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ATLAN - Intrawelt 3 Der Seelenhorter Autor: Leo Lukas In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung - das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht. Atlan, der relativ unsterbliche Arkonide, hält sich jedoch nicht in seiner Heimatgalaxis auf, sondern in Dwingeloo. Dort kämpft er auf scheinbar verlorenem Posten gegen die mysteriösen Lordrichter und deren Heerscharen. Jüngst jedoch gelang ihm der Kontakt zu einer Widerstandsorganisation, und von dieser wurde Atlan um Hilfe gebeten: Als eines der wenigen Wesen, die jemals „hinter den Materiequellen“ waren, sei es ihm als Einzigem möglich, in die die geheimnisvolle Intrawelt einzudringen und von dort den Flammenstaub zu besorgen. Atlan beschließt, das Wagnis einzugehen, und verschafft sich Zutritt in die gigantische Hohlwelt. Zunächst gerät er in Sklaverei, kann sich aber – auch dank der Mithilfe des Echsenwesens Jolo – befreien. Gemeinsam mit Jolo macht sich Atlan auf, die Intrawelt weiter zu erkunden und mehr Informationen über den Flammenstaub zu beschaffen. Doch unterwegs begegnet ihm ein mächtiger Widersacher: Es ist DER SEELENHORTER
Leo Lukas
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Der Seelenhorter
verschaffen wird, wenn ich meine Das Böse siegt immer. Vergangenheit vor dir ausbreite. Die Ärzte Gleichwohl: Ab und an ist mir danach, mich auszusprechen. Prolog: Jetzt zum Beispiel. Aufwärmen Die Gelegenheit scheint günstig. Der Weißhaarige namens Atlan hat sich, Ehrlich, ich mag Leichen. nachdem er in die Schranken gewiesen Weil sie sehr gute Zuhörer sind. Sie lassen wurde, wieder auf den Weg gemacht. Von einen immer ausreden und stellen keine ihm verspreche ich mir einiges; keine dummen Zwischenfragen. Wunderdinge, doch traue ich ihm Auch fühlen sie sich nie bemüßigt, das jedenfalls mehr zu als den meisten Erzählte durch eigene Anekdoten zu anderen. übertrumpfen. Was bei dieser, meiner Meine getreuen, an der Parzellengrenze Geschichte freilich schwer fiele. Denn sie postierten Häppchen haben gemeldet, dass umspannt einen Zeitraum, den normale weitere Reisende in unseren unmittelbaren Sterbliche sich kaum vorzustellen Machtbereich eingedrungen sind. Sehr gut. vermögen. Nachschub ist mir Die Hauptpersonen des Romans: So viele Galaxien habe immer willkommen. ich gesehen, so Atlan - Der Arkonide findet seinen Meister. Bis man die Neuzugänge verschiedene hierher gelotst haben Albia - Die »Hohe Frau« ist nicht, was sie zu sein Universen... wird, bleibt genügend vorgibt. Sogar jenseits des Zeit für meine Jolo - Das Echsenwesen bleibt Atlan treu - soweit es Kosmos, in den sie alle kann. Biographie. Die ich in eingebettet sind, habe aller Unbescheidenheit Vischgret - Eine Konkubine lässt Männer herzen höher ich mich aufgehalten. schlagen. als einzigartig Doch da mir die bezeichne. Es lohnt sich Toyd -Der Eisenfaust« erweist sich als treuer Erinnerung daran Ritz also, dass du die Reste Gefährte. weitgehend genommen deiner Ohren spitzt, wurde, belastet mich Peonu - Der Einsiedler erhält erstaunlich viel Besuch. mein süßer, zumindest diese gesichtsloser Schatz. Episode nicht. Außerdem finde ich, du solltest erfahren, Ach Liebste, zuweilen fürchte ich, mein weswegen du gestorben bist. Nicht woran Schädel müsse demnächst platzen. Von das hast du ja noch mitgekriegt. Sondern innen heraus explodieren, gerade so wie aufgrund welcher weit, weit höheren deiner Paff! und dann: endlich Ruhe. Zusammenhänge. Verlockend, in gewisser Weise. Zu deinen Lebzeiten hätte ich dich in diese Nicht, dass ich mit dir tauschen möchte. nachgerade kosmischen Geheimnisse Du bietest, wenn ich das so sagen darf, klarerweise nicht einweihen können. Siehst nicht unbedingt den schönsten aller du - noch ein gravierender Vorteil, den Anblicke. Dein Make-up hat, vorsichtig dein Tod mit sich gebracht hat. ausgedrückt, ein wenig gelitten. Du bist, wenn nicht zu beneiden, so doch Aber tröste dich, ich habe Schlimmeres zu beglückwünschen. Milliarden Bewohner erblickt. Viel Schlimmeres. dieser Welt gäben viel dafür, an deiner Und ich kann nichts davon vergessen. Ein Stelle lauschen zu dürfen. perfektes Gedächtnis ist gleichermaßen Doch sie alle sind ungeeignet, da noch Segen und Fluch. Was man einmal erlebt nicht so weit. Im Grunde meines hat, wird man nie wieder los. Seelenhorts verabscheue ich sie. Unter Selbstverständlich weiß ich, dass es mir uns: Ich kann sie nicht ausstehen,, sie keine nennenswerte Erleichterung widern mich an.
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Leo Lukas Leichen hingegen erwärmen mein Herz. Aber das habe ich,, glaube ich, bereits erwähnt. 1. Hochlandkinder »Los, verschwinde, Blödmann! Troll dich! « »Troll dich selber. Das ist meine Burg.« »Gar nicht wahr! Die hab ich gebaut, ich ganz allein. Jeder weiß das.« »Na und? Jetzt gehört sie mir. Kannst ja probieren, sie wieder zurückzuerobern. Wirst dir bloß eine Packung Ohrfeigen holen. Los, trau dich! « »Du blöder, blöder, blöder Volltrottel!« »Schimpf, soviel du willst. Davon kriegst du die Burg nicht zurück. Musst mich schon besiegen. Also was ist, Schwächling? Greif mich an. Oder hast du Angst?« »Vor dir? Pah! « »Sicher. Du zitterst ja.« »Tu ich nicht! « »Tust du doch! Machst dir schon fast in die Hosen.« »Mach ich nicht!« »Machst du doch. Bist eh zu feig, mit mir zu kämpfen.« »Bin ich nicht!« »Bist du doch.« Und so weiter und so fort. Es war immer das Gleiche, nach jedem Regenguss. Wenn es donnerte und die ersten Tropfen fielen, flüchteten wir schnell in unsere Hütten. Draußen zu verweilen, wagte niemand, nicht einmal Kurnel, der Größte und Stärkste von uns. Die schweren Tropfen, oft durchmischt mit Hagelkörnern, prasselten so wütend und schmerzhaft hernieder wie Peitschenhiebe. Lautstark trommelten sie auf das Dach, in wilden Wirbeln. Ratatatata! Ratatatata! Die Jüngeren weinten oder wimmerten, in ihre Decken verkrochen. Bei jedem Wolkenbruch bekoteten sich unweigerlich ein paar von ihnen. Gestank breitete sich aus, bis ein Arbeiter kam, sie säuberte, die Sudelei beseitigte und Duftmittel versprühte.
Der Seelenhorter So abrupt, wie das Unwetter eingesetzt hatte, hörte es wieder auf. Dann rannten wir hinaus und wälzten uns, kreischend vor Erleichterung, im feuchten Gras. Die Wiese dampfte. Die Luft roch sehr gut. Viele der aus Lehm gebauten, in der Sonne getrockneten Burgen waren zerstört worden, mehr oder minder dem Erdboden gleichgemacht. Um die wenigen, die den Regenschauern einigermaßen standgehalten hatten, entbrannte jedes Mal sofort heftiger Streit. Die geschicktesten Baumeister waren nämlich nicht unbedingt die besten" Raufer. Und Kurnel, der ließ sowieso lieber andere für sich schuften. Wer dagegen Einspruch erhob, wurde verprügelt, gnadenlos und nicht zu knapp. Rasch hatten wir einen Kreis um Kurnel und Myaze gebildet, deren Burg er für sich beanspruchte. Der Ausgang dieses Konflikts stand von vornherein fest. Gegen den breitschultrigen, hoch aufgeschossenen Rabauken besaß das zarte Mädchen nicht den Funken einer Chance. Es war verwunderlich, dass Myaze sich überhaupt mit ihm anlegte. »Ich warne dich«, piepste sie. »Raus da, oder es passiert was.« Kurnel lachte höhnisch. »Ui, da fürchte ich mich aber. Geh zu den anderen Windelkindern, Kiesel lutschen. Du bist ja schon ganz weiß vor Schiss.« »Bin ich nicht! « War sie aber doch. Und sie schlotterte am ganzen Körper. Irgendwie tat sie mir Leid. Myaze stand eine gewaltige Abreibung bevor, wenn sie nicht im letzten Moment doch noch klein beigab. Zu Hilfe würde ihr bestimmt niemand kommen. Kurnel befehligte zahlreiche Mitläufer, die er sich in den vergangenen Perioden gefügig gemacht hatte. Mit zwei Argumenten, gegen die keiner von uns ankam: seiner linken und seiner rechten Faust. Einige, denen er bei früheren Gelegenheiten übel mitgespielt hatte, waren zu den Arbeitern gelaufen und hatten ihr Leid geklagt. Erfolglos. Die Stählernen waren, ohne im Geringsten auf
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Leo Lukas das Gejammer zu reagieren, weiter ihren Tätigkeiten nachgegangen. Sie versorgten uns, ohne je zu ermüden, doch sie mischten sich niemals in unsere Auseinandersetzungen ein. »Schieb ab, du Baby«, sagte Kurnel. Seine Stimme klang brüchig und viel tiefer als die aller anderen. Körperlich war er uns weit voraus, obwohl ihn die Arbeiter zur selben Zeit hierher verfrachtet hatten wie Myaze, mich und die übrigen 497 Älteren. Die Jüngeren waren zehn Perioden später aus den Spielkrippen angeliefert worden. »Gib mir die Burg zurück, Doofsack, oder ...« »Du drohst mir? Du mir?« Lässig an die Lehmwand gelehnt, ließ Kurnel seine Muskeln spielen. »Womit, wenn ich fragen darf?« Das zierliche Mädchen, nicht viel größer als die Puppen, die manche Jüngere durch die Gegend schleppten, stampfte zornig mit einem dünnen Bein auf. Sie schwankte, konnte sich kaum mehr gerade halten. Ihr schmächtiger Leib wurde hin und her geschüttelt, wie von einer Windbö, die nur Myaze allein erfasst hatte. Plötzlich schrie sie auf, hoch und gellend. Dann geschah etwas ganz und gar Unerwartetes, noch nie Dagewesenes, schrecklich Faszinierendes. Ein Ereignis trat ein, das uns alle bis ins innerste Mark erschüttern und unser Dasein vollkommen verändern sollte.
Der Seelenhorter Myaze verstummte. Kurnels unkontrollierte Bewegungen erlahmten. Seiner Brust entrang sich ein lang gezogener Seufzer. Dann Stille. Ich hielt den Atem an, wie alle anderen in der Runde auch. Niemand rührte sich. Nur Myaze kippte langsam vornüber, fing sich mit den Händen ab und kroch auf allen vieren zu Kurnel hin. Als wisse sie nicht, was zu tun sei, verharrte sie, über den Leblosen gebeugt. . Ein strenger Geruch wehte zu mir her. Unwillkürlich zählte ich in Gedanken bis zwanzig. Fünfundzwanzig. Dreißig. Dann ging ein Ruck durch Myaze. Sie streckte die Zunge heraus und leckte Kurnels feuchtes Gesicht ab. Schmatzte dabei; genüsslich, wie mir dünkte. Sein Körper verlor die Spannkraft. Myaze jedoch erhob sich, energischer denn je. Sich um die eigene Achse drehend, musterte sie, die Hände in die Hüften gestemmt, uns Umstehende. »Wessen Burg?«, rief sie. In ihrer mädchenhaft hohen Stimme hallte eine zweite, vollere, tiefere nach. »Deine«, murmelten wir im Chor, verdattert und furchtsam. Während wir uns wie auf ein geheimes Kommando in alle Richtungen zerstreuten, nahm der Arbeiter Kurnels entseelte Hülle in seine stahlblauen Arme und transportierte sie ab. *
* Der unhörbare, für uns Zuschauer nicht fühlbare Sturm griff auf Kurnel über. Nun zuckte und zappelte auch er. Verrenkte seine Glieder, klappte zusammen. Wand sich in Krämpfen, hellrote Schaumflocken vor dem Mund, der mit einem Mal zu eng für die Zunge schien. Knirschend rollte ein Arbeiter den Hügel herunter. Auf halber Höhe blieb er stehen, die Sehröhren auf die Szene gerichtet. Doch er griff nicht ein.
Erst nach drei Hauptmahlzeiten begannen wir, über das Vorgefallene zu tuscheln. Leise, verschwörerisch und nur, wenn Myaze nicht zugegen war. »Sie hat ihn umgebracht.« »Mit ihrem bösen Blick. Und diesem grauslich spitzen Schrei.« »Unsinn. Blicke töten nicht, Töne ebenso wenig. Da hätte Kurnel schon viel früher tot umfallen müssen.« »Ach. Und wie erklärst du es dir dann? Seit 'wir hier sind, ist noch nie jemand von uns einfach so gestorben.« »Vielleicht war er, äh, krank?«
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Leo Lukas »Krank? Was ist das?« »So was Ähnliches, wie wenn du dich verletzt. Nur von innen. Glaube ich.« »Nie gehört. Wo hast du das her?« »Aus einer der Lesefolien, Dummbeutel.« »Meinst du, Myaze hat ihn >krank< gemacht? Ihm wehgetan, aber innerlich?« »Wäre möglich, oder?« »Sie hat ihm das Leben ausgesaugt. Weggeschleckt. Seine Seele gefressen.« »Kann sie das mit uns auch?« Achselzucken. Betretenes Schweigen. Schaudern. »Sie ist ein Monster.« »Eine Hexe.« »Ich hab Angst...« »Pst! Da kommt sie.« Bis vor kurzem war Myaze eine der Unscheinbarsten von uns Älteren gewesen. Seit ihrem Sieg über Kurnel aber strahlte sie Macht und Autorität aus. Als hätte sich ihre Willenskraft schlagartig verdoppelt. In ihrer Begleitung befanden sich Shdrott, der eine Art Adjutant von Kurnel gewesen war, und eine der Jüngsten. Das o-beinige Gör hielt sich an Myazes Hand fest und sah fast pausenlos hingebungsvoll und verklärt zu ihr hoch. »Hallo.« »Hallo, Myaze.« Die drei schlenderten an unserer Gruppe vorbei. Shdrott grinste und zwinkerte spöttisch. Myazes Haltung signalisierte, dass sie wusste, worüber wir geredet hatten und wieder reden würden, sobald sie außer Hörweite war. »Ich hab Angst ...« * Eine ganze Periode lang passierte weiter nichts Erhebliches. Wir aßen und wuchsen, lasen und spielten. Hauptsächlich bauten wir an den Burgen oder balgten uns, nach dem täglichen Sturzregen, um deren Ruinen. Versteht sich, dass Myaze davon unbehelligt blieb - niemand wollte so enden wie Kurnel. Die Burg, an der sie mit Shdrozz und etlichen Gefolgsleuten arbeitete, wurde
Der Seelenhorter immer höher, immer ausgedehnter, immer besser befestigt. Angesichts ihres uneinholbaren Vorsprungs verloren manche Ältere die Lust und wandten sich anderen Wettkämpfen zu. Hindernislauf kam in Mode, Zielschießen mit Steinschleudern sowie ein Ballspiel, bei dem man auf einem Bein hüpfen musste. Ich beteiligte mich an alldem eher halbherzig, da ich vordringlich mit mir selbst zu tun hatte. Etwas rumorte in mir. Ich fühlte mich unausgeglichen, fremd im eigenen Körper. Mal hatte ich keinen Appetit, dann wieder schlang ich mehrere Portionen hintereinander in mich hinein. Mal war ich den ganzen Tag müde, dann wieder platzte ich vor Tatendrang - ohne zu wissen, wonach mir eigentlich der Sinn stand. Immer öfter litt ich unter Konzentrationsschwierigkeiten. Und ich schlief schlecht, träumte seltsames, wirres Zeug, in dem nicht selten Angehörige des anderen Geschlechts eine zentrale Rolle spielten. Eines Morgens trat ich als Erster unserer Hütte vor die Tür. Die Tische auf der Veranda waren ungedeckt; die Arbeiter hatten das Frühstück noch nicht angerichtet. Ich setzte mich trotzdem; stützte den Kopf in die Hände, starrte ins Nichts. Und erschrak fast zu Tode, als mich jemand am Ärmel zupfte. »Auch schon wach?«, fragte Myaze. * Kurnels Mörderin. Die Hexe. Das Monster. Ich brachte kein Wort heraus, vollführte linkisch eine zustimmende Geste. Meine Gedanken rasten. Wollte sie jetzt mir an den Kragen? Aber warum? Ich hatte ihr nichts getan, war ihr nach Möglichkeit ausgewichen. »Hast du kurz Zeit?« »W-wozu?« »Ich brauche dich.« »Mimi-mich?«
Leo Lukas Eiseskälte wehte über meinen Rücken. Sollte ich als Nächster ausgesaugt werden? War sie scharf auf meine Lebenskraft? »Nicht dich persönlich, Blödmann. Irgendjemand, der nicht zu meinen Freunden zählt. Einen - wie heißt das Wort? - Neuralen.« »Neu... >NeutralenDanke< wäre als erste Äußerung nach deinem Beinahe-Tod auch nicht ganz unangebracht gewesen«, unterbrach ihn Atlan. Sie lagen auf einer flachen Anhöhe, wenige Meter über dem neuen Bett, das sich der Fluss erobert hatte. Ringsum war das Land schwarz, bedeckt von Ruß und verkohlten Stoppeln; in diesem Teil Karaporums hatte offenbar kürzlich ein Steppenbrand gewütet. Die Sonne brannte auf sie herab, Atlans Kleidung und seine weiße Mähne waren schon fast wieder trocken. Mit zusammengepressten Lippen pflückte er braun schimmernde, fette, doppelt fingerlange Egel von seinen Waden und Knöcheln. Schmollend rieb sich Jolo das Hinterhaupt. »Mich bedanken? Dafür, dass du mich brutal bewusstlos geschlagen hast?« »Ich hatte keine Wahl, sonst ... Vergiss es.«
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Leo Lukas Zu erschöpft für lange Wortgefechte, untersuchte Atlan seine Unterarme und bemerkte die Blutergüsse, die Jolos Saugnäpfe verursacht hatten. Er betastete Hals und Gesicht. »Sehe ich hier auch so aus?« »Du meinst die Knutschflecken? Mach dir nichts draus, Kumpel. Alle werden dich für einen begnadeten, außergewöhnlich feurigen Liebhaber halten, hihihi!« Das Grinsen der Echse zog sich um ein Gutteil ihres Schädels. Dazu zwinkerte sie rhythmisch mit den Nickhäuten. Atlan seufzte, lächelte matt. »Möchte zu gern wissen, womit ich dich verdient habe. - Bist du so weit in Ordnung?« Jolo spreizte die Tatzen und verwand den schlanken, aufgrund des Knorpelskeletts äußerst biegsamen Rumpf. »Denke schon. Abgesehen davon, dass mich schrecklich hungert... « »Ach, halt die Klappe.« Faulig riechender Dunst umgab sie und ein Schwarm ebenso winziger wie hartnäckiger Stechmücken. Atlan atmete noch einige Male tief durch, dann stand er ächzend auf und lockerte seine Muskulatur. »Gehen wir.« »Wohin?« »Wenn ich mich recht erinnere, bist du hier der Einheimische, Scherzbold. Jedenfalls flussaufwärts. Oder hast du eine bessere Idee, wie wir die Route zu der Einsiedelei wiederfinden?« »Hm. Was hältst du von Fragen?« »Sehr witzig. Und wen?« »Die da?« Er streckte die linke Tatze aus. Atlan wirbelte herum. Auf einer niedrigen Kuppe, etwa fünfzig Meter landeinwärts, waren drei Gestalten erschienen. Eine davon winkte mit einem langen Arm; so enthusiastisch, als könne sie die Freude kaum fassen, ausgerechnet diese beiden getroffen zu haben. 5. Kuckucksei Frag mich nicht, o stumme Geliebte, wie ich ins Tal gelangt bin.
Der Seelenhorter Irgendwann rutschte mein geschundener Leib weg. Ich fand keinen Halt, stürzte inmitten einer Lawine aus nassem Geröll über eine Kante und fiel, mich überschlagend, wieder und wieder und wieder hart aufprallend, in die Tiefe, bis ich das Bewusstsein verlor. Als ich stöhnend zu mir kam, war der Regenguss vorüber. Goldene, warme Sonnenstrahlen stachen durch dichtes grünes Blätterdach. Drei Tage und Nächte lag ich zwischen den Farnen, unfähig, mich zu erheben. Getier kroch über mich hin, bleiche Wurzeln streckten sich nach mir aus, als wäre ich bereits Humus. Allmählich ließen die Schmerzen nach, dafür kamen Hunger und Durst. Letzteren stillte ich ein wenig, indem ich den Tau von Blattpflanzen schleckte, die ich unter großen Mühen bis in Reichweite meiner Zunge herabbog. Das Knurren im Magen wurde immer drängender. Mein Körper schrie nach Energie für den Heilungsprozess, doch ich konnte sie ihm nicht verschaffen. Und dabei hingen die ganze Zeit in den Ästen über mir pralle, saftige Früchte, wie sie uns die Arbeiter oft serviert hatten! Am vierten Tag raffte ich den letzten Rest meiner Lebenskraft zusammen, rappelte mich hoch und erhaschte, nach etlichen vergeblichen Versuchen, eine Frucht. Köstlicheres habe ich nie verschlungen zumindest was fleischliche Genüsse betrifft. Immer noch halb im Delirium, torkelte ich durch den Dschungel. Ein Ziel besaß ich nicht; von oben, beim Blick durch die Lücke in den Felswänden, hatten wir nur einen breiten Streifen Grün ausmachen können, und dahinter eine ferne Bergkette. Wie lange ich so umherirrte, könnte ich nicht sagen. Eines Abends stieß ich auf eine geschotterte Straße, der ich folgte. * An dieser Stelle muss ich mich ein wenig zur Ordnung rufen, wozu du, mein Schatz, ja nicht mehr fähig bist; es ruft sich schwer ohne Mund. - Gleichwohl, ich darf nicht
Leo Lukas länger auf jedes Detail eingehen, will ich meine Geschichte zu Ende bringen, bevor die avisierten Reisenden eintreffen. So viel gibt es noch zu erzählen, so unglaubliche Dinge zu berichten... Also kurz und knapp: Im Lauf der nächsten Tage fand ich weitere Dörfer wie jenes, aus dem ich geflohen war. Alle waren durch natürliche Hindernisse von der Umgebung abgeschottet. Das erste lag auf einer Insel in einem kleinen See und war über eine schmale Furt zu erreichen, welche auf Dorfseite von Arbeitern bewacht wurde. Ich konnte mich in der Dämmerung nah genug heranschleichen, um zu erkennen, dass hier nur noch rund ein Dutzend Jugendliche lebten, die sich gegenseitig belauerten. Die Entwicklung war also bereits fortgeschrittener als in meiner Heimat. Ich zog weiter. Das zweite Dorf, mitten im Urwald, umgeben von einem viele Meter hohen Zaun aus Dornenhecken, war überhaupt verwaist. Arbeiter bauten gerade die Hütten ab und verluden deren Bestandteile auf Transportfahrzeuge. Ich zog weiter. ... und weiter und weiter. Erst die fünfte Kolonie, gelegen in einem Canyon in den Ausläufern der nächsten Bergkette, bot mir geeignete Bedingungen. Dieses Dorf war deutlich später besiedelt worden als das unsrige. Die volle Zahl von tausend Kindern, zur Hälfte jüngere, tummelte sich zwischen den Hütten, einem schmalen Bach und den Wänden der lang gezogenen Schlucht. Wie wir uns um die Lehmburgen gebalgt hatten, so stritten die Hiesigen um Felshöhlen; auch veranstalteten sie leidenschaftlich Schiffchen-Rennen. Ich schaffte es, unbemerkt einzudringen. Die Arbeiter sicherten gegen Ausbrüche ab; sie rechneten nicht damit, dass jemand von der anderen Seite kam. Auch gehörte es nicht zu ihren Aufgaben, die Insassen individuell zu behandeln. Sie konnten uns nicht auseinander halten, das wusste ich noch von Ildos Beobachtungen. Den Bewohnern fiel gleichfalls nicht auf, dass sich ein Tausendunderster zu ihnen
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Der Seelenhorter gesellt hatte und sich in ihrer Mitte einnistete. Zumal ich, körperlich ein Spätentwickler, keineswegs der Größte war. Nicht einmal als ich den Schlafplatz meines ersten Opfers übernahm, schöpften sie Verdacht. Meine Behauptung, mit ihm getauscht zu haben, schluckten sie ohne Argwohn. Derlei passierte häufig. Vor allem aber war ihre Aufmerksamkeit anderweitig gebunden, da bei den Älteren gerade die Pubertät einsetzte. Mir sollte das recht sein. Schamlos nutzte ich mein Plus an Erfahrung, Reife und Willenskraft aus. Ehe bei dem am weitesten Entwickelten der Seelenhunger erwachte, hatte ich schon mehr als zwanzigmal zugeschlagen. * Dabei ging ich äußerst dezent vor, peinlich darauf bedacht, keine Zeugen zu haben. Die Herde durfte nicht zu früh aufgescheucht werden. Um die Leichen hingegen brauchte ich mir keine Gedanken zu machen, die wurden von den Arbeitern prompt entsorgt. Anfangs wählte ich prädestinierte Geber; Jüngere, Außenseiter von Ildos Sorte. Ohne vollends zu begreifen, wie und was ihnen geschah, fielen mir ihre Seelen anheim, eine nach der anderen. Jede Verschmelzung war aufs Neue ein orgiastischer Moment. Dennoch gab ich Acht, nur wertvolle, »leicht verdauliche« Substanz zu integrieren. Selbst wenn ich anderes versprochen hatte, um mich einzuschmeicheln und das Misstrauen zu zerstreuen, hielt ich mich nicht daran. Ich hatte meine Lektion bitter gelernt und nicht vor, den gleichen, um Haaresbreite fatalen Fehler zweimal zu begehen. Zudem wäre es unsinnig gewesen, dieselben Anlagen mehrerer Artgenossen zu absorbieren. Ich erstrebte Qualität, nicht Masse und suchte ganz gezielt danach. So wuchs ich innerlich und wuchs und wuchs.
Leo Lukas Gestärkt, ja vor Mentalenergie pulsierend, konzentrierte ich mich sodann auf potenzielle Konkurrenten: Wortführer, Bandenchefs, Persönlichkeiten, die sich durch ein gewisses Charisma auszeichneten. Das waren natürlich Nehmertypen; entsprechend mehr Gegenwehr leisteten sie. Und wennschon. Sie hatten keine Chance. Ich erwischte sie unvorbereitet und überrumpelte sie; nötigenfalls, indem ich hemmungslos Gewalt anwendete, was bei ihnen zu diesem Zeitpunkt noch völlig unüblich war. Reiche Ernte hielt ich in jenen glücklichen Tagen. Ein Gutteil der Widersacher schaltete ich aus, bevor sie mir gefährlich werden konnten. Als die Ersten darauf kamen, worum es hier eigentlich ging, und ihrerseits die Seelenjagd eröffneten, lagen sie bereits weit abgeschlagen hinter mir zurück. Der Wettstreit wurde inzwischen in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Die anderen hatten dennoch nichts zu melden. Mittels meiner in der heimlichen Periode erworbenen Ausstrahlung, Autorität und Willenskraft regierte ich das Dorf, in das ich mich quasi eingeschlichen hatte, nach Belieben. Einer meiner Lakaien verfiel auf die krause Idee, mich als »Majestät« zu titulieren; wahrscheinlich hatte er den Begriff einer Lernfolie entnommen. Ich ließ ihn gewähren; es spielte keine Rolle, wie sie mich nannten, solange sie gehorchten. Denn eine Gefahr bestand, und sie wurde immer akuter, je näher es dem Ende zuging. Zwar vermochte mir keiner der Verbliebenen meine hundertfach angereicherte Seele zu rauben; dafür war ich schon viel zu stark. Sehr wohl allerdings konnten sie versuchen, mich einfach so zu töten. Damit wäre zwar der in mir versammelte, größte Teil des mentalen Potenzials dieser Kolonie unwiederbringlich verloren gewesen. Aber immerhin hätten sie mich aus dem Weg geräumt, und es trüge doch noch jemand anders den Sieg davon.
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Der Seelenhorter Ich will dich nicht auf die Folter spannen, mein verwesender Schatz; das haben wir hinter uns, und ich denke gern daran zurück. Selbstverständlich behauptete ich mich gegen die ebenso spärlichen wie lachhaft unvermögend durchgeführten Attentate. Wäre mir das nicht gelungen, säße ich schließlich heute nicht hier. Worauf ich schon ein wenig stolz bin, ist, dass auch keine sonstigen vorzeitigen, also sinnlosen Todesopfer zu beklagen waren. Soll heißen, ich nahm alle tausend Seelen in mich auf. Nicht eine einzige ging mir durch die Lappen. Jede einzelne von ihnen erweiterte mein Bewusstsein, mein Wissen, meine Lebensenergie, meine Macht. Darüber hinaus hatte ich, als alles überstanden war, zwei zusätzliche Erkenntnisse gewonnen: Manchmal ist es erst der Umweg, der uns ans Ziel bringt; und sehr oft sind falsches Spiel und Hinterlist die tauglichsten Mittel zum Erfolg. * Was danach geschah? Nun, ich brach, bestens gelaunt, strotzend vor Selbstsicherheit, zum Ausgang der Schlucht auf, um bei der Baracke der Arbeiter meinen Siegespreis abzuholen: Informationen. Aufklärung über die Hintergründe. Und, nicht zuletzt, die persönliche Freiheit sowie hilfreiche Tipps, was damit anzufangen sei: Vor dem offenen Tor standen zehn Blecherne hübsch aufgereiht Spalier. Ich schlenderte an ihnen vorbei, huldvoll winkend, durchglüht vom Triumph und der Überfülle, die ich in mir trug. Beim Letzten blieb ich stehen und frug (ja, frug; zu feierlich war mir zumute, als dass ich simpel fragte): »Habt ihr der Majestät nicht noch etwas mitzuteilen, Jungs?« »Du wirst abgeholt.« Das klang nicht ganz so großartig, wie ich es mir vorgestellt hatte. »Abgeholt? Von wem?«
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Leo Lukas Von oben ertönte ein Geräusch, ein durchdringendes Summen und Sirren, das rasch anschwoll und näher kam. Ein fliegendes Etwas senkte sich aus dem Himmel herab; eine Libelle, nein: ein Vogel, abermals nein: eine Mischung aus Arbeiter und Hütte und Transporter und... Nie zuvor hatte ich dergleichen gesehen. So groß war das metallisch funkelnde Ding, dass es unmöglich in der Enge des Canyons hätte aufsetzen können. Es blieb daher in der Luft schweben, summend, sirrend, funkelnd, die Sonne verdunkelnd. Atemlos stand ich und starrte hin auf. Da erfasste mich jählings eine unsichtbare Riesenhand. Sie riss mich nach oben, auf das Flugding zu; und, durch eine ebenso plötzlich entstandene Öffnung, in es hinein. * Innen war es kühl und dunkel, doch nicht unangenehm. Nicht wie während des Unwetters, eher wie damals in Myazes Lehmburg. Aber viel sauberer, und die Luft roch nach Blüten und Gewürzen. Das Loch im Boden schloss sich sofort wieder. An seiner Stelle entstand eine Sitzgelegenheit, in der Wand davor ein Fenster; ein sehr großes, ovales, doch blindes. Außer mattem Graublau ließ sich nichts erkennen. »Wo bin ich?«, stieß ich hervor, obwohl sich außer mir niemand in dem seltsamen Raum aufhielt. »In einem Gleiter«, antwortete eine Stimme, ähnlich denen der Arbeiter. »Wir fliegen durch Wolken, deshalb siehst du nicht viel.« Ich war reichlich perplex, doch geistesgegenwärtig genug, weitere Fragen zu stellen. Wenn sich jemand, wo auch immer er oder sie steckte, von sich aus mitteilsam benahm, durfte ich diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Folgendes erfuhr ich, wobei ich zusehends fassungsloser in den weichen Polstern versank: Es gab auf diesem Himmelskörper, einem sogenannten
Der Seelenhorter Planeten mit dem Eigennamen Sarac, nicht bloß die fünf mir bekannten Kinderdörfer, sondern vielmehr. Insgesamt waren es, über den ganzen Globus verstreut, genau eine Million. Eine Million! Das bedeutete tausend mal tausend oder mal nochmals je tausend ursprünglicher Bewohner... »Ja«, bestätigte die Stimme: »exakt eine Milliarde relativ gleichaltriger Lutveniden - so lautet die Bezeichnung für deine Gattung zu Beginn des Ausleseverfahrens.« Dessen erste Phase, wie der unsichtbare Sprecher weiter ausführte, gerade planetenweit abgeschlossen wurde. Die zweite stand unmittelbar bevor. Das Grau vor dem Fenster zerfaserte und gab den Blick auf eine Weite frei, die mir unendlich schien. Inmitten einer Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte, erhoben sich Gebäude; zahllose titanische Türme, im Sonnenlicht gleißend, wunderschön anzusehen und Furcht einflößend zugleich. »Was ist das?«, flüsterte ich, mich an der Lehne festhaltend. Denn wir schienen vornüberzukippen, stürzten auf das stählerne und gläserne Gebirge zu; obwohl mein Sitz nicht verrutschte und der Boden des fliegenden Zimmers waagrecht blieb. »Keine Angst, in der Kabine herrscht lokale Gravitation. - Das ist eine Stadt. Sie heißt Ra-Tajcik und wurde vor Jahrtausenden vom Volk der Akotos erbaut. Inzwischen hat man sie selbstverständlich geräumt und sterilisiert, um Platz für die Finalisten zu schaffen.« »Finalisten?« »Für dich«, sagte die Stimme heiter. »Für dich und deine 999.999 Gegner.« 6. Steppenwölfe Die geringe Entfernung überwanden sie rasch und mühelos, beflügelt vom unablässigen Winken und anfeuernden Geschrei der drei Gestalten auf der Kuppe. Allerdings stiegen bei jedem Schritt Flocken von Ruß und Asche auf. Atlan und Jolo langten, trotz des eben erst
Leo Lukas absolvierten Bades, vollkommen verdreckt bei der anderen Reisegruppe an. »Willkommen soll frommen, von Herzen willkommen!«, singsangte das Wesen, das ihnen auf den letzten Metern entgegeneilte. Flott, obgleich es keine Beine besaß. Die hintere Hälfte seines Leibes glitt über den Boden; die vordere war aufgerichtet und unbekleidet, sodass zwischen gelblichen Schuppen zwei Reihen schlaffer, faltiger Brustzitzen zu sehen waren. Sechs dünne Ärmchen wedelten fahrig durch die Luft. »Ich werde Albia gerufen«, stellte sie sich vor, »oder auch derzeit, unter Geschwistern, >Hohe Frau, Schau Genau