69
Kaack 1980: 197). Allerdings ist zu bedenken, dass bei der Einbeziehung der Parteivorstände einer Fülle von Doppelnennungen auftritt. Aufgrund der horizontalen Ämterkumulation ist die Zahl der Positionen deutlicher höher als die Zahl der Personen. Kaacks aufgeführte 547 Positionen wurden von lediglich 372 Personen bekleidet (vgl. Kaack 1980: 208). Tabelle 2: Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe Teilgruppe Bundesexekutive
Bundeslegislative
Landesexekutive Landeslegislative Gesamt
Anzahl
%
Mitglieder der Bundesregierung
16
4,3
Parlamentarische Staatssekretäre
30
8,1
Geschäftsführender Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
18
4,9
Geschäftsführender Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion
15
4,1
Fraktionsvorstand der FDP-Bundestagsfraktion
12
3,3
Fraktionsvorstand der Fraktion Die Linke Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen Mitglieder des Bundestagspräsidiums
13
3,5
11
3,0
4
1,1
21
5,7
6
1,6
Vorsitzende der ständigen Bundestagsausschüsse Parteivorsitzende, Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer (mit Mandat) Regierungschefs der Bundesländer
16
4,3
Landesminister und Senatoren
142
38,5
Fraktionsvorsitzende auf Landesebene
65
17,6
369
100
Als Kontrastgruppe dienten Bundestagsabgeordnete, die bei der Wahl in den Deutschen Bundestag im Jahr 2005 jünger als 35 Jahre alt waren und Landtagsabgeordnete, die am Tag ihrer Wahl in ein Landesparlament ihr 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. 136 jüngere Abgeordnete wurden auf diese Weise ausgewählt (vgl. Tabelle 3). Analog zu Herzogs Vorgehensweise sollte mit dem Hinzunehmen der Gruppe jüngerer Abgeordneter die Möglichkeit geschaffen werden, zu untersuchen, „ob die jüngere Generation andere Karrieren einschlägt als die ältere“ (Herzog 1975: 56). Die Altersstufen wurden in der Höhe gewählt, da die Grenze von 35 Jahren oft das Ende der Zeit in den Jugendorganisationen markiert und damit in der Regel das Ende des Daseins als „Jung- oder Nachwuchspolitikers“. Bei den Landtagsabgeordneten musste die Grenze auf 30 Jahre herabgesetzt werden, da sonst die Kontrastgruppe auf eine Größe angewachsen wäre, deren Befragung nicht zu finanzieren gewesen wäre. 70
Tabelle 3: Zusammensetzung der Kontrastgruppe Teilgruppe Jüngere Bundestagsabgeordnete (zum Zeitpunkt der Wahl 35 Jahre oder jünger) Landtagsabgeordnete (zum Zeitpunkt der Wahl 30 Jahre oder jünger) Gesamt
Anzahl
%
64
47,1
72
52,9
136
100
Insgesamt wurden daher 505 deutsche Politiker ausgewählt. Die Zusammensetzung der Erhebungsgruppe folgt insgesamt einem integrativen Ansatz. Sie orientiert sich an der Vorgehensweise Herzogs, um in Bereichen eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse herstellen zu können, trägt aber der Entwicklung der Parteienlandschaft und des föderalen Systems Rechnung. Viele Untersuchungen politischer Karriereverläufe konzentrieren sich ausschließlich auf Parlamentarier, was aufgrund des parlamentarischen Regierungssystems und der damit verbundenen Gewaltenfusion zwischen Exekutive und Legislative und der daraus hervorgehenden personellen Verflechtung beider Gewalten theoretisch gerechtfertigt ist. Diese Untersuchungen haben entweder die Landesparlamentarier im Fokus (vgl. Patzelt 1993; Derlien/Lock 1994; Lohse 1999; Borchert/Stolz 2003; Jahr 2005), beschränken sich auf die Untersuchung von Bundestagabgeordneten (vgl. Golsch 1998; Wessels 2003), oder beziehen Abgeordnete von Bund und Ländern (und zum Teil sogar Europa) in ihre Untersuchungen ein (vgl. Patzelt 1995; Stolz 2003; Best/Edinger/Jahr/Schmitt 2004). Auf der anderen Seite stehen Forschungsarbeiten, die die Exekutive in den Mittelpunkt stellen – entweder auf der Ebene des Bundes (vgl. Ali 2003), der Länder (vgl. Lange 1975; Rütters 2005) oder beider Ebenen (vgl. Holl 1990). Die vorliegende Untersuchung versucht dagegen, Karriereverläufe von Exekutive und Legislative auf der Ebene des Bundes und der Länder zu analysieren.
3.2 Befragungsdesign und Datensammlung Die großen nationalen Elitestudien sowie Herzogs Untersuchung arbeiteten mit persönlichen Interviews. Aufgrund finanzieller Restriktionen stand diese Option nicht zur Verfügung. Vielmehr wurde eine postalische Befragung der ausgewählten Spitzenpolitiker als Erhebungsinstrument gewählt. Bei dieser Methode sind keine verlässlichen Aussagen darüber zu treffen, von wem in letzter Konsequenz der Fragebogen ausgefüllt wurde. Dieser Tatsache wurde jedoch bei der Erstellung des Fragebogens Rechnung getragen. Da im Mittelpunkt des Forschungsin71
teresses der Verlauf der politischen Karriere des einzelnen Befragten stand, wurden auf Fragen zu persönlichen Einstellungen des Spitzenpolitikers oder dessen Rollenverständnis im Fragebogen fast vollständig verzichtet. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Befragte den Bogen nicht selbst ausgefüllt hat, lässt dies noch kein Rückschluss auf eine verminderte Validität der erhobenen Informationen zu. Sollte wirklich ein wissenschaftlicher Mitarbeiter oder persönlicher Referent des Spitzenpolitikers die Fragen über den Verlauf der Karriere seines Vorgesetzten beantwortet haben, wäre dies unproblematisch, wenn er oder sie zuvor die Karrierestrukturdaten verlässlich in Erfahrung gebracht hat. Die schriftliche Befragung orientierte sich an der Total Design Methode (TDM) nach Dillman (vgl. Dillman 1978). Dillmans Verdienst ist es, Maßnahmen und Instrumente aufgezeigt zu haben, mit deren Hilfe man im Rahmen des Befragungsdesigns oder der Gestaltung des Befragungsmaterials die Rücklaufquote bei postalischen Befragungen erhöhen kann. Er ging von der Annahme aus, dass die Entscheidung zur Teilnahme an einer schriftlichen Befragung nach Abwägung von Vorteilen (Nutzen) und Nachteilen (Kosten und Mühen) durch die zu befragenden Personen erfolgt. Demnach nehmen Befragte nur dann teil, wenn der Nutzen größer ist als die zu erwartenden Kosten. Als Kosten muss man bei der Befragung politischer Eliten vor allem den Faktor Zeit im Blick haben, der bei allen Mitgliedern der Erhebungsgruppe ein knappes Gut ist. Auf eine Vorankündigung des Fragebogens, wie Dillman sie vorgeschlagen hat, musste aus Kostengründen verzichtet werden. Zudem kann man anzweifeln, dass dies bei Spitzenpolitikern mit einem geordneten Büroablauf zu einer Erhöhung der Rücklaufquote geführt hätte. Spitzenpolitiker hätten womöglich diese Vorankündigung nie zu Gesicht bekommen. Hippler und Seidel weisen zudem darauf hin, dass sich Vorankündigungen erübrigen, wenn man intensive Nachfassaktionen beabsichtigt, wie dies bei dieser Befragung der Fall war (vgl. Hippler/Seidel 1985: 39). Die Vorgaben der TDM wurden dagegen beim Anschreiben vollständig erfüllt. Den Zielpersonen wurden darin der Sinn der Untersuchung und die Bedeutung ihrer Teilnahme verdeutlicht. Das Anschreiben wurde unter dem Kopf der Otto-Friedrich-Universität Bamberg durchgeführt und enthielt einen Hinweis auf das Meinungsforschungsinstitut, mit dem in dieser Untersuchung zusammengearbeitet wurde9, um den Verweis auf „anerkannte Autoritäten“ (Klein/Porst 2000: 21) zu gewährleisten. Zudem wies es individuell eingedruckte Adressen auf, enthielt eine persönliche Anrede mit der exakten Amts- oder Funktionsbezeichnung und sicherte den Zielpersonen die Vertraulichkeit im Umgang mit den erhobenen Daten zu. Im Anschreiben wurde im Sinne einer Motivationsförderung den Spitzenpolitikern angeboten, sie auf 9
72
Die Erhebung wurde zusammen mit der Survey Research Unit von BACES („Bamberger Centrum für empirische Studien“) unter Leitung von Herrn Dr. Zoltán Juhász durchgeführt.
Wunsch in Kurzform über die Ergebnisse der Studie zu informieren. Das Anschreiben endete mit (eingescannten) persönlichen Unterschriften. Die Fragebogenerstellung orientierte sich am oben vorgestellten karrieretheoretischen Forschungsansatz Herzogs und nahm bei der Fragensukzession Rücksicht auf die Vorgaben der TDM. Der Fragebogen wurde so konstruiert, dass er die Kosten für die Ausfüllenden in engen Grenzen halten konnte. Die Karrierestrukturdaten wurden in der Regel mit hoch-standardisierten, geschlossenen Fragen erhoben. Auf Filterfragen wurde weitgehend verzichtet. Der Fragebogen wurde als Booklet gedruckt und hatte mit dem Titelblatt und der fragenlosen letzten Seite insgesamt 20 Seiten. Auf diesen wurden thematisch geordnet alle relevanten Phasen und Strukturen einer potentiellen politischen Karriere abgedeckt. Bei der Erstellung war zu berücksichtigen, dass er für bundes- und landespolitische Karrieren geeignet, für Politiker aller Parteien beantwortbar und in allen Bundesländern gleich verständlich sein musste. Wert wurde auch auf die „werbewirksame Titelseite“ (Porst 2001) gelegt. Das Bild auf der Titelseite zeigte den Kabinettstisch im Bundeskanzleramt. Zudem wurde mit dem Titel der Befragung („Der Weg nach ganz oben – Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker“) die politische Bedeutung der Befragten unterstrichen. Der Fragebogen wurde vor der endgültigen Fertigstellung in drei Pretests mit bayerischen Bundestags- und Landtagsabgeordneten gestestet und daraufhin geringfügig modifiziert. Beim Versand wurde dem Fragebogen und dem Anschreiben ein adressiertes und frankiertes Rückantwortkuvert beigelegt. Zudem wurde auf eine möglichst individualisierte Ansprache der angeschriebenen Personen Wert gelegt. Auf kleine Anreize und Geschenke („incentives“), wie sie bei postalischen Befragungen gelegentlich verwendet werden, wurde verzichtet, da sie für die Gruppe der Spitzenpolitiker als ungeeignet erscheinen. Obwohl sich die Total Design-Methode über viele Jahre hinweg in der Umfrageforschung bewährt hat, ist ihr Erfinder in letzter Zeit ein wenig von ihr abgerückt, da er offensichtlich zur Überzeugung gelangte, dass Umfragen heutzutage nicht mehr mit einem einzigen Erhebungsinstrument durchgeführt werden können: „In sum, mechanically applying one set of survey procedures in lock-step to all survey situations, as was recommended by the original TDM, is not the best way assuring high quality responses as we begin the twenty-first century.” (Dillman 2000: 4)
Dillman schlug vor, dass für jede Befragung ein Methoden-Mix maßgeschneidert werden muss. Er modifiziert die TDM zu einer von ihm so bezeichneten „tailored design method“, die vor allem die Möglichkeiten des Internets berücksichtige (vgl. Dillman 2004: 6). Die vorliegende Untersuchung stützt sich daher auf einen „mixed mode survey“ Dillmanscher Prägung. Der gesamte Inhalt des Fragebo-
73
gens wurde neben der Papier-Version auch eins zu eins in einen OnlineFragebogen programmiert. Die Befragten wurden im Anschreiben auf die Möglichkeit hingewiesen, den Fragebogen unter Angabe eines persönlichen Schlüssels bequem online beantworten zu können. Für den Online-Fragebogen wurde eine eigene Website eingerichtet (www.politische-karrieren.de). Der Erstversand der Fragebögen fand Anfang März 2006 statt. Gleichzeitig mit dem Fragebogenversand wurden die Homepage und der Online-Fragebogen frei geschaltet. Im Sinne der TDM wurde Ende März eine Nachfaßaktion durchgeführt, in deren Rahmen der Fragebogen nochmals an alle Personen postalisch verschickt wurde, die noch nicht an der Befragung teilgenommen hatten. Reminder-Maßnahmen gelten gemeinhin als außerordentlich wirksame Strategie zur Erhöhung der Ausschöpfungsraten (vgl. Dillman 1978; Goyder 1987; Heberlein/Baumgartner 1978). Reuband ist der Ansicht, dass zwei Erinnerungsschreiben jeweils einen um 10% höheren Rücklauf mit sich bringen (vgl. Reuband 2001). Um dem Rechnung zu tragen, wurde gegen Ende der Feldphase ein letzter Reminder per Mail verschickt, mit dem Hinweis auf den Online-Fragebogen. Ende April 2006 wurde die Feldphase abgeschlossen.
3.3 Ausschöpfungsquoten Hippler nennt als wesentliches Problem postalischer Befragungen die außerordentlich große Spannungsbreite bei den Rücksenderaten, „die zwischen 10 und 90 Prozent liegen kann“ (Hippler 1988: 244). Im Vergleich zu persönlichmündlichen Befragungen sind bei postalischen Befragungen eher niedrigere Rücklaufquoten zu erwarten (vgl. Klein/Porst 2000: 13). Nach Dillman kann unter exakter Anwendung der TDM immer eine Ausschöpfungsquote von 60 Prozent erreicht werden, bei allgemeinen Bevölkerungsumfragen sogar 75 Prozent, bei speziellen homogenen Gesellschafts- und Berufsgruppen sogar noch höhere Raten. Blasius und Reuband glauben, dass bei postalischen Befragungen ohne Erinnerungsaktionen die Rücklaufquoten im Bereich zwischen 30 und 40 Prozent liegen (vgl. Blasius/Reuband 1985: 50). Die Frage nach der Obergrenze der Response-Raten bei postalischen Befragungen ist letztendlich nicht zu beantworten. Dass generell auch mit diesem Befragungsinstrument eine hohe Ausschöpfung möglich ist, steht dagegen außer Zweifel. Petermann stellt demnach fest, dass das herkömmliche Bild der marginalen Stellung postalischer Befragungen aufgrund geringer Rücklaufquoten nicht mehr gelte (vgl. Petermann 2005: 58). Was für den generellen Nutzen des Instruments zutrifft, muss nicht zwangsläufig auch für den Einsatz postalischer Befragungen bei speziellen Gruppen
74
gelten. Berufspolitiker sind zweifelsohne ein Personenkreis mit besonderen Merkmalen. Eines dieser Kennzeichen ist die zeitliche Belastung, die mit der Amts- und Mandatsausübung verbunden ist. Die „Jenaer Abgeordnetenbefragung 2003/2004“ kam zu dem Ergebnis, dass deutsche Abgeordnete in den Sitzungswochen im Durchschnitt 60 Arbeitsstunden für ihr Mandat aufwenden, außerhalb den Sitzungswochen im Schnitt 52 Arbeitsstunden (vgl. Best/Jahr 2006: 67). Bei politischen Spitzenkräften muss man von einer noch größeren Belastung ausgehen. Erschwerend kommt hinzu, dass Spitzenpolitiker für viele Forscher ein interessantes Untersuchungsobjekt darstellen. Dies führt dazu, dass diese Personengruppe geradezu mit Fragebögen überschwemmt wird. Einige Politiker gaben an, bis zu 20 Fragebögen und Interviewanfragen pro Monat zu erhalten. Außerdem ist es plausibel, dass nicht alle Politiker gerne Informationen über ihre Karriere oder ihre Einstellungen preisgeben. Einige Details erscheinen ihnen schlichtweg als zu sensibel. Tabelle 4: Ausschöpfungsquoten nach Teilgruppen Teilgruppe Mitglieder der Bundesregierung Parlamentarische Staatssekretäre Geschäftsführender Vorstand der CDU/CSUBundestagsfraktion Geschäftsführender Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion Fraktionsvorstand der FDP-Bundestagsfraktion Fraktionsvorstand der Fraktion Die Linke Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion Bündnis90/ Die Grünen Mitglieder des Bundestagspräsidiums Vorsitzende der ständigen Bundestagsausschüsse Parteivorsitzende, Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer (mit Mandat) Regierungschefs der Bundesländer
Positionsinhaber
%a
Antworten
%b
16 30
4,3 8,1
2 9
12,5 30,0
18
4,9
3
16,7
15 12 13
4,1 3,3 3,5
4 5 5
26,7 41,7 38,5
11
3,0
2
18,2
4 21
1,1 5,7
2 6
50,0 28,6
6
1,6
1
16,7
16
4,3 38, 5 17, 6 100
5
31,3
57
40,1
33
50,8
134
36,3
Landesminister und Senatoren
142
Fraktionsvorsitzende auf Landesebene
65
Gesamt
369
a
Spaltenprozentwerte (Komposition) b Bezogen auf die Zahl der ausgewählten Positionsinhaber (Ausschöpfungsrate)
75
In diesem nicht einfachen Forschungsumfeld lassen sich die erreichten Rücklaufquoten durchaus als Erfolg ansehen. Von den 369 Spitzenpolitikern haben 134 an der Befragung teilgenommen, was einer Quote von 36,3 Prozent entspricht (vgl. Tabelle 4). Vergleicht man diese Quote mit ähnlichen angelegten Befragungen, liegt die erreichte Ausschöpfungsquote im Vorderfeld. Werner Patzelt erreichte im Frühjahr 1994 bei der „Deutschen Abgeordnetenstudie“ und der damit verbundenen postalischen Befragung der gut 2.800 deutschen Abgeordneten auf allen Ebenen des politischen Systems eine Rücklaufquote von gut einem Drittel (vgl. Patzelt 1996; Patzelt 1997). Die am WZB von Bernhard Wessels durchgeführte „Abgeordnetenbefragung 2003“ stützte sich ebenfalls auf eine schriftliche Befragung. An ihr nahmen 34 Prozent der Bundestagsabgeordneten teil (vgl. Wessels 2003). Die „Heidelberger Elitestudie“, ebenfalls mit Fragebögen durchgeführt, erreichte bei der Befragung von Bundestagsabgeordneten einen Rücklauf von 15 Prozent (vgl. Bruns 2004). Erwartungsgemäß war die Ausschöpfung in der Gruppe der exekutiven Spitzenpolitiker auf Bundesebene am geringsten (12,5 %), vor allem bei den Mitgliedern der Bundesregierung (vgl. Tabelle 4). Besonders hoch war die Beteiligung der Landesminister und Senatoren (40,1 %) und der Fraktionsvorsitzenden in den Landesparlamenten (50,8 %). Beim Rücklauf lassen sich leichte Unterschiede zwischen den Parteien ausmachen (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Ausschöpfung nach Partei, Ebene und Funktionsgruppe Kriterium Partei
Ebene Funktionsgruppe Gesamt
76
CDU CSU SPD FDP Grüne Linke Sonstige Parteilos Bund Land Exekutive Legislative
Zielgruppe N 146 26 99 35 28 25 3 7 146 223 204 165 369
Befragungsgruppe N % 46 31,5 11 42,3 36 36,4 13 37,1 13 46,4 13 52,0 0 0,0 2 28,6 39 26,7 95 42,6 73 35,8 61 37,0 134 36,3
Am geringsten war die Ausschöpfung bei Spitzenpolitikern der CDU (31,5 %), am höchsten bei den Spitzen der Linkspartei (52,0 %) und den Grünen (46,4 %). Die Differenzen bewegen sich allerdings in einem Rahmen, in dem keine systematischen Verzerrungen im Hinblick auf die gesamte Befragungsgruppe zu erwarten sind. Deutliche Unterschiede treten bei der Betrachtung von Bundes- und Landespolitikern auf. 42,6 Prozent der landespolitischen Spitzen haben an der Befragung teilgenommen, bei den Bundespolitikern waren es 26,7 Prozent. Die höhere zeitliche Belastung und die größere Beliebtheit als Forschungsobjekt mit der damit verbundenen Flut an Interview-Anfragen und Befragungen aller Art könnten Erklärungen für die geringere Antwortbereitschaft der Bundespolitiker sein. Die Kontrastgruppe der jüngeren Abgeordneten zeigte sich sehr beteiligungsfreudig. Knapp 60 Prozent der Nachwuchspolitiker schickten den ausgefüllten Fragebogen zurück (vgl. Tabelle 6). Auch hier könnte der Faktor Zeit eine Rolle spielen. Junge Parlamentarier dürften in der Regel nicht in einem ähnlichen Ausmaß zeitlich belastet sein wie die politischen Führungskräfte in den Parlamenten und Regierungen. Tabelle 6: Ausschöpfungsquoten in der Kontrastgruppe Teilgruppe Jüngere Bundestagsabgeordnete Jüngere Landtagsabgeordnete Gesamt
Positionsinhaber 64 72 136
47,1 52,9
Antworten 37 44
57,8 61,1
100
81
59,6
%a
%b
a
Spaltenprozentwerte (Komposition) b Bezogen auf die Zahl der ausgewählten Positionsinhaber (Ausschöpfungsrate)
Das gewählte Befragungsinstrument der postalischen Befragung nach Vorbild der Total Design Methode hat sich bewährt. Die „Jenaer Abgeordnetenbefragung“, die mit computergestützten Telefoninterviews arbeitete, erreichte zwar eine höhere Ausschöpfungsquote (56%), allerdings lag auch das in erster Linie an der Antwortbereitschaft der Landesparlamentarier (76,4%). Bundestagabgeordnete (25,9%) waren hier ebenfalls deutlich zurückhaltender (vgl. Best/Jahr 2006: 66). Der im Rahmen dieses Projekts erreichte, leicht geringere Rücklauf ist daher zum einen ein Effekt des Instruments10, zum anderen auch der Tatsache 10 Yu und Copper berechnen in einem Übersichtsartikel durchschnittliche Ausschöpfungsquoten von 47,3 Prozent bei postalischen Befragungen, 72,3 Prozent bei telefonischen und 81,7 bei persönlich-mündlichen Befragungen (vgl. Y/Copper 1983). Klein und Porst bemängeln dabei aber zu Recht, dass die Berechnung von Ausschöpfungsquoten oft nicht detailliert und nachvollziehbar genug in Studien dargestellt werde. Man laufe Gefahr, bei derart globaler Darstellung „Äpfel
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geschuldet, dass die Zielpersonen allesamt zeitlich eingeschränkte, politische Spitzenkräfte waren. Petermann weist zudem darauf hin, dass geringere Rücklaufquoten nicht zwangsläufig mit schlechterer Datenqualität einhergehen. Er fand bei einer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen systematischen Verzerrungen und dem Rücklauf postalischer Befragungen heraus, dass Verzerrungseffekte eher gering ausgeprägt sind (vgl. Petermann 2005: 74).
mit Birnen“ zu vergleichen (Klein/Porst 2000: 15), auch wenn die Zahlen grundsätzlich auf Unterschiede zwischen den Befragungsmodi hinweisen würden.
78
4. Soziodemographischer Hintergrund deutscher Spitzenpolitiker
4.1 Zur Bedeutung des sozialen Hintergrunds Herzog hat sich in seinem Standard-Werk sehr kritisch mit der so genannten social background analysis auseinandergesetzt. Er kritisiert den „stratifikationstheoretischen Ansatz“, der davon ausgeht, dass „politische Aufstiegschancen einer Person abhängig sind von ihrer Herkunft aus einer bestimmten sozialen Schicht, Subkultur, Religionsgemeinschaft, Berufskategorie, Altersgruppe usw. Demnach sind Individuen sozial – und folglich auch politisch – unterschiedlich privilegiert“ (Herzog 1975: 20). Sein Hauptkritikpunkt ist die vermittelte Vorstellung des Stratifikations-Ansatzes, dass Elitenrekrutierung ein einstufiger Vorgang sei. Diese Annahme lässt jedoch unberücksichtigt, dass sich viele der oben erwähnten sozialen Merkmale über die Zeit hinweg ändern können und nur wenige invariant sind. Herzog veranschaulicht dies an einem Beispiel: „Aus einer Arbeiterfamilie zu stammen, muß hinsichtlich politischer Aufstiegsprozesse wenig oder gar nichts bedeuten, wenn man später durch entsprechende Ausbildung oder Verbandskarriere in eine höhere Sozialschicht gelangt ist und von dort aus in die politische Laufbahn eintritt.“ (Herzog 1975: 23)
Zudem könne es beispielsweise für eine Karriere völlig irrelevant sein, aus einer Großstadt zu kommen, wenn man den Hauptteil des politischen Aufstiegs als Kleinstädter erfahren hat (vgl. Herzog 1975: 23). Da sich die meisten sozialen Merkmale von Individuen im Lebensverlauf ändern, entwickelt Herzog seinen karrieretheoretischen Forschungsansatz in Abgrenzung oder als Ergänzung zur reinen social background analysis: „Herkunftsvariablen sind zweifellos rekrutierungsrelevant, jedoch kann ein recht unrealistisches Bild von der Wirklichkeit politischer Selektionsprozesse entstehen, wenn nicht eine longitudinale Spezifizierung erfolgt.“ (Herzog 1975: 23)
Auch Golsch gibt zu bedenken, dass die Erklärungskraft des sozialen Hintergrunds als relativ begrenzt erachtet und ihr daher lediglich deskriptiver Wert zugewiesen wird (vgl. Golsch 1998: 107). Dennoch gehört die Berücksichtigung sozialer Merkmale zum Standardrepertoire parlamentssoziologischer Analysen. 79
Die Standarddemographie der deutschen Parlamentssoziologie beinhaltet die Kriterien Alter, Geschlecht, Konfession, Familienstand, regionale und soziale Herkunft, Bildungsgrad und berufliche Tätigkeit (vgl. Kaack 1971: 646f). Wieso macht es für eine Karriere-Untersuchung Sinn, Hintergrundvariablen zu beleuchten? Neben der Deskription der politischen Führungsgruppen kann die Analyse bestimmter Merkmale wesentliche Anhaltspunkte über Voraussetzungen oder soziale Restriktionen politischer Laufbahnen liefern (vgl. Golsch 1998: 107). Allerdings ist an dieser Stelle genau abzuwägen, welche Variablen berücksichtigt werden. Nach Herzog wären dies die invarianten und daher soziologisch aussagekräftigeren Merkmale (vgl. Herzog 1975: 23). Im Folgenden werden demgemäß die Merkmale Alter und Geschlecht betrachtet. Auch der Bildungsgrad der Spitzenpolitiker soll beleuchtet werden. Obwohl Herzog bei der Konfessionszugehörigkeit skeptisch ist und darauf hinweist, dass Religion oder Konfession für das Individuum später bedeutungslos werden oder sich verändern kann, wird dieses Merkmal hinzugenommen. Die Begründung liegt in der Bedeutung der Konfession für die Selektorate. Zwar kann man Herzog zustimmen, dass sich der einzelne Spitzenpolitiker im Laufe seines Lebens von seiner Konfession distanzieren kann. Dies muss aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass dieses Merkmal bei der Rekrutierung keine Rolle spielt. Im Bewusstsein der begrenzten kausalen Aussagefähigkeit des sozialen Hintergrunds sollen diese vier Merkmale anschließend analysiert werden, um mögliche soziale Barrieren im Rekrutierungsprozess zu identifizieren.
4.2 Altersschichtung Blickt man auf das Alter der Spitzenpolitiker zum Zeitpunkt der Befragung, wird sehr schnell deutlich, dass deutsche Spitzenpolitiker eine gewisse Seniorität aufweisen.11 Im Schnitt waren sie knapp 53 Jahre alt (52,8 Jahre). Immerhin sechs Spitzenpolitiker (1,6 %) waren unter 35 Jahre alt, 47 Personen (12,7 %) zwischen 35 und 44 Jahre alt. Die meisten politischen Führungskräfte waren zwischen 45 und 54 Jahre (41,5 %) und zwischen 55 und 64 Jahre (38,5 %). 21 Top-Politiker waren 65 Jahre und älter, als die Befragung durchgeführt wurde (5,7 %). Zwischen dem jüngsten Spitzenpolitiker Jan Mücke (parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, geboren 1973) und dem ältesten Spitzenpolitiker Cornelis Weiss (Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, geboren 1933) liegen exakt vier Jahrzehnte. Interessant sind in diesem 11 Bei den Merkmalen Alter und Geschlecht wurden alle 369 ausgewählten Spitzenpolitiker berücksichtigt, da man bei der Analyse nicht auf Befragungsdaten angewiesen war.
80
Zusammenhang die Unterschiede zwischen den Parteien (vgl. Abbildung 8). Die Spitzenpolitiker von FDP, Linkspartei und Grüne sind im Schnitt jünger als die von CDU, CSU und SPD. So liegt beispielsweise der Altersschnitt hochrangiger CSU-Politikern bei 56 Jahren, während er bei grünen Spitzenpolitikern 50 Jahre beträgt. Exekutivpolitiker sind im Schnitt drei Jahre älter als Legislativpolitiker. Zwischen bundespolitischen und landespolitischen Eliten sind dagegen keine Unterschiede in der Altersschichtung erkennbar. Abbildung 8: 100%
5,7
Altersschichtung der Spitzenpolitiker nach Parteien in Prozent 4,8
7,7
3,6
6,1
4,0
11,4
90%
17,9 28,0
80%
38,5
42,5
42,4
31,4
46,2
70% 60% 50% 40%
64,3 34,3 41,5
38,4
56,0
37,4
30% 46,2
20% 10%
14,3 12,7
13,7
13,1
1,6
0,7
1,0
14,3
8,0
8,6
0% Spitzenpolitiker
unter 35 Jahre
CDU
CSU
zwischen 35 und 44
SPD
zwischen 45 und 54
4,0
FDP
Grüne
zwischen 55 und 64
Linke
65 Jahre und älter
Die Erklärungskraft dieser Zahl ist jedoch gering, da die Spitzenpolitiker theoretisch das Amt oder Mandat bereits mit Beginn der Volljährigkeit erreicht haben könnten. Allerdings spricht der relativ hohe Altersschnitt dafür, dass zur Erreichung der Spitzenposition eine längere innerparteiliche und innerparlamentarische Karriere notwendig ist. Der geringe Anteil an Spitzenpolitikern unter 35 Jahren gibt einen Hinweis darauf, dass eine gewisse politische Lehrzeit vor der Rekrutierung in eine Spitzenposition von Nöten ist. Im Rahmen des Phasenmodells politischer Karrieren wird daher zu klären sein, in welchem Alter die Mitglieder der politischen Elite ihre jeweilige Spitzenposition erreichen.
81
4.3 Geschlecht Die Verteilung der Geschlechter in der Untersuchungsgruppe ist nicht überraschend. Lediglich 100 von den 369 Spitzenpositionen wurden von Politikerinnen eingenommen, ein Frauenanteil von 27,1 Prozent. In der Kontrastgruppe findet sich ein fast identischer Frauenanteil. 37 der 136 jungen Landtags- oder Bundestagsabgeordneten waren Frauen (27,2 %). Diese geringere Repräsentation von Frauen in der Untersuchungsgruppe lässt sich strukturell auf zwei Gründe zurückführen. Zum einen sind weniger Frauen als Männer Mitglieder politischer Parteien. Zwar konnten alle Parteien den Anteil der weiblichen Mitglieder seit Beginn der 90er Jahre steigern, die Dominanz der Männer in den Parteien wurde dadurch nicht geschmälert (vgl. Tabelle 7). Die Mitgliederzahlen von Frauen variieren sehr stark zwischen den einzelnen Parteien. Den geringsten Anteil weist die CSU mit 18,8 Prozent auf, gefolgt von der FDP (22,8 %) und der CDU, bei der 2007 ein Viertel der Parteimitglieder (25,4 %) Frauen waren. Die SPD hatte im gleichen Zeitraum 30,9 Prozent Frauen in ihren Reihen. An der Spitze liegen Bündni90/Die Grünen (37,4 %) und „Die Linke“ mit 39,2 Prozent. Tabelle 7: Frauenanteil unter Parteimitgliedern 1995 – 2007 Jahr 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
CDU 24,9 24,9 24,9 25,0 25,1 25,2 25,2 25,1 25,2 25,2 25,3 25,3 25,4
SPD 28,3 28,5 28,7 28,9 29,1 29,4 29,5 29,7 29,9 30,2 30,4 30,7 30,9
CSU 16,7 17,4 17,6 17,7 17,9 17,9 18,2 18,4 18,8
FDP 25,0 24,8 24,8 24,6 24,4 24,2 23,6 23,4 23,4 23,2 23,0 22,8
Grüne 35,9 36,2 37,4 37,2 37,0 37,0 37,1 37,1 37,4
Linke 46,1 46,0 45,3 45,6 45,7 45,8 45,2 45,8 44,9 44,4 39,2
Quelle: Niedermayer 2008: 384.
Für den Rekrutierungsprozess kann dieses Ungleichgewicht nicht ohne Folgen bleiben. Der Pool an geeigneten Kandidatinnen ist damit schlichtweg kleiner als 82
bei den Männern. Neben den reinen Mitgliederzahlen spielt auch die Verankerung von Frauen in innerparteilichen Ämtern eine wichtige Rolle. Hoecker stellt fest, dass lediglich in den Spitzengremien von SPD und den Grünen mehr Frauen vertreten sind, als es ihrem Anteil an Parteimitgliedern entspricht (vgl. Hoecker 1998: 68). In den anderen Parteien sei dagegen eine Kluft zwischen dem (geringen) Anteil der Frauen unter der Mitgliedschaft und ihrer Präsenz in innerparteilichen Ämtern zu konstatieren. Der zweite Grund liegt in der geringen Vertretung von Frauen in den Parlamenten. Auf den drei Ebenen des politischen Systems in der Bundesrepublik steigt der Anteil der Politikerinnen kontinuierlich an, dennoch sind Frauen in den kommunalen Vertretungsorganen, den Landesparlamenten und im Bundestag immer noch deutlich unterrepräsentiert (vgl. Hoecker 1995: 110ff). Im Zeitraum von 1983 bis 1994 hat sich der Anteil an Mandatsträgerinnen von 13,4 auf 24,0 Prozent erhöht (vgl. Hoecker 1998: 70). In den Landesparlamenten wurde 1984 die 10-Prozent-Marke übersprungen, 1991 waren über 20 Prozent der Abgeordneten Frauen. Mitte der 90er Jahre war jede vierte Landtagsabgeordnete weiblich, inzwischen sind 604 der 1840 Landtagsabgeordneten Frauen, eine Quote von 22,8 Prozent. Tabelle 8: Frauenanteil in den Landesparlamenten Bundesland Brandenburg Bremen Berlin Rheinland-Pfalz Niedersachsen Saarland Thüringen Hamburg Hessen Schleswig-Holstein Sachsen-Anhalt Sachsen Bayern Nordrhein-Westfalen Mecklenburg-Vorpommern Baden-Württemberg
Abgeordnete insgesamt 86 84 149 101 183 51 88 121 110 69 97 124 180 187 71 139
davon Frauen
Prozent
41 39 55 36 65 18 31 41 36 22 30 36 50 52 18 34
47,7 46,4 36,9 35,6 35,5 35,3 35,2 33,9 32,7 31,9 30,9 29,0 27,8 27,8 25,4 24,5
Quelle: Eigene Berechnung (Stand: Februar 2007)
83
Die konservativ regierten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg lagen dabei immer auf den hinteren Rängen. Aber auch in diesen Ländern steigt die Frauenquote kontinuierlich an, im Freistaat Bayern beispielsweise von 1,7 Prozent bei der ersten Landtagswahl 1946 auf 27,8 Prozent bei der Landtagswahl 2003 (vgl. zum Anstieg der Frauenanteile in den Landesparlamenten seit den 90ern: Holfert 2005: 161). Wie man in Tabelle 8 erkennen kann, bestehen jedoch immer noch deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Nicht nur auf Länderebene beträgt der Anteil weiblicher Mandatsträger inzwischen ein Drittel, auch im Bundestag ist fast jedes dritte Mitglied eine Frau (vgl. Tabelle 9). Tabelle 9: Entwicklung des Frauenanteils im Deutschen Bundestag Wahlperiode 1. WP (1949) 2. WP (1953) 3. WP (1957) 4. WP (1961) 5. WP (1965) 6. WP (1969) 7. WP (1972) 8. WP (1976) 9. WP (1980) 10. WP (1983) 11. WP (1987) 12. WP (1990) 13. WP (1994) 14. WP (1998) 15. WP (2002) 16.WP (2005)
Abgeordnete insgesamt 410 509 519 521 518 518 518 518 518 520 519 662 672 669 603 614
davon Frauen
Frauenanteil
28 45 48 43 36 34 30 38 44 51 80 136 177 207 199 194
6,8 8,8 9,2 8,3 6,9 6,6 5,8 7,3 8,5 9,8 15,4 20,5 26,3 30,9 33,0 31,6
Quelle: Hoecker 1998: 72; Deutscher Bundestag.
Der Frauenanteil im Bundestag liegt damit auch deutlich über dem Durchschnitt in den nationalen Parlamenten der Mitgliedsländer der Europäischen Union. Heß-Meining bezifferte den durchschnittlichen Frauenanteil in den nationalen Parlamenten für die „EU der 15“ 2005 auf 24,2 Prozent. In den kürzlich beigetretenen Staaten sind deutlich weniger Frauen in der nationalen Legislative vertre-
84
ten, in Ungarn beispielsweise lediglich 9,1 Prozent (vgl. Heß-Meining 2005: 361ff; Fuchs/Hoecker 2004). Zudem liegt es auf der Hand, dass nicht alle Parteien ähnliche Frauenanteile in den Reihen ihrer hochrangigen Politiker aufweisen, wie man in Abbildung 9 sehen kann. Anhand der Abbildung kann eine grobe Dreiteilung ausgemacht werden. Einen niedrigen Frauenanteil weisen die beiden C-Parteien (18 bzw. 23 %) und die FDP (6 %) auf, die SPD (33 %) nimmt eine Mittelposition ein, während die Grünen und die Linke sogar mehr Frauen als Männer in Führungspositionen aufweisen (57 bzw. 52 %). Parteien des linken Spektrums weisen daher eine deutlich höhere Repräsentanz von Frauen in Spitzenpositionen auf als bürgerliche Parteien. Wie lassen sich diese enormen Unterschiede erklären? Abbildung 9:
Anteil von Spitzenpolitikerinnen nach Parteien 94%
100% 90%
82%
77%
80%
67%
70% 57%
60% 50%
52% 48%
Frauen
43%
Männer 40% 30%
33% 18%
23%
20% 6%
10% 0% CDU
CSU
SPD
FDP
Grüne
Linke
Eine mögliche Antwort findet sich in den Geschlechter- oder Frauenquoten, die innerhalb der Parteien bei der Nominierung zu öffentlichen Wahlämtern oder innerparteilichen Funktionen greifen. Lovenduski hat in diesem Zusammenhang eine dreikategoriale Taxonomie der Strategien zur innerparteilichen Frauenförderung eingeführt (vgl. Lovenduski 1993: 7ff). Die ‚rhetorische Strategie’ wird in der Bundesrepublik ausschließlich von der CSU verfolgt. Im §53 Abs. 4 der CSU-Satzung vom 13. Oktober 2006 findet sich lediglich die Aussage: „Bei allen Wahlen sind Frauen zu berücksichtigen.“ Die zweite strategische Vorge85
hensweise bezeichnet Lovenduski als ‚Strategie der positiven bzw. unterstützenden Aktion’. In diese Kategorie lässt sich die FDP einordnen. Eine Quote wäre mit dem liberalen Selbstverständnis der Partei nicht vereinbar. Die Liberalen haben 1995 mit einem Beschluss des Bundesvorstandes die Initiative „Mehr Chancen für Frauen in der FDP“ ins Leben gerufen, wonach Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Mitgliedschaft in Ämtern und Mandaten vertreten sein sollen (vgl. Hoecker 1998: 84). Ein weiterer Beschluss des Bundesverbandes der FDP vom November 2006 sieht ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Partei vor (Mentoring-Programme, Seminare für weibliche Neumitglieder, Einrichtung eines Frauenbeirats in der Bundespartei, u.ä.) – jedoch keine Quote. Die dritte und letzte Strategie nennt Lovenduski ‚positive Diskriminierung’. Dies geschieht vor allem in Form verbindlicher Quoten. Nach einer mehrjährigen parteiinternen Diskussion wurde die Quotenregelung innerhalb der CDU beim Bundesparteitag 1996 eingeführt. §15 Absatz 2 der CDUSatzung (Stand: 01.01.2005) sieht seit diesem Zeitpunkt eine Regelung vor, wonach an allen Parteiämtern in der CDU und an allen öffentlichen Wahlämtern Frauen mindestens zu einem Drittel beteiligt sein müssen. Die Frauenquote innerhalb der SPD besteht seit ihrem Parteitag 1988 in Münster (vgl. WettigDanielmeier 1992). Demnach müssen in allen Funktionen und Mandaten der Partei nach Maßgabe des Statuts der SPD (§11 Abs. 2) und der Wahlordnung Frauen und Männer mindestens zu je 40 Prozent vertreten sein. Bei den Grünen und der Linkspartei finden sich paritätische Regelungen. Die Grünen schreiben in ihrem Frauenstatut (§1), das Bestandteil der Satzung ist, eine Mindestparität vor, wonach alle Wahllisten grundsätzlich zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt werden sollen und die Frauen dabei die ungeraden Plätze einnehmen sollen („harte Quotierung“). „Die Linke“ hat bei ihrem Gründungsparteitag am 16. Juni 2007 die strikten Quotenregelungen ihrer Vorgängerorganisationen übernommen. Nach § 10 Abs. 4 der Bundessatzung und § 6 der Wahlordnung müssen bei der Wahl zu Parteiämtern und bei der Aufstellung von Wahlvorschlagslisten mindesten zur Hälfte Frauen gewählt werden. Bei Nominierungen gehen die ungeraden Plätze an Frauen. Die restriktiven Quotierungen bei den Grünen und der Linken scheinen dazu zu führen, dass mehr Frauen Spitzenpositionen bekleiden. Laut Hoecker ist vor allem die positive Diskriminierung ein geeignetes Instrument, gesellschaftliche Barrieren für Frauen abzubauen – auch gegen die Interessen der männlichen Parteimitglieder: „Denn positive Diskriminierung führt zu einer konkreten Machtverschiebung zugunsten von Frauen und umgekehrt zu einem Machtverlust auf Seiten der Männer.“ (Hoecker 1998: 85)
86
Allerdings sollte man bei einer derart monokausalen Erklärung Vorsicht walten lassen. Die Quotierung hat zweifelsohne zur Erhöhung des Frauenanteils in politischen Positionen geführt, allerdings sehen Edinger und Holfert drei Gründe, die gegen diese vereinfachende Interpretation sprechen (vgl. Edinger/Holfert 2005: 31). Zum einen habe der take off bei der weiblichen Repräsentation eingesetzt, als die meisten Parteisatzungen noch keine verbindlichen Festlegungen zu den Geschlechterrelationen enthielten. Zudem seien die (Höhe der) Quoten Ausdruck der spezifischen Rekrutierungspolitik der Parteien und reflektieren auch programmatische Unterschiede zwischen den Parteien. Geißel sieht das ähnlich: „Denn mögliche Unterschiede in der Rekrutierung können auch parteispezifischen Variablen geschuldet sein, die von der Quote unabhängig sind.“ (Geißel 1999: 13)
Nicht zuletzt kämen die Quoten in den Nominierungsverfahren unterschiedlich stark zur Geltung. Grüne und Linke schafften es in der Regel, die festgeschriebenen Quoten einzuhalten, während Union und SPD diese oft verfehlten. Edinger und Holfert identifizieren zu Recht im deutschen Wahlsystem einen Faktor, der vor allem bei den beiden Volksparteien SPD und CDU dazu führt, dass Frauen in politischen Funktionen unterrepräsentiert sind. Ihrer Meinung nach wirke die personalisierte Komponente des deutschen Verhältniswahlrechts diskriminierend: Männer würden bei den Direktmandaten dominieren, was wiederum dazu führt, dass die beiden Parteien weniger Mandate über ihre Landeslisten erhalten, auf denen die Frauenquoten greifen würden (vgl. Edinger/Holfert 2005: 31). Hoecker sieht den negativen Einfluss des Mehrheitswahlsystems auf die Repräsentation für Großbritannien bestätigt (vgl. Hoecker 1996).12 Ein Blick auf die Spitzenpositionen, die von Frauen eingenommen werden, kann Aufschluss darüber geben, ob es typische Top-Positionen für Frauen gibt und demnach unter Umständen feststehende „frauentypische“ Aufstiegsmuster. In Tabelle 10 kann man erkennen, dass der Frauenanteil in den verschiedenen Teilgruppen deutlich variiert. Die sechs weiblichen Bundesminister ergeben eine Quote (37,5 %), die deutlich über dem Gesamtanteil der Spitzenpolitikerinnen von 27,1 Prozent liegt. Dazu waren 8 der 30 Parlamentarischen Staatssekretäre weiblich (26,7 %). Die Zeiten des „Gruppenbilds mit Dame“ sind offensichtlich vorbei. Mit diesem Bild wird eine Kabinettszusammensetzung mit einem einzelnen weiblichen Mitglied beschrieben, welches ein „frauentypisches“ Ressort leitet, beispielsweise als Familienministerin. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist zwar der Tradition entsprechend mit einer 12 Diese Erklärung erscheint wesentlich plausibler als die Argumentation von Schöler-Macher. Sie ist der Auffassung, dass es ein ungeschriebenes Anforderungsprofil für den Beruf des Politikers gebe, das eine „große Nähe zu kulturellen Vorstellungen von Männlichkeit“ aufweist (vgl. Schöler-Macher 1992: 419).
87
Frau besetzt, genauso wie die eher „weichen Ressorts“ Bildung und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Allerdings ist die Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin ein deutlicher Beweis dafür, dass das Geschlecht bei der Besetzung politischer Spitzenfunktionen in Deutschland nicht zwangsläufig rekrutierungsrelevant ist. Mit der Justizministerin Brigitte Zypries leitet zudem eine Frau eines der fünf „klassischen“ Ministerien. Tabelle 10: Frauen in politischen Spitzenpositionen Teilgruppe Mitglieder der Bundesregierung Parlamentarische Staatssekretäre Geschäftsführender Vorstand der CDU/CSUBundestagsfraktion Geschäftsführender Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion Fraktionsvorstand der FDP-Bundestagsfraktion Fraktionsvorstand der Fraktion Die Linke Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen Mitglieder des Bundestagspräsidiums Vorsitzende der Bundestagsausschüsse Parteivorsitzende, Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer Regierungschefs der Bundesländer Landesminister und Senatoren Vorsitzende der Parlamentsfraktionen auf Landesebene Gesamt
N % N % N % N % N % N % N % N % N % N % N % N % N % N %
Geschlecht männlich weiblich 10 6 62,5 37,5 22 8 73,3 26,7 15 3 83,3 16,7 9 6 60,0 40,0 10 2 83,3 16,7 4 9 30,8 69,2 5 6 45,5 54,5 2 2 50,0 50,0 12 9 57,1 42,9 5 1 83,3 16,7 16 0 100,0 0,0 108 34 76,1 23,9 51 14 78,5 21,5 269 100 72,9 27,1
Ähnliches lässt sich für die acht Parlamentarischen Staatssekretäre konstatieren. Frauen stehen auch in Ressorts an der politisch-administrativen Spitze, die als besonders wichtig eingestuft werden, beispielsweise die Parlamentarische Staats-
88
sekretärin beim Bundesminister der Finanzen Barbara Hendricks (SPD) oder die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dagmar Wöhrl (CSU). Die Zeiten, in den denen Frauen eine absolute Ausnahme in politisch-administrativen Spitzenpositionen waren, sind daher vorbei. Dies gilt umso mehr, wenn man einen Blick in ältere empirische Studien wirft. Von Beyme stellt in seiner Untersuchung der Inhaber politischer Führungspositionen zu Beginn der 70er fest, dass es bis zu diesem Zeitpunkt lediglich drei weibliche Bundesminister gab (vgl. von Beyme 1971: 23). Er beziffert den Frauenanteil unter den 2000 Ministern, die auf in Westeuropa seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ein Sitz am Kabinettstisch eingenommen hatten, auf 6,2 Prozent (vgl. dazu ebenfalls: Thiébault 1991b: 20). Die Bundestagsfraktionen von SPD, Grüne und Linke haben einen überdurchschnittlich hohen Anteil weiblicher Mitglieder in ihrer Führung, CDU/CSU und FDP einen unterdurchschnittlichen. Im Bereich der Legislative auf Bundesebene fällt zudem auf, dass neun der 21 ständigen Bundestagsausschüsse von Frauen geleitet werden. Innerhalb der drei Teilgruppen auf Landesebene finden sich vergleichsweise wenige Frauen in Führungspositionen. Eine mögliche Erklärung ist in der Dominanz der Union in den Ländern zum Zeitpunkt der Befragung zu sehen. Nach der gescheiterten Wiederwahl von Heide Simonis zur Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein wurden im März 2006 alle 16 Bundesländer von Männern regiert. Zudem waren lediglich 34 der 142 Landesminister und Senatoren Frauen (23,9 %). Einen ähnlich niedrigen Frauenanteil kann man für die Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen auf Landesebene feststellen. 14 von 65 Fraktionen in den Landesparlamenten wurden von Frauen geleitet (21,5 %). Der Frauenanteil in der Kontrastgruppe der jüngeren Abgeordneten war fast identisch mit dem Wert bei den Spitzenpolitikern. 37 der 136 Newcomer waren weiblich (27,2 %). Die Unterschiede zwischen den Parteien folgen tendenziell dem Muster der Gruppe der Spitzenpolitiker, sind aber insgesamt nicht so stark ausgeprägt. Den höchsten Frauenanteil weist die Linksfraktion mit 40,0 Prozent auf, überraschenderweise gefolgt von der CSU mit 37,5 Prozent. Auf den weiteren Plätzen liegen die Grünen (35,3 %), die SPD (23,1 %), die FDP (22,7 %) und am Ende die CDU mit 20,0 Prozent.
4.4 Bildung Während für viele Berufe außerhalb der Politik bestimmte Bildungsabschlüsse vorgeschrieben sind, fehlt ein feststehender Bildungsabschluss aufgrund des Auswahlmechanismus freier Wahlen für politische Positionen. Golsch weist
89
jedoch mit Recht darauf hin, dass die Abwesenheit einer formalen Zugangsvoraussetzung es nicht ausschließt, dass „sich ein Bildungsabschluß de facto als Standard etabliert hat“ (Golsch 1998: 120). Für den Deutschen Bundestag und die Parlamente im Allgemeinen ist dies ganz offensichtlich der Fall. In vielen empirischen Studien wurde der Trend zur Akademisierung der Parlamente herausgearbeitet (vgl. Schindler 1984: 194ff; Von Beyme 1971: 51ff; Golsch 1998: 120ff; Patzelt 1999: 253f). Dabei muss man sich jedoch – der Argumentation von Best folgend (vgl. Best 2003: 381) – vergegenwärtigen, dass man von einer Akademisierung erst seit der zweiten Hälfte der 40er Jahre sprechen kann. Bei seiner Betrachtung des langfristigen Wandels politischer Eliten in Europa seit 1867 kommt er zu dem Ergebnis: „In den ausgehenden 1990er Jahren besitzt ein Durchschnitt von etwa zwei Drittel der Abgeordneten europäischer Parlamente einen akademischen Abschluss, womit das Niveau der 1860er Jahre fast wieder erreicht wird.“ (Best 2003: 381)
Der Durchschnitt der Abgeordneten mit einer universitären Ausbildung weise demnach einen U-förmigen Verlauf auf. Der enorm gestiegene Anteil deutscher Parlamentarier mit Hochschulbildung lässt sich auf ein Bündel von Faktoren zurückführen. Zum einen ist der Anteil der Personen mit Hochschulabschluss in der Gesamtbevölkerung im Rahmen der ‚Bildungsexplosion’ deutlich gestiegen. Zwar sind Parlamente kein Mikrokosmos der Gesellschaft, dennoch besteht zweifelsohne ein Zusammenhang zwischen dem Anstieg des Bildungsniveaus in der Bevölkerung und der Akademisierung der Parlamente. Zudem wird häufig argumentiert, dass die zunehmende Komplexität des politischen Betriebs immer höhere Anforderungen an die Qualifikation und somit auch an das Bildungsniveau der Abgeordneten stelle (vgl. Golsch 1998: 120). Nicht zuletzt lässt sich anfügen, dass zwar Abgeordnete das für ihre Betätigung notwendige Spezialwissen in einem Prozess des ‚learning by doing’ nach der Rekrutierung auf hauptamtliche politische Positionen erwerben, ihnen wird jedoch vor dem entscheidenden cross over in die Berufspolitik bei Vorhandensein eines akademischen Grades ein gewisses Maß an Kompetenz zugeschrieben (vgl. Müller 1988b: 219). Müller stellt dazu fest: „Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, der Wirtschaft beispielsweise, der Verwaltung oder der Justiz, gewinnt das Merkmal akademischer Bildung erhöhte Bedeutung als Karrieremuster.“ (Müller 1988b: 219)
Der Bundestag ist zwar lediglich einer der möglichen Betätigungsorte hauptamtlicher Politiker, dennoch eignet sich gerade die Entwicklung des Bildungsgrades der Bundestagsabgeordneten sehr gut als Indikator für die fortschreitende Akademisierung des Sektors Politik. Im ersten Deutschen Bundestag hatten 167 der
90
410 Abgeordneten Hochschulreife (41 %). Innerhalb der in dieser Frage an der Spitze liegenden FDP-Fraktion waren es bereits knapp zwei Drittel (63 %), während innerhalb der ersten SPD-Bundestagsfraktion lediglich 24 Prozent einen derartigen Abschluss vorweisen konnten (vgl. Müller 1988b: 205), der geringste Anteil unter den Bundestagsfraktionen. Die jeweiligen Anteile stiegen im Laufe der Zeit kontinuierlich an. Nach den Bundestagswahlen 1983 kletterte dieser Anteil für das gesamte Parlament über die Zwei-Drittel-Marke (67,9 %). Nach wie vor waren im Bundestag mehr FDP-Abgeordnete mit Hochschulreife (82,9) vertreten als SPD-Politiker (56,4 %), jedoch auf einem insgesamt höheren Niveau und bei einer deutliche Reduzierung des Abstands (vgl. Müller 1988b: 208). 1998 gab Golsch den Anteil der MdBs mit Allgemeiner Hochschulreife mit 67,5 Prozent an. Allerdings ist die Allgemeine Hochschulreife nur ein Weg unter vielen zu einer Hochschulbildung. Daher ist der Anteil der Abgeordneten mit Hochschulbildung ein besserer Indikator, um die Akademisierung der Parlamente aufzuzeigen. Dieser Wert verdoppelte sich nahezu von 44 Prozent im ersten deutschen Bundestag auf 86,7 Prozent nach den Wahlen zum 15. Deutschen Bundestag im Jahr 2002 (vgl. Schindler 1984: 194; Feldkamp 2005: 171). Parteiunterschiede treten dabei kaum noch auf. Tabelle 11: Höchster erreichter Schulabschluss Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
Schulabschluss N
%
kum. %
N
%
kum. %
Hauptschulabschluss
1
0,7
0,7
1
1,2
1,2
Realschulabschluss
6
4,5
5,2
2
2,5
3,7
Fachhochschulreife
5
3,7
9,0
2
2,5
6,2
Allgemeine Hochschulreife/Abitur
122
91,0
100
76
93,8
100
Gesamt
134
100,0
81
100,0
Die weit vorangeschrittene Akademisierung der Politik lässt sich auch bei den Spitzenpolitikern konstatieren. Der Anteil der Spitzenpolitiker mit allgemeiner Hochschulreife übertrifft vergleichbare Zahlen aus der Parlamentssoziologie deutlich. Gab Golsch diesen Anteil für den Deutschen Bundestag mit 67,5 Prozent an, findet sich bei hochrangigen deutschen Politikern ein Anteil von 91 Prozent mit Schulabschluss Abitur, bei Jungpolitikern sogar von 94 Prozent (vgl. Tabelle 11). Dies kann man als Bestätigung von Putnams „law of increasing disproportion“ (Putnam 1976: 33) ansehen. Je höher die Position im politischen 91
System, desto größer das Missverhältnis zwischen dem Bildungsstatus der Bevölkerung und der Eliten. Tabelle 12: Hochschulbildung deutscher Spitzenpolitiker Spitzenpolitiker (N=134)
n % n % n % n % n % n %
Fachhochschuloder Hochschulabschluss 1 43 93,5 9 81,8 32 88,9 13 100,0 13 100,0 12 92,3
n %
124 92,5
Partei
CDU CSU SPD FDP Grüne Linke Gesamt
Promotion1
Habilitation1
12 26,1 4 36,4 8 22,2 5 38,5 2 15,4 7 53,8
2 4,3 0 0,0 1 2,8 0 0,0 0 0,0 3 23,1
40 29,9
7 5,2
1 Die beiden parteilosen Spitzenpolitiker hatten ebenfalls einen (Fach-)Hochschulabschluss und waren beide promoviert. Einer der beiden war habilitiert. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden sie nicht dargestellt.
Den hohen formalen Bildungsgrad der politischen Elite kann man auch am enormen Anteil der Spitzenpolitiker mit abgeschlossenem Studium ablesen. 87 Prozent von ihnen haben einen Hochschulabschluss, dazu kommen noch acht Prozent mit einem Fachhochschulabschluss. Fasst man die beiden Kategorien zusammen und berücksichtigt die Tatsache, dass es Spitzenpolitiker mit Fachhochschul- und Hochschulabschluss gibt, kommt man zu dem Ergebnis, dass 93 Prozent der deutschen Spitzenpolitiker ein abgeschlossenes Studium vorweisen können. Aus diesem hohen Akademiker-Anteil unter den Spitzenpolitikern kann man schließen, dass „ein Hochschulabschluss eine fast unabdingbare Voraussetzung für die Besetzung einer Spitzenposition darstellt“ (Hartmann 2004a: 18). Lediglich die hochrangigen Politiker von SPD und CSU liegen leicht unter diesem Schnitt (vgl. Tabelle 12). Ein knappes Drittel der Top-Politiker ist promoviert (29,9 %), darunter überdurchschnittlich viele Linkspartei- (53,8 %) und
92
FDP-Politiker (38,5 %). Was Golsch für den Deutschen Bundestag anfügt, kann man für die Spitzenpolitiker nur unterstreichen, nämlich dass „(...) ein Hochschulabschluss wohl nicht nur aufgrund der gestiegenen fachlichen Anforderungen an die Abgeordnetentätigkeit als Voraussetzung für ein Mandat angesehen werden kann, sondern auch als Kriterium bei der Selektion und Nominierung der Kandidaten eine Rolle spielt. Der soziale Status, den etwa eine Promotion verleiht, dürfte dabei durchaus von Belang sein.“ (Golsch 1998: 122)
Die Promotion scheint gerade für die Rekrutierung auf exekutive Spitzenpositionen von großer Bedeutung zu sein. Die Regierungsmitglieder auf Bundes- und Landesebene führen zu einem höheren Anteil (31,5 %) einen Doktor-Titel als ihre Kollegen ohne exekutives Amt (27,9 %). Lediglich fünf Prozent der Spitzenpolitiker sind habilitiert (vgl. Tabelle 12). Ein Grund mag darin zu suchen sein, dass man nach Abschluss der Habilitation im Schnitt 40 Jahre ist (vgl. Wissenschaftsrat 2002) – was für den Einstieg in eine politische Spitzenlaufbahn zu alt sein könnte. Zudem ist es plausibel, dass für habilitierte Personen zunächst die wissenschaftliche Karriere Priorität genießt. Karrieren habilitierter Spitzenpolitiker folgen wohl eher dem Muster einer (später noch genauer zu untersuchenden) Cross-Over-Karriere. Aus einer hohen Position in Wissenschaft und Forschung wechseln bei diesem Karrieremuster Personen direkt in eine hochrangige politische Funktion. Ein gutes Beispiel ist der baden-württembergische Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg, der als Rektor der Universität Mannheim und Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz 2001 ins Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel wechselte. Tabelle 13: Studienschwerpunkte Studienschwerpunkt
Spitzenpolitiker N %
Jura
39
31,5
Nachwuchspolitiker N % 15
24,2
Wirtschaftswissenschaften
17
13,7
7
11,3
Sozialwissenschaften, Psychologie
15
12,1
20
32,3
Human-, Geistes- und Kulturwissenschaften
29
23,4
14
22,6
Medizin Naturwissenschaften, Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Architektur Sonstige
4
3,2
1
1,6
14
11,3
3
4,8
6
4,8
2
3,2
Gesamt
124
100,0
62
100,0
Ein Blick auf die Verteilung der Studienrichtung oder Studienschwerpunkte der Spitzenpolitiker lässt am Fortbestehen des oft postulierten „Juristenmonopols“ 93
(der Dominanz von Juristen in politisch-administrativen Spitzenfunktionen) zweifeln. Während von Beyme in seiner Untersuchung zu Beginn der 70er Jahre feststellte, dass der Anteil der Juristen in deutschen Parlamenten über Jahrzehnte hinweg bei etwas mehr als der Hälfte lag (vgl. von Beyme 1971: 55), hat unter den deutschen Spitzenpolitikern weniger als ein Drittel (31,5 %) eine juristische Ausbildung genossen (vgl. Tabelle 13). Fast jeder Vierte legte seinen Schwerpunkt im Studium auf Human-, Geistes- und Kulturwissenschaften, darunter sehr viele im Bereich der Pädagogik oder Philologie. Auf den beruflichen Hintergrund wird in Kapitel 5.3 noch näher eingegangen. Innerhalb der Gruppe der politischen „Youngsters“ setzt sich der Trend zur Akademisierung weiter fort. Knapp 94 Prozent hatten die allgemeine Hochschulreife, 2,5 Prozent dazu noch Fachhochschulreife (vgl. Tabelle 11). Ein hoher formaler Bildungsgrad und ein abgeschlossenes Studium scheinen offensichtlich eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche politische Karriere zu sein. Knapp 70 Prozent konnten einen Hochschulabschluss vorweisen. Die Zahl ist zwar geringer als bei den Spitzenpolitiker, allerdings waren 15 Prozent der Spitzenpolitiker noch im Studium oder in einer Ausbildung. Der Anteil der Promovierten ist altersbedingt geringer (6 %), nur ein Nachwuchspolitiker war bereits habilitiert.
4.5 Konfessions- oder Religionszugehörigkeit Als letzte soziodemographische Hintergrundvariable soll die Konfessions- oder Religionszugehörigkeit beleuchtet werden. Golsch bestreitet, dass diese Variable einen Einfluss auf die politische Rekrutierung oder die Karriereverläufe von Politikern hat. Seiner Meinung nach ist sie daher zu vernachlässigen (vgl. Golsch 1998: 108). Für das Gros politischer Karrieren ist dies unter Umständen zutreffend. Dennoch kann der religiöse Hintergrund durchaus rekrutierungsrelevant werden. Dies gilt umso mehr dann, wenn sich Parteien auf konfessionell geprägte Wähler stützen. Die CSU ist ein derartiger Fall. Sie verweist bereits im ersten Satz ihres Statuts darauf, dass sie „eine staatliche Ordnung in demokratischer Freiheit und sozialer Verantwortung auf der Grundlage des christlichen Weltund Menschenbildes“ anstrebt. Diese Grundhaltung ist bei vielen politischen Sachfragen deutlich erkennbar. Ihre 40-jährige Alleinregierung verdankt sie auch den katholisch geprägten Wählern, welche sie überdurchschnittlich stark wählen. Zudem versucht sie auch, evangelische Wähler für sich zu gewinnen. Der „Evangelische Arbeitskreis“ ist ein einflussreicher Zusammenschluss innerhalb der Partei. Vor diesem Hintergrund muss man bezweifeln, dass bekennende Atheisten die gleichen Aufstiegschancen in der CSU hätten wie konfessionell gebunde-
94
ne Politiker. Innerhalb der CSU ist das Merkmal Religion in Hinblick auf Kandidaturen oder Nominierungen durchaus von Relevanz. Ähnlich, wenn vielleicht auch nicht so stark ausgeprägt, stellt sich die Situation im ebenfalls katholischgeprägten Baden-Württemberg dar. Bei der Auseinandersetzung um die Nachfolge von Ministerpräsident Erwin Teufel war die Tatsache, dass die beiden Kandidaten Günther Oettinger (katholisch) und Annette Schavan (evangelisch) verschiedener Konfessionen angehören, Gegenstand öffentlicher Diskussion. Infolge der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft sind die Zeiten der „Religionspatronage“ (Von Beyme 1971: 30) nach Vorbild Adenauers wohl vorbei, dennoch sollte man den religiösen Hintergrund bei der Betrachtung politischer Aufstiegsprozesse nicht unter den Tisch fallen lassen. Abbildung 10: Konfessionelle Zugehörigkeit unter den Spitzenpolitikern 100%
80%
4%
8%
46%
46%
Keiner Religionsgemeinschaft
39%
73% 60%
92%
92%
23%
Evangelische Kirche
40% 54%
50% 20%
Römisch-katholische Kirche
27%
31% 8%
8%
0% CDU
CSU
SPD
FDP
Grüne
Linke
Bei der Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit kann man in der Gruppe der Spitzenpolitiker eine Dreiteilung beobachten. Jeweils zu einem Drittel gehören die Spitzenpolitiker der evangelischen, der römisch-katholischen oder keiner Religionsgemeinschaft an.13 Die beiden „C-Parteien“ und die FDP weisen dabei höhere Anteile konfessionell gebundener Spitzenpolitiker auf. Lediglich vier Prozent der CDU-Spitzenpolitiker gaben an, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören, die Hälfte war evangelisch, 46 Prozent katholisch (vgl. Abbildung 10). In den Reihen der CSU-Spitzenpolitiker fand sich kein einziger konfessionsloser Spitzenpolitiker, die Katholiken machen hier fast drei Viertel der Gesamtheit aus (73 %). Die FDP ist als bürgerliche Partei überwiegend religiös geprägt. Lediglich acht Prozent bekennen sich nicht zu einer Konfession, 54 Prozent sind evangelisch, 39 Prozent katholisch. Die SPD nimmt eine Mittelposition ein. Unter 13 Dies entspricht den Anteilen, die Schindler für den Deutschen Bundestag im Zeitraum von 1949 bis 1999 feststellte (vgl. Schindler 1999: 665f).
95
hochrangigen Sozialdemokraten war knapp die Hälfte (46 %) ohne konfessionelle Prägung, ein knappes Drittel (31 %) war evangelisch, knapp ein Viertel katholisch (23 %). Das Top-Personal der Grünen und der Linkspartei ist zu über 90 Prozent atheistisch geprägt (jeweils 92 %). Tabelle 14: Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs deutscher Spitzenpolitiker Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs Einmal in der Woche Ein- bis dreimal im Monat Mehrmals im Jahr Seltener Nie Keine Angabe Gesamt
Partei
Gesamt
N
7
3
0
1
0
0
Parteilos 1
%
15,2
27,3
0,0
7,7
0,0
0,0
50,0
9,0
N
18
5
2
2
0
1
0
28
%
39,1
45,5
5,6
15,4
0,0
7,7
0,0
20,9
N
19
2
14
5
2
0
1
43
%
41,3
18,2
38,9
38,5
15,4
0,0
50,0
32,1
N
1
0
10
4
3
0
0
18
%
2,2
0,0
27,8
30,8
23,1
0,0
0,0
13,4
CDU
CSU
SPD
FDP
Grüne
Linke
12
N
1
0
7
1
8
11
0
28
%
2,2
0,0
19,4
7,7
61,5
84,6
0,0
20,9
N
0
1
3
0
0
1
0
5
%
0,0
9,1
8,3
0,0
0,0
7,7
0,0
3,7
N
46
11
36
13
13
13
2
134
%
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft scheint bei den bürgerlichen Parteien immer noch zum guten Ton zu gehören. Die Kirchenbindung, gemessen mit der Häufigkeit des Besuchs eines Gottesdiensts, ist dagegen nur noch bei den Unionsparteien relativ stark. Über die Hälfte der CDU-Spitzenpolitiker und drei Viertel der CSU-Politiker kann man als regelmäßige Kirchgänger bezeichnen (vgl. Tabelle 14; Antwortkategorien: „Einmal in der Woche“; „Ein- bis dreimal im Monat“). Unter den FDP-Spitzenpolitikern besucht nur noch jeder fünfte regelmäßig den Gottesdienst. Bei den anderen Parteien dominieren die eher säkularen Top-Politiker. In der Gruppe der Nachwuchspolitiker nimmt der Anteil der regelmäßigen Kirchgänger ab. Lediglich 14 Prozent weisen demnach eine starke Kirchenbindung auf. Lediglich unter den jungen CSU-Abgeordneten besucht noch die Hälfte in regelmäßigen Abständen einen Gottesdienst. Insgesamt ist demnach ein Trend hin zu einer zunehmenden Säkularisierung festzustellen. 96
5. Der Weg nach ganz oben: Strukturmuster politischer Karriereverläufe
5.1 Ein Phasenmodell politischer Karrieren Zu Beginn der Betrachtung soziostruktureller Merkmale wurde bereits darauf verwiesen, dass ihre Aussagekraft im Hinblick auf Karriereverläufe oder -muster begrenzt ist. Die social background analysis kann daher lediglich ein erster Schritt bei der Analyse des politischen Aufstiegs sein. Von Beyme stellt daher fest: „Eine politikwissenschaftlich relevante Untersuchung von Eliten kann nicht dabei stehen bleiben, aus Background-Daten herauszufinden, wie man in der Politik avanciert, sondern muß die Chancen des Zugangs zu Führungspositionen in Beziehung zu den politisch Aktiven setzen und muß untersuchen, wer in einem politischen System Möglichkeiten sieht, an die Schalthebel der Macht zu gelangen.“ (Von Beyme 1971: 17)
Die „theorielose Sammlung von Background-Daten mit unsystematischen Potpourri-Klassifikationen“ (von Beyme 1971: 17) würde eher Licht auf soziale Vorgänge werfen, jedoch weniger auf politische. Um Strukturmuster politischer Karriereverläufe zu erfassen, muss daher ein zweiter Schritt folgen. Im Rahmen dieser Arbeit besteht dieses erforderliche Analyseelement aus einem Phasenmodell, mit dessen Hilfe Gemeinsamkeiten in den politischen Karriereverläufen analysiert werden sollen. Das Modell geht dabei von der Annahme aus, dass der politische Aufstieg in führende politische Funktionen nur begrenzt planbar ist. Dies unterscheidet politische Karrieren auch von anderen Berufslaufbahnen, wie beispielsweise als Rechtsanwalt oder Arzt. Die Gründe sind vor allem das Fehlen einer etablierten und zwingend vorgeschriebenen Ausbildung und die Unsicherheit, die eine Personalauswahl mit Hilfe allgemeiner Wahlen zwangsläufig mit sich bringt. Dennoch sind Spitzenlaufbahnen kein reines Produkt des Zufalls. Der Weg bis an die politische Spitze ist gekennzeichnet durch eine Abfolge politischer und beruflicher Positionen. Im Sinne der von Borchert und Stolz postulierten „Bekämpfung der Unsicherheit“ (Borchert/Stolz 2003) geht man davon aus, dass zu unterschiedlichen Zeiten bestimmte Positionen und Funktionen übernommen werden, um diese Unsicherheit zu minimieren.
97
98
-Polit. Aktivität der Eltern -Gespräche über Politik im Elternhaus
Wichtigste Variablen
-Erlernen von politischen Werten und Normen -Prägende Einflüsse im Elternhaus -Politische Vorbilder
Merkmale
(frühe) Politische Politische Sozialisation Sozialisation
(frühe)
Phase 1
-Schul-, Ausbildungsund Hochschulabschlüsse -Alter bei erster beruflicher Tätigkeit -Dauer der berufl. Tätigkeit -Beruflicher Sektor und Politiknähe des Berufs
Wichtigste Variablen
-Ausbildung und Berufstätigkeit parallel zur innerparteilichen oder kommunalpolit. Laufbahn
Merkmale
Ausbildung und Ausbildung und Beruf Beruf
Phase 2
-Alter bei Parteieintritt -Eintrittsmotive -Funktionen in den Jugendorganisationen und anderen Arbeitsgemeinschaften -Zeitraum bis zum ersten Parteiamt -Ebenen der Funktionen -Ämterkumulation
Wichtigste Variablen
-Parteibeitritt als Grundvoraussetzung -Erlernen polit. Qualifikationen -„Ochsentour“
Merkmale
Innerparteiliche Innerparteiliche Laufbahn Laufbahn
Phase 3
-Anteil der Kommunalpolitiker -Alter bei Übernahme des ersten kommunalen Wahlamtes -Zeitraum zwischen Parteibeitritt und erstem Amt -Dauer der kommunalpol. Phase -Ämterkumulation
Wichtigste Variablen
-Kommunalpolitik als fakultativer Schritt -Politische Bewährung und Profilierung in ehrenamtlichen Positionen
Merkmale
Ehrenamtliche Ehrenamtliche Positionen in Positionen in der Kommunalder Kommunalpolitik politik
Phase 4
-Alter beim Wechsel in den hauptamtl. polit. Sektor -Art und Ebene der ersten hauptamtl. Position -Dauer der innerpart. und kommunalpolit. Karriere vor dem Wechsel -Positionen vor dem Wechsel
Wichtigste Variablen
-Schritt in die prof. politische Tätigkeit; Politik wird zur Einkommensquelle -Aufgabe des Privatberufs
Merkmale
Hauptamtliche Hauptamtliche Positionen in Positionen in der Politik der Politik
Phase 5
-Position vor Wechsel in die Spitzenposition -Art und Dauer der parlamentarischen Erprobungsphase -Wunsch nach höheren Positionen
Wichtigste Variablen
-Aufstieg in politische Führungspositionen -Elitenrekrutierung im engeren Sinn
Merkmale
Politische Politische SpitzenSpitzenpositionen positionen
Phase 6
Abbildung 11: Ein Phasenmodell politischer Karrieren
Der gesamte Weg bis an die Spitze des politischen Systems lässt sich daher in Phasen unterteilen (vgl. Abbildung 11). Das in Abbildung 11 verdeutlichte Phasenmodell lehnt sich am Karrierebegriff Herzogs und seinem karrieretheoretischen Forschungsansatz an, geht aber über die von Herzog beschriebenen vier Phasen (Politische Sozialisation, Politische Rekrutierung, Politische Karriere bzw. Politische Professionalisierung, Elitenrekrutierung) hinaus, indem es nach der (frühen) politischen Sozialisation (Phase 1) die Ausbildung und berufliche Tätigkeit als eigene Phase einführt (Phase 2). Die eigentliche politische Karriere wird zudem feiner unterteilt. Aufgrund der überragenden Stellung der Parteien im Rekrutierungsprozess wird die Phase des innerparteilichen Aufstiegs separat behandelt (Phase 3). Genauso wird mit kommunalpolitischen Ämtern und Mandaten verfahren, die den Ruf genießen, eine Vorstufe für das Berufspolitikertum zu bilden (Phase 4). Der Wechsel in hauptamtliche politische Ämter und Mandate, häufig als „cross over“ oder – wie oben dargestellt – als politische Professionalisierung im individuellen Sinn bezeichnet, schließt sich als fünfte Phase an. Den Abschluss des Modells und die „Krönung“ politischer Karriereverläufe bildet die Berufung auf politische Spitzenfunktionen, wie sie gemäß dem Positionsansatz im Rahmen dieser Arbeit definiert wurden. In der graphischen Darstellung der Phasen in Abbildung 11 wurde versucht deutlich zu machen, dass die einzelnen Phasen in der Regel ineinander greifen. Besonders offensichtlich ist dies für den Aufstieg innerhalb der Partei. Parteieintritt und erste Parteiämter werden oft bereits in der Phase der Ausbildung und des Berufs übernommen. Der Aufstieg in kommunalpolitische Ämter, in hauptamtliche politische Positionen und politische Spitzenfunktionen verläuft parallel zum Aufstieg in der Partei. Es liegt auf der Hand, dass Spitzenämter innerhalb der Partei auch dann noch weiter angestrebt und übernommen werden, wenn der Sprung in ein Mandat und ein Staatsamt bereits geschafft ist. Darüber hinaus muss in Betracht gezogen werden, dass durchaus Karrieren vorstellbar sind und realisiert werden, die einzelne Phasen überspringen. Die gilt vor allem für – selten vorkommende – parteilose Experten in Regierungen, denen die parteipolitisch geprägten Phasen drei, vier und fünf in der Regel fehlen. Zudem ist anzunehmen, dass nicht alle Spitzenpolitiker den Weg über die Kommunalpolitik gingen. Als weitere Einschränkung muss angeführt werden, dass es auf den Weg nach ganz oben auch Rückschläge oder Pausen geben kann. So können Spitzenpolitiker beispielsweise bei Regierungswechsel ihre Führungsfunktion verlieren und womöglich zu einem späteren Zeitpunkt bei anderen parteipolitischen Mehrheitsverhältnissen wieder in hochrangige Positionen zurückkehren. Trotz dieser Einschränkungen ist das vorliegende Phasenmodell als heuristisches Instrument
99
sehr gut geeignet und ermöglicht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den politischen Karriereverläufen aufzudecken.
5.2 Frühe politische Sozialisation Es wurde bereits darauf verwiesen, dass die frühe politische Sozialisation der eigentlichen politischen Karriere vorgelagert ist. Allerdings ist es aus mehreren Gründen sinnvoll, diese Phase nicht auszublenden. Man könnte argumentieren, dass in dieser Phase politische Werte und Normen erlernt werden, die für den späteren Karriereverlauf von Bedeutung sein könnten. Politisch geprägte Elternhäuser könnten Einfluss auf die Einstellungen späterer Top-Politiker ausüben. Wenn die Eltern bereits politisch aktiv waren, könnte das dazu führen, dass sich ein Heranwachsender bereits früh für Politik interessiert und sich dementsprechend engagiert. Für die Vereinigten Staaten wurden diese Zusammenhänge in den 60er Jahren bestätigt. In ihrem berühmten Werk „The American Voter“ stellen Campbell et al. fest, dass sich die Parteiidentifikation einer Person bereits in der frühen Phase der politischen Sozialisation entwickelt (vgl. Campbell et al. 1960: 146-149). Allerdings ist es umstritten, ob ähnliche Aussagen auch für Deutschland getroffen werden können. Über den Zusammenhang zwischen der politischen Sozialisation auf der einen Seite und dem späteren Wahlverhalten auf der anderen besteht in der Literatur Uneinigkeit (vgl. Geißler 1996; Wasmund 1982). Was für das Wahlverhalten nicht zutrifft, kann für Formen politischer Aktivierung junger Menschen, die eine erste wichtige Station politischer Karrieren darstellt, durchaus gelten. Herzog fand jedoch heraus, dass die frühe politische Sozialisation keinen starken Einfluss auf die politische Karriere späterer Spitzenpolitiker ausübt: „Politiker, zumal besonders erfolgreiche, kommen also keineswegs aus politisch sehr interessierten Familien. Bei manchen scheint die familiäre Anregung stark und möglicherweise für die spätere Karriere bedeutsam gewesen zu sein. Das kennzeichnet aber nicht den Spitzenpolitiker schlechthin.“ (Herzog 1975: 170)
Über die Hälfte der von Herzog interviewten Spitzenpolitiker hatten keinerlei Anregungen in ihrem Elternhaus erfahren. Herzog schließt daraus auf eine „relative Bedeutungslosigkeit der Familie und der frühen Sozialisationsphase im persönlichen Entwicklungsverlauf“ (Herzog 1975: 172). Er fand auch heraus, dass die entscheidenden Erfahrungen wesentlich später gemacht werden. Drei Viertel der Spitzenpolitiker hätten demnach während der Studien- oder Berufungsvorbereitungszeit intensive politische Anregungen erhalten. Demnach liege die entscheidende Phase eher im Übergang von der Rolle des Jugendlichen zu
100
der des Erwachsenen. Die Gründe liegen wohl auch daran, dass das Individuum in dieser Phase zum ersten Mal mit praktischer Politik konfrontiert wird. Er oder sie kann politisch einflussreichen Jugendgruppen beitreten, Mitglied einer Partei werden und – vor allem – zum ersten Mal an Wahlen teilnehmen (vgl. Herzog 1975: 173). In eine ähnliche Richtung argumentieren Becker und Mays, wenn sie der Familie zwar einen prägenden Einfluss bei der politischen Sozialisation konzedieren, andererseits aber feststellen, dass der Einfluss auf die politische Orientierung der Kinder mit dem Älterwerden deutlich zurückgeht. Andere Sozialisationsinstanzen wie die Schule, „peer groups“ oder die Medien würden an Bedeutung gewinnen (vgl. Becker/Mays 2003: 21). Rebenstorf differenziert die Wirkung verschiedener Sozialisationsinstanzen auf die Ausgestaltung individueller politischer Orientierung überzeugend. Demnach würden die Familie und peer groups über „affektive Mechanismen ein allgemeines Wertesystem vermitteln, das sich über die Zeit in konkrete politische Orientierungen überträgt“ (Rebenstorf 1991: 222). In einer späteren Lebensphase würden Sozialisationsagenten wie Schule, Hochschule und Massenmedien kognitive Aspekte für politisches Interesse vermitteln. Diese Einflüsse sind nach Meinung von Rebenstorf jedoch durch die primären sozialisatorischen Erfahrungen begrenzt. Im Folgenden wird daher untersucht, in wie weit spätere Spitzenpolitiker frühe politische Sozialisationserfahrungen aufweisen. Als erster Indikator werden Gespräche über Politik im Elternhaus herangezogen. Rebenstorf begründet die Auswahl dieser Variable folgendermaßen: „Wie die Ausführungen zur politischen Sozialisationsforschung zeigen, werden im Elternhaus grundlegende Wertorientierungen vermittelt. Diese werden in den Institutionen formaler Bildung nur dann verdrängt oder durch andere Orientierungssysteme überlagert, wenn die im Elternhaus erworbenen Vorstellungen diffus sind oder wenn für weite Bereiche keine Informationen vorliegen bzw. im Elternhaus nicht thematisiert werden. Die Bedeutung politischer Gespräche im Elternhaus für politische Affinitäten ist von daher evident.“ (Rebenstorf 1991: 224)
Die politischen Spitzenkräfte wurden daher gefragt, ob derartige Gespräche in ihrem Elternhaus eine wichtige Rolle gespielt haben. Tabelle 15 gibt die Häufigkeitsverteilung dieser Antworten wieder. Zwei Drittel der Spitzenpolitiker gaben an, dass politische Gespräche eine sehr wichtige oder wichtige Rolle gespielt haben. Für ein knappes Drittel war dagegen das Elternhaus in dieser Hinsicht nicht prägend. Eine ähnliche Verteilung der Antworten findet sich auch in der Gruppe der jungen Abgeordneten. Wesentliche Unterschiede zwischen den Parteien sind nicht ersichtlich. Die Familie hat ohne Zweifel aufgrund der starken emotionalen Beziehungen und ihrer frühen Position im Sozialisationsprozess einen großen Einfluss auf Individuen. Allerdings scheinen politische Karrieren auch dann möglich zu sein, wenn politische Inhalte im Elternhaus eine geringe oder gar keine Rolle gespielt haben. Die Ergebnisse würden daher die Vermu101
tung bestätigen, dass familiäre Prägungen eher ein allgemeines Normensystem vermitteln als konkrete politische Werte. Dieses Normensystem bildet einen Referenzrahmen für politische Orientierungen. Das politische Lernen von Individuen ist daher als indirekt zu bezeichnen (vgl. Rebenstorf 1991: 221). Tabelle 15: Gespräche über Politik im Elternhaus Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
Rolle der Gespräche über Politik
N
%
kum. %
N
%
kum. %
sehr wichtige Rolle
24
17,9
17,9
23
28,4
28,4
wichtige Rolle
65
48,5
66,4
26
32,1
60,5
keine sehr wichtige Rolle
33
24,6
91
26
32,1
92,6
überhaupt keine Rolle
9
6,7
97,8
5
6,2
98,8
keine Angaben
3
2,2
100
1
1,2
100
134
100
__
81
100
__
Gesamt
Die Ergebnisse aus Tabelle 15 lassen sich nur begrenzt mit Herzogs Studie vergleichen, da er eine andere Fragenformulierung wählte („Wurden Sie zu Hause politisch angeregt?“). Gespräche über politische Inhalte sind lediglich eine schwache Form der Anregung. Das Ergebnis, dass in der vorliegenden Untersuchung nur knapp ein Drittel der Befragten offensichtlich keiner elterlichen politischen Sozialisationserfahrungen ausgesetzt war, während in Herzogs Studie über die Hälfte der Spitzenpolitiker keine politische Anregung durch die Eltern berichteten, verwundert daher nicht. Die geringe Aussagekraft der frühen politischen Sozialisation wird noch deutlicher, wenn man sich die politische Aktivität der Eltern als einen weiteren Indikator ansieht. In Reihen der Spitzenpolitiker finden sich immer wieder Personen, deren Eltern bereits politisch aktiv oder sogar in politischen Spitzenämtern waren. So war beispielsweise der Vater des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), Karl- Heinz Koch, von 1987 bis 1991 Hessischer Justizminister. Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ursula von der Leyen (CDU) ist die Tochter von Ernst Albrecht, der von 1976 bis 1990 Ministerpräsident von Niedersachsen war. Auch die Großeltern können prägend sein. Der Bundestagsabgeordnete Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CSU), der in der Kontrastgruppe der jungen Abgeordneten zu finden ist, ist der Enkel des ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundeskanzleramtes, der ebenfalls Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg hieß. Diese Beispiele legen die Vermutung nahe, dass junge Menschen auf den erfolgreichen politischen Spuren ihrer Eltern oder Großeltern wandeln können. Um dies für die
102
Gruppe der Spitzenpolitiker zu untersuchen, wurde in der Erhebung nach der politischen Aktivität der Eltern gefragt. Tabelle 16: Politische Aktivität der Eltern Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
Politische Aktivität der Eltern N
%
kum. %
N
%
kum. %
kein Elternteil politisch aktiv
90
67,2
67,2
51
63,0
63,0
Mutter politisch aktiv
4
3,0
70,1
5
6,2
69,1
Vater politisch aktiv
24
17,9
88,1
15
18,5
87,7
Beide Eltern politisch aktiv
13
9,7
97,8
9
11,1
98,8
keine Angaben
3
2,2
100
1
1,2
100
134
100,0
__
81
100,0
__
Gesamt
Tabelle 16 lässt jedoch eher den Schluss zu, dass sich eine politische Betätigung der Eltern oder Großeltern nicht unbedingt in einem ähnlichen Engagement der Kinder oder Enkelkinder niederschlägt. Bei über zwei Drittel der Spitzenpolitiker war kein Elternteil politisch aktiv. Bei dem Drittel mit politisch aktivem Elternhaus war es häufig der Vater, der sich politisch betätigte, eher seltener die Mutter oder beide Elternteile. Die Verteilung innerhalb der Kontrastgruppe weicht davon nicht ab. Ähnliche Ergebnisse förderte bereits Herzogs Untersuchung in den 70er Jahren zu Tage.14 Als letzte Variable kann man die Rolle des Elternhauses bei der Frage nach der politischen Rekrutierung in Form des Eintritts in eine politische Partei unter die Lupe nehmen. Die Motive für den Parteieintritt werden ausführlich im Abschnitt über innerparteiliche Karriereverläufe (vgl. Abschnitt 5.4) erläutert. Dennoch lohnt sich bereits an dieser Stelle ein Blick auf die Beweggründe, da im Fragebogen die politische Aktivität der Eltern oder anderer Familienmitglieder eine der möglichen Antwortkategorien war. Auf der Suche nach starken Sozialisationseinflüssen in der frühen Lebensphase wird man aber auch bei dieser Frage nicht fündig. Lediglich 17 Prozent der Befragten gaben an, dass politisch aktive Familienmitglieder oder Verwandte für ihren Parteieintritt mit ausschlaggebend 14 Herzog formulierte die Frage ähnlich („Waren Ihre Eltern damals [gemeint ist in der Kindheit und Jugend, Anm. d. Verf.] politisch tätig“), konnte jedoch mit Hilfe der qualitativen Interviews die Aktivität der Eltern noch genauer eruieren (Anhänger der Partei, Mitglied, Inhaber politischer Wahlämter).
103
waren – ein geringer Wert vor dem Hintergrund, dass bei den Antwortkategorien Mehrfachnennungen möglich waren. Bei den Nachwuchspolitikern findet sich exakt der gleiche Wert. Dem Fazit von Herzog kann man sich daher anschließen: „Die verlaufssoziologische Analyse der politischen Elitensozialisation ergibt eine relative Bedeutungslosigkeit der Familie und damit der frühesten Sozialisationsphase im persönlichen Entwicklungsverlauf.“ (Herzog 1975: 172)
5.3 Berufliche Laufbahn
5.3.1 Zusammenhang zwischen Berufslaufbahn und politischer Karriere Anders als die Phase der frühen politischen Sozialisation im Elternhaus und in der Schule gelten politische Impulse in der Phase des Studiums oder der Berufslehre als besonders bedeutend. Die hohe formale Bildung und das Ausbildungsniveau der Mitglieder der Untersuchungs- und Kontrastgruppe wurden bereits im Abschnitt 4.4 herausgearbeitet. Im folgenden Abschnitt sollen vor allem die Zusammenhänge zwischen beruflicher und politischer Tätigkeit beleuchtet werden. Für die Betrachtung von Strukturmustern politischer Karriereverläufe ist dies von enormer Bedeutung. Herzogs Typenbildung, die über 30 Jahre nach ihrer Formulierung immer noch Geltung beanspruchen kann, nimmt das Verhältnis zwischen der beruflichen Laufbahn und der politischen Karriere aus Ausgangspunkt. Für seine Standard-Karriere ist es charakteristisch, dass Politik „eine zusätzliche oder zweite Karriere neben ihrer [der Spitzenpolitiker; Anm. d. Verf.] beruflichen Laufbahn darstellt“ (Herzog 1975: 102). Mehr als die Hälfte der Spitzenpolitiker würden demnach ihren politischen Karriereweg erst nach einer gewissen Saturierung im privaten Beruf beginnen. Auch sein zweiter Karrieretyp, den er als „Cross-Over-Karriere“ bezeichnet, bestimmt sich aus dem Verhältnis zwischen Berufslaufbahn und politischem Aufstieg. Bei diesem Karriere-Typ handelt es sich um einen Prozess, bei dem Personen, die im privaten Beruf besonders herausragende, einflussreiche oder leitenden Positionen innehaben, unmittelbar in den Sektor der Berufspolitik überwechseln (vgl. Herzog 1975: 150). Kennzeichnend für diese Personengruppe ist, dass sie sich dem mühsamen Weg durch lokale Ämter und Parteigremien sparen. Auch der dritte Karrieretyp, die „reine Polit-Karriere“, stützt sich auf den beruflichen Werdegang der späteren Spitzenpolitiker. Charakteristisch für diese Personen ist, dass sie sich bereits früh (in der Regel während der Ausbildungsphase) politisch engagie-
104
ren, teilweise bereits in bezahlten politischen Ämtern wie beispielsweise als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten. Auf dieser Grundlage kandidieren sie dann für innerparteiliche oder öffentliche Wahlämter: „Sie sind von Anbeginn an politische Professionals, materiell gebunden und psychologisch adaptiert an den politischen Beruf als ihrer einzigen, gewöhnlichen lebenslangen Einkommensquelle.“ (Herzog 1990: 41)
Borchert und Stolz kritisieren den „berufsstrukturellen“ Ansatz Herzogs aufgrund der Tatsache, dass Herzogs Analyse und Typenbildung zu sehr von der „social background analysis“ beherrscht werde (vgl. Borchert/Stolz 2003: 149). Allerdings tun die beiden Autoren ihm damit Unrecht. Herzog lehnt es ab, Beruf als Indikator einer sozialen Schichtung zu verwenden, wie es in Rahmen der Analyse des sozialen Hintergrunds oft getan wird (vgl. Herzog 1975: 94). Er legt in seiner verlaufssoziologischen Perspektive den Fokus auf den Zusammenhang von Berufslaufbahn und politischer Karriere. Dennoch kann man den erlernten Beruf in einer Hinsicht nicht von der Betrachtung ausschließen. Es liegt auf der Hand, dass Berufe mit einer größeren Staats- oder Politiknähe oder abgesicherter Rückkehrmöglichkeit nach politischen Ämtern und Mandaten existieren. Derartige Rekrutierungsfelder, wie beispielsweise der öffentliche Dienst, scheinen für einen Wechsel in die Berufspolitik besonders geeignet. Im Sinne einer umfassenden Analyse der Bedeutung des beruflichen Hintergrunds für politische Karrieren wird auf diesen Punkt im Folgenden eingegangen, auch um festzustellen, ob es bei den Rekrutierungsfeldern eine „Einseitigkeit“ gibt, wie Scheuch und Scheuch für den Deutschen Bundestag – ein wenig zu polemisch – festgestellt haben: „Der Bundestag wird dominiert von Funktionären, Lehrern und Verwaltungsbeamten – eine Einseitigkeit, die eine Verselbstständigung der Mentalität der politischen Klasse begünstigt.“ (Scheuch/Scheuch 1995: 143)
Zudem taucht immer wieder die Frage auf, ob und in welchem Umfang berufliche Erfahrungen für die Amts- oder Mandatsübung benötigt werden. Von den Kritikern der Parteien und Berufspolitiker wird häufig darauf verwiesen, dass spätere professionelle Politiker ausreichend berufliche Erfahrungen mitbringen müssen, um ihr Amt oder Mandat sinnvoll ausüben zu können (vgl. Scheuch/Scheuch 1995: 143). Das sieht nicht nur der überwiegende Teil der Bürger in Meinungsumfragen so (vgl. Scheuch/ Scheuch 1995: 143), sondern auch die Abgeordneten selbst. Best und Jahr haben herausgefunden, dass der berufliche Hintergrund für die Abgeordneten in den Parlamenten als essentiell wichtig eingestuft wird (vgl. Best/Jahr 2006: 71f). Die Frage nach dem Verhältnis der Zeit im privaten Beruf und der Phase der Berufspolitik ist auch vor dem
105
Hintergrund der Professionalisierungsdebatte (vgl. Abschnitt 2.2) von Bedeutung. Für Golsch stellt sich der Zusammenhang folgendermaßen dar: „Der Grad der Professionalisierung von Abgeordneten wird ganz wesentlich durch das Verhältnis von beruflicher und politischer Tätigkeit determiniert. Um es in eine These zuzuspitzen: Je kürzer die berufliche Tätigkeit des Abgeordneten ist und je früher er somit in eine hauptamtliche Position im politischen Sektor überwechselt, desto dominanter ist die politische Komponente in seiner Laufbahn, und um so höher ist der Grad seiner Professionalisierung.“ (Golsch 1998: 123)
Im Folgenden werden daher sowohl die Berufsfelder als auch der Zusammenhang zwischen beruflicher Laufbahn und politischer Tätigkeit untersucht.
5.3.2 Berufseinstieg Zunächst wird dabei ein Blick auf den Zeitpunkt des Berufseinstiegs geworfen. Nachdem bereits in Abschnitt 4.4 darauf hingewiesen wurde, dass fast alle (92,5 %) Spitzenpolitiker einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss erworben haben, liegt die Vermutung nahe, dass der Eintritt in das Erwerbsleben relativ spät erfolgt. Die politischen Spitzenkräfte wurden daher gefragt, in welchem Jahr sie ihre erste hauptamtliche berufliche Tätigkeit aufgenommen haben. Die Befragten wurden dazu aufgefordert, nur Tätigkeiten in Betracht zu ziehen, die mindestens halbtags ausgeführt wurden. Berufslehre, Referendariat oder berufliches Praktikum blieben in diesem Zusammenhang unberücksichtigt. Die Antworten schwankten zwischen 17 und 35, der Durchschnitt lag bei knapp 26 (25,8) Jahren. Die Folgen der Akademisierung der politischen Elite sind an dieser Stelle offensichtlich. Der Altersschnitt liegt in einem Bereich, in dem man üblicherweise das Studium abschließt. Bei den Nachwuchspolitikern findet man ähnlich gelagerte Werte. Der Durchschnittswert liegt in dieser Gruppe bei knapp 25 (24,6) Jahren. Tabelle 17: Alter bei erster beruflicher Tätigkeit Alter
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
N
%
kum. %
N
%
kum. %
20 oder jünger 21 bis 25 26 bis 30 31 oder älter
13 47 64 10
9,7 35,1 47,8 7,5
9,7 44,8 92,5 100,0
14 30 33 4
17,3 37,0 40,7 4,9
17,3 54,3 95,1 100,0
Gesamt
134
100,0
81
100,0
106
In Tabelle 17 kann man erkennen, dass nur ein geringer Anteil der hochrangigen Politiker vor dem 21. Lebensjahr einer beruflichen Vollzeitbeschäftigung nachgingen. Lediglich knapp 10 Prozent Spitzenpolitiker fallen in diese Kategorie. Dagegen waren mehr als die Hälfte der Spitzenpolitiker 26 Jahre oder älter, als sie zum ersten Mal eine hauptberufliche Beschäftigung ausübten. Bei den Nachwuchspolitikern zeigen sich ähnliche Häufigkeitsverteilungen. Allerdings haben sie mehr Personen in ihren Reihen, die bereits vor dem 20. Lebensjahr berufstätig waren. Auch in der Kategorie „21 bis 25 Jahre“ finden sich mehr Personen als dies bei den Spitzenpolitikern der Fall war. Mögliche Ursachen für diesen Rückgang sind die Verkürzung der gymnasialen Schulzeiten oder die Entwicklung, dass immer weniger junge Männer Wehr- oder Zivildienst ableisten müssen. Größere Unterschiede zwischen den Parteien sind mit Ausnahme von „Die Linke“ nicht auszumachen. Deren Spitzenpolitiker steigen bereits mit gut 23 Jahren ins Berufsleben ein und sind damit im Vergleich mit allen anderen Parteien die jüngsten.15 Im Sinne der verlaufssoziologischen Betrachtung soll im Folgenden der Berufseinstieg in Beziehung zum Eintritt in eine politische Partei und der Übernahme erster Parteiämter gesetzt werden. Obwohl innerparteiliche Verlaufsprozesse detailliert erst im nächsten Abschnitt untersucht werden, lohnt es sich vor dem Hintergrund der Herzogschen Vorgehensweise das Verhältnis zwischen beruflicher Laufbahn und politischer Karriere bereits an dieser Stelle zu beleuchten. Blickt man zunächst auf die Zeitdifferenz zwischen dem Einstieg ins Berufsleben und dem Parteieintritt, fällt auf, dass die politische Aktivierung in Form des Beitritts zu einer politischen Partei im Schnitt erst nach dem Beginn der Berufslaufbahn stattfindet, im Schnitt nach 1,2 Jahren. Die politischen Youngsters weisen dagegen – wenig überraschend – ein anderes Muster auf. Sie werden im Schnitt knapp fünf Jahre (4,9) vor dem Start der beruflichen Karriere 15 Dieser Mittelwertvergleich und alle noch folgenden stützt sich auf einen Post-Hoc-SpannweitenTest und paarweise multiple Vergleiche. Dabei wurde geprüft, welche Mittelwerte sich statistisch voneinander unterscheiden. Spannweitentests ermitteln homogene Untergruppen von Mittelwerten, die nicht voneinander abweichen. Als Verfahren wurde in allen Fällen der Test nach Scheffé gewählt. Die Scheffé-Prozedur führt gemeinsame paarweise Vergleiche gleichzeitig für alle möglichen paarweisen Kombinationen der Mittelwerte durch. Sie verwendet die FStichprobenverteilung. Dieser Test kann verwendet werden, um nicht nur paarweise Vergleiche durchzuführen, sondern alle möglichen linearen Kombinationen von Gruppenmittelwerten zu untersuchen. Allerdings stellt sich bei dem gewählten Untersuchungsdesign generell die methodisch umstrittene Frage, ob man bei einer als Vollerhebung angelegten Befragung auf Signifikanzen achten muss (vgl. Behnke 2005; Behnke 2007; Broscheid/Gschwend 2003). Dieser wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung wurde Rechnung getragen, indem Signifikanztests durchgeführt wurden. Aufgrund der Umstrittenheit dieses Verfahrens wurde darauf verzichtet, die Testergebnisse bei jedem Mittelwertvergleich darzustellen.
107
(die häufig eine politische ist) Mitglied einer Partei. Wie man in Tabelle 18 sieht, ergibt eine kategorisierte Betrachtung ein sehr differenziertes Bild. Die Werte in der Gruppe der Spitzenpolitiker streuen sehr stark. Es finden sich sowohl Spitzenpolitiker die bereits sehr lange vor ihrer ersten hauptberuflichen Tätigkeit Parteimitglied wurden, als auch Politiker, die sich erst nach einer längeren beruflichen Karriere dazu entschlossen, einer Partei beizutreten. Der Entschluss zu einer Parteimitgliedschaft scheint weniger von den Bedingungen der jeweiligen beruflichen Entwicklungsphase abzuhängen (vgl. Herzog 1975: 101). Tabelle 18: Zeitdifferenz zwischen Parteieintritt und Berufsbeginn (in Jahren) Zeitdifferenz
Spitzenpolitiker kum. N % %
Nachwuchspolitiker kum. N % %
Parteieintritt vor Berufsbeginn: 10 Jahre oder früher
16
12,1
12,1
13
16,3
16,3
Parteieintritt vor Berufsbeginn: 9 bis 5 Jahre
27
20,5
32,6
32
40,0
56,3
Parteieintritt vor Berufsbeginn: 4 bis 0 Jahre (zeitgleich)
33
25,0
57,6
28
35,0
91,3
Parteieintritt nach Berufsbeginn: 1 bis 5 Jahre
26
19,7
77,3
5
6,3
97,5
Parteieintritt nach Berufsbeginn: 6 bis 10 Jahre
5
3,8
81,1
1
1,3
98,8
Parteieintritt nach Berufsbeginn: 11 Jahre oder später
25
18,9
100,0
1
1,3
100,0
Gesamt
132
100,0
80
100,0
Die starke Streuung ist auch innerhalb der Parteien zu beobachten. Dennoch lässt sich konstatieren, dass Politiker der Grünen (Mittelwert: +4,9), der Linken (+3,0) und der SPD (+1,8) tendenziell nach einer beruflichen Saturierung Parteimitglied werden, während dies bei den bürgerlichen Parteien CDU (+0,7), CSU (-0,6) und der FDP (-2,1) im Schnitt früher der Fall ist. Diesen Unterschied zwischen links und rechts stellte Herzog bereits in seiner Studie mit Hinblick auf SPD und CDU fest (vgl. Herzog 1975: 102). Nach Herzog setzte eine erfolgreiche Kandidatur für eine Position innerhalb der Partei oder in öffentlichen Wahlen eine weitgehend gesicherte Berufsposition voraus (vgl. Herzog 1975: 101). Demnach würden Spitzenpolitiker erst nach einer gewissen Zeit im Beruf innerparteiliche Funktionen übernehmen. Dies bildet den Kern seiner „Standard-Karriere“. Im Durchschnitt vergehen vom Start der Berufslaufbahn knapp fünf Jahre (4,8), ehe der spätere Spitzenpolitiker sein erstes Amt innerhalb der Partei übernimmt. Dies würde die These Herzogs bestätigen, dass die politische Karriere eine zweite Karriere nach einer beruflichen 108
Laufbahn ist. Blickt man auf die kategorisierte Häufigkeitsverteilung, muss man dies allerdings teilweise relativieren. In Tabelle 19 wird offensichtlich, dass für über ein Drittel der Spitzenpolitiker (34,5 %) diese Sukzession von beruflicher und politischer Karriere nicht festgestellt werden kann. Diese Politiker sind in ihrer Partei bereits in Führungsverantwortung, ehe sie in ihren Beruf einsteigen. Bei den jungen Abgeordneten ist dies noch häufiger Fall. Es wird noch gezeigt werden, dass für sie die Politik oft der erste Beruf ist. Dies ist wiederum nur möglich, wenn sie bereits innerhalb ihrer Partei aufgestiegen sind. Im Schnitt 3,3 Jahre vor ihrer ersten beruflichen Tätigkeit treten die politischen Youngsters ihr erstes Amt in der Partei an. Über 85 Prozent der Mitglieder der Kontrastgruppe hatten bereits ein Parteiamt übernommen, ehe sie hauptamtlich berufstätig wurden. Tabelle 19: Zeitdifferenz zwischen dem erstem Parteiamt und dem Berufsbeginn Zeitdifferenz Erstes Parteiamt vor Berufsbeginn: 10 Jahre oder früher Erstes Parteiamt vor Berufsbeginn: 9 bis 5 Jahre Erstes Parteiamt vor Berufsbeginn: 4 bis 0 Jahre (zeitgleich) Erstes Parteiamt nach Berufsbeginn: 1 bis 5 Jahre Erstes Parteiamt nach Berufsbeginn: 6 bis 10 Jahre Erstes Parteiamt nach Berufsbeginn: 11 Jahre oder später Gesamt
Spitzenpolitiker kum. N % %
Nachwuchspolitiker kum. N % %
4
3,4
3,4
7
9,6
9,6
17
14,7
18,1
21
28,8
38,4
19
16,4
34,5
35
47,9
86,3
31
26,7
61,2
6
8,2
94,5
17
14,7
75,9
2
2,7
97,3
28
24,1
100,0
2
2,7
100,0
116
100,0
73
100,0
5.3.3 Politik als Beruf Von zentraler Bedeutung ist die Phase des Wechsels in die Berufspolitik. Dieser für die weitere politische Karriere oft entscheidende Karriereschritt verdient besondere Aufmerksamkeit. Er ist ein Meilenstein einer erfolgreichen politischen Laufbahn und oft ein „point of no return“ für Berufspolitiker. Aufgrund der Attraktivität politischer Ämter und Mandate und den hohen Wiederwahlchancen bleiben Personen oft bis zur ihrer Pensionierung in der Politik. Sie leben nach der individuellen politischen Professionalisierung „von der Politik“ und nicht
109
mehr ausschließlich „für die Politik“. Herzog liefert noch ein weiteres Argument, wieso ein Wechsel zurück in den privaten Beruf selten zu beobachten ist. Er illustriert den Prozess des „cross over“ in die Berufspolitik mit dem Bild einer Schere: „Je länger eine politische Karriere andauert und je höher sie in die politische Ämterhierarchie führt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr in den privaten Beruf. Das ‚objektive’, also in der gesellschaftlichen Bedingungen liegende Gründe, aber auch ‚subjektive’, die mit den Motivationen des einzelnen Politikers zusammenhängen.“ (Herzog 1990: 40)
Die Schere öffnet sich aufgrund dieser beiden Gründe. Zum einen können sich die Bedingungen im privaten Beruf so verändern, dass eine Rückkehr schwierig ist. Neue berufliche Aufgaben, Standards oder Qualifikationsanforderungen verändern den einstigen Arbeitsplatz womöglich so stark, dass es kein Zurück in den privaten Beruf mehr geben kann. Selbst wenn die Rückkehr vom einzelnen Politiker gewünscht und prinzipiell möglich wäre, würde es schwierig sein, sich in die veränderten Bedingungen wieder einzufügen. Zum anderen hat der Berufspolitiker häufig nach einer relativ kurzen Zeit seine Lebensweise und womöglich die seiner Familie den Bedingungen der politischen Tätigkeit angepasst – oft verbunden mit neuen Freundeskreisen, möglicherweise eine neue Wohngegend, etc. Diese beiden Prozesse führen zu einer „Entfremdung“ (Herzog 1990: 40) vom ehemaligen privaten und beruflichen Leben, was wiederum die Abhängigkeit, von der Politik leben zu müssen, weiter erhöht. Dies bewirkt eine weitere Öffnung der Schere. Der verlaufsoziologischen Betrachtung folgend wird zunächst das Alter der Politiker beim Wechsel in die Berufspolitik betrachtet. Stimmt die These von der Politik als einer zweiten Laufbahn nach einer erfolgreichen Periode im privaten Beruf, dann müsste sich das am Alter beim Cross Over ablesen lassen. Im Durchschnitt wechseln die Spitzenpolitiker im Alter von 39,3 Jahren in die Berufspolitik. Dieser doch relativ hohe Mittelwert bestätigt die These von der politischen Laufbahn als einer zweiten Karriere nach der privat-beruflichen. Allerdings gibt es auch Abweichungen dieser generellen Regel. Der älteste Spitzenpolitiker, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Sächsischen Landtag, Prof. Dr. Cornelius Weiss, war bei Antritt seines Landtagsmandats und dem damit verbundenem Wechsel in die Berufspolitik 66 Jahre alt. Dagegen war der Vorsitzende der Fraktion „Die Linke“ im Berliner Abgeordnetenhaus, Stefan Liebich, bei seiner erstmaligen Wahl in das Landesparlament 23 Jahre alt – 43 Jahre jünger als Cornelius Weiss. Diese enorme Spannweite legt nahe, die Häufigkeitsverteilung des Eintrittsalters in die Berufspolitik genauer zu untersuchen (vgl. Tabelle 20). Die Verteilung macht deutlich, dass jeder zweite Spitzenpolitiker im Alter zwischen 31 und
110
40 Jahren beginnt, von der Politik zu leben. 13,4 Prozent wechseln im Alter von 21 bis 30 Jahren in die bezahlte Politik, dagegen ist über ein Drittel der politischen Führungskräfte bei diesem bedeutenden Karriereschritt 41 Jahre oder sogar älter. Diese Zahlen legen die Vermutung nahe, dass Herzogs Aussagen über die Berufspolitik als eine zweite Karriere nach einer erfolgreichen Laufbahn im privaten Beruf immer noch zutreffen. Für die jungen Abgeordneten, die im Schnitt mit 27,3 in die hauptamtliche Politik wechselten, gilt dies nicht. Da sie bereits sehr früh Mitglied im Bundestag oder den Landesparlamenten wurden, liegt es auf der Hand, dass sie keine oder nur sehr kurze Zeit in einem Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Berufspolitik tätig waren. Tabelle 20: Alter beim Wechsel in die Berufspolitik (erstes Amt oder Mandat) Spitzenpolitiker
Alter
Nachwuchspolitiker
N
%
kum. %
N
%
20 oder jünger
_
_
_
5
6,2
kum. % 6,2
zwischen 21 und 30
18
13,4
13,4
57
70,4
76,5
zwischen 31 und 40
66
49,3
62,7
19
23,5
100,0
zwischen 41 und 50
31
23,1
85,8
_
_
_
zwischen 51 und 60
18
13,4
99,3
_
_
_
61 Jahre und älter
1
0,7
100,0
_
_
_
134
100,0
81
100,0
Gesamt
Da die Frage nach den beruflichen Vorerfahrungen von Politikern immer wieder bei Debatten über das Berufspolitikertum diskutiert wird, stellt Tabelle 21 die Dauer der beruflichen Betätigung vor dem Wechsel in alimentierte politische Ämter und Mandate dar. Tabelle 21: Dauer der Berufstätigkeit vor dem Wechsel in die Berufspolitik Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
Dauer N
%
kum. %
N
%
kum. %
0 bis 5 Jahre
30
22,4
22,4
64
79,0
79,0
6 bis 10 Jahre
30
22,4
44,8
13
16,0
95,1
11 bis 15 Jahre
27
20,1
64,9
4
4,9
100,0
16 bis 20 Jahre
15
11,2
76,1
0
0,0
__
über 20 Jahre
32
23,9
100,0
0
0,0
__
Gesamt
134
100,0
__
81
100,0
__
111
Die Ergebnisse rücken das Zerrbild von Politikern, die angeblich häufig keinerlei Erfahrungen aus ihrem erlernten und ausgeübten Beruf in ihre politische Arbeit als Amts- oder Mandatsträger einbringen können, deutlich zurecht. Dies trifft lediglich im großen Umfang für die Gruppe der Nachwuchspolitiker zu, verwundert für diese jedoch nicht, da sie aufgrund ihres Alters ausgewählt wurden. Allerdings kann auch in der Kontrastgruppe jeder fünfte Nachwuchspolitiker auf eine Berufserfahrung von mehr als fünf Jahren zurückblicken. Die Zahlen für die Gruppe der deutschen Top-Politiker widersprechen der These vom fehlenden beruflichen Erfahrungsschatz. Lediglich 22,4 Prozent der Inhaber politischer Führungspositionen waren fünf Jahre oder weniger berufstätig, ehe sie von der Berufspolitik leben konnten. Dagegen war knapp ein Viertel (23,9 %) der Spitzenpolitiker sogar mehr als 20 Jahre beruflich tätig, bevor ihnen der Wechsel in den Sektor Berufspolitik gelang. Im Schnitt waren die Spitzenpolitiker 13,5 Jahre berufstätig, ehe sie erstmalig ein bezahltes politisches Amt oder Mandat antraten. Die Forderung von Erwin und Ute Scheuch, dass Kandidaten für ein öffentliches Amt nur dann wählbar sein sollen, „wenn sich über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren in einem Beruf bewährt haben, der den eigenen Lebensunterhalt voll deckt“ (Scheuch/Scheuch 1992: 123), wird voll erfüllt. Die bereits mehrfach konstatierten Parteiunterschiede treten auch an dieser Stelle wieder zutage. So sind SPD-Politiker beispielsweise im Schnitt knapp 16 (15,9) Jahre vor dem Wechsel berufstätig, grüne Spitzenkräfte dagegen nur knapp 11 (10,9) Jahre. Neben dem Unterschied zwischen Parteien erlauben die Daten auch die Analyse von Kohorteneffekten. Dabei kann man der häufig diskutierten Frage nachgehen, ob gerade jüngere Politikergenerationen eher den Schritt in die bezahlte Politik wagen und daher nicht mehr in einem größeren Umfang Erfahrungen im privaten Beruf gesammelt haben. Tabelle 22 legt die Vermutung nahe, dass der Zeitpunkt des Berufseinstiegs in den älteren Alterskohorten später erfolgte als dies bei jüngeren Politiker-Generationen der Fall war. Die MittelwertVergleiche zeigen, dass jüngere Kohorten niedrigere Werte aufweisen. Spitzenpolitiker der Alterskohorte I (die Geburtsjahrgänge bis 1944) waren beim Cross Over in die Berufspolitik 44,4 Jahre alt, Spitzenpolitiker der Kohorte IV dagegen nur 28,2 Jahre. Je jünger die späteren Spitzenpolitiker beim Wechsel in die Berufspolitik sind, desto weniger Zeit haben sie in privaten Berufen verbringen können. Daher zeigt sich der Generationeneffekt auch bei der Variablen „Dauer der beruflichen Tätigkeit vor dem Wechsel in die Berufspolitik“. Die Unterschiede zwischen den Kohorten sind zwar offensichtlich, dennoch muss man bei weitergehenden Schlussfolgerungen Vorsicht walten lassen. Neben der Problematik der geringen Fallzahlen sollte man nicht aus den Augen
112
verlieren, dass mit der Zugehörigkeit zu einer jüngeren Politikergeneration auch die Möglichkeit schwindet, einen späten Einstieg in die Berufspolitik und damit einen längeren Zeitraum im privaten Beruf hinter sich zu haben. An der Stelle droht die Gefahr einer tautologischen Erklärung. Zudem kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob die jüngeren Spitzenpolitiker in dieser Gruppe bleiben und nicht gegebenenfalls durch ältere Jahrgänge verdrängt werden. Ihr Verbleib in der Gruppe der Spitzenpolitiker ist keineswegs gesichert – zumal sich die jüngeren Politiker vor allem in den legislativen Teilgruppen wieder finden und damit nicht auszuschließen ist, dass sie ihre Karriere womöglich eher auf die hinteren Ränge des Parlaments als in exekutive Spitzenpositionen führt. Tabelle 22: Einstieg in die Berufspolitik nach Alterskohorten
Alterskohorten
Alter bei erster politischer Tätigkeit
Dauer der privatberuflichen Tätigkeit vor Cross Over in Jahren
bis 1944
MW N
44,4 22
17,5 22
1945 - 1954
MW N
43,3 49
17,7 49
1955 - 1964
MW N
35,4 54
9,7 54
1965 - 1974
MW N
28,2 9
3,0 9
Gesamt
MW N
39,3 134
13,5 134
Dass Herzog mit seiner oben skizzierten Metapher einer Schere zwischen privatem und politischem Beruf Recht hat, lässt sich aus den Zahlen in Tabelle 23 ablesen. Obwohl die Mitglieder der politischen Elite in Deutschland in erheblichem Umfang berufliche Erfahrungen vor der Übernahme eines hauptamtlichen politischen Amtes oder Mandats vorweisen können, ist der Anteil der Berufspolitik in Bezug zum gesamten Erwerbsleben der Befragten relativ hoch. Zum Zeitpunkt der Befragung betrug dieser Anteil im Schnitt 50 Prozent. Dies bedeutet, dass die Spitzenpolitiker des Jahres 2006 die Hälfte ihres gesamten beruflichen Lebens im Sektor der Politik verbracht haben. Der Grund für diesen hohen Wert ist offensichtlich darin zu sehen, dass sich Politiker gemäß dem Scherenbild immer mehr von ihrem ursprünglichen und durchaus über längere Zeit ausgeüb-
113
ten privaten Beruf entfernen und der Rest ihres beruflichen Wirkens im Sektor Berufspolitik angesiedelt ist. Tabelle 23: Anteil der Berufspolitik am gesamten Erwerbsleben Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
Anteil der Berufspolitik
N
%
kum. %
N
%
kum. %
0 - 20%
21
15,7
15,7
16
19,8
19,8
21 - 40%
30
22,4
38,1
12
14,8
34,6
41 - 60%
31
23,1
61,2
5
6,2
40,7
61 - 80%
35
26,1
87,3
9
11,1
51,9
81 - 100%
17
12,7
100,0
39
48,1
100,0
Gesamt
134
100,0
81
100,0
Tabelle 23 zeigt jedoch auch, dass knapp 40 Prozent der Spitzenpolitiker einen Anteil der Berufspolitik an ihrem bisherigen Erwerbsleben von 40 Prozent oder weniger hatten. Diese Fälle würden dem Bild eines Politikers widersprechen, der ohne ausreichende Erfahrungen außerhalb der Politik die Geschicke des Bundes oder der Länder mitbestimmt. Dagegen überwiegt bei der Kontrastgruppe der jungen Abgeordneten eher ein Politikertyp, der von Anfang an als politischer Professional zu bezeichnen ist. Knapp jeder Zweite (48,1 %) weist einen Anteil der Berufspolitik am gesamten Erwerbsleben zwischen 81 und 100 Prozent auf.
5.3.4 Rekrutierungsfelder und Berufssektoren Der Großteil der Spitzenpolitiker kann auf eine längere Karriere im privaten Beruf zurückblicken. An dieser Stelle muss sich die Frage anschließen, in welchen beruflichen Sektoren diese Erfahrungen gesammelt wurden. Allerdings existieren unterschiedlichste Schemata beruflicher Kategorisierungen, deren Verwendung wohl entscheidend vom Erkenntnisinteresse des Forschers abhängt (vgl. Deutsch/Schüttemeyer 2003: 21). In der Parlamentssoziologie werden häufig die Kategorien verwendet, die vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages zu Beginn der siebziger Jahre entwickelt wurden (vgl. Hess 1995: 567f; Müller 1988a: 21-28; Schindler 1994: 273). Diese eignen sich aber nur bedingt für eine Analyse im Rahmen einer Karrierestudie. Diese Abgeordneten-Berufsstatistiken gründen sich auf den erkennbaren, abgrenzbaren Hauptberuf im Sinne der Erwerbsstellung vor der erstmaligen Ausübung eines Mandats (vgl. Hess 1985: 584; Hess 114
1989: 745). Dies lässt jedoch die Betrachtung der gesamten beruflichen Laufbahn außer Acht. Die eigentliche berufliche Provenienz tritt dabei oft nicht zu Tage. Es wird häufig lediglich eine kurze Phase aus dem beruflichen Werdegang der Politiker vermittelt. Die Kategorisierung hat zudem weitere methodische Schwächen. So fehlt zum Beispiel die Kategorie des Berufspolitikers. Deutsch und Schüttemeyer verweisen auf das interessante Beispiel Krista Sager, die als erste Abgeordnete „Politikerin“ als ihren erlernten Beruf angab (vgl. Deutsch/Schüttemeyer: 2003: 23). Die beiden Autorinnen geben auch zu bedenken, dass die vor Jahrzehnten entwickelten Kategorien nicht mehr ganz der heutigen Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesrepublik entsprechen. So gehörten Lehrer beispielsweise nicht mehr zwangsläufig in die Gruppe der Beamten, sondern müssten vielmehr – vor allem zu Beginn ihrer Beschäftigung – in der Gruppe der Angestellten des öffentlichen Dienstes eingeordnet werden. Im Folgenden werden daher anstelle der parlamentarischen Standard-Berufskategorien die beruflichen Sektoren der Politiker ausgewiesen. Die Vorgehensweise lehnt sich an die Mannheimer Elitestudien an und hat den Vorteil, dass der gesamte berufliche Werdegang der Befragten erfasst wird und nicht nur die Berufsbetätigung vor der erstmaligen Mandatsausübung.16 Zunächst soll untersucht werden, aus welchem Sektor sich die Spitzenpolitiker der Bundesrepublik rekrutieren, und wie viele Sektoren sie bis zum Cross Over in die Berufspolitik durchlaufen haben. Beim Merkmal „Beruflicher Sektor vor dem Wechsel in die Berufspolitik“, welches die Rekrutierungsfelder der späteren Spitzenpolitiker, identifiziert wurden nur Tätigkeiten berücksichtigt, die zumindest halbtags ausgeübt wurden. Dabei wurde deutlich, dass Spitzenpolitiker ohne jede Berufserfahrung die absolute Ausnahme bilden. Lediglich vier hochrangige Politiker konnten vor dem Beginn ihrer Berufspolitiker-Laufbahn keinerlei berufliche Vorerfahrungen aufweisen (vgl. Tabelle 24). Auch an dieser Stelle bedarf das Zerrbild des Berufspolitikers, der sein komplettes Berufsleben nur in der Sphäre der Politik verbringt, der Korrektur. Mit Blick auf die Rekrutierungsfelder steht häufig die Behauptung im Raum, dass vor allem der öffentliche Sektor das dominierende Reservoir für Berufspolitiker darstellt. Wessels beziffert den Anteil der vormals im öffentlichen Dienst beschäftigten Bundestagsabgeordneten auf 45 Prozent und begründet diesen hohen Anteil mit der von Max Weber postulierten „Abkömmlichkeit“ 16 Den Befragten wurde eine Liste mit 25 Sektoren vorgelegt. Die Befragten wurden gebeten, ihren kompletten beruflichen Werdegang inklusiver Unterbrechungen (zum Beispiel durch Wehrdienst oder berufliche Weiterbildungen) anzugeben, in dem sie den Kenn-Buchstaben des jeweiligen Sektors und die Zeit, die sie in diesem Sektor verbracht haben, in den Fragebogen eintragen sollten.
115
dieser Personengruppe (vgl. Wessels 1997: 84). Auch Patzelt teilt diese Sicht und kommt in seiner Untersuchung auf einen fast identischen Anteil: „Klar zeigt sich dabei, dass in Deutschlands Parlamenten die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes in der Überzahl sind. Rechnet man zu den rund 21 % Verwaltungs- und technischen Bediensteten die rund 23 % Abgeordneten aus Lehrberufen hinzu, so kommt man auf 44 % Parlamentarier, welche die gesellschaftliche Wirklichkeit vor allem aus der Perspektive des – meist juristisch geprägten – Verwalters bzw. Lehrers kennen.“ (Patzelt 1999: 253)
Die vorliegenden sektoralen Ergebnisse kann man nur bedingt mit den Zahlen aus der Parlamentssoziologie vergleichen. Die Befragten konnten beispielsweise die Kategorie „Öffentlicher Dienst“ nicht angeben. Die öffentlich Bediensteten verteilen sich auf verschiedene Sektoren – sie können nicht nur in den Sektoren „Öffentliche Verwaltung“ (des Bundes, der Länder oder der sonstigen Verwaltung) zu finden sein, sondern zum Beispiel als Richter oder Staatsanwalt im Sektor Justiz, als Lehrer im Sektor Bildung oder als Professor im Sektor Wissenschaft. Dennoch lassen sich gerade aus der sektoralen Beobachtung bemerkenswerte Informationen ablesen. Als häufigster Sektor wurde der Bereich der Bildung und der Wissenschaft (zu dem auch die wenigen Medienvertreter gezählt wurden) genannt. Knapp jeder vierte Spitzenpolitiker (22,4 %) kam bei seinem Wechsel in die Berufspolitik aus diesem Sektor. Verwaltung (und das selten genannte Militär) liegt bei den häufigsten Rekrutierungsfeldern auf Platz zwei. Auf den weiteren Plätzen folgt der Bereich der Justiz (15,7 %), zu dem auch die freiberuflichen Rechtsanwälte gezählt wurden, und der Sektor Wirtschaft (13,4 %). Tabelle 24: Berufssektor vor der Übernahme des ersten Amts oder Mandats Berufssektor vor Wechsel in Amt oder Mandat
N
keine Berufserfahrung vor Mandat
4
% 3
Hauptamtlich in der Politik
15
11,2
Verwaltung und Militär
24
17,9
Justiz
21
15,7
Wirtschaft
18
13,4
Verbände und Dritter Sektor
17
12,7
Wissenschaft und Bildung, Medien
30
22,4
Sonstiger Sektor, Unterbrechung
5
3,7
134
100
Gesamt
Mit dieser sektoralen Betrachtung lässt sich darüber hinaus erforschen, ob die Angestellten und Mitarbeiter von Politiker, Parteien, Fraktionen oder Stiftungen 116
tatsächlich ein bedeutendes Rekrutierungsfeld darstellen, wie dies häufig behauptet wird (vgl. Borchert/Golsch 1999: 130). Welchen Umfang dieses Rekrutierungsgebiet hat, kann man bereits an der Zahl der persönlichen Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten ablesen. Lag sie 1969 noch bei 312, so beschäftigten die MdBs 1991 bereits 2.329 Mitarbeiter (vgl. Schindler 1994: 1282). Pilz bezifferte die Gesamtzahl der Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten am Parlamentssitz und in den Wahlkreisen aktuell auf etwa 4.000 (vgl. Pilz 2004: 667). Die vorliegenden Zahlen für deutsche Spitzenpolitiker lassen an der These zweifeln, dass zahlreiche Mitarbeiter den Schreibtisch ihrer Abgeordneten verlassen, um selbst auf dem Abgeordnetenstuhl Platz zu nehmen. Lediglich 11 Prozent der Spitzenpolitiker waren vor dem Wechsel in hauptamtliches politisches Amt oder Mandat im Sektor Politik als Mitarbeiter oder Partei- oder Fraktionsangestellter beschäftigt. Es lohnt sich, bei dieser Frage einen Blick auf die Kontrastgruppe der jungen Abgeordneten zu werfen, da in dieser Gruppe in noch größerem Maße diese Karrieresequenz vermutet wurde: „Im Übrigen offenbart sich hier auch ein zentrales Karrieremuster: Gerade jüngere Abgeordnete nutzen die Arbeit bei Fraktionen, Parteien – oder und dies gewinnt an Bedeutung – bei Bundestagsabgeordneten als Sprungbrett für eine politische Karriere.“ (Deutsch/Schüttemeyer 2003: 28)
Für die im Rahmen dieser Untersuchung ausgewählten jungen Landtags- und Bundestagsabgeordneten trifft dies nicht zu. Knapp die Hälfte (44,4 %) waren vor der Übernahme des Mandats gar nicht berufstätig. Sie bilden den Kern der politischen Professionals, die „materiell gebunden und psychologisch adaptiert an den politischen Beruf als ihrer einzigen, gewöhnlichen lebenslangen Einkommensquelle“ (Herzog 1990: 41) sind. Sie „strebten unmittelbar nach Beendigung der Ausbildungsphase in eine hauptamtliche politische Tätigkeit, suchten demnach von vornherein die Betätigung in einem politischen Beruf. Allein aufgrund dieser Tatsache können sie bereits als professionelle Politiker par excellence bezeichnet werden“ (Golsch 1998: 129). Knapp jeder fünfte Jungparlamentarier (19,8 %) wechselte aus dem Bereich der Wirtschaft in die Vollzeit-Politik. Dagegen waren lediglich 8,9 Prozent zuvor im Sektor Politik beschäftigt, ohne ein hauptberufliches Amt oder Mandat auszuüben. Ebenfalls von Interesse ist die Frage, inwieweit der so genannte „Dritte Sektor“ als Rekrutierungsreservoir angesehen werden kann. Der Dritte oder auch Nonprofit-Sektor umfasst nach einer Definition von Priller und Zimmer alle diejenigen Organisationen, „die formell strukturiert, organisatorisch unabhängig vom Staat und nicht gewinnorientiert sind, eigenständig verwaltet werden sowie keine Zwangsverbände darstellen“ (Priller/Zimmer 2001: 11). Das enorme Potential dieses Sektors kann man an den Ergebnissen der Untersuchungen der
117
beiden Autoren zum Umfang dieses Beschäftigungsfeldes ablesen. 1995 waren in den über 400.00 Nonprofit-Organisationen rund 2,1 Millionen Bundesbürger beschäftigt (vgl. Priller/Zimmer 2001: 17ff). Christiane Frantz stellt in ihrer Untersuchung zu den Karriereverläufen hauptamtlich Beschäftigter in NichtRegierungsorganisationen (NGOs) fest, dass sich diese Personengruppe einen Wechsel in den parlamentarischen Bereich und damit eine weitere Karriere nach ihrer NGO-Hauptberuflichkeit durchaus vorstellen kann. Empirisch bestätigen kann sie jedoch derartige Positionsveränderungen nicht: „Es gibt Beispiele für cross over im Sample, doch sowohl die Berufsverläufe als auch die Wahrnehmungen der NGO-Hauptamtlichen stützen die Interpretation, dass das NGO-Netzwerk ein weitgehend abgeschlossenes Berufsfeld darstellt.“ (Frantz 2005: 69)
Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den Zahlen in Tabelle 24. Lediglich 12,7 Prozent der Spitzenpolitiker waren vor ihrem Cross Over in die Berufspolitik in der Verbändelandschaft oder im so genannten Dritten Sektor tätig. Bei den jüngeren Abgeordneten sinkt dieser Anteil auf 5,9 Prozent. Trotz der nicht zu leugnenden Politik- und Staatsnähe dieses Sektors ist seine Rolle als Karrieresprungbrett nicht stark ausgeprägt. Die sektorale Betrachtung des beruflichen Hintergrunds erlaubt es, die Zahl der durchlaufenen Sektoren zu analysieren. Knapp die Hälfte (45,5 %) der TopPolitiker lernt einen Sektor außerhalb Berufspolitik kennen. Jeder fünfte Spitzenpolitiker kann berufliche Erfahrungen in zwei unterschiedlichen Sektoren aufweisen, ehe er dem Ruf der Berufspolitik folgt. Immerhin noch gut 17 Prozent der Spitzenpolitiker waren vor dem Cross Over in drei Berufssektoren tätig. Eher selten wechseln spätere Spitzenpolitiker nach dem Durchlaufen von vier (7,5 %) oder fünf (5,2 %) Sektoren in die Politik. Bei den jungen Politikern ergibt sich – wenig überraschend – ein anderes Bild. 44,4 Prozent der politischen Youngsters hatte keinerlei Berufserfahrung vor dem Sprung in ein Landesparlament oder den Deutschen Bundestag. Knapp 40 Prozent waren in einem Sektor berufstätig, ehe sie sich für eine politische Karriere entschieden. Das Durchlaufen mehrerer Sektoren ist dagegen eher selten zu beobachten. Ein weiterer Vorteil der sektoralen Analyse des beruflichen Werdegangs der politischen Elite besteht darin, die Kontinuität in den politischen Karrieren der Spitzenpolitiker zu untersuchen. Die Frage ist an dieser Stelle, wie häufig es zu Karrierebrüchen kommt, d.h. wie oft Politiker gezwungen werden, für eine gewisse Zeit die Arena der Berufspolitik zu verlassen. Im Gegensatz zu einer privaten Berufstätigkeit, die häufig vom Berufseintritt bis zum Ausscheiden ohne Unterbrechung verläuft, können politische Karrieren prinzipiell an jedem Punkt beendet oder unterbrochen werden, oder wie Herzog es treffend formuliert:
118
„Trotz verschiedenartiger Wahlmodi im einzelnen sind politische Positionen generell dadurch charakterisiert, daß sie auf revozierbarer Legitimationsbasis beruhen.“ (Herzog 1975: 79)
Aufgrund der hohen Wiederwahlchancen und des Gebrauchs individueller Karrierestrategien – die „Bekämpfung der Unsicherheit“ (Borchert/Stolz 2003) – kann man davon ausgehen, dass temporäre Ämter- oder Mandatsverluste eher selten zu beobachten sind. Tabelle 25 bestätigt diese Vermutung. Tabelle 25: Häufigkeit unterbrochener politischer Karrieren Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
N
%
kum. %
N
%
Keine Unterbrechung
121
90,3
90,3
79
97,5
97,5
Eine Unterbrechung
12
9,0
99,3
2
2,5
100,0
1
0,7
100,0
0
0,0
__
134
100,0
__
81
100,0
__
Zwei Unterbrechungen Gesamt
kum. %
Für über 90 Prozent der deutschen Spitzenpolitiker war der Sprung in eine bezahlte politisches Position ein endgültiger. Lediglich neun Prozent mussten die Berufspolitik einmalig verlassen, ein einziger Spitzenpolitiker wies sogar zwei Unterbrechungen innerhalb seiner politischen Karriere auf. Die politische Laufbahn innerhalb der Gruppe der Nachwuchspolitiker ist dagegen zu kurz, um anfällig für mehrmalige Unterbrechungen zu sein. Lediglich zwei junge Parlamentarier mussten kurzzeitig ihr Berufspolitikerdasein unterbrechen. Neben dem oben skizzierten „Scheren-Bild“ und der damit verbundenen zunehmenden Verdrängung der beruflichen Karriere durch die politische Laufbahn spielen noch andere Gründe eine Rolle. Die Besoldung und das Ansehen politischer Ämter steigen mit der Höhe der erreichten Position an, was motivierend auf die Politiker wirkt, sich langfristig im Bereich der Berufspolitik zu bewegen, um sich für noch höhere Ämter zu empfehlen. Zudem werden Pensionsansprüche oft nur nach einer längeren Zugehörigkeit zu einer politischen Institution erworben. Dies führt dazu, dass sich Politiker ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Amt sehr gut überlegen. Weitere Informationen zum Verhältnis zwischen beruflicher und politischer Laufbahn können aus der Betrachtung des Berufsstatus gezogen werden. Unter Berufsstatus soll hier das Beschäftigungsverhältnis verstanden werden, von dem aus der Übergang in die hauptberufliche politische Karriere bewerkstelligt wurde. In Herzogs Untersuchung dominierte die Angestelltenschaft mit etwa 42 Prozent der von ihm untersuchten Spitzenpolitiker, ein knappes Viertel waren Beamte, danach folgten mit ca. 11 Prozent die freiberuflich Tätigen und die
119
selbstständigen Unternehmer. Diese drei Gruppengrößen haben sich im Vergleich zu Herzogs Studie nur gering verändert. Wie man in Tabelle 26 erkennen kann, fällt die Dominanz der Angestelltenschaft jedoch nicht sehr deutlich aus. 37,3 Prozent der Spitzenpolitiker waren vor dem Übertritt in die Berufspolitik in einem Angestelltenverhältnis, 34,3 Prozent waren zuvor Beamte. Der im Vergleich zu Herzog höhere Beamtenanteil lässt sich jedoch teilweise auch auf die landespolitischen Eliten, vor allem die Mitglieder der Landesregierungen, zurückführen, die überdurchschnittlich häufig aus einem Beamtenverhältnis in die Berufspolitik wechselten. An dritter Stelle liegen die Freiberufler mit einem Anteil von 17,2 Prozent, darunter eine größere Zahl von Rechtsanwälten. Alle anderen Kategorien sind dagegen schwach vertreten. Dass selbst die „Arbeiterparteien“ keine Arbeiter in den Reihen ihrer Spitzenpolitiker haben, ist seit langem bekannt. Tabelle 26: Beruflicher Status vor Wechsel in die Berufspolitik Spitzenpolitiker kum. N % % 1 0,7 0,7
Nachwuchspolitiker kum. N % % 0 0,0 0,0
Angestellte/r
50
37,3
38,1
25
30,9
30,9
Beamte/r
46
34,3
72,4
5
6,2
37,0
Freiberufler/in
23
17,2
89,6
12
14,8
51,9
Rentner/in
1
0,7
90,3
0
0,0
51,9
Student/in, Schüler/in, Auszubildende/r
3
2,2
92,5
34
42,0
93,8
Referendar/in, Absolvent/in, Aspirant/in
6
4,5
97,0
4
4,9
98,8
Beruflicher Status Arbeiter/in
Arbeitslos
1
0,7
97,8
0
0,0
98,8
Sonstiges
3
2,2
100,0
1
1,2
100,0
Gesamt
134
100,0
__
81
100,0
__
Für Herzog ist dies unter anderem auch ein Ergebnis der Entwicklung der politischen Parteien zu Volksparteien. So lässt sich vereinfachend sagen, dass gerade die Öffnung der linken Parteien für Angehörige der Mittelklasse, der höheren Beamten und der ‚Intelligenz‘ die Dominanz der Parteimitglieder aus höheren Sozial- und Bildungsschichten begünstigt hat (vgl. Herzog 1975: 106). Immer wieder kritisch beäugt werden die Nebentätigkeiten von Politikern. Nachdem die Offenlegungspflichten der Nebentätigkeiten in den letzten Jahren immer weiter verschärft wurden und dies zu einer größeren Sichtbarkeit der Nebengehälter führte, wird eine aufgeheizte Diskussion über Sinn und Unsinn
120
beruflicher Nebentätigkeiten von Politikern geführt. Befürworter argumentieren mit der größeren materiellen Unabhängigkeit des Einzelnen von der Berufspolitik. Demnach könne ein einzelner Politiker mutiger gegenüber seiner Partei auftreten, da er immer noch Rückkehrmöglichkeiten in den privaten Beruf habe. Nebentätigkeiten würden demnach dem Politiker auch ein Stück beruflicher Kontinuität sichern und sowohl „die psychische als auch die materielle Austrittsbarriere aus dem politischen Beruf“ (Golsch 1998: 138) absenken. Problematisch werden Nebenerwerbstätigkeiten dann, wenn bezweifelt werden kann, dass die angegebene Nebentätigkeit auch faktisch ausgeübt wird. Ist dies nicht der Fall, schwebt über der Nebentätigkeit das Damoklesschwert der Vorteilsnahme oder der Bestechung. Laut Golsch würden über 30 Prozent der Bundestagsabgeordneten einer Nebentätigkeit nachgehen, wobei der Anteil unter den Führungskräften und den Hinterbänklern gleich groß sei (vgl. Golsch 1998: 139). Für die Gruppe der Spitzenpolitiker trifft dies offensichtlich nicht zu. Die hohe zeitliche Belastung und die eventuell noch größere Sichtbarkeit dieses Personenkreises lassen Nebentätigkeiten offensichtlich zu einem seltenen Phänomen werden. Lediglich 11 Spitzenpolitiker im Sample gehen neben ihrer hauptamtlichen politischen Position noch einem Nebenberuf nach, was einer Quote von 8,2 Prozent entspricht. Sieben dieser 11 Politiker üben eine Nebentätigkeit als Rechtsanwalt aus, was generell die häufigste Form der nebenberuflichen Tätigkeit sein dürfte. Der Spitzenpolitiker bleibt Mitglied einer Kanzlei, was für beide Seiten Vorteile mit sich bringt. Zum einen kann sich der Politiker mit relativ geringem Aufwand zusätzliches Einkommen generieren, zum anderen steigert die Kanzlei oder Sozietät durch die Prominenz des Politikers ihr Ansehen und etabliert einen festen Kommunikationskanal in die Politik (vgl. Golsch 1998: 139). Zusammenfassend lässt sich am Ende dieses Abschnitts sagen, dass Herzogs These von der Berufspolitik als einer zweiten Laufbahn nach einer Karriere im privaten Beruf nach wie vor zutreffend ist. Spätere Spitzenpolitiker sind bei ihrem Wechsel in die bezahlte Politik durchaus im reiferen Alter (drei Viertel sind zwischen 31 und 50) und können auf eine langjährige Betätigung in ihrem privaten Beruf zurückblicken. Bereits lange bevor die Berufspolitik ihre Haupteinnahmequelle wird, werden sie Parteimitglied und übernehmen erste Führungspositionen innerhalb ihrer Partei. Die Analyse der Rekrutierungsfelder ergab, dass mehrere gangbare Wege in die Berufspolitik existieren. Man kann keineswegs ausschließlich den öffentlichen Dienst als primären Rekrutierungssektor ansehen, wobei die Beamten und Angestellten aus diesem Sektor häufiger den Sprung in hochrangige politische Ämter schaffen. Einmal in der Berufspolitik angekommen, verlaufen Spitzenkarrieren in der Regel ohne Brüche. Nebentätigkeiten scheinen mit diesen hohen politischen Ämtern dagegen kaum noch möglich zu sein und bilden seltene Ausnahmen.
121
5.4 Innerparteiliche Laufbahn
5.4.1 Die Parteien als „Gatekeeper“ Die überragende Bedeutung der politischen Parteien bei der Elitenrekrutierung kann man bereits an den Begriffen und Attributen festmachen, die ihnen von wissenschaftlicher Seite zugeschrieben werden. So bezeichnet Herzog sie als „oligopolartige Mechanismen der Führungsrekrutierung“ (Herzog 1975: 227), für Borchert sind sie die „Karriere-Gatekeeper“ (Borchert 1999: 49), während sie Patzelt als die „faktischen Elektorate“ (Patzelt 1999: 253) oder die „Türhüter des Auswahlverfahrens“ (Patzelt 1999: 250) charakterisiert. Oder wie Wiesendahl es formuliert: „Politische Spitzenämter sind offenbar ein rares Gut mit außerordentlich geringen Chancen, an sie heranzukommen. Wer gleichwohl in die Politik gehen will, stößt in Deutschland auf einen geschlossenen Arbeitsmarkt, dessen Einlassbereich und Aufstiegskanäle von den politischen Parteien kontrolliert werden. Faktisch gilt das ‚closed Shop’-Prinzip, denn eine Politikkarriere lässt sich nur als ‚Parteipolitiker’ verwirklichen.“ (Wiesendahl: 2004: 131)
Dieser dominierenden Rolle der politischen Parteien wurde im Fragebogen daher in besonderem Maße Rechnung getragen. Es wurde versucht, den parteipolitischen Aufstieg möglichst vollständig abzufragen. Dies diente auch dazu, einen Beitrag zur Verminderung einer offensichtlich bestehenden Forschungslücke zu leisten. Innerparteiliche Karrieren sind ein wenig erforschtes Gebiet. An dieser Stelle sei noch einmal Wiesendahl zitiert: „Bekannt ist, wer sie [die Abgeordneten; Anm. d. Verf.] sind. Im Dunkeln bleibt, bis auf die singuläre Untersuchung der Karrieren von Spitzenpolitikern aus den späten sechziger Jahren durch Herzog, wie sie über welche Selektionsprozesse und -kanäle in ihre Ämter gelangt sind.“ (Wiesendahl 2004: 126)
Ausgegangen wird bei der Betrachtung innerparteilicher Karriereverläufe von der These, dass die sukzessive Bewährung und Qualifikation in zunächst unteren und mittleren Organisationseinheiten prinzipielle Voraussetzungen für die Erlangung von Spitzenpositionen sind (vgl. Herzog 1975: 64). Eine neuere Untersuchung von Borchert und Stolz stützt diese Annahme. Die beiden Autoren fanden bei der Betrachtung von knapp 2000 landespolitischen Karrieren heraus, dass über drei Viertel der Landespolitiker einen „Bewährungsaufstieg“ hinter sich hatten. Dies bedeutet, dass die betrachteten Personen in ihrer politischen Biographie mindestens ein vorheriges Amt oder Mandat auf untergeordneter Ebene hatten (vgl. Borchert/Stolz 2006: 156). Allerdings stützen sich die beiden Forscher lediglich auf die biografischen Selbstauskünfte der Landesparlamentarier, 122
die jedoch in vielen Fällen lückenhaft und ungenau sind. Vor allem eher untergeordnete und lang zurückliegende Positionen werden selten von den Politikern angegeben. Zudem verweigern Borchert und Stolz die Antwort auf die Frage, ob es sich um parteipolitische Aufstiegsfunktionen oder um Funktionen in öffentlichen (kommunalpolitischen) Funktionen handelt. Es ist gerade das Besondere an der bereits erwähnten „Ochsentour“, dass innerparteiliche Karrieren mit öffentlichen Wahlämtern verknüpft sind (vgl. Herzog 1990: 36). Allerdings ist auch bei Kandidaturen zu kommunalen Ämtern von einer Schlüsselfunktion der Parteien als „Gatekeeper“ auszugehen. Daher empfiehlt es sich, zunächst ausschließlich den innerparteilichen Aufstieg zu betrachten und ihn erst später mit der Übernahme öffentlicher Ämter in Verbindung zu setzen. Im Folgenden wird daher die Karriere innerhalb einer politischen Partei in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt, um so ein möglichst genaues Bild der Parteilaufbahn wiedergeben zu können.
5.4.2 Parteimitgliedschaft Die Dominanz der politischen Parteien wurde bisher als gegeben dargestellt. Wie hoch sie in der Empirie tatsächlich ist, lässt sich an der Zahl der parteilosen Spitzenpolitiker ablesen. Von den 369 Spitzenpolitikern in der Bundesrepublik Deutschland besaßen im Erhebungszeitraum März und April 2006 nur sechs Personen kein Parteibuch, ein Anteil von lediglich 1,6 Prozent. Bei diesem kleinen Personenkreis handelt es sich ausschließlich um Mitglieder von Landesregierungen. Interessanterweise waren drei der sechs parteilosen Spitzenpolitiker Senatoren der Freien und Hansestadt Hamburg. Neben Jörg Dräger, dem Senator für Wissenschaft und Gesundheit, waren dies Innen-Senator Udo Nagel und Kultursenatorin Karin von Welck. Zum Zeitpunkt der Bürgerschaftswahl im Jahr 2004 war zudem die Senatorin für Bildung und Sport, Alexandra Dinges-Dierig, ebenfalls noch parteilos. Sie wechselte als Leiterin des Berliner Landesinstituts für Schule und Medien in die Behörde für Bildung und Sport der Hansestadt und wurde ein Jahr später Mitglied der CDU. Dies entspricht dem Muster einer Cross-Over-Karriere in Herzogs Typenmodell. Aus einer hohen Position im privaten Beruf und ohne vorheriges parteipolitisches Engagement vollzieht die betreffende Person einen Positionswechsel in eine politische Spitzenfunktion und holt nach diesem „Seitenwechsel“ Teile der innerparteilichen Laufbahn nach (vgl. Herzog 1990: 41). Beim zunächst parteilosen saarländischen Umweltminister Stefan Mörsdorf lässt sich ebenfalls eine Cross-Over-Karriere erkennen. Er war bis 1999 Landesvorsitzender des Naturschutzbundes Deutschlands im Saarland, selbstständiger Gutachter und Inhaber eines Planungsbüros im Bereich Umwelt und wechselte vor diesem beruflichen und verbandsmäßig geprägten
123
Hintergrund ins erste Kabinett des neu gewählten Ministerpräsidenten Peter Müller. Auch er wurde in der Zwischenzeit, am ersten Januar 2005, Mitglied der CDU und holt somit Teile einer parteiinternen Karriere nach. Der Grund für die hohe Zahl parteiloser Experten in der Regierung des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust lag womöglich auch darin, dass der CDU nach 44 Jahren in der Opposition und gerade einmal zweieinhalb Jahren an der Regierung präsentable und erfahrene Führungsfiguren aus den eigenen Reihen fehlten (vgl. Drieschner 2005). Ebenfalls im Bereich der Bildung sind oder waren die parteilosen Minister Hans-Robert Metelmann, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern, und Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt, tätig. Der letzte parteilose Spitzenpolitiker zum Zeitpunkt der Erhebung war Ulrich Nußbaum, Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen. An seinem Beispiel kann man auch erkennen, wieso einige parteilose Minister später eine Parteikarriere teilweise nachholen. Auf Nußbaum wurde von Seiten des SPD-Landesvorsitzenden Druck ausgeübt, der Bremer SPD beizutreten. Nußbaum beharrte auf seine Parteilosigkeit. Er gab an, er wolle „Transmissionsriemen auch zur bürgerlichen Seite“ sein und verzichtete daher im Juni 2007 auf einen Platz in der Regierung von Bürgermeister Böhrnsen (vgl. Stengel 2007). Es bleibt festzuhalten, dass politische Karrieren ohne Mitgliedschaft in einer politischen Partei die absolute Ausnahme darstellen. Dieses Karrieremuster tritt dann zu Tage, wenn parteilose Minister quasi als neutrale Experten in ein Kabinett berufen werden. Sollten solche Cross-Over-Karrieren auftreten, geschieht dies häufig in den Bereichen Wissenschaft, Kultus oder Kultur. In der Kontrastgruppe der jungen Abgeordneten war lediglich die sächsische Landtagsabgeordnete Freya-Maria Klinger, Mitglied in der Fraktion „Die Linke“, kein Parteimitglied. Dies kann man auch als Indiz dafür werden, dass der Weg in die Berufspolitik ohne Mitgliedschaft in einer Partei über legislative Funktionen noch schwieriger ist, als dies bei exekutiven Positionen der Fall ist.
5.4.3 Parteizugehörigkeit Blickt man auf die Parteizugehörigkeit deutscher Spitzenpolitiker im März und April 2006, fällt die Dominanz der der CDU auf. Von den 369 politischen Spitzenpositionen wurden 39,6 Prozent von Christdemokraten bekleidet. An zweiter Stelle liegt die SPD mit 26,8 Prozent, vor der FDP (9,5 %), den Grünen (7,6 %), der CSU (7,0 %) und der Linkspartei (6,8 %). Bei den Mitgliedern sonstiger Parteien handelt es sich um die Vorsitzenden der NPD-Fraktion (Apfel) in Sachsen und der DVU-Fraktion in Brandenburg (Hesselbarth), sowie um die Frakti-
124
onsvorsitzende des SSW im Landtag von Schleswig-Holstein, Anke Spoorendonk. Die Tatsache, dass knapp die Hälfte (46,6 %) aller politischen Spitzenpositionen von Mitgliedern der Unions-Parteien eingenommen wurden, spiegelt die politischen Kräfteverhältnisse nach der Bundestagswahl 2005 wieder. CDU und CSU waren nicht nur Mitglieder der Bundesregierung, sondern waren im März 2006 auch in 13 von 16 Bundesländern an der Regierung beteiligt, darunter in fünf Bundesländern (Bayern, Hamburg, Hessen, Saarland und Thüringen) in alleiniger Verantwortung. Unterteilt man die Spitzenpolitiker in Exekutiv- und Legislativpolitiker, wird ersichtlich, dass die Union ihre Dominanz diesen Regierungsbeteiligungen verdankt. Unter den 204 in der Exekutive tätigen hochrangigen Politikern waren 125 Mitglieder von CDU und CSU, ein Anteil von über 61 Prozent. Die Verteilung der politischen Top-Positionen hat keinen unmittelbaren Erklärungswert für die Verläufe oder Möglichkeiten politischer Spitzenkarrieren, allerdings kann man sie nicht vollständig übergehen. In Abschnitt 2.3 wurde bereits drauf verwiesen, dass die politische Großwetterlage nicht ohne Auswirkung auf die politische Chancenstruktur bleiben kann. Zum Zeitpunkt der Befragung war die „structure of opportunities“ offensichtlich für Mitglieder der Unionsparteien besser. Bei den Nachwuchspolitikern ergibt sich ein anderes Bild. Zwar bilden auch hier die CDU-Mitglieder mit knapp 30 Prozent die größte Gruppe, die Verteilung ist jedoch insgesamt ausgeglichener. Dies kann unter anderem daran liegen, dass alle Parteien gleichermaßen die Notwendigkeit sahen, auch jungen Politikern in ihren Reihen Möglichkeiten zum Einzug in die Parlamente zu eröffnen. Auch wenn die Aufstiegsmöglichkeiten von Politikern teilweise von politischen Machtkonstellationen abhängig sind, gilt es für diese Gruppe vorbereitet zu sein, wenn sich eine Karrierechance ergibt. Dieser Vorbereitungsprozess spielt sich zu einem großen Teil innerhalb der Parteien ab und soll im Folgenden eingehend behandelt werden.
5.4.4 Parteieintritt und Eintrittsmotive Die erste Stufe einer erfolgreich verlaufenden Parteikarriere ist der Parteieintritt. Zu diesem Ausgangspunkt einer politischen Laufbahn, von Herzog auch als politische Rekrutierung oder als Phase der Aktivierung bezeichnet (vgl. Abschnitt 2.4), soll zunächst die Frage aufgeworfen werden, in welchem Alter spätere Spitzenpolitiker den Aufnahmeantrag ihrer Partei unterschreiben. Im An-
125
schluss daran sollen die wichtigsten Eintrittsmotive der Spitzen und Nachwuchspolitiker beleuchtet werden. Die deutschen Spitzenpolitiker im Sample wurden im Schnitt mit 27,1 Jahren Mitglied einer politischen Partei. Ein Vergleich mit Ergebnissen aus der Parlamentssoziologie zeigt, dass Spitzenpolitiker bei diesem Schritt geringfügig älter sind als Parlamentarier. Patzelt errechnete für alle westdeutschen Parlamentarier ein Eintrittsalter von 24 Jahren (vgl. Patzelt 1999: 252), in der Untersuchung der Abgeordneten des 13. Deutschen Bundestages stellte Golsch ein durchschnittliches Eintrittsalter von „etwas über 25 Jahren“ (Golsch 1998: 143) fest. Ein Grund für das leicht höhere Eintrittsalter der Spitzenpolitiker kann im vergleichsweise späten Eintrittsdatum einiger Regierungsmitglieder auf Landesebene angesehen werden. Die 80 jungen Bundes- oder Landtagsabgeordneten weisen dagegen ein – nicht überraschendes – niedriges durchschnittliches Eintrittsalter von 19,7 Jahren auf. Sie waren daher nicht nur sehr früh in einem bezahlten politischen Mandat, sondern bereits zuvor sehr früh Mitglied einer politischen Partei, in der Regel bereits in der Ausbildungsphase. Das Alter beim Eintritt weist in der Gruppe der Spitzenpolitiker eine Streuung von etwa 10 Jahren um den Mittelwert auf. Daher empfiehlt sich ein Blick auf die kategorisierte Häufigkeitsverteilung (vgl. Tabelle 27). Tabelle 27: Alter beim Parteieintritt Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
Alter in Jahren
N
%
kum. %
N
%
kum. %
bis 18
23
17,4
17,4
35
43,8
43,8
19-25
53
40,2
57,6
40
50,0
93,8
26-30
20
15,2
72,7
4
5,0
98,8
31-35
13
9,8
82,6
1
1,3
100,0
über 35
23
17,4
100,0
_
_
_
Gesamt
132
100,0
_
80
100,0
_
Am häufigsten treten die späteren Top-Politiker der Republik zwischen 19 und 25 Jahren in eine Partei ein: 40,2 Prozent fallen in diese Kategorie. Immerhin 17,4 Prozent werden vor dem 19. Geburtstag Parteimitglied. 42,4 Prozent entscheiden sich erst nach ihrem 25. Geburtstag für die Mitgliedschaft in einer Partei, 17,4 Prozent sind bei diesem ersten Schritt einer politischen Karriere über 35 Jahre alt. Unter den Spitzenpolitikern lassen sich auch fünf „Spätberufene“ finden, die erst nach ihrem 50. Geburtstag Mitglied einer politischen Partei wurden. Bei den jungen Parlamentariern waren immerhin knapp 44 Prozent vor Beginn
126
des 19. Lebensjahres bereits Parteimitglied, exakt die Hälfte aller Nachwuchspolitiker entschied sich im Alter 19 bis 25 Jahren für eine Parteimitgliedschaft. Zwischen den Parteien lassen sich Unterschiede im Hinblick auf das Durchschnittsalter beim Eintritt in eine Partei ausmachen. Grüne Top-Politiker sind mit knapp 31 Jahren im Schnitt am ältesten, gefolgt von SPD (27,5 Jahre), CDU (27,4) und Linkspartei (26,4). Ein frühes durchschnittliches Eintrittsdatum findet sich bei der CSU (24,6) und bei der FDP, deren Spitzenpolitiker im Schnitt 24,3 Jahre alt waren, als sie Mitglied der Liberalen wurden. Der hohe Wert der Grünen überrascht vor dem Hintergrund ihrer Gründungsgeschichte nicht. Viele ihrer Führungspersönlichkeiten wurden in den 50er Jahren geboren, in der 68erBewegung politisch aktiviert und mit der Gründung der Grünen zu Beginn der 80er Jahre erst relativ spät Mitglied einer politischen Partei. Zudem fehlte den Grünen lange Zeit eine etablierte politische Nachwuchsorganisation, die in der Lage gewesen wäre, früh junge Menschen organisatorisch an die Partei zu binden. Dass dies womöglich eine historische Momentaufnahme ist, legt auch ein Blick auf die Parteiunterschiede in der Kontrastgruppe nahe, auch wenn man aufgrund der speziellen Auswahl der Gruppe keinerlei verallgemeinernde Schlussfolgerungen ziehen sollte. Die grünen Nachwuchskräfte waren mit durchschnittlich 18,9 Jahren sehr jung, als sie sich zu einer Parteimitgliedschaft bereit erklärten. Jünger waren lediglich die SPD-Jungparlamentarier (18,7 Jahre). Auf den weiteren Plätzen folgen junge CDU-Abgeordnete mit 19 Jahren, Nachwuchspolitiker der FDP (20 Jahre), der CSU (21 Jahre) und der Partei „Die Linke“ mit 21,4 Jahren. Ein mögliches Motiv, einer politischen Partei beizutreten, könnte in einem spezifischen Karriereinteresse liegen. Im Fragebogen wurde daher auch nach den Gründen für den Parteibeitritt gefragt. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird häufig auf ein theoretisches Anreiz-Modell Bezug genommen, das von den englischen Sozialwissenschaftlern Patrick Seyd und Paul Whiteley entwickelt wurde (vgl. Seyd/Whiteley 1992; Whiteley/Seyd 2002; Klein 2006). Ihrem General-Incentives-Modell (vgl. Abbildung 12) liegt die Annahme zugrunde, dass die Bürger genau dann einer politischen Partei beitreten und sich in ihrem Rahmen engagieren, wenn sie sich daraus Vorteile erhoffen, die die mit der Mitgliedschaft und dem innerparteilichen Engagement verbundenen Kosten übersteigen (vgl. Klein 2006: 37). Im Rahmen dieser Arbeit sind vor allem selektive, ergebnisbezogene Anreize von Bedeutung, typischerweise in Gestalt von Parlamentsmandaten und Regierungsämtern. Wie man in Abbildung 12 erkennen kann, sind dies Anreize, die innerparteiliches Engagement – als eine Parteikarriere – voraussetzen. Die umfassende Potsdamer Parteimitglieder-Studie17, 1998 17 Die Studie stützt sich auf eine breite empirische Basis. Über die Parteizentralen wurden 16.000 Parteimitglieder angeschrieben, wovon sich 66 Prozent beteiligten.
127
unter der Leitung von Wilhelm Bürklin an der Universität Potsdam durchgeführt, untersuchte die Beitrittsmotive deutscher Parteimitglieder (vgl. Heinrich/Lübker/Biehl 2002; Klein 2006). Abbildung 12: Positive und negative Anreize zur Partizipation in politischen Parteien positive Anreize selektive Anreize
ergebnisbezogene Anreize
(persönliche Vorteile aus der Mitgliedschaft)
prozessbezogene Anreize
setzen in der Regel innerparteiliches Engagement voraus
kollektive politische Anreize (Durchsetzung politischer Inhalte und Maßnahmen)
normative Anreize (Erfüllung bestimmter Erwartungen des Umfelds)
altruistische Anreize (Beitrag zum Funktionieren der Demokratie leisten)
können bereits mit der bloßen Mitgliedschaft verbunden sein
ideologische Anreize (Unterstützung bestimmter ideologischer Prinzipien)
expressive Anreize (Bekundung von Unterstützung für die Partei und ihre Politiker)
negative Anreize Opportunitätskosten (für die Partei aufgewendete Zeit und Energie)
Arbeitsleid
erwachsen aus innerparteilichem Engagement
(Gremienarbeit, ehrenamtliche Dienste)
monetäre Kosten (Mitgliedsbeiträge)
erwachsen aus der Mitgliedschaft
Quelle: Klein 2006: 41.
Dabei fiel auf, dass vor allem kollektive Motive, wie die Stärkung des Parteieinflusses, und altruistische, expressive oder normative Motive häufig als Beweggründe genannt wurden. Dagegen gaben nur 11 Prozent der Befragten ein Interesse an einem öffentlichen Mandat als Motiv an, lediglich 8 Prozent äußerten den Wunsch nach einen Parteiamt als Motiv, und ein kleiner Anteil von 5 Pro128
zent der Befragten erhoffte sich berufliche Vorteile, die aus der Mitgliedschaft erwachsen sollten. Klein stellt dazu fest: „Es zeigt sich, dass selektive, ergebnisbezogene Anreize für die Entscheidung zum Parteieintritt tatsächlich nur eine sehr geringe Rolle spielen, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Antworten durch Effekte der sozialen Erwünschtheit verzerrt sind.“ (Klein 2006: 49)
Die Ergebnisse, die im Rahmen dieser Arbeit gewonnen wurden, weichen nicht von der Potsdamer Studie ab, auch wenn die Eintrittsmotive mit einem anderen Messinstrument erhoben wurden und daher nur bedingt vergleichbar sind. Am häufigsten wurden politische Ereignisse als Eintrittsgrund genannt, darunter vor allem innenpolitische Themen wie die Atomfrage und die Wiedervereinigung (bei Spitzenpolitikern mit Eintrittsdatum in diesem Zeitraum). Auch anstehende, gewonnene und verlorene Wahlen oder bevorzugte oder umstrittene Kandidaten wurden häufig erwähnt. An zweiter Stelle bei der Frage, nach den Motiven für den Eintritt in die Partei, wurden politisch aktive Freunde und Bekannte genannt, gefolgt von bekannten Politikern als Vorbilder, darunter bei SPD-Politikern überdurchschnittlich häufig Willy Brandt. Bei den sonstigen Gründen tauchen vor allem zwei Motive auf: Der Wunsch, sich zu engagieren, Verantwortung zu übernehmen oder zu gestalten, und die politische Programmatik. Ambitionen auf eine innerparteiliche Funktion oder aber ein Mandat tauchten als Motive dagegen nicht auf, genauso wenig wie berufliche Vorteile der Mitgliedschaft. Auch bei den Jungpolitikern sind politische Ereignisse der am häufigsten genannte Beitrittsgrund, allen voran die Wiedervereinigung mit der Hälfte aller Nennungen. Die eigentliche Karrieremotivation scheinen deutsche Spitzenpolitiker daher erst im Laufe ihrer Mitgliedschaft zu gewinnen.
5.4.5 Rolle der Jugendorganisationen „Eine Funktion in einer Jugendorganisation ist in allen Parteien der Karriere förderlich.“ (Scheuch/Scheuch 1995: 126)
Mit dieser pauschalisierenden Aussage von Scheuch/Scheuch kann man sich bei einer umfassenden Betrachtung politischer Karrieren nicht begnügen. Jugendorganisationen sind zwar nur eine unter vielen Arbeitsgemeinschaften, sollen jedoch aufgrund ihr „Rekrutierungs- und Karrierefunktion“ (Schiller 2004: 147) bereits an dieser Stelle und separat von den anderen innerparteilichen Gruppierungen behandelt werden. Die Nachwuchsorganisationen politischer Parteien sind ein kaum erforschtes Feld, was angesichts ihrer Rolle im Rekrutierungsprozess ein wenig verwundert. Ihnen wird vor allem die Funktion zugeschrieben,
129
junge Menschen an die Parteien heranzuführen. Sie sind ein „wichtiges Rekrutierungsinstrument für Parteimitglieder“ (Grasser 1973: 329), was man auch an der relativ hohen Anzahl von Nicht-Parteimitgliedern in den Jugendorganisationen erkennen kann. Anders als die Rekrutierungsfunktion galt die Karrierefunktion der Parteijugendorganisationen in der Parteienforschung lange Zeit als umstritten. Vor allem wurde die Frage diskutiert, ob der Parteinachwuchs lediglich „Rekrutendepot“ oder doch eine politische Alternative zur Referenzpartei ist (vgl. Hackel 1978; Meier-Walser 1997; Krabbe 2001; Krabbe 2002). Kaack und Zeuner haben vor allem der Jungen Union, der gemeinsamen Nachwuchsorganisation der beiden C-Parteien, die Funktion eines Karriereinstruments innerhalb von CDU und CSU zugeschrieben (vgl. Kaack 1969; Zeuner 1970). Der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Missfelder, unterstrich diesen Gedanken in einer Diskussionsrunde: „Ich denke, dass die Junge Union sich sehr stark auch als Nachwuchsorganisation der CDU empfindet. Sie tritt ganz klar für die Förderung von Leuten ein und sagt, wir wollen Mandate erringen und der Ehrgeiz ist da.“ (vgl. von Alemann 2006: 141)
Etwa im gleichen Zeitraum der Untersuchungen von Kaack und Zeuner entwickelte Herzog eine Typologie des Karriere-Zusammenhangs zwischen Jugendorganisation und Partei (vgl. Abbildung 13). Abbildung 13: Karriere-Zusammenhang zwischen Jugendorganisation und Partei Typ
Sequenz der Karrierepositionen
Typ 1:
Sukzessiv
Jugendorganisation Partei
Typ 2:
Parallel
Jugendorganisation + Partei
Typ 3:
Substitutiv
Partei Jugendorganisation Partei
Typ 4:
Singulär
Jugendorganisation Öffentliche Wahlposition ( Partei)
Typ 5:
Exklusiv
Partei
Quelle: Herzog 1975: 76.
Im Folgenden soll zunächst untersucht werden, wie hoch der Anteil der Spitzenpolitiker mit einem Erfahrungshintergrund in den Jugendorganisationen ist. Gefragt wurde dabei nach einer aktiven Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft.
130
Dies war notwendig, da beispielsweise alle SPD-Mitglieder unter 35 Jahren automatisch Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten und Jungsozialistinnen in der SPD (Jusos) sind. Seit 1994 kann man auch Juso-Mitglied ohne gleichzeitige SPD-Mitgliedschaft sein. Bei den Jugendarbeitsgemeinschaften der anderen Parteien muss man explizit eine Mitgliedschaft beantragen, man ist nicht automatisch als junges Parteimitglied auch Mitglied der Jugendorganisation (vgl. zur rechtlichen Stellung der Jugendorganisationen: Volkmann 2006: 114ff) Herzog fand in seiner Studie Ende der 60er Jahre heraus, dass mehr als die Hälfte der Top-Politiker in Deutschland zum Typ 5 seines Typen-Modells zählte, also keinerlei Erfahrungen in der Parteijugend aufweisen konnten (vgl. Herzog 1975: 77). Blickt man zunächst auf die Mitgliedschaft, fällt auf, dass der Anteil der Spitzenpolitiker ohne Vergangenheit in der Nachwuchsorganisation der Partei abgenommen hat. Von den 132 Spitzenpolitikern im Sample, die Mitglied einer Partei waren, hatten sich nur 42,4 Prozent gegen ein Engagement in der Jugendorganisation der Partei entschieden. Knapp 58 Prozent bejahten die Frage nach einer Mitgliedschaft in den Nachwuchsverbänden. Allerdings kann man die Ergebnisse nur bedingt mit der aktuellen Situation vergleichen oder muss sie zumindest im historischen Zusammenhang sehen. Herzog konzentrierte sich auf die vier existierenden politischen Jugendorganisationen Junge Union (Abk.: JU; gemeinsame Jugendorganisation von CDU und CSU), Jungsozialisten (Abk.: Jusos; Jugendarbeitsgemeinschaft der SPD), Sozialistische Jugend Deutschlands „Die Falken“ (Abk.: SJD; der SPD nahe stehend) und die Deutschen Jungdemokraten (DJD; zum Zeitpunkt der Herzogschen Studie der FDP nahe stehend; vgl.: Kunze 1973). Die Landschaft der Jugendorganisationen der im Bundestag vertretenden Parteien hat sich jedoch grundsätzlich geändert – mit Ausnahme der Konstanten JU und Jusos. Nach dem Regierungswechsel 1982 trennten sich die linksliberalen und radikaldemokratischen Mitglieder der Jungdemokraten von der FDP. Die FDP erklärte die inzwischen entstandenen Jungen Liberalen (JuLis) zu ihrer offiziellen Partiejugend. Die offizielle Nachwuchsorganisation von Bündnis90/Die Grünen trägt den Namen „Grüne Jugend“ (zunächst Grün-Alternatives Jugendbündnis GAJB) und wurde deutlich nach ihrer Referenzpartei, nämlich im Januar 1994, gegründet. Auch die inzwischen neu gegründete Partei Die Linke hat einen eigenen Nachwuchsverband. Der Gründungsparteitag erkannte am 16. Juni 2007 den Jugendverband „Linksjugend ['solid]“ als offizielle Jugendorganisation der Partei an. Diese Entwicklungslinien muss man vor Augen haben, wenn man die Ergebnisse vergleicht. Umso überraschender ist der deutlich gestiegene Anteil der Spitzenpolitiker mit Erfahrungen in der Parteijugend. Überraschend ist dies vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die Nachwuchsorganisation der Grünen erst spät etabliert hat und daher für die meisten grünen Spitzenpolitiker nicht in
131
Frage kam. Dazu ist noch zu bedenken, dass ostdeutsche Spitzenpolitiker in der Regel nicht die Möglichkeit einer Karriere in einer Jugendorganisation hatten, mit Ausnahme der Top-Politiker aus den neuen Bundesländern, die Mitglieder der SED-Nachwuchsorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend) waren. Rechnet man diese beiden Einflüsse heraus, steigt der Anteil der Spitzenpolitiker mit Engagement in den Jugendorganisationen auf über zwei Drittel. Bei den Grünen liegt der Anteil der Spitzenpolitiker mit politischem Hintergrund in der Parteijugend aus genannten Gründen bei nur 15 Prozent (vgl. Tabelle 28). Der geringe Anteil der SPD-Spitzenkräfte mit Engagement bei den Jungsozialisten (55,6 %) kann man mit den konfliktreichen Auseinandersetzungen der Jusos mit ihrer Mutterpartei und ihrer linken Positionierung in den letzten Jahrzehnten erklären, die womöglich einige spätere sozialdemokratische Spitzenkräfte abgeschreckt hat (vgl. Häse/Müller 1973). Am höchsten ist der Anteil der Top-Politiker mit Mitgliedschaft in der Parteijugend bei der CSU (72,7 %), der FDP (69,2 %) und der CDU (63,0 %). Tabelle 28: Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen der Parteien (Spitzenpolitiker)
CDU
Zahl der Spitzenpolitiker 46
CSU
11
Partei
SPD
36
FDP
13
Grüne
13
Linkspartei
13
Gesamt a
132
a
Zahl der Nennungen 29
% der Partei 63,0
Junge Union
8
72,7
Jungsozialisten
18
FDJ
2
Jugendorganisation Junge Union
Junge Liberale
5
Jungdemokraten
4
Grüne Jugend
1
FDJ
1
['solid]
0
AG Junge GenossenInnen
1
FDJ
7
_
76
55,6 69,2 15,4
61,5
57,6
Zwei der 134 Spitzenpolitiker waren parteilos und wurden daher hier nicht aufgeführt.
Die These, dass gerade die Junge Union als Kaderschmiede oder „Karriereorganisation“ (Bilstein/Hohlbein/Klose 1972: 54) der Unionsparteien angesehen werden kann, findet hier eine Bestätigung. Man erkennt dies darüber hinaus aber auch an vielen hochkarätigen Unions-Politikern, die Führungsfunktionen in der
132
JU innehatten. So war beispielsweise der hessische Ministerpräsident Roland Koch von 1983 bis 1987 stellvertretender JU-Bundesvorsitzender. Sein saarländischer Amtskollege Peter Müller war jahrelang Landesvorsitzender der Jungen Union im Saarland. Ebenfalls lange Jahre JU-Landesvorsitzender war Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust, genauso wie der Niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff. Aus den Zahlen der Mitgliedschaft in der Gruppe der jüngeren MdBs und MdLs kann man herauslesen, dass die Bedeutung der Nachwuchsorganisationen weiter zunimmt. Die FDP- und CSU-Jungpolitiker waren alle Mitglieder der jeweiligen Jugendorganisation, bei der CDU waren es knapp 96 Prozent, bei der SPD 92 Prozent und bei den Grünen 91 Prozent. Nur bei der Linkspartei, deren Jugendverband erst vor kurzem entstand, waren es „nur“ zwei Drittel (vgl. Tabelle 29). Tabelle 29: Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen (Nachwuchspolitiker)
CDU
Zahl der Jungpolitiker 22
CSU
6
SPD
13
FDP
13
Junge Liberale
13
100,0
Grüne
11
Grüne Jugend
10
90,9
['solid]
2 4
Partei
Junge Union
Zahl der Nennungen 21
% der Partei 95,5
Junge Union
6
100,0
Jungsozialisten
11
FDJ
1
Jugendorganisation
Linkspartei
14
AG Junge GenossenInnen PDS-Jugend
3
NPD
1
Junge Nationaldemokraten
1
_
72
Gesamt a
80
a
92,3
64,3
90,0
Eine Jungpolitikerin war parteilos und wurden daher hier nicht aufgeführt.
Die Jugendorganisationen erfreuen sich demnach einer immer größeren Beliebtheit unter den Aktivisten in einer Partei, obwohl die Gesamtzahl der Mitglieder der Jugendorganisationen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken ist.18 Die Antwort muss man wohl in der Karrierefunktion dieser Verbände se-
18 So sank beispielsweise die Mitgliederzahl der Jusos von über 306.000 im Jahr 1974 Jahre auf unter 58.400 im Jahr 2003 (vgl. Walter 2005: 163). Die Junge Union musste im Zeitraum von Anfang der 80er bis 2002 einen Rückgang von knapp 260.000 Mitglieder auf unter 130.000 ver-
133
hen. Sobald sich ein Nachwuchsverband offiziell als Vertretung der jüngeren Parteimitglieder etabliert hat und von der Referenzpartei anerkannt wird, identifizieren ihn karriereorientierte Jungpolitiker als Instrument des innerparteilichen Aufstiegs. Im Schnitt wurden die Spitzenpolitiker mit 20,2 Jahren Mitglied der Jugendorganisation, die Nachwuchspolitiker entschieden sich durchschnittlich im Alter von 18,5 Jahren für die Mitgliedschaft in der Parteijugend.19 Dass die Jugendorganisationen junge Menschen an die Parteien heranführen, ist bei einem Blick auf das Alter beim Parteieintritt zu erkennen. Spitzenpolitiker, die Mitglied in der Jugendarbeitsgemeinschaft der Partei waren, wurden im Schnitt bereits mit 21,6 Jahren Mitglied einer politischen Partei. Top-Mitglieder ohne Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen wurden dagegen erst mit 34,6 Jahren und damit im Schnitt 13 Jahre später Parteimitglied. Obwohl sich die jungen Abgeordneten allesamt durch einen sehr frühen Parteieintritt auszeichnen, lässt sich der Effekt der frühen politischen Aktivierung auch in der Kontrastgruppe beobachten. Nachwuchspolitiker mit Mitgliedschaft in den Nachwuchsorganisationen entschieden sich im Schnitt mit 19,4 Jahren für die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei. Ihre Kollegen ohne derartige Erfahrungen dagegen erst mit 22,6 Jahren und damit im Schnitt über drei Jahre später. Die untersuchten Spitzenpolitiker waren im Schnitt knapp 13 (12,7) Jahre Mitglied in der Parteijugend. Bei den jungen Parlamentariern betrug die Dauer der Mitgliedschaft zum Zeitpunkt der Befragung bereits 11,5 Jahre – dauerte jedoch bei drei Viertel der Personen noch an.20 Ein Blick auf die Sukzession des Eintritts in die Jugendorganisationen und des Beginns der Mitgliedschaft in der Mutterpartei hilft die Frage zu beantworten, welche Typen aus dem Schema Herzogs dominieren. Wie man in Abbildung 14 erkennen kann, wird ein großer Teil der Spitzenpolitiker früher Mitglied der Jugendorganisation als der Referenzpartei. 40 Prozent der Spitzenpolitiker lassen sich in diese Kategorie („sukzessiv“) einordnen. 44,3 Prozent wurden zeitgleich Mitglied der Partei und der Jugendorganisation, sie entsprechen dem Muster des parallelen Aufstiegs:
kraften, hält dieses Niveau aber seit einigen Jahren konstant (vgl. Niedermayer 2005: 17ff; Walter 2005: 163). 19 Die meisten Satzungen der Jugendorganisationen sehen eine Alteruntergrenze bei der Mitgliedschaft von 14 Jahren vor. 20 Die Altersobergrenzen variieren unter den Jugendorganisationen. Mitglied von JU und Jusos kann man bis 35 Jahre sein, wenn man vor dem 35. Geburtstag Ämter übernimmt sogar bis knapp 37. Die Mitgliedschaft bei den JuLis und in der Linksjugend endet ebenfalls mit der Vollendung des 35. Lebensjahres. Mitglied der Grünen Jugend kann nur sein, wer noch nicht das 28. Lebensjahr vollendet hat.
134
„Hier wird die Jugendorganisation am stärksten als Instrument des innerparteilichen Aufstiegs benutzt. Sie stellt eine „Hausmacht“ dar, die bei personalpolitischen Entscheidungen, insbesondere bei innerparteilichen Kandidaturen des Jugendfunktionärs selbst, als Stimmengewicht in die Waagschale geworfen werden kann. Umgekehrt verstärkt die Karriere innerhalb der Partei wieder die Einflußmöglichkeiten in der Jugendgruppe. Erfolge in beiden Organisationsbereichen bedingen und multiplizieren sich gegenseitig.“ (Herzog 1975: 77)
Ergänzend kann man anfügen, dass dieser Verstärkungseffekt auch für Typ 1 angenommen werden kann. Geringe 16,7 Prozent engagierten sich erst nach Parteieintritt in der jeweiligen Jugendorganisation. Lediglich drei Spitzenpolitiker hatten zuerst ein Parteiamt inne und wurden anschließend Mitglied der Jugendorganisation. Abbildung 14: Zeitdifferenz zwischen dem Eintritt in die Jugendorganisation und dem Parteieintritt 35
30
Nennungen
25
20
15
10
5
0 10
Zeitdifferenz
Die reine Mitgliedschaft in einer Jugendorganisation muss noch keinen positiven Effekt auf den Aufstiegsprozess in der Mutterpartei haben – abgesehen davon, dass diese Personen sehr früh Parteimitglied werden. Ein Beschleunigungseffekt durch die Mitgliedschaft in einem Jugendverband kann erst dann unterstellt werden, wenn der spätere Spitzenpolitiker Führungsaufgaben in der Parteijugend wahrnimmt und so innerhalb der Partei an Profil gewinnt. Im Folgenden soll daher ein kurzer Blick auf die Art und den Umfang des Engagements in der Jugendorganisation geworfen werden.
135
Ein Viertel der Spitzenpolitiker hatte keine Führungsfunktionen in der Parteijugendorganisation oder gab diese zumindest nicht im Fragebogen an.21 14,5 Prozent berichteten, ein Führungsamt inne gehabt zu haben. Alle anderen Spitzenpolitiker hatten mindestens zwei führende Funktionen in der Parteijugend inne, darunter auch Politiker mit bis zu sechs unterschiedlichen Funktionen. Die Mehrzahl der jungen Abgeordneten durchlief zahlreiche Leitungsfunktionen in den Nachwuchsverbänden. Knapp 70 Prozent berichteten von zwei oder mehr derartigen Aufgaben, lediglich 15 Prozent hatte nur eine Funktion ausgeübt, ebenfalls 15 Prozent waren Mitglieder, ohne leitende Funktionen ausgeübt zu haben. Bemerkenswert ist zudem, welche Positionen übernommen wurden. Jeder fünfte Spitzenpolitiker gab an, Vorsitzender der Nachwuchsorganisation auf Orts- oder Stadtebene gewesen zu sein, 18 Prozent waren dies auf Kreis- oder Unterbezirksebene. Der Grund für die Beliebtheit dieser beiden Positionen innerhalb der Jugendorganisation besteht wohl auch in der Tatsache, dass in der Regel die Vorsitzenden der Jugendarbeitsgemeinschaft ex officio Mitglied im Vorstand der Mutterpartei auf der jeweiligen Ebene sind. Zudem waren 12 Prozent aller Spitzenpolitiker in ihrer Karriere im Landesvorstand der Jugendorganisation ihrer Partei. Im Sample finden sich immerhin neun ehemalige Landesvorsitzende und ein ehemaliger Bundesvorsitzender (Matthias Wissmann). Bei den jungen Abgeordneten wird die Funktion der Jugendorganisation als Karrierevehikel noch deutlicher. Knapp 40 Prozent der Befragten waren Vorsitzende der Jugendorganisation ihrer Partei auf Kreis- oder Unterbezirksebene, 30 Prozent waren dies auf Ortsebene. Ebenso waren 30 Prozent Mitglied im Landesvorstand der Nachwuchsorganisation, fast jeder fünfte Nachwuchspolitiker war Landesvorsitzender in der Jugendorganisation der jeweiligen Partei. Die Jugendorganisationen lassen sich daher eindeutig als Sprungbrett für politische Karrieren bezeichnen. Diese These wird auch durch die Selbsteinschätzung der Befragten in Bezug auf die Karrierefunktion der Parteijugendorganisationen bestätigt. Auf die Frage, welche Bedeutung die Mitarbeit in den Nachwuchsgruppen der Parteien für die eigene politische Laufbahn gehabt hat, maßen nur 30 Prozent der Spitzenpolitiker diesem Engagement keine Bedeutung zu, für knapp die Hälfte war es hilfreich und für jeden Fünften war es sogar unabdingbar (vgl. Tabelle 30). Bei den Jungpolitikern ist sogar fast jeder Zweite der Meinung, dass die eigene politische Karriere ohne Mitarbeit in der Parteijugend nicht möglich gewesen wäre.
21 Da diese Daten oft weit zurücklagen oder vor dem Hintergrund einer erfolgreichen politischen Karriere in der Retrospektive irrelevant erscheinen, dürfte die tatsächliche Zahl der Spitzenpolitiker ohne Führungsamt in der Parteijugend wohl geringer sein.
136
Tabelle 30: Bedeutung der Jugendorganisation für die politische Karriere (Selbsteinschätzung) Die Mitarbeit in der Jugendorganisation…
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
N
%
N
%
… hat keine Auswirkungen auf meine politische Karriere gehabt.
22
29,7
10
14,1
… war für meine weitere politische Laufbahn hilfreich.
36
48,6
26
36,6
… war für meine weitere politische Laufbahn unabdingbar.
16
21,6
35
49,3
Gesamt
74
100,0
71
100,0
Die Jugendorganisationen der Parteien haben damit eindeutig die Funktion als „Startpunkt und Katalysator politischer Laufbahnen“ (Golsch 1998: 146). Dieses Ergebnis ist scheinbar auch unabhängig von der Tatsache, dass die Parteinachwuchsorganisationen in den letzten 30 Jahren massiv an Mitgliedern verloren haben (vgl. Wiesendahl 2006: 55; Walter 2005). Vor allem die Junge Union scheint für junge CDU- und CSU-Mitglieder ein beliebtes Karrieresprungbrett zu sein. Sie ist im Vergleich zu ihrer sozialdemokratischen Konkurrenz offensichtlich bedeutsamer, was nach Grunden auf eine Reihe struktureller Vorteile zurückführen ist. Demnach wären das höhere quantitative Mobilisierungspotential, die größere kollektive Handlungsfähigkeit und programmatische Anschlussfähigkeit und nicht zuletzt ihre parteipolitische Funktionserfüllung begünstigende Faktoren (vgl. Grunden 2006). In Bezug auf die Kontrastgruppe kann man den Ausblick wagen, dass die Bedeutung noch zunehmen wird. Dies liegt auch daran, dass sich auch die Nachwuchsverbände der drei kleineren Parteien FDP, Grüne und – mit Abstrichen – Die Linke organisatorisch verfestigt und ihren Platz als Sprosse in der Karriereleiter gefunden haben – der erste Bundesvorsitzende der JuLis, Guido Westerwelle ist dafür ein sehr gutes Beispiel.
5.4.6 Innerparteiliche Funktionen und Aufstiegsprozesse Es wurde bereits darauf verwiesen, dass kaum systematisch angelegte Untersuchungen über parteiinterne Karriereverläufe existieren. Ein Grund dafür liegt in der Schwierigkeit entsprechende Informationen zu erhalten, da Handbücher und Biographien oft nur herausgehobene Positionen in der Partei aufführen. Herzog weist auf eine weitere Erklärung hin:
137
„Zudem neigt die Elitenforschung dazu, Positionswechsel und Ämterkumulationen lediglich im oberen Bereich der Führungsgruppen für interessant zu erachten. Für die Funktionsfähigkeit eines demokratischen Selektionssystems, insbesondere für den Prozeß der Auswahl und Qualifizierung politischen Führungspersonals in den Parteien, ist jedoch die Frage nach Karrierestufen im lokalen und regionalen Bereich des politischen Systems von mindestens gleichrangiger Bedeutung.“ (Herzog 1975: 67)
Daher bleibt in vielen Elitenstudien oft im Verborgenen, wie und auf welcher Ebene ihrer Parteiorganisation die späteren Spitzenpolitiker ihre Laufbahn begannen, und wie parteiinterne Aufstiegsprozesse grundsätzlich aussehen. Im folgenden Abschnitt wird versucht, die politischen Karrieren deutscher Spitzenpolitiker innerhalb ihrer Partei nachzuzeichnen und Strukturmuster parteiinterner Karriereverläufe zu identifizieren. Tabelle 31: Durchschnittliche Dauer (in Jahren) bis zur Übernahme des ersten Parteiamts Spitzenpolitiker N
MW
Nachwuchspolitiker SDa
N
MW
SD
CDU
40
5,4
5,0
22
2,3
2,9
CSU
10
4,1
4,2
4
0,8
1,0
SPD
32
4,6
4,8
12
1,7
1,6
FDP
13
6,6
6,1
13
2,3
3,1
Grüne
9
3,1
5,1
11
2,5
2,3
Linkspartei
12
12,2
9,0
10
1,6
2,8
Andere Parteien
__
__
__
1
3,0
__
Gesamt
116
5,7
5,9
73
2,1
2,5
a
SD steht für Standardabweichung (‚mittlerer Fehler’): Maß für die Streuung der Werte um ihren Mittelwert.
Der Parteieintritt als Initialzündung für einen Aufstieg innerhalb der Partei wurde bereits beleuchtet. Bei den Spitzenpolitikern bleibt es jedoch in der Regel nicht bei der reinen Mitgliedschaft.22 Das Typische an der viel zitierten „Ochsentour“ ist das Hochdienen über eine Vielzahl von Parteiämtern. Dabei kann man zunächst einen Blick darauf werfen, wie viel Zeit zwischen dem Parteieintritt und der Übernahme des ersten Parteiamts vergeht. Die Spitzenpolitiker übernahmen das erste Amt in ihrer Partei meist sehr bald nach Eintritt in die Partei. Ein Drittel hatte von Anfang an oder bereits nach einem Jahr ein Amt in ihrer 22 Knapp acht Prozent der Spitzenpolitiker gaben an, kein Parteiamt inne gehabt zu haben. Fünf Prozent machten keine Angaben zu ihren innerparteilichen Karriereverlauf.
138
Partei inne, nach fünf Jahren sind dies bereits knapp 60 Prozent der TopPolitiker. Im Schnitt benötigt ein Spitzenpolitiker 5,7 Jahre bis zum ersten parteiinternen Amt (vgl. Tabelle 31), bei einer doch sehr hohen Streuung der Werte. Grüne Spitzenpolitiker benötigen dabei die kürzeste Zeit, um das erste Amt in ihrer Partei zu erringen. Deutlich länger dauert dies bei CDU und FDP. Der hohe Durchschnittswert bei der Linkspartei liegt an fünf Spitzenpolitikern mit extrem großer zeitlicher Distanz zwischen Eintritt in die SED und den angegebenen Parteifunktionen in der heutigen Linkspartei in den 90er Jahren. Bei den Nachwuchspolitikern sind nur geringe Unterschiede zu beobachten, der Schnitt liegt hier bei 2,1 Jahren und ist damit deutlich unter dem der Spitzenpolitiker. Bei den Ebenen des Engagements in der Parteiorganisation fällt auf, dass mehr Spitzenpolitiker, auf der Landesebene engagiert waren als auf der Ortsoder Kreisebene. Knapp 80 Prozent der Spitzenpolitiker gaben an, Funktionen auf Landesebene inne gehabt zu haben, die Kreis- oder Unterbezirksebene erwähnten 71,2 Prozent, die Orts- oder Stadtverbandsebene 62,9 Prozent. Am seltensten werden Bundesebene (57,5 %)23 und Bezirksebene (44,7 %) genannt.24 Sieht man sich die Verteilung der Ebenen nach Parteien an, treten deutliche Unterschiede zu Tage. Die Volksparteien CDU, CSU und SPD weisen eine deutlich dezentralere Struktur auf, als FDP, Grüne und Linkspartei. Bei ersteren erhielt die Kreis- und Unterbezirksebene die meisten Nennungen, bei letzteren die Landesebene. Allerdings sagt die erreichte Ebene noch wenig über Aufstiegsmuster in der Partei aus. In Tabelle 32 wurden die Führungspositionen innerhalb einer Partei aufsteigend angeordnet. Zudem wird dargestellt, wie viele Spitzenpolitiker einzelne Positionen jeweils eingenommen haben, wie lange sie nach den Eintritt in die Partei bis zur Übernahme des jeweiligen Parteiamts benötigt haben und wie lange sie diese Position durchschnittlich besetzten. Die Positionshäufigkeit, die Mittelwerte der Zeitabstände zwischen den verschiedenen Positionen und die durchschnittliche Verweildauer auf der einzelnen Position können zusammen die innerparteilichen Aufstiegsprozesse nachzeichnen. Die am häufigsten besetzten Ämter waren „Mitglied im Landesvorstand“ (41,0 %), „Kreis- oder Unterbezirksvorsitzende/r“ (39,6 %) und „Mitglied im Vorstand auf Orts- oder Stadtverbandsebene“ (32,8 %). Diese häufig bekleideten 23 Da die CSU keine Organisation auf Bundesebene hat, wurden die CSU-Politiker an dieser Stelle nicht hinzu gerechnet und damit die Prozentuierungsbasis angepasst. 24 Ein Grund ist wohl auch, dass nicht in allen Parteien oder in allen Landesverbänden der Parteien die Ebene des Bezirks existiert. So hat beispielsweise die CDU lediglich 27 Bezirksverbände unterhalb der insgesamt 17 Landesverbände. Auch einige Landesverbände der SPD verzichten in ihrer Organisationsstruktur auf Bezirke. So haben beispielsweise die 43 badenwürttembergischen SPD-Kreisverbände nur den Landesverband und die Bundespartei über sich.
139
Positionen benötigen jedoch eine unterschiedliche Vorlaufzeit. Sind die Spitzenpolitiker im Schnitt ein halbes Jahr nach Eintritt in die Partei bereits Mitglied im Ortsvorstand, dauert der Sprung auf den Vorsitz auf Kreis- oder Unterbezirksebene durchschnittlich 8,6 Jahre. In Landesvorstand der Partei gelangen die politischen Spitzenkräfte nach gut 10 Jahren. Generell kann man feststellen: Je höher die Position, desto länger benötigt der durchschnittliche Spitzenpolitiker, um sie zu erreichen. Tabelle 32: Die „Ochsentour“ – Innerparteiliche Karriereverläufe Anteil Zahl der SpitzenNenpolitiker nungen m.d. Position
Ebene/ Position
Vorsitzende/r BundesEbene
Landesebene
Bezirksebene Kreisoder Unterbe zirksebene Ortsoder Stadtver bandsebene a
140
3
2,4
Jahre bis zum Erreichen
Durchschn. Verweildauer in Jahren
Mittelwert
SD
Mittelwert
SD
a
17,7
12,7
6,0
5,0
a
12,7
7,5
3,4
2,2
a
14,6
7,9
3,4
3,6
a
11,6
9,4
6,3
6,6
Stv. Vorsitzende/r
7
5,7
Mitglied im Parteipräsidium
17
13,8
Mitglied im Parteivorstand
33
Vorsitzende/r
29
21,6
10,6
9,4
6,2
3,8
Stv. Vorsitzende/r
22
16,4
9,6
7,2
5,7
4,8
Mitglied im Parteivorstand
55
41,0
10,2
9,2
9,3
6,4
Vorsitzende/r
25
18,7
11,2
7,8
7,3
4,9
Stv. Vorsitzende/r
14
10,4
13,0
6,5
8,6
5,5
Mitglied im Vorstand
26
19,4
6,3
7,6
11,6
8,5
Vorsitzende/r
53
39,6
8,6
7,8
10,0
5,6
Stv. Vorsitzende/r
20
14,9
5,9
5,6
7,8
5,4
Mitglied im Vorstand
42
31,3
4,2
6,6
12,1
8,1
Vorsitzende/r
33
26,8
5,3
6,6
7,6
5,8
Stv. Vorsitzende/r
14
10,4
2,2
2,8
5,5
4,8
Mitglied im Vorstand
44
32,8
0,5
1,9
9,5
5,8
24,6
Ohne CSU-Politiker (Prozentuierungsbasis geändert)
Die oft vermutete „Ochsentour“, die langwierige, beharrliche Bewährung in lokalen und regionalen Funktionen (vgl. Golsch 1998: 142), erfährt hier eine empirische Bestätigung. Dadurch wird auch eines der Ergebnisse aus Herzogs Untersuchung unterstrichen. In den deutschen Parteien existieren zudem offensichtlich strategische Parteipositionen. Dazu zählt zweifelsohne das Amt des Kreis- oder Unterbezirksvorsitzenden. Knapp 40 Prozent der deutschen politischen Elite hatten diese Funktion schon einmal inne. Die Bedeutung der Position liegt wohl auch im deutschen Wahlsystem begründet, denn die Parteiorganisation auf Wahlkreisebene nominiert die Direktkandidaten für die Landesparlamente oder den Bundestag. Wer Kreisvorsitzender ist, sichert sich mit diesem Amt im Rücken den Einfluss auf die lokalen Selektoren. „Die strategisch günstigste Position für eine erfolgreiche Bewerbung um ein Mandat ist die des Partei-Kreisvorsitzenden, da mit diesem Amt eine gewisse Kontrolle über den Parteiapparat und ein relativ hoher Bekanntheitsgrad unter den Parteimitgliedern verbunden sind.“ (Borchert/Golsch 1995: 127; vgl. dazu ebenfalls: Zeuner 1970)
Daher ist es verständlich, dass Spitzenpolitiker diese Ämter an der Basis auch beibehalten, wenn sie innerhalb der Parteiorganisation oder innerhalb der Parlamente weiter aufsteigen. Die untersuchten politischen Führungskräfte waren im Schnitt 10 Jahre Kreis- oder Unterbezirksvorsitzende und 12 Jahre im Kreisvorstand ihrer Partei. „Vermutlich behalten sie [die Spitzenpolitiker; Anm. d. Verf.] ihre parteipolitischen Startpositionen deshalb solange bei, um auf diese Weise ihren Einfluß auf ihre Basisorganisation zu sichern. Auch kann so die Wiederaufstellung als Bundestagsbewerber oder die Kandidatur für Landes- bzw. Bezirks- und Bundesvorstände der Parteien abgestützt werden.“ (Herzog 1975: 71)
Borchert/Golsch sind der Auffassung, dass der Landesvorstand einer Partei gegenüber dem Amt des Kreisvorsitzenden eine geringere Rolle spielt (Borchert/Golsch 1995: 127). Die Daten in Tabelle 32 weisen dagegen in die gegenteilige Richtung. Im Sample fanden sich mehr Landesvorstandsmitglieder als Kreis- oder Unterbezirksvorsitzende, 41 Prozent der Spitzenpolitiker übten in ihrer Karriere diese Funktion aus. Golsch fand bei seiner Untersuchung der Bundestagabgeordneten 1998 ebenfalls sehr viele Landesvorstandsmitglieder unter den MdBs, er bezeichnet jedoch die herausgehobene Rolle der Landesebene als „überraschend“ (Golsch 1998: 152). Führt man sich jedoch die Nominierungsverfahren der Parteien nochmals vor Augen, ist der hohe Anteil der Spitzenpolitiker mit Sitz im Landesvorstand der Partei alles andere als überraschend. Schließlich werden die Landeslisten der Partei zu Bundestags- oder Landtagswahlen auf dieser Ebene festgelegt. Als Mitglied des Vorstands auf Landesebene bringt man eine erhöhte Sichtbarkeit bei den Landesdelegiertenversammlungen 141
oder -parteitagen mit. Zudem werden auf den Parteilisten häufig die Vorsitzenden der innerparteilichen Vereinigungen auf vorderen Plätzen positioniert. Diese sind in der Regel kraft Amtes Mitglied des Landesvorstands oder werden mit Unterstützung der in der Vereinigung organisierten Mitglieder in den Parteivorstand gewählt. „Mitglied im Landesvorstand“ ist daher eindeutig eine strategische Position innerhalb der Parteiorganisation. Wie das Amt des Kreisvorsitzenden werden Landesvorstandsposten sehr lange ausgeübt (knapp 10 Jahre), auch wenn der Politiker zwischenzeitlich höhere öffentliche Ämter erreicht. Die These vom strategischen Charakter dieser beiden Parteiämter wird durch weitere Befragungsergebnisse gestützt. Die Spitzenpolitiker wurden gefragt, ob es in ihren Augen eine Position in ihrer Partei gibt, die für eine erfolgreiche Karriere besonders wichtig ist. Über die Hälfte der Spitzenpolitiker und der jungen Abgeordneten bejahte diese Frage. Blickt man auf die genannten Positionen, erkennt man die beiden strategischen Positionen wieder. Über ein Drittel aller Nennungen der Top-Politiker entfiel auf das Amt des Kreisvorsitzenden der Partei, ein Fünftel der Spitzenpolitiker nannte Positionen im Landesvorstand, darunter sehr häufig die des Landesvorsitzenden. An dritter Stelle rangieren überregionale Führungspositionen in den Jugendorganisationen der Partei, deren Bedeutung im vorausgegangenen Abschnitt bereits herausgestellt wurde. Die Vergleichsgruppe der jungen Abgeordneten setzt den Vorsitz in der Jugendorganisation sogar auf Platz eins ihrer Rangliste mit den wichtigsten innerparteilichen Positionen, über ein Fünftel der Jungparlamentarier erkennt darin eine besonders wichtige innerparteiliche Station. Auch dieses Ergebnis kann man mit der Bedeutung angesprochener Positionen für die Listenaufstellungen erklären.
5.4.7 Die Bedeutung innerparteilicher Arbeitsgemeinschaften und anderer Netzwerke Neben den bereits vorgestellten Jugendorganisationen verfügen die Parteien in Deutschland über einen bunten Strauß weiterer innerparteilicher Arbeitsgemeinschaften und Gruppierungen, die man unter dem Sammelbegriff Faktionen zusammenfassen kann (vgl. zum Thema Faktionalismus in politischen Parteien: Köllner/Basedau 2006: 14ff). Neben der Parteijugend sind es vor allem auch andere „soziologischen Gruppen“ (vgl. Dümig/Trefs/Zohlnhöfer 2006: 101), die man an dieser Stelle beachten sollte. Eine der bedeutenden soziologischen Gruppen sind die Frauenorganisationen der Parteien. Gerade die Volksparteien CDU/CSU (FU – Frauenunion) und SPD (ASF – Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen) weisen einflussreiche Frauenorganisationen mit „organisatorischer Sonderstellung“ (Hoecker 1995: 99). Allerdings scheinen sie für den
142
individuellen politischen Aufstieg des weiblichen Spitzenpersonals nicht im gleichen Maße wie die Parteijugend karriererelevant zu sein. Von den 39 Spitzenpolitikerinnen waren zwar 24 (61,5 %) Mitglied der Frauenorganisation ihrer Partei, allerdings traten nur 13,6 Prozent der weiblichen Spitzenpolitiker eher der Frauenorganisation bei als der Partei, 60 Prozent entschieden sich erst nach Eintritt in die Partei auch für die Arbeitsgemeinschaft. 30 Prozent wurden erst Mitglied der Frauenorganisation, nachdem sie bereits ein Amt in der Partei erreicht hatten. Knapp die Hälfte der Spitzenpolitikerinnen, die Mitglied einer Frauenorganisation waren, hatte in dieser Arbeitsgemeinschaft keine Funktion inne. Bei den Jungpolitikerinnen zeigt sich dieses Bild noch deutlicher. Nur 9 von 23 jungen weiblichen Abgeordneten waren Mitglied einer Frauenorganisation (bei den Jugendorganisationen: 22 von 23). Unter den Nachwuchspolitikerinnen findet sich keine Frau, die vor dem Eintritt in die Partei bereits bei der Frauenorganisation dieser Partei war. Zudem hatten zwei Drittel der jungen Politikerinnen bereits ein Parteiamt inne, ehe sie Mitglied der Frauenarbeitsgemeinschaft wurden. Hoecker hatte bereits 1995 darauf verwiesen, dass gerade für junge Frauen in der SPD die ASF keine wichtige Rolle spielt und demnach die ASF „als Kohorte der 68er Generation überaltert ist“ (Hoecker 1995: 101). Trotz dieser Einwände ist Hoecker der Auffassung, dass die Bedeutung der Frauenorganisationen in den letzten Jahren einen Zuwachs erfahren hat (vgl. Hoecker 1998: 69). In der Tat scheinen bei einigen Spitzenpolitikerinnen herausragende Positionen in den Frauenarbeitsgemeinschaften die eigene Karriere im erheblichen Umfang beschleunigt zu haben. So war beispielsweise Elke Ferner, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, vor ihrem erstmaligen Einzug in den Deutschen Bundestag 1990 ein Jahr zuvor in den Landesvorstand der ASF im Saarland gewählt worden. 1991 wurde sie ASFLandesvorsitzende, drei Jahre später verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und 1998 Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Die Wahl zur Bundesvorsitzenden der ASF im Mai 2004 gab ihr auch für ihre Karriere innerhalb der SPD und im Parlament Rückenwind. Sie wurde im November 2005 sowohl stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD als auch stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Ein ebenso gutes Beispiel ist die bayerische Wirtschaftsministerin Emilia Müller (CSU). Sie schaffte es aus der Position der FU-Bezirksvorsitzenden (seit 1996) heraus 1999 ein Mandat im Europäischen Parlament zu erringen. 2003 wurde sie Staatssekretärin im bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, was wiederum positive Auswirkungen auf ihre Karriere in der FU hatte. Ende Juli 2005 wurde sie zur Landesvorsitzenden der Frauen Union in Bayern gewählt. Mit dieser Funktion im Rücken ließ der nächste Karriereschritt nicht lange auf sich warten. Nur drei Monate später holte sie der damalige baye-
143
rische Ministerpräsident Edmund Stoiber als Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten in sein Kabinett, unter Ministerpräsident Beckstein übernahm sie das Wirtschaftsministerium. Eine beachtliche Zahl der Spitzenpolitiker hat sich neben den Frauen- und den Jugendarbeitsgemeinschaften auch noch in weiteren innerparteilichen Gruppierungen engagiert. Über 40 Prozent der Inhaber politischer Führungspositionen bejahte die Frage, ob er oder sie in weiteren Arbeitsgemeinschaften der Partei Verantwortung getragen hat. Dabei treten Unterschiede zwischen den Parteien auf. Die Grünen zeigen sich in dieser Frage sehr partizipationsfreudig, ein Anteil von 77 Prozent ihrer Spitzenpolitiker war in weiteren innerparteilichen Gruppierungen in der Verantwortung. Ebenfalls einen hohen Anteil weist die Linkspartei (53,8 %) auf, während Spitzenpolitiker der SPD weniger in innerparteilichen Gruppierungen engagiert waren (16,7 %). Ebenfalls bemerkenswert sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Während knapp 60 Prozent der weiblichen Spitzenpolitiker neben den Jugend- und Frauengruppen noch in weiteren innerparteilichen Faktionen tätig waren, waren dies unter ihren männlichen Kollegen nur ein Drittel (32,6 %). Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass sich Frauen in den Parteien noch weitere Betätigungsmöglichkeiten suchen, um bei eventuellen Kandidaturen ein zweites oder drittes Standbein neben den üblichen Parteiämtern vorweisen zu können. Die Nachwuchspolitiker sind in einem ähnlichen Maße in parteiinternen Gruppierungen engagiert (44 %), auch hier sind es Politiker der SPD, die am zurückhaltendsten sind: Knapp acht Prozent hatten Funktionen in anderen Vereinigungen als der ASF und den Jusos. Auch unter den jüngeren Abgeordneten ist zu beobachten, dass Frauen in höherem Umfang in Arbeitsgemeinschaften partizipieren als Männer. Ein Blick auf die thematischen Schwerpunkte der Arbeitsgemeinschaften offenbart, dass es keine dominierenden Felder gibt, sondern die innerparteilichen Gruppierungen prinzipiell alle Themenfelder der Politik abdecken. Häufig genannt wurden die Parteivereinigungen mit Schwerpunkt Wirtschaft oder Landwirtschaft, wie beispielsweise die Mittelstandsvereinigungen MIT (CDU), MU (CSU) oder der CDU-nahe Wirtschaftsrat. Ebenfalls vergleichsweise oft genannt wurden die quasi-berufsständischen Vereinigungen, wie beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) in der SPD, die Vereinigung Liberaler Juristen (VLJ) in der FDP oder der Arbeitskreis Polizei der CSU. Vergleichsweise selten waren die Spitzenpolitiker in den an sich als einflussreich geltenden Arbeitnehmervereinigungen tätig. Nur eine Handvoll Top-Politiker war in führenden Funktionen der AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD) oder der CDA (ChristlichDemokratische Arbeitnehmerschaft in der CDU) bzw. der CSA (Arbeitnehmerschaft der CSU). Ebenfalls als einflussreich gelten die Vereinigungen der Kom-
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munalpolitiker wie die KPV (Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU) oder die Bundesvereinigung Liberaler Kommunalpolitiker (VLK) der FDP, sie tauchten jedoch ebenfalls selten als Antwort auf. Ähnliches gilt für die Arbeitsgemeinschaften im Bereich der Kirchen, wie der Evangelische Arbeitskreis (EAK) in den Unions-Parteien. Bei den Nachwuchspolitikern stehen Arbeitsgemeinschaften mit Bezug zum Themenbereich Wirtschaft ebenfalls weit oben in der Beliebtheitsskala. Noch häufiger allerdings werden Vereinigungen mit Schwerpunkt Bildung und Hochschule genannt, wie beispielsweise die AFB (Arbeitsgemeinschaft für Bildung in der SPD), oder auch die studentischen Vereinigungen der Parteien wie RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) der CDU/CSU oder die LHG (Liberale Hochschulgruppen). Diese Arbeitsgemeinschaften dienen den Nachwuchspolitikern offensichtlich auch dazu, sich bei dem für sie oft bedeutenden Bildungs-Thema zu profilieren, was dem innerparteilichen Aufstieg förderlich sein kann. Noch keine Nennung fiel auf die noch jungen Vereinigungen der älteren Parteimitglieder.25 Sowohl die AG60plus (Arbeitsgemeinschaft der Älteren in der SPD) als auch die SU (Senioren Union der CDU Deutschlands; vgl.: Kohli/Neckel/Wolf 1999: 497f), die SEN (Senioren Union der CSU) oder die LiS (Liberale Senioren) haben in den letzten Jahren innerhalb ihrer Parteien an Bedeutung gewonnen. Dieser Prozess könnte sich angesichts der älter werdenden Gesellschaft und der fortschreitenden Überalterung der Parteien noch weiter verstärken (vgl. Alber 1994; Kohli/Neckel/Wolf 1999: 479; Mackroth/Ristau 1994; Ristau/Mackroth 1993). Die Analyse der Karrierefunktion innerparteilicher Vereinigungen und Gruppierungen ergibt insgesamt ein eher ambivalentes Bild. Für 40 Prozent der Spitzenpolitiker scheinen die Arbeitsgemeinschaften innerhalb der Parteien für ihren persönlichen Karriereverlauf bedeutsam gewesen zu sein. Sie berichteten von verschiedensten Gruppierungen, in denen sie zum Teil hohe Funktionen innehatten. Dass sich ein derartiges innerparteiliches Engagement bei möglichen Karrieresprüngen positiv auswirken kann, machen die Beispiele zweier Parlamentarischer Staatssekretäre deutlich. Der PStS beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Gerd Andres (SPD), bekleidete bereits vor seinem Einzug in den Deutschen Bundestag 1987 Führungsfunktionen in der AfA auf kommunaler Ebene. Während seiner Zeit als MdB stieg er in den Bundesvorstand der AfA auf und wurde unter anderem deren stellvertretender Bundesvorsitzender. Diese 25 Im Vergleich zu den anderen Arbeitsgemeinschaften wurden die Senioren-Vertretungen erst relativ spät gegründet. Die Arbeitsgemeinschaft SPD 60plus wurde 1994 ins Leben gerufen. Bereits 1988 wurde die Senioren Union der CDU gegründet, sie ist damit die älteste Seniorenvertretung. Startschuss für die Senioren Union der CSU war ein Beschluss des CSU-Parteitages vom 9. September 1995. Der Bundesverband Liberale Senioren wurde am 22. September 2001 in Erfurt gegründet. Auch die neue Linkspartei hat mit der SAG (Seniorenarbeitsgemeinschaft der Partei DIE LINKE) eine spezielle Arbeitsgemeinschaft der älteren Parteimitglieder.
145
Ämter sorgten für Rückenwind in seiner parlamentarischen Karriere. Als AfABundesvorstandsmitglied wurde er 1997 sozialpolitischer Sprecher der SPDBundestagsfraktion und ein Jahr später nach dem Regierungswechsel Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Auch sein Amtskollege beim Bundesverteidigungsminister, PStS Christian Schmidt (CSU), profitierte offensichtlich von seinem Engagement in innerparteilichen Gruppierungen. Er schaffte den Sprung in den Bundestag als Bezirksvorsitzender der Jungen Union in Mittelfranken und konzentrierte sich im Parlament auf die Bereiche Verteidigung und Außenpolitik. Er wurde zunächst außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe. In diese Zeit fiel seine Wahl zum Landesvorsitzenden des Wehrpolitischen Arbeitskreises der CSU, der später in Außen- und sicherheitspolitischen Arbeitskreis (ASP) umbenannt wurde. Diese Führungsfunktion gab ihm für seine Arbeit im Bundestag einen weiteren Schub. Er wurde verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion und 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Allerdings kann man aus diesen beiden Fällen keine generellen Regeln zur Karrierefunktion der Parteiarbeitsgemeinschaften ableiten – zu heterogen ist die Landschaft innerparteilicher Gruppen und zu verschieden sind die Aufstiegswege in diesen Faktionen. Zudem muss man bei der Betrachtung parteiinterner Gruppierungen beachten, dass es Zusammenschlüsse gibt, die offensichtlich einflussreich sind, jedoch keine oder nur teilweise eine formale Struktur oder Organisation haben. Die geringe Anzahl von SPD-Spitzenpolitikern mit einem Engagement in den offiziellen Vereinigungen der Partei über die Jusos und ASF hinaus könnte auch an den einflussreichen internen Zusammenschlüssen von Mitgliedern der Partei oder und vor allem der Bundestagsfraktion liegen. Sowohl der pragmatische „Seeheimer Kreis“ (vgl. Gebauer 2005) als auch die Parlamentarische Linke gelten als wichtige Netzwerke in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Dazu kam nach der Bundestagswahl 1998 das „Netzwerk Berlin“, ein Zusammenschluss meist jüngerer, reformorientierter Bundestagsabgeordneter, darunter Generalsekretär Hubertus Heil oder Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Obwohl diese drei Gruppierungen offensiv in der Öffentlichkeit auftreten und allesamt eigene Web Sites haben26, findet man weder im Internetauftritt der Fraktion noch der Partei Informationen über diese Faktionen. Im Jahr 2000 kam mit dem „Forum Demokratische Linke 21“ eine weitere innerparteiliche Gruppierung hinzu, die neben der Gründungsvorsitzenden Andrea Nahles mit dem Juso-Bundesvorsitzenden Björn Böhning oder auch dem stellvertretenden. Vorsitzenden der BayernSPD, Florian Pronold, aufstrebende linke Politiker in ihren 26 Vgl. Seeheimer Kreis: http://www.seeheimer-kreis.de; Parlamentarische http://www.parlamentarische-linke.de; Netzwerk Berlin: http://www.netzwerkberlin.de
146
Linke:
Reihen versammelt. Auch in den anderen im Bundestag vertretenen Parteien gab und gibt es informelle Netzwerke und Gruppierungen, die man gerade im Hinblick auf innerparteiliche oder innerparlamentarische Aufstiegsprozesse nicht aus den Augen verlieren sollte. Gerade bei den Grünen scheint nach wie vor bei der Besetzung verschiedener politischen Positionen ein Ausgleich zwischen beiden historisch gewachsenen Strömungen der Partei (vgl. Raschke 1993: 144ff; Richter 2006), dem pragmatischen-reformistischen Flügel („Realos) und dem fundamentalistisch-radikalen Flügel („Fundis“), angestrebt zu werden. Besonderer journalistischer Aufmerksamkeit erfreut sich zudem der so genannte – und eigentlich geheime – „Andenpakt“ (vgl. Guenther 2006) in der CDU. Dieses Karrierenetzwerk soll 1979 von einigen Mitgliedern der Jungen Union in einem Flugzeug hoch über den südamerikanischen Anden gegründet worden sein. Seine Mitglieder gelten heute als ein "who is who" der CDU-Prominenz, darunter sind beispielsweise die Ministerpräsidenten Günther Oettinger, Roland Koch, Peter Müller und Christian Wulff. Sie sollen sich damals gegenseitige Unterstützung in ihren politischen Karrieren zugesichert haben.
5.4.8 Parteiwechsel Während es in den osteuropäischen Transformationsstaaten noch an der Tagesordnung ist, dass Politiker ihre Parteizugehörigkeit häufig ändern (vgl. dazu exemplarisch: tefan 2004: 142), sind prominente Parteiwechsel im bundesdeutschen Parteiensystem eher die Ausnahme. Herzogs Vergleich mit der Privatwirtschaft deutet einen möglichen Grund an: „(...) während für die private Berufslaufbahn der Firmenwechsel neue Aufstiegschancen eröffnen kann, und – aus der Perspektive des Unternehmens – die externe Rekrutierung von Führungskräften durchaus üblich ist, bringt der Parteiwechsel normalerweise eher KarriereNachteile als -vorteile mit sich.“ (Herzog 1975: 64)
Einer dieser Nachteile besteht darin, dass man in der Regel in der neuen Partei wieder Teile der „Ochsentour“ nachholen müsste und das Erreichte in der alten Partei in der neuen nicht unbedingt von Bedeutung sein muss. Allerdings gibt es spektakuläre Parteiwechsel, bei denen es genau die ausgeübten Positionen in der alten Partei sind, die für öffentliches Aufsehen sorgen und gegebenenfalls zu einem schnellen Aufstieg in der neuen Partei führen. Ein Musterbeispiel dafür ist der Parteiwechsel Oskar Lafontaines. Der ehemalige Parteivorsitzende der Sozialdemokraten (1995 bis 1999), SPD-Ministerpräsident, Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister verließ nach langen Auseinandersetzungen mit Parteifreunden 2005 seine politische Heimat und wechselte zur neu gegründeten
147
„Wahlalternative Arbeit&Soziale Gerechtigkeit (WASG)“. Seit der Bundestagswahl 2005 ist Lafontaine mit Gregor Gysi Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und seit dem 16. Juni 2007 steht er zum zweiten Mal in seiner Karriere an der Spitze einer im Deutschen Bundestag vertretenden Partei – zusammen mit Lothar Bisky ist Lafontaine Parteichef der neu gebildeten Partei Die Linke. Die Aussage von Wiesendahl muss daher nicht immer zutreffen: „Partei bleibt Partei, zumal – anders als bei Unternehmerkarrieren – ein Parteiwechsel zuallermeist die Karriere beendet.“ (Wiesendahl 2004: 131)
So Aufsehen erregend der öffentlich inszenierte Wechsel Lafontaines auch war, er bleibt unter den deutschen Spitzenpolitikern eine seltene Ausnahme. Von den 134 Spitzenpolitikern im Sample haben lediglich sechs Spitzenpolitiker im Laufe ihrer Karriere die Partei gewechselt. Über diese seltenen Fälle hinaus sahen vier Spitzenpolitiker der Linkspartei im Übergang von der SED zur PDS und Linkspartei.PDS einen Wechsel der Parteimitgliedschaft. Dies wurde jedoch nicht als genuiner Parteiwechsel behandelt, da die Linkspartei organisatorisch als Nachfolgepartei der SED betrachtet wird. Ein Mitglied der politischen Führungsgruppen gab an, vom Demokratischen Aufbruch (DA) zur CDU gewechselt zu sein. Da der DA nur ein Jahr existierte und in der CDU aufging, kann man auch das nicht als einen aktiven Wechsel des politischen Lagers ansehen. In diesem Falle wäre auch die heutige CDU-Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Parteiwechslerin, da auch sie Mitglied im DA war. Ein echter Parteiwechsel lag hingegen bei einem ostdeutschen Landesminister vor, der in der Wendezeit Mitglied und hoher Funktionär der Deutschen Sozialen Union (DSU) war, diese aber verließ und sich gegen Ende der 90er Jahre der CDU anschloss. Da die DSU als Kleinpartei weiterexistiert, kann man dies als einen aktiven Wechsel der Parteimitgliedschaft ansehen. Dazu kommen zwei Wechsel im linken Lager. Eine Spitzenpolitikerin wechselte sogar zweimal im linken Parteienspektrum. Sie war zunächst Mitglied der SPD, wurde dann Mitglied der DKP, um 1990 den Weg in die PDS zu finden. Eine Berliner Spitzenpolitikerin kehrte der SED bzw. der PDS den Rücken und schloss sich den Grünen an. Die drei verbleibenden Wechsel fanden zwischen den Blöcken im deutschen Parteiensystem statt. Ein Mitglied der Untersuchungsgruppe wechselte von der FDP zu den Grünen, zwei weitere verließen die SPD in Richtung CDU. In der Gruppe der Jungpolitiker haben drei Personen in ihrer relativ kurzen Zeit als Politiker die Partei gewechselt, darunter waren zwei Wechsel im linken Lager (einer von der SPD zur Linkspartei und der andere von den Grünen zur Linkspartei). Ein junger Landtagsabgeordneter wechselte von der CDU zur NPD.
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Parteiwechsel bilden daher insgesamt betrachtet beim politischen Spitzenpersonal eine Ausnahme. Vor allem treten Wechsel bei einschneidenden Veränderungen im Parteiensystem auf. Dies erkennt man deutlich an den bekannten Beispielen seit der Gründung der Bundesrepublik. Mit der Gründung und Etablierung der Grünen kam es zu Wechseln zur neuen Partei hin, aber auch von ihr weg – man denke nur an Otto Schily, der als Mitbegründer der Grünen 1989 zur SPD wechselte. Ebenfalls von Bedeutung für das Parteiensystem war der Koalitionswechsel der FDP von der SPD zur Union, in dessen Folge prominente linksliberale FDP-Mitglieder wie Günter Verheugen oder Ingrid Matthäus-Maier die Liberalen verließen und sich der SPD anschlossen. Den Gründungsprozess der Linkspartei kann man in einem ähnlichen Licht betrachten. Bereits vor der offiziellen Gründung der neuen linken Kraft am 16. Juni 2007 schlossen sich einige Politiker der WASG an, die vorher Verantwortung in anderen Parteien trugen, wie beispielsweise der langjährige SPD-Landesvorsitzenden in BadenWürttemberg und Bundesvorstandsmitglied Ulrich Maurer. Maurer wurde nach der Bundestagswahl 2005 parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und Beauftragter der Linkspartei für den Aufbau der Partei im Westen der Republik. Dass sich die Sogwirkung der Parteigründung am linken Rand fortsetzen kann, belegen einige Beispiele nach dem Gründungsparteitag der Linken. So wechselte zum Beispiel die ehemalige parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im saarländischen Landtag, Barbara Spaniol, zur Linken. Trotz dieser prominenten Einzelfälle ist die Wechselbereitschaft insgesamt als gering anzusehen. Herzog identifiziert eine karrierebedingte Loyalitätsverstärkung als mögliche Erklärung für die geringe Zahl der Parteiwechsel unter deutschen Spitzenpolitikern: „Jedoch darf hier nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich hier um Personen handelt, die zum Teil sehr lange und erfolgreiche Karrieren durchlaufen haben. Parteitreue ist keineswegs notwendigerweise auch als im Lebensverlauf konstante innere Identifikation mit der Partei zu verstehen; sie kann vielmehr erst das Ergebnis einer mehr oder weniger bewußten Anpassung an die Partei sein, die im Verlauf der politischen Karriere immer stärker als Lebensbereich, Machtinstrument und Karriere-Garant erfahren wird.“ (Herzog 1975: 66)
5.5 Ehrenamtliche Ämter in der Kommunalpolitik Erfahrungen in der Bewältigung praktischer Probleme in einem überschaubaren Bereich, die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Interessen des Bürgers und die direkte Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern – aufgrund dieser Voraussetzungen schreibt man der Kommunalpolitik den Ruf als „Schule der
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Politik“ (vgl. Herzog 1975: 85) zu.27 Kommunalpolitische Ämter und Mandate gelten daher als Vorstufe für höhere Ränge der Staatsorganisation. Herzog schränkt jedoch diese generelle Sichtweise an zwei Stellen ein. Zum einen gibt es massive Unterschiede hinsichtlich der kommunalpolitischen Aufgabenstellung und Verantwortung zwischen den großstädtisch-industriellen Ballungsgebieten und kleinen agrarisch-kleingewerblichen Landgemeinden. Zum anderen ist seiner Meinung nach zu beachten, dass kommunalpolitische Ämter nicht nur der politischen Einübung und Qualifikation dienen, sondern auch der „lokalen Absicherung der gesamtstaatlichen Machtposition“ (Herzog 1975: 85). Beleuchtet werden sollen an dieser Stelle lediglich ehrenamtliche kommunalpolitische Funktionen. Hauptamtliche Bürgermeister oder kommunale Wahlbeamte leben von der Politik, sind also bereits Berufspolitiker und werden dementsprechend erst im nächsten Abschnitt behandelt. In diesem Abschnitt steht vielmehr die Frage im Vordergrund, wie hoch der Anteil der Spitzenpolitiker mit Erfahrungen in der Kommunalpolitik ist, und ob diese kommunalen Funktionen zu Recht als eine Sprosse auf der Karriereleiter angesehen werden. Dazu muss auch überprüft werden, in welchem zeitlichen Verhältnis ehrenamtliche und hauptamtliche Ämter und Mandate stehen. Hier kann beispielsweise auch die Frage beantwortet werden, ob es in Deutschland ebenfalls, ähnlich wie im Nachbarland Frankreich, die Figur des „Lokalnotablen“ gibt, der als Bürgermeister zusätzlich und gleichzeitig noch Abgeordneter ist (vgl. Costa/Kerrouche 2007). Tabelle 33 macht deutlich, dass insgesamt fast zwei Drittel der deutschen Spitzenpolitiker in öffentlichen Ämtern auf kommunaler Ebene tätig waren. Dieser hohe Wert übertrifft zum einen Ergebnisse aus Untersuchungen zum Bundestag. So bezifferte Golsch bei seiner umfassenden Abgeordnetenstudie 1998 den Anteil der Kommunalpolitiker im 13. Deutschen Bundestag auf 57 Prozent (vgl. Golsch 1998: 160). Zum anderen ist der Kommunalpolitiker-Anteil auch höher als in Herzogs Untersuchung. In seiner Untersuchungsgruppe hatten 55 Prozent der Spitzenpolitiker Ämter in der kommunalen Selbstverwaltung inne (vgl. Herzog 1975: 86). Den höchsten Anteil von Spitzenpolitikern mit kommunalpolitischen Erfahrungen in der Untersuchungsgruppe weist die FDP mit 76,9 Prozent auf – eine bemerkenswerte Analogie zur Herzogs Studie. Die FDP hatte damals bereits über 70 Prozent Kommunalpolitiker in ihren Reihen und lag damit an der Spitze aller Parteien. Die beiden C-Parteien haben mit 67,4 Prozent (CDU) und 72,7 Prozent (CSU) ebenfalls einen hohen Anteil ehemaliger oder noch amtierender 27 Streng genommen sind die Kommunalvertretungen keine Parlamente, auch wenn umgangssprachlich häufig von den „kommunalen Parlamenten“ gesprochen wird. Im juristischen Sinn sind jedoch Gemeinde- und Stadträte Verwaltungsorgane. Die Mitglieder genießen daher auch keine parlamentarischen Rechte.
150
kommunaler Amtsträger. Eine mittlere Position nimmt die Linkspartei (61,5 %) ein, wohingegen die SPD (55,6 %) und die Grünen (53,8 %) auf den letzten Plätzen liegen. Tabelle 33: Anteil der Kommunalpolitiker: Parteiunterschiede
CDU
Spitzenpolitiker Anteil KommuN nalpolitiker in % 46 67,4
CSU
11
72,7
6
83,3
SPD
36
55,6
13
53,8
Partei
Nachwuchspolitiker Anteil KommuN nalpolitiker in % 22 95,5
FDP
13
76,9
13
53,8
Grüne
13
53,8
11
36,4
Linkspartei
13
61,5
14
64,3
Sonstige / Parteilos Gesamt
2
50,0
2
50,0
134
63,4
81
66,7
Der Anteil kommunalpolitischer Würdenträger ist unter den Nachwuchspolitikern mit gut zwei Drittel (66,7 %) sogar noch höher als bei den hochrangigen Politikern, was jedoch vor allem an den Jungparlamentariern der CDU (Kommunalpolitikeranteil: 95,5 %), der CSU (83,3 %) und der Linkspartei (64,3 %) liegt. Bei den grünen Nachwuchspolitikern war dagegen nur gut jeder dritte Nachwuchspolitiker (36,4 %) im Gemeinde- oder Stadtrat oder im Kreis- oder Bezirkstag tätig. Zudem lassen sich Geschlechterunterschiede ausmachen. Unter den männlichen Spitzenpolitkern fand sich ein höherer Prozentsatz an Kommunalpolitikern (66 %) als bei ihren weiblichen Kollegen (56 %). Dieses Muster ist bei den Nachwuchspolitikern noch ausgeprägter. Männer sind zu einem weitaus höheren Prozentsatz (72 %) Kommunalpolitiker als junge Parlamentarierinnen (52 %). Sowohl Spitzenpolitiker als auch junge Abgeordnete waren am häufigsten in Gemeinde- oder Stadträten tätig (46,3 bzw. 46,9 %). Knapp 30 Prozent der Spitzen- und Nachwuchspolitiker hatten in ihrer politischen Karriere einen Sitz im Kreistag. In einem Bezirkstag saßen dagegen nur fünf Spitzenpolitiker und nur ein junger Abgeordneter, was jedoch angesichts der Seltenheit dieser dritten kommunalen Ebene in den Bundesländern nicht verwundert. Ein Anteil von 13,4 Prozent der politischen Spitzenkräfte durchlief zwei kommunale Ebenen (Gemeinde- oder Stadtrat und Kreistag), bei den jungen Abgeordneten waren dies jeder Zehnte (11,1 %). Die kommunalpolitischen Ämter werden zudem relativ lange beibehalten, im Schnitt knapp 10 Jahre bei den 151
politischen Führungsgruppen und ca. fünf Jahre bei den Nachwuchskräften. Diese Zeitspanne ist zweifelsohne ein Hinweis darauf, dass das Ausüben dieser kommunalpolitischen Funktion der Karriereabsicherung an der Basis dient. Offenbar bleibt es bei der überwiegenden Zahl der Kommunalpolitiker nicht bei der reinen Zugehörigkeit in den Kommunalvertretungen. Jeder dritte Spitzenpolitiker (34,3 %) übte in den Gemeinde- oder Kreisvertretungen zudem eine Führungsposition aus. Unter den Kommunalpolitikern sind dies mehr als die Hälfte (54,1 %). Fast identische Zahlen finden sich bei den Nachwuchspolitikern. Auch in ihren Reihen war ein knappes Drittel (32,1 %) an verantwortlicher Stelle in den kommunalen Gremien tätig, das sind knapp die Hälfte (48,1 %) der Nachwuchspolitiker mit kommunalpolitischen Erfahrungen. Die mit Abstand am häufigsten eingenommene Führungsposition in den Gemeinde- und Stadträten ist dabei – in beiden untersuchten Gruppen – die des Fraktionsvorsitzenden. Unter den sonstigen Funktionen wurde oft das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden genannt, das offensichtlich für die jeweiligen Befragten von Bedeutung war. Im Gegensatz zum französischen Modell des Lokalnotablen fand sich unter den deutschen Führungspolitikern kein amtierender und auch kein früherer ehrenamtlicher Bürgermeister. Der Weg über einen (ehrenamtlichen) Bürgermeistersessel in höhere Sphären der Politik scheint nicht zu existieren. Nicht zu erwarten war daher, dass es unter den jungen Abgeordneten aus den Bundes- und den Landtagen zwei Personen gab, die in ihrer Laufbahn zum ehrenamtlichen 1. Bürgermeister gewählt wurden. Durch den hohen Anteil von Kommunalpolitikern in Reihen der politischen Spitzenkräfte Deutschlands und dem Engagement der Politiker in den kommunalen Vertretungen wird die Karriererelevanz der Kommunalpolitik sehr deutlich. An dieser Stelle muss sich die Frage anschließen, wie sich dieses Element in die Sequenz einer politischen Karriere einfügt. Tabelle 34 versucht daher, die Karrierebedingungen in der Kommunalpolitik in den Gesamtverlauf der politischen Spitzenlaufbahn einzuordnen. Die Spitzenpolitiker schafften den Sprung in ein kommunalpolitisches Amt im Schnitt mit 32,4 Jahren. Allerdings streuen die Werte stark um diesen Mittelwert. Sie reichen von einem Alter von 20 bis 54 Jahren. Knapp 60 Prozent der Führungskräfte waren bei ihrem Einzug in ein kommunales Vertretungsorgan 30 Jahre oder älter. Parteienunterschiede lassen sich dabei nur im geringen Umfang erkennen. Lediglich die Spitzenpolitiker der CDU waren bei dieser Stufe der Karriere mit durchschnittlichen 29,8 Jahren vergleichsweise jung, während liberale Spitzenkräfte mit 38 Jahren bei ihrer ersten kommunalpolitischen Betätigung relativ alt waren. Die politischen Nachwuchskräfte erklimmen die Sprosse Kommunalpolitik mit durchschnittlich 24,6 Jahren. Knapp 15 Prozent waren 20 Jahre oder jünger, knapp 10 Prozent waren 30 oder älter. Wie bei den Spitzenpolitikern waren
152
CDU-Mitglieder mit knapp 24 Jahren relativ jung. Vor ihnen liegen nur grüne Newcomer mit im Schnitt gut 21 Jahren. Wiederum die Ältesten bei der ersten Übernahme eines kommunalpolitischen Mandats waren die Liberalen (27,9 Jahre), auch die CSU-Abgeordneten waren mit 27,2 Jahren älter als der Durchschnitt. Tabelle 34: Stellung des kommunalpolitischen Engagements im Karriereverlauf Spitzenpolitiker
CDU
31
Mittelwerte ZeitdiffeAlter renz (Parteibei eintritt kom. kom. Amt Amt) 29,8 5,5
CSU
8
33,4
Partei N
8,5
Nachwuchspolitiker Zeitdifferenz (kom. Amt Cross Over) 6,6
21
4,9
5
N
Mittelwerte Zeitdifferenz Alter bei (Parteikom. eintritt Amt kom. Amt) 23,8 4,8 27,2
5,2
Zeitdifferenz (kom. Amt Cross Over) 4,9 1,4
SPD
20
32,0
8,3
7,6
7
24,3
5,9
3,3
FDP
10
38,0
13,8
-0,3
7
27,9
7,0
1,6
Grüne
7
33,3
1,7
6,7
4
21,3
2,3
4,3
Linkspartei
7
33,3
12,1
2,1
9
24,9
3,9
1,7
Parteilos
1
42,0
_
8,0
1
20,0
_
0,0
Gesamt
84
32,4
7,7
5,5
54
24,6
4,9
3,2
Die Stellung der Kommunalpolitik in der Karrieresequenz lässt sich am besten bestimmen, wenn man sie in Beziehung zu zwei Marksteinen politischer Karrieren setzt, dem Parteibeitritt und dem Wechsel in die Berufspolitik. Im Schnitt vergehen zwischen dem Parteibeitritt der Spitzenpolitiker und der Übernahme eines kommunalpolitischen Amts 7,7 Jahre. Es gab allerdings auch vier Politiker, die erst Mitglied in einem kommunalen Entscheidungsgremium waren und erst später Parteimitglied wurden. Sie bilden jedoch Ausnahmen. Die sieben Kommunalpolitiker der Grünen benötigten im Schnitt nicht einmal zwei Jahre (1,7), um eine Position in der Kommunalpolitik einzunehmen. Bei FDP-Politikern dauerte dies knapp 14 Jahre. Der Schnitt bei den jüngeren Politikern liegt bei 4,9 Jahren. Jungparlamentarier der SPD mit knapp sechs Jahren und liberale Nachwuchskräfte mit sieben Jahren benötigen in dieser Gruppe die längste Zeit, junge Bündnisgrüne mit 2,3 Jahren die kürzeste. Dem Zeitpunkt des Wechsels in die Berufspolitik ist der Einstieg in die Kommunalpolitik zeitlich 5,5 Jahre im Schnitt vorgelagert. Allerdings gibt es
153
hier große Unterscheide innerhalb der Untersuchungsgruppe. 14 der 84 (16,7 %) Kommunalpolitiker waren erst Berufspolitiker und wurden erst dann Mitglied einer Kommunalvertretung. Eine enorme Spannbreite der Werte dieser Variable sticht heraus. Eine Person wurde erst Berufspolitiker, nachdem sie bereits 26 Jahre lang einer Volksvertretung auf kommunaler Ebene angehörte. Dagegen fand sich im Sample ein Politiker, der bereits 18 Jahre von der Politik leben konnte und erst dann Kommunalpolitiker wurde. Die Tatsache, dass spätere Politiker im Schnitt fünfeinhalb Jahre vor ihrem Wechsel in die Berufspolitik in der Kommunalpolitik Fuß fassen und kommunale Wahlämter knapp 10 Jahre beibehalten, macht deutlich, dass Spitzenpolitiker unterschiedliche Ämter auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems gleichzeitig ausüben. Diese Überlappung bezeichnet Herzog als „vertikale Ämterkumulation“ (vgl. Herzog 1975: 89). Diese kann in Form parteiinterner Ämter auftreten, beispielsweise bei gleichzeitig eingenommenen Vorstandsposten auf lokaler und auf Landesebene der Partei. Sie kann jedoch – wie im Zusammenhang mit kommunalpolitischen Positionen beschrieben – auch in Form der Ausübung eines kommunalen Wahlamtes und der gleichzeitigen Wahrnehmung eines Mandats auf Bundes- oder Landesebene vorkommen. Die „horizontale Ämterkumulation“ liegt dann vor, wenn Positionen in verschiedenen Funktionsbereichen auf der gleichen Organisationsebene verknüpft werden. Herzog zählt dazu beispielsweise die Kombination von Regierungschef und Ministerressort, von Minister und Fraktionschef oder auch von MdB und Verbandsvorsitz. Die Bedeutung der vertikalen Ämterkumulation liegt nach Auffassung Herzogs in der Professionalisierung der Politik begründet. Für den (früher vorherrschenden) Amateurpolitiker spielte es im Grunde keine Rolle, wie lange er in der Politik verbleiben konnte, eher er wieder in den privaten Beruf zurückkehrte. Er war der Politik nicht auf Dauer verhaftet. Beim modernen Karrierepolitiker verhält sich das anders. Er ist objektiv dazu gezwungen, durch eine möglichst vielfältige, zeitlich möglichst lang dauernde vertikale Ämterkumulation seine Chancen auf eine Wiederwahl zu erhöhen. Sein Ziel ist es in der Regel, bis zur Pensionierung in der Berufspolitik zu verweilen. Dies macht es notwendig, „sich ständig in verschiedenen Funktionsbereichen zu engagieren, die ihm zwar keine zusätzlichen Einflusschancen bringen, oft sogar lästig und zeitraubend sind, - die jedoch für seine Wiederwahl, für die Offenhaltung von mehreren Karrierechancen oder allgemein für das Verbleiben in der Politik von grundsätzlicher Bedeutung sind. Konkret heißt das: Auch der prominente Parlamentarier kann abstürzen, wenn er das Vertrauen seiner lokalen Basis, zum Beispiel in seiner Partei, seiner Sonderorganisation, seinem Wahlkreis, verliert.“ (Herzog 1975: 90)
Dies führt zu einer zunehmenden Karrierisierung der Politik. Politische Karrieren laufen in bestimmten Mustern ab. Die vertikale Ämterkumulation, beispiels154
weise in Form kommunalpolitischer Ämter und eines Mandats auf Bunds- oder Landesebene, ist eines dieser Strukturmuster. Legt man, wie es Best und Jahr tun, die Existenz klarer Karrieremuster als Indiz politischer Professionalisierung aus (vgl. Best 2006: 79), erhält man an dieser Stelle einen Hinweis darauf, dass man die Politik als eine Profession ansehen kann. Exakt gegenteilig argumentiert Golsch. Er ist der Auffassung, dass der Professionalisierungsgrad sinkt, wenn sich ein Politiker über einen vergleichsweise langen Zeitraum auf die kommunalpolitische Tätigkeit konzentriert. Dies würde dazu führen, dass die Politik zu einem späteren Zeitpunkt in der persönlichen Biographie zur Erwerbstätigkeit wird (vgl. Golsch 1998: 162). Er vertritt die These, dass die kommunalpolitische Aktivität die Zeit bis zum Übergang in die Berufspolitik tendenziell verlängert (vgl. Golsch 1998: 163). Diese Annahme und die Frage, welche Faktoren dazu geeignet sein können, die Zeitspanne bis zum Sprung in die Berufspolitik zu verkürzen, soll im nächsten Abschnitt überprüft werden.
5.6 Hauptamtliche politische Ämter: Das Cross Over in die Berufspolitik
5.6.1 Erstes bezahltes Amt oder Mandat und Vorpositionen Auf die außerordentliche Bedeutung des Cross Overs in bezahlte politische Ämter und Mandate, das in der Regel einem „point of no return“ in der Karriere eines Politikers gleich kommt, wurde bereits in Abschnitt 5.3.3 hingewiesen. Dieser Abschnitt behandelte zudem bereits das Alter der Spitzenpolitiker bei diesem Schritt der individuellen politischen Professionalisierung, das bei späteren Spitzenpolitikern bei 39,3 und bei den jungen Abgeordneten bei 27,3 Jahren lag. Im folgenden Abschnitt soll diese bedeutende Phase einer Karriere einer noch detaillierteren Analyse unterzogen werden. Tabelle 35: Erste hauptberufliche politische Position Position
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
N
%
kum. %
N
%
Mitglied des Bundestages
36
26,9
26,9
36
44,4
kum % 44,4
Mitglied eines Landesparlaments
63
47,0
73,9
45
55,6
100,0
Mitglied des Europäischen Parlaments
2
1,5
75,4
__
__
__
Landesminister/in oder Senator/in
21
15,7
91,0
__
__
__
Kommunaler Wahlbeamte/r
12
9,0
100,0
__
__
__
Gesamt
134
100,0
81
100,0
155
Tabelle 35 macht zunächst deutlich, dass die erste hauptamtliche politische Tätigkeit nicht zwingend aus einem Mandat im Bundestag oder den Landesparlamenten bestehen muss. Über drei Viertel der deutschen Spitzenpolitiker begannen zwar ihr Leben als Berufspolitiker mit der Übernahme eines Mandats, allerdings finden sich in der Untersuchungsgruppe immerhin 21 Spitzenpolitiker (15,7 %), die unmittelbar als Landesminister oder Senator in die bezahlte Politik gingen, ohne zuvor Abgeordnete gewesen zu sein. Dazu kommen noch neun Prozent, die als kommunale Wahlbeamte in die Berufspolitik starteten. Anders als bei Autoren, die sich auf das Konzept der politischen Klasse stützen (vgl. Golsch 1998), wurden nur Positionen in Betracht gezogen, die man klar und eindeutig als politische Ämter und Mandate bezeichnen kann. Daher wurden Mitarbeiterstellen in Exekutive und Legislative, wie etwa die Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten oder persönliche Referenten von Ministern, nicht berücksichtigt. Diese Vorgehensweise wurde nicht nur theoretisch begründet (vgl. Abschnitt 2.1.3), sie hilft zudem auch, schwierige Abgrenzungsprobleme zu umgehen. Das Beispiel des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin macht dies deutlich. Nach Abitur und Wehrdienst studierte Sarrazin von 1967 bis 1971 Volkswirtschaftslehre. Anschließend war er Assistent am Institut für Industrieund Verkehrspolitik der Universität Bonn und promovierte dort. Von November 1973 bis Dezember 1974 war Sarrazin wissenschaftlicher Angestellter der Friedrich-Ebert-Stiftung, was für Verfechter der „politischen Klasse“ bereits der Übergang in die Berufspolitik darstellen würde. Zu dieser Zeit trat Sarrazin der SPD bei. 1975 wechselte Sarrazin in den öffentlichen Dienst des Bundes. Von 1975 bis 1978 war er als Referent im Bundesministerium der Finanzen tätig, anschließend bis 1981 als Referatsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und ab 1981 erneut im Bundesfinanzministerium. Von 1990 bis 1991 arbeitete Sarrazin in der Treuhandanstalt. Zwischen 1991 und 1997 war er Staatssekretär im Ministerium für Finanzen in Rheinland-Pfalz. Anschließend war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG). In den Jahren 2000 und 2001 war Sarrazin bei der Deutsche Bahn AG beschäftigt. Im Jahr 2002 wurde Sarrazin Finanzsenator in Berlin unter dem regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Dieses ausführliche Beispiel wurde bewusst gewählt. Alle beruflichen Stationen Sarrazins weisen eine große Politiknähe auf. Allerdings war erst die Ernennung zum Senator für Finanzen mit dem verbunden, was im Kern den Unterschied zu seinen Vorpositionen ausmacht, nämlich politische Verantwortung. Während Sarrazin ein sehr gutes Beispiel für einen Einstieg als Landesminister ohne vorheriges Mandat ist, können die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) oder der schleswig-holsteinischen Wirtschaftsminister Dietrich Austermann als Beispiele für den Aufstieg in die politische Elite über hauptamt-
156
liche kommunalpolitische Positionen angesehen werden. Merk studierte von 1976 bis 1981 Rechts- und Politikwissenschaften an der Ludwig-MaximiliansUniversität in München. Nach der Referendariatszeit legte sie 1984 ihr zweites Staatsexamen ab. Im selben Jahr trat sie der CSU bei und wurde Referentin im bayerischen Innenministerium. Sie wechselte 1989 als Juristin ans Landratsamt des Landkreises Neu-Ulm. 1995 wurde sie zur Oberbürgermeisterin der Stadt Neu-Ulm gewählt, 2002 wurde sie in diesem Amt bestätigt. Ein Jahr später holte sie Edmund Stoiber als Justizministerin ins bayerische Kabinett. Austermann war von 1974 bis 1977 hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Barsbüttel/Stormarn und von 1977 bis 1981 von Brunsbüttel/Dithmarschen. Von 1981 bis 1982 übte er als Stadtdirektor und Kämmerer der Stadt Göttingen erneut eine bezahlte kommunalpolitische Tätigkeit aus, ehe er 1982 ein Bundestagmandat errang. Dies behielt er bis ins Jahr 2005, als ihn Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) in das Kabinett der Großen Koalition in Schleswig-Holstein als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr berief. Diese drei unterschiedlichen Wege in die bezahlte Politik (Mandat, Ministeramt, kommunales Amt) weisen trotz der Unterschiedlichkeit eine Gemeinsamkeit auf: Ohne eine Phase der Vorbereitung und der Qualifizierung bleibt der Weg in die bezahlte Politik verschlossen. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Vorerfahrungen die späteren Spitzenpolitiker beim Wechsel in die Berufspolitik aufwiesen. Da die Parteien die faktischen Selektorate sind, wenn es um den Zugang zu hauptamtlichen politischen Positionen geht, wird zunächst überprüft, welche Funktionen spätere Spitzenpolitiker innerhalb der Partei übernehmen, ehe ihnen das Cross Over in den politischen Beruf gelingt. In Tabelle 36 wurden die durchschnittlichen Zeitabstände zwischen der Übernahme einer innerparteilichen Funktion und dem Wechsel in die Berufspolitik aufgelistet. Beim genaueren Hinsehen fallen hier interessante Unterschiede zwischen den einzelnen Positionen auf. Innerparteiliche Funktionen mit einem negativen Vorzeichen könnte man in dieser Betrachtungsweise als Qualifizierungspositionen ansehen, da sie zeitlich vor dem Cross Over in die Berufspolitik liegen. Die späteren Spitzenpolitiker bekleiden diese parteiinternen Posten, um ihren persönlichen Bekanntheitsgrad zu steigern. So wurden beispielsweise 42 spätere Spitzenpolitiker im Schnitt 12 Jahre vor ihrem Wechsel in die Berufspolitik Mitglied im Ortsvorstand ihrer Partei. Für 43 politische Verantwortungsträger kam der Sprung in eine bezahlte politische Tätigkeit 6,6 Jahre nach Erreichen einer Position im Kreisvorstand der Partei. Die beiden erwähnten strategischen Parteipositionen „Kreisvorsitzende/r“ und „Mitglied im Landesvorstand“ liegen sehr nahe beim Wert Null. Der Zeitabstand zwischen der Übernahme dieser Ämter und dem Wechsel in die Berufspolitik ist sehr gering. Dies ist theoretisch nachvollziehbar.
157
Tabelle 36: Zeitabstände (Mittelwerte) zwischen der Übernahme innerparteilicher Funktionen und dem Wechsel in die Berufspolitik in Jahren
Beginn: Bundesvorsitzende/r
3
Mittelwert +11,7
Beginn: Stv. Bundesvorsitzende/r
7
+9,6
4,9
Beginn: Mitglied im Parteipräsidium
17
+11,6
6,8
Ebene/ Position
Bundesebene
Landesebene
Bezirksebene
Kreis- oder Unterbezirksebene
Orts- oder Stadtverbandsebene
XX
Qualifizierungspositionen
N
SD 7,6
Beginn: Mitglied im Parteivorstand
33
+6,7
7,6
Beginn: Landesvorsitzende/r
29
+6,4
8,0
Beginn: Stv. Landesvorsitzende/r
22
+4,8
6,1
Beginn: Mitglied im Parteivorstand
50
2,3
7,2
Beginn: Bezirksvorsitzende/r
23
+6,2
7,4
Beginn: Stv. Bezirksvorsitzende/r
12
+3,4
6,4
Beginn: Mitglied im Bezirksvorstand
25
-4,0
8,3
Beginn: Kreisvorsitzende/r
53
1,2
6,0
Beginn: Stv. Kreisvorsitzende/r
20
-1,7
6,9
Beginn: Mitglied im Kreisvorstand
42
-6,6
7,1
Beginn: Ortsvorsitzende/r
30
-4,3
6,8
Beginn: Stv. Ortsvorsitzende/r
13
-6,8
8,9
Beginn: Mitglied im Ortsvorstand
43
-11,9
7,3
XX
Strategische Positionen
XX
Absicherungsoder Belohnungspositionen
Die beiden Ämter werden entweder kurz vor dem Cross Over eingenommen, da sie ihre Inhaber erst in die Reichweite eines Amtes oder Mandats bringen, oder sie werden so schnell wie möglich nach dem Wechsel eingenommen, um die Wiederwahlchancen zu erhöhen und die erreichte Position abzusichern. Wie wichtig diese Positionen sind, wird auch angesichts der durchschnittlichen Verweildauer deutlich. Die Werte müssen jedoch als Schätzwerte angesehen werden, da die Positionen auch über den Zeitpunkt der Befragung hinaus ausgeübt werden. Die tatsächliche Verweildauer wird damit tendenziell unterschätzt. Trotz dieser Einschränkung fällt die sehr lange durchschnittliche Ausübung strategischer Positionen auf. Spitzenpolitiker haben das Amt des Kreis- oder Unterbezirksvorsitzenden nach dem Wechsel in die Berufspolitik im Schnitt noch knapp 11 Jahre ausgeübt. Im Landesvorstand ihrer Partei waren sie eben-
158
falls noch (mindestens) 11 Jahre lang, nachdem sie bereits den Sprung in die bezahlte Politik hinter sich hatten. Der weiteren Absicherung können auch die Positionen mit einem positiven Vorzeichen dienen, wie beispielsweise das Amt des Bezirksvorsitzenden (durchschnittlich 6,2 Jahre nach dem Cross Over) oder die des stellvertretenden Landesvorsitzenden (im Schnitt 4,8 Jahre nach dem Wechsel). Noch höhere parteiinterne Positionen könnte man auch als Belohnungspositionen bezeichnen. Für diese kommen tendenziell nur Bewerber in Frage, die bereits eine längere politische Karriere hinter sich haben. Allerdings können auch höhere Positionen der Absicherung dienen, dies jedoch in einem anderen Zusammenhang. Diese Politiker müssen wohl in der Regel keine Angst mehr vor einem Verlust des Mandats haben. Um jedoch eine politische Spitzenfunktion weiter ausüben zu können, ist es sicherer, an der Spitze der Partei verankert zu sein. Man könnte dafür sogar die Biographie Gerhard Schröders als Beispiel anführen. Als er sich gezwungen sah, den Parteivorsitz der SPD abzugeben, geriet zunehmend auch die Kanzlerschaft in Gefahr. Letzen Endes war es die fehlende Unterstützung innerhalb der Partei, die einen Verbleib im Kanzleramt verhinderte. Die jungen Abgeordneten weichen von diesen Karrieremustern kaum ab. Auch bei ihnen kristallisieren sich die beiden strategischen Parteipositionen heraus. Tabelle 37: Zeitabstände (Mittelwerte) zwischen kommunalpolitischen Funktionen und dem Wechsel in die Berufspolitik in Jahren Positionen
Mitgliedschaft in komm. Parlamenten
N
Mittelwert
SD
Beginn: Gemeinde- oder Stadtrat
61
-5,6
7,7
Ende: Gemeinde- oder Stadtrat
61
+3,7
7,8
Beginn: Kreistag
38
-2,6
7,2
Ende: Kreistag
38
+5,8
7,9
Führungspositionen im Gemeinde- oder Stadtrat
Beginn: Fraktionsvorsitzende/r
23
-2,4
6,5
Ende: Fraktionsvorsitzende/r
23
+3,9
6,8
Führungspositionen im Kreistag
Beginn: Fraktionsvorsitzende/r
9
-1,4
6,1
Ende: Fraktionsvorsitzende/r
9
+4,6
6,1
Das gleiche Analyseverfahren wurde auch bei den ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Kommunalpolitik angewandt. Tabelle 37 gibt die Zeitabstände zwischen dem Engagement in der Kommunalpolitik und der ersten Übernahme eines bezahlten Amts oder Mandats wieder. Aus den Zahlen wird ersichtlich, dass die Mitglied-
159
schaft in Kommunalvertretungen der Vorbereitung auf die Berufspolitik dient. Die Übernahme ist dem Cross Over in die hauptamtliche Politik zeitlich vorgelagert, ebenso der Beginn qualifizierender Führungspositionen, wie die des Fraktionsvorsitzenden. Die Zahlen zum Ende der Amtszeiten in kommunalen Volksvertretungen weisen darauf hin, dass die Spitzenpolitiker auch nach der individuellen politischen Professionalisierung in der Kommunalpolitik bleiben. Auch dahinter steckt offensichtlich das Ziel, den Einfluss auf lokale Selektoren nicht zu verlieren. Darüber hinaus profitieren aber auch die lokalen Gliederungen der Partei von den Kandidaturen höherrangiger Politiker. Der Bekanntheitsgrad überregionaler Mandatsträger wird dazu genutzt, möglichst viele Stimmen für die jeweilige Liste der Partei zu gewinnen.
5.6.2 Ein Modell der individuellen politischen Professionalisierung Bei der bisherigen Analyse der Karrierephasen wurden bereits eindeutige Karrieremuster identifiziert. Die offensichtlich bedeutenden Variablen, die dabei ans Tageslicht kamen, lassen sich nun zu einem ‚Modell der individuellen politischen Professionalisierung’ verdichten. Unter individueller politischer Professionalisierung wird der Terminologie Herzogs folgend hier der Wechsel eines zuvor ehrenamtlich tätigen Politikers in bezahlte politische Ämter und Mandate verstanden. Als abhängige Variable dieses Modells wurde das Alter beim Übergang in die Berufspolitik ausgewählt. Diese Variable drückt am besten die Geschwindigkeit bis zu einem der wichtigsten Schritte der politischen Laufbahn aus, dem Wechsel in die Berufspolitik. Zudem hatte diese Variable keine fehlenden Werte. Das Alter beim Cross Over ist für alle Spitzen- und Nachwuchspolitiker im Sample bekannt. Vor der Beschreibung des eigentlichen Modells muss festgehalten werden, dass offensichtlich die Parteizugehörigkeit eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Wie Tabelle 38 belegt, sind Spitzenpolitiker von CSU (36,5), den Grünen (36,8) und der FDP (37,3) im Schnitt jünger als Politiker der Linkspartei (38,5), der CDU (39,0) und der SPD, deren Führungskräfte mit einem Durchschnittsalter von 41,5 Jahre beim Cross Over in die Berufspolitik mit Abstand die Ältesten waren. Es wäre jedoch stark vereinfachend, die Altersunterschiede nur monokausal als Effekt der Parteizugehörigkeit zu erklären. Damit würde man Karriereprozesse ausblenden, die innerhalb der Parteien stattfinden. Die wichtigsten Elemente der Parteikarriere werden daher als erklärende Variablen in das Modell eingeführt.
160
Tabelle 38: Altersunterschied beim Wechsel in die Berufspolitik zwischen den Parteien Partei
Spitzenpolitiker N
MW
Nachwuchspolitiker SD
N
MW
SD
CDU
46
39,0
8,76
22
28,5
3,42
CSU
11
36,5
6,47
6
27,8
2,32
SPD
36
41,5
8,41
13
29,0
4,24
FDP
13
37,4
7,59
13
28,1
4,39
Grüne
13
36,8
9,44
11
24,5
3,59
Linkspartei
13
38,5
9,18
14
25,5
4,40
Sonstige / Parteilos
2
53,5
4,95
2
25,0
5,00
134
39,3
8,65
81
27,3
4,15
Gesamt
Die erste unabhängige Variable stellt das Alter beim Eintritt in die Partei dar. Die Vermutung ist hierbei, dass Spitzenpolitiker mit frühem Parteibeitritt tendenziell eher den Sprung in die bezahlte Politik schaffen. Diese Personen beginnen den innerparteilichen Aufstieg in den Parteien früher, werden demzufolge auch früher die Positionen in der Partei innehaben, die einen ehrenamtlichen Politiker in Mandatsnähe bringen. Das gleiche gilt auch für das Alter beim ersten Parteiamt. Die Wahl in ein Parteiamt geht über die reine Mitgliedschaft hinaus und trennt in der Regel aktive und passive Parteimitglieder von einander. Die Übernahme einer Führungsposition innerhalb der Partei kann als erste Dokumentation eines vorliegenden Karriereinteresses aufgefasst werden. Als weitere erklärende Variable sollen die strategischen Parteipositionen in das Modell eingehen. Dabei wird von der These ausgegangen, dass Spitzenpolitiker beim Wechsel in die Berufspolitik jünger sind, wenn sie bereits in jungen Jahren die wichtigen Funktionen „Kreis- oder Unterbezirksvorsitzender“ oder „Mitglied im Landesvorstand der Partei“ innehatten. Zudem stützt sich das Modell auf drei Variablen, die der besonderen Bedeutung der Jugendorganisationen der Parteien Rechnung tragen. Dies ist zum einen die Frage nach der Mitgliedschaft. Die Vermutung ist, dass Mitglieder der Nachwuchsorganisationen früher Parteimitglied werden, daher eher den innerparteilichen Aufstieg in Angriff nehmen und schneller Berufspolitiker werden. Ähnliches kann für die Übernahme bedeutender Funktionen der Jugendorganisation auf Kreisebene (Kreisvorsitzender) oder auf überregionaler Ebene (Bezirks-, Landes- oder Bundesvorsitzender oder Vorstandsmitglied auf den höheren Ebenen) unterstellt werden. Als letzte Variable wurde die Selbsteinschätzung der Befragten zur Bedeutung der Parteijugend für den individuellen Karriereverlauf eingefügt. Hier liegt die theoretische Annahme zugrunde, dass Politiker, die die Frage nach einer Unabdingbarkeit der Jugendorganisation 161
für den persönlichen Aufstieg bejahen, in dieser innerparteilichen Arbeitsgemeinschaft ein Instrument zur Beschleunigung der politischen Laufbahn sehen. Dies müsste in einem niedrigeren Durchschnittsalter beim Einstig in die Berufspolitik zum Ausdruck kommen. Tabelle 39: Korrelationen zwischen Parteikarrierevariablen und dem Alter beim Wechsel in die hauptamtliche Politik Abhängige Variable: Alter beim Wechsel in die hauptamtliche Politik
Parteikarrierevariablen
r
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
0,60***
0,37***
Alter bei Parteieintritt N
132
80
r
0,51***
0,47***
N
116
73
Alter bei der erstmaligen Übernahme des Amtes: Kreis- oder Unterbezirksvorsitzender
r
0,61***
0,63***
N
53
22
Alter bei der erstmaligen Übernahme des Amtes: Mitglied im Landesvorstand
r
0,65***
0,68***
N
50
33
r
-0,40***
-0,15
N
134
81
Führungsposition in der Jugendorganisation (1: ja; 0: nein)
r
-0,33***
-0,26*
N
134
81
Selbsteinschätzung: Jugendorganisation unabdingbar für pol. Karriere (1: ja; 0: nein)
r
-0,32***
0,11
N
134
81
Alter beim ersten Parteiamt
Mitgliedschaft Parteijugend (1: ja; 0: nein)
Signifikanzniveau:
* p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001
Tabelle 39 listet die Korrelationen zwischen den Erklärungsvariablen und dem Alter bei Beginn der Berufspolitikerkarriere auf. In der Gruppe der Spitzenpolitiker weisen alle Vorzeichen in die vermutete Richtung. Ein starker Zusammenhang kann für die beiden Variablen „Alter beim Parteieintritt“ (r: 0,60) und „Alter beim ersten Parteiamt“ (r: 0,51) konstatiert werden. Die beiden Werte sind zudem hoch signifikant. Wer daher früh Parteimitglied wird und früh in der Partei Führungsverantwortung übernimmt, wird beim Wechsel in die Berufspolitik tendenziell jünger sein. Den ebenfalls vermuteten beschleunigenden Effekt ha-
162
ben die strategischen Parteipositionen. Wer bereits früh Kreisvorsitzender (r: 0,61) der Partei ist oder dem Landesvorstand (r: 0,65) angehört, gelangt schneller in die Arena der bezahlten Politik. Ebenfalls hoch signifikante Werte weisen die Jugendorganisationsvariablen auf. Mitgliedern der Nachwuchsorganisationen und Inhabern von Führungspositionen in diesen Gruppierungen gelingt der Sprung in die bezahlte Politik zu einem früheren Zeitpunkt. Das gleiche gilt für Spitzenpolitiker, die der Mitgliedschaft in der Parteijugend eine elementare Bedeutung zumessen. Bei den Nachwuchspolitikern haben ein später Parteibeitritt und eine späte Übernahme des ersten Führungsamtes in der Partei ebenfalls den (hoch signifikanten) Effekt, das Alter beim Cross Over in die Berufspolitik zu erhöhen (r: 0,37 bzw. r: 0,47). Zudem scheinen auch in dieser Gruppe die beiden strategischen Parteipositionen von großer Bedeutung zu sein. Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen dem Alter bei der ersten Übernahme des Kreisvorsitzes der Partei (r: 0,63) bzw. der ersten Zugehörigkeit zum Parteivorstand auf Landesebene (r: 0,68) und dem Alter beim Wechsel in die Berufspolitik. Signifikant ist in dieser Gruppe zudem noch der Wert für die Führungspositionen in den Jugendorganisationen. Er weist in Stärke und Richtung (r: -0,26) den erwarteten Zusammenhang auf. Die Mitgliedschaft in einer Jugendorganisation ist dagegen nicht signifikant in der Lage, das Alter beim Übergang in die bezahlte Politik zu senken. Ebenso wenig zeigt dies die Variable der Selbsteinschätzung der Bedeutung der Jugendorganisation. Dies kann auch daran liegen, dass in der Kontrastgruppe die Werte dieser Variablen fast keine Streuung aufweisen. Wie in Abschnitt 5.4.5 gezeigt werden konnte, waren fast alle Jungparlamentarier Mitglied in den Jugendarbeitsgemeinschaften und schätzten diese Mitgliedschaft fast durchweg als bedeutend ein. Die bisher verwendeten Prädiktoren kann man jedoch nicht als unabhängig voneinander betrachten. Im Gegenteil, sie korrelieren sehr stark untereinander. Wenig überraschend determiniert beispielsweise das Alter beim Parteieintritt das Alter bei der Übernahme des ersten Parteiamts (r: 0,76). Um diese Multikollinearität eingrenzen zu können, wurde eine multiple Regressionsanalyse mit allen signifikanten Variablen durchgeführt. Dabei kann man zunächst feststellen, dass mit diesem (signifikanten) Modell 37,7 Prozent der Varianz der abhängigen Variable erklärt werden. In der Kontrastgruppe erreicht das Modell eine Varianzreduktion von 31,4 Prozent. Die standardisierten Koeffizienten weisen darauf hin, dass gerade das Alter beim Parteieintritt von besonderer Relevanz zu sein scheint. Um das Varianzaufklärungspotential dieser offensichtlich bedeutenden Variable bestimmen und gleichzeitig Aussagen über das Ausmaß der vorliegenden Multikollinearität treffen zu können, wurde das minimale und das maximale Varianzaufklärungspotential des Prädiktors „Alter beim Parteieintritt“ fixiert
163
(vgl. Maier/Maier/Rattinger 2000: 104ff). Demzufolge kann die Variable mindestens 10,9 Prozent und maximal 35,9 Prozent der Varianz des Modells reduzieren. Diese beiden Werte grenzen den Bereich ein, in dem die tatsächliche Erklärungskraft der Variable liegt. Die doch relativ große Spannbreite zwischen den beiden Maßzahlen lässt darauf schließen, dass die Multikollinearität zwischen den unabhängigen Variablen vergleichsweise hoch ist. In einem weiteren Analyseschritt werden zusätzliche Variablen in das Modell eingefügt. Handelte es sich bei den Prädiktoren des ersten Schritts um direkte parteiinterne Karrierevariablen, sollen im folgenden Analyseschritt eher indirekt parteigebundene Variablen zur Erklärung des Alters beim Wechsel in die Berufspolitik herangezogen werden. Dazu zählt die Zugehörigkeit zu den Kommunalvertretungen (Gemeinde- oder Stadtrat, Kreis- oder Bezirkstag). Golsch kam mit Hilfe von Mittelwertvergleichen zu dem Schluss, dass die Mitgliedschaft in den Kommunalvertretungen zu einem späteren Start der Karriere als Berufspolitiker führt (vgl. Golsch: 163). Er begründet dies damit, dass Politiker ohne ehrenamtliches Engagement zielstrebiger auf den Schritt in die bezahlte Politik hinarbeiten. Allerdings könnte man auch die These vertreten, dass die Arbeit in den Stadt- und Gemeinderäten schneller zu einem höheren Bekanntheitsgrad an der Parteibasis führt, die für Kandidaturen in der Regel die entscheidende Instanz ist. Das kann wiederum mit einem schnelleren Wechsel in die bezahlte Politik belohnt werden. Ähnliches kann man auch zur Ausübung von Führungspositionen in den Kommunalvertretungen mutmaßen. Wer bereits in einem kommunalen Parlament Führungsqualitäten gezeigt hat, kommt womöglich auch schneller für höhere Volksvertretungen in Frage. Eine weitere plausible Erklärung könnte in der Unterschiedlichkeit geschlechterspezifischer Karrierewege liegen. Im Abschnitt 4.3 wurde auf die unterschiedliche Repräsentanz von Frauen in den Bundestagsparteien verwiesen. Man könnte darauf aufbauend argumentieren, dass beispielsweise strenge Quotenregelungen Frauen einen Geschwindigkeitsvorteil im Karriereverlauf verschaffen. Immerhin sinkt die Zahl der Konkurrenten bei einer 50-Prozent-Quote wie bei den Grünen und der Linkspartei deutlich, da die Männer bei den für Frauen reservierten Plätzen als Konkurrenten wegfallen. Geht man zusätzlich davon aus, dass in keiner Partei der Anteil weiblicher Mitglieder annähernd bei 50 Prozent und die Rekrutierungsbasis damit insgesamt schmäler ist, müsste dies die Chancen von engagierten Frauen für eine erfolgreiche Kandidatur verbessern. Nach Hoecker würden dagegen „strukturell verankerte Partizipationshemmnisse aus dem gesellschaftlichen Bereich sowie die männlich geprägten Formen der politischen Arbeit“ (Hoecker 1998: 88) die politischen Aufstiegschancen von Frauen eher begrenzen. Dazu würden die Politikferne der häufig von Frauen ausgeübten Berufe und die begrenzte Abkömmlichkeit von Frauen im Rahmen der geschlechterspezifi-
164
schen Arbeitsteilung mit der immer noch vorrangigen Zuständigkeit von Frauen für Familie und Haushalt zählen (vgl. Hoecker 1998: 80f). Um diese Thesen zu überprüfen wurde die Geschlechtervariable in das Modell aufgenommen. Ebenfalls als ein Indikator im Rahmen des Modells der individuellen politischen Professionalisierung wurde die Einschätzung der Bedeutung von Frauenquoten für die eigene Karriere ausgewählt. Die Politiker (Frauen wie Männer) wurden dazu befragt, ob Frauenquoten für sie in ihrer politischen Laufbahn von Vorteil, weder von Vor- noch von Nachteil, oder von Nachteil waren. Das Argument ist hierbei, dass Profiteure von Frauenquoten eventuell schneller den Weg in die Berufspolitik finden als sich benachteiligt fühlende Personen. Als fünfte und letzte Variable fand die Frage nach einem politischen Mentor Eingang in das Modell. Die Spitzenpolitiker wurden dazu gefragt, ob es in ihrer politischen Laufbahn eine Person gegeben hat, die ihnen in ihrer Laufbahn besonders geholfen hat. Nicht selten hört man in der politischen Publizistik von „politischen Ziehsöhnen“ oder „Wunschkandidaten als Nachfolger“. Es liegt auf der Hand, dass politische Freunde und Förderer für einen erfolgreichen oder beschleunigten Verlauf politischer Karrieren wichtig sein können – vor allem, wenn diese an entscheidenden Stellen im politischen System sitzen. Tabelle 40: Politische Mentoren „Hat es in Ihrer politischen Laufbahn eine Person aus dem Bereich der Politik gegeben, die Ihnen besonders geholfen hat? „
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
N
%
N
%
ja
53
39,6
44
54,3
nein
74
55,2
32
39,5
keine Angabe
7
5,2
5
6,2
134
100,0
81
100,0
Gesamt
Knapp 40 Prozent der befragten Politiker bejahten die Frage nach einem politischen Förderer (vgl. Tabelle 40). Blickt man auf die Personen, die in diesem Zusammenhang genannt werden, verwundern die Antworten nicht: Es sind die „Entscheider“ in der Partei oder in staatlichen Funktionen. Für den „Weg nach ganz oben“ ist die Schützenhilfe eines Ministerpräsidenten, eines Fraktionsvorsitzenden oder eines Landesvorsitzenden der Partei offensichtlich von Vorteil. Ein wenig anders stellt sich die Situation bei den jungen Parlamentariern dar. Zwar war auch in dieser Gruppe der Anteil der Politiker mit einem politischen Mentor groß, über die Hälfte (54,3 %) der politischen „Youngsters“ bejahte die Frage, allerdings tauchen bei den Antworten andere Personengruppen auf. Vor
165
allem die Kreisvorsitzenden der Partei und die Abgeordneten aus ihrem Wahlkreis werden als potentielle Förderer der eigenen Karriere genannt. Tabelle 41: Korrelationen zwischen weiteren Karrierevariablen und dem Alter beim Wechsel in die hauptamtliche Politik Abhängige Variable: Alter beim Wechsel in die hauptamtliche Politik
Karrierevariablen
Mitgliedschaft in kommunalen Vertretungen Führungsposition in kommunalen Vertretungen (1: ja; 0: nein) Geschlecht (: 1; : 0) Selbsteinschätzung: Von Frauenquoten profitiert (1: ja; 0: nein) Politischer Mentor in der Karriere (1: ja; 0: nein) Signifikanzniveau:
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker 0,19
r
-0,19*
N
134
81
r
-0,02
0,27*
N
134
81
r
0,02
-0,27*
N
134
81
0,00
-0,26*
N
134
81
r
-0,03
0,15
N
134
81
* p 0,05; ** p 0,01; *** p 0,001
Tabelle 41 setzt die unabhängigen Variablen des zweiten Analyseschritts innerhalb des Professionalisierungs-Modells in Beziehung zum Alter beim Beginn des Lebens als Berufspolitiker. Für die Gruppe der Spitzenpolitiker bleibt festzuhalten, dass lediglich die Mitgliedschaft in den kommunalen Volksvertretungen signifikant die Geschwindigkeit der individuellen politischen Professionalisierung determiniert. Wer in seiner Laufbahn in Gemeinde- oder Stadtrat, Kreisoder Bezirkstag gewählt wurde, ist tendenziell jünger beim Hinüberwechseln in hauptamtliche politische Positionen (r: -0,19). Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zur Analyse der Bundestagsabgeordneten von Golsch, der der Kommunalpolitik einen verlangsamenden Effekt zugeschrieben hatte. Alle anderen Indikatoren weisen äußerst schwache und nicht statistisch signifikante Werte auf. Unter den jungen Abgeordneten führt die Kommunalpolitik in der Tendenz tatsächlich zu einem späteren Start der Berufspolitikerkarriere. Der Wert für die Mitgliedschaft in den Kommunalvertretungen ist zwar nicht signifikant, derjenige für die Übernahme von kommunalpolitischen Führungspositionen dagegen schon (r: 0,27). Dies bedeutet, dass die Jungparlamentarier bei Mandatsantritt eher älter sind, wenn sie Führungsaufgaben in den kommunalen Volksvertretungen wahr166
genommen hatten. Zudem sind in der Kontrastgruppe die beiden mit dem Geschlecht zusammenhängenden Variablen statistisch signifikant. Junge Frauen werden schneller Parlamentarier als ihre männlichen Kollegen (r: -0,27). Zudem sind junge Abgeordnete beim Sprung in die Parlamente jünger, wenn sie selbst den Eindruck hatten, in ihrer Laufbahn von existierenden Frauenquoten profitiert zu haben (r: -0,26). In Reihen der Nachwuchspolitiker scheinen daher innerparteiliche Frauenquoten rekrutierungsrelevant zu sein. Um die Aussagekraft dieses zweiten Analyseschritts einschätzen zu können, wurde auch mit der zweiten Serie karriererelevanter Variablen eine multiple Regression gerechnet. Das Ergebnis kann jedoch nicht überzeugen. Lediglich ein Prozent der Varianz der abhängigen Variable können mit Hilfe dieser Faktoren erklärt werden, in der Kontrastgruppe ist der Wert nur unbedeutend höher (korrigiertes R-Quadrat: 0,067). Insgesamt können daher die parteizentrierten Karrierevariablen des ersten Analyseschritts die Geschwindigkeit politischer Karriere bis zum Wechsel in die Berufspolitik besonders gut erklären, die Karrierevariablen des zweiten Schritts dagegen kaum. Dies verdeutlicht erneut die wichtige Rolle der Partei im gesamten Rekrutierungsprozess und die Notwendigkeit einer parteiinternen „Ochsentour“.
5.7 Politische Spitzenpositionen
5.7.1 Erste politische Spitzenfunktion Den Abschluss des Phasenmodells bildet die Rekrutierung in politische Spitzenfunktionen. Die Abgrenzung, wann eine politische Funktion in Exekutive oder Legislative als Spitzenposition anzusehen ist, kann im Einzelfall sehr schwierig sein. Daher werden im Folgenden prinzipiell diejenigen Regierungsämter und parlamentarischen Funktionen als Spitzenpositionen verstanden, die zur Auswahl der Untersuchungsgruppe im Rahmen des Positionsansatzes führten. Da jedoch die Mitgliedschaft in den engeren Fraktionsvorständen der im Bundestag vertretenen Parteien nicht erhoben wurde, wird auf eine leicht abweichende Kategorisierung der Spitzenpositionen zurückgegriffen. Auf Bundesebene werden die Mitglieder der Bundesregierung, die parlamentarischen Staatssekretäre, Mitglieder des Bundestagspräsidiums, die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen sowie die Vorsitzenden der ständigen Bundestagsausschüsse herangezogen. Auf Landesebene werden die Mitglieder der Landesregierungen, Staatssekretäre mit Kabi-
167
nettsrang und die Fraktionsvorsitzenden als Inhaber politischer Spitzenpositionen angesehen. Tabelle 42: Erste Spitzenposition der politischen Führungskräfte Spitzenpositionen
Spitzenpolitiker N
%
Bundesminister/in
4
3,0
Parlamentarische/r Staatssekretär/in
7
5,2
Stv. Fraktionsvorsitzende/r auf Bundesebene
9
6,7
Parlamentarische/r Geschäftsführer/in Bundestag
8
6,0
Vorsitzende/r eines ständigen Bundestagsausschusses
7
5,2
Mitglied des Bundestagspräsidiums
1
0,7
Landesminister/in oder Senator/in
51
38,1
Staatssekretär/in (mit Kabinettsrang) auf Landesebene
8
6,0
Fraktionsvorsitzende/r auf Landesebene
39
29,1
Insgesamt
134
100,0
Auf diese Einteilung aufbauend kann man zunächst einen Blick darauf werfen, welche Spitzenposition für die politischen Führungskräfte die erste in ihrer Karriere war. Die größte Gruppe stellen dabei die Landesminister und Senatoren (vgl. Tabelle 42). Für 51 Spitzenpolitiker war ein Amt in einer Landesregierung die erste Spitzenposition. Dazu kommen acht Staatssekretäre mit Kabinettsrang. Die zweitgrößte Gruppe bilden die Fraktionsvorsitzenden auf Landesebene mit knapp 30 Prozent. Bei dieser Auflistung wird deutlich, dass die Spitzenposition nicht isoliert betrachtet werden kann. Es ist anzunehmen, dass man ohne parteiinterne und vor allem innerparlamentarische Vorpositionen derart herausgehobene Ämter nicht oder nur selten erreichen kann. Man muss daher die „Weg nach ganz oben“ vom Zeitpunkt des Wechsels in die Berufspolitik bis hin zur Übernahme des ersten Spitzenamtes analysieren. Das gilt im gleichen Maß für die bundespolitische Elite im Sample. Die elf Personen, die als erste Position die eines Bundesministers oder Parlamentarischen Staatssekretärs angeben, müssen in ihrer politischen Karriere erst an diesen Punkt gelangen, an dem sie als „ministrabel“ gelten. Dies trifft vor allem auf die vier Spitzenpolitiker zu, deren erste Spitzenposition nach der hier angewandten Kategorisierung die eines Bundesministers war. Die Berufung in ein Bundeskabinett ohne jegliche Vorerfahrungen im Deutschen Bundestag ist selten. Seine Ernennung zum Bundesverkehrsminister nach der Bundes-
168
tagswahl 2005 verdankt beispielsweise Wolfgang Tiefensee wohl auch einem Mangel an profilierten ostdeutschen SPD-Spitzenpolitikern. Tiefensee hatte sich als Oberbürgermeister Leipzigs nicht nur einen guten Ruf erworben, sondern auch sieben Jahre lang als Verantwortlicher an der Spitze einer größeren Verwaltung gestanden. Ebenfalls untypisch war die Ernennung von Gerda Hasselfeldt (CSU) zur Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau im Kabinett Kohl, obwohl sie erst zwei Jahre zuvor für Franz Josef Strauß als Nachrückerin in den Bundestag eingezogen war. Ähnliches gilt für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die bereits nach zwei Jahren im Bundestag 1992 unter Helmut Kohl Justizministerin wurde. Dagegen war Matthias Wissmann (CDU) bereits 10 Jahre lang wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, als er 1993 Bundesminister für Forschung und Technologie im Kabinett Kohl wurde. Allein diese vier Beispiele verdeutlichen die Notwendigkeit, nach bestimmten Mustern bei der Rekrutierung in politischen Spitzenpositionen zu suchen.
5.7.2 Alter beim Karriereschritt „Spitzenpolitiker“ Dabei kann man zunächst einen Blick auf das Alter bei Übernahme der ersten politischen Spitzenposition werfen. Der Alterschnitt der 134 Spitzenpolitiker im Sample beträgt 45,8 Jahre, was durchaus für eine gewisse Seniorität bei der letzten Stufe der Elitenrekrutierung spricht. Ruft man sich die zwei bedeutenden Karriereschritte „Parteieintritt“ (im Schnitt mit 27,1 Jahren) und „Wechsel in die Berufspolitik“ (im Schnitt mit 39,1 Jahren) in Erinnerung, so ist die letzte Stufe des Phasen-Modells zeitlich deutlich nachgelagert. Damit bekommt man die erste Vorstellung, wie lange die „Ochsentour“ tatsächlich dauert. Knapp 18 Jahre nach der Entscheidung zum Parteieintritt gelingt den deutschen Spitzenpolitikern im Schnitt der Sprung an die Spitze des politischen Systems. Dennoch finden sich auch unter den hochrangigen deutschen Politikern sechs Personen, die sich bereits vor ihrem 30. Geburtstag zur Spitze der politischen Elite Deutschlands zählen durften (vgl. Tabelle 43). Die heutige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, Margarete Bause, übte diese Funktion bereits 1988 aus, als sie gerade 29 Jahre alt war. Im gleichen Alter wurde der Grünen-Politiker Tarek al-Wazir Fraktionschef seiner Partei in Hessen. Der Älteste bei dieser Stufe war der älteste Spitzenpolitiker überhaupt, der bereits erwähnte Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag von Sachsen Cornelius Weiss. Der SPD-Politiker wurde mit 71 Jahren zum Vorsitzenden der Landtagsfraktion gewählt. Am häufigsten vollzogen Spitzenpolitiker diesen Karriereschritt zwischen 41 und 50 Jahren (44 Prozent).
169
Tabelle 43: Alter bei Übernahme der ersten politischen Spitzenposition
30 oder jünger 31 - 40 41 - 50 51 - 60 61 - 70 über 70
N 6 29 59 37 2 1
Spitzenpolitiker % 4,5 21,6 44,0 27,6 1,5 0,7
kum. % 4,5 26,1 70,1 97,8 99,3 100,0
Gesamt
134
100,0
__
Alter
Dass die beiden Politiker, die beim Erreichen der Spitzenposition die Jüngsten waren, Mitglied der Grünen sind, deutet auf Unterscheide zwischen den Parteien hin. Wie Tabelle 44 deutlich werden lässt, sind es in der Tat die Grünen, deren Spitzenkräfte mit 41,1 Jahren beim Sprung an die Spitze im Schnitt die Jüngsten waren. Auch die beiden weiteren aktuellen Oppositionsparteien auf Bundesebene, FDP (42,5 Jahre) und Linke (43,0 Jahre), haben einen Wert unter dem Durchschnitt. Die Ältesten waren mit einem Altersschnitt von 48,6 Jahren die SPD-Spitzenkräfte, auch die CDU-Spitzenpolitiker waren mit gut 46 Jahren vergleichsweise alt. Tabelle 44: Parteiunterschiede beim Erreichen der Spitzenposition Partei
Spitzenpolitiker N
MW
SD
CDU
46
46,3
7,8
CSU
11
45,7
5,1
SPD
36
48,6
7,1
FDP
13
42,5
7,6
Grüne
13
41,1
8,3
Linkspartei
13
43,0
8,6
Parteilos
2
53,5
4,9
134
45,8
7,8
Insgesamt
170
5.7.3 Parteipositionen und kommunalpolitische Ämter bei der Rekrutierung in Spitzenpositionen Die Notwendigkeit der mit der „Ochsentour“ verbundenen Ausübung von Ämtern in der Kommunalpolitik und in der Partei wurde für den Wechsel in die Berufspolitik bereits dargestellt. Allerdings kann man auch annehmen, dass diese Elemente einer politischen Karriere auch dann noch von Bedeutung sind, wenn der Sprung in bezahlte politische Funktionen vollzogen wurde. Zum einen dient die weitere Ausübung lokaler Positionen der Absicherung des Mandats, zum anderen dient das Beibehalten von Parteiämtern oder sogar die Übernahme zusätzlicher, höherer Aufgaben einem gesteigerten Karriereinteresse. Im Folgenden wird daher zunächst überprüft, an welcher Stelle der Parteihierarchie sich die Politiker befinden, wenn sie erstmalig politische Spitzenfunktionen ausüben. In einem weiteren Schritt wird der Frage nachgegangen, wie lange die kommunalpolitischen Ämter im Sinne der bereits vorgestellten vertikalen Ämterkumulation ausgeübt werden. In Tabelle 45 wurden ausgewählte innerparteiliche politische Funktionen in zeitliche Relation zur Übernahme der ersten herausragenden politischen Funktion gesetzt. Die Mittelwerte geben Aufschluss, welche Ämter tendenziell zum Zeitpunkt der Elitenrekrutierung im engeren Sinn ausgeübt wurden. Werte mit einem negativen Vorzeichen wurden demnach bereits übernommen oder wieder aufgegeben, ehe die betreffenden Person Spitzenpolitiker wurde. Nach der bisherigen Analyse des Phasenmodells politischer Karrieren verwundert es nicht, dass das erste Amt in der parteiinternen Hierarchie mit einem positiven Vorzeichen das des Kreis- oder Unterbezirksvorsitzenden ist. Die 53 Spitzenpolitiker, die dieses Amt in ihrer Partei übernahmen, behielten es nach Erreichen einer Spitzenposition im Schnitt noch knapp drei (2,9) Jahre. Ebenso verhält es sich mit der zweiten als strategisch eingestuften Parteiposition, dem Sitz im Landesvorstand der Partei. Dieser wird erst knapp vier Jahre (3,8) nach dem Sprung auf ein hohes politisches Amt oder Mandat aufgegeben. Das erste Amt, das erst nach diesem Karriereschritt angetreten wird, ist der Parteilandesvorsitz. Gerade bei den föderal organisierten bundesdeutschen Parteien spielen die Landesverbände eine entscheidende Rolle. Die 22 ehemaligen oder aktuellen Landesvorsitzenden im Sample wurden im Schnitt erst eineinhalb Jahre nach dem Erreichen ihrer ersten politischen Spitzenposition an die Spitze ihrer Partei in einem Bundesland gewählt. Einmal erobert, behalten sie diese Position sehr lange bei, rechnerisch fast sieben Jahre (6,8) nach Erreichen der ersten Spitzenfunktion.28 28 Von den 29 Landesvorsitzenden im Sample waren elf zum Zeitpunkt der Befragung noch im Amt.
171
Tabelle 45: Zeitdifferenzen zwischen der Übernahme und der Aufgabe parteiinterner Ämter und der erstmaligen Ausübung einer Spitzenfunktion Parteiinterner Ämter
Bundesebene
Landesebene
Bezirksebene
Kreis- und Unterbezirksebene
Orts- und Stadtebene
Parteieintritt
Ende: Bundesvorsitzender Beginn: Bundesvorsitzende/r Ende: Stv. Bundesvorsitzender Beginn: Stv. Bundesvorsitzender Ende: Mitglied im Bundesvorstand Beginn: Mitglied im Bundesvorstand Ende: Landesvorsitzender Beginn: Landesvorsitzender Ende: Stv. Landesvorsitzender Beginn: Stv. Landesvorsitzender Ende: Mitglied im Landesvorstand Beginn: Mitglied im Landesvorstand Ende: Bezirksvorsitzender Beginn: Bezirksvorsitzender Ende: Mitglied im Bezirksvorstand Beginn: Mitglied im Bezirksvorstand Ende: Kreisvorsitzender Beginn: Kreisvorsitzender Ende: Mitglied im Kreisvorstand Beginn: Mitglied im Kreisvorstand Ende: Ortsvorsitzende/r Beginn: Ortsvorsitzende/r Ende: Mitglied im Ortsvorstand Beginn: Mitglied im Ortsvorstand Parteieintritt
Zeitdifferenz (Mittelwerte in Jahren)a N MW SD 3 +13,67 3,79 3 +8,67 4,93 7 +6,57 4,83 7 +3,14 3,48 33 +6,36 6,67 33 +0,45 6,61 29 +6,76 7,21 29 +1,55 6,63 22 +3,45 6,67 22 -1,91 4,49 50 +3,82 7,83 50 -5,00 6,80 23 +4,65 7,53 23 -2,35 6,55 25 +0,08 7,91 25 -10,96 7,24 53 +2,92 7,23 53 -6,81 7,00 42 -1,69 8,86 42 -13,43 7,61 30 -5,60 10,32 30 -12,83 9,03 43 -10,19 9,31 43 -19,05 8,05 132 -18,55 9,63
XX Werte mit negativem Vorzeichen: Parteiämter wurden vor Übernahme der ersten Spitzenposition übernommen oder abgegeben. a Die tatsächliche Dauer der Ausübung wird tendenziell unterschätzt, da bei andauernder Ausübung des Amtes das Datum des Befragungszeitpunktes als Ende angenommen wurde.
Der Landesvorsitz und andere Führungspositionen im Landesvorstand können für den weiteren Verlauf der Karriere entscheidend sein. Lange sieht in der Mit172
gliedschaft im Landesvorstand der Partei eine Ausgangsbasis zum Absprung ins Kabinett auf Landes- oder sogar auf Bundesebene (vgl. Lange 1973: 150). Ein Verlust oder Rückzug aus dem Posten des Landesvorsitzenden ist häufig ein Hinweis auf ein Karriereende. So läutete beispielsweise der Thüringer Ministerpräsident Bernhard Vogel mit der Aufgabe des Landesvorsitzes der Thüringer CDU den Stabwechsel zu seinem designierten Nachfolger als Ministerpräsident Dieter Althaus ein. Bei der Betrachtung der kommunalpolitischen Ämter und Mandate liegt die Annahme zu Grunde, dass sie in ihrer Funktion als Karriereabsicherung an der Basis zwar relativ lange beibehalten werden, allerdings mit zunehmenden erfolgreichen Karriereverlauf in höheren politischen Ebenen abgegeben werden. Tabelle 45 offenbart, dass sich diese Vermutung empirisch belegen lässt. Tabelle 46: Kommunalpolitische Betätigung vor Übernahme der ersten Spitzenposition Kommunalpolitische Funktionen
Zeitabstände bis zur Übernahme der ersten Spitzenposition (in Jahren) N
MW
SD
Ende: Kreistag
38
-1,63
8,29
Ende: Fraktionsvorsitzende/r Kreis
9
-1,89
6,23
Beginn: Fraktionsvorsitzende/r Kreis
9
-7,89
7,25
Beginn: Kreistag
38
-10,03
8,94
Ende: Gemeinde- oder Stadtrat
61
-4,30
9,01
Ende: Fraktionsvorsitzende/r Gemeinde
23
-3,26
6,14
Beginn: Fraktionsvorsitzende/r Gemeinde
23
-9,52
6,93
Beginn: Gemeinde- oder Stadtrat
61
-13,52
9,47
Blickt man auf die Mittelwerte der Zeitabstände zwischen Beginn und Ende von Funktionen in der Kommunalpolitik und der Berufung in politische Spitzenämter, wird deutlich, dass Spitzenpolitiker bereits vor der Übernahme ihrer ersten Top-Funktion in der Berufspolitik ihr Engagement in der Kommunalpolitik beenden. Insgesamt ist der Beginn der kommunalpolitischen Laufbahn der Spitzenlaufbahn zeitlich deutlich vorgelagert. Die Kommunalpolitiker unter den politischen Führungskräften werden beispielsweise im Schnitt 13,5 Jahre vor ihrem ersten Spitzenamt Mitglied im Gemeinde- oder Stadtrat, Kreistagsmitglied werden sie im Durchschnitt 10 Jahre vorher. Auch die Führungspositionen auf kommunaler Ebene, in Tabelle 46 an der Position des Fraktionsvorsitzenden auf Gemeinde- oder Kreisebene festgemacht, werden zeitlich deutlich vor dem 173
Sprung in Spitzenämter übernommen. Die negativen Vorzeichen der Werte, die bei der Beendigung der kommunalpolitischen Funktionen zu finden sind, sprechen dafür, dass die Kommunalpolitik offensichtlich bei der Rekrutierung in Spitzenpositionen des politischen Systems eine untergeordnete Rolle spielt. Im Schnitt waren alle Tätigkeiten in den Kommunen bereits beendet, als die betreffende Person zum Spitzenpolitiker wurde. Lediglich ein Viertel (26,2 %) der Kommunalpolitiker unter den politischen Spitzenkräften und lediglich 12 Prozent aller Spitzenpolitiker gab den Sitz im Gemeinde- oder Stadtrat erst auf, nachdem sie bereits ein politisches Spitzenamt errungen hatten. Den Kreistag verließen knapp 30 Prozent (29,1 %) der Kommunalpolitiker und 11 Prozent aller Top-Politiker erst nach Erreichen der ersten Führungsfunktion. Abbildung 15: Ausstieg der Kommunalpolitiker nach dem Wechsel in die Berufspolitik Anzahl der Kommunalpolitiker 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5
B
U nm i tt
>2 0
19
20
17
18
16
15
14
12
13
11
9
10
7
8
5
6
3
4
1
2
el ba rv ei or C m C r os ro s ss ov e O ve r r( =0 )
0
Zeitdifferenz zwischen dem Wechsel in die Berufspolitik und der Aufgabe der kommunalpolitischen Funktion
Die kommunalpolitischen Ämter scheinen daher in erster Linie für den Wechsel in die Berufspolitik bedeutsam zu sein, verlieren jedoch bei erfolgreichem Verlauf der weiteren politischen Karriere an Bedeutung. Der einzelne Politiker kann sich beispielsweise mit längerer Parlamentszugehörigkeit sicherer fühlen und ist damit eher bereit, die kommunalpolitischen Absicherungsposten aufzugeben.
174
Abbildung 15 illustriert den Schwund der Kommunalpolitiker mit größerer Entfernung vom Zeitpunkt des Überwechselns in bezahlte Ämter und Mandate. Als Indikator wurde die Zugehörigkeit zum Gemeinde- oder Stadtrat gewählt. Neben dem Wegfall der Absicherungsfunktion in Folge einer Etablierung als Berufspolitiker und der Steigerung des Bekanntheitsgrades kann man die Ursache, wieso Spitzenpolitiker ihre kommunalpolitischen Ämter aufgeben, auch darin sehen, dass ihnen wohl häufig die Zeit für dieses ehrenamtliche Engagement fehlt. Nicht zuletzt der Charakter der Legislative in Deutschland, die man als Arbeitsparlament bezeichnen kann, trägt dafür mit Verantwortung. Vorangegangene Ergebnisse sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Karrierepolitiker nach Erklimmen der Sprosse „Berufspolitiker“ auf die innerparlamentarische Arbeit in den Ausschüssen und Fraktionen konzentrieren. Man kann daher von einem Substitutionseffekt ausgehen: Innerparlamentarische Tätigkeiten treten an die Stelle der kommunalpolitischen Aufgaben.
5.7.4 Innerparlamentarische Karrieren Die Karriere innerhalb eines legislativen Gremiums beginnt zunächst mit der Entscheidung für ein Parlament auf Landesebene, für den Deutschen Bundestag oder das Europäische Parlament zu kandidieren. So klar im Parteien- und Wahlgesetz, in der Wahlordnung und in den Satzungen der Parteien das Verfahren zur Nominierung der Parlamentsbewerber auch geregelt sein mag, so wenig weiß die politikwissenschaftliche Forschung über die Kandidaten und den Prozess der Aufstellung. „Der Kandidat – das (fast) unbekannte Wesen“ lautet daher treffend der Titel eines Beitrags von Schüttemeyer und Sturm, die den Nominierungsvorgang im Vorfeld der Bundestagswahl untersuchten (vgl. Schüttemeyer/Sturm 2005). Die Autoren gelangten unter anderem zur Erkenntnis, dass der Ausgang der Nominierungen bereits vor der Mitglieder- oder Delegiertenversammlung entschieden sei. Drei Viertel der Befragten sahen den Prozess der Nominierung bereits als entschieden an, ehe die formale Abstimmung darüber stattfand. In der Regel geschehen daher bei den meisten Kandidaturen die ausschlaggebenden Vorklärungen und Vorentscheidungen hinter den Kulissen. Dennoch sind Gegenkandidaturen (oder „Kampfkandidaturen“) keine Seltenheit. Bei der Bundestagswahl 2002 trat nach Ergebnissen von Schüttemeyer und Sturm bei den kleineren Parteien in 80 Prozent der Fälle nur ein Kandidat an. Bei der SPD und CDU hingegen gab es in 33,5 Prozent bzw. 43,0 Prozent der Fälle Kampfkandidaturen. Bei den Christdemokraten fast in jedem fünften, bei den Sozialdemokraten in jedem siebten Wahlkreis sogar zwei oder mehr Gegenkandidaten (vgl. Schüttemeyer/Sturm 2005: 547f). Aufgrund der bisherigen Ergebnisse nicht
175
überraschend ist die Erkenntnis der Autoren, dass am häufigsten von (später) erfolgreichen Kandidaten Ämter in der Vorstandsebene auf Kreisebene als Ausgangspunkt für die Kandidatur genannt wurden. Tabelle 47: Kandidaturen und Mandate im Überblick Kandidaturen und Mandate Ohne parlamentarische Ambition Landesebene Bundesebene Europäische Ebene
Spitzenpolitiker N %
Nachwuchspolitiker N %
nie kandidiert
16
11,9
_
nie Mandat errungen
20
14,9
_
_ _
kandidiert auf Landesebene
92
68,7
52
64,2
Mandat auf Landesebene
81
60,4
45
55,6
kandidiert auf Bundesebene
64
47,8
39
48,1
Mandat im Bundestag
52
38,8
37
45,7
kandidiert auf europäischer Ebene
6
4,5
3
3,7
Mandat im Europäischen Parlament
3
2,2
0
0,0
Wie stark die parlamentarischen Ambitionen der deutschen Spitzenpolitiker sind, macht Tabelle 47 deutlich. Lediglich 12 Prozent der politischen Führungskräfte haben nie für ein Parlament auf einer der drei Ebenen des politischen Systems kandidiert. Darunter sind die parteilosen Spitzenpolitiker, klassische Quereinsteiger oder politisches Spitzenpersonal, das nach dem Muster Wolfgang Tiefensees über hochrangige Positionen in der Kommunalpolitik den Weg an die Spitze der politische Elite geschafft hat. Das parlamentarische Regierungssystem mit der engen Verzahnung von Exekutive und Legislative führt dazu, dass die Mitgliedschaft in den Parlamenten eine wichtige Sprosse in der persönlichen Karriereleiter ist. Dies gilt jedoch in erster Linie für die Bundes- und Landesebene. Der Weg über das Europäische Parlament ist sehr selten. Lediglich sechs Spitzenpolitiker hatten für das EUParlament kandidiert, nur drei waren Europaabgeordnete, ehe sie in Deutschland oder einem Bundesland Spitzenpolitiker wurden. Tabelle 47 legt jedoch noch zwei Schlüsse nahe. Zum einen ergibt eine einfache Addition der Mandatszahlen, dass mehrere Spitzenpolitiker in mehr als einem Parlament Mitglied gewesen sein müssen. In der Tat gaben 22 Spitzenkräfte (16,4 %) an, Mitglied in einem Parlament auf zwei unterschiedlichen Ebenen gewesen zu sein. Knapp 30 Prozent der Spitzenpolitiker haben für Parlamente auf verschiedenen Ebenen kandidiert. Im Sample befinden sich drei hochrangige Politiker, die in ihrer Laufbahn sowohl Kandidat für ein Landesparlament, den Bundestag als auch das Europäische Parlament waren. Zum zweiten sind die Zahlen der Kandidaturen höher als 176
die der tatsächlich errungenen Mandate. Das bedeutet, dass auch Spitzenpolitiker in ihrer Laufbahn, welche sie bis in die höchsten Positionen des Staates führte, Rückschläge einstecken mussten. Die 134 Spitzenpolitiker zeichnen für mindestens 50 erfolglose Kandidaturen verantwortlich.29 Auch einige jüngere Abgeordnete der Kontrastgruppe haben Erfahrungen mit Wahlniederlagen. In der Gruppe lag die Mindestzahl der erfolglosen Kandidaturen bei 15. Blickt man auf das Alter der Personen, die den Einzug in ein Parlament geschafft haben, fällt für die Gruppe der Spitzenpolitiker doch eine gewisse Seniorität auf (vgl. Tabelle 48) Tabelle 48: Alter beim ersten Mandat Alter beim ersten Mandat
Spitzenpolitiker N
%
kum. %
25 Jahre oder jünger
3
2,6
2,63
Zwischen 26 und 35
45
39,5
42,11
Zwischen 36 und 45
46
40,4
82,46
Zwischen 45 und 55
18
15,8
98,25
2
1,8
100,00
114
100,0
_
Älter als 55 Jahre Gesamt
Nur drei Spitzenpolitiker eroberten bis zu ihrem 25. Geburtstag einen Platz auf der Abgeordnetenbank. Knapp 40 Prozent schafften diesen Karriereschritt bis zum 35. Lebensjahr, das oft das Ende der Mitgliedschaft in der Jugendorganisation mit sich bringt. Gut 40 Prozent waren beim Einzug in die Parlamente zwischen 36 und 45 Jahre alt. Knapp 16 Prozent waren älter als 45 Jahre und lediglich zwei Personen waren beim Mandatgewinn 55 Jahre oder älter. Der Alterschnitt bei dieser wichtigen Sprosse auf der Karriereleiter liegt bei den Spitzenpolitikern bei 38,2 Jahren. Spitzenpolitiker der SPD waren mit über 40 Jahren im Schnitt die Ältesten, auch bei Führungskräften der FDP lag das Durchschnittsalter beim Mandatsantritt mit 39,3 Jahren über dem Mittelwert der Untersuchungsgruppe. Am schnellsten erreichten den Parlamentarier-Status die CSUSpitzenpolitiker mit einem Altersmittelwert von 36,4 Jahren. Da das Alter bei 29 Die exakte Anzahl kann nicht bestimmt werden. Im Fragebogen wurden der Zeitpunkt der ersten Kandidatur und der der Zeitpunkt des Mandatsantritts auf allen Ebenen erhoben. Wenn die Differenz der Zeitpunkte kleiner als eine Legislaturperiode ist, rückte der Politiker nach. Diese Fälle wurden als erfolgreiche Kandidaturen behandelt. Ist die Differenz größer als eine Legislaturperiode, hat die Person eine erfolglose Kandidatur hinter sich. Ist sie größer als zwei Legislaturperioden, kann man keine Aussage mehr treffen, da der Politiker nicht unbedingt in der Zwischenzeit kandidiert haben muss.
177
Mandatsbeginn als Selektionskriterium bei den jungen Angeordneten herangezogen wurde, liegt der Mittelwert wenig überraschend bei 27,3 Jahren. Für den weiteren Verlauf des Aufstiegs innerhalb der Parlamente lässt sich folgende Vermutung aufstellen: Um für ein politisches Spitzenamt in Frage zu kommen, reicht der Status eines „einfachen“ Abgeordneten nicht aus. Spitzenpolitiker werden daher in der Regel einen innerparlamentarischen Aufstiegsprozess hinter sich haben. Hier treten jedoch Abgrenzungsprobleme auf. Zum einen ist zu klären, wann ein Abgeordneter als einfacher Abgeordneter oder „Hinterbänkler“ gelten kann. Oberreuter hat 1970 in einem Handbuchartikel versucht diesen vermeintlichen Parlamentariertyp zu definieren: „Es empfiehlt sich also, nur solche Abgeordnete als Hinterbänkler zu bezeichnen, die in der Regel keinen positiven Beitrag zur Willensbildung der Fraktion oder des Parlaments leisten, keine oder allenfalls bescheidene Aufgaben in der Parlamentsarbeit übernehmen und höchstens zu untergeordneten und meist lokalen Fragen Stellung nehmen. (…) Die Position des Hinterbänklers ist nicht systembedingt, sie wird freiwillig bezogen. Sie resultiert aus einer eingeengten Auffassung von den Aufgaben und Pflichten des Mandats.“ (Oberreuter 1970: 196f)
Oberreuter identifiziert drei Typen von Hinterbänklern. Zum einen nennt er die Verbandsvertreter in den Parlamenten. Der zweite Typ besteht aus denjenigen Abgeordneten, die in ihrer parlamentarischen Tätigkeit allein auf den Wahlkreis fokussiert sind (“Wahlkreislöwen“). Schließlich gäbe es noch Abgeordnete, die mit dem Mandat für frühere Verdienste um die Partei honoriert worden seien. Nach Oberreuter würden insgesamt ein Fünftel der Abgeordneten zur Kategorie „Hinterbänkler“ gehören. Nach von Beyme sind es Politiker, „die an politischen Entscheidungen nur peripher beteiligt sind, wohl aber teilhaben an den Privilegien“ (Von Beyme 1993: 31). Allerdings ist es äußerst schwierig, den Einfluss einzelner Personen exakt zu bestimmen. Dazu müsste man auf einen Entscheidungsansatz beim Forschungsdesign zurückgreifen. Von Oertzen wirft in seiner grundlegenden Betrachtung der Abgeordnetentätigkeit die generelle Frage auf, ob man überhaupt von Hinterbänkler sprechen kann, da alle Parlamentarier zur Mitarbeit in den Parlamenten verpflichtet sind und damit einen Beitrag zur Handlungsfähigkeit der Fraktion leisten (vgl. von Oertzen 2006: 92). Golsch weist auch darauf hin, dass vor allem bei knappen Regierungsmehrheiten auch dem einzelnen, „einfachen“ Angeordneten ein beachtliches Druckpotential zufallen kann. Um einen innerparlamentarischen Aufstiegsprozess nachweisen zu können, muss man darüber hinaus eine Hierarchie von Funktionen in den Legislativen unterstellen können. Von Oertzen deutet eine derartige Ämtersukzession an (vgl. Abbildung 16). Demnach hinge der Karrierepfad, der vom Parlamentsneuling bis zum Fraktionsvorsitzenden führen kann, nicht zuletzt von der Dauer der Zugehörigkeit zum Parlament ab. Ob diese Abfolge von Ämtern innerhalb des Parla178
ments auch für Spitzenpolitiker konstatiert werden kann, wird im Folgenden behandelt. Allerdings war es im Fragebogen, der alle Phasen und Strukturen einer erfolgreichen politischen Laufbahn abdecken musste, nicht möglich, nach jeder einzelnen möglichen parlamentarischen Funktion zu fragen. Aufgenommen wurden daher die Funktionen des Fraktionsvorsitzenden und seiner Stellvertreter, des parlamentarischen Geschäftsführers, der Sprecher der Fraktion für einen bestimmten Politikbereich, der Vorsitzenden der ständigen Parlamentsausschüsse und der Mitglieder des Parlamentspräsidiums. Abbildung 16: Parlamentarische Zuständigkeitsbereiche in Abhängigkeit von der Zugehörigkeitsdauer
Quelle: Von Oertzen 2006: 91.
Die Funktion des Arbeitsgruppen- bzw. Arbeitskreisvorsitzenden sind zwar als Schlüsselpositionen innerhalb der Fraktion anzusehen, wurden jedoch nicht speziell erhoben. Der Grund dafür ist in der Positionsmethode zur Elitenidentifikation zu sehen. Die 21 Arbeitsgruppenvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und die 22 Arbeitsgruppenvorsitzenden der SPDBundestagsfraktion sind gleichzeitig die fachpolitischen Sprecher ihrer Fraktion. Diese Karrierestufe wurde im Fragebogen abgefragt. Bei den Grünen und der Linkspartei sind die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden die Leiter oder Koordinatoren der Arbeitskreise. Bei der FDP gibt es ebenfalls große Überschneidungen zwischen der Riege der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und der Arbeitskreisvorsitzenden. So ist beispielsweise der stellvertretende Fraktionsvor-
179
sitzende Rainer Brüderle auch Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen der FDP-Bundestagsfraktion und wirtschaftspolitischer Sprecher. Daher wurde aus Gründen der Trennschärfe der Positionen nicht nach der Funktion der Arbeitsgruppen- oder Arbeitskreisvorsitzenden gefragt. Auch die Mitgliedschaft im Fraktionsvorstand ohne weitere Funktion wurde nicht als innerparlamentarische Karriereposition eingeordnet. Da zwischen der Parlamentsorganisation auf Bundes- und auf Landesebene nur geringe oder keine Unterscheide bestehen, wurde diese Ämter- und Funktionsauswahl für beide Ebenen des politischen Systems in Deutschland vorgenommen. Zunächst soll ein allgemeiner Überblick gegeben werden, in welchem Umfang Spitzenpolitiker Führungspositionen in den Parlamenten einnehmen. Tabelle 49: Parlamentarische Führungspositionen im Überblick Parlamentarisches Engagement
Bundespolitiker (N=39) N %
Landespolitiker (N=95) N %
Mandat auf Landesebene
11
28,2
70
73,7
Führungsposition Landesparlament
9
23,1
64
67,4
Mandat Deutscher Bundestag
38
97,4
14
14,7
Führungsposition Bundestag
37
94,9
10
10,5
Mandat Europäisches Parlament
0
0,0
3
3,2
Führungsposition EP
0
0,0
0
0,0
Wie Tabelle 49 offen legt, ist das parlamentarische Engagement der Spitzenpolitiker sehr stark ausgeprägt. Von den 39 Spitzenpolitikern auf Bundesebene übten 38 Führungspositionen im Bundestag aus. Nicht ganz auf diesem Niveau bewegt sich die Betätigung der landespolitischen Eliten in wichtigen parlamentarischen Funktionen. Der im Vergleich zum Bundestag geringe Anteil von 67,4 Prozent von Spitzenpolitikern mit Erfahrungen in parlamentarischen Spitzenpositionen liegt jedoch auch daran, dass insgesamt nur knapp drei Viertel (73,7 %) der hochrangigen Landespolitiker auch Landtagsabgeordnete waren. Am häufigsten wurde die Funktion des fachpolitischen Sprechers der Fraktion ausgeübt. Mehr als die Hälfte (56,3 %) der Bundespolitiker und knapp die Hälfte (46,3 %) der Landespolitiker zeichneten in ihrer Laufbahn nach außen hin für ein spezielles Themengebiet verantwortlich (vgl. Tabelle 50). Die Position des fachpolitischen Sprechers wird – wie oben erwähnt – oft in Personalunion mit dem Vorsitz einer Arbeitsgruppe, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitz oder in Verbindung als Obmann oder Obfrau der Fraktion in den Fachausschüssen der Parlamente ausgeübt. Die fachpolitischen Sprecher nehmen im Positi-
180
onsgeflecht einer Fraktion eine Mittelstellung zwischen den einfachen Abgeordneten und der Fraktionsführung ein. Den Sprechern kommt die wichtige Rolle zu, ihr Themengebiet im Namen der Fraktion gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. Sie operieren mit dem Instrument der Presseerklärungen und stehen Journalisten formell für Interviews zur Verfügung. Sie werden daher auch als „Lautsprecher der Fraktion“ (von Oertzen 2006: 151) bezeichnet, die ihr Themengebiet exklusiv und verantwortlich vertreten. Tabelle 50: Häufigkeiten einzelner parlamentarischer Führungspositionen Parlamentarischer Führungspositionen
Bundespolitiker (N=39) N %
Landespolitiker (N=95) N %
Fraktionsvorsitzende/r
3
7,7
43
45,3
Stv. Fraktionsvorsitzende/r
15
38,5
22
23,2
Parlamentarische/r Geschäftsführer/in
9
23,1
9
9,5
Fachpolitische/r Sprecher/in der Fraktion
22
56,4
44
46,3
Vorsitzende/r eines ständigen Parlamentsausschuss
6
15,4
12
12,6
Mitglied des Parlamentspräsidiums
1
2,6
12
12,6
Sie erhalten jedoch darüber hinaus auch Informationen von außerhalb der Fraktion, beispielsweise von Interessengruppen. Von Oertzen folgend können sie daher als „Informationsschaltstelle“ der Fraktion (von Oertzen 2006: 157) angesehen werden (vgl. Abbildung 17). Die Stellung des einzelnen Sprechers hängt nicht zuletzt auch von der Fraktionsgröße ab. Gerade in kleineren Fraktionen wird versucht, jedem Abgeordneten einen Themenbereich zu übertragen. So gibt es beispielsweise in der Bundestagsfraktion der Grünen eine fachpolitische Sprecherin für „Strategien gegen Rechtsextremismus“ oder für „auswärtige Kulturpolitik“. Hier wird offensichtlich versucht, jeden Parlamentarier mit ausreichend „Ehren“ zu versorgen. Anders gelagert ist dagegen die Sprecherrolle in den beiden großen Bundestagsfraktionen. So ist beispielsweise der CDU-Abgeordnete Steffen Kampeter zwar nur eines der 224 Fraktionsmitgliedern, fungiert aber als Vorsitzender der „Arbeitsgruppe Haushalt“ als haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion und ist in dieser Funktion der „oberste Haushälter“ in Reihen der CDU/CSUBundestagsabgeordneten. Häufig sind die fachpolitischen Sprecher auch die Obleute der Fraktionen in den Fachausschüssen der Parlamente. Wo diese Rollen getrennt werden, stehen die Obleute im Schatten der Sprecher (vgl. von Oertzen 2006: 217ff). Nach Ludwig Stiegler, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, nehmen die Arbeitsgruppenvorsitzenden der SPD, in
181
Personalunion fachpolitische Sprecher und Obleute der Fraktion in den Bundestagsausschüssen, aufgrund ihrer herausragenden Initiativ-, Steuerungs- und Koordinationsfunktion bei der politikfeldbezogenen Sacharbeit des Parlaments die Stellung als „Fachminister der Fraktion“ (Petersen/Kaina 2007: 244) ein. Für den Rekrutierungsprozess ist gerade die hohe Sichtbarkeit dieser Positionen von Interesse. Als in der Öffentlichkeit stehender Fachpolitiker bietet die Funktion des Sprechers eine ausgeprägte Profilierungsmöglichkeit. Abbildung 17: Die Rolle des fachpolitischen Sprechers
Quelle: Von Oertzen 2006: 157. (Die Doppelpfeile symbolisieren den Fluss von Informationen und Impulsen)
Am zweithäufigsten wird die Funktion des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von den Spitzenpolitikern als Führungsposition innerhalb des Parlaments genannt. Knapp 40 Prozent der Bundespolitiker waren in ihrer Karriere in dieser Funktion tätig. Bei den Landespolitikern war es fast jeder Vierte. Wenn man sich die spezifische Rolle des Fraktionsvizes ansieht, überraschen diese Häufigkeiten nicht (vgl. Abbildung 18). Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sind das Bindeglied zwischen der Fach- und der Führungsebene der Fraktion. Sie haben eine wichtige Koordinierungsfunktion inne, da sie nicht nur zwischen oben (Führungsebene) und unten (Fachebene) vermitteln, sondern auch horizontal (zwischen den Anliegen der verschiedenen Arbeitskreise oder auch den soziologischen Gruppen). Der stellvertretende. Fraktionsvorsitzende hat zudem eine „Wächterfunktion“ (von Oertzen 2006: 146). Er ist dafür verantwortlich, dass die von der Führung festgelegte Gesamtlinie der Fraktion in den Arbeitskreisen ausreichend berücksichtigt wird. Andererseits überprüft er Vorlagen der Arbeits182
gruppen auf Vereinbarkeit mit der Fraktionslinie. Von Oertzen betont zudem, dass die Fraktionsvizes bei der Selektion von Kandidaten für die mittlere und obere Führungsebene mitwirken (vgl. von Oertzen 2006: 47). Abbildung 18: Die Rolle der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden
Quelle: Von Oertzen 2006: 149. (Abkürzungen: sFV – Stellvertretender Fraktionsvorsitzender; FV: Fraktionsvorsitzender; AKV: Arbeitskreisvorsitzender)
Sie bestimmen daher Karriereprozesse innerhalb eines Parlaments mit und bilden selbst eine Sprosse auf der innerparlamentarischen Karriereleiter. Zwei weitere Karrierestationen grenzen von oben und unten an den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden an. Als Vorstufe kann man die parlamentarischen Geschäftsführer ansehen, die als „Manager“ der Fraktion und des Parlaments wichtige Koordinierungsaufgaben haben und die Abgeordneten auf Fraktionslinie bringen müssen (vgl. Schüttemeyer 1997; Petersen 2000). Die Geschäftsführer gehören zur Führungsebene der Fraktion und können nach erfolgreichem Wirken selbst zu Stellvertretern der Fraktionsvorsitzenden aufsteigen. Für den Bundestag kann man konstatieren, dass dieser Posten ein wichtiges Element einer politischen Karriere ist. Knapp jeder fünfte Spitzenpolitiker auf Bundesebene hatte dieses Amt einmal inne (23,1 %). Auf Landesebene war dies nur jeder zehnte (9,5 %). Das kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass diese Funktion nicht in
183
jeder Landtagsfraktion vergeben wird. So kommt beispielsweise die zahlenmäßig starke CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag ohne parlamentarischen Geschäftsführer aus, während sowohl CDU als auch SPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen diese Position besetzen. Die wohl politisch einflussreichste legislative Position ist die des Fraktionsvorsitzenden. Sie ist häufig ein Sprungbrett für ein Ministeramt oder sogar für den Sessel des Kanzlers oder Ministerpräsidenten, da der Fraktionsvorsitzende der größten Oppositionspartei häufig zum Oppositionsführer avanciert und aus dieser Position heraus selbst Regierungschef werden kann. Die Beispiele der CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, Christian Wulff und Jürgen Rüttgers stützen diese These. Auch in der Auseinandersetzung um die Nachfolge des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel setzte sich mit Günther Oettinger der Vorsitzende der Landtagsfraktion durch und nicht die damalige Kultusministerin Annette Schavan. Daher verwundert es nicht, dass von den 95 Landespolitikern im Sample 43 diese Position innehatten, ein hoher Anteil von 45,3 Prozent. Die bisher behandelten Funktionen erwiesen sich als für den Rekrutierungsprozess hoch relevant. Dies trifft auf die beiden letzten Funktionen nur zum Teil zu. Unter Umständen kann auch ein Vorsitzender eines ständigen Parlamentsausschusses politische Strahlkraft entfalten. Von Beyme sieht die Ausschussvorsitzenden daher auch als machtvoll an (vgl. von Beyme 1997: 194). Von Oertzen dagegen erkennt in dieser Funktion einen „Moderator ohne Macht“ (von Oertzen 2006: 213). Der Tradition des Positionsansatzes und den empirischen Studien über Spitzenpolitiker folgend, wurden die Ausschussvorsitzenden als Inhaber politischer Führungsfunktionen angesehen. Die in Tabelle 49 dargestellten Zahlen legen aber nicht den Schluss nahe, dass der Ausschussvorsitz häufig als Aufstiegsposition dient. Inwieweit diese Position einen Politiker in Reichweite eines Ministeramtes bringt, wird im nächsten Abschnitt untersucht. Ähnlich ambivalent ist auch die Mitgliedschaft im Parlamentspräsidium zu sehen. So wurde beispielsweise Wolfgang Thierse aus der Position des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden heraus Bundestagspräsident. Insgesamt betrachtet scheint die Position häufig den Endpunkt einer politischen Karriere zu markieren. So wurde der einflussreiche Chef der CSU-Landtagsfraktion Alois Glück nach Aufgabe dieser Position Präsident des Bayerischen Landtags. Bundestagsvizepräsident Herman Otto Solms war als FDP-Fraktionsvorsitzender ebenso in einer machtvolleren Position, wie seine Amtskollegin Gerda Hasselfeldt, die bereits Bundesbau- und Bundesgesundheitsministerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende war. Dagegen sind mit Katrin Göring-Eckardt (Bündnis90/Die Grünen) und Petra Pau (Linkspartei) zwei junge, aufstrebende Politikerinnen Bundestagsvizepräsidentinnen, die bei anderen Mehrheitsverhältnissen aus dieser
184
Position heraus ein exekutives Spitzenamt einnehmen könnten. Insgesamt waren Spitzenpolitiker auf Bundesebene kaum und auf Landesebene selten Mitglieder des Parlamentspräsidiums. In der bisherigen Analyse innerparlamentarischer Karrieren wurde bereits implizit eine Hierarchie der Ämter angenommen, zum Teil gestützt auf von Oertzens Untersuchung. Sollten die angesprochenen Ämter tatsächlich eine Karriereleiter bilden, müsste sich dies in der unterschiedlichen Dauer der Vorbereitungszeit vor der Amtsübernahme niederschlagen. Die These würde demnach folgendermaßen lauten: Je höher die Position im Parlament ist, desto länger dauert es, sie zu erreichen. Zur empirischen Prüfung wurden die Mittelwerte der Zeitabstände zwischen dem Wechsel in die Berufspolitik und der Übernahme der betreffenden Positionen in den Parlamenten oder Fraktionen errechnet. Tabelle 51 und Tabelle 52 listen diese Mittelwerte nach der Dauer sortiert auf. Interessanterweise ergibt sich eine Karriereleiter, wie sie zuvor in ähnlicher Weise beschrieben wurde. Tabelle 51: Durchschnittliche Zeitdifferenzen zwischen Wechsel in die Berufspolitik und der Übernahme von Führungspositionen im Bundestag Führungspositionen im Bundestag
Bundespolitiker N
MW
SD
Fraktionsvorsitzende/r
3
20,67
1,15
Stv. Fraktionsvorsitzende/r
15
12,87
4,52
Vorsitzende/r Parlamentsausschuss
6
10,17
6,62
Parlamentarische/r Geschäftsführer/in
9
6,44
4,03
Fachpolitische/r Sprecher/in der Fraktion
22
6,23
4,48
Auf Bundesebene ist die Führungsposition, die von den Spitzenpolitikern auf Bundesebene am schnellsten erreicht wurde, die des fachpolitischen Sprechers. Im Schnitt 6,2 Jahre nach dem Wechsel in die Berufspolitik werden die späteren Top-Politiker Sprecher ihrer Fraktion für einen bestimmten thematischen Bereich. Zeitlich nachgelagert sind die Positionen des parlamentarischen Geschäftsführers (6,4 Jahre), des Vorsitzenden eines Parlamentsausschusses (10,2 Jahre) und des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden (12,9 Jahre). Am Ende der Karriere innerhalb des Parlaments steht der Sprung auf den Vorsitz einer Bundestagsfraktion. Die drei Spitzenpolitiker in der Untersuchungsgruppe, die dieses hohe Amt in ihrer Karriere erobern konnten, benötigten dazu über 20 Jahre. Dieses Muster taucht in fast identischer Manier bei den Landespolitikern auf. Auch hier lässt sich grob eine Ämterhierarchie von den fachpolitischen 185
Sprechern (2,9 Jahre nach Wechsel in die Berufspolitik), den parlamentarischen Geschäftsführern (3,2 Jahre) über die Vorsitzenden eines Parlamentsausschusses (3,6 Jahre) bis hin zu den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden (6,1 Jahre) erkennen. Vor dem Fraktionsvorsitzenden (7,8 Jahre) taucht die Position „Mitglied im Parlamentspräsidium“ auf, die ähnlich spät eingenommen wird, nämlich im Schnitt sieben Jahre nach dem Wechsel in die bezahlte Politik. Die oben formulierte These, dass mit der Bedeutung der innerparlamentarischen Position auch die Wartezeit bis zur Übernahme dieser Position steigt, kann im Großen und Ganzen bestätigt werden. Tabelle 52: Durchschnittliche Zeitdifferenzen zwischen Wechsel in die Berufspolitik und der Übernahme von Führungspositionen in einem Landesparlament Führungspositionen im Landesparlament
Landespolitiker N
MW
SD
Fraktionsvorsitzende/r
43
7,77
6,42
Mitglied des Parlamentspräsidiums
12
7,00
4,55
Stv. Fraktionsvorsitzende/r
22
6,05
5,89
Vorsitzende/r Parlamentsausschuss
12
3,58
3,94
Parlamentarische/r Geschäftsführer/in
9
3,22
3,46
Fachpolitische/r Sprecher/in der Fraktion
40
2,93
3,72
5.7.5 Höhepunkt politischer Laufbahnen: Exekutive Spitzenämter Die Berufung auf einen Ministerposten oder ein anderes exekutives Spitzenamt kann man zweifelsohne als die Krönung einer politischen Karriere ansehen. Mit diesen exekutiven Spitzenpositionen ist einerseits eine höhere Alimentation verbunden. Andererseits genießt man als Minister im Allgemeinen eine erhöhte Aufmerksamkeit, steht an der Spitze einer oft großen Verwaltung und kann über das im parlamentarischen Regierungssystemen praktizierte Ressortprinzip im Gestaltungsbereich des eigenen Aufgabengebiets den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess an vorderster Stelle mitbestimmen. Das Regierungssystem kann dabei nicht ohne Konsequenz für den Rekrutierungsprozess bleiben. Blondel hat zu Recht darauf hingewiesen, dass man den prägenden Einfluss des Systemtypus auf politische Karrieren nicht aus dem Auge verlieren darf (vgl. Blondel 1991a: 5ff). Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Gewaltenfusion zwischen Exekutive und Legislative, wie es für den Parlamentarismus charakteristisch ist. Die Folge bringt Blondel auf den Punkt: 186
„In reality, the only way to understand fully the nature of the ministerial career in cabinet government is to view it, not just emerging ‘normally’ from but being truly part of a parliamentary career.” (Blondel 1991a: 8)
Mit der Analyse der Karriere innerhalb der Parlamente, wurde diesem Gedanken bereits Rechnung getragen. An dieser Stelle soll jedoch der Sprung auf die oberste Stufe der Karriereleiter noch genauer unter die Lupe genommen werden. Untersucht wird vor allem, aus welcher Position heraus Politiker zu Regierungsmitgliedern werden. Daher wird bei allen Spitzenpolitikern im Sample, die in ihrer Laufbahn einmal ein Regierungsamt innehatten, die Vorposition betrachtet. Zudem geht die folgende Analyse der Frage nach, ob eine inhaltliche Kongruenz zwischen dem eroberten exekutiven Spitzenamt und der parlamentarischen Tätigkeit existiert. Gefragt wird also, ob beispielsweise der außenpolitische Sprecher der Fraktion oder Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses Außenminister, der innenpolitische Sprecher parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern wird. Bevor diese beiden Fragen behandelt werden, soll ein Blick darauf geworfen werden, welches Regierungsamt als erstes erreicht wurde und in welchem Alter dies geschah. Die bisherige Unterscheidung zwischen den beiden Ebenen des politischen Systems wird dabei beibehalten. Bundesebene 20 Spitzenpolitiker im Sample hatten in ihrer Laufbahn ein Regierungsamt auf Bundesebene inne.30 Für 14 von ihnen markierte die Position des Parlamentarischen Staatssekretärs (PStS) die erste gouvernmentale Funktion ihrer Karriere, für die anderen sechs Personen die Position eines Bundesministers. Die 20 Inhaber von Regierungsämtern auf der Ebene des Bundes waren bei Amtsantritt im Schnitt 48 Jahre alt. Die jüngste bei diesem Karriereschritt war Gerda Hasselfeldt, die 1989 nach einer Kabinettsumbildung als Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau den Sprung in die Regierung Kohl schaffte. Hasselfeldt war zu diesem Zeitpunkt 39 Jahre alt. Der älteste Exekutivpolitiker war Gernot Erler, der nach der Bundestagswahl 2005 im Alter von 61 Jahren zum Staatsminister im Auswärtigen Amt ernannt wurde. Blickt man auf die parlamentarischen Vorerfahrungen der Minister oder Staatssekretäre (vgl. Tabelle 53) fallen deutliche Unterschiede auf. Wie bereits erwähnt, war Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee als Oberbürgermeis30 Man muss vorsichtig sein, aus 20 Fällen generelle Schlussfolgerungen zu ziehen. Aus diesem Grund werden in diesem Unterabschnitt auf die Ergebnisse anderer Studien und auf Informationen über weitere Spitzenpolitiker außerhalb des Samples zurückgegriffen.
187
ter von Leipzig ins Kabinett von Angela Merkel berufen worden. Er hatte also kein Mandat beim Wechsel in die politisch-administrative Spitze inne. Ebenfalls ohne Bundesmandat war Renate Künast, als sie nach dem BSE-Skandal und dem damit verbundenen Rücktritt von Landwirtschaftsminister Funke (SPD) im Januar 2001 Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in der Regierung Schröder wurde. Sie schaffte den Sprung an die Spitze eines Bundesministeriums aus ihrer Position als Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen heraus, holte aber bereits im darauf folgenden Jahr das Bundestagsmandat nach.31 Tabelle 53: Positionen vor dem Sprung in eine gouvernmentale Funktion
Ohne Mandat Mandat, aber keine parl. Führungsposition Fachpolitische/r Sprecher/in der Fraktion Parlamentarische/r Geschäftsführer/in Vorsitzende/r eines ständigen Parlamentsausschuss Stv. Fraktionsvorsitzende/r Fraktionsvorsitzende/r
Bundespolitiker N % 2 10,0 5 25,0 8 40,0 0 0,0 1 5,0 4 20,0 0 0,0
Gesamt
20
Positionen / Status
100,0
Ein Viertel der 20 Spitzenpolitiker mit Regierungserfahrung auf Bundesebene hatte zwar ein Mandat im Bundestag, jedoch keine der definierten Führungspositionen inne. Interessanterweise waren vier dieser fünf Spitzenpolitiker Mitglied der kleineren Koalitionsparteien CSU und FDP. Dies kann man als einen Hinweis darauf auffassen, dass neben der parlamentarischen Betätigung noch weitere rekrutierungsrelevante Faktoren wirksam sind. Ein Kanzler oder Ministerpräsident kommt in der Regel an einer entsprechenden Berücksichtigung der Koalitionspartner nicht vorbei. Die Zugehörigkeit zur kleineren Koalitionspartei ist daher womöglich bedeutender als eine langjährige parlamentarische Erfahrung, die „Arithmetik der Koalitionsbildung“ (Derlien 1996: 572) dominiert in diesen Fällen über parlamentarische Anciennität. Auch die Berufung der fünften Exekutivpolitikerin ohne parlamentarische Führungsposition, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium Barbara Hendricks (SPD), kann man der Personalpolitik nach Regierungswechseln (vgl. Derlien 2001a) zuschreiben: 31 Bei grünen Spitzenpolitikern muss man die parteiinternen Regelungen zur Inkompatibilität von Amt und Mandat beachten, die bis heute nur teilweise gelockert wurden.
188
„Der Regierungschef muß aber nicht nur die Koalitionsparteien personell entsprechend ihrem Anteil am Wahlergebnis im Kabinett repräsentieren, sondern auch Patronage- und Repräsentationswünsche aus der eigenen Partei nachgeben und Vertreter verschiedener Parteiflügel sowie Landesverbände kooptieren.“ (Derlien 1996: 573)
Hendricks war zum Zeitpunkt ihrer Berufung Mitglied im Landesvorstand des mächtigen SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, zog über die NRWLandesliste in den Bundestag ein und war dort Mitglied im Fraktionsvorstand. Generell scheint gerade die Ebene der deutschen Bundesländer ein wichtiges Personalreservoir für die Exekutive auf Bundesebene zu sein – was man nicht nur an der Tatsache erkennt, dass vier der acht bisherigen Bundeskanzler zuvor Regierungschef auf Landesebene waren (Kiesinger, Brandt, Kohl, Schröder). März vertritt die These, dass die Stellung der Länderpremiers geradezu prädestiniert für eine spätere Kanzlerschaft sei (vgl. März 2002: 252ff). Auch Helms erkennt für die Gruppe der Bundeskanzler und Kanzlerkandidaten einen „großen Einfluss von Persönlichkeiten mit landespolitischen Spitzenkarrieren“ (Helms 2005: 80). Thiébault kommt in seiner Untersuchung über die Bedeutung der lokalen und regionalen Ebene für die Laufbahn späterer westeuropäischer Kabinettsminister zu dem Ergebnis, dass über 40 Prozent der deutschen Bundesminister Mitglieder in einem Landesparlament waren, über 30 Prozent gehörten einer Landesregierung an (vgl. Thiébault 1991a: 37). Ein Blick auf das Kabinett von Angela Merkel untermauert die Bedeutung der Landesebene zusätzlich. Sieben der 16 Mitglieder (41 %) waren bereits in einem Ministeramt auf Landesebene tätig (Gabriel, Jung, von der Leyen, de Maizière, Müntefering, Schavan, Steinbrück). Dazu kommen noch zwei Bundesminister (Steinmeier, Zypries), die als beamtete Staatssekretäre auf Länderebene tätig waren. Um die gewonnenen Einsichten auf eine breitere Basis zu stellen, wurden zusätzliche Fälle in die Analyse aufgenommen. Tabelle 54 gibt die Vorpositionen der Mitglieder der Bundesregierung (Bundeskanzler und Bundesminister) seit 1994 wieder. Das parlamentarische Regierungssystem würde die Vermutung nahe legen, dass die Regierungsmitglieder überwiegend aus dem Bundestag rekrutiert werden. Die Übersicht bestätigt jedoch die Bedeutung der Landesebene für die Rekrutierung des Spitzenpersonals auf der Ebene des Bundes. Ein Drittel der Regierungsmitglieder (33,9 %) hatte vor dem Regierungsamt auf Bundesebene eine politische Funktion auf Landesebene inne, überwiegend als Mitglied einer Landesregierung. 14 Prozent der Regierungsmitglieder wurden extern rekrutiert. Sie hatten zum Zeitpunkt ihrer Berufung kein Mandat oder Regierungsamt inne, sondern beispielsweise eine hohe Position in der Verwaltung (Justizminister Klaus Kinkel als Staatssekretär im Justizministerium), eine hohe Parteiposition (Renate Künast, s.o.) oder eine bedeutende Funktion in einer sektoralen
189
Elite außerhalb von Politik und Verwaltung (wie der stellvertretende IG MetallBundesvorsitzende Walter Riester). Diese beiden Rekrutierungsmuster führen dazu, dass nur gut die Hälfte der Regierungsmitglieder seit 1994 (51,9 %) tatsächlich aus dem Bundestag heraus berufen wurden. In dieser Kategorie dominieren die parlamentarischen Führungspositionen sowie die Funktion des Parlamentarischen Staatssekretärs. 22 der 29 Regierungsmitglieder, die sich aus dem Bundestag rekrutierten, waren in diesen beiden Subgruppen tätig. Sieben spätere Regierungsmitglieder waren Bundestagabgeordnete ohne besondere Führungsaufgaben im Parlament. Tabelle 54: Vorpositionen der Bundesregierungsmitglieder seit 1994 Positionen / Status keine politische Ohne Mandat oder Amt: Externe Rekrutierung Vorposition Bundestagsmandat, aber keine Führungsposition Bundespolitik Bundestagsmandat und Führungsposition
Landespolitik
Europa Gesamt
Parlamentarische/r Staatssekretär/in Landtagsmandat, aber keine Führungsposition Landtagsmandat und Führungsposition Mitglied einer Landesregierung Mandat oder Führungsposition auf europäischer Ebene
Regierungsmitglieder seit 1994 n
%
N
%
8
14,3
8
14,3
7
12,5
19
33,9
29
51,8
3
5,4
0
0,0
3
5,4
19
33,9
16
28,6
0
0,0
0
0,0
56
100,0
56
100,0
Die für Kabinettsmitglieder offensichtlich bedeutsame Karrierearena Landespolitik fällt bei der zweiten Personengruppe innerhalb der Bundesexekutive weg. Die 1967 eingeführten Parlamentarischen Staatssekretäre müssen nach dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (ParlStG) aus dem Jahr 1974 Mitglieder des Bundestages sein. Für Aufsehen sorgte die so genannte „Lex Naumann“. Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder änderte das ParlStG so ab, dass die parlamentarischen Staatssekretäre beim Bundeskanzler – sie führen die Bezeichnung Staatsminister – von dieser generellen Regelung abweichen dürfen. Mit dieser Novellierung ermöglichte Schröder 1998 die Berufung des mandatslosen Michael Naumann zum Staatsminister für Kultur und Medien. Man kann daher davon ausgehen, dass der Karriereschritt „Parlamentarischer Staatssekretär“ Ergebnis eines Bewährungsaufstiegs innerhalb des Bundestages ist. Die 14 Parlamentarischen Staatssekretäre im Sample 190
bilden für die Überprüfung dieser These eine zu schmale empirische Basis. Daher wurden für die folgende Analyse die Vorpositionen im Bundestag aller Parlamentarischen Staatssekretäre seit 1998 recherchiert. 42 der 70 PStS (60 %), die dieses Amt zwischen 1998 und 2007 innehatten, bekleideten vor ihrer Berufung eine parlamentarische Führungsposition. Der scheinbar geringe Wert liegt an der restriktiven Auslegung dessen, was in vorliegender Untersuchung als parlamentarische Führungsposition angesehen wird, nämlich nur Fraktionsvorsitzende, ihre Stellvertreter, parlamentarische Geschäftsführer, Ausschussvorsitzende und fachpolitische Sprecher. Blickt man auf die verbleibenden 40 Prozent, scheint ein starkes parlamentarisches Engagement eine Grundvoraussetzung für den Aufstieg zum PStS zu sein. Dies kann in Form der Obleute der Fraktion in den Ausschüssen, der stellvertretenden Ausschussvorsitzenden, der stellvertretenden Sprecher der Fraktion für ein Themenfeld, der Sprecherposten fraktionsinterner Gruppen (zum Beispiel für junge Abgeordnete oder weibliche MdBs) oder weiterer Fraktionsvorstandsämter zum Ausdruck kommen. Ein verschwindend geringer Anteil Parlamentarischer Staatssekretäre war vor diesem Karriereschritt nur einfacher Abgeordneter ohne besondere Aufgaben in den Ausschüssen oder in der Fraktion. Neben der These vom Bewährungsaufstieg im Bundestag kann man noch eine zweite Vermutung anstellen. Wenn Spitzenpolitiker den Aufstieg in ein exekutives Führungsamt über Stationen im Bundestag schaffen, müsste sich das auch in einer Kongruenz zwischen der thematischen Betätigung in Parlament und dem Themenspektrum der Karriereposition niederschlagen. In der Tat lässt sich diese „Kongruenz-These“ nach Analyse der Werdegänge Parlamentarischer Staatssekretäre aufrechterhalten. 43 der 70 betrachteten PStS (61,4 %) waren später innerhalb der Exekutive in einem Themenfeld tätig, das sie bereits aus ihrer parlamentarischen Betätigung heraus kannten. Ein Beispiel wäre die ehemalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, die zuvor fachpolitische Sprecherin für Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzende des Bildungsausschusses war. Zudem lassen sich Fälle beobachten, wo zwar zwischen legislativem und exekutivem Amt eine thematische Nähe festzustellen ist, aber nur bedingt von einer Kongruenz gesprochen werden kann. Dies trifft beispielsweise auf Peter Paziorek zu. Er war vor seiner Berufung umweltpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Tätigkeit als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz weist inhaltliche Überschneidungsbereiche zur Vorposition auf, eine klare Kongruenz ist dagegen nicht erkennbar. Bei gut einem Drittel der Fälle fehlt eine thematische Überschneidung, was unterschiedlichen Gründen geschuldet sein kann. Zum einen können spätere
191
PStS als einfache Abgeordnete ohne besonderes inhaltliches Profil den Sprung in ein Ministerium geschafft haben. Ist dies der Fall, so kann man von anderen Rekrutierungsmechanismen ausgehen. Ebenso einer anderen Rekrutierungslogik folgen Fälle, in denen Politiker zwar ein klares inhaltliches Profil aufweisen, jedoch in ein völlig anderes Ressort berufen werden. So war beispielsweise der ehemalige PStS im Bildungsministerium, Christoph Matschie (SPD), zuvor Vorsitzender des Umweltausschusses des Bundestags. Der PStS im Bildungsministerium, Andreas Storm, war zuvor sozialpolitischer Sprecher. Ein dritter Fall fehlender inhaltlicher Kongruenz tritt dann auf, wenn Führungspersönlichkeiten der Fraktion berufen werden, die aufgrund der Fraktionshierarchie auf keinen speziellen Politikbereich festgelegt sind. Beispiele hierfür wären die beiden GrünenPolitiker Kerstin Müller und Rezzo Schlauch, die als Vorsitzende ihrer Bundestagsfraktion Parlamentarische Staatsekretäre wurden. Insgesamt geben die Fälle des Samples und die zusätzlich recherchierten Karrieren – mit wenigen Einschränkungen – Lieven de Winter Recht, der von einem „Parliamentary Pathway to the Cabinet“ (de Winter 1991: 44) ausgeht. Dazu passt auch, dass das Parlament zudem ein Auffangbecken für ehemalige Minister oder Parlamentarische Staatssekretäre ist. Das post-ministerielle Schicksal ehemaliger Minister kann dadurch abgefedert werden, dass betreffende Personen erneut Führungspositionen im Parlament übernehmen (vgl. Blondel 1991a: 16; Blondel 1991b: 162ff), vor allem wenn sie noch nicht in Nähe ihrer Pensionierung sind. So wurde beispielsweise die bereits angesprochene Edelgard Bulmahn nach dem Ausscheiden aus dem Amt der Bundesbildungsministerin Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages. Landesebene Auf der Landesebene lassen sich drei unterschiedliche exekutive Spitzenämter identifizieren. Neben den Länderregierungschefs, die entweder als Ministerpräsident, Regierender Bürgermeister (Berlin), Bürgermeister (Bremen) oder Erster Bürgermeister (Hamburg) bezeichnet werden, können dazu die Landesminister und Senatoren sowie die (politischen) Staatssekretäre gezählt werden. Letztere Funktion findet man zwar nicht in allen Bundesländern. Dort wo sie existieren – wie in Baden-Württemberg oder Bayern – sind sie jedoch in hohem Maße karriererelevant. Insgesamt 69 Spitzenpolitiker im Sample hatten ein oder mehrere Regierungsämter inne. Fünf Personen waren oder sind Ministerpräsident eines Bundeslandes, 65 Spitzenpolitiker bekleideten in ihrer Karriere bereits die Position eines Landesministers oder Senators und sechs Personen fungierten in ihrer Spitzenlaufbahn als politischer Staatssekretär eines Landes. Für diese sechs Politiker war diese Position auch der erste Tätigkeitsbereich in einer Landesregie192
rung, für das Gros der Landespolitiker (60 von 69) markierte die Berufung als Landesminister die erste exekutive Funktion auf Länderebene. Drei Landespolitiker schafften den Sprung auf den Stuhl des Ministerpräsidenten, ohne zuvor ein anderes Landesregierungsamt inne gehabt zu haben. Ebenso wie ihre Kollegen auf Bundesebene waren die Landespolitiker, die den Aufstieg an die politische Spitze ihres Bundeslandes schafften, gut 48 Jahre (48,5) alt. Christine Lieberknecht (CDU), die nach der Wende 1990 Kultusministerin in Thüringen wurde, war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt und damit die Jüngste bei diesem Karriereschritt. Der älteste Landespolitiker war in dieser Hinsicht der ehemalige Justizminister des Landes Sachsen-Anhalts Curt Becker (CDU), der bei Amtsantritt ein Alter von 66 Jahren erreicht hatte. Um Karrieremuster auf dem Weg in ein Regierungsamt auf Landesebene aufzudecken, lohnt auch hier ein Blick auf diejenigen Positionen, die die Politiker unmittelbar vor ihrer Berufung ausübten. Da das parlamentarische Regierungssystem nicht nur auf der Ebene des Bundes praktiziert wird, sondern auch in den 16 Bundesländern, muss man prinzipiell von der Herkunft der Landesregierungsmitglieder aus der jeweiligen Landeslegislative ausgehen. Tabelle 55 listet diese Vorpositionen auf, wobei ein interessantes Ergebnis zu Tage tritt. Tabelle 55: Vorpositionen von Exekutivpolitikern auf Landesebene Landespolitiker Keine Vorposition Landesebene
Bundesebene
Europäische Ebene Gesamt
n
%
N
%
31
44,9
31
44,9
30
43,5
6
8,7
Ohne Mandat oder Amt Landtagsmandat, aber keine parl. Führungsposition Landtagsmandat und Führungsposition Bundestagsmandat, aber keine Führungsposition Bundestagsmandat und Führungsposition
4
5,8
26
37,7
1
1,4
4
5,8
Exekutives Amt auf Bundesebene
1
1,4
Mandat im Europäischen Parlament
2
2,9
2
2,9
69
100,0
69
100,0
Knapp 45 Prozent der landespolitischen Exekutivpolitiker hatte vor diesem Karriereschritt keinerlei politisches Amt oder Mandat inne. Sie wurden extern rekrutiert, die betreffenden Personen haben daher die „Ochsentour“ nicht durchlaufen. In der einschlägigen Literatur werden verschiedene Erklärungen für diese Tatsache diskutiert. Zum einen kann die Berufung von Außenseitern als eine „Präferenz für Fachleute, eine Betonung von überparteilicher Expertise“ (Derlien
193
2001a: 43; Hervorhebung im Original) aufgefasst werden. Der bereits angesprochene Hamburger Senat unter Bürgermeister Ole von Beust mag dafür als Beispiel dienen. Vier von neun Senatoren, die der Bürgermeister und Präsident des Senats nach seiner Wiederwahl 2004 berief, waren parteilos (vgl. Drieschner 2005). Einen weiteren Grund für die Rekrutierung von Persönlichkeiten von außerhalb der Regierungsfraktionen beschreiben Holl und Helms. Demnach würden gerade in Flächenstaaten mit komfortablen Mehrheiten einer Partei verstärkt Quereinsteiger und Nichtparlamentarier rekrutiert. Die beiden Autoren deuten dies „als Symbol einer Position der Stärke des Regierungschefs gegenüber der Mehrheitsfraktion“ (Helms 2005: 175) oder als „Demonstration der (personellen) Unabhängigkeit des jeweiligen Regierungschefs“ (Holl 1990: 91). Allerdings bestreiten auch sie die generelle Bedeutung der Landeslegislativen im Rekrutierungsprozess nicht. Schneider beschreibt die Rekrutierungsfunktion folgendermaßen: „In den Landesparlamenten dienen sich Abgeordnete hoch, bis ihnen Presse und Kollegen Ministerqualität bescheinigen. Hier können sie alle die für einen Minister notwendigen Eigenschaften erwerben und entfalten: Sach- und Personenkenntnis, Überzeugungskraft und Integrationsfähigkeit, Sinn für das noch machbare und schließlich auch eine Prise politische Phantasie.“ (Schneider 1979: 33)
Auch Lange spricht von einer enormen „Bedeutung der parlamentarischen Qualifizierung und unmittelbaren Bindung an parlamentarische Wahlämter der Landesexekutivmitglieder zum Zeitpunkt der Wahl“ (Lange 1976: 389). Wenn man die Landesparlamente generell als „Ministerschulen“ (Holl 1990: 90) ansieht, stellt sich die Frage, ob sich Unterschiede zwischen den Landeslegislativen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Rekrutierung ausmachen lassen, und ob diese Unterschiede die hohe Zahl externer Berufungen erklären kann. Die Landesparlamente lassen sich vor allem durch ihren Professionalisierungsgrad (vgl. Mielke/Reutter 2004) differenzieren. Die Trennlinie verläuft zwischen den Flächenstaaten und den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Obwohl inzwischen in allen Repräsentativersammlungen der Länder Diäten bezahlt werden, die ein „Leben von der Politik“ möglich machen, sind Unterschiede zwischen den beiden Typen von Länderlegislativen unbestritten. Während sich das Berliner Abgeordnetenhaus einem professionalisierten Vollzeitlandtag annähert, hält die Hamburgische Bürgerschaft an der Vorstellung fest, das letzte „Feierabendparlament“ zu sein (vgl. Reutter 2004; von Blumenthal 2004). Die Argumentation würde folgendermaßen weitergehen: Aufgrund des geringen Grades an Professionalisierung, Gestaltungsmöglichkeiten und einer geringeren Alimentation ist das Reservoir an geeigneten Persönlichkeiten in den Parlamenten der Stadtstaaten insgesamt geringer. Die Länderpremiers wären gezwungen, auch außer194
halb der Legislative nach geeigneten Senatoren Ausschau zu halten. In Tabelle 55 wurden daher die Vorpositionen und die verschiedenen Kategorien der Bundesländer in einer Kreuztabelle miteinander verglichen. Tatsächlich ist der Anteil von Personen ohne Mandatserfahrung in den Stadtstaaten deutlich höher. Während in den westdeutschen Flächenstaaten lediglich 30 Prozent der Landesminister ohne Landtagsmandat berufen wurden, gelangten in den Stadtstaaten in 70 Prozent der Fälle Mitglieder in den jeweiligen Senat, die zuvor kein politisches Amt oder Mandat bekleidet hatten. Aufgrund der geringen Fallzahlen (11 Fälle), kann man daraus jedoch keine generellen Aussagen ableiten. Der Befund deckt sich aber mit Ergebnissen der Studien Langes (vgl. Lange 1976: 380f) oder Rütters (vgl. Rütters 2005). Tabelle 56: Vorpositionen nach Kategorien von Bundesländern
Kein Mandat Rekrutierung aus der Landesebene Rekrutierung aus der Bundesebene Rekrutierung aus Europa Gesamt
Bundesländer nach Kategorien OstStadtdeutsche Gesamt staaten Bundesländer 8 11 31
n
Westdeutsche Flächenstaaten 12
%
30,0
72,7
61,1
n
21
2
7
30
%
52,5
18,2
38,9
43,5
n
5
1
0
6
%
12,5
9,1
0,0
8,7
n
2
0
0
2
%
5,0
0,0
0,0
2,9
Position vor Übernahme eines Regierungsamts auf Landesebene
44,9
n
40
11
18
69
%
100,0
100,0
100,0
100,0
Tabelle 56 offenbart einen zusätzlichen Erklärungsfaktor für die hohe Zahl der Ernennungen von Außenseitern. Von den 18 ostdeutschen Landesministern im Sample hatten elf (61,1 %) keine politische Vorposition, als sie dem Ruf in ein Landeskabinett folgten. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Nach dem Ende des DDR-Regimes standen nach den ersten freien Landtagswahlen und Regierungsbildungen kaum unbelastete Personen zur Verfügung, die über parlamentarische Erfahrung verfügten. Nach der „Implosion“ des Systems und dem entstandenen „Elitevakuum“ (Derlien 2001b: 64f) musste man vielfach entweder auf „Westimporte“ oder politische Neulinge zurückgreifen. Aufgrund des Regimewechsels und dessen Auswirkungen (vgl. Derlien 1991; Rebenstorf 1992) konnten nur 195
wenige Mitglieder ostdeutscher Landesregierungen auf parlamentarische Vorerfahrungen verweisen – wenn man von den 86 Mitgliedern der letzten 400 Volkskammerabgeordneten absieht, die den Sprung in einen der neuen Landtage schafften (vgl. Derlien 2001b: 65; Patzelt 2000). Derlien und Lock weisen darauf hin, dass 77 Prozent der ersten Generation frei gewählter ostdeutscher Landtagsabgeordneter Neukarrieren aufweisen, „die sich nur darin unterscheiden, zu welchem Zeitpunkt nach dem Oktober 1989 sie begonnen wurden“ (Derlien/Lock 1994: 77). Der Rekrutierungsprozess durch Bewährungsaufstieg in einem Landesparlament musste sich daher erst entwickeln. Schließlich kann man als weiteren Grund die gestiegene Komplexität der Regierungspolitik auf Landesebene ausmachen. Die Landesregierungen sehen sich seit vielen Jahren mit wachsenden administrativen, koordinierenden und Politik gestaltenden Anforderungen als Folge der Ausweitungen des Verbundföderalismus und der Politikverflechtung, der Expansion europäischer Regulierungen sowie der regionalen, grenzüberschreitenden Zusammenarbeit konfrontiert (vgl. Rütters 2005: 54). Diese Entwicklungen scheinen die vermehrte Rekrutierung parlamentsexterner Experten und damit die „personelle Ablösung der Regierungen vom Parlament“ (Rütters 2005: 53) anzustacheln. Besondere Aufmerksamkeit muss man den Ministerpräsidenten der Länder schenken. Die Bedeutung dieses Amtes wurde bereits bei der Behandlung der Exekutivpolitiker auf Bundesebene angeschnitten. Die Position des Ministerpräsidenten kann eindeutig als eines der wichtigsten Ämter angesehen werden, die im politischen System Deutschlands vergeben werden, nicht zuletzt aufgrund der besonderen Konstruktion des bundesdeutschen Föderalismus (vgl. Schneider 2001: 25ff). Auch bei diesen exponierten Politikern lohnt sich ein Blick auf die Position, die sie unmittelbar vor ihrer Wahl zum Regierungschef durch ein Landesparlament eingenommen haben. In der Literatur wird dieser Aspekt häufig nicht ausreichend beleuchtet. Herbert Schneider legte zwar 2001 eine umfassende Studie über Ministerpräsidenten vor, ging aber nicht detailliert auf den Karriereweg der 113 Ministerpräsidenten ein, die zwischen 1949 und 2001 amtierten (vgl. Schneider 2001). Die hier vorliegenden Fälle können nur einen sehr bescheidenen Beitrag zur Frage nach den politischen Vorpositionen leisten. Fünf Ministerpräsidenten (Althaus, Böhmer, Carstensen, Müller, Wulff) nahmen an der Befragung teil. Die Position des Fraktionsvorsitzenden scheint ein bedeutender Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten zu sein. Vier der fünf Länderchefs übten vor ihrer Wahl diese Funktion aus. Lediglich Peter Harry Carstensen stellt eine Ausnahme dar. Er war zuvor Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied im Schattenkabinett („Kompetenzteam“) des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber. Um dieses Bild zu
196
vervollständigen, wurde bei allen gewählten Ministerpräsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg die Vorposition recherchiert (vgl. Tabelle 57). Dabei fällt auf, dass über zwei Drittel der 110 betrachteten Ministerpräsidenten entweder eine Führungsposition im Landtag inne hatten (29,1 %) oder Mitglied der Landesregierung (37,3 %) waren. Insgesamt kamen 77 der 110 Ministerpräsidenten aus der Landespolitik, was einem Anteil von 70 Prozent entspricht. Aus der Bundesebene stammten lediglich 15 Ministerpräsidenten (13,6 %). Immerhin 18 Länderregierungschefs wurden extern rekrutiert – sie hatten vor ihrer Wahl zum Ministerpräsidenten kein Mandat oder Amt auf Bundes- oder Landesebene inne. Tabelle 57: Vorpositionen der Ministerpräsidenten seit 1949 Ministerpräsidenten seit 1949a
Vorpositionen keine politische Vorposition
Bundespolitik
Landespolitik
Gesamt
Ohne Mandat oder Amt: externe Rekrutierung Bundestagsmandat, aber keine Führungsposition Bundestagsmandat und Führungsposition Bundesexekutive Landtagsmandat, aber keine Führungsposition Landtagsmandat und Führungsposition Mitglied einer Landesregierung
n
%
N
%
18
16,4
18
16,4
4
3,6
5
4,5
15
13,6
6
5,5
4
3,6
32
29,1
77
70,0
41
37,3
110
100,0
110
100,0
a Nicht berücksichtigt wurden drei Gruppen von Ministerpräsidenten. Zum einen Länderregierungschefs, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten eingesetzt wurden; zum anderen Ministerpräsidenten von ehemaligen Bundesländern, welche später fusionierten (Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern, Baden, Hannover, Braunschweig, Oldenburg); drittens die Ministerpräsidenten in der SBZ bis zur Auflösung der Ost-Länder. Bei diesen drei Gruppen kann man nicht von politischen Karrieren im eigentlichen Sinne sprechen.
Zwei dieser seltenen Beispiele sind die SPD-Ministerpräsidenten Lafontaine und Eichel, die als Oberbürgermeister von Saarbrücken (Lafontaine) und Kassel (Eichel) den Platz auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten einnehmen konnten. Blickt man noch genauer auf die einzelnen Funktionen innerhalb der beiden dominierenden landespolitischen Kategorien, kann man die optimalen Sprungbrett-Positionen noch exakter herausarbeiten. Nicht jedes Amt in der Landesregierung scheint als Vorposition für das Amt des Ministerpräsidenten geeignet. 197
Vor allem zwei Ressorts kamen in den Biographien der Länderchefs auffällig häufig vor: Inneres und Finanzen. Als klassische Ressorts sind sie mit hoher politischer Gestaltungsfähigkeit und damit großer Macht sowie einem großen parteiinternen und öffentlichen Ansehen verbunden. Dieser Rekrutierungsweg dürfte vor allem dann anzutreffen sein, wenn nur der Regierungschef wechselt, sich jedoch an den parteipolitischen Mehrheitsverhältnissen nichts ändert. Unter den Führungspositionen auf Landesebene ist mit den Fraktionsvorsitzenden ein Amt klar dominierend. Die Vorsitzenden einer großen Landtagsfraktion können auf zwei Wegen Regierungschef werden. Zum einen als Führer der größten Regierungsfraktion in der Rolle eines „Kronprinzen“ (zum Beispiel Günther Oettinger in Baden-Württemberg), zum anderen als Chef der größten Oppositionsfraktion und damit als „Oppositionsführer“ (zum Beispiel Christian Wulff in Niedersachsen). Wie bei den Bundespolitikern soll auch bei den Mitgliedern der Landesregierungen die These von der inhaltlichen Kongruenz zwischen parlamentarischer und exekutiver Tätigkeit untersucht werden. Diese Analyse gestaltet sich schwierig. Bei der Betrachtung müssen bestimmte Gruppen von Politikern a priori ausgeklammert werden. Zum einen kann die Kongruenz-These nicht überprüft werden, wenn die betreffenden landespolitischen Eliten keine parlamentarischen Vorerfahrungen aufweisen. Darüber hinaus fallen die Ministerpräsidenten weg, die zuvor nicht Landesminister oder Senator waren. Sie können zwar unter Umständen einen thematischen Schwerpunkt im Parlament vorweisen, sind aber nach dem Sprung auf den Ministerpräsidenten-Sessel inhaltlich nicht festgelegt. Die Länderregierungschefs sind Generalisten, „denen weder thematisch noch kompetenzmäßig Grenzen gesetzt sind“ (Schneider 2001: 166). Aus dem gleichen Grund ist eine Überprüfung der thematischen Kongruenz bei bestimmten parlamentarischen Führungspositionen nicht möglich. Die Fraktionsvorsitzenden und die parlamentarischen Geschäftsführer sind ebenfalls in der Regel nicht auf ein Politikfeld festgelegt. Ebenso außen vor bleiben exekutive Spitzenpolitiker, die vor ihrer Berufung einfache Abgeordnete ohne nach außen erkennbares inhaltliches Profil (in Form von Führungspositionen) waren. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden haben dagegen durchaus thematische Zuständigkeiten, die jedoch häufig nicht angegeben werden. Insgesamt führt dies dazu, dass man von den 69 Exekutivpolitikern auf Landesebene nur 20 in diese Analyse einbeziehen kann. Von diesen 20 Landesministern, Senatoren und politischen Staatssekretären waren 17 in einem Themenbereich exekutiv tätig, den sie bereits aus parlamentarischen Führungspositionen heraus kannten. Die Aufstiegsmuster in ein Regierungsamt auf Bundes- oder Landesebene kann man daher grob in drei Kategorien zusammenfassen. Bei der externen Rekrutierung unter Umgehung einer parlamentarischen Erprobungsphase handelt es
198
sich häufig um eine Berufung inhaltlicher Spezialisten, die den Sachverstand einer Landesregierung unterstreichen sollen. Von außerhalb des Parlaments kann man auch den Aufstieg in ein Ministeramt schaffen, wenn man ein Äquivalent zur parlamentarischen Karriere in Gestalt eines herausragenden Parteiamts vorweisen kann. Darüber hinaus beförderte die Analyse ein Muster ans Tageslicht, das man mit dem Gedanken der „Ochsentour“ in Zusammenhang bringen kann. Rekrutierung nach parlamentarischem Aufstieg wäre ein Label für diese Form der Spitzenkarriere. Zum dritten Personenkreis wären demnach Spitzenpolitiker zu zählen, die weder außerhalb des Politbetriebs der Parlamente und Regierungen rekrutiert wurden, noch sich innerhalb der Legislative oder Exekutive auf anderen Ebenen ihre Meriten verdient haben. Im Grunde bleiben nur noch Abgeordnete übrig, die aus Proporz- oder Strategieerwägungen heraus den Sprung auf die Regierungsbank schafften. Die Forderung des kleineren Koalitionspartners oder eines mächtigen Landesverbandes, der Druck zur „Verjüngung und Verweiblichung“ der Kabinette oder Faktoren symbolischer Politik können zu unerwarteten Berufungen führen. Rekrutierung aus Proporzzwängen wäre demnach eine passende Bezeichnung für diese Praxis bei der Zusammenstellung der Kabinettsliste.
5.7.6 „Hoch, höher, am höchsten“ – Politische Wunschpositionen Im bisherigen Fortgang der Analyse politischer Karriereverläufe wurden implizit Hierarchien politischer Ämter angenommen, der unterschiedliche Stellenwert politischer Positionen aus der einschlägigen Forschungsliteratur übernommen oder aus den objektiven Daten der Verläufe politischer Spitzenkarrieren abgeleitet. Was an dieser Stelle den Blick auf den „Weg nach ganz oben“ sinnvoll ergänzt, ist die subjektive Sichtweise der Akteure. Sowohl den Spitzenpolitikern als auch den jungen Abgeordneten wurde die Frage nach ihrer politischen Wunschposition gestellt – unter der Voraussetzung, dass man sich eine Spitzenposition im Sektor Politik frei wählen könnte. Tabelle 58 offenbart zunächst eine nur schwach ausgeprägte Antwortbereitschaft bei dieser Frage. 37 Prozent der Spitzenpolitiker und 38 Prozent der Nachwuchspolitiker verweigerten die Antwort, was man als Hinweis auf eine besondere Sensibilität oder Vorsicht der befragten Gruppen werten könnte. Jeder geäußerte Wunsch zielt auf eine Position, die von einem anderen Positionsinhaber besetzt wird. Allein die Äußerung des Wunsches könnte aus Sicht des Befragten als Angriff auf diese Position gewertet werden. Die geringe Mitteilungsfreudigkeit wäre eine logische Folge dieser Risikoabwägung. Zudem sieht es die kritische Öffentlichkeit ungern, wenn Politiker als zu ehrgeizig gelten und den
199
Anschein erwecken, auf Biegen und Brechen „Karriere machen“ zu wollen. Bescheidenheit nach außen gehört zwingend zu den zu zeigenden Tugenden eines Berufspolitikers. Tabelle 58: Politische Wunschpositionen Politische Wunschpositionen keine Angabe
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
N
%
kum. %
N
%
kum. %
50
37,3
37,3
31
38,3
38,3
Aktuelle Position ist Wunschposition
62
46,3
83,6
25
30,9
69,1
Wunschposition geäußert
22
16,4
100,0
25
30,9
100,0
Gesamt
134
100,0
81
100,0
Knapp die Hälfte der Spitzenpolitiker (46,3 %) sieht daher wohl auch die aktuell besetzte Position als Wunschposition an. Neben der zur Schau gestellten Bescheidenheit kann dies aber sehr wohl auch ein Ausdruck dafür sein, dass das erreichte Amt tatsächlich weit oben in der Hierarchie politischer Funktionen angesiedelt ist und der politische Ehrgeiz des Befragten gestillt ist. Dass die jungen Abgeordneten im Bundestag oder den Landtagen ihr Mandat lediglich als Zwischenstation auf dem Weg in höhere Sphären des politischen Systems ansehen, kann man an der vergleichsweise geringen Zahl der mit ihrer aktuellen Position zufriedenen Nachwuchspolitiker ablesen (31 %). Allein ein Mandat scheint die Karriereambitionen der Jung-MdBs und MdLs nicht zu befriedigen. Vergleicht man, in welchen Teilgruppen der Wunsch nach einer anderen (höheren) Position am ausgeprägtesten ist, fallen genau diejenigen Gruppen ins Auge, die als wichtige Vorpositionen für exekutive Spitzenämter gelten. Zum einen sind dies parlamentarische Staatssekretäre, die ihren Posten häufig als Sprungbrett ins Bundeskabinett ansehen. Zum anderen wird der Veränderungswunsch häufig von den Fraktionsvorsitzenden in den Landtagen geäußert. Gehören sie der Mehrheitsfraktion oder kleineren oppositionellen Landtagsfraktionen an, hoffen sie wohl auf ein späteres Ministeramt. Sind sie Vorsitzender der größten Nicht-Regierungsfraktion und somit gleichzeitig Oppositionsführer, spekulieren sie womöglich auf den Stuhl des Ministerpräsidenten oder Bürgermeisters. Im Sample fanden sich vier veränderungswilligen Exekutivpolitiker auf Bundesebene. Es handelt sich um parlamentarische Staatssekretäre, die sich selbst gerne als Bundeskanzler, Bundesminister oder Mitglied der Europäischen Kommission sähen. Drei Spitzenpolitiker aus dem Bundestag würden entweder gerne in das Amt eines Bundesministers, ein anderes (höheres) Amt im Bundestag oder auch in die Europäische Kommission wechseln. Ein Mitglied einer Landesregierung könnte sich einen Wechsel in die Bundesregierung vorstellen, drei 200
Landesminister würden ihre Karriere gerne in der Europäischen Kommission fortsetzen. Von den 10 Landesfraktionsvorsitzenden mit Ambition auf höhere Funktionen wünschen sich vier Personen, Ministerpräsident eines Bundeslandes zu sein, weitere fünf wären gerne Landesminister. Dies bestätigt das Ergebnis, dass der Fraktionsvorsitz auf Landesebene eine bedeutende „Sprungbrett-Funktion“ einnimmt. Die politischen Wunschpositionen der Nachwuchspolitiker variieren sehr stark. Jedoch kann man auch bei den jungen eine deutliche Präferenz für Spitzenpositionen in der Exekutive ausmachen. Die Polit-Youngsters streben bevorzugt ein Ministeramt auf der politischen Ebene an, auf der sie sich gerade als Abgeordnete bewegen. Legislative Führungspositionen werden dagegen seltener genannt. Drei junge Abgeordnete würden gerne ins Europäische Parlament wechseln, zwei nannten als Wunschposition eine herausragende Position innerhalb ihrer Partei. Insgesamt betrachtet stützen auch diese Ergebnisse – wenn auch auf schmaler empirischer Basis – den herausgearbeiteten „Weg nach ganz oben“, der im Idealfall als Mitglied einer Bundes- oder Landesregierung seinen Endpunkt findet.
5.8 Allgemeine Erfolgsfaktoren des politischen Aufstiegs Bei der Betrachtung von Ministerlaufbahnen wurde bereits darauf verwiesen, dass beispielsweise der Geschlechterproporz eine Rolle bei der Berufung in ein Kabinett spielen kann. Das Geschlecht wäre demnach ein Faktor, den man nicht zwangsläufig mit der detailliert beschriebenen Ochsentour in Verbindung bringen kann. Allein das Merkmal Geschlecht verdeutlicht daher, dass man den Rekrutierungsprozess nie in seiner Komplettheit erfassen kann. Die Frage, welche Person letztendlich welche Spitzenposition einnimmt, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die systematisch und vollständig kaum zu untersuchen sein dürften. Manchmal sind politische Karrieren auch ein Produkt glücklicher Umstände. Aber selbst wenn der Zufall einen Politiker in die Nähe einer Spitzenposition bringt, gilt es für ihn oder sie, auf den Ruf angemessen vorbereitet zu sein. Dies geschieht in der Regel durch die Bewährung in Parteien und Parlamenten. Die „Ochsentour“ ist demnach der reguläre Weg zum Erfolg. Es bedarf jedoch nicht viel Kreativität, sich neben dem Bewährungsaufstieg andere Erfolgsfaktoren vorzustellen, die eine politische Spitzenkarriere begünstigen. Einige dieser Faktoren sollen zum Abschluss des Phasenmodells beleuchtet werden, da sie quer zu den einzelnen Phasen gelagert und womöglich von genereller Bedeutung für politische Laufbahnen sind.
201
Geschlecht Der „Faktor Geschlecht“ wurde bereits bei der Analyse des soziodemographischen Hintergrunds der Spitzenpolitiker (vgl. Abschnitt 4.3) und des Modells der individuellen politischen Professionalisierung (vgl. Abschnitt 5.6.2) unter die Lupe genommen. Dabei wurde festgestellt, dass lediglich 27 Prozent der politischen Spitzenpositionen in Deutschland von Frauen besetzt werden. Die Annahme ist durchaus plausibel, dass ohne die Existenz unterschiedlicher Frauenquoten bei CDU, SPD, Grünen und Linkspartei die Zahl von Frauen in politischen Spitzenpositionen auf einem deutlich niedrigeren Niveau liegen könnte. Daher wird an dieser Stelle nochmals die Karriererelevanz von Frauenquoten thematisiert. Zunächst variiert die Zustimmung zum Instrument der Quotierung erheblich zwischen den Parteien. Auf die Frage, ob sie innerparteiliche Frauenquoten befürworten, antworten alle Spitzenpolitiker der Grünen und der Linkspartei – die Parteien mit den striktesten Regelungen – mit ja. Drei Viertel der SPDSpitzenpolitiker sehen in Frauenquoten ein sinnvolles Instrument. Unter den CDU-Politikern, deren Partei lediglich eine limitierte Quotenregelung praktiziert, liegt der Anteil der Befürworter bei 27 Prozent. Man könnte es als konsequent bezeichnen, dass CSU- und FDP-Politiker Quotierungen ablehnen, da die Satzungen ihrer Parteien derartige Regelungen nicht vorsehen. Immerhin 18 Prozent der CSU-Spitzenkräfte stehen Quoten aufgeschlossen gegenüber, wohingegen man unter liberalen Spitzenpolitikern keinen einzigen Befürworter findet. Insgesamt polarisiert das Instrument zur Förderung von Frauen sehr stark. Die Hälfte der Spitzenpolitiker lehnt sie ab, die andere Hälfte zählt zu Befürwortern: Frauen verteidigen die Quotenregelungen (79 %), während männliche Spitzenpolitiker sie mehrheitlich ablehnen (38 % Befürworter). Die Befürworter parteiinterner Instrumente zur Frauenförderung wurden auch dazu befragt, wie hoch die Quote ihrer Meinung nach sein solle. Die Antworten wurden mit der aktuell geltenden Quotenregelung der Partei des Befragten verglichen (vgl. Tabelle 59). Dabei fällt auf, dass nur drei Spitzenpolitiker eine niedrigere Quote wollen, als die momentan in ihrer Partei praktizierte. Die große Mehrheit der Quoten-Befürworter wünscht sich einen Anteil an reservierten Frauenplätzen in einer Höhe, wie ihn seine oder ihre Partei vorsieht. Ein Viertel der hochrangigen Politiker spricht sich sogar für höhere Quoten aus.
202
Tabelle 59: Differenzen zwischen der gewünschten und der geltenden Frauenquote in der Partei des Befragten Spitzenpolitiker
Quotenforderung
N
%
Niedrigere Quote als die in der eigenen Partei gültige gefordert
3
4,7
Gewünschte Quote entspricht der Quote der Partei
44
68,8
Höhere Quote als die in der eigenen Partei gültige gefordert
17
26,6
Gesamt
64
100,0
Neben einer grundsätzlichen politisch-ideologischen Ablehnung oder Zustimmung zu innerparteilichen Frauenquoten kann die Bewertung von Frauenquoten auch von einer subjektiven Wahrnehmung der eigenen Karriere oder der Karrierechancen anderer abhängen. Wer selbst von einer Quotenregelung der eigenen Partei profitiert hat oder wem Frauenquoten auf seinem Weg nach oben eher hinderlich waren, wird womöglich zu einer unterschiedlichen Einschätzung einer Geschlechterquotierung kommen. Weibliche und männliche Spitzenpolitiker wurden daher befragt, ob Frauenquoten in ihrer Laufbahn von Vorteil, von Nachteil oder ohne jede Auswirkung waren. Tabelle 60 listet die Antworten auf die Frage nach der Karriererelevanz von Frauenquoten auf. Tabelle 60: Karriererelevanz von Frauenquoten Karriererelevanz
Frauen
Männer
N
%
N
Frauenquoten eher von Vorteil
22
57,9
2
Frauenquoten eher von Nachteil
0
0,0
10
Weder von Vor- noch von Nachteil
16
42,1
70
Gesamt
38
100,0
82
%
Gesamt N
%
2,4
24
20,0
12,2
10
8,3
85,4
86
71,7
100,0
120
100,0
Für knapp 72 Prozent aller hochrangigen Politiker waren Regelungen zur Frauenförderung bei ihren politischen Aufstieg weder von Vor- noch von Nachteil. 20 Prozent aller politischen Führungskräfte (bis auf zwei Ausnahmen allesamt Frauen) gaben an, Frauenquoten hätten ihnen auf ihrem Weg nach oben geholfen. Gut acht Prozent aller Spitzenpolitiker und jeder achte männliche Inhaber politischer Top-Positionen sah sich und seine Karriere durch Quotenregelungen benachteiligt. Insgesamt scheinen Quoten einen eher untergeordneten Einfluss auf die Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker zu haben. Blick man beispielsweise auf das Engagement in der eigenen Partei und in der Kommunalpolitik der 22 203
Spitzenpolitikerinnen, die der Quote eine wichtige Rolle für ihren Karrierenverlauf zuschreiben, fallen die vielfältigen Positionen und Funktionen dieses Personenkreises auf. Reine „Quotenfrauen“, ohne Bewährung in der Kommunalpolitik, in Partei und/oder Parlament, findet man im Sample nicht. Qualifizierung vor Quote – so könnte das Fazit dieses Abschnitts der Untersuchung lauten. Ambitionierte Politikerinnen können sich daher nicht allein auf Quotenregelungen verlassen, auch ihnen bleibt der beschwerliche Weg durch Parteien und Parlamente nicht erspart. Politische Mentoren Im Abschnitt 5.6.2 wurden im Modell der individuellen politischen Professionalisierung die Rolle und die Bedeutung politischer Mentoren angesprochen. Diese politischen „Ziehväter“ spielten für 40 Prozent der Spitzenpolitiker eine wichtige Rolle im Fortgang der persönlichen Karriere (vgl. Tabelle 40). Für den Übergang in die Berufspolitik konnte kein signifikanter Einfluss politischer Förderer empirisch festgestellt werden. Dies muss jedoch nicht bedeuten, dass politische Mentoren nicht auf einer höheren Sprosse der Karriereleiter wichtig werden. Man denke in diesem Zusammenhang nur an Angela Merkel, die als „Kohls Mädchen“ vom damaligen Bundeskanzler ins Kabinett geholt wurde. Bundeskanzler und Ministerpräsidenten haben die Organisationsgewalt inne und können trotz aller Proporzzwänge politischen Zöglingen den Weg in ein Regierungsamt ebnen. Tabelle 61: Stellung politischer Mentoren Stellung politischer Mentoren Chef der Exekutive: Bundeskanzler, Ministerpräsidenten, Bürgermeister Einflussreicher Parlamentarier: Fraktionsvorsitzender, Parlamentarischer Geschäftsführer Exponierter Parteipolitiker: Bundes, Landes- oder Bezirksvorsitzender Einfacher Abgeordneter, Kommunalpolitiker
Spitzenpolitiker N
%
12
33,3
4
11,1
11
30,6
7
19,4
Sonstige
2
5,6
Gesamt
36
100,0
Daher wurden in Tabelle 61 die Antworten auf die Frage, welche Personen den Inhabern politischer Spitzenpositionen bei ihrer Polit-Karriere behilflich waren, zu Kategorien zusammengefasst. Wie vermutet, sind es vor allem zwei Personengruppen, die häufig als Förderer der Karriere genannt werden. Ein Drittel der 204
Nennungen entfiel auf die Spitzen der Exekutive: Bundeskanzler, Ministerpräsidenten oder regierende Bürgermeister. Diese Personen sind als Regierungschefs wichtige ‚gate keeper’ für Ministerlaufbahnen. Mit gut 30 Prozent folgen einflussreiche Parteipolitiker. Das bundesdeutsche Modell einer ausgewiesenen Parteiendemokratie findet hier ihren Widerhall. Die Parteivorsitzenden auf Bundes- oder Landesebene sind bedeutende Akteure von Koalitionsverhandlungen und können aus dieser Konstellation heraus, im wahrsten Sinne des Wortes „Partei für jemand ergreifen.“ Dies drückt sich offenbar in Dankbarkeit gegenüber diesem (partei-)politischen Mentor aus. Eher seltener werden einfache Abgeordnete oder Kommunalpolitiker (19,4 Prozent) genannt, sowie die parlamentarischen Führungskräfte (Fraktionsvorsitzende, parlamentarische Geschäftsführer). Nur gut jeder zehnte Spitzenpolitiker (11,1 %), der in seiner Karriere die Unterstützung eines anderen Politikers erfahren hat, verweist auf diese Manager der Fraktionen. Angesicht der geringen Fallzahlen sollte man dieses Ergebnis nicht überbewerten – zumal im Sample mehr Exekutiv- als Legislativpolitiker waren und die parlamentarischen Spitzenkräfte im Vergleich mit ihren Kollegen in Regierungsämtern in geringerem Umfang von politischen Mentoren berichteten. Insgesamt betrachtet ergibt die Analyse der Rolle politischer Förderer ein ambivalentes Bild. Der Weg in die Berufspolitik steht offenbar auch ohne ihr Wirken offen, während sie beim Erklimmen der höchsten Sprossen der Karriereleiter von zunehmender Bedeutung zu sein scheinen. Allgemeine Karrierefaktoren Den Abschluss des Phasenmodells sollen Einschätzungen politischer Spitzenkräfte über die unterschiedliche Bedeutung allgemeiner Karrierefaktoren bilden. Der Gedanke der Ochsentour fand bei den Faktoren „Besondere fachliche Qualifikation“ und „Vertrautheit mit den Regeln des politischen Betriebs“ Berücksichtigung. Der Aspekt, dass Karrieren nur mit Hilfe einflussreicher Mentoren möglich sein könnten, wurde durch die Antwortvorgabe „Beziehungen und Kontakte zu wichtigen Personen“ abgedeckt. Zudem wurde nach individuellen Eigenschaften oder Charaktermerkmalen wie „Sicherer Umgang mit Medien“ oder „Anpassungsfähigkeit“ gefragt. Tabelle 62 gibt die Mittelwerte dieser Einschätzungen wieder, macht jedoch auch deutlich, dass die Antworten vor dem Hintergrund sozial erwünschter Antworten zu sehen sind. Als wichtigsten Erfolgsfaktor sehen die Spitzenpolitiker ihre „fachliche Qualifikation“ an. Sie betrachten sich selbst offensichtlich als Leistungseliten. Dabei bleibt jedoch offen, worauf sie ihre fachliche Qualifikation stützen. Dies können die beruflichen Stationen außerhalb der Politik genauso sein wie das Durchlaufen von Stationen in der eigenen Partei oder den Parlamenten. Zudem schätzen sie „eigenwillige Konzepte und Kreativi205
tät“ als einen der Karriere im hohen Maße förderlichen Faktor ein, während sie der Eigenschaft „Anpassungsfähigkeit“ eher ablehnend gegenüber stehen. Dies würde dem Gedanken der Ochsentour in weiten Teilen widersprechen. Gerade der stufenweise Aufstieg und die Bewährung in lokalen Ämtern und Funktionen legen eher den Verdacht nahe, dass ein gewisses Maß an Einordnung in parlamentarische oder innerparteiliche Prozesse und vor allem in bestehende Hierarchien einer politischen Karriere häufig wesensimmanent ist. Ohne dies im einzelnen Fall beweisen zu können, scheinen diese Antworten eher auf ein perzipiertes Idealbild eines Politikers zugeschnitten zu sein, als exakt auf den eigenen Karriereverlauf. Tabelle 62: Faktoren erfolgreicher politischer Karrieren Faktoren a
Spitzenpolitiker
Nachwuchspolitiker
N
MWb
SD
N
MWb
SD
127
0,57
0,56
77
0,26
0,57
124
-0,06
0,64
78
0,17
0,65
124
-0,01
0,70
78
0,15
0,65
124
0,15
0,73
77
0,53
0,58
127
0,20
0,64
78
-0,05
0,70
Anpassungsfähigkeit
123
-0,56
0,56
77
-0,48
0,64
Sicherer Umgang mit den Medien
126
0,19
0,62
76
0,20
0,65
Besondere fachliche Qualifikation Beziehungen und Kontakte zu wichtigen Personen Glückliche Umstände, Zufall Vertrautheit mit den Regeln des politischen Betriebs Eigenwillige Konzepte, Kreativität
Härte und Durchsetzungswillen 127 0,14 0,61 76 0,30 0,63 a Die Frageformulierung lautete: „Wenn Sie an Ihren politischen Werdegang bis zu ihrer heutigen Position denken, welches Gewicht hatten dabei folgende Faktoren?“ b Antwortvorgaben und Werte: sehr wichtig (+1), wichtig (0), weniger wichtig (-1)
Dem Gedanken der Ochsentour würde auch die Antwort „Vertrautheit mit den Regeln des politischen Betriebs“ entsprechen. Dieser Bewährungsaufstieg ist als eine Art Ausbildung anzusehen, in der man die Mechanismen des „Geschäfts Politik“ kennen lernt. Dieser Faktor wird von den Spitzenpolitikern als sehr wichtig eingeschätzt. Ein wichtiger Faktor für die politische Karriere ist in den Augen der Top-Politiker auch der sichere Umgang mit den Medien, sowie die persönlichen Eigenschaften „Härte und Durchsetzungswillen“. Während sich alle bisher genannten Punkte auf persönliche Anstrengungen oder Charakterzüge der Person zurückführen lassen, ist der Faktor Zufall oder glückliche Umstände unabhängig von der eigenen Person zu sehen. Die Hälfte der Spitzenpolitiker findet diesen Faktor wichtig, ein Viertel weniger wichtig, das letzte Viertel da-
206
gegen sehr wichtig. Dieses ambivalente Bild reflektiert Ergebnisse der bisherigen Analyse. Zwar kann man an seiner Karriere arbeiten und sie im Rahmen der Ochsentour gezielt vorantreiben. Dennoch bleibt der Karriereverlauf eingebettet in die „structure of opportunities“, was ihn niemals völlig planbar macht. Wahlniederlagen, Skandale von Amtsinhabern, ein Revirement des Kabinetts – dies alles kann für den individuellen Politiker plötzlich Karrierechancen eröffnen. Es gilt jedoch für ihn oder sie, auf diesen Moment vorbereitet zu sein. Die Nachwuchspolitiker sehen in der Vertrautheit mit den Regeln des politischen Betriebs den wichtigsten Karrierefaktor. Diese Einschätzung kann auch daher rühren, dass sie sich gerade mitten in oder kurz nach der Phase der Ausbildung befinden und ihnen das politische Geschäft im Bundestag oder den Landtagen noch als komplex erscheint. Die jungen Abgeordneten halten darüber hinaus ebenfalls die eigene fachliche Qualifikation, ein gesundes Maß an Härte und Durchsetzungswillen und den sicheren Umgang mit den Medien für förderlich. Ebenfalls von Bedeutung sind für sie die Beziehungen zu wichtigen Politikern und der Faktor Zufall. Da man als junger Abgeordneter weniger dazu in der Lage ist, eigenwillige Konzepte in den politischen Prozess einzubringen, verwundert das negative Vorzeichen bei diesem Faktor nicht. Die Nachwuchspolitiker sehen ihre Stellung in der Hierarchie der Partei oder Fraktion daher nüchternrealistisch. Wie die Inhaber politischer Führungspositionen messen sie dem Faktor Anpassungsfähigkeit die geringste Bedeutung bei, auch wenn sie als Parlamentsneulinge schnell das Instrument der Fraktionsdisziplin kennen gelernt haben müssten.
207
6. Der Weg nach ganz oben: Typologien politischer Karrieren
6.1 Bisherige Typologisierungsversuche In der umfangreichen und detaillierten Analyse des vergangenen Kapitels wurden die wesentlichen Strukturmuster politischer Spitzenkarrieren herausgearbeitet. Die dabei zu Tage getretenen Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Karriereverläufen sollen in diesem Kapitel zu Typen politischer Karrieren zusammengefasst werden. Die bisher bedeutendste Typenbildung zog sich bereits wie ein roter Faden durch die Arbeit. Dietrich Herzogs „Standard-Karriere“, „reine PolitKarriere“ und „Cross-Over-Karriere“ bauen auf dem Verhältnis zwischen Berufslaufbahn und politischem Karriereverlauf auf. Abschnitt 6.2 geht der Frage nach, ob diese Karrieremuster in der Gruppe der deutschen Spitzenpolitiker und der jungen Abgeordneten nachweisbar sind und ob sich gegebenenfalls die Größen der einzelnen Kategorien verschoben haben. Herzogs Typologie ist jedoch keineswegs das einzige Modell, das einem in der einschlägigen Literatur begegnet. Golsch legt in seiner Studie über Mitglieder des deutschen Bundestages ebenfalls ein Typen-Modell vor. Er konstruiert seine vier Typen im Hinblick auf einen unterschiedlichen Professionalisierungsgrad der Abgeordneten. Diesen wiederum macht er an der Rolle fest, den die Politik als Beruf – als eine dauerhafte Erwerbschance im Weberschen Sinne – in den jeweils individuellen beruflichen und politischen Laufbahnen gespielt hat (vgl. Golsch 1998: 181). Golsch operationalisiert den Professionalisierungsgrad mit Hilfe von vier Schlüsselkriterien. Sein erstes Merkmal ist die Dauer der beruflichen Laufbahn, womit er direkt an Herzogs Typenbildung anknüpft. Einen frühen Wechsel in die Berufspolitik deutet er als Indiz dafür, dass eine professionelle politische Tätigkeit von vornherein als primäre Berufsperspektive verfolgt wird. Er setzt die Trennlinie zwischen frühem und spätem Wechsel in die Berufspolitik bei einer privatberuflichen Tätigkeit von weniger als vier Jahren an. Das zweite Schlüsselkriterium entdeckt Golsch in der Erfahrung in kommunalpolitischen Ämtern. Er hebt besonders auf den Zeitpunkt der Übernahme eines kommunalen Amtes ab, auf die Frage, wie lange es beibehalten wird und ob es der einzige Karriereschritt vor
209
dem Wechsel in den Bundestag war. An dritter Stelle nennt er das für die Zielrichtung seiner Analyse bedeutsame Kriterium der „Erfahrung im politischen Beruf“. Er unterscheidet zwischen Politikern, die bereits vor ihrem Bundestagsmandat in bezahlten Tätigkeiten innerhalb des Sektors Politik waren und Personen ohne derartige politische Beschäftigungsverhältnisse. Als „Residualkategorie“ (Golsch 1998: 182) benutzt er als letztes Merkmal die innerparteiliche Laufbahn – operationalisiert in erster Linie am Parteibeitritt als Startpunkt der Parteikarriere und am Zeitraum zwischen Parteibeitritt und weiteren Karriereschritten (in der Kommunalpolitik oder in einem politischen Beruf). Tabelle 63: Typologie politischer Karrieren nach Golsch Typus
Berufstätigkeit Kommunalpolitik Politischer Beruf vor Bundestag Parteilaufbahn Professionalisierungsgrad
I
II
III
IV
V
Berufsabgeordneter
Berufspolitiker
Politikprofi in zweiter Karriere
Verdienter Kommunalpolitiker
Parteipolitiker
< 4 Jahren ja/nein kurz
< 4 Jahren ja/nein kurz
> 4 Jahren ja/nein lang
> 4 Jahren ja lang
> 4 Jahren
nein
ja
ja
nein
nein
kurz
kurz
lang
lang
lang
sehr hoch
sehr hoch
hoch
mäßig
gering
nein
Quelle: Golsch 1998: 182.
Aus diesen vier Schlüsselkategorien konstruiert er fünf Grundtypen politischer Karrieren (vgl. Tabelle 63). Seine Typen (Berufsabgeordneter, Berufspolitiker, Politikprofi in zweiter Karriere, Verdienter Kommunalpolitiker, Parteipolitiker) weisen in der grundsätzlichen Orientierung am Verhältnis von beruflicher und politischer Karriere eine deutliche Nähe zum Modell von Herzog auf. Allerdings differenziert er Herzogs „reine Polit-Karriere“ mit seinen Typen I und II genauso weiter aus, wie Herzogs Standard-Karriere mit den Typen III, IV und V. Er kommt zu dem Ergebnis, dass im Bundestag die schwach professionalisierten Typen IV und V mit 62 Prozent aller Abgeordneten dominieren. Herzog bemängelt in einer Rezension der Golsch-Studie zwar die mangelnde Eleganz der Typenbezeichnungen, prophezeit der Typologie insgesamt jedoch eine Fruchtbarkeit für die Parlamentsforschung und hält sie im Hinblick auf die Analyse parlamentarischer Machtverteilung und Qualifikationsstruktur für aufschlussreich (vgl. Herzog 2000: 739). Trotz dieses Lobes aus berufenem Munde wirft diese Typenbildung Probleme auf. Zum einen suggeriert sie mit dem Titel 210
„Typologie politischer Karrieren“ eine Allgemeingültigkeit, kann aber lediglich auf die Karriereverläufe von Bundestagsabgeordneten angewendet werden. Dies liegt unter anderem daran, dass Herzogs Typ der Cross-Over-Karriere fehlt. Bei Bundestagsabgeordneten scheint diese Kategorie vernachlässigbar,32 für Spitzenkarrieren – dies hat die bisherige Analyse deutlich gezeigt – ist der Wechsel von einer hohen Position im privaten Beruf in eine politische Spitzenfunktion mit anschließendem partiellen Nachholen der Ochsentour ein nicht selten vorkommendes Karrieremuster. Zum zweiten lässt sich als Kritikpunkt hervorbringen, dass die Typen IV und V nicht trennscharf zu unterscheiden sind. Aufgrund der bereits konstatierten Bedeutung der innerparteilichen Laufbahn kann es nicht überzeugen, diese Facette einer politischen Karriere lediglich als Restkategorie anzusehen. Vielmehr wurde eine starke Verbindung zwischen Kommunalpolitik und dem Engagement in den Parteien deutlich. 84 Prozent der Kommunalpolitiker hatten Funktionen auf der Kreis- oder Unterbezirksebene der Partei inne, knapp 80 Prozent sogar auf Landesebene. Selbst wenn man noch Art und Umfang des kommunalpolitischen Engagements differenziert, lässt sich eine Trennung zwischen Kommunal- und Parteipolitikern nicht aufrechterhalten. Um es auf den Punkt zu bringen: „Verdiente Kommunalpolitiker“ sind fast immer auch engagierte Parteipolitiker. Zudem überbetont die Typologie tendenziell die Tätigkeit in einem politischen Beruf außerhalb von Ämtern und Mandaten. Aufgrund des Professionalisierungsaspektes, der bei Golsch im Vordergrund steht, mag dies gerechtfertigt sein, bei einer allgemeinen Typologisierung muss dies bezweifelt werden. So unterscheiden sich seine Typen I und II lediglich dadurch, dass „Berufspolitiker“ im Gegensatz zu „Berufsabgeordneten“ vor Mandatsantritt in einem politischen Beschäftigungsverhältnis – wie auch immer man das definieren mag – standen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob nicht eher das Charakteristische an beiden Typen ist, dass die betreffenden Politiker nur eine sehr kurze Berufstätigkeit vor dem Wechsel in die Berufspolitik ausgeübt haben. In dieser Hinsicht scheint Herzogs Typ der „reinen Polit-Karriere“ nach wie vor überzeugender zu sein. Golsch war Mitglied der Forschergruppe „Politik als Beruf“ am Zentrum für Europa- und Nordamerika-Studien der Universität Göttingen. Deren Leiter, Jens Borchert, legte zusammen mit Klaus Stolz 2003 ebenfalls eine Typologie politischer Karrieren vor, basierend auf den aus Abgeordnetenhandbüchern gewonnenen Karrieredaten von 2000 Landtagsabgeordneten (vgl. Borchert/Stolz 2003). 32 Ein bedingt passendes Beispiel wäre der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der als Professor für Gesundheitsökonomie und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2005 für die SPD in den Bundestag einzog. Allerdings scheiterte er bei der Wahl zum gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktion und verfehlte eine parlamentarische Spitzenposition.
211
Zunächst unterscheiden beide Autoren Karrieren nach der Art des Zugangs zu den Landtagen (vgl. Borchert/Stolz 2003: 156). Die Zugangsart „Aufstieg“ läge dann vor, wenn Abgeordnete vorher Ämter auf untergeordneter Ebene (beispielsweise Kommunalpolitik) oder untergeordnete Funktionen (Parteiamt, Mitarbeiterstatus) wahrgenommen haben. Von „Abstieg“ könne man dann sprechen, wenn der Parlamentarier bereits eine Karriere als Mandatsträger auf einer höheren territorialen Ebene oder in einem Exekutivamt auf mindestens der gleichen Ebene hinter sich habe. „Seiteneinsteiger“ sind Borchert und Stolz zufolge ohne vorherige politische Karriere in ein Landesparlament eingezogen. Zum entscheidenden Kriterium der Typenbildung machen die beiden Forscher die primäre Verankerung der Politiker. Sie identifizieren dabei vier unterschiedliche Wege in ein Landesparlament. Ein Weg besteht nach Meinung der Autoren in der Ausübung eines Mandats oder Wahlamtes in der Kommunalpolitik (Gemeinderat, Kreistag, Bürgermeister, Landrat), ein anderer in der Besetzung von Vorstandsämtern einer Gliederungsebene der Parteiorganisation oder einer innerparteilichen Vereinigung (Orts- oder Kreisvorsitzender, Mitglied des Landes- oder des Bundesvorstandes). Darüber hinaus sehen sie in einer Mitarbeiterstelle bei Partei oder Fraktion auf lokaler, Landes-, Bundes- oder europäischer Ebene oder bei einem Landes- oder Bundesminister eine Aufstiegsposition. Als letzte primäre Verankerung vor einem Mandat auf Landesebene führen sie die Vorstandsposition in einem bedeutenden Interessenverband (auf Landes-, Bundes- oder europäischer Ebene) an. Demzufolge existieren nach Borchert und Stolz vier unterschiedliche Typen politischer Karrieren (vgl. Borchert/Stolz 2003: 159). Der „Kommunalpolitiker“ habe ein Amt oder Mandat auf kommunaler Ebene eingenommen, jedoch kein Parteiamt auf höherer als der kommunalen Ebene. Der „Parteipolitiker“ zeichne sich dadurch aus, dass ihm die kommunalpolitischen Erfahrungen fehlen. Bei gleichzeitiger Ausübung von Parteiämtern und Mitarbeiter- oder Verbandsämtern unterstellen Borchert und Stolz einen Primat des Parteiamtes – es sei denn, es handele sich um Mitarbeiterposten auf Landesebene oder Verbandsposten auf Landes- oder Bundesebene bei gleichzeitiger Parteifunktion auf lediglich kommunaler Ebene. Dazu komme der „Mitarbeiter“, dem kommunalpolitische Erfahrungen und höhere Parteiämter fehlen. „Verbandspolitiker“ seien in den Vorständen großer Interessenverbände auf Bundes- oder Landesebene tätig gewesen, hätten jedoch keine öffentlichen Ämter ausgeübt und seien parteipolitisch allenfalls lokal hervorgetreten. Dazu zählen nach Meinung der Autoren auch Politiker, die hohe Verbandsfunktionen auf niedriger Ebene, sonst jedoch keine weitere Positionen eingenommen haben. Abbildung 19 gibt die Typologie von Borchert und Stolz wieder.
212
Abbildung 19: Karrieretypen in deutschen Landtagen nach Borchert/Stolz Landtagsabgeordnete insgesamt (n=1948)
Absteiger 4,2 % (81)
Kommunalpolitiker 62,1 % (908)
Aufsteiger 75,1 % (1462)
Parteipolitiker 29,7 % (434)
Seiteneinsteiger 20,8 % (405)
Mitarbeiter 5,4 % (79)
Verbandspolitiker 2,5 % (37)
Quelle: Borchert/Stolz 2003: 160.
Die Einteilung beider Forscher erscheint beim ersten Hinsehen plausibel und einleuchtend, offenbart bei genauerer Analyse jedoch einige problematische Facetten. Sie versuchen die Typen überschneidungsfrei zu konstruieren und treffen bei der Festlegung der primären Verankerung der betroffenen Person einige kritikwürdige Festlegungen. Die Trennschärfe zwischen den Karrieretypen erscheint stark erzwungen. Sie konterkariert den empirisch vorgefundenen Karriereweg der „Ochsentour“. Dazu gehört üblicherweise die Verknüpfung von kommunalen Ämtern und Funktionen innerhalb der Partei. Borchert und Stolz dividieren theoretisch zwei Typen auseinander, die empirisch zusammengehören. Dies wird vor allem deutlich, wenn sie einzelne Politiker als Beispiele für ihre Typen anführen. Als Beispiel eines „Kommunalpolitikers“ nehmen sie den niedersächsischen CDU-Abgeordneten Heinz Rolfes. Dieser sei „ein gutes Beispiel für die Vielzahl von Ämtern – Ratsherr, Kreistagsmitglied, Ortsparteivorsitzender, Kreisparteivorsitzender –, die Kommunalpolitiker vor ihrer landespolitischen Karriere bereits durchlaufen haben“ (Borchert/Stolz 2003: 161). Die Autoren geben damit implizit zu, dass eine lokale horizontale Ämterkumulation – beispielsweise in Form von Kreisrat und Kreisvorsitz der Partei typisch und häufig ist. Eine Trennung zwischen den beiden Arenen der lokalen Betätigung erscheint demzufolge nicht angebracht. Die Typenbildung von Borchert und Stolz lässt sich darüber hinaus auch nicht auf Spitzenpolitiker oder deren Karrieren anwenden. Sie bleibt bei einer Sprosse der Karriereleiter, dem Übergang zum Berufspolitikerdasein in Form eines Landtagsmandats, stehen. Damit kann sie
213
nicht den Anspruch erheben, eine allgemeine Typologie politischer Karrieren zu sein. Einen interessanten, wenn auch noch nicht ausgereiften Vorschlag einer umfassenden Typologie politischer Rekrutierung hat Alexandru Voicu vorgelegt (vgl. Voicu 2007). Der Autor verfolgt einen zweidimensionalen Ansatz. Die erste Dimension erkennt er in der Beziehung des einzelnen Individuums zur Partei. Demnach können Personen innerhalb oder außerhalb der Partei Erfahrungen gesammelt haben (Insiders vs. Outsiders). Innerhalb der zweiten Dimension unterscheidet er die Fälle, in denen die Partei einzelne Personen zum Zwecke der Rekrutierung auswählt, während im anderen Fall die Initiative vom Individuum ausgeht (The regimented vs. The non-regimented). Kombiniert man diese Dimensionen, erhält man vier verschiedene Karrieretypen (vgl. Abbildung 20). Abbildung 20: Typologie politischer Rekrutierung nach Voicu
Quelle: Voicu 2007:13.
214
Der erste Typ ist auf der internal-external-dimension zu den Insidern zu zählen und seine Rekrutierung ist durch die Partei gesteuert (party-driven recruitment). Diesen Karrieretyp („the party faithful“) könnte man wohl als treuen Parteisoldat bezeichnen. Er weist eine ausgewiesene innerparteiliche Karriere auf, verfügt über genaue Kenntnisse innerparteilicher Vorgänge und ist in parteiinterne Netzwerke eingebunden. Beim „lateral recruitment“ handelt es sich um einen typischen politischen Quereinsteiger. Diese Personen verfügen über Fähigkeiten, Wissen und andere Vorzüge, die sie für die Partei interessant machen. Dies kann beispielsweise außergewöhnlicher Sachverstand in einem Politikfeld oder auch ein herausragender Bekanntheitsgrad sein. Der dritte Typ kommt aus der Partei, ist aber im Gegensatz zum Typ des Parteisoldaten nicht seiner politischen Heimat treu, sondern ist zu einem Parteiwechsel aus Karrierezwecken bereit. Dieses „migratory recruitment“ bringt einen Karrieretyp zum Vorschein, den Voicu als „party hopper“ bezeichnet. Der letzte Karrieretyp ist der Polit-Unternehmer („The political entrepreneur“), der von außerhalb der Parteien kommt und diese für seine eigenen Karriereambitionen benutzt. Dieser Ansatz zur Typenbildung enthält im Vergleich zum Modell von Golsch oder dem von Borchert/Stolz zwei entscheidende Vorteile. Die Typologie nimmt Rücksicht auf die enorme Bedeutung der Parteien im Rekrutierungsprozess. Beide Dimensionen des Ansatzes von Voicu nehmen Bezug auf die politischen Parteien und unterstreichen damit deren Bedeutung als zentrale Selektionsinstrumente. Den zweiten Vorteil der Vorgehensweise von Voicu kann man darin ausmachen, dass sich der Autor nicht auf eine Sprosse der Karriereleiter – dem Übergang in die Berufspolitik – beschränkt, sondern den Endpunkt der Karriere in den Elitepositionen des politischen Systems ansiedelt: „It therefore makes sense, when we consider the finality of recruitment, to refer to a notion of (national) political elite positions – the formalized positions of (direct or indirect) influence in the most important legislative and executive state organizations regulating the society.“ (Voicu 2007: 12f)
Der Autor bezeichnet seinen Ansatz als einen ersten Schritt zu einem allgemeinen Modell politischer Rekrutierung (vgl. Voicu 2007: 14). Dies ist zweifelsohne der Fall, da nähere Spezifikationen oder Operationalisierungen der beiden Dimensionen fehlen. Für eine empirische Prüfung der vier Typen müssten zunächst erst Schlüsselvariablen identifiziert werden. Dennoch verdient der Ansatz aufgrund seiner umfassenden Betrachtung politischerer Laufbahnen und der Würdigung der Rolle der Parteien Beachtung. Es bleibt abzuwarten, in wie weit er spezifiziert und einem empirischen Test unterzogen wird.
215
6.2 „Standard-Karriere“, „Cross Over“ und „reine Polit-Karriere“: Noch immer gültig? Da die beiden Typologien von Golsch und Borchert/Stolz nicht vollständig überzeugen können, und der Ansatz von Voicu noch nicht ausgereift ist, wendet sich dieser Abschnitt der einflussreichen Typenbildung von Dietrich Herzog zu. In ihren Grundzügen wurde sie bereits in Abschnitt 5.3.1 vorgestellt. In diesem Abschnitt wurde zudem bereits die Kritik von Borchert erörtert. Demnach sei Herzog zum einen zu sehr auf politische Führungsgruppen fixiert, zum anderen dominiere bei ihm eine „berufstrukturelle Sichtweise“ bei Analyse und Typenbildung (vgl. Borchert/Stolz 2003: 149). Da der erste Punkt im Rahmen dieser Arbeit nicht auf Kritik stoßen kann und der zweite Punkt streng genommen nicht zu trifft, soll im Folgenden versucht werden, Herzogs Typologie politischer Karrieren auf das vorliegende Sample anzuwenden. Dabei stößt man auf ein Problem. So überzeugend Herzogs Typen sind, so unscharf werden sie von ihm konstruiert und noch dazu kaum quantifiziert. Cross-Over-Karriere Beginnt man mit dem – Herzogs Ansicht nach seltenen – Typ der „Cross-OverKarriere“, wird diese Problematik schnell deutlich. Zunächst definiert er das Cross-Over oder „Überwechseln“ folgendermaßen: „Dabei handelt es sich um einen Prozeß, bei dem Personen, die im privaten Beruf besonders herausragende, einflussreiche oder leitende Positionen inne haben, unmittelbar in die Politik überwechseln.“ (Herzog 1975: 150)
Er hebt dabei darauf ab, dass die privat-berufliche Herkunft durch eine bestimmte Positionshöhe gekennzeichnet sein muss. Am Ende seiner Studie verschärft er diese Typenbildung. Demnach müssten bei einem Cross-Over Personen aus privaten Berufen „in führende politische Funktionen“ überwechseln. Er legt in diesem Zusammenhang den Fokus auf eine hohe Position der politischen Funktion innerhalb der Ämterhierarchie. Seine empirischen Beispiele und quantitativen Analysen lassen schlussfolgern, dass es ihm in erster Linie auf die Qualität des privaten Berufs ankommt (vgl. Herzog 1975: 152f). Er beziffert den Anteil der Cross-Over-Karrieren auf lediglich neun Prozent. Für die vorliegenden Karrieren von Spitzenpolitikern, die im Jahr 2006 und damit knapp vierzig Jahre nach Herzogs Studie ausgewählt wurden, fehlen exakte Angaben zur Positionshöhe im privaten Beruf, da im Fragebogen in erster Linie auf die sektorale Herkunft und die Dauer der Berufstätigkeit Wert gelegt wurde. Dennoch kann man auch mit vorliegendem Datenmaterial diesen Karrieretyp nachweisen, wenn man sich über einzelne Personenkreise der Kategorie politischer Karrieren annähert. Drei unter216
schiedliche Gruppen kommen dabei in Betracht. Zunächst sind zweifelsohne alle parteilosen Spitzenpolitiker zu nennen. Diese erfüllen allesamt das für Herzog eigentlich relevante Merkmal, nämlich ein unmittelbares Überwechseln „ohne längere parteipolitische oder öffentliche Karriere über Ehrenämter, also ohne, daß eine Phase sukzessiver, spezifischer Legitimation oder Qualifikation vorausgegangen ist“ (Herzog 1975: 150). Wie in Abschnitt 5.4.2 dargestellt, sind lediglich sechs der insgesamt 369 deutschen Spitzenpolitiker parteilos, eine Quote von gerade einmal 1,6 Prozent. Diese sechs Führungskräfte wurden als unabhängige Experten zu Mitgliedern von Landesregierungen ernannt. Sie wechselten aus einer Position im privaten Beruf, die offensichtlich als ministrabel angesehen wurde, in eine politische Spitzenposition. Exemplarisch kann man den Hamburger Wirtschaftssenator Jörg Dräger herausnehmen. Dräger war bei „Roland Berger“ als Unternehmensberater tätig, wechselte später auf die Geschäftsführerstelle des Northern Institute of Technology in Hamburg-Harburg und wurde 2001 von Ole von Beust in den Hamburger Senat berufen. Im Sample der 134 Spitzenpolitiker befinden sich zwei Parteilose, deren Laufbahn einem ähnlichen Muster folgte: Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Hans-Robert Metelmann und die Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck. Ebenfalls dem Typus der Cross-Over-Karriere entsprechen Politiker, die zwar ein Parteibuch haben, sich jedoch erst bei oder nach dem Wechsel in die Berufspolitik für eine Parteimitgliedschaft entschieden haben. Für 12 Politiker in der Untersuchungsgruppe konnte dies festgestellt werden. So wurde beispielsweise die Hamburger Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig 2004 von Bürgermeister von Beust in den Senat berufen, entschied sich aber erst im darauf folgenden Jahr für eine CDU-Mitgliedschaft. Unter diesen 11 Personen finden sich mit den ostdeutschen Spitzenpolitikern Böhmer, Hähle, Hermenau, Keler, Klotz, Ramelow, Rupprecht, Tiefensee und Zeh neun ostdeutsche Spitzenpolitiker. Die Erklärung für die Konzentration von Cross-Over-Karrieren unter hochrangigen Politikern aus den neuen Bundesländern liegt auf der Hand. Sie ist in den Besonderheiten der Elitenrekrutierung aus einer Transitionselite zu sehen (vgl. Derlien 1997; Derlien 1991; Rebenstorf 1992; Huntington 1993; Merkel 1999). In der Wendezeit übernahmen Personen politische Verantwortung, die man entweder zu einer systemkonformen Gegenelite innerhalb der SED oder zu einer systemkritischen Gegenelite zählen kann. Vor allem der letztgenannte Personenkreis konnte angesichts des fehlenden Parteienpluralismus keine parteipolitische Bewährungsphase durchlaufen haben. Die Betätigung in den Blockparteien ist in diesem Zusammenhang nicht als Äquivalent zu einer parteipolitischen Laufbahn in den „WestParteien“ anzusehen. Die letzte Subgruppe innerhalb dieses Typus bilden Spitzenpolitiker, die zwar Parteimitglied, aber vor ihrem Wechsel weder in der Partei noch in öffent-
217
lichen Ämtern in Erscheinung getreten waren. Auch diese Personen haben keine Ochsentour durch lokale Ämter und Positionen zurückgelegt, schafften aber dennoch den Sprung in ein Direktmandat, einen aussichtsreichen Listenplatz, in ein kommunales Wahlamt oder sofort in ein Ministeramt. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass diese Politiker aufgrund einer besonderen beruflichen Betätigung oder einflussreichen Verbandsposition heraus rekrutiert wurden. Um diesen Karrierepfad nachweisen zu können, werden Personen untersucht, denen sowohl kommunalpolitische, also auch karriererelevante Positionen innerhalb ihrer Partei in ihrer Biographie fehlen. Bei der Relevanz von Positionen innerhalb der Parteien kommt man natürlich in Abgrenzungsschwierigkeiten. An dieser Stelle wird davon ausgegangen, dass Funktionen des Vorsitzenden oder des Stellvertreters auf einer Stufe der Parteiorganisation – egal auf welcher Ebene – immer Ausdruck eines größeren innerparteilichen Engagements sind, eine reine Vorstandsmitgliedschaft auf lokaler Ebene dagegen nicht. Zur letzten dieser drei Subgruppen der Cross-Over-Karrieren gehören demnach Parteimitglieder, die keinerlei parteiinterne Ämter übernommen haben oder lediglich auf Orts- oder Kreisebene im Vorstand waren, und die noch dazu keine kommunalpolitischen Ämter bekleideten oder derartige Funktionen in der Kommunalpolitik erst nach dem Wechsel in die Berufspolitik übernommen haben. Filtert man nach diesen Vorgaben Individuen aus der Gruppe der Spitzenpolitiker heraus, bleiben lediglich fünf Personen übrig. Ein anschauliches Beispiel ist die NRWJustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft wurde die CDU-Politikerin 1976 Richterin in Dortmund, Düsseldorf und Leverkusen, später Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf. 2002 wurde sie Vorsitzende des Richterbundes Nordrhein-Westfalen. Am 24. Juni 2005 wurde Müller-Piepenkötter Justizministerin des Landes NordrheinWestfalen in der Regierung von Jürgen Rüttgers. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon lange CDU-Mitglied, hatte aber bis auf die Mitgliedschaft im Orts- und Kreisvorstand der Partei keine höheren Parteiämter übernommen und zudem keine kommunalpolitischen Ämter inne. Sie verdankt ihre Berufung offensichtlich der fachlichen Expertise und der Tätigkeit im Richterbund. Zählt man diese drei Subgruppen zusammen, können 18 Spitzenpolitiker dem Herzogschen Typ der Cross-Over-Karriere zugerechnet werden, ein Anteil von 13,4 Prozent. Eine Facette dieses Karrieretyps kann mit Hilfe der vorliegenden Daten ebenfalls überprüft werden. Herzog fand heraus, dass auch die politischen Quereinsteiger zu „Berufspolitikern“ werden können und vergleichsweise häufig nach der Übernahme eines politischen Spitzenamtes Teile der innerparteilichen und öffentlichen Karriere nachholen. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass diese Personen zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein Parlamentsmandat anstreben oder auch in ihrer Partei Funktionen übernehmen (vgl. Herzog
218
1990: 41). Elf der 19 Personen dieses Karrieretyps wurden erst nach dem Wechsel in die Berufspolitik Mandats- oder Funktionsträger innerhalb der Partei. Mehr als die Hälfte der Quereinsteiger in vorliegender Untersuchungsgruppe holten damit einen Teil der Polit-Karriere nach. Da bei einigen Personen das CrossOver noch nicht lange zurück liegt, ist davon auszugehen, dass dieser Anteil noch ansteigt. Für den Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lässt sich dieses Muster ebenfalls beobachten. Nach seinem Wechsel von der Position als Chef des Kanzleramtes, das er als beamteter Staatssekretär leitete, an die Spitze des Auswärtigen Amtes wurde der bis dahin innerhalb der SPD funktionslose Außenminister stellvertretender Vorsitzender der SPD, strebt dazu bei der Bundestagswahl 2009 ein Direktmandat im Deutschen Bundestag an und wird aller Voraussicht nach Spitzenkandidat der SPD in Brandenburg (vgl. rbb online 2007). Reine Polit-Karriere In einer Zusammenfassung seiner Forschungen zur Rekrutierung politischer Eliten zu Beginn der 90er Jahre vermutete Herzog, dass dem Typus der „reinen politischen Karriere“ in Zukunft besondere Aufmerksamkeit zukommen werde (vgl. Herzog 1990: 41). Er vertrat die Auffassung, dass dieser typische Karriereverlauf bei einer zunehmenden Zahl jüngerer Politiker festzustellen sei. Sie würden bereits früh ihre politische Laufbahn beginnen und wären von an Anfang an in besoldeten politischen Berufen tätig. Darunter fallen beispielsweise Stellen als Mitarbeiter bei Abgeordneten oder als Angestellter bei Parteien, Fraktionen oder den parteinahen politischen Stiftungen. Für diesen Politiker-Typ stellt der Bereich der Politik die einzige, oft lebenslange Einkommensquelle dar. Es ist nicht zuletzt diese Tatsache, die zur Kritik am Typ der reinen Polit-Karriere geführt hat: „In der öffentlichen Meinung steht dieser Politikertyp im Zentrum der Kritik. Er sei zu sehr routinisiert, zu sehr ausschließlich karriere-orientiert, und zudem moralisch anfällig.“ (Herzog 1990: 41)
Was Herzog zu Beginn der 90er Jahre feststellte, wird bis heute von den Anhängern des Konzepts der politischen Klasse (vgl. Abschnitt 2.1.3) aufgegriffen. Zwar wird diesen Politikern ein hohes Maß an Professionalisierung unterstellt – wie man in der Typologie von Golsch sehen konnte –, ihnen wird jedoch auch vorgeworfen, über keinerlei Erfahrungen außerhalb der politischen Sphäre zu verfügen. Versucht man, diesen Karrieretyp empirisch unter den deutschen Spitzenpolitikern nachzuweisen, ergeben sich einige Probleme. Herzog selbst geht in seinem Hauptwerk 1975 gar nicht auf diesen Typ ein, beschreibt ihn erst in späteren 219
Veröffentlichungen, ohne jedoch exakte Definitionsmerkmale oder Angaben zum quantitativen Umfang des Typs zu machen. Andere Autoren, die sich auf Herzogs Typologie stützen, gehen von einem Anteil reiner Polit-Karrieristen von 30 Prozent aus (vgl. Weege 2003: 7). Aus den Ausführungen Herzogs lassen sich jedoch grob die Kriterien zur Typologisierung ableiten. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass diejenigen Personen zum Typ der reinen Polit-Karriere zählen, die entweder von Beginn ihres Berufslebens an Berufspolitiker waren (Subgruppe 1) oder zunächst in politischen Berufen außerhalb der Berufspolitik tätig waren, ehe sie den Wechsel in ein Mandat, ein kommunales Wahlamt oder ein Regierungsamt schafften (Subgruppe 2). Die empirische Überprüfung greift auf die im Fragebogen erhobenen Berufssektoren zurück. Unter den 134 Spitzenpolitikern waren vier Personen, die keinerlei berufliche Erfahrungen außerhalb der Berufspolitik aufweisen können. Ein bekanntes Beispiel ist der ehemalige Bundesminister Matthias Wissmann. Der CDU-Politiker schloss sein Studium der Rechtswissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Tübingen und Bonn 1974 ab. Noch ehe er 1978 das zweite Staatsexamen ablegte, wurde er 1976 im Alter von 27 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages, dem er 31 Jahre lang angehören sollte. Wissmann war zum Zeitpunkt des Mandatsgewinns Bundesvorsitzender der Jungen Union und bereits acht Jahre Mitglied der CDU. Ebenfalls als Rechtsreferendar wechselte der spätere Landwirtschaftsminister Schleswig-Holsteins, Christian von Boetticher, ins Europäische Parlament. Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Hessischen Landtag, Tarek Al-Wazir, wurde zu einem Zeitpunkt Landtagsabgeordneter, als er noch Politikwissenschaft an der Universität in Frankfurt studierte. Beispielhaft für Personen aus der zweiten Subgruppe ist der Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins, Dietrich Austermann (CDU). Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen im Jahr 1971 wurde Austermann wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, ehe er 1974 hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Barsbüttel/Stormarn und damit Berufspolitiker wurde. Ein ähnliches Karrieremuster findet man bei Karoline Linnert. Die Grünen-Politikerin erlernte bis 1979 den Beruf der Röntgenassistentin, absolvierte anschließend ein Studium der Psychologie, welches sie als Diplom-Psychologin beendete. Ihre erste berufliche Tätigkeit war die einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin für Gesundheits- und Sozialpolitik bei der Bürgerschaftsfraktion der Grünen in Bremen. Aus dieser Position heraus wurde sie Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, später Fraktionsvorsitzende der Grünen und 2007 Bürgermeisterin und Senatorin für Finanzen. Bei dieser restriktiven Auslegung der Typenbildung wären demnach lediglich fünf Prozent der deutschen Spitzenpolitiker diesem Karrieretyp zuzuordnen. Allerdings darf man die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass die berich-
220
teten Berufspositionen der Spitzenpolitiker oft in Richtung einer „normalen“ beruflichen Laufbahn verfälscht sein können. Viele Tätigkeiten im Bildungsoder Wissenschaftssystem könnten demnach eine klare politische Färbung haben, vor dem Hintergrund eines sozial erwünschten Antwortverhaltens kann man nicht zweifelsfrei von exakten Antworten ausgehen. Demnach würden beispielsweise Tätigkeiten bei politischen Stiftungen, die man durchaus als eine politische Tätigkeit ansehen könnte, von den Befragten im Wissenschaftssektor angesiedelt. Da im Fragebogen aber nicht nach dem tatsächlich ausgeübten Beruf, sondern lediglich nach dem beruflichen Sektor gefragt wurde, kann man diese Dunkelziffer nicht erhellen. Die vorgefundenen Zahlen sind demnach als Untergrenze aufzufassen. Zur kritischen Kontrolle lässt sich die Vorgehensweise von Golsch heranziehen, der bei einer beruflichen Tätigkeit außerhalb der Berufspolitik von maximal drei Jahren von Berufspolitikern- oder Abgeordneten spricht. Für 19 der 134 Spitzenpolitiker (14,2 %) trifft dies zu. Sieht man sich davon einige Politiker genauer an, wird die enorme Schwierigkeit der Einordnung und Abgrenzung deutlich. Der heutige bayerische Ministerpräsident, Dr. Günther Beckstein (CSU), studierte in Erlangen und München Jura und arbeitete anschließend ab 1971 als Rechtsanwalt. 1974 zog er als Abgeordneter in den Bayerischen Landtag ein. In seinem gesamten Erwerbsleben war Beckstein demnach nur drei Jahre außerhalb der Berufspolitik tätig. Bei seinem Landtagseinzug war Beckstein Bezirksvorsitzender der Jungen Union. Diese Tatsache sowie die kurze anwaltliche Tätigkeit können als Indizien einer klaren Karriereambition interpretiert werden. Allerdings arbeitete Beckstein zu diesem Zeitpunkt an seiner Promotion, die er 1975 abschloss. Offenbar war er nicht eindeutig auf eine lebenslange Tätigkeit in der Politik festgelegt. Zudem zeigt dies die Schwierigkeit des Ansatzes von Golsch. Wäre der CSU-Politiker einige Monate länger Anwalt geblieben, wäre er in der Typenbildung von Golsch ein „Parteipolitiker“. In Herzogs Ausführungen klang eine Entwicklungstendenz an. Demnach würde eine zunehmende Zahl jüngerer Abgeordneter den Weg der „reinen PolitKarriere“ einschlagen. Mit Hilfe der Kontrastgruppe der jüngeren Abgeordneten kann man den Versuch wagen, diese These zu überprüfen. 37 junge MdBs und MdLs aus der Kontrastgruppe waren von Beginn ihres Erwerbslebens an Berufspolitiker, haben also keinerlei Berufserfahrungen außerhalb bezahlter Ämter und Mandate. Dazu kommen fünf junge Abgeordnete, die zunächst in einer politischen Tätigkeit bei Abgeordneten, Parteien oder Fraktionen waren, um anschließend selbst ein Amt oder Mandat zu erringen. Für 42 der 81 Nachwuchspolitiker würde demnach der Herzogsche Karrieretyp der reinen Polit-Karriere zutreffen, ein hoher Anteil von 51,9 Prozent. Legt man das weiter reichende Kriterium von Golsch an, steigt dieser Prozentsatz auf 70,4 Prozent an. 57 der 81 jungen Abgeordneten fielen demnach in diese Kategorie.
221
Allerdings muss man Vorsicht walten lassen, aus diesen Ergebnissen einen Entwicklungstrend für die Gruppe der Spitzenpolitiker abzuleiten. Zum einen ist die hohe Zahl zu einem großen Teil Ergebnis der Gruppenauswahl. Wenn man sich auf junge Abgeordnete konzentriert und noch dazu weiß, dass fast 100 Prozent von ihnen studiert haben, dann kann die Vielzahl der „young political professionals“ nicht erstaunen. Diese Gruppe kann allein aus Gründen des Lebensalters noch nicht in einem nennenswerten Umfang andere berufliche Sektoren durchlaufen haben. Zum anderen ist kaum vorhersagbar, wer von diesen jungen Hoffnungsträgern der Parteien tatsächlich den Weg an die Spitze des politischen Systems schaffen wird. Zwar legen einige Arbeiten der Rekrutierungsforschung den Schluss nahe, dass „die Inhaber von Führungspositionen ihr Mandat tendenziell früher übernehmen als die Hinterbänkler (...)“ (Golsch 1998: 112). Was Golsch für Bundestagsabgeordnete feststellt, muss jedoch nicht für die Spitzenpolitiker insgesamt gelten. Es ist theoretisch möglich, dass das Fehlen einschlägiger beruflicher Erfahrungen zu einem Hemmschuh auf dem Weg nach ganz oben wird. Dies könnte die Diskrepanz zwischen der Häufigkeit reiner PolitKarrieren unter jungen Abgeordneten und der vergleichsweise geringen Zahl derartiger Karrieren unter den Spitzenpolitikern erklären. Nichtsdestotrotz ist die Existenz dieses Karrieretyps offensichtlich. Ob sich die Zahl reiner PolitKarrieren zudem erhöht (hat), kann wissenschaftlich nicht exakt bestimmt werden. Im Vergleich zu Herzogs Studie sind einerseits die Erhebungsgruppen zu unterschiedlich, andererseits quantifiziert Herzog nicht ausreichend, um einen Vergleich wagen zu können. Standard-Karriere Wenn die politische Laufbahn zunächst als eine zweite parallele Karriere verläuft, die dann aber zunehmend die wichtigere und schließlich die eigentliche wird, spricht Herzog von „Standard-Karriere“. Ähnlich wie bei der reinen PolitKarriere würden die Politiker unter Umständen bereits sehr früh Mitglied einer Partei, würden aber für ein innerparteiliches öder öffentliches Wahlamt erst kandidieren, „nachdem sie sich in ihrem privaten Berufsweg mehr oder weniger etabliert haben“ (Herzog 1990: 40f). Die Führungsauswahl im politischen System der Bundesrepublik vollziehe sich überwiegend in langfristig und kontinuierlich verlaufenden politischen Karrieren (vgl. Herzog 1975: 219). Kennzeichnend sei zudem die „Ochsentour, das schrittweise Durchsetzen in der praktischen Parteiarbeit (...)“ (Herzog 1975: 159). Diese Ochsentour durch lokale oder regionale, parteiinterne oder öffentliche Ämter wurde im vorangegangen Kapitel ausführlich dargestellt. Die Existenz dieses beschwerlichen, schrittweisen Aufstiegs konnte empirisch bewiesen werden und wird an dieser Stelle nicht wiederholt. Die Rekrutierungsmechanismen in der Bundesrepublik zeichnen sich durch wie222
derkehrende Muster aus. Diese Karrieremuster können als Typus der StandardKarriere aufgefasst werden. 1975 bezifferte Herzog den Anteil der Spitzenpolitiker, die in dieser Kategorie einzusortieren seien, auf 73 Prozent – wenn man als Merkmal eine „längere (privat-)berufliche Laufbahn“ (Herzog 1975: 223) vor dem Wechsel in parlamentarisch-gouvernementale Positionen als Kriterium anlegt. In einer Publikation im Jahr 1990 schätzt er den Anteil der StandardKarrieren auf 60 Prozent (vgl. Herzog 1990: 41). Der Prozentsatz der StandardKarrieren im vorliegenden Datensatz hängt davon ab, welches Kriterium einer reinen Polit-Karriere man zu Grunde legt. Hebt man bei diesem Typ auf das Merkmal „ausschließlich Berufserfahrung im Sektor Politik“ ab, verbleiben im Typ der Standard-Karriere 81 Prozent der Spitzenpolitiker. Erfasst man – wie Golsch – reine Polit-Karrieristen durch das Merkmal „weniger als vier Jahre außerhalb der Politik beschäftigt“, sinkt dieser Anteil auf 73 Prozent – was dem Wert aus der Herzog-Studie exakt entsprechen würde. Bisher ist davon auszugehen, dass die drei Herzogschen Typen nach wie vor existieren und dass nach wie vor die Standard-Karriere der dominierende Laufbahn-Typ zu sein scheint. Cross-Over und reine Polit-Karriere sind dagegen offenbar empirisch seltener vorzufinden. Wenn es sich tatsächlich um verschiedene Karrieretypen handelt, so ließe sich schlussfolgern, dass sich die Personengruppen in wesentlichen Karrieremerkmalen unterscheiden müssten. Diese Annahme soll im Folgenden überprüft werden. Tabelle 64 offenbart deutliche Unterschiede in den drei Karrieretypen, die Rückschlüsse auf die Spezifika der individuellen Karriereverläufe erlauben. Die Parteimitglieder unter politischen Quereinsteigern (Typ I) werden im Schnitt im Alter von knapp 40 Jahren Mitglied ihrer Partei. Wenn überhaupt, dann übernehmen sie mit knapp 45 Jahren ihr erstes Amt innerhalb der Partei. Der Wechsel in die Berufspolitik erfolgt im Schnitt mit knapp 48 Jahren und damit in einer vergleichsweise späten Lebensphase. Vor diesem wichtigen Schritt haben sie nur in einem sehr bescheidenen Umfang wichtige Funktionen innerhalb der Partei eingenommen. Mitgliedschaft und Übernahme von Führungspositionen in den Parteijugendorganisationen sind in diesem Karrieretyp ebenfalls nur selten zu beobachten. Auch die Kommunalpolitik spielt bei Quereinsteigern offensichtlich eine eher untergeordnete Rolle. Es lässt sich festhalten, dass alle Faktoren, die auf die sprichwörtliche Ochsentour hinweisen, im Typ der „Cross-Over-Karriere“ nur schwach ausgeprägt sind. Die erste Spitzenposition erreichen sie mit knapp 50 Jahren und damit am spätesten im Vergleich zu den anderen Karrieretypen.
223
Tabelle 64: Unterschiede in Karrieremerkmalen nach Karrieretypen Typ I
Karrieretyp Typ II Typ III
Karrieremerkmalen
Gesamt
MW
Cross OverKarriere 39,7
reine PolitKarriere 21,9
StandardKarriere 26,2
n
15
19
98
132
Alter beim ersten Parteiamt
MW
44,4
26,1
30,5
30,7
n
8
19
89
116
Alter beim Wechsel in die Berufspolitik
MW
47,5
29,7
39,7
39,3
n
17
19
98
134
Kreisvorsitz vor Wechsel in Berufspolitik
%
0,0
5,3
22,4
17,2
n
17
19
98
134
Landesvorstand vor Wechsel in Berufspolitik
%
11,8
21,1
16,3
16,4
n
17
19
98
134
Mitglied in der Jugendorganisation
%
23,5
84,2
57,1
56,7
n
17
19
98
134
Führungsposition Jugendorganisation
%
0,0
57,9
35,7
34,3
n
17
19
98
134
Anteil der Kommunalpolitiker
%
23,5
57,9
71,4
63,4
n
17
19
98
134
Führungsposition in der Kommunalpolitik
%
17,6
21,1
39,8
34,3
n
17
19,0
98,0
134,0
Alter bei erster Spitzenposition
MW
49,8
40,3
46,2
45,8
n
17
19
98
134
Alter beim Parteieintritt
27,1
Ein signifikant unterschiedliches Muster stellen Personen des Typs „reine PolitKarriere“ dar (Typ II). Sie werden mit durchschnittlich 21,9 Jahren Parteimitglied und übernehmen bereits mit gut 26 Jahren die erste Führungsfunktion in der Parteihierarchie. Noch vor dem Erreichen des 30. Lebensjahres werden sie Berufspolitiker, der mit Abstand niedrigste Wert aller Karrieretypen. Im Gegensatz zu Quereinsteigern weisen sie sehr wohl eine Ochsentour auf, jedoch in einer speziellen Variante. Sie versuchen offensichtlich, möglichst schnell in den Landesvorstand der Parteien zu gelangen, um damit den Sprung auf die Landeslisten zu schaffen. Dafür sind offensichtlich die Parteijugendorganisationen das am besten geeignete Karriereinstrument. So kann man erklären, wieso in diesem Typ nur wenige Politiker die strategische Parteiposition des Kreis- oder Unterbe224
zirksvorsitzenden innehatten, jeder fünfte aber vor dem Überwechseln in die Berufspolitik Landesvorstandsmitglied war. Knapp 85 Prozent waren Mitglied der Jugendorganisationen, fast 58 Prozent haben im Parteinachwuchs Führungspositionen bekleidet. Der Kommunalpolitikeranteil ist zwar mit 58 Prozent sehr hoch, Führungspositionen in den kommunalen Vertretungen wurden dagegen nicht derart häufig besetzt. Dies könnte darauf hindeuten, dass es zwar die „Highflyer“ auf die Landesebene zieht, um über diesen Weg schnell in Mandatsnähe zu gelangen, sie aber dennoch ihre Hausaufgaben vor Ort in Form kommunalpolitischer Tätigkeiten erledigen müssen. Mit knapp 40 Jahren wurden die 19 Politiker dieses Typus zu Spitzenpolitikern – damit waren sie im Schnitt 10 Jahre jünger als die Quereinsteiger. Die Herzogsche Standardkarriere (Typ III) ist durch zwei Elemente stark geprägt, nämlich durch eine zeitlich lang dauernde und intensive Bewährungsphase. Die politische Aktivierung in Form des Parteieintritts erfolgt mit durchschnittlichen 26,2 Jahren gut vier Jahre später als beim eben behandelten Typ der reinen Polit-Karriere. Dadurch ist auch die erste Übernahme eines Parteiamtes mit 30,5 Jahren zeitlich verschoben. Es erscheint eine Konsequenz dieser beiden Faktoren zu sein, dass Spitzenpolitiker dieses Typs erst mit knapp 40 (39,3) Jahren zu Berufspolitikern werden. Sie müssen sich im Schnitt 13 Jahre in öffentlichen Positionen und Parteiämtern bewähren, ehe sie von der Politik leben können. Diese Bewährungsphase ist deutlich länger als bei Karrieretyp II, was die Zeitintensität dieses Typs unterstreicht. Die innerparteiliche Bewährung weicht vom Typ II signifikant ab. Die „Standard-Karrieristen“ im Sample konzentrierten sich offensichtlich in einem geringeren Umfang auf die Jugendorganisationen der Parteien und den Weg über den Landesvorstand auf die Landeslisten. Sie weisen ein eher lokaleres Rekrutierungsmuster auf. Einstieg und Übernahme erster politischer Positionen sind auf Orts- und Kreisebene angesiedelt. Weitaus häufiger als bei den beiden anderen Karrieretypen sind in dieser Gruppe Personen zu beobachten, die vor dem Sprung in bezahlte politische Ämter Kreisvorsitzende ihrer Partei waren. Zudem findet man in dieser Gruppe nicht nur den höchsten Anteil der Kommunalpolitiker (71,4 %), sondern sie bekleideten zudem noch sehr häufig in den kommunalen Vertretungsorganen Führungspositionen (39,8 %). Herzog weist darauf hin, dass für die Anfangszeit der Bundesrepublik der lokale Einstieg in eine politische Karriere auf der Hand lag: „Analysiert man Karrieremuster (...), so muß man natürlich bei einer Longitudinal-Betrachtung die historische Entwicklung des deutschen Parteiensystems in Rechnung stellen. So gründeten sich die politischen Parteien nach 1945 zunächst auf lokaler Ebene; Parteikarrieren konnten also damals lediglich auf dieser Stufe beginnen.“ (Herzog 1973: 114)
225
Sechzig Jahre nach Gründung der Bundesrepublik scheint sich dieses Muster perpetuiert zu haben. Die politische Karriere ist in der überwiegenden Zahl der Fälle ein schrittweiser Aufstieg von unten nach oben, mit der lokalen Parteihierarchie als Einstiegsebene. Diese oft langwierige Sequenz von Positionen führt dazu, dass Spitzenpolitiker erst im Alter von durchschnittlich 46,2 Jahren in eine politische Top-Position gelangen. Auch wenn aufgrund der bereits genannten Gründe eine direkte Vergleichbarkeit mit dem Datenmaterial von Dietrich Herzog nicht gegeben ist, so lässt die empirische Analyse doch den Schluss zu, dass die drei von ihm konstruierten Karrieretypen nach wie vor belegbar sind. Zudem scheint sich auch die Verteilung deutscher Spitzenpolitiker auf die drei Karrieretypen nicht signifikant geändert zu haben. Ein Quereinstieg in hohe politische Positionen ist ebenso nach wie vor selten, wie eine ausschließlich in der Sphäre der Politik stattfindende Karriere. Die durch die politische Ochsentour geprägte Standard-Karriere ist nach wie vor das dominierende Aufstiegsmuster.
6.3 Bundespolitiker vs. Landespolitiker – Landespolitik als Karrierearena? Die Analyse von Ministerlaufbahnen auf Bundes- und Landesebene hat bereits vor Augen geführt, dass der föderative Staatsaufbau der Bundesrepublik im Rekrutierungsprozess deutliche Spuren hinterlässt. Vor allem wurde bisher die Bedeutung der Landesebene als wichtiges Rekrutierungsreservoir für die Bundesebene im Allgemeinen und die Bundesregierung im Besonderen hervorgehoben. Allerdings ist diese Perspektive nur eines von mehreren möglichen Aufstiegsmustern in föderalen Systemen. Herzog hat zu Beginn der 70er Jahre vier Muster als die am häufigsten auftretenden herausgearbeitet (vgl. Lange 1973: 136). Er nennt als erstes die direkte Übernahme politischer Führungsposition auf Bundesebene ohne vorherige Qualifizierung in niederrangigen politischen Gremien. Das zweite Muster ist gekennzeichnet durch einen Aufstieg über alle Ebenen des föderativen Aufbaus, insbesondere in der zeitlichen Abfolge von kommunaler über die Landes- in die Bundesebene. Drittens ist ein Sprung aus der Kommunalpolitik in die Bundespolitik unter Umgehung der Landesebene vorstellbar. Charakteristisch für die vierte Sequenz ist ein direkter Einstieg über Führungspositionen auf Landesebene und von dort in Führungsgremien auf nationaler Ebene. Diesen drei Ebenen eines föderativen Staatsaufbaus müsste man in Folge der Entstehung supranationaler Institutionen streng genommen noch eine vierte hinzufügen. Gerade das Zusammenwachsen Europas und die Entstehung der Europäischen Union hat das Feld der Karrieremöglichkeiten auf Positionen außerhalb der Nationalstaaten ausgeweitet. Da aber in der vorliegenden Untersuchungs-
226
gruppe lediglich sechs Spitzenpolitiker für ein Mandat im Europäischen Parlament kandidiert haben und davon lediglich drei Personen tatsächlich den Sprung auf die Europäische Ebene geschafft haben, soll aufgrund dieser geringen Fallzahl diese vierte Ebene nicht weiter betrachtet werden. Die Rolle der Kommunalpolitik wurde bereits hinlänglich beleuchtet und soll im Folgenden ebenfalls ausgeklammert werden. Für die Zielsetzung dieser Arbeit rückt eine andere Fragestellung in den Mittelpunkt des Interesses. Es soll die konventionelle Annahme überprüft werden, dass ambitionierte Politiker in föderalen Systemen wie der Bundesrepublik Deutschland die einzelstaatliche Ebene lediglich als ein Sprung- oder Trittbrett für ein Amt oder ein Mandat auf bundesstaatlicher Ebene benutzen (vgl. Francis/Kenny 2000: 3). Wie Stolz anführt, wurde diese „Trittbrett-Hypothese“ eines einseitig auf die nationale Ebene gerichteten Karrierepfades, die vermutlich amerikanischen Erfahrungen und einer stark am Kongress orientierten Perspektive geschuldet ist, empirisch bislang kaum überprüft (vgl. Stolz 2001: 3). Im Folgenden soll eine derartige Überprüfung vorgenommen werden. Das Ziel kann man mit den Worten von Stolz folgendermaßen zusammenfassen: „Es soll (...) hinterfragt werden, ob die nationale Ebene tatsächlich unbestreitbar als Fluchtpunkt professioneller politischer Karrieren gelten kann, oder ob es nicht auch Fälle gibt, in welchen sich die Region zu einer eigenständigen Karrierearena entwickelt hat.“ (Stolz 2001: 3)
Stolz hat zu diesem Zweck ein Indikatorenpaar entwickelt. Den Anteil nationaler Abgeordneter mit Mandatserfahrung in regionalen Parlamenten bezeichnet er aufgrund der Karrierebewegung in Richtung politisches Zentrum als Zentripetalrate. Dagegen misst die Zentrifugalrate eine Bewegung, die in Richtung der Einzelstaaten (oder Regionen) und damit vom politischen Zentrum weg führt. Sie ist der Anteil regionaler Abgeordneter mit Mandatserfahrung auf nationaler Ebene (vgl. Stolz 2001: 6; Stolz 2003: 226). Mit der Überprüfung dieser beiden Indikatoren kann man nicht nur einen möglichen Karrierepfad von unten nach oben nachweisen, sondern bekommt auch eine Antwort auf die Frage, wie hoch der Anteil der Abgeordneten ist, die beide betrachtete Ebenen des politischen Systems durchlaufen haben. Neben der Ermittlung der Zentripetal- und Zentrifugalraten sollen die Spitzenpolitiker in Bundespolitiker (Typ A), Landespolitiker (Typ B) und Ebenenwechsler (Typ C) eingeteilt werden. Findet man überwiegend Karrieren des Typs A und B, wäre dies ein klares Indiz dafür, dass Bundesund Landespolitik zwei relativ strikt getrennte Karrierearenen wären. Tabelle 65 weist eine Zentripetalrate von 28 Prozent aus. 11 der 39 Politiker, die zum Zeitpunkt der Befragung auf Bundesebene eine Spitzenposition innehatten, waren auf ihrem Weg nach oben bereits Mitglied einer Landeslegislative. Mit Wolfgang Gerhardt war darunter sogar ein ehemaliges Mitglied einer
227
Landesregierung. Sieht man sich die Fälle genauer an, fallen interessante Details ins Auge. Sieben der elf Politiker waren Mitglieder der Linkspartei, die vor ihrem Wechsel in den Bundestag Mitglied eines ostdeutschen Landesparlamentes waren. Dieser Umstand könnte einer erhöhten Wechselbereitschaft und einer geringen Standardisierung politischer Karriereverläufe nach der Wiedervereinigung geschuldet sein. Demnach müsste bei ähnlichen Befragungen mit einem größeren Abstand zur Deutschen Einigung die Zentripetalrate wieder sinken. Tabelle 65: Zentrifugal- und Zentripetalraten unter deutschen Spitzenpolitikern (zum Zeitpunkt der Befragung) BundespoliLandespolitiker tiker (N=39) (N=95) Kandidatur für ein Landesparlament Mandat in einem Landesparlament Regierungsamt in einem Bundesland Zahl der Personen mit Amt oder Mandat auf Landesebene
n
%
n
%
18
46,2
26
27,4
11
28,2
14
14,7
1
2,6
3
3,2
11
28,2
14
14,7
Zentripetalrate
Zentrifugalrate
28,0 %
14,7 %
Kandidatur für den Deutschen Bundestag Mandat im Deutschen Bundestag Regierungsamt auf Bundesebene Zahl der Personen mit Amt oder Mandat auf Bundesebene
Die empirische Basis für generalisierende Aussagen ist allerdings sehr schmal. Aus diesem Grund sollen weitere Daten in die Analyse einfließen. Nimmt man beispielsweise die Karriereverläufe aller Abgeordneten des 16. Deutschen Bundestages als Grundlage, lässt sich eine geringere Zentripetalrate beobachten. 110 der 625 Politiker, die seit der Bundestagswahl 2005 im Bundestag saßen, waren zuvor Mitglied einer Länderlegislative, eine Zentripetalrate von 17,6 Prozent. In der 14. und 15. Wahlperiode waren ebenfalls jeweils knapp 17 Prozent aller Bundestagsabgeordneten schon einmal Mitglied eines Landesparlaments (vgl. Deutsch/Schüttemeyer 2003: 32; Borchert/Golsch 1999: 129). In den 1950er Jahren war noch jeder dritte Abgeordnete ein ehemaliger Landtagsabgeordneter. Nach Borchert und Golsch hatten 1965 mehr als 25 Prozent der Parlamentarier auf Bundesebene zuvor einen Sitz in einem Landesparlament (vgl. Borchert/Golsch 1999: 129). Die Gründe für diesen Rückgang der Zentripetalrate wurden in dieser Arbeit bereits beschrieben. Ein Sitz in einem Landesparlament 228
ist heute finanziell fast so attraktiv wie ein Bundestagsmandat. Zu dieser These passt die Tatsache, dass jeder fünfte MdB im 16. Deutschen Bundestag mit vorherigem Sitz in einem Landesparlament, sein Mandat auf Landesebene in einem Stadtstaat ausgeübt hat. Die Diäten in Hamburg, Berlin und Bremen sind nicht mit jenen im Bundestag zu vergleichen. Daher ist es keine Überraschung, dass diese Personengruppe häufiger nach Berlin wechselt als ihre Kollegen aus den Flächenstaaten, deren Parlamente höhere Diäten aufweisen und noch dazu politisch einflussreicher sind. Angesichts dieser Zahlen erscheint die Einschätzung von Borchert und Golsch fragwürdig, ein wichtiger Karrierepfad bestünde darin, einen Sitz in einem Landesparlament als Sprungbrett für ein Bundestagsmandat zu nutzen(vgl. Borchert/Golsch 1999: 129). Bei einer Zentripetalrate von ca. 15 Prozent kann man kaum von einem häufig vorkommenden Karrieremuster sprechen. Allerdings muss man auch an dieser Stelle mit Vergleichen vorsichtig sein. Die Zahlen aus der Parlamentssoziologie müssen nicht unbedingt mit Daten über Spitzenpolitiker übereinstimmen. Wie Abschnitt 5.7.5 zeigte, werden Mitglieder der Bundesregierung sehr häufig aus den Ländern rekrutiert. Man muss daher zwischen Exekutivpolitikern und Parlamentariern unterscheiden. Herzog überprüfte 1975 ebenfalls die These vom Landtag als Durchgangsstation auf dem Weg in die damalige Bundeshauptstadt Bonn. In seiner Studie waren 22 Prozent der Unionspolitiker zuvor Landesparlamentarier gewesen. Unter den sozialdemokratischen Abgeordneten lag die Zentripetalrate bei 33 Prozent, bei den Liberalen sogar bei 42,8 Prozent (vgl. Herzog 1975: 87). Aufgrund dieser Zahlen kann man vermuten, dass die Häufigkeit des Wechselns von der Landes- auf die Bundesebene doch rückläufig ist. Da die Befragung auch Landespolitiker mit einschloss, kann man auch die Zentrifugalrate unter den Spitzenpolitikern berechnen (vgl. Tabelle 65). Von den 95 Inhabern von Elitepositionen auf Landesebene haben 26 in ihrer Laufbahn für ein Mandat im Deutschen Bundestag kandidiert (27,4 %), 14 von ihnen waren in diesem Unterfangen erfolgreich. 15 Prozent der politischen Elite in den Ländern waren demnach bereits in ihrer Laufbahn einmal Bundestagsabgeordnete. Drei hochrangige Landespolitiker hatten darüber hinaus vor der Top-Position in den Ländern ein Regierungsamt auf Bundesebene inne, nämlich die ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretäre Kurt Faltlhauser (CSU), Walter Hirche (FDP) und Christoph Matschie (SPD). Tabelle 66 gibt die Verteilung der Typen wieder. Politiker des Typs A (reine Bundespolitiker) finden sich 28 in der Untersuchungsgruppe. 20,9 Prozent der Spitzenpolitiker im Sample sind dieser Kategorie zuzurechnen. 81 Top-Politiker kann man als reine Landespolitiker (Typ C) bezeichnen (60,4 %). 25 hochrangige Politiker haben einen Ebenenwechsel vollzogen (18,7 %).
229
Tabelle 66: Bundespolitiker, Landespolitiker und Ebenenwechsler Bundespolitiker
Landespolitiker
Spitzenpolitiker insgesamt
(N=39)
(N=95)
(N=134)
reine Bundespolitiker
Ebenenwechsler
reine Landespolitiker
Ebenenwechsler
reiner Bundespolitiker
reiner Landespolitiker
Ebenenwechsler
n
%
n
%
n
%
n
%
n
%
n
%
n
%
28
71,8
11
28,2
81
85,3
14
14,7
28
20,9
81
60,4
25
18,7
Die zahlenmäßigen Unterschiede zwischen den beiden ersten Typen ergeben sich aus der geringeren Zahl der Bundespolitiker in der Untersuchungsgruppe, sie dürfen nicht als Ausdruck der Attraktivität der politischen Ebene verstanden werden. Dagegen ist die Häufigkeit von Typ C durchaus ein ernst zu nehmender Hinweis darauf, in wie weit man von Bundes- und Landespolitik als eigenständige Karrierearenen sprechen kann. Nach diesem Zahlenmaterial würden vier von fünf Spitzenpolitikern auf derjenigen politischen Ebene bleiben, auf der sie ihre Berufspolitikerkarriere begannen. Die Landespolitik bietet demnach genügend Karrierepotential und ist trotz eines Bedeutungsrückgangs der Landesparlamente eher ein Zielpunkt politischer Karrieren als eine reine Durchgangsstation. Dem Fazit von Best und Jahr kann man sich daher anschließen: „Selbst wenn wir die die Konzentration aufwärts mobiler Abgeordneter in Betracht ziehen, lässt sich festhalten, dass parlamentarische Karrieren in der Regel auf die Ebene beschränkt bleiben, auf der sie begonnen wurden und dass auf jeder Ebene die große Mehrheit der Parlamentsneulinge zum ersten Mal ein parlamentarisches Mandat ausübt.“ (Best/Jahr 2006: 72)
Allerdings muss man bei derartigen Schlüssen Vorsicht walten lassen. Sowohl die aktuellen Landespolitiker als auch ihre Kollegen in Berlin sind nicht zwangsläufig auf eine Ebene festgelegt. Dies bedeutet, dass die vorangegangene Überprüfung lediglich als eine Momentaufnahme anzusehen ist. Einige Karrierepolitiker im Sample können in der Zukunft noch einen Ebenenwechsel vor sich haben. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass unter den 81 jungen Abgeordneten in der Kontrastgruppe lediglich eine Politikerin war, die bereits einen Ebenenwechsel hinter sich hatte. Die Linkspartei-Abgeordnete und stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping wurde 1999 im Alter von 21 Jahren Mitglied des Sächsischen Landtages. 2005 zog sie als Spitzenkandidatin der LinksparteiLandesliste Sachsen in den Bundestag ein. Tabelle 67 kombiniert die beiden bislang vorgestellten Typologien. Dabei lassen sich erwähnenswerte Häufigkeitsverteilungen beobachten. Die CrossOver-Karriere findet man überdurchschnittlich häufig unter den Landespolitikern. 18,5 Prozent der Landespolitiker weisen dieses Muster auf, in der Gesamt230
gruppe sind dies nur 12,7 Prozent. Offensichtlich gelingt der Sprung aus einer Führungsposition im privaten Beruf in eine politische Leitungsfunktion leichter auf Landes- als auf Bundesebene. Tabelle 67: Kombination zweier Typenmodelle
Cross Over Karriere
Karrieretypen nach Herzog
Reine PolitKarriere StandardKarriere Gesamt
Anzahl % vom Ebenentyp Anzahl % vom Ebenentyp Anzahl % vom Ebenentyp Anzahl % vom Ebenentyp
reiner Bundespolitiker 1 3,6
Typen nach Systemebene reiner EbenenLandeswechsler politiker 15 1 18,5
Gesamt 17
4,0
12,7
2
11
6
19
7,1
13,6
24,0
14,2
25
55
18
98
89,3
67,9
72,0
73,1
28
81
25
134
100,0
100,0
100,0
100,0
Der Grund ist einmal mehr in der vergleichsweise häufig zu beobachtenden Berufung von Experten ohne nennenswerte Stellung in der Parteihierarchie zu sehen. In einer Landesregierung können diese Fachleute ohne „Stallgeruch“ eher berücksichtigt werden, als beispielsweise in den oft hart umkämpften Bundesministerien. Die reine Polit-Karriere ist ein relativ häufig vorkommender Karrieretyp unter den Ebenenwechslern. 24 Prozent der Spitzenpolitiker mit Erfahrungen auf Landes- und Bundesebene folgen dem Herzogschen Typ der reinen politischen Karriere, in der Gesamtgruppe trifft dies lediglich auf 14,2 Prozent zu. Führt man sich nochmals vor Augen, dass Politiker dieses Typs sehr früh ihre Karriere starten, kann dies womöglich eine Erklärung liefern. Diese Politiker haben schlichtweg mehr Zeit, um nach der Etablierung auf einer Ebene des politischen Systems noch auf einer anderen Ebene tätig zu werden. So ist zum Beispiel denkbar, dass engagierte Jungpolitiker zunächst über den Weg der Parteijugendorganisationen einen aussichtsreichen Listenplatz und damit ein Landtagsmandat erobern. Nach einer möglichen Profilierung auf Landesebene können sie frei werdende Direktmandate für den Bundestag angreifen. Das dominierende Muster unter den reinen Bundespolitikern ist das der Standard-Karriere. Bei knapp 90 Prozent der Bundespolitiker lässt sich dieser Karrieretyp konstatieren (im Vergleich zu 73,1 % unter allen Spitzenpolitikern). Der Karrierepfad in die
231
Bundespolitik scheint fest etabliert zu sein und ist offensichtlich in einem hohen Maß durch eine klar bestimmbare Sequenz von Ämtern und Positionen gekennzeichnet.
6.4 Eine neue Typologie politischer Karrieren Die Analyse der beiden Typenmodelle der vorangegangenen beiden Abschnitte brachte interessante Erkenntnisse über die Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker. Allerdings weisen auch diese beiden Versuche einer Typenbildung eine Schwäche auf. Sie heben zu sehr auf eine spezielle Stufe der Karriereleiter ab, den Übergang vom privaten Beruf in die Berufspolitik. Diese Kritik wurde im Abschnitt 6.1 bereits gegenüber den Modellen von Borchert/Stolz und Golsch geäußert, lässt sich aber teilweise auch auf das Typenmodell von Herzog übertragen. Dagegen ist die Einteilung nach Bundes- und Landespolitiker bzw. Ebenenwechsler zu grob, sie blendet einige elementare Details politischer Karriereverläufe aus. So erhellend vorangegangene Typenmodelle auch sein mögen, restlos überzeugen können auch sie nicht. Was bisher in allen Typenmodellen fehlt, ist eine vollständige Betrachtung politischer Karrieren von ihrem Beginn bis zum Höhepunkt unter Berücksichtigung aller Sprossen der Karriereleiter. Wenn man die einzelnen Bestandteile einer politischen Laufbahn kennt, lässt sich daraus eine Musterkarriere skizzieren. Wenn dies erfolgt ist, können Spitzenpolitiker danach eingeteilt werden, ob ihr persönlicher Verlauf ins allgemeine Raster einer politischen Spitzenlaufbahn in Deutschland passt. Gesucht wird daher im Folgenden nach konventionellen und unkonventionellen Spitzenkarrieren. Bei diesem ambitionierten Ansatz kommt es entscheidend auf die Operationalisierung einer konventionellen Karriere an. Tabelle 68 gibt die Operationalisierung konventioneller Karrieren wieder. Sie ist das Ergebnis eines sowohl deduktiven als auch induktiven Vorgehens. Es wurden Variablen aufgegriffen, die bei der Analyse der Strukturmuster politischer Karriereverläufe als besonders bedeutend identifiziert wurden. Bei den Ausprägungen der Variablen wurde zum einen die empirische Häufigkeitsverteilung beobachtet, zum anderen flossen auch theoretische Erwägungen in die Festlegung ein. Am Beispiel der ersten Variable „Alter beim Parteieintritt“ lässt sich diese Vorgehensweise veranschaulichen. Das Parteieintritts-Merkmal wurde im Kapitel fünf als eine Kernvariable identifiziert, da es einerseits als Ausdruck eines subjektiven Karriereinteresses interpretiert werden kann und andererseits ein Indikator für die Geschwindigkeit politischer Laufbahnen ist. Wirft man einen Blick auf die Häufigkeitsverteilung, stellt man fest, dass knapp drei Viertel der
232
Spitzenpolitiker bis zum 30. Lebensjahr Mitglied werden. Als Grenze wurde jedoch das 27. Lebensjahr festgelegt, da bis zu diesem Zeitpunkt die Schul- und Hochschulbildung der Politiker in der Regel abgeschlossen sein dürfte und der Eintritt ins Berufsleben erfolgt. Zudem fand bereits Herzog heraus, dass der Eintritt in die Partei und damit die politische Aktivierung eines späteren Spitzenpolitikers relativ früh und oft in der Phase der Ausbildung geschieht. Tabelle 68: Operationalisierung konventioneller Karrieren Phasen einer Spitzenlaufbahn
Merkmale und Ausprägungen
Politische Aktivierung
Politische Bewährung
Politische Professionalisierung
Parlamentarische Bewährung
Politische Spitzenfunktion
Variable
Alter bei Parteieintritt
Kommunalpolitik
Alter beim Wechsel in die Berufspolitik
Mandat vor der Spitzenposition
Alter bei erster Spitzenfunktion
Ausprägung
unter 27 Jahre
ja
35 Jahre und älter
ja
über 40 Jahre
Variable
Alter beim ersten Parteiamt
Mitgliedschaft Jugendorganisation
Dauer der beruflichen Tätigkeit vor Cross Over
Parlamentarische Führungsfunktion
__
Ausprägung
unter 32 Jahre
ja
4 Jahre oder länger
ja
__
Es wird darüber hinaus angenommen, dass sich die Politiker nach dem Eintritt um Parteiämter bewerben. Als Grenze wurde ein Zeitraum von fünf Jahren angesetzt. Dies unterstreicht den Gedanken der Ochsentour. Die Spitzenpolitiker müssen den beschwerlichen Weg durch Ämter und Funktionen in ihrer Partei auf sich nehmen. Zu einer konventionellen Karriere gehört demnach, dass Politiker nach spätestens fünf Jahren ihre erste parteiinterne Funktion übernehmen. Der konventionelle Politiker sollte daher bei diesem Karriereschritt nicht älter als 32 Jahre sein. Bei dieser und den folgenden vier Phasen muss eine der beiden Variablen erfüllt sein, damit die Phase insgesamt als durchlaufen angesehen werden kann. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass konventionelle Karrieren die Phase einer politischen Bewährung beinhalten. Dies kann in Form des Engagements in der Kommunalpolitik oder in Gestalt einer verstärkten Betätigung in den Par-
233
teijugendorganisationen geschehen. Mittelfristig dient dies auch dazu strategische Parteiämter – nämlich die des Kreisvorsitzenden der Partei oder des Mitglieds im Landesvorstand – einzunehmen, welche wiederum Individuen entweder in Mandatsnähe bringen oder nach erfolgreicher Mandatsübernahme der lokalen Absicherung der eigenen Machtposition oder der Vorbereitung eines weiteren parteiinternen Aufstiegs dienen. Der Aspekt des Hochdienens wird als erfüllt betrachtet, wenn der Politiker oder die Politikerin Mitglied eines kommunalen Vertretungsorgans war („kommunalpolitische Schiene“) oder sich in der Parteijugendorganisation engagierte („Parteinachwuchs-Schiene“). Zu einer konventionellen Karriere gehört ebenfalls, dass die spätere politische Elite zunächst im privaten Beruf Erfahrungen sammelt und die Politik anfangs als zweite, parallel zum Beruf verlaufende Karriere betrieben wird. Dies wird dadurch deutlich, dass Politiker bei dem Wechsel in die Berufspolitik, also der Phase der individuellen politischen Professionalisierung, nicht zu den allerjüngsten zählen. Als Grenze wird das 35. Lebensjahr angenommen. Zur Vorstellung einer politischen Karriere als einer zweiten Laufbahn kann man auch zählen, dass spätere Top-Politiker zum Zeitpunkt des Cross Overs in die Berufspolitik länger in einem privaten Beruf tätig waren. Als Zeitraum wird hier die Dauer einer Legislaturperiode auf Bundesebene zu Grunde gelegt. Ein konventionelles Karrieremuster geht demnach von einer privatberuflichen Betätigung von mindestens vier Jahren aus. Eine konventionelle Karriere beinhaltet zudem eine Phase der parlamentarischen Bewährung. Spitzenpolitiker des konventionellen Typs hatten demnach ein Mandat auf Landes-, Bundes- oder europäischer Ebene inne, ehe sie in eine politische Spitzenposition aufstiegen. Viele Spitzenpolitiker übernahmen darüber hinaus parlamentarische Führungspositionen, die entweder selbst bereits zu den Spitzenfunktionen des politischen Systems zählten oder die den Positionsinhaber in die Nähe einer exekutiven Spitzenfunktion führten. Die Phase der Elitenrekrutierung und der Sprung auf eine hochrangige Polit-Funktion kennzeichnen die letzte Phase einer Spitzenlaufbahn. Mit dem Gedanken des langsamen, stufenweisen Aufstiegs geht die Annahme einher, dass Personen bei der ersten hochrangigen Position eine gewisse Seniorität aufweisen werden. Im Rahmen dieses Typenmodells wird vermutet, dass es eher außergewöhnlich wäre, wenn die Berufung an die Spitze des politischen Systems vor dem 40. Lebensjahr erfolgen würde. Tabelle 69 gibt an, wie hoch der Anteil der Spitzenpolitiker ist, die die Merkmale der fünf Karrierephasen erfüllen. Insgesamt betrachtet fallen die hohen Werte in allen fünf Phasen auf. Am geringsten ist der Prozentsatz bei der Aktivierungsphase. Knapp 71 Prozent der deutschen Spitzenpolitiker waren beim Eintritt in die politische Partei höchstens 27 Jahre alt oder haben das erste partei-
234
interne Amt bis zum 32. Lebensjahr übernommen. Den höchsten Wert findet man in der Phase der individuellen politischen Professionalisierung. Knapp 86 Prozent der hochrangigen Politiker der Bundesrepublik waren beim Sprung in die bezahlte Politik mindestens 35 Jahre alt oder waren mindestens vier Jahre im privaten Beruf tätig, ehe sie Berufspolitiker wurden. Auch die Phasen der politischen (81,3 %) sowie der parlamentarischen Bewährung (82,1 %) und der Rekrutierung auf eine politische Spitzenfunktion (78,4 %) sind durch hohe Anteile gekennzeichnet. Tabelle 69: Konventionelle Karrieren bei deutschen Spitzenpolitikern Phasen einer Spitzenlaufbahn Politische Aktivierung
Politische Bewährung
Politische Professionalisierung
Bei Parteieintritt 27 Jahre oder jünger
Kommunalpolitik: ja
Alter beim Wechsel in die Berufspolitik: 35 Jahre oder älter
Beim ersten Parteiamt unter 32 Jahre
Mitglied der Jugendorganisation: ja
n
95
109
Dauer der Tätigkeit im privaten Beruf: 4 Jahre oder länger 115
%
70,9
81,3
85,8
Merkmale
Anteil der Spitzenpolitiker, die eines der Merkmale der Phase erfüllen
Parlamentarische Bewährung
Politische Spitzenfunktion Alter bei Mandat vor erster der SpitSpitzenzenposition: funktion: 40 ja Jahre oder älter Parlamentarische Führungsfunktion: ja
__
110
105
82,1
78,4
Anteil der Spitzenpolitiker, die Merkmale aller fünf Phasen erfüllen („Konventionelle Karrieren“): 36,3 %
Ordnet man nun alle Spitzenpolitiker, welche die Merkmale aller Karrierephasen erfüllen, dem Typ der konventionellen Karriere zu, ergibt sich ein Anteil von 36,3 Prozent. Angesichts der hohen Werte der einzelnen Phasen erscheint dieser Wert beim ersten Hinsehen als gering. Allerdings sollte man diesen Wert aus mehreren Gründen nicht unterschätzen. Zum einen muss man die Zahl vor dem Hintergrund der Komplexität einer politischen Karriere sehen. Trotz der vielen gefundenen Muster und Ähnlichkeiten in politischen Karriereverläufen können auf dem Weg nach ganz oben viele Unwägbarkeiten, Rückschläge oder Zufälle
235
auftreten. Wenn man davon ausgeht, dass jede Karriere in irgendeiner Form ein singuläres Phänomen ist, erscheint es doch beachtlich, dass mehr als jeder dritte Spitzenpolitiker exakt die gleichen Phasen einer Karriere mit den damit verbundenen Stationen durchläuft. Zum anderen muss man sich vor Augen führen, dass dieses Typenmodell bei der Operationalisierung sehr restriktiv vorging. Es wurden zur Typenbildung keine empirisch kaum fassbaren „Gummi-Variablen“ benutzt, sondern klare, exakt definierte Grenzen der Ausprägungen elementarer Karrierevariablen. Es gibt einen weiteren Grund dafür, dass der Anteil konventioneller Karrieren im Vergleich zu den hohen Anteilen der Spitzenpolitiker, die einzelne Karrierephasen durchlaufen haben, geringer ist. Es wurde bereits thematisiert, dass viele ostdeutsche Spitzenpolitiker keine typischen Karriereverläufe hinter sich haben. Die besonderen Umstände der Wiedervereinigung und der damit verbundene Elitenaustausch sind bis heute messbar. Vergleicht man den Anteil konventioneller Karrieren in Ost- und Westdeutschland, so kommt man zu dem Ergebnis, dass dieser Karrieretyp in den westdeutschen Ländern (38 %) häufiger beobachtbar ist als in den ostdeutschen Ländern (32 %). Enorme Unterschiede treten zwischen den Parteien auf. Während konventionelle Karrieren beispielsweise in der SPD bei 44,4 Prozent der Spitzenpolitiker zu finden sind, liegt der Anteil konventioneller Karrieren unter den grünen TopPolitikern bei mageren 7,7 Prozent. Darüber hinaus scheinen Männer eher konventionelle Karriereverläufe aufzuweisen als ihre weiblichen Kollegen. 43,2 Prozent der Männer lassen sich diesem Karrieretyp zuordnen, während dies bei den weiblichen Spitzenpolitikern nur 20,5 Prozent sind. Woher kommt der hohe Anteil unkonventioneller Karrieren bei Frauen, ließe sich nun fragen. Sieht man sich die weiblichen Spitzenpolitiker mit ungewöhnlichen Karriereverläufen genauer an, treten einige größere Subgruppen zutage. So befinden sich darunter Spitzenpolitikerinnen, die man als Quereinsteigerinnen bezeichnen kann. Die bereits angesprochene NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter gehört dazu ebenso wie die parteilose Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck. Ein weiterer Teil der Spitzenpolitikerinnen hat in dem Sinne eine ungewöhnliche Karriere hinter sich, dass sie die politische Laufbahn erst zu einem vergleichsweise späten Stadium starteten, in der Regel nach der Erziehung der Kinder. Bei diesem Personenkreis fehlen gelegentlich einige Elemente einer Ochsentour. Ein typisches Beispiel ist die Vorsitzende des Ausschusses für Tourismus im Deutschen Bundestag, die CSU-Politikerin Marlene Mortler. Sie konzentrierte sich zunächst auf ihren Beruf als Landwirtschaftsmeisterin auf dem elterlichen Hof und zog drei Kinder groß. Erst im Alter von 34 Jahren wurde sie Mitglied der CSU, ein Jahr später zog sie in den Kreistag ein. Sie engagierte sich im Bauernverband und übernahm dort Spitzenfunkti-
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onen. 1997 wurde sie erste stellvertretende Landesbäuerin. Aus dieser Funktion heraus schaffte sie 2002 den Sprung in den Bundestag. In diesem und weiteren Fällen fehlt häufig ein starkes innerparteiliches Engagement. Zudem ist bei einigen Frauen der Beginn der Politik-Laufbahn im Vergleich zu den Männern zeitlich nach hintern verlagert. Einen völlig anderen Weg schlagen weibliche Highflyer ein. Ein Musterbeispiel dafür ist die Umweltministerin Baden-Württembergs Tanja Gönner. Sie wurde 1986 im Alter von 17 Jahren Mitglied der Jungen Union, engagierte sich dort in vielen Funktionen bis hin zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Mit diesen hohen JU-Funktionen im Rücken wurde sie 2001 im Alter von 32 Jahren CDU-Kreisvorsitzende und zog ein Jahr später in den Bundestag ein. Bereits nach zwei Jahren holte sie Erwin Teufel nach Baden-Württemberg zurück und ernannte sie im Jahr 2004, wenige Tage vor ihrem 35. Geburtstag zur Sozialministerin. Eine derartige Turbo-Karriere kann man wohl zu Recht als unkonventionell bezeichnen. Einem weiteren Personenkreis kann man ebenfalls das Etikett „ungewöhnliche Karrieren“ anheften. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die parlamentarische Erprobungsphase überspringen und direkt in ein exekutives Spitzenamt wechseln. Bekannte Beispiele sind die bayerische Justizministerin Beate Merk und die rheinland-pfälzische Arbeits- und Sozialministerin Malu Dreyer. Beide Politikerinnen waren als (Ober-)Bürgermeisterinnen hauptamtlich in der Kommunalpolitik tätig und wurden aus dieser Position heraus ohne vorheriges Parlamentsmandat in die Landesregierung berufen. Diese Beispiele zeigen auch, dass die Typenbildung nach konventionellen und unkonventionellen Karrieren durchaus trägt. Aufgrund ihrer Komplexität müsste sie jedoch einem noch umfangreicheren Praxistest unterzogen werden. Die Fallzahlen sind für die Fülle von Variablen, die in das Modell eingingen, schlichtweg zu klein. Eine breiter angelegte Spitzenpolitiker-Befragung wäre demnach zur Überprüfung der Tragfähigkeit der Typologie unerlässlich.
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7. Zur Debatte über die Professionalisierung der Politik
Bereits in der Einleitung wurde darauf verwiesen, dass die Untersuchung der Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker einen Beitrag zur Debatte über das Thema „Professionalisierung der Politik“ leisten kann. Diese wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen Forschern, die der Politik den Professionsstatus absprechen (Best, Wiesendahl), und anderen, die der Politik den Charakter einer Profession zubilligen oder sie als „äußerst prekäre Profession“ (Borchert 2003: 167) ansehen, wurde in Abschnitt 2.2 nachgezeichnet. Ein wichtiges Detail dieser unterschiedlichen Sichtweisen auf den Professionsstatus der Politik ist die Frage nach der Existenz etablierter Karrieremuster. Der Argumentation von Borchert folgend kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass klar definierte Karriereverläufe eine strukturelle Voraussetzung für das Vorliegen einer Profession sind. Diese Ansicht teilen Best und Jahr. Für sie ist der Beruf des Politikers keine Profession, sondern ein „prekäres Beschäftigungsverhältnis“ (Best/Jahr 2006: 79). Die beiden Autoren kommen zu diesem Schluss, da die Politik in ihren Augen unscharf in der Bestimmung „der qualifikatorischen Voraussetzungen und des Karriereverlaufs“ (Best/Jahr 2006: 79) sei. Nach der intensiven Beschäftigung mit den Laufbahnen deutscher Spitzenpolitiker muss man diese These anzweifeln. Die vorangegangene Analyse brachte klare qualifikatorische Voraussetzungen politischer Karrieren ans Tageslicht. An erster Stelle ist dabei sicher das Bildungsniveau der Spitzenpolitiker zu nennen. Ein Studium, unabhängig vom Inhalt, scheint eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche politische Laufbahn zu sein. 93 Prozent der politischen Positionselite haben ein abgeschlossenes Studium, in der Gruppe der zum Befragungszeitpunkt unter 45-Jährigen haben 100 Prozent erfolgreich studiert. Auch die Zahlen in der Kontrastgruppe der jüngeren Abgeordneten weisen in diese Richtung. Ob die Existenz einer faktischen Zulassungsvoraussetzung in Form eines abgeschlossenen Studiums an der gestiegenen Komplexität der Politik oder an der mit dem Hochschulabschluss verbundenen Kompetenzvermutung liegt, sei an dieser Stelle dahingestellt. Dass man dagegen vor Beginn einer Spitzenkarriere in Deutschland in der Regel studiert haben sollte, steht offensichtlich außer Zweifel. Eine zweite grundlegende Voraussetzung ist die Mitgliedschaft in
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einer politischen Partei. Über 98 Prozent der deutschen Spitzenpolitiker sind Mitglied einer Partei, nur eine handvoll Spitzenpolitiker tragen als parteilose Minister in Landesregierungen Verantwortung. An der Parteimitgliedschaft führt daher offensichtlich kein Weg vorbei. Allein mit diesen beiden Merkmalen schrumpft der Kreis potentieller Spitzenpolitiker. Nicht-Mitglieder und Personen ohne hohen formalen Bildungsgrad schaffen es offensichtlich nur in Einzelfällen in die höchsten Sphären der Politik. Parteien sind offensichtlich nicht nur in der Hinsicht von Bedeutung, dass sie quasi als Etikett für eine erfolgreiche Laufbahn benutzt werden. Sie nehmen im gesamten Rekrutierungsprozess eine dominierende Rolle ein, wie in den vorangegangenen Abschnitten deutlich gezeigt werden konnte. Die politischen Parteien sind ein Äquivalent zu den Berufs- oder Standesorganisationen, deren Existenz die Wissenschaft als Merkmal einer Profession ansieht. Die Ergebnisse dieser Arbeit stützen diese These und geben auch der Ansicht Herzogs Recht, der den Parteien ein Oligopol beim Zugang zu hauptamtlichen politischen Positionen unterstellt (vgl. Herzog 1975: 184). Nicht-Mitglieder werden in der Regel vom Wettbewerb um Ämter und Mandate ausgeschlossen. Die Parteien sind die wichtigsten Instrumente zur Selektion und zur Schließung des Marktes (Geißel/Edinger/Pähle 2004: 40). Das entscheidende Argument für die Betrachtung der Politik als Profession muss jedoch in der Existenz klarer Karrieremuster gesehen werden. Wie Kapitel 5 und 6 zeigen konnten, ist zwar mehr oder weniger jede einzelne politische Spitzenlaufbahn ein singuläres Ereignis, dessen Verlauf man nicht vorherbestimmen kann. Allerdings ähneln sich politische Karrieren in Deutschland im Aggregat sehr stark und folgen bestimmten Karrieremustern. Diese Muster kann man – wie in Kapitel 6 geschehen – sogar zu einem Karrieretyp zusammenfassen. Ausdruck dieser konventionellen Karrieren ist die so genannte Ochsentour, die als generelles Aufstiegsmuster empirisch nachgewiesen werden konnte. Dies hat grundlegende Folgen für die Debatte über die Professionalisierung der Politik, steht doch im Mittelpunkt der kritischen Stimmen der Vorwurf, es gäbe keine standardisierte Ausbildung zum Berufspolitiker. Die Ergebnisse dieser Arbeit weisen in eine andere Richtung. Die Ochsentour mit den Phasen der Lehrzeit in verschiedenen innerparteilichen und kommunalpolitischen Funktionen ist das Äquivalent zu einer vorgeschriebenen Berufsausbildung. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die politische Karriere als die spezielle Form der Ausbildung für Berufspolitiker (vgl. Herzog 1975: 45) anzusehen ist. Das über die Karriere vermittelte Spezialwissen ist das Rüstzeug für spätere Spitzenpolitiker. Ein Engagement in den Jugendorganisationen der Partei, in lokalen und regionalen Parteifunktionen oder in der Kommunalpolitik sowie die parlamentarische Erprobungsphase bilden den Ersatz für eine formelle, zertifizierte Berufsausbil-
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dung. Dazu sind weitere Merkmale von Professionen gegeben. Die Berufspolitik ist eine dauerhafte und bezahlte Vollzeittätigkeit, womit eines der grundlegenden Merkmale des Katalogs von Wilensky (vgl. Wilensky 1964) erfüllt ist. Zudem wurde in zahlreichen Studien belegt, dass es unter Berufspolitikern neben den existierenden Verhaltensregeln der Parlamente auf Bundes- und Landesebene weitergehende gemeinsame Überzeugungen und Einstellungen zur Amtsausübung gibt, die man in der Gesamtheit sehr wohl als ethischen Kodex oder Berufsethik auffassen kann. Da Fragen zur Amtsausübung und zum Rollenverständnis nicht Gegenstand der Untersuchung waren, konnte dies empirisch allerdings nicht verifiziert werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Berufspolitik viele Merkmale einer Profession trägt. Sie unterscheidet sich zwar von den klassischen Professionen wie den Ärzten oder den Juristen, hat aber bei den entscheidenden Variablen funktionale Äquivalente. Als kontrollierende Berufsverbände fungieren die politischen Parteien, an die Stelle einer standardisierten Ausbildung tritt die Ochsentour als spezieller Ausbildungsgang für Berufspolitiker.
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8. Berufswunsch: Spitzenpolitiker – Eine Anleitung
Es ist durchaus ein kühnes Unterfangen, die bisherigen gefundenen Rekrutierungsmuster und Typen politischer Karriereverläufe so zu verallgemeinern, dass dadurch eine Anleitung oder ein Leitfaden für Personen entsteht, die sich gerne einmal „Spitzenpolitiker“ nennen würden. Nach der tiefgehenden Analyse ist jedoch der Boden bereitet, ein Rezept für erfolgreiche politische Karrieren zu schreiben. Allerdings muss diesem Vorhaben ein Caveat vorausgeschickt werden, mit dem sich jeder Forscher konfrontiert sieht, der seine Aussagen auf eine begrenzte Zahl beobachteter Fälle stützt. Lange formuliert dies so: „Die Annahme, daß je höher der Grad an Regelmäßigkeiten ist, um so geringer die Wahrscheinlichkeit der Zufälligkeit solcher Karrieregemeinsamkeiten wird, kann letztendlich aufgrund auch der zahlenmäßigen Begrenztheit des samples nicht als wissenschaftlich verifiziert, doch als tendenziell richtig bestätigt werden.“ (Lange 1973: 135; Hervorhebung im Original)
Nichtsdestoweniger sollen in diesem zusammenfassenden Kapitel der Arbeit die zentralen Ergebnisse so aufbereitet werden, dass sie aus der Sicht eines Nachwuchspolitikers als eine Handlungsanweisung angesehen werden können. Dabei bleibt jedoch stets zu beachten, dass nicht jeder Hinweis, den man aufgrund der Untersuchung ausschließlich erfolgreicher Karrieren geben kann, zwangsläufig für den Einzelnen zum Ziel führen muss. Was im Aggregat auf Berufspolitiker zutrifft, muss für den einzelnen Jungpolitiker vor Ort womöglich nicht zwingend effektiv sein. Zudem muss man vorsichtig sein, allen Jungpolitikern ein ausgebildetes Karriereinteresse zu unterstellen. Obwohl dies für die folgende Anleitung getan wird, ist davon auszugehen, dass sich Karriereambitionen womöglich erst bei einer späteren Stufe der Karriereleiter herausbilden. Darüber hinaus wurde bereits darauf verwiesen, dass nur bedingt von den Karriereverläufen junger Abgeordneter auf deren weiteren politischen Lebensweg geschlossen werden kann. Die Gefahr des vollständigen Scheiterns oder des Verbleibs auf den hinteren Abgeordnetenbänken der Parlamente ist jeder politischen Karriere wesensimmanent. Trotz dieser Einschränkungen bieten die Untersuchungsergebnisse die Möglichkeit, einige Abkürzungen auf dem „Weg nach ganz oben“ aufzuzeigen, Stolpersteine zu identifizieren, Sackgassen oder Einbahnstrassen auszumachen und die richtigen Schritte zur richtigen Zeit vorzuschlagen. Die Anleitung wird sich
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dabei grob am Phasenmodell des 5. Kapitels orientieren, sie ist demzufolge weitestgehend chronologisch angelegt. Rolle des Elternhauses und politische Sozialisation Ist der Weg nach ganz oben bereits verbaut, wenn man aus einer völlig unpolitischen Familie kommt? Die Untersuchungsergebnisse liefern für diese These keine Hinweise. Zwar hat die Familie aufgrund starker emotionaler Verflechtungen und ihrer frühen Position im Sozialisationsprozess einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Allerdings werden in dieser Phase eher allgemeine Normen vermittelt, die den Referenzrahmen für (spätere) politische Orientierungen liefern. Im Nachhinein berichten zwar zwei Drittel der Spitzenpolitiker, dass Gespräche über Politik eine sehr wichtige oder wichtige Rolle gespielt haben. Dennoch kann der elterliche Sozialisationseinfluss im Hinblick auf politische Karrieren als beschränkt eingestuft werden. Zudem sollte sich kein karriereinteressierter Jungpolitiker davon abschrecken lassen, wenn die Eltern nicht politisch aktiv waren. Man kennt zwar in der politischen Landschaft einige bekannte Beispiele politischer Familien, jedoch gaben in der Untersuchungsgruppe zwei Drittel der Spitzenpolitiker an, dass kein Elternteil politisch aktiv war. Bildung Bei dem Thema Bildung und Beruf kann man dagegen karrierewilligen Personen durchaus einige Ratschläge geben. Wer später in der Politik reüssieren will, sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass dazu ein hohes formales Bildungsniveau notwendig ist. 91 Prozent der Spitzenpolitiker und 94 Prozent der Jungpolitiker haben Abitur. Die Hochschulreife ist allerdings nur ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen. 93 Prozent der deutschen Spitzenpolitiker können ein abgeschlossenes Studium vorweisen. Demnach ist ein Hochschulabschluss eine fast unabdingbare Voraussetzung für eine spätere Spitzenlaufbahn. Eine Promotion ist zudem wohl nützlich. Rund 30 Prozent der Spitzenpolitiker führen einen Doktortitel. Nun könnte man sich die Frage stellen, welche Fächer man am besten studieren sollte, um später politisch erfolgreich zu sein. Während früher die Antwort auf diese Frage wohl „Jura“ gelautet hätte, legen die Untersuchungsergebnisse einen anderen Ratschlag nahe. Zwar sind nach wie vor 30 Prozent der politischen Spitze in Deutschland Juristen, allerdings kann von einem Juristenmonopol keine Rede sein. Unter den hochrangigen Politikern finden sich zahlreiche Wirtschafts-, Sozial-, Geistes- oder Naturwissenschaftler – wenn auch der Juristenanteil unter exekutiven Top-Politikern höher ist als bei legislativen Spitzen. Insgesamt scheint eher die Tatsache von Bedeutung zu sein, dass man studiert hat, als die Frage, was der Schwerpunkt des Studiums war.
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Parteimitgliedschaft Parteizugehörigkeit ist „Minimalkriterium für Ministrable“ (Lange 1973: 147). Daher führt am Beitritt kein Weg vorbei. Jedoch bleibt zu klären, welcher Partei man beitreten soll, und wann der geeignete Zeitpunkt ist. Oft ist womöglich die Wahl der eigenen Partei eine Entscheidung mit nur wenigen Freiheitsgraden. Eine politische Färbung im Elternhaus oder im Bekanntenkreis wird in der Regel bei der Auswahl der Partei nicht ohne Folgen bleiben. Die Frage nach dem Parteieintritt ist keine strikt rationale. Äußerst selten werden Individuen aus einem Karriereinteresse heraus Parteimitglied – auch dies hat die Befragung ergeben. Wenn man sich tatsächlich strikt rational verhalten würde und die politische Couleur nicht ausschlaggebend wäre, müsste man noch auf gewisse Feinheiten bei der Parteienwahl achten. So haben offensichtlich Frauen bei den Grünen, der Linkspartei und – mit Abstrichen – bei der SPD bessere Chancen als bei den Unionsparteien und der FDP. Bei den erstgenannten Parteien sind sogar mehr Frauen als Männer in Spitzenpositionen zu finden, bei den C-Parteien liegt die Frauenquote in politischen Spitzenpositionen bei ca. 20 Prozent. Nicht ganz außer Acht lassen sollte man auch die Konfession. Konfessionslose sind bei den beiden christlich geprägten Parteien noch immer die absolute Ausnahme, sie dominieren jedoch bei den Bündnisgrünen und den Linken. Generell haben Union und SPD mehr Spitzenpolitiker in ihren Reihen als die kleineren Parteien. Allerdings ist die Zahl der Mitglieder und wohl auch der Karrierewilligen und damit der Konkurrenten in diesen beiden Parteien größer. Kann man einen Ratschlag geben, wann der beste Zeitpunkt für den Parteibeitritt ist? Die Untersuchung legt tatsächliche eine Antwort nahe, nämlich „möglichst früh“. Korreliert man das Alter bei Parteieintritt mit dem Alter beim Wechsel in die Berufspolitik und dem Alter bei der Berufung auf die erste Spitzenposition, erhält man starke positive Zusammenhänge. Früh übt sich – mit diesen Worten könnte man diese Ergebnisse interpretieren. Wer möglichst schnell Berufspolitiker werden will und auch früh ein Spitzenamt in der Bundesrepublik anstrebt, sollte bereits früh Mitglied einer Partei werden. Je älter Personen bei diesem Schritt sind, desto älter werden sie auch bei den beiden wichtigen Sprossen der Karriereleiter sein. Im Durchschnitt wurden die deutschen Spitzenpolitiker mit 27,1 Jahren Parteimitglied. Vergleicht man dies mit der Kontrastgruppe der Jungparlamentarier werden enorme Unterschiede deutlich. Die jungen MdBs und MdLs waren bereits mit durchschnittlich 19,7 Jahren Parteimitglied.
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Beruf So einfach Ratschläge beim Thema Parteieintritt waren, so schwierig sind sie bei der Frage nach geeigneten Berufen, um später Spitzenpolitiker zu werden. Zunächst kann man festhalten, dass ohne berufliche Basis kaum ein Weg an die Spitze des politischen Systems führt. Lediglich drei der 134 Spitzenpolitiker im Sample waren von Beginn ihres Berufslebens an in bezahlten politischen Tätigkeiten. Auf diese Karte zu setzen, scheint mehr als gewagt zu sein. Blickt man auf die sektorale Herkunft der Spitzenpolitiker, kann man ambitionierten Jungpolitikern verschiedene geeignete Berufssektoren nennen. Über 22 Prozent der deutschen Spitzenpolitiker wechselten aus dem Bereich „Wissenschaft, Bildung, Medien“ in die hauptamtliche Politik. Aus der Verwaltung schafften dies knapp 18 Prozent, knapp 16 Prozent waren es beim Sektor Justiz, 13 Prozent wechselten aus Positionen in der Wirtschaft in die Politik. Ein dominierender beruflicher Sektor lässt sich daher kaum ausmachen. Vielmehr scheint die von Max Weber proklamierte Abkömmlichkeit bedeutsam zu sein. Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes oder Freiberufler scheinen einen aussichtsreichen beruflichen Hintergrund für das Cross Over in die Berufspolitik zu haben. Beim Beruf kann man zwei unterschiedliche Strategien einschlagen. Viele Politiker, die Herzogs Karrieretyp der reinen Polit-Karriere entsprechen, sind nur kurz im privaten Beruf tätig, häufig sogar in einem Beruf mit großer Politiknähe. Ein anderer Teil dieser „young professionals“ versucht bereits während der Phase des Referendariats oder der Promotion ein Mandat zu erobern. Der größte Teil der Spitzenpolitiker betreibt nach wie vor Politik zunächst als eine zweite Karriere, neben der beruflichen Laufbahn. Erst nach einer länger andauernden privatberuflichen Phase, die von der Übernahme immer höherer Parteiämter und kommunalpolitischer Mandate begleitet wird, erfolgt der Wechsel in die Berufspolitik. Die erste Strategie führt mit größerer Wahrscheinlichkeit schneller zum Ziel, die zweite ist dagegen die sicherere, risikoaverse Variante. Parteilaufbahn Parteien sind die „Gatekeeper“ im Rekrutierungsprozess. Neben der reinen Mitgliedschaft in einer Partei müssen ambitionierte Personen den Aufstieg innerhalb ihrer Partei in Angriff nehmen. Bis auf die politischen Quereinsteiger müssen sich alle Personen mit dem Berufswunsch Spitzenpolitiker zunächst innerhalb ihrer Partei bewähren. In der Arbeit konnte die innerparteiliche Ochsentour empirisch nachgewiesen werden. Es gilt der Grundsatz: Je höher die angestrebte Position in einer Partei ist, desto länger benötigt man, um diese zu erreichen. Karrierepolitiker sollten daher möglichst rasch nach Parteieintritt die ersten Vorstandsämter auf Orts- oder Kreisebene übernehmen. Ein Drittel der Spitzen-
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politiker trat von Anfang an oder spätestens nach einem Jahr das erste Parteiamt an. Im Schnitt vergehen in der Gruppe der Spitzenpolitiker 5,7 Jahre zwischen Eintritt in die Partei und der Übernahme eines Amtes. Die jungen Abgeordneten bekleiden ihr erstes Parteiamt nach durchschnittlich 2,1 Jahren. Bei den Volksparteien CDU, CSU und SPD markiert die Orts- oder Stadtverbandsebene oft den Einstieg in die Parteihierarchie. Bei den kleineren Parteien ist dies oft die Kreis- oder Unterbezirksebene, gelegentlich auch die Landesebene. Die Ochsentour nimmt ihren Ausgangspunkt auf lokaler Ebene. Im Schnitt sind spätere Spitzenpolitiker bereits ein halbes Jahr nach Parteieintritt Mitglied im Ortsvorstand, der Sprung auf den Vorsitzendenposten auf Kreis- oder Unterbezirksebene dauert dagegen durchschnittlich 8,6 Jahre. Erst nach 10 Jahren erreichen die Spitzenpolitiker die Landesebene und übernehmen eine Position im Landesvorstand. Gerade die letzten beiden Positionen sollten engagierte Politiker ins Visier nehmen. Die vorliegende Untersuchung identifizierte die Position des Kreis- oder Unterbezirksvorsitzenden und die Mitgliedschaft im Landesvorstand der Partei als strategische Parteipositionen. Dies konnte an mehreren Indikatoren festgemacht werden. Den Kreisvorsitz der Partei hatten 40 Prozent der politischen Top-Elite Deutschlands inne, was zweifelsohne für die enorme Beliebtheit und Bedeutung dieser Position spricht. Mitglied im Landesvorstand waren sogar 41 Prozent aller Spitzenpolitiker. Diese beiden strategischen Parteiämter werden rund 10 Jahre und damit sehr lange ausgeübt, was ihr Gewicht zusätzlich unterstreicht. Die Spitzenpolitiker sind sich des strategischen Charakters dieser Ämter bewusst. Befragt nach der Existenz ebensolcher Ämter, wurden überdurchschnittlich häufig diese beiden Funktionen genannt. Der Grund für den strategischen Charakter der beiden Funktionen liegt auf der Hand. Der Kreisvorsitz sichert seinem Positionsinhaber die Kontrolle der lokalen Selektoren, die über die zu verteilenden (Direkt-)Mandate entscheiden, und er ist zudem mit einem hohen Bekanntheitsgrad verbunden. Blickt man auf den rechtlichen Rahmen der Kandidatenaufstellung zu Wahlen, fällt der Kreisebene eine wichtige Rolle zu. Man könnte die Bedeutung der Funktionen auf diesen Punkt bringen: Der sicherste Weg in ein Direktmandat führt über das Amt des Kreis- oder Unterbezirksvorsitzenden. Dagegen ist ein Sitz im Landesvorstand vor allem für die Nominierung der Landeslisten der Parteien interessant. Ein mit dem Sitz im Landesvorstand verbundener hoher Bekanntheitsgrad auf Landesebene rückt einen sicheren Listenplatz in Reichweite. Die Bedeutung von parteiinternen Ämtern bleibt jedoch nicht auf die Stufe des Wechsels in die Berufspolitik beschränkt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Führungsgremien der Partei auf Landes- und Bundesebene für Spitzenpolitiker quasi ein Muss sind:
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„Die Führungsgremien der Parteien auf Bundesebene haben sich zu Prüfstätten parteipolitischer Zuverlässigkeit und damit zu einer Plattform und einem Sammelpunkt von Ministrablen entwickelt. Die Wahl in den Bundesvorstand der Partei ist eine Vorstufe zu einer möglichen Ministerernennung geworden.“ (Lange 1973: 150)
Wer also von einer Ministerlaufbahn träumt, muss zunächst den Sprung auf die Landes- oder Bundesebene der Partei schaffen. Umgekehrt zeigen zahlreiche Beispiele, dass der (gewollte oder ungewollte) Verlust dieser Ämter oft das Ende einer Spitzenkarriere bedeuten kann. Ein Parteiwechsel zum Zwecke der Beschleunigung der eigenen Karriere ist dagegen nicht ratsam. Auch wenn Oskar Lafontaine bewiesen hat, dass der Wechsel der politischen Heimat nicht immer das Ende der politischen Karriere bedeuten muss, kann man daraus keine generelle Regel ableiten. Unter den Spitzen- und Nachwuchspolitikern finden sich nur sehr wenige Parteiwechsler. Die „karrierebedingte Loyalitätsverstärkung“ zur eigenen Partei (Herzog 1975: 66) scheint doch deutlich zu greifen. Jugendorganisationen und andere Arbeitsgemeinschaften Wenn also strategische Parteiämter existieren, stellt sich die Frage, wie ein junger ambitionierter Politiker diese erreichen kann. An dieser Stelle schließt sich ein weiterer Ratschlag an: Der Weg über die Jugendorganisationen der Parteien. Eines der zentralen Ergebnisse dieser Arbeit ist, dass die Bedeutung der Parteijugend in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist und womöglich noch weiter an Bedeutung gewinnt. Die Jugendverbände der im Bundestag vertretenden Parteien sind eindeutig ein wichtiges Karriereinstrument. Dies wurde allein dadurch deutlich, dass knapp 60 Prozent der Spitzenpolitiker Mitglieder der Jugendorganisationen waren. Dieser Wert ist umso höher einzuschätzen, da sich für viele Spitzenpolitiker diese Karriereoption nicht bot. Die „Grüne Jugend“ etablierte sich erst Mitte der 90er Jahre und stand den grünen Spitzenpolitikern daher als Karrierevehikel nicht zur Verfügung. Die überwiegende Zahl ostdeutscher Spitzenpolitiker konnte ebenfalls keine Erfahrungen in politischen Jugendverbänden sammeln – sieht man einmal von einzelnen FDJ-Karrieren ab. Zudem wirkten sich die Spaltung der Jungdemokraten und der Linkskurs der Jusos eher nachteilig aus. Viele Spitzenpolitiker waren darüber hinaus nicht nur einfache Mitglieder, sondern in der Regel in führenden Funktionen in der Parteijugend tätig. Die Gruppe der heutigen Spitzenpolitiker ist – vor allem in den Unionsparteien – ein wahres Sammelbecken ehemaliger hochrangiger Funktionäre der Jugendorganisationen. Unter den jungen Abgeordneten grenzt der Anteil mit Hintergrund in den Jugendverbänden an die 100 Prozent. Die einzige Ausnahme bildet (noch) die 248
Linkspartei, deren Jugendverband „Linksjugend ['solid]“ sich derzeit noch in der Konsolidierungsphase befindet. Die Jugendorganisationen sind aus mehreren Gründen in einem hohen Maße karriererelevant. Sie führen einen Großteil der Nachwuchsriege der Parteien an die Mutterpartei heran. 40 Prozent der Spitzenpolitiker waren zuerst Mitglied der Parteijugend und wurden dann im Anschluss Mitglied der Mutterpartei. Zudem bietet der Aufstieg in der Jugendorganisation auch Möglichkeiten, in der Mutterpartei an Profil zu gewinnen. Die weit verbreiteten ex-officio-Mitgliedschaften der Vorsitzenden der Jugendverbände im Vorstand der Referenzpartei können die Ochsentour in der eigenen Partei beschleunigen. Überregionale Spitzenämter in den Jugendverbänden können zudem auch den Ausschlag für einen aussichtsreichen Listenplatz geben. Viele Spitzenpolitiker und noch mehr junge Abgeordnete verdanken ihr erstes Mandat dem überregionalen Engagement in der Parteijugend. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass bei der Frage nach der subjektiven Bedeutung der Parteijugend viele Befragte angaben, die Betätigung in der Parteijugend sei für die eigene Karriere unabdingbar gewesen. Neben den Jugendorganisationen existieren freilich noch andere Arbeitsgemeinschaften und Gruppierungen innerhalb der Parteien, darunter die vergleichsweise bedeutsamen Frauenorganisationen. Diesen unterschiedlichen Zusammenschlüssen kann man zwar nicht die gleiche Karriererelevanz wie den Jugendverbänden zuschreiben, sie können aber sehr wohl für einzelne Personen den Ausschlag für eine Nominierung geben. Daher kann hier der Ratschlag nur lauten, das parteiinterne Profil durch eine kontinuierliche und öffentlichkeitswirksame Betätigung in den innerparteilichen Gruppierungen zu schärfen. Weniger öffentlichkeitswirksam, dagegen unter Umständen hoch effektiv, sind eher informelle parteiinterne Netzwerke. Sollte man als karriereinteressierter Jungpolitiker die Möglichkeit bekommen, in einen „Andenpakt“ oder andere Seilschaften aufgenommen zu werden, sollte man nicht lange zögern. Kommunalpolitik Wer nach oben will, muss sich zunächst unten bewähren. Dies trifft nicht nur auf die Parteihierarchie zu, sondern im gleichen Ausmaß auch auf die Kommunalpolitik. Eine Ausbildung in der „Schule der Politik“ muss man allen Karrierepolitikern daher dringend nahe legen. Ämter in der Kommunalpolitik gelten als Vorstufe für höhere Ränge der Staatsorganisation. Fast zwei Drittel der deutschen Spitzenpolitiker haben diesen Karriereschritt hinter sich. Vor allem in den bürgerlichen Parteien (CDU, CSU, FDP) finden sich überdurchschnittlich viele ehemalige oder noch amtierende Kommunalpolitiker. Auch die Nachwuchspolitiker scheinen die Bedeutung der kommunalen Ebenen erkannt zu haben. 67 Prozent der Jungparlamentarier haben in ihrer Karriere bereits ein kommunales 249
Mandat errungen. Die kommunalpolitischen Ämter dienen offensichtlich zwei Zielen. Zum einen steigern sie den Bekanntheitsgrad des einzelnen Politikers vor Ort. Sie sichern ihm zusätzlich auch den Zugriff auf die lokalen Selektoren. Daher kann es nicht überraschen, dass sowohl Spitzen- als auch Nachwuchspolitiker häufig nicht nur einfache Mitglieder der kommunalen Vertretungsorgane sind, sondern in diesen Gremien auch Führungspositionen (zum Beispiel den Vorsitz der Fraktion) übernehmen. Zudem behalten sie den Sitz in Gemeinde-, Stadtrat oder im Kreistag auch ausgesprochen lange bei, im Schnitt knapp 10 Jahre. Der Beginn des kommunalpolitischen Engagements wurde in Beziehung zum Wechsel in die Berufspolitik gesetzt. Im Schnitt werden Spitzenpolitiker 5,5 Jahre vor dem Sprung in bezahlte politische Tätigkeiten Kommunalpolitiker. Die Kommunalpolitik ist daher eindeutig eine nicht zu unterschätzende Sprosse auf der Karriereleiter, die Übernahme kommunaler Ämter ist daher allen Karrierewilligen dringend zu empfehlen. Wechsel in die Berufspolitik Früher oder später kommt in jeder politischen Spitzenlaufbahn der Punkt der individuellen politischen Professionalisierung. Der ehrenamtliche Politiker wechselt in die bezahlte Politik und lebt forthin „von der Politik“. Sieht man von Quereinsteigern ab, die beispielsweise direkt in eine Landesregierung berufen werden, geschieht dies meist in Form der Übernahme eines Mandats. Selten führt der Karriereweg über bezahlte kommunale Positionen in die Spitzenpolitik. Für drei Viertel der Spitzenpolitiker ist ein Mandat auf Bundes-, Landes- oder Europaebene die erste bezahlte politische Tätigkeit. Innerhalb ihrer Partei sind spätere Spitzenpolitiker bei diesem Karriereschritt in der Regel im Kreis-, Bezirks- oder Landesvorstand tätig, sehr häufig in den bereits erwähnten strategischen Parteipositionen. Der Altersschnitt beim Cross Over liegt in der Gruppe der Spitzenpolitiker bei 39,3 Jahren. Dies beweist erneut, dass hauptberufliche Politik in der Regel eine zweite Karriere nach einer erfolgreichen Laufbahn im privaten Beruf ist. Bei den Jungparlamentariern erfolgt der Wechsel im Alter von 27,3 Jahren. Wenn eine Phase im Berufsleben außerhalb der Politik vorgelegen hat, ist diese sehr kurz. Der Beginn der hauptberuflichen Politik ist häufig der „point of no return“ für den Einzelnen. Das Cross Over ist eine der entscheidenden Stationen einer Spitzenkarriere. In einem Modell der individuellen politischen Professionalisierung wurde versucht, beschleunigende Faktoren zu entdecken. Der frühe Parteieintritt, die frühe Übernahme eines Parteiamts, die Mitgliedschaft in der Jugendorganisation in der Partei und ein Engagement in Führungsfunktionen der Parteijugend sind die wichtigsten dieser Faktoren. Wer also an einem schnellen Aufstieg interessiert ist, sollte sich daran orientieren.
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Parlamentarische Erprobungsphase und Berufung in Spitzenpositionen Der sicherste und planbarste Weg in ein politisches Spitzenamt der Bundesrepublik Deutschland führt über die Parlamente. Zum einen wurden einige legislative Funktionen selbst als Top-Positionen angesehen, zum anderen sind Regierungsämter häufig nur nach einer parlamentarischen Erprobungsphase erreichbar. Ähnlich der Ochsentour durch lokale Funktionen in der Partei und ehrenamtlichen Positionen konnte auch innerhalb des Parlaments eine Karriereleiter nachgewiesen werden. Mit durchschnittlich gut 38 Jahren schafften Spitzenpolitiker in Deutschland den Sprung in ein Parlament. Sie waren in der Mehrzahl nie einfache Hinterbänkler, sondern übten zahlreiche Führungspositionen aus. Am häufigsten wurde die Position des fachpolitischen Sprechers eingenommen. Diese ist für die Parlamentarier auf den verschiedenen Ebenen des Systems von erheblicher Bedeutung. Sie vertreten ihr Themengebiet im Namen der Fraktion gegenüber der Öffentlichkeit, was zur eigenen Profilschärfung genutzt werden kann. Die „Lautsprecher“ (von Oertzen 2006: 151) sind die Informationsschaltstelle der Fraktion und bilden eine wichtige Sprosse der parlamentsinternen Karriereleiter. Wer sich im Parlament schnell einen Namen machen will, sollte den Sprecherposten in einem interessanten und öffentlichkeitswirksamen Themengebiet anstreben. Erledigt man diese Aufgaben zur Zufriedenheit der Fraktionsführung und wird im Wahlkreis überzeugend wieder gewählt, kann man mit höheren Weihen im Parlament rechnen. Die nächsten Stufen in der Fraktionshierarchie wären die des parlamentarischen Geschäftsführers oder des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Diese Positionen sind wie die des Fraktionsvorsitzenden bereits als politische Spitzenfunktionen anzusehen. Sie sind darüber hinaus jedoch auch eine hervorragende Ausgangsposition, um in exekutive Spitzenämter zu gelangen. Funktionen in der Regierung auf Bundes- und Landesebene sind offensichtlich die Krönung einer politischen Spitzenkarriere in einem parlamentarischen Regierungssystem. Dies wurde unter anderem auch bei der Frage nach den politischen Wunschpositionen deutlich. Inhaber eines Regierungsamtes auf Bundesoder Landesebenen sahen diese Positionen als ihre Wunschposition an. Viele Legislativpolitiker äußerten dagegen den Wunsch, in die Regierungsmannschaft aufzusteigen. Dass der Sitz auf der Regierungsbank auch als ein Ziel- und Endpunkt interpretiert werden kann, lässt sich auch am Alter der Politiker ablesen. Mit durchschnittlich 48 Jahren erobern die deutschen Spitzenpolitiker ihr erstes Regierungsamt. Es schließt sich die Frage an, auf welchem Weg man nun in eine derartige Position gelangen kann. Hier sollte man zwischen der Bundes- und Landesebene unterscheiden. Blickt man auf die Vorpositionen der Regierungsmitglieder des Bundes, scheint der Karriereweg über eine Bewährungsphase im Bundestag der gängigste zu sein. 52 Prozent des Regierungspersonals rekrutiert 251
sich aus dem Bundesparlament, ein Drittel aller Minister stammt aus dem Führungspersonal im Bundestag. Der zweite häufig beschrittene Karrierepfad führt über ein Ministeramt auf Landes- in ein Regierungsamt auf Bundesebene. Hier zeigen sich die Besonderheiten des deutschen Föderalismus, der die Landesebene zu einem wichtigen Rekrutierungsreservoir macht. Knapp 30 Prozent der Regierungsmitglieder seit 1994 waren zuvor Minister auf Landesebene. Nur selten findet eine externe Rekrutierung ohne vorheriges Mandat oder Amt statt. Bei den Ministerpräsidenten, Landesministern, Senatoren und politischen Staatssekretären auf Ebene der Länder bot sich ein überraschendes Bild. Knapp 45 Prozent des Regierungspersonals auf Landesebene wurden extern rekrutiert. Die Gründe wurden in Abschnitt 5.7 ausführlich diskutiert und sind unter anderem in den Besonderheiten der Wiedervereinigung zu sehen. Eine externe Rekrutierung ist kaum planbar, daher sollten sich ambitionierte Landespolitiker mit Ziel „Landesregierung“ auf die Arbeit in den Landesparlamenten konzentrieren. Knapp 40 Prozent aller Landesregierungsmitglieder war zuvor in einer Führungsposition im Landtag tätig. Darüber hinaus kann man Personen, die sich ein Ministerpräsidentenamt zum Ziel gesetzt haben, auf Basis der Forschungsergebnisse einige Ratschläge geben. Das beste Sprungbrett für angehende Ministerpräsidenten ist der Sitz in einer Landesregierung, darunter sehr häufig das Innenoder Finanzressort. Ein weiterer Meilenstein an die Spitze eines Bundeslandes ist die Landeslegislative, dabei sehr häufig das Amt eines Fraktionsvorsitzenden in einem Landesparlament. Hier sind empirisch zwei verschieden Rollen auffindbar. Entweder schaffen es Fraktionsvorsitzende, als „Kronprinz“ eines scheidenden Ministerpräsidenten zu gelten, oder ihnen gelingt als „Oppositionsführer“ die (feindliche) Übernahme des Ministerpräsidentenstuhls. Ein Amt zu erringen ist eine Sache, es über längere Zeit auch zu behaupten dagegen eine andere. Daher muss sich noch ein weiterer wichtiger Ratschlag anschließen. Gegen das Votum der Wählerinnen und Wähler kann auch die beste Karrierestrategie nichts ausrichten, gegen parteiinterne Rivalen dagegen durchaus. Auf dem Weg nach ganz oben ist es für alle ambitionierten Politiker von Bedeutung, in wichtige Netzwerke eingebunden zu sein. Auf den unteren bis mittleren Sprossen der Karriereleiter darf man den Einfluss und die Kontrolle der lokalen Selektoren für Ämter und Mandate nicht verlieren. Funktionen auf den unteren Stufen der Parteihierarchie und womöglich sogar die kommunalpolitischen Ämter muss man solange ausüben, bis man gleichsam von der Basis nicht mehr gestürzt werden kann. Auch auf den höheren Ebenen der Politik bleibt die Partei ein wichtiges Karriereinstrument. Die Mitgliedschaft im Landes- oder Bundesvorstand ist unerlässlich. Zudem muss man innerhalb der Parlamentsfraktionen ein gutes „Standing“ haben. Dies sichert langfristig den Verbleib in legislativen Top-Positionen oder am Kabinettstisch.
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Abbildung 21: Durchschnittlicher Karriereverlauf deutscher Spitzenpolitiker 32,4 Jahre: Erstes kommunalkommunalpolitisches Amt
27,1 Jahre: Parteieintritt
25,8 Jahre: Erste haupthauptberufliche Betätigung
30,7 Jahre: Erstes Parteiamt
45,8 Jahre: Sprung auf die erste SpitzenSpitzenposition
39,3 Jahre: Cross over in die Berufspolitik
Abbildung 21 und Abbildung 22 fassen die wichtigsten Karriereschritte und die Altersmittelwerte bei deren Erreichung noch einmal grafisch zusammen. Abbildung 22: Durchschnittlicher Karriereverlauf bei jungen Abgeordneten 19,7 Jahre: Parteieintritt
24,6 Jahre: Erste haupthauptberufliche Betätigung
21,5 Jahre: Erstes Parteiamt
24,6 Jahre: Erstes kommunalkommunalpolitisches Amt
27,3 Jahre: Cross over in die Berufspolitik
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9. Fazit
Der Ausgangspunkt der Arbeit war die Frage, ob es im Prozess der Rekrutierung politischer Eliten in der Bundesrepublik immer wiederkehrende Muster gibt. Allein die Möglichkeit, eine Anleitung für Personen mit Berufsziel „Spitzenpolitiker“ zu schreiben (vgl. Kapitel 8), beweist die Existenz derartiger ‚patterns’. Auch wenn man als einzelner Politiker in vielen Situation Glück oder günstige Umstände auf seiner Seite haben muss und eine (Spitzen-)Karriere nicht im Detail geplant werden kann, so legen die umfangreichen empirischen Analysen doch den Schluss nahe, dass sich im Aggregat bestimmte Positionssequenzen wiederholen. Infolge der Rahmenbedingungen des politischen Systems, insbesondere der Stellung und des Aufbaus der politischen Parteien, verlaufen politische Karrieren nach ähnlichen Mustern. Dies geht soweit, dass man derartige Karrierestrukturen zu einem bestimmten Typ zusammenfassen kann. In Kapitel 6 wurde dies mit dem Typus der „konventionellen Karriere“ auch getan. Das Adjektiv konventionell bringt die Quintessenz der Untersuchung auf den Punkt. Es existiert keine formal fixierte Laufbahnordnung oder ein Regelwerk. Dennoch scheint es im politischen System der BRD einen Konsens darüber zu geben, wie man sich von den unteren Rängen der Politik bis an die Spitze arbeiten kann. Als zentraler Bestandteil konventioneller Karrieren ist sie die häufig zitierte, aber selten empirisch nachgewiesene ‚Ochsentour’ das bestimmende Muster politischer Aufstiege in Deutschland. Sie wurde in all ihren Facetten dargestellt, in einem Phasenmodell analysiert und in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt. Mit dem Nachweis des langsamen, stufenweisen Aufstiegs in politische Spitzenämter belegt die Studie, dass sich im wesentlichen am typischen Verlauf politischer Spitzenkarrieren seit der umfassenden Analyse Dietrich Herzogs aus den späten sechziger Jahren nichts verändert hat. Im Gegensatz zu gelegentlich geäußerten Meinungen, es gäbe zunehmend ausschließlich politische Professionals ohne Berufserfahrungen außerhalb der Politik, konnte festgestellt werden, dass sich nach wie vor die politische Laufbahn als eine zweite Karriere nach und neben der im privaten Beruf entpuppt. Zudem bleiben politische Quereinsteiger unter Deutschlands Spitzenpolitiker eine seltene Ausnahme, wenn man von einigen durch die Besonderheiten des Zusammenbruchs der DDR geprägte Laufbahnen von Spitzenpolitikern ostdeutscher Herkunft absieht.
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Die Arbeit orientierte sich am Analyseinstrumentarium Herzogs. Sie griff nicht nur in weiten Teilen auf Herzogs karrieretheoretischen Forschungsansatz zurück, sie verglich zudem seine Daten mit den Karriereverläufen aktueller Spitzenpolitiker. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Herzogs Analyserahmen noch immer angewendet werden kann, auch wenn sich einzelne Elemente der „structure of opportunities“ womöglich verändert haben, zum Beispiel die zu Lasten der Legislative gehende Exekutivdominanz oder auch die veränderte Rolle politischer Parteien. Auch wenn dies vereinzelt Anhänger des Konzepts der politischen Klasse anders beurteilen, so kann sein Analyseschema nach 40 Jahren noch immer Grundlage einer umfassenden Untersuchung sein. Auch die zentralen Ergebnisse Herzogs sind nach vier Jahrzehnten keineswegs veraltet, wie bereits erwähnt. Vielmehr stehen die hier vorgelegten Ergebnisse in einer erstaunlichen Kontinuität zu Herzogs Werk. Analog zu Herzog schloss die Untersuchung die Karriereverläufe junger Abgeordneter ein. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Nachwuchspolitiker offensichtlich die Konventionen im Zusammenhang mit politischen Aufstiegsprozessen kennen, ihre Laufbahnen unterscheiden sich kaum von denen ihrer Vorgänger. Ein Unterschied liegt offensichtlich darin, dass der Beginn politischer Karrieren im Lebenszyklus weiter nach vorne rückt und der Karrierepfad über die Jugendorganisationen der Parteien an Bedeutung gewinnt. Bei den Jung-Parlamentariern trat ein Problem des Untersuchungsdesigns zu Tage. Die Laufbahnen der jungen Abgeordneten konnten nur bedingt mit den Karrieren der Spitzenpolitiker verglichen werden. Es handelt sich um ‚zensierte Daten’. Die weitere Zukunft der Nachwuchspolitiker ist ungewiss, nicht jeder wird den Sprung an die Spitze des politischen Systems schaffen, worunter die Vergleichbarkeit leidet. Zudem könnte man tiefer gehende Einsichten über Karriereverläufe in der Politik gewinnen, wenn man in der Analyse auch gescheitere Karrieren und die Gründe der Erfolglosigkeit mit einbeziehen würde. Die vorliegende Studie stützte sich ausschließlich auf erfolgreiche Karrieren. Sie kann daher auch keine Aussagen darüber treffen, wie hoch der Anteil gescheiterter Karrieren ist. Zudem hatte die Arbeit an einigen Stellen das grundlegende Problem zu geringer Fallzahlen. Um das vorgelegte Phasen-Modell und das Typen-Modell noch genauer zu testen, müsste dieses Instrumentarium als Grundlage einer breiter angelegten Befragung dienen. Dies würde in einem größeren Umfang den Einsatz komplexer statistischer Analyseverfahren erlauben, was in vorliegender Untersuchung nicht immer möglich war. Obwohl die Rücklaufquote keineswegs enttäuschte, reichte gelegentlich die begrenzte Zahl vorliegender Spitzenkarrieren nicht aus, um Unterschiede zwischen verschiedenen Teilgruppen des Samples zufrieden stellend herauszuarbeiten.
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Darüber hinaus konnten in dem umfangreichen postalischen Fragebogen nur wenige Fragen zur subjektiven Einschätzung des eigenen Karriereverlaufs und politischer Karrieren im Allgemeinen gestellt werden. Als Ergänzung zu den vorgefundenen Karrieremustern wäre eine ausreichende Zahl qualitativer Interviews hilfreich gewesen. Sie konnten jedoch im Rahmen dieser Studie nicht realisiert werden. Die Desiderata liegen daher auf der Hand. Zum einen könnte eine erneute Untersuchung mit ähnlicher Vorgehensweise und einem größeren Abstand zur deutschen Wiedervereinigung der Frage nachgehen, ob sich politische Spitzenkarrieren noch mehr dem konventionellen Karrieretyp annähern. Zwar wurde aus vielen Erwägungen heraus auf eine getrennte Betrachtung von Ost- und Westkarrieren verzichtet. Die ungewöhnlichen Karriereverläufe in der Transitionsphase nach der Implosion der DDR hinterlassen jedoch nach wie vor Spuren im Gesamtbild politischer Laufbahnen. Zum anderen sollte neben der Erfassung reiner Karrierestrukturvariablen zusätzlich in face-tot-face-Interviews subjektive Einschätzung über politische Karriereverläufe in Deutschland erhoben werden. Eine breite angelegt Untersuchung, die neben gescheiterten Karrieren auch erfolgreiche, aber bereits beendete Spitzenlaufbahnen umfasst, könnte das Problem geringer Beobachtungsfälle minimieren. Über politische Karrieren muss daher weiter geforscht werden. Nichtsdestoweniger hat die vorliegende Studie einige wichtige wissenschaftliche Befunde im Hinblick auf die Rekrutierung politischen Spitzenpersonals in Deutschland zu Tage gefördert. Sie ging in Teilen über die Arbeit Dietrich Herzogs hinaus und konnte beispielsweise mit der detaillierten Analyse parteiinterner Aufstiegsprozesse einige offensichtliche Forschungslücken schließen.
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10. Literaturverzeichnis
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274
Anhang
Anhang I: Die Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe (Stichtag: 1. März 2006)
16
Teilgruppe 1: Mitglieder der Bundsregierung Vorname Position Thomas Bundesminister für besondere Aufgaben Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und ReakGabriel Sigmar torsicherheit Glos Michael Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Jung Franz Josef Bundesminister der Verteidigung Merkel Angela Bundeskanzlerin Müntefering Franz Bundesminister für Arbeit und Soziales Schäuble Wolfgang Bundesminister des Innern Schavan Annette Bundesministerin für Bildung und Forschung Schmidt Ulla Bundesministerin für Gesundheit Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Seehofer Horst Verbraucherschutz Steinbrück Peer Bundesminister der Finanzen Steinmeier Frank-Walter Bundesminister des Auswärtigen Bundesminister für Verkehr, Bau und StadtentwickTiefensee Wolfgang lung Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Von der Leyen Ursula Jugend Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit Wieczorek-Zeul Heidemarie und Entwicklung Zypries Brigitte Bundesministerin der Justiz
Nr.
Name
1
Altmaier
2
Andres
3
Bergner
4
Böhmer
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Name De Maizière
Teilgruppe 2: Parlamentarische Staatssekretäre Vorname Position Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Peter Innern Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Gerd Arbeit und Soziales Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Christoph Innern Maria Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin
275
Nr. 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
276
Teilgruppe 2: Parlamentarische Staatssekretäre Vorname Position Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin Caspers-Merk Marion für Gesundheit Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Diller Karl Finanzen Erler Gernot Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen Gloser Günter Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Großmann Achim Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin Hartenbach Alfred für Justiz Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Hendricks Barbara Finanzen Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Hintze Peter Wirtschaft und Technologie Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Kasparick Ulrich Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Klug Astrid Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin Kortmann Karin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin Kues Hermann für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Müller Hildegard Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Müller Gerd Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Müller Michael Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Neumann Bernd Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Paziorek Peter Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Pflüger Friedbert Verteidigung Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin Rachel Thomas für Bildung und Forschung Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Roth Karin Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Schauerte Hartmut Wirtschaft und Technologie Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Schmidt Christian Verteidigung Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin Schwanitz Rolf für Gesundheit Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin Storm Andreas für Bildung und Forschung Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Thönnes Franz Arbeit und Soziales Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wöhrl Dagmar Wirtschaft und Technologie Name
13 14 15 16 17 18
Teilgruppe 3: Geschäftsführender Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Name Vorname Position Kauder Volker Vorsitzender Erster stv. Vorsitzender, Vorsitzender der CSURamsauer Peter Landesgruppe Bosbach Wolfgang Stv. Vorsitzender Meister Michael Stv. Vorsitzender Zöller Wolfgang Stv. Vorsitzender Falk Ilse Stv. Vorsitzende Schockenhoff Andreas Stv. Vorsitzender Friedrich Hans-Peter Stv. Vorsitzender Reiche Katherina Stv. Vorsitzende Vaatz Arnold Stv. Vorsitzender Röttgen Norbert Erster parlamentarischer Geschäftsführer Stellvertreter des Ersten parlamentarischen GeschäftsfühKoschyk Hartmut rers, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSULandesgruppe Krogmann Martina Parlamentarische Geschäftsführerin Grund Manfred Parlamentarischer Geschäftsführer Kaster Bernhard Parlamentarischer Geschäftsführer Gröhe Hermann Justitiar Götzer Wolfgang Justitiar Brunnhuber Georg Sprecher der CDU-Landesgruppen
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Teilgruppe 4: Geschäftsführender Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion Name Vorname Position Struck Peter Vorsitzender Ferner Elke Stv. Vorsitzende Hilsberg Stephan Stv. Vorsitzender Kelber Ulrich Stv. Vorsitzender Kolbow Walter Stv. Vorsitzender Körper Fritz Rudolf Stv. Vorsitzender Kressl Nicolette Stv. Vorsitzende Poß Joachim Stv. Vorsitzender Schwall-Düren Angelica Stv. Vorsitzende Stiegler Ludwig Stv. Vorsitzender Scholz Olaf Erster parlamentarischer Geschäftsführer Ernstberger Petra Parlamentarische Geschäftsführerin Gleicke Iris Parlamentarische Geschäftsführerin Küster Uwe Parlamentarischer Geschäftsführer Kumpf Ute Parlamentarische Geschäftsführerin
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
277
7 8 9 10 11 12
Teilgruppe 5: Vorstand der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag Name Vorname Position Gerhardt Wolfgang Vorsitzender Brüderle Rainer Stv. Vorsitzender Homburger Birgit Stv. Vorsitzende Hoyer Werner Stv. Vorsitzender Thiele Carl-Ludwig Stv. Vorsitzender LeutheusserSabine Stv. Vorsitzende Schnarrenberger Von Essen Jörg Parlamentarischer Geschäftsführer Koppelin Jürgen Parlamentarischer Geschäftsführer Burgbacher Ernst Parlamentarischer Geschäftsführer Mücke Jan Parlamentarischer Geschäftsführer Solms Hermann Otto Vizepräsident des Deutschen Bundestages Westerwelle Guido Bundesvorsitzender der FDP
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Teilgruppe 6: Vorstand der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag Name Vorname Position Gysi Gregor Vorsitzender Lafontaine Oskar Vorsitzender Höger-Neuling Inge Stv. Vorsitzende Ramelow Bodo Stv. Vorsitzender Binder Karin Frauenpolitische Sprecherin Enkelmann Dagmar Parlamentarische Geschäftsführerin Maurer Ulrich Parlamentarischer Geschäftsführer Lötzsch Gesine Stv. Vorsitzende Höll Barbara Stv. Vorsitzende Sitte Petra Stv. Vorsitzende Bunge Martina Stv. Vorsitzende Pau Petra Stv. Vorsitzende Knoche Monika Stv. Vorsitzende
Nr. 1 2 3 4 5 6
Teilgruppe 7: Vorstand der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag Nr. Name Vorname Position 1 Künast Renate Vorsitzende 2 Kuhn Fritz Vorsitzender 3 Beck Volker Erster parlamentarischer Geschäftsführer 4 Kurth Undine Parlamentarische Geschäftsführerin 5 Schewe-Gerigk Irmingard Parlamentarische Geschäftsführerin 6 Dückert Thea Stv. Fraktionsvorsitzende
278
Teilgruppe 7: Vorstand der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag Nr. Name Vorname Position 7 Loske Reinhard Stv. Fraktionsvorsitzender 8 Ströbele Hans-Christian Stv. Fraktionsvorsitzender 9 Trittin Jürgen Stv. Fraktionsvorsitzender 10 Sager Krista Stv. Fraktionsvorsitzende 11 Göring-Eckhardt Katrin Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Teilgruppe 8: Mitglieder des Bundestagspräsidium, sofern nicht im Fraktionsvorstand Nr. Name Vorname Position 1 Lammert Norbert Präsident des Deutschen Bundestages 2 Hasselfeldt Gerda Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages 3 Thierse Wolfgang Vizepräsident des Deutschen Bundestages 4 Kastner Susanne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Teilgruppe 9: Vorsitzende der ständigen Bundestagsausschüsse Vorname Position Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Strobl Thomas Geschäftsordnung Naumann Kersten Petitionsausschuss Polenz Ruprecht Auswärtiger Ausschuss Edathy Sebastian Innenausschuss Danckert Peter Sportausschuss Schmidt Andreas Rechtsausschuss Oswald Eduard Finanzausschuss Fricke Otto Haushaltsausschuss Bulmahn Edelgard Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Höhn Bärbel Verbraucherschutz Weiß Gerald Ausschuss für Arbeit und Soziales Merten Ulrike Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Griese Kerstin Jugend Bunge Martina Ausschuss für Gesundheit Lippold Klaus Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorBierwirth Petra sicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Däubler-Gemelin Herta Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikBurchardt Ulla folgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit Hoppe Thilo und Entwicklung Mortler Marlene Ausschuss für Tourismus Name
279
Nr. 21 22
Teilgruppe 9: Vorsitzende der ständigen Bundestagsausschüsse Vorname Position Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäiWissmann Matthias schen Union Otto Hans-Joachim Ausschuss für Kultur und Medien Name
1 2 3 4 5 6
Teilgruppe 10: Parteivorsitzende und Generalsekretäre mit Bundestagsmandat Name Vorname Position Pofalla Ronald Generalsekretär Heil Hubertus Generalsekretär Niebel Dirk Generalsekretär Roth Claudia Bundesvorsitzende Bisky Lothar Bundesvorsitzender Bartsch Dietmar Bundesgeschäftsführer
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Name Oettinger Stoiber Wowereit Platzeck Böhrnsen Von Beust Koch Ringstorff Wulff Rüttgers Beck Müller Milbradt Böhmer Carstensen Althaus
Nr.
Name
1
Stächele
2
Reinhardt
3
Rech
Nr.
280
Teilgruppe 11: Regierungschefs der Bundesländer Vorname Bundesland Günther Baden-Württemberg Edmund Bayern Klaus Berlin Matthias Brandenburg Jens Bremen Ole Hamburg Roland Hessen Harald Mecklenburg-Vorpommern Christian Niedersachsen Jürgen Nordrhein-Westfalen Kurt Rheinland-Pfalz Peter Saarland Georg Sachsen Wolfgang Sachsen-Anhalt Peter Harry Schleswig-Holstein Dieter Thüringen Teilgruppe 12: Landesminister und Senatoren Vorname Bundesland Position Minister des StaatsministeriWilli Baden-Württemberg ums und für europäische Angelegenheiten Minister und Bevollmächtigter Wolfgang Baden-Württemberg des Landes BadenWürttemberg beim Bund Heribert Baden-Württemberg Innenminister
Nr.
Name
4
Rau
5
Frankenberg
6
Pfister
7 8
Goll Stratthaus
9
Hauk
10
Stolz
11
Gönner
12
Sinner
13
Müller
14 15
Beckstein Merk
16
Goppel
17
Schneider
18
Faltlhauser
19
Huber
20
Schnappauf
21
Miller
22
Stewens
23
Wolf
24
Schubert
25
Böger
26
Flierl
27
Knake-Werner
Teilgruppe 12: Landesminister und Senatoren Vorname Bundesland Position Minister für Kultus, Jugend Helmut Baden-Württemberg und Sport Minister für Wissenschaft, Peter Baden-Württemberg Forschung und Kunst Wirtschaftsminister und Ernst Baden-Württemberg stellvertretender Ministerpräsident Ulrich Baden-Württemberg Justizminister Gerhard Baden-Württemberg Finanzminister Minister für Ernährung und Peter Baden-Württemberg Ländlichen Raum Ministerin für Arbeit und Monika Baden-Württemberg Soziales Tanja Baden-Württemberg Ministerin für Umwelt Staatsminister und Leiter der Eberhard Bayern Bayerischen Staatskanzlei Staatsministerin für BundesEmilia Bayern und Europaangelegenheiten Günther Bayern Staatsminister des Innern Beate Bayern Staatsministerin der Justiz Staatsminister für WissenThomas Bayern schaft, Forschung und Kunst Staatsminister für Unterricht Siegfried Bayern und Kultus Kurt Bayern Staatsminister der Finanzen Staatsminister für Wirtschaft, Erwin Bayern Infrastruktur, Verkehr und Technologie Staatsminister für Umwelt, Werner Bayern Gesundheit und Verbraucherschutz Staatsminister für LandwirtJosef Bayern schaft und Forsten Staatsministerin für Arbeit und Christa Bayern Sozialordnung, Familien und Frauen Bürgermeister und Senator für Harald Berlin Wirtschaft, Arbeit und Frauen Bürgermeisterin und Senatorin Karin Berlin für Justiz Senator für Bildung, Jugend Klaus Berlin und Sport Senator für Wissenschaft, Thomas Berlin Forschung und Kultur Senatorin für Gesundheit, Heidi Berlin Soziales und Verbraucherschutz
281
Nr. 28 29
Name Körting Sarrazin
30
Junge-Reyer
31 32 33 34
Schönbohm Blechinger Speer Junghanns
35
Ziegler
36
Woidke
37
Rupprecht
38
Wanka
39
Szymanski
40
Röwekamp
41
Kastendiek
42
Lemke
43
Röpke
44
Eckhoff
45
Nußbaum
46
SchnieberJastram
47
Dinges-Dierig
48
Nagel
49
Freytag
50
Uldall
51
Dräger
52 53 54
Peiner Kusch Von Welck
282
Teilgruppe 12: Landesminister und Senatoren Vorname Bundesland Position Ehrhardt Berlin Senator für Inneres Thilo Berlin Senator für Finanzen Senatorin für StadtentwickIngeborg Berlin lung Jörg Brandenburg Minister des Innern Beate Brandenburg Ministerin der Justiz Rainer Brandenburg Minister der Finanzen Ulrich Brandenburg Minister für Wirtschaft Ministerin für Arbeit, Soziales, Dagmar Brandenburg Gesundheit und Familie Minister für Ländliche EntDietmar Brandenburg wicklung, Umwelt und Verbraucherschutz Minister für Bildung, Jugend Holger Brandenburg und Sport Ministerin für Wissenschaft, Johanna Brandenburg Forschung und Kultur Minister für Infrastruktur und Frank Brandenburg Raumordnung Bürgermeister und Senator für Thomas Bremen Inneres und Sport Senator für Wirtschaft und Jörg Bremen Häfen Senator für Bildung und Willi Bremen Wissenschaft Senatorin für Arbeit, Frauen, Karin Bremen Gesundheit, Jugend und Soziales Senator für Bau, Umwelt und Jens Bremen Verkehr Ulrich Bremen Senator für Finanzen Senatorin für Soziales und Birgit Hamburg Familie und Zweite Bürgermeisterin Senatorin für Bildung und Alexandra Hamburg Sport Udo Hamburg Senator für Inneres Senator für Stadtentwicklung Michael Hamburg und Umwelt Senator für Wirtschaft und Gunnar Hamburg Arbeit Senator für Wissenschaft und Jörg Hamburg Gesundheit Wolfgang Hamburg Senator für Finanzen Roger Hamburg Senator für Justiz Karin Hamburg Senatorin für Kultur
Nr. 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
Teilgruppe 12: Landesminister und Senatoren Vorname Bundesland Position Kultusministerin und stellv. Wolff Karin Hessen Ministerpräsidentin Banzer Jürgen Hessen Minister der Justiz Minister des Inneren und für Bouffier Volker Hessen Sport Minister für Wissenschaft und Corts Udo Hessen Kunst Minister für Umwelt, ländl. Dietzel Wilhelm Hessen Raum und Verbraucherschutz Minister, Chef der StaatskanzGrüttner Stefan Hessen lei Lautenschläger Silke Hessen Ministerin für Soziales Minister für Wirtschaft, VerRhiel Alois Hessen kehr und Landesentwicklung Minister für Bundes- und Riebel Jochen Hessen Europaangelegenheiten Weimar Karlheinz Hessen Minister der Finanzen MecklenburgMinister für Umwelt und stv. Methling Wolfgang Vorpommern Ministerpräsident MecklenburgTimm Gottfried Minister des Innern Vorpommern MecklenburgSellering Erwin Minister der Justiz Vorpommern MecklenburgKeler Sigrid Ministerin der Finanzen Vorpommern MecklenburgEbnet Otto Minister für Wirtschaft Vorpommern Minister für Ernährung, MecklenburgBackhaus Till Landwirtschaft, Forsten und Vorpommern Fischerei HansMecklenburgMinister für Bildung, WissenMetelmann Robert Vorpommern schaft und Kultur MecklenburgMinister für Arbeit, Bau und Holter Helmut Vorpommern Landesentwicklung MecklenburgLinke Marianne Ministerin für Soziales Vorpommern Schünemann Uwe Niedersachsen Minister für Inneres und Sport Möllring Hartmut Niedersachsen Minister der Finanzen Ministerin für Soziales, FrauRoss-Luttmann Mechthild Niedersachsen en, Familie und Gesundheit Minister für Wissenschaft und Stratmann Lutz Niedersachsen Kultur Busemann Bernd Niedersachsen Minister für Kultus Ministerium für Wirtschaft, Hirche Walter Niedersachsen Arbeit und Verkehr HansMinisterium für den ländlichen Ehlen Niedersachsen Heinrich Raum, Ernährung, LandwirtName
283
Nr.
Name
Teilgruppe 12: Landesminister und Senatoren Vorname Bundesland Position schaft und Verbraucherschutz
81
HeisterNeumann
Elisabeth
Niedersachsen
Ministerin der Justiz
Sander
HansHeinrich
Niedersachsen
Minister für Umwelt
82 83
Pinkwart
Andreas
Nordrhein-Westfalen
84 85
Linssen
Helmut
Nordrhein-Westfalen
Thoben
Christa
Nordrhein-Westfalen
86
Wolf
Ingo
Nordrhein-Westfalen
87
Laumann
Karl-Josef
Nordrhein-Westfalen
88
Sommer
Barbara
Nordrhein-Westfalen
89
Wittke
Oliver
Nordrhein-Westfalen
90
MüllerPiepenkötter
Roswitha
Nordrhein-Westfalen
91
Uhlenberg
Eckhard
Nordrhein-Westfalen
92
Laschet
Armin
Nordrhein-Westfalen
93
Breuer
Michael
Nordrhein-Westfalen
94
Bauckhage
Hans-Artur
Rheinland-Pfalz
95
Bruch
Karl Peter
Rheinland-Pfalz
96 97
Mittler Mertin
Gernot Herbert
Rheinland-Pfalz Rheinland-Pfalz
98
Dreyer
Malu
Rheinland-Pfalz
99
Ahnen
Doris
Rheinland-Pfalz
100
Zöllner
Jürgen
Rheinland-Pfalz
101
Conrad
Margit
Rheinland-Pfalz
102
Rauber
Karl
Saarland
284
Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie, stellvertretender Ministerpräsident Minister der Finanzen Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie Minister des Innern Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales Ministerin für Schule und Weiterbildung Minister für Bauen und Verkehr Ministerin für Justiz Minister für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Minister des Innern und für Sport Minister der Finanzen Minister der Justiz Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit Ministerin für Bildung, Frauen und Jugend Minister für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur Ministerin für Umwelt und Forsten Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei
Nr. 103 104
Name Jacoby KrampKarrenbauer
105
Georgi
106
Hecken
107
Schreier
108
Mörsdorf
131
Winkler
132
Tillich
133 134 135 136
Orosz Mackenroth Metz Flath
137
Ludwig
138
Jurk
139
Buttolo
140
Robra
141
Jeziorsky
142 143
Becker Paqué
144
Kley
145
Olbertz
146
Rehberger
147
Wernicke
148
Daehre
149
Erdsiek-Rave
150
Döring
151
Austermann
152 153
Stegner Von Boetticher
Teilgruppe 12: Landesminister und Senatoren Vorname Bundesland Position Peter Saarland Minister der Finanzen Ministerin für Inneres, FamiAnnegret Saarland lie, Frauen und Sport Minister für Wirtschaft und Hanspeter Saarland Arbeit Minister für Justiz, Gesundheit Josef Saarland und Soziales Minister für Bildung, Kultur Jürgen Saarland und Wissenschaft Stefan Saarland Minister für Umwelt Staatsminister und Chef der Hermann Sachsen Staatskanzlei Staatsminister für Umwelt und Stanislaw Sachsen Landwirtschaft Helma Sachsen Staatsministerin für Soziales Geert Sachsen Staatsminister der Justiz Horst Sachsen Staatsminister der Finanzen Steffen Sachsen Staatsminister für Kultus Staatsministerin für WissenBarbara Sachsen schaft und Kunst Staatsminister für Wirtschaft Thomas Sachsen und Arbeit Albrecht Sachsen Staatsminister des Innern Staatsminister und Chef der Reiner Sachsen-Anhalt Staatskanzlei KlausSachsen-Anhalt Minister des Innern Jürgen Curt Sachsen-Anhalt Minister der Justiz Karl-Heinz Sachsen-Anhalt Minister der Finanzen Minister für Gesundheit und Gerry Sachsen-Anhalt Soziales JanSachsen-Anhalt Minister für Kultus Hendrik Minister für Wirtschaft und Horst Sachsen-Anhalt Arbeit Ministerin für Landwirtschaft Petra Sachsen-Anhalt und Umwelt Karl-Heinz Sachsen-Anhalt Minister für Bau und Verkehr Ministerin für Bildung und Ute Schleswig-Holstein Frauen Minister für Justiz, Arbeit und Uwe Schleswig-Holstein Europa Minister für Wissenschaft, Dietrich Schleswig-Holstein Wirtschaft und Verkehr Ralf Schleswig-Holstein Minister des Innern Christian Schleswig-Holstein Minister für Landwirtschaft,
285
Nr.
Name
Teilgruppe 12: Landesminister und Senatoren Vorname Bundesland Position Umwelt und ländliche Räume
154
Wiegard
Rainer
Schleswig-Holstein
155
Trauernicht
Gitta
Schleswig-Holstein
156 157 158
Diezel Goebel Gasser
Birgit Jens Karl-Heinz
Thüringen Thüringen Thüringen
159
Sklenar
Volker
Thüringen
160 161
Trautvetter Schliemann
Andreas Harald
Thüringen Thüringen
162
Zeh
Klaus
Thüringen
163
Reinholz
Jürgen
Thüringen
164
Wucherpfennig Gerold
Thüringen
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Teilgruppe 13: Vorsitzende der Fraktionen auf Landesebene Name Vorname Partei Bundesland Mappus Stefan CDU Baden-Württemberg Drexler Wolfgang SPD Baden-Württemberg Noll Ulrich FDP Baden-Württemberg Kretschmann Winfried Grüne Baden-Württemberg Herrmann Joachim CSU Bayern Maget Franz SPD Bayern Bause Margarete Grüne Bayern Dürr Sepp Grüne Bayern Zimmer Nicolas CDU Berlin Müller Michael SPD Berlin Liebich Stefan Linkspartei Berlin Lindner Martin FDP Berlin Klotz Sibyll Grüne Berlin Ratzmann Volker Grüne Berlin Baaske Günter SPD Brandenburg Lunacek Thomas CDU Brandenburg Kaiser Kerstin Linkspartei Brandenburg Hesselbarth Liane DVU Brandenburg Sieling Carsten SPD Bremen
286
Minister der Finanzen Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren Ministerin der Finanzen Minister für Kultus Minister des Innern Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt Minister für Bau und Verkehr Minister der Justiz Minister für Soziales, Familie und Gesundheit Minister für Wirtschaft, Technologie und Arbeit Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei
Nr. 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
Teilgruppe 13: Vorsitzende der Fraktionen auf Landesebene Name Vorname Partei Bundesland Perschau Hartmut CDU Bremen Linnert Karoline Grüne Bremen Reinert Bernd CDU Hamburg Neumann Michael SPD Hamburg Goetsch Christa Grüne Hamburg Wagner Christean CDU Hessen Walter Jürgen SPD Hessen Hahn Jörg-Uwe FDP Hessen Al-Wazir Tarek Grüne Hessen Schlotmann Volker SPD Mecklenburg-Vorpommern Jäger Armin CDU Mecklenburg-Vorpommern Gramkow Angelika Linkspartei Mecklenburg-Vorpommern McAllister David CDU Niedersachsen Jüttner Wolfgang SPD Niedersachsen Rösler Philipp FDP Niedersachsen Wenzel Stefan Grüne Niedersachsen Stahl Helmut CDU Nordrhein-Westfalen Kraft Hannelore SPD Nordrhein-Westfalen Löhrmann Sylvia Grüne Nordrhein-Westfalen Papke Gerhard FDP Nordrhein-Westfalen Mertes Joachim SPD Rheinland-Pfalz Böhr Christoph CDU Rheinland-Pfalz Kuhn Werner FDP Rheinland-Pfalz Thomas Ise Grüne Rheinland-Pfalz Hans Peter CDU Saarland Maas Heiko SPD Saarland Hartmann Christoph FDP Saarland Ulrich Hubert Grüne Saarland Scharf Jürgen CDU Sachsen-Anhalt Bullerjahn Jens SPD Sachsen-Anhalt Gallert Wulf Linkspartei Sachsen-Anhalt Wolpert Veit FDP Sachsen-Anhalt Hähle Fritz CDU Sachsen Porsch Peter Linkspartei Sachsen Weiss Cornelius SPD Sachsen Apfel Holger NPD Sachsen Zastrow Holger FDP Sachsen Hermenau Antje Grüne Sachsen Wadephul Johann CDU Schleswig-Holstein
287
Nr. 59 60 61 62 63 64 65
Teilgruppe 13: Vorsitzende der Fraktionen auf Landesebene Name Vorname Partei Bundesland Hay Lothar SPD Schleswig-Holstein Kubicki Wolfgang FDP Schleswig-Holstein Lütkes Anne Grüne Schleswig-Holstein Spoorendonk Anke SSW Schleswig-Holstein Lieberknecht Christine CDU Thüringen Hausold Dieter Linkspartei Thüringen Matschie Christoph SPD Thüringen
Anhang II: Die Zusammensetzung der Kontrastgruppe (Stichtag: 1. März 2006)
Nr.
Name
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Hofreiter Wissing Müller Dobrindt Nahles Stetten Dressel Roth Gutting Schwabe Wolff Berninger Mast Ulrich Deligöz Bülow Schröder Gerster Haibach Reichel Guttenberg Schick Meierhofer Friedrich
288
Junge Bundestagsabgeordnete (unter 35 Jahre bei der Bundestagswahl 2005) Vorname Partei Anton Volker Carsten Alexander Andrea Christian, Freiherr von Carl-Christian Michael Olav Frank Hartfrid Matthias Katja Alexander Ekin Marco Ole Martin Holger Maik Karl-Theodor, Freiherr zu Gerhard Horst Peter
Grüne FDP CDU CSU SPD CDU SPD SPD CDU SPD FDP Grüne SPD Linkspartei Grüne SPD CDU SPD CDU SPD CSU Grüne FDP SPD
Nr.
Name
25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Wegner Klöckner Pronold Carstensen Annen Döring Brand Mayer Winkler Mühlstein Leutert Bartol Scheuer Bonde Bätzing Bareiss Kretschmer Jung Golze Ackermann Raab Bettin Müller Dagdelen Schuster Wanderwitz Rix Gruß Schneider Bahr Korte Köhler Gehring Kipping Mantel Mißfelder Toncar Hirsch
Junge Bundestagsabgeordnete (unter 35 Jahre bei der Bundestagswahl 2005) Vorname Partei Kai Julia Florian Christian Niels Patrick Michael Stephan Josef Philip Marko Michael Sören Andreas Alexander Sabine Thomas Michael Andreas Diana Jens Daniela Grietje Stefan Sevim Marina Marco Sönke Miriam Carsten Daniel Jan Kristina Kai Katja Dorothee Philipp Florian Cornelia
CDU CDU SPD SPD SPD FDP CDU CSU Grüne SPD Linkspartei SPD CSU Grüne SPD CDU CDU CDU Linkspartei FDP CSU Grüne CSU Linkspartei FDP CDU SPD FDP SPD FDP Linkspartei CDU Grüne Linkspartei CSU CDU FDP Linkspartei
289
Junge Bundestagsabgeordnete (unter 35 Jahre bei der Bundestagswahl 2005) Vorname Partei
Nr.
Name
63 64
Spahn Lührmann
Nr.
Junge Landtagsabgeordnete (unter 30 Jahre bei der jeweils vorangegangenen Landtagswahl) Name Vorname Partei
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Rust Schmidt Palmer Schebesta Huml Pop Schmidt Hoff Czaja Meyer Steuer Weichert Lederer Tietje Hildebrandt Ritzmann Wilke Baba Spindler Zillich Hoffmann Senftleben Crüger Lehmann Ehmke Günthner Bartels Köhler Ahrens Hannken Speckert Opitz Kausch
290
Jens Anna
Ingo Nils Boris Volker Melanie Ramona Erik Benjamin-Immanuel Mario Christoph Sascha Marcus Klaus Claudia Petra Alexander Carsten Evrim Jan Steffen Gregor Ingo Jens Peter Thomas Martin Michael Jan Sandra Catrin Sandra Heike Thorsten
CDU Grüne
SPD SPD Grüne CDU CSU Grüne FDP Linkspartei CDU FDP CDU CDU Linkspartei SPD SPD FDP CDU Linkspartei Linkspartei Linkspartei CDU CDU Grüne Grüne SPD SPD CDU Grüne CDU CDU CDU Grüne CDU
Nr.
Junge Landtagsabgeordnete (unter 30 Jahre bei der jeweils vorangegangenen Landtagswahl) Name Vorname Partei
34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
Sardina Rentsch Wagner Hofmann Holler Oetjen Polat Dürr Siebert Wiese Nerlich Lindner Link Wüst Morsblech Schneider Gebhart Schreiner Müller Bonk Klinger Paul Krauß Scheel Schütz Dulig Gansel Neubert Röder Kehl Rotzsch Angern Höhn Kosmehl Koblischke Scholze Schulz Gärtner
Alexander-Martin Florian Mathias Heike Christoph Jan-Christoph Filiz Christian Britta André Matthias Christian Sören Hendrik Nicole Christine Thomas Gerd Nadine Julia Freya-Maria Matthias Alexander Sebastian Kristin Martin Jürgen Falk Judith Peter Nicole Eva, von Matthias Guido Hartmut Friedemann Nico Mathias
CDU FDP Grüne SPD CDU FDP Grüne FDP CDU CDU CDU FDP SPD CDU FDP CDU CDU CDU CDU Parteilos PDS NPD CDU Linkspartei FDP SPD NPD Linkspartei FDP FDP CDU Linkspartei Linkspartei FDP Linkspartei FDP CDU Linkspartei
291
Nr.
Junge Landtagsabgeordnete (unter 30 Jahre bei der jeweils vorangegangenen Landtagswahl) Name Vorname Partei
72 73
Carius Wolf
292
Christian Katja
CDU Linkspartei
Anhang III: Fragebogen
293
294
295
296
297
298
299
300
301
302
303
304
305
306
307
308
309
310
311
312