Unsere Autoren waren in der Sowjetunion Erwin Bekier 224 Seiten
• Von Murmansk zum Elbrus
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Unsere Autoren waren in der Sowjetunion Erwin Bekier 224 Seiten
• Von Murmansk zum Elbrus
S farbige und 49 einfarbige Fotos
Illustriert von Wladimir Bogatlcin
Halbleinen 10,80 D M
in Polen: Kurt David Etwa 160 Selten
Polnische Etüden -
Zahlreiche farbige und einfarbige Fotos
-
Halbleinen etwa 10,80 DM (In Vorbereitung)
Beim Verlag vergriffen sind die in der gleichen Ausstattung erschienenen Bände über Indien, Indonesien und Guinea. In Vorbereitung sind Reisebeschreibungen über Ägypten und Japan. Jeder Band enthält zum besseren Verständnis ein kleines Lexikon über das beschriebene Land.
CARLOS RASCH
Der Untergang der „Astronautic"
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 1963
1. Auflage, 1963 Alle Rechte b e i m Verlag N e u e s L e b e n , B e r l i n , Lizenz Nr. 303 (305/100/63) Umschlagzeichnung und Illustrationen: Hans Rade G e s a m t h e r s t e l l u n g : (140) N e u e s Deutschland, B e r l i n N 54 . 4328 ES 9 A
Die „Astronautic" meldete sich nicht mehr. Es hieß, sie sei bis zum Rand des Sonnensystems vorgedrungen. Ihr letzter Funkspruch stammte aus dem Jahre 2211. Eine Station auf dem Mars hatte ihn aufgefangen. Er enthielt nichts, was auf eine Katastrophe schließen ließ. Jetzt schrieb man das Jahr 2213. Für die Besatzung wäre es das Jahr der Rückkehr zur Erde gewesen. Aber die „Astronautic" war ein Wrack. Sie waren neun. Die Gurte fesselten sie an die Sessel. Ihre Köpfe lagen an den hohen Lehnen. In wenigen Augenblicken mußte das Triebwerk zu arbeiten beginnen. Nor sah zu Imola hinüber. Ihre Augen waren weit geöffnet, und ihr Blick hing erwartungsvoll am großen Bildschirm. Dort schwand das schmale, unregelmäßige Band der Milchstraße, das ihnen seit fast zwei Jahren, seit dem Abflug von der Erde, unverrückbar entgegengeschimmert hatte. Die Sternenwelt war in Bewegung geraten. Immer neue gestochen scharfe Fünkchen zogen übqr den Bildschirm hinweg. Die „Astronautic" wendete, drehte im Flug den Rumpf, flog rückwärts in die Weite hinaus. Sie hatten die Bahn des Pluto erreicht. So weit waren Menschen noch nie geflogen. Jetzt durften sie umkehren. Das Programm der wissenschaftlichen Messungen und Beobachtungen war erfüllt. „Jetzt!" „Sie scheint!" „Da ist sie!" Im Halbkreis der Sessel streckten sich die Köpfe vor.
Nur Nor sah unverwandt zu Imola hinüber. Ihre Augen glänzten vor Freude, und ein froher Schein lag auf ihrem Gesicht. Sie wandte den Kopf und lächelte ihm zu. „Sieh auch hin", bat sie. Nor seufzte. Mitten auf dem Bildschirm, der fast die ganze Stirnseite des Steuerraums einnahm, stand die Sonne. Ihre Scheibe war winzig klein, aber ihr Licht grellte weißlich-gelb. Noch flog das Forschungsschiff mit dem Heck voran in die galaktische Ferne hinaus. Gleich würden sie alle vom Andruck der Abbremsung in die Sessel gepreßt werden. Da ertönte auch schon das warnende Klingen des Pilotrons, des automatischen Astro-Piloten. Wenig später war das Atmen bereits schwer. Lasten lähmten die Arme. Die Zeit war zäher B r e i . . . „Null", sagte Haton, der Kommandant, mühsam. Der bremsende Strahl des Triebwerks hatte den Flug des Raumschiffes zum Stillstand gebracht. Sekunden nur hing es bewegungslos im Raum. Dann strebte es stetig, mit sanft anwachsender Geschwindigkeit wieder der Sonne zu. Der Druck, der auf allen lastete, schwand. Haton gab das Zeichen zum Verlassen der Plätze. Jeder warf noch einen letzten prüfenden Blick auf die Instrumente seines Pultbereichs. Dann sprangen die Schnellverschlüsse der Gurte knackend auf. Die Kosmonauten erhoben sich aus ihren Sesseln, und ihre Stimmen schwirrten durch den Steuerraum. Nor blieb sitzen. Nachdenklich glitt sein Blick am großen Sichtschirm aufwärts und verweilte auf den blank glänzen3
den Buchstaben darüber, dem Namen des Raumschiffes. Die Stimmen knäülten sich in seinem Ohr, und er dachte: Ich freue mich mehr als ihr über unsere Umkehr: Imola — was wird uns beiden die Erde bringen? Beo übertönte mit dröhnendem Baß lachend alle Stimmen. Er reckte seine riesige, breitschultrige Gestalt, streckte die Arme nach beiden Seiten aus und umarmte zugleich Ohrid, die Ärztin, und Zepar, den Mathematiker. „Die Erde! Die Erde!" rief er ein ums andere Mal. „Wem die Sonne winkt, geht die Erde nicht verloren", zitierte er ein Kosmonauten-Sprichwort. „Wir hätten schon zwei Monate früher umkehren können", hörte Nor die hohe Stimme Hyads. Es war Hyad anzumerken, daß ihn die gute Stimmung an Bord verdroß. Wie töricht, dachte er, sich angesichts des Sonnenscheibchens so zu gebärden, als würde man morgen schon den Fuß auf den Boden des Heimatplaneten setzen. „Die Meßergebnisse haben sich seit der Neptunbahn kaum noch verändert. Das war doch vorauszusehen." Sein magerer Körper schwang herum, und seine Blicke tasteten schnell über alle hinweg, Zustimmung suchend. „Viel früher wären wir zur Erde zurückgekehrt." Sein Finger stieß aufwärts in die Luft. Beos Baß verstummte. Der Expeditionsleiter nahm die Arme von Ohrids und Zepars Schultern. Er strich sich über den glatten schwarzen Bart, der dicht und voll sein Gesicht rahmte. Nachdenklich sah er Hyad an. Ihre Messungen waren doch wichtig für die Photonenraketen, die in einigen Jahren noch weiter in den galaktischen Raum hinausfliegen sollten als die „Astronautic". „Ja, ja", brummte Beo. „Es ist schwer, so lange im Kosmos zu fliegen." Er hielt inne und winkte ab. Unvermittelt brach wieder das 4
tiefe rollende Lachen aus ihm hervor. Er stieß den Forscher an. „Hyad! Frostmann! Bei deinen Versuchen im Kältelabor hast du wahrhaftig auch schon Supra-Eigenschaften angenommen!" Alle lachten, und auch Nor schmunzelte über die Anspielung auf Hyads Forschungen, bei denen er nahe dem absoluten Nullpunkt die sogenannten Supra-Eigensch äffen der Stoffe untersuchte. „Verdirb uns nicht die Freude", sagte Ohrid sanft zu Hyad. Hyads Hand vollführte einige ziellose Bewegungen und sank dann hilflos herab. Er runzelte die Brauen und ging hinaus. Die anderen Kosmonauten folgten ihm. Es wurde schnell ruhig in der Steuerzentrale. Imola und Nor blieben allein zurück. „Nur noch die Position überprüfen und den Funkspruch absetzen", sagte sie geschäftig. Nor stand auf und ging langsam zum Funk- und Radarpult hinüber. Während Imola die Angaben des automatischen Navigators überprüfte, stellte Nor schon die Funkgeräte ein. Da stand sie plötzlich hinter ihm. Er drehte sich fragend um. Sie hatte den Kopf ein wenig zur Seite geneigt und sagte: „Du, Nor, wenn wir erst wieder auf der Erde sind — am ersten Tag — ich möchte mit dir ganz lange über das Land laufen — ein Waldrand — Kiefernstämme — ihr warmes Braun leuchtet herüber — wir gehen dorthin — ruhen uns aus." „Ja", sagte Nor. „Kiefernstämme." Er nickte und blickte versonnen vor sich nieder. Imola trat zum Funkgerät. Rasch drückte sie eine Taste nieder. „Hier Forschungsschiff .Astronautic' auf Position Ekliptik-Kubik 9817-2390-d. Wir kehren um und fliegen wieder heimwärts. Gruß unserer schönen Erde." Der Funkspeicher nahm den gesprochenen Text auf, formte ihn zu
Impulsen um und strahlte ihn in Richtung Mars aus. In sechs Stunden würde dieser Funkspruch dort aufgefangen werden. Imola preßte das Ohr an den Kontrolltonträger und lauschte. ,-,... fliegen wieder heimwärts . . . " wiederholte sie. „Komm!" rief Nor fröhlich und zog sie mit sich fort. „Wir gehen zu den anderen in den .Raum der
Ethik', die Umkehr feiern und von der Erde träumen." Der Pilotron würde für sie alle wachen und steuern. Sie gingen beide eng nebeneinander dem Ausgang zu. Da summte es vom Funk- und Radarpult her. Ungläubiges Staunen lag auf ihrem Gesicht, und auch er dachte: Unmöglich, die vereinbarte Empfangszeit ist noch nicht erreicht. Funk3
Sprüche waren jetzt nicht zu erwarten. Mit Hast liefen sie zurück, und Imola schaltete auf Empfang. Undeutliche Zeichen drangen aus dem Kontrolltonträger in die Stille des Raumes, zu leise, um verstanden zu werden. Rasch streifte sich Imola die Hörkappe über. Mit angehaltenem Atem lauschte sie. „Sie werden langsam lauter", sagte sie. „Wir fliegen in einen Richtstrahl hinein", vermutete sie. Plötzlich riß sie sich die Hörkapoe vom Kopf. „Peilzeichen", flüsterte sie. „Peilzeichen! Ein zweites Raumschiff muß in der Nähe sein!" „Gib mal her", sagte Nor ruhig. Er stülpte sich die Kappe über. Ja. ohne Zweifel, das waren Peilzeichen, wie sie von den Flottillen des Weltraum-Sicherungsdienstes, den Asteroiden.iägern, die Meteoritenströme und Asteroiden ausfindig machten und Warnbaken und Funkwarnfeuer setzten, verwendet wurden. Aber wie sollte hier ein solcher A-Jäger hinkommen? Nor reichte die Kappe zurück. Eine Weile verging. ..Kein Text, nur immer wieder kurze ^Peilzeichen', sagte Imola. Über den Bordfunk gab Nor das Signal für ..Kommandant, bitte zur Steuerzentrale". Haton kam schnell. Haton war einer der kühlsten Raumschiffkommandanten. Ihn überraschte nichts, auch diese kaum zu erklärenden Peilzeichen nicht. Daß er wortkarg und unauffällig auftrat, trug wohl dazu bei. daß sein Alter schwer zu bestimmen war. Seine Entscheidungen traf er mit geradezu kybernetischer Schnelle. „Peilzeichen erwidern — Erkennungssignal geben — Erkennungssignal fordern — Sendeleistung verstärken — Sendeort feststellen", wies' er knapp an. Dann horchte auch er auf die Zeichen. Ein paarmal drehte er seinen 6
Kopf eigentümlich hin und her, so, als sei ihm der Kragen zu eng. Schließlich sagte er: „Den zeichen fehlt doch etwas, sie sind doch unvollständig!" Imola verglich sie mit einer. Originalvorlage. Die Signale waren mittlerweile lauter geworden. Und wirklich: In der Zeichenkette fehlten einige, und andere waren offenbar nach Gutdünken ergänzt worden. Es schien ganz so, als sei der Geber dieser Signale nicht mit den Zeichen vertraut. Haton grübelte. Dann gab er Nor den Auftrag, mit dem stärksten Radargerät den Weltraum ringsum abzutasten. Es erwies sich, daß der Richtstrahl des unbekannten Senders mit den Peilzeichen erstaunlich breit war. Seit Stunden durchflog die „Astronautic" diesen Strahl. Große Unruhe erfaßte die Besatzung. Wenn der Kegel des Funkstrahls so breit war, überlegte man, mußte der Sender in einer Entfernung von Lichtjahren zu suchen sein, was natürlich unwahrscheinlich war. Oder aber man folgte der ..Astronautic" mit dem Richtstrahl auf ihrer Flugbahn. Dann aber müßte die Sendung von einem Flugkörper im Kosmos ausgehen, der in Reichweite des Radars lag. Doch das Radar entdeckte nichts. Auch die Messungen und Berechnungen zum Auffinden des Senders führten zu keinem Ergebnis. Die Richtung, die der Rechenautomat angab, wies in ein fernes Sternbild. Daß Peilzeichen von dorther kamen, war jedoch zu bezweifeln. Wie sollten dort eventuell existierende verstandbegabte Lebewesen irdische Funksignale kennen? Die Besatzung war ratlos. Zepar, der Mathematiker, berechnete immer wieder am Elektronenhirn die Winkelmessungen und versuchte den wirklichen Sendeort zu finden. Die Ergebnisse waren von
Mal zu Mal unwahrscheinlicher, unverständlicher. Nor verbesserte die Kybernetik der Funkautomaten und verstärkte durch neue Transistorensysteme die Empfangsleistung. Für Imola wurde so das Abhören der geheimnisvollen Welle erleichtert. Timako ließ sein Laboratorium für Korpuskularstrahlung im Stich, kletterte außen am Rumpf der Rakete herum, befestigte zusätzliche Antennen und experimentierte mit ihrer Richtwirkung. Haton durchstöberte den Sternkatalog, denn inzwischen setzte sich immer mehr die Ansicht durch, daß die Sendung außerhalb des Sonnensystems ausgestrahlt wird. Der unglücklichste Mensch an Bord war Kansu, der Triebwerksingenieur. Er hatte die Steuerwache übertragen bekommen, die nichts mit dem fremden Sender zu tun hatte und die gewissermaßen den grauen Alltag der Kosmonauten darstellte. Hinzu kam, daß der Kernbrand im Antriebsreaktor seltsame Sprünge machte. Kansu vermochte die Ursachen dafür nicht zu finden. Nur Hyad beteiligte sich nicht an der Aufklärung des Geheimnisses. Er war, als sich die Kunde von den Peilzeichen im Raumschiff herumsprach, zwar auch sofort in der Steuerzentrale erschienen, hatte sich aber bald zurückgezogen, um im Kältelaboratorium zu arbeiten. Ab und zu tauchte seine dürre Gestalt in der Steuerzentrale auf, Er beugte sich über jedermanns Schulter, hörte ein wenig den Gesprächen zu, schüttelte den Kopf und verschwand dann wieder, ohne ein Wort gesagt zu haben. Aber in seinem Laboratorium für Supraforschung dröhnten häufiger als sonst die Vakuumpumpen, summten die großen Kältemaschinen und öffnete sich die Experimentierkammer dem Weltraum. Es schien, als habe er sich, seitdem Beo ihn im Scherz einen Frost-
mann genannt hatte, noch mehr in die Arbeit verbissen. Äußerte sich jedoch jemand ungehalten über Hyads verschlossenes Wesen und über seine Gleichgültigkeit, legte Ohrid ein gutes Wort für ihn ein. Auch Beo sprach gut für Hyad, schien ihm doch, als habe der Unzugängliche all seine bisherigen Arbeiten zur Seite geschoben, um einem bestimmten Problem nachzuspüren, das mit dem rätselhaften Funkstrahl in Zusammenhang stand. Beo hatte recht. Einmal, als im Triebwerksreaktor die Kettenreaktion wieder seltsame Sprünge machte, war Hyad gerade im Steuerraum. „Hach", sagte er heiser und mit dünner Stimme. „Das ist fein." Dabei rieb er sich in stiller Freude die Hände. „Fein", wiederholte er noch einmal voller Befriedigung. Wie er aber einen mißbilligenden Blick Timakos auffing, schwang sein langer Körper herum, und fuhr barsch fort: „Du solltest nicht fortwährend draußen auf dem Rumpf bei den Antennen rumkriechen! Dein Platz ist jetzt im Laboratorium!" Geheimnisvoll flüsterte er Timako zu: „Delta 2y". Dieses Stichwort veranlaßte Timako, sofort aufzuspringen und in sein Laboratorium für Korpuskularstrahlung zu laufen. „Fem", sagte Hyad noch einmal und sah Timako triumphierend nach. Nach weiteren Stunden war endlich ein Abnehmen des Empfangs zu merken. Imola schlug vor, den Rückflug in Richtung Sonne—Erde zu stoppen und das Forschungsschiff wieder in das Zentrum des Funkstrahls zurückzuführen. Dort sollte man so lange warten, bis mehr als nur diese Peilzeichen zu hören war. „Ich bin sicher, daß wir eine wichtige Beobachtung machen wer7
den", sagte sie. „Die Peilzeichen sollen unsere Neugierde wecken. Wir sollen auf etwas aufmerksam werden." Zur großen Verwunderung aller verlangte auch Hyad, der sonst nicht schnell genug zur Erde zurückkommen konnte, den Heimflug zu unterbrechen und zum Zentrum des Rächtstrahls umzukehren. Diesmal war es jedoch Haton, der nur ungern zustimmte „Wir laufen Gefahr, in die Meteoritenschleppe des Pluto zu geraten", warnte er. Daß die „Astronautic" trotzdem ihren Flug stoppte und wieder in das Zentrum des Funkkegels zu gelangen suchte, war Zepar zu verdanken, dessen Berechnungen doch noch ein überraschendes Ergebnis hatten. Dadurch, daß das Forschungsschiff lange Zeit brauchte, um den Kegel des gerichteten Funkstrahls zu durchfliegen, hatte man an seinen Grenzen Winkelmessungen machen können, die zur Bestimmung der Entfernung gerade noch groß genug waren. Zepar verkündete: „Der Sender ist elf Lichtjahre entfernt, die Zeichen sind vom Epsilon Eridanus!" Bald danach gingen Kansu, Ohrid, Hyad, Beo und Haton in den „Raum der Ethik", um zu beraten. „Mit welch ungeheuer starker Energie sie senden, um Lichtjahre zu überbrücken", sagte Kansu bewundernd. „Man muß die Präzision bestaunen, mit der sie über solche Entfernungen unser Sonnensystem getroffen haben", sagte Ohrid. „Woher wissen sie, daß es hier Menschen gibt?" fragte Beo. „Sonnensystem getroffen?" Hyad stieß ein Lachen aus. „Nur gestreift haben sie es!" „Gewiß, sie haben sich etwas verrechnet", vermutete Ohrid. „Sie könnten Gründe haben, nicht genauer ...", sagte Haton. „Sie würden mit den Peilzeichen Verwir8
rung im erdnahen Raum anrichten", führte er als Beispi$f*an. „Nein, volle Absicht", sagte Hyad erneut. „Sie wünschen den Kontakt zu uns erst dann, wenn wir über unser Sonnensystem hinaus vordringen", behauptete er. „Vorher sind wir uninteressant, einfach nicht reif genug für sie." Da war selbst für die nachsichtige Ohrid ein zu unangenehmer Klang in diesen Worten. „Hochentwickelte Lebewesen werden uns stets als ihresgleichen, als ihre Brüder betrachten!" rief sie. Doch Beo gab Hyad recht. „Unser Reifegrad wird für sie wichtig sein, denn treten wir weiter in den kosmischen Raum hinaus, entdecken wir ihren Funkstrahl, antworten wir ihnen, so wissen sie, daß wir die gefährlichste Klippe in unserer Entwicklung, die atomare Barbarei, überstanden haben. Vorher ist jeder Kontakt zwecklos." „Warum aber schicken sie uns immer nur diese Peilzeichen?" rief Kansu voller Unmut. „Sollen sie uns doch endlich ihre eigenen Zeichen übermitteln, falls sie uns Menschen überhaupt mit ihrem Sendestrahl erreichen wollen!" „Geduld, Geduld", mahnte Beo. „Woher haben sie überhaupt unsere Peilzeichen?" fragte Ohrid. „Sollten sie schon einmal hier gewesen sein? Das müßte dann im letzten J a h r h u n d e r t . . . " „Sie brauchen nicht hiergewesen zu sein", versuchte Haton zu erklären. „Wäre es nicht möglich, daß die Peilzeichen, die ja ganze Raumflottillen zugleich senden, stark genug sind, um mit empfindlichsten Geräten auch noch sehr weit außerhalb unseres Sonnensystems gehört zu werden? Auf Epsilon Eridanus . . . " In diesem Augenblick glitt die 'Tür schnell zur Seite. Nor stand plötzlich unter ihnen. Seine Atemzüge waren tief und stoßartig vor Erregung. In seinem Gesicht lag ein Zug lauschender Abwesenheit. Un-
schlüssig, zu wem er sprechen sollte, wandte er sich hin und her. „Neue Signale!" stieß er endlich hervor. „Melodische Töne . . . ganz zart..." Sie sprangen auf, liefen zum Steuerraum. Ihn füllte etwas Unerklärliches. Es war unsagbar eigenartig, für menschliche Sinne kaum faßbar. Ein Schwall fremder Töne. Am Funk- und Radarpult saß schmal und steif aufgerichtet Imola. Ohne sich umzudrehen, hob sie mit einer ärgerlichen, Ruhe fordernden Bewegung die Hand. Die neuen Zeichen waren leiser geworden. Mit knappen Fingerbewegungen hantierte sie an den Schaltungen. Sogleich war der Empfang besser. Warum hat sie noch nicht das Elektronenband eingeschaltet, dachte Nor. Die fremden Signale müssen doch aufgezeichnet werden! Mit ein paar Schritten war er beim Funkund Radarpult und schaltete das Gerät ein. Die unsagbar wundervollen Töne füllten noch immer den Raum. Nor sah, wie Beo sich schwer auf die Sessellehne stützte. Weit vorgebeugt, lauschte er andächtig. Haton stand ganz gerade. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Hohe Konzentration zeigte sich auf seinem Gesicht. Plötzlich sah Nor einen Zeiger, der stetig auf eine rote Warnmarke zuschwang. Die Reaktoren laufen heiß! wollte er rufen. Aber da befahl Haton schon: „Triebwerke an!" Seine Gesichtszüge waren kantig geworden. „Schiff aus dem Zentrum des Strahles steuern!'' Imola wirbelte auf ihrem Drehsessel herum. „Nein!" rief sie flehend. „Wir müssen im Zentrum bleiben, sonst gehen uns die fremden Signale verloren! Bitte!" Haton beachtete sie nicht. Kansu sprang zum Triebwerkspult. Schnell und sicher besorgte er die neue Einstellung.
Alle setzten sich in die Sessel und schnallten sich an. Vorsichtig legte Kansu einen Hebel um. In Nors Bewußtsein drangen wieder die fremden Töne. Sie schwemmten ihn wie mit einer Welle hinweg, rätselhaft und unentwirrbar. Hörte es sich nicht an, als wären sie rhythmisch? Gewöhnte sich sein Ohr schon an ihren zauberhaften Klang? Nor glaubte plötzlich sogar einzelne Signalgruppen zu unterscheiden. Seltsame Unruhe verbreitete sich um ihn. Am Triebwerkspult sah er Kansu unsicher die Schultern heben. Haton schob ihn zur Seite und bediente selbst die Schalter. Vergeblich. „Springt das Triebwerk nicht an?" Beos Baß dröhnte fragend. Seine tiefe rollende Stimme bildete einen eigenartigen Gegensatz zu der grazilen Melodik der zauberhaften Töne. Nor blickte zu Imola hinüber. In ihrem Gesicht zuckte es nervös. Trotzig hatte sie sich wieder ihren Geräten zugewandt. Hellhörig steuerte sie die Antennen aus. „Springt das Triebwerk nicht an?" fragte auch Hyad voller Neugier. Er packte Timakos Arm und sah ihn triumphierend an. „Der erste Kreislauf ist ausgefallen, wahrscheinlich geplatzt", meldete Kansu laut. „Der Kernzerfall im Reaktor steigt von selbst immer weiter an, auch jetzt, wo er abgeschaltet ist!" Die fremden Funksignale vom Epsilon Eridanus perlten weiter aus dem Tonträger. Nor glaubte zu fühlen, daß sein Körper schwerer geworden war. Unsinn, dachte er, ich bin überreizt. „Warum ist das Gravitationsfeld unseres Schiffes verstärkt worden?" fragte Zepar vom Elektronenhirn her. Haton sah vom Triebwerkspult mit einem Blick auf, der zu sagen 0
schien: Wohl alle verrückt! Er mühte sich, den Defekt zu finden. Besorgt beobachtete er die Zeigerbewegungen einiger Instrumente, die den wachsenden Atombrand registrierten. Hyad hielt noch immer den Arm Timakos umklammert. „Delta 2y, die überschnellen Teilchen", sagte Timako bleich und tonlos. „Du hattest recht, Hyad." Haton fuhr herum .„Was sagst du da?" schrie er. Blitzschnell riß er eine Sicherung heraus und stieß mit aller Kraft einen Hebel vor. Schwerelosigkeit setzte ein. Alle klammerton sich fest, wo sie gerade saßen oder standen, um nicht fortzuschweben. Der Zeiger schwang zurück. Der Kommandant hatte den Gravitationsreaktor, der das künstliche Schwerefeld erzeugte, und den Antriebsreaktor gewaltsam gelöscht. Vorwurfsvoll sah Haton Hyad an. Hyad kniff die Augenlider zu einem Spalt zusammen und sagte: „Ich hatte es schon berechnet. Eine chaotische Kettenreaktion wäre es nicht geworden." „Soso, das ist ja sehr beruhigend." Haton schüttelte den Kopf. Zum erstenmal sah ihn die Besatzung fassungslos. Beo blickte Hyad streng an. „Gibt es bei dir keine Rechenfehler?" „Ich habe am Elektronenhirn gerechnet", verteidigte sich Hyad. Er hielt dem Blick des Expeditionsleiters stand, aber seine Finger glitten unruhig über die straffen Gurte seines Sessels. „Das Elektronenhirn rechnet nur mit bekannten Faktoren absolut sicher, nicht wahr? Du aber hattest doch nicht gewußt, was sich hinter Delta 2y verbirgt. Du hast es doch bloß geahnt, Hyad! Du konntest doch nur mit Wahrscheinlichkeiten rechnen", grollte Beo. „Bist du nur Wissenschaftler? Bist du kein Mensch?" Den langen dürren Leib Hyads durchlief ein Beben. 10
Das war ein schwerer Vorwurf. Sollte die Gefahr, in die sie durch Hyads Schweigen gekommen waren, wirklich so groß sein? „Ich habe eine wichtige Entdeckung gemacht", begehrte Hyad auf. „Ich habe mir die Gewißheit verschafft, daß es überschnelle Teilchen sind, die die fremden Funkzeichen bringen. Ich habe Delta 2y entdeckt. Ich werde dafür sorgen, daß die Erde sich durch überschnelle Teilchen bald mit anderen Welten in Verbindung setzen kann." „Du hättest fast dafür gesorgt, daß wir und unser ganzes Schiff als atomare Gaswolke im Raum gestanden hätten", wies Beo ihn scharf zurück. „Von dieser Entdeckung hätte die Erde dann nie erfahren." Nor horchte auf. Überschnelle Teilchen, Verbindung mit anderen Welten, hatte -Hyad gesagt? Bedeutete dies, daß so etwas wie eine schnelle Funkbrücke möglich war; bedeutete dies, daß die Durchdringungskraft solcher Strahlen so groß' war, um bis in die fernsten galaktischen Weiten vorzudringen? Welche Möglichkeiten! Hyad beugte sich nieder und legte die Hände aufs Gesicht. Ja, wirklich, eine solche Durchschlagskraft konnte atomar betriebenen Raumfahrzeugen zum Verhängnis werden. Hyad hätte seine Ahnung, seine Vermutung nicht für sich behalten sollen. Im Steuerraum war es so still geworden, daß das Ticken der Automatik zu hören war. „Sie sind leiser geworden, kaum noch hörbar", klagte Imola unter ihrer Kappe. Einmalige Informationen gehen uns verloren, dachte Nor. Er verstand Imola. Offenbar war das Raumschiff außerhalb des Zentrums des Strahls geraten. Ein Glück für uns, dachte Haton. Solange man dieses Delta 2y nicht genau kannte, war es besser, nicht
in seinen Wirkungsbereich zu kommen. Das also ist der Grund, überlegte Beo, weswegen die Wesen beim Epsilon Eridanus ihren Funkstrahl das Sonnensystem nur streifen lassen. „Wir müssen ganz aus diesem Strahl raus'', forderte Haton. „Wir riskieren sonst doch noch einen Atombrand." „Aber die Zeichen", protestierte Nor. „Wir werden einen Funksatelliten zurücklassen", schlug Beo vor. Am Funk- und Radarpult zog Imola langsam die Hörkappe vom Kopf. „Keine Signale mehr — aus — schade." Sie sank in ihrem Sessel zusammen. Unsägliche Müdigkeit überfiel sie. Nor betrachtete sie besorgt. So bleich und spitz unter wirrem Haar hatte er sie noch nie gesehen. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, gab sich einen Ruck und richtete sich wieder auf. „Nor, geh in die Katapultkammer! Schweiß die kleine Aufklärungsrakete an der Startrampe fest", befahl Haton. ..Sie muß vorläufig unser Nottriebwerk sein! Zepar und Timako! Geht mit ihm. helft ihm!" Die drei schnallten sich los und standen auf. Vorsichtig stießen sie sich zur Seitenwand hinüber, um bei der jetzt herrschenden Schwerelosigkeit nicht gegen Sessel, Pulte oder Wände zu schnullen. Dort legten sie die griffbereiten schweren Skaphander an. Es gelang ihnen nur mühsam, sich hineinzuzwängen. Erst als sie die Magnetschuhe angezogen -hatten, fanden sie wieder festen Halt. Mit schleifenden Schritten ging Nor zu Imola hinüber und beugte sich zu ihr hinab. Sie schlang die Arme um ihn, und er fühlte durch den Skaphander hindurch, daß sie am ganzen Körper zitterte. „Die Meteoritenschleppe des Pluto", flüsterte sie und wies mit einer
knappen Kopfbewegung zum Radarschirm ihres Pults hin. Nor erschrak. Auf dorn Schirm zeigte sich ein Schwärm winziger grünlich-weißer Fünkchen. Fast sah es aus, als liege eine feine Staubschicht auf dem Bildschirm. Noch hatte es außer ihnen niemand bemerkt. Ein Blick auf die Entfernungsangabe ließ Nor schnell wieder gefaßt werden. „Sie ziehen weitab vorüber", sagte er leise. „Es werden neue kommen." „Bis dahin arbeitet das große Triebwerk wieder." Nor mußte gehen. Sein Auftrag eilte. Der helle Fleck ihres Gesichtes in der Dämmerung des Steuerraums und eine weiße Hand, die sich zaghaft hob, waren das letzte, was er sah, als er zur Tür hinausging. „Meteoritenschwarm querab", meldete Imola, kaum daß die drei den Steuerraum verlassen hatten. Es war i h r gelungen, der Stimme einen festen Klang zu geben. Im gleichen Augenblick schrillten warnend die Radarklingeln. „Wir müssen sofort den ersten Kreislauf am Antriebsreaktor ausbessern", sagte Haton. „Kansu und Beo gehen", bestimmte er. Die beiden zogen besonders strahlendämpfende Sicherheitsanzüge an. Schnell stapften sie den langen Zentralgang entlang. Endlich standen sie am Ende des Ganges vor einer glatten Wand. Es war eine dicke, schwere Schutzwand, hinter der das Triebwerk und die Atomreaktoren für den Antrieb, die Gravitation, den Strahlenwerfer und die elektrische Energie standen. Die Wand schirmte die radioaktiven Ausstrahlungen zu den Wohn- und Arbeitsräumen der Kosmonauten ab. Ein Schaltknopf gab ihrem Fingerdruck nach, und eine Tür öffnete sich ihnen. Sie standen in einer kleinen Kabine, von der aus der 11
Manipulator, zwei riesige künstliche Hände, ferngesteuert wurde, wenn es galt, Arbeiten an den Reaktoren zu verrichten. Sie schalteten das Licht im Reaktorraum ein. Kugelscheiben gaben den Blick dorthin frei. Weißstrahlende Riesenzylinder 'wurden sichtbar. Die Arbeit konnte beginnen. Die beiden hantierten schweigend und angestrengt mit den Armen des Manipulators. Sie waren noch dabei, Teile des ersten Kreislaufs abzubauen, als sich die Steuerzentrale über den Bordfunk meldete. „Kommandant an Manipulator: Wie ist der Stand der Arbeit?" Beo, über die Anrede verwundert, berichtete. „Können die Arbeiten beschleunigt werden?" fragte Haton. Beo und Kansu sahen sich an. Bestand Gefahr? „Wir setzen unsere ganze Kraft ein", antwortete Kansu. Sie hantierten schneller 4md steigerten ihr Arbeitstempo. Welche Gefahr mochte ihnen drohen? Sicher die Meteoritenschleppe des Pluto, überlegte Kansu. Er war der Triebwerksingenieur, und er mußte auch schnell eine Lösung finden. Schweiß rann ihm über die Nasenwurzel in die Augenwinkel. Beo seufzte und wiegte bedenklich den Kopf. Es ging noch zu langsam mit der Arbeit voran. „Im Reaktorraum gibt es noch ein Havariegerät", sagte Kansu. Es war von Hand aus zu bedienen und stand für den Fall bereit, daß die Manipulatoren versagten. „Du müßtest den Manipulator allein bedienen", fügte er hinzu. „Und du?" fragte Beo zurück. Es war überflüssig zu fragen. Es war klar: Kansu wollte in den Reaktorraum. Das aber würde seinen Tod bedeuten. Die Strahlung des defekten Kreislaufs würde durch den Schutzanzug hindurchdringen. Er hätte dann nur noch Stunden, 12
bestenfalls Tage zu leben. War ein solcher Einsatz notwendig? „Laß mich gehen", sagte Beo. „Ich bin kräftiger." Er bekam keine Antwort. Einige Zeit verstrich. Sie arbeiteten verbissen weiter. „Kommandant an Manipulator: Die Arbeiten müssen in neunzehn Minuten abgeschlossen sein!" Beo hörte Haton einen tiefen Atemzug machen. „Beo, Kansu, für euch darf jetzt nichts unmöglich sein", sagte Haton leise. „Ein neuer Meteoritenschwarm." Haton brach ab. Dann schaltete er die Verbindung aus. Beo blickte auf und sah den Platz neben sich leer. Er wirbelte herum und wollte zupacken. Auf halbem Wege erstarrte die Bewegung der geöffneten Hände. Beo stöhnte röchelnd. Er durfte den Gefährten nicht zurückhalten. Erneut ergriff er die Steuermanschetten der Manipulatoren. Seine wuchtige Gestalt stand geduckt da. Um den Mund ging ein verzerrtes, krampfhaftes Zucken. Doch was war das? Flammende Röte, die Röte des Entsetzens schoß ihm ins Gesicht. „Kansu—u!" schrie Beo. Kansu hatte sich inzwischen durch den engen Schacht des Havarieeinstiegs in den Reaktorraum gezwängt. Kaum dort, riß er sich den Schutzanzug vom Körper. Er beengte ihn, raubte ihm Kräfte und verzögerte die Arbeit. Er brauchte ihn nicht mehr, er war sowieso schon ein Toter. Als Beo schrie, sprang Kansu auf den Tonträger zu. „Damit du mich mit deinem Geschrei nicht störst", sagte er ruhig. „Leb wohl, Beo. Gruß unserer Erde." Dann zertrümmerte er den Tonträger. Die letzte Verbindung zu ihm war zerstört. Während Beo mit den Manipulatoren die letzten Teile des zweiten Kreislaufs abbaute, setzte Kansu bereits die neuen Teile mit dem Handgerät ein.
Ein scharfer Befehl ließ Beo zusammenzucken. Hatons Stimme. „Rampe zwölf Grad schwenken! Triebwerk volle Bremskraft!" Kaum hörbar flüsterte eine Stimme voller Angst: „Nor, Lieber! Eine Felsplatte! Nor, unser Waldrand . . . " Beo ließ die Manipulatoren los und schnellte auf. ; „Kansu—u", schrie er. „Kansu—u! ' Gedankenfetzen blitzen auf: Er hört nichts, zwecklos, ihn zu warnen, rette dich, der 20-g-Behälter. Beo warf seinen Körper herum und stülpte sich die Atemmaske übers Gesicht. In der Kabine stand ein länglicher Kasten, ein Schutzbehälter mit einer besonderen Flüssigkeit. Wer sich ihm anvertraute, konnte extreme Beschleunigungen ertragen und selbst eine zwanzigfache Gewichtszunahme des Körpers beim Manövrieren aushalten. In allen wichtigen Räumen des Raumschiffes standen solche Kästen. Beo spürte ein Rucken. Das war das angeschweißte Nottriebwerk im Bugraum, das den Anprall verhindern sollte. Viel zu schwach, um das große Raumschiff wirksam in eine andere Richtung zu drängen, war es nichts anderes als ein letzter, verzweifelter Versuch. Beo sprang in den 20-g-Behälter. Die Schutzflüssigkeit spritzte hoch auf, und dann schlug der Deckel über ihm zu. Da zerfetzte auch schon ein berstender Schlag die Stille. Die Wände wölbten sich, Risse sprangen auf. Mit schneidendem Pfeifen entwich Luft. Ein Wrack trieb durch den Raum. Der lange, spindelförmige Rumpf der Rakete war in der Mitte zerknickt. Nur wenige Längsspanten hielten die beiden Rumpfteile zusammen. Die Felsplatte hatte das Raumschiff mit einer Zacke gestreift. Der
letzte verzweifelte Versuch, dem Unglück mit dem Feuerstrahl der kleinen auf der Abschußrampe festgeschweißten Aufklärungsrakete auszuweichen, war mißlungen. Doch die völlige Zertrümmerung der „Astronautic" war verhindert worden. Nun trieb sie dahin, v-förmig geknickt. Ihr schwarzer Rumpf hob sich kaum vom dunklen, nur mit dünnen Sternenschlieren überzogenen Hintergrund des Alls ab. Unweit davon hing starr und regungslos eine Gestalt im Abgrund. Ein dünner Faden, die Sicherungsleine, fesselte sie an die Trümmer, machte sie zum stummen Begleiter des Wracks. Unvermittelt kam Bewegung in die Gestalt. Eine kleine Flamme leuchtete auf, die Rückstoßpistole. Die Gestalt schwebte, ein wenig zögernd noch, heran. Ein Lichtschein geisterte über mattglänzende Wandungen, tastete sich weiter und blieb an der Bruchstelle haften. Der Schein enthüllte Verwüstung. Im Lichtstrahl ragten wirr Konstruktionsteile, gezackte Ränder gerissener Metallplatten, verbogene Rohrleitungen und ineinander verknäulte Kabel. Das Licht erlosch. Die Sicherungsleine straffte sich. Die Gestalt spulte sich zum Bug, dort, wo die Leine eingehakt war, zurück. Im Bug klaffte das Loch der offenen Katapultkammer. Die kleine Aufklärungsrakete ragte mit ihrem Heck zwei Meter über die Rampe hinaus, aber die Triebwerksöffnung spie schon lange keinen Feuerstrahl mehr aus. Die Gestalt prüfte das Ende der Sicherungsleine. Ein zweites Seil hatte sich mit ihr verschlungen. Dieses Seil hing schlaff und führte in die Katapultkammer hinein. Wo aber war die dritte Leine? Langsam drehte sich die Gestalt um. Der Schein der Handlampe 13
ja sinnlos. Die „Astronautic" mußte ein Wrack sein, die Gefährten tot. Ausgeburt seiner Fieberphantasie, Ausgeburt seines wirren Geistes mußte jener Lampenschein sein, der auf ihn zuwanderte. Eine Gestalt stürzte mit schleifenden Schritten auf ihn zu, riß ihn hoch und schüttelte ihn hin und her. „Nor!" stieß Zepar endlich mit spröden Lippen hervor. „Nor!" In Nor flammte ungestüm eine Hoffnung auf: Wenn sie beide lebten, warum sollten nicht auch Imola und die anderen am Leben geblieben sein? Vielleicht brauchten sie dringend ihre Hilfe.
folgte dem schlaffen Faden, stieß auf ein Paar Magnetschuhe, erfaßte die unförmigen Beine eines Skaphanders und hob sich plötzlich bis zum Helm. „Zepar!" Zepar saß auf der Kante der Startrampe. Auch ihn hatte der Stoß zur Katapultöffnung in den Weltraum hinausgewirbelt. Doch schnell war sein Bewußtsein zurückgekehrt. Hastig hatte er sich zurückgespult. Aber dann war Mutlosigkeit über ihn gekommen. Jede Hoffnung war 14
Hyad schlug den Deckel des 20-gBehälters zurück. Ächzend rappelte er sich- hoch. Die Schutzflüssigkeit löste sich in Tropfen von seinem Sicherheitsanzug. Sie schwebten von ihm weg, schwerelos. Im Laboratorium brannte die Notbeleuchtung. Hyad sah sich argwöhnisch um. Nirgends zeigten sich Beulen oder Risse in den Wandungen. Er stieg über den Rand, schlug den Deckel wieder zu und stapfte ein paarmal auf und ab. Er sah auf die Uhr. Seit der Katastrophe waren erst wenige Minuten vergangen. Ein Lächeln spielte in den Mundwinkeln. Die Allmacht Natur hat die Allmacht Mensch noch nicht bezwungen, dachte er. Dann blickte er auf eine Instrumententafel. Luftdruck-, Sauerstoff- und Temperaturanzeiger waren zersprungen. Nur die EnergieMeßgeräte der Notstromversorgung vibrierten leicht über einem Punkt ihrer Skalen. Hyad ließ seinen Arm kreisen. Er spürte den Widerstand der Luft. Vorsichtig zog er sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht und sog prüfend den Atem ein. Unbesorgt legte er sie dann aus der Hand. Einige kurze Berechnungen an seinem Laborkyberneten gaben ihm schnell Aufschluß über seine Energie- und Luftvorräte. Eine Rück-
kehr zur Erde war ausgeschlossen, zumal unbekannt war, welchen Bahnbogen der Trümmerhaufen des Raumschiffes eingeschlagen hatte. Aber die Berechnungen ergaben, daß für seine Absichten diese Frist, die ihm die Vorräte ließen, groß genug war. Hyad begann an seinen Tiefkühlanlagen zu hantieren. In ihnen wurde die Kälte durch Transistorensysteme erzeugt. Bestimmte Arten von ihnen brauchte er. Hyad wollte sich mit den Wesen auf Epsilon Eridanus in Verbindung setzen. Dazu mußte er ein Delta-2yGerät bauen, eine Apparatur also, die noch nie ein Mensch ersonnen hatte. Würde die Zeit, die ihm" die Umstände dafür ließen, ausreichen? Der Forscher hielt inne. Er hatte ja kaum Nahrungsmittel und Trinkwasser hier im Laboratorium. Beides mußte er sich beschaffen. Aber wie? Wie sollte er diesen Raum, den einzigen unversehrten vielleicht, verlassen? Sein Laboratorium hatte doch keine Luftschleuse. Die Tür zu öffnen durfte er nicht wagen, denn draußen im Gang herrschte seit dem Zusammenstoß bestimmt Leere. Hyad trat zur Tür und tastete sie mit forschenden Blicken ab. Er näherte sein Gesicht dem etwa handtellergroßen Panzerglas, das in Kopfhöhe als Sichtfenster eingelassen war. Erschrocken prallte er zurück. Zwei Augen sahen ihn an, Lippen bewegten sich und schienen ihm etwas zuzurufen. Nor stand vor der Tür. Impulsiv wollte Hyad den Schaltknopf neben der Tür drücken, der den Schließmechanismus steuerte. Nor schüttelte den Kopf. Ja, richtig, erinnerte sich Hyad, im Gang herrschte das Vakuum des Alls. Plötzlich entdeckte er, daß Nor starr an ihm vorbei und fest auf einen Punkt im Laboratorium blickte. Ein unbehagliches Gefühl beschlich Hyad. Langsam drehte er
sich um. So sehr er aber auch das Laboratorium musterte, es war nichts Verdächtiges zu entdecken. Hyad sah wieder zur Tür. Nor blickte immer noch starr auf einen Punkt im Laboratorium. Was mochte der Grund dafür sein? Auf einmal huschte die Freude des Verstehens über Hyads Gesicht. Dort, wo Nor so stetig hinsah, befand sich seine Experimentierkammer. Sie hatte eine Öffnung, die durch die Panzerhülle der Rakete hindurchführte. Sie konnte man als Schleuse benutzen, durch sie konnte der Gefährte hereingeiangen, Hyad nickte heftig, lief zur Experimentierkammer, klatschte mit der flachen Hand darauf, winkte Nor zu und nickte abermals. Nor verschwand. Geraume Zeit verstrich. Hyad hatte die Experimentierkammer schon längst nach außen zum freien Weltraum hin geöffnet. Aber noch immer war sie leer. Hyad kam mit seiner Arbeit an den Kältemaschinen nicht recht voran. Er steckte voller Unruhe. Endlich ertönten Klopfzeichen. Hyad stürzte stolpernd zur Kammer und riß an den Verschlüssen. Luft aus dem Labor entwich zischend in die Notschleuse. Der Lukendeckel schlug zurück. Eine leblose Gestalt wurde hereingeschoben. Hyad erkannte sofort Beo. Nor zwängte sich durch die Luke. Hyad öffnete schon Beos Sicherheitsanzug. Beos Gesicht war unter der Atemmaske blutverschmiert. In der Experimentierkammer hustete es. Hyad wandte sich erstaunt um. Ein Paar Arme reichten Behälter mit Wasser und Nahrungsmitteln heraus. Hatte also noch jemand die Katastrophe überstanden? Hyad erkannte Timako. Gleich dahinter kam Zepar aus der Notschleuse hervor. ,.Lebt ihr denn alle?" entfuhr es Hyad. Fragend blickte er in die dunkle Kammer, hoffend, daß auch 15
die anderen alle noch lebten und hervorkamen. Doch dort regte sich nichts mehr. Nor saß auf dem flachen 20~g-Behälter. Sein Gesicht war zu den Knien hinabgebeugt. Ein dumpfer, pressender Schmerz durchflutete ihn. Imola war tot. Aus den brodelnden Schatten stiegen qualvoll Erinnerungen auf, Fetzen nur. Eine Gestalt schritt vor ihm her, verschwommen noch, aber hell und aufrecht. Unter Tausenden hätte er sie erkannt. Die eigenwillige Kopfhaltung war unnachahmlich, so, als wolle sie ihn in jugendlichem Ungestüm jeden Augenblick zurückwerfen oder als erwarte sie einen Windstoß, dem sie voller Übermut ihr Antlitz und die weichwellige Pracht ihres braunen Haares im freien Spiel überlassen wollte. Aber hier im Gang des Raumschiffes war kein Wind zu erwarten. Imola blieb stehen und wandte sich ihm voll zu. Ihre grauen Augen mit den feinen, weitgeschwungenen Brauen richteten sich mit warmem, zärtlichem Ausdruck auf ihn. Aber da verblaßte das Bild. Stöhnend schlug Nor die Hände vors Gesicht. Eine neue Welle des Schmerzes erfüllte ihn. Imola war ja tot. Timoka hatte es berichtet, hier in Hyads Labor, gleich nachdem sie, die Überlebenden, sich hierher gerettet hatten. Timoka war im Steuerraum gewesen, bevor sie sich trafen. Abgesplitterte Gesteinsbrocken hatten dort eingeschlagen und fast alle Geräte, den Pilolron, die Funk- und Radaranlagen und das Elektronenhirn zerschmettert. Haton, Imola und Ohrid mußten augenblicklich tot gewesen sein. Ihre aufgerissenen Sicherheitsanzüge zeigten an, daß ihr Tod endgültig und unabänderlich war. Jetzt schon mußten ihre Körper, von der Kälte des Alls gepackt, zu Staub zerfallen sein. L6
Nors Hände mit den verkrampft gekrümmten Fingern lösten sich plötzlich vom Gesicht. Eine große Ruhe kam über ihn. Neue Bilder, neue Erinnerungen stiegen in ihm auf. Sie schmerzten nicht mehr. Imolas Tod erfüllte ihn wie mit einem Vermächtnis. In Nors Augen kehrte Glanz" zurück. Er sah wieder die Wirklichkeit. Hyad nestelte an den Apparaturen. Zepar stand über Beo gebeugt, bemüht, den Expeditionsleiter- aus der Ohnmacht zu erwecken. Timoka ging voller Unrast umher. „Wie lange haben wir noch zu leben?" Die Frage war für niemand bestimmt. Aber Hyad richtete sich von seiner Arbeit auf und drehte sich zu Nor um. „Ich allein hatte 32 Tage. Zu fünft bleiben uns jetzt nur n o c h . . . " Er brach ab und zog eine Grimasse, so, als sei es ihm plötzlich leidig, darüber zu sprechen. Timakos Schritt wurde schneller und unruhevoller. Also noch sechs oder sieben Tage, dachte Nor. Das war genug Zeit, um noch einmal in die Steuerzentrale zu gehen und — Imola! Nor seufzte. Erstaunt bemerkte Nor, daß die Wände sich leicht mit Reif bedeckten. Er blickte umher. Überall, an der Decke, am Boden und an allen Wänden schlug sich der Dampf des Atems, der Lebenshauch von fünf dem Tod geweihten Überlebenden nieder. Hinter diesen Wänden, das ließen die winzigen Eiskristalle unmißverständlich erkennen, hauste das All, eingedrungen durch zerrissene und gesprungene Spanten. Nur die Wand, an der er lehnte, war trocken. — Wie? Nor stutzte, die Wand war ohne Reif? Er stand zögernd auf und befühlte sie. Dahinter mußte noch ein Raum sein, brauchbar für sie, bewohnbar. „Hyad!" rief er übermäßig laut. „Hyad!? Was ist hinter dieser Wand?