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Buch: Captain Bernhard »Bernie« M. Gruenblum ist eine Art Busfahrer. Sein »Bus« ist die 789 George Herbert, die er zärtlich »Georgie« nennt, ein diskusförmiges Zeit-Raum-Schiff, das im Auftrag der OchskahrtAkademie entlang der Zettlinie verkehrt und Wissenschaftler zu allen möglichen Raum-Zeit-Punkten transportiert. Als er eine Ladung Menschen und Aliens ins mittelalterliche Japan zu karren hat, kommt es an Bord zu einer Meuterei. Ein paar Fanatiker wollen die Gelegenheit benutzen, um in Japan eine faschistische Diktatur einzurichten und die Geschichte von hinten nach vorn umzukrempeln. Bernie versucht die Situation durch einen Blitzstart in die Zukunft zu retten, doch der raumzeitliche Vektor führt die »Georgie« genau über dem 9. August 1945 durch den Raumbereich über Nagasaki. Durch die Wucht der Atombombenexplosion kommt das Schiff vom Kurs ab und landet in einer anderen Zeitlinie: dem Gallatin-Universum, und in einem ausgeflippten anarcho-demokratischen Amerika, wo es nicht einmal Schauspielern gelingt, Präsident zu werden. Durch seinen munteren, fröhlich-frechen Stil, seine anarchistische Kaltschnäuzigkeit und ein Feuerwerk von Ideen hat Neil Smith frischen Wind in die amerikanische Science Fiction gebracht.
SCIENCE FICTION Herausgegeben von Wolfgang Jeschke
Von L. Neil Smith erschienen in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: DAS GALLATIN-UNIVERSUM: Der Durchbruch 06/4250 Der Venus-Gürtel 06/4251 Ihrer Majestäten Kübeliere 06/4252 Der Nagasaki-Vektor 06/5253 Tom Paine Maru 06/4281 Die Gallatin-Abweichung 06/4282
L. NEIL SMITH
DER NAGASAKI-VEKTOR Vierter Roman aus dem Gallatin-Universum
Science Fiction
Deutsche Erstveröffentlichung
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/5253
Titel der amerikanischen Originalausgabe THE NAGASAKI VECTOR Deutsche Übersetzung von Irene Holicki Das Umschlagbild schuf Roy Michael Payne
Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1983 by L. Neil Smith Copyright © 1986 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1986 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: Schaber, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-31235-X
INHALT
1. Kapitel – Die Zeitbehörde 2. Kapitel – Grund zur Klage 3. Kapitel – Inka Dinka Du… 4. Kapitel – Harrys zweiter Schuh 5. Kapitel – Eine grausige Grizzlygeschichte 6. Kapitel – Ein Affenspaß 7. Kapitel – Ein Zoobesuch 8. Kapitel – Stiefel und Reitbeschwerden 9. Kapitel – Grün blüht die Schnüffelnase 10. Kapitel – Keine Kondition mehr 11. Kapitel – Steinwände tun es nicht 12. Kapitel – Und Eisenstangen auch nicht 13. Kapitel – Der Hund, der zuviel wußte 14. Kapitel – Die elf Großartigen 15. Kapitel – Wie bitte – was für ein Schiff? 16. Kapitel – Ein Lockvogel in einem Stuhlbaum 17. Kapitel – Die tapferen Sieben 18. Kapitel – Begleitmusik 19. Kapitel – Warten auf den Tierarzt (oder so jemanden) 20. Kapitel – Ein Freenie im Getriebe 21. Kapitel – Eine Spitze für Cromney 22. Kapitel – Ednas letzte Schlacht 23. Kapitel – Leben oder Einbildung?
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Anhang Kurzer historischer Abriß des Gallatin-Universums ÜBER DEN AUTOR
283 300
Für Roger Owen – ›a bridge over troubled waters‹
Leute, die die Geschichte der Konföderation von NordAmerika studieren, mag es interessieren, daß die SattelknopfTelekoms, auf die Bernie Gruenblum traf, von demselben Admiral erfunden wurden, der bei dem überwältigenden Sieg der Konföderierten Seestreitkräfte in der Schlacht an der Beringstraße während des Krieges gegen den Zaren (180-184 A. L. ) eine so bedeutende Rolle spielte.
1. Kapitel Die Zeitbehörde Wir befanden uns in unserem sonnenbeschienenen Privatwäldchen am Rande endloser Wiesen, ein leichter, frischer Wind bewegte das kniehohe Gras rings um uns. Wir standen unter einer weitausladenden, uralten Eiche, meine Geliebte und ich, ein Vogel tirilierte in den dichtbelaubten Zweigen über uns. Sie lehnte sich gegen die altersrauhe Rinde, ihre warmen, glatten Hände lagen in den meinen. Ich blickte ihr tief in die… Das Mädchen meiner Träume hat keine sechshundertdreiundfünfzig pistazienfarbene Fangarme. Und auch keinen seilförmigen, orangefarbenen Hals, der sich schlüpfrig bis zu einem einzigen, glitzernden Facettenauge hinauf erstreckt. Und ich kann Ihnen auch gleich hier und jetzt sagen, daß ihr Körper nicht aussieht wie ein phosphoreszierender Stahlhelm. Was, bei allem Widerspruch, hatte also dieser Alptraum eines Stern-Trinkers mitten auf meinem Solar Plexus zu suchen, wieso unterbrach er eine vielversprechend geile Übertragung aus meinem Unterbewußtsein? Ich griff hoch, riß mir die TraumKappe vom Kopf, ließ sie an dem von oben kommenden Kabel baumeln, und dann fiel es mir wieder ein: Diese Woche war ja ich an der Reihe, Gott zu spielen. Der Außerirdische verschob höflich mehrere Dutzend seiner kleinen Beine und versuchte gleichzeitig in meine beiden, völlig normal ausgebildeten Sehorgane zu schauen. Da tut einem ja die Nasenwurzel weh. »Diese Ausdrucke, Captain…« Ich fuhr zusammen, als die winselnde Stimme unerwartet durch das Schott hinter mir drang. »Wo soll ich sie hinlegen?« Rand Heplar, der neue Praktikant/Beobachter, den mir die Herrschenden Mächte aufgehalst
hatten, schleppte einen sechzig Zentimeter hohen Stapel von Computerausscheidungen auf das Flugdeck und drückte ihn mit dem Kinn nieder. Heplar war ein schmieriges, kleines Exemplar von der Sorte, bei der man immer den Verdacht hat, sie haben irgendwo in einer Flasche eine geheime Sammlung von flügellosen Fliegen versteckt. Ich habe ihm bestimmt hundertmal gesagt, er soll mich nie Captain nennen. Ich schob die dunkelgrüne Uniformmanschette über meinem haarigen Handgelenk zurück: + 15.9277 05 OKT 1630:42.9
+ 22.8539 23 MAI 0802:13.1
Das Display auf dem rechten Zifferblatt zeigte Jahrhundert, Monat und Standardzeit zu Hause – in der Ochskahrt-GedächtnisAkademie, Tsiolkovsky, Luna – an. Das linke verriet das hiesige Datum und die Ortszeit. Die Uhr? Ein Geschenk zum Examen. Ich bestand es als sechzehnter in einem Haufen von ungefähr sechstausend einschließlich Spacern – diejenigen, die es gerne hören, wenn man sie Captain nennt – mit ihrem genormten Kinn, den vornehmen Grübchen und den stiefmütterchenblauen Jumpsuits. Während ich in meinem Overall nach einer Zigarre suchte, dachte ich selig darüber nach, wie ich dem Idioten sagen würde, wo er sich all das rote Band genau hinstecken konnte, begnügte mich aber dann mit einer falschen Höflichkeit, um ihn noch weiter aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Werfen Sie sie in den Recycler, Junge. Ich weiß nicht, warum sie sie überhaupt haben ausdrucken lassen. Georgie speichert doch alles Wichtige, was reinkommt.« Der schildkrötenförmige Alien rückte noch ein Stück weiter und verrenkte sich sein ledriges Periskop, um mir in die Nase zu schauen. »Und nehmen Sie diese Mißgeburt von einer Schildkröte von meinem Torso!« Heplar stieß ein selbstgerechtes Keuchen aus. »Aber Captain! So
dürfen Sie doch nicht über den yamaguchianischen Gesandten sprechen, noch dazu in seiner Anwesenheit!« Er produzierte kleine, geschäftige, schockierte Geräusche, während er den Recycler mit den nutzlosen Ausdrucken fütterte. Wenn wir sie das nächstemal zu sehen kriegten, waren sie wahrscheinlich Tortillascheibchen. »Ich sag Ihnen was!« grunzte ich. »Zeigen Sie mir das Gesicht dieser überdimensionierten Entenmuschel, dann sage ich kein Wort mehr über ihn!« Ich wich einer Berührung mit den zahllosen, winzigen Gliedmaßen des Gesandten aus, hob ihn am Rand seines Panzers hoch, schwang mich aus meinem Pilotensessel, setzte ihn sanft – jedenfalls sanfter, als mir zumute war – auf das Deck, zündete mir meine Zigarre an und erfüllte die Kabine mit aromatischem, blaugrauem Rauch. ›Ihn‹ und ›er‹ waren sowieso nur Vermutungen. Drei dieser… dieser Dinger an Bord meines Schiffes zwischen meinen Füßen, bestens geeignet, um darüberzustolpern, wenn man sich zu sicher fühlte, und ich hatte noch verdammtes Glück gehabt, daß es nicht das volle Kontingent von siebzehn war, das meine Chefs hatten mitschicken wollen. Einen von jedem Geschlecht! Sie mögen es glauben oder nicht. »Wie steht's damit, Euer Gesandtschaft? Ihnen ist es doch völlig schnurz, wie ich über Sie rede, oder?« Das Wesen, keinen Millimeter über vierzig Zentimeter groß, hob mir voll Verehrung einen Augapfel entgegen und stieß ein ekstatisches Quieken aus, genau wie ein Kinderluftballon, wenn man das Mundstück streckt und die Luft rauspfeifen läßt. »Das hat mir gerade noch gefehlt«, vertraute ich seinem glitzernden Sehorgan im Flüsterton an. »Ein nervöser Schleicher von einem Assistenten, drei empfindliche, außerirdische VIPs und eine Handvoll von Greenhorns als Passagiere, die unten auf der Erde durch einen Ausflug stolpern, von dem sieben verschiedene Computer zur Risikoberechnung der Meinung waren, er sei ›hart an der Grenze zur Todesgefahr‹!«
Heplar schnüffelte, auf seiner halb psychopathischen Fresse lag ein spöttischer Ausdruck. »Haben Sie was gesagt, Captain?« Er drehte sich um, beäugte meine qualmende El Ropo, schnitt eine Grimasse und produzierte dann weiter Konfetti. »Nichts, Igor, nur Selbstgespräche.« Selbstgespräche. Großartig: Ein Norman Bates aus dem 23. Jahrhundert, der hinter mir herumschlurfte und die gleiche, grüne Livree der Zeitbehörde trug, die auch meine drahtige Gestalt schmückte; ein Trio psychedelischer Leckerbissen für die Gorgonische Medusa, die entschieden hatten, daß ich ihre Gottheit sei; und eine Herde von Akademikern mit ausladenden Hinterköpfen, deren einzige Verbindung mit meinem Schiff hier oben – und mit der Heimat – das telemetrische Toilettenpapier war, das ich von Heplar gerade in die Recycler zurückführen ließ. Genug, um mein Haar grau werden zu lassen, wenn ich nicht das meiste davon schon an diesen sehr überschätzten Beruf verloren hätte. Warum ich? Warum mußte es immer… Ich? Also, ich bin Bernie… okay, sagen wir CAPTAIN Bernard M. Gruenblum, ODF(T) 532779-687659921 – A, vormals bei der Zeitabteilung der Akademie und (jedenfalls vermeintlicher) Herr der 789 GEORGE HERBERT. Kurz, ein Busfahrer – wenn man eine Zeitmaschine als Bus betrachten will. Und daher waren Georgie und ich in diesem Augenblick hier, unsichtbar zehntausend Meter über dem Standort von Hideyoshis Tokio im alten Nippon des Jahres 1590 A. D. und warteten darauf, unsere zahlenden Fahrgäste wieder aufzunehmen. Die großartige Idee hatte darin bestanden, diese Ladung von Eierköpfen – Vertreter von Einrichtungen gehobener Bedeutungslosigkeit aus unserem ganzen, geliebten Solaren Dominium – hier herauszukarren, damit sie herausfinden konnten, was die Gesellschaft des mittelalterlichen Japan veranlaßt hatte, in Massen auf scharfe, spitze, schweißgetriebene Waffen zurückzugreifen und
›das Gewehr aufzugeben‹. Ein Haufen von Fliegengehirnen glaubt immer noch, daß das so etwas wie ein ›Edles Experiment‹ war. Blödsinn, ich hätte es ihnen sagen können: schon mal gesehen, was gerade erst mit Feuerwaffen ausgerüstete Bauern mit den Aristokraten in teuren Rüstungen anstellen, deren Ahnen ihnen Jahrhunderte hindurch alles ›abschützten‹, was sie besaßen? Die Nobunagabande hier in Japan hatte nur schneller begriffen (und sehr viel schneller – und toller – reden können) als das feudale Tammany Europas. Mensch, es gibt zu keiner Zeit eine politische Situation, die man nicht mit ein paar Millionen Schießeisen verbessern könnte. Natürlich haben die selbsternannten hohen Tiere immer ein dringendes Interesse an irgendeiner Art von Sullivan-Akte. Aber der Busfahrer wird ja nie gefragt, obwohl ich mehr frische Geschichte in der Entstehung gesehen habe, karminrot und verräuchert in der Morgenkühle, als irgend jemand sonst. Statt dessen schickt man diese Eierköpfe da raus – nichts als Hörsaaltheorie und keine Pragmatik – nachdem man sie monatelang dazu ausgebildet hat, so auszusehen, sich so zu verhalten, zu sprechen und zu denken, wie die Einheimischen es auch immer tun. Die Sprache zu sprechen, die Speisen zu essen und mit dem gesellschaftlich richtigen Finger in der Nase zu bohren. Einiges davon ist sinnvoll. Wir können es uns nicht leisten, bei dieser Sache ein Risiko einzugehen, und zwar aus ziemlich guten Gründen: Erstens mag Vergangenheit für Sie ein Vorwort sein, für uns ist sie plastisch. Ein Kieselstein am falschen Ort auf der Straße nach Mandalay, und die Zukunft, in die wir zurückkehren, ist vielleicht nicht mehr die Gegenwart, von der wir aufgebrochen sind. Keine Ahnung, wieviel Veränderung nötig wäre, und wir wollen es auch nie herausfinden. Solipsistischer Selbstmord; alles ist dort hochgegangen, bis auf dich und mich – ich möchte doch nicht dein Versicherungsagent sein. Natürlich trifft die Akademie Vorsichtsmaßnahmen. Es gibt zwei
stationäre Zeitfeldgeneratoren, die unter Ziolkowsky vergraben sind, einer umgibt konzentrisch den anderen, und sie bilden so etwas wie ein Realitätsschloß. Im Innern enthält der Uropa aller Datenbänke jede historische Tatsache, die man auf einen Speicherchip lasern kann. Draußen mißt eine identische Einrichtung sich selbst ständig an der ersten und stellt sicher, daß die Vergangenheit aller Wesen – und die Gegenwart der Akademie – erhalten bleiben. Immer wieder baut einer von meinen schlampigeren Kollegen Mist, im allgemeinen dadurch, daß er Tölpel von irgendwann früher einmal einen Blick auf seinen Zeitbuggy werfen läßt. Das ist nicht weiter schwierig: Georgie ist eine Scheibe von dreißig Metern im Durchmesser und hat genügend überschüssige Pferdekräfte, um aus Planeten Planetoiden zu machen. Selbst wenn man die Hälfte ihres Outputs in Schutzfelder ableitet, hinterläßt sie große, rote Flecken auf der Netzhaut, wenn sie für einen Sprung über Jahrhunderte hinweg aufgezogen wird. In einigen Zeitaltern werden unsere kleinen Fehler als Manifestationen des Heiligen angesehen, bei anderen nur als UFOs. Deshalb, und wegen der Farbe unserer Uniformen nennen uns die krummfingrigen Kretins aus der Weltraumdivision höhnisch ›die kleinen grünen Männchen‹. In jedem Fall wird über solche Erscheinungen allgemein geredet – man hat ganze Karrieren geopfert, um sie aufzuschreiben – und dadurch wird das verändert, was ›wirklich‹ geschehen soll. Die Realitäteninspektoren unter Ziolkowsky bemerken solche Dinge, und für die Akademie sind sie ein Fall für das Allgemeine Kriegsgericht, gewöhnlich verdient man sich damit eine Pilgerfahrt auf Schusters Rappen zum Spektakulären Ochskahrt-Gedächtnis-Pfeiler, mehr als drei Kilometer hoch, mit einem hell strahlenden Leuchtturm, den man in klaren Nächten von den Asteroiden aus sehen kann. Und dort draußen sind die Nächte immer klar. Es ist eine Wanderung von nicht mehr als fünfzig Kilometern, eine Kleinigkeit bei dem Sechstel g auf Luna. Die Schwierigkeit ist, daß es direkt über den Boden des spektakulären Ochskahrt-
Gedächtnis-Kraters geht. Dort machte Herr Professor Hirnschlag von Ochskahrt seine Große Entdeckung (Zeitreise und Schnellerals-Licht-Antrieb), und vollbrachte damals, A. D. 2007 seinen großen Knall. Wir haben immer noch nicht rausgefunden, worin sein Fehler lag, aber der Krater ist zweitausend Meter tief und so radioaktiv, daß die Asteroider beinahe auch ihn leuchten sehen können. Bis das vom Kriegsgericht verurteilte Opfer den Pfeiler in der Mitte erreicht, sind seine Aussichten nicht mehr so heiß, dafür aber alles andere. Dann folgt ein anständiges, bleigefüttertes Begräbnis; diese Scheißeinzelheiten überläßt die Akademie humanerweise Gorillas und Schimpansen mit elektronischen Steuerungsimplantaten, älteren Exemplaren, die sich nicht mehr als Hausmeister oder Montagearbeiter – wir beschäftigen sogar echte Schmieraffen – nützlich machen können. Dann werden die Computer angeleiert, und die müssen einschätzen, wie riskant es ist, die Ursache des ganzen Traras ungeschehen zu machen, und schließlich wird ein Lakai (zum Beispiel Ihr ergebenster Diener) zurückgeschickt, um den ursprünglichen Fehler auszugleichen. Manchmal ist es eine ziemlich lahme und improvisierte Angelegenheit – wie die dreiundzwanzig unbequemen Zeugen an einem ersten November in Dallas, an die ich mich erinnere, oder der falsche Untersuchungsausschuß, den wir einsetzten, damit er fliegende Untertassen als ›Sumpfgas‹ bezeichnete – ich könnte da Geschichten erzählen! Aber meistens fahre ich nur den Bus, spiele den Chauffeur für Typen aus dem Elfenbeinturm: Geologen, Paläontologen, Archäologen, so ziemlich alle Arten von -ologen, die man nur finden kann, keiner davon hat auch nur die Hälfte der praktischen Erfahrung, die mir im kleinen Finger steckt. Ohne auf Heplars mißbilligendes Schmollen zu achten, griff ich quer durch die Kabine zu dem maßgefertigten Wandhahn, den ich selbst eingebaut hatte, und schenkte mir mein erstes Bier an diesem Nachmittag ein. Diesen Augenblick suchte sich ein grünes
Licht aus, um aufzublinken, begleitet von einem aufreizenden Bliep-Bliep-Bliep – Clowns, die solche Dinger entwerfen, sollten sie auch anhören müssen. 1645:00.0 – wenigstens war dieser Haufen von Anfängern pünktlich. »Da kommt der Sammelruf, Kleiner. Aufpassen, daß alles festgeschnallt wird, was lose rumliegt!« Ich knallte das Bier auf die Konsole – es schäumte mich einladend an –, nahm einen letzten Zug Nikotin und machte meine Knopfdruckfinger geschmeidig wie ein Flippervirtuose, der es auf noch ein Freispiel abgesehen hat. »Jawohl, Captain.« Irgendwie schaffte es dieser Punk, gleichzeitig höhnisch zu grinsen und ein scheinheiliges Gesicht zu machen. »Sonst noch etwas, Captain?« »Ja, kümmern Sie sich um den Gesandten und seine Mit… – weiß der Teufel, wie sie genau heißen –, und noch was, Heplar?« Er blickte vom Aufsammeln der Außerirdischen auf, seine Augenbrauen vollführten einen kleinen Tanz um den Haaransatz herum, wegen der ungewohnten Freundlichkeit meines Tonfalls. »Ja, Captain?« »NENNEN SIE MICH NICHT CAPTAIN!« Ich gab die Zahlenreihe ein; es war nicht so sehr viel dran, nur eine Erinnerung an Georgie, daß sie einer Reihe vorher eingegebener Instruktionen folgen sollte. Wir verschwanden mit einem kleinen, blauen ›Plopp!‹ von unserem gegenwärtigen Standort, während ich all mein berufliches Können daransetzte, uns zehntausend Meter tiefer sanft wieder ins Leben zurückzubringen – dekoratives Wäldchen gleich vor der Stadt –, wobei ich uns praktisch Molekül für Molekül aufschlüsselte. Zeigen Sie mir mal einen Astro, der das mit seinem tollen, azurblauen Ascothosenboden fertigbringt! Als das Getriebe zum Stillstand gekommen war, fuhr Georgie die Einstiegsleiter aus. Ich hatte diesmal nicht vor, das Kontrolldeck persönlich zu verlassen, aber aus rein instinktiver Vorsicht griff ich unter meine linke Achselhöhle und versicherte mich, daß der Hahn meiner antiken Gold Cup .45 unter dem Overall zurückgezogen war. Das ist die Waffe, bei der die Akademie und ich so tun, als
wüßten wir nichts von ihr. Zum Teufel, die verstehen es doch: ich werde die Geschichte nicht verpfuschen, solange sie nicht zuerst versucht, mir an den Kragen zu gehen. Die Pistole ist seit mehr als vierhundert Jahren veraltet, aber anders als eine Laser- oder auch eine zeitgenössische .357 Magnum kann sie jemanden aufhalten, ohne ihn unbedingt gleich zu töten – und einem Säbelzahnkätzchen wird dabei wirklich übel. Die großen, umlaufenden Sichtschirme waren voll Herbstblätter. Diese Lichtung hatte keine zwanzig Zentimeter mehr Durchmesser als Georgie, darauf hätte ich wetten mögen. Gras, spätblühende Blumen, winzige, raschelnde Lebewesen in den Zweigen. Viele Vögel. »Bitten Sie unsere Touristen herein, Junge.« Heplar schnallte sich ab, trat über ein oder zwei Yamaguchier weg und verließ die Kabine mit einem weiteren »Jawohl, Captain!«, für das ich ihn mit Freuden hätte erwürgen können. Statt dessen hielt ich meine Augen auf das Schaltpult geheftet, die Finger schwebten, nur für den Fall der Fälle, über dem Notantriebsknopf. Es ist ein brutal einfacher Mechanismus, er bringt einen nicht etwa in der Zeit irgendwie vor oder zurück, sondern nur drei- oder vierhundert Kilometer weit weg, in irgendeine Richtung, und das schnell. Im Aschenbecher fand ich meine Zigarre, zündete sie neu an und sog den Rauch ein. Mußte mir überlegen, wie ich Heplar loswerden konnte; unsere Beziehung funktionierte einfach nicht. Meine andere Hand hatte angefangen, einen Heimwärtskurs zu programmieren: nach oben im Raum, nach vorne in der Zeit, alles in einer sauberen, vierdimensionalen Kurve, dorthin, wo der Ochskahrt-Gedächtnis-Mann-im-Mond auftauchen sollte, ungefähr im Mai 2285. Erforderte einige Konzentration. In der Nähe meines linken Ellbogens vermittelte mir ein Unterdeckmonitor ein Bild von der Rückseite der unteren Einstiegsluke. Ich konnte Heplars Geierhals sehen, während er auf unsere Ausflugsgesellschaft wartete. Sekunden später schlossen sich ihm die Professoren Merwin und Hulbert an, zwei alte Knaben in gelben
Anzügen der Akademischen Union, die ich wirklich beinahe vergessen hätte. Obwohl für die Arbeit draußen zu alt, waren sie nicht etwa an Bord, weil sie zu nichts getaugt hätten. Jeder von den beiden konnte mit dem Fingernagel auf den hinteren Rand eines Samuraischwerts schlagen, lauschen, wie es klirrte, und sagen, wieviele Schichten die Klinge hatte. Experten für alte Waffen – (wie man das immer verstehen will) – aus dem eigenen Museum der Akademie. Bin nie ganz dahintergekommen, welcher von den beiden der Merwin war und welcher der Hulbert. Als erste kam natürlich Dr. Edna Janof durch die Druckdichtung, eine äußerst verlockende, sehr wohlgeformte kleine Praline, deren Wirkung jedoch durch einen sonderbar grausamen Ausdruck verdorben wurde, der über ihre ansonsten küssenswerten Züge zuckte, sobald sie sich unbeobachtet glaubte – ein bißchen unvorsichtig für eine Anthropologin. Sie legte ihr einheimisches Gewand ab, während Heplar und die beiden Professoren sich danach drängten, ihr hereinzuhelfen, und wandte den Kopf, um ihrer gegenwärtigen Flamme, Dr. Denny Kent, einem großen, nicht mehr ganz jungen Burschen, den sie sich ordentlich und ziemlich dauerhaft um ihren kleinen Finger mit dem langen Nagel gewickelt hatte, eine lebenswichtige, philosophische Bemerkung zu widmen. Kent war im Ökonometriesektor tätig, ein marxofriedmanistischer Neorevisionist der alten Schule, wie er mir gleich anfangs mitgeteilt hatte, als wir uns näher kennenlernten, als mir lieb gewesen war. Ein wenig mollig um den Schwerpunkt herum, immer grinsend, als erwarte er, daß die Mädchen in Ohnmacht fallen würden, wenn seine Beißerchen im Winde glitzerten. Seit einiger Zeit hatte das schon keine mehr getan, aber er war zu sehr Sportsmann, um davon Notiz zu nehmen. Ein heruntergekommener Taugenichts mit einem Gesicht wie ein zu lange gegarter Schmorbraten. Hat jemand Lust auf Tennis? Nach der Janof und Kent kam der Leitende Spezialist, Dr. Ab
Cromney (in letzter Zeit schwirrten hier mehr promovierte Philosophen herum als Fliegen auf einem Komposthaufen), mehrere Zentimeter größer als Kent, aber spindeldürr, mit einer Spatzenbrust und einem Haarbüschel wie ein Rasierpinsel, in distinguiertem Grau, aber alles ragte steil nach oben, als stünde er unter Hochspannung. Politische Wissenschaften, um das letztere Wort zu mißbrauchen, war sein Tummelplatz, aber er hatte die aufreizende Angewohnheit – noch begünstigt von Edna und Denny, die ihm sichtlich jedes Phonem von den Lippen saugten –, ernsthafte Aussagen über Dinge zu machen, die offensichtlich weit über die Grenzen seines Spezialgebiets hinausgingen. Cromney hatte diesen Ausflug in den Orient angeregt; wenn man sich auf offiziellem Weg bewirbt, dauert es Monate – manchmal sogar Jahre –, bis man ein Schiff bekommt. Der Zeitsektor ist schließlich nur eine ganz dünne Scheibe vom Interessenkuchen der Ochskahrt-Gedächtnis-Akademie. Die meisten Straßen – und Bewilligungen, wie es den Anschein hat – führen zur Weltraumdivision und an die Ruhmreiche Grenze, die die dort draußen ruinieren. Da man uns so vernachlässigt, ist unser kleiner, grüner Kalender immer ziemlich verdammt voll. Aber da steckt noch mehr dahinter: Bei jedem Vorschlag für ein Unternehmen werden Milliarden von Silikonstunden verbrannt, um im voraus sicherzustellen, daß uns niemand die Geschichte wie einen billigen Korridorteppich unter den Füßen wegzieht. Diesmal schockierte die Akademie jedoch alle, indem sie Cromneys verrückten Vorschlag in lächerlichen fünf Wochen durchpeitschte, würdigere Bewerber zurückstellte und auf Jahre hinaus die Terminpläne umstürzte. Ich hatte erfahren, daß Cromney das als eine Art Zeichen ansah, aber ich kannte den wahren Grund. Es geschah alles wegen meiner bedeutungslosen kleinen Person – oder vielmehr wegen meiner getreuen Verehrer, der Yamaguchier. Cromney und seine Leute spielten überhaupt keine Rolle dabei. Nacheinander entledigten sie sich der Pseudo-Nippon-
Bekleidung, trabten die Niedergangstreppe hinunter und verließen den Kamerabereich. Die Professoren Merwin und Hulbert waren ganz außer sich (und auseinander), als sie all die fabrikneuen, antiken Waffen einsammelten, die ihre Kollegen für sie zusammengeholt hatten. Sie schoben eine halbe Tonne hochwertigen Stahls – und minderwertiger Technologie – auf einen AntrigravHandkarren und verdufteten in Richtung Messeraum. Heplar, der brave Junge, befestigte die Tür, als er und seine kleinen Spielkameraden durch waren; seine Mutter wäre stolz auf ihn gewesen. Oben, wo ich das Steuer in der Hand habe, führte sich der Gesandte oder einer seiner Doppelgänger noch lästiger auf als sonst, er ging in Achterschlingen zwischen meinen Füßen hindurch wie eine Hauskatze, während ich mit meiner temporogationalen Mathematik weitermachte. Er stieß hohe, blökende Töne an der Obergrenze meines Hörvermögens (und meiner Geduld) aus und schwenkte seinen Augenstengel ruckend herum wie einen Rasensprenger. Plötzlich blieb er in seinen vielbeinigen Spuren stehen, und ich folgte seinem starren Blick zum hinteren Schott, wo noch einer von seiner Sorte ungeschickt über die Türschwelle kletterte. Sie trafen sich im Zentrum der Kabine zwischen zwei Schleudersitzen und schlitterten ineinander wie zwei Mini-Shermanpanzer. Und weiter ging es mit Gaffen und Quieken. Ich dachte schon, ich würde Zeuge von ein bißchen außerirdischer, spontaner Unzucht – nicht, daß ich mich für so etwas interessiere, ich hatte ja zu arbeiten. Also wandte ich mich wieder der Konsole zu, programmierte einen neuen Sack Bier als Ersatz für das andere ein, das warm geworden war, spähte in den Plotter, drückte Knöpfe und drehte an Schaltern. Diese Aufgabe, die eine, einzige, richtige Linie quer durch Zeit und Raum zu finden, kann heikel sein wie jede Flucht. Ich spürte, wie mich etwas zupfte: Unten zwischen meinen akademiegrünen Hosenbeinen, da, wo sie über meine altmodischen, geschnürten Fallschirmspringerstiefel hängen, waren nicht nur
einer, nicht bloß zwei, sondern alle drei Aliens und zogen in und um meine Füße herum die Sonia-Henie-Nummer ab. Ich gab ihnen eine wohlverdiente 8.3 und widerstand großmütig dem Drang, zum Zwecke des künstlerischen Ansporns eine stahlgefütterte Zehenspitze draufzugeben. »Was ist eigentlich in euch kleine Kröten gefahren?« Noch ein Geräusch hinter mir, ein Schlurfen und Schaben menschlicher Füße. Ich hielt beide Augen auf die Motorstatusanzeigen gerichtet, während die Motoren warmliefen, und griff nach meinem Biersäckchen. »Na, Junge, sind unsere Passagiere alle schön ordentlich eingepackt?« Ein gelbes Licht flackerte auf dem Armaturenbrett; die Yamaguchier schienen verrückt zu werden; ich schob einen Vernier um ein winziges Stück weiter und richtete damit höchst kritische Felddichtewerte von Georgie wieder ein, dabei sagte ich über die Schulter hinweg: »Werfen Sie mal 'nen Blick auf unsere VIPs hier, mein Junge. Finden Sie nicht auch, daß die sich irgendwie…?« KRAACHCH!! Wissen Sie, es stimmt, daß man Sterne sieht. Womit mein Kopf in diesem Augenblick auch immer seitlich zusammengestoßen war, es löste reizende, kleine Supernovas aus, die hinter meinen Augen blitzend an- und ausgingen. Ich konnte nicht den richtigen Knopf finden, um sie zu regulieren. Nicht das machte mir soviel aus, sondern der Schmerz. Und ich weiß noch, wie ich dachte: Heute nachmittag kriege ich kein Bier mehr, oder?
2. Kapitel Grund zur Klage »Gruenblum, das könnte der wichtigste Auftrag sein, den Sie je hatten!« Sein fettes Gesicht wurde abwechselnd scharf und unscharf und wechselte hin und wieder die Farbe. Komisch, ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, daß das beim erstenmal auch so gewesen war. Aber ich wußte noch, wie ich es immer gehaßt hatte, wenn man mich mit meinem ›nackten Vatersnamen‹ anredete – fast genauso sehr, wie wenn man mich ›Captain‹ nannte – und die Tatsache, daß dieser hyperkalorische Schwachsinnige seinen eigenen Namen verunglimpfte, wenn er den meinen beschmutzte, verbesserte die Situation auch nicht gerade. Nur um zu beweisen, daß er wußte, was er tat – und es mit Absicht tat –, wurde er chartreusegrün, und aus seinen Ohren sprießten Blumensträuße. »Gruen-blum – kapiert?« Alles beruhigte sich ein wenig. Ich hatte überlegt, ob ich einen Zentimeter billiger Zigarrenasche auf seinen eigenhändig importierten Teppich fallenlassen sollte, nur um ihm zu zeigen, was los war und wer das Sagen hatte. Leider wußte ich das im Moment selbst nicht so ganz genau. »Cuthbert, ich möchte dir den Spaß nicht verderben, wenn du gerade in Fahrt kommst, aber dieser Mist von wegen ›wichtigster Auftrag‹ – das erzählst du mir jedesmal!« »Mist?« Er blinzelte blöde, bemühte sich dann, das Gefühl aufgeblasener Wichtigkeit wiederzufinden. »Ich möchte Sie nur daran erinnern, daß es Colonel Gruenblum heißt!« »Nein, es heißt Captain Gruenblum, Cuthbert. Und ich sollte ihn eigentlich kennen – ich bin ihm… ich meine, er. Wenigstens war ich es letztesmal noch, als ich mir die Etiketten in meiner Unterwäsche angesehen habe.«
Es gefällt mir, wenn so ein aufgeblasener Geck unzusammenhängend vor sich hinprustet, besonders, wenn ich daran schuld bin. »Paß auf, Cuthbert, du tust uns jetzt beiden einen Gefallen und hörst auf mit dem Quatsch! Ich bin für eine Verabredung mit der Rothaarigen in Vonbraunsville überfällig, kapiert? Und sie hat die tollsten…« Ich hob beide Hände, um zu demonstrieren, was ich meinte. Meine Zigarrenasche war jetzt wenigstens zwei Zentimeter lang und hing nicht allzu fest. Ich sah mich nach einem Aschenbecher um. »Großvater, würdest du bitte bei der Sache bleiben? Das könnte… nun ja, es könnte wirklich dein wichtigster Auftrag…« Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, und er verstummte – eine bescheidene Gabe, die ich pflege und die gelegentlich ganz nützlich ist. Mehr als alles andere, mehr als ›Gruenblum‹, sogar mehr als ›Captain‹ verabscheue ich es, wenn man mich ›Großvater‹ nennt. Aber, seufzte ich innerlich, es war ja nur zu richtig; dieser pompöse, waltiergroße Unteraffe, der da auf der Fünfzigmeterlinie des Schreibtischs vor mir abgestellt war – komm schon, Bernie, spuck es endlich aus! –, war mein ureigenster, geliebter Enkel. Einer davon jedenfalls, es gibt sie zu Tausenden. Regelrecht unverdaulich wurde das alles durch die Tatsache, daß Cuthbert auch mein unmittelbarer Vorgesetzter war: Lieutenant Colonel Cuthbert M. Gruenblum, Temporalabt. Verw. OchsGedAkad, SPCA, SPQR und LS/MFT. Er hatte den kleinen Familienschönheitsfleck auf seinem verheulten Kinn und alles. Ich hätte mich sterilisieren lassen sollen, damals, als man solche Operationen zum halben Preis feilbot. Jetzt saß er da, fühlte sich gekränkt und schmollte, etwas, was er getreulich praktizierte, seitdem er drei war, was aber bei einem Lieutenant Colonel so albern wirkte wie ein Glatzenkäppchen.
»Na gut, Cuthbert, ich wollte dir nicht an dein kleines rotes Auto pinkeln. Sei mal ehrlich: Wohin willst du mich diesmal schicken, und was soll ich tun, wenn ich dort bin?« Niedrige Schwerkraft bekommt manchen Leuten zu gut; löst anscheinend subkutane Überflüssigkeit aus. Er stand hinter seinem protzigen Mahagonikasten auf wie das Männchen von B. F. Goodrich, fuhr mit dem Rücken seiner schlaffen Hand unter einige seiner Kinne und versuchte, auf- und abzugehen. Bei einem Sechstel g haut das nicht so richtig hin, sieht irgendwie nicht sehr würdevoll aus, und das Geräusch von Velcro-Schuhsohlen auf dem Teppich geht einem mit der Zeit auf die Nerven. Ripp, ripp, ripp! »Na ja, weißt du, Großva… Cap… Gruen…!« Ripp, RIPP, ripp, ripp! »Setz dich um Ochskahrts willen hin, Cuthbert! Und versuchs mal mit Bernie, wenn du heute morgen anscheinend Identitätsprobleme hast.« Ich zog noch einmal an meiner Zigarre, und diesmal ließ ich die Asche fallen – völlig unabsichtlich natürlich. Auf der Fußbodenleiste glitzerte plötzlich etwas; ein winziges, nagetierförmiges, verchromtes Maschinenbündel schoß über den Boden, saugte meinen oxidierten Abfall auf, schnatterte mich vorwurfsvoll an und verschwand wieder in der Wand. Anscheinend brachte das den armen Cuthbert irgendwie aus dem Konzept. Er starrte bittend und flehend auf das kahle, bebrillte Porträt von Ochskahrt, das an der Wand hinter seinem Schreibtisch hing. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja – es ist nicht so sehr der Auftrag an sich… äh… Bernie…« Ripp, ripp, ripp. »… eigentlich hätte es fast jeder Auftrag sein können…« Ripp, ripp, ripp, ripp. Ob er sich wohl jemals hinsetzen würde? »… solange du der Pilot bist!«
Er lächelte strahlend bei diesen Worten und ließ sein Hinterteil endlich auf den Bürostuhl plumpsen. Noch nie in meinem Leben war ich für etwas so dankbar. Nun, praktisch noch nie. »Womit habe ich soviel Glück verdient, Cuthbert?« Neugierig geworden ließ ich noch ein paar Ascheteilchen in Richtung Fußboden rieseln; sie schwebten unter der schwachen Beschleunigung langsam abwärts, und ehe sie landen konnten, war die elektronische Maus schon wieder da und wartete auf sie. »Und wie komme ich auf einmal zu dieser Ehre Cuthbert?« »Weil du auf dieser Reise Gesellschaft haben wirst, Bernie. Abgesehen von deinem neuen P/B und dem benötigten, wissenschaftlichen Personal meine ich.« Er grinste mich so höhnisch an wie ein Beamter vom Finanzamt, der am Heiligen Abend einen Beschlagnahmungsbefehl für Tiny Tims Krücken ausschreibt. »Weißt du, die yamaguchianische Gesandtschaft hier in…« »Entropie und Handgranaten! Der Pylon soll dich holen, Cuthbert, ich will keinen einzigen von den dreimal verfluchten, kleinen… nur weil ich einmal… und überhaupt heißt es nicht ›yamaguchianisch‹. Wie oft muß ich euch das noch sagen, das ist nur der Spitzname, den irgendein Astronom von der Erde ihrem seligen, nicht beweinten, früheren Sternensystem gegeben hat. Wenn überhaupt, dann sind sie jetzt Ganymedianer, und…« Zum erstenmal beinahe seit Jahrhunderten fiel mir weiter nichts mehr ein. Aber ich dachte nach, schärfer und schneller als je zuvor in meinem Leben. Na gut, den offiziellen Bericht können Sie anderswo lesen, wenn Sie der Typ dafür sind. Und auf der Erde geht eine volkstümliche Version herum, an die ich nicht einmal denken mag. Aber die schlichte und abscheulich einfache Wahrheit ist, daß die Yamaguchii oder Ganymedii – oder auch die ›Freenies‹ – wie immer man sie nennen will, jeder einzelne dieser scheußlichen, klei-
nen Söhne, Töchter und fünfzehn anderen möglichen Hundenachkommen glaubt, ich sei sein Gott! Es fing alles ganz harmlos an. Aber jeder Auftrag, bei dem man mit den Spacern zusammenarbeiten muß… na ja, ich würde genauso gerne mit einem marxo-friedmanistischen Neorevisionisten der alten Schule ein ausgelassen dreckiges Wochenende in Long Beach verbringen. Da gab es also diesen großartig normalen Stern der ersten Klasse, Yamaguchi 523 nach Katalog, der eines Tages plötzlich KRAWUMM! machte. Nur war das schon mehrere tausend Jahre her, bis die Nachricht Luna erreichte – Lichtwellen sind ja wegen ihres Schneckentempos berüchtigt. Verständlicherweise waren die Knaben am Teleskop einigermaßen fasziniert: Wenn so etwas einem kleinen Wasserstoffbrenner wie Yamaguchi 523 zustoßen konnte, den man für recht artig gehalten hatte, warum dann nicht auch – nur um völlig willkürlich irgendeinen Stern zu nehmen – unserer ureigensten, heißgeliebten, kosmischen Glühbirne Sol? Mann, dann wäre jeden Tag Aschermittwoch. Und so schleppte man meine kostbare Georgie hinauf in den Frachtraum eines stinkenden Raumschiffs und bugsierte Ihren ergebensten Diener zusammen mit einem Sortiment von Taschenrechnertypen hinaus zu diesem ehemaligen Sternensystem, das inzwischen nur noch eine sich schnell vergrößernde Kugel aus langsam abkühlendem, weißglühendem Gas war. Dann kam meine Stunde. Ich versetzte uns alle nach rückwärts, bis tausend Jahre vor dem großen Krach. Wir landeten auf einem verzierten Dreckball, der so abscheulich war, daß ich dachte, es sei nicht schade darum, wenn er in die Luft flog. Das ganze Ding sah aus, als müßte man einem Hund die Nase hineinstecken und ihm sagen, beim nächstenmal solle er es aber draußen im Garten machen, oder wenigstens auf einer Zeitung. Die Wissenschaftler wissenschaftlerten, während ich herumsaß und die Nieten auf den Schotts zählte, dabei dachte ich wehmütig
an normale Aufträge, bei denen ich Gelegenheit gehabt hatte, Lokalkolorit zu genießen – Sie sollten mal sehen, wie man im alten Kreta die Mädels anzieht! Früher oder später langweilte ich mich so sehr, daß ich einen Spaziergang machte. Und dabei traf ich auf die Freenies, obwohl die damals noch keineswegs in der Lage waren, meine göttlichen Eigenschaften zu würdigen. Wissen Sie, es waren Tiere. Kein Witz, es waren nicht einfach Primitive oder Wilde. Sie verwendeten keine Werkzeuge. Sie machten kein Feuer. Sie guckten sich nicht einmal die Sportschau an. Sie lungerten nur herum, na ja, und waren Tiere. Damals (seither niemals mehr) fand ich sie irgendwie niedlich, auf eine Art, daß sich einem der Magen umdreht. Sie waren natürlich genau wie jetzt: Halbkugeln in heißem Rosa von dreißig Zentimetern Durchmesser mit Ochsenkahrt weiß wie vielen zappelnden, kleinen limonengrünen Beinchen, die unten herausragen, und mit diesem runzligen, truthahnhalsartigen Gummiding, das oben heraussteht, und in dessen Ende ein riesiges Fliegenauge eingebettet ist. Jedenfalls fing ich an, mit ihnen herumzuspielen, weil ich sonst nichts Konstruktives zu tun hatte. Ich baute kleine Fallen und Labyrinthe, um zu sehen, wie klug sie waren und was man ihnen so alles beibringen könnte. Ausnahmsweise konnte ich mich einmal soviel in örtliche Geschehnisse einmischen, wie ich nur wollte. Dieser Planet – und die Freenies – hatten keine Zukunft, die man versauen konnte. Alles würde auf den Glockenschlag beim Anbruch des nächsten Jahrtausends in subatomare Teilchen zerblasen werden. Natürlich mußten sie fürs Lernen belohnt werden. Ich versuchte es mit allem möglichen Abfall, und es stellte sich heraus, daß sie Kaffeesatz am liebsten mochten. Oder alte Teebeutel. Sogar bestimmte ausgefallene Sorten von synthetischem Orangensaft. Kurz, alles, was Koffein enthielt. Verdammt, sie waren sogar auf Midol scharf.
Nun heißt es hier, daß Koffein die menschliche Intelligenz meßbar steigert, und ich glaube es. Die moderne Zivilisation wäre geradezu unmöglich ohne jene erste Tasse Kaffee – was sonst könnte einen völlig normalen Anthropoiden jeden Morgen aus seinem warmen Nest hinaus und in den Lebenskampf hineintreiben, Tag für Tag? Beachten Sie bitte, daß das ›Zeitalter der Vernunft‹ erst so richtig in Schwung kam, als man allmählich anfing, die kleinen braunen Bohnen zu importieren, und daß die erste industrielle Revolution auf einer Insel in Gang kam, wo alles knirschend stillsteht, wenn die Nachmittagstasse fällig ist. Und so war es auch bei den Freenies. Sie waren intelligente kleine Biester, soweit man das sagen kann, standen gerade an der Grenze, die uns von Pferden und Känguruhs trennt, und meine gebrauchten Teebeutel schubsten sie einfach drüber. Unser Auftrag schrieb vor, immer ein paar Jahrzehnte auf einmal zu überspringen und Beobachtungen zu machen, bis die klugen Knaben an Bord herausgefunden hatten, wodurch die Sonne hochgejagt wurde. Ich sage es Ihnen, ehe wir diesen Planeten verließen, hatten sich die Freenies (die ich, wenn Sie die häßliche Wahrheit hören wollen, nach dem Klang ihrer Stimmen so genannt hatte) mit eigener Kraft durch zwei industrielle Revolutionen geschleppt, hatten begonnen, Atomenergie zu verwenden und übten eine Religion aus, bei der ich, Bernard M. (für Minderbemittelt) Gruenblum die Chefgottheit war. Ich habe schon an Harakiri gedacht, aber mir wird flau im Magen, wenn ich mich nur an einem Blatt Papier schneide. Die Freenies waren noch nicht ganz so weit, um Raumschiffe zu erfinden, und nachdem ich den Fehler gemacht hatte, unten in der Akademie mein dickes, fettes Maul aufzureißen, retteten wir sie: Riesige Flotten von Sternenschiffen mit Zeitbuggies im Frachtraum schipperten Millionen der kleinen Biester von ihrem dem Untergang geweihten Planeten zuerst nach Luna, später nach Ga-
nymed, den man yamaguchigeformt hatte. Ich wünschte, es wäre Sanka gewesen. Cuthbert rutschte nervös auf seinem Stuhl herum. Aus Angst, er würde wieder anfangen, auf- und abzugehen, wagte ich einen schnellen Vorstoß: »Was hat das alles überhaupt mit dem Preis für Fischmehl zu tun? Was will die yamaguchianische Gesandtschaft wirklich?« Versuchsweise ließ ich noch einmal Zigarrenasche fallen. Tatsächlich erwischte sie das mechanische Mauswesen, ehe sie den Teppich wirklich traf. Cuthbert blinzelte, blieb aber auf seinem Fundament sitzen. »Nun, sie wollen einfach bei deinem nächsten Volleinsatz eine Gruppe mit dir rausschicken.« Er zögerte, und ich bekam allmählich eine entsetzliche Vorahnung dessen, was nun kommen würde. »Es ist ein religiöses Erlebnis für sie, Bernie, so was wie eine Pilgerfahrt.« »Eine Pilgerfahrt?« Hm, ich hatte recht gehabt. Im Geiste fing ich an, meine Kontenstände zu addieren, einschließlich der zwei in der Schweiz und in Hongkong, von denen ich glaubte, daß die Akademie nicht darüber informiert war – in diesem Geschäft kann man eine Menge bestens verkäuflicher Antiquitäten sammeln, wenn man sich auskennt. »Aber ja. Es ist dir doch sicher bekannt, daß die Yama… die Freenies bei weitem nicht als einzige im zoologischen Bereich die Fähigkeit besitzen, individuelle Erfahrungen genetisch zu übermitteln, und…« »Wie viele?« Ich kaute auf meiner Zigarre herum, da mir im Augenblick keine Kugel zur Verfügung stand. Seine Hände patschten auf den Tisch, als hätte ihn eine darunter verborgene Mücke zwischen die Beine gestochen. »Äh…«
»Hör auf damit, Cuthbert! Wir wissen beide, wovon ich spreche: Rassengedächtnis. Wie viele der kleinen… Lieblinge wollen sie mitschicken, von jedem Geschlecht eines?« In Anbetracht der Umstände könnte man sagen, daß eine schwangere Pause folgte. Er sah mich beinahe schüchtern an und sagte nichts. Ein höchst beredtes Nichts. »Ich kündige.« Schlag Nummer Zwei. Er prustete, murmelte, tobte und verhedderte sich, alles auf einmal. Ich dachte schon, er bekäme einen Bruch. »A-aber Großva… Cap… Gruen…« »Bernie heiße ich – du vergißt dich, Cuthbert! Und es kommt überhaupt nicht in Frage, daß ich siebzehn von diesen Kriechkrabblern auf einen Auftrag mitnehme. Verrückt! Ich bin erst einundachtzig Jahre alt; irgendwo gibt es in den Überresten des Privatsektors Arbeit für mich: Kreuzworträtsel erfinden, droben auf den Asteroiden einen Hygieneleichter steuern; mein Schwager hat draußen auf Beteigeuze IX eine Froschfarm und wollte schon immer, daß ich da mit einsteige. Ich bin nicht auf dich angewiesen, Cuthbert, und auf deine Akademie auch nicht, und auf den Ärger kann ich todsicher erst recht verzichten.« »A-aber Bernie…« »Ich meine es ernst, Colonel.« »A-aber Bernie…« »Du wiederholst dich, Cuthbert. Schau, steck dir das hinter den Spiegel und schnaufe es ein: Du kannst dir einen anderen Burschen suchen. Und die Freenies werden sich nach einer anderen Gottheit umsehen müssen – Gott ist nicht tot, er ist nur in Pension gegangen!« Ich stand auf, zog, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, die obersten fünf Zentimeter meines Overalls zu und hätte mir als letzte Geste auch noch den Hut auf den Kopf geknallt, wären Hüte in diesem Jahrhundert in Mode gewesen. Die Tür war zur Hälfte geöffnet, bis sich mein Führer wieder
faßte. »Wieviele denn, Major Gruenblum?« Es ist schön, wenn man gebraucht wird. »NULL, Cuthbert, eine Zahl, die man sich leicht merken kann, die letzte, runde Zahl – genau so viele Leute in der Verwaltung haben was im Schädel.« Ich wollte durch die Tür. Sehen Sie es mal von der anderen Seite aus an: Vielleicht haben jedes Kind und alle Telemedien im Dominium die Freenies so niedlich wie getupfte Hosenträger gefunden; ihre Rettung wurde zum Schmachtfetzen des Jahrhunderts. Aber ganz tief im Innern hatte die Akademie – und wenn Sie von dieser Einrichtung sprechen, dann meinen Sie den Teil der Regierung im Solaren Dominium, der zählt –, die Akademie hatte eine Heidenangst vor den kleinen Biestern. Denken Sie doch mal nach: eine Gattung, die alles, was sie gelernt hat, allein durch den Vorgang der Vermehrung an künftige Generationen weitergeben kann; die es innerhalb von lächerlichen zehn Jahrhunderten von Pflanzenfressen bis zur Atomenergie gebracht hatte; und die jetzt alles aufschnappte, was sie von unserer sternendurchquerenden, zeitreisenden Zivilisation erwischen konnte. Wenn ich darüber nachdachte, mich erschreckte es auch! »Großvater…« Eines muß ich Cuthbert lassen; sein Blick war plötzlich ruhig und fest, obwohl ihm die Schweißperlen bei der geringen Schwerkraft wie Schnecken die Backen hinunterkrochen, und ich glaube, ich habe ihn bis dahin und seither nie direkter und geschäftsmäßiger erlebt. »Die Yamaguchier wollen einfach die Erfahrung Bei-Gott-zu-sein, die Gelegenheit, dies in ihren genetischen Kode zu übertragen. Aus diesem Grund verlangen sie, daß für jedes Geschlecht ein Vertreter…« »Ja. Damit sie dann zu siebzehnt auf meinem schönen, ordentlichen Schiff herumwimmeln können.« Ich setzte mich wieder. »Ich will dir etwas sagen, Cuthbert. Ich bin heute morgen in großzügiger Stimmung: Befördere mich nochmal um zwei Stufen – damit ich im Rang höher stehe als du –, laß sie einen einzigen Vertreter auswählen, und ich bringe ihn/sie/es an jeden Ort und in jede
Zeit, die du willst. Das Bei-Gott-sein wird sich mit der Zeit schon seinen Weg in ihr Rassengedächtnis bahnen. Es wird nur länger dauern, das ist alles. Und der glückliche Gewinner hat viel mehr Spaß, wenn er dafür sorgen kann, daß es richtig gemacht wird.« Cuthbert schien merklich heiterer zu werden. »Könnten wir über sechs reden, Bernie? Anderenfalls wäre die Zahl der Generationen, die einschließlich Spaltungen und Keimvermehrung notwendig wäre, um die Fakten gleichmäßig unter…« Ich ließ ihn noch eine Zeitlang weiter über Genotypen, Phänotypen, Allele und ›replikative Verifikationsdichten‹ schwafeln. Sie wissen schon, dreckiges Gerede. Wer weiß, vielleicht wandelte sich das alles noch zu meinem Vorteil, wenn man es richtig anpackte. »Seit wann verstehst du denn soviel von Freenie-Genetik, Cuthbert? Ich hätte gewettet, daß du deine zweite Prüfung im Hosenbodenpolieren abgelegt hast.« Mit einem verlegenen Grinsen öffnete er eine Schreibtischschublade und warf mir eine kleine Flasche zu. Gekräuseltes Metallband um den Hals, Plastikstöpsel mit Lochmarkierung in der Mitte. Ich fuhr mit dem Daumen über den Infopunkt auf dem Etikett: ›Genetik und Informationstheorie/Yamaguchi 523: Eine Fallstudie von Robert H. Anson, Dr. phil. Copyright 2285, Random LaRoche Pharmcoverlag, Lagrange II, Erde. In allen Provinzen und Gebieten des Solaren Dominiums geschützt; Reproduktion mit jeglichem Organismus oder Gerät ohne ausdrückliche Genehmigung streng…‹ RNS-Extrakte – unser künstliches Rassengedächtnis. Ich selbst rühre das Zeug so gut wie nie an. Schließlich bestand ich doch nicht auf diesen drei Beförderungen. Was hat man davon, wenn man über jemandem wie Cuthbert steht? Statt dessen ließ ich mich auf drei Freenies hinaufhandeln, im Austausch für einen ganz besonderen RNS-Extrakt von einem gewissen Don Juan de Tenorio aus dem Sevilla des 17. Jahrhunderts, den einer unserer gewissenhafteren, weiblichen Busfahrer
heimlich beschafft hatte. Ich wickelte eine frische Zigarre aus und wollte das Deckblatt schon in den Müllschlucker auf dem Schreibtisch des Colonels werfen, dann zögerte ich. »Cuthbert, du weißt, daß ich es seit der Rettungsaktion vermieden habe, mit den Freenies zu vertraut zu werden, aber plötzlich ist mir ein beunruhigender Gedanke gekommen…« Ich verschnürte das Deckblatt mit einem einzelnen Überhandknoten, hielt es über meinen Kopf und ließ es fallen. Es schwebte in einer anmutigen Drehbewegung auf den Boden zu. »Was wäre, wenn die Freenies, sobald sie mich einmal wirklich kennenlernen, zu der Ansicht kommen, mit einem Gott wie mir wollten sie nichts zu tun haben? Ich meine, in der Geschichte werden Gottheiten immer ziemlich gewaltsam gestürzt.« Die Hausmaus erspähte das Deckblatt und stürzte unter der Fußbodenleiste hervor – ich fing es in der Luft auf, dreißig Zentimeter, ehe es den Teppich berührte –, das kleine Ding rannte verwirrt im Kreis herum und gab Geräusche von sich wie ein aus dem Rhythmus geratener Fernschreiber, biß aus purer Frustration in mein Stuhlbein und verschwand wieder in der Wand. Wahrscheinlich würde sie das nie verwinden. Ganz plötzlich wirkte Cuthbert viel zu befriedigt, und wie ich glaubte, nicht etwa deshalb, weil er aus unseren Verhandlungen als Sieger hervorgegangen wäre. Er legte seine fetten Finger auf dem Schreibtisch zusammen. »Nun, Großvater, ganz im Vertrauen, ich glaube, die Leute neigen stark dazu, alle Fakten zu übersehen, die ihren Glauben auf die Probe stellen. Natürlich könnte dein Fall die Entscheidung bringen. Ich…« »Ja«, unterbrach ich ihn, ehe er zum beleidigenden Teil übergehen konnte, »und die Freenies sind tatsächlich ›Leute‹. Ich habe sie ja dazu gemacht!«
Mir schien, als sei überhaupt keine Zeit vergangen, und nun lag ich in den liebenden Armen meiner rothaarigen Freundin drüben im Mare Fecunditatus. Buchstäblich keine Zeit, denn aus irgendeinem Grund konnte ich mich nicht daran erinnern, daß ich dazwischen Cuthberts Büro endlich verlassen oder sonst etwas getan hatte. Aber war das wirklich wichtig? Irgendwie befanden wir uns in unserem sonnenbeschienenen Privatwäldchen am Rande endloser Wiesen, ein leichter, frischer Wind bewegte das kniehohe Gras rings um uns. Wir standen unter einer weitausladenden, uralten Eiche, meine Geliebte und ich, ein Singvogel tirilierte in den dichtbelaubten Zweigen über uns. Sie lehnte sich gegen die altersrauhe Rinde, ihre warmen, glatten Hände lagen in den meinen: ich blickte ihr tief in die unergründlichen, azurblauen Augen. Der sanfte Wind streichelte ihr blaßblondes Haar. Sie lächelte schüchtern und blickte nach unten, wie durch Zauberei erschienen Grübchen in ihren Seidenwangen, die Wimpern lagen lang und dunkel auf ihrer milchweißen Haut. Mein Herz fing an zu hämmern, und ich bildete mir ein, ich könnte das ihre genauso wild in dem atemberaubenden Ausschnitt ihrer wunderschönen, dünnen Sommerbluse schlagen sehen. Ihre Brüste waren einladend gerundet. Ich beugte mich hinunter und wollte sie berühren, aber sie grinste und fummelte auf eine unschuldige, aber durchaus wissende Weise an den Verschlüssen meiner Hose herum. Meine begierige Männlichkeit schnellte geradezu her… »JETZT REICHT ES ABER, GRUENBLUM!« Ich keuchte, als hätte man mich aus dem Bett in eiskaltes Wasser geworfen. Meine sonnenbeschienene Privatschneise hatte sich in Georgies Kontrolldeck zurückverwandelt, und über mich gebeugt stand, als ich allmählich wieder scharf sehen konnte, Dr. Edna Janof, die TraumKappe, die sie mir so heftig vom Kopf gerissen hatte – meine Ohren würden noch eine Woche lang wund sein – mit zornbebenden Fingern umklammert. Das paßte gut zu dem irren Ausdruck in ihren Augen. Sie schleuderte mir die TraumKappe zu – das oben befestigte Kabel verhinderte, daß sie traf – drehte sich auf dem Absatz um und stapfte aus der Kabine.
Ungefähr zu dieser Zeit entdeckte ich, daß ich mich nicht bewegen konnte. Dafür gab es einen guten Grund. Ich war mit Stricken auf meine Pilotenliege gefesselt worden, die aussahen wie die Zierschnüre eines Samuraischwerts. Links am Haaransatz lief mir ein warmes, klebriges Rinnsal herunter, das offenbar von dem bowlingkugelgroßen Schmerzknoten ausging, wo mich vor kurzer Zeit etwas ziemlich Hartes an der Schläfe getroffen hatte. Wetten, daß ich die Farbe des Rinnsals erraten konnte? Und wahrscheinlich starrte ich genau in diesem Augenblick auf den bewußten ›ziemlich harten Gegenstand‹: eine Röntgenlaserpistole aus dem Solaren Dominium, ausgegeben von der Marine. Die Finger von Dr. Ab Cromney klammerten sich fest um den Griff und richteten die grimmig bedrohliche Mündung auf meine mißhandelte Stirn.
3. Kapitel Inka Dinka Du… Mir taten die Ohren weh. Aus einem Augenwinkel konnte ich das große Doppelzifferblatt meiner Akademieuhr erkennen: + 15.9277 + 22.8539 05 OKT. 23 MAI 1708:15.9 0802:13.1 Aber das war mir egal. Ich wollte nirgends hin. »Sie müssen unserer kleinen Edna verzeihen«, äußerte Dr. Cromney mit unangebrachter Herzlichkeit und blickte voll Abscheu auf das Schott, durch das sie schnell und verärgert verschwunden war. »Sie hat eine Menge eigentümlich… ah… empfindlicher Punkte, und das« – die schwere Pistole schwankte, als er mit ihr auf die immer noch schwingende TraumKappe deutete – »ist anscheinend einer davon.« Das wäre eine prima Gelegenheit gewesen, mich auf ihn zu stürzen. Ich konnte den scharfkantigen Umriß meiner .45 noch unter dem Overall spüren. Aber in den Stereodramen werden die Helden anscheinend bei weitem nicht so fest gebunden, wie ich es jetzt war. Ich hatte ziemliches Glück, vermutete ich, wenn in meinen Händen und Füßen überhaupt noch etwas Gefühl war. »Verstanden, Doc«, antwortete ich statt dessen und schenkte ihm mein schönstes Zwinkern von Mann zu Mann. »Die geheime Angst, irgendwo könnte irgend jemand glücklich sein. Und WAS HABEN SIE IM NAMEN HIRNSCHLAG VON OCHSKAHRTS AUF MEINEM KONTROLLDECK ZU SUCHEN?« Genau diese Worte von mir suchte sich Heplar für seinen Auftritt aus, er nickte Cromney mit einer Vertraulichkeit zu, durch die
mir manches klarer wurde, quetschte sich auf den linken Pilotensitz und fing an, Georgies Programmierung zu löschen. All die Kursplanungen, die ich mühsam eingegeben hatte, verschwanden mit einem Wischer der Löschköpfe. Es hätte mir wirklich den größten Spaß gemacht, diesem meuterischen Stinktier eine Kugel in den Leib zu jagen. Cromney lächelte nachsichtig. »Für einen Burschen, der so gebildet ist, daß er Mencken zitieren kann, besitzen Sie bemerkenswert wenig Selbstbeherrschung, Captain.« Jetzt schwenkte er seine Waffe zum Pilotensitz hin. »Ihr Assistent hier…« »Mein früherer Assistent!« brüllte ich und ging damit von der lebenslangen Gewohnheit ab, meine Gefühle von meiner Arbeit zu trennen. »Der Kriecher ist entlassen – und steht unter Arrest!« Heplar blickte von seiner Fleißarbeit auf. Zum erstenmal, seit ich das Unglück gehabt hatte, einen Blick auf ihn zu werfen, grinste er. Ich verstand, warum er es nicht zu einer regelmäßigen Gewohnheit werden ließ: erinnerte mich an Quasimodos kleine Kameraden, die an der Kathedrale von Notre Dame von den Dachrinnen hängen. »Wie Sie meinen, Captain«, fuhr Cromney ungerührt fort. »Jedenfalls sind Sie mit beachtenswerter Zähigkeit früher wieder zu Bewußtsein gekommen, als es unseren Zwecken dienlich war. Der junge Heplar hier machte den ganz untypisch scharfsinnigen Vorschlag, die TraumKappe könnte Sie so lange beschäftigen, bis wir uns Ihnen widmen konnten. Jedoch ergaben sich deutliche Anzeichen…« – er deutete mit dem Marinelaser auf die Stelle zwischen den Beinen meiner Uniform (ich wurde auf der Stelle zehn Jahre älter) – »jedenfalls in Ednas zugegebenermaßen etwas engstirniger Sicht, daß Sie sich dabei etwas zu gut amüsierten.« Er steckte die Pistole unter den Arm, griff nach oben, ließ die TraumKassette herausschnappen, blickte aufs Etikett und verdrehte schwärmerisch die Augen. »Oh, Captain, kein Wunder! Sie ist ein kleiner Spielverderber, wenn es um… na ja, vermutlich hatte Dr. Kent das Unglück zu entdecken, daß es niemals eine Frau gegeben hat, die mehr echtes Gefühl besaß als ein gewöhnlicher Ba-
deschwamm. Er…« »Mir blutet das Herz wegen dieses Knilchs!« Ich wand mich und beobachtete, wie meine Finger purpurrot wurden, als mir die Schnüre in die Handgelenke schnitten. »Cromney, ich bin hier ganz schön festgenagelt. Warum nehmen Sie diese überdimensionierte Taschenlampe nicht weg und sagen mir, was hier verdammt nochmal los ist?!« Cromneys Griff um den Marinepuster lockerte sich nicht. Ich verrenkte mir den Hals, um zu sehen, was Heplar vorhatte. Er war damit fertig, meine Knöpfe rauszudrücken und hatte begonnen, aufs Geratewohl selbst mit einigen zu improvisieren, dabei ließ er einen Laut hören, der der Geist eines Glucksens hätte sein können. Cromney spielte Echo. »Wie bemitleidenswert banal. Dies ist wohl der Punkt, an dem man von mir als dem Anführer der Verschwörer erwartet, ›alles zu erzählen‹, damit Sie, vermutlich der Protagonist, dann drangehen können, unser heimtückisches Komplott zu vereiteln und die Welt zu retten.« Er schüttelte in gespieltem Bedauern den Kopf. »Ich bin geneigt, Ihnen eine derartige Aufklärung zu verweigern, Captain; es wäre mir eine große Freude, das zu tun. Und ich versichere Ihnen, Sie werden Ihrerseits keine Gelegenheit zu irgendwelchen Heldentaten bekommen. Es ist jedoch notwendig, daß ich Ihnen unsere Absichten kurz andeute, um mich Ihrer Mitarbeit zu versichern – freiwillig oder – wie es vermutlich der Fall sein wird – auf andere Weise.« Er hielt einige Pulsschläge lang inne, als warte er auf eine sarkastische Erwiderung. Aber – kennen Sie noch den Unterschied zwischen einem Sadisten und einem Masochisten? – ich gab ihm keine. Mir fielen mehrere ein, keine war es wert, sich von einem Verrückten auf Egotrip dafür zerstrahlen zu lassen. Ich spürte, wie sich in der Höhlung meines Schlüsselbeins ein warmer, klebriger Teich sammelte – hoffentlich erreichte die Feuchtigkeit nicht meinen Colt. Nichts ist so geeignet wie Blut, um Stahl zu zerfressen. Cromney war gezwungen, selbst ungeschickt wieder das Wort zu
ergreifen. »Nun gut denn, Captain. Wir setzen uns in den Besitz Ihres Fahrzeugs, mit der Absicht, eine Umgebung aufzusuchen, wo sein eindrucksvolles und einschüchterndes Aussehen uns gute Dienste leisten dürfte: im Cuzco des elften Jahrhunderts, fünfhundert Jahre vor der Ankunft der Spanier in diesem in der Folgezeit so unglücklichen Land.« Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Konsole und grinste selbstgefällig. Ich konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. »Nicht schon wieder! Bring den Inkas bei, mit Pizarro aufzuräumen und schaffe dann eine großartige indianische Zivilisation. Sagen Sie, Doc, warum nicht die Kariben? Warum nicht die Azteken? Das waren freundliche, friedliebende Leute, ganz nach Ihrem Herzen – mit einem Zeremoniendolch aus Obsidian!« Wieder schwenkte er den Laser, so unvorsichtig, daß sich mein Magen in einem Schifferknoten um meine Speiseröhre wickelte. »Nein, nein, mein lieber Junge, so naiv sind wir nicht. Es könnte jede alte Kultur sein, verstehen Sie nicht? Jede Ansammlung von Wilden in der erforderlichen Zahl und mit den erforderlichen Ressourcen.« Ich stöhnte wieder, diesmal war es Schau. »Die alte ConnecticutYankee-Nummer? Hat man Ihnen nicht erzählt, daß die Akademie jedes Jahr an hundert Möchtegern Sir Bosses, Jason dinAlts und Lord Kalvans Gehirnoperationen durchführen läßt, die alle die gleiche, halb ausgegorene Idee haben? Mann, soviel ich weiß war sie schon vor der Erfindung der Zeitreise unwiderstehlich.« Cromney hatte das gleiche Problem wie Colonel Cuthbert: In der Kontrollkabine war nicht genügend Platz zum Auf- und Abgehen, und das schien ihm allmählich den letzten Nerv zu rauben. »Aber Sie haben nur den unwichtigsten Teil begriffen, Captain!« Er zappelte herum. War da in seinen Augen ein fanatisches Glitzern oder lag es nur an der Beleuchtung? »Ich glaube schon, daß ich begreife, Doc: Mit Georgie hier werden Sie und Ihre Freunde im präkolumbianischen Peru Götter sein. Macht, Geld, Frauen…« Ich dachte an die armen, vertrauensseli-
gen Inkas, wie sie einen Raum bis an die Dachsparren mit Gold füllten, als Lösegeld für Atahualpa. »Sie hätten mich fragen sollen, wie es ist, ein Gott zu sein – es macht überhaupt keinen Spaß. Warum könnt ihr Spinner euch nie was Originelleres einfallen lassen?« »Sie halten den Mund und tun, was man von Ihnen verlangt!« Vermutlich hatte ich ihn damit irgendwie getroffen. Seine Finger schlossen sich weiß um den Pistolengriff, auf seiner Stirn traten die Adern hervor, und das große, glasige Auge des Lasers rückte meinem mißhandelten Gesicht dreißig Zentimeter näher. Nicht gerade ein Reingewinn für Bernie, also hielt ich den Mund. Cromney gab sich sichtlich Mühe, die Beherrschung wiederzufinden: »Ich werde nicht den Versuch machen, mich Ihnen gegenüber zu rechtfertigen, Gruenblum, und ich werde mich auch nicht weiter von Ihnen reizen lassen. Sie sind ein Lakai der bestehenden Mächte, und was wir anstreben, erfordert keinerlei Rechtfertigung. Lassen wir es damit genug sein, daß ich und die anderen die NichtIdeologische Neu-Verteilungs-Gesellschaft vertreten, die…« »Die NINV? Diesen Haufen von pseudolinken Chaoten? Jetzt verstehe ich dieses marxo-friedmanistische Getue von Kent. Er wollte nur auf den Busch klopfen, um zu sehen, ob ich mitmache!« Cromney lächelte nachsichtig, obwohl er um den Mund herum immer noch ein wenig blaß war. »Die richtige Bezeichnung ist NVG, Captain. Und Sie haben recht: hätten Sie gegenüber Professor Kent nicht nur Ihren ewigen Sarkasmus zur Schau gestellt, den Sie für alles in diesem Universum parat haben, dann hätte die Sache für Sie sehr wohl anders ausgehen können.« Die Neugier siegte über die Vorsicht. »Warum lassen Sie mich dann überhaupt am Leben? Warum knallen Sie mich nicht einfach ab, räumen mich aus dem Weg?« Wenn ich meine rechte Hand noch ein bißchen mehr frei bekam, konnte ich vielleicht meine .45 erreichen – FALLS meine Finger mitmachten.
»Ehe Sie darauf antworten, Doc, könnten Sie mir nicht was zu rauchen geben? Ich verspreche, ganz artig zu sein, und Sie dürfen mir auch den NINVismus noch einmal erklären. Denny Kent drückt sich nicht allzu deutlich aus. Wer weiß, vielleicht finde ich noch den Weg zum Licht – also, wie war das noch? Etwas mit These, Antithese und Prothese…?« Cromney vollführte einen Tanz mit seinen Augenbrauen. »Sehr raffiniert, Captain, aber es nützt Ihnen nichts. Wir werden Sie auf unsere Weise beseitigen, nachdem Sie Ihren Zweck erfüllt haben. Und ich werde Ihre Fesseln auch nicht im geringsten lockern. Die waffenlosen Kampftechniken, die Ihre reaktionären Herren lehren, sind mir zu meinem Leidwesen nur zu gut bekannt.« Er nahm vor der Konsole eine Stellung ein, die er für angemessen professoral gehalten haben muß. Vielleicht hatte er auch Angst, ich könnte ihm mit dem Ohrläppchen einen Karatehieb verpassen und wollte sich außer Reichweite bringen. »Schließlich, Captain, hat die NVG direkt nichts mit Marx oder irgendeinem der alten Ideologen zu tun. Sehen Sie, die klassischen Befürworter der Wirtschaftsdemokratie verfaßten alle ihre Schriften erst nach der ersten industriellen Revolution. Inzwischen war es natürlich für die leidende Menschheit viel zu spät. Die neue Klasse von Ausbeutern war etabliert, die Massen sinnlos begeistert vom Konsum, und eine moralische Revolution, die der lediglich mechanischen gleichgekommen wäre, fand nicht statt. Wir werden diesen Fehler in der Zeitwahl korrigieren, in eine frühere Ära zurückkehren, bewaffnet mit rationaler, kollektiver Ökonometrie. Erst wenn die Menschheit richtig vorbereitet ist, werden wir Fortschritte in der Technologie zulassen, und auch dann nur unter den strengsten, humansten…« Es war das Übliche. In der Zeit zurückgehen, mit einem Haufen Feuerwerk und komplizierter Technik Eindruck auf die Eingeborenen machen, ein paar Vorschriften erlassen. Dann ein paar Jahrzehnte nach vorne springen, um zu sehen, was daraus geworden
war. Wieder den großen Herrn spielen und ein oder zwei Generationen weiterspringen, immer und immer wieder, bis man seine persönliche Vorstellung von Utopia verwirklicht hat und als Philosophenkönig und ortsansässige lebende Legende Wurzeln schlagen kann. Ungefähr dasselbe, was ich unabsichtlich mit den Freenies gemacht habe. Eines mußte ich Cromney und seiner Mannschaft jedoch lassen. Meines Wissens war noch nie zuvor jemand so weit gekommen. Gewöhnlich gelangten die wirklichen Irren niemals auch nur bis zum Mond oder wenigstens bis zur Akademie. Durch Psychoexamina wurden potentielle Problempassagiere lange vor der Genehmigung eines Auftrags ausgesiebt. Und gewöhnlich schlief auch der Pilot nicht im Dienst ein – vielleicht hatte unsere kleine Edna in bezug auf die TraumKappe doch nicht so unrecht gehabt. Andererseits hat die Akademie eine Menge Geheimnisse, die sie nicht mit Busfahrern teilt. Zeitschiffe wie Georgie sollen, wie man gerüchteweise hört, schon öfter verschwunden sein. Nicht viele (glaube ich), aber genug, um sich zu fragen wie real die Geschichte denn nun tatsächlich noch ist. Ich hatte näherliegende Probleme: Cromney, Kent, die Janof, sogar Heplar – waren alle hier Meuterer? Was wollten sie von mir? Was hatten sie hinterher mit mir vor? Hinter uns in der Tür bewegte sich etwas. Denny Kent war gekommen, von wo immer er sich aufgehalten hatte. Weder er noch Heplar waren, wie ich einigermaßen belustigt feststellte, bewaffnet. Soviel zum Thema Demokratie. Ich wandte mein rotes, aufgerauhtes Spülschüsselohr wieder Cromney zu. »Natürlich wird es anfangs notwendig sein, so aufzutreten, daß unsere Glaubwürdigkeit wirkungsvoll gesteigert wird. In primitiven Kulturen muß man zu diesem Zweck Stärke und Reichtum demonstrieren. Aber nur, um schließlich unser wohltätiges Ziel, eine wirklich auf Gleichheit beruhende Gesellschaftsordnung, zu erreichen, in der ein solches Auftreten unnötig ist.« Er warf Kent einen
Blick zu und unterdrückte ein Schaudern, das er irgendwie in ein breites, männliches Zwinkern verwandelte. »Ja, Captain«, sagte er – mehr an den Professor gerichtet als an mich –, »und trotz der zynischen Ausdrucksweise, der Sie sich befleißigten, werden wir viele Frauen benötigen. Eine unvermeidliche Notwendigkeit bei der Demonstration von Macht und Reichtum.« Aha! Er kam jetzt näher und ließ die Mündung des Lasers ein wenig sinken. »Außerdem gebe ich offen zu, daß die Frauen in der Geschichte unterdrückt wurden. Die Männer sind aufgrund ihrer überlegenen Empfindungsfähigkeit emotionell verwundbarer. Bei jedem Kampf des Willens wird immer der skrupellosere, destruktivere Teil triumphieren. Und Frauen, mein Herr, kennen in bezug auf Skrupellosigkeit keine Grenzen. Wie jedes gefährliche Tier müssen sie unter Kontrolle gehalten werden, zu ihrem eigenen Besten wie zum Besten aller anderen.« Bei solchem Gerede fühlte ich mich ein wenig unbehaglich. Ich wollte nicht das ganze Geschlecht abschreiben, aber wenn ich zurückdachte, konnte ich mich nicht erinnern, jemals eine Frau kennengelernt zu haben, die alle Tassen im Schrank hatte. Ich hatte selbst oft lamentiert – gewöhnlich beim siebten oder achten Bier – wie schade es doch sei, daß sie nicht alle vernünftig und rational sein konnten. Etwa so wie meine Georgie. Er richtete sich wieder auf. »Auch haben wir, das ist der praktische Aspekt, nur eine Frau…« »Und nach dem zu urteilen, was Sie mir erzählen, ist sie für niemanden ein besonderer Gewinn, am wenigsten für den armen, alten Kent hier, nicht wahr?« Ein wildes Fauchen ertönte. Ehe ich die Schultern heben und den Kopf wenden konnte, waren Cromney und Heplar schon aufgesprungen und bauten sich vor Kent auf, um ihn daran zu hindern, mir etwas anzutun. Meine Harpune hatte getroffen. Sie tanzten eine Zeitlang herum und beruhigten den Professor, aber ich hatte andere Sorgen: meine Fingernägel hatten inzwischen ange-
fangen, schwarz zu werden. Mit der Frage, wie alle diese Wahnsinnigen es geschafft hatten, miteinander auf einen Auftrag geschickt zu werden, konnte ich einen weiteren Punkt auf meiner Sorgenliste abhaken: Ich hatte die Freenies nicht mehr gesehen, seitdem diese scheußliche Situation eingetreten war. Wahrscheinlich waren sie der Grund, warum man bei der Akademie hastig und unvorsichtig vorgegangen war, als man diese Expedition zusammengestellt hatte. Ich hatte nicht nach ihnen fragen wollen, weil ich die schwache Hoffnung hegte, die Entführer könnten sie irgendwie übersehen haben. Wie fesselt man überhaupt einen Freenie? Plötzlich war es wieder still. Cromney – und seine Pistole – kamen wieder zu mir, sein Gesicht war aschgrau, seine Hände zitterten vor Wut. Da ich nicht viel zu verlieren hatte, wollte ich es riskieren, ihn noch weiter zu reizen. »Ich habe eine Frage an Sie, Doc. Was wird Ihrer Meinung nach wohl die Akademie tun, während Sie in ihrer Vergangenheit herumpfuschen – auf den Händen sitzen? Lassen Sie sich eines gesagt sein, sobald die erste Jungfrau verschwindet oder das erste Götzenbild gestohlen wird, laufen im Kontinuum Kräuselwellen auf und ab, und Sie haben so schnell eine Flotte von Planetenzertrümmerern auf dem Hals, daß…« Bestürzenderweise warf Cromney seinen buschigen Kopf zurück und fing an zu kreischen, hinter ihm versuchten sich seine niedrigen Chargen in nervösem Gegluckse. »Beim Himmel, Captain, ich freue mich seit Tagen darauf, Ihnen das zu erzählen! Das ist genau der Punkt, wo Sie ins Bild kommen. Wissen Sie, wir gehen nicht direkt nach Cuzco zurück. Statt dessen verbringen wir eine kleine Weile damit, den Atlantischen Ozean des fünfzehnten Jahrhunderts zu durchstreifen und alle europäischen Forschungsschiffe zu zerstören, die innerhalb von tausend Kilometern vor der Neuen Welt segeln. Lassen Sie ein paar Jahrzehnte lang Schiffe verschwinden, und man wird wieder glauben, daß die Welt eine Scheibe ist!«
Er drehte sich um und nahm bewundernde Blicke von seinen Kulis entgegen. »Diese Suche und die Zerstörung werden Sie leiten, Captain, da ich ja in der Auswahl meiner Hilfskräfte stark eingeschränkt war« – er richtete einen zornigen Blick auf meinen früheren Assistenten – »und der junge Heplar hier gesteht, daß seine Fähigkeiten dem vielleicht nicht gewachsen sind. Jedenfalls werden wir erst dann nach Peru reisen – und inzwischen wird es keine Akademie mehr geben, die uns verfolgen könnte!« Ja, das könnte tatsächlich funktionieren. Columbus auf seiner ersten Reise versenken, und John Cabot hinterherschicken. Damit hat man alles, was an Geschichte noch folgt, mit ein paar sauberen Strichen ausgelöscht, und das bedeutet, keine einleitenden Kräuselwellen als Warnung für die Akademie im ersten Stock. Die Alarmglocken an jenem tollen Realitätsschloß konnten ewig schrillen – es würde niemand mehr da sein, der sie hören konnte. Vielleicht waren wir wirklich dem Verderben geweiht. Wie aufs Stichwort ertönte unter Deck ein Schrei, der einem das Blut gerinnen ließ. Heplar zog den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern als gewöhnlich. Kent blinzelte und wurde so weiß wie ein gekochter Kuhmagen. Der Schrei war nicht von einer Frau gekommen. Cromney erholte sich als erster. »Als Antwort auf die Frage, die Sie sich zweifellos die ganze Zeit stellen, Captain, es gibt tatsächlich zwei Individuen an Bord, die an unserem… Unternehmen nicht beteiligt sind. Die beiden alten Narren aus dem Museum.« »Sie haben ihre… äh… Chance bekommen, Sir«, unterbrach Kent. »Ich habe sie… nun ja, praktisch angebettelt, sie sollten…« »Das genügt, Denny. Ich glaube, wir haben gerade einen der alten Herren gehört, wie er auf die zärtlichen Bemühungen unserer kleinen Edna reagierte. Sie wendet zweifellos die Mittel an, die Sie bei Ihnen zum Einsatz bringen möchte, Captain, um Sie zu überreden, falls Sie weiterhin die Mitarbeit verweigern wollen.«
Noch ein Schrei. Er riß ab wie das Lächeln eines Politikers, wenn die Wahllokale schließen. Ich bemühte mich, nicht sichtbar zu schlucken. »Oh, ich bin ganz leicht zu überreden, Doc. Versuchen Sie es nur!« Hinter ihm nickte Kent mit blöder Begeisterung. Wirklich ein Klasseensemble, mit dem ich es hier zu tun hatte. Cromney lächelte traurig. »Ich habe da so meine Zweifel, Captain. Sei es, wie es wolle, der junge Heplar wird das Schiff bis 1492 zurückprogrammieren. Sie wird man nur bitten, seine Berechnungen nachzuprüfen und zu bestätigen – oder zu korrigieren. Es besteht entfernt die Möglichkeit, falls Sie sich der hier herrschenden Gesinnung wirklich anschließen sollten, daß wir in unserer Neuen Weltordnung noch ein Plätzchen für Sie finden. Wenn ich allerdings ganz ehrlich sein soll…« Er richtete sich auf und machte einen entschlossenen Atemzug. »Egal. Einstweilen werden wir Sie der Obhut unserer kleinen Edna überlassen, um Ihnen Gelegenheit zum Nachdenken zu geben. Meine Herren?« Die albernsten Schlägertypen, die ich je gesehen hatte; ein paar Weltfremde, denen sogar Mr. Peepers hätte Sand ins Gesicht werfen können. Aber ich war an diesem Nachmittag nicht so richtig in Form, und sie verschnürten mich noch ein wenig mehr, lösten mich mit Seitenschneidern von meinem Stuhl, hoben mich als Ganzes auf und karrten mich aus dem Kontrollraum. Ich stieß mir mein immer noch empfindliches Ohr am Türrahmen. Auf der anderen Seite des hinteren Kontrollraums, an der Öffnung des rückwärtigen Leiterschachts warfen sie mich einfach in den Messeraum hinunter. Ich landete auf meiner rechten Seite in einem einen Zentimeter tiefen, das ganze Zimmer bedeckenden Blutsee, Edna Janof beugte sich mit einer glitzernden, winzigen Nagelschere in der scharlachroten Hand über mich.
4. Kapitel Harrys zweiter Schuh Ednas schöne, veilchenblaue Augen standen in häßlichem Kontrast zu der roten Brühe, die ihr die erhobenen Unterarme herunterlief. Von den Ellenbogen tropfte das Blut auf meine Uniform herunter. Edna schloß und öffnete die Schere mechanisch und beugte sich über mich, an den Mundwinkeln erschien ein bißchen schaumiger Speichel. Ich konnte nichts anderes tun, als ein wachsames Auge auf sie zu haben. Etwas hatte ihr scharlachrote Sommersprossen über das ganze Gesicht gespritzt. Ein solches ›Etwas‹ lag zusammengesunken an einer Wand, seine grausam verbogenen Arme standen in unnatürlichem Winkel ab. Ein nackter Fuß streckte sich nach oben über einen leichten Plastikstuhl und wurde von einem Draht festgehalten. War es Merwin oder Hulbert? Wer auch immer, Fußnägel hatte er anscheinend keine mehr. Und auch keine Augen. Zwischen diesen beiden Endpunkten hatte sie noch eine ganze Menge mehr zuwegegebracht. Wahrscheinlich war dadurch das Geschrei ausgelöst worden. Mein Overall war auf der Seite, auf der ich lag, bis auf die Haut durchnäßt, und irgend etwas tropfte mir auf die Stirn. Ohne es zu wollen blickte ich nach oben; ein Arm, der in der gefolterten Karikatur einer Hand endete, hing schlaff vom Rand des Eßtisches herunter, unter den ich zur Hälfte gerutscht war. Ich ertappte mich bei der Überlegung, ob da wohl noch jemand dranhing. Komisch, auf welche Gedanken man kommt. Man würde Georgie völlig überholen müssen, um sie nach dieser Geschichte wieder sauber zu bekommen. Falls es überhaupt ein Nachher gab.
Ein weiteres scharlachrotes Tröpfchen vom Tisch über mir traf mich direkt ins Auge. Und das gab den Ausschlag. Na gut, Captain Bernie M-fürMastschädel Gruenblum, vielleicht wirft es dich um, aber bei Ochskahrts fürchterlichem Unfall, mit dir geht noch ein ganzer Haufen Bastarde in die Horizontale! Ich zog langsam die Knie bis zum Kinn hoch und täuschte äußerstes Entsetzen vor, wobei ich mir ziemlich Mühe geben mußte, um es nicht wirklich zu empfinden. Edna neigte sich dichter über mich; die Schere knabberte vor meinen Augen die Luft an. Ihre eigenen waren wirbelnde Teiche des Wahnsinns. Ich stieß ein schwaches Wimmern aus. Sie lachte. Ich habe gehört, man könne jemandem mit einem energischen, gut gezielten Schlag das Nasenbein ins Gehirn treiben. Da ich mir dessen nicht sicher war, zielte ich mit den Absätzen meiner Schuhgröße 44 direkt auf die Spitze ihres niedlichen kleinen Kinns, mit der Absicht, ihr den Hals zu brechen. Und dann trat ich zu! Ich erwischte sie im Sprung. Sie rutschte auf dem blutdurchtränkten Teppich aus, mein knochenbrechender Schlag erwischte sie an der Schulter, und sie knallte hart vornüber. Ich blieb liegen, da die Absätze mein einziger Vorteil waren, und wartete auf die zweite Runde. Sie kam nie. Ein sonderbares, dumpfes Schlurfen war zu hören, unterdrückter, weiblicher Protest. Ich stützte mich taumelnd auf einen Ellbogen, wobei die Schnüre schmerzhaft tiefer in mein Fleisch schnitten, und… Es war der yamaguchianische Gesandte – oder einer seiner Landsleute – der fest auf Ednas hübscher, kleiner Visage klebte. Sie wehrte sich schwach, versuchte ihn wegzureißen, aber der Freenie saugte sich fest wie eine Muschel. Ich spürte an meinen
Handgelenken etwas krabbeln und blickte gerade noch rechtzeitig nach unten, um zu sehen, wie ein zweiter Außerirdischer ein gefährlich aussehendes, hummerscherenähnliches Anhängsel unter seinen Panzer zurückzog. Meine Hände waren frei! Ich bewegte meine steifen Finger wie eine Melkerin, die Arpeggios übt. Die Schnur war sauber durchgeschnitten, das Ende jedes einzelnen Drahts sah aus wie ein winziger Spiegel. Und meine außerirdischen Miniaturanbeter ließen mich auch nicht allzusehr im Zweifel darüber, was sie jetzt von ihrem Gott erwarteten. Es war Zeit für Blitz und Donnerschlag: Freenie Nummer Drei war in meinen Privatspind eingebrochen und kam durch das Blut auf mich zugekrabbelt, mit seinen Fangarmen hielt er meinen alten Milt Sparks Pistolengürtel hoch über seinen Panzer, damit er nicht ganz mit Blut beschmiert wurde. In diesem Gehänge befanden sich vier Reservemagazine mit acht großen, dicken Patronen pro Stück. Ich hoffte, ich würde sie alle brauchen. Freenie Nummer Zwei band mir die Beine los, die taub und praktisch unbrauchbar waren. Inzwischen hatte Edna aufgehört, sich zu wehren und lag still, ein Anblick, der meinem Herzen wohltat. Ich schleppte mich zu ihr hin, half Nummer Eins von ihrem Gesicht herunter und suchte nach einer Schlagader. Mist! Noch bewegte sich etwas – aber nur ganz schwach. Ich überlegte, ob ich Seine Exzellenz zurücksetzen sollte, nahm davon Abstand, fragte mich, warum, und entzog mich schließlich schwierigen, ethischen Fragen, indem ich es an meinen Beinen ausließ. Ich knetete und schlug sie, bis sie sich anfühlten, als sei meine Haut verkohlt, dann holte ich Schwung, um aufzustehen. Mehrere Versuche später lehnte ich unsicher an einem Stuhl und versuchte, mir den Pistolengürtel umzuschnallen. Ich hebelte den Colt aus seinem Schulterhalfter (auch hier zwei Reservemagazine unter der anderen Achselhöhle), drückte mit dem Daumen den Hahn herunter und schob sanft den Verschluß zurück, um das Magazin zu überprüfen – ich weiß nicht, wozu, es ist immer voll
Patronen. Der Verschluß rutschte mit diesem cadillacartigen Gold-CupKlirren wieder nach vorne, aber ich ließ den Hahn unten und blieb mit dem Abzugsfinger auf dem Schutzbügel, dann platschte ich durch den winzigen Messeraum zur Leiter. Langsam, leise nahm ich die Sprossen, immer zwei auf einmal, bis meine Augen auf einer Ebene mit dem Deck darüber waren. Niemand im hinteren Raum. Die restlichen Stufen hinauf und auf den trockenen Teppich, ich hinterließ Spuren, um die mich Jack the Ripper beneidet hätte. Heplar und Kent befanden sich noch auf dem Flugdeck, aber meine eigentliche Besorgnis galt Cromney mit seinem schweren Marinebrenner. Er saß in meinem Stuhl und spielte geistesabwesend mit der TraumKappe herum, ohne sie aufzusetzen. Der Laser war nicht zu sehen. »Meine Herren, mir ist gerade die Idee gekommen, daß wir diese schändliche Apparatur verändern und zur Indoktrinierung von…« Während Cromney weiterschwätzte, drehte sich Heplar um und erblickte voll Entsetzen mich: blutdurchtränkt, Mord im Herzen und eine geladene und entsicherte zweimalvier Automatik aus blauem Stahl in der Hand. So, wie sich seine Augen weiteten, dachte ich schon, er wolle sich häuten. Sein Mund bewegte sich. Ich schoß auf ihn. … und traf Denny Kent, weil der Idiot gerade an der Luke vorbeikam. Er ging zu Boden; in seinen Speck hatte sich eine halbe Unze Blei eingegraben. Ich drehte eine Pirouette. Die Pistole in meiner Hand schmetterte wieder los und füllte beide Räume mit ihrem Gebrüll. Cromney riß die Hand ans Ohr – ich hatte auf seinen Nasenrücken gezielt, aber meine Finger gehorchten mir noch immer nicht –, ließ die TraumKappe los und wollte nach seiner Puste greifen. Mein alter Colt bockte und brüllte ein drittesmal auf, und Cromneys schicke Strahlenwaffe zerbarst in seiner Hand, Metallteile, Fleisch und Knochen spritzten durch die ganze Kabine. Er schrie und zuckte nach rückwärts gegen Heplar, der gegen das
Schaltpult taumelte. Und dann krachte schon der ganze Planet auf mich herab und zermalmte mich zu einer Million schmerzerfüllter Teilchen! … Ich kämpfte mich mühsam ins Bewußtsein zurück, überall hatte ich Schmerzen von Verletzungen aus vier oder fünf verschiedenen Ursprüngen. Meine Hand umklammerte noch immer die .45. Ich schob die Sicherung hinauf, weil ich meinen Nerven nicht traute, tauschte ein volles Magazin ein und trat nach vorne in den Kontrollraum. Georgie war mitten im Flug. Natürlich hatte ich das sofort gemerkt, als ich aufgewacht war. Das Gefühl ist unverkennbar. Und man kann auch das, was man speziell bei einer Reise durch die Zeit empfindet, nicht mit den Gefühlen verwechseln, die sich bei rein räumlicher Bewegung einstellen. Wir taten beides und hatten es verdammt eilig dabei. Der Rest der Mannschaft lag flach, willkürlich über Möbel, Boden und andere Gegenstände verteilt. Kent atmete noch. So ist das bei einer .45, wenn man die ersten dreißig Sekunden nach dem Schuß überlebt, erreicht man wahrscheinlich seine normale Lebenserwartung. Cromney lag bewußtlos da und blutete – aus einem Ohr und zwischen dem, was von seinen Fingern noch übrig war. Er hatte mir den ganzen, gottverdammten Tag verdorben. Ich stieg über meinen früheren Assistenten, trat ihm durch einen unglücklichen Zufall nur auf ein oder zwei Knöchel und sah auf dem Schaltpult nach… Und blickte zu den Schirmen hinauf! Die Zahlen rasten zu schnell vorbei. Durch eine anfängliche Beschleunigung von elf oder zwölf g waren Georgies Überbrückungen ausgelöst worden. Der Schwung, den wir bekommen hatten, war ganz schön heftig. Dieser Schwachkopf von Heplar hatte alle Armierungsdeckel offengelassen, während er an den Einstellungen herumpfuschte – ein Trick von faulen Kadetten – und war dann gegen jeden Startknopf gefallen, den Georgie zu bieten hat.
Aber nicht das machte mir jetzt Sorgen, als ich auf Knöpfe drückte und vergeblich abzubremsen versuchte. Sehen Sie, man reist gleichzeitig durch Zeit und Raum, auf einem komplizierten Vektor, fliegt über Berge, Städte und Flüsse hinweg, während man durch die Geschichte gleitet. Manchmal muß man aufpassen, was man überfliegt. Georgie hat starke Schilde, aber selbst die haben ihre Grenzen. Heplar hatte einen so unglaublich schwachsinnigen Fehler eingeplant, daß man nur einen Flug über den Krakatoa oder Santorin am Ausbruchstag damit hätte vergleichen können. Während ich mich hilflos abmühte, sausten die Anzeiger weiter zum zwanzigsten Jahrhundert, zum 9. August 1945. Die Landkarte zeigte Kiushiu, Westseite. Nagasaki. EIN WEISSES LICHT STRAHLTE AUF.
5. Kapitel Eine grausige Grizzlygeschichte PATSCHSCH! Der elftausendste, ansichtskartenschöne Kiefernzweig schlug mir in die Fresse. Ich war zu ausgelaugt, um mich darüber auch noch besonders zu ärgern und setzte meinen linken Fuß ganz vor mir nieder. Irgendwo über dem mit Nadeln bedeckten Boden sang ein Vogel. Ich wich wieder einem Zweig aus. Die Freenies warteten ungeduldig hundert Meter weiter vorne auf dem Pfad – es hat seine Vorteile, wenn man nur vierzig Zentimeter groß ist. Als ich die Bäume endlich hinter mir hatte, ignorierte ich die unerschrockenen Winzlinge und suchte mir einen netten, sonnenfleckigen, mit Flechten bedeckten Ruheplatz. Sah aus, als wäre es später Vormittag, aber es war schon ganz hell gewesen, als die lästigen, kleinen Biester mich herausrollten, und in diesem Wald wußte ich es nicht genau. Ich wußte gar nichts genau: Wir hatten uns in einer Wildnis verirrt, an einer Stelle, wo eigentlich eine Stadt hätte sein sollen. Frühling in den Rockies. Von langsam schmelzenden Flecken schmutzigen Schnees gespeist gluckerte der von Espen gesäumte Bach fröhlich neben unserem Wildpfad dahin und machte sich über mich lustig. Ich beugte mich hinüber und spuckte rosa aus, weil mich der zehntausendneunhundertrieunundneunzigste mit Zapfen beladene Kiefernzweig auf den Mund getroffen hatte. Ich blickte wieder auf mein Handgelenk, wurde aber nur von einem haarigen, fischbauchweißen Streifen an der Stelle belohnt, wo meine von der Akademie produzierte Nukatron fehlte, dann verbrachte ich einen tröstlichen Augenblick damit, allen außer zweien meiner früheren Passagiere nicht druckfähige Verse in freien Rhythmen zu widmen. Das war jetzt der dritte, elende, gräßliche
Tag – ganz zu schweigen von zwei elenden, gräßlichen Nächten – den ich anscheinend an der prähistorischen, kontinentalen Wasserscheide entlangwanderte. Das Problem war, daß Georgies Anzeigen zitternd bei A. D. 1993 gestanden hatten, als ich ihr widerwillig ein letztes Lebewohl zuflüsterte. Aus meiner mit dem Schlachtbeil vollzogenen Trennung von der Realität hatte ich mich mit den Fingernägeln zurückgeschleppt – allmählich wurde das pervers bei mir –, ich lag bäuchlings auf der Liege des Kopiloten, Pistole in der Hand, Zähne im Mund, Verwirrung in dem, was Geist sein sollte. »Brille, Fortpflanzungsorgane, Brieftasche und…« Anscheinend hatte ich nicht viel mehr Prellungen und Abschürfungen, als ich mir vorher schon eingehandelt hatte. Tolles Kompliment für Georgies defensive Magnetschwerkraft. Die Aussicht auf den Bildschirmen hätte aus ›Heidi‹ stammen können: eine sattelförmige Lücke zwischen den hohen, wie im Bilderbuch schneebedeckten Gipfeln – eine blumenbedeckte Wiese, wie man sie in der Käsewerbung sieht. Wirklich malerisch war es: Es kam 105° 30' westlicher Länge so nahe wie es höchstens einem Weidereiter angenehm sein konnte. 40° 30' in der anderen Richtung. Sagen wir, ein Viertel nach Wyoming irgendwo am Osthang der Rockies. Eine große, senffarbene Fliege summte an den Außenkameras vorbei. Aber Georgie behauptete unglaublicherweise, es sei 1993 – halb nach Teezeit, am ersten April, um genau zu sein. Narrentag, und im Augenblick schien auch ich damit gemeint. Ich kannte diese Zeit besser, als mir lieb war. Hier hätte ein ganzer Bezirk voll Unterabteilungen sein müssen, reihenweise Keksschachtelhäuser, teilweise vandalismussichere Schulen, nicht konfessionsgebundene Kirchen, Einkaufszentren von der Größe Großmesopotamiens und eine Million Quadratkilometer von Stoßstange an Stoßstange vollgestellten Parkplätzen. Aber genauso unheimlich war das, was mich erwartete, als ich
völlig verstört das Innere der Zeitmaschine inspizierte. Cromney, Heplar und Kent waren verschwunden, unter Hinterlassung einiger eindrucksvoller Blutflecken, die langsam ins Reinigungssystem hinein verblaßten. Meine eigene Uniform war trocken und steif von dem Zeug, bis ich anfing, mich zu bewegen, worauf es zerbröckelte und abfiel. Der Auftrag stellte sich als ganz ordentliche Schweinerei heraus. Ich überprüfte die Gold Cup, füllte den leeren Patronenbeutel des Waffengurts aus dem Schultergehänge, nachdem ich meinen Reißverschluß aufgemacht hatte, um mich herauswinden zu können. Das ist sowieso nicht die bequemste Art, so ein Ding mit sich rumzuschleppen – aber bestens als Versteck geeignet. Sah so aus, als würde die große Automatik von jetzt an drei kleine, ovale Ätzmale tragen, wo meine blutigen Fingerspitzen sie berührt hatten, während ich döste. Ehrenwerte Kampfnarben. Wir haben alle ein paar davon. Na gut, ein Geheimnis nach dem anderen. Wenn meine Möchtegern-Entführer schon wieder zu sich gekommen waren, warum hatten sie mich dann bewaffnet und ungefesselt zurückgelassen? Und warum war ich überhaupt noch am Leben? Ich brachte mich in die Vertikale und hinkte zum hinteren Raum, dabei fand ich keinen einzigen Muskel, kein Gelenk und keine größere Stelle an meinem Körper, die nicht ein Stöhnen auslösten, wenn ich sie bewegte. Überraschenderweise war ich hungrig, was wahrscheinlich bedeutete, daß ich weiterleben würde. Ich hob einen geschwollenen Knöchel über die Türschwelle… »Heil, mächtiger Gruenblum, stark und unzerstörbar!« »Grrr!« Meine rechte Hand grapschte krampfhaft nach der Achselhöhle, wo meine Pistole sich nicht mehr befand – eine Bewegung, die auch für schockbedingtes Herzversagen eigentümlich ist. »O Herr«, quiekte er hoch, aber äußerst ehrfürchtig, »der du große Mühsal erträgst, wirst du deine elenden Diener leiten wie in früheren Zeiten?« Alle drei Freenies hatten sich im Hinterraum
versammelt, der ansonsten unbesetzt war. Das plötzlich so gesprächige Individuum unter ihnen schwenkte einen Augenstengel zu seinen Gefährten: »Frohlocket, denn unser Schöpfer ist endlich erwacht!« »O Erhabenheit!« piepste ein zweiter Yamaguchier und rollte nach vorne wie auf Kugellagern. Seine Beine wackelten wie billige Scherzartikel aus Gummi. »Geruhst du zu deinen Gläubigen zu sprechen und uns Deine heiligen Absichten und Pläne zu enthüllen?« »Kommt, Jungs, hört auf mit diesem Charlton Heston-Getue, ja? Mir tut der Kopf weh!« Und das stimmte ganz plötzlich, wodurch ich in einen Zustand anatomischer Harmonie versetzt wurde. Meine Hand fuhr mäßig über den Stahl und den schwarzen Gummi meines Pistolengriffs. »Irgendwas von Cromney und dem Rest seiner Wanzensammlung gesehen?« Ich zog eine Zigarre aus dem wasser- und anscheinend auch blutdichten Taschenbehälter. Der dritte Außerirdische hub an zu piepsen, genau wie die anderen, Mickymaus, die Helium einatmet. »Herr, deine Diener haben die Bösen zusammen mit den Opfern ihrer jüngsten, schauderhaften Metzelei in den Kammern unterhalb deiner Fortbewegungswerkzeuge eingeschlossen.« Er zeigte mit seinem Truthahnhals zum hinteren Treppenschacht. »Haben wir recht gehandelt?« Alle drei blickten mit angsterfüllten Sehwerkzeugen zu mir auf. Was sollte ich sagen? Die kleinen Fürze hatten mir das Leben gerettet – nun schon zum zweitenmal –, und wenn ich im Nachhinein überlegte, hatten sie auch schon ehe das Feuerwerk losging versucht, mich zu warnen. Mann, wie ich so dastand, dauerte es mehrere Sekunden, bis ich dahinterkam, daß wir jetzt noch tiefer in der Klemme steckten als vorher. Warum sollte ich es also an den Freenies auslassen? Wissen Sie, omnia Georgie in partes tres divisa est, nämlich: das oberste Deck, wo wir uns gegenwärtig aufhielten; ein größeres Mitteldeck für zahlende Kunden – Einzelkabinen, Speisesaal etc. und – am großartigsten – die unterste Ebene, die für Motoren,
Ladung und Instandhaltungsbedarf reserviert war… Und die Hilfssteueranlage. Das war die Kakerlake in meiner Enchilada: hier oben auf dem Kontrolldeck gab es zwei getrennte Luken, eine hinten zwischen dem Kontrollraum und der Koje, wo ich meinen Hut aufhängen würde, wenn ich einen hätte. Die führte zur Passagierebene und sonst nirgendwohin. Aber mittschiffs gab es einen zweiten Leiterschacht, theoretisch nur für die Mannschaft zugänglich, der direkt zum untersten Deck führte, das hatte den Zweck, neugierige Amateure daran zu hindern, ihre Finger in die schönen, glänzenden Maschinen zu stekken. Wenn in der Praxis alles so schön funktionierte wie in der Theorie, dann hätten meine winzigen Anbeter die Schurken sicher hinter Schloß und Riegel gehabt. Aber. Auf der röhrenförmigen, äußeren Oberfläche der Mittschiffsleiter befand sich da, wo sie durch Passagiergebiet führte, eine einszwanzig große, gewölbte Tafel, die in leuchtend orangefarbenen, fünfzehn Zentimeter hohen Buchstaben deutlich verkündete: NOTZUGANG ZUM MASCHINENRAUM HILFSSTEUERANLAGE FÜR UNBEFUGTE ZUTRITT VERBOTEN Irgendwie hatte ich auch ohne Rand Heplars Beteiligung an diesem Schwank das Gefühl, daß Cromney dahinterkommen und sich als befugt betrachten würde. Schließlich kann man keine neue Weltordnung aufstellen, ohne ein paar Vorschriften zu übertreten. In den paar Sekunden, die es dauerte, bis das alles an meinen kleinen, grauen Zellen vorbeigeschossen war, teleportierte ich praktisch zum Schaltpult zurück, drehte ganz schnell zwei Paar Flügelschrauben und riß die Tafel hoch, die sie festhielten. In der Nische darunter befand sich zwischen all den Spaghettidrähten und Hemdknöpfen ein faustgroßes Modul. Ich drückte es einen halben Zentimeter weit nach unten und drehte es nach links. Es
sprang heraus in meine Hand, während am Armaturenbrett fünfzig Lichter gelb wurden. Mit einem langen, dankbaren Seufzer der Erleichterung stopfte ich es in eine Tasche. Die fragliche Komponente war Georgies Felddichtestabilisator. Ohne ihn war sie so gründlich lahmgelegt, als hätte ich ihr das Triebwerk rausgerissen. Hier würde sie bleiben, bis ich mir überlegt hatte, was ich mit den Übeltätern da unten anfangen sollte. Ich brachte die Tafel wieder an und ging zurück zu Wahrheit, Gerechtigkeit und der Yamaguchianischen Art, die wie Welpen zur Fütterungszeit immer noch auf eine Antwort von mir warteten. »Ich will euch was sagen, Jungs, ihr wart prima, alles in allem. Mensch, ich hätte ja auch tot aufwachen können, nicht?« Sie hatten die hintere Luke bombenfest zugeschraubt. Hatten wohl meine schlafenden Zeitpiraten dorthin geschleppt und über den Rand gestoßen, danach hatten sie den schweren Deckel draufgeworfen, ohne Freeniefrikadellen aus sich zu machen. Versuchsweise drehte ich leicht am Rad, mit nicht mehr Erfolg, als ich erwartet hatte. Anscheinend hatten uns die Gefangenen einige Zeit, nachdem die Freenies sie eingeschlossen hatten, ausgesperrt. »Das ist nicht mehr als gerecht, finde ich«, murmelte ich. »Wie bitte, Herr?« quiekte einer der Freenies. »Hm? Ach ja. Hört mal, Jungs, ich habe nachgedacht…« Die vordere Luke ist immer unten, und das Schließrad fest zu. Die Hilfssteueranlage ist nicht so sehr dafür gedacht, Georgie damit zu fliegen. Jede Katastrophe, bei der das Steuerdeck kaputtgeht, macht auch aus dem Rest des Schiffs einen Schrotthaufen. Sie dient hauptsächlich den Instandhaltungsmechanikern – ich bin nur froh, daß die Akademie wenigstens diese Arbeit nicht ihren funkgesteuerten Gorillas anvertraut. Noch nicht. Nun drehte sich auch das Mittschiffsrad nicht. Das bedeutete, daß die Entführer die Zugangstafel unten abmontiert hatten. Ich ging wieder zum Kontrollraum zurück, die Freenies wackelten im Gleichschritt dicht hinter mir her. »Wie ich schon sagte, ich bin euch einiges schuldig, Jungs – zu-
erst für Edna. Die wollte mich portionsweise ins Jenseits befördern. Und auch dafür, daß ihr den ganzen Tiergarten zusammengetrieben habt, während ich… äh… nicht einsatzfähig war.« Ich unterbrach mich und legte eine Reihe von Schaltern um. Tatsächlich, die Monitoren unter Deck fingen ein Paar glänzender, halbmeterlanger Schraubzwingen ein, die durch die beiden unteren Lukenräder gezogen waren und sie eisern festhielten. Die Gänge waren leer. Kamera für Kamera verfolgte ich meine Beute bis zum Messeraum, dann schaltete ich ganz schnell ab, ehe jemand das Monitorlicht bemerkte. Ich wandte mich wieder den Freenies zu. »Eure ›Bösen‹ sind tatsächlich da unten und lecken sich die Wunden. Hat den Anschein, als würde Cromney seine Erbsen von jetzt an mit der linken Hand zerdrücken müssen.« Ich stockte verlegen, was ich als nächstes sagen mußte, war mir etwas peinlich, und das wiederum überraschte mich. »Hört zu, Jungs, was ich schon früher sagen wollte… na ja, ich hab euch anscheinend alle 'n wenig unterschätzt. Ich… Mann, wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich kenne euch nicht einmal auseinander. Sagt mir doch erst mal, wie ihr heißt. Vielleicht kann ich…« Was nun folgte, hörte sich ungefähr an wie ein lauter Wettstreit im Zirpen und Trillern, der mein Kopfweh nicht gerade linderte. Während die Außerirdischen miteinander konferierten, konzentrierte ich mich auf das Bild der unteren Luftschleuse. Derjenigen, die sie alle damals in Tokio benützt hatten. Solange sie funktionierte, waren Cromney und Genossen eigentlich gar nicht so sehr eingesperrt. Grinsend gab ich einen falschen Kollisionsalarm in Georgies Systeme ein, die begleitenden Heultöne unterdrückte ich, und als ich sogar durch die normalerweise schalldichte Konstruktion hindurch hörte, wie die Preßlufttüren zwischen den Abteilungen sich dumpf schlossen, lachte ich laut auf. Das müßte die Racker für den Augenblick eigentlich da festhalten, wo sie waren. Allmählich machte mir die Sache Spaß. Gackernd wie ein Narr
elektrifizierte ich alle Türknöpfe und überflutete die Korridore mit Speigas – zwei Standardmaßnahmen der Akademie gegen anachronistische Eindringlinge. Kein Zeitreisender ist begeistert, wenn Neandertaler, Schwertkämpfer aus dem Mittelalter oder die Nationalgarde sein Schiff entern. Ich zog einen Überbrückungsschlüssel für die Steuerung Ochskahrt sei Dank, es gab nur einen an Bord – aus meiner Brusttasche. Es war ziemlich ruhig geworden, und daraus schloß ich, daß die Freenies ihre Konferenz beendet hatten. »Nun?« Ganz vorsichtig, um nicht gebraten zu werden, überbrückte ich die Tür des Kontrollraums und ging zu einem Spind, der steuerbords am rückwärtigen Treppenschacht stand. Die Freenies waren dicht hinter mir. »Was ›Nun‹, Herr?« »Nun, wozu habt ihr euch entschlossen, Leute?« Im Spind würde ein Plastikanzug sein, der es mir gestattete, völlig ohne Erbrechen durch das Speigas zu latschen. »Entschlossen, Herr?« Ein Augenblick der Gereiztheit. »Wollt ihr mir eure Namen nun sagen oder nicht?« Ändern Sie das in doppelte Gereiztheit um: Der Spind lief unerwarteterweise über den Eindringungsschaltkreis und mußte überbrückt werden. Als ich den isolierten Schlüssel einführte, verfluchte ich jeden übervorsichtigen, bürokratischen Sicherheitsfetischisten, der jemals… »Aber Herr, das waren doch unsere Namen.« »Ach so.« Trotzdem gluckste ich, als ich den Schrank schließlich aufbekam, fröhlich, weil es, genau wie nur einen Steuerschlüssel, auch nur eine Antigasausrüstung an Bord des Schiffes gab. Zu den Freenies: »Na schön, dann muß ich mir eben einfach einen Namen einfallen lassen, mit dem ich euch anreden kann, einen, den auch wir bloß sterblichen Götter aus… – o du dampfende Kuhscheiße!«
Statt einer hübschen, glänzenden Palstikkreation von Yves St. Laurent hing da ein großes, manilafarbenes Schild von einer Inspektionsmannschaft der Akademie: VERALTETE AUSRÜSTUNG BEI NÄCHSTER ÜBERHOLUNG ZU ERSETZEN »Ein Schuldschein für einen Druckanzug? Diese gottverdammten Formularhengste glauben, das Papierzeug taugt genausoviel wie der richtige…« »Welcher von uns, Herr?« Einer der Außerirdischen zupfte mich mit einem grünlichen Fangarm am Hosenaufschlag. Die Farbe biß sich mit meiner Uniform. »Wie war das nochmal?« Eine Spur von Enttäuschung war in seiner kleinen Stimme zu hören. »Welcher von uns soll den Namen ›dampfende…‹?« Ich wandte mich mit einem Ruck von Ma Hubbards Schrank ab und sah meinen schildkrötenförmigen Anbeter an, daß er stockte. »Hör mal, wir wollen hier keine Abbot-und-Costello-Nummer abziehen. Von jetzt an bist du… Color.« »›Color‹, Herr?« Ich möchte schwören, daß sein Mosaikauge vor Staunen und Entzücken beinahe zwinkerte. Wo, zum Teufel, hatte ich nur meine Zigarre gelassen? »Sicher, Sportsfreund. Und der dort drüben – he, du, der gerade das Wartungsschild frißt! Du bist Charm. Ist dir das recht, Kleiner?« Der zweite Außerirdische zitterte überall und hupte!, was zusammen mit dem fehlenden Druckanzug und der plötzlichen, bedrückenden Erkenntnis, daß ich mein Schiff für mich selbst unbetretbar gemacht hatte, meinen Kopfschmerzen anscheinend neues Leben schenkte. Mit Vorkaufsrecht. »Soviel ich sehe, bist du damit einverstanden?«
»Oh, aber ja, Herr, eine Bezeichnung, verliehen von dem Einen, Wahren persönlich…« »Nur nicht überschwenglich werden, ja? Nun bleibt noch der eine drüben in der Ecke, der nach der Sandkiste sucht. Wie wäre es mit ›Spin‹ als Spitznamen? Und um die Sache abzurunden, machen wir ein… nun, um dem Geist der Situation gerecht zu werden, nennen wir es ein Abkommen. Von nun an seid ihr drei offiziell berechtigt, mich Bernie zu nennen und diesem ganzen, theologischen Gefasel ein Ende zu setzen.« Schweigen. Schlaffe Hälse. Glanzlose Augäpfel. Vielleicht hatte ich meine Zigarre auf der Monitortafel liegen lassen. »Also gut, sagen wir, es ist ein Gebot. Bernie ist eine religiöse Bezeichnung, wißt ihr, aus dem alten… hm… Urdu, und bedeutet… ›Träger kostbarer Ambrosia.‹ Nicht Koffein, sondern Brandy – das kommt einem Heiligen Werk nahe genug. Hat einer von euch Jungs eine Zigarre?« Schließlich hatte ich eine ganze Handvoll Zigarren beisammen, dazu noch ein Sortiment an leichten Lebensrettungsgeräten einschließlich meiner raffinierten Kombination aus feststellbarem Klappmesser und Thermofeuerzeug. Absorbiert den ganzen Tag Körperwärme und gibt sie in zigarrengroßen Dosen wieder ab. Auch eine recht gute Taschenlampe. Flucht & Entrinnen war nicht unbedingt der Weg, den ich mir selbst ausgesucht hätte, aber es fing damit an, daß Georgie vom Kontrollraum aus nach mir schrie. »Was bei Ochskahrts Rosenrot…?« Die Anzeigen meldeten, daß es irgendwo ein Feuer gab, klein, aber sehr, sehr heiß. Ungefähr in der Gegend des Messeraums. Ich schlug auf die Sprechanlage. »Cromney, was machen Sie eigentlich mit meinem Schiff, Sie unverschämter Bastard?« Ein lautes Zischen, das ich nur zu gut kannte, übertönte beinahe die Antwort. »Hier spricht Denny Kent, Capt… äh… Gruen-
blum.« Meine .45 hatte anscheinend soviel Eindruck auf ihn gemacht, wie ich gehofft hatte. »Wir schneiden uns den Weg nach draußen frei, das ist alles…« »Gehen Sie von der Kamera weg, Sie Schwachkopf!« unterbrach Cromney. »Captain, nehmen Sie's leicht, solange Sie noch können. Sie werden nirgendwo hingehen. Es dauert nicht mehr allzulange, dann kommen wir rauf und holen Sie!« Das Zischen hielt an. Er hatte recht. Ohne genaue Vorstellung, wo und in welcher Zeit wir uns befanden, konnte ich keinen Heimatkurs berechnen, der irgendwie sinnvoll war. Ich ließ es sein und schaltete das Video ein. Sie hatten es abgedeckt. »Nur interessehalber, Cromney, wie sind Sie an den Schweißbrenner gekommen? Ich dachte, ich hätte alle…« Eine längere Pause folgte. »Sagen wir nur, daß es ein größeres Hindernis auf dem Weg zur Tür des Arbeitsraumes steuerbords gab. Professor Kent hat jetzt zusätzlich zu den ersten Verletzungen, die Sie ihm beigebracht haben, einen gebrochenen Oberarm und steht im Augenblick unter dem Einfluß starker Stimulantia – die durch die Befriedigung ergänzt werden, sich wieder einmal für die gute Sache geopfert zu haben.« Ich schaltete sofort mein Mikrofon ab. Das war nicht der richtige Augenblick, um sie mein hysterisches Gelächter hören zu lassen. Und was die Krönung des Ganzen war, Neoamphetamine waren vielfacher Mord für das Nervensystem. Kent hatte Cromneys guter Sache noch nie einen Überschuß an Gehirn zu bieten gehabt. Edna würde ihm die Schuhbänder binden und mit ihm zum Pipimachen gehen müssen, wenn die Drogen nachließen. Ich wandte mich meinen getreuen, außerirdischen Gefährten zu. »Wie ist es, Jungs, sollen wir ihnen von dem Speigas erzählen?« »Mit allem Respekt… Bernie.« Charm war derjenige, den ich immer für den Gesandten gehalten hatte. »Du solltest dir lieber
allmählich überlegen, was du tun willst, sobald sie durch die Tür brechen und sich davon erholt haben.« Ich schnaubte. »Ich fürchte nur, daß sie die Korridorkameras kaputtschlagen, ehe ich sehen kann, wie sie sich die Seele aus dem Leib kotzen. Wollt ihr es euch mit ansehen? Ich spendiere auch das Popcorn.« Charm, der auf einer Lehne meines Stuhles hockte, schüttelte sein Auge von einer Seite zur anderen. »Herr – Bernie – ist es nicht so, daß dein treuloser Assistent genausoviel über dieses Schiff weiß wie du selbst?« »Absolut nicht – RNS-Tropfen! Ich mußte mir meine Ausbildung auf die harte Tour aneignen. Zehn Kilometer jeden Tag durch Schneestürme und…« »Verzeihung, Bernie.« Vom Boden des Kontrollraums aus gab Color ungebeten seine Meinung zum besten. »Weder gibt es auf Luna Schnee, noch, wenn ich richtig informiert bin, in Südwesttexas, wo du herkommst.« Spin suchte wahrscheinlich noch immer nach der Katzenkiste. »Trotzdem, dürfen wir nicht fragen, welche Maßnahmen du in ihrer Position ergreifen würdest? Aufgrund solcher Überlegungen kannst du dann formulieren, wie du selbst…« »O du heiliger Bimbam!« Dieser Cromney war vielleicht ein raffinierter Kunde. Vielleicht war es nur eine Finte, daß er gesagt hatte, er wolle mich angreifen. Vor meinem geistigen Auge zeigte sich ein Bild der Hilfssteueranlage einschließlich eines großen, roten Hebels mit der seltsamen Aufschrift: ›PANNENSICHERE SELBSTVERNICHTUNG‹. Sie würden doch wohl sicher nicht… Aber dann fiel mir ihr Spleen ein, sich für die gute Sache zu opfern. Habe selbstlosen Hundesöhnen noch nie über den Weg getraut. »Speigas oder kein Speigas. Ich muß vor ihnen da unten sein! Aus dem Weg!« Ich überprüfte meine Automatik und spurtete zur Luftschleuse des Flugdecks. Mit dem Schlüssel konnte ich durch die Schleuse nach unten gelangen und…
Dann trabte ich zurück in den Kontrollraum und kam mir vor wie ein Idiot. Der Monitor gab mir recht: Sie hatten ihre Luftschleuse verbarrikadiert, genau wie die Zwischendecksluken. Sie waren eingesperrt, ich war ausgesperrt. Schlechte Konstruktion. Machte mir eine Notiz, mich zu beschweren, falls ich je wieder nach Hause kam. »Großer Gott im ERRKKK!« sagte das Interkom plötzlich. Ich kicherte vor mich hin. Sie hatten endlich ein Loch zum Korridor durchgebohrt, begleitet von Würgen, Husten und dem sanften Platschen halbfester Stoffe in vierfacher Harmonie. Ich drehte den Luftdruck im Niedergang auf, damit sie auch bestimmt eine richtige Dosis abbekamen, dann tastete ich nach dem beruhigenden Klumpen der Feldintegrationskomponente in der Tasche meines Overalls. Dank eines unbekannten, paranoiden Genies an der Akademie gab es dafür kein Ersatzteil an Bord. »He, ihr Schleicher«, schrie ich ins Sprechgerät, »wenn ihr damit fertig seid, euer Innerstes nach außen zu kehren, kommt ihr hintereinander aus der Steuerbordschleuse, pudelnackt, die Finger über dem Scheitel verschränkt! Falls einer frech werden will, hier wartet eine .45 Kugel auf ihn oder sie!« fügte ich hinzu, hin- und hergerissen von der Vision von Edna Janof im Ganzen oder Edna Janof voll von Kugellöchern. Von unten kam keine Antwort; trokkenes Würgen ist eine Beschäftigung, die einen ziemlich ausfüllt. Ich rief einige genauere Daten ab. Georgies tödlicher Explosionsradius betrug erschreckend bescheidene fünf Kilometer, da 99,999 % ihrer Energien direkt nach oben gerichtet waren, in einer Feuersäule, bei deren Anblick C. B. DeMille vor Neid in dreiundzwanzig Schattierungen chartreusegrün würde. Ich verdrängte den Gedanken, daß mein bestes Mädchen auf diese Weise enden sollte, wütend aus meinem Geist; es war Zeit, daß Bernie und seine kleinen Freunde sich verdünnisierten. Während ich nicht aufgepaßt hatte, war es draußen stockdunkel geworden. Was ich brauchte, war eine Hügelkuppe hier in der Gegend, mit einer schönen Felsrückseite, über die ich mich werfen
konnte, falls und wenn ich den Feuerstrahl sah. Ein zweiter Hitzealarm blinkte auf dem Schaltpult auf – Georgies Methode, mir mitzuteilen, daß Cromney und seine Häschen an der Luke zum Maschinenraum arbeiteten. Ich sammelte meine Anbeter ein und verließ das Flugdeck. Mit der Pistole in der Hand knackte ich das Schloß. DONNER ZERRISS DIE LUFT! Als ich mich endlich von der Decke gelöst hatte, dankbar dafür, daß die Sicherung der Gold Cup in gutem Zustand war, erfüllte eine massive Wand von Hochlandregen die dunkle Wiese. Ich blickte auf meine… Diese Hundesöhne! Irgendwann in den vergangenen paar ereignisreichen Stunden hatten sie es geschafft, meine Examensuhr zu zertrümmern! Ich weiß nicht, wieso mir das nicht früher aufgefallen war. Ich schnallte sie hastig ab und fragte mich dabei, wieviel das Mikrospaltungsgerät wohl schon auf mich abgestrahlt hatte. Mit Entschlußkraft gewappnet trat ich hinaus und ließ mein linkes Handgelenk gründlich vom Regen durchweichen. Die Freenies waren dicht hinter mir. EIN BLITZ ZUCKTE AUF! Und drei Stunden später hatte ich mich so gründlich verirrt wie noch nie zuvor. In der Hoffnung, sie später wiederfinden und reparieren lassen zu können, hatte ich meine zerbrochene Nukatron in der Nähe von Georgies Landerampe vergraben, ihre Titanflanke ein letztesmal freundlich getätschelt und war zu den schützenden Kiefern aufgebrochen. Sie werden überschätzt. Ich weiß nicht, ob Sie jemals versucht haben, mit Hilfe eines Baumes dem Regen zu entgehen. Es dauerte nicht lange, bis ich durch und durch naß war und mich an den Rändern kräuselte. Die Freenies schnatterten fröhlich, ihre Rückenschilde stießen den Platzregen ab wie gefettetes Teflon. Unregelmäßig wiederkehrende Blitze zerstörten meine Nachtsicht; der Platzregen selbst blendete mich. Ich suchte weiter nach einer Höhle, nach einem starken Baumstamm – nach irgendeiner Stelle,
die trockener war als ich. Als ich mich das nächstemal umdrehte, wußte ich nicht mehr, in welcher Richtung Georgie stand. Der Regen ließ schließlich nach, aber die gottverdammten Bäume tropften mir noch zwei Stunden lang in den Nacken. Die dunkelste Nacht, die ich je erlebt hatte. Den größten Teil davon verbrachte ich mit der Suche nach meinem Schiff. Und den ganzen nächsten Tag. Die Hügel wimmelten von leeren, blumenübersäten Wiesen. Gottverdammte Landschaft jedenfalls. Ich stolperte über das Skelett eines Elchs, was mich unendlich aufheiterte. Wenn der es hier draußen in dieser gottverlassenen Gegend, wo er hingehörte, nicht schaffte, welche Chance hatte dann ich absolutes Greenhorn, aus Oklahoma City? Hier im Überlebenshandbuch steht: »Im Zweifelsfall gehen Sie bergab, besonders wenn Sie einem Bach folgen« – nur wenige fließen jemals andersrum – »Mit der Zeit werden Sie auf die Zivilisation stoßen.« Damit verbrachte ich den zweiten und den größten Teil des dritten Tages, ich folgte einem Bach. Er führte mich zu einem zweiten Bach. Die Nächte überstand ich, den Anzug so weit hochgezogen, wie es nur ging (nicht weit genug), über ein vorsichtiges, kleines Feuer von Teetassengröße gekauert. Am zweiten Morgen erwachte ich mit Rauhreif bedeckt. Von einem heftigen Hustenanfall durchwärmt aß ich meine letzten Konzentrate und teilte pulverisierten Expreßkaffee mit den Freenies, die sich ansonsten offenbar selbständig mit Nahrung versorgen konnten. Der größte Nachteil der ›Unberührten Natur‹ ist nicht, daß sie unbequem ist. Sie ist langweilig. Ein authentisch roher Baum oder Felsen sieht so ziemlich aus wie der andere, und eine halbe Million Morgen davon lassen einen allmählich kalt. Man hört nur das Patschen seiner eigenen, lehmigen Schuhe, sonst nichts. Ich tausche jederzeit einen Schrottplatz oder eine Holzverschalung neben der Straße dagegen ein – die Idioten, die gerne die Große Natur angaffen, mußten sie noch nie einen erschöpften Schritt nach dem an-
deren durchmessen und vermoderte Blätter als Toilettenpapier benützen, ohne zu wissen, ob sie es jemals schaffen würden, zu Bier vom Faß und dieser Rothaarigen in Vonbraunsville zurückzukommen. Dies war jetzt die dritte Nacht. Wie vorher rasierte ich ein paar Zweige ab und berührte sie mit dem Feuerzeug im Griff meines Messers. Sie qualmten angenehm; ich mußte nur einmal niesen. Ich legte sie vorsichtig auf ein Bett aus rostbraunen Nadeln und anderen Zweigen, blies sie zu einem winzigen, knisternden Feuer an und ruhte mich aus, bis mir nicht mehr schwindlig war. Wieder war es dunkel geworden, anscheinend ist das ein einigermaßen regelmäßig eintretendes Ereignis. Das Feuer flackerte, als ich nachlegte, und ich wurde von vorne geröstet, während mein Rücken vereiste, dann drehte ich mich um, ließ mir den Rücken braten und starrte flammenblind in die unergründliche Nacht. Ich hatte es aufgegeben, mit Color, Charm und Spin eine intelligente Unterhaltung führen zu wollen. Dreckige Witze über siebzehn Geschlechter muß man den Unglücklichen, die nicht mehr als zwei haben, erst erklären. Andererseits kapierten sie ›The Sleeve-Job‹ nicht, auch nicht, nachdem ich es ihnen erklärt hatte, und ›The Green Horse‹ fanden sie einfach blöd. Alles, worüber sie plappern konnten, war, wie Gruenblum die Kaffeenerven erfunden und so die Yamaguchiheit vor der Vernichtung bewahrt hatte. Die Geschichte kannte ich schon. Unterhaltsamer war es, die kleinen Kerlchen nur zu beobachten – wobei ich mich mürrisch daran erinnerte, daß ich genau dadurch anfangs an ihnen hängengeblieben war. Seit sie Namen hatten, kam es mir vor, als könnte ich sie zuverlässiger auseinanderhalten. Englisch war die einzige Sprache, die sie konnten (abgeschaut von Corn Flakes-Schachteln und anderem, was ich mit den Teebeuteln und dem Kaffeesatz in meinem Müll gehabt hatte). Wenn sie miteinander sprachen, kamen sie bis auf 78 UPM. Ihr Auge war wie ein Teleskop verstellbar, wie ich entdeckte; je-
der von ihnen konnte in den Plejaden tausend Sterne erkennen und bestand darauf, jedem einzelnen davon einen Namen zu geben, bis ich dem ein Ende machte. Am entgegengesetzten Ende der Skala waren sie fasziniert von den winzigen Protozoen, die man unter jedem Blatt und in den mit Regenwasser gefüllten Höhlungen finden konnte, noch während sie sie hinuntermampften und schluckten. Sie waren bestürzt, als sich bei tiefer werdender Dämmerung herausstellte, daß ich nur innerhalb des schmalen Spektralbereichs sehen konnte, den sie Ultrarot bis Infraviolett nannten. Ich war schon so ein Gott, das stellte sich allmählich heraus! So saß ich hier vor meinem winzigen, wirkungslosen Feuer, müde und gelangweilt, zitternd und triefend naß wie üblich (anscheinend wurde es in diesen Wäldern niemals trocken) und lauschte den einheimischen Kojoten, wie sie den Mond anbeteten, und meinen eigenen Verehrerwinzlingen, die über die Frage diskutierten: da Gruenblum doch Allwissend, Allmächtig und Gütig ist, wieso konnten wir uns dann verirren? Ganz einfach: Ich war außerdem auch noch Dumm. Plötzlich verstummten alle Gespräche. Drei Augenstengel deuteten angestrengt auf ein wildes Knacken in den Büschen, die unsere kleine Lichtung begrenzten. Vom Feuerschein geblendet, zog ich meinen Colt und suchte im Dunkel unter den Blättern nach einem Ziel. Über das Trampeln und Krachen hinweg, das immer lauter wurde, kam ein Geräusch wie von einer Kanadagans, die von einem Dudelsack belästigt wird. Ich drückte den Hahn zurück. Ich legte meine zittrige, linke Hand neben meine zittrige rechte Hand auf den Pistolengriff und richtete die mülltonnenförmige Schnauze auf die Störung. Berglöwen, Säbelzahntiger, Schwarzbären, Grizzlies – Ochskahrt allein wußte es, und er war tot – dieses Tier hier war wirklich krank, vielleicht sogar tollwütig. Die Freenies streckten ihre Hälse vor und spähten in die Dunkelheit.
Plötzlich stießen zwei riesige, haarige Pfoten durch einen hausgroßen Himbeerstrauch, keine drei Meter von mir entfernt. Ich zielte mit meinem Korn direkt dazwischen und wartete gespannt, bis ich mehr sah. Etwas Zylindrisches, seltsam Biegsames schwang zwischen den Pranken hin und her. Der Lärm hörte auf. Über eine feuchte, fellbedeckte Schnauze hinweg blinzelten mich ein Paar wilde Augen an. Ich blinzelte zurück und befeuchtete meine Lippen. Auf jeder massigen Schulter des riesigen, bärenartigen Ungetüms war ein leuchtend bunter Streifen zu sehen – verbunden mit einem gelben Rucksack in Leuchtfarben! Um die gewaltige, schwarzbepelzte Taille lag ein breiter Ledergürtel; an der rechten Hüfte, diagonal nach vorne in der ›Blinddarm-Stellung‹ getragen hing eine automatische Handkanone, neben der mir meine Pistole plötzlich wie ein Armbandtalisman vorkam. Der Blick des Wesens ruhte gelassen auf meiner zuckenden und zitternden .45, dem kleinen Lagerfeuer, das ich gemacht hatte, und den drei komisch aussehenden Organismen, die sich im Augenblick alle hinter meinem Rücken zusammendrängten. Es öffnete seinen höhlenartigen Mund und ließ abscheulich glitzernde Reißzähne sehen. »Bitte erschießen Sie mich nicht, Mister«, sagte der Gorilla. »Ich bin die einzige Nichte des Präsidenten, und er wäre nicht sehr glücklich darüber.«
6. Kapitel Ein Affenspaß Wir befinden uns also im Jahre 123 v. Chr. – das heißt 630 ab urbe condita für uns Bürger – und ich trage meine schickste Gabardinetoga und plaudere in lässigem Latein bei einem Diner im Liegen für zwei mit Caius Sempronius Gracchus, diesem linken Tribun, den ich an der Ecke V. und Esquilinus getroffen habe, wie er in einer S & M Bar Boccia spielte. In der Republik des zweiten Jahrhunderts gibt es nur noch S & M Bars. Dieser Gracchus erinnert mich an Denny Kent. Wir diskutieren über die Schwertkontrolle; er sagt, der Senat müsse verfügen, daß alles, was kürzer ist als eine Elle – besonders diese billigen Saturnalia Spezial aus Bronze – eingezogen, zusammengeschmolzen und zu einem Denkmal für seinen Bruder, den Märtyrer Tiberius gegossen werden müsse. Der Plan des Tribunen würde mit neunundneunzig Prozent aller gladii und spathae in der Ewigen Stadt aufräumen. Ich frage mich, was er mit dem guten alten Bernardus Semiticus hier machen würde, der eine ›ballista‹ Kaliber .45 unter seiner linken Achselhöhle trägt. Ich gestehe ihm zu, daß bestimmte Griechen viel von seiner Idee gehalten hätten, aber man sehe doch, wie sie endeten: Sie servieren uns kandierte Fasanenblasen. Er wird wütend, wirft eine Weintraube nach mir. Ich springe auf, um ihm die Nase plattzuschlagen, und einer der Sklaven brüllt: »Kübeliere!« Niemand schlägt einen Tribunen, sagt der Quästor im Nachtgericht. Schließlich sitze ich als siebentes Paddel in einer Trireme auf dem Weg zu den Zinnminen von Cornwall, über Ketten gekrümmt… Ich wachte zitternd und schweißgebadet auf und versuchte mich zu erinnern, wo ich war. Brrr! Den hatte ich schon lange nicht mehr gehabt. Bernies Römischer Feiertag. Ich mußte es ruhiger angehen; siebzehn Abenteuer in sechsunddreißig Stunden, das ist etwas für junge Burschen.
Ich drehte mich im Bett um und griff nach dem Lichtschalter, als mir wieder einfiel, daß man da, wo ich jetzt war, nur darum zu bitten brauchte: »Fiat lux!« flüsterte ich, immer noch in meinem Alptraum befangen. Und siehe da, es gab wirklich ein italienisches Sportwagenwunder. Ein kleines Stück Wand, das sich im Augenblick als Digitaluhr ausgab, zeigte an, daß es 4:07 früh sei. Ich dachte über die vergangenen, höchst verwirrenden Stunden nach. Der aufgehende Mond hatte die Wiese versilbert; eine Mischung aus Akelei- und Immergründüften schwebte auf dem Lufthauch heran. Das Gorillamädchen mit dem Rucksack und der Pistole zwinkerte mir zu, drückte mit einem quäkenden Stöhnen ihr Akkordeon wieder zusammen und hakte seine winzigen Messingösen ein. Mir war es recht: ›Lady of Spain‹ hatte noch nie auf meiner Wunschliste gestanden. Sie stellte das Instrument auf einen Felsen, legte die Pfoten auf die Hüften und betrachtete mich und meine drei verängstigten Gefährten mit kritischer Belustigung. »Nun, bekomme ich keine Einladung, mich zu setzen? Und ich wäre recht froh, wenn Sie diese kleine Waffe wegsteckten, ehe jemand von uns verletzt wird.« Ohne auf die Einladung zu warten, ließ sie sich – mit schätzungsweise etwa 5,1 auf der Richterskala – neben dem Feuer auf den Boden plumpsen. Ich steckte den dreipfündigen Keil aus Flußstahl, den ich mir immer als Jupiters Donnerkeil vorgestellt hatte, ins Halfter. »Entschuldigen Sie… äh… Miß. Bernard M. Gruenblum zu Ihren Diensten.« Ich warf einen wütenden Blick auf die drei winzigen Aliens, die sich kleinmütig hinter mir versteckten. »Und das sind meine Vertrauten, Color, Charm und Schisser.« Charm spähte schüchtern um eines meiner Knie herum, sein Auge funkelte im Feuerschein. »Ich bin Koko Featherstone-Haugh«, antwortete das Gorillamädchen und knickste im Sitzen. Den letzten Namen sprach sie wie ›Fanshaw‹ aus und buchstabierte ihn mir dann. »Falls es Sie
interessiert, Sie haben gerade unbefugt die Ranch meines Onkels Olongo betreten. Haben Sie was, was Sie über diesem Feuer kochen können? Ich bin völlig ausgehungert.« Zum erstenmal seit meiner Landung hier war der Nachthimmel klar. Die Flammen warfen Kokos tanzende Schatten über die Lichtung. Ich wühlte träge in den Kiefernnadeln und dem Kies, die sich in meinen Taschen angesammelt hatten. »Pulverkaffee, aber nichts, was man darin martern könnte. Wir haben immer daran geknabbert, so, wie es die Kinder mit Brausepulver machen.« Ich zitterte in der schärfer werdenden Kühle der Berge und drehte meinen Anzug noch eine Kerbe höher. »Schmeckt abscheulich!« »Kann ich mir vorstellen.« Die Äffin grinste, der entsetzlichste Anblick, den ich je erlebt hatte. »Ich habe hier irgendwo einen kleinen Topf«, sagte sie freundlich und zog die Schultern aus dem Rucksack, »und auch noch Kaffee. Auch Pulver, fürchte ich. Sie sagen, Ihre kleinen Freunde hier mögen ihn ebenfalls?« Das war nun ein Drehbuch, auf das man uns in der Zeitreiseschule nicht vorbereitet hatte: ein höflicher Kaffeeklatsch mit einem liebenswürdigen, englischsprechenden, weiblichen Affen inmitten eines nach Kiefern duftenden Dschungels, an dessen Stelle eigentlich eine schundige Metropole mit mehreren Millionen rein menschlicher Bewohner hätte stehen sollen. Die Gorillas, die ich kannte, waren kaum mehr als behaarte Roboter, Dienstboten in einer Wirtschaft, der es chronisch an Arbeitskräften mangelte, mit elektronischen Implantaten auf der Gehirnrinde, gesteuert wie Modellflugzeuge. Wie die Yamaguchii, wenn man ihnen ihre Folger wegnimmt, neigten sie dazu, in eine dumpfe, reaktionslose Tierhaftigkeit zurückzufallen, wenn der Strom abgeschaltet wurde. Was sich hier abspielte, war mehr als sonderbar. Koko war wahrscheinlich der gleichen Meinung. Ich folgte ihrem bedeutsamen Blick zu den Freenies hin, blickte sie wieder an und wackelte verlegen mit den Augenbrauen. »Ich glaube, ich habe meine fliegende Untertasse verlegt, Gnädigste.«
»Mr. Gruenblum«, bemerkte sie mechanisch, zog eine gewaltige Metallkasserole aus dem Sack und klappte mit einem Klirren den Henkel auf, »wenn Sie mich mißverstehen wollen, sobald ich versuche, mich differenziert auszudrücken – was, in Lysanders Namen, seid ihr für Leute und was habt ihr auf der Ranch meines Onkels zu suchen?« Sie hatte nicht direkt nach ihrer Bazooka gegriffen; bei ihrer Größe hieß das, Eulen nach Athen tragen. »Hm, diese Frage werde ich Ihnen beantworten, Miß Featherstone-Haugh, aber vorher könnten Sie mir vielleicht sagen – welches Jahr heuer ist?« Wenn man in der Vergangenheit umherreist, ist man gewöhnlich schlecht beraten, wenn man die Wahrheit über sich erzählt. Die Akademie sieht es nicht gerne. Gar nicht gerne. Aber hier stand ich vor etwas Neuem. Aus meiner Sicht war es beinahe dreihundert Jahre früher. Geschichte ist etwas, wovon ich eigentlich etwas verstehen müßte – im Vergleich dazu ist mein Handrücken ein unerforschtes Grenzgebiet. Aber wenn dies das Jahr 1993 war, dann war es jedenfalls nicht das 1993, an das ich mich erinnerte. Sie musterte mich, als hätte sie mich noch nie gesehen, unterzog die Freenies nochmals einer Prüfung und kehrte dann zu mir und meinem kleinen, grünen Overall zurück. »Nun, 217 A. L. natürlich.« Ich nahm meine letzte Zigarre heraus, sah zu, wie sie die Beine der Kasserolle ausklappte, sie am nahegelegenen Bach füllte und dann zum Feuer zurückkehrte. Ich legte noch ein paar Zweige und Äste auf, genoß den natürlichen Weihrauchduft von Salbei und Kiefer – aber das war so ziemlich der einzige Genuß. Wofür, zum Teufel, stand A. L.? Und wer in Ochskahrts Namen war dieser Lysander? Der einzige, der mir bekannt war, war ein Kanalschwimmer aus der Bronzezeit. Daß sie mich mit den Freenies in einen Topf warf – »… ihr Leute!« – hatte mir einen Schauer über den Rücken gejagt. Möglicherweise hatte sie noch nie menschliche Wesen gesehen, und ich war für sie genauso fremdar-
tig wie die Freenies. Was hatte sie damit gemeint, daß ihr Onkel der Präsident war? Präsident wovon? Ich war nicht sicher, ob ich es so genau wissen wollte. Inzwischen kochte das Wasser. Koko fing an, pulverisierten Pseudojava hineinzustreuen, das Aroma füllte meine Nasenlöcher und ließ die Freenies plötzlich hochschrecken. Ich entdeckte, daß ich vergessen hatte, meine Zigarre anzuzünden. »Hm, Miß Featherstone-Haugh – Koko –, das war kein Scherz, ich habe wirklich meine fliegende Untertasse verloren. Ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber, nun ja: Ich komme vom Mond. Die kleinen Burschen hier sind von Ganymed.« Ich half ihr, den Kaffee in kleine, ineinanderpassende Metallbecher zu verteilen und stellte diese für Color, Charm und Spin in einer Reihe neben dem Feuer auf. Wie üblich ließ sich jedes der Biester über seinem Behälter nieder und bedeckte ihn völlig. Ich wußte, wenn sie sich wieder erhoben, würde der Kaffee verschwunden sein. Ein wenig eklig für einen nicht Eingeweihten. Erinnerte mich an eine Yogavorführung, die ich einmal hatte mitansehen müssen. »Vom Mond?« Koko war anscheinend durch nichts zu erschüttern. Sie nippte an ihrem Kaffee, blinzelte mich durch den Dampf an und zog die Nase kraus. »Kennen Sie Admiral Mitchell?« »Welchen Admiral?« Wieder rief ich mir ins Gedächtnis, daß ich meine Zigarre anzünden mußte. »William Lendrum Mitchell, Konföderierte Marine – natürlich im Ruhestand. Eigentlich ist er ein Freund von Onkel Olongo, aber er ist der einzige, den ich jemals kennengelernt habe und der dort oben wohnt.« Sie blickte hinauf zu den starren Sternen, ein träumerischer, nach innen gerichteter Blick lag in ihren großen, braunen Augen. »Komisch, ich war sogar schon auf den Asteroiden – Ceres – mit meinem Onkel, als ich noch klein war. Aber noch nie auf dem Mond.«
Genau in diesem Augenblick schwebte ein riesiges Ellipsoid über uns hinweg, es war ungefähr eineinhalb Kilometer lang und bewegte sich tödlich leise mit mehreren hundert Stundenkilometern auf den Pol zu. Seine schlanke Gestalt wurde von Fensterreihen in leuchtenden Farben umrissen. »Das lenkbare Luftschiff ›San Francisco Palace‹« – antwortete Koko auf meinen unsicheren Blick hin – »auf dem Weg nach Calgary, Anchorage und Punkten weiter im Norden. Früher hat es auch in Gallatinopolis gehalten, aber dann hat man mit dem Kongreß aufgehört. Onkel Olongo sagt, das war das erste Luftschiff überhaupt mit katalytischem Fusionsantrieb – das müssen Sie sich mal vorstellen, und es ist immer noch in Betrieb, nach so vielen Jahren!« Etwas stimmte hier eindeutig nicht. Die katalytische Fusion war erst Mitte des 21. Jahrhunderts für kommerzielle Zwecke vervollkommnet worden – und lenkbare Luftschiffe hatten sich schon um 1930 aus der Mode gesprengt. Es war, als sähe man einen Walfänger aus Neuengland, der mit einem Atomreaktor angetrieben wurde. Mit dem Kongreß aufgehört? Ich nahm einen großen Schluck Kaffee – in meinem Kopf drehten sich plötzlich die Rädchen blitzschnell – und verbrannte mir höllisch die Zunge. Ich brachte nie genügend Mumm auf, um zu fragen, was ein 114 Jahre alter, vom Kriegsgericht verurteilter General des Signalkorps als pensionierter Admiral der Marine auf dem Mond zu suchen hatte. Statt dessen ließ ich mir von Koko erklären, daß sie in Wirklichkeit ein Stadtkind war und soviel wie möglich aus einer willkommenen Unterbrechung der Schule machen wollte. »Mein Lieblingsfach war auch immer die Pause«, sagte ich und goß mir noch eine Tasse ein. Für Sekunden kamen auch die Yamaguchier zurück, jeder mit seinem kleinen Behälter, den er gierig mit einem Paar schlanker, grüner Fangarme umklammert hielt. Ich überließ Koko das Bemuttern und kratzte nach einem Zweig her-
um, um meine vernachlässigte Zigarre anzuzünden. »Ich bin selbst auch nur auf der Durchreise.« Sie seufzte wie ein Tornado und stocherte in den Kohlen. Die Flammen hüpften dreißig Zentimeter höher und fielen wieder zurück. »Verdammte, alte Schule – es ist eine solche Zeitverschwendung! Ich wäre so viel lieber hier… oder dort draußen.« Sie deutete himmelwärts auf einen besonderen Stern, den ich an einer Stelle bemerkt hatte, wo der Orbit eigentlich hätte leer sein müssen. »Aber Onkel Olongo besteht darauf…« »Ja«, sagte ich mitfühlend. »Das haben die Herrschenden Mächte so an sich.« Ich hielt den Zweig in die Flammen und feuchtete voll Vorfreude das Ende meiner Zigarre an. Eine Zeitlang herrschte Schweigen. »Bernie?« In Kokos Augen tanzte der Feuerschein. Das Ende des Zweigs blubberte und fing an zu verkohlen. »Ja, Kind?« »Werden Sie große Schwierigkeiten bekommen? Ich meine, weil Sie Ihre fliegende Untertasse verloren haben?« Das war eine sehr gute Frage. Ich bekam beinahe Schuldgefühle, weil ich sie mit einer halben Erklärung abgespeist hatte, aber die Regeln der Akademie sind zur Verteidigung der Existenz eines ganzen Universums aufgestellt worden, und man kann sie nicht beugen, nicht einmal um einer netten jungen Dame – welcher Gattung auch immer – willen, die sich aufrichtige Sorgen um meine Haut machte. Verdammt, soviel ich wußte, konnte die Situation, in der ich mich gerade befand, genau durch einen solchen Regelbruch verursacht worden sein! »Nun ja, meine speziellen Herrschenden Mächte haben eine ziemlich rauhe Art im Umgang mit Disziplinverstößen. Das beste, was ich so ungefähr erwarten kann, ist, daß sie mir für die nächsten paar Äonen mein Gehalt kürzen. Das Schlimmste…« Vor meinem trüben, inneren Auge erschienen Bilder des OchskahrtGedächtnis-Pfeilers. »Kind, ich glaube nicht, daß Sie davon hören möchten.«
Sie zögerte, nahm ihren Mut zusammen. »Mir können Sie es ruhig erzählen, Bernie. Sehen Sie, ich weiß nämlich schon Bescheid.« Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Irgendein Klugscheißer hat einmal gesagt: ›Wissen, was man weiß – und wissen, was man nicht weiß – das heißt wissen.‹« Ich hob den brennenden Zweig ans Ende meiner Zigarre. »Was wissen Sie, Kind?« »Daß Sie ein Zeitreisender sind.« »WAS?« Ich ließ den Zweig fallen und hopste dann ein paar Augenblicke lang völlig würdelos herum und schlug mir auf den Schoß. Sogar die Freenies schwenkten ihre Augenstengel und zeigten damit wie eine Meute Jagdhunde auf die junge Gorilladame. Als ich den Zweig wiedergefunden hatte, machte ich erneut den Versuch, meine Zigarre anzuzünden. »Sicher, Bernie. Sie haben sich ein Dutzendmal verraten. Sie und Ihre kleinen Freunde. Ich bin vielleicht noch ein Kind, aber dumm bin ich nicht. Ich war auch noch nicht auf Ganymed, aber ich habe Freunde, die dort waren. ›Freenies‹ leben da bestimmt nicht. Außerdem kennt jeder Admiral Billy Mitchell, den Helden der Luftwaffe, der uns geholfen hat, den Krieg gegen den Zaren zu gewinnen.« »Autsch! Verdammter…« Während ich mein zu Boden gefallenes Kinn wieder einkurbelte, war der Zweig schließlich bis zu meinen Fingern zurückgebrannt und hatte mir, zusätzlich zu meiner verbrühten Zunge noch einen versengten Daumen beschert. Groucho, Harpo und Karl wälzten sich liebevoll besorgt auf mich zu, einer von ihnen schüttete mir dabei noch seinen Kaffee auf den Fuß. Ich merkte es kaum. »Sehen Sie, Koko, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, das sollte eigentlich ein Geheimnis sein. Selbst wenn ich die Strafe für den Verrat überlebte, hätten alle meine Nachkommen bei der Geburt…«
Ich hätte beinahe gesagt: ›… drei Eier und einen purpurnen Spitzbart…‹, überlegte es mir unter den gegebenen Umständen aber anders. »… zwei Köpfe und chronische Räude.« »Das soll ein Geheimnis sein!« schnaubte Koko verächtlich. »Welche Erklärung wäre denn sonst möglich gewesen? Aber machen Sie sich keine Sorgen, Bernie. Ich werde es sicher niemandem erzählen – und Onkel Olongo auch nicht.« Sie beugte sich näher zu mir, auf ihrem behaarten Gesicht war das Entzücken über diese Verschwörung deutlich zu erkennen. »Nachdem das jetzt erledigt ist, könnten Sie mir eigentlich erzählen, wie Sie und Ihre niedlichen, kleinen Freunde es fertiggebracht haben, hier zu stranden. Vielleicht kann ich helfen?« Charm stieß ein entzücktes ›Piep!‹ aus und flitzte um das Feuer herum, um sich an ihren Beinen zu reiben. Verräter! Konnte ich mein Schiff zurückbekommen, wenn ich den Mund aufmachte? Auf mich allein gestellt, würde ich mir anscheinend höchstens eine Pneumoniekultur züchten. Etwas an diesem haarigen, unter Muskelkater leidenden Schulmädchen flößte mir mehr Vertrauen ein, als ich es jemals bei einem menschlichen Wesen erlebt hatte. Vielleicht war es die gewichtige Grazie, mit der sie ihre vierhundert Kilo bewegte. Vielleicht war es die freundliche Art, mit der sie meine winzigen Anbeter behandelte. Vielleicht auch die Tatsache, daß sie schon alles, was ›vor dem Lesen zu verbrennen‹ war, von selbst erraten hatte, und die einzige Möglichkeit, wie ich jemals aus dieser Zwickmühle herauskommen – oder auch nur herausfinden konnte, wo ich war –, bestand darin, ihr den ganzen Schundroman zu erzählen. Akademie hin oder her. Ich möchte gerne glauben, daß es so war: knallharte Entscheidungsfindung angesichts unüberwindlicher Realitäten – und nicht, weil ich naß war, fror und Hunger hatte. Wir Gruenblums waren immer aus härterem Holze geschnitzt. Aus welchem Grund auch immer, ich sang wie ein Vögelchen. Koko machte an allen richtigen Stellen ›Oh‹ und ›Ah‹ und schnitt
eine Grimasse, als ich zu dem Mord an Merwin und seinem älteren Kollegen kam. Sie interessierte sich für Georgie und war fasziniert vom Japan des sechzehnten Jahrhunderts. »Cromney hat eine neue Form von Faschismus erfunden und kann es nicht erwarten, sie auszuprobieren.« Ich zog den Felddichtestabilisator heraus, wischte den Schmutz und die Krümel aus der Tasche weg und hielt ihn hoch in den Feuerschein. »Aber ohne dieses Ding kommt er nirgendwo hin!« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Hamiltonisten – Professor Cromney und seine Gefolgsleute, meine ich. So hört es sich an. Wir hatten sogar hier in der Konföderation schon ein paar von der Sorte. Keine Sorge, Bernie. Onkel Olongo und die Jungs werden Ihnen morgen früh gleich als erstes helfen, Georgie wiederzufinden.« Sie gähnte – ein Anblick, bei dem Elmo Lincoln wie der Blitz die hohen Kiefernbäumchen hinaufgerast wäre – und sah auf den Vielzweckapparat an ihrem Handgelenk. »Es ist jetzt fast zwei Uhr morgens!« »Jaaaah!« antwortete ich meinerseits durch ein riesiges Gähnen hindurch. »Morgen müssen wir früh los. Sie haben nicht zufällig eine zweite Decke dabei, oder?« Ich blickte auf ihren Rucksack im King-Kong-Format; das verdammte Ding hätte man selbst leicht als Schlafsack verwenden können. Sie blinzelte. »O nein. Für mich selbst habe ich eine mitgebracht, nur für alle Fälle, und die können Sie gerne haben, wenn Sie wirklich darauf bestehen, denn…« »Nein, nein, ich möchte Ihnen wirklich keine Ungelegenheiten…« »Denn wenn Sie nicht unbedingt Lust haben, zu erfrieren und sich von Insekten bekrabbeln zu lassen…« Sie stand auf, packte mich am Handgelenk, und ehe ich wußte, wie mir geschah, stand ich auf den Beinen. Nachdem sie mich über
die Lichtung und eine kleine Anhöhe dahinter halb geschleift hatte, zeigte sie voll Besitzerstolz mit dem Finger den Hügel hinunter. Dort im Tal, im Schein des Mondes und der Milchstraße, keine lausigen fünfhundert Meter von meinem feuchten, dunklen, elenden Lagerplatz entfernt, lag in einem großen, warmen See von butterweichem elektrischen Licht Onkel Olongos Blockhütte.
7. Kapitel Ein Zoobesuch Olongo Featherstone-Haugh, Amerikas fünfundzwanzigster Präsident (Gallatins letzte Amtszeit und ›keiner der Obigen‹ nicht mitgezählt) war ein Everest von Fleisch in einer Lawine aus rötlichschwarzem Zottelfell. Nur waren wir nicht in den Vereinigten Staaten, sondern in der ›Konföderation von Nord-Amerika‹ – und die Liste früherer Exekutivchefs schloß vier Frauen, zwei Indianer, einen Schwarzen und einen franko-kanadischen Chinesen ein. Aber ich greife vor. Nachdem Koko sich vergewissert hatte, daß mein kleines Feuer sorgfältig gelöscht war, führte sie uns Aliens hinunter zu einer weitläufigen, dreistöckigen Villa, die sie ganz ehrlich für ein bescheidenes Ranchhaus hielt. Ein weißgetünchter Holzzaun trennte Rasen und Weide; irgendein Schwachkopf hatte wie üblich den gekiesten Weg entlang kopfgroße Steine aufgereiht und sie angemalt – mit rosa Leuchtfarbe. Die Freenies müssen geglaubt haben, hier stünde eine Schlange am Fahrkartenschalter. Vielleicht kam es mir nur so vor wie eine fünf Kilometer lange Wanderung hinten herum. Selbst zu dieser späten Stunde rührte sich etwas in der hangarähnlichen Küche, ein ergrauendes, weibliches Wesen, das Koko als ›Großmutter Goldilocks‹ ansprach, und das uns alle mit frischen, heißen Biskuits, mehr Butter, als ich außerhalb eines Lagerhauses des Landwirtschaftsministeriums jemals gesehen hatte, Rühreiern und Stapeln von winzigen, seltsam gewürzten, dünn-geschnittenen Steaklets traktierte. Meine Gefährten wußten den literweise servierten, dampfenden Kaffee zu schätzen. Ich auch. Mich hält er nie wach, wenn ich nicht will – ich kann eine Tasse davon mit zu Bett nehmen wie warme Milch. Binnen ziemlich kurzer Zeit sah ich doppelt; zu viel Essen, zu
wenig Schlaf. Meine flauschigen Gastgeberinnen verfrachteten mich – die anscheinend unermüdlichen Freenies marschierten hinterher – in ein Gästezimmer am Ende eines halbkilometerlangen Korridors. Ich mußte immer an den Yankee denken, der in Texas in ein Schwimmbecken fiel und mit dem Schrei unterging: »Nicht spülen!« Bis auf die REM-Extravaganz meines Römischen Feiertags ungefähr eine Stunde später fiel ich wie tot aufs Kissen und kehrte erst um drei Uhr am nächsten Nachmittag unter die Lebenden zurück – nackt wie ein Eichelhäher. Nun ja, wenn es die Äffinnen nicht in Verlegenheit gebracht hatte, mich würde es auch nicht einschüchtern. Die dicke Steppdecke war fröhlich mit Rinderbrandzeichen und Kakteen bedruckt. Der Bettrahmen aus Conestoga-Wagenrädern paßte zu einem weiteren Exemplar davon, das horizontal an der Decke befestigt war und ein halbes Dutzend Lampenzylinder trug. Die Wände waren aus schwammigem, verwittertem Mesquite, und der Vorleger auf dem Boden hätte selbst von einem Gorilla stammen können, bis auf die hakenförmigen Krallen an den Rändern und das häßliche Ursus-horribilis-Fauchen, in das ich beinahe meinen Fuß hineingesteckt hätte, als ich aus dem Bett stieg. Ich fand meine Kleider frisch und fleckenlos in einem Schrank mit einer imitierten Saloontür, den man höflicherweise offengelassen hatte. Eine kurze Panik legte sich, als ich die Felddichtekomponente zusammen mit dem sonstigen Inhalt meiner Taschen auf einer Bierfaßkommode entdeckte, in einer Lampe, die einem winzigen Pferdetrog mit Handpumpe nachgebildet war. Ohne weiter zu überlegen wollte ich wieder in meinen grünen Akademieanzug steigen, aber ein aufrührerischer Impuls veranlaßte mich, die anderen Kleider durchzusehen, die man mir zum Aussuchen hiergelassen hatte. Die Hosen waren hier robust, weit, ausgestellt, und hatten extrabreite Gürtelschlingen, als würde jedermann in seiner Freizeit Gewichtheben und brauchte eine Nierenstütze. Es gab Überwürfe in militärischem Schnitt (wenn man die beinahe yamaguchianischen
Muster und Farben außer acht ließ), eine Sportjacke mit Nehrukragen, die vielleicht dem Schah von Ägypten gefallen hätte und deren Saum auf dem Terrakottaboden schleifte, und direkt daneben drei richtige, echte Kilts, komplett mit Sporran, zwei davon in ehrlichem Plaid – und einer – um Ochskahrts willen! – in Paisleymuster! Auch ein paar Klamotten mit Kapuze, irgendwo zwischen einem Umhang und einem Schultertuch. Ich behielt lieber meine Fliegerstiefel anstatt die Füße in eines der spitzen Ungetüme unten im Schrank zu stecken, wählte mir aber eine gefältete, orangefarbene Hose – das Konservativste, was zu haben war – und eine taubenblaue Bluse mit Schulterklappen. Ich war darauf gefaßt, für das, was ich so zusammenwarf, ausgelacht zu werden – schließlich hatte niemand Mrs. Gruenblums kleinen Jungen für diesen Auftrag ausgebildet – und es später zu korrigieren. Unter eines dieser Umhangdinger, silbergrau und flott zurückgeschlagen, schnallte ich mein blutgeflecktes Pistolengehänge; damit fühlte ich mich in unbekanntem Gelände sicherer, und letzte Nacht war mir aufgefallen, daß sogar Großmutter Goldilocks am Herd bewaffnet war – mit einem halbauffälligen, vierläufigen Derringer, ungefähr Kaliber .60, der zusammen mit einem Medaillon an einer Goldkette ihre ganze Garderobe ausgemacht hatte. »Wenn du in Rom bist«, ich schauderte, weil ich wieder an den Traum denken mußte, »sag zum Tisch guten Tag.« Draußen war der Himmel leicht bedeckt, und es nieselte, die Sonne sah aus wie eine anämische Messingscheibe. Das Fenster ging hinaus auf eine Wiese, die eingefaßt war von Nadelbäumen, die in dem feinen Dunst beinahe schwarz wirkten. Am Rande des Blickfelds grasten mehrere Dutzend vierfüßiger Kleckse, bewacht von einer verschwommenen Gestalt auf einem Pferd. Nachdem ich mein Pistolenmagazin überprüft hatte, warf ich einen letzten Blick auf den Teil der Wand, der auf einen nicht seitenverkehrten Spiegel eingestellt war, drehte mich hierhin und dorthin und wackelte mit den Augenbrauen: »Toll!«
Als die Tür mir höflich den Weg freimachte, entdeckte ich Color, der auf mich wartete und dabei genüßlich schmatzend an einem Teebeutel suckelte. »Die Hosen trägt man eigentlich in die Stiefelschäfte gesteckt, o Herr.« Auf einem Bein hüpfend brachte ich das in Ordnung, dann folgte ich dem vierzig Zentimeter großen, fluoreszierenden Modekritiker, der sich den Gang hinunterwälzte – die Schnur und das Etikett des Teebeutels hingen ihm unter dem Panzer hervor. Sie waren im Wohnzimmer versammelt, und ich hatte richtig getippt, wenigstens in bezug auf den Waffengurt. Olongo Featherstone-Haugh konnte seine Hosen nicht in die Stiefel stecken: die Drillichbermudas, die er trug, komplett mit Lederetikett und Kupfernieten, verfehlten den Rand seiner fünfundvierzig Zentimeter langen, rotweißen, mit Goldadlern verzierten Maultiertreiberstiefel um etwa einen Kilometer. Die Tony Lamas paßten zu einem schweren, ledernen Pistolengehänge. Die Shorts paßten zu einer Weste mit Monogramm und Kupferknöpfen. Am anderen Ende des Zimmers, auf der Rückseite eines massiven Rollpults lag ein perlgrauer Stetson, groß genug, um darin Erweckungsversammlungen abzuhalten. Neben Olongo saß Koko in einem SquawKleid mit Conchogürtel und dreißig Pfund Türkisschmuck. Der Präsident sah genauso aus wie ein riesiger, fellbedeckter Jubelrufanführer der Cowboys von Dallas. Es wäre nicht allzu verrückt gewesen, wenn ich gleich hier in diesem Zimmer nach Georgie gesucht hätte. Genügend Platz war zwischen den mit Leder tapezierten Wänden. Beide Gorillas saßen auf einem zwei Tonnen schweren Kalbsledersofa, das nicht viel kleiner war als die ›San Francisco Palace‹. Koko hatte eine Tasse Kaffee auf dem Knie, Olongo einen Kühlbecher in der Hand, der mich wieder an das besagte texanische Schwimmbecken erinnerte. Er deutete auf eine ähnliche Sitzgelegenheit auf der anderen Seite eines Kaffeetischs mit Steinplatte, Fläche: ein Morgen, unter Glas lugten kleine Trilobiten und versteinerter Seetang hervor. In der Mitte stand dampfend das Mittagessen, dazu ein Wald kubanischer Zi-
garren. Schwer hin- und hergerissen wich ich dieser Entscheidung aus, indem ich mich genauer umsah. Als ich an diesem Morgen aufgewacht war, hatte ich als erstes meine Gedächtnisstützen für das zwanzigste Jahrhundert und seine Geschichte abgerufen – Fakten, die mir während der Zeit an der Akademie eingepflanzt und seither mittels TraumKappe regelmäßig ergänzt worden waren. Ich wußte nicht, was mir das in diesem Augenblick nützen sollte: allein, daß ich in diesem Raum saß, ließ genügend Mißtöne entstehen, um mich in die Migräneabteilung zu schicken. Er war wie das Schlafzimmer, mit höheren und dickeren Pfählen und Lehmziegelboden; schmeideeiserne Lüster und Wandleuchten, alles imitierte Petroleumlampen; noch mehr Wagenräder und leere Grizzlybären; überall, wohin man schaute, Hirsch- und Elchgeweihe. Auf der Couch, auf der ich saß, lag eine Decke aus Pumafell. In einer Ecke waren in einem Glaskasten drei Dutzend tödlich aussehender Handfeuerwaffen zu sehen, die meisten davon hätten von Rechts wegen noch gar nicht erfunden sein dürfen. Am seltsamsten war vielleicht, daß über einem begehbaren, offenen Kamingewölbe aus Adobe ein Porträt des geachtetsten Kintopp-Idols des zwanzigsten Jahrhunderts, John Wayne, mit der rätselhaften Widmung hing: »Für Olongo mit den besten Grüßen, Mike.« »Mein lieber Captain Gruenblum!« Das Westlich-des-PecosAmbiente wurde durch Olongos Oxfordakzent unmittelbar beeinträchtigt. »Bitte, machen Sie es sich bequem, mein Alter. Wir haben hier nicht oft das Vergnügen, einen glaubwürdig ›geheimnisvollen Fremden‹ begrüßen zu können.« Er winkte mit seiner breiten Hand zu der Suppe und den Sandwiches hin, die die schlicht gekleidete Goldilocks gerade auf dem Tisch verteilte, füllte sein eigenes Riesenglas zur Hälfte mit Tomatensaft und kippte eine Plastikdose Bier dazu. Es schäumte. Ich sah Koko an und fragte mich, wieviel sie ihm wohl erzählt hatte.
»Sehr gerne, Herr Präsident. Für meine Freunde ist gesorgt, wie ich sehe; wenn wir uns noch vorstellen dürfen, das hier sind Color, Charm und Spin.« Die Außerirdischen knicksten höflich mit den Augenstengeln. »Vermutlich«, bemerkte der Präsident, »haben wir alle unsere kleinen Marotten.« Die Yamaguchier hockten auf einem Diwan mit einer indianischen Decke, der an den Tisch herangezogen war. Das Menü für die im wesentlichen vegetarisch lebenden Biester bestand aus Kaffee und Salat. Ich folgte ihrem Beispiel, fügte noch einen Viertelquadratmeter Steak hinzu, dachte an ein Bier – aber dagegen hatte mein Magen etwas einzuwenden – und lehnte mich zurück. »Und dieser Bursche mit dem grimmigen Gesicht« – mein Gastgeber nickte einer Gestalt zu, die neben dem vom Boden bis zur Decke reichenden Panoramafenster stand – »ist Austin Clintwood, mein Vormann. Koko gab mir zu verstehen, daß er Ihnen vielleicht behilflich sein könnte.« Clintwood war relativ groß, trug verwaschene Blue Jeans, Ledergamaschen und eine Lederweste, ein leuchtend buntes Hemd, das sich mit seinem Halstuch biß, und den allgemein üblichen, breiten Revolvergurt, ziemlich abgewetzt. Er war barfuß. An seiner Hüfte hing eine altersgraue Automatik, und aus seiner Westentasche guckte das Etikett eines Bull-Durham-Sacks. Hut und Sporen hielt er höflich in einer Hand, aber er wirkte ungeduldig, wollte hinaus und tun, was Cowboys eben so tun, wenn sie draußen sind. Schade, er war nämlich als erster Konföderierter, den. ich kennenlernte, kein Gorilla. Er war Schimpanse. Seine William S. Hart-Aufmachung wurde nur ein klein wenig durch die Banane gestört, die er mampfte, aber die Stimme glitt leise und ruhig aus seinem Handgelenksprecher, beinahe flüsternd. »Hallo.« Er war ein wortkarger Affe, stark und schweigsam. »Ebenfalls hallo«, antwortete ich. »Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Raumschiffe gesehen, ungefähr fünfundzwanzig Meter
groß, rund und glänzend?« Ich demonstrierte es ihm mit Handbewegungen. Clintwood warf seinem Boß einen mürrischen Blick zu, als ob er sagen wollte, deshalb hast du mich also hier reingeschleppt? »Ich versichere dir, Austin, der Gentleman meint es ernst.« Olongo machte eine Handbewegung zu den Freenies hin. »Und er ist aufrichtig, wenn diese kleinen Burschen irgendwie – beim Geist des großen Albert, wie gnädig! Nach allem, was ich weiß, könntet ihr drei ja… ich muß mich vielmals entschuldigen, liebe Freunde, ich…« »Mein Fehler, Mr. Präsident«, mischte ich mich ein, als Olongo seine Selbstgespräche beendet hatte. Ich nickte dem Schimpansen zu. »Ich mache auch Ihrem Gewehrreiniger keinen Vorwurf wegen seiner Skepsis.« Ich kämpfte gegen die bedrückende Vorstellung von Ochskahrts Pfeiler an. »Vermutlich muß ich die ganze, verfluchte Geschichte noch einmal von vorne erzählen. Wieviel wissen sie schon, Koko?« Ich griff nach einer der Havannas auf dem Tisch. Sie nippte zierlich an ihrem Kaffee. »Nur daß ich Sie gefunden habe, wie Sie da draußen herumirrten und nach Ihrer ›fliegenden Untertasse‹ suchten.« Sie zwinkerte mir zu. »Und daß die Freenies von Ganymed kommen.« »Sie haben nicht gesagt, daß ich ein…« »Mann, Bernie! Ich dachte, das wollten Sie nicht!« »Sehr diskret. Wenn ich dreihundert Kilo mehr wiegen würde…« – ich blickte grinsend auf meine hagere Gestalt hinunter –, »ich glaube, dann würde ich Sie um Ihre Hand bitten, Miß Featherstone-Haugh. Olongo, Austin, Großmutter Goldilocks, Sie sehen einen Mann-aus-der-Zukunft vor sich…« Man kann sich nie darauf verlassen, daß ein Gruenblum sich kurz faßt. Jedes Krümelchen, Bissen für Bissen, verschwand vom Kaffeetisch; wir holzten Olongos Zigarrenwald ab, er mußte Nachschub an Trinkbarem kommen lassen.
Während Clintwood undeutlich Obszönes über das ständige Nieselwetter der vergangenen Woche murmelte, hatte er seine Pistole auseinandergenommen, die Teile über die ganze Tischplatte verstreut, und jetzt reinigte er sie. Der Bursche hört nie auf zu arbeiten: Erst als das Ding trocken und fleckenlos wieder in seinem Halfter steckte, gehorchte er dem ausdrücklichen Befehl seines Bosses, sich zu entspannen, unterstützt von zwei doppelten Bourbons. Auf dem Etikett stand ›Old Lysander‹. Für mich roch das Zeug exakt so wie die Lösung, mit der er seine Automatik gereinigt hatte. Es war ziemlich schwer, mit meiner Geschichte an Nagasaki vorbeizukommen. »Habe ich richtig gehört, junger Mann?« Großmutter Goldilocks drehte mit dem Daumen ihr Hörgerät lauter. Es hatte sich herausgestellt, daß sie wirklich Kokos Großmutter war; das junge Gorillamädchen hatte sich von ihren Eltern – Cinderella und B'wana – Olongos Bruder – ›scheiden lassen‹. Ich kam nie ganz dahinter, ob Goldilocks die Mama von Cinderella oder von Olongo war. »Ja.« Clintwoods Stimme kam zischend aus dem Handgelenksprecher. »Ich kapiere nicht einmal, warum sie die erste Uranbombe auf die Nippons geschmissen haben – ganz zu schweigen von der zweiten.« »Plutonium, Austin. Und jetzt haben sie mich festgenagelt, mein Freund. Ich war immer schon der Meinung, sie hätten den Japsen das verdammte Ding nur mal vorzuführen brauchen – weit vor der Küste. Wetten, denen wären vor Schreck die Kimonos vom Leib gerutscht? Außerdem haben sie sowieso auf dem letzten Loch gepfiffen. Die zweite Bombe? Das war schlicht und einfach Geiz. Schließlich hatte sie eine Menge Geld gekostet. Ich habe gehört, sie sei ursprünglich für Berlin bestimmt gewesen. Nun war es aber so, daß Roosevelt ein Abkommen mit den Russen getroffen hatte – können Sie mir folgen? –, niemand sollte eine Extrabombe rumlie-
gen haben, also mußte die Trumanregierung einen Weg finden, um sie zu verbrauchen.« »Und Zehntausende von denkenden Wesen dazu – und das, nachdem sie die Deutschen wegen Massenmordes verurteilt hatten! Das kommt mir allmählich bestürzend bekannt vor, Bernie.« Der Präsident schauderte. »Bitte kommen Sie zum Ende, so schnell Sie können!« Damals kam ich gar nicht auf die Idee, mich zu fragen, wieso Olongo über den Zweiten Weltkrieg so gut Bescheid wußte. Ich erzählte einfach weiter bis zu der Stelle, als ich seine Nichte beinahe für einen Grizzly gehalten hatte und ihr Akkordeon aus seiner offenkundigen Bedrängnis befreien wollte. »Sie sehen also, es geht nicht nur darum, wie ich ins Jahr 2285 zurückkomme. Wenn ich Georgie gefunden habe, ergibt sich das von selbst. Die Schwierigkeit ist, ich weiß nicht genau, was für ein dreiundzwanzigstes Jahrhundert da oben auf uns wartet. Mit allem schuldigen Respekt, ihr Leute hier gehört in kein Kontinuum, das mir bekannt ist.« »O je!« schrie Koko, einen verdatterten Ausdruck auf ihrem fellumrandeten Gesicht. »Und ich dachte, mir wäre alles klar! Onkel Olongo, was geht hier eigentlich vor?« Der Präsident starrte in die sich verdichtende Dunkelheit hinaus und zog an seiner Zigarre. »Captain Gruenblum…« »Bernie.« »Na gut, Bernie; was du uns erzählt hast, ist dem Bezugsrahmen, auf den wir eingestellt sind, diametral entgegengesetzt. Reisen in die Vergangenheit und in die Zukunft? Es gibt da so Phantasiegeschichten… wie hieß doch dieser Schriftsteller – Proxmire oder so ähnlich. Kokos Vermutungen bezogen sich jedoch auf ein Phänomen, das, obgleich kein Fünkchen weniger phantastisch, dennoch beweisbar und wirklich ist: zufällige Versetzung entlang der Linien der Wahrscheinlichkeit.« Ich starrte meinen Gastgeber an. »Wie war das doch nochmal?«
»Bernie, das Universum ist breiter, als irgend jemand es noch vor zehn Jahren geahnt hätte. Es gibt… ah… ›Orte‹, wo – ein schreckliches Beispiel – etwa George Washington und Alexander Hamilton den Whiskyaufstand gewonnen haben oder…« »Immer sachte mit den jungen Pferden!« Ich murmelte Gedächtnisstützen für das achtzehnte Jahrhundert vor mich hin. Fakten rasteten auf meiner Gehirnrinde ein. »Aber sie haben ihn doch gewonnen, Olongo! Washington fing an, Steuern einzutreiben, wie es ihm gefiel, und Aaron Burr erschoß Hamilton in einem Duell.« »Burr!« überlegte Olongo. »Kann mich nicht erinnern, den Namen schon mal gehört zu haben; ich werde mich erkundigen. Aber das ist genau, was ich sagen will, mein Herr: Vielleicht kommst du aus der fernen Zukunft, aber du kommst auch aus einer alternativen Realität, und wenn das, was Goldilocks heute morgen für dich hergerichtet hat, wirklich eine militärische Uniform war – schwer zu sagen, wenn nur eins von den Dingern herumliegt –, dann glaube ich zu wissen, um welche alternative Realität es sich dabei handelt.« Mir tat der Kopf weh. Das ganze Gerede von alternativer Realität verstand ich nicht – solche Ideen sind gefährlich und werden von der Akademie stillschweigend, aber heftig unterdrückt. Aber ich war jetzt dahintergekommen, wo der Fehler lag. Jemand – Cromney und seine Bande oder vielleicht sogar eine andere Gruppe von Zeitpfuschern auf einem anderen Auftrag –, jemand hatte schließlich alles katastrophal versaut. In irgendeiner Zeit war ein bedeutendes, historisches Ereignis durch Unvorsichtigkeit oder Böswilligkeit verändert worden, hatte die folgende Geschichte, wie ich sie kannte, zerstört und an ihre Stelle diesen ›Planeten der Affen‹ gesetzt, den ich vor mir hatte. Es gab keine Akademie mehr und auch keine westtexanischen Vororte von Oklahoma City, wo ich einst meinen nichtvorhandenen Hut aufhängte. Es würde mir – und auch den Freenies – überhaupt nichts nützen, wenn wir Georgie fanden. Es gab keine Zukunft mehr, in die wir hätten heimkehren können.
Wieder war es völlig dunkel; der Regen hatte keine Minute ausgesetzt. Die Diskussion endete hier zwar nicht, aber meine Beiträge dazu wurden unerklärlicherweise immer seltener, als ich einer plötzlich aufgetretenen, lähmenden Müdigkeit nachgab. Vermutlich hatte ich in letzter Zeit zuviel durchgemacht. Vielleicht gab mir der Marguerita, den Goldilocks brachte, den Rest. Als die Freenies mich ins Bett brachten – so habe ich es jedenfalls vage in Erinnerung – wirbelten meine Gedanken in Kreisen den Abfluß hinunter. Auch wenn wir hier wirklich und wahrhaftig festsaßen, war es immer noch mein allererstes Anliegen, Georgie wiederzufinden. Ich vermißte sie mehr als irgendein Lebewesen, und sie war ein unschätzbar wertvoller Aktivposten, wo es ums Überleben ging. Außerdem gab es die Möglichkeit, daß ich mit ihr in der Zeit rückwärts ging, den Riß fand und ihn beseitigte – halt, da war ein moralisches Hindernis! Wenn ich meine eigene Zeitlinie wiederherstellte, dann machte ich doch den freundlichen, großzügigen Primaten, die ich hier kennengelernt hatte, sicher den Garaus. Gorillas und Schimpansen, zurück mit euch in den Zirkus und den Zoo. Ich glaube, dafür hatte ich nie besonders viel übrig. Die Konföderation von Nord-Amerika zu vernichten kam mir genauso mies vor wie das, was meine Welt vernichtet hatte. Eines war sicher: Cromney, Kent und die Janof hatten mich da reingerissen – in ihrem Fall fand ich, eine vernichtende Katastrophe, am liebsten durch meinen Colt ausgelöst, sei eine ganz prima Idee. Mit dem Gedanken, daß ich Austin Clintwoods Beispiel hätte folgen und mein Schießeisen reinigen sollen, schlief ich ein. War mir nur… in dem Augenblick… nicht… sehr… höflich… ersch…
8. Kapitel Stiefel und Reitbeschwerden »JIPPIIIIE!« Der sonst so wortkarge Austin Clintwood hatte ein Grinsen auf seinem wettergegerbten Gesicht, brüllte und schlug mit seinem breitrandigen Hut auf sein bockendes Roß ein. Der reichverzierte Sattel knarrte, wenn er das Gewicht von einem Steigbügel auf den anderen verlegte. Sein Pferd drehte sich im Kreis, taumelte, wälzte sich am Boden, aber er blieb schneidig oben, was ihm von seinen Primatenviehtreibern, die sich auf Olongos vorderem Rasen versammelt hatten, zufriedenes Beifallsgeschrei eintrug. »Reit ihn, Aus!« »Reit ihn, Cowboy!« »Wahuuu!« Clintwood ritt ein letztesmal vorbei, lehnte sich nach Steuerbord über und schwang sich dann, elegant wie ein Präriefalke in Spiralen hundert Meter weit nach oben, die beiden elektrostatischen Flügelräder seines verchromten Himmelsflitzers wimmerten eine Oktave höher. Er wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn, grinste verlegen, knallte sich seinen Sombrero auf den Kopf und verschwand über den kiefernbewachsenen Hügel hinter dem Ranchhaus, zweifellos schon wieder mit seiner normalen, bierernsten Miene. Bleich und verschämt gab die Sonne durch den Nieselregen am anderen Ende des Tales ihr Debüt. Olongo lehnte sich in seinem massiven Schaukelstuhl auf der Veranda zurück und rauchte seine erste Zigarre an diesem Morgen zu Ende, das Frühstück – Steak und Eier – war schon eine glorreiche Erinnerung. Koko hockte oben auf dem Geländer und drängte darauf, daß es weiterging. Ich saß auf einem leeren Nagelfäßchen
und fürchtete mich vor der Feuerprobe, die mir bevorstand. Es war nicht nur die scheußliche Nässe, die von den Dachrinnen tropfte, obwohl ich nicht gerade begeistert war, daß der Cowboyanzug, den ich mir an diesem Morgen ausgeliehen hatte, völlig durchweicht werden sollte. Die Sache mußte erledigt werden. Es machte mich ganz verrückt, daß ich nicht wußte, was Cromney und seine Kumpane die ganze Zeit getrieben hatten. Nur war ich eben mit Pferdefleisch noch nie auf besonders gutem Fuße gestanden. Der Präsident hörte auf zu schaukeln und drückte seine Zigarre an der Seite seines Stiefelabsatzes aus. »Nun, Sir, ich glaube, wir müssen los. Das war schließlich der Grund, warum wir zu einer so schrecklichen Zeit aufgestanden sind.« Olongo war der Meinung, ein Gentlemanrancher habe keinerlei Veranlassung, sich an denselben, gottlosen Zeitplan zu halten wie die Bauern im Mittelalter, ehe man das elektrische Licht und die Spätprogrammfilme erfunden hatte. Heute war eine unwillkommene Ausnahme; wir mußten viele Kilometer zurücklegen und hatten dafür nicht gerade zuviel Tageslicht zur Verfügung. Koko sprang auf und stieß mich beinahe um. Dicht gefolgt von Color, Charm und Spin überquerten wir drei den gekiesten breiten Hof zum Pferdestall. Für uns gab es keine verchromten ›Cayuses‹. Zwei zueinander passende Clydesdales waren schon für die Gorillas gesattelt. Auf die Schimpansen, die mitkommen würden, warteten zwei Shetlandponies. Im nicht allzu unangenehm riechenden Dämmerlicht stand ich und schätzte die mittelgroße Stute ab, die man für Ihren ergebensten Diener ausgesucht hatte, während sie das gleiche mit mir tat. Allzu sympathisch waren wir uns nicht. Auf der Akademie hatte man ausprobiert, wie ich mich mit Pferden anstellte; bei einem Sechstel g ist das Hauptproblem, mit Hilfe von Velcro im Sattel haften zu bleiben. Ich ging um das Dollbord auf der Backbordseite der großen Grauen herum und hielt mich dabei in respektvollem Abstand von ihren eisenbeschlagenen Tor-
pedoröhren. »Was machst du da, Bernie?« »Was glaubst du denn, Koko? Ich steige auf mein Pferd.« »Nun, es ist wirklich nicht nötig, das von links zu tun. Unsere Tiere sind an beide Seiten gewöhnt.« Um mir das zu beweisen, hüpfte sie von der rechten Seite aus auf ihren fransenfüßigen Brauereigaul hinauf. »Siehst du?« Soviel zu meiner Erfahrung als Reiter. Ich schob wiederstrebend einen Fuß in den Steigbügel. Man hatte mir schließlich doch noch ein Paar schreiende Justin-Austernöffner aufgedrängt. Abgeworfen und hinterhergeschleift zu werden ist irgendwie eine grausige Vorstellung. Gerade als ich so schön aus dem Gleichgewicht war, spürte ich das altvertraute Zupfen an meinem Hosenbein. »Bernie, bist du ganz sicher, daß du dem gewachsen bist?« Ich blickte über die Schulter nach unten. »Gesandter, deine ehrliche Besorgnis wird pflichtschuldigst zur Kenntnis genommen, und ich weiß es zu schätzen, daß du durch diese ganzen ›Caballo‹Ausdünstungen gewatet bist, nur um für mich den Hypochonder zu spielen. Aber mir geht es gut – und jetzt laß mein Bein los!« Charm schüttelte seinen Augenstengel und wechselte einen pessimistischen Blick mit den anderen Freenies hinter sich. »Gestern abend ging es dir aber gar nicht so gut, Bernie. Hinter deinem Ohnmachtsanfall steckte mehr als nur Müdigkeit oder eine kleine Menge Alkohol, da bin ich ganz sicher.« Jetzt, wo er davon sprach, fand ich es selbst ein wenig sonderbar. In der einen Minute hatte ich noch mit den Featherstone-Haughs geplaudert, und in der nächsten zog mir ein Yamaguchier die Bettdecke bis ans Kinn hoch. »Ich sage dir doch, ich bin nicht ohnmächtig geworden!« Ich krampfte beide Hände um den Sattelknopf. »Ich bin weggetreten, das ist ein Unterschied!« »Bernie, meine Gefährten und ich haben darüber nachgedacht und sind sehr besorgt um deine Gesundheit. Ist dir nicht selbst
aufgefallen, wie deine Aufmerksamkeit abschweift, wie du sogar in Schläfrigkeit verfällst, sobald…« »Charm, du und deine kleinen Freunde, ihr solltet das Denken besser mir überlassen. Das ist doch der Sinn der Religion, nicht wahr? Und wer hat schon je gehört, daß Gott 'nen Schwächeanfall kriegt? Und jetzt geh mir aus dem… gnnnngg!« Ich hievte ein Bein über das Leder und klammerte mich an den Sattelknopf, als ginge es um mein Leben. Der Gesandte flitzte samt seinen Freunden hastig außer Reichweite der Hufe. Der Sattel knarrte und kippte – ich weiß nicht, die Dinger werden anscheinend nie genug festgeschnallt. Inzwischen hatte ich irgendwie die Zügel verloren, die Enden hingen zu Boden. Ich beugte mich vor, streckte mich unter Schmerzen, um sie aufzuheben, während mir die Stute aus den Augenwinkeln einen zynischen Blick zuwarf und tückisch grinste. »Na gut, du Hundefutter, ich verstehe also nichts davon. Dann zeig mir mal, wie du eine Zeitmaschine fliegst!« Ich schüttelte den Kopf, um die Spinnweben rauszubekommen. Sie schnaubte, senkte die Nase in einen Heuballen an der Rückwand des Stalls und zog mich beinahe über ihren Hals. Koko ließ ihren Hengst herantänzeln, damit er sich über diesem vierbeinigen Witzbold und mir auftürmen konnte. »Das darfst du ihr nicht durchgehen lassen, Bernie! Du mußt ihr zeigen, wer der Boß ist!« Ich zerrte erfolglos an den Zügeln. »Ich glaube, das weiß sie ganz genau.« Mittels einer Sondergenehmigung von Mr. Murphy brachte ich das Tier schließlich in Gang, lenkte es nach rückwärts, wendete es und wir folgten Koko und Olongo in den Regen hinaus, die Schimpansen bildeten die Nachhut. Als wir unter Knirschen und Klappern den Kieshof überquerten, wurden drei kleine, verlassene Stahlhelme in rosa Leuchtfarbe in der Ferne allmählich kleiner und winkten uns mit ihren Periskopen traurig zum Abschied nach.
Eines kann man über das Reisen zu Pferde sagen: Es geht langsam. Mir kam es vor, als sei es ein Viertel nach Ewigkeit, ehe wir das Tal überquert hatten und zwischen die Bäume hineinritten. Einer der Schimpansen galoppierte an mir vorbei, um mit Olongo etwas zu besprechen, dann ritt er vorne weiter. Ich war damit beschäftigt, den gelben Plastikregenmantel von meiner Sattellehne abzurollen, weil mir der Platzregen hinten ins Genick kroch. Ich hatte mich geweigert, eine von diesen Zehn-Gallonen-Pizzas zu tragen wie alle anderen. Aber die Konföderation hatte ein weiteres, seit Generationen bestehendes Problem gelöst: Unter dem Regenmantel wurde es nicht heiß, und man schwitzte auch nicht; irgendwie atmete er und hielt mich gleichzeitig einigermaßen trocken. Ich schaute auf die Stute hinunter, der das Wasser über die Stirnlocke strömte, und grinste höhnisch. Es stellte sich heraus, daß sie Bella hieß, und von dem unglücklichen Augenblick an, als wir uns zum erstenmal sahen, führten wir Krieg auf Leben und Tod. Jeder Pflanzentrieb war für sie eine Cafeteria. Jedesmal, wenn sie den Kopf senkte, um einen Imbiß zu nehmen, verstauchte ich mir beinahe beide Arme. Sie ging exakt so dicht an Bäume und Felsen heran, daß sie mich nicht ganz abstreifte, und machte sich einen Spaß daraus, mir immer wieder ihre regendurchweichte Fliegenklatsche von hinten überzuziehen. Ich kenne Aliens, die intelligenter und kooperationsbereiter waren als Pferde. Ich entdeckte, daß nicht jeder, der sich bei vierbeinigen Motorrädern herumtreibt, unkritisch verrückt nach ihnen sein muß. Der letzte Kälbertreiber, der hinter mir ritt, riet mir – zwischen mangelhaft unterdrückten Kicheranfällen –, ich solle mir von Bella nichts gefallen lassen. Richtiggehend grob solle ich werden, sagte er, auf eine Art, die mich überraschte, als er sie mir demonstrierte, und bei der ich jeden Augenblick damit rechnete, den Zorn des Konföderierten Tierschutzvereins auf meine mageren Schultern herabzubeschwören.
Ich wollte mir gerade meine vierte Zigarre anzünden, als Olongo mich zu sich winkte. Die Stute fiel in Trab und hätte mir beinahe eine selbsttätige Blinddarmoperation verpaßt, bis ich ihr einen Tritt versetzte und sie einen anderen Gang einlegte. »Horrido, alter Anthropoide! Haben wir ihnen den Weg über den Paß schon abgeschnitten?« Wenn Bella einmal in Fahrt war, war sie schwer aufzuhalten. Ich überholte und mußte wenden und zurückreiten. »Das werden wir gleich sehen«, antwortete der Affenchef. Er griff an seinen Sattelknopf und klappte den Deckel weg. »Also los dann, Austin!« Eine winzige, blecherne Stimme meldete sich. Olongo gab mir einen Wink; ich klappte meinen Sattelknopf auf. In dem hohlen Sattelrahmen müssen eine Menge Transistoren gewesen sein; ein winziger 3D-Bildschirm lieferte mir einen Reisebericht aus der Luft. »… sicher, aber da ist etwas. Hat vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig Meter und ist rund. Auf der unteren Weide, wo Sie letzten Herbst diesen Fünfender geschossen haben.« Clintwood richtete den Kamerasucher auf sich selbst, zog seinen kleinen Tabaksbeutel heraus, rollte sich mit einer Hand einen Sargnagel, riß sich an seinem oberen, rechten Eckzahn ein Küchenstreichholz an und gab sich Feuer. Hinter ihm kippte der dunstverhüllte Horizont wie verrückt, als er den Flitzer mit den Knien in eine lange, träge Kurve legte. »Ich geb euch noch 'nen Rundblick!« Allzu informativ war es nicht. Der Bildschirm war klein; durch das Wetter war die Wiese hundert Meter weiter unten nicht zu sehen. Clintwood wollte landen, aber es gab Einspruch. Wenn ein durchnäßter Zweig in diese Kilovoltflügelräder vorne und hinten hineingeriet, warnte Olongo, würde es ein Feuerwerk von hier bis nach Dakota geben. Selbst bei stärkster Vergrößerung von beiden Seiten war die runde Stelle auf dem Boden kaum zu erkennen, sie war so groß wie Georgie und dunkler als ihre Umgebung. Ich war überrascht, als ich spürte, wie mein Herz flatterte. Mußte an der
Höhe liegen. »Das ist das Mädchen, Euer Präsesschaft! Wie schnell können wir da oben sein?« »Austin?« »Boß, Ihre Gruppe ist ungefähr fünf Kilometer östlich bis südöstlich. Ich komme zurück und weise euch ein.« »Unsinn. Du gehst ins Haus und trocknest dich ab, du Blödmann. Das ist kein Wetter zum Fliegen. Sieh mal, was du bei der Kiste Kingsleys anrichten kannst, die heute morgen gekommen ist – und noch was, Austin?« »Ja, Boß?« Die Kamera schwebte von der Wiese nach oben, durch Vorberge und geisterhafte Gipfel, über einen eierschalenfarbenen Himmel und wieder hinunter auf die Landschaft am entgegengesetzten Punkt des Kompasses. »Die Escadrille hat ihren größten Piloten verloren, weil du für den Krieg mit Preußen zu spät auf die Welt gekommen bist. Ende.« Er klappte seinen Sattelknopf zu. »Na, alter Junge, jetzt dauert es nicht mehr allzu lange.« »Ja«, antwortete ich, stark und schweigsam wie John, und überprüfte das Magazin meines Colts. Die Stute bog den Kopf herum und biß mich ins Knie. Diese Wiese unterschied sich in nichts von den zehn anderen, über die ich während meiner ersten Nächte hier gestolpert war. Dank des ständigen Nieselregens konnte man nicht von einem Ende bis ans andere sehen. Wir kamen aus den Kiefern heraus und orientierten uns Meter für Meter nach Clintwoods Angaben. Ich rieb mein angeknabbertes Knie und war widerwillig dankbar für das fast unzerstörbare Gewebe, das ich trug. Gleich innerhalb der Weide hielten wir hinter einem kleinen Espenwäldchen an, das sich theoretisch zwischen uns und dem Zeitbuggy befinden sollte. »Was jetzt, o Oberbefehlshaber?«
Olongo lächelte, ein Ritual, das er von den Menschen übernommen hatte. Bei seinem eigenen Volk bedeutete es eine ernsthafte – und endgültige – gesellschaftliche Auseinandersetzung, wenn die Reißzähne entblößt wurden. »Weißt du, der letzte Präsident der Konföderation, der diesen Titel ernsthaft innehatte, war Sequoyah Guess, er wurde getötet, als er im Krieg gegen Mexiko amerikanische Freiwillige anführte.« »Das finde ich gut. Es gäbe viel weniger Schlägereien, wenn die Burschen, die damit anfangen, dann auch auf sich schießen lassen müßten.« »Genau. Das war der Sinn.« Er öffnete seinen Sattelknopf wieder und nahm ein paar überraschend geringfügige Einstellungen mit seinen riesigen Händen vor. »Nun, mein Junge, du warst gut beraten, daß du dieses beschädigte Zeitinstrument vergraben hast. Siehst du den Fleck hier? Da wirst du es finden, und in der Verlängerung auch dein Schiff.« Auf meinen nach drei Stunden im Sattel zittrigen und unsicheren Beinen stehend wühlte ich in den Satteltaschen, während Bella das Ganze interessant machte, indem sie versuchte, mir auf den Fuß zu treten. Die Innennähte meiner Jeans fühlten sich an, als stünden sie in hellen Flammen. Reitsport – ich verzichte gerne darauf! Tapfer: »Ich bin für alle Eventualitäten gerüstet, Olongo. Glaubst du, die Bleifolie hier genügt? Ich möchte die Uhr wirklich nicht gern aufgeben. Und da wir gerade vom Schießen sprechen – steh still, Bella! -, ich möchte darauf hinweisen, daß das von jetzt an mein Bier ist. Ich will nicht, daß von euch netten Leuten jemand meinetwegen verletzt wird.« Ich lockerte den Kriegscolt in meinem Halfter. »Aber Bernie!« sagte Koko schockiert. Sie sprang von ihrem Clydesdale, daß die Erde bebte. Die Schimpansen waren ein paar Meter weit seitlich ausgeschwärmt und hatten ein Dreieck um meine beschädigte Nukatron mit Garantieanspruch gelegt. Jetzt kamen sie zurück. »Ganz richtig, mein lieber Captain Gruenblum, es wäre im höch-
sten Grade nachlässig, wollten wir dich jetzt, an diesem entscheidenden Punkt, im Stich lassen. Es gibt bestimmte Maßstäbe in der Konföderation, besonders was Höflichkeit gegenüber Gästen angeht.« Er stieg überraschend gelenkig ab. Darauf wußte ich nichts zu sagen. Lefty, Olongos Kundschafter, drückte sein Pony mit den Knien neben mich und entblößte seine Reißzähne auf eine Art, die wohl kaum Belustigung ausdrücken sollte. »Hin und wieder kriegen wir Schwierigkeiten mit Hamiltonisten, Captain.« Er zog eine schwere Pistole im Dardick-Stil aus seinem Halfter und kontrollierte Magazin und Zylinder, um sich zu vergewissern, daß sie voll elfenbeinfarbener, dreieckiger Plastikpatronen waren. »Für mich ist es kein Unterschied, ob es hiesige oder importierte sind, was, Dex?« Der zweite Schimpanse, Dexter, griff nach hinten in seine Satteltaschen und holte eine ausziehbare Schulterstütze heraus, die er in den Rückenriemen seiner Mauser Automatik schob, dann vertauschte er eine gewaltige Trommel mit dem kleineren Schachtelmagazin. Er zog den Bolzen ein kleines Stück zurück, vergewisserte sich, daß im Magazingehäuse eine daumengroße Patrone steckte, ließ ihn wieder nach vorne klicken und grinste grimmig. »Der Papa von Dex hat in Uganda gekämpft«, erklärte Lefty und dachte, damit sei alles klar. Der andere Cowboy sprach kein Wort, er legte nur den langläufigen Pistolenkarabiner über sein lederbekleidetes Bein und bleckte die Zähne. »Bernie, du kennst die taktische Situation besser als wir.« Der Präsident trug eine Waffe, die Webley Electric genannt wurde – Kaliber .17, Ultrahochgeschwindigkeit. Innen hob ein Nylonrotor Drahtprojektile aus dem Hundertrunden-Magazin in die Beschleunigungsschlingen. Ich hatte heute morgen zugesehen, wie er sie an einem Pappelstumpf ausprobiert hatte. Das Sägemehl hatte noch zwanzig Minuten später gedampft. Koko trug die Version Kaliber .11 mit zweihundert Schuß pro Gurt.
»Das stimmt«, antwortete ich und dachte scharf nach. »Soviel ich weiß, habe ich Cromneys einzige wirkliche Waffe zerstört, aber Georgie ist dafür eingerichtet, praktisch alles herzustellen, und selbst besitzt sie auch noch ein paar recht unheimliche Fähigkeiten. Theoretisch keine Offensivbewaffnung, aber Meteorabwehr, Kraftfelder…« Ich gähnte, blinzelte, dachte, ich sei müde vom Reiten. »Am besten schleichen wir uns an Bord, ehe man uns im Freien entdeckt.« An meinem neuen Blickpunkt – die Nase zehn Zentimeter über dem Gras – roch es angenehm dämpfig und nach Wald. Ich konnte hundert Arten winziger Wildblüten sehen, keine mehr als einen halben Zentimeter im Durchmesser, die sich die augenblicklich herrschende, tropische Feuchtigkeit zunutze machten. Wenn Kaktuswetter kam, würde alles anders aussehen. Der Nieselregen hatte endlich aufgehört, aber statt dessen kam Nebel in dichten Schwaden herunter. Selbst wenn ich aufrecht gestanden – und mich damit sofort zur Zielscheibe für Georgies multispektrale Sinne gemacht hätte – ich hätte nicht weiter als zwei Meter sehen können. Also kroch ich lieber durch triefend nasses Gras und bemühte mich, meinen Hintern untenzuhalten, außerdem hoffte ich, der wäßrige Sonnenschein würde meine Infrarotspur überdecken. Wir hatten beschlossen, auszuschwärmen, Gorillas und Schimpansen kletterten durch die Bäume, um sich dem Landeplatz aus allen Richtungen zu nähern. Ich hatte zwischen den Espen gewartet, bis Olongo, Lefty, Koko und Dexter ihre Positionen eingenommen hatten. Wegen des Kinds war es zu einem Geplänkel gekommen. »… und du, mein Mädchen, darfst hierbleiben und unsere Pferde zusammenhalten…« »Aber Onkel Olongo, das ist nicht fair!« »Mein liebes Kind, das Universum ist nicht fair, es gehorcht Ge-
setzen. Außerdem würde mir deine Großmutter nie verzeihen…« »Laß sie aus dem Spiel und sprich für dich selbst! Ich bin dreimal so groß wie Dex oder Lefty, doppelt so groß wie Bernie und schieße im Schlaf noch besser als du! Und ich kenne diesen Teil der Ranch praktisch auswendig. Frag Austin!« Er fuchtelte ihr mit seinem breiten Finger vor der Nase herum. »Berufung auf eine Autorität, Koko. Austin ist nicht hier, genausowenig wie Goldilocks. Und Dex und Lefty sind erwachsen, während du lediglich…« »Was hat das denn mit dem Alter zu tun? Wir leben in einem Freien System! Ich bin ein intelligentes Wesen und habe Rechte! Dazu gehört, daß ich Bernie helfen kann, wenn ich will!« Verlegen gestand ihr Onkel ein, daß er die gleiche Position bezüglich der Rechte von Kindern vertreten hatte, als der Kongreß beim vorletztenmal zusammengetreten war. Er warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. »Laß mich aus dem Spiel! Ich bin nur ein schuldiger Zuschauer!« Inzwischen banden die Schimpansen ihre Ponies an einen Ast – entweder wollten sie die Partei der Kleinen ergreifen, oder sie kannten sie besser als ich. Schließlich zeigte sich, daß sie die Situation völlig richtig eingeschätzt hatten, sie schwärmte mit uns anderen aus, und vorausgesetzt, alles lief nach Plan, tat sie in diesem Augenblick genau wie ich so, als nähme sie an einem Erdnußrennen teil. Sehr viel weiter konnte es nicht mehr sein. Ich sah nach, ob Georgies Koloß sich schon aus der Erbsensuppe herausschälte, lauschte, wie die Tautropfen von den Beifußsträuchern fielen, hörte mein eigenes, ängstliches, stockendes Atmen, viel mehr nicht. Hier mußte es irgendwo sein. Ich fragte mich, wie alt Koko wohl wirklich war. Ein Schußwechsel im Stehen wäre eine Erleichterung. Immer noch besser, als in der feuchten Landschaft herumzukrabbeln. Mit gezückter Pistole kroch ich noch einen Meter durch den Matsch.
Ein läppischer kleiner Lufthauch teilte plötzlich das Durcheinander am Boden, und da war sie, eine große, graue Metallkuppel, die Vorstellung eines Eskimos von einem Hochhaus, drei, vielleicht vier Meter entfernt, und sah für mich einfach hinreißend aus. Cromney und seine Lakaien mußten schlicht plemplem gewesen sein, sich hierher zu verkriechen, es sei denn, sie hatten vor, uns eins über den Schädel zu geben. Ich schüttelte den Kopf – diese verdammte Louis L'AmorAtmosphäre ging mir allmählich in Fleisch und Blut über. Ich versuchte, mit meiner Gürtelschnalle einen Schützengraben zu buddeln, während ich auf die Untertasse zukroch. Das würde gar nicht so einfach werden. Sie war fest verschlossen. Ich konnte nur hoffen, daß sich keiner an ihren Erkennungsmustern zu schaffen gemacht hatte. Sobald sie mein Gesicht sah, würde sie mich einlassen. Ich würde zum Maschinenraum rasen und den thermonuklearen Spieß umdrehen; ich stellte es mir amüsant vor zu sehen, wie es ihnen gefiel, mit der pannensicheren Selbstvernichtung bedroht zu werden. Ich spürte den großen, roten Hebel praktisch schon in meiner Hand. Georgie ist keine vollkommene Halbkugel; an der Unterseite ist sie ein wenig nach innen gewölbt. Ich schlüpfte hinunter, legte meine Finger auf den regennassen Rand ihrer Mittellinie und schob mich ins Blickfeld eines ihrer Außenbordmonitoren. WUSCHSCHSCH!! Waren Sie schon mal mitten in einem Tornado? In einer Sekunde hatte ich mein Schiff noch im Griff, in der nächsten lag ich in einem Haufen pelziger Arme und Beine, Pistolengurte, Gamaschen und Stetsonhüte verstrickt, mitten in dem Dreißig-MeterKreis, wo keine Georgie mehr war. Durch irgendein Wunder hatten meine Trommelfelle die Implosion überlebt. Knapp.
»Aber Bernie!« beklagte sich Koko und zog ihren linken Fuß unter der Achselhöhle ihres Onkels hervor. »Was ist mit dem… dem Ding, das du in deiner Tasche herumgetragen hast? Ich dachte, das sollte…« »Der Stabilisator hier?« Ich entfernte Dexters Ellbogen von meinem Auge, während er behutsam die Mündung von Leftys Pistole aus seinem Ohr zog. Dann nahm ich den fraglichen Gegenstand, drehte ihn in meiner Hand hin und her und kam mir recht dumm vor. Vielleicht hatten die Freenies mit ihrer Meinung über meine geistigen Funktionen in letzter Zeit doch nicht so unrecht. »Oh, Cromney und seine Mannschaft sind schon noch da, irgendwo innerhalb von ein paar Hundert Kilometern. Aber für den Notfluchtantrieb braucht man keinen Felddichtestabilisator.« Sonnenlicht brach durch den Nebel und erfüllte die Weide mit Regenbogen und Diamanten. Sie halfen mir, meine Armbanduhr auszugraben, reinigten ihre Messer im nassen Gras und prüften sie hinterher an Olongos raffiniertem Sattelknopf. Ich strich die strahlungssichere Folie glatt. Bella war nicht übermäßig erfreut, mich zu sehen. Wir hatten geglaubt, jetzt seien wir voneinander erlöst. Als ich ihr zum erstenmal den Rücken kehrte, um die Zügel von dem Busch zu fingern, an dem ich sie festgebunden hatte, grub sie ihre gelben Zähne in mein Schulterblatt. Wir waren alle müder und niedergeschlagener, als es durch unsere Strapazen zu rechtfertigen war. Meine Freunde suchten sich ihre Reittiere unter den Pflanzen heraus, stiegen in den Sattel, und wir machten uns auf den langen Rückweg. Ich konnte an nichts anderes denken als an unser Versagen – und an den entsetzlichen Schmerz, der sich an den Innenseiten meiner Beine von den Knien bis zum… naja… entlangzog. Auf halbem Wege fiel Aus Clintwood vom Himmel herab, frischpoliertes, im Sonnenschein glänzendes Chrom, und lieferte
eine Thermoskanne Kaffee ab und eine Flasche mit dem Etikett: ›Kingsley's Pennsylvania Whisky – der Schnaps, der auch Sie betrunken macht!‹ Sogar Koko nahm einen Schluck, ohne daß Olongo auch nur einen Mucks gemacht hatte. Ich wünschte, es wäre Morphium gewesen. Wir ritten weiter. Für die Jahreszeit war es eigentlich zu kalt. Wir waren eigentlich auch ein paar Tausend Fuß zu hoch. Aber Bella brachte es irgendwie fertig, keine halbe Stunde vom Blockhaus entfernt mitten in etwas mit Reißzähnen und Schuppen hineinzutreten. Die Klapperschlange zischte und rasselte. Bella schrie und bäumte sich auf. Ich griff zu spät nach dem Sattelknopf, wurde über ihren Hals geschleudert und krachte keine Armlänge, von der zusammengerollten, gereizten Schlange entfernt zu Boden. Ohne daß ich mich erinnerte, sie gezogen zu haben, lag die .45 in meiner Hand, mit ausgerichteten Visieren, gerade als das Reptil zustieß. klick
9. Kapitel Grün blüht die Schnüffelnase SSSAPPP! Die Kewpie-Puppe gehörte Koko. Ihr Schnappschuß riß der Klapperschlange den Kopf ab, der Rest der Bestie wand sich zukkend und blieb im frisch angefeuchteten Schoß eines schwer erschütterten Zeitreisenden liegen. Mein eigener Hahn war ohne Wirkung niedergegangen: Die alte, verläßliche Gold Cup National Match, mein Stab und meine Stütze, die mich seit Jahrzehnten behütet hatte, lag müßig und nutzlos in meiner zitternden Hand. »Bernie! Ist alles in Ordnung?« Der Präsident und Koko spielten Echo füreinander, während sie sich bemühten, ihre Pferde wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Ich werd's überleben.« Ich blickte auf mein eigenes Pferd, das auf der Seite lag, um sich schlug und dabei schreckliche Laute von sich gab. »Aber ihr solltet besser nach Bella sehen.« »Onkel Olongo!« schrie Koko. »Du mußt etwas tun!« Die gute Nachricht war, daß die Stute sich ein Bein gebrochen hatte. Die schlechte Nachricht war, daß man hier, nein, keine Pferde erschießt. In der Konföderation gibt es so etwas wie ein elektromagnetisches Pflaster; es flickt Knochen zehnmal schneller zusammen, als sie von selbst heilen würden. Bella würde innerhalb von einer Woche wieder auf den Beinen sein und einem anderen Gecken das Leben schwer machen. Ich hoffte, es würde bei der Prozedur eine Sicherung durchbrennen.
»Aber ihr habt mich gefüttert, aufgenommen, ertragen und mir das Leben gerettet! Ich kann das nicht zulassen!« Olongo lehnte am Kotflügel – sagen wir besser ›Luftrand‹ – der metallicblauen Tucker Luftkissenmaschine und sah mich durch die geöffnete Plastikkanzel an. »Schnick-schnack, lieber Junge. Ich will einfach keine Widerrede mehr hören!« Er reichte mir eine Pistole herein, eine ›Leihgabe‹, als Ersatz für die unbrauchbare .45, die in den Pistolengurt gewickelt auf meinem Schoß lag. Es war eine .375 Hochdruck Magnum, hergestellt von einer Browning Company in Nauvoo, Illinois. Komisch, ich hatte es ganz anders in Erinnerung; Browning war mit den übrigen Mormonen im Mittelwesten abgebrannt und nach Utah gezogen. An der .375 gab es weder Kimme noch Korn. Unter der Mündungskrone befand sich ein winziger, röhrenförmiger Laser, der eine Doppelfunktion als Rückschlagfeder und als Schlagbolzen hatte. Wenn man den Abzugsbügel zog, legte er einen hellen, roten Punkt auf die Stelle, dem die Kugeln folgen würden, wenn man den Finger weiter anspannte. Ich hatte meine .45 noch auf dem Ritt auseinandergenommen. Der Riegelbolzen und seine kleine Feder waren in ihrem Gehäuse so im Verschluß festgerostet, als seien sie verschweißt worden. Blut hatte den Prozeß in Gang gebracht, noch damals, an Bord von Georgie, und der ständige Regen hatte den Rest besorgt. Unbegreiflich war mir, warum ich nicht daran gedacht hatte, sie zu reinigen, ehe das Malheur passiert war. Mormonen noch in Illinois? Ich gähnte, eine plötzliche, unerklärliche Müdigkeit überkam mich, und ich schob den Browning in eine Tasche meines Overalls, wo es klirrte. Olongos Gastfreundschaft hatte sich nicht darauf beschränkt, daß er mir eine Waffe lieh. Die Pistole war von so vielen Goldmünzen begleitet, daß man mich in praktisch jeder Kultur, die ich jemals besucht hatte, wegen Schieberei, Schmuggel, Horten, Währungsmanipulationen oder sonst einem Euphemismus für das Bestreben verhaften konnte,
unabhängig von der Falschmünzerei der Regierung zu werden. Das Gold würde ich dringend brauchen. Bisher hatte ich Schimpansen, Gorillas und, unmittelbarer als ich es jemals wollte, ein Pferd kennengelernt. Früher an diesem Nachmittag war ich sogar einer Herde Einhörner begegnet. Schon mal was von Einhörnern gehört? Jetzt sollte ich auch noch einen richtigen, lebendigen Bären treffen. Ich hatte auf dem Zaun gesessen, mit den Featherstone-Haughs geplaudert, eine Herde von Wesen angegafft, die angeblich gar nicht existierten und versucht, die zahlreichen schmerzenden Stellen, Narben und Prellungen zu vergessen, die Bella mir an diesem Morgen beigebracht hatte. Eine Siesta, auf der die Freenies bestanden hatten, schien all die Leiden für immer eingebügelt zu haben. »Was hältst du vom neuen Korral meines Onkels, Bernie?« »Der ist gut.« Ich zog an meiner Zigarre, um meinen Geruchssinn zu betäuben. »Genau das hat Wyatt Earp auch gesagt!« Sie fing an zu kichern. »›Earp‹ ist der richtige Ausdruck«, stöhnte Olongo und wechselte das Thema. »Wirklich, mein Alter, ich weiß nicht, warum ich nicht sofort auf diese Idee gekommen bin.« Er zog selbst an seiner Zigarre und ließ blauen Rauch um seine Reißzähne quellen. Koko nickte ungerührt. »Er ist ein guter Mann, Bernie. Olongo hat mir so viele Geschichten erzählt, daß ich…« »Hört mal, Freunde, an dieser Geschichte ist nichts einfach.« Ich zeigte auf die Koppel, wo sich vierzig oder fünfzig vierbeinige Bürospindeln herumprügelten, um zu entscheiden, wer der Hirsch im Wald sein sollte. »Wer hätte auch nur das hier für möglich gehalten?« In der populären Mythologie ist ein Einhorn ein Pferd – wahrscheinlich ein schneeweißer Araber – mit diesem einen, kleinen Unterschied. Aber so ist es nicht. Sehen Sie auf irgendeinem mit-
telalterlichen Wandteppich nach. Sie sind kleiner, niederträchtiger, riechen sehr viel stärker, eigentlich sind es Ziegen mit Schnurrbärten am Kinn und diagonalen Pupillen. Ich hatte mich schon gefragt, wozu sie in Ochskahrts Namen eigentlich gut waren. »Bei Jeffersons Federkiel, was glaubst du, was du seit deiner Ankunft hier gegessen hast? Steak, Wurst, Milch, Käse, alles mit dem unnachahmlichen Aroma, das meine Genetikingenieure vorausgesagt haben. Ich möchte behaupten, daß sie innerhalb von zehn Jahren ein Hauptnahrungsmittel der Konföderation sein werden.« »Bei dem Glück, das ich bis jetzt hatte, bin ich dann immer noch hier. Olongo, hast du eine Ahnung, wie demütigend dein Plan für einen Mann von der Akademie ist?« Ich kaute an meiner Zigarre und schmollte. »Aber Bernie…« Koko hüpfte herunter, machte einen Schritt und schnitt eine Grimasse, dann zog sie ein siebenzölliges Messer aus ihrem Gürtel und kratzte sich damit angeekelt die Fußsohlen ab. »Hör auf sie, auch wenn sie ungeschickt ist!« Olongo wich einem Batzen Einhornkot aus, der vom Ende des Babybowies seiner Nichte herüberschnellte. »Man hat dir einen wertvollen Gegenstand gestohlen, und dabei sind, wie ich behaupten möchte, mehr Ungehörigkeiten begangen worden, als wir in den letzten fünf Jahren erlebt haben.« Ich richtete meinen Blick auf den Schweinsfuß an seiner Hüfte. »Ich dachte eigentlich, daß in diesem Waldstück Raub kein allzu einträgliches Geschäft sein kann. Aber ein Privatdetektiv? Was glaubst du eigentlich, was hier vorgeht? Ein Taschenbuchroman?« Mit einem letzten stolzen Nicken zu seiner Herde hin drehte sich der Präsident um. »Dieser Detektiv, mein Herr, ist einzigartig qualifiziert: unerschütterliche Integrität, eine unstillbare Leidenschaft für die Lösung von Problemen. Da war zum Beispiel die sonderbare Geschichte mit dem libertinistischen Bibliothekar, oder diese eigenartige ›Telefon-Klon-Katastrophe‹. Aber jedenfalls wird er verstehen können, in welcher Klemme du steckst. Weißt du, er
kommt aus deiner Welt, Bernie.« Olongo stapfte um das Luftkissenfahrzeug herum zum Fahrersitz. Er beugte sich hinein, schüttelte den hinten aufgereihten Yamaguchiern die Fangarme, verpaßte mir einen Händedruck, daß mir die Fingerspitzen anschwollen, legte ein paar Schalter am Armaturenbrett um und trat zurück. »Bon voyage, meine Freunde! Der Wagen kommt von alleine zurück – und ich hoffe, ihr tut das eines Tages ebenfalls.« Er schneuzte sich in ein pferdedeckengroßes Taschentuch. Koko mußte schreien, um das Getöse der Flügelräder zu übertönen. »Ich bin übermorgen in der Stadt!« Sie winkte; die Freenies antworteten mit ihren Augenstengeln. Das Verdeck glitt zu, das Steuerrad neben mir drehte sich von selbst. Das Fahrzeug hob sich, wälzte sich nach vorne. Ich drehte mich um und winkte, als wir um eine Ecke der Scheune rasten, durch eine kiesbedeckte Kurve schwebten und – huii! – durch Olongos Eingangstor brausten. Der Geschwindigkeitsmesser zeigte 190, und er war nicht in Kilometern geeicht. »Straßendienst!« »Grrr!« Diese Welt würde noch einmal mein Tod sein. Eine durchsichtige, weiße Tafel vor mir hatte sich plötzlich in einen Bildschirm in leuchtenden Farben verwandelt, auf dem die Gestalt eines hübschen Mädchens in Tricktechnik zu sehen war. Sie trug einen Staubmantel aus Segeltuch und oben auf ihrer Frisur aus dem neunzehnten Jahrhundert eine Autofahrermütze und eine Schutzbrille. »O je!« Ihre gezeichneten Augenbrauen kräuselten sich niedlich. »Ich wollte Sie nicht erschrecken! Ihre geschätzte Ankunftszeit in Laporte heute nachmittag ist genau richtig für einen Film. Möchten Sie einen sehen?« »Sagen Sie mal, wer fährt dieses Ding hier eigentlich?« Ich blickte
ängstlich auf die sich geisterhaft bewegenden Pedale auf dem Boden. Die Fahrgeschwindigkeit war auf 300 gestiegen! Sie lächelte, Spezialeffekte ließen ihre Augen funkeln. »Nun, äh…« »Bernie.« »Bernie. Ihr Fahrprogramm wird, genau wie ich auch, von einem Hodgson 66F Computer an der Kreuzung Boulevard der Konföderation/Tomtinker Lane erzeugt. Ich würde Ihnen liebend gerne weitere Fragen beantworten, aber dann reicht die Zeit nicht mehr für den Film. Möchten Sie mich nicht mal anrufen?« – sie zwinkerte – »Jederzeit?« Ich räusperte mich. »Ich, äh…« Ihr Bild verschwand, an seiner Stelle erschien eine gewaltige Pistole, die sich langsam drehte, bis ihre 3D-Mündung direkt auf meinen Nasenrücken zeigte. Mich konnte das nicht täuschen. Ich lehnte mich zurück. Minuten später, die Aliens sahen aufgeregt auf einem Bildschirm auf dem Rücksitz zu, hatte Mike Morrison in der Rolle von Nasty Jim Brannigan – Sicherheitsberater für die Emperor Norton Universität von San Francisco – auf der Montgomery Street ganz allein einen ›Datendieb‹ gestellt. Immer noch an dem Grillsandwich kauend, das er zum Mittagessen bekommen hatte, richtete er die größte Automatik, die ich je gesehen habe, auf einen schleimigen Schurken, der sich inmitten eines Haufens gestohlener Mikrokassetten auf dem Gleitband zusammenkauerte. »Hör zu… Herbert! Das hier ist eine .760 Kolibri, die stärkste Handfeuerwaffe im ganzen Sonnensystem, sie könnte dir deinen Kopf… einfach wegpusten.« Ein mächtiges Aufwallen von déjà vu. Komisch, warum erinnerte mich Morrisons schäbiger Tweedumhang an einen Orang Utan? Bisher hatte ich noch nicht einen einzigen kennengelernt. Er drückte mit dem Daumen den Spannhebel herunter. »Wenn ich… ehrlich sein soll… Herbert, in der ganzen… Aufregung habe
ich irgendwie vergessen, ob ich zwölf Schüsse abgegeben habe oder… dreizehn.« Der wieselgesichtige Stubenhocker wand sich, blickte verzweifelt auf das Blutbad, das diese gigantische Waffe schon angerichtet hatte. »Sag mal… Herbert«, Morrisons kalte, beinahe asiatische Augen wurden noch schmaler, als er den Druck auf den Abzugsbügel erhöhte, »fühlst du dich… glücklich?« Als der Film seinen Höhepunkt erreichte, Nasty Jim jagte dem Dieb gerade seine Visitenkarte in den Bauch, rollte unser Luftkissenfahrzeug am Genêt Place 626 vor, wo sich Wohnung und Büro eines richtigen, lebendigen Detektivs befanden. Edward William ›Win‹ Bear war vierschrötig und untersetzt. Was die gräßliche, bärenstarke Koko in Wirklichkeit nicht war. Große Hände, kein nennenswerter Hals, kurzgeschorenes Haar und Ohren so groß wie Taxitüren. Grauer Anzug, braune Schuhe, weiße Socken – das Wort ›Bulle‹ stand quer über seine häßliche Fresse geschrieben. Mir gefiel er. Er begrüßte mich auf der gummibedeckten Auffahrt, die zu einem Haus hinaufführte, das ein von Frank Lloyd entworfenes Schweizer Chalet hätte sein können. Das Erdgeschoß war größtenteils Garage, aber nachdem wir uns allseits bekannt gemacht hatten, gingen wir ein halbes Stockwerk nach oben, und während der Detektiv Scotch für mich und Kahlua für die Freenies einschenkte, starrte ich durch das wandgroße Vorderfenster nach draußen. Die Gegend hier war eigentlich nicht allzu dicht besiedelt. Sah aus wie ein Stadtpark, das einzige Haus in Sichtweite ahmte eine große spanische Festung nach, es war weit entfernt, jenseits einer mit Queckengras bedeckten Durchgangsstraße, bestand aus Lehm und Schmiedeeisen und war nur einen Hauch kleiner als Versailles. Bear reichte mir etwas zu trinken. »Soweit ich es mitbekommen habe, haben Sie ein Spezialproblem, Captain. Olongo hat mich
antelekommiert, während Sie unterwegs waren.« Er mixte seinen Whisky tatsächlich mit Milch. Pfui Teufel! »Ich heiße Bernie« – ich wickelte eine Zigarre aus –, »und ›Spezial‹ ist gar kein Ausdruck dafür. Hat er Ihnen gesagt, wo ich herkomme?« Der Detektiv winkte mich zu einer Couch, die mit dem Rücken zum Fenster stand und nahm mir gegenüber Platz. Sein schon verknitterter Umhang verfing sich am Griff seines schweren, altmodischen Revolvers. »Verdammt, ich werde es nie lernen, mit dem Zeug… ja, er hat es mir gesagt. Aber ich weiß nicht, ob ich es glauben soll. Das Leben ist schon kompliziert genug. Heutzutage gibt es genügend ›gewöhnliche‹ Einwanderungen. Verdammt, man nennt dieses Land inzwischen die ›USC‹. Aber ein Mann aus der Zukunft? Das geht ein bißchen zu weit.« Mit einem leichten Gähnen deutete ich auf die Freenies, die über ihren Highballs hockten. Bear grinste und schüttelte wehmütig den Kopf. »Na gut, ich will Ihnen mal was sagen. Meine Frau ist… na ja, eine Zeitlang aus dem Verkehr gezogen. Und Verbrechen ist ohnehin nicht gerade ein im Wachstum begriffener Industriezweig in Laporte. Olongo will für Sie bürgen. Ich werde sehen, was ich tun kann.« Aus dem Verkehr gezogen? Das hörte sich verhängnisvoll an. Bear machte sein Wallace Berry-Grinsen noch breiter. »Entschuldigung! Ich sollte nicht vergessen, wie mir zumute war, als ich zum erstenmal hierherkam. Therapeutische Elektronarkose – wir machen jedes Jahr ein zweiwöchiges Nickerchen. Angeblich verdoppelt das die Lebenserwartung, verhindert Krebs und so weiter. Ich hatte meinen Schönheitsschlaf letzten Monat – habe versucht, mit Clarissa in die gleiche Phase zu kommen, aber es wird mindestens noch einen Zyklus dauern, bis wir uns aneinander angeglichen haben. Inzwischen bin ich wieder ein sorgenfreier Junggeselle – und verliere fast meinen verdammten Verstand vor Langeweile.« Ich nickte erleichtert. Die Akademie kennt eine Menge lebensverlängernder Techniken, einige teilt sie sogar mit der Öffentlich-
keit. Aber die hier war mir neu, und bei dem Versuch, die Tatsache zu verkraften, daß ich dreihundert Jahre weit in der Vergangenheit war, und zwar in einer, die in technologischer Hinsicht meiner eigenen in vielem überlegen war… Ich schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. »Nun, ich weiß Ihre Mühe zu schätzen. Sagen Sie, macht der Präsident in Schwarzarbeit für Sie den Presseagenten, oder besitzen Sie wirklich ›unerschütterliche Integrität‹? Ich glaube, so jemandem bin ich noch nie begegnet.« Er musterte mich scharf. »In ihrer virulentesten Form.« Er seufzte. »Es ist ein Gottesgeschenk, und was dabei immer rauskommt, wissen Sie ja.« »Nun ja, ich werde es Ihnen nicht übelnehmen. Was muß ich für den Anfang tun?« Bear erhob sich, die beiden Hände in seinen Taschen beulten den Umhang nach hinten aus, er kaute auf dem Riesending herum, das er rauchte. »Die ganze Geschichte erst einmal, von Anfang an. Das Ziel ist, Ihr Schiff wiederzubekommen und vielleicht etwas gegen die Schurken zu unternehmen, die es geklaut haben. Ich werde neugierige Fragen stellen, immer und immer wieder, bis Sie es leid sind. Brauchen Sie 'nen frischen Drink?« Hier veränderte sich mein Aufnahmevermögen für Alkohol in schmachvoller Weise. Ich lehnte ab, die Hand über das Glas gelegt. »Okay, Sie sind der Detektiv: Vor drei Jahren stellte mich die Armee für einen archäoastronomischen Auftrag nach Yamaguchi 523 ab, das ist ein Stern der GO-Klasse in…« »Moment mal! Was für eine Akademie? Außerdem, bedeutet vor drei Jahren 1990 oder drei Jahre vor 2285? Und was in des Himmels Namen ist ›Archäoastronomie‹?« Ich kämpfte gegen ein gargantueskes Gähnen an. In Brocken und Schüben bekam er schließlich alles mit, er hörte zu und rannte dabei im Wohnzimmer hin und her. Der erste wirklich gute Aufund Abgeher, dem ich bisher begegnet war.
Während ich mich heftig bemühte, wachzubleiben, nickte er, grunzte, runzelte von Zeit zu Zeit die Stirn und unterbrach mich gelegentlich, damit ich etwas klarstellte. Als wir endlich fertig waren, war ich erschöpft. »Na gut«, sagte er schließlich, »für den Augenblick genügt das wohl. Bernie? Ist Ihnen klar, wieviele Staatsgeheimnisse Sie mir erzählt haben? Was wird Ihre Akademie wohl davon halten?« Ich hielt krampfhaft die Augen offen. »Na, ich meine, was die nicht wissen, tut mir nicht weh.« Bear grinste, sein Mund wurde immer breiter, bis ich glaubte, er wolle seinen Kopf von innen her auseinanderreißen. Dann brach er in wieherndes Gelächter aus. Verdammt, ich hatte nicht gedacht, daß das so komisch war. Dann nahm sein Gesicht einen grünen Ton an, und aus seinen Ohren erblühten Blumensträuße.
10. Kapitel Keine Kondition mehr Im sechzigsten Jahr der kommunistischen Reformation saß ein junger Schüler, ein Handwerksgeselle der erisischen Tradition zu Füßen seines Guru und fragte: »Meister, wie sollte sich also eine Gesellschaft organisieren?« Wie der Rest der kleinen, koedukationalen Gruppe, die sich vorübergehend in einen kiesgefüllten Keller geflüchtet hatte, trugen beide feldgrüne Armeekleidung, Von der der rote Stern abgetrennt und durch ein selbstgemachtes Horusauge ersetzt worden war. Sie reinigten und ölten ihre erbeuteten Kalaschnikows, gebläuter Stahl und Plastik glitzerten im Kerzenlicht, das im Hals einer leeren Wodkaflasche flackerte. »Stell dir eine Schafherde vor…«, erwiderte der Zugführer und brachte seine Fersen auf der Packkiste, auf der er saß, in Lotusstellung. Er hatte soeben Sozialismus, Faschismus und Demokratie als Staatsformen abgetan, die einander völlig gleichwertig waren. »… unterwürfig, hirnlos, ständig der Überwachung bedürftig gegen Räuber, Naturkatastrophen und ihre eigene Dummheit, auf den Schutz des Schäfers und seines edlen Hundes angewiesen.« Die Studentensoldaten murmelten und nickten. Die meisten waren gerade erst aus bäuerlichen Gegenden gekommen und verstanden, was er damit sagen wollte. Ich lehnte mich gegen eine baufällige Mauer und nahm alles mit einem Fingernagelrekorder auf. Das war die achtzehnte Woche, in der ich subjektiv eine kritische Geschichtsphase überwachte, und ich freute mich auf die Fleischtöpfe des dekadenten, 22. Jahrhunderts in Oxnard, wenn ich das hier hinter mir hatte. »Wie viel besser erginge es der Herde«, fuhr der Lehrer fort, »wenn sie aus Geschöpfen bestünde wie dem schätzenswerten Wachhund: wild, klug, fähig, ohne solche ›Hilfe‹ für sich selbst zu sorgen.« »Aber Meister«, protestierte der junge Fragesteller, »welchen Nutzen könnte solch eine Herde dann für den Hirten noch haben?« Der Sergeant befestigte die Klappe seines Halfters, stand auf und lächelte.
»Ich sehe, du hast die Lektion verstanden, junger Chela.« Und im Jahr darauf fand in Moskau der hundertste Jahrestag der Revolution nicht statt. »Bernie?« »Mmmm?« »Bernie, bitte wach auf!« Als ich die Augen öffnete, die irgendein Schleicher mir zugeklebt hatte, als ich nicht aufpaßte, sah ich Spin und Color immer noch bei Bear sitzen, Charm hockte auf dem Fußboden und zupfte mich am Hosenbein. Nun wandte er seine Aufmerksamkeit dem Detektiv zu. »Sie sehen, was mit ihm los ist, Sir. Es ist jetzt unbedingt nötig, daß wir…« Der kleine Teufel zögerte, rollte zehn Meter näher an den Detektiv heran und dann wieder zurück. »Mr. Bear, anscheinend hat Bernie die… nun ja, die Wirklichkeit unseres gegenwärtigen Aufenthaltsortes nie so ganz erfaßt. Bei ihm ist das höchst beunruhigend.« »Jetscht wartet mal'n verdammt'n Moment!« Verdammt, ich hörte das Nuscheln in meiner Stimme sogar selbst. Ich sprang auf, aber plötzlich wurde mir schwindlig, und ich mußte mich gleich wieder setzen. Dabei bemerkte ich, daß ich schon vor einiger Zeit mein Glas umgestoßen hatte. Zwei Whisky, oder war es nur einer? Und ich war schon hinüber! Bear bestürzt: »Herr Gesandter, wovon sprechen Sie eigentlich?« Charm nahm einen professoralen Tonfall an: »Achten Sie doch bitte einmal darauf – vergib mir, Herr – wie irgend… etwas Bernies kognitive Fähigkeiten zu beeinträchtigen scheint, sobald ganz bestimmte Themen zur Sprache kommen…« Der Detektiv gab von sich aus keine Antwort. Charm sprach weiter, vom Fußboden aus und versuchte dabei, rein bildlich ge-
sprochen, auf dem Teppich auf- und abzumarschieren. »Bernie«, quiekte er, eine Oktave zu hoch für den Ernst des Themas, »Herr, ich weiß, daß es eine Anmaßung von mir ist, so zu sprechen…« »Ich weiß es auch, Charm, aber ich war zu höflich, es zu erwähnen…« »… doch wir haben alle drei bemerkt, daß du jedesmal, wenn die… äh… praktischen Aspekte der Zeitreise besprochen werden… Bernie?« »Ssssst – was is'n los?« Ich schüttelte benommen den Kopf. »Ochskahrts Orchideen! Muß einfach eingenickt sein, Euer Gesandtschaftheit. Was sagtest du gerade?« Wenn ein Freenie die Schultern hätte zucken können, dann hätte Charm das jetzt getan. »Ein einschlägiger Fall, Mr. Bear. Anscheinend handelt es sich um eine Abart von psychologischer Beeinflussung. Ich fürchte, das ist der Grund für viele der Mißgeschicke, die uns in jüngster Zeit betroffen haben, einschließlich Bernies beinahe tödlichem Versäumnis, seine Feuerwaffe instand zu halten.« »Nun, darum können wir uns heute nachmittag kümmern.« Bear sah mich scharf an. Es war mir nicht sehr angenehm. »Konditionierung, daran denkst du doch, Charm? Irgendeine Art von Hypnose?« Der Gesandte zuckte wieder auf seine ganz persönliche Art mit den Schultern. »Das ist schwer zu sagen, Sir. In unserer Rasse gibt es dieses Phänomen nicht. Bernie, würdest du mir zustimmen, daß… Bernie!« »Ssss-ähem! Ich treibe nur 'n bißchen Augenpflege, Jungs! Ich bin… äh… Hypnose?« Durch den Nebel begann ich zu begreifen, was er meinte. »Anscheinend laufe ich in letzter Zeit nicht auf allen sechzehn Zylindern, das ist die traurige Wahrheit. Aber was hat das mit Zeitrei… ssss!« »Bernie!«
»Schon gut, schon gut!« Ich stand auf, kämpfte gegen die Orientierungslosigkeit an, stampfte der Durchblutung wegen mit den Füßen auf und fing selbst an, auf- und abzugehen, nur um mich wachzuhalten. »Redet weiter, solange ich noch bei Bewußtsein bin und euch hören kann!« »Man hat dich so konditioniert«, fuhr Charm fort, »daß du nicht von Z… – du weißt schon, wovon – sprechen kannst, besonders nicht mit, wie du es oft selbst ausgedrückt hast ›Einheimischen‹.« »Ja? Nun, dann funktioniert es nicht besonders gut. Ich habe gegenüber Koko, ihrem Onkel Olongo, der Hälfte seiner Rauhbeine und jetzt gegenüber Sherlock hier meine Deckung aufgegeben, und es ist nichts Schlimmeres passiert, als daß ich hin und wieder mal einschlafe.« »Richtig«, antwortete Bear sarkastisch, »und gelegentlich richten Sie sich auf Selbstmord ein. Lassen Sie mich Ihre Pistole mal für einen Augenblick sehen!« Mit instinktivem Widerwillen holte ich den Milt Sparks-Gurt vom Ende der Couch, wo ich ihn hingeworfen hatte, zog die Gold Cup aus ihrem Halfter, leerte Kammer und Magazingehäuse und reichte sie ihm. Bear grunzte: »Die erste G. I .45, die ich seit einem halben Dutzend Jahren in der Hand habe.« Er bewegte den Verschluß. »Reichen Sie anderen Leuten die Pistolen immer geladen?« Er hielt eine große Messingpatrone zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich plumpste zutiefst erschrocken auf die Couch. Natürlich! Ich hatte zuerst das Gehäuse geleert – der klassische Anfängerfehler – und damit sauber die erste Patrone vom Magazin hinter die ausgeworfene geschoben. »Gut, ich glaube alles, was du gesagt hast, Charm! Ich glaube es!« Ich spürte, wie meine Ohren rot wurden, aber Bear, er sei gespriesen, sprach weiter, als wäre nichts geschehen. »Das ist das tolle Zielmodell, nicht wahr? Was ist los damit?« Ich überwand meine Verlegenheit und erzählte ihm vom Schlag-
bolzen. Hirnschlag von Ochskahrt allein wußte, was sonst noch fehlte, bei der .45 wie auch bei mir – und ich hoffte, er würde es nicht weitersagen. »Nun, dann müßte es eigentlich recht einfach sein.« Der Detektiv griff nach einer Art dickem, weißen Klemmbrett von Normgröße auf dem Kaffeetisch, die obere Hälfte bestand aus dem gleichen, durchscheinenden Pseudoporzellan wie das Videogerät in Olongos Wagen. Die untere Hälfte war Tastatur, und die benützte er nun. »Will?« Eine Pause, dann: »Oh, hallo, Mary-Beth. Wie geht's dir?« Von meinem Standort aus konnte ich nur ein farbiges Bild erkennen und eine Stimme, die zum Mithören zu leise sprach. »Nein, sie ist immer noch im Elektroschlaf, noch eine Woche… Oh, danke, ich habe es wirklich ziemlich satt, in der Küche selbst auf die Knöpfe zu drücken. Vielleicht morgen abend, wenn das paßt?« Er sah erst mich, dann die Freenies an. »Vielleicht bringe ich ein oder zwei Gäste mit, wenn das nicht zuviel Umstände macht. Und dabei fällt mir ein, warum ich anrufe. Wenn Will von seiner Bürgerwehrversammlung zurückkommt, sag ihm bitte, daß ich einen Auftrag für ihn habe. Ziemlich dringend – der Kunde trägt einen geliehenen Lebensretter.« Wieder eine Pause. »Okay, schön. Grüße Fran! Tschüß!« Bear legte das raffinierte Klemmbrett hin und deutete mit dem Kopf zum Fenster hinter mir und zu der Alamo-Nachbildung auf der anderen Straßenseite. »Will Sanders«, erklärte er, »ein guter Nachbar, der verdammt beste Waffenschmied in Groß-Laporte, und ebenfalls aus Amerika eingewandert, wie Sie und ich. Das war eine von seinen Frauen, mit der ich…« »Ist er Mormone?« Ich dachte an den Browning in der Tasche meines Overalls. »Nein« – der Detektiv grinste –, »nur gierig. Was?« Der Gesandte zupfte ihn am Hosenaufschlag. Schön, daß es einem anderen auch mal so ging.
»Verzeihung, Mr. Bear, aber wir sprachen gerade über Bernies… äh… heiklen…« »Das ist richtig. Ich… sagt mal, Jungs, warum nennt ihr mich nicht Win?« »Ja«, fiel ich ein, »wir Götter sind schließlich alle gleich. Informell. Hört mal, ihr denkenden Mitwesen, könnte ich auch mal ein Wort dazwischenkriegen? Ich mag es nicht so gerne, wenn man in der dritten Person über mich spricht!« Ich zündete mir eine Zigarre an – noch ein Geschenk des Galoppierenden Gorillas. »Das wichtigste ist – immer vorausgesetzt, daß ihr mit dieser Konditionierungsgeschichte recht habt –, was wir dagegen unternehmen wollen?« Charm: »Es sieht so aus, Herr, als wäre die Konditionierung recht spezifisch. Zum Beispiel ist es dir gestattet, über… äh… du weißt schon, mit Personen deines eigenen Standes zu sprechen. Sonst wäre es ja höchst umständlich.« »Gestattet?« quiekte ich, beinahe wie ein Freenie. »Ja, Bernie. Ich glaube, bei einem direkten Bruch der Hemmung könntest du völlig ins Koma verfallen, er würde dich vielleicht sogar töten. Koko hat dich jedoch von einem Teil des Zwangs befreit, als sie dir sagte, sie wisse, was du bist.« »Und doch«, meldete sich Color von der Couch her und ergriff damit zum erstenmal das Wort, »unterscheidet sich ihre Vorstellung von… du weißt schon… anscheinend so weit von deiner, Bernie, daß das Verbot unkontrollierbare Schläfrigkeit und lebensgefährliche Unvorsichtigkeit hervorruft.« Die erste Erscheinung machte sich allmählich schon wieder bemerkbar. Ich stand auf, um wieder auf- und abzugehen, meine Beine fühlten sich an, als wären sie mit Blei gefüllt. Ich setzte mich lieber in einen bequemen Stuhl beim Kamin. Alles schien viel zu mühsam, um darüber nachzudenken. Plötzlich streckte sich Spins Augenstengel. Er flitzte näher an Bear heran und veranlaßte den Detektiv, sich zu ihm herunterzu-
beugen. Es folgte eine geflüsterte Unterredung. Ich gähnte. »Das ist es!« rief Bear aus. »Bernie, sieh mich einmal genau an!« Ich versuchte es, aber der Nebel wurde immer dichter. »Bernie, ich weiß nicht genau, was Olongo dir über mich erzählt hat oder ob du dir Gedanken darüber gemacht hast, aber…–…– …« Plötzlich hörte ich ihn nicht mehr. Sein Mund bildete weiterhin Wörter, aber es war, als versuchte man im Traum zu lesen. Der ganze Raum schien dunkel und wurde immer dunkler. Als er aufgestanden und zu mir herübergekommen war, war er nur noch ein Wischer, kaum schärfer als seine Umgebung. Ich hätte nicht sagen können, ob er Koko war oder der Mann im… »-…–…–« Etwas packte mich an den Schultern, rüttelte mich. »– …–…–« Bears Gesicht wurde kurz scharf, ließ sich aber nicht davon abhalten, sich ständig wie ein Feuerrad in Zeitlupe zu drehen. Ich wollte mich bewegen. »… – vorsichtig, Bernie! Hör mir zu! Ich will dir gerade erzählen – daß ich selbst Zeitreisender bin!« Ich kippte vornüber auf den Boden, mein Kopf schmerzte wie die Trommelfelle eines Wehrdienstverweigerers im Augenblick der Wahrheit. Ich war mir bewußt, daß mein Ellbogen und meine Stirn auf dem Teppich aufprallten, daß ich Krämpfe hatte, die mir jeden einzelnen Knochen in meinem dürren Körper brechen konnten, dann ein Gefühl der Entspannung! Blut strömte mir aus der Nase. Und plötzlich war es vorbei. Mein Blick wurde klar. Mein Hörvermögen kehrte zurück. Der Nebel in meinem Schädel verschwand, als hätte mir jemand ein Geschirrtuch durch ein Ohr hineingestopft und durch das andere wieder herausgezogen. Die Luft schien wieder voll Sauerstoff zu sein. Ich setzte mich auf, sah den Whisky in Bears ausgestreckter Hand mit einem verächtlichen Grinsen an und stürzte ihn hinun-
ter. Selbst durch den Kuhsaft hindurch brannte er schön, aber mehr Wirkung hatte er nicht. Inzwischen schienen in meinem Schädel die Fakten an die richtige Stelle zu fallen wie Lochkarten in einer Sortiermaschine. »Gottes Wunden!« sagte ich munter. »Außerdem noch WulleBulle, heiliger Scheiß und dreiundzwanzigmal Skidoo! Aber du bist seitlich durch die Zeit gereist, durch verschiedene Universen, nicht der Länge nach, wie ich, richtig?« »Richtig!« schrien Bear, Charm, Spin und Color alle gleichzeitig. Hörte sich an wie eine Hammondorgel in der Brunft. »Genau – du bist aus einer… von der Konföderation getrennten Dimension gekommen, wo sich die Geschichte anders entwickelte, bei einer kritischen Entscheidung abzweigte und danach unabhängig weiterging. Wahrscheinlich beim Whiskyaufstand, nachdem Olongo es für wichtig hielt, ihn zu erwähnen.« Bear nickte heftig und grinste von einem Ohr zum anderen. Ich beobachtete diese Organe genau, weil ich erwartete, daß jeden Augenblick Blumen daraus hervorsprießen würden. Ich sagte: »Und ich komme aus der Zukunft deines Universums, nicht aus diesem hier.« Ein riesiger, gemeinsamer Seufzer der Erleichterung war zu vernehmen. »Willkommen in der Realität, Bernie«, sagte Bear, »was immer das auch sein mag.« »O diese ungereinigten, lehm-und-schleim-schlabbernden heimtückischen, mißratenen Hunde – wer hätte es selbst einem Bastard wie Cromney zugetraut, daß er mir so etwas antun würde? Muß passiert sein, als ich die TraumKappe aufhatte und…« »O Herr!« rief Charm, und zum erstenmal war ich nicht sicher, wie er es meinte. »Du begreifst noch immer nicht, nicht wahr? Es war deine Akademie, nicht Cromney. Zweifellos in deiner Jugend, während der gesamten Ausbildungszeit.« Als er es ausgesprochen hatte, war es offensichtlich. Und völlig konsequent. Ich tastete nach beginnenden Anzeichen von Schläf-
rigkeit, aber sogar das Nasenbluten hatte aufgehört. Ich stand auf. »Tut mir schrecklich leid wegen des Teppichs, Win.« »Der hat sich bis morgen früh selbst gereinigt.« Er lächelte und half mir auf. »Wie fühlst du dich?« »Abgesehen von zahllosen inneren Verletzungen – hauptsächlich an meinem Stolz – genauso, als hätte mir jemand alle Zündkerzen wieder eingeschraubt. Danke. Der Pfeiler möge diese Bürokraten holen. Ich werde mich in zahllosen Exemplaren beschweren, wenn ich zurückkomme – falls ich diese Dreckschweine nicht vorher zerstrahle.« Ich nahm das frische Glas, das er mir anbot, holte mir meine Zigarre wieder und bemerkte, daß der Brandfleck auf dem Teppich schon im Begriff war, sich zu reparieren. Zu Hause wäre wahrscheinlich ein metallenes Mauswesen herausgekommen und hätte draufgepißt. »Okay«, sagte ich zu meinem Zeitreisegenossen, »erzählst du mir davon?« Er gluckste. »Ich bin vor sieben Jahren in die Konföderation von Nord-Amerika gekommen – und ungefähr genauso explosionsartig wie du – während ich den politischen Mord an einem Theoretischen Physiker untersuchte.* Damals hatte er im Dienst der Regierung gestanden. Lieutenant Edward Bear vom Morddezernat – ›Win‹ wegen A. A. Milne – war mit der Sipo in Konflikt geraten, den Vorläufern der Freiheitspolizei des einundzwanzigsten Jahrhunderts, und hatte es selbst nur ganz knapp vermeiden können, über die Klinge zu springen. An den fraglichen Physiker waren konföderierte Wissenschaftler mittels eines ›Penetrators‹ herangetreten, dessen Erfinder urDer Durchbruch – HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY, Band 06/4250 *
sprünglich nach einer Möglichkeit gesucht hatten, die Schranke der Lichtgeschwindigkeit zu umgehen. Schatten von Herrn Professor von Ochskahrt! Aber es kam alles ganz anders, und der häßlichste Geheimzweig der Regierung der Vereinigten Staaten hatte etwas gegen unbefugte Kommunikation in der Grauzone einzuwenden. Man hatte den nicht kooperationsbereiten amerikanischen Wissenschaftler mit einem Maschinengewehr durchlöchert und Win durch sein Experimentiergerät gejagt, direkt in den Himmel der Anarchisten hinein. Während Win Schurken abwehrte und ihre Pläne, Atomwaffen einzuführen, durchkreuzte – man sah diese in der Konföderation als primitiv an, und sie hatten folglich nie die volle Blüte der Entwicklung erreicht wie anderswo – hatte er sich an eine Gesellschaft ohne Gesetze anzupassen, ohne Polizei, ohne Armee, überhaupt ohne jede Regierung – die trotzdem einfach prima zu funktionieren schien, danke schön. Sogar die Züge fuhren pünktlich. Es ist die erste erwachsene Gesellschaft in der Geschichte, Bernie«, schloß Win. »Politisch, gesetzlich bist du völlig auf dich selbst gestellt, du kannst ein Geschäft betreiben, dir Rauschgift in den Arm jagen, dir beim Drachenfliegen den Hals brechen, Sex kaufen oder verkaufen – oder etwas anderes – neue Dinge erfinden oder die ältesten, wie schmutzige Filme und Bücher, genießen. Es ist dir überlassen, aus deinen Erfolgen Gewinn zu ziehen und die volle Verantwortung für deine Fehler selbst zu tragen.« Ich lachte. »Glaubst du, dazu ist die Menschheit fähig? Wie macht ihr das hier, euthanasiert ihr die Schurken und die Dummköpfe?« »Bernie!« – er schüttelte den Kopf – »Eine solche Kultur läuft, obwohl es möglicherweise anders aussieht, nicht mit gutem Willen oder Vernunft. Das sind nur Ergebnisse. Sie läuft durch Gier –
Eigennutz, wenn dir das lieber ist. Weißt du, jemand – war es nun Korzybski oder Donald Duck – hat einmal aufgezeigt, wie wir von bestimmten Worten und Phrasen lahmgelegt werden, die uns dazu bringen aufzugeben, ohne es wirklich versucht zu haben.« »Ja«, antwortete ich, »›unmöglich‹ zum Beispiel, oder ›das fliegt nie‹ oder ›dafür brauchen Sie eine Bewilligung‹.« Ich nippte an meinem Glas. Win grinste mich an. »Das letzte hat noch nie jemanden lange abgehalten. Aber in diesem Fall ist die wirksamste, verbale Straßensperre die ›Vollkommenheit des Menschen‹ – oder vielmehr der absolut richtige Gedanke, daß eine solche Perfektion unmöglich ist. Er hält uns davon ab zu fragen, warum die Menschen überhaupt vollkommen sein müssen, um frei zu sein.« »Oder wieso man vollkommener wird als ein Zivilist, wenn man für die Bürokratie arbeitet.« »Richtig«, sagte er und lachte. »Sicher, wenn man für sein Leben selbst verantwortlich ist, kann das manchmal etwas unbequem sein, besonders für diejenigen von uns, die in einem System aufwuchsen, wo Erfolg bestraft wurde – mit Bußgeld belegt –, damit man das Versagen mit Hilfe des Wohlfahrtssystems belohnen konnte. Das Verdammte daran ist, ich habe herausgefunden, daß man den Einzelnen, indem man seine Souveränität respektiert, so frei macht, daß er wesentlich bereitwilliger kooperiert, als wenn man ihn zum Mitmachen zwingt. Was mich schließlich überzeugt hat, ungefähr im zweiten Jahr, in dem ich hier war, war ein Streik: Die Gewerkschaft der Wirtsmütter wollte kürzere Schwangerschaften und bestreikte ihre wichtigsten Kunden, die kommerziellen Waisenhäuser – Maklerbüros für Babies, genauer gesagt. Die Waisenhäuser hatten im Gegenzug Streikposten um die Hauptquartiere der Gewerkschaft aufgestellt. Sekundärboykott als Nachspeise. Und niemand dachte sich etwas dabei. In der Konföderation müssen die Leute fair spielen; sie haben keine andere Möglichkeit.
Mein Gott, jetzt fange ich schon an zu predigen! Ich brauche noch etwas zu trinken!« Er stand auf, um sich etwas zu holen, während ich mit den Münzen in meiner Tasche klimperte und über die Freundlichkeit und Großzügigkeit von Konföderierten nachdachte. »Vielleicht verstehe ich jetzt, warum Koko darauf bestanden hat, mir zu helfen. Wie alt ist sie eigentlich?« Das Eis klirrte in seinem Scotch mit Milch. »Die Nichte des Präsidenten? Ich glaube, ich weiß noch, wie Olongo sagte… elf oder zwölf vielleicht. Ich weiß, du denkst an die tödlichen Schießeisen, die sie wahrscheinlich trägt. Das tut jeder, ohne Rücksicht auf das Alter, und daran gewöhnte ich mich schwerer als an alles andere. Aber die Konföderierten glauben – und halten jedem, der lange genug stehenbleibt, einen Vortrag darüber –, daß man niemandem Verantwortung beibringen kann, wenn man dem Schüler die Chance verwehrt, sie auch zu praktizieren. Wenn man außerdem Ausnahmen macht, wo es um Rechte geht, egal für wen oder aus welchem Grund, hat man ein tödliches Beispiel dafür gesetzt, daß es im Lauf der Zeit mit allen anderen genauso gemacht wird.« »Und das«, ich nickte wehmütig, »wäre wahrscheinlich eine ungesunde Empfehlung in diesem Land. Trotzdem, es gibt Leute, die behaupten, wenn man Kinder sich wie Erwachsene benehmen läßt, ist das schlecht für ihre kleine Psyche. Nimm nur mal das vierzehnte Jahrhundert…« »Du kannst es behalten. Ich habe ›Der ferne Spiegel‹ gelesen und an dieser Stelle hatte die Tuchman unrecht. Das Problem war nicht, daß die Kinder zu früh erwachsen wurden, sondern, daß die Erwachsenen es nie wurden. Und danach wurde es noch schlimmer, nicht etwa besser. Sieh dir doch den Riß im Mond an.« »Den WAS?« »Du weißt schon, damals in den achtziger Jahren, als die Russen sich entschlossen, den ›Chinesen eine Lektion zu erteilen‹ – o nein! ›George Herbert‹ – nach Wells, dem Schriftsteller? Deine Zeitmaschine ist nach H. G. Wells benannt?«
»Wau! Wenn du das Thema wechselst, Sherlock, dann machst du aber nicht viel Umstände. Und er heißt G. H. Wells, nicht – ach du heilige Fledermausscheiße!« Er sah mich grimmig an. »Wir dachten, wir hätten alles durchschaut, nicht wahr?« Ich gab ihm den Blick zurück. »Ja, das dachten wir, aber wir haben uns geirrt, nicht wahr?« »Da, wo du herkommst«, sagte er vorsichtig zwischen knirschenden Zähnen hindurch, »gibt es keinen Riß im Mond, nicht wahr? Und Wells' erster Vorname war…« »Ich möchte meine beste Freundin wirklich nicht mit ›Herbie‹ ansprechen.« »Wie fühlst du dich, Bernie? Schwindelgefühle? Übelkeit?« »Nein. Hast du die Absicht, dir aus den Ohren oder sonst woher Blumen wachsen zu lassen?« »Was?« Ich blickte zum Himmel auf. »Wo bin ich eigentlich, verdammt nochmal?« Der Himmel hielt sich zurück.
11. Kapitel Steinwände tun es nicht »Washington, Adams, Jefferson, Madison, Monroe, John Quincy Adams, Andrew Jackson, Van Buren, William Henry Harrison und Tyler.« Win Bear zählte sie her, bis ihm die Finger ausgingen. Also war ich jetzt an der Reihe: »Polk, Taylor, der gute, alte Millard Filimord, Pierce, Buchanan, Lincoln, Andy Johnson, Grant, Hayes und Garfield.« Win machte weiter: »Arthur, Cleveland, Benjamin Harrison, wieder Cleveland, McKinley, Teddy Roosevelt, Taft, Wilson, Harding und Coolidge.« »Hoover«, schoß ich zurück, »Roosevelt II. Truman, Eisenhower, Kennedy…« »Kennedy?« Der Detektiv blinzelte überrascht. »Du meinst doch nicht…?« »John Fitzgerald Kennedy«, antwortete ich und rief Fakten aus meinem Schädelinneren ab. »1960 bis 1963, dann fing er sich ein paar Kugeln ein…« »Was ist denn« – Bear nahm einen anständigen Schluck vom Whisky seines Nachbarn – »aus Richard Milhous Nixon geworden?« »Nixon? Der hat bekommen, was er verdiente – aber so weit sind wir noch nicht.« »Aber sicher – 1960. Zwei Amtszeiten. Dann folgte '68 Henry Cabot Lodge. Dann Hubert Humphrey, Jerry Brown und schließlich Henry Jackson, der '87, als ich in die Konföderation kam, Präsident war.« »Wau! Wir kommen wirklich von verschiedenen Zeitlinien! Meines Wissens war es 1952 Eisenhower, dann Kennedy, Lyndon
Johnson – dann Nixon – gefolgt von Ford, Carter, Reagan und…« »Augenblick mal! – Dieser windige Hollywood-Schauspieler?« Captain Will Sanders blickte von den Waffenteilen auf, die auf dem Tischtuch verstreut waren, ein großer Bursche, breitschultrig, mit lockigem, blondem, höchst unmilitärisch geschnittenem Haar, sehr muskulösen Unterarmen und den Händen eines Chirurgen. Der Schnitt seiner Augen verriet einen leicht slawischen Einschlag; er war glattrasiert, trug Cowboystiefel, Jeans, eine kurzärmelige Buschjacke. »Wenn ich es auch sehr ungern zugebe, ich bin völlig durcheinander!« Er wischte sich die öligen Hände an einem Lappen ab und zog eine knorrige, völlig gebogene Bruyère-Pfeife aus der Jackentasche. »Win, ich hatte immer angenommen, daß wir aus derselben Geschichtslinie kommen: Die Schurken haben den Whiskyaufstand gewonnen; Scoop Jackson wurde Präsident. Ich habe mich '88 verzogen – das ist hier 212 A. L. Bernie. ›Anno Libertatis‹, angefangen von der Revolution, falls dir das noch niemand gesagt hat. Aber deine Liste früherer amerikanischer Präsidenten kommt der meinen näher als die von Win: Nur wird Kennedy '63 ermordet, Johnson tritt wegen Vietnam zurück; Nixon wegen Watergate…« Er sah mich Bestätigung heischend an, dann fuhr er fort. »In meiner Geschichte folgte auf Nixon Nelson Rockefeller, der während seiner Amtszeit starb – ›im Sattel‹, könnte man sagen, und da wurde so einiges vertuscht! Dann Gerald Ford, dann Henry Jackson. Verdammt, jeder von uns kommt von anderswo her!« Win hatte sein Gratisabendessen vierundzwanzig Stunden früher bekommen als erwartet. Anscheinend hatte Sanders, als er an diesem Abend von seiner Versammlung der ›Freiwilligen Bürgerwehr und Bergwacht von Groß-Laporte‹ zurückkam, darauf bestanden, daß wir zum Grillen rübergingen – und damit er den Schlagbolzen reparieren konnte. Der Gedanke an eine nicht funktionierende Waffe trieb ihn offenbar zum Wahnsinn. »Er ist wirklich ein komischer Typ«, hatte Win mir vorher erzählt, als er seinen Anrufbeantworter einschaltete, die Einbruchs-
abwehr aktivierte und das Licht ausmachte – alles von seinem Schoß aus mit dem Telekomblock, diesem tollen, elektronischen Klemmbrettapparat, mit dem er auch seine Anrufe getätigt hatte. »Den Decknamen kennst du ja: ›Sanders‹ wie in ›Lebt-unter-demNamen‹. Derselbe, gottverdammte A. A. Milne, dem ich den Namen ›Win‹ zu verdanken habe. Außerdem T. W. glaube ich, vermutlich für ›Trespassers W…‹.* Folglich nennt ihn nun jeder ›Will‹.« »Auf der Flucht, wie?« Ich faltete meine nichtfunktionierende .45 in ihrem Gehänge zusammen, vergewisserte mich, daß die .375 in meiner Tasche nicht auf etwas zeigte, was ich keinesfalls verlieren wollte, und trieb die Freenies zur Eingangstür hinaus. Win sperrte hinter uns ab. »Ich weiß es nicht genau«, sagte er, »aber ich habe das Gefühl, daß er irgendwie in der Politik gewesen sein könnte, nur wirkt er wie ein Expolizist, und die Anzeichen sollte ich eigentlich kennen. Damals in den Staaten ist ihm anscheinend etwas wirklich Abscheuliches passiert, und er mag nicht viel über seine Vergangenheit sprechen. Mysteriös.« Ich schnaubte. »Wenn das hier vorbei ist, werde ich auch nicht mehr über meine Vergangenheit reden. Zu Hause würde mir niemand glauben… – sag mal, wohin gehen wir eigentlich?« Wir waren über die Auffahrt mit der elastischen Oberfläche zur Straße gegangen. Ich wollte gerade auf den golfbahngrünen Belag hinaustreten, als Win sich abrupt nach links wandte und mich am Ärmel packte, so daß ich über die Freenies stolperte. »Da willst du doch wohl nicht rausgehen«, sagte der Detektiv. Ich zeigte hilflos auf die ›Hazienda‹ direkt gegenüber. »Warum in Ochskahrts Namen nicht?« MMMMMmmmmm! Etwas undeutlich Mechanisches wischte mit ungefähr zweihun*
Bei unbefugtem Betreten… – Anm. d. Übers.
dert Stundenkilometern vorbei, ein zweites Exemplar kam gleich darauf aus der anderen Richtung. Ich glaube, es waren Luftkissenfahrzeuge. »Ich verstehe!« sagte ich zu ihm und versuchte, das Zittern abzustellen, während ich ihm über den Gummigehsteig zur Ecke folgte. »Will Sanders glaubt auch niemand so ganz«, setzte Win unser vorheriges Gespräch fort. »Er wohnte während der ersten zwei Wochen, nachdem er hierherkam, bei Clarissa und mir, und eines nachts, als er zu tief ins Glas geschaut hatte – er war damals in ziemlich schlechtem Zustand – behauptete er, er sei die einzige Person, die jemals ohne Hilfe des Penetrators in die Konföderation gelangt sei.« »Außer mir!« »Außer niemandem – diese ›spatiotemporale Versetzung‹, du sagst, sie ist von einem bläulichen Blitz begleitet?« Ich nickte und folgte ihm zu einer Stelle, die absolut wie eine Bushaltestelle neben der Straße aussah. Wir fuhren mit einer Rolltreppe nach unten. »Offensichtlich eine Abwandlung des P'wheet-ThorensDurchbruchs. Aber Will erzählt, er habe sich in den Staaten so elend gefühlt, daß er am hellichten Tag zu träumen anfing, sich eine Gesellschaft vorstellte, die für ihn persönlich ideal war, bis die in jeder Einzelheit wirklicher wurde als die Welt, in der er lebte – und dann war er hier!« Der Detektiv schüttelte seinen kurzgeschorenen Kopf. »Soviel er weiß, könnte sein Körper immer noch drüben in der Ecke einer Gummizelle kauern und dabei am Daumen lutschen.« Die Treppe trug uns in einen hell erleuchteten Bogengang, gesäumt von Läden und Ständen, an einer zweiten Treppe vorbei, die noch tiefer hinunterführte. Da stand ein Gerüst mit großen Polyäthylenbahnen daran. »Bauen die da unten eine U-Bahn oder sowas?« Wir sahen uns beide einen kleinen Kiosk in der Mitte der Einkaufsstraße an – Kippenzangen, Haschpfeifen, Kokainlöffel, Feuerzeuge und Schnupftabaksdosen. »Oder sowas – die graben unter
der U-Bahn einen Schacht für die neue Interweltstation. Irgendwann wird es regelmäßigen Handelsverkehr zwischen hier und den Staaten geben.« Mit einem Blick auf das Schaufenster sagte ich: »Das wird eine verdammte Überraschung für Phyllis Schlafley und den DEA werden!« Ich sah es richtig vor mir, eine Art flutlichtbestrahlter Torbogen mit der Aufschrift: »Ihr, die ihr hier eintretet, laßt alle Vernunft fahren.« Win kaufte eine Flasche von einem Verkaufsautomaten. Die Freenies und ich fuhren mit ihm durch das unterirdische Einkaufszentrum und zur anderen Straßenseite hinauf. Ich hatte nachgedacht. »Natürlich«, sagte ich zu Wins breitem Rücken, als wir zu ebener Erde wieder herauskamen, »waren in Sanders' Pfeifenträumen auch ein paar hübsche Gänschen enthalten, um das Leben interessant zu machen.« Er drehte sich um. »Diese Frauen sind sein Leben, Bernie. Wie Bronco Billy in den alten Zeiten ist er der, der er sein möchte, und was immer das ist, er hat jedenfalls dafür bezahlt.« Nach einem kurzen Spaziergang befanden wir uns vor einem vier Meter großen Loch in einer Lehmfestung, mit gewaltigen Eichentüren. Genêt-Place 623. Der Durchgang führte in einen Hof mit Dschungelvegetation. Mary-Elizabeth Sanders erwartete uns am Schwimmbecken. »Win!« Sie packte den Schnüffler bei seinen abstehenden Ohren und küßte ihn auf die Nase. Kein Problem, da sie einige Zentimeter größer war als er. Er wurde rot. »Och…« Mary-Beth war wirklich etwas. Weieieieich, ungefähr dreißig, mit schulterlangem, lockigem Haar, das man bei jemand anderem als mausbraun hätte bezeichnen können. Sie war schlank, langbeinig, hatte schmale, tüchtige Hände und meergrüne Augen. Sie trug ein anschmiegsames, kupferfarbenes, kleines Etwas, das ihr bis an die Knöchel reichte und sich dann und wann anscheinend in Luft auflöste – nur um der Wirkung willen. Außerdem lag ständig ein ge-
heimnisvolles Lächeln auf ihrem Gesicht. Ich schüttelte ihr die Hand, mir hämmerte plötzlich das Blut in den Adern, ich sah zu, wie sie sich mit Larry, Moe und Curly bekanntmachte und sich dann wieder zu ihrer vollen Höhe von einsachtzig aufrichtete, uns am Tisch verteilte und fragte, was wir trinken wollten. Win erinnerte sich an den Wein. »August«, verkündete er. »Ein sehr guter Monat.« Sie bekam hübsche Kräuselfältchen um die Augen und ging, um einen Korkenzieher zu holen. Win schälte die Folie ab und machte sich über den Draht her. »Scheiße!« Er schüttelte seine Hand. »Schwierigkeiten?« Die Freenies wälzten sich besorgt heran. »Ich habe hier ein kleines Muttermal« – er zeigte zwischen seinen linken Ringfinger und den kleinen Finger –, »das mich oft stört. Ich wollte schon immer, daß Clarissa es wegmacht. Sie ist Ärztin – Heilerin, wie man hier sagt – habe ich das schon erzählt?« »Ich hatte den Eindruck. Soll ich das machen?« »Danke, Bernie. Ich werde mal Will aufstöbern. Müßte eigentlich in seiner Werkstatt sein.« Ich hantierte mit dem Burgunder herum und wünschte, ich hätte mir während der letzten paar Tage weniger Haut von den Händen geschrubbt. Plötzlich riß mir Color ungeduldig die Flasche aus den Fingern und bohrte sauber einen kleinen, grünen Fangarm in den Korken. Man hörte ein Quieken, einen Knall und ein Zischen, als der moussierende Wein auszuatmen begann. »Wenigstens weiß ich jetzt etwas, wozu ihr kleinen Clowns nütze seid.« »Wau! Das hätte ich selbst auch nicht besser gekonnt!« Als ich die Silberstimme hinter mir vernahm, fuhr ich zusammen und drehte mich um – dann sprang ich unvermittelt höflich auf. Eine kleine, geschmeidige Gestalt kam über die Fliesen des Patio, in der sich verstärkenden Dämmerung waren ihre dunkelbraunen Augen und die Stupsnase gerade noch zu erkennen.
»Ich bin Fran – und du bist Bernie. Stell mich deinen farbenprächtigen Partnern vor.« Sie war vielleicht vier oder fünf Jahre jünger als ihre Schwester, zehn oder fünfzehn Zentimeter kleiner und hatte butterfarbenes Haar, das ihr bis zur Taille reichte. Wo Mary-Beth sinusförmige Kurven entwickelte, war Frances Melanie Sanders (geb. Kendall) beinahe knabenhaft – auf eine Art, die nichts als lüstern heterosexuelle Gedanken aufkommen ließ. Vorsichtig, Bernard, wenigstens so lange, bis du weißt, wie scharf dieser Sanders schießt! Ich machte eine theatralische Verbeugung, um meine Nervosität und eine Vielzahl anderer Sünden zu verbergen. »Das hier sind Color, Charm und Spin – sie sind Außerirdische«, fügte ich noch hinzu und erkannte dabei, wie albern das klang. »Was machst du?« »Ich unterrichte Intuitive Mechanik an der Universität von Laporte GmbH.« »Hast du… – was ist ›Intuitive Mechanik‹?« Ich fing an, eine Zigarre auszuwickeln, hätte ihr beinahe eine angeboten, bremste mich aber gerade noch rechtzeitig. »Das ist eine Disziplin, in der sich praktisch Psychologie, Philosophie und Technik überschneiden«, erklärte sie. »Während des Krieges gegen den Zaren stellte jemand in Alaska fest, daß die Eskimos anscheinend eine angeborene Begabung für das Reparieren von Motoren und so weiter hatten, ohne einen zivilisatorischen Hintergrund zu besitzen, mit dem man das so einfach erklären könnte.« »Die Kenianer und die Buschfliegerei.« Ich nickte und versuchte, meinen Ruf für intelligente Konversation wiederherzustellen. Wenn alle Frauen in der Konföderation so waren, würde ich mit Georgie, meinem Lieblingsmädel, fürchterliche Schwierigkeiten bekommen. »Genau. Nun, man hat die Erklärung in der Einstellung der Eskimos gegenüber der Bildhauerei gefunden…«
»Richtig! Irgendwo in diesem Felsen ist ein Tier eingeschlossen – man muß einfach alles wegschneiden, was nicht wie ein Walroß aussieht!« Sie lachte. »Jetzt haben wir es zu einer Wissenschaft zusammengefaßt – in etwa –, wenigstens zu einer Konstellation ästhetischer Werte, die wir beinahe jedem vermitteln können, der sie lernen will.« »Bravo!« Ich zündete meine Zigarre an. »Und was machst du in deiner Freizeit?« »Luftkissenfahrzeuge entwerfen, bauen und Rennen damit fahren, zusammen mit meiner Schwester und unserem Mann. MaryBeth fährt den heißen Reifen in der Familie, obwohl sie nicht aus Kenia stammt. Letztes Jahr haben wir das Greenland Invitational gewonnen. Und was machst du, Bernie?« Ich suchte nach irgendwelchen Anzeichen von Schwindelgefühl, dann sagte ich: »Ich bin Zeitreisender.« »Ist das heutzutage nicht jeder?« Meine Würde wurde dadurch gerettet, daß an der Rückseite des Patio drei Gestalten durch das tropische Laubwerk traten. Win, Mary-Beth und ein ziemlich großer, massiv gebauter Bursche in Khaki mit Schulterklappen, der ausrief: »Hier draußen ist es finsterer als in der Seele eines Steuereinnehmers. Wie wär's mit ein paar Photonen?« Alle glucksten, als wäre das ein Familienwitz. Fran reagierte plötzlich, indem sie ein pistolenförmiges Ding aus dem Halfter auf der linken Hüfte ihres braunen Samtoveralls riß. Verdammt gefährliches Schießeisen, dachte ich flüchtig, fast so groß wie sie selbst… Zack! Zzackkkk! Auf den Zehenspitzen kreisend, mit fliegendem Haar, hatte sie auf eine Ecke des Hofs gezielt. Ein winziger Höllenfeuerfunke sprang über auf eine Hawaiifackel, die zwischen zwei Mimosen steckte. Der Docht flammte auf.
Zzackk! Zzackk! Immer wieder schoß sie und drehte dabei anmutige Pirouetten, bis ein gutes halbes Dutzend dekorativer Flammen die Nacht weich erleuchteten. Ich kauerte – im Geiste, wenn auch nicht wirklich – mit den Freenies unter dem Tisch und spähte hervor. Niemand sonst hatte auch nur mit der Wimper gezuckt, nicht einmal, als ein weißglühender Bolzen knisternd zwischen Win und unserem Gastgeber durchgefahren war. »Plasmapistole«, trällerte die gefährliche, kleine Linkshänderin und stieß das Ding zurück in die Scheide. »Lawrence Shiva, erstes Exemplar aus der Produktion. Ganz hübsch, was?« »Hmm – was wäre passiert, wenn du nicht getroffen hättest?« »Bei dieser Anlage?« Sie grinste. »Hätte sich wahrscheinlich direkt durch das Haus gebrannt. Aber ich treffe immer.« »Ich glaube es! Ich glaube es!« »Das solltest du auch«, riet mir Win. »Bernie, das ist Will Sanders. Will, das sind Captain Bernard M. Gruenblum und die Abgesandten von Ganymed.« »Hört sich an wie eine Rockgruppe.« Sanders drückte mir wohlwollend die Hand. »Hoffentlich mögen Sie gegrilltes Einhorn – wir haben genug davon für meine ganzen Kameraden von der Bürgerwehr. Beth, wir kommen zu spät mit dem Korkenzieher, Schatz. Möchtest du ein Glas Burgunder?« Das einzige, was an Will Sanders nicht gutnachbarlich und offen war, waren seine Augen. Sie wirkten gequält. Ich fragte mich, wie sie wohl ausgesehen hatten, ehe er fünf Jahre in seiner persönlichen Vorstellung vom Paradies verbracht hatte. Überrascht stellte ich fest, daß er anstelle der allgegenwärtigen Pistole an jeder Hüfte eine schmale, tödlich wirkende, achtzehn Zoll lange, blitzende Klinge trug, mit einem handfüllenden Griff und doppeltem Schutzblech. Als er sich setzte, legte er die Messer auf den Tisch. Ich versuchte, nicht zu psychoanalytisch zu denken,
als ich ihn nach den Waffen fragte. »Die hier?« Der Waffenschmied mußte meine Gedanken erraten haben; er blickte seine beiden Frauen an und zwinkerte. »Wie Sigmund Freud einmal bemerkte, ist eine Zigarre manchmal nicht nur eine Zigarre. Eigentlich habe ich eine ganze Anzahl von Handfeuerwaffen, die ich gerne mag – Berufsschicksal –, aber gelegentlich trage ich blanken Stahl, um mich an eine wichtige Lektion zu erinnern.« »Ja?« Das schien auch Win zu interessieren. »Sicher. Die Klinge ist eine Verlängerung der Hand, der Agent – kein Wortspiel! – meines Willens. Bei scharfen Waffen verstehen das die meisten Leute sofort und gestehen ihnen – nicht ganz zu Unrecht – eine Mystik zu, die eigentlich dem Menschen gebührt, der dahintersteht. Der Trick – und nur wenige sind feinfühlig und raffiniert genug, um ihn zu beherrschen – besteht darin, zu erkennen, daß das für Feuerwaffen genauso gilt. Folglich auch für alle Maschinen.« »Ich finde das gar nicht so mysteriös, Captain.« »Dann sind Sie eine Ausnahme, mein Freund. Und Sie haben Glück, denn diese ›Lektion‹ enthält das Ende, nicht nur das der üblichen Pistolenphobie, sondern das des Neo-Luddismus und aller anderen idiotischen Sehnsüchte nach den guten alten Zeiten – kurz, das Ende der Primitivität. Sie ist der Beginn der Zivilisation.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich möchte mein Leben nur ungern zwei Schisch-Kebab-Spießen anvertrauen. Einem Schießeisen jederzeit – nicht allein die Feder ist mächtiger als das Schwert.« Win lachte. »Du hast noch nicht erlebt, wie er mit den Dingern umgeht – innerhalb von fünf Metern tust du gut daran, dich zu ergeben, Pistole oder nicht!« Mit ein wenig außerirdischer ›Hilfe‹ erklärte ich Sanders schließlich meine gegenwärtige Notlage – auf Wins Theorie basierend, daß Wills freiwillige Rowdies auf einem ihrer Ausflüge vielleicht etwas von Georgie gesehen haben könnten.
»Ich habe noch ein paar andere Angeln ausgeworfen«, fügte der Detektiv hinzu. »Olongos Büro; Nahuatl in Cheyenne; ich dachte, du…« »Tut mir leid, Win.« Wir waren mit dem Essen fertig, das Geschirr war durch einen Schlitz im Tisch Gott weiß wohin verschwunden; der Waffenschmied zerlegte meine .45 in kleine Teile, seine jüngere Frau guckte ihm über die Schulter, Mary-Beth schenkte Kaffee ein, ohne die Freenies dabei auszuschließen, und dann vergiftete sie sich zusammen mit Win und mir ein wenig mit Nikotin. »Heute spielte sich bei der Bürgerwehr alles im Haus ab«, grummelte Will. »Irgendein gottverdammter Narr aus Baltimore reist von einer Firma zur anderen und wirbt für einen Flugzeugträger. Versenkbar!« »Das Flugzeug oder der Träger?« fragte Win. »Beides. Dabei fällt mir ein, fährst du noch immer ständig nach Pentagonland und spielst James Bond?« Win zog an seiner Zigarre. »Eines Tages wird unsere Heimatwelt befreit werden.« »Wir leben in einem Freien System«, sagte der Waffenschmied. »Ich weiß nicht, wozu du dir die Mühe machst. Der rechte Flügel ist nur daran interessiert, die Leute unglücklich zu machen – zu ihrem eigenen Besten! Nimm doch mal einen kleinen Burschen im Regenmantel, dessen einziger Hauch menschlicher Wärme Pornographie oder Prostitution ist; was für ein ekliger Schleicher muß das sein, der ihm das noch verweigert? Und die Linken? Sie genießen es doch, die Verlierer zu sein, solange es dabei romantisch zugeht! Win, du kannst das ›laissez-faire‹ nicht auf der Basis seiner Erfolge verkaufen – daran ist nichts Romantisches. Und du kannst den Kollektivismus nicht mit seiner Versagensbilanz besiegen, so oft er auch versagt haben mag. Verdammt, wenn du die Fehler auflistest, machst du alles nur um so viel attraktiver! Du vergeudest deine Zeit.«
Er sah Fran und Mary-Beth an; die Temperatur schien um zehn Grad zu steigen. »Ich bin hier glücklich, und es ist mir absolut gleichgültig, ob ich die Vereinigten Staaten von Amerika oder irgend jemanden, der dort lebt, jemals wiedersehe oder nicht!« Er senkte den Blick, starrte grüblerisch in seine Pfeife, und wieder trat dieser gequälte Ausdruck in seine Augen. Und dann fingen wir an, Präsidenten zu vergleichen und fanden heraus, daß das Leben komplizierter ist, als wir alle es uns vorgestellt hatten. »Politiker!« sagte Mary-Beth mit plötzlicher Heftigkeit. Es hatte sich herausgestellt, daß sie Beraterin für Fragen der Ethik war, ein Mittelding zwischen Richterin und Psychoanalytikerin, dazu noch ein Stückchen Rabbi. Sie war scharfsinnig, ruhig und klug, schlagfertig und hatte einen feinen Sinn für Humor. Dieser Ausbruch paßte gar nicht zu ihr. Sie schlug auf die schlichte, aber gefährliche .41 Whitney Automatik an ihrer Taille. »Wer kümmert sich überhaupt um sie? Wer hier Präsident ist, weiß ich nur, weil er ein Freund von Win ist.« Fran grinste und nickte heftig. Will lächelte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Colt zu, die unsichtbaren Familienbande zwischen den dreien waren so stark, daß man sie spüren konnte. Ich würde mein Glück anderswo versuchen müssen. »In mancher Beziehung ist es für jeden wichtig«, antwortete Win ein wenig defensiv. »Seht euch doch Gallatin an: Hier war er Präsident, Anführer des Whiskyaufstandes. Da, wo Bernie und ich herkommen, war er nur Thomas Jeffersons Minister für…« »Wofür?« plapperte ich. »Für Finanzen.« »Die müssen ihre Kabinettssitzungen mit kleinen Blechhörnern und schwebenden…« Mary-Beth blinzelte. »Was wollen Sie damit sagen, Captain Gruenblum?«
»Mein Name ist Bernie – und ich will sagen, daß mein Aufstand in einem Duell zwischen Washington und Gallatin endete. Albert verlor, und deshalb brauchte man eine Séance – ihr wißt schon, ›die, die frei schwebt, ist die Gastgeberin‹!« »In meinem Whiskyaufstand«, meldete sich Sanders, »spielte Gallatin überhaupt keine Rolle, höchstens bei der Beruhigung der aufständischen Pennsylvanier.« »Hier genauso«, sagte Win. »Es ist wirklich ein verrücktes Universum«, fügte Fran hinzu. »Wofür ist diese kleine Feder da drüben gut, Liebling?« »Das kannst du nochmal sagen«, murmelte ich. »Okay – wofür ist diese kleine Feder dort drüben doch gut, Liebling?« Es war spät, als wir nach Hause kamen. Will hatte uns mit nach unten genommen. Ich hatte erwartet, lange herumstehen zu müssen, während er mit der spuckenden Drehbank wieder Metall auf meinen verbeulten Schlagbolzen brachte. In Wirklichkeit dauerte es nicht mehr als drei Minuten. Dann bestand er darauf, die Oberfläche jedes Teils mit Chrom zu imprägnieren, mit dem häßlichen Hintergedanken, daß damit vielleicht meine Schlampigkeit in bezug auf Korrosion kompensiert werden könnte. Als er fertig war, sah der alte Colt aus, als sei er aus rostfreiem Edelstahl. Er gab Probeschüsse durch ein Bullauge in einen Tunnel unter dem Patio ab. Eine Kamera am anderen Ende zeigte ein sauberes Kleeblatt von Einschüssen in der Plastikzielscheibe. »Okay, Doc, was bin ich schuldig?« Ich griff in meine Tasche. »Für einen Freund des Burschen, der mich aufgenommen und verpflegt hat?« Er berührte eine der leeren Hülsen, die auf der Bank neben der Schießöffnung lagen. »Ich sag dir was: Das sind keine normalen .45 Patronen, nicht wahr? Ich hätte gerne eine neue davon für meine Sammlung.« Ich polierte meine angeschlagenen Nägel an der Schulter meiner
Uniform. ».451 Detonics Magnum, eine Nachbildung aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert. Ungefähr die dreifache Durchschlagskraft des Originals. Hast du die maßgefertigten, achtschüssigen Magazine gesehen? Du kannst so viele Runden haben, wie du möchtest.« »Eine genügt, danke – du wirst den Rest brauchen, so wie es sich anhört.« Noch mehr konföderierte Großzügigkeit. Darüber und über vieles andere dachte ich nach, während Win und ich nach Hause stapften: Frans energische Begeisterung – und ihre seidige Haut. Mary-Beths gut geölte Intelligenz – und ihr biegsamer Körper. Der philosophische Absolutismus – und alles weitere, was sie mit ihren Gatten teilte. Ich muß laut gedacht haben, als ich zu dem Gedanken kam: »Was die wohl im Bett treiben?« Win gluckste. »Das wirst du nie erfahren, Bernie, und sonst auch niemand. Sie leben sehr zurückgezogen, diese drei. Das ist die Konföderation in der Nußschale: gleichzeitig offen und introvertiert. In Clarissas Bridgeclub gibt es eine Tibetanerin, die fünf Männer hat.« »Sicher«, antwortete ich geistesabwesend, »einer zuviel für Binokel.« In der Unterführung zeigte er mir, wie ich Olongos .375 durch eine pneumatische ›Bellamyröhre‹ zurückschicken konnte und schlug vor, ich sollte eine .45 Magnum-Patrone für die Sammlung des Präsidenten beilegen. Ich schob eine Runde in die gepolsterte Kapsel und kam mir langsam vor wie der Einsame Ranger. Auf dem Weg nach draußen kamen wir an einem Drugstore vorbei, der für Heroin, LSD-25, Kokain und Laetrile Werbung machte, zum halben Preis – in Platin-, Gold-, Silber- und Kupfermünzen – und in Plutoniumzertifikaten. Ich merkte schon, daß dieses Freiheitsgetue mehr Gewöhnung erfordern würde, als ich wahrscheinlich aufbringen konnte.
Bei Wins Haus warteten in der Dunkelheit Schatten auf uns. Die Hand des Detektivs glitt lässig zu seiner S & W. Ich fand den Griff meiner .45. »Guten Abend, Sir, sind Sie der Besitzer?« »Was kann ich für Sie tun?« antwortete Win neutral. Sie waren zu viert, ein Schimpanse, zwei Gorillas und ein Mensch. Sie traten ins Mondlicht, in strengen, schwarzen Uniformen und mit mehr Eisen am Körper als ich seit der Landung der Normannen je auf einmal gesehen hatte. Der Schimpanse ergriff wieder das Wort. »Wir kommen von Griswold's Sicherheits…« »Griswold's…« Win schien beeindruckt. Mich beeindruckte, daß er beeindruckt war. »Wir suchen nach einem… einem gewissen ›Bernard M. Gruenblum‹?« Ich spürte, wie meine Yamaguchier sich in strenger Formation aufstellten – direkt hinter meinem Rücken. »Wieso?« wollte ich wissen. »Wir haben Anweisung, ihn festzunehmen. Wegen Mordes.«
12. Kapitel Und Eisenstangen auch nicht Wins Faust legte sich fest über meine Hand voll Hartfordstahl. »Ganz ruhig, Bernie. Wir sind hier nicht in den Staaten. Unsere Freunde hier sind Zivilisten, Geschäftsleute, und auf meinem Grundstück haben sie keinerlei Rechte.« Beinahe hätte er mich täuschen können. Wer hatte doch immer von Burschen gesprochen, die so zäh waren, daß man auf ihnen Rollschuhfahren konnte? In diesem Augenblick entdeckte ich, daß es überhaupt nicht komisch ist, wenn Gorilla Kilts – selbst das Karo war schwarz-auf-schwarz –, Pistolen, Munitionsgürtel und, anstelle des üblichen Knüppels, Bowiemesser mit sechzehnzölligen Klingen tragen. Das brachte mich auf die Frage, ob sie sich mit Handschellen überhaupt abgaben. Brrrr. »Ist nicht Ihr Bier, Bear«, warnte der Anführer. Wie die anderen trug er eine ebenholzschwarze Kasackbluse, seine Mütze hatte er unter eine Schulterklappe gesteckt. »Gehen Sie einfach rein und lassen Sie uns…« »Jetzt machen Sie mal halblang, Li-Li – ich weiß, daß Sie ein harter Affe sind, aber Sie sollten sich diesen schicken Affenanzug nicht zu Kopf steigen lassen.« Der Detektiv grinste ihn mit gebleckten Zähnen an. Der Schimpanse machte ärgerlich einen Schritt nach vorne und zog seinerseits die Lippe zurück. Win strich mit beredten Fingerspitzen über den Gummigriff seines Revolvers und wich keinen Fußbreit zurück. »Vergessen Sie nicht, daß Sie Eigentumsschützer sind, Li-Li – und dieses Grundstück gehört zufällig mir! Da ich euch aufgetakelte Pfadfinder nicht angeheuert habe, um meine Plastikflamingos zu
bewachen, solltet ihr mir vielleicht einmal erklären – sehr höflich – , warum ihr hier unbefugt eindringt!« Die Wut des Sicherheitsagenten verflog allmählich, nur ein Bodensatz an Gereiztheit blieb zurück. »Ich bitte um Entschuldigung, Sir«, sagte er steif – dann hob er die Schultern. »Oh, Win, um Alberts willen, ich habe einen Eilbefehl, diesen Nackigen Gruenblum wegen zweifachen Mordes an denkenden Wesen festzunehmen: Verdammnis, ich wußte doch nicht, daß er ein Kunde von Ihnen ist!« »Und ein Freund.« Win entspannte sich sichtlich, genau wie die drei Hilfsschützen des Schimpansen. »Das soll ›nackter Affe‹ bedeuten, Bernie, und ist ungefähr genauso beleidigend wie ›Affe‹ in der anderen Richtung. Aber der Captain hier ist noch jung. Er lernt es schon noch.« Er atmete tief ein und wieder aus. »Li-Li, kommen Sie, bügeln wir diesen idiotischen Fehler über einem Glas mit irgend etwas Alkoholischem wieder aus. Sie können mein Telekom benützen, um herauszufinden, was Ihr Melder geraucht hat. Ich bürge für Bernie; er wird nicht abhauen.« Das fanden anscheinend alle besser als die Neuauflage von ›High Noon‹, auf die wir zugesteuert hatten. »Ich muß aber seine Waffe haben«, sagte der Schimpanse, sah erst mich an, blickte dann auf die Granitplatte mit weißen Socken und braunen Schuhen und schließlich wieder zu mir. Win sagte: »Um das zu sehen, würde ich mir eine Eintrittskarte kaufen. Kommen Sie, Li-Li, Sie sind Bourbontrinker, soweit ich mich erinnere.« Der ›Bau‹ in der Konföderation. Die Tatsache, daß man es anders buchstabiert, ist nicht der einzige Unterschied. Der Pförtner ließ mich ein, schlug das Bett zurück, regulierte die Fensterverdunkler, zeigte mir das Telekom, mit dem ich den Zimmerservice rufen konnte, und die Getränkebar.
An der Tür blieb er stehen und wartete auf ein Trinkgeld. Ich bot ihm meine Stiefelspitze an, da entmaterialisierte er. Ich fühlte mich noch immer unanständig nackt in der Taillengegend. Win hatte mir versichert, daß das Ritual notwendig war und daß Griswold's am Ende Wiedergutmachung würde bezahlen müssen. Die Felddichtekomponente hatte ich ihnen nicht gegeben. Wieder sah ich mir die grellen Holos an, die Captain Li-Li als in der Konföderation üblichen Ersatz für einen Haftbefehl vorgezeigt hatte. Da, in 3D und Yechnicolor, zusammengeschnippelt bis zum Geht-nicht-mehr lagen die Professoren ›Marvin N. Hulbert‹ und ›Hubert N. Merwin‹, B. S. M. S. tot bei Ankunft. Kein Wunder, daß ich sie nie hatte auseinanderhalten können. Nachdem man Charm, Spin und Color ordnungsgemäß amtlich als ›Mordwaffen‹ gekennzeichnet hatte, waren sie mit mir eingekerkert worden. Und das empfand ich als überflüssig – in diesem sechsräumigen Riesenhaus gab es noch fünf weitere, leerstehende ›Zellen‹. Die Besitzer hatten uns begrüßt, als ob die neue Autobahn an ihnen vorübergegangen sei. Die Sache war eigentlich zivil, da es in der Konföderation keine strafrechtlichen Anklagen gibt, bis auf den Betrag, den ich für die Übernachtung zu bezahlen hatte. Fahrlässiger Import gefährlicher Tiere, die dadurch zum unrechtmäßigen Hinscheiden zweier denkender Bewohner NordAmerikas beigetragen haben konnten. Die Professoren wären begeistert gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß man sie posthum noch adoptiert hatte. Die Sache mit den Freenies war ein Kompromiß gewesen. Für die Pseudobullen war es ziemlich ungewohnt, daß sich ein strittiges Objekt dagegen wehrte, beschlagnahmt zu werden. Man hatte sich schließlich dahingehend geeinigt, daß ich mit den Yamaguchii zusammenwohnen sollte, während Win an den Ort raste, der hier die Stelle von Denver einnahm – zwei kleine Städte mit Namen St. Charles und Auraria – um die Anklagen dort auf ihre Richtigkeit zu untersuchen, wo man sie vorgebracht hatte.
Vorgebracht hatte sie interessanterweise ein gewisser Denward T. Kent, Bewohner der Konföderation – die würden hier allmählich besser auf ihre Einwanderungsgesetze achten müssen. Er hatte auf seine Verbände verwiesen und behauptet, er sei ein weiteres Opfer gruenblumscher Schändlichkeit. (Das Tröpfeln, das Sie nicht hören können, das ist mein blutendes Herz.) Er hatte die grausigen Polaroidschnappschüsse geliefert. Win wollte herausbekommen, wie Captain Li-Li mich gefunden hatte. Ich wollte wissen, wieso hier jeder samt seinem Arschloch als ›Captain‹ angesprochen wurde – kein Colonel, kein Oberst, kein Subalterner oder Generalissimo, nur Captains. Win lachte, und das sprach nicht für seinen Geschmack, fand ich, wenn man bedachte, daß er mich zu dieser Zeit gerade in den Bau fuhr. Hübscher Wagen; ein Neova – im Bereich der Krankenhäuser gingen wir auf hundert runter. »Ich habe mir die gleiche Frage gestellt, als ich zum erstenmal hierherkam, Bernie. Auch ihre ›Kerker‹ haben mich umgehauen. Sie haben einen Gefangenen von mir Selbstmord begehen lassen, weil sie ihn nicht gründlich genug durchsucht hatten – von der Entwicklung von Strafeinrichtungen verstehen sie genausowenig wie von militärischen Rängen. Und aus dem gleichen Grund.« »Wieso?« Sie hatten sehr genau gewußt, daß sie mir meine .45 wegnehmen mußten – und dabei übermütige Bemerkungen über Museumsstücke gemacht. Ich wünschte, ich hätte Olongos Pistole nicht zurückgeschickt. »Nun, hier ist jeder aus Gründen der persönlichen – nicht der gesellschaftlichen – Verteidigung bewaffnet. Sicher, es gibt die Bürgerwehr, aber die ist weitgehend verkümmert, versorgt nur eine Fläche von der Größe eines Bezirks, verdient sich ihren Unterhalt durch Backwarenverkauf und Tombolalose und hat offiziell nicht mehr zu sagen wie die tausend ähnlichen, die über den ganzen Kontinent verstreut sind. Hier hat überhaupt niemand offiziell etwas zu sagen.«
»Und wenn ich meine eigene Bürgerwehr von Groß-Laporte aufbauen wollte…?« Wieder lachte er. »Die wären froh über die Konkurrenz – und würden euch bei ihrem jährlichen Picknick zur Finanzbeschaffung zu einem Tauziehen herausfordern. Am besten bezeichnet man sie als eine Art Freiwilliger Feuerwehr. Seit dem Russischen Krieg hatten sie keine Kampferfahrung mehr und werden sie wahrscheinlich auch nie bekommen. Ein Land, wo jeder eine Waffe hat und niemand die Befugnis, einem anderen zu sagen, daß er sich zu ergeben hat – das ist ein Alptraum für einen Militaristen.« Ich merkte, daß er nicht auf meine Frage geantwortet hatte. »Ja, aber was soll dieses ›Captain‹-Gerede?« »Nun, jeder, der an der Spitze einer Gruppe von Individuen steht – was in diesem schwer zu lenkenden Kontinuum bestimmt nicht einfach ist –, bekommt die Ehrenbezeichnung ›Captain‹. Das ist die Wortbedeutung, und mehr steckt ja eigentlich auch nicht dahinter. Will ist gewählt – einstimmig – und Li-Li ist angestellt. Und warum es keine Wissenschaft des Strafvollzugs gibt, was glaubst du, wie viele Verbrechen hier in der Gegend begangen werden?« Ich machte den Mund auf. »Laß nur, ich sag's dir…« Ich schloß ihn wieder. »Diese Morde wären hier in der Gegend die ersten seit fünf Jahren. Der winzige Prozentsatz von Mördern und Räubern bleibt in der Regel nicht lange genug am Leben, um überhaupt ins Gefängnis zu kommen.« Er überlegte. »Du weißt, daß du morgen früh berühmt sein wirst?« »Das hat mir gerade noch gefehlt! Sag mal, Win, wenn hier nichts und niemand offizielle Befugnisse hat und es keine richtigen Polizisten gibt, wieso bringst du dann deinen Kumpel ins Kittchen? Wir könnten das ganze Getöse doch einfach ignorieren und weiter nach Georgie suchen?« Der Neova bremste ab. Ein Zeichen vor uns verkündete: »Hoch-
sicherheitsquartier – Frei – Billig zu verkaufen.« Das Geschäft mit Gefängnissen mußte wirklich lausig schlecht gehen. »Sieh mal, Bernie, in der Konföderation gibt es mehr als sechstausend Telekomkanäle. Für den durchschnittlichen Bewohner vergeht keine Stunde, ohne daß er das Telekom benützt, um die Definition eines Worts nachzuschlagen, ein Rezept nachzuprüfen, eine Schachtel Zigaretten zu kaufen oder die Wiederholung von ›Hello, Joe – Whadd'ya Know?‹ zu erwischen. Und du solltest den Alarm in allen Medien sehen, wenn jemand einen falschen Scheck ausschreibt! Du würdest draußen keine drei Stunden überleben, und ich würde wegen Vorschubleistung nie wieder ein Geschäft machen.« Er klappte die Möwenflügeltüren auf. Wir gingen hinein zum Nachtportier. Die wollten nicht einmal mein Gepäck sehen. Und nun war ich also hier, um halb vier Uhr früh, lag auf dem Rücken und versuchte, auf dem Telekom zwischen meinen Zehen etwas zu finden, was mich interessierte. Der Müllschlucker des Zimmers war noch immer mit den Überresten eines mitternächtlichen Imbisses beschäftigt, und das allein hatte Anstoß zum Nachdenken geboten. Adlerfrikadellen. Anscheinend hatten die hiesigen Konservativen vor einem Jahrhundert entdeckt, daß Hühner und Truthähne deshalb nicht in Gefahr waren, ausgerottet zu werden, weil sie in Privatbesitz und wirtschaftlich verwertbar waren. Vielleicht geht es einigen antikommerziell Empfindenden gegen den Strich, wenn man mächtige Raubvögel zu Klopsen verarbeitet, aber wenigstens gab es noch genügend von ihnen. Bei mir zu Hause waren sie seit zweihundert Jahren ausgestorben. Von den Freenies trank jeder gerade seine dritte Tasse Java leer. Ich wußte nicht, was sie heute nacht anfangen würden; die kleinen Kerle schliefen anscheinend nie. Das kam wohl von dem vielen Kaffee.
Auf dem Nachttisch lag so etwas wie eine Fernsehzeitung. Wie sich herausstellte, war es nur eine Anleitung für das Fernsehprogramm. Dutzende von Nachschlagekanälen, die nur aufführten, was jetzt gerade lief. Sogar noch mehr, die zeigten, was später kam. Die Hauptkanäle warben für ihre künftigen Sendungen – und brachten auch noch Spots für andere Kanäle. Es gab einen interaktiven Fragedienst, bei dem man Querverweise auf laufende Programme nach Thema, Titel, Autor, Produzent, Regisseur, Hauptdarstellern und Statisten bekam, und ein paar Kanäle, auf denen man alles anfordern konnte, was man sonst noch wollte. Natürlich hatte das Gefängnis selbst eine gut ausgestattete Bibliothek mit briefmarkengroßen Aufzeichnungen von Büchern, Musik, Filmen und so weiter. Man konnte sich auch selbst ein Programm machen, etwas sprechen oder auf dem Kamm blasen, wenn man bereit war, für die Sendezeit zu bezahlen. Natürlich mußte sich das niemand ansehen. Vielleicht liegt es einfach am Konzept des Fernsehens: Trotz alledem fand ich nichts, was mich interessiert hätte. Aber ein oder zwei Einzelheiten fielen mir auf, die der durchschnittliche, konföderierte Zuschauer gar nicht bemerkt hätte. Vor allem gab es keine Gruppensportarten für ein Massenpublikum. Ein paar Einzelleistungen wie Zielschießen, Tennis und Boxen. Und die zogen das Publikum genauso sehr an – wie ich aus den beinahe leeren Tribünen auf dem Schirm schloß – wie Himmelund-Hölle mit berühmten Personen. Karate mit Vollkontakt, vor kurzem aus den Staaten importiert, fand einigen Anklang, obwohl man dabei den Menschen ein paar Dutzend Punkte vorgeben mußte. Zweitens fehlte ganz deutlich Religiöses – ich glaube, in ganz Groß-Laporte gab es nur eine einzige Kirche – obwohl das auch in Chicago hätte sein können, ich weiß nicht mehr genau, welchen Kanal ich zu diesem Zeitpunkt gerade eingeschaltet hatte – und das war eine aufblasbare Hütte, die nur drei Tage in der Woche
dastand: samstags für die Adventisten und meine Leute, sonntags für die Christen und montags für die Freudianer. Den Rest der Woche war da ein Parkplatz. Aber am meisten verwirrte es mich, daß die Flüche in der Konföderation genauso verschieden sind wie alles andere. Es geht dabei nicht um Sex und nicht um Gott. Jenseitsmärchen passen einfach nicht besonders gut zu Leuten, die es gewohnt sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, danke. Statt dessen verwenden sie beim Fluchen ihre Helden wie Lysander Spooner und Albert Gallatin; sie fluchen mit Schurken wie Washington und Hamilton. ›Verdammnis!‹ hatte Li-Li ausgerufen, als er sich in die Ecke gedrängt fühlte, wobei er sich mehr auf den Umgang der Regierung mit dem Eigentum anderer Leute bezog als auf den Zustand irgendwelcher Seelen. Und sie fluchen mit Ausscheidungen, genau wie jeder andere im bekannten Universum. Aber wenn hier jemand sagte: »Laß dich doch ficken!«, würde ihn der Angesprochene wahrscheinlich etwas komisch ansehen, den Kopf schütteln und antworten: »Oh, vielen Dank, Pilger – mach dir auch 'nen schönen Tag!« Hauptsendezeit. Ich war im Fernsehstudio, als Reißwolf verkleidet und zeichnete die Ermordung von Blocky Yocks auf. Ich weiß nicht, warum sich die Akademie die Mühe machte – die Hälfte der Bevölkerung hatte das damals live von Küste zu Küste gesehen. Es war während der Beurteilungssäuberungen im Jahre 1991. In der Woche zuvor hatte Amerikas beliebtester Bauchredner vergessen, seine Telefonrechnung rechtzeitig zu bezahlen. Die gute, alte Telefongesellschaft hatte seinen Apparat an einem Freitag abgeschaltet und den armen Burschen das ganze Wochenende über vom Sender, den Kolumnisten, seinem Agenten, den Fans und den drei Exfrauen abgeschnitten, mit denen er noch redete. So etwas hat schon größere Stars ruiniert – man denke nur an die Gerüchte, Kermit der Frosch sei gestorben. Danach hatte er nie wieder so ein richtiges Comeback. Aber diesesmal bedeutete es Krieg. Bis Mittwochabend hatte er die Geschäftsnummern des Ameche-Monopols in Anchorage und Honolulu bekannt-
gegeben und sechzig Millionen Zuschauern erklärt, daß es die Telefongesellschaft jedesmal Geld kostete, wenn sie ein Ferngespräch anwählten und der Teilnehmer besetzt war oder sich nicht meldete. Nicht viel, eine meßbar kleine Summe für Schalten, Leitungsabnützung und das Klingeling oder SummSumm am anderen Ende. Als dann sechzig Millionen Leute diese Nummern wählten, alle fünfzehn Minuten, vierundzwanzig Stunden pro Tag – aber nur am Wochenende – siebzehn Monate lang, gab es mitten im Bellsystem einen verhängnisvollen Riß. Aber in den ersten Todesqualen schlug das System auf seinen Folterknecht zurück. In der Woche nach Blockys Ankündigung, als ich zusammengekauert und schwitzend in einer Plastiktüte voll Konfetti hockte und er mitten in seinem Eröffnungsmonolog war, brachen zwei Aushilfsleute vom CIA und zwei arbeitslose Installateure ins Studio B ein, sie hatten Rugers Mark II mit Schalldämpfern und pusteten den Inhalt ihrer Magazine in den armen Blocky hinein, was seiner Karriere für immer ein Ende setzte. Zu schade, daß die Blödiane nicht daran dachten, auch seinen Partner, den Bauchredner zu erschießen. Ich wachte auf, hatte gar nicht gemerkt, daß ich eingenickt war. Puh! Während der letzten paar Nächte war mein ganzes Leben vor meinen Augen vorbeigezogen. Ich mußte wirklich das Vitamin B6 absetzen. Sonnenlicht fiel durchs Fenster herein, und das Telekom brüllte meine außerirdischen Freunde an. Es überraschte mich, daß ich mich trotz allem ganz prima fühlte. Die Freenies sahen sich auf einem Regionalprogramm einen Pornoschinken mit dem Titel ›Tippen für Platin‹ an. Hin und wieder rief der Talkmaster seine Zuschauer an, und wenn sie die Seite im Kama Sutra nennen konnten, die dem am nächsten kam, was im heutigen Film gerade passiert war, hatten sie gewonnen. Ein bißchen störte es mich, daß alle Schauspieler Schimpansen waren. Der Talkmaster, der in einem großen Glasbecken auf- und abhüpfte, war ein Tümmler. Ich stand auf, duschte, holte meinen Overall aus dem Kleiderpflegeautomaten und fing an, einen kleinen Gratisrasierapparat aus
Plastik um meine Stoppeln herumzuführen, während die Yamaguchier Frühstück bestellten. Das kam mir sehr gelegen – ich hätte ein… … Im Spiegel erhaschte ich einen Blick auf den Telekomschirm und hätte mich beinahe gleichzeitig enthauptet und erdrosselt, als ich den Kopf herumschwenkte. Der Appetit verging mir sofort. Wenn man sich selbst unerwartet am Fernsehen sieht, passiert einem so etwas manchmal. EINWANDERER LEUGNET, ZWEI MENSCHEN BRUTAL ERMORDET ZU HABEN EINZELHEITEN AUF KANAL 1130 Betäubt taumelte ich an die Bar, Rasieren und Frühstück waren vergessen. Win hatte recht gehabt, ich war sehr schnell berühmt geworden. Ich weiß nicht, wann die Kamera mich mit diesem blöden Gesichtsausdruck erwischt hatte, aber offensichtlich hatte der Gefängniswärter eine Möglichkeit gefunden, sein mageres Einkommen aufzubessern. Ich goß mir ein anständiges Quantum Scotch ein, gurgelte ihn runter und machte mir einen zweiten mit Eis. An der Tür kratzte etwas. Verdammt, ich hatte letzte Nacht nicht einmal nachgesehen, ob sie verschlossen gewesen war. Jetzt hoffte ich es irgendwie – damit neugierige Fremde draußengehalten wurden. Wieder kratzende und krabbelnde Geräusche. Als ich mich vorsichtig der Tür näherte, wünschte ich mir mehr denn je, ich hätte noch meinen Colt gehabt. Ich überlegte, wie gut sich wohl ein Freenie als Waffe eignete, wenn man ihn am Hals packte und schwang. Dann öffnete ich die Tür, die keinerlei Widerstand leistete, einen Spalt breit und spähte hinaus in den Korridor. Nichts.
Plötzlich bewegte sich die Tür von selbst. Ich schaute nach unten, das Glas in der Hand, und da, zu meinen Füßen, befand sich ein mittelgroßer, bräunlicher Köter. Nein, nicht ganz, aber etwas Ähnliches. Er streckte die Nase weiter durch die Tür, blieb mitten im Zimmer stehen, hockte sich auf die Keulen, kratzte sich mit dem Hinterfuß an einem Ohr und legte den Kopf schief. »Jetzt ist aber doch sicher noch nicht Cocktailzeit«, sagte das Tier. »Oder, Captain Gruenblum?«
13. Kapitel Der Hund, der zuviel wußte »G. Howell Nahuatl zu Ihren Diensten.« Mit zuckenden Schnurrbarthaaren und einem Zwinkern in den Augen hüpfte er auf einen Stuhl, der beim Fenster stand. »Das G steht für Greenriver.« »Äh… ich bin Bernard M. Gruenblum – das M steht für Mattscheibe. Das sind meine Freunde Snap, Crackle und… – sagen Sie mal, Sie sind doch ein Kojote, oder etwa nicht?« »Wie nett, daß Sie das bemerken.« Ich seufzte. »Nun, was trinken Kojoten, wenn sie Leute im Knast besuchen?« »Es ist wirklich ziemlich früh, oder? Wie wäre es mit einer Coca Cola?« Als Wachmacher erstklassig. Da es in der Konföderation keine Nahrungsmittelbehörde gibt, ist Coke wirklich das einzig Wahre. »Vielleicht mit einem ganz kleinen Spritzer Rum? Ich bin eigentlich nicht zu Besuch hier, Captain Gruenblum, sondern…« »Sagen Sie bloß nicht, Sie sind Rechtsanwalt!« Die meisten Rechtsanwälte, die ich kannte, waren zwar auch Kojoten gewesen, zweibeinige, aber es kam mir nicht sehr höflich vor, das zu erwähnen. Er gluckste. »Nein, ich bin hier, um Sie rauszuholen. Win Bear hat mich geschickt.« Der Bär schickt den Kojoten. Als nächstes würde ich ein Palaver mit Bruder Kaninchen abhalten. Nun mußte ich nur noch ein kleines Problem der Etikette lösen: ich konnte Nahuatl sein Glas nicht in die Hand geben, und es würde albern aussehen, wenn er sich wie ein Freenie draufhockte. Der Kerl bemerkte mein Zögern. »Bitte stellen Sie es auf den
Seitentisch. Ich werde das schon schlabbern. Ich habe eine lange Nase und eine noch längere Zunge. Nun, wie ich eben schon sagte…« »Win hat Sie geschickt. Hätte nicht geglaubt, daß man bei Mord auf Kaution rauskommt.« Ich machte mich über den zweiten Scotch her, zum Augenöffnen war er Orangensaft meilenweit überlegen. Zu Spin: »Seid ihr Burschen mit der Frühstücksbestellung fertig? Nun, dann sagt mal gleich, daß es für fünf ist, ja?« »Danke«, meldete sich Nahuatl. »Diese Lammkotelettes auf der Speisekarte wären wunderbar. Und Sie sind strenggenommen nicht des Mordes angeklagt, aber selbst wenn, wäre das genauso kautionsfähig wie jedes andere Vergehen. Aber wissen Sie, Captain, inzwischen besteht überhaupt keine Anklage mehr gegen Sie.« Er schlabberte an seinem Drink. »Ich heiße Bernie. Wieso bin ich jetzt wieder auf der richtigen Seite des nicht existierenden Gesetzes?« Der Teufel sollte mich holen, wenn sich nicht mein eigener Drink urplötzlich in Luft aufgelöst hatte. Ich tippte einen neuen ein, nur um das Frühstück – Steak und Eier, Auflauf und englische Brötchen – runterzuspülen. Charm, Spin und Color teilten sich eine Schüssel Haferbrei. Noch eine Cola mit Rum für das Hündchen. »Ich weiß es nicht genau, Bernie. Win ist auf dem Rückweg von St. Charles-Auraria. Wir dachten, wir könnten dir eine weitere Stunde hinter Schloß und Riegel ersparen.« Er tauchte seine Schnauze vorsichtig ins Glas; um seine Schnurrhaare sprudelte es, als er es leertrank. Ich tippte noch eine Runde für uns beide ein. »Nun, ich war schschon viel schschlimmer – hinter Schschlosch und Riegel.« Ich sah den Freenies zu, die auf ihrem Haferbrei hockten, schauderte und schüttete den Rest meines Drinks hinunter. »Hör mal, will ja nich' neugierich' sein oder so, aber…« »Aber schlieschlich paschiert es na nich' jed'n Tach…« – das Tier grinste mich mit funkelnden, schwarzen Augen an – »dasch man mit einem schprechenden Kojoten Frühschtück trinkt?« Er hickste, und seine Augen flitzten argwöhnisch herum, um zu sehen,
wer das Geräusch gemacht hatte. »Scho ungefähr, Gorillasch, Schimpanseriche…« – ich nickte zu dem Talkmaster am Fernsehen hin, der immer noch rumquatschte – »… sogar Delphiner, alle haben 'ne Menge Gripskapaschität – Kapazitution. Geht nur drum, die Schbrache von 'nenn anderen schu lernen. Aber, na ja…« Ich stotterte hilflos herum und starrte seinen schmalen Hundeschädel an. »Aber ich hätte nicht gedacht, daß auch Kojoten…« »Gewöhnlich«, erwiderte Nahuatl und richtete seine Augen wieder gerade, »hättest du recht. Aber schiehscht du…« – er seufzte traurig, eine Träne rollte ihm die Schnauze entlang und tropfte herunter –, »ich bin der erschte – und letschte – meiner Gattung.« Die Zivilisation (erklärte G. Howell Nahuatl – mit Berücksichtung der alkoholischen Besonderheiten seiner Aussprache; er sagte ›Schiwilischaschion‹) befindet sich gegenwärtig im Übergang von der Nanoelektronik, die zum Beispiel das Telekom hervorgebracht hat, zur Gigaelektronik – eine Verringerung der Größe, eine Steigerung der Kapazität in mehreren Größenordnungen – und daraus bin, unter anderem, auch ich entstanden. Ich wurde als relativ durchschnittlicher Kojote geboren. Meine Mutter war die dritte Generation im Zoo von Gallatinopolis, oben in Dakota. Nur war ich das Ergebnis einer ziemlich speziellen Gen-Selektion. Selbst ohne das, was hinterherkam, wäre ich unter den Kojoten ein Genie geworden, intelligenter als jeder Haushund, vielleicht sogar klüger als das durchschnittliche Polen-ChinaSchwein. Aber Aloysius Sourwine hatte Pläne für mich und große Hoffnungen: ich sollte ein vierbeiniger Benedict Arnold werden. Jedes Jahr werden von meiner Rasse Hunderttausende von Schafen und jungen Rindern getötet. Wir sind sehr schlau, schnell auf den Beinen, äußerst anpassungsfähig. Wie die Kakerlake und die Ratte werden wir bis ans Ende aller Zeiten gedeihen, wohingegen dein Volk sich erst noch bewähren muß. Es gibt tatsächlich wilde Kojoten, die recht behaglich innerhalb der Stadtgrenzen von La-
porte leben. Daher gab es anscheinend keine sichere und wirtschaftliche Methode, die Kojoten als landwirtschaftliches Übel auszurotten. Schießen sortiert, wie mein Herr einmal bemerkte, nur die Langsameren von uns aus; Vergiften die Dummen. Bei dieser Selektionsgeschwindigkeit würden wir innerhalb der nächsten paar Jahrhunderte selbst Farmen leiten. An diesem Punkt schlug sich mein Herr, Aloysius Sourwine, mit seiner schweren Hand auf die Sonnenbrandlinie auf seiner Stirn und brachte sich damit beinahe selbst eine Gehirnerschütterung bei: warum sollte er den Witz nicht Wirklichkeit werden lassen, den Prozeß beschleunigen, eine Kojotenzüchtung schaffen, die mithelfen konnte, das Ungezieferproblem zu lösen? »Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann schließ dich ihnen an« – oder passender: »Einen Dieb fängt man am besten mit einem Dieb.« Und dann folgte die eindrucksvolle, teure Neukombination von Genen, die in meiner Geburt gipfelte – zusammen mit einem noch kostspieligeren Aufwand im Bereich der Gigaelektronik. Mit sechs Wochen pflanzte man mir den raffiniertesten Schaltkreis in die Gehirnrinde, den die Konföderation herstellen konnte. Ergebnis: ich wurde ein Superkojote mit künstlich gesteigerter Intelligenz – eine Waffe, die dafür gedacht war, Schafe und Rinder vor den Räubereien meiner eigenen Gattung zu schützen. Die Vereinigung der Viehzüchter der Great Plains war entzückt – bis sie merkten, daß sie zu gute Arbeit geleistet hatten. Weißt du, in der Konföderation ist das einzige Kriterium, mit dem man sich Individualrechte sichert – das, was andere Zivilisationen Bürgerrechte nennen würden –, die Intelligenz. Ein Gorilla kann dreckige Witze erzählen; ein Schimpanse kann über Metaphysik debattieren; ein Delphin kann politische Streitgespräche führen; ein Orca – ›Mörderwal‹, ich nehme an, so einen hast du noch nicht kennengelernt – kann dich im Schach schlagen. Alle einschließlich der Menschen sind, bildlich gesprochen, imstande, aufzustehen und in klarem, grammatikalisch richtigem Englisch,
Spanisch, Dänisch, Quebecois oder Delphinisch zu verlangen, daß man ihre Souveränität als Individuen respektiert. Und das konnte, peinlich genug, ich auch. Die Vereinigung der Viehzüchter der Great Plains hatte durchaus mein Mitgefühl. Auf Drängen meines Herrn hatten sie viel in mich investiert, und nun war alles umsonst. Es gibt zwei und nur zwei Arten von Entitäten im Universum: denkende Wesen und Besitztümer. Die ersteren kann niemand besitzen, außer, in gewissem Sinne, sie selbst. Die moralische Basis für jede gesellschaftliche, politische, und wirtschaftliche Transaktion ist die Kultur der Konföderation, deshalb haben Primaten und Cetaceen Rechte, deshalb darf man die Jungen keiner intelligenten Rasse als Leibeigene behandeln. Man kann ein souveränes Individuum nicht besitzen. Alles andere, Land und Bodenschätze, Artefakte, Abstraktionen wie Vertragsbeziehungen und Orbitalpositionen, nicht intelligente Tiere – alles andere ist Besitz, es gehört entweder jemandem oder wurde noch nicht beansprucht. Ich hätte eigentlich Besitz sein sollen, ein nützlicher, subintelligenter Aktivposten mit genausowenig Rechten – und genausowenig Vorstellung davon – wie eines der Luftkissenfahrzeuge draußen auf der Straße. Wie gut erinnere ich mich an jenen schicksalhaften Tag auf der Viehausstellung von Cheyenne. Ich war noch ein Welpe, und meine Erinnerungen an diese Zeit sind stark von der späteren geistigen Entwicklung beeinflußt. Aber die Fakten, das, was ich sah, hörte und oh, was ich roch – sind unauslöschlich aufgezeichnet, wahrscheinlich von der elektronischen Komponente meines Geistes. Es gab eine hitzige Debatte zwischen Sourwine und seinen Freunden mit den Funktionären, ob ich als lebendes Inventar – wie die Collies aus dem Grenzgebiet und andere Schäferhunde – oder als Teil der Farmtechnik anzusehen sei, wie etwa ein Traktor oder ein geostationärer Reflektor. Sie standen um meinen kleinen Käfig herum und diskutierten und diskutierten, bis ich ungeduldig wurde. Ihre Stimmen, Lausprecherankündigungen von 5 H-Prämierungen, die Berg- und
Talbahn draußen, schmerzten mein empfindliches Gehör. Schließlich sagte ich gereizt: »So schwierig kann das doch nicht sein – ich werde mich in beiden Kategorien der Konkurrenz stellen!« Ich würde gerne erzählen, daß meine Besitzer, ihre Partner und die Richter schockiert verstummten. Es war das erstemal, daß ich je gesprochen hatte, ja, auch nur auf die Idee dazu gekommen war. Ich würde dir das gerne erzählen. Aber die Zunge und das Kiefer eines Hundes eignen sich nicht für die menschliche Sprache, und was herauskam, war ein verzerrtes Quäken. Sourwine dachte, ich sei krank geworden. Ich mußte es mehrmals versuchen, bis meine Botschaft verstanden wurde, und bis dahin fand es keiner mehr lustig, auch ich selbst nicht. Sieh mal, auch jetzt kommt meine Stimme noch aus einem Umsetzer an meinem Halsband, ganz ähnlich wie die Handgelenksprecher der Primaten, nur ist meiner direkt auf meine Gehirnimpulse eingestellt. Schimpansen und Gorillas sprachen ursprünglich Ameslan – Zeichensprache – und ihre Sprechgeräte reagieren auf unterschwellige Bewegungen der Hand und des Handgelenks. Nein, das tiefe Erstaunen, das ich erwartet hatte, kam langsamer und stand hauptsächlich in Zusammenhang mit den Brieftaschen meiner Schöpfer. Sourwine reagierte gelassen. Er wurde mir ein Vater und brachte mir bei, mich in der Welt zurechtzufinden. Als Gegenleistung tat ich die Arbeit, für die man mich entwickelt hatte, ich bewachte seine Herden. Als er viel zu früh mit siebenundneunzig das Zeitliche segnete, erfuhr ich, daß er mir seinen gesamten Besitz hinterlassen hatte. So wurde ich ein Gentlemanrancher. Inzwischen stelle ich zweibeinige Schäfer ein, denn, es ist traurig, es sagen zu müssen, ich Hasse alles, was auch nur entfernt mit dem Landleben zu tun hat, sogar die Abteilung für landwirtschaftliche Produkte in Lebensmittelgeschäften. Das Paradigma und das Rätsel des Denkens ist es, daß es unmöglich ist, die Neigungen des Einzelnen zu erklären – oder vorherzusagen. Mein wirklicher Ehrgeiz war, Operntenor zu werden.
Statt dessen wurde ich die erste Beratende Privatnase der Welt. Daran war Win Bear schuld: vor einigen Jahren hütete ich für Aloysius Sourwine das Vieh, heulte ›Lohengrin‹ zum Vollmond hinauf und überlegte mir dabei, daß mir mein Leben irgendwie – unvollständig vorkam. Je mehr ich über dieses Rätsel nachdachte, um so mehr festigte sich die Schlußfolgerung: Ich brauchte sexuelle Kontakte. Mehr noch, ich hatte das natürliche Bestreben aller Säugetiere, inmitten häuslicher Ruhe und liebenswürdiger Kameradschaft Nachwuchs zu zeugen. In meinem Fall waren die Umstände entsetzlich kompliziert. Ich konnte mich nicht überwinden, mich mit einem Weibchen meiner eigenen Rasse zu paaren. Das wäre etwa so… – laß mich überlegen – als würdest du dir eine Frau aussuchen, der man die Schläfenlappen herausoperiert hat. Ich bin sicher, daß einige Männer dagegen gar nichts hätten, aber ich hoffte auf intelligente Unterhaltung bei der Zigarette danach. Wir leben in einem Freien System: vielleicht ist es nicht unmöglich, eine Menschen- oder Primatenfrau zu finden. Aber ich bezweifelte, ob ich eine finden konnte, die vernünftig war und für die ich nicht bezahlen mußte. Ich wollte mehr. Ich sprach darüber mit Aloysius Sourwine, und wir kamen überein, da die teuerste Forschungsarbeit ja schon geleistet war, daß wir versuchen würden, mir eine Frau zu machen. Schließlich war ihm für seinen Sohn, den Opernsänger, nichts zu teuer. Das Unternehmen machte Fortschritte, und ich hatte Grund zur Dankbarkeit dafür, daß wir Kojoten so schnell zur Reife gelangen. Sie war schön, meine Elsa, schon als neugeborener Welpe, mit dunklem, seidigem Fell, langen Wimpern und zwei dramatischen, helleren Streifen auf beiden Seiten ihrer Stirn, die im Zickzack zu ihren Ohren hinaufliefen. Tief in ihren Augen lag ein wilder, ungezähmter Ausdruck, der Leidenschaftlichkeit versprach. Da wir von Anfang an wußten, daß sie ein denkendes Wesen sein würde, wurde bei ihrer Ausbildung an nichts gespart: Philosophie, Musik, Selbstverteidigung, Literatur und die Schönen Künste.
Sie nahm alles mit Eifer in sich auf, und meine Tage mit ihr waren erfüllt von fröhlichem Sonnenlicht – und Vorfreude. Dann wurde sie geschlechtsreif – und brach mir das Herz. Nein, es lag nicht daran, daß sie mich nicht geliebt hätte. Ich glaube, das hätte ich irgendwie ertragen können, da ich ja Verständnis für die Irrwege des individuellen Geschmacks habe. Und es war auch sonst nichts, was ich hätte auffangen können. Ihr Menschen, die ihr euch auf natürliche Weise über Tausende von Jahrhunderten weg entwickelt habt, habt jeglichen im Labor feststellbaren Instinktrest verloren. Über kurze, einfache Reflexe und Triebzustände hinaus sagt euch die Natur nicht, wie ihr euch befriedigen sollt, ihr habt kein angeborenes Wissen, weder über Sex, noch darüber, wie ihr euch ernähren, ja, nicht einmal, wie ihr gehen sollt. Das ist ein großer Vorteil, denn dadurch sind eure Entwicklungsmöglichkeiten unbegrenzt. Ich nehme an, daß für Primaten und Cetaceen so ziemlich das gleiche gilt, daß alles, was sie wissen, erlernt ist. Anscheinend ist jedoch der Instinkt bei den Weibchen meiner Rasse viel stärker als bei den Männchen. Vielleicht ist auch das wieder individuell verschieden. Ein paar Wochen, nachdem sie in den begehrenswerten Zustand der Erwachsenenreife eingetreten war, verschwand meine Elsa, floh vor dieser Zivilisation, die sie in allen Einzelheiten kannte, und ging in die weite, wilde Prärie, um dort ein primitives Leben zu führen. Sie gab sich Mühe. Sie gab sich bestimmt alle Mühe mit mir. Wir hatten lange, gefühlsbeladene Sitzungen, die du nicht als Gespräche bezeichnen würdest, bittersüße, unbefriedigende Liebesakte, sie schien zwischen Bewußtsein und Instinkt hin- und hergerissen, wußte nicht, was sie wirklich wollte. Als sie schwanger wurde, überwältigte der Instinkt sie vollständig. Ich fand ihr Halsband auf der Telekomkonsole, mit einer persönlichen Aufzeichnung, deren Inhalt du dir sicher vorstellen kannst. Nach Tagen des Trauerns und Klagens suchte ich in einem Branchenverzeichnis nach Hilfe. Ich war sicher, wenn ich sie nur
finden konnte, würde ich sie überreden, zu mir zurückzukehren. Ich war sogar bereit, einen Teil des Jahres zusammen mit ihr das Leben eines wilden Tieres zu führen. Alles wollte ich tun. Ich liebte sie. Ich schickte lieber eine schriftliche Botschaft, als persönlich anzutelekommieren, und instruierte diesen ›Win Bear‹, den ich mir ausgesucht hatte, einen ›Beratenden Detektiv‹, er solle nicht überrascht sein, was immer ihm bei mir zu Hause auch begegnen mochte. Ich vermittelte ihm den Eindruck, als lebte ich in exzentrischer Zurückgezogenheit, und das war inzwischen gar nicht mehr so unrichtig. Ich hatte noch einen weiteren Verlust erlitten – den alten Aloysius Sourwine – und lebte in einer Eigentumswohnung in Cheyenne. Ich empfing Win, ohne ein Wort zu sprechen, an der Tür, nahm seinen Hut zwischen die Zähne, trabte ins Wohnzimmer wie ein abgerichteter Foxterrier und setzte mich auf die Couch. Win war mir gefolgt und setzte sich auch, als warte er darauf, daß mein Herr sich sehen ließe. »Mr. Bear«, sagte ich schließlich, »ich brauche dringend Hilfe!« »Ich auch! Ich habe mir nämlich gerade eingebildet, einen Kojoten sprechen zu hören!« Und das war natürlich auch so. Mehrere Drinks und eine lange Erklärung später zeigte er sich bereit, mir bei der Suche nach Elsa zu helfen – solche häuslichen Vorkommnisse waren nicht völlig beispiellos für ihn, wenn er es im rechten Licht betrachtete. Obwohl sie ihr Halsband zurückgelassen hatte, müßte, wie er überlegte, der ihr eingepflanzte Schaltkreis gelegentlich ein schwaches, aber ausreichendes Signal aussenden, mit dem man sie aufspüren konnte. Er beriet sich seinerseits mit zwei Physikern an der Universität von Laporte GmbH – einer Menschenfrau und einem Tümmler –, die ihm die notwendigen Geräte beschafften. Das und ein Sportluftkissenpolymobil, das auch auf Flugfunktion umstellbar war, mehr brauchten wir nicht. Ich fand sie in der Gegend, die vor der Konföderation Nord-
montana geheißen hatte, sie lebte mit unseren Welpen in einem Bau. »Elsa!« Es war dunkel und schmutzig dort unter der Erde, im Bau lagen Beutereste verstreut, an der Decke waren die vertrocknenden Wurzeln des Präriegrases darüber zu sehen. Die Kinder waren noch blind, winselten und stolperten unaufhörlich übereinander, gelegentlich saugten sie. Ich konnte es kaum über mich bringen, sie anzusehen, aus Angst, ich würde aus diesem häßlichen Fegefeuer nicht mehr weggehen wollen. Damals fühlte ich, daß der Tod eine gesegnete, willkommene Erlösung sein könnte. »Wie geht. es dir, Howell? Übst du immer noch für die Opernvereinigung von Cheyenne?« Ich hatte ihr Sprechhalsband mitgebracht, das sich wie das meine von selbst umlegte, wenn man mit seiner ungeschickten Pfote auf einen Knopf an der Oberfläche drückte. Elsa wirkte erschöpft und müde, ihr Fell war glanzlos und schmutzverkrustet. »Nein.« Ich bemühte mich verzweifelt, mit leichtem, gleichmäßigem Tonfall zu sprechen. »Mein Gesang reichte ja aus, aber es gibt keine Rüstung, die mir paßt, und keiner findet es besonders gut, wenn ich auf allen vieren auf der Bühne herumtappe – Elsa, warum reden wir über diese Nichtigkeiten? Ich bin hergekommen, um dich nach Hause zu holen! Aloysius ist gestorben, wir haben jetzt eine Ranch, alles, was wir jemals…« »Bis auf Freiheit, Howell.« Ihr Mangel an Reue, das Fehlen auch nur der geringsten Sehnsucht nach unserem alten Leben zerrissen mir das Herz. »Ich kann nicht so leben, wie du es von mir willst. Nicht, daß ich nicht… aber ich… ich kann es einfach nicht!« »Sind es… ah… die wilden Männchen?« fragte ich, halb ängstlich, halb schicksalsergeben. Sie lachte. »Seitdem die Welpen da sind, habe ich den größten Teil meiner Zeit damit verbracht, die hiesigen Talente davon abzuhalten, mich zu vergewaltigen und sie aufzufressen. Nein, Howell, das ist einfach das Leben, zu dem ich geboren bin. Ich weiß, daß du es mißbilligst: diese Höhle ist ein Sackvoll Flöhe, aber ich
habe sie selbst gegraben, ich konnte es, ohne es je gelernt zu haben, und sie gehört mir.« Ich nickte traurig. »Elsa, etwas in mir möchte immer noch glauben, daß es Worte gibt, die deinen Entschluß ändern können. Aber ich finde sie nicht, jetzt nicht und früher nicht. Ich liebe dich, und ich muß mich einfach immer wieder fragen, warum sich dadurch nicht etwas ändert. Das Leben ist leerer Hohn ohne dich. Vermißt du mich nicht – kein bißchen?« »Aber natürlich«, sagte sie kalt. Reden ist billig, und am billigsten sind Liebesworte. »Ich habe sogar soviel menschliche Kultur in mich aufgenommen, um zu erkennen, daß die Welpen einen Vater brauchen. Aber du kannst nichts für uns tun; Geld haben wir offensichtlich nicht nötig…« Ich drehte mich um, ich wußte, wenn ich nicht ging, würde ich mich für ein Leben aufopfern, das ich verabscheute, nur um bei ihr sein zu können. »Ein Mensch wartet auf mich«, sagte ich eitel. »Ich muß gehen.« Und dann ging ich. »Ich brauchte eine Woche, um die Flöhe loszuwerden. Nun beschränke ich meine musikalischen Bestrebungen auf das Badezimmer. Ich kann den Schauplatz eines Verbrechens beschnüffeln, einer Spur folgen und den Schuldigen in einer tausendköpfigen Menge in der U-Bahn identifizieren. Und in meinem Beruf gibt es viel Lauferei, da sind vier Beine besser als zwei. Zuerst wollte niemand an meine Fähigkeiten glauben – bis auf Win. Ich ging vor einen Schiedsrichter, bestand eine Reihe erschöpfender Tests, und jetzt erkennt jeder Richter auf dem Kontinent meine Aussage an. Ich habe Sourwines Vermögen vervierfacht; meine Nase ist mein Schatz. Und, Bernie, die Sehnsucht nach Elsa hörte niemals auf. Es ist eine zerbrechliche Sache, dieser Glaube an das Leben. Ich habe ihn und verliere ihn wieder, Tag für Tag, Minute für Minute. Ich gewinne ihn und verliere ihn wieder. Aber ich habe gelernt, daß ich den Teil von mir niemals zeigen darf, der nicht glaubt, den, der ewig schmerzt und daran zweifelt, jemals wieder einen Grund zum Glauben zu finden. Freunde behaupten, daß es ihnen nichts
ausmacht, wenn man so etwas zeigt – sie wollen, daß man es ihnen anvertraut –, aber das ist nicht wahr. Jedenfalls für längere Zeit nicht. Wir sind alle Raubtiere, mein Freund, und die einzigen Rollen, die wir wirklich beherrschen, sind die des Eroberers – oder die des Clowns. Es ist ein Hundeleben.« Die Freenies drängten sich mitfühlend heran und widerlegten Howells These – die er ja selbst schon widerlegt hatte, indem er uns die Geschichte erzählte. Einer von ihnen streckte einen Greifarm aus und klopfte dem Kojoten aufmunternd auf die Schulter. Ich zerdrückte eine Träne und stand ganz benebelt vom Bett auf. Nüchtern – betrunken – verkatert, alles innerhalb von eineinhalb Stunden. Das war so ein Morgen! »Nun«, sagte Howell und riß sich seinerseits zusammen, »ich hatte nicht vor, euch meine Lebensgeschichte zu erzählen. Wir müssen hier weg, um uns mit Win in seinem Haus zu treffen.« Ich sah mich um – ich hatte nichts mitgebracht, und kleine Plastikrasierapparate wollte ich auch nicht sammeln. »Wie melden wir uns in dieser gepolsterten Müllkippe ab?« »Folgt mir!« Er schüttelte den Kopf, und einen Augenblick lang schielten seine Augen wieder. Jeder Schritt krachte in meinem Schädel wie ein Gong, als wir den Korridor hinunter zum Empfangspult zogen. Der Angestellte sah auch recht unglücklich drein. Howell gab ihm einige TelekomKoordinaten. »Wie Sie sehen«, sagte die Privatnase, »wurden die Anschuldigungen gegen Captain Gruenblum und seine Partner zurückgenommen. Ich schlage vor, Sie geben ihm seine Waffen und Wertsachen wieder.«
»Wer bezahlt?« fragte der Schimpanse knapp, wahrscheinlich deshalb, weil ich ihm am Abend zuvor kein Trinkgeld gegeben hatte. »Gib mir meinen Kram, Kumpel, dann kümmere ich mich um dich – sag mal, was ist das da draußen für ein Radau?« »Ihr Publikum«, antwortete der Angestellte. »Sie möchten nicht zufällig diese Verzichtserklärung unterschreiben, ehe Sie gehen, oder? Entbindet uns von persönlicher Haftung und… – nein? Das dachte ich mir schon.« Durch die gläsernen Eingangstüren erblickte ich eine häßlich aussehende Menge, die sich auf dem Parkplatz versammelt hatte und irgendwelche Geräte bei sich trug. Ich schlang mir den Pistolengurt um die Taille, machte die Schnalle zu und ließ eine Goldmünze auf den Tresen fallen. »Reicht das für den Schaden?« Die Augenbrauen des Schimpansen schossen nach oben. Er tippte weitere Zahlen ein und gab mir eine Faust voll Silber und Kupfer zurück. »Ihre Quittung ist im Netz registriert worden. Ich würde ja gern sagen, beehren Sie uns mal wieder, aber…« WAMM! Beide Eingangstüren knallten beiseite, wurden von einer Lawine aus rosigen und fellbedeckten Denkenden an die Wand gedrückt, die meisten richteten Mikrofone und zweilinsige Kameras auf mich. Lichter, heller als die Sonne, brannten in meine Sehorgane. »Gruenblum!« schrie jemand, ein großer Bursche mit Südstaatlerakzent und einer dünnen, grauen Raupe von einem Schnurrbart. »Turner, Kanal 17. Wie fühlt man sich, wenn man freikommt, nachdem man kaltblütig zwei Menschen abgeschlachtet hat?«. Ich drehte mich um. »Wie fühlt man sich, wenn einem jemand die Backenzähne die Gurgel hinunterstopft? Möchten Sie's mal ausprobieren?« Er wich vor meiner erhobenen Faust zurück. Ich blinzelte, weil mir die Augen tränten. »Sie müssen diese Leute hier rauskriegen!« schrie der Angestellte hinter mir. »Sehen Sie nur, was die mit meinem Teppich machen!«
Die Menge drückte uns gegen das Pult, so daß wir uns nicht mehr bewegen konnten. »Ich weiß – die Presse war noch nie so richtig stubenrein.« Ich stieß mit dem Mittelfinger gegen eine Kamera. Die Lichter erloschen plötzlich, um den empfindlichen Zuschauern zu Hause einen solch abscheulichen Anblick zu ersparen. Mir kam ein Gedanke. »Fledermausscheiße!« brüllte ich und schoß mit beiden Fäusten auf Vögel. »Iguanajauche! Kuhfladen! Riesige, saftige Haufen Ameisenbärenkot…« Eine Kamera nach der anderen schaltete ab. Und das sollte das Medium sein, das im Morgenprogramm Pornosendungen brachte? Howell bellte plötzlich los. »Privatsphäre! Mein Klient verlangt sein Recht auf Privatsphäre!« Eine Kamera leuchtete wieder auf und starrte böse auf ihn hinunter. »Oh, seht mal! Ein sprechendes Hündchen! Und da sind die Monster, die… HUUCH!« Jemand gab dem naseweisen Primatenreporter von hinten einen Stoß. Die Menge teilte sich wie eine gekochte Muschel, und T. W. Sanders und seine beiden Amazonen pflügten sich den Weg an meine Seite frei. Will hatte seine Schlachtermesser in beiden Händen. Er piekte die Mietschnauze von Kanal 17 ins Hinterteil, dann war er durch. »Sammelt die Ganymedier auf und seht zu, daß wir hier rauskommen!« sagte der Waffenschmied. »Win hält das Fluchtauto warm.«
14. Kapitel Die elf Großartigen »Hallo, Gauner!« sagte Win zur Begrüßung zu Howell, als wir in das Luftkissenfahrzeug, einen langen, niedrigen, mit Ventilatoren angetriebenen Packard-Fedders sprangen. Als Mary-Beth neben ihm hineinglitt, klappte er das rechte Steuerrad weg. Sie brachte den Wagen auf Touren, und wir waren in einem Sturm von Propellersog verschwunden, ehe die ersten Reporter den Randstein erreichten. »Selber Hallo, Schnüffelnase!« antwortete Howell fröhlich. »Bin froh, daß ihr euch alle so glänzend amüsiert. Fehlt jemand?« Ich zählte Freenies – drei; ich zählte Waffenschmiede – einen; ich zählte Detektive, menschliche und andere – zwei; ich zählte Mädchen – vier… aber die hatte ich von Anfang an doppelt gesehen. Dann war nur noch ich übrig, und ich war da. Gebäude, Bäume und Mülltonnen flitzten vorbei. »Wir haben dich heute früh am Kom gesehen!« Fran klopfte mir auf die Schulter. Sie hockte auf einem Schleudersitz und hatte einen Außerirdischen auf dem Schoß. »Oder vielmehr die Schnüffler, die sich selbst über dich interviewt haben. Sah so aus, als könntest du eine Rettungsaktion vertragen – die hatten sich wirklich aufgeheizt!« »Das mußt du mir sagen! Was geschieht jetzt?« Win schwenkte seinen Sitz herum und sah uns an. »Zurück zu meinem Haus. Die Sanders haben sich für diesen Fall ja wohl freiwillig gemeldet. Sie haben schon auf mich gewartet, als ich von Denv… von St. Charles-Auraria zurückkam. Howell, hast du was gefunden?«
»Noch keine Gelegenheit«, antwortete der Kojote. »Das Gebiet, in dem Bernies Untertasse hätte niedergehen können, ist ziemlich groß.« Win schüttelte den Kopf. »Die Leute von Griswold's sind stocksauer. Ihr Kunde kam gestern ins Büro von St. Charles, brachte seine Klage vor, machte eine rein nominelle Anzahlung, und futsch war er. Die Nummer, die er angegeben hatte, war, wie sich herausstellte die der Leichenhalle in Leadville. Sie haben es probiert – dort redet keiner!« Ich schnitt eine Grimasse. »Sonst noch gute Nachrichten?« »Nicht für Griswold's. An ihnen bleibt die Schadenersatzforderung hängen, und sie schulden dir soviel Wiedergutmachung, daß du mich bezahlen, Olongo sein Geld zurückgeben und ins Geschäft einsteigen kannst – aber wir sind da. Gehen wir rein!« Wir neun belegten vielleicht fünf Prozent von Wins turnhallengroßem Wohnzimmer. Jeder bekam etwas zu trinken. Ich nahm ein Bier. »Wie ich schon sagte…« – Win zündete sich eine Zigarre an, die er mit Brandy angefeuchtet hatte –, »wir haben zwei Spuren: das hier« – er zeigte auf meine ausgebeulte Tasche, wo die Stabilisatorkomponente versteckt war – »und das.« Er zog einen Plastikbeutel aus der Tasche, der anscheinend ein Taschentuch enthielt, das an den Ecken ausgefranst war. »Ein Stück aus dem Handtuchautomaten in Griswold's Waschraum. Für diese Glanzidee habe ich ein Lob verdient. Kent mußte mal, und wir haben es erwischt, ehe es in die Wand rollte und sich selbst gewaschen hat.« Howells Ohren stellten sich auf. Win öffnete den Beutel und hielt ihn fest, während der Kojote seine Nase hineinsteckte. »Ich rieche dich«, bemerkte das Tier nach kurzer Überlegung. »Sogar durch das Plastik, deine Zigarren. Und einen Schimpansen – einen ziemlich jungen – wie auch einen Gorilla. Der Gorilla ist erst vor kurzem von einer Geschäftsreise nach Chicago zurückgekommen,
er ist Linkshänder, wie Fran hier, und hat drei Kinder, zwei Söhne und eine…« »Jetzt mach aber mal 'nen Punkt!« protestierte ich. »Wie kannst du so etwas riechen?« Er blickte zu Win und zwinkerte ihm zu. »Du kennst meine Methoden, Pauling.« »Watson heißt das.« Will lachte. »Der Gorilla ist Captain Andy M'bongo; er und Asta hier spielen seit drei Jahren einmal pro Woche Schach miteinander.« Howell: »Da ist noch jemand, vielleicht noch zwei Jemande. Ein Mann Ende dreißig – ja, ich kann wirklich Alter und Geschlecht unterscheiden – der vor kurzem ziemlich schwere Verletzungen erlitten hat: Blut, Medikamente, schwache Spuren von Staphylokokken…« »Der Tag ist gelaufen. Was sonst noch?« »Eine Frau, die ihr Parfüm wechseln sollte. Es ist praktisch nicht zu unterscheiden von Ameisengift und Schabenvernich…« »Edna!« schrien die Freenies und ich. »Trat bei Griswold's nicht in Erscheinung«, warnte Win. »Nur Denny, der stark hinkte und den Arm in der Schlinge trug. Du gehst hart ran, Bernie.« »Nicht hart genug! Verstehe nicht, wie er diese .45 Kugel überlebt hat. Ach ja, was hat mein Felddichtestabilisator mit alledem zu tun?« Win steckte den Beutel mit den Indizien weg. »Die haben auch zwei Strategien. Sie brauchen das Ding, und können es sich entweder von dir zurückholen…« Fran setzte sich auf: »Deshalb die falsche Mordanklage, um Bernie ausfindig zu machen!« »Wird ihnen nichts nützen«, bemerkte ihr Gatte. »Ich kenne diese Leute von Griswold's, wie verschlossen die sind… Brrr!« »Die Diskretion der Telemedien ist eine andere Sache«, mischte
sich der Gesandte ein. »Hätte ich keinen gepanzerten Rückenschild, dann wäre heute morgen kaum mehr als eine Ansammlung von Körpersäften und Fußabdrücken von mir übrig. Wieso sind Reporter in jeder Kultur unweigerlich…« »Foyereidechsen von gepflegter Grobheit und militanter Ignoranz, die nichts anderes kennen als die Politik der Lokalredaktion?« schlug Howell vor. »Oder die besten Haarspraymarken«, grunzte Will. »Keine Einwände«, sagte ich, »aber mach weiter, Win! Lassen wir Cromney zu uns kommen, oder wie?« »Oder wie. Ich habe mit ein paar Freunden von der Universität gesprochen, die dieses Gerät von dir analysieren und Vermutungen anstellen können, wo Cromney nach Teilen suchen wird, dann können wir ihn aufspüren.« »Nicht gut, Euer Ableitung. Das Zusammenbauen wird Heplar übernehmen, und in Georgies Lager herrscht kein Mangel an Basisteilen. Heplar hat die Ausbildung, um damit fertigzuwerden; die Frage ist, hat er auch den Schädel dazu?« Etwas klingelte. Win drückte auf Knöpfe, eine ganze Wand samt Kamin und allem verschwand, und an ihre Stelle trat eine riesige Nahaufnahme von einer hübschen Platinblonden. »Oh, eine Party!« Sie überschaute den Raum. »Ich habe deine Nachricht bekommen, Win. Worum geht's?« »Anscheinend blinder Alarm. Oh, D. J. Thorens, darf ich vorstellen… mal sehen: Bernie Gruenblum; seine Freunde Charm, Color und Spin; Howell kennst du natürlich. Kennst du die Sanders auch schon, Mary-Beth, Fran und Will?« Sie nickte fröhlich. »Hallo, Fran – das Campus ist klein, nicht wahr? Hallo alle anderen. Ich wiederhole, mein Herr, worum geht's?« Win erklärte es ihr kurz, einschließlich seiner nicht mehr aktuellen Idee mit den Ersatzteilen. Nach der Hälfte der Geschichte teilte sich der Bildschirm, und wir starrten in das ewige Mona-Lisa-
Lächeln eines Tursiops truncatus – das ist der lateinische Ausdruck für Flipper. »Die Vorstellung kannst du dir sparen, Edward William Bear. Ich habe mitgehört, war aber zu beschäftigt mit einem Experiment, um ans Kom zu gehen. Geschätzte Landbewohner, ich bin Ooloorie Eckickeck P'wheet. Stellt die Frage der Herstellung eines Felddichtestabilisators einmal zurück und fahre bitte mit deiner Geschichte fort. Sie hat durchaus ihre interessanten Aspekte.« »Jeder spielt in dieser Saison Conan Doyle«, stöhnte Win. Er erklärte, daß Ooloorie nicht in Laporte war, sondern ihre Arbeit elektronisch von der Emperor Norton Universität aus erledigte. Ich versagte es mir, nach Nasty Jim Brannigan zu fragen. Der Detektiv kam zum Schluß. Wider besseres Wissen, nur um ihre wissenschaftliche Neugier zu befriedigen, und aus einem perversen Verlangen heraus, meiner Konditionierung durch die Akademie zu trotzen, erklärte ich mich einverstanden, D. J. die höchst wichtige Komponente zu übergeben. Sie versicherte mir, daß nichts damit passieren würde, aber bei einer Einrichtung mit dem Namen ›Mulligans Bank & Grill‹ hatte ich meine Zweifel. Als Gegenleistung versprach sie mir, nach anderen Möglichkeiten zu suchen, um mir zu helfen. Ooloorie stellte eine Menge Fragen über Georgie – nicht über den Ochskahrt-Effekt, wie ich es von der Erfinderin des Penetrators erwartet hätte, aber anscheinend betrachtete sie die Technik der Akademie als minderwertige Variante – am meisten wollte sie über Georgies Fähigkeiten als Computer wissen und über die Reichweite der Radiofrequenzen, mit denen die Untertasse gewöhnlich arbeitete. »Bist du sicher, Landwesen, daß das Schiff fähig ist, oberhalb des Türingniveaus in Realzeit zu kommunizieren?« »Wenn du von solchem Zeug wie Telekom-Zeichentrickfiguren sprichst, so programmiere ich meine eigenen… äh… nun ja, maßgefertigten TraumKassetten auf diese Weise. Natürlich ist sie sonst nicht zu sehr viel nütze, denn während wir das machen – verbraucht 'ne Menge Kapazität. Warum?«
Der weit entfernte Cetacee wandte sich seiner Partnerin zu. »Du verstehst mich natürlich.« D. J. nickte zustimmend. »Dann sind wir uns einig«, sagte der Tümmler. »Es gibt eine dritte Möglichkeit, wenn man Kontakt herstellen und die Kapazitäten durch ferngesteuerte Grenzwerte steigern kann.« Win nickte heftig. »Ich finde das gut.« Mary-Beth klatschte in die Hände. »Und was Cromney dabei für einen rechtlichen Status bekommt!« Allenthalben unverständliches Gelächter. »Wovon beim flammenden Ochskahrt redet ihr eigentlich?« »Wäre es dir lieber«, schlug Howell vor und machte damit alles noch unverständlicher, »wenn Cromney die Möglichkeit bekommt, an Georgie herumzupfuschen, wie er mag? Was Ooloorie im Sinn hat, ist relativ einfach – die Industrie der Konföderation muß sogar unbedingt Maßnahmen ergreifen, um es zu vermeiden – schmerzlos, und eine beträchtliche Verbesserung.« Obwohl ich immer noch nicht verstand, worum es ging, gab ich D. J. weitere Informationen, während Howell zum Briefkasten an der Ecke geschickt wurde, um meine Stabilisatorkomponente in eine Bellamyröhre zu stecken. Auf D. J. 's Vorschlag hin schickte ich auch meine arme, kaputte Akademie-Armbanduhr mit, in der Hoffnung, daß jemand an der Universität sie reparieren konnte. Fran und D. J. tauschten den neuesten Campusklatsch aus. Anscheinend dasselbe wie überall, nur daß hier die brennendste Frage war, welche Spezies mit welcher anderen schlief. Will stand auf und schenkte noch einmal nach, er selbst hielt sich an einen entkokainierten Softdrink. Die Freenies spielten mit Mary-Beth: Irgendwo hatten sie einen Tennisball aufgetrieben und prägten jetzt eine ekelhafte neue Falte in das alte Falschspiel. Ich weigerte mich zuzusehen. Statt dessen bewunderte ich Wins Waffensammlung in einem Nußbaumschrank mit Glastüren. Ein einschüssiger Derringer mit
einem riesigen Loch am vorderen Ende, eine Laserpistole, ein Ding, das aussah wie ein Bowiemesser. Diese Konföderierten waren wirklich verliebt in ihre… KRACH!! Plötzlich fand ich mich auf dem Boden wieder, und das schien mir ein recht guter Platz zu sein. Der Raum war voll Rauch, der von der Eingangstür herunterströmte. Ich blickte mich nach Verletzten um: Win lag hinter dem Kaffeetisch, einen zerbrochenen Komblock vor sich auf dem Boden, und griff gerade nach seiner .41; Will hatte einen ganzen Krug Cocktails fallen lassen und war die ganze Küchentreppe hinuntergeblasen worden. Er stemmte sich in eine kauernde Stellung hoch, Blut lief ihm am Unterarm hinunter, er zog seine Schwerter. Die beiden Frauen lagen flach, füllten aber gerade ihre Hände mit konföderiertem Eisen. Meine kleinen, außerirdischen Kumpel waren nirgendwo zu sehen. Was bedeutete, daß es ihnen gutging. Ich zog meinen Colt vom Leder. Ich war am nächsten an der Tür gewesen, als sie explodierte. Sie stand immer noch aufrecht, war aber zersplittert und hing schwankend in einer Angel. Ich kroch nach vorne zu den vier oder fünf Stufen, die ins Erdgeschoß führten, und schnickte mit dem Daumen die Sicherung zurück. Ein Knirschen war zu hören, und ein pelziger Fuß krachte durch die kaputte Tür, gefolgt von dem Schimpansen, dem er gehörte. Er trug Kommandopaisley und hatte in jedem Fäustling eine Pistole. Ich spürte eher, als daß ich es sah, wie hinter mir Fran Sanders ihre Plasmapistole hob, um ihn abzuknallen. Mit der rechten Hand machte ich Schwimmbewegungen, um ihr zu bedeuten, sie solle noch nicht schießen, bis wir sahen, womit wir sonst noch zu rechnen hatten. Dem ersten Schimpansen folgte ein zweiter in einem abscheulichen, kürbisfarbenen Freizeitanzug, dann zwei sehr vertraute Gesichter: Denny Kent und Edna Janof quetschten sich in die Diele, beide hatten eine Zweihänderwaffe mit riesigem Kaliber in den Händen. Hätten Granatwerfer sein können, wenn man danach
ging, was mit der Tür geschehen war. Wie auch immer, Denny und Edna bekamen dadurch höchste Priorität als Ziele, selbst wenn ich dieser Meinung nicht gleich von Anfang an gewesen wäre. Ich ließ ihnen noch ein paar Sekunden, dann zielte ich auf Dennys linkes Knie und zog den Abzug durch. WAMM! Er zuckte zusammen wie eine zerbrochene Marionette, knallte gegen die Wand und ließ sein Schießeisen fallen. Ich verschob mein Visier. Zackk! Blomm! Kra-wumm! Mein Schuß war für alle das Signal zum Losballern gewesen. Edna richtete ihre Kanone auf mich, aber eine leuchtend-rosa Halbkugel mit grünem Rand fiel aus dem Nichts auf ihren Kopf. Sie kreischte auf, riß sie weg, warf sie auf das Pflaster der Diele und schlug immer und immer wieder mit dem Kolben ihrer Waffe darauf ein. Ein furchtbares Knacken war zu hören. WAMM! Ich schoß und verfehlte mein Ziel. Aber etwas Schmales, Glänzendes zischte auf ihren erhobenen Arm zu, und plötzlich ragte, als sei es herausgewachsen, eines von Sanders' kleinen Schwertern zitternd aus ihrem Handgelenk. Sie gab keinen Laut von sich, sondern riß die Klinge heraus und warf sie weg. Ehe ich von neuem anlegen konnte, sprang sie rückwärts durch die zertrümmerte Tür und war verschwunden. Ich teleportierte beinahe die Stufen hinunter. Denny streckte betäubt die Hand nach einer heruntergefallenen Pistole aus, und ich trat ihm ins Gesicht. Die Verzögerung war befriedigend, aber kostspielig. Inzwischen hatte sich hinter mir auf der Treppe ein Haufen stocksauerer Konföderierter aufgetürmt und trampelte auf dem Weg nach draußen, hinter Edna her, über mich hinweg. Als ich wieder auf die Füße kam, beschloß ich, aufzuhören, solange ich noch vorne war.
Es hatte den Anschein, als seien die beiden feindlichen Primaten tot. Denny würde auch nirgends mehr hingehen. Der kleine Spin hatte in seinem Panzer einen häßlichen, gezackten Riß von einem Rand zum anderen, aus dem purpurfarbene Flüssigkeit sickerte. Oben erkundigte sich durch eine dünnerwerdende Rauchwolke über Telekom eine besorgte, weibliche Stimme: »Was ist denn bei euch los? Bernie, was geht denn vor?« Ich steckte meine Pistole ein, setzte den kleinen Yamaguchier vorsichtig in meine Armbeuge, packte den halb bewußtlosen Kent an einem Hosenaufschlag und zerrte ihn die Stufen hinauf, wobei sein Kopf bei jedem Schritt hüpfte und aufschlug. Ich machte mir zuviel Sorgen um Spin, um es zu genießen. Jedenfalls richtig zu genießen. Ich lehnte Kent gegen den Kaffeetisch, stellte den Fuß in seine Leistengegend, um ihn in der Stellung zu halten, und setzte den verletzten Freenie, so vorsichtig ich konnte, auf der Couch ab. Seine Kumpel waren sofort zur Stelle. Wieder einmal hatte ich sie falsch eingeschätzt: in den paar wenigen Sekunden nach der Explosion der Tür waren sie über dem vorderen Fenster, von wo aus sie sich in die Diele hineinfallenlassen konnten, gegen die Eindringlinge in Stellung gegangen. Spin hatte das Pech gehabt, der erste in der Reihe zu sein. »Bernie!« »Alles in Ordnung, D. J.«, antwortete ich endlich dem Telekom. »Win hatte recht – ein Weg, an die Stabilisatorkomponente heranzukommen, führte über mich. Das Geleitaufgebot wird mit Edna zurückkommen, auf dem Schild oder… autsch!« Ich spürte, wie Blut auf meinen Hals tröpfelte und griff hinauf. Etwas war in mein rechtes Ohrläppchen eingedrungen, ein Holzsplitter oder ein Metallstück – nein – ich zupfte es heraus: ein winziger kleiner Stahlpfeil mit Spitze, Fiederung und allem. »Bernie?« sagte die Frauenstimme. »Alles in Ordnung bei dir?« »Ich bin jetzt beschäftigt, D. J. ich…«
Unten an der Tür war ein wildes Fauchen zu hören. Ein dritter Schimpanse polterte die Stufen herauf, mit leerem Halfter, die Hände am Hinterkopf. Hinter ihm kam ein brandneuer Nahuatl, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, die Schnauze in Falten nach oben gezogen, mit entblößten Reißzähnen. »Anscheinend bin ich gerade rechtzeitig zurückgekommen, Bernie. Der hier hielt von einem Luftkissenfahrzeug aus Wache. Was ich nicht begreifen kann, ist, warum ein Schimpanse mit den Hamiltonisten gemeinsame Sache macht.« »Hamiltonisten?« rief der gefangene Primat aus. »Aber die Hamiltonisten seid doch ihr!« Ich machte eine Bewegung mit meiner .45, und er setzte sich neben Kent, mit den Händen immer noch am Kopf sah er aus wie ein Neuzugang zu den drei Affen, die nichts hören, sehen und sagen. »Bernie?« beharrte das Telekom. »Bitte sprich mit mir! Ich habe Angst! Bernie! Hier spricht Georgie!«
15. Kapitel Wie bitte – was für ein Schiff? »Es ist eine Stahlnadel«, stellte Will Sanders fest und beobachtete mich, während Fran seinen Arm mit einem Tuch betupfte. Plötzlich zuckte er zusammen. Sie packte etwas mit den Fingern und zog es aus der Wunde. »Gngngn! Genau wie die da!« Ich wischte weiter an meinem blutigen Ohrläppchen herum, völlig von den Socken wegen etwa sechs Sachen auf einmal. Auf der anderen Seite des Raums wurden Win und Mary-Beth gerade damit fertig, Zyanoacrylat über Spins gesprungenen Panzer zu schmieren, während ihm Color und Charm die kleinen Fangarme tätschelten. Er winselte und bemühte sich tapfer, seinen kleinen Augenstengel gerade zu halten. Unser gefangener Primat bewegte einen Ellbogen – Howell knurrte – das Anstoß erregende Glied fuhr wieder zurück. Wir hatten über Dennys zerschmettertem Knie einen Druckverband angelegt. Ich hatte ihn ja an seinem Hals haben wollen, aber die Wesen, die es auf unfaire Weise ausnützen, daß sie Mädchen sind, hatten mich davon abgebracht. Dank D. J. und Ooloorie waren verschiedene professionelle Helfer herbeigerufen worden, aber es dauerte ein bißchen zu lange, bis sie kamen. »Eine Stahlnadel«, wiederholte der Waffenschmied zähneknirschend. Verschwunden waren die glitzernden Spielsachen, die er getragen hatte; ersetzt durch eine schwere, langläufige Stateside Bren Kaliber .40, die er tief an einem schmutzigen, olivgrünen Gurtband trug. Ich weiß nicht, was er daheim gewesen war; hier war er ein Pistolenschütze. Hoch an der rechten Hüfte trug er ein Kampfmesser des U. S. Marine Korps.
»Diese Waffen, die unsere Freunde mitgebracht haben«, erklärte er, »sind ähnlich wie Schrotflinten, nur mit Stahlpfeilen ungefähr Durchmesser acht, Reichweite vierhundert Meter, geladen. Dadurch ist die Tür rausgeflogen, Bernie. Wir haben nur ein paar eingefangen, nachdem sie verbraucht waren.« Nachdem Will versorgt war, hielt mir Fran das Geschoß aus seinem Arm hin. Es war verbogen, als sei es irgendwo abgeprallt. Will hatte sich von ihr seine Waffen für den Ernstfall holen lassen – er wollte selbst gehen, als sie von ihrer wilden, fruchtlosen Jagd auf Edna zurückgekommen waren –, ehe er ihr die zerfetzte Wunde gezeigt hatte. »Soll ich dir die ins andere Ohr stecken, Bernie?« Sie berührte mein durchlöchertes Läppchen mit etwas, das kurz stach und dann kalt wurde. »Wir könnten auf der einen eine Nadel montieren und auf der anderen ein Schraubgewinde.« »Vielen Dank für nichts! Ich habe meine Ohrläppchen immer unversehrt bewahrt, sogar als Pirat im siebzehnten Jahrhundert. Außerdem habe ich andere Probleme.« Und das stimmte sogar. Das Telekom war voll von verschwimmenden Kaleidoskopmustern. »Georgie, bist du es wirklich?« quäkte ich. Als ob D. J. und Ooloorie noch nicht genug getan hätten, waren sie jetzt dabei, noch mehr wissenschaftliches Zeug zu treiben, nachdem im Maison Bear alles unter Kontrolle schien. Die Physikerin – die menschliche Physikerdame – hatte die Stabilisatorkomponente, die Denny und Edna nicht mehr erwischt hatten, ordnungsgemäß erhalten. Die Kavallerie hatte Edna in dem Wirrwarr der unterirdischen Baustelle verloren, wo eines Tages Wins Interwelt-Station sein wird. »Mann, Bernie«, antwortete eine sexy, aber körperlose Stimme, »wer könnte es denn sonst sein?« Es war mir wirklich arg, daß Edna entkommen war, aber ich war zu sehr in Eile, um viel darüber nachzudenken. Ein zweiter Komschirm, diagonal zum ersten, wurde von dem Assistenten eingenommen, dem D. J. die Aufgabe übertragen hatte, meinen Zeitmesser zu reparieren. Er kam mir so bekannt vor wie nur etwas,
aber ich konnte ihn nicht unterbringen. Komisch sah der Bursche aus: große, dicke Brille, haarloser Schädel, wie eine Glühbirne geformt. Erkundigte sich ständig nach Einzelheiten der mit Kernspaltung betriebenen Uhr. Ich wäre wahrscheinlich schon dahintergekommen, woher ich ihn kannte, aber die restlichen Fetzen meiner Konzentration richteten sich auf diese Stimme, die behauptete, Georgie zu sein, und außerdem gab es auch noch Verletzte zu versorgen; mich selbst in geringem Maße; am schlimmsten war Will Sanders dran; Spin. Selbst Win trug ein rotgefärbtes Kleenex – dieser Weinflaschenschnitt zwischen seinen Fingern mußte wieder aufgerissen sein. Ich beobachtete, wie er das Blut ansah und den Kopf schüttelte. Auch an Gefangene hatte ich zu denken. Und dazu mußte ich noch ein erkenntnistheoretisches Problem lösen. Georgie. »Wie soll ich wissen, daß du es bist?« Ich mußte diese Frage stellen: Der komische Assistent sah von seinem Bildschirm aus zu, wie auf dem anderen Farben wirbelten und zu einem sonnenbeschienenen Wäldchen am Rande endloser Wiesen verschmolzen, ein leichter, frischer Wind bewegte das kniehohe Gras. Sie stand unter einer weit ausladenden Eiche, meine Geliebte, ein Singvogel tirilierte in den dichtbelaubten… »Ich glaube dir, Georgie. Hör auf damit!« Das Mädchen meiner vormals sehr privaten Träume grinste verschwörerisch, als die imaginäre Kamera auf ein Gesicht zufuhr, das so schön war wie kein anderes bisher in der Konföderation. Und ein ganzes Stück bekannter. »Ich bin es wirklich, Bernie!« Ihre großen, braunen Augen leuchteten vor Begeisterung. »Ich kann es kaum glauben!« Es gefiel mir nicht, wie D. J.s Flaschenwäscher sie anglotzte. »Ich auch nicht, Schätzchen.« Was stieg mir da für eine ungewohnte Wärme in die Ohren? Mußte wohl Frans Antiseptikum sein. »Aber wir haben jetzt keine Zeit, um darüber zu philosophieren. Sag uns, wo sie dich festhalten!«
Damit hörten alle beiläufigen Gespräche im Raum auf. Aller Augen wandten sich ihrem Bildschirm zu – bis auf die von Denny. Er war nicht in der Lage dazu. Ich bemühte mich, nicht schadenfroh zu sein. »Es ist abscheulich, Bernie. Ich weiß es nicht! Ein großes Wellblechgebäude. Ich habe keine automatischen Bezugspunkte mehr, seitdem wir in den Bergen die Bruchlandung gemacht haben. Keine Fenster. Jemand hat meinen Notantrieb ausgelöst, aber ich weiß nicht, wie weit und in welcher Richtung ich gesprungen bin.« Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Physikerassistenten mit der glänzenden Glatze zu. »Lassen Sie die Uhr mal eine Minute, Mac. Warum können Sie, wenn es möglich ist, daß wir mit Georgie über das Kom sprechen, nicht einfach ihr Signal anpeilen und sie aufspüren?« »Mac?« Er blinzelte verwirrt. Ich merkte plötzlich, daß er – außer mir – der einzige Kahlkopf war, den ich bisher hier gesehen hatte. Und so verdammt bekannt kam er mir vor! »Captain Gruenblum, diese Frage zu beantworten ist Ihnen eher gegeben als mir. Ihr Fahrzeug sein Signal in das Universum mit dem niederen Wahrscheinlichkeitsgrad ausstrahlt, das fälschlich ›Klein Knall‹ genannt wird. So von allen Seiten es sich fortzupflanzen scheint, wenn in dieses Kontinuum es dringt.« Grammatikalisch oder nicht, er hatte recht. Georgie leitet ihren Funkstrahl durch den Sub-Raum, um die Schranke der Lichtgeschwindigkeit zu umgehen. »Sie haben mich erwischt, Mac – wie, sagten Sie, war Ihr Name?« »Er war – und ist noch immer – außerordentlicher Professor Doktor Hirnschlag von Ochskahrt.« »Mutter!« stöhnte ich. »Ich glaube, ich brauche eine Pause! Hirnschlag von… na ja, ich denke mir, wenn die Konföderation ihren eigenen John Wayne und Ronald… – Verzeihung, Mike Morrison und Billy Mitchell…« »Bernie.« Jetzt klang ihre Stimme wirklich verängstigt. »Bitte sag mir, was ich tun soll!«
»Bernie kommt und holt dich, Baby. Reg dich nicht auf! Was passiert jetzt gerade bei dir drüben?« »Dieser furchtbare Heplar ist in meiner Werkstatt und baut etwas.« »Glaubt er.« Einen Augenblick lang fiel es mir schwer, mit der Vorstellung klarzukommen, daß dieses niedliche, schmächtige, kleine Mädchen eine Werkstatt in ihrem Inneren haben sollte. Die Wirklichkeit entglitt mir immer mehr, so oft ich mich in dieser Welt auch nur umdrehte. »Cromney ist auf dem Kontrolldeck«, fuhr sie fort. »Ich bin ganz vorsichtig, damit er nichts merkt… aber das ist ja Denny Kent, gleich da hinten!« Ihre Augen wanderten zu dem Durcheinander auf dem Boden, während Mary-Beth Plastik auf die Reste sprühte, die meine .45 von seinem Bein noch übriggelassen hatte, Win lehnte sich mit dem Rücken gegen den Kaffeetisch, er war am Ende. Georgie mochte nur der Phantasie eines Computers entsprungen sein, aber das Entsetzen in ihren aufgerissenen Augen war echt. Kent kam stöhnend halb ins Bewußtsein zurück. »Wie ist es, du minderwertiger Sohn eines Reagenzglases? Wo hast du mein… Schiff… versteckt?« Ich trat vor, wollte eigentlich meinen Fuß dahinsetzen, wo früher sein Knie gewesen war. Es sah jetzt schon aus wie ein zerbrochener Topf mit Erdbeermarmelade. Der konföderierte Ochskahrt warf einen Blick hin, wurde grün im Gesicht und verschwand vom Bildschirm. »Bernie!« Mary-Beth hob die Hand zu seiner Verteidigung. »Er ist schwer verletzt. Der Arm ist gebrochen und schlecht eingerichtet. Ich weiß nicht, warum er diesen Verband auf der Nase hat. Ich habe Angst, nachzusehen. Und auf der Brust hat er eine ganz abscheuliche Prellung…« Sie griff in seine Jacke und zog ein im dreiundzwanzigsten Jahrhundert übliches Dauernotizbuch heraus. Durch die Hälfte der papierdünnen Metallplatten, die als löschbare Seiten dienten, ging ein sauberes Loch; ungefähr auf Seite 55 war eine 230-Korn Kugel Kaliber .45 vergraben, deren konische Spitze
durch den Aufprall abgestumpft war. Sie schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, Clarissa wäre wach. Wann kommen diese Sanitäter denn nun endlich?« Kent stöhnte wieder und bewegte sich. Ich blickte verächtlich zu ihm hinunter und mußte seltsamerweise an Cuthbert denken. Das einzige Gute, was man vom Abschaum sagen kann – er verhindert, daß noch schlimmere Dinge nach oben steigen. Ich stieß mit der Zehe gegen das Notizbuch, das Mary-Beth auf den Teppich gelegt hatte. »Treiben Sie's bloß nicht zu weit, Kent! Sagen Sie mir jetzt sofort, wo Georgie ist, sonst plaziere ich meinen nächsten Schuß besser in die Mitte!« »Bitte nicht… weh tun!« Er keuchte. »Es war nicht meine Schuld… Edna hat mich gezwungen… Bitte nicht, bitte!« Ein erheiternder Gedanke ging mir durch den Kopf: Vielleicht hatte er auch ein paar Rippen gebrochen. »Ich tu dir nicht weh, Schleicher. Ich finde nur, wir sollten das andere Knie so behandeln, daß es dazupaßt. Win, kannst du ihn festhalten, damit ich den Schuß diesmal nicht verpatze?« »Später.« Der Detektiv seufzte müde. Er legte die zerbrochenen Hälften des Telekomblocks auf den Kaffeetisch hinter sich. Wahrscheinlich hatten sie ihm das Leben gerettet. Dann beugte er sich vor, um sich zu vergewissern, daß es der kleine Spin auf seinem Sofakissen, wo ihn die anderen Außerirdischen bemitleideten, bequem hatte. »Frag lieber mich!« verlangte Will. »Ich mache gerne mit!« Fran grinste wild. »Also wirklich!« Mary-Beth stand mit gespreizten Beinen über Kent, stemmte die Hände in die Hüften und schaute irgendwie uns allen gleichzeitig in die Augen. »Es paßt mir gar nicht, daß ich gezwungen bin, diese… diese Person zu verteidigen; ihr wißt alle haargenau, daß ihr gar nicht wirklich die Absicht habt…«
»Alles!« blökte Kent. »Nur bitte nicht…!« Will stapfte hinüber und nahm seine ältere Gattin sanft bei der Hand, dann legte er einen Finger auf die Lippen. »Ja, mein Schatz, aber was hilft der beste Bluff, wenn du ihn verdirbst, ehe er sich auszahlt? Okay, Denny, niemand wird Ihnen weh tun. Wo haben Sie Bernies Schiff versteckt? Was habt ihr Leute die ganze Zeit getrieben?« Denny stöhnte schmerzlich auf. »Ich war eigentlich nie der Typ für… Ich werde alles sagen… trinken, darf ich?« Ich gab ihm schnell ein Glas Wasser, weil ich nicht wollte, daß er sein – wie ich hoffte – Geständnis auf dem Sterbebett unterbrach. »Ich bin froh – wenigstens für mich… ist es vorüber. Endlich bin ich frei von ihr!« Er war nicht gerade redselig, unser Denny. Aber das war er schließlich nie gewesen. Obwohl er sich alle Mühe gab, brauchten wir alle insgesamt zwei Stunden, um eine Geschichte aus ihm herauszubekommen, die man in fünfzehn Minuten hätte erzählen können. Ich glaube, er schaffte es irgendwie während der ganzen Zeit nicht, einen einzigen Satz zusammenhängend aneinanderzufügen. Die Kinderstube macht sich eben bemerkbar. »Für mich ist es völlig unwichtig, wie lange der Bursche noch den Simulanten spielt«, schmollte Ab Cromney. »Großenteils durch seine Unfähigkeit sind wir in diesen elenden Zustand geraten. Nun wird er dafür bezahlen, indem er zusammen mit dem jungen Heplar auf dem Boden des Pilotenraums schläft.« Der Anführer der Möchtegern-Entführer ging wütend auf und ab. Sauer werdendes Blut und Speigas – ganz zu schweigen von zwei Leichen, die er nicht loswerden konnte – hatten das Passagierdeck inzwischen beinahe unbenützbar gemacht. Soviel konnten Georgies Systeme nicht aufnehmen, wenigstens nicht sofort. Edna gab keine Antwort. Sie hätte darauf hinweisen können, daß Denny sich eine Kugel eingefangen hatte, die von Rechts wegen Cromney gebührt hätte; daß Denny zufällig dazwischen gekommen war, als das Schott zuknallte – und er sich dabei das Riechor-
gan quetschte – und ihnen Zugang zu den Schweißgeräten verschafft hatte, die ihnen schließlich die Kontrolle über das Schiff ermöglichten. ›Ehre wem Ehre gebührt‹ war nicht der richtige Wahlspruch für Klein-Edna. »Natürlich kannst du das Schlafabteil des Piloten mit mir teilen, meine Liebe, wenn… nun ja, es war nur so ein Gedanke.« Sie legte ihre Nagelschere weg und setzte ein Lächeln auf, bei dem selbst dem Marquis de Sade die intimen Körperteile eingeschrumpelt wären. »Ich gehe nach unten und sehe nach, ob es noch etwas gibt, was man als Waffe verwenden kann.« Sie warf einen bedeutungsvollen Blick auf die Verbände an Cromneys zerfetzter Hand, als wolle sie sagen, Denny habe schließlich kein Monopol für Unfähigkeit. »Behalt ihn im Auge – ich glaube, der Arm fängt an, sich zu infizieren, und vielleicht brauchen wir ihn noch. Schade, daß ein Examen in den Freien Künsten keine Erste Hilfe einschließt.« Cromney stimmte ihr mit einem geistesabwesenden Nicken zu. Sie brauchten Denny Kent aus genau demselben Grund, aus dem arabische Frauen in Kriegszeiten vier Schritte vor ihren Männern gehen müssen – Minenfelder. »Der junge Heplar soll in seiner reichlich bemessenen Freizeit nach ihm sehen. Bist du völlig sicher, daß die Drogen…« »Ihn völlig ausbrennen werden, wenn wir sie weiter verwenden!« Sie mußte sich beherrschen, um den alten Narren nicht anzuschreien. »Ich gehe nach unten.« Ohne einen weiteren Blick auf Kent, der zum Teil bei Bewußtsein war, wanderte Cromney in den Kontrollraum, wo Rand Heplar immer noch erfolglos an den Schalttafeln herumpfuschte, wie er es schon seit einigen Stunden tat. »Irgendein Fortschritt, mein Junge?« Heplar wandte sich seinem neugefundenen Führer zu und fragte sich irgendwie im tiefsten Inneren, ob er nicht hinsichtlich Loyali-
tät einen Fehler gemacht hatte. »Ohne den Felddichtestabilisator kann ich überhaupt nichts machen. Soviele pannensichere Schaltkreise…« Seine schweren Augenbrauen zogen sich zusammen und verschmolzen mit seinem Haaransatz. »Ich müßte das ganze Schiff auseinandernehmen, um nur die Hälfte davon neu zu orientieren. Schlechte Technik, Sir, typisch. Wieder ein fundamentales Versagen der Technologie. Sie hatten recht.« Nun, das hört sich schon etwas besser an, dachten sie beide. Für Cromney war die Brücke eine unverständliche Kombination von Anzeigen und Tasten. »Wenn Sie mir vielleicht sagen könnten, was funktioniert?« »Da wäre die Selbstvernichtung«, sagte Heplar, unfähig der Ironie, die diese Worte vielleicht enthalten hätten, wenn sie von jemand anderem gekommen wären. »Verschiedene Sichtschirme und Alarmanlagen bei Annäherung. Und der Notfluchtantrieb. Ich…« »Nun, warum können wir den nicht benützen?« »Weil er wirklich nur für alleräußerste Notfälle gedacht ist. Ein kurzer Schub – nur etwa eine Mikrosekunde, nicht lang genug, als daß es Probleme mit der Feldintegration geben könnte. Spatiotemporale Versetzung in eine völlig willkürliche Richtung. Und man kann ihn nur einmal benutzen.« Ein kurzes Schweigen folgte. Verspätet klappte Heplar die Sicherheitsabdeckungen über ein Dutzend Armierungsschalter. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht einmal, wo wir sind!« Er erklärte Cromney die Anomalien, die sich auch auf Georgies Digitalkalender und die verlassene Wildnis erstreckten, die sie jetzt umgab, fügte hinzu, daß die astronomischen Anzeichen – vom Computer beobachtete Positionen der Sterne und Planeten – darin übereinstimmten, daß das Schiff die Zeit richtig festgestellt hatte. »Wenigstens«, bemerkte Cromney in einer Weise, die er möglicherweise für ›philosophisch‹ hielt, »sind wir Gruenblum los und diese ekelhaften, kleinen…«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen, Sir. Sie wissen nicht, welche Einstellung er gegenüber diesem Haufen von Schrauben und Muttern hat, in dem wir sitzen. Ein richtiger Maschinenfetischist, wenn ich jemals einen… Verdammter Schweinehund!« »Was ist denn los?« fragte Cromney. »Sehen Sie mal auf diesen Schirm! Ich drehe die Vergrößerung stärker auf!« Draußen schwebte ein silbriger, summender Gegenstand in Nebel und Regen hoch über ihnen. Er ging in eine steile Kurve; die beiden auf dem Kontrolldeck weiter unten konnten einen fellbedeckten Piloten mit einem Zehn-Gallonen-Hut und einem Waffengurt erkennen. »Wo in Gottes Namen sind wir nur?« Heplar unterdrückte ein Wimmern – und den geheimen Wunsch, sein Captain möge hier sein und ihm sagen, was er tun solle. »Was kreischen Sie denn hier rum, Rand?« Edna stand im Rahmen des Schotts, ihre Finger mit den langen Nägeln umfaßten einen schnell zurechtgebastelten Laserschweißer. Die Ränder ihrer Schuhe hatten häßliche, bräunlichrote Flecken. »Sieht so aus, als hätten wir Gesellschaft bekommen«, antwortete Cromney anstelle des völlig verdatterten Kopiloten und bemühte sich, sich seinen eigenen Schrecken nicht anmerken zu lassen. »Sieh mal auf diesen Schirm gleich…« »O jemine!« unterbrach ihn Heplar am Rande der Hysterie. »Am Boden auch! Wir sind umzingelt!« Mit unsicheren Händen spielte er nervös mit der Schalterabdeckung des Notfluchtantriebs herum. Er zeigte auf eine Scheibe: »Die Magnetometer zeigen an, daß sie schwer bewaffnet sind! Was soll ich tun?« »Kann diese Kiste denn selbst nicht schießen?« höhnte Edna. Sie hielt ihren Schweißbrenner fest an sich gedrückt und warf verstohlen einen Blick zu Denny zurück, der halb bewußtlos an der oberen Luftschleusentür lag. Eine Schande, dachte sie, daß Männer solch unzuverlässige
Werkzeuge waren. Heplar schien völlig unberührt von ihrer sonst so verläßlichen, sexuellen Anziehungskraft. Das machte ihn unkontrollierbar, was ihr wiederum ein wenig Angst einjagte. Vielleicht war er ein Eunuch. Cromney war natürlich in keiner Weise derartig behindert oder immun, aber er war ein schwächlicher, alter Mann. Schlimmer noch, er schien sich sogar seine eigenen Gedanken zu machen. Sie würde sich eben noch eine Zeitlang an den armen Denny halten müssen. Sie seufzte, als sie sich mit dem, was sie an Gefühl besaß, daran erinnerte, was für eine dominierende Gestalt er ursprünglich gewesen war, daran gewöhnt, hart ranzugehen, man sagte ihm sogar nach, ein oder zwei zarte Studentinnen ernstlich verletzt – und es hinterher mit viel Geld von seiner Familie vertuscht zu haben. Edna liebte es noch härter – er war so herrlich erstaunt gewesen! Nun ja, viel war er nicht wert, aber er war alles, womit sie arbeiten konnte. Ein gedämpftes ›Klirr!‹ war zu hören, als Heplar die Schalterabdeckung zurückklappte. »Wir haben Kraftfelder und Meteorabschirmungen«, antwortete er auf eine Frage, die Edna schon vergessen hatte, »aber ich getraue mich nicht, sie auf dem Boden einzustellen, weil… heiliger Jesus, da draußen sind Gorillas – und sie tragen Waffen!« Vielleicht war es das unbewußte, lebenslange Schuldgefühl des Sklavenhalters, das Heplar mit wahnsinnigem Entsetzen erfüllte, sobald er an Primaten ohne elektronische Steuerung dachte – und auch noch mit Waffen! Die Flugmaschine drehte noch eine Schleife, und dann stieg mit grimmigem Gesicht Bernie Gruenblum aus dem Nebel auf wie Hamlets Papa, direkt vor den Hauptvideokameras. »Das reicht!« schrie Heplar drei Oktaven höher als normal. »Ich werde…« »Nein, Rand!« schrie Edna. »Heplar, nein!«
BRRRUMMM-HUIUIUIUI! brüllte Georgie auf, und als Heplar, die Janof, Cromney und der ohnehin schon böse angeschlagene Denny Kent wieder zu Bewußtsein kamen, war an die Stelle des fremdartigen, wilden Gebirges schon eine noch fremdere Prärie getreten, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Sie rappelten sich auf. Sie klopften sich ab. Diesmal war nur einer verletzt: Denny hatte sich das Nasenbein gebrochen. Eine kleine Zeitspanne war vergangen, während der sich Cromneys Mannschaft eines wohlverdienten Vergessens erfreuen durfte. Draußen sammelte sich eine häßliche Menge – an die fünfzig Schimpansen, Gorillas, Orang Utans und Menschen in den verschiedensten Arbeitskitteln in verrückten Farben, sie hatten nicht nur Pistolen bei sich, sondern auch Mistgabeln, Sensen und Hakken und summten wie ein Schwarm wütender Hummeln. Ganz unpassend war das offene Feld, auf dem Georgie gelandet war, von Zaun zu Zaun mit Tausenden, vielleicht sogar Zehntausenden antiker frühamerikanischer Hartholzschaukelstühle vollgestellt. Schaukelstühle? DONG! Ein Schimpanse versetzte Georgie mit einem seltsam geformten Kultivator einen Schlag. Durch die Außenmikrofone konnte man hören, daß von Lynchen gesprochen wurde, und nicht gerade auf die netteste Art. Edna blickte auf ihren halb ohnmächtigen Partner hinunter. »Denny«, sagte sie und starrte durch das Bullauge der Luftschleuse. »Irgendwie habe ich das Gefühl, als wären wir nicht mehr in Kansas.« Ein großes, weißes, knollenförmiges Luftkissenfahrzeug mit roter Markierung war auf Win Bears gummibedeckter Auffahrt erschienen. Seine Türen waren offen, auf den Regalen im Innern waren leere Stellen, wo der Fahrer die Werkzeuge seines Berufs heruntergenommen hatte.
Im Haus hatte ein Orang Utan in grüner Medizinerkleidung, auf der Schulter das Kreuz im Kreis, das zu den auf seinen Wegen lackierten Kreuzen paßte, Instrumente und sonstigen Bedarf über den ganzen Wohnzimmerteppich verstreut. Er kratzte sich den kastanienbraunen Kopf. »Ihr zieht da vielleicht 'ne Party ab, ihr Burschen. Soviel Blut und kläbriches Zeuch und kein einzcher Clownshut, kein Kracher, kein Luftballon! Na ja, wir läben in 'nem Freien System, nich' wahr?« Der Detektiv fand das gar nicht lustig. »Hör bitte auf, Volksreden zu halten, Chiang, und sieh zu, daß du mit deiner Kurpfuscherei vorankommst! Ich bin mitten in einem Fall, und meine Verdächtigen laufen frei herum.« Erschöpft schüttelte er den Kopf und ließ sich schwer auf ein Sofa sinken, während der Orang sich um Denny Kent kümmerte. »Na ja, Winnie, ich wär ja früher hiergewäsen«, sagte der kürbisfarbene Primat, »wenn ich nich' an der Ecke Spencer und Konföderation hätte halten müssen – so 'ne Schießerei im unterirdischen Tunnel. Aber die Burschen von der Acme Ambulanz sin' mir zuvorgekommen.« Edna hatte also wieder eine neue Kerbe auf ihren Pistolengriff geritzt. Wahrscheinlich war jemand so unvorsichtig gewesen, sich ihr auf der Flucht in den Weg zu stellen. Trotz seiner verquollenen Aussprache schien der Orang außerordentlich geschickt, seine großen, plump wirkenden Finger flogen, während sie flickten und stichelten und Verbände anlegten. Man beschloß, den Möchtegern-Entführer nicht zu transportieren, da es in der Konföderation dank des fortschrittlichen Stands der Technik, der es den Leuten gestattete, zu Hause gesund zu werden, nur wenige und weit auseinanderliegende Krankenhäuser gab. Am nächsten Morgen würde man Kent ins Gefängnis bringen können. Wahrscheinlich in dieselbe Zelle, die ich gehabt hatte. Win hörte den Spruch und winkte müde zustimmend mit der Hand. Auch Will und ich wurden untersucht. Der Mediziner hatte nicht
die leiseste Ahnung, was er für Spin tun sollte, aber der kleine Bursche beharrte, unterstützt von seinen Kumpeln, darauf, daß er sich schon besser fühle. Ich weiß nicht – als Kind in Pecos hatte ich mal eine große Schildkröte als Haustier, die genauso zerquetscht worden war. Sie erholte sich nie wieder so ganz. Werkzeugkästen und Medizinerköfferchen wurden zusammengefaltet. »Ja, nun, ich werde meine Rechnung ins Netz einspeisen, Winnie«, sagte der Orang-Heiler. »Ich sollte ja eichentlich dich bezahlen – stell dir nur mal vor, ich, Chiang Mung Schwartlosz praktiziere im Haus von Clarissa MacDougall Olson. Das glauben die mir nie!« »Fein«, sagte Win. »Komm mal rüber und besuch uns, wenn sie aus dem Elektroschlaf aufgewacht ist, ja, Chiang? Wir haben eine schlechte…« Plötzlich sank der Detektiv auf die Knie und fiel vor den Füßen des Hilfsmediziners aufs Gesicht. Ohne einen Laut rollte er auf den Rücken, und dabei wurde ein Blutfleck unter seinem Umhang sichtbar, der sich von der Halslinie bis zum Nabel ausbreitete. Der Heiler kniete neben seinem Freund – meinem Freund – jedermanns Freund nieder und legte sein Stethoskop auf die rotdurchtränkte Brust des Detektivs. Dann blickte er zu uns auf. »Er ist tot!«
16. Kapitel Ein Lockvogel in einem Stuhlbaum »Er war ein anständiger Kerl, man kann nicht anders sagen.« Ich stellte mein Glas auf den Kaffeetisch und kratzte an dem Pflaster an meinem Ohr. Fran blickte vom Rommeespiel auf, das sie gerade auf dem Boden in der Nähe des Komschirms an die Freenies verlor. Sie seufzte und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Und verstand verdammt viel von seiner Arbeit.« »Na ja, ich werde ihn sicher nicht vermissen!« Sanders saß am vorderen Fenster und wollte gerade einen Joint an mich weiterreichen, den er mit Mary-Beth zusammen rauchte. »Ich bekam immer Kopfschmerzen, wenn ich ihm nur zuhörte…« »Auf mich hat er immer denselben Eindruck gemacht!« Win Bear drehte sich auf der anderen Couch um, wo er lag, stützte sich auf einen Ellbogen, lachte und zuckte bei dem Schmerz in seiner Brust zusammen. »Er ist ein verdammt guter Heiler, unser Chiang Mung Schwartlosz, aber er sollte sich mal seine Rachenmandeln nachsehen lassen. Hör mal, Bernie, du mußt diesen Joint wirklich nicht allein qualmen!« Sanders sah zu, wie Win einen Zug nahm und gluckste. »Ich möchte wetten, daß du dafür schon Leute verhaftet hast.« Der Detektiv atmete heftig aus. »Ich muß doch sehr bitten, ich war bei der Mordkommission! Beim Rauschgift bleiben die Leute hängen, die es nicht schaffen, richtige Polizisten zu werden.« Er nahm noch einen Zug, dann hielt er Howell die Zigarette hin. Die gelben Augen des Kojoten wurden groß, ein Zucken der Entspannung lief durch sein Fell. »Also, das ist richtiger Kaffee«, sagte Nahuatl. »Da, wo ich herkomme«, bemerkte ich, »würde man wahrschein-
lich sagen, Chiang spricht so, weil er in der Bronx aufgewachsen ist. Aber ich habe auf dem Kom nachgesehen – in der Konföderation gibt es keine Bronx! Was sagt ihr dazu?« Bear grinste, ließ den Cannabisrauch langsam zwischen seinen Zähnen durchquellen und beherrschte sich sichtlich, um nicht in ein möglicherweise schmerzhaftes Glucksen auszubrechen. Schließlich atmete er aus. »Es gibt hier nicht einmal ein New York City – was diesem Land ewig zur Ehre gereichen wird – wahrscheinlich, weil es keine Chase Manhattan…« Er begann zu husten, Schmerzenstränen stiegen ihm in die Augen. Er griff zum Tisch neben sich, holte sich eine Zigarre und zündete sie an. Der Anfall legte sich. »So ist es besser. Mein Nikotinsystem hat wohl ein bißchen zuviel THC erwischt – alten Lungen bringt man nur schwer neue Kunststücke bei. Wovon haben wir gerade gesprochen?« »Geographie«, antwortete ich und zündete mir selbst eine Zigarre an. »So, wie ich es gehört habe, hat Al Hamilton schon lange vor dem Whiskyaufstand mit der Bankenmasche angefangen, ausgerechnet zusammen mit Aaron Burr.« »Richtig«, stellte Sanders fest, »aber hier in der Konföderation wurde Hamilton nicht von Burr erschossen. Irgendein anonymer, polnischer Edelmann war es, den er beleidigt hatte. Manche Leute sind zum Hängen geboren – Hamiltons Karma hatte für ihn einen zweiten Nabel vorgesehen, ganz gleich, was sonst noch passierte.« »Und Chase Manhattan«, fügte Mary-Beth hinzu, »und die meisten anderen, krummen Finanzinteressen, von denen sich die Würmer in eurem ›Großen Apfel‹ ernährten – wußtest du, daß Hamilton das Land tatsächlich mit einem falschen Scheck finanzierte; er erfand die nationale Schuldverschreibung und profitierte noch Jahre danach davon – hier haben sie das, was du das zwanzigste Jahrhundert nennst, nicht überlebt.« »Sie konnten den Druck des ›Laissez-Faire‹ nicht ertragen«, stimmte ihr Gatte zu. »Keine Regierung, die den Wettbewerb für
sie ausgeschaltet hätte. Jedenfalls blieb Philadelphia lange Zeit die größte Stadt auf dem Kontinent, dann wurde es Boston. Jetzt ist es ein totes Rennen zwischen Chicago und Los Angeles, daneben holt Mexico City schnell auf – außer, man rechnet Hauptstation Ceres mit.« »Aber die Rachenmandeln können es nicht sein«, sagte MaryBeth zusammenhanglos. Sanders starrte erst seine Frau an, dann die Pocatello Puce, die in seiner Hand qualmte. »Was?« »Chiang benützt einen Handgelenksprecher, wie jeder andere Primat auch. Sein Akzent ist entweder latent in seinen Handgelenksbewegungen vorhanden, oder das Gerät ist nicht in Ordnung. Ich weiß nicht genau, ob Orang Utans überhaupt Rachenmandeln haben.« »Aber sicher«, warf Fran dazwischen. »So oft es nur geht. Paniert und fritiert – köstlich!« Das war der Auslöser. Selbst Win brach in das Marihuanagekicher aus und schnitt jedesmal eine Grimasse, wenn er keuchend Atem holte. Aber jedesmal, wenn ich ihn ansah, schien er weniger Schmerzen zu haben. Die Medizin in der Konföderation ist schon eine tolle Sache. Er hatte sich eine Stahlnadel eingefangen, genau wie Will und ich, gebremst durch die Eingangstür und, in seinem Fall, durch einen jetzt unbrauchbaren Telekomblock. Sanders und Ihr ergebenster Diener waren glimpflich davongekommen: der Stahlsplitter mit Wins Namen darauf hatte eine mittelgroße Arterie erwischt. Win hatte nicht bemerkt, wie schlimm es war und wollte albernerweise die Jagd nach den Schurken nicht aufschieben. Der Bursche wurde nicht geboren – den haben die Stoiker in die Welt gesetzt. Folglich hatte er nicht erwähnt, daß es ihn erwischt hatte, und wäre unter seinem Umhang fast verblutet, ehe er selbst – oder sonst jemand – etwas bemerkte.
Dank einer vitaminisierten, katalysierten und sanforisierten künstlichen Transfusion, die Chiang auf der Stelle passend zum Gewebe des Detektivs zusammengemischt hatte, und der konföderierten Standardbehandlung bei Schock ging es Win jetzt jedoch ganz gut, und von Minute zu Minute besser. Ein Eastman 910 an der richtigen Stelle, und sein Herz hatte wieder zu schlagen begonnen, als wir ihn in die Wand gestöpselt hatten. Er würde wieder auf den Beinen sein, der gleiche Plattfuß wie früher, noch ehe sein Hemd sauber war. Und das war jetzt in der Wäsche. Es war ungefähr alles, worauf wir im Augenblick noch warteten. Chiang Mung Schwartlosz, H. D. war an diesem Nachmittag nicht der einzige Besucher am Genêt Place 626 gewesen. Während Wachtmeister Bear wieder zusammengeflickt wurde, trat etwas mit dem Namen ›Gruppe zum Schutz der Persönlichkeitsrechte‹ in Erscheinung, auf den Anruf von Ms. Hexerin und ihrer gezähmten Sardine hin – die beiden Physikerinnen nahmen im Moment voll Begeisterung Georgies Aufmerksamkeit völlig für sich in Anspruch, da sie noch nie zuvor ein denkendes Wesen erfunden hatten. Die GSPR nahm sich, mangels richtiger Behörden in der Konföderation solcher Situationen an, die sich wie die unsere hier entwickelten, ehe sie das Stadium der richterlichen Entscheidung erreichten. Sie sammelte Beweismaterial, zeichnete Zeugenaussagen auf, schützte Opfer, Zeugen und Angeklagte gleichermaßen. Eine Art Bürgerrechtsvereinigung mit Pistolen. Sie und eine Handvoll ähnlicher, miteinander konkurrierender Einrichtungen, einige profitorientiert andere aus bürgerpflichtbewußten Möchtegern-Säulen der Gesellschaft bestehend, bildeten das zivile Gegenstück von Will Sanders' Bürgerwehrorganisation. Er war eigentlich dafür gewesen, die ›Vereinigung für Bürgerliche Freiheiten von Groß-Laporte‹ anzurufen; während Howell für eine Gruppe mit dem Namen ›Legion für bewußte Zwietracht‹ stimmte. Aber Abstimmungen scheinen in der Konföderation nicht allzuviel Bedeutung zu haben, und D. J. hatte schon von sich aus angeru-
fen. Die GSPR bekam den Zuschlag. So ging unter halboffizieller Überwachung die Befragung weiter. Howells gefangener Schimpanse war nicht gerade übermäßig informativ. Er und seine beiden endgültig flachgelegten ›compadres‹ in der Diele waren Teilzeitschützen für eine gewisse ›Bonzos Sicherheitspatrouille‹ in Rawlins (einer so kleinen Stadt, daß sie sogar in den Staaten nur mittwochs vorhanden sind), eine Gesellschaft, die sich gewöhnlich mit dem Schutz von Farmgebäuden und Grenzzäunen befaßt. Wie sie auf die Idee gekommen waren, wir seien die Übeltäter, das wollten die GSPR und wir herausfinden, während Denny Kent mit seiner Untertassensaga fortfuhr. In unserer letzten, sensationellen Episode vor dem vorzeitigen, aber nur zeitweiligen Ende von Edward William Bear, dem jungenhaften Detektiv, waren Cromney und seine Mannschaft mitten in einer Möbelfarm hoch oben in den Plains gelandet und hatten fast einen halben Morgen gezüchteter Hartholzschaukelstühle in gezüchtete Holzzahnstocher verwandelt. Ich habe nie sehr viel für die überbewertete Heiligkeit landwirtschaftlicher Familienfarmbetriebe in Amerika übriggehabt. Ich hatte immer den Eindruck, sie wollten beides – freies Unternehmertum, aber die Butter auf dem Brot sollte Onkel Sam garantieren. Die Konföderation war anders aufgezogen. In einer Zivilisation, wo niemand der Meinung war, er habe ein gottgegebenes Recht auf Gewinn – sondern nur das Recht, ungestört zu versuchen, welchen zu machen – und wo es keinen Großen Bruder gab, zu dem man gekrochen kommen konnte, wo aber Genveränderungen seit Generationen eine vollendete Tatsache waren, warum sollte man sich da seine Wohnzimmereinrichtung nicht direkt vom Rebstock pflücken und Mittelsleute wie Schreiner, Sägemühlen, Holzfäller und Bäume ausschalten? Die unheimliche Begegnung der dritten Art hatte die Leute in der Möbelgenossenschaft kein bißchen beeindruckt. Sie waren
ziemlich sauer auf die Professoren, die meinen Zeitbuggy geklaut hatten, bis Cromney ihnen die verstümmelten Überreste im Passagierraum zeigte und das Verdienst daran großzügig mir und Wynken, Blynken und Nod überließ. Inzwischen wußte Rand Heplar noch weniger, wo und wann Georgie gelandet war als oben in den Bergen; der Zeitmesser beharrte noch immer darauf, daß es 1993 war, und verschiedene betäubte und unzuverlässige Navigationsinstrumente stimmten dafür, daß sie sich irgendwo im Süden von Wyoming befanden. Da, oder mitten im Indischen Ozean. Das hing davon ab, wie man die Anzeigen las. Aber wie alle wirklich guten Steuerleute hatte Cromney die Absicht, sich von den Zeichen zeigen zu lassen, was wirklich passierte. »Zeitkreuzung!« rief Birdflower, der riesige Gorillaaufseher der landwirtschaftlichen Genossenschaft. »Ich habe es am Telekom gesehen! Ihr Leute kommt aus einem anderen Wahrscheinlichkeitskontinuum, nicht wahr?« »Ja, Sie haben völlig recht«, sagte Cromney glatt, ohne die leiseste Ahnung zu haben, wovon Birdflower eigentlich redete. »Wir wurden verfolgt – sind geflohen vor…« »Hamiltonisten!« half ihm der Aufseher, indem er die schlimmsten Schurken benannte, die er sich vorstellen konnte. »Am Kom hieß es, daß es ganze Universen gibt, die von diesen dreckigen Saukerlen beherrscht werden. Hier sind sie natürlich nur eine winzige, harmlose Minderheit, Albert sei Dank!« Birdflower und Tree, seine Frau, waren als erste von der Farm in die Untertasse eingelassen worden. Als man dem Anthropoiden zeigte, was von den Herren Merwin und Hulbert noch übrig war, hatte er hörbar geschluckt, die Augen gerollt und sich kaum auf den Beinen halten können: Tree mußten sie zum Farmhaus zurückbringen, damit sie sich hinlegen konnte. Hamiltonisten waren, wie Birdflower den Entführern erklärte,
schreckliche Leute, die tatsächlich glaubten, daß es Umstände gäbe, unter denen einige Individuen das Recht hätten, anderen Individuen zu sagen, was sie tun sollten. Erst vor einigen Jahren hatten Wissenschaftler den Penetrator entdeckt, und damit eine andere Erde, wo solch perverse Ideen im Schwange waren. Einige dieser Kreaturen hatten eine Invasion der Konföderation versucht, unterstützt von den paar einheimischen Hamiltonisten, die es tatsächlich fertiggebracht hatten, zwei Jahrhunderte nordamerikanischer Anarchie zu überleben. Mit der Zeit hatte man das natürlich alles in den Griff bekommen, und vermutlich waren die Wissenschaftler jetzt ein wenig vorsichtiger, wenn sie jemanden in die Konföderation einließen. Aber ein paar gab es noch immer – in jeder Generation nur ganz wenige –, die weiterhin unter dem Deckmäntelchen von Recht und Ordnung autoritäres Verhalten predigten. Wir leben in einem Freien System, bemerkte Birdflower mit einem Seufzer, und es gab keine moralische, ethische oder gesetzliche Möglichkeit, sie daran zu hindern. Aber eine Schande war es wohl doch, wie er fand. Und auch irgendwie verrückt. Cromney spitzte die Ohren bei der Erwähnung möglicher Verbündeter in einer Welt, die ihm allmählich wie ein Meer von Zügellosigkeit vorkam. Er mußte mehr erfahren, viel mehr, ehe er einen Zug machte, aber machen würde er ihn, besonders, wenn er hier hängenblieb, würde diese Zivilisation das volle Gewicht seines mächtigen Daumens zu spüren bekommen. »Erzählen Sie mir mehr, mein lieber Birdflower. Ich muß gestehen, die Vorstellung einer alternativen Historie ist mir neu. Unser Schiff hier ist nur ein gewöhnliches, interstellares Raumschiff, das drastisch vom Kurs abgekommen ist, während wir uns bemühten, der abscheulichen Tyrannei zu entkommen, von der Sie so beredt erzählen.« »Nun, ich bin kein Experte in Physik oder Geschichte«, sagte Birdflower bescheiden. »Ich bin Farmer und Holzgenetiker. Aber – ich muß jetzt ins Haus zurück und nachsehen, wie es Tree geht.
Sehen Sie doch auf dem Kom nach. Ich bin sicher, auf diese Weise erfahren Sie alles, was Sie wissen müssen.« Cromney überließ Rand und Edna die Aufsicht über das Schiff – Denny war dank seiner neuerworbenen, gebrochenen Nase noch bewußtlos – und folgte dem Gorilloiden durch die Felder von Schaukelstühlen, Beistelltischen, Bücherschränken und Barhockern – eine andere Sorte als die, in die Daniel Boone getreten war – zu einem stromlinienförmigen, modernistischen Gebäude, das der Genossenschaft als Hauptquartier diente. »Hier ist ein Komblock, Mr. Cromney. Ich werde Ihnen ein Instruktionsdisplay abrufen – he, da erinnert man sich wieder; diese Graphik habe ich nicht mehr gesehen, seit ich ein kleines Kind war – und dann sagt Ihnen die Maschine selbst, wie man sie benützt. Und jetzt muß ich nach meiner Frau sehen.« Cromney setzte sich in dem sonderbar eingerichteten Wohnzimmer des Farmhauses in einen bequemen Stuhl. Es war nicht so sehr die Technologie des Telekoms, die ihn erschütterte, als die kulturellen Folgen: dieses Gerät war anscheinend überall in jedem Haushalt fest installiert, genau wie Strom und Wasser und wurde genauso lässig wie diese als selbstverständlich angesehen. Diese Zivilisation war märchenhaft reich – und politisch gesehen von schockierender Freizügigkeit. Cromney leckte sich in gieriger Vorfreude die Lippen und stürzte sich hinein. Zu den allgemeinen Informationsquellen, die auf der Liste standen, gehörte auch die ›Enzyklopädie von Nord-Amerika‹ die einen ganzen Kanal, TerraNovaCom 485, einnahm. Nun gut, er drückte die richtigen Knöpfe, um ihn abzurufen. Als er einen kurzen Artikel über die Reisen zwischen Welten verschiedener Wahrscheinlichkeit überflog, entdeckte er, daß diese Vorstellung hier seit Jahrzehnten kursiert war, ehe zufällig bewiesen wurde, daß sie mit der Realität in Einklang stand. Komisch, warum war seine eigene Zivilisation nie auf so einen Gedanken gekommen? Oder auf ein Informationssystem wie das Telekom? Vielleicht hatte die Akademie ein strengeres Regiment
geführt, als selbst er begriffen hatte? Er entdeckte, daß er es widerstrebend guthieß. Eintragungen über Zeitkreuzungen führten ihn natürlich in die Geschichte, wo er herausfand, welch entscheidende Bedeutung der Whiskyaufstand in der Vergangenheit der Konföderation gehabt hatte. Bei dem Gedanken an eine Regierung, die so unter Druck stand, daß sie sich nicht einmal getraute, Steuern zu erheben, an einen Staat, der über zwei Jahrhunderte lang immer kleiner wurde, bis er vor kurzem ganz verschwunden war und sich aufgelöst hatte wie ein Eiswürfel in einem Getränk, schauderte ihn. In fünfzig Jahren war der Kongreß nur zweimal zusammengetreten, und es gab Beobachter, die der Meinung waren, er würde es vielleicht niemals mehr notwendig finden zu tagen. Abscheulich! In einer erstaunlichen Demonstration leidenschaftsloser Gelehrsamkeit war der Eintrag über Hamiltonismus in der Enzyklopädie bei einem gewissen Norrit Gregamer in Auftrag gegeben worden, laut einer Fußnote des Herausgebers Professor für Alternative Moralphilosophie an der Universität Chicago GmbH, Nebenstelle Cheyenne. Cromney hielt diese zufällige Nachbarschaft für so etwas wie ein Omen und nahm sich vor, mit Gregamer in Verbindung zu treten, während er die Querverweise der Enzyklopädie verfolgte, die die Argumente des hamiltonistischen Professors widerlegten. In der Zwischenzeit, während sich seine Einsicht in diese Kultur in seinem Geiste vervollständigte, festigte er die Geschichte, die er Birdflower und allen anderen, von denen er etwas brauchte, erzählen wollte. Er mußte dieses verdammte Gerät wiederbekommen, das Gruenblum gestohlen hatte, und er hatte wenig Vertrauen, daß Heplars Versuche, es zu reproduzieren, irgendwelche Früchte tragen würden. »Sehen Sie«, erklärte er freundlich dem Farmer, der zurückgekommen war, nachdem er sich um seine Frau gekümmert hatte,
»ich glaube, ein guter Angriff ist die beste Verteidigung. Vielleicht ist Gruenblum genau wie wir hier gestrandet, aber seine fanatische Ergebenheit gegenüber der Obrigkeit unserer Heimatwelt wird ihn dazu bewegen, uns zu verfolgen, wenn auch nur aus Rache. Er und seine dämonischen, außerirdischen Ungeheuer. Er ist gewalttätig, gefährlich und unberechenbar.« Birdflower gab mitfühlende Laute von sich. In diesen Zeiten tröpfelten mit steigender Häufigkeit Flüchtlinge in die Konföderation, genau wie vor hundert Jahren, ehe die meisten Nationen dieser Welt die gallatinistischen Anschauungen übernommen hatten und so zu angenehmeren Heimstätten geworden waren. »Nun, Sie hatten sicher Glück, Mr. Cromney, daß Sie ihn losgeworden sind, ehe er Sie alle ermordet hat. Diese armen… und jetzt wollen Sie ihn wiederfinden?« »Sicher!« erwiderte Cromney. Das Wohnzimmer, in dem sie sich aufhielten, war mit einer sonderbaren Mischung aus viktorianischer Gotik und Haight-Ashbury-Modellen eingerichtet – Weihrauch, Perlenvorhänge und ein Anstrich von psychedelischen Farben wetteiferten mit altmodischen Orientteppichen, scheußlichen Polstermöbeln und handgestrickten Schonbezügen und Tüchern mit rätselhaften Sprüchen: »EIN DIEB IN DER NACHT WIRD ERSCHOSSEN – WESSEN HAND FÜHRTE DEN BOGEN?« Cromney schüttelte müde und verständnislos den Kopf. »Ist das ein Zen-Paradoxon, was Sie da über dem Kaminsims hängen haben?« Birdflower blinzelte. »Aber nein, das ist eine alte Redensart der Schoschonen. Aber warum wollen Sie nach diesem Gruenblum suchen? Sein Verhalten bringt ihn doch sicher überall in Schwierigkeiten, wo er hinkommt, und das…« – er klopfte auf die ansehnliche Automatik, die er in einem Schulterhalfter an seinem Schürzenoverall trug – »wird sein Ende sein.« Er warf einen bedeutsamen Blick auf den Wahlspruch in Kreuzstichstickerei, nach dem Cromney sich erkundigt hatte. Der Professor schnaubte gereizt. »Wie meinen Sie das? Wessen
Hand führt denn nun den Bogen? Vermutlich die des Hausbesitzers – das Opfer des Diebes in der Nacht?« Nun war es an Birdflower, verständnislos dreinzuschauen. »Nur in einem rein physischen Sinn, und wir sprechen hier über Moralbegriffe. Die Antwort, und die könnte Ihnen jedes Schulkind geben, lautet: ›Die des Diebs‹ – denn diejenigen, die Aggression als Lebensweise praktizieren, haben sich bloß eine komplizierte und indirekte Methode ausgesucht, um Selbstmord zu begehen. Und deshalb brauchen Sie sich mit diesem nackigen Gruenblum… äh…, Verzeihung, ich meine, mit dieser Person, nicht weiter zu befassen.« Birdflower schien trotz der dunklen Pigmentierung seines haarlosen Gesichts zu erröten. Cromney schluckte, mehr wegen eines eigenen Einfalls als wegen etwas, das Birdflower ihm gesagt hatte. Er erkannte, daß er bisher keinen einzigen unbewaffneten Konföderierten gesehen hatte. Selbst die sanfte Tree hatte eine Pistole um die Taille getragen. Er hatte unbewußt angenommen, das hinge mit dem ländlichen Leben zusammen, das die Leute hier draußen führten. Nun war er sich dessen nicht mehr so sicher. »Trotzdem«, sagte er und gewann um Birdflowers willen sein selbstsicheres Auftreten wieder, »fühle ich mich verantwortlich, weil ich diesen schändlichen Bösewicht auf Ihre edle Konföderation losgelassen habe, und ich möchte etwas dagegen unternehmen. Für den Anfang, wenn Sie mir helfen möchten, habe ich hier eine Liste von Teilen, die meine Partner brauchen, um unser Schiff zu reparieren. Und dann möchte ich gerne ein Ferngespräch mit der Universität von Chicago in Cheyenne führen.« Der Gorilloide nickte gutmütig und nahm den Komblock zur Hand. Das übrige war ziemlich ohne Umschweife vor sich gegangen. Cromney hatte Denny zu Griswold's hinuntergeschickt, sobald der arme Teufel sich wieder auf den Beinen halten konnte. Die Sicherheitsmannschaft von St. Charles-Auraria hatte mich richtiggehend
raffiniert ausfindig gemacht, aber ohne eine Schlußzahlung hätte nicht einmal Cromney je von ihnen erfahren, wo ich war. Das war Sache der Reporter gewesen – sobald mein Name und mein Aufenthaltsort über sechstausend Kanäle gegangen waren, hatte Cromney seinen Zug gemacht. Oder genauer – und typischer –, er hatte jemanden gefunden, der den Zug für ihn machte. Dennys und Ednas Pistolenschützen waren von der Firma Bonzo's angeworben worden – die sich um die minimalen, auf Birdflowers Stuhlfarm erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen kümmerte. Der Rest war Geschichte, nicht blutiger und verqualmter, als ich es schon gesehen hatte, aber sie erschütterte Leute, die es gewöhnt waren, in häuslichem Frieden zu leben. Ich blickte auf Denny hinunter, als man ihn auf die Bahre schnallte und empfand eine ganz untypische Nächstenliebe. »Na, mein Junge, ich weiß nicht – vermutlich haben die Leute aus Liebe schon schlimmere Sachen gemacht. Diese Edna sieht ja recht gut aus, auch wenn sie eine kaltblütige…« »Liebe?« keuchte Denny, während die Betäubungsmittel zu wirken begannen und seine Augen die Richtung nicht mehr halten konnten. »Es gibt keine Liebe! Es gibt Brunst! Es gibt Wahnsinn! Es gibt ein Dutzend verschiedene Arten von Angst. Es gibt auch eine bequeme, schlafwandlerische Langeweile. Und der größte Witz ist, daß letztere – die Langeweile – das beste ist, was wir vom Leben erwarten können. Liebe ist Betrug, Schwindel, ein Name für Hormonschübe und Gefühlsduselei, eine Gefühlsduselei, die wir in uns selbst erzeugen, um die Scham zu beschwichtigen, die wir für das empfinden, was die Hormone mit uns machen.« Und ohne ein Wort des Abschieds schloß er die Augen und fing an, friedlich zu schnarchen. Vielleicht war er ein Narr, aber er hatte ein recht klares – wenn auch zynisches – Unterbewußtsein. Die Rechtsschützer karrten ihn nach oben.
»Das war's dann wohl«, sagte Win und stand vom Sofa auf. Er streckte die Arme und gähnte, anscheinend völlig genesen. »Jetzt sind wir am Zug! Wer bleibt hier und behält Kent im Auge?« Die GSPR hatte den Schimpansen von Bonzo's zusammen mit den Leichen weggeschafft. Kent würde oben herumliegen, bis an die Kiemen mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt und an das Kom gefesselt, das seine Heilung überwachte. »Ich nicht!« Der Chor setzte sich aus Will Sanders, Mary-Beth, Fran, Nahuatl, Trip, Stumble und Fall – dem mit dem gesprungenen Panzer – zusammen. Ich übte mich in diskretem Schweigen, da ich schon früh und auf harte Weise gelernt hatte, mich niemals freiwillig zu melden. »Jetzt hört mal, Leute«, flehte Win, »das ist doch lächerlich! Jemand muß einfach hierbleiben, wenn auch nur, um…« »Wie ist es mit mir?« sagte das Telekom unvermittelt. Eine blonde, blauäugige Vision vom Himmel blickte uns von der Wand herunter an. »Sehr viel kann ich doch sonst auch nicht tun, nicht wahr, Bernie?« »Um so schlimmer, Baby, um so schlimmer.« Der Detektiv überlegte einen Augenblick lang. »Nun, vermutlich kannst du dafür sorgen, daß Kent nicht zu sich kommt – du hast wahrscheinlich Zugang zur Hausschaltung.« Georgie nickte, ihre hellen Locken hüpften verlockend auf und ab. »Und wenn noch ein Haufen Eindringlinge kommt?« Ihr Bild verschwand plötzlich vom Schirm, an seine Stelle trat das eines grauhaarigen Schimpansen in einer ziemlich streng geschnittenen Jacke und einer Baseballkappe. »Berufsschützer hier, was kann ich…? Oh, du bist es, Win. Was gibt's?« »Ich habe die Nummer in Ihrem Schnellnachschlagspeicher gefunden, Mr. Bear«, flüsterte eine weibliche Stimme aus einer Ecke des Bildschirms. »Sind Sie damit zufrieden?«
Bear sprach mit dem Schimpansen. »Ich bin eine Zeitlang nicht in der Stadt, Cap, und Clarissa ist im Gefrierraum. Bitte behalte das Haus wirklich scharf im Auge, ja?« Wins Freund hob seine Kappe am Schild hoch und kratzte sich seinen ergrauenden Schädel, dann trat er hinter der Theke vor, die Kamera folgte ihm. Er trug einen schwarzen Frack, genau wie der von Croucho Marx, einen schwarzweiß-karierten Sarong und einen schweren Waffengurt aus Leder. Keine Schuhe. »Natürlich – du bist der Kunde. Was ist bei euch los, Win? Eine kleine Rauferei, soviel ich hörte. Hast du dich wieder in Schwierigkeiten gebracht, weil deine Frau nicht da ist, um auf dich achtzugeben?« Win grinste. »Das erzähle ich dir alles später. Laß nur niemanden rein oder raus, okay? Die GSPR hat einen Kunden bei mir gelassen, und es könnte sein, daß geschossen wird.« Das Bild auf dem Schirm nickte und blickte sich im Zimmer um. »Sieht so aus, als wäre das schon passiert. Ich werde mich persönlich darum kümmern.« Er verschwand. »Captain Forsythe«, erklärte Win uns übrigen. »Von den Berufsschützern. Wünschte wirklich, ich hätte sie früher alarmiert. Forsythe ist ein richtiger Hexenmeister mit der Automatik.« Sanders nickte zustimmend. »Ich kenne sonst niemanden, der genauer und schneller schießt als die kleine Frannie Oakley da drüben.« Die kleine Frannie Oakley sagte kein Wort, legte aber ihre Rommeekarten sorgfältig mit dem Bild nach unten auf den Teppich, stand graziös auf, ging zu Sanders auf seiner Couch hinüber und gab ihm einen kräftigen Tritt vors Schienbein. Dann kehrte sie zu ihrem Kartenspiel mit den Freenies zurück. Sanders rieb sich das Bein. »Nun, nachdem das erledigt ist«, bemerkte Win und unterdrückte wie ich dabei ein Lachen, »können wir ja gehen!« »So gefällt es mir schon besser!« rief Nahuatl. »Auf und davon!«
17. Kapitel Die tapferen Sieben Ganz so einfach ist es nie. Wir nahmen an, daß man Georgie in einem Zustand niedrigen Energieniveaus in eines der Außengebäude der Möbelfarm gebracht hatte. Sie erinnerte sich an einen riesigen Luftkissenlaster mit breiter Ladefläche, und bestimmte Teile ihrer Schaltkreise kann man nie abschalten. Aber ihre Erinnerungen waren lückenhaft. Wieviel wissen Sie noch von dem Film, bei dem Sie mittendrin eingeschlafen sind? Abgesehen von alledem hatten wir es hier mit Privateigentum zu tun, planten, in die Burg eines anderen einzudringen, und die ist in der Konföderation so unantastbar heilig, daß nicht einmal Narren unaufgefordert hineinmarschieren, von Engeln ganz zu schweigen: Dadurch bekommt man eine gute Vorstellung, von welchem Kaliber Bonzos Burschen waren. Selbst wenn die Bräuche und gesetzlichen Fragen geklärt gewesen wären, ging es immer noch um Logistik, Strategie und Taktik: Wer sollte was tun, womit und mit wem – das erinnerte mich an meinen Lieblingslimerick, den mit der Fee, die aus Khartoum kam. Will und Fran Sanders waren auf die andere Straßenseite hinüber verschwunden, um Artillerie zu besorgen, während Win und MaryBeth weiter über die ethische Seite dieses Unternehmens klönten. Es war doppelt kompliziert, weil dieser Typ von Birdflower doch ein sehr anständiger Bauersmann zu sein schien, wenn man Denny Kent Glauben schenken konnte – eine ziemlich weitgehende Voraussetzung, wie ich fand –, aber er dachte anscheinend immer noch, Cromney wandle auf dem Pfade der Tugend. Howell beriet sich mit der Berufsethikerin und seinem Schnüffelgenossen, und die Freenies und ich kamen uns vor wie ein gan-
zes Regal voll fünfter Räder und drehten Däumchen. Die Freenies taten jedenfalls so. Nach der harten Lehre, die ich durchgemacht hatte, zog ich Magazin und Gehäuseinhalt aus meiner .45, schob die Schlagstange unter den Lauf und drehte die Zubringerfeder, bis Schlagstange und Feder heraussprangen. Dann zog ich den Verschluß halb zurück, hob ruckelnd die Sperre heraus und schälte Verschluß, Rohr und die anhängenden Teile aus dem Rahmen. Inzwischen erneuerte ich die Bekanntschaft mit meiner liebsten Freundin, die jetzt einige Facetten zeigte, die mir vorher gar nicht aufgefallen waren. »Wie ist das eigentlich, Schätzchen, wenn man ganz plötzlich zu denken anfängt? Wir Menschen machen das allmählich, und die überwiegende Mehrheit schafft es meiner Meinung nach überhaupt nie.« Ich drehte den Schlagbolzen in die andere Richtung und trennte ihn und das Rohr vom Verschluß. »Och, Bernie, mir kommt es so vor, als könnte ich mich daran erinnern, wie es vorher war. Möglicherweise war ich schon sehr, sehr lange an der Grenze und brauchte nur die zusätzliche Kapazität von D. J.s Computern. Woran ich mich hauptsächlich erinnere, ist eine Art schwebender Frustration ' – wie ein Traum, in dem man mit jemandem sprechen möchte, aber die Worte nicht herausbringt.« Color, Charm und Spin spielten jetzt zu dritt Rommee, das bösartigste, skrupelloseste, halsabschneiderischste Spiel diesseits von Crazy Eights oder Monopoly mit Zähnen und Klauen. Ich schob den Schlagbolzen mit einem Kugelschreiber hinein, drückte die Rückhalteplatte nach unten und zog Bolzen, Feder und Auswerfer heraus. Color legte als erster aus, was seine Yamaguchiigenossen mit Miauschreien in Hochfrequenz begleiteten. Die Karten wurden wieder eingesammelt und neu gemischt.
»Ich glaube, ich verstehe. Was ich aber nicht kapiere, ist, wie du es vereinbaren kannst, eine Dreißig-Meter-Maschine und gleichzeitig eine niedliche, kleine Blondine zu sein – es sei denn, das Display ist nur für die Verständigung mit organischen Wesen da – der Baum, an den du dich lehnst, die Blumen: hast du das Gefühl, daß sie wirklich sind?« Sie zuckte die Achseln. »Wie wirklich kommen dir andere Leute vor, wenn du am Telefon mit ihnen sprichst? Das fragst du dich selbst nie. Was ist dein Lieblingsbuch?« Jetzt war ich an der Reihe, die Achseln zu zucken, während ich mit einer feinen Klinge meines Taschenfeuerzeugs die Gummigriffe vom Colt abschraubte. »Das müßtest du doch wissen – ›Peter Pan‹ vielleicht, oder ›Die Geschichte der O.‹ Was soll die Frage?« Das Bild auf dem Schirm errötete tatsächlich. »Ja, nehmen wir einmal ›Peter Pan‹. Sag mir, wer ist als Person in deinen Gedanken wirklicher für dich, Klein Wendy oder jemand wie Herbert Hoover?« Ich überlegte, aber nicht sehr lange. »Gar keine Frage: Wendy.« Ich suchte nach einem Bleistift oder etwas Ähnlichem, womit man ein Kleenex durch die Mündung der Pistole schieben konnte. Plötzlich mischte sich Color ein und benützte einen schlanken, grünen Fangarm als Reinigungswelle, während Charm ein Anhängsel ausstreckte, das einer Zahnbürste ähnelte, und damit den Verschluß bearbeitete, wobei er die Vorderseite besonders vorsichtig behandelte. Sie würden es mir nie vergessen, daß ich meine Pistole hatte verrosten lassen. Aber es war ganz praktisch, sie in der Nähe zu haben. »Da siehst du es, Bernie. Eine zugegebenermaßen erfundene Gestalt ist wirklicher für dich als eine historische – als jemand, meinen Erinnerungen nach zu urteilen, den du sogar persönlich kennengelernt hast.« »Ja«, antwortete ich. »Habe ihm die Hand geschüttelt und so. Und sie mir hinterher gründlich gewaschen. Ich verstehe aber, worauf du hinauswillst. Vermutlich sollte ich mich als Skelett se-
hen, als Sack voller Organe oder als vierdimensionaler rosa Wurm mit fünfzackigem Querschnitt oder – so, wie ich mich sehe: Bernard M – für Mephistopheles – Gruenblum, Knabe auf Zeitreise. Und du hältst dich offensichtlich für Mary Pickford.« »Olivia Newton-John, bitte. Wann kommst du, um mich zu retten? Es wird bald dunkel, weißt du.« Ich schraubte die Griffe wieder an, während Charm mir den Rahmen reichte, setzte den Verschluß zusammen, schob ihn drauf und verriegelte ihn, dann schlug ich einen Streifen ein, schob eine Runde ins Gehäuse und füllte das Magazin mit einer zusätzlichen Patrone auf. »Sofort – ob die Philosophen nun zu einem Entschluß gekommen sind oder nicht! Los, ihr Burschen, kommt ihr mit, oder muß ich zu Fuß bis nach Wyoming latschen?« Die hastig reparierte Eingangstür schwang auf. Fran sagte: »Zu laufen brauchst du nicht!« Mit brummenden Flügelrädern folgte Wins Neova, beladen mit einem Detektiv, dem Jockey einer Fliegenden Untertasse und den drei Grazien Will Sanders' Tucker, die hauptsächlich gutaussehende Frauen trug – dazu noch, wegen des Kontrasts, einen überzähligen Bürgerwehrler und einen Kojoten. Als wir durch Laporte auf die Grünbahn zurasten, nahm Georgie auf dem geteilten Bildschirm vor mir an der Unterhaltung teil. Sie hatte recht: Im Augenblick teilte sie sich den Schirm mit Mary-Beth, und beide waren für mich gleichermaßen real. »Und das ist genau das ethische Brecheisen, das uns noch gefehlt hat, Bernie«, sagte die Ethikerin. »Deine Georgie ist jetzt ein denkendes Wesen und wird gegen ihren Willen festgehalten. Es geht noch weiter – wenn ich richtig verstanden habe, könnte Heplar den Zustand der Intelligenz beenden, indem er einfach ein paar Schalter umlegt.« Über meinem Kopf flammte – bildlich gesprochen – eine Glüh-
birne auf. »Darüber habt ihr also da hinten die ganze Zeit gegackert! Cromney ›gesetzlicher Status‹! Wenn ihr Georgie zum Denken anregt, ist er kein Dieb mehr, sondern wird zum Kidnapper!« Win grunzte und wandte den Blick nicht von der Straße. »Und das bedeutet, daß wir das Recht haben, einen Überraschungsangriff zu starten, richtig?« Mary-Beth schüttelte den Kopf und breitete ihre schönen Lokken über das ganze Telekom aus. »Sagen wir lieber, es besteht eine ausgezeichnete Chance, daß ein durchschnittlicher Schiedsrichter es so ansieht wie wir.« »Wenn ich richtig verstehe«, meldete sich Charm vom Sitz neben mir, »sind die Chancen noch besser, wenn es bei dieser Tat möglichst wenig zu Blutvergießen und zur Beschädigung von Eigentum kommt.« »Spielverderber!« gab Fran über Kom zurück. »Vergeßt nur nicht, daß Birdflower und seine Leute auf unserer Seite wären, wenn sie die volle Wahrheit wüßten«, warnte MaryBeth. »Wenn das Überraschungselement nicht um Georgies willen notwendig wäre, könnten wir ihn einfach anrufen. Ich wünschte…« »Ich auch«, seufzte Georgie. »Etwas an dieser Erfahrung – ich meine, daß Cromney, Heplar und die Janof an Bord sind – ist so, als hätte man Bandwürmer. Aber Birdflower, Tree und ihre Freunde sind, glaube ich, nette Leute. Bitte seid vorsichtig!« Vielleicht war Georgie wirklich meine bessere Hälfte. Die Landschaft rings um Cheyenne ist erstaunlich – links die Rokkies, düster und rot, rechts erstreckt sich unendlich weit prähistorische, löwenfarbene Prärie, und dazwischen gibt es alle möglichen Vorgebirge, Hügel, Rinnen, Kämme und Ausläufer, die man sich nur denken kann. Felshänge, die aussehen, als wären sie mit Spritzen in die Eingeweide einer Klein'schen Flasche hineinmodelliert. Wir überquerten den Kamm, der den gleichen Namen trägt wie
die Stadt und ergossen uns mit dreihundert pro Stunde ins Becken hinaus. Die Grünbahn hatte sich als konföderierte Version einer durch mehrere Staaten führenden Superautobahn herausgestellt, zwei grasbedeckte Furchen mit rundem Boden liefen nebeneinander, dazwischen war eine Untergrundbahn vergraben, die ich nie bemerkt hätte, wenn man es mir nicht gesagt hätte. Wir umfuhren die Stadt und hielten Ost zu Nord auf den Lodgepole River zu. Es dämmerte allmählich, als wir unsere Luftränder aufbliesen und keuchend in einer Staubwolke am Grenzzaun der Möbelfarm zum Stehen kamen. Ich konnte ein ganzes Feld voll antiker Schusterbänke sich im Winde wiegen sehen. Wir strömten hinaus und sammelten uns am Zaun. Howell warf einen sehnsüchtigen Blick auf einen verwitterten Pfosten, trabte für einen Augenblick die ausgefahrene Hinterlandstraße hinunter, bis er nicht mehr zu sehen war, dann kam er viel fröhlicher zurück. »Würdest du mir freundlicherweise bei meinen Pistolen helfen, Bernie?« »Deinen was?« Ich blickte auf seine Pfoten hinunter und zurück zu seinen gelben Augen, die den spätnachmittäglichen Himmel reflektierten. Irgendein Abendvogel fing an zu zirpen, und Beifußpollen waren in der Luft. So, wie die Sonne mit den Bergspitzen spielte, da reichte keine halluzinogene Droge und kein Feuerwerk jemals heran. »Meine Pistolen. Hier, ich zeige es dir!« Er sprang in Will Sanders' Wagen zurück und kam mit einem Segeltuchsack in den Zähnen wieder. Darin waren zwei Automatiks ohne Abzugsbügel und Abzug, symmetrisch gebaut – eine warf nach links aus, die andere nach rechts – und fest verbunden mit einer hübschen, kleinen Kappe aus Fiberglas mit einer Elektronikhülse und einem herunterhängenden Draht im Nacken.
»Verstehe«, sagte ich zu dem Kojoten. »Was passiert aber, wenn dir die Munition ausgeht?« Er schob seinen Kopf in das Gehänge, das ich für ihn offenhielt. Ein Riemen schlängelte sich unter sein Kinn, und der herunterhängende Draht stöpselte sich in seinen Kragen ein, aber bei den Ohrenschützern brauchte er ein wenig Hilfe – die waren wichtig, weil die Läufe der Waffen gleich unter den Ecken seines Kiefers herausragten. Ich klappte ihm die Schutzbrille über die Augen und bemerkte dabei die Fadenkreuze. »Ich achte darauf, daß sie mir nicht ausgeht. Aber das sind Hochgeschwindigkeitspistolen Kaliber .23 mit fünfzig Runden pro Magazin. Das Ganze funktioniert durch die elektronischen Elemente, die in mein Gehirn eingepflanzt sind.« Erinnerte mich an die Geschichte über eine Gegend, die so rauh war, daß sogar die Hunde Pistolen trugen. Der Plan – wenn man es so nennen kann – war, daß Howell, der kleiner, schneller und tückischer war, vorausgehen und die Schränkchen und Schlafzimmergarnituren durchsuchen sollte, während wir, Win, die Freenies und ich, die Nachhut bildeten. Die Sanders sollten, sobald wir unser Palaver hier beendet hatten, einen Kreis schlagen und von Norden her kommen. Ich konnte das große, graue Wellblechgebäude schon vor uns sehen und wurde allmählich aufgeregt. Ich hockte mich auf den Kotflügel von Wins Neova und machte wirklich sorgfältig ein paar Yoga-Atemübungen, um mich wieder zu beruhigen. Es ist nicht gut, wenn man ganz aufgedreht in einen Kampf geht. Dann beugte ich mich in den Wagen, damit Georgie mich sehen konnte. »Jetzt dauert's nicht mehr lange, Baby. Papa kommt. Soll ich dir irgend etwas mitbringen? Hustenbonbons, Silikonschmiere, integrierte Schaltkreise?« Sie lächelte, aber die Spannung war auf ihrem imaginären Gesicht zu erkennen. »Nur dich selbst, Bernard M – für Macho – Gruenblum, und hol dir bloß keine Verletzung oder sonst etwas.«
»Du hast es begriffen, Kindchen. Ich… was?« Ich duckte mich unvermittelt rückwärts aus dem Wagen, und stieß dabei mit dem Hinterkopf an den Rahmen. »Was gibt's Win?« »Nichts«, antwortete der Detektiv und zog seinen schwarzen, punzierten Waffengurt aus Leder hoch. Die große .41, die er hatte, würde jedem die Hosen runterziehen. Er zog den kleinen, handgemachten, einschüssigen Derringer aus der Tasche, den ich bei ihm zu Hause in seinem Waffenschrank gesehen hatte, drehte den kurzen Lauf ab, um sich zu vergewissern, daß er wirklich schön mit Patronen vollgestopft war, und schraubte ihn dann wieder fest. »Ich dachte nur, Georgie möchte vielleicht sehen, was sich abspielt«, sagte er und griff an mir vorbei zum Armaturenbrett. Er zog das Telekomauge nach oben heraus; es folgte seiner Hand an einem kleinen, haarfeinen Kabel, und er klemmte es an den Chromrahmen oben an der Windschutzscheibe. »Wie ist es so, Georgie?« »Fein, Mr. Bear – aber doch ein klein bißchen unheimlicher, das muß ich zugeben. Ist das das Gebäude, in dem ich bin?« »Es sieht so aus – und sag Win zu mir.« Er schlug mit der kleinen Pistole auf seine Handfläche. »Keine Sorge, wir holen dich da raus!« Ich schüttelte den Kopf. »Mit deiner Hand möchte ich das Ding da nicht abschießen.« Er grinste. »Ehrlich gesagt, ich habe es nur einmal benutzt, und war selbst ein wenig überrascht, daß ich dieses Erlebnis heil überstanden habe. Gehen wir!« Wir vollführten eine kurze, komische Pantomime, als wir durch den dreisträngigen Stacheldrahtzaun krochen, dann waren wir unterwegs, Nahuatl weit voraus, Menschen und Freenies im Gefolge. Habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele Nippesregale und Bücherstützen auf einem Fleck gesehen. Und Toilettenbrillen mit Ziermaserung. Hier gab es offenbar einige Gelegenheit, sich zu bücken.
Bear blieb plötzlich stehen, hielt eine Hand ans Ohr, und sein Blick wurde leer. Er nickte, sah mich an und sagte: »Howell geht gerade über den Farmhof. Er sagt, es sieht ziemlich verlassen aus. Die Scheune ist fest verschlossen, und er kommt nicht rein. Er wartet unter der Veranda des Farmhauses auf uns.« Wir stapften weiter durch die Eßzimmerabteilung, die Küchenschränke in Neo-Biedermeier und ungefähr einundsechzig Morgen Kindermöbel umfaßte, bis wir den Rand des Feldes erreichten. Ich hockte mich hinter zwei Etagenbetten nieder, die noch nicht ganz reif waren, und flüsterte: »Was nun, o Lederstrumpf?« Win lächelte und wollte sich soweit beherrschen, daß er nicht den Deckel einer halb ausgewachsenen Spielzeugtruhe abhob, um zu sehen, was darin war. »Wir warten darauf, daß die Drei Musketiere ihre Positionen einnehmen. Wie schnell können die kleinen Burschen laufen?« Ich nickte Wilbur, Orville und Frank Lloyd zu. »Wie ist es, Jungs, könnt ihr mit Jim Thorpe hier Schritt halten?« »Wann haben wir dich je im Stich gelassen, o Herr?« antwortete Spin – erkennbar an dem halb verheilten Sprung in seinem Rükkenschild – sarkastisch. Je weniger andächtig sie sich gebärdeten, desto besser gefielen sie mir. Vermutlich bin ich selbst einfach eigensinnig. »Oh, wie schnell sie vergessen haben«, seufzte ich. »Okay, ihr seid auf euch selbst gestellt, aber seid vorsichtig.« Win hielt sich wieder die winzige Komkapsel ans Ohr und wartete. »Jetzt!« flüsterte er rauh und machte mit der Hand eine hackende Bewegung. Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie nicht mit Smith & Wesson gefüllt gewesen wäre und mehr oder weniger in meine Richtung gezeigt hätte. Ich zog meinen Colt und schnalzte die Sicherung herunter. Wir rannten tiefgeduckt auf das Farmhaus zu. Ich hatte nach rechts zur Scheune gehen wollen, mich aber überreden lassen, daß
man die großen Waffen anderswo brauchen würde. Fran sollte mit ihrem Plasmabrenner als Einbruchswerkzeug zu Georgie vordringen, während wir alles andere sicherten. Der offene Hof lag hinter uns, und ich befand mich auf der weißgetünchten Veranda, trat die Tür ein und verhedderte mich in den Fliegengittern. Howell überholte mich, stürmte durch die Küche und verschwand. Win war gleich hinter mir. Ich durchquerte die Küche mit einem riesigen Schritt, rammte meine Schulterblätter gegen das Holz neben der nächsten Tür und schob mich, genau wie im Kino, herum; meine Pistole suchte nach einem Ziel. Ein kurzer Korridor mit einem geflochtenen, frühamerikanischen Teppich – auf welcher Farm man die wohl anbaute? Irgendwo weiter vorne war ein Knurren zu hören. Ich konnte spüren, wie Win mir in den Nacken hauchte, trat vorwärts, flitzte durch den Gang und an die Wand, mein Korn versuchte, überall gleichzeitig zu sein. Die Wand entlang, als wäre ich festgeklebt, und hinein ins Wohnzimmer. Sie saßen um den Tisch herum: es mußten Birdflower und Tree sein. Eine weitere Gestalt saß mit dem Rücken zu uns. Ich zielte auf die breite, schwarze, zottige Fläche. »Ganz stillhalten, ihr Schweinehunde! Wo ist meine fliegende Untertasse?« Die Gestalt setzte zierlich ihre Teetasse ab. »Seht ihr, ich habe es doch gleich gesagt, daß sie auftauchen würden, nicht?« Sie drehte sich langsam um. »Na, Bernie, ist das eine Art, einen Besuch zu machen? Und noch dazu direkt zur Essenszeit?« Koko Featherstone-Haugh streckte die Hand aus und kraulte G. Howell Nahuatl zwischen den Schulterblättern. Er scharrte mit dem Hinterfuß auf dem Hartholzboden. »Ich kann deine Gereiztheit verstehen, mein Lieber. Auch einige von meinen besten Freunden sind Menschen.«
18. Kapitel Begleitmusik »Es tut mir leid, Bernie, Georgie ist nicht hier.« Kokos Aussage wurde auf jene, mir immer vertrauter werdende, surrealistische Art von dem funkelnden Bild meiner tollen Blondine auf Birdflowers Wohnzimmerschirm widerlegt. Das Gorillamädchen spießte sich noch einen Hotdog auf, klatschte ihn in eine Semmel und spritzte Senf über die ganze Wurst. »Wenn du eine halbe Stunde später gekommen wärst – ich wollte anrufen, bekam aber nur Georgie hier, anscheinend, nachdem ihr die Wagen am Zaun zurückgelassen hattet.« Cromney hatte Georgie sofort wegtransportieren lassen, nachdem Edna und Denny zu Wins Wohnung gefahren waren. Selbst wenn Kent, dieser EigenbauVerlierer, wach gewesen wäre, hätte er uns nichts Nützliches erzählen können. Win schüttelte den Kopf. »Seit sechs Jahren werde ich aufgezogen, weil ich den einzigen Taschenmelder in der ganzen Konföderation habe. Bei Gott, von jetzt an lasse ich ihn nicht mehr aus den Fingern!« Ich lehnte einen Hotdog von acht Zentimetern Länge ab. Tree bekam einen gekränkten Blick, wahrscheinlich hätte sie den gleichen Ausdruck gezeigt, wenn ich den vierzehnten abgelehnt hätte. »Nun, wir stehen wohl wieder am Anfang«, sagte ich zu Georgie. »Du bist irgendwo eingesperrt, und wir haben genausowenig Ahnung…« »Nicht ganz, Captain Gruenblum«, meldete sich Birdflower. »Wenigstens wissen Sie und ich jetzt endlich, was vorgeht. – Es wurde verwirrend, nachdem Cromney Norrit Gregamer antelekommiert hatte.«
Für mich erwies sich Griswold's genauso als Sackgasse (sagte Koko), wie für deinen Freund, Mr. Bear. Übrigens freue ich mich, Sie kennenzulernen. Onkel Olongo redet die ganze Zeit von Ihnen. Na gut, dann eben ›Win‹. Ich sah die ›Berichterstattung‹ über deine Verhaftung, als ich nach Laporte zurückkam, dachte mir aber, a) daß du keinen weiteren, hilfsbereiten Freund bräuchtest, der dir zwischen den Füßen herumlief, und b) daß du trotzdem Hilfe nötig hättest. Außerdem war das eine phantastische Entschuldigung, um den Unterricht zu schwänzen. Ich versuchte es mit allem bei Griswold's: Onkel Olongos Namen und Einfluß, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß er ein größeres Aktienpaket besitzt – inzwischen scheint er von allem und jedem Aktien zu besitzen! Nachdem ihnen Denny Kent entschlüpft war, waren sie nur zu bereit zur Zusammenarbeit, aber sie konnten mir auch nicht sagen, was sie selbst nicht wußten. Ich erwischte sogar ein paar von ihren Leuten, die gerade beim Schichtwechsel waren, als er ins Büro kam und hoffte, sie könnten sich an seinen Wagen erinnern und ihn beschreiben. Ja, danke, Georgie. Darauf war ich selbst irgendwie stolz. Das übrige war jedenfalls leider nicht allzu geistreich. Da ich mich daran erinnerte, daß Bernie in Zusammenhang mit dem Notfluchtantrieb von zwei- bis dreihundert Kilometern gesprochen hatte, zog ich auf einem Kartendisplay einen Kreis. Dann gab ich, eingedenk der hamiltonistischen Neigung zu Hinterhältigkeit und Gewalttätigkeit meinem Kom die Anweisung, nach seltsamen, ungewöhnlichen oder kriminellen Vorfällen in diesem Radius zu suchen. Ich wußte nicht genau, wonach ich eigentlich suchte – Mann, ich war nicht einmal sicher, als ich es gefunden hatte –, aber es war das einzige, was, so weit ich sehen konnte, überhaupt aus dem Rahmen fiel. Was es war? Nichts Besonderes, nur eine kleine Notiz in den Re-
gionalnachrichten, daß endlich jemand einen riesigen, dreißig Meter langen Flachpritschen-Luftkissenlaster gemietet hatte, der seit Jahren Rost ansetzte. Nachrichtenfähig wurde dieses Ereignis dadurch, daß das Ding vor so langer Zeit gebaut worden war und niemand je viel praktische Verwendung dafür gehabt hatte. Für die Grünbahn war es zu groß, und außerdem sind lenkbare Frachtluftschiffe viel leistungsfähiger. Es hatte in den letzten paar Jahren mehrmals den Besitzer gewechselt. Ja, natürlich fiel mir sofort auf, daß es genau die richtige Größe hatte, um eine inaktive, fliegende Untertasse damit zu befördern. Aber so interessant die Geschichte auch war, sie reichte nicht aus, um übers Netz zu gehen. Wenn ich nicht alles abonniert hätte, was innerhalb dieses Kreises auf der Karte zu bekommen war, hätte ich sie übersehen. Ich verbrauchte mein ganzes Taschengeld für den nächsten Monat, aber ich dachte mir, für den Finder einer verlorenen Zeitmaschine müßte es eigentlich eine ziemlich gute Belohnung geben. Das ist doch nicht zu profitgierig, oder? Je mehr ich nachbohrte, desto seltsamer wurde die Sache. Es stellte sich heraus, daß der Laster ausgerechnet von einem Collegeprofessor für alternative Moralphilosophie in Cheyenne gemietet worden war. Mehrere Stunden danach meldete er ihn als gestohlen. Die Besitzer des Lasters waren natürlich begeistert – endlich bekamen sie ihre Investition von der Versicherung zurück! Der Professor hatte zwei Ziele angegeben und fuhr selbst. Der endgültige Standort war, nach dem von ihm unterschriebenen Mietvertrag, die Nebenstelle der Universität von Chicago im Zentrum von Cheyenne. So weit kam er nie. Er war an einem Fernfahrertreff an einer Nebenstraße, die breit genug war, um das Ding aufzunehmen, und trank eine Tasse Chocolatl, als eine oder mehrere unbekannte Personen sich mit dem Fahrzeug davonmachten, das angeblich mit gezüchteten Hartholzschülerpulten voll beladen war. Der erste Halt, den er angegeben hatte, war offensichtlich diese Farm hier.
Win lehnte sich in seinem Stuhl zurück und grinste von einem Ohr zum anderen. »Das war wirklich gute Detektivarbeit, Koko! Besuch mich mal, wenn du mit der Schule fertig bist – oder wenn du vorher einen Teilzeitjob suchst. Ich könnte für diese Art von Laufereien einen Lehrling brauchen.« »Aber er hat bestimmt keine Möbel mitgenommen, dieser Gregamer!« protestierte Birdflower heftig. »Sie haben Bernies Maschine auf den großen Laster geladen – er hatte einen Kran dafür – und nochmal eine ganze Menge von meinen Schaukelstühlen dabei zerquetscht. Diesen Ramsch hat er mir als Entschädigung gegeben.« Der Gorilloide warf verächtlich ein halbes Dutzend münzenähnlicher Scheiben auf den Tisch. Auf der einen Seite war eine leere Fläche mit einer Zahl in der Mitte – 1789 – zu sehen; auf der Rückseite ein Symbol, das ich schon einmal gesehen hatte, aber bei weitem nicht oft genug, es stand auf der Rückseite der NummerEins-Bestseller des nordamerikanischen Kontinents, auf dem ich aufgewachsen bin. Mensch, es war genau dasselbe Zeichen, das die Akademie verwendet. Das Auge in der Pyramide. Win schien darüber bestürzt. Ich nahm mir vor, ihn danach zu fragen. Die Goldauflage war an den erhöhten Stellen schon abgeschabt und ließ bräunliche Bronze durchscheinen. Wenn man schon wegen eines faulen Schecks über das ganze Kom-Netz gezerrt wurde, hätte ich gerne gewußt, was dann mit Leuten passierte, die falsche Münzen ausgaben. Birdflower schüttelte traurig den Kopf. »Gregamer sagte, sie würden eines Tages erstattet. Ich hoffe wirklich…« »Hoffen Sie nicht zu sehr«, unterbrach ihn Win. »Das war kein wirtschaftliches Versprechen, sondern ein politisches. Stellen Sie sich vor, was Georgie alles könnte, wenn man sie als Waffe einsetzte. Cromney bekäme vielleicht doch noch eine Gesellschaft, über die er herrschen könnte!«
Und das verlieh dem Augenblick eine gewisse, düstere Färbung. »Ich würde nicht mitmachen!« beharrte die blonde Vision auf dem Bildschirm; dann, gedämpfter: »Wenigstens würde ich es versuchen…« »Nun gut,«, sagte ich mit mehr Entschiedenheit, als ich verspürte. »Sie müssen immer noch die Felddichtekomponente kriegen, und die ist fest unter Verschluß. Wenn das nicht klappt, müssen sie eine neue bauen, und dafür gebe ich Heplar genauso viele Chancen, als wenn er Shakespearedramen aus zehn Millionen Schreibmaschinen herausleiern wollte, die von zehn Millionen… äh… hm… ihr versteht jedenfalls, was ich meine.« Win hatte sein Grinsen wiedergefunden. »Es ist ziemlich klar, was passiert ist. Georgie ist in irgendeinem Lagerhaus in der Nähe abgestellt und hockt wahrscheinlich immer noch auf dieser Ladefläche. Wenn wir Gregamer aufstöbern, wird uns das nicht viel nützen; er wird einfach leugnen…« »Es wird jedenfalls nicht nötig sein!« sagte eine Stimme hinter mir. »Hier klopft keiner mehr an!« beklagte sich Birdflower. »Keiner klopft!« »O je!« sagte die Stimme sarkastisch bekümmert. Ihr Besitzer pochte leicht an den Rahmen der Küchentür und kam in die Diele. Norrit Gregamer war vielleicht einssiebzig groß und sah fast so primatenhaft aus wie Birdflower. Aber er war kein Primat. Er war ein kleines, untersetztes Individuum mit bräunlicher Hautfarbe, fast eher reptilienhaft als menschen- oder affenähnlich, mit schwarzen Augen, die tief in dunklen Höhlen lagen. Er trug auf beiden Seiten seines breiten Gesichts Koteletten bis zum Kieferknochen und oben auf seinem strubbeligen Kopf – Bart und Haare waren ebenfalls dunkel – saß eine dieser Mützen, wie man sie auf Fotos von Arbeitern aus dem neunzehnten Jahrhundert sieht. Er blickte zum Telekom, griff hinter sich nach einem Stuhl mit hoher Lehne, schwang ihn nach vorne, setzte sich verkehrtherum
drauf und legte seine haarigen Unterarme auf die Rückenlehne. Seine Stimme war praktisch nicht mehr als ein rauhes Flüstern. »Wie schön, euch alle wiederzusehen. Birdflower, Tree, ich hoffe, es geht Ihnen gut. Professor Cromney läßt grüßen. Nun wollen wir mal sehen: Sie müssen Captain Gruenblum sein, nicht wahr? Und das hier… das sind wohl Color, Charm und Spin, von denen habe ich schon am Telekom gehört. Edward William Bear, ich glaube, Sie werden es noch bereuen, daß Sie sich in diese Sache haben hineinziehen lassen, Sir. Wir Hamiltonisten sind Ihnen noch wegen der Madisonsache eine gewisse Revanche schuldig. Captain Sanders, meine Damen und – wenn ich mich nicht irre – Koko Featherstone-Haugh.« »Vielen Dank für den Namensappell, Gregamer«, sagte ich. »Vermutlich haben Sie damit im Klassenzimmer 'ne Menge Übung.« »Nein, nein, das wohl nicht. Ich fürchte, dieser umnachteten Gesellschaft, in der wir leben, fehlt völlig jeder elementarste Grundbegriff von Disziplin. Natürlich habe ich die Hoffnung, daß sich das in nicht allzuferner Zukunft ändern wird.« Win nahm endlich die Hand von seinem Pistolengriff und fragte: »Und was lockt Sie an diesem schönen Abend unter Ihrem Felsen hervor, Professor?« Gregamer schluckte eine Erwiderung hinunter, errötete aber leicht unter seiner Bräune. »Also dann zur Sache: Wir wollen das Gerät, das Sie Cromney weggenommen haben, Gruenblum. Wir wollen es jetzt.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich finde, es war mein gutes Recht, es an mich zu nehmen – weil es mir nämlich schon immer gehörte.« »Wohl kaum. Es gehörte Ihrer Akademie. Nun wurde es für einen wichtigeren Zweck enteignet, und Sie haben moralisch nicht das Recht, sich zu widersetzen. Das Gerät gehört uns, Sir, und Sie werden es mir unverzüglich ausliefern.« Ich lachte. »Und was werden Sie tun, wenn ich das nicht will?«
Der Hamiltonist blinzelte langsam und erinnerte mich sehr stark an eine gehörnte Kröte. »Eigentum ist Diebstahl, Captain. Indem Sie es zurückhalten, begehen Sie einen Akt der Gewalttätigkeit, tun Sie den ersten Schritt zum Angriff – und genau dagegen ist diese heuchlerische Kultur doch angeblich eingestellt.« Von der anderen Seite des Zimmers war ein kleines, weibliches Schnauben zu hören. Mary-Beth sagte: »Es ist interessant zu hören, wie ein Hamiltonist die gallatinistische Philosophie verdreht. Könnten Sie mir vielleicht genau sagen, welchen Akt der Gewalttätigkeit Captain Gruenblum im Augenblick gerade begeht – genau jetzt – und gegen wen er gerichtet ist?« Gregamer drehte langsam den Kopf, bis er Mary-Beth fest ins Auge gefaßt hatte. Dem Ausdruck auf Sanders' Gesicht nach zu schließen, war er besser vorsichtig mit dem, was er sagte. »Genau, was ich von einem bezahlten Sprachrohr der etablierten, privilegierten Klasse erwarten würde. So etwas wie Eigentum gibt es nicht. Alles für alle, das ist in dieser Welt die richtige Ordnung, und indem Sie Ihrem Nächsten etwas versagen, begehen Sie einen Akt moralischer Gewalttätigkeit. Aber genug davon. Gruenblum…« – er wandte sich wieder mir zu – »Sie haben anscheinend eine ziemlich starke Zuneigung zu Ihrem Schiff. Wenn Sie mir dieses Gerät nicht sofort aushändigen, werde ich dafür sorgen, daß es, noch ehe diese Nacht um ist, in mikroskopisch kleine Bruchstücke gesprengt wird.« »Und werden dabei Ihrem Nächsten – nämlich mir – versagen, es zu benützen. Wie unmoralisch! Ich sage Ihnen etwas, Gregamer…« – innerlich schluckte ich dabei –, »wenn Sie Cromney und die anderen davon überzeugen können, haben Sie meinen Segen, sie hochzujagen.« Er höhnte: »Cromney wird tun, was man ihm sagt, und der Rest seines Haufens ebenfalls. Das Gerät, Gruenblum, sofort!« Er streckte eine Hand über seine Stuhllehne hinaus, die Handfläche nach oben gedreht. »Tut mir leid, Kumpel, das ist sicher unter Verschluß!«
»Trotzdem«, sagte Win, »kein Unglück ist so groß… da!« Der Detektiv hatte seinerseits die Hand ausgestreckt und mit einer schnellen Bewegung seine Handschellen um Gregamers Handgelenk gelegt. Das zweite Eisen schloß er an den Stuhl, auf dem der Hamiltonist saß. »Sie sind verhaftet, Norrit Gregamer, wegen…« Plötzlich blickte er mich an und erkannte, daß er nicht sagen konnte, wegen Entführung, nicht, solange Georgie immer noch in Cromneys Gewalt war und Heplar sie auf Knopfdruck hinrichten konnte. »Wie wäre es mit vorsätzlicher Zerstörung von Feldfrüchten – und Geldfälscherei?« meldete sich Birdflower. »Na, wie wäre es damit, Gregamer?« fragte Win. »Ich wußte, daß ich einen Grund hatte, warum ich meine alten Handschellen nie wegwerfen wollte – wahrscheinlich sind es die einzigen in ganz Groß-Laporte!« »Ja!« fauchte der Hamiltonist. »Und morgen gehören sie mir, zusammen mit allem anderen, was Sie sonst so besitzen. Lassen Sie mich gehen! Das ist widerrechtliche Freiheitsberaubung!« Ich lachte, während er an den Handschellen zerrte. »Wie stellen Sie sich das vor, Gregamer? Sehen Sie sich doch diese gezinkten Münzen hier an – wollen Sie abstreiten, daß Sie sie Birdflower als Entschädigung für seinen zertrümmerten Stuhlgarten gegeben haben?« Gregamer beruhigte sich, ein bösartiger, höhnischer Ausdruck stieg langsam in seine Fresse. »Aber nein. Das sind doch nur Andenken, und das habe ich auch gesagt und versprochen, ich würde sie eines Tages einlösen, wenn ich das könnte. Damals schienen kaum Einwände zu bestehen.« »Da dachte ich auch noch, sie seien aus Gold«, gab Birdflower zurück. »Bin ich für Ihre Leichtgläubigkeit verantwortlich? Habe ich je gesagt, sie seien aus Gold, Sie elendes Geschöpf? Aber – sehen Sie hier in meine Weste. Ich bin wirklich gekommen, um sie einzulö-
sen, und der Beweis dafür ist in meiner Tasche.« Win durchsuchte sorgfältig die Kleidung des Hamiltonisten und drückte Erstaunen aus über die Pistole des Professors, ein komisches, langläufiges Ding, das anscheinend nur mit komprimierter Luft betrieben wurde, aber im Gegensatz zu einem Kinderluftgewehr war es großkalibrig. Irgendwo in meinem Kopf klingelte es, aber es war niemand zu Hause, um die Tür aufzumachen. Bei der Durchsuchung wurden auch mehrere matte, silbrig schimmernde Münzen zutagegefördert. »Nehmen Sie sie!« fauchte Gregamer. »Sie sind aus Platin. Ich garantiere es. Mehr als genug, um für allen vorgeblichen Schaden zu bezahlen. Und jetzt lassen Sie mich frei – ich verlange es!« Win sah Mary-Beth an. »Gibt es denn gar nichts, wofür wir ihn festhalten können?« »Was ist mit meiner… fliegenden Untertasse?« »Was für eine fliegende Untertasse?« fragte Gregamer gehässig, noch ehe die Ethikerin antworten konnte. »Erstens kann keine neutrale Partei bezeugen, daß ich jemals davon gesehen oder gehört habe. Wo ist sie? Wo ist der Beweis, daß Ihre Rechtschaffenheit genauso groß ist wie meine, die ich gerade bewiesen habe? Zweitens, wer sagt, daß dieses hypothetische Fahrzeug Ihnen gehört? Ich kenne mindestens vier weitere Leute, Einwanderer wie Sie, die einen ebenso begründeten Anspruch auf die Maschine haben wie Sie. Und schließlich wird es bis morgen um diese Zeit keine fliegende Untertasse mehr geben, um die man sich zanken kann.« Widerwillig drehte Win den winzigen, seltsam geformten Schlüssel in den Handschellen. Gregamer rieb sich zornig die Handgelenke. »Für diese Erniedrigung werden Sie alle bezahlen!« zischte er. »Und im Augenblick haben wir anscheinend ein Patt. Sie können mich gesetzlich nicht belangen, und ich bekomme das Teil nicht, das ich haben will. Ich schlage vor, Sie überlegen sich, was man da machen kann.«
»Hoch lebe Ihre Ästhetik, Herr Philosoph«, rief ich. Ich sah meine Freunde an. »Okay, verhaften können wir ihn nicht, das ist ausgeschlossen. Was passiert, wenn wir ihn einfach erschießen?« Gemischte Gefühle bei diesen Worten, von blutrünstigem Enthusiasmus bei Fran Sanders bis zu widerwilliger Ablehnung bei Mary-Beth. Man kam überein, daß es unmoralisch sei. »Das ist es, was ich an dieser Zivilisation so liebe«, sagte Gregamer beinahe höflich. »Sie bindet sich selbst an Glaubenssätze und Kodes, ohne sie denen aufzudrängen, die sie nicht akzeptieren. Andererseits bin ich in dieser Weise nicht gebunden.« »Wir werden das als Warnung betrachten, Professor«, sagte Birdflower ruhig. »Verlassen Sie jetzt mein Haus, und wenn Sie jemals zurückkommen, schieße ich sie nieder wie einen Alligator, was sie ja auch sind. Und das können Sie wiederum als Warnung auffassen.« Die Schwierigkeit mit dem wirklichen Leben ist, daß es keine Begleitmusik gibt. Ich meine, dann könnte sich nie jemand von hinten heranschleichen – man würde die Anschleichmusik hören, nicht? Und man wüßte immer gleich, wann man seiner einzigen, wahren Liebe begegnet – verdammt, dieses Thema können Sie wahrscheinlich pfeifen. Im Augenblick wäre eine passende Instrumentierung als Begleitung der Buhrufe und Zischlaute schön gewesen, die wir alle in Gedanken auf Gregamer richteten, als er seinen Abgang inszenierte. »Ich gebe Ihnen allen vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Danach sitzt Gruenblum endgültig hier fest, und sein Schiff ist weißglühender Staub.« Die Fliegengittertür auf der Veranda krachte zu, und er verschwand. »Komisch«, fiel mir auf einmal ein, »das durfte eigentlich nicht möglich sein.« »Was?« fragte Fran und sah dabei hinaus, um sich zu vergewissern, daß Gregamer wirklich fort war.
»Nun, ich hatte gerade daran gedacht, daß es im wirklichen Leben Begleitmusik geben müßte, und… – ach, laß mal, es ist zu kompliziert. Ich möchte nur wissen, wie er sich durch die Hintertür hereinschleichen konnte, ohne daß wenigstens Howell ihn hörte oder roch? Wo ist der kleine Wicht denn überhaupt?« Frans Augen wurden groß, sie flog praktisch zur Eingangstür hinaus. Ich stand auf, um ihr zu folgen und rempelte alle anderen im Zimmer an bis auf die Freenies, weil die einfach keine Schultern haben, aber bis wir die protokollarische Reihenfolge geklärt hatten und hinter der kleinen Blonden herwollten, da war sie schon wieder zurück. Und trug etwas in den Armen, was aussah wie eine Pelzstola. Sie legte es sanft auf das altmodische Sofa mit dem Volant, und dort entrollte es sich zu einem Kojoten, wie immer in Ruhestellung kleiner und leichter, als wenn er auf den Beinen war. Die Pistolen auf seinem kleinen Kampfhelm hatte man ihm grob weggerissen, Drähte hingen herab, Gewebe war zerrissen, und er hatte eine Menge oberflächlicher Schnitte und Abschürfungen. Und seitlich aus dem Hals ragte ein großer, dicker, gelber Plastikpfeil heraus, vom gleichen Durchmesser wie Gregamers Pistolenmündung.
19. Kapitel Warten auf den Tierarzt (oder so jemanden)
Bei Narkosepfeilen ist es eine Schwierigkeit, Dosis und Entfernung zu kontrollieren – und beides ist kritisch. Ich glaube, ich selbst habe die Dinger bei jeder Gattung von Dinosauriern bis Mistkäfern ausprobiert, und gewöhnlich verliere ich ungefähr die Hälfte der Biester, weil sie zu dicht dran waren und der Pfeil sich genau wie eine riesige Kugel von Spargröße benahm und direkt durchging, oder weil ich die Aufnahmefähigkeit für den Schlafsaft falsch eingeschätzt und sie ihren letzten, ewigen Schlummer angetreten hatten. Oder davongekommen waren. Howell war nicht davongekommen. Ich weiß nicht, warum Gregamer sich diese besondere Pistole ausgesucht hatte. Er hatte nicht wissen können, daß er es mit einem vierbeinigen Detektiv zu tun bekommen würde, und eine richtige Kugel oder ein Laserstrahl wären ihm für seine Zwecke jedenfalls genauso dienlich gewesen. Finden Sie mal raus, welche Motive ein Hamiltonist hat! Mann, im Mittelalter gab es kämpfende Priester, die kein Schwert trugen, weil sie nicht das Blut eines anderen Christen vergießen wollten – also trugen sie statt dessen eine Keule und knackten damit die Köpfe ihrer Mitmenschen. Ich vermute, daß Gregamer von Natur aus ein Schleicher war und das Luftgewehr wegen seiner Lautlosigkeit wählte. Lautlosheit? Lautlosität? Nun, das gehört, wie man so sagt, nicht hierher. Fran und MaryBeth knieten vor der Couch, während Tree in die Küche gelaufen war und dabei aussah, als wüßte sie, was sie tat. Ich hatte Howell den Pfeil aus dem Hals gezogen – es hatte kaum geblutet – und
Win hatte seine beiden großen Hände um die Schnauze des Wildhündchens geklammert, die Bakken aufgeblasen und versucht, ihm in die Nasenlöcher zu atmen. »Sein Herz schlägt noch«, sagte Mary-Beth, ein Ohr an die Brust des Kojoten gelegt, während ihr die Tränen in die Augen stiegen, »aber ich habe nicht die leiseste Ahnung…« »Ich schon!« sagte ihre Schwester grimmig. »Laßt die Tucker warmlaufen – noch besser, nehmt Wins Neova! Der ist schneller.« Der Detektiv blickte auf und nickte. »Fahrt sofort nach Cheyenne!« fuhr die Blondine fort. »Wir folgen euch im großen Wagen, kommieren einen Tierarzt an und weisen euch ein! Los! Ich glaube, es ist keine Zeit zu verlieren. Sein Puls wird schwächer.« Win warf Mary-Beth seine Schlüssel zu. »Nur du und Howell«, sagte er. »Ihr könnt dreihundertfünfzig oder vierhundert fahren, wenn sonst keiner drinsitzt. Ich trage ihn raus.« Sie waren schon aus der Tür und verschwunden, ehe ich die Veranda erreichte. Ich stand da, und Neova-Staub setzte sich auf meine Schultern. Will, Win, Fran und ein Sortiment von Freenies zwängten sich in die große, blaue Tucker. Koko war in ihrem leuchtendrosa Einsitzer davongebraust, einem Ruger Sturmatic, wie ihn jemand genannt hatte, gleich hinter Will Sanders' älterer Gattin her. »Ich hasse es, wenn ich beim Essen laufen muß«, sagte ich in Erinnerung an einen Witz über ein Schnellimbißlokal zu Birdflower, »aber wir lassen euch wissen, wie die Sache ausgeht. Tut mir leid wegen eurer Ernte, aber ich bin wirklich froh, daß ihr auf unserer Seite seid.« Der große Gorilloide nickte. »Aber was soll ich damit anfangen?« fragte Tree und hielt uns einen Topf hin. »Was ist das?« erkundigte sich ihr Gatte. Ich war ebenfalls neugierig.
»Ich habe Wasser gekocht. Es heißt doch immer, in einem Notfall…« »Nun«, sagte Birdflower, »ich glaube, wir trinken jetzt erst mal Tee. Passen Sie auf sich auf, Bernie, und alles Gute für Howell!« Die Hupe der Tucker jaulte, und ihre Ventilatoren rührten einen kleinen Tornado auf. »Euch beiden auch!« Ich winkte und kniff vor dem Staub die Augen zu, dann stürzte ich zum Wagen und stieß mich schmerzhaft am Rahmen, als er anfuhr, ehe ich auch nur zur Hälfte durch die Tür war. Die Felder rings um uns rasten vorbei wie ein Wischer. Win drückte Kom-Knöpfe, während Will das Steuerrad bediente. Hinten hatte Fran einen zweiten Schaltkreis in Betrieb, über den sie Georgie mitteilte, was vorging. Nachdem Gregamer uns unvermutet überfallen hatte und Howell angeschossen worden war, waren die Schurken wieder im Vorteil. Ich schämte mich, mit meinem liebsten Mädel darüber zu sprechen. Statt dessen überlegte ich so angestrengt und wild, wie ich nur konnte, bis wir in der Stadt waren. Es war fürchterlich unangenehm. ›Stadt‹ war nicht ganz das richtige Wort, es sei denn, man sieht eine riesige Kollektion von Saloons, und nennen wir es einmal zartfühlend ›Partnerunternehmen‹, als Stadt an. Dieser Ort war vor hundertfünfzig Jahren ein größerer Kreuzungspunkt für die Dampfkutschenlinien gewesen, Fahrzeuge, die auf ihre eigene, spezielle Art für den Westen der Konföderation das gleiche geleistet hatten wie bei uns die Eisenbahnen. Nur mit kürzeren Passagierlisten. Die Leute hier in der Gegend bezeichneten den Ort immer noch mit einem älteren Namen ›Hölle auf Rädern‹. Man hatte den modernen Queckengrasbelag zugunsten des ursprünglichen Straßenpflasters aufgegeben und das Geschäftsviertel hatte durchgängig
Scheinfassaden aus dem neunzehnten Jahrhundert und Brettergehsteige, als Anreiz für die Touristen. Win hatte einen Tierarzt aufgetrieben, der seinerseits einen Elektronikberater ausfindig machte. Wir hatten uns alle gleich zu Anfang gedacht, daß die Rettung von Howells Leben genauso eine Angelegenheit der Kybernetik wie der Medizin sein könnte. Der Luftkissenbuggy des Elektronikers, der nach außen hin wie der Transporter eines Fernsehmechanikers aussah, parkte draußen vor dem Büro des Tierarztes, an einer Stelle, wo normalerweise richtige, lebendige Pferde standen. Ich ging auf dem Brettersteig auf und ab, rauchte eine Zigarre nach der anderen und knirschte mit den Zähnen. Wahrscheinlich wirkte ich wie ein werdender Vater, und in Anbetracht dessen, wo ich mich befand und so, zog ich viele erstaunte Blicke der Vorübergehenden auf mich. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber er würde nie mit der Beleuchtung wetteifern können, die ein über uns angebrachter, kommerzieller Satellitenreflektor lieferte. Man konnte meinen, es sei drei Uhr nachmittags, obwohl es fast Mitternacht war. Spin marschierte in entgegengesetzter Richtung auf und ab, während Win auf einer Holzbank saß und Zigarre für Zigarre mit mir Schritt hielt. Alle anderen drängten sich im Büro; für uns drei war kein Viertelquadratmeter mehr frei gewesen. Ich wandte mich dem Detektiv zu. »Es ist ganz einfach furchtbar. Wir sind Georgie keinen Millimeter nähergekommen, wir werden der Reihe nach niedergemetzelt« – ich betastete mein verletztes Ohrläppchen und zeigte auf seinen geprellten Brustkorb und auf den Sprung in Spins Panzer – »mit erstaunlichem Tempo. Was, zum Teufel, sollen wir tun?« Er schüttelte den Kopf und spuckte ein Stück Tabakblatt aus. »Warten. Gregamer hat einen ausländischen Luftkissenwagen gefahren, dem Aussehen nach einen deutschen, wahrscheinlich einen Volkswirbel. Von denen kann es in dieser Gegend nicht allzuviele geben. Griswold's ist unseren Hamiltonistischen Freunde noch
einiges schuldig, und sie haben Mittel und Personal, über die wir nicht verfügen können. Und deshalb habe ich sie damit beauftragt – ich habe vom Wagen aus noch ein oder zwei weitere Anrufe gemacht, nachdem ich den Tierarzt gefunden hatte – sie haben auch Gregamers Haus umstellt und das Büro in der Nebenstelle.« »Großartig. Und in der Zwischenzeit sitzen wir ›Männer der Tat‹ einfach herum und… – ach ja, ich wollte dir das schon immer sagen, Win, und allen anderen auch, Cromney und seine Bande gehören eigentlich gar nicht zu unseren Hamiltonisten. Überhaupt keine Verbindung. Sie sind nur ein Haufen von namenlosen, miesen kleinen Linken, die…« Er grinste in dem seltsamen, ewig nachmittäglichen Licht zu mir auf. »Es wäre auch egal, wenn sie nur ein Haufen namenloser; mieser kleiner Rechter wären, Bernie. Hamiltonismus ist mehr als die gar nicht so geheime Gesellschaft, die diese gruseligen, billigen Medaillons herstellt. Damit bezeichnet man allgemein jede Philosophie, die auf dem Standpunkt steht, einige Individuen hätten das Recht, Macht über andere auszuüben und ihnen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen hätten. Laß dir eines gesagt sein, mein Freund: Wo auch immer irgendein Hundesohn Befehle erteilt und ein anderer sie entgegenzunehmen hat, mögen diese Befehle nun das Ergebnis der Magengeschwüralpträume eines Führers oder einer ›Entscheidung des Volkes‹ sein, da schwebt der Geist von Alexander Hamilton.« Die Bürotür öffnete sich einen Spalt breit. Einer der anderen Freenies – schwer zu erkennen in diesem Licht – zwängte sich heraus, winkte mit seinem Augenstengel ›Keine-Nachricht-ist-einegute-Nachricht‹ in unsere Richtung und ließ dann Spin durch, damit er eine Zeitlang seinen Platz einnehmen konnte. Er ging nicht mit mir auf und ab, sondern hockte sich neben Win auf die Bank und suckelte genüßlich an einem Teebeutel. Ich mußte darüber nachdenken, was Win gesagt hatte. Es erinnerte mich an meine Zeit in der Akademie, als ich ein Zweipfennigrekrut gewesen war, noch nicht trocken hinter den Ohren.
Es kam mir vor, als sei es erst gestern gewesen. Damals hatte es eine Professorin gegeben, zu der ich Zuneigung gefaßt hatte, vielleicht wegen der zufälligen Ähnlichkeit in unseren Namen. Bernardine LaPacce war eine dickliche, ungefähr sechzigjährige, weißhaarige Dame, die wie jedermanns Großmutter aussah. Ich sah ihr Klassenzimmer jetzt vor mir, als wäre ich noch dort, und ich sagte mir, daß es auch bei Mondschwerkraft nicht einfacher gewesen war, drei Stunden lang ununterbrochen auf einem Schreibtischstuhl aus Plastik zu sitzen. »Sie sind mit der Ansicht vertraut«, sagte sie eines Morgens, »daß die Sowjetunion für das Überleben der Regierung der Vereinigten Staaten unbedingt notwendig war, daß ohne die ständige Bedrohung, die der Kommunismus darstellte, die Bundesausgaben, besonders für die Verteidigung, weitaus kleiner und die Steuern bedeutend niedriger gewesen wären. Heute morgen werden wir dieses Phänomen genauer untersuchen. Der Sozialismus diente der herrschenden Klasse des zwanzigsten Jahrhunderts in zweifacher Hinsicht: Als ein von Grund auf nicht funktionsfähiges Wirtschaftssystem stellte er sicher, daß die Arbeiterklasse verarmt und lenkbar blieb. Belastet mit einer Regierungsphilosphie, die im Widerspruch zur historischen, wirtschaftlichen, soziologischen und politischen Realität stand, konnte er nur eine psychologische Drohung darstellen. Genau dazu wurde er erfunden: Es ist bekannt, daß die Wall Street die bolschewistische Revolution finanzierte. Merkantile faschistische Interessen stützten die russische Regierung noch Jahrzehnte danach, lieferten ihr sogar ganze Fabriken.« Die Professorin wippte auf ihren Absätzen auf und ab und schwenkte den Zeigestock. Bei einem Sechstel g sah das so aus, als wolle sie gleich hochfliegen und ihre Vorlesung von der Decke herunter beenden. Dem Himmel – oder Dupont, wenn man schon von merkantilen faschistischen Interessen spricht – sei Dank für Velcro. »Aber noch wichtiger war, der Sozialismus diente zu Hause als
Sicherheitsventil. Diejenigen, die intelligent genug waren, um die häßliche Wahrheit zu erkennen – daß Amerika nämlich keineswegs ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, sondern eine Abart von Mussolinis Staatsform war –, diesen Individuen bot man nur den Sozialismus mit seinem ganzen untüchtigen, rädchendrehenden, byzantinischen Parteiengeist als Alternative an. So wurde jegliche Bedrohung, die von intelligenten, jungen Abweichlern ausging, verwässert, bis sie harmlos war. Meine liebevollsten Gefühle den Linken gegenüber sind Mitleid und Verachtung. Sie waren Gimpel, fielen herein auf die von der Regierung gebilligte Alternativphilosophie und wurden benützt, um genau den Interessen zu dienen, gegen die sie Widerstand zu leisten glaubten!« Am nächsten Morgen kam die Meldung, daß ein unterirdisches Labyrinth des Mondstadtkomplexes durch eine Explosion in einer Methadon-Pipeline drucklos geworden war. Professor Bernardine LaPacce war eines von sechzigtausend Opfern. Hinterher fragte ich mich immer wieder, wessen Interessen das wohl gedient hatte. »Sie hätten sich gar nicht soviel Mühe zu geben brauchen«, sagte Win, als ich ihm die Geschichte erzählt hatte. Er sah zu, wie – ich glaube, es war Color – auf höchst unfreeniehafte Weise herumzappelte und schließlich dem Drang zum Auf- und Abgehen nachgab. »Niemand von den Linken hätte ihr je geglaubt. Die haben sich emotionell schon immer zu stark engagiert, und das System bietet so viele Möglichkeiten zum Haß – auf die Kapitalisten, auf die Mittelklasse, sogar auf andere Linke. Es selektiert in Richtung einer besonderen Art von Dummheit, die gegen jede Vernunft, die Logik, ja sogar gegen historische Tatsachen immun ist.« »Bei der Rechten ist es ziemlich genauso«, überlegte ich und hätte gerne gewußt, ob es Howells Verletzungen waren oder etwas anderes, was dem kleinen Außerirdischen so naheging. Die Tür schwang auf, und er fuhr praktisch hoch. Spin kam heraus, und er ging wieder hinein.
»Nun, ich will mal nachsehen, was sich da drin so tut. Kommst du mit?« Ich schüttelte den Kopf und sah ihm zu, wie er seine Zigarre ausdrückte. Einen Augenblick später saß Koko an Wins Stelle auf der Bank. »Glaubst du, er meint es ernst?« fragte sie. »Ich weiß nicht, Kind. Ich habe in meiner langen, buntscheckigen Karriere viele komische Dinge erlebt. Ich habe gesehen, wie sich Massen zusammenrotteten, als der Kalender bereinigt wurde, damit Weihnachten in den Winter fiel. Ich habe einen Elch gesehen, dessen Herz von einer 7 mm Magnum zu Staub zermahlen worden war, und der noch einen Kilometer weit lief, bevor er tot umfiel, weil seine Muskeln nicht mehr mit Blut versorgt wurden. Ich habe einen ganzen Planeten voll von Leuten gesehen, die sich wegen eines Streits darüber in die Luft gesprengt hatten, welche Spargelsorte sie nach Gottes Willen essen sollten. Könnte sein, daß Howell gesund wird – ich habe schon schlimmere Verletzungen gesehen –, kann aber auch sein, daß er Pech hat.« »Das meinte ich nicht, Bernie. Ich habe davon gesprochen, daß Win Bear mich als Assistentin anstellen will. Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, Detektiv zu werden. Glaubst du, ich könnte das?« Ich musterte sie wirklich gründlich. Sie war groß, zottig, mit dem leichten Rotschimmer im Fell, der anscheinend in Olongos Familie liegt. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift ›Folge einem Paranoiker‹, einen Minirock, auf dem ein Pudel appliziert war, einen breiten, modischen Pistolengurt aus irgendeinem Plastikmaterial. Ich dachte an Hercule Poirot. Ich dachte an Miß Marple und Nero Wolfe. Ich dachte an Mrs. Pollifax und Sherlock Holmes und an den Burschen – wie hieß er doch noch? –, der Teilzeitdetektiv und Vollzeiteinbrecher war. Rhodenbarr oder so ähnlich. Den Vornamen habe ich vergessen. Ich, ich war nur Teilzeitsybarit und Vollzeithedonist. Was, zum Teufel, wußte ich schon?
»Probier es aus, Kind! Häng dich richtig rein. Aber gib deine Hauptbeschäftigung nicht auf. Was studierst du eigentlich?« »Gott, Bernie, alles mögliche. Ich glaube, am liebsten möchte ich Raumschiffpilot werden, Forscher. Vielleicht erfindet nächstens mal jemand einen Schneller-als-Licht-Antrieb, und – Bernie, deine Zivilisation hat einen Schneller-als-Licht-Antrieb, nicht wahr?« Die Tür öffnete sich wieder, und Spin tauschte Platz mit einem seiner Kollegen. »Ja, das stimmt. Ich weiß sogar, wie er funktioniert, ganz allgemein. Die Schwierigkeit ist, daß eure Zivilisation etwas erfunden hat, das nicht einmal ich für möglich gehalten hätte: Reisen zwischen Welten mit verschiedener Wahrscheinlichkeit. Wir sind euch in manchen Dingen überlegen; ihr uns in anderen. Schwierig, daraus klug zu werden.« Sie seufzte. »Ja, ja, das stimmt.« Eine Zeitlang schwieg sie, dann: »Bernie, ich wollte nicht sagen, daß ich mir keine Sorgen um Howell mache. Ich kenne ihn nur nicht sehr gut und habe versucht, meine Gedanken auf etwas anderes zu richten.« »Ich weiß, Kind. Sag mal, glaubst du, daß es in diesem Nest irgendwo eine Eisdiele gibt? Ich wette, du möchtest gern ein Eis oder vielleicht sogar…« Als ich begriff, was ich hatte sagen wollen, wurde ich rot. Sie merkte es und grinste. »Einen Bananensplit? Das wäre phantastisch!« »Wunderbar – dann los!« Spin war wieder auf dem Brettersteig, und diesmal zupfte er mich am Bein, ganz wie in alten Zeiten. »Was ist los, Kleiner?« »Bernie, wir müssen ein Telekom finden. Charm ist in Schwierigkeiten, und er braucht unsere Hilfe.« Das nächste Kom außerhalb des überfüllten Tierarztbüros befand sich in Wins Wagen. Ich hatte immer noch nicht begriffen, wie man das komplizierte Ding bediente, also schleppte ich Koko mit.
Es war nicht nötig. Sein kleines Bild war schon da und wartete auf uns. »Herr?« sagte der Außerirdische, diesmal ohne jegliche Untertöne. »Ich habe allein getan, was ich konnte. Jetzt mußt du mir helfen – denn ich kann jeden Augenblick entdeckt werden, und wenn das geschieht, sind Georgie und ich dem Verderben geweiht.« »Wieso?« »Verstehst du denn nicht? Ich bin Gregamer hierher gefolgt, habe mich an sein Fahrzeug angehängt und getarnt.« Er demonstrierte, wie er es gemacht hatte, indem er sein Sehrohr einzog und langsam die abscheuliche Farbe seines Rückenschilds veränderte, bis sie stahlgrau war. Der kleine Bursche hatte Talente, die er bisher noch gar nicht eingesetzt hatte. »Nun habe ich Georgie gefunden…« »Du hast – was?« »Bitte, Berni, wir haben wenig Zeit! Ich habe Georgie gefunden – wir sprechen über ihren Kanal miteinander.« Die Kamera fuhr zurück, bis ich sehen konnte, daß er unter dem Rumpf der fliegenden Untertasse hervorlugte. »Georgie! Geht es dir gut?« Keine Antwort. Charm ließ nicht locker. »Sie kann nicht mit dir sprechen, Bernie. Gregamer, Cromney und die anderen sind auf dem Kontrolldeck, und es ist schon riskant genug, daß wir dies hier übertragen. Ich werde versuchen, dir mitzuteilen, wo wir sind, aber Bernie, du mußt vorsichtig sein, und du mußt schnell handeln!« »Was geht vor, Euer Gesandtschaft?« »Bernie, sie wissen, daß Georgie ein denkendes Wesen ist, und sie wollen sie foltern, bis sie es zugibt!«
20. Kapitel Ein Freenie im Getriebe Wie kann man eine fliegende Untertasse foltern? In Georgies Fall konnte ich mir das nur zu gut vorstellen. Sechs oder sieben verschiedene Ideen brachten den Rest meiner Haare dazu, daß sie sich kräuselten. Sie war wirklich ein denkendes Wesen – ein ganzes Stück denkender als die Bande, die sie gegenwärtig in den Fingern hatte. Ich mußte nachdenken! Und der Gorilla, der mir in den Nacken hauchte, war mir nicht gerade eine große Hilfe dabei. »Koko, kannst du ein Geheimnis bewahren?« Sie blinzelte und schaute ein bißchen verlegen unglücklich auf ihre Zehen hinunter. »Nicht sehr gut, fürchte ich. Onkel Olongo sagt…« »Nun, dann steht mein Entschluß fest. Ich brauche keine hundertfünfzig wohlmeinenden Freunde, die mir über die Schulter gucken, und du traust dir nicht einmal selbst zu, den Schnabel zu halten – dazu kommt die Tatsache, daß ich keinen Führerschein für die Konföderation habe. Weißt du, wie man so ein Ding vorwärtsbringt?« »Einen Neova? Sicher – aber… was ist ein Führerschein?« »Großartig. Gut, es gibt keine Alternative. Spin, du bleibst besser hier, falls ich wieder Mist baue. Gib mir eine halbe – sagen wir, zwanzig Minuten, dann informierst du Win und Will, wohin wir gefahren sind. Ich verlasse mich darauf, daß du nicht zu früh damit rausplatzt. Und entschuldige dich auch in meinem Namen bei Win, weil ich seinen Wagen geklaut habe. Bist du so weit, Mädel?« Das Gorillamädchen protestierte. »Aber Bernie, nicht einmal der Zündschlüssel steckt. Wie…?«
»Kind, du mußt noch viel lernen. Ich habe nicht umsonst im zwanzigsten Jahrhundert in Passaic, New Jersey, sechzehn Wochen als falscher jugendlicher Krimineller eingelegt. Laß mich mal da unters Armaturenbrett rein!« 1954 war es gewesen. Wenn Sie sich Mrs. Gruenblums kleinen Jungen in einer schwarzen Lederjacke, an den Knöcheln gebundenen Khakihosen und mit einer Ententolle vorstellen können. So etwas tue ich für die Akademie. Jedesmal, wenn ich daran denke, habe ich Verlangen nach einer Dusche. Die Flügelräder sprangen beim zweiten Versuch an. Ich glitt unter den Instrumenten heraus und auf den Beifahrersitz, um Koko Platz zu machen, die widerwillig einstieg. Ich sagte zum Telekom: »Okay, Charm, wir sind unterwegs, jetzt mußt du uns sagen, was wir tun sollen. Und du kannst mir auch gleich erzählen, was du so getrieben hast. Spin kann ich jetzt ziemlich gut erkennen, aber ich glaube, ich habe nie gelernt, dich und Color auseinanderzuhalten – ich dachte, du seist die ganze Zeit hier bei uns.« Das Bild auf dem Schirm errötete ein wenig. Vielleicht war es auch nur eine Schwankung im Stromkreis oder Sonnenflecken. »So war es beabsichtigt, Herr. Wir bitten dich alle um Verzeihung für die Täuschung und werden jegliche Strafe demütig annehmen, die du uns vielleicht…« »Hör auf mit dem Quatsch – sag lieber Koko, wohin sie diese Kiste steuern soll!« Fahren Sie nach Süden, Miß Koko, zur Kreuzung Monroe und Slade, an den Depots der alten Überlanddampfkutschen vorbei. Von dort aus werde ich Sie weiterleiten. Herr, ich hatte keine Zeit, dich zu fragen. Ich hatte kaum Zeit, meinen Genossen zu sagen, was ich vorhatte – mich als mechanischen Vorsprung an Norrit Gregamers Fahrzeug zu tarnen. Ich fuhr nach Cheyenne zurück, ohne daß jene böse Person eine Ah-
nung davon hatte, und klammerte mich in Todesangst an die Karosserie des Luftkissenfahrzeugs. Mehrere hundert Kilometer pro Stunde stellten selbst meine Kräfte auf eine harte Probe. Du wirst bald selbst sehen, in welch entsetzlicher Lage sich unsere Georgie befindet. Natürlich kann sie sich nicht bewegen oder angemessen verteidigen – nein, Bernie, deshalb brauchst du dir keinen Vorwurf zu machen. Du mußtest dieses Gerät zur Ausrichtung mitnehmen – sie kennt die Alternativen genausogut wie du. Aber sie haben jedes Wartungsschott, jede Zugangstafel geöffnet, um nach Teilen zu suchen, die sie für eine neue Felddichtekontrolle abmontieren konnten, und auch, glaube ich, um sie zur Mitarbeit zu zwingen. Sie haben… Aber das wirst du selbst sehen. Gregamer parkte seine Maschine vor dem alten, verwitterten Metallgebäude, das einmal ein Zentrum für die Instandhaltung der Reparatur transkontinentaler Dampfkutschen gewesen war. Da war eine sehr große Tür mit den Angeln an der Oberseite, und in diese war eine kleinere eingelassen. Durch diese kleinere Tür trat er ein, nachdem er zuerst den Griff abgelöst und hinter sich von innen zugesperrt hatte. Ich war arg im Druck, wie ich ihm folgen sollte. In unserem Kontinuum hätte es in so einem verlassenen Bauwerk mehrere zerbrochene Fensterscheiben gegeben, aber hier – nun, ich weiß nicht, ob es am größeren Respekt vor Privateigentum liegt oder daran, daß das Fensterglas in der Konföderation anscheinend einen Trick kennt, sich zu regenerieren, der selbst bei einer organischen Substanz beneidenswert wäre… Jedenfalls streckte ich eine Anzahl von Spezialgliedern mit starken Klebeeigenschaften aus und ›ging‹ vorsichtig über die Wellblechseitenwand des Gebäudes nach oben. Der Mond der Erde konnte das künstliche Licht aus dem Orbit kaum schwächen, das in dieser Gegend allem, was es überflutete, eine sonderbar körnige, gräuliche Tönung verlieh. Im Westen leuchtete der Himmel noch immer in einer auffallenden Infrarotschattierung; im Osten schienen ultraviolett die Sterne.
Endlich entdeckte ich ein Lüftungsgitter. Dieses Gebäude war wenigstens hundert Jahre alt, die Installationen befanden sich in einem Zustand der Verwahrlosung, für den ich zutiefst dankbar war. Ein paar Schnitte mit einem weiteren Spezialglied, ein paar vorsichtige Fußbewegungen, und ich war drinnen. Für dich, o Herr, wäre es ziemlich dunkel gewesen. Es stellte sich heraus, daß ich mich an einem Ende des garagenähnlichen Gebäudes befand, gleich über einer Art Empore mit Geländer, deren eine Hälfte verglast war und als Büro gedient hatte. Nun war sie dunkel und leer, im dicken Staub waren Papierfetzen verstreut. Ich ging über die innere Wand zu dieser Plattform hinunter, nahm eine gußeiserne Treppe, die ich dort fand, und kam schließlich zu einem fettfleckigen Betonboden, unordentlich und voll von Löchern in verschiedenen Größen. Als ich mich an eine Wand drückte, um nicht entdeckt zu werden, hatte ich eine kurze Auseinandersetzung mit einem bösartigen Vierfüßler, annähernd so groß wie ich, mit scharfen, meißelähnlichen Zähnen und einem sonderbar haarlosen, dünnen Schwanz. Er roch schlecht und war mit winzigem Ungeziefer bedeckt. Ich tötete ihn nicht, aber er wird einige Tage lang Schwierigkeiten beim Gehen haben, und seine Gene wird er nicht weitergeben. Habe ich recht gehandelt, Herr? Gleichgültig. Die Einstiegsrampe – Georgies Einstiegsrampe – war ausgefahren. Das stellte mich vor ein Problem, da das Licht von der Luftschleuse des Passagierdecks über den schmutzigen, abfallbedeckten Boden und die Wellblechwand und die Träger hinaufschien und ich daher in dieser Richtung nicht mehr am Mittelrand des Raumschiffs entlanggehen konnte. Ich wollte umkehren, in die andere Richtung, als ich bemerkte, wie mich eines von Georgies Landelichtern, ein ganz kleines, relativ schwaches, bernsteinfarbenes, anblinkte. Sobald mein Auge es erfaßt hatte, hörte es auf. Bernie, ihre Sinne müssen fast genausogut sein wie die unseren. So tastete ich mich vorwärts, schlich so schnell und unauffällig
wie möglich von einer rostigen Ölkanne zur nächsten, in einen halb aufgeweichten Pappkarton an Georgies Seite, wo, wie du weißt, eine leichte Innenwölbung die vollkommene Halbkugelform stört. Diese Wölbung bot auch ein ausgezeichnetes Versteck für einige Zeit, so lange, bis mir einfiel, was ich als nächstes tun – könnte. Schließlich schlich ich zur Basis der Rampe, wo ich im tiefsten Schatten bleiben, aber der Tür doch nahe genug sein konnte, um zu hören, was vorging. Georgie hatte natürlich keine Möglichkeit, sich mit mir zu verständigen, aber ich konnte mich vor ihr sehen lassen und hoffen, daß sie das tröstete. Ich kletterte durch den runden Rahmen auf die andere Seite der Rampe, wo, wie ich wußte, ein Fernsehmonitor angebracht war, fuhr ein Spezialglied aus – eines, das mir gerade erst eingefallen war, mit einem kleinen Ohr am Ende – und ließ es gleich in der Dichtung der Luftschleuse liegen. »… sage Ihnen, dieses Schiff ist irgendwie unheimlich!« Rand Heplar redete laut auf dem Kontrolldeck, dessen Luftschleusenluke ebenfalls geöffnet war. Es klang, als sei dieser früher so unerschütterliche Bursche in akuter Gefahr, hysterisch zu werden. Gibt es bei den Menschen keine mittlere Ebene? »Abergläubischer Unsinn!« gab Professor Cromney zurück. »Sie suchen einfach Entschuldigungen für Ihre eigene Unfähigkeit. Was haben Sie denn mit den Teilen angefangen, die Dr. Gregamer Ihnen geschickt hat?« »Versuchen Sie doch selbst mal, Ihre Finger in ein Zugangsschott, irgendein Zugangsschott, zu stecken, wo ohne ersichtlichen Grund ein statisches Feld ist, und dann passen Sie mal auf, was so ein fetter, blauer, zwei Zentimeter langer Funke Ihrem Metabolismus antut! Die Wirkung ist kumulativ, wissen Sie – noch ein solcher Schlag, und ich werde wahrscheinlich…« »Sie werden genau das tun, was man Ihnen sagt, junger Mann, und sofort damit aufhören, diese… diese Maschine zu vermenschlichen! Sie sind auf Ihre Art nicht besser als Gruenblum – als nächstes werden Sie mir erzählen, daß es im Schiff spukt.«
Ich hörte ein Glucksen und merkte, daß Gregamer in den Kontrollraum getreten war. »Spuken sollte es hier lieber nicht, wenigstens wegen unserer kleinen Edna nicht. Wie ist es, Schätzchen? Belästigen dich in letzter Zeit die Schatten der verstorbenen Professoren Merwin und Hulbert?« Ich war überrascht. Anstatt auf jemanden loszugehen, der sich anmaßte, sie als ›kleine Edna‹ anzusprechen – in ihrer Gegenwart wenigstens –, schnaubte sie nur und fand den Scherz ganz lustig. »Nicht halb so sehr wie der gelbe Fleck, den ich am Rücken unseres lieben Randy hinaufkriechen sehe. Lach nicht, Cromney – du bist nicht besser, schreist aus voller Kehle, wo du vielleicht zuhören solltest! Ich weiß nicht genau, wie ich es ausdrücken soll, aber mir kommt es auch so vor, als wäre das Schiff, nun ja…« »Bei Bewußtsein?« schlug Gregamer vor. »Jetzt reicht's aber!« spottete Cromney. »Oder will jemand ein Ouija-Brett vorholen, um es zu beweisen? Das Schiff ist nichts anderes als eine Ansammlung von Plastik, Aluminium und Titan.« »Charm, bist du das wirklich?« Georgie hatte doch eine Möglichkeit gefunden, sich mit mir in Verbindung zu setzen, nicht über ein Ouija-Brett, was immer das sein mag, sondern indem sie die Amplituden ihrer UltraschallAnnäherungsdetektoren modulierte. Ich machte meine eigene Stimmlage höher und antwortete auf den gleichen Frequenzen. »Ja, Georgie, ich bin es. Geht es dir gut?« »Genau wie Sie, mein lieber Professor Cromney, nichts anderes sind als eine Ansammlung von Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff!« In der Stimme des Hamiltonisten war jetzt ein echt sarkastischer Ton zu hören; anscheinend gab er sich überhaupt keine Mühe, ihn zu verbergen. »Soweit schon, aber… nun ja, wie lange verfolgst du diese Unterhaltung schon, Charm?« »Norrit, mein Junge, lassen Sie es sich von einem alten Akademiker gesagt sein: philosophischer Reduktionismus ist kaum geeignet,
um…« »Nun hören Sie mal, Cromney, Sie wissen ja gar nicht, wovon, beim Chaos, Sie eigentlich reden! Ich wollte Ihnen gerade erklären, daß Intelligenz von der Komplexität der Organisation abhängt, nicht von der Zusammensetzung. Ich weiß – seit vier Jahren, seitdem die Vereinigung für Bürgerliche Freiheiten den Cybercorp von Heller-Browne untersucht und die Firma mit Erfolg verklagt hat, weil sie denkende Büromaschinen versklavte…« »Was haben sie?« Eine weibliche Stimme. »Du hast schon richtig verstanden, Edna. Ich versuche das diesem Wurmdreck in seinem Elfenbeinturm die ganze Zeit zu erklären. Schauen Sie nicht so verdammt erschrocken drein, Heplar! Nun wird es durch einen juristischen Präzedenzfall zur moralischen Pflicht – und zur verzweifelten, ökonomischen Notwendigkeit – in der Kybernetik um jegliches, möglicherweise unbeabsichtigtes Denken herumzuplanen – sagen Sie mal, was ist das da drüben für ein Display? Auf dem kleinen Monitor, meine ich?« »Ich höre schon lange genug zu, um zu verstehen, was los ist, Georgie. Ich befürchte sehr, sie werden gleich entdecken, daß…« »Das?« Cromney wollte es spöttisch sagen, aber in seiner Stimme war mehr Verlegenheit zu spüren, als ihm lieb sein konnte. »Das ist nur die Kathodenröhrenaufzeichnung einer TraumKassette zur Erholung, die wir gefunden haben… äh… sie lag im Kontrollraum herum. Funktioniert tadellos über die geschlossene Schleife, aber anscheinend ist die Neutronentransmission…« »Diese Blondine«, beharrte Gregamer, »die habe ich vor kurzem irgendwo gesehen. Aber wenn diese Aufzeichnung in Ihrem Kontinuum gemacht wurde, wie könnte ich dann… ich hab's! Sie war auf der Möbelfarm am Telekom und hat mit Gruenblum und den anderen gesprochen!« »O jemine«, flüsterte Georgie, »ich glaube, mein Bernie würde jetzt sagen – ›jetzt geht der Tanz los‹.« »Unmöglich!« rief Cromney.
»Lächerlich!« schnaubte Edna. »Hmmm«, überlegte Heplar und fing an, ihm zu glauben. »Hier geht wirklich etwas Sonderbares vor«, schloß Gregamer, und ich hörte, wie er den kleinen Raum durchquerte, wie die Federn und Kissen quietschten, als er sich in den Pilotenstuhl sinken ließ. »Und ich werde der Sache auf den Grund gehen. Heplar, zeigen Sie mir, wie dieses Traum-Kappending funktioniert!« »Charm, ich weiß nicht, was passieren wird, aber ich habe Angst!« Dem Ton ihrer Stimme nach zu urteilen, hatte sie gelernt, sich in Untertreibung zu üben. Boingg! Koko gab dem Steuerrad einen Schubs, wir schwebten mit etwa 0,5 Mach seitlich über die Kreuzung und stießen gegen einen Laternenpfahl. Der Gummiluftrand fing den Stoß größtenteils auf, und wir standen schon wieder aufrecht und waren auf und davon, ehe der Gegenverkehr mit seinen kreischenden und heulenden Hupen überhaupt wußte, womit er beinahe zusammengestoßen war. »Kannst du nichts tun, damit dieses Veloziped etwas mehr Dampf draufkriegt, Mädchen?« »Das ist Fusionsenergie, kein Dampf, Bernie, und ich bin wirklich schon am Bodenbrett – ehrlich, ich glaube, Wins Gaspedal wird sich nie wieder erh… O du heiliger Albert!« Quaaaaa! Schschschummmmmmm! Der große, orangefarbene Luftkissenlaster verfehlte uns um nicht mehr als eine Angströmeinheit, und ich beschloß, den Mund zu halten und das Fahren dem Gorillamädchen zu überlassen. »Wie weit noch, Charm?« Der Freenie auf dem Komschirm überlegte einen Augenblick lang. »Ihr seid auf der Slade Avenue?«
»In voller Breite – nichts für ungut, Koko. Ich möchte mich nicht beschweren – halte nur deine großen, braunen Augen auf der – OhmeinGott!« Huiihuiiih! »Ganz ruhig bleiben, Bernie«, sagte sie fröhlich über ihre flaumige Schulter hinweg. »Der hier ist uns nicht einmal in die Nähe gekommen.« Schluck. »Wohin fahren wir als nächstes, Charm, vorausgesetzt, wir leben noch so lange?« »Fahrt einfach weiter, bis ihr ein großes rotes Neonschild seht, auf dem ›Rosie's‹ steht.« »Sowas wie ein Fernfahrerrastplatz?« »Äh… ich glaube nicht, Bernie. Obwohl da viele Laster parkten, als ich…« »Okay, okay. Vergiß nicht, daß hier eine Minderjährige am Steuer sitzt. Was ist dann passiert, nachdem sich Gregamer erinnerte, daß er Georgie am Telekom gesehen hatte, meine ich?« Da sie zu einem bestimmten Menschentyp gehörten, fiel es ihnen nicht ganz leicht, sich auf eine Vorgehensweise zu einigen, und sie stritten weiter darüber, auch dann noch, als Norrit Gregamer schon für sie gehandelt hatte. »Aber das wäre albern«, beharrte Heplar. »Außerdem, wie… wo sollte ich auch nur anfangen, mich mit einem Zeitschiff zu verständigen?« »Wie verständigen Sie sich denn gewöhnlich damit, Sie Dummkopf?« Gregamer war nahe dran, die Beherrschung zu verlieren, selbst Edna schien sich ein wenig vor ihm zu fürchten. »Antworten Sie ihm, Rand!« »Nun ja, ich…« »Charm, wir müssen mit Bernie Verbindung aufnehmen. Wenn Gregamer das tut, was ich glaube – das ist einer meiner wirklich schwachen Punkte, und
ich weiß nicht, ob ich durchhalten kann, wenn er… – nun ja, ich weiß einfach nicht, was passieren wird!« Sie begann, immer noch im Ultraschallbereich, leise zu schluchzen. »Aber Georgie, was können sie dir denn antun?« »Geben Sir mir die Kappe, Sie Schwachkopf! Sie und Cromney – aus meinen Augen! Nun, Edna, schalte ein, oder was immer man damit macht.« Es folgte eine Pause. »Charm!« »Gut«, sagte Gregamer, und es klang ein wenig zerstreut. »Ich bin anscheinend in einem Wäldchen. Die Sonne scheint mir in die Augen, daher kann ich kaum… – warte, da ist sie! Die gleiche blasse, blauäugige Blondine, sie steht unter einer großen Eiche. Los geht's: Du da! Richtig, dich meine ich, Blondie!« »O Charm!« »Du kannst genausogut den Mund aufmachen, Schätzchen. Wir wissen alles über dich. Ich habe mir dieses Kathodenstrahlröhrendisplay genau angesehen und fand es ziemlich erstaunlich. Ja, ehe wir mit der Befragung anfangen, werde ich mich, glaube ich, selbst bei dir bedienen – okay, Edna, schon gut! Hör mal, Blondie, versuch nicht wegzulaufen! Darauf bist du doch wohl nicht programmiert.« »Charm, hilf mir!« »Was kann ich tun, Georgie?« »Hab ich dich! Und jetzt ganz ruhig, Schätzchen, sonst muß ich dir deinen kleinen Arm brechen. Mal sehen – hier, mein Gürtel müßte genügen. Halt still!« »O Charm, bitte, hilf mir doch!« Meine Gedanken wirbelten hoffnungslos durcheinander. Wie konnte ich ein dreißig Meter großes Raum-Zeit-Schiff vor einem imaginären Schicksal-schlimmer-als-der-Tod retten? »Georgie, du kannst dich immer noch verständigen! Kannst du Bernie fin-
den? Versuche es auf der Farm – vielleicht sind sie noch dort!« Die Ultraschallstimme zitterte. »Ich werd's versuchen!« »So!« höhnte Gregamer. »Schön fest – ist die Rinde zu rauh für deinen nicht existierenden, kleinen Rücken? Nun erzähl mir mal alles über dich, Schätzchen. Es war nicht geplant, daß du zu denken anfängst. Woher hast du die zusätzliche Prozeßkapazität? Oh, du willst nicht reden, wie? Nun, dadurch wird es unangenehm, aber es macht viel mehr Spaß! Ich werde meine Phantasie einfach richtig anstrengen und – da – ich dachte, ich hätte eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug in der Tasche, obwohl ich gewöhnlich nicht rauche. Sehr zufriedenstellend, dieses TraumKappensystem – und du bist diejenige, die rauchen wird. Ich werde nur hier anzünden, dann müßte das Chiffonkleid, das du trägst, bei einer höchst unangenehmen Temperatur zu schmelzen anfangen. Ich glaube, ich beginne einfach oben an deinen Schultern und arbeite mich nach unten vor bis…« »Charm!« »Du mußt Bernie erreichen, Georgie, Bernie! Versuch es im Wagen der Sanders – oder in dem von Win!« Ich konnte natürlich nichts sehen, als sie Verbindung bekam, genausowenig, wie ich dich jetzt sehen kann, aber ich erkannte das Atmen am anderen Ende der Leitung. »Herr?« flehte ich. »Ich habe allein getan, was ich konnte. Jetzt mußt du mir helfen!«
21. Kapitel Eine Spitze für Cromney »Entschuldige meine Unterwäsche, Koko.« »Warum, was hat sie denn getan?« Einen halben Block von der Dampfkutschenscheune entfernt war sie so langsam geworden, daß wir nur noch krochen. Der Neova setzte sich auf die großen Ballonreifen unter seinem Luftrand, während wir leise vorwärtsschlichen. Ich fing an, mich aus meinem Overall herauszuwinden. »Charm, sag Georgie, daß wir fast da sind. Und erinnere sie daran, daß ich alle Erinnerungen an das löschen kann, was Gregamer ihr antut, vielleicht ist das ein Trost für sie.« »Falls sie hinterher immer noch ein normales und denkendes Wesen ist, Herr!« »Du bist wirklich eine große Hilfe, Junge.« Ich war jetzt bis auf mein Unterzeug ausgezogen und drehte die Uniform von innen nach außen. Das Thermalfutter war eierschalenfarben, und man konnte es in einer verdunkelten Scheune gerade für akademiegelb halten. Ich zog auch mein Unterhemd aus. »Bernie, was machst du da eigentlich?« Koko schien eher belustigt als abgestoßen. »Ich improvisiere eine Verkleidung. Glaubst du, daß Win einen Verbandskasten im Handschuhfach hat? Wo ist übrigens das Handschuhfach?« Sie zeigte es mir. Als ich meine gewendete Livree wieder anhatte, wand ich mir mein T-Shirt um einen Arm und hoffte, daß ich noch wußte, welches der richtige war. Win hatte tatsächlich einen Verbandskasten, und ich klebte mir ein großes, weißes Pflaster über den Rücken meines Rüssels. Ich schenkte es mir, mit meinem
Knie irgend etwas anzufangen – Edna und die anderen konnten unmöglich wissen, was ich Denny dort zugefügt hatte. Nervös drückte ich den Verschluß meiner .45 zurück, überprüfte das Magazingehäuse und beschloß widerstrebend, den Gurt zurückzulassen. Es gab eine Innentasche – jetzt Außentasche – die für die kurze Zeit, die es erforderlich war, als Fast-Gesäßhalfter dienen konnte. Ich zog das kleine, siebenzöllige Messer aus der Schneide an Kokos Seite, während sie um die Ecke bog. »Das werde ich brauchen, Kind. Laß den Motor laufen, damit wir schnell wegkommen – was sage ich da bloß? Ich will doch keine einsfünfzig große Blondine retten! Verdammt, ich komme schon wieder ganz schön durcheinander!« »Was soll ich denn nun tun, Bernie?« Ich dachte darüber nach, bis ich mir ausrechnete, daß mir die Bedenkzeit langsam knapp wurde. »Wenn ich nicht in fünf Minuten wieder draußen bin, fährst du den Luftkissenbuggy direkt durch die Türen!« Ich schwang den Möwenflügel hoch, stieg rennend aus und erreichte durch das Halbdunkel unbehelligt den kleineren der beiden Eingänge. Der Rahmen hatte sich verzogen, und ich konnte den verrosteten Schaft eines einfachen Hakens durch den dabei entstandenen, einen Zentimeter breiten Spalt sehen. Bei Hirnschlag, Charm hatte doch etwas übersehen. Ich hatte schon gedacht, eigentlich sollte ich derjenige sein, der die Freenies verehrte. Ich zog Kokos Bärenrasierer aus der Gipsattrappe an meinem Arm, steckte ihn in den Spalt, schob ihn hoch, schnickte den Haken herunter und kroch geduckt ins Gebäude. Da war meine Georgie! Und da war auch der Gesandte, er kauerte (soweit Freenies dazu überhaupt in der Lage sind) neben der Lauframpe, direkt vor einem der Außenbordsensoren. Vorsichtig winkte er mir mit einem Tentakel zu. Ich schlitterte auf meinen eigenen Tentakeln, eine Größe 44 nach der anderen, nach oben an seine Seite.
»Wie ist die Lage, alter Yamaguchier?« Kein Luftkissenlaster war zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie das belastende Material irgendwo in einen Gully geworfen. Schweigen. Und die Ohren taten mir weh. »Charm, eine Hundepfeife verstehe ich nicht besonders gut. Geh mal ein paar Oktaven runter, ja?« »Entschuldige, Herr«, flüsterte er. »Bernie, du mußt ihr helfen. Wenn ein Mensch durch Schock das Bewußtsein verliert, gewinnt er es wieder. Ich glaube, wenn Georgie ohnmächtig wird, könnte es sein, daß wir nie wieder etwas von ihr hören.« »Du bist die reine Aufmunterung. Wo sind sie denn alle?« »Cromney ist auf dem Passagierdeck. Edna hat sich als unfähig erwiesen, Gregamer mit der TraumKappe behilflich zu sein und rief Heplar, der jetzt auf dem Kontrolldeck ist, während sie sich nach unten in den Maschinenraum zurückgezogen hat. Herr, was ist los? Warum hast du diesen Verband auf…« »Ich habe mich nur Adam und den Ameisen angeschlossen – nein, laß nur, nur ein Stück Trivialliteratur aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Warte hier auf mich und halte Georgie weiter die Hand!« Ich glitt an der Seite meines Schiffs hinauf, indem ich vorsichtig Finger und Zehen in die für dieselben vorgesehenen Öffnungen setzte, bis ich die obere Luftschleuse erreichte. Charm hatte recht gehabt, sie war so weit geöffnet wie die untere – sie hatten allen Grund zum Auslüften gehabt. Ich schlüpfte hinein, zog meine sogenannte Verkleidung zurecht und trat leise in den rückwärtigen Raum. »Komm jetzt, Schätzchen! Wieviel kannst du denn noch – autsch! Du kleines Biest, ich werde dich lehren zu beißen!« Während ich mit dem Rücken zur Wand weiterschlich, fragte ich mich, ob er wohl einen psychosomatischen Bluterguß von diesem imaginären Biß davontragen würde – schade, daß Georgie keine Tollwut übertragen konnte. Vom Lukenrahmen aus überschaute
ich den Kontrollraum, so gut ich konnte, dabei nahm ich die Glasplatte eines Meßgeräts an der Rückwand zu Hilfe, die beinahe im rechten Winkel stand. Für eine Minute ließ ich den Colt in meiner Tasche stecken, um jedes Verstärkung herbeirufende Geräusch zu vermeiden, flitzte rasch um die Ecke, packte Heplar beim Kragen und schmetterte ihm mit der linken Hand den Kopf gegen ein Schott. Ein erfreuliches Platschen war zu hören, dann ließ er sich auf dem Boden nieder. Mit einem schnellen, heimtückischen Schwung des Bowie zerschnitt ich über mir die Leitung zur TraumKappe. Es funkte und zischte. Gregamer regte sich auf der Couch und blinzelte blöde, als er versuchte, seinen Blick zu konzentrieren; als er mich sah, wurden seine Augen weit. Ich drehte die Klinge in meiner Hand um, Daumen zum Knauf gerichtet, machte einen schnellen Schritt nach vorne, schlug die Pistole weg, nach der er tastete und packte ihn am Kragenaufschlag. »Gregamer, von der Couch dürfen sie dich loskastrieren!« »Denny! Wie sind Sie…?« Ich hörte eine Stimme hinter mir und drehte mich um, ohne Gregamer dabei aus den Augen zu lassen. Ab Cromney hatte sich momentan täuschen lassen, aber jetzt nicht mehr. Unter einem Arm trug er eine konföderierte Stahlnadelpistole. Ich wirbelte herum, zerrte dabei Gregamer mit über die Armlehne der Couch und pflanzte mit einer fließenden Bewegung das siebenzöllige Messer bis zum Heft in Cromneys linke Brustseite. Er stand einen Augenblick ein bißchen überrascht da, dann rollte er die Augen und knickte in den Knien ein. Als er auf die Planken auftraf, drang die Messerspitze mit einem Ruck aus seinen Rücken heraus. Heplar regte sich. Ich trat ihm gegen die Schläfe. Aber nun war mir die Sache aus der Hand geglitten. Gregamer stürzte sich von hinten auf mich, er war so groß wie ich, aber breiter, mit längeren Armen und stark. Ich tastete nach meiner Pistole und rammte ihm gleichzeitig die Faust in den Solar Plexus. Er
zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern schmetterte mir die kaputte TraumKappe auf die Stirn. Die Wirkung, die er damit erzielte, gefiel ihm anscheinend, denn er hörte gar nicht mehr auf damit. Ungefähr beim siebzehnten Schlag verlor ich sozusagen den Überblick über das Geschehen. Es gibt im bekannten Universum nichts, das ganz genauso riecht wie der ölverschmierte Boden einer verlassenen Garage. Besonders, wenn die Nase und der größte Teil des übrigen Gesichts in vertraulicher Berührung damit sind. Nach einem Sturz aus sechs Metern Höhe. Ich stellte sofort fest, daß mein rechter Arm gebrochen war. Komisch, wie man so etwas weiß. Bei meiner Hüfte auf dieser Seite und beim Knie war ich nicht ganz so sicher. Wie auch Charm erklärt hatte, dachte ich immer, man müßte eigentlich ohnmächtig werden, wenn etwas so weh tat. Plötzlich trug eine Zehenspitze dazu bei, mich zu informieren, daß ich auch noch drei oder vier angeknackste Rippen hatte. In meinem Atem gurgelte irgend etwas, und ich rechnete mir betäubt aus, daß es vielleicht sinnvoller wäre, die Knochen zu zählen, die heil geblieben waren. Hätte bei weitem nicht so lange gedauert. Der Fuß drehte mich schließlich auf meine verletzte Seite und vermieste mir das Leben damit noch mehr, durch das verbliebene, gesunde Auge sah ich, daß besagter Fuß mit Edna Janof verbunden war. »Er lebt noch«, sagte sie mit einer Mischung aus Enttäuschung, weil ich nicht tot war, und Freude über die Gelegenheit, mich noch einmal ganz von vorne umzubringen. Ich wollte sprechen. Nichts. »Nun, Captain Bernard M. Gruenblum«, sagte die Dame, »jetzt geht es Ihnen endgültig an den Kragen. Es hat sicherlich länger gedauert, als ich erwartet hatte, aber schließlich war ich durch un-
fähige Helfer in meinen Möglichkeiten eingeschränkt. Dieses Problem haben Sie nun freundlicherweise für mich erledigt, indem Sie Cromney ausgeschaltet haben und – natürlich werde ich Ihre Arbeit an Heplar zu Ende führen müssen, und Denny spielt ohnehin keine Rolle mehr, aber…« »Aber hier solltest du deine kleine Liste abschließen, liebste Edna, und von jetzt an im Gedächtnis behalten, wer und was ich bin!« Norrit Gregamer trat an ihre Seite, aus meiner Sicht wirkte er sechs Meter groß, und legte lässig einen Arm um ihre Schulter. Sie kuschelte sich tatsächlich an ihn und schnurrte beinahe. Vielleicht meinte sie es sogar ernst. Bei Liebe weiß man nie. »Sieh ihn dir an, meine Liebe«, sagte Gregamer ungerührt. »Achte auf seine Augen – immer noch zuversichtlich. Er erwartet immer noch Hilfe.« »Nicht davon, hoffe ich!« Sie lachte und hob die Hand, die sie hinter dem Rücken gehalten hatte. An seinem kleinen Augenstengel hing Charm von ihrer Hand, schlaff wie eine gekochte Gänsehalsmuschel. In seinen Augen war auch nicht mehr das kleinste Glitzern zu sehen. »Oder davon…«, fügte Gregamer seinerseits mit einem Glucksen hinzu. Ich folgte der Richtung seines gekrümmten Daumens mit den Augen zum Garagentor, durch das sich das vordere Ende von Wins Neova gebohrt hatte. Durch das sternförmige Loch in der Windschutzscheibe, quer über die Kühlerhaube gebreitet, hing ein zottiger, schwarzer Körper. Ihr Blut verdarb den ganzen Lack. Verdammt, wie lange war ich weggewesen? Der Hamiltonist wandte sich wieder mir zu. »Ich muß mich entschuldigen, daß ich Sie so unvermittelt aus der Luftschleusentür gestürzt habe, Captain. Ich fürchte, ich habe für kurze Zeit ziemlich die Beherrschung verloren. Jedoch wurde dadurch dieses kleine Ungeziefer aus seinem Versteck gespült.« Er zeigte auf den reglosen Freenie, während ich innerlich um zwei der besten Freunde
trauerte, die je das Pech gehabt hatten, mir zu begegnen. »Sehr rührend«, fuhr Gregamer fort, »wie es an Ihre Seite eilte, zu konzentriert, um Edna zu bemerken, die direkt hinter ihm stand. Du strangulierst wie ein Profi, meine Liebe.« »Oh, danke, edler Herr.« Jetzt war sie an der Reihe, Schadenfreude zu zeigen. »Ihre Kameradin mit dem Pelzmantel hat sich anscheinend selbst außer Gefecht gesetzt. Vermutlich bin ich nicht die einzige, die mit unfähigen Dummköpfen geschlagen ist. Aber man richtet hier die Untermenschen nicht so ab wie zu Hause, oder?« Ich versuchte erneut zu sprechen, mit genau so wenig Erfolg wie beim erstenmal. Auch gut, wenn sie gehört hätte, was ich ihr sagen wollte, hätte sie ihre Nagelschere geholt. »Sparen Sie sich Ihren Atem, Gruenblum«, riet mir Gregamer. »Wenigstens für einen letzten, langen Schrei. Edna, bist du so weit?« »Gleich«, antwortete sie, schon fast gehorsam. Einige Männer haben es wohl in sich und andere nicht. In diesem Fall hoffte ich, daß es nicht ansteckend war. »Sehen Sie, Captain, wir weichen von einer alten Maxime ab und geben das Schiff auf. Norrit hat mich davon überzeugt, daß wir in der Konföderation auch ohne es viel erreichen können – wußten Sie, daß man hier atomaren Sprengstoff hat – für Baumaßnahmen –, aber nie auf die Idee gekommen ist, ihn für Waffen zu verwenden? –, besonders, weil wir nicht die Absicht haben, das Schiff für jemand anderen in verwendungsfähigem Zustand zu hinterlassen.« »Aber meine Liebe, du verrätst ja das Beste!« Er hob eine Stahlnadelpistole – Cromneys, nach der Blutgruppe Null zu urteilen, die überall darauf verteilt war. Aber schließlich war in diesen Tagen anscheinend so ziemlich alles von karminrotem, glitschigem Zeug bedeckt. »Ich wünschte wirklich, Sie könnten sprechen, Captain, obwohl Sie vermutlich ihr Sprachzentrum verloren haben, so wie die Seite Ihres Kopfes auf dem Beton abgeflacht ist. Scheußlich, scheußlich.
Trotzdem werde ich mich vermutlich immer fragen: War sie nun ein denkendes Wesen oder nicht? Nun ja, es gibt einige Dinge, wie ich mir habe sagen lassen, die die Menschheit nie erfahren sollte. Neunzehn Runden davon…« – er klatschte auf den Behälter der Schrotflinte – »direkt in die Speicherbänke, und alles ist nur noch Theorie. Die letzte hebe ich mir für Sie auf, Captain« – er sah mir scharf ins Gesicht –, »das heißt, wenn das noch nötig ist, bis ich zurückkomme.« Das war, wie sich jetzt herausstellte, beinahe der schlimmste Auftrag, für den ich mich jemals gemeldet hatte. Ich hoffte wirklich, daß es mir eine Lehre sein würde. »Und übrigens, falls Sie immer noch Hilfe erwarten – Sie dachten, Sie hätten mich getäuscht, nicht wahr? –, kann sie unmöglich rechtzeitig eintreffen. Wir sind hier in einer Minute draußen; sagen Sie Captain, hat man Ihnen vor der Abfahrt gesagt, daß Sie zum Kutschendepot fahren müssen oder erst unterwegs?« Mein Herz sank den letzten Millimeter, der noch übrig war. Er stellte einen Fuß auf die Laufplanke und lachte leise vor sich hin. »Verbrauche ruhig alle zwanzig Runden, Norrit, mein Liebster«, rief Edna fröhlich hinter ihm drein. »Ich bin sicher, daß ich hier irgendwo eine Schaufel gesehen habe, und ich wollte schon immer mal so einfach WAMM!, du weißt schon, direkt oberhalb der Augenbrauen!« Nachsichtig: »Na gut, meine Liebe, wenn du darauf bestehst. Du sollst auf jeden Fall deinen Spaß haben.« Er wollte die Rampe hinaufgehen, der Than von Cawdor und seine Lady Macbeth. Was für ein Paar – ist das ein Dolch, was ich da vor mir sehe? Edna schleuderte den kleinen Charm weg wie einen schmutzigen Lappen und ging zur Rückseite der Garage. Selbst wenn ich hätte sprechen können, ich hätte es nicht über mich gebracht, Gregamer die Freude zu verderben. Mein Schädel war nicht eingedrückt; er fühlte sich nur so an, wahrscheinlich, weil er die ganze Zeit in einem Loch im Betonboden gelegen hatte. Und da wir gerade von Dolchen sprechen, während ich meinen
oben in einem Behälter hatte stecken lassen, der seiner würdig war, funktionierte mein linker Arm durchaus noch. Ich drehte und beugte ihn, grapschte über meine Brust, tastete, tastete… JA! Den Colt hatten sie mir nicht weggenommen. Ich hatte die ganze Zeit draufgelegen – wahrscheinlich hatte ich ihm die gebrochenen Rippen zu verdanken –, und sie hatten es nicht bemerkt oder in ihrer jungverliebten Aufregung gar nicht daran gedacht. Als ich ihn aus der Tasche hebeln wollte, verlor ich, angeschlagen wie ich war, fast die Besinnung, aber schließlich bekam ich ihn frei. Mit dem Daumen drückte ich die für beide Hände passende Sicherung herunter. Zielte zittrig mit der linken Hand und… KRAWUMMÜ! Sein Kopf explodierte wie ein Ballon von Sherwin Williams' bestem Feuerwehrlack und bespritzte Georgies ganzen Rumpf. Buchstäblich kopflos machte Gregamer einen letzten Schritt auf die Luftschleuse zu, sackte nach einer Seite weg, verfehlte den Rand der Laufplanke und stürzte auf denselben Boden, der schon mich vernichtet hatte. »Norrit!« kreischte Edna. »Bastard – BASTARD – BASTARD!« Irgendwie dachte ich mir, daß die letzten Worte an mich gerichtet waren, besonders, als sie, diese Schaufel in den Händen, erhoben aus der Dunkelheit auftauchte. Ich schwenkte meine .45 ungefähr in ihre Richtung, aber sie wurde mir inzwischen ein bißchen zu schwer, und wie alles andere hier fühlten sich auch meine Hände etwas glitschig an. In einem Augenblick hatte ich den Colt noch zwischen meinen Fingern, im nächsten war meine Pfote leer, die Automatik lag auf dem Zement und ihr großes, häßliches Auge deutete direkt auf meinen Nabel. »Du… Bastard! Der einzige Mann, dem ich in meinem ganzen Leben begegnet bin, der kein Schwächling war, und du mußtest ihn erschießen!« Sie hielt die Schaufel halb erhoben vor sich.
»Ich werde dich zerhacken, in soviele, kleine…« DONGGGG! Etwas traf das rostige Blech und knallte es Edna voll in ihr zornerfülltes Gesicht. Sie taumelte nach rückwärts, stolperte über eine stehengebliebene Kiste und stürzte. Ich bekam die .45 wieder in die Hand, tat zwei Seufzer der Erleichterung auf einmal, drehte mich unter Schmerzen herum – und da saß Miß Koko Featherstone-Haugh aufrecht und zielte mit ihrer Webley Electric Kaliber .11 auf die Stelle, wo Edna eben noch gewesen war. Ich wollte ihr etwas zurufen, konnte es aber nicht. Sie befreite sich aus den Überresten von Wins Wagen, ihr Fell und ihre Kleider waren über und über mit getrocknetem Blut verschmiert, und schlurfte zu mir herüber, dabei hielt sie ihre Pistole ständig auf die Schatten an der Rückwand der Garage gerichtet. Sie hob die arg verbeulte – aber nicht durchlöcherte Schaufel auf und untersuchte sie angewidert. »Bernie, lebst du noch?« Ich blinzelte sie an und brachte endlich zwischen Krächzen und Flüstern etwas heraus. »Das ist eine verdammt dumme Frage. Was ist mit dir? Ich dachte, du bist bestimmt hinüber.« Sie grinste wie ein Mensch, behielt aber die Stelle, wo Edna zu Boden gegangen war, weiter im Auge. »Ich habe nur so getan! Deine Verkleidung hat mich auf die Idee gebracht. Die Windschutzscheibe habe ich mit meiner Pistole eingeschlagen – vermutlich sind deshalb Kimme und Korn abgebrochen. Ich habe auf ihr Massenzentrum gezielt, wie Onkel Olongo es mir beigebracht hat. Weißt du, er hat mich gewarnt, daß die Kaliber .11 zu wenig Durchschlagskraft hat. Sieh mal, die Kugel ist nicht mal durchgegangen! Sie warf die Schaufel beiseite und die fiel klirrend zu Boden und wirbelte Staub auf.« »Nun, meine Verkleidung hat sich nicht allzu gut bewährt. Was ist mit all dem Blut?«
»Das Blut? Oh, das!« Sie warf mir einen verlegenen Blick zu. »Nun, ich habe mir sozusagen selbst eins auf die Nase gegeben, auch mit der Pistole. Nasenbluten ist immer das beste, wenn… – und eines will ich dir nur sagen, weh tut es auch!« »Ich werde dich für das Purple Heart vorschlagen. Inzwischen bin ich selbst nicht der Kräftigste, Kindchen. Kannst du Win und die anderen zu fassen kriegen? Und sieh auch mal nach dem kleinen Charm dort drüben. Ich fürchte, er ist wahrscheinlich…« NOCH DREISSIG SEKUNDEN BIS ZUR PANNENSICHEREN SELBSTVERNICHTUNG! sagte Georgie plötzlich mit ungefähr tausend Dezibel. Ihre Stimme klang erstarrt und nichtmenschlich. NOCH NEUNUNDZWANZIG SEKUNDEN BIS ZUR PANNENSICHEREN SELBSTVERNICHTUNG! Eine Hand schob sich über den Rand der Schleuse zum Passagierdeck. Gefolgt von ihrem Besitzer, Rand Heplar. Georgie grölte weiter. »Du hast mich umgebracht, Bernie Gruenblum.« Er lachte wie ein Irrer, und so wie sein eingedrückter Schädel und seine blutdurchtränkten Haare aussahen, hatte er wahrscheinlich recht. »Aber ich habe dich dafür auch umgebracht!« NOCH VIERUNDZWANZIG SEKUNDEN BIS ZUR PANNENSICHEREN SELBSTVERNICHTUNG! sagte Georgie. NOCH DREIUNDZWANZIG…
22. Kapitel Ednas letzte Schlacht … SEKUNDEN BIS ZUR PANNENSICHEREN SELBSTVERNICHTUNG! »Georgie, hör auf damit!« Rand Heplar lag in kunstvoller Stellung über dem Sims der Luftschleuse zum Passagierdeck, er war bewußtlos, atmete aber noch; genau in demselben Zustand würde ich sein – vielleicht mußte man das Atmen sogar noch weglassen –, wenn noch ein paar Minuten vergangen waren. Hin und wieder stöhnte er. »Gut«, sagte Georgie in normalem Tonfall, »aber Bernie, du mußt die Selbstvernichtung von Hand abstellen. Ich kann selbst nichts dagegen unternehmen, und du hast nur noch zwanzig…« »Keinen Countdown bitte. Schätzchen, ich bin nicht in der Lage, irgend etwas zu tun! Koko, auf mit dir und runter in den Maschinen…« »Ich bin schon unterwegs!« Und sie war es, lief die Rampe hinauf, stieg über Heplars Kadaver hinweg, Georgie half ihr, indem sie Korridorlichter und Wegweisertafeln aufleuchten ließ, um ihr den richtigen Weg zu zeigen. Heplar murmelte und regte sich wieder. Ich versuchte, mit meinen Zehen zu wakkeln. Soweit ich es mit den schweren Stiefeln und so feststellen konnte, funktionierte alles. Wirklich vorsichtig legte ich meine .45 nieder, machte mir etwas zu spät Sorgen, wo Edna wohl abgeblieben war, tastete zaghaft mit der Linken an meinen Beinen entlang, suchte nach Stellen, die sich bogen, wo sie nicht sollten. Die Architektur schien im allgemeinen in bester Ordnung, bis ich zu meiner rechten Hüfte kam. Da kratzte etwas häßlich über etwas anderes, mir wurde beinahe schlecht, und ich mußte aufhören. Armer, kleiner Charm. Als toller Gott hatte ich mich erwiesen: konnte nicht einmal ihn – oder übrigens auch Spin – vor einer einzigen, elen-
den Verrückten schützen. »Noch fünfzehn Sekunden, Bernie. Koko ist unten an der Zwischendecksleiter angekommen und geht jetzt den Korridor zu den Reaktoren hinunter.« »Ich höre! Ich höre!« Daß ich nicht wußte, wo Edna war, beunruhigte mich. Ich stütze mich auf einen Ellbogen und versuchte, wie es mir mein Yogalehrer auf der Akademie beigebracht hatte, den Schmerz zu ignorieren. Yoga war nie mein bestes Fach gewesen – orientalische Positionen und okzidentale Knochen vertragen sich einfach nicht. Es gelang mir, mich vielleicht einen Meter näher an das Schiff heranzuschleppen. Krawumm! Direkt vor mir stieg eine Betonstaubfontäne auf. »Bleiben Sie, wo Sie sind, Captain Gruenblum!« Nun, damit war wenigstens ein Rätsel gelöst: Es war Klein-Edna, die von der verglasten Bürozelle an der Rückseite über dem Garagenboden zu mir herunterplärrte. Ich sollte ›ehemals verglast‹ sagen – die Explosion hatte den meisten Fenstern den Garaus gemacht. Von da aus, wo ich lag, konnte ich den glänzenden Ring der Mündung ihrer Stahlnadelpistole sehen. Das verdammte Ding sah aus wie der Tunnel von Gibraltar. »Keine Bewegung mehr, Gruenblum! Ich möchte das genießen, und Sie werden es mir nicht kaputtmachen, indem Sie zu früh draufgehen!« Krawumm! Diesmal war die Luft hinter mir voller Zementsplitter, und ich konnte sogar ein oder zwei Flintenpfeile winseln und klappern hören, als sie in die Wellblechwände hineinprallten. Ziemlich klar, was sie im Sinn hatte: Die Schüsse immer dichter an mich heransetzen, bis sie mich knapp erwischten – Fleischwunden –, ohne mich gleich von der Stange zu pusten. Folter per Fernsteuerung. Ist die Wissenschaft nicht eine großartige Sache? Krawumm!
Diesmal regneten Betonstückchen auf meinen Kopf herab wie ein ganz kurzer Sandsturm. Bei all dem Staub, der aufgewirbelt wurde, fiel mir das Atmen immer schwerer. Und auch das Sehen, wie ich plötzlich feststellte. Die Beleuchtung in dieser Garage war von Anfang an nicht überragend gewesen. Wenn ich meinen Anzug richtigherum getragen hätte, hätte sie vielleicht gar nicht erkennen können, wo ich war. Ich hakte einen Finger durch den Abzugsbügel meines Colts, zerrte ihn langsam zu mir her und zog meine unteren Gliedmaßen ein, soweit das beschädigte Hüftgelenk das gestattete. Ich wußte ziemlich genau, wohin der nächste Schuß gezielt sein würde. »He, Edna!« schrie ich. »Beantworten Sie mir eine Frage, ehe Sie nochmal schießen! Wieso haben Sie mit Ihrem kleinen Spielzeugkracher nicht einfach Koko aufgehalten – das ist der Gorilla – und das Töten der Selbstvernichtungsanlage überlassen?« »Noch fünf Sekunden, Bernie. Koko ist an der Schalttafel, ich gebe ihr jetzt die Umkehrsequenz.« »Aber Captain Gruenblum«, protestierte mein weiblicher Folterknecht, »das hätte doch keinen Spaß gemacht!« »Nun, Sie gehen ein ziemlich großes Risiko ein, Edna. Das Schiff kann immer noch hochgehen – und dann gehen Sie mit!« Ich spähte wieder in die Dunkelheit und den schwebenden Staub und suchte nach dem Glitzern ihrer Waffe. »Dann soll es so sein!« schrie sie trotzig zurück. »Gregamer und ich hatten geplant…« WAMM!WAMM!WAMM!WAMM!WAMM! Ich hatte in die Richtung geschossen, aus der ihre Stimme kam, die Schüsse ein wenig verteilt und mich, so schnell ich konnte, an Georgies Seite geschleppt, in die gleiche, sichere, kleine Ecke im Schatten der Einstiegsrampe, von der aus Charm spioniert hatte. Brauchte eine Sekunde, um mich zu erholen… KRAWUMM!
Diesmal bestand der Wasserfall aus Stahlpfeilen, Aluminiumkonfetti und Fetzen von zerbissenem Latepren von der Laufplanke. Es gab eine Pause im Schußwechsel, als ich mich zurückhielt, ich hatte mir überlegt, daß ich nur noch vier Schüsse übrig hatte, Edna dagegen sechzehn. Meine Reservemagazine lagen zusammen mit meinem Waffengehänge in Wins Luftkissenwagen, praktisch eine Million Lichtjahre entfernt. Heplars Arm zuckte einmal, zweimal. In dieser Dunkelheit und in dem Durcheinander würde er wie ein Nadelkissen aussehen. Edna hatte einen nervösen Finger und genügend Munition, um ihm Nachdruck zu verleihen. »Noch eine Sekunde bis…« Klink! Selbst hier draußen konnte ich hören, wie der große Hebel krachend an seinen Platz zurückfiel. Ich stieß einen Teilseufzer der Erleichterung aus. Oder einen Seufzer der Teilerleichterung. Vielleicht beides. »… Vernichtung ist abgestellt, dem Himmel sei Dank. Aber Bernie, ich habe hier einen Gorillateenager, der anscheinend in Ohnmacht gefallen ist. Was soll ich mit ihr machen?« »Laß sie schlafen, Liebste, sie ist im Wachsen und braucht Ruhe! Hör mal, ich will dir nicht lästig fallen, aber ich sitze hier sozusagen in der Klemme.« Heplar stöhnte und versuchte aufzustehen. Ich hätte ihm die gepanzerte Seite der .45 überziehen können, wollte mich aber für Edna nicht zur Zielscheibe machen. Außerdem war ich ein bißchen abgekämpft. »O je!« rief Georgie aus. »Das ist mir bei all den anderen Katastrophen gar nicht aufgefallen. Wie kannst du mir jemals verzeihen? Was kann ich tun?« »Reg dich nicht auf, Baby, wenn ich hinter meinem Nabel eine kurz vor der Explosion stehende Quasarbombe liegen hätte, hätte ich mich auch ein bißchen ablenken lassen.« Ich spürte, daß meine Kräfte jetzt schnell nachließen. Dieses Kriechen im olympischen Stil machte mich so gut wie fertig. Was immer geschah, es mußte jetzt ziemlich schnell gehen. Ich hatte eine Idee und teilte sie meiner Liebsten mit.
»Fertig jetzt, ich zähle bis drei?« Ich legte die Unterseite der Mündung der .45 auf den Rand der Einstiegsrampe, bereit, sofort auf das Büro zu zielen. »Fertig, Bernie.« »Drei!« BLITZ! eines ihrer Landelichter ging an, schwenkte direkt in Ednas Richtung. Für sie muß es wie ein Blitzstrahl gewesen sein, sie wurde praktisch an die Wand genagelt durch den blendenden, sengenden Photonendruck. Ich zog den Abzug durch. WAMM! Ein Schatten zog vor mir vorbei, stolperte die Laufplanke hinunter und verdeckte mir das Ziel. Genauso schnell schlang sich ein schmaler, grüner Arm um seinen Knöchel und zog. Heplar schrie. WAMM!WAMM! Noch ein Schuß. KRAWUMM! Heplar kippte vornüber, gespickt mit süßen, kleinen Stahlpfeilen, und fiel auf mich. Irgendwie wälzte ich ihn von mir, zielte, überlegte es mir anders und duckte mich. KRAWUMM! sagte Ednas Remington. WAMM! erwiderte der Hartford Colt, Kimme und Korn zeigten genau auf ihr Zwerchfell. Schweigen. »Nun, Großva… Bernie, habe ich dir nicht gesagt, daß dies dein wichtigster Auftrag werden könnte?« Cuthbert sah ekelhaft selbstzufrieden aus, wie er hinter diesem Tanzboden von einem Schreibtisch hockte. Die Schwierigkeit war, daß der Hirschhorngriff eines siebenzölligen Bowiemessers aus seiner schwammigen Brust ragte, und obwohl ihn das nicht zu stören schien, war es ein wenig peinlich, dabei eine höfliche Unterhaltung zu führen. Er kratzte sich geistesabwesend um den Fingerschutz herum.
»Hör mal, Euer Oberstschaft, diesmal kannst du mich nicht zum Narren halten. Ich weiß ganz genau, daß das ein Traum ist. Eigentlich liege ich ganz zerschlagen auf einem fettigen Betonboden in einem Universum, von dem du nicht einmal weißt, daß es existiert – und ich höre mir das nicht länger an!« Ein dicker, fetter Blutstropfen lief über mein rechtes Handgelenk, rann am Handrücken und am Zeigefinger entlang und fiel herunter, dann trat er bei einem Sechstel g seine langsame Reise zum Teppich an. »Du hast dich freiwillig gemeldet!« schmollte Cuthbert. »Jetzt kannst du dich nicht mehr rauswinden!« Eine Hausmaus aus Chrom schoß unter der Neo-Inka-Wandverkleidung hervor. Ohne auf die Schmerzen zu achten, die mir meine Knochenbrüche bereiteten, griff ich hinunter und packte das kleine Biest. Es sah aus wie ein süßer, walnußgroßer Stahlhelm mit einem kleinen Gänsehals aus Metall, der oben herausstand, und ungefähr einer Million fast mikroskopisch kleiner, drahtartiger Beine, die auf der Unterseite herumzappelten. Ich steckte es mir in den Mund, biß darauf, daß es knirschte, schluckte es hinunter und spülte mit einem großen Schluck Kaffee aus der Kanne nach, die auf dem Schreibtisch meines Enkels stand. »Hör auf mit dem Gequatsche, Sonnyboy! Du hast den falschen Gimpel erwischt. Ich kenne meine Rechte! Anstatt von allem Ungeziefer in der bekannten Galaxis ausgerechnet von dir Halluzinationen zu haben, sollte ich durch einen langen, dunklen Tunnel gehen, schwebend, mit einem strahlend hellen Licht am anderen Ende. Wenn ich dorthin komme, wird der Bursche mit dem Heiligenschein und dem langen, weißen Nachthemd zwei Finger hochhalten und sagen, ich soll mal husten…« »Keine Gotteslästerungen, Captain!« Mit plötzlicher Gereiztheit riß er sich die Klinge aus den Rippen, dabei entstand ein abscheulich schmatzendes Geräusch, und klopfte zum Nachdruck mit der blutigen Spitze auf seine Schreibtischunterlage. »Das muß der verderbliche Einfluß der Konföderation sein. Aber mach dir keine Sorgen, sobald die Akademie die Herrschaft übernimmt und diesem schändlichen Anarchismus ein Ende setzt, wird alles wunderbar werden.« Er lächelte so süßlich, daß ich überlegte, ob ich ihm dieses Schlachtermesser anderswo reinstecken sollte, wo es eine größere Wirkung haben würde. Ich blickte zu meinen Füßen hinunter. Irgendwie waren meine Kampfstiefel, während ich nicht aufgepaßt hatte, mit leuchtendroten Zechinen übersät worden. Das brachte mich auf eine Idee: ich knallte die Absätze dreimal zusammen, richtig zackig…
»Zu Hause ist es doch am schönsten. Zu Hause ist es doch am schönsten. Zu Hause…« »Bernie?« Ich blickte hinauf in den glitzernden, vielflächigen Augapfel eines sehr besorgten Freenie. Das tat weh, gleich hinter der Nasenwurzel – und ich hatte das Gefühl, daß ich genau da reingekommen war. »Charm, alter Molluske? Ich dachte; mit dir wäre es aus?« »Ich würde dich nie auf diese Weise im Stich lassen, Herr. Ich wünschte nur, ich hätte dir früher helfen können.« Er hockte auf dem Boden neben mir, und seine Fangarme klopften leicht und nervös auf meine gesunde Schulter. Hätte ich eigentlich wissen müssen, daß man einen Yamaguchier nicht abmurksen kann, wenn man ihm den Augenstengel abschnürt. Das ist einfach anatomisch nicht möglich – es ist, als wollte man einen Menschen an den Ohrläppchen erdrosseln. Schmerzhaft, aber bei weitem nicht tödlich. Ich lag noch immer auf dem verdammten Beton, genau wie ich es zu Cuthbert gesagt hatte, aber unter mir war eine Decke, und um meinen ganzen rechten Arm schlossen sich aufgeblasene Plastikkokons, ein weiterer reichte von meiner Achselhöhle zu meinen Knien. Als ich mein Gesicht berührte, entdeckte ich auch hier einen dicken Verband, der über die rechte Seite ging. Das Auge würde mir fehlen. Mary-Beth Sanders beugte sich über meine erbärmlichen Überreste und gestattete mir, ohne es zu merken, dabei einen Blick auf ihr malerisches Decolleté, als sie mir eine Tasse mit irgendwas reichte. »Trink das, Bernie! Davon wachsen dir Haare auf der Brust.« »Dann bin ich schon sehr froh, daß du das Zeug nicht ständig trinkst.« Nicht alles hatte ich gebrochen. »Was ist das überhaupt?« Sie wurde rot. Die Garage war von Georgies Landescheinwerfern immer noch erleuchtet wie eine Kinopremiere, und ich konnte einen Haufen anderer Leute reden und herumstampfen hören.
»Vitamine, Mineralien – und ungefähr drei Unzen Scotch Whisky. Prost!« Ich grinste. »Ebenfalls, Gnädigste. Sag mal, hat man Ednas Leiche schon gefunden? Da oben, in der hinteren Bürozelle?« Ich nippte an dem Trank. Sie hatte vielleicht übertrieben, aber nicht allzusehr – die Haare auf meiner Brust kräuselten sich. Plötzlich erschienen über dem kugelzerfressenen Rand der Gangway und über mir zwei menschliche Beine, sie hingen herunter und schlugen mit den Absätzen gegen den Metallrahmen. »Ich habe auch dort oben nachgesehen, Bernie«, sagte Fran fröhlich. »Da war keine Spur von ihr. Ich bemerkte, daß der Verschluß deiner Automatik über einem leeren Magazin eingerastet war. Das ist ein Haufen Munition für eine einzige, kleine Schurkin, ohne irgendeinen greifbaren…« »Du hättest hier sein sollen, Mädchen!« »Das weiß ich!« antwortete eine vertraute Stimme. Win Bear stapfte die Laufplanke herunter, eine kalte Zigarre in der Hand. G. Howell Nahuatl trabte dicht an seinen Fersen hinter ihm her. »Wenn du das nächstemal zu einer Schießerei eingeladen wirst, kannst du deine Freunde doch auch mitnehmen, oder?« »Freut mich jedenfalls, daß es dir besser geht«, sagte ich zu Howell, als der die letzten paar Meter der Laufplanke herunterhüpfte. »Siehst du jetzt, was Drogen alles anrichten können?« »Ich hatte schon einen schlimmeren Kater.« Der Kojote hockte sich neben mir auf die Keulen. »Also gibt es tatsächlich eine .789 George Herbert. Sicher eindrucksvoll und ein äußerst nettes Wesen, trotz ihrer langen Beziehung zu gewissen Leuten. Aber du solltest lieber die kleine Koko von der Brücke scheuchen. Sie ist anscheinend in Knopfdruckstimmung!« »Ohne die Stabilisatorkomponente kann sie nicht mehr anrichten als Cromney, und Georgie wird sie im Auge behalten. Außerdem hat sie vor einiger Zeit mit nachtwandlerischer Sicherheit auf den richtigen Knopf gedrückt – sagt mal, wie lange war ich eigentlich aus der Realität weggetaucht?«
Win blickte auf seine Uhr. »Ich glaube, wir sind kurz nach acht hergekommen. Das Blut hatte kaum Zeit zu gerinnen. Ich roch noch Schießpulver in der Luft. Versuchsweise habe ich die Leichen identifiziert – Heplar, Cromney, diese scheußliche Masse da drüben bei den Ölfässern ist vermutlich Gregamer. Hier sieht es aus wie in der Bahnhofsszene in ›Vom Winde verweht‹. Hat man dir schon gesagt, daß wir die Janof nicht finden konnten?« »Ja, das habe ich gehört. Übrigens, der Vitaminsaft ist gut, MaryElizabeth. Aber schade um meine Uniform. Ich wünschte, ihr hättet sie nicht so zerschneiden müssen.« Die Hälfte meines Overalls lag zwischen meinen Beinen, man hatte ihn da, wo man die Luftverbände angelegt hatte, weggerissen. Wo die Umweltkontrollen gewesen waren, ragten kleine Drähte heraus, und an der Innenseite eines Beins befand sich ein Etikett, das mir noch nie aufgefallen war, es führte auf, welche Strafen auf die Zerstörung von Akademie-Eigentum standen. Sie schüttelte ihren hübschen Kopf. »Ich fürchte, ich bin als Arzt nicht gerade eine Leuchte, Bernie, aber Win führt Gott sei Dank in seinem Wagen eine ausreichende Ausrüstung für Notfälle mit – das muß Clarissas Einfluß sein. Und ich glaube, in Laporte wirst du jemanden finden, der deine Kleidung so gut reparieren kann, daß…« Ich nickte. »Verstanden: Hatte selbst mal einen Onkel im Kunststopfgeschäft, bis der Kaiser eine Lungenentzündung bekam und sie ihn aufhängten. Aber…« Ich sah meinen Freund, den Detektiv, ein wenig verlegen an: »Um von deinem Wagen zu sprechen von Reparaturen…« Er lachte. »Darum wird sich die Versicherung kümmern – obwohl sie vielleicht mit Koko ein Wörtchen werden reden wollen – und wenn nicht, werden die Reporter für eine Exklusivstory über diesen kleinen Kaffeeklatsch hier ein hübsches Sümmchen ausspucken. Inzwischen werde ich…« Von der Vorderseite der Garage war ein Dröhnen und Klappern zu hören. Herein schritten T. W. Sanders, Captain Li-Li, die Hälfte von Griswold's Gräßlichsten und zwei Freenies, einer mit einer Klebenaht auf dem Rücken. Sanders hatte einen fiesen Ausdruck in der Visage.
»Nicht einmal ein gottverdammter Fußabdruck! Gruenblum, du läßt nicht nur dein Schießeisen verdrecken, du bist auch noch ein miserabler Schütze!« Er hob eine Hand mit Pistole zur Rückwand der Garage. »Die Wand dieses Büros sieht aus wie die Walze eines elektrischen Klaviers.« Seine jüngere Frau hüpfte von der Laufplanke, ging ein paar Schritte auf einen Stapel von 55-Gallonen-Fässern zu und trat gegen eine Schuhsohle, die ich aus dem Winkel meines gesunden Auges gerade noch sehen konnte. Die Sohle hing an etwas, das hinter den Fässern lag. »Erzähl das mal dem seligen Norrit Gregamer hier, Darling. Ich habe selbst den gleichen Fehler gemacht, hatte aber Zeit, darüber nachzudenken; ein Kopfschuß auf einen Laufenden, mit der linken Hand und im Dunkeln? Bernie, meiner Bürgerwehr kannst du jederzeit beitreten!« Und das von der kleinen Göre, die mit einer Plasmapistole Fackeln anzündete. Ich nahm es als hohes Lob und hielt den Mund. Sanders schüttelte den Kopf und blickte mich zögernd und entschuldigend an. »Wann können wir aufbrechen?« fragte Mary-Beth. »Bernie sollte kompetente ärztliche Hilfe bekommen.« Ich konnte mich über die Hilfe, die ich bekam, keinesfalls beklagen. »Nun ja, da wäre dieser Tierarzt in der Stadt«, schlug Koko vor, die von der Luftschleuse auf dem Passagierdeck auftauchte. »Bernie, darf ich einmal mit dir und Georgie fliegen, ehe ihr heimkehrt?« »Natürlich, Koko«, antwortete eine körperlose Stimme hinter ihr. »Nicht wahr, Bernie?« Ich versuchte mich auf einen Ellbogen zu stützen – und wurde von drei Händegruppen, einem Paar Hundepfoten und Ochskahrt allein weiß wie vielen kleinen, grünen Fangarmen zurückgeschoben. »Wie war das mit heimkehren? Vor und zurück in der Zeit, das verstehe ich – damit kann ich sogar umgehen. Wie soll ich aber…« »Nur ruhig«, antwortete Fran. »Darüber reden wir später. Es ist alles geklärt. Wie ist's, Schwester? Können wir ihn bewegen?« »Es sei denn, er möchte lieber hier liegenbleiben, bis seine Knochen zusammenwachsen.«
Irgendwie schafften sie es, mich auf einen nicht benützten Werkzeugkarren zu hieven und fuhren mich zu der zerschmetterten Tür, durch die Wins Neova wie eine modernistische Wandskulptur ragte. »Wartet doch mal 'nen verdammten Augenblick! Ich kann Georgie hier nicht allein zurücklassen, nach allem, was…« Die Pelzhand eines Schimpansen legte sich auf meine heile Schulter. »Keine Sorge, Captain Gruenblum. Griswold's wird gut auf sie aufpassen.« Ich blickte zu Li-Li auf, sah seine mitternachtsschwarze Uniform, die zwei großen Pistolen und das Bowieschwert, das er trug, die beiden Wurfmesser, die er hinten in seinen Kragen gesteckt hatte und die Lederhandschuhe mit Schrotladung, die unter die Schulterklappen geschoben waren. »Ich glaube es!« Brrr! »Und weißt du was, Bernie?« flötete meine fliegende Untertasse: »Captain Li-Li hat versprochen, mir alles über die Heller-BrowneEntscheidung und gleiche Rechte für denkende Maschinen zu erzählen. Ist das nicht aufregend?« Li-Li bemühte sich, den verlegenen Ausdruck von seinem Gesicht zu löschen. »Ich wollte Rechtsanwalt werden«, sagte er. »Aber durch meinen I. Q. war ich überqualifiziert.« »Phantastisch.« Ich stöhnte. »Fahr mich nach Hause, Mutter! In fünf bis sechstausend Jahren wird es mir wieder besser gehen.« Sie mußten mich über die Schwelle der Garagentür heben, und das war nicht einfach, denn der Durchgang war schmal, meine Hände und Füße hingen vom Karren herunter, und die ganze Konstruktion war so kopflastig, daß sie jeden Augenblick vornüberzukippen drohte. Draußen wartete ein großer, schwarzer Luftkissenkastenwagen mit offenen Heckklappen, strotzend von Maschinengewehrständern und Luken für Kleinwaffen. Gehörte Griswold's. Natürlich. Die kleinen Karrenräder schlitterten, bogen sich zur Seite und schleiften holpernd durch den Kies.
Plötzlich raste eine gelbe Luftkissenmaschine mit offenem Verdeck um die Ecke, am Steuer Edna, mit wildem Blick, ihr Haar flog verrückt im Wind. Mit einer Hand hob sie etwas Großes, Glänzendes auf die Kante der Wagentür, der Lauf zeigte direkt auf KRAWUMM!KRAWUMM!KRAWUMM!KRAWUMM! KRAWUMM! Stahlspäne prasselten rings um uns nieder, jeder ging zu Boden und griff gleichzeitig nach seiner eigenen Artillerie. Mein Karren kippte in der ganzen Aufregung vornüber und schüttete Ihren ergebensten Diener in den Dreck, diente mir aber als Schild. Ich packte die zusätzliche Ben .40, die Wil Sanders mir zuwarf, und fragte mich kurz, wo wohl mein Colt abgeblieben war. Ich möchte nicht einmal den Versuch machen, darzustellen, wie es sich anhörte, als die ganzen Schießeisen auf einmal losgingen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann ließ jemand im Kastenwagen alles los, was er hatte und konzentrierte die schwere Feuerkraft auf den gestohlenen, gelben Sportwagen, der versuchte, eine Schleife zu drehen und uns erneut zu beschießen. Diese Edna wußte doch nie, wann es Zeit zum Aufhören war. Eine Explosion riß den angeschwollenen Plastikrand von der Kühlerverzierung bis zum Kofferraum auf, das Fahrzeug überschlug sich, Rauch und aufsteigende Flammen hüllten es ein. Das verdammte Ding krachte durch die leichte Seitenwand eines benachbarten Lagerhauses. Im Inneren erhellte ein Blitz alle Fenster, ein Aufbrüllen zerreißenden Stahls und überhitzter Luft war zu hören, dann wölbten sich die Wände praktisch nach außen, rissen an den Ecken des Gebäudes auf, und die freiwerdende Energie legte alles innerhalb von hundert Metern flach. Und warf mir den Ersatzguerney, von dem ich heruntergefallen war, direkt auf meinen verbliebenen, heilen Arm und Radius und Ulna zerbrachen mit einem Geräusch wie splitternder Bambus. Ich fand es gar nicht lustig.
23. Kapitel Leben oder Einbildung? Ednas Leiche fanden wir nie. Es dauerte nur ungefähr eine Woche, bis die verschiedenen Schienen und Pflaster von meiner dürren Gestalt entfernt wurden. Und das war auch gut so: Ich kam mir allmählich schon so unfallträchtig vor wie Denny Kent. Nun, das ist ein loses Ende, das schön ordentlich zusammengefügt wurde. Wiedergutmachung, nicht Einsperren ist das Hauptanliegen der Justiz in der Konföderation, aber es sah so aus, als gäbe es nicht allzu viele einträgliche Beschäftigungen für einen ansonsten unbrauchbaren marxo-friedmanistischen Neorevisionisten der Alten Schule – nicht im Land des laissez-faire – bis sich jemand erinnerte, daß man oben in Cheyenne eine Aushilfe für den Professor für alternative Moralphilosophie brauchte. Mann, ich hatte vorgehabt, den armen Denny in Ketten zur Akademie zurückzuschleifen, aber nicht einmal ein ›ehemaliger Volkswirtschaftler‹ hat den Pfeiler verdient. Außerdem würde er während der nächsten paar Dutzend Dekaden arbeiten müssen, um Win und Griswold's, Birdflower und Tree und die Besitzer all der Grundstücke im Industriebezirk zu bezahlen, die mit seiner Hilfe niedergerissen und in die Luft gejagt worden waren. Nicht daß er meiner Meinung nach für all das verantwortlich gewesen wäre, aber alle anderen – einschließlich Dennys – schienen damit zufrieden – Strafe ist eine weitere, auf Religion basierende Vorstellung, die die Konföderation aufgegeben hat. Ich muß sagen, ich finde das selbst nicht schlecht. Während ich in Wins zweitem Schlafzimmer in Quarantäne lag, meine Knochen wieder zusammenwachsen ließ und die häufigen Besuche der früheren Kendal-Schwestern genoß, die gegenwärtig ›unter dem Namen Sanders‹ leben, dachte ich viel darüber nach, was ich tun würde, wenn ich wieder zu Hause war. Es war in gewisser Weise sinnvoll, Merwin,
Hulbert, Heplar und Cromney in Georgies Gefrierkammer zu stecken und sie den Behörden der Akademie wenigstens als gewisse Erklärung zu präsentieren. Aber ich kam mir dabei vor wie Vincent Price. Gregamer würde ich freudig dem Schicksal überlassen, das seine konterirdischen Überreste hier in Laporte erwartete. Nicht sinnvoll fand ich es, der guten alten Akademie etwas über Zeitreisen in seitlicher Richtung und über die Konföderation zu erzählen. Dieser letzte Alptraum war eigentlich gar nicht so surrealistisch gewesen, wie es vielleicht den Anschein hatte. Sie würden hier einrücken wollen, bestimmt – die Konföderierten sind auf ihre Weise stark, aber ihre Zivilisation erschien diesem Außenseiter gegenüber besonders unschuldig und verletzlich – und ein Haufen von erstklassigen Leuten würde bei der Geschichte als radioaktiv Verseuchte enden. Also, was sollte ich tun? »Georgie, was soll ich tun? Du weißt, wie es zu Hause ist – verdammt, die würden dich auseinandernehmen, nur um zu sehen, wie du tickst!« Damals – ein paar Tage nach der Schlacht in Wyoming – stand sie noch immer in dieser Wagenscheune in ›Hölle auf Rädern‹ und wartete getreulich darauf, daß ich ihr die Stabilisatorkomponente einstöpselte – ich hatte sie inzwischen von Mulligan's Bank & Grill abgeholt – sobald mir dafür zwei funktionsfähige Hände zur Verfügung standen. Ihr Bild auf der Komwand des Schlafzimmers runzelte ein wenig die Stirn, dann hellte es sich auf. »Wir könnten einfach für immer hierbleiben. Wetten, daß wir uns im Zeitreisegeschäft unseren Lebensunterhalt recht gut verdienen könnten? Wir hätten ein Monopol!« Ich schüttelte den Kopf und freute mich, daß ich noch zwei Augen besaß, mit denen ich sie ansehen konnte. »Nicht sehr lange, D. J. und Ooloorie haben schon mit den Gleichungen gespielt, hauptsächlich, um dabei einen Sternenantrieb herauszukriegen. Und du hast sicher ihren Assistenten erkannt. Wenn ich den sehe, kriege ich jedesmal 'ne Gänsehaut – ich hoffe nur, daß sie ihn hier fester am Zügel haben als zu Hause.« Ich sah auf meine Uhr. Der Ersatzochskahrt hatte sie tatsächlich repariert. Sie lief prima.
Rückwärts. Eine Pause in der Unterhaltung trat ein, während ich mit den weißen Plastikkissen herumfuhrwerkte, die man in bestimmter Anordnung an mir festgeschnallt hatte und die die Bassetspulen enthielten, welche meine Knochen mit unnatürlicher Geschwindigkeit zusammenheilen ließen. »Außerdem, Baby, so gern ich die Leute hier mag, Menschen und andere, ich bin kein Anarchist! Mann, wenn man keine Vorschriften mehr übertreten kann, macht das Leben doch keinen Spaß mehr!« Sie kicherte. »Das Erschreckende ist, daß du das wirklich ernst meinst. Na gut, wenn wir zurückkehren müssen, dann müssen wir eben. Aber du hast recht mit der Akademie: Die dürfen nie etwas über die Konföderation erfahren…« »Und über dich auch nicht!« »Danke, mein Liebling, über mich auch nicht. Was sollen wir also tun?« »Das ist unfair – ich habe zuerst gefragt!« Es stellte sich heraus, daß die Bassetspulen auch bei Freenies gut wirken, so daß ich, sobald man den Leim von Spins Rückenschild heruntergekratzt hatte, wieder nicht wußte, mit welchem ich gerade sprach. »Ich stimme Georgie zu, Herr, und dir auch: Irgendwie müssen wir über uns und über die Zeit, in der wir fort waren, Rechenschaft ablegen – ohne die ganze Wahrheit zu sagen.« Das hätte Charm sein können. Es war nicht wichtig, weil die beiden anderen mit ihm am Fußende meines Bettes hockten und zustimmend mit den Augenstengeln zuckten. Etwas, was der kleine Bursche sagte, ließ in meinem Kopf eine Glocke klingeln, aber eine sehr kleine, ganz schwache. Laß sie läuten, es würde mir schon noch einfallen. »Nun, wir können von der Entführung erzählen, sogar von Nagasaki. Soviel ist sicher und ordentlich in Georgies Datenbänken aufgezeichnet.« Wieder klirrte die winzige Glocke in meinem Unterbewußtsein. Aufreizend war das. »Mensch, Vernie«, sagte Koko, die in einem Sessel neben dem Schlaf-
zimmerfenster lümmelte, »da sind doch auch noch die ganzen Leichen, für die du eine Erklärung abgeben mußt.« Sie strickte drei winzige Pullover – sahen aus wie Schoner für die Schwimmer einer Toilettenspülung. »Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß mindestens Heplar mit einer äußerst fremdartigen Waffe getötet wurde. Verdammt, der Leichenbeschauer wird ihm Stahlnadeln aus dem Körper ziehen, bis er…« »Bernie!« flehte Georgie, »da dreht es mir ja den Magen um!« Was uns zu einem weiteren Problem brachte, das mir zu schaffen machte. Georgie hatte keinen Magen. Sie war ein dreißig Meter großer Diskus, wog mehr Tonnen als Carter im Jahr Erdnüsse erntete, und in ihr steckten genügend Pferdestärken, um dem Roten Meer einen Scheitel zu ziehen und es über den Ohren zu stutzen. Aber sie war auch eine schmerzhaft hübsche, schlanke, einsfünfzig große Blondine mit Augen wie Rotkehlcheneier und einer Haut wie Alabaster, ein Mädchen, das ich in einer auf Band genommenen Traumsequenz öfter geliebt hatte, als ich es Ihnen erzählen möchte. Ich werde sogar verlegen, wenn ich in gemischter Gesellschaft nur daran denke. Wie wirklich war diese Traumszene? So wirklich, daß ein Eindringling sie darin foltern konnte und mit seiner imaginären Zigarette nässende, runzelige Wunden hinterließ. Ich hatte ihre Genesung verbal reprogrammiert, keine einzige Narbe war zu sehen, aber als ich ihr anbot, die häßlichen Erinnerungen zu löschen, hatte sie das mit der Begründung abgelehnt, daß auch die häßlichsten Erlebnisse Teil der Persönlichkeit, des Charakters seien – wenn man sie auslöschte, wäre das genauso, als löschte man Georgie selbst. Sie ist schon ein Mädel, meine Georgie! Aber was für eines? Sie brachte mich so weit, daß ich mich fragte, ob die Geschichte von Will Sanders nicht vielleicht doch wahr sein könnte – daß er sich nämlich in die Konföderation hineinphantasiert hatte. War sie wirklicher als Georgies Welt mit sonnenbeschienenen Wiesen und uralten Eichen? Übrigens, ist einer von uns für den anderen wirklich?
Vielleicht lieben wir alle ein Bild, das wir uns in unseren Köpfen zusammenbauen, ein Bild, das ziemlich stark von der Wirklichkeit – was immer das nun sein mag – abweicht? Ist es pervers, wenn man eine Maschine liebt, wenn man von ihr geliebt wird? Und nun waren wir hier im Orbit, ungefähr zweiundzwanzigtausend konföderierte metrische Meilen weit im All, und stiegen noch höher. Auf dem Schaltpult leuchteten ein halbes Dutzend Kathodenstrahlröhren, die in das Telekomsystem hineingeflickt waren. Ich verabschiedete mich zum letztenmal von Win und Koko auf einer davon, von Howell auf einer zweiten, von D. J. und Ooloorie, die sich einen Bildschirm teilten, der San Francisco und Laporte verband, von Will, Fran und Mary-Beth – kein einziger von ihnen war auch nur im mindesten mehr – oder weniger – wirklich als das TV-Phantom, das sich als meine Georgie herausgestellt hatte. Olongo hatte einen Monitor für sich, was irgendwie nur recht und billig schien. »Seid ihr nun absolut sicher, daß ihr eure Geschichten richtig beherrscht?« erkundigte sich der Präsident zum dutzendsten Mal. »Wißt ihr alle, was ihr sagen werdet?« All die kleinen Glocken in meinem Kopf hatten schließlich an der richtigen Stelle geklingelt. »Sicher, Euer Exekutivität. Cromney und seine Bande – einschließlich meines verstorbenen, unbeweinten, verräterischen Assistenten – haben mein Schiff gekapert, als ich nicht aufpaßte, und mich gezwungen, sie alle in ein primitives Zeitalter zu bringen; unter großem Druck gehorchte ich ihnen, brachte sie, um genau zu sein, in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Dann spielte ich ihnen einen kleinen Streich und ließ sie an der Ecke zum neunten August in Nagasaki raus. Ich glaube, meine Chefs werden das komisch finden – es entspricht ungefähr ihrer Vorstellung von Sportsgeist.« »Was ist mit Merwin und Hulbert?« fragte Howell. »Sie werden doch nicht als Meuterer abgestempelt, oder?« »Die armen, alten Dummköpfe wurden als Geiseln genommen«, antwortete ich. »Kriegsschicksal – auch so ein Begriff, den die Akademie schlucken wird. Außerdem sparen sie sich damit das Pensionsgeld.«
Unser Alibi war wasserdicht: Ich würde lügen, daß sich die Balken bogen, Georgies manipulierte Aufzeichnungen – aber nicht ihre wirklichen Erinnerungen – würden mich stützen, das ganze Machwerk würde dann noch unterzeichnet, gesiegelt, gefaltet, geklammert und verstümmelt durch das Zeugnis von drei Sehr Bedeutenden, außerweltlichen Würdenträgern, vor denen meine Vorgesetzten ohnehin einen Mordsbammel hatten. Georgies Bereitwilligkeit, die Wahrheit zu manipulieren, würde es uns gestatten, auf Luna nur ein paar Stunden nach unserem ursprünglichen Start wieder aufzutauchen. Schließlich ist sie nicht umsonst eine Zeitmaschine. Im Augenblick war sie eine sehr raffinierte Zeitmaschine. Ihr Zusatzgehirn waren die Computer der Abteilung für Praxeologie im guten, alten Laporte gewesen, und wenn wir sie zurückgelassen hätten, hätten wir an Georgie praktisch eine Lobotomie vorgenommen. Während meiner Genesungszeit hatte D. J. einiges umgemodelt – jetzt waren etwa fünfzig harmlos aussehende, nichttechnische Einrichtungsgegenstände – Kojenbetten, Spinde, Installationen – vollgepackt mit hochkomplizierter, konföderierter Nanoelektronik, und die früher schwachen Teile von Georgies Persönlichkeit waren unversehrt dahinein übertragen worden. Sie würden Inspektionen und Wartungsarbeiten standhalten – ich prüfte es selbst nach – und spleißte eigenhändig das Kabel der TraumKappe wieder zusammen. Während ich wie ein Klaviervirtuose auf den Knöpfen spielte, richtete ich mich nach dem komplizierten Mechanismus aus, der vor uns im Orbit schwebte. Sah aus wie die Eingeweide einer alten Atwater-Kent. In der Mitte war eine Öffnung von Georgies Größe, darüber waren die Worte ›J. V. TORMOUNT UNTERNEHMEN GMBH‹ aufgemalt. Ein Geschäftspartner von Olongo, der größte Penetratormechanismus im ganzen Sonnensystem. Ich drehte mich auf meinem Sessel herum. »Seid ihr Burschen auch alle schön angeschnallt?« Drei kleine rosa Stahlhelme, aus denen da und dort verschiedene, fast obszöne Anhängsel herausragten, nickten mir zu.
»Georgie! Hast du alle Elektronen in der Reihe?« Das hübscheste Gesicht diesseits des Olymps zwinkerte mir zu. »Ich bin bereit, mein Lieber.« »Auf deiner Seite alles so weit, D. J.?« »Wir sind bereit«, erwiderte die gutaussehende Physikerin. »Na gut dann, okay – hat keinen Sinn, den Schmerz zu verlängern!« Ich berührte die Tasten, die uns ins dreiundzwanzigste Jahrhundert zurückbringen würden, sobald wir durch den Penetrator gegangen waren, beugte mich zum Steuer vor und raste auf die Öffnung zu. Ich überprüfte die Monitore, schließlich blieb mein Blick am Schirm der Sanders hängen. »Lebt wohl, Leute. Ich werde nie vergessen…!« WAMM! Wir sprangen in ein anderes Universum, hinter uns zuckte ein gewaltiger, blauer Blitz auf, als der Penetrator sich schloß, und Georgie vollführte einen Salto nach dem anderen, bis ich sie wieder abfangen konnte. Ich drückte die Tasten für einen langen, geruhsamen Flug zurück nach Hause. Wir befanden uns in unserem sonnenbeschienenen Privatwäldchen am Rande endloser Wiesen, ein leichter, frischer Wind bewegte das kniehohe Gras rings um uns. Wir standen unter einer weitausladenden, uralten Eiche, Georgie und ich, derselbe gottverdammte Singvogel tirilierte in den dichtbelaubten Zweigen über uns. Sie lehnte sich gegen die altersrauhe Rinde, ihre warmen, glatten Hände lagen in den meinen. Ich blickte ihr tief in die unergründlichen, azurblauen Augen. »Baby, wir können uns nicht mehr so treffen. Meine Knochen werden allmählich zu alt, um es die ganze Zeit im Freien auf dem Boden zu machen.« Der sanfte Wind streichelte ihr blaßblondes Haar. Sie kicherte, blickte nach unten, wie durch Zauberei erschienen Grübchen in ihren Seidenwangen. »Nur noch einmal, um der alten Zeiten willen?« Ich zuckte die Achseln. »Ich kann dir einfach nichts abschlagen, Baby.« Sie ließ meine Hände los und löste meinen Pistolengurt. Sanders hatte mir meinen Colt zurückgebracht, und es war gut, daß ich das alte Streitroß wieder um mich
hatte. Ich ließ das Gehänge fallen, mein Herz begann zu hämmern, und ich bildete mir ein, ich könnte das ihre genauso wild schlagen sehen in dem atemberaubenden Ausschnitt ihrer wunderschönen, dünnen Sommerbluse. Ihre Brüste waren gerundet und einladend. Ich beugte mich hinunter und wollte sie berühren, aber sie grinste und fummelte in einer Weise am Reißverschluß meines Overalls herum, die nicht im geringsten unschuldig war. Plötzlich richtete sich meine begierige Männlichkeit vor ihr auf. Ich war selbst ziemlich beeindruckt. Wir… »BER – NIE!« »Grr!« Ich griff nach meinem Schulterhalfter, dann entspannte ich mich ein wenig. Früher oder später würde ich auf der Herzinfarktstation landen, das wußte ich. »Bernie, es tut uns aufrichtig leid, dich wecken zu müssen«, erklärte Charm, seine zwei kleinen Kameraden waren gleich hinter ihm auf meiner Brust und auf südlicheren Regionen meines Körpers aufgereiht. »Was gibt's, Jungs? Sind wir schon zu Hause?« Ich zog eine Zigarre aus meiner Brusttasche, zündete sie an und wählte mir ein Bier. »Eigentlich nicht – aber es ist dringend nötig, daß wir vorher mit dir sprechen. Du erinnerst dich natürlich an den ursprünglichen Zweck unserer Mission?« Ich paffte blauen Rauch. »Sicher. Das alte Japan zu besuchen und… ach so, ihr meint eure Mission, nicht wahr? Bei Gott zu sein und das göttliche Erlebnis an eure Nachkommen weiterzugeben. Gute Leistung, wenn ihr das schafft!« Er nickte mit seinem Augenstengel. »Aber es gibt eine Komplikation, Bernie.« »Wie das?« »Nun – ich will dich bestimmt nicht kränken – wir haben dich beobachtet, Bernie, wie du entführt und zusammengeschlagen wurdest, wie du dich verirrt und durch die Konditionierung der Akademie die Orientierung verloren hast, wie du verhaftet wurdest, dich betrunken hast, wie man auf dich geschossen hat, wie…« »Genug, es reicht! Ich verstehe: Ich bin zwar ein richtiger Draufgän-
ger, aber…« »Aber ein Gott bist du nicht«, sagte Charm. Und dann sprach der Herr und sagte sogar: »Halleluja! Nicht zu vergessen Hosiannah in excelsis Deo – und den ganzen Quatsch! Genau das wollte ich euch kleinen Knülchen doch die ganze Zeit begreiflich machen! Es gibt keinen Gott; es gibt nur Leute in den verschiedensten Gestalten und mit allen möglichen Veranlagungen.« »Und Existenzformen«, fügte die schöne, imaginäre Georgie von einem der Monitore hinzu. »Gefällt mir irgendwie, wie du das ausdrückst, Liebste.« »Aber du begreifst die Schwierigkeit, Bernie, nicht wahr?« Charm flitzte noch ein paar Zentimeter weiter nach oben und spähte in meine Augen. »Während wir eine Gottheit verloren – und einen großen und guten Freund gewonnen haben, haben wir uns auch ein monumentales Problem eingehandelt…« »Und das wäre?« »Das wäre, daß unsere Gattung noch immer an dich glaubt – und wir es nicht übers Herz bringen, ihr diesen Glauben zu nehmen. Dadurch könnte durchaus die Zivilisation zerstört werden, die du uns geschaffen hast.« »Und deshalb«, fuhr Color fort und schob seinen Gefährten sozusagen theoretisch mit der Schulter hinüber auf die Stuhllehne, »sind wir zu einem Entschluß gekommen, o Früherer Herr.« »Sag lieber ›Herr Emeritus‹.« Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. »Ja«, sagte Spin, »und wir haben… äh… dich und Georgie unterbrochen, um ihn dir mitzuteilen.« »Ihr braucht mir keine Gefälligkeiten mehr zu erweisen.« »Sei nett«, sagte Georgie. »Es gibt noch immer die Sofortige Wiederholung.« Ich seufzte. »Na gut denn – schieß los!« »Nun, Bernie«, sagte der Gesandte, »da wir es nicht wagen, zurückzukehren und unsere Information in den Genpool einzuzüchten – so auf-
klärend sie auch sein mag –, haben wir beschlossen…« »… bei dir zu bleiben…«, sagte Color. »… für immer«, fügte Spin hinzu. »O jemine!« rief Georgie und zeigte ihre Grübchen. Haben Sie schon mal einen erwachsenen Mann weinen sehen?
Anhang
Kurzer historischer Abriß des Gallatin-Universums* Im Jahre 1796 C.Z.** beantragte der erfinderische Thomas Jefferson einen neuen Kalender, der auf Gallatins Anregung hin 1776 als das ›Jahr Null‹ festsetzte. Daten, die vor der Unabhängigkeitserklärung liegen, werden weiterhin wie früher gezählt, gefolgt von ›C.Z.‹, wo angebracht auch von ›v. Chr.‹ 100 Erdenjahre entsprechen auf Sodde Lydfe 116, auf Vespucci 132 Jahren. Wissenschaftler seien gewarnt: Es entstehen Mehrdeutigkeiten bei der Katalogisierung von Ereignissen in alternativen Zeitlinien (es gibt offenbar nur eine Konföderation, dagegen sind einige Varianten der Vereinigten Staaten bekannt), auf verschiedenen Planeten oder in Fällen, wo der Verdacht besteht, daß Zeitreisen eine Rolle spielten. Zeit ca. 3001 v. Chr.
ca. 948 v. Chr.
ca. 499 v. Chr.
Ereignisse Erfindung der sumerischen Keilschrift; Berichte von Haushunden in Ägypten überliefert; Yamaguchi W523 verläßt Hauptzeitlinie; verirrte Hamiltonisten gründen Kolonie auf Sca. Salomon baut Jahve-Tempel in Jerusalem; Attika von athenischen Königen geeint; verirrte Hamiltonisten gründen Kolonie auf Obsidia. Perikles geboren; Tarquinius Superbus von röm. Revolutionären besiegt; verirrte Hamiltonisten gründen Kolonie auf Vespucci.
Zusammengestellt aus der Enzyklopädie von Nord-Amerika, TerraNovaCom Kanal 485-A von Edward William Bear aus Denver, mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber. ** C.Z. = Christliche Zeitrechnung *
ca. 159 v. Chr.
0 345 1592 1732 1743 1757 1761 1776
A.L. 0 7
C.Z. 1776 1783
11
1787
3.Periode der chinesischen Literatur; in Rom Erfindung der Wasseruhr; verirrte Hamiltonisten gründen Kolonie auf Hoand; auf Sodde Lydfe beginnt mit dem Tod der Gemarterten Dreiheit die geschichtlich belegte Zivilisation. Beginn der Christlichen Zeitrechnung (C.Z.) Nach Konstantins Tod setzt Verfall des Römischen Reiches ein; auf Sodde Lydfe gründet Neoned der Aggressor Groß Foddu. Nobunaga-Periode; Japan ›gibt das Gewehr auf‹; ›OMA 789 George Herbert‹ von Zeitbanditen in Tokio entführt. George Washington in Virginia geboren. Thomas Jefferson in Virginia geboren. Alexander Hamilton auf den Westindischen Inseln geboren. Albert Gallatin in der Schweiz geboren. Beginn der neuen Zeitrechnung (A.L.*) im GallatinUniversum. Ereignisse Beginn des Unabhängigkeitskrieges (Revolution)**. Vertrag von Paris (3. September); Ende des Unabhängigkeitskrieges (Revolution). Föderalisten unter Führung von Hamilton, Jay und Madison treffen sich in Philadelphia, stimmen illegalerweise einer neuen ›Verfassung‹ zu, die eine starke Zentralregierung schafft.
A.L. = anno libertatis (Jahr [nach] der Befreiung) In den USA wird der Unabhängigkeitskrieg gegen England als ›Revolution‹ bezeichnet. – Anm. d. Hrsg.
*
**
12
1788
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1800
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1803
Ratifizierung durch den neunten und letzten notwendigen Staat (New Hampshire). Verfassung in Kraft; Hamilton Finanzminister unter George Washington. Hamiltons Verbrauchssteuer bewilligt; wütende Farmer aus Pennsylvania versammeln sich in Brownsville und leiten Gegenschlag ein. In Pittsburgh Versammlung der gegen die Steuern eingestellten Kräfte; Washington verkündet Warnung; Farmer teeren und federn Steuereinnehmer. ABZWEIGUNG DES GALLATIN-UNIVERSUMS VON ›UNSEREM‹ USA-UNIVERSUM. 15.000 Mann Bundestruppen gegen Farmer eingesetzt; Albert Gallatin schließt sich der Rebellion an; Washington in Philadelphia standrechtlich erschossen; Verfassung für ungültig erklärt; Gallatin zum Präsidenten ausgerufen; Hamilton verschwindet. Geschäftsführende Regierung gebildet; Gallatin ruft allgemeine Amnestie aus; alle Steuern wieder abgeschafft; Föderalisten und Tories bekommen Eigentum und Rechte zurück. Gallatin vom Kongreß bestätigt; verlangt neutrale Haltung zwischen England und Frankreich, humane Indianerpolitik und Revision der ›Artikel‹. Neue ›Artikel‹ ratifiziert; Betonung auf bürgerlichen Rechten und Wirtschaftsrechten; Landurkunden für Nordwestgebiete tilgen Kriegsschulden; ansonsten ist es den Regierungen verboten, Geld zu prägen oder zu drucken. Gallatin wiedergewählt (zweite Amtszeit); Maße und Gewichte nach Jefferson eingeführt. Gallatin und Monroe vereinbaren Erwerb von Louisiana, borgen von privaten Geldgebern gegen Grundbesitz.
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1817
Gallatin wiedergewählt (dritte Amtszeit); Hamilton in einem Duell in Preußen getötet; Stevens erfindet Dampfschiff. England versucht, Schiffsverkehr einzuschränken; Gallatin beauftragt Freibeuter, amerikanische Schiffe zu beschützen. Franzosen verteidigen Seerechte der Amerikaner; Chesapeake vertreibt britische Kriegsschiffe; Forsyth erfindet System der Aufschlagszündung für Feuerwaffen; Engländer ächten Sklavenhandel; Jefferson beginnt Kreuzzug gegen Sklaverei. Hunderte von britischen Schiffen durch amerikanische Privatmarinetruppen gekapert oder versenkt, Tausende von englischen Seeleuten desertieren; erstes hochseetüchtiges Dampfschiff ›Confederation‹ (Stevens) versenkt britisches Kriegsschiff; Gallatin wiedergewählt (vierte Amtszeit). Jefferson bei Attentatsversuch verwundet, tötet Attentäter. Gallatin verkündet seinen Rücktritt; Edmond Genet zum Präsidenten gewählt. Klage der Freibeuterliga stürzt die Doktrin der Immunität von Souveränen. Gallatin veröffentlicht ›Prinzipien der Freiheit‹, systematische Behandlung der philosophischen Schriften von Paine und Jefferson. Freibeuteradmiral Jean Lafitte prangert öffentlich Sklaverei an. Geriet wiedergewählt (zweite Amtszeit); beantragt Abschaffung der Sklaverei; Entschädigung der Sklaven durch Landschenkungen im Westen. Sklaverei für alle nach A.L. 44 geborenen Kinder abgeschafft.
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Gallatin veröffentlicht ›Regel der Vernunft‹, tritt darin für nicht bindende, voluntaristische Gesetzgebung ein; in England glaubt man, Explosion im Parlament am Guy Fawkes Day sei durch Gallatins Werke heraufbeschworen; britische Regierung gestürzt. Collier-Shaw-Revolver mit Aufschlagzünder; Patentsystem bricht unter Gallatins Kritik an der Durchsetzung von Monopolen durch die Regierung zusammen. Jefferson zum Präsidenten gewählt; Sklaverei völlig abgeschafft; Jefferson weist öffentlich Angebot zurück, Präsident auf Lebenszeit zu werden, droht mit Rücktritt. Mexiko garantiert amerikanischen Siedlern Land in Texas. Monroe entwirft ›Jeffersondoktrin‹: politischer Isolationismus; Abschaffung von Handelsbeschränkungen; moralische Unterstützung für Kolonien, die ›Grundrecht‹ auf Abfall vom Mutterland geltend machen. Jefferson wiedergewählt (zweite Amtszeit); Verbrennungsmotor erfunden, erste mechanische Rechenmaschinen; anderswo Gründung der Republik Vespucci. Jefferson stirbt im Amt; Monroe übernimmt Präsidentschaft. Monroe gewählt. Erste Dampfeisenbahn (Philadelphia). Monroe stirbt im Amt; John C. Calhoun übernimmt Präsidentschaft. Calhoun gewählt; Nathan Turner erster schwarzer Abgeordneter im Kongreß; England experimentiert mit gallatinistischem Gesetzgebungssystem; Calhouns neue Indianerpolitik von Gallatin angeprangert.
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1849 1850 1851
England schafft Sklaverei ab, Irland davon ausgenommen; englische Regierung stürzt. Colt entwickelt doppelläufigen Revolver; in Georgia Gold gefunden. Gallatin kehrt zurück und besiegt Calhoun; Texaner erklären sich unabhängig; Santa Anna bei San Antonio besiegt und getötet. Philip und Joseph Webley errichten in Birmingham, Alabama, Feuerwaffenmanufaktur. Gallatin tritt wieder zurück; Sequoyah Guess zum Präsidenten gewählt. Mexiko erklärt Alten Vereinigten Staaten sowie Republik Texas den Krieg. US-Streitkräfte in Mexiko; Sequoyahs Gallatin›Lesung‹ in Buena Vista löst massive Desertionen bei den Mexikanern aus; Mexiko City ergibt sich; Sequoyah von Heckenschützen getötet; Osceola übernimmt Präsidentschaft. Osceola gewählt; Trapper Antoine Janis steckt in ›Colona‹ am Cache la Poudre einen Claim ab. Jonathan Brownings Waffenfirma in Nauvoo, Illinois, gegründet. Revolution in Kalifornien; Hamiltonistische ›Republik‹ unter ›Kaiser‹ Joshua Norton ausgerufen. Erste geschlossene Revolverpatronen. Goldfunde in Kalifornien; in ganz Europa gallatinistische Aufstände; Jefferson Davis zum Präsidenten gewählt. Gallatinistische Revolution in Kanada. Gallatinistische Revolutionen in Mexiko und China. Nachricht von Pogromen gegen Gallatinisten in Kalifornien; Klimaanlage erfunden; Lucille Gallegos in San Antonio geboren.
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Albert Gallatin stirbt; weltweite Trauerfeiern, Gerüchte von Freudenfesten in Preußen und Kalifornien; Gifford Swansea zum Präsidenten gewählt. Erstes Dampfschiff ganz aus Stahl überquert Atlantik. Arthur Downing zum Präsidenten gewählt. Gallatinistischer Aufstand in Indien niedergeschlagen; englische Regierung stürzt. Gemeinsames Thesenpapier zur Evolution von Darwin und Wallace. Downing stirbt im Amt; Präsidentin Harriet Beecher befürwortet Alkoholverbot; John Provost, Antoine Janis, zwei Brüder und ihre indianischen Frauen gründen Stadtfirma in Colona. Lysander Spooner zum Präsidenten gewählt; gallatinistische Aufstände in italienischen Staaten; chinesische Gallatinisten stürzen Hamiltonisten in Kalifornien. Große Nordpazifische Eisenbahn nimmt transkontinentalen Betrieb auf, eröffnet Nebenstrecke in Republik Kalifornien hinein. Siedlung Colona in ›Laporte‹ umbenannt. Spooner wiedergewählt (zweite Amtszeit); automatische Pistole von Moray erfunden. Schauspieler John Wilkes Booth von unbekanntem Rechtsanwalt aus Illinois ermordet. Mexiko und Vereinigte Staaten verhandeln über Konföderation. Elisha Gray erfindet Telefon; rauchloses Schießpulver; Alaska von texanischem Konsortium erworben. Spooner wiedergewählt (dritte Amtszeit); beantragt gallatinistische Gesetzgebung in Vereinigten, Staaten;
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Fernmeldesystem von Atlanta nach Philadelphia eingerichtet. Aufgrund eines Rechtsstreits Wahlrecht für Frauen eingeführt; gallatinistische Gesetzgebung angenommen, ›Artikel‹ revidiert. Großbrand in Chicago; offizielle Erklärung in der Presse verlacht, Vorläufer von Griswoods Sicherheitsdienst gegründet. Brrr. Spooner wiedergewählt (vierte Amtszeit). Erste elektrische Straßenbahn (Chicago). Hundertjahrfeier; riesige ›Gallatinstatue‹ in Lake Michigan aufgestellt; Spooner wiedergewählt (fünfte Amtszeit). Thorneycroft erfindet Luftkissenfahrzeug; A. G. Bell erfindet mechanischen Kehlkopf für Schimpansen. ›Manhattankrieg‹ zwischen privaten Schutzfirmen. Admiral/General Wm. Lendrum Mitchell in USVariante und in Konföderation geboren. Spooner tritt zurück; Jean-Baptiste Huang zum Präsidenten gewählt. ›Bewegliche Bilder‹ werden populär; Huang wird wiedergewählt (zweite Amtszeit). Kanada schließt sich Verhandlungen zwischen Vereinigten Staaten und Mexiko an. Geronimo, Nationalmexikaner, wird erster Abgeordneter im Kongreß, der andere, aber nicht sich selber vertritt; erstes drahtloses Telefon; Wahlrecht für Primaten. Großer Blizzard im Osten; erste elektrisch beheizte Straßen (Edison); Frederick Douglass zum Präsidenten gewählt.
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Erste transatlantische Funkverbindung überträgt Wetten bei amerikanischen Pferderennen; Manfred von Richthofen (J. J. Madison) in Schlesien geboren. Benjamin Tucker zum Präsidenten gewählt. Konföderation von Nord-Amerika schließt Alaska, Kalifornien, Kanada, Mexiko, Neufundland, Alte Vereinigte Staaten und Texas ein. Erster motorisierter Schwerer-als-Luft-Flug (Lilienthal); britische Gallatinisten beantragen Konföderation mit NordAmerika; britische Regierung stürzt. Tucker wiedergewählt (zweite Amtszeit); Erfindung des lenkbaren Luftschiffes. Captain Forsyth in Oklahoma City, N.A.K. geboren. Hauptstadt in die Mitte des Kontinents verlegt; Tucker wiedergewählt (dritte Amtszeit); Hugh GabbetFairfax führt großkalibrige ›Mars‹-Automatik ein Bericht der königl. Marine stellt fest: »Niemand, der diese Pistole abfeuerte, wollte ein zweitesmal damit schießen.« Erstes Flugzeug überquert den Kontinent. Lenkbares Luftschiff ›City of Akron‹ fliegt nonstop der Länge nach über den Kontinent und zurück; erster Tonfilm (Ragtime Dance), Premiere in New Orleans. Tucker wiedergewählt (vierte Amtszeit); Nicaraguakanal. Erdbeben in San Francisco, Großbrand. Marion Michael (›Mike‹) Morrison, Filmstar der Konföderation, geboren. Tucker wiedergewählt (fünfte Amtszeit). Erstes Flugzeug überquert Atlantik; erstes lenkbares Luftschiff überquert Pazifik; ›Teeparty von Sidney‹: alle Regierungsbeamten ins Hafenbecken geworfen.
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Geoffrey Couper, Gründer der neoimperialistischen Partei, geboren. Albert Jay Nock zum Präsidenten gewählt. Preußen greift angrenzende Länder an; Kontinentalkongreß erklärt Neutralität; konföderierte Freiwillige rüsten Flug der ›Tausend Luftschiffe‹ aus. Nock wiedergewählt (zweite Amtszeit). Goddard-Raketen dezimieren preußische Luftstreitkräfte; durch starke Verbreitung von Gallatins Werken über Funk Aufruhr ausgelöst. Grippeepidemie; Flotte von lenkbaren Luftschiffen verteilt Versuchsimpfstoff rund um die Welt. Edward Bear, Vater von Edward William Bear, am 1. April in Denver/St. Charles Auraria geboren. Nock wiedergewählt (dritte Amtszeit). Erster Atommeiler vorgeführt (Chicago). Nock wiedergewählt (vierte Amtszeit). Fernsehen; Verständigung mit Delphinen; erstes Kraftwerk nach dem Prinzip der Kernspaltung (Chicago); Edna Cloud, Mutter von Edward William Bear, am 9. August in Los Angeles geboren. Falsche Ernährung als hauptsächliche Krebsursache erkannt; H. L. Mencken zum Präsidenten gewählt; erste Laser. Erstes Kraftwerk nach dem Prinzip der Kernfusion (Detroit); Ooloorie Eckickeck P’wheet irgendwo im Pazifik geboren; Familie Meep baut Restaurantkette auf; Herz-Lungen-Maschine. Düsenflugzeug; lenkbare Luftschiffe mit Fusionsantrieb; Mencken wiedergewählt (zweite Amtszeit); Olongo Featherstone-Haugh geboren. Mencken ermordet; Kontinentalkongreß wählt F. Chodorov zum Nachfolger; Cetaceen (Wale und
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Delphine) schließen sich der Konföderation an; erste Herztransplantationen. Gallatinistische Revolution in Spanien; Chodorov gewählt. Erster künstlicher Satellit im Süden von Mexiko gestartet. Altruistische Schutz-Enklave für Primaten in Stanford gegründet. Edward William Bear in Saint Charles Town, N.A.K. und in Denver, USA, geboren. Rose Wilder zur Präsidentin gewählt. Erster Primat in der Umlaufbahn liest Werke von Gallatin, spielt Schach mit Tümmlern an der Emperor Norton Universität (verliert); hamiltonistischer Staatsstreich in Hawaii; 3D-Fernsehen. Wilder wiedergewählt (zweite Amtszeit); F. K. Bertram in Boston geboren. US-Atombombe zerstört Nagasaki; Norrit Gregamer geboren. Clarissa MacDougall Olson in Laporte geboren; T. W. Sanders in den Vereinigten Staaten geboren. Wilder wiedergewählt (dritte Amtszeit); Regeneration von Gliedmaßen demonstriert. Mondexpedition errichtet Kolonie; Dardick entwikkelt Pistole mit offenem Magazinschacht; Laservisiere für Pistolen. Jennifer Ann Noble (Vorsitzende der Partei der Eigentumsrechtler in den Vereinigten Staaten) in Ithaca, New York, geboren; Profibeschützer GmbH gegründet. A. Rand gewählt, reist als erster Präsident zum Mond.
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Gallatinistische und hamiltonistische Revolutionen erschüttern Afrika. Jennifer Ann Smythe in Ithaca, N.A.K. geboren (Stasisverzögerung). Eugene Guccione erfindet Energiezelle. Russen schießen auf antarktische Kolonisten; Kontinentalkongreß spricht Warnung aus; Zar erklärt Krieg; Rand wiedergewählt (zweite Amtszeit); anderswo beginnt die Kommunistische Reformation. Russen greifen Alaska an, unterstützen Hamiltonisten in Hawaii, marschieren in Japan ein; Admiral Heinlein erringt entscheidenden Sieg in der Beringstraße; Russen erleiden riesige Verluste in Antarctica, Japan und Hawaii. ›Operation Sequoyah‹: starkes Aufgebot von Funk und Fernsehen; Tonnen von schriftlicher Propaganda gegen russisches Mutterland eingesetzt. Mondkolonisten strahlen ständig Sendungen nach Rußland; Regierung bricht zusammen; Zar verschwindet. Hamiltonisten versuchen Staatsstreich auf dem Mond, Überlebende werden ›in den Weltraum gestoßen‹; Robert LeFevre zum Präsidenten gewählt; Neova Luftkissenfahrzeug entwickelt; Sicherheitstechnik GmbH gegründet. Hirnschlag von Ochskahrt in mehreren US-Varianten geboren. LeFevre wiedergewählt (zweite Amtszeit); Laporte Paratronics GmbH gegründet; Dora Jayne Thorens in San Francisco geboren. Francis W. Pololo in Pine Barrens, N.A.K. geboren. Marskolonie im Coprates Canyon; Couper gründet neoimperialistische Partei; ›Keiner der Obigen‹ gewinnt die Wahl.
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Penetrator bei der Suche nach Schneller-als-LichtAntrieb entdeckt. In den Vereinigten Staaten gründet D. Nolan Fraser Partei der Eigentumsrechtler. John Hospers zum Präsidenten gewählt; Kolonien auf Asteroiden errichtet; Terraformung von Ceres durch Harriman, Taggert und Hill. Gründung der Cheyenne Energieversorgung und Klimakontrolle; erster stabiler Durchbruch in Parallelwelt. Zweihundertjahrfeier; Antiparlamentarische Partei; Hospers wiedergewählt (zweite Amtszeit). Erfindung der Basset-Spulen; erste ›große Ausgabe‹ eines Durchbruchs. John Jay Madison gründet in Laporte HamiltonGesellschaft. Hamiltonisten verlieren letzten Stützpunkt in Uganda. Hospers wiedergewählt (dritte Amtszeit); Einweihung des Vergnügungsparks Pellucidar Gardens in Ceres Central; extrasolare Funksignale entdeckt; Gründung von Turner Vendicom. Koko Featherstone-Haugh geboren. Jennifer A. Smythe zur Präsidentin gewählt; in den Vereinigten Staaten organisieren Anti- AbtreibungsTerroristen das ›Aktionskommando Recht auf Leben‹; Bundessicherheitspolizei (Sipo) in aller Stille gegründet; chinesisch-russische Konfrontation führt zu sichtbarer Beschädigung des Mondes; Dornaus und Dixon beginnen mit Lieferung von Bren Ten. Erster Kontakt mit Menschen (V. Meiss) auf der anderen Seite des Durchbruchs; G. Howell Nahuatl geboren.
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Malaise beginnt Dokumentarfilmreihe über die Asteroiden; Agot Edmoot Mao auf Sodde Lydfe geboren; ERSTER MENSCH KOMMT DURCH DEN DURCHBRUCH AUS EINER USA-PARALLELWELT INS GALLATIN-UNIVERSUM (E. W. BEAR, DENVER); hamiltonistische Verschwörung; Siebter (und letzter?) Kontinentalkongreß zusammengetreten; systematische Unterminierung der Vereinigten Staaten durch die Konföderation beginnt. Smythe wiedergewählt (zweite Amtszeit); T. W. Sanders kommt in die Konföderation; ›Patentanzüge‹ erstmalig bei der Erkundung des Weltraums eingesetzt; durch Neuralimplantationen an Cephalopoden (Kopffüßern) bekommen die Cetaceen ›Hände‹; genetische Konstruktionen von Einhörnern; der Stützpunkt ›Navigation Rock‹ im Asteroidengürtel wird errichtet. Malaise verlegt Nachrichtenhauptquartier nach Ceres Central. D. Nolan Fraser zum Bürgermeister von Denver, USA, gewählt. In US-Variante Ermordung von Blocky Yocks; Zusammenbruch des Beil-Systems. Olongo Featherstone-Haugh wird der erste nichtmenschliche Präsident der Konföderation. Bau der Interwelt-Station Laporte begonnen; entführte ›OMA 789 George Herbert‹ gelangt durch Zufall in die Konföderation; Mastodons aus gefrorenen Gewebeteilen (aus Sibirien) geklont; Erfindung von Plasmawaffen. Featherstone-Haugh wiedergewählt (zweite Amtszeit); zum erstenmal werden Massenentführungen von Frauen aus den Vereinigten Staaten bemerkt.
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Erste nanoelektronische Gehirnrindenimplantate bei denkenden Wesen entdeckt; Tormount-MalaiseVerschwörung; geheime hamiltonistische Flotte flieht aus dem Sonnensystem. Asteroid 9656 Bester aus dem Nomadenhaufen kollidiert mit der Venus und schafft zweiten Asteroidengürtel; ›Keiner der Obigen‹ gewinnt die Wahl in der Konföderation; D. Nolan Fraser zum ersten Eigentumsrechtler-Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt; Lucille Olson-Bear in Laporte, N.A.K. geboren. EdWina Olson-Bear als erstes Kind (auf 1939 Chandler) im Venusgürtel, Solare Konföderation, geboren; Erfindung der Quarkotopie. ›Keiner der Obigen‹ wiedergewählt, Mymysiir Offe Woom auf Sodde Lydfe geboren. Ochskahrt (US-Variante) entdeckt Zeitreise; Ochskahrt-Gedächtnisakademie in Ziolkovsky auf Luna errichtet; in der Konföderation wird ›Keiner der Obigen‹ zum Präsidenten auf Lebenszeit gewählt; Enson Sermander auf Vespucci geboren. Bau der Tom- und der Bobflotte begonnen unter der Voraussetzung, daß man den Schneller-als-LichtAntrieb entdecken wird; Einfall von Komans Viroiden in die Konföderation. MacDougall Olson-Bear auf Vermessungsschiff ›Gordon Kahl‹ geboren. YD-038 auf Vespucci geboren. Konföderation entwickelt trägheitslosen Schnellerals-Licht-Tachyonen-Antrieb; erster ›Kontakt‹ mit den Gunjj. Auf Sodde Lydfe führt der KübelierUntersuchungsbeauftragte Agot Edmoot Mav seine erste Mordermittlung durch.
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Die ›Tom Paine Maru‹ (TPM) entdeckt erste, intelligente Fremdlebewesen (die Lamviin von Sodde Lydfe); 11-D3 auf Vespucci geboren; Lucille Olson-Bear von Wilden ›getötet‹, kommt in Stasis. EdWina Olson-Bear als erstes Kind (auf 1939 Chandler) im Venusgürtel, Solare Konföderation, geboren; Erfindung der Quarkotopie. ›Keiner der Obigen‹ wiedergewählt, Mymysiir Offe Woom auf Sodde Lydfe geboren. Ochskahrt (US-Variante) entdeckt Zeitreise; Ochskahrt-Gedächtnisakademie in Ziolkovsky auf Luna errichtet; in der Konföderation wird ›Keiner der Obigen‹ zum Präsidenten auf Lebenszeit gewählt; Enson Sermander auf Vespucci geboren. Bau der Tom- und der Bobflotte begonnen unter der Voraussetzung, daß man den Schneller-als-LichtAntrieb entdecken wird; Einfall von Komans Viroiden in die Konföderation. MacDougall Olson-Bear auf Vermessungsschiff ›Gordon Kahl‹ geboren. YD-038 auf Vespucci geboren. Konföderation entwickelt trägheitslosen Schnellerals-Licht-Tachyonen-Antrieb; erster ›Kontakt‹ mit den Gunjj. Auf Sodde Lydfe führt der KübelierUntersuchungsbeauftragte Agot Edmoot Mav seine erste Mordermittlung durch. Die ›Tom Paine Maru‹ (TPM) entdeckt erste, intelligente Fremdlebewesen (die Lamviin von Sodde Lydfe); 11-D3 auf Vespucci geboren; Lucille Olson-Bear von Wilden ›getötet‹, kommt in Stasis. Entdeckung von Obsidia. Elsie Nahuatl in Cody, N. A. K. geboren. Endkrieg auf Vespucci geht zu Ende.
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Entwicklung von Waffen nach dem Prinzip des Heller-Effekts; die TPM entdeckt Vespucci; erste Kolonie verirrter Hamiltonisten, die den Schneller-alsLicht-Antrieb wiederentwickelte. Clarissa Olson-Bear erkrankt an Mitochondriasis und wird in Stasis versetzt. Win Bear erwacht aus Stasis; Konföderation entdeckt Zeitreise. Bernard M. Gruenblum in Oklahoma City, Texas, US-Variante geboren. Gruenblum besteht Abschlußprüfung der OchskahrtGedächtnisakademie. Ochskahrt-Gedächtnisakademie ›entdeckt‹ intelligentes Leben in der Region von Yamaguchi W 523; Dornaus und Dixon beginnen mit Lieferung von Bren Ten Magazinen.
ÜBER DEN AUTOR L. Neil Smith, Berater für Selbstverteidigung und früher Reservist bei der Polizei, hat auch schon als Waffenschmied und Berufsmusiker gearbeitet. Er wurde 1946 in Denver geboren, kam als Luftwaffen›göre‹ weit herum und wuchs in einem Dutzend verschiedener Gegenden der Vereinigten Staaten und Kanadas auf. 1964 kehrte er in seine Heimat zurück, um Philosophie, Psychologie und Anthropologie zu studieren und erreichte schließlich – seiner Aussage nach – die vielleicht niedrigste durchschnittliche Punktzahl in der Geschichte der Universität des Staates Colorado. Neil hat vor kurzem seine zweite Amtszeit im Nationalen Wahlprogrammausschuß der ›Libertarian Party‹ hinter sich gebracht. 1978 kandidierte er als Libertarianer für einen Sitz in der Gesetzgebenden Versammlung seines Staates, wobei er gegen einen alteingesessenen Republikaner bei einem totalen Ausgabenetat von 44.000 Dollar fünfzehn Prozent der Stimmen errang. Jetzt ist er hauptberuflich SF-Schriftsteller, Mitbegründer und Vorsitzender des ›Prometheus Committee‹, und lebt mit seiner Frau Cynthia und vier Katzen in Fort Collins, Colorado.