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Roy Palmer Der Malteserritter 1. Mitte Juli 1580. Die ›Isabella VII.‹ segelte bei handigem, wechselweise aus West bis Nordwest wehendem Wind mit südlichem Kurs auf die Küste von Nordafrika zu. Nur eine flache Dünung kräuselte die See. Der strahlend blaue Himmel war fast wolkenlos, die Sonnenstrahlen brannten ungehindert auf das Oberdeck der Zweimastkaravelle. Es war heiß. Die Männer der nunmehr zwanzigköpfigen Crew hatten sich ihrer Hemden entledigt und liefen mit bloßen Oberkörpern herum. Aber nicht die steigende Temperatur war der Grund, warum alle Arbeiten ohne die übliche Beflissenheit versehen wurden. Die Trägheit der Männer hatte ihre Ursache in einer allgemein um sich greifenden, zunehmenden Apathie, und das war eine bedenkliche Angelegenheit. Matt Davies, der Mann mit der Eisen hakenprothese, klarierte im vorderen Bereich der Kuhl ein Fall. Mit mürrischer Miene schaute er durch das offene Backbordschott des Vordecks dem Kutscher beim Aufklaren in der Kombüse zu. Der Kutscher sah auch nicht gerade begeistert aus. »Ich hab’s satt«, sagte Matt. Der Kutscher hatte es verstanden. Aber er antwortete nicht. Er zuckte nur mit den Schultern. Das war nun mal seine Art. Nicht, daß er maulfaul war, aber in Situationen wie dieser zog er es doch vor, Zurückhaltung zu üben. Nicht so Matt. »Also wirklich, mir reicht’s. Diese langwierige und langweilige Kreuzerei quer durchs Mittelmeer, das ist der allerletzte, blödeste Törn, den ich je gefahren bin.«
Blacky, Al Conroy und einige andere waren in seiner Nähe und nickten. Matt wandte den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. Sie waren alle der gleichen Meinung. Es war nichts mehr los auf der ›Isabella‹, und das setzte ihnen gewaltig zu. Am 13. Juni hatten sie Cartagena an der Südostküste von Spanien hinter sich gelassen. Einen Monat waren sie also inzwischen wieder unterwegs dabei hätten sie unter Normalbedingungen in weniger als der Hälfte der Zeit ihr Ziel Algier erreichen können. Aber widrige Winde hatten ihnen bei der Überfahrt zugesetzt, und außerdem hatten sie bei Sichtung fremder Schiffe immer wieder Ausweichkurse wählen müssen. Das war eine Vorsichtsmaßnahme des Seewolfes. Philip Hasard Killigrew hatte schon genug am Hals, er wollte nicht noch mehr Schwierigkeiten haben und vor allen Dingen der Mannschaft keine unnötigen Opfer abverlangen. Seit sie England mit Kurs auf Cadiz verlassen hatten, war es zu einigen erschütternden Zwischenfällen gekommen. Besonders Buck Buchanans Tod hatte Hasard schwer getroffen. Er war auf der Suche nach seiner Vergangenheit, forschte nach seinem verschollenen Vater Godefroy von Manteuffel, und lag mit sich selbst im Widerstreit, ob er dabei das Recht hatte, seine Mannschaft in Todesgefahr zu bringen. Denn das war die bittere Realität: Wo immer er bohrte, wo immer er alte Wunden aufriß und sorgsam verhüllte, hinterhältigste Verschwörungen aufdeckte, lauerten Haß und Verderben. In Cadiz hatte man ihn, den Seewolf, zum Tod durch Erschießen verurteilt, weil der durchtriebene Romeronde de Zumarraga ihn als englischen Spion angeprangert hatte. Durch Zumarraga hatte Hasard aber letzte Gewißheit erhalten, daß seine tatsächliche Mutter die adlige Graciela de Coria war. Mit dieser Entdeckung hatte er gleichsam in ein Wespennest gestochen.
Graciela de Coria war tot, Godefroy von Manteuffel durch ein teuflisches Spiel algerischen Piraten ausgeliefert. Ob er noch lebte, war nach wie vor fraglich. Und Hasard? Der Bastard, der Bankert, der Sohn einer traumhaft schönen Spanierin und eines Deutschen - er war allenthalben unerwünscht. Nun, er wollte sich niemandem aufdrängen. Er wollte nur das Unrecht aufdecken und sühnen, das seinen Eltern und ihm widerfahren war. In Cadiz hätte es ihn um ein Haar den Kopf gekostet. Die Crew hatte ihn in einem tollkühnen Handstreich aus dem Fort San Sebastian herausgehauen. Und er war noch heilfroh, daß ihr dabei nichts zugestoßen war. Hasard hatte Salvador de Coria als Geisel mitgenommen, seinen sauberen »Onkel«, den Bruder der Graciela de Coria, der sie durch seine üblen Machenschaften geradewegs in den Tod getrieben hatte. Noch im Fort San Sebastian hatte er Hasard zum Duell gefordert und eine schmähliche Niederlage erlitten. Hasard hatte ihn mit dem Degen halb entkleidet und ihm die Klinge zum Abschluß quer durchs Gesicht gezogen. Aber damit nicht genug. De Corias Widerstand war nicht gebrochen. An Bord der ›Isabella‹ hatte er Buck Buchanan überlistet und seiner Pistole entledigt. Er hatte Hasard als Geisel nehmen und sich auf der Insel Alboran aussetzen lassen wollen. Buck hatte sich daraufhin zwischen ihn und den Seewolf gestellt und sich niederschießen lassen, um seinen Kapitän zu decken. Hasard stand auf dem Achterdeck der Karavelle und blickte mit starrer Miene voraus. Er ballte noch jetzt die Hände, wenn er nur daran dachte. De Coria, dieses Prachtexemplar von einem Onkel, Generalleutnant König Philipps II. von Spanien, Intrigant, satanischer Giftzwerg - er war für seinen Fluchtversuch und die Ermordung des treuen Buck mit der Vorpiek bestraft worden. Dort war er angekettet worden, dort schmachtete er auch inzwischen wieder. Hasard würde ihn, falls sein Vater noch lebte, als Faustpfand und Tauschobjekt
benutzen. Daß er ihn am Leben lassen mußte, hatte sich nach dem Vorfall mit Buck noch einmal als fatal erwiesen. Die Männer der ›Isabella‹ hatten eine Galeere algerischer Piraten auf den Grund des Mittelmeeres geschossen und dreißig Rudersklaven übernommen. Und unter denen hatte sich ausgerechnet Hasards alter Todfeind Isaac Henry Burton befunden! Wegen seines Bartes und abgemagerten Zustandes hatten sie ihn nicht erkannt. Burton hatte de Coria befreit. Zwei Erzhalunken hatten sich gesucht und gefunden! Gemeinsam hatten sie Hasard überrumpelt, als in der Nacht zum 13. Juni die dreißig Sklaven bei Cartagena an Land gesetzt wurden. Dieses Mal hatte Arwenack, der Schimpansenjunge, eingegriffen. Er hatte Burton von Anfang nicht leiden können, zwischen ihnen hatte sofort eine Animosität bestanden, Arwenack hatte sich auf Burton gestürzt. Hasard hatte Burton gepackt, Stenmark hatte de Coria einen Belegnagel auf den Kopf gehauen. Dann hatte Hasard Burton kurzerhand außenbords geschleudert, weil er zu jenem Zeitpunkt noch nicht gewußt hatte, wer er wirklich war. De Coria hatte es ihm verraten müssen. Und der Seewolf war doppelt wütend gewesen. Burton hätte an der Rahnock baumeln oder geköpft werden müssen. Statt dessen hatte er sich schwimmend an Land gerettet. Er hatte wieder Boden unter den Füßen, spanischen Boden, und er würde dort wahrscheinlich nicht als Engländer verfolgt, sondern nur noch begünstigt werden. Ehedem war er ja ein spanischer Spion gewesen und deswegen in England abgeurteilt worden. Einziger Lichtblick: Einer der befreiten Galeerensklaven, ein französischer Malteserritter, hatte Hasards Ähnlichkeit mit Godefroy von Manteuffel festgestellt. Und er hatte erklärt, daß sich von Manteuffel, der ja auch Malteserritter gewesen war, an Bord der Piratengaleere des Uluch Ali befände. Das deckte sich mit Romeronde Zumarragas Aussage. Uluch
Ali war ein berüchtigter Pirat. Graciela de Coria hatte seinerzeit, als sie von der Gefangennahme ihres Geliebten erfahren hatte, von Manteuffel freikaufen wollen. Ihre Brüder, allen voran Salvador, hatten das Geld unterschlagen und Zumarraga gegeben. Was die Gesamtlage betraf, so hatte Hasard sich von den empfangenen Nackenschlägen immer noch nicht wieder erholt. Seine miserable Laune hatte die allgemeine Stimmung auf der ›Isabella‹ nicht gerade gehoben. Kurzum, die Atmosphäre war schwül bis erdrückend. »Na schön«, sagte Matt Davies. »Hasard will keine unnötigen Risiken eingehen, weil er der Meinung ist, uns sowieso zu sehr in diese ganze Sache reingerissen zu haben. Also gut, wir sollen vorläufig weder mit spanischen Schiffen noch mit algerischen Piraten zusammenstoßen. Wir dürfen kein Aufsehen erregen, zumal wir so tun, als wären wir harmlose Handelsfahrer aus Irland. Wir markieren immer noch wie in Vigo und Cadiz, und unser Kapitän heißt Philip Drummond. Alles klar und richtig, aber ich hab die Schnauze voll, so richtig gestrichen voll.« Carberry hatte sich genähert. Er stellte sich vor Matt hin und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Was soll denn das heißen, Matt? Hast du nicht mehr alle Tassen im Schapp? Deine Nörgelei kennt man ja, aber langsam grenzt sie an Aufwiegelung zur Meuterei. Paß bloß auf, sonst packe ich dich bei den Hammelbeinen und zieh dir die Haut ...« »... in Streifen von deinem Affenarsch«, vervollständigte Matt. »Geschenkt, Profos. Du weißt, wie ich das meine. Nur bist du auch schon ganz zappelig. Hier passiert überhaupt nichts mehr. Das Leben an Bord ist sterbenslangweilig. Wenn wir bloß diesen Uluch Ali finden und zusammenstauchen könnten - aber Essig ist’s damit.« »Wir müssen Geduld haben«, sagte der Profos eindringlich. »So was läßt sich nicht über das Knie brechen. Reißt euch doch
zusammen. Zumarraga hat in Algier einen Mittelsmann gehabt, einen maurischen Kaufmann namens Ishak Azem ...« »... der auch mit Uluch Ali zu tun hat«, unterbrach Al Conroy. »Wissen wir ja. Wären wir bloß erst in Algier.« »Ganz nebenbei, wißt ihr, was wir brauchen?« sagte Blacky. Carberry nickte und gab ein undeutliches Grunzen von sich. »Landgang. Das ist es. Wir Kerle - ich schließe mich da gar nicht aus - brauchen mal wieder ein bißchen Abwechslung. Wein. Spiel. Einen richtigen Zug durch sämtliche Spelunken, die diese Satansbraten von Arabern zu bieten haben. Und, na ja, ich schätze, gegen dunkle Schönheiten hätte keiner von uns was einzuwenden.« »Du schätzt?« Jeff Bowie lachte auf. »Da kannst du sicher sein.« »Mal wieder so ein zartes Stück Weiberfleisch zwischen den Fingern halten«, schwärmte Matt Davies. Es fehlte nicht viel, und er verdrehte auch noch die Augen. »Am Eisenhaken zappeln lassen, wolltest du sagen.« Das war Sam Roskill. Er grinste breit von einem Ohr zum anderen. Matt Davies geriet in Rage. »Hör auf, Mann. Ich kann mit dem Haken noch ganz was anderes. Ich kann mir damit in der Nase bohren, Spundlöcher verdübeln, jemand den Schädel einschlagen, dir den Arsch aufreißen ...« »Mann, stell die Leier ab«, sagte Al Conroy, »Diese ewige Sprücheklopferei. Ich kann das nicht mehr hören. Immer das gleiche.« Ja, sie waren nervös wie gereizte Stiere und drohten, sich gegenseitig ins Gesicht zu springen. Hasard verweilte immer noch auf dem Achterdeck. Er stützte sich auf die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zur Kuhl bildete, und beobachtete. Verstehen konnte er nur Wortfetzen, aber er vermochte sich auch so seinen Reim auf das Gespräch der Männer zu bilden. Ähnliche Situationen hatten sich bisher zwei oder dreimal an
Bord seiner Schiffe eingestellt. In diesen Fällen hatte er dann seine Männer schichtweise auf Landgang geschickt, und das drüben in der Neuen Welt, in spanischem Feindgebiet. Zuweilen wurde eben auch die beste Crew der Welt unmutig, und dann begann die Lunte eines Pulverfasses zu schwelen. Dann mußte Abhilfe geschaffen werden. Zur Zeit konnte Hasard nur darauf hoffen, daß der Wind nicht drehte oder es unliebsame Überraschungen anderer Art gab. Das war alles. Land herzaubern konnte er nicht, eine Ladung grellgeschminkter Liebesdienerinnen schon gar nicht. Unten auf der Kuhl rettete Gary Andrews vorläufig die Lage, indem er phantasierte: »Endlich mal wieder den Hintern eines drallen Frauenzimmers streicheln und in einen vollen Ausschnitt gucken.« »Greifen«, sagte Al. Stenmark, der Schwede, ergriff jetzt auch das Wort und unterstrich das Gesagte durch eine Geste. »Hafenhuren reihenweise flachlegen, das wäre was. Algier, bereite dich auf unseren Besuch vor!« Carberry senkte plötzlich den Kopf und schob das Rammkinn vor. Er dachte an Vigo und an ihren letzten Besuch in einem mit Pomp und Plüsch überladenen Prachtbordell, und ihm fiel dabei ein, daß man hin und wieder einen kalten Guß auf den Schädel kriegte, wenn man allzuviel herumsponn. »He«, sagte er. »Augenblick mal. Wir gehen diesmal nicht unter Christenmenschen, sondern unter Muselmanen. Seid ihr Heringe denn überhaupt sicher, daß die Knaben es mit den Hurenhäusern halten wie wir Engländer, wie die Spanier und sonst alle auf unserem Kontinent?« »Bestimmt«, erwiderte Blacky. »Im Grunde sind sie doch Menschen wie wir, oder? Und ein Mann bleibt nun mal ein Mann. Ich hab mal gehört - von wem, weiß ich nicht mehr - die Anbeter von Allah dürfen sich sogar einen ganzen Schwung Frauen auf einmal halten.«
Sam Roskill nickte. »Harem nennt man das. Aber Ed meint was anderes. Wenn es in Algier Frauen für uns gibt, ist noch lange nicht gesagt, daß sie sich auch mit Andersgläubigen einlassen.« Matt schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Schockschwerenot, daran habe ich noch nicht gedacht. Profos, mal bloß den Teufel nicht an die Wand.« Mitten in ihre Unterhaltung hinein platzte der Ruf Dan O’Flynns. Der Junge richtete sich im Hauptmars auf, streckte die Hand aus und schrie: »Land, Land! He, ho, wir haben es geschafft, verdammt und zugenäht, die Küste ist in Sicht!« Edwin Carberry atmete auf. »Ein Segen. Hoffentlich haben wir auch bald Algier vor der Nase.« »Laut unserer Positionsbestimmung können wir nicht weit davon entfernt sein«, entgegnete Al Conroy. »He, Ed, Hasard hat uns allen doch nun was über richtige Navigation beigebogen. Zweifelst du an unseren Künsten?« »Ich weiß nur, daß ihr ein gottverfluchter Sauhaufen von Rübenschweinen und Affenärschen seid«, sagte Carberry. Er grinste erleichtert, zum einen, weil sich der Crew endlich die dringend nötige Abwechslung bot, zum anderen, weil er wieder seinen Lieblingsspruch hatte anbringen können. Hasard hatte das Spektiv ans Auge gehoben. Die ›Isabella‹ schob sich mit gut fünf Knoten Fahrt auf den flachen Streifen zu, der sich grau und etwas vage über der südlichen Kimm erhob. Bald nahm er schärfere Konturen an, wuchs höher hinaus und war mit bloßem Auge zu erkennen. Hasard sah klar und deutlich, daß sie auf eine größere Ansammlung von weißen, zusammengewürfelt wirkenden Häusern zuhielten. »Ben, Shane, Ferris, Old O’Flynn!« rief er. »He, ihr Himmelhunde auf der Kuhl und auf der Back! Wir haben Algier vor uns.« Die Mannschaft brach in Jubelrufe aus. Carberry grinste, kratzte sich sein mächtiges Kinn und sagte:
»Na bitte. Jetzt werden wir ja bald wissen, wie es da mit den Frauenzimmern steht.« * Vorläufig konnte von Vergnügen noch keine Rede sein. Sie waren mit der ›Isabella‹ auf eine halbe Seemeile an die Stadt heran, da löste sich aus dem Gewirr von Schiffsleibern und Masten im Hafen eine zweimastige Schaluppe mit Lateinersegeln und steuerte auf sie zu. Der Wind hatte wieder auf Nordwest gedreht, sie hatte keinerlei Schwierigkeiten, an den Wind zu gehen und mit direktem Kurs auf die Karavelle zuzuhalten. Hasards Männer drängten sich am Steuerbordschanzkleid der Kuhl und des Achterdecks. Die ›Isabella‹ segelte über Backbordbug exakt nach Süden und hatte Algier in Luv liegen. »Jetzt geht’s los«, sagte Ben Brighton. »Da kreuzt die Begrüßungskommission auf.« Hasard blickte wieder durch das Spektiv. »Hafenbeamte. Mit denen müssen wir sehr diplomatisch umgehen. Algier ist ausgezeichnet befestigt. Seit die Araber die Spanier von den Inseln vertrieben haben, hat es des öfteren Kämpfe um die Stadt gegeben, sie ist jedoch nie gefallen. Aber abgesehen davon könnten wir uns sowieso kein Gefecht leisten.« »Die Frage ist, ob die Burschen englisch verstehen«, sagte Big Old Shane. Er fuhr sich mit der Hand durch das graue Vollbartgestrüpp. »Spanisch dürfen wir ja nicht reden, sonst verraten wir uns. Und arabisch kann keiner von uns, wenn mich nicht alles täuscht.« »Stimmt«, erwiderte Hasard. »Wir werden uns schon irgendwie mit ihnen zusammenraufen. Mit den Indianern in der Neuen Welt haben wir uns auch verständigt.« Die Männer vertrauten auf das Geschick ihres Kapitäns, aber die Skepsis wich nicht aus ihren Mienen. Die Schaluppe glitt
näher. Hasard ließ anluven und gab Befehl, die Segel aufzugeien. Die beiden Schiffe schoben sich nebeneinander. Die Schaluppe drückte mit Korkfendern gegen die Backbordwand der ›Isabella‹. Hasards Augen entging nicht, daß die Mannschaft der Schaluppe mit Pistolen und Musketen bewaffnet war. Die Leute dort unten standen praktisch Gewehr bei Fuß, während ihre Delegierten über die Jakobsleiter an Bord der Karavelle enterten. Hasard wußte die Geste zu bewerten. Er war auf der Hut. Man pflegte in Algier nicht zu scherzen und nicht lange zu fackeln. Drei Männer stiegen an Bord. Es handelte sich um zwei recht beleibte Männer und einen größeren, drahtigen Kerl mit sorgsam gezwirbeltem schwarzen Schnauzer. Sie trugen aufwendige orientalische Tracht mit roten Tüchern um die Hüften und Ziersäbeln darin. Hasard ließ sie auf das Achterdeck dirigieren, dann schüttelte er ihnen lächelnd die Hände. »Willkommen an Bord meines Schiffes«, sagte er. »Wir kommen aus Dublin in Irland. Ich bin Kapitän Philip Drummond. Ich segle auf eigene Rechnung und Gefahr und würde bei Ihnen gern Waren für mein Land kaufen.« Der schlanke Araber verneigte sich mit vor der Brust gekreuzten Händen. Er lächelte auch, dann äußerte er etwas in seiner Sprache und gab gestenreich zu verstehen, daß er nichts begriffen hatte. Die beiden Beleibten begannen nun auch zu palavern. Einer rang die Hände und sprudelte Worte hervor, als ginge es um sein Leben. So ging das eine Weile hin und her. Hasard fiel ein, daß er ja zumindest einen Anhaltspunkt hatte und diesen wahrscheinlich ohne Gefahr nennen durfte. In Cadiz hatte er sich auch an das Handelskontor von Romeronde Zumarraga gewandt, ohne lange zu zaudern.
»Ishak Azem«, sagte er. Die beiden Beleibten verstummten. Der hagere Mann hob den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und blickte Hasard erstaunt an. »Ishak Azem«, wiederholte Hasard. »Handel. Waren. Gute Geschäfte.« Er schlug sich mit der rechten Hand vor die Brust und rieb dann Zeigefinger und Daumen der Linken gegeneinander, eine Geste, die auch hier verstanden wurde. Der Hagere mit dem Schnäuzer, der in dem Trio offenbar das Sagen hatte, beherrschte plötzlich ein paar Brocken englisch und schien keine Schwierigkeiten mehr zu sehen. Alle Tore standen offen, es existierten keine Probleme mehr auf dieser Welt. »Azem. Guter Mann. Ich Azem sagen, Kapitän Drummond hier.« Er unterstrich das Gesagte durch allerlei feierliche Gebärden. Somit hätten die Formalitäten eigentlich erledigt sein müssen. Der maurische Kaufmann Ishak Azem schien in Algier ziemlich viel Einfluß zu haben und eine bedeutende Persönlichkeit zu sein. Jedenfalls zerflossen die Hafenbeamten plötzlich förmlich vor Höflichkeit. Dennoch. Sie rührten sich nicht vom Fleck. Warum verließen sie nicht das Achterdeck der ›Isabella‹, stiegen in ihre Schaluppe und unterrichteten Azem von der Ankunft der Iren? »Auf was warten die noch?« fragte Old O’Flynn hinter Hasards Rücken. »Das weiß der Henker«, gab Shane zurück. Hasard wechselte einen raschen Blick mit Ben Brighton. Der schmunzelte. Er hatte begriffen. Hasard wußte auch, welches Problem noch offen war und gemeistert werden wollte. Der Rest der Crew indes stand ratlos und leicht verdattert da. Jedes Land hat seine ureigenen Gesetze. In punkto Korruption war man ja schon von Spanien einiges gewohnt, aber je weiter die Seewölfe nach Süden segelten, desto mehr verlangten die Räder der Instanzen danach, geschmiert zu werden. Konkret
bedeutete das hier: Also schön, die drei Hafenbeamten würden den ehrenwerten Kaufmann schon verständigen, aber eine Hand wusch schließlich die andere. Und in jeder Hand mußte immer ein bißchen was zurückbleiben, nicht wahr? Dieser Grundsatz schwebte unausgesprochen in der Luft, aber es war den Mienen der drei Algerier abzulesen, auf was sie hinauswollten. Hasard griff in die Hosentasche und holte eine kleine Perle daraus hervor. Er trug sie seit einiger Zeit lose bei sich, sie war ein schönes, erlesenes Stück. Hasard nahm die Perle zwischen Daumen und Zeigefinger der Rechten, hob sie hoch - und siehe da, wie durch Magie ausgelöst streckte sich auch die Hand des hageren Arabers aus. Da bedurfte es keiner Worte und umständlicher Floskeln. Die Perle vermittelte die richtige Sprache. Hasard legte sie dem Hafenbeamten in die geöffnete Handfläche. Die Hand schloß sich wie eine Muschel und fuhr recht schnell wieder zurück. Ihr Empfänger steckte sie in eine Tasche seines Gewandes, und er lächelte jetzt so breit und freundlich, wie es nur möglich war. Seine Begleiter verneigten sich dreimal und zogen sich zurück. Er verbeugte sich auch noch einmal. Zum Abschluß sagte er: »Azem. Jawohl.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um, marschierte seinen dicklichen Landsleuten nach und verschwand mit ihnen von Bord. Die SeewolfCrew stand da und blickte der zweimastigen Schaluppe nach, wie sie sich wieder von der Bordwand löste und zurück in den Hafen segelte. »Da laust mich doch der Affe«, sagte der alte Donegal Daniel O’Flynn. »Für nichts und wieder nichts haben diese Kümmeltürken eine wertvolle Perle eingeheimst.« Hasard wandte sich zu ihm um. »Nicht so geizig sein, Donegal. Immerhin stellen sie den Kontakt mit Azem her, oder? Alles hat seinen Preis.« »Den Gefallen hätten sie uns auch umsonst tun können.«
»Bist du ein Schotte?« fragte Ferris den Alten. Old O’Flynn grinste so freundlich wie ein Haifisch. »Nein, ein Ire.« Von Bord der Schaluppe aus wurde ihnen signalisiert, sie könnten in den Hafen einlaufen. Hasard ließ wieder Segel setzen. Wenig später glitt die ›Isabella‹ an eine Außenpier, die die Fortsetzung der kleinen vorgelagerten Halbinsel Amiraute bildete. Ein paar Helfer, halbnackt und barfuß, liefen von Land her auf die Pier und nahmen die Wurfleinen in Empfang, die ihnen von Al Conroy und Ferris Tucker zugeschleudert wurden. Sie holten sie über, und so rauschten die Festmachertrossen aus, klatschten ins Wasser und wurden schließlich an klotzigen Pollern belegt. Hasard hielt wieder nach der Schaluppe Ausschau, aber von dort aus wurden keine Signale mehr gegeben. Durch den Kieker verfolgte er, wie die drei Hafenbeamten in einem großen Gebäude verschwanden. Wie lange Zeit sie benötigten, um die Verbindung mit Azem zustande zu bringen, blieb noch dahingestellt. Der Seewolf war ungeduldig, aber er bezwang sich. Sie lagen in Algier und genossen Bewegungsfreiheit, das war vorerst schon mal viel wert. Der Rest würde sich hoffentlich - ergeben. »Ben«, sagte Hasard. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie lange die Sache hier dauert. Zunächst mal soll die Crew sich austoben - in Maßen natürlich. Teile drei Gruppen von jeweils sieben beziehungsweise sechs Mann ein und lasse sie wechselweise an Land ziehen. Sie sollen aufpassen, sich anständig benehmen und ja nicht aus dem Rahmen fallen. Und die Hemden sollen sie sich auch wieder überziehen.« »Aye, aye, Sir.« Eine Viertelstunde später zog die erste siebenköpfige Gruppe ab, Algier auszukundschaften. Sie bestand aus Carberry, dem jungen Dan O’Flynn, Blacky, Matt Davies, Jeff Bowie, Bob Grey und Will Thorne. Sie konnten es kaum erwarten, sich in
die Kasbah mit ihrem unbekannten Zauber zu stürzen. Entsprechend war die Geschwindigkeit, die sie vorlegten. Sie marschierten, als gelte es einen Preis zu gewinnen. 2. Algier. Die Phönizier hatten die Stadt zu Beginn des zweiten Jahrhunderts vor Christi Geburt gegründet. Diese bescheidene Handelsniederlassung erhielt ihren Namen von den kleinen Inseln, die der Bucht schützend vorgelagert waren - al Giazair. Im karthagischen Altertum hatte Algier jedoch Ikosim geheißen, wobei die Vorsilbe »I« gleichbedeutend mit dem Wort »Insel« war. »Kosim« hieß soviel wie »Meeresvogel« oder »Möwe«. Nach der Besetzung durch die Römer hatte sich der Name in das lateinische »Icosium« verwandelt. Nach der Zerstörung der Stadt im sechsten Jahrhundert durch die Wandalen hatten sich schließlich - bis zur Ankunft der Araber - die Byzantiner hier niedergelassen. Im Jahre 935 fand die Landschaft das besondere Wohlgefallen des Berbers Bologguin Ibn Ziri. Inmitten des großen natürlichen Amphitheaters, das sich von der Küste bis zu den Bergen des Kleinen Atlas erstreckte, gründete er auf den Ruinen des antiken Icosium Algier. Die Inselchen al Giazair wurden durch eine Mole mit dem Festland verbunden. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Stadt ein aktives Handelszentrum, und zwar unter der Herrschaft verschiedener Berbergeschlechter wie der Almoraviden, der Almohaden, der Meriniden und das der Abi El Ouadite im 14. Jahrhundert. Dann, 1516, kamen die Spanier. Sie ließen sich auf den Inseln in der Bucht vor der Stadt nieder. Die Einwohner riefen die berüchtigten Barbarossa-Brüder zu Hilfe. Diese türkischen
Piraten vertrieben die Spanier, und der jüngste der Barbarossas, Kheir Eddine, wurde vom Sultan von Konstantinopel als Regent von Algier anerkannt. Erneute Vorstöße der Spanier, davon einer unter Führung von Karl V., waren ergebnislos verlaufen. Kheir Eddine, der auch Chaireddin oder Khair addin genannt wurde, hatte mit dem Bau von Festungsanlagen begonnen, und diese wurden im Laufe der Jahrzehnte unter seinen Nachfolgern perfektioniert. Heute, 1580, war die Stadt sowohl von der See als auch von der Landseite her praktisch uneinnehmbar. Natürlich war Algier besonders den Spaniern und den Sizilianern ein Dorn im Auge, denn die algerischen Piraten störten durch ihre Raubzüge, die immer von hier ausgingen, den Schiffsverkehr im Mittelmeer. Philip Hasard Killigrew und seine Crew hatten davon einen Vorgeschmack erhalten, als sie der Galeere begegnet waren. Aber sie hatten sich nicht behindern lassen. Die Galeere hatte zu Uluch Alis Piratenflotte gehört. Ali war einer der mächtigsten Piraten von Algier. Er streckte seine Fühler weit aus und scheute weder Tod noch Teufel. Daß er über einen Mittelsmann wie Azem sogar mit Spanien seine abgefeimten Geschäfte trieb, war nur bezeichnend. Romeronde Zumarraga war seinerseits, wenn man es so betrachtete, eine Art Konspirant gewesen, aber nur mit höchst eigensüchtigen Zielen, ohne politische Beweggründe. Nun, Zumarraga konnte inzwischen keinem Menschen mehr schaden. Ihn hatte im wahrsten Sinne des Wortes der Schlag getroffen, als Hasard aus Fort San Sebastian befreit worden war. Carberry und seine sechs Begleiter suchten das Gewirr von Gassen und Treppen auf, das die gedrängt stehenden weißen Bauten durchzog. Sie blickten zu Moscheen mit bizarr geformten Türmen und Minaretten auf, sie sahen beschäftigte Männer, die vollbepackte Esel und Maultiere durch die Enge der Gassen zerrten, Händler, die eine Vielfalt von Waren
feilboten, vermummte Gestalten, die vor Hauseingängen in runden Pfannen Hammelfleisch auf Holzkohlenfeuer brieten. Dan O’Flynn stieß Matt Davies mit dem Ellenbogen an. »He, Matt, die Maskierten mit den schmalen Augenschlitzen - weißt du, was das sind?« »Banditen?« »Nein.« »Aussätzige?« »Auch nicht. Frauen.« »Ach du lieber Himmel«, sagte Matt gedämpft. »Laufen die hier etwa alle so herum? Denen merkt man ja nicht einmal auf Tuchfühlung an, daß sie was Weibliches an sich haben.« Die neugierigen Blicke der Einheimischen verfolgten sie. Man nahm sie sehr wohl zur Kenntnis, diese merkwürdigen Fremdländer aus dem Norden, aber man belästigte sie nicht. Aufdringlich benahmen sich nur die Händler. Einer schob sich mit einem riesigen Korb auf Matt Davies zu und klaubte eine Handvoll runder schwarzer Dinger daraus auf, eine Art Früchte. Die hielt er Matt unter die Nase. »Was ist denn das?« wollte Matt wissen. Der Händler grinste, kicherte und sagte dann etwas, das wie »Wrdlbrmpfd« klang. Matt schnitt eine verwirrte Grimasse. Seine Freunde lachten. »Was gibt’s da zu lachen?« sagte Matt. »Habt ihr sein Kauderwelsch etwa verstanden?« »Nein«, erwiderte Jeff Bowie. »Aber ich weiß, was das für ein Zeug ist, das er dir verkaufen will.« »Was denn? Kirschen? Rosinen?« »Nein, Oliven.« Matt verschluckte sich und hustete. »Pfui Teufel«, sagte er dann. »Die iß mal selber, du alter Stinkstiefel.« Er zeigte dem Händler seinen Eisenhaken. Der riß die Augen auf, verlor ein paar Oliven und machte sich schleunigst aus dem Staub. Die Oliven kollerten die abschüssige Gasse hinunter. Bob Grey
fing zwei oder drei auf und probierte sie. »Gar nicht schlecht«, sagte er. »Du bist nicht ganz dicht«, erklärte Matt. »Dir hat die Sonne den Grips eingetrocknet.« Sie setzten ihren Streifzug durch die Kasbah fort. Die Männer von Algier begegneten ihren forschen Blicken mit Gelassenheit und ohne Widerwillen. Aber die bis obenhin vermummten Frauen! Matt versuchte, hier und da einen Blick zu erhäschen, aber immer, wenn er eine Frau anstarrte, wandte sie sich schleunigst ab. Einige verschwanden sogar in ihren Behausungen, als die Crew vorüberzog. »Mich laust der Affe«, sagte nun auch Will Thorne. »Haben die alle Angst vor uns?« Jeff Bowie schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Bloß scheinen die Araber mächtig eifersüchtig zu sein. Die bringen ihre Frauen glatt um, wenn sie einem anderen huldvolle Blicke zuwerfen.« »Stimmt«, bestätigte Blacky. »Es ist den Frauen sogar strikt verboten, andere Männer anzusehen. Sie haben zu kuschen. Die Araber hingegen dürfen so ziemlich alles. Wenn die Familie einen Ausflug unternimmt, reitet der Mann auf dem Esel und holt höchstens die Kinder noch zu sich in den Sattel. Die Frau - oder die Frauen - trotten zu Fuß hinterher. Ob Esel oder nicht, die Frau muß sowieso immer drei oder fünf Schritte hinter ihrem Alten hermarschieren. Das hat was mit Ehrfurcht zu tun. Hier regieren die Männer wie nirgendwo anders.« Matt grinste plötzlich. »Mann, das könnte mir auch gefallen. Sieben Frauen, jeden Tag der Woche eine andere, und sich von vorn bis hinten bedienen lassen.« »Ja«, erwiderte Dan. »Und wovon willst du die Weiber und die vielen kleinen Bälger ernähren, die du mit ihnen in die Welt setzt?« »Von der Piraterie.« »Willst du dich selbständig machen?« fragte Carberry
drohend. Matt verzog den Mund. »Nun hör doch auf, Profos. Ich will weder meutern noch abheuern, verstanden?« Sie wanderten auf der Suche nach einer Spelunke oder etwas Ähnlichem immer tiefer in das Labyrinth der Gassen. Es wurde Nachmittag, die Sonne sank tiefer, die weißen Häuser warfen länger werdende, scharfkantige Schatten. Matt Davies sah einmal in einem dieser Schatten eine vermummte Frau stehen, und er blickte sie aufdringlich an. Er tat das, um sie zu ärgern. Ihn stach der Hafer. Er wartete darauf, daß sie sich umdrehen würde. Aber das war nicht der Fall. Im Gegenteil, aus dem Kopfschlitz des Gewandes funkelten ihn zwei kohlenschwarze Augen an. Oh, es waren große, wunderbare Augen, und Matt laß Versprechen und Verlockungen darin. Aller Zauber des Orients vereinte sich in diesem einzigen Blick. Matt war selbst wie verzaubert. »He«, sagte er heiser. »Auf jeden Kübel paßt ein Deckel, Mädchen, und ich schätze, ich bin der richtige Deckel für dich.« Er hielt dies für ein dickes Kompliment. Er hoffte, sie würde es verstehen. Sie kicherte unter ihrem bodenlangen Gewand, wandte sich um und tauchte im Halbdunkel einer Gasse unter. Die Gasse war so eng, daß ein Mensch von Matts Statur gerade hineinpaßte, aber dabei noch achtgeben mußte, sich nicht die Schultern abzuschürfen. Matt zögerte nicht. Er stieg ihr nach. Sie schritt schneller aus, ihr Gewand bauschte sich in wogenden Falten auf. Matt malte sich in seiner blumigen Phantasie aus, was so alles unter dem Stoff stecken mochte und setzte Vollzeug. Sie begann zu laufen. »Männer«, sagte Dan O’Flynn in diesem Moment. »Matt geht stiften. Er hat was an der Angel, glaube ich. Ausgerechnet der. Ich kapiere das nicht.« »Mir will’s auch nicht in den Kopf«, sagte Carberry. »Aber
los, laufen wir ihm nach. Sonst richtet er noch Unheil an. Und der Seewolf hat sich Verdruß verbeten, stimmt’s, oder habe ich recht?« Sie jagten Matt Davies nach. Matt hetzte seine vielversprechende Beute. Es war erstaunlich, wie flink sie war, er mußte sich anstrengen, um nicht den Anschluß zu verlieren. Schließlich aber schlüpfte sie in ein schmales weißgetünchtes Haus und knallte ihm eine Holztür vor der Nase zu. Für Matt war es eine Riesenenttäuschung. Er klopfte an, hörte sie kichern und sagte: »Laß mich rein, mein Täubchen. Du wirst es nicht bereuen. Dein Matt hat was für dich, von dem sich andere noch was abschneiden könnten, und du bist schon ein toller Kübel ...« Er blickte nach rechts und sah in Carberrys narbiges Gesicht. Das wirkte ernüchternd. Carberry sah ihn zuerst belustigt, dann mitleidig an. »Matt, ich glaube, du spinnst. Was ist denn das für ein Zwergenaufstand? Willst du uns die ganze Stadt auf den Hals hetzen?« »Nein. Aber die Kleine - sie hat mir zugezwinkert.« »Dir?« »Wieso denn nicht?« »Jungs«, sagte Blacky. »Es ist verdammt heiß. Wenn ich nicht bald was Flüssiges zwischen die Kiemen kriege, verdurste ich. Stöbern wir erst mal eine ordentliche Kaschemme auf, dann sehen wir weiter.« Matt fühlte sich auf den Arm genommen - sowohl von dem Mädchen als auch von den Freunden. Aber er ließ sich mitschleifen. Und sie fanden eine Kneipe, in der man zwar auf Teppichen statt auf Stühlen saß, wo es aber guten, süffigen Wein gab. Matt vergaß das Mädchen vorerst. Er hatte sich aber gemerkt, in welchem Haus sie verschwunden war. Man wußte ja nie, wozu das gut war. *
Zwei Tage später erschien ein schlanker Mann mit prächtigem Schnauzbart an Bord der ›Isabella‹. Er trug einen sauberen Turban und ebenso saubere Kleidung, was hier nicht immer an der Tagesordnung war. Er verneigte sich vor Hasard und begann zu radebrechen. »Ich - Bote. Ishak Azem. Er bereit, Kapitän Drummond zu sehen.« »Danke«, erwiderte der Seewolf. »Du führst uns zu ihm?« Der Bote nickte ernst. Old O’Flynn musterte ihn argwöhnisch, sein Gesicht war verkniffen. Als der Bote die Hand aber nicht ausstreckte und öffnete, sagte der Alte: »Na bitte. Es gibt hier also doch Leute, die ihren Dienst ohne Schmiergeld versehen.« »Vielleicht wartet er darauf, mag es aber nur nicht sagen«, wandte Ben Brighton ein. Er handelte sich einen giftigen Blick des alten Donegal ein. Hasard lächelte. »Also nichts wie los. Batuti und Dan, ihr begleitet mich.« »Aye, aye, Sir«, antworteten die beiden zugleich. Ben Brighton war heilfroh, daß der Seewolf diesmal nicht allein loszog. In Cadiz hatte er in dieser Beziehung eine üble Erfahrung mehr gesammelt. Vielleicht hatte ihn das vorsichtiger gestimmt. Man konnte wirklich nie wissen, was kam. Zumarraga hatte ihm gegenüber zwar wohl oder übel auspacken müssen. Aber dann, beim Fortgehen, war Hasard in eine Falltür gestürzt. Das war der Auftakt für seine Gefangennahme durch die Soldaten von Fort San Sebastian und seine Aburteilung gewesen. Hasard erteilte für die Zeit seiner Abwesenheit Ben das Kommando an Bord der Karavelle. Er schloß sich dem Boten an, Dan und Batuti folgten dichtauf, und im Gänsemarsch schritten sie über die Gangway der ›Isabella‹ auf die Pier. Rasch hatten sie die Halbinsel Amiraute erreicht und hinter
sich gebracht. Von dort aus ging es weiter nach Süden. Der Bote verhielt sich schweigsam. Hasard, der bisher auf Landgang verzichtet hatte, wurde von der Faszination Algiers völlig gefangengenommen. Durch die engen Gassen stiegen sie zur Kasbah hoch. Die ineinandergeschachtelten Mauern der Häuser und Befestigungsanlagen und das Leben, das in ihnen quirlte, strahlten eine Aura sondergleichen aus. Sie schlug den Seewolf in ihren Bann. Noch unterhalb der Kasbah blieb der Bote vor einem Gebäude stehen. Von außen sah es eher unscheinbar aus: weiße, glatte Mauern, zwei spitzgieblige Fenster, ein durch Perlschnüre verhängter Eingang, keine Außenbemalungen oder andere Kostbarkeiten, die ins Auge stachen. Der Bote drehte sich um und gab ihnen einen Wink, ihm weiter zu folgen. Er teilte die Perlschnüre mit den Händen, schlüpfte hindurch und entzog sich für einen Moment ihren Blicken. Hasard, Dan und Batuti gingen ihm nach. Es schien so, als könne jedermann ganz nach Belieben dieses Anwesen betreten. Aber das stellte sich sofort als eine Täuschung heraus. Im Inneren flankierten zwei beturbante Wächter den Eingang. Sie hielten Lanzen. In ihren Gürteln steckten Pistolen und Säbel. Der Bote sagte ihnen halblaut etwas, und sie ließen Hasard und seine beiden Männer passieren. Batuti musterten sie etwas mißtrauisch. Der riesige Gambia-Neger grinste sie friedfertig an, aber das riß sie auch zu keiner Sympathiekundgebung hin. Das Gebäude steckte wirklich voller Überraschungen. Hasard, Dan und Batuti hatten es mit ihrem Führer kaum betreten, da verließen sie es auch schon wieder. Im Grunde bestand es nur aus einem mittelgroßen Raum mit ungefähr einem Dutzend weißer Statuen, die in Alkoven standen. Gleich hinter dem kleinen Haus öffnete sich den Blicken der Besucher ein sonnendurchglänzter, in allen Farben leuchtender Garten. Sie durchmaßen ihn, bestaunten die gepflegten Pflanzen,
atmeten den Duft der vielen exotischen Blumen ein. Dem Ausmaß nach handelte es sich mehr um einen Park als um einen Garten, und sein außergewöhnlicher Reiz lud zum Verweilen ein. Das Gebäude, das sie betreten und gleich wieder hinter sich gelassen hatten, war eine Art Palais, das sich harmonisch in die weiße Einfriedung fügte und im Grunde nur den Wächtern am Eingang als Unterstand diente. Das Grundstück war riesig. In seinem Zentrum wurde es von einem Palast beherrscht. Sein Anblick raubte den Seewölfen fast den Atem. Ganz unverhofft erhob sich der Prunkbau aus dem Grün der Pflanzen und Palmen, und seine Schönheit und Erhabenheit waren selbst für den abgeklärtesten, nüchternsten Mann überwältigend. Die Front war zwei Stockwerke hoch und ganz aus weißem Marmor konstruiert. Eine breite Freitreppe führte zu von Arkaden gekrönten Eingangstüren hinauf. Im oberen Stockwerk setzten sich die Arkaden fort und säumten eine weitläufige Balkonplattform. Links und rechts erhoben sich aus den Gebäudeecken Türme, die gedrungenen Minaretten ähnelten. Zwischen ihnen prangte das Standbild eines Mannes in einer Art Tunika. Er hielt eine Lyra, und zu seinen Füßen lagerten zwei dralle nackte Mädchen, die ergeben zu ihm aufblickten. Wahrscheinlich handelte es sich um irgendeinen antiken Helden. Hasard nahm an, daß der Palast aus der Zeit der byzantinischen Besatzung stammte. Der Bote schritt voran, sie folgten ihm über die breite Freitreppe durch den Eingang in eine spiegelblank geputzte Halle. Der Fußboden bestand aus Steinmosaik. Sein sternförmiges Muster hatte als Mittelpunkt einen schnörkeligen Springbrunnen. Der Brunnen war aus rötlichem Marmor gehauen. Er stellte einen Jüngling dar, der auf dem Rücken eines großen Fisches ritt. Das Fischmaul spie plätscherndes
Wasser aus. Das Gluckern und Rauschen des Wassers mischte sich mit den hallenden Schritten der Männer. Hasards Blick wanderte im Gehen zu den vielen Statuen, die auch hier in unverhängten Alkoven untergebracht waren. Sie waren aus Travertin, aus weißem, grünem und schwarzem Marmor gefertigt und stellten in einigen Fällen ziemlich anstößige Szenen dar. Hasards Blick schwebte höher und verharrte auf kostbaren Deckengemälden. »Mir bleibt die Spucke weg«, flüsterte Dan. »Für einen so vermögenden Mann hätte ich diesen Azem nicht gehalten. Gegen diesen Bau war Zumarragas Behausung in Cadiz eine armselige Hütte.« Sie wechselten in einen anderen Raum über, bogen nach rechts ab und dann wieder nach links und schritten über einen langen Flur. Hier hingen zu beiden Seiten gerahmte Ölgemälde. Von der Decke baumelten glänzende Kronlüster, ob golden oder nur vergoldet, ließ sich im Moment nicht feststellen. Hasard erwiderte: »Ich habe euch an Bord erzählt, wie alt Algier ist. Diese und andere nordafrikanische Hafenstädte haben so einiges zu bieten, gegen das die europäische Kultur glatt verblaßt. Baukunst und Wohnlichkeit wurden hier schon in früheren Jahrhunderten mehr als bei uns gepflegt.« Ihr Fußmarsch endete in einem langgestreckten Saal. Er bestand aus einem mittleren Hauptteil und zwei parallel dazu verlaufenden Säulengängen. Im Gegensatz zu den anderen Räumen des Palastes war hier der Fußboden ganz mit weichen Teppichen ausgelegt. Sie schluckten ihre Schrittgeräusche. Der Bote führte sie bis an die Stirnseite des Mittelbereiches. Vor einer mit Ornamenten reich bemalten Wand stand hier ein thronartiges Holzgestühl. Seine geschnitzten Armlehnen stellten an ihren vorderen Enden geöffnete Löwenmäuler dar. Rechts war im diffusen Halbdunkel des eindringenden Sonnenlichtes eine Treppe zu erkennen. Sie war mit grünem
Teppich bespannt. Azem ließ noch gut eine Viertelstunde auf sich warten. Hasards Ungeduld wuchs wieder. Das Leben hatte hier zwar in vielen Bereichen einen behäbigeren Verlauf als daheim in England, aber er war überzeugt, daß Azem ihn absichtlich zwei Tage lang hatte schmoren lassen. Und jetzt setzte er diese Taktik fort. Endlich erschien er auf der Treppe. Hasard bemühte sich, seine Ungehaltenheit nicht zu zeigen. Erst mußte er diesen Mann im Gespräch abtasten, danach würde er wissen, wie er mit ihm umzuspringen hatte. Ishak Azem entpuppte sich als ein feister Mensch, dessen Fettmassen selbst durch das seidene, bis auf den Boden reichende Gewand nicht zu verbergen waren. Sein Gesicht war das eines zu groß geratenen, zufriedenen Posaunenengels. Seine Miene wirkte genüßlich und selbstgefällig. Zwei Neger begleiteten ihn, und das Groteske an diesem Auftritt war, daß Azem sich weiß Gott nicht dazu herabließ, selbst die Stufen hinunterzusteigen. Nein, sie trugen ihn in einer Art Prunksessel. Die Träger verhielten sich stumm. Sie setzten Ishak Azem direkt neben dem thronähnlichen Gestühl ab. Ächzend erhob er sich. Es schien ihn sogar Mühe zu kosten, nur den Sitzplatz zu wechseln. Mit einem Plumpser ließ er sich auf den geschnitzten Holzthron fallen, und da blieb er wie ein riesiger Frosch hocken, ohne sich zu rühren. Die Neger trugen den Sessel fort, kehrten zurück und fächelten dem maurischen Kaufmann mit riesigen Wedeln Luft zu - obwohl es angenehm kühl war. Azem gab sich den Anstrich eines Potentaten. Batuti gefiel dieser Mann gar nicht, zumal er sich Negersklaven hielt. Das Herz des GambiaNegers schlug nun einmal für alle seine schwarzen Brüder und Schwestern, ganz gleich, welchem Stamm sie angehörten und aus welcher Gegend Afrikas sie stammten. Wer wollte ihm das
übelnehmen? Hasard ganz bestimmt nicht. Er bedeutete Batuti nur, sich zurückzuhalten. Hasard fixierte Azem. Azem bequemte sich endlich, ein paar Worte zu sagen. »Willkommen. Ich versichere Ihnen, daß es mir eine Ehre ist, Sie in meinem bescheidenen Haus zu empfangen - Kapitän Philip Drummond. Sind die beiden dort Ihre Sklaven?« »Sie gehören zu meiner Mannschaft.« Azem lachte. Sein Bauch geriet bedenklich ins Wackeln. »Mannschaft, o ja, richtig, ihr Europäer mit eurer neumodischen Auffassung von Gleichheit und Gerechtigkeit.« Er sagte noch einiges mehr über die Ansichten, Gewohnheiten und Prinzipien der Muselmanen. Offenbar hielt er das als Eröffnungsrede für äußerst angebracht. Hasard musterte ihn die ganze Zeit über aufmerksam. Zwei dünn nach unten zulaufende, behaarte krumme Beine schauten unter Azems Seidengewand hervor. Die Füße steckten in Plüschpantoffeln. Dieser Bursche war eine Witzfigur. Aber das täuschte Hasard nicht darüber hingweg: Hinter dem schwabbeligen Gesicht verbarg sich unzweifelhaft ein knallharter, grausamer Charakter mit hoher Intelligenz. Man konnte es auch anders sagen. Dieser Azem schien ein dreimal gesalbtes Schlitzohr der gefährlichsten Klasse zu sein. Wie gut er englisch sprach! Und wie geschickt er die Unterhaltung gleich mit einem Tiefschlag einleitete! 3. Hasard ließ sich jetzt nicht aus der Ruhe bringen. Er konterte. »Auch in Irland ist ein Kapitän immer noch der uneingeschränkte Befehlshaber auf seinem Schiff«, sagte er. »Daran läßt sich nicht rütteln. Aber das bedeutet nicht, daß man seine Leute zu Leibeigenen herabwürdigen muß. Sie sind
in erster Linie Menschen, und mir beispielsweise hat noch keiner ein Bein gestellt, nur, weil ich ihn als Gleichberechtigten behandle.« Der Bote - er war zur Seite getreten - verzog keine Miene. Die beiden Neger auch nicht. Azem hingegen legte den Kopf schief, spitzte die Lippen und sagte: »Hört, hört!« Und dann: »Aha, lobenswert, sehr lobenswert, Kapitän Philip Drummond.« Er sprach den Namen mit besonderer Betonung aus. Hasard war gewarnt. Er sagte: »Aber wir haben uns nicht getroffen, um darüber zu sprechen, ehrenwerter Ishak Azem.« »Nein. Sprechen wir von Irland.« Azem bildete mit den Armen eine Pyramide, indem er sie aufrichtete und die Fingerspitzen gegeneinanderstellte. »Mein Freund, ich weiß viel über das Land, bin über die Beziehungen zwischen Irland und Spanien im Bilde und weiß auch von den Zusammenstößen zwischen Engländern und Iren. Zum Beispiel erzählt man sich in Spanien von einem beispiellosen See- und Landunternehmen der Engländer in der Dungarvanbai ...« »Und nicht nur dort«, erwiderte Hasard. »Was mich interessiert: Kennen Sie einige sehr kleine Ortschaften westlich von Dublin, Kapitän Drummond? Könnten Sie Einzelheiten über sie schildern?« Darauf lief es also hinaus! Hasard zögerte nicht mehr, er ließ die Katze aus dem Sack. Er trat einen Schritt vor und ließ Azem dabei keine Sekunde aus den Augen. »Hören wir mit dem Schattenboxen auf, Azem. Ich bin für klare Fronten. Tatsächlich bin ich Engländer, die Behauptung, irischer Kauffahrer zu sein, dient mir nur als Tarnung.« Azem klatschte begeistert in die Hände. »Hochinteressant! Und welches Geschäft schlagen Sie mir vor? Welche Ware wünschen Sie? Mineralien aus dem Atlasgebirge? Schaffelle, lebende Schafe, Wein, Obst oder Früchte?« Hasard grinste. »Einen Mann.«
»Menschenhandel? Aber Kapitän Drummond!« »Ich heiße in Wirklichkeit Philip Hasard Killigrew.« »Also gut, Kapitän Killigrew es ist doch gegen ihre Art, Sklaven aufzukaufen und wieder weiterzuverschachern, oder?« Hasards Augen wurden schmal. »Tun Sie doch nicht so scheinheilig, Azem. Ich plane einen Tauschhandel. Ich habe Sie aufgesucht, um darüber mit Ihnen zu reden - den Austausch eines Mannes mit einem anderen Mann, wobei mein Mann ein hoher spanischer Offizier und Adliger ist, den ich aus Cadiz entführt habe.« Azem faltete die Hände vor dem Bauch. Er lächelte geradezu vergnügt. »Nun, ich will Ehrlichkeit mit Ehrlichkeit begegnen. Über den Austausch können wir uns sicherlich einigen. Ich wage zu behaupten, daß der Generalleutnant Salvador de Coria einen ziemlich großen Haufen Lösegeld wert ist. Ja, ich bin da ganz sicher.« Hasard war jetzt doch überrascht. Azem nannte den Namen seines dreimal verfluchten »Onkels«, ohne ihn vorher vernommen zu haben. Und dann erklärte Azem auch gleich bereitwillig weiter: »Bereits vor drei Wochen habe ich eine Nachricht aus Spanien erhalten, in der ausführlich von den Ereignissen in Cadiz die Rede war - Ihr Abenteuer, Kapitän Killigrew. Ich bin also bestens orientiert. Mir bleibt, sagen wir mal, von allem, was sich im Mittelmeergebiet abspielt, kaum etwas vorenthalten.« »Dann wissen Sie auch, wen ich im Austausch haben will?« »Ihren Vater. Godefroy von Manteuffel. Es ist so. Ich sehe es Ihrem Gesicht an.« Hasard war tatsächlich verdutzt. Erstaunlich, wie gut dieser Dickwanst unterrichtet war! Er mußte über hervorragende Beziehungen verfügen. Ishak Azem schüttelte sich vor Vergnügen und rieb sich die kurzen, fetten Finger. »Großartig, meine Freunde, einfach großartig. Ich sehe schon, wir werden gute Handelspartner. Ein
Herz und eine Seele.« Unversehens beugte er sich vor. Sein Lächeln verschwand, er blickte jetzt eher betrübt. »Leider, leider gibt es da eine Schwierigkeit. Mein lieber Freund Uluch Ali, von dem Sie, Kapitän Killigrew, ganz bestimmt schon gehört haben, ist verteufelt hinter dem Geld her.« Er richtete sich etwas auf und blickte anklagend zur Saaldecke hoch. »Schnöder Mammon! Wie kann man derart darauf versessen sein! Es ist eine Schande.« Wieder sah er Hasard an. »Wie oft habe ich meinem Freund Uluch Ali ins Gewissen geredet, aber er will sich einfach nicht ändern.« »Du Satansbraten von einem Heuchler und Hurensohn«, murmelte Dan O’Flynn. Aber nicht einmal Batuti, der ganz dicht neben ihm stand, verstand es. Hasards Miene war hart geworden, seine Stimme kalt. »Dafür biete ich ja de Coria an, vergessen Sie das nicht.« »Schon, aber das reicht nicht, jedenfalls nicht für den gierigen Uluch Ali!« Azem rang die Hände. Es fehlte nicht viel, und er hätte theatralisch zu schluchzen begonnen. »Nicht zu vergessen, mit welchen finanziellen Schwierigkeiten es verbunden ist, die Lösegeldaktion mit der Familie de Coria oder gar König Philipp in Gang zu bringen. Und dann noch das Risiko, daß die ganze Sache vielleicht daran scheitert, weil das Lösegeld gar nicht eintrifft. Allah möge mir meine Zweifel verzeihen, aber ich denke immer noch an den Fall Manteuffel. Ja, ja, die Gefahren in so einem Geschäft sind zahlreich, denn die Menschen sind unzuverlässig und einfach schlecht. Allah möge mir verzeihen.« Hasard hätte ihm an die Gurgel springen und sie ihm umdrehen können. Besonders die Anführung des »Falles Manteuffel« brachte ihn fast zur Raserei. Damals, um 1556, hatten die drei Brüder de Coria zunächst von Godefroy von Manteuffel verlangt, er solle fünf Jahre lang als Malteserritter dienen, erst dann würden sie ihn als Schwager anerkennen. Von Manteuffel hatte aus Liebe zu Graciela eingewilligt. Dann,
als Uluch Ali ihn gefangengenommen hatte, hatten die Brüder de Coria keinen Finger für ihn krummgemacht, ja, sie hatten das Lösegeld sogar unterschlagen und Zumarraga ausgehändigt, diesem Lumpenhund. Immer stand Salvador de Coria als Initiator an der Spitze des Komplotts. Er gehörte von Rechts wegen hingerichtet, genau wie Azem und seinesgleichen. Aber Hasard bezwang sich. Durch direkte Aktion kam er nicht weiter. Er mußte sich beherrschen und diplomatisch bleiben. Das hieß andererseits aber auch nicht, daß er Azem, diesem ausgekochten Halunken, die Pantoffeln leckte. »Azem«, sagte er knapp. »Ich zahle für meinen Vater.« »Das ist klug.« »Das ist Erpressung, Azem.« »Allah wird Ihnen dieses Wort nachsehen, mein Freund.« »Ich stelle eine Bedingung, Azem.« »Und die wäre?« »De Coria nimmt so lange den Platz meines Vaters auf der Galeere von Uluch Ali ein, bis eine endgültige Entscheidung und Zusage von spanischer Seite vorliegt, was die Auslösung von Salvador de Coria betrifft.« »De Coria in Ketten!« Azem kicherte. »Ich stelle mir das lustig vor, sehr lustig, Killigrew.« »Ehrenwerter Ishak Azem«, versetzte Hasard voll Hohn und Verachtung. »Du wirst diesen Wunsch verstehen, den ich als ausgleichende Gerechtigkeit für die Sklavenjahre meines Vaters ansehe.« »Seewolf - so nennt man dich, nicht wahr?« »Ja.« Azem brach in wieherndes Gelächter aus. »Du bist ein Wolf und ein Fuchs zugleich, jawohl. Und du glaubst gar nicht, wie erfreut ich bin, einen ebenbürtigen Handelspartner gefunden zu haben, nachdem ich die meiste Zeit meines Lebens mit Eseln zu tun gehabt habe.« Er brach ab, beugte sich wieder vor und
wischte sich Tränen des Frohsinns aus den Augenwinkeln. »Seewolf, was bietest du mir für deinen Vater? Was ist er dir wert?« »Das steht nicht zur Debatte«, sagte Hasard kaltschnäuzig. »Du bist hier sozusagen der Verkäufer, Azem. Du mußt den Preis nennen. Das gehört sich so.« »Köstlich, einfach köstlich ...« »Wieviel, Azem?« Die Miene des Dicken verhärtete sich. Seine Schweinsaugen waren funkelnde Punkte zwischen aufgedunsenen Hautwülsten. »Der Preis ist der gleiche wie damals. Zehntausend Piaster.« »Also fünftausend.« Hasard sagte es, ohne mit der Wimper zu zucken. Azem fiel fast von seinem Throngestühl, jedenfalls tat er so. »Fünf ich höre wohl nicht richtig, vielleicht haben wir Verständigungsschwierigkeiten. Dabei haben wir uns von Anfang an so gut ...« »Fünftausend«, schnitt Hasard ihm ungerührt das Wort ab. »Schließlich bringe ich ja de Coria mit in das Geschäft ein.« »Das zählt nicht, vorerst hat er nur symbolischen Wert. Allah, höre mich an! Gib diesem Ungläubigen ein Fünkchen Verstand ein.« Azem blickte flehend nach oben, als schwebe Allah tatsächlich irgendwo dort. »Neuntausend«, erklärte er schließlich weinerlich. »Neuntausend wäre das äußerste, das ich zu akzeptieren bereit wäre.« »Fünftausend«, sagte Hasard eisern. »Dann ziehe ich mich zurück!« rief Ishak Azem. »Träger! Sklaven! Diener! Meine Sänfte!« Hasard drehte sich auf dem Fleck um. »Gut, dann lassen wir’s eben. Dan, Batuti, wir rücken ab.« Batuti blickte Dan an. In seiner Miene wechselten sich Erstaunen und Aufbegehren ab. Dan grinste nur verstohlen, tat aber auch so, als wollte er den Saal und den ganzen Palast dieses sauberen Fettwanstes verlassen.
Azem blieb sitzen. Er hob eine Hand, streckte sie flach aus, fuhr sich mit der anderen Hand verzweifelt übers Gesicht und stöhnte. »Nun ja, wenn ich es mir recht überlege, könnten wir uns bei achttausend entgegenkommen.« Hasard blieb stehen, drehte sich aber nicht um. »Fünftausendeinhundert«, sagte er über die Schulter. »Siebentausendfünfhundert!« »Fünftausendzweihundert.« »Siebentausend, mein letztes Wort!« »Fünftausendfünfhundert, mein letztes Wort!« Hasard wirbelte herum. »Was ist nun, Azem, willst du die vielen Piaster in den Wind schreiben, bist du wirklich so hirnverbrannt?« »Allah sei mir gnädig«, stammelte Azem. Dann einigten sie sich auf sechstausend Piaster, zahlbar bei Austausch der beiden Männer. »Die Formalitäten werde ich dem ehrenwerten Kapitän Killigrew noch mitteilen«, sagte Ishak Azem. »Vorerst müßt ihr warten. Leider. Uluch Ali weilt. zur Zeit nicht in Algier. Er muß erst benachrichtigt werden. Man muß viel Geduld haben.« »Wie lange?« fragte Hasard kalt. »Zwei, drei Wochen. Vielleicht einen Monat. Wer weiß.« »Geht das wieder los«, sagte Hasard. »Die Crew dreht mir noch durch. Hoffentlich gibt es in der Stadt genügend Zeitvertreib.« Er grüßte knapp, dann verließ er mit Batuti und Dan das Anwesen. Er war tief in seine Grübeleien verstrickt. Er dachte an seinen Vater, aber er dachte auch an seine zwanzig Männer auf der ›Isabella‹. Bei allem Ehrgeiz und Mitgefühl, das auch sie mit in die Aufgabe brachten, Godefroy von Manteuffel zu befreien - er konnte weiß der Himmel nicht von ihnen verlangen, daß sie etwa einen Monat lang in dumpfes Brüten verfielen und mit darüber nachsannen, was wohl die Zukunft brachte.
4.
Am Abend des 30. Juli hatte die erste Gruppe wieder Urlaub, und zwar bis zum Wecken: Carberry, Dan, Blacky, Matt, Jeff, Bob und Will. Sie marschierten schnurstracks in die Kasbah und kauften zunächst eine Karaffe Wein bei einem der unzähligen fliegenden Händler. Sie hatten während der vergangenen Tage festgestellt, daß dieser Wein der beste war, wenn er auch in aus Ziegenfell gefertigten Schläuchen transportiert wurde. Trotzdem oder gerade deswegen hatte er einen so besonders würzigen, süffigen Geschmack. Die Karaffe ging reihum, und sie wanderten dabei quer durch die Kasbah. Sie kannten jetzt die Türkenkneipen und Berberspelunken, in denen man angenehm verweilen konnte, aber sie hatten immer noch nicht gefunden, was sie außerdem und in erster Linie suchten. Plötzlich standen sie vor dem Haus, in dem bei ihrem ersten Erkundungsgang das Mädchen verschwunden war. »He«, sagte Dan O’Flynn. »Matt, du altes Walroß. Du hast uns doch nicht zufällig hierhergelotst.« »Nein.« Matt raunte es. »Wartet. Los, drückt euch hier mit mir in die Nebengasse und haltet die Schnauzen.« »Warum?« fragte Carberry. »Weil ich es sage.« »Du hast Nerven«, meinte Jeff Bowie. »Wir sollen uns hier die Beine in den Leib stehen und womöglich lauern, daß die keusche Hulda mal zum Vorschein kommt? Nicht mit uns.« »Schscht«, flüsterte Matt. »Still doch. Laßt mich erst mal ausreden. Ich hab was ausbaldowert.« »Was denn?« fragte Dan. »Spann uns bloß nicht auf die Folter. Ich wette, an der ganzen Sache ist nichts dran. Du hast dich in eine fixe Idee verstiegen, glaube ich.« Matt wurde wütend. »Wird bloß nicht kiebig, du
Lauselümmel. Ich habe drei Nächte lang beobachtet, was das Mädchen um diese Stunde tut. Während ihr euch in den Kneipen vollaufen ließt, habe ich mich selbstlos für die Crew geopfert.« »Mir kommen die Tränen«, entgegnete Carberry, »Wozu denn das Ganze?« »An den drei Abenden verließ sie das Haus. Scheint so, als ginge sie jede Nacht aus, die Kleine.« »Ach nein, wie reizend«, sagte Blacky mühsam beherrscht. »Und wohin? Vielleicht zu ihrem Freund?« »Das weiß ich nicht.« »Ich krieg zuviel«, ächzte der Profos. »Sie hat mich immer wieder abgehängt«, verteidigte sich Matt gereizt. »Aber heute nacht helft ihr mir. Jetzt ist sie dran. Wir kreisen sie ein und bleiben ihr auf den Fersen, so dicht wie eine Zecke am Arsch der Kuh. Dann sehen wir ja, wohin sie schleicht.« »Zu ihrem Freund«, sagte Jeff. »Ich bin doch nicht blöd und sehe den beiden beim Turteln zu.« Bob Grey grinste. »Ich habe auch den stillen Verdacht, wir stoßen uns gewaltig die Nase. Möglich, daß die Tante einen Kreis von Betschwestern aufsucht oder so. Ich meine, nach allem Komischen, das sich hier abspielt, könnte auch das angehen ...« »Ja«, zischte Matte. »Aber ich glaube nicht, daß die Muselmanen auch nachts noch beten.« Carberry schnitt eine bösartige Grimasse. »Hör zu, Matt. Deine guten Absichten in Ehren, aber was ist, wenn sich unter dem Kaftan kein knuspriges junges Weibsbild versteckt, sondern eine alte Schachtel? Dann lasse ich dich am ausgestreckten Arm verhungern.« Matt winkte ab. »Ihre Augen hättest du sehen müssen. Solche Augen hat keine Oma. Und eine Oma kann auch nicht so flink laufen.«
»Wer’s glaubt, wird selig«, sagte Bob Grey. Die anderen wollten auch wieder ihren Senf hinzugeben, da duckte sich Dan O’Flynn plötzlich und bedeutete ihnen, sich still zu verhalten. Die Tür des beobachteten Hauses knarrte. Matt, Ed, Dan und die anderen verharrten mucksmäuschenstill in der Nebengasse, die sich rechts des Hauses öffnete. Dann hielten sie unwillkürlich die Luft an. Tatsächlich schlüpfte eine vermummte Gestalt ins Freie, blickte sich nach allen Seiten um und eilte davon. »Das ist sie«, wisperte Matt. »Ihr nach«, raunte Dan, den jetzt auch das Jagdfieber gepackt hatte. Und sie pirschten der Gestalt nach. Sie nutzten jede Deckungsmöglichkeit aus, es gab viele davon in der Kasbah. Sie gaben sich redlich Mühe, nicht von der Verfolgten entdeckt zu werden. Schon nach den ersten Schritten trennten sie sich, um weniger auffällig vorgehen zu können. Es stellte sich jetzt als Vorteil heraus, die Gassen der Stadt einigermaßen kennengelernt zu haben. Wenigstens konnten sie sich nicht verirren. Dan und Bob Grey schafften es sogar, die Vermummte in einer Parallelgasse zu überholen, sich anschließend wieder auf ihren Weg zu stehlen und sie fortan praktisch zu beschatten, indem sie auf Distanz vor ihr herschritten. Schließlich stoppte das Mädchen vor einem schmalen, unscheinbar wirkenden Haus. Es stand zwischen anderen Bauten eingekeilt. Hinter einem Fenster zuckte schwacher Lichtschein. Das Haus hatte keinen Perlschnürenvorhang im Eingang hängen, sondern verfügte über eine richtige Holztür. Das Mädchen klopfte in rhythmischen Abständen mit der Faust gegen die Tür. Dan und Bob lauerten auf der einen Seite der Gasse, Carberry und die übrigen vier auf der anderen. Natürlich ahnten sie, was kam. Und so war es auch. Die Tür
wurde geöffnet, das Mädchen trat ein, die Tür wurde wieder zugesperrt. »Da haben wir den Salat«, raunte Blacky. »Klappe zu, Affe tot. Deine scheue Hulda scheint auf diese Tour spezialisiert zu sein, Matt.« Carberry schob sich die Hemdsärmel etwas höher. »Haltet jetzt mal alle die Schnauze. Ich habe mir die Art gemerkt, wie sie an die Tür geklopft hat. Kurz, lang, dreimal in dieser Reihenfolge.« Er verließ seine Deckung, trat in die Mitte der Gasse und marschierte schnurstracks auf das Haus zu. Er winkte Dan und Bob zu. Die ganze Meute rückte langsam auf, während Carberry sich vor der Tür aufbaute. Er gab sich Mühe, nicht so heftig gegen die Tür zu hämmern. So behutsam wie möglich imitierte er das Klopfzeichen des Mädchens. Und siehe da, die Tür schwang wie von Geisteshand geöffnet auf. Carberry grunzte etwas. Blacky, der gleich hinter ihm stand, glaubte die Worte »Sesam, öffne dich« oder etwas Ähnliches verstanden zu haben. Genau ließ sich das aber nicht mehr feststellen, es ging in der Turbulenz der folgenden Ereignisse unter. Carberry war mit zwei Schritten im Hausinneren. Die anderen drängten nach. Carberry hatte plötzlich mit sicherem Griff den Türwächter zwischen seinen prankengroßen Händen. Es war ein fetter Mann ohne Bart und mit sehr glatter Haut. Er sah einem Mastschwein wirklich nicht unähnlich, zumal er zappelte und quiekende Laute von sich gab. Carberry hielt ihn nur noch mit einer Hand. Die andere ballte er zur Faust, hieb sie dem Fetten unter das Kinn und sah zu, wie er das Bewußtsein verlor und schlaff zusammensackte. Er sank auf einen Teppich, auf dem er offensichtlich vorher schon gehockt hatte. Dan hatte augepaßt. Sie befanden sich in einem langgestreckten Raum. Das Licht, das sie von außen gesehen
hatten, rührte von einem blakenden Talglicht auf dem Steinfußboden her. Eigentlich hatte der Raum überhaupt keine Einrichtung, wenn man von einigen Teppichen absah. Er bot dem Auge nur eine interessante Einzelheit: einen Rundbogendurchgang in der Mitte seiner Rückwand. Und Dans bekanntlich sehr scharfe Augen waren es, die den neuen Gegner aus dem schwarzen Loch hervorstürmen sahen. Dan stupste Blacky. Blacky fuhr herum. Beide ließen sie den Mann auflaufen. Er war genauso dick wie sein Landsmann auf dem Teppich, wenn nicht noch fetter. Sein Bauch wabbelte nur so beim Laufen, und er mühte sich redlich ab, einen Krummdolch aus dem Leibgurt zu zerren. Dabei stieß er etwas in seiner Muttersprache aus. Erstaunlich war, daß er eine sehr hohe Stimme hatte, eine Fistelstimme. Blacky knallte ihm die Faust gegen den Kopf. Dan deckte ihn mit einem Hagel von harten Hieben ein. Der Muselmane ging gleichfalls zu Boden. Carberry hatte die Tür sorgfältig geschlossen und einen hölzernen Riegel vorgelegt, der sich an ihrer Innenseite befand. »Hoffentlich hat keiner das Rufen dieses Burschen gehört«, sagte er mit einem Blick auf den zweiten Ohnmächtigen. »Vielleicht stecken noch mehr Männer in diesem Bau, mindestens aber das Mädchen.« »Ich finde die Sache verdammt merkwürdig«, sagte Will Thorne. »Männer, hast du gesagt, Profos?« Er trat zu dem zuletzt zu Boden geschlagenen Fettwanst. »Sind das überhaupt welche? Diese Stimme - da ist man nicht sicher, ob man Mann oder Weib vor sich hat.« Blacky grinste. »Ich hab’s. Das sind Eunuchen. Matt, wenn mich nicht alles täuscht, sind wir hier richtig.« Carberry kratzte sich das Rammkinn. Es hörte sich an, als marschiere eine Kolonie Kombüsenschaben über trockenes Laub. Er tat das gewöhnlich, wenn er nicht begriff. Dan hingegen grinste auch spitzbübisch. »Eunuchen sind
Haremswächter. Sollten wir hier etwa auf einen Harem ganz besonderer Art gestoßen sein?« »Reden wir nicht blöd herum«, sagte Matt Davies. »Sehen wir nach, was in den hinteren Räumen los ist.« Sie hoben den ersten Bewußtlosen ein Stück hoch und setzten ihn auf den Allerwertesten. Carberry und Will Thorne fesselten ihn mit Tauenden, die sie bei sich trugen, und stopften ihm zum Abschluß einen alten Lappen als Knebel in den Mund. Der zweite wurde gleichermaßen versorgt. Danach pferchten sie die beiden auf dem Teppich zusammen und lehnten sie mit den Rücken gegen die Wand. »Fein«, sagte Carberry. Damit schritt er forsch auf den Rundbogendurchgang zu. Obwohl es dahinter stockdunkel wurde und keiner von ihnen wirklich ahnte, was auf sie wartete, drangen sie ohne Zögern in den unbekannten Bereich des Gebäudes vor. Von außen hatte das Haus schmalbrüstig und geradezu winzig angemutet, aber das erwies sich jetzt als Irrtum. Algier hielt immer neue Überraschungen für sie bereit. Sie durchquerten einen Raum, der etwas kleiner war als der vordere, dann mündete ein weiterer Durchgang auf einen Flur. Auch im Flur existierte keine Lichtquelle. Sie hatten ihn halb hinter sich gebracht, da erreichten erste Geräuschfetzen ihre Ohren. »Musik«, flüsterte Matt Davies. »Leise Musik. Und Männer und Frauenstimmen.« »Weiter«, drängte der Prof os. Sie schlichen und konstatierten dabei, daß der Flur nun abschüssig wurde. Am Ende fiel der Profos beinahe. Sein Fuß trat plötzlich ins Leere. Buchstäblich in letzter Sekunde fing er sich, fand etwas tiefer Widerstand unter seinem Fuß und sagte gedämpft: »Eine Treppe.« Auf Zehenspitzen pirschten sie Stufe um Stufe hinunter. Sie waren darauf vorbereitet, mit weiteren Eunuchenwächtern zu
ringen, aber es tauchten keine mehr auf. Die Treppe schraubte sich wendelartig in die Tiefe. Die Musik, von eigentümlichen, ihnen unbekannten Instrumenten erzeugt, nahm zu, ebenso das Lachen der Männer und Kichern der Frauen. Sie gelangten an den Fuß der Treppe. Carberry, Dan, Blacky, Matt, Jeff, Bob und Will standen mit offenen Mündern und betrachteten, was sich da ihren Augen bot. * Sie befanden sich am Beginn eines ausgedehnten Kellergewölbes. Zwischen den Stützsäulen lagerten ungefähr zwei Dutzend Männer und fast genauso viele Frauen auf Teppichen und Bergen von Kissen, und in einer Ecke spielte das kleine Orchester. Da fidelte einer auf einer Art Kniegeige herum, ein anderer traktierte ein Zupfinstrument, ein dritter blies verhalten auf einer einfachen Flöte. Aber die Blicke der Seewölfe huschten schnell über die Kapelle hinweg. Es gab Interessanteres zu sehen. Eine etwas üppige Frau bewegte sich mit erstaunlichem Hüftschwung zwischen den Hockenden und Liegenden hindurch. Vor dem Gesicht trug sie einen durchsichtigen Schleier. Ihre schweren, wippenden Brüste wurden von einem mit Fransen behängten Stück Stoff gehalten, der Rest der Kleidung bestand aus einem bodenlangen Rock, der an den Hüften sehr knapp abschloß und ihren Bauch in seiner ganzen Pracht freilegte. Während sie tanzte, taten sich die lagernden Gäste an Wein und Speisen gütlich. Die Mädchen waren beschwipst und vergnügt, und alle trugen nicht mehr Kleider als die Bauchtänzerin. Manchmal erhob sich ein Paar und verschwand in einer der zahlreichen Nischen, die ganz am Ende des Gewölbes zu erkennen waren. Dort standen auch wieder einige fette Männer Wache, von der Sorte, wie Carberry und seine
Begleiter sie oben außer Gefecht gesetzt hatten - Eunuchen. Das Gewölbe war in gedämpftes rötliches Licht getaucht. Die schwache Helligkeit wurde von Talglichtern und Öllampen erzeugt. Schwere Düfte erfüllten den riesigen Raum. Sie schienen von einer Art Stäben herzurühren, die in Metallständern steckten und langsam abbrannten. Dünner Rauch kräuselte sich daraus empor und stieg zur Decke hoch. Dan beobachtete scharf und verfolgte, wie ein bärtiger Mann einem Mädchen einen kleinen Lederbeutel mit irgend etwas darin zusteckte. Das Mädchen nickte. Der Mann, abenteuerlich gekleidet und muskelbepackt, erhob sich und schritt schwerfällig auf die Treppe zu. »Ein Bordell«, sagte Carberry. Es klang feierlich. »Ein richtiges algerisches Freudenhaus, also gibt’s hier doch so was. Wäre doch ein Witz, wenn’s nicht so gewesen wäre. Matt, du verdienst einen Orden.« Matt hörte nur mit einem Ohr hin. Er hatte ganz rechts in einer Ecke die Vermummte entdeckt. Sie war es, sie trug noch immer das alles verhüllende Gewand, an dem er sie erkannte. Sie unterhielt sich mit einem Mädchen, offenbar einer Dienerin, die aus großen Krügen Wein in kleinere Krüge schenkte. »Achtung«, sagte Dan O’Flynn. »Es wird brenzlig. Die Kunden hier scheinen nicht nur behäbige Landratten zu sein, die man leicht aus den Stiefeln stoßen kann. Es sind auch Piraten darunter. Seht euch zum Beispiel den Kerl da an.« Er wies auf den Heranstapfenden. Carberry holte tief Luft. »Die Frage ist, ob man uns hier friedfertig einläßt und bereit ist, äh, die Freuden von tausendundeiner Nacht mit uns zu teilen.« »Nach dem, wie wir oben mit den Eunuchen umgesprungen sind?« fragte Jeff Bowie. »Das braucht hier ja noch keiner zu erfahren«, erwiderte der Profos. »Am besten lassen wir den Dingen ihren Lauf. Solange
uns keiner reizt, bleiben wir friedlich, verstanden? Hasard will nicht, daß wir uns herumprügeln, und das ist ein Befehl.« Er sagte es, aber so richtig war er von seinen Worten auch nicht überzeugt. Die Eunuchen oben an der Eingangstür hatten sich schließlich alles andere als friedfertig gezeigt, als sie sein Narbengesicht erblickt hatten. Der bärtige Pirat war bei ihnen. Er war ein Klotz von Kerl, trug Ohrringe und Ketten auf der Brust und sonst noch einigen Tand. Unter seinem Turban schauten pechschwarze Haare hervor. Pechschwarz war auch sein Vollbart, desgleichen seine leicht getrübten Augen. Was am bedenklichsten stimmte: Er trug Pistole und Dolch im Gurt. Schwankend blieb er vor ihnen stehen. Er hatte Schwierigkeiten, sich in der Balance zu halten. Er musterte sie sekundenlang schweigend. Die sieben Seewölfe sagten nichts. Dann ging ein Aufleuchten der Erkenntnis über die Züge des Burschen. Im nächsten Augenblick schnitt er eine haßerfüllte Grimasse, stieß einen Schrei aus und packte seinen Dolch. »Er hat gesehen, daß wir Ausländer sind«, sagte Dan. »Ich glaube, sie wollen, uns hier doch nicht«, sagte Blacky. Carberry nickte. »Ja, verdammt. Aber jetzt lassen wir es darauf ankommen. Seht euch mal diese Mädchen an. Wollen wir auf die verzichten? Nein, das kann nur ein Eunuch.« Er hatte sich in Cadiz bei ähnlicher Gelegenheit vom Seewolf einen Verweis eingehandelt, denn auch dort war er handgreiflich geworden, als er in der Werft von Alirio Lares einen Dieb an Bord der ›Isabella‹ ertappt hatte. Auch dort hatte Hasard Schlägereien rigoros verboten, weil sie nicht auffallen durften. Aber jetzt - jetzt konnte Carberry wieder mal nicht zurück. Er leistete sich die Befehlsverweigerung. Er setzte alles auf eine Karte. Der algerische Pirat fuchtelte ihm mit seinem Krummdolch vor der Nase herum und brüllte, daß die Mädchen und Männer von ihren Lagern hochfuhren. Auch die Eunuchen
wurden aufmerksam und rückten an. Carberry schlug den Messerarm des Schwarzbärtigen zur Seite. Blitzschnell hieb er ihm die Faust in die Magengrube. Der Mann krümmte sich, verlor sein Messer, kippte nach hinten über und wälzte sich auf dem Boden. Er war schon ziemlich angetrunken, sonst hätte es der Profos mit ihm nicht so einfach gehabt. Der kurze Zweikampf war der Auftakt zum allgemeinen Handgemenge. Die Freier der Mädchen sprangen erbost auf, die Eunuchen watschelten, so schnell sie konnten und Carberry sagte nur ein Wort: »Drauf!« Ed Carberry, Dan, Blacky, Jeff und Bob stürmten gegen die Übermacht von Angreifern vor, Matt und Will hielten ihnen den Rücken frei. Vorläufig hatten die Männer der ›Isabella‹ nur einen einzigen Vorteil für sich zu verbuchen: Sie waren nüchtern. Der Wein, den sie bei dem Händler gekauft hatten, war ihnen nicht zu Kopf gestiegen, da bedurfte es schon ganz anderer Mengen. Die Muselmanen hingegen hatten sich allem Anschein nach ziemlich vollgeschlaucht. Entsprechend schwerfällig bewegten sie sich. Carberry rammte einem halbnackten, drahtigen Kerl die Fäuste gegen die Brust. Der Mann wurde förmlich zurück katapultiert. Er prallte gegen die anderen und riß einige mit sich zu Boden. Dan deckte einen Eunuchen mit Schlägen ein, und auch Blacky, Jeff und Bob hatten alle Hände voll zu tun. Sie kämpften flink und konzentriert, und ihre Hiebe fielen mit erbarmungsloser Härte. Sie machten weder von ihren Schuß noch von ihren Hieb und Stichwaffen Gebrauch. Gerade das wollten sie vermeiden. Und bevor die Mulselmanen voll zum Zug kamen und sich etwa einfallen ließen, schwereres Geschütz aufzufahren, mußten sie aufgeräumt haben. Eine Prügelei ließ sich dem Seewolf gegenüber noch rechtfertigen ein Massaker nicht. Matt Davies und Will Thorne standen auch nicht tatenlos da.
Es hatte sich als klug erwiesen, den Ausfall nicht nur nach der einen Seite zu führen. Ein paar Oberschlaumeier hatten sich nämlich zu Beginn der Auseinandersetzung gleich an der Kapelle vorbeigeschlichen. Die Musikanten spielten verzweifelt weiter. Sie klammerten sich an ihren Instrumenten fest. Die Oberschlaumeier drückten sich an der Wand entlang. Sie schlugen einen Bogen und wollten die Engländer von hinten anfallen. Es waren fünf. Matt und Will fingen sie ab. Matt setzte den ersten mit der stumpfen Seite seines Eisenhakens außer Gefecht, dem nächsten trat er gegen das Schienbein. Will hieb zwei Gegner mit den Köpfen gegeneinander. Stöhnend sanken sie hin. Matt packte sich den fünften, wuchtete ihn gegen den Schienbeinverletzten und brachte auf diese Art alle beide zu Fall. Binnen Sekunden hatten sie alle fünf ins Reich der Träume befördert. Matt näherte sich der immer noch Vermummten und der Dienerin, die für den Weinausschank zuständig war. Die Dienerin wollte ihm einen großen Krug auf den Kopf hauen, aber das andere Mädchen hielt sie zurück. Endlich öffnete sie ihr Gewand und legte als erstes ihren Kopf frei Matt sah ein von schwarzen Haaren gerahmtes Gesichtsoval, und er stellte fest, daß sie zwar nicht mehr ganz taufrisch, aber trotzdem hübsch und knusprig war. Und ihre Augen! Sie blickten wieder so lockend und versprechend. Matt faßte sie bei den Händen. Sie lächelte ihn an. »Blume von Algier«, sagte er. »Du hättest aber auch gleich sagen können, daß du hier jede Nacht Dienst schiebst. Ich bin kein armer Schlucker, und außerdem, auf jeden Kübel paßt der richtige ...« Er verschluckte den Rest, denn etwas knallte von hinten auf seine Schädeldecke. Er hatte das Gefühl, der Kopf würde ihm bersten. Seine Angebetete schrie auf. Matt sank erst auf die
Knie, dann zur Seite, und gleich darauf drehte er sich auf den Rücken. Er sah das hübsche Gesicht der entsetzten Araberin über sich verschwimmen, danach sank die Welt in tintenschwarze Finsternis. Nach ein bis zwei Tagen kam er wieder zu sich - jedenfalls erschien ihm die Zeitspanne so groß. Sein Mund und sein ganzes Gesicht wurden mit Nektar benetzt, mit süßem, süffigen Nektar, der ihn aufheiterte und seine Kopfschmerzen minderte. Matt erhob sich schwerfällig. Er gönnte sich einen Rundblick. Unwillkürlich begann er zu grinsen. Carberry und die anderen waren Sieger geblieben. Sie hatten gut zwei Dutzend Männer besinnungslos gehauen, darunter natürlich auch die Eunuchen. Die Mädchen hatten sich bei der Kapelle zusammengeschart. Sie sahen verängstigt aus. Matt kriegte einen Krug an den Mund gesetzt und schlürfte wieder von dieser einmaligen Flüssigkeit. Moment mal, das war ja kein Nektar, sondern Wein! Und die Araberin, seine Angebetete, war neben ihm, hielt ihm den Krug vor und ließ ihn tüchtig schlucken, so, als hätte er seit Tagen nichts mehr getrunken. Rechts von sich erkannte Matt jetzt auch Will Thorne. Er schob den Krug von sich, wischte sich die Lippen ab und sagte: »Will, he, Will! Wieso sind wir noch hier, wenn ich so um die zwei Tage herum weggetreten war?« »Was sagst du da?« »Schon gut.« Matt winkte ab. »Ich hab’s kapiert. Ich bin nur ein paar Minuten bewußtlos gewesen. Fein. Die Welt ist wieder in Ordnung.« Er griff nach der Blume von Algier, und sie quietschte. »Mädchen, ich will nicht jeden Tag ein Ding von hinten über den Schädel kriegen, aber mit Wein geweckt werden, das möchte ich schon«, sagte er begeistert. »Sashra«, sagte sie lächelnd. »Sashra? Ist das was Unanständiges?« Sie tippte sich mit dem Finger gegen die Brust und
wiederholte das Wort. Bei Matt fiel der Penny. »Ach, das ist dein Name!« Er schlug sich mit der gesunden Hand gegen die Brust, daß es krachte. »Ich - Matt. In Ordnung?« »Matt, Matt«, radebrechte sie. Matt erhob sich und legte ihr den Arm um die Hüfte. Stolz blickte er auf seine Kameraden, die soeben damit begonnen hatten, die Bewußtlosen mit irgendwo im Gewölbe aufgetriebenen Stricken zu fesseln. Die Kapelle spielte immer noch zaghaft, sie schien das für das Klügste zu halten. Die Bauchtänzerin wackelte auch noch mit ihrem Hintern, hielt sich aber wohlweislich in der Nähe der anderen Mädchen. Carberry richtete sich auf und winkte Matt zu. »He, deine Freundin soll den Weibern mal erklären, daß wir sie nicht auffressen wollen. Kannst du ihr das verklickern?« »Na klar«, sagte Matt. Er wandte sich Sashra zu und hielt ihr einen längeren Vortrag, wobei er immer wieder gegen seine Brust schlug und auf die Gruppe leichtgeschürzter Mädchen deutete. Am Ende hatte er keine Ahnung, ob sie begriffen hatte. Sie trippelte aber lachend zu den Mädchen, redete auf sie ein, und sie begannen ebenfalls zu kichern. Die Mädchen schwärmten aus und traten mit ausgebreiteten Armen auf die sieben Seewölfe zu. »O Hölle und Teufel«, sagte Dan O’Flynn heiter. »Das sind ja mehr, als wir in einer einzigen Nacht durchnehmen können.« »Glaubst du?« erwiderte Blacky. »Laß uns erst mal in den Nischen sein, dann wird es sich ja herausstellen, daß wir im Nahkampf noch nichts verlernt haben. Ho, Jungs, haltet die Ohren steif und laßt euch nicht aus der Ruhe bringen. Diese blinden Bären hier«, er wies auf die niedergeschlagenen Widersacher, »können uns nicht mehr an die Karre fahren. Und sie werden uns auch morgen früh nicht gefährlich, denn die einen werden nichts ausposaunen und keine Hilfe holen, weil dieser Laden ihr wohlbehütetes Geheimnis bleiben muß. Und
die anderen, die Piraten, tun es aus lauter Schmach und Schande über die Niederlage nicht.« Carberry nickte. »Ja, ich will auch hoffen, daß das Ganze ohne Folgen bleibt. Schließlich müssen wir noch im Hafen bleiben und auf die Antwort dieses Uluch Ali warten.« Matt zog Sashra zu sich heran, als sie wieder vom Podium der Kapelle zurückkehrte. Zu Will Thorne sagte er noch: »Wer war denn eigentlich der Ochse, der mich zu Boden trat?« Will, schon mit einer drallen Schwarzhaarigen im Arm, wies stumm auf einen der gefesselten Ohnmächtigen. Matt trat ihm einmal kräftig gegen den Achtersteven, dann sagte er: »So, das war’s. Und jetzt nichts wie ab durch die Mitte.« Er zog Sashra, das Mädchen mit dem glühenden Blick, quer durch das Gewölbe und steuerte auf eine der Nischen zu. 5. Am nächsten Tag machte der Bericht über den tolldreisten Ausflug der sieben an Bord der ›Isabella VII.‹ natürlich die Runde. Auch die anderen beiden Gruppen, die umschichtig an Land durften, versuchten in den folgenden Nächten ihr Glück in dem versteckten Freudenhaus. Und es ereignete sich etwas Erstaunliches: Niemand behinderte sie. Carberry und seine Begleiter hatten sich den nötigen Respekt verschafft und den anderen den Weg geebnet. Fortan konnte die gesamte Crew in dem Gewölbe ein und ausgehen, ohne daß es wieder Raufereien gab. Die Araber hielten sich vorläufig von dem Etablissement fern. Sie wollten keinen Verdruß. Die Piraten auch nicht. Wie lange noch, das stand in den Sternen, aber erst einmal nutzten die Männer der ›Isabella‹ ihr Monopol als Stammkundschaft der bereitwilligen Mädchen so richtig aus. Aber das Warten wurde schließlich doch eine Nervenprobe für Hasard und seine Männer. Es ging auf Ende August zu, und
immer noch nichts hatte sich getan. Zeitweilig hatte nur mal ein holländischer Handelsfahrer neben ihnen an der Pier gelegen. Der Seewolf, zu mißtrauisch, um das an Land zu erledigen, hatte bei dem Kapitän aus den Niederlanden einige Perlen in Piaster umgesetzt. Dieser Holländer war weiß Gott ein stockehrlicher Mann, aber er machte immer noch das bessere Geschäft, weil sich natürlich schlecht schätzen ließ, mit wie vielen Piaster überhaupt eine Perle aufzuwiegen war. Außerdem waren die Perlen aus der Neuen Welt wertbeständiger. Immerhin, Hasard hatte jetzt mehr als die vereinbarte Kaufsumme für seinen Vater in Piaster zusammen. Er war bereit, aber Azem ließ mit Nachrichten auf sich warten. Hasard schickte mehrfach Boten zu seinem Palast, aber die wurden stets abgewiesen. Schließlich ging er selbst hin, mußte sich aber auch mit der Auskunft abspeisen lassen, Ishak Azem sei unpäßlich und außerdem gäbe es keine Neuigkeiten für ihn, den Kapitän Killigrew. Es wurde September. Dies war der Monat, in dem Gwen, Hasards Frau, ihr Kind zur Welt bringen würde. Hasard dachte jetzt fast unausgesetzt daran. Sie war daheim in England. Sir Anthony Abraham Freemont, der Arzt von Plymouth, hatte sie in seinem Landhaus untergebracht. Gewiß, Gwen war dort vor Zugriffen der Seewolffeinde absolut sicher, aber er wollte endlich wieder bei ihr sein und die Stunde erleben, in der ihr Stammhalter seinen ersten Kampfschrei losließ. Die Zeit drängte nun wirklich. Und sie lagen und lagen an der Außenpier der Halbinsel Amiraute und konnten nicht vom Fleck. Sie waren in fataler Weise von diesem Azem abhängig. Nutzte der Fettwanst es aus? Hasard schritt auf dem Achterdeck auf und ab. Seine Männer waren genauso gereizt wie er, da schuf auch kein noch so gut bestücktes Bordell dauerhafte Abhilfe. Die Mädchen waren für
die Crew schon nichts Besonderes mehr. Oh, wie es in ihnen kochte! Sie hätten vor Wut ganz Algier auseinandernehmen können. Noch zügelte Hasard sie. Aber er war drauf und dran, sich an ihre Spitze zu setzen und Azem, einen Besuch abzustatten, den er nicht so schnell wieder vergaß. Als gegen Ende September immer noch die große Ruhe vor dem Sturm herrschte, trommelte er die Männer auf Oberdeck zusammen. Azem hatte ihn jetzt genug an der Nase herumgeführt. »Es hat keinen Zweck mehr«, sagte er. »Wir können hier nicht total versauern: Wir handeln jetzt.« Ben Brighton schlug sich mit der rechten Faust in die offene Linke, daß es klatschte. »Jawohl, laß uns was unternehmen. Legen wir los.« »Das gibt uns Auftrieb!« rief Edwin Carberry von der Kuhl. »Himmel, Arsch und Zwirn, diese Affenärsche von Kümmeltürken, diese ...« Er wollte so richtig vom Leder ziehen, aber Dan unterbrach ihn plötzlich. »He, seht doch mal!« Fast ungläubig folgten die Männer seinem Fingerzeig. Sie sahen einen schlanken Mann mit peinlich sauberer Kleidung und peinlich sauberem Turban auf die Gangway treten. Es war der Bote von Ishak Azem. »Ich«, sagte er. »Bringe Nachrichten. Für Seewolf. Mein Herr bereit, zu empfangen.« * Hasard nahm diesmal Ferris Tucker und Stenmark als Geleitschutz mit. Es war früher Nachmittag, als sie in dem Park des Azemschen Anwesens eintrafen. Der rothaarige Schiffszimmermann und der Schwede staunten natürlich auch über die Pracht, die sich ihnen da offenbarte. Im Saal des Palastes wurde alle Schönheit jedoch empfindlich durch eine
häßliche, leider unübersehbare Erscheinung gestört. Ishak Azem! Er hockte dieses Mal bereits in seinem hölzernen Throngestühl, fett, grinsend und selbstzufrieden wie immer. Die beiden Neger wedelten ihm wieder Frischluft zu. »Ich glaube, der hat seit meinem ersten Besuch noch zugenommen«, sagte Hasard, gerade so laut, daß es nur Ferris und Stenmark vernehmen konnten. Sie traten vor Azem hin und verbeugten sich ein wenig zum Gruß. »Willkommen, willkommen.« Azem blähte die Lippen und strich sich seufzend über den Bauch. »Ich habe mich in den letzten Tagen wirklich hundeelend gefühlt, meine hochverehrten Freunde. Woran mag das liegen? Ob ich bei Allah in Ungnade gefallen bin?« Hasard lächelte hart. »Wenn dein Allah vernünftig ist, schickt er dich geradewegs ins Fegefeuer.« »Was ist das, Fegefeuer?« »Ein Platz, wo man abnimmt. Du solltest die Hälfte essen, ehrenwerter Azem«, erwiderte Hasard unverblümt. Azem seufzte wieder. »Ich nehme nur noch Salat und Ziegenkäse zu mir. Aber wir wollten ja eigentlich über etwas anderes sprechen. Habt ihr euch in Algier auch nicht zu sehr gelangweilt?« »Nein«, sagte Hasard mühsam beherrscht. »Also, was ist?« »Was? Ach ja, richtig. Es ist soweit. Ich habe mit Uluch Ali vereinbaren lassen, daß der geplante Austausch am 4. Oktober mittags acht Meilen nördlich von Algier auf offener See stattfindet.« Träge wedelte er mit der Hand. »Nein, nein, eher ist es leider nicht möglich. Liebe Freunde, ich hätte schon von mir aus versucht, einen früheren Termin festzulegen, falls Uluch Alis Pläne es zugelassen hätten.« »Schon gut«, sagte Hasard. »Und weiter?« »Weiter ist zu berücksichtigen, daß beide Schiffe - die Galeere meines guten Freundes Ali und die Karavelle meines hochwohllöblichen Handelspartners Kapitän Killigrew - einen
Abstand von etwa achthundert Schritten voneinander zu halten haben.« »Jedes Schiff wird also ein Boot aussetzen«, sagte Hasard. Azem nickte, daß seine Hängewangen wackelten. »Richtig. Jedes Boot darf mit nicht mehr als sechs Ruderern besetzt werden. Beide Boote bewegen sich mit dem jeweiligen Austauschgefangenen von den Schiffen fort und treffen sich in der Mitte der achthundert Schritte.« »Einverstanden.« Hasard ließ ihn nicht aus den Augen. Gab es einen Punkt, den er nicht bedacht hatte? Ließ sich ein Haken an der Sache finden? Durch welche Hinterhältigkeit trachteten Azem und Ali eventuell danach, ihn zu überlisten? Ihm fiel nichts ein. »An jener Stelle findet also der Austausch statt?« »Ja, und dort mußt du auch dreitausend Piaster an Uluch Ali zahlen«, entgegnete Azem fröhlich. »Und der Rest?« »Den erhalte ich.« »Jetzt?« »Sofort. So habe ich es mit Uluch vereinbart.« Hasard zögerte noch, griff schließlich aber in die Tasche und zog einen Lederbeutel daraus hervor. Ishak Azem beugte sich leicht vor. In seiner Miene war äußerste Konzentration zu lesen, in seinen feuchten Augen unverhohlene Gier. Hasard ging zu ihm, öffnete den Lederbeutel und zählte ihm die dreitausend Piaster in die Hände. »Hast du mitgezählt, Azem?« »Darauf kannst du Gift nehmen, Seewolf.« »Dann auf Nimmerwiedersehen.« »Allah begleite deinen Weg!« rief Azem ihm noch nach, als er sich schon zum Gehen gewandt hatte. Es war nicht herauszuhören, ob wirklich Sarkasmus in seiner Stimme mitschwang oder ob er sich nur aus Gewohnheit dieser Floskel bediente. Draußen im Park sagte Ferris Tucker: »Hasard, dieses fette
Schwein könnte uns eine Falle gestellt haben.« »Inwiefern?« »Tja ...« »Das wissen wir auch nicht«, sagte Stenmark. »Aber man hat eben so das Gefühl, wenn man diesen Hundesohn reden hört.« Hasard nickte. Er überlegte hin und her, welchen Winkelzug Azem ersonnen haben konnte. Er gelangte zu keinem Schluß. Azem war voll Heiterkeit, aber er hatte ja auch allen Grund dazu. Wahrscheinlich durfte er mit Uluch Alis Einverständnis die dreitausend Piaster behalten, und dafür hatte er keinen Finger gekrümmt. Was den Rest betraf, so schien die Sache durchaus in Ordnung zu sein soweit man bei Schlitzohren wie Azem und brutalen Piraten wie Ali auf Aufrichtigkeit hoffen durfte. Selbstverständlich nahm sich Hasard vor, weiterhin auf der Hut zu sein. * Am 4. Oktober 1580 wehte der Wind aus Westen, nicht allzu stark, gerade handig genug, um die ›Isabella‹ zügig voranzubringen. Es war eine Sonntagsbrise, und wieder war der Himmel blau und wolkenlos, die See nur durch leichten Wellengang ein wenig gekräuselt. Seit sie in Algier waren, hatte es nicht einmal geregnet. Die Männer waren wie erlöst. Die Außenpier der Halbinsel Amiraute lag hinter ihnen, sie rauschten mit nördlichem Kurs aus der Bucht von Algier und an den Inseln al Giazair vorbei. Die entscheidende Stunde stand bevor. »Endlich«, sagte Ben Brighton. Er stand neben Hasard an der Five-Rail des Achterdecks. »Wir alle sind gespannt, Hasard. Auf Godefroy von Manteuffel, deinen Vater. Auf Uluch Ali, seine Lumpenbande und die Galeere dieses Oberschurken.« »Du kannst dir vorstellen, wie mir zumute ist. Zum ersten
Mal in meinem Leben werde ich meinem Vater gegenüber stehen.« Hasard blickte zur Kuhl hinunter. Dort hatte rege Tätigkeit eingesetzt. Carberry purrte die Männer zu gut zwei Dritteln an die Geschütze, das übrige Drittel reichte aus, die Segel zu bedienen. Hasard hatte den Befehl gegeben, gefechtsklar zu machen. Da wurden also die zwölf Culverinen, 17-Pfünder, in der Kuhl gerichtet, sechs auf der Backbord, sechs auf der Steuerbordseite. Der Kutscher hatte die Kombüsenfeuer gelöscht und streute Sand auf Deck aus. Smoky war auf der Back und kümmerte sich um die beiden vorderen Drehbassen. Achtern, in Hasards und Bens Rücken und noch hinter Rudergänger Pete Ballie, kümmerte sich Ferris Tucker um die anderen beiden Drehbassen. Big Old Shane und Batuti hatten wie üblich ihre Bogen und die Köcher mit den Brandpfeilen griffbereit, und sogar der alte O’Flynn würde mit Zähnen und Krallen kämpfen, falls es nötig war. Hasard hoffte, daß es nicht zur offenen Auseinandersetzung mit den Piraten kam. Er würde dadurch nur seinen Vater gefährden. Aber andererseits mußte er auf jeden Eventualfall vorbereitet sein. Gegen elf Uhr waren sie ausgelaufen. Hasard drehte sich um und blickte achteraus. Mehr und mehr Abstand legte sich zwischen die Karavelle und das Festland, bald war eine Meile erreicht. Er wandte sich wieder der Kuhl zu. »Blacky, Matt! Wenn ihr fertig seid, holt Salvador de Coria!« »Aye, aye, Sir«, tönte es zurück. Blacky und Matt Davies luden und richteten in aller Eile ihre Geschütze, dann rückten sie ab und suchten das Vordeck auf. Sie stiegen bis zur Vorpiek hinunter, dem tiefsten Schiffsraum im Bug, dem finstersten, stinkigsten Loch, das ein Segelschiff zu bieten hatte. Das Kabelgatt war eine Prachtkammer dagegen. Die Vorpiek galt im allgemeinen als eine Art Vorhof zur Hölle, aber - darin war sich die gesamte Crew einig - für
einen Satansbraten wie de Coria war auch sie noch zu human. Sie öffneten das Querschott der Piek. Nach den bitteren Erfahrungen mit Isaac Henry Burton hatte Hasard Riegel und Schloß ersetzen lassen. Inzwischen prangten zwei dicke Vorhängeschlösser vor dem Schott, und die Schlüssel dazu trug wechselweise ein Mann der Deckswache bei sich. Diesmal hatte Blacky sie gehabt. Sie befreiten de Coria von den Ketten, schleppten ihn vor das Holzquerschott und knüpften ihm gleich wieder die Hände auf dem Rücken zusammen, diesmal mit einem Tampen. Die Fußknöchel fesselten sie ihm, daß er nur ganz kleine Schritte tun konnte wie ein angehobbeltes Pferd. »Gott, wie der stinkt«, sagte Matt Davies. »Daß so ein Stinktier überhaupt frei herumlaufen darf.« De Coria hörte nicht hin. Er benahm sich apathisch und schien schwach und zittrig wie ein Dahinsiechender zu sein. Aber die Männer wußten ganz genau, daß er ein Blender war. Einmal hatte er sie mit dem Trick hereingelegt. Buck Buchanan hatte dafür mit seinem Leben bezahlt. Ein zweites Mal würde es nicht geben, denn jedes Mitglied der Crew paßte auf den verhaßten Spanier auf wie ein Schießhund. Blacky und Matt Davies ließen de Coria zwischen sich aufs Oberdeck steigen. Oben hielt sich der Gefangene die Hand vor die Augen. Das war jetzt keine Schau. Die Sonne blendete ihn wirklich. Er war, seit sie in der Nacht zum 13. Juni von Cartagena die Fahrt nach Algier angetreten hatten, nicht ein einziges Mal wieder an Deck gewesen. Nicht einmal, um sich die Beine zu vertreten. Hasard hatte es strikt verboten. Und die Mannschaft hatte sich ebenso rigoros daran gehalten. Nein, sie waren keine Menschenschinder. Selbst einen Feind behandelten sie meist noch zuvorkommender, als er das jemals mit ihnen tun würde. Aber de Coria hatte sich jede Sympathie verscherzt. Nur die Aussicht, gegen Godefroy von Manteuffel ausgetauscht zu werden, war seine Lebensgarantie. Andernfalls
hätte die Crew ihn längst gelyncht. Blacky und Matt führten ihn aufs Achterdeck. »Grüßen, de Coria«, sagte Blacky in barschem Befehlston. »Weißt du nicht, was sich einem Kapitän gegenüber gehört?« »Guten Morgen«, sagte de Coria gepreßt. Er beherrschte die englische Sprache nicht. Aber da Hasard seinen Männern im Laufe der Zeit spanisch beigebracht hatte, verlief die Verständigung mit ihm problemlos. »Guten Morgen«, erwiderte Hasard kalt. »Ich habe Sie rufen lassen, um Sie über die Lage aufzuklären. Gäbe es keine Neuigkeiten, hätte ich Sie selbstverständlich weiter in der Vorpiek schmachten lassen.« »Werde ... werde ich umgebracht?« Hasard musterte ihn von oben bis unten. Er empfand kein Mitleid, obwohl Salvador de Coria sich in einem wirklich erbärmlichen Zustand befand. Sein einst sorgsam gestutzter Knebelbart war lang ausgewachsen und struppig geworden wie das Fell eines streunenden Katers. Sein bleiches, hageres Gesicht mit den großen Tränensäcken - ohnehin schon verlebt war jetzt das Antlitz eines hungerleidenden Greises. Er war abgemagert. Schlaffe, faltige Haut spannte sich über seine Gesichtsknochen und erfüllte die Höhlungen mit Runzeln. »Dazu«, sagte Hasard grimmig, »hätte ich wohl allen Grund nach dem, was Sie hier an Bord angerichtet haben. Soll ich Ihr Gedächtnis ein weinig auffrischen?« »Nein, es - es ist nicht nötig.« De Coria wich Hasards Blick aus. »Ich erinnere mich auch so.« »Gut. Heute treffen wir uns mit Uluch Ali. Mein Vater wird an uns ausgeliefert, ich habe alles Erforderliche mit Ishak Azem ausgehandelt. Sie, de Coria, werden Godefroy von Manteuffels Platz auf Alis Sklavengaleere einnehmen.« De Coria geriet ins Taumeln. »Ich ... nein ... das ist ungerecht ...« »Sie sprechen von Unrecht? Daß ich nicht lache. Sie werden
auf der Ruderbank der Piratengaleere angekettet und dürfen mithelfen, Uluch Ali in seine blutigen Abenteuer zu rudern. Sie werden dort schmoren, bis sich Ihre Familie daheim in Spanien, Ihre feinen Freunde oder gar König Philipp II. höchstpersönlich bequemen, das Lösegeld für Sie zu zahlen.« »Ihr Teufel ...« Blacky packte de Coria beim Arm. »Sag das noch mal. Spuck das nur noch einmal aus, und ich breche dir mit einer Hand den Knochen. Dann kannst du bei Uluch Ali mit einem Arm pullen.« De Coria bebte am ganzen Leib. Hasard blieb eiskalt. »Es wird sich ja erweisen, ob Spanien wirklich so sehr an Ihnen gelegen ist, wie Sie immer behauptet haben, de Coria. Nun, zweifellos sind Sie nicht nur ein Verbrecher, sondern auch ein gewaltiger Aufschneider. Dennoch rechne ich mir gute Chancen für Sie aus. Auf jeden Fall haben Sie mehr Aussichten zu überleben, als seinerzeit Godefroy von Manteuffel, der bedauernswerte Mann meiner Mutter, der von Ihnen verraten und verkauft wurde.« De Coria warf den Kopf hin und her, um nicht zuhören zu müssen. Dann schrie er: »Aufhören! Wärme nicht immer wieder die alte Geschichte auf, ich kann sie nicht mehr hören!« De Coria zitterte wie ein Fiebernder. Seine Hände waren geballt, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Seine Augen quollen unnatürlich aus den Höhlen hervor. Er befand sich wirklich dicht vor einem Nervenzusammenbruch, der saubere Generalleutnant. Hasard blieb gelassen. »Sie wissen jetzt, was Ihnen blüht. Ich verstehe nicht, warum Sie sich aufregen. Sie können noch froh sein, daß wir Sie nicht kielholen, Spießruten laufen lassen oder sonstwas mit Ihnen anstellen. Sie können gehen.« »Was ist? Sperren wir ihn wieder in die Vorpiek?« erkundigte sich Blacky. »Nein, vorläufig nicht. Wenn Uluch Ali Wort hält und sich
mit uns trifft, will ich de Coria an Oberdeck haben und keine Zeit verlieren. Nehmt ihn mit auf die Kuhl. Bindet ihn mit einem zusätzlichen Tampen am Gitter der Kuhlgräting fest, damit ihm nicht einfällt, über Bord zu springen.« »Aye, aye«, erwiderte Matt voll Grimm. »Und ich lege auch meine Pistole auf ihn an. Ich knalle ihn ab wie einen tollen Hund, wenn er sich doch durch einen Trick befreit.« De Coria ließ sich widerstandslos abführen. Was sollte er auch tun? Jetzt hatte er tatsächlich keine Wahl mehr, konnte keine Finten und Intrigen in Szene setzen, hatte keinen einzigen Verbündeten an Bord der Karavelle. Es mußte schon mit dem Teufel zugehen, wenn er dennoch aus eigener Kraft freikam. Aber Matts Drohung hatte etwas für sich. Sie war ein klarer Hinweis an Salvador de Coria. Passierte ein Zwischenfall, ganz gleich, welcher Art, würden die Männer der Crew nicht zögern, ihn zu töten. Und diesmal würde der Seewolf sie auch nicht mehr daran hindern können. De Coria fügte sich. Er hing am Leben, immer noch. Auf dem Achterdeck wandte sich Ben Brighton an seinen Kapitän. »Wir haben die vereinbarte Position erreicht.« »Pünktlich um die Mittagsstunde«, entgegnete Hasard mit einem Blick auf die Sonnenuhr. »Laß aufgeien, Ben.« Wieder verstrich Zeit, die endlos erschien. Nachdem die ›Isabella‹ nur noch vor Topp und Takel trieb, verlor sie rasch an Fahrt. Sanft wiegte sie sich auf der seichten Dünung. An Bord breitete sich Schweigen aus, die einzigen Geräusche waren das Knarren der Blöcke und Rahen und das Plätschern des Seewassers an den Bordwänden. Wieder eine Nervenprobe. Würde Uluch Ali wirklich kommen? Hasard wurde von Zweifeln befallen, und genauso ging es seinen Männern. Die mehr als zwei Monate Müßiggang im Hafen von Algier hatten an ihrem Selbstvertrauen gezehrt. Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt.
Das färbte natürlich auch auf de Coria ab. Geduckt kauerte er auf dem Rand der Kuhlgräting. Sie hatten ihn festgebunden wie einen tollwütigen Hund. Sie verachteten und verhöhnten ihn. Gab es für einen de Coria noch eine größere Erniedrigung? Er schwor ihnen Rache, immer wieder Rache, Rache, Rache ... Plötzlich zuckte er unter Dan O’Flynns Ruf wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Alle Blicke wandten sich nach oben, wo der junge Mann sich so weit über die Segeltuchverkleidung des Hauptmarses beugte, daß man Angst haben mußte, er würde jeden Moment auf Deck stürzen. »Deck!« schrie er. »Mastspitzen an Backbord!« Hasard schaute sofort mit dem Kieker nach Westen, aber vorerst konnte er noch nichts erkennen. »Wie viele?« rief er zu Dan hoch. »Drei, und sie gehören zu einem einzigen Schiff.« Dan hatte auch wieder das Spektiv vor dem Auge. »Ho, es ist eine Galeere, Männer, eine große schwarze Galeere.« Etwas später konnten sie alle mit bloßem Auge erkennen, wie die Galeere sich auf sie zuschob. Sie krebste gemächlich heran. Sie schien viel Zeit zu haben, und, verdammt noch mal, sie hatte die Luvposition! Die Seewölfe waren auf der Hut und hielten rundum Ausschau nach anderen Schiffen. Aber es ließen sich keine weiteren entdecken. Die Galeere schien tatsächlich allein zu sein. Sie war ein gut dreißig Yards langes, etwa fünf Yards breites Schiff. Ihr Tiefgang mochte nach Hasards Schätzungen etwa drei Yards betragen. Ihre drei Masten waren mit Lateinersegeln getakelt. Auf jeder Seite zählte Hasard vierzig Riemen. Achtzig Rudersklaven also, die von mörderisch brutalen Aufsehern angetrieben wurden - oft, bis der Tod sie in einem Schwächeanfall übermannte. Hasard hatte plötzlich keine Zweifel mehr. Dies mußte die Galeere von Uluch Ali sein. Selten hatte er eine größere Galeere gesehen. In ihren Ausmaßen ähnelte sie schon fast den berühmten
venezianischen Galeassen, die in der Schlacht von Lepanto ihren entscheidenden Einsatz gefunden hatten. Hasards Herz begann schneller zu schlagen. Es waren Augenblicke kaum zu bezwingender Erregung. Sein Vater wenn er noch lebte - saß dort drüben, jetzt nur noch eine halbe Seemeile entfernt, auf einer der Ruderbänke angekettet. Ahnte er etwas von dem, was sich jetzt abspielen würde? War er unterrichtet? Gewiß nicht. Um so größer würde die Überraschung für ihn sein. Hasard stand wie gebannt am Backbordschanzkleid des Achterdecks. Er merkte nicht, daß er die Hände in die Handleiste krallte. Beim Anblick des unheimlichen schwarzen Schiffes beschlich Salvador de Coria ein höchst ungutes Gefühl. Er hatte seine Ränkeschmiede getrieben und sich im Fall Manteuffels als eine Art geheimer Verbündeter des Piraten Ali betrachtet. Aber jetzt - würde Ali sich dessen wohlwollend entsinnen? Würde er ihn schonen? Nein. De Coria spürte, wie sich das ungute Gefühl verdichtete. Es war Angst. Nackte Angst. 6. »Er geit auf«, meldete Dan O’Flynn aus dem Großmars. »Er hält sich an die vereinbarte Distanz von achthundert Schritten.« »Das Boot aussetzen«, ordnete Hasard an. »Ed, Smoky, Blacky, Al, Jeff und Bob, ihr begleitet mich bei dem kleinen Ausflug.« »Aye, aye«, gab Carberry zurück. Er selbst packte mit an und half Batuti beim Abfieren. Rasch war auch die Jakobsleiter am Backbordschanzkleid der Kuhl belegt, und sie enterten ab: zuerst der Seewolf, dann die anderen sechs mit Salvador de Coria. Er verließ als vorletzter die Zweimastkaravelle, den
Schlußmann bildete Blacky. Blacky war genauso wie die anderen bewaffnet. Es war nicht vereinbart worden, daß das Treffen ohne Musketen, Pistolen, Säbel, Degen und Messer stattzufinden hätte. De Coria war immer noch an Händen und Füßen gefesselt. Die Füße konnte er gerade so weit bewegen, daß er nicht von den Sprossen der Jakobsleiter fiel. Und damit er nicht wegkippte, weil er die Hände nicht frei hatte, hielt Blacky ihn oben an dem Tau fest, mit dem sie ihn vorher an der Kuhlgräting festgezurrt hatten. »Achtung!« rief Dan O’Flynn. »Die Galeere hat ein Boot ausgesetzt!« Hasard saß auf der Heckducht des Beibootes und griff zur Ruderpinne. »Beeilen wir uns. Blacky, setz den Spanier hier vor mich hin. Ja, so ist es gut. Und jetzt pullt, damit wir rechtzeitig drüben eintreffen.« Die sechs legten sich mächtig in die Riemen. Das Fieber, nun endlich Hasards Vater aufzunehmen, hatte auch sie ergriffen. Sie konnten es kaum noch abwarten. Hasard hingegen spürte, wie seine alte Ruhe zurückkehrte, je mehr der Abstand zwischen den beiden Booten schrumpfte. Jetzt, im entscheidenden Moment, konnte er Abgeklärtheit zeigen, denn alle seine dumpfen Zweifel hatten sich nicht bewahrheitet. Es schien alles mit rechten Dingen zuzugehen. Die Mitte der achthundert Schritte zu finden, war eine Sache des guten Augenmaßes. Hasard taxierte sorgsam und gab schließlich den Befehl zu stoppen. Die Männer holten die Riemen ein. Das Boot lief allmählich aus. Ihre Blicke konzentrierten sich auf das Beiboot der Galeere. »Sechs Schlagmänner«, stellte Carberry beim Näherkommen des Piratenbootes fest. »Ali hält sich also an die Abmachungen. Damit ist er gut beraten. Und wenn ihm doch einfällt, den wilden Mann zu markieren dann drauf.« Er wies ostentativ auf die Musketen, die sie zwischen die Duchten ihres Bootes gelegt hatten.
»Ich glaube es nicht.« Hasard nahm den Blick nicht von dem Beiboot der Galeere. »An diesem Punkt der Situation angelangt, glaube ich einfach nicht, daß Uluch Ali noch üble Tricks versucht. Und warum sollte er sich die dreitausend Piaster entgehen lassen?« Drüben im Boot stand aufrecht ein Mann mit Turban, groß, wild, mit imposantem Knebelbart. Hasard registrierte weitere Details: eine kräftige Nase, fast fleischig, harte, grausame, dunkle Augen, dichte Brusthaare, die aus einem weitgeöffneten roten Hemd hervorquollen. Die Beinkleider hatte er halb hochgekrempelt. Er stand mit verschränkten Armen, und ihre Blicke begegneten sich, verfingen sich ineinander. Uluch Ali. Und Godefroy von Manteuffel? »He«, sagte Blacky leise. »Der Mann neben dem Oberhalunken, auf der Achterducht.« Hasard hatte diesen Mann längst erblickt. Er saß zusammengesunken da und rührte sich nicht. Sollte das etwa sein Vater sein? Was erwartete der Seewolf denn zu sehen? Einen nach Jahren der Sklaverei und Schinderei noch quicklebendigen und kraftstrotzenden Mann? Er schalt sich selbst einen Narren. Die Boote schoben sich aufeinander zu. Uluch Ali stand nach wie vor mit über der Brust gekreuzten Armen. Seine Haut war tiefbraun und wie gegerbt, seine Augen schwarz, seine Seele noch schwärzer. Lässig und überlegen, ja, nahezu verächtlich, musterte er seine Handelspartner. Die Boote trafen sich, ihre Dollborde rieben sich aneinander. Alis Männer sorgten durch leichte Riemenschläge dafür, daß sie sich nicht wieder voneinander lösten. Al Conroy beugte sich ein bißchen über, griff zu und hielt Bordwand an Bordwand fest. Er schaute einem der Piraten geradewegs in die Augen. Das war ein Kerl mit riesigen Ohrringen und fast nackenlangen schwarzen Haaren. Er verzog keine Miene. Al
grinste ihn höhnisch an. Uluch Ali ließ seinen Blick zur ›Isabella VII.‹ schweifen, dann wieder zurück zu Hasard. Er hob eine Hand und rieb Daumen und Zeigefinger. »Der kennt die Geste also auch«, sagte Blacky. »Scheint sich bis in die letzten Winkel herumgesprochen zu haben, was das bedeutet.« »Still«, mahnte Hasard. Er zückte den Lederbeutel. Einer von Alis Männern antwortete mit einer Gebärde. Sie war eindeutig. Er wollte die Pistole ziehen, aber Ali bremste ihn durch einen grollenden, mißbilligenden Laut. Vielleicht hatte der Mann angenommen, Hasard würde eine Waffe zum Vorschein bringen. Hasard blieb dem Abkommen mit Azem treu. Er warf Ali den Lederbeutel zu. Ali fing ihn mit einer Hand auf, öffnete ihn und zählte den Inhalt. Er entblößte kurz die Zähne. Sein knappes Grinsen verkündete, daß die Summe stimmte. Ein Wink des Piraten, und zwei der Kerle im Boot packten zu und wuchteten den zusammengesunkenen Mann im Heck auf Hasards Boot hinüber. Hasard sah sich einem menschlichen Wrack gegenüber. Ein grauhaariger, kleiner, völlig ausgemergelter Mann mit blaßblauen Augen und blutleeren dünnen Lippen das sollte sein Vater sein? Wieder durchfuhr ihn ein Schreck. Er blickte zu de Coria. Der hielt die Lippen fest zusammengepreßt. »Ist das mein Vater?« fragte Hasard. De Coria antwortete leise. Aber er war immer noch nicht ganz gebrochen, in seiner Stimme schwang Hohn mit. »Wer denn sonst.« Hasard beugte sich zu dem armen Teufel hinunter. »Wer sind Sie?« Der Mann sagte gequält: »Godefroy von Manteuffel.« Er wirkte verstört und ängstlich. Hasard biß die Zähne
zusammen. Es brannte in seinen Augen. Aber Seewölfe heulten nicht wie die Schoßhunde, sie schluckten ihr Entsetzen und ihre Betroffenheit herunter. Uluch Ali sagte etwas und wies in Hasards Boot. Die Geste war unmißverständlich. Es galt nun, de Coria auszuliefern. »Blacky, Jeff«, sagte Hasard. »Verfrachtet den Spanier in Alis Boot. De Coria, sollte ich Ihnen noch mal begegnen, werde ich nicht zögern, mein Versprechen wahrzumachen. Dann bringe ich Sie um.« »Der Teufel soll dich holen, Bastard.« Blacky wollte einen Ausfall zu de Coria hin unternehmen, aber Hasard hielt ihn zurück. »Laß das. Befolge meinen Befehl. Hinüber mit ihm!« Salvador de Coria wurde nach drüben befördert und dort von den Piraten in Empfang genommen. Ali hob die Hand, grinste noch einmal, und die Bootelösten sich voneinander. Wortlos ließ Hasard zur ›Isabella‹ zurückpullen. Er war zutiefst erschüttert. Der Mann neben ihm auf der Ducht, der arme Godefroy von Manteuffel - er zupfte ihn plötzlich am Hosenbein. Hasard sah ihn an. Es tat ihm weh, in diese stumpfen, fast tot wirkenden Augen zu schauen, es schmerzte ihn, diese brüchige Greisenstimme zu vernehmen. »Hören Sie ...« »Ich höre«, erwiderte Hasard. Er zwang sich zu einem Lächeln. Von Manteuffel wollte ihm etwas sagen. Aber seine Schwäche war stärker als sein Wille. Er sank ohnmächtig auf der Ducht zusammen. Hasard fing ihn auf und bettete ihn, so gut es ging, zwischen zwei Duchten. Als er sich umblickte, sah er, daß die Piraten es mit einem Mal ziemlich eilig hatten. Uluch Ali trieb seine Ruderer scharf an. Auf der Galeere wurden bereits die Lateinersegel gesetzt. »Verdammt«, sagte Blacky. »Hasard, nimm es mir nicht übel,
verflucht und zugenäht, aber ich habe den Eindruck, hier ist was oberfaul.« »Aber was?« fragte Carberry. Es klang verzweifelt. Diese Ungewißheit, dieses Wrack von einem Galeerensklaven, die Ironie des Schicksals - das waren Dinge, die diesen bulligen und sonst so ungehobelten Mann ganz krank machten. Hasard antwortete nicht. Er wartete, bis sie ihre Karavelle erreicht hatten, dann ließ er als ersten den zu Tode geschwächten Godefroy von Manteuffel an Bord hieven. Batuti zog ihn mühelos hoch. Er war federleicht. * Hasard enterte an der Jakobsleiter auf und stieg an Deck. Batuti hatte rasch ein Bündel Kleider und Tücher auf Deck ausbreiten lassen und den ohnmächtigen Mann daraufgebettet. Er wartete Hasards weitere Anweisungen ab. Der Kutscher eilte aus dem Vorschiff herbei. Gemeinsam mit dem Seewolf beugte er sich über die bedauernswerte Gestalt. »Sag mir die Wahrheit«, forderte Hasard ihn auf. Der Kutscher blickte ihn an. »Was soll ich dir sagen? Daß er bis auf die Knochen geschwächt und abgezehrt ist? Das siehst du doch selbst.« »Ja, natürlich.« Einem unerklärlichen inneren Antrieb folgend, schaute Hasard auf und spähte nach Westen. Die schwarze Galeere stand bereits gegen den Westwind und war im Begriff, sich mit raschen Riemenschlägen zu entfernen. »Da«, sagte der Kutscher. »Er kommt zu sich.« Hasard wandte sich wieder dem befreiten Galeerensklaven zu. Godefroy von Manteuffel! Es war ein Hohn, ein Stich in sein Herz, der größte Schicksalsschlag seines Lebens, seinen Vater so abgeschunden zu sehen.
Der Ausgemergelte schlug die Augen auf. Das erste, was er stammelte, war: »Ich - hört mich an, ich bin nicht Godefroy von Manteuffel.« »Was?« Hasard fuhr zusammen, wie von einem Hieb getroffen. Der Kutscher riß die Augen auf und drehte sich zu der Crew um, die sie umringte. Alle hatten es vernommen, alle standen wie vom Donner gerührt. Der Mann von der Galeere fuhr mühsam fort: »Mein Name ist Padre Sixtus. Ich bin Franziskanermönch. Vor fünf Jahren wurde ich bei der Kaperung einer spanischen Karacke vom Tod verschont, aber ich wünschte, man hätte mich auch mit niedergemetzelt.« Die Worte sprudelten nun fast aus ihm hervor. »Ich fiel in die Hände Uluch Alis. Ich wurde Galeerensklave.« »Warum hast du das nicht schon im Boot gesagt?« knurrte Carberry. »Mann, da wäre es doch noch rechtzeitig gewesen, gegen den Schwindel was zu unternehmen und ...« »Hör auf«, fiel Hasard ihm ins Wort. »Du kannst dir doch denken, wie sie ihm zugesetzt und gedroht haben, für den Fall, daß er zu früh etwas verrät.« Erregt richtete Padre Sixtus sich auf. Der Kutscher und Hasard stützten ihn. »Nicht nur das«, sagte er. »Hätte ich bereits bei dem Austausch meine meine tatsächliche Identität preisgegeben, dann hätte Uluch Ali nur ein Signal zur Galeere hin geben zu brauchen. Daraufhin wäre der Ritter Godefroy von Manteuffel sofort erstochen worden.« »Mein Gott«, sagte Ben Brighton. »Diese verdammten Hunde.« »Mein Vater«, stieß Hasard heftig hervor. »Er lebt also?« Padre Sixtus nickte. »Ich hatte den Platz neben ihm auf der Ruderbank, Backbord achtern, und den wird jetzt der neue
Sklave einnehmen.« »Salvador de Coria«, flüsterte der Seewolf. Er richtete sich langsam von dem Mönch auf. Das war ja eine teuflische Sache! Ishak Azem und Uluch Ali hatten ihn nicht nur vierkant aufs Kreuz gelegt und übers Ohr gehauen, sie hatten auch noch diese zusätzliche Bosheit ausgeheckt. Zwei Todfeinde nebeneinander auf einer Ruderbank, das war eine bestialische, unmenschliche Belastung, die keiner auf die Dauer durchhalten konnte. Irgendwann würde es zum offenen Konflikt kommen, willkommener Grund für Uluch Ali, besonders den Malteserritter zu piesacken, danach wieder zu Salvador de Coria zu ketten und sich grinsend daran zu ergötzen, wie die beiden von neuem aufeinander losgingen. Vor allem Godefroy von Manteuffel würde unter dieser subtilen, hundsgemeinen Art von Marter leiden. „Ben, Ferris, Shane, Ed, alle Mann!“ rief Hasard. »Segel setzen und den Hunden nach! Wir werden ihnen zeigen, wie wir über diese verdammte Schweinerei denken!« »Aye, aye, Sir.« Carberry drehte sich um, rannte fast Gary Andrews über den Haufen, stürzte an seinen Posten und begann mit der üblichen Pöbelei. Unter seinen Befehlen und Flüchen löste sich das Zeug der ›Isabella‹ von den Gaffelruten und fiel rauschend herab. Die Segel wurden so dicht wie möglich geholt, das Schiff nahm Fahrt auf und glitt hart am Wind in Richtung Nord-Nord-West. Padre Sixtus blickte zu Hasard auf, und in seinen blaßblauen Augen war plötzlich ein Leuchten. »Gerechter Himmel, Sie sind wirklich und wahrhaftig dem Ritter von Manteuffel wie aus dem Fleisch geschnitten diese Ähnlichkeit!« »Padre - erzählen Sie mir mehr über ihn. Bitte.« »Herzlich gern. Aber - was werden Sie jetzt tun, Kapitän?« »Das wird sich herausstellen. Zunächst einmal werden wir Mühe haben, die Galeere überhaupt einzuholen.« »Sie müssen gegen den Westwind kreuzen, nicht wahr?«
»So ist es.« »Es tut mir leid, aber ich konnte mich nicht anders verhalten.« Padre Sixtus magerer Leib wurde von einem Husten geschüttelt. Als er wieder reden konnte, sagte er: »Glauben Sie mir, ich hätte mich gern für Godefroy von Manteuffel geopfert wenn das Zweck gehabt hätte. Aber durch mein frühzeitiges Aufbegehren im Beiboot der Galeere hätte ich nur eins bewirkt: daß es nämlich zwei Tote gegeben hätte.« »Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Ich verstehe Sie.« »Das sind Worte eines echten von Manteuffel«, erwiderte der Mönch. Seine Begeisterung wuchs von Sekunde zu Sekunde. »Aber zurück zu Ihrem Vater, Kapitän. Diese Seele von einem Mann! Er war immer derjenige, der an der Spitze aller Sklaven an Bord der schwarzen Galeere stand. Er gab unserem inneren Widerstand neue Impulse und sorgte dafür, daß er nicht erlosch. Die Gedanken sind frei und nichts kann den menschlichen Geist brechen, so drückte er sich aus, so schärfte er uns immer wieder ein. Dieser großartige Mann hat uns innerlich aufrechtgehalten, wenn wir zu verzweifeln drohten. Und das war oft der Fall.« »Pete!« rief Ben Brighton. »Über Stag gehen, wir nehmen Kurs Süd-Süd-West!« »Aye, aye, Sir!« »Ihr Rübenschweine!« brüllte der Profos. »Ihr Stinkstiefel und Affenärsche, ihr Schlappohren und Kakerlaken, euch ist das Faulenzen in Algier wohl schlecht bekommen, was, wie? Herumhuren und Wein saufen, das könnt ihr, aber vom Anpacken habt ihr keine Ahnung mehr! Hopp, hopp, willig, willig, an die Schoten und Brassen, und daß mir ja keiner Scheiße baut!« Die ›Isabella‹ ging mit dem Vorschiff durch den Wind, und genau in diesem Augenblick mußten auch die Lateinersegel wieder dichtgeholt werden, damit der Wind voll in die Segelfläche fassen konnte und sie weiter voranbrachte.
Padre Sixtus blickte etwas verwirrt, aber Hasard beruhigte ihn. »Das ist unser Profos, der schnauzt immer so herum, meint es aber nicht so. Richtig ernsthaft wird hier keiner geschliffen.« »Wenn ich da an die Galeere denke! Godefroy von Manteuffel hätte wahrhaftig allen Grund gehabt, den Mut sinken zu lassen, denn er hat unter dem furchtbaren Regime des Uluch Ali mehr als wir anderen zu leiden gehabt. Außerdem befindet er sich schon seit über zwanzig Jahren an Bord des Schiffes.« »Ich weiß«, sagte Hasard erbittert. Padre Sixtus fuhr fort: »Aber er läßt sich nicht unterkriegen. Damals beispielsweise, 1571 bei Lepanto, als die Schlacht am härtesten tobte, hat er unter den Rudersklaven nahezu eine Meuterei entfesselt, weil er verhindern wollte, daß die Türken unter Ali Pascha siegten und das Osmanische Reich sich bis nach Europa ausdehnte. Ja, damals zerbrach Godefroy von Manteuffel glattweg seinen Riemen und weigerte sich, weiterzurudern. Man hat ihn an jenem Tag und auch später bewußtlos schlagen müssen, um ihn zu bezwingen, aber dieser Riese von Mann ist einfach nicht unterzukriegen.« Die ›Isabella‹ schwenkte wieder herum und fuhr einen Kreuzschlag in Nordwest-Richtung. Es war eine mühsame Methode, jedoch die einzige, um gegen den Wind voranzukommen - zwei Schritte vor, einen zurück. Hasard blickte luvwärts und sah wieder die schwarze Galeere. »In diesem Sinne«, sagte er. »Tod dir, Uluch Ali. Du wirst noch bereuen, mich derart hintergangen zu haben.« »Ja, ja«, sagte der Mönch leise. »Ich sehe schon, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Eine erbarmungslose Wut hatte den Seewolf gepackt, und dieser Zorn sprang wie ein Funke auf die Männer der Crew über. Gnade Gott Uluch Ali! Er hatte sich einen Gegner ausgesucht, der in hundert Schlachten und Gefechten gehärtet war. Und noch etwas würde sich entscheidend auswirken, falls
es der ›Isabella‹ gelang, die Galeere einzuholen. Hier fuhren Freie, keine Sklaven. Männer, die geschlossen hinter ihrem Kapitän standen und bereit waren, kompromißlos für ihn in den Tod zu gehen. 7. Godefroy von Manteuffel, Ritter des Malteserordens, unbeugsamer Charakter - und kühner Dickschädel - saß auf der Backbordseite der schwarzen Galeere achtern am Schlagriemen. Schlohweißes Haar rahmte sein markant geschnittenes Gesicht, ein Antlitz wie aus Granit, mit tiefen Runen. Von Manteuffel hatte eisblaue Augen. Ihr Blick konnte von vernichtender Härte sein. Er hatte viel mit den Wikingern gemein, jenen sagenhaften Nordmännern, die schon bis zur Neuen Welt vorgestoßen sein sollten, bevor Kolumbus überhaupt geboren war. Godefroy von Manteuffel hatte nicht gewußt, welche Hinterhältigkeit Uluch Ali heute wieder ausgeheckt hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, wer sich auf der Zweimastkaravelle befand, mit der sie sich getroffen hatten. Natürlich hatte er anfangs angenommen, Ali wolle sie kapern und die Mannschaft abschlachten. Aber das hatte sich als falsch herausgestellt. Überhaupt, so friedlich wie heute hatte von Manteuffel den wilden Riesen noch nie gesehen. Eben das stimmte ihn mißtrauisch. Dann, als die Piraten Padre Sixtus von seiner Seite weggerissen hatten, hatte von Manteuffel aufbegehrt. Aber ein Mann hatte sich flink neben ihn gesetzt und ihm das Messer gezeigt. Er wurde von allen Piraten nur Hamra gerufen. Hamra war die rechte Hand von Uluch Ali. Wenn er drohte, den Malteserritter abzustechen, dann konnte man auch sicher sein, daß er sein Versprechen erfüllen würde.
Godefroy von Manteuffel war nichts übriggeblieben, als grollend auf seinem Platz an der Innenseite des Laufganges zu verharren. Zwei Boote hatten sich auf der Mitte zwischen den Schiffen getroffen, hatten jemanden ausgetauscht - und da endlich hatte von Manteuffel begriffen, welches Unheil hier seinen Lauf nahm. Uluch Ali hatte den »Neuen« an Bord gebracht. Zwei Piraten hatten diesen Kerl hinuntergestoßen und neben ihm festgekettet. Hamra hatte sich erhoben, Uluch Ali hatte gebrüllt, die Sklavenaufseher hatten die Peitschen knallen lassen, und die Festgeketteten hatten sich anstrengen müssen, um die Galeere in Fahrt zu bringen. Ein Trommler gab das Tempo vor. Es war die höchste Geschwindigkeit, die die Rudersklaven zu erreichen vermochten. Uluch Ali hatte es eilig, sehr eilig. Er stand oben auf der Kampfbrücke und schaute unausgesetzt zu von Manteuffel und dem Neuling hinunter. Hamra war nach oben geeilt und nahm neben ihm Aufstellung. Von Manteuffel grinste nur verächtlich. »So wären wir wieder glücklich vereint, Schwager. Oder darf ich dich nicht so nennen? Ich habe dich gleich erkannt, trotz deines menschenunwürdigen Zustandes. Allmächtiger, wie du stinkst.« Er sagte das auf spanisch, und Salvador de Coria krümmte sich besonders unter seinen letzten Worten. Bevor er etwas erwidern konnte, brüllte der Malteserritter nach oben: »Habt ihr den Hund endlich auch in die Klauen gekriegt? Das wurde aber auch Zeit. Es macht dir wohl Spaß, mich durch ihn zu reizen, was, Ali? Aber ich spiele nicht verrückt, nein, den Gefallen tue ich dir nicht.« »Der Teufel soll euch holen«, erwiderte Uluch Ali in seiner Muttersprache. »Alle beide«, fügte Hamra hinzu. Uluch Ali war wirklich enttäuscht. Er hatte sich schon darauf gefreut, Gott weiß was für eine Szene zu genießen. Statt dessen
lachte dieser Hundesohn von einem Malteserritter! Ja, er bog sich auf seinem Platz zurück und wollte sich förmlich ausschütten. Ali gab einem der Aufseher einen Wink. Der zog von Manteuffel die Peitsche über den Rücken. Aber auch da antwortete der Riese nur mit einem wilden Lachen. Uluch Ali hatte nicht übel Lust, ihm den Morgenstern, seine Lieblingswaffe, auf den Schädel zu schlagen. Aber er unterdrückte den unbändigen Tötungstrieb. Noch wollte er warten. Von Manteuffel würde schon noch unter der Anwesenheit von de Coria zu leiden beginnen. Außerdem brauchte Ali ihn, denn dieser Riese mit dem schlohweißen Haar war der beste Schlagmann an Bord seines Schiffes. Salvador de Coria atmete japsend. Dann, als von Manteuffels Lachen verklang, sah er seine Gelegenheit gekommen. »Lach nur«, sagte er gehässig. »Es wird dir schon noch vergehen. Weißt du überhaupt, bei wem ich als Geisel mitfahren mußte, wer mich gegen diesen mageren Kerl, dieses Wrack, diesen vermeintlichen Godefroy von Manteuffel, eingetauscht hat?« »Hör auf zu quieken, du Ratte«, entgegnete der Riese. »Ich will es nicht erfahren.« »Du mußt. Hör mich an. Eines Tages ist er in Cadiz aufgetaucht, um sich an Romeronde Zumarraga heranzuschleichen und ihn auszuhorchen. Schließlich hat er ihn gezwungen zu sprechen.« Von Manteuffel zerrte am Riemen, lehnte sich zurück, stieß ihn wieder nach vorn. Der Spanier mußte der Bewegung folgen, ob er nun wollte oder nicht. »Zumarraga?« knurrte der Riese. »Ist das nicht ein schlitzohriger Kaufmann? Was für ein Geheimnis hat der zu hüten?« De Coria grinste plötzlich. »Das hat sich der Bankert mit der Karavelle auch gefragt. Er ist extra von England nach Cadiz gesegelt, um mit Zumarraga zu sprechen. Unter Druck hat der
Alte es ihm erzählt, und ich kann’s ihm nicht einmal verübeln, zumal er inzwischen ins Gras gebissen hat.« »Warum bist du seinem Beispiel nicht gefolgt?« De Coria überhörte die Bemerkung. Unbeirrt fuhr er fort, hastig, schrill, haßerfüllt. »Zumarraga sorgte auf meine Anweisung hin damals dafür, daß der Bastard, den Graciela zur Welt gebracht hatte, auf eine Hansekogge verfrachtet wurde. Das war 1556. Das Schiff hieß ›Wappen von Wismar‹. Graciela wollte sich ihren Bankert doch tatsächlich im letzten Moment zurückholen, aber wir haben sie daran hindern können.« »Und dann?« »Dann hat sie etwas später versucht, dich mit Lösegeld freizukaufen, du Hund. Zumarraga, der den Ali-Freund Ishak Azem kannte, spielte wieder den Vermittler. Aber meine Brüder und ich konnten das Ganze abbiegen. Wir ließen Romeronde Zumarraga das Lösegeld einstecken, und er freute sich mächtig darüber. Wirklich, er war glückselig über soviel Großzügigkeit.« »Weiter. Was ist mit Graciela?« »Sie ist gestorben, die Ärmste, schon kurze Zeit darauf. Der Himmel sei ihrer Seele gnädig.« Godefroy von Manteuffel riß an dem Riemen, daß de Coria einen Schlag gegen die Brust erhielt. Der Spanier keuchte. Von Manteuffel rammte ihn glatt von der Bank, und de Coria hing plötzlich zappelnd und schreiend zwischen zwei Ruderbänken. Die Sklaven lachten und gerieten aus dem Takt. Wüst hieben die Aufseher mit ihren Peitschen um sich. Uluch Ali brüllte, Hamra fluchte, der Trommler drosch verwirrt auf seinem verdammten Instrument herum, und Godefroy von Manteuffel lachte wieder wie von Sinnen. War er verrückt? Soeben hatte er erfahren, daß seine geliebte Graciela, die Frau, die er hatte ehelichen wollen, nicht mehr am Leben war. Und dennoch lachte er. Aber nein, er war nicht übergeschnappt. Er hatte schon seit langem damit gerechnet,
daß Graciela nicht mehr unter den Lebenden weilte. Er hatte sich keinen falschen Hoffnungen hingegeben. Allmählich hatte er sich dem Schicksal gefügt, sie nie wiederzusehen. Aber jetzt - jetzt gab es etwas, an das er sich klammerte. »Ich hab’s begriffen!« rief er. »Oh, ich weiß es jetzt, du räudiger Hund von einem stinkenden Spanier. Nur ein Mensch auf der Welt konnte ein solches Interesse aufbringen, nach seinen Eltern zu forschen und dann danach zu trachten, mich gegen dich einzulösen ...« »Ja, dein Bankert!« schrie de Coria. Ein Aufseher hatte ihm aus der Klemme geholfen und ihn auf die Bank zurückbefördert. »Ich habe einen Sohn!« brüllte von Manteuffel, daß es seinem Todfeind in den Ohren gellte. »Das ist die Hauptsache.« De Coria kreischte fast. »Der Bastard soll verrecken!« »Ja, das könnte dir so passen. Aber den Gefallen tut er dir nicht, er ist nämlich aus demselben Holz geschnitzt wie ich.« »Narr«, stieß de Coria hervor. »In Cadiz wurde er festgenommen, unter dem Verdacht, ein englischer Spion zu sein. Er konnte nur nicht füsiliert werden, weil seine Crew ihn aus dem Fort San Sebastian herausholte. Er hat seine Männer darauf gedrillt, alles für ihn zu tun, alles.« »Was? Das ist ja ein Teufelskerl!« Von Manteuffel lachte dröhnend. »Verdammt«, zischte de Coria wütend. »Alle Gerissenheit hat ihm in Algier nichts mehr genutzt, denn da sitzen schlauere Leute als er. Ishak Azem hat dreitausend Piaster für deinen Freikauf eingesteckt, und Uluch Ali noch mal die gleiche Summe. Soviel habe ich mitgekriegt. Da steht er nun auf seiner Karavelle, dieser Bastard, und ist geneppt. Inzwischen dürfte er wohl bemerkt haben, daß man ihn übers Ohr gehauen hat. Und, ganz ehrlich, du Satan, dafür bin ich sogar gern hier angekettet.«
Von Manteuffel grinste, riß wieder an dem Riemen und verpaßte de Coria einen neuen Rammstoß in den Magen. Der krümmte sich. Er spuckte und hustete, aber dieses Mal rutschte er nicht von der Bank und achtete auch darauf, daß sie nicht aus dem Takt gerieten. Dazu hatte er zuviel Respekt vor den Peitschen der Aufseher. »Erzähl mir mehr über meinen verteufelten, großartigen Sohn«, forderte der Malteserritter seinen Feind auf. Und de Coria tat es. Er hoffte immer noch, diesen Riesen verletzen zu können. Vielleicht mit dem Bericht über das Schicksal der ›Wappen von Wismar‹, die Tatsache, daß die Kogge sich bei Sturm in den Hafen von Falmouth hatte verholen müssen? Dort war sie von Lady Anne Killigrew und deren Männern aus der Feste Arwenack überfallen worden. Alle waren getötet worden, alle bis auf den Bastard. Sie hatte ihn an ihren Busen gedrückt und mitgenommen, diese grausame Lady Anne. Dann hatte sie ihn großgezogen und zu einem Killigrew gemacht. Philip Hasard Killigrew. Weckte das nicht von Manteuffels Eifersucht? Nein. Er grinste nur. Salvador de Coria sprach weiter. So erfuhr von Manteuffel alles über die unseligen Vorgänge der ganzen Intrige seit der Geburt des »Bankerts«. Es waren empfindliche Tiefschläge, beispielsweise noch zu hören, daß Sir John Killigrew Hasard nie richtig akzeptiert hatte. Ja, de Coria wußte auch dies. Er hatte es von Romeronde Zumarraga erfahren, der seine Mittelsmänner und Spitzel auch in England sitzen und schon seit langem richtig vermutet hatte, der von Manteuffel-Sproß sei von den Killigrews großgezogen worden. Und schließlich, wer waren die Killigrews denn? Gewiß, der gerissene Sir John war Generalkapitän von Cornwall. Aber darüber hinaus und vor allen Dingen tief im Grunde seines Herzens war er Seeräuber. Und mit ihm die ganze Sippe! Und Hasard? Der war jetzt auch ein Pirat. Piraten hatten Godefroy von
Manteuffel über zwanzig Jahre lang als Sklaven geschunden und mißhandelt. Eigentlich mußte er sie hassen wie die Pest ... Das tat er vielleicht, aber er lachte immer noch. Und zum Schluß sah er Salvador de Coria an und fragte ihn: »Die Narbe quer über dein Gesicht hattest du damals noch nicht. Sie sieht frisch aus. Hat dich eine zweibeinige Wildkatze gekratzt, du Bock?« »Nein. Es war der Bankert. Ich habe mich mit ihm duelliert.« »Und dabei hast du den kürzeren gezogen.« Von Manteuffel brüllte vor Lachen, zwei Tränen kullerten ihm über die Wangen. Es war ein befreites, unbekümmertes Lachen. Er hatte einen Teufelsbraten von Sohn, der es geschafft hatte, dieser verdammten de Coria-Sippe die Zähne zu zeigen und einem von ihnen den Degen durch die Visage zu ziehen. Das entschädigte ihn für alles. Gracielas Tod traf ihn, aber er zeigte den Schmerz nicht, und vor allen Dingen warf es ihn nicht um. Das Leben ging weiter! Es hatte seine natürliche Fortsetzung in Hasard gefunden, es würde immer wieder unbeugsame von Manteuffels geben. »Ho!« rief er. »Ihr habt es alle gehört, Freunde! Ich habe einen Sohn, und was für einen! Ist das nicht ein Grund zum Feiern? He, er heißt Philip Hasard Killigrew, und er wird Hasard gerufen. Himmel und Hölle, wenn ich Wein hätte, würde ich euch alle einladen. Dann würden wir die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen.« »Es lebe Godefroy von Manteuffel!« rief jemand hinter ihnen. »Es lebe Hasard!« brüllte ein anderer. »Sprengt die Ketten!« Godefroy von Manteuffel schrie es und hieb de Coria wieder den Riemen in den Leib. Eine unbändige Lebenskraft erfüllte diesen Mann. Er wußte, daß sein Sohn nicht aufgeben würde, er spürte es mit jeder Nervenfaser, mit seinen Sinnen, mit dem, was man vage mit Vorahnung zu umschreiben pflegt. Einer, der es geschafft hatte, seinen Vater aufzuspüren, der
gab nicht auf. Jetzt nahte die Stunde der Abrechnung, jetzt mußten die Ketten zerbrochen werden. Godefroy schrie es wieder und wieder, und die Sklaven gebärdeten sich wie wild. Die Aufseher hasteten auf und ab und peitschten um sich. Sie wurden immer nervöser. Godefroy stimmte ein wildes Lied an. Die anderen Sklaven fielen mit ein. Wer die Worte nicht beherrschte, der summte oder grölte mit. Godefroy von Manteuffel sang in seiner Heimatsprache. Er spürte keine Peitschenhiebe mehr, er ließ sich nicht kleinkriegen, und auch ein Aufseher, der sich schreiend vor ihm aufbaute, konnte ihn nicht beeindrucken. Er sang sich heiser und trat Salvador de Coria mit den Füßen, so gut er konnte. Die Rudersklaven waren von dem gleichen Kampfgeist erfüllt wie ihr Vorbild, der Malteserritter. Er konnte sie besänftigen und mitreißen, er war ihr im stillen anerkannter Führer. Tod oder Leben! Es focht sie nicht mehr an, sie setzten alles auf eine Karte, es war ihnen egal. Sie trampelten mit den Füßen, sangen und stießen Verwünschungen gegen den Hundesohn Uluch Ali aus. Von Manteuffel beobachtete, wie Hamra eine Nachricht vom Ausguck entgegennahm. Er gab sie gleich an Uluch Ali weiter. Ali wandte sich kurz nach Osten, winkte dann aber ab und blickte wieder nach unten in sein Schiff, wo wahrhaftig der Teufel los war. »Jungs!« rief Godefroy von Manteuffel. »Sie haben endlich bemerkt, daß Hasard ihnen noch auf den Fersen ist. Ich hab’s ja gewußt. Ein dreifaches Hurra für Hasard!« »Hurra!« brüllten die Sklaven. Uluch Ali war fassungslos. Seine dunklen Augen huschten hin und her wie die eines in die Enge getriebenen Tieres. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Sie war ihm unverständlich. Ganz tief in seinem Inneren beschlich ihn dabei die Ahnung, daß er diesmal vielleicht einen Schritt zu weit
gegangen war. Auch ihm waren Grenzen gesetzt, das spürte er. Er hatte den Bogen überspannt. »Man muß die Dreckskerle zur Vernunft bringen«, sagte Hamra. Ali stieß ihn weg. »Sei still!« Er schritt auf und ab und rief den Aufsehern barsche Befehle zu. Seine Gedanken überstürzten sich dabei. Ja, die Zweimastkaravelle hatte die Verfolgung aufgenommen. Aber würden sie sie nicht mit Leichtigkeit abhängen? Und selbst wenn sie aufholte - dieser englische Kapitän konnte nach seiner Berechnung gar nichts unternehmen. Er durfte seinen Vater nicht gefährden. Er hatte Waffen, aber er konnte sie nicht einsetzen. Oder konnte er doch? Ali wurde unsicher. Dann packte ihn die Wut. Er sprang auf den Laufsteg hinunter, landete, fing sich mit einer Kniebeuge ab, stürmte auf einen der Sklavenaufseher zu, entriß ihm die Peitsche und hieb nach links und nach rechts. Gnadenlos prügelte er auf die Wehrlosen ein. Die Peitsche war in seiner Hand eine scharfe Sichel, die hurtig niederzuckte und blutige Male in die Woge aus halbnackten Leibern schnitt. Uluch Ali ließ seinen unbändigen Zorn aus. Er geißelte, er fluchte, er spuckte aus aber die Sklaven sangen weiter. Ali drosch auf Godefroy von Manteuffel ein. De Coria bekam dabei auch einiges ab. Er begann zu jammern und zu flehen. Von Manteuffel sang weiter sein wüstes Lied, in seinen Augen blitzte nur grenzenlose Verachtung. »Ruhe!« brüllte Uluch Ali. Sie hörten nicht mehr auf ihn. Er konnte sie totschlagen, sie würden immer noch singen, und ihr Lied würde auch anschließend noch in seinen Ohren tönen. Sie hatten jetzt jene Schwelle überschritten, an der man noch Schmerz empfindet. Ihr Geist war stärker. Dies nun begriff Uluch Ali allmählich. Er wußte von den Berbern und anderen afrikanischen Völkern, daß man sich durch Musik und Tanz in Ekstase versetzen
konnte und dann immun war gegen Schmerzen und andere Einflüsse. Diese Sklaven schienen sich in einer Art Ekstase zu befinden. Ein Aufseher war Ali im Weg. Er hieb ihm die Peitsche mitten ins Gesicht. Hamra verließ die Kampfbrücke und eilte ihm entgegen. Ali wollte auch ihn züchtigen, aber da war plötzlich etwas in Hamras Blick, das ihn davon abhielt. Langsam ließ er die Peitsche sinken. »Was willst du tun?« sagte Hamra. »Sie alle umbringen? Wie sollen wir dann noch die Galeere vorantreiben?« »Sohn eines räudigen Dromedars«, erwiderte Uluch Ali keuchend. »Was willst du? Meutern?« »Nein. Ich sage dir nur die Wahrheit.« »Und was schlägst du vor?« »Laß sie singen. Sie rudern ja noch. Im Augenblick kannst du nichts Besseres tun, als sie sich austoben zu lassen. Wenn sie wieder normal sind, kannst du sie immer noch bestrafen, die Hunde. Ich meine, du verlierst nicht an - an Macht auf deinem Schiff, wenn du jetzt mit dem Schlagen aufhörst.« »Deine Worte erinnern mich an das Greinen eines alten Weibes«, sagte Uluch Ali verächtlich. Aber er stand da, breitbeinig, kolossal, zutiefst beunruhigt, ohne es zeigen zu wollen und grübelte nach. »Gut«, sagte er dann. »Ich nehme deinen Vorschlag an. Lassen wir den Dingen erst mal ihren Lauf. Totschlagen können wir diese Schakale von Sklaven immer noch.« Hamra grinste. »Sehr vernünftig. Glaub mir, es ist eine weise Entscheidung.« Uluch Ali warf die Peitsche fort. »Ja, Hamra. Aber ich warne dich. Wenn dieser Entschluß noch üblere Folgen hat als das hier«, er wies auf die singenden und trampelnden Sklaven, »dann bist du dran.« Hamras Grinsen zerfiel. Er wurde um die Nasenspitze herum bleich. Er nickte nur untertänigst und hoffte im übrigen auf
Allahs Gunst und Güte, obwohl ein Schurke wie er wahrhaftig keinen Grund hatte, auf die Nachsicht höherer Instanzen zu bauen. 8. Es wurde führer Nachmittag. Hasard stand an seinem gewohnten Platz an der Five-Rail der ›Isabella‹. Aber statt seiner üblichen Umsicht und Besonnenheit zeigte er eine Gereiztheit, die kaum noch zu unterdrücken war. Er konnte sich selbst nicht mehr bändigen. Er hätte am liebsten die hölzernen Taljen aus der Balustrade gerissen oder sonst etwas getan, um seine Wut auszulassen. Seine Männer wagten es kaum, ihn anzusprechen, zumal sie sich in der gleichen Verfassung befanden wie er. Die Galeere der algerischen Piraten wurde immer kleiner an der westlichen Kimm. Sie war inzwischen nur noch ein schwarzer Tintenfleck vor dem Horizont, drohte in ihren Konturen ganz zu verschwimmen und zu verlaufen und dann endgültig zu verschwinden. In dem Rennen gegen den Wind hatte sie einwandfrei die bessere Position. Hier kam es nicht auf die Segel, sondern auf die Riemen an, eine Überlegenheit, mit der eben nur die Galeeren auftrumpfen konnten. Aus? Eine verlorene Partie? Hasard ballte die Hände. Was blieb ihm anderes übrig als aufzugeben? Konnte er günstigeren Wind herzaubern? Er wußte sich keinen Rat mehr. Nur eins war ihm bewußt. Er würde dennoch nicht von dem Westkurs abgehen. Padre Sixtus war vom Kutscher in eine Kammer des Achterkastells gebracht worden. Wahrscheinlich lag er längst in tiefem, mit bitterem Preis erkauften Schlaf. So wurde wenigstens er nicht Zeuge, wie die ›Isabella VII.‹ den Wettlauf um Leben und Tod langsam, aber sicher verlor. Es hätte ihn
mächtig gewurmt. Er war ein braver Mann mit Gewissen, in dem Sinne ein echter Christ mit unverfälschten Prinzipien. Hasard kreidete es ihm wirklich nicht an, daß er erst seine Identität preisgegeben hatte, als es praktisch zu spät gewesen war. Hasard machte sich selbst Vorwürfe. Er hätte den Braten riechen müssen, hätte nicht auf Azem und Ali hereinfallen dürfen wie ein unbedarfter Junge, der noch grün hinter den Ohren war. Mit diesen Vorhaltungen würde er sich weiterhin martern. Er konnte es sich nicht verzeihen, daß er seinen Vater aufgeben mußte - so kurz vor dem Ziel. Er schalt sich einen Stümper, einen blutigen Anfänger, einen Tollpatsch. Erst Dans Stimme riß ihn wieder aus seinen düsteren Gedanken. »Deck!« schrie der Junge, daß sich seine Stimme überschlug. Eigentlich war ihm das schon lange nicht mehr passiert, seit er aus dem Alter heraus war. »Deck! Im Süden braut sich was zusammen! He, Hasard, sieh dir das an!« Der Seewolf tat ihm den Gefallen. Wollte Dan ihn nur aufmuntern? Durch die Optik des Spektivs gewahrte Hasard im Süden, wie sich eine dunkle, drohende Wand allmählich hochschob. Plötzlich war er gefesselt. Hol’s der Teufel, Dan hatte es mit seiner Meldung wirklich ernst gemeint! Da passierte etwas, was Hasard in seiner Niedergeschlagenheit nicht mehr zu erhoffen gewagt hatte. Die Wand erreichte gigantische Ausmaße. Sie bestand aus finsteren Wolkenbergen, die sich zu immer neuen bizarren Formationen auftürmten. Hier und da durchzogen schmutzigrote Streifen das Wettergebilde. Big Old Shane hielt den befeuchteten Finger hoch. »Hölle, Tod und Teufel!« rief er. »Der Wind dreht!« Kaum zu glauben, aber wahr: Die Windrichtung wechselte zunächst auf Südwest, dann auf Süd, dann auf Südost. Die ›Isabella‹ empfing die neue Brise zuerst. Hasard überlief ein
Schauer. Es waren Ergriffenheit und Faszination, die er spürte und die neu aufkeimende Hoffnung. Plötzlich war mehr Bewegung auf Oberdeck. Carberry und alle anderen auf der Kuhl, Smoky auf der Back, Shane, Ben, Ferris und Old O’Flynn bei Hasard auf dem Achterdeck, sie alle hatten das gleiche Gefühl. Sie packten mit neuem Eifer zu, korrigierten die Segelstellung und nutzten den Südostwind nach allen Regeln seemännischer Kunst aus. Pete Ballie stand geduckt am Kolderstock, so, als würde die ›Isabella‹ jeden Augenblick wie ein Gaul losgaloppieren. Und sie rauschte los! Sie segelte über Steuerbordbug mit rauhem Wind, der immer stärker wurde. Steile Bugsee gischtete bald bis zur Galion hoch, rann an den Schiffsseiten entlang und verlor sich quirlig im schäumenden und phosphoreszierenden Kielwasser. Die ›Isabella‹ war ein Schlachtroß geworden, das über die Wellenkämme fegte. Jetzt konnten die Männer wieder stolz sein auf ihr Schiff, jetzt zeigte sich, welche Schnelligkeit und Wendigkeit es an den Tag zu legen vermochte. Meile um Meile holte die ›Isabella‹ auf. Die Umrisse der schwarzen Galeere wuchsen wieder größer an der westlichen Kimm hoch. Bald waren die Maststengen mit bloßem Auge zu erkennen. Die Spannung der Seewolf-Crew wuchs von Minute zu Minute. Das Wetter, unberechenbarer Feind oder Verbündeter, verschaffte ihnen jetzt doch noch den lange ersehnten Vorteil. Ein dramatischer Höhepunkt kündigte sich an. Carberry war in seinem Element. Er lief von Geschütz zu Geschütz und vergewisserte sich, daß sie ordnungsgemäß geladen waren. Natürlich hatten die Männer die übliche Sorgfalt beim Laden walten lassen. Aber die mehr symbolische Kontrolle des Profos zeigte eben, wie peinlich er darauf bedacht war, keine Fehler zu begehen. Er durfte sich keine Schnitzer leisten, gerade jetzt nicht. Denn das hatten alle
begriffen der Wert, der hier ins Spiel gebracht wurde, überstieg alle den Spaniern entrissenen Gold und Silberschätze - es ging um Hasards Vater. Hier konnte die Crew beweisen, wie sehr sie gewillt war, sich für ihren Kapitän zu schlagen. Carberry beendete seine Vorkehrungen und schaute zu Hasard hoch. Er stand mit leicht abgewinkelten Beinen an der Five-Rail. Der Wind zerzauste sein volles schwarzes Haar. Seine Miene war von eiserner Härte, seine Augen funkelten und spiegelten seinen Kampfgeist. »Er segelt dem Teufel mal wieder ein Ohr ab«, sagte Edwin Carberry ehrfürchtig. »Das wurde auch Zeit, verdammt noch mal. Endlich ist er wieder der alte. Endlich gibt’s was zu tun.« Der Seewolf ließ die Galeere nicht aus den Augen. Uluch Ali war kein Narr. Er konnte sehen, welchen Vorteil der Wind aus Südost der Karavelle brachte. Der Abstand schrumpfte. Ali mußte nach einem Ausweg suchen, wenn er nicht die offene Konfrontation wollte. Tatsächlich, er wollte auf südlichen Kurs gehen. »Näher an die Küste!« rief Hasard. »Wir behalten die Luvposition, schieben uns zwischen Land und Galeere und verhindern, daß sie nach Süden durchbricht.« Der Befehl wurde prompt befolgt. Hasards Vorhaben gelang. Sie waren schon nahe genug heran, um den Piraten den Fluchtweg abschneiden zu können. Uluch Ali hatte die vormals aufgegeiten Lateinersegel natürlich wieder setzen lassen, aber das nutzte ihm nichts. Er konnte nicht mehr durchbrechen. Er mußte sich der ›Isabella‹ auf offener See stellen, ohne Tücken, ohne Winkelzüge. Der Wind nahm zu, daß es in Luvwanten und Pardunen heulte und pfiff. Der aufkommende Seegang bereitete Hasard keine Sorge - im Gegenteil, er freute sich darüber. Er begann heiser zu lachen, so, wie drüben auf der Galeere Godefroy von Manteuffel sein wildes Lachen ausstieß. Noch wußten sie nichts voneinander, noch waren sie sich gegenseitig fremd,
aber es schien eine Gedankenbrücke zwischen Vater und Sohn zu bestehen. Die Galeere geriet immer mehr ins Hintertreffen. Sie war ja vorrangig ein Ruder- und kein Segelschiff. Das wirkte sich jetzt als Nachteil aus. Eindeutig war die Karavelle schneller und beweglicher, auch und gerade bei dem zunehmenden Seegang. * Uluch Ali kochte vor Wut. Er trat Hamra in den Hintern und schrie ihn an, als wäre die Veränderung der Wetterlage dessen Schuld. »Du Sohn einer Hure und eines stinkenden Ziegenbocks! Du Schakal! Denk dir was aus, du bist doch mit Ideen immer so fix, du gehörnter Wechselbalg, oder nicht?« Hamra antwortete klugerweise nicht darauf. Er entzog sich Alis Zugriff und beobachtete ihn aus schmalen Augen. Er haßte ihn, aber was tat das jetzt zur Sache? Ali würde ihm mühelos die Knochen brechen, wenn er protestierte. Er war jähzornig. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Hamra begriff zum ersten Mal, daß auch Uluch Alis Dreistigkeit und Verwegenheit Grenzen gesetzt waren. Warum wollte er sich denn jetzt vor der Karavelle zurückziehen? Hatte er etwa Angst? Dabei wußte er doch noch gar nicht, ob dieser englische Kapitän so verrückt sein würde, das Feuer zu eröffnen. Sie konnten ihm drohen, Godefroy von Manteuffel abzustechen. Hamra brauchte nur wie zur Mittagsstunde zu dem weißhaarigen Riesen auf die Ruderbank zu klettern ... Wie auch immer, Uluch Ali schien ernsthafte Zweifel an sich selbst zu haben. Hamra hätte sein eigenes Todesurteil ausgesprochen, hätte er ihm das entgegengeschleudert. Vieles konnte Ali in Rage bringen, aber Kritik an seiner Persönlichkeit verwandelte ihn in ein tobendes Monstrum. Die Sklavenaufseher brüllten und peitschten wieder auf die
Ruderer ein. Die sangen immer noch, etwas gedämpfter zwar, aber mit nervenaufreibender Ausdauer. Godefroy von Manfteuffei rempelte manchmal noch den widerlichen Salvador de Coria an, aber sonst scherte er sich den Teufel um ihn. Er behielt vielmehr Uluch Ali im Auge. Es bereitete ihm unbändiges Vergnügen, den Kerl so verunsichert zu sehen. Uluch Ali stand mitten auf der in Längsrichtung der Galeere verlaufenden Kampfbrücke und blickte achteraus. Im stärker werdenden Seegang begannen die Planken unter ihm zu tanzen. Die Galeere rollte und schlingerte. Ali glich die Bewegungen mit den Beinen aus und starrte unverwandt zu der Zweimastkaravelle. Er gab sich keinen Illusionen hin. Längst war ihm klar, daß das Blatt sich gewendet hatte. Stärkerer Wind, dazu noch aus Südost, das war der ideale Antrieb für das feindliche Schiff. Es schäumte heran. Und wie es gesegelt wurde! Uluch Ali erkannte, daß dort drüben Männer waren, die ihr Metier meisterlich und mit Bravour beherrschten. Und auch von der Armierung her hatte die Karavelle einiges zu bieten, das hatte er am Mittag während des Austausches der beiden Geiseln gesehen. Sechs Stückpforten hatte sie an jeder Seite. Auf dem Vor und Achterdeck schienen zudem noch kleine Geschütze in beweglichen Eisenlafetten montiert zu sein. Würde sich der geneppte Feind noch auf Verhandlungen einlassen? Uluch Ali spuckte aus. Er mußte wahnsinnig sein, wenn er das tat. So idiotisch konnte sich nur einer benehmen, der die offene Auseinandersetzung scheute. Ali wägte rasch seine Chancen ab. Einmal war das der aufsässige von Manteuffel, mit dem er diesen Hund von einem Engländer offenbar erpressen konnte. Aber wenn der sich nicht mehr erpressen ließ? Nun, dann würde er von Manteuffel eben martern lassen, und dessen Geschrei würde das Pfeifen des Windes und das Rauschen der See noch übertönen.
Und dann? Wenn der Gegner auch dann nicht parierte, würde er Godefroy von Manteuffel niederstechen und in die See werfen, den Haien zum Fraß. Danach konnte der Kampf entbrennen. Uluch Ali würde sich an die Karavelle pirschen und zu entern versuchen. Im Nahkampf lag seine klare Überlegenheit, und er hatte schon viele, bedeutend größere Schiffe auf diese Weise gekapert. Plötzlich grinste er. Na also. Wovor hatte er noch Bedenken? Was hatte ihn überhaupt so wankelmütig gestimmt? Er wußte es nicht mehr. Seine alte Überlegenheit und Arroganz war wiedergekehrt. »Hamra!« rief er. Hamra näherte sich vorsichtig. Er hielt sich immer noch geduckt, sein Gang hatte etwas Rattenhaftes an sich. Ali winkte ungeduldig. »Du brauchst keine Angst zu haben, ich schlage dich nicht. Komm her. Du kriegst wieder einen Sonderauftrag. Du steigst zu Manteuffel, diesem Sohn eines Aussätzigen und einer verlausten Hure, und kitzelst ihn mit dem Messer.« Hamra grinste. »Daran habe ich auch schon gedacht.« »Ja, du bist schlau, Hamra.« »Danke, großer Ali.« »Manchmal zu schlau«, fügte der Piratenführer hinzu. Hamra preßte die Lippen zusammen. Er dachte daran, wie schön es wäre, wenn Uluch Ali eines Tages im Gefecht fallen würde. Dann würde er, Hamra, das Kommando über die Galeere an sich reißen und Besitzer von Alis Reichtümern werden. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gesponnen, da zischte etwas über ihre Köpfe weg. Beide duckten sich. Sie sahen zwei rote, wabernde Gegenstände auf die Bugplattform zufliegen. Es gab zwei dumpfe Schläge, nicht besonders laut, dann steckten die Objekte in der Plattform und zuckten glutig hoch und höher.
Uluch Ali trampelte auf der Stelle. Hamra brachte sich rasch in Sicherheit. »Ungeheuerlich!« schrie Ali. »Zwei Brandpfeile, und das auf die Entfernung! Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Diese Hunde, diese Bastarde, diese Teufel!« Er blickte zu den lodernden Pfeilen, dann zur ›Isabella‹ und stellte fest, daß der Abstand noch etwa sechshundert Schritte betrug. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß jemand bei dieser Distanz und dem Seegang so unheimlich genau treffen konnte. Zwei neue Geschosse rasten heran, dann weitere, immer mehr - ein Hagel von Pfeilen jagte auf die Bugplattform nieder und deckte sie mit knisterndem Feuer ein. »Löschen!« brüllte Uluch Ali. »Steht nicht so blöd herum und glotzt, ihr Lumpenhunde.« Und Hamra lief umher und trat und schlug die Piraten, ganz, wie es die Hackordnung befahl. Der Seewolf ließ seine Bogenschützen Batuti und Big Old Shane bewußt nur auf das Vorschiff der schwarzen Galeere zielen, denn Pader Sixtus hatte ihm ja mitgeteilt, daß sein Vater Backbord achtern am Schlag säße. Uluch Ali begriff auch dies, und ihm leuchtete endgültig ein, daß seine Bedenken berechtigt gewesen waren. Er hatte es mit einem ganz verteufelten Gegner zu tun. Ali verwünschte ihn, tobte und stieß die lästerlichsten Beschimpfungen aus. Seine Untergebenen stürzten unterdessen auf das Vorschiff, um die Brände zu löschen. Im Nu herrschte Zustand - aber das war bei weitem noch nicht der Gipfel. Der Höhepunkt folgte noch. Godefroy von Manteuffel handelte. Er hatte auf diesen Augenblick gewartet. Sein Herz schlug ein paar Stufen höher und damit so hoch, wie ein Vaterherz überhaupt zu klopfen vermochte, Er lachte - und trat mit dem linken Fuß aus wie ein übermütiger Hengst, dem es in seinem Stall zu eng wurde. Salvador de Coria schrie auf. Der Tritt erwischte ihn mit unverminderter Härte am rechten Oberschenkel. Er rutschte
nach hinten weg, und gleichzeitig unterstützte von Manteuffel sein Bestreben noch durch ein heftiges Rucken am Riemen. De Coria glitt wieder von der Ducht. Er blieb zwischen zwei Ruderbänken hängen, wie schon mal, und konnte sich aus eigener Kraft nicht befreien. Er zappelte und kreischte. »Hoch!« rief der Malteserritter. Seine beiden Mitruderer - sie saßen links von de Coria reagierten sofort. Natürlich waren auch sie vorbereitet gewesen. Sie waren ein Engländer und ein Franzose, zwei Mitstreiter, auf die von Manteuffels Zorn und Kampfgeist am meisten abgefärbt hatten. Gleichzeitig mit ihm standen sie auf. Sie stemmten sich gegen den Riemen, keuchten, fluchten, boten alle Kraft ihrer Muskeln auf - und jählings brach der Riemen. Es knackte und splitterte, de Coria heulte tierisch, und die Rudersklaven stießen Triumphrufe aus. »Sprengt die Ketten! Zerbrecht die Riemen!« brüllte Godefroy von Manteuffel. Die Aufseher eilten heran und ließen die Peitschen sprechen. Der Trommler drosch auf seinem Instrument herum, Uluch Ali brüllte wie selten zuvor, aber der Lauf der Dinge ließ sich nicht mehr aufhalten. Von allen Duchten erhoben sich jetzt die Sklaven und handelten noch ihrem Vorbild Godefroy von Manteuffel. Sie zerstörten die verhaßten Riemen. Holz splitterte, Riemen rutschten aus ihren Runzeln und Widerlagern, es knackte und brach an allen Ecken und Enden, und die Aufseher wußten nicht mehr, wohin sie zuerst schlagen sollten. »Haltet fest«, sagte der Malteserritter zu seinen beiden Mitruderern. Sie packten zu und zerrten an seinen Ketten. Er leistete Gegendruck. Sein Gesicht färbte sich rot, die Schläfenadern drohten zu platzen. Er plagte sich mit zusammengebissenen Zähnen ab, bis ihm der Schweiß in Strömen lief - und dann,
endlich, öffneten sich die Manschetten knarrend. Die Eisenringe, die ihn an der Ducht gehalten hatten - sie waren verbogen. Offen! Gesprengt! Die Freiheit winkte! De Coria versuchte in diesem Moment einen heimtückischen Ausfall. Er wollte nach Godefroy von Manteuffel treten. Einer der Sklaven bemerkte es und hieb ihm gegen den Kopf. Der Spanier sank in sich zusammen. Von Manteuffel wollte auch den Engländer und den Franzosen von der Ruderbank loseisen, da tauchten dicht vor ihm zwei Schatten auf. Blitzschnell stellte er sich darauf ein. Er wuchtete den Riemenstummel hoch, eine immerhin noch etwa vier Yards lange Spiere. Die Gestalten über ihm hoben die Peitschen. Sie entpuppten sich als zwei der brutalsten Aufseher. Godefroy riß den Riemenstummel herum und drehte sich dabei um die Körperachse, um mehr Schwung zu erhalten. Er benutzte die Spiere als Hiebwaffe. Mit dem ersten Streich räumte er die beiden peitschenschwingenden Kerle, die auf ihn einprügeln wollten, von dem Laufsteg. Mit dem nächsten fegte er noch zwei weitere Piraten vom Steg und zwischen die Duchten. Dort packten jetzt die Sklaven zu. Sie benutzten ihre Handfesseln als Waffen, legten die Ketten einfach um die Gurgeln ihrer Peiniger und zogen zu. Sie taten, worauf sie seit Jahren gewartet und was sie in tausend Träumen bereits vollzogen hatten. Sie erdrosselten jeden Piraten, der ihnen in die Hände fiel. Die Rebellion war perfekt, und rückhaltlose Gewalt regierte die Stunde. Innerhalb von Sekunden hatte die Galeere durch die Meuterei der Sklaven ihre Hauptantriebskraft verloren. Uluch Ali war außer sich, aber er konnte nichts mehr an den Gegebenheiten ändern. Seine Autorität war dahin. Die Mannschaft schoß wie aufgescheucht über Deck, die Wuhling unten im Ruderraum entwickelte sich zu einem Inferno. Uluch Ali konnte nur noch den Dingen ihren Lauf lassen.
Natürlich rechnete er fest damit, daß seine nunmehr bis aufs Blut gereizten Männer auf das Brutalste losschlagen würden. Seine einzige Taktik mußte sein, sie noch mehr anzustacheln. »Tötet die Sklaven! Zeigt dem Gegner die Zähne! Laßt euch nicht unterkriegen. Wenn die Feuer gelöscht sind, schnappen wir uns die Karavelle!« Ali suchte nach Hamra, um ihm das zu geben, was ihm seiner Meinung nach gebührte. Hamra hatte ihn schlecht beraten. Ali wußte jetzt, daß er schon vorher - als die Sklaven unter Godefroy von Manteuffels Führung das Lied angestimmt hatten - einige Exempel hätte statuieren müssen. Ein paar Sklaven, die vor den Augen der anderen verbluteten, und Ordnung und Disziplin wären rasch wiederhergestellt gewesen. Aber die Einsicht kam zu spät. Er hatte sich beeinflussen lassen und eine Fehlentscheidung gefällt. Hamra würde dafür büßen müssen, doch im Moment verbot die Entwicklung der Lage, sich mit ihm abzugeben. Hamra war auf dem Weg nach unten, zu den Sklaven. Nach dem Aufstand der Rudersklaven hatte sich der Abstand zwischen der Galeere und der Zweimastkaravelle rapide verringert. Und schon orgelten von der Karavelle gezielte Drehbassenschüsse herüber. Uluch Ali traf fast der Schlag, als er über sich die Gaffelrute des Fockmastes in die Brüche gehen sah. Das größte Trümmerstück der schweren Spiere taumelte noch einen Augenblick in seinen Halterungen, dann krachte es auf Deck. Ali konnte sich gerade noch in Deckung bringen. Zwei Piraten gelang das nicht mehr rechtzeitig. Der eine wurde von der Wucht des Aufpralls unter der Spiere glatt zerquetscht, der andere durchbohrt. Ali sah es aus nächster Nähe und schrie wie ein Wahnsinniger. Die Drehbassenschüsse zerhackten die Takelage der Galeere. Ali hetzte zu seinem Rudergänger und brüllte ihn zusammen. Der Mann gab sich redlich Mühe, die Lage unter Kontrolle zu bringen, beizudrehen, auszuweichen, aber unter Donnern und
Krachen wurde auch das Großsegel weggefetzt. Danach war das Kreuzsegel dran. Die Situation arbeitete in ein wahres Pandämonium aus. Uluch Alis Männer waren vor Raserei nicht mehr zu halten. Ein Teil legte mit Bordgeschützen und Musketen und Arkebusen auf die Karavelle an, ein anderer Teil, allen voran Hamra, stürmte unten über den Laufsteg auf die tobenden Sklaven zu. Ali sah, wie das Besansegel samt Rute auf der Backbordseite im Wasser schleifte und seine Galeere sich breitseits gegen den Seegang stellte. Für einen Moment schob sie in beängstigender Lage durch das Wasser. Sie krängte so weit über, daß das gesamte Steuerbordschanzkleid unterschnitt und die See über Bug und Heckplattform stieg. Der Rudergänger stemmte sich gegen den Kolderstock und gab Gegenruder. Er riskierte einen Ruderbruch. »Kappt den verdammten Besan!« schrie Uluch Ali. Niemand hörte auf ihn. Da begab er sich selbst ans Werk. Zunächst hieb er mit dem Morgenstern auf das laufende und stehende Zeug des Besans ein, dann schnappte er einem vorbeilaufenden Kumpanen die Streitaxt weg. Sie stellte ein viel sinnvolleres Werkzeug dar. Ali wußte, es ging um Sekunden. Die gesamte Takelage des Besanmastes mit der Hälfte des Mastes mußte außenbords, oder es war schlecht bestellt um das Schiff. Einer der gezielten Schüsse hatte auch den Mast glatt in seiner Mitte umgeknickt, und das ließ die Galeere flügellahm werden. Wie wild kappte er Wanten, Schoten und Fallen. Dann sprang er auf, lief zu der Bruchstelle des Mastes und vollendete, was die Geschützkugel begonnen hatte. Der halbe Mast glitt mitsamt seiner Takelung außenbords. Die Galeere richtete sich wieder auf. Ali hastete an ein leichtes Geschütz auf der Heckplattform, zündete die Lunte und senkte sie auf das Zündkraut. Er sandte eine Ladung gehacktes Blei zu der ›Isabella‹ hinüber. Aber der
Schuß war zu tief angesetzt. Ein Teil der Ladung hagelte wirkungslos ins Wasser in Lee der Karavelle, der Rest prasselte gegen die Bordwand, ohne Schaden anzurichten. »Teufel!« stieß Ali erbittert hervor. Ja, dort drüben mußten Teufel an Bord sein. So erstklassige Kämpfer waren ihm sein Lebtag noch nicht begegnet. 9. Hamra hatte Godefroy von Manteuffel erreicht. So, wie sich die Lage geändert hatte, blieb ihm jetzt nur noch eines. Er mußte diesen verfluchten Malteserritter töten! Hamra sprang über die Leiche eines Aufsehers. Sie lag mit den Beinen zwischen zwei Duchten, ihr Oberkörper ruhte auf der Laufplanke. Hamra blickte in zwei aufgerissene, starre Augen, und er sah auch die blauen und roten Würgemale am Hals des Mannes. Eine Woge kalter Wut durchfuhr ihn, ein Gefühl, wie er es noch nie erlebt hatte, nicht in diesem Maße. Schreiend fuhr er zwischen die Sklaven. Er räumte zwei Mann zur Seite und stand vor Godefroy von Manteuffel. Der weißhaarige Riese war unterdessen nicht untätig gewesen. Die Kettenreste baumelten noch von seinen Beinen, und auch seine Hände waren noch durch Eisenketten miteinander verbunden. Dennoch gaben sie ihm die erforderliche Bewegungsfreiheit. Er hatte inzwischen weitere drei Gegner ausgeschaltet und ihnen ihre Waffen abgenommen: Kurzsäbel und Dolche. Damit hatte er auch den Engländer und den Franzosen versorgt. Und nun blickte er, einen Kurzsäbel in der Rechten, dem heranstürmenden Hamra entgegen. Unter dem Druck von starken Fäusten brach die Ducht aus ihren Verbänden. Das waren der Engländer und der Franzose.
Sie hatten die Bank zur Seite geräumt, um mehr Raum zum Kämpfen zu haben. Soeben gingen sie auf zwei wild fechtende Aufseher los. Hamra war da. »Nun zu uns«, sagte der Malteserritter. Er sah Hamras Dolch aufblinken und die Mordlust in den kleinen Augen des Kerles glitzern. Hamra war ein Berber, ein mittelgroßer, sehr schlanker Bursche, dem man auf den ersten Blick nicht viel zutraute. Das konnte ein tragischer Fehler sein. Aber von Manteuffel hatte diesen Gegner in über zwanzig Jahren Knechtschaft mehr als ausreichend studiert. Er kannte seine Tricks. Er sah den Dolch aus Hamras Hand gleiten und auf sich zuschießen. Im selben Moment duckte er sich. Die messerscharfe Klinge fuhr dicht über seinen Rücken weg. Von Manteuffel vernahm einen gurgelnden Laut in seinem Rücken. Er drehte sich nicht um, beobachtete aber aus den Augenwinkeln, wie ein Aufseher mit dem Dolch in der Brust rechts neben ihm quer über die losgerissene Ducht stürzte. Hamra zückte seinen Kurzsäbel. Hasards Vater drang gegen ihn vor. Hamra parierte. Klinge knallte scheppernd gegen Klinge. In rasendem Rhythmus kreuzten sich die Waffen, die beiden Widersacher tänzelten vor und zurück. Zu Beginn verhielt sich Hamras rechte Hand noch sehr konzentriert, aber unter dem Ansturm des Riesen konnte er seine Disziplin und Technik nicht lange aufrechterhalten. Er ließ merklich nach. Godefroy von Manteuffel lachte rauh. Er gewährte Hamra noch eine Chance. Er ließ ihn heran, bot ihm nur eine schwache Verteidigung und hatte ihn im nächsten Moment fast am Hals. Ihre Blicke begegneten sich. »Stirb!« schrie Hamra. Godefroy führte eine glänzende Parade von unten herauf, ließ Hamra auflaufen und wie an einer Barriere kerzengerade erstarren.
Sekundenlang preßten sie die Kurzsäbel gegeneinander und maßen ihre Kräfte. Einmal war Hamras Klinge von Manteuffels Hals bedrohlich nahe. Da legte der Riese alle Muskelkraft in seinen rechten Arm - und Hamra prallte zurück. Er strauchelte, stürzte und hockte plötzlich am Boden. In einem Anfall blinder Wut schleuderte er auch den Kurzsäbel. Godefroy von Manteuffel riß die Waffe hoch. Er fing Hamras Säbel mit der Klinge ab. Es klirrte, dann landete der Säbel auf dem Laufsteg. Hamra griff danach. Der Ritter beschloß, das Duell zu beenden. Einen Wehrlosen abzuschlachten, das gefiel ihm nicht. Aber der Berber sollte einen Denkzettel erhalten. Godefroy hieb zu. Hamra schrie und starrte dabei in grenzenlosem Entsetzen auf seinen Armstummel. Die Hand lag auf der Laufplanke, keine zwei Spannen von dem Kurzsäbel entfernt. Von Manteuffel wollte den Kerl packen und außenbords befördern, da kam ihm der Engländer, sein Banknebenmann, zuvor. Er ließ den Kurzsäbel niedersausen und beförderte Hamra kurzerhand ins Jenseits. Der Malteserritter konnte es ihm nicht verübeln. Zu lange hatten sie unter der Knute der Piraten gelitten. Von Manteuffels Blick suchte Uluch Ali. Da stand der Oberschurke auf der achteren Plattform und schrie seinen Kumpanen sinnlose Befehle zu. »Ali«, rief Godefroy. »Du hast dich verrechnet. Das hättest du nicht erwartet, wie?« Uluch Ali wandte den Kopf. Zwei Gegner, dachte er bestürzt, einer innen, einer außen. Inmitten des Kampfgetümmels im Ruderraum stand der weißhaarige Riese, erhaben, ehern, wie eine Festung. Er hatte die Rebellion angezettelt. Ohne ihn wäre niemals eingetreten, was noch nie passiert war - daß die Galeerensklaven gegen ihre Folterknechte fochten. Die schwarze Galeere, der Schrecken des Mittelmeeres und der gesamten Christenheit, war waidwund geschossen und
nahezu manövrierunfähig. Uluch Ali umklammerte seine Lieblingswaffe, den Morgenstern. Seine Augen waren gerötet, sein Mund halb geöffnet, er stand leicht vornübergebeugt. Musketenkugeln pfiffen von der ›Isabella VII.‹ herüber und rafften seine Männer weg, noch bevor sie richtig zurück schlagen konnten. Wer seinen Kopf zu hoch hinausreckte, wurde abgeschossen. Es war ein Wunder, daß Uluch Ali noch am Leben war. Er war sich dessen aber nicht bewußt, denn sein Geist wurde nur noch von einem fanatischen Wunsch beseelt. Sein Widersacher, Feind aller Feinde, blickte ihn unverwandt an. Es mischten sich Hohn und allergrößte Verachtung in diesem Blick, aber es war auch noch etwas anderes darin - die Herausforderung. Uluch Ali löste sich aus seiner Erstarrung. Mit einem Wutschrei sprang er auf die Laufbrücke hinunter, um den tollwütigen Riesen zu erschlagen. * Die Schlechtwetterfront jagte jetzt aus Süden heran. Der Wind heulte stärker und stärker, wollte Orkanformat gewinnen und übertönte sogar noch das Krachen der Musketen und Arkebusen und das Donnergrollen der Kanonen an Bord der ›Isabella‹. »Jetzt!« schrie der Seewolf. »Wir wagen das Letzte!« »Drauf!« brüllte Ed Carberry. Er stand schon mit seinen Männern auf der Back der Karavelle bereit. Hasard, Ben Brighton, Shane und der alte Donegal Daniel O’Flynn rückten über den Niedergang an. Auf dem Achterdeck befand sich nur der Rudergänger Pete Ballie. Batuti kauerte auf dem Vormars, um mit seinen Pfeilen Deckung zu geben. Der junge Dan O’Flynn schoß mit einer Muskete vom Hauptmars aus auf das Deck der Galeere. Arwenack, der Schimpansenjunge, war neben ihm und würde
leere Kokosnußschalen und Belegnägel als Geschosse auf die Piraten schleudern, sobald es die Distanz zuließ. Pete Ballie hielt Westkurs. Die ›Isabella‹ rauschte über Steuerbordbug im spitzen Winkel beinahe längsseits auf die Galeere zu, der Abstand schrumpfte und schrumpfte, und die Rufe der Crew schienen das eigene Schiff anzufeuern. Dann war es soweit, sie zogen unwillkürlich die Köpfe ein. In Vigo war die Karavelle auf dem Dock der Lares-Werft generalüberholt worden. Sie hatte seinerzeit nicht nur ein neues Ruder erhalten, sondern auch eine Bugverstärkung. Der eisenharte Bug der ›Isabella‹ fraß sich buchstäblich in die Steuerbordseite der Galeere. Ein Ruck und ein Zittern liefen durch den Rumpf der Karavelle. Sie erbebte bis in die letzten Verbände, und die Männer mußten sich festklammern, um nicht außenbords geworfen zu werden. »Auf sie!« brüllte Hasard. Er befand sich jetzt an der Spitze seiner Crew. In seiner rechten Hand ruhte ein Cutlass, ein kurzklingiger Schiffshauer. Mit einem Satz verließ er als erster die ›Isabella‹ und sprang wie ein Panther auf den hölzernen Wulst, der unterhalb der Bugplattform wie ein Gurt den Vorsteven der schwarzen Galeere umschloß. Hasard griff mit der Linken in die Reling, hob die Rechte mit dem Cutlass und säbelte einmal kurz nach links und nach rechts. Zwei, drei Piraten sanken blutüberströmt zusammen. Hasard schwang auf die Bugplattform und trieb einen Keil in die Reihen der Gegner. Carberry sprang ihm fast ins Kreuz. Hasard sah ihn, als er neben ihn rückte, das Gesicht seines Profos war wild. »Auf sie«, brüllte Hasard noch einmal. »Arwenack!« schrie die Crew in seinem Rücken den Kampfruf der Seewölfe. »Arwenack!« Wie die Teufel fegten sie über die Plattform und erreichten die in Längsrichtung des Schiffes verlaufende Kampfbrücke. Dicht hinter Hasard befanden sich außer Ed Carberry nun auch Ben Brighton und
Big Old Shane. Sie bildeten eine klingenwirbelnde Einheit, die zielbewußt auf den Mann zustieß, der soeben unten auf dem Laufsteg zwischen den Sklaven gelandet war. Uluch Ali. Hasard ließ sich nach unten fallen. Er kam sicher auf, hielt sich mit raschen Cutlasshieben wieder zwei Widersacher vom Leib und steuerte über die letzten Schritte Distanz, die ihn von dem Piratenführer trennten, nach achtern. »Ali!« schrie er. »Hier bin ich!« Der Pirat holte aus und wollte seinen Morgenstern einem weißhaarigen Riesen von Mann auf den Schädel schlagen. Hasard wußte aufgrund der Beschreibung, die Pader Sixtus ihm gegeben hatte, daß diese imposante, alles dominierende Erscheinung nur einer sein konnte: sein Vater! »Vater!« brüllte er. Der Riese wirbelte im letzten Moment herum. Sein Blick suchte Hasard, und ein Aufleuchten der Erkenntnis erhellte seine Miene. Hasard schrie wieder, und Godefroy von Manteuffel suchte der furchtbaren Waffe durch einen neuen Ruck auszuweichen. Der Morgenstern sauste herab. Er verfehlte seinen Kopf, traf aber seine Schulter. Seine Miene verzerrte sich. Mit einem Stöhnen sank er auf die Knie. Hasard fiel über Uluch Ali her. Ja, jetzt war er der Seewolf ein um sich schlagender Teufel mit wilden blauen Augen, mit wilder, ungestümer Kraft. Er ließ seinem Gegner keine Chance, deckte ihn sofort mit rasenden Hieben ein. Uluch Ali blieb gerade die Zeit, den Morgenstern wieder hochzureißen. Hasard zog den Cutlass hoch, und die zweischneidige, starke Klinge durchtrennte den Griff des Morgensterns. Der dornenbewehrte Kopf krachte zu Boden. Uluch Ali warf mit einem gräßlichen Fluch den Griffrest von sich, dann zückte er den Kurzsäbel. Er bot Paroli, aber binnen Sekunden hatte Hasard auch diese Deckung durchbrochen und
stürzte sich einem reißenden, tollwütigen Tier gleich auf den Todfeind seines Vaters. Der Wolf riß seine Beute. Hasard sah nicht mehr Uluch Alis greulich verzerrte Fratze, er sah durch einen wirbelnden Schleier hindurch Dutzend um Dutzend anonymer Angreifer, die auf ihn eindrangen und »Bastard« riefen. Er säbelte sie nieder, er war der Schnitter, der erschienen war, um blutige Ernte zu halten. Godefroy von Manteuffel sah das Duell, bei dem Hasard Ali buchstäblich in der Luft zerfetzte. Sein Sohn! Er war stolz auf ihn. Sein linkes Schulterblatt war zerschmettert, und die Schmerzen drohten ihn zu übermannen, aber trotzdem stieß er wieder sein rauhes Lachen aus. Er bezwang das aufsteigende Schwindelgefühl und die Übelkeit, siegte über die tosende Schwärze, die ihm die Sinne rauben wollte, und richtete sich wieder auf. Noch konnte er kämpfen. Noch hielt seine rechte Hand einen Säbel, noch waren diese Schulter und dieser Arm gesund. Mit einem Streich schickte er einen Piraten auf die lange Reise über die dunkle Schwelle, warf den Kopf in den Nacken und stimmte in den wilden Ruf seiner Befreier ein. »Arwenack! Arwenack!« In das Klirren der Hieb und Stichwaffen und das Rasseln der Ketten, die die Sklaven noch an ihren Gliedmaßen trugen, fiel das Krachen von Schüssen. Einzelne Piraten versuchten, die wüst zuschlagenden Feinde durch konzentriertes Pistolen und Musketenfeuer zurückzudrängen. Aber bevor sie auch nur einen Mann fällen konnten, sprachen die Waffen der Gegner, puffte auch Pulverqualm von Dans Waffe oben vom Hauptmars der ›Isabella‹. Todesschreie gellten über das Deck der Galeere. Das Inferno war vollkommen. Philip Hasard Killigrews Männer kämpften mit einer Wildheit, wie sie die algerischen Piraten noch nie erlebt hatten. Der Tod der Aufseher und das Ende des meistgehaßten Mannes nach Uluch Ali, Hamra, waren nur der Auftakt zur totalen
Vernichtung gewesen. Bisher hatten die Piraten ungeschlagen durchs Mittelmeer kreuzen können, aber jetzt, heute, an diesem düsteren 4. Oktober 1580, hatten sie ihre Bezwinger gefunden. Sie waren vollends in die Reserve getrieben und hielten die Verteidigung nur noch mit größter Mühe. Dann trat etwas ein, das sie noch weiter demoralisierte. Ein großer Körper flog außenbords. Uluch Ali. Mit einem Klatscher landete er im Wasser. Es steckte kein Fünkchen Leben mehr in seinem zersäbelten Leib. Sein Gesicht war entstellt. Die Strömung griff nach ihm und trug ihn fort, hinaus in die höher und höher schlagenden Wogen. Hasard blickte ihm nach. Carberry, Ben und Shane waren neben ihm und hielten ihm eine Restgruppe von Gegnern vom Leib. Mittschiffs und weiter vorn räumten die Seewölfe unter Ferris, Smoky und Blacky mit den Piraten auf, die sich in Richtung Schanzkleid davonstahlen. Einer warf sich außenbords, wurde im Flug aber von Dan O’Flynns Musketenkugel erwischt und getötet. Einem Oberschlauen gelang der Sprung auf das Schanzkleid der ›Isabella‹. Er wollte auf die Kuhl springen und über das verlassene Oberdeck eilen, um sich entweder irgendwo zu verstecken oder gar das Schiff zu erobern. Pete Ballie stieß einen Fluch aus. Der Pirat tat noch drei Schritte, dann steckte Batutis Pfeil in seiner Brust. Röchelnd sank er zusammen. Der Sieg war Hasard und seinen Männern gewiß. In dem allseitig um sich greifenden Triumphgefühl begingen sie jedoch alle eine fatale Unterlassungssünde. Keinem fiel es ein, sich rechtzeitig um Salvador de Coria zu kümmern. Aber in diesem Augenblick kam wieder Leben in seine hagere Gestalt. *
Salvador de Coria streckte die Hand aus. Nicht weit von ihm entfernt lag ein Messer, das einer der sterbenden Piraten des Uluch Ali verloren hatte. De Coria berührte das Heft mit den Fingerkuppen. Er strengte sich an, reckte den Arm und konnte die Finger um den Griff schließen. Langsam, ganz langsam zog er die Waffe zu sich heran. Er preßte sie an sich, richtete sich auf und bemühte sich, auf dem schwankenden Schiffsdeck das Gleichgewicht zu halten. Er hob die Hand. Sie schwang hoch, die Klinge darin blinkte matt. »Verdammt!« schrie Carberry plötzlich, und dann noch: »Godefroy, Vorsicht!« Von Manteuffel zuckte zusammen. Hasard fuhr herum. Seine Männer reagierten ebenfalls und wandten blitzschnell die Köpfe. Doch keiner vermochte es zu verhindern. De Coria stieß zu. Er rammte seinem alten Todfeind das Messer von hinten zwischen die Rippen. Es war die verachtungswürdigste Art, einen Menschen zu töten, aber was einem echten Mann als niederträchtig und abscheulich erschien, war für einen de Coria Prinzip. Der Spanier hatte den Dolchstoß in den Rücken geführt und riß die Klinge wieder mit einem Ruck heraus. Vielleicht wollte er wieder zustechen. Vielleicht wollte er auch fliehen. Es ließ sich später nicht mehr feststellen. Von dem Augenblick an, in dem er zugestoßen hatte, lebte er nur noch vier Sekunden. Carberry sprang vor, schwang seine Axt und ließ sie auf den hinterhältigen Schuft niedersausen. De Coria schaffte es nicht mehr, sich dem neuen Gegner zuzuwenden. Die Axtklinge traf ihn mit voller Wucht. Sie trennte ihm den Kopf vom Rumpf. Als sein Leib den Boden berührte, war er bereits tot. Godefroy von Manteuffel war ebenfalls hingesunken. Er lag auf der Seite, stöhnte aber nicht. Nein, Himmel und Hölle, es stand sogar noch ein verbissenes Grinsen in seinem Gesicht. Die letzten lebenden Piraten retteten sich außenbords. Hasard
gab das Zeichen, nicht mehr auf sie zu feuern. Sie hatten ohnehin keine große Chance, noch lange Zeit am Leben zu bleiben. Aber offensichtlich zogen sie es vor, zu ersaufen, als von der ›Isabella‹-Crew niedergemetztelt zu werden. Hasard hob vorsichtig seinen Vater auf. Wieder war das Brennen in seinen Augen, das er schon bei Buck Buchanans Tod verspürt hatte. Dieses Mal sah er die Dinge um sich herum nur noch wie durch einen milchigen Schleier. Er schritt über den Laufsteg und hatte das Gefühl, auf weichem Moos zu gehen. Die Rudersklaven, die sich aus eigenen Kräften nicht hatten losketten können, wurden befreit. Um die Kettenreste der anderen würde sich Ferris Tucker später in Ruhe kümmern. Hasard trug seinen Vater zur Karavelle hinüber. Der Kutscher eilte ihnen nach und holte sie auf der Back der ›Isabella‹ ein. Hasard bemerkte ihn kaum. Er sah ihn erst richtig, als er seinen Vater über die Kuhl getragen hatte, und den Niedergang hinauf aufs Achterdeck. Vorsichtig bettete er ihn auf die Planken. Der Schleier vor seinen Augen wurde dünner, nur für eine Weile, und er erkannte den Kutscher. Der Kutscher schüttelte kaum merklich den Kopf. Da konnte er nicht mehr helfen. Hasard erwiderte nichts und gab durch keine Äußerung zu verstehen, ob er begriffen hatte. Sein Geist verschloß sich den Tatsachen, noch wollte und konnte er sie nicht hinnehmen. Der Riese Godefroy von Manteuffel richtete sich auf und lehnte sich gegen das Schanzkleid. Mit leuchtenden Augen sah er zu, wie die schwarze Galeere mehr und mehr Wasser übernahm und kläglich absoff. Ben Brighton und Ferris Tucker hatten die Karavelle inzwischen unterstützt von allen Männern wieder von der Galeere gelöst. Ferris gab durch einen Wink Bescheid, daß der Bug der ›Isabella‹ intakt war und kaum mehr als einen Kratzer davongetragen hatte. Godefroy von Manteuffel lächelte. Sein Gesicht schien in
diesem Moment wieder jung zu werden. Sein Sohn war bei ihm, das war das größte Geschenk, das ihm hatte zuteil werden können. Dagegen verblaßte alles - die lange Zeit der Fron, das Ende Uluch Alis und de Corias, der Untergang der Galeere. Godefroy schaute zu den Segeln hoch und dann nach Westen. Die See beruhigte sich wieder. Der Wind ließ nach, der Sturm lief nach Norden ab, um sich irgendwo anders auszutoben. Im Westen wanderte die Sonne als glutroter Ball der Kimm entgegen. Sein Blick erfaßte alles. Und er wußte, daß er jetzt Abschied nehmen mußte zu seiner letzten Reise. »Hasard«, sagte er leise. Hasard kniete bei ihm. »Vater mein Gott, sprich jetzt nicht. Du brauchst Ruhe und Pflege. Hier an Bord kriegst du alles, worauf du seit über zwanzig Jahren verzichten mußtest.« Er schluckte, das Sprechen fiel ihm schwer, er glitt immer wieder ins Stammeln ab. Der Ritter schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist nichts für mich, weißt du. Ich könnte mich - doch nicht mehr umgewöhnen.« »Sprich nicht so ...« »Ich bin glücklich. Alles ist vollbracht.« »Es warten noch Abenteuer auf uns beide«, erwiderte Hasard stockend. »Und ich habe dir viel zu erzählen.« Seine Rechte umschloß fest die Hand des Vaters. »Hör zu«, sagte Godefroy leise. »Etwas will ich dir noch mitteilen, bevor ich abtrete. Unterbrich mich jetzt nicht, Hasard. Ich weiß, wo der Schatz des Malteserordens liegt die Kriegskasse - ich weiß, daß sie existiert, irgendwo - im Mittelmeergebiet - und du, mein Sohn, du mußt sie suchen und finden ...« »Vater«, flüsterte der Seewolf. Das Lächeln des alten Mannes wurde dünn und zerbrechlich wie hauchfeines Glas, der Blick seiner eisblauen Augen verlor an Härte und schien in weite Ferne abzuschweifen. Er sah Hasard an und blickte doch schon durch ihn hindurch.
»Hast du - zugehört?« »Ja, Vater. Der Schatz. Die Kriegskasse. Im Mittelmeer.« »Dann ist es gut. Ich bin stolz ...« »Ich bringe dich jetzt in eine Kammer des Achterkastells«, sagte Hasard, und ihm war dabei, als würde der Klöppel einer schweren bronzenen Glocke in seinem Kopf bewegt. Es dröhnte, wollte seinen Schädel zerbrechen und den Geist in die Sphären des Übersinnlichen entlassen, denn er wehrte sich mit aller Kraft dagegen, die erschütternde Realität anzunehmen. »Gott segne dich, mein, mein Junge«, sagte der weißhaarige Riese, »ich gehe jetzt zu deiner - Mutter ...« Ganz langsam erlosch der Glanz in seinen Augen. Er sank zur Seite. Hasard fing ihn auf. Er kniete wie gelähmt und konnte keinen Gedanken fassen. Das Dröhnen in seinem Kopf ließ nach und schuf der Stille Platz Es waren die Zeichen des Todes. Die ›Isabella VII.‹ segelte westwärts, der untergehenden Sonne entgegen. Hasard hatte seinen Vater gefunden und wieder verloren. So hatte er sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt. Er blickte starr in die toten, wie aus Stein gemeißelten Züge. Sanft drückte er ihm die Augen zu. Er hob den Kopf und spürte, wie sich der Schleier vor seinen Pupillen allmählich wieder lichtete. Er sah Ben Brighton, Ferris Tucker, Carberry, die beiden O’Flynns, Big Old Shane, und er wußte, daß die Realität unabwendbar war. Stolz und Trauer waren in Philip Hasard Killigrew, Stolz über diesen wunderbaren Mann Godefroy von Manteuffel, den Ritter des Malteserordens, seinen leiblichen Vater. Trauer um das Verlorene. Aber langsam gewann eine Einsicht in ihm die Oberhand. Er mußte das Schicksal hinnehmen. Und da war noch etwas. Sein Vater durfte als freier Mann sterben. Das wog den Tod auf. Irgendwann würde Hasard mit seinem tiefen Schmerz fertigwerden.
John Curtis Rebellen zur See Sie hat etwas übrig für ihre Freibeuter, die königliche Lissy, helfen ihr doch diese verwegenen Männer, die ewigen Löcher im Staatssäckel zu stopfen und die eigene Schatulle aufzufüllen. Als Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, den Kaperbrief Ihrer Majestät, der Königin von England, in den Händen hält, weiß er, daß er dorthin segeln wird, wo es die fettesten Brocken zu holen gibt - in die Karibik. Aber eins weiß er nicht: daß Neider, Verräter und Intriganten ein Netz gesponnen haben, in dem er und seine Männer sich fangen sollen. Und wieder müssen sie England verlassen, um dem Kerker zu entgehen. Aber der Seewolf läßt mehr als nur England zurück - nämlich seine Frau Gwen und seine beiden kleinen Söhne Hasard und Philip ...