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Wie vom Donner gerührt stand Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, auf dem großen freien ...
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Seewölfe 219 1
Roy Palmer 1.
Wie vom Donner gerührt stand Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, auf dem großen freien Platz, der sich zwischen den Holzhütten und der geräumigen Hafenbucht des spanischen Gefangenenlagers erstreckte. Nur wenige Zoll neben seinem rechten Stiefel lag der Degen, den er soeben auf Don Felix Maria Samaniegos Befehl hin hatte fallen lassen müssen. Es war aus. Der Kampf, den Hasard an der Spitze seiner Männer so kühn begonnen und durchgefochten hatte, war verloren. Die Spanier waren als Sieger daraus hervorgegangen, und dabei hatte doch alles so ganz anders kommen sollen. Hasard hatte Sumatra-Jonny und die anderen in Ketten liegenden Engländer, aber auch einige Franzosen und Holländer aus dem Palisadenlager und dem zum Teil fertig gestellten Festungsneubau von Airdikit auf Sumatra befreien wollen, aber das hatten der Kommandant und seine Soldaten gründlich zu vereiteln verstanden - und auch Ben Brighton und die anderen Männer der Crew, die draußen auf See an Bord der „Isabella VIII.“ warteten, konnten dagegen nichts mehr unternehmen. Jetzt würden auch Hasard und seine Männer in Ketten gelegt werden, und man würde sie mit Peitschenhieben dazu zwingen, das Kastell zu errichten, von dem aus die Spanier eines Tages den Süden der großen Insel und die gesamte Mentawaistraße kontrollieren und beherrschen wollten. Aber das war noch lange nicht das Schlimmste. Zwei von Hasards sieben Männern, die an diesem verwegenen Raid teilgenommen hatten, hatten die Niederlage mit ihrem Blut bezahlt. Blacky lag reglos auf der dunklen Erde, die Soldaten hatten ihn hergeschleppt und soeben zu Boden sinken lassen. Ein Musketenschuß hatte ihn getroffen. Die Wunde schien sich unterhalb seiner rechten Schulter zu befinden, soweit der Seewolf erkennen konnte. Blacky verlor viel Blut,
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und es würde immer mehr werden, was im weichen, warmen Untergrund versickerte. Ferris Tucker konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, er kniete mehr, als daß er stand, obwohl zwei Soldaten ihn fest im Griff ihrer Hände hielten. In seiner Brust war ein häßliches, düsteres Loch. Er hatte die Augen weit aufgerissen und öffnete in diesem Augenblick den Mund, als wollte er seinem Kapitän etwas zurufen. Er brachte jedoch nur ein unterdrücktes Röcheln hervor. Don Felix trat mit zwei Schritten zwischen den Seewolf und die breite Front seiner Soldaten und hob den Kopf. Sein schmales Gesicht mit den scharfgeschnittenen Asketenzügen nahm den Ausdruck des Triumphes und der Genugtuung an. Heiß blies der Sturmwind über die Lichtung und griff nach Hasards schwarzen Haaren. Er zerrte daran und schien ihm höhnisch in die Ohren zu heulen: Du hast verloren, bist ein Versager, ein Versager auf der ganzen Linie! Erst jetzt wurde dem Seewolf bewußt, daß er sich grenzenlos leichtsinnig benommen hatte. Während Don Felix seinen Männern Worte der Anerkennung zurief, überschüttete er sich in seinen Gedanken mit Selbstvorwürfen. Dabei hatte alles vielversprechend und mit den besten Aussichten auf einen vollen Erfolg. begonnen. Am frühen Morgen hatte die „Isabella VIII.“ die südliche Küste von Sumatra erreicht. Unter dem Einfluß des stürmischen Windes und dem drohenden Ausbruch eines schweren Wetters hatte der Seewolf dicht unter Land manövrieren lassen, um nötigenfalls in eine geschützte Ankerbucht verholen zu können. So hatten die Männer der „Isabella“ aus reinem Zufall Morgan Young, den entflohenen Kettensträfling, entdeckt und ihn aus dem Wasser gezogen, ehe seine Verfolger oder die gefährlichen Salzwasserkrokodile über ihn herfallen konnten. Young war nur leicht am Bein verletzt worden. Er hatte alles erzählt: wie sie in der Nacht zu zweit aus dem Palisadenlager geschlüpft
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waren, nachdem sie sich von ihren Ketten hatten befreien können, wie sie aber die Verfolger dicht im Nacken gehabt hatten. Romero, der junge Spanier, war von den Soldaten erschossen worden, bevor er sich wie Young im Dschungel hatte verstecken können. Dann hatten die Seewölfe zu ihrer Überraschung erfahren, daß auch SumatraJonny und zehn Männer seiner neuen Crew im Lager der Spanier festsaßen und zur Fronarbeit gezwungen wurden. Wie Jonny mit der „San Rosario“ hierher geraten war, obwohl er doch die beiden seinerzeit von den Spaniern entführten Maori-Mädchen zurück nach Neuseeland hatte bringen sollen, war Hasard und seinen Männern unbegreiflich, aber das stand auf einem anderen Blatt. Es galt weiterhin, Youngs Gefährten Trench, Josh Bonart, Sullivan und Christians sowie alle Holländer, Franzosen, Spanier und auch Portugiesen aus der Gewalt der Soldaten zu befreien, die willens waren, an diesem waghalsigen Ausbruchsversuch teilzunehmen. Hasard hatte eine Pinasse kapern können, deren Besatzung auf der Suche nach dem im Busch verschwundenen Morgan Young die Küste abgeforscht hatte. Die komplette Mannschaft - acht Spanier - saß jetzt gefesselt im Kabelgatt der „Isabella“. Hasard, Carberry, Shane, Blacky, Dan O’Flynn, Luke Morgan, Ferris Tucker und Smoky hatten ihre Plätze eingenommen und waren als Spanier verkleidet mit der Pinasse in die Hafenbucht von Airdikit gesegelt. Hier hatten sie schließlich auch die „San Rosario“, Jonnys Schiff, vor Anker liegen sehen. Sie hatten an einer Pier vertäut und gehofft, unerkannt bis zur Hütte des Kommandanten Samaniego zu gelangen, die ihnen von Morgan Young genau beschrieben worden war, aber dann, urplötzlich, waren sie von den Soldaten auf der Pier entlarvt worden. Daher hatte Hasard einen Sturm auf das Lager unternehmen müssen - mit Musketen, Tromblons“ Pistolen, Flaschenbomben und Blankwaffen.
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Don Felix Maria Samaniego mußte es geahnt haben, daß die Männer der Galeone, die seine Landtrupps von der Küste aus beobachtet hatten, mit einem Trick in das Lager zu gelangen trachteten. Hasard erhielt jetzt die Bestätigung dafür, daß er sich dies nicht nur einbildete. Don Felix wandte ihm das Gesicht zu und sagte: „Killigrew, meine Leute sind nach der erfolglosen Jagd auf Morgan Young rechtzeitig genug hierher zurückgekehrt, um mir alles melden zu können. Und aus ihrer Beschreibung des Schiffes; das da draußen vor der Küste liegt, habe ich folgern können, daß es sich um die berüchtigte ‚Isabella’ handelt. Woher ich sie kenne? Ich war eine Zeitlang in Manila stationiert, und dort hat man mir ausführlich von ,El Lobo del Mar’ und seinem Schiff erzählt. Ich konnte es mir an den zehn Fingern abzählen, daß Sie durch eine List die Sträflinge herauszuhauen versuchen würden. Darauf habe ich mich eingerichtet und habe meinen Leuten entsprechende Anweisungen gegeben.“ Hasard hörte nur mit halbem Ohr hin. Sein Blick war unablässig auf die Gestalten seiner Männer gerichtet. Smoky und Luke Morgan standen mit hängenden Köpfen da. Er konnte sich gut vorstellen, was jetzt in ihrem Inneren vorging. Sie schrieben sich die Schuld an der verhängnisvollen Wende zu, die die Dinge genommen hatten. Aber sie hatten selbst ihr Bestes gegeben und keinen einzigen Fehler begangen. Sie waren ganz einfach überrumpelt worden. Ehe Ferris, Blacky, Smoky und Luke der Durchbruch zum Palisadenlager gelungen war, hatten die Spanier Verstärkung und Nachschub an frisch geladenen Waffen erhalten, und nur so hatten sie die vier Männer zur Aufgabe zwingen können. Dann hatten die spanischen Soldaten ihre vier Gefangenen als Geiseln benutzt und somit das Duell zwischen dem Seewolf und Don Felix abrupt unterbrochen. Nur Ed Carberry, Big Old Shane und Dan O’Flynn hatten das Palisadenlager erreicht und waren darin verschwunden. Soviel hatte der Seewolf während seines
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erbitterten Degenkampfes mit Samaniego verfolgen können. Aber was nutzte dieser Teilerfolg jetzt noch? Auch der Profos, Shane und Dan würden die Waffen strecken müssen. Heftig fegte der Wind über Airdikit und trug alle Hoffnungen des Seewolfs davon, tief in den Dschungel hinein, wo sie sich zwischen Mangroven und Lianen verloren. Hasards Blick richtete sich wieder auf Blacky. „Blacky“, sagte er, und seine eigene Stimme klang ihm fremd und brüchig. „Mein Gott, Blacky.“ Blackys Gesicht hatte die Farbe alten Talges. Er schien nicht mehr zu atmen. Diese Feststellung traf Hasard wie ein Hieb. Er fühlte sein Herz heftig pumpen, bis in den Hals hinauf, und seine Knie wurden jetzt so weich, als müßten sie jeden Augenblick nachgeben. War Blacky schon tot? * Der Profos hatte Sumatra-Jonny von, den Eisenfesseln befreit, jetzt arbeitete er wie ein Besessener an den Ketten von Trench, einem von Morgan Youngs Kameraden. Big Old Shane und Dan O’Flynn waren dabei, mit dem von der „Isabella“ mitgebrachten Werkzeug Josh Bonarts Handschellen und Beinschäkel zu öffnen. Jonny kümmerte sich um einen halbnackten, hageren Eingeborenen offenbar einen Batak oder Atjeh von Sumatra -, der zu seiner „glorreichen Zehn“ zu gehören schien. Was draußen, vor den Palisaden, vorgefallen war, hatten sie nicht verfolgen können, und es war jetzt auch keine Zeit dafür, das Tor zu öffnen und ins Freie zu spähen. „Verdammt“, sagte Carberry nur. „Das Schießen hat aufgehört. Das ist kein gutes Zeichen, Leute.“ „Unsinn“, meinte Shane und versuchte dabei zu lachen, was ihm allerdings mißlang. „Gleich geht das Tor auf, und Hasard. Blacky, Luke, Ferris und Smoky erscheinen. Ich schätze, Hasard hat Don
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Felix, den Oberhurensohn, besiegt und benutzt ihn jetzt als Geisel.“ „Genau das denke ich auch“, sagte Dan, aber seiner Miene war anzusehen, daß er davon genauso wenig überzeugt war wie der graubärtige Schmied von Arwenack. Carberry verzog das Narbengesicht zu einer wüsten Grimasse. „Ihr palavert euch selbst was vor. Da draußen ist eine Mordssauerei passiert, das schwöre ich euch. Los, beeilen wir uns, ehe die Dons auch uns zu packen kriegen.“ Er hatte Trenchs Ketten gelöst und wandte sich jetzt Sullivan zu. Trench gab er einen Schlegel, und dieser Mann eilte nun seinerseits zu Christians hinüber, der wie alle anderen Sträflinge nicht nur schwer mit Eisen behängt, sondern zusätzlich an einem in den Boden gerammten Pfahl festgekettet war. Jonny hatte den hageren Eingeborenen befreit, und beide Männer arbeiteten nun an den Ketten ihrer gleich in der Nachbarschaft hockenden Kameraden. Auch Josh Bonart konnte jetzt aus seinen Handschellen und Beinschäkeln schlüpfen. Etwas später waren insgesamt neun Mann befreit, und Jonny nickte dem Profos zu. „Vier meiner Leute stehen hier neben mir, Profos, die anderen sitzen oben in der verfluchten Festung im Kerker, wie ich vorhin wohl schon gesagt habe.“ Der Narbenmann nickte ihm nur knapp zu, dann wandte er sich an Shane und Dan. „Und wir müssen die Burg im Sturm erobern, Freunde, sonst haben wir hier gleich verspielt. Wir müssen Ben mit einem der schweren Geschütze, die ich auf dem Söller gesehen habe, ein Zeichen geben, und er wird mit unserer alten Lady in die Hafenbucht rauschen, um den Dons Zunder zu geben.“ „Los, verlieren wir keine Zeit mehr“, drängte Big Old Shane. „Auf was warten wir noch?“ Sie drehten sich um und wollten zur Nordseite des Palisadenlagers laufen, aber einige Sträflinge streckten flehend die Hände nach ihnen aus und begannen, laut durcheinanderzurufen. „Helft auch uns!“
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„Laßt uns hier nicht zurück!“ „Habt Erbarmen mit uns!“ Carberry warf ihnen einige seiner Werkzeuge zu, so daß sie sie vom Boden aufnehmen und damit selbst an ihren Ketten arbeiten konnten. Shane und Dan folgten seinem Beispiel. Jonny verfolgte dies nicht ohne Argwohn. „Es sind einige echte Galgenstricke und Schlagetots unter diesen Kerlen“, gab er zu bedenken. „Das sind nicht alles Leute, die zu’ Unrecht hier eingesperrt wurden.“ „Egal“, sagte Shane. „Auch die größten Himmelhunde und Satansbraten sind uns jetzt eine Hilfe.“ Er blickte einen der Männer an, der gerade mit Carberrys Schlegel und Scharf eisen an seinen Handschellen herumwerkte. „He, du! Wißt ihr, wo die Spanier ihre Waffen aufbewahren?“ Er sprach ihn auf spanisch an. Der Mann schaute kurz zu ihm auf und antwortete in einer Mischung aus Englisch und Holländisch: „Natürlich. Inder zweiten Hütte gleich vor dem Tor der Palisaden.“ Shane sah zu Jonny hinüber. „Jonny, kann man sich auf diesen Mann verlassen?“ „Auf den schon“, erwiderte der dickbäuchige, krummbeinige Engländer. „Der ist ein brauchbarer Bursche, abgesehen davon, daß er eine schauderhafte Art zu sprechen am Leibe hat. Er heißt Leusen und stammt aus Holland.“ „Vorwärts“, sagte Carberry. „Ab zum Zaun und her mit dem Tau, das du am Gürtel trägst, Mister O’Flynn!“ Er lief als erster los. Dan folgte ihm und knotete hastig das Tau mit dem kleinen Enterhaken von seinem Gurt los, das er vorsichtshalber mitgenommen hatte, als sie von der „Isabella“ in die Pinasse der Spanier abgeentert waren. „Leusen“, sagte Big Old Shane noch zu dem Holländer, diesmal auf englisch. „Übernimm du die Führung aller, die sich hier jetzt noch befreien können. Versucht, die Waffenhütte zu erreichen und das Arsenal soweit wie möglich auszuräumen. Dann kämpft ihr euch bis zu den Piers vor,
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nehmt eins der Boote und ergreift die Flucht.“ „In Ordnung!“ stieß Leusen gepreßt hervor. Dann drehte auch Big Old Shane sich um und folgte seinen Kameraden. Der Profos, Dan O’Flynn, Jonny und die acht anderen Männer hatten die Umzäunung derweil erreicht, und Dan schwenkte bereits das Tau und ließ den Enterhaken wirbeln. Der Haken flog an der Palisadenwand hoch und über die oben zugespitzten Pfähle weg. Das Tau straffte sich. Dan zog daran, und der Haken krallte sich hinter den Zaunspitzen fest. Dan hangelte als erster an dem Tau hoch. Sekundenlang balancierte er auf den spitzen Pfählen, dann verschwand seine Gestalt. Die Palisadenwand war nicht höher als zehn Fuß, daher konnte man den Sprung hinunter riskieren, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich die Knochen zu brechen. Carberry kletterte als nächster an der hölzernen Wand hinauf und sprang Dan nach, dann folgten Shane, Jonny und die vier ehemaligen Decksleute der „Balcutha“ und schließlich die vier Männer, die zu Jonnys neuer Crew zählten. Drei von ihnen waren Eingeborene, einer ein Weißer. Einer nach dem anderen landete sicher auf dem weichen, morastigen Boden jenseits der Palisadenwand. Dan, der Profos und Big Old Shane sicherten jetzt mit ihren Waffen nach allen Seiten, aber vorläufig tauchte keiner der Gegner auf. Die Nordseite der Palisadenwand war vom Lagerplatz aus nicht zu überblicken. Die Spanier mußten erst ganz um das Lager herumlaufen, um sehen zu können, was sich an dieser Steile abspielte, aber im Moment schien sich alles auf die Vorgänge bei den Hütten zu konzentrieren. Deshalb blieb der zwölfköpfige Trupp unbehelligt. „Wir können uns ins Dickicht schlagen und ein Stück durch der Busch bis zu der Anhöhe laufen, auf der das Kastell steht“, schlug Jonny vor. „Ich kenne den Weg und weil auch, wie wir am günstigsten in der Bau geraten, um ihn zu vereinnahmen.“
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„Dann übernimm du jetzt die Führung“, zischte der Profos ihm zu „Los, Mann, jeder Augenblick ist kostbar.“ Sie verschwanden in dem dichten verfilzt und undurchdringlich wirkenden Gesträuch, das Feuchtigkeit und Hitze ausatmete. Dichter ballten sich jetzt die Gewitterwolken über Airdikit zusammen, und es wurde immer dunkler obwohl es auf die Mittagsstunde zu ging. Die Schwüle war unerträglich und ließ jede Bewegung zur Last werden. Auch der Wind brachte keine Abkühlung. Nahe der Küste zuckte ein weit verästelter Blitz auf die See nieder, kurz darauf war ein drohendes Grollen zu vernehmen, das wie Kanonendonner heranrollte und verkündete, daß das schwere Wetter im Begriff war, sich direkt über Airdikit auszutoben. 2. Der Sturmwind blies aus Richtung Südsüdwest gegen die Südküste von Sumatra und peitschte die Wasser der gesamten Mentawaistraße auf. In ihrem nördlichen Bereich, unweit der Insel Nias und keine fünfzig Seemeilen mehr vom Äquator entfernt, segelte zu dieser Stunde ein dreimastiges Schiff, nach dem die urwüchsigen Kräfte der Natur jetzt wie mit Teufelsklauen zu greifen schienen. Das Schiff trug den Namen „Malipur“, aber der Schriftzug war weder an den beiden Seiten des Bugs noch am Heck klar zu erkennen. Längst hatten ihn die Fluten der See so weit verwaschen, daß die Galeone jedem fremden Beobachter gegenüber namenlos war. Die Schäden an Rumpf, Schanzkleid und Aufbauten, die das Schiff bei früheren Überfahrten davongetragen hatte, waren nur flüchtig und unzureichend ausgebessert worden. Kaum besser war es um die Segel bestellt, die an vielen Stellen mit groben Flicken versehen waren. Hier und da hätte es einiger größerer Stücke Segeltuch bedurft, um die Löcher zu verdecken, die im Groß-, Großmars- und Vormarssegel, in
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der Fock, in der Blinde und im Besan klafften, aber der Kapitän unterließ dies absichtlich, weil er jetzt alle Decksleute brauchte, um die Galeone am Wind zu halten. Die „Malipur“ war völlig unterbemannt. Sie hatte nur eine vierzehnköpfige Besatzung, hätte aber mindestens die doppelte Zahl an Seeleuten gebraucht, zumal es bei der heillosen Unordnung, die im laufenden und stehenden Gut herrschte, vieler Hände und einer Menge guten Willens bedurft hätte, um alles wieder einigermaßen aufzuklaren. Nun wäre es allerdings keine Schwierigkeit gewesen, in der Gegend, aus der die „Malipur“ gerade kam, noch mehr Männer für den harten Decksdienst anzuheuern. Der Grund, warum es der Galeone an Besatzung mangelte, lag woanders. Wer immer auch mit dem Anliegen an Kapitän Rene Joslin herangetreten wäre, die Mannschaft zu vergrößern, der wäre auf energischen Widerstand gestoßen. Mit Händen und Füßen sträubte sich Joslin dagegen, mehr für dieses Schiff und seine Besatzung auszugeben, als eben notwendig war. Mehr Leute, das hätte selbstverständlich mehr Kosten bedeutet. Joslin war ein hartnäckiger, engstirniger Pfennigfuchser, der auch die kleinste Kupfer- oder Messingmünze noch zweimal umdrehte, bevor er sie ausgab. Ihm war nur eins wichtig: die Ladung sicher und pünktlich im Bestimmungshafen abzuliefern. Die Ladung bestand aus Seide und anderem Tuchwerk, aus kunstvoll genähten und bestickten Gewändern und einigen Gewürzsorten, wie es sie nur in der Region des unteren Ganges und seiner weitverzweigten Mündung zu kaufen gab. Lange hatte Joslin mit den indischen Händlern in den Dörfern am Golf von Bengalen herumgefeilscht, ehe er seine Fracht zusammengestellt hatte. Er hatte die Preise soweit wie möglich heruntergedrückt. In dieser besonderen Kunst verstand er, der geborene Franzose, sich als ausgesprochener Meister. Er war mindestens genauso redegewandt und
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wußte so gut zu gestikulieren und zu klagen wie die Eingeborenen selbst. In Manila, der Hauptstadt der Philippinen, würde er alle diese Ware mit erheblichem Gewinn an den Mann bringen, das wußte er. Aber er durfte für die Reise nicht mehr Zeit als einen Monat verwenden. Zwar hatte er sämtliche Waren mit Persenning wasserdicht verpackt - und in diesem Punkt hatte er nicht mit Material gespart -, aber ihm war von Beginn an klar, daß das mörderisch feuchte Tropenklima Tücher, Kleider und Gewürze innerhalb einer Zeitspanne, die über dreißig Tage hinausging, erbarmungslos zersetzen würde. Die alles andere als erstklassigen Stoffe würden schimmlig werden und ihre Farbe verlieren, die Gewürze würden ungenießbar und zur Brutstätte winzigen Getiers, wenn er nicht aufpaßte. Ehe dieser Verfallprozeß begann, mußte er Manila erreicht und sämtliches Frachtgut auf dem Markt veräußert haben selbstverständlich als Handelsware erster Güteklasse, wobei es ihm nicht das geringste ausmachte, die spanischen und portugiesischen Senores und ihre schmuckbehängten Frauen nach Strich und Faden übers Ohr zu hauen. Als Reiseroute hatte er die Mentawaistraße ausgewählt, obwohl es eigentlich günstiger für ihn gewesen wäre, durch die nördlich von Sumatra liegende Malakkastraße zu segeln. Joslin kannte zwischen Indien und den Gewürzinseln alle Schleichwege und verkündete gern mit Stolz, daß er bislang noch nie irgendwelchen Piraten oder Strandräubern in die Hände gefallen war. Er mied diese „zweibeinigen Haie“ - so nannte er sie -, wo er konnte, und da es zur Zeit in der Straße von Malakka von malaiischen und auch weißen Freibeutern geradezu wimmelte, nahm er lieber den kleinen Umweg in Kauf, statt Ladung und Leben zu riskieren. Die „Malipur“ segelte mit Steuerbordhalsen und über Backbordbug liegend hart am Wind. Joslin, der selbst am Kolderstock stand, hatte sich an der Nagelbank des Achterdecks festgeleint und vollbrachte eine nahezu akrobatische
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Leistung, indem et eisern den Kurs seines Schiffes hielt und immer wieder dem Druck der überkommenden Seen standhielt, die ihn von seinem Platz wegfegen und gegen das Schanzkleid schmettern wollten. Weit krängte die Galeone nach Backbord, so tief, daß ihr Kuhlschanikleid immer wieder unterschnitt. Sie rollte so heftig und aufsässig in den Fluten, daß sie Joslin und seinen Leuten wie ein bockendes Roß erschien. Es knackte und knirschte in den Verbänden, der Wind heulte in den Wanten und Pardunen, als wollte er die Masten knicken, und das Brausen des Wassers war so stark, daß es jeden über Deck schallenden Ruf übertönte. Schiff und Mannschaft lagen schon jetzt, vor dem eigentlichen Ausbruch des Wetters, im Kampf mit den Naturgewalten. Joslin blickte durch Wolken von Gischt zu seinen fluchenden Männern hinüber, die sich an den quer über die Decks gespannten Manntauen festgebunden hatten. Er wußte, was sie dachten. Sie schickten ihn und die Ladung zum Teufel und sehnten eine geschützte Bucht herbei, in die sie verholen konnten. Aber Joslin war unerbittlich. Er wollte keine Zeit verlieren. Der Sturm konnte Tage andauern, man konnte gerade in diesen Breiten kaum berechnen, wann er wieder aufhörte. Lag er, Joslin, mit seiner Galeone aber erst einmal in .einer Bucht fest, so kam er nicht wieder hinaus, ehe Wind und Seegang es zuließen. Nein, lieber wetterte er diesen Sturm ab. Er war wieder einmal froh, keine Offiziere zu haben. Die Schiffsführung identifizierte sich einzig und allein mit seiner Person. Außer ihm gab es nur das gemeine Schiffsvolk von vierzehn Mann, das jeden Befehl widerspruchslos auszuführen hatte, weil er sonst hart durchgriff. Joslin hatte schon auf hoher See aufmuckende Männer erschossen, um ein Exempel zu statuieren. Wenn es nach Meuterei roch, kannte er keine Rücksicht. Nur zu genau wußte er, was es bedeutete, wenn man sich freundlich und nachgiebig verhielt. Das brachte nichts ein. Auf dem
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Schiff, mit dem Joslin dereinst nach Indien gelangt war, hatte es auch eine Meuterei gegeben - und René Joslin hatte mit zu der Bande der Anstifter gehört. Sie hatten den Kapitän und die Offiziere umgebracht, sich später über den Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr der Piraterie verschrieben und in den indischen Küstengewässern und rund um Ceylon herum fremde Schiffe überfallen. Sie hatten geplündert und gebrandschatzt, aber viel eingebracht hatte es ihnen nicht. So hatte Joslin sich schließlich von den alten Kumpanen getrennt - in gütigem Einvernehmen, wie das seine Art war, wenn es die eigene Haut ungeschoren zu lassen galt. Joslin hatte sich monatelang an den Küsten herumgetrieben, bis er im Mündungsdelta des Ganges schließlich auf die gestrandete Galeone gestoßen war. Ein Sturm hatte sie auf eine Sandbank geworfen, die Besatzung war ertrunken oder von herabstürzenden Rahen erschlagen worden. Es hatte sich um ein spanisches Schiff gehandelt, aber Joslin hatte den alten Namen rasch von den Bordwänden geschabt und eine Neutaufe auf den Namen „Malipur“ vorgenommen. Es war ihm gelungen, ein paar Inder, Bengalen und weiße Männer um sich zu sammeln, die ihm dabei geholfen hatten, die dreimastige Galeone wieder flottzukriegen und notdürftig instand zu setzen. Die meisten dieser Männer hatte er als Besatzung zu sich an Bord genommen. Dann hatte er mit seinem einzigartigen Handel begonnen und als erstes das gesamte Ganges-Delta und die Sunderbunds befahren. Joslins Wesen war eine seltsame Mischung aus geiziger Krämerseele und genialem Geschäftsgeist. Aus diesem Gemüt und dem Gespür für „todsichere Sachen“ wußte er Kapital zu schlagen. Er reiste auf eigene Rechnung und Gefahr, kaufte seine Frachtpartien immer selbst ein und verkaufte sie dort, wo er es für richtig hielt. Verluste hatte er bei dieser Art von Kauffahrtei bislang nicht erlitten.
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Immerhin betrieb er das selbsterdachte Metier nun schon seit drei Jahren. Schiffsoffiziere hätten ihm gewiß den Rang abgelaufen und getrachtet, ihn früher oder später zu übervorteilen. Deswegen verzichtete er auf sie. In einem Fall wie diesem hätten sie auch versucht, ihn davon zu überzeugen, daß es besser sei, eine Bucht anzusteuern. Sie hätten darauf bestanden, daß er es tat, weil die „Malipur“ in ihrem jammervollen Zustand einen Sturm nicht überdauern konnte. Rene Joslin haßte Männer, die ihm in den Kram hineinzureden versuchten. Er hätte auch jeden Kerl seiner Mannschaft schwer bestraft, der es gewagt hätte, die „Malipur“ einen „vergammelten Kahn“ oder gar „Seelenverkäufer“ zu nennen. Wenn man ihm vorwerfen wollte, er setze das Leben seiner Männer leichtfertig aufs Spiel, so gab es dem doch immer eins entgegenzuhalten: Er selbst ging seiner Besatzung mit gutem Beispiel voran und riskierte Kopf und Kragen, um die Fracht ohne Aufenthalt an ihren Bestimmungsort zu bringen. In der Pause, die zwischen dem Rauschen zweier anrollender Brecher entstand, konnte Joslin einen seiner Männer rufen hören: „Der Sturm wirft uns noch auf Legerwall!“ „Oder wir laufen auf ein Riff!“ schrie ein zweiter. Beide standen nicht weit von ihm entfernt auf dem nassen, glitschigen Deck und hantierten an der Besanschot, mit der sie die Stellung des achteren Segels erneut korrigiert hatten. „Ihr Narren!“ brüllte Joslin ihnen zu. „Ihr Dreckskerle, ihr dämlichen Hornochsen, ihr Angsthasen! Nichts von dem, was ihr euch ausmalt, wird geschehen!“ „Ihr Wort in Gottes Ohr, Monsieur!“ rief der erste Sprecher. „Die Straße ist durch die Mentawai-Inseln gegen das schlimmste Sturmwüten abgesichert!“ brüllte der Franzose. „Uns kann gar nichts passieren!“ Die beiden schwiegen und versuchten, das Ende der Schot um einen Koffeynagel zu belegen. Der nächste Brecher donnerte von
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Steuerbord heran, sprang an der Bordwand der Galeone hoch und übergoß die Decks mit seinen Wassermassen. Joslin sah die Gestalten der beiden in dem Schwall untergehen, und unwillkürlich dachte er daran, was geschehen würde, wenn sich ihre Laufleinen von den Manntauen lösten. Er duckte sich unter der Gewalt der orgelnden Sturmsee, preßte die Lippen zusammen, biß die Zähne fest aufeinander und hielt sich mit beiden Händen am Kolderstock fest. Als das Wasser durch die Speigatten der Backbordseite ablief, richtete er sich wieder auf. Er atmete auf, als er die beiden Decksleute nach wie vor auf ihrem Platz an der Nagelbank des Achterdecks stehen sah. Der Sturm nahm zu. Immer gewaltiger kochte und toste die See, ihre schwärzlichen Wogen bäumten sich höher auf. Joslin erkannte eine Gestalt, die unter erheblichen Schwierigkeiten den Backbordniedergang zum Achterdeck enterte und auf ihn zusteuerte. Es war Ranon, der Inder. einer seiner besten Männer, der zu der Stammbesatzung der „Malipur“ zählte und Joslins größtes Vertrauen genoß. Mit ihm waren von dieser ursprünglichen Besatzung nur noch zwei Männer übriggeblieben, alle anderen hatten Joslin schon in den ersten Wochen nach dem Fund der Galeone wieder verlassen. Immer wieder hatte er neue Leute anheuern müssen, und bei jeder Fahrt hatte die „Malipur“ eine andere Mannschaft. Zum Teil waren es zwielichtige Gestalten, die unter seinem Kommando mitsegelten. Er hatte auf diese Kerle stets ein waches Auge. Ranon sprach erst, als er dicht vor seinem Kapitän stand. „Monsieur!“ rief er. „Ich war gerade in den Frachträumen!“ „Und? Ist die Ladung noch ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt?“ „Das ja, Monsieur, aber ...“ „Warum, zum Teufel, machst du dann so ein entsetztes Gesicht?“ „Mon capitaine,
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das Wasser steht schon knöcheltief in den Laderäumen!“ „Herrgott, ich weiß auch, daß der Kahn Wasser zieht!“ brüllte Rene Joslin, während sich ein neuer Brecher auf die Galeone zuwälzte. „Nimm dir zwei Männer, mehr können wir hier oben nicht entbehren! Stellt euch an die Lenzpumpen und pumpt, so fix ihr könnt!“ Ranon klammerte sich an einem Manntau fest. Sein dunkles Gesicht war verzerrt. „Jawohl, Monsieur, aber bedenken Sie, daß wir einige Lecks haben, die ...“ „... die ihr mit Segeltuch, Tauwerk und Kabelgarn stopfen könnt!“ fuhr der Franzose ihn an. „Du Narr, das sollte dir doch in Fleisch und Blut übergegangen sein!“ „Die Lecks werden immer größer!“ „Du wirst es schaffen, Ranon! Ich zahle dir und den beiden anderen eine gute Prämie, verdammt noch mal!“ Dies ging ihm nur schwer über die Lippen, aber schließlich waren es immer wieder die zusätzlichen Prämien gewesen, mit denen er Männer wie Ranon bei der Stange hatte halten können. „Jawohl!“ rief der Inder noch, dann gossen sich die Fluten erneut über den Decks aus, und jedes weitere Wort wurde in ihrem Rauschen erstickt. Ranon glitt auf den Planken aus, stürzte der Länge nach hin, ließ sein Tau aber nicht los. Er ließ das Salzwasser über sich hinwegschießen und dachte daran, daß keine Geldprämie der Welt ihnen helfen würde, wenn die Lecks im Rumpf der „Malipur“ noch weiter aufbrachen. Gegen die Wassermassen, die dann zuerst in die Laderäume eindrangen und schnell immer höher stiegen, konnte auch die komplette Mannschaft mit den Lenzpumpen nicht ankämpfen. Ranon fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen. * Der Seewolf gab sich einen inneren Ruck und trat auf Blacky und Ferris Tucker zu. Mochte Don Felix Maria Samaniego mit dem Degen auf ihn zuspringen, um ihn zu
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stoppen, mochte er sich so wild gebärden, wie er wollte, er konnte ihn jetzt nur aufhalten, wenn er seinen Männern den Befehl zum Feuern gab. „Stehenbleiben!“ schrie der Lagerkommandant. „Keinen Schritt weiter, Killigrew!“ Hasard beachtete ihn nicht. Er war bei Blacky angelangt, kniete sich hin und beugte sich über ihn, um an seiner Brust zu horchen. „Sir“, sagte Ferris mit stockender Stimme. „Ich weiß ganz genau, was du denkst. Aber du irrst dich, glaub es mir. Blacky - ist so schnell nicht kleinzukriegen. Dem muß man - ein viel dickeres Ding verpassen, um ihn ganz aus der Jacke zu stoßen ...“ „Still, Ferris“, unterbrach Hasard ihn. „Kein Wort mehr. Es hat dich selbst schlimm genug erwischt.“ „Packt ihn!“ rief Don Felix seinen Soldaten zu. „Habt ihr immer noch nicht begriffen, daß er ein gerissener Hund ist, der jede Gelegenheit wahrnimmt, um uns hinters Licht zu führen und hereinzulegen? Paßt auf, daß er dem Kerl kein Messer aus der Kleidung zieht! Durchsucht sie alle fünf!“ „Ich spüre überhaupt keinen Schmerz, Sir“, sagte Ferris Tucker. „Du sollst dein verdammtes Maul halten“, zischte Smoky. „Hast du’s nicht gehört, Mann?“ Es klang gröber, als beabsichtigt. „Sir“, sagte Luke Morgan auf englisch und so leise, daß man es kaum verstehen konnte. „Ich hab wirklich noch ein Messer in meinem Stiefel stecken. Soll ich es benutzen, um diesem Bastard von einem Don an die Kehle zu springen und wenigstens ihn zu erledigen?“ „Nein, Luke. Das hat keinen Zweck“, antwortete der Seewolf. Er hielt sein Ohr immer noch gegen Blackys Brustkasten gepreßt und konnte jetzt ein schwaches Geräusch vernehmen, Ja, Blackys Herz schlug noch - schwach zwar, aber in regelmäßigen Abständen, die Gott sei Dank nicht allzu weit auseinander lagen. Nur der Kutscher, Hasards Koch und Feldscher, hätte genau beurteilen können, wie es wirklich um den dunkelhaarigen
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Mann bestellt war, aber eins glaubte der Seewolf aufgrund seiner -Erfahrung mit Verwundeten feststellen zu dürfen: Wenn Blacky jetzt die nötige ärztliche Hilfe erhielt, konnte er noch gerettet werden. Hasard wollte sein Hemd in Streifen reißen, um Blacky damit wenigstens notdürftig zu verbinden. Aber zwei Soldaten traten von hinten an ihn heran, griffen nach seinen Armen und zogen ihn vom Boden hoch. Ein dritter näherte sich ihm von vorn und begann, ihn von oben bis unten mit den Händen abzutasten. Die Soldaten untersuchten jetzt auch den bewußtlosen Blacky, Ferris Tucker - der immer noch mit erstaunlicher Zähigkeit gegen seine drohende Ohnmacht ankämpfte -, Smoky und Luke Morgan. Hasard wandte den Kopf und blickte wütend zu Don Felix. „Comandante!“ rief er ihm zu. „Ich versuche hier keine Tricks, ich will nur meinen Kameraden verbinden. Selbst in einem Krieg können Sie mich nicht daran hindern!“ Luke Morgan ließ sich soeben achselzuckend das Messer aus dem Stiefelschaft ziehen. Der Soldat, der es gefunden hätte, wies es Don Felix mit triumphierender Miene vor, und dieser nickte, als habe er nichts anderes erwartet, als bei jedem seiner fünf Gefangenen mindestens einen Dolch zu entdecken. Bei Hasard, Blacky, Ferris und Smoky wurden die Soldaten trotz eifriger Suche jedoch nicht fündig. Samaniego blickte wieder den Seewolf an. „Mein eigener Lagerarzt wird Ihren Mann versorgen, Killigrew. Wie ich sehe, haben Sie zwar einige meiner besten Offiziere und Soldaten getötet, aber den Doktor haben sie verschont.“ Hasard hatte die Hände zu Fäusten geballt, zwang sich aber, so ruhig wie möglich zu sprechen. „Senor Comandante“, sagte er im Heulen des Windes. „Ich bitte Sie, dem Mann zu helfen. Ich ersuche Sie außerdem, auch meinem Schiffszimmermann Ferris Tucker einen Verband anlegen zu lassen.“
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„Sofort, wenn Sie getan haben, was ich von Ihnen verlange!“ „Die beiden verbluten vor unseren Augen, wenn ...“ „Sie verbluten nicht!“ schrie der Kommandant. „Und jetzt rufen Sie Ihren drei Männern, die noch irgendwo hier im Lager versteckt sind, gefälligst zu, sie sollen sich ergeben und mit erhobenen Händen hervortreten. Augenblicklich, Killigrew!“ Hasard zögerte. Täuschte er sich, oder hatte Don Felix in diesem Moment selbst zugegeben, daß er nicht wußte, wo Carberry, Shane und Dan O’Flynn steckten? Wenn er und seine Leute tatsächlich nicht mitgekriegt hatten, daß die drei sich Zugang zum Palisadenlager verschafft hatten, dann hatte Don Felix einen schwerwiegenden Fehler begangen, daß er dies offen eingestand. Sah er denn nicht den Wachtposten, der, von der Kugel des Profos getroffen, reglos vor dem Tor des Lagers lag? Nein, er sah ihn nicht. Keiner der Spanier schien es im allgemeinen Getümmel verfolgt zu haben. wie zuerst Carberry und Big Old Shane und dann auch Dan in das Gefängnis der Kettensträflinge geschlüpft waren. Dies war ein Trumpf, den Hasard jetzt auszuspielen verstehen mußte. „Meine Männer werden keinen Widerstand leisten!“ rief er Don Felix zu. „Fordern Sie sie auf, die Waffen wegzuwerfen und aus ihrer Deckung hervorzutreten!“ „Sir“, sagte Smoky plötzlich, und zwar auch auf englisch, so daß die Spanier es nicht verstehen konnten. „Wir haben doch noch die acht Geiseln an Bord der ,Isabella’ - die Besatzung der Pinasse. Können wir nicht Druck auf die Kerle hier ausüben, indem wir ...“ Don Felix hob die Hand, wies auf Hasards Decksältesten und unterbrach ihn durch die Lautstärke seiner Stimme. „Was redet der Mann? Was sagt er? Ich gestatte nicht, daß Sie sich mit Ihren Leuten in Ihrer
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Landessprache unterhalten! Ich verbiete es!“ „Verstehen Sie denn kein Wort Englisch?“ fragte der Seewolf verblüfft. Vorsichtig entgegnete der Spanier : „Nur sehr wenig.“ „Und Sie haben auch keinen Dolmetscher hier im Lager?“ Don Felix wies auf einen der Toten. „Da liegt er. Sind Sie jetzt zufrieden, Killigrew?“ Hasard beobachtete den Kommandanten genau. Don Felix war alles andere als ein unbedarfter, unvorsichtiger Mann, ganz im Gegenteil! Er hatte genug Verstand und schien auch ein guter Stratege zu sein. Ein hervorragender Degenkämpfer war er obendrein, das hatte Hasard während des Duells zur Genüge feststellen können. Nur jetzt ließ das Siegesgefühl den Mann etwas unbesonnen werden. Wieder hatte er einen Fehler begangen. Hasard beschloß, sich zu merken, daß wirklich keiner der Spanier verstehen konnte, wenn er sich mit seinen Männern auf englisch unterhielt. Plötzlich war irgendwo in dem unheilverkündenden Halbdunkel ein winziger Hoffnungsschimmer. „Senor Comandante“, sagte der Seewolf. „Ich will Ihnen ganz offen erklären, was mein Decksältester mir soeben zu bedenken gegeben hat. An Bord meines Schiffes werden acht Ihrer Leute festgehalten - der Teniente Leandro Moratin, wenn ich den Namen richtig verstanden habe, und sieben Soldaten. Das ist die Besatzung der Pinasse.“ „Sie lügen!“ Hasard sah ihn ah und hob verwundert die Augenbrauen. „Nein, Don Felix. Die Leute sitzen gefesselt im Kabelgatt der ‚Isabella’. Ich bin bereit, das zu beschwören.“ „Was ist Ihr Schwur schon wert?“ rief der Kommandant verächtlich. „Ich glaube Ihnen nicht, Killigrew. Grausam wie Sie sind, haben Sie diese Männer längst getötet.“ „Ich töte nur in Notwehr. merken Sie sich das!“ schrie Hasard ihn an. Don Felix trat dicht vor ihn hin. „Es ist erstaunlich, was für einen Ton Sie jetzt, da
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Sie mein Gefangener sind, noch anschlagen. Aber das wird anders, glauben Sie mir. Mit dem Morden und Brandschatzen ist es jetzt aus, Corsario, und ich habe nicht nur die große Ehre, einen von Spaniens größten Feinden festgenommen zu haben, ich werde Sie und Ihre Kumpane hier in Airdikit auch zu anderen Menschen erziehen. Und noch etwas: Selbst wenn die acht Männer der Pinasse noch am Leben sein sollten, würde ich sie bereitwillig opfern nur um Sie und die sieben anderen Kerle nicht wieder freilassen zu müssen.“ „Diesmal gehen Sie völlig falsch vor, Samaniego“, sagte Hasard. „Bis jetzt haben Sie bewiesen, daß Sie ein kluger Mann sind, aber von jetzt an machen Sie alles falsch.“ Don Felix hob seinen Degen und zielte mit der Spitze auf Hasards Hals. „Rufen Sie Ihre drei fehlenden Männer herbei,. Killigrew, oder ich vergesse mich wirklich. Schreien Sie, so laut Sie können - auf spanisch. Sie werden es verstehen. Ich habe den Eindruck, daß jeder Kerl ihrer Teufelsmannschaft die spanische Sprache beherrscht.“ Das entsprach den Tatsachen. Hasard blieb nichts anderes übrig, als jetzt die Hände als Schalltrichter an den Mund zu legen und zu brüllen. „Ed, Shane, Dan - verlaßt eure Deckungen! Es ist aus mit uns, die Spanier haben uns gefangengenommen! Blacky und Ferris sind schwer verletzt! Auch ihr müßt euch jetzt ergeben! Hört ihr mich?“ Er schrie seine Worte zu den Hütten hinüber und zum Kastell hinauf, nicht aber zum Palisadenlager. Seine Stimme war laut genug, um das Heulen und Pfeifen des Sturms in diesem Augenblick zu übertönen. Dennoch meldeten Carberry, Big Old Shane und der junge O’Flynn sich nicht. Hasard rief noch einmal seinen Appell, aber wieder erhielt er keine Antwort. Die drei Männer schienen spurlos verschwunden zu sein. 3.
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Vor über zwei Jahren hatten die Spanier die Lichtung von Airdikit in den Dschungel gehauen und dem Regenwald, den sie die „Selvas“ nannten, auch die Anhöhe abgerungen, auf dem die Kettensträflinge in Schwerstarbeit den Festungsneubau zu errichten hatten. Das gesamte Kellergewölbe dieses großen Kastells war inzwischen fertig gestellt, und Don Felix Maria Samaniego hatte darin die Kerkerzellen, ein Waffenlager, Munitionskammern und Vorratsräume einrichten lassen. Der Kerker war mittlerweile mit sämtlichen schmiedeeisernen Gittern und Türen versehen. so daß der Kommandant innerhalb der nächsten Tage auch die Gefangenen, die noch in dem Palisadenlager saßen, hierher in das Gewölbe hätte verlegen lassen. Morgan Young und der junge Spanier Romero hatten dies vorausgesehen und deshalb ihren Fluchtplan während der letzten Nacht zur Ausführung gebracht. Auf den gewaltigen Fundamenten des unter der Erde befindlichen Grundstocks hatten die Sträflinge nun auch schon einen Teil der Mauer aufgebaut, die nach Abschluß aller Arbeiten die eigentlichen Festungsgebäude umschließen würde. Der westliche Wall, der mit seiner Front zum Lager hinwies, stand bereits, und oben auf dem Söller waren schwere Siebzehnpfünder aufgestellt worden, die beim etwaigen Eindringen von Feinden in das Hafenbecken benutzt werden sollten. Weiter standen bis über zwei Drittel ihrer geplanten Höhe hinaus als nördliche und südliche Begrenzung der Westmauer zwei sechseckige Türme, und auch ein Teil der Nord- und Südmauer war begonnen worden. Jede Woche trafen Schiffe in Airdikit ein, die die Baumaterialien anlieferten: schwere Felsbrocken aus den Steinbrüchen, die die Spanier im südlicheren Sumatra eingerichtet hatten, und besonders harte Baumstämme, wie es sie im Dschungel der Insel nicht gab. Sie wurden von den Philippinen herübergeschafft. In der neuen
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Hafenfeste wurden sie für die Balkenkonstruktion der Gewölbe und der noch zu errichtenden Gebäude verwendet. Carberry, Shane, Dan O’Flynn, Trench, Josh Bonart, Sullivan, Christians und die vier anderen befreiten Männer aus dem Palisadenlager hatten unter SumatraJonnys Führung die Nordseite des Hügels erklommen und sich in die an dieser Seite noch offene Festung gepirscht. Nur zwei Posten bewachten zu diesem Zeitpunkt die Steintreppe, die zum Söller hinaufführte. Carberry überwältigte den einen, Jonny den anderen, ohne daß die Überrumpelten einen Schuß oder einen Warnruf abgeben konnten. Carberry deutete mit dem Zeigefinger auf Trench und Josh Bonart. „Du und du könnt ihr mit Kanonen umgehen?“ „Und ob“, erwiderte Trench. „Aber wir brauchen etwas, um die Lunten in Brand zu setzen.“ „Ich habe Feuerstein und Feuerstahl dabei“, sagte der Profos. „Los, wir entern den Söller, Leute, und ihr werdet mir ein wenig behilflich sein.“ Er wandte sich zu den anderen um und blickte Shane, Dan O’Flynn und Jonny mit finsterer Miene an. „Und ihr? Seid ihr noch nicht weg?“ „Ed, sei vorsichtig“, raunte Big Old Shane dem Narbenmann zu. Dann gab er Jonny ein Zeichen, und wieder setzte sich der krummbeinige Mann an die Spitze des verbleibenden neunköpfigen Trupps. Er führte sie zum Südturm, verharrte aber dicht neben dem Eingang, drehte sich um und legte den Finger gegen die Lippen. „Keinen Laut jetzt“, wisperte er. „Drinnen ist die Treppe, die direkt in den Kerker hinunterführt. Don Felix hat zwar bei eurem Angriff auf das Lager die meisten Leute aus dem Kastell abgezogen, aber ich bin sicher, daß unten noch mindestens zwei Dons hocken, die jeden abschießen können, der ins Gewölbe hinein oder wieder raus will.“ Dan grinste plötzlich. „Ich habe da eine Idee“, erklärte er leise. „Und ich finde, wir sollten sie sofort in die Tat umsetzen. Wofür haben wir uns eigentlich als Spanier kostümiert?“ Er wies auf Shanes spanische
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Uniform und klopfte sich selbst mit den Fingerknöcheln gegen den Spitzhelm. Die Kleidung hatten sie dem Teniente Moratin und dessen sieben Begleitern abgenommen. Als sie im Lager gelandet waren, hatte sie ihnen nicht viel genutzt, denn sie waren sofort erkannt worden, aber jetzt schien doch der Moment gekommen zu sein, um die Maskierung sinnvoll anzuwenden. Shane grinste jetzt auch. „Ich habe schon verstanden, was du vorhast, Dan“, flüsterte er. * Acht Siebzehnpfünder standen auf der Plattform des Burgsöllers, aber es war noch Platz für mindestens genauso viele Geschütze dieses Kalibers. Carberry stellte das fest, als er als erster den Platz erreichte und sich aufmerksam umschaute. Eines Tages, dachte er, werden sie auch die restlichen Kanonen aufstellen, aber es wäre zu schön, wenn sie’s nicht schaffen würden, die Hunde. Er schob sich geduckt weiter und spähte nach weiteren Gegnern, konnte aber niemanden entdecken. Die beiden Posten, die Jonny und er unten am Treppenaufgang niedergeschlagen hatten, mußten die Order gehabt haben, unten im Hof Wache zu halten, nicht auf dem Söller. Gut so, dachte Carberry, sehr gut. Er war jetzt bei dem ersten Geschütz angelangt und tastete mit seinen großen, derben Händen fast behutsam über das Rohr. Rasch hatte er sich davon überzeugt, daß nicht nur diese, sondern auch die sieben anderen Culverinen fix und fertig geladen waren. Die Lunten und die Luntenstöcke lagen bereit, ebenso alles andere Zubehör wie Kratzer, Wischer, Borstenschwämme und Ladestöcke. Auch an Pulver und Kugeln mangelte es hier oben nicht, nur an Metallbecken mit glimmender Holzkohle darin. Carberry blickte sich zu Trench und Josh Bonart um, die jetzt dicht hinter ihm waren.
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„Hab ich’s doch geahnt“, raunte er ihnen zu. „Wie gut, daß ich vorsichtshalber Feuerstein und Stahl von der ‚Isabella’ mitgenommen habe, was?“ „Das kann man wohl sagen, Profos“, zischelte Bonart. „Welche Kanone willst du abfeuern?“ „Erst einmal die drittletzte“, erwiderte Carberry und wies zum nördlichen Ende des Söllers. „Der Schuß wird genau über den Lagerplatz weggehen. Danach sehen wir weiter. Los, kommt.“ Sie krochen zu der von Carberry bezeichneten Kanone. Der Profos holte seine Utensilien aus der Hosentasche, und die beiden ehemaligen Decksleute der „Balcutha“ begannen, damit herumzuhantieren. Carberry schob seine große Gestalt unter das Geschützrohr und bewegte sich auf die Schießscharte zwischen zwei Mauerzinnen zu, um einen Blick auf das Lager zu werfen. Als er seinen Kopf langsam höherbrachte und die Männer zwischen den Hütten erkennen konnte, verzerrte sich seine Miene zu einem Ausdruck grenzenloser Wut. Deutlich konnte er Hasard. Smoky und Luke Morgan dastehen sehen. Dann entdeckte er auch die Gestalten von Ferris Tucker und Blacky. „Ich hab’s gewußt“, flüsterte er entsetzt. „Hölle und Teufel. ich habe es vorausgesehen — wie Old O’Flynn, dieser verdammte Hellseher, in die Zukunft zu sehen glaubt. Wie konnte das bloß passieren?“ „Profos“, flüsterte Trench hinter seinem Rücken. „Was ist los?“ Carberry wandte sich kurz zu ihm um. Sein Gesicht sah so fürchterlich aus, daß Trench unwillkürlich zurückschreckte. „Bereitet die Scheiß-Lunte vor, dann seht ihr, was hier gleich los ist“, zischte Carberry. „Sagt mir Bescheid, wenn sie glüht, dann will ich diese Dreckskanone selber zünden.“ „Aye, Sir“, sagte Trench. Carberry spähte wieder auf den Platz zwischen den Hütten und der Hafenbucht hinunter, murmelte die wildesten Flüche,
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die er kannte, und verwünschte die Spanier bis in die hintersten Höllenschlünde. Dann aber unterbrach er sich, denn jetzt war die Stimme des Seewolfs zu vernehmen. „Ed, Shane, Dan — verlaßt eure Deckungen!” Fassungslos vernahm der Profos auch den Rest. „Blacky und Ferris schwer verletzt“, wiederholte er. „O Gott. Wenn sie jetzt sterben — ihr Tod darf doch nicht ungesühnt bleiben!“ Er hieb mit der Faust gegen die Zinne. „Sir, das kannst du doch nicht von uns verlangen, daß wir uns kampflos ergeben!“ „Profos“, raunte Josh Bonart ihm zu. „Die Lunte brennt jetzt.“ „Ja.“ „Sollen wir ...“ „Ich hab doch gesagt, daß ich diese dreckige, krummgeschissene, spanische Kanone selbst zünden will“, fiel Carberry ihm barsch ins Wort. Wieder schrie der Seewolf etwas vom Lagerplatz bis zum Kastell hinauf, es war die Wiederholung seiner Aufforderung, der Profos, Shane und Dan O’Flynn sollten die Waffen wegwerfen und kapitulieren. „Gut“, sagte Carberry mit gepreßter Stimme. „Wenn du es befiehlst, Sir, dann muß ich mich beugen. Disziplin ist Disziplin, und du hast schon deine Gründe dafür, uns hier herauszulocken. Du willst nicht, daß Blacky und Ferris verrecken. Auch Smoky und Luke Morgan sollen nicht krepieren. Und du selbst sollst natürlich auch nicht ins Gras beißen, nein, das sollst du ganz gewiß nicht.“ „Profos, Sir“, raunte Trench. „Die Zündschnur brennt noch ganz herunter, wenn du dich nicht beeilst.“ „Ja doch“, brummte Carberry, nunmehr fest entschlossen. „Sir, du kannst mir alles befehlen, nur kannst du mich nicht an diesem Schuß hindern, mit dem ich Ben Brighton Bescheid geben werde, daß wir seine Hilfe brauchen. Und noch was: Dan und Shane haben deine Worte nicht gehört. Sie sind jetzt schon unten im Kerker. Wenn sie sich nicht ergeben, ist das nicht meine Schuld.“
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Damit kroch er zu Trench und Josh Bonart zurück und richtete sich hinter dem Bodenstück der Culverine auf. Er nahm den Luntenstock mit der glimmenden, knisternden Zündschnur daran aus Trenchs Hand entgegen und brachte die Lunte dem Zündkanal der Kanone nahe. Trench und Bonart traten zur Seite. Carberry peilte über das Rohr der Culverine und konnte die Bucht sehen, in der die Fluten jetzt über die Piers gischteten und schäumten, als wollten sie an Land springen und in die Hütten der Spanier eindringen. Wild tanzte die „San Rosario“ — Jonnys Schiff — in den Wogen. Sie zerrte so heftig an ihrer Bugankertrosse, als wollte sie sie zerreißen und sich selbständig machen. Mit Sturmgewalt heulte der Wind über die Lichtung. Eine starke Bö bog die wenigen Palmen, die bei den Piers standen, so weit nieder, daß ihre Wipfel fast den Erdboden berührten. Bei diesem Wind konnten Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ das Wummern eines Siebzehnpfünders vielleicht gerade noch vernehmen. Was sie vorher garantiert nicht gehört hatten, war das Krachen der Musketen und Tromblons, der Falkons und Minions im Lager der Spanier gewesen. Der auflandige Wind trug all diese Laute in den Dschungel. Daher konnte Ben, der jetzt das Kommando auf der „Isabella VIII.“ hatte, nicht wissen, was geschehen war. Der Seewolf hatte von Morgan Young erfahren, daß auf dem Festungsbau von Airdikit Culverinen standen. Deshalb hatte er Ben in gleichsam weiser Voraussicht gesagt, er würde eine dieser Kanonen zünden, wenn etwas schiefginge. Die Glut der Zündschnur sprang auf das Pulver im Zündkanal des Geschützes über. „Also dann“, sagte der Profos grimmig. „Dies ist ein Salut für dich, Don Felix, du. Hundesohn, mit dem ich dich zur Hölle wünsche - und wenn ich mir selbst dabei den Arsch verbrenne.“ 4.
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Ranon, der Inder, kehrte auf die Kuhl der „Malipur“ zurück und wählte zwei Männer als seine Helfer aus: Calderazzo, den Sizilianer, der mit zu den drei „Altgedienten“ an Bord der Galeone zählte, und Shindaman, einen Bengalen, den Rene Joslin erst zu Beginn dieser Überfahrt in einem der Dörfer von Sunderbunds angeheuert hatte. Zu dritt stiegen sie in den achteren Laderaum hinunter. Hier war der Wassereinbruch größer als in dem zweiten Frachtraum, und aus diesem Grund begannen sie hier, zwischen Ballen von Stoffen und Kisten und Fässern mit Gewürzen, die Lenzpumpen einzusetzen. Bis über ihre Fußknöchel reichte das Wasser jetzt schon, und sie hatten die allergrößte Mühe, die Pumpen überhaupt in Gang zu bringen, denn die Schwankungen des Schiffes waren tief im Rumpf nicht weniger stark als an Oberdeck. Immer wieder glitten die drei Männer aus und landeten in der hin und her schwappenden Flüssigkeit. Es war so dunkel, daß sie kaum etwas von ihrer näheren Umgebung zu erkennen vermochten, mehrfach gerieten sie sich gegenseitig ins Gehege. Calderazzo prallte mit Shindaman zusammen, als er wieder einmal ausrutschte. Der Bengale stieß sich den Hinterkopf an einem der gut verpackten Fässer und stöhnte vor Schmerz auf, Der Sizilianer begann wild zu fluchen. „So schaffen wir es nicht!“ brüllte er zwischen zwei lästerlichen Verwünschungen. „Das weiß auch der Capitaine, das muß er zumindest einsehen! Wir brauchen Verstärkung, um das verdammte Wasser aus dem Bauch des Kahns rauszukriegen!“ „Wenn wir uns mit den Rücken gegen die Tuchballen stemmen, haben wir einen besseren Halt!“ schrie Ranon ihm im Toben des Seewassers an den Bordwänden zu. „Oder aber wir binden uns fest!“ „Damit wir hier unten jämmerlich ersaufen?“ rief Calderazzo. „Wenn die
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morschen Planken der Wegerung nachgeben, ist hier der Teufel los, das ist doch klar! Dann haben wir nicht einmal mehr Zeit, uns loszuknüpfen!“ Ranon bückte sich nach der einen Pumpe, die umgekippt im zischenden und gurgelnden Naß lag, richtete sie wieder auf und zerrte sie weiter nach vorn in den Mittelgang, der beim Stauen der Ladung zwischen den Packen geblieben war, um den Zugang zum vorderen Frachtraum zu ermöglichen. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tuchballen und spreizte die Beine ab. In dieser Haltung vermochte er gegen den Seegang anzukämpfen, die Schiffsbewegungen konnten ihn jetzt nicht mehr aus der Balance bringen. Allein mühte er sich mit der Pumpe ab, aber all seine Anstrengungen brachten keinen großen Erfolg. Calderazzo eilte ihm schimpfend zu Hilfe, und zu zweit konnten sie den Pumpenschwengel nun schon schneller hochhieven und wieder hinunterdrücken. Auch der Bengale hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt. Er rieb sich den Kopf und stöhnte auch noch. doch auch er trug seinen Teil zu der Aktion bei, indem er das Rohr richtete, das durch eine Öffnung in der Decke bis nach oben auf die Kuhl führte und dort das Leckwasser ausspuckte. Das Wasser rann mit den Fluten, die immer wieder von außen her über das Oberdeck rauschten, durch die Speigatten ab. So arbeiteten sie gut eine halbe Stunde lang hart und verbissen. Der Schweiß lief ihnen über ihre nackten Oberkörper und über die Gesichter, und Calderazzo hörte nicht auf, ihre Tätigkeit durch sein Fluchen zu begleiten. Schließlich rief er: „Es hat keinen Zweck! Merkt ihr nicht, daß das Wasser steigt?“ „Wir müßten auch die zweite Pumpe einsetzen!“ schrie Ranon. „Der Henker weiß, wo die abgeblieben ist!“ brüllte der Sizilianer. „Shindaman!“ rief der Inder dem Bengalen zu. „Übernimm du meinen Platz, und pumpt zu zweit weiter! Ich suche nach den
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größten Lecks und sehe zu, sie zu stopfen!“ „Das ist Wahnsinn!“ ließ sich Calderazzo vernehmen. „Du säufst dabei ab. sage ich!“ „Laß es mich wenigstens probieren!“ Ranon überließ seinen Platz dem Bengalen, stolperte zur anderen Seite des schmalen Ganges und prallte hier gegen die Ballen. Er suchte mit den Händen nach einem Halt, fand ihn jedoch nicht und sank deshalb bei der nächsten Schlingerbewegung der „Malipur“ zu Boden. Die Galeone hob ihren Bug an, um sich eine anrollende Woge hinaufzuschieben, und Ranon rutschte auf den nassen Planken ein Stück nach achtern. Er stieß sich die Schulter an einem harten Gegenstand, der im Leckwasser lag, und unterdrückte nur mit Mühe einen Schrei. Das Wasser sammelte sich im achteren Bereich des Laderaums und stieg derart an, daß es dem Inder schon bis zu den Hüften reichte, als er sich jetzt wieder erhob. Ranon stellte fest, daß er sich die Schulter an der zweiten Lenzpumpe aufgeschrammt hatte. Bevor sie ihm jetzt auch noch über die nackten Füße rollen konnte, brachte er sich aus ihrer Nähe und watete durch das schwappende Wasser zur Backbordseite, wo sich seines Wissens eins der kritischen Lecks befand. Er entdeckte es und erschrak, als er feststellte, daß er bereits seinen Finger in die entstandene Öffnung schieben konnte. Das Leck hatte sich unter dem Druck der Wassermassen bedenklich erweitert. Er mußte es abdichten, so schnell er konnte. So wankte er ein Stück zurück zur Mitte des Schiffsraums, löste ein Stück Persenning von einer der Kisten und zerrte es zu dem Leck. Hier kniete er sich in eine Wasserpfütze, ehe das nächste Stampfen der Galeone ihn wieder umwerfen konnte, und begann, das gewachste und geteerte Segeltuch Stück für Stück in die Spalte zu stopfen, die zwischen zwei Planken klaffte. Es gelang ihm, dies mit seinen bloßen Fingern zu bewerkstelligen. Aber er wußte, daß es nicht genügte. Er brauchte einen Hammer, Nägel und Planken, um seine Arbeit zu vervollständigen, sonst würde sie
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innerhalb der nächsten Minuten allein durch den Wasserdruck Wieder beseitigt werden. „Ich gehe in die Zimmermannswerkstatt!“ schrie er seinen beiden Kameraden zu. „Ich brauche ein paar Hilfsmittel!“ „Sag dem Kapitän Bescheid!“ rief der Sizilianer. „Das ist nicht nötig!“ „Doch! Er soll sich die Schweinerei hier unten ansehen!“ brüllte Calderazzo. Ranon hörte nicht auf ihn, sondern wandte ihm und dem Bengalen den Rücken zu und enterte auf dem Weg durch den nächsten Niedergang in das nächsthöhere Deck auf. Rasch hatte er sich Zugang zur Werkstatt des Schiffszimmermanns verschafft. Er mußte eine Weile herumtasten, bis er das Nötige gefunden hatte, aber bald hatte er alles zusammen und kehrte stolpernd und vor sich hin wetternd in den Frachtraum zurück. Hier nagelte er zwei Planken über das mit der Persenning zugepfropfte Leck, kroch weiter und suchte nach dem nächsten Leck. Plötzlich stießen Calderazzo und Shindaman einen Schrei aus. „Hierher!“ brüllte der Sizilianer gleich darauf gegen das Donnern und Tosen des Sturmes an. „Ranon, hier ist ein neuer Wassereinbruch! Hölle, es sprudelt nur so herein! Teufel, wo steckst du denn bloß?“ „Hier!“ schrie der Inder. Er preßte nur noch eine Planke auf das zweite Leck, das er gefunden hatte, und hämmerte sie mit drei, vier Nägeln fest. Dann richtete er sich auf und eilte zu seinen Kameraden, die immer noch mit aller Kraft an der Pumpe arbeiteten. Er spürte das Wasser an seinen Knien und hörte es durch den Frachtraum schießen. Seine Verzweiflung war wieder da. Er sah ein, daß der Sizilianer recht hatte mit seinen Warnungen und Prophezeiungen. Ranon rutschte wieder aus und stürzte neben dem Bengalen auf die Planken, aber genauso schnell hatte er sich auch wieder aufgerappelt und torkelte durch das einströmende, sprudelnde Wasser bis zu der Stelle im Holzkleid des Schiffes, an der es einbrach.
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Seine Finger vermochten den gewaltigen Guß nicht aufzuhalten, er konnte kaum das Loch finden, durch das der Schwall eindrang. Seine Verzweiflung schlug jetzt in Panik um. „Helft mir!“ schrie er. „Ich kann es allein nicht schaffen!“ Calderazzo und Shindaman ließen von der Lenzpumpe ab und wateten zu ihm. „Sieh dir das an!“ brüllte der Sizilianer dem Bengalen zu. „Das ist unser aller Untergang! Madonna Santa, diesmal stehen wir es nicht durch! Ich habe dem Alten schon ein paarmal gesagt, der Kahn ist zu morsch und zu brüchig für solche Fahrten geworden, aber er will es ja nicht einsehen!“ „Hör auf!“ rief Ranon. „Reich mir lieber eine von den Planken herauf! Ich habe sie hier irgendwo verloren, du mußt sie finden!“ Fluchend suchte Calderazzo mit seinen Fingern im Wasser herum. „Shindaman!“ schrie der Inder. „Besorg mir ein Stück Persenning! Na los, reiß sie einfach von einem Ballen Tuch herunter!“ „Der Alte wird sich freuen!“ meinte der Sizilianer. „Ist mir egal, was er denkt!“ Ranon glaubte, das Leck in der Bordwand gefunden zu haben. Er drückte mit seinen beiden Händen gegen den Wasserstrom an und konnte sich unter erheblichem Kraftaufwand dagegen behaupten. Schließlich preßte er seine linke Faust in das Loch, so daß das Salzwasser jetzt nur noch in dünnen Spritzern eindrang. „Schnell!“ brüllte er. „Lange halte ich das nicht durch!“ Shindaman hatte einen der Ballen geöffnet, schnitt die Persenning, die irgendwo festsaß, mit seinem Messer durch und balancierte damit durch den schwankenden Raum zu Ranon hinüber. „Die Planke!“ schrie Calderazzo in diesem Augenblick. „Ich hab sie gefunden! Wo sind der Hammer und die Nägel?“ „Der Hammer steckt in meinem Gürtel!“ rief der Inder ihm zu. „Die Nägel sind in meiner Hosentasche!“ „Dann los!“
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„Shindaman!“ schrie Ranon. Der Bengale hob das wasserdichte Segeltuch ein Stück höher und legte es um Ranons linke Faust. Ranon nickte dem Kameraden zu, riß die Faust weg, und Shindaman schob die Persenning blitzschnell in das Loch. Ranon zog den Hammer aus dem Gurt und holte die Nägel aus der Tasche. Calderazzo war mit der Planke zur Hand. Shindaman stopfte die Persenning soweit wie möglich in das Leck, dann zog er seine Hände zurück. Der Sizilianer preßte die Planke gegen die Bordwand — gerade noch rechtzeitig genug, ehe der Wasserdruck ihm den geballten Fetzen Tuch ins Gesicht spie. Der Bengale und der Sizilianer hielten die Planke fest, und Ranon trieb die Nägel hinein. Calderazzo konnte jetzt loslassen. Er bückte sich und forschte in fieberndem Eifer nach einer weiteren Planke. Er fand eine, hob sie hoch und knallte sie unter die erste, und wieder war Ranon mit Hammer und Nagel zur Stelle. Wenig später glaubten sie, das Leck gut genug abgedichtet zu haben, aber sie lauschten dem Knacken und Knarren, dem Knirschen und Schaben, das überall in dem großen Frachtraum zu sein schien. „Das ist alles nur Stückwerk!“ schrie Calderazzo dem Inder ins Ohr. „Sag dem Capitaine Bescheid, daß er runterkommt und sich selbst davon überzeugt!“ „Ja“, sagte der Inder. „Ja, das tue ich jetzt auch.“ So schnell er konnte, kehrte er zu dem Niedergang zurück und kletterte nach oben. Er arbeitete sich durch den Achterdecksgang voran und öffnete die Tür zur Kuhl. Kaum war er draußen angelangt und hatte die Tür wieder zugerammt, toste ein neuer Brecher über das Schiff. Ranon klammerte sich an einem Manntau fest, schluckte Wasser, spie es wieder aus und blickte mit vor Entsetzen geweiteten Augen zum Himmel auf. Der hatte sich fast schwarz gefärbt, der Tag war zur Nacht geworden. Blitze zuckten auf die See nieder, schwerer Gewitterdonner übertönte die Schreie der
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Besatzung, die mit schwindender Kraft an den Schoten und Brassen arbeitete, um die Stellung der Segel beizubehalten. Bedrohlich krängte die „Malipur“ nach Backbord. Ihre Großrahnock schien in die Fluten der kochenden See zu tauchen. Voll Panik kletterte Ranon auf das Achterdeck und hangelte an den Manntauen auf seinen Kapitän zu. „Wir haben zuviel Wasser in den Frachträumen!“ schrie er ihm zu. „Mit den Pumpen schaffen wir es nicht! Wenn wir ein Leck abgedichtet haben, bricht das nächste auf! Sehen Sie es sich selbst an, Monsieur!“ Rene Joslin wandte ihm sein nasses, gehetzt und abgekämpft wirkendes Gesicht zu. Er wirkte um Jahre gealtert. Auch ihm, das begriff Ranon in diesem Moment, war jetzt voll bewußt geworden, in welch mörderische Gefahr sie sich dieses Mal begeben hatten. Dennoch brüllte Joslin: „Das glaube ich dir auch so! Hol dir Dobro, den Malaien, und noch einen anderen Mann! Nimm sie mit nach unten! Zu fünft müßt ihr mit dem Wasser fertig werden!“ „Unmöglich, Monsieur!“ „Das ist ein Befehl, Ranon!“ schrie der Franzose, und seine Stimme überschlug sich dabei. „Ich peitsche dich aus, wenn du meinen Befehl nicht befolgst!“ „Wir müssen eine Bucht anlaufen ...“ „Nein!“ „... solange wir es noch können!“ rief der Inder verzweifelt. „Niemals!“ brüllte Joslin ihn an. „Ich bin der Kapitän, ich bestimme, was zu tun ist!“ Aber vielleicht nicht mehr lange, dachte Ranon, dann drehte er sich um und hastete durch Wolken von Gischt zum Niedergang zurück. Diesmal ergeht es uns allen dreckig, sagte er sich, und du säufst mit uns ab, du Narr. 5. Hasards letzte Worte waren scheinbar ungehört verklungen. In der Sturmbö, die jetzt wild über den Platz zwischen den Hütten und dem Hafen von Airdikit fegte,
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wandte Don Felix Maria Samaniego den Blick zur Palisadenwand – und plötzlich schien ihm die Erleuchtung zu kommen. „Das Palisadenlager!“ rief er seinen Soldaten zu. „Die drei Kerle sind in die Umzäunung eingebrochen und versuchen, die Gefangenen herauszuholen! Seht doch, sie haben den Wachtposten niedergestreckt!“ „Warum hat das keiner bemerkt?“ schrie ein Offizier. „Ich weiß es nicht, Senor“, antwortete ihm einer der jüngeren Unteroffiziere, ein Sargento. „Egal!“ schrie Don Felix. „Zwanzig Mann sofort zum Tor des Lagers! Das Tor vorsichtig öffnen und ein paar Warnschüsse abgeben! Wenn die Kerle dann noch nicht aufgeben, greife ich hart durch!“ Die Soldaten stürmten unter der Führung des jungen Sargentos los. Don Felix richtete seine Pistole, die er inzwischen nachgeladen hatte, auf den Seewolf. „Killigrew“, sagte er. „Sie begleiten mich. Wir treten vor das offene Tor hin, und dann rufen Sie Ihrem Trio von Schwachsinnigen noch einmal zu, was sie zu tun haben. Eins versichere ich Ihnen schon jetzt: Sie sind meine Geisel, und ich werde Sie als solche rücksichtslos benutzen, falls diese Hunde nicht die Waffen strecken.“ „Wollen Sie mich töten?“ „Ich werde Ihnen vielleicht nur ins Bein schießen.“ „Das ist mehr als unfair.“ „Sie sprechen von Fairneß?“ Mit einer heftigen Geste wies der Kommandant auf seine toten Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten. „Das ist doch wohl ein Hohn! Sind dies hier vielleicht die Auswirkungen Ihrer legendären Ritterlichkeit, Corsario?“ „Ich habe versucht, meine Landsleute zu befreien. Sie haben kein Recht, sie hier festzuhalten und zur Zwangsarbeit zu vergewaltigen.“ Samaniego lachte laut auf. „Bestimmen Sie, was Recht und Unrecht ist? Wer sind Sie eigentlich, daß Sie ...“
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Weiter gelangte er nicht. Ein Blitz stach vom schwarz und schmutziggelb gefärbten Himmel genau in die Bucht hinunter. Er zerriß die Dunkelheit mit seinem grellen Licht und ließ die Spanier unwillkürlich zusammenzucken. Donner dröhnte in dem Moment auf, in dem er sich ins Wasser entlud, unsichtbare Giganten schienen über die Lichtung zu stürmen und alles niederzureißen. Die Soldaten, die jetzt das Tor des Palisadenzaun geöffnet hatten, waren für einen Augenblick irritiert. Sie wandten die Köpfe und blickten zu ihrem Kommandanten, weil sie das Krachen des Gewitterdonners mit dem Grollen eines Kanonenschusses verwechselten. Und da geschah es. Eine Meute von Männern stürmte aus dem Inneren des Palisadenlagers, allen voran Leusen, der Holländer, der die Führung der befreiten Sträflinge übernommen hatte. Mit Leusen waren es dreizehn Männer Holländer, Franzosen, Spanier und Portugiesen -, die ihre Ketten hatten lösen können. Die ganze Gruppe sprang als kompakte Einheit mitten zwischen den Zug Soldaten. Sie hieben mit ihren Fäusten zu und traten mit ihren Füßen aus, entwanden einigen völlig verdatterten Spaniern die Musketen und Tromblons und schossen auf die etwas weiter entfernt stehenden Soldaten, die jetzt ihrerseits mit den Feuerwaffen auf sie anlegten. Wieder donnerte es, aber diesmal war es nicht das Gewitter, das seinen Zorn auf Airdikit niederschickte, sondern eins der Festungsgeschütze, das gesprochen hatte. Hasard sah den Feuerblitz zwischen den Zinnen des Söllers und beobachtete auch, wie eine dicke schwarze Rauchwolke gen Himmel stieg. Jetzt wußte er, daß Carberry, Shane, Dan und vielleicht auch ein paar Männer aus dem Palisadenlager in dem Kastell angelangt waren. Don Felix war erschüttert und schien in diesem Moment nicht zu wissen, wohin er zuerst blicken sollte - zu seinen vor dem Palisadenzaun kämpfenden Männern oder
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zum Kastell, das ganz offensichtlich von den Feinden erobert worden war. Der Seewolf warf sich auf ihn. Wie auf einen Befehl hin handelten auch Smoky und Luke Morgan. Sie duckten sich, fuhren herum und rammten den Soldaten, die sie bewachten, die Ellenbogen in die Leiber. Die Überraschung der Spanier, die sich schon als Sieger gefühlt hatten, war ihr großer Trumpf. Smoky schlug den direkt hinter ihm stehenden Soldaten nieder und riß dessen Muskete an sich. Luke Morgan beförderte einen Spanier zu Boden, stürzte sich auf ihn und rammte ihm die rechte Faust unter die Kinnlade. Der Mann sank schlaff zusammen. Luke hob dessen Blunderbüchse auf, spannte deren Hahn und drückte auf zwei Soldaten ab, die sich auf den blutenden Ferris Tucker zubewegten. Dann schoß auch Smoky. Hasard hatte Don Felix’ Handgelenk gepackt und drückte dessen Waffenarm nach oben, während sie beide zu Boden gingen. Samaniego konnte zwar den Pistolenabzug bedienen, aber der Schuß stob wirkungslos in den Himmel. Hasard drehte ihm den Arm halb um, als der Kommandant versuchte, ihm den hölzernen Knauf der Pistole auf den Hinterkopf zu schlagen. Samaniego mußte die Waffe loslassen. Sie fiel zu Boden. Aber noch gab der Kommandant nicht auf. In wütendem Kampf wälzte er sich mit dem Seewolf auf dem Boden. Wieder donnerte einer der schweren Siebzehnpfünder auf dem Söller des Kastells und entließ seine Ladung mit Feuer und Rauch. Die Kugel heulte über den Platz und landete im Hafenwasser, nicht weit von der Stelle entfernt, an der auch die erste eingeschlagen war. Es war der Umsicht des Profos zu verdanken, daß beide Geschosse nicht die „San Rosario“ trafen, die immer noch wild an ihrer Ankertrosse schwoite. *
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Carberry hatte zuerst seinen Augen nicht trauen wollen, als er gesehen hatte, welche Entwicklung die Dinge unten auf der Lichtung genommen hatten. Jetzt aber zündete er auch noch eine dritte Kanone mehr wegen des Effekts als wegen der eigentlichen Wirkung -, verpaßte Trench einen begeisterten Hieb gegen die Schulter, daß dieser fast vom Söller kippte, und rannte zur Treppe, die auf den Hof der Festung hinunterführte. Trench und Bonart sahen des Profos’ wuchtige Gestalt verschwinden und hörten seine Schritte die steinernen Stufen hinuntertrappeln. Sie tauschten einen Blick, nickten sich kurz zu und schlossen sich dem Narbenmann an. Sie hasteten die Stufen so schnell hinunter wie er und befanden sich im nächsten Augenblick wieder neben ihm. Carberry war bei dem überwältigten Wachtposten stehengeblieben, der nicht weit vom Tor der Festung entfernt lag, und bückte sich nach dessen Waffen. Shane, Dan, Jonny und die anderen Männer hatten nur die Muskete, die Pistole und den Degen des einen Spaniers mit in den Kerker hinuntergenommen. Carberry konnte sich also jetzt die Waffen des zweiten Wächters aneignen. Er richtete sich wieder auf, drehte sich zu seinen beiden Helfern um und warf Trench die Pistole und Josh Bonart den Degen zu. Beide fingen die Waffen geschickt auf. „Los jetzt“, sagte der Profos. „Wir öffnen das Tor und stürmen auf den Platz, um Hasard und den anderen im Kampf gegen diese verlausten Hundesöhne zu helfen.“ Er hatte gerade ausgesprochen, da fiel ein Schuß, und zwar unzweifelhaft im Kellergewölbe der Festung. „Josh!“ rief der Profos. „Sieh mal nach, ob unsere Gruppe etwa auch unsere Unterstützung braucht!“ „Aye, Sir!“ Bonart wandte sich um und lief los, zu dem Turm hinüber, durch den der Weg in die Keller hinunterführte. Trench blickte dem Kameraden nach und stellte bei dieser Gelegenheit fest, daß der erste Posten, den sie bewußtlos geschlagen
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hatten, sich in diesem Moment zu regen begann. Er schien aus seiner Ohnmacht zu erwachen, während der zweite immer noch tief im Reich der Träume versunken zu sein schien. Trench eilte zum Sockel der Treppe, die auf den Söller hinaufging. Nur ein paar Schritte von der untersten Stufe entfernt lag der spanische Soldat. Trench nahm ihm kurzerhand den Helm ab, holte mit der erbeuteten Pistole aus und zog ihm den abgerundeten Kolben über den Hinterkopf - nicht zu hart, aber doch kräftig genug, um ihn zumindest für die nächste Viertelstunde zurück ins Land des Schlummers zu schicken. Carberry hantierte derweil am Tor. Er hievte den Querbalken aus seinen eisernen Bügeln, schob den schweren geschmiedeten Riegel auf und zog den einen Torflügel zu sich heran, der sich ohne jedes Quietschen in seinen gut geölten neuen Angeln bewegte. Trench verfolgte mit wachem Blick Josh Bonarts Bewegungen. Bonart hatte den Eingang zum Südturm erreicht und verschwand jetzt darin, aber schon nach wenigen Sekunden erschien er wieder und gab seinem Kameraden ein Zeichen, daß alles in Ordnung sei. Trench lief zu Carberry. Bonart folgte ihm. Sie hetzten beide hinter dem Profos her, der jetzt mit der Muskete in den Fäusten aus dem offenen Tor auf die mit Steinen und Kies befestigte Anfahrt stürmte, die das Kastell mit dem Hüttenlager verband. Sie versuchten, ihn einzuholen und sich neben ihn zu bringen, schafften es aber nicht. Der Profos konnte schneller laufen, als man es ihm wegen seiner riesigen, fast ungeschlachten Gestalt zutraute. Mitten zwischen die spanischen Soldaten raste er, schoß die Muskete ab und benutzte die Waffe dann als Hiebwerkzeug. Er fluchte und schlug wild mit dem Kolben nach links und nach rechts. Er trat Gegner mit seinen Füßen nieder, duckte sich vor Schüssen, die bedrohlich nah an ihm vorbeisirrten, und hatte nur ein Ziel vor
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Augen: zu Hasard, Blacky, Ferris, Smoky und Luke zu gelangen. Hölle und Teufel, dachte Trench, so was hat die Welt noch nicht gesehen! Dann richtete er seine Pistole auf einen spanischen Soldaten, der soeben zu dem vorbeijagenden Carberry herumfuhr und ihm die Ladung seines Tromblons in den Rücken zu jagen trachtete. Trench drückte ab, und sein Schuß erreichte den Spanier, als wieder ein Blitz die Dunkelheit erhellte und das Dröhnen des Gewitterdonners das Krachen der Schüsse auf der Lichtung übertönte. Der Soldat brach zusammen und blieb auf der Seite liegen. Trench rannte zu ihm und nahm ihm das Tromblon ab. Josh Bonart stürzte sich unterdessen mit gezücktem Degen auf- einen Spanier, der seine Muskete auf Carberry abgefeuert hatte, ohne diesen zu treffen. * Bevor der Profos auf dem Söller des Kastells die erste Kanone gezündet hatte, hatten Dan O’Flynn und Big Old Shane ihren Überraschungsangriff auf die Bewacher des Eingangs zum Kerker durchgeführt, und zwar so, wie Dan es sich ausgedacht hatte. Zwei Spanier bewachten das Eisengatter, das nicht weit vom Fuß der Treppe entfernt den Eingang zu sämtlichen Räumen des Gewölbes verriegelte. Dieses Gatter ließ sich nur vermittels einer Winde öffnen, die rechts neben dem Einlaß in einer Nische der wuchtigen Steinmauer angebracht war. Bediente man die Winde, so hob sich das schwere Gestänge unter dem Zug von Eisenketten, die in die Decke des Gewölbes eingelassen waren. Die beiden Wachtposten fuhren herum, als sie polternde Geräusche hinter sich vernahmen. Sie rissen ihre Musketen hoch und brachten sie in Anschlag auf die Gestalten, die jetzt lärmend die Stufen hinunterkollerten. Sie zögerten jedoch zu schießen, denn die beiden Männer, die ihnen bis vor die Füße rollten, trugen die Rüstung der spanischen
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Soldaten. Und auch die Flüche, die sie ausstießen, klangen so unverkennbar spanisch, daß die Wächter des Kerkers keinen Zweifel daran hegten, echte Landsleute vor sich zu haben. Die Brustpanzer der beiden offensichtlich Gestrauchelten schepperten auf dem Steinboden, und ihre Helme klapperten. Sie blieben auf den Bäuchen liegen und stöhnten. „Was ist los?“ fragte der eine Wachtposten. „Ich denke, der Kampf ist entschieden!“ „Ist er auch“, brummelte Dan O’Flynn in tadellosem Kastilisch. Er erhob sich, hielt den Kopf dabei aber so gesenkt, daß die Spanier sein Gesicht nicht erkennen konnten. „Aber wir haben eine Meldung des Kommandanten“, sagte Shane, der sich nun ebenfalls aufrichtete und dabei genauso verfuhr wie Dan. „Und wir haben es so eilig gehabt, sie euch zu überbringen; daß wir auf der Treppe ausgerutscht sind.“ „He, wer bist du denn?“ sagte der zweite Wachtposten. Er beugte sich vor, griff mit der Hand nach Shanes Schulter und versuchte, den Mann so umzudrehen, daß er sein Gesicht sehen konnte. „Pablo?“ Dan und Shane fuhren gleichzeitig herum und schlugen mit ihren Fäusten zu. Dan traf das Kinn seines Gegners sofort, und dieser Mann brach bewußtlos zusammen, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben oder eine Geste des Widerstandes zu zeigen. Shane erwischte den zweiten Wachtposten nicht ganz so glücklich. Seine Faust schrammte an der Kinnlade des Mannes hoch und prallte gegen die Kante des Helmes. Der Spanier wollte schießen, schreien, Widerstand leisten, aber Big Old Shane nahm ihn blitzschnell in einen Klammergriff - obwohl seine Hand schmerzte -, riß ihn herum, zog ihm den Helm vom Kopf und verpaßte ihm einen Hieb, der auch ihn zusammensinken und schlaff werden ließ. Ein lautes Stöhnen konnte der Spanier aber doch noch von sich geben, ehe er ohnmächtig wurde.
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Doch jetzt ertönte draußen der Gewitterdonner, und gleich darauf fiel der erste Kanonenschuß. Shane und Dan grinsten sich zu, sie hatten beide den Eindruck, das Stöhnen des Zusammenbrechenden sei in dem Donnern untergegangen. Sie zerrten die beiden Soldaten in einen Seitengang, der sehr dunkel war und außerdem geräumig genug, um ihnen ausreichend Platz zu bieten. Dan und Shane nahmen den Spaniern die Waffen ab, kehrten zum Eisengatter zurück und verständigten sich durch Gebärden, was als nächstes zu tun war. Dan hastete die Treppe hinauf, um den anderen Bescheid zu geben. Jonny, Sullivan und die anderen sollten nachrücken, nur Christians sollte als Aufpasser oben im Eingang des Südturms stehenbleiben, damit seinen Kameraden niemand in den Rücken fallen konnte. Big Old Shane begann, die Winde zu drehen. Er glaubte, im Lager Musketenund Pistolenschüsse fallen zu hören, und jetzt dröhnte auch der zweite Siebzehnpfünderschuß auf dem Söller der Festung und wenige Augenblicke später der dritte. Das Eisengitter hob sich. Dan O’Flynn hastete mit Sumatra-Jonny, Sullivan und den Männern der „glorreichen Zehn“ die Treppe hinunter. Jonny hatte ein wahrhaft diebisches Grinsen aufgesetzt, und er schickte sich schon an, unter den spitzen Zähnen des Gatters hindurchzukriechen, da tauchte auf der anderen Seite überraschend die Gestalt eines spanischen Soldaten auf. „Jesus, Maria!“ schrie der Soldat. „Was treibt ihr denn da? Ihr — mein Gott, wer seid ihr?“ Im Gewölbe brannten Pechfackeln, die in schmiedeeisernen Haltern steckten, und etwas von dem Lichtschein fiel auf Jonnys Gestalt, aber auch auf die Gesichter von Dan O’Flynn und Shane. Der Spanier begriff sofort, daß er es bei den Uniformierten nicht mit seinen Kameraden zu tun hatte — und er wußte ja auch, daß die Eindringlinge, mit denen man sich auf
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dem Platz zwischen Hütten und Hafen einen erbitterten Kampf geliefert hatte, in der Verkleidung spanischer Soldaten erschienen waren. Er selbst hatte seinen Posten im Kerker während dieses Gefechtes nicht verlassen dürfen, aber ein Melder hatte ihm und den beiden anderen Wächtern alles Wesentliche mitgeteilt. Also fiel er nicht auf Dans und Shanes Maskierung herein wie vor ihm die beiden anderen Soldaten. Mit Entsetzen stellte er fest, daß seine Kameraden verschwunden waren die Gegner deren Plätze eingenommen hatten. Mit einem Aufschrei hob er seine Muskete und zielte auf Jonny. Jonny befand sich in einer so unglücklichen Lage, daß er sich drehen und wenden konnte, wie er wollte —er entging diesem Schuß auf gar keinen Fall. Der Schuß krachte. Dan O’Flynn, der Sumatra-Jonny am nächsten stand, zuckte unwillkürlich zusammen. Aber dann sah er, daß es nicht der Spanier gewesen war, der gefeuert hatte. Der Soldat ließ vielmehr die unbenutzte Muskete zu Boden fallen, griff sich mit beiden Händen an den Hals und gab einen röchelnden Laut von sich, während er in den Knien einknickte und zusammenbrach. Dan drehte sich verblüfft um und sah, wie auch die anderen verdutzt zu dem hageren Batak blickten. Der hatte nämlich die Pistole gehoben, die er auf dem Festungshof dem einen überwältigten Posten abgenommen hatte, und stand auch jetzt, nach dem Schuß, in aufrechter, fast steifer Haltung da und schaute durch den aufsteigenden Schmauch Sumatra-Jonny an, der sich gerade auf der anderen Seite des Gitters erhob und auflachte. „Danke, Taluk!“ rief Jonny. „Das war gerade noch rechtzeitig. Ich werd’ dir’s nicht vergessen, daß du das für mich getan hast. He, Freunde, habt ihr gesehen, was ich für prächtige Burschen in meiner Crew habe?“ „Allerdings“, gab Dan trocken zurück. „Das war ein ausgezeichneter Schuß. Jonny, du solltest aber besser die Augen offenhalten und nachsehen, ob noch mehr Soldaten im Gewölbe sind.“
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„O Mann, da hast du allerdings recht“, sagte Jonny. Er ging zu dem toten Spanier, nahm ihm die Waffen ab und schritt vorsichtig weiter voran, die Muskete im Anschlag. Shane hatte das Gatter jetzt fast ganz hochgedreht und arretierte die Winde. Mit Dan, Taluk und den anderen hastete er Sumatra-Jonny nach. Sullivan lief unterdessen die Treppe hinauf, um Christians Bescheid zu geben, daß alles in Ordnung sei. Natürlich würde sich Christians wegen des Schusses Sorgen bereiten. Kurze Zeit später unterrichtete Christians seinerseits seinen Kameraden Josh Bonart, daß der Einbruch in das Kellergewölbe reibungslos verlaufen sei, und Bonart rannte daraufhin vom Südturm aus zurück zu Carberry und Trench, mit denen er durch das Tor auf den Lagerplatz stürmte. Jonny führte seine Begleiter in den Gefängnistrakt des großen Gewölbes, und hier empfingen sie begeisterte Rufe und Händeklatschen der Kettensträflinge und das Rasseln und Scheppern ihrer Eisen, mit denen sie heftig gegen die Gitterstäbe schlugen. Jeweils zehn Mann waren in eine Zelle gesperrt, und jede Zellentür hatte ein Schloß. Jonny hob die Hand und wies einen großen, schweren Schlüsselbund vor, den er dem toten Spanier mit den Waffen zusammen abgenommen hatte. „Keine Sorge, Freunde!” rief er. „Wir haben alles, was wir brauchen! He, Kameraden von der ,glorreichen Zehn’, die Haft ist zu Ende, wir sind endlich wieder frei! Ho, ihr anderen, wer sich uns anschließen will, der soll es tun! Wer aber selbst glaubt, daß er zu diesem prachtvollen Haufen nicht paßt, der soll von mir aus gleich verduften und sich im Busch verkriechen! Mehr können wir nicht für ihn tun!“ „Hurra!“ schrien die Gefangenen. „Es lebe Jonny!“ Jonny grinste, rasselte mit den Schlüsseln und wandte sich der ersten Zellentür zu, um sie aufzuschließen.
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„Eine feine Rede war das, Jonny“, sagte Big Old Shane anerkennend. „Aber jetzt mal was anderes. Täusche ich mich, oder hast du uns vorhin von Waffenlagern und Pulverkammern erzählt, die hier unten untergebracht sind?“ „Du täuschst dich nicht“, antwortete der krummbeinige, häßliche Mann. „Wieso?“ „Ach“, meinte Dan O’Flynn. „Weißt du, wir wollen uns nur noch ein paar Waffen holen. Die könnten wir gut gebrauchen, wenn wir auf den Lagerplatz zurückkehren, was meinst du?“ „Ja, ganz bestimmt sogar. Und das viele Pulver?“ „Damit haben wir auch noch was vor“, erwiderte Shane grinsend. „Es ist viel zuviel, um es alles zur ,San Rosario’ oder an Bord der ‚Isabella’ zu mannen, wenn du das meinst“. sagte Jonny. Big Old Shane schüttelte den Kopf. „Jetzt hast du mich falsch verstanden, Jonny. Dan und ich meinen bloß, daß das Zeug viel zu schade ist, den Dons wieder in die Hände zu fallen.“ Sumatra-Jonny kriegte große Augen. Dann begriff er, was sie planten. und begann zu kichern. 6. Dobro, der Malaie, zählte mit Ranon und Calderazzo zum Kern der Besatzung der „Malipur“; er war der dritte Mann, der von Anfang an mit dabeigewesen war. Er kannte sich hervorragend mit allen Segelmanövern aus und betätigte sich außerdem als Segelmacher an Bord der Galeone. Er verstand sein Handwerk und gehörte mit: dem Inder und dem Sizilianer zu den besten Leuten, die unter René Joslins Kommando fuhren, aber das unabwendbare Drama aufzuhalten, das über das Schiff und seine Besatzung hereinzubrechen drohte, lag außerhalb seiner Kompetenz. Daran vermochte auch der fünfte Mann nichts zu ändern, der mit Ra - non und Dobro in den Laderaum der „Malipur“ abgeentert war: Slacks, der Schiffszimmermann. Slacks war Engländer
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und hatte in seiner Jugendzeit bei einem der besten Schiffshauer seines Landes eine Lehre absolviert. Auf abenteuerliche Weise war er nach Indien gelangt. Einige Jahre war er Gefangener der Portugiesen gewesen und hatte in Goa Schwerstarbeit leisten müssen. Wegen seines Geschicks, mit Holz umzugehen, und seiner großen Fingerfertigkeit hatte er sich jedoch einen Vertrauensposten erwerben können und war vor der Schufterei in den Steinbrüchen bewahrt worden. Nachdem er am Aufbau eines großen Forts beteiligt gewesen war, bei dessen Errichtung seine brauchbaren Verbesserungsvorschläge berücksichtigt worden waren, war ihm eines Nachts die Flucht gelungen. Slacks hatte sich Freibeutern angeschlossen, war später in den Golf von Bengalen gelangt und hatte vor anderthalb Jahren bei Joslin angeheuert. Immer wieder hatte er versucht, die „Malipur“ so weit zu reparieren, daß sie wieder so seetüchtig und manövrierfähig wurde, wie sie es früher einmal gewesen war. Aber sein guter Wille war jedesmal an dem grenzenlosen Geiz des Franzosen gescheitert. Joslin war nicht bereit, Holz und andere Materialien zu kaufen, die für eine hinreichende Instandsetzung dringend erforderlich waren. Ja, er wollte nicht einmal seine Männer dafür bezahlen, daß sie das Holz selbst in den Küstenwäldern schlugen, und auch keine Zeit darauf verwenden. Slacks hatte sich darauf beschränkt, wenigstens das einzige Beiboot, das der „Malipur“ geblieben war, immer wieder fachgerecht zu kalfatern oder morsche Planken auszuwechseln, so daß wenigstens die Jolle im Bedarfsfall allen Wettern standhielt. Im übrigen spielte Slacks schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, wieder abzumustern. Schon an dieser Fahrt vom Golf von Bengalen zu den Philippinen hatte er nicht mehr teilnehmen wollen, und er verfluchte sich selbst dafür, daß er es am Ende auf Joslins Bitten hin: doch getan hatte.
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Slacks stand bis zu den Knien im Leckwasser der Galeone und hämmerte Planken gegen die Innenhaut des Schiffes, obwohl er genau wußte, daß auch das nichts mehr nutzte, wenn sie nicht bald vor dem Sturm in eine schützende Bucht verholten. Er fühlte sozusagen körperlich, wie es um das Schiff bestellt war. Kein zweiter wußte über die Schwächen des „Dreckskahns“ so nannte er ihn hei sich - besser Bescheid als er. Slacks hörte, wie das Rauschen und Gurgeln der Wasser zunahm, und er spürte die Angst vor dem nahenden Tod in sich aufsteigen. Er brüllte genauso laut wie der Sizilianer. Als trotz allen Abdichtens und verzweifelten Pumpens doch immer mehr Wasser in die Frachträume lief, beschloß er, den entscheidenden Schritt zu tun. „So!“ schrie er. „Mir langt’s jetzt! Ich gehe zum Alten und bringe ihm bei, was er zu tun hat, damit wir nicht alle absaufen wie die Ratten!“ „Das habe ich schon versucht!“ rief Ranon, der Inder. „Und er hat sich geweigert, eine Bucht anzulaufen?“ „Ja.“ „Er sagt, in der verfluchten Mentawaistraße seien wir sicher vor dem schlimmsten Sturm!“ schrie Calderazzo. „Das merken wir ja!“ brüllte Slacks außer sich vor Wut. ,;Ich entere jetzt das Achterdeck, Leute, und wer mir folgen will, der soll es sich nicht zweimal überlegen! Hilfe kann ich sogar gebrauchen!“ „Ich komme!“ rief der Sizilianer, ließ die Lenzpumpe los, die er mit Shindaman zusammen bedient hatte, lief durch das aufspritzende Wasser zu dem Engländer und trat neben ihn. „Das ist ganz nach meinem Geschmack!“ fügte er laut hinzu. Eine schlingernde Bewegung des Schiffes drohte sie beide umzureißen, doch Slacks hatte die Geistesgegenwart, sich an einem Stapel Kisten festzuhalten, ehe es ihn aus dem Gleichgewicht warf. Calderazzo klammerte sich am linken Arm des Kameraden fest, und so wurde auch er vor
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einem neuerlichen Sturz in das schwappende Naß bewahrt. „Was habt ihr vor?” schrie Ranon ihnen zu. „Bist du mit von der Partie?“ wollte Slacks wissen. „Nur, wenn es kein böses Blut gibt!“ „Das läßt sich jetzt nicht mehr vermeiden!“ rief der Sizilianer. Der Inder stolperte ein paar Schritte durch den Gang zwischen den Kisten, Fässern und Ballen und näherte sich den beiden. „Ihr wollt ihn also zwingen, vom Kurs abzuweichen? Das ist Meuterei! Überlegt euch, was ihr ... „Wir wissen, was wir tun!“ unterbrach Slacks ihn scharf. „Oder ist es dir lieber, abzusaufen?“ „Wir könnten es auch mit heiler Haut überstehen!“ fuhr Ranon ihn an. „Bei einer Meuterei bin ich nicht dabei!“ „Keine Angst, wir springen schon nicht zu rauh mit dem Alten um“, sagte Slacks. Dann stieß er Ranon, der eine drohende Haltung einnahm, vor die Brust, daß dieser zurücktaumelte. Slacks drehte sich um und hastete zum Niedergang, gefolgt von dem Sizilianer. Der Inder verlor auf dem schlüpfrigen, tanzenden Deck die Balance und fiel hin. Die „Malipur“ senkte ihren Bug tief in ein Wellental, und das Leckwasser floß von achtern nach vorn durch den Gang und überspülte seine Gestalt. Ranon tauchte mit dem Kopf unter, schluckte Wasser und suchte mit den Händen nach einem Halt. Er fand ihn an einer der Zurrings der Tuchballen, richtete sich mit dem Oberkörper wieder auf und spie die Flüssigkeit mit einem Fluch aus. Er schüttelte sich, rappelte sich ganz auf und wandte, sich zu Shindaman und Dobro um. „Pumpt weiter!“ rief er ihnen zu. „Ich will zusehen, daß ich ein Unheil verhindern kann!“ Mit diesen Worten verließ auch er in aller Hast den Frachtraum und versuchte, den Engländer und den Sizilianer noch einzuholen, bevor sie vom Achterkastell auf die Kuhl hinaustraten.
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Der Bengale und der Malaie blickten sich im Dunkel des Schiffsraumes über die Lenzpumpe hinweg an. Sie schüttelten die Köpfe, zuckten mit den Schultern und griffen nach dem beidseitig zu bedienenden Schwengel der Pumpe. Mit den Rücken gegen die Ballen gepreßt und die Füße so fest wie möglich auf die Planken gestemmt fuhren sie fort, das Wasser aus dem Bauch der Galeone zu pumpen. Ihre Mienen waren hart und verbissen. Sie wußten, daß ihr Werk eine wahre Sisyphusarbeit war, denn es drang nach wie vor mehr Wasser ein, als sie hinausbefördern konnten. Trotzdem pumpten sie weiter, als hinge von ihnen allein das Wohl der „Malipur“ ab. * Joslin fühlte, wie ihn die Angst übermannte und nicht mehr losließ. Bislang hatte er alle Hoffnung darauf gesetzt, daß der Seegang und der Wind sich etwas mäßigen würden, wenn sie mit der Galeone tiefer in die Mentawaistraße eindrangen. .Jetzt aber sah er ein, daß er sich in diesem Punkt getäuscht hatte. Und noch etwas trug erheblich zum Aufkeimen seiner Furcht bei: Er hatte den deutlichen Eindruck, daß er das Ruder nicht mehr lange halten konnte. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen den Kolderstock, der sich selbständig machen wollte und zu einer gefährlichen Waffe werden konnte, wenn er seinen Griff auch nur für einen Augenblick lockerte. Dann nämlich würde der hölzerne Hebel bis nach Backbord hinüberschnellen und ihm, Joslin, möglicherweise die Beine zerquetschen, wenn er sich nicht schnell genug in Sicherheit brachte. Diese Aussicht war aber noch lange nicht das Schlimmste, was die Gedanken des Franzosen beschäftigte. Vor wenigen Minuten glaubte er ein verdächtiges Knacken und Knirschen im Gebälk der Ruderanlage vernommen zu haben, und er wußte, daß es keine Täuschung gewesen war.
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Vielleicht hatte einer der Balken oder gar das Ruder selbst schon einen Knacks davongetragen - und was das hieß, hätte selbst ein weniger erfahrener Mann als Joslin gewußt. Das Ruder konnte brechen. Dann würde der Südsüdwest-Wind die Galeone aus dem Kurs werfen und vor sich her nach Legerwall drücken, bevor der Kapitän und seine Männer auch nur die Chance hatten, das Ruder zu reparieren. Dann fehlt nur noch ein Mastbruch, und wir sind geliefert, dachte der Franzose, dann wirft uns der Sturm auf die Küste oder auf ein Riff, oder aber der ganze Kahn schlägt quer und säuft ab. Jetzt war er fast bereit, seine Meinung zu revidieren und neue, anderslautende Befehle zu geben, damit er das Schiff, die Ladung und die Mannschaft retten konnte. Aber er lag noch mit sich selbst im Widerstreit, denn er wagte sich nicht auszurechnen, wie viele Tage er möglicherweise vor der Küste von Sumatra festlag, wenn er nun doch aufgab, den Sturm abwettern zu wollen. In seine Überlegungen hinein platzten Slacks und Calderazzo. René Joslin sah sie durch einen Schleier von Gischt in den Manntauen auf sich zuhangeln. Sofort war ihm klar, was sie von ihm wollten. Calderazzo war ein guter Seemann, aber er konnte unberechenbar sein, wenn sein Temperament durchbrach. Heißblütig und schnell auf - brausend, wie er war, konnte dann Furchtbares passieren. Joslin hatte den Sizilianer in den Jahren ihres Zusammenseins ein paarmal deswegen maßregeln müssen, einmal, weil der Mann in seiner Wut fast zwei andere Decksleute niedergestochen hätte, die sich auf einen Streit mit ihm eingelassen hatten. Diese beiden hatten anschließend sehr schnell wieder abgemustert. Slacks war deshalb ein unsicherer Kandidat, weil er schon mehrfach zu verstehen gegeben hatte, daß er die „Malipur“ bald wieder verlassen würde. Joslin konnte ihm das nicht unbedingt übelnehmen, aber er hatte den Verdacht, daß der Engländer die anderen Kerle noch
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gegen ihn, den Kapitän, aufwiegeln würde, ehe er ihnen ein für allemal den Rücken zukehrte. Joslins Augen waren schmale Schlitze, als sich der Engländer und der Sizilianer vor ihm aufbauten. Seine Miene war hart und verschlossen. „Was habt ihr hier zu suchen?“ rief er ihnen zu. „Ist euer Platz nicht unten im Laderaum?“ „Wir kämpfen da unten auf verlorenem Posten!“ schrie Slacks. „Das Wasser ist schneller und stärker als wir, und bald wird es an allen Ecken und Enden in den verdammten Kahn laufen – und wir wollen in der Brühe nicht ersaufen, Capitaine!“ „Kehrt sofort nach unten zurück!“ „Capitaine!“ brüllte Calderazzo gegen das Sturmtosen an. „Das können Sie von uns nicht verlangen! Sie wissen sehr genau, wie es um die ‚Malipur’ bestellt ist! Deshalb verlangen wir von Ihnen, daß Sie ...“ „Ihr habt gar nichts zu verlangen!“ fiel ihm der Franzose aufgebracht ins Wort. „Zum letzten Mal, räumt das Achterdeck, oder ich lasse euch wegen Befehlsverweigerung auspeitschen und einsperren!“ „Nein!“ schrie Slacks ihm ins Gesicht. „Nicht mit uns, Mann, denn bevor wir absaufen und von den Haien gefressen werden, haben wir noch ein Wörtchen mitzureden an dem, was aus uns wird!“ „Wir müssen eine Bucht anlaufen!“ rief der Sizilianer. „Genau“, pflichtete der Engländer ihm sofort bei. „Wenn nicht, gehen wir mit diesem vergammelten Dreckeimer, diesem verrotteten Seelenverkäufer, alle Mann zum Teufel!“ „Wie nennt ihr mein Schiff?“ schrie Joslin. „Parbleu, das werdet ihr noch schwer bereuen.“ Er vollführte eine Körperdrehung, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Kolderstock und hielt ihn auch weiterhin mit der linken Hand fest, tastete mit der rechten jedoch nach seiner Steinschloßpistole, die in seinem Hosengurt steckte. „Ziehen Sie bloß nicht die Pistole!“ warnte Slacks.
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„Sei vorsichtig, Capitaine!“ brüllte Calderazzo und fuhr mit der Hand unters Hemd. Joslin wußte, daß er dort, in einem kleinen Futteral aus Schweinsleder, das er an einem Schulterriemen trug, das Messer hatte. „Drohen wollt ihr mir also?“ Rene Joslin stieß einen wilden Fluch aus und zückte die Pistole. Er spannte den Hahn und richtete die Waffe auf Slacks, den er in diesem Moment für den übleren Kerl von beiden hielt. Als Slacks sich auf ihn stürzen wollte, riß der Franzose, ohne zu zögern, den Abzug durch. Er hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, eine geschützte Bucht anzusteuern. Aber das ließ er sich von seiner Mannschaft nicht vorschreiben. Jetzt, da Slacks und Calderazzo mit der direkten Forderung auf ihn zugetreten waren, schaltete er auf stur. Und wenn das Ruder und die Masten hundertmal brachen und auch die „Malipur“ samt ihren fünfzehn Männern geradewegs in die Hölle fuhr, Joslin würde sich niemals dem Druck beugen, den die beiden auf ihn auszuüben dachten. Ließ er es zu, daß sie ihm etwas auferlegten, war es mit seiner Autorität als Kapitän für alle Zeiten aus und vorbei. Lieber starb er, als eine Meuterei auf seinem Schiff ausbrechen zu lassen. Aber dich nehme ich noch mit auf die länge Reise ins Jenseits, du Hund, dachte er, während er den aufschreienden Slacks über den Lauf der Pistole hinweg anstarrte und auf das Krachen des Schusses wartete. 7. Leusen, der Holländer, war mit einem Dutzend Mitgefangener aus dem Palisadenlager ausgebrochen, und alle hatten sich ausgesprochen mutig gegen die spanischen Soldaten zur Wehr gesetzt. Dennoch hatte es bei den Kettensträflingen Opfer gegeben. Fünf Mann waren auf der Strecke geblieben, so daß Leusen jetzt, als er den Durchbruch geschafft hatte und in die Hütte mit dem Waffenlager eindrang,
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nur noch sieben Mitstreiter hinter sich hatte. Er konnte von Glück sagen, daß die Tür zur Hütte nicht verriegelt und mit einem Schloß versehen war. Mit einem wilden Lachen taumelte er in den Raum, in dem die Musketen und Tromblons an den Wänden lehnten oder pyramidenförmig in der Mitte zusammengestellt waren. Er riß ein Tromblon an sich, steckte seinen Lauf durch eine winzige Fensteröffnung und drückte auf die Spanier ab, die draußen heranstürmten. Es krachte, und der Kolben der Waffe stieß heftig gegen Leusens Schulter. Die trichterförmig erweiterte Mündung spuckte gehacktes Eisen und Blei aus. Auf die kurze Entfernung bis zum Gegner zeigte sich jetzt die verheerende Wirkung in aller Deutlichkeit. Die vorderste Reihe der Soldaten brach zusammen. Schreie gellten. Die nachdrängenden Spanier waren entsetzt und für eine Weile irritiert, sie blieben stehen, duckten sich und schienen zurückweichen zu wollen. Leusen nutzte die Gelegenheit. Er ließ das leergefeuerte Tromblon fallen, fuhr zu seinen Gefährten herum und griff nach den Musketen, die gegen die Hüttenwand gelehnt standen. Er warf ihnen eine Waffe nach der anderen zu, und sie eröffneten von der Tür der Hütte aus das Feuer auf die Spanier. Der Holländer richtete ein zweites Tromblon durch die Schießscharte auf die Feinde, schoß und beobachtete mit einem Ausdruck grimmiger Genugtuung, wie die Verwirrung in den Reihen der Soldaten wuchs und in Panik umzuschlagen drohte. Niemals hätten sie gedacht, daß der Kampf zum zweitenmal entfacht werden würde, nie hatten sie damit gerechnet, daß sich die Sträflinge so erbittert gegen sie zur Wehr setzen würden. Anfangs hatten sie sich ausgerechnet, daß sie leichtes Spiel mit ihnen haben würden und genau das war ihr Fehler. Sie hatten die Männer, die lange genug ein erbarmungswürdiges Dasein in Ketten gefristet hatten, gründlich unterschätzt.
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Leusen warf auch das zweite Tromblon weg, dann riß er so viele Musketen und Blunderbüchsen an sich, wie er tragen konnte, und verließ die Hütte. Er sah einen seiner Mitkämpfer unter dem wütenden, aber schlecht gezielten Feuer der Spanier zusammenbrechen. Die Kugel hatte den Mann in den Kopf getroffen, für ihn gab es nichts mehr zu tun. Leusen schrie den restlichen sechs Männern zu: „Los, nichts wie weg hier und ab zu den Piers!“ Er setzte sich wieder an die Spitze des Trupps und hastete an den Hütten vorbei auf die Stelle zu, an der der Seewolf immer noch mit Don Felix Maria Samaniego kämpfte und an der sich auch die anderen Verbündeten - Smoky, Luke Morgan, Carberry, Trench und Josh Bonart -mit allem Einsatz, den sie aufzubieten vermochten, an dem Handgemenge beteiligten. Hasard hatte beim Ringen mit dem Kommandanten seinen Helm verloren und war trotz seines heftigen Bestrebens, den Spanier abzuschütteln, in eine bedrohliche Lage geraten. Er lag jetzt auf dem Rücken, und Don Felix war über ihm. Hasard versuchte, die Arme des Gegners wegzuschlagen, aber der Mann stürzte sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf ihn und schloß die Hände um seinen Hals. Er würgte ihn und schrie: „Verdammter englischer Bastard, das wirst du mir büßen! Ich bringe dich um, ich bringe dich um!“ „Sir!“ brüllte der Profos. „Halt durch, ich komme!“ Er wollte seinem Kapitän zu Hilfe eilen, aber zwischen ihm und Hasard waren immer noch zwei Soldaten, die ihm den Weg verstellten. Sie hatten ihre Musketen und auch ihre Pistolen abgefeuert, doch sie hatten immer noch ihre Säbel, mit denen sie drohend auf ihn losrückten. Hasard bäumte sich unter Samaniegos mörderischem Griff auf, aber der Spanier ließ ihn nicht los. Er preßte seine Finger um die Kehle des Seewolfs zusammen. Obendrein versuchte er, seine Knie auf Hasards Arme zu stemmen, damit er auch diese nicht mehr bewegen konnte.
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Carberry knallte dem einen Spanier den Musketenkolben gegen die ungeschützten Beine, und der Mann geriet aus dem Gleichgewicht. Carberry sprang mit einem gewaltigen Satz hinter ihn, so daß der Mann zwischen ihm und dem zweiten Soldaten war, hieb mit der Faust zu und traf die Schulter des Torkelnden. Der Spanier verspürte einen stechenden Schmerz in seinem Arm, seine Hand war wie gelähmt. Der Profos entriß ihm den Säbel, trat ihm in das verlängerte Rückgrat, daß er der Länge nach auf den Boden stürzte, und widmete sich dem zweiten Gegner, der säbelschwingend vor ihn hintrat. Carberry war nie ein eleganter Fechter gewesen, ihm war im Duell die Zweckmäßigkeit seiner Streiche wichtiger als der Stil. Dreimal krachte seine Klinge gegen die Waffe des Gegners, dann hatte er dessen Deckung aufgetrieben und stach zu. Der Spanier brach mit einem erstickten Laut zusammen. Carberry hatte Luft und konnte sich Hasards Gegner widmen. Aber das wäre zu spät gewesen, wenn der Seewolf sich nicht selbst zu helfen gewußt hätte. Bevor Don Felix Hasards Arme auf dem Boden festnageln konnte, hatte Hasard sie ein Stück an den Körper gezogen und hochgehoben. Die Atemluft wurde ihm knapp, er verspürte Stiche in der Lungengegend und Schmerzen im Hals. Aber ehe ihm die Sinne schwanden, konnte er mit seinen Fäusten noch ausholen und sie beide gleichzeitig dem Spanier in die Körperseiten schmettern. Zu solchen Mitteln griff der Seewolf nur, wenn er in äußerster Notwehr handeln mußte. Und das war jetzt der Fall. Du oder ich, so lautete die Losung, und alle Fairneß mußte an diesem Punkt ein Ende haben. Ritterlich hatte sich auch der Spanier nicht verhalten, denn es war für einen Mann seines Ranges mehr als unehrenhaft, dem Todfeind einfach die Gurgel zuzudrücken. Don Felix richtete sich mit seinem Oberkörper kerzengerade auf und ließ Hasards Kehle los. Er stieß einen japsenden Laut aus und rang nach Luft.
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Hasard hieb noch einmal zu, und dann vollführte er eine so schnelle und kraftvolle Leibesdrehung, daß Samaniego sich nicht mehr halten konnte. Er warf den Spanier von sich ab, verpaßte ihm noch einen Faustschlag gegen das Kinn und erhob sich dann. „Sehr gut, Sir!“ brüllte Carberry, so laut er konnte. Er stand keine drei Yards von seinem Kapitän entfernt und schwenkte triumphierend den Beutesäbel. „Brauchst du eine Waffe? Hier, ich geb’ sie dir gern!“ Sein Kampfgeist war von geradezu erheiternder Frische. Hasard grinste, bückte sich nach dem Degen, den Don Felix während des Ringens verloren hatte, und hob ihn vom Boden auf. „Danke, nicht nötig, Ed!“ rief er zurück, dann wandte er sich Luke Morgan und Smoky zu, die schon wieder von einer Übermacht von Gegnern umringt waren. Hasard ging auf die Spanier los. Carberry war plötzlich neben ihm, und von hinten rückten nun auch Trench und Josh Bonart zu ihrer Unterstützung an. Zu viert fochten sie gegen die Soldaten, die sie erst jetzt bemerkten und erschrocken zu ihnen herumfuhren. Dann trafen auch Leusen und die anderen überlebenden Sträflinge ein. Der Holländer und drei andere Männer der Gruppe brachten es nicht fertig, die Befreier ihrem Schicksal zu überlassen. Sie mischten sich mit in das Kampfgetümmel ein. Nur die drei übrigen eilten sogleich zum Hafen hinüber, um eine der Pinassen oder Schaluppen zu besetzen, die dort an den Piers vertäut lagen. „Diese Schweinehunde!“ brüllte der Profos. „Jonny hatte schon recht, es sind ein paar elende Galgenstricke und Hurensöhne darunter!“ „Laß sie laufen!“ rief Hasard ihm zu. „Sag mir lieber, wo die anderen sind - Shane, Dan, Jonny und wer sonst noch von dem Lager zum Kastell schleichen konnte!“ Zur Antwort erhielt er ein höllisches Gebrüll, und Carberry schrie diesmal ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten nichts, sondern wies nur kurz mit dem Daumen über die Schulter zurück auf die
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Männer, die jetzt die Auffahrt der Festung hinunterstürmten. Dann konzentrierte er sich wieder auf den Kampf. Big Old Shane und Dan O’Flynn liefen an der Spitze der Gruppe von Ausbrechern. Gleich hinter ihnen folgten Sullivan, Christians und Sumatra-Jonny, dann Taluk, der Batak, und der Rest der „glorreichen Zehn“ sowie alle diejenigen, die beschlossen hatten, bei dem verwegenen Haufen zu bleiben. Alle anderen befreiten Sträflinge hatten sich entweder zur Nord- und Ostseite hin aus dem Kastell entfernt, oder aber sie liefen jetzt zum Palisadenlager hinunter, um auch die restlichen Gefangenen, die dort verzweifelt an ihren Ketten arbeiteten, noch herauszuholen. Dan, Shane, Jonny und die anderen gut zwei Dutzend Mann hatten aus den Waffenkammern im Kellergewölbe der Festung genug Feuerwaffen und Blankwaffen mitgebracht, um jetzt handfest in das Geschehen eingreifen zu können. Sie schossen und schlugen eine Bresche in den Pulk der säbelschwingenden Spanier — und jetzt trat die Wende endgültig ein. Die Soldaten wichen zurück. Alle, auch Don Felix, waren jetzt plötzlich nur noch darauf bedacht, die nackte Haut zu retten. „Sir!“ schrie Dan O’Flynn. „Wir haben noch eine kleine Überraschung für die Dons vorbereitet!“ „Sag mir, was es ist!“ rief der Seewolf. „Sie verstehen ja doch kein Wort Englisch und können deswegen auch nicht gewarnt werden!“ „Wir haben immense Pulvervorräte in den Gewölben vorgefunden, genügt dir das?“ „Ja, das genügt!“ Hasard wußte Dans Grinsen sehr wohl zu deuten. Sie waren lange genug zusammen und hatten gemeinsam viel erlebt, da bedurfte es keiner großen Worte mehr, um sich zu verständigen. Hasard billigte voll und ganz die „Überraschung“, für die Dan und Shane gesorgt hatten. Wichtig war jetzt nur eins, nämlich, so schnell wie möglich zu den Piers zu gelangen und in die Hafenbucht hinauszupullen.
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Hasard hob den Kopf — und jetzt konnte er die „Isabella“ erkennen, die unter vollen Segeln durch die aufgepeitschten Fluten in die Hafenbucht von Airdikit einlief. Plötzlich blitzte eine der vorderen Drehbassen auf. Die Kugel flog über die Piers und klatschte dann ins Wasser, ohne Schaden anzurichten. Sie war nur die erste Warnung Ben Brightons an die Spanier, sich von jetzt an höllisch vorzusehen. Hasard steckte den Degen weg und lief zu Blacky. Er hob ihn vom Boden auf und schleppte ihn zu den Piers. Dies war auch für die anderen das Zeichen, nunmehr die Stätte des Kampfes zu verlassen. Carberry und Shane griffen Ferris Tucker unter die Arme und nahmen ihn in ihre Mitte. So schnell sie konnten, transportierten sie ihn zu den Pinassen und Schaluppen hinüber. Ferris war nach wie vor bei vollem Bewußtsein. „Meine Axt!“ stieß er immer wieder hervor. „Hölle und Teufel, ich will diesen Hunden doch nicht meine schöne Axt hierlassen!“ „Nun hört euch diesen Witzbold von einem Holzwurm. an!“ schrie der Profos. „Hat eine Kugel im Balg stecken und mault trotzdem noch wegen seiner beschissenen Axt herum. Ferris, soll ich dir sagen, wohin du dir die Scheißaxt stecken kannst?“ „Hör auf, da liegt sie ja!“ rief Big Old Shane. Sie blieben nur ganz kurz stehen, und der ehemalige Schmied von Arwenack bückte sich nach der Zimmermannsaxt und hob sie auf. Dann liefen sie weiter. Ferris hatte große Schmerzen, aber er grinste trotzdem. Der Seewolf hatte mit Blacky die nächstliegende Pier erreicht. Dan war bei ihm und half ihm, Blacky so vorsichtig wie möglich in die stark schwankende Pinasse zu befördern, die sie bei ihrem heimlichen Eindringen in das Straflager der Spanier benutzt hatten. Als Hasard zu Blacky in das Boot kletterte und auch Carberry und Shane mit Ferris Tucker auf der Pier anlangten, erwachte Don Felix Maria Samaniego aus seiner
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kurzen Bewußtlosigkeit. Er richtete sich benommen auf, warf einen Blick in die Runde und erfaßte die Situation trotz seiner Schmerzen und seiner Übelkeit sofort. Er sah, daß der Seewolf und dessen Männer im Begriff waren, den Kampf für sich zu entscheiden. Natürlich entging ihm auch nicht der Anblick des großen, majestätisch wirkenden Dreimasters, der da mit einem solchen Tempo in den Hafen rauschte, als sei die Bucht von Airdikit schon immer sein Ankerplatz gewesen. „Zum Kastell hinauf!“ schrie der Kommandant den ihm am nächsten stehenden Soldaten und Offizieren zu. „Feuert die Culverinen auf die Schiffe ab! Versenkt beide Galeonen, ehe diese Teufel entwischen können!“ * Ben Brighton stand breitbeinig auf dem Achterdeck der „Isabella“ und hielt sich mit beiden Händen an der Schmuckbalustrade fest. Trotz der Wolken von Gischt, die vor dem Sturmwind her über die Bucht trieben, und trotz der Dunkelheit konnte er in aller Deutlichkeit beobachten, wie Hasard, Dan, Shane, Carberry, Ferris, Blacky, Luke Morgan und ein paar andere Männer die erste Pinasse bemannten und lospullten, genau auf ihr Schiff zu. Drei Männer, die Ben noch nie zuvor gesehen hatte, waren in offenbar hektischer Eile damit beschäftigt, die Leinen einer Schaluppe loszuwerfen, aber ehe sie es geschafft hatten, war Sumatra-Jonny mit einem Pulk von Männern auf der Pier und ging auf das Trio los, das augenscheinlich die Schaluppe für sich allein haben wollte. Ein kurzer, heftiger Kampf entbrannte, und am Ende flogen die drei Kerle ins Wasser. Jonny enterte die Schaluppe, seine Kameraden folgten ihm. Ben lächelte hart. Seine Mundwinkel senkten sich aber sogleich wieder, denn er dachte an Blacky, der reglos zwischen den Duchten der Pinasse lag, und an Ferris Tucker, der sich
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mit beiden Händen an die Brust gegriffen hatte und offenbar auch verletzt war. Ben warf der Pinasse noch einen besorgten Blick zu, dann gab er das Zeichen, die Segel aufzugeien und auf die Gefechtsstationen der Steuerbordseite zu gehen. Längst waren die Geschütze ausgerannt worden, längst hatten auch die Zwillinge wie üblich den Sand auf der Kuhl ausgestreut, der den Männern im Gefecht einen sicheren Stand auf den Planken gewährleistete. Batuti hockte im Großmars und hielt seine Brand- und Pulverpfeile bereit. Der Kutscher kauerte auf der Back hinter der Schleudervorrichtung, Ferris Tuckers Erfindung, die zum Abfeuern der Flaschenbomben diente. Old O’Flynn hatte diesmal das Ruder übernommen und manövrierte die Galeone so dicht an die Piers heran, wie es irgend möglich war. Pete Ballie fungierte mit den anderen Männern auf der Kuhl zusammen als Geschützführer, statt wie üblich im Ruderhaus zu stehen, denn er war bei diesem starken Seegang auf Deck beweglicher als der alte O’Flynn mit seinem Holzbein. Da die „Isabella“ zur Zeit unterbemannt war, hatte Ben die Zwillinge ausnahmsweise an die Drehbassen der Back herangelassen, und sie hatten auch den ersten Warnschuß abfeuern dürfen. Sie hatten ihre Sache nicht schlecht hingekriegt, fand Ben, und deshalb beließ er sie auf ihren Posten. Philip junior und Hasard junior hatten die eine Drehbasse jetzt nachgeladen und verfolgten wie gebannt die weitere Entwicklung der Dinge. Sie hatten sich die Gewehre umgehängt, die ihr Vater diesmal nicht mitgenommen hatte, da sie bei seiner „Maskerade“ verräterisch hätten wirken können: den Radschloß-Drehling und den Schnapphahn-Revolverstutzen. Für den Fall, daß es noch zu einem Nahkampf mit den Spaniern kam, hatten sie also gleich vierzehn Schüsse zur Verfügung, denn der Drehling verfügte über eine sechsschüssige
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Trommel und der Stutzen über einen Zylinder mit acht Kammern. Kaum waren die Segel auf gegeit, hasteten die Männer an den quer über die Kuhl gespannten Manntauen zur Batterie der Steuerbordseite und schürten die Holzkohlenfeuer in den bereitgestellten Kupferbecken an. Alle wurden hier jetzt gebraucht: Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies, Al Conroy, Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey, Will Thorne und Stenmark, der Schwede. Ben und Old O’Flynn würden –falls es nötig war – die achteren Drehbassen bedienen. Bill, der Moses, kroch an den acht Geschützen der Backbordseite entlang, stocherte die Kohlenfeuer auf und überprüfte noch einmal die Pulver- und Eisenladungen, damit auch diese Breitseite sofort einsatzbereit war, sobald die acht Kanonen von Steuerbord leergeschossen waren. Rasch verlor die „Isabella“ an fahrt, und die Distanz zwischen ihrer Bordwand und der Pinasse schrumpfte mehr und mehr zusammen. Ben gab Bill einen Wink, und der Moses hetzte jetzt zur Steuerbordseite hinüber, um die Jakobsleiter auszubringen. Stenmark half ihm dabei. Rasch hatten sie die auf rollbare Leiter an der Bordwand abgefiert und belegten sie an zwei Klampen. Ben warf wieder einen Blick zur „San Rosario“ hinüber und stellte fest, daß Sumatra-Jonny mit seinen Leuten nun auch fast das Ziel erreicht hatte. Die Männer – es waren insgesamt fünfzehn, wie Ben zu erkennen glaubte – pullten wie die Besessenen und brachten die Schaluppe schnell voran. Aber eine zweite Schaluppe hatte sich von einer Pier gelöst und folgte den Männern, die im Begriff waren, die „San Rosario“ zu entern. Ben Brighton dachte zunächst, sie sei mit Spaniern bemannt. Er wollte schon den Befehl geben, eine Flaschenbombe in das Boot zu befördern, bremste sich dann aber, weil er erkannte, daß die Besatzung der zweiten Schaluppe nicht aus uniformierten Spaniern, sondern
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offensichtlich auch aus entflohenen Gefangenen bestand. Das waren Leusen, der Holländer, und die anderen Sträflinge aus dem Palisadenlager und aus dem Kerker der Festung, die beschlossen hatten, mit Jonny an Bord der „San Rosario“ zu gehen. Ben sollte dies wenig später von Hasard erfahren. An Land liefen jetzt die Spanier zusammen, aber Ben vermochte auch die zu erkennen, die zur Festung hinaufhasteten. Was sie vorhatten, konnte er siebleicht ausrechnen. Eine Gestalt erschien plötzlich auf dem Backbordniedergang, der das - Achterdeck mit der Kuhl verband: Morgan Young, der Mann aus Southampton, den die Seewölfe in aller Herrgottsfrühe aus dem Wasser gezogen und somit vor den Krokodilen und den Spaniern gerettet hatten. „Young!“ rief Ben ihm zu. „Solltest du nicht in deiner Kammer bleiben?“ Morgan Young humpelte auf ihn zu. Das linke Bein, das bei seiner Flucht vor den Spaniern durch eine Musketenkugel verletzt worden war, tat zwar noch gehörig weh, aber er biß die Zähne zusammen und kämpfte gegen die Schmerzen an. „Ja, Sir“, antwortete er. „Aber ich halte es da unten nicht mehr aus. Jetzt, da die große Abrechnung stattfindet, möchte ich hier oben nicht fehlen.“ „Meinetwegen!“ rief Ben. „Ich kann jeden Mann gebrauchen, um ehrlich zu sein. Wenn unser Schiff gleich herumholt, wirst du mit mir zusammen die achteren Drehbassen bedienen, in Ordnung?“ „Aye, Sir!“ Young hatte sich umgedreht und wies jetzt aufgeregt mit dem Finger zur Festung. „Da, sehen Sie doch, Mister Brighton! Die Soldaten sind am Tor des Kastells! Bestimmt klettern sie auf den Söller und feuern die Siebzehnpfünder auf uns ab!“ „Wir versuchen, schneller zu sein“, versetzte Ben grimmig. Dann blickte er nach rechts und verfolgte, wie die Pinasse längsseits schor. Er gab Stenmark und Bill durch eine Geste zu verstehen, sie sollten Hasard und den anderen beim Aufentern helfen.
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Ferris Tucker würde es vielleicht schaffen, mit Hilfe seiner Kameraden an der Jakobsleiter aufzuentern, Blacky jedoch nicht. Ben wollte Vorkehrungen treffen, um Blacky mit einer der Hilfsvorrichtungen der „Isabella“ an Bord hieven zu lassen, aber er unterließ es dann doch, weil er sah, daß sich der Seewolf den bewußtlosen, schwerverletzten Mann auf die Schulter lud und Anstalten traf, als erster an der Leiter hochzusteigen. 8. Ranon, der Inder, hätte es nicht mehr geschafft, Slacks und den Sizilianer im Achterkastell einzuholen. Voll Angst und Beklemmung im Herzen trat er jetzt auf die Kuhl hinaus, klammerte sich an einem Manntau fest und enterte das Achterdeck. Er sah Slacks dicht vor Rene Joslin stehen. Joslin hatte die Pistole auf ihn gerichtet. Calderazzo riß soeben das Messer aus seinem Hemd und schickte sich an, sich damit auf den Franzosen zu stürzen. Ranon stieß einen Schrei aus. Er erkannte durch den sprühenden Gischt auch die Gestalten der beiden Decksleute, die hinter der Nagelbank des Besanmastes standen, und hatte das deutliche Gefühl, daß auch diese beiden bei dem, was jetzt unweigerlich geschehen mußte, noch eine Rolle spielen würden. Joslin hatte den Abzug der Pistole gedrückt, und der Hahn schlug auf die Pfanne des Steinschlosses. Es krachte aber nicht, es flogen nicht einmal ein paar Funken. Kein Schuß löste sich. Ranon begriff, daß das Zündkraut der Pistole naß und damit unbrauchbar geworden war. Joslin hätte das wissen müssen, aber er hatte in seiner Aufregung nicht daran gedacht, und dafür bezahlte er jetzt. Slacks warf sich auf ihn und schlug mit den Fäusten auf ihn ein. Joslin ließ den Kolderstock los. Ranon brachte sich mit ein paar Schritten hinter Calderazzo und hielt dessen Messerarm fest.
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„Ich lasse es nicht zu, daß ihr zu Mördern werdet!“ schrie er im Tosen des Sturmes. „Seid ihr wahnsinnig geworden?“ „Laß mich los!“ brüllte der Sizilianer. Joslin und der Engländer fielen zu Boden und wälzten sich auf den Planken. Sie wären beide über Bord gegangen, wenn der Franzose nicht an der Nagelbank festgebunden gewesen wäre und Slacks sich nicht wie mit Krallen an dem Kapitän festgehalten hätte. Wild rollte die „Malipur“ in den kochenden Fluten. Weit krängte sie nach Backbord, und es erschien Ranon so, als würde sie sich nie wieder aufrichten. Er hielt immer noch Calderazzos Arm fest, und dem Sizilianer wollte es nicht gelingen, sich loszureißen. Die beiden Decksleute, die bislang wie unbeteiligt zugeschaut hatten, traten hinter der Nagelbank hervor, und der Inder hatte das Gefühl, daß sich auch hinter seinem Rücken etwas regte. Auch auf der Kuhl war der Zwischenfall bemerkt worden, und so schoben sich von dorther vorsichtig die Gestalten von Männern die Niedergänge herauf, um als Zeugen an dem Zweikampf teilzuhaben. „Du sollst den Kurs ändern!“ brüllte Slacks den Kapitän an, während er versuchte, ihn mit den Händen in einen Würgegriff zu nehmen. „Niemals!“ schrie Joslin ihm ins Gesicht. „Vielleicht hätte ich es getan, aber jetzt kenne ich keinen Pardon mehr. Jetzt ...“ „Das ist unser aller Ende!“ fiel ihm der Engländer ins Wort. „Du stirbst als erster, Bastard!“ „Nein! Mir gehört das Kommando!“ „Nur wenn du mich tötest!“ schrie Joslin. Calderazzo wandte den Kopf und blickte den Inder über die Schulter hinweg an. „Du kannst es nicht mehr verhindern!“ rief er. „Die Zahl derer, die gegen den Kapitän sind, ist groß, größer als die der Schwächlinge und Memmen, die sich alles gefallen lassen!“ „Feiglinge wie ich?“ schrie Ranon. Er drehte dem Sizilianer ruckartig den Arm um, und dieser jammerte vor Schmerz auf. Das lange, scharfe Messer fiel auf die Planken und wurde mit dem nächsten
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Wasserschwall, der sich über das Achterdeck ergoß, durch eins der Speigatten davongespült. „Das wirst du mir büßen!“ brüllte der Sizilianer außer sich vor Wut und wollte Ranon gegen das Bein treten. Doch der wich ihm geschickt aus. Er hätte sich aber weiter mit Calderazzo herumbalgen müssen, wenn jetzt nicht etwas Unerwartetes geschehen wäre. Der Kolderstock, nicht mehr von kräftigen Fäusten gehalten, schwang nach Backbord hinüber. Ranon sah es und stieß einen entsetzten Laut aus, aber Joslins fürchterlicher Schrei übertönte alles andere. Einer der Decksleute vom Besanmast bückte sich plötzlich. Ranon vermochte deutlich das Messer zu erkennen, das er gezückt hatte. Der Inder ließ Calderazzo los, stieß ihn von sich, taumelte davon und wollte noch irgendwie in das Geschehen eingreifen, doch dazu war es zu spät. Der Kolderstock hatte dem Kapitän beide Beine zermalmt. Der Decksmann vom Besanmast hatte nichts weiter getan, als Joslins Halteleine zu durchtrennen, aber damit besiegelte er das Schicksal des Franzosen endgültig. Joslin rutschte auf dem abschüssigen Deck bis zum Backbordschanzkleid. Slacks hielt sich immer noch an dem Mann fest, und es sah so aus, als sei es nun auch mit ihm vorbei. Doch im buchstäblich letzten Augenblick ließ er den Franzosen los und klammerte sich am Schanzkleid fest. Rene Joslin wurde durch einen Brecher, der jetzt mit Wucht über die Decks der „Malipur“ donnerte, über das Schanzkleid geschleudert. Das letzte, was Ranon, der Inder, und all die anderen von ihm sahen, war das Blut, das auf den Planken zurückblieb. Das letzte, was sie von ihm hörten, bevor er in den Fluten versank, war ein langgezogener, unmenschlicher Schrei. Slacks richtete sich mit verstörter Miene am Schanzkleid auf und hangelte an einem Manntau zu Calderazzo, als das Schiff die Backbordseite wieder etwas aus der See hob. Ranon griff nach dem Kolderstock und drückte ihn nach Steuerbord zurück.
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Zuerst hatte er dabei erhebliche Schwierigkeiten, aber dann gab es plötzlich einen Ruck, bei dem der Inder fast strauchelte und fiel, und der hölzerne Hebel ließ sich leicht, allzu leicht, zur rechten Schiffsseite hinüberbewegen. Ranon blickte zu seinen Kameraden und schrie: „Das Ruder ist gebrochen! Das ist die Strafe der Götter für das, was wir getan haben! Jetzt gibt es keine Rettung mehr für uns!“ * Hasard und die anderen Männer aus der Pinasse waren kaum an Bord der „Isabella“, da gab Ben Brighton den Feuerbefehl. Die Culverinen der Steuerbordseite brüllten, rollten zurück und stießen ihre Ladungen aus den Rohren. Pulverqualm breitete sich nach allen Seiten aus. Die Kugeln heulten zur Festung und zu den Piers hinüber. Die am höchsten liegende traf das Tor des Kastells und zerschmetterte dessen linken Flügel, als bestünde er aus dünnem Sperrholz. Drei Kugeln schlugen in die Hütten der Spanier, zwei rasten mitten zwischen die Piers und die daran tanzenden Schaluppen und Pinassen und warfen die spanischen Soldaten zurück, die sich gerade angeschickt hatten, die Boote zu entern und den Flüchtenden zu folgen. Zwei Siebzehnpfünder-Kugeln gruben sich wirkungslos in die dunkle Erde des großen Lagerplatzes. Der Kutscher beförderte auf Befehl des Seewolfes noch eine Flaschenbombe ungefähr zu der Stelle hinüber, an der Don Felix sich befinden mußte. Die Explosion mischte sich mit dem Grollen des Gewitterdonners. Zwei Blitze zuckten fast zur selben Zeit auf und zerliefen in bizarren Mustern vom düsteren Himmel bis zur Erde und zur See hinunter. Und dann krachten die Kanonen der Festung. Drei dieser Geschütze hatte Carberry bekanntlich bereits gezündet, und ehe diese nachgeladen waren, verging doch einige Zeit. Von den restlichen fünf Kanonen
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schossen zunächst nur zwei, weil die drei anderen Geschützführer offenbar die Lunten noch nicht zum Brennen gebracht hatten. Die erste Kugel lag zu kurz und klatschte zwischen den Piers und den beiden großen Segelschiffen ins Wasser der Bucht. Die zweite lag gut zwanzig Yards vom Bug der „Isabella“ und schätzungsweise fünfzehn Yards vom Heck der „San Rosario“ entfernt und ließ nur eine Fontäne aufsteigen, die zwar sehr imposant anzusehen war, jedoch keinen Schaden anzurichten vermochte. Vielleicht hätten die drei anderen Culverinen der Burg mit ihren Kugeln doch noch zumindest eins der Schiffe getroffen. Aber sie gelangten - zu Don Felix Wut und seiner Gegner Begeisterung - nicht mehr zum Schuß. Inzwischen war nämlich die Pulverspur, die Big Old Shane und Dan O’Flynn quer durch das gesamte Gewölbe der Festung bis hin zum Pulverdepot gelegt und dann entfacht ten, abgebrannt, ohne daß einer der Spanier es bemerkt hatte. Die beiden Posten, die von Shane und Dan vor dem eisernen Gatter zum Kerker überrumpelt worden waren, waren inzwischen zwar aus ihrer Ohnmacht erwacht, hatten jedoch nichts Eiligeres zu tun gehabt, als auf den Hof der Festung hinaufzulaufen, um ihrem Kommandanten und den Offizieren die Nachricht vom Tod des dritten Soldaten im Gewölbe zu überbringen. Vorläufig hatten sie die Meldung noch nicht erstattet, denn die Soldaten, die auf Don Felix Maria Samaniegos Befehl hin zum Söller geeilt waren, hatten sie um ihre Hilfe beim Abfeuern der Geschütze ersucht. So geschah es, daß die beiden Kerkerwächter hoch oben bei den Culverinen standen und wie die anderen nichts von dem ahnten, was jetzt passierte. Das Gewölbe brach von unten her auf, als habe ein unsichtbares Ungeheuer in seinen Räumen gehaust, das sich jetzt zu seiner vollen Größe aufrichtete. Ein Feuerblitz stob himmelan, der Druck griff auch nach
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der Westmauer und den beiden fast fertig gestellten Türmen - Und zerfetzte sie. Die Schreie der Soldaten vom Söller gingen in dem ohrenbetäubenden Krachen und Donnern unter, das sich schwer über die ganze Bucht von Airdikit wälzte. Fette schwarze Rauchschwaden breiteten sich gemächlich über der Szene aus, während Steintrümmer auf den Lagerplatz hinunterkrachten, die Dächer der Hütten zerschlugen und bis in das Hafenwasser prasselten. Don Felix selbst wurde von einem der Steine so heftig an dem Helm getroffen, den er sich zu seinem Schutz schnell übergestülpt hatte, daß er wieder zusammenbrach und eine Weile bewußtlos liegenblieb. Als er wieder zu sich kam und sich aufrappelte, sah er nichts als Trümmer und tote Männer um sich herum. Der Wind kehrte die Rauchschwaden aus dem Lager und der Strafkolonie fort, alles wirkte, als habe hier eine schwere Schlacht mit einer ganzen Flotte von Schiffen getobt. Erschüttert blickte der Kommandant den beiden Schiffen nach, die inzwischen beide gehalst hatten und sich mit einem Kreuzschlag nach Westen dem gegenüberliegenden Ufer der Bucht näherten. Jetzt gingen sie Überstag, liefen nach Südosten ab und segelten kurz darauf mit einem dritten Kreuzschlag in die langgezogene Ausfahrt — auf und davon. Don Felix ballte in ohnmächtigem Zorn die Hände zu Fäusten. Er war vorläufig nicht fähig, auch pur ein einziges Wort zu sprechen. * Es war ein mühseliges Stück Arbeit, aus der zwei Meilen langen Zufahrt zur Bucht von Airdikit bis auf die offene See hinaus zu kreuzen. Besonders für die ramponierte „San Rosario“ war es ein erhebliches Wagnis, sich in den Sturm hinauszuwagen, aber Hasard und Jonny, die beiden Kapitäne, nahmen es auf sich, denn sie wollten keine Minute länger in der Strafkolonie der Spanier bleiben.
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Mitten in der Passage hatten sie noch eine Begegnung mit der Schaluppe und der Pinasse, die mit insgesamt sechzehn Spaniern besetzt die Nacht und den frühen Morgen unterwegs gewesen waren und erst jetzt zurückkehrten. Ihre Mannschaften hatten Morgan Young, den entflohenen Sträfling, gesucht. Jetzt hatten sie Gelegenheit, ihn hoch oben auf dem Achterdeck der „Isabella“ stehen zu sehen. Er winkte ihnen vom Schanzkleid aus zu. Die Spanier begriffen, was vorgefallen war, und taten vernünftigerweise das einzige, was ihnen in ihrer Lage übrigblieb: Sie zogen sich mit ihren Booten ins Ufergestrüpp zurück und warteten ab, daß die Galeonen sich an ihnen vorbei schoben. Einen Kampf mit dem Feind aufzunehmen, war für sie glatter Selbstmord. Was konnten sie schon gegen die Kanonen der Schiffe ausrichten? Hasard gab zu diesem Zeitpunkt den Befehl, den Teniente Leandro Moratin und dessen sieben Soldaten aus ihrem Gefängnis im Kabelgatt der „Isabella“ freizulassen. Sie durften auf die Kuhl treten. Aber sie zögerten, und die Angst stand in ihren Gesichtern. Der Seewolf enterte zu ihnen ab und arbeitete sich quer über das schwankende Deck auf sie zu. „Ihr seid frei!“ rief er ihnen zu. „Nein, wir krümmen euch kein Härchen, Senores! Springt über Bord und schwimmt zu euren Kameraden, die am Ufer auf euch warten! Springt, ehe ich es mir anders überlege!“ Jetzt geriet Leben in die halbnackten Gestalten. Flink hangelten sie an den Manntauen zu den Culverinen der Steuerbordseite hinüber, kletterten auf das Schanzkleid und sprangen einer nach dem anderen über Bord, als die „Isabella“ gerade wieder einen Kreuzschlag nach Südosten fuhr. Sie tauchten unter und wieder auf, und dann schwammen sie, so schnell sie konnten, um sich vor der heranrauschenden „San Rosario“ in Sicherheit zu bringen, die im Kielwasser der „Isabella“, fuhr. Drohend schob sich der Bug der Galeone durch die schäumenden Wogen auf sie zu.
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Den Spaniern saß aber auch die Angst vor den Salzwasserkrokodilen im Nacken, denn sie vermuteten, dass die gefährlichen Panzerechsen selbst bei diesem Wetter das Wasser nicht scheuten, um eine sichere Beute zu reißen. Als Moratin und seine sieben Begleiter dann aber doch unversehrt bei den Insassen der Pinasse und der Schaluppe anlangten, klammerten sie sich aufatmend und mit Lauten der Erleichterung an den Dollborden fest. Sie blickten nach Süden und sahen die Segelschiffe in Schleiern von Gischt und Regen untertauchen. Der Himmel hatte jetzt endlich seine Schleusen geöffnet. Donner grollte, und Blitze zuckten, und es würde voraussichtlich noch bis zum nächsten Tag dauern, bis das Wetter seine Kraft über dem Süden Sumatras und der Mentawaistraße ausgetobt hatte. Doch wenigstens brachte der Regen etwas Abkühlung nach der stickigen, kaum zu ertragenden Schwüle, die die lange Einleitung und Entwicklung des Sturmes begleitet hatte. * Hasard hatte wieder das Achterdeck geentert und spähte zur „San Rosario“ zurück. Der Regen näßte seine Gestalt, und er war jetzt fast froh, nach wie vor den Brustpanzer und den Helm des Tenientes Moratin zu tragen, die wenigstens seinen Kopf und den Oberkörper trocken hielten. Die „San Rosario“ glich einem schwimmenden Wrack. Im Gefecht mit den Spaniern, das der Gefangennahme von Jonny und dessen Kameraden vorangegangen war, hatte es nicht nur die Segel an vielen Stellen durchlöchert. Es hatte ihr auch den Besanmast zerfetzt, so daß sie jetzt nur mit dem Groß- und dem Fockmast auskommen mußte. Das Schanzkleid wies einige zertrümmerte Stellen auf, und auch das laufende und stehende Gut befand sich in einem beklagenswerten Zustand.
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Dennoch: Sie hatte kein einziges Leck unter der Wasserlinie, und auch ihr Ruder war noch tadellos in Ordnung. Jonnys Crew würde jetzt das laufende und stehende Gut entwirren und wenigstens einigermaßen richten und klarieren. Daß die Segel so unansehnliche Löcher aufwiesen, war bei diesem Zustand eher ein Vorteil als ein Nachteil. Mit anderen Worten: Jonny konnte es durchaus schaffen, die Fahrt von Airdikit bis zu seinem Schlupfwinkel zurückzulegen, wie er dem Seewolf jetzt signalisieren ließ. Vor der Buchteinfahrt steuerten beide Schiffe mit einem Kreuzschlag nach Südwesten. Sie fuhren bis auf etwa anderthalb Meilen Distanz zur Küste in die brodelnde See hinaus und wurden erheblich durchgeschüttelt. Später nahmen sie Kurs nach Westen und schließlich nach Nordwesten. Sie segelten sehr dicht unter Land quer durch das Wetter und waren der ständigen Gefahr ausgesetzt, von dem fauchenden Wind auf Legerwall gedrückt zu werden. Andererseits mußten sie sich aber so nah an der Küste bewegen, damit ihre Kapitäne die Chance hatten, bei einem Schlimmerwerden des Wetters doch wieder in eine Bucht zu verholen. Hasard überließ Ben für kurze Zeit die Führung des Schiffes und stieg ins Achterkastell hinunter, wo Ferris Tucker und Blacky auf seine Order hin in einer Kammer untergebracht worden waren. Im Gang stieß er fast mit den Zwillingen zusammen. „He!“ rief er. „Was drückt ihr euch hier herum? Und was tut ihr mit den Waffen? Bringt sie schleunigst wieder in meine Kammer, verstanden?“ „Aye, Sir“, antworteten Philip junior und Hasard junior. Philip junior nahm den Radschloß-Drehling von der Schulter und sagte: „Schade, daß wir die Gewehre nicht mehr gegen die Spanier verwenden konnten, Dad.“ „Gut so“, sagte er barsch. „Es ist schon genug. Blut geflossen.“ „Dad, wie krank sind Ferris und Blacky?“ wollte Hasard junior wissen.
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„Das weiß ich nicht“, entgegnete der Seewolf. „In dem Punkt bin ich genauso schlau wie ihr. Ich erzähle euch nachher, wie die Dinge stehen, aber laßt mich jetzt bitte in Ruhe, ja?“ Die Zwillinge sahen ein, daß es nicht nur ratsam war, vorläufig den Mund zu halten, sondern auch klüger, sich erst mal davonzupirschen. Sie liefen zur Kapitänskammer, stellten den Drehling und den Stutzen weg und schlossen den Waffenschrank ab, wie es sich gehörte. Sie hielten sich in dem schwankenden Raum fest und blickten sich an. „So wütend habe ich Dad selten erlebt“, sagte Hasard junior. „Ich schon“, meinte Philip. „Als es nämlich Batuti und dich erwischt hatte. Weißt du noch?“ „Ja, auf Tutuila. Aber Ferris und Blacky schaffen das bestimmt - so wie wir damals.“ „Hoffentlich hat der liebe Gott gehört, was du gesagt hast“, sagte Philip, 9. Ranon stand immer noch am Kolderstock und blickte zu der Stelle des Backbordschanzkleides, an der es den Kapitän in die See gezogen hatte. Das Blut Rene Joslins war jetzt von den über Deck schießenden Fluten weggewaschen worden, aber der Inder hatte die schaurige Szene immer noch in aller Deutlichkeit vor Augen. Calderazzo wollte sich auf Ranon stürzen, aber Slacks hielt ihn zurück. „Laß ihn!“ fuhr er den Sizilianer an. „Willst du alles noch verschlimmern?“ „Der Kerl hat eine Abreibung verdient!“ schrie der Sizilianer. „Er hat mir mein Messer aus der Hand geschlagen. Jetzt ist es weg!“ „Wolltest du den Kapitän niederstechen?“ „Ich wollte ihm bloß einen Denkzettel verpassen. Und du?“ „Ich wollte ihn nicht töten.“ „Das hast du auch nicht getan!“ schrie Calderazzo.
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„Doch. Es ist meine Schuld, daß er so elendig verreckt ist!“ Der Mann vom Besanmast, der Joslins Halteleine mit dem Messer durchgeschnitten hatte, hatte es gehört und gestikulierte zu ihnen herüber. „Nein! Das ist nicht wahr! Ich habe die Schuld!“ „Ich hätte ihn festhalten müssen!“ rief Slacks. „Wir hätten zwar das Kommando über das Schiff übernommen, aber wir hätten ihm seine kaputten Beine geheilt und ihn wenigstens als Decksmann weiterleben lassen. Ich mag ein Schuf t sein, aber ein Mörder bin ich nicht!“ Ranon ließ den Kolderstock jetzt los und arbeitete sich zu Calderazzo und dem Engländer vor. „Alles Gerede hat keinen Zweck!“ schrie er ihnen zu, und sein Gesicht hatte eine Härte angenommen, die es vorher nicht gehabt hatte. „Wir gaukeln uns ohnehin etwas vor. Joslin wäre zeit seines Lebens ein Krüppel geblieben, so wie seine Beine zugerichtet waren. Und nie hätte er sich damit abgefunden, unter der Fuchtel anderer Leute zu stehen und ein Dasein als Decksmann zu fristen!“ Calderazzo hatte immer noch vor, mit dem Inder abzurechnen. Als er aber den Blick sah, den der Mann ihm zuwarf, ließ er von seinem Vorhaben ab. „Versuchen wir lieber, das Steuerruder zu reparieren!“ rief der Inder. Wenig später standen Slacks, Calderazzo, zwei andere Männer und er tief unten im Achterschiff und untersuchten die Ruderanlage, so gut es ihnen bei den starken Schwankungen der Galeone und der Dunkelheit möglich war. Sie wankten im Leckwasser auf und ab, das nun auch hier schon eingedrungen war, und tasteten das Gestänge der Anlage mit ihren Händen ab. Das Ergebnis ihrer Untersuchung fiel niederschmetternd aus. An zwei Stellen waren die Balken gebrochen, und sie hatten kein Material an Bord, mit dem sie die kaputten Hölzer ersetzen konnten. Slacks tat dennoch alles, was in seinen Kräften stand, um die Anlage zu
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reparieren, aber es war ein von Anfang an aussichtsloses Unterfangen. Im Schweiß seines Angesichts schuftete er, und das grenzenlos schlechte Gewissen, das ihm immer wieder den Tod Rene Joslins bildhaft vor Augen hielt, plagte ihn pausenlos. Längst war die „Malipur“ von ihrem bisherigen Kurs abgeraten. Sie trieb jetzt auf die Küste von Sumatra zu, und die Besatzung konnte nichts, aber auch gar nichts daran ändern. Der Wind hieb die Segel in Fetzen, bis sie nur noch als traurige Überreste von den Rahen flatterten, und so taumelte das Schiff bald gänzlich manövrierunfähig und vor Topp und Takel durch die Straße von Mentawai seinem sicheren Ende entgegen. Eine Rettung konnte es nur noch geben, wenn der Sturm nachließ. Doch der Sturm wütete mit unverminderter Kraft weiter und schüttelte die Galeone so heftig, als habe sich die himmlische Gerechtigkeit tatsächlich entschieden, die Männer für Joslins Tod zu strafen. Keiner wußte mehr, auf welcher Position sie sich befanden, und auch das Stundenglas Verriet ihnen nicht mehr, wie spät es war, weil es schon seit einiger Zeit zerborsten war. Es mußte um die Mittagsstunde herum oder schon etwas später sein, als die „Malipur“ auf die Insel Pini zutrieb, ohne daß Ranon, Slacks, Calderazzo, Shindaman, Dobro und die neun anderen Männer auch nur etwas davon ahnten. Die „Pulau Pini“, wie das Eiland in der Sprache der Eingeborenen von Sumatra hieß, war die einzige der Mentawai-Inseln, die als ein natürliches Hindernis in der Mitte der Meeresstraße aufragte. Natürlich hatte René Joslin sehr wohl von ihrer Existenz gewußt, und er hatte auch mit seinen Männern darüber gesprochen, daß man entweder im Norden oder im Süden um sie herumsegeln mußte. Doch die Besatzung vermutete die Insel viel weiter südlich. Der Regen und die Gischt ließen die Sichtverhältnisse erschreckend schlecht werden. Der Ausguck, der sich vorn auf
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der Back festgebunden hatte, um nicht aus dem Vor- und Großmars geworfen zu werden, vermochte nicht einmal mehr auf die Entfernung von einer halben Kabellänge zu erspähen, was vor der Galeone lag oder dort geschah. Er hätte unter diesen Bedingungen seinen Posten auch gleich ganz räumen können, es wäre auf dasselbe herausgekommen. Gefährliche Korallenriffe und Unterwasserfelsen umsäumten die Insel Pini an ihren nördlichen Gestaden. Die Bänke erstreckten sich ungefähr zwei Meilen vor palmenbestandenen Sandstränden, die zumindest bei gutem Wetter nichts Arges vermuten ließen. Die „Malipur“ trieb auf die nordöstliche Landzunge der Insel zu, und um ein Haar wäre sie ihrem Verhängnis durch puren Zufall entgangen, aber eben nur um ein Haar. War es vielleicht doch Vorsehung, daß ihre Irrfahrt hier ein jähes Ende fand? Die vierzehn Männer hatten keine Zeit, über diese Frage Überlegungen anzustellen. Als die „Malipur“ mit voller Wucht auf ein Korallenriff krachte, ging ein gewaltiger Ruck durch den morschen Schiffsrumpf, und er brach auseinander. Slacks und Calderazzo, die beide unentwegt an der Ruderanlage weitergearbeitet hatten, wurden gegen die Wand des Achterdecksraumes katapultiert und stießen sich die Köpfe, die Arme und Beine. Sie fluchten wie verrückt, aber als sie die Todesschreie ihrer Kameraden auf dem Oberdeck vernahmen, verstummten sie entsetzt. Das Vorschiff glitt vom Riff und nahm nicht nur einen Teil der Ladung, sondern auch gleich vier Decksleute mit. Wie ein großer Stein sanken die Galion und der Bugspriet, der Vorsteven, die Galionsplattform, die Reste der Blinde und das ganze Vorkastell in die Tiefe. Slacks und der Sizilianer begriffen, was geschehen war, und kämpfen sich in panischer Hast aus den Trümmern in dem tiefen Schiffsraum. Sie stolperten über Niedergänge, von deren Stufen Wasser hinunterfloß, bis nach oben, taumelten auf die Kuhl hinaus und sahen Ranon,
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Shindaman, Dobro und die fünf anderen Überlebenden an den Zurrings des Beibootes hantieren. Der Wind heulte und orgelte über das Wrack, die Brecher drohten die Reste des Schiffes von dem Riff zu reißen. Der Großmast wankte bedrohlich hin und her, und Slacks hörte auch das verdächtige Knacken und Knarren der Rahen, als er mit dem Sizilianer zusammen auf die Kameraden zuwankte. Irgendwie brachten sie es mit vereinten Kräften fertig, die Jolle zu lösen und von ihrer Persenning zu befreien. Sie bugsierten sie nach vorn, dorthin, wo anstelle des Vorkastells jetzt gähnende Leere war. Sie schickten sich an, das Boot über die scharfen Kanten der Korallen ins Wasser zu schieben und dann hineinzuklettern, aber noch einmal schlug das Schicksal unbarmherzig zu. Die Großrah löste sich und stürzte auf die Kuhl nieder. Sie riß vier Männer von der Jolle weg und nahm sie nach achtern mit. Der Seelenverkäufer lehnte sich mit einem langgezogenen Ächzer nach hinten zurück. Drei Männer waren rettungslos unter der schweren Spiere begraben. Der vierte konnte sich befreien und versuchte noch, von dem Schiffsdeck zu kriechen. Aber jetzt sackte auch die andere Hälfte des Wracks in das Tiefwasser ab. Die wenigen Kanonen, die die „Malipur“ führte, und die Ladung aus Stoffen, Gewändern und Gewürzen zerrten die ganze jämmerliche Konstruktion so schnell vom Riff, daß dem in Panik kreischenden Mann keine Zeit mehr blieb, dem drohenden Tod ein Schnippchen zu schlagen. Er wurde mit in die Tiefe entführt, und sein Schreien verebbte, als die Fluten über den Resten der Galeone zusammenschlugen. Slacks, Calderazzo, Ranon, Dobro, Shindaman und ein sechster Mann, der von allen Marc gerufen wurde, blieben auf dem Riff zurück. Mit zitternden Knien und bebenden Händen setzten sie ihr Werk fort und schafften es auch wirklich, die Jolle zu Wasser zu bringen. Sie kletterten hinein und griffen zu den Riemen. Wild tanzte das Boot auf den
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Wogen und drohte, zurück aufs Riff geworfen zu werden. Verzweifelt pullten die Männer gegen die Strömung an. Sie schrien durcheinander und behinderten sich in ihrer Aufregung gegenseitig, aber schließlich hatten sie doch wieder Erfolg und brachten sich so weit voran, daß keine Gefahr mehr bestand, mit der Jolle auf die Korallen zu geraten. Dort hätte das Boot zweifellos das gleiche Ende wie die Galeone gefunden. „Teufel!“ schrie Slacks gegen das Brausen und Toben des Sturmes an. „Das waren die Riffs von Pini! Die Insel kann nicht weit entfernt sein, verdammt noch mal! Versuchen wir, sie zu erreichen! Dort sind wir wenigstens vorläufig sicher!“ „Ja!“ brüllte nun Calderazzo. „Wir schaffen es! Wir müssen es schaffen, hört ihr? Und wenn uns beim Pullen die Arme abfallen - wir müssen diese elende Insel zu fassen kriegen!“ Sie setzten alles daran, es zu schaffen. Weit gelangten sie mit dem Boot aber nicht. Anderthalb Meilen vom Strand der Insel entfernt kenterte es in den Wogen, die sich so hoch wie Häuser auftürmten. Marc stieß noch einen gellenden Schrei aus, dann war er in den Fluten verschwunden. Ranon, Shindaman, Dobro, Slacks und Calderazzo gelang es zwar, sich an der gekenterten Jolle festzuklammern, doch sie gaben sich über ihr weiteres Schicksal keinen Illusionen hin. Irgendwann würden sie sich nicht mehr halten können, und dann war auch für sie der Zeitpunkt zum Sterben da. Das umgekippte Boot mit den fünf verzweifelten Männern daran trieb an der nordöstlichen Landzunge Pinis vorbei, wieder in die Mentawaistraße hinaus. Bis nach Sumatra war es noch weit, und keiner von ihnen hoffte darauf, jemals an den dschungelbewachsenen Ufern zu landen. Der Regen, der auf sie einprasselte, brachte ihnen zusätzliche Qualen. Calderazzo fluchte in einem fort, aber er hörte damit auf, als er vernahm, wie Slacks zu beten anfing. Der Sizilianer schluckte Wasser, hustete, spuckte einen Teil aus und
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schluckte den anderen hinunter, dann flehte auch er laut zum Himmel. Ranon, Shindaman und der Malaie beteten zu ihren Gottheiten. Sie hoben ihre Stimmen, als eine Woge sie bis auf ihren Kamm hinaustrug und sie durch eine Barriere von Gischt und Schaum stieß. Sie schrien auf, als sie die schwarze Schlucht sahen, die sich unter ihnen öffnete. Dann gingen alle ihre Laute in dem Donnern der Fluten unter. Sie rasten mit dem Boot in die Tiefe. Die Fahrt in die Hölle schien begonnen zu haben. 10. Der Kutscher hatte Blacky und Ferris in ihren Kojen festbinden müssen, sonst wären sie bei den wild schlingernden und stampfenden Bewegungen, die die „Isabella“ in der See vollführte, von ihren Kojen gerissen und durch den Raum geschleudert worden. Licht konnte man bei diesen extrem schlechten Wetterbedingungen nicht entfachen, und so war der Kutscher in seiner Arbeit als Feldscher stark behindert worden. „Aber ich habe es trotzdem geschafft!“ verkündete er stolz. „Sir, darauf will ich mir nichts einbilden, aber du kannst es mir glauben: Diesmal hat es mich jede Menge Schweiß gekostet.“ „Kutscher“, sagte der Profos, der mit Shane zusammen schon vor dem Seewolf in den Achterdecksraum getreten war. „Halt jetzt keine großen Reden. Zeig die Kugeln vor, damit Hasard dir auch glaubt.“ Der Kutscher nickte. Mit einer Hand mußte er sich am Kojenrand festhalten, mit der anderen griff er in die Hosentasche und holte die spanischen Geschosse hervor, die er Ferris aus der Brust und Blacky aus der rechten Schulter operiert hatte. Er hielt sie seinem Kapitän dicht vors Gesicht. „Musketenkaliber!“ rief er. „Unter Normalumständen wären die Kerls mausetot gewesen!“ „Ich habe kein Verständnis für solche Witze!“ sagte der Seewolf laut. „Willst du mich jetzt über ihren Zustand umfassend
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informieren, Kutscher, oder brauchst du einen Extrabefehl dafür?“ Ihm war, als zucke der Kutscher bei diesen barschen Worten kaum merklich zusammen, und es tat ihm um selben Augenblick leid, daß er so grob mit ihm umsprang. Aber er konnte seine Gereiztheit nicht verbergen. Das, was Ferris und Blacky zugestoßen war, hatte erheblich an seinen Nerven gezerrt. Der Kutscher erklärte: „Die Brustpanzer der spanischen Uniformen haben beiden das Leben gerettet, Sir. Bei Blacky prallte die Kugel von dem Rand der Ärmelöffnung ab und drang dann in die Schulter ein. Bei Ferris hatte das Geschoß zwar die Kraft, den Panzer zu durchschlagen, aber auch in seinem Fall wurde die Wucht erheblich gemindert. Die Kugeln saßen nicht tief, ich hatte sie schnell gefunden. Es bereitete mir nur einige Probleme, sie bei diesem Seegang auch herauszuoperieren. Versichern kann ich dir, daß weder bei Ferris noch bei Blacky innere Organe verletzt worden sind. Sie haben viel Blut verloren, aber spätestens in einer Woche sind sie bei ihrer ausgezeichneten Verfassung und meiner Verpflegung wieder die alten.“ „Das ist die volle Wahrheit?“ „Sir, bei meiner Berufsehre — ich hätte keinen Grund, dich anzulügen“, versetzte der Kutscher etwas steif. „Danke“, sagte der Seewolf. Dann trat er zu Ferris, beugte sich über ihn und stellte fest, daß der Riese nach wie vor bei vollem Bewußtsein war. Ferris grinste, als wäre überhaupt nichts passiert. „Wann werde ich von diesen Fesseln hier befreit, Sir?“ fragte er nur. „Wenn ich es erlaube.“ „War das nicht ein feiner Ausflug?“ „Das kann man wohl sagen“, entgegnete der Seewolf trocken. „Von dir aus könnte es gleich wieder losgehen, was?“ „Nicht sofort, aber morgen früh vielleicht“, meinte der rothaarige Riese. „Sir“, war jetzt ganz schwach Blackys Stimme zu vernehmen. „Ich ...“
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Hasard drehte sich zu ihm um und brachte sein Gesicht so nah an das seine, daß er seine Züge erkennen konnte. „Wie fühlst du dich, Blacky?“ fragte er. Blackys Augen waren weit geöffnet. „Mittelprächtig, Sir. Wie sieht es draußen aus?“ „Auch prächtig. Wir haben den schönsten Sturm und das beste Gewitter, das man sich vorstellen kann.“ „Und Jonny?“ „Der segelt mit der ,San Rosario` hinter uns her. Es ist nicht mehr die Galeone, mit der wir ihn seinerzeit an der Küste des neuen Kontinents zurückgelassen haben, aber immerhin, er hält sich so gut, daß man staunen muß.“ „Ja“, sagte Carberry. „Jonny, dieser alte Teufelskerl, hat uns sogar signalisiert, daß wir noch heute abend in seinem Schlupfwinkel eintreffen werden.“ „Der muß, wenn mich nicht alles täuscht, querab von der Insel Pini irgendwo im Dschungel von Sumatra liegen“, sagte Hasard. „Fast vor der Nase von Don Felix. Das sieht Jonny mal wieder ähnlich.“ * Am Nachmittag entdeckte Bill, der als Ausguck ganz vorn auf der Galionsplattform der „Isabella“ kauerte, etwas, das alle Männer in größte Aufregung und Alarmbereitschaft versetzte: Backbord voraus trieb ein gekentertes Boot in den Sturmwogen, und daran schienen sich mehrere Schiffbrüchige festzuklammern. Hasard ließ daraufhin sofort SumatraJonny und dessen Crew signalisieren, und wenig später drehten beide Schiffe mit aufgegeiten Segeln bei, um die Schiffbrüchigen zu bergen. Es war ein umständliches und langwieriges Manöver, das vor allen Dingen dadurch erschwert wurde, daß Hasard es nicht riskieren konnte, bei diesem Seegang ein Beiboot abzufieren. Schließlich aber ließ er eine Trosse ausbringen, an der die armen Teufel sich festhalten konnten. Sie gaben ihre Jolle auf, hangelten Zug um Zug auf die
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„Isabella“ zu und konnten am Ende mit letzter Kraft an der Jakobsleiter aufentern, die jetzt stark hin und her schlagend an der Bordwand der Galeone hing. Calderazzo enterte als erster auf die Kuhl, aber keiner der Seewölfe verstand, was er zu erklären versuchte. Dann aber erschien Slacks, und dieser Mann brauchte sich nicht zweimal umzuschauen, um zu begreifen, daß er mit seinen vier Gefährten auf einem englischen Schiff gelandet war. Er fiel fast vor Hasard auf die Knie und stammelte: „Sir, wir danken Ihnen. Das Schicksal ist zuletzt doch noch nachsichtig mit uns gewesen, so sehr, daß es an ein Wunder grenzt, obwohl zumindest ich es nicht verdient hätte.“ „Warum nicht?“ fragte Hasard und verfolgte das Erscheinen der drei anderen mit wachsendem Mißtrauen. „Ich habe den Kapitän unseres Schiffes auf dem Gewissen, Sir.“ „Sie haben ihn getötet, wollen Sie sagen?“ „Nein, Sir, es war eher ein Unfall, aber ein unverzeihlicher Unfall.“ „Wo ist Ihr Schiff? Wo können wir den Rest der Besatzung finden?“ erkundigte sich der Seewolf, obwohl er schon ahnte, wie die Antwort ausfiel. „Die ,Malipur` ist gesunken und hat alle anderen mit auf den Grund der See genommen!“ rief Slacks im Heulen des Windes. Die See rauschte schwer gegen die Bordwand der „Isabella“, der Regen trommelte auf die Decks nieder. „Sie war der schlimmste Seelenverkäufer, den es je gegeben hat, diese ,Malipur`!“ Es hörte sich wie eine Rechtfertigung an. „Sie werden mir alles genau erzählen, was Ihnen zugestoßen ist“, sagte Hasard. „Und danach entscheide ich, was weiter mit Ihnen geschieht.“ * Am Abend - Jonny hatte seit etwa zwei Stunden mit der „San Rosario“ die Führung übernommen - liefen die beiden Galeonen in eine Bucht an der Südküste Sumatras ein, deren Zufahrt fast ganz durch überhängende Lianen und
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Mangroven verdeckt war. Sie lag, wie Hasard richtig vermutet hatte, nördlich querab von Pini, und nur Eingeweihte konnten dieses Versteck finden, wenn sie sich an der dschungelüberwucherten Küste entlang pirschten und aufmerksam nach einer winzigen Unterbrechung in dem dunklen, feuchten Dickicht Ausschau hielten. Knapp zehn Meilen nördlich des Äquators befand sich also der Schlupfwinkel, und keine Tagesreise trennte das Lager von der Strafkolonie Hasard fragte sich, warum Jonnys Kumpane, die sich vor dem Zugriff der Spanier hatten retten können, keinen Versuch unternommen hatten, Jonny und alle anderen aus der Gewalt Don Felix Maria Samaniegos zu befreien. Er sollte darauf bald eine¬ Antwort erhalten. Von Slacks, dem Engländer, hatte er inzwischen alles erfahren, was sich an Bord der „Malipur“ zugetragen hatte. Hasard fühlte sich nicht dazu berufen, Slacks, Calderazzo, Ranon, Shindaman und Dobro dafür zu verurteilen. Sie mußten selbst damit fertig werden. Eine Meuterei war nach den auf See herrschenden Regeln immer eine strafbare Tat, aber andererseits hatte Kapitän Rene Josliri durch seinen Geiz und seine Fahrlässigkeit dies alles selbst provoziert. „Wir setzen euch hier ab“, sagte Hasard zu Slacks und den vier anderen Männern der „Malipur“, als die „Isabella“ jetzt im Kielwasser der „San Rosario“ durch die erstaunlich geräumige Bucht segelte, die sich hinter der schmalen Einfahrt öffnete. „Was weiter mit euch geschieht, liegt ganz bei euch.“ „Ob an Bord der ,San Rosario` wohl noch Platz für uns ist?“ fragte Slacks. „Das werden wir Jonny fragen. Er ist der Kapitän.“ „Wir würden gern bei ihm anheuern.“ „Aber Sumatra-Jonny ist kein biederer Kaufmann“, gab der Seewolf zu bedenken. „Das habe ich mir gedacht. Ist er ein Korsar?“ „Ich weiß im Moment selbst nicht, welche Ziele er sich gesetzt hat“, erwiderte
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Hasard. Wieder dachte er mit Unbehagen daran, daß Jonny die beiden MaoriMädchen nicht wie versprochen zurück nach Neuseeland gebracht hatte. Die Schiffe glitten durch das Wasser, das hier weitaus ruhiger war als draußen auf See, und auf der „San Rosario“ wurden jetzt die löchrigen Segel aufgegeit. Jonny bereitete sich auf das Ankermanöver vor. „Segel aufgeien!“ rief nun auch der Seewolf. „Wir drehen bei!“ Wenig später schrie der Profos: „Fallen Anker!“ Der Buganker rauschte an seiner Trosse aus. Die „Isabella“ lag keine fünfzehn Yards von der „San Rosario“ entfernt. Beide Mannschaften fierten die Beiboote ab. Erst jetzt lenkte Hasard seinen Blick zum Ufer und sah die Gestalten, die dort zusammenliefen. Er konnte Mädchen und Männer unterscheiden und glaubte auch, die beiden Maori-Mädchen erkennen zu können. Na warte, Jonny, dachte er, du kannst dich noch auf etwas gefaßt machen. Wenig später setzten zwei Beiboote der „Isabella“ und zwei Boote der „San Rosario“ voll bemannt zum Ufer über. Die Brandung hob die Jollen hoch und beförderte sie mit Schwung auf das schmale Stück Strand, das in der Abenddämmerung matt schimmerte. Hasard stieg als einer der ersten aus und trat mit zwei Schritten zu Jonny. Die Mädchen empfingen sie mit Beifall. Sie warfen sich vor ihnen auf die Knie. Es waren drei. Die beiden Maori-Mädchen erkannte Hasard auf Anhieb wieder, wer die dritte war, wußte er nicht. „Jonny“, sagte er. „Jetzt heraus mit der Sprache. Was hat das zu bedeuten?“ „Sie haben den innigen Wunsch geäußert, bei uns bleiben zu dürfen“. erklärte Sumatra-Jonny seelenruhig. „Jonny, das ist gegen die Vereinbarungen, die wir auf der Insel Tabu und an der Küste des fremden Kontinents getroffen haben, als wir uns damals trennten“, sagte Hasard etwas schärfer. Die Maori-Mädchen schienen erst jetzt voll erfaßt zu haben, daß er der Mann war, der
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sie seinerzeit aus der Gewalt der Spanier befreit hatte. Sie ergriffen seine Hände,. stießen kleine, entzückte Laute aus und küßten seine Finger. „Das Küssen haben sie gelernt, obwohl bei den Maoris sonst nur der Nasengruß üblich ist“, brummte Jonny. „Und jetzt hör mich an, Philip Hasard Killigrew. Ich habe dich nicht reingelegt. Nur mußte ich seinerzeit erst einmal mit der ,San Rosario’, diesem elenden Kahn, ganz an der Küste des rätselhaften Kontinents entlangsegeln, um ein paar Mann Besatzung aufzugabeln. Das war nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, verstehst du?“ „Ich höre zu.“ „Ich segelte also ganz an der westlichen Küste hoch, konnte ein paar von den Kerlen, die du hier siehst, davon überzeugen, bei mir anzuheuern – ja, und dann geriet ich bis nach Java.“ „Und inzwischen waren die beiden Mädchen deine Geliebten geworden, oder?“ fragte Hasard drohend. Er entzog den Mädchen seine Hände und versuchte, das Gesicht der dritten zu erkennen. Es wollte ihm aber nicht gelingen. Jonny hob die Augenbrauen und beschrieb eine abwehrende Geste. „Aber nein, Sir. ganz gewiß nicht! Bei meiner Ehre, nein! Nur schob ich die Reise nach Neuseeland noch auf, denn ich fand im westlichen Java einen Mann, der meine Hilfe brauchte. Dieser Mann war schwer erkrankt, und sein Leben stand auf des Messers Schneide. Außerdem saßen ihm die Spanier auf den Fersen.“ „Eine rührselige Geschichte, Jonny.“ „Auf der Flucht vor den Spaniern brachte ich ihn bis hierher, und die MaoriMädchen erboten sich, ihn gesund zu pflegen. Nur deshalb brachte ich sie nicht zurück nach Neuseeland. Sie kennen Geheimnisse der Heilkunst, die selbst den Bataks, den Atjehs und den Malaien fremd sind.“ „Aha“, sagte Hasard, aber er war immer noch nicht überzeugt. „Und zwischendurch hast du dann spanische Schiffe überfallen — so ganz nebenbei, oder?“
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„Wir brauchten Proviant und Trinkwasser, ich war auf die Schätze der Dons nicht scharf.“ „Aber du mußtest die Flagge streichen, Jonny. Ich frage mich nur, warum deine Männer, die von Bord der spanischen Galeone springen konnten, nicht wenigstens versucht haben, euch zu befreien.“ Jonny wies auf die vier Männer, die hinter den Mädchen standen. „Das sind die einzigen, die entwischen konnten. Einige andere wurden von den Krokodilen vor den Mangrovensümpfen zerrissen, als sie an Land gehen wollten.“ „Verstehe; Und diese vier trauten sich allein nicht zu, in Airdikit einzudringen.“ „So ist es.“ „Eine feine Story, Jonny“, sagte der Seewolf verdrossen. „Nur leider hat sie einen kleinen Fehler. Sie klingt zu phantastisch. Was würdest du sagen, wenn ich sie dir nicht abnehme?“ Sumatra-Jonny schnitt ein entsetztes Gesicht, und — Hasard konnte sich nun doch nicht helfen — irgendwie wirkte dieser Ausdruck doch grundehrlich und und nicht gespielt. Das dritte Mädchen schaute plötzlich zu Hasard auf. „Du kannst ihm ruhig glauben“, sagte sie in leisem, von einem feinen Akzent geprägtem Englisch. „Ich bestätige, daß es stimmt — Philip Hasard Killigrew. Erkennst du mich nicht wieder?“ „Yaira!“ stieß Hasard verblüfft aus. Ja, sie war es wirklich: Sotoros Lebensgefährtin, die Frau des Tigers von Malakka. „Mein Gott“, sagte Hasard. „Dann ist er also der Mann, der Jonnys Hilfe so dringend brauchte - Sotoro? Wo ist er?“ „In einer der Hütten“, erklärte Yaira. Sie erhob sich und griff nach seiner Hand. „Ich führe dich zu ihm. Es geht ihm jetzt schon viel besser, aber wenn die Maori-Mädchen nicht gewesen wären, wäre es wohl immer weiter bergab mit ihm gegangen.“ Hasard warf Jonny noch einen Blick zu, der ausdrückte: Das hättest du mir aber auch gleich sagen können!
Der Seelenverkäufer
Dann folgte er Yaira, der schönen Malaiin. Sie traten unter das Blätterdach des Dschungels und gingen auf ein paar flache Hütten zu, die aus Hölzern und Schilfmatten erbaut und vorzüglich getarnt worden waren. Yaira steuerte auf die vorderste Hütte zu. Als Hasard mit ihr im Eingang stand, vermochte er die Gestalt des in der Mitte des Raumes liegenden Mannes zu erkennen. Ja, das war Sotoro, der Mann von Kra, aber er hatte sich bedenklich verändert, war stark abgemagert und scheinbar um Jahre gealtert. „Tiger“, sagte der Seewolf. „Hörst du mich?“ Sotoro gab keine Antwort. „Er kann dich nicht hören“, raunte Yaira. „Er schläft jetzt. Der Schlaf ist die beste Medizin, nicht wahr?“ „Ja. Aber wie konnte er so krank werden? Und was ist geschehen? Was ist aus eurer kleinen Republik auf der Insel Rempang geworden?“ Sie senkte den Kopf. „Die Spanier fanden uns. Es gab eine große Schlacht. Alles wurde vernichtet, nur wenige von uns entkamen. Aber das alles wird Sotoro dir noch ausführlich schildern.“ Hasard nickte, dann drehte er sich zu seinen Männern um. Carberry, Shane, Ben, die beiden O’Flynns und fast die ganze Crew bis auf den Kutscher und die Zwillinge, die bei Ferris und Blacky geblieben waren, standen neben Jonny und dessen „glorreicher Zehn“ und blickten aufmerksam herüber. Morgan Young hatte sich neben Trench, Josh Bonart, Sullivan und Christians gestellt und offenbar aufgeregt mit ihnen gesprochen. Er verstummte jetzt aber wie alle anderen. „Jonny“, sagte der Seewolf. „Es tut mir aufrichtig leid, daß ich dich für einen Schwindler gehalten habe. Ich bin wohl ein wenig zu forsch mit dir ins Gericht gegangen.“ „Ich hätte dir ja auch gleich reinen Wein einschenken können“, meinte Jonny mit den sichtlichen Anzeichen großer Verlegenheit. „Tut mir leid, Sir. Ich hatte
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mich eben daran gewöhnt, von Sotoro nicht zu sprechen oder ihn nur andeutungsweise zu erwähnen, ohne seinen Namen zu nennen. Auch in der Gefangenschaft erwähnte ich ihn nie und schärfte meinen Leuten ein, ebenfalls den Mund zu halten. Die Spanier sollten es nicht herauskriegen, daß wir Sotoro geholfen hatten und wo er zu finden ist. Du weißt ja, wie scharf sie darauf sind, ihn zu fassen.“ „Ja. Schwamm drüber, Jonny.“ „Einverstanden, Sir. Danke.“ „Und nenn mich nicht immer Sir.“ „Nein, Sir. Ich meine: natürlich nicht, Hasard.“ Hasard sagte zu seinen Männern: „Wir bleiben eine Weile hier. Vielleicht sogar eine Woche lang. Ferris und Blacky sollen ihre Blessuren gründlich auskurieren, und wir alle haben ein bißchen Ruhe nötig. Außerdem will ich mich lange und ausführlich mit Sotoro unterhalten.“ „Aye, Sir!“ riefen die Männer. „Sotoro wird sich freuen“, meinte Jonny. „Und wie der sich freuen wird! Freunde, ich meinerseits werde nun die Gelegenheit nutzen, die San Rosario`, diesen alten Elendskahn, so richtig auf Vordermann zu bringen. Slacks wird mir dabei eine große Hilfe sein.“ Hasard blickte verwundert zu Slacks, dem Schiffszimmermann. Dieser lachte. „Ja, Sir, Jonny nimmt meine Freunde und mich bei sich auf.“ „Sehr gut“, sagte der Seewolf. „Und die anderen?“ „Wir bleiben auch bei Jonny!“ verkündete Morgan Young laut. „Trench, Bonart,
Der Seelenverkäufer
Sullivan, Christians und ich haben ihn eben gefragt, und er hat gleich eingewilligt.“ „Ja, ich kann gute Männer reichlich gebrauchen“, sagte Sumatra-Jonny. „Uns auch?“ fragte Leusen, der bei den entflohenen Sträflingen stand. Jonny wandte den Kopf und musterte die Gruppe. Es waren Franzosen und Holländer darunter, sogar einige Spanier und Portugiesen. „Aber sicher doch“, sagte er. „Ich schätze, ich kriege noch eine höllisch gute Crew zusammen. Und wer nicht zu uns paßt, wird sich früher oder später schon ganz von selbst absetzen.“ „Davon bin auch ich überzeugt“, meinte der Seewolf. „Schön, soweit wäre also alles in Ordnung. Es hat sich fast alles zu unserer besten Zufriedenheit gelöst — fast alles.“ Er trat aus dem Eingang der Hütte und schritt zum Strand. Es hatte aufgehört zu regnen. Der Sturmwind ließ etwas nach, und die „Isabella“ und die „San Rosario“ schwoiten weniger stark an ihren Ankertrossen. Hasard richtete den Blick auf die „Isabella“. Erst wenn Ferris und Blacky wieder auf den Beinen waren, konnte man behaupten, die Dinge wären allesamt wieder im rechten Lot. Und Sotoro? Yaira hatte behauptet, er befände sich auf dem Weg zur Genesung. Von welcher Krankheit er befallen worden war, würde Hasard noch erfahren. Er hoffte auf eine geruhsame, friedliche Woche hier in der versteckten Bucht von Sumatra. Sie schien ein wirklich sicherer Platz zu sein, ein Hort der Ungestörtheit und Unveränderlichkeit. Hier konnte man Kraft für neue Taten sammeln...
ENDE