Atomphysik für jedermann 8) Materie und Energie Der große Physiker Albert Einstein (geb. 1879) hat am Anfang unseres Ja...
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Atomphysik für jedermann 8) Materie und Energie Der große Physiker Albert Einstein (geb. 1879) hat am Anfang unseres Jahrhunderts in seiner „Relativitätstheorie“ die Zusammenhänge zwischen Energie und Materie dargelegt. Aus der einfachen, fundamentalen Formel E = m • c2 geht hervor, daß die Erscheinungen der Energie und der Materie, die auf den ersten Blick offenbar so wenig miteinander zu tun haben, in einer ganz bestimmten Beziehung zueinander stehen. Materie und Energie lassen sich – zunächst wenigstens theoretisch – ineinander verwandeln. In dieser Formel bedeutet E die Energie, m die Masse (= Materiemenge) und c die Lichtgeschwindigkeit (= 300 000 km/sec). In der Atomphysik benutzt man als Einheit der Masse den „relativen Massenwert“, das ist der 16. Teil eines Sauerstoffatoms. Das Proton besitzt den relativen Massenwert 1,007 58, das Neutron 1,008 95. Ein Helium-Atomkern z. B. besteht aus 2 Protonen und 2 Neutronen, sein relativer Massenwert müßte also gleich 4,033 06 sein. Tatsächlich beträgt sein Gewicht aber nur 4,002 77 Masseneinheiten. Die fehlenden 0,030 29 Masseneinheiten sind bei der Bildung des Heliumkerns als Energie (Licht und Wärme) freigeworden. An diesem Beispiel erkennt man bereits, daß sich gewaltige Energiemengen gewinnen lassen, wenn atomare Prozesse in sehr großem Umfang stattfinden. Das überzeugendste Beispiel hierfür liefern die Vorgänge im Innern der Sonne und der Fixsterne. Fortwährend werden hier
Wasserstoffatomkerne zu Heliumkernen zusammengefügt – eine schier unversiegbare Quelle für die enorme Strahlungskraft dieser Himmelskörper. Doch nicht allein beim Aufbau schwerer Atomkerne aus leichteren kann Energie gewonnen werden, sondern auch bei der Spaltung schwerer Kerne. Wir haben das bereits bei der Besprechung der radioaktiven Elemente gesehen. Der Energiegewinn bei Kernspaltungsprozessen übersteigt millionenfach die Energiemengen, die durch normale Verbrennungsprozesse erzeugt werden. (Fortsetzung folgt)
UTOPIA-Kleinband – Jim Parkers Abenteuer im Weltraum Copyright by Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden). Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V. Gesamtherstellung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Gewerbsmäßige Weiterverbreitung dieses Heftes in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers zulässig. Gewerbsmäßiger Umtausch oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zum Schadenersatz. Scan by Brrazo 10/2010
DER ROTE PLANET Im neuesten UTOPIA-Heft treffen wir Kommodore Parker auf der Überfahrt zum Mars, dem roten Nachbarplaneten der Erde, wieder. Mars ist zwar sehr viel kleiner als die Erde, doch hat er in mancherlei Hinsicht Ähnlichkeit mit ihr. So hat er Atmosphäre und feste Oberfläche, sein Tag ist nur 37 Minuten und 23 Sekunden länger als der irdische, und sein Äquator ist um einen ähnlichen Betrag gegen seine Bahnebene geneigt, wie der Erdäquator gegen die Ekliptik. So kommt es, daß es auf Mars auch Jahreszeiten, wie bei uns, gibt. Nur sind sie länger als die irdischen; denn das Marsjahr zählt nicht weniger als 687 Erdentage. Die Nordhalbkugel des Planeten hat lange, kühle Sommer und kurze, milde Winter. Auf der Südhalbkugel sind die Winter lang und kalt, die Sommer dagegen kurz und warm. Im ganzen liegen die Temperaturen allerdings tief unter den irdischen; denn Mars ist mit seinen 278 Millionen km Abstand fast doppelt so weit von der wärmespendenden Sonne entfernt wie die Erde. Nur am Äquator steigen die Mittagstemperaturen bis zu 20 Grad Celcius an. Für einen Beobachter auf Mars sieht der Sternhimmel genau so aus, wie wir ihn von der Erde aus gewohnt sind. Die Sonne, am Tageshimmel, hat zwar einen anderthalbmal kleineren Durchmesser, aber am Nachthimmel würden wir alle vertrauten Sternbilder unverändert wiederfinden. Einiges wäre allerdings anders. So würden wir einen unbekannten, strahlenden Abendund Morgenstern wahrnehmen – so hell, daß sein Licht Schatten werfen könnte. Dieser helle Stern wäre die Erde, unser Heimatplanet. Den Erdmond würden wir am Marshimmel, wenigstens mit bloßem Auge, vergeblich suchen. Dafür hat Mars gleich mit
zwei Monden aufzuwarten, die jedoch winzig klein sind. Beide umkreisen den Planeten fast genau über dem Äquator. Phobos und Deimos (= Furcht und Schrecken) hat man die beiden Begleiter des „Kriegs“planeten sehr sinnig getauft. Der entferntere von ihnen, Deimos, verändert seinen Ort am Himmel nur langsam. Er braucht für eine Umkreisung des Mars fast 30 Stunden und 18 Minuten und erscheint dabei kaum größer als Venus am Erdhimmel. Anders Phobos, der innere Marsmond, der für eine Umkreisung nur 7 Stunden und 39 Minuten braucht. Er läuft mehr als dreimal so schnell um den Planeten, wie dieser sich um seine Achse dreht. Für einen Beobachter auf Mars geht daher Phobos nicht im Osten sondern im Westen auf. Auf seiner Wanderung zum Zenit nimmt er scheinbar zweieinhalbfach an Fläche zu – eine Folge seines überaus geringen Abstands von Mars –, um dann beim Abstieg zum Osthorizont wieder zusammenzuschrumpfen.
Von Alf Tjörnsen
Wie aus einem furchtbaren Fiebertraum war Orion-City zur Wirklichkeit zurückgekehrt. Wer an diesem strahlend hellen Morgen als Fremder durch die breiten Straßen der Atomstadt gefahren wäre, der hätte nichts mehr von dem Schrecken jener Tage gespürt, als die glühenden Wolken der Vernichtung über Forschungsstätten und Wohnvierteln hingen, als die unheimliche „Weltenmacht Urania“ Tod und Verderben über die City ausschüttete. Aus den Tiefen des Weltalls war diese Macht gekommen – anfangs verlacht, doch plötzlich furchtbare Wirklichkeit. Sie hatte dem Staatlichen Atom-Territorium ein Ultimatum gestellt, hatte von ihm verlangt, den Plan der großen Mars-Expedition für immer zu begraben. Und sie hatte mit kosmischen Waffen zugeschlagen, als man ihre Forderungen nicht erfüllte. Geheimnisvolle Flugkörper waren am Himmel erschienen. Schattenhafte Wesen aus einer anderen Welt erschreckten die Bewohner der Stadt. Wohnblocks, Hochhäuser und Fabrikanlagen gingen in Flammen auf. Hart waren die Verluste, die der 6
Bevölkerung entstanden. Das Schicksal Orion-Citys schien besiegelt … … bis Kommodore Parker auf dem Plan erschien und dem Spuk ein Ende bereitete. Orion-City atmete auf. Noch war die Gefahr nicht endgültig gebannt. Der unbekannte Gegner, der sich hinter der „Weltenmacht Urania“ verbarg, war für dieses Mal geschlagen worden. Er hatte sich in den Weltraum zurückgezogen, aus dem er gekommen war. Vielleicht würde er wiederkommen. Doch die Menschen der Atomstadt kümmerte das nicht. Mit der unbeugsamen Vitalität, die den Bewohnern dieser jüngsten Stadt und modernsten Großstadt des Erdballs eigen war, hatten sie sich an den Wiederaufbau herangemacht. Zusehends verschwanden die Spuren der Unglückstage, neue Bauwerke wuchsen allerorts zum Himmel empor. Ted S. Cunningham, das gewichtige Oberhaupt des S.A.T. * , strahlte wie der runde Vollmond. Er war stolz auf seine Mitbürger, auf ihren unerschütterlichen Lebenswillen. „Prächtige Kerle“, sagte er zu Oberst Mortimer, dem dürren Sicherheitschef, der neben ihm im Fond des offenen Wagens saß und die Augen überall umherschweifen ließ. Sie hatten an diesem Morgen eine Besichtigungsfahrt durch die am schwersten betroffenen Stadtteile unternommen, um sich persönlich ein Bild vom Stand der Wiederaufbauarbeiten zu machen. Und dieses Bild übertraf ihre höchsten Erwartungen. Dem langen Oberst war ganz feierlich zumute. „Und neues Leben blüht aus den Ruinen“, murmelte er leise. „Ahem“ – der dicke Atomboß räusperte sich und blickte seinen Sicherheitshäuptling mißtrauisch von der Seite an – „was ist denn mit Ihnen los, Mortimer? Sind Sie unter die Dichter gegangen?“ *
S.A.T. = Staatliches Atom-Territorium der USA
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Der Lange grinste. „Sorry, Boß. Das Zitat stammt leider nicht von mir, ist aber trotzdem gut. Ein gewisser Schiller …“ „Kenne ich nicht. Ist mir noch nie vorgestellt worden.“ „Das glaube ich Ihnen aufs Wort, Boß. – Doch – hallo, was ist denn da drüben los?“ Cunningham ließ den Fahrer halten. Vor dem notdürftig reparierten Schaufenster im Redaktionsgebäude des „Daily Star of Orion-City“ drängte sich eine bunte Menschenmenge vor den neuesten Depeschen, die mit wuchtigen Lettern ausgehängt waren. Ein junger Arbeiter in blauem Dreß buchstabierte laut: „Neue Signale aus dem All! Das Marsvolk in höchster Gefahr. Jim Parker läßt Raumschiffgeschwader I und II auf Höchstgeschwindigkeit laufen.“ „Jim Parker!“ Überall in der Menge klang der Name des kühnen Sternenfahrers auf. Wenn es für die unbekannten Brüder auf dem fernen Planeten noch eine Rettung gab – der Kommodore allein konnte sie bringen. Jim Parker war unterwegs zum Mars … „Three cheers for Jim Parker!“ * Jim Parker unterwegs zum Mars! Mit zwei Geschwadern zu je vier Raumschiffen jagte der Kommodore durch die Leere des Alls. Weit voraus lag das Flaggschiff, die „Europa“. Ihr folgten, schräg gestaffelt, die Schiffe „Io“, „Nereide“ und zuletzt der „Triton“, der unter dem Kommando Horst Fischers stand. In tausend Meilen Abstand eilte das zweite Geschwader, in gleicher Stärke und Marschordnung, hinterher. Auf einen Betrachter aus großer Entfernung hätten die Fahrzeuge einen seltsamen Eindruck gemacht: Es waren keine schnittigen, granatenförmigen Raketen, sondern 8
plump wirkende Gebilde in Eiform, mit einem breiten Ring von Antennen um das Mittelteil. „Varras-Raumer“ hießen diese Schiffe in der Fachsprache; denn ihre Motoren gingen auf eine geniale Idee Professor Varras’ zurück, dem es gelungen war, die enorm energiereiche Weltraumstrahlung für den Antrieb von Planetenschiffen nutzbar zu machen. Fahrzeuge dieser Art schöpften ihre Antriebsenergie gewissermaßen aus dem Weltraum, und das befähigte sie dazu, auch die entferntesten Ziele im Sonnensystem zu besuchen. Ihr einziger Nachteil war bisher gewesen, daß sie nur geringe Geschwindigkeiten erreichten und daher lange Fahrtzeiten benötigten. Dieser Mangel hatte den erfinderischen Varras nicht ruhen lassen. Er entwickelte ein neues SuperTriebwerk, mit dem das S.A.T. ein erstes und zweites Raumgeschwader probeweise ausgerüstet hatte. Mit gerunzelter Stirn blickte Jim Parker auf die wenigen Worte, die der letzte Notruf der Marsbewohner enthielt. Diese Planetenbewohner – wer und was sie auch immer sein mochten – befanden sich in äußerster Gefahr, hart bedrängt von der gleichen „Weltenmacht Urania“, die mit ihren überlegenen Vernichtungswaffen noch vor ein paar Tagen Orion-City fast vom Erdboden vertilgt hätte. Die Signale kamen auf optischem Wege, in einer Art Bilderschrift. Wohlweislich hatte der Kommodore jedem seiner Schiffe eine Photokopie des „Lexikons zur interplanetarischen Verständigung“ mitgegeben. Es war das Werk Professor Solomons, des umstrittenen Marsforschers, der von jeher von der Existenz einer Marsmenschheit überzeugt gewesen war * . „Helft uns – wir sind in höchster Gefahr – rettet uns, ihr Bewohner des Erdsterns!“ Stumm gab der Kommodore die Meldung an Fritz Wernicke weiter, der im Führerraum des Flaggschiffes am Steuer saß. Wie von der Tarantel gestochen, fuhr er hoch. *
siehe UTOPIA, 38. Band: „Signale aus dem All“
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„Erde, Mars und Venus! Ja, zum Donnerwetter, Jim, was können wir denn nur machen?“ „Hätten wir planmäßig abfahren können …“ Jim Parker zuckte die Achseln. „Leider haben uns die ‚Uraniden’ mit ihrem niederträchtigen Angriff auf die City alle Berechnungen über den Haufen geworfen. Inzwischen hat Mars seinen Abstand vergrößert …“ „Leider, Jim, leider. Wie lange werden wir im günstigsten Fall brauchen?“ „Wenn wir das Äußerste aus den Maschinen herausholen – genau 81 Tage.“ „81 Tage? O weh!“ Der kleine Wernicke zog gedankenvoll eine flache Whiskyflasche aus der Tasche seiner Kombination und nahm einen kräftigen Schluck. „Und warum fahren wir noch immer nicht mit voller Kraft?“ „Mein lieber Fritz, dieses neue Triebwerk ist vorläufig eine Rechnung mit lauter Unbekannten. Unser Tempo liegt schon hart an der Grenze des Erlaubten.“ „Stimmt, Kommodore.“ Sommerfeld, der leitende Ingenieur, war in den Führerstand getreten und wies mit besorgter Miene auf das Armaturenbrett. Die Zeiger der Thermometer und Geschwindigkeitsanzeiger krochen bedenklich über die roten Marken hinaus, die Gefahr bedeuteten. Ein harter, verkrampfter Ausdruck trat in Jim Parkers Züge. Wortlos trat er an das Schaltbrett, überprüfte noch einmal rasch die Instrumente und legte ein paar Hebel um. Ein Ruck ging durch das Schiff und ließ die Männer zurücktaumeln. „Bravo, Jim!“ frohlockte der Steuermann. „Mars ahoi! Wir kommen!“ Der Kommodore stand bereits am Bordmikrophon. Rasch stellte der Funker die Sprechverbindung mit der „Thetys“, dem Führerschiff des zweiten Geschwaders, her. Drüben meldete sich eine bedächtige Stimme: 10
„Hier spricht Henkels, what’s the matter?“ „Hier Parker. Käpten Henkels, gehen Sie sofort mit allen Schiffen auf Höchstgeschwindigkeit.“ Der alte „Seebär“ schien nicht verstanden zu haben. „Höchstgeschwindigkeit? Ja, aber …“ „Kein Aber, Käpten. Führen Sie den Befehl aus.“ „Jawohl, Kommodore. Ist ja auch egal – die Sache geht so oder so schief.“ Das sollte wohl scherzhaft gemeint sein, aber es klang seltsam gepreßt und unfrei. Jim Parker lauschte dem Klang der Worte nach. „Was soll das heißen, Henkels?“ „Mußten wir ausgerechnet an einem Freitag starten, Kommodore?“ Jim glaubte, nicht recht verstanden zu haben. „Sie sollten sich schämen, Käpten Henkels. Für Aberglauben ist in der Raumfahrt kein Platz. Und nun los, Mann: Drehen Sie auf, sonst holen Sie uns im Leben nicht mehr ein.“ „Alte Unke, dieser Henkels“, knurrte Wernicke. „Mensch, Jim, warum hast du diesen Klabautermann bloß mitgenommen?“ „Henkels ist ein tüchtiger Kapitän, Whiskytöter. Du weißt selbst, daß wir durch die überstürzte Indienststellung der neuen Varras-Raumer etwas knapp mit geeigneten Schiffsführern geworden sind. Der Gute ist zwar zuweilen etwas schwerfällig, aber …“ „Meldung von ‚Luna nova’, Kommodore.“ Edgar Townsend, der Jim bei diesem Unternehmen als Adjutant zugeteilt war, trat ein und reichte ihm eine Depesche. „Ausgezeichnet! Nicholson teilt mit, daß das dritte Geschwader um 7.30 Uhr Stationszeit befehlsgemäß ‚Luna nova’ verlassen habe.“ „Auf geht’s!“ Fritz Wernicke hätte fast einen Salto gemacht. „Mars ahoi! Wir kommen!“ 11
* Eintönig und rot dehnten sich die Wüsten des Mars. Blaugrün schimmerten am Horizont dunklere Flächen, hier und dort lief eine flache Hügelwelle durch das trostlose Bild eines öden, verdurstenden Planeten. Als milchige, zerfaserte Schleier hingen vereinzelt Wolken in der dünnen Luft … Hundert Kilometer über dem Boden des Planeten kurvte träge ein riesiger Flugkreisel. Es war ein merkwürdiges Zwischending aus planvoll technischer Konstruktion und phantastischem Bauwerk, so, als sei er dem Hirn eines fieberkranken Giganten entsprungen. Auf den ersten Blick hätte man ihn vielleicht für eine übergroße Fliegende Untertasse von Anno dazumal halten können. Doch die unverständlichen Aufbauten in der Achse des Kreisels schienen jeder vernünftigen Erklärung hohnzusprechen. In einem kreisrunden Innenraum des Flugapparats hockte unbeweglich eine Gestalt vor dem Bildschirm eines hochentwickelten Fernsehgeräts. Aufmerksam musterte der Einsame die Landschaft des roten Planeten, die sich langsam vor seinen Blicken abrollte. Niemand hätte zu sagen vermocht was im Innern dieses Mannes vorging. Niemand bekam ihn je zu Gesicht – Kawa-al, den Herrn der Weltenmacht Urania, ihn, „der wieder aus den Sternen kam“ … In der gelbroten Tiefe regte sich etwas. Kawa-al regulierte die Feineinstellung. Ein Bild erstand vor seinen Augen, das einen irdischen Betrachter vielleicht an graue Vorzeiten erinnert hätte, an Pyramidenbau und die Entstehung der Chinesischen Mauer, an Frondienst und Sklaverei. In der Wüste unter dem Flugkreisel lag eine Art Oase, eine schmutzigbraune Fläche, aus der Fördertürme in großer Zahl emporragten. Und rings um diese Anlage wuchsen Mauern und 12
Kuppeln empor – ein raffiniertes Verteidigungssystem, zu dem das Baumaterial von weit her transportiert wurde. Ein Heer schmächtiger Gestalten, von rohen Aufsehern erbarmungslos angetrieben, schuftete bis zur äußersten Erschöpfung in Staub und Sonnenglut. Ein fahles Blinklicht zuckte an der Wand des Rundraumes. Kawa-al schaltete den Stationsfernseher ein. Das Bild des Kapitäns Oshigawa, der den Flugkörper befehligte, leuchtete auf. „Eine wichtige Nachricht, Herr“, lächelte der Kommandant und verneigte sich tief vor Kawa-al, den er von seinem Standort in der Zentrale aus nicht sah. „Soeben verlassen vier weitere Raumschiffe größten Typs die Außenstation der Erde. Sie folgen den beiden vorausgefahrenen Geschwadern mit Kurs auf Mars.“ „Beobachtet ihre Bewegungen genau.“ Kawa-al schaltete ab. Das lächelnde Gesicht Oshigawas, des im Dienste Uranias stehenden Japaners, verblaßte. Der Herr der Uraniden mußte gewaltsam ein unheimliches Gefühl unterdrücken, das er nie zuvor empfunden hatte. Der dort kam, aus den sonnennahen Bereichen des Erdplaneten, war der große, unerschrockene Sternenfahrer – das einzige lebende Wesen im All, das Kawa-al fürchtete. Doch er fuhr in sein Verderben. Weit draußen im Raum lauerte der äußere Sperrgürtel der Uraniden. Und sollte es ihm – allen Erwartungen zum Trotz – dennoch gelingen, den Verteidigungsring der mächtigen Flugkreisel zu durchbrechen, so würde er den Strahlungen des „inneren Ringes“ nicht entgehen. Das letzte Verteidigungssystem, das dort unten, in den Wüsten des Mars, entstand – es würde kaum noch zum Einsatz kommen müssen … Der Herr Uranias wandte sich ab. In seinen Augen glomm ein böses Feuer. *
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Auf „Luna nova“, der Außenstation der Erde, flammten die Scheinwerfer und Signallampen. Draußen im Raum, tausend Meter von der Peripherie des Riesenrades entfernt, lösten sich die Kolosse der vier letzten Transportschiffe von ihrem kosmischen Liegeplatz. Langsam, unendlich langsam, wie es den Zurückbleibenden erschien, nahmen sie Fahrt auf. Allen voran das Führerschiff des dritten Geschwaders, die „Titania“. Hinter ihr „Oberon II“, „Ariel“ und „Umbriel“. Jedes der plumpen, eiförmigen Fahrzeuge hatte außer einer zehnköpfigen Stammbesatzung siebzig Freiwillige an Bord – eine internationale Legion ausgewählter, junger Idealisten, die sich zum Kampf für die Befreiung des bedrohten Marsvolkes gemeldet hatten. Sie folgten dem Ruf aus dem All mit stürmischer Begeisterung. Und wenn es etwas gab, das ihrer Stimmung einen Dämpfer aufsetzen konnte, dann war es nur die Angst, zu spät zu kommen. Denn mit genau 48 Stunden Vorsprung war der Kommodore mit den Geschwadern I und II von „Luna nova“ aufgebrochen. Und dank den überlegenen Triebwerksleistungen seiner Schiffe würde Jim Parker diesen Vorsprung noch weiter vergrößern. Kapitän Robert Nicholson, der Befehlshaber des Transportgeschwaders, war sich darüber im klaren. Abweichend von der Fahrtroute, die Jim Parker eingeschlagen hatte, wählte er den denkbar kürzesten Weg, der in seinem Fall möglich war. Noch im Bereich von „Luna nova“ ließ er alle Maschinen mit äußerster Kraft laufen. In den Beobachtungsräumen, an den Bullaugen der Kammern und Rundgänge drängte sich die Besatzung der Außenstation. Sie winkte den Raumern nach, die mehr und mehr an Geschwindigkeit gewannen. Manch einer der Männer wünschte inbrünstig, mit dabei sein zu dürfen, wenn die große Entscheidung gegen die unheimliche Weltenmacht Urania fiel. 14
Fahl sprühte Feuer aus den Heckdüsen der Raumschiffe. Kleiner wurden sie, schmolzen zu Lichtpunkten zusammen, die im Gewimmel der Sterne untertauchten und schließlich verschwanden … Rötlich und drohend strahlte der ferne Planet Mars. * Langsam, unmerklich fast, schlichen die Tage dahin und tropften ins Meer der Unendlichkeit. Unbeirrt verfolgten die Raumgeschwader des Kommodores ihre Bahn durch das Nichts. An Bord ereignete sich nichts, das den eintönigen Dienst unterbrochen hätte. Die Eintragungen im Logbuch der „Europa“ lauteten knapp und wußten von keinen besonderen Vorkommnissen zu berichten. 10. Reisetag: Fahrtverlauf wie vorgesehen. Maschinen halten durch, trotz bis aufs Äußerste gesteigerter Triebwerksleistung. An Bord nichts Neues. 30. Reisetag: Starker Schauer kosmischer Strahlung brachte Varras-Triebwerke in Gefahr. Einbau besonderer Sicherungsvorrichtungen und Verbesserung des Kühlsystems erscheint für künftige Zwecke unerläßlich. An Bord alles wohl. 55. Reisetag: Nicht identifiziertes Objekt (großer Meteorstein oder feindlicher Flugkörper?) – durch Radarpeilung festgestellt – trieb mit großer Geschwindigkeit backbord vorüber. Sonst nichts Neues. 63. Reisetag: Die Geschwader holen auf. Haben bereits dreimal 24 Stunden Fahrtzeit eingespart. Vom Feind noch immer keine Spur. An Bord alles wohl. Der Kommodore hatte im Verlauf der langen, eintönigen Reise an Bord sämtlicher Schiffe einen strengen Wachdienst durchführen lassen. Man befand sich auf Feindfahrt, und der Gegner 15
war tückisch und verfügte über technische Mittel, die den Ingenieuren der Erde noch manches Rätsel aufgaben. Es war am 69. Tag der Reise, als der Ausguck an Bord der „Europa“ eine wichtige Entdeckung machte. Er hatte gerade die Planetenscheibe, die unmerklich größer und heller geworden war, mit seinem lichtstarken Teleskop durchmustert, als sein Blick von einer Erscheinung nahe dem 70. südlichen Breitengrad gefesselt wurde. „Kommodore, der Mars! Er sendet eine neue Botschaft!“ Mit zwei, drei raschen Schritten war Jim Parker am Okular. Seine Finger hantierten an der Einstellung. „Townsend – schnell, das Lexikon!“ Auf dem hellen Wüstenboden der Landschaft Thule II standen dunkel und verschwommen die gewohnten Bildzeichen der Marsschrift. Vermutlich hatte man sie diesmal durch Rauch hervorgerufen. Es verging immerhin eine gute halbe Stunde, bis Jim und Townsend sich über die Bedeutung einig waren. „Steuert Südpol an. Beeilt euch!“ „Nett von den Jungens“, rief Fritz Wernicke gönnerhaft. „Hätten sie uns nicht mehr rechtzeitig den Weg gezeigt, wären wir natürlich prompt am Äquator gelandet, im Mare Cimmerium.“ „Das werden wir auch nach wie vor tun, mein lieber Alter“, lächelte Jim hintergründig. „Ja, aber – das verstehe ich wirklich nicht.“ „Du wirst es bald genug begreifen, Fritz. Schätze, daß diese Botschaft eine Falle ist.“ „Aber welches Interesse hätten unsere Freunde auf Mars daran, uns irrezuführen?“ „Vermutlich gar keins. Wenn mich nicht alles trügt, verdanken wir den gütigen Hinweis den – Uraniden. Kommen Sie, Townsend. Die Freiwache nach Schleusenkammer B!“ Durch das Schrillen der Alarmglocken, das Trappeln eilender 16
Schritte vernahm man Fritz Wernickes mißtrauische Frage: „Was soll das heißen, Jim? Willst du aussteigen?“ „Kann mich beherrschen, Whiskytöter. Habe nur eine nette, kleine Überraschung für unsere Freunde, die ‚Uraniden’, im Sinn. Erinnerst du dich an unseren prächtigen, kleinen RobotRaumgleiter?“ „Donnerwetter, Jim, das gibt ’nen Spaß!“ Zwanzig Minuten später löste sich ein dickleibiges, doch ungemein schnelles Raketenfahrzeug – mit allerlei geheimnisvollen Apparaten befrachtet – vom Rumpf der „Europa“ und steuerte in kühner Bahn direkt auf die rötliche Scheibe des Mars zu. * „Al-Ango erwartet euch im Saal des grünen Lichts.“ Die Gestalt, die diese Worte sprach, verneigte sich tief und ließ die drei ernsten, würdigen Männer vorbeigehen, die schweigend in der Vorhalle gewartet hatten. Gemessenen Schrittes wandten sie sich einer Tür im Hintergrund zu, die sich wie von Geisterhand vor ihnen auftat. Von einem flachen Sitz in der Mitte des Saales erhob sich ein hagerer, schlicht gekleideter Greis. Seine Züge drückten Kummer und Sorge aus, als er mit einer stummen Gebärde die Eingetretenen zum Sitzen aufforderte. Seine Stimme zitterte leicht, als er in einer klangvollen, vokalreichen Sprache begann: „Ich habe euch rufen lassen, meine Freunde – vielleicht zum letzten Male. Unsere unbarmherzigen Feinde bedrängen uns hart. Laßt uns darüber beraten, welche Wege uns noch offenbleiben zu unserer Verteidigung.“ „Ich sehe keinen Weg mehr“, rief einer der Männer verdrossen. „Wir haben uns gewehrt, so gut wir konnten. Die Überlegenheit unserer Gegner ist zu groß.“ „Die Stellungen in Hesperia sind vor wenigen Stunden vom 17
Feinde überrannt worden“, fiel ein anderer ein. Er trug eine Art Uniform mit fremdartigen Rangabzeichen. „Ich mußte den Befehl zur Räumung von Eridania geben, sonst wären unsere letzten Außenposten abgeschnitten worden.“ „Wie groß waren unsere Verluste?“ fragte Al-Ango ruhig, doch konnte er einen Ausdruck von Angst nicht ganz verbergen. „Wir hatten nur wenige Tote. Der Feind setzte wieder seine Strahler ein, die unsere Männer lähmten und betäubten. So fielen sie ihm lebendig in die Hand.“ „Um ihm als Sklaven zu dienen für seine barbarischen Pläne“, rief der dritte erbittert. „Diese elenden, kulturlosen Bestien!“ Al-Ango gebot ihm, zu schweigen. „Wir dürfen uns nicht ereifern, meine Freunde. Das trübt uns den Blick. Wir müssen unsere Lage klar überblicken.“ „Unsere Lage läßt sich mit wenigen Worten beschreiben“, ergriff der Uniformierte wieder das Wort. Er deutete auf den spiegelnden Boden, auf dem plötzlich, wie aus dem Nichts hervorgezaubert, eine Karte der Marsoberfläche erschien, die genau das Gebiet zwischen Äquator und 40 Grad Süd, seitlich vom 200. und 260. Längengrad begrenzt, abbildete. Mit der Rechten umschrieb er ein längliches, dunkler gefärbtes Gebiet. „Mare Cimmerium. Unter seiner Oberfläche erstreckt sich die Hauptstadt des ‚Reiches ohne Sterne’, unserer Heimat. Sie ist das letzte, das uns geblieben ist.“ „Wie lange noch?“ rief der erste Sprecher leidenschaftlich. „Wie oft wird die Sonne noch aufgehen über den Wüsten des Mars, bis der letzte seiner Bewohner den grausamen Feinden erlegen ist?“ „Wir sind nicht allein, meine Freunde. Es gibt noch andere Wesen im All. Denkt an den fernen Erdstern. Er wird uns Hilfe senden.“ Der andere lachte spöttisch auf. „Al-Ango ist sehr weise, 18
aber er ist ein Träumer. Wenn der Erdstern uns wirklich Hilfe schicken wollte, so hätte er längst Gelegenheit dazu gehabt.“ „Du urteilst ungerecht, mein Freund“, erwiderte Al-Ango geduldig. „Die Bewohner der Erde wurden von der gleichen Macht angegriffen, die auch uns bedroht. Ihr Fahrzeug, das uns Hilfe bringen sollte, wurde zur Umkehr gezwungen. Die Wahrnehmungen unserer Himmelsbeobachter weisen darauf hin.“ Ein sanfter Gongschlag unterbrach Al-Angos Rede. Der Alte erhob die Hand. Wie aus der grünen Dämmerung des Hintergrundes herausgewachsen, stand plötzlich ein Mann vor ihm. Er verneigte sich ehrerbietig, übergab Al-Ango eine Meldung und verschwand so rätselhaft, wie er gekommen war. Der Alte betrachtete das Blatt mit gerunzelter Stirn. Doch plötzlich hellten sich seine Züge auf. Mit fast jugendlicher Elastizität erhob er sich. „Eine frohe Botschaft, meine Freunde. Unsere Brüder im All haben uns nicht vergessen. Das Hauptobservatorium meldet, daß acht Schiffe von der Erde her im Anflug sind. Sie sind schon ganz nahe. Ehe der Mond Phobos fünfmal unseren Planeten umrundet hat, werden sie hier sein. Auf, meine Freunde! Laßt uns die Retter würdig empfangen!“ * „Mensch, Jim, dein Robot-Gleiter hat es wirklich in sich. Das Ding entwickelt sich ja einfach phänomenal.“ Fritz Wernicke stand vor den Anzeigegeräten im Funkraum der „Europa“, die ausschließlich die Messungen und Wahrnehmungen jener unbemannten, ferngelenkten Rakete wiedergaben, die der Kommodore vorsichtshalber zum Mars vorausgeschickt hatte. Der Distanzmesser zeigte zwölf Marsradien Abstand von der Planetenoberfläche an. Jim, der am Schaltpult saß, ließ durch Funkkommando die Bremsdüsen des Raumglei19
ters anlaufen. Die Fernanzeige registrierte sofort das Sinken der bisher sehr hohen Fahrtgeschwindigkeit. Behutsam korrigierte Jim die Flugbahn des Robotfahrzeugs, die jetzt In scharfer Krümmung auf das Südpolargebiet des Planeten hinwies. Auf dem Bildschirm des Fernsehempfängers rollte flackernd und rot ein Ausschnitt der Marsoberfläche heran, von grünlichgrauen Flächen durchzogen. Für Augenblicke glaubte das Auge, ein Netzwerk dunkler Linien wahrzunehmen: Kanäle – sollten sie doch Wirklichkeit sein? Aber das Flimmern des Bildes ließ keine klare Deutung zu. Dort, wo der Südpol liegen mußte, gleißte ein grellweißer Kreis mit ausgefransten Rändern. „Ob das wohl Eis ist?“ fragte Nielsen, der Funker, der hinzugetreten war., Jim Parker hob die Schultern. „Eis, wie an den Polen unserer heimatlichen Erde, wohl kaum. Mars ist viel zu wasserarm, um dicke Eisschichten zu haben.“ „Dann also Schnee.“ „Das ist wahrscheinlicher. Schnee oder Reif. Die Schicht kann ohnehin nur dünn sein; denn im Frühling schmilzt die weiße Pracht schnell dahin.“ „Wir werden uns bald persönlich davon überzeugen können“, erklärte Fritz Wernicke überzeugt. „Wenn wir erst einmal gelandet sind, machen wir ’ne große Schneeballschlacht. Erstes gegen zweites Geschwader, S.A.T. gegen Urania, oder was ihr sonst wollt.“ „Ich fürchte, Whiskytöter, aus diesen winterlichen Freuden wird fürs erste nichts“, lächelte der Kommodore grimmig. „Mach dich lieber auf ein Sonnenbad am Äquator gefaßt.“ „Ja, wieso denn? Wollen wir denn wirklich nicht am Südpol landen? Der letzte Notruf …“ „… war, wie du nun gleich sehen wirst, ein Bluff. Da – gib einmal genau acht, mein Alter.“ Jim Parker ließ den Kleinen an das Okular eines starken Elektronenteleskops treten. Durch das Blickfeld schob sich 20
langsam der Körper des Robot-Gleiters. Plötzlich sprühten Funken und dünne Strahlen seitwärts aus seinem Rumpf, verteilten sich wirbelnd ringsum im Raum. „He, Jim, was ist denn das für ein Feuerwerk?“ „Eine kleine Kriegslist, die ich mir noch vor unserer Abfahrt von ‚Luna nova’ ausgedacht hatte. Nach unseren bisherigen Erfahrungen mit den ‚Uraniden’ scheinen sich diese Burschen weniger auf die visuelle Beobachtung zu verlassen, als auf Radar-Verfahren. Ich habe daher für alle Fälle seitliche Düsen in den Robot-Gleiter einbauen lassen, durch die flüssiges Metall verspritzt werden kann.“ „Ich ahne, worauf du hinauswillst, Jim. Du hast also gewissermaßen einen Köder ausgeworfen.“ „Man könnte es so nennen. Da – die Fische beißen schon an.“ Die Elektronenoptik zeigte noch immer das kleine Robotfahrzeug, umgeben von einer Wolke wirbelnder Metallfäden. Und plötzlich wuchsen von allen Seiten schemenhafte Gebilde aus dem Nichts, Flugkreisel in allen Größen und Ausführungen. Immer mehr wurden es. Sie umkreisten das Gebilde von Menschenhand in engen Kurven und schienen unschlüssig, wie sie sich verhalten sollten. „Eine ganz schöne Sammlung, Jim“, staunte Fritz Wernicke. „Die sollten uns also auflauern.“ „Ganz recht. Anscheinend haben die ‚Uraniden’ einen regelrechten Sperrgürtel um den Planeten gelegt. Wir wären in eine schlimme Lage geraten. Aber jetzt sind sie die Dummen.“ Jim langte zum Schaltpult hinüber. Schwer umkrampfte seine Faust einen roten Hebelgriff. Ein Schatten legte sich auf seine Züge. Fritz Wernicke wurde aufmerksam. „Was gibt es, Jim? Ist dir nicht gut?“ Der Kommodore schien ihn nicht zu hören. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Stockend kamen die Worte: „Es ist 21
mir im tiefsten Herzen zuwider – stets ist es mein Grundsatz gewesen, das Leben zu schonen – auch das des Feindes, wo es nur möglich war. Aber hier – geht es nicht. Wir haben es mit Gegnern zu tun, die kein Erbarmen kennen. Entweder sie – oder wir!“ Mit einem Ruck legte er den Hebel um. Die Wirkung war ungeheuerlich. Der Robot-Gleiter zersprang in fürchterlicher Explosion. Und die feindlichen Flugkreisel, die ihn in Scharen umschwärmten, schienen jäh aus ihrer Bahn geworfen zu werden. Und plötzlich glühten sie auf – einer nach dem anderen – in grünlichem, verzehrendem Feuer. „Der Weg ist frei, Kameraden!“ Jim Parkers Stimme klang heiser. „Nielsen – Befehl ans zweite Geschwader: Fahrtgeschwindigkeit weiter drosseln! Fritz, löse Townsend im Führerstand ab. Wir steuern die Bahn des Phobos an.“ * Was war das für ein seltsamer Himmelskörper, der da in fast 6000 Kilometer Höhe über den Mars dahinzog – mit stets gleichbleibender Geschwindigkeit von Westen nach Osten – in einer Bahn, die beinahe genau den Äquator des Planeten umspannte? Er mochte einen Durchmesser von rund 16 Kilometer besitzen und wirkte – von außen betrachtet – grau, wüst und erstorben. Doch wem es vergönnt gewesen wäre, einen Blick unter seine rauhe, felsige Oberfläche zu tun, der wäre höchst erstaunt gewesen. 22
Denn das Innere des Körpers war weithin von Gängen und Räumlichkeiten durchzogen, die auf Schritt und Tritt eine planvolle, wenn auch auf den ersten Blick unverständliche Anlage verrieten. Hier hatte das Wirken technisch hochbegabter Wesen der Natur nachgeholfen. Und diese Wesen erfüllten all die geheimnisvollen Räume mit einer schattenhaften, unbegreiflichen Betriebsamkeit. Was war das für ein Himmelskörper? War es eine Art kosmischer Außenstation, von Mars-Ingenieuren errichtet, als Sprungbrett für Fahrten in den Raum? Doch das schien wenig wahrscheinlich, wenn man die wüste Oberfläche des Gebildes betrachtete, die ihm eher das Aussehen eines Planetoiden oder eines anderen kosmischen Trümmerstückes verlieh. Tief im Innern des Körpers aber stand in einem großen, oval geformten Saal Kawa-al – „Er, der wieder aus den Sternen kam“ –, der Herr der „Uraniden“. Er stand vor einer BreitwandProjektionsfläche, die eine Hälfte der Wand fast völlig umspannte. Der Raum lag in einem ungewissen Dämmerlicht, das nur undeutlich an der gegenüberliegenden Wand ein großes Schaltbrett mit zahlreichen geheimnisvollen Geräten und Tasten erkennen ließ. Unbeweglich verfolgte Kawa-al das phantastische Bild, das sich auf der Projektionswand darbot. Er sah, wie die Flugkreisel seines äußeren Sperrgürtels draußen im Raum der List seines Gegners zum Opfer fielen, wie sie aufglühten und zerschmolzen im höllischen Atomfeuer. Er, der noch vor kurzem Erde und Menschheit bedroht hatte – er mußte es erleben, wie diese selben Menschen ihn durch das Weltall von Stern zu Stern jagten, wie sie seine Abwehr zerschlugen und unaufhaltsam vorwärts drangen. Wieder fiel den Mächtigen eine lähmende Angst an. Ja, er hatte Angst – nicht vor den Menschen an sich und vor ihrer Technik, der er sich überlegen wußte. Aber vor dem einen, dem kühnen Sternenfahrer, dem Kommodore des Weltraums … 23
Unaufhaltsam? Kawa-al riß sich zusammen. Ein böses Lächeln glomm in seinen Zügen. Noch war er nicht besiegt. Noch verfügte er über Mittel, die der Gegner nicht kannte. Er durchschaute die Absicht des Kommodores. Und er war entschlossen, sie zu durchkreuzen. Eine Bewegung zum Schaltbrett hin – ein Druck auf einen Knopf. Auf einem Bildschirm erschien ein anderer Raum des geheimnisvollen Körpers, mit Apparaten aller Art vollgepfercht. Darin ein Mann mit intelligentem Gesicht, mit einem langen Arbeitsmantel bekleidet. „Ibara!“ Beim Klang des Namens zuckte die Gestalt zusammen und trat eilfertig vor ein Mikrophon. „Ich höre, Herr.“ „Ibara – der Feind hat den äußeren Ring unserer Abwehr vernichtet: Er beendet sich im Anflug auf den roten Planeten.“ „Das – kann doch nicht sein, Herr! Unsere Gegner müssen mit gewaltiger Übermacht nahen.“ „Unsinn! Sie kommen mit ganzen acht Schiffen. Unsere Abwehr fiel einer Kriegslist zum Opfer.“ „Und – was soll nun geschehen?“ „Die Erdbewohner können nicht mit ihren Weltraumschiffen landen. Sie werden in eine Kreisbahn um Mars einlenken um von dort aus ihre geflügelten Landungsboote hinabzulassen. Dabei werden sie in unsere Nähe kommen.“ „Ich verstehe, Herr. Das wird ihr Schicksal besiegeln. Keiner von ihnen wird der Macht des inneren Sperrgürtels entrinnen.“ Kawa-al überlegte. Nach einer Weile meldete er sich wieder. „Sollte doch ein Schiff durchkommen, Ibara, dann bleibt uns immer noch die Abwehr auf Mars selbst. Gib den Befehl an alle Bodenstationen durch: Die Besatzungen gelandeter Raumschiffe sind gefangenzunehmen und sofort nach Thule II zu schaffen. Und nun – schalte den Strahler ein!“ 24
Ein tiefes Summen ertönte. Es ließ den Himmelskörper bis in seine entferntesten Ecken vibrieren. * „Kriegsplanet – wir kommen!“ Das war der Schlachtruf, der sie beseelte – die 280 Freiwilligen der Erde, die ausgezogen waren, um die bedrohten Brüder auf Mars zu retten. Junge, ausgewählte, begeisterte Männer aus allen Ländern des Erdballs fieberten dem Augenblick entgegen, da sie den Boden des roten Planeten betreten sollten. Mit Höchstgeschwindigkeit eilten die riesigen Transporter des dritten Raumgeschwaders durch das All. Doch viel zu langsam für die Ungeduld der Besatzungen. Dem armen Käpten Nicholson klangen die Ohren von den ewig wiederholten Fragen: „Schaffen wir’s noch, Käpten?“ „Wird uns Kommodore Parker noch Arbeit übriglassen – bei dem Vorsprung, den er hat?“ „Glauben Sie, daß die Marsmenschen durchhalten, bis wir kommen?“ Nicholson hatte ganz andere Sorgen. Die Funkverbindung mit den Schiffen des ersten und zweiten Geschwaders wollte absolut nicht klappen. Mit Spannung erwartete der Kapitän neue Befehle Jim Parkers, aber die „Europa“ schwieg. Sie antwortete auch nicht auf Anruf. Mochte der Teufel wissen, was für Mächte da ihre Hand im Spiel hatten. . Nur ein einziges Mal war ein kurzes Gespräch mit Kapitän Henkels vom zweiten Geschwader zustande gekommen. Sein Inhalt war seltsam genug. „Hallo, Nicholson, was führt Sie zu mir?“ „Was ist los bei Ihnen, Henkels? Ich versuche seit Tagen und Wochen vergeblich, Sie zu erreichen. Was macht die ‚Europa’? Wie ist die Lage?“ 25
„Alles okay, Kamerad. Stehen schon dicht am Zielplaneten. Die Landung wird bestens gelingen …“ „Woher wissen Sie das so genau?“ „Mein Horoskop sagt es. Hören Sie nur: ‚Sie werden eine große Reise ausführen, an deren Ende eine freudige Überraschung steht! – Ich bin nämlich ein ‚Steinbock’, müssen Sie wissen.“ „Ein Steinbock? Schätze, Sie sind ein Rindvieh“, entfuhr es dem verblüfften Nicholson. Aber da war die Verbindung schon wieder abgerissen. Das war einen Tag vor der Vernichtung des äußeren Sperrgürtels der Uraniden gewesen. Seitdem herrschte wieder das große Schweigen des Weltalls. Unter den siebzig freiwilligen Weltraum-Legionären, die sich an Bord des Führerschiffs „Titania“ befanden, war auch der junge Gerhard Schäffer. Mit Ungeduld sah er der Ankunft auf Mars entgegen. In seinem Herzen brannte die Sorge um seinen Freund Jörg Lorenz, den die Uraniden entführt hatten * . Es zuckte in seinen Fäusten, wenn er an den Tag dachte, an dem er mit den Feinden abrechnen könnte. Gerd Schäffer saß in einer Ecke des großen Gemeinschaftsraums und hielt eine Art Tagebuch auf den Knien, in das er eifrig Eintragungen kritzelte. Er blickte erst auf, als ein Schatten über das Papier fiel. „Nanu, Kamerad – schreibst du etwa Liebesbriefe?“ Der junge Mann, der das sagte, war blaß und sommersprossig, und eine Strohgelbe Mähne zierte sein Haupt. Gleich allen anderen Freiwilligen trug er die wenig kleidsame, aber ungemein praktische gelbfarbige Kombination der „Mars-Legion“ des S.A.T. Schäffer war ihm schon des öfteren an Bord begegnet, ohne jedoch bisher mit ihm bekannt zu werden. Ärgerlich blickte er auf. Doch das verschmitzte Lächeln im *
siehe UTOPIA, 39. Band: „Angriff auf Orion-City“
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Gesicht des anderen ließ ihn die scharfe Erwiderung herunterschlucken, die ihm schon auf der Zunge lag. „Ich – ich schreibe für die Presse“, sagte er nur. „Oh …“ Der Strohblonde zog die Augenbrauen hoch. „Dann sind wir ja Kollegen. Kummer ist mein Name. Friedolin Kummer, von der Terra-Presseagentur. Für wen arbeitest du denn, Kamerad? Gewiß für die amerikanische Konkurrenz?“ Gerd Schäffer errötete. „Nein – ich schreibe nur für den ‚Oberfränkischen Landboten’. Mein Vater ist Inhaber des Blattes.“ „So, so“, grinste Friedolin anzüglich. „Seit wann interessieren sich die Heimatblättchen für Marsexpeditionen und Weltraumfahrt? Ich dachte, ihr beschäftigt euch nur mit Berichten über die Fahnenweihe der Feuerwehr von Hintertupfing und ähnlich aktuelle Vorkommnisse.“ Gerd fühlte sich in seinem Stolz getroffen. „Du unterschätzt die Ansprüche unserer Leser. Der ‚Landbote’ ist stets bemüht, das große Weltgeschehen in spannenden Tatsachenberichten zu bringen.“ „Und auf welchem Wege erreichen ihn deine ‚spannenden Tatsachenberichte?“ „Nun, ich führe ein gewissenhaftes Tagebuch, und nach unserer Rückkehr vom Mars …“ „… interessiert sich auf der Erde kein Mensch mehr für deine ollen Kamellen – nicht einmal in Hintertupfing; denn jedermann kennt längst die aktuellen Berichte, die Friedolin Kummer von der Terra-Agentur tagtäglich direkt von Bord der ‚Titania’ zur Erde gefunkt hat.“ „Ach – so machst du das?“ Gerd Schäffer sah aus wie der berühmte Lohgerber, dem die Felle davongeschwommen sind. „Ja, wie denn sonst? Na, Kleiner, nun weine man nicht gleich. Komm, ich mache dich mit Wolfe, dem Bordfunker, bekannt. Sicher stellt er dir seinen Klapperatismus auch mal zur Verfügung.“ 27
„Donnerwetter! Du bist ein feiner Kerl, Friedolin.“ Als die beiden ungleichen Kollegen in den Hauptgang traten, stolperte gerade ein Raumschiffmatrose vorbei. Er schien furchtbar erregt zu sein. „Kapitän Nicholson! Schnell, in den Führerstand! Eine wichtige Beobachtung.“ Friedolin nickte seinem Begleiter bedeutungsvoll zu und folgte dem Kommandanten unbemerkt. Das Betreten des Führerraums war Unbefugten natürlich streng verboten, aber in diesem Augenblick schenkte niemand den beiden jungen Männern auch nur die geringste Beachtung. Zum ersten Mal in seinem Leben betrat Gerd Schäffer das Allerheiligste eines Weltraumschiffs. Aber er sah nicht die sinnverwirrende Fülle der Instrumente, die nüchterne Sachlichkeit der Formgebung. Er sah nur die Projektionsfläche der Elektronenoptik und auf ihr die rötliche, kreisrunde Scheibe des Zielplaneten. Und plötzlich erkannte er im Vordergrund acht winzig kleine Lichtpunkte. „Das erste und zweite Geschwader“, rief Kapitän Nicholson. „Sie setzen zum Landungsmanöver an. Aber – Hölle und Teufel! – da stimmt doch etwas nicht …“ * Der Kriegsplanet! Horst Fischer, der Kommandant des „Triton“ im ersten Weltraumgeschwader des S.A.T. starrte fasziniert auf das mächtige rötliche Rund der Marslandschaft, die auf ihn zurollte und fast schon die Hälfte des Gesichtsfeldes ausfüllte. Ihr Widerschein waberte gespenstisch in der Dämmerung der kleinen Beobachterkammer. Was würde sie dort unten erwarten, in den trostlosen Wüsten 28
des lebensfeindlichen Gestirns? Kamen sie noch zur rechten Zeit, um das bedrohte Marsvolk zu retten? Was für Gefahren mochten ihnen noch durch die geheimnisvollen Uraniden drohen? Horst Fischer stellte das Weitwinkelteleskop ein. Da, in geringem Abstand von ihm, fuhren die anderen Raumer: „Nereide“, „Io“ und – an der Spitze der Formation – Jim Parkers „Europa“. Ein Blick zurück unterrichtete Horst Fischer davon, daß auch das zweite Geschwader im Anflug war. Es folgte in geringer Entfernung. „Befehl vom Kommodore.“ Ein Matrose reichte ihm eine Meldung hin. Fischer überflog sie und stürzte in den Führerstand. „Alarm! Alle Mann auf Station! Klar zum Bremsmanöver!“ Es galt jetzt, die noch immer hohe Fahrtgeschwindigkeit des Schiffes so weit zu vermindern, daß es – ohne weiteren Antrieb – in einer Kreisbahn in 1000 Kilometer Höhe über dem Marsäquator verbleiben würde. Erst wenn das gelungen war, konnte das Ausbooten der Mannschaft, und damit die eigentliche Landung, beginnen. Horst Fischer übernahm selbst das Steuer. Geschickt ließ er die Bremsdüsen spielen. Plötzlich zuckte er zusammen. Schräg voraus schwebte ein wildzerklüfteter Himmelskörper heran, wuchs rasch an Umfang und näherte sich bedrohlich … „Ach ja“, lächelte Fischer, „das ist Phobos, der innere Marsmond. Sieht ziemlich unfreundlich aus, der alte Knabe. Hallo – was ist denn das?“ Unvermittelt fing der „Triton“ an zu bocken. Das Schiff gehorchte der Steuerung nicht mehr. Vor den Bullaugen drehte sich in mörderischem Taumel der Himmel mit all seinen Sternen vorbei. Blutrot schob sich der Rand des Planeten ins Gesichtsfeld … Kalter Angstschweiß drang dem Piloten aus allen Poren. Ein 29
furchtbarer Schwindel packte ihn. Seine zitternden Finger krallten sich um das Steuer. Wir stürzen ab – irgend etwas Unbegreifliches ist passiert – wir stürzen – es ist aus … Es würde noch Minuten dauern. Vielleicht … Horst Fischer stemmte sich hoch, taumelte zum Fenster – und schloß entsetzt die Augen. Vor ihm – die drei Schwesterschiffe des „Triton“ – eben noch in wohlausgerichteter Marschformation – sie torkelten, sich überschlagend, durcheinander – antriebs- und steuerlos … Da vorn – das mußte die „Europa“ sein. Das Schiff schien sich wieder zu fangen. Feuer schlug aus sämtlichen Düsen. Schlingernd ging es in eine Bahn über, die in flachem Bogen zur Marsoberfläche hinabführte. Jetzt mußte es in die Atmosphäre eingetaucht sein. Die Außenhaut glühte dunkelrot in der Reibungshitze auf. Hinterher! Wo Jim Parker einen Weg fand, mußte es auch für ihn einen geben. Horst Fischer griff und zog sich wieder zum Führersitz hin und schnallte sich an. Tapfer kämpfte er das würgende Schwindelgefühl nieder. Er war entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. „Heckdüsen – volle Kraft!“ Sein Kommando gellte ins Mikrophon. Ein kräftiger Ruck erschütterte das Schiff. Fischer griff verbissen in die Steuerung. Gott sei Dank – der „Triton“ gehorchte dem Ruder wieder. Feuersprühend schoß er hinter der „Europa“ her. Hinab zum Mars … * „Heckdüsen stop! – Achtung – festhalten! – Bremsschirm raus! – Bremsdüsen volle Kraft!“ Scharf und präzis kamen die Befehle des Kommodores, der sich im Führerstand der „Europa“ festgekrallt hatte. Seine Augen flackerten umher zwischen Radargerät, Armaturenbrett und 30
Bugfenster, durch das mit atemberaubender Schnelligkeit eine rot im Sonnenlicht leuchtende Marslandschaft herangeschossen kam. Er hatte das Unmögliche gewagt, hatte das plumpe Raumfahrzeug, das weder Tragflächen noch aerodynamische Profile besaß, kurz entschlossen in die Marsatmosphäre hineingesteuert – auf Biegen oder Brechen. Es war ihm keine andere Wahl geblieben. Jetzt mußte er sehen, wie er die Landung zustande brachte. Und es gelang. Ein letztes, schrilles Kommando. Fritz Wernicke, der verkrampft am Steuer saß, schloß die Augen und zog den Kopf ein. Ein furchtbarer Aufprall – ein Bersten und Krachen, als ginge das ganze Schiff in Trümmer – irgendwo ein gellender Aufschrei – ein dumpfes Stöhnen … Und dann Stille … Fritz Wernicke war der erste, der wieder zum Leben erwachte. Vorsichtig reckte und streckte er sich. Der Kopf schmerzte ihm, und alle Gliedmaßen schienen irgendwie durcheinandergeraten. Instinktiv griff er in die Seitentasche und langte die unvermeidliche Whiskyflasche heraus. Er nahm einen herzhaften Schluck. Ah – das tat gut! Nun sah die Welt schon anders aus. Der kleine Steuermann sah sich in der Kabine um. Was war das für ein rötlicher Schimmer, in dem alle Gegenstände glänzten? Ach ja – man war auf Mars gelandet. Es war das Tageslicht des fremden Planeten. Auf dem Boden regte sich etwas. Es war Jim Parker, der stöhnend die Augen aufschlug. Rasch war Wernicke bei ihm und half ihm auf. „Bist du verletzt, Jim?“ „Glaube nicht, Fritz. Bei allen Planeten – das war die verrückteste Landung, die wir je riskiert haben. Ein Wunder, daß wir’s überlebten. Was machen die anderen?“ Es zeigte sich bald, daß die ganze Besatzung der „Europa“, von einigen Beulen und Schrammen abgesehen, glimpflich davongekommen war. Weniger gut hatte das Raumschiff selbst 31
die Bruchlandung überstanden. Die „Europa“ besaß zweifellos nur noch Schrottwert. Die Außentür der Luftschleuse war verklemmt. Mit Atombrennern schnitten sie ein Loch in die Schiffswand. Jim Parker zwängte sich als erster hindurch und sprang hinab. Tief sank er ein in dem feinkörnigen, rotgelben Sand des Planeten.
Nur für einen Augenblick durchzuckte ihn ein triumphierendes Gefühl, wie es der Bergsteiger empfinden mochte, der einen bislang unbezwungenen Gipfel erklomm, wie er selbst es kannte von seinen Entdeckungsfahrten im All. Doch schon meldeten sich Zweifel. Mars war mit intelligenten Lebewesen bevölkert. Zumindest gab es hier zwei Parteien, die miteinander im Kampf standen. Waren er selbst und seine Begleiter wirklich die ersten Erdenmenschen auf diesem Planeten? Oder waren andere vor ihnen dagewesen? Das S.A.T. war nicht die einzige Organisation auf Erden, die sich mit Raumschifffahrt befaßte. Ein lauter Ausruf Fritz Wernickes riß ihn aus seinen Gedanken. Der kleine Weltraumpilot war neben ihm in den Sand gesprungen und deutete nun mit ausgestrecktem Arm auf eine Bodenwelle, die unweit ihres Landeplatzes den Gesichtskreis abgrenzte. 32
„Jim – ich will mein Leben lang Limonade saufen, wenn das nicht der ‚Triton’ ist.“ Es war der „Triton“, der da drüben in den Dünen lag, halb versunken im tückischen, rötlichen Sand. Viel war allerdings von dem stolzen Planetenschiff nicht übriggeblieben: ein Wrack aus zerbeultem Blech, daraus Flammen hervorzüngelten. „Schnell, Leute! Bringt Atombrenner mit!“ Seltsam verändert klang die sonst so kraftvolle Stimme des Kommodores in der Luft des Mars. Diese Luft war dünn, wie auf den Gipfeln sehr hoher Berge, aber sie ließ sich wenigstens atmen. Die Männer keuchten heran. Zwei, drei Atombrenner traten in Aktion. Ihre grünlichen Flammen fraßen sich in die verbogenen Wände des gestrandeten Raumriesen. „Vorsicht, meine Herren! Wenn die Treibstofftanks explodieren …“ Professor Bergende, der die Marsreise als „Fachmann für interplanetarische Verständigung“ an Bord der „Europa“ mitgemacht hatte, wich ängstlich zurück. „Da kann nicht viel explodieren“, tröstete ihn Jim Parker. „Diese Varras-Raumer führen nicht viel Treibstoffe mit. Sie erzeugen sie während der Fahrt selbst – nämlich aus kosmischer Strahlung. Das ist ja gerade der Witz bei diesen neuen Triebwerken. Hallo, Leute, seid ihr fertig?“ Aus der Schiffswand löste sich ein kreisrundes Blechstück und fiel in den Sand. Bläulicher Rauch quoll aus der Öffnung. Fritz Wernicke stärkte sich noch einmal aus der stets griffbereiten Whiskyflasche. Dann band er sich einen Schal um den Mund und kroch in das Schiff, augenblicks gefolgt von dem unerschütterlichen Townsend. Es war noch keine halbe Stunde seit der Landung vergangen, als auch der letzte Mann der „Triton“-Besatzung geborgen war. Alle hatten Rauchvergiftungen davongetragen, doch war keiner der zehn ernstlich verletzt worden. 33
* Die Sonne neigte sich bereits zum westlichen Horizont, als der Kommodore mit einem kleinen Spähtrupp vom Landungsplatz aufbrach. Nur Wernicke, Townsend und Professor Bergenda begleiteten ihn. Jim schärfte Kapitän Fischer noch einmal größte Vorsicht und Wachsamkeit ein. „Wir tappen einstweilen völlig im finstern, Fischer. Niemand weiß, was aus den sechs anderen Schiffen geworden ist. Wir müssen aber mit ihrem Totalverlust rechnen. Das würde bedeuten, daß wir – wenigstens bis zum Eintreffen des Transportgeschwaders – ganz auf uns allein angewiesen wären. Wir dürfen uns auf keinen Fall überrumpeln lassen, dürfen nicht einen einzigen Mann verlieren. Ist das klar?“ „Okay, Kommodore.“ „Bleiben Sie mit Ihren Leuten möglichst an Bord, bis wir zurück sind. Keiner soll sich so weit vom Schiff entfernen, daß ihm die anderen im Notfall nicht zu Hilfe kommen könnten. Seien Sie auf alle Überraschungen gefaßt – auch auf die unmöglichsten.“ „Jawohl, Kommodore. Sie können sich auf mich verlassen.“ „Das weiß ich, Fischer. Leben Sie wohl.“ In der rasch hereinbrechenden Nacht verschwanden die vier Männer in dem dürren Gestrüpp, das den Boden der Wüste nach Norden hin überwucherte. * Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatte es sich an Bord der Transporter bald herumgesprochen: Irgend etwas mußte den Schiffen des Kommodores zugestoßen sein. Vermutungen schwirrten umher. Fragen wurden laut, sobald Kapitän Nichol34
son oder einer der anderen Offiziere sich blicken ließ. Aber sie zuckten nur die Achseln und hüllten sich in Schweigen. Robert Nicholson rechnete insgeheim mit dem Schlimmsten. Er zweifelte nicht mehr daran, daß das erste und zweite Geschwader einer geheimnisvollen Katastrophe zum Opfer gefallen waren. Keine Spur der Schiffe war mehr zu entdecken, kein Anruf hatte Erfolg. Die Verantwortung für das ganze Marsunternehmen ruhte jetzt allein auf seinen Schultern … Und diese Verantwortung bedrückte den jungen Kommandanten schwer. Sollte er – was immer auch geschehen sein mochte – seinen Auftrag zu Ende führen und dabei riskieren, daß auch seine Schiffe – und mit ihnen die Stammbesatzungen und 280 Freiwilligen – bei Annäherung an den „Kriegsplaneten“ vernichtet würden? Oder sollte er an die Sicherheit seiner Männer denken und – kurz entschlossen – zur Erde zurückkehren? Schneller als erwartet wurde Nicholson aus diesem Dilemma befreit, als ein Funkspruch einging, der kurz und bündig lautete: „Kommodore an ‚Titania’: Transportschiffe werden auf Mars nicht mehr benötigt. Sofort nach ‚Luna nova’ zurückkehren. Parker.“ Kopfschüttelnd betrachtete Nicholson die Meldung. Warum gab der Kommodore keine Begründung für seinen Befehl? Was bedeuteten die Worte „nicht mehr benötigt“? Der Kommandant ließ die Freiwilligen in der Messe der „Titania“ zusammenkommen. Mit knappen Worten erklärte er die neue Lage. Ein allgemeiner Tumult brach los. Im Lärm und Geschrei der enttäuschten Legionäre schaffte sich Friedolin Kummer Gehör. Er war auf einen Tisch gestiegen und ruderte mit den Armen in der Luft herum. „Kapitän!“ gellte sein Ruf. „Kapitän, dieser Befehl kommt nie und nimmer vom Kommodore. Jim Parker hätte auf jeden Fall die Tagesparole oder eine Geheimnummer angegeben.“ „Thunderstorm!“ Verblüfft las Nicholson die Meldung 35
nochmals durch. Sollte die Depesche gefälscht sein – eine Kriegslist des Gegners? Wieder rauschte das Durcheinander der Stimmen an sein Ohr. Der junge Gerd Schäffer machte sich zum Sprecher für alle. „Eine Schiebung der Uraniden ist das, und sonst gar nichts. Der Kommodore braucht uns. Los, Kapitän – lassen Sie aufdrehen, was das Zeug hält.“ Mit der äußersten Kraft ihrer Rückstoßmotoren rasten die Raumtransporter dem Kriegsplaneten zu. „Zum Mars! Zum Mars!“ brüllten die Männer begeistert. * Auf dem Landeplatz der „Europa“ lastete die Nacht des fremden Planeten. Voll von rätselhaften Dingen war diese Nacht, und die Wachtposten, die Horst Fischer in der Schleusenkammer aufgestellt hatte, rissen ihn alle naselang aus dem Schlaf, weil sie verdächtige Geräusche und Bewegungen in der Dunkelheit wahrzunehmen glaubten. Es war jedesmal blinder Alarm gewesen. Schließlich wurde es dem Kommandanten zu dumm. Er nahm Nachtglas und Atombrenner vom Haken und ging in die Luftschleuse, um zusammen mit den Kameraden zu wachen. Die Nacht war klar und kalt. Bitterkalt sogar. Eine unendliche Sternenpracht flimmerte am Firmament. Leise sang der Nachtwind und wirbelte den feinen Sand in dünnen Schleiern hoch. „Käpten, da – ein Flugkörper! Eine Fliegende Untertasse!“ Aufgeregt zeigte einer der Wachtposten nach dem Westhorizont, wo ein helles Scheibchen, rund ein Drittel so groß im Durchmesser wie der Mond am Himmel der Erde, über den flachen Hügeln emporstieg und langsam zwischen den Sternbil36
dern nach Osten wanderte. Fischer riß das Marineglas vor die Augen, ließ es aber gleich wieder sinken. „Das ist kein Flugkörper, Jungens. Es ist Phobos, einer der beiden Marsmonde.“ „Aber er ist ja im Westen aufgegangen.“ „Das ist so seine Art. Es liegt an seiner großen Umlaufgeschwindigkeit. Phobos ist … Hallo, was war denn das? Hat mich da jemand angerempelt?“ Die beiden Matrosen zuckten verständnislos die Achseln. „Wir waren doch gar nicht in Ihrer Nähe, Käpten. Au, verflucht – Hilfe!“ Entsetzt starrte Fischer auf die beiden Männer, die sich plötzlich wie in Krämpfen am Boden wanden, sich verzweifelt gegen irgend etwas zu wehren schienen, das sie erwürgen wollte. Fischer wollte ihnen zu Hilfe eilen, doch da fühlte auch er sich plötzlich von unsichtbaren Polypenarmen umfangen. Sie preßten ihm die Arme an den Körper, griffen nach seiner Kehle … Mit einem beinahe tierischen Aufschrei riß er sich los. Da – der Knopf der Alarmanlage! Er stieß die geballte Faust hinein. Sirenen heulten auf. Grelles Licht durchflutete die Kammer. Schlaftrunken torkelten Matrosen herein, mit schußbereiten Waffen in den Händen. Ihre Augen, in denen das Grauen stand, starrten auf das phantastische Bild. Graue, schattenhafte, durchscheinende Wesen krochen überall herum. Wie Schlangen ringelten sich ihre Fangarme in die Luft und an den Wänden empor. Sie zerrten an den Körpern der beiden Wachtposten, die jetzt wie leblos dalagen, schoben sie gegen die Öffnung der Außentür und stießen sie hinaus. „Feuer!“ gurgelte Horst Fischer mit versagender Stimme. Die Mündungen von sieben, acht Atombrennern flammten auf. Grünliche Strahlen fauchten in die schattenhaften Knäuel hinein. Doch immer neue Unwesen quollen von außen herein. Im Wirbel des spukhaften Geschehens entdeckte Fischer 37
plötzlich eine schattengleiche, doch menschenähnliche Gestalt, die seitwärts im Rahmen der Außentür kauerte. Mit ihren riesengroßen Augen schien sie die Scharen zu lenken. Fischer hob die Waffe, zielte kurz und drückte ab. Mit einem furchtbaren, tierhaften Klagelaut sank die Gestalt in sich zusammen. Im gleichen Augenblick erstarb der Angriff der polypenhaften Schattenwesen. Alles Leben schien aus ihnen gewichen zu sein. Die Besatzung der „Europa“ konnte sie ungefährdet anfassen und über Bord befördern. „Luken dicht!“ befahl Horst Fischer und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn. „Und setzt Signale, damit der Kommodore gewarnt wird, wenn er zurückkommt.“ Der Kommodore … Wo mochte er jetzt sein? Womöglich war er diesen teuflischen Bestien in die Fänge geraten – er und seine Begleiter. Würde er jemals zurückkehren? Horst Fischer trat einen Kontrollgang durch alle Räume der „Europa“ an. Er prüfte jede Einzelheit und überzeugte sich, daß die Besatzung auf dem Posten war. Nun, hier an Bord war man fürs erste sicher. Ein rhythmisches Hämmern an der Außenwand. Das konnte nur der Spähtrupp Jim Parkers sein, der Einlaß begehrte. Plötzlich verstärkte sich das Pochen bis zur Unerträglichkeit. Das häßliche Geräusch berstenden Metalls klang dazwischen. Beunruhigt stürzte Fischer ans nächste Bullauge … … und er fühlte, wie ihm der Herzschlag stockte. Das waren nicht Jim Parker und seine Männer. Es waren – Roboter! Seelenlose Maschinenmenschen, die – gelenkt von einer unsichtbaren Kraft – ihr furchtbares Zerstörungswerk am Wrack der „Europa“ begannen. Und wieder heulten in allen Räumen die Alarmsirenen … *
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„Scheint ’ne verdammt öde Gegend zu sein, Gentlemen. Nichts als Grünkohl und Kaktus. Das reinste Vegetarier-Paradies.“ Mißmutig stapfte Fritz Wernicke durch die Nacht, die vom Sternenlicht der beiden kleinen Marsmonde nur matt erhellt wurde. Die Sache mißfiel ihm außerordentlich. Auch seinen Gefährten kam sie nicht geheuer vor. „Ich verstehe das nicht“, meinte Professor Bergenda und zog fröstelnd die Schultern zusammen. „Nach unseren bisherigen Erfahrungen hätten wir annehmen müssen, daß hier alles von kriegerischen Gestalten wimmeln müßte. Statt dessen ist es wie ausgestorben.“ „Wer weiß, in was für einen verrufenen Winkel wir geraten sind“, murmelte Wernicke düster. „Das kann ich dir ziemlich genau sagen.“ Jim Parker ließ seine Taschenlampe aufblitzen und zog eine Marskarte aus der Tasche. „Wir müssen uns am Südrand des Mare Cimmerium befinden, hart an der Grenze von Electris.“ „Mare Cimmerium?“ Edgar Townsend mischte sich lebhaft ein. „Das ist doch die Gegend, aus der uns die ersten Notrufe des Marsvolks erreichten.“ „Ja, eben. Die Richtung stimmt jedenfalls. Weiter also!“ Sie mochten etwa zwanzig Schritte weitergegangen sein, als ein entsetzter Aufschrei aus dem Munde Fritz Wernickes sie jäh anhalten ließ. Der kleine Steuermann, der vorausgegangen war, war wie von der Oberfläche verschwunden. Jetzt klang sein Schimpfen irgendwo dumpf aus dem Boden heraus. Im Schein der aufflammenden Taschenlampen fanden sie rasch die tiefe Grube, in der Wernicke versunken war. Der Kommodore entrollte bereits das Seil, das er lose über der Schulter trug. Plötzlich fühlte er sich von hinten gepackt und festgehalten. Irgend jemand zog ihm einen Sack über den Kopf, der seine Arme unbeweglich an den Körper drückte. Jim hörte das Trappeln zahlloser, flinker Schritte. Er hörte Kommandorufe 39
in einer fremden, aber ungemein klangvollen Sprache. Dann fühlte er sich vorwärts gestoßen und fügte sich resigniert in das Unvermeidliche. „Denen sind wir schön in die Falle gegangen“, knirschte er erbittert. „Anfänger, die wir sind“, klang es kläglich aus Wernickes Mund. * Als Jim Parker aus seiner Vermummung befreit wurde, glaubte er zuerst, in einem phantastischen Traum zu leben. Der große, von hohen Säulen getragene Raum war fast leer. Nur ein sanftes, goldgelbes Licht, dessen Ursprung nicht zu entdecken war, erfüllte ihn ganz und gar. Staunend sah Jim sich um. Er bemerkte, daß seine Kameraden, die man gleich ihm von den Fesseln befreit hatte, nicht minder verblüfft waren. Plötzlich erklangen dicht vor ihnen einige Worte in der gleichen seltsamen Sprache, die sie schon bei ihrer Gefangennahme vernommen hatten. Vor ihnen stand ein Mensch. Er war schlank und höchstens mittelgroß und von schwer bestimmbarem Alter. Die klaren, grauen Augen, mit denen er die Gefangenen musterte, verrieten Weisheit und Güte – aber auch eine seltsame, tiefe Müdigkeit. Der Fremde wandte sich jetzt wieder seinen Begleitern zu – zwei jüngeren Männern in gelblichen Uniformen. Erregt sprach er auf sie ein. In diesem Augenblick mischte sich ein anderer in ihr Gespräch: Professor Bergenda! Abermals glaubte Jim Parker zu träumen. „Was soll das heißen, Professor? Verstehen Sie diese Leute denn?“ „Ich kann mich recht gut mit ihnen verständigen. Schließlich ist es seit meiner frühesten Jugend mein Steckenpferd gewesen, alle Möglichkeiten einer Verständigung zwischen 40
Bewohnern verschiedener Planeten zu erforschen. Rein theoretisch habe ich mich dabei auch mit den Möglichkeiten einer Marssprache befaßt – unter der Annahme natürlich, daß die Marsbewohner von ähnlicher Beschaffenheit seien, wie wir Erdenmenschen. Jetzt sehe ich, daß ich auf dem richtigen Wege war.“ Eine Weile noch ging das Frage-und-Antwort-Spiel in der unverständlichen Sprache weiter. Dann trat der Fremde auf Jim Parker zu, umarmte ihn und sagte feierlich ein paar Worte. „Was meint er, Professor?“ Bergenda übersetzte: „Seid willkommen im ‚Reich ohne Sterne’, meine Freunde. Al-Ango grüßt die Retter seines Volkes, die tapferen Abgesandten des Erdsterns.“ Jim Parker dankte höflich, kam dann aber ohne weitere Umschweife auf den Zweck seiner Marsreise zu sprechen. Der Professor machte den Dolmetsch. Was der Kommodore über die Lage auf Mars erfuhr, klang höchst beunruhigend. Zweifellos war höchste Eile geboten. „Ich bitte dich, Al-Ango, unverzüglich einen Kriegsrat einzuberufen. Doch zuvor will ich noch meine Kameraden und einiges Gerät von Bord unseres Raumschiffes holen.“ „Sage mir, wo dein Schiff liegt. Ich werde Boten dorthin entsenden.“ „Wir sind im nördlichen Grenzgebiet von Electris gelandet und …“ „Von Electris?“ Al-Ango erblaßte. „Dort stehen bereits unsere Feinde. Macht euch bereit, Freunde. Eile ist geboten.“ Er gab einem der Uniformierten einen Befehl, wandte sich dann wieder Jim Parker zu. „San-Mono wird euch mit seiner Truppe begleiten. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.“ *
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Durch die dünne Luft des Mars klang von weither metallischer Lärm, als der Kommodore mit seinen Gefährten und den neuen Bundesgenossen dem Landeplatz der „Europa“ entgegenhastete. Hin und wieder hallten Schüsse durch die verworrenen Geräusche. Al-Ango hatte recht gehabt: Hier war höchste Eile geboten. Aber es schien wenigstens noch nicht zu spät zu sein. Vom Kamm des letzten Hügelzuges erblickten sie in der Wüste nach Süden zu ein gespenstisches Bild. Da lagen die Wracks der beiden Raumschiffe – verbeult und ausgebrannt der „Triton“, und unweit von ihm die „Europa“. Dazwischen aber wimmelte die Ebene von Wesen, wie aus einem Fiebertraum entsprungen. Eine Leuchtkugel stieg hoch, tauchte die wilde Szene in ein grelles Licht. Fritz Wernicke entdeckte die massigen Roboter, die – aus einer Bodenspalte im Hintergrund hervorquellend – auf das Schiff zustampften und an Ort und Stelle ihr Zerstörungswerk begannen. Dazwischen huschte es überall von undeutlichen, schattenhaften Wesen. „Roboter!“ schrie Wernicke und stürmte den kurzen Hang hinab. „Darauf verstehe ich mich. Wenn das alles ist, was diese Zauberkünstler zu bieten haben …“ Es war keineswegs alles, was sie zu bieten hatten. Fritz Wernicke bekam es sehr bald zu spüren, als er sich von den ekligen Schlangenarmen eines schattenhaften Untiers gepackt und zu Boden gerissen fühlte. „Jim – zu Hilfe!“ Der Kommodore war schon bei ihm und richtete den Atombrenner auf das Schattenwesen. San-Mono hielt ihn zurück. Er hob eine stabförmige Waffe und berührte einen Kontakt. Ein bläulicher Funke blitzte auf. Das Untier ließ von seinem Opfer ab und rührte sich nicht mehr. „Überlaßt sie uns“, sagte er. „Unsere elektrischen Waffen 42
sind ihnen gewachsen. Aber die stampfenden Maschinenmenschen …“ San-Mono schüttelte sich. „Gut, Jungens, dann räumt mal tüchtig auf! Mit den Robotern werden wir schon fertig. Hast du Atomhandgranaten bei dir, Fritz?“ „Klar, Jim! Für jeden eine. Was hast du vor, großer Meister?“ „Siehst du die Bodenspalte, Fritz? Da drinnen scheinen die Kerle Ihren Hauptgefechtsstand zu haben. Wir müssen sie ausräuchern.“ „Aber wie hineinkommen? Doch nicht etwa durch diesen brodelnden Hexenkessel von Schlangen und Kraken?“ „Wie denn sonst? Nur Mut, old chap! Stärke dich noch mal ordentlich, und dann geht’s los.“ Fritz Wernicke seufzte, ließ sich aber nicht lange nötigen. Feierlich setzte er die Flasche an den Mund und leerte sie bis zur Neige. „Man kann nicht wissen“, sagte er bedeutungsvoll. „Wenn Sie sich wirklich in diesen Höllenpfuhl stürzen wollen, Kommodore“, erklärte Edgar Townsend, „dann gehe ich mit.“ „Nett von Ihnen, Edgar. Aber ich brauche jemand, der Wernicke und mich herausfischt, wenn die Sache schiefgeht. Bleiben Sie also hier in Reserve. Bist du fertig, Fritz?“ „Okay, Jim.“ „Dann also los!“ Gerade stiegen wieder zwei Leuchtraketen in den Himmel. Man sah jetzt, daß es die Besatzung der „Europa“ war, die auf diese Art den Kampfplatz zu beleuchten suchte. Jim Parker schnellte nach vorn und hastete durch die Ebene, auf der die Schattenwesen hin und her wogten. Wernicke folgte ihm auf dem Fuß. Die Entfernung bis zur Bodenspalte war nur gering, doch kam es den beiden Freunden so vor, als würden sie ihr Ziel nie erreichen. Sie stolperten über Körper, die sie nicht sahen. Sie 43
rutschten aus und stürzten hin, konnten sich nur mit Mühe der Fangarme erwehren, die nach ihnen griffen. Und dann waren da noch andere, menschenähnliche Gestalten. Mit großen Kinderaugen glotzten sie sie an. Jim Parker schüttelte das Grauen ab, das ihn schier erdrücken wollte. Er half Fritz Wernicke wieder auf die Beine, befreite ihn aus drohender Umklammerung. „Wir kommen so nicht weiter, Fritz. Nimm den Atombrenner. Dauerfeuer! Los!“ Die Atomwaffen sprühten grünliches Feuer. Eine schmale Gasse wurde frei im Wallen und Wogen der Schatten. Die Raumfahrer stürzten vorwärts. Mit Entsetzen bemerkte Wernicke, wie sich die Mauer aus Leibern hinter ihnen wieder schloß. „Nicht zurückschauen, Fritz! Achtung – die Handgranaten!“ Kaum größer als ein Hühnerei waren sie, die kleinen, handlichen Dinger, die in ihrer furchtbaren Wirkung mit kleinen „Atombomben im Westentaschenformat“ verglichen werden konnten. Jim drückte einen winzigen Kontakt, holte weit aus und schleuderte das Ding gegen die Bodenspalte. Dann warf er sich platt in den Wüstensand. Fritz Wernicke folgte seinem Beispiel. Ein zweifacher Blitz – ein scharfer Doppelknall. Senkrecht schoß eine grüne Stichflamme zum Himmel. In Atome zerblasen war alles, was die Bodenspalte zuvor verborgen hatte. Noch immer lag der Landeplatz im weißen Licht der Leuchtkugeln. Doch das gespenstische Leben war erstarrt. Bewegungslos lagen die schattenhaften Polypen. Die Roboter hatten mitten in ihrem Zerstörungswerk innegehalten. Nur in weiter Ferne huschten ein paar Gestalten davon. Jim Parker und Fritz Wernicke standen auf und blickten sich tief atmend um. Vom Wrack der „Europa“ her näherte sich Fischer mit seinen Leuten. „Das mit den Atomhandgranaten war ein glänzender Einfall, 44
Jim“, lobte der kleine Steuermann jovial seinen „großen Bruder“. „Ein einziger Drude auf den Knopf und – aus der Traum!“ „Es sind tatsächlich wahre Teufelsdinger, Fritz.“ „Möchte nur wissen, warum man sie nicht schon auf unserer alten Erde benutzt hat – damals, in Jenen finsteren Zeiten, als man sich noch gegenseitig Bomben auf die Köpfe schmiß.“ „Das ist ganz einfach, mein Lieber: Die explodierende Atomhandgranate hätte den, der sie warf, ebenfalls in Stücke gerissen. Erst der Einbau eines ‚Richtstrahlers’ – die neueste Erfindung Professor Varras’ – hat sie für den praktischen Gebrauch verwendbar gemacht. Ohne diese geniale Konstruktion ständen wir zwei in diesem Augenblick nicht so gesund und munter auf dem ungastlichen Boden des Kriegsplaneten.“ „Kommodore – gut, daß Sie gekommen sind. Lange hätten wir nicht mehr durchgehalten.“ Horst Fischer schüttelte den Rettern bewegt die Hände. „Diese Roboter …“ Jim winkte ab. „Wie sieht es an Bord aus? Hatten Sie Verluste?“ „Ein paar Leichtverletzte. Und dann – ahem – zwei Mann, Melvin und Jonas, sind von diesen – Wesen verschleppt worden.“ „Wir müssen sie suchen. Bin ohnehin neugierig, zu erfahren, was für erstaunliche Dinge wir hier finden werden.“ „Ihr werdet vergeblich suchen“, ließ sich da San-Mono vernehmen, der mit Professor Bergenda hinzugetreten war. „Die Uraniden pflegen ihre Gefangenen stets auf schnellstem Wege fortzuschaffen. Sie bringen sie in ihr Hauptquartier.“ Wie zur Bekräftigung dieser Worte stieg hinter einer Bodenwelle plötzlich ein riesenhafter, hellbeleuchteter Flugkreisel in die Lüfte. Er wand sich in Spiralen empor und verschwand rasch unter dem Südhorizont. Der Kommodore blickte ihm nach. „Und – wo befindet sich dieses Hauptquartier?“ „In Thule II, nahe dem 70. Breitengrad.“ 45
* Thule II … Jedesmal wenn Jörg Lorenz über die gelbe Öde des weiten Platzes blickte, überkam ihn ein Gefühl tiefster Niedergeschlagenheit. Wie lange lebte er wohl schon hier, in der Wüste des Mars, als Gefangener der Uraniden? Die heimatliche Erde, das Elternhaus in Bergedorf, Rolf und Renate, die Geschwister – alles lag in weiter, weiter Ferne. Er büßte nun dafür, daß er damals voreilig und leichtsinnig einem Kidnapper auf den Leim gekrochen war. Gleich vielen anderen jungen Männern glaubte er, einer Organisation zur Befreiung des Marsvolkes beigetreten zu sein. Und eines Tages erschien ein Flugkreisel der Uraniden und schaffte ihn mit seinen Kameraden zum Mars – doch nicht als Befreier, sondern als Gefangene * . Seine Zähne knirschten, als er an diese Schmach dachte, und er ballte die Fäuste. Da fühlte er plötzlich eine schwere Hand auf seiner Schulter. Langsam drehte er sich um. Björnson, der ruhige Norweger, einer seiner Mitgefangenen, war aus der Tür des niedrigen, bunkerartigen Gebäudes getreten und lächelte ihn an. „Nun, Jörg – wieder mal Weltschmerz?“ Dem jungen Mann schossen die Tränen in die Augen. „Mensch, Björnson, wie lange soll das noch so gehen? Hat man uns denn auf der Erde ganz vergessen? Was ist nur aus der Marsexpedition des S.A.T. geworden? Kommt Jim Parker nicht bald? Ich halte das nicht mehr aus, dieses Gefangensein, diese Hoffnungslosigkeit …“ Björnson lächelte gutmütig. „Oh – so schlimm ist es doch eigentlich gar nicht. Die Verpflegung ist ausreichend, die Arbeit nicht übermäßig groß. Man läßt uns frei umherlaufen …“ „Kunststück!“ schimpfte Jörg wütend. „Weil man ganz ge*
Siehe UTOPIA, 39. Band: „Angriff auf Orion-City“
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nau weiß, daß wir nicht weit kämen, wenn wir ausrissen. Wir müßten elendiglich verrecken auf diesem elenden, ausgetrockneten, saukalten Höllenplaneten.“ Björnson bemühte sich, seinen Leidensgefährten auf andere Gedanken zu bringen. „Schätze, wir bekommen Besuch, Jörg. Ein Flugkreisel setzt zur Landung an. Einer von den ganz großen.“ Mit langen Schritten, die Hände tief in den Taschen der Pelzkombination vergraben, schritt der Norweger durch den Sand. Widerwillig stapfte Jörg hinterher. Irgend etwas lag in der Luft. Man spürte es am Verhalten der Wachtmannschaften, die heute mißtrauischer als sonst die Gefangenen musterten. Abenteurer aus allen möglichen Ecken und Winkeln der Erde waren es, die hier den Wachtdienst im Auftrag der Uraniden versahen. Die eigentlichen Vertreter der „Weltenmacht Urania“ bekam man nur höchst selten und flüchtig zu sehen. Jörg Lorenz, Björnson und ein paar Kameraden, die sich ihnen angeschlossen hatten, trafen gerade in dem Augenblick auf dem Flugfeld ein, als der gelandete Flugkreisel die Luken öffnete. Ein grobschlächtig aussehender, baumlanger Kerl mit wildwucherndem Bartwuchs sprang heraus und trat auf den Platzkommandanten, einen kleinen Levantiner unbestimmten Alters, zu. „QX 14 von Kaperfahrt zurück“, grinste der Bärtige und ließ eine Reihe raubtierhafter Zähne sehen. „Haben uns ein wenig zwischen Erde und Venus umgeschaut.“ „Willkommen in Thule, Corry. Fein, daß ihr wieder da seid. Wir werden jetzt jeden Mann und jedes Schiff brauchen. Hoffentlich hattet ihr Erfolg.“ „Es hätte mehr sein können, Jussuf! Bekamen da ein Passagierschiff der A.I.C. * zu fassen. Steuerte mit zweihundert Sied*
A.I.C. = Australian Industrial Company, eine australische Raumfahrtorganisation
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lern Kurs Venus. Gingen längsseits und demontierten zunächst mal die Funkanlage. Dann enterten wir den Kahn und forderten die Reisenden höflich, aber entschieden zum Aussteigen auf.“ „Was sie natürlich widerspruchslos taten.“ „Sie sträubten sich anfangs ein bißchen, aber wir halfen nach. Es wäre ein voller Erfolg geworden, wenn nicht so ein gemeiner Schurke unter den Passagieren, ein Kurzwellenamateur, heimlich SOS gemorst hätte. Er hetzte uns die Meute der Weltraum-Kontrolle auf den Hals, und wir mußten türmen, was das Zeug hielt.“ „Habt ihr wenigstens ein paar Gefangene mitgebracht?“ „Ein gutes Dutzend. Da – sieh sie dir an, Jussuf! Sie steigen gerade aus.“ Jörg Lorenz betrachtete mit einer Mischung aus Neugier und Mitgefühl das Häuflein der neuangekommenen Gefangenen. Plötzlich fiel sein Blick auf die Gestalt einer jungen Frau, die – selbst in der wenig anziehenden Weltraumkombination – ein außergewöhnliches Maß an Schönheit und natürlicher Frische verriet. Galant eilte Jussuf hinzu, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Doch sie sah über ihn hinweg, musterte die Umstehendes flüchtig und steuerte direkt auf Jörg zu. „Ich heiße Kate Harris. Sind Sie der Chef dieser Räuberbande?“ Der arme Jörg lief rot an. „Ich – nein – gestatten Sie: Jörg Lorenz …“ „Ich protestiere gegen diese Entführung. Was soll dieses Gangsterstück überhaupt bedeuten? Wahrscheinlich sind Sie auf Lösegeld aus. Geben Sie sich bitte keine Mühe. Von mir bekommen Sie keinen Penny.“ Jörg Lorenz hörte nur noch mit halbem Ohr zu; denn das, was Corry und Jussuf in diesem Augenblick zu besprechen hatten, erschien ihm wichtiger. Der grobschlächtige Kapitän 48
kratzte sich gerade den Seeräuberbart und verkündete geheimnisvoll: „So – und nun rasiere ich mich und schlafe erst mal gründlich aus. Und dann …“ „Was dann, Corry?“ „Dann gehe ich wieder auf Kaperfahrt. Wenn du wüßtest, Jussuf, was für fette Brocken sich da im Raum zwischen Erde und Mars tummeln! Vier ganz große Kisten – steuern direkt auf uns zu.“ „Das wirst du bleiben lassen, Corry! Sämtliche Schiffe haben Startverbot. Der Befehl kam vor zwei Stunden. Es muß etwas passiert sein. Kawa-al hat für den gesamten Planeten den Alarmzustand erklärt.“ * Zur gleichen Stunde verließ Jim Parker, in Begleitung Wernickes und Professor Bergendas, den Grünen Saal des Herrschers im „Reich ohne Sterne“. Schweigend ließen sich die Männer von San-Mono durch ein Labyrinth unterirdischer Gänge führen, bis sie wieder in ihrem Quartier angekommen waren. Mit höflicher Verbeugung zog sich ihr Führer zurück. Sofort sahen sie sich von ihren Gefährten umdrängt. Stimmen schwirrten aufgeregt durcheinander. „Was gibt’s Neues, Kommodore? Sind die Marstruppen schon angetreten? Wann schlagen wir endlich los?“ Jim winkte müde ab und ließ sich auf einen Hocker fallen. Fritz Wernicke sah aus, als hätte er statt Whisky versehentlich Buttermilch getrunken. Er knurrte böse: „Sie wollen nicht. Sie verstehen es einfach nicht, daß sie für ihre Freiheit kämpfen müssen. Wir allein sollen ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen.“ „Die Verständigung klappte schon ganz gut“, strahlte Profes49
sor Bergenda, der wieder meisterhaft als Dolmetscher gewirkt hatte. „Das war nur äußerlich“, lächelte der Kommodore bitter. „Diese Marsbewohner und wir Erdenmenschen – wir sprechen tatsächlich zwei ganz verschiedene Sprachen. Da gibt es keine Verständigung. Von ihrem Denken zu unserem führt keine Brücke.“ „Schlappschwänze“, knurrte Fritz Wernicke zwischen zwei Schlucken aus der unvermeidlichen Whiskyflasche verächtlich. „Nein, Fritz, so einfach liegt der Fall nicht.“ Jim Parker war aufgestanden und durchmaß mit langen Schritten den Raum, der – wie alle anderen in dieser unterirdischen Stadt – rund und von Säulen getragen und von einem sanften Licht durchflutet war. „Es fehlt ihnen im Grunde gar nicht an Mut. Nur müssen wir versuchen, ihren Willen zum Widerstand neu zu wecken. Al-Ango hat mir ihre Geschichte erzählt. Einstmals, in grauer Vorzeit, lebte das Marsvolk noch auf der Oberfläche seines Planeten. Seine Lebensgewohnheiten waren damals kaum anders als die der Menschen. Es gab Krieg und Frieden, Ackerbau, Viehzucht, Handel und Industrie, Kunst und Wissenschaft. Doch der Planet Mars alterte schneller als die Erde. Die Unbilden einer lebensfeindlichen Natur trieb die Bewohner unter die Oberfläche. Ganz auf gegenseitige Hilfe angewiesen, mieden sie von nun an alle kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Begriff des Krieges verschwand aus ihrem Denken.“ „Sehr vernünftig“, lobte Fritz Wernicke. „Ich verstehe nur eines nicht: Wenn diese Knaben wirklich technisch so auf der Höhe waren, wie es den Anschein hat – warum erfanden sie dann nicht eines Tages ein Weltraumschiff, um neuen Lebensraum auf anderen Planeten zu erobern?“ „Ja, siehst du, Fritz: Das ist eben der große Unterschied zwischen den Marsmenschen und uns. Sie sind keine Eroberer, weder im kriegerischen noch im friedlichen Sinne, zumindest heute 50
nicht mehr. Sie leben ganz ihrer hochgezüchteten, verfeinerten Kultur.“ „Mag ja alles ganz gut und schön sein, solange es keine bösen Nachbarn gibt.“ „Sehr richtig. Und als eines Tages die Raumschiffe der ‚Weltenmacht Urania’ eintrafen und eine wahre Terrorherrschaft mitbrachten, war man ihnen hilflos preisgegeben. Die Uraniden trieben die Marsbewohner zu Paaren. Sie fingen sie in Massen ein und steckten sie in ihre Uranbergwerke. Die paar elektrischen Gewehre, mit denen ihnen die beherzteren entgegentraten, werden den technisch überlegenen Uraniden höchstens ein mitleidiges Lächeln abgerungen haben.“ „Und die Regierung wußte sich nicht mehr zu helfen und alarmierte ihre ‚lieben Brüder’ auf der Erde, die auch prompt angeschwirrt kamen.“ Fritz Wernicke betrachtete wehleidig die geleerte Flasche. „Was soll nun geschehen, Kommodore?“ fragte Horst Fischer. Jim Parker blieb stehen. Sein Gesicht war ernst. „Allein sind wir machtlos. Wir haben beim Anflug sämtliche Schiffe und drei Viertel der Mannschaft eingebüßt. Wir kennen die Tücken dieses Planeten nicht. Ohne die Mitwirkung seiner Bewohner sind wir genauso hilflos, wie sie ohne uns.“ Eine Weile herrschte bedrücktes Schweigen. Dann sagte der Kommodore: „Ich will noch ein letztes Mal versuchen, unsere Freunde für den Freiheitskampf zu begeistern. Hoffentlich gelingt es mir. Sie sind und bleiben nun einmal ein müdes, alterndes Volk.“ * Kawa-al, der Herrscher der Uraniden, genoß seinen großen Sieg. In seinem Kontrollraum im Inneren des geheimnisvollen Fluggeräts – oder war es ein Weltkörper? – schritt er langsam 51
auf und ab. Eine unsichtbare. Übertragungsanlage meldete ihm Erfolg über Erfolg. „Bodenstation M 141 – S.A.T.-Raumschiff ‚Io’ im Titanum Sinus abgestürzt – 10 Mann Besatzung gefangen.“ „Flugkreisel QY 31 meldet Wracks zweier S.A.T.-Schiffe am Nordrand des Sinus Sabaeus.“ „Soll feststellen, wie sie heißen!“ befahl Kawa-al. Kurz danach die Antwort: „‚Thetys’ und ‚Rhea’.“ „Bodenstation 11 – S.A.T.-Raumschiff ‚Nereide’ im Lacus Solis gelandet – Besatzung verteidigt sich mit Atomwaffen. – Haben III. Roboter-Formation zur Unterstützung angefordert.“ Schlag auf Schlag kamen die Nachrichten von der Vernichtung der irdischen Invasionsflotte. Bis dann im Morgengrauen des nächsten Tages die Meldung einlief, die Kawa-als Siegesfreude zunichte machte. „Flugkreisel QY 54 – Raumschiff ‚Europa’ in Electris vergeblich angegriffen. – Haben schwerste Verluste erlitten. – Bodenstation M 221 vernichtet. – Feindliche Besatzung mit Hilfe der Marstruppen entkommen. – Zwei Gefangene.“ „Europa“! Kawa-al wußte, daß so das Führerschiff Jim Parkers, seines großen Gegenspielers hieß. Jim Parker entkommen – und noch dazu in Gesellschaft der Truppen Al-Angos. Der Herr der „Weltenmacht Urania“ fühlte, wie eine lähmende Furcht sein Herz beschlich. Mühsam faßte er sich. Seine Stimme klang rauh und unartikuliert, als er für den gesamten Bereich des Planeten die höchste Alarmstufe anordnete. * Für den Nachmittag hatte Al-Ango seine Ratgeber zu einer neuen Sitzung gebeten. Auch Kommodore Parker war geladen worden. 52
„Ich verspreche mir herzlich wenig von dem Palaver“, sagte Jim, als er in Begleitung Wernickes, Fischers und Professor Bergendas durch die verschlungenen Gänge der unterirdischen Metropole schlenderte. „Wahrscheinlich wird man mir in gewohnter Weise ‚grundsätzlich zustimmen’, und nachher bleibt doch alles beim alten. Ich fürchte, diesem Volk ist nicht zu helfen – weil es sich im Grunde gar nicht helfen lassen will.“ „Für diese Art fehlt mir jedes Verständnis“, sagte Horst Fischer geradeheraus. „Mir im Grunde auch. Und dennoch – ich kann mir nicht helfen – sind mir diese Marsmenschen irgendwie sympathisch.“ Fritz Wernicke hielt seine Gefährten an. „Da – schaut mal her: Was ist denn da drüben los? Da scheint es ’ne Sondermeldung zu geben.“ Vor einer rechteckigen, fluoreszierenden Scheibe, auf der in rascher Folge seltsame Zeichen vorüberzogen, eilten die Menschen zusammen. Plötzlich brachen sie in bewegte Klagelaute aus. Jim Parker wandte sich an den Professor, der umständlich seine Brille putzte. „Was bedeutet das, Professor? Können Sie diese Hieroglyphen entziffern?“ Bergenda kam gerade zurecht, um die Wiederholung der Meldung zu erwischen. „Das Hauptquartier Kawa-als gibt bekannt: Die acht Weltraumschiffe der irdischen Invasoren konnten von den Streitkräften der ‚Weltenmacht Urania’ zerstört oder erobert werden. Die Besatzungen – soweit sie nicht ums Leben gekommen sind – gerieten in Gefangenschaft. Sie teilen jetzt das Los unserer verschleppten Brüder, als Sklaven der Uraniden …“ „Keine Regel ohne Ausnahme!“ rief Fritz Wernicke und klopfte sich auf die Brust. „Seien Sie nicht vorlaut, Wernicke“, warnte ihn Fischer. „Am Ende erwischt man uns doch noch.“ 53
Der Kommodore gebot Schweigen. Er hatte das Einzigartige der Situation erfaßt. Die Marsmenschen waren durch die neue Hiobsbotschaft zutiefst erschüttert. Vielleicht gelang es ihm jetzt, sie aus ihrer Lethargie wachzurütteln. Rasch trat er vor die Menschenmenge hin und winkte Bergenda zu sich heran. „Meine Brüder!“ Seine sonore Stimme ließ alle zu ihm aufblicken. „Wir sind vom fernen Erdstern gekommen, um euch zu helfen. Meine Kameraden haben für euch gekämpft und geblutet. Viele von ihnen sind in die Hand der grausamen Uraniden gefallen. Ich breche morgen auf, um sie zu befreien. Wollt ihr Treue mit Treue vergelten und mir helfen, oder – fürchtet ihr euch?“ Jim kannte die Wesensart dieses Volkes schon zur Genüge, und er hatte nicht mit einem spontanen Begeisterungsausbruch gerechnet. Aber er wußte, daß er ihr Ehrgefühl angesprochen hatte. Der Erfolg konnte nicht ausbleiben, mochten sie auch noch so müde und leidenschaftslos sein. Vereinzelt erst, dann in immer größeren Gruppen, drängten die Menschen heran und drückten fest seine Hände. Jim atmete auf. Er wandte sich seinen Begleitern wieder zu. „Fischer und Bergenda – gehen Sie zu Al-Ango und bestellen Sie ihm, er könnte sein Palaver absagen. Statt dessen soll er alles an Waffen herausrücken, was er in seinem Arsenal eingemottet hat. Morgen, in aller Frühe, brechen wir auf – zum Kampf gegen die Uraniden!“ * Aber zuvor versuchte es Jim Parker noch einmal im guten. Jegliches Blutvergießen war ihm in tiefster Seele zuwider. Solange es noch einen Weg zur friedlichen Lösung der Konflikte gab, wollte er ihn nicht unversucht lassen. 54
Mit einem rasch aufgesetzten Text schickte er Nielsen, den Bordfunker der „Europa“, zur Fernmeldestation der MarsMetropole. Ein Dolmetscher war diesmal überflüssig. Nielsen brauchte sein Sprüchlein nur durchzusagen. Der Kommodore wußte, daß man im Hauptquartier Kawa-als ausgezeichnet Englisch verstand. – Als man dem Herrn der Uraniden Jim Parkers Ultimatum überbrachte, erblaßte er. Schwerfällig wiederholten seine Lippen die Worte: „Erwarte bis morgen früh, 6 Uhr Marszeit, die Freigabe sämtlicher Gefangenen, Einstellung aller Feindseligkeiten und Räumung einer Zone zwischen Äquator und 60 Grad Süd durch die Streitkräfte Uranias. Erwarte bis zum gleichen Termin Entsendung Ihrer Unterhändler, um die Durchführung der Übergabe Ihrer restlichen Stützpunkte festzulegen. Parker, Raumschiffkommodore des S.A.T.“ Eine kühne Sprache war das! So unerschrocken war ihm, dem mächtigen Kawa-al, noch kein Lebender entgegengetreten. Aber dieser Parker mußte den Verstand verloren haben. Wie wollte er mit seiner Handvoll Erdenmenschen der erdrückenden Übermacht Uranias trotzen? Ein höhnisches Lachen war alles, was Kawa-al auf das Ultimatum des Kommodores zu erwidern hatte. * „Und nun, Ladys and Gentlemen, geben wir Ihnen die genaue Mars-Zeit. Mit dem Gongschlag ist es genau 5 Uhr und 59 Minuten.“ Unternehmungslustig schaute Fritz Wernicke von seiner Armbanduhr auf. „Na, großer Häuptling, was sagst du nun?“ „Den Uraniden bleiben noch genau 60 Sekunden Zeit“, bemerkte Jim trocken. 55
„Vielleicht“, gab der Professor zu bedenken, „ist da irgendein Mißverständnis in den Zeitangaben aufgetreten. Möglicherweise benutzen die Uraniden eine andere Zeitrechnung als wir. Ich möchte doch raten, lieber noch etwas zu warten.“ „Unser Ultimatum war klar und deutlich abgefaßt. Jedes Mißverständnis war ausgeschlossen. Die Uraniden haben es nicht beachtet. Sie werden nun die Folgen tragen müssen. Sorry. – Ist alles klar, Fischer?“ „Alles in Ordnung, Kommodore.“ „Dann los!“ Am Rande der Marslandschaft Electris, dort, wo der dunkle Streifen des Scamander in das Mare Cimmerium mündet, öffnete sich Schlag 6 Uhr der Boden an einem Dutzend Stellen zugleich. Mitten zwischen den Vorposten der Uraniden quollen die Truppen Al-Angos aus scheinbar harmlosen Grotten, aus halbverschütteten Höhleneingängen und einzelnen Gruppen niedrigen Gestrüpps hervor. Es war Jim Parker gelungen, den Gegner zu täuschen und seine Aufmerksamkeit auf den Nordrand von Eridania zu lenken. Hier, am Scamander, hatte niemand mit einem Angriff gerechnet. Die Überrumpelung der feindlichen Vorpostenlinie war das Werk weniger Augenblicke. Bereits eine Stunde später war der befestigte Stützpunkt M 95 genommen. Der Weg nach Süden, und damit zum Hauptquartier der Uraniden, war frei. Bis jetzt hatten die Männer des Kommodores kaum einzugreifen brauchen. Ihre Verbündeten vom Mars stürzten sich mit ungeahntem Schneid auf die polypenhaften Wesen, die als lebende Sperre die vordersten Linien bildeten. Mit ihren elektrischen Waffen setzten sie sie rasch außer Gefecht. Auch ein halbes Dutzend Uraniden wurden als Gefangene eingebracht. Ihre hochentwickelten technischen Fähigkeiten hatten ihnen nichts genützt. Zu schnell waren die Angreifer über ihnen. Der Versuch, die Gefangenen zu verhören, verlief 56
ergebnislos. Sie schwiegen beharrlich, obwohl Professor Bergenda fest davon überzeugt war, daß sie ihn verstanden. Ganz nutzlos war diese einseitige Unterhaltung jedoch nicht gewesen. Als Fritz Wernicke während der Vernehmung eine dieser grauen, schattenhaften Gestalten neugierig betrachtete, griff er – einem plötzlichen Einfall gehorchend – zu, zog ihm die helmartige Kopfbedeckung herunter und stülpte sie sich selbst aufs Haupt. Der Erfolg war verblüffend. Der Uranide stand plötzlich deutlich sichtbar, körperlich, vor ihnen. Aber wo man eben noch die drahtige Gestalt des kleinen Steuermanns erblickt hatte, geisterte nur noch ein verwaschener Nebelfleck. „Bei allen Planeten! Jim, hilf mir! Ich bin verzaubert, ich löse mich in meine Bestandteile auf. O Jim, ich glaube – ich bin ein Geist!“ Der Kommodore und alle anderen mußten lachen. „Nimm doch mal dein komisches Hütchen ab, Whiskytöter!“ Der Kleine befolgte den Rat. Sofort war er wieder ein Mensch aus Fleisch und Blut. Erleichtert atmete er auf. „O Jim, das war grauenvoll. Ich glaubte schon, ich wäre gestorben, und meine Seele schwebte durch die Unendlichkeit des Weltalls – auf der Suche nach …“ „… nach einem ordentlichen Schluck Whisky“, fiel Jim Parker ein. „Nun gib den ulkigen Turban mal her! Wollen mal sehen, was für ein Geheimnis er birgt.“ Es zeigte sich, daß auf der Kopfbedeckung eine kleine Kugel angebracht war, ähnlich jener, die in längst vergangenen Zeiten die Helme der Artilleristen geziert hatte. Die Kugel enthielt eine unbekannte, stark strahlende Substanz, die alles durchscheinend werden ließ, was in ihren Bereich geriet. Jim Parker ließ auch den übrigen Gefangenen die Kopfbedeckung abnehmen und ließ seine Blicke nachdenklich auf der kleinen Gruppe der Uraniden ruhen. Zweifellos waren sie dem 57
Erdenmenschen äußerlich sehr ähnlich, diese kleinen Geschöpfe von einem unbekannten Stern, mit ihren großen Kinderaugen. Aber geistig und seelisch gab es wohl keinerlei Verwandtschaft mit ihnen … Unaufhaltsam ging der Vormarsch weiter – südwärts, immer südwärts! Die Sonne war am Firmament emporgestiegen. Trotz ihrer großen Entfernung vom Mars verbreitete sie eine recht angenehme Wärme; denn die dünne Luft des Planeten schirmte ihre Strahlung nur wenig ab. Faserige Wolken stiegen im Westen auf, ein leichter Wind wirbelte an den ungeschützten Stellen rötliche Sandfontänen hoch. Meist führte der Weg jetzt durch bewachsenes Land, auf dem dorniges Gestrüpp, Kakteen und Moos ein kärgliches Dasein fristeten. Anfangs war man noch hin und wieder auf vereinzelte Formationen der Uraniden gestoßen – Nachschubtransporte und Meldefahrer in atomkraftgetriebenen Fahrzeugen. Sie waren widerstandslos überwältigt worden. Doch als die Mittagsstunde anbrach, lag eine tiefe, unheilschwangere Stille über der wilden Landschaft. Jim Parker, der in einem jener besonders konstruierten Raupenfahrzeuge stand, welche die „Europa“ von der Erde mitgebracht hatte, ließ den Fahrer halten. Witternd betrachtete er Himmel und Horizont und wandte sich dann an Townsend: „Mir gefällt das nicht, mein Lieber.“ „Wieso, Kommodore? Es geht doch zügig voran.“ „Ja, eben. Es kommt mir etwas zu ruhig vor. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß wir seit zwei Stunden keine Spur mehr vom Gegner gesehen haben?“ „Allerdings, Kommodore. Vielleicht konzentriert sich seine Aufmerksamkeit ganz auf Eridania, um unserem vermeintlichen Angriff zu begegnen.“ „Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Ich habe vielmehr das Gefühl, als ob die Uraniden uns längst entdeckt hätten. Es 58
ist, als ob hundert unsichtbare Augen jeder unserer Bewegungen folgten. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn …“ Ein lauter Hilferuf schnitt ihm die Rede ab. Er war von vorn gekommen, wo ein anderes Kettenfahrzeug der „Europa“ inzwischen die Führung übernommen hatte. „Los!“ brüllte Jim und griff zum Atombrenner. Mit rasselnden Ketten preschte das Fahrzeug nach vorn. Hinter einem Gebüsch aus blaugrünen Nadelhölzern gähnte ein breiter Spalt im Boden. Ein Raupenfahrzeug war hineingestürzt und ragte nur noch mit dem Heck daraus empor. Erd- und Marsbewohner wirbelten durcheinander, eifrig um die Bergung der Insassen bemüht. Endlich turnte der erste mit zitternden Händen am Seil empor, ließ sich von kräftigen Fäusten über den Rand der Bodenspalte zerren und fiel japsend ins üppig wuchernde Moos. „So nehmen Sie sich doch zusammen, Mann!“ Fritz Wernicke schüttelte ihn und goß ihm kurzerhand einen doppelten Whisky zwischen die Zähne. „Wie konnte denn das passieren?“ „Sie – sie waren ganz plötzlich über uns her“, stotterte der Gerettete. „Sie müssen wohl im Gebüsch auf uns gelauert haben. Nielsen sagte gerade zu Chefingenieur Sommerfeld – Mister Sommerfeld saß nämlich am Steuer …“ „Nielsen und Sommerfeld?“ fragte der Kommodore. „Wo sind sie geblieben?“ „Mister Sommerfeld ist hier“, klang es von der Bodenspalte her. „Er ist bewußtlos.“ „Und Nielsen?“ „Sie – haben – ihn mitgenommen“, schluckte der andere. Er schüttelte sich. „Chefingenieur Sommerfeld bekam einen Schlag über den Kopf. Er verlor die Gewalt über den Wagen. Nielsen stürzte hinaus. Sofort waren die Schatten über ihm. Sie zerrten ihn fort. Mehr konnte ich nicht sehen. Wir kippten da über den Rand.“ 59
„Wie viele waren es?“ „Zwanzig bis dreißig, Kommodore. Vielleicht auch mehr.“ In der Luft war plötzlich ein seltsames, hohes Singen, das schnell näher kam. Wernicke schnupperte mißtrauisch und musterte den Himmel durch den Feldstecher. „Flugkreisel, Jim“, knurrte er. „Mindestens fünf oder sechs.“ „Damned! Wenn die uns hier ausräuchern, bleibt kein Auge trocken. Schnell – volle Deckung! Fischer, die Atom-Flak klar!“ Mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit leerte sich der Platz. Selbst die wuchtigen Raupenfahrzeuge wurden – so gut es ging – unter dem Buschwerk in Deckung gebracht oder mit abgehauenen Zweigen getarnt Hinter einer Bodenwelle postierte Horst Fischer seine vier Atomgeschütze, die im Grunde nichts anderes waren als große, äußerst beweglich montierte Atomstrahler von besonders großer Reichweite. Jetzt waren sie da, die gefährlichen, langsam rotierenden Flugkörper. Sie waren von kleinerer Bauart – sieben Maschinen im ganzen – und ungewöhnlich schnell und wendig. In immer engeren Kreisen kurvten sie über dem Versteck ihrer Gegner. Offenbar waren ihre Insassen noch unschlüssig, wie sie sich verhalten sollten. Jetzt verharrten sie unbeweglich in der Luft. „Flak-Batterie – Feuer!“ klang Jim Parkers Kommando. Im gleichen Moment fauchten vier lange, scharfe, grünliche Strahlen himmelwärts. Verloschen wieder. Zischten erneut auf und suchten sich andere Ziele. In die Formation der Flugkreisel kam Bewegung. Aber es war schon zu spät. Überall flackerte es grellgrün. Die todbringende Lohe breitete sich aus, fraß sich tiefer und tiefer hinein in schmelzendes Metall. Ein brausendes Flammenbündel, kippte eine der Flugscheiben über den Rand und taumelte in die Tiefe. Die anderen 60
folgten ihr in Sekunden. In furchtbaren Explosionen zerschellten sie am Boden. Ein Flammenmeer kennzeichnete jeweils die Absturzstelle. Nur ein einziger Flugkreisel torkelte schwerfällig davon und verschwand hinter dem Horizont im Süden. Und weiter marschierte die Kolonne des Kommodores – südwärts, immer südwärts – dem fernen Thule entgegen. * „Ich muß Sie um Verzeihung bitten. Mister Lorenz. Hoffentlich tragen Sie es mir nicht nach, daß ich Sie anfangs für den Oberbonzen dieser Gangster gehalten habe.“ Lächelnd schaute Kate Harris zu ihrem Begleiter auf, der mit ihr über den weiten, öden Platz im Lager von Thule II schritt. Die zerknirschte Reue der jungen Australierin machte ihn für einen Augenblick ganz verlegen. „Sehe ich denn aus wie ein Gangsterboß, Miß Kate?“ stotterte er. Ein klingendes Lachen antwortete ihm. „Bei nüchterner Betrachtung bestimmt nicht. Aber ich war im Augenblick meiner Ankunft auf diesem schönen Stern so voller Wut, daß ich überhaupt nicht mehr wußte, was ich redete.“ Nun mußte auch Jörg lachen. „Der Humor ist jedenfalls wie61
der da. Mir scheint, Sie haben sich bei uns sehr schnell eingelebt. Hat man sich eigentlich schon einen ‚Verwendungszweck’ für Sie ausgedacht?“ „Es scheint so. Näheres hat man mir allerdings nicht verraten. Dieser abscheuliche Jussuf, der auf hundert Meter Entfernung nach ranzigem Haaröl duftet …“ „Aber – aber ich muß doch sehr bitten, Miß Kate! Sie sprachen vom Kommandanten dieses idyllischen Fleckchens Erde – Pardon, ‚Mars’ wollte ich natürlich sagen.“ „Na, wenn schon. Deshalb stammt er doch vom Affen ab. Jedenfalls machte er heute früh so ulkige Anspielungen. ‚Das ist Ihre künftige Arbeitsstätte’, grinste er und zeigte auf die traurige Bude da vor uns.“ „Was?“ Jörg Lorenz starrte sie entgeistert an. „Das nennen Sie eine ‚traurige Bude’? Ja, wissen Sie denn nicht, was sich darin befindet?“ „Bedauere – ich habe keinen blassen Schimmer.“ Jörg Lorenz senkte die Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern. „Das Biologische Institut der Uraniden. Es ist die Forschungsstätte von Professor Dunois.“ „Dunois? Kenne ich nicht. Wonach forscht der gute Mann denn?“ Kate Harris sollte es nicht erfahren – wenigstens in diesem Augenblick noch nicht. Von der Plattform des grauen Wachtturms, am Rande des großen Flugfeldes, stiegen farbige Signalraketen in den Himmel. Irgendwo wimmerte eine Sirene in der dünnen Luft des Mars. Aus den Unterkünften stürzten Bewaffnete heraus und eilten auf die Alarmstationen. Einige von ihnen schickten sich an, die Gefangenen zusammenzutreiben, die in Gruppen umherstanden oder mit Planierungsarbeiten beschäftigt waren. „Hilfsvölker“, knurrte Jörg mit einem verächtlichen Blick auf die Wachen. „Erbärmliche Fremdenlegionäre der Uraniden.“ 62
„Was hat der Alarm zu bedeuten?“ erkundigte sich Kate aufgeregt. „Keine Ahnung. Sollte am Ende doch Hilfe von der Erde kommen? Sollte Kommodore Parker im Anflug sein?“ Aber es war nur ein Flugkreisel der Uraniden, der plötzlich zur Landung ansetzte. Im Vorübergehen sah Jörg gerade noch, wie ein neuer Gefangener ausgeladen wurde. Er trug die wohlbekannte blaugraue Uniform der Raumfahrer des Staatlichen Atom-Territoriums … * Und wieder war es Nacht geworden auf dem roten Planeten. Jim Parker trat vor sein Zelt und reckte sich. Lange blickte er zum Himmel empor, in die flimmernde Sternenpracht. Im Südosten stand ein helles Gestirn, das wie der Abendstern am Erdhimmel strahlte. Es war Deimos, der kleinere und entferntere der beiden Marsmonde. Phobos, als kleines Scheibchen unter den Lichtpunkten der fernen Fixsterne, näherte sich von Westen her seinem Kulminationspunkt im Norden. Längst war sein eigenartiger Lauf zu einem gewohnten Anblick für die Erdenmenschen geworden. Horst Fischer, der die erste Wache hatte, kam auf Jim zu. „Auf Wache nichts Neues, Kommodore. Meldung von sämtlichen Vorposten: ‚Vom Feind keine Spur’.“ „Danke, Fischer. Irgendeine Spur von Nielsen?“ „Leider nicht, Kommodore. Der Mann ist wie vom Erdboden – ich wollte sagen, vom Marsboden – verschwunden. Ich nehme an, daß er sofort nach seiner Gefangennahme in einem Flugkreisel fortgeschafft wurde.“ „So wird es wohl sein. Wir dürfen uns hier nicht länger mit der Suche nach ihm aufhalten. Je eher wir Thule II erreichen …“ „Wann wird das Ihrer Schätzung nach sein, Kommodore? 63
Unsere Männer fiebern danach, in die Höhle des Löwen einzudringen.“ „Brave Kerle! Und unsere Verbündeten vom Mars?“ „Sie tun ihre Pflicht, aber sie sind ohne rechte Begeisterung. Sie hatten recht, Kommodore, als Sie sie ‚ein müdes, alterndes Volk’ nannten.“ Jim nickte nachdenklich. Dann sagte er: „Wenn wir unser Tempo einhalten können, werden wir in drei Tagen den Nordrand des Mare Chronium erreichen. Südlich von ihm liegt Thule II.“ Horst Fischer griff plötzlich nach seinem Arm und deutete stumm auf einen Fleck zwischen den nächststehenden Zelten. Aus dem Boden wuchs eine nebelhafte Gestalt empor, änderte schnell ihre Form und schwankte hin und her. Der junge Mann riß die Pistole aus dem Halfter und zielte. Doch Jim riß ihn zurück. „Machen Sie nicht die Pferde scheu, Fischer! Wir wollen unsere Munition nicht an Nebelschwaden vergeuden.“ Der Dunstschwaden, der dem Boden entströmte, ballte sich zu einem Wölkchen und entschwebte in die Nacht. „Wir fangen allmählich an, die Nerven zu verlieren“, sagte Jim Parker mit belegter Stimme. „Das ist schließlich kein Wunder; denn dieser Planet birgt mehr Geheimnisse, als unsere Phantasie sich ausmalen kann. Halten Sie Augen und Ohren offen, Fischer. Gute Nacht!“ * Ganz unerwartet war Kawa-al, der Herr der „Weltenmacht Urania“, in Thule II eingetroffen. Niemand konnte eigentlich behaupten, ihn gesehen zu haben. Niemand hätte sagen können, wo er sich aufhielt. Aber dennoch fühlte jeder seine Gegenwart, und alle – ob Freund oder Feind, ob im Dienst Uranias oder in Gefangenschaft der Uraniden – duckten sich, wie vor einer furchtbaren, unsichtbaren Drohung. 64
Kawa-al – „Er, der wieder aus den Sternen kam“ – befand sich in Thule II. Einer der wenigen, die mit ihm zu tun hatten, war Jussuf. Und auch für ihn war diese Unterredung ziemlich einseitig. Jussuf, der Lagerkommandant, saß kerzengerade aufgerichtet in einem Sessel im „Besprechungszimmer“. Dieser Sessel war der einzige Einrichtungsgegenstand. Er stand direkt vor einer kahlen, weißen Wand. Der Levantiner wußte, daß ihn aus dieser scheinbar toten Fläche Fernsehoptik und Mikrophon belauerten – und womöglich noch viele andere, raffinierte Apparate, deren Sinn ihm verborgen blieb. Er wußte, daß Kawa-al von seinem unbekannten Versteck aus jede seiner Regungen wahrnehmen konnte. Und daher war er die Liebenswürdigkeit in Person. Die Besprechung war kurz und frostig. „Wer ist der Gefangene?“ fragte eine Stimme, die ganz ohne Zweifel verstellt war. „Er heißt Nielsen, Herr, und war Bordfunker im Flaggschiff Kommodore Parkers.“ „Ihr habt ihn verhört?“ „Nach allen Regeln der Kunst, Herr. Mit Versprechungen und Drohungen.“ „Das Ergebnis?“ „Er hat geschwiegen, wie ein Grab.“ Stille. Dann wieder die Stimme. „Wiederholt das Verhör im Raum X 3. Und steckt ihn in die Gedankenlesemaschine.“ Die Gedankenlesemaschine! Ein Grauen überkam den sonst so abgebrühten Levantiner. Das war eines jener unheimlichen Geräte, die Kawa-al Macht über alle Lebenden verlieh. Die verborgensten Gedanken und Gefühle seines Opfers vermochte der Herrscher zu erkunden, wenn er es in diesem schrecklichen Apparat einem Verhör unterzog. Zitternd stand Jussuf auf und verbeugte sich devot vor der kahlen Wand. „Jawohl, Herr. Ich bereite alles vor.“ 65
* Nielsen, der Funker der „Europa“, grinste verächtlich, als Jussuf ihn in den Vernehmungsstuhl drückte und ihm eine halbkugelförmige Metallhaube auf den Kopf setzte. Drähte liefen in verwirrender Zahl aus seitlichen Öffnungen des Helms und endeten in einem Schaltbrett im Hintergrund des Raumes. „Sie wollen mir wohl ’ne Dauerwelle machen?“ unterbrach der Gefangene erstmals sein beharrliches Schweigen. „Das nenne ich wirklich ‚Dienst am Kunden’.“ „O bitte“ – Jussuf bemühte sich, auf den scherzhaften Ton einzugehen – „wir wissen, was wir unseren Gästen schuldig sind. Das ist alles im Pensionspreis einbegriffen.“ Nielsen wurde nun doch mißtrauisch. „Es könnte allerdings auch ’ne Art elektrischer Stuhl sein.“ Jussuf zuckte bei diesem Wort unwillkürlich zusammen. Es erweckte bei ihm peinliche Gedankenverbindungen. Laut sagte er: „Das kommt der Sache vielleicht schon näher. Beantworten Sie nur alle Fragen recht genau. Wenn Sie schwindeln, drücke ich auf den Knopf und …“ Mit einer vielsagenden Gebärde eilte der Levantiner zur Tafel, fingerte an den Schaltern herum und warf einen prüfenden Blick auf die Skalen der Instrumente. Dann ließ er sich auf einen Schemel sinken. Unmittelbar danach ertönte eine Stimme von irgendwoher: „Über wieviel Truppen verfügt Kommodore Parker, und wie sind sie bewaffnet?“ Aha, dachte Nielsen, Mister Jussuf produziert sich als Bauchredner. Nein, mein Freund, von mir erfährst du nichts. Ja – wieviel mochten noch beim Kommodore sein? Zwei waren schon in der Nacht nach der Landung verschleppt worden. Nun war ihm, Nielsen, dasselbe Mißgeschick zuteil geworden. 66
Blieben außer Jim Parker selbst noch 17 Mann, sämtlich mit Atomwaffen modernster Konstruktion ausgerüstet. Dazu die vier Atomkanonen. Die Mars-Soldaten, mit ihren spaßigen Elektrogewehren, hatte Nielsen nicht gezählt. Waren es dreihundert – oder gar einige tausend? Es war ohnehin gleichgültig; er traute diesen Figuren keinen sonderlichen Kampfwert zu. „Welche Ziele verfolgt die Offensive des Kommodores?“ Ha! Nielsen lachte innerlich. Das werdet ihr schon merken, wenn der Kommodore hier in Thule auftaucht. „Wieviel Freiwillige erwartet ihr mit den Transportgeschwadern?“ Nielsen grinste hämisch. Und er dachte mit Vergnügen an die 280 prächtigen jungen Legionäre des Weltraums. Sie würden diesen Gangstern gehörig die Hölle heiß machen. „Wo werden die Transportschiffe landen?“ Mittenmang im Mare Cimmerium – darauf könnt ihr euch verlassen, dachte Nielsen und rieb sich vergnügt die Hände. „Wo befindet sich der Eingang zur Hauptstadt Al-Angos?“ Ja, das hätte Nielsen selbst dann nicht zu sagen gewußt, wenn er es gewollt hätte. Irgendwo dort, wo der Scamander ins Mare Cimmerium mündete … „Das genügt. Vernehmung beendet. Apparat ausschalten!“ Jussuf sprang auf und eilte zum Schaltbrett. Als er den Gefangenen von seinem Metallhelm befreite, las er in Nielsens Augen einen Ausdruck grenzenloser Verachtung. „Ein tolles Affentheater“, sagte der Däne und reckte sich. „Und auf diesen faulen Zauber bilden Sie sich am Ende noch etwas ein, he?“ „Es war kein fauler Zauber“, stellte Jussuf sachlich fest. „Dieses Ding hier ist weder eine Lockenwickelmaschine noch ein elektrischer Stuhl. Es ist eine – Gedankenlesemaschine. Kawa-al weiß jetzt alles, was er wissen muß, um seine Feinde zu vernichten.“ 67
Sekundenlang stand Nielsen wie erstarrt. Dann dämmerte ihm allmählich die Erkenntnis dessen, was geschehen war. Kreidebleich taumelte er gegen die Wand und brach zusammen. * „Mare Chronium!“ Aufatmend rief es der Kommodore, als er mit Wernicke und Townsend von der flachen Hügelkuppe aus über die dichtbewachsene Ebene blickte, die sich im Süden vor ihnen dehnte. Die Vegetation hatte sich geändert. Mehr und mehr waren Moose, Flechten und Kraut an die Stelle des dornigen Buschwerks getreten, das den Vormarsch oft empfindlich gehemmt hatte. Das Gelände vor ihnen würde keine nennenswerten Hindernisse mehr bieten. „Morgen geht’s hinein und durch, daß die Heide wackelt“, freute sich Fritz Wernicke. „Und dann …“ „Greifen wir Thule II an und heben die Uraniden aus“, vollendete Jim. „Morgen ist es soweit. Endlich sind wir am Ziel.“ Es war ein heißer Tag gewesen. Zwar lagen die Temperaturen hier, in der Nähe der Polarzone, bereits empfindlich tief. Aber die gegnerischen Vorposten hatten nichts unversucht gelassen, ihren Vormarsch zu stören und ihnen erbitterte Rückzugsgefechte zu liefern. Frühzeitig legte sich Jim in seinem Zelt schlafen. Er war kaum in den ersten, tiefen Schlummer gesunken, als der Alarmruf der Wachen ihn hochriß. Draußen eilten die Männer zu den Waffen. Kommandos ertönten. Scheinwerferstrahlen geisterten suchend durch die Nacht. Vier Männer von der „Europa“-Mannschaft schleppten eine Gestalt herbei und betteten sie vor dem Kommodore auf den Boden. Das grelle Licht einer Taschenlampe beleuchtete ein wachsbleiches Gesicht. 68
„Nielsen!“ Erschrocken beugte sich Jim über den Bewußtlosen, der aus einer schweren Wunde in der linken Brustseite blutete. Er sah sofort, daß hier jede Hilfe zu spät kam. „Diese Mars-Heinis haben ihn angeschossen, als er vor der Postenlinie auftauchte“, erstattete Horst Fischer Bericht. „Diese Affen haben die Hosen voll und verlieren schon beim leisesten Geräusch die Nerven.“ Der Verwundete schlug die Augen auf und sah sich befremdet um. Als sein Blick den Augen Jim Parkers begegnete, lächelte er wie erlöst. Seine Lippen bewegten sich. Tief beugte sich der Kommodore über ihn, um die geflüsterten Worte zu verstehen. „Uraniden wissen alles – wollen Transporter abfangen, wenn sie im Mare Cimmerium landen – greifen jetzt Al-Angos Stadt an …“ „Das wird ihnen schwerfallen, Nielsen.“ „O nein – kennen Eingang an Scamander-Mündung – haben mich in Maschine gesteckt, die Gedanken liest – wissen jetzt alles …“ Entgeistert starrten die Männer sich an. Noch leiser kamen jetzt die Worte des Sterbenden: „War nicht meine Schuld, Kommodore – konnte später fliehen – habe mich – durchgekämpft – mußte euch – warnen …“ „Es ist alles gut, Nielsen. Sie haben sich tapfer gehalten. Kann ich irgend etwas für Sie tun?“ „Kehren Sie um, Kommodore – ehe es zu spät ist – zurück zum Mare Cim…“ Das Murmeln erstarb. Nielsen hatte ausgelitten. Erschüttert richtete Jim Parker sich auf. „Laß das Lager abbrechen, Fritz. Wir marschieren in fünfzehn Minuten ab.“ „Jawohl, Jim. Greifen wir Thule noch bei Nacht an?“ „Nein, Fritz. Nielsen hatte recht: Wir müssen umkehren – 69
und werden uns gewaltig sputen müssen, wenn wir die letzte Bastion der Marsbewohner noch retten wollen.“ * Jörg Lorenz hatte sich nicht getäuscht. Auch andere hatten es gesehen: Der Flugkreisel, der am Vortage gelandet war, hatte einen neuen Gefangenen mitgebracht. Und dieser Gefangene trug die Dienstkleidung der S.A.T.-Raumschiffbesatzungen. Das konnte nur eines zu bedeuten haben: Die Expedition des S.A.T. mußte eingetroffen sein. Jim Parker befand sich auf dem Mars! Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Freudenbotschaft in Bunkern und Baracken des großen Lagers von Thule II. Die Hoffnung der Gefangenen erhielt neue Nahrung, als gegen Abend plötzlich größere Einheiten der Wachmannschaften in nördlicher Richtung das Lager verließen und einige Geschwader Flugkreisel vom Flugfeld aufstiegen und in gleicher Richtung am Horizont verschwanden. Die wildesten Gerüchte waren im Umlauf. Schon sollten die Uraniden in Hellas eine vernichtende Niederlage erlitten haben. Landungsraketen des S.A.T. sollten die feindlichen Stützpunkte im benachbarten Thule III angegriffen haben. Und einer, der das Gras wachsen hörte, wollte sogar Kanonendonner vom Mare Chronium her vernommen haben. Die Nacht verging in banger Erwartung. Doch als der Morgen graute, war alles wie gewöhnlich. Nichts im Lager deutete auf das Kommen besonderer Ereignisse hin. Man hatte sich zu früh auf die Befreiung gefreut. Bedrückt schlichen die Internierten an ihre Arbeitsplätze. Kate Harris aber ging zu jener „traurigen Baracke“, die man ihr als das Biologische Institut bezeichnet hatte. Professor Dunois, ihr neuer Chef, begrüßte sie mit größter 70
Liebenswürdigkeit. Er war ein kleiner, schlanker Mann mit weißen Haaren und so vielen Runzeln, daß sein Gesicht aussah, wie ein leicht durcheinandergeratenes Puzzlespiel. „Ich bin hocherfreut, Sie zu sehen, Miß Harris. Ihre Arbeit im Institut wird Ihnen gewiß gefallen. Wir betreiben hochinteressante Versuche.“ „Interessant ist mir im Augenblick nur eines, Herr Professor: Wie komme ich hier wieder heraus? Ich bin gegen meinen Willen zum Mars gebracht worden, wie Sie wohl wissen werden …“ „Gewiß doch, Miß Harris. Aber das ist nun nicht mehr zu ändern. Für uns alle, die wir irgendwann einmal den Boden dieses Planeten betreten haben, gibt es kein Zurück mehr. Machen Sie es so wie ich: Fügen Sie sich in das Unvermeidliche und versuchen Sie, das Beste für sich daraus zu machen. Doch kommen Sie nun. Ich will Sie in Ihre Arbeit einführen.“ * In pausenlosen Eilmärschen trieb der Kommodore seine Männer nach Norden zurück. Er gönnte sich und ihnen weder Ruh noch Rast. Die Fahrer der Kettenfahrzeuge schliefen vor Überanstrengung am Steuer ein. Sie wurden ohne Aufenthalt durch andere ersetzt. Man hatte keine Zeit mehr zum Schlafen – und nicht einmal mehr zur Einnahme einer richtigen Mahlzeit. „Der Teufel soll doch diesen ganzen verdammten Planeten holen“, schimpfte Wernicke am Abend des dritten Tages, als sich die Fahrzeuge rasselnd ihren Weg durch das Dornengestrüpp des Scamander bahnten. „Er braucht ihn gar nicht erst zu holen“, knurrte Townsend. „Er hat ihn schon.“ „Und deshalb müssen wir dem Teufel diesen schönen roten Stern eben wieder abnehmen“, versuchte Jim Parker matt zu scherzen. „Vorwärts, Leute, keine Müdigkeit vorschützen!“ 71
„Vorwärts?“ nörgelte Wernicke. „Du meinst wohl ‚rückwärts’? Glaubst du wirklich, Jim, wir könnten dem Teufel dadurch imponieren, daß wir ‚erfolgreiche Absetzbewegungen’ durchführen?“ „Erinnerst du dich noch an die Aufgabe, die wir auf Mars zu erfüllen haben, Fritz?“ „Na klar doch: Die Marsbewohner sollen wir befreien.“ „Stimmt auffallend. Und gerade jetzt ist man dabei, ihnen die letzte Zufluchtstätte zu nehmen. Es ist weiß Gott nicht meine Art, dicht vor dem Ziel umzukehren, und ich hätte diese Hochburg der Uraniden lieber gestern als heute angegriffen. Aber der Schutz der Marsmetropole ist jetzt wichtiger.“ „Na schön. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, tröstete sich der draufgängerische kleine Steuermann. Und weiter ging es, immer weiter … Die Uraniden ließen sich während des ganzen Rückmarsches nicht blicken. Ein paarmal hatte man in großer Höhe Formationen von Flugkreiseln gesichtet, doch hatten sie der Streitmacht Jim Parkers keine Aufmerksamkeit geschenkt und waren nordwärts weitergezogen. Offenbar waren sämtliche Streitkräfte Uranias vollauf damit beschäftigt, die Eroberung der letzten Marsstadt vorzubereiten. Endlich hatte man die Stelle erreicht, an der die Landschaften Scamander und Mare Cimmerium zusammentreffen. Von einem der flachen Hügel aus, die rot im Schein der sinkenden Sonne lagen, musterte der Kommodore die vor ihm liegende Gegend. Plötzlich brach der Befehlshaber dar Mara-Truppen, der neben ihm stand, in bewegte Klagen aus. Mit zitternder Hand wies er auf ein stacheliges Gesträuch mit großen feuerroten Blüten, hinter dem – gut getarnt – der verborgene Eingang zur „unterirdischen“ Stadt lag. Jim folgte mit den Augen der angedeuteten Richtung. Er 72
knirschte erbittert mit den Zähnen. Dort drüben wimmelte es von schattenhaften Gestalten. Sie strömten wie eine unaufhaltsame Flut hinab in die Unterwelt. „Zu spät …“ Über ihren Köpfen war plötzlich ein übergroßer Flugkreisel; er verharrte in gefährlicher, unheilverkündender Reglosigkeit. Es wurde unerträglich heiß. Die Luftschichten unterhalb des Flugapparats standen in tiefroter Glut. Fluchend brachte Horst Fischer irgendwo seine Atomgeschütze in Stellung. „Sie wollen uns bei lebendigem Leibe schmoren, Jim!“ rief Fritz Wernicke aufgebracht. „Wenn nur Fischer endlich mit seinen Kanonen klarkäme.“ „Wir wollen ihnen die Suppe versalzen. Los, Jungens, gebt Vollgas! Hinein!“ Mit rasselnden Ketten, in Wolken roten Staubs gehüllt, rasten die schweren Fahrzeuge mit Höchstgeschwindigkeit auf das dunkle Tor zum „Reich ohne Sterne“ zu. * Kate Harris stieß einen markerschütternden Schrei aus. Sie floh bis in den äußersten Winkel des Laboratoriums. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Hinter der Tür zum Nebenraum wurden Schritte hörbar. Professor Dunois trat ein und trippelte eifrig auf sie zu. „Was ist denn passiert, Miß Harris? Wovor fürchten Sie sich denn?“ „Da – da …“ Kate zeigte zitternd in den Mittelgang zwischen den großen Arbeitstischen. Auf dem Boden kroch etwas heran – eine graue, undeutliche Masse mit schlangenhaften Gliedern. Ein Tiefseeungeheuer? Ein Fabelwesen? Die Ausgeburt eines grausigen Fiebertraums? „Ach so, das da!“ Die Stimme des Professors klang geringschätzig. „Davor brauchen Sie sich doch nicht zu ängstigen.“ 73
Mit diesen Worten hob er einen Schemel auf und begann, das Ungeheuer kunstgerecht in Stücke zu hacken. „Aber – das ist ja Tierquälerei!“ rief Kate angewidert. „Tierquälerei? Hier ist doch nirgends ein Tier.“ „Wieso? Ist das etwa kein Tier?“ „Das da? Keine Spur – das sieht nur so aus. Es besteht zwar aus lebender Substanz, ist aber trotzdem nicht als Lebewesen anzusprechen. Wir stellen diese Dinger in Thule II fabrikmäßig her.“ Kate glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Verständnislos starrte sie den Professor an. Der grinste überlegen. „Die Sache ist im Grunde ganz einfach zu verstehen. Wir haben der Schöpfung ein wenig in die Karten geguckt. Der Gedanke ist übrigens nicht einmal neu. Schon um die Mitte des Jahrhunderts gelang es einem Forscher in England, einen Wirkstoff zu isolieren, den er Acrasin nannte. Dieser Stoff spielt bei der Entwicklung höherer Lebensformen eine entscheidende Rolle. Ich habe auf diesen Erkenntnissen weitergebaut und konnte – nach jahrelangen Mißerfolgen – schließlich recht schöne Ergebnisse verbuchen. Aus toter Materie konnte ich lebende herstellen und diese höher und höher züchten.“ „Nun sagen Sie nur noch, Sie könnten auch Menschen in der Retorte herstellen.“ „Ob das je gelingen wird, möchte ich bezweifeln. Es liegt auch außerhalb des Forschungsauftrages, den ich von Kawa-al erhielt. Übrigens sind es keine eigentlichen Lebewesen, die wir herstellen. Das Wichtigste fehlt ihnen – Geist, Seele, oder wie Sie es nennen wollen. Es läßt sich nicht künstlich erzeugen.“ „Sie sprachen von einem Forschungsauftrag.“ Der Gelehrte lächelte spöttisch. „Die Uraniden brauchen billige Arbeitskräfte für ihre Uranbergwerke und für ihre – ‚Infanterie’. Ich habe also Wesen herangezüchtet, die über mög74
lichst viele Arme verfügen. In diesen Armen steckt eine gewaltige Kraft. Es ist ja bekannt, daß auf der Erde gewisse Insektenarten bis zu hundertmal stärkere Muskeln haben, als – natürlich nur vergleichsweise gesehen – der Mensch. Auch diesem Phänomen bin ich nachgegangen. Es gelang mir, eine chemische Substanz zu finden, die – in feiner Verteilung gegeben – die Muskelleistungen durch Reizung ins Phantastische vergrößern kann. Wollen Sie jetzt noch unsere Wachstumsabteilung kennenlernen, Miß Harris?“ Kate dankte. Ihr schwirrte der Kopf. Doch als Dunois gegangen war, setzte sie sich hin und trug alles, was sie erfahren hatte, gewissenhaft in ein Journal ein. Man konnte schließlich nicht wissen … Ein leises Pochen am Fenster ließ sie aufhorchen. Auf dem weiten Lagerplatz war es bereits finster. Gespenstisch fingerten von den Wachttürmen die bleichen Strahlen der Scheinwerfer durch die Nacht. Wieder ein Klopfen. Kate hob das Schiebefenster an. Sie vernahm ein Flüstern. „Miß Kate – sind Sie allein?“ „Jörg? Seien Sie vorsichtig. In den Labors wird noch gearbeitet. Man könnte Sie erwischen. Was gibt es denn?“ „Etwas sehr Wichtiges. Heute nachmittag sind neue Gefangene eingetroffen. S.A.T.-Männer. Ich sah sie von weitem. Kommodore Parker ist tatsächlich auf Mars.“ „Und warum kommt er nicht und befreit uns?“ „Sie stellen sich das wohl furchtbar einfach vor, wie? Hören Sie, Kate, wir müssen ihm helfen.“ „Und wie stellen Sie sich das vor, Jörg?“ „Wir werden eine Meuterei organisieren, daß den Uraniden Hören und Sehen vergeht. Heute nacht halten wir Kriegsrat. Björnson wird bis dahin versuchen, an die Leute vom S.A.T. ’ranzukommen.“ 75
„Wenn das nur nicht schiefgeht, Jörg. Ich fürchte, Sie unterschätzen die Uraniden.“ * Im „Reich ohne Sterne“, in den Höhlen unter dem Mare Cimmerium, tobte ein Kampf ohne Gnade. Als die Streitmacht des Kommodores die verborgene Einfahrt in die Unterwelt passiert hatte und auf breiter Straße in die Hauptstadt Al-Angos vorstieß, wurde es offenbar, daß höchste Eile geboten war. Überall lagen die Verteidiger umher, tot oder kampfunfähig gemacht durch die unheimlichen Waffen der Uraniden. Sie mußten völlig überrumpelt worden sein. Aus den Seitengängen klangen Lärm und Geschrei. Bläuliche Rauchschwaden hingen zäh in der Luft. Und dann kamen sie – die Roboter, die grauen, vielarmigen Polypen. Von einem unsichtbaren Willen gelenkt, stürzten sie sich auf den neuen Feind. Jim Parker wußte nicht, welche Bewandtnis es mit diesen Ungeheuern hatte, die wie Bestien der Tiefsee wirkten und doch keine Lebewesen waren. Nur soviel hatte er erkannt: Sie handelten nicht nach eigenem Willen oder Instinkt. Es waren jene nebelhaften, menschenähnlichen Gestalten mit den großen Kinderaugen, die ihnen ihren Willen aufzwangen – die Uraniden. Chefingenieur Sommerfeld hatte sich in Stunden der Ruhe das Geheimnis ihrer Unsichtbarkeit durch den Kopf gehen lassen. Dann hatte er sich eine Werkzeugkiste aus dem nächstbesten Raupenfahrzeug geholt und sich mit seltsamen Basteleien beschäftigt. „Wir müssen einen Strahler bauen, der stärker ist als jener, der die Uraniden unsichtbar macht“, hatte er dem Kommodore auf seine Frage hin erklärt. „Wenn uns das gelingt, werden die Halunken sichtbar für uns.“ 76
Kurz vor der Einfahrt in die Unterwelt hatte er an jeder Atomwaffe eine visierähnliche Vorrichtung angebracht. Der Erfolg war verblüffend. Sobald ein Uranide in den Zielbereich eines Atombrenners geriet, verlor er die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen. Kawa-als Truppen erlitten schwerste Verluste. Fünf Stunden schon währte das erbitterte Ringen. Als der Kommodore einen der geheimen Aufgänge erreichte, die zur Oberfläche des Mare emporführten, sprang er von seinem Fahrzeug und gab Townsend einen Wink, ihm zu folgen. „Fritz, übernimm du solange das Kommando! Ich gehe mal flink nach oben, um frische Luft zu schöpfen.“ „Okay, Jim. Hier ist ohnehin nicht mehr viel los.“ Wenige Minuten später stand Jim mit seinem Begleiter unter dem strahlenden Firmament. Sie öffneten die Kombinationen und sogen die kalte Nachtluft in tiefen Zügen ein. „Die Chancen stehen günstig, Kommodore“, frohlockte Townsend. „Wir haben mächtig aufgeräumt.“ Jim Parker hatte sich auf einem flachen Stein niedergelassen. Er zog eine Packung seiner geliebten „Maza Blend“ aus der Tasche und bot dem jungen Adjutanten an. „Der Kampf ist schon entschieden, Townsend – wenigstens hier, in der MarsMetropole. Das bedeutet freilich noch nicht viel. Solange Thule II nicht in unserem Besitz ist, wird der Kriegsplanet nicht zur Ruhe kommen.“ „Werden wir das jemals schaffen, Kommodore?“ „Mit dem guten Dutzend, das uns noch verblieben ist, bestimmt nicht. Und die Marsbewohner fallen als Mitkämpfer kaum ins Gewicht.“ „Dann bleibt uns also nur die Hoffnung auf das dritte Geschwader?“ Jim Parker antwortete nicht. Minutenlang verrieten nur die glühenden Punkte der Zigaretten die Anwesenheit der beiden einsamen Erdenmenschen. Schließlich seufzte Jim verhalten. 77
„Dieser kosmische Vernichtungskampf, dieses abscheuliche Morden ist mir zutiefst zuwider. Von jeher habe ich mein Ziel in der friedlichen Erforschung des Weltalls erblickt …“ „Wir handeln in Notwehr, Kommodore. Wie heißt es doch im ‚Wilhelm Tell’: ‚Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt’.“ Jim wollte etwas entgegnen, doch in diesem Moment kam eine Gestalt aus der Tiefe heraufgekeucht. „Kommodore – Kommodore! Funkspruch von der ‚Titania’!“ „Her damit!“ Jim Parker ließ die Taschenlampe aufblitzen. Halblaut las er vor: „Z 112 D VIII. ‚Titania’ an Kommodore Parker: Treffen in 70 Stunden am Zielplaneten ein. Laufen befehlsgemäß Phobosbahn an und senden Landungsboote zum Mare Cimmerium.“ „Hurra!“ schrie Edgar Townsend und sprang auf. Der Kommodore mußte plötzlich an Nielsens letzte Worte denken. „Halt!“ rief er. „Befehl zurück. Das Geschwader muß umdirigiert werden. Die Funkstation soll sofort …“ „Die Station ist von den Uraniden zerstört worden, Kommodore“, meldete der Bote. „Wir haben die Depesche mit einem Tornistergerät aufgenommen.“ „Damned!“ Jim Parker überlegte fieberhaft. „Townsend – suchen Sie sofort Professor Bergenda! Laufen Sie mit ihm zum Spezialisten für optische Signale. Der Kerl soll eine Meldung an die ‚Titania’ loslassen, in seiner berühmten Bilderschrift. Hier ist der Text …“ * Das dritte Geschwader in Marsnähe! Grimmig lächelnd ging Kawa-al, der Herr Uranias, in seiner geheimnisvollen Zentrale auf und ab. Es war ihm also gelungen, bis hierher vorzustoßen, und noch dazu in unerwartet kurzer 78
Zeit. Hätte er nur noch genug von den großen Flugkreiseln zur Verfügung! Er hätte den frechen Erdenmenschen einen heißen Empfang bereitet. Aber Kommodore Parker hatte bei seinem Anflug die Flugschiffe des äußeren Sperrgürtels vernichtet. Im Augenblick war es unmöglich, einen neuen Verteidigungsring um den roten Planeten zu legen. Nun, wenn schon – noch gab es den inneren Ring! Die Schiffe des ersten und zweiten S.A.T.-Geschwaders waren seiner geheimnisvollen Macht zum Opfer gefallen. Dem dritten Geschwader würde es nicht anders ergehen. Durch den letzten Funkspruch der „Titania“ wußte Kawa-al, daß Nicholson die Phobosbahn anlaufen würde. Gerade das war es ja, was der Herr der Uraniden wünschte. Es würde das Verderben des Geschwaders sein! Aus einem verborgenen Lautsprecher meldete sich Kapitän Oshigawas Stimme. „Lichtsignale im Mare Cimmerium, Herr. Ich schalte Übertragung IV ein.“ Beinahe plastisch leuchteten an der Wand die Lichtzeichen auf. Kawa-al kannte die Bilderschrift der „Eingeborenen“, wie er die Ureinwohner des Mars spöttisch nannte. Er las die Zeichen – und erschrak. Es war eine Botschaft seines großen Widersachers, Kommodore Parker. Ein Befehl an das Transportgeschwader, das zur Unterstützung nahte. Wieder einmal wollte der große Sternenfahrer seine Pläne durchkreuzen. Kawa-al knirschte mit den Zähnen. Lange verharrte er bewegungslos. Dann stellte er mit raschen Griffen die Verbindung mit dem Stationskommandanten her. „Geben Sie acht, Oshigawa. Befehl an alle: Der Planet Mars ist zu räumen. Alle Flugkreisel kehren unverzüglich nach Thule II zurück.“ „Verzeihung, Herr, aber was wird aus unseren Streitkräften, die im Bereich des Mare Cimmerium kämpfen? Sie sind auf die Unterstützung der Flugkreisel angewiesen.“ 79
Die Stimme Kawa-als klang eisig. Sie ließ dem Japaner das Blut in den Adern gerinnen. „Ich habe befohlen, den Planeten zu räumen. Lassen Sie sofort mit der Evakuierung beginnen. Die Gefangenen in Thule II zuerst. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden, Oshigawa. Oder …?“ * Je näher die „Titania“ dem Zielplaneten kam, desto mehr wuchsen Ungeduld und Kampfesfreude der jungen Weltraumlegionäre. Doch im gleichen Maße stieg auch Robert Nicholsons Sorge vor den Ereignissen, die nun unmittelbar bevorstanden. Der junge Befehlshaber des dritten Geschwaders hatte ganz einfach ein schlechtes Gewissen. Vielleicht war der Befehl des Kommodores zur Rückkehr nach „Luna nova“ doch echt gewesen? Und er, Robert Nicholson, hatte ihn nicht befolgt. Es war gar nicht auszudenken, was passieren würde. Andererseits – warum hatte Jim Parker seither geschwiegen? Warum hatte er jeden Funkspruch unbeantwortet gelassen? Vielleicht war die Landung tatsächlich mißglückt, wie es ja nach den – allerdings recht unsicheren – Beobachtungen mit der Elektronenoptik den Anschein gehabt hatte. Fragen über Fragen – dem armen Nicholson war alles andere als wohl zumute. Als die „Titania“ noch 70 Fahrtstunden von Mars entfernt war, setzte er ohne sonderliche Begeisterung einen letzten Funkspruch ab. Fortwährend verringerten die Schiffe jetzt ihre enorme Geschwindigkeit. Alle Stationen waren besetzt. Freiwillige halfen den Besatzungsmitgliedern bei der Ausübung ihres schwierigen Dienstes. Im Ausguck der „Titania“ hockten Gerd Schäffer und Friedolin Kummer vor dem Projektionsschirm des Elektronenteleskops. Das Objektiv war auf den Marsäquator gerichtet. Zu se80
hen war allerdings fast nichts; denn es war Nacht auf dieser Seite des Planeten. Schäffer verglich die kaum wahrnehmbaren Oberflächengebilde mit der Marskarte. „Schätze, wir haben gerade die Syrtis Minor im Fadenkreuz.“ „Dann müßte ja bald das Mare Cimmerium in Sicht kommen, unser künftiger Landeplatz.“ Gerd Schäffer betätigte die Feineinstellung. „Hallo, was ist denn das? Der Mars gibt Signale. Eine neue Botschaft!“ „Nimm die stärkste Vergrößerung! Mensch, Gerd, hoffentlich signalisieren diese Heinis nicht wieder, wir sollten umkehren.“ Aufgeregt stolperte jetzt Kapitän Nicholson aus dem Führerstand herauf. Er hatte das Lexikon der interplanetarischen Bilderschrift unter den Arm geklemmt. „Laßt mal sehen, Boys.“ Die Blätter des Lexikons raschelten. Und leise formten Nicholsons Lippen die Worte der Meldung: „Z 112 E IX. Kommodore an ‚Titania’: Vermeidet Phobosbahn. Nicht in Äquatorzone niedergehen. Landet in Thule II. Feindlichen Widerstand rücksichtslos niederkämpfen. Gefangene befreien. Parker.“ „Hurra!“ schrien die beiden jungen Journalisten. „Wir kommen nicht zu spät. Es geht los – zu den Waffen!“ Ein Sturm der Begeisterung durchtobte das Schiff. * „Herr Kapitän, Sie sind der Rangälteste und Erfahrenste von uns allen“, sagte Jörg Lorenz. „Wollen Sie uns führen, wenn wir gegen die Uraniden losschlagen?“ „Ihr Vertrauen ehrt mich“, erwiderte Kapitän Henkels würdevoll und verneigte sich. „Wenn es Ihnen also recht ist, Gentlemen, werde ich zu gegebener Zeit den Befehl zum Losschlagen geben.“ 81
„Schätze, die günstigste Zeit dürfte gerade jetzt gegeben sein“, brummte Björnson. „Ich weiß wirklich nicht, worauf wir noch warten. Das Lager ist von den Truppen der Uraniden fast restlos geräumt. Mit den paar Wächtern, die zurückgeblieben sind, werden wir schnell fertig.“ Lebhaftes Beifallsgemurmel antwortete dem Norweger. Die jungen Verschwörer, etwa fünfzig an der Zahl, unter ihnen viele in der Uniform der S.A.T.-Raumschiffbesatzungen, hockten dichtgedrängt in einem Bunker des Lagers von Thule II. Jeder von ihnen brannte darauf, loszuschlagen und die Söldner Uranias zum Teufel zu jagen. Doch Käpten Henkels schien es nicht so eilig zu haben. „Die Sterne lügen nicht, Gentlemen“, lächelte er, „und mein Horoskop sagt: ‚Eine große Verantwortung wird in Ihre Hände gelegt. Handeln Sie nicht unüberlegt und übereilen Sie nichts, wenn Sie nicht alle Chancen aufs Spiel setzen wollen.’ Ich bin nämlich ein Steinbock, müssen Sie wissen.“ „Schätze, da haben wir den ‚Stein’-Bock zum Gärtner gemacht“, brummte Björnson verdrossen. „Gehen Sie einstweilen ruhig wieder in Ihre Quartiere zurück, Gentlemen“, riet Henkels. „Wenn es soweit ist, gebe ich Alarm. Verlassen Sie sich getrost auf mich. Ich gebe schon acht.“ – Die Nacht verging. Und als der Morgen graute über Thule II, war es bereits zu spät. Auf dem Flugfeld landeten Flugkreisel in rascher Folge. Das ganze Lager wimmelte plötzlich von Bewaffneten. Auch zahlreiche Gefangene, vor allem Marsbewohner, die in den Außenwerken gearbeitet hatten, waren plötzlich da. Thule II glich einem Bienenhaus. In den Unterkünften riefen die Lautsprecher: „Alles ’raustreten! Fertigmachen! Thule II wird evakuiert. Achtung, Achtung …“ Lorenz und Björnson stürzten in den Bunker, der Kapitän Henkels als Unterkunft diente. „Käpten – so hören Sie doch!“ 82
Aber der alte Seebär lag auf seiner Pritsche und schnarchte, daß die Fensterscheiben zitterten. Die beiden Freunde ließen ihn liegen. Sie stürzten hinaus, wechselten rasche Blicke mit den Kameraden, die aus den Bunkern hervorkamen. Auf einer umgekippten Kiste stand Jussuf, ruderte mit den Armen und brüllte seine Befehle. Jörg Lorenz stürmte auf ihn los, riß ihn von seinem Podest und sprang an seiner Stelle hinauf. „Kameraden! Alles hört auf mein Kommando! Los, gebt es ihnen! Nieder mit Urania!“ „Nieder mit Urania!“ brauste der Schlachtruf über den Platz. Im Nu waren die Wächter überwältigt. Mit den erbeuteten Waffen in den Fäusten stürmten die Aufrührer auf das Flugfeld los – Jörg und Björnson allen voran. Sie kamen nicht weit. Rings um sie herum erhoben sich plötzlich schweres Stampfen und Maschinenlärm. Von allen Seiten rückten in dichter Formation Roboter heran. Und hinter ihnen wimmelte es von grauen, vielarmigen Fabelwesen, die aussahen, als hätte der irdische Ozean sie ausgespien. * Fast hätte sich das Kriegsglück noch im letzten Augenblick gegen den Kommodore und seine Streitmacht gewandt. Ganz ohne ersichtlichen Grund versagten die Bundesgenossen aus AlAngos Reich plötzlich. Sie verfielen, als sie den Sieg beinahe schon in der Hand hielten, in eine müde Resignation. „Was ist denn nur in die Kerle gefahren, Jim?“ staunte Fritz Wernicke. „Ich glaube allen Ernstes, die wollen nicht mehr mitspielen. Paß auf, denen werde ich mal gehörig Dampf machen.“ „Laß sie laufen, Fritz. Sie haben sich bislang ganz wacker geschlagen. Aber sie haben anscheinend nicht viel Ausdauer. Sie sind eben ein müdes Volk.“ 83
Die Uraniden erkannten ihre Chance sofort. Mit verdoppelter Wucht warfen sie die Roboter, die ihnen noch verblieben waren, gegen die gepanzerten Kettenfahrzeuge des Kommodores. Jim Parker antwortete mit einem geschickten Rückzugsmanöver, das hier, in den verworrenen Höhlengängen der MarsUnterwelt, höchste Anforderungen an die Geschicklichkeit seiner Männer stellte. Die Situation wurde äußerst bedrohlich. Plötzlich stieß Fritz Wernicke einen überraschten Ruf aus. „Sie türmen, Jim!“ Tatsächlich! Die Uraniden flüchteten Hals über Kopf und verschwanden in den Gängen und Schächten, die zum Mare hinaufführten. Im gleichen Augenblick erstarrten ihre Roboter und Polypenwesen zu völliger Leblosigkeit. „Hinterher!“ brüllte Wernicke. „Laßt keinen entkommen!“ „Laß sie laufen!“ wehrte ihm Jim Parker abermals. „Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun. Wieviel voll einsatzfähige Männer sind uns verblieben?“ Rasch zählte Wernicke die „Häupter seiner Lieben“. „Außer uns beiden noch acht. Dazu ein paar Leichtverwundete.“ „Gut. Townsend, du und noch zwei Mann, ihr kommt mit mir. Wir nehmen das schnellste Kettenfahrzeug und fahren – quer durch die Wüste von Electris nach Süden – zum Hauptquartier der Feinde.“ „Und die anderen?“ „Bleiben hier und räumen gründlich auf. Fischer übernimmt hier das Kommando. Wir starten in fünfzehn Minuten.“ „Und wenn die Uraniden wieder angreifen?“ „Sie kommen nicht wieder. Verlaß dich darauf, mein Alter.“ * Über Thule II brach ein heulendes, tobendes Ungewitter hernieder. 84
Noch waren die Evakuierungsmaßnahmen in vollem Gange, noch landete ein Flugkreisel nach dem anderen. Uraniden, Gefangene und Gerät aller Art wurden aus- und sofort in die übergroßen Weltall-Fluggeräte umgeladen, die sich – randvoll belastet – schwerfällig kreisend in die Luft erhoben. Die Mehrzahl der Gefangenen war bereits fortgeschafft worden, nachdem die Meuterei im Keim erstickt war. Aber noch immer wimmelte es auf dem großen Flugfeld, wie in einem Ameisenhaufen. Jussuf, der Levantiner, preschte umher, als säße ihm der Teufel im Nacken. Und es war ihm tatsächlich genauso zumute. Mit einem der letzten Flugkreisel war Kawa-al, der Herr Uranias, gekommen. Weit draußen am Horizont schwebte der Flugkörper einige hundert Meter über dem Boden. Jussuf wußte genau: Von dort aus wurde jede Kleinigkeit genau beobachtet. Und wehe ihm, wenn es ihm nicht gelang, In diesen wimmelnden Haufen Ordnung zu bringen. Es sollte ihm nicht gelingen. Urplötzlich flammten die Warnlichter, heulten die Sirenen nah und fern. Luftalarm! Eine Erstarrung ging durch die Durcheinanderhastenden. Jussuf faßte sich zuerst. Seine überschnappende Stimme schrie: „Die Strahlengeschütze!“ Es war sein letzter Befehl. Dicht über den Platz hinweg schoß eine Staffel schlanker Landungsraketen. An ihren Spitzen sprühten grün und bösartig die Atomwaffen. Eine fahlgrüne Kugel, nicht größer als ein Kürbis auf der fernen, heimatlichen Erde, schwebte vom Himmel herab. Sie barst in blendender Lohe. * „Volltreffer!“ konstatierte Käpten Nicholson sachlich. Er stand im Beobachtungsraum seines Flaggschiffs „Titania“, das jetzt in einer Kreisbahn in 20 000 Kilometer Höhe um den Kriegsplaneten 85
schwebte. „Gut gezielt haben die Jungen. Seht doch: Der ganze Flugzeugpark der Uraniden ist ein einziges Flammenmeer.“ „Einer ist ihnen entwischt, Käpten.“ Der Steuermann zeigte auf den entferntesten Rand des Flugplatzes, der auf dem Bildschirm gerade noch erkennbar war. Ein großer Flugkreisel stieg dort rasch in höchste Höhen empor und nahm Kurs auf die Äquatorzone. „Befehl an Landungsboote T II und T IV: Feindlichen Flugkörper verfolgen und herunterholen.“ Die Landungsraketen nahmen die Verfolgung auf. Hoch über der Atmosphäre des Mars raste die wilde Jagd dahin. Allmählich schrumpfte die Entfernung zusammen. Minuten noch, und die Atomwaffen würden ihre vernichtende Sprache sprechen. Plötzlich schob sich ein dunkler Schatten in den Gesichtskreis: Phobos, der innere Marsmond, rollte heran, kreuzte die Bahn der rasenden Schiffe. Für einen Augenblick verdeckte er den Beobachtern an Bord der „Titania“ die Sicht. Als das Gesichtsfeld wieder frei war, sah man dort, wo der Flugkreisel hätte sein müssen, einen dichten, grauen Nebelfleck. Nicholson rief den Führer der T IV an. „Was habt ihr denn mit dem Kerl gemacht? Habt ihr ihn kaputtgeschossen?“ „Keine Idee, Käpten. Wir waren ja noch gar nicht nahe genug ’ran. Anscheinend hat er sich selbst gesprengt.“ Nicholson fand die Erklärung nicht sehr glaubwürdig. Aber es war tatsächlich nichts mehr von dem Flugkreisel der Uraniden zu entdecken. Achselzuckend ließ der Kapitän die Verfolgung abbrechen. * „Melde gehorsamst, Kommodore: Befehl ausgeführt. Thule II und alle größeren Stützpunkte der Uraniden auf Mars besetzt. Die Verluste des Gegners sind noch nicht genau bekannt, auf jeden Fall aber erheblich. Eigene Verluste: 10 Tote und 21 Verletzte.“ 86
„Ich danke Ihnen, Nicholson. Sie kamen zur rechten Zeit.“ Bewegt schüttelte Jim Parker seinem jungen Kameraden die Hand. Sie standen auf dem weiten Platz im einstigen Lager von Thule II. Eine Anzahl Legionäre war damit beschäftigt, die letzten Spuren des Kampfes zu beseitigen. „Leider kamen wir doch nicht mehr früh genug“, meinte Nicholson betrübt, „um alle Gefangenen zu befreien. Die meisten von ihnen sind abermals verschleppt worden. Wer weiß, wohin?“ „Wir werden es schon herausbekommen. Ich habe bestimmte Vermutungen. Sobald Fischer hier abkömmlich ist, soll er mit dem ‚Ariel’ auf Fernfahrt gehen und sie heraushauen. Wir geben keinen von ihnen preis.“ „Sehr richtig, Kommodore. Wenn man davon absieht, haben wir unsere Aufgabe doch eigentlich voll und ganz erfüllt. Die Uraniden sind vertrieben, die Marsbewohner sind befreit. Es herrscht nun wieder Frieden auf dem ‚Kriegsplaneten’.“ Jim Parker lächelte, aber es lag Bitterkeit in seiner Stimme, als er erwiderte: „Gewiß – sie sind wieder frei. Aber werden sie mit ihrer Freiheit etwas anfangen können? Je länger ich mich mit diesen seltsamen Wesen befasse, desto mehr zweifle ich daran. Diese Marsmenschen sind ein sterbendes Volk. Der Grund dafür liegt nicht in Gefahren von außen her. Er liegt – in ihnen selbst.“ Eine Weile schwiegen die beiden Männer. Schließlich sagte Nicholson: „Das hieße also, daß die Rettung noch nicht gelungen wäre?“ „Sie ist noch nicht vollendet, Nicholson. Das Marsvolk braucht unseren Rat und unsere Hilfe, um wieder lebensfähig zu werden. Hierin erwächst uns eine große und schwere Verpflichtung. Hoffen wir, daß wir sie erfüllen können.“ – Ende –
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Sie fragen – UTOPIA antwortet UTOPIA-Briefkasten Liebe UTOPIA-Freunde! Die Ungeduld vieler Leser wird jetzt belohnt: Jim Parker muß einem geheimnisvollen Hilferuf aus dem Weltall folgen und den unterjochten Bewohnern unseres roten Nachbarplaneten zu Hilfe kommen. Der Mars wird in den nächsten Bänden unseren Freunden zu einem nachhaltigen Erlebnis werden. Sie werden eine seltsame Kultur vorfinden, eine bizarre, beängstigende Landschaft, aber auch einen neuen grausamen Feind; denn im Reich der Sterne herrscht leider ebenso wenig Friede wie auf der alten Erde. Für unsere Leserfreunde aber wird das große MarsAbenteuer des jungen Kommodores und seiner Kameraden der Auftakt zu neuen, großartigen Sternenflügen sein, die unseren Jim nun das ganze, gewaltige Sonnensystem erleben lassen. Nun aber zu unserer heutigen Fachsimpelei: Wieder meldete sich ein neuer Klub, diesmal der „Astronomclub“ aus Frankfurt/Main, in dem sich 11–15jährige zusammengetan haben. Leicht wird es den neuen Mitgliedern nicht gemacht; denn Heinz T. berichtet von nicht weniger als 10 Fragen, die ihnen in einer „Aufnahmeprüfung“ gestellt werden. Viel Glück und unsere gebührende Anerkennung. Laßt wieder von Euch hören! Und hier Eure Fragen und unsere Antworten: 1.) Wie entsteht das Zodiakallicht (Tierkreislicht)? Antwort: Durch Reflexion des Sonnenlichts an kosmischen Staubteilchen, welche die Sonne in Ringen umschweben.
2.) Wie groß würde man von Pluto aus die Sonne sehen? Antwort: Nur noch wie einen hellen Fixstern; denn die Sonne leuchtet auf Pluto 1600mal geringer als bei uns. 3.) Wann und wo konnte man 1954 einen Kometen beobachten? Antwort: Wiedergefunden wurden in der ersten Jahreshälfte 1954: Komet Honda-Mrkos-Pajdusakova (– Komet 1948 n), am 4. Febr. Komet Borelly (= Komet 1932 IV), am 8. Febr. Neuentdeckt wurden im gleichen Zeitraum: Komet Harrington, am 26. Juni im Sternbild der Nördl. Krone. Komet Kresak, am 29. Juni im Sternbild des Bootes. 4.) Wann wurden Galilei und Herschel geboren? Antwort: Galilei, geb. 1564 in Pisa; Wilhelm Herschel, geb. 1738 in Hannover. 5.) Wie alt sind Sonne und Mond? Antwort: Alter der Sonne schätzungsweise 3,5 Milliarden Jahre; Alter des Mondes schätzungsweise 2 Milliarden Jahre, im Archaikum (Erd-Urzeit) entstanden. Hagen Z. aus Unterraingen stellt auch einige Fragen, die unsere Sternenwelt betreffen: 1.) Ist der Sirius 9 oder 14 Lichtjahre entfernt? Antwort: 9 Lichtjahre. 2.) Hat die Sonne eine Atmosphäre; und wenn, was für Luft ist dort? Antwort: Sonnenatmosphäre ist glühend-gasförmig, sie enthält viel Wasserstoff, Helium und verdampfte Metalle, wie Natrium, Calcium, Eisen u. a. m. 3.) Wie kann Wasserstoff Motoren betreiben? Antwort: Wasserstoff kann, wie jeder andere geeignete Brennstoff, mit Sauerstoff verbrannt werden und so z. B. in Raketenmotoren (in verflüssigter Form) an Stelle von Alkohol verwendet werden. 4.) Ist man schon auf dem Mond gewesen? Antwort: Auf dem Mond ist bis heute kein Mensch gewesen. Zufrieden, Hagen?
G. N./Berlin N 20, fragt: „… außerdem bitte ich um Beantwortung der Frage, wie man Luftreste oder Gase auf den Himmelskörpern nachweist.“ Wir antworten: „Mit dem Spektralapparat. Gase verändern das Aussehen des Spektrums oder senden, wenn sie sich in glühendem Zustand befinden, selbst charakteristische Spektrallinien aus. – Ferner durch Fotografie mit verschiedenfarbigen Filtern. Ein Planet mit Atmosphäre erscheint auf der Platte in verschiedener Größe, je nachdem ob man ihn mit Blau- oder Rotfilter aufgenommen hat.“ Auch Österreich meldete sich wieder. Aus Wien stellt Helmut H. folgende Fragen: 1.) Gedenken Sie, auch einen Band mit der Aufklärung der „Fliegenden Untertassen“ zu drucken? Antwort: In Band 19 – „Spione vom Mars?“ – wurde dieses immer wieder aktuelle Thema eingehend behandelt, es ist aber möglich, daß wir noch einmal darauf zurückkommen. 2.) Wird Jim Parker das Rätsel um den Mars lüften? Antwort: Sein großes Mars-Abenteuer hat bereits begonnen. 3.) Wird Jim Parker oder Fritz Wernicke heiraten? Antwort: Lieber Helmut, wer weiß schon, wohin ihn des Schicksals Wege führen? Einstweilen haben Jim und Fritz noch andere Sorgen. Aber ausgeschlossen ist es ja nicht, daß irgendwann und irgendwo die „Richtige“ auf sie wartet. Warten wir ab! In diesem Sinne wollen wir für heute schließen und verbleiben als Ihre immer bereite UTOPIA-Schriftleitung (im PABEL-Verlag, Rastatt)
Lesen Sie im nächsten (41.) UTOPIA-Kleinband: Durch den mutigen Einsatz Kommodore Parkers und seiner Kameraden sind die Bewohner des Planeten Mars von der Herrschaft der Uraniden befreit worden. Aber es ist seltsam bestellt um dieses Marsvolk, das schon seit Jahrhunderten unter der Oberfläche seines Heimatsterns lebt. Überall herrscht Untergangsstimmung. Mit allen Mitteln versucht Jim Parker, die Marsmenschheit zu neuer Tatkraft zu erwecken, um so das Rettungswerk zu vollenden. Schon glaubt er, den Sieg davonzutragen, als abermals das Verhängnis mit kosmischer Gewalt über den roten Planeten hereinbricht.
UTOPIA-Kleinbände erscheinen monatlich Jim Parkers Abenteuer im Weltraum, 4B Seiten, Preis 50 Pf
UTOPIA-Großbände erscheinen monatlich Science Fiction in deutscher Sprache, 96 Seiten, 1.– DM Wissenschaftliche Zukunftsromane des XX. Jahrhunderts
Sämtliche bisher erschienenen UTOPIA-Kleinbände (Jim Parkers Abenteuer im Weltraum) von Nr. 1–36 und UTOPIAGroßbände SCIENCE FICTION in deutscher Sprache Nr. 1–12 sind beim Verlag noch vorrätig. Sollten Sie die gewünschten Nummern durch Ihren Zeitschriftenhändler nicht beziehen können, dann wenden Sie sich bitte direkt (verwenden Sie hierfür bitte den umseitigen Bestellzettel) an den Verlag Erich Pabel, Rastatt/Baden.