Kommissar X - Der Narzissenmörder von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1113-3
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Kommissar X - Der Narzissenmörder von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1113-3
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Der Cadillac war schwarz wie ein Leichenwagen. Und es sollte auch gleich eine Leiche geben. Ahnungslos ließ der Transportunternehmer Richard Cranford den Caddy zur Garage seines Hauses hinunterrollen. Cranford war fünfunddreißig. Er hätte es in der Branche nicht so schnell zu etwas gebracht, wenn er nicht die richtigen Beziehungen angeknüpft hätte. Es sah so aus, als ob sich diese Beziehungen - von denen die Polizei besser nichts wissen sollte - nun als Bumerang entpuppen würden. Soeben wippte der schwarze Wagen über die breite Regenwasserauffangrinne, die mit einem Aluminiumgitter abgedeckt war. Gleich darauf stoppte das Fahrzeug. Richard Cranford stieß den Wagenschlag auf, nachdem er den Motor abgestellt hatte, und faltete sich aus dem Cadillac. Im selben Augenblick passierte es! Etwas Faustgroßes rollte die Garagenabfahrt mit viel Schwung herunter. Cranford drehte sich erstaunt um. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Das Höllenei kam genau auf ihn zu. Todesangst verzerrte in der letzten Minute seines Lebens sein Gesicht. Er wußte, daß er keine Chance mehr hatte. Dennoch wollte er sich mit einem weiten Sprung vor der scharfgemachten Handgranate in Sicherheit bringen. Es blieb beim Wollen. Richard Cranford kam nur noch dazu, die Muskeln anzuspannen. Für den Sprung reichte die Zeit nicht mehr. Eine ohrenbetäubende Detonation erfüllte die Garage. Cranford sah vor sich einen grellroten Glutball platzen. Er spürte unzählige harte Schläge, die überall seinen Körper trafen. Dann spürte er nichts mehr.
* Es war Sonntag, und der Privatdetektiv Jo Louis Walker war bester Laune. Der Mann, der die Verbrecher von New York das Fürchten lehrte, befand sich auf der Heimfahrt. Jo war in Westchester gewesen und hatte da zwei herrliche Tage im Hause einer attraktiven Malerin verbracht. Die Einladung hatte lange schon in der Luft gehangen. Nun hatte Kommissar X endlich Zeit gefunden, sie anzunehmen. Die exzentrische Künstlerin hatte Jo jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Er war endlich einmal so ein Privatdetektiv gewesen, wie sie in den Filmen immer dargestellt werden. Wie seine Assistentin April Bondy damit fertigwerden würde, war noch fraglich. Das hübsche blonde Ding konnte hin und wieder verflixt eifersüchtig sein, obwohl sie mit Jo mehr oder weniger eine "wetterfeste Freundschaft" verband. Jo schmunzelte, während er an April dachte. Er hatte sie sehr gern, und er zitterte jedesmal, wenn sie in ihrem jugendlichen Übereifer mal wieder zuviel gewagt und in die Patsche geraten war. Copyright 2001 by readersplanet
Der elektrische Anzünder machte sich mit einem leisen Klicken bemerkbar. Jo klemmte sich eine Pall Mall zwischen die Lippen und brannte das Stäbchen an. Plötzlich hörte er einen Knall. Stärker und lauter als ein Schuß. Auch lauter als eine Fehlzündung eines Autos. Obwohl Jo Walker privat unterwegs war, stellten sich sofort seine Nackenhaare quer. Sein sechster Sinn sagte ihm, daß da irgend etwas faul war. Erzog seinen Mercedes 450 SEL sofort in die nächste Querstraße und bog nach wenigen Yards noch einmal links ab. Und dann sah er die Bescherung! Aus einer Garage quoll Rauch. Dahinter prasselte dunkelrotes Feuer. Jo gab Gas. Der silbergraue Mercedes machte einen kraftvollen Sprung vorwärts. Augenblicke später stand Jos Wagen unmittelbar vor der Garagenabfahrt. KX hakte den Handfeuerlöscher, der unter dem Sitz befestigt war, los, schnellte aus dem SEL, rannte die betonierte Schräge hinunter, drehte das Ventil voll auf und bekämpfte den Brand. Die Flammen hatten zum Glück noch nicht weit um sich gegriffen. Sie erstickten rasch unter dem weißen Schaumteppich, mit dem Kommissar X sie zudeckte. Der Qualm reizte Jo zum Husten. Die schwarzen Rauchwolken wälzten sich träge aus der Garage. Mit brennenden Augen suchte KX die Person, die hier unten durch die Explosion möglicherweise zu Schaden gekommen war. Er entdeckte die Beine eines Mannes. Er sah Blut. Als Jo die Autotür öffnete, sah er den ganzen Mann. Es war deutlich zu erkennen, daß dem tödlich Verletzten nicht mehr zu helfen war. Da hatte eine Handgranate ganze Arbeit geleistet. Jo überlief es kalt. Er übte seinen Beruf nicht erst seit gestern aus, und es gab immer wieder Tote auf seinen Wegen. Dennoch würde er sich an den Anblick einer Leiche niemals gewöhnen können. So abgebrüht würde er niemals werden. Ein Toter. Umgekommen durch eine Handgranate. Das roch nach Mord! Jo weigerte sich, anzunehmen, daß der Mann, der vor ihm lag, auf diese ausgefallene Weise selbst seinem Le-ben ein gewaltsames Ende gesetzt hatte. Jetzt erst fiel Kommissar X die gelbe Blume auf, die neben dem Leichnam lag. Es war eine Narzisse. Und Jo konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Blume vom Mörder als letzter Gruß gedacht war. KX vernahm ein leises Schluchzen. Er drehte sich halb um und erblickte eine hübsche, dunkelhaarige, zerbrechlich wirkende Frau. Sie lehnte im Rahmen der Tür, durch die man ins Haus gelangte, ohne daß man die Garage verlassen mußte. "Ich heiße Jo Walker", sagte Kommissar X, damit die Frau keine falschen Schlüsse zog und eventuell ihn für den Mörder dieses Mannes hielt. "Ich bin Privatdetektiv, kam zufällig hier vorbei, hörte den Knall... Tut mir leid, daß ich nicht mehr tun konnte. Ist das Ihr Mann?" "Ja", hauchte die Frau. "Wie ist sein Name?" "Richard Cranford. Ich bin Farrah Cranford." Die Frau trug ein blutrotes Kleid mit Spaghettiträgern. Ihre Brüste waren üppig. Sie drängten sich weit aus dem tiefen Dekollete hervor. Jo Walkers schönes, unbeschwertes Wochenende hatte mit einem gewaltigen Paukenschlag geendet. Vergessen waren die erholsamen Stunden. KX war schon wieder voll im Einsatz.
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Draußen setzte allmählich die Dämmerung ein. Farrah Cranford schaltete die Garagenbeleuchtung ein. Sie hatte nicht den Mut, näherzukommen. Sie wagte es nicht, ihren toten Mann anzusehen. Jo konnte es ihr nicht verdenken. Richard Cranford bot keinen schönen Anblick. Farrah sah so aus, als würde sie zusammenklappen, wenn sie nicht an dem Türrahmen gelehnt stehen blieb. Sie war kreidebleich, zitterte am ganzen Leib und nagte unentwegt an ihrer Unterlippe. Nasse Tränenbahnen glänzten auf ihren Wangen. Der Verlust ihres Ehemannes schien sie sehr schmerzhaft getroffen zu haben. "Was für einen Beruf übte Mr. Cranford aus?" wollte Jo wissen. "Er besaß ein eigenes Transportunternehmen. Zehn Trucks." Jo begab sich zu der Frau. "Hatte er Feinde?" "Ich weiß es nicht." "Fiel Ihnen irgend jemand auf, der sich heute hier in der Nähe herumtrieb?" "Ich habe niemanden gesehen", antwortete Farrah Cranford. "Woher kam Ihr Mann? Ich nehme an, er traf vor wenigen Minuten zu Hause ein." "Er hatte in der Firma zu tun." "Es ist Sonntag." "Für Richard gab es keinen Sonn- oder Feiertag. Er hat immer gearbeitet." "War das denn nötig?" "Er behauptete ja." "Kamen Sie dabei nicht zu kurz?" Farrah Cranford hob die Schultern. "Am Anfang habe ich versucht, es zu ändern. Wir stritten uns fast täglich. Das ging so lange, bis ich dann resignierte. Seither war ich mit den wenigen Stunden zufrieden, die sich mein Mann mir widmete. Nun muß ich auch darauf verzichten." "Gab es andere Frauen in seinem Leben?" "Davon ist mir nichts bekannt. Nein, ich glaube, Richard war mir treu." "Aber mit Sicherheit wissen Sie es nicht." "Welche Frau weiß das schon mit Sicherheit, Mr. Walker?" Farrah Cranford schluckte schwer. "Ich habe immer befürchtet, daß Richard eines Tages ein solches Ende finden könnte." Jo horchte auf. "Wieso?" ,,Richard war Geschäftsmann. Er war ständig auf Gewinn aus. Es war ziemlich egal, woher das Geld kam, das er kassierte." "Heißt das, es gab hin und wieder mal ein unsauberes Geschäft?" "Das kam vor. Ich beschwor meinen Mann, die Finger von solchen Geschäften zu lassen. Doch er sagte immer, davon verstände ich nichts, und ich solle mich nicht in seine Angelegenheiten mischen. Vielleicht wäre er noch am Leben, wenn er auf mich gehört hätte." "Was für Geschäfte waren das, von denen Ihr Mann die Finger hätte lassen sollen?" "Ich weiß nichts Genaues. Ich weiß nur, daß er öfter mal mit Rossano Vascenti verhandelte, und daß Vascenti kein Saubermann ist, das ist ja in ganz New York hinlänglich bekannt." Da hatte Farrah Cranford allerdings recht. Rossano Vascenti war bei Gott kein unbeschriebenes Blatt. Ob Rauschgifthandel, Prostitution oder illegales Glücksspiel Rossano Vascenti hatte seine Hände überall drin. Und Richard Cranford hatte mit dem Italiener Geschäfte gemacht. Copyright 2001 by readersplanet
Wen hatte das gestört? Vascentis Konkurrenz vielleicht? Was hatte die gelbe Narzisse neben der Leiche zu bedeuten? Die lag garantiert nicht ohne Grund dort. Farrah Cranford wußte auf keine von Jo Walkers Fragen eine Antwort. Richard Cranford hatte seine Frau mit Informationen in jeder Hinsicht kurzgehalten. Hatte er so viel zu verbergen gehabt? Die junge Frau bat Jo, mit ins Haus zu kommen. KX schloß zuvor noch das Garagentor. Dann schritt er neben Farrah die Stufen hinauf, die in einer Diele endeten, deren Boden mit Keramikfliesen ausgelegt war. Der Living-room war ein riesiger Raum, in dem ein einfallsreicher Innenarchitekt seine Visitenkarte hinterlassen hatte. "Jetzt muß ich etwas trinken", sagte Farrah Cranford und stakste zur Hausbar. "Darf ich Ihnen auch einen Drink anbieten, Mr. Walker?" "Nein, danke." Farrah kehrte mit einem reichlich gefüllten Bourbonglas zurück. Sie bot KX Platz an. "Was kosten Sie, Mr. Walker? Ich würde Sie gern engagieren." "Hundert Dollar pro Tag. Spesen extra." Die Frau nickte. "Okay. Damit bin ich einverstanden. Haben Sie Zeit? Würden Sie für mich arbeiten? Ich möchte wissen, wer meinen Mann umgebracht hat und warum er es getan hat. Und ich will, daß Richards Mörder seiner gerechten Bestrafung zugeführt wird. Dieses furchtbare Verbrechen darf nicht ungesühnt bleiben." "Der Meinung bin ich auch, Mrs. Cranford", sagte Jo. "Übernehmen Sie den Fall?" "Ja", antwortete Kommissar X. Er wies auf das Telefon, das neben ihm stand. "Darf ich mal?" "Selbstverständlich", sagte Farrah Cranford. Sie leerte ihr Glas auf einen Zug. Jo rief zunächst die Polizei an. Das durfte nicht mehr länger hinausgeschoben werden. Es war die Pflicht jedes Staatsbürgers, ein Verbrechen unverzüglich den Behörden zu melden. Nachdem KX die entsprechende Meldung losgeworden war, drückte er die Gabel nieder. Anschließend wählte er die Privatnummer von April Bondy. "Hallo", meldete sich die Detektivin. "Guten Abend, April. Ich bin es: Jo." "Oh, Chef. Hat die attraktive Malerin noch etwas von dir übriggelassen?" spottete April. Jo ging nicht darauf ein. "Hast du Zeit?" fragte er. "Kommt darauf an, wofür. Ich habe gerade Besuch von zwei reizenden Herren..." Jo wußte, daß sie log. Sie war bestimmt allein. "Komm in die 'Blaue Eule' ", verlangte er. "Ich habe soeben einen neuen Fall übernommen." "Hat jemand deinen neuen Schwarm zu Tode erschreckt?" "Es geht um Mord", erwiderte Kommissar X ernst. Als April das hörte, wurde sie sofort sachlich. "Ich komme", versprach sie. "In zwanzig Minuten bin ich in der 'Blauen Eule'." Jo hatte absichtlich dieses Lokal genannt, denn da war mit Sicherheit auch sein Mitarbeiter Wilkie Lenning anzutreffen. Der Junge verbrachte jede freie Minute dort. Farrah Cranford holte sich noch einmal dasselbe Quantum Bourbon. Jo schüttelte den Kopf. "Sie sollten nicht so viel trinken, Mrs. Cranford. Jedenfalls nicht jetzt. Wenn die Polizei hier eintrifft, brauchen Sie einen klaren Kopf." Farrah hob die Schultern. Sie sah hilflos aus. "Wenn ich nicht trinke, klappe ich zusammen. Ich brauche den Bourbon. Sonst kann ich den furchtbaren Schock nicht überwinden."
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Die Frau lehnte sich an den Tresen der Hausbar. Sie drückte das kalte Glas gegen ihre Wange und blickte zum Fenster hinaus. Ein gepflegter Garten lag hinter dem Haus. Jo erhob sich. "Mrs. Cranford, Sie konnten mir keine Feinde Ihres Mannes nennen. Wie sieht es mit Freunden aus?" "Da gibt es vor allem zwei, mit denen er schon eine Ewigkeit befreundet ist. Er kannte sie schon lange bevor er mich kennenlernte. Sie heckten zusammen schon als Jugendliche ihre Streiche aus. Die Freundschaft zwischen Danny De Young und meinem Mann war besonders innig. Danny besitzt eine Import-Export-Firma." Jo bat um die Firmenanschrift und um De Youngs Privatadresse. Farrah nannte beides. KX schrieb sie sich auf. "Und dann wäre da noch Joseph Lapino", fuhr Farrah Cranford fort. "Ihm gehört eine Bar im südlichen Manhattan. ,Flipper' heißt sie." Jo nickte. "Die kenne ich. Könnten Sie sich vorstellen, daß auch Danny De Young und Joseph Lapino mit Rossano Vascenti Geschäfte machen?" "Das kann ich nicht sagen, aber möglich wäre es. Danny und Joseph hatten in puncto Geld dieselben Ansichten. Es war für sie immer zweitrangig, woher es kam. Hauptsache, der Dollar floß in ihre Taschen." "Ich werde nichts unversucht lassen, um den Mörder Ihres Mannes zur Strecke zu bringen, Mrs. Cranford", versprach Kommissar X. "Danke, Mr. Wa...", Farrah Cranford unterbrach sich. Sie zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Ihre Finger öffneten sich. Das Bourbonglas rutschte ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Die goldene Flüssigkeit bildete eine glänzende Lache. Jo blickte die Frau beunruhigt an. "Mrs. Cranford! Was haben Sie?" Farrah gab keine Antwort. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie aus dem Fenster. Jo rannte zur Terrassentür. Nun sah er dasselbe wie die Frau. Zwischen zwei hohen Fliederbüschen stand eine männliche Gestalt.
* Der Killer! schoß es Kommissar X durch den Kopf. Er handelte augenblicklich. Der Bursche schien einer von den ganz Gründlichen zu sein. Er schlug nicht bloß einfach zu und verschwand dann, sondern er beobachtete aus sicherer Entfernung noch, was seine Tat für Folgen hatte. Jo packte den Hebel der Terrassentür. Er riß ihn hoch, zog die Tür auf und stürmte nach draußen. Mit langen Sätzen jagte er über die überdachte Terrasse. Der Killer zuckte in den Schatten der Büsche zurück. Jos Rechte flitzte zur Schulterhalfter. Obwohl er privat unterwegs gewesen war, hatte er doch nicht darauf verzichtet, die 38er Automatic zu tragen. Es war ihm zur Gewohnheit geworden. Blitzschnell angelte Kommissar X die Waffe heraus. Er entsicherte sie mit dem Daumen; während er über die vier Stufen sprang, die in den Garten hinunterführten. Der kurzgeschorene englische Rasen war weich wie ein Teppich. Keiner von Jo Walkers Schritten war zu hören. Lautlos hastete Kommissar X durch die Dämmerung. Auf die Fliederbüsche zu. Der Unbekannte hatte sich inzwischen weiter abgesetzt. Als KX die Büsche erreichte, hörte er den Maschendrahtzaun ächzen, der das Grundstück einfriedete.
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Jo lief an den Büschen vorbei. Er sah den Killer auf die Straße springen. Tief federte der Mann ab. Kraftvoll schnellte er gleich wieder hoch und hetzte davon. Jo legte einen Zahn zu. Er wollte den Unbekannten nicht entkommen lassen. Wenn es eine Möglichkeit gab, den Kerl sofort zu schnappen, wollte Jo sie nicht ungenützt lassen. Keuchend erreichte KX Augenblicke später den Zaun. Mit affenartiger Geschwindigkeit überkletterte er diesen. Der Mann verschwand um die nächste Ecke. Jos Chancen standen nicht schlecht. Er hatte etwas an Terrain gewonnen. In solchen Situationen erwies sich sein tägliches Fitneßprogramm immer als goldrichtig. Er war auf Schnelligkeit und Ausdauer getrimmt. Im allgemeinen hat ein Privatdetektiv eine Menge Feinde. Je erfolgreicher er ist, umso mehr Feinde hat er. Wenn er also überleben will, muß er schneller und ausdauernder sein als seine zahlreichen Gegner. Jo erreichte die Ecke. Mit schußbereiter Waffe schnellte er sich vorwärts, doch seine Automatic fand kein Ziel. Der Killer verdrückte sich zwischen zwei mehrstöckigen Häusern. Jo hörte die Schritte des Mannes. Er nahm die Verfolgung sofort wieder auf. Als Kommissar X bei den Häusern anlangte, gab der Kerl den ersten Schuß ab. Jo sah das Mündungsfeuer und ließ sich augenblicklich fallen. Er schoß zurück. Der Mann rannte im Zickzack weiter. Er gelangte auf eine Straßenbaustelle. Hier sollte ein Highway die alte Verkehrsader entlasten. Bauhütten standen am Straßenrand. Dahinter waren Bulldozzer und Caterpillars in Reih und Glied aufgestellt. Jo sah den Unbekannten zwischen den riesigen Baumaschinen verschwinden. Ein neuerlicher Schuß peitschte auf. Jo hechtete hinter die erste Bauhütte. Er robbte ein Stück über den Boden, kam wieder auf die Beine, umrundete die Hütte, sah den Killer von einem Caterpillar zum andern springen und brüllte: "Stop!" Im Beidhandanschlag zielte er auf den Verbrecher. Der Kerl ging mit einer unglaublichen Schnelligkeit in die Hocke. Er verfeuerte vier Kugeln. Die Geschosse sirrten Kommissar X um die Ohren. Jo duckte sich und setzte zum Sturmlauf an. Schießend rannte er auf die Baumaschinen zu. Plötzlich knurrte der Motor eines Bulldozzers. Das Fahrzeug löste sich aus der Reihe. Wie ein mächtiges Ungetüm walzte es heran. Genau auf Jo Walker zu. Jo gab mehrere Schüsse auf das Fahrergehäuse ab. Gellend jaulten die Querschläger durch die allmählich zunehmende Dunkelheit. Jo rannte nach links. Abermals feuerte er. Doch seine Kugeln vermochten den Bulldozzer nicht zu stoppen. Träge, aber unaufhaltsam fuhr das gewaltige Baufahrzeug weiter. Es war im Begriff, sämtliche Bauhütten abzuräumen. Jo kniff die Augen zusammen. Sein scharfer Blick durchdrang die Finsternis. Er erkannte, daß niemand im Fahrergehäuse saß. Der Killer hatte den Bulldozzer lediglich in Gang gesetzt und war dann abgesprungen. Jetzt sprang Jo auf das rollende Fahrzeug auf und brachte es knapp vor der ersten Bauhütte zum Stehen. Er stellte den Motor ab. Copyright 2001 by readersplanet
Stille herrschte. Der Gangster verriet sich mit keinem Geräusch. War er überhaupt noch in der Nähe? Oder war es ihm geglückt, sich unbemerkt abzusetzen? Wie ausgestorben lag die abendliche Straßenbaustelle vor Jo Walker. KX sprang von der Maschine. Wie ein Spürhund versuchte er die Fährte des Killers wiederzufinden. Vergebens. Dem Mann war es gelungen, sich im Schutze der Dunkelheit aus dem Staub zu machen. Ärgerlich schob Jo seine Automatic in die Schulterhalfter. Die Tatsache, daß ihm dieser Verbrecher letztlich doch noch entwischt war, bewies, daß auch ein Kommissar X nur mit Wasser kochte. Er war kein Supermann. Auch bei ihm ging nicht immer alles so glatt, wie er es gern gehabt hätte. Grimmig kehrte er zu Farrah Cranford zurück. Sie hatte schon wieder getrunken. Und als die City Police bei ihr eintraf, goß sie sich gerade den vierten Bourbon ein.
* Danny De Young gefiel sich als Playboy. Er war zwar nicht gerade einer der schönsten, aber er verfügte über das nötige Kleingeld, um hübschen Mädchen damit den Kopf verdrehen zu können. Diejenigen Girls, die mit ihm ins Bett krochen, hatten dies - abgesehen vom moralischen Standpunkt - nicht zu bereuen. Es fielen dabei immer nette Geschenke ab. Gloria zum Beispiel hatte an diesem Abend eine goldene Brosche mit Rubinen bekommen. Selbstverständlich war das noch nicht alles. Wenn Danny De Young mit ihr zufrieden war, würde sie morgen früh in ihrer Handtasche auch noch ein paar Hunderter finden, die am Abend noch nicht da gewesen waren. De Young konnte es sich leisten, großzügig zu sein. Er verdiente mit seiner Import-Export-Firma ein beträchtliches Sümmchen im Jahr. Trotz der großen Konkurrenz, die es in New York in dieser Branche gab, schnitt Danny De Young sich immer wieder gehörige Portionen vom Kuchen ab. Ohne die Hilfe von Rossano Vascenti wäre das allerdings nicht möglich gewesen. Der Italiener und seine Freunde sorgten dafür, daß Danny De Young niemals zu kurz kam. Dafür zeigte sich De Young auf seine Weise erkenntlich: Er schleuste für Vascenti Personen in die Staaten ein, die hier nicht gern gesehen waren. Er stellte Vascenti vor allem seine Verbindungen nach Marseille zur Verfügung, wo man weißen Schnee in grüne Bananen abpackte und als Südfrüchte in die USA schickte. Es gab noch viele andere Gefälligkeiten, die Danny De Young dem Italiener erwies. Schließlich wäscht eine Hand die andere. De Young neigte zur Dickleibigkeit. Sein weizenblondes Haar war schon ziemlich stark gelichtet, und er hatte ein breites, nichtssagendes Gesicht. Als er jetzt am großen venezianischen Wandspiegel vorbeikam, warf er kurz einen prüfenden Blick auf sein Spiegelbild und stellte fest, daß er sich schon wieder einige Pfunde angefuttert hatte. Sofort plagte ihn das schlechte Gewissen. Er zog den Bauch ein. Gloria kicherte. "Man sagt: Ein Bauch beginnt dann ein Bauch zu sein, wenn man versucht, ihn vor seinen Freunden zu verstecken." "Hör mal, das ist doch noch kein richtiger Bauch", protestierte Danny De Young. "Aber es wird einer werden, davon bin ich überzeugt", sagte Gloria und kicherte wieder. Sie hatte tizianrotes Haar, von einer Fülle, wie sie De Young noch nicht gesehen hatte.
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Und alles war echt, er hatte sich bereits davon überzeugt. Gloria war ein Mädchen, das einen Mann allein mit ihrem rassigen Körper verrückt machen konnte. Sie wußte, wie sie aus diesem Vorzug, den Mutter Natur ihr verliehen hatte, Kapital schlagen konnte, und sie tat es ziemlich ungeniert. Als Danny De Young sie in sein Penthouse zum Abendessen eingeladen hatte, hatte sie gewußt, was danach kommen würde. Dennoch hatte sie nicht abgelehnt. Aus welchem Grund hätte sie es tun sollen? fragte sie sich. Sie war ledig. Niemand hatte ein Recht auf sie. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. De Young war zwar nicht ihr Typ, aber er kannte eine Menge Leute und würde ihr beruflich bestimmt weiterhelfen, wenn sie ihn recht nett darum bat. Danny De Young legte eine Langspielplatte auf. Auf dem Cover stand: Musik zum Träumen. "Aha", dachte Gloria. Doch der Lebemann De Young öffnete eine Flasche Pommery. Dazu reichte er frische dunkelrote Erdbeeren. Sie tranken. Und als die Flasche leer war, fragte De Young seinen Gast: "Möchtest du tanzen?" "Ich tanze leidenschaftlich gern", erwiderte Gloria. "Dann komm." De Young erhob sich. Gloria glitt in seine Arme. Er spürte den Druck ihres festen Busens in seiner Magengrube und begann schwerer zu atmen. Es kam, wie es geplant war. Ihre Lippen fanden sich zu einem langen Kuß. Allmählich kam auch Gloria auf Touren. Sie hatte nichts dagegen, daß Danny mit ihr ins Schlafzimmer tanzte, und während De Young sich langsam zum Reißverschluß von Glorias Kleid vortastete, kletterte eine Gestalt vom Flachdach des Nachbarhauses auf die Terrasse des Penthouse herüber. Der Tod persönlich war zu Danny De Young gekommen...
* Wilkie Lenning blickte auf seine Uhr. Der schlaksige junge Mann mit dem überlangen modischen Haarschnitt, der Anzüge und Krawatten nicht ausstehen konnte, schüttelte seine blonde Mähne. "Da muß etwas passiert sein. Sonst wäre Jo schon längst hier", sagte er zu April Bondy. Sie saßen in der "Blauen Eule" - Wilkies Stammlokal - an einem Tisch und warteten nun schon eine dreiviertel Stunde auf Jo Walker. "Von wo hat er dich angerufen?" wollte Wilkie wissen. "Keine Ahnung", antwortete die hübsche Detektivin. Auch sie war blond, aber ihr Haar war wesentlich heller als das von Wilkie. "Er sagte nur, daß ich mich hierher begeben solle. Es ginge um Mord." "Wer umgebracht wurde, hat er nicht gesagt?" "Würde ich ein Geheimnis daraus machen?" Wilkie Lenning rümpfte die Nase. "Das Warten macht mich ganz krank." "Denkst du, mich macht es nicht mürbe?" Wilkie winkte den Wirt herbei. Er bestellte sich ein Kräuterbier. "Möchtest du auch noch etwas haben?" fragte er April. "Eine Cola." Copyright 2001 by readersplanet
Der Wirt nickte und brachte die Getränke. "Vielleicht sollte man bei der Polizei mal nachfragen", meinte Wilkie Lenning. "Oder noch besser: Wir rufen Tom Rowland an. Er müßte doch im Handumdrehen herauskriegen können, wo Jo hängengeblieben ist. Immerhin ist Tom Captain der Mordkommission Manhattan." "Ich schlage vor, wir geben Jo noch fünfzehn Minuten", sagte April Bondy. "Wenn er dann immer noch nicht hier ist, schalten wir Tom ein." "Okay", sagte Wilkie, und dann trommelte er volle fünfzehn Minuten lang mit seinen schlanken Fingern auf den Tisch. Als die Frist um war, erhob er sich. Er begab sich zur Telefonkabine, die sich neben dem Waschraum befand. Kaum war er verschwunden, öffnete sich die Eingangstür, und Jo Walker kam in das Lokal. Sein Blick schweifte über die Tische. Als er April entdeckte, strebte er auf sie zu. "Ist Wilkie nicht da? Der schläft doch im allgemeinen in der ,Blauen Eule`, wenn ich nichts für ihn zu tun habe." "Wilkie ruft soeben Tom Rowland an." "Wozu?" "Der Captain soll herauszufinden versuchen, wieso du dich hier so lange nicht blicken läßt." "Ich wurde aufgehalten." "Von wem?" wollte April wissen. "Von der Polizei. Die Cops fragten mir Löcher in den Bauch. Ich wollte nicht unhöflich sein. Als Privatdetektiv ist man für die meisten Polizisten ohnedies schon ein rotes Tuch. Ich möchte nicht, daß sich diese Kluft noch mehr vertieft." "Darf man jetzt fragen, was eigentlich genau passiert ist?" erkundigte sich April Bondy. "Ich erzähl's gleich. Aber ich möchte warten bis Wilkie hier ist, damit ich's nicht zweimal berichten muß." Zwei Minuten später erschien Wilkie Lenning. "Da bist du ja", sagte er grinsend. "Reichlich spät, mein Lieber. Tom Rowland läßt bereits nach dir fahnden. Ich weiß nicht, ob sich das jetzt noch abblasen läßt." "Vergiß es", sagte Jo. "Hört zu, wir haben da ein kniffliges Problem zu lösen..."
* Der Killer regte sich einen Augenblick nicht. Wie eine Statue stand er auf der Penthouse-Terrasse. Er hörte das leise Plätschern des kleinen Zierspringbrunnens und vernahm die einschmeichelnde Musik, die aus dem Living-room durch die offene Terrassentür herausdrang. Gespenstisch bauschten sich die weißen Gardinen, die so zart wie Spinnengewebe aussahen. Der Mörder griff in seine Hosentasche. Er entnahm ihr einen rauchgrauen Nylonstrumpf und zog ihn sich über den Kopf. Im Schlafzimmer des Penthouse kicherte ein Mädchen. Die Heiterkeit wird dir sehr bald schon vergehen! dachte der Unbekannte grimmig. Er streifte schwarze Zwirnhandschuhe über seine Hände und nahm dann die Lupara auf, die er neben sich an die Wand aus Glasziegeln gelehnt hatte. Mit geübtem Griff entsicherte er die abgesägte Schrotflinte. Er fieberte innerlich dem Moment entgegen, wo er die Waffe auf Danny De Young abfeuern konnte.
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Äußerlich aber wirkte er ruhig und kalt. Absolut Herr der Situation. Ohne Eile setzte er sich in Bewegung. Er hatte Schuhe mit Kreppsohlen an den Füßen. Keiner seiner Schritte konnte ihn verraten. Er hörte Danny De Young leise murmeln. Wieder kicherte das Mädchen. "Aber Danny", sagte sie rügend. "Über so etwas spricht man doch nicht. Das tut man höchstens." Der Narzissen-Mörder erreichte die Terrassentür. Weiche Geigenklänge hüllten ihn ein. Die Musik paßte absolut nicht zur Härte dieser Szene. Hier sollte ein Mann sein Leben verlieren. Das war nicht amüsant und hatte nichts mit Verträumtheit zu tun. Der Killer streckte den Arm aus. Er fing den sich bauschenden Vorhang ab und schob ihn vorsichtig zur Seite. "Donnerwetter, bist du schön, Gloria!" rief Danny De Young begeistert aus. Das Mädchen summte. Ja! dachte der Narzissen-Mörder. Genieße noch die letzten Augenblicke deines Lebens, Danny! Viel Zeit bleibt dir nicht mehr dafür! Lautlos betrat der Mann mit der Lupara den Living-room. Er war noch nie hier gewesen. Dennoch wußte er in welche Richtung er sich wenden mußte. Gloria und Danny machten es ihm leicht, sie zu finden. Die einschmeichelnde Musik schien ihn auf die halb offene Schlafzimmertür zuzutragen. Es sah aus, als würde er auf die Tür zuschweben. Seine Nerven strafften sich, als er sein Ziel erreichte. Jetzt war Danny De Youngs Leben keinen müden Dollar mehr wert.
* Gloria sah den Schatten des Mannes und stieß einen gellenden Schrei aus. Danny De Young bewies, daß er unglaublich schnell zu reagieren imstande war. Er beförderte Gloria mit einem kräftigen Stoß aus dem französischen Bett. Gleichzeitig trat der Narzissen-Mörder die Schlafzimmertür auf. Sie schwang zur Seite und krachte gegen die Wand. Breitbeinig stand der Killer im Türrahmen. Er hielt die Lupara mit beiden Händen. Schon brüllte die Waffe los. Doch Danny De Young gelang es, sich augenblicklich vom Bett fallen zu lassen. Er war um einen Sekundenbruchteil schneller. Als die abgesägte Schrotflinte losdonnerte, landete De Young schon auf dem Boden. Der Schuß zerfetzte Kissen und Bettdecke. Zahlreiche Bleikügelchen zertrümmerten den eingebauten Radiowecker. Aber sowohl Danny de Young als auch Gloria blieben unverletzt. Zitternd versuchte das nackte Mädchen unter das Bett zu kriechen. Sie schaffte es nicht. Indessen riß Danny De Young die Lade des Nachtkästchens auf. Er bewahrte darin einen Colt Cobra auf. Die Lupara pendelte sich auf ihn ein. Er wußte, daß er verloren war, wenn es ihm nicht gelang, den Stecher schneller durchzuziehen als der Maskierte. Überhastet drückte er ab. Die Kugel streifte das Jackett des Narzissen-Mörders. Das irritierte den Killer so sehr, daß er die zweite Schrotladung in die Wand schoß, anstatt sie auf De Young abzufeuern. Copyright 2001 by readersplanet
De Young wollte den Mörder mit einem zweiten Schuß ausschalten. Gloria schrie wie am Spieß. Danny De Young richtete den Cobra auf den Maskierten. Darauf reagierte der Unbekannte mit Panik. Er ließ die leergeschossene Lupara fallen, kreiselte herum und rannte davon. De Young fluchte. Er sprang auf und versuchte den Fliehenden mit einem präzisen Schuß von den Beinen zu holen. Der Kerl fegte die Gardinen zur Seite als De Young im Rahmen der Schlafzimmertür auftauchte. De Young stützte seine Schußhand mit der Linken. Er drückte ab. Die Waffe spie Feuer, bäumte sich auf. Doch die Kugel verfehlte ihr Ziel. Der Narzissen-Mörder hatte sich gebückt nach vorn gewuchtet und war so einem sicheren Treffer entgangen. Danny De Young setzte nach. Nur halb bekleidet lief er durch das Wohnzimmer. Seine Kiefer waren fest zusammengepreßt, als er die Terrassentür erreichte. Mit einem kraftvollen Sprung beförderte er sich nach draußen. Der Mann schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Danny De Young suchte ihn verbissen. Bis er jedoch auf die Idee kam, daß sich der Maskierte über das Dach des Nachbarhauses abgesetzt hatte, war der Kerl längst über alle Berge. Zurückgelassen hatte er seine Lupara - und eine Narzisse. Sie lag auf der Terrasse. Der Unbekannte mußte sie im Lauf verloren haben.
* "Es geht mal wieder rund", sagte Jo Walker zu seinen beiden Mitarbeitern. "Ein Transportunternehmer namens Richard Cranford findet in der Garage seines Hauses ein schreckliches Ende. Jemand rollt ihm eine Handgranate hinein und wirft hinterher eine Narzisse neben den Toten." "Wozu die Blume?" fragte April Bondy. "Vielleicht liebt der Knabe theatralische Gesten", sagte Wilkie Lenning. "Oder die Narzisse hat etwas Bestimmtes zu bedeuten", meinte Jo. Er fuhr mit seinem Bericht fort. April unterbrach ihn: "Weiß Farrah Cranford nicht, was für eine Bewandtnis es mit dieser Blume hat?" "Farrah weiß so gut wie gar nichts. Ihr Mann hat sie an seinem Geschäftsleben kaum teilhaben lassen." "Hatte er kein Vertrauen zu ihr?" fragte April. "Doch. Aber er fand, seine Geschäfte gingen sie nichts an. Sie hätte ihm ja doch immer nur geraten, diesen oder jenen krummen Abschluß sausen zu lassen. Er übernahm Jobs von Rossano Vascenti. Ihr wißt, was das heißt." "Vascenti ist nicht einmal dann sauber, wenn er frisch gebadet aus der Wanne steigt", sagte Wilkie. "Was für Geschäfte machte Cranford mit dem Italiener?" "Farrah weiß es nicht, und Vascenti wird es uns bestimmt nicht sagen", antwortete Kommissar X. Er erzählte von der Schießerei, die er mit dem Narzissen-Mörder gehabt hatte. "Soll ich sagen, was ich denke?" erkundigte sich Wilkie Lenning. "Nur zu", sagte Jo.
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"Vascenti hatte Cranford auf seiner Lohnliste, wenn ich das mal so formulieren darf. Daß Rossano Vascenti in dieser Stadt nicht nur Freunde hat, ist hinlänglich bekannt. Einer seiner Gegner hat die Absicht, Vascenti schmerzhaft zu treffen. Er greift den Italiener aber nicht frontal an, sondern reißt dessen Flanke auf... "Das wäre eine Möglichkeit", sagte Jo. "So könnte der Fall liegen." "Es könnte aber auch sein, daß Vascenti aus irgendeinem Grund nichts mehr von Cranford wissen wollte und sich auf diese Weise von ihm trennte", meinte April Bondy. "Auch nicht schlecht", meinte Jo. "Und wie finden wir nun heraus, wie der Hase nun wirklich läuft?" erkundigte sich Wilkie Lenning. "Ich meine, wir hören uns einmal an, was Richard Cranfords Freunde zu seinem plötzlichen Ableben sagen. Vielleicht können die uns einen brauchbaren Tip geben", sagte Jo. "Vorausgesetzt, sie nehmen nicht ebenfalls Geld von Rossano Vascenti", bemerkte April Bondy. "Denn dann ist zu erwarten, daß sie uns gegenüber so verschlossen wie Austern sein werden." "Auch Austern kann man knacken", sagte Jo. "Wer nimmt sich wen vor?" wollte Wilkie tatendurstig wissen. "Joseph Lapino besitzt eine Bar im südlichen Manhattan. ,Flipper' nennt sich der Laden", sagte Jo. Wilkie nickte. "Da war ich schon mal." "Fragt euch dort mal quer durch das Lokal", sagte Kommissar X. "Nehmt euch die Girls, den Barkeeper und natürlich auch den Chef vor. Vielleicht bringt das etwas." "Und wem fällst du inzwischen auf den Wecker?" fragte Wilkie Lenning. "Cranfords bester Freund heißt Danny De Young. Import-Export. Vielleicht kann er mir sagen, was die gelbe Narzisse neben dem toten Cranford zu bedeuten hat." "Ich schlage vor, wir machen uns gleich auf die Selbstgestrickten", sagte Wilkie und erhob sich. Er winkte den Wirt heran und erklärte: "Wir waren Jo Walkers Gäste. Setzen Sie alles auf seine Rechnung. Und vergessen Sie nicht, das Datum dazuzuaddieren."
* Panik loderte in Glorias Augen. Sie war dem Tod nur knapp entgangen. Diese Erkenntnis erschütterte sie so sehr, daß sie immer noch fast verrückt vor Angst war. Zitternd kleidete sie sich an. BH, Slip, Kleid... Fassungslos starrte sie auf die zerfetzte Bettdecke. Wenn Danny sie nicht aus dem Bett gestoßen hätte... Gloria war nicht in der Lage, diesen schrecklichen Gedanken zu Ende zu denken. Kreidebleich war sie und Tränen schimmerten in ihren Augen. Als Danny De Young in der Tür erschien, zuckte sie heftig zusammen. "Hab keine Angst", sagte er mit heiserer Stimme. "Es ist vorbei. Der Kerl ist abgehauen. Er kommt bestimmt nicht wieder." Gloria erwiderte nichts. Sie schlüpfte in ihre hochhackigen Pumps. "Was hast du vor?" fragte De Young. Er hielt immer noch den Colt Cobra in der Hand. "Ich gehe", sagte Gloria krächzend. "Wohin? Warum bleibst du nicht? Ich habe dir doch gesagt, daß du nichts mehr zu befürchten hast."
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"Keine zehn Pferde können mich hier zurückhalten! Ich hätte beinahe mein Leben verloren! Geht es bei dir immer so zu?" "Was redest du denn da, Gloria?" "Warum rufst du nicht die Polizei an?" "Ich habe meine Gründe, das nicht zu tun." "Du hast also Dreck am Stecken, was? Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich nicht hierher gekommen. Man sieht ja, was passiert, wenn man sich mit einem Verbrecher einläßt!" Danny De Youngs Augen verengten sich. "Halt den Mund, Gloria. Ich verbiete dir, in diesem Ton mit mir zu reden!" "Du hast mir gar nichts zu verbieten, Danny De Young!" schrie das Mädchen wütend. "Ich habe dir das Leben gerettet. Dafür solltest du mir dankbar sein." "Mein Leben wäre niemals in Gefahr gewesen, wenn ich mir einen anderen Verehrer ausgesucht hätte. Du stehst auf irgend jemandes Abschußliste. Deshalb werde ich von deiner Seite so schnell wie möglich verschwinden, damit es mich nicht doch noch erwischt, wenn der Kerl noch einmal zuschlägt. Laß mich gehen, Danny!" "Ich möchte, daß du bleibst." Gloria lachte schrill. "Denkst du, ich wäre in der Stimmung, da fortzufahren, wo wir durch das Auftauchen dieses Killers unterbrochen wurden?" "Es würde mir genügen, wenn du bleibst. Wir könnten in Ruhe über die Sache reden." Gloria schüttelte wild den Kopf. "Ich will davon nichts wissen. Behalte das, was dich ins Grab bringen wird, nur schön für dich. Ich will nicht, daß man mich als deine Komplizin betrachtet." "Wenn du jetzt gehst, machst du vielleicht eine Dummheit, Gloria." "Keine Sorge, Danny De Young. Ich renne schon nicht zur Polizei. Das ist doch im Augenblick deine größte Sorge, oder etwa nicht?" "Ich gebe zu, es wäre mir nicht angenehm, wenn du die Bullen..." "Sie werden mich nicht zu Gesicht kriegen. Zufrieden?" Gloria hakte die goldene Brosche los, die De Young ihr geschenkt hatte. Sie warf das Schmuckstück auf das zerschossene Bett. "Die kannst du behalten. Schenk sie einem anderen Girl. Ich will sie nicht mehr haben. Schließlich habe ich nichts dafür geleistet, und es war ja nichts weiter als ein Geschäft, das wir beide in diesem Zimmer abwickeln wollten." Danny De Young wußte nicht, was er tun sollte. Sollte er Gloria mit Gewalt zurückhalten? Sollte er sie gehen lassen? Würde sie Wort halten und die Polizei aus dem Spiel lassen? Das Mädchen wartete nicht bis er sich entschieden hatte. Sie trat entschlossen auf ihn zu, und er wich mechanisch aus. Sie ging an ihm vorbei. Grußlos verließ sie sein Penthouse. Er konnte sicher sein, daß er sie nicht so bald wieder zu Gesicht kriegen würde. Es dauerte eine Weile, bis De Young sich gefangen hatte. Er blickte auf seine Hände und stellte fest, daß sie zitterten. Es ist ja auch keine Kleinigkeit, dem Totengräber gerade noch mal von der Schippe gerutscht zu sein. De Young hatte sich noch nie in einer so kritischen Lage befunden. Bisher hatten immer die anderen die Schwierigkeiten gehabt und nicht er. Er hatte es immer verstanden, sich um jeden Ärger herumzudrücken. Nervös zündete er sich eine Zigarette an. Mit hölzernen Schritten verließ er das Schlafzimmer, in dem er sich für diese Nacht einiges erhofft hatte. Was war daraus geworden? Ein Beinahe-Tod. Danny De Young rauchte mit hastigen Zügen. Wenn er es verstanden hätte, mit dem Colt besser umzugehen, hätte er den verdammten Kerl von den Stelzen geholt. Es hatte sich erwiesen, daß er mit der Waffe viel zu wenig übte. Er bewahrte sie die meiste Zeit nur in seiner Nachttischschublade auf. Copyright 2001 by readersplanet
Sie sollte ihm lediglich ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Nie hatte er im Ernst daran gedacht, daß er die Kanone wirklich einmal zur Verteidigung seines Lebens benötigen würde. Er nahm sich einen Drink, um seine angegriffenen Nerven ein bißchen aufzumöbeln. Gloria war gegangen. Er war allein. Das kam ihm jetzt erst so richtig zu Bewußtsein. Seine Gedanken kreisten immer wieder um den Maskierten, der ihm das Lebenslicht mit einer Lupara ausblasen wollte. Warum? Um alles in der Welt, warum? Zorn wallte in Danny De Young auf, nachdem er seinen Whisky getrunken hatte. Seine Augenlider flatterten. Er mußte irgend etwas tun. Es mußte irgend etwas geschehen. Man konnte diesen Mordanschlag nicht einfach auf sich beruhen lassen. De Young stellte das leere Whiskyglas auf ein Highboard und eilte zum Telefon. Er wählte eine siebenstellige Nummer: 2337465. Mit vibrierenden Nerven wartete er. Er nahm noch einen letzten Zug von seiner Zigarette, drückte sie dann im Glasaschenbecher aus, der neben dem Apparat stand. Am anderen Ende ging keiner ran. Danny De Youngs Brauen zogen sich zusammen. "Das gibt's doch nicht!" murmelte er. "Es muß jemand da sein! Wieso hebt niemand ab?" Endlich meldete sich eine gelangweilte Stimme mit: "Hallo." "Ich bin's: Danny De Young. Ist Rossano da?" "Für Sie immer, Danny. Was ist denn passiert? Sie klingen so aufgeregt." "Mann, das bin ich auch, und ich habe allen Grund dazu. Auf mich wurde geschossen. Und das noch dazu in meiner Wohnung!" "Einen Moment", sagte der andere schnell. Er wußte, daß er dieses Telefonat mit der Dringlichkeitsstufe eins versehen mußte. Kurze Pause. Dann: "Was höre ich da, Danny? Jemand hat auf Sie geschossen?" Das war Rossano Vascenti. "Verdammt, ja! Mit einer Lupara. Der Kerl war maskiert. Ich war nicht allein, sondern in Gesellschaft von Gloria. Sie kennen sie." "Wer kennt Gloria nicht." "Der Killer kam über das Dach des Nachbarhauses in meine Wohnung. Er wollte mich fertigmachen. Wenn ich nicht so blitzartig reagiert hätte, wäre ihm das auch gelungen. Ich konnte ihn mit meinem Colt verscheuchen..." "Blieb auch Gloria unverletzt?" "Ja." "Ist sie noch bei Ihnen?" "Nein, sie ist abgehauen." "Sie wird sich doch nicht an die Polizei..." "Sie hat mir versprochen, die Bullen aus dem Spiel zu lassen." "Dann ist es gut." "Nichts ist gut!" schrie Danny De Young aufgewühlt. "Menschenskind, mich wollte einer umlegen, und ich will von Ihnen wissen, warum?" "Tut mir leid. Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich kann mir keinen Grund für diesen Mordanschlag vorstellen." "Sie haben nicht nur Freunde in New York." Copyright 2001 by readersplanet
"Das ist richtig. Aber wie Sie wissen, haben wir uns mit unseren Gegnern erst vor wenigen Monaten arrangiert. Die Grenzen wurden neu festgesetzt. Und solange diese nicht verletzt werden, gibt es Frieden in dieser Stadt." "Vielleicht will ein Newcomer auf diese Weise für böses Blut sorgen", sagte De Young. "Und wenn der Tumult dann losgeht, schnappt er sich in der allgemeinen Verwirrung die besten Happen." "Ich wüßte von keinem Neuen", erwiderte Rossano Vascenti. "Himmelherrgottnochmal, es muß doch für diesen Mordanschlag irgendeinen Grund geben!" "Versuchen Sie sich zu beruhigen, Danny. Ich werde die Sache sofort in die Hand nehmen." "Und was soll ich inzwischen tun?" "Nichts. Bleiben Sie in Ihrem Penthouse. Und heben Sie die Lupara gut auf. Vielleicht verrät sie uns noch, wer der Maskierte war, der auf Sie geschossen hat. Ist Ihnen an dem Mann irgend etwas Besonderes aufgefallen?" "Nein. Er war groß und kräftig. Meine Güte, es ging ja alles so verdammt schnell, daß ich kaum mit dem Denken mitkam. Da fällt mir nur noch eines ein: Auf der Flucht hat er eine gelbe Narzisse verloren." "Ich kann mir nicht vorstellen, daß es sich bei diesem Mann um einen Profi von der Konkurrenz handelt", meinte Rossano Vascenti. "Ein Berufskiller hätte Sie mit der Lupara bestimmt nicht verfehlt." "Wer es auch immer gewesen ist, ich will wissen, aus welchem Grund er mich über den Jordan schicken wollte." "Ich werde versuchen, das herauszufinden", versprach der Italiener und legte auf. Danny De Young ließ den Hörer aus zehn Zentimeter Höhe in die Gabel fallen. Dann schloß er die Schlafzimmertür, um das zerfetzte Bett nicht mehr länger zu sehen. Ungeduldig und beunruhigt lief er im Living-room auf und ab. Er knetete ständig seine Finger. Sie knackten ununterbrochen. Vascenti hatte leicht reden. Er solle in seinem Penthouse bleiben. Angenommen, der Killer kam noch mal, um die Scharte auszuwetzen. Lieber hätte Danny De Young die Nacht in einem Hotel verbracht. Aber wäre er anderswo wirklich sicherer als hier in seinen vier Wänden gewesen? Einen Moment dachte De Young an seinen Freund Richard Cranford. Ob er ihn anrufen und ihm erzählen sollte, was passiert war? Richard würde das sicherlich sehr beunruhigen, und vielleicht war Farrah, seine Frau in der Nähe, dann erfuhr sie etwas, was nicht für ihre Ohren bestimmt war. Nein, Danny De Young entschloß sich, Richard Cranford vorläufig aus dem Spiel zu lassen. Er überlegte, was in diesen Augenblicken gerade passierte. Vascentis Leute ließen vermutlich die Telefone heißlaufen. Spitzel und Zuträger erfuhren von dem Mordanschlag und von Vascentis Wunsch, den Namen des Maskierten zu erfahren. Die wichtigsten Leute würde Rossano Vascenti persönlich anrufen. Bald würde in der ganzen Unterwelt bekannt sein, was sich in diesem Penthouse ereignet hatte. Und dann würde irgend jemand entweder Farbe bekennen oder, von jemand anders verraten werden. Kleine Schweißperlen glänzten auf Danny De Youngs Stirn. Er zog sich an und trat auf die Terrasse hinaus. Der Wind kühlte angenehm sein Gesicht. Sein gedankenverlorener Blick schweifte über die Skyline von New York. Er wußte nicht, wie lange er auf der Terrasse blieb. Er wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als im Living-room das Telefon anschlug. De Young wirbelte herum und eilte an den Apparat. "Ja?" Copyright 2001 by readersplanet
"Ich bin's", sagte der Italiener. Seine Stimme klang rauh. "Haben Sie etwas in Erfahrung gebracht?" fragte Danny De Young hoffend. Denn wenn Vascenti wußte, wem die Lupara gehörte, würde er dafür sorgen, daß der Mann zu keinem weiteren Mordanschlag mehr fähig war. "Leider ja", antwortete der Italiener. "Wie heißt der Killer?" "Das wissen wir noch nicht. Wir wissen nur, daß er - bevor er bei Ihnen aufkreuzte - Ihren Freund Richard Cranford ermordet hat." "Nein!" stöhnte Danny De Young. "Cranford wurde von einer Handgranate zerrissen. In der Garage seines Hauses. Neben seiner Leiche lag eine gelbe Narzisse." De Young wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Stirn. "O mein Gott..." "Sie brauchen jetzt einen klaren, kühlen Kopf, Danny." "Ich hau' ab!" rief De Young spontan. "Wohin wollen Sie denn?" "Egal, wohin. Nur erst mal raus aus der Stadt. Irgendwohin, wo mich dieser Bastard nicht findet." "Überstürzen Sie nichts, Danny. Sie wissen, daß ich Sie hier brauche. Sie können sich nicht einfach absetzen und mich im Stich lassen. Das würde ich Ihnen sehr übelnehmen, nach alldem, was ich für Sie getan habe." "Hören Sie, mein Leben ist in Gefahr. Ich bin in dieser Stadt nicht mehr sicher. Was nütze ich Ihnen denn, wenn ich tot bin?" "Sie werden nicht sterben." "Ach, könnten Sie einen zweiten Mordanschlag etwa verhindern?" "Ich werde alle meine Freunde bitten, den Mann, der auf Sie geschossen hat, zu suchen, Danny. Früher oder später werden sie ihn finden, verlassen Sie sich darauf. Mir stehen tüchtige Leute zur Verfügung." "Okay, Rossano, vielleicht schaffen es Ihre Freunde, den Kerl zur Strecke zu bringen, aber werde ich mich darüber noch freuen können?" "Ich sage etwas nicht gern zweimal, Danny", knurrte Rossano Vascenti. "Ich brauche Sie in New York. Deshalb werden Sie die Stadt ohne meine Einwilligung nicht verlassen, ist das klar?" Es wäre Selbstmord gewesen, jetzt zu erwidern: Und ich hau' trotzdem ab! Denn dann hätte Danny De Young nicht nur den Narzissen-Mörder, sondern auch Vascentis Killer am Hals gehabt. De Young seufzte schwer. "Na schön, Rossano. Ich bleibe." "Ich danke Ihnen", sagte der Italiener freundlich. "Übrigens, die Frau Ihres Freundes Cranford hat Kommissar X engagiert. Sie können sich vorstellen, daß mich das nicht sonderlich freut. Der Schnüffler könnte im Laufe seiner Ermittlungen auf Dinge stoßen, die besser im Verborgenen bleiben sollten. Ich bin sicher, daß Jo Walker in Kürze bei Ihnen auftauchen wird." De Young erschrak. "Bei mir?" "Farrah Cranford hat ihm sicherlich gesagt, daß Sie Richard Cranfords bester Freund waren. Da er von ihr nicht allzuviel erfahren kann, wird er sich an Sie halten." De Young kannte den Ruf von Jo Walker. Das war ein Privatdetektiv aus der obersten Schublade. Wenn man Dreck am Stecken hatte, war es ratsam, den Umgang mit ihm zu meiden. "Was soll ich tun?" fragte Danny De Young heiser. Copyright 2001 by readersplanet
"Wir suchen den Narzissen-Mörder selbst. Der Mord an Cranford und der Mordanschlag auf Sie sind unsere eigene Angelegenheit", sagte der Italiener. "Wir können nicht verhindern, daß sich nach dem gewaltsamen Tod von Richard Cranford die Polizei einschaltet. Das sind nun mal die Spielregeln. Aber wir können sehr wohl etwas gegen unliebsame Schnüffler unternehmen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das KX auf eine unmißverständliche Weise beibringen würden. Raten Sie ihm, sich aus diesem Fall herauszuhalten, sonst könnten ihm üble Dinge zustoßen." "Wie ich KX kenne, wird er sich dann erst recht in die Sache verbeißen", sagte De Young. "Tja, dann war er wenigstens gewarnt"; meinte Rossano Vascenti. Im selben Augenblick läutete jemand an der Tür. Danny De Young beendete das Gespräch und eilte aus dem Living-room. Er befürchtete, daß Jo Walker draußen stand - und seine Befürchtung erfüllte sich, als er die Tür öffnete.
* Die Aufmachung der Bar war reichlich kitschig. Die Fassade prangte im maurischen Stil. Links und rechts vom Eingang standen Plastikpalmen. Im Lokal gab es zwei Etagen. Wenn man oben saß, schaute man auf ein azurblaues Bassin hinunter, in dem sich zwei Delphine und ein hübsches blondes Mädchen tummelten. April Bondy hatte mittlerweile in Erfahrung gebracht, daß die Blonde, die mit den Fischen auf Du und Du war, Jocelyn Carr hieß. Joseph Lapinos ,Flipper'-Bar war - wie jeden Abend - gut besucht. Wenn jemand ausging und dem Abend einen besonderen Rahmen geben wollte, ging er zu Lapino. Da die Preise gepfeffert und gesalzen waren, blieb der Pöbel, der knapp bei Kasse war, gezwungenermaßen draußen. Jocelyn tollte mit den Delphinen im Becken. Sie ritt abwechselnd auf ihnen oder spielte mit ihnen Karussell. Die gutmütigen, gelehrigen Tiere ließen alles mit sich anstellen und zeigten immer das freundliche Grinsen, das sie bei den Menschen so beliebt machte. Während sich Wilkie Lenning an den Barmixer heranpirschte, suchte April Bondy Jocelyn Carrs Garderobe auf. Ihre Show dauerte jeweils eine halbe Stunde. Die dreißig Minuten mußten gleich zu Ende sein. Dann konnte sich April mit Jocelyn von Frau zu Frau über Richard Cranford unterhalten. Frenetischer Applaus brandete auf, als Jocelyn Carr aus dem Wasser schnellte. Sie hatte eine atemberaubende Figur. Auf ihrer braunen Haut glitzerten die Wassertropfen wie Glasperlen. Der schwarze Bikini war so klein, daß er in einen Briefumschlag gepaßt hätte. Ein Mann hängte dem Mädchen einen weißen Bademantel um. Jocelyn verneigte sich noch einmal nach allen Seiten und verließ dann die Szene. Sie schloß ihre Garderobe niemals ab. Es gab keine Wertgegenstände, die sie darin aufbewahrte. Als sie nun eintrat und April Bondy erblickte, stutzte sie einen Augenblick. "Möchten Sie etwas von mir?" fragte sie. "Ja, Miß Carr. Mein Name ist Bondy. April Bondy. Ich bin Privatdetektivin." "Oh. Das sieht man Ihnen aber nicht an." "Vielen Dank." "Ich hätte Sie eher für ein Mannequin gehalten." "Das war ich früher einmal." Copyright 2001 by readersplanet
Jetzt erst schloß Jocelyn Carr die Tür hinter sich. Sie ging an April vorbei, nahm ein Handtuch und begann damit ihr Haar zu frottieren. "Ihre Darbietung ist sehenswert", sagte April Bondy. "Es ist ein Vergnügen, mit so klugen Tieren zu arbeiten. Man hat nachgewiesen, daß die Delphine intelligenter sind als wir Menschen. Ich liebe sie. Was führt Sie zu mir, Miß Bondy?" "Ich bin beruflich hier..." "Etwas Unerfreuliches?" "Leider ja. Die ,Flipper'-Bar gehört Joseph Lapino, nicht wahr?" "Allerdings." "Und Mr. Lapino war mit dem Transportunternehmer Richard Cranford befreundet. Mit ihm und mit Mr. Danny De Young." "Er ist mit den beiden nach wie vor befreundet", erwiderte Jocelyn Carr. Sie setzte sich in einen Drehsessel. "Haben Sie Cranford gekannt?" "Wieso sprechen Sie in der Vergangenheit von ihm?" "Er lebt nicht mehr. Man hat ihn ermordet. Mit einer Handgranate." April erzählte die Einzelheiten, die ihr Jo Walker berichtet hatte. Jocelyn Carr war blaß geworden. "Richard - tot", sagte sie fassungslos. "Ermordet. Warum?" "Um das herauszufinden, bin ich hier", sagte April. "Ich fürchte, ich werde Ihnen nicht helfen können", sagte Jocelyn Carr. Sie schien das ehrlich zu bedauern. "Ich habe ihn sehr gemocht. Er war oft hier. Einige Male hat er's bei mir versucht... Sie wissen schon. Aber ich habe ihn abblitzen lassen." "Warum? Wenn Sie ihn doch mochten." "Er war verheiratet, und verheiratete Männer sind für mich tabu." "Das ist eine anständige Einstellung. Hatten Cranford, De Young und Lapino in letzter Zeit mal Ärger?" "Miteinander? Das gab's bei denen nicht. Die kennen einander schon so lange wie ich alt bin." "Ärger mit anderen Personen? "Nicht, daß ich wüßte", antwortete Jocelyn Carr. "Was mir besonderes Kopfzerbrechen macht, ist die gelbe Narzisse neben Richard Cranfords Leiche. Was kann sie Ihrer Meinung nach zu bedeuten haben?" "Keine Ahnung." "Ob Mr. Lapino mir auf diese Frage eine Antwort geben kann?" "Ich würd's an Ihrer Stelle mal bei ihm versuchen", meinte Jocelyn. "Sie haben recht. Das werde ich tun", sagte April Bondy und verließ die Garderobe des Mädchens.
* Der Killer kochte vor Wut. Nur der erste Mord hatte so geklappt, wie er sich das vorgestellt hatte. Doch schon der zweite Anschlag war danebengegangen. Das ärgerte ihn maßlos. So leicht wie diesmal würde er an Danny De Young wohl nie mehr herankommen. Danny würde sich vorsehen.
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Dennoch würde er in naher Zukunft sterben müssen. Danny De Young war in den Augen des Narzissen-Mörders eine feige Ratte, die kein Recht hatte, zu leben. Doch Danny war im Moment nicht das einzige Problem, das den Narzissen-Mörder beschäftigte. Da war noch etwas anderes. Jo Walker! Der Killer hatte sich gründlich informiert und wußte nun, daß er die Nummer eins unter den Schnüfflern auf seinen Fersen hatte. Kommissar X war - so hatte man den Narzissen-Mörder wissen lassen - ein ganz gerissener Hund, vor dem man sich höllisch in Acht nehmen mußte. Für die Verbrecher, die Jo Walker bereits hinter Gitter gebracht hatte, hätte man schon ein eigenes Gefängnis bauen können. Der Killer knirschte unwillig mit den Zähnen. Er mußte sich KX so schnell wie möglich vom Hals schaffen. Er brauchte Bewegungsfreiheit. Die hatte er jedoch nicht, wenn Jo Walker ständig hinter ihm her war. Er schmiedete einen Plan und setzte diesen sofort in die Tat um. Es gab eine Möglichkeit, den Spürhund zum Kurztreten zu zwingen, und diese Möglichkeit packte der Narzissen-Mörder unverzüglich an.
* "Was hätten Sie gern?" erkundigte sich der Mixer, ein drahtiger Mann mit anliegenden Ohren. Der Bursche machte auf Wilkie Lenning einen öligen Eindruck. "Einen Drink und eine Auskunft", sagte Wilkie. Er langte in die Tasche seiner Blue jeans und brachte ein paar Dollarscheine zum Vorschein. Es freute ihn, erkennen zu können, daß er den Mixer richtig eingeschätzt hatte. Als der Mann das Geld sah, bekam er glasige Augen, "Alkoholfrei - oder was Starkes?" fragte der Typ hinter dem Tresen. Die weinrote Fliege unter seinem Kinn hüpfte auf und ab. "Orangenjuice", sagte Wilkie. Als er den Drink bekam, legte er fünfzig Dollar auf die Platte. "Der Rest könnte für Sie sein, wenn Sie ein bißchen mit mir plaudern." "Über wen?" "Wie wär's fürs erste mal mit Richard Cranford?" "Was ist mit ihm?" "Er ist tot." "Gott im Himmel..." "Wo sollte der sonst sein?" sagte Wilkie lächelnd. "Cranford war oft hier, nicht wahr? Weil er seit vielen Jahren mit Joseph Lapino befreundet war. Auch Danny De Young gehört zu dieser Clique. Was haben die Freunde gemacht, wenn sie beisammen waren?" "Meistens haben sie in Mr. Lapinos Büro gepokert." "Und wenn sie nicht gepokert haben?" "Dann haben sie gepichelt", antwortete der Mixer. "Vor allem Cranford konnte eine ganze Menge vertragen. Was ist ihm zugestoßen?" Wilkie Lenning sagte es. "Das tut mir aufrichtig leid", sagte der Mixer ernst. "Richard Cranford hatte geschäftlich mit Rossano Vascenti zu tun. Sie wissen, wer das ist?" "Ich glaube, es gibt niemanden in New York, der den Namen Vascenti nicht kennt." "Hat Vascenti einen Einfluß auf diesen Betrieb?" fragte Wilkie. Copyright 2001 by readersplanet
Der Mixer hob die Schultern. "Das entzieht sich wirklich meiner Kenntnis." "Ich bin sicher, Sie würden's mir auch dann nicht sagen, wenn Sie's wüßten. Schließlich möchten Sie Ihren Job behalten. Was für eine Rolle spielten Narzissen in Richard Cranfords Leben?" "Sorry, Sir. Diese Frage kann ich Ihnen beim besten Willen nicht beantworten. Ich habe keine Ahnung." Wilkie Lenning entdeckte April. Sie setzte sich soeben an einen Tisch für zwei Personen. Der Junge wies auf die fünfzig Dollar und sagte: "Verprassen Sie das Geld nicht mit leichtsinnigen Mädchen. Und lassen Sie Joseph Lapino wissen, worüber wir beide uns so angeregt unterhalten haben." Der Mixer nickte und steckte das Geld schnell ein. Wilkie Lenning griff sich sein Juice-Glas und begab sich zu April. "Erfolg gehabt?" erkundigte er sich, nachdem er sich gesetzt hatte. "So gut wie keinen. Und du?" "Vielleicht kann Joseph Lapino uns helfen, das Geheimnis der gelben Narzisse zu lüften", sagte Wilkie und nahm einen großen Schluck von seinem Drink. Zwei Minuten später erschien Joseph Lapino. Er hatte schwarzes Haar und einen sorgfältig gestutzten Oberlippenbart. Seine dunklen Augen schienen aufgeregt zu funkeln. "Der Mixer sagte mir soeben..." Wilkie Lenning nickte und fiel dem Barbesitzer ins Wort: "Das ist richtig, Mr. Lapino. Ich würde Ihnen gern einen Platz anbieten, aber der Tisch ist nur für zwei Personen." "Woher wissen Sie, daß Richard Cranford ermordet wurde?" "Ich hab's von meinem Freund. Vielleicht kennen Sie ihn. Sein Name ist Jo Walker. Dieses hübsche Mädchen und ich arbeiten für ihn. Wir sind Detektive. Wenn Sie unsere Lizenz sehen wollen "Ich pfeife auf Ihre Lizenz", zischte Joseph Lapino aggressiv. "Wer gibt Ihnen das Recht, hier herumzuschnüffeln und dämliche Fragen zu stellen?" "Verzeihung, welche meiner Fragen halten Sie für dämlich?" "Zum Beispiel, ob Rossano Vascenti Einfluß auf diesen Betrieb hat!" Wilkie Lennings Gesicht nahm einen fuchsschlauen Ausdruck an. "Hat er?" "Verdammt, ich gebe Ihnen den guten Rat, sich aus dieser Sache herauszuhalten!" herrschte der Barbesitzer Wilkie Lenning an. "Ehrlich gesagt, ich finde Ihr Benehmen reichlich befremdend", schaltete sich nun April Bondy in das Gespräch ein. Es wurde trotz Joseph Lapinos großer Erregung in einer Lautstärke geführt, die die anderen Gäste nicht störte. "Sollten Sie nicht daran interessiert sein, daß der Mörder Ihres Freundes gefaßt wird?" "Man wird ihn schon erwischen. Dazu sind Sie beide nicht nötig. Und auch Mr. Walker kann die Arbeit getrost der Polizei überlassen", sagte Lapino grimmig. Wilkie lehnte sich zurück und musterte den Barbesitzer von Kopf bis Fuß. "Also ich werde den Eindruck nicht los, daß Sie keine ganz saubere Weste haben, Mr. Lapino. Deshalb sind Sie so stinksauer auf uns. Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte sich Joseph Lapino auf den schlaksigen Jungen stürzen. Es kostete den Barbesitzer sichtlich Mühe, sich zu beherrschen. Er knurrte ganz hinten in der Kehle: "Raus! Lassen Sie sich in meinem Lokal nicht wieder blicken, sonst können Sie etwas erleben!" Wilkie erhob sich träge. Er blickte Lapino furchtlos in die Augen. "Was haben Sie zu verbergen?" Copyright 2001 by readersplanet
"Scheren Sie sich zum Teufel. Und vergessen Sie nicht, Ihre Kollegin mitzunehmen!" April stand ebenfalls auf. "Na schön, Mr. Lapino. Wir gehen. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß wir schon bald wiederkommen. Vielleicht bringen wir dann Kommissar X mit." Lapino versuchte April mit den Augen zu erdolchen. Das hübsche Mädchen hakte sich bei Wilkie unter und sagte: "Komm, Kollege. Gehen wir. Hier riecht es nicht gut." Sie verließen die Bar. Kaum waren sie draußen, da fielen die Schüsse...!
* Danny De Young war furchtbar nervös. Jo konnte das nicht entgehen. Es schien ihm, als erzählte er De Young nichts Neues, als er von Richard Cranfords gewaltsamem Ende sprach. Jemand schien den Mann bereits informiert zu haben. Farrah Cranford vielleicht? Das wäre eine Möglichkeit gewesen. Sie saßen einander im Living-room gegenüber. Jo ließ eine Frage nach der andern vom Stapel. Danny De Young gab sich einen kooperativen Anstrich. Er beantwortete jede Frage, soweit es ihm möglich war. Auf die Fragen: Wer könnte den Mord verübt haben? Und: Was hat die gelbe Narzisse zu bedeuten? mußte De Young jedoch passen. Dafür gab er aber unumwunden zu, daß er hin und wieder mit Rossano Vascenti Geschäfte machte. "Selbstverständlich nur im Rahmen der Legalität", beeilte er sich beizufügen. "Ich weiß natürlich, daß der Name Vascenti bei vielen Leuten einen üblen Beigeschmack hervorruft. Rossano Vascenti ist bei Gott kein Heiliger, Mr. Walker, aber ist es deshalb anrüchig, mit ihm ein erlaubtes Geschäft zu tätigen?" "Was soll ich Ihnen darauf antworten?" erwiderte Jo. ,,Sehen Sie, wenn die PanAm Mr. Vascenti ein Flugticket verkauft, ist das auch ein Geschäft. Kommt die Fluggesellschaft deswegen gleich in Verruf?" "Hier liegt die Sache dann doch ein bißchen anders, möchte ich meinen." Danny De Young bewegte seine Hände, als wollte er etwas glätten. "Okay. Über diesen Punkt werden wir beide wohl kaum eine Einigung erzielen, Mr. Walker. Ich schlage vor, wir verlieren kein weiteres Wort mehr darüber." "So einfach geht das leider nicht, entgegnete Kommissar X. "Ich bin immer noch auf der Suche nach einem Motiv für die Tat. Ihr Freund mußte nicht ohne Grund sterben." "Warum überlassen Sie nicht der Polizei diesen Job?" "Weil Farrah Cranford mich gebeten hat, den Mord an ihrem Mann aufzuklären." "Das hat sie im Schock getan. Angenommen, Farrah würde Sie morgen früh anrufen und Sie bitten, sich nicht weiter um die Sache zu kümmern..." "Dann wüßte ich, daß Sie ihr dazu geraten haben, und ich würde erst recht weitermachen." "Sie können wohl verdammt hartnäckig sein, was?" "Oja. Das kann ich. Ich renne mit meinem Dickschädel Betonwände ein, wenn es sein muß." "Besteht nicht die Gefahr, daß Sie sich irgendwann mal übernehmen?" "Das ist mein Risiko", gab Jo trocken zurück. Danny De Young leckte sich die Lippen. "Hören Sie, Mr. Walker, ich bin ein Mensch, den man mit dem fließenden Wasser vergleichen kann. Ich suche mir immer den Weg des geringsten Widerstands, das sollten Sie auch tun. Sehen Sie, Vascenti ist nicht gerade ein unbeschriebenes Blatt, wie Sie wissen. Ich könnte mir vorstellen, daß es dem Mann nicht Copyright 2001 by readersplanet
gefällt, wenn Sie in seiner unmittelbaren Nähe herumschnüffeln. Sie könnten sich damit mehr Ärger aufhalsen als Sie verkraften können. Zahlt sich das denn aus?" Jo lächelte kalt. "Hat Vascenti Ihnen aufgetragen, mir das zu bestellen?" "Nein. Es war mir nur ein Bedürfnis, Ihnen einen gut gemeinten Rat zu geben." Jo musterte De Young eingehend. "Warum sind Sie eigentlich so nervös, mein Lieber?" ,,Na hören Sie, sollte es mich kalt lassen, wenn Sie mir erzählen, daß jemand meinen besten Freund ermordet hat?" "Sie waren schon nervös, bevor ich Ihnen das sagte, und ich hatte den Eindruck, daß Sie mit meinem Besuch rechneten." "Unsinn. Wie hätte ich denn wissen sollen, daß Sie zu mir kommen?" "De Young, ich habe eine verdammt feine Nase, und ich rieche, daß hier etwas ziemlich faul ist." Jos Blick wanderte durch den Raum. Plötzlich machte er eine Entdeckung, die ihn elektrisierte. Er sprang auf und eilte zu der Kommode, die neben der Terrassentür stand. Eine gelbe Narzisse lag darauf. Jo ergriff sie und hob sie hoch. "Finden Sie nicht auch, daß Sie mir jetzt eine Erklärung schuldig sind, De Young?" Totenblaß erhob sich Danny De Young. "Verdammt noch mal, Walker, scheren Sie sich zum Teufel. Verschwinden Sie! Verlassen Sie augenblicklich meine Wohnung!" De Young lief zu Jo und riß ihm die Narzisse aus der Hand. "Wieso liegt diese Blume hier?" fragte Kommissar X eindringlich. "Darf sie das denn nicht?" schrie De Young. "Im allgemeinen hätte ich nichts dagegen. Aber im Besonderen...Eine solche Blume lag neben ihrem toten Freund, De Young!" Der Mann konnte sich nur noch mit Mühe beherrschen. Kleine graue Flecken zeichneten sich auf seinen Wangen ab. Es blitzte gefährlich in seinen Augen. "Ich sag's nicht noch mal, Walker. Gehen Sie!" "Ich will wissen, was diese Blume hier zu suchen hat!" De Young drehte durch. Er schlug zu. Doch Jo Walker hatte mit einem Angriff gerechnet. Er blockte den Hieb ab und konterte. Danny De Young taumelte zwei Schritte zurück, kam jedoch sofort wieder. Es gelang ihm, Jo gegen das Schienbein zu treten. Ein glühender Schmerz raste bis in Jos Knie. De Young zog seinen Uppercut hoch, dem Kommissar X nur knapp entging, indem er den Kopf blitzschnell zurücknahm. Wie ein gereizter Bulle fightete Danny De Young. Jo fing die meisten Schläge ab. Er stellte sich auf den Gegner ein und wartete den Moment ab, wo dessen überschüssigen Kräfte verpufft waren. Mit geübtem Auge erkannte KX seine Konterchancen, die er unverzüglich nützte. Damit brachte er Danny De Young sehr schnell ins Wanken. Als der Mann nicht mehr so viel Dampf in seinen Fäusten hatte, holte ihn Jo mit einem Schwinger von den Beinen. Ein Handkantenschlag folgte. Danny De Young blieb groggy liegen. Jo packte ihn und schleifte ihn zu einem Sessel, in den er den schlaffen Körper fallen ließ. "So, mein Lieber, und nun mal 'raus mit der Sprache!" knurrte Kommissar X. "Wie kommt die Narzisse hierher? Haben Sie etwas mit dem Mord an Richard Cranford zu tun?" "Ich?" schrie De Young entsetzt auf. Blut sickerte aus seinem Mund. "Für wen war diese Narzisse bestimmt?"
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"Für mich! Auch ich sollte ein Opfer des Narzissen-Mörders werden", platzte es aus Danny De Young heraus. Jo überlief es kalt. "Er war hier?" "Ja. Er hatte mit einer Lupara auf mich geschossen." "Und das haben Sie überlebt?" fragte Kommissar X überrascht. "Ich hatte Glück..." "Das können Sie laut sagen. Erzählen Sie. Was ist passiert?" Widerstrebend berichtete Danny De Young, und er beteuerte, daß er nicht wisse, warum dieser Kerl zu ihm gekommen war und wer dahinterstecke. "Kann das Erscheinen etwas mit Ihrer Beziehung zu Vascenti zu tun haben?" fragte Jo. De Young schüttelte verzweifelt den Kopf. "Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nichts!" "Denken Sie scharf nach, De Young. Gibt es in Ihrem oder in Cranfords Leben irgendeinen schwarzen Punkt? War da mal irgend etwas mit Narzissen?" "Ich habe Ihnen alles gesagt, Mr. Walker. Mehr weiß ich nicht." "Ich erwarte von Ihnen, daß Sie mich anrufen, falls sich in dieser Sache etwas Neues ergeben sollte. Meine Telefonnummer steht im Telefonbuch. Sollte ich spitzkriegen, daß Sie zu keiner Zusammenarbeit bereit sind, werde ich mich ein wenig um Ihre Geschäfte mit Vascenti kümmern. Dann werden Sie auf Jahre hinaus von Vater Staat verköstigt, das gebe ich Ihnen schriftlich." Jo fischte sein Taschentuch aus der Brusttasche. Er drückte es Danny De Young in die Hand und sagte ihm, er solle sich damit das Blut abwischen. Dann ging er. Und damit machte er De Young die größte Freude.
* Seit zehn Jahren war Rossano Vascenti ein gutsituierter Insider der New Yorker Gangsterszene. Er hatte nach allen Seiten hin gute Beziehungen, und es war ihm mit viel Geschick gelungen, der Mafia so etwas wie einen Nichtangriffspakt abzuringen. Da er niemals so verrückt war, sich mit der Ehrenwerten Gesellschaft anzulegen, hatte er von dieser Seite nichts zu befürchten und konnte sich auf die anderen Gangs konzentrieren, die in der Stadt mit mehr oder weniger Erfolg ihr Unwesen trieben. Es hatte Zeiten gegeben, in denen blutige Bandenkriege an der Tagesordnung waren. Jeder Schlag hatte einen Gegenschlag nach sich gezogen, und die New Yorker Unterwelt war mit Leichen gepflastert gewesen. Daß es damit ein Ende hatte, war vor allem Vascentis Cleverness zu verdanken. Es war ihm gelungen, seine Gegner davon zu überzeugen, daß es unsinnig war, sich gegenseitig zu zerfleischen, anstatt in den genau abgegrenzten Gebieten gehörig abzusahnen. Wie wichtige Staatsmänner hatten sich die Gangsterbosse an den Verhandlungstisch gesetzt. Eine Woche lang war um Gebiete gerungen und um Vorteile gefeilscht worden. Und schließlich war es zu einer Einigung gekommen, mit der alle Verbrecher zufrieden sein konnten. Deshalb konnte Rossano Vascenti jetzt nicht begreifen, daß plötzlich ein Hecht im Karpfenteich auftauchte und gehörig für Unruhe sorgte. Das gefiel Vascenti nicht. Die Polizei mußte in einem solchen Fall aktiv werden, und was die so alles nebenbei aufdecken würde, konnte den Italiener in unliebsame Schwierigkeiten manövrieren. Deshalb ließ Rossano Vascenti an diesem Abend die Telefone heißlaufen. Er saß in seiner Villa auf Coney Island an seinem Schreibtisch und führte pausenlos Gespräche, während Copyright 2001 by readersplanet
viele seiner Männer durch die Stadt zogen und ebenfalls herauszufinden versuchten, warum Richard Cranford sterben mußte. Vascenti war der typische Italiener. Mittelgroß, quirlig, dunkelhaarig, temperamentvoll. Er liebte teure Krawatten und gut sitzende Maßanzüge. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein distinguierter Herr aus den besten Kreisen. Nur diejenigen, die ihn genauer kannten, wußten, daß es ihm absolut nichts ausmachte, über Leichen zu gehen. Er sprach mit den Gangsterchefs in der Bronx, in Queens, in Manhattan... Alle versicherten ihm, mit dem Mord an Richard Cranford nichts zu tun zu haben - und er glaubte ihnen. Einige fühlten sich durch seinen Anruf sogar auf den Schlips getreten, doch der hervorragende Rhetoriker Rossano Vascenti konnte die aufbrausenden Gesprächspartner schnell wieder beruhigen. Er fand, daß ihm keine Perle aus der Krone fiel, wenn er sich wegen des unbegründeten Verdachts in aller Form bei ihnen entschuldigte. Nach und nach hakte er die Namen der Personen, mit denen er zu sprechen gedachte, ab. Bis keiner mehr übrigblieb. Doch seine hektischen Telefonate hatten nicht den geringsten Erfolg gebracht. Das ärgerte Vascenti. Er massierte seine müden Augen und erhob sich. Die Gegenseite war friedlich. Wer aber hatte den sinnlos erscheinenden Mord verübt? Ein Verrückter? Daran hätte Vascenti vielleicht geglaubt, wenn der Narzissen-Mörder nicht auch bei Danny De Young erschienen wäre. So aber verwarf er diesen Gedanken sofort wieder. De Young und Cranford waren Freunde gewesen. Beide hatten mit ihm, Vascenti, Geschäfte gemacht. Waren sie deshalb in Schwierigkeiten geraten? Oder gab es noch einen anderen Grund? Vascentis Gedanken schweiften ab, doch plötzlich stieß ihm ein Name sauer auf: Jo Walker! Der Schnüffler war ihm ein unangenehmer Dorn im Auge. Vermutlich hatte sich KX bereits bei Danny De Young blicken lassen. Hatte es Danny geschafft, dem Spannemann klarzumachen, daß es für ihn höchst ungesund werden könnte, wenn er seine Nase weiterhin in Angelegenheiten steckte, die ihn nichts angingen? Würde ein Mann wie Kommissar X daraufhin sofort den Schwanz einziehen? Wohl kaum! Da mußte massiver nachgeholfen werden. Der Italiener begab sich zur Tür und öffnete sie. "Buster!" rief er. "Ja, Boß?" "Komm mal!" Schwere Schritte stampften auf die Tür zu. Rossano Vascenti kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und ließ sich auf die Kante nieder. Buster Lear betrat das Arbeitszimmer des Gangsterbosses. Der Mann mußte sich beim Eintreten bücken, so groß war er. Er maß mehr als zwei Meter. Ein häßlicher Klotz mit athletisch breiten Schultern, schaufelblattgroßen Händen und gemein funkelnden Augen. Vascenti hatte ihn aus der Gosse aufgelesen, knapp bevor der Bursche sich zu Tode gesoffen hatte. Die Entwöhnungskur war erfolgreich gewesen. Heute rührte Buster Lear keinen Tropfen Alkohol mehr an. Vascenti hatte einen neuen Menschen aus ihm gemacht. Lear verdiente als Leibwächter des Italieners eine hübsche Stange Geld, und er war dafür dem Boß sehr dankbar und ihm hündisch ergeben. Rossano Vascenti konnte alles von ihm verlangen. Buster Lear führte es aus, ohne zu zögern. Copyright 2001 by readersplanet
"Bring mir einen Martini", verlangte Vascenti. "Sofort", sagte Buster Lear. "Trocken." "Natürlich. Wie immer, Boß." Lear brachte den Drink auf einem silbernen Tablett. "Gracie", sagte der Italiener und griff nach dem Glas. Buster Lear sah zweimal so groß aus wie er. David und Goliath. Der Unterschied bestand nur darin, daß Vascenti und Lear keine Feinde waren. "Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Boß?" fragte der Riese. Vascenti zog die schwarzen Brauen zusammen. "Ich habe ein Problem, das du für mich lösen könntest, Buster." "Sie wissen, ich tue alles für Sie." "Dir ist bekannt, was Richard Cranford zugestoßen ist." "Ja, Boß." "Farrah Cranford war so unvernünftig, den Privatdetektiv Jo Walker zu engagieren." "Soll ich sie veranlassen, den Auftrag zurückzuziehen?" "Wenn Kommissar X einmal im Rennen ist, ist er nicht mehr zu stoppen, Buster." "Dann kümmere ich mich um KX." Vascenti nickte grinsend. "Das ist es, worum ich dich bitten wollte, Amico."
* Als Jo Walker die Tür von draußen zumachte, fiel Danny De Young ein Stein vom Herzen. Er erhob sich schwerfällig, tupfte sich mit Walkers Taschentuch das Blut ab. Verdammt, der Schnüffler verstand seinen Job. Und er konnte gewaltig hinlangen, dieses Zugeständnis mußte ihm Danny De Young bei aller Antipathie machen. Mit unsicheren Schritten wankte De Young ins Bad. "Was für ein Abend!" murmelte er mit geschwollenen Lippen. "Teufel, der hat's in sich. Anstatt zu 'nem Ringelpietz mit Gloria kommt es beinahe zu 'nem Meeting mit dem Sensenmann. Und hinterher gibt es auch noch Schläge." De Young wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser. Er schaufelte immer neues Wasser in sein Gesicht. So lange, bis er sich wohler fühlte und seine Lebensgeister wieder langsam auf Touren kamen. Nach einem Drink wurde er dann halbwegs wieder flott. Er dachte an Vascenti. Der Italiener wartete bestimmt auf einen Bericht. De Young bastelte sich einige Redewendungen zurecht, die er bei Rossano Vascenti loswerden wollte. Von der Schlägerei würde er nichts erzählen, schließlich hatte er dabei keine allzu gute Figur gemacht. Er würde hier ein bißchen bagatellisieren und dort ein wenig flunkern, damit ihn Vascentis heiliger Zorn nicht gleich wie ein Blitz traf. Als er seinen Bericht so halbwegs beisammen hatte, begab er sich zum Telefon. Plötzlich gab es ihm einen Ruck. Er zuckte heftig zusammen. Jo Walkers Fragen waren ihm noch einmal durch den Kopf gewirbelt, und auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Danny De Young schluckte heftig. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er die Wand an. "Ach du Schreck, den hatte ich doch tatsächlich vollkommen vergessen!" Eine heiße Welle durchlief seinen Körper. Gleichzeitig fröstelte er aber, und er bekam die Gänsehaut. Copyright 2001 by readersplanet
Glasklar war plötzlich alles für Danny De Young. Es gab keine offenen Fragen mehr. De Young kannte mit einemmal alle Antworten, und ihm wurde fast schlecht vor Aufregung. Nervös fuhr er sich über die Augen. "Zero Zapata!" kam es leise über seine Lippen. Der Name allein ließ ihn schaudern. Der Mann, der Richard Cranford ermordet hatte und später zu ihm ins Penthouse gekommen war, um auch ihn zu töten, hieß Zero Zapata. Er war der Narzissen-Mörder. Für Danny De Young gab es diesbezüglich nicht den geringsten Zweifel. Dennoch rief er sogleich Joseph Lapino an, um sich von diesem seinen Verdacht bestätigen zu lassen. Auch Lapino war plötzlich klar, daß als Narzissen-Mörder nur Zero Zapata in Frage kam. "Du mußt das sofort Rossano Vascenti mitteilen", sagte der Barbesitzer. "Ich ruf' ihn jetzt gleich an", sagte De Young. "Menschenskind. Zero...nach so vielen Jahren. Wer hätte das gedacht. Also ich wär' nicht auf die Idee gekommen." "Ich auch nicht", gab Danny De Young zu, "wenn er nicht die verrückte Idee mit der Narzisse gehabt hätte." "Paß auf dich auf", riet Lapino denn Freund. "Zero ist ein hartnäckiger Bursche. Er könnte wiederkommen." "Er könnte sich aber auch dich als nächsten vornehmen." "Ich werde auf der Hut sein." "Daran tust du gut", sagte De Young und drückte auf die Gabel. Dann wählte er Rossano Vascentis Nummer. Er informierte den Gangsterboß so gründlich wie möglich. Der Italiener hörte sich De Youngs Geschichte an, ohne ihn zu unterbrechen. Erst als dieser geendet hatte, sagte Rossano Vascenti: "Haben Sie keine Angst mehr, Danny. Ich werde das für Sie regeln. Meine Leute werden Zero Zapata jagen und erledigen. Sie können ihn vergessen." "Danke, Rossano. Ich danke Ihnen." "Keine Ursache, Amico. Wozu hat man schließlich Freunde?"
* Zwei, drei Schüsse peitschten. Wilkie Lenning deckte April Bondy mit seinem Körper. Es war ein Reflex, als seine Hand zur Schulterhalfter zuckte. Die Projektile hackten Löcher in den Verputz der Hausmauer. Wilkie riß seine Automatic heraus. Der Motor eines Wagens brüllte auf, und dann raste ein dunkelblauer Chrysler davon. "Der Kerl hat auf uns geschossen!" stieß April wütend hervor. "Du merkst aber auch alles", sagte Wilkie. Sie eilten zu seinem Wagen. Während Wilkie das Fahrzeug von der Bordsteinkante abzischen ließ, sagte er: "Wir hatten Glück, daß der Bursche so ein miserabler Schütze ist. Ahnungslos, wie wir waren, hätte er aus uns spielend zwei nette kleine Engel machen können." "Vielleicht hat er uns absichtlich verfehlt. Vielleicht wollte er uns nur mal einen gehörigen Schrecken einjagen." "Kann sein. Ist es ihm gelungen?" Copyright 2001 by readersplanet
"Ich weiß nicht, was deine Knie tun. Meine jedenfalls zittern", gab April Bondy ehrlich zu. Der dunkelblaue Chrysler bog links ab. Wilkie gab mit Gefühl Gas. Es gab nicht viele junge Leute, die ihren Wagen so gut im Griff hatten wie Wilkie Lenning. Der schlaksige Bursche hatte ein ausgeprägtes Talent fürs Fahren. Er setzte das Fahrzeug punktgenau in die Kurve. Da gab es kein Reifenquietschen und kein überflüssiges Motorgeheul. April wurde in den Sitz gepreßt, als Wilkie beschleunigte. Sie waren beide angegurtet, denn wenn sich Wilkie auch auf seine Fahrkunst hundertprozentig verlassen konnte, so war doch niemals eine Fehlleistung eines anderen Verkehrsteilnehmers auszuschließen. Mit hoher Geschwindigkeit fuhr der Chrysler an der City Hall vorbei. Es herrschte in den Straßen des süd-lichen Manhattan ein durchschnittliches Verkehrsaufkommen. Deshalb war es möglich, daß der Chrysler zügig vorwärtskam. Hin und wieder drückte der Fahrer seinen Wagen auf die Gegenfahrbahn hinüber. Gewissenlos überfuhr er die Sperrlinien, um kurze Wagenpulks zu überholen. Gleich hinter der City Hall schlug der Chrysler einen Haken. Er fuhr ein Stück die Fulton Street entlang und suchte sich dann die Auffahrt zur Brooklyn Bridge. Wilkie Lenning machte die unverantwortlichen Manöver des Gangsters nicht mit. Er fiel etwas zurück. Doch sobald sich im fließenden Verkehr eine Lücke auftat, fädelte er sich ein und schwänzelte von einer Fahrspur zur anderen. April Bondy versuchte das Kennzeichen des Chryslers zu entziffern, doch die Entfernung war zu groß. "Jetzt müßte man Rotlicht und Sirene zur Verfügung haben", sagte sie. "Wie die Bullen", sagte Wilkie, ohne den Blick vom Verkehr zu nehmen. Er war voll konzentriert. "Dann würde ich diesen ganzen Blechhaufen zur Seite blasen und hätte den Kerl innerhalbweniger Minuten am Kragen. Aber leider. Man kann eben niemals alles haben. Freiheit, ein angenehmes Leben - wenn man von den heißen Hummeln absieht, die einem ab und zu um die Ohren fliegen - und 'ne Polizeisirene." Brooklyn. Der schießwütige Teufel raste auf den Brooklyn-Queens Expressway hinunter. Hier holte Wilkie Lenning wieder auf. "Vielleicht kriegen wir ihn doch noch!" rief April Bondy aufgeregt. "Wenn wir es schaffen, ihn zu schnappen, halte ich ihn fest, und du darfst ihm eine runterhauen", sagte Wilkie. Der Fahrer des dunkelblauen Chryslers wußte, daß er seine Verfolger immer noch nicht abgeschüttelt hatte. Er versuchte es mit Waghalsigkeiten, raste an fahrenden Autos rechts über den Pannenstreifen vorbei und bremste einen Möbeltransporter aus. Dann preschte er in die Joralemon Street. Eine Ampel. Noch zeigte sie grün. Aber in derselben Sekunde wechselte sie auf Rot. Der Gangster dachte nicht im Traum daran, stehenzubleiben. Das war seine Chance, der Raserei ein Ende zu machen. Statt auf die Bremse zu treten, drückte er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Ein Kamikaze! "Ist der denn verrückt?" schrie April Bondy, als sie sah, was der Verbrecher tat. "Er bringt sich um, wenn er bei Rot über die Kreuzung rast", kommentierte Wilkie Lenning die Aussichten des Revolverschützen. Copyright 2001 by readersplanet
Aber der Kerl schien seinen Wagen mit Schutzengeln vollbepackt zu haben. Mit unverantwortlicher Geschwindigkeit stieß der Chrysler in den Kreuzungsbereich hinein. Der Querverkehr war - im Vertrauen darauf, freie Fahrt zu haben - angerollt. Den Fahrern mußten die Haare zu Berge stehen, als der dunkelblaue Chrysler plötzlich wie ein Phantom auftauchte. Hupen brüllten. Bremsen kreischten. Reifen quietschten. Jeder Fahrer versuchte das Unheil auf eine andere Weise abzuwenden. Die Wagenschnauzen wandten sich in alle Richtungen. Der Chrysler pendelte zwischen den Autos hin und her. Er krachte seitlich gegen die platte Front eines Lieferwagens, wurde von dieser zurückgeschleudert und gegen das Heck eines Kombiwagens geworfen. Heftig am Lenkrad kurbelnd fing der Gangster seinen Wagen ab und raste weiter. Die hintere Stoßstange, Lacksplitter und Chromzierleisten ließ er zurück. Wilkie Lenning stoppte wütend seinen Wagen. "Nun sieh dir dieses Chaos an." "Kaum zu glauben, daß das ein einziger Mann verursacht hat", meinte April. "Die Polizei wird an Hand der zurückgebliebenen Autoteile feststellen..." "Daß es sich um einen dunkelblauen Chrysler gehandelt hat. Das wissen wir bereits. Mehr wird die Polizei nicht herauskriegen. Außerdem bin ich sicher, daß der Bursche den Wagen geklaut hat. Er wäre verrückt, wenn er für seinen Anschlag das eigene Fahrzeug verwendet hätte." Der Chrysler entfernte sich jenseits der Kreuzung. Niemand hielt ihn auf. Dem Schießer war die Flucht gelungen. Nichts ärgerte Wilkie Lenning im Moment mehr als das.
* Wenn das Wochenende ohne Zwischenfall verlaufen wäre, wäre Jo Walker schon längst zu Hause gewesen. So aber kam er jetzt erst heim. Er stellte seinen silbergrauen Mercedes 450 SEL in der Tiefgarage des Bürohochhauses ab, in dem er wohnte, begab sich zum Lift und fuhr zum vierzehnten Stock hinauf. Gott, was war in den wenigen Stunden seiner Rückkehr nicht schon wieder alles passiert. Die Verbrecher hielten keinen Sonn- und keinen Feiertag. Sie taten ihre kriminellen Jobs rund um die Uhr, und Jo war gezwungen, mitzuziehen, wenn er nicht unter die Räder geraten wellte. Die Lifttür öffnete sich. Jo verließ die Kabine und schlenderte auf sein Büro-Apartment zu. In seinen Gedanken befaßte er sich mit Narzissen, Er wußte, daß es weiße und gelbe gab, Die weißen rochen phantastisch, während die gelben nur schön waren, jedoch keinerlei Geruch verströmten. Aus welchem Grund brachte der Killer diese gelben Narzissen ins Spiel? Worauf wollte er damit hinweisen? Jo kam nicht darauf. Er erreichte die Tür seines Office und schloß sie auf. Seine Hand suchte mechanisch den Lichtschalter. Die Finger fanden ihn und drückten darauf, doch die Beleuchtung funktionierte nicht. Jeder normale Bürger hätte sich deswegen nicht aufgeregt, sondern auf einen harmlosen Kurzschluß getippt. Aber Jo war Privatdetektiv und seine Nackenhaare stellten sich sofort auf. Kein Licht - das bedeutete bestimmt nichts Gutes. Er griff zur Schulterhalfter und zog die Automatic heraus. Erst dann machte er die ersten Schritte in den Raum. Copyright 2001 by readersplanet
Es war das Vorzimmer, in dem April Bondy tagsüber arbeitete und die Klienten empfing. Jo versuchte die Dunkelheit mit seinen Augen zu durchdringen. Etwas stimmte hier nicht, dessen war sich Kommissar X absolut sicher. Schon nach dem dritten Schritt bekam er seinen Verdacht bestätigt. Etwas knirschte unter seinem Schuh. Glas. Jemand mußte die Leuchtstoffröhre kaputtgeschlagen haben. Jo tappte vorsichtig weiter. Ein Stuhl lag mitten im Raum. Sobald sich Jos Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er das Chaos, das von einem Wahnsinnigen verursacht worden war. Das gesamte Vorzimmer war verwüstet. Kein Möbel stand mehr an seinem Platz. Der Büroschrank war umgeworfen worden. Sein Inhalt war über den Boden verstreut. Und plötzlich war da eine Bewegung, die nicht in den Raum gehörte. Der Kerl, der für dieses Tohuwabohu verantwortlich war, war noch hier! Jos Wangenmuskeln strafften sich. Er drehte sich blitzschnell um. Die 38er Automatic schwang mit. Etwas Riesiges flog auf ihn zu. Eine schwarze Gestalt stürzte sich auf Kommissar X. Jo wollte den Finger krümmen, doch er kam nicht mehr dazu. Ihm war als würde ihm jemand mit einem Vorschlaghammer die Schädeldecke zertrümmern. Ein Blitz zuckte vor seinen Augen auf. Dann senkte sich eine bleierne Finsternis auf ihn herab und begrub ihn unter sich. Als er wieder zu sich kam, brummte sein Schädel. Er mühte sich ab, klarzukommen, doch das einzige, was er im Moment begriff, war, daß er im Vorzimmer seiner Detektei auf dem Boden lag. Das Korridorlicht schien zur halboffenen Tür herein. Jo sah über sich die zerschmetterte Halterung der Neonleuchte. Er spürte, daß er auf Glasscherben lag und setzte sich benommen auf. Übelkeit quälte ihn. Sein Magen wollte verschiedene Dinge hochschicken. Es kostete Jo viel Mühe, sich nicht zu übergeben. Hölzern stand er auf. Als erstes dachte er wieder an gelbe Narzissen und mit ihnen kehrte schlagartig die gesamte Erinnerung zurück. Mit unsicheren Schritten durchquerte er das Vorzimmer. Sein Arbeitszimmer sah nicht besser aus. Auch hier hatte sich der Berserker nach Herzenslust ausgetobt. Jos Schädeldecke schmerzte bei jedem Schritt. Er begab sich ächzend in sein angrenzendes Apartment. Wenigstens hier war noch alles in Ordnung. Jo machte Licht. Die Helligkeit stach ihm schmerzhaft in die Pupillen. Er wankte ins Bad und besah sich den Schaden, den der Unbekannte auf seinem Kopf angerichtet hatte. Die Beule hatte Seltenheitswert. Jo trug so eine Verzierung nicht zum erstenmal. Aber es war noch keine so groß wie diese gewesen. Nachdem sich Jo genügend lange im Spiegel bewundert hatte, holte er seine Stablampe, um sich den Schaden in den Büroräumen genau anzusehen. Es war ein Glücksfall, daß er versichert war, denn die Reparaturen würden eine Menge Geld verschlingen. Sogar der automatische Anrufbeantworter war zertrümmert worden. Jo stieg über das Gerät. Der Schein seiner Stablampe tanzte im Vorzimmer über den Teppichboden, erreichte das Bild, das normalerweise an der Wand hing. Es war aus dem Rahmen herausgetreten worden. Und da, wo es gehangen hatte, hatte jemand mit einer Lacksprühdose die Nachricht hingezischt: KÜMMERE DICH NICHT UM ANDERER LEUTE ANGELEGENHEITEN, SCHNÜFFLER! Copyright 2001 by readersplanet
Die Buchstaben waren noch feucht. Sie glänzten hellrot im Licht der Lampe. Jo schluckte grimmig. Diese verdammte Brut versuchte es immer wieder, ihn auf alle möglichen Arten einzuschüchtern. Es hatte sich immer noch nicht herumgesprochen, daß man damit bei ihm nur das Gegenteil erreichte. So etwas reizte ihn. Es stachelte ihn nur an, weiterzumachen. Er war nicht der Typ, der angesichts dieser billigen Mätzchen schon klein beigab. So etwas war für ihn jedesmal eine neue Herausforderung, die er entschlossen annahm. Jemand wollte den Krieg. Er konnte ihn haben. Jo machte auf den Hacken kehrt. Er schloß die Tür und wollte die ganze Sache erst mal überschlafen. Gleich am nächsten Morgen wollte er dann dafür sorgen, daß sich die nötigen Fachleute dieses Chaos annahmen und wieder Ordnung in die Bude brachten. Morgen. Für heute war Feierabend. Jo machte sich auf den Weg zum Apartment. Da schlug ein Telefon an. Schrill hallte das Läuten durch das Vorzimmer. Jo blickte sich suchend um. Er konnte den Apparat nicht entdecken. Der Lichtschein der Handlampe geisterte über Papiere und Aktenordner. Doch schließlich blieb der Strahl am grauen Telefonkabel hängen. Kommissar X bückte sich. Das Blut schoß ihm in den Kopf und löste unter seiner Schädeldecke ein schmerzhaftes Pochen aus. Jo biß die Zähne zusammen und griff nach dem Telefonkabel. Der Apparat hörte nicht zu läuten auf. KX zog so lange an der Telefonschnur, bis der schrillende Quälgeist zum Vorschein kam. Er hob ab. "Hallo." "Mr. Walker?" "Der bin ich. Und wer sind Sie?" "Der Narzissen-Mörder!"
* Jo stockte der Atem. Es rieselte ihm kalt über die Wirbelsäule. Er hätte viel darum gegeben, dem Mann Auge in Auge gegenüberstehen zu können. "Was wollen Sie?" fragte Kommissar X schroff. "Ich möchte Ihnen eine Warnung zukommen lassen." "Aus welchem Grund haben Sie Richard Cranford getötet? Warum waren Sie bei Danny De Young? Was haben diese idiotischen Narzissen zu bedeuten?" "Fragen über Fragen, nicht wahr? Und Sie kennen die Antworten nicht." "Ich werde sie mir verschaffen." "Gerade das sollten Sie nicht tun, Walker. Ich hab' nicht gern einen Schnüffler auf meinen Fersen." "Daran können Sie nichts ändern." "Ich denke doch. Ihre beiden Mitarbeiter statteten Joseph Lapino einen Besuch ab, stimmt's? April Bondy und Wilkie Lenning fielen aus allen Wolken, als sie die Bar verließen..." "Wieso?" "Ich habe auf sie geschossen!" Copyright 2001 by readersplanet
Jo stieß die Luft geräuschvoll aus. Der Anrufer lachte blechern. "Keine Sorge, Ihre Freunde sind noch wohlauf. Weil ich absichtlich danebengeschossen habe. Aber ich warne Sie, KX, wenn diese Schnüffelei kein Ende hat, verfehlen meine Kugeln die beiden nicht noch einmal. Ich lege das Mädchen und den Jungen eiskalt um. Glauben Sie ja nicht, daß ich bloß bluffe. Ich tu's wirklich. Und auch Sie nehme ich mir vor." "Mann, warum sind Sie nicht hiergeblieben und haben mir das alles ins Gesicht gesagt?" fragte Jo bissig. "Ich verstehe nicht." "Dann will ich Ihnen mal auf die Sprünge helfen: Sie haben doch mein Büro in einen Trümmerhaufen verwandelt und mich dann niedergeschlagen." Wieder lachte der Narzissen-Mörder. "Das hat man wirklich mit Ihnen getan? So sehr ich Ihnen das gönne, muß ich doch darauf hinweisen, daß ich das nicht gewesen bin. Ich schmücke mich nicht gern mit fremden Federn, verstehen Sie?" "Sie haben hier auch nicht mit 'ner Lacksprühdose herumgefummelt?" "Nein. Aber es freut mich, zu hören, daß nicht nur ich Sie auf dem Kieker habe. Machen Sie halblang, KX. Kümmern Sie sich nicht um das, was von irgendwelchen Leuten aus irgendwelchen Gründen passiert, sonst liegen Sie eines Tages irgendwo in der Gosse und neben Ihnen liegt eine hübsche gelbe Narzisse." Klick. Aus. Der Anrufer hatte aufgelegt. Jo ließ den Hörer in die Gabel fallen und begab sich in sein Apartment. Es ging mal wieder ziemlich rund. Der Narzissen-Mörder und noch jemand wollten nicht, daß er, Jo, sich um diese Verbrechen kümmerte. Der andere, das konnte Jos Ansicht nach nur Rossano Vascenti sein. Der Italiener hatte so viel Dreck am Stecken, daß er ganz kribbelig werden mußte, wenn er erfuhr, daß Jo sich in seiner Nähe herumtrieb. Vascenti wollte das auf diese Weise abzustellen versuchen. Er hatte einen Rammbock in Jos Büro geschickt, um dem Detektiv klarzumachen, daß die Angelegenheit sehr ernst war. Rossano Vascenti wollte sich selbst um den Narzissen-Mörder kümmern. Mit seinen Methoden. Das bedeutete, daß der Killer von Vascentis Männern mit Blei gespickt werden würde, sobald sie ihn ausfindig gemacht hatten. Besser war der Unbekannte dran, wenn Jo ihn in die Finger bekam, denn KX war kein Mörder. Er würde den Killer der Polizei übergeben. Jo ging in die Küche und briet sich ein Steak. Nachdem er es verdrückt hatte, ging er zu Bett. Er konnte lange nicht einschlafen, mußte immerzu an Narzissen, Gangster und Mörder denken... Am nächsten Morgen kroch Kommissar X früh aus den Federn. Das Chaos sah bei Tageslicht noch viel trostloser aus. Jo kam gleich wieder die Galle hoch. Er führte rasch mehrere Telefonate, damit sich die richtigen Leute um den Schaden kümmerten, und verließ dann die unwirtliche Stätte. Unterwegs frühstückte er in einem Coffee Shop. Dann setzte er die Fahrt zum Crotona Park fort. Wenig später betrat er das neue Police Headquarters. Der Pförtner machte ein freundliches Gesicht als er Jo sah. Sie kannten sich schon seit Jahren. "Herrliches Wetter heute, was?" rief KX im Vorbeigehen. "Lädt zum Faulenzen ein", gab der Pförtner zurück. "Warum tun Sie's denn nicht?" Copyright 2001 by readersplanet
"Wenn Sie mich solange vertreten." "Tut mir leid. Keine Zeit", gab Jo zurück. Er stieg in einen der Fahrstühle und ließ sich zu jener Etage hochhieven, in der Tom Rowland sein Büro hatte. Er kam an einem Münzfernsprecher vorbei, stoppte, sah nach, ob er genügend Kleingeld hatte und rief von diesem Apparat April und Wilkie an. Nachdem er beide eingehend informiert hatte, gab er ihnen seine Instruktionen und hängte dann ein. Captain Tom P. Rowland, der gewichtige Leiter der Mordkommission Manhattan C/II, saß an seinem Schreibtisch, als Jo die Officetür ein Stück öffnete und den Kopf hineinstreckte. "Wie ist die Stimmung? Kann man's wagen, einzutreten, ohne daß einen gleich ein Blitz streift?" "Jo! Komm rein!" polterte Tom. Er stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. Kommissar X betrat das Büro des Captain. "Der verlorene Sohn ist wieder da", sagte Tom grinsend. "Wieso verlorener Sohn?" "Wilkie rief mich gestern an und sagte mir, du wärst verschollen." "Er hat sich geirrt. Ich stand die ganze Zeit hinter ihm. Er hätte sich nur umzudrehen brauchen. Dann hätte er mich gesehen." Der Captain grinste. "Ein seriöser Mann wie du - und spielt mit seinen Mitarbeitern Verstecken. Du wirst wohl niemals richtig erwachsen, was? Mir kam zu Ohren, daß Farrah Cranford dich engagiert hat. Du bist hinter dem Narzissen-Mörder her." "Prima Ohren hast du", sagte Jo und feixte. "Ein bißchen groß zwar, aber..." "Du hast es nötig, an mir etwas auszusetzen. Du solltest lieber an deine krummen Beine denken. Ich bin froh, daß der Mord an Cranford nicht mein Fall ist, sonst würden wir beide uns vermutlich wieder wegen allzu großen Meinungsverschiedenheiten in die Wolle geraten. Wie weit bist du denn schon?" "Ich weiß, daß Rossano Vascenti es nicht liebt, daß ich im Mordfall Cranford ermittle." Tom lachte. "Ich kenne auch einige Polizisten, die Schnüffler nicht ausstehen können." "Wenn du die siehst, bestell' ihnen, sie können mich mal - im Mondschein besuchen." "Das wird meinen Kollegen aber gar nicht gefallen." "Ich kann's nicht ändern. Hör zu, Tom. Ich brauche deine Hilfe." "Aus purer Freundschaft hast du dich hier ja noch nie blicken lassen. Wessen soll ich mich diesmal strafbar machen?" "Es hat einen Toten gegeben: Richard Cranford. Neben seiner Leiche lag eine gelbe Narzisse. Noch am selben Abend versuchte der Narzissen-Mörder noch einmal zuzuschlagen. Er tauchte mit einer Lupara bei Danny De Young auf, aber es geschah ein Wunder - De Young kam mit dem Schrecken davon. Es gelang ihm, den Killer in die Flucht zu jagen. Der Mann verlor beim Davonrennen eine gelbe Narzisse. Es ist kein Geheimnis, daß Cranford, De Young und Joseph Lapino seit frühester Jugend miteinander befreundet sind. Cranford und De Young haben beziehungsweise hatten mit Rossano Vascenti zu tun. Vermutlich gibt es auch zwischen Lapino und Vascenti eine geschäftliche Verbindung." "Okay, und wie soll ich dir nun dabei helfen?" "Ich will wissen, was es mit dieser gelben Narzisse auf sich hat. Frag deinen Polizeicomputer. Erkundige dich bei deinem Blechonkel nach dem Vorleben von De Young, Cranford und Lapino. Vielleicht stößt du dabei auf gelbe Narzissen. Du würdest mir damit eine große Freude bereiten." "Wer sagt, daß ich das will?" "Ich würde mich auch mit einer Pulle Whisky erkenntlich zeigen."
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"Du bestichst einen Beamten? Mann, wenn Attorney Brown davon erfährt, bist du deine Lizenz für immer los. Der Attorney wartet schon lange auf so 'ne Gelegenheit." "Ich weiß, Tom, mein Schicksal liegt mal wieder in deiner Hand. Aber ich denke, da ist es nicht schlecht aufgehoben." "Na schön, du Schlawiner. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann." "Ich wußte, daß du mich magst." "Werd bloß nicht überheblich. Wie gehst du inzwischen weiter vor?" "Ich habe April und Wilkie gebeten, ein Auge auf Joseph Lapino zu haben. Und ich werde mich - ohne daß er es weiß - um Danny De Young kümmern." "Rechnest du damit, daß sich der Narzissen-Mörder auch an Lapino vergreifen könnte?" "Möglich ist alles", erwiderte Kommissar X. "Ich ruf' dich an, sobald ich etwas für dich habe", versprach der Captain. "Du bist der beste Freund, den ich habe." "Kein Wunder. Du hast ja außer mir keinen andern", knurrte Tom Rowland. Und Jo empfahl sich.
* Wenn Joseph Lapino sich entspannen wollte, dann begab er sich an Bord seiner Motorjacht und fuhr ein Stück auf den Atlantik hinaus. Er tauchte leidenschaftlich gern. In der Tiefe des Meeres umfing ihn eine wohltuende Stille, die nur vom leisen Blubbern seines Atemgeräts gestört wurde. Er liebte es, Fischschwärme zu beobachten, nach farbenprächtigen Muscheln zu tauchen oder mit der Harpune auf Jagd zu gehen. An diesem Morgen hatte Joseph Lapino die Entspannung nötiger als je zuvor. Er hatte eine schreckliche Nacht hinter sich. Alpträume hatten ihn gequält. Ein Meer von gelben Narzissen hatte er im Traum gesehen, und mittendrin hatte er gelegen. Tot. Wie aufgebahrt. Zwischendurch war ihm immer wieder Zero Zapatas Gesicht erschienen. Es hatte ihn verfolgt, und Zapata hatte ihn auf alle möglichen Arten umzubringen versucht. In Schweiß gebadet war Lapino im Morgengrauen hochgeschreckt. Sein Schlafanzug hatte an seinem Körper geklebt. Er hatte den Schrei noch in den Ohren gehabt, den er ausgestoßen hatte, als er sich mit einem verstörten Ruck aufgesetzt hatte. Voller Angst hatte er in die Dunkelheit gestarrt. Todesängste hatten ihn gequält, und er war erst halbwegs wieder zu sich gekommen, als die Sonne über New York aufgegangen war. Nach dieser Nacht brauchte Lapino die Ruhe und die Einsamkeit des Meeres. Er mußte sich sammeln. Er mußte seine Situation überdenken. Er mußte sich reiflich überlegen, was er zu seinem persönlichen Schutz unternehmen konnte. Richard Cranford lebte nicht mehr. Bei Danny De Young war Zero Zapata auch schon gewesen. Folglich war damit zu rechnen, daß der Narzissen-Mörder früher oder später auch bei ihm, Lapino, erscheinen würde. Das war mit ein Grund, weshalb der Barbesitzer sich an Bord seiner Jacht begab und auf den Atlantik hinausfuhr. Dort draußen konnte er sich einigermaßen sicher fühlen. Jedes Boot, das sich ihm näherte, würde ihm rechtzeitig auffallen, und er konnte Gegenmaßnahmen treffen, falls Zapata die Absicht hatte, ihn auf dem Meer fertigzumachen. Copyright 2001 by readersplanet
Die Küste verschwand hinter dem Horizont. Joseph Lapino drosselte die Evinrude-Zwillingsmotoren. Er zog das schnittige Boot in eine weite Kurve und stoppte die Maschinen dann. Eine kühle Brise wehte Lapino durchs Haar. Es war einer jener prachtvollen Spätsommertage, die man nicht zu Hause verbringen durfte. Das wäre beinahe ein Verbrechen gewesen. Stahlblau war der Himmel. Die weiße Jacht spiegelte sich in den glatten grünen Fluten des Ozeans. Joseph Lapino genoß die Ruhe, die hier draußen herrschte. Sie tat seinen Nerven ungemein gut. Mehr denn je hing er an seinem Leben. Er wollte es nicht durch Zero Zapatas Hand verlieren. Es mußte eine Möglichkeit geben, den Narzissen-Mörder abzufangen, bevor es ihm gelang, sein Vorhaben auszuführen. Es war schlimm genug, daß Richard Cranford dran glauben mußte. Zapata sollte kein weiteres Opfer in die Hände fallen. Lapino dachte an Rossano Vascenti. Die Männer des Italieners stellten zur Zeit die Stadt auf den Kopf. Wie Bluthunde suchten sie nach Zero Zapatas Spur, und wenn sie den Bastard aufgestöbert hatten, hatte das Bangen ein Ende, denn sie würden mit dem Narzissen-Mörder kurzen Prozeß machen. "Recht so", murmelte Joseph Lapino. Er wäre gern dabei gewesen, wenn es Zapata an den Kragen ging. Vor seinem geistigen Auge spielte sich eine Szene ab, die ihm gefiel: Er sah Zero. Der Narzissen-Mörder war auf der Flucht. Die Meute hetzte ihn, trieb ihn in die Enge. Er lieferte seinen Gegnern ein wildes Feuergefecht, doch die andern waren in der Überzahl. Sie schossen ihn zusammen. Sterbend lag Zero Zapata auf dem Asphalt. Und Joseph Lapino trat ihm die Kanone aus der Faust und knurrte: "Siehst du, du Idiot, das hättest du dir ersparen können. Jetzt krepierst du, und weder Danny noch ich haben auch nur einen Funken Mitleid mit dir!" Das Brummen eines Motorbootes riß Lapino aus diesen für ihn erfreulichen, aufbauenden Gedanken. Er erschrak und suchte mit zusammengekniffenen Augen das Boot. Eine Boech 510 raste heran. Das elegante Runabout flitzte mit hoher Geschwindigkeit über die glatte Meeresoberfläche. Lapino holte sofort seine Walther PPK. Er entsicherte die Waffe und ließ den Schlitten schnappen. Hinter der Frontscheibe erblickte Lapino die goldene Mähne eines Mädchens. Das Girl änderte den Kurs geringfügig. Die Boech 510 schoß zwanzig Yards von Lapinos Jacht entfernt vorbei. Die Blonde winkte übermütig zu ihm herüber und raste weiter. Joseph Lapino holte tief Luft und entspannte sich dann. "Junge, du fängst an, dich selbst verrückt zu machen", sagte er. Er legte die Walther PPK weg und begann sich zu entkleiden. Wenig später trug er seine dunkelblaue Taucherkombination. Er schnallte sich die Preßluftflaschen um und zurrte den Bleigürtel um seine Mitte fest. Bevor er die Flossen anzog, warf er den Treibanker. Kurz darauf senkte er die Tauchermaske vor die Augen, nahm das Mundstück des Atemgeräts zwischen die Zähne und ließ sich rücklings ins Wasser fallen. In dieser vollkommenen Ruhe erhoffte er sich Erholung und Entspannung, doch die See sollte zu seinem nassen Grab werden...
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* April Bondy saß neben Wilkie Lenning in einer Marathon V-515 und ärgerte sich darüber, daß sie ihren Bikini nicht dabei hatte. Wilkie Lenning hatte sein Hemd abgelegt und lag mit nacktem Oberkörper in der Sonne. Er hatte die Augen geschlossen, räkelte sich vergnügt und sagte grinsend: "Ich liebe Jobs wie diesen." "Es ist allgemein bekannt, daß du von Natur aus faul bist." "Wer behauptet das?" "Ich." "Um so etwas beurteilen zu können, müßtest du über den Dingen stehen, meine Liebe, das tust du aber nicht." April setzte das Fernglas wieder an die Augen. Sie kommentierte, was sie sah: "Lapino geht auf Tauchstation. Er trägt bereits seinen Gummianzug." "Ich wünsche ihm viel Vergnügen", sagte Wilkie, ohne die Auen zu öffnen. "Kannst du irgendwo den Narzissen-Mörder sehen?" "Im Augenblick nicht." "Dann ist es gut", sagte Wilkie rundum zufrieden. "Jetzt fällt Lapino ins Wasser... Weg ist er. Vielleicht sollten wir etwas näher an seine Jacht heranfahren." "Unsinn, Schwester. Er soll ja nicht wissen, daß wir ihn beschatten. Und noch viel weniger darf es der Narzissen-Mörder spitzkriegen, sonst greift er Lapino nicht an" April Bondy drehte ihren Körper. Sie sah sich im Kreis um. Nichts Verdächtiges war wahrzunehmen. Seufzend setzte sie das Fernglas ab. "Deine Ruhe möchte ich haben." "Das kann ich mir denken, aber ich geb' sie nicht her", erwiderte Wilkie. Hinter ihm, auf dem Deckel des Motorraums, lag eine komplette Taucherausrüstung. Für alle Fälle... Es wäre dem Jungen aber nicht unangenehm gewesen, wenn er darauf nicht hätte zurückgreifen müssen. Er hatte andere Leidenschaften. Erspielte gern Gitarre. Er liebte heiße Miezen. Vom Tauchen hingegen hielt er nicht allzuviel, obgleich er, wenn's darauf ankam, unter Wasser schnell wie ein Fisch sein konnte. "Entspann dich, Schwester", riet Wilkie dem Mädchen. "Wir können im Augenblick nichts weiter tun als warten." "Das ist es ja eben, was mich ganz krank macht. Ich unternehme lieber etwas." "Okay. Dann küß mich." "Hast du sonst noch Wünsche?" "Mal sehen. Das kann ich jetzt noch nicht sagen." April Bondy hob wieder das Fernglas. Sie schien zu spüren, daß etwas in der Luft lag. Sie stand unter Hochspannung und sie befürchtete unterschwellig, daß sie Joseph Lapino vorhin, als er sich ins Wasser fallen ließ, zum letztenmal lebend gesehen hatte.
* Zero Zapata stoppte den Außenborder der Typhon 430. Er hatte sie unter falschem Namen gemietet, und jetzt erst - weit genug draußen auf dem Atlantik - nahm er die blonde Perücke Copyright 2001 by readersplanet
und den angeklebten Seehundbart ab. Er war ein großer, kräftiger Mann. Schwarzhaarig und blaß. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Er schien nicht lachen zu können. Frohsinn und Heiterkeit waren ihm fremd. Er schien nur für seine Aufgabe zu leben. Alles andere interessierte ihn nicht. Er war ein Mann, der nur aus Haß bestand. Zu einer anderen Gefühlsregung war er nicht fähig. Nicht mehr! Seit damals... Eiskalt traf Zero Zapata seine Vorbereitungen. Es ärgerte ihn nicht mehr, daß der Mordanschlag auf Danny De Young danebengegangen war. Es würde sich eine andere Gelegenheit bieten, dem Bastard das Leben zu nehmen. Danny konnte sich nicht in Luft auflösen. Früher oder später würde ihn sein Schicksal ereilen, dessen war sich Zero Zapata absolut sicher. Hastig zog der Narzissen-Mörder seine Taucherkombination an. Er schob das rostfreie Tauchermesser in die Gummischeide, ließ den Unterwasserschlitten behutsam ins Meer, griff sich die schußstarke Harpune und ging dann rasch über Bord. Mit beiden Händen hielt er sich an den Haltegriffen des Unterwasserschlittens fest. Das Fahrzeug zog ihn mit sich. Er brachte es auf den richtigen Kurs. Für ihn stand fest, daß jetzt kein Mensch mehr etwas für Joseph Lapino tun konnte. Der Mann war schon so gut wie tot. Lautlos glitt der Narzissen-Mörder durch das dunkle Grün des Meeres. Wie ein Phantom bewegte sich der Killer vorwärts. Unbeirrt strebte er auf sein Opfer zu, das keine Ahnung davon hatte, wie nahe ihm das Ende schon war. Fische nahmen mit zuckenden Schwanzschlägen Reißaus. Glitzernde Schwärme suchten das Weite, Zero Zapata verschwendete keinen Blick an die Pracht der Unterwasserwelt. Seine Augen waren starr nach vorn gerichtet. Sie suchten den Mann, den er töten wollte. Er blickte auf seine wasserdichte Uhr. Wenn er sein Tempo richtig einschätzte, mußte er bald am Ziel sein. Er atmete ruhig und regelmäßig. Er war nicht aufgeregt. Er wußte, daß sein Vorhaben gelingen würde. Anstatt Danny De Young würde Joseph Lapino die Nummer zwei sein. Die Reihenfolge war dem Killer nicht wichtig. Für ihn zählte nur, daß letzten Endes alle drei tot sein würden. Da! Eine Bewegung im trüben Licht, das hier unten herrschte. Eine Gestalt, die soeben zwischen einer kleinen Felsenformation verschwunden war. Zero Zapata drückte den Unterwasserschlitten sogleich tiefer. Er steuerte die Gesteinsgruppe an. Langfädrige Pflanzen wiegten sich hin und her. Dazwischen tummelten sich Fische. Der Narzissen-Mörder erreichte die Felsen, ohne daß ihn der andere bemerkte. Er versorgte den Unterwasserschlitten und nahm dann die Harpune zur Hand. Mit kurzen, kraftvollen Flossenschlägen schwamm er um eine schattige Gesteinsnase herum. Ein bemooster Krebs zog sich hastig in seine Höhle zurück. Zero Zapata verhielt einen Augenblick. Undeutlich schob sich ein Schatten über das Gestein. Der Narzissen-Mörder tat es dem Krebs gleich. Auch er verbarg sich in einer mannsgroßen Höhle. Die Harpune im Anschlag. So wartete er. Damit ihn die aufsteigenden Luftblasen nicht verrieten, hielt er den Atem an. Leise blubbernd kam Joseph Lapino heran. Copyright 2001 by readersplanet
Zapata erwartete sein Opfer mit unbewegter Miene. Fest hielt er die Harpune, durch die Lapino hier unten sein Leben verlieren sollte. Das Opfer tastete sich ahnungslos vorwärts. Zero Zapata sah die Hand des Mannes. Er sah dessen Schulter, dann den Kopf. Doch es war zu dunkel unter den Felsen, als daß auch Joseph Lapino den andern hätte erkennen können. Langsam kam der ganze Mann in Zero Zapatas Blickfeld. Jetzt regte sich der Killer. Er stieß sich von den Felsen ab. Lapino sah ihn. Seine Augen weiteten sich in namenlosem Entsetzen. Sein Gesicht verzerrte sich. Er peitschte mit den Flossen das Wasser, versuchte panikartig nach oben zu schießen. Doch er hatte nicht die geringste Chance. Zero Zapata hatte genügend Zeit gehabt, auf sein Opfer zu zielen. Jetzt drückte er ab. Der Metallpfeil sauste aus der Harpune. Er traf Lapino. Verzweifelt versuchte er, aufzutauchen. Doch seine Kräfte reichten dazu nicht mehr aus. Seine hektischen Bewegungen erlahmten sehr schnell. Sein Körper erschlaffte, und Augenblicke später regte er sich nicht mehr. Fast hatte es den Anschein, als würde er in der Luft hängen. Er stieg nicht nach oben. Er sank nicht. Er blieb einfach, wo er war. Mit einigen wenigen Flossenbewegungen war der Killer bei Joseph Lapino. Er stellte fest, daß der Mann tot war, entnahm der aufgesetzten Tasche seines Taucheranzugs eine gelbe Narzisse und schob diese dem Toten unter die Tauchermaske. Erledigt. Der Narzissen-Mörder hatte einmal mehr seine Visitenkarte abgegeben.
* "Lapino bleibt aber lange unter Wasser", sagte April Bondy beunruhigt. Sie hätte den Mann lieber mit dem Fernglas beobachtet. "Das ist sein gutes Recht. Vermutlich ist er ein passionierter Taucher", meinte Wilkie Lenning. April stand auf. Das Motorboot schaukelte leicht. Wilkie öffnete die Augen. "Kannst du keine Ruhe finden, Schwester?" fragte er kopfschüttelnd. Das Mädchen machte wieder einen Kontrollblick durch das Fernglas. Routinemäßig drehte sie sich im Kreis. Plötzlich stutzte sie. "Wilkie! Ein Motorboot! Ich sehe ein Motorboot!" "Warum regt dich das so auf? Meine Liebe, an deiner Stelle würde ich niemals eine Bootsausstellung besuchen, denn da würdest du glatt überschnappen." "Das Boot fährt nicht. Und es war vor wenigen Augenblicken noch nicht da", sagte April. "Außerdem sehe ich keine Menschenseele an Bord." "Gib mal her", sagte Wilkie, den Aprils Erregung nun doch angesteckt hatte. Er hielt ihr die Hand hin. Sie gab ihm das Fernglas. Er richtete sich auf und nahm das Motorboot in Augenschein. "Siehst du jemanden?" fragte April. "Nein."
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"Findest du das nicht eigenartig? Lapino ist schon seit einer Ewigkeit unter Wasser, und dort schwimmt ein leeres Boot." "Du hast recht, Schwester. Das kommt auch mir ein bißchen eigenartig vor. Laß mal den Motor an. Wir fahren zu Lapinos Jacht." April ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie drückte auf den Starterknopf und übernahm das Steuer, während sich Wilkie Lenning auf seinen möglichen Unterwassereinsatz vorbereitete. April Bondy drehte voll auf. Sie rasten auf die Jacht zu. Wilkie zog den Reißverschluß der Taucherkombination nach oben und griff nach dem Atemgerät., Noch hundert Yards bis zu Lapinos verwaister Jacht. Wilkie Lenning schob das Tauchermesser in seinen Gürtel. Fünfzig Yards. Wilkie war fertig. Mit finsterer Miene wartete der Junge ab. "Halt mehr backbord", rief er April Bondy zu. "Nimm Gas weg. So ist es gut. Und jetzt dreh bei!" Sie schmierten in einem engen Bogen auf die Jacht zu. "Was nun?" fragte April beunruhigt. "Ich geh' mal runter und sehe nach dem rechten", entschied Wilkie. April stellte den Motor ab. Wilkie ging über Bord. Er sank in die Tiefe, drehte sich, paddelte auf die Felsformation zu, die er entdeckt hatte. Kraftvoll schlug er mit den Beinflossen. Er kam rasch vorwärts. Als er die Gesteinsgruppe fast erreicht hatte, sauste ihm aus einer schattigen Spalte eine Gestalt entgegen. Ein Messer blitzte. Wilkie Lenning zog die Arme zur Abwehr hoch. Der Angreifer verfehlte ihn nur knapp. Der Widerstand des Wassers machte schnelle Bewegungen unmöglich. Die Kämpfenden bewegten sich wie in Zeitlupe. Wilkies Gegner attackierte erneut. Der Junge hatte Mühe, dem vorstoßenden Messer auszuweichen. Er packte mit beiden Händen den Messerarm und drehte ihn herum. Doch der Angreifer war kein Schwächling. Er widersetzte sich Wilkies Druck und versuchte dem Detektiv die Maske vom Gesicht zu reißen. Wilkie versuchte seinerseits, den Schlauch des Atemgeräts seines Gegners zu erwischen. Die Kämpfenden drehten sich ständig im Kreis. Mal um eine vertikale, dann wiederum um eine horizontale Achse. Oben, unten, hinten, vorn - alles geriet durcheinander. Wilkie Lenning verlor den Messerarm des Gegners. Der Narzissen-Mörder stemmte sich von den Felsen ab. Seine Hand erwischte Wilkies Kehle. Er drückte zu. Der Detektiv stieß den Killer mit beiden Beinen von sich. Zero Zapata überschlug sich, kam aber von unten mit ausgestrecktem Messerarm sofort wieder. Die Klinge traf Wilkies Bleigürtel und rutschte daran ab. Zapata riß den Detektiv zu sich herunter. Wilkie Lennings Lungen pumpten wie verrückt. Der Killer verlangte ihm viel Kraft ab. Er sah die lange Messerklinge und nahm den Kopf hastig zurück. Plötzlich ein heftiger Ruck. Die Schneide des Tauchermessers hatte den Atemschlauch durchtrennt. Wilkie spürte Salzwasser im Mund. Preßluftblasen stiegen hoch. Wilkie Lenning war gezwungen, von Zero Zapata abzulassen. Er mußte jetzt so schnell wie möglich zur Wasseroberfläche hinaufstoßen, wenn er nicht ertrinken wollte. Copyright 2001 by readersplanet
Der Junge hielt die Luft an. Er bewegte die Beine so kräftig er konnte. Für einen Augenblick sah es danach aus, als hätte der Narzissen-Mörder die Absicht, nachzusetzen und Wilkie Lenning den Todesstoß zu geben. Aber dann ließ der Killer von dem Detektiv ab und schwamm zu seinem Unterwasserschlitten zurück, um die Chance zu nützen und sich ungehindert abzusetzen. Indessen drohten Wilkie die Sinne zu schwinden. Seine Lungen brannten. Er hatte ein schreckliches Brausen in den Ohren. Verbissen kämpfte er um sein Leben. Wie tief war er unten gewesen? War es schon erforderlich, Dekompressionspausen einzulegen? Er hatte keine Zeit dafür. Er mußte nach oben, mit dem Kopf aus dem Wasser. Er brauchte Luft, Luft, Luft! Wilkie befürchtete schon, daß er es nicht mehr schaffen würde. Halb ohnmächtig durchstieß er die Meeresoberfläche. Er hörte April. Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus, rief seinen Namen. Gierig pumpte er seine Lungen mit Sauerstoff voll. Er schwamm benommen auf das Motorboot zu. April Bondy half ihm aus dem Wasser. Sie tat, was sie für ihn tun konnte. "Wilkie!" sagte sie mit belegter Stimme. Er setzte sich auf den Boden. "Wilkie, was ist passiert?" "Dieser verdammte Mistkerl!" schimpfte der Junge. Er riß sich die Tauchermaske vom Gesicht und wies auf den durchgeschnittenen Schlauch des Atemgeräts. "Er wollte mich umbringen!" "War es der...Narzissen-Mörder?" "Das würde ich unter Eid aussagen." "Was ist mit Joseph Lapino? Hat er ihn..." "Ich hab' Lapino nicht gesehen. Höchstwahrscheinlich lebt er nicht mehr." "Dann müssen wir versuchen, den Killer bei seinem Boot abzufangen." "Und wenn Lapino nur verletzt ist und aus eigener Kraft nicht mehr hochkommt?" erwiderte Wilkie Lenning. "Fahr allein zu diesem Boot. Aber versprich mir, vorsichtig zu sein. Hast du deine Astra dabei?" "Ja." "Wenn sich der Kerl blicken läßt, hältst du ihn mit deiner Waffe in Schach, klar? Du läßt ihn nicht aus den Augen, und du drückst ab, sobald er einmal zuviel mit den Wimpern klimpert. Laß dich auf nichts ein. Der Bursche ist verdammt gefährlich." "Du tust so, als wäre ich eine Anfängerin", sagte April und zog eine Schnute. "Ich will bloß, daß du gut über die Runden kommst, das ist alles", gab Wilkie Lenning zurück. Er war wieder bei Kräften, erhob sich und sprang auf Lapinos Jacht hinüber. In der Kajüte fand er ein intaktes Atemgerät, das vermutlich für eine Begleitperson bereitlag, falls Lapino sich entschloß, die Fahrt aufs Meer nicht allein zu machen. Mit wenigen Handgriffen schnallte sich Wilkie die Flaschen um. Auf sein Zeichen brauste April Bondy los, und er ging zum zweitenmal ins Wasser. Leise prasselten die Luftblasen an ihm vorbei. Sie stiegen zur Meeresoberfläche hoch. Wilkie Lenning machte mit Armen und Beinen Schwimmbewegungen, um schneller in die Tiefe zu kommen. Er erreichte die Felsen. Gespannt blickte er sich um. War der Killer noch da? Vorsichtig schwamm Wilkie über die algenbewachsenen Blöcke hinweg. Augenblicke später entdeckte er Lapino. Das rechte Bein des Mannes war zwischen zwei Steinen festgeklemmt. Sein Oberkörper war nach vorn geneigt. Das Gesicht wies nach unten. Copyright 2001 by readersplanet
Wilkie paddelte schneller. Aber er vergaß nicht, die Augen offenzuhalten. Doch der Narzissen-Mörder kam nicht mehr zum Vorschein. Wilkie erreichte Lapino. Er sah den Metallschaft des Harpunenpfeils aus der Brust des Mannes ragen und erkannte, daß der Treffer innerhalb weniger Augenblicke zum Tod geführt hatte. Wilkie Lenning sank noch etwas tiefer, um sich das Gesicht des Mannes ansehen zu können. Seine Kopfhaut zog sich zusammen, als er die gelbe Narzisse hinter dem Glas der Tauchermaske erblickte. Der Narzissen-Mörder war ihm widerlich. Dem Mann genügte es nicht, zu töten. Er mußte seine Opfer nach dem Tod auch noch verhöhnen und lächerlich machen. Schwein! dachte Wilkie zornig. Er packte zu. Es gelang ihm, das Bein des Toten zu befreien. Lapino hatte im Wasser so gut wie kein Gewicht. Mühelos schaffte es Wilkie Lenning, mit dem Mann aufzutauchen. Schwieriger war es dann schon, den Leichnam an Bord der Jacht zu hieven. Aber auch das schaffte Wilkie. Keuchend legte er danach alles ab, was er nicht mehr brauchte und ihm hinderlich war. Jetzt hatte er Zeit an April Bondy zu denken, und er hoffte, daß sie sich von dem gefährlichen Narzissen-Mörder nicht überrumpeln ließ.
* April erreichte das Boot des Killers. Sie machte eine Leine daran fest und sprang hinüber. Mit wachsender Spannung wartete sie auf den Narzissen-Mörder. Die Astra-Pistole lag entsichert in ihrer schlanken Hand. Die Waffe sah zwar wie ein Spielzeug aus, aber auf kurze Distanzen mußte man sie auf jeden Fall ernst nehmen. Aprils wachsamer Blick suchte die nähere Umgebung der Boote ab. Sie hoffte, daß sich der Killer mit Luftbläschen verraten würde. Doch das Meer blieb spiegelblank. April ließ die Zungenspitze über ihre vollen Lippen huschen. Sie war entschlossen, dem Narzissen-Mörder nicht die geringste Chance zu lassen. Sobald er auftauchte, würde sie mit der Pistole auf seinen Kopf zielen und ihm klarmachen, daß sein Leben keinen Pfifferling mehr wert wäre, wenn er sich zu irgendeiner Dummheit hinreißen ließe. Ein leises Plätschern veranlaßte das Mädchen, wie von der Tarantel gestochen herumzuwirbeln. Sie sah gekräuseltes Wasser. Ihr Atem stockte. Sie hob die Waffe. Ihre Augen verengten sich. Doch dann vernahm sie das Plätschern noch einmal und sah einen armlangen Fisch knapp unter der Wasseroberfläche davonflitzen. April atmete aus und entspannte sich wieder. Das Warten ging an die Nerven. Doch der Killer kam nicht. Als es April sinnlos erschien, noch länger auf den Narzissen-Mörder zu warten, kehrte sie auf ihr Boot zurück, machte die Leine los und nahm Kurs auf die Lapino-Jacht. Wilkie Lenning stand am Bug. April Bondy hob bedauernd die Schultern. "Er hat sich bei seinem Boot nicht blicken lassen. Scheint gewittert zu haben, daß es ihm da an den Kragen gehen sollte." Gleich darauf sah April den toten Barbesitzer. Sie sah die Narzisse hinter dem Glas der Tauchermaske und schauderte. Copyright 2001 by readersplanet
"Der Kerl ist ein Teufel, Wilkie", sagte sie. "Ich habe den Verdacht, daß er nicht alle Tassen im Schrank hat." "Du meinst, wir haben es mit einem Verrückten zu tun?" "Nun, ganz richtig ticken kann der Bursche jedenfalls nicht, sonst würde er nicht immer mit diesem Narzissen Gag aufwarten." April Bondy blickte ins Wasser. Nachdenklich sagte sie, als würde sie ein Märchen erzählen: "Es waren einmal drei Freunde: Richard Cranford, Joseph Lapino und Danny De Young..." "Und von den dreien ist jetzt nur noch einer am Leben", knirschte Wilkie Lenning dazwischen.
* Zero Zapata ärgerte sich. Er hatte Kommissar X angerufen. Er hatte den Schnüffler gewarnt. Doch Jo Walkers Mitarbeiter versahen ihren Job weiter so, als hätte es diesen Anruf niemals gegeben. Diese Mistbande sollte ihn noch kennenlernen, das schwor sich der Narzissen-Mörder. Es gab genug Narzissen! Während der Killer mit seinem Unterwasserschlitten zu seinem Motorboot zurückkehrte, bekam er mit, was sich auf der Wasseroberfläche abspielte. Der Schatten eines Bootes raste über ihn hinweg, und als er die Stelle erreichte, wo er sein Boot zurückgelassen hatte, sah er zwei Schiffsrümpfe nebeneinander liegen. Das veranlaßte ihn, nicht aufzutauchen, sondern den Rückweg unter Wasser fortzusetzen. Es dauerte lange, bis er Rockaway Point erreichte. Da jedoch die ganze Arbeit sein Unterwasserschlitten für ihn verrichtet hatte, war er kein bißchen müde, als er in der Nähe eines kleinen Privathafens an Land kletterte. Niemand beachtete den Mann in der Taucherkombination, als er sich auf den nahe gelegenen Parkplatz begab. Sehr schnell fand der Narzissen-Mörder einen unversperrten Wagen. Er schwang sich in das Fahrzeug, schloß die Zündung kurz und fuhr los. Zwanzig Minuten später erreichte er Springfield Gardens. Hier gab es ein unscheinbares Motel am Southern Parkway. Laut - und daher billig. Zero Zapata fuhr bis vor sein Apartment. Keiner sah ihn, als er aus dem Wagen und in sein Zimmer huschte. Er entkleidete sich hastig, stellte sich unter die Dusche, zog sich hinterher salopp an und entnahm seinem billigen Koffer einen Colt Peacemaker. Ein verzerrtes Grinsen lag auf seinen Zügen, während er die Waffe lud. Er dachte an Danny De Young, dem es nun an den Kragen gehen sollte. Wenn April Bondy und Wilkie Lenning auf Joseph Lapino aufgepaßt hatten, dann hatte garantiert Jo Walker ein Auge auf Danny. "Ich erwische ihn trotzdem!" knurrte der Narzissen-Mörder. Er begab sich noch einmal ins Bad. Im Waschbecken lagen mehrere gelbe Blumen. Er nahm eine davon heraus, hielt sie hoch und sagte: "Die ist für Danny." Dann verließ er sein Apartment, setzte sich wieder in den gestohlenen Wagen - einen schiefergrauen Ford Pinto - und brachte das Fahrzeug in Gang. Die Jagd fand ihre Fortsetzung. Während Zero Zapata den Pinto den Interstate Highway 78 entlangrollen ließ, dachte er an Danny De Young, der es ebenso wie Joseph Lapino und Richard Cranford zu einigem Geld gebracht hatte. Copyright 2001 by readersplanet
Der Narzissen-Mörder wußte, dass alle drei mit Rossano Vascenti Geschäfte gemacht hatten, die recht einträglich für beide Seiten gewesen waren. Da Vascenti ein Gangsterboß war und bereits zwei wertvolle Mitarbeiter verloren hatte, würde er höchstwahrscheinlich versuchen, in das Geschehen einzugreifen, um wenigstens Danny De Youngs Leben zu retten. Vielleicht war Danny inzwischen darauf gekommen, wer die Morde begangen hatte. Die Narzissen mußten ihn eigentlich auf den richtigen Namen bringen. Zapata konnte sich vorstellen, daß Danny De Young sein Wissen nicht für sich behalten, sondern an Rossano Vascenti weitergegeben hatte. Und der Gangsterboß hatte sich möglicherweise Fotos von Zero Zapata verschafft und diese an seine Männer ausgegeben, damit sie alle nach dem Narzissen-Mörder Ausschau hielten. Zero Zapata schüttelte grimmig den Kopf. "Sie werden mich nicht erwischen. Vascenti täte gut daran, sich in dieser Sache nicht zu engagieren, sonst nehme ich mir auch ihn vor!" Danny De Youngs Import-Export-Firma befand sich an der Gowanus Bay. Dorthin war der Narzissen-Mörder unterwegs. Kurz bevor er da eintraf, fiel ihm ein schwarzer Dodge auf - und da wußte er, daß dieses Fahrzeug bereits eine ganze Weile hinter ihm fuhr. Das konnte natürlich purer Zufall sein. Aber Zero Zapata wollte nicht so recht daran glauben. Zwei Männer saßen in dem Dodge. Vierschrötige Kerle mit beängstigend breiten Schultern. Ein Miniatur-Trupp von Rossano Vascenti? Hatten die Killer des Italieners seine Spur gefunden? Zero Zapata wollte es genau wissen. Er gab kräftig Gas und überschritt zunächst einmal mit dem Pinto das Speed Limit. Sofort beschleunigte auch der Dodge, um dranzubleiben. Aha! dachte der Narzissen-Mörder. Aber er wollte es noch genauer wissen, deshalb verließ er den Gowanus Expressway bei der nächsten Gelegenheit und schwänzelte mit dem gestohlenen Wagen durch South Brooklyn. Als er den Dodge danach immer noch hinter sich hatte, gab es keinen Zweifel mehr. Die Bluthunde des Italieners waren ihm auf den Fersen. Wütend fletschte der Narzissen-Mörder die Zähne. Er bog in die Hamilton Avenue ein und rollte mit dem Wagenpulk zum Brooklyn-Battery Tunnel hinunter. Es stank bestialisch, sobald sie in die Röhre eingetaucht waren. Der Tunnel war von höllischem Lärm erfüllt. Zero Zapata warf einen Blick in den Rückspiegel. Der schwarze Dodge klebte immer noch hinter ihm. Das Gangsterfahrzeug war zwischen zwei riesige Trucks eingekeilt. Links und rechts vom Dodge ragten die schweren Ungetüme auf. Plötzlich hatte der Narzissen-Mörder eine Idee. Er griff sofort zum Colt Peacemaker, kurbelte das Fenster nach unten und gab mehrere Schüsse auf den Dodge ab. Das Krachen ging im Lärm der Motoren unter. Die Kugeln zertrümmerten die Frontscheibe des Dodge. Mindestens ein Projektil mußte den Fahrer getroffen haben. Und schon kam es zur Katastrophe! Der schwarze Wagen verließ seine Fahrspur. Er kam immer näher an den zu seiner Linken fahrenden Truck heran. Der Truckfahrer sah das im Außenspiegel und drückte auf die Hupe, doch der Dodge-Lenker war nicht mehr in der Lage, das Fahrzeug auf geraden Kurs zu bringen. Der verletzte Fahrer sank nach vorn. Dabei drückte er noch mehr aufs Gaspedal. Gleichzeitig kippte er nach links, ließ das Lenkrad aber nicht los, und so kam es, daß der Copyright 2001 by readersplanet
Dodge plötzlich mit hoher Geschwindigkeit nach links sauste, direkt unter den Truck. Blech kreischte. Funken spritzten hoch. Die mächtigen Truckreifen packten den schwarzen Wagen und zermalmten ihn, noch bevor der entsetzte Truckfahrer sein riesiges Gefährt zum Stehen bringen konnte.
* Jo Walker fingerte aus der zerknautschten Pall-Mall-Packung ein Stäbchen und zündete es an. Er saß in seinem Mercedes. Vor wenigen Augenblicken erst hatte er den Silbernen gestoppt. Er hatte Danny De Young beschattet. Nun hatte De Young seine Firma betreten, und Kommissar X befand sich nicht allzuweit vom Firmeneingang entfernt, ohne daß Danny De Young davon eine Ahnung hatte. Während Jo rauchte, fragte er sich, wann und ob der Narzissen-Mörder überhaupt hier erscheinen würde. Er sah De Young kurz am Fenster seines Büros im zweiten Stock. Der Mann telefonierte. Während er redete, gestikulierte er wild mit den Händen. Er war offensichtlich nervös. Kein Wunder. Immerhin wußte er, daß er auf der Totenliste des Narzissen-Mörders stand. Jetzt warf De Young den Hörer auf den Apparat. Dann verschwand er vom Fenster. Jo sah ihn eine Zigarettenlänge nicht. Das Autotelefon summte. Jo Walker holte den Hörer aus der Halterung. "Ja?" Am anderen Ende war April Bondy. "Jo Lapino ist tot!" Durch Jo Walkers Körper ging ein heftiger Ruck. "Was? Verdammt, wie konnte das passieren?" "Er fuhr mit seiner Jacht auf den Atlantik hinaus. Wilkie und ich folgten ihm mit dem nötigen Sicherheitsabstand. Er zog seine Taucherausrüstung an und ging ins Wasser. Als Wilkie sich nach einiger Zeit um ihn kümmern wollte, hätte der Narzissen-Mörder beinahe auch ihn getötet..." April berichtete sämtliche Einzelheiten. Jos Wangenmuskeln zuckten. Er machte seinen Mitarbeitern jedoch keine Vorwürfe. Vermutlich wäre es ihm dort draußen auf dem Atlantik nicht besser ergangen. "Der Bursche ist eiskalt!" sagte Kommissar X grimmig. "Er läßt sich durch nichts abhalten..." "Nachdem er Cranford und Lapino erledigt hat, wird er wohl demnächst bei De Young aufkreuzen", vermutete April. "Das kommt so sicher wie das Amen in der Kirche", gab KX zurück. "Hoffentlich hast du mehr Glück als wir, Jo." "Das wäre vor allem für Danny De Young wichtig, denn eine zweite Begegnung mit dem Narzissen-Mörder überlebt er bestimmt nicht." Jo bat April, im Büro nach dem rechten zu sehen. Dann schob er den Hörer in die Halterung zurück. Jeden großen, kräftigen Mann, der an seinem Mercedes vorbeiging, sah Kommissar X plötzlich mit anderen Augen an. War der gefährliche Killer etwa bereits in der Nähe? Der Narzissen-Mörder verrichtete seine Jobs gern Zug um Zug, das hatte sich gestern abend gezeigt. Es war KX auf einmal zu unsicher, Danny De Young aus der Ferne zu bewachen. Besser war es, das Opfer des Narzissen-Mörders hautnah zu beschützen. Danny De Young wäre ein Dummkopf gewesen, wenn er Jos diesbezügliches Angebot abgelehnt hätte. Der Mann brauchte jetzt jede Hilfe, die er kriegen konnte. Copyright 2001 by readersplanet
* Gleich nachdem Danny De Young sein Büro betreten hatte, hatte er sich voll in seine Arbeit gestürzt, um nicht ständig an den Narzissen-Mörder denken zu müssen. De Youngs Nerven waren in Aufruhr. Zweimal hatte er bereits mit Rossano Vascenti telefoniert, doch der Italiener hatte ihn mit seinen optimistischen Äußerungen nicht beruhigen können. An der Tatsache, daß Vascentis Männer die Spur des Killers immer noch nicht gefunden hatten, ließ sich nichts ändern. Zero Zapata lief nach wie vor frei herum. Er konnte jeden Moment hier zur Tür hereinkommen und den Fehler ausbessern, den er in der vergangenen Nacht gemacht hatte. De Young rief bei Joseph Lapino an, denn der Freund befand sich in derselben kritischen Lage wie er. Doch die Zugehfrau teilte ihm mit, daß Mr. Lapino schon früh am Morgen mit seiner Jacht auf den Atlantik hinausgefahren sei. Danny De Young legte auf. "Auf den Atlantik", brummte er. "Ob er denkt, dort draußen vor Zero sicher zu sein? Verdammt, vor diesem Bastard ist man nirgendwo sicher." Vorwurfsvoll starrte De Young das Telefon an. Er hätte viel darum gegeben, wenn Rossano Vascenti jetzt angerufen und gesagt hätte: "Wir haben ihn. Meine Männer haben ihn gestellt und aus dem Verkehr gezogen." Aber das Telefon blieb stumm. Vorläufig jedenfalls. Als es dann anschlug, zuckte Danny De Young wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Seine Hand schnellte vor. Er riß den Hörer an sein Ohr. "Ja?" Die weiche, schmelzende Stimme seiner Sekretärin sagte: "Ein Mr. Walker möchte Sie sprechen, Mr. De Young." Einer ersten Eingebung folgend wollte Danny De Young sagen, er wäre nicht bereit, mit dem Mann zu reden. Dann aber drängte sich ihm die Frage auf: Kannst du dir das überhaupt leisten? KX will dir nichts anhängen. Der will, daß du am Leben bleibst. Dem geht es im Augenblick nur um Zero Zapata, den Narzissen-Mörder. Auf ihn ist er scharf. Nicht auf dich. Plötzlich hielt er es für unvernünftig, in Jo Walker einen Feind zu sehen. Der Mann wollte ihm helfen. "Okay, Elly, stellen Sie durch", verlangte De Young. "Hallo", sagte eine männliche Stimme gleich darauf. "Mr. Walker?" "Ja, Mr. De Young. Ich habe Ihnen leider keine erfreuliche Mitteilung zu machen." Allein diese Worte reichten aus, daß es Danny De Young eiskalt über den Rücken hinunterlief. "Was ist passiert?" fragte er übernervös. "Ihr Freund Joseph Lapino ist tot. Der Narzissen-Mörder hat ihm einen Harpunenpfeil in die Brust gejagt." "Allmächtiger..." "Sie können sich vorstellen, was nun auf Sie zukommt." "Ja", krächzte Danny de Young. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Verzweifelt fragte er: "Was... was soll ich denn jetzt tun, Mr. Walker?" "Hören Sie zu, Mr. De Young. Der Narzissen-Mörder kann jeden Moment bei Ihnen eintreffen." "O Gott..." Copyright 2001 by readersplanet
"Meiner Ansicht nach sind Sie in Ihrem Büro vor diesem Killer nicht sicher. Sie sollten es verlassen. So schnell wie möglich. Aber nicht durch die Vordertür, denn dort kann Ihr Mörder bereits auf Sie warten. Stehlen Sie sich heimlich davon. Kommen Sie zu den Piers am Buttermilk Channel. Ich erwarte Sie beim Lagerhaus siebzehn. Beeilen Sie sich. Jede Minute ist kostbar. Wir werden dann in Ruhe gemeinsam überlegen, was wir zu Ihrem Schutz unternehmen können." Danny De Young nickte hastig. "Ich komme, Mr. Walker. Ich bin schon unterwegs!"
* De Youngs Sekretärin war ein netter Käfer mit großen Glubschaugen und einem herzerfrischenden Lächeln. Ihr brünettes langes Haar umrahmte ein madonnenhaftes Gesicht. "Was kann ich für Sie tun, Sir?" fragte Elly. Oh, da gäbe es eine ganze Menge, dachte Jo, sprach das aber nicht aus, sondern sagte: "Mein Name ist Jo Walker. Ich muß dringend Mr. De Young sprechen." "Schon wieder?" "Wieso schon wieder?" "Sie haben doch eben erst angerufen." Jo hatte das Gefühl, jemand hätte ihm Eiswasser in die Adern gespritzt. Er stürmte los. Elly protestierte, doch er kümmerte sich nicht darum. Er erreichte die Tür, die in De Youngs Büro führte und stieß sie auf. Der Raum war leer. "Mr. Walker, ich muß schon sehr bitten...", sagte Elly ärgerlich. "Wo ist De Young? Reden Sie, Mädchen. Es geht um das Leben Ihres Chefs." "Ich weiß es nicht. Ist er nicht in seinem Büro?" "Sehen Sie ihn?" fragte Jo und trat zur Seite. "Gibt es noch eine zweite Tür, durch die man diesen Raum verlassen kann?" "Die Tapetentür." Der Motor eines Wagens knurrte los. Jo rannte zum Fenster. Er sah einen nilgrünen Cadillac. De Youngs Fahrzeug. Der Mann saß selbst am Steuer und fuhr mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Gowanus Expressway davon. De Young fuhr in den Tod, ohne es zu wissen. Der Narzissen-Mörder hatte ihn geschickt in die Falle gelockt. Der verdammte Kerl hatte sich als Jo Walker ausgegeben, und Danny De Young war prompt darauf hereingefallen. Jo ließ Elly einfach stehen. Es war keine Zeit für Erklärungen. Kommissar X stürmte aus dem Büro, den breiten hellen Gang entlang, die Treppe hinunter. Atemlos langte er bei seinem Mercedes an. Jetzt mußte er fahren wie der Teufel, wenn er Danny De Young noch einholen wollte. Er hatte keine Ahnung, wohin der Narzissen-Mörder sein Opfer gelockt hatte. Es würde aber gewiß eine einsame Gegend sein, wo er mit Danny De Young ungestört war. Jo spürte ein unangenehmes Kribbeln in den Beinen. Konnte er dieses Wettrennen mit dem Tod überhaupt noch gewinnen? War De Youngs Vorsprung nicht schon zu groß?
*
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Danny De Young rann der Schweiß in kleinen Bächen über das gerötete Gesicht. Er hatte schreckliche Angst. Ihm war, als umschlösse eine eiskalte Hand sein Herz und drückte grausam zu. Er wollte nicht sterben. Nicht wegen dieses Unsinns! De Young achtete kaum auf den Verkehr. Er nagte an seiner Unterlippe und war heilfroh darüber, daß ihm Jo Walker seine Hilfe angeboten hatte. Er war entschlossen, dem Detektiv alles zu erzählen. Kommissar X sollte den Grund erfahren, weshalb Zero Zapata so gnadenlos Jagd auf ihn, Lapino und Cranford machte. De Young wollte nichts mehr verschweigen. Nur wenn KX alles wußte, konnte er am wirkungsvollsten gegen den Narzissen-Mörder vorgehen. Rossano Vascenti hatte seine Chance gehabt, die Sache in den Griff zu bekommen. Es war ihm nicht gelungen. Nun sollte Kommissar X zum Zug kommen. Bestimmt hatte dieser erfahrene Privatdetektiv mehr Erfolg. De Young hoffte das jedenfalls inständig. Er verließ den Expressway. Seine Handflächen waren so feucht, daß ihm das Lenkrad immer wieder entglitt. Seine Nerven vibrierten. Er versuchte sich zu beruhigen, schaffte es jedoch nicht. Geistesabwesend durchquerte er South Brooklyn, und bald kamen die Piers am Buttermilk Channel in Sicht. De Young fuhr an einigen leerstehenden Lagerhäusern vorbei und stoppte seinen Wagen vor der Nummer siebzehn. KX war noch nicht da. Zumindest ließ er sich im Moment noch nicht blicken. Danny De Young sah sich beunruhigt um. Die Gegend war nicht gerade dazu angetan, ihn in Sicherheit zu wiegen. Weit und breit war keine Menschenseele zu erblicken. Die meisten Lagerhäuser hatten bereits ausgedient, wurden nicht mehr benützt. De Young fühlte sich hier nicht wohl. Aber Kommissar X hatte bestimmt seine Gründe gehabt, ihn ausgerechnet hierher zu bestellen. Der Mann wußte, was er tat. Danny De Young öffnete die Wagentür und stieg aus. Er hatte die Absicht, im Lagerhaus Nummer siebzehn auf Jo Walker zu warten. Das große Tor stand halb offen. De Young ging darauf zu. Düster war es in dem alten Gebäude, das den heutigen Anforderungen nicht mehr genügte. Als De Young das Tor fast erreicht hatte, trat ihm ein Mann entgegen. Einen Moment dachte er, es wäre Kommissar X. Doch dann erkannte er in dem Mann Zero Zapata, den Narzissen-Mörder. Er hatte den Eindruck, sein Herz würde für immer zu schlagen aufhören. Panik stieg in ihm hoch. Fassungslos starrte er den Killer an. "Zero..." "Da staunst du, was? Nach so vielen Jahren sieht man sich endlich wieder." De Young schaute sich verdattert um. "Zero, ich..." "Wenn du Kommissar X suchst - ich meine den, der dich angerufen und hierher bestellt hat , der steht vor dir!" sagte Zero Zapata eiskalt. "Zero, du hast Richard und Joseph umgebracht..." "Yeah, stimmt. Wenn ich gestern nacht nicht so schusselig gewesen wäre, wärst du heute auch schon nicht mehr am Leben." "Mein Gott, Zero, es ist doch schon so lange her." "Zwanzig Jahre. Ich habe in dieser Zeit nur für meine Rache gelebt, Danny. Nun ist der Tag der Abrechnung gekommen!"
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Langsam zog Zero Zapata seinen Colt Peacemaker. Aus seiner Brusttasche holte er eine gelbe Narzisse. Danny De Young starrte die Blume voller Entsetzen an. "Erinnerst du dich, Danny?" knurrte der Killer. "Wir waren damals noch jung, Zero. Halbe Kinder! Kannst du denn nicht vergessen? Ich flehe dich an, laß mir mein Leben. Du kannst dafür verlangen, was du willst. Ich gebe dir mehr Geld, als du jemals besessen hast. Ich mache dich zu meinem Teilhaber. Du kannst fordern, was du möchtest. Ich bin bereit, alle Bedingungen zu erfüllen." Zapata grinste. "So viel ist dir dein liederliches Leben wert?" fragte er verächtlich. "Wer lebt nicht gern?" "Daran hättest du früher denken müssen. Dein Kumpel Vascenti hat mir zwei Kerle auf den Hals gehetzt." "Machst du mich dafür auch verantwortlich?" "Die beiden sind tot. Sie kamen im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder, und Vascenti nehme ich mir auch noch vor. Aber erst, wenn ich mit dir fertig bin. Steck dir die Narzisse ins Knopfloch, Danny. Es ist aus mit dir!" De Young schlotterte. "Bitte, Zero!" bettelte er. "Los, steck die Blume an!" herrschte Zapata sein Opfer an. Bebend vor Todesangst griff Danny De Young nach der gelben Narzisse. Er schob den Stengel der Blume in sein Knopfloch. "Zero, ich bitte dich, laß uns reden..." Zapata schüttelte eiskalt den Kopf und hob die Waffe. Da verlor Danny De Young die Nerven. Schreiend stürzte er sich auf den Narzissen-Mörder...
* Es war eine Portion Glück dabei, daß Kommissar X den nilgrünen Cadillac Danny De Youngs knapp vor dem Buttermilk Channel wiederentdeckte. Während Jo versuchte, den Caddy einzuholen, schnarrte das Autotelefon. Jo hob ab und meldete sich. "Erinnerst du dich noch, worum du mich gebeten hast?" erkundigte sich Captain Rowland. "Klar, Tom. Schieß los." "War da nicht auch die Rede von einer Flasche Whisky?" "Die kriegst du noch heute", versprach KX. "Das ist ein Wort", meinte Tom zufrieden. "Also hör zu. Es war vor genau zwanzig Jahren. Da waren es nicht nur drei Freunde, sondern vier: Richard Cranford, Joseph Lapino, Danny De Young und - Zero Zapata. Die vier waren unzertrennlich. Eine kleine Jugendbande, die ihr Gebiet unsicher machte. Eines Tages wurde Zero Zapata von seinen Freunden zu einer Mutprobe überredet. Er sollte allein einen gut gehenden Blumenladen überfallen. Das hat Zero auch getan. Der Besitzer des Blumenladens hat sich von seinem Geld aber nicht so ohne weiteres getrennt. Es kam zu einem Handgemenge. Der Mann schnappte sich eine Waffe... Später behauptete Zero Zapata, er habe den Mann in Notwehr erschossen. Aber das Gericht steckte ihn für zwanzig Jahre ins Gefängnis. Der Blumenhändler war mitten in einem Meer von Narzissen gestorben. Weil Zero keiner seiner Freunde während der Gerichtsverhandlung beistand, schwor er ihnen, sie umzubringen, sobald er wieder frei sein würde. Er ist seit wenigen Tagen raus aus dem Knast..." "... und hat bereits Cranford und Lapino gekillt." "Lapino auch?" staunte der Captain. Copyright 2001 by readersplanet
"Im Augenblick ist er drauf und dran, seinem dritten Freund das Lebenslicht auszublasen", sagte Jo. Er informierte den Captain im Telegrammstil. Als er die Lagerhäuser erreichte, beendete er das Gespräch. Augenblicke später fuhr ihm ein mächtiger Schreck ins Herz. Er sah zwei Männer. Sie trugen einen Kampf auf Leben und Tod aus. Der eine war Danny De Young. Eine Narzisse steckte in seinem Knopfloch. Jo gab Gas. Der Mercedes schoß auf die Männer zu. In diesem Moment entlud sich Zero Zapatas Waffe mit einem lauten Knall. Danny De Young zuckte zusammen, als wäre er furchtbar erschrocken. Zero Zapata ließ sofort von seinem Opfer ab. Er wirbelte herum und hetzte in das Lagerhaus. Danny De Young wandte sich Jos Wagen mit schmerzverzerrtem Gesicht zu. Er taumelte Kommissar X entgegen. Jo mußte scharf abbremsen, um den Mann nicht anzufahren. De Young sank ächzend auf die Knie, als Jo aus dem 450 SEL sprang. "Er hat's geschafft, Walker!" röchelte Danny De Young. Mit zitternder Hand griff er nach der Narzisse. "Er hat 'ne Glückssträhne. Ihm gelingt einfach alles. Jetzt wird er sich Rossano Vascenti holen. Niemand kann ihn aufhalten. Niemand...!" De Young kippte zur Seite. Irgendwo heulte ein Automotor auf. Jo fing den Sterbenden auf und ließ ihn sachte zu Boden gleiten. "Ich wußte nicht, daß ein Mensch so hassen kann", flüsterte Danny De Young. Seine Lippen bewegten sich kaum noch. "Es war vor zwanzig Jahren..." "Ich kenne die Geschichte", sagte Jo. De Youngs Finger krallten sich in Jos Arm. "Stoppen Sie Zapata. Sonst werden durch seine Hand noch mehr Menschen ihr Leben verlieren. Er ist verrückt. Er ist ein Amokläufer. Er wird immer wieder einen Grund finden, um zu töten..." Blut quoll aus Danny De Youngs Mund. Er bäumte sich ein letztesmal auf und entspannte sich dann. Jo eilte zu seinem Mercedes. Er setzte sich mit der City Police in Verbindung, damit sich jemand um Danny De Youngs Leiche kümmerte. Dann raste er los, um dem Narzissen-Mörder endlich das Handwerk zu legen.
* Lautlos huschte Zero Zapata auf die Villa des Italieners zu. Sein Blick war seelenlos. Er war von einer Art Blutrausch befallen, fühlte sich trunken und war begierig, noch einen weiteren Mord zu begehen. Vascenti hatte es gewagt, ihn von seinen Killern hetzen zu lassen. Das wollte Zapata dem verdammten Spaghettifresser postwendend heimzahlen. Zwischen einigen leise im Wind rauschenden Birken blieb Zero Zapata kurz stehen. Er starrte mit hass-sprühenden Augen zur Terrasse hinüber. Soeben trat ein Zweimetermann aus dem Haus. Zapata war gut informiert. Er wußte, daß der Riese Buster Lear hieß und der Leibwächter von Vascenti war. Wenn er an Vascenti herankommen wollte, mußte er zuerst diesen Herkules ausschalten. Langsam ging der Narzissen-Mörder in die Hocke. Im Schutz einiger gepflegter Dornenhecken pirschte sich der Killer immer näher an den Leibwächter heran. Buster Lear setzte sich auf die kaffeebraune Hollywoodschaukel. Unter seinem Gewicht ächzten die Federn. Er schlug die langen Beine übereinander, entfaltete die Zeitung und studierte die Rennberichte. Fünf Yards war der Narzissen-Mörder nur noch von dem Riesen entfernt. Der Killer robbte über den gepflegten Rasen. Copyright 2001 by readersplanet
Er richtete sich erst auf, als er unmittelbar hinter Lear angelangt war. Mit sichelschmalen Augen starrte er auf den Hinterkopf des Leibwächters. Vorsichtig holte er seinen Colt Peacemaker aus dem Jackett. Er drehte die Waffe um, ergriff sie beim langen Lauf. Als er damit ausholte, rief in der Villa der Italiener: "Buster!" "Ja, Boß?" gab der Riese zurück. Er legte die Zeitung zur Seite. "Komm doch mal." "Okay, Boß", sagte Buster Lear und erhob sich. Im selben Moment schlug der Killer zu. Buster Lear zuckte heftig zusammen, kippte nach vorn und fiel aufs Gesicht. Blitzschnell drehte Zero Zapata den Colt um. Er sprang auf die Terrasse und huschte zur Tür. Knapp daneben preßte er sich abwartend gegen die Wand. "Buster!" rief drinnen Rossano Vascenti ärgerlich. Er war es nicht gewöhnt, den Leibwächter zweimal zu sich zu beordern. "Verdammt noch mal, wo bleibst du denn?" Der Umstand, daß Buster Lear ihm nicht antwortete, lockte Rossano Vascenti aus der Villa. Als er den Riesen bewußtlos auf dem Boden liegen sah, drehte er sich blitzschnell um. Zero Zapata sah ihn an. "Danny De Young ist auch tot", sagte er heiser. "Und nun bin ich hier, um dir eine Kugel zu verpassen, Italiener. Weil du es gewagt hast, mir deine Meute auf den Hals zu hetzen!" Vascenti hatte sich erstaunlich gut in der Gewalt. Er starrte den Killer scheinbar furchtlos an. "Du wirst es nicht wagen, auf mich zu schießen, du verdammter Bastard!" sagte er hart. "Und ob ich das werde", krächzte Zapata. "Es tut mir nur leid, daß ich keine Narzisse mehr bei mir habe. Damit pflege ich meinen Morden meinen ganz persönlichen Stempel aufzuprägen." "Du bist nicht normal!" sagte Vascenti verächtlich. "Das mag stimmen. Zwanzig Jahre Gefängnis sind keine Kleinigkeit. Wen wundert es da, wenn man sie nach so langer Zeit nicht mehr alle beisammen hat." "Tu den Revolver weg!" "Gleich, Spaghettifresser. Ich muß dich nur noch töten!" Rossano Vascenti wagte zuviel. Er glaubte, Zero Zapata mit seinem unerschrockenen Auftreten in den Griff zu bekommen. Er trat auf den Killer zu und wollte ihm kurzerhand die Waffe wegnehmen. Doch das ließ Zero Zapata sich nicht gefallen. Er drückte ab. Und ein verwunderter Ausdruck breitete sich über das Gesicht des Italieners, als er langsam in die Knie ging.
* Als Kommissar X aus dem Mercedes sprang, hörte er den Schuß. Er verzichtete darauf, am Tor zu läuten, sondern überkletterte den eisernen Lanzenzaun, zog die Automatic und jagte auf die Villa zu. Er sah Vascenti fallen, sah, wie Zero Zapata seinen Colt wegsteckte, beobachtete, wie Buster Lear fast schlagartig aus seiner Ohnmacht erwachte und sich in dem Augenblick auf den Narzissen-Mörder stürzte, als dieser achtlos an ihm vorübergehen wollte. Es bestand kein Zweifel, daß Buster Lear seinen Gegner mit bloßen Händen töten konnte. Zero Zapata war zwar kräftig, aber er war bei weitem nicht so stark wie der Leibwächter des Italieners.
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Lear brüllte vor Wut. Er riß den Narzissen-Mörder hoch und schleuderte ihn auf die Terrassenfliesen. Zapata brüllte vor Schmerz auf. Ehe er sich erheben konnte, packte Buster Lear seinen Kopf. Er wollte dem Killer mit einem blitzschnellen Ruck das Genick brechen. Aber da war Kommissar X bereits zur Stelle. "Stop!" schrie Jo, die Waffe im Anschlag. "Lassen Sie den Mann los, Lear. Er gehört mir!" Lears Körper straffte sich. Er nahm die Hände von Zapatas Kopf und richtete sich langsam auf. "Mann, warum retten Sie sein verdammtes Leben, Walker?" knurrte Buster Lear zornig. "Warum überlassen Sie ihn nicht mir?" "Gehen Sie zur Seite, Lear!" verlangte Jo schneidend. Der Riese kam dem Befehl widerwillig nach. Und dann bewies Zero Zapata, daß er wirklich nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Der Killer schien nur noch auf Mord programmiert zu sein. In Gedankenschnelle riß er seinen Peacemaker heraus. Er richtete die Waffe auf Kommissar X. Jo haßte diese Notwehrsituationen, in denen ihn ein Mensch zwang, schneller und besser zu schießen als der Gegner. Beide Waffen entluden sich fast zur gleichen Zeit. Jos Automatic ging um einen Sekundenbruchteil schneller los. Das kostete den Narzissen-Mörder das Leben. "Jetzt ist er doch tot", sagte Buster Lear. "Sie hätten ihn gleich mir überlassen können." Jo schüttelte den Kopf. ;,Wenn Sie ihm das Genick gebrochen hätten, wäre es Mord gewesen." Buster Lear blickte auf seinen toten Boß. Er knirschte mit den Zähnen. "Dieser Idiot hat mit einer einzigen Kugel alles zerstört, was Rossano Vascenti in all den Jahren mühsam aufgebaut hat" Jo Walker hob langsam die Schultern. Was sollte er dazu sagen? Er ging in die Villa und rief seinen Freund Tom Rowland an. Was jetzt noch zu geschehen hatte, war Sache der Polizei.
ENDE
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