Petra v. Gemünden, Matthias Konradt, Gerd Theißen
DER JAKOBUSBRIEF Beiträge zur Rehabilitierung der "strohernen Epistel"
Beiträge zum Verstehen der Bibel
LIT
Martin Luther hat das Verständnis des Jakobusbriefes durch dessen Abwertung als "stroherne Epistel" nachhaltig erschwert. Die Beiträge dieses Bandes sind sich darin einig, dass der Jakobusbrief als Entwurf christlicher Existenz zu rehabilitieren ist. Sie deuten ihn literaturgeschichtlich als Jakobusbrief, der durch Wahl eines ,,falschen" Namens seinen Ort im Urchristentum bestimmt. Sie untersuchen seine Aussagen über Affekt und Einsicht als eigenständigen Beitrag zum frühchristlichen Menschenbild. Sie stellen sein Ethos sozialgeschichtlich als Höhepunkt neutestamentlicher Ethik dar. Dabei verbinden sie traditionelle historisch-kritische Methoden mit neuen Ansätzen der Pseudepigraphieforschung, der historischen Psychologie und der Sozialgeschichte. Es entsteht so ein relativ einheitliches Bild vom Jakobusbrief: Im Jakobusbrief ist das "Wort der Wahrheit" Grundlage christlichen Lebens und ermöglicht sowohl Selbststeuerung gegenüber den Affekten als auch Selbstbestimmung der Gemeinde durch ihr eigenes Ethos.
9 783825 868604
LIT
ISBN 3-8258-6860-5
Beiträge zum Verstehen der Bibel herausgegeben von
Prof. Dr. Manfred Oeming und Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Gerd Theißen (Heidelberg)
Band 3
LIT
Petra v. Gemünden, Matthias Konradt, Gerd Theißen
DER JAKOBUSBRIEF Beiträge zur Rehabilitierung der "strohernen Epistel"
LIT
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ISBN 3-8258-6860-5
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Christoph Burchard gewidmet
Inhaltsverzeichnis Vorwort Matthias Konradt: "Geboren durch das Wort der Wahrheit""gerichtet durch das Gesetz der Freiheit". Das Wort als Zentrum der theologischen Konzeption des Jakobusbriefes ..................................................... "'''''''' ........................................................ 1
Matthias Konradt: Der Jakobusbrief als Brief des Jakobus. Erwägungen zum historischen Kontext des Jakobusbriefes im Lichte der traditionsgeschichtlichen Beziehungen zum 1. Pertrusbriefund zum Hintergrund der Autorfiktion ............................................................................................................................. 16
Gerd Theißen: Die pseudepigraphe Intention des Jakobusbriefes. Ein Beitrag zu seinen Einleitungsfragen................................................................................... 54
Petra von Gemünden: Einsicht, Affekt und Verhalten. Überlegungen zur Anthropologie des Jakobusbriefes ............................................................... 83
Petra von Gemünden: Die Wertung des Zorns im Jakobusbrief auf dem Hintergrund des antiken Kontextes und seine Einordnung"""""""""""""""""""" ".97 Gerd Theißen: Nächstenliebe und Egalität. Jak 2,1-13 als Höhepunkt urchristlicher Ethik. ....................................................................... 119
Gerd Theißen: Ethos und Gemeinde im Jakobusbrief. ('Iberlegungen zu seinem "Sitz des Lebens" .......................................................................... 143
Stellenregister .................................................................................................................. .. 166 Literaturverzeichnis ........................................................................................... 177
Vorwort Texten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist Pflicht jeder wissenschaftlichen Auslegung. Sie macht besonders viel Freude, wenn man dabei ungerechte Urteile über einen Text zurechtrücken darf. Über dem lakobusbrief schwebt noch immer das Urteil Martin Luthers von der "strohernen Epistel". Es hat die modeme Exegese zum Widerspruch gereizt. Und dieser Widerspruch hat die Auffassung vom 1akobusbrief verändert. Dabei spielen die Arbeiten von Christoph Burchard eine wichtige Rolle. Die hier vorgelegten "Beiträge zur Rehabilitierung der strohernen Epistel" sind in seinem Umfeld entstanden. Daher lag es nahe, sie zu seinem 70. Geburtstag am 19. Mai 2001 zu sammeln und zu ergänzen. Sie wurden rur die Veröffentlichung noch einmal überarbeitet. Der erste Beitrag von Matthias Konradt "Geboren durch das Wort der Wahrheit" zeigt, dass der lakobusbrief eine Theologie des Wortes vertritt. Das Wort Gottes ist das Zentrum seiner theologischen Konzeption. In diesem Wort begründet er einen Entwurf christlicher Existenz, der im Neuen Testament ein theologisches Eigengewicht hat. Nach dieser grundsätzlichen Einleitung zur Theologie des lakobusbriefes folgen sechs Beiträge, die neue Wege zur Erschließung des lakobusbriefs gehen: zwei Beiträge zur Pseudepigraphieforschung, zwei zur historischen Anthropologie und Psychologie, zwei zur Sozialgeschichte und Ethik des lakobusbriefes. Die beiden Beiträge von Matthias Konradt und Gerd Theißen zu Einleitungsfragen wollen die Wahl des Pseudonyms lakobus erklären. Warum verbirgt sich der Autor hinter der Maske des lakobus? Was können wir daraus über den historischen, traditions- und theologiegeschichtlichen Ort des Briefes erschließen? Matthias Konradt weist in seinem Beitrag "Der lakobusbrief als Brief des 1akobus" Zusamlnenhänge mit dem 1 Petrusbrief nach und gelangt zu einer Lokalisierung des Briefes im syrischen Christentum. Gerd Theißen deutet in "Die pseudepigraphe Intention des lakobusbriefs" den lakobusbrief als Apologie eines ethischen ludenchristentums am Ende des 1. lh. n.Chr. Der Verfasser rückt das negative Bild vom ludenchristentum zurecht, das durch die Polemik des Paulus gegen seine judaistischen Gegner entstanden war. Bei der historischen Einordnung des lakobusbriefes stand meist sein Verhältnis zur Rechtfertigungslehre des Paulus im Zentrum. Ebenso aufschlussreich ist ein Blick auf die Anthropologie. Petra von Gemünden zeigt in ihrem Beitrag "Einsicht, Affekt und Verhalten. Überlegungen zur Anthropologie des lakobusbriefes", dass der lakobusbrief zwischen der optimistischen, autodynamischen Auffassung einer Bändigung der Affekte durch die Thora, wie wir sie im IV. Makkabäerbuch finden, und der pessimistischen, transformationsdynamischen Auffassung des Paulus steht, wonach der Mensch
nur durch eine Verwandlung seines Wesens seine Affekte in den Griff bekommt. Ihr zweiter Beitrag konkretisiert das am Beispiel des Zorns. In den Aussagen des Jakobusbriefs klingt der Diskurs der Antike über den Zorn nach. Hier wurde der Zorn entweder als natürliche Ausstattung des Menschen und bisweilen sogar als notwendig angesehen, oder er wurde als vernunftwidrig abgelehnt. Während dabei die jüdische Tradition den Zorn nicht absolut negativ bewertete, lässt sich im Jakobusbrief überraschenderweise eine Verschärfung in der Ablehnung des Zorns gegenüber der jüdischen (und eines Teils der pagan-antiken) Tradition feststellen. Die beiden Beiträge von Gerd Theißen stellen den Jakobusbrief als einen Höhepunkt urchristlicher Ethik dar. Der Beitrag "Nächstenliebe und Egalität" zeigt, dass nirgendwo sonst im Urchristentum das Gebot der Nächstenliebe und der Gleichbehandlung so eng verbunden werden. Nirgendwo wird das Nächstenliebegebot so eindeutig als Gebot zur Gleichbehandlung verstanden, ohne dass es deshalb sektiererisch auf die Gemeinde eingeschränkt wird. Der zweite Beitrag "Ethos und Gemeinde im Jakobusbrief" zeigt, dass sich der Jakobusbrief weder an das Ethos der Familie noch der Polis anlehnt. Er beansprucht, auf der Grundlage des "Gesetzes der Freiheit" die eigenen Gemeindetraditionen zu verwirklichen, ohne sich an die Strukturen der vorhandenen Gesellschaft anzulehnen oder anzupassen. Die verschiedenen Beiträge konvergieren in einem Punkt: Das Wort der Wahrheit ist für den Jakobusbrief die Grundlage christlichen Lebens. Dieses Wort befähigt als von außen bestimmende Macht den Menschen zur Selbststeuerung gegenüber seinen Affekten und die Gemeinde zur Selbstbestimmung ihres Ethos durch ihre eigenen Traditionen. Nicht erst im neuzeitlichen Protestantismus musste sich dieser Entwurf apologetisch gegen seine Abwertung durch andere verteidigen. Der Jakobusbrief war schon immer eine Apologie eines ethischen Judenchristentums, das man sich im syrischen Raum Ende des 1. Jh. n.Chr. vorstellen kann. Wir widmen dieses Buch Christoph Burchard, unserem Kollegen und Lehrer. Unser Echo auf seine Arbeit ist vielstimmig. Wir haben uns nicht bemüht, ein widerspruchsloses Ganzes zu bilden. Aber in den verschiedenen "Echos" ist immer Liebe zum Jakobusbrief zu spüren. Und der Leser darf auch ein wenig Liebe zum Autor eines wertvollen deutschsprachigen Kommentars zum Jakobusbrief heraus hören. Wir danken allen, die bei der Manuskriptherstellung geholfen haben: Anke Geisdorf, Anke Inselmann, Annette Merz, Friederike Wendt und Kristina Wagner.
Petra von Gemünden
Matthias Konradt
Gerd Theißen
"Geboren durch das Wort der Wahrheit" "gerichtet durch das Gesetz der Freiheit". Das Wort als Zentrum der theologischen Konzeption des Jakobusbriefes Matthias Konradt
Der Jakobusbriefweist zweifelsohne etliche theologische Leerstellen auf. Christologisch etwa ist dem Brief wenig zu entnehmen 1; und wer ein Buch über das Abendmahl im frühen Christentum schreibt, kann den Jakobusbrief gänzlich übergehen. Die Liste ließe sich leicht fortsetzen. Es macht jedoch wenig Sinn, an einem Streichquartett zu bemängeln, dass in ihm nicht gesungen wird. Anders gesagt: Wer in die Oper geht, darf irritiert sein, wenn nur ein Orchester spielt; wer ein Sinfoniekonzert besucht, hat nichts anderes zu erwarten. Das Ziel des Jakobusbriefes ist, ethische Missstände in den christlichen Gemeinden, die ihm vor Augen stehen, zu korrigieren2 • Danach ist er zu beurteilen und daraufhin zu befragen. Er ist kein theologisches Kompendium. Einiges zu sagen hat er aber im Rahmen seines Anliegens dazu, wie er sich christliche Existenz denkt. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Wort. Schlägt man einen Bogen von der Konversion bis zum Gericht, so ist der Leser des Jakobusbriefes jeweils eben auf das Wort verwiesen: Geboren wurden Christenmenschen durch das Wort der Wahrheit (1,18), gerichtet werden sie durch das Gesetz der Freiheit (2,12). Sucht man ein Etikett für die theologische Konzeption, die zwischen diesen beiden Eckpfeilern eingespannt ist, kann man von einer im Wort zentrierten Theologie sprechen. Was dies näherhin heißt, gilt es im Folgenden in knappen Zügen auf. 3 zuweIsen. 1. Die Geburt durch das Wort der Wahrheit
Nach der summarischen Exposition der Leitgedanken in 1,2-12 eröffnet PsJako4 bus das Korpus seines Schreibens (1,13-5,6) mit einer theologisch grundlegenI
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Siehe immerhin Ch. Burchard: Zu einigen christologischen Stellen des Jakobusbriefes, in: Anfange der Christologie, FS F. Hahn, hg. v. C. Breytenbach/H. Paulsen, Göttingen 1991, 353-368. Zur Christologie außerdem M. Karrer: Christus der Herr und die Welt als Stätte der Prüfung. Zur Theologie des Jakobusbriefes, KuD 35 (1989),166-188. Zur Kritik an Karrers Ansatz s. Burchard, Stellen, 365-367. Zum Jakobusbrief als Korrekturschreiben vgl. W. Popkes: Adressaten, Situation und Form des Jakobusbriefes, SBS 125/126, Stuttgart 1986, bes. 209. Die Auseinandersetzung mit Literatur halte ich im Folgenden knapp. Siehe dazu M. Konradt: Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, StUNT 22, Göttingen 1998, passim. Der Jakobusbrief ist ein Pseudepigraphon (s. dazu Ch. Burchard: Der Jakobusbrief, HNT 15/I, Tübingen 2000, 3-5, und G. Theißen: Die pseudepigraphe Intention des Jakobusbriefs (in diesem Band). Wenn vom Verfasser des Jakobusbriefes die Rede ist, wird daher im Folgenden "Psjakobus" verwendet.
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Matthias Konradt
den Entfaltung seines Programms von 1,2-4, deren Achse der soteriologische Bekenntnissatz in 1,18 bildet. Dass Gott uns durch das Wort der Wahrheit geboren, zum Leben gefiihrt hat, kontrastiert zum einen den von der versucherischen Begierde über die Sünde fiihrenden Weg zum Tod in 1,14f5 und unterstreicht so die Unmöglichkeit, sich zu Lasten Gottes seiner Verantwortung zu entziehen, wenn man in den TIElpaa~ot TIOlKLAOl nicht standhält (1,2t), sondern tatsächlich versucht wird (1,13). V.18 wendet also - als Konkretion von V.17(a) - die Aussage von V.13b positiv. Zum anderen bildet V.18 mit der Rede von der "Geburt durch das Wort" die Basis fiir die Mahnung in 1,21-25 6 • Die Deutung der Konversion als Geburt, die dem in 1,18 rezipierten Traditionsstück 7 zugrunde liegt, ist frühchristlich geläufig8 • "Geburt" ist dabei im Jakobusbrief schwerlich nur metaphorische Bezeichnung fiir den grundlegenden Einschnitt, den die Konversion zum christlichen Glauben bedeutet, sondern es geht tatsächlich um die Gabe des Lebens, genauer: Konversion ist als Übergang vom Tod zum Leben verstanden. Dafiir spricht nicht nur die Verbreitung dieses Konversionsinterpretaments im frühjüdischen wie frühchristlichen Schrifttum9, sondern auch der Kontext im Jakobusbrief, nämlich die Schlussmahnung in 5, 19f1O : Wer einen Sünder aus seinem Irrweg zur Umkehr bewegt, rettet dessen! I Seele aus dem Tod und bedeckt eine Menge Sünden. Wessen Sünden gemeint sind, ob die des Apostaten, des Bekehrenden oder die beider, ist umstritten l2 . Der Kontext lässt einen Bezug auf den Abgeirrten erwarten, zumal dieser zuvor explizit als a~ap1"wA6c; bezeichnet wurde, so dass eine Stichwortverbindung besteht. Dagegen käme es völlig unvermittelt, wenn hier dem Bekehrenden ein TIAf]8oc; (!) a~apnwv zugeschrieben wäre, zumal zuvor von der Vergebung der Sünden von Siehe insbesondere den direkten Rückbezug aufV.15b durch a1TEKu'll0EV. Der Zusammenhang von 1,18 mit 1,21 lag PsJakobus dabei bereits in der hier rezipierten Tradition vor, wie die Parallele in 1 Petr 1,22-2,2 beweist. 7 Siehe dazu meinen Beitrag Der Jakobusbrief als Brief des Jakobus in diesem Band. 8 Siehe Joh 1,13; 3,3-8; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1 u.ö.; Tit 3,5; 1 Petr 1,3.23; Justin, Apo!. I 61,3f.1O; 66,1; Dia!. 138,2; Tatian 5,3; ActThom 132; PsKlem, Contestatio 1,2; Horn XI 26,1. 9 Siehe dazu Konradt, Existenz, 47-56. 10 Sieht man von dem "todbringenden Gift" in 3,8 ab, ist 5,20 die nach 1,15 einzige weitere Stelle, an der PsJakobus explizit vom "Tod" spricht. 11 Es handelt sich um die Seele des Apostaten (zur Begründung Konradt, Existenz, 56f). Ebenso z.B. J.H. Ropes: A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle of St. James, ICC, Edinburgh 1916, Nachdruck 1991, 315; M. Dibelius: Der Brief des Jakobus, mit Ergänzungen von H. Greeven, mit einem Literaturverzeichnis und Nachtrag hg. v. F. Hahn, KEK 15, Göttingen 12[6]1984, 307; F. Mußner: Der Jakobusbrief, HThK XIIIlI, Freiburg/ Basel/Wien 51987,232; D.E. Hiebert: James, Chicago 21992, 309f, anders u.a. R.B. Ward: The Communal Concem of the Epistle of James, Diss. masch. Harvard University, Cambridge (MA) 1966, 171. 12 Viele Ausleger denken an die Sünden des Bekehrenden (s. z.B. Ropes, Jak, 315f; Dibelius, Jak, 307f; M. Klein: "Ein vollkommenes Werk". Vollkommenheit, Gesetz und Gericht als theologische Themen des Jakobusbriefes, BWANT 139, StuttgartlBerlinIKöln 1995, 85). Für die des Apostaten u.a. P.H. Davids: The Epistle of James. A Commentary on the Greek Text, NIGTC, Grand Rapids (MI) 1982, 201; R.P. Martin: James, WBC 48, Waco (TX) 1988,200. Auf die Sünden beider beziehen 5,20fin Mußner, Jak, 233; H. Frankemölle: Der Brief des Jakobus, ÖTBK 17/2, Gütersloh/Würzburg 1994,735.
Geboren durch das Wort der Wahrheit
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Gerechten auf Grund von Sündenbekenntnis und gegenseitiger Fürbitte die Rede war (5,16-18). Bezieht man andrerseits 8ava:wc; mit der opinio communis auf die eschatologische Verdammnis, hinkt der Verweis auf die Sündenvergebung "unerträglich nach,,\3. Tod ist freilich auch als Bezeichnung der ge~enwärtigen Unheilssituation des Sünders bzw. der gottfernen Heiden geläufig 4. Liest man Jak 5,20 auf dieser Linie, löst sich die Spannung, und man kann das TfA:f}8oc; a~ap'C\'wv, wie es im Kontext nahe liegt, problemlos auf den Apostaten beziehen. Wandel im "Irrtum" bedeutet "Totsein", Umkehr entsprechend Rettung aus dem "Tode" (vgl. bes. Lk 15,24.32, auch Philo, All II 77f/ 5• Die Rede von der Sündenvergebung hinkt dann nicht nach, sondern expliziert ein traditionelles Moment der Umkehr. Die Geburtsaussage in 1,18 analog zu lesen, liegt - zumal angesichts der angesprochenen Verbreitung entsprechender Konversionsaussagen-nahe. Herausgeführt hat Gott die Christen aus ihrer früheren Todesexistenz, in der sie sich als gottfeme Sünder befanden, nun durch das "Wort der Wahrheit". Die Näherbestimmung des 'Aoyoc; durch das Genitivattribut a'A118ElaC; passt gut zum konversionstheologischen Zusammenhang, denn die Hinwendung zur Wahrheit ist ein geläufiger Topos in Konversionsaussagen!6. Die christliche Verkündigung hat zuvor im Irrtum gefangenen Menschen die Wahrheit erschlossen und sie (so) vom Tod zum Leben geführt. Zu dieser Wahrheit gehört selbstredend, wie zum einen die Vorkommen von a'A~8Ha in 3,14; 5,19, zum anderen die Fokussierung auf den vo~oc; als der imperativischen Seite des Wortes!7 in der paränetischen Schlussfolgerung aus 1,18 in 1,21-25 zeigen, ein bestimmter gottgefälliger Lebenswandel, auf dem im Jakobusbrief der Ton liegt, doch geht das "Wort der Wahrheit" andrerseits nicht in einem Kanon ethischer Weisungen auf! 8. Der 'AoyoC; a'A118dac; ist vielmehr die christliche Heilsbotschaft im umfassenden Sinn. 13 14
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Dibelius, Jak, 307. Siehe z.B. JosAs 8,9; 20,7; 27,10; Philo, All I 105-108; II 77f; Fug 55-58; SpecLeg I 345; Lk 15,24.32; Eph 2,1.5; (4,18); KoI2,13; 2 Klem 1,6. Die Futura in 5,20 sind also nicht eschatologisch, sondern logisch. Siehe JosAs 8,9; 19,11; Philo, SpecLeg 151.309; IV 178; Virt 102.214.221; QuaestEx II 2 (ad 22,20); PsPhilo, De Jona 119, sodann 1 Tim 2,4; Hebr 10,26; Herrn, Vis III 6,2 U.ö. Vgl. auch die Vorkommen der Rede vom A6yoc; UA,1l8daC; in 2 Kor 6,7; Kol 1,5; Eph 1,13 mit Bezug jeweils auf die missionarische Verkündigung. Einzig in 2 Tim 2,15 erhält die Wendung durch die Opposition zur Irrlehre noch einen anderen Akzent (s. 2 Tim 2,18, vgl. 1 Tim 6,3-5; 2 Tim 3,8; 4,4; Tit 1,14). Vgl. L. Goppelt: Theologie des Neuen Testaments, hg. v. 1. Roloff, Göttingen 3 1981, 534; 1.-L. Blondel: Le fondement theologique de la parenese dans l'epitre de Jacques, RThPh 111 (1979), 141-152: 149. Wort und Gesetz sind in Jak 1,18-25 nicht einfach austauschbare Größen. Vielmehr ist A,oyoC; der Oberbegriff, vOf.LOC; aber ein Aspekt des Wortes (vgl. Konradt, Existenz, 67-74). Dem Wechsel vom A6yoc; zum vOf.LOC; korrespondiert im Argumentationsduktus die Gedankenbewegung vom Rekurs auf das Heilshandeln Gottes (1,18) zu dem darauf aufbauenden bzw. darin einstimmenden Tun des Menschen (1,21-25). Eine Identität von Wort und Gesetz im Jakobusbrief postulieren dagegen R. Walker: Allein aus Werken. Zur Auslegung von Jakobus 2,14-26, ZThK 61 (1964), 155-192: 158f; M. Lautenschlager: Der Gegenstand des Glaubens im Jakobusbrief, ZThK 87 (1990), 163-184: 168; M. Ludwig: Wort als Gesetz. Eine Untersuchung zum Verständnis von "Wort" und "Gesetz" in israelitisch-
Matthias Konradt
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Ziel bzw. Ergebnis der Geburt durch das Wort ist nach 1, 18b, dass die Christen eine Art Erstlingsgabe der Geschöpfe Gottes sind. Der mögliche, aber keineswegs zwingende temporale Aspekt von umxpx~ spielt in einer Reihe von verwandten Aussagen keine Rolle (s. v.a. Philo, SpecLeg IV 180, ferner Offb 14,4; 1 Klem 29,3), und dies gilt auch fiir Jak 1,18b. PsJakobus präsentiert hier die l9 Christenheit nicht als Vorhut einer universalen Neuschöpfung , sondern rekurriert wie Philo darauf, dass die umxpx~ der Anteil ist, der Gott gehört, und überträgt dies auf die Christenheit als dem "Zwölfstämmevolk": Gott hat die Christen, indem er sie durch das Wort der Wahrheit vom Tod zum Leben fiihrte, zu 20 seinem besonderen Eigentum gemacht . Dazu passt, dass nach 2,7 die Taufe 21 Übereignung an Christus bedeutet . Die Kehrseite dieser Bestimmung der Christen zum Eigentum Gottes ist die radikale Dissoziation von der "Welt", die sich im Lebenswandel manifestiert (1,27; 4,4). In diesen Kontext gehört im Jakobusbrief das Standhalten gegen die TIElpaa~ot TIOlKLÄOl (1,2t), in denen es das Treiben der Begierde, die auf die "Welt" Lust zu machen sucht (1,13-15), abzuwehren gilt. Dass ein Christ dies kann, hat wiederum wesentlich mit dem Wort zu tun.
2. Das Wort als Kraft des Lebens Die Bedeutung des Wortes im Jakobusbrief geht nun nicht darin auf, punktuell und einmalig die Versetzung der Christen aus dem Tod ins Leben gewirkt zu haben; es ist zugleich die dieses Leben zentral bestimmende und auszeichnende Größe. Das Wort ist nicht nur von lebensschaffender, sondern auch von lebenserhaltender Bedeutung. Mit der in 1,18.21 rezipierten Tradition22 kennzeichnet PsJakobus die rechte Antwort des Menschen auf Gottes Heilshandeln in 1,21b als Annahme eben des Wortes. Ist dieses in 1,18 kontextgemäß als ÄOyoc;. uÄll8ELac;. näherbestimmt, so treten nun mit E~oi JlOU ayunll1:oi wird im Anfang des Hauptteils in Jak 1,19a ein neuer Abschnitt markiert und die folgende Mahnung besonders hervorgehoben: Ecr1:W B8 nue; ävSpwnoe; 1:UxUe; Eie; 1:0 aKoucrUt, ßpuBue; Eie; 1:0 AUA r;crUt, ßpuBue; Eie; apyf)v. An die Mahnung schließt sich in Jak 1,20 mit yap die weiterführende Begründung an: apYil yap avBpoe; BtKutocruvllv SEOU OUK EpyaSE1:Ut. Die Aussage zum Zorn (apyf)) schließt eine dreigliedrige Reihung ab, deren zwei erste Glieder explizit das Sprachverhalten thematisieren. Die analoge Formulierung des zweiten und dritten Gliedes (ßpuBue; Eie; 1:0 AUAr;crUt, ßpuBue; Eie; apy"'v) parallelisiert das Sprachverhalten dem Zorn. 38 Dabei ist vom Reden zum Zorn dar38
Der Zorn wird zum Sprachverhalten in Beziehung gesetzt. Das betont M. Konradt: Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, StUNT 22, Göttingen 1998, 201. Er versteht "ßpuöu8UY8 navroc; novllpou Kat navroc; oJ.loiou au't'ou - mein Kind, flieh vor jeglichem Bösen und vor allem, was ihm ähnlich ist. Durch novllPoc; wie durch den Mord als Folge l09 des apyiAoc;-Seins wird der Zorn eindeutig negativ qualifiziert. Did 3,lf mahnt nun nicht zu einem bewältigenden Umgang mit dem Zorn, sondern dezidiert zur Flucht vor dem Zorn, was als radikalisierender Zug gegenüber dem Gros der jüdischen Tradition gewertet werden kann. llo Dieser ist gleichwohl weniger stark ausgeprägt als in der ersten Antithese (Mt 5,22), da diese Zorn und Mord auf eine Stufe stellt, während Did 3,2 "nur" eine konsekutive, wenn auch sehr betonte Verbindung von Zorn und Mord herstellt. Von daher ist Did 3,2 als stärker konventionell denn Mt 5,22 einzustufen. 111
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3.3) Anders als die paganen und die frühen alttestamentlich-weisheitlichen Belege wird die Zornesthematik in späteren Texten (Sir, TestXII) zunehmend auf die Glaubensgemeinschaft bezogen. Dieser Bezug auf die Gemeinde ist, wenn auch nicht ausschließlich, I 12 auch in den eben besprochenen drei judenchristlichen Schriften zu beobachten. Nun kennen alle drei Schriften - Matthäus, Jakobus und die Didache - die Idee der correctio fraterna. Während Mt 18,15-18 das äußere Procedere klärt, präzisiert der Didachist den psychologischen Aspekt des EASYX81V: EASYX8't'8 88 aAAf}AOUC; ~1) EV apYil, aAA' EV dpftvn cOC; EX8't'8 EV 't'ql
8uaYY8Aicp.113
In Jak 5, 19f fehlt eine entsprechende Präzisierung: Über das "Wie" des Zurückbringens eines von der Wahrheit abgeirrten Bruders werden "keine expliziten Aussagen gemacht". 114 Man kann sich gleichwohl fragen, ob ein entsprechender Gedanke auch bei Jakobus mitgesetzt sein könnte. So lassen sich eine Reihe von Bezügen zwischen Jak 5,19fund Jak 1,13-21 beobachten: - Die Anrede mit a88A«>oi ~OU (Jak 5,19) begegnete schon in Jak 1,16.19. 115 I09Möglicherweise weist die Formulierung mit 68rlYdv auf einen Einfluß der TestXII, so J.S. Kloppenborg: The Transformation of Moral Exhortation in Didache 1-5, in: C.N. Jefford (Hg.): The Didache in Context, Essays on its Text, History and Transmission, NT.S 77, LeidenfNew York/Köln 1995, 88-109, 106; vgl. das 68fJydv in TestJud XIV,I; XIX, I. 110 Eine Nähe lässt sich zu den TestXII (s.o.) und zur (späteren) Derek-Erez-Literatur ausmachen, s. H. van de Sandt: Didache 3,1-6: A Transformation ofan Existing Jewish Hortatory Pattern, in: JSJ 23 (1992),21-41. 111 Vgl. Niederwimmer, Didache, 127: "Mt 5,21f bildet ... eine (freilich radikalere) Parallele zu dem Gedanken, den unser Text ausspricht". 112 Das Exempel in Mt 5,25füberschreitet die Gemeindegrenzen. 113 Did 15,3. Das erinnert in gewisser Weise an die Weisheit Sirachs: "Weise den Nächsten (1tAfJcriov) zurecht (eAEYSov), bevor du grollst (um:tAllcrat) ... " (Sir 19,17), übers. v. A. Schenk-Ziegler: Correctio fratema im Neuen Testament. Die "brüderliche Zurechtweisung" in biblischen, frühjüdischen und hellenistischen Schriften, fzb 84, Würzburg 1997, 102. Zum möglichen Rückbezug von Did 15,3 auf Mt 18,15ffvgl. Schenk-Ziegler, Correc. tio, 310 mit Anm. 91. 114 Schenk-Ziegler, Correctio, 416.
Wertung des Zorns
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- Das 1tAuvucr8ut (5,19) bzw. die 1tAUVll (5,20) begegnete schon im Imperativ f.lt, 1tAuvucr8e in Jak 1,16: in Jak l 16 als Warnung; Jak 5,19 dagegen zeichnet den Fall einer (erfolgten) Verirrung. i 16 - Die Konkretisierung von 1tAuv1l8fl durch "U1tO 'tt;llV wäre dann zu "CcActV zu ziehen - entsprechend der Verbindung von Verb+Ku1:a+Akkusativ, bei denen die KU1:a-Wendung Norm und Maßstab nennt, nach denen gehandelt wird (vgl. KU1:U 1tVcu/J.u 1tcpt1tU1:ctV Röm 8,4). Der Sinn dieser Wendung als Zitatformel bleibt erhalten. Gehandelt werden soll nach der Norm, die sich in einer bestimmten Schriftstelle findet: nach dem Liebes~ebot. KU1:u 1:-.lv ypuq>11V ist zwar frühchristlich nicht als Zitatformel bezeugt 7, aber meint in der Lxx die Vorschrift des Gesetzes (2 Chron 30,5) und des Königs (2 Chron 35,4; 3 Esr 1,4). Diese Bedeutung passt ausgezeichnet zu Jak 2,8: Das Liebesgebot wäre nicht das "königliche Gesetz", aber es ist die Richtschnur für das ganze Gesetz. Insofern wäre das Liebesgebot "Meta-Norm" zu allen anderen Normen des Gesetzes. Wir erhalten insgesamt eine zusammenhängende Deutung der verschiedenen Motive. Wer in das vollkommene Gesetz der Freiheit wie in einen Spiegel schaut, sieht vor allem sich selbst und seine Würde: die Würde eines zur Vollkommenheit und Freiheit bestimmten Menschen. Wenn er das Gesetz vergisst, verliert er diese Würde. Mit dem Bewusstsein dieser Würde soll er in der Gemeinde leben und weder die Hochstehenden vorziehen noch die Niedrigen demütigen. Denn alle Gläubigen sind zu einem hohen Status bestimmt - gerade die, die hier einen niedrigen Status haben. Alle sind dazu bestimmt, im Königreich Gottes die Krone des Lebens zu tragen. Allen gilt das königliche Gesetz, das mehrere Gebote umfasst: das Nächstenliebegebot und das Gleichheitsgebot ebenso wie die grundlegenden sozialen Gebote des Dekalogs. Das Gleichheitsgebot erfordert von allen Christen die Haltung eines souveränen Richters, der unparteiisch urteilt. Es setzt Menschen voraus, die sich selbst vor Gott einen hohen und überlegenen Status zuschreiben. Ein Gesetz für Könige aber orientiert sich am Liebesgebot. Wie Könige sollen die Christen Barmherzigkeit üben.
3. Nächstenliebe und Universalität im Jakobusbrief Die starke Betonung des Gleichheitsgebots lässt erwarten, dass die Universalität des Liebesgebots eingeschränkt wird: Nur im Binnenraum kleiner Gruppen kann egalitäre Liebe geübt werden. Je stärker die Gleichheit betont wird, um so mehr finden wir eine Abschottung nach außen. Auch im Jakobusbriefkönnte man ein sektiererisches Ethos finden: Die hier angeredeten Christen sollen sich rein halten von der Welt (1,27). Sie wissen, dass "Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist" (4,4). Trotzdem wird das Nächstenliebegebot nicht auf den Binnenbereich begrenzt und sektiererisch eingeschränkt. Zwar wird es nicht explizit auf alle Menschen ausgedehnt, aber es wird nirgendwo eindeutig auf Gemeindeglieder eingeschränkt. Es ist zwar nicht universal, wohl aber offen rür Außenstehende, die potentielle Gemeindeglieder sind. Zwei Beobachtungen deuten darauf hin: einmal die Verbindung des Liebesgebots mit anderen Deka47 Belegt sind Ku"Ca "Co YSYPUI.qlEVOV (2 Kor 4,13), Ku"Ca "Co sipTJIlEVOV (Röm 4,18), Ku"Ca "Ca