D. D. Guttenplan Der Holocaustprozess Die Hintergründe der »Auschwitz-Lüge« G
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Der Holocaust-Prozess
»Einen der gef...
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D. D. Guttenplan Der Holocaustprozess Die Hintergründe der »Auschwitz-Lüge« G
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Der Holocaust-Prozess
»Einen der gefährlichsten Holocaust-Leugner« muss sich David Irving jetzt nennen lassen, da seine internationales Aufsehen erregende Verleumdungsklage gegen Deborah Lipstadt mit einer vernichtenden Niederlage für ihn endete. D. D. Guttenplans vorverurteilungsfreier Bericht über den Londoner Prozeß und dessen geistige Hintergründe legt auch und vor allem Zeugnis davon ab, dass das Faktum des Holocausts an den europäischen Juden jetzt auch vor Gericht zweifelsfrei erwiesen und damit einem der globalen geistigen Anstifter des Rechtsextremismus das ohnehin karge intellektuelle Deckmäntelchen entzogen ist. »Übertrifft an Einsicht alles, was zum Thema Irving und Holocaust-Revisionismus bisher geschrieben wurde ... schaut in Abgründe, in die mit solch vorbehaltloser Scharfsicht kein nichtjüdischer Autor (schon gar nicht ein deutscher) hätte blicken können.« Die Welt
ISBN 3-442-15123-6
DM 20.00
11-11-2003 v. 1.0
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D. D. GUTTENPLAN
Der Holocaust-Prozess
Buch Als am 11. April 2000 vor dem Londoner High Court das Urteil im Fall Irving vs. Lipstadt/Penguin Books verkündet wurde, konnte die zivilisierte Welt aufatmen: Denn mit diesem Datum kann dem prominentesten der Holocaust-Leugner, dem NS-Historiker und intellektuellen Aushängeschild eines internationalen Rechtsextremismus David Irving, ungestraft nachgesagt werden, er sei ein »Bewunderer Hitlers« und antisemitischer »Geschichtsfälscher«. Der Holocaust vor Gericht: Erstmals und frei von allem begründeten Zweifel wurde der systematische Charakter der Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis nachgewiesen. D. D. Guttenplans Bericht über diesen epochalen Prozess führt in die Tiefendimension der ausgetauschten Argumente ein und stellt die Charaktere der Beteiligten so eindringlich wie objektiv vor. Ohne Ängstlichkeit vor Beifall von der falschen Seite und dem Zorn der politisch Korrekten bezieht er auch die Shoah-Debatten (»Holocaust-Industrie«) in jüdischen Kreisen Amerikas mit ein: eine scharfsichtige Analyse zum Thema Holocaust-Revisionismus. Autor D. D. Guttenplan lebt als amerikanischer Journalist in London und schreibt als freier Korrespondent für die New York Times und verschiedene andere Publikationsorgane.
D. D. Guttenplan
Der Holocaust-Prozess Die Hintergründe der »Auschwitz-Lüge« Aus dem Englischen von Thomas Bertram
G
Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »The Holocaust on Trial« bei Granta Books, London.
Hinweise zur PDF-Version: Seitenumbrüche stimmen +/- 5 Zeilen mit der Buchvorlage überein. Die Tachenbuchausgabe enthält im Original keine Dokumentarfotos.
Vorlage dieses e-books: Deutsche Erstausgabe Oktober 2001 © 2001 der deutschsprachigen Ausgabe Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH © 2001 der Originalausgabe by D. D. Guttenplan Umschlaggestaltung: Design Team München Redaktion: Marcus Reckewitz Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck: Elsnerdruck, Berlin Verlagsnummer 15123 AM • Herstellung: Sebastian Strohmaier Made in Germany ISBN 3-442-15123-6 www.goldmann-verlag.de 1 3 5 7 9 10 8 6 4 2
Für Raul Hilberg in Bewunderung und Dankbarkeit
Inhalt Einleitung ................................................................................. 9 1 ›Gerichtssaal voll‹ ........................................................... 29 2 Der Kläger ....................................................................... 54 3 Die Beklagten .................................................................. 82 4 Offenlegung ................................................................... 114 5 Ein Papier-Eichmann? .................................................. 145 6 Mr. Death ...................................................................... 185 7 Auschwitz ..................................................................... 215 8 Massive Konfrontation ................................................. 257 9 Deutsche ....................................................................... 307 10 Schlussplädoyers .......................................................... 331 11 Ein durchdachtes Urteil ................................................ 353 12 Zahlen ........................................................................... 370 Anmerkungen ...................................................................... Danksagung ......................................................................... Namensregister .................................................................... Sachregister .........................................................................
398 410 417 423
Einleitung Dies ist die Geschichte einer Gerichtsverhandlung. Und es ist ein Buch über den Holocaust. Im Juli 1996 verklagte der britische Autor David Irving die amerikanische Universitätsprofessorin Deborah Lipstadt wegen Verleumdung. Irving ist der Verfasser von Hitlers Krieg, Der Untergang Dresdens sowie von Biographien über Erwin Rommel, Joseph Goebbels und Winston S. Churchill. Seine Bücher, in denen er die Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus deutscher Sicht erzählt, wurden von führenden Historikern in Großbritannien und den Vereinigten Staaten gelobt. In seiner großen Studie The Second World War zählt der Militärhistoriker Sir John Keegan Hitlers Krieg »sicherlich zu dem halben Dutzend der wichtigsten Bücher« über die Epoche. Für Deborah Lipstadt indes geht Irvings Identifikation mit seinen Nazi-Studienobjekten über wissenschaftliches Einfühlungsvermögen hinaus. In ihrem Buch Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode schildert Lipstadt Irving als Schlüsselfigur einer Bewegung zur Nazi-Rehabilitierung durch Leugnen der historischen Realität ihrer Verbrechen. Nach Lipstadt kennt Irving »die historischen Sachverhalte genau, verdreht sie jedoch, bis sie sich seinen ideologischen Neigungen und politischen Hintergedanken anpassen«. Weit davon entfernt, ein seriöser Historiker zu sein, schrieb Lipstadt, sei Irving ein Extremist und ein Lügner, »eines der gefährlichsten Sprachrohre der Holocaust-Leugnung«. Der Prozess begann am 11. Januar 2000 in den Royal Courts of Justice in London. Durch die Klageerhebung in London war 9
Irving gegenüber Lipstadt gleich mehrfach im Vorteil. Sie musste nicht nur ihre Heimat verlassen und mehrere tausend Kilometer weit reisen, sie musste ihren Fall auch durchfechten, ohne vom ersten amerikanischen Verfassungszusatz profitieren zu können. Vor einem US-Gericht hätte Irving beweisen müssen, dass das, was Lipstadt über ihn geschrieben hatte, falsch sei. Außerdem hätte er beweisen müssen, dass sie von der Unwahrheit gewusst habe. In Großbritannien hingegen begünstigen die Verleumdungsgesetze den Kläger. Hier war es an Lipstadt, zu beweisen, dass das, was sie geschrieben hatte, der Wahrheit entsprach. Und da Irving beanspruchte, nicht als »HolocaustLeugner« bezeichnet werden zu können, weil die Gaskammern ein Schwindel seien, sahen sich Lipstadt und ihre Anwälte gezwungen, die Realität des Holocaust zu beweisen. Es war eine Schlacht, die zu verlieren sich keine der beiden Seiten leisten konnte. Irving, der sich selbst vertrat, riskierte seinen Ruf und seinen Lebensunterhalt. Eine Niederlage bedeutete den beruflichen Ruin, wahrscheinlich den Bankrott. Für Lipstadt und ihren britischen Verlag (und Mit-Beklagten) Penguin Books stand sogar noch mehr auf dem Spiel. Irvings Strategie, den Holocaust selber vor Gericht zu stellen, bedeutete, dass die Beklagte und ihre Anwälte nicht nur Lipstadts Wahrhaftigkeit, sondern auch die Integrität all jener verteidigen mussten, die in den Nazi-Vorstoß verwickelt waren. Sollte Irving gewinnen, so hätte ein britisches Gericht seine Version der Ereignisse gebilligt, in welcher die Überlebenden von Auschwitz als Lügner gebrandmarkt und die Leiden der Opfer in den Gaskammern einfach von den Seiten der Geschichte getilgt werden. Wie ernst war diese Gefahr? Ernst genug, dass Penguin Books mehr als eine Million Pfund für Anwaltsgebühren ausgab und weitere Hunderttausende, um Sachverständige anzuheuern. So ernst, dass Steven Spielberg und eine Anzahl weiterer amerika10
nischer Juden sich mit Spenden an den Kosten für Lipstadts Reise zu dem dreimonatigen Prozess nach London und die Verpflichtung einer bekannten Anwaltskanzlei zur Vertretung ihrer Interessen beteiligten. So ernst, dass das Prozessergebnis für jene von uns, die die gesamte Gerichtsverhandlung durchhielten, bis zum letzten Tag ungewiss blieb. Die Verteidigung in einem Verleumdungsprozess ist in Großbritannien stets ein harter Kampf. Ein Teil der Belastung Lipstadts bestand darin, Dinge beweisen zu müssen, die die meisten von uns als selbstverständlich betrachten: die mörderischen Absichten Adolf Hitlers; die entsetzliche Effizienz der Todeslager; die tödlichen Konsequenzen für die Juden. Aber gerade hinter der Tatsache, dass so vieles als selbstverständlich erachtet wird, verbergen sich jene Fragen, mit denen Irving beabsichtigte zu provozieren: Woher wissen wir, dass diese Dinge wirklich geschehen sind? Welche Beweise haben wir? Wer sind die Zeugen? Woher wissen wir, dass sie die Wahrheit sagen? Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee Auschwitz. Das Lager war riesig — ein Komplex aus Baracken, Fabriken, Außen- und Nebenlagern, der eine Fläche von knapp 39 Quadratkilometern umfasste. In Auschwitz III (Monowitz), wo eine Produktionsstätte für synthetischen Kautschuk stand, fanden die Sowjets 600 Zwangsarbeiter. (Unter ihnen war ein junger italienischer Jude names Primo Levi, dessen Erlebnisse später die Grundlage für Ist das ein Mensch? bildeten, einen der frühesten und eindrucksvollsten Berichte über das Leben in den Lagern.) Im Hauptlager befanden sich 1200 kranke Häftlinge. In Auschwitz II (Birkenau) stießen die Sowjets auf 29 niedergebrannte große Magazine. In den sechs Gebäuden, die den Flammen entkommen waren, lagerten 368 820 Herrenanzüge, 836 255 Damenmäntel und -kleider sowie 13 964 Teppiche. In der Gerberei 11
fand die sowjetische Untersuchungskommission sieben Tonnen menschliches Haar. Doch insgesamt fand man nur noch etwa 5800 kranke Häftlinge vor. Wessen Kleidung also war das? Wessen Haar? Woher stammten diese Berge von Schuhen, Brillen, Zahnprothesen, Zahnbürsten, Kinderspielzeug? Die Antwort lag in Trümmern: vier Krematorien, von den Deutschen auf dem Rückzug gesprengt, in deren Mauern ungefähr eine Million Menschen, die meisten von ihnen Juden, vorsätzlich und methodisch vergast und anschließend verbrannt worden waren. Was sie in Auschwitz vorfanden, machte selbst die Veteranen der Ersten Ukrainischen Frontarmee fassungslos — völlig überraschend aber kam es nicht. Im Juli 1944 hatte die sowjetische 8. Gardearmee Lublin erobert und in dem Vorort Majdanek ein Lager entdeckt, das die flüchtenden Nazis hatten aufgeben müssen, bevor es zerstört werden konnte. In diesem viel kleineren Lager fand die Rote Armee Verbrennungsöfen und Gaskammern, die noch unversehrt waren — und 820 000 Schuhe. Sollte Erfahrung die Sowjets auf das vorbereitet haben, was sie in Auschwitz finden würden, dann spielte auch Ideologie eine Rolle. In dem deutschen Eifer, aus den Häftlingen herauszuholen, was möglich war, vom Schweiß ihrer Arbeit bis zum Haar auf ihrem Köpfen und dem Gold in ihren Zähnen, sahen die Russen die Logik des industriellen Kapitalismus ihren makabren Höhe- und Endpunkt erreichen. Hier habe es sich nicht einfach um Gefangenenlager oder auch nur Konzentrationslager gehandelt. Dies seien, verkündete die Prawda, »Todesfabriken« gewesen. Der Westen war nicht vorbereitet. Der erste britische Reporter, der Majdanek besuchte, musste seine als »Propaganda-Nummer« abgetane Story in der Schublade verschwinden lassen. In den Vereinigten Staaten hielten die Redakteure von Christian Century die Parallelen zwischen Majdanek »und der Gräuelge12
schichte über die ›Leichenfabrik‹ im Ersten Weltkrieg... für zu auffallend, um sie zu übersehen«. Weil ihnen sowohl die Ideologie als auch die Erfahrung aus erster Hand fehlten, taten die meisten westlichen Kommentatoren zeitgenössische Berichte über den Völkermord der Nazis entweder als sowjetische Propaganda oder als jüdische Übertreibung ab. Das erste Buch von Deborah Lipstadt, eine wissenschaftliche Studie über diese ablehnende Haltung, trägt den Titel Beyond Belief. Dass General Eisenhower, zutiefst schockiert von dem, was er im Konzentrationslager Ohrdruf gesehen hatte, Touren für amerikanische Kongressabgeordnete und Zeitungsredakteure arrangierte, diente als Korrektiv gegenüber solchem Skeptizismus. Zudem schickte Eisenhower Winston Churchill Fotografien der toten Häftlinge. Als Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau und die anderen Lager befreit wurden, begann sich ein vollständigeres Bild der Katastrophe abzuzeichnen, die das europäische Judentum getroffen hatte. Von den 8,5 Millionen Juden, die 1939 in Europa gelebt hatten, existierten nur noch weniger als drei Millionen. Tausende waren in Uniform gestorben. Ein paar hunderttausend war es gelungen, zu entkommen, meist in die Vereinigten Staaten, nach Palästina oder in die Sowjetunion. Die überwiegende Mehrheit jedoch, zwischen fünf und sechs Millionen Zivilisten — Männer, Frauen und Kinder —, hatten die Nazis ermordet bei ihrem Versuch, das europäische Judentum zu vernichten. Die meisten der Ermordeten wurden nicht vergast. Ungefähr 1,3 Millionen Juden, in der Mehrzahl russisch und polnisch, wurden im Gefolge des Hitlerschen Überfalls auf die Sowjetunion erschossen. Ihre Mörder waren mitunter Angehörige der Einsatzgruppen, mobiler Tötungskommandos, die der angreifenden Wehrmacht hinterhergeschickt wurden. Doch auch reguläre Armeeeinheiten, Polizei- und Reserve-Polizeibataillone beteilig13
ten sich an dem Massenmord. Andere Juden wurden in Mauthausen durch Arbeit zu Tode gebracht; sie schleppten Felsblökke bis zum Umfallen. Wieder andere ließ man bewusst verhungern oder zwang sie, in von Typhus verseuchten Ghettos und Baracken zu leben, bis sie der Krankheit erlagen. Gegen Kriegsende wurden Zehn-, vielleicht Hunderttausende ohne Nahrung oder ausreichende Kleidung auf Todesmärsche durch die winterliche polnische Landschaft geschickt. Für die Opfer zumindest spielte die Art und Weise der Ermordung am Ende kaum noch eine Rolle. Die Geschichte ist anderer Ansicht. Mit 40 Millionen Toten war der Zweite Weltkrieg die größte Feuersbrunst in der Geschichte des Planeten. Vielleicht die Hälfte dieser Toten waren Zivilisten: die sowjetische Intelligenz, auf die es die Einsatzgruppen neben den Juden abgesehen hatten; die von den Sowjets dezimierte polnische Intelligenz; deren Reste den Nazis zum Opfer fielen; durch Artilleriesperrfeuer und Hunger in Stalingrad und Leningrad getötete russische Zivilisten; durch Hunger getötete Chinesen in der Mandschurei; durch Hunger getötete Griechen in Athen; englische, deutsche, polnische, japanische und chinesische Opfer von Luftangriffen. Man könnte behaupten, dass sich sogar die Toten von Hiroshima und Nagasaki nur ihrer Zahl nach von den Toten Londons, Hamburgs oder Rotterdams unterschieden. Der Versuch, eine Hierarchie solchen Leidens zu konstruieren, ist obszön. Trotzdem gilt es Unterscheidungen zu beachten — Unterscheidungen, die sowohl unsere Sicht des Krieges als auch unsere Reaktion auf sein Ergebnis prägen. Eine derartige Unterscheidung betrifft einerseits den Tod von Zivilisten, »unbeabsichtigt« oder auch als Ergebnis einer Entscheidung, die Bevölkerung zu terrorisieren, und andererseits den Versuch der 14
Vernichtung einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Nicht einmal diejenigen, die in der Bombardierung Hiroshimas (oder Dresdens oder Coventrys) ein Kriegsverbrechen sehen, behaupten, dass mit diesen Angriffen jeder Japaner (oder Deutsche oder Brite) ausgelöscht werden sollte. Außerdem besteht ein Unterschied — ein technischer und ein moralischer Unterschied — zwischen der direkten, einzelnen Handlung des Abdrückens und der diffusen Verantwortlichkeit, die mit der Gaskammer eingeführt wurde. Ein Mensch, der mit einem Maschinengewehr tötet, muss immer noch den Abzug betätigen. Die Gaskammer etabliert eine Verhängniskette, die vom Bürokraten in Berlin über den Polizisten, der die Deportierten zusammentreibt, den Soldaten, der den Zug entlädt, den Häftling, der die Opfer in den Auskleideraum geleitet, den Posten, der die Tür verschließt, bis hin zu dem Arzt reicht, der die Blausäurekugeln einwirft. Wer von ihnen ist der Massenmörder? Von allen am Zweiten Weltkrieg beteiligten Nationen versuchten allein die Nazis, ein ganzes Volk zu vernichten. Und nur die Nazis verwendeten Gaskammern. Diese spröden Fakten grenzen das Nazi-Regime als etwas Einzigartiges ab, als Phänomen, das nicht einfach gegen die Millionen Opfer der Politik Stalins oder gegen die Folgen des britischen oder US-amerikanischen Imperialismus abgewogen werden kann. Als Totem dieser Einzigartigkeit ist die Gaskammer sowohl das Wahrzeichen der Inhumanität der Nazis als auch das ultimative Hindernis für jede Rehabilitierung der Nazizeit. Hitlers Parteigänger haben dies gewusst. Die Nazis waren sich im Klaren, dass etwas an der »Endlösung der Judenfrage« fundamental anders war. Deshalb auch die strenge Geheimhaltung: Als Hans Frank, der Generalgouverneur im besetzten Polen, versuchte, Auschwitz zu besuchen, wurde sein Wagen angehalten und Frank zurückgeschickt. Deshalb auch die Vortäu15
schung von Tatsachen: Auschwitz-Birkenau, der Haupttötungsort, wurde offiziell als Lager für Kriegsgefangene bezeichnet; Sobibór, ein Lager, dessen einziger Zweck die Ermordung von Juden war, wurde offiziell als Durchgangslager etikettiert. Und deshalb auch der Euphemismus: In Auschwitz waren die Gaskammern und Krematorien als Spezialeinrichtungen oder Badeanstalten bekannt, beim Tötungsvorgang selber sprach man von Sonderbehandlung, einem Ausdruck, der auch für jene Anwendung fand, die von den Einsatzgruppen erschossen wurden. In den letzten Kriegstagen und im Gefolge der sowjetischen Eroberung Majdaneks (welche ungeachtet westlicher Skepsis von Hitler immer noch als Propaganda-Katastrophe betrachtet wurde) beeilten sich die Nazis, die Beweise für ihr Tun zu beseitigen. Die Lager in Belzec, Sobibór und Treblinka wurden in Trümmer gelegt. Dokumente wurden verbrannt. Die Sonderkommandos — Häftlinge, die die Leichen beseitigten, die Krematorien bedienten und die Gaskammern leerten — wurden exekutiert. Wie der Versuch der Geheimhaltung waren jedoch auch alle anderen Vertuschungsversuche nicht restlos erfolgreich. Auf den Millionen von Seiten erbeuteter Dokumente wurden die Euphemismen manchmal weggelassen. Bei einigen wenigen Gelegenheiten sprachen die Täter offen über ihre Taten. Und obwohl sie ihr Möglichstes versuchten, konnten die Nazis nicht sämtliche Beweise vernichten. Auch nicht sämtliche Zeugen. Eine Hand voll entkam während des Krieges. Weit mehr — ein winziger Rest der Gesamtheit, aber zu viele, um sie zu ignorieren — überlebten. Ihr Zeugnis und das Zeugnis jener Täter, die ihre Verbrechen entweder in Nürnberg oder bei nachfolgenden Kriegsverbrecherprozessen gestanden, bilden den Kern dessen, was wir über jene Ereignisse wissen, die später Holocaust genannt wurden. Seit dem Ende des Krieges arbeiten Wissenschaftler daran, 16
ein vollständiges Bild der Katastrophe zu zeichnen und Erklärungen für das Geschehene zu liefern. In den letzten Jahren beispielsweise gaben Daniel Jonah Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust und Christopher R. Brownings Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die »Endlösung« in Polen gegensätzliche Antworten auf die Frage, warum die Männer, die sich an Massenerschießungen von Juden beteiligten — und von denen viele die Gelegenheit erhielten, sich selbst davon zu befreien —, es dennoch vorzogen, mitzumachen. Historische Erklärungen liefern keine Beweise, und solche Debatten werden vielleicht niemals enden. Ebenso wenig werden wir jemals die Namen aller Opfer — oder aller Täter — kennen. Trotzdem stellt Raul Hilbergs im Jahre 1961 zum ersten Mal erschienene Studie Die Vernichtung der europäischen Juden eine bemerkenswert umfassende Beschreibung dar. Sie wurde später, als mit der Zeit neues Material hinzukam, überarbeitet und auf drei Bände erweitert. Hilberg, der 1939 mit seinen Eltern aus Wien geflohen war und während des Krieges in der US-Infanterie diente, verbrachte mehrere Jahre beim War Documentation Project mit der Katalogisierung erbeuteter Nazi-Archivalien. Sie bildeten in Verbindung mit den Aktendokumenten der Nürnberger Prozesse die Grundlage seiner Forschungen. Hilberg führt die Namen der Männer auf, die Sobibór entwarfen, die Namen der Bauunternehmen, die Treblinka errichteten, und den Namen jenes Chemikers, der das Töten in Belzec beaufsichtigte. Er zeigt, wie die Unternehmen, die Giftgas herstellten, sich den Markt teilten, und erklärt, wie das Arrangement der beiden Firmen aussah, die beim Bau der Krematorien in Auschwitz zusammenarbeiteten. Doch bei der Schilderung des Tötungsablaufs ist auch Hilberg gezwungen, sich vor allem auf die Aussagen von Augenzeugen zu verlassen. 17
»Ich werde das meiste von dem, was sie über den Holocaust sagen, nicht anfechten«, erzählte mir David Irving vor Prozessbeginn. Durch die Konzentration seines Angriffs auf die Gaskammern in Auschwitz hoffte Irving sich als vernünftiger Mann mit vernünftigen Zweifeln präsentieren zu können. Irving wusste, dass, wenn er Erfolg hätte, wenn seine Zweifel an der Existenz der Gaskammern akzeptiert würden, der Weg nicht nur für eine Normalisierung unserer Sicht des Nazi-Regimes, sondern auch für eine umfassendere Revision unseres Verständnisses, worum es im Zweiten Weltkrieg eigentlich ging, frei wäre. Er wusste auch, dass er sich mit seiner ausdrücklichen Konzentration auf die Gaskammern den schwächsten Punkt der Gegenseite bei der Beweisaufnahme herausgesucht hatte. Vieles von dem, was wir über Auschwitz wissen, stammt aus Gerichtsverhandlungen. Allein das Protokoll der Nürnberger Prozesse nimmt 42 Bände in Anspruch, weitere Bände widmen sich Beweisstücken und anderen Beweismitteln. Rudolf Höß, der Lagerkommandant, wurde in Nürnberg als Zeuge im Prozess gegen den Hauptangeklagten Kaltenbrunner und im Zusammenhang mit dem sog. »Pohlprozess« sowie dem »I. G.-FarbenProzess« vernommen, bevor die amerikanische Anklagebehörde ihn nach Polen auslieferte, wo das polnische Oberste Volksgericht Anklage gegen ihn erhob. Dr. Jan Sehn, Richter in Krakau, leitete eine einjährige gerichtliche Untersuchung, die die Geständnisse von Höß und anderen Tätern mit den Aussagen zahlreicher Opfer und jenen Lagerakten zusammenführte, die der Vernichtung entgangen waren. Adolf Eichmann, den Höß zusammen mit dessen ständigem Vertreter Günther als »die Einzigen« beschrieb, »die überhaupt Unterlagen für die Gesamtzahl der Vernichteten besaßen, [weil] nach jeder größeren Aktion... in Auschwitz alle Unterlagen... verbrannt werden« mussten, 18
wurde im Jahr 1960 gefasst. Im Jahr 1972 stellten die Österreicher schließlich Walter Dejaco vor Gericht, jenen Mann, der die Gaskammern entworfen hatte. Selbst in England gab es einen Auschwitz-Prozess. Wenn man heute in eine Buchhandlung geht und ein Exemplar von Leon Uris’ Roman Exodus in die Hand nimmt, findet man dort die folgende Beschreibung des Lebens in Auschwitz: »Hier in Block X verwahrten die Nazi-Ärzte Wirths, Schumann und Clauberg das menschliche Rohmaterial für ihre pseudowissenschaftlichen Experimente. Der polnische Häftling Dr. Wladimir Dering führte Kastrationen und Ovariektomien durch, die von seinen deutschen Herren als Teil ihres wahnsinnigen Programms auf der Suche nach einer Möglichkeit zur Sterilisation der gesamten jüdischen Rasse angeordnet wurden.«1 Geht man jedoch in eine Bibliothek und wirft einen Blick in die erste Auflage, dann stößt man auf eine etwas andere Formulierung: »Hier in Block X benutzte Dr. Wirte [sic] Frauen als Versuchskaninchen, Dr. Schumann sterilisierte mittels Kastration und Röntgenstrahlen, Caluberg [sic] entfernte Eierstöcke und Dr. Dehring [sic] führte siebzehntausend chirurgische ›Experimente‹ ohne Betäubung durch.«2 Wirths, Schumann und Clauberg konnten als Nazi-Kriegsverbrecher der Schilderung ihrer Aktivitäten nicht widersprechen. Im Jahr 1947 war zwar auch Wladislaw Dering von den polnischen Behörden als Kriegsverbrecher geführt worden, doch zurzeit der Veröffentlichung von Exodus praktizierte er als Arzt in London, nachdem eine zehnjährige Tätigkeit im Colonial Medical Service ihm den britischen Verdienstorden O. B. E.* eingebracht hatte.3 Dering verklagte Uris und seinen britischen Verlag wegen
* OBE, Officer of the Order of the British Empire.
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Verleumdung und behauptete, als polnischer Häftling keine andere Wahl gehabt zu haben, als den Befehlen der Nazi-Ärzte Folge zu leisten. Dering, unter dessen stellvertretendem Kommando der nationalpolnische Untergrund im Lager gestanden hatte, behauptete auch, die Akte, die Uris im Wesentlichen in seinem Roman übernommen hatte, beruhe auf Informationen polnischer Kommunisten und rachsüchtiger Juden. Er gab zu, erzwungene Sterilisationen an Juden vorgenommen zu haben, aber dabei, etwa 100 an der Zahl, habe es sich nur um einen winzigen Bruchteil der 17 000 Operationen gehandelt, die er in Auschwitz durchgeführt habe. Außerdem behauptete er, ein Narkosemittel verwendet zu haben. Die Verteidigung machte ausgiebigen Gebrauch von Zeugen, darunter mehreren Opfern Derings. Eine inhaftierte Ärztin, die sich geweigert hatte, Sterilisationen durchzuführen — und für ihre Weigerung nicht bestraft wurde —, sagte ebenfalls aus. Die Darstellungen der Zeugen widersprachen sich bisweilen. Schließlich stellten die Geschworenen fest, dass Uris die Wahrheit des von ihm Geschriebenen nicht habe beweisen können. Der Roman QB 7. Ein Prozess erregt die Welt ist Uris’ eigener erzählerischer Bericht über dieses Verfahren. Das Urteil gegen Uris erwies sich für Dering als Pyrrhussieg, da dieselben Geschworenen Dering nur einen halben Penny — damals die kleinste in Umlauf befindliche Münze — als Schadenersatz zusprachen und verfügten, er müsse die Kosten seines Gegners bezahlen, die sich selbst in den 1960er Jahren auf Zehntausende Pfund Sterling beliefen. Ein Pyrrhussieg für Irving indes wäre immer noch eine Katastrophe für seine Gegner gewesen — und ein Riesenauftrieb für jene, die unter dem Deckmantel des historischen Revisionismus versuchen, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges neu zu schreiben und den Nazi-Völkermord zu einer leider allzu krass ausgefallenen Reaktion auf jüdi20
sche Unterdrückung umdichten möchten. Im Exodus-Prozess war es nicht um die Gaskammern gegangen. Und auch beim Prozess gegen Walter Dejaco und seinen Mitarbeiter Fritz Ertl wegen des Entwurfs der Krematorien in Auschwitz-Birkenau ging es nicht um die Existenz der Gaskammern. Obwohl beider Namen auf den Plänen stehen und Ertl zugab, zu wissen, dass die Entwürfe für »Sonderaktionen« bestimmt waren — ein Ausdruck, dessen Bedeutung zu kennen er ebenfalls zugab —, befand der Wiener Gerichtshof sie nicht für schuldig.* Durch die Verleumdungsklage gegen Deborah Lipstadt hoffte David Irving, aus der Existenz der Gaskammern eine Streitfrage machen zu können, eine Kontroverse, eine Chance zum Generalzweifel. Natürlich weiß jedermann, dass in den Gaskammern, nicht nur in Auschwitz, sondern auch in Dachau und Bergen-Belsen tatsächlich Millionen von Juden gestorben sind. Das Problem ist nur, dass das, was jedermann über den Holocaust weiß, nicht immer der Wahrheit entspricht. Es gab eine Gaskammer in Dachau, aber sie wurde nie benutzt. Keine Gaskammern gab es in Bergen-Belsen. Lange Zeit wusste jedermann, dass die Nazis aus dem Fett ermordeter Juden Seife machten. In ihren Berichten über die Vernichtungslager vom November 1942 zitierte die New York Times Dr. Stephen Wise, den Vorsitzenden des American Jewish Congress, der behauptete, dass die Körper der Toten »zu Fett, Seife und Schmierstoffen verarbeitet« würden.4 In der polnischen Stadt Piotrków pflegten die Einwohner zu sagen, wenn
* Das Ergebnis, wie beispielsweise die Entscheidung des Anklagevertreters, Dejaco nur des Mordes an einem einzigen Insassen auf der Baustelle anzuklagen, sagt mehr aus über Österreichs schwieriges Verhältnis zu seiner eigenen Vergangenheit als über die Beweise für den Holocaust.
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die Judentransporte ihre Stadt passierten: »Jada na midlo.« (»Sie sind unterwegs zur Seife.«) Nach dem Krieg zeigte das städtische Museum in Prag ein Stück Seife, von dem es hieß, es sei aus jüdischen Leichnamen hergestellt.5 War es aber nicht. Die grausige Geschichte von zu Seife gemachten Menschen wurde, obschon sie in einigen der frühesten Berichte über Ereignisse im von den Nazis besetzten Europa auftauchte, bereits vor langer Zeit von Historikern als wieder aufbereiteter Überrest aus dem Ersten Weltkrieg zurückgewiesen. Damals hatten ähnliche Gräuelgeschichten zu den wichtigsten Erzeugnissen alliierter Propaganda gehört.6 Und wir alle wissen von dem tapferen König von Dänemark, der, nachdem sein Land von den Deutschen besetzt worden war, drohte, sich selbst den gelben Stern anzuheften, sollten die Nazis darauf bestehen, den dänischen Juden das Abzeichen aufzuzwingen. Wie der Historiker Martin Gilbert in Holocaust Journey schreibt: »Mutig richteten der König und sein Volk es ein, dass die meisten dänischen Juden am Vorabend der geplanten Deportation über das Wasser nach Schweden geschmuggelt wurden. Aber die Episode mit dem gelben Stern hat niemals stattgefunden.« Die Quelle für diese anrührende, aber unwahre Begebenheit: Uris’ Exodus.7 Die Geste des dänischen Königs wurde, auch wenn sie nur ein Mythos ist, zu einer der »Lektionen« des Holocaust, wobei ihre Parabel von persönlicher Solidarität häufig als erhebende Replik auf das nach dem Krieg gemachte Bekenntnis des deutschen Pfarrers Martin Niemöller dient: »Erst holten sie die Juden, aber ich war kein Jude...« Niemöllers Litanei über die Gleichgültigkeit gegenüber der eskalierenden Brutalität des Lebens in Nazideutschland ist einer der Texte unserer Zeit, der von Republikanern und Demokraten, von Juden und Christen, der Zeitschrift Time und der Enzyklopädie des Holocaust zitiert wird. 22
Und alle sind sich einig: Zuerst kamen sie wegen der Juden. Bloß taten sie es nicht. Und Niemöller hat niemals behauptet, es wäre so gewesen. »Erst holten sie die Kommunisten«, als die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen — ein Umstand, den Niemöller auch bestätigt, der mit folgenden Worten fortfuhr: »... aber ich war ja kein Kommunist, darum schwieg ich. Dann holten sie die Sozialdemokraten, aber ich war ja kein Sozialdemokrat, so tat ich nichts. Dann kamen die Gewerkschafter dran, aber ich war kein Gewerkschafter. Und dann holten sie die Juden, aber ich war kein Jude, so tat ich wenig. Als sie dann kamen und mich holten, da war niemand mehr da, der für mich hätte einstehen können.«8 Warum wohl setzten so viele Quellen fälschlicherweise die Juden an die erste Stelle? Warum wohl versäumte es die im United States Holocaust Memorial Museum bewahrte Version, die ersten Opfer der Nazis, die Kommunisten, zu erwähnen? Vielleicht, weil es bei Diskussionen über den Holocaust immer schon gleichermaßen um Politik wie um Geschichte ging. In Die Untergegangenen und die Geretteten zitiert Primo Levi die zynischen Bemerkungen eines SS-Mannes in Auschwitz: »Stellen Sie sich nur vor, Sie kommen in New York an, und die Leute fragen Sie: ›Wie war es in diesen deutschen Konzentrationslagern? Was haben sie da mit euch gemacht?‹... Sie würden den Leuten in Amerika die Wahrheit erzählen... Und wissen Sie, was dann geschehen würde?... Sie würden Ihnen nicht glauben, würden Sie für wahnsinnig halten, vielleicht sogar in eine Irrenanstalt stecken. Wie kann auch nur 23
ein einziger Mensch diese unwahrscheinlich schrecklichen Dinge glauben — wenn er sie nicht selbst erlebt hat?«9 Im Jahr 1987 nahm sich Levi in seinem Geburtshaus in Turin das Leben. Wer wird die Geschichte schreiben? Selbst als der Holocaust noch im Gange war, wurde das Wissen über die Geschehnisse durch den Zweck, der sich mit solchem Wissen verbinden ließ, beeinflusst — verhängnisvoll beeinflusst, ist man versucht zu sagen. Heute steht außer Zweifel, dass die britische und die USamerikanische Regierung zumindest über das Ausmaß der jüdischen Katastrophe, wenn nicht über die genauen Umstände Bescheid wussten.10 Es gab, vielleicht verständliche, Gründe, Stillschweigen zu bewahren: die Notwendigkeit, das Faktum geheim zu halten, dass die Alliierten die deutschen Codes geknackt hatten; die Wahrscheinlichkeit, dass solche »Gräuelgeschichten« nicht geglaubt würden; die Angst, dass jeder Schritt zur Rettung der Opfer Ressourcen umleiten würde, die benötigt wurden, um Deutschland auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Doch es gab auch die Furcht, dass eine Kampagne mit dem Ziel, Deutschland dazu zu bringen, die Juden zu vertreiben statt sie zu ermorden, Erfolg haben könnte. Als jüdische Gruppen in Großbritannien sich im Juli 1944 dafür einsetzten, dass die Regierung etwas unternähme, um die Ausrottung des ungarischen Judentums zu stoppen, wies Innenminister Herbert Morrison Außenminister Anthony Eden darauf hin, es sei »absolut erforderlich, dass wir nichts tun, was das Risiko birgt, dass das Endergebnis die weitere Aufnahme von Flüchtlingen hier sein könnte«.11 Bis zur Einrichtung des War Refugee Board gegen Ende desselben Jahres war die US-amerikanische Politik kaum besser. Antisemitismus war ein Faktor, der die Art und Weise prägte, 24
wie die Fakten des Holocaust bekannt wurden. Antikommunismus war ein weiterer. Während des Krieges hieß dies, dass man sich weigerte, das als Realität anzuerkennen, was die Rote Armee in Auschwitz und Majdanek entdeckt hatte. Im sich anschließenden Kalten Krieg bedeutete es Widerstand gegen das russische Beharren, der »Verbrechen des Faschismus« zu gedenken — und Argwohn gegen jeden, der zu eifrig darauf bedacht war, die Aufmerksamkeit vom drängenderen Kampf gegen den Kommunismus abzulenken. Doch falls die Befürchtung, für nicht antikommunistisch genug gehalten zu werden (oder für allzu beflissen antideutsch in einer Zeit, als Deutschland mit offenen Armen im Atlantikpakt aufgenommen wurde), Juden daran hinderte, Aufmerksamkeit auf den Holocaust zu lenken, so gab der Zionismus vielen Juden einen Grund — und eine Lizenz —, ihre Meinung offen auszusprechen. Dies galt sowohl für Israel, wo es Versuche gab, politisches Kapital aus der Katastrophe zu schlagen, wie für die Vereinigten Staaten, besonders nach dem Sechs-Tage-Krieg, als die Unterstützung Israels zu einem Eckstein amerikanischen strategischen Denkens im Nahen Osten wurde — und eine Erwähnung des Holocaust dazu diente, Kritik von der israelischen Politik abzuwenden sowie den Anspruch abzustützen, dass den Juden bei den aufkommenden »Olympischen Opferspielen« bereits die Goldmedaille zuerkannt worden sei. Peter Novicks kürzlich erschienenes Buch Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord ist eine glänzende Darstellung dieses Übergangs von der Zensur zum Ausfechten eines Streitthemas. Wie alle vorausgegangenen Holocaust-Prozesse ist auch David Irving versus Penguin Books Ltd. and Deborah Lipstadt ein Streit über Geschichte, darüber, was die Nazis getan oder nicht getan haben und was in Auschwitz und anderswo geschehen oder nicht geschehen ist. Jede Seite hat ihre eigenen Gründe, 25
vorzugeben, dass dem nicht so sei. Irving behauptet, lediglich vor Gericht zu ziehen, um seinen Ruf zu verteidigen; die Verteidigung sagt, es gehe um Irvings Wahrhaftigkeit, nicht um Geschichte. Aber Irving hat seinen Ruf, seine Glaubwürdigkeit als Historiker eingesetzt, um die Behauptung zu untermauern, dass in den Gaskammern in Auschwitz keine Juden ermordet worden seien, dass Auschwitz lediglich ein Zwangsarbeitslager gewesen sei, dessen Gesamtzahl an Todesfällen von der Zahl der Opfer alliierter Bomber über Dresden oder Pforzheim in den Schatten gestellt werde. Wer etwas anderes behaupte, sagt Irving, sei entweder ein Tölpel oder ein Lügner. Vor allem diese These und nicht irgendwelche anderen Irrtümer oder Betrügereien in seinen Schriften machte Lipstadt auf ihn aufmerksam. Diese These führte die beiden Parteien vor Gericht. Und diese These garantiert, dass man über die Geschehnisse in diesem Londoner Gerichtssaal auf der ganzen Welt berichtet. Die Verhandlung selbst wirft jedoch noch andere Fragen auf. Erkenntnistheoretische Fragen: Woher stammt unser Wissen über die Vergangenheit? Wie wird es übermittelt? Verdienen Dokumente eine größere Gewichtung als die Aussagen von Zeugen? Wenn wir unser Wissen über ein Ereignis verwenden, um ein Dokument zu interpretieren, wenn wir das Dokument jedoch brauchen, um das Ereignis zu verstehen, was sagt dieser hermeneutische Zirkel dann über unsere Fähigkeit aus, die Vergangenheit zu verstehen? Wenn nicht alle Interpretationen gleich stichhaltig sind, es jedoch keinen inhärenten Maßstab für die Stichhaltigkeit gibt, mit welcher Begründung darf eine bestimmte Interpretation dann ausgesondert werden? Sie wirft auch politische Fragen auf: Ist der Holocaust das Eigentum der Juden? Begründet die Opfergeschichte einen Anspruch — beispielsweise auf einen gesetzlichen Schutz vor jenen, die diese Geschichte partout leugnen? Was ist die richtige 26
Reaktion auf Hassparolen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Faschismus und Antisemitismus? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Hassparolen und rassistischer Gewalt? Ist der Schutz der freien Rede immer eine gute Sache? Der Prozess wirft Fragen für Juden auf: Ist der Holocaust wichtig für die jüdische Identität? Wie wichtig? Warum sollte es uns interessieren, ob Irving oder sonst jemand behaupten mag, er habe nicht stattgefunden? Warum sollte es sonst jemanden interessieren? Wie sehen Juden sich selbst im Verhältnis zu anderen Gruppierungen der Gesellschaft? Und für Nichtjuden: Wie groß ist die Bedeutung des Holocaust? Warum? Wie sollten wir auf Juden reagieren, die sich bedroht fühlen? Wie sollten wir auf Juden reagieren, die sich von David Irving bedroht fühlen? Wie sehen wir Juden im Verhältnis zu anderen Gruppen? Wie sahen die Nazis die Juden? Was halten wir von dem angedeuteten Vergleich? Und natürlich stellt der Prozess Fragen über die Geschichtsschreibung, Fragen dazu, wie Geschichte geschrieben wird. Viele dieser Fragen werden technischer Natur sein und kommen der Frage nach Verstößen gegen das Berufsethos gleich: Fragen zu Fußnoten, Übersetzungen, Quellen, Statistiken, zur Unterdrükkung widersprüchlicher Beweise. Es wird auch Fragen zur Geschichte als Disziplin geben: Wie lauten die Standards zulässigen Vorgehens? Wer setzt sie? Wer verschafft ihnen Geltung? Sind es dieselben für alle Arten von Geschichte? Verdirbt eine einzige Position, wie haarsträubend sie auch sein mag (beispielsweise die Überzeugung, dass der Holocaust ein Schwindel war), das Gesamtwerk eines Historikers? Oder kann man sie isolieren, sie zur Seite legen wie ein Stück verdorbenes Obst? Doch neben all diesen Fragen erhebt sich die grundsätzliche Streitfrage, die Primo Levi nicht losließ: Wer wird die Geschichte schreiben? Geschichte, so sagt uns das Klischee, wird von 27
den Siegern geschrieben. Doch der Holocaust ist eine Geschichte ohne Sieger. Die Alliierten haben vielleicht die Nazis besiegt, aber die Juden haben sie nicht gerettet. Wer wird die Geschichte schreiben? Jeder Holocaust-Prozess gibt eine Teilantwort auf diese Frage, und der Prozess, der Gegenstand dieses Buches ist, firmiert bloß als jüngster in einer langen Reihe. Gut möglich, dass es noch weitere gibt. Aber er bezeichnet auch etwas Neues: ein Holocaust-Prozess ohne Opfer und ohne Täter, ein Prozess, in dem ebenso ein Urteil über Geschichte gefällt wie Geschichte geschrieben wird.
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1 Gerichtssaal voll »Erheben Sie sich!« Beim Ruf des weiblichen Saal-Clerk stellen wir unsere Gespräche ein und rappeln uns hoch. David Irving versus Penguin Books Ltd. and Deborah Lipstadt beginnt an einem trüben Morgen auf dem Höhepunkt der Londoner Grippezeit. Der Gerichtssaal ist überfüllt mit Menschen, triefnassen Regenmänteln und durchnässten Schirmen. Als die Menge schließlich ruhig ist, blickt die Justizangestellte zu einem offenen Eingang am anderen Ende des Saales: Auf der rechten Bühnenseite tritt Mr. Justice Charles Gray ein und geht forsch bis zur Mitte eines erhöhten Podiums mit einem langen Schreibtisch. Jede Gerichtsverhandlung ist eine Art Theaterinszenierung, doch in diesem Fall beschleicht die Anwesenden wegen der Kleidung des Richters das Gefühl, einem Kostümdrama beizuwohnen. Über seiner schwarzen Amtstracht aus Seide trägt Gray eine scharlachrote Schärpe, die so genannte tippet (Stola). Von jeder Seite seines Kragens hängt ein weißes Band herab, von der Art, wie Geistliche im Neu-England des 18. Jahrhunderts sie bevorzugten, und auf seinem Kopf sitzt eine zinnfarbene Perükke aus Pferdehaar. Im wirklichen Leben und von seiner ganzen Erscheinung her Patrizier (Gray wurde im Winchester and Trinity College, Oxford, erzogen), lassen sein fein geschnittenes Gesicht, seine Jagdhundaugen und die Amtsschärpe den Richter wie eine schlankere, schwermütigere Ausgabe des Schauspielers Nigel Hawthorne erscheinen, als er den verrückten König Georg III. verkörperte. Der Schauplatz des Prozesses erhöht die dramatische Wir29
kung. Gerichtssaal 37 ist ein adretter, weißer, moderner Raum mit Möbeln aus hellem Holz, der zudem über die komplette Hightech-Ausrüstung heutiger Prozessführung verfügt: Leuchtstofflampen, unter der Decke hängende Mikrophone, auf dem Fußboden ein Gewirr von Kabeln, das die auf den Tischen der Anwälte platzierten Laptops mit dem Stenographenpult verbindet, wodurch es möglich ist, unverzüglich das Protokoll zu konsultieren. Vom szenischen Aufbau her scheint Saal Nummer 37 eher für einen komplizierten Sorgerechtsstreit oder ein langwieriges Scheidungsverfahren geeignet (wofür er in der Tat die meiste Zeit genutzt wird) als für einen Streit über Geschichtsschreibung oder das Schicksal des europäischen Judentums. Doch das Gebäude der Royal Courts of Justice — ein viktorianischgotischer Komplex mit kunstvollen Gewölben, gemeißeltem Mauerwerk und hoch aufragenden Türmen — liegt dort, wo die Fleet Street auf den Strand trifft. Wir befinden uns im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne am Schnittpunkt von Journalismus und Theaterdistrikt. Als wollte man diesem Umstand Rechnung tragen, wurden die meisten der dem Publikum vorbehaltenen Sitzplätze von Reportern mit Beschlag belegt. Sie überfluten die Pressegalerie auf der linken Seite des Saales, füllen aber auch die rückwärtige und rechte Seite, womit sie die normale Proszeniums-Anordnung in eine Bühne verwandeln, auf drei Seiten eingerahmt von Sitzen. Die wenigen Zuschauer, die dennoch Zutritt erhalten, müssen sich in die hinteren Reihen zwängen, was in einigen Fällen dazu führt, dass Überlebende des Holocaust auf Tuchfühlung mit glatzköpfigen britischen Neonazis sitzen. Richter Gray beginnt mit einer Entschuldigung für die beengten Verhältnisse: »Es wäre sehr zu wünschen, dass alle, die hier sein möchten, dies auch können, aber ich fürchte, dass dem nicht so ist.«1 Einer, der sehr gerne hier sein möchte, ist David Irving. Ir30
ving ist bei diesem Prozess der Kläger. In Großbritannien jemanden wegen Verleumdung zu verklagen ist kostspielig. Ein Queen’s Counsel (QC), der zur Elite der Barrister (Prozessanwälte) zählt, erhält etwa 5000 Pfund pro Tag. Und weil die meisten Kläger es für klug erachten, sich einen QC zu nehmen, benötigen die meisten QCs bei Gericht einen Junior-Barrister, also einen jüngeren Anwalt, der ebenfalls vor höheren Gerichten plädieren darf. Fügt man nun noch eine Mannschaft so genannter »Solicitors« hinzu (Anwälte, die den Prozessanwälten und ihren Mandanten bei Gericht zur Hand gehen, ohne selber zu plädieren), können die Gesamtkosten mit Beginn des Prozesses täglich leicht 10 000 Pfund übersteigen — eine Summe, die eine Verleumdungsklage in die Nähe von Luxusgütern rückt, vergleichbar einer Rennjacht oder einem Vollblutpferd. Obwohl er in einem maßgeschneiderten 2000-PfundKreidestreifenanzug von Gieves and Hawkes ins Gericht kommt, ist David Irving kein wohlhabender Mann. Und ein Indiz dafür, wie viel ihm daran liegt, hier zu sein, ist die Tatsache, dass er als litigant in person, als prozessführende Partei ohne Rechtsvertretung, vor Gericht erscheint. Wenn er als sein eigener Anwalt agiert, sitzt Irving allein an einem langen Anwaltstisch, so wie er es jetzt tut, während er über eine Lesebrille hinweg auf ein paar Papiere starrt. Irving ist ein einfallsreicher und energischer Publizist in eigener Sache, und von Zeit zu Zeit hebt er seinen Blick zu den Pressesitzen, wo er einige der Reporter laut begrüßt. Doch niemals schaut er auf den Tisch der Beklagten Nummer zwei direkt hinter ihm, an dem Deborah Lipstadt sitzt und wütend auf seinen Nacken starrt. Für sie bedeutet dieser Gerichtstag eine Fortsetzung der bereits vierjährigen Unterbrechung ihrer wissenschaftlichen Laufbahn. Doch auch wenn Lipstadt diese Konfrontation nicht gesucht hat, so ist sie ebenso wenig davor zurückgeschreckt. Und sie ist auch 31
nicht allein in die Arena gekommen. Anthony Forbes-Watson, der eulenhaft wirkende, rotblonde Geschäftsführer von Penguin Books (Beklagter Nummer eins) ist von Anwälten praktisch umringt. Die meisten sind Solicitors und tragen gewöhnliche Straßenanzüge. Doch der bei Gericht plädierende Anwalt (Barrister) Richard Rampton, der eine kurze grau-blonde Perücke und die seidene Amtstracht eines Queen’s Counsel trägt, sowie seine Junior-Anwältin Heather Rogers in schwarzer Robe, deren Perücke teils ihre eigenen grauen Haare verdeckt, verstärken bei den anwesenden Prozessbeobachtern den Eindruck, einem Mummenschanz beizuwohnen. Die Bank der Zweiten Beklagten kommt bescheidener daher. Hier sitzt Lipstadt, eine kleine Frau mittleren Alters in einem schlichten hellbraunen Hosenanzug, farblich kontrastiert von einem am Hals zusammengeknoteten bunten Tuch, zwischen ihren beiden Anwälten. James Libson, der jüngere der beiden, trägt ebenfalls den dunklen Standardanzug eines Solicitors, während Anthony Julius in einfacher, schwarzer Stoffrobe, jedoch ohne Perücke, erschienen ist. Direkt hinter ihnen sitzt ein Kontingent von Anhängern Lipstadts: Freunde aus Atlanta, wo Lipstadt an der Emory University unterrichtet; Funktionäre des American Jewish Committee, des Board of Deputies of British Jews, der Anti-Defamation League der jüdischen B’nai B’rith Organisation und von Steven Spielbergs Shoah Foundation. Sachverständige, Reporter, weitere Interessierte und ein oder zwei neugierige Touristen belegen die übrigen Sitze, während mehrere Dutzend enttäuschte Zuschauer geduldig draußen auf dem Flur Schlange stehen. All diese Leute — all diese Interessen — beanspruchen so viel Platz, dass die Verhandlung, die schon einmal verlegt wurde, um des erwarteten Massenandrangs Herr zu werden, gegen Ende der Woche in einen noch größeren Gerichtssaal verlegt 32
werden wird. Es hilft nichts: An den meisten Vormittagen wird die Mehrzahl der Besucher, die zur angesetzten Zeit um 10.30 Uhr erscheint, in dem kleinen, ins Gerichtssaal führenden Foyer von einem Schild begrüßt, das sie davon in Kenntnis setzt: »Gerichtssaal voll.« Wie voll genau, zeigt sich erst deutlich, als der Richter (und die Zuschauer) im Verlauf einiger kurzer, einleitender Fragen erfahren, dass vereinbart worden sei, den Fall in zwei Teile aufzuteilen: Auschwitz und »praktisch den ganzen Rest«. Es gibt eine kleine Auseinandersetzung darüber, wer diese Agenda angeordnet hat, aber als Irving anmerkt, »im Lichte der Geschichte ist der interessanteste Teil des Prozesses zweifellos der Holocaust und Auschwitz«, erhebt die Gegenseite keine Einwände. In diesem Augenblick hält die Geschichte Einzug in den Gerichtssaal. Wenn es ihnen passt, werden beide Seiten sich energisch bemühen, das zu ignorieren und so zu tun, als ginge es in diesem Verfahren wirklich nur um die Interpretation von Dokumenten. Tatsächlich kommt es nur ein paar Augenblicke später zu einem ersten dieser Versuche, als Irving behauptet: »Wir müssen den Verlockungen widerstehen, die Geschichte der Ereignisse aufzurühren, die sich vor 50 Jahren in Polen oder Russland zugetragen haben. Was hier zur Debatte steht, ist nicht, was sich an diesen Gräuelstätten ereignet hat, sondern was im Verlauf der letzten 32 Jahre auf meinem Schreibtisch in meiner Wohnung ein wenig abseits vom Grosvenor Square geschah.« Noch bevor er sie laut ausspricht, stehen Irvings Worte im Widerspruch zu einer Reihe seiner eigenen Beweisstücke, die zu seiner Rechten auf einer Staffelei ruhen. Ungefähr einen Quadratmeter groß und auf Pappe aufgezogen, zeigen diese vergrößerten Schwarzweißfotografien nicht das Innere von Irvings Arbeitszimmer oder die Papiere auf seinem Schreibtisch. Und sie zeigen auch nicht die Bücher in Irvings Bibliothek oder gar das 33
berühmt-berüchtigte Selbstporträt Adolf Hitlers oder die von Hakenkreuzen gekrönten Sektquirle, die Irving gern benutzt, um seinen Buchvorstellungs-Parties einen Hauch politischer Inkorrektheit zu verleihen. Stattdessen zeigen die Bilder in der typisch körnigen Auflösung von Luftaufnahmen eine jener »Gräuelstätten«, in diesem Fall das auf polnisch als Owiêcim bekannte Lager, dessen deutscher Name Auschwitz mittlerweile tatsächlich als Synekdoche für die vorsätzliche systematische Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis dient. Bei seinem Versuch, die Geschichte aus dem Gerichtssaal herauszuhalten, hat Irving die volle Unterstützung von Richter Gray und dem Verteidigerteam. Im Verlauf eines Gesprächs in den Amtsräumen des Richters sagte mir Gray, er sei entschlossen, jenes Risiko zu minimieren. »Richter«, sagte er, »sind keine Historiker.« Die Anwälte der Verteidigung waren sich einig in ihrer Erklärung: »In diesem Prozess geht es nicht um den Holocaust.« Warum gaben sie dann ein 700-Seiten-Gutachten vom Verfasser des Buches Auschwitz: 1270 to the Present (Robert Jan van Pelt, zusammen mit Debórah Dwork) in Auftrag? Oder ein anderes Expertengutachten über Evidence for the Implementation of the Final Solution (Beweise für die Durchführung der Endlösung), ganz zu schweigen von weiteren Einzelgutachten über die systematische Natur des Nazi-Völkermords und über die persönliche Schuld Adolf Hitlers? Trotz aller entschlossenen Versuche, sie höflich durch die Tür aus dem Gerichtssaal hinauszukomplimentieren, wird es in diesem Prozess keinen einzigen Tag geben, an dem die Geschichte von der Verhandlung ausgeschlossen ist. Und plötzlich ist Saal Nummer 37 tatsächlich sehr überfüllt. Hier, in einem von mehreren Dutzend Kartons, die den Saal säumen, befinden sich die Akten der Täter: Berichte über die Einsatzgruppen, deren Mordregister in Polen und hinter der russischen Front 34
Irving nicht leugnet. Hier lagern auch die Dokumente, die einen Transport von 1000 Juden im November 1941 von Berlin nach Riga in Lettland belegen, wo alle — Männer, Frauen und Kinder — bei der Ankunft erschossen wurden. Zufällig herrscht über diesen speziellen Transport und sein Schicksal auf beiden Seiten Einigkeit — ein kleiner Bruchteil jener Hunderttausender Juden, deren Ermordung durch die Nazis Irving ebenfalls nicht leugnet. Unfähig, selbst zu reden, werden diese stummen Zeugen von beiden Seiten ins Feld geführt. Ihre Anwesenheit füllt den Gerichtssaal. Doch sie bilden jene privilegierte Minderheit, deren Schweigen nicht als Komplizenschaft in ihrer Nichtexistenz aufgefasst wird. Zumindest theoretisch muss Gerichtssaal 37 auch Platz finden, um die etwa 2,7 Millionen Juden unterzubringen, deren Ende — in den Gaskammern von Belzec, Sobibór, Treblinka, Majdanek, Chelmno und Auschwitz — Irving in der Tat leugnet. Es ist hauptsächlich die Diskussion über ihre Spuren, die, bevor der Prozess auch nur begonnen hat, bereits die Bücherregale und Aktenkartons füllt, die sich entlang der Wände des Gerichtssaals stapeln und jeden Zentimeter freier Fläche beanspruchen. Durch die Zweiteilung des Prozesses, und sei sie nur verfahrenstechnischer Art, haben beide Seiten den Status dieser im Mittelpunkt der Kontroverse stehenden Juden ebenso sehr zu einer das Gericht betreffenden Angelegenheit gemacht wie jede der historiographischen Fragen, die beide Seiten offenbar lieber diskutieren würden. Und ganz egal, was Richter Gray bezüglich der Geschichtsschreibung beschließt, es ist — wie beide Seiten nur allzu gut wissen — Auschwitz, das bei diesem Fall in die Schlagzeilen kommen wird. Für die Verteidigung stellt dies insoweit eine besondere Gefahr dar, als Zweideutigkeit im Sinne ausweichender Formulierun35
gen ein menschlicher Impuls ist, gegen den auch Richter bekanntermaßen nicht gefeit sind. Sollte Irving in puncto Auschwitz verlieren, bei »allem anderen« aber gewinnen, wäre dies für seine Gegner trotzdem eine Niederlage. Mit anderen Worten, falls der Richter befindet, dass Irving, obwohl er, was Auschwitz betrifft, Unrecht habe, seine Fehler in Treu und Glauben begangen habe, hätte er nach dem Gesetz Anspruch auf erheblichen Schadenersatz. Lipstadt und Penguin Books wären gezwungen, Irvings Kosten zu übernehmen. Schlimmer noch: Sie könnten ohne Weiteres unter Androhung von Haft wegen Missachtung des Gerichts einer gerichtlichen Verfügung unterworfen werden, ihre Äußerungen über Irvings Methoden nicht zu wiederholen. Sollte indes eine nicht eindeutige Entscheidung in die andere Richtung erfolgen — wenn der Richter also befindet, das Beweismaterial hinsichtlich der Geschehnisse in Auschwitz sei ungeachtet der mangelhaften wissenschaftlichen Fachkenntnis Irvings einfach zu vieldeutig, um es mit rechtskräftiger Gewissheit zu interpretieren —, dann wäre das eine wahre Katastrophe. Um diesen Prozess zu gewinnen, muss die Verteidigung auf der ganzen Linie gewinnen. Für die Verteidigung gilt es aber noch weitere Hürden zu nehmen. Das englische Verleumdungsrecht geht auf das mittelalterliche Verbrechen des scandalum magnatum zurück. Ein wegen übler Nachrede über seine Herrscher — ein später als aufrührerische Verleumdung bekanntes Verbrechen — Verurteilter konnte seine rechte Hand oder seine Ohren einbüßen (um ihn effektiv daran zu hindern, sich verleumderischen Klatsch anzuhören). Im 17. Jahrhundert fiel die Aufgabe, den Ruf der Mächtigen zu schützen, dem Court of Star Chamber zu, und es war zum Teil der Leumund dieses Gerichts als Hort brutaler Unterdrückung — bis zum 18. Jahrhundert waren Auspeitschung und Verstümmelung an der Tagesordnung —, der dafür sorgte, 36
dass die amerikanische Jurisprudenz einen ganz anderen Weg einschlug. Nach US-Recht müssen Kläger oder Klägerin beweisen, dass sie fälschlicherweise diffamiert wurden. Dieser Punkt ist keine rein verfahrenstechnische Angelegenheit. Hätte Irving Lipstadt in den Vereinigten Staaten verklagt (wo ihr Buch zuerst erschien und wo Irving den Großteil seiner eigenen Bücher verkauft), hätte der Fall niemals einen Gerichtssaal von innen gesehen. Vor einem US-amerikanischen Gericht müsste Irving entweder den Beweis dafür erbringen, den Holocaust niemals geleugnet zu haben (eine schwierige Aufgabe für einen Mann, der aktenkundig behauptet, dass »auf dem Rücksitz von Edward Kennedys Auto... mehr Frauen gestorben sind als jemals in einer Gaskammer in Auschwitz«), oder er müsste beweisen, dass die von ihm geleugneten Ereignisse niemals stattgefunden haben. Als bekannter Autor und Kommentator erfüllte Irving außerdem die Bedingungen, die das Verfahren New York Times vs. Sullivan festgeschrieben hatte: Der Supreme Court hatte in diesem Fall entschieden, dass, wenn eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens eine Verleumdung beweisen wolle, nicht nur der Nachweis über die Falschheit der Behauptungen erbracht werden müsse, sondern auch, dass sie »in leichtfertiger Missachtung« der Wahrheit aufgestellt worden seien. Ein englischer Verleumdungskläger hingegen muss nur drei Dinge beweisen: dass die »beklagten Äußerungen« tatsächlich veröffentlicht wurden, dass man sie auf den Kläger beziehen kann und dass sie verleumderisch sind, das heißt, dass sie darauf abzielen, den Kläger zum Gegenstand von Hass oder Geringschätzung zu machen oder ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Sind diese Bedingungen erfüllt — und im Fall Irving vs. Lipstadt zieht dies niemand in Zweifel —, geht die Beweislast auf den Beklagten über. Dies spiegelt sich auch in der Struktur des Prozesses selbst 37
wider: Ein Verleumdungskläger hat immer das letzte Wort, die letzte Chance, den Richter und die Geschworenen von seinem Standpunkt zu überzeugen. Und weil das englische Recht davon ausgeht, dass die Kläger Anspruch auf einen untadeligen Ruf haben, sofern und solange nicht das Gegenteil bewiesen worden ist, hat ihr Anwalt auch das erste Wort. Damit sollen Richter und Geschworene die betreffende Person frei von jedem Makel oder Schatten kennen lernen — in Irvings Fall soll ihnen ein Autor von internationalem Ruf vorgestellt werden, Vater von vier Töchtern und ein Mann, dessen Bücher prominent publiziert und respektvoll rezensiert wurden und dessen Gesellschaft führende Verleger in Großbritannien und den Vereinigten Staaten eifrig suchten. Für einen Verleumdungsprozess ungewöhnlich, sind beide Seiten übereingekommen, auf Geschworene zu verzichten. Aber als Irving mit der Darlegung seines Standpunktes beginnt, ist offensichtlich, dass, auch wenn die letzte Entscheidung bei Richter Gray liegt, Irving die Jury der öffentlichen Meinung genauso wichtig ist. Von Anfang an entfaltet Irving eine zweigleisige Beweisführung: zum einen für den Richter vermittels des Beweismaterials, das er präsentiert, und zum anderen auf dem Weg über die Medien für die allgemeine Öffentlichkeit, die weniger an den Beweisen als an Irvings Auftreten interessiert ist. Wenngleich selbst auferlegt, besteht Irvings Last — und es ist eine echte — darin, dafür zu sorgen, dass beide Gleise parallel verlaufen. Er beginnt mit einem Exkurs: »Mylord, es ist beinahe 30 Jahre her, seit ich meinen Fuß zum letzten Mal in dieses Gericht gesetzt habe... Der damalige Anlass für meinen Besuch in diesem Gebäude war eine Klage, die vor Mr. Justice Lawton verhandelt wurde und die unter Jurastudenten als Cassell vs. Broome and Another bekannt wurde. Es war ebenfalls eine Verleumdungsklage, und ich muss leider zu38
geben, dass ich jener ›andere‹ war, hatte ich doch ein Buch über eine Operation zur See geschrieben, The Destruction of Convoy PQ 17. Dies war der einzige aktiv ausgefochtene Verleumdungsprozess in 30 Jahren schriftstellerischer Arbeit. Für diese Enthaltsamkeit, Mylord, gab es zwei Gründe: Erstens wurde ich, was meinen Schreibstil betrifft, vorsichtiger, und zweitens lehrte man mich, die andere Wange hinzuhalten. Der Mann, der mir die letztere Lektion beibrachte, war mein erster Verleger... Mr. William Kimber. Euer Lordschaft erinnern sich vielleicht, dass Mr. Kimber und sein Autor, Mr. Leon Uris, durch ein Buch, das Mr. Uris geschrieben hatte und das den Titel Exodus trägt, in eine Verleumdungsklage verwickelt wurden, die von einem Londoner Arzt angestrengt wurde, der gezwungen war, in Auschwitz Dienst zu tun. Auch dieser Fall wurde vor Mr. Justice Lawton verhandelt. Es gab noch eine weitere Ähnlichkeit, mit der sich dieser besondere Kreis der Übereinstimmung schließt. Genau wie ich heute war auch Mr. Kimber gezwungen, zwei oder drei Jahre seines Lebens damit zu verbringen, ›knietief‹ durch die entsetzlichsten Geschichten von Grausamkeiten und menschlicher Erniedrigung zu waten. An jenem Tag riet er mir, mich niemals in einen Verleumdungsprozess verwickeln zu lassen. Ich darf hinzufügen, dass ich seinen Rat mit einer Ausnahme, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde, beherzigt habe.« Die Moral dieser kleinen Geschichte lässt Irving unausgesprochen. Für den Richter bedeutet sie, dass Irving seine Lektion seit Cassell vs. Broome gelernt habe, als die Geschworenen entschieden, dass er nicht nur den Kommandeur jenes unglücklichen Geleitzuges PQ 17, der im Juni 1942 von deutschen UBooten übel zugerichtet worden war, diffamiert habe, sondern dass er es auch mit der kaltblütigen Berechnung getan habe, eine Verleumdungsklage nütze dem Verkauf seiner Bücher. Das Er39
gebnis — die Zuerkennung eines Strafschadenersatzes zusätzlich zum Ausgleich für die Verleumdung — hat Eingang in juristische Lehrbücher gefunden. Wie ein Anklagevertreter, dessen prominenter Zeuge eine kriminelle Vergangenheit hat, möchte auch Irving, dass der Richter durch ihn von dieser Episode erfährt. Außerdem möchte er betonen, dass er trotz anderslautender Presseberichte, die ihn als prozesssüchtigen Zeitgenossen schildern, ein nur widerwilliger Kläger ist. Seine Erwähnung des Exodus-Prozesses ist eingebunden in eine komplexe Reihe von Zielen. Dass Wladislaw Dering gegen Leon Uris vorging, ruinierte Derings Ruf, seine Finanzen und am Ende seine Gesundheit. Wenn Irving das spektakulärste Beispiel von Selbstzerstörung durch Anstrengung einer Verleumdungsklage seit Oscar Wilde den Marquis von Queensberry verklagte, beschwört, dann will er darauf hinweisen, dass auch er ein beträchtliches Risiko eingeht. Aber sollte seine Bemerkung der Versuch sein, Sympathie zu erheischen — wie seine Äußerung wenige Augenblicke später, er und Uris hätten nicht nur einen gemeinsamen Verleger, sondern auch denselben Rechtsanwalt, Michael Rubinstein, gehabt, eine Anspielung darauf, dass er einst auf besserem Fuß mit Juden gestanden habe —, dann vermittelt sie auch noch eine schroffere Botschaft: Uris’ Anwälte hatten im Gerichtssaal zahlreiche Männer und Frauen auftreten lassen, die aus eigener Erfahrung schildern konnten, was in Auschwitz geschehen war. Und trotzdem hatte dies nicht genügt, die Geschworenen zu überzeugen, zugunsten ihres Mandanten zu entscheiden. Irving hält weniger die andere Wange hin — eine plumpe Spitze gegen seine jüdischen Opponenten —, als dass er den Fehdehandschuh hinwirft. »Um ihre Behauptungen, ich hätte manipuliert und verzerrt, zu rechtfertigen«, fährt Irving fort, »wird es nicht ausreichen, dass Professor Lipstadt zeigt — falls 40
sie es kann —, dass ich das, was geschehen ist, falsch dargestellt habe, sondern dass ich wusste, was geschehen ist, und dass ich es, zu welchem Zweck auch immer, verstockt und vorsätzlich wider besseres Wissen fälschlich dargestellt habe. Das ist es, was Manipulation und Verzerrung bedeuten. Die andere, obschon grundlegende Geschichte dessen, was tatsächlich geschah, findet sich weder hier noch dort. Eigentlich sollte diese Untersuchung die vier Wände meines Arbeitszimmers nicht verlassen.« Irving fährt fort, das Porträt eines Künstlers zu zeichnen, dem Unrecht widerfährt. Bisweilen melodramatisch: »Mylord, sollten wir einen Titel für diesen Verleumdungsprozess suchen, würde ich den Vorschlag wagen: ›Bilder einer Hinrichtung‹ — meiner Hinrichtung!« Manchmal pompös: »Meine Bücher sind als gebundene Ausgaben in den großartigsten Verlagen erschienen.« (Darunter Penguin Books, der Erste Beklagte, der im Jahr 1981 Irvings The War Between the Generals veröffentlichte.)* Aber die Wirkung insgesamt ist bezwingend. Sein Einkommen, das sich einmal auf über 100 000 Pfund im Jahr belaufen habe, sei steil gefallen: »Aufgrund der Aktivitäten der Beklagten, besonders der Zweiten Beklagten, und derjenigen, die sie finanziert haben und ihr die Hand führten, erlebe ich seit 1996, wie ein ängstlicher Verleger nach dem anderen von mir abfällt, es ablehnt, meine Werke neu aufzulegen, sich weigert, neue Buchaufträge zu erteilen, und mir den Rücken zukehrt, wenn ich mich ihm nähere. Insgeheim begrüßen die Cheflektoren in diesen Verlagen mich immer noch herzlich als Freund, und sie laden mich zum Mittagessen in teure New Yorker Restaurants ein und beklagen sich * Penguins Muttergesellschaft Viking Books (damals ein unabhängiges Unternehmen) brachte 1977 sein Buch Hitler’s War (dt. Hitlers Krieg, 1986) heraus.
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dann, dass es in ihrem Verlag stets jemanden gebe, der partout etwas einzuwenden habe, sollten sie mit mir einen Vertrag über ein neues Buch abschließen.« Kurz, er sei zum Paria geworden. Und obwohl »ich nicht einmal leugne, dass ich es mir teilweise vielleicht selbst zuzuschreiben habe«, hat Irving sich nicht an den obersten Gerichtshof gewandt, um Absolution zu suchen. Noch ist er allein zu dem Zweck erschienen, seinen Ruf zu verteidigen. David Irving hat seinen eigenen »Fall«. »In ihrer Entschlossenheit, meine Karriere zu zerstören und meine Legitimation als Historiker zu beschädigen, haben die Beklagten nicht allein gehandelt. Dies ist ein Satz, den ich Euer Lordschaft bitte im Gedächtnis zu behalten. Sie waren Teil eines organisierten internationalen Unternehmens, das genau darauf abzielt. Ich habe die Schriftstücke gesehen. Ich besitze Kopien der Dokumente. Ich werde sie diesem Gericht zeigen. Ich weiß, dass sie es getan haben, und ich weiß nun, warum.« Irving beschreibt »seinen Fall« gegenüber dem Richter — und wichtiger noch, gegenüber der Presse — als aus zwei Teilen bestehend. Der erste Teil betrifft den Holocaust: »ein künstliches Etikett, das gemeinhin einer der größten und immer noch am wenigsten geklärten Tragödien des Jahrhunderts angeheftet wird. Ich habe mich niemals als Holocaust-Experte ausgegeben«, sagt er. »Wenn ich überhaupt Experte für irgendetwas bin..., dann für die Rolle, die Adolf Hitler bei der Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges gespielt hat, und für die Entscheidungen, die er traf, sowie für das Wissen, auf das er diese Entscheidungen gründete.« Nichtsdestoweniger »beabsichtige ich, zu zeigen, dass ich, weit davon entfernt, ein ›Holocaust-Leugner‹ zu sein — so die Formulierung im Titel des Buches —, die Aufmerksamkeit wiederholt auf wichtige Aspekte des Holocaust gelenkt habe«. Mit vor Zorn lauter werdender Stimme sagt Irving, es sei »besonders übel«, ihn als »Holocaust-Leugner« zu 42
bezeichnen, »weil kein Mensch, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und auch nur im Entferntesten begreift, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist, leugnen kann, dass die Tragödie sich tatsächlich ereignet hat, wie sehr wir anders denkenden Historiker vielleicht auch über die Mittel, das Ausmaß, die Daten und andere Einzelheiten streiten möchten«. Grob gesagt, stellt sich Irvings »Fall« in puncto Holocaust wie folgt dar: Wenn er schreibe, dass Hitler nichts von der Endlösung gewusst habe, oder wenn er sage, dass es in Auschwitz keine Gaskammern gegeben habe und dass dort in vier Jahren weniger Menschen gestorben seien, als in einer Nacht bei der alliierten Bombardierung Dresdens getötet wurden, dann unterscheide er sich in dem, was er tue, nicht von einem Historiker, der behaupte, dass Lee ein besserer General gewesen sei als Grant, oder von einem Archäologen, der bezweifle, dass Griechen und Trojaner tatsächlich wegen Helena einen Krieg anfingen. »Wir streiten vielleicht über Einzelheiten«, sagt Irving, den französischen Neofaschisten Jean-Marie Le Pen wiedergebend, der die Gaskammern »un détail« nannte, »aber wir sind Teil des Gesprächs, und es ist falsch, uns davon auszuschließen.« Das ist Irving, wenn er am vernünftigsten ist: bereitwillig einräumend, wie viel er nicht weiß, bereit zu Konzessionen, wenn man ihn mit Beweisen konfrontiert. Aber er ist auch sehr wütend, und mit dem Brennpunkt dieser Wut zeichnet sich auch der zweite Teil von Irvings »Fall« deutlich ab. Das Etikett »Holocaust-Leugner«, legt er dem Gericht dar, »ist ein Gift, gegen das es praktisch kein Gegenmittel gibt, weniger todbringend als eine ins Genick verpasste subkutane Injektion mit Nervengas, aber tödlich allemal. Für das auserwählte Opfer ist das, als ob es bezichtigt würde, Frauen zu misshandeln oder Pädophiler zu sein. Es reicht, dass das Etikett angeheftet wird, und schon ist der damit Behaftete als Paria gekennzeich43
net, als aus der normalen Gesellschaft Ausgestoßener. Es ist ein verbaler gelber Stern.« Bei diesen Worten verschlägt es einigen Zuschauern hörbar den Atem. Aber Irving ist noch nicht fertig. »Ich werde das Gericht bitten, sich Aussagen von Experten über die Beziehung zwischen den jüdischen Gemeinschaften der Welt und dem Rest von uns anzuhören«, sagt er. »Die jüdische Gemeinschaft, ihr Ruf und ihr Los spielen bei diesem Verfahren eine zentrale Rolle.« Irvings »Fall« mündet in die Unterstellung, dass die Juden, um ihren betrügerischen Status als Opfer eines Völkermords, der von »anders denkenden Historikern« wie ihm bedroht werde, zu schützen, eine internationale Verschwörung geschürt hätten, die darauf abziele, Irving zum Schweigen zu bringen und seine Ansichten zu diskreditieren. Irvings Problem ist, dass es bei seinem »Fall« um Motive geht, im Gerichtsverfahren, seiner »Klagesache«, geht es jedoch um Fakten. Sollte Irving gewinnen, wird der Richter die Motive der Beklagten bei der Zuerkennung des Schadenersatzes in Erwägung ziehen. Bis dahin wird Irving seine Klagesache verfolgen müssen. Wie er dies zu tun und seine Gegner gleichzeitig zu irritieren gedenkt, zeigt eine geschickte kleine Falschinformation über Geschichte. »In diesem Gerichtsverfahren geht es eigentlich nicht darum, was im Holocaust geschehen ist oder wie viele Juden und Angehörige anderer verfolgter Minderheiten gequält und ermordet worden sind«, sagt Irving. »Es mag sein, dass mir einige Aspekte des Zweiten Weltkrieges vollkommen unbekannt waren, wenngleich ich mich beeile zu versichern, dass ich das nicht glaube, aber der absichtlichen Manipulation, Verzerrung und Falschübersetzung angeklagt zu werden ist abwegig. In aller Bescheidenheit behaupte ich, die Beklagten müssen glaubhaft machen, dass erstens etwas Bestimmtes geschehen ist oder existiert hat; dass ich zweitens zu der Zeit, als ich darüber schrieb, 44
von dieser bestimmten Sache, so wie sie geschehen ist oder existiert hat, aus den mir damals vorliegenden Akten wusste, und dass ich drittens den Text anschließend vorsätzlich zu den Zwecken, die sie andeuten, manipuliert, falsch übersetzt oder verzerrt habe.« »Die Beklagten müssen glaubhaft machen, dass erstens etwas Bestimmtes geschehen ist oder existiert hat« — die britischen Verleumdungsgesetze zu seinem Vorteil ausnutzend, bedeutet Irvings juristisches Jiu-Jitsu in Wirklichkeit, dass seine Widersacher tatsächlich werden beweisen müssen, dass der Holocaust stattgefunden hat. Irving ist noch in vollem Redefluss, als das Gericht Mittagspause einlegt. Nach Wiederaufnahme der Verhandlung liest Irving ein Dokument vor, das er als »Bruns-Protokoll« bezeichnet — die Niederschrift einer Unterhaltung vom April 1945 zwischen Generalmajor Walter Bruns und weiteren deutschen Kriegsgefangenen, die der britische Geheimdienst heimlich mitschnitt. Bruns war am 30. November 1941 in Riga gewesen und erlebte das Massaker an den besagten 1000 Berliner Juden mit: »Als ich eintraf, waren diese Gruben so voll, dass die Lebenden sich oben auf die Toten legen mussten; dann wurden sie erschossen, und um Platz zu sparen, mussten sie sich lagenweise hinlegen.« Die höllischen Szenen, die Bruns schildert, sind voller überzeugender anschaulicher Einzelheiten, und Irving betont, dass er sie nicht nur nicht leugne, sondern sie auch ausführlich in dreien seiner Bücher zitiert habe. Dann wendet er sich der Frage des Antisemitismus zu. Ironischerweise beschuldigt Deborah Lipstadt Irving in ihrem Buch an keiner Stelle des Antisemitismus. Aber die Verfahrensregeln in einem Zivilprozess verlangen von beiden Seiten, im Voraus nicht nur bekannt zu geben, welche Dokumente sie jeweils anführen möchten und welche Zeugen sie aufrufen werden, son45
dern auch, was diese Zeugen wahrscheinlich aussagen werden. Irving weiß, dass er als Rechtsextremist, Fanatiker und Antisemit bezeichnet werden wird, und er tut sein Bestes, solchen Beschuldigungen im Vorfeld die Spitze zu nehmen. Er führt seinen früheren Anwalt Rubinstein an, »eine enorm fähige, energische und sympathische Person«, mit dem William Kimber ihn bekannt gemacht habe, der ihn als »sehr jüdisch, aber sehr christlichen Typ von Juden, eher wie Jesus Christus«, beschrieben habe. Er fährt mit der Erwähnung einiger jüdischer Freunde fort, geht indes nicht so weit, zu behaupten, »einige meiner besten Freunde sind...«. Stattdessen listet er die vielen Juden auf, die glücklich gewesen seien, seine Bücher zu veröffentlichen. Und zum Angriff übergehend, schildert Irving, wie er im Laufe der Jahre verschiedentlich von jüdischen Gruppen traktiert worden sei. Im Angriff scheint sich Irving wohler zu fühlen, und nach einem langatmigen Vortrag darüber, wie er schließlich vom russischen Staatsarchiv die Original-Mikrofiches der Tagebücher von Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels erworben habe — in Lipstadts Buch eine unbedeutende Episode, was aber offensichtlich Irvings Stolz verletzte —, kehrt er zur Offensive zurück. »Ich erwähne diese Fakten, Mylord, um zu zeigen, dass es nicht bloß eine einzige Tat war, die meine Karriere zerstört hat, sondern ein sich verstärkender, sich ständig erneuernder, rollender Angriff von allen Seiten, organisiert von denselben Leuten [d.h. den Juden], die jenes Buch verbreitet haben, welches im Mittelpunkt des Streits steht, der Gegenstand dieses Gerichtsverfahrens ist, Mylord.« Um 15.30 Uhr nimmt David Irving wieder Platz. Bevor die Verteidigung erwidern kann, hat Richter Gray eine Frage. Nachdem er Irvings Bemerkung, »in diesem Gerichtsverfahren geht es eigentlich nicht darum, was im Holocaust gesche46
hen ist«, zustimmend zitiert hat, fügt er hinzu: »Das ist gewiss richtig, so wie ich es sehe und wie die Beklagten es, glaube ich, sehen. Dieses Verfahren ist nicht damit befasst, historische Tatsachenfeststellungen zu treffen.« Gray möchte wissen, ob Irving auf dem Standpunkt stehe, die Verteidigung müsse nicht nur beweisen, dass ein Ereignis stattgefunden habe, sondern auch, dass er »konkrete Kenntnis« von dem Ereignis gehabt habe. Könnten die Beklagten nicht einfach den Nachweis führen, dass »Sie Ihre Augen davor verschlossen?« Irving verneint. Richard Rampton erhebt sich daraufhin von seinem Platz und stimmt dem Richter zu: »Euer Lordschaft drükken es richtig aus. Es geht nicht darum, dass er indolent ist. Es geht nicht darum, dass er in Irrtümer verfällt. Es geht darum, dass er den Verlauf dieses speziellen Ereignisses in der europäischen Geschichte, einschließlich der Geschehnisse in Auschwitz, vorsätzlich verdreht.« Mit seinen faltigen Wangen, dem schütter werdenden Haar und der großen, runden Brille mit Goldrand könnte man Richard Rampton für einen freundlichen Onkel halten. Bis er spricht. Wenn er »auf den Beinen« ist — so der Ausdruck im BarristerJargon, wenn er sich an das Gericht wendet —, dann ist Ramptons Auftreten das Gegenteil von onkelhaft. Vielmehr scheint er über einen reichen Vorrat an Reizbarkeit und Verachtung zu gebieten, der die Dämme der Toleranz jederzeit zu überfluten und dabei das Objekt seines Hohns in einer Flut aus Galle zu zersetzen droht. Mit fortschreitender Verhandlungsdauer wird Rampton seine Reizbarkeit wie eine Waffe schwingen, dabei seine Angestellten und Junior-Anwälte anschnauzen und ungeduldig von Dokument zu Dokument springen. Doch jetzt, als er mit der Darlegung seines Standpunktes beginnt, bedient Rampton sich eines Tons gemäßigter Geringschätzung. 47
»Mylord, Mr. Irving bezeichnet sich selbst als Historiker. In Wahrheit ist er mitnichten ein Historiker, sondern ein Geschichtsfälscher. Um es unverblümt auszudrücken, er ist ein Lügner.« So wie der Staatsanwalt in einem Mordfall auf den Angeklagten zeigt, macht Rampton eine Pause und starrt Irving an. »Lügen mögen unterschiedliche Formen annehmen«, fährt Rampton fort, »und sie können ebenso oft aus Vertuschung oder Auslassung bestehen wie aus direktem Falschzeugnis oder Erfindung, aber am Ende fließen alle Formen des Lügens in einer einzigen Definition zusammen: vorsätzliche, absichtliche falsche Darstellung der Tatsachen.« Es gibt viele Möglichkeiten, einen Verleumdungsprozess auszutragen. Der Beklagte kann behaupten, die inkriminierten Äußerungen seien missverstanden worden, dann wird die Verhandlung zu einem Streit über die Bedeutung von Worten. Der Beklagte kann behaupten, die beleidigenden Worte seien »fair comment« — keine Tatsachenbehauptung, sondern eine offenherzige Meinungsäußerung, die auf Anschauungen beruhen, die selber wiederum im Wesentlichen wahrhaftig seien und die ein unvoreingenommener Mensch redlich glauben dürfe. Doch Deborah Lipstadt und Penguin Books berufen sich auf »Rechtfertigung«, darauf, dass das, was Lipstadt in ihrem Buch über Irving gesagt habe, obschon in der Tat diffamierend, auch wahr sei. Als wollte er der Bedeutung dessen Nachdruck verleihen, führt Rampton seine Beschreibung der Verlogenheit Irvings weiter aus: »Mr. Irving hat sich vieler verschiedener Mittel bedient, Geschichte zu fälschen: Erfindung, falsches Zitieren, Vertuschung, Verzerrung, Manipulation und nicht zuletzt Falschübersetzung. Aber all diese Techniken haben letztendlich dieselbe Wirkung: die Verfälschung der Wahrheit.« Während Rampton ihn verleumdet, kauert Irving sich mit um die Brust geschlungenen Armen in seinem Sitz zusammen. 48
Was auch immer Rampton über Irving sagt, eines wird er keinesfalls tun: ihn unterschätzen. Als prozessführende Partei ohne Rechtsvertretung mag Irving unterlegen wirken, aber jegliche Illusionen, die Rampton in diesem Punkt gehabt haben könnte, waren ihm Mitte der 1990er Jahre von zwei mittellosen vegetarischen Anarchisten ausgetrieben worden, die sich bei einer von Ramptons Mandanten, der Burger-Kette McDonald’s, angestrengten Verleumdungsklage selbst vertreten hatten. Das Verfahren begann im April 1994 und dauerte bis Juni 1997, womit es die längste Gerichtsverhandlung in der englischen Geschichte wurde. Als sie schließlich endete, entschied der Richter, dass David Morris, ein arbeitsloser Briefträger, und Helen Steel, eine Teilzeitgärtnerin, einige ihrer Behauptungen nicht bewiesen hätten, und sprach McDonald’s 60 000 US-Dollar Schadenersatz zu, die jemals einzutreiben das Unternehmen sich indes keine Hoffnung zu machen brauchte. Aber der Richter entschied auch, dass ein paar der gegen Ramptons Mandanten vorgebrachten Behauptungen bewiesen worden seien, darunter die Behauptung, McDonald’s quäle Tiere und beute in seinen Anzeigenkampagnen Kinder aus. Die Public-Relations-Katastrophe kostete den Fastfood-Giganten zehn Millionen Pfund an Gerichtskosten und Auslagen. Das Kernstück von Ramptons Eröffnungsplädoyer an diesem Nachmittag befasst sich mit demselben Massaker in Riga, das von Irving einige Minuten zuvor erwähnt wurde. Langsam und methodisch führt Rampton das Gericht durch »ein Beispiel von vielen zur Illustration der anrüchigen Methoden von Mr. Irving. Ende November 1941 wurden etwa 1000 Juden mit dem Zug von Berlin nach Riga in Lettland deportiert. Der Transport war Teil eines Prozesses, der entsprechend Hitlers Wünschen, das Reich von seinen Juden zu räumen, in jenem Jahr eingeleitet worden war.« 49
Aus Irvings Hitlers War in der Ausgabe von 1977 zitiert Rampton Irvings Darstellung dessen, was als nächstes geschah: »›Am 30. November 1941 wurde [Heinrich] Himmler für eine Geheimkonferenz mit Hitler, auf der offenbar das Schicksal der Berliner Juden aufgeworfen wurde, zur Wolfsschanze* zitiert. Um 13.30 Uhr musste Himmler aus Hitlers Bunker [Reinhard] Heydrich anrufen und ihm den ausdrücklichen Befehl durchgeben, dass Juden‹ — und dies hebt der Autor kursiv hervor — ›nicht liquidiert werden sollten.‹ Am nächsten Tag rief Himmler SS-General Oswald Pohl, den obersten Chef des Systems der Konzentrationslager**, an und befahl ihm: ›Juden haben zu bleiben, wo sie sind.‹ Dies sind die Sätze, die Mr. Irving schrieb.« In der Einleitung zu diesem Buch, so Rampton, behaupte Irving, »unanfechtbare Beweise« aus Himmlers privaten Notizen zu besitzen, dass Hitler einen Befehl zum Schutz der Juden erlassen habe. »Offensichtlich hat Mr. Irving die Aufzeichnungen Himmlers gelesen, und das Deutsch von Mr. Irving war damals wie heute sehr gut. Was also steht wirklich in den Notizen? Der relevante Abschnitt der Notiz vom 30. November 1941 lautet wörtlich folgendermaßen: ›Judentransport aus Berlin. Keine Liquidierung.‹ Solchermaßen sehr weit davon entfernt, ein generelles Verbot der Liquidation von Juden zu sein, war es lediglich ein Befehl Himmlers an Heydrich, dass die Berliner Juden des in Rede stehenden speziellen Transports bei der Ankunft in Riga nicht ermordet werden sollten. Die Sache wird schlimmer. Welche Anhaltspunkte gab es
* Hitlers Feldhauptquartier bei Rastenburg in Ostpreußen (heute Polen). ** Oswald Pohl, SS-Standartenführer und als Verwaltungschef im SS-Hauptamt zuständig für die Konzentrationslager.
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dafür, dass Himmlers Befehl an Heydrich Anweisungen enthielt, die Hitler ihm auf einer Geheimkonferenz gab, auf der offenbar das Schicksal der Juden Berlins aufgeworfen worden war? Die Antwort lautet: keine. Es handelt sich um eine reine Erfindung von Mr. Irving. Tatsache ist vielmehr, wie Mr. Irving später feststellte, dass Himmler erst eine Stunde nachdem er Heydrich diesen Befehl telefonisch durchgegeben hatte, mit Hitler zusammentraf. Die Sache wird folglich noch schlimmer. Ich wiederhole die Worte von Mr. Irving: ›Und am nächsten Tag rief Himmler SSGeneral Oswald Pohl, den obersten Chef des Systems der Konzentrationslager, an und befahl ihm: ›Juden haben zu bleiben, wo sie sind.‹ Wie lautet Himmlers Notiz über sein Telefonat mit General Pohl am 1. Dezember 1941 tatsächlich? Sie lautet: ›Verwaltungsführer der SS haben zu bleiben.‹ Bedeutet dies, wie Mr. Irving seinen englischen Lesern erzählt hat, ›Juden haben zu bleiben, wo sie sind‹? Nein, das bedeutet es nicht. Und in Himmlers Aufzeichnungen findet sich in dem Eintrag für diesen Tag kein wie auch immer gearteter Hinweis auf die Juden. Ich wiederhole: Mr. Irving hat, wie er stolz verkündete, die Aufzeichungen Himmlers gelesen, und er kann sehr gut Deutsch.« Vom Vorwurf der Geschichtsfälschung geht Rampton weiter zur Holocaust-Leugnung, und während er seinen Bericht über die »Bekehrung« Irvings durchgeht, der im Jahr 1988 zu der Ansicht gelangt sei, Auschwitz, das er in der 1977er Ausgabe von Hitler’s War als »abscheuliche Tötungsmaschine« beschrieben hatte, sei bloß »ein Zwangsarbeitslager« gewesen, wie Irving in der Auflage von 1991 schreibt, wird uns allmählich klar, was Rampton vorhat. Obwohl er bei diesem Gerichtsverfahren die Beklagten vertritt, unterbreitet Rampton keine Verteidigung. In seinem gesamten Eröffnungsplädoyer erwähnt Rampton nicht 51
ein einziges Mal Deborah Lipstadt oder Penguin Books. Er verliert kein Wort über den Charakter seiner Mandanten, ihren Ruf, ihre Methoden oder ihre Prinzipien. Stattdessen setzt er seinen unerbittlichen Angriff auf Irving fort, der wie ein ungezogener Junge im Büro des Rektors herumzappelt und mit einem zerrissenen Gummiband spielt, während Rampton den »Leuchter-Report«, die Grundlage für Irvings Bekehrung, auseinander nimmt. Nach einem kurzen Blick auf einige abstoßende Komplizen Irvings — »sein Publikum dürfte häufig aus Anhängern radikaler rechter, neofaschistischer, neonazistischer Gruppen bestehen« — schließt Rampton seine Anklage: »Mylord, dies ist offensichtlich ein wichtiger Fall, allerdings nicht, weil er sich in erster Linie mit der Frage befasst, ob der Holocaust stattgefunden hat oder nicht oder in welchem Maße Hitler dafür verantwortlich ist. Im Gegenteil, das Wesentliche des Falles ist Mr. Irvings Ehrlichkeit und Integrität als Chronist dieser Dinge — vor dem Wort ›Historiker‹ scheue ich zurück. Denn sollte es zutreffen, dass Mr. Irving, getrieben von seinen extremen Ansichten und Sympathien, all seine Kraft der bewussten Verfälschung dieses tragischen Ereignisses in der Geschichte gewidmet hat, dann darf man den Beklagten zu Recht Beifall spenden, weil sie durch die Aufdeckung jenes gefährlichen Betrugs vor diesem Gericht der Öffentlichkeit nicht nur diesen Landes, sondern an all jenen Orten auf der Welt, wo der Antisemitismus auf neue Nahrung wartet, einen bedeutenden Dienst geleistet haben.« Als Rampton sich setzt, unternimmt der Richter einen weiteren löblichen Versuch, die Geschichte von der Anklagebank zu zerren: »Im Zentrum des Falles steht die Manipulationsbehauptung, und das bringt es mit sich, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, einen Blick darauf zu werfen, was in den historischen Dokumenten tatsächlich geschrieben steht und was es bedeu52
tet.« Während der kommenden Tage und Wochen wird er immer wieder versuchen, das Verfahren aus der verzwickten Sphäre der Geschichte — dem Reich des »wie es eigentlich gewesen«, so Leopold von Rankes berühmte Wendung — auf die überschaubareren Fragen der Historiographie (wie Geschichte geschrieben wird) und Interpretation (was in den Dokumenten geschrieben steht und was es bedeutet) zu verlagern. Aber weder der Richter noch die Verteidigung noch, was überraschen mag, Irving selbst machen irgendeinen ernsthaften Versuch, der in Ramptons Auftreten unausgesprochen mitschwingenden Prämisse zu widersprechen: dass auch David Irving selber, sei er dort nun allein oder in Gesellschaft, vor Gericht gestellt worden ist.
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2 Der Kläger Es gibt nicht viele komische Augenblicke in Irving vs. Lipstadt, einer aber ereignet sich zu jenem Zeitpunkt, an dem in einem gewöhnlichen Verleumdungsverfahren der Anwalt des Klägers nach Beendigung seines Eröffnungsplädoyers mit der Präsentation seines Beweismaterials zu beginnen pflegt. In einem gewöhnlichen Verleumdungsverfahren haben die theatralischen Aspekte einen Zweck, ein Publikum: die Geschworenen. Die Schauvorführung in einer Gerichtsverhandlung findet um ihretwillen statt. Wir Übrigen sind bloß Zuschauer. Aber im Gerichtssaal Nummer 37 gibt es keine Geschworenen, nur einen Richter. Das bedeutet, dass das, was wir tatsächlich im Gericht sehen und hören, nur ein Bruchteil des Beweismaterials und der Aussagen ist. Eine Situation, auf die der Richter anspielt, als er äußert, dass, »nachdem ich nun recht viel Zeit mit den Schriftstücken zugebracht habe, [dies] seltsamerweise ein Fall ist, der in nur geringem Maße von mündlichen Aussagen abhängt«. Das Wesentliche in diesem Fall — aufgrund dessen der Prozess sehr wahrscheinlich gewonnen oder verloren werden wird — sind die Expertengutachten, deren Tausende von Seiten der Richter bereits gelesen hat, bevor der erste Zeuge vereidigt wird. Da kein Vertreter der Tagespresse die Zeit hat, diese Gutachten zu lesen, haftet den Medienberichten über die Verhandlung immer etwas Unrealistisches an. Doch das Drehbuch muss eingehalten, die Zeugen müssen ordnungsgemäß vereidigt werden. Und dieser Umstand liefert Anlass zu einem Schauspiel des am Anwaltstisch stehenden David Irving, der seinen 54
ersten Zeugen, David Irving, aufruft, der anschließend zum Zeugenstand schreitet, wo die Justizangestellte ihn fragt, wie er vereidigt werden möchte. Er scheint die Frage nicht zu verstehen. »Welchen Eid möchten Sie schwören?« »C[hurch] of E[ngland]«, erwidert Irving nach einer recht langen Pause. »Ich musste einen Moment überlegen«, erklärt er. Das Ziel von Irvings Aussage — sein direktes Beweismittel — ist dasselbe wie bei seinem Eröffnungsplädoyer: sich als einen vernünftigen Menschen zu präsentieren, dem schweres Unrecht widerfahren sei. Doch die Mittel sind nun andere. Die Eröffnung war rhetorischer Natur, und obwohl man von Rechtsanwälten Ehrlichkeit erwartet, stand er als Anwalt noch nicht unter Eid. Als Nächstes folgt ein erzählerischer Teil, Irvings Bericht, wie er schließlich in diesem Gerichtssaal landete, wobei jede Einzelheit das zusätzliche Gewicht trägt, unter Wahrheitsschwur zu stehen. Irving ist zwar ein talentierter Geschichtenerzähler, aber nach Ramptons Eröffnuagsplädoyer muss er zunächst einigen Schaden reparieren. »Die Beklagten haben es vorgezogen, sich auf meine politischen Ansichten zu beziehen, und sie kategorisieren sie als falsch. Sie sagen, ich sei ein Rechtsextremist oder etwas in der Art. Ich habe niemals einer politischen Partei angehört, weder einer linken noch einer rechten, ich schloss mich nur, glaube ich, auf der Universität den Jungkonservativen an. Mein Vater war bei den Parlamentswahlen im Jahr 1945 Kandidat der Labour-Partei.« Was seine eigenen Ansichten betrifft: »Ich betrachte mich als Laissez-faire-Liberalen... Ich blicke auf keinen Teil der Menschheit herab, seien es farbige Immigranten — die ich regelmäßig beschäftigt habe — oder Frauen. Ich gebe zu, dass ich wenig Geduld mit Rauchern habe und überhaupt keine mit Drogensüchtigen«, fügt er hinzu. Und damit er sich nicht den Vorwurf politischer Korrektheit zuzieht, 55
fährt er fort: »Das soll nicht heißen, dass ich applaudiert hätte — ich muss dies feststellen, weil man mich wahrscheinlich danach fragen wird —, ich kann nicht sagen, dass ich die unkontrollierte Einwanderungsflut aus dem Commonwealth in dieses Land begrüßt hätte.« Irving dürfte das für ihn Unakzeptable im Auge haben — die meisten Commonwealth-Immigranten sind nicht weiß —, aber seine Sprachbilder erinnern an Enoch Powell, ein früheres konservatives Kabinettsmitglied, der »vor Blut schäumende Flüsse« prophezeite, sollte die Einwanderung ungehindert weitergehen. Der Anklang mag durchaus beabsichtigt sein, wurde doch der 1998 verstorbene Powell, obschon Zeit seines Lebens als Rassist verschrien, von Premierminister Tony Blair für seinen »Scharfsinn« und »die Stärke seiner Überzeugungen« gerühmt. In der Tat ist der in Irvings Selbstporträt vorherrschende Tenor, entgegen seines Porträts als eines gefährlichen Extremisten durch die Verteidigung, Nostalgie: »Wie die meisten Landsleute meiner Herkunft und meines Jahrgangs bedauere ich das Dahinschwinden des alten England. Manchmal denke ich, Mylord, dass, wenn die Soldaten und Seeleute, die 1944 die Strände der Normandie stürmten, den Zustand Englands am Ende dieses Jahrhunderts hätten sehen können, sie keine 50 Meter den Strand hinaufgegangen wären. Ich glaube, sie hätten voller Abscheu aufgegeben.« Vor Prozessbeginn erzählte Richter Gray mir, dass ein Teil seiner Arbeit darin bestehen werde, »sicherzustellen, dass [Irving] nicht benachteiligt wird, weil er nicht die juristische Sachkenntnis hat, die der anderen Seite zur Verfügung steht«. Als Irving seine Aussage beginnt, schlägt Gray vor: »Ich denke, es ist das Beste, wenn ich Ihnen hin und wieder etwas wie einen Fingerzeig gebe, wenn ich es einmal so ausdrücken darf.« »Ich bin mir nicht sicher, ob es nötig ist, mir Angst zu ma56
chen«, erwidert Irving misstrauisch. »Nein«, sagt der Richter, »das Wort, das ich benutzt habe, war ›Fingerzeig‹, nicht ›Angst machen‹, einfach, damit Ihre Aussage eine Form bekommt, die sie verständlicher machen könnte.« Seinen ersten »Fingerzeig« erhält Irving, nachdem er sich beklagt, dass die Verteidigung, obwohl er ihr seine komplette Sammlung von Rezensionen und Zeitungsausschnitten zugänglich gemacht habe — »ihnen wurden 16 Ringbücher voll mit chronologisch geordneten, fein säuberlich aufgeklebten Rezensionen und Zeitungsausschnitten gezeigt, in denen sie, wer weiß, einige gute Geschichten hätten finden können, die sie gegen mich hätten verwenden können —, sich nicht darum gekümmert hat«. »Gehen Sie Ihren eigenen Weg, Mr. Irving«, sagt der Richter, »aber möchten Sie sich jetzt nicht mit der Veröffentlichung von Leugnen des Holocaust beschäftigen?« Sein eigener Weg oder nicht, Irving versteht den Wink. »Die Veröffentlichung des Buches. Ich habe diesem Buch keine Beachtung geschenkt, Mylord, bis 1996. Ich habe erst 1996 Kenntnis davon erhalten. Ich glaube, es wurde 1994 veröffentlicht, aber im April 1996 haben wir in diesem Land meine Goebbels-Biographie veröffentlicht, Goebbels. Macht und Magie.« In Wirklichkeit hatte Irving lange vor 1996 »Kenntnis« von Deborah Lipstadts Buch gehabt, und ihre Begegnung im Gerichtssaal am ersten Verhandlungstag war nicht ihr erstes Zusammentreffen. Das fand im November 1994 in Atlanta statt, als Irving bei einem Vortrag aufkreuzte, den Lipstadt am DeKalb College hielt. Lipstadt sprach über die Gefahr, Holocaust-Leugner in historischen Debatte als »die andere Seite« zu rechtfertigen — Thema von Leugnen des Holocaust, das im Jahr zuvor veröffentlicht worden war. Irving schilderte die Begegnung in 57
seinem Tagebuch, das er später auf seine Website stellte (und das er der Verteidigung enthüllen musste): »Dann hob ich höflich die Hand. Aufgefordert, zu sprechen, wandte ich mich in meiner sehr englischen, sehr lauten dröhnenden Stimme an sie: ›Professor Lipstadt, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie keine Historikerin, dass Sie Dozentin für Religion sind?‹ Sie antwortete, sie sei Dozentin für Religion, aber auch (noch etwas Besonderes) für Geschichte. Ich ließ dann verbal die Fäuste fliegen: ›Ich bin der David Irving, über den Sie in Ihrem Vortrag so herabsetzende Bemerkungen gemacht haben.‹« Mit einem Bündel 20-Dollar-Noten herumfuchtelnd, wiederholte Irving sein Standardangebot, jedem 1000 US-Dollar zu zahlen, der dokumentarische Beweise für die Schuld Hitlers an der Vernichtung der Juden liefern könne. Lipstadt versuchte, auf andere Fragesteller zu reagieren, aber, wieder in Irvings Darstellung: »Ich wedelte mehrere Male mit dem Bündel 20-DollarNoten in der Luft, während sie redete, und fauchte: ›1000 Dollar!‹« Irving kostet seinen Erfolg weiter aus und verschenkt 72 kostenlose Exemplare seiner Göring-Biographie an die Studenten, die sich hinterher, wie es sich gehört, für sein Autogramm anstellten: »Süßer Sieg. Dann kamen Studenten mit Exemplaren der gedruckten Einladung zu mir, die ich signieren sollte: Ich tat es — sie waren leer, was bedeutete, dass sie Lipstadt entweder nicht um ihr Autogramm gebeten hatten oder dass sie nach mir würde signieren müssen. Totaler Sieg! Rache!«1 Warum sollte Irving in Bezug auf eine so leicht nachprüfbare Tatsache wie seine erste Begegnung mit Lipstadt lügen? Vielleicht, wie diese Darstellung andeutet, weil Irving, weit davon entfernt, durch sein kleines Geplänkel mit Lipstadt gekränkt zu sein, sich amüsierte. Wie sehr Lipstadt ihn auch »herabsetzte«, solange die Frage lautete: »Warum wollen Sie nicht mit mir 58
diskutieren?« lag der Vorteil bei Irving, der keine Notwendigkeit sah, vor Gericht Wiedergutmachung zu suchen. Was veranlasste ihn, seine Meinung zu ändern? In diesem Punkt kam seine Aussage der Wahrheit näher: »Im April 1996 veröffentlichten wir in diesem Land meine Goebbels-Biographie...« David John Cawdell Irving wurde am 23. März 1938 als jüngstes von vier Kindern geboren. Sein Vater war Marineoffizier, und in manchen Gesprächen bemüht Irving sich, einen Eindruck vom Landleben zu vermitteln. »Meine Mutter«, erzählte er mir, »war Künstlerin«, um sich gleich selbst zu korrigieren: »Werbegrafikerin. Sie machte Feder- und Tuschezeichnungen für Nursery World.« Für einen Engländer mit Irvings scharfem Gespür für soziale Unterscheidung war der Unterschied beträchtlich. Die Irvings lebten in Essex — »in Ongar, der Endstation der Central Line« —, einem trübseligen Vorort, der durch ihren Geldmangel noch trübseliger wurde. Irvings Familie gehörte zu jenem nomadischen Schwarm von Soldaten und Bürokraten, die dafür sorgten, dass der Union Jack über allem flatterte, was die Briten seiner Generation immer noch »die rosa Flecken« auf der Karte nennen. Ein Onkel mütterlicherseits diente bei den Bengal Lancers (Bengalischen Lanzenreitern). Ein Ur-Großonkel väterlicherseits, Alfred Dolman, folgte Livingstone nach Afrika, wo er bei seiner zweiten Reise irgendwo in Betschuanaland angeblich von seinem Träger aufgegessen wurde. Irvings Vater war im Ersten Weltkrieg in der Schlacht am Skagerrak dabei gewesen und verbrachte die 1920er Jahre als Helfer bei der Vermessung der Antarktis. »Zwei der Süd-Sandwich-Inseln sind nach meinem Vater und meinem Onkel benannt: Irving Point und Carey Point.« Im Zweiten Weltkrieg, als Irving vier Jahre alt war, wurde das Schiff seines Vaters, die HMS Edinburgh, von den Deutschen 59
torpediert. Sein Vater überlebte, kehrte aber nie zu Ehefrau und Familie zurück. »Ich habe meinen Vater in meinem ganzen Leben etwa zweimal gesehen... Während der Kriegsjahre hatten wir ein Automobil, das auf Blöcken stand, es war ein Ford, und ich erinnere mich, dass ich als Kind durch die Tür geklettert bin. Unter dem Auto fand ich einen zerbeulten, alten Pappkoffer, den meine Mutter offensichtlich dorthin geworfen hatte. Darin war eine furchtbar muffige Marineuniform, die allmählich verrottete, und uralte, bräunlich verblichene Fotografien der Antarktis.« Der Krieg beherrschte Irvings Kindheit. »Ich erinnere mich, wie ich im Juni 1944 am Strand von Southsea stand und zusah, wie die Invasionsflotte in See stach. Meine Mutter sagte, dass die meisten von ihnen wahrscheinlich nicht nach Hause zurückkämen.« In Erinnerung an die Zeit der Rationierungen und vornehmer Armut erzählte Irving, er und sein Zwillingsbruder seien bei Kriegsende so dünn gewesen, dass ihre Mutter ihnen gesagt habe: »Ihr seht aus wie Belsen-Kinder.« Als Externer auf eine »unbedeutende Privatschule« geschickt, wurde Irving »wiederholt geschlagen... Die letzten Prügel bezog ich, als ich eine dreieinhalb Meter große Hammer-und-SichelFlagge über den Haupteingang der Schule hängte. Sie mussten die Feuerwehr holen, damit sie die Fahne herunterholte... Ich war ein Lausebengel.« Ein Jahr zuvor hatte Irving den Kunstbetrachtungs-Preis der Schule gewonnen. Die Prämie war ein Buch seiner Wahl, das vom stellvertretenden Premierminister überreicht werden sollte. »Ich füllte das Formular aus und gab an, dass ich als Preis gern Mein Kampf hätte. Ich sorgte dafür, dass die Lokalpresse geballt zugegen war, um ein Foto vom stellvertretenden Premierminister zu machen, wie er mir ein Exemplar von Mein Kampf überreicht. Ich ging auf die Bühne und holte mir diesen Preis ab — 60
es war ein Technikwörterbuch Deutsch-Russisch! Ich habe Mein Kampf bis heute noch nicht gelesen.« Irvings Wunsch, zu schockieren, brachte ihn auch am Imperial College in Schwierigkeiten, für das er ein einjähriges Stipendium erhalten hatte. Die Studentenzeitung »brachte 1956 eine Schlagzeile, ich hätte gesagt, 17 Prozent der Londoner Studenten seien Linksextremisten oder Kommunisten. Die Zahl von 17 Prozent hatte ich mir einfach ausgedacht. Ich hatte mir einfach eine Primzahl ausgesucht. Ich erlangte eine gewisse traurige Berühmtheit«, erinnerte er sich. Irving verlor sein Stipendium, als er durch sein Mathematik-Examen fiel — ein Misserfolg, für den er seinem Professor die Schuld gab, Irving zufolge »ein bekannter Kommunist«. Um sein zweites Studienjahr zu finanzieren, verdingte sich Irving bei einer Beton-Kolonne. Außerdem trat er »einer Organisation namens Common Cause [Gemeinsame Sache] bei. Wie Aims of Industry oder die Economic League werden Gruppen wie diese eher von der Industrie finanziert und mit der Aufgabe betraut, Dossiers über Unruhestifter anzulegen.« Mit anderen Worten, er wurde Arbeiterspitzel — ein seltsamer Zeitvertreib für einen »Laissez-faire-Liberalen«. Eine Kundgebung für Oswald Mosley, den ehemaligen Chef der British Union of Fascists, der für das Parlament kandidierte, setzte Irving in Entzükken: »Ich war fasziniert — fasziniert von den Methoden, die sie hatten, fasziniert von den Mechanismen der Politik der Straße. Jahre später arbeitete ich im Archiv Mussolinis, und ich fand den Nachweis, dass er [Mosley] von Mussolini bezahlt worden war; dann war ich in Moskau und stellte fest, dass auch Hitler ihn bezahlt hatte.« Ein Versuch, Soldat bei der Royal Air Force zu werden, scheiterte, weil Irving aus medizinischen Gründen abgelehnt wurde. Stellte Mosley eine merkwürdige Inspiration für den Sohn 61
eines Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg dar, so war Irvings Reaktion auf seine Ablehnung durch die RAF noch merkwürdiger. Er schrieb einen Brief an das ehemalige Nazi-Rüstungsunternehmen Krupp und erkundigte sich nach einer Stelle im Stahlwalzwerk.2 Von den Alliierten nach dem Krieg beschlagnahmt, sah sich die Firma außer Stande. Doch Krupps Konkurrent Thyssen, dessen Eigentümer sich mit Hitler zerstritten hatten, nachdem sie ihm zur Macht verholfen hatten, boten Irving für ein Jahr eine Stelle an. Seine Arbeitskollegen im Stahlwerk ließen Irvings Oberschuldeutsch flüssiger wie auch grobschlächtiger werden. Einem von ihnen, einem gebürtigen Dresdner, verdankte Irving das Thema seines ersten Buches. Dieser Mann hatte das alliierte Bombardement der Stadt mit Brandbomben im Februar 1945 überlebt. Sein erschütternder Bericht über den Luftangriff erwies sich als Offenbarung für Irving, der sich daran machte, Überlebende zu interviewen und deutsches und alliiertes Archivmaterial zu durchkämmen. Nach einem sechsmonatigen Arbeitspensum in Spanien als Sekretär und Schreibkraft für das Strategic Air Command kehrte Irving nach London zurück, wo er einen Studienplatz in Politik- und Wirtschaftswissenschaften am University College erhalten hatte. Um sich sein Studium zu finanzieren, arbeitete er als Nachtwächter auf dem Gelände des Commonwealth Institute. »Ich schlief in der Lohnhütte — einer kleinen Holzhütte mit einem Feldbett und einem Tisch. Tagsüber pflegte ich aus dem New Commonwealth Institute, Kensington High Street, Briefe ans Luftfahrtministerium zu schreiben [in denen er sich nach Dresden erkundigte]. Man antwortete mir jedes Mal sehr respektvoll; ich holte eine Menge Informationen aus ihnen heraus.« Der Untergang Dresdens, 1963 in England erschienen, entwickelte sich vom Start weg zum Bestseller. Die grausigen Fotos von Deutschen, die ihre Toten verbrannten, die Irving sich von 62
einem seiner neuen Gewährsmänner besorgt hatte, verschafften Irvings Behauptung, dass der alliierte Luftangriff vom Februar 1945 über 100 000 Menschen das Leben gekostet habe — eine Zahl, die mehr als doppelt so hoch war wie offizielle Schätzungen —, den maximalen Aufmerksamkeitsgrad der Presse. »Ich habe Dresden in das Vokabular des Grauens eingeführt«, sagt Irving stolz, »sodass Menschen Dresden heute im gleichen Atemzug mit Auschwitz und Hiroschima nennen. Dies ist mein bescheidener Beitrag zur Fachsprache.« In späteren Jahren pflegten Irvings Schätzungen der Zahl der Todesopfer in Dresden bis auf 35 000 zu fallen oder bis auf 250 000 zu klettern, wie er auch in späteren Jahren manchmal direkte Vergleiche zwischen Dresden und Auschwitz zog. »Etwa 100 000 Menschen starben in Auschwitz«, erzählte er 1991 einem Interviewer. »Selbst wenn wir also großzügig sind und sagen, ein Viertel von ihnen, 25 000, wurden durch Erhängen oder Erschießen getötet. 25 000 sind ein Verbrechen, das ist wahr... Aber so viele Menschen haben wir in einer einzigen Nacht, nicht in drei Jahren, in einer Stadt wie Pforzheim getötet, indem wir sie lebendig verbrannten. In Dresden haben wir in einer Nacht fünfmal so viele getötet.«3 Damals jedoch war Der Untergang Dresdens für Irving aus anderen Gründen wichtig. Der finanzielle Erfolg des Buches bewog ihn, die Versuche aufzugeben, sein Studium abzuschließen. Irvings Verleger bot ihm einen Vertrag über zwei weitere Bücher an: eine Geschichte des deutschen Raketenprogramms und eine Biographie Adolf Hitlers. Irving erfuhr, dass sich Lord Cherwell, der wissenschaftliche Berater Churchills, über die deutschen V-Waffen genau auf dem Laufenden gehalten hatte. Cherwells Akten lagerten im Nuffield College in Oxford. Als Irving erschien, überließ man ihm das Archiv. Er erkannte bald, dass er auf den Schatzfund eines Hi63
storikers gestoßen war. Und er entdeckte noch etwas anderes: »Aus den Akten war ersichtlich, dass wir alle deutschen Codes entziffern konnten.« Dies war in den frühen Sechzigern, als die Heldentaten der alliierten Code-Knacker noch streng geheim waren. Aus Angst, dass man ihm auf die Schliche käme — oder, schlimmer noch, ihm den Zugang zum Archiv verweigerte —, tat Irving »das Undenkbare. Ich fing an, Dokumente auszuleihen, nahm sie mit nach London, um sie zu kopieren. Aber ich brachte sie unermüdlich jedesmal zurück.« Da er niemals Regierungsbeamter gewesen war, war Irving nicht an die offizielle Geheimhaltungspflicht britischer Beamter gebunden. Der erste Entwurf seines Buches The Mare’s Nest enthielt ein ganzes Kapitel über den ENIGMA-Code, aber »eines Nachts erhielt ich in meiner Wohnung Besuch von zwei Männern in gegürteten Regenmänteln, die kamen und das Kapitel beschlagnahmten und einsteckten. Ich wurde ins Kabinettsamt zitiert, wo zwölf Männer um einen polierten Tisch saßen und man mir erklärte, warum [die Informationen] momentan nicht publik gemacht werden sollten, und ›wir an Sie als englischen Gentleman appellieren, [sie] nicht publik zu machen‹«. Irving zog sein Kapitel zurück. Aber da hatte er aus dem Cherwell-Archiv genug Material »für meine nächsten drei oder vier Bücher kopiert«. Irvings Bereitschaft, zu kooperieren, zahlte sich aus. »Zehn Jahre später erhielt ich einen Anruf vom Kabinettsamt, in dem es hieß: ›Irving, Sie schreiben ein Buch über Rommel, nicht wahr? Wenn Sie vorbeikommen, haben wir hier etwas für Sie.‹ Ich ging in denselben Raum, und auf demselben polierten Tisch lag diese große, dicke Akte. Es war Rommels persönliche Akte — die Originalakte. Der letzte Eingang in der Akte war Rommels Brief an Hitler, in dem er erklärte, warum er Selbstmord beginge.« In dieser Zeit lernte Irving sein Handwerk, wobei er das Rohmaterial der Geschichte im Grunde 64
genommen mit den Methoden eines Journalisten behandelte — mit Interviews, mit der Bearbeitung von Quellen, mit der Fähigkeit, der Spur in einem Dokument zu folgen. Und er lernte noch etwas anderes: Für die Art von Büchern, die er schrieb — populäre Geschichte, Militärgeschichte, Bücher, die eher auf eine Massenleserschaft als auf den akademischen Markt zielten —, existierten im Prinzip keine Regeln. Trotz der Großzügigkeit seiner Kabinettsquellen war Tom Congdon, sein amerikanischer Lektor, als Irving seine Rommel-Biographie ablieferte, der Meinung, dem Buch fehle es an Unmittelbarkeit. »Er bat mich um eine literarisch anschauliche Schilderung, wie es ist, in einem Panzer zu sein.« Irving tat ihm den Gefallen, und da er nie in einem Panzer gewesen war, dachte er es sich einfach aus. »Ich bin der Einzige, der weiß, dass es völlig frei erfunden ist«, erzählte er mir mit diebischer Freude. Während seiner langen Lehrzeit sammelte Irving weiter Kontakte und Material für den Tag, an dem er sich endlich in der Lage fühlte, mit seiner Hitler-Biographie zu beginnen. »Ich hatte die Erinnerungen von [Generalfeldmarschall] Wilhelm Keitel übersetzt, der in Nürnberg gehängt worden war. Keitels Sohn machte mich mit Otto Günsche bekannt, dem Mann, der Hitlers Leichnam verbrannt hatte. Er war Hitlers SS-Adjutant gewesen. Und Günsche beschloss, mit mir zu reden als dem Engländer, der über Dresden geschrieben habe. Das brachte mich in Schwung.« Günsche wurde Irvings Schlüssel zum »inneren Kreis aller Hitler-Verehrer — die Diener und die Adjutanten, die Obersten und die Chargen aus der zweiten Reihe. Die sich jedes Mal um das Grab scharten, wenn einer aus ihrer Mitte starb. Und das Wort machte die Runde: ›Er ist in Ordnung‹. Und nach einer Weile fingen sie an, ihre Tagebücher und privaten Unterlagen zu verfassen.« Das Ergebnis war Hitler’s War, erschienen im Jahr 65
1977. Lance Morrow fiel es in einem Artikel für Time schwer, Irvings Porträt »des Führers als etwas unter Druck stehender leitender Angestellter einer Firma, der zu beschäftigt gewesen sei, um genau zu wissen, was in den Büros seiner Zweigstellen in Auschwitz und Treblinka geschah«, Glauben zu schenken.4 Die Rezension des Historikers Hugh Trevor-Roper in der Londoner Sunday Times erwähnte Irvings »unbeirrbare Voreingenommenheit«, weiter hieß es jedoch: »Irvings unermüdlichen Forscherfleiß kann man gar nicht hoch genug rühmen... Ich habe die Lektüre dieses langen Werkes von der ersten bis zur letzten Seite genossen.«5 Der Militärhistoriker John Keegan nannte Hitler’s War »Irvings größte Leistung... unverzichtbar für jeden, der den Krieg in seiner Gesamtheit verstehen will«.6 Das Buch erreichte Platz acht der britischen Bestsellerlisten. Irving zog nach Mayfair und kaufte sich einen Rolls-Royce. Es gab abweichende Meinungen. Martin Broszat, der damalige Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, war der Ansicht, Irving habe das Wesen der Autorität Hitlers missverstanden.7 Doch Broszats ausführlicher Artikel wurde nie ins Englische übersetzt. Charles Sydnors vernichtende Kritik an Irvings Umgang mit Dokumenten erschien im Jahr 1979 — in der Zeitschrift Central European History.8 Irvings öffentliche Glaubwürdigkeit nahm lediglich geringfügigen Schaden, als die Autorin Gitta Sereny und der Reporter Lewis ehester Irvings Dokumente im Auftrag der Sunday Times prüften und seine Quellen — darunter Otto Günsche — erneut befragten. Wenngleich ihr Artikel ein paar schädliche Details enthielt — so Günsches Eingeständnis, dass »man davon ausgehen muss, dass er [Hitler] Bescheid wusste«, was die Vernichtung der Juden betraf —, stellte er doch letztlich kein ernst zu nehmendes Hindernis für Irvings weitere Popularität dar.9 66
Ein Grund dafür war die Konzentration des Autors auf die Frage der persönlichen Schuld Hitlers. Zweifellos lenkte das mit reichlich Publicity versehene 1000-Dollar-Angebot und die damit einhergehende Betonung der Person Hitlers die Aufmerksamkeit von der Frage nach Irvings Quellentreue ab. Und da auch Irving über Nazi-Themen schreibt, konnte er Sereny einfach als neidische Konkurrentin abtun. Schließlich — was vielleicht am wichtigsten war — konnte man, wenngleich seine Darstellung der Rolle Hitlers schwer zu schlucken war (nicht einmal Bewunderer wie Keegan oder Trevor-Roper nahmen seine These, alles sei hinter dem Rücken Hitlers geschehen, ernst), gegen David Irvings Ansichten über den Holocaust selber im Jahr 1977 kaum etwas einwenden. Unter dem Stichwort »Juden, Vernichtung der« finden sich im Register von Hitler’s War 17 separate Einträge. Es gibt Verweise auf »das Vernichtungslager in Chelmno« und »das Vernichtungszentrum Treblinka«. Und Irvings Behauptung, dass »die Last der Schuld für das blutige und sinnlose Massaker an den Juden auf einer großen Anzahl Deutscher ruht, von denen viele heute noch am Leben sind, und nicht nur auf einem einzigen ›verrückten Diktator‹, dessen Befehl ohne Frage befolgt werden musste«10, ist, wenngleich umstritten, nicht allzu weit von der These Daniel Jonah Goldhagens in Hitlers willige Vollstrecker entfernt, einem weiteren Buch, dessen öffentlichem Erfolg der Umstand, dass es von kundigen Spezialisten kritisiert wurde, kaum etwas anhaben konnte.11 Doch im Jahr 1981 hätte es für einen jeden ersichtlich sein müssen, dass David Irving ein Problem mit den Juden hatte. In jenem Jahr veröffentlichte Irving Uprising!, eine minutiöse Rekonstruktion des ungarischen Volksaufstandes von 1956. Neal Ascherson widersprach im Observer den »zwei Insinuationen« des Buches, dass »erstens der ungarische Kommunismus bis 1956 eine jüdische Diktatur gewesen sei, und dass zweitens 67
Reformkommunisten tödlichere Feinde der Freiheit seien als die... Stalinisten, die sie zu stürzen versuchten«.12 Ascherson zitierte Irvings Beschreibung des ungarischen Diktators Mátyás Rákosi, der den »Takt eines koscheren Metzgers« besäße, und erwähnte besonders Irvings Bemerkung, dass vor dem Krieg Juden »die einträglicheren freien Berufe überschwemmt« hätten, bevor er zu dem Schluss kam: »Irving hat eine Juden-Obsession.« Kai Bird, der für den New Statesman schrieb, bemerkte: »Juden lasten schwer auf Irvings Gemüt.«13 Beide Rezensenten kontrastierten außerdem Irvings verächtliche Behandlung von Imre Nagy, dem Führer des Aufstands — »ein Kropf von Hämorrhoiden, aus dem ein Stalin-Schnäuzer sprießt« —, mit seiner Behauptung, János Kádár, die nach dem Einmarsch installierte sowjetische Marionette, sei »heute einer der wirklich populärsten Bürger Ungarns«. Bird, ein amerikanischer Journalist, der später wegweisende Untersuchungen über John McCloy, den US-Hochkommissar für Deutschland, und die kalten Krieger Mc-George Bundy und William Bundy veröffentlichen sollte, wies daraufhin, dass »Uprising zumindest die von feinen und gebildeten Historikern gemachte schmeichelhafte Annahme zur letzten Ruhe betten sollte, dass Männer wie Irving sich niemals herabließen, ihr Beweismaterial herauszuputzen«. Solche kritischen Bemerkungen taten wenig, die Begeisterung von Peter Israel zu dämpfen, der das Buch für Putnams in den Vereinigten Staaten erwarb. Mehr als wettgemacht wurde jede Schädigung von Irvings Ruf außerdem durch seine Verwicklung in das Debakel der »Hitler-Tagebücher«. Newsweek, die Londoner Sunday Times und das deutsche Magazin Stern, das sich schier überschlagen hatte, die Tagebücher mit großem Werbegetöse zu veröffentlichen, waren gezwungen, zuzugeben, dass sie hereingelegt worden waren — oder, im Falle von Newsweek, wo man forsch-fröhlich 68
erklärte: »echt oder nicht, das spielt beinahe keine Rolle«, zumindest in äußerste Verlegenheit gebracht worden waren. In vorderster Front der Opfer stand Hugh Trevor-Roper — inzwischen als Lord Dacre geadelt —, der die Echtheit der Bände für die Sunday Times bescheinigt hatte. Irving platzte in die Pressekonferenz des Stern im April 1983 in Hamburg, und seine Bemerkungen, mit denen er die Herkunft der Tagebücher in Zweifel zog, wurden in der Sendung »Today« wiederholt. Es war seine großartigste Stunde, und seine Verteidiger entsinnen sich ihrer voller Schadenfreude — zuletzt Christopher Hitchens in Vanity Fair, der das Ereignis zur Untermauerung seines Standpunktes anführte, dass »David Irving nicht bloß ein faschistischer Historiker ist. Er ist auch ein bedeutender Historiker des Faschismus.«14 Wenngleich ein erfreuliches Beispiel dafür, dass der Amateur den Spezialisten schlagen kann, lässt diese Darstellung, die in den meisten Irving-Porträts auftaucht, doch ein paar Einzelheiten aus. Zunächst einmal war es Irving, der im Jahr 1982 als Erster mit einem Angebot, nach Deutschland zu reisen und die Tagebücher unter die Lupe zu nehmen, an die Sunday Times herantrat. Und obwohl er die Tagebücher auf der Pressekonferenz des Stern tatsächlich öffentlich anprangerte, tat dies auch Lord Dacre. Doch eine Woche später überlegte Irving es sich noch einmal anders und erklärte die Tagebücher für echt — ein verwirrender Vorgang, der wenig Licht auf die gefälschten Tagebücher warf, Irvings eigenem Buch Adolf Hitler: The Medical Diaries, einer kraftlosen Sammlung von Notizen aus der Feder von Hitlers Leibarzt Theo Morell, die zufällig gerade in dieser Woche erschienen war, aber jede Menge Publicity verschaffte.15 Wie zweifelhaft auch immer seine Verdienste als Historiker sein mögen, als Publizist in eigener Sache können ihm nur wenige das Wasser reichen. Journalisten jedweder politischen Cou69
leur bezeugen seine nie versiegende Hilfsbereitschaft, seine Bereitwilligkeit, Archivalien, Mappen mit Zeitungsausschnitten sowie Dokumente ohne jede Vorbedingung zur Verfügung zu stellen.16 Bei zwei Gelegenheiten blieb ich in Irvings Arbeitszimmer über eine Stunde lang mir selbst überlassen. Falls Irving irgendetwas zu verbergen hat, dann ist es vor aller Augen verborgen. Mein erster Eindruck von dem Menschen Irving war notgedrungen von Trauer gefärbt. Bis zu dem trüben Herbstnachmittag, an dem ich vor seiner Wohnung in einem viktorianischen Gebäude aus rotem Backstein ein wenig abseits vom Grosvenor Square, gleich um die Ecke von der US-Botschaft, erschien, hatten wir mehrmals am Telefon miteinander gesprochen und ein paar Monate lang E-Mails ausgetauscht. Ich hatte genug Interviews mit ihm gelesen, um zu wissen, dass Irving provozierend, störrisch oder auch liebenswürdig sein konnte. Doch als ich ihn dann schließlich erlebte, war er nichts davon. Er schien äußerst müde (er sollte am folgenden Tag zu einer Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten aufbrechen) und mehr als nur ein wenig traurig zu sein. Ein paar Tage zuvor hatte die älteste seiner fünf Töchter Selbstmord begangen. Irvings erste Frau war Spanierin; ihre gemeinsame Tochter Josephine Victoria wurde 1963, am Jahrestag von Francos Sieg, geboren. Sie sei, wie Irving sagte, »ihr halbes Leben lang«17 schizophren gewesen. Es war noch nicht lange her, dass sie bei einem Autounfall beide Beine verloren hatte. In letzter Zeit habe sie »ausgeglichen« gewirkt, aber es habe, sagte Irving, keine Möglichkeit gegeben, vorher zu sagen, wann »der Meniskus der Vernunft« reißen würde. »Im Krankenhaus hat man mir gesagt: ›Wissen Sie, sie muss äußerst entschlossen gewesen sein.‹ Als jemand ohne Beine sich selbst 70
hochzuziehen und aus einem Fenster im vierten Stock zu stürzen...« Irving hielt inne, sprach dann weiter und antwortete auf eine Frage, die ich nicht gestellt hatte: »Fragen Sie sich jemals, ob Sie geisteskrank sind? Woher sollen wir das wissen? Es gibt kein Thermometer, das man sich in den Mund stecken kann und das anzeigt, oh, heute bin ich ein bisschen irre.« Im Sommer war ich einmal in seiner Wohnung, um Materialien abzuholen, aber Irving war nicht zu Hause. »Setzen Sie sich mit meiner Mitarbeiterin (Bente) in London in Verbindung«, war ich beschieden worden. Bente stellte sich als die Mutter von Irvings jüngster Tochter Jessica heraus, die von der Schule abgeholt werden musste, und so blieb ich allein dort, saß in Irvings Arbeitszimmer und durchblätterte seine Zeitungsausschnitte, unter dem wachen Blick von Franklin Delano Roosevelt, dessen Porträt an der Wand über Irvings Schreibtisch von zwei gerahmten Titelseiten des Völkischen Beobachters, der Tageszeitung der Nazi-Partei, flankiert wurde. Der Leitartikel habe, wie Irving mir später mit boshaftem Vergnügen erzählte, die Überschrift »Prophetische Warnung an das Weltjudentum«. Es handelte sich um den Bericht des Blattes über Hitlers berühmte Reichstagsrede vom 30. Januar 1939: »Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.«18 Diesmal waren die Titelseiten abgenommen worden — vielleicht aus Achtung vor seinen Geschwistern, die, obwohl von Irving peinlich berührt, zur Beerdigung nach London gekom71
men waren. Auch Irvings berühmtes Selbstporträt Hitlers, das ihm die Sekretärin des Führers geschenkt hatte, war nirgendwo zu sehen. Irving selbst war ein stämmiger Mann mit breitem Kiefer und einer Schwäche für soldatische Metaphern. »Es ist vielleicht bedauerlich für Professor Lipstadt«, hatte er mir gegenüber am Telefon bemerkt, »dass sie diejenige ist, die aus der Reihe gezerrt und erschossen wird.« Am Telefon hatte Irving schroff, aber auch ein wenig misstrauisch gewirkt. Doch bei meinem Eintreffen zeigte er sich von seiner besten Seite. Im Kreis von Freunden ist Irvings Benehmen weniger wählerisch. Auf einer Veranstaltung im Elsass vor einigen Jahren begann er mit einem Witz: »Da ist diese Einmann-Gaskammer, die zwei deutsche Soldaten in der polnischen Landschaft herumtragen, auf der Suche nach einzelnen Juden. Die Einmann-Gaskammer muss ausgesehen haben wie ein Sedan-Stuhl, aber getarnt als Telefonzelle. Wie haben sie das Opfer dazu gebracht, freiwillig in die Gaskammer zu steigen? Offenbar war ein Telefon drin, das klingelte, und der Soldat sagte: ›Das ist für Sie!‹«19 Und dann ist da noch sein kleines Verslein. Irvings Tagebuch zufolge — das er Lipstadts Anwälten zugänglich machen musste —, immer aufzusagen, wenn er mit seiner Tochter draußen ist und »Mischlingskinder« im Kinderwagen vorbeigeschoben werden: I am a Baby Aryan Not Jewish or Sectarian I have no plans to marry an Ape or Rastafarian. *
* Ich bin eine kleine Arierin/ nicht jüdisch oder in einer Sekte/ Und heiraten will ich keinen/ Affen oder Rastafarier.
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Aber da die inzwischen sechsjährige Jessica zu dieser Zeit knapp ein Jahr alt gewesen war, dürfte das beabsichtigte Publikum ihre Mutter gewesen sein, die, wie Irving zufrieden notierte, »gehörig schockiert« reagiert hatte.20 Irving sagte mir später, er habe »von dem Moment an, da ich Sie sah«, gewusst, dass ich Jude bin. Also war ich neugierig zu beobachten, wie er reagieren würde, wenn Jessica, die ständig in sein Arbeitszimmer gerannt kam, erschien und auf meinen Schoß kletterte. Irving nahm kaum Notiz davon. Im amerikanischen Süden, dort, wo ich aufgewachsen bin, pflegt sogar »liberalen« Weißen unbehaglich zumute zu werden, wenn ihre Töchter einem Schwarzen zu nahe kommen. Antisemitismus ist eine andere Art von Rassismus, und es gibt sicherlich Antisemiten, deren Widerwille gegen Juden ihnen in den Eingeweiden sitzt. Doch Irving ist keiner von ihnen. Irving ist ein erstaunlicher Tagebuchschreiber, und obwohl die Eintragungen, die ich gesehen habe, sich eher wie die ersten Entwürfe einer Presseverlautbarung lesen denn wie ein Protokoll seines Innenlebens, lässt das Bedürfnis, die Seiten vollzuschreiben, manchmal etwas Persönliches durchschlüpfen. Seine Liebesaffären beispielsweise sind anscheinend in einem Code aufgezeichnet, der auf dem Wort »liebenswürdig« basiert, so wie bei dem Eintrag »Caroline kam vorbei und war liebenswürdig«.21 Aber selbst die von der Verteidigung in mehreren Expertengutachten zitierten Abschnitte enthüllen kaum einen leidenschaftlichen Judenhasser. Irving glaubt an eine weltweite jüdische Verschwörung, sowohl um ihn persönlich zu diskreditieren als auch um den Holocaust für politische und ökonomische Zwekke auszubeuten. Er spricht ständig von jüdischen Gruppen als »traditionellen Feinden der Wahrheit«22 und bemerkte schon im Jahr 1963 bei der Schilderung einer Rede von Oswald Mosley im Rathaus von Kensington: »Der gelbe Stern ließ sich nicht 73
blicken.«23* Womit er sich ständig beschäftigt, das sind Geld und seine Karriere. Aber nicht Juden. Irving verweist gern darauf, dass sowohl sein Anwalt als auch sein Verleger Juden gewesen seien. Der Anwalt, Michael Rubinstein (der darauf besteht, kein Jude zu sein), erzählte mir, die Beziehungen zu Irving seien einwandfrei und beruflicher Natur gewesen. Was Lord Weidenfeld betrifft, so kann die Annahme gegenseitiger Nützlichkeit auf beiden Seiten einem Brief entnommen werden, den er Irving schickte, nachdem ein offensichtlich von Letzterem angeregter Zeitungsartikel unterstellt hatte, Weidenfeld sei unter Druck gesetzt worden, Hitler’s War nicht zu veröffentlichen. »Ich habe allen Grund, zu glauben«, schrieb Weidenfeld, »dass es der Ton des Reporters war und nicht in Ihrer Absicht lag, ein sachliches und freundliches Klima der Zusammenarbeit zwischen uns zu stören.«24 Der Verlag Weidenfeld & Nicolson veröffentlichte schließlich Irvings Biographien der Generalfeldmarschälle Erhard Milch und Erwin Rommel. David Irving hat Deborah Lipstadt nicht verklagt, weil sie Jüdin ist. An demselben Tag im September 1996, an dem Irving seine Klageschrift gegen Penguin Books und Lipstadt einreichte, verklagte er auch Sereny und den Observer, der Serenys Artikel veröffentlicht hatte, in dem Irving beschuldigt wurde, in seinem Buch eine »clevere Mischung aus Wahrheit und Unwahrheit« zu verbreiten. Sereny ist keine Jüdin, und obwohl die beiden Klagen sich unterscheiden, sind Irvings Gründe, beide Frauen zu verklagen, im Wesentlichen dieselben, nämlich dass sie mit ihren Beiträgen, im Gegensatz zu seinen anderen Kriti* Obwohl von der Verteidigung als auf Juden gemünzt verstanden, sagte Christopher Hitchens mir, dass es sich hierbei wahrscheinlich um einen Bezug auf die Organisation Yellow Star Movement handele, einen antifaschistischen Verein aus dem Londoner East End.
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kern, deren Angriffe lediglich sein Profil in der Öffentlichkeit schärften, sein Einkommen bedroht hatten. Denn bis 1996 hatte Irving schon längst jedes Ansehen verbraucht, das ihm die »Hitler-Tagebücher« eingebracht hatten. Von Österreich wegen seiner Ansichten über den Holocaust mit einem Einreiseverbot belegt, aus demselben Grund von Archiven in Deutschland ausgeschlossen, sein Rolls-Royce schon lange verkauft und seine Wohnung in Mayfair mit einer schweren Hypothek belastet — Irvings Konto war in jeder Hinsicht bedenklich überzogen. Der Weg, der David Irving in den Gerichtssaal 37 führte, begann mit einem Anruf aus Toronto. Die Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte Ernst Zündel, einem nach Kanada ausgewanderten Deutschen, der sein Einkommen als Werbegrafiker durch den Vertrieb ausgewählter neonazistischer und rassistischer Schriften aufbessert, darunter auch zwei eigene Werke: UFOs: Nazi Secret Weapons und The Hitler We Loved and Why. Im Jahr 1984 war Zündel angeklagt worden, durch die wissentliche Verbreitung von »falschen Nachrichten« über den Holocaust Antisemitismus zu schüren — zur damaligen Zeit nach kanadischem Recht ein Verbrechen. Obwohl Zündels Anwalt die Zeugen der Anklage schikanierte und beleidigte — Raul Hilberg nannte er »eine Art von Historiker« und einen Überlebenden tyrannisierte er mit dem Ansinnen, ihm die vollen Namen jedes der 20 Mitglieder seiner Familie zu nennen, die in den Lagern umgekommen seien —, wurde Zündel ordnungsgemäß überführt und zu 15 Monaten Haft verurteilt. Doch der Schuldspruch wurde aus technischen Gründen kassiert, und für das Wiederaufnahmeverfahren im Jahr 1988 wollte die Verteidigung sich Verstärkung besorgen. Ob Irving bereit sei, als Sachverständiger für die Verteidigung aufzutreten? Als Fan von Hitlers Krieg hatte Zündel Irving 75
jahrelang den Hof gemacht. Als Irving im Jahr 1986 auf einer Vortragsreise Toronto besuchte, holte Zündel ihn am Flughafen ab. Irving, dem Zündel lediglich seiner Reputation nach bekannt war, war alles andere als erfreut. »Er wollte nichts mit mir zu tun haben«, schrieb Zündel in einem Rundschreiben an seine Anhänger. »Er hielt mich für irgendeinen ›revisionistischen Neonazi-Rambo-Spinner!‹« Auch dreizehn Jahre später sah Irving keinen Grund, seinen ersten Eindruck zu revidieren. »Zündel ist ein Nazi«, sagte er mir. »Daran gibt es keinen Zweifel. Und er ist stolz darauf.« Was also veranlasste Irving, gemeinsame Sache mit einem Mann zu machen, den er als jemanden beschreibt, der »sehr weit draußen auf dem Ast sitzt, den er abgesägt hat«? Zweifellos rührte ein Teil der Triebkraft von demselben Bedürfnis zu provozieren her, das ihn schon als Schuljungen veranlasst hatte, mit einer Hammer-und-Sichel-Fahne die Leiter hinaufzuklettern. Irving hat ein Liebe/Hass-Verhältnis zur Ehrbarkeit. »Man möchte sie dumm dastehen lassen«, gab er zu. Auch Zündel kannte seinen Kunden. Im Jahr 1986 hatte er Abstand zu Irving gehalten — die Presse ebenfalls. In einem Brief, in dem er sein Bedauern über die dürftigen Ergebnisse von Irvings Kanada-Tour äußerte, entwarf Zündel einen Plan, wie Irving sein Buchpublikum — seine »Stütze an der Basis« — in ein Vertriebsnetz verwandeln könnte, »das Sie selbst kontrollieren und bei dem Sie natürlich die meisten verlegerischen Entscheidungen treffen und am Ende den größten Teil des Gewinns selbst behalten würden«.25 In dem Brief mit der Bitte um Irvings Hilfe empfahl Zündel, Irving solle seine Aussage mit einer Lesereise verbinden, »um die Publicity auszunutzen... Bei der ersten Verhandlung hatten wir praktisch jeden Tag eine Berichterstattung von Küste zu Küste.«26 Als Irving in Toronto eintraf, lernte er Zündels anderen neuen 76
Sachverständigen kennen, einen Amerikaner namens Fred Leuchter. Leuchter war mit einem Kameramann, einem Konstruktionszeichner und einem Übersetzer nach Polen geflogen, wo er als Ingenieur und Spezialist für den Bau und die Funktionsweise von Hinrichtungsapparaten auftrat. Die Gruppe hatte drei Tage in Auschwitz-Birkenau und einen Tag in Majdanek verbracht, wo sie Ziegelstein- und Betonstücke von einer Reihe von Gebäuden abschlugen. Diese »forensischen Proben«, wie Leuchter sie bezeichnete, wurden anschließend in ein Bostoner Labor gebracht, wo man dem Techniker mitteilte, »es handele sich um Beweismaterial für einen Prozess, bei dem ein Arbeiter auf Entschädigung geklagt hatte«.27 Bei der Befragung durch den Richter stellte sich dann heraus, dass Leuchters Ingeneursausbildung aus ein paar naturwissenschaftlichen Kursen für nichtgraduierte Studenten bestand, an denen er teilgenommen hatte, als er an der Boston University seinen Bachelor of Arts — in Geschichte — machte.28 Sein »Report«, der zum Beweis der Nichtexistenz von Gaskammern dienen sollte — und für den die Verteidigung fast 60 000 USDollar ausgegeben hatte —, wurde als unzulässig abgewiesen. Leuchter wurde gestattet, über den Gebrauch von Cyanwasserstoff- bzw. Blausäure (das Gas, das unter dem Handelsnamen Zyklon B von den Deutschen benutzt worden war) in amerikanischen Gefängnisgaskammern auszusagen und seine Ansicht mitzuteilen, dass die Gebäude, die er in Polen gesehen hatte, wären sie als Gaskammern genutzt worden, »nicht effizient gewesen wären«. Doch auch die Geschworenen bei der zweiten Verhandlung waren davon nicht zu überzeugen, Zündel wurde erneut für schuldig befunden. Zumindest einen konnte Leuchter bekehren. Denn David Irving, der als Fachmann für deutsche Dokumente und den Zweiten Weltkrieg im Anschluss an Leuchter in den Zeugenstand 77
trat, traf Leuchters Bericht über seine polnische Exkursion mit der Kraft einer Offenbarung. »Ich habe meine Meinung inzwischen geändert«, erklärte er dem Gericht, »weil ich verstehe, dass die Mythologie des Holocaust als Ganzes im Grunde anzuzweifeln ist.«29 Der »Leuchter-Report«, erklärte Irving, sei »hinsichtlich der Tragweite seiner Entdeckung umwerfend«. Nachdem Irving wieder zurück in London war, brachte sein eigener Verlag Focal Point — die Basis seines »Vertriebsnetzes« — die Ergebnisse von Leuchters chemischem Amateurexperiment als 66-Seiten-Broschüre mit einem Vorwort von Irving heraus. Außerdem entfernte Irving jede Erwähnung von Gaskammern aus der überarbeiteten Neuausgabe von Hitler’s War. »Wenn etwas nicht stattgefunden hat«, sagte er, »dann braucht man es nicht einmal mit einer Fußnote zu würdigen.«30 Wie vorauszusehen, zeigten sich jüdische Gruppierungen empört, aber sie hatten Irving schon seit Hitler’s War nicht sonderlich gemocht. Damals tat Irving die Wut ab, weil sie, wie er sagte, lediglich daher rührte, dass »ich die romantische Vorstellung des Holocaust verunglimpft habe — dass sechs Millionen Menschen von einem einzigen Mann ermordet worden seien«.31 Er hatte harte Zeiten durchlebt, aber dank »Hitlers Tagebüchern« war er triumphal zurückgekehrt. Als Verleger erneut zögerten und Zeitungsredakteure wieder einmal seine Anrufe nicht erwiderten, plante Irving ein Comeback. Sein neues Buch würde seine Kritiker mehr als nur zum Schweigen bringen — es sollte die Geschichte des Zweiten Weltkriegs neu schreiben und nicht nur den Nachweis führen, dass Hitler in der Tat irregeführt worden war. Es würde auch zeigen, wer wirklich hinter den antisemitischen Gräueltaten gestanden hatte, wer den Namen des Führers immer noch ungerechterweise schlecht machte. Goebbels. Macht und Magie sollte David Irvings Karriere retten. Wie gewöhnlich hatte Irving aus Archiven der Kriegszeit 78
Erstaunliches zutage gefördert, und das darauf beruhende Buch war nahezu fertig, als ein deutscher Freund Irving im Frühjahr 1992 erzählte, dass im russischen Staatsarchiv kürzlich der komplette Satz der Tagebücher von Goebbels, die mikroverfilmt und auf Glasplatten gespeichert worden waren, aufgetaucht sei. Bewaffnet mit einem Auftrag der Sunday Times eilte Irving nach Moskau, um sich seinen Fang zu sichern. Obwohl ein Gutteil der Tagebücher bereits veröffentlicht worden war, gab es erhebliche Lücken, und Irvings »Entdeckung« brachte ihn zurück auf die Titelseiten. Nicht jede Publicity ist gute Publicity. Irvings Rückkehr in die Schlagzeilen mit freundlicher Unterstützung der Sunday Times, die sich bereit erklärte, ihm 75 000 Pfund für die »Herausgeberschaft« der Goebbels-Tagebücher zu zahlen, entfachte eine Protestwelle von London bis nach New York. Die Heftigkeit dieser Proteste kostete Irving das Honorar der Sunday Times, die von der gemeinsamen Vereinbarung zurücktrat. Außerdem verlor Irving seinen amerikanischen Verlag, Scribner’s, und seinen britischen Verleger Macmillan, die nicht nur das GoebbelsManuskript ablehnten, sondern auch anordneten, die restlichen Bestände zweier seiner Bücher einzustampfen. Es lohnt sich festzuhalten, dass all dies geschah, bevor Deborah Lipstadt auch nur ein Wort über David Irving veröffentlicht hatte. Irvings Rehabilitierung schien gleichwohl zu gelingen, als der New Yorker Verlag St. Martin’s Press im Februar 1996 einwilligte, das Goebbels-Buch zu veröffentlichen. Thomas Dunne, ein leitender Lektor, hatte das Buch gelesen und wollte es unbedingt veröffentlichen. Dennoch wurde es Mai, bis man sich auf die Vorauszahlung geeinigt hatte: 25 000 Dollar. Die erste Rate wurde direkt zur Tilgung von Irvings Hypothek verwendet.* Dunne behauptete später, nichts von Irvings Vorgeschichte gewusst zu haben, aber er hatte keinesfalls eine überstürzte Ent79
scheidung getroffen. Außerdem hätte jeder, der im Besitz eines Büchereiausweises oder eines Modems gewesen wäre, die nachfolgende Kontroverse voraussagen können. Was vielleicht nicht vorausgesagt hatte werden können, waren die feigen Verrenkungen und die geistlose Heuchelei von St. Martin’s, als der Erscheinungstermin näher rückte. Monatelang hörte Irving von St. Martin’s nichts als Lob (da der Verlag die Rechte zum Neudruck der britischen Ausgabe gekauft hatte, war sowieso niemals vorgesehen, das Buch selber zu bearbeiten). Als Publisher’s Weekly erklärte, das Buch sei »abstoßend«, und als jüdische Organisationen ihre Empörung äußerten und die Washington Post in einer Kolumne, die das Buch angriff, Deborah Lipstadt mit der rhetorischen Frage zitierte, ob St. Martin’s »auch ein Buch von Jeffrey Dahmer über die Beziehungen zwischen Männern und Jungs publizieren« würde, blieb der Verlag völlig unbeeindruckt. Etwa zwei Wochen lang. Irgendwann zwischen dem Bericht der Daily News vom 22. März, »Nazi-Größen-Biograph sorgt für Aufruhr«, und Frank Richs Kolumne in der New York Times vom 3. April, in der Irving als »Hitler’s Spin Artist« bezeichnet wurde, als jemand, der es verstehe, der Person Hitler den richtigen publizistischen Dreh zu verpassen, verloren Irvings Verleger die Nerven und verkündeten am darauf folgenden Tag, sie seien schockiert — schockiert! —, festzustellen, dass das Buch, dessen Auslieferung an den Buchhandel unmittelbar bevorstand, in der Tat nicht ganz koscher sei. Wie Christopher Hitchens in einem bissigen Resümee über den Skandal in Vanity Fair vom Juni 1996 ganz richtig schrieb, * Einer der verblüffendsten, hingegen am wenigsten beachteten Aspekte des St.-Martin’s-Fiaskos war die relativ niedrige Geldsumme, die im Spiel war. Dass Irving, ein angeblicher Bestseller-Autor, eine so geringe Vorauszahlung akzeptierte, ist ein weiterer Hinweis auf seine verzweifelte Lage.
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bestand der Haupteffekt dieser Entscheidung darin, aus einem Mann mit »verkommenen Vorstellungen« über den Holocaust ein wandelndes Plakat für die freie Rede gemacht zu haben. Ein Nebeneffekt war, dass dem Goebbels-Buch das Gütesiegel unterdrückter Literatur verliehen wurde. Ein weiterer bestand darin, dass Gordon Craig im Verlauf einer vierseitigen Rezension der Goebbels-Biographie in der New York Review of Books hochtrabend erklärte: »Wenn wir Irving mundtot machten, würden wir einen hohen Preis zahlen, bloß um uns von dem Ärger, den er uns macht, zu befreien — es ist eine Tatsache, dass er mehr über den Nationalsozialismus weiß als die meisten professionellen Forscher auf diesem Gebiet, und an den Jahren 1933-1945 Interessierte verdanken [seiner Forschungsarbeit] allemal mehr, als sie zuzugeben bereit sind. Leute wie David Irving... spielen eine unentbehrliche Rolle im historischen Betrieb, und wir hüten uns, ihre Ansichten zu ignorieren.«32 Irvings Verteidiger gingen davon aus, dass er tatsächlich eine Debatte mit seinen Kritikern anstrebte. Wenn er es wirklich darauf anlegte, dann hätte Irving bloß den rechten Augenblick abzuwarten brauchen. »Irgend jemand«, behauptete Hitchens zuversichtlich, »wird zweifellos dort anknüpfen, wo St. Martin’s aufgehört hat.« Stattdessen verklagte Irving Deborah Lipstadt und ihren Verlag in England (wo sich Lipstadts Kosten selbst im Falle ihres Sieges auf Hunderttausende von Pfund belaufen würden) wegen Verleumdung. Womit es nun um einiges schwieriger wurde, die These zu vertreten, dass es darum ging, Irvings Redefreiheit zu verteidigen.
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3 Die Beklagten Am zweiten Verhandlungstag werden vor Gericht zwei VideoAusschnitte gezeigt. Beim ersten handelt es sich um eine deutsche Wochenschau in Schwarzweiß vom Januar 1948, die über das Urteil des Auschwitz-Prozesses berichtet, der nach dem Krieg in Krakau stattfand. Der Filmkommentator spricht von »fast 300 000 Menschen unterschiedlichster Nationen, [die] im Konzentrationslager Auschwitz starben«. Sinn und Zweck der Übung besteht in der Zahl 300 000. Der zweite Filmausschnitt ist sehr viel jüngeren Datums. Eine australische Sendung über aktuelle Fragen aus dem Jahr 1994 zeigt eine Frau mit rötlich braunen Haaren und ausgeprägten Gesichtszügen. Eine männliche Stimme aus dem Off fragt, ob Menschen, die den Holocaust leugneten, ernst genommen werden sollten. »Was diese Leute sagen«, erwidert die Frau mit unverwechselbarem New Yorker Akzent, »ist vergleichbar dem Glauben ›Die Erde ist flach.‹ oder ›Elvis Presley lebt und ist wohlauf.‹ oder ›Es gab keine Sklaverei.‹.« Als der Mann fragt: »Wie überwältigend ist das Beweismaterial für den Holocaust?« antwortet sie: »Die Fakten sind unglaublich und stehen außer Zweifel.« Es ist die Stimme von Deborah Lipstadt, die nun schweigend im Gerichtssaal sitzt und sich selbst auf dem Bildschirm beobachtet. Es ist das einzige Mal während des gesamten Verfahrens, dass man ihre Stimme vernehmen wird. Ein Beklagter in einem Verleumdungsprozess ist nicht verpflichtet, auszusagen. Leon Uris beispielsweise saß während des ganzen Exodus-Prozesses stumm da. Da es keine Auseinan82
dersetzung darüber gab, was die Worte, die er geschrieben hatte, bedeuten könnten oder auf wen sie gemünzt waren, gab es nichts, was er hätte hinzufügen können. Schließlich war Exodus ein Roman, und obwohl diese Tatsache den Autor nicht davor bewahrte, wegen Verleumdung verklagt zu werden, beanspruchte Uris niemals, Historiker zu sein. Leugnen des Holocaust jedoch ist kein Roman, und Irving hatte bis zum Beginn des Prozesses den Eindruck, dass er die Gelegenheit bekommen würde, Lipstadt ins Kreuzverhör zu nehmen. Es gab Fragen, die er ihr stellen wollte, Dokumente, die er unbedingt zum Beweis vorlegen wollte, beispielsweise einen Brief von Yehuda Bauer, dem Direktor des Zentrums für Antisemitismus-Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem, das Lipstadts Forschungsarbeit finanzierte. In diesem Brief beklagt der Schreiber sich im Jahr 1992 darüber, dass »Irving [in ihrem ersten Entwurf] erwähnt wird, aber nicht, dass er die Stütze der Holocaust-Leugnung in Westeuropa ist«. Durch den Verzicht darauf, Lipstadt in den Zeugenstand zu rufen, sorgt die Verteidigung dafür, dass das Hauptaugenmerk auf Irving, seine Methoden und seine Komplizen gerichtet bleibt. Außerdem erspart ihr Anwalt seiner Mandantin ein zweifellos unangenehmes Erlebnis. Vor einem Geschworenengericht könnte Lipstadts Schweigen einen entsprechend hohen Preis kosten. Zumindest müssten ihre Anwälte die Geschworenen gemahnen, es ihr nicht zum Nachteil auszulegen. Mit einem Richter, der allein tagt, fällt die Entscheidung viel leichter. Irving scheint beleidigt zu sein: Auch wenn Lipstadts Aussage an Irvings Klage wahrscheinlich kaum etwas geändert hätte, hätte es seinem »Fall« durchaus helfen können. Aber das Benehmen des Richters deutet an, dass Irving dies hätte kommen sehen müssen: MR. IRVING: Euer Lordschaft werden sehen, dass diese Ein83
vernahme der Zweiten Beklagten, Frau Professor Lipstadt, eine Gelegenheit bieten wird, ihre Ansichten unwidersprochen zu äußern. MR. JUSTICE GRAY: Ja. IRVING: Ich meine, es ist angemessen, ihr in dieser recht verdrehten Angelegenheit ein paar Minuten der Zeit des Gerichts zu gewähren, um ihre Ansichten zu äußern. MR. JUSTICE GRAY: Ja. IRVING: Ich vermute, dass sie in diesem Fall nicht persönlich aussagen wird. MR. JUSTICE GRAY: Ja. Ein erfahrener Barrister hätte daraus trotz allem etwas machen können, besonders im Lichte der Behauptung, Irving sei überhaupt kein Historiker. Der Argumentation der Verteidigung zufolge gibt es nämlich hinsichtlich des Umgangs mit Dokumenten, Fußnoten und Quellen Verhaltensregeln, an die Historiker sich halten müssen (eine These, die Richard Evans, einer der Experten der Verteidigung, bei seiner Aussage ausführlich und mit beträchtlichem Scharfsinn präsentieren wird), obwohl Zeugnisse allein noch lange keinen Historiker machen — schließlich habe auch Herodot nie promoviert. Dieser These liegen eine Menge Unwägbarkeiten zugrunde, beispielsweise wie besagte Regeln festgesetzt werden und wer ihnen Geltung verschafft. Doch obwohl Evans ziemlich vorsichtig sein wird, wenn er dies einräumt, vertieft Irving zu keinem Zeitpunkt diesen Punkt. Ein Anwalt, der nicht wie Irving sein eigenes Ego aufs Spiel setzen würde, hätte den Blick — und das Augenmerk des Gerichts — auf das recht wackelige Gerüst dieser Darstellung von Geschichte als Betätigung einer Zunft gelenkt. Schließlich werden Irvings Bücher in den Geschichtsabteilungen der Buchhandlungen geführt und finden, wie andere historische Bücher auch, 84
ihren Weg in die Regale verschiedener Universitätsbibliotheken. Wenn Historie, um einen Ansatz zu wählen, den man als funktionell bezeichnen könnte, das ist, was Historiker tun, dann muss jede Definition, die Irving ausschließt, der Jahre seines Lebens in Archiven verbracht hat, einmal mehr als willkürlich erscheinen. Ein Themenwechsel hin zu der Frage, ob er ein guter Historiker sei oder nicht, hätte Irving helfen können, Lipstadts eigenen Umgang mit historischem Material genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber merkwürdigerweise ist Irving nicht gewillt, aus dem Rampenlicht zu treten, auch wenn es ihn äußerst unvorteilhaft zur Geltung bringt. So sehr ist er darauf bedacht, zu beweisen, dass er tatsächlich ein Historiker ist, der die Ehre hat, dies auch zu beweisen, dass er sich nicht einmal den schlichten Hinweis erlaubt, dass auch Deborah Lipstadt, gewisse Maßstäbe zugrunde legend, keine Historikerin sei. Deborah Lipstadt entstammt väterlicherseits einer prominenten deutschen Rabbinerfamilie. Erwin Lipstadt kam in den 1920er Jahren aus Deutschland in die Vereinigten Staaten, »wegen der wirtschaftlichen Situation. Es hatte nichts mit Antisemitismus zu tun«, gibt sie zu Protokoll, bevor man sie danach fragt. Ihre Mutter Miriam wurde in Kanada geboren. Als Deborah 1947 zur Welt kam, wohnte die Familie in Manhattan, zog aber bald darauf nach Far Rockaway in Queens. »Ich besuchte dort jüdische Privatschulen und erhielt eine intensive jüdische Erziehung, sowohl zu Hause als auch in der Schule.« Die Lipstadts betrachteten sich als »moderne Orthodoxe« — teils, um sich von den Chassidim mit ihren schwarzen Hüten und den langen Backenbärten zu unterscheiden, teils, um anzudeuten, dass sie, obwohl sie die jüdischen Ernährungsvorschriften beachteten und ihr Leben eher am hebräischen als am weltli85
chen Kalender ausrichteten, sich nicht vom modernen Leben abwandten. »Wir waren sehr von dieser Welt«, sagt Lipstadt. »Theater, Oper, Bücher, Zeitschriften, Museen.« Lipstadt wuchs in einem gemischten Wohnviertel auf, aber ihr Umgang mit Nichtjuden war eingeschränkt. »Wenn man in einer Familie lebt, die das religiöse Gesetz achtet, besucht man Privatschulen, man bleibt koscher — man marschiert im technischen Sinne einfach zum Takt eines anderen Trommlers.« Auch die gesellschaftliche Stellung mag eine Rolle gespielt haben. Die behagliche, beschränkte, kulturell ambitionierte, leicht selbstgefällige, doch sozial bewusste Welt deutscher Juden ist Außenstehenden schwer zu vermitteln, obschon die Prosa von Isaac Bashevis Singer auf ironische Weise in sie einführt. Es wäre ungerecht — und wahrscheinlich unwahr —, zu behaupten, dass deutsche Juden auf andere Juden herabsehen. Vielleicht sollte man das Selbstbewusstsein der deutschen Juden besser als eine Art mission civilatrice, als Kultur fördernden Auftrag, beschreiben — die jüdische Version des »Adel verpflichtet«. Nachdem ihre Familie Mitte der 1960er Jahre wieder nach Manhattan gezogen war, wohnte I. B. Singer, wie Lipstadt sagt, gleich nebenan. Sie ist darauf genauso stolz wie auf die Tatsache, dass die Familie des Bürgerrechtsaktivisten Andy Goodman ebenfalls in ihrer Straße lebte. Als die Leiche des ermordeten Goodman schließlich zusammen mit denen seiner Kameraden James Chaney und Michael Schwerner in Mississippi gefunden wurde, erhielt Lipstadts Vater, der ein kleines Grabsteingeschäft besaß, den Auftrag für die Herstellung seines Gedenksteins. »Im Sommer der Friedensfahrten«, sagt Lipstadt, »war ich noch zu jung, um runter in den Süden zu fahren, aber wäre ich älter gewesen, hätte ich es getan. Ich erinnere mich, dass ich mit meiner Mutter mitging — das war... 1964 oder ‘65 —, wir fuhren an einem Sonntag rauf nach Harlem, um an einem Marsch 86
teilzunehmen. Es war die Idee meiner Mutter.« Auf dem City College, erzählt Lipstadt wehmütig, habe sie zu der »letzten Generation [gehört], die noch eine gute Ausbildung bekommen konnte«. Sie studierte als Hauptfächer Politikwissenschaft und Geschichte und verbrachte ihr vorletztes Studienjahr an der Hebräischen Universität in Jerusalem. »Ich belegte ein paar Kurse zum Holocaust, lernte mehr Überlebende kennen als jemals zuvor — obwohl ich als Kind Überlebende kennen lernte, wusste ich nicht, dass es Überlebende waren... Meine Eltern hatten eine Menge deutsch-jüdischer Freunde, aber ich kannte sie nicht als Überlebende. Ich kannte sie bloß als die Peisers oder die Ullmans.« Laut Peter Novick, dem Autor von Nach dem Holocaust, war solche Zurückhaltung bis in die späten 1960er Jahre die Regel. Wie Art Spiegelmans Vater in Maus, seiner »Geschichte eines Überlebenden« im Cartoon-Format, sagt: »Man wird müssen schreiben viele Bücher darüber, und wer will schon hören solche Geschichten?«1 Aber Lipstadts Vater hatte fünf Schwestern in Deutschland zurückgelassen und versuchte verzweifelt, aber vergeblich, für sie Einreisegenehmigungen in die Vereinigten Staaten zu erhalten. Obwohl alle fünf den Krieg überlebten und obwohl auch er den Holocaust selten erwähnte, war seine emotionale Bewegung bei jedem Pessach-Fest ersichtlich. »Ich erinnere mich, dass mein Vater, als ich noch ein junges Mädchen war, beim Pessach-Seder ein Gedenkgebet der Organisation der Überlebenden des Warschauer Ghettos vorzulesen pflegte, wobei er sagte: ›Heute abend entsinnen wir uns der Millionen, die gestorben sind.‹ Und er weinte jedesmal, während er sich an umgekommene Freunde, Verwandte und Mitschüler erinnerte, mit denen er in Hamburg aufgewachsen war. Und ich weiß noch, dass dies für mich als Heranwachsende sehr zermürbend war. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass man 87
mir jemals in aller Form davon erzählt hätte.« Als Lipstadts Studienjahr in Israel sich dem Ende zuneigte, brach der Sechs-Tage-Krieg aus. »Alle hatten Angst. In Jerusalem hob man 800 Gräber aus«, entsinnt sie sich. Zum Personal des Kinderheims, in dem Lipstadt als Freiwillige arbeitete, gehörte eine Reihe von Überlebenden des Holocaust, die von Furcht getrieben plötzlich anfingen, plastisch von ihren Erlebnissen zu berichten. Lipstadt beschloss, ein weiteres Jahr in Jerusalem zu bleiben. »Wenn ich im Juni ‘67 dort gewesen war, machte es keinen Sinn, im Juli ‘67 nach Hause zu fahren.« Nach der Rückkehr aufs City College, wo sie ihren Bachelor of Arts machen wollte, schrieb Lipstadt sich an der Brandeis University in das Graduierten-Programm im Fach Judaistik ein. Ihre Prioritäten wandelten sich, aber die Sechziger gingen nicht spurlos an ihr vorüber. »Ich lebte in Cambridge! Man hätte schon unter einem Felsen wohnen müssen, um von den Sechzigern nichts mitzubekommen. Ich erinnere mich sogar, dass ich mit meinem Sticker vom SNCC [Student Non-Violent Coordinating Committee; studentisches Komitee zur Koordierung gewaltloser Aktionen] in der Synagoge in der Upper West Side, wo meine Eltern immer hingingen, aufkreuzte und mich irgendjemand anbrüllte: ›Das sind Linke, Antisemiten und schreckliche Leute!‹ Ich wurde wahnsinnig!« Wie bei vielen anderen Juden ihrer Generation wurden Lipstadts erste Schritte auf dem Weg von der Bürgerrechtsbewegung zu ihrem Engagement in jüdischen Angelegenheiten durch den erbitterten Kampf des Jahres 1968 zwischen den mehrheitlich schwarzen Eltern von Ocean Hill und Brownsville in Brooklyn und der überwiegend weißen jüdischen Lehrergewerkschaft um die Kontrolle der Schulen durch die Gemeinde veranlasst. Eigentlich war keine der beiden Seiten bekannt dafür, besonders 88
rassistisch zu sein — und als die Gewerkschaft erst einmal den Streik ausgerufen hatte, statt Macht an die Eltern abzutreten, standen Juden auf beiden Seiten der Streikpostenlinien. Doch was Lipstadt erlebte, war »unverhohlener Antisemitismus, der von Leuten kam, von deren Kampf man immer geglaubt hatte..., er entspreche durch und durch den Idealen Amerikas. Als ich im Laufe der Jahre feststellte, dass ich intellektuell — und politisch — zuerst immer verwirrter und dann ziemlich wütend und verärgert wurde, entwickelte ich mich zu einer Art New RepublicDemokratin. Ich ging niemals so weit wie Commentary und [Norman] Podhoretz — oder erlebte ihn [den schwarzen Antisemitismus] als persönlich direkt Betroffene.« Und in den späten 1960er Jahren gab es andere Gründe, auf die Straße zu gehen. »Bevor ich nach Israel ging und nach meiner Rückkehr nahm ich an Märschen teil, war ich auf Kundgebungen [um gegen Amerikas Engagement in Vietnam zu protestieren]. War ich eine große Aktivistin? Nein. War ich auf Kundgebungen? Sicher. Ich erinnere mich, wie ich einmal nach Hause kam, und mein Vater war sehr aufgeregt. Er war draußen gewesen, um den Hund spazieren zu führen, und an der Ecke 86. Straße/Broadway war eine Kundgebung gewesen, eine Anti-Kriegs-Kundgebung. Sie hatten Kerzen verteilt, und er hatte mit einer Kerze dagestanden, dieser sehr vornehme deutsch-jüdische Herr, der seinen Cockerspaniel ausführte.« 1972 reiste Lipstadt in die Sowjetunion. An Jom Kippur besuchte sie die Synagoge in Czernowitz, eine Stadt, deren jüdische Gemeinde durch den Holocaust dezimiert worden war. In ihrer eidesstattlichen Erklärung für die Verteidigung schreibt sie: »Ich lieh einer älteren Frau mein Gebetbuch. Kurz darauf beschuldigte mich ein Offizieller der Synagoge, der, wie ich hinterher erfuhr, für die Regierung arbeitete, eine Provokateurin zu sein... und religiöse rituelle Gegenstände zu verteilen, was 89
nach sowjetischem Recht verboten war... Am nächsten Tag... wurden mein Reisebegleiter und ich im Hotel von KGB-Polizisten abgeholt und zu einem abgelegenen Bahnhof außerhalb von Czernowitz gebracht, dort einen ganzen Tag lang festgehalten, getrennt verhört, einer Leibesvisitation unterzogen und gezwungen, Erklärungen über unsere Kontakte zu Juden zu unterschreiben. Zudem wurde uns verboten, Verbindung mit amerikanischen Behörden aufzunehmen.* Obwohl mir sehr wohl bewusst war, dass das, was ich erlebt hatte, nicht mit der Verfolgung, welche die Juden unter den Nazis erlitten hatten, verglichen werden konnte«, fährt sie fort, »entwickelte ich ein starkes Interesse für die gehässige Natur des Antisemitismus. Ich fing an, mich intensiv mit der Geschichte des Holocaust zu beschäftigen.« Lipstadts erstes Buch, Beyond Belief: The American Press and the Coming of the Holocaust 1933-1945, ist eine schonungslose Anklage gegen die amerikanische Presseberichterstattung über den Holocaust. Selbst wenn sie mit dem Beweis-
* Auch Lipstadt beherrscht die Kunst des Geschichtenerzählens. So mag es lohnen, eine andere Version dieses Vorfalls festzuhalten, die aus einem Artikel des Hadassah Magazine vom Juni/Juli 1993 stammt. In dieser Erzählung befindet Lipstadt sich ebenfalls an Jom Kippur 1972 in der Synagoge, und wieder bietet sie ihr Gebetbuch an: »Eine ältere Frau gab zu verstehen, dass das Gebetbuch nutzlos sei, da niemand von ihnen Hebräisch lesen könne. Ich sagte ihr, dass ich das Gebet für sie aufsagen würde und dass ich, wenn es an der Zeit wäre, den Namen der Person zu erwähnen, zu deren Gedächtnis das Gebet gesprochen werde, innehalten würde, damit sie den Namen einfügen könnte... Eine Ewigkeit, wie es mir schien, kamen Juden nun nach vorn, damit ich als ihr Sprachrohr fungierte. Am Ende dieser Episode emotional ausgelaugt, wurde mir bewusst, dass das kleine siddur [Gebetbuch] mich mit Generationen von Juden verbunden hatte, die schon lange von uns abgeschnitten gewesen waren.« Unter dem Titel »Benefits of Belonging« erwähnt diese erhebende Darstellung an keiner Stelle ihre nachfolgende Festnahme und Schikanierung.
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material konfrontiert gewesen seien, behauptet sie, hätte es vielen Korrespondenten widerstrebt, »sich selbst — und ihren Lesern« die Realität des Völkermords einzugestehen. Zumindest einen Teil dieses Widerstrebens schreibt Lipstadt dem Antisemitismus zu.2 Wie Leugnen des Holocaust findet man auch Beyond Belief sowohl in den historischen Abteilungen von Buchhandlungen als auch im Bereich Judaistik. Lipstadts erster Lehrauftrag wurde von der University of Washington in den Fächern Geschichte und Vergleichende Religionswissenschaft erteilt. Ihre nächste Stelle an der University of California in Los Angeles erhielt sie im Fach Judaistik. Da ihr eine feste Anstellung versagt blieb, wechselte sie für kurze Zeit zum Occidental College, einem kleinen geisteswissenschaftlichen College ebenfalls in Los Angeles, wo sie Seminare zum Thema Holocaust hielt. An der Emory-Universität in Atlanta hat Lipstadt heute einen Lehrstuhl in der Abteilung für Religionswissenschaft inne. Im Gegensatz zu David Irving ist Lipstadt eine echte Akademikerin, und ihren ersten Abschluss machte sie am City College in den verwandten Disziplinen Politikwissenschaft und Geschichte. Schon seit langem beherrscht sie die Fertigkeiten und Methoden, die für die Zulassung zur Gelehrtenzunft erforderlich sind. Ihre Hochschulabschlüsse machte sie in Judaistik, einem Gebiet, das sich wie die Geschichtswissenschaft maßgeblich mit der Vergangenheit und der Interpretation von Dokumenten beschäftigt. Aber Judaistik ist nicht Geschichte; Judaistik ist nicht einmal — oder nicht immer — jüdische Geschichte. Intellektuell ist die Judaistik bemüht, zwei manchmal widerstreitende Strömungen zusammenzuführen. Die eine ist sehr weltlich und ordnet das Fach in eine Reihe von Disziplinen ein, die sich der Erforschung von Minderheiten oder Ethnien wid91
men: die Geschlechterforschung, Schwarz- oder Afroamerikanische Sprache und Kultur, Asienwissenschaften, Hispanistik, Frauenforschung etc. Im Gefolge der 1960er Jahre kam es an den Universitäten überall in den Vereinigten Staaten zu einer wahren Inflation solcher Disziplinen. In der Tat war in einigen berühmten Fällen die Einrichtung solcher Abteilungen das Ergebnis von Campusrevolten. Obwohl Beispiele revoltierender jüdischer Studenten, die ein Judaistik-Lehrangebot verlangten, nicht dokumentiert sind, gehörte die Judaistik oft zu den Nutznießern, wenn eine Universität sich erst einmal entschloss, die Erforschung von Minderheiten zu finanzieren. Alles andere hätte die Diskriminierung einer Minderheit unter Minderheiten bedeutet — kein besonders Erfolg versprechender Weg zu einem friedlichen Campus. Die Judaistik konnte die Wende hin zur Kulturwissenschaft vollziehen, weil sie im Gegensatz zu den militanteren Disziplinen, die vielfach sowohl um Anerkennung wie um Finanzierung rangen, gegen Ende der 1960er Jahre bereits auf eine eigene Geschichte zurückblicken konnte. Der Ursprung dieses Forschungsgebietes lag im Studium biblischer Texte, das seit jeher Teil der traditionellen Rabbiner-Ausbildung gewesen war. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlagerte sich diese Form der Ausbildung bereits aus den Jeschiwas [Talmudschulen zur Ausbildung von Gelehrten und Rabbinern] in die Universitäten — besonders in Deutschland und in den Vereinigten Staaten, wo die nichtorthodoxen Zweige des Judaismus an Stärke gewannen und wo man es für vorteilhaft hielt, wenn ein Rabbiner akademische Zeugnisse besaß. Das Programm an der Brandeis University spiegelt diese beiden Strömungen sowohl chronologisch als auch inhaltlich wider. Zumindest in der Frühzeit führten Hauptfachstudenten in der Regel die Rabbiner-Ausbildung weiter.* Aber im Laufe der 92
Jahre hatten die Studenten der Graduierten-Abteilung, die ihren ersten Dr. phil. im Jahr 1958 verlieh, schließlich mehr mit den Kommilitonen anderer rein weltlicher Institutionen und mit denen in Columbia gemein, wo Salo Baron einen Lehrstuhl in Jüdischer Geschichte innehatte. Die natürliche Spannung zwischen der geistlichen und der weltlichen Strömung ist vielleicht eine Besonderheit der Judaistik und unterscheidet sie von ähnlichen Disziplinen wie der Erforschung moderner griechischer, italienischer oder irischer Sprache und Kultur, die ebenfalls vom wachsenden Interesse an ethnologischer Forschung profitierten. Was jedoch all diese Studiengänge einschließlich der Judaistik gemeinsam haben, wenigstens in den Vereinigten Staaten, ist ihre intellektuelle Verpflichtung gegenüber dem Nationalismus und ihre greifbarere Verpflichtung gegenüber einer politisch bewussten, finanzstarken Gemeinde von Gönnern. Die Casa Italiana der Columbia University zum Beispiel war in den 1930er Jahren ein berühmtberüchtigtes Zentrum pro-faschistischer Agitation. Heutzutage ist der Druck wahrscheinlich subtiler. Die Dorot Foundation, die den Lehrstuhl von Lipstadt finanziert, »steht in langer Tradition bei ihren Engagements für Israel [und] die jüdische Gemeinde in Nordamerika«, glaubt man ihrem Informationsmaterial. Und es ist bemerkenswert, dass sich Lipstadts Zorn, wenn sie in Beyond Belief schließlich auf das Agieren — und die Unterlassungen — der jüdischen Führungspersönlichkeiten Amerikas eingeht, in Sympathie und Verständnis wandelt. Lipstadt selber betrachtet ihre enge Beziehung zur jüdischen Gemeinde sowohl für ihre Arbeit als auch für ihre persönliche * Mein Vater beispielsweise, der zum ersten Jahrgang gehörte, Brandeis vom ersten bis zum letzten Semester durchlief und 1954 Examen machte, studierte im Hauptfach, was damals Judaismusforschung genannt wurde, bevor er ins Hebrew Union College, das Reform-Seminar, eintrat.
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Identität als essentiell. Lipstadt, eine Jüdin, die das religiöse Gesetz achtet, beschreibt sich selber als »nicht orthodox«. Dass in weiten Teilen des orthodoxen Rituals Frauen nicht einmal erwähnt werden dürfen, stört sie. »Ich möchte, dass sie zumindest anerkennen, dass man nur über die Männer redet. Denn wenn der Rabbiner aufsteht und sagt: ›Wir brauchen so viele Leute wie möglich, die morgen früh kommen‹, dann werde ich hingehen.« Aber ihre Entfremdung von der organisierten Religion — »Ich bin in einer jeden Synagoge, in die ich gehe, gleich unglücklich«, scherzt sie — beinhaltet keine Entfremdung vom organisierten Judaismus. »Mein Berufs- und mein Privatleben sind wirklich integriert. Weil so viel von meinem persönlichen Leben damit zusammenhängt, dass ich Jüdin bin. Dass ich Jüdin und jüdisch bin. Kulturell, religiös, intellektuell — hier weiß ich am besten Bescheid.« Diese Behaglichkeit hat manche Wissenschaftler veranlasst, Lipstadts Arbeit gönnerhaft als eine »JCC [Jewish Community Center]-Version der Geschichte« abzutun. Was impliziert, dass Lipstadts Bücher, obschon sie Juden vielleicht zu einem besseren Gefühl verhelfen oder ihnen Gelegenheit bieten, ihrem Ärger Luft zu machen, wenig mit der Kärrnerarbeit der Präsentation von Beweismaterial, der Quellenkritik und der Gewichtung von Interpretationen zu tun haben, die der Geschichtsforschung erst ihre analytische Strenge und epistemologische Würde verleihen. In solcher Kritik steckt ein gewisses Maß Wahrheit, aber ein sehr viel größeres Maß an Naivität. Wie der Krieg ist auch die Geschichte immer eine Form der Politik mit anderen Mitteln, und es ist vollkommen richtig, ja sogar klüger, die bekannten Vorurteile eines Historikers, seine politischen Verpflichtungen und seine Finanzierungsquellen im Auge zu behalten. Pure intellektuelle Faulheit ist es jedoch, zu unterstellen, solche Informationen beugten der Notwendigkeit 94
vor, sich mit der Arbeit selber auseinander zu setzen. Lipstadts erstes Buch, Beyond Belief ist, wenn es vielleicht auch übertrieben freundlich mit den jüdischen und zionistischen Führungspersönlichkeiten Amerikas umgeht, trotzdem eine Pionieruntersuchung der Frage, wie die Amerikaner von den Fakten des Holocaust erfuhren. Wenn ihr zweites Buch problematischer ist, dann zum Teil vielleicht deshalb, weil Lipstadt in Leugnen des Holocaust einem recht ausgetretenen Pfad folgte. Zu ihrem Pech war es nicht immer ein deutlich erkennbarer Pfad. Wie Lipstadt selbst dokumentiert hat, war die Tatsache, dass das Schicksal der Juden Europas und ihre Behandlung durch die Nazis von unverwechselbarer Singularität war, am Ende des Zweiten Weltkriegs keineswegs weithin anerkannt. In Edward R. Murrows berühmter Sendung aus Buchenwald im Jahr 1945 beispielsweise werden die Wörter »Jude« und »jüdisch« kein einziges Mal ausgesprochen. Ebenso wenig tauchen sie in dem Begleittext zu den Fotografien auf, die Margaret Bourke-White von den Lagerinsassen machte. Ein Reporter der Illustrierten Life beschrieb die in Dachau befreiten Häftlinge als »die Männer aller Nationen, die Hitlers Agenten für die wichtigsten Gegner des Nationalsozialismus hielten«.3 Lipstadt unterstellt, dies sei vorsätzliche Blindheit gewesen — eine Ansicht, deren partieller Wahrheitsgehalt durch Peter Novicks Beobachtung weiter geschmälert wird, dass die meisten jüdischen Organisationen sich während des Krieges heftig den Versuchen widersetzten, die nazistische Verfolgung als spezifisch antijüdisch zu charakterisieren. »Es sollte immer daraufhingewiesen werden«, hieß es in einem Memorandum des American Jewish Committee aus dem Jahr 1942, »dass die nationalsozialistische Tyrannei nicht zwischen Juden und Polen unterscheidet«. Nach Pearl Harbor machte der Direktor der Anti95
Defamation League von B’nai B’rith sich Gedanken wegen einer Zunahme des Antisemitismus im eigenen Lande: »Es wird Hunderttausende Familien geben, die einen Angehörigen verloren haben. Und vielen dieser Familien wurde der Glaube eingeimpft, dies sei ein jüdischer Krieg.«4 Außerdem waren in den von amerikanischen GIs oder britischen Soldaten befreiten Konzentrationslagern — Dachau, Buchenwald oder Bergen-Belsen — Juden eine Minderheit. In Buchenwald und Dachau waren nur etwa ein Fünftel der Häftlinge Juden. Wie der britische Historiker Tony Kushner betont, eigne sich schon der Begriff »Konzentrationslager« dazu, Verwirrung zu stiften: »In Bezug auf den Standort und manchmal sogar hinsichtlich des Namens konnten diese Konzentrationslager, wie entsetzlich sie sich auch entwickelt hatten, in einer Kontinuitätslinie mit den Nazi-Gräueln der 1930er Jahre gesehen werden«, die sich größtenteils gegen Hitlers politische Widersacher gerichtet hatten. Als diese Lager befreit wurden, behauptet Kushner, bestätigten sie ein Muster, das »die Möglichkeit andersartiger Lager an anderen Standorten auszuschließen schien — gemeint sind Todesfabriken wie Treblinka in Polen«.5 Obwohl er die von Lipstadt untersuchte Epoche rasch abhandelt, wartet Peter Novicks provozierende Untersuchung der »Nachkriegskarriere« des Holocaust mit einem weiteren Grund für die amerikanische Zurückhaltung auf: Mit der durch den Kalten Krieg herbeigeführten Neuorientierung sei das Gerede über den Holocaust US-Interessen definitiv zuwidergelaufen. »1945«, schreibt er, »hatten Amerikaner gejubelt, als die sowjetischen Streitkräfte Berlin in Schutt und Asche legten; 1948 organisierten Amerikaner eine Luftbrücke, um die tapferen Berliner gegen die sowjetische Bedrohung zu beschützen.« Die begleitende ideologische Umrüstung fand mit atemraubender Geschwindigkeit statt, aber im Amerika der 1950er Jahre riefen 96
außer den Kommunisten nur wenige: »Denkt an die sechs Millionen!« Trauernde beim Begräbnis von Julius und Ethel Rosenberg, die 1953 als sowjetische Spione hingerichtet worden waren, sangen das »Lied vom Warschauer Ghetto«. Doch für die meisten Amerikaner einschließlich der amerikanischen Juden sei der Holocaust, so Novick, »die falsche Gräueltat« gewesen — ihn zu erwähnen sei bestenfalls eine Peinlichkeit gewesen, im schlimmsten Fall ein Grund, Verdacht zu schöpfen.6 In Großbritannien, wo die Kriegsallianz mit Stalin in noch stärkerem Maße als Zwangsehe empfunden wurde, war der Argwohn gegenüber sowjetischen Quellen Grund dafür, die Befreiung von Majdanek durch die Rote Armee im Juli 1944 mit keiner Schlagzeile zu erwähnen. Majdanek war ein Todeslager gewesen, ein Ort, an dem die Nazis 200 000 Menschen vernichtet hatten, doch trotz des weiter tobenden Krieges weigerte die BBC sich, auch nur ein Wort über das, was die Sowjets gefunden hatten, zu verlieren. Alexander Werth, der erste britische Journalist, der das Lager besichtigte, musste seinen Bericht in der Schublade verschwinden lassen, weil »sie dachten, das Ganze sei eine russische Propagandanummer«.7 Die Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Truppen im Januar 1945 fand im Westen eine ähnliche Aufnahme. Die Frage nach dem Standort ist in der Geschichte besonders wichtig. In Sobibór, Treblinka und Belzec waren die Mörder so effizient, dass sie nur eine Hand voll überlebender Opfer zurückließen: Von den 600 000 nach Belzec deportierten Männern, Frauen und Kindern haben, soweit bekannt, gerade zwei überlebt. Die Lager selber wurden auf Befehl Himmlers angesichts der vorrückenden russischen Truppen dem Erdboden gleichgemacht. Doch die Tatsache, dass alle Vernichtungslager hinter dem späteren Eisernen Vorhang lagen, war für das Verbergen der Wahrheit über das dort Geschehene ein mindestens 97
ebenso wichtiger Faktor wie jede Vertuschung von Seiten der Nazis auf dem Rückzug. Lange nachdem sie ihre Nützlichkeit im Kalten Krieg überlebt hatte, sollte die Skepsis gegenüber den zurückgelassenen Beweisen in Majdanek, wo die Rote Armee eine intakte Mordmaschinerei vorgefunden hatte, oder in Auschwitz, wo Versuche, das Geschehene auszuradieren, nur teilweise erfolgreich waren, als einer der Hauptstränge der HolocaustLeugnung wieder auftauchen. Heutzutage ist der Holocaust allgegenwärtig. Filme wie Schindlers Liste oder Sophies Entscheidung, Fernsehsendungen, Romane, Erinnerungen und historische Bücher addieren sich allesamt zur Summe dessen, was wir wissen — oder zu wissen meinen. Wir brauchen uns bloß die Rezeption der Bruchstücke von Binjamin Wilkomirski anzusehen, um zu verstehen, wie viel sich verändert hat. Ausgestattet mit der Billigung berühmter Wissenschaftler gewann die englische Ausgabe Fragments den National Jewish Book Award in der Sparte Biographien/Memoiren und schlug Werke von Elie Wiesel und Alfred Kazin aus dem Feld. Selbst als sich die Hinweise häuften, dass es sich bei »Wilkomirski« in Wirklichkeit um Bruno Dössecker handelte, einen Schweizer Musiker, dessen Bericht über eine Kindheit in den Lagern vollkommen frei erfunden war, sprach Bruchstücke weiterhin Leser an.8 So groß ist der Hunger der Öffentlichkeit nach Holocaust-Literatur. Wie kam es zu diesem Wandel? Peter Novick erwähnt verschiedene Faktoren: ein allmähliches Abflauen des Kalten Krieges; Ausbrüche von Neo-Nazismus in Deutschland; das Erscheinen des Tagebuchs der Anne Frank im Jahr 1952, das später für Bühne und Film bearbeitet wurde. Doch der größte einzelne Katalysator, sagt Novick, seien die Entführung des NS-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann und der Prozess gegen ihn gewesen. Auch hier war die anfängliche Reaktion negativ: New Re98
public meinte, Israel »würde gut daran tun, den Fehler zuzugeben und Eichmann den argentinischen Behörden wieder auszuliefern«. Das Wall Street Journal sorgte sich, das Verfahren würde nur den Russen nützen. Aber im Laufe des Prozesses überwand die schiere Masse der Einzelheiten offensichtlich solche Skepsis. Das Fernsehen berichtete über die Verhandlung, und zum ersten Mal wurde die amerikanische Öffentlichkeit mit dem Holocaust als Ereignis konfrontiert, das sich vom allgemeinen Gemetzel des Krieges unterschied.9 Vieles von dem, was der Eichmann-Prozess ans Licht brachte, war Historikern bereits bekannt — zum großen Teil dank Raul Hilbergs Die Vernichtung der europäischen Juden. Hilbergs Werk erschein zuerst 1961 bei Quadrangle Books, damals ein kleiner, unabhängiger Verlag, aber erst, nachdem bei akademischen Verlagen der Columbia University und der University of Oklahoma darüber beratschlagt und es von Princeton rundheraus abgelehnt worden war, und auch erst, nachdem ein tschechischer Flüchtling 15 000 US-Dollar zu den Druckkosten zugeschossen hatte. Die ersten Rezensionen des Buches waren überwiegend feindselig — mit einer bemerkenswerten Ausnahme.10 Hugh Trevor-Roper erklärte im Commentary, Hilbergs Analyse der Vernichtungsmaschinerie der Nazis sei von »profundem gesellschaftlichen Gehalt«. Trevor-Ropers Besprechung, die in der Zeit zwischen Eichmanns Entführung und seinem Prozess erschien, enthielt auch eine Warnung. Die »erstaunlichste Enthüllung«, schrieb er, sei auch die »am wenigsten willkommene«, nämlich Hilbergs Beschreibung des Ausmaßes, bis zu dem die Nationalsozialisten sich darauf verlassen hätten, dass die Juden bei ihrer eigenen Vernichtung mithalfen. Die damals wie heute vom American Jewish Committee herausgegebene Zeitschrift beeilte sich, Trevor-Ropers Lob mit einem Artikel des Harvard-Historikers Oscar Handlin unter dem 99
Titel »Jewish Resistance to the Nazis« zu kontern. Handlin warf Hilberg »Pietätlosigkeit« und »Diffamierung der Toten« vor. Diese Replik fand derart weite Verbreitung, dass Offizielle in Yad Vashem, der israelischen Holocaust-Gedenkstätte, Hilberg, als er 1968 zu einem Forschungsurlaub nach Israel reiste, den Zutritt zum Archiv verweigerten (eine Situation, die sich in der Reaktion der Yad Vashem Studies auf Hilbergs Buch bereits angekündigt hatte. Die Rezension trug den Titel: »Historical Research or Slander?« [Historische Forschung oder Verleumdung?]).11 Eichmann in Jerusalem, Hannah Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess, erging es nicht besser. Arendts Konzentration auf Eichmanns Gewöhnlichkeit, auf das, was sie als »die Banalität des Bösen« bezeichnete, erschien einigen Kritikern als offene Sympathie. Barbara Tuchman beschuldigte Arendt in der New York Times Review of Books, sie schreibe in »bewusster Absicht, Eichmanns Verteidigung zu stützen«. Die Anti-Defamation League von B’nai B’rith verurteilte das »üble Buch« und gemahnte ihre Mitglieder: »[Es ist] allgemein bekannt, dass Eichmann selbst vorsätzlich die kaltblütige sinnlose Liquidierung eines ganzen Volkes geplant hat... Eichmann persönlich ersann den Gedanken der Liquidierung der Juden als ein Mittel zur ›Endlösung‹ des Judenproblems... Er hätte vermutlich seinen Vorgesetzten eine Massenemigration erfolgreich vorschlagen können, [aber] stattdessen wählte er die Gaskammer, das Krematorium und die Seifenfabrik.«12 »All dies war«, wie Peter Novick betont, »nicht nur falsch, es war das Gegenteil der Wahrheit.« Wie Hilberg wurde auch Arendt angegriffen, weil sie die Rolle der Führungspersönlichkeiten der 100
jüdischen Gemeinschaft in der Tragödie betonte — vielleicht noch schärfer als Hilberg, weil jüdische Führer sich ihrer Ansicht nach besonders schuldig gemacht hätten. »Von Polen bis Holland und Frankreich, von Skandinavien bis zum Balkan«, schrieb sie, »gab es anerkannte jüdische Führer, und diese Führerschaft hat fast ohne Ausnahme auf die ein oder andere Weise, aus dem einen oder anderen Grund mit den Nazis zusammengearbeitet. Wäre das jüdische Volk wirklich unorganisiert und führerlos gewesen, so hätte die ›Endlösung‹ ein furchtbares Chaos und ein unerhörtes Elend bedeutet... und die Gesamtzahl der Opfer hätte schwerlich die Zahl von viereinhalb bis sechs Millionen Menschen erreicht.«13 Wieder einmal sprach Commentary, die Stimme der amerikanisch-jüdischen Führung, ihr Anathema aus, und der Herausgeber persönlich, Norman Podhoretz, erklärte, Arendts Berichte seien »komplex, unsentimental, durchsetzt mit Paradoxien und Zweideutigkeiten« — nach Podhoretz’ Ansicht alles Schimpfwörter.14 Im Jahr 1988 veröffentlichte Arno Mayer, Professor für europäische Geschichte in Princeton, sein Buch Why Did the Heavens Not Darken? [dt. Der Krieg als Kreuzzug, 1989] Mayers Buch, das den Untertitel The Final Solution in History trug, wollte den Holocaust vor einem »Kult der Erinnerung« retten, der seiner Ansicht nach »inzwischen allzu stark religiös beeinflusst« sei und folglich das historische Verständnis erschwere. »Während die Stimme der Erinnerung unzweideutig und unumstritten ist, ist die Stimme der Geschichte polyphon und offen für die Debatte«, schrieb Mayer. Die Geschichte »verlangt nach Revision«.15 101
Für die Anti-Defamation League war dies eine Kampfansage. Schlimmer noch, Mayer behauptete, die Motivation der Nazis habe nicht nur in simplem Antisemitismus gegründet, sondern auch in einer Feindschaft gegenüber dem »jüdischen Bolschewismus«, dem Nazibegriff als Ausdruck der Überzeugung, dass Juden sowohl den Kommunismus als auch den Kapitalismus beherrschten. Mayer schrieb, dass es keine Beweise gäbe, die darauf hindeuteten, dass es Hitlers Ziel gewesen sei, bei seinem Überfall auf Polen »die maximale Anzahl Juden gefangen zu nehmen, um sie abzuschlachten«.16 Tätsächlich hätten die Nazis alles Mögliche versucht, die Juden zur Emigration zu drängen. Im Gegensatz zu Lucy Dawidowicz, die in The War Against the Jews (1975) die Ansicht vertrat, der Völkermord sei eines der Hauptkriegsziele der Nazis gewesen, meinte Mayer, dass Hitler sehr viel mehr mit seinem »Kreuzzug« gegen den Kommunismus beschäftigt gewesen sei und dass die Nazis erst nach dem Scheitern des Unternehmens Barbarossa, des Überfalls auf die Sowjetunion, ihre mörderische Frustration an den Juden Osteuropas abreagiert hätten.17 Mayer hatte seine These nachlässig präsentiert. Sein Buch wies keine Fußnoten auf, und seine Behauptung, dass der Antikommunismus in der Nazi-Ideologie wichtiger gewesen sei als der Antisemitismus, war ebenso diskussionswürdig wie seine Darstellung der Ereignisse, die zur Endlösung führten. Doch eine Diskussion war genau das, was Mayer von seinen Kritikern vorenthalten wurde, die Beleidigungen und boshafte Anspielungen vorzogen. »›Es spricht jeder Erinnerung und Geschichte Hohn‹, ›haarsträubend‹,... ›bizarr‹ und ›verdreht‹«, das waren, so der Historiker Richard Evans, der für eine Londoner Zeitung über die Kontroverse berichtete, »nur einige der druckfähigeren« Reaktionen. Angeführt wurden die Vorwürfe von einem Rezensenten der New Republic, einem jungen Harvard-Absol102
venten namens Daniel Jonah Goldhagen. Goldhagens Wut schien sich besonders an dem zu entzünden, was er »Mayers gewaltigen intellektuellen Irrtum« nannte, nämlich sein gemeinsamer Blickwinkel auf Nazi-Antisemitismus und Nazi-Antikommunismus.18 Dies ist eine alte Geschichte, deren Wurzeln in die 1950er Jahre zurückreichen, als Lucy Dawidowicz die Kommunismus-Expertin des American Jewish Committee war und die organisierte jüdische Gemeinde sich jeder Andeutung eines gemeinsam getragenen Schicksals widersetzte.19 Kommunistische Regierungen reagierten vergleichbar und widersetzten sich den Versuchen, Juden als Opferkategorie auch nur anzuerkennen. Deshalb fehlte auf der Gedenktafel in Auschwitz wie auf den zahlreichen sowjetischen Denkmälern für den Großen Vaterländischen Krieg jede Erwähnung der Juden. Aber die Geographie der Endlösung war kein bloßer Zufall. Am Vorabend des Unternehmens Barbarossa erließ das Oberkommando der Wehrmacht auf Geheiß Hitlers den berüchtigten »Kommissar-Befehl«, der bestimmte, dass die politischen Kommissare der Roten Armee »jeder Art und Stellung... grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen« seien. Zudem verlangte der Erlass ein »rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden...«. Bevor Juden nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden, beherbergte das Lager sowjetische Kriegsgefangene; die Opfer der ersten Massenvergasungen im August und September 1941 waren sowjetische Kriegsgefangene, die als politische Kommissare identifiziert worden waren. Dass Juden und Bolschewisten nach Hitlers Ansicht eng miteinander verbunden waren, bedeutet nicht, dass eine solche Beziehung in der Realität existierte. Aber es bedeutet auch nicht, dass es eine solche Beziehung nicht gegeben hätte. Und weil Hitlers Ansichten tödliche Konsequenzen hatten — beispiels103
weise wenn er Himmler im Dezember 1941 befahl, die Juden müssten »als Partisanen« ausgerottet werden —, können die für Goldhagen so wichtige saubere Trennung ebenso wie die für Podhoretz so wichtige Simplizität nur um den Preis beträchtlicher Verzerrung aufrecht erhalten werden. Folglich schreibt Goldhagen: »Dass hier auch Nichtjuden umgebracht wurden, betrachteten sie [die deutschen Soldaten in Auschwitz] als nebensächlich, und es hatte in ihren Augen eher taktische Gründe.« Doch sogar Goldhagen ist später gezwungen, einzuräumen, dass solchen taktischen Gründen in Auschwitz und anderswo »2,8 Millionen junge, gesunde sowjetische Kriegsgefangene innerhalb von acht Monaten, hauptsächlich durch Aushungern« zum Opfer fielen.20 Wenn sie sich gegen ihre Ziele richtet, ist diese Verzerrung einfach skandalös. Hilberg, Arendt und Mayer sind allesamt nicht nur Juden, sondern auch Flüchtlinge vor den Nazis. An ihrer offensichtlichen, von Anteilnahme geprägten, persönlichen Identifizierung mit den Opfern des Holocaust kann es keinerlei Zweifel geben. »Als sie 1942, über achtzig Jahre alt und erblindet, fast durchweg ans Bett gefesselt war«, schreibt Hilberg über seine Großmutter in Unerbetene Erinnerung, »fanden deutsche Stoßtrupps sie offenbar genau dort und erschossen sie auf der Stelle«.21 Hannah Arendt war wegen illegaler zionistischer Betätigung verhaftet und von den Vichy-Franzosen interniert worden, bevor sie in die Vereinigten Staaten entkam.22 Das Buch von Arno Mayer beginnt mit einem »persönlichen Vorwort«, das von seiner eigenen haarsträubenden Flucht aus Luxemburg und dem besetzten Frankreich und vom Schicksal seines Großvaters erzählt, der sich weigerte, Luxemburg zu verlassen und in Theresienstadt starb.23 Solche Authentizität einer persönlichen Betroffenheit hinderte die Anti-Defamation League nicht daran, Mayer in ihren Jahresbericht für 1993 aufzunehmen, der über104
schrieben ist mit »Hitler’s Apologists: The Anti-Semitic Propaganda of Holocaust Revisionism« [Hitlers Apologeten: Die antisemitische Propaganda des Holocaust-Revisionimus] und Mayers Werk als ein Beispiel »legitimer historischer Gelehrsamkeit, die den Völkermord an den Juden relativiert« anführt. Mayers Verbrechen ist es, »ohne offensichtliche antisemitische Motivation behauptet zu haben« — man beachte, wie das Fehlen von Beweisen selber zur Anschuldigung wird —, »dass es, obwohl während des Zweiten Weltkrieges Millionen von Juden ermordet wurden, eigentlich keine vorsätzliche Vernichtungspolitik gegeben habe«. Weit gefährlicher ist die Wirkung auf das, was »Vollstrecker« wie Goldhagen und die Anti-Defamation League zu schützen glauben. Es liegt eine Art von Trost in dem Glauben, der Zweite Weltkrieg sei tatsächlich »ein Krieg gegen die Juden« gewesen, genauso wie die Ansicht, das gesamte deutsche Volk sei in außergewöhnlichem Maße und mörderisch antisemitisch gewesen, eine Art von Beruhigung birgt. Aber dies sind nicht die Tröstungen der Geschichte. Die Geschichte ist unordentlich, komplex, zufällig. Ihrer Kontingenz beraubt wird Geschichte zum Mythos, den der französische Kritiker Roland Barthes als »entpolitisierte Aussage« definierte. Im Mythos, sagt Barthes, werde das Reale »von Geschichte entleert«.24 Mit anderen Worten, indem diese Autoren einen Holocaust außerhalb der Politik beschrieben, indem sie ihn auf gute Juden und böse Deutsche reduzierten — oder, wie Lucy Dawidowicz es formulierte, auf »den Teufel und seine Heerscharen« —, hätten sie, wie unbeabsichtigt auch immer, den Leugnern ihre Aufgabe erleichtert. »Ich stehe ständig im Kampf. Ich bin ein großartiger Gast für eine Dinnerparty, wenn Sie eine lebendige Dinnerparty wollen. Wenn Sie Ruhe und Frieden wollen, laden Sie mich nicht ein.« 105
Die Stimme von Deborah Lipstadt ist ein gewichtiges Instrument — so gewichtig, dass ich in den Monaten zwischen meinem Gespräch mit ihr im Herbst und der Eröffnung des Prozesses eine viel größere Frau im Gedächtnis hatte als die schweigsame, eigentlich recht zierliche Person, die in ihrem beigefarbenen Hosenanzug zwischen ihren Rechtsanwälten sitzt. Auf den vorhergehenden Seiten wie auch in der Gerichtsverhandlung war Lipstadts Stimme über dem streitwütigen Chor, der jede Holocaust-Diskussion umgibt, kaum hörbar. Als der Prozess erst einmal angefangen hatte, sollte Lipstadt selbst zu einer bloßen Gallionsfigur werden — für Irvings Anhänger eine hassenswerte Figur, für ihre Bewunderer eine ihrer biblischen Namensvetterin würdige Heldin. Bevor dies eintrat, wollte ich wissen, wie Lipstadt selber ihre Rolle empfand. Sah sie sich als Drachentöterin? Als Opfer eines juristischen Überfalls? Als jüdische Rächerin? Was ich fand, war eine Frau mit Rückenbeschwerden und einem typischen New Yorker Benehmen — mehr Bette Midier als Bess Myerson [erste jüdische Miss America, A.d.Ü.] —, an der die Jahre in Kalifornien und Georgia spurlos vorübergegangen waren. Mit der Erfahrung Hunderter von Interviews und Dutzender Fernsehauftritte hat Lipstadt ein völlig unverkrampftes Verhältnis zur Presse und schlüpft mit der Geschmeidigkeit eines Politikers abwechselnd in die offizielle und in die private Rolle. Man hatte ihr verboten, über die näheren Einzelheiten des Falles zu sprechen, aber zum Glück wiederholte sie die Themen ihres Buches: »Bitten Sie Stephen Jay Gould nicht, sich mit Leuten aus Kansas, die die Schöpfungslehre unterrichten wollen, auf eine Debatte einzulassen. Ich werde mich nicht mit einem Leugner auf eine Debatte einlassen.« Aber wenn Holocaust-Leugner bloß eine Plage sind, warum sich dann die Mühe machen, sie öffentlich anzuprangern? »Es 106
ist nicht so, dass sie eine klare und gegenwärtige Gefahr sind«, erwiderte sie. »Ich möchte behaupten, dass sie eine klare und zukünftige Gefahr sind.« Auf weiteres Drängen gab sie einigermaßen erregt zurück: »Hallo! Ich bin hier die Beklagte. Hätte ich mich nicht dagegen zur Wehr gesetzt, hätte er infolge von Nichterscheinen vor Gericht gewonnen. Dann hätte er behaupten können — und das wäre geschehen —, der Oberste Gerichtshof in London erkenne seine Definition des Holocaust an. Jetzt werden einige Leute sagen: ›O, das ist lächerlich. Wer würde das überhaupt glauben?‹ Aber es ist naiv, zu denken, man könnte einfach sagen: ›O, ich werde das einfach ignorieren.‹« Lipstadt schien nicht naiv zu sein. Doch als wir in dem zu ihrem Londoner Hotel gehörenden Café saßen und uns unterhielten, machte sie in der Tat den Eindruck, metaphysisch aus ihrer Umlaufbahn gerissen worden zu sein. »Ich würde mich viel lieber im herbstlich gefärbten Georgia herumtreiben und über den Appalachen-Trail wandern«, meinte sie. Als wir das erste Mal am Telefon miteinander sprachen, schilderte sie ihre Erfahrung als »ziemlich unerquicklich«. Obwohl Irving immer wieder versucht, sein Recht auf freie Rede zu thematisieren, ist es Deborah Lipstadt, die ihre eigene Arbeit beiseite legen, nach London fliegen, sich Anwälte nehmen und Spenden sammeln muss, um sie bezahlen zu können, und dann dasitzen und zuschauen muss, während Männer — alle Zeugen bei diesem Fall sind männlich —, sich über Worte streiten, die sie geschrieben hat. Möglicherweise hatte ich vor unserer Begegnung geglaubt, ihr seien Konflikte grundsätzlich unangenehm. Diese Illusion wurde schnell zerstreut. »Meine Mutter kann Ihnen erzählen, dass sie häufiger ins Büro des Rektors gerufen wurde, weil ich in Kämpfe hineingeraten war, die gar nichts mit mir zu tun hatten,«, sagte sie. Dies hingegen sei ganz allein ihr Kampf, 107
»und falls ich ihn austragen werde, dann muss ich ihn mit harten Bandagen austragen«. Zu schweigen und andere für sich kämpfen zu lassen — dies wird der eigentlich schwierige Teil sein. Leugnen des Holocaust begann als Forschungsauftrag. Im Jahr 1984 fragte Yehuda Bauer, Direktor des Vidal Sassoon Center zur Erforschung des Antisemitismus an der Hebräischen Universität in Jerusalem, bei Lipstadt an, ob sie eventuell an einer Studie zur historischen Entwicklung von »Holocaust-Revisionisten, das heißt derjenigen, die leugnen, dass der Holocaust stattgefunden hat«, interessiert sei. Lipstadt reagierte mit einem dreiseitigen Vorschlag zur »amerikanischen Schule« der Revisionisten mit Schwerpunkt auf »ihrer historischen und historiographischen Methode«. Unter anderem wollte Lipstadt in ihrer Monographie der Frage nachgehen, inwieweit die Schriften von Harry Elmer Barnes, einem einst berühmten Historiker und Autor einer revisionistischen Darstellung des Ersten Weltkrieges, »solche Leute wie David Irving« beeinflusst haben könnten, »die, obwohl sie die Existenz des Holocaust nicht leugnen, Hitler von jeder Verantwortung freisprechen«.25 Die Studie sollte etwa im Herbst 1986 fertig gestellt sein, im Mai 1988 erhielt Lipstadt jedoch ein weiteres Stipendium. Um diese Zeit hatte David Irving bereits im Zündel-Prozess ausgesagt, und Lipstadt hatte im New Yorker Verlag Free Press ihr erstes Buch veröffentlicht. Der Cheflektor, Irwin Glickes, fragte Lipstadt, woran sie gerade arbeite, und sie erwähnte ihr Forschungsprojekt. »Ich glaube nicht, dass sie es als Buch sah«, sagt Adam Bellow, der Lipstadts Lektor wurde. »Wir hatten ein faszinierendes Vorgespräch in Irwins Büro« darüber, ob eine Veröffentlichung der Untersuchung mehr Schaden anrichten als Gutes bewirken würde. Lipstadt sorgte sich, dass die anschließende »Publicity 108
den Leugnern nutzen würde«. Bellow schildert sie als eine Person, der es »ebenso widerstrebte, darüber zu schreiben wie darüber zu publizieren«. Eine weitere Komplikation ergab sich daraus, dass das Sassoon Center die Rechte an Lipstadts noch unvollendeter Forschungsarbeit besaß und bereits in Verhandlungen mit Pergamon Press stand, deren Besitzer, der Pressezar Robert Maxwell, ein Gönner des Zentrums war.* Bis März 1991 hatte man sich über die Bedingungen geeinigt, und Lipstadt informierte Bellow, sie »sehe allmählich Licht am Ende des Tunnels«. Sechs Monate später berichtete sie, »die Arbeit geht gut voran«, äußerte jedoch Besorgnis hinsichtlich ihres Abgabetermins im Januar. »Ich habe auch mit vielen Leuten in England gesprochen, die jede Menge Material über David Irvings ›Bekehrung‹ zur Leugnung gesammelt haben«, fügte sie hinzu und bat um einen weiteren Aufschub, »um der Geschichte einen wirklich aktuellen Anstrich zu geben«.26 Bellow war einverstanden. »Deborah hat für sehr wenig Geld sehr schwer gearbeitet«, sagt er. In ihrer eidesstattlichen Erklärung gibt Lipstadt an, im Laufe von vier Jahren etwa 20 000 Dollar zur Bezahlung von Reisekosten, Forschungsassistenz und Spesen erhalten zu haben. »Nach meinen Berechnungen habe ich für meine Forschungsarbeit weit mehr als diese Summe ausgegeben«, fügt sie hinzu und merkt an, dass die Hebräische Universität ihr trotz eines Vertrages, nach dem sie die Hälfte aller Lizenzeinnahmen * Maxwell, ein tschechischer Jude, der seine Karriere in Großbritannien unter Verleugnung seiner jüdischen Herkunft begann, wurde auf dem Ölberg in Israel begraben. Dass Maxwell notorisch von den britischen Verleumdungsgesetzen Gebrauch machte, um seine Kritiker zum Schweigen zu bringen — einmal verklagte er die Zeitschrift The New Republic, die damals im Vereinigten Königreich eine Gesamtauflage von 135 Exemplaren hatte —, bedeutete, dass sämtliche Einzelheiten seiner betrügerischen Geschäfte erst nach seinem Tod im November 1991 ans Licht kamen.
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erhalten sollte, »nur einen sehr kleinen Teil der allerersten Lizenzrate überwiesen hat (ungefähr 2500 Dollar). Danach habe ich für dieses Buch keine Lizenzhonorare mehr bekommen. Andere Beträge, um dieses Buch schreiben zu können, habe ich nicht erhalten. Ich habe auch kein Geld erhalten, als die Rechte an diesem Buch in andere Länder einschließlich des Vereinigten Königreichs verkauft wurden. Seit dem Erscheinen der Erstausgabe im Jahr 1994 habe ich an diesem Buch nichts verdient.« Im Herbst 1992 schickte Lipstadt ihr fertiges Manuskript an Yehuda Bauer. Bauer fand es »gut geschrieben und faszinierend«, beklagte jedoch, dass Lipstadts Perspektive zu eng sei, und bat sie, mehr Material über Europa aufzunehmen, besonders in Bezug auf David Irving. »Sollten Sie sich entschließen, sich damit nicht zu beschäftigen«, gab Bauer unter Abänderung des Buchtitels zu verstehen, »dann ist es kein Buch über Holocaust-Leugnung, sondern über Holocaust-Leugnung in den USA und in Frankreich«. Lipstadt nahm sich des Themas an, schrieb im Dezember 1992 an den Leiter des Institute of Jewish Affairs in London und bat um weiteres Material über Irving. Als das Buch 1993 herauskam, hatte Irving immer noch kein eigenes Kapitel (im Gegensatz zu den amerikanischen Leugnern Austin App und Arthur Butz), wurde aber mehr als nur beiläufig erwähnt. Auch wenn sie nicht viel Geld eingebracht hat, war die amerikanische Ausgabe von Leugnen des Holocaust in jeder anderen Hinsicht ein verlegerischer Erfolg. Auf der Titelseite der New York Times Review of Books vom 11. Juli 1993 feierte Rezensent Walter Reich das Buch als »wichtig und passioniert«: »Es erhellt trefflich und klar nicht nur die verschrobene und beunruhigende Welt der Holocaust-Leugner, sondern auch die Methoden, derer sie sich bedienen, um die Geschichte zu verzerren, [und] die dahinterstehenden Motive.« New York News110
day, der Boston Globe und die Atlanta Constitution waren derselben Ansicht. Die Los Angeles Times nannte das Buch »ein Gegenmittel gegen den moralischen und intellektuellen Virus, der sich vom spinnerten Rand direkt bis ins Innerste des öffentlichen Diskurses ausgebreitet hat«. Lipstadt, die als außerordentliche Professorin an die Emory University gekommen war, erhielt den Dorot-Lehrstuhl für Moderne Judaistik und Holocaust-Forschung. Darüber hinaus wurde sie vom US-Präsidenten in den United States Holocaust Memorial Council berufen. In Großbritannien machte sie völlig andere Erfahrungen. Im März 1995 veröffentlichte Penguin Books eine Paperback-Ausgabe, von der im ersten Jahr des Erscheinens im Vereinigten Königreich 2088 Exemplare verkauft wurden. Abgesehen von der jüdischen Presse wurde das Buch von den Rezensenten nicht zur Kenntnis genommen. Im Jahr 1996, dem Jahr, als Deborah Lipstadt die Klageschrift David Irvings zugestellt wurde, belief sich der britische Verkauf der englischen Ausgabe von Leugnen des Holocaust auf genau 21 Exemplare. Dies brachte den Beklagten Nummer eins in eine peinliche Position. Penguin Books gehört Pearson, einer Aktiengesellschaft, und selbst wenn der Verlag gewinnen sollte, würde es die Anteilseigner von Pearson das Vieltausendfache der winzigen Erträge des Buches kosten, sich auf einen Verleumdungsprozess einzulassen. Die Anwaltskosten mit eingerechnet, kann ein solcher Prozess leicht 10 000 Pfund am Tag kosten — ganz zu schweigen von den Ausgaben im Vorfeld der Verhandlung beispielsweise für Expertengutachten. Und schon die oberflächlichste Kreditprüfung hätte offenbart, dass es mehr als unwahrscheinlich war, jemals auch nur einen winzigen Bruchteil dieses Geldes von dem durch Hypotheken stark belasteten David Irving zurückzubekommen. Einem Verlag, der in eine Verleumdungsklage verwickelt wird, 111
rät man in der Regel, die Angelegenheit rein geschäftlich zu betrachten und mit einem Vergleich beizulegen. Irving wusste dies sehr wohl, hatte er sich doch kurz zuvor mit einer Londoner Zeitung außergerichtlich geeinigt, nachdem ein Kolumnist Irving eine Äußerung zugeschrieben hatte, die in Wirklichkeit von Adolf Hitler stammte. Ein Vergleich wäre den Verlag also weit billiger gekommen als ein Prozess, selbst wenn Penguin gewinnen würde — zumal da in Anbetracht der britischen Verleumdungsgesetze ein Sieg alles andere als sicher war. Doch Penguin Books beschloss, sich dem Prozess zu stellen. Anthony Forbes-Watson, der Vorstandsvorsitzender des Unternehmens geworden war, nachdem er dessen Jugendbuchabteilung Ladybird Books geleitet hatte, berief sich auf eine Unternehmenstradition der »Wahrung des Veröffentlichungsrechts«, die vom Lady Chatterly-Prozess bis zu den Satanischen Versen von Salman Rushdie reichte. Wenngleich Penguins Verhalten hinsichtlich Rushdies Fall zwar verständlich, aber alles andere als heldenhaft war. Zwar war es nicht so, dass Rushdies Verleger, selbst mit dem Tode bedroht, sein Buch verleugneten oder den Autor der fatwa auslieferten, aber sie lehnten es auch ab, eine Paperback-Ausgabe herauszubringen oder die gebundene Ausgabe nachzudrucken. Vielleicht hielt Penguin Books aus Prinzip zu Lipstadt. Außerdem bringen umstrittene Bücher oft Geld ein, was für Leugnen des Holocaust zwar nicht gilt, aber ein Verlag, der bekannt dafür ist, beim ersten Anzeichen einer Verleumdungsklage den Schwanz einzuziehen und zu kneifen, wird es schwer haben, bestimmte Autoren zu gewinnen — ganz zu schweigen davon, dass er sich als leichte Beute für Möchtegern-Kläger anbietet. Der ungewöhnliche Werdegang der Vorstandsvorsitzenden von Pearson, Marjorie Scardino, die in Savannah, Georgia, eine engagierte Wochenzeitung herausgegeben hatte, die sogar den Pu112
litzer-Preis gewann, bevor sie von den Zielscheiben ihrer Enthüllungen in den Bankrott gezwungen wurde, mag gleichfalls mitgeholfen haben, Penguin Books in seiner Entschlossenheit zu stärken. Doch man sollte einen weiteren Faktor nicht vergessen. Lipstadts amerikanische Verleger hatten das Manuskript auf mögliche diffamierende Passagen hin gelesen — mit anderen Worten, sie hatten einen Rechtsexperten gebeten, es zu lesen und potentiell brisante Stellen zu kennzeichnen sowie, falls erforderlich, Änderungen vorzuschlagen. In den Vereinigten Staaten eine Routine-Vorsichtsmaßnahme, ist die Überprüfung eines Manuskripts auf Stellen, die eine Verleumdungsklage nach sich ziehen könnten, in Großbritannien weit weniger verbreitet. Penguin Books hatte keine Gedanken daran gewendet — ein Versäumnis, das Adam Bellow als »unerhört« beschrieb und das Penguins missliche Situation sicher noch gesteigert hätte, hätte der Verlag Lipstadt im Stich gelassen.
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4 Offenlegung Deborah Lipstadt ist nicht die einzige Person an den Tischen der Verteidigung, die sich in Schweigen hüllt. Während Irving seine Aussage macht, kann man häufig beobachten, wie Richard Rampton sich, die Perücke auf seiner Kopfhaut mit massierenden Bewegungen hin und her schiebend, zu einer Seite hinüberbeugt und seinen Kopf einem stämmigen, bebrillten Mann in schlichter schwarzer Robe, der keine Perücke trägt, zuneigt. Dies ist der Anwalt von Deborah Lipstadt, Anthony Julius. Wie in den Vereinigten Staaten, so ist auch in Großbritannien der Anwaltsberuf ein hierarchisch organisierter Stand. Da Gerichtsverhandlungen in Großbritannien nicht im Fernsehen gezeigt werden, ergeben sich für Anwälte hier allerdings weniger Gelegenheiten, ähnlich berühmt zu werden wie Johnny Cochran, Barry Scheck oder Alan Dershowitz in den Vereinigten Staaten. Doch zumindest für die Zeitung lesende Öffentlichkeit haben es die strahlendsten Advokaten hiesiger Gerichtssäle wie George Carman, QC, Michael Mansfield, QC, oder Geoffrey Robertson, QC, zu einem gewissen Maß an Berühmtheit gebracht. All diese Männer sind Barrister, Anwälte, die bei Gericht plädieren; als formellere Gesellschaft hielt Großbritannien bis vor kurzem eine strenge Trennung zwischen Barristern und Solicitors aufrecht; Letztere durften nicht vor Gericht plädieren. Dieser Auftritt war den Barristern vorbehalten, die auch höhere Gebühren kassierten. (An der Spitze der Hierarchie rangieren die Queen’s Counsels, die Elite unter den Barristern. Ein ordentlicher, viel beschäftigter QC kann auf ein Einkommen von mehreren hundert114
tausend Pfund zählen.) Solicitors sind dafür ständig beschäftigt. Wollte man sein Haus verkaufen, sich scheiden lassen oder einen Vertrag aufsetzen, man brauchte einen Solicitor. Anthony Julius war ausgebildeter Solicitor. Als Prinzessin Diana es aufgeben musste, Mrs. Charles Windsor zu sein, suchte sie Anthony Julius auf, um ihre Scheidung auszuhandeln. Es ist für jeden Ausländer schwierig, Verständnis für das Arsenal an Schmeicheleien, Drohungen, Anreizen, Winkelzügen und Intrigen aufzubringen, das der britischen Königsfamilie selbst heute noch zur Verfügung steht. Die Labour Party steht im Wort, das House of Lords abzuschaffen, sodass treue Gefolgsleute nicht mehr daraufbauen können, dass sie — und ihre erstgeborenen Söhne — auf ewig von Rechts wegen im Oberhaus sitzen werden. Aber niemand hat vorgeschlagen, der Königin die Macht zu nehmen, Herzöge, Grafen, Viscounts zu ernennen und all die niederen Adelstitel zu vergeben. Hinzu kommen die auf Lebenszeit verliehenen Landsitze und Residenzen. Ganz zu schweigen von den buchstäblich Tausenden von Vergünstigungen, Ämtern kraft Patronage und Geschenken, die Charles eines Tages wird gewähren müssen — wie heute seine Mutter, deren Verachtung für ihre frühere Schwiegertochter notorisch war. Die Princess of Wales brauchte einen Außenstehenden, den das britische Establishment als Club-Mitglied nicht aufnehmen würde, dem nicht »beizukommen« wäre. Als jüdischer Partner in einer jüdischen Kanzlei erreichte Anthony Julius für Diana eine Scheidungsregelung, die 17 Millionen Pfund (etwa 50 Millionen Mark) wert war. Als Dankeschön schickte Diana einen silbernen Tintenlöscher von Asprey’s. Er wurde zum berühmtesten Anwalt in Großbritannien. Außerdem machte sie ihn zu ihrem Testamentsvollstrecker. Es war Alan Dershowitz, der Deborah Lipstadt riet, sich einen eigenen Anwalt zu nehmen. Wenn eine Zeitung oder Zeit115
schrift wegen Verleumdung verklagt wird, werden Autor und Verlag häufig von ein und derselben Person vertreten. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Büchermachens haben jedoch zur Folge, dass die Interessen von Autoren und Verlegern sich nicht immer decken. So kann ein Verlag durchaus versucht sein, seine Verluste auf Kosten des Autors zu mindern, nicht notwendigerweise in finanzieller Hinsicht, da Verlage, wie Michael Rubinstein schrieb, »normalerweise die Hauptlast der Forderungen tragen«, sondern hinsichtlich der Glaubwürdigkeit oder der Reputation.1 Obwohl er später David Irving vertrat, war Rubinstein im Fall Exodus der Anwalt des Verlages; Leon Uris nahm sich einen anderen Anwalt. Penguin Books verfügt über ein Team hausinterner Anwälte, an deren Spitze Cecily Engle, eine ehemalige Fachanwältin für Verleumdungsklagen, und Helena Peacock stehen. Der Verlag hatte aber auch auswärtigen Rechtsbeistand: Kevin Bays, prozessführender Partner bei Davenport & Lyons, einer großen Londoner Kanzlei im Medien- und Unterhaltungssektor, sowie Mark Bateman, Teilhaber der Kanzlei. Bays und Bateman waren jeden Tag im Gericht; Engle und Peacock waren an den meisten Tagen dort. Penguin Books teilte Lipstadt mit, dass man sich freuen würde, sie zu vertreten; sie könne auch gern ihren eigenen Anwalt behalten, aber in diesem Fall müsste sie ihn selbst bezahlen. Lipstadt wandte sich Rat suchend an das Board of Deputies of British Jews. Lord Mishcon, der namensgebende Partner von Julius’ Kanzlei Mishcon de Reya, hatte das Board viele Jahre lang vertreten. Man fragte Julius, ob er, zumindest für den Anfang, bereit wäre, Lipstadt auf pro-bono-Basis zu vertreten, und er willigte ein. »Ich bin meiner Berufung untreu geworden«, sagt Anthony Julius eines Morgens ein paar Wochen vor Prozessbeginn selbstiro116
nisch, »also kann ich ebensogut auch Anwalt sein.« Obwohl der Schreibtisch in seinem Büro in Bloomsbury ein anwaltstypisches Durcheinander von Akten und Dokumenten ist, von denen einige seiner Mandantin Deborah Lipstadt gehören, erstikken alle anderen Ablageflächen unter einem Wust von Kunstbüchern, die außerdem Tische, Stühle und den Teppichboden bedecken und sich zu unseren Füßen häufen. Julius ist gerade dabei, zwei Bücher über moderne Kunst zu schreiben, aber Kunst war nicht seine Berufung. »Anglistik war meine Berufung; ich dachte, ich würde gern unterrichten. Bei der Juristerei bin ich letzten Endes nur gelandet, weil ich glaubte, niemals ein Examen zu schaffen, das gut genug wäre, um weiterzumachen und in die Forschung zu gehen.« Als ältester von vier Söhnen machte Julius schließlich in Cambridge sein Examen mit Auszeichnung, und er hätte ohne Weiteres promovieren können. Aber da sei er bereits von der juristischen Fakultät angenommen worden. Dann sei sein Vater, der ein Geschäft für Herrenbekleidung besaß, plötzlich an einem Gehirntumor gestorben, also, sagt Julius, nachdem er sich sechs Monate freigenommen hatte, um in dem Familienbetrieb mitzuhelfen, »blieb ich bei Jura«. Obwohl er einen kometenhaften Aufstieg in seinem ungewollten Beruf erlebte, blieb Julius wehmütig und kehrte auf Teilzeitbasis zu seinen literarischen Studien zurück. Vor einigen Jahren vollendete er dann seine Doktorarbeit. Seine Dissertation über T. S. Eliot, Anti-Semitism, and Literary Form erschien bei Cambridge University Press: Sie beginnt so: »Antisemiten sind nicht alle gleich. Manche brechen jüdische Knochen, andere verletzen jüdische Empfindlichkeiten. Eliot fällt in die zweite Kategorie. Er war höflich zu Juden, die er kannte, beleidigend zu denjenigen, die ihn bloß durch 117
sein Werk kannten. Er verletzte seine jüdischen Leser, wenn nicht die Juden aus seiner Bekanntschaft, denen er scheinbar ›nicht unsympathisch‹ war. Doch es lohnt festzuhalten, dass dies keine Unterscheidung ist, die vom Vorwurf des Antisemitismus entlastet. Falls das Werk oder irgendein bedeutender Teil davon antisemitisch ist, dann ist es das Werk eines Antisemiten.«2 Jede Kultur hat ihre eigenen Stereotypen. In den Vereinigten Staaten gelten Juden verschiedentlich als gerissen, habgierig, klüngelhaft oder penetrant, wobei die sexuellen und politischen Assoziationen alle Variationen, von bolschewistischen Bohemiens bis zu reaktionären Patriarchen, abdecken. In Großbritannien gelten Juden als empfindlich. Empfindlich, wenn sie in der Schule Hymnen singen sollen, empfindlich in Bezug auf harmlose Bemerkungen — als Harold Macmillan beispielsweise über das Kabinett von Margaret Thatcher äußerte, in ihm säßen »mehr alte Esten [Estonians] als Eton-Absolventen [Etonians]« — und empfindlich in Bezug auf Kleinigkeiten wie Quoten oder die Annahme, man müsse, um englisch zu sein, weiß, christlich und angelsächsisch sein. Indem er sich mit T. S. Eliot anlegt, einer Ikone nicht nur der englischen Literatur, sondern (obwohl er eigentlich aus St. Louis gebürtig ist) der Idee des Englischseins schlechthin, ist es, als würde Julius sagen: »Sie mögen empfindlich? Also gebe ich Ihnen empfindlich!« Für seine Kritiker ist Julius’ geduldige Trennung der verschiedenen, in Gedichten wie »Gerontion« und »Sweeney Among the Nightingales« gefundenen Stränge des Antisemitismus lediglich »Überempfindlichkeit«.3 Doch die Empfindlichkeit oder, um es neutraler auszudrücken, die außerordentliche Aufmerksamkeit seiner Lektüre ist die große Stärke des Ansatzes von Julius. Die Geschichte des Antisemitismus ist viele Male nach118
erzählt worden. Ebenso das lange Zeit August Bebel zugeschriebene Diktum, dass der Antisemitismus politisch gesehen »der Sozialismus des dummen Kerls« sei.* Julius hingegen widmet sich dem Antisemitismus als einer Sprache, einem Medium zur Vermittlung bestimmter Ideen, einem Diskurs. Dies ist insoweit wichtig, als in einer toleranten Gesellschaft wie Großbritannien (wo beispielsweise gemischtrassige Paare sehr viel verbreiteter sind als in den Vereinigten Staaten) das Vorurteil in erster Linie auf sprachlicher Ebene und weniger auf der Ebene der Gewalt in Erscheinung tritt. Es ist auch wichtig, weil die Literatur, besonders in Großbritannien, stets eine bedeutsame Rolle bei der Wiederholung und Verfeinerung jüdischer Stereotype gespielt hat. Von Christopher Marlowes Juden von Malta und Shakespeares Kaufmann von Venedig über Hilaire Belloc, der ein ganzes Buch schrieb, in dem er die Juden angriff, und Rudyard Kipling, der Gedichte zu einem ähnlichen Thema verfasste, bis zu dem Romancier John Buchan (dessen Held Richard Hannay in den Neunundreißig Stufen erfährt, dass »der Mann, der gerade die Welt beherrscht«, ein »kleiner, bleicher Jude in einem Rollstuhl mit einem Auge wie eine Klapperschlange« sei) zieht sich also so etwas wie eine Tradition des literarischen Antisemitismus. Die meisten Anhänger des Antisemitismus in jüngerer Zeit waren Tories**, aber die Partei von Disraeli (und Thatcher) gibt ihren Antisemiten auch seit langem Grund zur Klage. Und es ist es * Ein Ausspruch, der nachweislich nicht von Bebel stammt, sondern aus Österreich. Vgl. dazu: Geschichtliche Grundbegriffe. Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Bd. 1, Stuttgart 1994, S. 149 f. [A. d. Ü.] ** Aber nicht alle. Die Gegenwärtigkeit der Rothschilds führte dazu, dass einige Linke Angriffen auf jüdisches Kapital nicht widerstehen konnten, genau wie die Bekanntheit von Sozialisten wie dem Politikwissenschaftler Harold Laski und dem Verleger Victor Gollancz zu Angriffen vonseiten der Rechten führte. George Orwell, der schrieb, dass »Neo-Tories und
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diese Kultur der Klage, deren prominentester Repräsentant in den letzten Jahren der verstorbene Alan Clark war, Tory-Mitglied, Unterhausabgeordneter und Verfechter eines Verhandlungsfriedens mit Hitler, die den geistigen Hintergrund für David Irving abgibt. In der gewissenhaften Sektion der Art und Weise, wie der Antisemitismus Eliot nicht nur beeinflusste, sondern einige seiner kraftvollsten Dichtungen auch tatsächlich inspirierte, ist Julius’ Haltung kritisch, nicht anklägerisch. Aber in der Erfassung der Mechanismen hinter der Blindheit anderer Forscher gegenüber Eliots Anstößigkeit wie in der Annäherung an Irvings Antisemitismus verbirgt die Professionalität des Ansatzes von Julius eine kalte Wut, die durch und durch persönlich ist. An der City of London, der privaten höheren Schule, die es Julius ermöglichte, als erstes Mitglied der Familie zur Universität zu gehen, gab es eine »jüdische Quote«. »Ich weiß, dass es eine Quote gab«, erzählte er mir, »weil die Schule an meinen Vater schrieb. In dem Schreiben hieß es: ›Ihr Sohn hat die [Aufnahme-] Prüfung bestanden. Wir haben ihm einen Reserveplatz gegeben, und wir werden abwarten, ob andere jüdische Jungen ausscheiden.‹« Mit seinem großen Kopf und dem kurz geschnittenen Haar, seinem schlendernden Gang und der leicht gebeugten Haltung sieht Julius ein bisschen aus wie ein Bär im Nadelstreifenanzug — wenn Sie sich einen Bären vorstellen können, der, obwohl er Sie in Stücke reißen könnte, Sie viel lieber einfach von der Irrigkeit Ihrer Ansichten überzeugen würde. Wenn ich ihn, wähpolitischen Katholiken stets zuzutrauen ist, dass sie dem Antisemitismus erliegen«, war von der Beharrlichkeit des Vorurteils auf der Linken verblüfft. Orwell selber war alles andere als immun, schrieb er doch im Jahr 1940 in der Labour-Zeitung Tribune: »Vorläufig haben wir genug über die Konzentrationslager und die Judenverfolgung gehört.«
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rend mein Bandgerät läuft, frage, warum dieser Fall wichtig sei, ist seine Antwort zurückhaltend, bewusst leichthin: »Ob dieser Fall wichtig ist? Für wen? Wichtig ist er für Deborah Lipstadt, weil sie verklagt worden ist.« Wenn ich den Recorder ausschalte, sind seine Worte ebenso vorsichtig, aber in seiner Art blitzt eine Wut auf, die eigentlich erschreckend ist für einen ansonsten so absolut beherrschten Mann. Julius, ein Mensch mit vielseitigen Kenntnissen, hat sich kürzlich nach fast einem Jahrzehnt als führender Partner seiner Kanzlei zurückgezogen, um seinen schriftstellerischen und künstlerischen Neigungen frönen zu können. So hat er eine Studie über den Dichter Philip Larkin geschrieben, und vor kurzem hielt er den alljährlichen Neurath-Vortrag in der National Gallery. Ein Essay, in dem er den Kritikern seines Buch über Eliot antwortet, ist dem Maler R. B. Kitaj gewidmet. Doch sein Ruhm hat einen entsprechenden Preis gefordert: Obwohl Julius seine Zeit, die er mit der Verwaltung des Diana-Gedenkfonds verbrachte, nicht berechnete, hielt das die Boulevardpresse nicht davon ab, Mishcon de Reya wegen der Gebühren für die Arbeit an dem Fonds zu attackieren. Weitere unwillkommene Aufmerksamkeit entstand, als Julius seine Ehefrau verließ, nachdem er sich in eine Frau verliebt hatte, deren Vater, einen orthodoxen Rabbiner, Julius bei einem Verleumdungsprozess vertreten hatte. Sie und Julius heirateten später. Als Deborah Lipstadt ihn aufsuchte, war Julius’ Leben noch immer in Aufruhr. Wie der Fall auch. Irving hatte Verleumdungsklagen gegen den Observer und die Autorin Gitta Sereny zur selben Zeit eingereicht, zu der er auch Lipstadt und Penguin Books verklagte. Ironischerweise beanspruchte Serenys Aufsatz »Spin Time for Hitler« fast genauso viel Raum für den Angriff gegen Goldhagens »Hasshymne auf die Deutschen« wie für die Warnung ihrer Leser vor Irving, »einem talentierten Mann, so121
wohl als Forscher wie als Autor«, der jedoch »ein Meister der vorsätzlichen Unwahrheit« sei.4 Da die Fälle sich zu überschneiden schienen, hatte sich Penguins externer Rechtsbeistand informell mit Lovell, White & Durrant zusammengetan, einer Kanzlei mit großer Medienpraxis, die Sereny und den Observer vertrat. Als Julius und James Libson, ein Mishcon-Partner, schließlich ebenfalls an diesen Treffen teilnahmen, könnten ihnen drei Dinge aufgefallen sein: Keiner der anderen Teilnehmer war Jude; keiner von ihnen schien es besonders eilig zu haben, vor Gericht zu ziehen; und keiner von ihnen hatte irgendwelche Erfahrung mit David Irving. Die erste Erwiderung auf Irvings Klage war aufgesetzt worden, bevor Mishcon zum Verteidigergremium gestoßen war, und stimmte im Großen und Ganzen mit der Erwiderung im Observer-Fall überein. Sie enthielt Zitate aus Irvings Büchern und veröffentlichten Interviews und verwendete beträchtliche Aufmerksamkeit auf die Episode mit den Goebbels-Tagebüchern. Wenngleich kaum ein Kapitulationsdokument, schien die Erwiderung in der Hoffnung aufgesetzt worden zu sein, dass Irving, wenn er erst einmal erkannte, dass die andere Seite gewillt war, vor Gericht zu ziehen, einfach aufgeben würde. Sie war defensiv in jeder Bedeutung des Wortes. Anthony Julius wusste, dass David Irving nicht einfach aufgeben würde. 1992 war Irving aus Kanada ausgewiesen worden, und eines der Dokumente, die er nach dem kanadischen Informationszugangsgesetz später erhielt, war ein Dossier über seine Aktivitäten, das, wie Irving behauptete, vom Board of Deputies of British Jews zusammengestellt und den kanadischen Behörden geschickt worden sei. Irving wollte wegen Verleumdung klagen, aber Julius, der das Board vertrat, sagt, dass Irving die richtigen Papiere »bedauerlicherweise zu spät« eingereicht habe. Julius macht keinen allzu zerknirschten Eindruck deswegen. 122
Tatsächlich erhob Julius nicht nur Einspruch, als Irving vor Gericht um die Erlaubnis nachsuchte, die Unterlagen nachzureichen, er überzeugte den Richter auch davon, dass Irving die Kosten des Board in Höhe von 10 000 Pfund zu übernehmen hätte, und beantragte, als Irving nicht zahlte, ihn für bankrott erklären zu lassen. Irving schaffte das Geld heran. Nichts würde Deborah Lipstadt den vorauszusehenden Ärger ersparen. Ihr Fall würde durchgefochten werden müssen, und zwar mit aller Kraft. Julius unternahm sofort Schritte, um sich auf die Prozessführung vorzubereiten, und beantragte die Zulassung als einer der ersten Solicitor-Anwälte nach den neuen Bestimmungen, die es einem ordnungsgemäß qualifizierten Solicitor gestatten, Fälle vor Gericht darzulegen. Es gab keine Garantie dafür, dass die Anwälte von Penguin Books die aggressivere — und kostspieligere — Strategie unterstützen würden, die er und Libson im Sinn hatten. Als Solicitor und Anwalt konnte Julius, wenn er es denn müsste, den Fall selbst darlegen. Julius übernahm auch die »Offenlegung« im Stadium der Vorverhandlung, bei dem beide Seiten laut Verfahrensregeln verpflichtet sind, den Anwälten der jeweils anderen Seite alle relevanten Beweise oder Dokumente zugänglich zu machen. Die Beweislast lag bei ihm, und falls Julius auf der Grundlage der Dokumente, die er bislang hatte — Irvings Bücher sowie das übrige Material, das in der ersten Erwiderung auf Irvings Klagebegehren angeführt worden war —, vor Gericht gehen müsste, würde er wahrscheinlich verlieren. »Die Offenlegung prozessrelevanter Urkunden ist die unangenehmste Phase, in die Sie bei einem Prozess vor dem Obersten Gerichtshof geraten, weil es der Zeitpunkt ist, wo das Gesetz von Ihnen verlangt, Ihre intimsten Geheimnisse, Ihre intimsten Unterlagen und Dokumente zu offenbaren: Ich mus123
ste Kopien meiner sämtlichen Telefonaufzeichnungen sowie all meine privaten Briefe und Tagebücher zur Verfügung stellen... mir macht es nichts aus, ich habe ein reines Gewissen.« David Irving, Vortrag im Clarendon Club, 19. September 1992 Wie er dem Richter in seinem Eröffnungsplädoyer in Erinnerung gerufen hatte, war David Irving ein Mensch, der Erfahrung in Prozessführung hatte. 1992 hatte er die Sunday Times verklagt, nachdem die Zeitung sich geweigert hatte, ihm den Restbetrag seines Honorars im Zusammenhang mit den GoebbelsTagebüchern auszuzahlen. Obwohl dieser Fall niemals zur Verhandlung kam, wusste Irving, wie er seinen Anhängern im Clarendon Club erzählte, alles über das Verfahren der Offenlegung. Dachte er jedenfalls. Für Irving ging es bei der Offenlegung um die Präsentation von Dokumenten. Und als einer der großen Dokumentenspürhunde der Welt hatte er nichts zu befürchten. »Als Forscher«, schrieb Gitta Sereny, »ist er gut genug, es jedem schwer zu machen, ihn zu widerlegen, der das Matarial, das er benutzt, nicht so gut kennt wie er — und wir wollen uns nichts vormachen, das tun nur wenige.« Lipstadts Anwälte wollten — und brauchten — Zugang zu Irvings Material. »Wir gelangten zu der Überzeugung, dass wir, um diesen Fall zu gewinnen, sehen müssten, was Irving in seinem Arbeitszimmer hatte«, sagte James Libson. Aber sie mussten auch in das Innere von Irvings Kopf gelangen, und Dokumente allein würden sie dort nicht hinbringen. Für Mishcon de Reya ging es bei der Offenlegung nicht um Dokumente. Bei der Offenlegung ging es um Kontrolle. »Wir wollten den Verlauf, den das Verfahren nahm, kontrollieren«, sagte Julius. »Zunächst einmal deshalb, weil es für einen Verteidiger sehr leicht ist, nur zu reagieren.« Und eine reak124
tive Strategie hatte er von vornherein verworfen. Irvings Klage machte deutlich, dass er beabsichtigte, den Holocaust vor Gericht zu stellen. Stattdessen wollte Julius die Offenlegung dazu nutzen, Irving vor Gericht zu stellen und »die Initiative zu übernehmen. Die Sache so durchziehen, als wäre das Ganze ein historisches ›Seminar‹ und Irving ein ziemlich dummer Student.« Das Ziel lautete die ganze Zeit, Irvings Methoden statt Deborah Lipstadts Buch zum Gegenstand des Prozesses zu machen. Zur Leitung seines Seminars brauchte Julius einen QC, der das Material ebenso beherrschen würde wie seine Rolle. Im Sommer 1997 statteten Libson und er Richard Rampton einen Besuch ab. Sie nahmen lediglich ein einzelnes Blatt Papier mit, auf dem sie ihre neue Strategie skizziert hatten: mit Hilfe wissenschaftlicher Experten Irvings Geschichtsschreibung und das Beweismaterial, auf dem sie vorgeblich beruhte, zu untersuchen und mit Hilfe von Irvings eigenen Worten — in Reden, Interviews und Tagebucheintragungen — den Nachweis zu erbringen, dass er ein Extremist sei. Barrister arbeiten nach dem Taxistand-Prinzip, was bedeutet, man erwartet, dass sie alles übernehmen, was verhandelt wird. Aber sie verfügen über Methoden, sich unerreichbar zu machen. Rampton hatte ein Lehrbuch über Verleumdung geschrieben. Bekannt für seine Fähigkeit, auch ausführliche Unterlagen zu einem Fall bewältigen zu können, hatte Rampton aber auch den unerfüllten Ehrgeiz, eine Mozart-Biographie zu schreiben, wenngleich er keineswegs den Anspruch erhob, ein Intellektueller zu sein. Für einen Barrister besaß er einen bemerkenswerten Mangel an Extravaganz. In seinem »Seminar« würde die Aufmerksamkeit auf Lipstadts Sachverständigen ruhen. Wäre er wohl verfügbar? Ein neugierig gewordener Rampton sagte ihnen, sie sollten wiederkommen, wenn der Fall zur Verhandlung anstünde. 125
Jetzt brauchten sie einen Sachverständigen. Als Mishcon auf der Szene erschien, erwogen Davenport & Lyons und die Anwälte von Sereny, sich an Eberhard Jäckel zu wenden. Jäckel, ein ausgewiesener Fachmann für die Themen Nationalsozialismus und Adolf Hitler, war Professor für Zeitgeschichte an der Stuttgarter Universität und Autor des Buches Hitlers Weltanschauung. Im Jahr 1981 jedoch war auch er auf Konrad Kujau, den Fälscher der »Hitler-Tagebücher«, hereingefallen, als er seiner Sammlung früher Schriften Hitlers gefälschte Gedichte hinzufügte.5 Obwohl Jäckel seinen Irrtum öffentlich eingeräumt hatte, hätte Irving diese Begebenheit im Kreuzverhör nutzen können. Außerdem hatte Jäckel bereits einen publizistischen Angriff gegen Irving geführt.6 Der Vorschlag, Jäckel als Experten Nummer eins für die Verteidigung aussagen zu lassen, war einer der Gründe, warum Julius beschloss, die Offenlegung selbst zu leiten. »Ich hatte das Gefühl«, sagte Julius, »dass wir uns auf dreierlei Art mit Irving beschäftigen müssten: historisch, historiographisch und politisch. Also hatte ich diese drei Kategorien bereits voneinander getrennt. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie eine Hierarchie darstellten und dass das Historische und das Politische die Basis einer Pyramide waren, deren Spitze das Historiographische bildete. Also war es wichtig, einen Historiker zu bekommen, der sich in der Historiographie zu Hause fühlte, der aber auch Germanist war.« Da der Prozess in London stattfinden würde, suchten sie jemanden, der in relativer Nähe lebte. Und sie brauchten jemanden, der so bald wie möglich mit der Arbeit beginnen konnte. »Wir brauchten vor der Offenlegung Experten, damit sie uns bei der Offenlegung berieten«, sagte Libson, der an der Universität von Leeds Englisch und Arabisch studiert hatte. »Wir wollten keine Generalisten«, fügte Libson hinzu. Er und Julius brauch126
ten jemanden, der nicht nur wusste, wie man deutsche Dokumente aus der Kriegszeit interpretierte, sondern der auch wusste, wo man nach ihnen zu suchen hatte. Ian Kershaw, Autor einer umfangreichen Hitler-Biographie, war zu beschäftigt; außerdem wurde gemunkelt, dass er Sereny berate. Ähnliche Erwägungen schlossen Jeremy Noakes aus, den Herausgeber einer riesigen Quellenedition zum Nationalsozialismus. Idealerweise wollten sie auch jemanden, der nicht als Konkurrent Irvings angesehen werden konnte. Julius wollte Richard J. Evans. »Ich habe sein Buch In Defense of History gelesen, das mir sehr gut gefiel. Und ich habe auch Teile von Rituale der Vergeltung gelesen (einer Untersuchung der Todesstrafe in Deutschland).« Evans ist Professor für Zeigeschichte in Cambridge und Fellow sowohl der British Academy als auch der Royal Historical Society. Er ist, sagt man, mit der Literatur vertraut — was kaum überrascht angesichts der Tatsache, dass er vieles davon selbst geschrieben hat, darunter Standardwerke über den deutschen Feminismus, über die deutsche Unterwelt sowie zwei Bücher zur deutschen Geschichtsschreibung: Rereading German History: from Unification to Reunification, 18001996 und Im Schatten Hitlers? Historikerstreit und Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik. Im Herbst 1997 trafen sich Julius und Libson mit Evans, von dem sie den Eindruck hatten, dass er ein Mann »mit Selbstbeherrschung und intellektueller Selbstsicherheit« war. Noch besser war, dass Evans, obwohl er sich in mehreren seiner Bücher mit der Nazizeit befasst hatte, David Irving persönlich nie begegnet war und keine vorgefasste Meinung zu dessen Werk hatte. Im Zeugenstand würde Evans’ intellektuelle Selbstsicherheit ihn in Schwierigkeiten bringen, aber als Führer zu den Tiefen und Untiefen von Irvings Dokumenten war er unschätzbar. Evans schaltete zwei seiner graduierten Studenten ein, Nicholas Wachs127
mann und Thomas Skelton-Robinson, die ihm bei der Aufgabe behilflich sein sollten, sich durch alle Bücher Irvings zu lesen — auf Englisch und auf Deutsch —, um eine »Wunschliste« von Dokumenten aufzusetzen, nach denen bei der Offenlegung gefahndet werden sollte. Evans empfahl außerdem Hajo Funke, Professor an der Freien Universität Berlin und Experte für die zeitgenössische deutsche Rechte. »Wir inszenierten eine gigantische Enthüllungsoperation«*, sagte Libson. Nach den Regeln musste der jeweils gegnerischen Seite alles Material, das beide Parteien »in ihrem Besitz, Gewahrsam oder [ihrer] Gewalt« hatten und das »im Zusammenhang mit irgendeiner fraglichen Angelegenheit steht«, zugänglich gemacht werden.7 Die Offenlegung erfolgt automatisch. Wenn eine der beiden Seiten jedoch das Gefühl hat, die andere halte etwas zurück, dann kann sie eine gerichtliche Verfügung beantragen, »eine vollständigere und bessere Offenlegung« zu erzwingen. Eine Zuwiderhandlung kann mit der Abweisung der gesamten Klage, der Nichtzulassung einer der Parteien (an einer Stelle beantragte Irving, Lipstadt auszuschließen, was bedeutet hätte, dass Penguin Books den Prozess allein hätte bestreiten müssen) und sogar mit Haft wegen Missachtung des Gerichts bestraft werden. Die erste Phase, der Austausch von Listen, fand im späten Winter und zu Frühlingsbeginn des Jahres 1998 statt. »Irvings
* Der Woolf-Report »Access to Justice« (1996) über Rechtsmittel empfahl eine Reihe von Änderungen beim Offenlegungsverfahren, unter anderem eine Änderung der Bezeichnung, die fortan »Enthüllung« (disclosure) lauten sollte. Aber da das Parlament auf diese Änderungen hin nicht sofort etwas unternahm, fand Irving us. Lipstadt noch nach dem alten System statt, wo es noch »Offenlegung« (discovery) hieß. Im Großen und Ganzen folge ich hier diesem Sprachgebrauch.
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erste Offenlegung bestand lediglich aus einer Liste seiner Bücher nebst deren Empfehlungen durch andere Historiker und ein paar historischen Dokumenten«, sagte Libson. »Es gab kein Verzeichnis seiner Kontakte mit Rechtsextremisten und es gab keine Tagebücher.« Julius stellte einen Antrag für eine gerichtliche Verfügung, um Irving zu zwingen, mehr Material vorzulegen. Er würde einen besonderen Richter, den so genannten Master, davon überzeugen müssen, dass Irving Dokumente zurückgehalten hätte und dass diese für den Fall von Bedeutung wären. »Ich wollte die Anträge selber stellen«, sagte Julius. »Aber ich wollte sie auch vorsichtig stellen, denn es war sehr wichtig, mit jedem Antrag durchzukommen. Wir wollten ihm [Irving] keine moralischen Siege schenken. Das ist... die psychologische Schlacht.« Die Angriffsstrategie von Mishcon war auf Munition angewiesen, die nur auf dem Wege der Offenlegung zu bekommen war. Ohne sie würden der Verteidigung nicht mehr als juristische Stolpersteine zur Verfügung stehen. Der Fall Lipstadt hing jetzt davon ab, ob Julius die richtige Verfügung hinsichtlich der Offenlegung erwirken konnte. Irvings erste Liste hatte ihnen kaum mehr als einen winzigen Hebel geboten, aber Julius würde ihn nutzen, um Irvings Zitadelle aufzubrechen. Doch bevor sie dem Master gegenübertraten, gab es eine weitere Frage, die Libson und Julius entscheiden mussten. Wie der Exodus-Prozess war auch Irving vs. Lipstadt zum Teil ein Streit darüber, was in Auschwitz geschehen oder nicht geschehen war. Damit die Geschworenen die von Dr. Dering begangenen Gräueltaten lebhaft vor Augen hätten, riefen die Exodus-Anwälte eine Reihe von Opfern in den Zeugenstand. Diese Männer und Frauen erzählten von dem Schrecken, wie ihnen unter meist unhygienischen und chaotischen Umständen im Lager Hoden oder Eierstöcke, oftmals ohne entsprechende 129
Narkose, entfernt worden waren. Die Frauen sprachen vom Leid ihrer Kinderlosigkeit. Dass viele von ihnen nicht mit Sicherheit sagen konnten, dass es Dering gewesen war, der sich hinter der Maske des Chirurgen verbarg, war zwar ungünstig für die Verteidigung, aber die Zeugen waren glaubwürdig, und ihre Geschichten wurden von den Geschworenen im Großen und Ganzen geglaubt. Wie konnte die Absurdität der Holocaust-Leugnung besser unterstrichen werden als durch die Vorladung von Überlebenden, von Augenzeugen, die sagen konnten: »Ich bin Betroffener. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Ich habe es erlitten!« Hatte Elie Wiesel nicht gesagt, dass »jeder Überlebende mehr darüber zu sagen hat, was geschehen war, als alle Historiker zusammen«?8 Obwohl mittlerweile weniger an Zahl und beinahe ein halbes Jahrhundert älter, gab es noch Auschwitz-Überlebende, die erforderlichenfalls bereit und in der Lage gewesen wären, als Zeugen auszusagen. Julius beschloss jedoch, sie nicht darum zu bitten. Einer der Gründe betraf die Gerichtsverhandlung selbst: »Wir waren nicht darauf aus, die Parameter des Holocaust zu beweisen. Bis zu einem gewissen Grad kamen wir zwar nicht darum herum — besonders bei Auschwitz«, sagte Libson. »Aber Aussagen von Überlebenden hätten den Fall weiter in diese Richtung verlagert.« Der Ausschluss von Überlebenden sorgte mit dafür, dass Irving und sein Beweismaterial im Mittelpunkt des Interesses blieben. Dann gab es noch etwas, was Julius als einen »moralischen Grund« beschrieb: »Warum sollten wir Überlebende einem Kreuzverhör durch einen aggressiven Antisemiten aussetzen?« Im Endeffekt führte Irving die Kreuzverhöre zwar mit relativem Anstand durch (abgesehen davon, dass er Lipstadts Sachverständige fragte, ob sie »im Sold der israelischen Regierung« stünden — eine linkische, aber nicht sonderlich aufhetzerische 130
Art und Weise, sich auf Yad Vashem oder das Sassoon Center zu beziehen). Doch beim Zündel-Prozess hatte Anwalt Doug Christie Überlebende einem verbalen Dauerfeuer ausgesetzt, und sowohl Libson als auch Julius meinten, es wäre »obszön«, zu riskieren, dass so etwas noch einmal passierte. Es gab noch einen weiteren Grund, obwohl Libson und Julius zu taktvoll sind, ihn zu erwähnen. Wie jeder Polizeireporter weiß, sagt ein Zeuge noch lange nicht die Wahrheit, nur weil er nicht lügt. Deborah Lipstadt sagte zu mir: »Viele Überlebende erzählen Ihnen, dass sie bei ihrer Ankunft in Auschwitz von [dem berüchtigten Dr. Josef] Mengele untersucht worden seien. Dann fragt man sie nach ihrem Ankunftsdatum, und man sagt: ›Nun, Mengele war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht in Auschwitz.‹ Dort gab es viele Ärzte... [irgendwie] werden sie alle zu Mengele.« Durch einen einzigen unsicheren Zeugen, einen einzigen Überlebenden, der nach mehr als einem halben Jahrhundert damit durcheinander käme, ob das Krematorium in Birkenau vier oder fünf Öfen hatte, ob die Tür zur Gaskammer sich nach innen oder nach außen öffnete, hätte Lipstadt ihren Prozess zwar wahrscheinlich nicht verloren. Aber helfen würde es auch nicht. Außerdem wusste Julius ebenso wie seine Mandantin — im Gegensatz zum Penguin-Verlag, der den Prozess einfach vom Hals haben wollte, oder seinen Anwälten, die einfach gewinnen wollten —, dass der Prozess auf die richtige Art gewonnen werden musste. Überzeugend. Auf Basis des Beweismaterials. Und auf eine Art und Weise, die es dem Nächsten, der das Erbe der Nazis rehabilitieren wollte, sehr viel schwerer machen würde, Gehör zu finden. In einigen Jahren — vielleicht in zehn, mit ziemlicher Sicherheit in 20 Jahren — würden keine Überlebenden mehr übrig sein. Und keine Täter. Keine Zeugen. Die Täterprozesse sind wahrscheinlich schon beendet. Aussagen von Über131
lebenden hätten aus Irving vs. Lipstadt den letzten Prozess dieser Art gemacht. Stattdessen würde er der erste einer neuen Generation sein: ein Prozess über den Holocaust in der Geschichte statt ein Prozess über den Holocaust. Die Anhörungen zur Offenlegung sollten am 10. September 1998 vor Master John Trench in den Amtszimmern des Richters stattfinden. Im Frühjahr und Sommer davor statteten Libson und die beiden graduierten Studenten der Wohnung Irvings regelmäßige Besuche ab, um das Material seiner ersten Liste in Augenschein zu nehmen. »Ich fuhr jeden Tag zu Irvings Wohnung, um mir Dokumente anzuschauen«, sagte Libson. »Nick und Thomas waren auch dabei. Ich suchte nach eindeutigen Sachen; sie erledigten die schwierigere Arbeit. Wir verbrachten insgesamt zwei Monate damit, die Liste durchzugehen.« Einiges von dem, was sie suchten, war offen sichtbar. Die Existenz von Irvings Tagebüchern zum Beispiel war kein Geheimnis. Im Laufe der Jahre hatte er Teile daraus einigen auserwählten Journalisten gezeigt, und Auszüge pflegte er sogar auf seiner Website zu veröffentlichen. Irvings Haltung zu den Tagebüchern war — wie seine Haltung zu vielen anderen Dingen — minimalistisch. Wenn die Anwälte ihn wissen ließen, welche Daten sie wollten, versprach Irving nachzusehen, ob es relevantes Material gebe. Wenn er welches fände, würde er sich freuen, es zu enthüllen. Jede darüber hinausgehende Großzügigkeit, behauptete er, würde seine Tagebücher einer Fischfang-Expedition von Seiten der Verteidigung öffnen. In seiner eidesstattlichen Erklärung vor der Anhörung leugnete Julius dies nicht geradezu. Vielmehr vertrat er den Standpunkt, die Tatsache, dass Irving diesen Prozess angestrengt habe, und die Tatsache, dass das Gesetz bestimme, dass seine Man132
dantin das Recht habe, sich zu verteidigen, verleihe ihm geradezu eine Fischfanglizenz. Es wäre an Master Trench, zu entscheiden, wer Recht habe. Aber das meiste von dem, was die Verteidigung benötigte, war wenn nicht verborgen, so doch alles andere als offensichtlich. Irvings erste Liste erwähnte seine »Action Reports« — eine unregelmäßig erscheinende Publikation, die unter seinen Anhängern in Umlauf war. Irving hatte jedoch nicht die ganze Reihe aufgeführt. Einige der fehlenden Exemplare fanden sich auf Irvings Website, und es wäre töricht gewesen, sie zu ignorieren. Unter den »Action Reports«, die er erwähnte, fanden sich verstreute Hinweise auf das Institute for Historical Review (IHR), eine pseudowissenschaftliche »Denkfabrik« in Kalifornien, die gemeinsam mit dem Committee for Open Debate on the Holocaust zu den wichtigsten Vertriebskanälen für Schrifttum zählte, in dem behauptet wurde, der Holocaust sei ein Schwindel. Libson wusste, dass Irving auf IHR-Konferenzen gesprochen und auf IHR-Veranstaltungen zu den geladenen Gästen gehört hatte, aber auf Irvings Liste fanden sich keine von IHR-Funktionären an Irving oder von Irving an IHR-Funktionäre gerichteten Briefe. Irving bestritt, jemals mit Robert Faurisson korrespondiert zu haben, dem französischen Autor von Artikeln über »Das Problem der Gaskammern« und »Das Auschwitz-Gerücht« und Zeuge — gemeinsam mit Irving — im Zündel-Prozess. Obwohl Irving penibel über seine Telefonate Buch führte, erwähnte seine Liste keinerlei Telefongespräche mit Zündel. In den Gerichtsakten leugnete Irving extremistische Ansichten; er deutete an, seine Beziehungen zu Faurisson und Zündel seien distanzierter Natur, und behauptete, ihren Ansichten »widersprochen« zu haben.9 Hinweise auf Irvings fragwürdige Verbindungen waren nur 133
ein Teil dessen, wonach Libson suchte. Herauszufinden, welche Quellenmaterialien man verlangen sollte, war sehr viel komplizierter, gehörte dazu doch eine Art dokumentarische Koppelung der Quellen, die Irving aufgelistet hatte, mit jenen, die fehlten. Mehrere Bücher Irvings enthielten Darstellungen der »Reichskristallnacht« vom 9./10. November 1938, als Deutschlands Synagogen in Brand gesetzt, jüdische Wohnungen und Geschäfte verwüstet und Juden verhaftet, geschlagen und ermordet wurden. Teilweise basierten diese Darstellungen auf Gesprächen, die Irving mit einer Reihe von Hitlers Adjutanten geführt hatte. »Er hatte in seinen Büchern daraus zitiert«, sagte Libson, »und da er sie selbst interviewt hatte, war dieser Punkt nicht strittig, und er gab uns Niederschriften oder Gesprächsnotizen. Aber er hatte auch noch andere Quellen benutzt, und die verriet er nicht.« Irving legte stattdessen einen Wust von Dokumenten vor, die wenig oder gar nichts mit dem Verfahren zu tun hatten, die Libson und seine Assistenten jedoch lesen mussten, um sie sodann auszuschließen. Irvings erste Offenlegung erbrachte beispielsweise nichts Substanzielles hinsichtlich seiner Beziehungen zur National Alliance, einer amerikanischen Organisation, welche die Überlegenheit der weißen Rasse propagierte und unter deren Schirmherrschaft er eine Reihe von Vorträgen gehalten hatte. Aber es gab eine ganze Menge Material, das detailliert Auskunft über seine Einladungen von verschiedenen Schulund Universitätsgruppen gab. Darunter befand sich auch ein Brief an den Sekretär der Durham Union Society, eines universitären Debattierclubs, in dem »weibliche Kandidaten mit den notwendigen Attributen, um das männliche Urteil, wenn nicht gar den Intellekt anzusprechen«, aufgelistet waren, die als Irvings Widerpart zu dem Thema »Eine Frau gehört an den Herd« sprechen sollten. Und er rückte mit einem Videoband über die Geburt seiner Tochter heraus sowie mit Tonbändern, die im 134
Zusammenhang mit dem Attentat auf Kennedy standen. Bis zu dem Zeitpunkt, als Irving vor Master Trench stand, hatte er mit Mishcon monatelang Katz und Maus gespielt. In der Tat mutete das wöchentlich, manchmal täglich inszenierte Serve-and-Volley aus Anträgen, Vorladungen und Dokumenten durchaus wie ein Spiel an. Als Irving mir von seiner Konfrontation mit dem »Gesetz zur amtlichen Schweigepflicht« erzählte, schilderte er die Beamten, die ihn verhörten, als »Offiziere und Gentlemen, der ganze Haufen. Sie spielen Kricket mit einem geraden Schlagholz.« »Offenlegung« jedoch war, wie er soeben lernte, ein anderes Ballspiel. Die Anhörungen vor Master Trench dauern zwei Tage. Julius skizziert zu Anfang, worum es in dem Prozess geht. Dabei zitiert er aus den Plädoyers der Vorverhandlung und aus Lipstadts Buch, wo Irving als »Hitleranhänger mit Scheuklappen« und »eines der gefährlichsten Sprachrohre der Holocaust-Leugnung« bezeichnet wird: »Er kennt die historischen Sachverhalte genau, verdreht sie jedoch.«10 Dies, betont Julius, »ist glücklicherweise einer der Prozesse, wo es zwischen den Parteien keinen grundsätzlichen Streit über die Bedeutungen gibt. Und dies gestattet allen, vernünftig zu sein und sich einfach auf die Frage der Rechtfertigung zu konzentrieren.« Irving hat keinen Grund, dem zu widersprechen. Alles, was Julius bis jetzt gesagt hat, ist wahr. Und als er mit der Zusammenfassung seiner eigenen eidesstattlichen Erklärung fortfährt, hat Irving erneut keinen Grund, sich zu äußern. Als Julius sechs unterschiedliche Arten von Mängeln in Irvings Offenlegung umreißt, bekommt er den Verlauf der Anhörung allmählich fest in den Griff, während Irving nach wie vor schweigt. Als Irving schließlich den Mund aufmacht (auf Seite elf des Protokolls), 135
bestätigt er lediglich, dass er tatsächlich immer noch nach ein paar Fotografien suche, die noch nicht vorlägen. Als Irving sich das nächste Mal an den Master wendet, geschieht dies auf eine eher heitere Anmerkung hin: MASTER TRENCH: Ich sehe hier, einer der Briefe war an Leo Graville adressiert, den Friedensrichter. MR. IRVING: Ein reizender Mensch. MASTER TRENCH: Ja, ich musste früher einmal vor ihn treten. Mussten Sie das auch schon? MR. IRVING: Nein, musste ich nicht, Master. (Gelächter) MASTER TRENCH: Ich glaube, er ist Träger des V[ictoria] C[ross], nicht wahr? MR. IRVING: Ja, Sir. Er ist ein echter Held. Mit seiner umgänglichen Art möchte Irving vielleicht die Illusion aufrechterhalten, er und der Master stünden gesellschaftlich auf einer Stufe, seien als Engländer Landsleute und beide Fans von Militärgeschichte. In seinem Tagebuch für diesen Tag, das er auf seiner Website zugänglich macht, heißt es über Julius, er habe »das Benehmen und die Vortragsweise eines Handlangers«. In jedem Fall hat Irvings Überlegenheitspose ihn seiner einzigen Chance beraubt, Julius’ Spielplan zu durchkreuzen. »Als wir ins Gericht kamen, waren wir sehr gut vorbereitet«, sagte Julius. »Wir ordneten die Dokumente unter verschiedene Kategorien, und wir gaben dem Master den Entwurf einer Verfügung, die er direkt zu Beginn des Prozesses erlassen sollte.« In gewisser Weise war dies der Moment, von dem an das Verfahren für Irving verloren war. Als der Master bereits in der ›Ich-erlasse-eine-Verfügung‹-Stimmung war, wurde der Rest der Anhörung einfach zu einer Auseinandersetzung über die Bedingungen.« 136
Die Auseindersetzung über die Bedingungen dauert zwei Tage. In den meisten Punkten ist der Entwurf von Julius und Libson von derart bezwingender Logik, dass Irving bloß pro forma Widerstand leistet, so auch, als er darum bittet, jede Verfügung zur Vorlage von Korrespondenz möge auf einen festen Zeitraum begrenzt werden (Vorschlag Julius: »sein gesamtes Berufsleben«), oder klagt, dass seine Tagebücher »sehr viele Regalmeter beanspruchen, davon einzelne mit acht- oder neunhundert einzeiligen, mit Maschine geschriebenen Seiten pro Jahr. Wenn Sie 20 Jahre Tagebücher nach dem Namen Zündel oder Ähnlichem durchsuchen, dann wäre das eine beträchtliche Aufgabe.« Davon jedoch will Julius nichts wissen: »Professor Lipstadt ist berechtigt, alle Tagebucheinträge zu lesen, die mit den Fragen zusammenhängen. Es geht nicht an, dass sie spezifische Passagen erbitten muss. Natürlich stellt eine solche Berechtigung eine Belastung dar. Sollte Mr. Irving nicht bereit sein, jene Abschnitte seiner Tagebücher offenzulegen, die mit den erörterten Fragen zusammenhängen, dann hätte er die Klage nicht anstrengen dürfen. Die Belastung resultiert in diesem Fall nicht aus der Verpflichtung, die Eintragungen vorzulegen, sondern aus einer Weigerung, dies zu tun.« Vorbehaltlich einer angemessenen Sprachregelung, welche die Verfügung auf das relevante Material einschränkt — »Wir beantragen nur das zur Sache Gehörige«, gibt Julius zu Protokoll, der sich anbietet, die erforderliche Klausel aufzusetzen —, stimmt der Master zu. In der Frage seiner Kontakte zu verschiedenen Gestalten der rechtsextremen Szene leistet Irving zäheren Widerstand. »Sie müssen sich bewusst sein«, sagt er zu dem Master, »dass mir der Erlass einer solchen Verfügung eine ungeheuer beschwerliche Aufgabe auferlegt, die viele Monate dauern wird...« Er schlägt stattdessen vor, die Verfügung auf eine spezielle Liste von Namen beschränken, und protestiert ausdrücklich gegen die Auf137
führung von Ewald Althans, einem deutschen Rechtsaktivisten, sowie Arthur Butz, dem Autor des Buches The Hoax of the Twentieth Century, mit der Begründung, dass Lipstadts Buch ihn nicht mit Butz in Verbindung bringe. Julius weist hingegen darauf hin, dass Butz, ebenso wie Althans, in Lipstadts vorbereitenden Schriftsätzen erwähnt werde. »Das scheint zu genügen, um ihn einzubeziehen, oder nicht?« fragt Trench. »Wenn es Leute sind, die genannt werden, denke ich, dass Sie unmöglich Einwände erheben können.« Kaum sind sie am ersten Tag vom Mittagessen zurück, beginnt Julius damit, Zeile für Zeile der Verfügung zu präsentieren, die er und Libson vorbereitet haben. Wegen der offenkundigen persönlichen Feindschaft zwischen Irving und Julius gibt es noch ein paar angespannte Augenblicke. Julius erwähnt als Beispiel für die Art belangloser Dokumente, die Irving vorgelegt habe, einen »Plan von Schloss Colditz«. Irving sagt, der Plan sei nicht belanglos. Es »ist eine Gaskammer darauf«. Julius fragt ihn, wo diese sei. »In der Bildunterschrift unten«, erwidert Irving, »sie lautet: ›Entlausungsschuppen‹... Jedes Gefangenenlager hatte einen Entlausungsschuppen, wo die Kleidung mit Cyanidgas behandelt wurde.« Trench fragt: »Auschwitz war kein Gefangenenlager, oder?« Irving wendet sich an Julius: »Mr. Julius? Auschwitz ein Gefangenenlager?« Das ist zu viel für Julius. »Hören Sie, ich halte Ihre Ansichten für vollkommen absurd«, gibt er zurück. Als Irving fortfahren will, unterbricht er ihn: »Sehen Sie, Master, genau hier durchstoßen wir die Grenzen des Wahnsinns.« Vielleicht weil er auf Rache sinnt, gibt Irving am zweiten Tag zu verstehen, dass man Lipstadts Anwälten nicht trauen könne. Man diskutiert die Goebbels-Tagebücher, die Irving als sein »Geschäftskapital« beschreibt. Er erzählt Trench, dass es ihm »widerstrebt, sich vom Inhalt dieser Tagebücher zu trennen... 138
von wertvollen Betriebsgeheimnissen, in welche die Gegenseite nun unter einem juristischen Vorwand Einsicht begehrt«. Es ist, sagt er, »als wollte jemand unter irgendeinem Vorwand die geheime Formel für Coca-Cola wissen«. Doch im Großen und Ganzen gelingt es beiden Seiten, die elementaren Formen der Höflichkeit zu wahren. Julius hält seine Geringschätzung unter Kontrolle, und Irving verhält sich so, als sei das Herumstreiten über die genauen Bedingungen der Offenlegung ein bisschen unter seiner Würde. Doch je offensichtlicher wird, dass die Anhörung zu seinen Ungunsten verläuft, desto distanzierter wird Irving. Julius steht auf und bringt als Reaktion auf die Fragen von Trench verschiedene Formulierungen ein; Irving macht ein paar halbherzige Ausfälle, anschließend begnügt er sich entweder mit Pedanterien oder mit dem verqueren Versuch, sich über sich selbst lustig zu machen. Nach dem Verbleib einiger Verhörprotokolle aus der Kriegszeit gefragt, erwidert er: »Ich hatte sie einmal und...« »Und haben sie ans Bundesarchiv geschickt?« versucht Master Trench ihm auf die Sprünge zu helfen. »Auf meine gutherzige Neonazi-Tour«, sagt Irving, »habe ich alle meine Unterlagen der deutschen Regierung gegeben, und dort befinden sie sich heute.« Als Julius sich am Nachmittag des ersten Tages darüber beschwert, mit wie viel belanglosem Material sie sich auseinander setzen müssten (»Master, ich denke, Geschworene werden anfangen, sich die Haare auszureißen, wenn sie sich all das ansehen müssen.«), fragt der Richter: »Wird es bei diesem Prozess Geschworene geben?« Irving sagt, er habe sich noch nicht entschieden. Später, außerhalb der Sitzung, spricht Julius Irving an. »Offensichtlich muss es allein wegen der Kompliziertheit des Falles ein Richter sein.« Zu seinem Erstaunen pflichtet Irving 139
ihm bei: »Selbstverständlich. Selbstverständlich.« Julius hatte von Anfang an auf Geschworene verzichten wollen. Teils aus finanziellen Gründen: »Das Verfahren wäre dreimal so lang gewesen«, sagt er, was seiner Mandantin eine noch größere finanzielle Belastung aufbürden würde. Aber Julius ging es immer auch um die Frage der Kontrolle. Mit Geschworenen als Publikum hätte Irving versucht sein können, sich in Szene zu setzen, was die Verhandlung ebenfalls in die Länge gezogen hätte. Und schließlich müsse ein Richter die Gründe für sein Urteil klarmachen. Ein »durchdachter Richterspruch«, der sich gegen ihn richtete, wäre für Irving viel schwerer zurückzuweisen. »In einem Geschworenenprozess kommt man einem Richterspruch allenfalls in dem Fazit des Richters nahe«, sagte Julius, »aber das geht beim Urteilsspruch der Geschworenen sofort wieder verloren.« Warum war Irving so schnell einverstanden? Angesichts der sozialen Herkunft der meisten Richter am Obersten Gerichtshof hatte er vielleicht das Gefühl, größere Chancen für eine wohlwollende Anhörung zu haben. Wie Irving des öfteren bemerkte, sei Mr. Justice Lawton, der Richter bei Cassell vs. Broome und im Exodus-Prozess, einst ein Anhänger von Oswald Mosley gewesen. Möglicherweise meinte er, der Durchschnittsbrite — der sprichwörtliche Mann von der Straße — sei eher antideutsch (die deutsche Oberherrschaft über Europa ist ein beliebtes Thema auf den Titelseiten der Boulevardblätter) als antisemitisch. Erfreut, ein weiteres seiner strategischen Hauptziele — ohne Streit — erreicht zu haben, war Julius so überrascht von Irvings Einverständnis, dass er ihn schriftlich bat, seine Position zu bestätigen. »Ich bin davon überzeugt«, erwiderte Irving, »dass die Fragen, die vor Gericht verhandelt werden, besonders dort, wo es um semantische Probleme und die deutsche Sprache geht, so komplex sind, dass die Aufmerksamkeit eines erfahrenen 140
Richters erforderlich ist, und zu komplex, um Geschworene damit zu konfrontieren. Ich glaube weiterhin, dass jedem Versuch, eine faire Verhandlung dieses Falles durch die Einbringung emotionalen oder grellen Beweismaterials über den Holocaust und andere Schrecken des Zweiten Weltkrieges zu beeinflussen, durch einen Richter besser widerstanden werden kann als durch Geschworene.« Ungeachtet seiner beträchtlichen Fähigkeit zur Selbsttäuschung ist David Irving ein intelligenter Mensch. Er ist nun über zwei Runden mit Anthony Julius gegangen, der ihm bei der Klage gegen das Board of Deputies eine blutige Nase beibrachte und ihm bei der Offenlegung technisch überlegen war. Zeit für eine Änderung der Taktitk. Am zweiten Tag der Offenlegung wandte Irving sich in der Mittagspause an die Anwälte von Penguin Books. Er sei bereit, ließ er sie wissen, den Fall für 500 Pfund außergerichtlich beizulegen. Ob sie interessiert seien? Später an diesem Abend übermittelte Irving seine Bedingungen schriftlich an Mark Bateman, den jungen Anwalt von Davenport & Lyons, Penguins externen Rechtsbeistand: Wenn Penguin Books die in Leugnen des Holocaust »aufgestellten Behauptungen in einem offenen Brief zurückzieht«, wenn der Verlag verspräche, keine Neuauflage des Buches herauszubringen, und »der britischen Kriegsversehrten-Vereinigung... zum Zeichen der Entschuldigung im Namen meiner Tochter (die beide Beine verloren hat) die Summe von 500 Pfund zahlt«, würde Irving Penguin Books von seiner Klage ausnehmen. »Für mich ist ganz offensichtich«, schrieb er, »dass Ihr Mandant die erbitterte Feindseligkeit von Ms. Lipstadt und Mr. Julius nicht teilt.« Irving schlug vor, die Bedingungen der Beilegung vertraulich zu behandeln, und fügte hinzu: »Ich habe nicht die Absicht, mich mit Ms. Lipstadt zu einigen.« Welche Gefühle auch immer er persönlich für Irving hegte, 141
Kevin Bays, der leitende Prozessanwalt bei Davenport & Lyons und Batemans Chef, musste Irvings Vorschlag als attraktives Angebot betrachten. Die enormen Kosten eines Gerichtsverfahrens bedeuten, dass die meisten Verleumdungsklagen außergerichtlich beigelegt werden. Die Satirezeitschrift Private Eye, eine Mandantin von Bays, veröffentlicht oft winzige Rubriken, in denen sie sich bei der einen oder anderen ihrer vielen Zielscheiberi entschuldigt, häufig mit der Klausel, dass der gegnerischen Partei »eine beträchtliche Summe« gezahlt worden sei. Robert Maxwell verklagte Private Eye viele Male, gewöhnlich wegen Geschichten, die der Wahrheit entsprachen, aber nicht bewiesen werden konnten. In der Regel einigte man sich. Das eine Mal jedoch, als Maxwell darauf bestand, vor Gericht zu ziehen, hätte er die Zeitschrift um ein Haar tatsächlich zugrunde gerichtet. Für Bays, der vor kurzem einen Vergleich zwischen seinem Mandanten, dem Daily Mirror, und dem Sänger Michael Jackson ausgehandelt hatte, bei dem es um Artikel über Jacksons angebliche Gesichtsoperationen ging, war ein Vergleich selbstverständlich. Auch Penguin Books musste das Angebot ernst nehmen. Im Mai hatten die Anwälte von Penguin Books und Mishcon de Reya ein formelles Abkommen über die Bezahlung des Falles getroffen. Penguin Books hatte bereits die Kosten für seine Solicitors bei Davenport & Lyons und Junior-Barrister Heather Rogers übernommen, die bei der Verhandlung mit Rampton zusammenarbeiten würden. Obwohl Rampton beide Beklagten vertreten sollte, hatte der Verlag zugestimmt, sein gesamtes Honorar zu übernehmen. Penguin Books war des Weiteren einverstanden, alle Honorare und Auslagen im Zusammenhang mit den Experten zu bezahlen, deren Zahl im Laufe der vergangenen paar Monate, als die Dokumente aus der Offenlegung nach und nach eintrudelten, gestiegen war. Damit blieb nur noch das Ho142
norar von Mishcon de Reya, das Lipstadt bezahlen musste. Auf eine Neuauflage des Buches zu verzichten war kein Problem.* Und bei dem Stundensatz von 150 Pfund, den Penguin Books seinen vielen Experten zahlte, würde der Vergleich die Bilanz des Unternehmens binnen einer Stunde nach der Annahme verbessern. Das Problem war die Entschuldigung. Wenn Penguin Books sich aus dem Verfahren tatsächlich zurückzöge — und es gab vernünftige geschäftliche Gründe, diesen Schritt zumindest in Erwägung zu ziehen —, wäre dies ein schwerer Schlag für Lipstadts Glaubwürdigkeit. Irving hoffte darauf. Was er nicht wusste (er nahm an, das »internationale Judentum« versorge seine Opponenten mit Geldmitteln), war, dass der Verteidigung damit auch der Geldhahn abgedreht worden wäre. Irvings Angebot kam an einem Freitag. Am Montagnachmittag wies Penguin Books es ab. Drei Wochen später unterbreitete er ein formelles Angebot nach Abschnitt 36 der Zivilprozessordnung, um den Fall zu denselben Bedingungen beizulegen, obwohl das Angebot diesmal interessanterweise an beide Beklagte gerichtet war. Wieder wurde das Angebot abgelehnt. Wie ernsthaft hatte Penguin Books einen Vergleich erwogen? Anthony Julius konnte es nicht wissen. Aber Julius ging kein Risiko ein. Er teilte Davenport & Lyons mit, dass er, sollte Penguin Books sich einigen, etwas unternehmen würde, den
* Als ich Juni 1999 in der Presseabteilung von Penguin Books anrief und um ein Exemplar bat, sagte die Dame, mit der ich sprach: »Ich bezweifle sehr, dass es noch lieferbar ist.« Genau genommen stimmte das nicht, aber es waren nur noch sehr wenige Exemplare übrig.
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Verlag wieder in den Fall einzubinden — und zwar auf Irvings Seite. Die Folgen aus der Umkehrung des Verfahrens wären für Penguin Books ein Public-Relations-Albtraum gewesen. Krikket oder nicht, hier wurde ein Hartball-Spiel ausgetragen.
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5 Ein Papier-Eichmann? Wenn David Irving vom Zeugenstand herabblickt, sieht er kein freundliches Publikum. Eine Hand voll seiner Anhänger sitzt verstreut im Gerichtssaal: zwei große, fast kahle Männer in unförmigen Pullovern, von denen einer einen Hakenkreuz-Ring trägt; der pockennarbige, ständig rasurbedürftige, gelehrt aussehende Mensch, der Irvings Website verwaltet; ein rundköpfiger Mann in Lederjacke. Nach den ersten paar Tagen sieht man auch eine elegante ältere Blondine, die mehrere Reporter wegen ihrer Anwesenheit an Irvings Tisch irrtümlich für seine Frau halten, unpassenderweise auf dem Platz neben ein paar Studenten in billigen Anzügen und einem kleinen, rundlichen Mann sitzen, der sich immer wieder mit einem großen Seidentaschentuch die Stirn wischt. Aber es gibt auch ein paar Männer mit Jarmulkes — den von strenggläubigen Juden getragenen Scheitelkäppchen — und ein paar junge Asiaten, von denen einer einen Turban auf dem Kopf trägt. Anwesend ist auch eine modisch ganz in Schwarz gekleidete junge Frau aus Israel von der Shoah Foundation und ein sehr großer weißhaariger Amerikaner, der mit Gitta Sereny verheiratet ist. Mehrere ältere Männer und Frauen haben tätowierte Nummern auf dem Unterarm. Es sind Überlebende der Konzentrationslager Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen oder Plaszow, wo Oskar Schindlers Arbeiter lebten. Ein oder zwei von ihnen mögen gar Auschwitz überlebt haben — ein riesiger Komplex, zu dem Bergwerke und Fabriken, in denen Zwangsarbeiter beschäftigt wurden, ebenso gehörten wie das Vernichtungslager 145
in Birkenau. Irving nimmt beide Gruppen nicht zur Kenntnis. Seine Zeugenaussage wendet sich an den Richter, an die Touristen auf der Zuschauergalerie und an das Gros der Reporter auf den Presseplätzen. Er erzählt von seinen Anstrengungen, in Erfahrung zu bringen, wer hinter der Kampagne gegen ihn stehe. »Es war«, sagt er, »als versuchte man, einen Haken in einer Sahnetorte anzubringen.« Und wieder spricht er von seiner Erwartung, »Professor Lipstadt ins Kreuzverhör nehmen zu können, wenn die Zeit kommt... und selbstverständlich tun wir es jetzt nicht.« Was er indes die meiste Zeit tut, ist Geschichten zu erzählen. Irvings Geschichten verfolgen mehrere Ziele. Einige sind Kriegsgeschichten, und sie sollen Verbindungen innerhalb dessen veranschaulichen, was Irving seine »Kette von Dokumenten unterschiedlich großer Vollständigkeit und Bedeutung« nennt, »die anzeigen, dass Hitler« — weit davon entfernt, der Anstifter der Judenvernichtung zu sein — »in dieser Angelegenheit eine negative Kraft war«. Andere sollen ein Bild von Irving als unerschrockenem Forscher zeichnen: »Ich besuchte die Witwe von Ernst von Weizsäcker, Ribbentrops Staatssekretär... Sie besaß alle Tagebücher und Briefe ihres Mannes, die sie mir zugänglich machte. Ich war ziemlich verblüfft, dass sie sie nicht den deutschen Historikern zugänglich gemacht hatte, und ihre Antwort lautete: ›Herr Irving, die haben nie danach gefragt.‹« Wieder andere dienen dazu, ihn von seinen Komplizen zu distanzieren. Sein Verhältnis zu Erich Zündel beschreibt Irving dem Richter mt folgenden Worten: »Man musste erkennen, dass er ein Mann mit einem gewissen Verstand, einem gewissen Sinn für Humor und abscheulichen privaten Ansichten war. Anders karin ich ihn nicht beschreiben.« Zündels Geschmacksverirrungen, so bedauerlich sie auch sein mögen, machen ihn für Irving nicht zum Extremi146
sten. »In meinem Buch«, erklärt er, »ist ein Extremist jemand, der Bomben unter Automobile legt, jemand, der den Sturz von Regierungen ausheckt, jemand, der mit einer Waffe in der Tasche herumläuft. Jemand, der Ansichten vertritt, die extrem sind — dies ist eine sehr subjektive Vorstellung. Es hängt davon ab, von welchem Standpunkt aus man diese Ansichten betrachtet.« Irving erzählt dem Richter, dass das ganze Aufheben über Zahlen — ob es sich nun um die Toten von Dresden oder die Opfer der Nazis handele — sinnlos sei. »Mylord, 35 000, 135 000 — Sie können mir widersprechen, aber ich sehe keinen Unterschied zwischen diesen Ziffern. Ebenso wenig wie jemand, der sagt, es seien nicht sechs Millionen gewesen, die im Holocaust starben, es seien nur eine Million gewesen. Das ist genau die Art von Satz, die ich niemals äußern würde, weil das Schicksal eines jeden Einzelnen dieser Menschen, der getötet wurde, für ein Verbrechen steht.« Dies mögen Spezialerörterungen zum Fall sein. Schließlich war es Irving, der nicht nur das Interesse auf Dresden lenkte, sondern auch, laut Verteidigung, aus eben diesem Grund die Ziffern nach oben trieb. So wie es auch Irving ist, der Reden hält und Schriften veröffentlicht, die den Zahlen der in Auschwitz Getöteten widersprechen. Aber es sind in hohem Maße Spezialerörterungen. In wie hohem Maße, wird deutlich, als Irving seine Aufmerksamkeit der Frage zuwendet, was es bedeute, den Holocaust zu leugnen. »Der Holocaust«, sagt er, »war die Tragödie, die dem jüdischen Volk während des Zweiten Weltkrieges widerfuhr. So allgemein würde ich ihn fassen. Man könnte ihn sogar noch allgemeiner fassen und sagen, der Holocaust war der ganze Zweite Weltkrieg. Menschen, die in diesem Holocaust starben und litten, waren nicht notwendigerweise auf Angehörige der jüdischen Religion beschränkt, sondern es waren unermesslich viele Unschul147
dige darunter, ob nun Zigeuner, Homosexuelle, die Menschen in Coventry oder die Menschen in Hiroshima. Ich denke, der Versuch ist müßig, den Holocaust genau so zu definieren, wie man ihn definieren möchte, um jemandem eine Falle zu stellen, was offensichtlich in einem Prozess wie diesem geschieht.« Der Richter bemüht sich auf keineswegs feindselige Art, Irving dazu zu bewegen, sich genauer mitzuteilen. »Sie sagen also über den Holocaust, dass er ein Ausdruck sei, den man auf den gesamten Zweiten Weltkrieg anwenden könnte«, sagt er, »aber wenn Sie ihn, jedenfalls für die Zwecke dieser Frage jedenfalls, einmal in dem Sinne auffassen, er bedeute ein systematisches Programm zur Vernichtung von Juden... darf ich Sie nur dies fragen: Lassen Sie gelten, dass es solch ein Programm überhaupt gegeben hat?« »Nein, das lasse ich nicht gelten«, erwidert Irving. »Das systematische Programm zur Vernichtung der Juden«, erklärt er, »ist die Ursache, wohingegen der Holocaust, das Wort ›Holocaust‹, so wie ich es verstehen würde, die Wirkung, das Ergebnis, die daraus resultierende Tragödie bezeichnet. Wenn wir auf den Holocaust blicken, dann blicken wir auf die Opfer. Wir blicken auf die Massengräber. Wir blicken auf die Menschen, die vor den Gruben mit Maschinengewehren erschossen wurden. Ich behaupte, der Holocaust ist nicht die Maschinerie, die das Ergebnis hervorbrachte. Wir sollten sagen, er ist das Leiden, nicht der Mord.« Richter Gray versucht es erneut und fordert Irving auf, zumindest zuzustimmen, dass dieser Massenmord systematischen Charakter gehabt habe. Irving erhebt Einwände. »Ich krittele nicht herum, aber das sind wichtige Definitionen, Mylord. Wenn die Definition — wenn Sie durch den Gebrauch des Wortes ›systematisch‹ andeuten, dass das System, das Dritte Reich als solches, dieses Massaker hervorbrachte, dann müsste ich an 148
dieser Stelle kleinlich sein.« Die Fragen des Richters sind darauf angelegt, das Verbindende in Bezug auf den Holocaust festzustellen und so dafür zu sorgen, dass die Geschichte möglichst außen vor bleibt. Aber selbst wenn es ihm gelingt, Irving beispielsweise das Eingeständnis zu entlocken, dass auch das Töten mit Giftgas eine der »Wirkungen« gewesen sei, verflüchtigt sich dieses scheinbare Zugeständnis bald darauf wieder. MR. JUSTICE GRAY: Darf ich eine ähnliche Frage stellen? Lassen Sie gelten oder leugnen Sie völlig, dass es in Gaskammern, sei es in Auschwitz oder anderswo, systematische Judenvergasungen gegeben hat? Ich weiß, dass wir uns mit Auschwitz nicht befassen, aber ich denke, dies müsste Teil der... MR. IRVING: Ja, ich denke, wenn wir das Wort »systematisch«, das strittig ist, weglassen können, dann leugne ich nicht, dass es in Gaskammern in Birkenau eine Art von Vergasung gegeben hat, dass sehr wahrscheinlich ist, dass es sie gegeben hat. MR. JUSTICE GRAY: Auf rein experimenteller Basis oder... MR. IRVING: Dieses Wort habe ich gebraucht, um einen Hinweis auf den Umfang zu geben und darauf, nach welcher Maßgabe sie durchgeführt wurde, und — nun gut, ich werde es dabei belassen. In gewissem Sinne lautet Irvings Argument — seine »Klage« —, dass er alles Recht der Welt habe, es dabei zu »belassen«. Irving, hoch gewachsen und stämmig, bringt seine massige Gestalt gegen die hölzerne Brüstung des Zeugenstands in Stellung wie ein Seemann, der gegen den Wind steuert, und er präsentiert sich als ein vernunftbegabter Mensch, der sein gerüttelt Maß an Fehlern begangen hat. »Ich gebe zu, dass ich bei der Abschrift einen Feh149
ler gemacht habe«, sagt er von dem Himmler-Telefonat hinsichtlich der Juden aus Berlin. Der Holocaust, erzählte er mir vor Beginn des Verfahrens, sei »nicht mein Revier«. Warum erwarte man dann eigentlich von ihm, dass er sich an eine Orthodoxie über ein Ereignis halte, dessen Ursachen immer noch Gegenstand intensiver historischer Debatte seien und über dessen beklagenswerte Wirkungen er ebenso wenig stillschweigend hinwegsehe wie er sie bestreite? Auf den ersten Blick ist diese Frage nur recht und billig, und wenn es Irving gelingt, das Verfahren auf diese Thematik festzunageln, wird er sich durchsetzen. Irving beendet seine Aussage mit einer letzten Geschichte. »Mylord, ich hatte das große Pech, im September meine älteste Tochter zu verlieren. Nachdem wir sie begraben hatten, erhielt ich einen Anruf von dem Beerdigungsinstitut, dass noch ein weiterer Kranz eingetroffen sei. Es war ein sehr teures und kunstvolles Gebinde aus weißen Rosen und Lilien, das am Spätnachmittag dieses Tages geliefert wurde... auf der beiliegenden Karte hieß es: ›Das war ein wahrhaft gnädiger Tod‹, gezeichnet ›Philipp Bouhler und Preunde‹.« Philipp Bouhler, erläutert Irving, sei der Name des Leiters des »Nazi-Vernichtungsprogramms für die geistig und körperlich Behinderten, des Euthanasie-Programms«, gewesen. Wenn die gesamte Aussage Irvings als Versuch angesehen werden kann, sicheren Boden zu gewinnen und nicht zu weichen, dann ist Ramptons Kreuzverhör der Versuch, ihn herabzustoßen. Er springt gereizt auf. »Dies ist das grässlichste, unangenehmste und unbequemste Gericht, in dem ich je gewesen bin«, beschwert er sich. Der Zeuge sei zu weit weg von seinen Dokumenten, eine Säule nehme ihm die Sicht, und der stickige, überhitzte Gerichtssaal gebe Rampton »das Gefühl, als würde ich bei lebendigem Leibe gekocht«. 150
»Tut mir Leid, wenn ich mich ein wenig mokiere«, sagt Rampton lächelnd und wendet sich an Irving. »Mr. Irving, das ist eine traurige Geschichte, die Sie uns da gerade erzählt haben. Das meine ich überhaupt nicht sarkastisch, es ist vollkommen wahr. Wirklich.« Rampton hält inne. »Sie machen das Buch von Deborah Lipstadt für diese entsetzlichen Worte auf dem Gebinde verantwortlich, nicht wahr?« Irving kontert mit einem Hinweis auf ein »Klima des Hasses«. Unverzagt und mit demselben matten Lächeln fragt Rampton: »Wenn das, was in diesem Buch über Sie steht, wahr ist, dann wäre es nicht — wie Sie vielleicht zustimmen würden — der Fehler des Buches, sondern Ihrer, oder etwa nicht?« »Haben Sie im Jahr 1977, als Hitler’s War erschien«, fragt Rampton, in einen anderen Gang schaltend, »den Holocaust in allen wesentlichen Einzelheiten in seiner gewöhnlichen Bedeutung... in seiner allgemein verstandenen Bedeutung akzeptiert?« Irving fragt, was er meine. »Den systematischen Massenmord an Millionen Juden durch das NS-Regime während des Zweiten Weltkrieges«, erwidert Rampton. »Ich akzeptiere das Wort ›systematisch‹ nicht, aber was den Rest betrifft, ja, das ist dann eine zutreffende Zusammenfassung«, sagt Irving. Rampton startet einen neuen Versuch: »Bis zum Jahr 1988 haben Sie den Holocaust akzeptiert, egal wie präzise er in seiner allgemein verstandenen Bedeutung definiert war (und ich streite mich nicht wegen Einzelheiten herum), das heißt als Massentötung von Juden durch die Nazis während des Zweiten Weltkrieges. War es nicht so?« »Das Wort ›Holocaust‹ habe ich nicht verwendet«, sagt Irving, »aber ganz bestimmt habe ich gelten lassen, dass die Nazis Massentötung von Juden während des Zweiten Weltkriegs vor151
nahmen.« Rampton fragt Irving dann nach einem im Zusammenhang mit der Veröffentlichung einer überarbeiteten Neuauflage von Hitler’s War gehaltenen Vortrag aus dem Jahr 1991. »Und hielten Sie diese Behauptung, dass die Deutschen Todesfabriken mit Gaskammern, Plural, hatten, in denen sie Millionen, Plural, ihrer Gegner liquidierten, zu diesem Zeitpunkt, im November 1991, für eine Lüge?« »Für eine große Lüge, ja.« »Für eine große Lüge?« »Ja.« Rampton zitiert aus Irvings Vortrag: »›Wenn Sie einen Blick in meine große Hitler-Biographie hier werfen, diese RiesenAdolf-Hitler-Biographie, die wir gerade erst veröffentlicht haben, in der Tat ist sie buchstäblich heute erst aus der Druckerpresse gekommen, dann werden Sie den Holocaust in keiner einzigen Zeile erwähnt finden, nicht einmal in einer Fußnote. Warum auch? Etwas, das nicht stattgefunden hat, braucht man auch mit keiner Fußnote zu würdigen.‹« »Akzeptieren Sie«, fragt Rampton, »dass die Nazis während des Zweiten Weltkrieges auf die eine oder andere Weise — und ich rede hier nicht von Zwangsarbeit oder davon, dass man Menschen Typhus aussetzte — Millionen Juden töteten, erschossen, ermordeten, vergasten, zu Tode traten? Oder nicht?« »Ja«, sagt Irving. Rampton, verwirrt: »Tatsächlich?« »Ja. Bei der genauen Angabe, ob es sich in der Größenordnung von Millionen bewegte oder nicht, würde ich zögern, aber ich würde sagen, es waren bestimmt mehr als eine Million, bestimmt weniger als vier Millionen. Aber diese Antwort, die Einschränkung, die ich hier mache, nutzt Ihnen nicht sehr viel. Ich möchte nicht, dass Sie, zum Beispiel, sagen: ›Sie haben von 152
Millionen gesprochen, deshalb sind es mehr als zwei Millionen.‹« »Würden Sie akzeptieren«, fasst Rampton, der Sache überdrüssig, zusammen, »dass eine Version des Holocaust, die allgemein verstanden, akzeptiert und erkannt wird...« Irving unterbricht: »Wollen Sie bitte das Passiv vermeiden, sodass wir genau wissen, wer es ist, der da allgemein akzeptiert, versteht und erkennt?« »Nennen Sie es die breite Öffentlichkeit« sagt Rampton, »die Zuhöher, zu denen Sie sprechen.« »Haben Sie sich mit einem Klemmbrett in die Oxford Street gestellt und die breite Öffentlichkeit befragt?« will Irving wissen. »Sie wollen sich also nicht zu dem bekennen, was gemeinhin unter dem Holocaust verstanden wird?« fragt Rampton. »Ich weiß nicht, was gemeinhin unter dem Holocaust verstanden wird«, erwidert Irving. »Ich habe meine Version mitgeteilt. Sie teilen eben dem Gericht Ihre Version mit.« Rampton lässt nicht locker. »Sie leugnen, dass die Nazis — wir wollen hier nicht von den Deutschen sprechen, wir wollen hier von den Nazis sprechen —, dass die Nazis Millionen von Juden in Gaskammern, in speziell angefertigten Vorrichtungen, getötet haben?« »Ja.« Rampton bekommt endlich die Antwort, die er will, aber seine Befriedigung ist nur von kurzer Dauer. »Ist der Grund, warum sie dies leugnen, wirklich«, fragt Richter Gray, »weil Sie nicht akzeptieren, dass es irgendwelche dieser speziell angefertigten Fabriken gab?« »Nun ja«, sagt Irving lächelnd, »das Wort ›speziell angefertigt‹ hat mir die Antwort sehr viel leichter gemacht, Mylord. Sie werden verstehen, warum ich das sage, wenn wir uns den architektonischen Zeichungen zuwenden und wir das Beweismaterial einbringen, das ich besitze.« 153
»Und Leuchter?« fragt der Richter. »Leuchter ist etwas, auf das ich mich, denke ich, überhaupt nicht berufen werde«, gibt Irving zurück. Woraufhin Rampton beginnt, sich am Ohr zu zupfen und seine Perücke mit den Händen vor und zurück zu schieben. »Wie ich in meinem Vorwort zum ›Leuchter-Report‹ gesagt habe«, fährt Irving fort, »ist der ›Leuchter-Report‹ fehlerhaft. Wir verfügen inzwischen über sehr viel bessere Sachkenntnis auf dem Gebiet.« Rampton explodiert. »Mr. Irving, Sie reizen mich wirklich aufs Äußerste. Als der ›Leuchter-Report‹ Ihnen das erste Mal unter die Augen kam, hatten Sie also keine Sachkenntnis von Auschwitz, von Gaskammern oder Vernichtung oder dergleichen?« Rampton liest aus Bemerkungen Irvings auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der von ihm herausgegebenen Ausgabe des ›Leuchter-Reports‹ vor: »›Nachdem Fred Leuchter seine wahrhaft Epoche machende Untersuchung der Gaskammern in Auschwitz durchgeführt hatte, erbrachten die forensischen Labortests... jenes außerordentliche Ergebnis, das mich bekehrt, das aus mir einen rigoros Ungläubigen gemacht hat.‹« Rampton sieht Irving an. »Es waren der Bericht von Mr. Leuchter und die Stelle über die Labortests, die Sie dazu bekehrt haben, zu bezweifeln, dass es Gaskammern in Auschwitz gab, ist das richtig?« »Das ist richtig.« »Als Konsequenz daraus«, fährt Rampton fort, »glauben Sie inzwischen, vielleicht aus Protest, vielleicht auch nicht, das weiß ich nicht, dass die Nazis für die Vernichtung von Juden — geschweige denn von Millionen Juden — keine Gaskammern benutzten?« »Ja, ich bin, was dieses Element der Geschichte betrifft, sehr skeptisch geworden.« »Und Sie haben Ihren Unglauben öffentlich kundgetan?« 154
»Meine Skepsis, ja.« »Wenn dem so ist und falls dies zur Meinung der Menschen über den Holocaust gehört, sind Sie also ein Holocaust-Leugner?« »Nein.« »Sind Sie es nicht?« »Nein«, wiederholt Irving. »Sie müssen nicht an das Ganze glauben, um ein Gläubiger zu sein. Wie viele von uns sind Christen und glauben trotzdem nicht an jeden Aspekt der christlichen Lehre?« Für den Augenblick ist Rampton geschlagen. »Schon gut, ich denke nicht, dass wir hier metaphysische Fragen erörtern sollten, Mr. Irving.« In The Technique of Advocacy, einem Handbuch für Rechtsanwälte, stellt Barrister John Munkman vier mögliche Ziele des Kreuzverhörs auf: (1) die Hauptaussage zunichte zu machen; (2) Aussagen zu entkräften; (3) neue Aussagen zu entlocken; (4) die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu untergraben. In Filmen vermag man mit einem aggressiven Kreuzverhör Zeugen auseinander zu nehmen, Geständnisse zu erzwingen, Fälle zu gewinnen. Aber im wirklichen Leben, sagt Munkman, führe »selbst das vernichtendste Kreuzverhör« selten allein zum Erfolg.1 Irvings Hartnäckigkeit machte das Erreichen der ersten drei Ziele unmöglich; selbst Irvings Glaubwürdigkeit zu untergraben würde eine Zeit dauern. Rampton brauchte Hilfe — die er dank der durch die Offenlegung zutage geförderten Dokumente am Ende auch bekommen sollte. Wenn die Reihe an der Verteidigung war, Zeugen aufzurufen, würde es keinen Mangel an neuen Aussagen geben, mit denen Irvings Version angefochten werden oder die Selektivität seiner Version demonstriert werden konnte. Bis dahin blieb Rampton nichts anderes übrig, als Irving unter Benutzung interner Beweismittel — der Ungereimtheiten in Irvings eigener Dar155
stellung von Ereignissen — zu widerlegen und an den gesunden Menschenverstand des Gerichts zu appellieren, daran zu erinnern, was »jeder« über den Holocaust wisse, um die Behauptungen Irvings zu kontern. Irvings Halsstarrigkeit, die Komplexität des Falles, die Bemühungen der Nazi-Täter, ihre Verbrechen zu verbergen, ihr häufiger Rückgriff auf das, was Eichmann »Amtssprache« genannt hatte, und Euphemismen — Ramptons »Seminar« war auf dem Weg zum Verstehen mit vielen Hindernissen konfrontiert. Am zähsten davon war vielleicht der Glaube, dass wir bereits alles wissen. In gewisser Weise wäre ein wenig Metaphysik im Gerichtssaal ganz hilfreich gewesen. Entgegen Irvings Behauptungen besteht die grundlegende Schwierigkeit, den Holocaust zu beweisen, nicht im Fehlen von Beweismaterial. Die Vernichtung des europäischen Judentums war, so Raul Hilbergs zentrale Erkenntnis, im Großen und Ganzen ein bürokratischer Vorgang, das Ergebnis »einer Reihe administrativer Maßnahmen«. Bei der Verfolgung der »Endlösung der Judenfrage« hinterließen die Nazis all den Schutt, den jede Großorganisation produziert: Aktennotizen, Bestellformulare, Kaufanweisungen, Akten, Pläne und Entwürfe. So wurden beispielsweise in Auschwitz ungefähr eine Million Juden ermordet, und alle mussten von anderswoher mit der Bahn dorthin gebracht werden, mitten in einem Krieg, in dem die Eisenbahnlinien die Lebensadern der deutschen Wehrmacht waren. Das Gas, um sie zu töten — Zyklon B —, musste bezahlt werden. Die Lastwagen, die es lieferten, mussten Fahrgenehmigungen erhalten. Und die Verbrennungsöfen, in denen die Leichen beseitigt wurden, mussten eigens gebaut werden — von Topf & Söhne, einer deutschen Firma, die sich die Konstruktion patentieren ließ. Schließlich mussten bei jedem »Stück«, wie die Nazis einen Juden bezeichneten, über bestimmte Dinge Rechenschaft abgelegt werden: Geld, Schmuck, persönliches Vermö156
gen, Zahngold, Haare. Hilbergs Erfassung dieser Bürokratie füllt drei Bände, aber die wesentlichen Fakten des Holocaust finden sich in einer Reihe von Tabellen am Ende des Werkes. Die Statistik »Todesfälle nach Ursachen« zeigt zum Beispiel, dass mehr als 800 000 Juden als Folge von »Ghettoisierung und allgemeinen Entbehrungen« starben, mehr als 1,3 Millionen durch »Erschießungen im Freien« getötet wurden und bis zu drei Millionen in Lagern ermordet wurden, 2,7 Millionen davon sogar in speziellen Vernichtungslagern. 150 000 sind Hilberg zufolge in anderen Lagern gestorben, darunter Konzentrationslagern wie Dachau und Buchenwald. In der Übersicht »Todesfälle nach Ländern« reicht Hilbergs Liste von den bis zu drei Millionen Juden Polens zu den weniger als 1000 aus Luxemburg, und in »Todesfälle nach Jahren« erfasst er Aufstieg und Niedergang des Völkermords. Doch die Gesamtzahl der Opfer ist in allen drei Tabellen dieselbe: 5,1 Millionen Juden. Andere Historiker bestreiten Hilbergs Rechnung und sprechen von einer Zahl, die näher an sechs Millionen reicht. Nach wie vor gespalten sind Wissenschaftler in der Frage, wann genau und warum die Nazis von einer Politik der Förderung jüdischer Auswanderung (die der Hälfte der Juden Deutschlands das Leben rettete) zu einer Politik der Vernichtung (bei der vielleicht 90 Prozent der Juden Griechenlands ermordet wurden) übergingen. Und sie streiten über die Rolle der Lager für die deutsche Wirtschaft. Selbst über die Rolle Hitlers im Entscheidungsprozess sind sie sich nicht einig.2 Irving macht sich diese Differenzen zunutze — wie auch die Mehrdeutigkeiten des Auschwitz-Komplexes, wo von Krupp und der I. G. Farben betriebene Fabriken allesamt neben Birkenau existierten, einem hoch spezialisierten Tötungszentrum, wo fast eine Million Menschen vergast wurden. Aber seine Beweisführung ist ein wenig anders. 157
Der erste Riss in Irvings Panzerung wird am dritten Tag sichtbar. Rampton kehrt zu Beginn seines Kreuzverhörs zu der Telefonnotiz Himmlers vom November 1941 zurück, mit dem Befehl, dass Juden eines Transports »nicht liquidiert werden sollten«. Am Tag zuvor hatte Irving zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben, als er den Singular Judentransport in Hitlers Krieg mit Judentransporte transkribierte (womit er den Befehl, einen einzigen Zug voller Juden nicht zu töten, in ein generelles Verbot verwandelte). Er habe das Wort, sagte Irving, »dummerweise falsch gelesen«. Er legte einen Brief aus dem Jahr 1974 vor, um zu demonstrieren, wie lange der Fehler schon zurückliege. Nachdem er angemerkt hat, dass Irvings frühere Aussage »unter Eid« erfolgt sei, bittet Rampton ihn, sich diesem Brief von 1974 zuzuwenden, wo, wie sich jetzt herausstellt, »Sie es richtig abgeschrieben haben«. »Ja.« »Die Antwort, die Sie gestern gegeben haben, war somit falsch?« »Das ist richtig.« Rampton besteht energisch auf der Auslegung, dass Irving absichtlich falsch übersetzt habe, um fälschlich zu unterstellen, Hitler habe sich den Tötungen widersetzt. Aber in dieser frühen Phase hat der Richter keinen Grund, im Zweifelsfall nicht zu Irvings Gunsten zu entscheiden. Später an diesem Vormittag geht Rampton auf ein anderes Dokument aus Irvings Eröffnungsplädoyer ein, die Bemerkungen von Generalmajor Walter Bruns zu einem Gespräch mit einem gewissen Altemeyer [den Bruns als Kriegsverbrecher bezeichnet], das heimlich auf Band mitgeschnitten wurde, als er in britischer Gefangenschaft war. Rampton liest aus einem im britischen Nationalarchiv aufbewahrten Protokoll vor, wo es unter anderem heißt: »›Ja, die müssen erschossen werden, ist Führerbefehl!‹ Ich [Bruns] sage: ›Führer158
befehl?‹ ›Jawohl‹, und da zeigt er mir das.« »Also, das hier« — die Erwähnung von ›Führerbefehlen‹ — »ist niemals in einem Ihrer Bücher aufgetaucht, oder?« fragt Rampton. »Zu wahr, ja, absolut richtig«, erwidert Irving. »Warum nicht?« »Ich habe es unberücksichtigt gelassen.« »Warum lassen Sie es unberücksichtigt?« will Rampton wissen. »Ach,«, sagt Irving, »weil schließlich anderes Beweismaterial zeigt, dass Hitler den Befehl nicht erteilt hatte. Zunächst einmal habe ich gesagt, dass nirgendwo, in keinem Dokument, in keinem Archiv der Welt, so ein Befehl aufgetaucht ist.« »Das ist kein Beweis«, sagt Rampton, »das ist die Ermangelung eines Beweises.« »Es ist ein Beweis in einem sehr überzeugenden Sinne«, sagt Irving. »Es ist ein negativer Beweis.« »Ich erinnere Sie nur ungern an das grundlegende Prinzip des englischen Rechts, dass jemand so lange unschuldig ist, bis seine Schuld bewiesen ist. Habe ich Recht?« »Hitler steht hier nicht vor Gericht, leider«, bemerkt Rampton. Was Irving zu der Frage veranlasst: »Ist Hitler denn von der allgemeinen Fairplay-Regel ausgenommen?« Die Frage des Fairplay taucht periodisch wieder auf, als das Gericht am Montag erneut zusammentritt. Es ist Gray gelungen, eine Verlegung der Verhandlung in Saal 73 im frisch renovierten östlichen Gebäudetrakt zu erwirken, einem geräumigeren Gerichtssaal, der für Fälle mit vielen Beweisdokumenten reserviert ist. Bevor er das Kreuzverhör wieder aufnimmt, erwähnt Rampton, dass er Irvings »Pakete« — die Auswahl von Dokumenten, auf die er und seine Experten sich stützen werden — noch nicht erhalten habe. »Wir tun es äußerst widerwillig«, sagt Irving, 159
»aber wenn das Gesetz es verlangt, werden wir es tun. Aber das ist, als spiele man Poker und der andere habe einen Spiegel zur Verfügung.« »Mr. Irving«, sagt Rampton, »das mag so aussehen, wenn man die Art und Weise, wie heutzutage vor diesen Gerichten Prozesse geführt werden, missversteht. Natürlich ist Prozessführung kein Pokerspiel mehr. Trotzdem, alle Karten müssen auf dem Tisch liegen. Es ist wie dieses andere Spiel — wie heißt es doch gleich — Patience.« Das morgendliche Thema ist die Verantwortung Hitlers für die Massaker an Juden in Polen und der Sowjetunion. In seiner Aussage vom Vortag hat Irving behauptet, die Erschießungen »schienen chaotisch, unorganisiert und willkürlich zu sein«. Rampton zeigt Irving eine weitere Himmler-Notiz, diesmal aus Himmlers Tischkalender, die ein Treffen mit Hitler am 18. Dezember 1941 verzeichnet. MR. RAMPTON: Himmler hat geschrieben »Judenfrage«? MR. IRVING: The Jewish question. MR. RAMPTON: Und in der rechten Spalte unter »Führer« hat er geschrieben »Als Partisanen auszurotten«, nicht wahr? MR. IRVING: »To be wiped out as partisans.« MR. RAMPTON:... Das ist der Beweis, dass Hitler zumindest Vollmacht erteilte für das Massaker... MR. IRVING: An Juden. MR. RAMPTON:... an Juden im Osten? MR. IRVING: Ja.... Ich denke nicht, dass dies zwischen den Parteien in irgendeiner Form strittig ist. Zweifellos ist Rampton überrascht davon, ebenso wie von Irvings Bereitschaft, zuzustimmen, dass »mindestens eine halbe Million und wahrscheinlich sogar anderthalb Millionen« Juden 160
durch Erschießen getötet wurden. An dieser Stelle interveniert der Richter. »Berlin muss gewusst haben, dass die Erschießungen weitergingen in, wie Sie gelten lassen würden, großem Umfang?« fragt er. »Ich lasse das gelten, Mylord, ja«, sagt Irving. »Würden Sie gelten lassen, dass sie in diesem Ausmaß systematisch waren?« fragt Gray. »Oder würden Sie sagen, nein?« »Ich denke, in dem Maße, wie My Lai systematisch war«, sagt Irving, »war der Vietnamkrieg systematisch, und diese Dinge geschehen. Später werden sie von den Verantwortlichen vertuscht.« Rampton findet dies verständlicherweise unbefriedigend. Er zeigt Irving einen Befehl des Leiters der Gestapo, Heinrich Müller, an die Einsatzgruppen — die mobilen Tötungseinheiten —, in dem erwähnt wird, dass Hitler ständig über ihre Aktivitäten auf dem Laufenden gehalten würde. Der auf den 1. August 1941 datierte Befehl weist die Kommandeure der Einsatzgruppen an, sich nach Anschauungsmaterial zur Ergänzung dieser Berichte umzusehen. Irving sagt, das Dokument sei interessant, er habe es aber noch nie zu Gesicht bekommen. Als nächstes fragt Rampton Irving nach einem dieser Berichte, der den Krieg überstanden hat. Meldung 51 »an den Führer über Bandenbekämpfung«, von Himmler am 29. Dezember 1942 abgeschickt, führt 16 553 »Bandenhelfer und Bandenverdächtige« auf, von denen 14 257 hingerichtet worden seien. Der Bericht gibt außerdem an, dass insgesamt 363 211 »Juden exekutiert« worden seien. Das auf der speziellen »Führer-Schreibmaschine« mit den großen Lettern abgetippte Schriftstück trägt eine handschriftliche Notiz, die bescheinigt, dass es Hitler »vorgelegt« worden sei. Auch das lässt Irving gelten — was kaum überrascht, weil er diese Zahlen selber in Hitler’s War anführt, obwohl er in der Ausgabe von 1977 an keiner Stelle seine genaue Quelle nennt. 161
In seinem eigenen Buch sprach Irving von Himmlers »Bericht an Hitler«. Hier im Gerichtssaal behauptet Irving, Hitler habe den Bericht vielleicht niemals gesehen. Oder wenn er ihn gesehen habe, sei er zu beschäftigt gewesen, um ihn zur Kenntnis zu nehmen. Außerdem, sagt Irving, sei das Schriftstück »eine Waise, weil es so vollkommen unmöglich ist, es in den Rahmen all der anderen dokumentarischen Nachweise einzufügen, die von vergleichbarer Beweiskraft sind«. Wieder unterbricht Richter Gray: »Ich muss sagen, dass ich zögere, das zu akzeptieren. Aus folgendem Grund: Es ist ein recht einfaches Schriftstück, und es bezieht sich auf die Tötung von 300 000 Juden durch Erschießen. Es bedarf einiges, einfach darüber hinwegzugehen, finden Sie nicht auch?« »Mylord«, erwidert Irving, »wie aus einer Untersuchung der Geschichte dieses Zeitraums völlig ersichtlich ist, galt Hitlers allererste Sorge zu diesem Zeitpunkt der Rettung der 6. Armee in Stalingrad.« »Mr. Rampton«, fährt Irving fort, »das hier [Meldung 51] ist kein prozessentscheidendes Dokument. Sollte dieses Schriftstück englischen Geschworenen in einem Mordfall vorgelegt werden, ich denke, sie würden sagen, na ja, es ist interessant und wahrscheinlich hat der Kerl es getan, aber auf der Grundlage bloß dieses einen Dokuments werden wir ihn nicht an den Galgen bringen.« Rampton seinerseits erinnert Irving daran, dass »Hitler, wie wir zuvor bemerkt haben, hier nicht vor Gericht steht«, bevor er seine Aufzählung der Beweise für die Verantwortung Hitlers wieder aufnimmt. Zum Schluss liest Rampton einen Auszug aus einem Vortrag vor, den Irving im Jahr 1992 im Institute for Historical Review hielt und in dem er gesagt hatte, dass die Gaskammern »Hollywood-Legenden« seien, es aber »in Russland bestimmte, von Soldaten verübte My-Lai-artige Gräueltaten gegeben hat«. Ramp162
ton fragt: »Die Worte ›My-Lai-artige Massaker‹ haben für jede gebildete oder halbwegs gebildete Zuhörerschaft die gleiche Bedeutung, nicht wahr? Und diese Massaker wurden von Verbrechern... im Osten ohne die Billigung, Zustimmung oder Kenntnis der Leute in Berlin verübt?« »Das ist richtig«, sagt Irving. »Das ist richtig, und es stimmte nicht, oder?« »Es stimmte nicht, ja.« »Und Sie wussten, dass es nicht stimmte?« »Nein, nicht zu der Zeit.« »Nicht im Jahr 1992?« »Nein.« »Wann haben Sie erfahren, dass es nicht stimmte, Mr. Irving?« »Ich vermute, als ich anfing, die Dokumente für diesen Prozess im Einzelnen zu untersuchen.« Am fünften Verhandlungstag liest Rampton zu Beginn seines Kreuzverhörs vor, wie Irving in Hitler’s War ein Dokument beschreibt, das als Korherr-Bericht über die »Endlösung der europäischen Judenfrage« bekannt ist. Richard Korherr war Versicherungsmathematiker. Himmler hatte seine Dienste 1940 vom Innenministerium angefordert. Korherr informierte seinen Chef zunächst im März 1943, dass von den 1 449 692 aus den östlichen Provinzen deportierten Juden 1 274 166 in Lagern im Generalgouvernement* einer »Sonderbehandlung unterzogen« worden seien. Rampton macht sodann darauf aufmerksam, dass Himmler Korherr [über seinen persönlichen Referenten Rudolf Brandt in einem Brief vom 10. April 1943] angewiesen habe, * Generalgouvernement: gemäß Führererlass vom 12. Oktober 1939 geschaffenes Gebiet, das die besetzten zentralpolnischen Gebiete umfasste, die nicht in das Deutsche Reich eingeliedert werden sollten.
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das Wort »Sonderbehandlung« zu ersetzen durch »Transportierungen von Juden aus den Ostprovinzen nach dem russischen Osten«.* Warum? Irving meint, Himmler »will nicht, dass Hitler informiert wird, er will nicht, dass man es ihm unter die Nase reibt«. Rampton ist anderer Ansicht. Hitler habe sehr wohl gewusst, was geschah. Aber in Ramptons Hauptpunkt hat Irving ihm bereits Recht gegeben, nämlich, dass »Sonderbehandlung« zwar für unsere Ohren ein Euphemismus ist, für Himmler oder Hitler die implizierte Rohheit des Begriffs jedoch eindeutig war. Anschließend führt Rampton Irving durch alle Orte, an die Juden zwecks »Sonderbehandlung« transportiert wurden, wobei er wieder eine Stelle aus Hitler’s War zitiert: »›Hitler träumte vielleicht immer noch von Madagaskar, aber die Zentrale der Ostbahn in Krakau berichtete, dass seit dem 22. Juli täglich ein Transport mit 5000 Juden von Warschau... nach Treblinka fahre und dass außerdem zweimal die Woche ein Transport mit 5000 Juden Przemysl Richtung Belzec verlasse.‹« Es folgt ein kurzer Wortwechsel darüber, ob Hitler seinen Vorschlag, die Juden Europas nach Madagaskar zu schicken, ernst gemeint habe. Dann fragt Rampton, was Irvings Ansicht nach mit den Juden in diesen Zügen geschehen sei. »Die Dokumente verraten es uns nicht«, entgegnet Irving, »aber es könnte vielleicht nützlich sein, einen Blick auf eine Karte zu werfen, die es uns genau zeigt.« Rampton überreicht eine Eisenbahnkarte der deutschen Wehrmacht. Dann sagt er eine Reihe von Strecken an: von Warschau * Der erste Entwurf des Korherr-Berichts umfasste 16 Seiten. Eine auf Anweisung Himmlers gekürzte Fassung von sechseinhalb Seiten sollte Hitler vorgelegt werden. Diesen Bericht schickte Korherr am 19. April an Brandt. Hier ist lediglich von »Evakuierung« und »Evakuierungsmaßnahmen« die Rede. Der Wortlaut des endgültigen Berichts in: http://www.h-ref.de/dk/ vern/stats/ korherr_text.shtml
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über Malkinia nach Treblinka; von Lublin über Chelm nach Sobibór; oder von Lublin über Zamosc nach Belzec. »Dies, Mr. Irving, waren kleine Dörfer am Ende der Welt, und vom 22. Juli 1942 an, falls diese Zahlen, die Sie in Ihrem Buch angegeben haben, stimmen,... wurden Hunderttausende von Juden aus Lublin und Warschau deportiert... Was wollten jene Juden in diesen drei Dörfern an der russischen Grenze?« »Die mir vorliegenden Dokumente verrieten es mir nicht«, sagt Irving. Rampton fordert Irving auf, »sich als Historiker selber eine einleuchtende Erklärung einfallen zu lassen«. Als der ablehnt, sagt Rampton, er werde als Nächstes das Ausmaß des Unternehmens aufzeigen und demonstrieren, »dass jeder, der annimmt, jene Hunderttausende von Juden seien, wie sollen wir sagen, zur Erholung in diese winzigen Dörfer geschickt worden, entweder wahnsinnig ist oder ein Lügner«. »Mr. Rampton«, erwidert Irving, »darf ich nur eine Parallele ziehen und sagen, dass während des Zweiten Weltkrieges Menschen in großer Zahl nach Aldershot verschickt wurden, was ebenfalls ein winziges Dorf ist, aber ich denke nicht, irgend jemand behauptet, es habe Gaskammern in Aldershot gegeben.« »Ich unterstelle, Mr. Irving«, entgegnet Rampton, »dass jeder geistig gesunde, empfindsame Mensch aus all den Belegen, all den verfügbaren Belegen, einschließlich, wenn es Ihnen recht ist, der Erschießungen im Osten, die Sie akzeptiert haben, herleiten, dass er daraus folgern würde, dass diese Hunderttausende von Juden nicht zu einem gutartigen Zweck in diese winzigen Orte an der russischen Grenze verfrachtet wurden?« »Mr. Rampton, welche mögliche andere Schlussfolgerung könnte jemand aus der Lektüre der betreffenden Seite in meinem Buch gezogen haben? Sie deuten an, dass der Leser aufgefordert werde, einen anderen Schluss zu ziehen.« »Nein, ich frage mich natürlich, welche Position Sie vertre165
ten, Mr. Irving, denn wenn sie einfach lautet: ›Ich akzeptiere, dass die Deutschen das ganze Jahr 1941 hindurch systematisch Juden in riesiger Zahl ermordeten, dass das Morden sich in den Jahren 1942 und 1943 beschleunigte und im Jahr 1944 weiter anschwoll, aber ich akzeptiere einfach nicht, dass es Gaskammern gegeben hat‹, dann stört mich das überhaupt nicht, weil unwichtig ist, wie es gemacht wird. Tatsache ist, dass es ein systematischer Völkermord ist. Ich möchte wissen, ob Sie das akzeptieren. Sollten Sie es wirklich akzeptieren, dann können wir Professor van Pelt und all seine Arbeiten und außerdem alles andere bezüglich der Holocaust-Leugnung vergessen.« (Robert van Pelt ist Sachverständiger für die Verteidigung und Autor eines 700-Seiten-Gutachtens über Auschwitz.) Rampton hatte Irving vormals wegen seines Vergleichs der Gerichtsverhandlung mit einer Pokerpartie gerügt, aber dieses Angebot ist gewiss ein Bluff. Eine Position, welche die systematische Ermordung von Millionen Juden bestätigte, aber gleichzeitig leugnete, dass irgendeiner von ihnen in einer Gaskammer getötet worden sei, könnte lediglich rhetorisch Sinn machen. Tatsächlich schien Irving mit seinen schwankenden Zahlen — »bestimmt mehr als eine Million, bestimmt weniger als vier Millionen« — manchmal mit einer solchen Position zu liebäugeln. Aber als Symbol und als historische Tatsache ist Auschwitz beiden Seiten viel zu wichtig. Irving akzeptiert nicht. »Ich bin davon überzeugt«, sagt er, »dass der Zweck von Professor van Pelts Erscheinen hier ist, uns zu beweisen, dass die Gaskammern in Auschwitz existiert haben.« Irving lässt dem Richter eine Notiz zukommen. Ein Amtsgericht in Weinheim hat auf Grundlage einer Anklage aus dem Jahr 1996 wegen rassistischer Hetze einen Antrag auf seine Auslieferung gestellt. Es scheint, dass Irving im Jahr 1990 in Weinheim eine Rede gehalten hat, in der er behauptete, dass 166
Hitler nicht die Schuld am Krieg getragen habe und dass die Gaskammern ein Schwindel seien. Günter Deckert, damaliger NPD-Vorsitzender, der gemeinsam mit Irving auf dem Podium saß, ist bereits in Haft, und zwar nach Paragraph 130, Absatz 3, des deutschen Strafgesetzbuches, wo es heißt: »Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung... in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.« Irving argwöhnt, dass die Wahl des Zeitpunkts für die Verfügung ihn diskreditieren soll. Da die britische Regierung der Durchführung des Ersuchens offenbar bereits stattgegeben hat, macht er sich Sorgen, dass er tatsächlich inmitten des laufenden Verfahren ausgeliefert werden könnte. Richter Gray versichert ihm, dies werde nicht geschehen. Aber der Vorfall erinnert daran, dass Irvings »Fall« — wie die gesamte Kontroverse um die Gaskammern — auch eine Geschichte außerhalb Großbritanniens und der Vereinigten Staaten hat. In Frankreich, wie Deutschland ein Land mit einem Schuldbewusstsein wegen des Schicksals seiner Juden im Zweiten Weltkrieg, müssen jene, die jüdisches Leiden leugnen oder zu verunglimpfen trachten, ebenfalls mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. In den späten 1970er Jahren wurden französische Intellektuelle wegen der Affäre Faurisson in Aufruhr versetzt, die begann, als Robert Faurisson, Literaturprofessor an der Universität von Lyon, in Le Monde einen Artikel veröffentlichte, der die »gute Nachricht« verkündete, dass es die Gaskammern nicht gegeben habe. »Die angeblichen Hitlerschen Gaskammern«, schrieb Faurisson, »und der so genannte Völkermord an den Juden bilden eine einzige historische Lüge, von der in erster Linie der Staat Israel und der internationale Zionismus 167
profitieren und deren Hauptopfer das deutsche Volk, nicht jedoch seine Führer, und das palästinensische Volk in seiner Gesamtheit sind.«3 Zuvor hatte Faurisson lediglich als literarischer Kritiker von sich reden gemacht, nämlich als Autor von »A-t-on lu Rimbaud?« (Haben Sie Rimbaud gelesen?), einem Essay, in dem behauptet wird, bei den gefeierten »Voyelles« des Dichters handele es sich in Wirklichkeit um die verschleierte erotische Träumerei eines kleinen Schuljungen. Rimbauds Spiel mit Vokallauten — die voyelles des Titels — sei eigentlich eine verschlüsselte Anspielung auf die weibliche Anatomie, wobei »A« für die Genitalien stehe und »E« für die Brüste einer Frau. Unter Pseudonym veröffentlicht — Faurisson unterrichtete zu der Zeit an einem Mädchengymnasium in Vichy —, verzeichnete der Aufsatz einen Skandalerfolg. Es folgte A-t-on lu Lautréamont? (Haben Sie Lautréamont gelesen?), ein Buch, das eine ähnliche Operation an dem Autor der Prosagedichte »Die Gesänge des Maldoror« durchführte.4 Als Geschichtsdeuter war Faurisson weit weniger originell und verdankte einige seiner Argumente einer Broschüre des englischen Neofaschisten und Mitglieds der National Front Richard Verrall, Did Six Million Really Die? (Starben wirklich sechs Millionen?, die er unter dem Pseudonym Richard Harwood herausbrachte), sowie den Schriften von Arthur Butz. Der Rest stammte von Paul Rassinier, einem französischen Sozialisten, der den Krieg als politischer Häftling in Buchenwald und Mittelbau-Dora verbracht hatte und voller Bewunderung für seine Kerkermeister auftrat. Faurisson wurde körperlich angegriffen, und seine Seminare in Lyon wurden zeitweilig ausgesetzt, nachdem die Behörden der Universität sich außerstande erklärt hatten, seine Sicherheit zu garantieren. Außerdem wurde er strafrechtlich verfolgt, einmal von einer Privatperson, die Faurisson 168
beschuldigte, die Toten zu diffamieren (nach französischem Recht eine strafbare Handlung), und einmal nach einem neuen Gesetz, das die Verbreitung der unwahren Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Unterricht und Lehre unter Strafe stellte.5 Obwohl es Faurisson um die Rehabilitierung des Nationalsozialismus und seiner Kollaborateure ging, fand man seine öffentlichen Anhänger zumeist auf der extremen Linken der französischen Politik — was der Affäre einen gewissen frisson verlieh. Als der Sprachwissenschaftler und politische Aktivist Noam Chomsky den Verteidigern der Meinungsfreiheit Faurissons seinen Namen lieh, bekam die Kontroverse transatlantischen Charakter. Damals stand Chomsky unter Dauerfeuer wegen seiner frühen und freimütigen Kritik an der amerikanischen Vietnampolitik und wegen seines frühen und einsamen Eintretens für die Sache der Palästinenser. Als Chomsky jedoch weiterging und zuließ, dass eine Erklärung, die er zur Verteidigung der Rechte Faurissons verfasst hatte, als Vorwort für Faurissons vor seinem Prozess verfasstes Mémoire en défense verwendet wurde, war der Donner des Hufschlags seitens seiner Kritiker auf hohem Roß wirklich Ohren betäubend. Während Chomsky den größten Teil dieser Angriffe einfach als weiteren Beleg für die intellektuelle Böswilligkeit abtun konnte, über die er seit Jahren geschrieben hatte, war einer seiner Kritiker sehr viel ernst zu nehmender.6 Pierre Vidal-Naquet ist Altphilologe und Frankreichs größte lebende Autorität, was die Geschichte und Kultur der griechischen Antike betrifft. Außerdem ist er der Autor einer Reihe von Büchern, die die Anwendung der Folter durch die französische Regierung während des Algerienkrieges anprangern. Mit anderen Worten, sein Leumund als Gesellschaftskritiker und als Mann der Linken stand dem Chomskys in nichts nach. Auch Vidal169
Naquet ist ein langjähriger Befürworter palästinensischer Rechte. Dennoch hatte er, vielleicht weil seine Eltern beide in Auschwitz umgekommen waren, das Gefühl, dass eine Entlarvung von Faurissons Lügen ebenso wichtig sei wie eine Verteidigung seines Rechts zu lügen.7 Für Vidal-Naquet war Chomskys Handlungsweise »skandalös«, weil sie die Farce fördere, Faurissons Behauptungen seien »Befunde«, das »Ergebnis einer historischen Untersuchung, einer Untersuchung, die nach Wahrheit strebt«. Chomskys Bemerkung, dass Faurisson, »soweit ich es einschätzen konnte, eine Art relativ unpolitischer Liberaler« sei, brachte Vidal-Naquet in Rage.* Doch man achte auf seine Schlussfolgerungen: »Mit Faurisson leben? Jede andere Einstellung würde darauf hinauslaufen, dass wir die historische Wahrheit als gesetzliche Wahrheit aufzwängen, und das ist eine gefährliche Einstellung, die nur für andere Anwendungsfelder statthaft sein mag.«8 »Konfrontiert mit einem echten Eichmann«, fährt Vidal-Naquet fort, »müsste man zum bewaffneten Kampf und, falls notwendig, zur List greifen. Konfrontiert mit einem Papier-Eichmann sollte man mit Papier reagieren... Indem wir das tun, begeben wir uns nicht auf dieselbe Ebene wie unser Gegner. Wir ›diskutieren‹ nicht mit ihm; wir demonstrieren die Mechanismen seiner Lügen und Verfälschungen, was für die jüngeren Generationen methodisch vielleicht von Nutzen ist.« Die Parallelen sind unvollkommen. In welchem Ausmaß Lipstadt in der Schuld Vidal-Naquets steht, wird in dem Augenblick klar, wenn wir die obige Passage aus Assassins of Memory, die elegante, maßvolle und dennoch vernichtende Antwort des Autors auf Faurisson, neben einen ähnlichen Abschnitt aus Leugnen des Holocaust stellen: * Vielleicht die Inspiration für David Irvings unglaubliche Selbstcharakterisierung als »Laissez-faire-Liberaler«?
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»Die Holocaust-Leugner nicht zu ignorieren bedeutet nicht, sie in ein Gespräch oder einen Disput zu verwickeln. Im Gegenteil, genau das heißt es nicht. Aus zwei Gründen, einem methodischen und einem taktischen, kann man nicht mit ihnen diskutieren. Wiederholt wurde deutlich, dass die Holocaust-Leugner um jeden Preis die ›andere‹ Seite einnehmen möchten. Das Debattieren mit ihnen macht sie gerade dazu. Des Weiteren treten sie das Handwerkszeug mit Füßen, dessen Berücksichtigung die Voraussetzung für jede aufrichtige Auseinandersetzung bildet: Wahrheit und Vernunft. Mit ihnen zu reden wäre so, als wollte man einen Wackelpudding an die Wand nageln.«9 »Als wollte man versuchen, einen Wackelpudding...« Obwohl sie sich auf seine Argumente bezieht, ist Deborah Lipstadt kein Vidal-Naquet. Was ihr fehlt, ist seine intellektuelle Bandbreite, seine Klarheit des Denkens und sprachlichen Ausdrucks, seine geistige Statur als Jude, der sein politisches Engagement niemals auf jüdische Angelegenheiten beschränkt hat. Und obwohl auch sie eine Gegnerin »gesetzlicher Sanktionen« ist, scheint Lipstadt die Macht des Staates, anstößige Ansichten zum Schweigen zu bringen, eher aus taktischen Gründen — weil Sanktionen »die Holocaust-Leugner zu Märtyrern auf dem Altar der freien Meinungsäußerung erheben«10 — denn aus Prinzip außer Acht zu lassen. Auch wenn Vidal-Naquets Bemerkung, dass Israel »in der Diaspora häufig nur im Licht der Nazi-Erfahrung beurteilt wird, was für den Staat keine besonders erhebende Perspektive ist«, aus dem Munde von Deborah Lipstadt unvorstellbar wäre, klingt ihr Buch trotzdem wie eine Warnung vor einem Phänomen, das, wie Vidal-Naquet als Erster beipflichten würde, unsere Aufmerksamkeit verdient.11 Außerdem verblasst Lipstadts Schuld 171
gegenüber Vidal-Naquet neben der Schuld David Irvings gegenüber Faurisson. Obwohl er es viele Male anbot, sagte David Irving zu Robert Faurisson, er solle nicht nach London kommen, um als Zeuge auszusagen. Stattdessen bat Irving John Keegan und Donald Cameron Watt, zwei britische Historiker, die sich in Rezensionen positiv zu seinen Büchern geäußert hatten, ihre Stellungnahmen vor dem Richter zu wiederholen. Als beide ablehnten, ließ er sie vorladen. Während der Verhandlung erwähnt Irving oft abschätzig »Establishment-Historiker«, die, weil sie die mühsame Arbeit scheuten, bei alternden Nazis und in ihren Hinterlassenschaften Dokumente aufzustöbern, es vorzögen, abgekapselt in ihren »von Büchern gesäumten Höhlen« zu bleiben. Wie jede Karikatur ist dies eine parteiische Sichtweise, aber als Donald Cameron Watt zum Zeugenstand hinaufsteigt, können wir sehen, woran Irving gedacht hatte. Watt, Professor für Internationale Geschichte an der London School of Economics, wo er in den vergangenen 39 Jahren unterrichtet hat, diente von 1947 bis 1948 im Geheimdienst der britischen Armee in Österreich, wo er das erbeutete Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes sichtete. Viele Jahre lang gehörte er außerdem der Forschungsabteilung des britischen Außenministeriums an. In den späten 1960er Jahren verfasste Watt eine Einleitung zu einem von Irvings Büchern, einer Sammlung von Dokumenten aus dem deutschen »Forschungsamt« — dem NS-Gegenstück zu den Code-Knackern in Bletchley Park. Irving, der seinen Platz am Anwaltstisch wieder eingenommen hat, bittet Watt, das Buch zu beschreiben. »Ich finde, es ist — von unschätzbarem Wert ist vielleicht eine etwas zu starke Formulierung«, erwidert Watt, »aber es ist ein ziemlich beeindruckendes Stück histori172
scher Gelehrsamkeit, und eines, das sich nicht mit den Fragen befasst, aufgrund derer Mr. Irving klagt.« Über diese Fragen sagt Watt: »Es fiele mir sehr schwer, Ihre Version von Hitlers Persönlichkeit und seiner Kenntnis des Holocaust, einer Kenntnis des Massenmords an den Juden, zu akzeptieren. Natürlich ist das eine Ansicht, die ich in den Rezensionen, die ich zu Ihrem Buch Hitler’s War schrieb, zum Ausdruck gebracht habe.« Rampton verzichtet auf ein Kreuzverhör und überlässt es Richter Gray, seine eigene Neugier zu befriedigen. »Darf ich bloß dies fragen: Wie schätzen Sie Mr. Irving als Militärhistoriker ein, und ich betone das Wort ›Militär‹?« »Ich denke, Mr. Irving gehört nicht zur Spitzengruppe«, sagt Watt, »aber als Historiker des Hitlerschen Krieges scheint er...« »Genau das meinte ich.« »Ich denke, er vertritt eine Ansicht, die man, auch wenn man nicht damit übereinstimmt, ernst nehmen muss. Schließlich ist er der einzige Mensch von Rang, auf der Grundlage seiner sonstigen Forschung, der Argumente für Hitler vorträgt, und mir scheint, es wäre falsch, das abzutun... Ich muss sagen, dass ich hoffe, niemals der Art von Prüfung unterzogen zu werden, der Mr. Irvings Bücher durch die Zeugen der Verteidigung unterzogen worden sind. Ich habe das sehr starke Gefühl, dass es andere ältere Historiker gibt, darunter ein paar, denen meine eigene Karriere ziemlich viel verdankt, deren Arbeit insgesamt oder in Teilen dieser Art von Prüfung nicht standhielte.« Wie als Buße für seine frühere Nichtanerkennung fügt Watt hinzu: »Die Herausforderung, die darin lag, die Art von Ansichten vorzutragen, die Sie [Irving] vorgetragen haben, und sie lieber auf historische Forschung als auf ideologische Überzeugung zu gründen, oder zumindest den Anschein zu erwecken, führte unmittelbar zu einer gewaltigen Zunahme der Erfor173
schung...« »Des Holocaust?« schlägt Irving vor. »... der Massaker an den Juden, des Holocaust und so weiter, die inzwischen zu einem derart riesigen historischen Forschungsgebiet geworden ist, dass ganze Zeitschriften, dass ganze Konferenzen davon leben können. Ich weiß, dass in Großbritannien im kommenden Jahr drei geplant sind und dass ich selber auf einer in Amerika im März dabei bin. Das, denke ich, ist ein direktes Resultat der Herausforderung, die Mr. Irvings Werk darstellt.« Irvings nächster Zeuge ist weniger hilfsbereit. Am elften Tag teilt Irving dem Gericht mit, er schätze, dass er drei Tage brauchen werde, um Kevin MacDonald zu befragen, einen amerikanischen Wissenschaftler, der aus Kalifornien herfliege, um zu seinen Gunsten auszusagen. Doch als MacDonald am darauf folgenden Montag vor Gericht erscheint, ist seine Aussage bis zur Mittagspause beendet. MacDonald, Professor für Psychologie an der California State University in Long Beach, ist groß und hager, trägt einen grauen Nadelstreifenanzug von mehr amerikanischem als englischem Schnitt und eine Brille mit schwarzem Metallgestell. MacDonald ist Entwicklungpsychologe, ein Gebiet, das sich aus der Ansicht des Soziobiologen E. O. Wilson entwickelte, es gebe eine genetische Erklärung für menschliches Verhalten. Wilsons Theorien basieren auf seiner Erforschung von Ameisen. Evolutionsbiologen wie Randy Thornhill und Craig T. Palmer, die Autoren von A Natural History of Rape: Biological Bases of Sexual Coercion, untersuchen den Menschen. Kevin MacDonald untersucht Juden. In seinem Buch A People That Shall Dwell Alone: Judaism as a Group Evolutionary Strategy beschreibe er, verkündet MacDonald dem Gericht, »im Grunde bloß den Judaismus vom Stand174
punkt meiner Evolutionsbiologie aus, einschließlich der judaistischen Ideologie, der Trennung der jüdischen Erbmasse von benachbarten Völkern, des Wettkampfs um Ressourcen zwischen Gruppen und so weiter, der Kooperation innerhalb der Gruppe und so weiter.« Der zweite Band von MacDonalds Judaismus-Trilogie, Separation and Its Discontents: Toward an Evolutionary Theory of Anti-Semitism, bildet die Grundlage für sein Sachverständigengutachten, in dem er schreibt: »Während antisemitische Einstellungen und Verhaltensweisen zweifellos häufig durch Mythen und Phantasien über Juden gefärbt wurden, gibt es ziemlich viele antijüdische Schriften, welche die Realität von GruppenKonkurrenz widerspiegeln.« MacDonalds Ansicht, dass Juden sich den Hass selbst zuzuschreiben hätten, wird in The Culture of Critique: An Evolutionary Analysis of Jewish Involvement in Twentieth Century Intellectual and Political Movements weiter ausgeführt. Hier schließt MacDonald seine Trilogie mit der Behauptung ab, dass Psychoanalytiker, die Frankfurter Schule der Gesellschaftskritik und »New Yorker Intellektuelle« allesamt Teil einer Verschwörung mit dem Ziel der »Veränderung der westlichen Gesellschaften« zum Nutzen der Juden seien. Irvings offensichtliche Überzeugung, MacDonalds groteske Parodie der Sozialwissenschaften könne seiner Beweisführung dienlich sein, ist ein Geschenk für Rampton, der sich erneut die Mühe eines Kreuzverhörs schenkt. Selbst der Umstand, dass Irving MacDonald benutzt, um sein gewichtiges »Paket E« — das Dossier über die scheinbar langfristig angelegten Bemühungen jüdischer Organisationen, Irvings Ansichten zu dikreditieren, zu dem auch Lipstadts Korrespondenz mit Yehuda Bauer gehört — in das Beweismaterial einzubringen, ist von zweifelhaftem Nutzen, da Irvings verständliche Verärgerung über diese Kampagne nun mit MacDonalds verrückten Verschwörungstheo175
rien verknüpft ist. MacDonalds Zeugenaussage endet mit einer beinahe komischen Note, als Irving fragt: »Halten Sie mich aufgrund Ihres Wissens über mich für einen Antisemiten?« Für die Absurdität, die darin liegt, diesem Zeugen diese Frage zu stellen, fehlt MacDonald jeglicher Sinn.* Stattdessen erwidert er würdevoll: »Ich halte Sie nicht für einen Antisemiten. Ich habe mit Ihnen jetzt schon ziemlich viele Diskussionen geführt, und Sie haben Juden fast nie auch nur erwähnt, und wenn doch, dann niemals generell abwertend.« Irvings dritter Zeuge ist Peter Millar. Seine rosigen Wangen, seine freundliche Art und seine blonden Locken verleihen ihm ein jungenhaftes Auftreten, das nur einen leichten Kontrast zu seinem faltigen Gesicht und der roten Nase darstellt, die typischer für seinen Beruf sind. Millar ist Reporter, und er ist wie MacDonald freiwillig vor Gericht erschienen. Aber damit endet die Ähnlichkeit auch schon. Als die Sunday Times Irving beauftragte, nach Moskau zu reisen, um die Goebbels-Tagebücher zurückzubringen, schickte die Zeitung Millar als »Babysitter« mit. In ihrem Artikel »Spin Time for Hitler« behauptete Gitta Sereny, dass sich Irving, als er durch Elke Fröhlich, eine Freundin im Institut für Zeitgeschichte in München, von der Existenz der Tagebücher erfahren habe, prompt »durch seine Überredungskraft Zutritt zu dem Moskauer Archiv verschaffte«. Laut Sereny borgte Irving sich »ein Dutzend« der Glasplatten aus, welche die mikroverfilmten Tagebuchseiten enthalten, und »schmuggelte die Platten außer Landes«. Schließlich, »da er wusste, dass Dr. Fröhlich im Urlaub * und der British Press Association ebenfalls, deren Bericht über MacDonalds Aussage die Überschrift trug: »Judaismus-Experte teilt Gericht mit: Irving kein Antisemit«!
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war«, schrieb Sereny, habe Irving in ihrem Münchner Institut Kopien der Platten anfertigen lassen und sodann das Verdienst für die gesamte Entdeckung beansprucht.12 Die Frage, ob Irving seine Beziehung zu Fröhlich, die früher einmal als Forscherin für ihn gearbeitet hatte*, ausgenutzt habe, ist zentral für Irvings Prozess gegen Gitta Sereny. Aber in Lipstadts Buch reduziert sich die gesamte Episode buchstäblich auf eine Fußnote. Lipstadt warf Irving vor, gegen seine Vereinbarung mit dem russischen Archiv** verstoßen zu haben: »Er entnahm viel mehr Platten, schaffte sie ins Ausland und ließ sie ohne Erlaubnis des Archivs kopieren.« Weiter schrieb Lipstadt: »Aus Archivar- und Dokumentarkreisen haben sich besorgte Stimmen vernehmen lassen, dass er die Platten im Zuge seiner Eigenmächtigkeit möglicherweise schwer beschädigt habe.«13 Fröhlich wird an keiner Stelle erwähnt. Vor Gericht behauptet die Verteidigung lediglich, dass Irving riskiert habe, die Platten zu beschädigen, deren Anzahl man von »viel mehr« auf »ein paar« reduziert. In seinem Tagebuch beschreibt Irving sein Verhalten in Moskau als »illegal«. Irving bestreitet nicht, in der Mittagspause eine Reihe von Glasplatten aus dem Archiv geschmuggelt, sie in Karton eingeschlagen und auf einem brach liegenden Gelände in der Nähe des Archivs deponiert zu haben, um sie am gleichen Abend dort abzuholen, damit sie Andrew Neill, dem Chefredakteur der Sunday Times, der zu dieser Zeit in Moskau war, gezeigt werden konnten. Und er bestreitet ebenso wenig, nachdem diese Platten erst einmal * Sie heiratete später den Direktor des Instituts, Martin Broszat, dessen gegen Hitler’s War gerichteter Aufsatz aus dem Jahr 1977 zum ersten Mal Fragen hinsichtlich der Verwendung von Quellen und Dokumenten durch Irving aufwarf. ** Laut Lipstadt hatte Irving vom Archiv die Genehmigung, zwei Mikrofiche-Platten zu kopieren (Lipstadt, a. a. O., S. 285).
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zurückgegeben worden waren, zwei weitere entfernt und zuerst nach München, wo er Kopien anfertigen ließ, und dann weiter nach London mitgenommen zu haben, damit sie forensischen Tests unterzogen werden konnten — wieder ohne die Russen um Erlaubnis zu fragen. Freiberufler Millar, der fließend Russisch und Deutsch spricht, bestätigt all dies und macht im Kreuzverhör durch Rampton aus seiner Missbilligung von Irvings Verhalten sowohl zum damaligen Zeitpunkt als auch später keinen Hehl. Irving selber behauptet, dass er sich »zutiefst schäme, das getan zu haben. Normalerweise geht man nicht in Archive und entfernt Dokumente, auch wenn man sie natürlich am nächsten Tag zurückstellen wird.« Genau das ist es, was Irving bereits 30 Jahre zuvor mit den Papieren von Lord Cherwell in Oxford getan hatte, und es war nicht allzu schlecht ausgegangen. Millar bestätigt Irvings Behauptung, dass er keine schriftliche Vereinbarung mit den Russen getroffen habe, die er als Leute schilderte, mit denen man Geschäfte gegen Barzahlung machte. Er sagt auch, er sehe keine Veranlassung, Irvings Behauptung anzuzweifeln, dass er durch eine Freundin im Institut für Zeitgeschichte in München zum ersten Mal von den Tagebüchern gehört habe. Millar fügt hinzu, dass er bei seinen Besuchen in Irvings Wohnung niemals das Adolf-Hitler-Porträt gesehen habe, von dem Lipstadt behauptet, es hänge über dem Schreibtisch Irvings.* »Es gab«, ergänzt er, »ein Aquarell, das mich außerordentlich interessierte, und Irving sagte, dass Adolf Hitler es gemalt habe, und ich sagte, es sei bedeutend besser als die von meiner Schwiegermutter.« * Obwohl Lipstadts Darstellung, gegen die Irving in dem Prozess erbittert protestierte, ohne Zweifel aus Selling Hitler von Robert Harris stammt (S. 189), hat Irving Harris niemals gerichtlich belangt.
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»Ihre Schwiegermutter besitzt auch ein Bild von Hitler?« fragt der Richter ungläubig. »Meine Schwiegermutter malt Aquarelle, Sir«, erwidert Millar. Als Millar aus dem Zeugenstand entlassen wird, sind es noch 40 Minuten bis zum Mittagessen. In der verbleibenden Zeit weist Rampton Irving energisch auf das Risiko hin, dass die Platten auf dem Weg nach London hätten beschädigt werden können. Er erkundigt sich, ob der Safe des Münchner Hotels, in dem sie deponiert wurden, feuersicher gewesen sei, aber er ist nicht mit dem Herzen bei der Sache. Seine Laune bessert sich allerdings bei der Feststellung, dass Irving bei der Darstellung der Reise in seinem Tagebuch ein Treffen mit Ewald Althans erwähnt, der es arrangierte, dass Irving auf einer Versammlung sprach, an der auch Ernst Zündel teilnahm. Wer Althans sei, will Rampton wissen. »Ein junger deutscher Hitzkopf«, sagt Irving. Aufgefordert, sich etwas genauer auszudrücken, fügt er hinzu: »Ich glaube, er war ein Revisionist. Ich denke, das Wort trifft.« »Das will ich gern glauben, dass er Revisionist war«, sagt Rampton. Aber ob Althans ein Rechter sei? »Mit ›Rechter‹ meine ich jemanden, der die Einwanderung von Farbigen nach Deutschland oder in ein anderes europäisches Land keinesfalls billigen würde.« »Ich glaube nicht, dass er aktiv dafür eintreten würde«, erwidert Irving. Legt man diesen Maßstab an, könnte man auch Irvings letzten Zeugen als Rechten betrachten. John Keegan ist langjähriger Redakteur für Wehr- und Verteidigungsfragen des Daily Telegraph, des Qualitätsblatts der ehrbaren konservativen Meinung in Großbritannien, und er ist der Autor von The Face of Battle 179
(Das Antlitz des Krieges. Die Schlachten von Azincourt 1415, Waterloo 1815 und an der Somme 1916, Frankfurt am Main u. a. 1991) und vielen anderen Bücher über moderne Kriegführung. Keegans Name war ein paar Wochen zuvor auf der Neujahrsliste der Titel- und Rangverleihungen der Königin erschienen: »Für Verdienste um die Militärgeschichte« wurde er in den Adelsstand erhoben. Dies verschafft Irving die Gelegenheit, ihn mit »Sir John« anzureden. Im Jahr 1980 hatte Keegan im Times Literary Supplement erklärt: »Zwei englischsprachige Bücher ragen aus der umfangreichen Literatur über den Zweiten Weltkrieg heraus: The Struggle for Europe [Der Kampf um Europa, Frankfurt am Main u. a. 1954] von Chester Wilmot, 1952 erschienen, und Hitler’s War von David Irving.« Als Keegan, der behindert ist und nur schwer laufen kann, im Zeugenstand Platz genommen hat, sagt Irving, er wolle »zuallererst dem Gericht gegenüber vollkommen klarstellen, dass Sie gemäß einer Zeugenvorladung hier sind, mit anderen Worten, aufgrund dessen, was früher sub poena, Vorladung unter Strafandrohung, hieß«. »Ich wurde von Ihnen als Zeuge vorgeladen«, bestätigt Keegan. »Außerdem möchte ich feststellen, dass ich Ihnen bis zu diesem Augenblick noch niemals begegnet bin, dass ich nie mit Ihnen gesprochen oder mit Ihnen korrespondiert habe.« Irving fragt Keegan, ob er Grund habe, seine hohe Meinung von Irvings Werk zu revidieren. »Ich sage häufig: Sie müssen Hitler’s War lesen«, erwidert Keegan. Aber er erinnert Irving auch an einen Satz aus seinem eigenen Buch A Battle for History, den Irving vor Gericht noch nicht vorgelesen hat: »Einige Kontroversen sind vollkommen herbeigeredet, wie David Irvings Behauptung, die Untergebenen Hitlers hätten die Tatsache der Endlösung vor ihm geheim gehalten.« »Natürlich ist das immer noch Ihre Ansicht, nicht?« fragt 180
Irving. »Dass ich mich hinsichtlich des Holocaust irre oder dass meine Ansicht dazu fehlerhaft sei?« »Dass Hitler nicht Bescheid wusste«, sagt Richter Gray. »Also, ich habe die entsprechenden Passagen aus Hitler’s War übers Wochenende sehr sorgfältig gelesen«, sagt Keegan, »und ich halte die von Ihnen eingebrachte These nach wie vor für abwegig, dass Hitler bis zum Oktober 1943 nicht gewusst haben konnte, was mit der jüdischen Bevölkerung Europas und mit vielen anderen Minderheitsgruppen, und nicht nur mit Minderheitsgruppen, vor sich ging.« Tatsache ist, dass Keegans Schärfe Irving nicht schadet. Obwohl sie in der Frage, ob Hitler Bescheid wusste, gegenteiliger Ansicht sind, teilen sie eine Sichtweise, derzufolge Geschichte im Wesentlichen aus »Karten und Kerlen« bestehe. Keegans Darstellung des Zweiten Weltkriegs in The Second World War zu lesen heißt, eine Welt der Stabsoffiziere und Schlachtfelder zu betreten, in welcher »gewöhnliche Männer«, deren Mittäterschaft am Völkermord Daniel Jonah Goldhagen und Christopher Browning so nachdrücklich geltend machen, kaum in Betracht gezogen werden. Tatsächlich ist der Holocaust dem 500Seiten-Buch, das sich alle Mühe gibt, dem Leser zu vermitteln, warum der »Blitzkrieg« für die Deutschen, die Polen überrannten, »ein Zauber zu sein schien, der die Armee selber ergriffen hatte«, und das ein ganzes Kapitel der Invasion Kretas und fast ein ganzes weiteres Kapitel den italienischen Feldzügen in Libyen und Äthiopien widmet, genau zwei Abschnitte wert. In einem davon beschreibt Keegan die Mörder als »deutsche SS- und Sicherheitsdienst-Männer und örtlich angeworbene Milizen«. Dass viele Tausende von Juden von gewöhnlichen deutschen Soldaten ermordet wurden, darüber herrscht zwischen Browning und Goldhagen15 Einigkeit, doch die Wirkung ist beinahe so, als versuchte Keegan, die Ehre der Wehrmacht zu schützen — als 181
hätte der Mord an den Juden nichts mit dem Krieg oder seinem Verlauf zu tun gehabt. Die Militärgeschichte mag eine unterentwickelte Disziplin sein, die Domäne von Generälen im Ruhestand und Generälen im Lehnstuhl, die auch noch stolz auf ihre Unwissenheit sind.* Von Irving gebeten, auf eine Bemerkung Eberhard Jäckels etwas zu erwidern, sagt Keegan: »Ich habe noch nie von ihm gehört, aber ich bin eben auch ein Militärhistoriker mit ziemlich technischer Ausrichtung, und es ist nicht notwendig, dass ich von ihm gehört habe.« Jäckel steht wissenschaftlich für die Zusammenführung von Holocaust und Schlachtfeld. Trotzdem wird es der Verteidigung beim Richter, dem Winchester College-Absolventen Charles Gray, keinen einzigen Punkt einbringen, Keegans Privatschul-Vorstellung von Geschichte anzugreifen. Keegan, der offensichtlich auch noch nie von Raul Hilberg gehört hat, lobt hingegen Gerald Reitlingers Die Endlösung (1953), »das ich als Student gelesen habe« und »das die Quelle alles Wesentlichen ist, was ich über den Holocaust weiß«.** * Michael Geyer, Professor für europäische Zeitgeschichte an der Universität von Chicago, und ein Forscher, der in seinen eigenen Arbeiten Militärund Sozialgeschichte integriert, deutete mir gegenüber an, dass diese herausfordernd engstirnige Weltsicht den ausgezeichneten Ruf Irvings unter Militärhistorikern erkläre. ** Keegans mangelnde Vertrautheit mit dem aktuellen Forschungsstand über den Holocaust hat ihn in der Vergangenheit nicht davon abgehalten, sich öffentlich zu dem Thema zu äußern. Im November 1996 schrieb er einen Artikel für die New York Times, mit dem er sich in die Kontroverse über die Frage einschaltete, ob Großbritannien mehr hätte tun können, um bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern mitzuhelfen. Darin behauptete er, sowjetische Feindseligkeit habe die Übergabe von Informationen, die aus dekodierten Meldungen der deutschen Polizei herrührten, verhindert. Aber wie Richard Breitman in Staatsgeheimnisse betont, beruhten die dekodierten Meldungen nicht auf ENIGMA-Entschlüsselungen und wurden den Russen in jedem Fall schon während des Krieges zugänglich gemacht. (Breitman, S. 241-244)
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Auch in seiner Bibliographie zu The Second World War preist Keegan Reitlinger — mit folgendem Vorbehalt: »wenngleich die Geschichte des Holocaust seitdem außerordentliche Fortschritte gemacht hat und obwohl sein Buch sich größtenteils mit den Juden beschäftigt und weniger mit den vielen anderen Gruppen, die vom Vernichtungsapparat der Nazis systematisch massakriert wurden.«16 In diesen Formulierungen klingen die »vielen anderen Minderheitsgruppen« nach, deren Schicksal in Keegans Zeugenaussage mit dem der Juden gleichgesetzt worden ist. Abgesehen von den Zigeunern, die tatsächlich auf genau dieselbe Art wie die Juden systematisch abgeschlachtet wurden (und die ihm in seinem Buch nicht eine einzige Erwähnung wert sind), ist schwer auszumachen, an welche »anderen Gruppen« Keegan denkt. Viel leichter zu verstehen ist indes, warum die lange überholte Studie Reitlingers Anklang bei Keegan findet. Die Endlösung bietet, was man als eine Privatschul-Sichtweise des Holocaust bezeichnen könnte. Reitlinger, Sohn eines bekannten jüdischen Bankiers und selber in der Westminster School und in Christ Church, Oxford, erzogen, schildert die Vernichtung der Juden als einen »Versuch«, der nicht erfolgreich war. Aber wie hätte er es auch sein können, wo die Täter doch, mit Reitlingers Worten, »infantil« und »lächerlich« waren. In seiner Darstellung hob er Bergen-Belsen hervor, das einzige bedeutende Lager, das von britischen Einheiten befreit wurde. Reitlinger, der für seine Landhaus-Parties in Kent und Sussex berühmt war, die ihm den Spitznamen »The Squire« (Der Junker) eintrugen, war ein solch ausgeprägter Patriot, dass er sogar bestritt, das britische Außenministerium habe Versuche zur Rettung von Juden vereitelt.17 Für sich genommen stellte Keegens widerwilliger Tribut an Irvings Fähigkeiten als Forscher für Rampton kein Problem dar. Aber wenn sie schon nicht direkt angegriffen werden konnte, 183
musste die Sichtweise von Geschichte, die Keegan repräsentierte — und die sich in Reitlinger widerspiegelte —, dennoch überwunden werden. Schließlich war es Reitlinger gewesen, der erklärte, dass er als Grundlage seiner Forschungsarbeit deutsche Dokumente aus der Kriegszeit bevorzuge, und daraufhingewiesen hatte, dass bei »Berichten von Überlebenden... eine gewisse Zurückhaltung geboten« sei.18 Doch wie das Gericht in Kürze erfahren sollte, wäre die Geschichte von Auschwitz ohne Berichte von Überlebenden immer noch ein Puzzle.
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6 Mr. Death Auschwitz wurde nicht an einem Tag erbaut. In ihrem Buch Auschwitz: 1270 to the Present unterscheiden Debórah Dwork und Robert Jan van Pelt zehn unterschiedliche Phasen in der Entwicklung des Lagers, beginnend mit dem Jahr 1940, als Auschwitz zum einen als Konzentrationslager fungierte, das bei der Unterjochung der polnischen Bevölkerung der Region mitwirkte, und zum anderen als Sitz der Deutschen Erd- und Steinwerke (DEST), eines SS-eigenen Unternehmens, das Sand und Kies aus dem Fluss Sola zu Baumaterialien für das Reich verarbeitete. Außerdem beherbergte das Lager landwirtschaftliche Betriebe und Versuchsanstalten, die als Zentrum eines riesigen landwirtschaftlichen Imperiums dienen sollten, das wiederum jenen Volksdeutschen Migranten Nahrung und Beschäftigung bieten sollte, die Himmler in dem durch die ethnische Säuberung von der ansässigen Bevölkerung verfügbar gewordenen Lebensraum ansiedeln wollte. Ein anderer Aspekt eben dieses Projekts — Himmlers Umgestaltung des deutschen Ostens zu einem rassischen Utopia — war die Errichtung der I. G. Farben-Produktionsstätte für synthetischen Kautschuk (»Buna«) in Auschwitz-Monowitz. Um die I. G. Farben auf seine Seite zu locken, versprach Himmler dem Unternehmen einen Zwangsarbeiter-Bestand von 100 000 sowjetischen Kriegsgefangenen — ein Nebenprodukt der erwarteten Eroberung der Sowjetunion —, um die Fabrik zu errichten und zu betreiben. Diese Gefangenen würden außerdem dazu benutzt werden, eine gewaltige Fabrikstadt zu errichten, in 185
welcher anschließend die anderen Unternehmen untergebracht werden konnten, die Himmler in diesem Gebiet anzusiedeln gedachte. Im Gegenzug willigte die I. G. Farben ein, Baumaterialien für Himmlers Germanisierungsprojekt innerhalb des umliegenden, knapp 40 Quadratkilometer großen »Interessengebietes«* zu finanzieren und zu liefern. Anfang des Jahres 1942, als sich abzeichnete, dass sowjetische Kriegsgefangene nicht im Überfluss vorhanden sein würden, entschied Himmler, dass Juden ihren Platz einnehmen sollten. Obwohl der Massenmord an Juden durch die Einsatzgruppen bereits in vollem Gange war, hielt Himmler an seinem rassischen Utopia fest. Seine Pläne verlangten Arbeiter, und als Hermann Göring im Januar 1942 anordnete, dass sowjetische Kriegsgefangene zur Arbeit in deutsche Rüstungsfabriken geschickt werden sollten, nutzte Himmler die Befugnisse, die ihm und Heydrich durch die am 20. Januar 1942 im Interpolgebäude, Am Großen Wannsee 56-58, in Berlin abgehaltene Konferenz über eine »Endlösung der Judenfrage in Europa« übertragen worden waren, um die Deportation von Juden nach Auschwitz anzuordnen.1 Als Kronjuwel in Himmlers Reich sollte Auschwitz ein Schaustück sein. Und bis zu diesem Punkt, so Dwork und van Pelt, sei Aufbau vor Vernichtung gegangen. Hinrichtungen habe es in Auschwitz zwar von Anfang an gegeben, sowohl Insassen des Konzentrationslagers als auch andere Polen, die vom GestapoSondergericht in Kattowitz verurteilt worden waren, seien davon betroffen gewesen. Aber die Zahlen seien relativ niedrig gewesen: 3000 durch das Gericht Verurteilte und weit weniger
* Die Bewohner dieses Gebietes wurden ausgesiedelt; hier sollte ein sog. »Gutsbezirk der Waffen-SS« errichtet werden, der Eigentum der SS sein sollte (Hilberg, a. a. O., S. 944).
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aus dem Lager selbst. Die extreme Sicherheit, die relative Abgeschiedenheit und das Vorhandensein von Krematorien zur Beseitigung der Leichen hätten Auschwitz zur geeigneten Hinrichtungsstätte gemacht, und bald seien dort auch die ersten verurteilten sowjetischen Kriegsgefangenen eingetroffen. Birkenau, ein mehrere Kilometer vom Hauptlager entferntes Gebiet, sollte ursprünglich sowjetische Kriegsgefangene oder, bei deren Ausbleiben, gesunde, junge Zwangsarbeiter beherbergen. Aber als die Regierung des als Diktator der Slowakei eingesetzten katholischen Priesters Jozef Tiso vereinbarte, slowakische Juden als Arbeitskräfte nach Auschwitz zu liefern an Stelle von versprochenen Slowaken, erkannten die Slowaken, dass man dann jene Juden bei ihnen zurückließ, welche die SS für arbeitsuntauglich hielt. Die Slowaken beschwerten sich bei Adolf Eichmann, und am Ende willigte die SS ein, ihnen die anderen Juden gegen eine Gebühr von 500 Reichsmark »pro Stück« abzunehmen (welche die Slowaken durch die Enteignung des Besitzes, den die Deportierten zurückließen, mehr als wettmachten). In Erwartung ihrer Ankunft befahl Himmler, ein Gehöft in Birkenau zu einer Gaskammer umzubauen. Am 4. Juli 1942 wurden die ersten Transporte slowakischer Juden selektiert. Die als arbeitsfähig Eingestuften nahm man im Lager auf, während der Rest unmittelbar nach der Ankunft vergast wurde. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt, so Dwork und van Pelt, »war die systematische Vernichtung von Juden noch immer [bloß] Zusatzfunktion des Lagers«, das während dieses ganzen Zeitraums weiterhin als Zwangsarbeiter-Reservoir für verschiedene in der Nähe gelegene deutsche Fabriken und als Durchgangslager für jene paar Juden, überwiegend Facharbeiter, diente, die ausgewählt worden waren, um im Reich zu arbeiten. Dworks und van Pelts Geschichte der Stätte zeichnet einen krummen Weg mit vielen Drehungen und Wendungen, der schließlich in 187
Auschwitz als einem Synonym für den massenhaften Tod endet. (Damit widerlegen sie auf denkbar nachdrücklichste Weise Goldhagens bizarre und durch keinerlei Beweise gestützte Behauptung: »Es führte ein gerader Weg nach Auschwitz.«)2 Bei der Darlegung seines Standpunktes wird Rampton diesen krummen Weg mit Hilfe des Gutachtens von van Pelt nachzeichnen müssen, während Irving, der zu Auschwitz keinen eigenen Zeugen aufgeboten hat, versucht, die Diskussion umzuleiten. Doch zuvor muss Rampton gewisse Voraussetzungen schaffen. Die drei Bälle, mit denen Rampton jonglieren muss, sind System, Umfang und Methode. Die Entwicklung mag planlos verlaufen sein, aber als Vernichtungslager entstand Auschwitz aus einer Herangehensweise an die »Judenfrage«, die, ungeachtet der Ursprünge, in ihrer Organisation bürokratisch war. Wenn Rampton beispielsweise betont, Hitler habe Bescheid gewusst, zielt er damit vielleicht direkt auf Irvings Behauptung, Hitler habe bis zum Schluss von der Ermordung der Juden nichts gewusst und sei folglich unschuldig geblieben. Aber niemand behauptet, dass die Gaskammern Hitlers Idee waren.* Umfang und System hängen zusammen, der Umfang lässt * Obwohl Lucy Dawidowicz dem nahe kommt. In Mein Kampf (S. 772) schrieb Hitler: »Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mussten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen.« Dawidowicz fragt sich: »Hat die Idee der Endlösung ihren Ursprung in dieser Passage und keimte sie ungefähr fünfzehn Jahre in Hitlers Unterbewusstsein, bevor sie zu praktischer Realität spross?« Doch sogar sie erkennt, dass die Idee einer »Massenauslöschung der Juden« schon eine Zeit lang in Umlauf war. Und natürlich braucht man keine Gaskammern, um 15 000 Menschen zu ermorden. (The War Against the Jews, S. 27) Goldhagen geht weiter, wenn er behauptet, »Hitlers apokalyptisch verbogener Verstand begriff
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sogar auf ein bestimmtes System schließen, da nicht einmal Irving glaubt, dass ein Haufen unorganisierter Schläger in Uniform es bewerkstelligen konnte, zwischen fünf und sechs Millionen Menschen zu ermorden. Der Umfang lässt auch auf die Methode schließen, und auf dieser Straße macht Rampton sich auf den Weg nach Auschwitz. Er beginnt, indem er die Folgen der Entscheidung Hitlers vom Herbst 1941 über die »Entfernung d. Juden aus dem Protektorat« (Notiz vom 7. Oktober 1941 in den Aufzeichnungen Dr. Köppens über Hitlers Tischgespräche) und aus dem Altreich, also dem Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vor 1939, nachzeichnet. Rampton liest einen Brief Himmlers an Arthur Greiser, den Statthalter des Reichsgaus Wartheland (jener Teile Polens, die ins Deutsche Reich eingegliedert werden sollten), vom 18. September 1941 vor, in dem Himmler ihm den Wunsch des Führers mitteilt. Die deportierten Juden würden anfangs im Ghetto von Lodz untergebracht, das in Greisers Gebiet lag. Irving, der in Hitlers Krieg aus dem Brief zitiert, stimmt zu: »Ja, Hitler hat die Initiative ergriffen und die Ausräumung befohlen.« Rampton präsentiert sodann einen Brief Greisers vom 1. Mai 1942, in dem er Himmler mitteilt: »Die von Ihnen im Einvernehmen mit dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes SS-Obergruppenführer Heydrich genehmigte Aktion der Sonderbehandlung von rund 100 000 Juden in meinem Gaugebiet wird in den nächsten 2-3 Monaten abgeschlossen werden können.«* Ge-
[Auschwitz] als drängendes, wenngleich zukünftiges Projekt. Das Projekt war da, es musste sich nur die Gelegenheit bieten, es zu verwirklichen. Und als diese sich bot, beauftragte Hitler seine ›Architekten‹ Himmler und Heydrich, die vorhandene Skizze zu einem kompletten Entwurf auszugestalten und den Weg für ihre Verwirklichung zu ebnen.« (Hitler’s Willing Executioners, S. 425, für den ersten Teil des Zitats, das in der deutschen Ausgabe, Hitlers willige Vollstrecker, S. 497, fehlt)
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folgt von einer Meldung der Gestapo in Lodz vom Juni 1942, derzufolge im Ghetto nun ausreichend Platz für 55 000 Juden geschaffen worden sei. »Das dürfte bedeuten, dass etwa 55 000 Juden irgendwohin verbracht wurden?« fragt Rampton. »Ja«, sagt Irving, »vorausgesetzt, das Ghetto war zu dieser Zeit nicht erweitert worden.« Rampton weist Irving auf eine Überschrift in demselben Dokument hin: »Ausgesiedelt«. »In der ersten der beiden mittleren Spalten heißt es ›nach Kulmhof‹, nicht wahr?« »Nach Chelmno, ja...« »Wenn Sie die Zahlen in dieser Spalte addieren, kommen Sie, wie Sie sehen werden, auf 54 990.« »Ja.« »Dorthin also sind, wenn man ein wenig nachdenkt und die Anhaltspunkte angemessen deutet, Mr. Irving, jene 55 000 Juden aus diesem Gestapo-Bericht verschwunden?« »Ich akzeptiere es als eine Interpretation, ja.« Woraufhin Rampton ihn fragt: »Wissen Sie irgendetwas darüber, was in Chelmno war?« »Da gab es diese Gaswagen«, erwidert Irving, »die irgendwann während des Krieges Menschen beseitigten, aber ob sie in diesen fünf Monaten in Betrieb waren, weiß ich nicht. Ich stelle fest, dass Chelmno an der östlichen Grenze liegt, und es wäre eine ebenso plausible Interpretation, dass sie als erste Station auf dem Weg weiter irgendwohin Richtung Osten nach dort befördert worden waren. Ich sage nicht, dass das auch tatsächlich geschehen ist.« »Nach Chelmno?« fragt Rampton. * Dokument NO 246 in: Nuremberg Military Tribunals, Trial of War Criminals, 15 Bde., Washington D. C. 1947-49
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»Ja.« »Nein, nein!«, insistiert Rampton. »Chelmno — Sie liegen völlig falsch. Chelmno ist im Warthegau, etwa 40 Kilometer westnordwestlich [von Lodz].« Irving scheint verblüfft, aber Richter Gray, für den diese Übung gedacht ist, versteht sofort, worauf Rampton hinauswill. »Das Sonderbare«, sagt Gray, »ist, dass sie [die Juden von Lodz] nach Westen statt nach Osten verschwinden.« »Natürlich, dieser Punkt ist in der Tat auffällig«, sagt Irving. Als sei er nicht bereit, seine letzte Karte aufzudecken, wechselt Rampton das Thema. Auch sein Verhalten ändert sich. Als er Irving zusetzt, endlich zu akzeptieren, dass, ungeachtet seiner vielen Reden zum Thema, Belzec, Sobibór und Treblinka — jene »kleinen Dörfer am Ende der Welt« — tatsächlich Todesfabriken waren, hat Rampton alle Geduld fahren gelassen. »Akzeptieren Sie oder akzeptieren Sie nicht — denn wenn Sie es tun, können wir zu etwas anderem übergehen, Mr. Irving —, dass Hunderttausende von Juden, sagen wir seit Frühjahr 1942 und in Chelmno früher... in Sobibór, Treblinka und Belzec vorsätzlich ermordet wurden?« »Ich denke, bei Abwägung der Möglichkeiten lautet die Antwort ja«, sagt Irving. »Aber ich muss sagen: ›Bei Abwägung der Möglichkeiten‹, denn die Beweisgrundlage für diese Aussage ist äußerst schwach, selbst heute, 55 Jahre später. Die Russen eroberten die Lager, sie erbeuteten die schriftlichen Unterlagen vieler dieser Lager, und uns fehlt immer noch die konkrete rauchende Tatwaffe, möchte ich meinen.« Angesichts der vielen öffentlichen Erklärungen Irvings, in denen er Zweifel an der Möglichkeit äußerte, dass mehr als eine Hand voll Juden in Gaskammern getötet worden seien, sieht dies hier wie ein bedeutsames Zugeständnis aus, das Irvings Bedürfnis abgerungen wurde, vor dem Richter als ein vernünf191
tig denkender Mann zu erscheinen. Aber Irving hat auch seine Öffentlichkeit, über die er sich Gedanken machen muss — die jungen Neonazis, die von ihm Führerschaft erwarten, und die älteren Rechten in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten, die für seinen »Fighting Fund«, seinen Kampffonds, spenden. Als Rampton es nun etwas uniformuliert und von den drei Vernichtungslagern als Teil der »Operation Reinhard« spricht, scheut Irving zurück. »Nein, das akzeptiere ich nicht«, erwidert er. »Ich sage, dass die Operation Reinhard häufig... nur eine untergeordnete Operation war. Sie war der plündernde Teil, das plündernde Element und das recyclende Element, woher der Name ursprünglich auch kommt.« Wieder einmal hat Irving den Finger auf eine reale, wenn auch unbedeutende Unstimmigkeit unter Historikern gelegt, von denen manche behaupten, die Aktion Reinhard sei zum Gedenken an den im Mai 1942 einem Attentat tschechischer Patrioten zum Opfer gefallenen Reinhard Heydrich so benannt worden, während andere dem widersprechen. Aber Irvings Pedanterie wegen des Namens verfolgt einen Zweck, gestattet sie ihm doch, von seinem scheinbaren Zugeständnis hinsichtlich dessen, was in jenen Lagern geschah, abzurücken, ohne formell in die ursprüngliche Position zurückzufallen, also ohne einen Rückzieher machen zu müssen. In der nachfolgenden Verwirrung wiederholt Irving seinen Standpunkt, dass die Verwendung von Gaskammern zur Tötung von Menschen eine britische Erfindung sei, keine deutsche Tatsache. »Die britische Propaganda«, behauptet er, »erfand die Geschichte mit den Gaskammern oder erfand Geschichten von Gaskammern, die während der Kriegsjahre über den Rundfunk in Nazideutschland verbreitet wurden. Dafür gibt es in den Abhörberichten der BBC, in den Abhörberichten des reichsdeutschen Rundfunks, in den Memoiren von Leuten wie Thomas 192
Mann, dem berühmten deutschen Romancier, die für britische Propagandastellen arbeiteten, in ihren privaten Tagebüchern und so weiter beliebig viele Belege.« Irving bietet keine Beweise für diese Behauptung. (Im weiteren Verlauf der Verhandlung erweisen sich »beliebig viele« als dürftige zwei Seiten Auszüge aus Vorträgen Thomas Manns, ohne Hinweis darauf, in wessen Auftrag die Sendungen produziert wurden. Doch zu diesem Zeitpunkt haben Irvings Bemerkungen den Effekt, ihn noch weiter von seinem scheinbaren Zugeständnis zu entfernen.) Vielleicht weil er Irvings halben Rückzieher im Sinn hat, greift Rampton am folgenden Tag das Schicksal der Juden in Chelmno wieder auf. Zuerst bittet er Irving, dem Gericht zu erzählen, wer Viktor Brack war. »Viktor Brack war, glaube ich, die Nummer zwei in der Reichskanzlei unter Philipp Bouhler.« Wie Irving dem Gericht bereits erzählt hat, war Bouhler für das Euthanasie-Programm der Nazis verantwortlich, nach der Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin unter dem Namen »Aktion T 4« bekannt. Rampton fährt fort: »Eines der verwendeten Mittel — ob es das am häufigsten verwendete war, weiß ich nicht — war Kohlenmonoxid aus Flaschen, nicht wahr?« »Ich glaube, das stimmt, ja«, erwidert Irving. Rampton zeigt Irving nun einen Brief von Alfred Wetzel, dem »Referenten für die Judenfrage« im Ministerium für die besetzten Ostgebiete, das die Bereitschaft Bracks, seine Vergasungsapparatur im Osten einzusetzen, ankündigt: »Nach Sachlage bestehen keine Bedenken«, heißt es in dem Schreiben vom 25. Oktober 1941, »wenn diejenigen Juden, die nicht arbeitsfähig sind, mit den Brackschen Hilfsmitteln beseitigt werden.« Als nächstes bittet Rampton Irving, über seine Bemerkungen 193
auf der Pressekonferenz für den »Leuchter-Report« nachzudenken, wo er gesagt habe: »›Ich bin bereit, zu akzeptieren, dass örtliche Nazis bizarre Methoden zur Liquidierung von Juden ausprobierten. Ich bin vollkommen bereit, das zu akzeptieren, und dass sie vielleicht mit dem Einsatz von Gaswagen experimentierten, denn ich habe in den Archiven ein oder zwei Dokumente gesehen, die darauf schließen lassen, dass sie diese Tötungsmethoden aufgaben, dieselben Leute, die das EuthanasieProgramm ins Leben riefen‹.« »Ich denke, das ist eine sehr ordentliche Zusammenfassung meines damaligen Kenntnisstandes«, sagt Irving. »Menschen in Gaswagen zu ermorden ist eine sehr ineffiziente Tötungsmethode.« Zum Schluss, und mit wachsender Verärgerung, kommt Rampton auf Chelmno zurück, wo es einem Bericht der technischen Abteilung des RSHA (Reichssicherheitshauptamt) zufolge ein geringfügiges Problem mit ein paar Lastwagen gab. Der Bericht schlug vor: »Die Beleuchtungskörper sind stärker als bisher gegen Zerstörungen zu sichern... Es wurde aber in Erfahrung gebracht, dass beim Schließen der hinteren Tür und somit bei eintretender Dunkelheit immer ein starkes Drängen der Ladung nach der Tür erfolgte. Dieses ist darauf zurückzuführen, dass die Ladung bei eintretender Dunkelheit sich nach dem Licht drängt. Es erschwert das Einklinken der Tür. Ferner wurde festgestellt, dass der auftretende Lärm wohl mit Bezug auf die Unheimlichkeit des Dunkels immer dann einsetzt, wenn sich die Türen schließen.« Dennoch seien »seit Dezember 1941... beispielsweise mit 3 eingesetzten Wagen 97 000 verarbeitet [worden], ohne dass Mängel an den Fahrzeugen auftraten. Die bekannte Explosion in Kulmhof ist als Einzelfall zu bewerten. Ihre Ursache ist auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen.«* »Sollen wir direkt zum Entscheidenden kommen«, antwortet 194
Irving, »und sagen, ja, ich akzeptiere ohne Einschränkungen die Implikation, die Sie mit diesem Dokument verbinden?« »Implikation?« fragt Rampton nach. »Es wird nicht klar ausgesprochen«, sagt Irving, »aber ganz offensichtlich wurden in diesen Lastwagen 97 000 Menschen liquidiert.« »In drei Lastwagen«, betont Rampton nachdrücklich. »Während der betreffenden Monate.« »Nein«, korrigiert Rampton ihn, »eigentlich sind es nur etwa ein Monat und eine Woche. Siebenundneunzigtausend Menschen in drei Lastwagen im Laufe von fünf Wochen?« »Das ist eine ganz beträchtliche Leistung«, sagt Irving, »wenn man es mit einem Taschenrechner ausrechnet.« Jetzt schreitet Richter Gray ein. »Ist das sehr begrenzt und experimentell?« »Mylord«, sagt Irving, »zu der Zeit, als ich das sagte, hatte ich dieses Dokument nicht. Ich erhielt dieses Dokument vor fünf oder sechs Monaten.« »Beantworten Sie die Frage trotzdem«, beharrt Gray. »Würden Sie das als sehr begrenzt und experimentell beschreiben?« »Nicht bei solchem Umfang. Das ist systematisch.« Diesmal lässt Rampton keinen Raum für Mehrdeutigkeit. »Es ist systematisch und vom Umfang her gewaltig, zur Tötung von Juden Gaswagen zu benutzen?« »Ja. Überhaupt keine Frage.« Rampton geht die Dokumente nun rascher durch und wendet sich einem Brief des Chefs des Verwaltungsstabs (Militärverwaltung) in Serbien, Staatsrat Harald Turner, vom 20. April * Bericht vom 5.6.1942 an den »Gruppenleiter II D« des RSHA »zur Kenntnisnahme und Entscheidung«, zit. aus: Eugen Kogon u. a. (Hg.), Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas, Frankfurt am Main 1983, S. 84 f.
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1942 zu: »Schon vor Monaten habe ich alles an Juden im hiesigen Lande Greifbare erschießen und sämtliche Judenfrauen und Kinder in einem Lager konzentrieren lassen und zugleich mit Hilfe des SD* einen ›Entlausungswagen‹ angeschafft, der nun in etwa 14 Tagen bis 4 Wochen auch die Räumung des Lagers endgültig durchgeführt haben wird...« Rampton blickt auf. »Also«, sagt er, »das ist offensichtlich ein Kode.« »Ja«, sagt Irving. »Aus irgendeinem blödsinnigen Grund hat er es in Anführungszeichen gesetzt, was so ziemlich alles verrät, oder nicht?« »In der Tat, ja.« »Es ist der Kode für Gaswagen, nicht wahr?« »Ja.« »Von welchem Lager ist die Rede?« fragt der Richter. »Semlin, außerhalb von Belgrad«, antwortet Rampton. »Das ist ganz eindeutig ein sehr finsteres Dokument«, sagt Irving. »Akzeptieren Sie deshalb jetzt«, fragt Rampton, der endlich seine letzte Karte ausspielt, »dass Erklärungen, die Sie abgegeben haben, des Inhalts: ›O ja, sie verwendeten in sehr begrenztem Umfang Gaswagen für Experimente‹ einfach rundweg falsch waren?« »Ja.« Irving hat nun System und Umfang zugestanden. Bei der Methode wird es schwieriger. Mit den Gaswagen konnte Rampton eine Bresche schlagen, aber um sein Ziel ganz zu erreichen, wird er auf Auschwitz zu sprechen kommen müssen. Ganz am Ende des Tages erläutert Rampton den Standpunkt
* Sicherheitsdienst. Seit 1939 Amt III des Reichsicherheitshauptamtes, dem im Reichsgebiet bis zu 52 Abschnitte mit 51 Haupt- und 519 Außenstellen unterstanden.
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der Verteidigung zu Auschwitz: »Ich bin nicht hier, um zu beweisen, dass es in Auschwitz Gaskammern gab, mörderische Gaskammern. Das muss ich nicht tun. Wenn Sie... unvoreingonommen sind und sich die Konvergenz der Belege anschauen — Augenzeugenberichte von Opfern und Tätern, das zeitgenössische dokumentarische Beweismaterial und die archäologischen Überreste —, dann werden Sie wahrscheinlich zumindest zu dem Schluss kommen, dass das, was die Augenzeugen erzählen, der Wahrheit entspricht. Ich bin nicht hier, um Euer Lordschaft davon zu überzeugen, es sei denn als vorbereitenden ersten Schritt auf zwei Dinge. Gestützt auf ein Stück so genannter Forschung, welches das Papier nicht wert ist, auf das es geschrieben ist, sprang Mr. Irving auf und behauptete, vollkommen sicher zu sein, dass es niemals irgendwelche Gaskammern in Auschwitz gegeben habe. Und er hat sich in diesem Sinne wiederholt unter Umständen geäußert, wo man gern die Judenfeindschaft von Leuten zu wekken pflegt, von deren Antisemitismus man ausgehen kann — das ist die politische Seite dieses Falles, zu der wir später noch kommen werden. Als Einblick in Mr. Irvings Verdienste als so genannter Historiker ist dies sehr erhellend, und das birgt meine ganze Beweisführung.« Etwa 480 Kilometer sind es von Semlin nach Auschwitz, ungefähr 200 Kilometer von Chelmno nach Auschwitz. Aber Rampton ist auf seinem Weg. »Ich möchte Ihnen gern folgende Frage stellen«, sagt der Richter am nächsten Morgen zu Irving. »Falls ich zu dem Schluss kommen sollte, dass es eine ganze Reihe beeindruckender Belege der einen wie der anderen Art gibt — Lagerfunktionäre, Augenzeugen, wissenschaftliche Beweise, Belege für die Baupläne der Gaskammern und dergleichen —, dass all das vorhanden war, Sie ihm aber keine Beachtung geschenkt haben. Wür197
den Sie so etwas akzeptieren? Vertreten Sie Ihren Standpunkt auf diese Weise? Dass Sie für den ›Leuchter-Report‹ den Bankrott riskiert haben?« »Es hängt davon ab, welcher Aufwand angemessen gewesen wäre«, erwidert Irving. »Wenn ich beispielsweise vorhätte, in einer Talkshow der BBC aufzutreten, und wenn ich damit rechnen müsste, nach Auschwitz gefragt zu werden, sollte ich deshalb fünf Millionen Pfund für die Entsendung von Forschern in Archive auf der ganzen Welt ausgeben?« Gray versucht immer noch, die Geschichte aus dem Gerichtssaal herauszuhalten. »Wenn Sie auf dem Standpunkt stehen, dass Mr. Irving seine Augen bewusst vor diesen Beweisen verschlossen hat«, sagt er zu Rampton, »und er auf dem Standpunkt steht: ›Also, ich war kein Holocaust-Historiker. Vielleicht habe ich gewusst, dass es einige dieser Beweise gab, aber ich hielt es in keinster Weise für einen Teil meiner Aufgabe, hinzugehen und alles zu durchforsten‹, dann...« »Dann hätte er...«, unterbricht Rampton. »Dann müssen wir es nicht in dieser Verhandlung durchforsten, oder?« fragt Gray hoffnungsvoll. »Mylord, [nur] wenn er akzeptiert, dass seine Leugnung falsch ist«, sagt Rampton. »Ich bin mir nicht sicher«, sagt Gray mit einer gewissen Verdrießlichkeit, »ob ich verstehe, warum Sie jetzt sagen, dass wir eine Tatsachenfeststellung hinsichtlich der Geschehnisse in Auschwitz treffen müssen, was so ziemlich das Gegenteil dessen ist, was Sie zuvor gesagt haben.« Rampton beeilt sich, ihn zu beruhigen: »Nein, keinesfalls, das habe ich nie gesagt. Und das sage ich auch jetzt nicht.« Aber er hat es gesagt. Und er sagt es wieder. Soweit wir wissen, war Auschwitz das einzige Lager, in dem zur Tötung großer Massen von Menschen Zyklon B verwendet 198
wurde. Obwohl es nicht nur ein Todeslager war, wurden in Auschwitz mehr Menschen getötet als in Majdanek*, Belzec, Sobibór, Treblinka oder irgendeinem anderen Lager. Am wichtigsten ist vielleicht, dass Auschwitz das einzige Todeslager mit mehr als einer winzigen Hand voll Überlebender ist. Ihre Berichte über das, was sie sahen und hörten — bestätigt durch die Geständnisse von Tätern wie dem Lagerkommandanten Rudolf Höß oder dem SS-Rottenführer Pery Broad, der in der politischen Abteilung des Lagers arbeitete —, machen den Kern unseres Holocaust-Verständnisses aus. Also ist die Frage, ob diese Berichte glaubwürdig sind — nicht frei von Irrtümern, aber glaubwürdig —, ein Problem, das im Mittelpunkt dieses Gerichtsverfahrens steht, und das, wie unbehaglich dem Richter dabei auch zumute sein mag, nicht ohne Bezugnahme auf die tatsächlichen Ereignisse gelöst werden kann. Rampton weiß das. Einige Tage zuvor hat er es nämlich so gut wie möglich auf den Punkt gebracht: »Auschwitz steht in Mr. Irvings Äußerungen und ganz gewiss in unseren Augen im Zentrum des Holocaust-Glaubens. Und deshalb steht es auch im Zentrum der Holocaust-Leugnung.« So zu tun, als sei dies anders, so zu tun, als ginge es in diesem Verfahren nur um Geschichtsschreibung, bedeutet für die Verteidigung, den Fall unter Umgehung der von der Gegenseite aufgestellten Behauptungen auf einen speziellen Streitgegenstand zu beschränken. Auch Irving weiß nur allzu gut, was auf dem Spiel steht. Einerseits beteuert er noch lauter als Rampton, dass das Gericht sich auf das Material, das er in seinen Büchern tatsächlich herangezogen habe oder das von ihm zitiert worden sei, sowie auf die Frage, ob er dieses Material absichtlich verfälscht habe oder * Obwohl es in Majdanek Gaskammern gab, die den Russen mehr oder weniger unversehrt in die Hände fielen, wurden die meisten Opfer dieses Lagers durch Erschießen getötet, nicht durch Gas.
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nicht, beschränken müsse. Irving geht in der Tat so weit, den Richter um eine Verfügung zu bitten, dass »alles Beweismaterial hinsichtlich Auschwitz, das ihm unbekannt war« und das er vielleicht bloß geprüft habe, um sich auf den Prozess vorzubereiten, weder in seinem Kreuzverhör verwendet noch von der Verteidigung vorgelegt werden dürfe. Andererseits beruft Irving sich nicht auf Unwissenheit, als Rampton ihn mit der Niederschrift einer seiner Reden konfrontiert, wo Irving behauptet: »Die größte unter allen Lügen, der Ritualmord am deutschen Volk, wie ich sie bezeichne (denn dafür wurden Menschen aufgehängt), ist die, dass die Deutschen Todesfabriken mit Gaskammern gehabt hätten, in denen sie Millionen ihrer Widersacher liquidierten.« Und er versucht auch nicht, sein Gerede als rein rhetorische Übertreibung auszugeben. Nein, Irving sagt folgendes: »Selbstverständlich rechtfertigt die Wahrheit diese Bemerkung absolut.« Damit hat Richter Gray kaum eine andere Wahl. In einer formellen, schriftlichen Gerichtsentscheidung über das in Bezug auf Auschwitz zulässige Beweismaterial legt er fest: »Nach meiner Einschätzung ist es legitim, wenn Mr. Rampton Beweismaterial für das, was in Auschwitz geschah, einsetzt, auch wenn Mr. Irving auf dem Standpunkt steht, dass er zu der Zeit, als er seine unterschiedlichen Erklärungen abgab, keine Kenntnis davon gehabt habe.« An jenem Vormittag, an dem Robert Jan van Pelt als Sachverständiger der Verteidigung vor Gericht erscheint, versucht Irving, einen weiteren Videofilm zu zeigen. Zur Vorbereitung auf sein Kreuzverhör möchte Irving, dass das Gericht sich van Pelts Kommentar zu den Ruinen in Auschwitz anhört, die er in dem Ausschnitt, den Irving vorführen möchte, als »quasi das Allerheiligste« schildert. Als die Kamera näher heranfährt, sollen wir 200
einen von Gras und Schmutz bedeckten Hügel erkennen, die Überreste der als »Leichenkeller 1« oder »Krematorium 2« bekannten unterirdischen Gaskammer in Auschwitz-Birkenau. Die Kamera zeigt nach unten in eine Öffnung in dem Hügel, und wieder sollen wir van Pelts Stimme hören: »In den 2500 Quadratfuß* dieses einen Raumes verloren mehr Menschen ihr Leben als an irgendeinem anderen Ort dieses Planeten. 500 000 Menschen wurden ermordet. Würde man eine Karte menschlichen Leidens zeichnen, eine Geographie der Gräueltaten erstellen, dies wäre der absolute Mittelpunkt.« Aber irgendjemand hat den Film zur falschen Stelle vorgespult, und wir sehen stattdessen einen schafsköpfig dreinblikkenden Mann in einem Parka, der über irgendwelche schneebedeckten Trümmer klettert und gelegentlich stehen bleibt, um ein Stück Ziegel oder einen kleinen Betonbrocken aufzuheben und in einer Plastiktüte verschwinden zu lassen, wie man sie zum Einfrieren von Nahrungsmitteln verwendet. Van Pelt ist Holländer, aber die Stimme, die wir hören, spricht reinstes Bostoner Vorstadtenglisch mit den kaum voneinander unterscheidbaren Vokalen eines Mannes, der im Fenway Park »Beeaah heeaah!«, schreit. Der Film, den wir sehen, heißt Mr. Death**, in dem van Pelt und Irving Nebenrollen spielen. Der Mann, den wir sehen, ist Fred Leuchter, der ehemalige sachverständige Zeuge für Ernst Zündel und Verfasser jenes Reports, der David Irving davon überzeugte, dass die Gaskammern ein Schwindel seien. Fred Leuchter, ein erbärmlicher Charakter, fasziniert von der mechanischen Tötung von Menschen, ist der Namen gebende »Star« von Mr. Death, dem jüngsten Film des Enthüllungs-Do* Laut Hilberg war die unterirdische Gaskammer in Auschwitz-Birkenau, der sog. »Leichenkeller 1«, »über 200 qm groß«, (a. a. O., S. 947) ** Mr. Death — The Rise and Fall of Fred Leuchter, USA 1999 von Errol Morris.
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kumentarfilmers Errol Morris. In The Thin Blue Line hatte Morris eine polizeiliche Untersuchung in Dallas so gründlich angezweifelt, dass ein zu Unrecht wegen Mordes Inhaftierter die Aufhebung seiner Verurteilung erreichte. In Mr. Death wirft Morris’ Kamera einen ebenso kalten Blick auf Leuchter als einen Typ Mann, der mit seiner frisch angetrauten Ehefrau nach Auschwitz in die Flitterwochen fährt. Morris zeigt, dass einige der »Proben« Leuchters möglicherweise von Gebäuden stammten, die nach dem Krieg wieder aufgebaut worden waren, und er macht den Techniker ausfindig, dessen Analyse der Proben Irving angeblich in einen »rigoros Ungläubigen« verwandelte. Im Film erklärt dieser Techniker, dass er, weil ihm niemand gesagt habe, wofür das Material bestimmt sei, einfach alles zermahlen habe — womit er jede Spur von Zyanid, die auf den Oberflächen hätte vorhanden sein können, vieltausendfach verdünnte. »Meiner Meinung nach sind die Leuchter-Resultate völlig bedeutungslos«, erzählte er Morris. In den Vereinigten Staaten, wo Mr. Death im Sommer 2000 erstmals gezeigt wurde, war Fred Leuchter zu einer Art schlechtem Witz avanciert. Die Zuschauer, die sahen, wie David Irving vor der Kamera interviewt wurde, und ihn nur als den Mann kannten, der die »Hitler-Tagebücher« entlarvt hatte, dürften sich gefragt haben, wie jemand, der so geschickt im Erkennen von Fälschungen ist, selbst so leicht zu übertölpeln war. Vielleicht gehörte es bei der Verwendung des Films zu Irvings Strategie, ihn zu neutralisieren, indem er ihn in seinem Sinne instrumentalisierte. Und der Ausschnitt, den er zeigen wollte, ist für Irving wahrscheinlich auch der praktischste Weg, sein Publikum — auf den Bänken wie auf den Presseplätzen — mit jenem Terrain bekannt zu machen, das im Zentrum seiner Behauptungen über Auschwitz steht. »Mylord, das ist nicht der Ausschnitt, den ich zeigen wollte«, 202
sagt Irving, der den Film anhält. Ob die Zahlenkolonnen am Ende des Leuchter-Reports — die Irving, wie Rampton nachgewiesen hat, erst am Abend bevor er im Zündel-Prozess seine Bekehrung verkündete, zu Gesicht bekommen hatte — wirklich der Grund waren, warum Irving sich mit Faurisson und Zündel zusammentat, oder ob der Leuchter-Report bloß der Vorwand für einen Schritt war, den zu tun er sich bereits entschlossen hatte, kann man unmöglich sagen. Ohne Zweifel verkörperte Irving jedoch Leuchters wichtigste Publicity. Jetzt, wo Leuchter zu einer Belastung geworden ist, steckt Irving in der delikaten Lage, sich distanzieren zu müssen, ohne als der Düpierte dazustehen. Er tut dies, indem er suggeriert, es schon die ganze Zeit gewusst zu haben. »Wenn Sie die Korrespondenz lesen«, sagt er zu Rampton, »da gibt es Briefe zwischen mir und Mr. Zündel und anderen Leuten, in denen steht, dass Ingenieure ihr Augenmerk inzwischen auf die ernsthaften Fehler im Leuchter-Report gerichtet haben und wir uns an sie wenden müssen.« Also liest Rampton aus der Korrespondenz vor. Er übergibt dem Richter zwei Dokumente aus Irvings Offenlegung. Das eine ist eine Kritik des Leuchter-Reports, die ein gewisser Colin Beer Irving zuschickte. Beers Kritik, großteils technischer Natur, ist eine Widerlegung der Behauptung Leuchters, dass die Menge an Gas, die benötigt werde, um Menschen in der Größenordnung zu töten, die den Gaskammern von Auschwitz zugeschrieben wird, die Vollstrecker ebenso getötet hätte wie ihre Opfer oder ausgeklügelte Lüftungsvorrichtungen erfordert hätte. Aber es gibt zwei Punkte, die, obwohl unglaublich simpel und für Leuchters Glaubwürdigkeit vernichtend, Irvings Aufmerksamkeit offensichtlich entgangen sind. Der eine ist, dass Leuchter ausdrücklich erklärt hatte, seine Berechnungen beruhten auf der Ansicht, dass man zum Töten von Menschen sehr viel mehr Gas 203
brauche als zum Töten von Läusen (Zyklon B war ursprünglich als Insektizid entwickelt worden und wurde von den Deutschen tatsächlich in einigen Konzentrationslagern bei Entlausungsaktionen verwendet). Das Gegenteil aber ist wahr. Leuchter hatte eine Konzentration von 3200 Millionstel Zyanid — von Beer als die in den Gaskammern amerikanischer Gefängnisse benutzte »Ein-Schluck-und-du-bist-tot«-Dosis beschrieben — angenommen. Eine Dosis von 300 Millionstel hatte jedoch bereits eine tödliche Wirkung. In Anbetracht der vielen Augenzeugenberichte über Opfer, deren Sterben gut 30 Minuten gedauert habe, könne, so Beer, die Konzentration tatsächlich sogar nur 100 Millionstel betragen haben — eine so niedrige Konzentration, dass überhaupt keine Lüftung erforderlich gewesen sei. Da die Opfer sich entkleiden mussten, habe das Gas durch die Haut ebenso wie durch die Lunge eindringen können — ein weiterer Faktor, der darauf hindeute, dass niedrige Konzentrationen verwendet wurden. Bei diesen niedrigen Konzentrationen, so Beer weiter, würde er in Proben von Stellen, die der Witterung ausgesetzt waren, wie es bei denen in Birkenau der Fall war, »KEINE FESTSTELLBARE KONZENTRATION mehr erwarten«. Leuchter jedoch hatte in einigen Proben schwache Spuren von Zyanid gefunden. Weit entfernt davon, als Beweis zu taugen, dass diese Gebäude niemals als Gaskammern benutzt worden seien, entspreche Beer zufolge der im Leuchter-Report aufgezeigte Anteil an Zyanid-Rückständen, »im zeitlichen Kontext gesehen und unter voller Berücksichtigung des gesamten übrigen Beweismaterials, diesen anderen Belegen und untermauert mit ihnen zusammen nachdrücklich sowohl die Tatsache als auch den Umfang der Massaker in den Gaskammern von Birkenau«. Das zweite Dokument, das Rampton dem Richter übergibt, ist Irvings Brief an Beer vom Januar 1990. »Ich stimme in der 204
Tat mit vielen Ihrer... Kritikpunkte überein«, schrieb Irving, »und schreibe den Großteil der Unzulänglichkeiten der Tatsache zu, dass Ingenieure wie Gewerkschafter nicht über das Vermögen verfügen, sich auf Englisch verständlich zu machen, wie es Schriftsteller und Dichter gegeben sei.« Abgesehen von seinem Eröffnungsplädoyer hat Rampton Irving nicht einmal als Lügner bezeichnet. Tag für Tag müht er sich um den Nachweis, dass Irving Beweismaterial verzerre oder Dokumente auf eine Weise zitiere, die darauf abziele, seine Leser in die Irre zu führen. Aber wenn Irving im Zeugenstand Unglaubhaftes äußert, sagt Rampton lediglich: »Wie dem auch immer sei.« So ist es vielleicht bezeichnend, dass, als Irving behauptet, im Besitz anderer Untersuchungen zu sein, die Leuchters Ergebnisse bestätigten, und dass »der ganze Zweck des Reports darin lag, den Ball in die gegnerische Spielfeldhälfte zu werfen, damit sie dort reagieren und uns überzeugen könnten«, es nicht Rampton ist, sondern Richter Gray, der erwidert: »Wie dem auch immer sei, aber ich möchte gern wissen, welcher neue Sachverhalt Ihnen denn nun sagte, dass Leuchter Recht hatte, denn im Moment habe ich den Eindruck, dass es ein grundlegendes Problem mit diesem Report gibt.« Sollte Irving jemals vorgehabt haben, wegen des Leuchter-Reports »den Bankrott zu riskieren«, dann ist er jetzt sicher eines Besseren belehrt. Er spricht tatsächlich ein paar Mal von einem Dokument, das er als »Rudolf-Report« bezeichnet. Es handelt sich dabei um einen später unternommenen Versuch des deutschen Chemikers Germar Rudolf, Leuchter zu kopieren. Einmal überreicht er dem Richter sogar eine englische Fassung, die in Irvings hauseigenem Verlag Focal Point erschienen ist. Rampton protestiert, die Übergabe hätte bereits bei der Offenlegung stattfinden müssen. Irving entgegnet, dies sei geschehen. Als 205
Rampton jedoch darauf hinweist, das von Irving vorgelegte Dokument sei lediglich 20 Seiten lang, werbe aber für eine deutsche Fassung, die 120 Seiten umfasse, gibt Irving zu, dass dies nicht der vollständige Report sei, und verspricht, letzteren zu einem späteren Zeitpunkt der Verhandlung vorzulegen. Was er jedoch nicht tut. Stattdessen schaltet er das forensische Äquivalent eines Allrad-Antriebs ein, schlittert an Leuchters Beschränktheiten vorbei und hält wieder einmal direkt auf Auschwitz zu. Das erste Hindernis auf seinem Weg ist ein weiterer Laborbericht, diesmal aus Krakau und datiert auf das Jahr 1945. Die analysierten Objekte waren Lüftungsgitter aus dem Leichenkeller 1 vom Krematorium 2 — derselben Gaskammer, die van Pelt in dem Film beschrieben hatte.* Die Polen stellten fest, dass die Gitter von einer Zyanidschicht bedeckt waren; außerdem fanden sie einen auf Januar 1943 datierten Brief von Karl Bischoff, dem Chefarchitekten des Lagers, in dem vom Leichenkeller 1 als »Vergasungskeller« die Rede ist. Und die Polen fanden Befehle für »gasdichte Türen«. Diese unverhüllten Hinweise oder aber »Ausrutscher« finden sich in der archivalischen Überlieferung äußerst selten. Ein französischer Apotheker und einstiger Anhänger Faurissons je* Die Nummerierung der verschiedenen Gebäude in Auschwitz-Birkenau sorgte während des Gerichtsverfahrens für einige Verwirrung. Im Interesse der Klarheit bin ich im Großen und Ganzen der Praxis van Pelts gefolgt, der das Krematorium im Haupt- bzw. Stammlager Auschwitz als Krematorium 1 zählt und die Gaskammern/Krematoriumsgebäude in Birkenau mit den Ziffern 2 bis 5 versieht. Berichte von Häftlingen umfassen häufig nur die Vorrichtungen in Birkenau, und wenn diese angeführt werden, folge ich wiederum van Pelt und benutze römische Zahlzeichen (sodass aus Krematorium 5 beispielsweise Krematorium IV wird). Auch hinsichtlich der Gaskammern bin ich van Pelt gefolgt und halte mich an die Bezeichungen für diese Räume auf den Plänen der Architekten, wo sie als »Leichenkeller« firmieren. Diese Räume lagen alle in den Krematoriumsgebäuden.
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doch, Jean-Claude Pressac, der in einer ähnlichen Mission wie Leuchter nach Auschwitz gereist war, durch seine Funde jedoch die Überzeugung gewann, dass Faurisson sich geirrt habe, trug sie im Jahr 1989 in einem Buch zusammen.3 Irving weiß, dass er sie wird erklären müssen. »Ich will einräumen«, sagt er, »dass sie in dem aus dem Leichenkeller 1 von Krematorium 2 entnommenen Lüftungsgitter Zyanid-Rückstände gefunden haben.« »Ja«, sagt Rampton. »Wie erklären Sie sich das, Mr. Irving?« »Weil dieser spezielle Raum als Vergasungskeller benutzt wurde.« »Ja. Zum Vergasen von was?« »Ich denke, die Belege sind eindeutig, dass er als Vergasungskeller zur Ausräucherung von Gegenständen oder Leichen benutzt wurde.« »Ausräucherung von Leichen?« fragt Rampton. »Ja.« Ramptons Unglaube ist offenkundig. »Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?« »Dafür war der Raum da«, entgegnet Irving kühl. »Dafür sind Leichenkeller da. In Leichenkeller legt man Leichen.« »Das ist mir neu, Mr. Irving. Welche Beweise gibt es dafür?« »Wie bitte?« »Welche Beweise gibt es dafür, dass dieser [Raum] zur Vergasung von Leichen benutzt wurde?« »Dafür wurde er gebaut.« »Es tut mir Leid«, unterbricht Richter Gray, »die Frage mag primitiv erscheinen, aber was ist der Sinn und Zweck der Vergasung eines Leichnams?« »Weil sie bei ihrem Eintreffen stark von den Typhus übertragenden Läusen befallen waren, die sie umbrachten.« »Wozu hätte es dann«, fragt Rampton, »einer gasdichten Tür 207
inklusive eines Gucklochs mit einer acht Millimeter dicken Doppelglasscheibe samt Metallrost davor bedurft?« Irvings Antwort präsentiert eine ganz neue Hypothese. »In dieser Phase des Krieges«, behauptet er, »geriet der größte Teil Deutschlands unter — bekam er die Wucht der Überfälle des Bomberkommandos der Royal Air Force zu spüren. Wir flogen Luftangriffe über ganz Osteuropa. Unsere Bombenangriffe dehnten sich immer weiter nach Mitteleuropa aus. Aus den Unterlagen der Zentralbauleitung von Auschwitz dürften Sie ersehen, dass man sich zunehmend Gedanken über die Notwendigkeit machte, bombenfeste Bunker und gasdichte Bunker wegen der Gefahr eines Gasangriffs zu bauen.« »Jetzt ist es also ein Luftschutzbunker, richtig?« fragt Rampton sarkastisch. »Wie bitte?« »Anfang des Jahres 1943, Mr. Irving? Fand der erste Bombenangriff irgendwo in der Nähe von Auschwitz nicht erst Ende ‘44 statt?«* Einmal mehr verspricht Irving, dokumentarische Nachweise zu liefern. »Ich werde Ihnen morgen ein Verzeichnis sämtlicher * Auschwitz lag bis Anfang 1944 außerhalb der Reichweite alliierter Bomber. Erst dann wurde im italienischen Foggia ein Luftstützpunkt errichtet. Am 4. April 1944 überflog ein alliiertes Aufklärungsflugzeug Auschwitz, um Informationen in Form von Luftbildern über das Buna-Werk für synthetischen Kautschuk in Monowitz zu sammeln. Am 20. August warf ein Geschwader von 127 B-17-Bombern der 15. US-Luftflotte mehr als 1300 250-Kilo-Bomben auf Monowitz. Bei drei weiteren Angriffen im September und Dezember wurden weitere 2000 Bomben abgeworfen. Die polnische Exilregierung hatte seit August 1943 verlangt, dass Auschwitz selber bombardiert würde; im Frühjahr 1944 ersuchten britische und amerikanische Juden ihre jeweiligen Regierungen, entweder die Gaskammern oder die zum Lager führenden Eisenbahnstrecken zu bombardieren (und damit die Deportationen zu stoppen oder zu verlangsamen). Auf beide Objekte wurde nie mit Absicht auch nur eine einzige Bombe geworfen.
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Dokumente in den Akten der Zentralbauleitung von Auschwitz seit Ende 1942 vorlegen, die sich mit der Notwendigkeit befassen, auf dem Gelände von Auschwitz Luftschutzbunker, gasdichte Luftschutzbunker und ähnliche Bauwerke zu errichten.« Und einmal mehr tauchen die versprochenen Belege niemals auf. In der Zwischenzeit versucht Rampton noch immer, aus Irvings erster Behauptung schlau zu werden: »Wenn sie zur Vergasung von Leichen verwendet wurden, frage ich mich, ob Sie mir helfen können, den Sinn und Zweck zu begreifen, denn kurz nachdem sie in dem Leichenkeller angelangt waren, wurden sie doch wohl verbrannt?« »Ja.« »Welchen Sinn hätte es, einen Leichnam zu vergasen, der in Kürze verbrannt werden würde?« »Die Leichen trafen... vollkommen bekleidet ein. Bevor man sie einäscherte, wurden sie entkleidet, und verschiedene andere bestialische Grausamkeiten wurden an ihnen begangen. Ich glaube, die Goldzähne wurden herausgezogen und andere Tätigkeiten wurden durchgeführt. Als die Leichen abkühlten, krabbelten die Läuse, die vielleicht noch am Körper gewesen waren, herunter, denn die Läuse suchten Hitze.« »Wo?« fragt Rampton. »Ich bin mir nicht sicher und kann das nicht einfach aus dem Kopf heraus sagen. Mr. Rampton, ich habe Rat in dieser Sache eingeholt.« Wenn ein Zeuge auf eine Frage nicht anwortet, ist man vor Gericht gehalten, sie zu wiederholen. Rampton wiederholt die Frage. »Wo pflegte das Problem mit der Läuseplage zu entstehen, Mr. Irving?« »Irgendwo zwischen dem Ort des Todes und dem Leichenkeller.« »Nein. Sie sprachen davon, dass im Leichenkeller 1 Leichen 209
vergast wurden, neben dem ein Aufzug direkt nach oben in den Verbrennungskammer führt?« »Ja.« »Denken Sie darüber nach. Warum sollte man einen Leichnam vergasen, der dann geradewegs nach oben gebracht wurde, um verbrannt zu werden?« »Ich dachte, ich hätte es erklärt.« Aber Rampton ist anderer Ansicht. Richter Gray zu Irvings Pech ebenfalls. »Ich verstehe die Erklärung nicht«, sagt er, »denn so, wie ich es verstanden habe, fand das Entkleiden vor dem Vergasen statt.« Jetzt ist auch Rampton verwirrt. »Das Entkleiden fand vor dem Vergasen statt?« »Das ist nicht die Aussage, die ich gemacht habe, Mylord«, sagt Irving. »Ich dachte, doch«, entgegnet der Richter. »Berichtigen Sie, wenn ich mich irre.« Irving betont: »Wir haben keinerlei Belege dafür vorliegen, Mylord.« »Nein, aber ich habe das Gutachten gelesen«, sagt der Richter, der van Pelts Sachverständigengutachten zu Auschwitz meint. »Täusche ich mich da?« »Ich werde bestimmt bestreiten...« Rampton kann sich nicht länger zurückhalten. »Sie haben vollkommen Recht, Mylord. Aufgrund des Beweismaterials, falls man imstande ist, auf das Beweismaterial statt auf irgendeine bizarre Version davon zu schauen, ist der Entkleidungsraum der größere Raum. Sie werden dann durchgeleitet in den kleineren Raum, wo sie vergast werden. Wenn sie tot sind, werden sie durch Doppeltüren, die sich nach außen zu dem Aufzug hin öffnen, heraus und nach oben in das Krematorium gebracht, um es ganz grob auszudrücken.« 210
Irving protestiert: »Es gibt da ein Problem, Mylord. Man hat mir keine Chance gegeben, mich zu dieser recht globalen Schilderung dessen, was Mr. Ramptons Behauptung zufolge geschehen ist, zu äußern.« »Äußern Sie sich jetzt«, sagt der Richter. »Hier ist Ihre Chance.« »Hier ist Ihre Chance«, sagt Rampton. Irving lehnt ab. »Mylord, wir müssen wissen, worauf das Beweismaterial sich stützt. Ich fürchte, dieses hier beruht auf Aussagen von Augenzeugen, und ich werde zu jedem der Augenzeugenberichte, auf die Mr. van Pelt seine Darlegung gründet, etwas zu sagen haben. Ich denke, der richtige Ort, das zu tun, ist das Kreuzverhör von Professor van Pelt.« Van Pelt, der an der Universität von Waterloo in Ontario lehrt, wird erst am nächsten Tag eintreffen. In den verbleibenden Minuten des Nachmittags kehrt Rampton zu den gasdichten Türen zurück. Die Türen werfen zwei Probleme für Irving auf. Erstens hat Leuchter behauptet, es habe sie gar nicht gegeben. »›Es gibt keine Vorrichtung‹«, zitiert Rampton den LeuchterReport, »›für gastaugliche Türen, Fenster oder Abzugsöffnungen‹. Als historische Tatsache ist das schlichtweg falsch, nicht wahr, Mr. Irving?« »Ich weiß es nicht. Ich war nie in Auschwitz.« »Nein, die Dokumente...«, sagt Rampton. »Es gibt wiederholte Verweise... auf die Notwendigkeit einer gasdichten Tür mit einem Guckloch.« »Ja. In den Auschwitz-Dokumenten gibt es wiederholte Verweise darauf, ja.« »Also ist dies ein Stück Leuchter, das historisch jeder Grundlage entbehrt?« »Ich denke, was er behauptet«, erwidert Irving, »ist, dass nichts zu sehen war, als sie eine Prüfung vor Ort vornahmen.« 211
Leuchter, der die Auschwitz-Pläne, die die Grundlage für das Buch von Dwork und van Pelt bilden, niemals gesehen hat, behauptete außerdem, die Türen hätten sich nach innen geöffnet. Aber wie Rampton betont, zeigten die Pläne, dass die Türen sich nach außen öffneten. »Alle Türen öffneten sich nach außen«, sagt er, »weshalb es sich nicht um Luftschutzbunker handelt.« Irving zögert keine Sekunde. »Die Türen von Luftschutzbunkern öffnen sich immer nach außen.« »Warum? Was ist, wenn der Rest des Gebäude draußen einstürzt, und man kann nicht raus?« »Der Grund«, sagt Irving mit Überzeugung, »ist, dass der Druck einer draußen explodierenden Bombe die Tür nach innen sprengt, wenn sie sich nach innen öffnet. Luftschutztüren öffnen sich immer nach außen.« Auch hier muss man augenscheinlich auf van Pelt warten. Aber bevor Rampton für heute Schluss macht, gibt es noch etwas an Irvings Luftschutzbunker-Theorie, das ihm keine Ruhe lässt. »Für wen waren sie gedacht?« fragt er. »Ich habe keine Ahnung«, sagt Irving. »Für die Insassen?« »Ich habe keine Ahnung.« »Wenn er für die SS ist, dieser Luftschutzbunker, dann ist es ein schrecklich langer Weg von der SS-Kaserne, nicht wahr? Bei einem Luftangriff wären sie alle längst tot, bevor sie jemals dort ankämen. Haben Sie daran gedacht? Es sind ungefähr vier Kilometer?« »Ich kann mich erinnern«, erwidert Irving, »dass während des Krieges eine halbe Stunde oder eine Stunde bevor die Flugzeuge kamen, Luftalarm gegeben wurde.« »Und Sie gingen runter, hinten in den Garten, genau wie ich, und versteckten sich in Ihrem Anderson-Bunker, oder wie auch 212
immer er hieß?« »Wir hatten einen Morrison.« »So einen hatten wir zuerst, und dann wurden wir vornehm und kriegten einen Anderson!« »Genug in Erinnerungen geschwelgt«, sagt der Richter, der Jahrgang 1942 ist und sich wahrscheinlich nicht an seine eigenen Erlebnisse aus der Kriegszeit erinnert. Rampton weist darauf hin, dass Pläne gefunden worden seien, Krematorium 1 im Hauptlager in einen Luftschutzbunker für die SS zu verwandeln, deren Kaserne in der Nähe lag. Er sagt jedoch nicht, wann diese Pläne entworfen und ob die Bunker jemals gebaut wurden. Und Irving ebenso wenig. »Ja, also«, sagt Irving, »ich habe nicht gesagt, dass sie für die SS waren.« »Sie konnten aus ihren Unterkünften direkt in den Luftschutzbunker springen«, fährt Rampton fort. »Können Sie sich wirklich die ganzen schwer bewaffneten Soldaten vorstellen, wie sie vier oder fünf Kilometer von der SS-Kaserne bis zu diesen Kellern am anderen Ende des Lagers Birkenau rennen? Ich bitte Sie, Mr. Irving.« Es war ein langer Tag, aber Rampton ist noch nicht ganz fertig. Jeder Prozessanwalt weiß, dass das Ende des Verhandlungstages die beste Zeit ist, mit einer Überraschung aufzuwarten. Es ist anzunehmen, dass zu diesem Zeitpunkt die Gegenseite mürbe ist, und die Geschworenen — oder der Richter — werden sich an die Einzelheiten eher erinnern, wenn sie kurz vor Sitzungspause dargelegt werden. Irving behauptet, die gewaltige Ausweitung der Krematoriumskapazität in Auschwitz-Birkenau — weit davon entfernt, ein Beleg für einen beabsichtigten Völkermord zu sein — erkläre sich durch die Typhus-Epidemie, die im Frühjahr und Sommer 1942 im Lager wütete. Rampton versucht zunächst, die Zahlen zu präzisieren, die, wie er sagt, 213
bei ungefähr 8000 Krankheitsopfern gelegen hätten. »Akzeptieren Sie das?« »Nicht notwendigerweise.« Doch Irving liefert keine alternativen Zahlen, ebenso wenig wie er die Tatsache bestreitet, dass der Gesamtbestand der Häftlinge von Auschwitz-Birkenau (die Zahl der tatsächlichen Lagerinsassen) niemals über 150 000 hinausging. Dann präsentiert Rampton ein Schreiben des Lagerarchitekten Bischoff an Hans Kammler, Chef der Abteilung Bauwesen im WVHA (Wirtschaftsverwaltungshauptamt) in Berlin, vom Juni 1943, in welchem Bischoff »ausführlich die theoretische Kapazität jedes der fünf Krematorien zurzeit der Abfassung des Briefes in einer Zeitspanne von 24 Stunden... darlegt. Habe ich das richtig verstanden?« »Ja.« Der Richter fängt schnell an zu rechnen. »Das macht also 4756 Leichen in 24 Stunden?« fragt er. »Das sind 4756 Menschen — Leichen«, sagt Rampton. »Ich darf nicht davon ausgehen, dass sie am Leben waren: 4756, die von diesen fünf Vorrichtungen in einer Spanne von 24 Stunden verbrannt werden sollten. Wenn Sie multiplizieren, Mr. Irving, 4756 mal sieben, dann kommen Sie auf etwa 33 000 in einer Woche. Und wenn Sie diese Zahl mit vier multiplizieren, dann kommen Sie etwa auf 130 000 im Monat. Und wenn Sie diese Summe wiederum mit zwölf multiplizieren, dann kommen Sie auf ungefähr 1,6 Millionen in einem Jahr. Wofür, Mr. Irving, brauchte man eine solche Kapazität?« »Können wir zuerst das Schriftstück erörtern?« »Aber selbstverständlich.« »Dies ist eines der wenigen Schriftstücke, dessen Wahrheitsgehalt ich anfechten möchte.« 214
7 Auschwitz Wenngleich sein Gutachten 767 Seiten umfasst, dauert die Einvernahme Robert Jan van Pelts weniger als eine Stunde. Sie beginnt mit einem Missverständnis. In jedem Gerichtssaal in Großbritannien gibt es eine gedruckte Karte mit den »Eidesformeln«, die der Justizangestellte im Saal benutzt, um die Zeugen zu vereidigen. Mitglieder der Church of England schwören auf die revidierte Eassung des Neuen Testaments, Katholiken auf die Douai-Bibel, Juden auf den Tanach bzw. die hebräische Bibel, Muslime auf den Koran und so weiter. Als van Pelt, ein jungenhaft aussehender Mann mit einem Büschel hellblonder Haare auf dem Kopf, gekleidet mit einem streng geschnittenen, hellbraunen Anzug, sich im Gerichtssaal nach vorn begibt, sagt Rampton: »Professor van Pelt hat eine Familienbibel, die bereits vor dem Krieg im Besitz seiner Familie war. Darf er auf sie schwören?« »Selbstverständlich«, sagt der Richter, der sich van Pelt zuwendet. »Sie ist in Englisch, nicht wahr? Oder in Holländisch?« »Sie ist in Deutsch«, sagt van Pelt, der anschließend ordnungsgemäß vereidigt wird. Da niemand sich weiter erkundigt, kommt weder jetzt noch im weiteren Verlauf der Verhandlung irgendetwas zum Vorschein, das den Eindruck stören könnte, hier stehe ein holländischer Architekturhistoriker, dessen Interesse am Holocaust rein wissenschaftlicher Natur ist. Doch bei van Pelts Familienbibel handelt es sich um die berühmte Übersetzung des Tanach von Martin Buber und Franz Rosenzweig. Drei Jahre nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland veröf215
fentlicht, ist sie das Denkmal einer Kultur und eines Volkes, dessen Auslöschung Gegenstand dieses Gerichtsverfahrens ist. Die Bibel, wird van Pelt mir hinterher erzählen, habe seinem Großvater gehört und seine Familie begleitet, als diese sich vor den Nazis versteckte. »Was niemand wusste«, fügte er hinzu, »war, dass ich, als ich im Zeugenstand war, den gelben Stern meiner Großmutter in der Tasche hatte und direkt vor mir auf dem Pult die beiden letzten Briefe ihres Bruders Robert Hanf, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Nach ihm bin ich benannt.« Nur ein Antisemit würde geltend machen, dass ein Jude weniger qualifiziert sei, als Holocaust-Experte auszusagen oder dem Gericht vorurteilsfrei Rede und Antwort zu stehen, wie es das Gesetz Sachverständigen abverlangt.* Dennoch wurde weithin vermerkt, dass die Verteidigung auf einem Gebiet, auf dem die meisten führenden Wissenschaftler Juden sind — Hilberg, Martin Gilbert, Richard Breitman, Bernard Wasserstein, Yehuda Bauer —, aus irgendeinem Grund ein Team zusammengestellt hatte, das aus zwei Deutschen, einem Holländer, einem Waliser und einem amerikanischen Protestanten bestand. Nach dem Prozess bekannte Richard Evans, Professor aus Cambridge, der die Expertenaussagen für die Verteidigung koordinierte, dass dies absichtlich geschehen sei: »Wir wollten [Irvings] antisemitischer Paranoia keine Nahrung geben.«** In dem Gutachten, das er für diesen Prozess verfasst hat, nähert sich van Pelt dem Problem indirekt. Er erwähnt beson* Die Vorstellung, dass nur Juden das Recht hätten, zu solchen Fragen Stellung zu nehmen, ist natürlich ebenso heuchlerisch. ** Evans machte diese Bemerkung auf einem öffentlichen Forum, das von der Wiener Library in London finanziert wurde. Am nächsten Morgen erhielt ich einen Anruf von Anthony Julius, der ebenfalls gesprochen hatte. Julius erklärte, Irvings Geistesverfassung sei ihm vollkommen egal, und er versicherte mir, Evans habe sich geirrt.
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ders, dass er sich gegen die strafrechtliche Verfolgung von »Holocaust-Leugnern wie Zündel in Kanada, Faurisson in Frankreich und Irving in Deutschland« ausgesprochen habe, und schreibt, »wenn Irving der Beklagte in diesem Prozess gewesen wäre, hätte ich nicht eingewilligt«, der Anklage zu helfen. Wo die anderen Expertengutachten lediglich die gesetzlich vorgeschriebene Rumpfzusage der Unparteilichkeit enthalten, schreibt van Pelt: »Obwohl ich dieses Gutachten als amicus curiae ohne Voreingenommenheit für den Beklagten und gegen den Kläger abgefasst habe, erkläre ich trotzdem meine Loyalität mit den Opfern von Auschwitz und wende mich gegen ihre Mörder.« Die Kenntnis des Werdegangs van Pelts hätte einige seiner Erklärungen als weniger melodramatisch erscheinen lassen. Auf die Frage, ob er »tief ergriffen« gewesen sei, »den echten Schauplatz zu besichtigen, an dem diese Gräueltaten sich zugetragen haben«, antwortet er: »Mehr als ergriffen. Ich war erschrocken. Ich...« »Waren überall noch die Geister der Töten?« »Nein, ich glaube nicht an Geister«, entgegnet er, »und ich habe in Auschwitz niemals Geister gesehen, doch es ist in vielerlei Hinsicht ein ehrfurchtgebietender Ort, und man nimmt auch eine Ehrfurcht gebietende Verantwortung auf sich, wenn man anfängt, sich als Historiker mit diesem Ort zu befassen. Ich hatte viele Jahre lang das Gefühl, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Erst nach sehr sorgfältiger Vorbereitung habe ich mich schließlich entschlossen, dorthin zu reisen und anzufangen, in Auschwitz zu arbeiten.« Abgesehen von den Anwälten, dem Richter und den Klagegegnern haben leider nur sehr wenige Leute van Pelts Gutachten gelesen. Für diejenigen unter uns, die es nicht getan haben, ist es beinahe unmöglich, seinem Kreuzverhör durch Irving — dem Höhepunkt des Streits über Auschwitz — zu folgen. 217
In einem Geschworenenprozess würde ein Sachverständiger wie van Pelt von den Anwälten, die ihn engagiert haben, an die Hand genommen und langsam durch seine Aussage geleitet. Wer ihn mit Studenten erlebt hat, berichtet, van Pelt sei ein charismatischer und eindrucksvoller Lehrer, und seine professorale Manier hätte Geschworene beeindrucken können. Aber da anzunehmen ist, dass der Richter sein Gutachten schon verarbeitet hat, ist van Pelt, wie alle Zeugen der Verteidigung, im Wesentlichen aufgefordert, zu bestätigen, dass er es verfasst hat und für wahr hält, bevor das Kreuzverhör beginnen kann. Statt einem Kolloquium über Auschwitz beizuwohnen, müssen Presse und Zuschauer beobachten, wie van Pelt sich unter Irvings Angriffen behauptet. In Unkenntnis von van Pelts familiärem Hintergrund wirft Irving ihm gleich zu Anfang vor, sich als Architekt auszugeben. Zunächst lullt er sein Opfer mit Schmeicheleien ein: »Die Lektüre Ihres Buches über Auschwitz hat mir wirklich großes Vergnügen bereitet. Wirklich, es ist eines der wenigen Bücher, die ich von der ersten bis zur letzten Seite gelesen habe.« Dann erkundigt er sich nach van Pelts Anstellung und entlockt ihm folgende Äußerung: »Mein Anstellungsverhältnis ist ein wenig verwirrend. Ich gehöre der Abteilung für Architektur an und bin folglich offiziell Professor für Architektur. Der Professorentitel hängt von der Abteilung ab, bei der man angestellt ist. Doch ich unterrichte in einem Fach, das wir als kulturgeschichtliche Forschungsrichtung bezeichnen, also normalerweise würde ich mich, um im alltäglichen Gebrauch Verwirrung zu vermeiden, als Professor für Kulturgeschichte bezeichnen, weil ich von Hause aus promovierter Kulturhistoriker bin und im Rahmen meiner Lehrverpflichtungen an der Fakultät für Architektur Kulturgeschichte unterrichte.« Irving erwähnt, dass van Pelt sich in seinem Gutachten als 218
»Professor für Architektur« bezeichne, und fragt: »Ist Ihnen die Tatsache bekannt, dass es in England gesetzlich nicht erlaubt ist, sich Architekt zu nennen, solange man nicht bei der königlichbritischen Architektenvereinigung eingetragen ist?« Van Pelt erwidert, dasselbe gelte auch für die Niederlande, er habe indes nie Veranlassung gehabt, sich eintragen zu lassen, »weil ich nie an einer architektonischen Fakultät studiert habe«. »Mit anderen Worten«, sagt Irving, »Ihre Sachkenntnis auf dem Gebiet der Architektur ist genau so groß wie Mr. Leuchters Sachkenntnis als Ingenieur?« Van Pelt entgegnet abwehrend, er habe Seminare in Zeichnung und Konstruktion gegeben, sei Mitglied mehrerer Architekturjurys gewesen und habe Architekten beraten... Irving schneidet ihm das Wort ab: »Wenn man mich also einen Pseudo-Historiker nennt, dann sind Sie demnach ein Pseudo-Architekt, wenn ich es einmal so ausdrücken darf?« »Ja«, sagt van Pelt, »außer dass ich niemals behauptet habe, Architekt oder Pseudo-Architekt zu sein.« Durch Irvings lächelnde Insinuationen anscheinend beunruhigt, räumt van Pelt ein: »Ich gebe zu, dass meine formellen Qualifikationen genau dieselben sind wie die Ihren.« Irvings nächste Frage bringt ihn in seinem Bestreben, zu suggerieren, an van Pelt sei etwas nicht koscher, einen Schritt weiter: »In einer Hinsicht ist Ihr Gutachten ungewöhnlich, und Euer Lordschaft haben es vielleicht bemerkt: Es trägt auf Seite 2 einen Copyright-Vermerk. Mit anderen Worten, Sie beanspruchen das Urheberrecht für dieses Schriftstück. Nun, würden Sie dem Gericht verraten, eingedenk dessen, dass Sie unter Eid stehen, ob Sie die Absicht hegen, es am Ende zu veröffentlichen?« Wieder ist van Pelts Antwort abwehrend: »Im Augenblick nicht. Ich denke, das Dokument ist zur Veröffentlichung ungeeignet.« Das ist unnötig.* Und es ist, wie Irving bald nachwei219
sen kann, durchaus nicht die ganze Wahrheit. »Also gut«, sagt Irving. »Ich werde Ihrer Erklärung Glauben schenken, dass Sie nicht die Absicht haben, das Schriftstück jemals zu veröffentlichen, wie Sie dem Gericht jetzt versichert haben. Mylord...« Es ist nur eine kleine Falle, aber van Pelt tappt mitten hinein. »Darf ich eben kurz darauf zurückkommen?« unterbricht er. »Ich sagte ›in dieser Form‹... Ich habe es nicht mit dem Gedanken, es als solches zu veröffentlichen, geschrieben.« Es folgt Irvings Missgeschick mit dem Videorecorder, eingeleitet von einem Versprecher, den Anhänger Sigmund Freuds zweifellos als lapsus linguae betrachten würden: Irving spricht von Morris’ Film versehentlich als von »Mr. Truth«, um sich sofort zu verbessern: »Mr. Death.« Um zu erreichen, was er mit dem Video zu erreichen gehofft hatte, nämlich dass, wenn man die Existenz mörderischer Gaskammern in Auschwitz leugnen wolle, Krematorium 2 dazu bestens geeignet sei, schreitet Irving hinüber zu der Staffelei auf der rechten Seite des Gerichtssaals. Er nimmt eine der großen Luftaufnahmen von Auschwitz herunter, die sich dort seit dem ersten Verhandlungstag stapeln, und fragt, auf einen verschwommenen Umriss weisend: »Dies [Krematorium 2] war das Zentrum der Gräuel?« »Ja«, sagt van Pelt. * In einem Strafverfahren kann ein Zeuge, für den finanziell etwas von dem Urteil abhängt — zum Beispiel ein Vertrag, seine Geschichte einer Boulevardzeitung zu verkaufen, mit der Zusicherung einer Zulage im Falle der Verurteilung —, seine Aussage für ungültig erklären lassen. Aber Irving vs. Lipstadt war ein Zivilprozess, und van Pelt sagte als Gutachter aus, nicht als Zeuge in der Sache. Richard Evans, Anthony Julius, Hajo Funke und Deborah Lipstadt hatten alle vor, Bücher zu schreiben, die sich auf ihre Erfahrungen bei dem Prozess bezögen; und zweifellos wird Irving eines Tages dem Beispiel der anderen folgen.
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»Sollte ich also bei diesem Kreuzverhör einen Großteil meiner Nachfragen auf dieses eine Gebäude und dort auf Leichenkeller 1 — den einen Arm des Krematoriums — konzentrieren, dann ist es nicht vollkommen unbillig, wenn ich nachzuweisen versuche, dass die Todesfabriken als solche nicht existierten?« »Nein. Ich denke, das Gebäude, das in Zweifel zu ziehen nahe liegt, wäre Krematorium 2.« Für die nächsten paar Tage zumindest wird der Anspruch, dass es in diesem Prozess ausschließlich um Geschichtsschreibung geht, aufgegeben. »Sie kennen zweifellos«, fragt Irving, »das Buch von Professor Arno Mayer, Der Krieg als Kreuzzug, worin dieser Professor von der Princeton University, der selber Jude war und den man wohl kaum als Holocaust-Leugner bezeichnen kann, behauptete, dass die meisten Todesfälle in Auschwitz seiner Ansicht nach von natürlichen Ursachen herrührten und dass nur ein sehr geringer Prozentsatz der Opfer auf im landläufigen Sinne verbrecherische Art und Weise getötet worden sei?« Van Pelt sagt, er halte Irvings Zusammenfassung für falsch; er wolle den Text sehen, bevor er antworte. Irving hat ihn nicht dabei. Was Mayer tatsächlich sagte, ist auch anders lesbar. »Es gibt einen Unterschied«, schrieb Mayer, »zwischen ›natürlichen‹ oder ›normalen‹ Todesursachen und dem Tod durch Erschießen und Erhängen, durch eine Phenolinjektion oder durch Vergasen. Aber ganz abgesehen davon, dass es von entscheidender Bedeutung ist, nicht zuzulassen, dass diese Unterscheidung zur Beschönigung und Normalisierung des Massenmords in Auschwitz benutzt wird, sollte man es nicht zu weit damit treiben.« Wie Mayers Kritiker hat auch Irving diesen Textteil zweckmäßigerweise vergessen. Aber Irving — wie auch Mayers Kritiker — hat die Aufmerksamkeit zu Recht auf die dann folgenden Sätze gelenkt: »Die 221
Führer der Nazis beschlossen, schwache und kranke Juden und Zigeuner nach Auschwitz zu deportieren, im vollen Bewusstsein der Risiken, denen sie entgegensähen, und sie machten damit auch weiter, als die dort herrschenden tödlichen Zustände einschließlich der endemischen Gefahr von Epidemien längst nicht mehr zu ignorieren und zu leugnen waren. Außerdem wurden, in Auschwitz ganz gewiss, aber wahrscheinlich überall, von 1942 bis 1945 mehr Juden durch so genannte ›natürliche‹ Ursachen getötet als durch ›unnatürliche‹.« Das war unhaltbar, worauf sogar Vidal-Naquet, der das Vorwort zur französischen Ausgabe des Buches von Mayer schrieb, hinwies. Aber beinahe ebenso viel Kritik erntete Mayer für seine Behauptung, dass »Quellen für die Untersuchung der Gaskammern zugleich selten und unzuverlässig sind«.1 Mayer mag sich geirrt haben, aber im Jahr 1988, als sein Buch erschien — bevor westliche Forscher Zugang zu sowjetischen Archiven erhielten, vor Pressac, vor Dwork und van Pelt —, war dieser Satz zumindest vertretbar. Van Pelts Aufgabe ist es, nachzuweisen, dass dies heute und schon seit geraumer Zeit nicht mehr der Fall ist. Im Zeugenstand kommt die Frage jedoch kaum auf. Stattdessen wartet Irving mit einer Reihe von Hypothesen auf, die größtenteils darauf abzielen, zu beweisen, dass Auschwitz nicht nur kein Ort war, an dem ungefähr eine Million Menschen vergast und anschließend verbrannt wurden, sondern auch, dass dies unmöglich gewesen wäre. Einmal mehr wendet Irving sich seiner Staffelei zu und deutet auf einen Kohlenbunker. »Ich habe hier nicht die Gerätschaften, um die Größe dieses Bunkers auszumessen, aber er scheint etwa drei Meter im Quadrat zu umfassen, mit anderen Worten, er bietet sehr wenig Platz.« »Wie ich ihn in Erinnerung habe, scheint er mir ein wenig 222
größer zu sein«, sagt van Pelt, »aber, noch einmal, drei Meter im Quadrat, dreieinhalb Meter im Quadrat, wie auch immer. Es ist kein sehr großer Bunker.« »Kein sehr großer Bunker, um die für ein Massenverbrennungsprogramm, so hätte Mr. Rampton es, glaube ich, genannt, erforderlichen Brennstoffvorräte zu fassen, um Hunderttausende von Körpern zu verbrennen?« »Darf ich Sie daran erinnern, Mr. Irving, dass es auch im Krematorium selber direkt neben dem Verbrennungsgebäude ein sehr großes Koksdepot gab?« »Ja, mir ist die Lage dieses Depots auf den Zeichnungen von dem Gebäude vertraut. Nicht sehr viel größer als diese kleine Hütte außerhalb?« »Ich denke, es wird wahrscheinlich möglich sein, die Größe des Bunkers festzulegen, wenn wir einen Plan zu Rate ziehen, und ich schaue gern in den Plänen aus meinen Prozess-Unterlagen nach.« Obwohl van Pelt nicht geneigt zu sein scheint, ihn ernst zu nehmen, scheint Irvings Einwand den Richter erreicht zu haben, der nun wissen will: »Gab es in jedem Krematorium einen Koksbunker oder gab es insgesamt nur einen?« »Jedes Krematorium hatte seinen eigenen Koksbunker, ja«, sagt van Pelt, und für den Augenblick belässt er es dabei. Als Nächstes wendet Irving sich einer stark vergrößerten Fotografie des Leichenkellers 1 von Krematorium 2 zu, »an das wir nun dichter herangekommen sind«. »Wurde dieses Gebäude von den Nazis zerstört«, fragt er, »oder von den Russen?« »Das Beweismaterial«, sagt van Pelt, »deutet auf die Tatsache hin, dass die Nazis dieses Gebäude, und speziell den Leichenkeller 1, in zwei Phasen zerstörten. Zunächst einmal haben wir die Aussagen der Sonderkommandos* und anderer Perso223
nen, dass die Gaskammern demontiert wurden, als die Vergasungen Ende des Jahres 1944 aufhörten, was bedeutet, dass die eigentliche Installation im Inneren von Leichenkeller Nummer 1 des Krematoriums 2 und von Nummer 3**, die geschaffen worden war, um diesen Raum zu einer Gaskammer umzufunktionieren, entfernt wurde und dass später die Schale des Raumes sozusagen weggesprengt wurde. Wir besitzen den sehr ausführlichen Bericht eines Angehörigen eines Sonderkommandos darüber, wie sie Löcher in die Säulen bohrten. Dynamit wird hineingefüllt, und schließlich, im Falle von Krematorium 2, brachen mit Ausnahme einer einzigen alle Säulen zusammen. Im Krematorium 3 waren sie erfolgreicher, dort stürzte praktisch alles zusammen. Was man also heute in Krematorium 2 vorfindet, sind... die Überreste eines Betondaches, das praktisch auf den Boden heruntergekracht ist.« »Es ist nach unten durchgesackt?« »Es ist nach unten durchgesackt. Eine Säule steht noch, und
* Die Sonderkommandos bestanden aus Häftlingen, die zur Arbeit in den Gaskammern und Krematorien abkommandiert waren. Regelmäßig wurden sie selbst vergast, aber einige derjenigen, die gegen Ende des Krieges in Sonderkommandos arbeiteten, überlebten. Zwei von ihnen, Szlama Dragon und Henryk Tauber, entkamen, als die Nazis das Lager im Januar 1945 evakuierten. Sie kehrten jedoch zurück, um vor sowjetischen und polnischen Vernehmungsbeamten auszusagen. Dragon entsann sich auch der Stelle, wo sein Kamerad aus dem Sonderkommando, Salmen Gradowski, eine in Jiddisch geschriebene Zeitschrift, aufbewahrt in einem Aluminium-Kochgeschirr, vergraben hatte. Wenngleich Gradowski ermordet worden war, wurde sein Kochgeschirr in Gegenwart der Mitarbeiter aus dem Büro der sowjetischen Anklagevertretung ausgegraben. ** Krematorium 3 wurde nach denselben Plänen erbaut wie Krematorium 2, aber die Pläne wurden »umgedreht«, sodass die Gebäude sich später spiegelbildlich zueinander verhielten. In beiden Fällen fungierte der als Leichenkeller 1 bezeichnete Raum als Gaskammer. Ebenso war auch Krematorium 5 das Spiegelbild von Krematorium 4.
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irgendwie hat das Dach sich buchstäblich über dieser einen Säule zusammengefaltet.« »Ist es nicht ungewöhnlich«, sagt Irving, »dass die Nazis in ihrer skrupellosen Tüchtigkeit herumliefen, Gebäude zerstörten und belastende Vorrichtungen beseitigten, die uns andernfalls heute hier im Gerichtssaal sehr von Nutzen hätten sein können, sie aber gleichzeitig ohne das leiseste Murren zuließen, dass der Roten Armee sämtliche Bauunterlagen in die Hände fielen?« Van Pelt erklärt, dass sämtliche Architekten, als das Baubüro in Auschwitz Ende 1944 geschlossen wurde, »wieder in die SS eingezogen wurden, um an der Ostfront zu kämpfen«. Außerdem habe sich das Büro in einiger Entfernung außerhalb des Lagers befunden und nicht im Lager selbst. Eine Reihe von Karten, die im Lager aufbewahrt worden waren, sei vernichtet worden, aber jene Kopien, die Grundlage für van Pelts Buch bildeten, seien übersehen worden. »Also dachten die Nazis sehr wohl daran, die Gebäude zu zerstören, und sie vergaßen auch nicht, jede Mutter und jede Schraube mitzunehmen, die uns heute helfen könnten. Sie ließen jedoch zu, dass die Russen sämtliche belastenden schriftlichen Unterlagen erbeuteten, oder sind diese gar nicht besonders belastend?« »Mr. Irving«, sagt Richter Gray, »ich habe das Gefühl, Sie unterstellen da etwas, und ich will mal versuchen, genau den kritischen Punkt zu treffen. Wollen Sie andeuten, dass das, was die Russen erbeuteten, keine echten Dokumente waren, oder dass das, was die Russen vorlegten, keine echten Dokumente waren?« »Nein, Mylord, genau das Gegenteil. Es tut mir Leid, dass ich bei meinem Kreuzverhör so schrecklich unklar bin.« »Nein, das sind Sie nicht«, beruhigt der Richter ihn. »Sie machen das sehr gut, aber ich möchte die Unterstellung verstehen.« 225
»Ich stehe in Ihrer Schuld, Mylord. Ich frage dies aus zwei Gründen. Ich stelle so etwas wie eine Falle auf, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, die entweder vor oder nach dem Mittagessen zuschnappen wird.« Irvings Falle bleibt bis zum Ende des Tages geöffnet. Bis dahin unterstellt er, dass die Erweiterung der Krematoriumskapazität des Lagers eine Reaktion auf die Typhus-Epidemie gewesen sei, die im Sommer 1942 ein Drittel der Lagerinsassen tötete. Van Pelt erwidert, dass man, sollte dies stimmen, im Höchstfall eine Kapazität von 50 000 Leichen pro Monat hätte erwarten dürfen — ein Drittel der für das Lager anvisierten Gesamtzahl an Häftlingen. Stattdessen hätten die Nazis Krematorien mit einer Kapazität für 120 000 Leichen pro Monat gebaut. »Falls wir diesen Zahlen Glauben schenken«, erwidert Irving, »dann hätte die SS oder wer auch immer vorgehabt, über drei Viertel der gesamten Lagerbevölkerung auszulöschen und zu verbrennen — was mir eine ziemlich sinnlose Übung zu sein scheint, denn wir haben es hier mit einem Zwangsarbeiterlager zu tun.« Van Pelt stellt zwei Dinge fest: erstens, dass die meisten der in Auschwitz vergasten Juden niemals im Lager registriert und niemals als Angehörige der Arbeitskompanie mitgezählt worden seien. Sobald die Züge in Birkenau gehalten hätten, habe die SS zuerst die Männer von den Frauen und Kindern getrennt und dann die Arbeitsfähigen »selektiert«, die zum Lager abgeführt worden seien, wo man sie registriert und ihnen zur Identifizierung eine Nummer eintätowiert habe. Der Rest sei direkt in die Gaskammern geführt worden. Seine zweite Feststellung ist, dass nur zwei von den fünf Gaskammern, und zwar die den Krematorien 4 und 5 angegliederten, eigens zu diesem Zweck entworfen worden seien. Die 226
anderen, und insbesondere der »Leichenkeller« in Krematorium 2, seien bereits in der Bauphase umgebaut worden, nachdem sie ursprünglich für andere Zwecke bestimmt gewesen seien. Die Blaupausen und Planungsunterlagen dieser »flexiblen Neuverwendung« bilden die Grundlage der Untersuchung van Pelts. Darin ist er nicht zu erschüttern. Aber Irving hat nicht die Absicht, ihn auf seinem eigenen Terrain zu bekämpfen. Stattdessen kommt er wieder auf die Sterblichkeitsziffern zu sprechen. Van Pelt legt dar, dass die Deutschen, da die geplante Krematoriumskapazität »vier Fünftel der für das Lager anvisierten Gesamthäftlingszahl« betragen habe, »jeden Monat 120 000 Menschen nach Auschwitz hätten transportieren müssen, um der Typhus-Epidemie weiter voraus zu sein — oder mit ihr Schritt zu halten. Es ist absurd, Typhus als Ausrede zur Erklärung der Verbrennungskapazität der Krematorien zu benutzen.« Irving repliziert nicht direkt. Stattdessen fragt er van Pelt, ob die Vorstellung nicht ebenso absurd sei, das Lager sei imstande gewesen, so viele Menschen in so kurzer Zeit zu beseitigen. »Damit wir eine Vorstellung davon bekommen, worüber wir hier reden: Das ist viermal das Wembley-Stadion, das sind 12 000 Tonnen Menschen, 12 000 Tonnen Leichen, die Sie mit diesen sehr beschränkten Vorrichtungen einäschern müssen.« »Ich glaube nicht, dass man 100 Kilogramm wiegt, wenn man sehr lange in Auschwitz gewesen ist«, gibt van Pelt zurück. »Also schön. Sagen wir zwölf Menschen pro Tonne, wenn Sie herumkritteln wollen«, sagt Irving entgegenkommend. »Dann werden Sie trotzdem am Ende mit 10 000 Tonnen Leichen dastehen, die beseitigt werden müssen. Dies soll Ihnen die Größe der Zahlen klarmachen, von denen Sie da reden. Das macht Ihnen die Absurdität des Beweisstücks deutlich, auf das Sie sich stützen: 10 000 Tonnen Leichen.« »Wenn Sie mir beipflichten«, fährt Irving fort, »dass man 30 227
Kilogramm Koks braucht, um eine Leiche, wie Sie sagen, zu verbrennen, können Sie sich denken, wie viele Tonnen Koks wir wohl in diesen winzigen Kohlenbunkern deponieren müssten, die Sie auf den Luftaufnahmen sehen können, um 120 000 Leichen zu vernichten — zu verbrennen, einzuäschern? Wir reden hier darüber, dass ganze Zug-, wenn nicht Schiffsladungen voll Koks nach Auschwitz geschafft werden müssen. Auf den Fotografien findet sich aber kein Hinweis auf Berge von Koks, stimmen Sie mir zu? Es gibt keinen Hinweis auf die Berge...« »Wir besitzen zwei Dokumente«, sagt van Pelt. »Eines, in dem es um die Verbrennungskapazität geht, und eines, das vom Koksverbrauch handelt. Es geht um dieselben Gebäude. Auf dieser Grundlage... können wir die Menge Koks ausrechnen, die pro Leichnam verbraucht wird — was keine erfreuliche Kalkulation ist, muss ich sagen —, aber unter dem Strich kommt man auf dreieinhalb Kilo Koks pro Leichnam.« Daraufhin ergreift Irving eine durchsichtige Wasserflasche aus Plastik, die vor ihm auf dem Tisch steht. »Sie glauben also wirklich allen Ernstes«, fragt er, die Flasche in die Höhe haltend, »dass man einen Leichnam mit so viel Koks verbrennen kann, wie in eine dieser Wasserflaschen passt? Wollen Sie das wirklich behaupten?« »Ich möchte unterstreichen, dass es zwei Dokumente gibt, die das untermauern«, sagt van Pelt entschieden. »Können Sie mal eine Sekunde innehalten?« Irvings Wasserflasche voller Koks scheint die Vorstellungskraft von Richter Gray gefesselt zu haben. »Dreieinhalb Kilogramm Koks pro Leichnam«, sagt er zweifelnd, »man muss es einmal schätzen...« »Das gilt, wenn...« »Das setzt«, sagt der Richter, »eine Verbrennungsrate voraus, die der in dem Dokument vom 28. Juni 1943 entspricht, das Mr. Irving anzweifelt?« 228
»Ja.« Als Nächstes wendet Irving sich der Frage zu, wie das Gas in die Gaskammern gelangte. »Stützen Sie sich auf eine Frau namens Bimko?« fragt er van Pelt. »Ich habe Miss Bimko in meinem Gutachten erwähnt«, sagt van Pelt, fügt aber hinzu: »Ich habe mich nicht auf sie gestützt, um zu einem Ergebnis hinsichtlich der Verbrennungsgkapazität in den Krematorien zu gelangen.« Nach ein paar weiteren Wortwechseln, die den Eindruck vermitteln sollen, van Pelt weiche aus, liest Irving einen Abschnitt aus der Aussage Bimkos, einer polnisch-jüdischen Ärztin und Auschwitz-Insassin, vor, die sie unter Eid gegenüber Vernehmungsbeamten machte, die van Pelt in seinem Gutachten jedoch nicht zitiert hat: »In einer Ecke des Raumes standen zwei große Zylinder. Der SS-Mann sagte mir, die Zylinder enhielten das Gas, das durch die Rohre [in die Gaskammer] ströme.« Van Pelt zufolge schilderte Dr. Bimko eine Besichtigung der Gaskammer des Krematoriums 4. Der SS-Mann, behauptet van Pelt, habe Bimko auf den Arm genommen, indem er so getan habe, als würden die Lüftungsrohre zur Einleitung von Gas benutzt, wo das Gas doch in Wirklichkeit in Form von Blausäurekugeln eingeleitet worden sei, die durch gasdichte Klappen an der Gebäudeseite geworfen wurden.* »Wieso glauben Sie, dass jemand, der keine technische Ausbildung hat, ein Rohr von einem anderen unterscheiden kann?« fragt van Pelt. Aber Irving ist an Bimko nicht wirklich interessiert. Er möchte lediglich die Vorstellung im Kopf des Richters nähren, van Pelt verlasse sich auf Augenzeugen und auf Augenzeugen sei * In den Krematorien 2 und 3, wo sich die Gaskammern unter der Erde befanden, wurden die Blausäurekugeln durch Löcher im Dach eingeführt. In den Krematorien 4 und 5, die zu ebener Erde lagen, wurden sie durch fenstergroße Öffnungen geworfen, die mit Metallklappen versehen waren.
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eben kein Verlass. Irvings wirkliches Ziel heißt Henryk Tauber, Angehöriger eines Sonderkommandos, der tatsächlich in den Krematorien 2 und 4 arbeitete und dessen Aussage vor der sowjetisch-polnischen Untersuchungskommission zu Auschwitz eine ausführliche Darstellung der Anlage und Funktionsweise der Gaskammern bietet: »Im Entkleidungsraum waren entlang der Wände Holzbänke und nummerierte Kleiderhaken. Es gab keine Fenster, und die Lampen waren die ganze Zeit an... Vom Entkleidungsraum gingen die Leute in den Flur durch eine Tür, über der ein Schild in mehreren Sprachen mit der Aufschrift ›Zum Bade‹ aufgehängt war... Vom Flur gingen sie durch die Tür zur Rechten in die Gaskammer... Etwa in Kopfhöhe eines Mannes von durchschnittlicher Größe hatte diese Tür ein rundes, gläsernes Guckloch. Auf der anderen Seite der Tür, das heißt auf der Seite der Gaskammer, war diese Öffnung durch ein halbkugelförmiges Gitter geschützt. Das Gitter wurde angebracht, weil die Menschen in der Gaskammer, die spürten, dass sie gleich sterben würden, früher das Glas des Guckloches zerbrochen hatten.« Van Pelt, der Tauber in seinem Gutachten ausführlich zitiert, liest aus Taubers Schilderung des Inneren der Gaskammer vor: »Das Dach der Gaskammer wurde von Betonsäulen gestützt, die den Raum der Länge nach halbierten. Zu beiden Seiten dieser Säulen gab es vier weitere, zwei auf jeder Seite. Die Seitenflächen dieser Säulen, die nach oben durch das Dach führten, waren aus schwerem Maschendraht.« Irving unterbricht ihn. »Was heißt das«, fragt er, »wenn da steht: ›Säulen, die nach oben durch das Dach führten‹? Nach oben bis zum Dach, nehme ich an?« 230
»Ja, aber sie kamen über dem Dach wieder heraus«, erwidert van Pelt. »Die Säulen kamen heraus?« »Ja, also die Säulen führten durch ein Loch im Dach und dann führten sie praktisch durch die oben auf dem Dach aufgehäufte Erde hindurch, und dann saß ganz oben eine Art kleiner Schornstein.« »Wozu sollte das bautechnisch gut sein?« »Weil dies hier hohle Säulen waren und weil es die Säulen waren, durch die das Zyklon B in die Gaskammer eingeführt wurde.« Irving stellt noch ein paar weitere Fragen zu diesen Säulen. Wie groß waren sie? Woraus waren sie gemacht? Wie viele Schichten Draht? Wo genau standen sie? Während van Pelt antwortet, schaut er immer wieder auf einen großen gelben Plan des Krematoriums. »Sie haben diese Maschendrahtsäulen eingezeichnet, nicht wahr?« fragt Irving. »Das Ganze ist eine Zeichnung des Gesamtgebäudes von einem meiner Studenten.« »Ja, aber den Maschendraht haben Sie hinzugefügt«, behauptet Irving mehr, als dass er fragt. »Er basiert nicht auf irgendwelchen Zeichnungen oder Blaupausen, nicht wahr?« Es dauert noch ein paar weitere Minuten, bis Irving die Antwort bekommt, die er will. »Wenn Tauber beispielsweise anfängt, über den Vergasungsvorgang oder das Verbrennungsverfahren zu sprechen«, sagt van Pelt, »dann steht das natürlich nicht in den Blaupausen, und was sehr wichtig ist, auch die Maschendrahtsäulen finden sich nicht in den Blaupausen.« Jetzt hat van Pelt Irvings Falle zuschnappen lassen. Aber er ist zu sehr in seine Erklärungen vertieft, um es zu bemerken: Die Gaskammer in Krematorium 2, sagt van Pelt, sei ursprünglich 231
als Leichenkeller gedacht gewesen. Aber die Arbeiten am Dach hätten erst im Dezember 1942 begonnen, »als die Modifizierung des Gebäudes zu einer Vernichtungsmaschine für den Völkermord bereits beschlossen worden war... Das Dach war zu dieser Zeit noch nicht fertig.« Der Richter macht eine Bemerkung, die darauf abzielt, dass die Zeit vorgerückt sei. Doch Irving sagt: »Mylord, Sie verstehen vielleicht, dass die Falle jetzt zugeschnappt ist, und es wäre doch schade, die Maus wieder in ihren Käfig zu setzen.« »Die Falle ist das, was Sie soeben gefragt haben?« »Genau, Mylord. In diesem Dach sind keine Löcher. In diesem Dach waren niemals irgendwelche Löcher. Sämtliche Augenzeugen, auf die er sich beruft, sind deshalb als Lügner entlarvt.« Irving bittet van Pelt, eine Passage aus seinem Gutachten vorzulesen: »Heute sind diese vier kleinen Löcher, welche die Maschendrahtsäulen und die Schornsteine verbanden, in den geborstenen Trümmern der Betonplatte nicht mehr zu sehen. Doch bedeutet dies, dass sie nie da waren? Wir wissen, dass nach der Einstellung der Vergasungen im Herbst 1944 alle Vergasungsvorrichtungen entfernt wurden, was sowohl die Maschendrahtsäulen als auch die Schornsteine einschließt. Was übrig geblieben wäre, wären die vier engen Löcher und die Platte gewesen. Obwohl es in dieser speziellen Frage keine Gewissheit gibt, wäre es logisch gewesen, dort, wo die Säulen gewesen waren, an der Unterseite der Gaskammerdecke eine Verschalung anzubringen und etwas Beton in das Loch zu gießen, um dadurch die Platte wiederherzustellen.« »Moment mal«, sagt Irving frohlockend. »Sie behaupten also, dass jetzt, als der Einfall der Roten Armee, die seit November 1944 knapp diesseits des Flusses Weichsel steht, unmittelbar droht und (wie wir heute Morgen festgestellt haben) die Mann232
schaft des Konzentrationslagers Auschwitz die Hosen gestrichen voll hat und sämtliche Unterlagen vernichtet und alles tut, was sie kann, irgendwelchen SS-Rottenführern die scheußliche Aufgabe übertragen worden sei, mit Eimer und Schaufel dort hinaufzusteigen, um diese vier Löcher zuzuzementieren — damit sie, nachdem wir den Bau in die Luft gesprengt haben, nicht sichtbar sind?« Irvings Tirade geht noch einige Zeit weiter, und auch wenn van Pelt auf einige seiner Argumente etwas erwidern kann, hatte er damit ganz sicher nicht gerechnet. »Mylord«, sagt Irving, einen Gang zurückschaltend, »es ist vier Minuten vor vier. Sofern Mr. Rampton nichts sagen möchte, um den Schaden hier und jetzt in Ordnung zu bringen...« »Mylord, darf ich darauf antworten?« »Ja«, sagt Richter Gray, »aber nicht vor 10.30 Uhr morgen früh.« Van Pelt kehrt mit einer Serie von Fotografien des Krematoriums 2, die ein Arbeiter in der Zentralbauleitung von Auschwitz gemacht hat, in den Zeugenstand zurück. Ein Foto zeigt vier Objekte oder vorspringende Teile auf dem noch unfertigen Dach des Gebäudes. Van Pelt behauptet, dies seien die »Schornsteine«, durch welche die Blausäurekugeln hineingeschüttet worden seien. Irving behauptet, die Objekte könnten ebenso gut Behälter mit Dichtungsmaterial für das Dach sein. Es folgt eine Wiederholung des Streits über Löcher vom Vortag. Irving vertieft sich erneut in die »Unglaubwürdigkeit der Geschichte, dass man, bevor man Dynamit unter das Gebäude gesteckt habe, um alles in die Luft zu sprengen, damit die Rote Armee keinerlei verbrecherische Spuren fände, Arbeiter mit Eimern voll Zement und mit Kellen hingeschickt und ihnen befohlen habe, die Löcher im Dach auszubessern. Für mich klingt das, 233
ich muss schon sagen, vollkommen unglaubwürdig, und wir wissen heute, dass es niemals geschehen ist, denn das Dach ist da, und es gibt nicht die geringste Spur, dass an dem Beton solches Flickwerk verrichtet worden ist.« »Mylord«, sagt van Pelt, »man kann zurzeit wegen des Zustands, in dem das Dach sich befindet, unmöglich sehen, ob dort ausgebessert worden ist oder nicht. Das Dach ist geborsten. Es ist nach über 50 Jahren sehr, sehr stark verwittert, und die Farbe des Betons im Dach ist scheckig geworden... zudem ist alles von Vegetation überwuchert. So oder so, es ist unmöglich, etwas zu erkennen.« »Es ist unmöglich, etwas zu erkennen.« Van Pelts Antwort ist ehrlich, aber er tut der Verteidigung keinen Gefallen damit. »Dürfen wir erfahren, welches Beweismaterial Sie, abgesehen von Augenzeugen und abgesehen von den Klecksen auf dem Dach, sonst noch dafür haben«, fragt Irving, »dass dieses Gebäude hier, der Leichenkeller Nr. 1 von Krematorium Nr. 2, eine Gaskammer zur Menschenvernichtung war?« »Dies sind die beiden Bilder, welche die Augenzeugenberichte bestätigen, und dann gibt es da noch eine Reihe von Zeichnungen, die ein Überlebender angefertigt hat.« Bei van Pelts Bildern handelt es sich um alliierte Aufklärungsfotos, die im August 1944 gemacht wurden. Auf einem ist eine Reihe von vier kastenförmigen Schatten auf dem Dach des Leichenkellers 1 von Krematorium 2 zu sehen. Die Zeichnungen stammen von David Olère, einem Sonderkommando-Angehörigen, der sogar im Innern des Krematoriums gelebt hatte. Vor dem Krieg hatte er in Paris Plakate und Filmdekorationen entworfen. Olères künstlerische Fähigkeiten retteten ihm das Leben. Die Gemälde, die er für die SS-Wachen anfertigte, bewahrten ihn davor, mit den anderen Männern vom Sonderkommando ermordet zu werden. Als er nach dem Krieg nach Paris zurück234
kehrte, schuf er eine Anzahl von Arbeiten, die auf dem basierten, was er gesehen hatte. Darunter auch ein sehr detaillierter Plan des Krematoriums, der die hohlen Säulen zeigte, die durch das Dach stießen. Obwohl die Aufklärungsfotos noch jahrzehntelang für geheim erklärt wurden, zeigten die Löcher auf Olères Zeichnungen, so van Pelt, exakt dieselbe Anordnung wie jene auf dem Foto. Irvings Reaktion besteht darin, Olère einfach als eine andere Sorte Augenzeuge (was er war) zu behandeln sowie van Pelt (und den Richter) an einige der reißerischeren Behauptungen zu erinnern, die von Augenzeugen aufgestellt worden seien. Mit einem Auge starr auf die Uhr blickend, schneidet Gray ihm das Wort ab: »Mr. Irving, wollen Sie einmal zuhören? Wir gehen mit Professor van Pelt sein Beweismaterial für die Behauptung durch, Krematorium Nr. 2 sei als Gaskammer benutzt worden, Beweismaterial unabhängig von den Augenzeugen. Wir haben die Fotografien gesehen. Wir haben jetzt die Olère-Zeichnungen gesehen. Können wir uns jetzt anschauen, ob es noch andere Belege gibt, auf die er sich stützt? Sollte das nicht der Fall sein, können Sie weitermachen.« Irving spielt den Gekränkten, aber auch van Pelt macht keinen glücklichen Eindruck. Die Andeutung Grays bezüglich »anderer Belege« ist bei beiden angekommen. Später an diesem Tag, als Irving eine Reise nach Lodz im September 1942 »zum Zwecke der Inspektion der FeldküchenVersuchsstation für die Operation Reinhard« schildert, hat van Pelt mehr Erfolg. »Meines Erachtens ist Ihre Übersetzung hier falsch, Mr. Irving.« »Ja. Verraten Sie...« »Es handelt sich in diesem Fall«, sagt van Pelt, »um ›Feldöfen‹, und wir wissen, dass... diese spezielle Reise, die von dem [Auschwitz-] Kommandanten Höß unternommen wurde, recht 235
ausführlich dokumentiert ist... Man fuhr nach Litzmannstadt [Lodz], um die dortige Vernichtungsstelle zu besichtigen, eigentlich, um den Verbrennungsrost, die Verbrennungsvorrichtung, zu prüfen,... die geschaffen worden war, um Leichen loszuwerden, die als Folge der Tötungen in Chelmno vergraben worden waren. Diese Feldöfen haben also nichts mit Küchen zu tun, sondern es handelt sich um Verbrennungsöfen, um Leichen zu verbrennen, einzuäschern.« Eine kleine Erinnerung daran, dass unter den Nazis sogar gewöhnliche Wörter eine unheilvolle Bedeutung haben konnten. Van Pelt legt anschließend Material über Zyklon-B-Lieferungen nach Auschwitz vor, woraufhin Irving im Gegenzug die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenkt, dass Zyklon B auch an das Konzentrationslager in Oranienburg geliefert wurde, wo es keine Vergasungen in großem Umfang gegeben habe. Das Problem für die Verteidigung besteht darin, dass jeder ergebnislose Wortwechsel zugunsten Irvings zu werten ist. Das Gleiche passiert, als Irving behauptet, der Aufzug von der Gaskammer zum Krematorium sei für die Anzahl von Leichen, die van Pelts Aussage zufolge mit ihm transportiert wurden, zu klein und zu langsam gewesen. »Sie sind sich bewusst, nicht wahr, dass der Aufzugsschacht der Flaschenhals war«, sagt Irving unter Verwendung eines Slangausdrucks aus den 1940er Jahren für ein Hindernis in der Kriegsproduktion, »durch den alle Opfer... verschwinden mussten.« »Der Flaschenhals in einer Sanduhr ist nur dann ein Flaschenhals, wenn Sie wollen, dass der ganze Sand auf einmal hindurchrinnt«, sagt van Pelt. »Wenn Sie wollen, dass der Sand in einer Stunde hindurchrinnt, ist er kein Flaschenhals.« Das Argument hinter van Pelts Metapher ist simpel: Die Krematorien konnten immer nur einen kleinen Bruchteil der Gaskammerkapazität gleichzeitig bewältigen. In seinem Gutachten hatte er 236
geschrieben: »Die Verbrennungskapazität war der Flaschenhals, nicht die Vergasungskapazität.« Aber im Zeugenstand scheint es ihn nun nervös zu machen, dass Irving um eine Kalkulation »auf der Rückseite eines Briefumschlags« ersucht. »Mylord, mir geht das jetzt ein wenig zu schnell. Ich komme am Freitag gern darauf zurück.« »Natürlich wäre ich sehr erfreut«, fügt van Pelt beinahe wehleidig hinzu, »wenn jemand, der sich auskennt — wenn wir ein paar weitere spezifische Daten hätten, wissen Sie, wie lange dieser Aufzug brauchen würde, um hochzufahren, denn offensichtlich haben wir, wenn wir uns um 50 Prozent irren, plötzlich einen Flaschenhals.« Van Pelts letzter Tag ist sein bester. Um das architektonische Beweismaterial verständlich zu machen, hat er den Gerichtssaal vorübergehend in einen Hörsaal verwandelt, und wie er so vor der tragbaren Leinwand steht, mit der Fernbedienung für den Diaprojektor in der Hand, gewinnt van Pelt einen Teil der Autorität zurück, die unter Irvings Sperrfeuer von ihm abgefallen schien. »Als Erstes werde ich Sie in einer auf den Blaupausen basierenden Rekonstruktion durch das Gebäude [Leichenkeller 1 von Krematorium 2] und außen herum führen.« »Hier befinden wir uns zu ebener Erde. Hier haben wir den unterirdischen Leichenkeller, und wir erkennen sogar die Treppe, die nach unten führt. Das Erdreich wurde praktisch abgeschnitten, wobei der Eingang direkt hier in eine kleine Vorhalle führt.« Als van Pelt durch seine Dias blättert, ist es beinahe so, als seien er der Architekt des Projekts und wir seine Auftraggeber. Dieses bizarre Gefühl verstärkt sich noch, als van Pelt, während er »uns« in den Entkleidungsraum »führt«, sagt: »Es tut mir sehr Leid, wie die Beleuchtung dargestellt ist. Das sind 237
Lampenfassungen eines Typs, wie er 1999 Standard war. So haben diese Lampenfassungen ganz gewiss nicht ausgesehen, aber man bekommt einen Eindruck davon, wie viel Licht in diesem Raum gewesen ist.« Das meiste hat van Pelt bereits in seinen Antworten auf Irvings Fragen gesagt. Aber er setzt die Zeichnungen wirkungsvoll ein, so, wenn er zeigt, dass sich in dem Originalentwurf die Türen von Leichenkeller 1 zwar nach innen öffneten, im letzten Moment jedoch eine Änderung vorgenommen wurde, sodass sie sich nun nach außen öffnen ließen. Und er zeigt, dass eine Rampe zur Beförderung von Leichen hinunter in den Leichenkeller, die in dem ursprünglichen Plan vorgesehen war, ebenfalls gestrichen wurde. »Ein praktisches System, um Menschen, die außerhalb des Gebäudes gestorben sind, ins Innere zu schaffen [die Rampe], wurde entfernt«, erläutert er, »und ein neues praktisches System [eine Treppe] wurde installiert, um Menschen nach unten zu bringen, die noch nicht gestorben waren.« Als die Lampen an der Reihe sind, fragt Irving: »Professor van Pelt, Sie waren im Zusammenhang mit Ihren Nachforschungen wie oft in Auschwitz? Einmal oder zweimal?« »Nein. Ich bin seit 1990 jährlich dort gewesen. Manchmal zwei- oder dreimal im Jahr.« »Haben Sie dieses Dach der angeblichen Todesfabrik, des Leichenkellers, häufig inspiziert?« »Ja, ich war dort, ja.« »Haben Sie niemals den Drang verspürt, hinzugehen und zu kratzen, gerade weil Sie wussten, wo diese Löcher waren, weil Sie ungefähr wussten, wo ein 60 oder 90 Zentimeter großes Kiesbeet gewesen sein könnte, das sich hätte abkratzen lassen? Van Pelt ist entsetzt. »Ich habe bereits 1993 ein Gutachten für die Polen verfasst, in dem ich sogar den Standpunkt vertreten 238
habe, dass sie äußerst strenge Erhaltungsstandards brauchten, und das Letzte, was ich jemals getan hätte, wäre gewesen, auf dem Dach herumzukratzen ohne einen Übersichtsplan über archäologische Erkundungen.« »Aber Sie akzeptieren doch — oder etwa nicht? —, dass, sollten Sie übermorgen mit einer Kelle nach Auschwitz gehen, den Kies beiseite räumen und genau dort ein verstärktes Betonloch finden, wo wir es aufgrund Ihrer Zeichnungen vermuten, der Fall sonnenklar wäre und ich meine Klage sofort mit Freuden fallen lassen würde?« Irving wiederholt das Angebot gegen Ende des Tages, bevor er van Pelt »einen angenehmen Heimflug« wünscht. Bei seinem Verhör van Pelts greift Rampton die Frage des Koksverbrauchs auf, wobei er sich auf den von der Firma Topf & Söhne am 5. November 1942 eingereichten Patentantrag T 58240 für einen auf Dauerbetrieb ausgerichteten Hochtemperatur-Leichen-Verbrennungsofen bezieht. Er bittet van Pelt, aus einem für das Auschwitz-Museum angefertigten technischen Gutachten zur Anwendung vorzulesen: »Nach... dem Vorheizen braucht der Ofen wegen der durch die Leichen erzeugten Hitze keinen weiteren Brennstoff mehr. Er kann seine erforderliche hohe Temperatur durch Selbstheizung aufrechterhalten. Um ihm jedoch zu ermöglichen, eine konstante Temperatur aufrechtzuerhalten, hätte man ihm zur selben Zeit so genannte wohl genährte und so genannte ausgezehrte Leichen zuführen müssen, weil nur durch die Absonderung menschlichen Fetts gleichbleibend hohe Temperaturen gewährleistet werden können.« Rampton geht mit van Pelt auch zahlreiche Berechnungen hinsichtlich der Kapazität des Aufzugs in der Gaskammer durch. 239
Diesmal kommt van Pelt zum Zuge. »Natürlich«, sagt er, »bin ich der Ansicht, dass der Aufzug mit den Öfen Schritt halten konnte.« »Ja«, sagt Rampton. »Das ist sehr viel eleganter ausgedrückt, als ich es hätte formulieren können. Vielen Dank.« Ein Teil des Schadens ist wieder gutgemacht worden. Aber als das Gericht sich vertagt, dreht sich der Korrespondent von Time zu mir um und sagt: »Dieser Sache mit den Löchern müsste man doch wohl leicht auf den Grund gehen können — so oder so.« Die Wahrheit ist, dass nichts, was mit Auschwitz zu tun hat, leicht ist, selbst heute. Das schiere Ausmaß des Mordens ist nur schwer zu begreifen. Die Stätte dieses Mordens ist, wie Dwork und van Pelt deutlich gemacht haben, ein Palimpsest aus Absichten, Handlungen, Anpassungen und Ausflüchten. Dank ihrer sorgfältigen Freilegung all dieser Schichten verstehen wir die Methoden der Nazis nun sehr viel besser. Aber weil jene Opfer, die man bei ihrer Ankunft vergaste, nie gezählt wurden, werden wir ihre genaue Zahl möglicherweise nie erfahren. Während die sowjetische Nachkriegsschätzung von vier Millionen Menschen lange Zeit verworfen wurde, wird die Kluft zwischen Dr. Franciszek Piper, dem leitenden Historiker des AuschwitzMuseums, der eine Zahl von 900 000 vergasten Juden angibt, und Jean-Claude Pressacs Schätzung von etwa 800 000 vielleicht nie geschlossen werden. Auschwitz ist der Schauplatz eines gewaltigen Verbrechens, doch viele der Verbrecher wurden niemals bestraft. Wie Irving van Pelt erinnerte, wurde Walter Dejaco, der SS-Leutnant, der die Pläne für die Gaskammern zeichnete — und der Höß auf seiner Reise nach Lodz zur Inspektion der »Feldöfen« begleitete —, nie wegen irgendeines Verbrechens verurteilt. Sein Archi240
tektenkollege Fritz Ertl genauso wenig. Raul Hilberg bemerkte, dass in Auschwitz Geschichte zur selben Zeit zerstört wurde, wie Geschichte gemacht wurde. Und wenn eine Wirkung dieser Zerstörung darin bestand, die Verantwortung für das Verbrechen zu verwischen, dann war das, so Pierre Vidal-Naquet, kein Zufall. »Wer ist der Mörder?« fragt er. »Der Arzt, der die Selektionen vornimmt? Der Häftling, der die zum Sterben Verurteilten beaufsichtigt? Die SS, die das Zyklon B zur Gaskammer bringt?«2 Das Verbrechen könne geleugnet werden, sagt Vidal-Naquet, weil es anonym sei. In seiner Zeugenaussage beschreibt Irving Hitler manchmal so, als agiere er mit »einer Art Richard-Nixon-Komplex«: während er seine Absichten bekunde, achte er zugleich sorgfältig darauf, jederzeit alles leugnen zu können. Die Geschichte von Auschwitz wirft eine weitere nixonsche Frage auf, eine Variante der Frage des Watergate-Anklägers. Was haben wir gewusst, und wann haben wir es erfahren? Auf die durch Auschwitz aufgeworfenen interpretatorischen und beweiserheblichen Fragen im zeitlichen Rahmen der nur wenige Tage dauernden Aussage zu antworten war ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen; es unter den Bedingungen eines feindseligen Kreuzverhörs zu versuchen glich einer Donquichotterie. »In der Ausübung seines Berufes menschlich zu bleiben«, sei, wie van Pelt dem Gericht sagte, natürlich für jeden Forscher eine notwendige Bedingung. Aber die Komplexität von Auschwitz verlange nicht bloß die Vorlage von Beweismaterial, sondern eine Archäologie des Beweismaterials. Jedes ernsthafte Gutachten müsse nicht allein auf einem Wissenskomplex beruhen, sondern auf einer ganzen Wissenssoziologie. Das Fehlen dieser tieferen Strukturen des Verstehens während des Kreuzverhörs von van Pelt bedeutete, dass die Diskussion zu oft auf widerstreitende Behaup241
tungen reduziert zu sein schien, einer antiken Stichomythie gleich, deren Ergebnis völlig von der Laune des Richters abhing. Im Gegensatz zu seiner Aussage erfüllt van Pelts Expertengutachten diesen Anspruch über die Maßen. Das Gutachten ist in Kapitel eingeteilt, denen jeweils ein Motto vorangestellt ist. Van Pelts bewusst literarischer Stil knirscht manchmal etwas, und im Lichte dessen, wie viel schiere kognitive Leistung in die Aufgabe einfloss, erscheint zumindest eines seiner Zitate als außerordentlich schlechte Wahl: »An der Realität der Todeslager offenbart sich etwas, das sich den Anstrengungen des Denkens verweigert. Das Denken und die Todeslager stehen in keinem Verhältnis zueinander.«3 Van Pelts gewissenhafte Befragung von Fakten und Interpretationen, seine bewundernswert klare Darstellung der Verwandlung des Rohmaterials der Geschichte in Mythos und in Geschichte und seine geduldige Scheidung beider Sphären voneinander zerstreuten solche Vorbehalte rasch. Er beginnt mit einer überzeugenden Darlegung dessen, was über Krematorium 2 bekannt ist: »Heute wissen wir, wer das Gebäude entwarf: Georg Werkmann, Karl Bischoff und Walter Dejaco. Wir wissen, wer die Brennöfen konstruierte: die Firma Topf & Söhne in Erfurt. Wir kennen die Leistung des Luftzufuhrsystems (über 4 Millionen Kubikfuß pro Stunde), um die Flammen anzufachen. Wir kennen die offizielle Krematoriumskapazität pro Muffel* und pro Tag (32 Leichen). Wir wissen, dass es Bischoff war, der die Entscheidung traf, den größeren Leichenkeller in ei* Ein Muffel ist eine Kammer in einem Ofen. Krematorium 2 (und 3) hatte fünf Dreifach-Muffel-Öfen; Krematorium 4 (und 5) hatte zwei Vier-Muffel-Öfen. In jedem Muffel konnten im Durchschnitt fünf Körper gleichzeitig verbrannt werden.
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nen Entkleidungsraum und den kleineren in eine Gaskammer umzuwandeln. Wir wissen, dass der Plan zur Umwandlung eines Leichenkellers in eine Gaskammer von Dejaco stammte. Wir kennen die technischen Daten des Belüftungssystems, die es ermöglichten, den Raum als Massenvernichtungsstätte zu benutzen: Sieben Pferdestärken sind nötig, um das Zyklon B in 20 Minuten aus der Gaskammer abzusaugen. Wir wissen, dass das Gebäude am 13. März 1943 in Betrieb ging und dass an diesem Tag 1492 Frauen, Kinder und alte Menschen vergast wurden. Wir wissen von den Schwierigkeiten, die die Deutschen hatten, alles genau so hinzubekommen, wie sie es sich vorgestellt hatten. Wir wissen, wer die Rechnungen bezahlte und wie hoch sie waren.« »All das wissen wir«, heißt es in seinem Gutachten weiter, »aber auf viele Fragen, die für diese Todesmaschinerie von zentraler Bedeutung sind, haben wir nur sehr ungefähre Antworten.« Dies ist keine falsche Bescheidenheit. Und es ist auch nicht ausschließlich eine Folge der Distanz — weder der zeitlichen noch der beruflichen — zu den beschriebenen Ereignissen. »Wenn ich nun«, schreibt Vidal-Naquet, »meine eigene Erfahrung als Sohn zweier französischer Juden, die in Auschwitz starben, nehme, dann würde ich sagen, dass ich mehrere Jahre lang nicht wirklich zwischen Konzentrationslagern und Vernichtungslagern unterschieden habe.« Doch mit zunehmender Entfernung wuchs auch die Schwierigkeit zu begreifen, was vor sich ging. Im Jahr 1943 gab der New York Times-Korrespondent Bill Lawrence telegrafisch einen Artikel über das Verschwinden von 50 000 Juden aus Kiew zwei Jahre zuvor durch. Die betreffenden Menschen waren bei einem Einsatz des Sonderkommandos 4a der von Paul Blobel geführten Einsatzgruppe C verschwunden*, aber für van Pelt ist der unschlüssige Bericht von 243
Lawrence sinnbildlich für einen Faktor, der die Nachrichten aus Auschwitz beeinflusste: »Auf der Basis dessen, was wir gesehen haben, ist es diesem Korrespondenten unmöglich, die Wahrheit oder Falschheit der Geschichte, die er uns erzählt, einzuschätzen. Die Behörden in Kiew behaupteten, dass die Deutschen mit charakteristischer Gründlichkeit nicht nur die Leichen und Kleidungsstücke verbrannten, sondern auch die Knochen zerkrümelten und alle Kriegsgefangenen, die an der Verbrennung beteiligt waren, erschossen und ebenfalls verbrannten, mit Ausnahme der Hand voll, die entkam, sodass die Welt draußen keinerlei Hinweis auf ihre Gräueltat erhielt. Sollte dies die Absicht der Deutschen gewesen sein, dann waren sie sehr erfolgreich, denn in der Schlucht finden sich kaum Anhaltspunkte, welche die Geschichte bestätigen oder widerlegen könnten.«4 Ist die Skepsis von Lawrence — die zu früh geäußert wurde, als dass sie ein Produkt des Antikommunismus hätte sein können — wahrscheinlich bloß Ausdruck der Abneigung eines klugen Zeitungsmannes, einfach zu glauben, was er wiedergibt, so scheut van Pelt keineswegs vor düstereren Erklärungen zurück: Als das britische Außenministerium im April 1940 einen zur Gänze bestätigten Bericht über jüdisches Leben im deutsch besetzten Polen erhielt, verwarf der stellvertretende Unterstaatssekretär Reginald Leeper den Report. »Generell gilt die Regel, dass Juden dazu neigen, ihre Verfolgungen aufzubauschen«, lautete Leepers Kommentar. 5 * Es handelt sich um das Massaker in der Schlucht von Babi-Yar am Stadtrand von Kiew am 19. September 1941. Beteiligt waren neben dem Sonderkommando Angehörige des Polizeiregiments Russland-Süd und ukrainische Miliz, die von der Wehrmacht logistische Unterstützung erhielten.
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Van Pelts Schilderung des Massenmordes in Auschwitz ist angemessen verhalten, beinahe asketisch. Seine Zitate der Schilderungen Überlebender sind lebhaft, sogar anschaulich, gleiten aber niemals ins Grelle oder Sensationelle ab. Trotzdem sind diese Abschnitte eine äußerst unangenehme Lektüre. Doch das gilt in anderer Hinsicht auch für van Pelts Bericht über die zeitgenössischen Hinweise auf den Völkermord. Neben den neuesten Untersuchungen von Wissenschaftlern wie Richard Breitman lässt auch van Pelts Beschreibung von vernachlässigten Hinweisen, unbeachteten Zeugenaussagen und unerhörten Bitten keinen Zweifel daran, dass jeder, der hinsichtlich des Schicksals der nach Auschwitz deportierten Juden unwissend blieb, es deshalb blieb, weil er nichts wissen wollte. Im November 1941 — vor der Umwandlung der Krematorien 2 und 3, als die Zahl der in Auschwitz vergasten Juden und sowjetischen Kriegsgefangenen erst in die Hunderte ging — »brachte die Polish Fortnightly Review, eine von der polnischen Exilregierung in englischer Sprache herausgegebene Zeitung, einen... langen Artikel, der die Überschrift trug: ›Owiêcim Concentration Camp‹. Er beschrieb das Lager als das größte Konzentrationslager in Polen und lieferte viele Einzelheiten über das dort herrschende, außergewöhnlich gewalttätige Regime.« Im darauf folgenden Juli berichtete die Polish Fortnightly Review über Vergasungen von Polen und russischen Kriegsgefangenen; im Dezember brachte die Zeitung den Bericht des polnischen Untergrundkämpfers Jan Karski über seinen Aufenthalt in Belzec, wo er sich als litauischer Polizist getarnt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt, so van Pelt, habe Auschwitz keine bedeutende Rolle bei der Vernichtung des polnischen Judentums gespielt — bis dahin war es wahrscheinlicher, von Angehörigen der Einsatzgruppen erschossen oder im Zuge der Aktion Reinhard in einem Lager getötet zu werden. 245
Karski ging nie nach Auschwitz, aber er kam im November 1942 nach London, wo er mit dem britischen Außenminister Anthony Eden zusammentraf. Eden hörte sich Karskis Schilderung der Situation in Polen an, doch als Karski empfahl, zur Warnung der Juden Flugblätter abzuwerfen, und die Alliierten aufforderte, den Deutschen mit Vergeltungsangriffen aus der Luft zu drohen, schnitt Eden ihm das Wort ab.6 Karski traf sich auch mit Arthur Koestler, der in Horizon einen Bericht über Karskis Erlebnisse veröffentlichte, und mit H. G. Wells, der sich bemüßigt fühlte, zu fragen, »warum in jedem Land, in dem der Jude wohnt, Antisemitismus aufkommt«.7 Im Juli 1943 reiste Karski nach Washington, wo Supreme Court-Richter Felix Frankfurter sich weigerte, ihm zu glauben.8 Auch mit Präsident Roosevelt sprach Karski. Wenn schon sonst wirkungslos, hätten Karskis Schilderungen zumindest den Boden bereiten müssen für die Berichte eines polnischen Häftlings, Jerzy Tabeau, und zweier junger slowakischer Juden, Rudolf Vrba und Alfred Wetzler, die aus Auschwitz geflohen waren. Für ihre Schilderungen, die London und Washington im Sommer 1944 erreichten — als die Nazis Hunderttausende ungarischer Juden nach Auschwitz deportierten —, verbürgte sich Roswell McClelland, ein Vertreter des War Refugee Board in Bern. Um diese Zeit, so Breitman, habe es den Briten, die in der Lage gewesen seien, den verschlüsselten Nachrichtenverkehr der deutschen Wehrmacht, Polizei und Reichsbahn zu entziffern, nicht an Informationen über Auschwitz gefehlt.9 Der Bericht von Vrba und Wetzler sorgte in den Vereinigten Staaten keineswegs unmittelbar für Schlagzeilen; die New York Times brachte einen 22-Zeilen-Artikel mit der Überschrift »Czechs Report Massacre«, der über den Tod von 7000 tschechischen Juden berichtete. Zwei Wochen später brachte die New York Times mit »Inquiry Confirms Nazis Death Camps« einen 246
längeren Artikel. Weitere zwei Wochen danach erreichten die Soldaten der sowjetischen 8. Gardearmee den Lubliner Vorort Majdanek. Diesmal konnte Bill Lawrence alles mit eigenen Augen sehen. Seine Beschreibung der Gaskammern und Verbrennungsöfen als »ein wahrer Roter Fluss zur Produktion von Tod« schaffte es auf die Titelseite der Zeitung. Aber Bill Lawrence war die Ausnahme. Und zu diesem Zeitpunkt war es zu spät, am Schicksal der europäischen Juden etwas zu ändern. Die Geschichte, wie die Welt von Auschwitz erfuhr, ist komplex und voller Widersprüche, und van Pelt weiß sie meisterhaft zu erzählen. Aber noch besser ist er bei dem damit nicht ganz identischen Thema, was wir heute über das Lager wissen und wie wir es schließlich erfahren haben. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee Auschwitz. In Monowitz stießen die Russen auf 600 kranke Häftlinge der Kautschuk-Fabrik der I. G. Farben. Im Hauptlager waren 1200 Häftlinge zurückgeblieben, zu krank, um sich jenen 60 000 anzuschließen, die auf den Todesmarsch nach Westen geschickt worden waren. In Birkenau waren noch 5800 Insassen übrig. In der Hoffnung, die Propaganda-Katastrophe zu vermeiden, die den Entdeckungen in Majdanek gefolgt war — wo die Russen neben den Gaskammern auch 820 000 Schuhe fanden —, hatten die Nazis die Gaskammern demontiert, die Krematorien gesprengt und 29 Magazine niedergebrannt. »Was in den sechs Magazinen in Birkenau, die nicht vollkommen zerstört waren, noch übrig war«, schrieb van Pelt, »waren lediglich 5525 Paar Damenschuhe und 38 000 Paar Herrenschuhe, sowie 368 820 Herrenanzüge, 836 255 Damenmäntel und -kleider, 13 964 Teppiche, 69 848 Töpfe und Pfannen, riesige Mengen Zahnbürsten, Rasierpinsel, Brillen, Krücken, Zahnprothesen und sieben Tonnen Haare.« 247
Van Pelt zeigt, wie das Misstrauen gegenüber den Russen die Geschichte von den Titelseiten westlicher Zeitungen verbannte. Er berichtet über das mangelnde Interesse, das dem 1947 in Krakau stattfindenden Auschwitz-Prozess entgegengebracht wurde. Aber er zeigt auch, wie gut die Arbeit von Jan Sehn gewesen ist, dem polnischen Richter, der eine einjährige gerichtliche und historische Untersuchung leitete, die dem Gerichtsverfahren vorausging und bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Einer der Angeklagten war Johann Paul Kremer, SS-Arzt im Lager. Kremers Tagebuch-Protokoll seines Abstiegs in den Schrecken hält jedem Prüfmaßstab für zeitgenössische dokumentarische Belege stand. Am 2. September 1942 schreibt er: »Zum ersten Male draußen um 3 Uhr früh bei einer Sonderaktion zugegen. Im Vergleich hierzu erscheint mir die Hölle von Dante als eine Komödie.« Er ergänzt, dass Auschwitz zu Recht als Vernichtungslager bezeichnet werde. Beim Prozess erklärte Kremer, dass die Massenmorde auf kleinen Gehöften stattfanden, die in einem Wald außerhalb des Lagers von Birkenau lagen. Im SS-Jargon hätten die Gehöfte »Bunker« geheißen. Alle SS-Ärzte, die im Lager Dienst taten, hätten abwechselnd an den Vergasungen teilgenommen, die als »Sonderaktionen« bezeichnet worden seien. Kremers Tagebuch lieferte auch den Nachweis, dass die Typhus-Epidemie sich kaum auf das Tempo des Völkermords auswirkte: 12. Oktober 1942: »... in der Nacht noch bei einer Sonderaktion aus Holland (1600 Personen) zugegen. Schauerliche Szene vor dem letzten Bunker! Das war die 10. Sonderaktion. (Hössler!)«10 Wenn Kremers Tagebuch wenig Kenntnisse zum Vergasungs248
vorgang erkennen ließ, so schuf hier die Aussage des SS-Rottenführers Pery Broad, Offizier in der Politischen Abteilung des Lagers, Abhilfe. Im Juni 1945 schrieb Broad in britischer Gefangenschaft für seine Vorgesetzten in der britischen Gegenspionage-Einheit, bei der er als Übersetzer tätig war, einen Bericht über das, was er in Auschwitz gesehen hatte. Broads Büro hatte an Krematorium 1 angegrenzt, und er war Zeuge der ersten Vergasungen dort gewesen. Doch in gewisser Weise genauso wichtig war seine Aussage über die Grenzen des Wissens: »Niemand konnte in Auschwitz irgendetwas über das Schicksal einer bestimmten Person erfahren. Die Person, nach der man fragt, ›ist nicht und war niemals in diesem Lager in Gewahrsam‹ oder ›ist nicht in den Unterlagen‹ — dies waren die üblichen Formeln, die man als Antwort erhielt. Zur Zeit, nach der Evakuierung von Auschwitz und nachdem alle Papiere und Aufzeichnungen verbrannt sind, ist das Schicksal von Millionen Menschen vollkommen unklar. Es existieren keinerlei Transport- oder Ankunftslisten mehr.« Obwohl Broad beim Krakauer Prozess selbst nicht als Zeuge auftrat, wurde seine Aussage dem polnischen Richter Sehn zugänglich gemacht. Im Mai 1946, einen Monat nach seinem Geständnis in Nürnberg, wurde Rudolf Höß an Polen ausgeliefert. Da er wusste, dass er keine Chance auf Freispruch hatte, beschloss er, zu kooperieren, und verfasste 34 getrennte Erklärungen über die »Endlösung der Judenfrage im KL Auschwitz«, wie er den ersten seiner Aufsätze nannte. Das detaillierte Bild, das aus diesen Zeugnissen eines Täters entstand, wurde anschließend im Lichte der Aussagen von Opfern ergänzt und revidiert. Unter diesen Opfern, die überlebten, waren die geflohenen Sonderkommandomitglieder Henryk Tau249
ber und Szlama Dragon sowie Alter Feinsilber (alias Stanislaw Jankowski), ein Veteran des Spanischen Bürgerkrieges, der aus Frankreich deportiert worden war und in den Krematorien 3 und 5 gearbeitet hatte. All ihre Berichte wurden mit dem massenhaften Beweismaterial, das Sehn bereits gesammelt hatte, verglichen und überprüft. »Der einzige Teil [der Aussage von Henryk Tauber], für den es in den Archiven keine Bestätigung gibt«, schreibt van Pelt, »sind die Metallsäulen in der Gaskammer von Krematorium 2, [die] das Einleiten der Blausäure erlaubten.« Wie van Pelt aussagte, tauchen diese Säulen auf den Blaupausen nicht auf. Doch sein Gutachten weist mit sehr viel größerer Klarheit, als in der Verhandlung erkennbar wurde, darauf hin, dass Taubers Schilderung dieser Maschendrahtsäulen gegenüber Richter Sehn von Michael Kula bestätigt wurde, einem katholischen Handwerker, der seit August 1940 in Auschwitz inhaftiert war und der diese Säulen hergestellt hatte. Kula und seine Kollegen in der Lagerschlosserei fertigten auch die Rollwagen, um die Leichen in die Öfen zu schieben, ebenso wie all die Haken, Schaufeln und Gerätschaften für den Betrieb der Krematorien. Es war Kula, der Sehn auf die Lüftungsdeckel aus Zink aufmerksam machte, die aus den Trümmern von Krematorium 2 geborgen wurden und bei denen man feststellte, dass sie von einer Zyanidschicht bedeckt waren. Trotz seiner Erklärungen in der Verhandlung ist van Pelts Gutachten allein wegen dieses Überblicks über das Beweismaterial lesenswert. Zum ersten Mal werden die Fakten über Auschwitz nicht nur in der Reihenfolge und im Kontext ihres Auftauchens präsentiert, sondern sie erscheinen hier auch ohne die verschiedenen ideologischen, institutionellen oder nationalen Filter, die ihre korrekte Deutung verhindern oder erschweren. An den Anfang seines Gutachtens stellt van Pelt einen Be250
richt über den Tod zweier ungarischer Jüdinnen, eines kleinen Mädcnens und dessen Großmutter, wie ihn die Tante des Mädchens, Sara Grossman-Weil, erzählt, die zugleich die Tante von Debórah Dwork ist, der Co-Autorin von van Pelts Buch über Auschwitz. Sara Grossman-Weil hat die von ihr geschilderten Ereignisse mit angesehen. Dazu, dass der Gebrauch der Begriffe »Gaskammern« und »Krematorien« durcheinander geht, bemerkt van Pelt: »Ein halbes Jahrhundert später war Sara Grossmann nicht präzise.« Doch ihr Zeugnis ist auch nicht die einzige Quelle für van Pelts Bericht. Weder an dieser Stelle noch auf den folgenden Seiten triumphiert van Pelts Loyalität gegenüber seinen Zeugen jemals über seine Verpflichtung gegenüber den Fakten. Seine Darlegung dessen, was sicheres Wissen über Auschwitz ist, nimmt die ersten sechs Kapitel seines Gutachtens in Anspruch. Aber es sind die fünf Kapitel, die dann folgen, mit denen er sich sein Expertenhonorar verdient. Hier heißt van Pelts Thema: Holocaust-Leugnung. Und hier bietet er nicht einfach eine Erklärung dafür, warum Auschwitz das Hauptziel der Holocaust-Leugnung ist — das »Schlachtschiff Auschwitz«, wie Irving es ausdrückt. Er nimmt auch nicht einfach nur einen vernichtenden Verriss des »Leuchter-Reports« vor oder eine geduldige und überzeugende Entlarvung von Butz, Faurisson und ihren Epigonen als intellektuellen Bankrotteuren. Obwohl es all dies leistet, geht van Pelts Gutachten weiter, über die bloße Widerlegung der Holocaust-Leugnung hinaus, und entwickelt etwas, das man als Hermeneutik der Holocaust-Leugnung bezeichnen könnte. Was er findet, ist eine Art wahnsinnig gewordener Positivismus. »Die Annahme, dass die Entdeckung eines einzigen kleinen Risses unweigerlich das ganze Gebäude zum Einsturz bringe«, schreibt er, »ist der fundamentale Irrtum der HolocaustLeugnung.« 251
Van Pelt vergleicht den falschen Revisionismus der Leugner mit dem aufrichtig subversiven Ziel von Michel Foucaults* Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, einer Geschichte der neuzeitlichen Strafreform, deren These, so van Pelt, laute, »dass der Aufstieg der Aufklärung aus der Welt expliziter, über den Körper verfügter richterlicher Gewalt in Wirklichkeit ein Abstieg in ein geschlossenes Universum totaler Überwachung und unablässiger Disziplin, in eine von irgendeiner listigen, schattenhaften und letzten Endes finsteren Macht beherrschten Welt gewesen ist«. Man beachte, dass dieser Kontrast unabhängig davon besteht, ob Foucault Recht hatte oder nicht. Mit anderen Worten, indem er eine echte »Revision«, eine umfassende Erklärung von Ereignissen vorschlägt, die auf den Umsturz einer allgemein anerkannten Überzeugung abzielt, verändert Foucault die Art und Weise, wie wir die Ereignisse sehen, über die er schreibt, auch wenn er uns nicht davon überzeugt, sie auf seine Art zu sehen. Dies, so van Pelt, sei genau das, was die so genannten »Holocaust-Revisionisten« eindeutig nicht erreichten — oder gar nicht erst versuchten. »Heute lesen wir Überwachen und Strafen eher... als repräsentativ für das intellektuelle Klima der 1970er Jahre denn wegen seines Wertes als Geschichte der Aufklärung«, meint van Pelt. »Tatsache bleibt jedoch, dass es zu seiner Zeit eine revisionistische Interpretation der Geschichte der Bestrafung bot, die überzeugend war und die deshalb ernst genommen wurde.« »Bis auf den heutigen Tag«, schreibt er, »waren HolocaustLeugner, trotz vierzigjähriger Bemühungen, nicht in der Lage, der ererbten Geschichte von Auschwitz einen eigenen Text entgegenzusetzen. Die Leugner nehmen für sich in Anspruch, revi* Der 1984 verstorbene Michel Foucault hatte seit 1970 den Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme am Pariser College de France
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sionistische Historiker zu sein, doch sie müssen erst noch eine Geschichte vorlegen, die eine überzeugende, ›revidierte‹ Erklärung der fraglichen Ereignisse bietet.« Was sie stattdessen zustande gebracht hätten, sagt van Pelt, sei eine Reihe von Ausflüchten, Variationen über ein nihilistisches Thema. Da all diese Ausflüchte an der einen oder anderen Stelle als Bestandteil der Beweisführung von David Irving auftauchen, erweist ihre Dekonstruktion — um das Verfahren beim richtigen Namen zu nennen — durch van Pelt der Sache von Deborah Lipstadt einen großen Dienst. Doch man muss ebenfalls sagen, dass die Vielseitigkeit der Bezüge und das interpretatorische Gespür, mit denen van Pelt seine Aufgabe angeht, eine ziemliche Ohrfeige für Deborah Lipstadts Buch sind. Irvings Beharren darauf, dass Auschwitz lediglich ein Arbeitslager gewesen sei, geht beispielsweise auf Thies Christopherson zurück, einen Soldaten in einem der Nebenlager in der Nähe von Auschwitz und Autor einer Broschüre mit dem Titel The Auschwitz Lie. Obwohl der Zutritt zu den Tötungseinrichtungen allen untersagt war, die nicht dorthin abkommandiert waren, konnte Christopherson als SS-Offizier den Rest von Birkenau in Augenschein nehmen, wo, wie er sagte, »ich auch Familien mit Kindern sah. Es tat weh, sie zu sehen, aber mir wurde gesagt, dass die Behörden es netter fänden, Kinder nicht von ihren Eltern zu trennen, wenn Letztere interniert würden.«11 Der Rechtsanwalt Manfred Reeder, der die Einleitung zu Christophersons Buch verfasste, ist die Quelle für die These, dass es »im gesamten deutschen Einflussbereich« nicht genug Brennstoff gegeben habe, »auch nur einen Bruchteil so vieler menschlicher Körper zu verbrennen«. Ein ehemaliger Soldat, der Hamburger Richter Wilhelm Stäglich, der in der Nähe von Auschwitz in einer Flugabwehrbatterie gedient hatte, verfiel auf die Idee, dass der Vergasungskeller in Bischoffs Brief »für die Aus253
räucherung von Kleidungsstücken und anderer persönlicher Habe bestimmt war, eine in allen Konzentrationslagern gängige Praxis«.12 Diese Erklärung, bemerkt van Pelt beiläufig, zeuge von einer »völligen Unkenntnis der Verhältnisse. Die für die Ausräucherung von Kleidungsstücken und anderen Gegenständen vorgesehenen Räume waren immer so konstruiert, dass sie zwei Türen hatten: einen Eingang und einen Ausgang. Die Eingangstür öffnete sich zur ›unreinen‹ Seite, die Ausgangstür zur ›reinen‹ Seite. Diese Anordnung entsprach nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch speziellen SS-Vorschriften.« Von Stäglich stammt auch die Ansicht, dass die gasdichte Tür in Leichenkeller 1 kein Beleg für eine Gaskammer, sondern für einen Luftschutzbunker sei. In seinem Gutachten verwirft van Pelt dies energisch: »Stäglichs Vermutung ist unsinnig. Wenn, wie er annahm, [Leichenkeller] 1 als Leichenhalle genutzt wurde, dann ergibt sich zunächst einmal ein Problem hinsichtlich des Protokolls bei einem Luftangriff. Würden die Lebenden sich für die Dauer des Fliegeralarms den verwesenden Toten zugesellen?« Schließlich, meint van Pelt, sei auch Irvings Behauptung, dass die Berichte über Gaskammern ursprünglich das Hirngespinst alliierter Gräuelpropaganda oder psychologischer Kriegführung gewesen seien, nicht die Frucht eigener Nachforschungen, sondern dem Gehirn von Dr. William Lindsey entsprungen.13 Der ehemalige DuPont-Chemiker und Zeuge im ersten Zündel-Prozess schreibe häufig für »revisionistische« Zeitschriften, wo er zu aufgeregten Stellungnahmen über »Franklin D. Roosevelt und seine Proto-UN-Verschwörer« neige. Als Zündel Zeugen für seinen zweiten Prozess rekrutierte, so van Pelt, habe er darauf verzichtet, Lindsey zu fragen. Sonderbarerweise ist das einzige Irvingsche Argument, dessen Herkunft van Pelt nicht zurückverfolgt und das er nicht 254
auseinander nimmt, die »Keine-Löcher-kein-Holocaust«-These, die ihm in der Verhandlung offensichtlich so große Schwierigkeiten bereitete. Doch sie stammt genauso aus zweiter Hand wie die übrigen Argumente Irvings. Ihr Urheber ist Faurisson, und sie wird, wie viele der Mutmaßungen des Franzosen, in völliger Missachtung der Tatsachen (selbst wenn in Leichenkeller 1 Kleidungsstücke oder Leichen hatten vergast werden sollen, musste das Gas irgendwie hineingelangen) oder der Quellen (Aussagen von Tauber, Kula und Broad; Olères Zeichnungen) vorgebracht. Was van Pelt indessen liefert, ist eine ausgezeichnete Darstellung, wie das Auschwitz der Geschichte, das komplizierte, mehrdeutige, überdeterminierte, zum Auschwitz der Erinnerung wird, zu dem Auschwitz, das wir zu kennen meinen. »Gegen Ende der siebziger Jahre wurden dem ursprünglichen Beweismaterial andere Wissensgattungen hinzugefügt: Memoiren von Überlebenden, literarische Deutungen, plastische Schilderungen von Filmemachern, von Architekten und Bildhauern entworfene symbolische Monumente, öffentliche Rituale des Gedenkens, theologische Mutmaßungen und so weiter. Mit anderen Worten, in den späten Siebzigern begann das Wissen von »Auschwitz« als Mischung aus Lernen und Erinnerung aus zweiter Hand übermittelt zu werden, getragen vom öffentlichen politischen Diskurs und von privater Besorgnis.« Die Umformung und Neugestaltung des Komplexes »Auschwitz« durch all diese Akteure ist für van Pelt das Nebenprodukt eines unvermeidlichen Aneignungsprozesses. Das daraus resultierende Artefakt — ein vom historischen Auschwitz gleichermaßen unterschiedenes und doch von ihm abhängiges Auschwitz — lasse sich für beliebig viele Ziele instrumentalisieren: 255
als Ansporn für das Gewissen, als Ikone des Leidens, als Anfechtung der Theodizee, als Hebel für den Zionismus oder als Stock, um Deutsche oder Polen zu schlagen. Wie viele von uns verwechselten auch die Leugner dieses »Auschwitz« mit dem historischen Auschwitz. Und obwohl van Pelt vieles über ihre Mittel im Hinblick auf ihren Zweck zu sagen gehabt hat — was die Verwendungsmöglichkeiten ihres Anti-Auschwitz angeht, so überlässt er dieses Thema anderen.
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8 Massive Konfrontation »Ich werde als potentielle Gefahr betrachtet, und das Wort ›Gefahr‹ ist es, das mich verblüfft. Ich bin kein Mitglied der IRA. Ich laufe nicht durch die Gegend und sprenge Autos in die Luft. Also, wofür stelle ich eine Gefahr dar?« Vordergründig an van Pelt gerichtet, ist diese Frage, wie so viele der Tiraden Irvings, rhetorischer Natur und in Wirklichkeit für den Richter gedacht. Noch im Raum schwebend lange nachdem van Pelt den Zeugenstand verlassen hat, kann sie auf mannigfache Weise aufgefasst werden: als Behauptung, dass er harmlos sei und keinesfalls böse Absichten hege; als Beharren darauf, dass die Beklagten überreagiert hätten; als Anspielung darauf, dass sie mit ihrer Handlungsweise illegitime oder undurchsichtige Interessen schützten; als Erinnerung daran, dass Historiker, die sich nur am Rande für den Holocaust interessieren — in Irvings Augen leidenschaftslosere Beobachter als seine Ankläger —, seine Forschungen begrüßt hätten. Schließlich war es der Economist, der Irving als »forensischen Pathologen der modernen Militärgeschichte« titulierte. CIA-Direktor William Casey, ein ehemaliger Wall-Street-Anwalt, schrieb ihm einst einen Fanbrief. Was Irving gefährlich macht, ist der Umstand, dass er das, was der ehemalige deutsche Kulturstaatsminister und frühere Verleger Michael Naumann als Irvings »braune Unterwäsche« bezeichnet hat, immer sorgfältig unter seinen Bankiers-Nadelstreifen vor dem Blick der Öffentlichkeit verbergen konnte. Van Pelts Gutachten, besonders die Offenlegung der verschie257
denen »revisionistischen« Anleihen Irvings, weist daraufhin. Doch im Gerichtssaal blieben Irvings geistige Vorläufer weitgehend unerwähnt. Und sollte van Pelts Gutachten eine gründliche Demontage der unterschiedlichen Haltungen Irvings gegenüber Auschwitz bewirkt haben, so erlebten wir im Zeugenstand einen viel zurückhaltenderen van Pelt. Irving bekämpfte diesen van Pelt in seinem Kreuzverhör mehr oder weniger bis zum Patt und überließ es dem Richter, zu entscheiden, welchem van Pelt er glauben wolle: dem wenig einnehmenden Zeugen oder dem außerordentlichen Wissenschaftler. Als Rampton sein Kreuzverhör Irvings wieder aufnimmt, macht er sich daran, dieses Gleichgewicht zu Gunsten der Verteidigung zu kippen. Er beginnt mit Irvings Darstellung eines zweitägigen Treffens zwischen Hitler und dem ungarischen Reichsverweser, Admiral Miklós Horthy, am 16. und 17. April 1943. »Horthy bemerkte entschuldigend«, hatte Irving geschrieben, »dass er alles, was er anständigerweise gegen die Juden unternehmen könne, getan habe: ›Aber sie können kaum ermordet oder anderweitig ausgeschaltet werden‹, protestierte er. Hitler beruhigte ihn: ›Das ist nicht notwendig‹.« In Hitlers War platziert Irving Hitlers tröstliche Bemerkungen ans Ende des zweiten Tages. Doch in der von ihm zitierten Quelle, so Rampton, tauchten sie am Ende des ersten Tages auf. »Ich habe mich beim Datum um einen Tag vertan«, sagt Irving. Na und? Rampton erwidert, dass am zweiten Tag in Wirklichkeit Folgendes geschehen sei: Auf Horthys Frage, »was er denn mit den Juden tun solle, nachdem er ihnen so gut wie alle Mittel zum Leben genommen habe — er könne sie doch wohl nicht totschlagen?« habe Ribbentrop, der Hitler zu dem Treffen begleitete, geantwortet, dass die Juden entweder vernichtet oder in Konzentrationslager gebracht werden müssten. Einen anderen Weg 258
gäbe es nicht. Hitler, sagt Rampton, habe daraufhin erläutert: Wenn sie nicht arbeiten könnten, dann müssten sie eben umkommen. Sie müssten wie Tuberkelbazillen behandelt werden, von denen ein gesunder Körper infiziert werden könnte. Das sei nicht grausam, wenn man daran denke, dass selbst unschuldige natürliche Geschöpfe wie Hasen und Hirsche getötet werden müssten, damit kein Schaden entstehe. Irvings Wunsch, seinen Lesern diesen unverhohlen mordgierigen Hitler zu verheimlichen, habe zu seinem »Fehler« geführt, sagt Rampton. »Hitler hakt mit einer Analogie ein, die auf der Rechtfertigung zum Töten wilder Tiere beruht — zum Töten wilder Tiere! —, sollten sie Schaden verursachen. Also, damit war die Angelegenheit sonnenklar!«, bellt er. Als Nächstes wendet Rampton sich Irvings Göring-Biographie zu, und er liest aus dem Kapitel über den gescheiterten Putsch im Jahr 1923 vor, wo Irving unter anderem schreibt: »Als Hitler erfuhr, dass ein israelitisches Restaurant überfallen worden war, stellte er den dafür verantwortlichen jungen Kriegsleutnant zur Rede und stieß ihn noch am selben Morgen aus der Partei aus. ›Aber ich habe das Parteiabzeichen vorher abgelegt‹, versuchte der junge Mann sich zu entschuldigen; aber vergeblich, denn Hitler rief: ›Mit Ihrer gesamten Mannschaft sind Sie sofort aus der Partei ausgeschlossen, und ich werde Sorge tragen, dass Sie bei keiner nationalen Kampftruppe mehr unterkommen.‹... Göring glotzte ungläubig während dieses Wortwechsels.«* »Woher wissen Sie, dass Göring dabei war?« fragte Rampton. »Haben Sie jemals von dichterischer Freiheit gehört?« * David Irving, Göring, München/Hamburg 1987, S. 84. Der letzte Satz fehlt in der deutschen Übersetzung.
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»Monieren Sie den ›ungläubig glotzenden Göring‹ oder dass er dabei war?« will Richter Gray wissen. »Ich denke, ich stelle beide Fragen, nicht wahr, Mr. Irving? Wissen Sie bestimmt, dass Göring anwesend war?« »Ja«, erwidert Irving. »Es ist — er war da, weil es aus dem Zeitplan ersichtlich ist...« »Und woher wissen Sie, dass Göring ungläubig glotzte?« »Das war dichterische Freiheit.« »Sie meinen, es war eine Erfindung?« »Ja.« Ramptons Fragen fehlt jede einleuchtende Reihenfolge, verfolgen sie doch über die Veranschaulichung Irvingscher Fehler oder Verzerrungen hinaus keinen erkennbaren Zweck. Ebenso vermittelt er, wenn er ein Dokument vorlegt, den Eindruck ungeheurer Unordnung, der, ebenso wie Ramptons Temperament, lediglich durch die mustergültige Sorgfalt und das aufopferungsvolle Wesen seiner Junior-Anwältin Heather Rogers gezügelt wird. Etwa nach der Hälfte des Prozesses haben Ramptons cholerische Ausbrüche, sein Murren über Papiere, die er nicht finden kann — oder nicht lesen kann, weil sie entweder auf Deutsch oder für seine Brille zu klein gedruckt sind — und die unerlässliche Coda dieser Ausbrüche, wenn es Miss Rogers gelingt, das gewünschte Schriftstück zutage zu fördern, einen fast slapstickartigen Charakter angenommen. So fragt Richter Gray am zwölften Tag, als Rampton ihm ein unordentliches Bündel Papiere hinaufreicht: »Mr. Rampton, ich bin doch ein wenig verblüfft über diese Riesenstapel an Dokumenten in Deutsch, die man mir hier hinaufreicht... Was soll ich mit alldem anfangen?« Irving, der in Erwartung des Kreuzverhörs im Zeugenstand sitzt, sagt nichts. »Wenn der Zeuge sie im Zeugenstand übersetzt hat«, sagt 260
Rampton, »und ich habe seine Übersetzung nicht angefochten, dann kann man annehmen — sein Deutsch ist sehr gut —, dass das, was er gesagt hat, richtig ist.« Wieder sagt Irving nichts. Und als Rampton, der aus irgendeinem Grund seine eigene Übersetzung nicht finden zu können scheint, Irving bittet, den Text eines Telegramms zu übersetzen, das Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß in den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 abschickte, als überall in Deutschland das als »Reichskristallnacht« bekannte Pogrom wütete, ist Irving gern gefällig. »Den Text dieses Telegramms kann ich auswendig hersagen. Ich habe es so oft in Reden zitiert«, sagt Irving. »Ich wette, dass Sie das können«, sagt Rampton. »Würden Sie uns jetzt bitte verraten, wie es lautet?« »›Auf ausdrücklichen Befehl allerhöchster Stelle‹, was immer...« »Das ist Hitler.« »... was immer ein Hinweis auf Hitler ist.« »Einverstanden.« »›dürfen Brandlegungen an jüdischen Geschäften oder dergleichen auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen erfolgen.‹« »Gut.« Im Gegensatz zu Irving ist Rampton ein Profi. Wenn er eine Falle stellt, wie er es soeben getan hat, dann gibt er keine Erklärungen ab. Seine Dankbarkeit für Irvings Hilfe scheint genauso echt zu sein wie seine vorherige Verwirrung. Was Irving nicht wissen kann, ist, dass sein Widersacher tatsächlich ein fotografisches Gedächtnis besitzt. Und er ahnt auch nicht, dass jeder der winzigen Punkte Ramptons — »Nadelstiche« nennt Irving sie spöttisch — den Boden für einen Angriff bereitet, der Irvings komplette Karriere und seinen Ruf als wenig mehr denn ein Kartenhaus enthüllen wird. Aber er wird es in Kürze erfahren. 261
Zum nächsten Akt in Ramptons theatralischer Darbietung gehört Hans Aumeier. Aumeier war etwa ein Jahr lang — von Anfang 1942 bis Frühjahr 1943 — Höß’ Stellvertreter in Auschwitz. Nach der deutschen Kapitulation festgenommen, verfasste Aumeier eine Reihe von Geständnissen für seine britischen Vernehmungsbeamten. Laut Höß waren die Ereignisse, deren Zeuge Aumeier in Auschwitz wurde, ursächlich für ein Alkoholproblem und brachten ihn schließlich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Höß ließ ihn nach Estland versetzen. In seinem Gutachten listet van Pelt die verschiedenen Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten auf, die den Wert von Aumeiers Geständnissen trübten. Trotzdem, schließt van Pelt, lieferten sie entscheidende Einzelheiten sowohl über den Vergasungsprozess als auch über die Umwandlung der Krematorien 2 und 3 in Tötungseinrichtungen. Außerdem seien sie eine unabhängige Bestätigung der Geständnisse von Höß und Broad sowie der Aussagen der Männer des Sonderkommandos. Im Gerichtssaal hat van Pelt Aumeiers Namen kein einziges Mal erwähnt, weil Irving nie gefragt hat. Doch wie van Pelt in seinem Gutachten meint, sei es David Irving gewesen, der Aumeiers handgeschriebenes Geständnis als Erster in den Beständen des Nationalarchivs in London entdeckt habe. »Mr. Irving«, beginnt Rampton, »Hans Aumeier, ich glaube, Sie stießen erstmals im Juni 1992 auf ihn? Ihr Tagebucheintrag lautet — sie können ihn sehen, wenn Sie möchten, wir haben ihn hier: ›Später den ganzen Tag im PRO [Public Record Office; Nationalarchiv]. Lektüre der Vernehmungsakte und des Manuskripts eines SS-Offiziers, Hans Aumeier, abgeschlossen... Seine Berichte werden von Monat zu Monat grausiger. Warum, frage ich mich. Geprügelt wie Höß, oder erzählte er am Ende die Wahrheit? Jedenfalls zwei beunruhigende Stunden.‹ Erinnern 262
Sie sich an diesen Eintrag?« »Sehr deutlich, ja.« Irving machte seine Entdeckung nicht publik. Stattdessen schrieb er Mark Weber vom Institute for Historical Research einen Brief, den Rampton nun zur Aufnahme ins Protokoll vorliest: »Als ich gestern im Nationalarchiv arbeitete, stieß ich auf die 200 Seiten handschriftliche Erinnerungen... eines SS-Offiziers, Aumeier, der praktisch Höß’ Stellvertreter war. Sie sind soeben der Forschung zugänglich gemacht worden. Er wurde in einem äußerst brutalen britischen Gefangenenlager festgehalten, dem London Cave (der berüchtigte Oberstleutnant A. Scotland). Diese Manuskripte werden ein Problem für Revisionisten werden, und man muss sie jetzt analysieren und darauf reagieren, bevor unsere Gegner es tun. Ich lege meine Abschrift einiger Seiten bei, und Sie werden sehen, warum. Es wird mit jeder folgenden Version grausiger. Zuerst keine Vergasungen, dann 50, dann insgesamt 15 000. Vielleicht brutale Gewalt vonseiten der Vernehmungsbeamten.« »Warum«, fragt Rampton, »werden die handschriftlichen Notizen, oder worum auch immer es sich handelt, Erinnerungen von Aumeier, zu einem Problem für Revisionisten werden?« »Weil sie meiner Ansicht nach eine Anzahl von Glaubenssätzen der revisionistischen Bibel widerlegen, wenn ich es einmal so ausdrücken darf.« »Was ist die revisionistische Bibel?« »Nun, das revisionistische Credo.« »Das da lautet?« »O, in seiner extremsten Form besagt es, dass keinem Juden auch nur ein Haar gekrümmt wurde — dies war die extremste 263
und unhaltbarste Position.« Mit untypischer Zurückhaltung habe Irving bis 1996 auf seinem Fang gesessen. Dann, schreibt van Pelt, »vergrub er, in dem Bestreben, das Beste aus einer schlimmen Situation zu machen, einen Verweis auf Aumeiers Aussage in einer Fußnote seines Buches über die Nürnberger Prozesse aus dem Jahr 1996«. In der Fußnote deutet Irving an, dass Oberstleutnant Scotland das Geständnis aus Aumeier herausgeprügelt habe. Rampton ist empört: »Mr. Irving, Sie haben unterstellt... dass dieser Mann eine irrige Darstellung geliefert hat, weil er von den Briten gefoltert oder mit Folter bedroht worden sei. Sie haben absolut keine Grundlage dafür.« »Mr. Rampton, wenn die Zeit kommt, Ihre Sachverständigen ins Kreuzverhör zu nehmen, dann werde ich ihnen Dokumente unterbreiten, die ganz klar zeigen, welche Methoden angewendet wurden, um Informationen aus Zeugen herauszuholen... Ich werde sie auffordern, sich dazu zu äußern, ob sie diese Art von Beweismaterial für zuverlässig halten.« »Mr. Irving, ich muss sagen, ich bin selber versucht, zu solchen Methoden zu greifen, um von Ihnen eine direkte Antwort auf meine Frage zu erhalten. Sie haben keine beweiserheblichen...« »Dazu gehörte es zum Beispiel, 165 von 167 Zeugen die Hoden zu zerquetschen. Ist es das, was Sie mit mir zu tun gedenken?« Was Rampton mit Irving zu tun gedenkt und was er in der Tat soeben getan hat, ist, den Nachweis zu erbringen, dass Irving Beweismaterial erfindet, Beweismaterial verdreht und sogar Beweismaterial unterdrückt, wenn es seiner Absicht dienlich ist. Außerdem ist es Rampton auf elegante Weise gelungen, die Gewichte weg von van Pelts Kreuzverhör hin zu seinem Gutachten zu verschieben. Zur Frage, worin Irvings Absicht beste264
hen könnte, ist er jedoch bislang über Andeutungen noch nicht hinausgekommen. Monate zuvor, bei den Anhörungen während der Offenlegung, hatte Anthony Julius ausführlich eine der Rechtsgrundlagen für die Verpflichtung dargelegt, den Prozessgegner mit Materialien zu versorgen, die der eigenen Sache schaden könnten. Ein Präzedenzfall, sagte Julius, wobei er namentlich auf die Entscheidung verwies, »ist Peruanischer Guano«. In den nächsten paar Tagen, als Richard Rampton die übelriechenderen Inhalte seiner Offenlegung über David Irvings Kopf entleert, erscheint die Belegstelle als besonders treffend. Obwohl seine Familie eher der Beamtenklasse als der Aristokratie entstammt, hat Irving sich, wie so mancher Schüler einer Privatschule vor und nach ihm, die Umgangsformen der gesellschaftlich über ihm Stehenden zu Eigen gemacht. In der Tat gehörte es von Anfang an zu seiner Strategie im Gerichtssaal, diese Umgangsformen — und das allen Gerichten von Natur aus eigene institutionelle Dekorum — als Isolierung zwischen seiner eigenen Person und seinen fragwürdigen Ideen und Verbündeten zu benutzen. Um diese Barriere zu überwinden und Irvings wunden Punkt zu treffen, bedient Rampton sich einer Vielzahl von Mitteln. Eines ist sein eigenes Verhalten: Ohne Vorwarnung kann er von der leicht gespreizten Ausdrucksweise eines Prozessanwalts in die Tiefen der ordinären Alltagssprache herabstoßen, wenn er einen Punkt betonen möchte. Ein weiteres Mittel besteht in Beleidigungen. »Als ich Sie früher nach diesem Dokument fragte«, sagt er zu Irving, »das war vor einer Ewigkeit, haben Sie bestritten, es jemals gesehen zu haben.« »Ich sehe es jetzt zum ersten Mal, ja.« Fast hätte Rampton den Kopf geschüttelt. »Ja, das behaupten 265
Sie.« »Verzeihen Sie«, sagt Irving, wobei er sich aufrichtet wie ein Stutzer auf der Bühne, den man gerade Schuft genannt hat. »Ich stehe unter Eid, und wenn ich sage, ich sehe es zum ersten Mal, dann sehe ich es zum ersten Mal.« »Mr. Irving«, sagt Rampton, »Sie haben viele Dinge unter Eid behauptet, die ich schlicht nicht akzeptiere, also können wir diese kindische Verhörphase jetzt beenden.« »Ich denke, dass dies möglicherweise der Zeitpunkt ist, die Sache auszudiskutieren«, sagt Irving und streift seine metaphorischen Handschuhe ab. »Wo Sie glauben, dass ich unter Eid lüge, da sollten Sie es auch sagen.« »Er sagt es ja«, erklärt der Richter. Ein paar Minuten später, als Rampton dem Richter zwei dikke Schnellhefter überreicht, die »Mr. Irvings Äußerungen zum Thema Juden, Schwarze etc.«, enthalten, sowie einen kurzen Katalog mit noch wilderen Erklärungen, protestiert Irving, der noch unter Ramptons Anschuldigung leidet. »Diese kleinen Kataloge mit Auszügen, die man Euer Lordschaft hier präsentiert, erscheinen... mir weniger als Prozesstaktik denn als Prozessmanipulation«, hält Irving mit einer eigenen Anschuldigung dagegen. Aber Irvings Entrüstung ist Ramptons Hochmut nicht gewachsen. »Mr. Irving«, sagt er, »darf ich vorschlagen, dass Sie sich bitte jedes Mal, wenn wir Ihrer Ansicht nach versucht haben, die schriftliche Überlieferung zu verdrehen...« »Ich habe ›manipulieren‹ gesagt.« »Ja, großartig, ›die schriftliche Überlieferung zu manipulieren‹ — das darf ich nicht vergessen —, um dem Gericht ein verzerrtes Bild zu präsentieren, neben jedem Zitat, das ich anführe, ganz egal, worum es sich handelt, bitte den Vermerk 266
›überprüfen‹ notieren, denn dann können Sie Seiner Lordschaft bei eigener nochmaliger Prüfung beweisen, wie schlimm unsere Manipulation gewesen ist.« Jemanden als Eiferer zu brandmarken hat seine ganz eigene Etikette. Die Briten rühmen sich, nicht von den Fesseln der political correctness nach amerikanischem Muster behindert zu werden, also ist es wichtig, dass Rampton nicht übertrieben pingelig oder zimperlich erscheint. Eine männliche Verachtung für Irving darf Rampton an den Tag legen. Hohn ist akzeptabel, sogar Sarkasmus, solange er nicht herablassend wirkt. Ziel ist es, der Feststellung Nachdruck zu verleihen, dass Irving ein übler Patron ist und die übliche Höflichkeit nicht verdient. Zum Auftakt seiner Vorführung der Schattenseite David Irvings liest Rampton aus Irvings Online-Mitteilungsblatt vor: »Warum sind sie [die Juden] so blind, dass sie die Verkettung zwischen Ursache und Wirkung nicht erkennen? Sie protestieren: ›Warum wir?‹, wenn man sie der internationalen Verschwörung bezichtigt. Sie reklamieren lautstark: ›unser, unser‹, wenn Goldschätze zutage gefördert werden, und wenn dann der Antisemitismus zunimmt und es zu den unausweichlichen, sinnlosen Pogromen kommt, fragen sie mit großer Verwunderung: ›Warum wir?‹« Irving protestiert, das Zitat sei unvollständig, und liest selber die vorhergehenden Absätze vor, wo es um Bemühungen geht, ihn mit einem Einreiseverbot nach Australien zu belegen: »›Der Premierminister von Australien hat mich heute morgen kritisiert. Solche Dinge erzeugen Antisemitismus in den Ländern‹, und genau darum dreht es sich.« »Sie erkennen in dem, was ich gerade vorgelesen habe«, fragt Rampton, »tatsächlich nichts, was den Widerwillen der Australier, Sie in ihrem Lande zu haben, erklären könnte?« »Ganz im Gegenteil«, erwidert Irving, »genau das meint Ur267
sache und Wirkung. Warum gibt es denn heute in der Schweiz wachsenden Antisemitismus, wo er überall sonst auf der Welt zurückgeht? Antworten Sie, wir wissen, warum.* Warum gibt es heute in Australien Antisemitismus? Antworten Sie, wir wissen, warum.«** »Aber Sie übernehmen ihn, oder etwa nicht? Sie sagen, der Antisemitismus sei aufgrund der Tatsache, dass die Juden gierig seien, gerechtfertigt?« »Habe ich gerechtfertigt gesagt oder erklärbar? Gibt es da keinen feinen Unterschied?« In Ramptons nächstem Beispiel ist der Unterschied zwischen der Rechtfertigung und der Erlärung von Hass vielleicht noch subtiler. »Ihr«, sagt Irving zu einem imaginären jüdischen Gesprächspartner, »seid auf der ganzen Welt nicht wohl gelitten. Ihr werdet seid 3000 Jahren nicht gemocht, und dennoch scheint ihr nie zu fragen, was eigentlich der Grund dafür ist... Ich schaue mir das bloß als Außenstehender an; ich komme vom Mars, und ich würde sagen, sie sind clevere Leute. Ich bin Rassist, ich würde sagen, sie sind eine clevere Rasse. Ich würde sagen, sie sind, als Rasse, bessere Geschäftemacher als ich.« Nach dem Mittagessen zeigt Rampton ein Video, auf dem Irving auf einer Versammlung der National Alliance in Tampa, Florida, spricht. Irving erzählt der Gruppe von einer Begegnung, * Vermutlich, weil jüdische Gruppen Wiedergutmachung für Gold und andere Gelder verlangt haben, die in Schweizer Banken zurückbehalten wurden, nachdem ihre Besitzer im Holocaust umgekommen waren. Aber man muss kein Antisemit sein, um zutiefst beunruhigt zu sein angesichts der Heftigkeit, mit der im Namen einer immer weiter schwindenden Zahl von Überlebenden — von denen die meisten nie davon geträumt haben, ein Bankkonto in der Schweiz zu eröffnen — bis heute gewaltige Entschädigungssummen angestrebt werden. ** Vermutlich, weil David Irving aus dem Land ausgeweisen wurde. Diese Art falscher Analogie ist bezeichnend dafür, wie Irvings logisches Denkvermögen funktioniert, wenn das Thema Antisemitismus heißt.
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die er ein paar Tage zuvor in Shreveport gehabt habe, als ein Zwischenrufer, ein britischer Jude, seinen Vortrag unterbrach, weil er wissen wollte: »›Wollen Sie damit vielleicht sagen, dass wir selber für Auschwitz verantwortlich sind?‹ und ich sagte: ›Die Antwort lautet knapp: ja!‹« Seine Zuhörer in Tampa brüllen vor Lachen. Dies ist das Publikum, dem Irving erklärt: »Wenn ihr [Juden] euch in den mittlerweile 3000 Jahren anders verhalten hättet, dann hätten die Deutschen sich um ihre Angelegenheiten gekümmert und es nicht für nötig gehalten, alles Mögliche mit euch anzustellen, was auch immer es war, ebenso wenig wie die Russen, die Ukrainer, die Litauer, die Esten, die Letten und all die anderen Völker, die euch übel mitgespielt haben.« »Ihre These«, sagt Rampton, »lautet, dass die Juden all das verdient haben, was ihnen zugestoßen ist.« Irving schüttelt den Kopf. Doch der Höhepunkt des Tages kommt, als Rampton Irvings Knittelvers »I am a Baby Aryan« rezitiert. »Rassistisch, Mr. Irving? Antisemitisch, Mr. Irving, ja?« »Das glaube ich nicht.« »Ihrer kleinen Tochter diese Art von Gift einzuflößen?« »Glauben Sie, dass ein neun Monate altes Kind Worte verstehen kann, die in Englisch oder irgendeiner anderen Sprache gesprochen werden?« »Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Irving. Als ich sechs Monate alt war, sang ich: ›Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen.‹« Die wochenlange Diskussion und Begutachtung einzelner Aussagen hat ihren Tribut vom Pressekorps gefordert. Aber Irvings Gedicht schafft es auf die Titelseite der Times, und am nächsten Morgen ist der Gerichtssaal noch einmal zum Bersten voll. Vor 269
diesem ausverkauften Haus eröffnet Rampton den zweiten Akt seines moralischen Lehrstücks. Im Jahr 1993 erzählte Irving einem Interviewer im australischen Rundfunk, dass ihm angesichts der schwarzen Spieler im englischen Kricketteam übel werde. »Warum wird Ihnen übel bei dem Gedanken«, fragt Rampton, »dass schwarze Engländer für England Kricket spielen?« »Meine Antwort in der Sendung«, antwortet Irving, »lautete: ›Es ist doch schade, dass wir Schwarze in der Mannschaft haben müssen und dass sie besser sind als unsere Weißen.‹« »Warum ist das schade?« »Es ist schade, weil ich Engländer bin.« »Sind sie nicht auch Engländer?« »Also, meinen Sie Engländer oder Briten?« »Ich behaupte, dass sie Engländer sind. Die meisten von ihnen sind hier geboren, genauso wie all die Juden in England hier geboren wurden — die meisten von ihnen.« »Reden wir jetzt über Schwarze oder über Juden?« »Es spielt keine Rolle. Sie sind alle Engländer.« Tatsächlich sind sie nicht alle Engländer. Ganz gewiss nicht in den Augen des Gesetzes, da — wie Rampton sicher wissen dürfte — nach dem Nationalitätengesetz Margaret Thatchers aus dem Jahr 1981 die Tatsache, hier geboren zu sein, jemanden nicht einmal zum Briten, geschweige denn zum Engländer macht. Ramptons Vorstellung des entrüsteten Liberalen lässt die Anerkennung der aktuellen Realität vermissen: dass er sich in einem Land befindet, das gerade seine Definition von Staatsangehörigkeit geändert hat, um Chinesen aus Hongkong nicht hereinzulassen, die dachten, ihr britischer Pass würde sie retten, dem es jedoch irgendwie gelingt, Platz für Weiße zu finden, die aus Simbabwe fliehen. Außerdem ist sie bar jeden Geschichtsbewusstseins. England ist die Heimat der »Ritualmord-Verleumdung«, der 270
Anschuldigung, die zum ersten Mal für das Jahr 1144 aus Norwich überliefert ist und besagt, dass Juden das Blut frisch getöteter christlicher Rinder brauchten, um das Passahfest zu feiern. Als Geoffrey Chaucer sie im 14. Jahrhundert in »The Prioress’s Tale« wiederholte, waren keine Juden mehr im Lande, hatte doch England seine Juden im Jahr 1290 — Jahrhunderte vor Spanien oder Deutschland — vertrieben. Als Shylock drei Jahrhunderte später sein Debüt in London gab, tat er es in einem Land, das noch immer keine legalen jüdischen Einwohner hatte, wenngleich unter der Herrschaft Heinrichs VIII. eine Hand voll illegaler Immigranten unbemerkt zurückkehrte. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde einem Juden gestattet, im Unterhaus zu sitzen — lange nach der Emanzipation der französischen Juden. Es hätte wohl noch länger gedauert, wenn es sich bei dem fraglichen Juden nicht um Lionel de Rothschild gehandelt hätte. Juden hatten keinen Zutritt zu Oxford und Cambridge und waren von jenen Berufsständen — wie der Jurisprudenz oder der Medizin — ausgeschlossen, die von ihren Angehörigen einen Eid »auf den wahren Glauben eines Christenmenschen« verlangten. Es war Matthew Arnold, Sänger von »Süße und Licht« der sich gegen eine Abschaffung dieser Beschränkungen stark machte, weil er fand, Juden seien »unliebenswürdige Menschen«, und der erklärte: »England ist das Land der Engländer, nicht der Juden.«1 Der Zustrom jüdischer Flüchtlinge, die vor den Pogromen des zaristischen Russland flüchteten, führte zur Verabschiedung des Nationalitätengesetzes von 1905 — dem ersten in Großbritanniens jahrhundertelanger Geschichte, das die Tore vor Ausländern dicht machte. Viele Briten aus Irvings Generation rühmen sich der Großmut des Landes im Zusammenhang mit den Kindertransporten — von jenen 7500 jüdischen Kindern, die als Flüchtlinge vor Hitler aufgenommen wurden. Das Schicksal ihrer Eltern, der 271
Hunderttausenden von Erwachsenen, denen man die Einreise verweigerte, womit man sie dem sicheren Tod preisgab, wird selten erwähnt. Natürlich ist Amerikas Vergangenheit in dieser Hinsicht kaum besser. Wir müssen über unsere eigene Geschichte des Rassismus, unsere »Gentleman’s Agreements« und unseren nach Rassen getrennten Süden, unsere Einwanderungsquoten und den Ku Klux Klan hinwegkommen. Und natürlich leben heutzutage viele der glühendsten Anhänger David Irvings in den Vereinigten Staaten. Und trotzdem ist für amerikanische Ohren etwas Schockierendes an der britischen Voreingenommenheit, und das ist ihre Unverfrorenheit. Das moderne Großbritannien mag sich zu einer multikulturellen Gesellschaft entwickeln, aber die herrschende Kultur ist nach wie vor auf eine Weise dominierend — und homogen —, wie es in den Vereinigten Staaten nicht mehr möglich ist. Der landesweite Lehrplan verlangt von jedem Schulkind, im Religionsunterricht die Glaubenssätze des christlichen Glaubens zu lernen, und obwohl es in London oder Manchester Viertel gibt, die um keinen Deut weniger jüdisch sind als ihre Gegenstücke in Philadelphia oder Los Angeles, unterscheidet sich das Leben der dort wohnenden Juden doch sehr stark voneinander. »Der englische Antisemitismus war und bleibt eine Sache sozialer Ausgrenzung«, schrieb Anthony Julius in seiner Kritik T. S. Eliots. »Juden wurden nicht gepeinigt, aber auf Distanz gehalten. Dominierend seit ihrer Wiederzulassung im 17. Jahrhundert war der Eindruck eines angespannten Arrangements.«2 Und wenn ein angespanntes Arrangement das Los mancher Juden ist, dann kann man auf Seiten zumindest mancher Engländer ganz gewiss ein entsprechendes Maß an Unbehagen erwarten. Warum also tut die Verteidigung so, als sei Irvings Sehnsucht nach dem England seiner Kindheit ein Zeichen seines 272
monströsen Charakters — oder auch nur besonders ungewöhnlich für einen Mann seines Alters und seiner Herkunft? »Ich bedauere, was inzwischen mit unserem Land geschehen ist«, sagt Irving dem Richter. »Manchmal wünschte ich, ich könnte zum Flughafen Heathrow fahren, in eine Boeing 747 steigen und nach einem Zehn-Stunden-Flug wieder in England landen, so wie es war, wie es früher war... das England der Blauen Lampe und Jack Warners* und als es noch keinen Kaugummi auf den Bürgersteigen gab und dergleichen mehr.« Was auch immer diese Bemerkungen besagen, an der Heftigkeit seiner Empfindung lassen sie keinen Zweifel — ebenso wenig daran, dass diese Zeichen eines verlorenen Empire und verlorener Unschuld Irving weit stärker zu bewegen scheinen als seine vielen Hassobjekte. Natürlich müssen wir, wie Anthony Julius betont, die Perspektive des Opfers einnehmen, wenn wir über Rassismus urteilen. Ob Irving es wirklich »so gemeint hat« oder nicht, mildert nicht den Schaden, den er verursacht. Trotzdem konnte man sich kaum eines Gefühls von Übelkeit erwehren, wenn man zuhörte, wie Rampton Irving über seine Einstellung zu »Mischehen zwischen den Rassen« ausfragte — im Namen einer Beklagten, die geschrieben hatte: »Wir wissen, wogegen wir kämpfen: Antisemitismus und Assimilierung, Mischehen und Prügel für Israel«, die aber nicht ein einziges Wort öffentlichen Protestes laut werden ließ, als ihr amerikanischer Verlag das neoeugenische Traktat The Bell Curve von Charles Murray veröffentlichte.3
* Die blaue Lampe (The Blue Lamp), Großbritannien 1950, von Basil Dearden. Film über die Arbeit und menschlichen Konflikte eines englischen Polizisten, verkörpert von Jack Warner.
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Noch unter dem Eindruck des unmittelbar zuvor erlebten Spannungsfeldes zwischen der tiefen Tragödie von Auschwitz und der schäbige Farce der sozialen Ansichten Irvings stehend, sorgt das Erscheinen von Christopher Browning im Gerichtssaal für einen Augenblick der Erleichterung. Brownings eminentes Verständnis des Holocaust in seiner historischen Dimension — weder als jüdische Episode am Rande noch als theologisches »Tremendum« — ist sofort offensichtlich und steht in scharfem Kontrast zu John Keegan, dem vorherigen Zeugen an diesem Morgen. Größer als Irving, mit freimütigem Gesichtsausdruck und der Andeutung eines leicht nervösen Lächelns, starrt Browning Irving durch eine rechteckige Fliegerbrille an und wartet auf den Beginn seines Kreuzverhörs. Brownings Expertengutachten befasst sich mit dem »Beweismaterial für die Durchführung der Endlösung«. Browning ist Autor von fünf Büchern zum Thema, darunter The Path to Genocide (Der Weg zur »Endlösung«. Entscheidungen und Täter, Bonn 1998) und Nazi Policy, Jewish Labor, German Killers (Judenmord. NS-Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter, Frankfurt 2001), und Professor für Geschichte an der Universität von North Carolina. Als Sachverständiger ist er schon in einer Reihe von Gerichtsverfahren über Kriegsverbrechen aufgetreten. Auch im Zündel-Prozess hat er ausgesagt, wo er, wie alle Zeugen der Anklage, von Zündels Anwalt beschimpft wurde. Brownings Aussagen in diesen Verfahren haben ihn bei »Revisionisten« zu einer Hassfigur gemacht, und wie er so dasitzt und seine Finger abwechselnd anspannt und lockert, erwartet er möglicherweise, dass Irving ihm das Leben schwer machen wird. Was dann jedoch passiert, erinnert eher an ein Kolloquium als an ein strenges Verhör. »Gehe ich recht in der Annahme«, fragt Irving, »dass es eine 274
Lehrmeinung gab,... derzufolge die Operation Reinhard nach dem verstorbenen, betrauerten oder nicht betrauerten Chef der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich benannt wurde?« »Das ist ein Vorschlag«, sagt Browning, »weil die Personalakten in Berlin den Namen mit nur einem ›d‹ [›Reinhard‹ im Gegensatz zu dem gebräuchlicheren ›Reinhardt‹] schreiben, so wie auch er ihn buchstabierte, also war das ein Vorschlag, der gemacht wurde, den ich aber nicht unterstütze.« Wie ein Schmetterlingssammler mit einem seltenen Exemplar möchte Irving Browning die Sicherheitsklassifizierung »AR« zeigen, die er soeben auf Nazi-Dokumenten bemerkt hat, die bei diesem Verfahren als Beweisstücke vorgelegt worden sind. »Würden Sie dem Umstand irgendeine Bedeutung zumessen, dass sie die Initialen ›AR‹ trugen?« möchte Irving gern wissen. »Es könnte ein Hinweis sein, dass eine Kopie davon in einem Ordner ›Aktion Reinhardt‹ abgelegt werden sollte«, sagt Browning, Irvings Ahnung bestätigend. »Wir entdecken also ständig etwas Neues, ist das richtig?« »Ja.« »So dass das letzte Kapitel des Holocaust wirklich noch geschrieben werden muss?« »Wir entdecken immer noch Dinge über das Römische Reich. In der Geschichte gibt es kein letztes Kapitel.« Irvings offenkundige Gier nach irgendeiner Art von Anerkennung vonseiten Brownings senkt die Temperatur im Gerichtssaal beträchtlich. Doch selbst nach mehreren Tagen mit »peruanischem Guano« ist es beinahe schockierend zu hören, wie Browning zu Irving gewandt sagt: »Worauf die Forschung vor Ihren Veröffentlichungen noch kein besonderes Augenmerk gerichtet hatte, das waren der Entscheidungsprozess und die Rolle Hitlers. Dies ist das eine, und soweit wir uns darauf beschränken können, war Ihre Veröffentlichung von Hitler’s War in der Tat 275
die treibende Kraft für Forschungen auf diesem Gebiet.« Hoch erfreut darüber fragt Irving: »Was war der Grund für dieses zwanzig-, zweiundzwanzigjährige fehlende Interesse an der Untersuchung der Frage, ob oder wie die Entscheidung für den Holocaust gefällt wurde?« »Ich denke, es waren wahrscheinlich mehrere Faktoren«, sagt Browning. »Zum einen interessierte der Forscher, der sich hauptsächlich auf die deutschen Dokumente konzentrierte, Raul Hilberg, sich sehr für die bürokratischen Strukturen, war aber nicht allzu versessen darauf, Entscheidungen zu datieren. Das war nun einmal sein Schwerpunkt.« »Haben Sie persönlich mit Hilberg darüber gesprochen?« »Ja, er ist eben mehr an bürokratischen Strukturen interessiert als an linearen oder chronologischen Entscheidungsprozessen. Mich selber interessiert der chronologische Prozess mehr als bürokratische Strukturen.« »Kennen Sie seine Ansicht darüber, ob Adolf Hitler tatsächlich einen Befehl erließ oder nicht?« »Ich glaube, wenn Sie nach einem Befehl im formalen Sinne suchen«, sagt Browning, »dann ist er der Meinung, dass ein solcher Befehl wahrscheinlich nie erteilt wurde. Wenn Sie in der Art und Weise danach suchen, die Sie früher geschildert und die Sie als ›Richard-Nixon-Komplex‹ bezeichnet haben — dass Hitler sowohl Himmler als auch Heydrich gegenüber sehr deutlich machte, was er erwarte, und dass die beiden verstanden, was von ihnen erwartet wurde —, ich kann nicht für ihn sprechen, aber ich glaube, mit dieser Formulierung hätte er keine Probleme gehabt.« Am folgenden Tag fragt Irving Browning: »Wie realistisch war der Madagaskar-Plan?« (Hinter dem Madagaskar-Projekt verbarg sich ein Planspiel, in dem erwogen wurde, die Juden Europas auf die französische Insel vor der ostafrikanischen Kü276
ste zu internieren). »Ob ich denke, dass sie ihn ernst nahmen?« Als erfahrener Zeuge formuliert Browning die Frage um, die er beantworten möchte. »Ja, ich glaube schon, dass sie ihn ernst nahmen. Er war phantastisch, aber natürlich war auch Auschwitz phantastisch.« »Inwieweit ist Madagaskar ein phantastischer Plan?« fragt Irving. »Phantastisch in dem Sinne, dass er bizarr ist, die Vorstellung, man könne vier Millionen Juden nehmen, sie auf Schiffe setzen und nach Madagaskar verfrachten, und der Großteil von ihnen würde, abgeschoben in den Dschungel von Madagaskar, unter diesen Bedingungen nicht zugrunde gehen.« Doch als Irving es zu weit treibt und den Plan als Hitlers »Hirngespinst« bezeichnet, scheut Browning zurück. »Ich würde ihn nicht als Hirngespinst bezeichnen«, sagt er, »denn ich denke, hätte England kapituliert, hätten sie es versucht. Sie hätten versucht, ihn durchzuführen, wie sie auch versuchten, den Lubliner Reservatsplan* durchzuführen, und wie sie auch — erfolgreich — den Todeslager-Plan durchgeführt haben.« Und dennoch, auf die Frage, ob Irvings Zweifel, dass Hitler einen ausdrücklichen Befehl zur Vernichtung der Juden erteilte, auf eine Holocaust-Leugnung hinausliefen, ist Browning ebenso unverblümt: »[Hans] Mommsen und [Martin] Broskat haben genau wie Sie lange Zeit behauptet, sie glaubten nicht, dass
* Ein Projekt, das nach der Beendigung des Polenfeldzuges 1939 erörtert wurde. Vorgesehen war, Juden und »alle unzuverlässigen Elemente« aus den neuen Reichsgauen und dem Altreich in das neu geschaffene Generalgouvernement abzuschieben. Vorkommandos sollten in der Gegend von Lublin ein Durchgangslager für die angebliche jüdische Umsiedlung errichten. Schon im Oktober 1939 wurde die Aktion mit Verweis auf eine generelle antijüdische Deportationspolitik unterbunden.
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Hitler einen ausdrücklichen oder formellen Befehl gegeben habe.« »Es wäre eine schwere Unbill, einen dieser beiden Professoren als Holocaust-Leugner zu bezeichnen, nicht wahr?« fragt Irving. »Ja. Der Streit darüber, ob Hitler einen Befehl gab oder nicht, fällt im Allgemeinen nicht unter den Komplex Holocaust-Leugnung.« »Vielen Dank, dass Sie das gesagt haben.« Nicht alle Aussagen Brownings sind Irving derart willkommen. Brownings selbstsichere Interpretation des Hinweises »Keine Liquidierung« in Himmlers Telefonnotizen als eindeutiges Indiz für eine Ausnahme von einer bestehenden Politik der Liquidierung ist durch Irving nicht zu erschüttern. Und obwohl er selber in der Frage eines formellen Hitler-Befehls Agnostiker sein mag, verweist Browning auf die Ansprache Hitlers vor den Gauleitern vom 12. Dezember 1941 als »den Punkt, an dem Hitler klarstellt,... dass man die Vernichtung in Angriff nehmen werde. Bis zu diesem Punkt gebrauchte man zwei Wendungen, ›nach dem Krieg‹ und ›im nächsten Frühjahr‹ [zum Verweis auf die zeitliche Abstimmung der Vernichtung]. Nach Pearl Harbor musste man klären, welcher der beiden Termine es sein sollte, und meiner Ansicht nach war dies der Zeitpunkt, wo Hitler sagte, im nächsten Frühjahr, auch wenn das nicht mehr nach dem Krieg sein würde.« Irving findet auch keinen Trost in Brownings Überblick über das, was wir vom Ausmaß des Holocaust wissen. »Stimmt es nicht, Herr Professor«, fragt Irving, »dass wir hinsichtlich der statistischen Datenbasis für irgendwelche Rückschlüsse auf die Zahl der Menschen, die im Holocaust ermordet wurden — mit welchen Mitteln auch immer —, wirklich im Dunkeln tappen? Ist das korrekt?« 278
Brownings Antwort ist so deutlich wie umfassend: »Nein. So würde ich es nicht ausdrücken. Ich würde sagen, wir besitzen eine sehr genaue Liste der Deportationszüge aus Deutschland. In vielen Fällen besitzen wir den vollständigen Dienstplan, Name für Name, und wir tappen keinesfalls im Dunkeln. Wir können Ihnen sagen, wie aus den abgefangenen Meldungen ersichtlich ist: 974 in einem einzigen Zug... Was wiederum Frankreich, die Niederlande betrifft — die Länder Westeuropas, aus denen es Deportationen gab —, so kommen wir durch die Züge, die Anzahl der Menschen pro Zug zu einem sehr exakten Näherungswert.« »Auf dem Gebiet Polens«, fährt Browning fort, »gab es zumindest Statistiken hinsichtlich der Ghettobevölkerung, und diese Ghettos wurden vollständig liquidiert, also können wir zu einer recht guten ungefähren Zahl polnischer Juden gelangen. Außerdem verfügen wir über eine ziemlich verlässliche Erhebung aus der Vorkriegszeit und über Nachkriegsberechnungen, sodass man subtrahieren kann. Hinsichtlich der Holocaust-Opfer aus Polen und weiter westwärts tappen wir also nicht im Dunkeln. Wir erreichen einen recht genauen Annäherungswert. Wo Historiker sich nicht einig sind und Sie dann auf diese Zahl zwischen fünf und sechs [Millionen] kommen, liegt das daran, dass wir solche Zahlen für die Sowjetunion nicht besitzen.« Und als Irving versucht, Browning für seine Sichtweise einzunehmen, dass man Augenzeugen unter gar keinen Umständen trauen dürfe (»Ich mache eher wie Rommel einen Umweg von hinten und greife... die Augenzeugen an.«), winkt Browning erneut ab. »Hat er [Adolf Eichmann] einmal ausgesagt«, fragt Irving, »oder in seinen Papieren geschrieben — in der Tat auch in meiner Sammlung von Papieren —, dass er bei einer Erschießung so nahe dabeistand, dass Säuglingshirnteile auf seinen schö279
nen Ledermantel spritzten?« »Er beschwerte sich, dass das in Minsk geschehen sei, und natürlich...« »Ist das Ihrer Ansicht nach glaubwürdig?« »Ich habe über das Polizeibataillon 101 geschrieben, wo die Männer routinemäßig mit blutdurchtränkten Uniformen zurückkamen. Wenn man Menschen aus kürzester Distanz erschießt, bekommt man Blut ab.« Es ist Brownings Pionierarbeit über das Reserve-Polizeibataillon 1014, auf die Daniel Jonah Goldhagen so feindselig reagierte. Sein Buch Hitlers willige Vollstrecker ist zum Teil eine ausgedehnte Polemik gegen Brownings Ansicht, dass ein komplexes Wechselspiel von Gruppendruck, Karrieredenken und in der Sozialisation erworbener Konformität für die Tatsache verantwortlich zu machen sei, dass so viele gewöhnliche Deutsche bereitwillig beim Massenmord mitmachten. In seinem Buch und in einem Artikel im New Republic, wo er Browning vorwirft, sein Beweismaterial sei »völlig aus der Luft« gegriffen, favorisiert Goldhagen stattdessen eine monokausale Theorie eines deutschen »eliminatorischen Antisemitismus«. »Untersucht wurde das Motiv, das die deutschen Männer und Frauen... dazu trieb, ihren Körper, ihre Seele und ihren Erfindungsgeist diesem Unternehmen zur Verfügung zu stellen«, schreibt Goldhagen. »Allein im Hinblick auf das Motiv ist bei den meisten Tätern eine monokausale Erklärung ausreichend.«5 Und wie lautet diese Erklärung? Es ist der angeblich von allen Deutschen geteilte Glaube, »der seinem Wesen nach zerstörerische jüdische Einfluss müsse ein für allemal aus der Gesellschaft entfernt werden«.6 Goldhagens Darstellung ist so voller Fehler, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll. Bei seiner geistig schlichten Theorie der kulturellen Vererbung des Antisemitismus (eine Art tum280
ber Version von Chomskys Beschreibung, wie wir Grammatik lernen)? Bei seinem Werben für eine »Erklärung«, die weder das Verhalten jener Deutschen erklärt, die niemals Juden gehasst haben, noch den Eifer vieler Litauer, Letten, Rumänen und anderer, die außerhalb des eliminatorischen Schirms der deutschen Kultur erzogen wurden, bei diesem Völkermord mitzumachen? Bei einer angeblich einzigartigen eliminatorischen Ideologie, die (unter Ersetzung der Juden durch Araber) ohne weiteres ebenso für die Kach-Partei von Meir Kahane und andere rechtsextreme Zionisten gilt wie für die Nazis? Bei seinen pornographischen Träumereien über das Sexualleben von Lagerwachen? Oder bei seiner Behauptung hinsichtlich der Vergasungen: »Der Einsatz von Gas bei der Vernichtung der Juden durch die Deutschen war daher — anders als weithin angenommen — ein nebensächliches Phänomen. Es war leicht anzuwenden, aber nicht unentbehrlich.«7 David Irving hätte es selber kaum besser formulieren können. Raul Hilberg zufolge hat Goldhagen uns statt mit Komplexität »mit dem Bild eines mittelalterähnlichen Albtraums zurückgelassen, einem im deutschen Geist latent vorhandenen Dämon... der auf die Gelegenheit wartet, loszuschlagen«.8 Irvings Glosse auf Goldhagen besteht in der Ansicht, dass die Juden, wenn sie diesen Dämon reizten, es sich ausschließlich selber zuzuschreiben hätten. Gerade Brownings Anwesenheit auf Lipstadts Zeugenliste ist selber Zeugnis der großen Bandbreite von Auffassungen innerhalb der legitimen Grenzen der wissenschaftlichen Debatte über den Holocaust. Dies gilt auch für die Anwesenheit von Peter Longerich, der zu einem späteren Zeitpunkt in dem Verfahren aussagt und Brownings Betonung eines plötzlichen Umschwungs zurzeit des Unternehmens Barbarossa scharf widerspricht. Longerich datiert die Entscheidung für den Völkermord stattdessen 281
weit zurück auf den Herbst 1939. Die Arbeit dieser Forscher ist eine Lektion für alle reduktionistischen Erklärungen des Holocaust; dass sie für die Beweisführung der Verteidigung eine herausragende Rolle spielen, ist eine Widerlegung all jener, die Lipstadt oder ihren Anwälten vorwerfen, eine starre oder einseitig jüdisch orthodoxe Interpretation zu unterstützen. Brownings ungezwungener amerikanischer Habitus lässt Irvings einfältigen Versuch, ihn in Misskredit zu bringen, weil er eine Provision von Yad Vashem angenommen hat, als lächerlich erscheinen. »Ich habe einen Autorenvertrag über ein Buch unterschrieben, und dieses Buch ist noch nicht fertig«, sagt Browning freundlich. »Man hat Ihnen 35 000 Dollar gezahlt?« will Irving wissen. »Nein, ich glaube, ich habe 27 000 Dollar bekommen.« »Ja. Yad Vashem ist eine Einrichtung des Staates Israel, nicht wahr?« fragt Irving. »Ja.« »Dann sind Sie also, in dieser Hinsicht, ein bezahlter Agent, ich vermute, des Staates Israel — wenn man das Wort ›Agent‹ in seinem rein rechtlichen Sinne benutzt?« »Wenn das der Fall wäre«, erwidert Browning, »dann wäre ich auch ein Agent der amerikanischen Regierung gewesen, denn ich war im [US-] Holocaust-Museum, und da ich Stipendien in Deutschland erhalten habe, wäre ich also ein Agent der deutschen Regierung, also muss ich wohl ein Meister des Doppelspiels sein, um auf alle diese Regierungen hören zu können.« Während es Irving nicht gelingt, Browning zu beschädigen, ist alles andere als klar, wie viel Schaden Browning seinerseits Irving zugefügt hat. Auf all den Feldern, auf denen die beiden nicht übereinstimmten, könnte der Richter durchaus Brownings größerer Fachkenntnis vertraut haben. Irving stimmt Browning zu, dass zwar alle Historiker Fehler machen, dass es aber ver282
dächtig wäre, wenn das Muster der Fehler stets in dieselbe Richtung wiese. »Sie meinen... wie ein Kellner, der immer zu seinen Gunsten falsch herausgibt?« sagt Irving beflissen, womit er einen Maßstab artikuliert, den er noch Grund haben wird zu bedauern. Aber all diese kollegialen Artigkeiten dürften auch eine Botschaft aussenden: Wenn Irvings Ansichten über den Holocaust im Dozentenzimmer akzeptabel sind, dann macht ihn selbst der Umstand, dass er vielleicht ein Fanatiker ist, noch lange nicht zum Holocaust-Leugner. Die schärfste Waffe, um eine Falschaussage zunichte zu machen, ist die Methode der massiven Konfrontation. Diese Methode in Vollendung ist vielleicht mit einem ArtillerieSperrfeuer vergleichbar, das den Feind Meter um Meter zurücktreibt. Für diesen Zweck entscheidend ist, dass man Munition hat, die aus belastenden Fakten und aus Dokumenten besteht, die nicht bestritten werden können. Man sollte jedoch nicht alle Munition auf einmal abfeuern, sondern nach und nach. John Munkman, The Technique of Advocacy (1991) Von Tschechow stammt der famose Satz, wenn man im ersten Akt eine Pistole auf den Tisch lege, müsse eine der Figuren sie gegen Ende des Stückes nehmen und abfeuern. Am 18. Tag — prozesstechnisch gesprochen etwa zu Beginn des vierten Aktes — kommt David Irving mit einer Tischrechenmaschine in den Gerichtssaal, einem alten hellbraunen Modell mit Gummifüißen und einer kleinen Lochstreifenrolle, und stellt sie auf dem Schreibtisch vor sich ab. Angesichts von Irvings Begeisterung für Rechnungen auf der Rückseite von Briefumschlägen — die Krematoriumskapazität, den Koksverbrauch und den Gaswageneinsatz hat er auf diese Weise schon errechnet — kann man 283
sich schwer vorstellen, welche Rechnung er für so wichtig erachtet, dass sie mechanische Präzision erfordert. Als Richard Evans in den Zeugenstand tritt, verschwindet die Jovialität der vergangenen Tage beinahe augenblicklich. Evans, ein kleiner, vierschrötiger Mann mit buschigen, zusammengewachsenen Augenbrauen und einem Ausdruck leichten Widerwillens im Gesicht, ist kein zur Schmeichelei geneigter Zeuge. Irving fragt ihn zuerst nach seinen politischen Ansichten. »Ich bin Mitglied der Labour Party«, erwidert er. »Ich nehme nicht an, dass das heute bedeutet, dass man ein Linker ist.« Irving will auch wissen, ob Evans, der Seminare zum Thema Drittes Reich gegeben hat, jemals daran gedacht habe, Hitler’s War auf die Lektüreliste zu setzen. »Eigentlich nicht«, sagt Evans. »Meiner Ansicht geht es darin hauptsächlich um Militärgeschichte.« Obschon dieser Affront unbeabsichtigt sein mag, ist Evans ein Mann, der Streit sucht. Seine Chance kommt in wenigen Augenblicken. »Professor Evans«, sagt Irving, »in Ihrem Gutachten äußern Sie die Ansicht, meine Tagebücher könnten mit irgendwelchen Hintergedanken geschrieben worden sein.« »Können Sie mir bitte die Seite in meinem Gutachten zeigen, wo ich das behaupte?« Evans’ Gutachten ist mehr als 700 Seiten lang. »Das klang mir wie eine eingeübte Bemerkung«, sagt Irving, womit er Recht haben mag. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie der Ansicht sind, ich könnte meine Tagebücher aus irgendeinem anderen Grund geschrieben haben als dem, aus dem man normalerweise ein Tagebuch führt? Was argwöhnen Sie hinsichtlich der Motive, warum ich es geschrieben habe?« »Wären Sie so freundlich, mich auf die Seite hinzuweisen, auf der ich — sehen Sie, Mr. Irving, ich habe ein Problem. Nachdem ich Ihr Werk durchgearbeitet habe, kann ich eigentlich 284
bei keinem Dokument Ihre Version gelten lassen, einschließlich der Abschnitte in meinem eigenen Gutachten, ohne sie schwarz auf weiß vor mir zu sehen. Ich denke, das könnte ein Problem für uns sein.« Und damit beginnen die Feindseligkeiten. Seit er im Herbst 1997 zum ersten Mal von Anthony Julius angesprochen wurde, haben Evans und seine jungen Assistenten Zugang zu Videobändern und Audiokassetten mit Irvings Reden und Vorträgen, zu zehntausenden Seiten Dokumenten, zu seinen kompletten privaten Tagebüchern, zu Tausenden von Briefen und einer Menge anderen Materials gehabt. Obwohl er mit seiner Untersuchung bei Irvings »Kette von Dokumenten« begann — dem Material, das Irving zur Stützung seiner Behauptung anführt, dass Adolf Hitler »wahrscheinlich der größte Freund war, den die Juden im Dritten Reich hatten« —, nahm Evans die gesamte Publikationshistorie Irvings unter die Lupe, angefangen beim Dresden-Buch bis hin zur Goebbels-Biographie. Was er fand, schockierte ihn zutiefst: »Das Schürfen unter der selbstsicheren Oberfläche seiner Prosa brachte rasch eine derart verhedderte Masse an Verzerrung und Manipulation zum Vorschein, dass man manchmal viel mehr Worte brauchte, sie einzeln aufzuführen, als... Irvings Originaldarstellung. Die Aufdröselung der elfseitigen Beschreibung des antijüdischen Pogroms der so genannten »Reichskristallnacht« in Irvings Buch Goebbels. Macht und Magie und die Zurückverfolgung aller Bestandteile auf die dokumentarischen Nachweise, auf denen sie vorgeblich beruhen, nimmt in dem gegenwärtigen Gutachten über 70 Seiten in Anspruch. Ein ähnlich verknotetes Netz aus Verzerrungen, Vertuschungen und Manipulationen kam in jedem einzelnen Fall, den wir überprüften, zum Vorschein. Ich war weder auf das schiere Ausmaß an Falschheit vor285
bereitet, dem ich bei Irvings Umgang mit den historischen Quellen begegnete, noch auf die Art und Weise, wie diese Unredlichkeit seine gesamte schriftliche und mündliche Produktion durchzog. Sie ist in seinem Frühwerk genauso gegenwärtig wie in seinen späteren Veröffentlichungen... Es besteht kein Zweifel,... dass Irvings Behauptung, über eine sehr gute und gründliche Kenntnis des Beweismaterials zu verfügen, auf dessen Grundlage die Geschichte Nazideutschlands geschrieben werden müsse, vollkommen gerechtfertigt ist. Seine zahlreichen Fehler und ungeheuerlichen Irrtümer sind deshalb nicht auf bloße Unwissenheit oder Nachlässigkeit zurückzuführen; im Gegenteil, es ist offensichtlich, dass sie berechnet und beabsichtigt sind. Und genau das macht sie so schockierend.« So unmissverständlich Evans’ Urteil über Irvings Methoden ist, so hart geht er mit den journalistischen und wissenschaftlichen Verteidigern Irvings ins Gericht: »Irving hat sich in der Vergangenheit auf die Tatsache verlassen und verlässt sich auch weiterhin darauf, dass seinen Lesern und Zuhörern entweder die Zeit oder die Fachkenntnis fehlt, die Quellen, die er für seine Arbeit verwendet, gründlich genug zu untersuchen, um die Verzerrungen, Vertuschungen und Manipulationen aufzudecken, denen er sie unterworfen hat.« Evans’ Widerborstigkeit im Zeugenstand unterstreicht die Schwere seiner Befunde. Der Mann ist ein ausgesprochener Pedant und hat als solcher nicht den geringsten Sinn für Geplänkel. Und wie sehr er sich scheinbar auch quer stellt, Evans’ offenkundiger Widerwille, irgendetwas von dem, was Irving sagt, für bare Münze zu nehmen, wie harmlos es auch sei, dient der Bestätigung der vernichtenden Schlussfolgerung seines Gutachtens: dass Irving einfach kein Mensch ist, dem man trauen kann. 286
»In Ihrem Expertengutachten«, sagt Irving, »schreiben Sie, dass ich gezwungen worden sei, der Verteidigung meine Tagebücher auszuhändigen. Was haben Sie damit gemeint?« »Könnten Sie mir die Seite zeigen, wo ich das behaupte?« »Du meine Güte!« Selbst der Richter scheint verärgert zu sein. »Also, ist das wirklich notwendig?« appelliert er an Evans. »Ich denke, Sie werden es schon behauptet haben.« »Nun, Mylord, ich möchte aber wirklich darum bitten, dass man mir die Stelle zeigt, wo ich das behaupte.« »Na schön«, sagt Gray resigniert, »wenn Sie unbedingt wollen.« »Es tut mir Leid, ja, ich will es so.« Obwohl er mit seiner streitsüchtigen Art Gefahr läuft, es sich mit dem Richter zu verscherzen, zeigt sein Verhalten auch, dass Evans die wichtigste Lektion, die ein Zeuge lernen kann, begriffen hat (oder dass man sie ihm beigebracht hat): Sie sind nicht hier, um gemocht zu werden. Irvings Chancen hängen davon ab, ob es ihm gelingt, das schwere Geschütz, das Evans gegen seinen Ruf aufgefahren hat, zurückzurollen. Evans’ Aufgabe im Zeugenstand ist es, dafür zu sorgen, dass ihn jeder Zentimeter Schweiß kostet. Als Irving seine Rechenmaschine einschaltet, erhält er folglich auch keinerlei Hilfe von Evans. »Sie haben all diese Tagebücher gehabt, die sehr offen über meine geistige Verfassung, meine privaten Gedanken und Gefühle Auskunft geben, und das Einzige, was Sie am Ende dieser gewaltigen, riesigen Aufgabe gefunden haben, ist dieses eine Liedchen?« »Darum geht es in meinem Gutachten nicht.« »Zu beweisen, dass ich ein Rassist bin?« »Tut mir Leid, das wird in meinem Gutachten nicht zitiert.« Evans hat Recht. Das inzwischen berüchtigte Liedchen wird nur 287
von Brian Levin angeführt, einem ehemaligen Polizeibeamten aus New York City, der heute am Stockton College in Pomona, New Jersey, unterrichtet, wo er Direktor des Zentrums zur Erforschung von Hass und Extremismus ist. Levin kommt nicht nach London, also schlägt Gray vor, Irving möge Evans fragen, ob er, da er die Tagebücher gelesen habe, die Verse für nicht repräsentativ halte. »Es waren 19 Worte von 30 Millionen«, sagt Irving. »Er wird in meinem Gutachten nicht zitiert, Mr. Irving. Ich bin hier, um Fragen zu meinem Gutachten zu beantworten. Andere Zeugen können Sie nach deren Gutachten befragen.« »Wissen Sie, wie viel Prozent von mir deshalb rassistisch sind?« fragt Irving, der ganz versessen darauf ist, seine Rechenmaschine anzuwerfen, ob Evans nun mitmacht oder nicht. Durch eine Lesebrille vorn auf der Nasenspitze schielt Irving herab auf die Tasten. »0,00016 Prozent von mir sind rassistisch«, sagt er. »Ist das eine Frage?« will Evans wissen. »Was bedeutet«, verkündet Irving triumphierend, »dass 99,99984 Prozent von mir es den Tagebüchern zufolge nicht sind.« Evans soll dreieinhalb Tage als Zeuge Rede und Antwort stehen. An den ersten beiden Tagen kommt die zentrale Behauptung seines Gutachtens — dass Irving die Quellen, die er als Autor seiner Bücher verwendete, wiederholt, bewusst und vorsätzlich verzerrt oder verfälscht habe — kaum zur Sprache. Stattdessen reicht Irving Fotos der »Farbigen« herum, die im Laufe der Jahre bei ihm angestellt waren. »Würden Sie mir abnehmen, dass sie alle während der fraglichen Jahre meine persönlichen Assistentinnen waren und dass sie ein richtiges Gehalt von mir erhielten?« »Besitzen Sie Dokumente, die das belegen?« sagt Evans. »Ja.« »Dürfte ich bitte einen Blick darauf werfen?« 288
»Also, lassen Sie uns davon ausgehen«, sagt ein verstimmter Richter Gray, »dass diese Damen alle bei Mr. Irving angestellt waren.« Irving fragt Evans nach der eidesstattlichen Erklärung, die dazu führte, dass er aus Kanada ausgewiesen wurde. Evans erhebt Einspruch: »Im Ernst, es fällt mir sehr schwer, Fragen zu den Gutachten anderer Leute zu beantworten.« Und wieder schreitet der Richter ein. »Mr. Irving vertritt sich selbst. Ich lasse ihm deshalb einen, wie ich hoffe angemessenen, aber doch recht weiten Spielraum. Ihm werden verschiedene Dinge wie Rassismus und Antisemitismus zur Last gelegt. Zu diesem Thema wurde er scharf ins Kreuzverhör genommen. Die Beklagten hatten Experten, die, wie Sie wissen, umfassend lange Gutachten geschrieben haben, die sich mit diesen Themen befassen, und die Beklagten haben beschlossen, sie nicht vorzuladen.« »Mr. Irving ist deshalb«, fährt Gray fort, »in der Situation, Objekt der Kritik zu sein, die diese Experten an ihm üben, obgleich sie mit dem förmlichen Prozess der Beklagten nichts mehr zu tun haben, und er möchte Ihnen als jemandem, der hier sozusagen als Zielscheibe präsent ist, ein oder zwei Punkte unterbreiten. Ich habe entschieden, dass er das ruhig tun soll.« Mit der Erlaubnis, den Zeugen nach Gutdünken unter Feuer zu nehmen, verwickelt Irving Evans in einen Zermürbungskrieg über die ersten Abschnitte seines Gutachtens, in denen Evans den Ruf Irvings und seine Behandlung durch andere Historiker zusammenfasst. Mit einer Ausnahme zielen alle Fragen Irvings auf nebensächliche Punkte. Tatsächlich scheint er zu versuchen, Evans’ Pedanterie — seine Abneigung, den kleinsten Irrtum kommentarlos durchgehen zu lassen — gegen ihn zu wenden. Wenn er erreicht, dass das Gericht an Einzelheiten erstickt, und er den Richter anschließend davon überzeugen kann, dass alle 289
von Evans geäußerten Kritikpunkte gleichermaßen kleinlich und belanglos — und einige falsch — seien, dann gelingt es Irving vielleicht, die schwere Artillerie in Evans’ Gutachten von sich abzulenken. Mehr Belagerung als Attacke, sorgt Irvings Strategie des massiven Widerstands rasch dafür, dass die Pressebänke sich leeren. Doch es geht um alles oder nichts. Fünf Wochen nach Prozessbeginn hält Irving immer noch stand. Van Pelt und Browning sind gekommen und gegangen, und obwohl beide Forscher den Holocaust in einer Weise darstellten, die schlüssiger und glaubwürdiger war als Irvings Version, versetzte keiner von ihnen Irvings Glaubwürdigkeit den entscheidenden K.-o.-Schlag. Van Pelt konnte den Richter vielleicht davon überzeugen, dass Irvings Ansichten falsch sind, aber der Nachweis, dass sie abwegig oder in fälscherischer Absicht vertreten werden, war ihm, zumindest im Zeugenstand, nicht gelungen. Nun hängt alles von Evans ab. Obwohl schier unerträglich, scheint Irvings Strategie sich auszuzahlen. Als Rampton sich erhebt, um Einspruch zu erheben (»Wir haben an anderthalb Tagen 45 Seiten geschafft. Bei diesem Tempo wird Professor Evans noch weitere drei Wochen im Zeugenstand sein!«), wird er vom Richter zurechtgewiesen. »Die Schwierigkeit, Mr. Rampton, wenn ich das erklären darf, besteht darin, dass Professor Evans sich auf diese anderen Historiker und deren Ansichten bezogen hat. Dadurch wird das Kreuzverhör ziemlich ausgeweitet.« Rampton lässt nicht locker: »Mir scheint eher, dass das, was hier im Moment abläuft, ein ziemlich sinnloses Ping-Pong-Spiel ist, und wir sollten besser zu den detaillierten Kritikpunkten übergehen.« »In diesem Fall«, sagt Irving, »wäre es gut gewesen, wenn Professor Evans die ersten 100 Seiten seines Gutachtens nicht 290
geschrieben hätte.« »Ich glaube, das habe ich auch schon gesagt«, verkündet Gray, »ich bin in der Tat dieser Ansicht. Aber er hat es nun einmal getan. Sie kennen meine Meinung dazu.« Einmal hat die Verteidigung tatsächlich Glück. Schon früh fragt Irving Evans: »Hat man Ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt irgendein von Penguin Books in diesem Lande erstelltes Rechtsgutachten über [Lipstadts] Buch gezeigt, irgendeine Expertise über die Gefahr möglicher Verleumdungsklagen?« Als Evans wahrheitsgetreu mit »Nein« antwortet, lässt Irving das Thema fallen. Er verlangt kein einziges Mal — und Evans bietet sie niemals an — Informationen über die in den Vereinigten Staaten vorgenommene Prüfung des Buches auf Angriffspunkte für Verleumdungsklagen. Hätte er es getan und hätte Evans das Gutachten des amerikanischen Verlages zu Gesicht bekommen, dann hätte die anschließende Bekanntgabe der Vorbehaltsliste eines achtsamen Anwalts die Verteidigung ernstlich in Verlegenheit bringen können. Irving macht auch einen schwerwiegenden taktischen Fehler. Der Richter hätte die ersten 100 Seiten von Evans aus dem Fenster werfen können. Aber die noch verbleibenden 600 Seiten sind ein Katalog der Verfälschungen, Falschübersetzungen, irreführenden Formulierungen und mangelhaft übertünchten Täuschungen. Um Mr. Justice Gray dazu zu bewegen, das Gleichgewicht des Evans-Gutachtens — das Kernstück der Verteidigung — zu ignorieren, wird Irving alles, was er an Glaubwürdigkeit und Vernünftigkeit aufbieten kann, zeigen müssen. Als Gray jedoch ganz am Ende des zweiten Evans-Tages zu Irvings Position hinsichtlich der Verwendung von Gas bei der Tötung von Juden bemerkt, sie habe sich im Laufe des Verfahrens »entwikkelt«, äußert Irving Bedenken: »So wie ich mich an die Sache erinnere, haben wir, um die Verhandlung zu beschleunigen, vie291
le der Argumente geglättet und uns auf bestimmte Einrichtungen und Zentren konzentriert und es dabei belassen.« Das erste Problem mit dieser Formulierung ist, dass sie nicht der Wahrheit entspricht. Irving hat in der Tat während des Kreuzverhörs Boden preisgegeben. Das zweite Problem ist, dass Irvings Versuch, von seinen Zugeständnissen abzurücken, in dem Moment gerissen und spitzfindig wirkt, in dem er eigentlich offenherzig und seriös hätte erscheinen müssen. Ob seine eigene Eitelkeit das Motiv ist oder die Notwendigkeit, seine revisionistischen Geldgeber bei der Stange zu halten — die vielleicht heftiger an ihrem Credo festhalten als er —, sein Versuch, das Gesicht zu wahren, wird sich jedenfalls als kostpielig erweisen. Am Dienstag kehrt Evans in den Zeugenstand zurück, und obwohl das Tempo des Irvingschen Kreuzverhörs sich, soweit das überhaupt noch möglich ist, verlangsamt hat, knistert es zwischen den beiden Männern jetzt förmlich vor Abscheu. Vor einer Ewigkeit — am vergangenen Dienstag — hatte Irving gefragt: »Sie mögen mich nicht, oder?« Und er hatte die lakonische Antwort erhalten: »Ich hege, was Sie betrifft, überhaupt keine persönlichen Gefühle.« Für einen flüchtigen Beobachter haben die beiden Kontrahenten sehr vieles gemeinsam. Evans wuchs in Theydon Bois auf, drei Haltestellen näher an London als Ongar, wo Irving seine Kindheit verbrachte. Auch Evans war Stipendiat gewesen, zuerst auf dem örtlichen Gymnasium, dann auf dem Jesus College in Oxford. Beide Männer hatten, zumindest teilweise, deshalb Erfolg, weil sie einfach härter arbeiteten als die meisten Kollegen; Evans war der gleiche »Dokumenten-Erschnüffler« wie sein Gegenspieler. Und natürlich fühlten sich beide zu einer Zeit von Deutschland angezogen, als das Land sowohl an den britischen Hochschulen als auch in Großbritannien allgemein 292
zutiefst unmodern gewesen war. Schaut man jedoch genauer hin, so sieht man zwei Leben, deren Flugbahnen in entgegengesetzte Richtungen weisen. Evans’ Vater, ein Büroangestellter, und seine Mutter, eine Lehrerin, sprachen beide Walisisch. Und obwohl seine Eltern jeden Sonntag einen Methodisten-Gottesdienst im East End besuchten, erzogen sie ihren Sohn dazu, Englisch als Muttersprache zu sprechen. Evans ist kein auffallend bescheidener Mensch — sein Briefkopf weist ihn als Fellow der British Academy aus, und er genießt es zweifellos, zum intellektuellen Establishment des Landes zu gehören. Doch trotz all seiner Lorbeeren gibt er ein Unbehagen darin zu erkennen, wie er sich die Anspannung und reizbare Widerborstigkeit bewahrt hat, die typisch für den britischen Außenseiter sind. Irvings nostalgische Sehnsucht nach Großbritanniens vergangener Herrlichkeit findet in Evans keinen Widerhall. Was Irving angeht, so verbindet sich in seiner Geringschätzung von Evans die traditionelle Verachtung des Deklassierten für den Aufsteiger mit Irvings Selbstdefinition als »Historiker in Hemdsärmeln«, der die Akademiker auf ihrem eigenen Feld schlagen könne. Hinzu kommt selbstverständlich die grenzenlose Herablassung des Engländers gegenüber den Einwohnern am keltischen Rand des Landes. In seinem Tagebuch tituliert Irving Evans als »diesen grässlichen kleinen Waliser«.9 In der Verhandlung beschränkt er sich auf die Bemerkung, die Waliser seien »berühmt für ihre Redseligkeit — und ich hoffe, dass dies von Mr. Rampton nicht als weiteres Beispiel für meine rassistischen Vorlieben verstanden wird, wenn ich das sage — aber Ihre Antworten neigen manchmal dazu, übers Ziel hinauszuschießen«. Einmal, als Evans um Einsicht in ein Dokument bittet, dessen Übersetzung strittig ist, geht Irving nach vorne zum Zeugenstand, dreht sich von Evans weg, sodass er ihm weder gegenübersteht noch ihn ansieht, hebt einen Schnell293
hefter neben Evans’ Stuhl hoch, setzt ihn vor Evans ab und sagt: »Das deutsche Original befindet sich hier.« Von ihrer unterschiedlichen Persönlichkeit einmal abgesehen, haben die beiden Männer allen Grund, sich voreinander in Acht zu nehmen. In seinem Gutachten entwirft Evans die Marschroute für die Verteidigung. Obwohl er weder Spezialist für den Holocaust noch für den Zweiten Weltkrieg ist, widmet Evans fast 100 Seiten einer Erwägung über die Bedeutung von »Holocaust-Leugnung« und ob Irvings Schriften und seine Reden und Vorträge dieser Definition entsprächen. Doch die Substanz seines Gutachtens und die Säulen der Verteidigung gegen Irving bestehen aus zwei Fallstudien. Die erste prüft die insgesamt neun Bindeglieder in Irvings »Kette von Dokumenten«. Die zweite, die mehr als 200 Seiten in dem Gutachten beansprucht, untersucht den Gebrauch, den Irving in drei unterschiedlichen Phasen seiner beruflichen Laufbahn vom Beweismaterial macht. Gegenstand der Prüfung sind Irvings erstes Buch über den Brandbombenangriff auf Dresden, Irvings Umgang mit den Aussagen der Hitler-Adjutanten in seinem Buch Hitler’s War und die Erklärung, die Irving für den Antisemitismus der Nazis gibt, wobei Evans größtenteils auf Material aus Irvings Goebbels-Biographie zurückgreift. In jedem einzelnen Fall entdeckt Evans das historische Äquivalent zu dem, was man Betrug nennt. Mit Der Untergang Dresdens begann Irvings Karriere. 1963 zuerst erschienen, ist es noch immer das wahrscheinlich meistgelesene seiner Bücher und sicherlich das meistbewunderte. Doch Evans enthüllt, dass Irving (1) einen Tieffliegerangriff auf deutsche Zivilisten und Flüchtlinge durch britische und amerikanische Piloten erfand, wobei er zur Stützung seiner Darstellung Daten umstellte und Zeugenaussagen falsch zuordnete, (2) wissentlich den Bericht über einen Bomberanflug auf Prag verwendete und vorgab, die Ereignisse hätten sich über Dresden zuge294
tragen, (3) seine eigene anfängliche Schätzung von 135 000 Toten aus dem Zeugnis einer einzigen Quelle herleitete, die keinerlei dokumentarischen Beleg zur Untermauerung seiner Zahl lieferte, (4) die Zählung auf der Grundlage einer maschinegeschriebenen Kopie eines Schriftstücks, das sich später als Fälschung herausstellte, auf 202 040 erhöhte, (5) sich selbst dann weigerte, die Zahl zu korrigieren, als der Mann, der das Schriftstsück besorgt hatte, sich in einem Brief an Irving beschwerte, dass man ihn fälschlicherweise zum stellvertretenden leitenden Dresdener Amtsarzt gemacht habe, wo er doch bloß Urologe am örtlichen Krankenhaus gewesen sei und »nur aus dritter Hand von den Zahlen gehört« habe, (6) Binnenbelege unterschlug, die daraufhindeuteten, dass das Schriftstück eine Fälschung war, und (7) des Weiteren das Zeugnis eines Mannes — einen Brief an Irving — unterschlug, dessen Aufgabe es gewesen war, die Toten zusammenzuzählen, und der dabei eine Zahl von knapp über 30 000 erhalten hatte, (8) nur widerwillig die Entdeckung eines offiziellen »Abschlussberichts« zugestand, der die Zahl der Todesopfer auf 25 000 schätzte, sie später jedoch unberücksichtigt ließ, und schließlich (9) die Entdeckung des echten Schriftstücks ignorierte, dessen gefälschte Kopie oben (4) erwähnt worden ist. Die authentische Gesamtzahl hatte 20 204 betragen — die Fälscher fügten einfach eine weitere Null hinzu! Um Der Untergang Dresdens zu sezieren, braucht Evans mehr als 60 Seiten. Seine Analyse der Irvingschen Methode, »Aussagen von Angehörigen der Umgebung Hitlers unkritisch zu akzeptieren, wenn sie seinen Argumenten dienlich sind, sie jedoch zu ignorieren, zu unterschlagen, zu manipulieren oder den Versuch zu machen, sie zu diskreditieren, wenn sie ungeeignet sind«, beansprucht noch einmal mehr als 100 Seiten. In der Verhandlung wird keiner der beiden Punkte mehr als nur flüchtig erwähnt. 295
Was indes — beinahe endlos — diskutiert wird, ist eine beiläufige Bemerkung Evans’, der sich abfällig über die deutsche Volksabstimmung von 1938* geäußert hatte, bei der Hitler 99,8 Prozent der Stimmen erhielt. Irving versucht auf bizarre Weise die Fairness der Wahl zu verteidigen und fragt Evans, ob er »Beweise« hätte, dass Wähler eingeschüchtert worden seien. Das ist zu viel für Richter Gray: »Mr. Irving, leihen Sie mir einen Moment Ihr Ohr, denn ich denke, wir haben uns jetzt lange genug bei den 99,8 Prozent aufgehalten. Ich glaube, es besteht die Gefahr, nehmen Sie diesen Hinweis an, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.« »Mylord«, erwidert Irving, »meine Methode bestand darin, diesen Abschnitt zu durchstreifen, wobei ich auf diese unverdaulichen Brocken stieß. Er greift sich etwas heraus, von dem ich weiß, dass ich Recht habe, und Euer Lordschaft wahrscheinlich nicht erkennen, dass ich Recht habe.« »Wenn es das ist, was Sie mit den nächsten 550 Seiten dieses Gutachtens machen wollen«, warnt Gray, »dann fände ich das nicht hilfreich.« Zu Beginn seiner Aussage hatte Evans mit in den Taschen vergrabenen Händen im Zeugenstand gestanden. Am vierten Tag scheint er in seinem Sitz zusammengesackt zu sein. Richter Gray hat verzweifelt, aber ohne nennenswerten Erfolg versucht, Irving dazu zu bewegen, sich mit dem Kern der von Evans gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu befassen. Immerhin ist es ihm gelungen, Irving Ansichten über seine Bundesgenossen am Institute for Historical Review (IHR) zu entlocken. »Ihr Standpunkt ist also der, in diesem Punkt hätte ich gern Klarheit, dass Sie das IHR als eine aus übergeschnappten Anti* Volksabstimmung vom 10. April 1938 zum »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich.
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semiten bestehende Organisation betrachten?« »Ich denke, korrekterweise müsste man hier sagen«, erwidert Irving, »dass es aus einigen Elementen besteht, die übergeschnappte Antisemiten sind. Ich möchte hier keine ganze Organisation brandmarken. Einige Funktionäre dieser Organisation, die würde ich durchaus für übergeschnappte Antisemiten halten.« In seinem Gutachten braucht Evans über 80 Seiten, um die diversen Verdrehungen und Verzerrungen in Irvings Darstellung des »Reichskristallnacht«-Pogroms vom 9./10. November 1938 zu verfolgen. Matt versucht Gray einmal mehr, Irving dazu zu bewegen, auf diese Kritik zu antworten: »Ich habe nicht den Eindruck, als bissen Sie in den sauren Apfel und würden sich bei diesem Kreuzverhör der gegen Sie vorgebrachten Kritik stellen. Sie finden Petitessen, mit denen Sie hoffen Professor Evans aufs Glatteis führen zu können und haben damit mitunter auch Erfolg, aber mit den Kritikpunkten an Ihrer Darstellung der ›Kristallnacht‹ schlagen Sie sich nicht herum... Es macht, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, keinen Sinn, wie die Katze um den heißen Brei herumzuschleichen, denn das bringt uns nicht weiter, oder?« Als er dann endlich anfängt, sich mit der »Kristallnacht« zu befassen, findet Irving sich sofort in der Falle wieder, die Rampton vor fast einer Woche aufgestellt hat, als er Irving gebeten hatte, das Telegramm von Rudolf Heß zu übersetzen. In Goebbels. Macht und Magie hatte Irving geschrieben: »Um 2.56 Uhr morgens begann auch der Stab von Rudolf Heß, dem ParteiStellvertreter des Führers, die Gauleiter und Polizeibehörden im ganzen Land über Telefon, Telegrafen und Funk zu benachrichtigen, um dem Wahnsinn ein Ende zu machen.« Heß war Stellvertreter Hitlers als Parteiführer im Ministerrang, und das Dokument, das Irving in seinem Buch zur Untermauerung dieser Passage zitiert, ist ein Telegramm, das erkennen lässt, dass der 297
Befehl von »allerhöchster Stelle« kam, das heißt von Hitler. Die entsprechende Passage wird vorgelesen: »Brandlegungen an jüdischen Geschäften oder dergleichen...«. Evans übersetzt das als: »acts of arson on Jewish shops and the like...«. Irving behauptet, der Ausdruck »oder dergleichen« — »and the like« — bestimme die »acts of arson«, also die »Brandlegungen« näher und rechtfertige folglich seine Interpretation des Befehls, der ein allgemeines Ende der Gewalt verlange. Woraufhin Evans Irving daran erinnert, dass er seinerzeit beim Übersetzen genau dieses Dokuments, um dem offenbar verwirrten Rampton zu helfen, die Bedeutung mit »acts of arson against Jewish shops or the like« wiedergegeben habe. Da die jüdischen Geschäfte »and the like« sich oft in Gebäuden befunden hätten, die Deutschen gehörten, deute der Befehl, weit davon entfernt — um mit Irving zu sprechen —, ein Zeichen für die Empörung Hitlers über den Pogrom zu sein, bestenfalls einen Wunsch an, die Begleitschäden zu begrenzen. Doch der vollkommen unbeeindruckte Irving fragt Evans bloß, ob seine Interpretation »auf Ihrer überlegenen Kenntnis der deutschen Sprache« beruhe. »Ich behaupte nicht, dass meine Kenntnis Ihrer überlegen ist«, erwidert Evans. »Sie sprechen ebenfalls sehr gut Deutsch. Genau deshalb behaupte ich, dies hier ist eine schamlose Manipulation des Textes. Sie ist nicht auf bloße Unwissenheit zurückzuführen.« »Ein historisches Faktum«, schreibt Evans in seinem Buch In Defense of History, »ist etwas, das sich in der Geschichte ereignet hat und als solches durch die Spuren, welche die Geschichte hinterlassen hat, verifiziert werden kann.« Für eine provisorische Definition ist das nicht übel, aber als Verhaltensrichtschnur bleibt sie alle möglichen Antworten schuldig. Wer entscheidet erstens, ob etwas »geschehen ist«? Welches sind die Verfahren 298
zur Verifizierung dieser Fakten, und wer legt sie fest? Wie suchen wir unsere Fakten aus? Was tun wir, wenn die »Spuren« mehr als eine einzige Erklärung zulassen? Kann es Ereignisse geben, die sich außerhalb der Geschichte zutragen? Der Philosoph Hayden White glaubte, dass dies möglich sei. White unterschied zwischen »Ereignissen« — etwas, das in der Vergangenheit geschehen sei — und »Fakten« — etwas, das von Historikern hergestellt oder in einem Dokument oder einer Akte gefunden werde. Als selbst ernannter Verteidiger der »Objektivität in der Geschichte« hegt Evans nur begrenzte Sympathie für White und führt missbilligend dessen Behauptung an, dass man, »wenn es um das historische Dokument geht, in dem Dokument selber keine Gründe findet, warum man die eine Auslegung seiner Bedeutung der anderen vorziehen sollte... Wir können ebenso glaubwürdige alternative und sogar widersprüchliche Geschichten erzählen... ohne Regeln für das Beweismaterial oder quellenkritische Maßstäbe zu verletzen.«10 Evans scheint dies als eine Zusammenlegung von Geschichte und Fiktion zu deuten, und um fair zu sein: Viele der Anhänger Whites haben genau dies herausgelesen. Aber wenn wir die Behauptung dahingehend modifizieren, dass es »häufig keine Gründe« gebe, und wir Whites Beharren darauf Beachtung schenken, dass Historiker trotzdem die Regeln für das Beweismaterial beachten müssten — von »quellenkritischen Standards« zu schweigen —, dann kommen wir dem ziemlich nahe, was es heißt, sich auf erkenntnistheoretisch reflektierte Weise mit Geschichte zu beschäftigen. Merkwürdig ist, dass ausgerechnet Evans’ eigene Bücher Beispiele dafür sind, wie dies in der Praxis aussehen könnte. In der Tat zeugt seine Konzentration auf Themen wie Krankheit, Todesstrafe und die Geschichte des Feminismus nicht nur von einem wachen Gespür für »Fakten«, die für einen »Karten-und299
Kerle«-Historiker nicht einmal sichtbar wären, sondern auch von einem differenzierten Verständnis der kognitiven und institutionellen wie der sozialen Faktoren, die das Hintergrundrauschen des einen Historikers in die Fundamentaldaten eines anderen verwandeln. Aber wie der sprichwörtliche Mann auf dem Fahrrad, der herunterfällt, wenn er über die zugrunde liegenden physikalischen Gesetze nachdenkt, stehen Evans’ theoretische Erklärungen mitunter auf etwas wackeligen Beinen. An einer Stelle von In Defense of History behauptet Evans, Historiker stünden oder fielen letztlich »in dem Maße, in dem ihre historischen Schlussfolgerungen den Regeln der Quellenkritik und den Fakten, auf denen sie beruhen, entsprechen... Mit anderen Worten, sie müssen objektiv sein.« Ein paar Seiten später gibt er sich weit bescheidener: »Durch die Quellen, die wir benutzen, und die Methoden, mit denen wir sie bearbeiten, können wir uns, wenn wir sehr vorsichtig und gründlich sind, einer Rekonstruktion der Vergangenheit nähern, die vielleicht parteiisch und provisorisch und gewiss nicht objektiv ist, die aber trotzdem wahr ist.«11 Vor die Wahl gestellt zwischen Evans, der Plage der Postmoderne, und Evans, dem »sorgfältigen und gründlichen« Verfechter des »Parteiischen und Provisorischen«, ziehe ich Letzteren vor. Leider erlebten wir bei der Verhandlung meist Ersteren, was nicht ausschließlich sein Fehler gewesen sein muss. Irgendetwas am Holocaust als Untersuchungsgegenstand scheint den kritischen Impuls zu zügeln. Tatsächlich erzählt Evans zufrieden, Hayden White sei »von seiner früheren Position abgerückt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, sein Hyperrelativismus ermutige die... ›Holocaust-Leugnung‹«.12 Obwohl der Holocaust so etwas wie eine Grenzmarkierung für theoretische Spekulationen darstellen kann, halte ich seine Verwendung als Kette an den Grenzen der Diskussion für ungeschickt. »Ausch300
witz war kein Diskurs«, schreibt Evans. Ganz recht. Aber das heißt nicht, dass sich Auschwitz außerhalb des Diskurses befindet. Alles, was dazu führt, den Holocaust zu enthistorisieren oder ihn von jener Art von Spekulation und Skepsis zu isolieren, die in allen historischen Darstellungen zum Tragen kommen müsste, dient lediglich dazu, ihn dem Reich des Mythos näher zu bringen. Der vorsichtigere, nachdenklichere, theoretisch heterodoxere Evans könnte ebenso viel Grund haben, über die Art von Täuschung und Betrug empört zu sein, auf die er im Gesamtwerk Irvings auf Schritt und Tritt gestoßen ist. Und obwohl es keine professionelle Verpflichtung gäbe, Irvings Fanatismus oder dessen politischen Ausdruck zu missbilligen, stünde es einem solchen Historiker so frei wie jedem anderen, es aus persönlichen Gründen zu tun, sei es als Folge des politischen Engagements oder aus normaler Menschlichkeit. Ein weiterer Vorteil wäre, dass dieser Historiker mit sehr viel geringerer Wahrscheinlichkeit als der Evans, den wir im Gerichtssaal erlebten, durch ein Dokument irritiert würde, das, aus dem Kontext gerissen, genau das zu bedeuten schien, was es angesichts seines Kontextes nicht bedeuten konnte. Bei dem von Irving so genannten »Schlegelberger-Memorandum« handelt es sich um einen kurzen, maschinegeschriebenen Text auf einem Blatt Papier ohne Briefkopf. Es gibt kein Datum, keine Signatur, keine Sicherheitsklassifizierung und keinen eindeutigen Hinweis auf den Empfänger. Der vollständige Text lautet: »Herr Reichsminister Lammers teilte mir mit, der Führer habe ihm gegenüber wiederholt erklärt, dass er die Lösung der Judenfrage bis nach dem Kriege zurückgestellt wissen wolle. Demgemäß haben die gegenwärtigen Erörterungen nach Meinung von 301
Herrn Reichsminister Lammers lediglich theoretischen Wert. Er werde aber auf alle Fälle dafür besorgt sein, dass nicht durch einen überraschenden Vortrag von anderer Stelle ohne sein Wissen grundsätzliche Entscheidungen gefällt werden.« Entdeckt wurde das Schriftstück zuerst — nicht von Irving, sondern von Eberhard Jäckel, über den Irving darauf aufmerksam wurde —, in einer nach 1945 zusammengestellten Sammlung. Innerhalb dieser Sammlung scheint es außerdem zu einem Dossier aus fünf Dokumenten zu gehören, die die Alliierten zur Vorbereitung auf die Nürnberger Anklagen zusammengetragen hatten. Eine Stabsanalyse durch das Büro des US-Anklägers für Kriegsverbrechen erfasst diese fünf Dokumente und gibt als Herkunft das Archiv des Justizministeriums an. Mit Hilfe dieser Hinweise skizziert Evans in seinem Gutachten drei Möglichkeiten: erstens, das Schriftstück könnte 1940 oder 1941 aufgesetzt worden sein. In diesem Fall könnte die Bemerkung über die Verschiebung der Endlösung genau das bedeuten, was der Wortlaut besagt (aber Hitler änderte seine Meinung). Alternativ dazu könnte man das Schriftstück zweitens zu einem der fünf anderen Dokumente des Dossiers in Beziehung setzen, das vom November 1941 datiert und sich mit dem Recht von Juden, vor Gericht zu erscheinen, beschäftigt. In diesem Fall sei es ebenfalls wortwörtlich zu verstehen (was darauf hindeute, dass Hitler sich ziemlich spät für die Vernichtung entschied). Drittens schließlich könnte die Notiz mit den drei übrigen Dokumenten in dem Dossier der Anklagevertretung verknüpft werden, die sich sämtlich mit der Frage befassen, wie »Mischlinge« — bzw. »Halbjuden« — oder Juden in Mischehen zu behandeln seien. Dieses Thema war im Frühjahr 1942 Gegenstand einer Anzahl von Besprechungen, die allesamt unter der Rubrik »Endlösung der Judenfrage« abgehalten wurden. 302
In seinem Gutachten entscheidet Evans sich für diese letzte Interpretation, was, wie er behauptet, auch die Ansicht von Jäkkel und Irving selbst sei. Im Zeugenstand jedoch stolpert er nicht so sehr über die Interpretation selber als über die Tatsache, dass die beiden anderen, alternativen Erklärungen nicht ausgeschlossen werden können. Verstärkt wird sein Unbehagen offensichtlich durch den Umstand, dass Evans, da er die Notiz auf 1942 datiert hat, folglich Einwände gegen Irvings Behauptung erheben muss, dass, wenn es dort heiße, Hitler habe die »Lösung der Judenfrage« auf die Zeit nach Kriegsende aufschieben wollen, dies genau das sei, was es bedeute. Stattdessen, sagt Evans, bezögen die Worte »Lösung der Judenfrage« sich eigentlich auf die Mischlingsfrage. Evans weist darauf hin, dass der Massenmord im Frühjahr 1942 bereits in vollem Gange war. Außerdem betont er, dass das »Schlegelberger-Memorandum« nach den Kriterien, die Irving verwende, um manche der Auschwitz-Dokumente scharf zu kritisieren — dass ein Schriftstück nicht in seiner ursprünglichen Akte gefunden werde, dass es keinen eindeutigen Hinweis auf Datum und Grund der Verschickung gebe und dass es keine Sicherheitsklassifizierung habe —, ein höchst verdächtiges Dokument sein müsste. Doch da es seinen Absichten diene, akzeptiere Irving es ohne Vorbehalt. Und trotzdem macht Evans nicht den Vorschlag, es zu verwerfen. Mit exakt der Art von zweideutiger Situation konfrontiert, die Hayden White angedeutet hat, und gezwungen, eine zumindest teilweise auf externen Faktoren beruhende Interpretation vorzunehmen, ist alles, was Evans sagen kann: »Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass er [Hitler] mit diesen Worten die Mischlinge meinte.« Als Grundlage dafür, die Irvingsche Interpretation zu verwerfen, fällt »nicht völlig von der Hand zu weisen« nicht allzu überzeugend aus. Wie Irving zu begreifen scheint, wirkt sich gerade unser 303
Wunsch nach Gewissheit, nach Ausführlichkeit — nach historischer Sauberkeit — zu seinem Vorteil aus. »Ist es nicht ein schreckliches Problem«, fragt er Evans später an diesem Tag, »dass wir vor diesem verführerischen Teller voller Krümel und Brocken sitzen, die uns den endgültigen Beweis in Form der rauchenden Tatwaffe hätten liefern sollen, und nirgendwo bei all unseren Nachforschungen in den Archiven auch nur die kleinste Meldung finden, die wir nicht interpretieren oder bei der wir nicht zwischen den Zeilen lesen müssen, auf der anderen Seite aber in derselben Kette von Beweisen Dokumente haben, die... vollkommen eindeutig und ausdrücklich belegen, dass Hitler in jenem anderen Sinne intervenierte?« Diesmal fällt Evans’ Erwiderung energischer aus: »Nein, das lasse ich ganz und gar nicht gelten. Aber Sie wollen Euphemismen wortwörtlich interpretieren, und darin liegt das ganze Problem. Jedes Mal, Mr. Irving, wenn ein Euphemismus auftaucht... oder ein getarnter Erklärungs- oder Redefetzen über Madagaskar, möchten Sie ihn behandeln, als sei es die buchstäbliche Wahrheit, weil es zu Ihrer Absicht passt, zu versuchen, Hitler freizusprechen. Dies gehört zu Ihrer Methode... der Manipulation und Verzerrung der Dokumente.« Trotzdem war dies heute Irvings bester Tag seit der Vereidigung von Evans — und das weiß er. Dem Vorschlag des Richters, die Verhandlung zu vertagen, stimmt er mit den Worten zu: »Ich denke, wir haben den Stacheldraht durchbrochen. Wir sind mitten durch das Minenfeld marschiert und befinden uns jetzt in der offenen Wüste und feuern aus allen Rohren.« Nach einer Erholungspause über das Wochenende kehren beide Seiten mit frischen Kräften in den Gerichtssaal zurück. Irving hat einen neuen Haarschnitt. Evans hat zu seiner früheren Form zurückgefunden. 304
»Können Sie gelten lassen«, fragt Irving, »dass Dr. Goebbels Adolf Hitler im Jahr 1942 alles in allem ungefähr zehnmal traf?« »Es fällt mir in der Tat schwer«, erwidert Evans, »irgendetwas von dem, was Sie sagen, gelten zu lassen, ohne einen Blick auf den entsprechenden Quellenbeleg zu werfen.« Vielleicht weil es sein letzter Tag ist, blitzt bei ihm sogar so etwas wie trockener Witz auf. Als Irving unter Bezug auf eine Äußerung Hitlers, in der dieser im Mai 1942 den Madagaskarplan ins Feld führt, nahe legt, dass »Hitler entweder über die Vorgänge total im Dunkeln tappte oder der größte Heuchler aller Zeiten ist«, entgegnet Evans: »Ich würde die zweite Alternative vorziehen, Mr. Irving.« Zudem gibt es Anzeichen, dass Richter Gray seinen anfänglichen Ärger über Evans überwunden hat. Als Evans sich wieder einmal weigert, auf eine Frage zu antworten, ohne das entsprechende Dokument vor sich zu haben, rügt Irving ihn: »Ich werde nicht weiter den ganzen Tag lang auf dieses Spiel hereinfallen, Professor Evans, denn wir müssen heute eine Menge abarbeiten.« Diesmal jedoch findet auch der Richter, Evans’ Abneigung, Irvings Wort für den Inhalt zu nehmen, sei »vollkommen berechtigt«. »Es ist nun einmal leider so«, sagt er zu Irving gewandt. »Es verlangsamt die Dinge, aber ich finde, wenn Sie dem Zeugen eine Aussage unterbreiten und dieser zeigt keine Neigung, ihr zuzustimmen, bevor er nicht das Dokument gesehen hat, auf das Sie sich stützen, dann hat er das Recht, Sie zu bitten, einen Blick darauf werfen zu dürfen.« Als Irving Evans im Verlauf des Tages erneut auffordert, sich dazu zu äußern, ob Hitlers Bemerkung, in der er vorschlug, die Juden »nach Sibirien« zu verfrachten, bloß ein Euphemismus für Mord gewesen sei, schneidet der Richter ihm das Wort ab: »Ich weiß, was Sie dazu sagen, ich weiß, was Professor Evans 305
dazu sagt, und am Ende muss ich entscheiden, was ein vernünftiger, objektiver Historiker davon halten würde.« Als ich das Gutachten von Evans zum ersten Mal las, schickte ich Irving eine E-Mail, in der ich schrieb, ich hielte es, offen gesagt, für eine überzeugende »Vernichtung« seiner fachlichen Kompetenz, würde aber vermuten, dass er das anders sähe. Ein paar Wochen später antwortete er mir: »Ich habe jetzt angefangen, das Evans-Gutachten zu lesen. Ich bin ganz wild auf das Kreuzverhör. Wenn er sich in den Zeugenstand wagt, werde ich ihn in Stücke reißen.« Dazu kam es nicht. Stattdessen versuchte Irving, Evans zu zermürben, wobei er die kantige Persönlichkeit und pedantische Art seines Gegenübers als Werkzeug benutzte. Doch auch damit scheint er gescheitert zu sein, und als Irving sein Kreuzverhör zur vereinbarten Zeit beschließt, muss Rampton nur wenige Schäden wieder gutmachen. Was er vorlegt, ist das Gutachten eines Nazi-Gerichts, in welchem das Heß-Telegramm, das Irving in die Falle lockte, dahingehend zusammengefasst wird, es verbiete einfach »Brandlegungen an jüdischen Geschäften«. Mit dieser leichten Drehung des Messers ist Evans entlassen.
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9 Deutsche Nachdem so viele Wochen lang über die Bedeutung deutscher Wörter — und deutscher Taten — gestritten worden ist, wird das Gericht jetzt endlich einen leibhaftigen Deutschen anhören. Vielleicht als Vorsichtsmaßnahme, vielleicht als eine Art Amulett legt David Irving an dem Morgen, an dem Peter Longerich als Zeuge für die Verteidigung aussagt, auf denselben Platz rechts auf seinen Tisch, den bis vor kurzem seine Rechenmaschine eingenommen hat, einen ledergebundenen Band. Der in goldenen, gotischen Lettern geprägte Titel ist nicht zu verwechseln: Mein Kampf. Von gedrungener Statur, mit hängenden Schultern und einer dichten schwarzen Mähne, die ihm über seine dichten Augenbrauen fällt, sieht Longerich eher aus wie ein Holzfäller aus dem Schwarzwald, weniger wie einer der fähigsten deutschen Holocaust-Historiker der nach dem Krieg geborenen Generation. Seine Bücher — zu denen eine Geschichte der SA, eine Geschichte der Parteikanzlei Hitlers und eine Analyse der Propagandamaschinerie der Nazis ebenso gehören wie eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung — sind zurzeit nur auf Deutsch erhältlich. Als Longerich sich zum Zeugenstand begibt, wird er von einer steif gekleideten Frau begleitet, die gemeinsam mit ihm vereidigt wird. Es ist die Übersetzerin. Longerich arbeitet seit sechs Jahren am Londoner Royal Holloway College, und obwohl seine Syntax gelegentlich bis zur Unverständlichkeit deutsch ist, wird die Übersetzerin kaum benötigt. Irving spricht als erstes Thema im Kreuzverhör Longerichs 307
»Glossary of some terms used by the NS regime in connection with the murder of European Jews« (Glossar einiger vom NSRegime im Zusammenhang mit der Ermordung der europäischen Juden benutzter Begriffe) an. Als kurzes Wörterbuch von Nazi-Euphemismen enthält das für die Verteidigung zusammengestellte und nach Prozessbeginn als Beweismittel eingereichte Dokument Einträge wie den folgenden: Umsiedeln, aussiedeln (Substantiv: Umsiedlung, Aussiedlung), englisch: »resettle«. Dieser Ausdruck wurde erstmals Sommer 1941 in den besetzten sowjetischen Gebieten verwendet, um auf die systematische Ermordung der Juden zu verweisen... Am 5.2.43 erließ der Kommandant der Sicherheitspolizei in Weißruthenien [= Weißrussland] einen Befehl, der die Umsiedlung der in der Stadt Sluzk lebenden Juden anordnete. In dem Befehl hieß es weiter: »Auf dem Umsiedlungsgelände befinden sich zwei Gruben. An jeder Grube arbeitet je eine Gruppe von zehn Führern und Männern, die sich alle zwei Stunden ablösen.« Longerich stellt rasch unter Beweis, dass er nicht nur im Englischen völlig zu Hause ist, sondern sich auch bei jener Art von hermeneutischen Erwägungen vollkommen wohl fühlt, die Evans so lästig waren. »Was ein Historiker tun muss«, sagt er zu Irving, »[ist]... sich jedes Dokument ansehen und... auf den Kontext achten und dann aus dem Kontext heraus versuchen, zu rekonstruieren, was der entsprechende Abschnitt tatsächlich bedeuten könnte.« »Aber besteht da nicht die Gefahr«, fragt Irving, »dass man auf sein Vorwissen zurückgreift und A-priori-Methoden benutzt, dass man aus dem eigenen Wissen in die Vergangenheit extrapoliert und der Äußerung eine Bedeutung zuschreibt, statt die Äußerung für sich selbst sprechen zu lassen?« 308
»Das ist das Problem bei allen Interpretationen«, erwidert Longerich. »Sie müssen zurückgreifen. Natürlich können Sie die Äußerung nicht vollkommen, nun, im luftleeren Raum, analysieren. Sie müssen auf die Bedeutung der Äußerung schauen, aber immer in einem historischen Kontext. Ich bin kein Linguist, also ziehe ich es vor, wie ich schon sagte, wirklich auf den Kontext zu schauen.« Und Longerich zufolge gab es, obwohl die Nazis ihre mörderische Absicht fast immer mit diversen Euphemismen verhüllten, bedeutsame Ausnahmen. Am 4. Oktober 1943 sprach Heinrich Himmler auf der SS-Gruppenführertagung in Posen (Poznan): »Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres Kapitel erwähnen. Unter uns soll es einmal ganz offen ausgesprochen sein, und trotzdem werden wir in der Öffentlichkeit nie darüber reden. Genauso wenig, wie wir am 30. Juni 1934* gezögert haben, die befohlene Pflicht zu tun und Kameraden, die sich verfehlt hatten, an die Wand zu stellen und zu erschießen, genauso wenig haben wir darüber jemals gesprochen und werden je darüber sprechen. Es war eine Gott sei Dank in uns wohnende Selbstverständlichkeit des Taktes, dass wir uns untereinander nie darüber unterhalten haben, nie darüber sprachen. Es hat jeden geschaudert und doch war sich jeder klar darüber, dass er es das nächste Mal wieder tun würde, wenn es befohlen wird und wenn es notwendig ist. Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht * Die »Nacht der langen Messer«, als Hitler die Ermordung der SA-Führung befahl, um seinen eigenen Führungsanspruch in der NS-Bewegung zu untermauern.
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ausspricht. ›Das jüdische Volk wird ausgerottet‹, sagt ein jeder Parteigenosse, ›ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.‹ Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei — abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen — anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte...«1 »Natürlich«, sagt Longerich, während er von seiner Lektüre aufblickt, »ist der letzte Satz eine Art Herausforderung für Historiker, denke ich.« Ganz am Anfang des Prozesses legte Irving die britische Entschlüsselung einer kodierten Meldung der Deutschen Reichsbahn vor, die einen Transport von 944 Juden betrifft, der Berlin im November 1941 in Richtung Kowno/Litauen verließ. Die Meldung vermerkte, dass der Zug außerdem 3000 Kilogramm Brot, 2700 Kilogramm Mehl, 200 Kilogramm Erbsen, 300 Kilogramm Cornflakes, 18 Flaschen Suppenwürze, 47 000 Reichsmark an Sparguthaben und verschiedene »Geräte« befördert habe. Als Rampton ihn im Kreuzverhör fragte, was das alles bedeuten könnte, war Irvings Antwort kurz und bündig: »Es zeigt, dass diese Züge tatsächlich gut verproviantiert waren.« Irving unterbreitete das Dokument als ausdrückliche Herausforderung sowohl für »das Bild, das wir aus der Literatur von Kohlen- und Vieh-Waggons haben«, und auch für die Experten der Verteidi310
gung, die es, wie er sagt, nicht zur Kenntnis nähmen, »weil es sich natürlich nicht in die Vorstellung fügt, die sie erzeugen möchten«. Ein Anwalt hätte es dabei belassen. Irving jedoch zieht die Entschlüsselung nun wieder hervor, um das zu veranschaulichen, was er für eine unschuldige Verwendung des Wortes »Evakuierung« hält. Mit nichts als seiner eigenen geistigen Beweglichkeit im Gepäck hatte Rampton sich nach besten Kräften bemüht, Zweifel an Irvings Interpretation zu wecken. Longerich hingegen weiß alles über diese spezielle Evakuierung und macht darauf aufmerksam, dass die Werkzeuge und die Verpflegung wohl von der Berliner jüdischen Gemeinde stammten und kaum als Beleg für die Gutmütigkeit der Nazis verstanden werden dürften. »Glauben Sie«, fragt er Irving, »das ist Geld von der Gestapo... um davon Nahrungsmittel für die Juden zu kaufen?« Warum ist Longerich sich seiner so sicher? Weil er, obwohl Irvings Dokument sich über ihr Schicksal ausschweigt, weiß, dass die Juden in diesem Zug unmittelbar nach ihrer Ankunft »alle in Kowno getötet wurden«. Die von der Gemeinde für ihre »Umsiedlung« gelieferte Verpflegung, erzählt er nun dem Gericht, sei wohl von der SS beschlagnahmt worden. Irving ist das offensichtlich neu, und er murmelt ein »Danke, dass Sie es uns verraten haben. Es ist sehr interessant, das zu wissen«, bevor er das Thema wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Vielleicht weil — im Gegensatz zu Irving und Evans — der Holocaust Longerichs ausgewiesenes Spezialgebiet ist, scheint er mit Ungewissheiten weit besser leben zu können. Irving fragt ihn nach einer Unterhaltung aus dem Jahr 1942 in Hitlers »Tischgesprächen«, bei der Hitler im Beisein von Goebbels immer noch davon redet, die Juden nach Sibirien oder Zentralafrika zu schicken. Wie Longerich betont, waren die Tötungen in Semlin, Chelmno und Belzec da bereits seit geraumer Zeit im Gange. 311
»Ich muss sagen, ich habe Schwierigkeiten, eine einfache Antwort auf dieses Dokument zu finden. Ich meine, sie stecken mitten in der Massenvernichtung, und Goebbels weiß das ganz genau, und sie reden immer noch über die Idee, dass sie die Juden aus Europa vertreiben könnten. Es fällt mir wirklich schwer, eine Erklärung dafür zu finden.« Longerichs Bescheidenheit, seine prompte Bereitschaft, einzuräumen, dass auch für ihn das Beweismaterial nicht immer Sinn ergebe, scheint Irving auf seltsame Weise zu ermutigen, seine Deckung zu verlassen. Wir werden Zeuge, dass der Biograph Irving zu seinem Studienobjekt Adolf Hitler nicht nur ein sehr vertrautes Verhältnis hat — an einer Stelle fragt Irving Longerich, ob ein bestimmtes Dokument nicht »ein sehr fragwürdiges Zeugnis sei, soweit es Adolfs Verantwortlichkeit betreffe« —, sondern einen Grad an Identifizierung aufweist, der weit stärker ist, als ihm selbst bewusst zu sein scheint. Irving möchte die auf seinem Schreibtisch liegende Ausgabe von Mein Kampf zur Stützung seiner Behauptung benutzen, dass Hitler, obschon er Antisemit gewesen sei, bei der Niederschrift nicht die Absicht eines Genozids an den Juden gehegt habe. Dieser besondere coup de théâtre wird vereitelt, als Longerich es ablehnt, zu widersprechen, und einmal mehr meint, der Beleg sei nicht zwingend. Irving fragt sich stattdessen, »ob er [Hitler] ein zynischer Antisemit war und ihn [den Antisemitismus] genauso benutzte wie ein Enoch Powell die Einwanderung — als Mittel zur Begründung einer politischen Position —, oder ob er aus innerstem Herzen Antisemit war«. »Für welche Möglichkeit entscheiden Sie sich?« fragt Richter Gray. »Ich bevorzuge die zynische Variante, Mylord.« »Also war er nicht wirklich Antisemit, das Ganze war bloß ein politischer Schachzug?« 312
»Er war es, wenn es seinen Zwecken diente. Er war ein Stammtisch-Antisemit. Er benutzte den Antisemitismus, um Unterstützung zu mobilisieren, aber privat — und darauf kommt es an — dachte er ein wenig anders.« Irvings Behauptung, zynische Antisemiten seien weniger abstoßend oder weniger gefährlich als offene Fanatiker, ist anfechtbar. Während ein zynischer Antisemit sein Vorurteil aufgeben könnte, sobald es seinen Zweck erfüllt hat, könnte er, nachdem der Hass des Herzens-Antisemiten längst ausgebrannt ist, ebenso gut daran festhalten, solange es noch irgend von Vorteil ist. Aber was diesen Wortwechsel wirklich bemerkenswert macht, ist der Umstand, dass Irving sich durch die Art seiner Fragestellung selber bloßgestellt hat: als einen Mann, der zweifellos fasziniert ist von den politischen Perspektiven, die der Rückgriff auf Vorurteile eröffnet. Obwohl Longerichs Aussage den Höhepunkt der historischen Phase des Prozesses markiert — Evans war der Höhepunkt des historiographischen Abschnitts —, ist sein Auftreten, weil er Ausländer und keine Berühmtheit ist, von der Presse weitgehend unbeachtet geblieben. Eines Morgens sitzt, fast unbemerkt, hinter Anthony Julius der jüdische Unterhausabgeordnete und Initiator der Kampagne zur Aufhebung der gesetzlichen Verjährungsfristen für Kriegsverbrechen, Greville Janner, der verlangt, die Holocaust-Leugnung in Großbritannien unter Strafe zu stellen. Am folgenden Tag belegen französische Pfadfinder die Hälfte der Presseplätze — Jungen und Mädchen in blauen Uniformen mit Halstüchern und Abzeichen, auf denen steht: Union des Etudiants Juifs de France. Sie befinden sich auf dem Marche des Vivants — einer von verschiedenen zionistischen Organisationen veranstalteten Pilgerfahrt, bei der junge Leute nach einem Besuch von Auschwitz nach Israel reisen. Ironischerweise gehören viele dieser jungen Pfadfinder zum 313
Betar, dem Jugendflügel der 1925 gegründeten Weltunion der Zionisten-Revisionisten, dessen Gründer und Präsident (bis 1936), Vladimir Jabotinsky, ein erklärter Bewunderer des Faschismus war (wobei er Mussolini gegenüber Hitler den Vorzug gab). Sowohl sektiererische Verachtung als auch pubertäre Unrast ausstrahlend, scheinen nur die Wenigsten von ihnen der Aussage Longerichs folgen zu können, als Irving ihn fragt, ob der berüchtigte »Kommissarbefehl« zur Auslöschung der »jüdisch-bolschewistischen Intelligenz« in erster Linie von Rassismus oder von Ideologie motiviert gewesen sei. »Von beidem«, entgegnet Longerich. »Man kann das nicht trennen. Man kann den Antisemitismus nicht vom Antikommunismus trennen. Das ist ein und dieselbe Sache.« Eine Erwiderung, die nichts über das Verhältnis zwischen Juden und Kommunisten aussagt, die aber dennoch Jabotinsky ebenso betrübt hätte wie Lucy Dawidowicz oder Daniel Jonah Goldhagen — und die wahrscheinlich auch Lipstadts Förderer in der AntiDefamation League nicht allzu froh stimmt. Longerichs Ansichten haben nichts mit jenem einfältigen Dämonismus gemein, den man bei Dawidowicz und Goldhagen findet. Er repräsentiert nachdrücklich die Hauptströmung der Holocaust-Forschung. Wie Brownings scheint auch seine Anwesenheit im Gerichtssaal darauf angelegt zu sein, Richter Gray zu versichern, dass die Argumente gegen Irving nichts Eindimensionales an sich haben. Wie sehr der Richter darauf achtet, steht auf einem anderen Blatt. Trotz zahlreicher Wortwechsel unterbricht er am Ende von Longerichs Aussage: »Es tut mir Leid, dass ich Sie das frage (und ich glaube, ich habe es Sie schon einmal gefragt und habe die Antwort vergessen). Die ungarischen Juden wurden am Ende nicht ausgeliefert, oder?« 314
»Sie wurden ausgeliefert«, sagt Longerich. »Im Jahr 1944 wurden sie ausgeliefert.« »Gibt es einen Beweis dafür«, fragt der Richter, »dass sie in Auschwitz getötet, dass sie vergast wurden?« »Ja, den Beweis gibt es.« Mehr sagt Longerich nicht, vielleicht aus Taktgefühl. Aber Rampton will sichergehen, dass der Richter es diesmal nicht wieder vergisst. »Es hieß Ungarnaktion«, sagt er, »und 450 000 ungarische Juden... wurden in Auschwitz vergast.« Als Rampton Longerich nochmals vernimmt, betont er bestimmte Wörter: »Können wir einen Augenblick lang das, was Himmler in jenem Brief über den ihm von Hitler aufgetragenen, sehr schwierigen Befehl schrieb, mit dem vergleichen, worauf Mr. Irving sich als Beweis für die Wahrheit stützt?« Teilweise scheint er sich zu seinem Schlussplädoyer regelrecht hinaufzuwinden. So geht er mit Longerich noch einmal energisch einige der Themen durch, auf die er in seinem Eröffnungsplädoyer besonderen Nachdruck gelegt hatte: die Ost-West-Bewegung von Juden, die Chronologie, welche Todeslager wann in Betrieb gingen, die Absurdität der Behauptung von Irving, die deportierten Juden könnten »in Weißruthenien« einfach angesiedelt worden sein. Aber Rampton versucht offenbar auch, das Gericht — und sich selbst — aus der tiefen Lethargie einer langen Verhandlung zu reißen. Einen weiteren Zeugen muss er noch aufrufen lassen, ein Abschnitt seiner Beweisführung fehlt noch: Irvings politischer Extremismus. Er wird das zugrunde liegende Material nur einmal durchgehen, und diesmal muss er sicher sein, dass alle aufpassen. Ob geplant oder zufällig, jedenfalls bekommt er an diesem Morgen erhebliche Schützenhilfe durch einen Artikel in den israelischen Zeitungen, wonach die israelische Regierung in Reaktion auf ein Ersuchen der Anwälte von Lipstadt erwägt, 315
Adolf Eichmanns Aufzeichnungen aus seiner Haftzeit, die seit über 30 Jahren im israelischen Staatsarchiv verschlossen sind, freizugeben. Die Aussicht auf eine direkte Verbindung zum berühmtesten Holocaust-Prozess der Geschichte, die Chance, dass Adolf Eichmann persönlich mit seiner Stimme aus dem Jenseits den Beweis liefert, der David Irvings Niederlage besiegelt, erscheint als ebenso unwiderstehliches wie unwahrscheinliches Szenario. Und da es mehrere Tage dauert, diesen deus — besser: diabolus — ex machina aus der Maschine zu befreien (die Notizbücher sind den Anwälten der Beklagten von Israel aus per E-Mail zugeschickt worden, und das Öffnen der Dateien bereitet einige Schwierigkeiten), wird erst am letzten Verhandlungstag klar, dass das Material aus Israel sowohl aus Sicht des Klägers als auch aus Sicht der Beklagten völlig bedeutungslos ist. Wieder einmal drängen sich Reporter im Gerichtssaal. Nachdem sie die heutige Aussage in der vergeblichen Hoffnung auf einen Eichmann-Knüller durchgehalten haben, basteln sie nun stattdessen an Artikeln über Irvings Verbindungen zu deutschen Rechtsextremisten. Ein paar dieser Artikel werden tatsächlich gedruckt — ein Umstand, der selbst unter Berücksichtigung des starken Interesses am Prozess und der traditionellen Vorliebe der Presse für »Mitgefangen-mitgehangen«-Geschichten wahrscheinlich allein der flüchtigen Eichmann-Verbindung zuzuschreiben ist. Denn sollte ein Mann jemals dazu ausersehen gewesen sein, von einer E-Mail in den Schatten gestellt zu werden, dann ist es Hajo Funke, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Autor eines Sachverständigengutachtens über Irving und den »Neo-Nazismus in Deutschland«. Bekleidet mit einem modischen grauen Anzug, einem grauen Hemd und grauer Krawatte, scheint Funke zunächst entschlos316
sen, in der Behutsamkeit seiner Antworten Evans übertreffen zu wollen, als er darum bittet, den Text der Eidesformel sehen zu dürfen, bevor er der Vereidigung zustimmt. Doch als Funke mit seiner Aussage beginnt, wird ein anderer Grund für seine Behutsamkeit offenbar. Obwohl auch er die Dienste eines Übersetzers ablehnt, ist Funkes Englisch viel unberechenbarer — in seinem Fall eine Folge der Tatsache, dass er nicht einfach aus einer anderen Sprache übersetzt, sondern aus dem eigentümlichen Idiom der deutschen Sozialwissenschaft. Als der Richter, der sich sehr bemüht, Funkes weitschweifiger Erläuterung zu folgen, die gespickt ist mit Komposita und langatmigen Passagen zwischen den Verben, ihn fragt: »Können Sie erläutern, was Sie mit [Irvings] Interaktionen oder Kontakten meinen?« erwidert Funke: »Es sind alle möglichen Interaktionen: Dinge vorbereiten, Partei ergreifen, Einladungen erhalten. So wurde David Irving beispielsweise am 3. März 1990 zu der Gruppe eingeladen. Er hatte hauptsächlich, muss ich sagen, in Hamburg die so genannten [Freien] Nationalisten, das ist ein Haufen winzig kleiner Gruppen. So wurde er eingeladen, dort einen seiner David-IrvingVorträge zu halten, und natürlich waren die Nationalisten da, weil sie zum Neonazi-Lager dieser Gegend, das heißt Hamburgs, gehören, aber auf der anderen Seite auch erstmals neu eingeladene Ostdeutsche um die neu gegründete andere Gruppe, wie zum Beispiel die Deutsche Alternative. Zumindest kann man also sagen, dass Gruppen des Neonazi-Lagers aus der Gegend um Hamburg und Abordnungen der neu organisierten Gruppierungen aus Ostdeutschland zusammenkamen, um am 3. März 1990 David Irving zu hören. Diese Art von Kontakten, Reden vorbereiten, Reisen und dergleichen...« 317
Zum Glück für die Verteidigung ist Funke darauf vorbereitet, dem Gericht in Wort und Bild zu zeigen, was er meint. Die fünf Videofilme, die seine Aussage begleiten, zeigen Redeauftritte Irvings an einer Vielzahl von Schauplätzen. In Hagenau (Haguenau), einer Stadt im Elsass, sieht man ihn den Witz über die Ein-Mann-Gaskammer erzählen. Die deutsch sprechende Menge lacht dankbar. Die Aufzeichnung zeigt auf derselben Versammlung auch Ernst Zündel, der ihre gemeinsamen Gegner als »Judenpack« bezeichnet. Bei einer Kundgebung im Freien in der ostdeutschen Stadt Halle sieht man Irving im Trenchcoat zu einer Menge junger Skinheads sprechen. Gegen dieses Band hatte Irving, dem man versehentlich eine Kopie ausgehändigt hatte, als die Verteidigung das Material aus seiner Offenlegung zurückgab, lautstark Einwände erhoben — und es ist leicht zu erkennen, warum. Als die Reihen der Skinheads mit ihren Springerstiefeln trampelnd vor ihm hermarschieren und die Reichskriegsflagge schwenken — seit der Wende zum 20. Jahrhundert das Symbol des deutschen Irredentismus und ein Ersatz für das verbotene Hakenkreuz der Nazis —, ist das Bild auf unheimliche Weise genau so sinnträchtig, wie es zweifellos auch wirken sollte. Nachdem Irving einen Schwall deutscher Phrasen vom Stapel gelassen hat, beginnen alle »Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!«, zu grölen. »Ich hätte nie anfangen sollen, in Deutschland öffentlich Reden zu halten«, erzählte Irving mir im Sommer vor dem Prozess. »In Deutschland ist es sehr leicht, den Pöbel aufzuhetzen.« Funkes Videofilme bringen Irving, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, mit einer »Verbrechergalerie« deutscher Rechtsextremisten in Verbindung. Bei einer Rede sieht man Wilhelm Stäglich, den Autor von Der Auschwitz-Mythos, im Publikum; Thies Christopherson, der Autor von The Auschwitz Lie, half, 318
die Kundgebung in Hagenau zu organisieren. Einige Verbindungen scheinen nur schwach zu sein. Otto Ernst Remer, der eine Schlüsselrolle bei der Zerschlagung der hinter dem gescheiterten Staatsstreich vom Juli 1944 stehenden Widerstandsgruppe gespielt hatte, agierte bei den Versuchen in der Nachkriegszeit, die Nazi-Ideologie wiederzubeleben, an vorderster Front. Lesern seines »Action Report« bot Irving ein »herrliches Farbfoto von Remer in voller Uniform als Andenken« an, und nach seinem Tod im Jahr 1997 verfasste er eine warme Eloge auf Remer. Getroffen scheint er den Mann allerdings nur einmal zu haben, als er ihn für das Goebbels-Buch interviewte. Andere Verbindungen wie die langjährige zu Gerhard Frey, dem Chef der rechten (und extrem ausländerfeindlichen) Deutschen Volksunion (DVU), oder seine enge Zusammenarbeit mit Günter Deckert von der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) sind fester. Funke zufolge fungierte die in Deutschland nach wie vor legale NPD unter Deckert als Fassade für verschiedene verbotene Gruppen, die der Hass auf Asyl Suchende und Gastarbeiter sowie eine gemeinsame Sprache der Holocaust-Leugnung vereine. Irving selber benutze das Beispiel »Günter Deckert, der zugegebenermaßen ein Freund von mir ist« und zurzeit wegen der Leugnung des Holocaust im Gefängnis sitzt, um den angeblichen Mangel an geistiger Freiheit in Deutschland zu demonstrieren. Funke verfolgt mit seiner Aussage zwei Ziele: Zum einen möchte er zeigen, dass Irving nicht bloß ein harmloser Spinner ist, der sich gern über Juden auslässt, sondern ein berechnender politischer Unternehmer, der sich vor Gruppen produziert, die seine Vorurteile nicht nur teilen, sondern auch dazu neigen, daraufhin zur Tat zu schreiten (wenn nicht gegen Juden, deren Zahl im heutigen Deutschland gering ist, dann gegen Türken oder andere Ausländer). Indem er die Holocaust-Leugnung so319
wohl als Erkennungszeichen wie auch als äußerst wichtiges Element bei der Wiederbelebung des Faschismus veranschaulicht, will Funke zum anderen das Motiv beschreiben, das Irvings persönliches Vorurteil mit seiner abwegigen Geschichtsdeutung vereint. Oder, wie Funke dem Richter sagt: »Durch Leugnen, durch Relativieren, indem man die Juden als die Schuldigen hinstellt, die sich alles ausgedacht haben oder die es selbst gewesen seien oder es hätten geschehen lassen, also durch alle möglichen Arten von hohlen Phrasen und Hetzereien, und das alles, um die Nazizeit herunterzuspielen, um den Stolz auf jene extrem arische, rassistische, antisemitische Nation wiederherzustellen.« Dies ist zwar kein besonders heikler Punkt, doch wieder einmal lehnt Irving es ab, ihn frontal anzugehen. Zuerst behauptet er: »Gewaltloser Extremismus ist nicht diffamierend, wenn ich es einmal so herum ausdrücken darf. Wollte ich mich mit jemandem verbünden, der extremistische Ansichten hegte, dann wäre das nicht im Geringsten verwerflich.« Obwohl seine Ausdrucksweise verwirrend ist, geht es in Irvings Entgegnung eigentlich nicht um Extremismus. Es geht weder um Barry Goldwaters berühmten Ausspruch: »Bei der Verteidigung der Freiheit ist Extremismus kein Laster« — mit anderen Worten, die Geschichte rehabilitiert oftmals extremistische Ansichten —, noch geht es um einen Aufruf zu Relativismus. Irving trägt ein streng legalistisches Argument vor: Wenn es nicht diffamierend sei, jemanden als »Extremisten« zu bezeichnen, dann sollte man eine Aussage zum Extremismus gar nicht erst zulassen. Anders ausgedrückt: Er möchte, dass Funke aus dem Zeugenstand entlassen wird. Mr. Justice Gray ist anderer Ansicht. »Ich finde schon, dass es diffamierend sein kann, von jemandem zu sagen, er oder sie stimme mit den von Ihnen so genannten extremen Extremisten 320
überein oder verbünde sich mit ihnen«, sagt er und verbeugt sich damit, vielleicht unbewusst, vor Funke. Irvings zweite Front besteht in der Behauptung, das HalleVideo sei irreführend geschnitten und er habe, obwohl man es auf dem Band nicht habe sehen können, den Marschierern, als sie anfingen, »Sieg Heil!«, zu grölen, gesagt, sie sollten aufhören. Irving bewegte sich in Deutschland lange Zeit auf dem schmalen Grat zwischen Provokation und Umsicht (bevor er im Jahr 1993 offiziell ausgewiesen wurde), und so mag es sein, dass diese Behauptung der Wahrheit entspricht. Doch es würde Irving leichter fallen, den Richter davon zu überzeugen, dass er nicht nur Missbilligung artikulierte, sondern es auch tatsächlich so meinte, wenn er nicht dieselbe Pose empörter Unschuld gegenüber dem Motto einer Konferenz im Jahr 1990 in München gewählt hätte: »Wahrheit macht frei.« Ob in dieser Redensart nicht die Sprache der Nazizeit nachklinge, will Rampton von Funke wissen. Richter Gray antwortet an seiner statt: »Ich denke, wir wissen alle Bescheid.« In der Tat gehört zu den vielen Wahrheiten über den Holocaust, »die jeder kennt«, dass über dem Eingangstor von Auschwitz der Satz »Arbeit macht frei« prangt. Doch beim Kreuzverhör von Funke behauptet Irving, die Organisatoren der Münchner Konferenz — die als Redner unmittelbar hintereinander Irving und Wilhelm Stäglich einplanten — hätten bloß Johannes 8,32 zitiert*. An Auschwitz hätten sie dabei am allerwenigsten gedacht. »Es hatte«, beharrt Irving, »nichts mit den wie auch immer gearteten privaten Obsessionen Mr. Ramptons hinsichtlich dieser Redewendung zu tun.« Rampton sagt im Moment nichts dazu, doch als Irving am * Das Evangelium nach Johannes, 8:32: »... und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.« (Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 1985)
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nächsten Tag wieder auf dieses Thema zu sprechen kommt, wartet Rampton nur auf ihn. »Am 3. Oktober 1989, als Mr. Irving in Berlin war, schrieb er Folgendes in sein Tagebuch: ›Um 11.00 Uhr eine gut besuchte Pressekonferenz im Kempinski, etwa 20 Autoren, sechs oder sieben echte Journalisten... schloss mit meinem neuen Motto: »Wahrheit macht frei.« Die linken Journalisten verstanden die Anspielung.‹« Der gut aufgelegte Hinweis auf »linke Journalisten« — die gegnerische Mannschaft in einem großen Spiel — ist typisch Irving. Was auch, wie wir erlebt haben, für die Angewohnheit gilt, ein luftiges Spiel mit historischem Beweismaterial zu treiben. Doch bis zu diesem Punkt der Verhandlung hat Irving es erfolgreich vermieden, sich bei einer echten Lüge gegenüber dem Richter erwischen zu lassen. Dass Irving am Ende des Prozesses auch an das Ende der gewaltigen Nachsicht von Richter Gray anzulangen scheint, ist für ihn besonders ungünstig. Nachdem die Geduld des Richters durch Irvings verschleppende Vorgehensweise bei Evans bereits strapaziert worden ist, gibt Gray nun keine Hinweise mehr (»Sie müssen wirklich das große Bild angehen, nicht die Frage, ob bestimmte Fußnoten richtig sind.«), sondern fordert Irving unverblümt auf, seinen Standpunkt vorzutragen. Seine Geduld ist erschöpft. »Mr. Irving, Sie führen Ihr Kreuzverhör jetzt bereits einen ganzen Tag lang durch. Ich muss Ihnen sagen, dass ich, was Ihren Standpunkt hinsichtlich der Aussagen des Zeugen betrifft, nicht viel klüger bin, nämlich, dass es da diese Personen gibt, mit denen Sie eine enge Verbindung pflegen und die alle zum äußersten rechten Rand gehören. Ich kann Sie so nicht weitermachen lassen. Ich fordere Sie erneut auf, sich auf das Essentielle zu konzentrieren.« »Auf Personen«, schlägt Irving vor. 322
»Und Sie gehen weiter Fußnoten und Trivialitäten durch. Ich denke, der Zeitpunkt ist erreicht, es sei denn, Mr. Rampton rät mir davon ab, Ihnen zu sagen: ›Um 14.00 Uhr müssen Sie Ihren Standpunkt bezüglich dieser Personen und der Organisationen darlegen, und zwar so, dass ich ihn verstehe‹. Denn ich glaube nicht, dass es richtig ist, wenn ich zulasse, dass die Zeit des Gerichts von Kreuzverhören in Anspruch genommen wird, die, wie mir scheint, praktisch zu nichts führen.« Rampton rät ihm nicht ab. Um 10.45 Uhr, am Vormittag des 2. März, dem 29. Verhandlungstag, kehrt David Irving zum letzten Mal in den Zeugenstand zurück. Nachdem er Irvings Unzuverlässigkeit als Historiker und speziell seine Unzuverlässigkeit als Holocaust-Historiker nachgewiesen hat, widmet Rampton sein abschließendes Kreuzverhör dem Nachweis, dass die Irrtümer und Verzerrungen in Irvings Büchern und Reden Absicht seien. Rampton hat dies zwar den ganzen Prozess hindurch angedeutet, aber es nun zu beweisen ist weit schwieriger. Er muss nicht allein den Nachweis erbringen, dass Irving der Lüge fähig ist — die meisten von uns sind es —, sondern dass er es gewohnheitsmäßig tut, ohne zu zögern, beinahe reflexhaft. »Wahrheit macht frei« ist ein Anfang, aber Rampton wird mehr brauchen als das. Zu Beginn spielt er ein Videoband ab, auf dem Irving in Milton, Ontario, spricht und eine ausführlichere Version der Ein-Mann-Gaskammer-Geschichte erzählt. »Woher kam die Telefonzelle?« fragt Rampton. »Woher stammt diese kleine Anekdote? Wie viele Quellen?« »Das Klingeln des Telefons ist eine Ausschmückung«, gibt Irving zu. »Aber die als Telefonzelle getarnte [Gaskammer] kommt in einem Augenzeugenbericht vor.« Wie viele Augenzeugen? »Einer mit Sicherheit«, sagt Irving, 323
der den Nachweis schuldig bleibt. Rampton lässt das Band noch etwas weiterlaufen: »Spott allein reicht nicht. Sie müssen auch geschmacklos sein. Sie müssen Dinge sagen wie: Auf dem Rücksitz von Senator Edward Kennedys Auto in Chappaquidick starben mehr Frauen als in den Gaskammern von Auschwitz.« Während das Publikum in der Videosequenz anerkennend applaudiert, wendet Irving sich an den Richter: »Leider geht der Rest des Satzes in dem Beifall unter. Er lautet: ›... in den Gaskammern von Auschwitz, die den Touristen gezeigt werden‹. Ich sage immer genau das Gleiche.« »O nein, das tun Sie nicht«, sagt Rampton. »Ist es auf dem Video?« fragt der Richter. Das Video wird zurückgespult und erneut abgespielt, und tatsächlich, wie Irving einräumen muss, »in diesem hier habe ich den Zusatz [über die Touristen] nicht eingefügt«. »Das haben Sie häufig nicht«, sagt Rampton. »Sie haben nicht nur den Zusatz weggelassen, Sie haben andere Gaskammern woanders hinzugefügt: Treblinka, Belzec... Ich habe die Frage schon gestellt. Sie haben erst vor ein paar Minuten erklärt, dass Sie die Nichtexistenz von Gaskammern niemals erwähnen, außer in Bezug auf das, was Sie die gefälschte Gaskammer in Auschwitz I nennen. Diese Behauptung war falsch, nicht wahr?« Irving liest aus der Niederschrift einer seiner Reden vor: »›Die Attrappen standen noch in Auschwitz... und wahrscheinlich in Majdanek, Treblinka und in den anderen so genannten Vernichtungslagern.‹ Ich glaube, man muss hier auf das Wort ›wahrscheinlich‹ achten und es hervorheben.« So unterhaltsam es ist, war Ramptons Feuerwerk bislang doch von relativ begrenztem Kaliber. Aber er legt allmählich an Tem324
po zu und zitiert jetzt aus Irvings Antwort auf eine schriftliche Befragung (dem Äquivalent zur eidesstattlichen Aussage), wo er jede Verbindung mit der amerikanischen National Alliance, einer Gruppe, die für die weiße Vorherrschaft streitet, leugnet und insbesondere leugnet, jemals auf einer Versammlung der National Alliance gesprochen zu haben. Rampton legt aus Irvings Offenlegung eine Einladung zu einer Alliance-Versammlung vor (die wenigen Zeilen stehen auf Alliance-Briefpapier). Anschließend liest er Irvings Tagebucheintrag vor, der dieselbe Versammlung schildert. »Es gibt weder in diesem noch in irgendeinem anderen Tagebucheintrag den leisesten Hinweis auf die NA oder die National Alliance«, sagt Irving, »... was mit dem übereinstimmt, was ich sagte: dass ich von denen nichts wusste.« »Ich bat Sie, sich zu gedulden«, sagt Rampton, wobei er wieder zu dem Tagebuch greift. »Fünf Tage später: ›Bin den ganzen Tag nach Tampa gefahren, habe mit Key West telefoniert etc., etc., etc. Kam um 16.00 Uhr im Hotel Best Western an. Der Veranstalter war ein finsterer Kerl mit Pferdeschwanz. Stellte sich heraus, dass die Versammlung hier auch von der National Alliance und von der National Vanguard-Buchhandlung organisiert ist. Gut besucht.‹ Nun, Mr. Irving, möchten Sie die Antworten korrigieren, die Sie mir soeben gegeben haben?« Die ganze Verhandlung über hat Richter Gray sich ein perfektes Pokerface und eine gelassene Haltung bewahrt. Doch als Rampton Irving mit dessen eigenem Tagebuch konfrontiert, blickt der Richter Irving unter schweren Lidern zweifelnd an. »Was wissen Sie über die British National Party, Mr. Irving?« fährt Rampton fort. »Darüber weiß ich mehr als über die National Alliance.« »Sie halten Vorträge vor der Partei, nicht wahr?« »Nein.« 325
»Oder Sie haben es getan?« »Nein.« Irvings Antworten sind klar. Zumindest bis Rampton, wieder aus Irvings Offenlegung, den Brief eines »Geoffrey D. Brown, British National Party, Region Yorkshire« vorzeigt. »›Lieber Mr. Irving, in Ergänzung zu unserem heutigen Telefonat möchte ich schriftlich bestätigen, dass wir uns sehr freuen würden, wenn Sie am Freitag, den 14. September, nach Leeds hochkämen, um vor einer Sonderversammlung der Region Nord zu sprechen.‹« »Es ist etwa so wie mit den Veranstaltungen in Amerika«, sagt Irving, »wo irgendein örtlicher Funktionär von irgendeiner politischen Gruppe mich einlädt, zu kommen und zu einem Dachverband zu sprechen...« Der Richter schneidet ihm das Wort ab: »Mr. Irving, kommen Sie schon, dies ist auf dem Briefpapier der British National Party geschrieben!« Einen Augenblick lang spürt man ein wenig Erleichterung, als Rampton Irving nach den politischen Überzeugungen seines Druckers, eines Aktivisten der British National Party, Tony Hancock, fragt. »Ich glaube, er ist ein Rechter«, sagt Irving. »Was meinen Sie mit einem Rechten? Den freien Markt?« »Jemanden, der rechts von mir steht, würde ich sagen. Wenn ich ihn als rechts beschreibe, dann ist er rechts.« Aber Irvings Glaubwürdigkeit beim Richter hat arg gelitten, und als Irving in Erwiderung auf eine weitere der kleinen Sprengladungen Ramptons behauptet, sein als falsch nachgewiesenes »Ja« hätte bloß »heißen sollen ›Ja, ich höre, was Sie sagen‹, klar? Das sollte nicht verstanden werden als ›Ja, ich stimme dem zu, was Sie sagen‹, sondern als ›Ja, ich höre, was Sie sagen‹«, lautet Richter Grays bissiger Kommentar: »Ich hoffe, wir werden nicht alle Ihre Antworten in diesem Licht behandeln müssen.« 326
Wie jeder gute Pyrotechniker hebt Rampton sich seine beste Showeinlage für den Schluss auf. Doch dafür braucht er die Kooperation von David Irving. Die Vorbereitung ist technischer Natur und dreht sich um die Rede Adolf Hitlers vor Nazi-Führern am 12. Dezember 1941. Goebbels zitiert die Rede in seinen Tagebüchern unter diesem Datum: »Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein.« Doch in seiner Goebbels-Biographie lässt Irving, obwohl er die Rede zitiert, Hitlers Hinweis auf die Juden weg. Warum? Zu einem früheren Zeitpunkt der Verhandlung hatte Irving behauptet, er habe damals, als er im Auftrag der Sunday Times nach Moskau gereist sei, um die Goebbels-Tagebücher zu lesen, einen »Einkaufszettel« mit bestimmten Themen wie Pearl Harbor oder den Überfall auf Russland dabeigehabt, diese betreffende Rede habe jedoch nicht auf der Liste gestanden. Rampton weist zuerst nach, dass Irvings Notizen belegen, dass er den Tagebucheintrag vom 12. Dezember gelesen hatte. Irving erwidert, dass er ihn nur teilweise gelesen habe und auf der entsprechenden Glasplatte nach der vierten Zeile des Eintrags aufgehört habe, den Text zu lesen. Also legt Rampton eine Fotokopie der fraglichen Platte aus dem russischen Staatsarchiv vor und belegt, dass Irving aus Material von viel weiter unten auf der Glasplatte zitiert hat — mitten aus dem Bericht von Goebbels über die entsprechende Rede. Irving gibt zu, offensichtlich doch weiter gelesen zu haben, als er gedacht habe, wiederholt jedoch seine Behauptung, lange vor dem Hinweis auf die Juden aufgehört zu haben, den Eintrag zu studieren. Rampton wird lauter. »Wollen Sie mir ernsthaft weismachen, Sie hätten der Versuchung widerstanden, diese wichtige Rede des ›Führers‹ vom ersten bis zum letzten Wort, vom Anfang bis zum Ende zu lesen?« 327
Irving sagt, er habe einfach keine Zeit gehabt. Woher hätte er außerdem wissen sollen, dass noch etwas Besonderes kommen würde? Rampton entgegnet: »Warum sprach Hitler am 12. Dezember vor den Gauleitern? Der Grund ist, dass er am Tag zuvor den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt hatte... Dies ist das Datum, an dem tatsächlich Hitler, nachdem er den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt und einen Weltkrieg verursacht hat, den Juden den Krieg erklärt, nicht wahr, Mr. Irving?« »Nein.« »Er sagt zu ihnen, nicht wahr: ›Okay, Kameraden, ihr habt den ersten Krieg angezettelt, und ich habe euch gesagt, dass ihr dran seid, wenn es einen zweiten Krieg gibt. Nun, hier ist er. Löffelt die Suppe aus.‹« »Tatsächlich«, sagt Irving, »erfolgte die Kriegserklärung am nächsten Tag.« »Was, am 13.?« fragt Rampton. »Richtig. Hitler erklärte den Vereinigten Staaten am 13. Dezember den Krieg, und die Rede ist vom 12.« Bei diesen Worten hält Richard Rampton abrupt inne. »Warten Sie mal einen Moment«, sagt Richter Gray überflüssigerweise. Im Gerichtssaal ist es so still geworden, dass man beinahe das Flüstern der beiden Studenten hören kann, die fieberhaft Irvings Bücher durchblättern. Rampton, Heather Rogers und Irving selber tun das Gleiche. Einige Stammgäste der Verhandlung drehen sich zur letzten Zuschauerreihe um, wo an den meisten Tagen Sir Martin Gilbert auf dem mittleren Platz sitzt, doch Gilbert, Biograph von Winston Churchill und Autor zahlreicher Bücher über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg, ist heute nicht im Gericht. »Ich denke, das ist eine ›Millionen-Dollar‹-Frage, nicht wahr?« sagt Irving despektierlich. 328
Schließlich ergreift Rampton das Wort. »Und das schreibt Professor Irving, in seinem Göring-Buch auf... Seite 337 [dt. Übers. S. 511]: ›... rief er [Göring] am 7. Dezember um 12.15 Uhr Hitler an und erfuhr, dass die Japaner einen Luftangriff auf die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbor unternommen hatten... Obgleich Göring am 11. wie gewöhnlich die Reichstagssitzung leitete, auf der Hitler den Vereinigten Staaten den Krieg erklärte...« »Ich habe es auch gerade eben gefunden, ja«, sagt Irving. »Also, wer hat Recht«, fragt Rampton, »Sie oder Sie?« »Zum Glück habe ich keine Million Pfund verloren«, sagt Irving mit so leiser Stimme, dass die Protokollführerin es nicht hören kann. Worauf Rampton mit einem lauteren Bühnenflüstern entgegnet: »Bis jetzt.« Der nächste Verhandlungstag ist sehr kurz, und es geht in erster Linie um das weitere zeitliche Prozedere. Beide Seiten erhalten eine Woche Zeit, um ihre Schlussplädoyers zu verfassen. »Ich werde mir das Recht vorbehalten, größere Punkte herauszugreifen«, sagt Irving, wobei er anmerkt, dass diese Punkte jeden einzelnen Posten auf der vom Richter verteilten langen Liste berücksichtigen werden, weil es »an der Verteidigung ist, sich zu rechtfertigen«. Irving schickt seinen Bemerkungen Worte der Anerkennung voraus »für die Arbeit, welche die Solicitors der Kanzleien der Verteidigung aufgewendet haben. Die Tatsache, dass ich mich selbst verteidige, hat ihnen die Arbeit zusätzlich schwer gemacht, und ich weiß ihre Effizienz in dieser Angelegenheit außerordentlich zu schätzen. Und ich weiß ihre Hilfe in dieser Angelegenheit zu schätzen.« Ungeachtet dieser höflichen Floskeln lässt Irving beinahe unmittelbar darauf eine wütende Attakke auf Mishcon de Reya und die Art und Weise los, wie die 329
Kanzlei mit dem Halle-Video umgegangen sei. Dieser Angriff in allerletzter Minute schlägt zwar fehl, aber Anthony Julius sieht sich zum ersten und einzigen Mal im Laufe der Verhandlung dazu veranlasst, sich zu erheben, um das Verhalten seiner Kanzlei zu verteidigen. In einem Prozess, der von einem Richter allein geführt wird, überreichen normalerweise beide Seiten dem Richter schriftliche Plädoyers. In diesem Fall einigt man sich jedoch darauf, dass jede Seite im Gericht zusätzlich ausreichend Gelegenheit für »Plädoyers an die Adresse der Öffentlichkeit« erhält. Und obwohl der einzige Geschworene, an den David Irving sich wenden kann, die öffentliche Meinung ist, wird er als Kläger das letzte Wort haben.
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10 Schlussplädoyers Als Richard Rampton sich zu seinem Schlussplädoyer erhebt, befinden wir uns endlich im letzten Akt im Fall David Irving versus Penguin Books Ltd. and Deborah Lipstadt. Das Gericht hat inzwischen neun Zeugen angehört und Aussagen in einer Größenordnung von anderthalb Millionen Wörtern zur Kenntnis genommen. Der Richter hat Hausende von Seiten der Expertengutachten und Zehntausende von Dokumentenseiten gelesen. Während der gesamten Verhandlung hat er sich täglich Notizen für sein Urteil gemacht. Und er wird sich durchaus eine Meinung über das Beweismaterial gebildet haben, doch in diesem Augenblick sollte der Richter trotz allem den Argumenten einer jeden Seite gegenüber aufgeschlossen sein. Wie zuvor sitzt Charles Gray auch heute mit gespitztem Mund und leicht abwesendem Gesichtsausdruck auf dem Podium. Der Richter hat bislang kaum durchblicken lassen, wie er den Fall einschätzt. Aber wie jeder von uns, der gestern Vormittag anwesend war, weiß, verbirgt sich hinter Grays unerschütterlichem Äußeren beträchtliche Verärgerung. Der Richter hatte ursprünglich geplant, dass beide Seiten ihre schriftlichen Plädoyers austauschen. Anschließend sollten sich beide Parteien einen Tag lang im Gerichtssaal seinen Fragen stellen und sich explizit zu den von der jeweils gegnerischen Partei angesprochenen Punkten äußern. Diese Sitzung wäre zwar öffentlich gewesen, aber in erster Linie hätte Richter Gray davon profitiert. In der heutigen letzten Sitzung hätten beide Seiten dann ihre »öffentlichen Plädoyers« vortragen können. 331
Im Sinne der Prozessführung hatte Grays Plan einiges für sich, und wenn infolge seines Plans die Schlussplädoyers abfallen würden, um so besser. Doch als der Termin für den Austausch der schriftlichen Darlegungen näher rückte, waren beide Seiten nicht fertig. Gray selber erhielt das Material erst kurz vor der gestrigen Sitzung, was den Richter zu der Frage veranlasste: »Warum sind wir hier heute alle überhaupt erschienen?« Obwohl beide Seiten versucht hatten, den Richter zu beschwichtigen, schien keine Seite erpicht darauf zu sein, die Wirkung der letzten Vorstellung abzuschwächen. Und nach einer kurzen Demonstration richterlichen Grolls (»Ich hatte erwartet, von beiden Seiten wirklich ein wenig Hilfe zu bekommen. Aber wenn Sie beide versprechen, bei dem zu bleiben, was Sie mir schriftlich eingereicht haben, und Sie halten morgen Ihre öffentlichen Plädoyers, was mir, glaube ich, bei meiner Aufgabe nicht besonders helfen wird, dann meinetwegen.«) hatte sich das Gericht gestern vertagt. Heute ist der Gerichtssaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Reporter stehen in den Gängen, hinter jeder Säule, einige sitzen im Schneidersitz auf dem Boden. Die Schlange der Zuschauer, die darauf warten, eingelassen zu werden, zieht sich durch das Foyer und erstreckt sich über einen langen Flur bis in den größten Teil des angrenzenden Flurs. Wie in den letzten Tagen verteilt Irving auch heute Kopien seiner Unterlagen an die Presse — diesmal sind es die 104 Seiten seines Schlussplädoyers. Doch heute macht das Team der Verteidigung das Gleiche und verteilt im Gerichtssaal Kopien von Ramptons 24-seitigem Text. Es kommt zu einem kleinen Gerangel, als sich erweist, dass von dem sehr viel längeren schriftlichen Plädoyer der Verteidigung — viele hundert Seiten in einem dicken Ringbuch — zu wenige Exemplare vorhanden sind. Aber das Versprechen, zusätzliche Kopien nach der Mit332
tagspause zur Verfügung zu stellen, und die dringenden Bitten des Gerichtsdieners veranlassen die Reporter, wieder ihre Plätze einzunehmen. Draußen an den Türen hängen erneut Schilder: »Gerichtssaal voll!« Rampton erhebt sich. In einem Gerichtsverfahren sind neun Wochen eine Ewigkeit. Dies ist Ramptons letzte Chance, in eine schlüssige Darstellung zu gießen, was von seinen Zeugen und von Irving in seinem Kreuzverhör angesprochen wurde. Und es ist seine letzte Chance, Lücken in seiner Beweisführung zu füllen. Er beginnt, indem er das Gericht daran erinnert, wie es zu dieser Klage gekommen sei. Er erläutert kurz die Publikationsgeschichte von Leugnen des Holocaust und lässt eine noch kürzere Zusammenfassung dessen, was in dem Buch über David Irving gesagt wird, folgen. »Mylord«, fährt Rampton fort, »das waren zweifellos schwere Vorwürfe, und hätten sie nicht der Wahrheit entsprochen, hätten Mr. Irving ohne jeden Zweifel eine große Geldsumme und eine gerichtliche Verfügung zugestanden, die die Beklagten künftig daran gehindert hätte, ihre Anschuldigungen zu wiederholen. Doch wie sich aufgrund des diesem Gericht vorliegenden Beweismaterials erweist, entsprechen die Anschuldigungen in allen wesentlichen Belangen der Wahrheit.« Mit seiner schriftlichen Vorlage wedelnd, weist Rampton darauf hin, die Experten der Verteidigung hätten »allein in Bezug auf Hitler schon 25 größere Geschichtsfälschungen gefunden sowie zahlreiche kleinere Erfindungen, Vertuschungen, Manipulationen und Falschübersetzungen, mit denen die größeren Fälschungen untermauert wurden. Zählt man Verdrehungen und Fälschungen in Bezug auf Auschwitz, Dresden und andere Sachverhalte dazu, dann kommt man auf weit über 30.« Die anschließende Frage, wie Irving mit dem Holocaust umgehe, nutzt Rampton zu einer Geschichtsstunde: »Der Holocaust — der systematische Massenmord an Millionen Juden, 333
Zigeunern und anderen — fand in Phasen statt. Die im Herbst 1941, nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, beginnende erste Phase bestand aus Massenerschießungen, die von eigens aufgestellten SS-Einheiten und deren örtlichen Verbündeten durchgeführt wurden. Dies setzte sich fort bis ins Jahr 1942 und führte zum Tod von bis zu 1,5 Millionen Juden, die in Russland und in den baltischen Staaten lebten. Die zweite Phase, die im Dezember 1941 begann und sich bis ins Jahr 1943 oder später ausdehnte, bestand in den Vergasungen der Juden des Reichsgaus Wartheland und Polens. Sie führte zum Tod von wahrscheinlich mehr als 2,6 Millionen Juden (300 000 im Wartheland und 2,3 Millionen in Polen). Die mit Massendeportationen nach Osten im Herbst 1941 beginnende dritte Phase kulminierte im Tod von Juden aus Mittel-, West- und Südeuropa, meist durch Vergasen in Auschwitz. Diese Phase dauerte bis Ende 1944. Zuverlässige neueste Schätzungen über die Zahl der in Auschwitz-Birkenau Vergasten sprechen von etwa 1,12 Millionen. Somit liegt die Gesamtbilanz dieser entsetzlichen Übung in systematischem Massenmord wahrscheinlich bei fünf bis sechs Millionen unschuldigen Leben.« Und damit zu Auschwitz. Wiederum jongliert Rampton, erzählt, was im Krieg geschah, während er auf die Lücken in Irvings Darstellung hinweist, um zugleich einige noch offene Fragen in der Argumentation der Verteidigung zu beantworten. Es ist ein anstrengender und größtenteils beeindruckender Vortrag. Rampton streift kurz die Diskussion um die gasdichten Türen mit ihren gläsernen Gucklöchern (»Warum, so wurde Mr. Irving gefragt, sollten sie zur Beobachtung der Vergasung von mit Läusen befallenen ›Objekten‹ und Leichen erforderlich sein?«) oder um den direkten Vergleich zwischen den OlèreZeichnungen und den Luftaufnahmen. Auch das berüchtigte Argument »Keine Löcher, kein Holocaust« spricht Rampton an. 334
»Zunächst einmal hat Professor van Pelt, der die Überreste des Daches von Leichenkeller 1 im Krematorium 2 einer sorgfältigen Prüfung unterzog (was Mr. Irving nie getan hat), dem Gericht erzählt, die Überreste seien so bruchstückhaft, dass sie keine zweifelsfreien Rückschlüsse auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Löcher zuließen. Zweitens, wenn, wie Mr. Irving gelten lässt, Leichenkeller 1 eine Gaskammer war (zu welchem Zweck auch immer), dann hätte sie in jedem Fall Öffnungen für den Einlass des Zyklon B gebraucht, da sie nie über irgendwelche Fenster und nur über eine gasdichte Tür verfügte. Drittens wäre, selbst wenn Mr. Irving Recht hätte und sie zur Vergasung von Objekten und Leichnamen benutzt wurde, die dafür erforderliche Blausäure-Konzentration vergleichsweise hoch gewesen, mit der Folge, dass die Notwendigkeit passgenauer Blenden, die sich schnell und leicht öffnen und schließen ließen, zum Schutz derjenigen, die die Kugeln einwarfen, nur umso größer gewesen wäre.« Aber der Vortrag wirkt auch ein wenig flüchtig, als widerstrebe es Rampton, über seine schriftliche Vorlage hinauszugehen. Vielleicht fühlt er sich vom Gegenstand der Rede eingeengt. Vielleicht ist er aber auch einfach bloß müde. Ob beabsichtigt oder nicht, seiner Darbietung fehlt jedenfalls das Dramatische, was bei einem Mann mit einer solch enormen stimmlichen und sprachlichen Ausdruckskraft überrascht. Ramptons halsbrecherische Geschwindigkeit lässt nicht viel Raum für Nuancen oder Komplexität. Und seine raue, nüchterne Art, mag sie auch taktisch vernünftig sein, dämpft jede Erkenntnis, dass die bei diesem Fall verhandelten Umstände oftmals bar jeder Vernunft sind. »Die Vorstellung von SS-Mannschaften, die in voller Montur von ihrer Kaserne um die Umzäunung herum unter einem Bombenhagel zweieinhalb Kilometer zu den Krematorien rennen, ist einfach vollkommen hirnris335
sig!«, sagt er an einer Stelle. Nur zu wahr, aber wenn man sich mit der Mechanik eines Völkermords befasst, kommt man mit gesundem Menschenverstand nicht allzu weit. Die Vorstellung von SS-Männern, die zu den Krematorien rennen, ist verrückt, aber nicht halbwegs so verrückt wie das, was die SS im Lager tatsächlich getan hat — nicht zuletzt mittels eben dieser Krematorien. In seiner abschließenden Zusammenfassung merkt Rampton an, man müsse angesichts des überwältigenden Beweismaterials — des dokumentarischen wie der Augenzeugenberichte — »einen anderen Grund suchen, um [Irvings] langjährige, sogar vor diesem Gericht offenbarte Treue... zu der bizarren Vorstellung zu erklären, dass in den mörderischen Gaskammern von Auschwitz-Birkenau nicht Menschen in beträchtlicher Zahl ermordet wurden«. Doch über ein paar gestutzte Syllogismen hinaus vertieft er das Thema nicht. »Mr. Irving ist ein Antisemit. Holocaust-Leugnung in der Form, wie Mr. Irving sie verkauft, ist ein offenkundiger Ausdruck von Antisemitismus, und sie ist Musik in den Ohren der Neonazis und anderen Rechtsextremisten, denen er sie verkauft. Mr. Irving ist ein Anhänger Hitlers, der Geschichte in einem Atem raubenden Ausmaß gefälscht hat, um die Unschuld Hitlers zu ›beweisen‹. Wie von der Holocaust-Leugnung fühlen seine Sympathisanten sich auch davon stark angesprochen — denn wenn der Holocaust ein ›Mythos‹ ist, kann Hitler schließlich nicht dafür verantwortlich sein.« Rampton zieht ein letztes Mal an dem Knoten, der seine Beweisführung festzurrt: »Inwieweit, wenn überhaupt, Mr. Irvings Antisemitismus ein Grund für seine Rechtfertigung Hitlers ist, oder umgekehrt, ist völlig ohne Bedeutung. Ganz gleich, ob man beides zusammen betrachtet oder einzeln, klar ist, dass beides 336
ihn veranlasst hat, seinen Ruf als seriöser Historiker (wiewohl dieser unberechtigt war, wie man jetzt sehen kann) um einer falschen Rehabilitierung Hitlers und der Verbreitung bösartiger antisemitischer Propaganda willen zu verkaufen.« Um 11.25 Uhr nimmt Richard Rampton wieder Platz. Er hat nicht einmal eine Stunde gesprochen. Der Richter hat ein paar Fragen, die er glaubt klären zu müssen. Blitzschnell ist Rampton wieder auf den Beinen. Die erste Frage bezieht sich auf van Pelts Dokument über die Einäscherungskapazität, das Irving angefochten hat. Bei der zweiten geht es um die Deportationen. »Abgesehen von der Vernichtung, die ein gesondertes Problem ist, und was Mr. Irving diesbezüglich behauptet, habe ich gehört, gehen Sie nicht davon aus«, fragt der Richter, »dass es irgendeinen Streit oder eine Kontroverse zwischen den Beklagten und Mr. Irving hinsichtlich der Tatsache gibt, dass die Deportationen stattfanden, und eigentlich auch nicht hinsichtlich der Tatsache, dass Hitler davon wusste, denn Mr. Irving steht auf dem Standpunkt, dies sei alles, worum es gegangen sei?« Rampton beantwortet problemlos beide Fragen. Und falls sie ein Hinweis darauf zu sein scheinen, dass zumindest der Richter Irvings Argumente noch immer ernst nimmt, so weist die nächste Frage — eigentlich mehr eine Aufforderung, die Verteidigung möge eine chronologische Zusammenfassung der »Planungen zur Vergasung in den Reinhard-Lagern« mit erhärtenden Dokumenten liefern — in die andere Richtung. Grays letzte Frage besteht aus mehreren Teilen und steigert sich dramatisch. »Sie führen gegen Mr. Irving unter anderem ins Feld, dass er, einmal abgesehen von seinem Antisemitismus, ein Rassist sei, und Sie besitzen eine Reihe von Zitaten aus seinen Reden und Vorträgen?« 337
»Ja.« »Inwieweit betrifft dies«, möchte der Richter wissen, »(a) die Äußerungen, gegen die geklagt wird, und (b) den Sinn, den Sie zu rechtfertigen suchen?« »Wenn man sich als objektiver, aufgeschlossener, umsichtiger, nüchterner Historiker«, erklärt Rampton, »das umfassende Beweismaterial dafür anschaut, dass Hitler tatsächlich verantwortlich war, über alles unterrichtet war und es guthieß, dann ist die Schlussfolgerung unausweichlich, dass er es auch billigte. Dieses Fenster hat gewissermaßen Mr. Irving geschlossen, und mit dem geschlossenen Fenster im Rücken verfälscht er nun weiter die Geschichte, um Hitler freizusprechen.« »Also ist dies wieder ein neuer Fall von absichtlicher Manipulation, die sich irgendwie durch...?« »Es ist eine Art absichtliche Blindheit gegenüber dem Beweismaterial. Was ihm nicht gefällt, das nimmt er nicht zur Kenntnis«, sagt Rampton. »Absichtliche Blindheit?« »Ja, es ist absichtliche Blindheit.« »Als hätte er ein Fernrohr vor dem falschen Auge?« fragt Gray. »Was ich meine... ist, dass er den Holocaust geleugnet hat, ohne sich irgend auf verlässliche Belege zu beziehen«, sagt Rampton. »Das bedeutet, dass seine Leugnung offensichtlich anderen Vorgaben folgt.« »Von denen«, fragt Gray, »Sie sagen, es sei eine absichtliche, perverse Blindheit im Spiel und eine Handlungsweise, die sich im Endeffekt an neonazistischen Zielen orientiere, ist das richtig?« Die Frage an sich ist gar nicht Unheil verkündend. Und Ramptons Antwort deutet darauf hin, dass er die Zustimmung des Richters beinahe als selbstverständlich voraussetzt. »Wenn man 338
sich anschaut, wie er die Holocaust-Leugnung äußert, wenn man sich das Publikum ansieht, vor dem er sie äußert, und wenn man auf seine Worte bei solchen Anlässen achtet, dann kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass das verborgene Programm, der Grund für die historische Inkompetenz, wenn ich es einmal so nennen darf (obwohl ich mir ein sehr viel stärkeres Wort vorstellen könnte), der ist, dass er durch und durch antisemitisch und ein Neonazi ist, wie Euer Lordschaft soeben sagten.« Doch was der Richter als Nächstes sagt, erschüttert Ramptons Selbstzufriedenheit. »Nun, das wirft die letzte Frage auf, die ich mit Ihnen erörtern möchte, und sie betrifft den Antisemitismus und, in der Tat, den Rassismus sowie den Extremismus und alles Übrige. Es fällt mir ein wenig schwer, zu begreifen — und so erging es mir während der ganzen Verhandlung —, wie, wenn überhaupt, diese gegen Mr. Irving gerichteten Anschuldigungen zu der generellen Behauptung passen, er fälsche... absichtlich die historische Überlieferung. Mir scheint nämlich — und ich möchte einfach wissen, wie Sie es ausdrücken —, dass, wenn jemand ein Antisemit ist, und lassen Sie den Rassismus einmal beiseite, wenn jemand also ein Antisemit und ein Extremist ist, dass er dann absolut in der Lage ist, sozusagen ein aufrichtiger Antisemit und ein aufrichtiger Extremist zu sein, und zwar in dem Sinne, dass er diese Ansichten hegt und sie äußert, weil es in der Tat seine Ansichten sind.« Das verschlägt Rampton derart die Sprache, dass er nicht mehr als ein »Ja« hervorbringt. Doch die Bombe von Richter Gray ist noch nicht in Gänze detoniert. »Nun ja, mir scheint, dass der Antisemitismus, bei nüchterner Betrachtung, wahrscheinlich eine vollkommen getrennt zu behandelnde Haltung ist, die Ihren weitergehenden und vielleicht wichtigeren Vorwurf, dass Mr. Irving die Daten manipuliert und die historische Überlieferung verfälscht habe, 339
wirklich herzlich wenig betrifft. Oder meinen Sie, dass beide irgendwie zusammenhängen, und wenn ja, wie?« Grays Porträt eines »aufrichtigen« Antisemiten deutet die Möglichkeit einer Drittelung an, einen Urteilsspruch des Inhalts, dass Irvings Motive, ungeachtet der Tatsache, dass er ein Extremist — bzw. ein »aufrichtiger« Extremist — ist und die weitergehende historische Überlieferung vielleicht falsch dargestellt hat, gleichwohl ehrlich gewesen seien. Jede solchermaßen nicht einhellige Entscheidung wäre für die Verteidigung eine Katastrophe. Und wenn es Rampton nicht einmal gelungen ist, dem Richter die Verbindung zwischen Irvings Rassismus und seiner historischen Unaufrichtigkeit klarzumachen, dann besteht auch hinsichtlich Auschwitz wenig Grund zur Zuversicht. Barristers werden dafür bezahlt, im Stehen zu denken. Und das tut Rampton jetzt. »Die Brücke zwischen der HolocaustLeugnung und der Hitler-Apologetik ist vom Antisemitismus aus sehr leicht zu schlagen«, sagt er, »denn was täte ein Historiker, der Antisemit ist, lieber, als Hitler von jeder Schuld freizusprechen... als den Holocaust leugnen?« Für Gray scheint die Brücke nach wie vor nicht zu tragen. »Ja, aber er könnte glauben, was er sagt«, beharrt er. »Das ist der Punkt. Deshalb ist es wichtig.« Am Ende seiner Zeugenaussage hatte Irving beträchtlich Boden wieder gutzumachen. Ramptons vernichtendes abschließendes Kreuzverhör hatte ihn als Windhund bloßgestellt, als jemanden, der praktisch süchtig danach ist, »auszuprobieren, wie weit man gehen kann«, der Lügen verbreitet in der Absicht, wenngleich nicht unbedingt in der wohl begründeten Hoffnung, dass man ihm glaube. Wie der zitierte unehrliche Kellner war Irving wiederholt dabei erwischt worden, wie er falsches Wechselgeld herausgab — und immer zu seinen Gunsten. Zumindest war 340
dieser Eindruck entstanden. Auf dem Weg zum Gericht an diesem Morgen hatte Irving als unerschütterlicher Optimist seine Chancen als »Fifty-Fifty« eingeschätzt. Irvings Schlussplädoyer ist sein Schwanengesang, ein Auftritt im Rampenlicht — vielleicht seine letzte Gelegenheit, vor den versammelten Vertretern der Weltpresse seinen Standpunkt darzulegen und sich zu seiner Verteidigung zu äußern. Irving ist entschlossen, das Beste daraus zu machen. »Um zu zeigen, wer jetzt das Sagen hat«, schreibt er in sein Tagebuch, »schlage ich vor, dass das Gericht sich für fünf Minuten vertagt.« Der Richter willigt ein. Weil draußen immer noch Menschen auf Einlass warten und niemand von uns seinen Platz zu verlassen wagt, hat Irvings Wunsch die vorhersehbare Folge, die Unbehaglichkeit der ohnehin schon beengten, stickigen Atmosphäre zu steigern. Irvings erste, am Vorabend geschriebenen Worte sind noch zögerlich und voller Beklommenheit: »Mylord, man kommt sich hier vor, als klettere man in Gallipoli aus dem Schützengraben. Mein Vater hat an dieser Schlacht teilgenommen, sodass ich weiß, was für ein Gefühl das ist.« Irvings Stimme aber ist klar und fest. Möglicherweise ermuntert von Grays Kommentaren, ist Irvings Tonfall, als er zu seinem schriftlichen Text kommt, leidenschaftlich, und er trägt seine Worte mit Überzeugung vor: »Die Beklagten bei diesem Prozess, der Verlag Penguin Books Limited und die amerikanische Wissenschaftlerin Deborah Lipstadt, haben versucht, dieses Verfahren zu besetzen, als ginge es um die Reputation des Holocaust. Darum geht es nicht. Die Weltpresse hat ebenfalls in dieser Art darüber berichtet. Noch einmal: Darum geht es nicht. In diesem Verfahren geht es um meinen Ruf als Mensch, als 341
integrer Historiker und — dank der Bemerkungen von Mr. Rampton — als Vater.« Als Irving fortfährt, scheint die letzte Kritik von Richter Gray an Rampton noch im Gerichtssaal nachzuhallen: »Ja, aber er könnte glauben, was er sagt.« Irving weiß nur zu gut, dass sein Vater, Berufsoffizier bei der Marine, in Gallipoli* niemals »aus dem Schützengraben« geklettert ist. Hier nimmt Irving ein weiteres Mal »künstlerische Freiheit« in Anspruch. Doch als er dem Gericht erzählt, »ein Urteil zu meinen Gunsten ist nicht mehr als ein Urteil darüber, dass strittige Dinge, die ich über die Darstellung des [Holocaust] geäußert habe, angesichts des Beweismaterials nicht so absurd sind, dass man mich aus den Reihen der Historiker ausschließen könnte«, mag er das tatsächlich glauben. Zumindest in diesem Augenblick. »Ein Urteil zu meinen Gunsten«, fährt er fort, »bedeutet nicht, dass der Holocaust sich niemals ereignet hat. Es bedeutet lediglich, dass im England von heute Diskussionen immer noch erlaubt sind. Meine Gegner wären trotzdem in der Lage, genau wie jetzt, andere Dokumente vorzulegen, wenn Sie es denn können, und alternative Interpretationen zu entwickeln. Es stünde ihnen wie eh und je frei zu erklären, dass ich mich ihrer Ansicht nach irre. Es stünde ihnen auch weiterhin frei, alles zu verbreiten, was schon heute über mich behauptet wird. Nur in einer Hinsicht wären ihnen die Hände gebunden: Sie könnten nicht mehr mit lauter und gebieterischer Stimme behaupten, dass ich kein Historiker sei und dass meine Bücher verboten werden müssten.« Das entspricht natürlich nicht einmal ansatzweise der Wahr* In seinem Tagebucheintrag vom 15. März 2000 schreibt Irving, sein Vater sei »an Bord eines der feuernden Schlachtschiffe gewesen, also hatte er es wahrscheinlich etwas bequemer als die Grenadiere, die an Land waren«. Siehe »Action Report« 17 (20.7.2000), S. 29.
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heit. Ein Urteil zu Irvings Gunsten würde nicht nur Lipstadt mundtot machen und ihr Buch vernichten, es würde jeden anderen einschüchtern, der Lust verspürte, Irving auf ähnliche Weise zu kritisieren. Außerdem wäre es ein bedeutender Sieg für die selbst ernannten »Revisionisten«. Und zumindest vor Gericht hat niemand ein Verbot der Bücher Irvings verlangt. Doch es wäre viel zu einfach zu glauben, dass Irving nur kämpfe, um seinen Ruf rein zu waschen und sein Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit zu verteidigen. Ein Teil von ihm selbst glaubt das sicherlich. Und dieser Teil von ihm spricht mit all der von seinem Unmut inspirierten Beredsamkeit. Ebenso wenig sollte man glauben, Irvings Unmut sei eingebildet. Verlage haben ihn schäbig behandelt. Nicht nur St. Martin’s, wo man dumm genug war, ihn nach seinem eigenen Maßstab einzuschätzen, und sich anschließend feige verhielt, als man feststellte, dass andere weniger leichtgläubig waren. Bei seinem britischen Verlag, Macmillan, umschmeichelte man ihn noch, als schon Hausmitteilungen kursierten, die Lektoren ermächtigten, zukünftige Autoren wissen zu lassen, Irving sei die längste Zeit Hausautor gewesen: »Wenn es Ihnen hilft, zukünftige Autoren zu beruhigen, würden wir uns freuen, wenn Sie es ihnen sagen (doch bitte nicht allzu öffentlich, wenn es geht).« Anschließend stampfte man Irvings lieferbare Titel ein. Was Irvings Vorwurf betrifft, seine Gegner würden sich über nationale Grenzen hinweg gegen ihn verschwören und seien vielfach Juden — auch dieser Vorwurf kann nicht vollkommen als Ausgeburt einer paranoiden Einbildungskraft abgetan werden. »Die in diesem Fall wirklich Beklagten«, beschwert sich Irving, »werden in diesem Gericht nicht vertreten, aber sie waren die ganze Zeit hier unter uns anwesend, wie Banquos Geist.« In seinem schriftlichen Plädoyer nennt Irving die jüdischen Grup343
pen, die er als seine Peiniger betrachtet, beim Namen. Im Gerichtssaal spielt er nur auf »die Leute [an], die das Werk, gegen das geklagt wird, in Auftrag gaben, und vieles von dem darin verwendeten Material beisteuerten«. Sein Taktgefühl täuscht nicht darüber hinweg, was genau er meint: Die Juden hätten ihn seines Lebensunterhaltes beraubt. Irving hat im Laufe der Verhandlung mehrmals versucht, Zeugen über das von ihm so genannte »Paket E« ins Kreuzverhör zu nehmen — sein Dossier über die »globale« Verschwörung zur Zerstörung seines Rufs. Rampton erhob wiederholt mit der Begründung Einspruch, das gehöre nicht zur Sache, aber am Ende war Richter Gray der Meinung, Irving könne sein Beweismaterial »als Sachvorlage« einreichen. Jetzt hat er seine Chance, und obwohl der Großteil des Materials in der Tat für die zur Debatte stehenden Fragen irrelevant ist, verwendet Irving etwa ein Drittel seines schriftlichen Plädoyers auf die Aufzählung der ihm von verschiedenen jüdischen Gruppen zugefügten Schäden. Diese Schäden sind so weit ganz real. Briefe wurden geschrieben, Druck — diskret und weniger diskret — wurde ausgeübt. Informationen — mitunter ohne präzise Angabe der Quelle oder unbestätigt — zirkulierten weltweit. Obwohl das Hauptziel der Kampagne darin bestand, das Klima der öffentlichen Meinung insoweit zu verändern, dass jene Verlage, die versucht waren, von Irvings trauriger Berühmtheit zu profitieren, sich gezwungen sahen, davon Abstand zu nehmen, konnte Irving nicht sicher sein, ob seine Widersacher ihre Bemühungen auf verbale Proteste beschränken würden. »Nach der Geburt unseres kleinen Mädchens«, erzählt er dem Gericht, »lebten wir zwölf Monate im hintersten Winkel unserer Wohnung, in der Nähe eines Fensters, mit einem Moses-Weidenkorb, an dem ein Stück Drahtseil befestigt war, für den Fall, dass das Gebäude in Brand gesetzt würde und wir unsere Kleine herunterlassen müssten, 344
um sie in Sicherheit zu bringen.« Unter anderen Umständen hätte Irving Anspruch auf ein gewisses Maß an Sympathie erheben können. Die Anti-Defamation League in den Vereinigten Staaten erstellte nicht allein über Irving Dossiers, sondern auch über afrikanisch-amerikanische Gruppen wie die National Conference of Black Lawyers, über linke Organisationen wie die National Lawyers Guild und das Solidaritätskomitee für das Volk von El Salvador und sogar über das American-Arab Anti-Discrimination Committee. Im Oktober 1999 erklärte die ADL sich bereit, ein Sammelklagen-Verfahren wegen illegaler Ausspionierung dieser Gruppen durch einen finanziellen Vergleich beizulegen.1 Nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin wäre es außerdem naiv gewesen, die primitiveren Erscheinungsformen der Kampagne gegen Irving — beispielsweise das Transparent »Vergast Irving«, das bei einer Demonstration vor seiner Wohnung in Mayfair zu sehen war — als bloße rhetorische Ausschreitungen abzutun. Auf die falsche Fährte gerät Irvings Argumentation nicht, wo er sich als Objekt einer organisierten Kampagne sieht, sondern wo er sich augenscheinlich darüber wundert, warum das so sei. Nicht weil er Juden oder deren Auskommen bedroht, sondern einfach, weil er sie beleidigt. Eine Konsequenz aus der traurigen Geschichte der Juden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, dass es immer ein paar Juden geben wird, die das Bedürfnis verspüren, zu betonen, dass sie es in der zweiten Jahrhunderthälfte nicht mehr schweigend erdulden müssen, wenn jemand sie beleidigt. Während Irving den historischen Teil in der Beweisführung der Verteidigung zu widerlegen sucht, erhellt er noch einmal all die Beleidigungsgründe: die Juden, die erzählten, was sie in Auschwitz gesehen und gehört und durchlitten hätten, »stellten 345
sich als Lügner heraus«. Diejenigen, die ungeachtet der »gleichmäßig schwachen Beweisgrundlage« weiterhin glaubten, ihre Verwandten seien in Belzec, Sobibór oder Treblinka ermordet worden, seien mit »absichtlich aufgeblähten Opferzahlen« hereingelegt worden. Selbst die von Berlin nach Kowno deportierten Juden werden auf wunderbare Weise wieder zum Leben erweckt, wenn Irving — als wüsste er immer noch nichts von ihrem Schicksal, als hätte Longerich das Gericht nie darüber informiert, dass sie bei ihrer Ankunft erschossen wurden — noch einmal auf die »sonderbaren britischen Entschlüsselungen« zu sprechen kommt, »die enthüllten, dass die Deportationszüge mit Tonnen von Nahrungsmitteln für die Reise... und sogar mit den ›Gerätschaften‹ der Deportierten versorgt waren«. An Stelle all dieser vorgegaukelten Opfer unterbreitet Irving die Geschichte seines eigenen Martyriums: »Ich wurde als professioneller Historiker geächtet, verhaftet, schikaniert und fast vernichtet.« Es erscheint nicht nur grotesk, es ist grotesk. Ebenso wie Irvings Anschuldigung, seine vor Gericht gezerrten Widersacher hätten sich des McCarthyismus schuldig gemacht: »Generell reagiere ich auf diesen Versuch, mich nach dem Prinzip ›Mitgehangen, mitgefangen‹ schuldig zu sprechen, den wir während der letzten paar Wochen zur Genüge erlebt haben, mittels eines Vergleichs mit den schlimmsten Ausschreitungen der von Senator Joseph McCarthy durchgeführten Untersuchungen... Die Karrieren der besten Drehbuchautoren Hollywoods, von denen viele Juden waren, wurden durch die gewagte Behauptung vernichtet — um wieder dieses [auch im Orig. deutsche] Wort zu benutzen —, sie hätten mit bekannten Kommunisten gemeinsame Sache gemacht. Und jetzt kommen diese Beklagten hier an und bringen spiegelbildlich dieselben Anschuldigungen gegen mich vor.« Irving war nie schamloser — oder wortgewandter — als bei 346
diesem, seinem letzten Schachzug. Sein Ausrutscher, als er den Richter an einer Stelle mit »Mein Führer« anredet, geht inmitten solcher Gefühlsaufwallung beinahe unter. Irving geht noch einmal all seine während der Verhandlung scheinbar gemachten Zugeständnisse durch — die systematische Natur des Völkermordes, die Mitteilung an Hitler mit den ausführlichen Angaben zur Zahl der getöteten Juden — und bezeichnet sie eines nach dem anderen als niemals gemacht. Noch einmal reduziert er die Zahl der Opfer in Auschwitz, wobei er fromm erklärt: »Ob es eine Million oder 300 000 sind, oder wie auch immer die Zahl lautet, hinter jeder von ihnen steht das Schicksal sehr vieler einzelner Menschen. Bei allem, was ich gesagt, geschrieben oder getan habe, vergesse ich niemals das entsetzliche Leid, das Menschen in Lagern wie Auschwitz zugefügt worden ist.« Nach all dem, was wir gesehen und gehört haben, zu behaupten — und darüber hinaus, wie Irving es scheinbar tut, auch noch zu glauben —, dass er »auf der Seite der Unschuldigen dieser Welt« stehe, ist eine bemerkenswerte Leistung. Um 16.30 Uhr erbittet Irving vom Richter »Schadenersatz, einschließlich verschärften Schadenersatzes wegen Verleumdung und um eine gerichtliche Verfügung, die es den Beklagten untersagt«, ähnliche Äußerungen über ihn jemals wieder zu veröffentlichen. Etwa fünf Stunden nachdem er zu sprechen angefangen hat, nimmt David Irving wieder Platz. Jetzt heißt es warten. Rampton bittet den Richter, eine Woche vor dem Termin der gerichtlichen Entscheidung Bescheid zu geben, um so Interessenten, besonders aus Übersee, die Anwesenheit im Gerichtssaal zu ermöglichen. Irving, der einen Großteil der Wartezeit außer Landes verbringen möchte, ist einverstanden. Jeder, der sich die Mühe macht, das schriftliche Schlussplä347
doyer der Verteidigung zu lesen, erkennt schnell, dass das Beweismaterial, das den Anspruch von Lipstadt und Penguin Books, die Äußerungen Lipstadts seien gerechtfertigt, stützt, gewaltig ist. Vorgelegt in Form eines Überblicks und der richterlichen »Liste der zwischen den Parteien strittigen Fragen« folgend, gliedert sich das Schriftstück in fünf Punkte: »Bedeutung«; Irvings Ruf; sein Anspruch auf Schadenersatz; die juristischen Grundlagen einer Berufung auf Rechtfertigung; und »Rechtfertigung — Fakten«. Die ersten vier Punkte beanspruchen weniger als zehn Seiten. Aber die Version der Verteidigung von den Fakten füllt einen dicken Ringordner. Allein die historiographische Kritik — mit 90 Seiten beinahe so lang wie Irvings gesamtes Schlussplädoyer — umfasst in chronologischer Reihenfolge 19 unterschiedliche Beispiele für Irvings verzerrte Darstellungen; sie reichen vom Hitler-Prozess im Jahr 1924 bis zu Irvings Vorwurf, dass die »GaskammerGeschichte« eine Erfindung der britischen Kriegspropaganda sei. Der Abschnitt über Hitlers Rolle bei der Endlösung — und Irvings Kunstgriffe zur Verschleierung der Schuld Hitlers — erstreckt sich über fünf zusätzliche Unterpunkte. Auschwitz, die Holocaust-Leugnung, Irvings Antisemitismus und Extremismus, seine irreführende Darstellung des Brandbombenangriffs auf Dresden und sein Verhalten im Zusammenhang mit den Goebbels-Tagebüchern — jedes dieser Themen wird ausführlich und gesondert behandelt. Bei all diesen belastenden Einzelheiten wird ein Punkt jedoch niemals angesprochen: Irvings mentale Verfassung. Irving wird als »Antisemit und Rassist« beschrieben — zwei Vorwürfe, die, obschon sie in Lipstadts Buch nie erhoben werden, entscheidende Elemente der Argumentation der Verteidigung bilden. Aber es wird kein Versuch unternommen, herauszufinden, ob Irvings Vorurteil eine Sache der Überzeugung ist oder prakti348
schen Gründen entspringt. Zweifellos ist dies Anthony Julius geschuldet, der diesen Abschnitt verantwortet und für den der Unterschied ohne Bedeutung ist. Was für Julius zählt, ist nicht die Intention des Antisemiten, sondern die Kränkung, die er zufügt. In seiner Rückfrage an Richard Rampton zwischen Ramptons und Irvings Schlussplädoyer schien Charles Gray eine andere Auffassung zu vertreten. Nachdem Rampton behauptete, Irvings Antisemitismus liefere das Motiv für seine Verunglimpfung des Holocaust, beharrte Gray: »Ja, aber er könnte glauben, was er sagt. Das ist der Punkt. Deshalb ist es wichtig.« »Glaubt, was er worüber sagt?« hatte Rampton gefragt. »Über den Holocaust.« Abgesehen davon, dass Grays Bemerkung Irving und seine Widersacher gleichermaßen überraschte, schien sie auf eine Einschätzung hinzudeuten, dass der Zusammenhang nicht nur nicht hergestellt worden sei, sondern dass er auch keine Rolle spiele. Dies wiederum machte zumindest die Möglichkeit denkbar, Gray könnte in dem Sinne entscheiden, dass Irving sich in der Tat bezüglich vieler Vorkommnisse in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges geirrt habe — dass seine Behauptungen über den Holocaust jedoch eher irrig als wissentlich böswillig seien, dass es sich eben um Äußerungen eines »aufrichtigen Antisemiten und aufrichtigen Extremisten« handele. Welche Konsequenzen dies für die Beweisführung der Verteidigung in anderen Fragen, wie zum Beispiel Auschwitz, haben würde, war unmöglich vorauszusagen. Grays Liste strittiger Punkte war, was Auschwitz betraf, unverbindlich; die Verteidigung wurde aufgefordert, das Beweismaterial für Gaskammern auszubreiten, und Irving sollte seine Gründe für die Ablehnung dieser Belege angeben. »Unterschätzen Sie niemals die Fähigkeit eines britischen Richters, das Wesentliche nicht zu begreifen«, sagte mir ein 349
altgedienter Reporter während der Mittagspause. Sollten die Bemerkungen von Charles Gray eine ungute Vorahnung hervorgerufen haben, so war ein Punkt im Lebenslauf des Richters Wasser auf die Mühlen all jener, die sich ohnehin fragten, ob ein Gerichtssaal das richtige Forum sei, um historische Kontroversen zu entscheiden. Im Frühjahr 1987 war eine Broschüre erschienen, in der Lord Aldington, dem ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Konservativen Partei, der den halb ehrenamtlichen Posten eines Rektors am Winchester College bekleidete, vorgeworfen wurde, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges »beim Massaker an 70 000 Männern, Frauen und Kindern, ohne Reue zu zeigen, eine entscheidende Rolle gespielt« zu haben. Unter dem Titel War Crimes and the Wardenship of Winchester College bezeichnete die Broschüre Aldington als Kriegsverbrecher, der persönlich angeordnet habe, russische Kosaken und jugoslawische Soldaten, die sich den Briten ergeben hatten, mitsamt ihren Familien an Stalin und Tito auszuliefern. Viele dieser Männer hatten auf deutscher Seite gekämpft; andere standen im jugoslawischen Bürgerkrieg bloß auf der falschen Seite. Die meisten wurden kurz nach ihrer Repatriierung ermordet. Zu den 10 000 Empfängern der Broschüre zählten der damalige Lehrkörper in Winchester, die Eltern der Schüler, die das College besuchten, ehemalige Schüler, die Mitglieder des britischen Unter- und Oberhauses, der Oberrabbiner des Landes, der Prince of Wales und die Königin. Öffentlicher konnte ein Akt der Diffamierung kaum sein. Aldington reichte dementsprechend eine Verleumdungsklage ein — womit er genau das tat, was die Verfasser der Broschüre beabsichtigt hatten. Einer von ihnen, Nigel Watts, hegte schon seit vielen Jahren Groll gegen Aldington als Präsidenten der Sun-Versicherungsgruppe, die sich geweigert hatte, die Lebensversicherung seines Schwagers auszu350
zahlen. Watts’ Mitautor und Mitbeklagter, Nikolai Tolstoj, war der Verfasser von Victims of Yalta, einer Studie über die erzwungenen Repatriierungen, sowie von The Minister and the Massacres, in dem Harold Macmillan, zur fraglichen Zeit politischer Berater von Feldmarschall Alexander, die Auslieferung angelastet wurde. Als er Aldington für das letztere Buch interviewt hatte, war Tolstoj mit dessen Antworten nicht zufrieden gewesen. Der selbst ernannte »Graf Tolstoj«, der gern seine Verwandschaft mit dem Autor von Krieg und Frieden betont, konnte es kaum erwarten, dass Aldington unter Eid genommen wurde. Doch als beide Seiten einander gegenüberstanden, warnte Richter Michael Davies: »Dies ist ein Prozess um eine Verleumdungsklage und keine historische Kommission oder eine Art Inquisitionsprozess. Es geht hier nicht darum, zu untersuchen, was den Jugoslawen oder den Kosaken im Mai 1945 zugestoßen ist.«2 Die Bemerkungen des Richters zielten auf Tolstoj, der vor Gericht von seinem Solicitor, Michael Rubinstein, und seinem Barrister, Richard Rampton, vertreten wurde. Zweifellos machten diese Worte auch Eindruck auf den Anwalt der Gegenseite, Charles Gray QC, der wie Aldington Absolvent des Winchester College war und den Standpunkt vertrat, sein Mandant habe lediglich Befehle befolgt. Grays Rechtsbeistand führte zu dem höchsten jemals von britischen Geschworenen zuerkannten Schadenersatz wegen Verleumdung: 1,5 Millionen Pfund. Doch wie Ian Mitchell, Autor eines kürzlich erschienenen Buches über den Prozess, schreibt, »war der Streit damit nicht beendet«. Laut Mitchell »wurden dem Gericht entscheidende Beweise für die Verteidigung vorenthalten«, und zwar von Aldingtons Tory-Kollegen im Verteidigungs- und im Außenministerium. Der Vorwurf der Verschleierung findet sich auch bei dem Schriftsteller Robert Harris, der ein Vorwort zu Mitchells Buch beisteuerte, in dem er Aldington 351
vs. Tolstoy symbolisch für »die barocken Absurditäten und immensen Kosten der britischen Justiz« anführt.3 Trotz ihrer vormals beruflich bedingten Gegnerschaft hatte Gray während des Irving-Prozesses nichts als Hochachtung für Rampton erkennen lassen, der das Kompliment selbstverständlich zurückgab. Und ebenso wenig hatte irgend jemand angedeutet, Gray habe im Aldington-Verfahren von irgendwelchen angeblich zurückgehaltenen Beweisen gewusst oder eine der beiden Seiten habe in der laufenden Verhandlung dem Gericht unlautererweise etwas verheimlicht. Trotzdem ist es unmöglich, Mitchells Buch nach der Lektüre aus der Hand zu legen, ohne das unbestimmte Gefühl zu haben, historische Wahrheit und britische Gerechtigkeit seien etwas Grundverschiedenes. Als ginge es darum, diese Unterscheidung zu unterstreichen, war nur ein paar Monate vor Beginn des Irving-Prozesses der Romancier und Tory-Politiker Jeffrey Archer gezwungen gewesen, als Kandidat seiner Partei für das Amt des Bürgermeisters von London zurückzutreten, als bekannt wurde, dass er seinen Sieg in einem berühmten Verleumdungsprozess im Jahr 1987 meineidigen Zeugenaussagen verdankte. Kurz zuvor hatte Jonathan Aitken, ein ehemaliges Kabinettsmitglied, seine Verleumdungsklage gegen den Guardian und den Fernsehsender Granada fallen gelassen, als die Beklagten Beweisdokumente vorlegten, dass auch er unter Eid gelogen hatte, wie schon seine Frau und seine Tochter. Bis er durch eine zufällig gefundene Hotelrechnung ertappt wurde, war Aitken, der am Ende wegen Meineids ins Gefängnis wanderte, so von seinem Sieg überzeugt gewesen, dass er zahlreiche Schlichtungsversuche — die er, vermutlich, mit seinem Anwalt Charles Gray prüfte — ausschlug.
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11 Ein durchdachtes Urteil Gerichtssaal 36 ist der größte in den Royal Courts of Justice. Hier wird am Morgen des 11. April um 10.30 Uhr das Urteil im Prozess David Irving versus Penguin Books Ltd. and Deborah Lipstadt gefällt. Im Gegensatz zu den früheren Verhandlungsorten ist Gerichtssaal 36 nicht auf dem technisch modernsten Stand. Die hohe Kassettendecke, die holzgetäfelten Wände und die schlanken gotischen Steinfenster verleihen dem letzten Schauplatz des Verfahrens eine beinahe kirchliche Anmutung — eine Wirkung, die durch die hintere Empore, deren drei Sitzreihen mit Reportern und ein paar weiteren Zuschauern gefüllt sind, verstärkt wird. Draußen regnet es in Strömen, und auf den Bänken des Gerichts türmen sich wieder einmal durchnässte Mäntel. Auf einer Seite des Raumes sitzt Deborah Lipstadt, die ein tristes schwarzes Kostüm mit einer weißen Bluse trägt, und plaudert mit Anthony Forbes-Watson. Heather Rogers, Richard Rampton und Anthony Julius sitzen hinter den beiden. Auf der gegenüberliegenden Seite drängen sich die bevorzugten Mitglieder der Presse auf der Geschworenenbank. Die hier keinen Platz mehr finden, und das sind nicht wenige, belegen den größten Teil der zerkratzten Holzbänke unterhalb der Empore mit Beschlag. Um genau 10.29 Uhr schreitet David Irving durch die Doppeltüren und begibt sich zu seinem Platz in der Nähe der Geschworenenbank. Irving trägt kein Jackett, stattdessen eine graue Kreidestreifen-Weste mit einem Rückenteil aus roter Seide über einem blau-weiß gestreiften Hemd mit einer blau-gelb 353
gestreifte Krawatte. Diese Abweichung von seinem üblichen Bekleidungsstil ist, wie sich herausstellt, nicht der Versuch, seinen Status als »Historiker in Hemdsärmeln« zu unterstreichen, sondern die Folge einer Begegnung mit Eier werfenden Störern draußen vor dem Gerichtsgebäude. Die geschlossene Reihe aus Gesetzesbüchern und Aktenordnern, die während des Prozesses Irvings Schreibtisch säumte, ist verschwunden, und nachdem er ein paar Worte mit Rae West, dem korpulenten, chronisch unrasierten Mann, der seine Website verwaltet, gewechselt hat, sitzt Irving mit den Ellenbogen auf dem leeren Tisch und dem Kinn auf seine gefalteten Hände gestützt da. Die Haltung eines Mannes, der gute Neuigkeiten erwartet, ist das nicht. Der Assessor des Richters verteilt Auszüge aus Grays Urteil, und wie ungeduldige Schuljungen schlagen wir sofort die letzte Seite auf: »Im Ergebnis ist die Einrede zur Rechtfertigung deshalb erfolgreich.« Aber unter der Überschrift »Urteil« ist der Platz freigelassen. Doch als Charles Gray erst einmal zu sprechen beginnt, ist jede nachklingende Spannung rasch verflogen. Er beginnt mit einem weiteren halbherzigen Versuch, die Geschichte an ihren Platz zu verweisen: »Ich halte es nicht für einen Teil meiner Aufgabe als Richter dieses Prozesses, Tatsachenfeststellungen hinsichtlich dessen zu treffen, was während des Nazi-Regimes in Deutschland geschehen und was nicht geschehen ist.« Dieser Erklärung folgt unmittelbar ein Zugeständnis: »Allerdings werde ich nicht darum herumkommen, bestimmte historische Daten in ziemlicher Ausführlichkeit zu wiederholen. Das ist deshalb notwendig, weil ich die Kritik an seinem Verhalten als Historiker oder (wie Irving es formulieren würde) den Angriff darauf im Lichte des verfügbaren historischen Beweismaterials einschätzen muss.« Doch Gray besteht darauf, er habe »kein Recht, 354
sich über das Geschehene ein Urteil zu bilden, noch weniger, es zu äußern. Dies ist eine Aufgabe für Historiker.« Das sind die letzten verwirrenden Worte, die Gray äußert. In den nächsten zwei Stunden, in denen er fortfährt, Teile aus seiner 333-seitigen Entscheidung vorzulesen, spricht Gray mit gedämpfter, schwermütiger Stimme ein Urteil, das weit reichend, genau durchdacht, klar in der Argumentation — und absolut verheerend für David Irving ist. Manchmal ist die Sprache des Richters erstaunlich unverblümt: Irving behaupte, sagt Gray, »das Opfer einer internationalen jüdischen Verschwörung zu sein, die den Zweck verfolge, ihn zum Schweigen zu bringen«. Obwohl dies genau das ist, was Irving behauptete, hatten sein eigenes Feingefühl — und Ramptons Einsprüche — dafür gesorgt, dass diese Frage in der Verhandlung selten so offen erörtert wurde. Die Einsprüche Ramptons anerkennend, erläutert Gray »den Spielraum, den ich Irving bei der Entwicklung dieses Themas ließ. Sie [die Verteidigung] behauptet zutreffend, dass die Aussagerichtlinien ihn im normalen Prozessverlauf daran gehindert hätten, einen derartigen Standpunkt vorzubringen. Doch ich hielt es aus einer Reihe von Gründen für richtig, nicht zu streng aufzutreten. Irving hat sich die ganze Zeit selbst vertreten (und dabei, wenn ich das sagen darf, außerordentliches Können unter Beweis gestellt und löbliche Zurückhaltung an den Tag gelegt). Dies war keine Verhandlung, bei der es möglich oder angemessen gewesen wäre, sich an strenge Beweisregeln zu halten. Außerdem war Irving durch die unerwartete, in voller Kenntnis der Behauptungen Irvings über Lipstadts Verhalten erfolgende Entscheidung der Verteidigung, Lipstadt nicht aussagen und von Irving ins Kreuzverhör nehmen zu lassen, in starkem Maße gehandikapt. Selbstverständlich stand den Beklagten das Recht, diese Taktik anzuwenden, uneingeschränkt zu, aber sie benach355
teiligte in der Tat Irving, der in eigener Person auftrat.« Gray führt aus, dass Irving zum Beweis einer Verschwörung den Nachweis hätte führen müssen, dass die beiden Beklagten darin verwickelt seien. »Aufgrund der Anhaltspunkte, die der Inhalt des Buches liefert, lasse ich gelten, dass es tatsächlich einen bewussten Angriff auf Irving darstellt«, stellt Gray fest, »inszeniert, um ihn als Historiker zu diskreditieren und dadurch jeden Glauben, den seine Holocaust-Leugnungen andernfalls finden könnten, zu untergraben.« Aber Irving habe nicht nachweisen können, dass Penguin Books eine besondere Feindschaft gegen ihn hege. Außerdem, so Gray, würden Lipstadts Absichten nur bei der Bemessung des Schadenersatzes als Faktor ein Rolle spielen. Irving habe sich auf den Standpunkt gestellt, dass wegen der Schwere des gegen ihn Vorgebrachten »ein strengerer Beweismaßstab angelegt werden müsse« als eine einfache Abwägung der Möglichkeiten gegeneinander. Gray sieht das ebenso. Doch als der Richter weiterliest, wird selbst dieser kleine Sieg bald wertlos. In 245 Paragraphen breitet Gray die Belege hinsichtlich der Behandlung des historischen Beweismaterials durch Irving aus. Gewissenhaft und unparteiisch greift er seinerseits jedes strittige Thema auf — vom Hitler-Prozess des Jahres 1924 über die »Kristallnacht« und die Erschießung der Juden in Riga bis zum Schlegelberger-Memorandum, Hitlers Treffen mit Horthy und den Geständnissen Hans Aumeiers* —, wobei er zuerst die Argumente der Verteidigung zusammenfasst und anschließend Irvings Antwort wiedergibt. Es folgen weitere 133 Paragraphen, in denen Gray bezüglich der Haltung Hitlers gegenüber den * In dem Text des Richters aus irgendeinem Grund als Kurt Aumeier bezeichnet.
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Juden und seiner Verwicklung in die Endlösung genauso verfährt. Auch hier beweist Gray einmal mehr unangefochtene Gewissenhaftigkeit sowohl gegenüber den im Gericht gehörten Aussagen als auch gegenüber der historischen Überlieferung: »Die Beklagten erkennen an«, schreibt er, »dass das dokumentarische Beweismaterial für die Verwicklung Hitlers in eine Politik zur systematischen Erschießung von Juden dürftig ist. Es gebe keine ›rauchende Tatwaffe‹. Eine große Anzahl von Dokumenten sei vernichtet worden, viele davon auf Befehl Heydrichs, sodass das dokumentarische Bild partiell sei. Allerdings heben die Beklagten eine Reihe von Dokumenten hervor, die, so behaupten sie, auf Hitlers Mittäterschaft verweisen, wenn auch nicht unzweideutig.« Als Nächstes wendet sich Gray Auschwitz zu, und an dieser Stelle wendet er sich von der Schimäre ab, die Geschichte aus dem Gerichtssaal heraushalten zu können: »Die übergreifende Frage, die ich entscheiden muss, lautet, ob das verfügbare Beweismaterial, in seiner Gesamtheit betrachtet, einen objektiven und vernünftigen Historiker davon überzeugen würde, dass Auschwitz nicht bloß eines der vielen vom Nazi-Regime errichteten Konzentrations- oder Arbeitslager war, sondern dass es auch als Todes- oder Vernichtungslager diente, wo im Zeitraum von Ende 1941 bis 1944 Hunderttausende von Juden in Gaskammern systematisch ermordet wurden.« Die Holocaust-Leugnung, Irvings Rassismus und Antisemitismus, der Vorwurf, er verbünde sich mit Rechtsextremisten, seine Darstellung der Bombardierung Dresdens und sein Verhalten beim Erhalt der Goebbels-Tagebücher — jedes strittige Feld wird derselben sorgfältigen Analyse unterzogen, wobei jede Behauptung und ihre Erwiderung fein säuberlich in einzelne Paragraphen untergliedert und zur Betrachtung ausgebreitet werden. Als Festlegungen gefordert sind, liefert Gray sie. Nur in 357
puncto Credo der Holocaust-Leugner zitiert er Evans: (i) dass Juden nicht in Gaskammern getötet wurden oder zumindest nicht in irgendeinem größeren Umfang; (ii) dass die Nazis keine politische Linie zur Vernichtung des europäischen Judentums hatten und keinen diesbezüglichen systematischen Versuch unternahmen und dass solche Todesfälle, wie sie vorkamen, die Folge individueller, von höherer Ebene nicht autorisierter Ausschreitungen waren; (iii) dass die Zahl ermordeter Juden nicht in die Millionen ging und dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer weit niedriger war; (iv) dass der Holocaust größtenteils oder zur Gänze ein Mythos ist, von alliierten Propagandisten während des Krieges erfunden und nach dem Krieg von Juden aufrechterhalten, um finanzielle Unterstützung für den neu geschaffenen Staat Israel zu bekommen. Einmal mehr wird hier der Anschein, Grays Dilemma sei alles andere als historisch, still und heimlich aufgegeben: »Man muss auch erwägen, ob und, wenn ja, in welchem Ausmaß das, was Irving gesagt und geschrieben hat, mit dem verfügbaren historischen Beweismaterial übereinstimmt oder von diesem Material bestätigt wird. Denn man kann Irving, wie auch die Beklagten akzeptieren, erst dann berechtigterweise für seine Leugnung, dass ein bestimmtes Ereignis stattgefunden habe, kritisieren, sobald der Nachweis erbracht worden ist, dass ein kompetenter und gewissenhafter Historiker zweifelsfrei erkennen würde, dass eine solche Leugnung in mehr oder weniger starkem Ausmaß dem verfügbaren historischen Beweismaterial widerspräche.« Nachdem er mehr als drei Viertel seiner Urteilsverkündung hinter sich gebracht hat, ist immer noch kein Wort darüber gefal358
len, wie Gray das Beweismaterial einschätzt. Aber als er zu Abschnitt 13 kommt, »Feststellungen bezüglich der Rechtfertigung«, richtet Irving, der den Entscheid am Vorabend erhalten hat und weiß, was kommt, sich in seinem Stuhl auf, als wolle er sich wappnen. Die für Irving nun beginnende Tortur wird mit einer Laudatio eingeleitet: »Als Militärhistoriker hat Irving vieles, was für ihn spricht. Für seine militärgeschichtlichen Werke hat Irving gründliche und sorgfältige Forschungen in den Archiven durchgeführt. Er hat zahlreiche Dokumente, die ohne seine Bemühungen vielleicht noch jahrelang unbemerkt geblieben wären, entdeckt und sie Historikern und anderen offenbart. Aus der Art und Weise, wie er seinen Fall handhabte und ein langes und scharfes Kreuzverhör bewältigte, ist klar geworden, dass sein Wissen über den Zweiten Weltkrieg beispiellos ist. Wie er die Einzelheiten der historischen Dokumente im Griff hat, ist bemerkenswert. Er ist ohne Frage kompetent und intelligent. Er war ausnahmslos schnell, wenn es darum ging, die Bedeutung von Dokumenten, die er noch nie zuvor gesehen hatte, zu erkennen. Überdies schreibt er seine Militärgeschichte in klarem und lebendigem Stil. Ich lasse die positive Einschätzung des Formats der militärgeschichtlichen Werke Irvings durch Professor Watt und Sir John Keegan gelten... und weise die negative Einschätzung von Evans als zu drastisch zurück.« Bei diesen Worten ringt Irving sich ein kurzes Lächeln ab, aber sein Triumph über Evans ist sehr kurzlebig. »Die Fragen, welche dieser Prozess aufgeworfen hat, hängen jedoch nicht mit der Qualität von Irvings militärgeschichtlichem Werk zusammen«, sagt Gray. Worauf es stattdessen ankomme, sei Irvings Integrität als Autor und Präsentator historischen Beweismaterials. Und hier findet der Richter Evans’ vernichtende Beurteilung absolut überzeugend: »Im Verlauf seines ausgedehnten 359
Kreuzverhörs rechtfertigte Evans jeden einzelnen der Kritikpunkte, auf welche sich die Beklagten beriefen.« Irvings Versuch, die Schuld an der »Kristallnacht« von Hitler auf Goebbels abzuwälzen, »stimmt nicht mit dem dokumentarischen Beweismaterial überein«. Bei seiner Darstellung des Himmlerschen Telefonats vom November bezüglich des Zugs mit Berliner Juden befinde Irving sich »im Irrtum«, und es gebe »keine Anhaltspunkte«, den Anruf der Intervention Hitlers zuzuschreiben. »Obwohl ich akzeptiere, dass ein Historiker spekulieren dürfen muss«, sagt Gray, »muss es für den Leser doch klar erkennbar sein, wo er spekuliert und wo er anerkannte Fakten wiedergibt.« Der Richter stellt fest, dass der Behandlung der Verantwortung Hitlers für die Vernichtung der Juden vonseiten Irvings »ein deutlicher Hauch der Irrealität« anhafte. Beim Schlegelberger-Memorandum findet der Richter, obschon Irvings Einwände »erwägenswert« seien, seine Beflissenheit, das Schriftstück als unwiderlegbaren Beweis zu präsentieren, sowohl ungebührlich als auch ungerechtfertigt. Was seine Darstellung der Begegnungen Hitlers mit dem ungarischen Reichsverweser betrifft, »verzerrt Irving das Beweismaterial hinsichtlich der Verhandlung zwischen den Nazis und Horthy meiner Einschätzung nach gründlich«, sagt Gray. Punkt für Punkt wirft Gray Irvings historisches Urteil in die Waagschale und befindet es für unzulänglich. Aber er hat noch nicht gesagt, ob diese Verzerrungen bewusst und absichtlich erfolgten. Stattdessen wendet der Richter sich wieder Auschwitz zu: »Ich muss zugeben, dass ich — wie wohl die meisten — angenommen hatte, die Beweise für die Massenvernichtung von Juden in den Gaskammern von Auschwitz seien zwingend. Diese vorgefasste Meinung habe ich allerdings bei der Einschätzung 360
des von den Parteien in diesem Verfahren angeführten Beweismaterials fallen gelassen.« Gray führt weiter aus, er erkenne »die Überzeugungskraft vieler Einlassungen Irvings« zu dem Beweismaterial für die Gaskammern an, beispielsweise der Spärlichkeit der dokumentarischen Belege und dem Mangel an Hinweisen auf den Gebrauch von Gas. Vieles davon könnte durchaus mit dem Auftreten von Typhus erklärt werden. Er akzeptiert auch, dass die Luftaufnahmen, von denen die Verteidigung behauptet, sie zeigten die Löcher im Dach von Krematorium 3, »schwer zu deuten« seien. Er räumt sogar ein, dass Irving zum Beweiswert von Augenzeugen »ein paar stichhaltige Bemerkungen« gemacht habe, er habe dabei auf Fälle hingewiesen, wo die Aussagen entweder offensichtlich falsch oder übertrieben gewesen seien. Irving »brachte unterschiedliche Beweggründe ins Spiel, warum Augenzeugen falsche Darstellungen zu Protokoll gegeben haben könnten, beispielsweise Habgier und Groll (im Falle von Überlebenden) oder Angst und der Wunsch, sich bei seinen [alliierten] Häschern einzuschmeicheln (im Falle von Lagerfunktionären). Van Pelt ließ gelten, dass diese Möglichkeiten bestünden. Ich stimme dem zu.« Ohne diese Ungereimtheiten beiseite zu wischen, bemerkt Gray jedoch: »Auffallend ist für mich an dieser Kategorie von Beweisen die Ähnlichkeit der Berichte und das Ausmaß, in dem sie mit den dokumentarischen Belegen übereinstimmen. Der Bericht des Sonderkommando-Angehörigen Henryk Tauber beispielsweise ist so klar und detailliert, dass meiner Einschätzung nach kein objektiver Historiker ihn als Erfindung abtäte, solange es dafür keine stichhaltigen Gründe gibt. Taubers Bericht und die Berichte von anderen wie Jankowski und Dragon bestätigen sich gegenseitig. Deren Schilderungen fügen sich nahtlos in die Zeichnungen von Olère. Die Aussagen anderer Augenzeugen 361
wie Höß und Broad würden einem objektiven Auschwitz-Forscher meiner Ansicht nach glaubhaft erscheinen.« »Ich komme zu dem Schluss«, führt der Richter aus, »dass die unterschiedlichen Kategorien von Beweisen tatsächlich in der von den Beklagten angedeuteten Art und Weise ›konvergieren‹... Nach Erwägung der verschiedenen von Irving* vorgebrachten Einwände, mit denen er die Wirkung des konvergierenden Beweismaterials, auf das die Beklagten sich berufen, angreifen wollte, lautet meine Schlussfolgerung, dass kein objektiver, gerechter Historiker ernsthaft Anlass hätte, zu bezweifeln, dass es Gaskammern in Auschwitz gab und dass sie in beträchtlichem Umfang zu dem Zweck betrieben wurden, Hunderttausende von Juden zu ermorden.« Obwohl Irving hinsichtlich Geschichtsschreibung und Auschwitz bereits verloren hat, kommt das Schlimmste allerdings erst noch. Bislang hat der Richter nur von Irvings Behauptungen gesprochen, noch nicht von seinen Beweggründen. Gray folgt einer ähnlichen Linie, als er — mit der anspruchsvollen Ausdrucksweise des Urteils — feststellt, »dass die von Irving aufgestellten Behauptungen, die von den Beklagten als HolocaustLeugnungen apostrophiert wurden, falsch sind«, und dass »Irvings Leugnungen dieser Aussagen nicht dem Beweismaterial entsprachen«. Als Richter Gray zu Irvings Antisemitismus kommt, gestattet er sich in seiner Stimme kaum mehr als einen an Bedauern grenzenden Unterton. Unter Verweis auf die von der Verteidigung zusammengestellte Anthologie beleidigender Zitate sagt Gray: »Es erscheint mir als unbestreitbar, dass Irving... mangels * Zu dem von Irving während des Prozesses am meisten betonten Einwand: »Das augenscheinliche Fehlen von Beweisen für Löcher im Dach von Leichenkeller 1 des Krematoriums 2 ist ganz und gar kein stichhaltiger Grund dafür, den kumulativen Effekt des Beweismaterials zu bestreiten.«
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einer Entschuldigung oder einer passenden Erklärung für das, was er gesagt oder geschrieben hat, ein Antisemit ist. Seine Äußerungen richten sich entweder gegen einzelne Juden oder gegen Juden in ihrer Gesamtheit, in dem Sinne, dass er von Semiten, ihren typischen Merkmalen und ihrer äußeren Erscheinung abwechselnd feindselig, kritisch, beleidigend und höhnisch spricht.« In einem Falle habe Irving behauptet, seine Bemerkungen seien als Witz gemeint gewesen; wenn das zutreffe, meint Gray, »war es ein antisemitischer Witz«. »Mehr Sympathie«, fährt er fort, »habe ich für Irvings Einwand, dass Juden vor seiner Kritik nicht gefeit seien... Irving nannte als Beispiel seine, wie er behauptete, gerechtfertigte Kritik an den Juden, weil sie seine Meinungsfreiheit unterdrückten. Ein weiterer legitimer Grund für Kritik könnte die Art und Weise sein, wie Juden in gewissen Teilen der Welt den Holocaust auszubeuten scheinen. Ich stimme ihm zu, dass Juden sich genauso der Kritik stellen müssen wie jeder andere Mensch. Allerdings habe ich den Eindruck, dass Irving die Schwelle zwischen legitimer Kritik und vorurteilsbeladener Diffamierung der jüdischen Rasse und des jüdischen Volkes wiederholt überschritten hat. Die aus Irvings mündlichen und schriftlichen Äußerungen in meinem Urteilsspruch eindeutig zu ziehende Schlussfolgerung lautet, dass er ein Antisemit ist.« Irving ist inzwischen in seinem Sitz zusammengesackt und starrt Gray unter halb geschlossenen Augenlidern an. »Ich bin zu dem Schluss gekommen«, fährt der Richter fort, »dass die Behauptung, Irving sei ein Rassist, aus weitgehend analogen Gründen ebenfalls begründet ist.« Gray äußert noch einige Vorbehalte gegenüber Hajo Funke, dessen Gutachten, wie er sagt, »auf eine verwirrende Ansammlung von Organisationen und Einzelpersonen Bezug nahm... Aber Irvings Verbindung zu vielen dieser Organisationen ist, gelinde 363
gesagt, schwach. Ich bin davon überzeugt, dass Irving mit einer ganzen Reihe von ihnen keine Verbindung von Bedeutung gehabt hat. Das Gleiche gilt für die von Funke namentlich genannten Einzelpersonen.« Trotzdem findet der Richter, »dass Irving meines Erachtens viele ihrer politischen Ansichten teilt«. Gray weist auf Irvings regelmäßigen Kontakte zu Zündel, Faurisson, der National Alliance und einer Hand voll deutscher Extremisten hin. Als Beleg für »Irvings Bereitschaft, an einer Versammlung teilzunehmen, auf der auch eine kunterbunte Ansammlung militanter Neonazis zugegen war«, führt er das umstrittene Halle-Video an. Einen schwachen Trostschimmer für Irving gibt es, als der Richter befindet, den Beklagten sei es nicht gelungen, zu beweisen, dass er eine Vereinbarung mit dem Moskauer Staatsarchiv gebrochen habe. Gray ist auch der Meinung, sie hätten nicht bewiesen, dass Irving die Glasplatten mit den Goebbels-Tagebücher durch sein Verhalten einer übermäßigen Gefahr ausgesetzt habe. Ausgesprochen unangenehm wird es für Irving, als der Richter zu der von ihm so bezeichneten »zentralen Frage der Geschichtsschreibung Irvings« zurückkehrt, nämlich ob »er das historische Beweismaterial absichtlich gefälscht und verzerrt hat«. Hier geht es nicht um Irvings Kompetenz, sondern um seine Integrität. Und einmal mehr lassen die Worte des Richters an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: »Bestimmte Verfälschungen des historischen Beweismaterials durch Irving kann man als einfache Fehler seinerseits interpretieren... Aber bei anderen Gelegenheiten ist Irvings Behandlung des historischen Beweismaterials so abwegig und ungeheuerlich, dass die Annahme schwer fällt, es handele sich um ein Versehen.« Nachdem er eine Reihe von Beispielen angeführt hat, kommt 364
Gray auf die verschiedenen Zugeständnisse zu sprechen, die Irving im Laufe der Verhandlung gemacht — und dann wieder zurückgezogen — hat. »Was bedeuten diese Positionswechsel... in Bezug auf... Irvings Motive?« Der Richter kommt zu dem Schluss, dass Irvings scheinbare Bereitschaft zu Zugeständnissen, sobald er mit dem Beweismaterial konfrontiert werde, darauf hindeute, dass ihm die Unrichtigkeit seiner Position schon die ganze Zeit bekannt gewesen sei, wohingegen seine nachfolgenden Rückzieher die »Entschlossenheit... bekunden, an seiner bevorzugten Version von Geschichte festzuhalten, auch wenn das Beweismaterial sie nicht stützt«. »Man erkennt unschwer ein System«, sagt Gray, seine Befunde zusammenfassend. »Während der vergangenen circa 15 Jahre scheint Irving politisch aktiver geworden zu sein, als es vorher der Fall war. Er spricht regelmäßig auf politischen oder quasi-politischen Versammlungen in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Kanada. Der Inhalt seiner Reden, Vorträge und Interviews zeigt oft eine ausgesprochen pronazistische und antijüdische Tendenz. Er stellt erstaunliche und oft unbegründete Behauptungen über das Nazi-Regime auf, welche die Nazis für die an den Juden begangenen entsetzlichen Gräueltaten gewöhnlich entlasten. Er mischt sich gern unter Neo-Faschisten und scheint viele ihrer rassistischen und antisemitischen Vorurteile zu teilen. Das Bild von Irving, das sich aus dem Beweismaterial für seine Nebentätigkeiten herauskristallisiert, enthüllt ihn als rechten pronazistischen Polemiker.« Gray folgert: »Mir erscheint als zutreffende und unausweichliche Schlussfolgerung, dass die Verfälschung der historischen Dokumente zum größten Teil absichtlich geschah und dass Irving motiviert war von dem Wunsch, Ereignisse auf eine Weise zu präsentieren, die mit seinen eigenen ideologischen Überzeugungen übereinstimmte, selbst wenn dies die Verzerrung und 365
Manipulation historischen Datenmaterials beinhaltete.« Obwohl die Verteidigung ihren Standpunkt nicht in allen Belangen bewiesen habe, entscheidet der Richter, dass das, was nicht bewiesen worden sei — Irvings Verhalten im Moskauer Archiv, das angeblich über Irvings Schreibtisch hängende Hitler-Porträt — von Abschnitt 5 des Verleumdungsgesetzes aus dem Jahr 1952 abgedeckt werde, wo es heißt: »Was Äußerungen betrifft, die zwei oder mehr getrennte Vorwürfe gegen den [Kläger] enthalten, darf eine Einrede zur Rechtfertigung nicht allein daran scheitern, dass die Wahrheit jedes einzelnen Vorwurfs nicht bewiesen worden sei, wenn die nicht als wahr bewiesenen Äußerungen den Ruf [des Klägers] in Anbetracht der Wahrheit der übrigen Vorwürfe nicht grundsätzlich schädigen.« »Meines Erachtens«, sagt Gray, »sind die Vorwürfe gegen Irving, die als wahr bewiesen wurden, so schwerwiegend, [dass die übrigen Vorwürfe]... keine grundsätzliche Auswirkung auf Irvings Ruf hätten. Im Ergebnis ist die Einrede zur Rechtfertigung deshalb erfolgreich.« Gray füllt die letzte leere Stelle aus: »Daraus ergibt sich zwingend eine gerichtliche Entscheidung im Sinne der Beklagten.« Bei diesen Worten erhebt Irving sich: »Mylord, die Kostenfrage. Ich denke, es muss eine Anhörung zur Kostenfrage geben.« Nachdem man in jedem entscheidenden Punkt gewonnen hat — und zwar auf die eindeutigste und überzeugendste Weise, die vorstellbar ist —, regt sich aufseiten der Verteidigung kein Einspruch. Doch als Gray dem Antrag stattgibt, warnt er Irving: »Die Verteidigung wird den Großteil ihrer Auslagen erstattet bekommen.« Und als Irving Gray außerdem um die Erlaubnis bittet, gegen dessen Urteilsspruch Berufung einlegen zu dürfen (die eine Überprüfung durch ein höheres Gericht praktisch garantieren würde), lehnt der Richter ab. 366
Während er noch das Ausmaß seiner Niederlage verdaut, packt Irving sein verschmutztes Jackett zusammen und verlässt durch einen Hinterausgang das Gericht. Auf eine ihm zugerufene Frage eines Reporters hin bezeichnet er das Urteil als »abwegig«, gibt aber ansonsten keinen weiteren Kommentar. Die Beklagten haben in einem nahe gelegenen Hotel einen Raum für eine Pressekonferenz gemietet, die rasch zu einer Siegesfeier wird. Endlich frei, vor der Presse zu sprechen, liest Lipstadt aus einer kurzen Erklärung vor: »Ich bin sehr froh, dass das, was ich geschrieben habe, rehabilitiert worden ist.« Während sie fortfährt und Penguin Books und Pearson dafür dankt, dass sie »Schulter an Schulter mit mir diesen Prozess durchgestanden haben«, schwärmen Mitarbeiter der Penguin-Werbeabteilung im Saal aus und verteilen Exemplare einer Pressemappe mit Kurzporträts von Lipstadt, ihren Anwälten, leitenden Penguin-Angestellten, den Penguin-Anwälten und einer siebenseitigen Zusammenfassung der Kernpunkte des Urteils. Außerdem enthält die Mappe noch ein Hochglanzfoto von Lipstadt, eine Kopie von Ramptons Eröffnungsplädoyer und eine Erklärung von Penguin Books, die Anthony Forbes-Watson jetzt verliest. »Dies war ein ungeheuer kostspieliger Rechtsstreit. Wir werden zwar aktive Maßnahmen ergreifen, um unsere Kosten zu decken, aber draufzahlen werden wir mit Sicherheit.« Gedrängt, eine konkrete Summe zu nennen, schätzt ForbesWatson, dass der Prozess Penguin Books etwa zwei Millionen Pfund gekostet habe. Als ein kanadischer Reporter fragt, ob die Gewissheit, dass Penguin Books den Großteil seiner Kosten niemals wird decken können, nicht einen Sieg für Irving darstelle — in der Erwartung, der nächste Verlag werde wegen der hohen Kosten selbst vor einem gewinnbaren Rechtsstreit kneifen —, widerspricht ihm Forbes-Watson. »Manchmal siegen Prinzipien über finanzielle Erwägungen«, sagt er, und obwohl der 367
Reporter taktlos genug ist, zu fragen, ob die Aktionäre von Pearson damit wohl einverstanden wären, wenden sich die Anwesenden mit ihren Fragen rasch wieder Lipstadt zu. Wie Irving hatten auch die Anwälte der Verteidigung am Vorabend den Text mit der Entscheidung des Richters erhalten (wahrscheinlich auch die Werbeabteilung von Penguin Books). Doch Lipstadt selber erfuhr erst eine halbe Stunde bevor der Richter das Wort ergriff von ihrem Triumph. »In diesem Moment empfand ich tiefe Freude und Dankbarkeit«, sagte sie. Was ihren Widersacher betrifft, so meint sie ein wenig verwirrend: »Ich bin mir nicht sicher, ob er nicht [in den Vereinigten Staaten] geduldet werden sollte.« Als aber der nächste Fragensteller Lipstadts Unterstützung für eine Kampagne zum Verbot der Holocaust-Leugung in Großbritannien erbittet, lehnt sie ab: »Ich glaube nicht, dass solche Gesetze wirklich funktionieren. Manchmal denke ich, dass sie geeignet sind, aus Leugnern Märtyrer zu machen.« Zudem glaubt Lipstadt, dass die Entscheidung des Richters wahrscheinlich nicht das letzte Wort sei. »Der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass«, sagt sie, »ist noch nicht zu Ende.« Und wenn es dem Richter auch zu widerstreben schien, Lipstadts Terminologie zu übernehmen (er verwendete den Ausdruck »Holocaust-Leugnung« nur als Zitat oder wenn er ihn Lipstadt und ihren Anwälten zuschrieb), habe sie nicht die Absicht, sich zu beklagen, rechtfertigte er doch ihre Charakterisierung Irvings ohne Einschränkungen. Außerdem, sagt sie, »schreibe ich ein Buch über diesen Prozess; dies ist nicht die einzige Gelegenheit, mich zu Wort zu melden«. Das Schweigen von David Irving hält nicht sehr lange an. Auf dem Weg zum Gericht an diesem Morgen erzählte Irving, der bereits wusste, dass er verloren hatte, einem Korrespondenten 368
der Washington Post, er glaube, dass sein Ruf durch den Prozess auf lange Sicht verbessert würde. Mir selber hatte er ein paar Wochen früher genau das Gleiche gesagt. Am Abend seiner Niederlage ist Irving bis 22.00 Uhr im australischen Fernsehen, in der Sendung Today, in Newsnight und in unzähligen Rundfunkinterviews erschienen. Am folgenden Tag setzt sich dieser Zyklus fort, unter anderem in Form einer Hörfunkdiskussion mit Alan Dershowitz in den Vereinigten Staaten. Obwohl die Leitartikel der britischen Presse Irving durchweg feindlich gesonnen sind, druckt der Daily Telegraph einen Artikel von John Keegan, der erklärt, dass Irvings Niederlage »ein Beben durch die Gemeinde der Historiker des 20. Jahrhunderts schicken wird«. Ungeachtet ihrer Differenzen über Hitlers Verwicklung in den Holocaust, besitze Irving »viele der Eigenschaften der kreativsten Historiker. Gewiss ist er niemals langweilig.« Keegan schließt seinen Beitrag mit einem Naserümpfen in Richtung Lipstadt. Sie sei so »langweilig, wie nur die Selbstgerechten, politisch Korrekten sein können. Wenige andere Historiker hatten vor diesem Prozess jemals von ihr gehört. Die meisten werden nicht wieder von ihr hören wollen. Mr. Irving hat uns, wenn er nur seine Lehren aus diesem Fall zieht, immer noch viel Interessantes zu erzählen.«1 Am Ende der Schlussplädoyers fragte der Richter Irving, der Ramptons Ersuchen um einen frühzeitigen Bescheid über sein Urteil zustimmend abgenickt hatte: »Sie werden auf das letzte Wort verzichten, nicht?« Das war natürlich eine schwache Hoffnung.
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12 Zahlen Ein Sophist, sagt Aristoteles, ist »ein Mensch, der mit scheinbarer, nicht wirklicher Weisheit Geschäfte macht«. Die Beschreibung stammt aus der Einleitung seiner Abhandlung Sophistische Widerlegungen, womit der Philosoph jene Entgegnungen meint, »die Widerlegungen scheinen, aber Fehlschlüsse, keine Widerlegungen sind«.1 Dies ist ein sehr altes Spiel, und obwohl der Großteil der entscheidenden Spielzüge von Aristoteles sowohl in obiger Schrift als auch in seiner Rhetorik analysiert wurde, sind neue Varianten stets möglich — und oftmals lukrativ. Die Geschichte verrät uns nicht, ob Dio Chrysostomos, der etwa vierhundert Jahre nach Aristoteles lebte und schrieb, seinen »Elften Diskurs« als Auftragswerk verfasste. Und wir wissen auch nicht, ob der »Trojanische Diskurs«, wie er auch genannt wird, als eine Art Werbung für seine Talente als Sophist gedacht war — die immerhin so erheblich waren, dass sie ihm den Namen Chrysostomos (Goldener Mund) einbrachten — oder als warnendes Beispiel vor den Gefahren der Sophisterei, geschrieben nach der Bekehrung seines Autors zum Stoizismus. Was man beinahe zwei Jahrtausende später erkennen kann, das ist die rhetorische Brillanz, mit der Dio, der Griechisch sprach, aber aus der Provinz Asia Minor gebürtig war, sich daranmacht, seine Zeitgenossen in Ilium (Troja) davon zu überzeugen, dass Homer sie hereingelegt habe, wenn sie nun glaubten, ihre Vorfahren hätten den Trojanischen Krieg verloren. Dio zufolge ist die Erzählung des Dichters über die nach 370
Troja verschleppte Helena und ihre spätere Rettung nach zehn Jahren Krieg nämlich ein Stück griechischer Propaganda. Paris sei nicht Helenas Entführer, sondern ihr rechtmäßiger Ehemann gewesen. Selbst Homer habe sein gutes Aussehen nicht bestreiten können, und als Erbe des Throns von Troja, der Hauptstadt von Asia Minor, sei er eine großartige Partie gewesen. Aber wenn Helena und ihre Familie auch glücklich gewesen seien, die übrigen Griechen seien es eben nicht gewesen, und es sei ihre eifersüchtige Wut auf die Entscheidung der berühmten Schönheit für einen ausländischen Ehemann gewesen, die sie schließlich dazu veranlasst habe, die tausend Schiffe in See stechen zu lassen — wenngleich es in Dios Version wegen der Unbeliebtheit der ungerechten griechischen Sache weit weniger Schiffe waren. Ohne »andere Mittel zur Widerlegung [Homers] als seine eigene Dichtkunst«, vertritt Dio den Standpunkt, die Ilias sei ein Lügengespinst, dessen Unwahrheit eigentlich schon aus der Art ersichtlich sei, wie Homer Einzelheiten aufnehme, von denen kein Sterblicher habe wissen können, beispielsweise Ehekräche zwischen Zeus und Hera. Er weist darauf hin, wie unwahrscheinlich es sei, dass der Held seines Liedes, Achilles, sich weigere, seine griechischen Mitkämpfer zu retten, und auf die verdächtige Tatsache, dass der Tod Achills nicht einmal erwähnt werde. Und eigentlich werde auch die mutmaßliche Eroberung der Stadt, die dem Heldengedicht seinen Namen gebe, nicht erwähnt. Stattdessen schließe Homer mit dem Begräbnis Hektors — eine armselige Kriegslist, um zu vertuschen, was tatsächlich geschah, wie es Dio »von einem sehr betagten Priester in Onupis« erzählt wurde, nach Auskunft des englischen Herausgebers von Dios Werk »einer Stadt in Ägypten, deren Lage ungewiss ist«.2 In dieser »revisionistischen« Ilias gehört der tote Körper im 371
Innern von Achills Rüstung Achill selbst — und nicht wie bei Homer dessen Freund Patroklos. Nachdem ihr größter Krieger erschlagen worden ist, flehen die Griechen um Frieden. Aber Hektor widerstrebt es, sie entkommen zu lassen, und erst als Odysseus, ein Mitglied der griechischen Friedensmission, den Vorschlag macht, »eine sehr große und schöne Gabe« in Gestalt der Statue eines Pferdes zurückzulassen, willigen die Trojaner ein. Es sei diese Friedensgabe gewesen, deren Massigkeit ein Teil der Stadtmauer habe geopfert werden müssen, um sie ins Innere Trojas schaffen zu können, welche, so behauptet Dio, »die lächerliche Geschichte von der Eroberung der Stadt durch ein Pferd« erkläre.3 Den Ausdruck »Ritualmord am trojanischen Volk« benutzt Dio an keiner Stelle. Und er beschuldigt die Griechen auch keiner Verschwörung. Er gibt lediglich vor, den Nachweis zu erbringen, wie eine aus den Wirren des Krieges entstandene Legende ein Eigenleben entwickelte. Doch seinem mutmaßlichen Publikum in Ilium legt er nahe: »Ihr solltet dankbar sein... und mich froh anhören, denn ich habe mich eifrig darum bemüht, eure Ahnen zu verteidigen.« Kein Dokument ist erhalten, das uns verraten könnte, welche Aufnahme der Diskurs fand. Was wir indes wissen, ist, dass Dio zurzeit der Herrschaft Vespasians (als er Stoiker wurde) Rom besuchte, mit Domitian aneinander geriet (der ihn aus Rom verbannte) und sich mit Trajan anfreundete. Wir wissen sogar (oder Forscher glauben es), dass Dio in seinem Geburtsort Prusa (dem heutigen Bursa in der nordwestlichen Türkei) in einen Prozess verwickelt war, bei dem es um einige Verbesserungen ging, die er in der Stadt durchzusetzen hoffte. Doch vermutlich hatte das Auf und Ab der Karriere Dios nichts mit seiner »Ilias-Leugnung« zu tun. 372
Man kann in David Irving natürlich einfach einen Dio Chrysostomos im dreiteiligen Anzug sehen, der eine nach außen hin schlüssige, innerlich stimmige Fiktion vorbringt, die auf der Klaviatur der Vorurteile seines Publikums spielt. Behauptungen, die in diese Richtung zielen, habe ich von Irvings Kritikern gehört — und von seinen Verteidigern. Ich finde, man unterschätzt sowohl Irving als auch das, wofür er steht, wenn man ihn auf diese Weise abtut. Wäre Irving einfach ein »Clown«, wie ein mir bekannter Wissenschaftler behauptete, der zugleich die Begeisterung der Medien für den Prozess beklagte, dann wäre es kaum erforderlich gewesen, ein ganzes Team von Gelehrten zu beauftragen, ihn in die Schranken zu weisen. Ein solcher Wettbewerb wäre in der Tat grotesk gewesen. Ebenso übertrieben wäre die ganze Angelegenheit wohl gewesen, wenn Irving bloß der harmlose Führer-Fan wäre, als den Robert Harris ihn in Selling Hitler beschreibt, seinem amüsanten Bericht über das Fiasko der Hitler-Tagebücher. Obwohl Richard Evans sich am Ende durchsetzte, waren die 28 Stunden, die er im Zeugenstand mit dem Verriss der Irvingschen Gelehrsamkeit zubrachte, nicht bloß eine akademische Übung. Doch bei all seiner Beherrschung der historischen Details schien Evans manchmal wenig Verständnis dafür aufzubringen, warum es auf die Details ankommt. In seinem Buch In Defense of History zieht Evans eine für ihn untypische, grobschlächtige Verbindung zwischen »der quantitativen und qualitativen Zunahme der Aktivitäten der Holocaust-Leugner seit Mitte der 1970er Jahre« und »dem postmodernen intellektuellen Klima, vor allem in den USA, unter dem Gelehrte in wachsendem Maße bestreiten, dass Texte irgendeine feste Bedeutung hätten... und unter dem Angriffe auf die westliche Tradition des Rationalismus in Mode gekommen sind«.4 Wie sein Zitat aus Leugnen des 373
Holocaust auf derselben Seite deutlich macht, folgte Evans hier Lipstadt, die »ein Klima« beklagt, »das die Infragestellung der Bedeutung historischer Ereignisse begünstigte... Dieses Klima bildet einen ausgezeichneten Nährboden für die schlimmsten Auswüchse dissoziativer Geschichtsschreibung... Die HolocaustLeugnung bildet einen Teil dieses Phänomens.«5 Sollte nicht selbst ein Brummbär wie Evans, eingeschworener Feind jeden »modischen« Geredes, auf jeden Fall vor der Vorstellung zurückschrecken, die Holocaust-Leugnung sei lediglich ein Epiphänomen des Postmodernismus? David Irving ist kein postmoderner Prinz unserer Unordnung. Dafür ist seine Abneigung gegen Theorien jeglicher Couleur viel zu stark. Sollte Irving irgendwelche kritischen Ansichten hegen, dann bewegen sie sich mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit auf der Linie seines Genossen Faurisson, der darauf beharrt: »Jeder Text hat nur eine Bedeutung, oder er hat überhaupt keine Bedeutung.«6 Diese Scheinalternativen, die sich im gegenwärtigen Fall darauf beschränken, dass der Holocaust entweder ein Beweis für die Bosheit der Juden oder eine Ansammlung sinnloser Zahlen sei, kommen dem, was bei diesem Prozess wirklich auf dem Spiel stand, bedeutend näher. »Vielleicht sind Sie anderer Meinung«, sagte Irving dem Richter, als er sich zu den grundverschiedenen Zahlen äußerte, die er für die Toten in Auschwitz angegeben hatte, »aber ich sehe keinen Unterschied zwischen diesen Zahlen.« Und wenn Evans’ offensichtliche Verwirrung durch sein Vertrauen auf Lipstadt erklärt werden kann, so dient ihre eigene Beschwörung »dissoziativer Geschichtsschreibung« und des »Dekonstruktivismus«, obwohl sie auf die diskreditierte Gestalt von Paul de Man* anspielt, eigentlich bloß der Ausschmückung ihrer Behauptung, dass die Holocaust-Leugnung »keinen Spezialangriff auf eine abgesonderte Gruppe von Menschen [dar374
stellt]. Obwohl die Leugnung des Holocaust in höchst aggressiver Weise die Geschichte der Judenvernichtung in Frage stellt, müssen alle, die daran glauben, dass Wissen und Erinnerung zu den Schlusssteinen unserer Zivilisation zählen, sie von ihrem Charakter her als Bedrohung empfinden... so bedeutet die Holocaust-Leugnung... auch eine Gefahr für alle, welche an die Kraft der Vernunft glauben.«7 Mit anderen Worten, sie ist nicht nur ein Problem für Juden. Wie viele Aussagen in Lipstadts Buch ist auch ihre Schlussfolgerung zutreffend, doch ihre Prämissen sind äußerst fehlerhaft. »Von ihrem Charakter her«, das heißt, wenn man sie als eine Reihe von Aussagen darüber betrachtet, wie es im Zweiten Weltkrieg wirklich war, ist die Holocaust-Leugnung, wie van Pelt in seinem Gutachten bemerkt, eine Serie wilder Mutmaßungen, die niemals eine zusammenhängende Geschichte ergeben. Sie lükkenlos offenzulegen mag ermüdend sein — und ungeheuer kostspielig, wenn es in einem Gerichtssaal vor einem Richter geschieht —, aber die Vorstellung, dass Irving und seine Horde »übergeschnappter Antisemiten« im Institute for Historical Review eine Bedrohung »unserer Zivilisation« oder der »westlichen Tradition des Rationalismus« darstellen, ist einfach absurd. Für Juden indes stellen sie eine Bedrohung dar. Lipstadt und die Verteidigung schienen diese Behauptung, vielleicht paradoxerweise, nur ungern aufstellen zu wollen. Hinter Lipstadts bizarrer Behauptung, dass diejenigen, die den Holocaust einen Schwindel nennen, keinen »Spezialangriffauf eine bestimmte Gruppe von Menschen« begehen, scheint tatsächlich der Wunsch * De Man, ein führender Vertreter der »Yale-Schule« des Dekonstruktivismus, starb 1983. Vier Jahre später kam ans Licht, dass De Man in den 1940er Jahren als Journalist im besetzten Belgien 140 Artikel für eine Zeitung der Kollaboration geschrieben hatte, mehrere davon mit antisemitischer Thematik.
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zu stecken, um diese Behauptung herumzukommen. In diesem Sinne zumindest hatte Irving Recht, wenn er von den »wahren Beklagten« sprach. Es sind Juden, gegen die er wirklich etwas hat. Natürlich nicht nur Juden. Doch dies ist eine Behauptung, die auszusprechen die Verteidigung beinahe Angst zu haben schien: dass man Irvings Antisemitismus nicht getrennt von seiner Arbeit als Autor betrachten könne, ohne Juden isoliert vom Rest der Menschheit zu betrachten. Man könnte sogar sagen, dass der Antisemit genau diese Isolation beabsichtigt. Deshalb war die Frage des Richters, ob Irving ein »aufrichtiger« Antisemit sei, so beunruhigend — und so irrelevant. Was auch immer seine Gründe sein mögen, die Realität des Holocaust zu leugnen ist prima facie ein Angriff auf Juden und sollte mit genauso viel Ernsthaftigkeit behandelt werden wie jeder andere rassistische Angriff. Oder mit genauso wenig. Vielleicht liegt hier der Hase im Pfeffer. Es gibt zwei mögliche Gründe, sich an die Welt zu wenden, wenn Juden angegriffen werden. Einer ist Schuld. An die Adresse von Nichtjuden meint Schuld: »Ihr habt uns Hitler überlassen, und jetzt seid ihr uns etwas schuldig.« Oder, wenn sie zu anderen Juden spricht: »Ihr habt nicht genug getan, um eure Brüder vor den Nazis zu retten. Jetzt müsst ihr (zum Beispiel) der gegenwärtigen Regierung Israels blind ergeben sein, ob ihr an die Klugheit oder Gerechtigkeit ihrer Politik glaubt oder nicht.« Die Verbindung zwischen der Schuld wegen des Holocaust und der Unterstützung für Israel ist so offensichtlich, dass man sie kaum wiederholen mag. Wie jeder weiß, wurde Israel selber aus dem Schuldgefühl der Welt gegenüber den Juden heraus geboren. Folglich ist es ziemlich schockierend zu lesen, wie Peter Novick diese Mythen in seiner Studie Nach dem Holocaust. Der 376
Umgang mit dem Massenmord geduldig demontiert. Es ist richtig, dass Zionisten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Dimensionen der jüdischen Katastrophe deutlich wurden, keine Zeit verloren, Schuld in politisches Kapital zu verwandeln. Bemerkenswert an diesem Versuch sei, behauptet Novick, dass er fehlschlug. Vielleicht mit Ausnahme Großbritanniens, wo die Furcht, mit den Nazis verglichen zu werden, vielleicht eine energischere Reaktion auf die einseitige Unabhängigkeitserklärung der Zionisten verhinderte, reagierten die Staaten entsprechend ihren je eigenen nationalen Interessen auf die Geburt Israels. Die Sowjetunion, die bedacht darauf war, den britischen Einfluss im Nahen Osten zu unterhöhlen, unterstützte sie. Länder mit Verbindungen zu den arabischen Staaten — wie Großbritannien — taten es nicht. US-Präsident Harry S. Truman, der Israel über die Opposition des State Department hinweg anerkannte, mögen innenpolitische Erwägungen geleitet haben — oder seine aufrichtige Sorge um jüdische Flüchtlinge. Doch es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass Schuldbewusstsein bei seiner Entscheidung irgendeine Rolle gespielt hätte.8 Die ersten Reaktionen auf den Eichmann-Prozess offenbarten ein Misstrauen gegenüber den Motiven Israels, das knapp über ein Jahr nachdem US-Präsident Dwight D. Eisenhower Israels Handlungsweise in der Suez-Krise (1956) verurteilt hatte vielleicht verständlich war. Novick erwähnt Suez kaum, was insofern schade ist, als die Krise ein starkes Argument für seine Ansicht ist, dass der Holocaust Israel, zumindest in den 1950er Jahren, kein brauchbares »moralisches Kapital« verschaffte.9 Novick scheint ebenfalls nicht zu bemerken, dass der Kalte Krieg nicht nur die amerikanischen Reaktionen auf den Holocaust prägte, sondern im selben Umfang auch die Reaktionen auf Israel. Denn bis 1967 war es alles andere als ausgemacht, dass Israel auf »unserer« Seite stand. Die Gründer Israels waren 377
Sozialisten. In ihrem Krieg um die Unabhängigkeit kämpften die Israelis mit tschechischen Maschinengewehren; von 1956 bis 1967 kaufte Israel den Großteil seiner Waffen von Frankreich, das sich wegen der amerikanischen Machtstellung (und der britischen Unterwürfigkeit) veranlasst sah, sich im Jahr 1966 aus dem militärischen Kommandobereich der NATO zurückzuziehen.10 Erst nach dem Sechs-Tage-Krieg (1967) vertrat Norman Podhoretz den Standpunkt, dass Israel die Religion der amerikanischen Juden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt war Unterstützung gewöhnlich von der Linken gekommen, von Instanzen wie The Nation und der Zeitung PM, deren Kolumnist I. F. Stone ein früher und lautstarker Fürsprecher des neuen Staates war.11 Nach 1967 änderte sich alles. Novick zieht keine ausdrückliche Verbindung zwischen Israels Debüt als strategischer Aktivposten Amerikas im Nahen Osten und der explosionsartigen Ausweitung des Holocaust-Diskurses in den Vereinigten Staaten, aber was er sagt, vermittelt diesen Eindruck. Die Vorstellung von Juden als militärischen Helden half, »das Stereotyp schwacher und passiver Opfer auszulöschen, das... zuvor die jüdische Diskussion über den Holocaust verhindert hatte«.12 Wichtiger war, dass Israel jetzt, in den Kategorien des Kalten Krieges, eindeutig zur amerikanischen Mannschaft gehörte. Und wenn die Umstände es den amerikanischen Juden erleichterten, über den Holocaust zu reden — aus dem »moralischen Kapital« zu schöpfen, das Israel wie durch ein Wunder angehäuft hatte — , dann war das schon gut so.13 Denn in seiner Entschlossenheit, an den im Kampf errungenen Gebieten festzuhalten, begann Israel alle möglichen Sympathien zu verspielen, die es als der Schwächere hatte wecken können. Von London aus hatte die Angelegenheit immer etwas anders ausgesehen. Zum einen hatten die britischen Juden nie den politischen Einfluss ihrer amerikanischen Brüder. Und die Verbin378
dung von Öl und Empire bedeutete, dass arabische Stimmen in Großbritannien stets ein offeneres Ohr fanden, zumindest wenn die Unzufriedenheit der Araber sich gegen die Juden richtete. Aber in beiden Ländern widmete die organisierte jüdische Gemeinschaft in den späten 1970er Jahren einen Großteil ihrer Bemühungen der Verteidigung des »moralischen Kapitals«, das der Holocaust angeblich darstellte.* Eine Möglichkeit, dies zu tun, bestand darin, die »Einzigartigkeit« der Katastrophe zum Fetisch zu machen. Für Israel Gutman, Co-Direktor von Yad Vashem und Autor des Artikels über die »Holocaust-Leugnung« in der englischen Ausgabe der Enzyklopädie des Holocaust, laufen »tendenziöse und trivialisierende Behauptungen, dass der Holocaust nicht einzigartig war und es Präzedenzfälle gegeben hat«, auf eine Leugnung hinaus. Vergleiche mit dem kambodschanischen Massenmord und dem Gemetzel an den eingeborenen Amerikanern stießen beide auf harsche Kritik jüdischer Gruppen. Die israelische Regierung hat auf Druck ihres militärischen Verbündeten Türkei hin sogar versucht, Bestrebungen zur Anerkennung des armenischen Völkermordes zu unterdrücken. Lipstadt selber scheint in dieser Frage gespalten zu sein, wenn sie schreibt, die Einzigartigkeit des Holocaust zu leugnen sei »viel hinterhältiger als offene Leugnung«, während sie mir versicherte: »Man muss Vergleiche anstellen. Wir lernen nur durch Vergleiche.«14 Eine andere Möglichkeit besteht in der Erstickung der Debatte. Als Norman G. Finkelstein und Ruth B. Birn ein Buch veröffentlichten, in welchem sie auf die vielen wissenschaftlichen Feh* Wie Anne Karpf in ihren faszinierenden und schonungslos offenen Erinnerungen The War After betont, gingen solche Bemühungen nicht so sehr in Richtung der Hilfe für konkrete Holocaust-Überlebende, die »größtenteils sich selbst überlassen blieben«.
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ler in Daniel Jonah Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker hinwiesen, wurden sie zum Ziel einer anhaltenden persönlichen Schmähkampagne. Mit ihrem Buch Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit waren sie in der Verurteilung nicht extremer als Raul Hilberg, der mit seinem Aufsatz in Les Temps Modernes das »Goldhagen-Phänomen« missbilligte und dem Werk des Harvard-Dozenten, das »einen Schatten... auf die akademische Welt« werfe, »fehlende inhaltliche Substanz und und mangelnde logische Strenge« bescheinigte.15 Was Abraham Foxman, den Vorsitzenden der Anti-Defamation League, nicht von dem Versuch abhielt, das Erscheinen der englischen Ausgabe, A Nation on Trial, zu verhindern.* * In seinem Brief an den Herausgeber des Buches behauptete Foxman, Finkelsteins Ansichten über den Holocaust seien »verpestet von seiner antizionistischen Einstellung«. Obwohl Finkelstein in der Tat ein glühender Antizionist ist, enthält diese Argumentationslinie mehrere Ironien. Schließlich machten die Gaskammern keinen Unterschied zwischen zionistischen und antizionistischen Juden. Und als Sohn von Holocaust-Überlebenden hatte Finkelstein gewiss ein Recht, so zu denken — seine Ansichten waren in jedem Fall weit repräsentativer für den wissenschaftlichen Konsens über den Holocaust als diejenigen Goldhagens. Eine weitere Ironie besteht darin, dass ein Großteil der Feindseligkeit gegen Finkelstein von einem Aufsatz herrührt, den er im Jahr 1984 veröffentlichte, als er noch in Princeton ein Graduiertenstudium absolvierte. Thema war Joan Peters’ From Time Immemorial, ein Buch, das vorgab, nachzuweisen, dass die Palästinenser als Volk niemals existiert hätten und ihre Ansprüche an Israel im Prinzip jeder Grundlage entbehrten. Finkelstein bediente sich einer ähnlichen Methode wie Richard Evans bei der Untersuchung von David Irving, und er zeigte, dass das Buch, das vom New Republic als »maßgeblich«, von Lucy Dawidowicz als »historische Wahrheit« und von Barbara Tuchman als »historisches Ereignis an sich« gepriesen worden war, kaum mehr darstellte als ein Gemisch aus Schwindel, Verdrehung und Plagiat. Die Widerlegung der »Palästina-Leugnung« des Buches durch Finkelstein wurmt immer noch und spielt, glaube ich, für die Kontroverse über seinen jüngsten Angriff auf Die Holocaust-Industrie eine mindestens ebenso große Rolle wie der bewusst provokative Tonfall und die gelegentlichen Übertreibungen des Autors.
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Journalisten, die »Binjamin Wilkomirskis« gefälschte Memoiren seiner Kindheit in Auschwitz und Majdanek entlarvten, sahen sich mit Zweifeln an ihren Motiven konfrontiert. Hatte Goldhagen nicht bestätigt, Bruchstücke. Aus einer Kindheit 19391948 sei ein »kleines Meisterwerk«? Israel Gutman verteidigt den Schwindel nach wie vor: »Wilkomirski hat eine Geschichte geschrieben, die er innig erlebt hat, das ist sicher. Womit, selbst wenn er kein Jude ist, die Tatsache, dass der Holocaust ihn so tief berührt hat, von überragender Bedeutung ist... Das Leid ist authentisch.«16 Es sind nicht nur Antisemiten, die, mit den schändlichen Worten von T. S. Eliot, eine »große Anzahl freidenkerischer Juden lästig« finden.«17 Das Druckmittel der Schuld funktioniert nicht. Wichtiger noch ist, dass das pausenlose Beharren darauf, jüdisches Leiden sei ein Sonderfall, im Endeffekt in genau jene Isolierung mündet, die Antisemiten wie Irving herzustellen versuchen. Und wenn Frustration dieses Druckmittel in einen Knüppel verwandelt, ganz gleich ob er Juden oder Nichtjuden bedroht, ob er von Juden geschwungen wird, die meinen, der Holocaust gehöre ihnen allein, oder von Zionisten, die danach trachten, Israels »moralisches Kapital« zu hüten, das Ergebnis ist in jedem Fall eine Verschleierung der Unterschiede zwischen Erinnerung und Propaganda, die nur den Interessen der Nazi-Täter und ihrer politischen Vermächtnisnehmer dient. Warum gibt man es also nicht auf? Vielleicht weil es keine Garantie gibt, dass auch ein nicht in Schuld gründender Appell gehört werden wird. Und während Schuld voraussetzt, dass Juden dem Rest der Menschheit nichts schuldig seien — Novick verweist auf ein Memorandum der Anti-Defamation League, das empfiehlt, den Holocaust stärker als Rechnung für erbrachtes Leid zu betonen —, erlegt die Alternative, die man als den 381
»solidarischen« Ansatz bezeichnen könnte, Verpflichtungen auf, die vielleicht nicht so angenehm sind. In Angesichts des Äußersten, einer fein gezeichneten Untersuchung des moralischen Lebens in den Lagern, unterscheidet Tzvetan Todorov zwischen fürsorglichem Mitgefühl und einer von den Mitgliedern einer Gruppe untereinander empfundenen Solidarität. Er gibt dem Mitgefühl den Vorzug, weil für ihn die Solidarität mit den eigenen Leuten den Ausschluss aller anderen bedeutet. Ich bin nicht dieser Ansicht. Es mag sein, dass das Wort »Solidarität« für den Flüchtling vor dem bulgarischen Kommunismus Todorov einen anderen Klang hat als für mich, den Enkel eines Textilarbeiters, der in einem Haushalt aufwuchs, wo der Satz »Wir durchbrechen keine Streikpostenketten« ein ebensolcher Glaubensartikel war wie der Auszug aus Ägypten oder die Geschichte von Esther und Haman. Aber Todorovs Beobachtung, dass Solidarität ein politischer, kein moralischer Akt sei, lasse ich gelten.18 In der Tat möchte ich es als politischen Akt verstanden wissen, wenn ich Solidarität als Reaktion auf Angriffe gegen die Realität des Holocaust und als Ersatz für auf Schuld basierende Appelle empfehle, handelt es sich doch in beiden Fällen ebenso um politische Akte. Solidarität heißt: »Wir sitzen im selben Boot.« Wie Todorov bemerkt, basiert Solidarität auf dem anarchistischen Prinzip gegenseitiger Hilfe, und obwohl dies dem hobbesschen Albtraum der Lager unangemessen sein mag, so scheint es in der Welt draußen weniger erniedrigend zu sein, es einmal damit zu versuchen, andere als Gleiche zu behandeln, als in ihnen entweder Instrumente unserer Befreiung oder Objekte unserer Barmherzigkeit zu sehen. Konkret bedeutet eine Ethik der Solidarität, dass Juden, wenn ihnen als Juden Unrecht getan wird, aufstehen und es sagen sollten. Dann hätten sie ein Recht, vom Rest der Gemeinschaft 382
in dem Maße Empörung und Sympathie zu erwarten, in dem sie sie anderen gewährt haben. In Amerika würde dies bedeuten, dass man weniger über den Holocaust redet und jenen stärker zuhört, für die die Artefakte des Rassismus und der Unterdrükkung noch nicht in einem Museum weggeschlossen sind. In Großbritannien würde es eine größere Bereitschaft bedeuten, in Fragen wie der Brutalität der Polizei oder der Gerechtigkeit für Asyl Suchende seine Meinung deutlich zu vertreten. Was heißt es, wenn die beiden letzten Innenminister — ein Konservativer und ein Labour-Mitglied —, die nichts unversucht ließen, die Rechte von Flüchtlingen zu beschneiden, selber der Sohn beziehungsweise der Enkel jüdischer Flüchtlinge sind? Die Juden stünden vor der Wahl. Sie könnten sich zu dem Wohlstand und dem Zugang zur Macht, die sie in großer Zahl seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlangt haben, bekennen — und sie sogar genießen. Oder sie könnten sich — in einem politischen Akt, als existentielle Geste, aus religiöser Observanz, sogar aus einem moralischen Entschluss heraus — mit den Ausgeschlossenen solidarisieren. Aber beides könnten sie nicht haben — den Holocaust als Märtyrer-Medaille, als eine Art Amulett zur Abwehr von Kritik an den Gewändern der Macht tragen und sich zugleich einen Anteil an wie auch immer gearteten Tröstungen sichern, welche die Gesellschaft benachteiligten Mitgliedern gewährt. Die Grundidee besteht darin, das komplizierte Netz gegenseitiger Verpflichtungen und Verbindungen, das aus Sicht der staatlichen Zwangsgewalten die Bürgergesellschaft ausmacht, wann immer möglich zu ersetzen. In den Vereinigten Staaten mit ihrer Tradition der freien Rede und der Vielzahl jüdischer Organisationen würde staatliches Handeln kaum benötigt, wenn überhaupt. In Ländern, in denen der Antisemitismus noch eine reale Gefahr darstellt — oder in denen das generelle Problem der 383
Aufhetzung zum Rassenhass nach wie vor als ersthafte Bedrohung der öffentlichen Sicherheit gesehen wird —, könnte der Staat eine größere Rolle spielen. Doch selbst dort wäre es weit besser, die Menschen erhielten die Chance, selber zu reagieren statt davon auszugehen, dass die Regierung einschreiten wird, um die Einhaltung der Grenzen zulässiger Ausdrucksfreiheit zu erzwingen. Eine der Stärken von Solidarität als politischem Prinzip ist, dass sie stets auf lokaler Ebene einsetzen muss — in einem Wohnviertel, einer ethnischen Gruppe, einer religiösen Gemeinschaft — und dass sie sich nur auf dem Wege gegenseitigen Einverständnisses ausbreiten kann. Dies ist ein langer Weg von der fortwährenden Verteidigungsbereitschaft, die, um mit Hannah Arendt zu sprechen, von der »Doktrin des ewigen Antisemitismus« verursacht wird und die für die Generation meiner Eltern ein ebensolcher Glaubensartikel war wie die oben erwähnten.19 Aber die Alternative — der Ruf nach noch mehr staatlichem Zwang, um nicht nur die Holocaust-Leugnung und hasserfüllte Reden generell unter Strafe zu stellen, sondern solche Gesetze auch als Instrumente zu benutzen, um die über Hunderte von Jahren hinweg um die mündliche und schriftliche Meinungsfreiheit errichteten Schutzwälle niederzureißen — scheint weit gefährlicher zu sein. Und naiver. Auf einem nach dem Urteilsspruch abgehaltenen Forum meinte David Cesarani, der Direktor der Wiener Library, das Medienecho auf Irvings Niederlage zeige, dass solche Gesetze in der Tat notwendig seien. Die Freiheit der Rede, behauptete er, sei ein Relikt der liberalen Ideen des 18. Jahrhunderts, ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten könnten. Seine Bemerkungen kamen mir gefährlicher vor als alles, was David Irving je gesagt oder geschrieben hatte.* Doch Irving stellt tatsächlich eine reale Gefahr dar. Eine Gefahr, die teilweise politisch ist. Den Personen auf der Liste, 384
deren Namen Hajo Funke im Gericht vorlas, geht es nicht in erster Linie um Juden. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben die meisten der Skinheads, die wir in dem Halle-Video marschieren sahen und grölen hörten, in ihrem Leben noch nie einen Juden zu Gesicht bekommen. Für sie ist die Holocaust-Leugnung bloß ein Mittel zum Zweck, ein verbales Zeichen der Anerkennung, das die harten Fälle von den Mitläufern trennt. Ihr Zweck — Irvings Projekt — ist die Rehabilitierung des Faschismus. Und angesichts des Erfolges von Jörg Haider bei der Kraftprobe mit der Europäischen Union, der Langlebigkeit Jean-Marie Le Pens in der politischen Szene Frankreichs und des zunehmenden Erfolgs der Neofaschisten in Italien muss ein Amerikaner zumindest zögern, bevor er unterstellt, die Ängste vor einem Wiedererwachen der Ultrarechten in Europa seien eine reine Wahnvorstellung. Aber nicht alle Verteidiger Irvings sind Faschisten oder Antisemiten — oder gar Rechte. Auf jeden Kretin, der Irvings Witz über die Ein-Mann-Gaskammer komisch findet, kommen wahrscheinich Tausende wie John Keegan, die annehmen, dass Irving sich hinsichtlich des Holocaust irrt, sich jedoch fragen, warum sie das kümmern soll. Auf jeden im Stechschritt marschierenden Neonazi und Sklaven von Irvings Phrasen kommen Hunderte Leser, die von seinen Texten angezogen werden. Und auf jede Michèle Renouf (die geheimnisvolle Blonde, die während des ganzen Prozesses an Irvings Tisch saß, Tochter eines australischen Taxifahrers, die sich dank einer sechswöchigen Ehe mit dem verstorbenen Sir Francis »Frank die Bank« Renouf, einem neusee-
* Cesaranis Äußerungen erschienen mir so verrückt, dass ich ihm ein paar Zeilen schickte und ihn fragte, ob er sie ernst meine und ob er sie mir schriftlich geben könne, damit ich sie exakt zitieren könnte. Cesarani antwortete, er wolle nicht zitiert werden.
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ländischen Financier, jetzt »Lady Renouf« nennt), die Interesse an einer »offenen Diskussion« vortäuscht, aber argwöhnisch vor jüdischen Eigenheiten auf der Hut ist, kommt ein Christopher Hitchens, dessen aufrichtiges Engagement für die Redefreiheit (und dessen Vorliebe, andere dumm dastehen zu lassen, noch größer ist als die Irvings) ihn den vernünftigen Rat vergessen ließ, den er einst Noam Chomsky gab. Es gebe, schrieb Hitchens einmal in Bezug auf Chomskys Rolle in der Affäre Faurisson, »bei der Verteidigung oder Durchsetzung des Rederechts keine Verpflichtung, irgendeinen Kommentar abzugeben über die Wahrheit oder den Wert« dessen, was der Sprecher äußert. Der Hinweis auf etwas Anrüchiges an den Ansichten einer Person, erinnerte Hitchens Chomsky freundlich, sei sogar »umso mehr ein Grund, [über diese Ansichten] nicht zu spekulieren«. Warum also Irving »einen bedeutenden Historiker des Faschismus« nennen? Vielleicht weil der Drang zu spekulieren zu groß ist, um ihm zu widerstehen. Was ebenfalls für den Drang zu zweifeln gilt. Trotz des Prozesses, trotz der Fakten, trotz des Urteils hält der Zweifel an. So zu tun, als sei dies anders, hieße uns selbst zu betrügen. Schließlich ist es eine Sache zu sagen, wie es Charles Gray in seinem Urteil tat, dass »kein objektiver, gerechter Historiker ernsthaft Anlass hätte, zu bezweifeln, dass es Gaskammern in Auschwitz gab«. Eine ganz andere Sache ist es zu wissen, dass in einem bestimmten Gebäude Hunderttausende von Menschen ermordet wurden. Wie können wir irgendetwas über das hinaus wissen, was wir selber erlebt haben? Wie beruhigen wir unsere Zweifel? Mehrere Monate vor der Eröffnung des Prozesses brachte die London Review of Books den Artikel einer Zeitungsreporterin über ihre Versuche, Berichte über Gräueltaten im Kosovo zu erhärten. Ihre Geschichte war nicht überzeugend, aber unver386
fälscht. Ihre letzten Worte jedoch erbosten mich zutiefst: Vielleicht ist die Wahrheit hier nicht unteilbar, aber ich möchte nicht zur Komplizin einer Lüge werden... Niemand möchte gern zu Jean Cocteau zurückkehren, aber in den Worten, die mein Freund zitierte, lag etwas Beruhigendes. ›Geschichte ist eine Kombination aus Wirklichkeit und Lügen‹, sagte er. ›Die Wirklichkeit von Geschichte wird zur Lüge. Die Wirklichkeit des Märchens wird zur Wahrheit.‹20 Ein tolles Argument, um sich aus der Affäre zu ziehen. Vielleicht hatte sie nicht herausfinden können, was geschehen war. Vielleicht hätte sie sich mehr anstrengen müssen. Und wenn sie glaubt, dass die Berichterstattung über die Fakten nichts daran ändere, ob das Märchen zur Wahrheit werde, und an dieser Aussicht sogar etwas »Beruhigendes« findet, dann sollte sie sich vielleicht einen anderen Beruf suchen. Trotzdem verstehe ich die Versuchung. Ungeteilte Sympathie empfand ich für den Reporter, dem bei Irvings »Keine-Löcher-kein-Holocaust«-Beweisführung zumute war »wie in einer Art kafkaeskem Traum«. Nachdem er von Irvings Beharren darauf berichtet hatte, dass der Aufzug zu den Öfen einfach nicht so viele Körper hätte transportieren können, wie van Pelt behauptete, gestand er: »Auf der Rückfahrt im Zug an diesem Abend holte ich zu meiner Schande einen Taschenrechner heraus und fing an, ein paar Summen auszurechnen. Zehn Minuten für jede Ladung von 25. Ich tippte die Zahl ein. Das macht 150 pro Stunde. Was 3600 alle 24 Stunden ergibt. Was wiederum 1 314 000 in einem Jahr ergibt. Also gut. Es war möglich gewesen. Gott sei Dank stimmen die Zahlen. Als mir klar wurde, was ich da tat, hätte ich die kleine Maschine vor Wut beinahe durch das Abteil geworfen.«21 387
Selbst für diejenigen unter uns, die niemals geglaubt hatten, dass Irving Recht haben könnte, existierten trotzdem Zweifel. Nicht wegen der Fakten, aber hinsichtlich der Frage, was geschähe, wenn die Fakten keine Bedeutung hätten. Was mich zurückhielt, war eine Erinnerung: Ich bin sechs Jahre alt, und mein Vater hat seinen besten Freund zum Abendessen mit nach Hause gebracht. Nach dem Essen nimmt der Freund die Rückwand unseres Fernsehers ab und zeigt mir die im Innern aufleuchtenden Röhren. Eine ist ausgebrannt, und während er sie auswechselt, bemerke ich eine Reihe von Ziffern auf seinem Arm, direkt unterhalb des Handgelenks. »Was sind das für Zahlen, Onkel Mike?« Er erzählt mir, dass die Deutschen sie dort angebracht hätten, als er ein kleiner Junge war, »damit ich nicht verloren ging«. Mein Onkel Mike war niemals ein kleiner Junge. Als er zwölf oder 13 Jahre alt war, besetzten die Deutschen Ungarn. Seine ganze Familie wurde in einen Zug nach Auschwitz gesetzt. Da er für sein Alter recht groß war und sich als älter ausgab, als er war, wurde er zur Arbeit in die Bergwerke geschickt. Das war 1944. Auschwitz wurde von der Roten Armee im Januar 1945 befreit. Da war seine Familie bereits vergast worden. Die Wahrheit ist, dass ich mir all dieser Einzelheiten nicht sicher sein kann, und mein Onkel Mike ist seit einiger Zeit tot. Ich wurde an ihn erinnert, als ich Irvings Antwort auf die nahe liegenden Fragen zuhörte: Was geschah mit den verschwundenen Juden? Wenn sie nicht in den Lagern gestorben waren, wo waren sie dann? Irving redet über »die große Zahl, die im Staat Palästina auftauchte, der heute der Staat Israel ist«, und manchmal, als wolle er anerkennen, dass diese Zahl auch nicht annähernd groß genug sei, behauptet er, andere könnten in Dresden getötet worden sein. Der Rest, unterstellt er, sei in die Sowjetunion oder in die Vereinigten Staaten geflohen. Als simple Re388
chenangelegenheit ist das grotesk. Als Erklärung ist es obendrein schändlich. Steckt doch die Annahme dahinter, Menschen wie mein Onkel Mike hätten, weil sie das gute Leben in den Vereinigten Staaten anlockte, weil sie dem Arbeiterparadies in Russland nachjagten oder weil sie den zionistischen Traum in Israel anstrebten, einfach vergessen, dass sie einmal Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Großeltern und Kinder gehabt hatten, und sich nicht die Mühe gemacht, nach ihnen zu suchen, weshalb so viele Juden noch heute vermisst werden. Mit anderen Worten, eine solche Annahme unterstellt, Juden seien keine Menschen. Niemand weiß das besser als Raul Hilberg. In Unerbetene Erinnerung erzählt er die Geschichte seines Onkels Josef, der im Jahr 1940 von den Vichy-Franzosen interniert wurde. »Mein Vater erhielt, schon in New York, Josefs verzweifelte Hilferufe, konnte ihm aber nicht die Überfahrt nach Amerika bezahlen. Als 1942 die Deportationen aus der Vichy-Zone begannen, verschwand Josef. ›An mir klebt das Blut meines Bruders‹, sagte mein Vater damals.« Hilberg, der Jahre seines Lebens in Archiven verbrachte, vergaß seinen Onkel Josef niemals. Im Jahr 1978 fand er ihn — auf einer Liste von Deportierten aus Frankreich: Joseph Gaber. »Er war am 14. August 1942 deportiert worden, zwei Tage später in Auschwitz angekommen. Da er damals schon achtundvierzig Jahre alt war, muss er sofort vergast worden sein.«22 Doch als St. Martin’s den Vertrag von Irving löste, trat Raul Hilberg für David Irving ein. »Wenn diese Leute reden wollen«, sagte er zu Hitchens, »dann lasst sie... Ich bin nicht für Tabus, und ich bin nicht für Unterdrückung.«23 Im Sommer vor dem Prozess bekräftigte Hilberg diese Ansichten mir gegenüber am 389
Telefon, mit zwei Änderungen: »Leugnung verletzt Menschen. Es gibt Überlebende. Das sollte man nicht vergessen.« Und persönlich: »Ich glaube an die Freiheit, nicht verantwortlich zu sein. Aber das heißt nicht, dass ich es billige.« Der Holocaust ist ein historisches Ereignis. Der Raub Helenas ist es nicht, woran der Altphilologe M. I. Finley uns erinnert. Die Archäologie liefere vielleicht Hinweise auf eine Stadt an einem Ort, den wir mit Troja identifizieren können, aber die Geschichten in der Ilias seien »irgendwann einmal« geschehen. Es gebe viele Zahlen bei Homer — Schiffe, Krieger, sogar Daten —, aber keine einzige gestatte uns, so Finley, die Geschichte an irgendeiner größeren Chronologie festzumachen.24 Als ich Raul Hilberg ein paar Monate vor Prozessbeginn in seinem Haus in Vermont besuchte, unterhielten wir uns anfangs über Zahlen. In Die Vernichtung der europäischen Juden gibt Hilberg die Zahl der in Auschwitz getöteten Juden mit einer Million an. Doch seine Gesamtzahl für den Holocaust beträgt 5,1 Millionen, nicht sechs Millionen — ein Ergebnis, das David Irving in der Verhandlung veranlasste, Hilbergs Werk anzuführen, und das seinem Autor bis heute endlosen Ärger beschert. Ob das wirklich eine Rolle spiele, fragte ich. »Ja, es spielt eine Rolle«, sagte Hilberg. »Es spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Wenn man diese Verluste nach Ländern aufteilt, dann stellt man fest, dass der Hauptunterschied zwischen meiner Zählung und denjenigen, die sechs Millionen erhalten,... die Sowjetunion ist. Was bedeutet, dass sie, wenn sie nicht gestorben sind, dort sind... Das spielt eine Rolle — denn man spricht über einen bedeutenden Abschnitt der jüdischen Geschichte. Und man spricht über die gegenwärtige jüdische Geschichte!« Hilberg stürzte sich in einen gelehrten und faszinierenden 390
Vortrag über die Launen des sowjetischen Zensus, die Politik mit Zensus-Daten und die Gefahren, Schätzungen ohne Angabe der Quelle zu akzeptieren. »Die deutschen Statistiker sprachen von einer Hausnummer, jedes Mal wenn eine solche Zahl auftauchte, die man nicht beweisen kann.« Ich erkundigte mich nach den Gaskammern. Irving verwende so viel Energie darauf, Zweifel an den Gaskammern auszustreuen. Warum? »In anderen Ländern werden Menschen erschossen oder zerstückelt, selbst nach dem Zweiten Weltkrieg — in Ruanda zum Beispiel. Man baute die Gaskammer in der Absicht, eine Menge Menschen zu töten. Hat man erst einmal eine Gaskammer, dann hat man eine Vision, und die Vision ist die totale Auslöschung. In einer Gaskammer sieht man das Opfer nicht. Also ist die Gaskammer in diesem Sinne gefährlicher, die Gaskammer ist verbrecherischer. Die Gaskammer hat weiter reichende Auswirkungen. Wenn man also die Gaskammer leugnet, dann leugnet man nicht bloß einen Teil des Ereignisses, man leugnet eine der prägenden Vorstellungen. Auschwitz wurde zum Synonym für den Holocaust. Und natürlich leugnet man, abgesehen von allem anderen, den Tod von mehreren Millionen Menschen.« In der Verhandlung zitierte Irving Hilberg auch, um seine Behauptung zu untermauern, dass Hitler niemals befohlen habe, die Juden zu töten. Es stimmt, dass, während frühere Ausgaben von Hilbergs Werk von einem »Befehl« sprechen, jüngere Ausgaben dies nicht mehr tun. Aber wie Hilberg erläutert, habe er diese Änderung im Interesse der Genauigkeit des Beweismaterials vorgenommen, nicht weil er mit Irving übereinstimme: »Die in Deutschland vorherrschende Meinung ist, dass Hitler es getan hat. Zufällig ist das auch meine Meinung, aber ich bin nicht damit verheiratet.« Andererseits hat Hilberg durchaus feste Ansichten. »Wenn 391
ich sehe, wie der Holocaust heute an den High Schools usw. verbreitet wird, wird mir schlecht. Leuten etwas über den Holocaust beizubringen, die nicht wissen, wo Ungarn liegt!« Er ist beunruhigt von »Leuten, die die Geschichte verfälschen, die von Widerstand reden, als hätte es einen massiven Versuch gegeben... Zuallererst sahen die Widerständler sich der jüdischen Opposition gegenüber. Das war ihr erstes Hindernis.« Die Phrasendrescherei und die Einschüchterungstaktiken mancher Anwälte und Politiker, die sich dafür stark machten, Schweizer Banken zu zwingen, Entschädigungen zu zahlen — von denen der Großteil, sagt er, nicht an Überlebende, sondern an jüdische Organisationen gehen werde, die vorgäben, deren Interessen zu vertreten —, beleidige ihn zutiefst. Und noch immer macht er bissige Bemerkungen über Goldhagens »schwülstiges Buch mit seinen endlosen Wiederholungen und seiner fehlenden Beweisgrundlage«. Doch worüber wir auch sprachen, wir schienen immer wieder auf Zahlen zurückzukommen. »Diese Zahlen spielen in der Tat eine Rolle«, sagte Hilberg. »Sie spielen auch aus einem ganz einfachen Grund eine Rolle — nennen Sie ihn religiös, wenn Sie wollen.« An dieser Stelle sah er, wie mein Blick von den Teletubbies-Magneten am Kühlschrank zu der Menora auf dem Fernseher wanderte. »Ich bin Atheist«, sagte er. »All diese Gegenstände gehören meiner Frau, nicht mir. Ich bin Atheist. Aber da ist letzten Endes, will man sich nicht ganz dem Nihilismus ergeben, die Frage nach der Vorgeschichte. Ist die Vorgeschichte wichtig? Meines Erachtens steht das nicht zur Debatte, ist das nicht die Frage. Sie ist wichtig, weil sie für mich wichtig ist — sie ist mein Leben.« Die Unantastbarkeit der Fakten. Während der Prozess sich hinschleppte, erwischte ich mich oft dabei, wie meine Gedanken zu jenem Nachmittag zurückkehrten, den ich mit Hilberg 392
auf seiner verwitterten Terrasse zugebracht hatte, von der aus wir auf die Bäume in seinem Garten geblickt hatten, deren Blätter gerade begonnen hatten, sich herbstlich zu färben. Nachdem er ein Leben lang Brutalität, Unmenschlichkeit und Mord in industriellem Ausmaß untersucht hatte, nach einer persönlichen Tragödie und beruflichen Konflikten ist es das, woran er festhalten muss: die Unantastbarkeit der Fakten. War das genug? Das vernünftige Urteil von Charles Gray ratifizierte jede wichtige Aussage, die die Verteidigung nachzuweisen trachtete. David Irving war als Lügner, Fanatiker und Verdreher historischen Beweismaterials entlarvt worden — ein Mann, auf dessen Wort man sich auch im kleinsten Detail nicht mehr verlassen konnte, geschweige denn in einer verlässlichen Deutung wichtiger historischer Ereignisse. Zudem war, wenn auch nur implizit, das Recht von Juden und anderen diffamierten ethnischen Gruppen festgeschrieben worden, entschlossen und in organisierter Form zu reagieren, wenn sie angegriffen würden. Das Urteil bestätigte ihr Recht darauf, auch wenn es sich bloß um »verbale« Angriffe handele — solange die Reaktion sich ebenfalls auf verbale Akte beschränke. Und obwohl es ihm erheblich widerstrebte, formulierte der Richter eine Reihe von Feststellungen zur Vernichtung der europäischen Juden und entschied, dass einzig auf der Grundlage des David Irving zugänglichen Beweismaterials — nicht des gesamten Beweismaterials oder auch nur der in der Verhandlung vorgelegten Belege — die »historischen Daten« eindeutig genug seien, um zu dem Schluss zu zwingen, dass der Holocaust tatsächlich stattgefunden habe, dass Hitler zumindest gewusst habe, was vor sich ging, und dass nur eine abträgliche Gesinnung die Weigerung erklären könne, die Realität der Gaskammern in Auschwitz anzuerkennen. Soweit nach den Verleumdungsgesetzen erreichbar, war der Gerechtigkeit Genüge getan. War das genug? 393
Irving ist nicht mehr im gleichen Ausmaß wie zuvor in der Lage, Juden zu beunruhigen, und wird es wahrscheinlich noch weniger sein, da er gezwungen ist, entweder die Prozesskosten seiner Gegner zu bezahlen oder seine Finanzen dem Konkursgericht zu unterbreiten — in Großbritannien ein sehr viel strengeres Verfahren als in den Vereinigten Staaten. Am Ende eines solchen Verfahrens stünde wahrscheinlich der Verlust seines Hauses. Seine Revisionisten-Kameraden werden nun ohne Irving als respektablem Aushängeschild auskommen müssen. Ob allerdings die Argumente des Richters selber irgendeine Wirkung auf die paranoiden Anhänger der Holocaust-Leugnung oder andere, die an eine jüdische Verschwörung glauben, haben werden, ist zweifelhaft. Ihre Ansichten sind von ihrem ureigensten Wesen her jedem vernünftigen Urteil unzugänglich. Monate nach seiner Niederlage wurde Irving in den Vereinigten Staaten bereits als Märtyrer ihrer Sache empfangen. Für die Leugner beweist das Ausmaß der Niederlage Irvings bloß die Stärke der gegen ihn aufgefahrenen Kräfte. Und es erscheint auch nicht als wahrscheinlich, dass dieser Triumph Irvings Widersacher bewegen könnte, in ihrer ewigen Wachsamkeit nachzulassen. Lipstadts Förderer in den jüdischen Organisationen haben ihre eigenen Gründe, dafür zu sorgen, dass der Kampf weitergeht. Und obwohl Lipstadt und ihr Verlag verdientermaßen gewonnen haben, ist der Auftrieb, den ihr Sieg Gruppen wie der Anti-Defamation League oder dem Board of Deputies bei deren Versuchen, die öffentliche Diskussion nicht nur des Holocaust, sondern der US-amerikanischen und israelischen Politik zu kontrollieren, verschaffen wird, kein Grund zum Feiern. Aber es gab noch etwas anderes, das mich beunruhigte, jenseits meines politischen Unbehagens und meines Unvermögens, Raul Hilbergs heroischen Pessimismus uneigeschränkt zu tei394
len. Es gab etwas, so wurde mir bewusst, dessen Fehlen mir die ganze Zeit aufgefallen war: Zeugen. Ich verstand vollkommen, warum Lipstadts Anwälte beschlossen hatten, dass die Vorladung von Zeugen bloß eine Ablenkung wäre. Sie mussten einen Prozess gewinnen. Außerdem taten sie ganz recht daran, Irving die Gelegenheit zu verwehren, seine Feindseligkeit an Leuten abzureagieren, die per definitionem schon mehr als genug gelitten hatten. Aber Irvings gesamte Herangehensweise an Geschichte basierte auf der Prämisse, dass Aussagen von Augenzeugen im Prinzip wertlos seien. Sicher, er verwendete sie, wenn sie ihm passten — und ignorierte sie, wie die Verteidigung nachwies, wenn dem nicht so war. Doch bei der umfassenderen Frage, ob wir den Holocaust — oder jede andere historische Katastrophe — wirklich ohne Zeugen verstehen können, schlossen die Anwälte und der Richter sich meist der Prämisse Irvings an. Der Einzige, der diesen Konsens in Frage stellte, war Robert Jan van Pelt, dessen Gutachten ausführlich Augenzeugen zu Wort kommen ließ, aber selbst ihn schien im Kreuzverhör die Notwendigkeit, sich auf diese Art von Beweisen zu verlassen, in Verlegenheit zu bringen. In seinem Aufsatz »Archaeology and History« behauptet M. I. Finley: »Ich halte es nicht für zweckmäßig, darauf zu beharren, dass ein einzelner Typus von Beweismaterial [über den Rest erhoben wird], es sei denn, man ist bereit, beim Studium der Vergangenheit jegliches Interesse an Wandel, Entwicklung... oder an den Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Aspekten der menschlichen Gesellschaft aufzugeben.«25 Arnoldo Momigliano, der eine auf Originalzeugnissen beruhende Geschichte fordert, erklärt: »Mit Originalzeugnissen meinen wir Augenzeugen oder Dokumente und andere materielle Überreste, die aus derselben Zeit stammen wie das Ereignis, das sie belegen.«26 395
Als Altphilologen machten Finley und Momigliano wahrscheinlich die Feststellung, dass es für sie schwieriger war, an Augenzeugen zu kommen, als für Holocaust-Historiker, doch sahen sie keinen Grund, sie für weniger wichtig zu erachten — Momigliano setzte sie auf seiner Liste an die erste Stelle. Das ist bestimmt richtig. Als Reporter weiß ich nur zu gut, dass man durch Zeugen irregeführt werden kann — und das nicht immer in aller Unschuld. Aber ohne sie — oder unsere eigene Augenzeugenschaft — gäbe es nichts zu berichten. Selbst wenn es vernünftige Gründe gab, lebende Zeugen nicht vorzuladen, hätte man im Gericht einen Platz für die Stimme von Salmen Gradowski finden können, der einem Sonderkommando in Auschwitz angehörte und im Herbst 1944 ermordet wurde. In dem Wissen, dass sein eigener Tod unmittelbar bevorstand, nahm Gradowski die Aufzeichnungen, die er während der voraufgegangenen neunzehn Monate hatte machen können, und deponierte sie in einem Metallkanister, den er in einer Grube voll menschlicher Asche vergrub. Das nach dem Krieg aufgefundene Tagebuch Gradowskis bittet: »Lieber Entdecker dieser Zeilen! Ich habe eine Bitte an dich: Dies ist der wirkliche Grund, warum ich schreibe, nämlich dass mein verlorenes Leben vielleicht einen Sinn bekommt, dass mein höllisches Heute und hoffnungsloses Morgen in der Zukunft einen Zweck finden mögen.«27 Fakten sind entscheidend. Fakten sind geheiligt. In der Tat sind es Fakten, die der Geschichte ihre Würde verleihen. Aber sie sind nicht alles. Der Kampf um den richtigen Weg zur Schilderung der Vernichtung des europäischen Judentums wird manchmal als Wettbewerb zwischen Geschichte und Gedächtnis dargestellt.28 Und wie wir alle inzwischen gelernt haben, ist das Gedächtnis ein furchtbar unzuverlässiger Führer zu dem, »wie es eigentlich gewesen«. 396
Und so nehmen wir Zuflucht zur Geschichte, zu Dokumenten, zu Fakten — kühl, distanziert, still, präzise. Dank Deborah Lipstadt und ihren Anwälten sind die Fakten über den Holocaust tatsächlich sicherer geworden — und vielleicht sollten wir dankbar dafür sein. Aber Zeugen, Erinnerungen, Zeugenaussagen — all das blieb außerhalb des Gerichtssaals. Und das scheint mir ein Anlass des Bedauerns zu sein. Zeugen sind immer parteiisch. Erinnerung ist per definitionem selektiv. Und Zeugenaussagen — nicht die Antworten von Sachverständigen unter Eid, sondern die noch lebendigen Antworten von Menschen, deren Geschichte gelebt und nicht erforscht ist — können irreführend sein. Doch ohne Zeugen, ohne menschliche Stimmen, die das Fleisch für die historischen Fakten liefern, besitzen wir zwar etwas, das den Anforderungen als Geschichte genügen mag, das jedoch niemals die Wahrheit erzählen wird.
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Anmerkungen
Einleitung 1 2
Leon Uris, Exodus, S. 146 (dt. Übers. Thomas Bertram) Leon Uris, Exodus, London 1959, S. 155 (dt. Übers. Thomas Bertram) 3 Mavis M. Hill/Norman Williams, Auschwitz in England, London 1965, S. 15-25 4 Raul Hilberg, The Destruction of the European Jews, London 1985 (dt.: Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bde., Frankfurt am Main 1997, S. 1193) 5 Martin Gilbert, Holocaust Journey: Travelling in Search of the Past, London 1998, S. 78 6 Deborah Lipstadt, Denying the Holocaust. The Growing Assault on Truth and Memory, New York 1993, London 1994 (dt.: Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode, Reinbek bei Hamburg 1996) 7 Gilbert, S. 77f. 8 Peter Novick, The Holocaust in American Life, Boston 1999 (dt.: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart 2001, S. 284) 9 Simon Wiesenthal zit. aus: Primo Levi, Die Untergegangenen und die Geretteten, München 1990, S. 7 10 Richard Breitman, Official Secrets: What the Nazis Planned. What the British and Americans Knew, London 1998 (dt.: Staatsgeheimnisse. Die Verbrechen der Nazis — von den Alliierten toleriert, München 1999), ist in dieser Frage 398
umsichtig, sogar großmütig, doch letzten Endes vernichtend. 11 Louise London, Whitehall and the Jews, 1933-1948, Cambridge 2000, S. 242. Kapitel 1 1
Verhandlungs-Protokolle freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Harry Counsell & Company, Clifford’s Inn, London. Grays Bemerkungen tauchen im Protokoll für den 11. Januar 2000 (erster Tag) auf Seite 2, Zeile 15f., auf; Irving vs. Lipstadt, 1:2:15-16 Kapitel 2
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Irvings Darstellung findet sich auf seiner Website unter: http./www.fpp.co.uk/Online/98/10/RadDil41194. html Eigene Notizen über ein Telefonat mit David Irving im Juni 1999 Richard J. Evans, Expert Report, Teil II, S. 157 (Sämtliche Seitenzahlen der Expertengutachten beziehen sich nicht auf die interne Paginierung, sondern auf die Seitenzahlen der MS-Word-Dokumente im US-Standard-Briefformat auf dem Bildschirm.) Lance Morrow, »Just an Ordinary Man« (Rezension von Hitler’s War), in: Time, 2.5.1977 Hinterer Klappentext meiner Ausgabe von Hitler’s War (dt.: Hitlers Krieg) David Irving, Goebbels: Mastermind of the Third Reich (dt.: Goebbels. Macht und Magie, Kiel 1997), Rezension von John Keegan im Daily Telegraph, 20.4.1996 Martin Broszat, »Hitler und die Genesis der ›Endlösung‹. 399
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Aus Anlass der Thesen von David Irving«, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25/1977, S. 739-775; Neuabdruck in: Hermann Graml/Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. Beiträge von Martin Broszat, München 1986, S.187-229 Charles Sydnor, Jr., »The Selling of Adolf Hitler: David Irving’s Hitler’s War, in: Central European History XII, Nr. 2 (Juni 1979) Gitta Sereny/Lewis Chester, »The $1000 Question«, in: The Sunday Times, 10.7.1977 David Irving, Hitler’s War, London 1977, S. XIII Norman Finkelstein/Ruth Birn, A Nation on Trial, New York 1998, passim (dt.: Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit, München 1998) Neal Ascherson, »A Bucketful of Slime«, in: The Observer, 29.3.1981 Kai Bird, »The Secret Policeman’s Historian«, in: The New Statesman, 3.4.1981, S. 16-18 David Irving, Torpedo Running, London 1990; Christopher Hitchens, »Hitler’s Ghost«, in: Vanity Fair, Juni 1996, S. 72-74 Henry Porter, Lies, Damned Lies, London 1985, S. 141153. Porters Bericht über die Rolle Irvings und die Vorbehalte von Dacre wird bestätigt von »Irving’s Backing for Diaries Welcomed«, in: The Times, 3.5.1983, und »New Slant on Hitler’s Dairies«, in: The Daily Mail, 3.5.1983 Hitchens, a.a.O. »David Irving’s Daughter is Killed in Fall«, in: London Evening Standard, 16.9.1999; siehe auch David Irvings Tagebuch für den 14.9.1999 auf seiner Website Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, a.a.O., S. 411; Völkischer Beobachter, 1.2.1939
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19 »The Truth Shall Set You Free«, Dispatches (Sendung auf Channel 4 (Großbritannien) am 27.11.1991. Eine leicht abweichende Übersetzung (die Rede war auf Deutsch) taucht in der Abschrift bei 28:190:4-14 auf. 20 Irving vs. Lipstadt, 14:97:17-26 21 Marianne MacDonald, »The Nature of the Beast«, in: The Independent on Sunday Magazine, 6.4.1997, S. 4-7 22 Siehe die Liste auf Irvings Website. 23 Roger Eatwell, Expertengutachten: »David Irving and RightWing Extremism«, S. 30. Obwohl Eatwell im Prozess nicht aussagte, wurde sein Gutachten dem Gericht vorgelegt, und es wurde auch auf Irvings Website gestellt. 24 Lord Weidenfeld an David Irving, 16.6.1977 25 Ernst Zündel an David Irving, 21.5.1986, Irvings weitere Offenlegung, zit. in: Robert Jan van Pelt, Expert Report, Kap. 9, S. 11 26 Ernst Zündel an David Irving, 9.11.1987, Irvings weitere Offenlegung, zit. in: Robert Jan van Pelt, Kap. 9, S. 13 27 Lipstadt, a.a.O., S. 260 28 Ebda., S. 262f. 29 Richard J. Evans, Expert Report, Teil I, S. 76 30 David Irving, Rede im Rathaus von Chelsea, November 1991 31 Robert Harris, Selling Hitler, London 1996, S. 189 32 Gordon A. Craig, »The Devil in the Details«, in: The New York Review of Books, 19.9.1996, S. 8-14; teilweise zit. aus: Eva Menasse, Der Holocaust vor Gericht. Der Prozess um David Irving, Berlin 2000, S. 25f.
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Art Spiegelman: Maus. Die Geschichte eines Überlebenden, Bd. 1: Mein Vater kotzt Geschichte aus, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 12 Deborah Lipstadt, Beyond Belief: The American Press and the Coming of the Holocaust 1933-1945, New York 1986, S.254, 256 Novick, a.a.O., S. 91 Ebda., S. 57, 61 Tony Kushner, The Holocaust and the Liberal Imagination, Oxford o.J., S. 125 Novick, a.a.O., S. 118f. Kushner, a.a.O., S. 138 Elena Lappin, »The Man With Two Heads«, in: Granta 66, S. 11-13. Siehe auch Martin Arnold, »In Fact, It’s Fiction«, in: The New York Times, 12.11.1998 Novick, a.a.O., S. 171-178 Raul Hilberg, The Politics of Memory, Chicago o.J. (dt.: Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers, Frankfurt am Main 1994, passim) Ebda., S. 125-127 Novick, a.a.O., S. 181f. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil, New York 1963 (dt. Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 10 2000, S. 218f.) Novick, a.a.O., S. 183 Arno Mayer, Why Did the Heavens Not Darken?, London 1988, S. 16-18 Ebda., S. 113 Ebda., S. 234-275 Daniel Jonah Goldhagen, »False Witness«, in: The New Re-
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public, 17.4.1989, S. 39-44 Novick, a.a.O., S. 127 Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust, London 1996 (dt.: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996, S. 239, 343) Hilberg, Unerbetene Erinnerung, a.a.O., S. 20 Novick, a.a.O., S. 388, Anm. 36 Mayer, a.a.O., S. VIII-X Roland Barthes, Mythologie, Paris 1957 (dt.: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964, S. 130) Deborah Lipstadt an Yehuda Bauer, 15.8.1984 Deborah Lipstadt an Adam Bellow, 3.9.1991 Kapitel 4
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Michael Rubinstein, Wicked, Wicked Libels, London 1972, S. 124 Anthony Julius, T. S. Eliot, Anti-Semitism and Literary Form, Cambridge 1995, S. 1 Gabriel Josipovici, »Sheeny Among Nightingales?« in: Jewish Chronicle, 6.10.1995, S. 28, argumentierte genau in diesem Sinne, indem er zeigte, dass er ein Jude war, den solche kleinlichen Attacken kalt ließen. Gitta Sereny, »Spin Time for Hitler«, in: The Observer Review, 21.4.1996, S. 1 Robert Harris, Selling Hitler, London 1996, S. 118-136 Eberhard Jäckel, »Noch einmal: Irving, Hitler und der Judenmord«, in: Marthesheimer/Frevel (Hg.), Im Kreuzfeuer. Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen, S. 163-166 Michael Zander, Cases and Materials on the English Legal 403
System, London 1999, S. 64 8 Novick, a.a.O., S. 261 9 Irving, »Reply to Second Defendant«, undatiert (von Irvings Website) 10 Lipstadt, Leugnen des Holocaust, a.a.O., S. 258, 287 Kapitel 5 1
John Munkman, The Technique of Advocacy, London 1991, S. 50, 60 2 Christopher R. Browning, Nazi Policy, Jewish Workers, German Killers, Cambridge 2000, S. 26-32. Browning zitiert Götz Aly, der »Hitler im Entscheidungsprozess... eine relativ reduzierte Rolle« zuschreibt. Das ist natürlich nicht dasselbe als zu behaupten, Hitler habe von der Endlösung nichts gewusst. 3 Pierre Vidal-Naquet, Assassins of Memory, New York 1992, S. XIf., 31f., 50f., 91 4 Richard J. Golsan, »Introduction« to Alain Finkielkraut, The Future of a Negation: Reflections on the Question of Genocide, Lincoln 1998, S. XXIIf. 5 Gitta Sereny, »Let History Judge«, in: The New Statesman, 11.9.1981, S. 12 6 Christopher Hitchens, »The Chorus and Cassandra«, in: Grand Street (Herbst 1985), neu abgedruckt in: Prepared for the Worst, New York 1988, S. 59-77 7 Vidal-Naquet, a.a.O., S. VI, IXf. 8 Ebda., S. 58f. 9 Lipstadt, Leugnen des Holocaust, a.a.O., S. 345 10 Ebda., S. 343. 11 Vidal-Naquet, a.a.O., S. 122 12 Gitta Sereny, »Spin Time for Hitler«, Rezension in: The 404
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Observer, 21.4.1996, S. 1 Lipstadt, Leugnen des Holocaust, a.a.O., S. 285 John Keegan, The Second World War, London 1989, S. 238f. Christopher R. Browning, a.a.O., S. 118-120, schildert ausführlich die Rolle von General Max von Schenckendorff, des Befehlshabers des rückwärtigen Heeresgebiets Süd Ic, bei der Anordnung des Blutbads an der jüdischen Einwohnerschaft von Brest-Litowsk, das teilweise von den Männern der 162. Infanterie-Division durchgeführt wurde. Keegan, a.a.O., S. 502 Kushner, a.a.O., S. 12; siehe auch Hilberg, Unerbetene Erinnerung, a.a.O., S. 70f. Gerald Reitlinger, The Final Solution, London 1953 (dt.: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-1945, Berlin 51979, S. 610) Kapitel 6
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Robert Jan van Pelt/Debórah Dwork, Auschwitz: 1270 to the Present, New Haven/London 1996, passim Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker, a.a.O., S. 497 Jean Claude Pressac, Auschwitz: Technique and Operation of the Gaschambers, New York 1989 Kapitel 7
1
Arno Mayer, a.a.O., S. 363, 365. In einer anderen, von seinen Kritikern — und von Irving — ignorierten Passage meinte Mayer: »Man muss energisch betonen, dass solche Fehler insgesamt nicht ausreichen, um die Verwendung von Gaskammern beim Massenmord an Juden in Auschwitz anzuzweifeln.« (S. 363) 405
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Pierre Vidal-Naquet/Limor Yigal, Holocaust Denial in France, Tel Aviv o.J., S. 3f. Arthur A. Cohen, The Tremendum: a Theological Interpretation of the Holocaust, New York 1981, S. 1f. W. H. Lawrence, »50 000 Kiev Jews Reported Killed«, in: The New York Times, 29.11.1943, S. 3, zit. aus: van Pelt Expert Report Bernard Wasserstein, Britain and the Jews of Europe, 19391945, Oxford 1979, S. 166f. Richard Breitman, a.a.O., S. 145-150, 180 Kushner, a.a.O., S. 139-141 Breitman, a.a.O., S. 10 Ebda., S. 113-121 Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 318 und 321 Thies Christophersen, Auschwitz: A Personal Account. Einleitung von Manfred Roeder, überarb. Auflage, Reedy 1979, S. 15ff. Wilhelm Stäglich, The Auschwitz Myth: A Judge Looks at the Evidence, S. L. 1986, S. 47 William C. Lindsey, »Zyklon B, Auschwitz, and the Trial of Dr. Bruno Tesch«, in: The Journal of Historical Review, 4 (1984), S. 287f. Kapitel 8
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Bryan Cheyette, Construction of the »Jew« in English Literature and Society, Cambridge 1993, S. 16 Anthony Julius, a.a.O., S. 12 Deborah Lipstadt, »Benefits of Belonging«, in: Hadassah Magazine, Juni/Juli 1993, S. 14-17
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Christopher R. Browning, Ordinary Men: Reserve Police Batalion 101 and the Final Solution in Poland, New York 1992 (dt. Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die »Endlösung« in Polen, Reinbek bei Hamburg 1999) 5 Goldhagen, a.a.O., S. 487 6 Ebda., S. 69 7 Ebda., S. 603, Anm. 81 8 Hilberg, »Le Phénomène Goldhagen«, in: Les Temps Modernes 592 (Februar/März 1992), S. 1-10. Hilbergs englischer Text, »The Goldhagen Phenomenon«, in: Critical Inquiry 23 (Frühjahr/Sommer 1997), S. 721-727 9 David Irving, »Action Report« 17 (20.7.2000), S. 16 10 Richard J. Evans, In Defense of History, London 1997, S. 76, 101 11 Ebda., S. 223, 249 12 Ebda., S. 125 Kapitel 9 1
Zit. aus: International Military Tribunal, Trial of the Major War Criminals, 42 Bde., Nürnberg 1947-49, Bd. 29, 1919 PS. Kapitel 10
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»ADL Settles a Class-Action Suit«, in: Forward, 1.10.1999 David Hopper, Reputation Under Fire: Winners and Losers in the Libel Business, London 2000, S. 350 Robert Harris, Vorwort zu: Ian Mitchell, The Cost of a Reputation, Edinburgh 1998, S. II 407
Kapitel 11 1
John Keegan, »The Trial of David Irving — and my part in his downfall«, in: The Daily Telegraph, 12.4.2000 Kapitel 12
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Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, Hamburg 1968, 164 a 20 und 165 a 1 J. W. Cohoon (Hg. und Übers.), Dio Chrysostom: Discourses I, London 1932, S. 475 Ebda., S. 541 Richard J. Evans, In Defense of History, a.a.O., S. 241 Deborah Lipstadt, Leugnen des Holocaust, a.a.O., S. 59ff. Alain Finkielkraut, The Future of a Negation, a.a.O., S. XXII Deborah Lipstadt, a.a.O., S. 61 Novick, a.a.O., S. 100 Ebda., S. 208; siehe auch Peter Grose, Israel in the Mind of Amerika, New York 1983, S. 304 Uri Bialer, Between East and West, Cambridge 1990, S. 180f. I. F. Stone, Underground to Palestine, New York 1978, und This is Israel, New York 1948, passim. Siehe auch Paul Milkman, PM: A New Deal in Journalism, New Brunswick 1997 Novick, a.a.O., S. 199 Ebda., S. 208ff., 222 Ebda., S. 406, Anm. 107 Hilberg, »Le Phénomène Goldhagen«, a.a.O., S. 1-10; Hilbergs englischer Text abgedruckt in: Critical Inquiry, a.a.O.
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16 Elena Lappin, a.a.O., S. 11-13 17 T. S. Eliot, After Strange Gods, London 1934 18 Tzvetan Todorov, Pacing the Extreme: Moral Life in the Concentration Camps, London 2000 (dt.: Angesichts des Äußersten, München 1993, passim) 19 Hannah Arendt, in: Ron H. Feldman (Hg.), The Jew as Pariah, New York 1978, S. 141 20 Audrey Gillan, »What’s the Story?« in: The London Review of Books XXI. 11 (27.5.1999) 21 James Delrymple, »The Curse of Revisionism«, in: The Independent, 29.1.2000 22 Hilberg, Unerbetene Erinnerung, a.a.O., S. 19 23 Hitchens, »Hitler’s Ghost«, a.a.O. 24 »Myth, Memory and History«, in: M. I. Finley, The Use and Abuse of History, London 2000, S. 14f. 25 Ebda., S. 92 26 Evans, In Defense of History, a.a.O., S. 93 27 Todorov, a.a.O., S. 62, 96f. 28 Leon Weiseltier, »After Memory«, in: The New Republic, 3.5.1993, S. 16-26
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Danksagung Dieses Buch hätte ohne die Kooperation, den Zuspruch und die Hilfe folgender Menschen nicht geschrieben werden können: Deborah Lipstadt und David Irving waren beide so großzügig, mir vor der Verhandlung ausgiebige Interviews zu gewähren und während des Prozesses sowie nach dem Urteilsspruch meine oft aufdringlichen Fragen zu beantworten. Anthony Julius und James Libson bei Mishcon de Reya, Kevin Bays und Mark Bateman bei Davenport Lyons und Helena Peacock bei Penguin Books waren allesamt außerordentlich geduldig, als sie einem Nicht-Anwalt halfen, sowohl den Verleumdungsprozess als auch die zur Debatte stehenden rechtlichen Fragen zu verstehen. Besonders dankbar bin ich Anthony Julius und Mark Bateman für ihre stets ausführlichen und hilfreichen Antworten auf meine Fragen. Charles Gray, der Richter, der die Verhandlung führte, gab zu meiner Überraschung einer Bitte um ein Gespräch vor Prozessbeginn statt. Es blieb unser einziges Gespräch, aber seine frühere Schriftführerin Kim Janes versorgte mich mit vielen Informationen zu seiner Karriere als plädierender Anwalt bei Verleumdungsklagen, während ihr Nachfolger John Lloyd dafür sorgte, dass ich, obwohl ich Ausländer bin und bei Gericht fremd war, Zugang zu den Prozessakten und dann zu den Protokollen hatte. Don Honeyman, der Ehemann von Gitta Sereny, gewährte mir Materialeinsicht im Zusammenhang mit Irvings Klage gegen seine Frau und den Observer. David Parsons von Lowell White Durrant, der Sereny und den Observer vertritt, half mir 410
die Zusammenhänge der beiden Fälle zu verstehen. Adam Bellow, der die US-Ausgabe von Denying the Holocaust. The Growing Assault on Truth and Memory (Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode, Reinbek bei Hamburg 1996*) redigierte, machte mich mit der Publikationsgeschichte des Buches vertraut. Michael Rubinstein, der Irving einst vertrat, half mir, Irvings juristische Biographie zu begreifen. Christopher Browning, Richard Evans, Peter Longerich und Robert Jan van Pelt beantworteten meine Fragen im Anschluss an den Prozess durchweg sehr offen und präzise. Im Falle von Evans und van Pelt war diese Kooperation umso großmütiger, als beide wussten, dass ich von ihrem Auftritt im Zeugenstand nicht restlos begeistert war. Robert Jan van Pelt beantwortete so viele meiner Anfragen mit solch gleich bleibender Freundlichkeit, dass ich mich gezwungen sah, ihn an meine kritischen Bemerkungen zu erinnern. Ihm und seinem beispielhaften Fachwissen bin ich zutiefst zu Dank verpflichtet. Schreiben ist für mich eine Möglichkeit, Dinge zu durchdenken. Mein erster Versuch zu begreifen, was in diesem Prozess auf dem Spiel stand, war ein Artikel für die New York Times. Dass ich Patricia Cohen etwas schuldig bin, weil sie mir den Auftrag verschaffte und mir half, den Maßstäben der Times, was Fairness und Ausgewogenheit betrifft, zu entsprechen, erkenne ich besonders gern an. Wir beide sind Veteranen des jüngst betrauerten New York Newsday, wo solche Fragen, wenngleich man sie ernst nahm, vielleicht weniger zum Fetisch gemacht wurden. Aber ich selbst bin fest in einem engagierten, Partei ergreifenden Journalismus verwurzelt, sodass ich gleicherma-
* Eine erste deutsche Ausgabe erschien 1994 unter dem Titel Betrifft: Leugnen des Holocaust im Rio-Verlag, Zürich.
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ßen amüsiert und erstaunt war, im New Republic zu lesen, wie die Zeitschrift versuchte, meine von ihr so genannte »feine, lockere Ausgewogenheit« als Knüppel zu benutzen, um sowohl auf Ms. Cohen als auch auf die Times einzuschlagen. Nicht jedem Autor wird die Befriedigung einer so raschen öffentlichen Reaktion zuteil; dafür und für die Schärfe des Angriffs bin ich den Herausgebern des New Republic dankbar. Ganz anders ist es um meine Schuld gegenüber dem Atlantic Monthly bestellt. Jack Beatty gab 10 000 Wörter in Auftrag, die am Vorabend des Prozesses erscheinen sollten, und akzeptierte, redigierte und druckte dann mehr als 15 000 Wörter. Avril Cornel gestaltete den Kontakt zu der Zeitschrift mehr zu einem Vergnügen denn zu einer Last. Amy Meeker und Yvonne Rolzhausen bewahrten mich vor großen und kleinen Fehlern und beeindruckten insbesondere meine britischen Quellen mit ihrer unermüdlichen Bereitschaft, Bedeutungsnuancen zu diskutieren, und mit ihrer Ehrfurcht vor Fakten. Dies alles wäre jedoch nicht ohne die unerschütterliche Unterstützung von William Whitworth möglich gewesen, einem Mann, dem ich nie begegnet bin und dem ich, wie ich fürchte, meine Dankbarkeit für die in jeder Hinsicht zufrieden stellendste redaktionelle Erfahrung meiner journalistischen Laufbahn niemals ausreichend eingestanden habe. Für seine anfänglichen Fragen, seinen durchweg hilfreichen Rat und vor allem für sein ständiges Bohren, ob das, was ich schriebe, auch das sei, was ich wirklich meinte — sein unbedingtes Vertrauen darauf, dass es tatsächlich möglich sei — , bleibe ich zutiefst dankbar. Mein Agent Andrew Wylie machte als Erster den Vorschlag, ein Buch über den Irving-Lipstadt-Prozess zu schreiben. Dafür danke ich ihm, ebenso für sein gelassenes Zutrauen und vor allem dafür, dass er ein paar lange, magere Jahre mit mir durchhielt. Von der Wylie Agency habe ich weiterhin Dank an Zoe 412
Pagnamenta, Helen Allen, Rose Billington, Georgia Garrett, Martha Lowe und Emma Smart abzustatten. Starling Lawrence bei W. W. Norton und Neil Belton bei Granta Books reagierten mit großer Begeisterung und großem Verständnis auf meinen Vorschlag, über den Prozess zu schreiben. Ich schätze mich besonders glücklich, auf beiden Seiten des Atlantiks Lektoren zu haben, welche die Bedeutung des Verfahrens sogleich verstanden und gleichermaßen bereit und in der Lage waren, sich mit den Fragen, die dieses Buch zu beantworten sucht, zu befassen. Mein Dank geht auch an Sajidah Ahmad bei Granta, dass sie mich durch den Herstellungsprozess leitete, und an Drake Bennett bei Norton für ein paar entscheidende Hilfestellungen. Die kartographische Abteilung des United States National Archive besitzt eine außerordentliche Sammlung mit Luftaufnahmen von Auschwitz und Birkenau, die vielfach digitalisiert und im Internet unter www.nara.gov angeschaut werden können. Ich danke Iris Cooper vom National Archive, dass sie mir half, die richtige Person anzusprechen, und Sam Welch von der kartographischen Abteilung für die Genehmigung zur Reproduktion von zwei Luftbildern. Ich bin Reporter, kein Wissenschaftler. Doch bei meinen Ansätzen, diesen Prozess zu verstehen, habe ich vom Rat (den ich nicht immer befolgte) und den Meinungen (die ich nicht immer teilte) der folgenden Forscher profitiert: Michael Berkowitz, Ruth Birn, Norman Finkelstein, Gerald Fleming, Michael Geyer, Eric Hobsbawm und Jonathan Warna. Auch Mark Mazower schulde ich Dank sowohl für seine hilfreichen Kommentare als auch für das Beispiel seiner eigenen gewissenhaften, äußerst engagierten Gelehrsamkeit. Herr Dobblestein von der Rechtsabteilung des Deutschen Konsulats in London half mir, die Gesetze seines Landes gegen die Holocaust-Leugnung zu verstehen. Mein Cou413
sin, der Philosoph Samuel Guttenplan, half mir, die epistemologischen Fragen klarer zu erkennen. Sir Martin Gilbert, den ich im Laufe der Verhandlung traf, reagierte mit charakteristischer Großzügigkeit auf meine zahlreichen Bitten um Informationen. Ich sollte hinzufügen, dass keine dieser Personen, in deren Schuld ich stehe, für die in diesem Buch zum Ausdruck gebrachten Ansichten oder die noch verbliebenen Fehler verantwortlich gemacht werden darf. Sie gehen ausnahmslos auf mein Konto. Als unabhängiger Forscher möchte ich den Mitarbeitern der Wiener Library danken, die mir gestatteten, eines der wenigen in Großbritannien vorhandenen Exemplare von Peter Novicks Buch monatelang auszuleihen; ebenso dankbar bin ich für die großartige Sammlung im University College London, wo die amerikanische Bibliothekarin Ruth Dar sich ähnlich nachsichtig zeigte. Auch Dr. Eric Halpern, meinem Doktorvater am UCL, und Dr. Kathleen Burk, meiner Studienleiterin, danke ich für die Erlaubnis, mein Studium der amerikanischen Geschichte zu unterbrechen, um dieses Buch zu schreiben. Eine Gerichtsverhandlung ist ein in sich geschlossenes Universum, vom übrigen Leben abgeschnitten durch das Protokoll des Verfahrens und durch die angespannte Aufmerksamkeit der anwesenden Besucher. In der Pressesektion waren Eva Menasse und James Buchan außerordentlich angenehme und anregende Gefährten, deren Verständnis des Verfahrens mir bei der Bildung eines eigenen Urteils half. Eva ermöglichte es mir, der ich kein Deutsch spreche, den zuweilen obskuren Auseinandersetzungen über die genaue Bedeutung deutscher Wörter zu folgen; Jamie lenkte meine Aufmerksamkeit als Erster auf die Parallelen zwischen David Irving und Dio Chrysostomos. Sam Tanenhaus, ein Besucher in der Pressesektion und neu gefundener Freund, ist der lebende Beweis dafür, dass man kein Linker sein muss, um ein Mensch zu sein. Dan Yurmans Internet-Auswahl 414
der Prozessberichterstattung war eine wertvolle Quelle, und Hilary Ostrovs E-Mails hielten mich auf Trab. Außerhalb der Verhandlung habe ich enorme Unterstützung von Peter Cariani und Becky Heaton, von Duncan Bull, Edward Fox, Larry Friedman, von Merle und Gene Mahon, von Rosemary Moore und Josh Shneider, von Andrew Patner, Joel Sanders, John Scagliotti, Gene Seymour und Marie Nahickian, von Sheila Shulman und Carl Strehlke erhalten. Mein alter Chef und Freund Robert Friedman sorgte ebenso wie Victor Navasky an einem entscheidenden Punkt für moralische Unterstützung. Karen Rothmeyer und Katrina van den Heuvel, meine Redakteurinnen bei Nation, boten mir eine geistesverwandte journalistische Heimat. Und obwohl ich ihm auf diesen Seiten widerspreche, bin ich meinem Freund Christopher Hitchens dankbar, dass er mich auf David Irving aufmerksam machte und dass er unsere Meinungsverschiedenheiten nicht persönlich nimmt. Es gibt ein paar Schulden, die niemals zurückgezahlt werden können. Meine Frau, Maria Margaronis, schob ihre eigene Arbeit auf, damit ich dieses Buch rechtzeitig beenden konnte. Das war ein sehr schwieriges Jahr, und obwohl ich mich darauf freue, dasselbe für sie tun zu können, bezweifle ich, ob ich oder sonst jemand dasselbe Opfer mit ebensolcher Bereitwilligkeit hätte bringen können. Aber ich werde es versuchen. Unsere Kinder Alexander, Zoe und Theo sahen von ihrem Vater sehr viel weniger, als sie es gewohnt waren. Auch ihnen danke ich, dass sie sich die ganze Zeit so großartig verhielten, und es war schön, immer wieder zu ihnen nach Hause zurückzukommen. (Teilweise gebürt der Dank Audrey Lematte und Martina Gjurekovic, den außergewöhnlichen »Aufpasserinnen«.) Meine Mutter, Jacqueline Goldstein Guttenplan, glaubte daran, dass es wichtig sei, Fragen zu stellen. Und wenn mein Vater, Mitchell Guttenplan, auch seine eigene Frömmigkeit nicht wei415
tergegeben hat, so bestärkt er seine Kinder und Enkel doch im Großen wie im Kleinen weiterhin darin, an ihrer Verpflichtung gegenüber dem Judentum festzuhalten. Schon vor langer Zeit erkannte ich, dass, sollte es mir jemals gelingen, ein Buch zu schreiben, dies in hohem Maße dem Einfluss von Joseph Ormond geschuldet wäre, meinem Lehrer auf der Mayfair-Grundschule in Philadelphia. Als Vater habe ich einmal mehr erlebt, wie wichtig der Einfluss eines Lehrers ist, und als Autor werde ich mich stets Joe und Linda Jarrett von der White Station High School in Memphis sowie Sidney Morgenbessor, Michael Rosenthal, Edward Said und Catherine Simpson von der Columbia University zu außerordentlichem Dank verpflichtet fühlen. Und schließlich möchte ich Raul Hilberg danken. Jeder, der über den Holocaust schreibt, steht in seiner Schuld. Für mich ist Hilberg nicht nur wegen seiner Leistung als Historiker ein Held, sondern auch als Moralist, als Mensch, dessen leidenschaftliches Engagement für die Wahrheit unvermindert fortbesteht, obwohl es ihm — oder der Welt — wenig Behaglichkeit beschert. Über solche Finsternis nachzudenken und dabei unbewegt zu bleiben wäre unmenschlich. Hilberg beeindruckte mich als jemand, dem die demoralisierende Natur seines Themas zutiefst bewusst ist. Dennoch lässt er nicht locker, wobei er Rationalisierung ebenso verschmäht wie Mystizismus und Trost einzig in seinen heiß geliebten Fakten sucht. Die Widmung dieses Buches spiegelt nur einen Teil der außerordentlichen Dankbarkeit wider, die ich für sein Werk und seine Hilfe bei der Klärung meiner eigenen Gedanken über etwas, das immer sein Gebiet bleiben wird, empfinde. 1. Januar 2001 Hampstead, London, und Guilford, Vermont
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Namensregister
Aldington, Lord 350 f. Alexander, Feldmarschall 351 Altemeyer 158 Althans, Ewald 138, 179 App, Austin 110 Archer, Jeffrey 352 Arendt, Hannah 100, 104, 384 Aristoteles 370 Arnold, Matthew 271 Ascherson, Neal 67 f. Aumeier, Hans 262 ff., 356 Barnes, Harry Elmer 108 Baron, Salo 93 Barthes, Roland 105 Bateman, Mark 116, 141 Bauer, Yehuda 83, 108, 110, 175, 216 Bays, Kevin 116, 142 Bebel, August 119 Beer, Colin 203, 205 Belloc, Hilaire 119 Bellow, Adam 109, 113 Bimko, Dr. 229 f. Bird, Kai 68 Birn, Ruth B. 379 Bischoff, Karl 206, 214, 242 f., 254 Blair, Tony 56 Blobel, Paul 244 Bouhler, Philipp 150, 193
Bourke-White, Margaret 95 Brack, Viktor 193 Brandt, Rudolf 164 Breitman, Richard 182, 216, 245, 247 Broad, Pery 199, 249, 255, 262, 362 Broszat, Martin 66, 177, 277 Brown, Geoffrey D. 325 Browning, Christopher 181 f., 274-283, 290, 314 Bruns, Walter (Generalmajor) 45, 158 Buber, Martin 216 Buchan, John 119 Bundy, McGeorge 68 Bundy, William 68 Butz, Arthur 110, 138, 168, 252 Carman, George 114 Casey, William 257 Cesarani, David 384 f. Chaney, James 86 Chaucer, Geoffrey 271 Cherwell, Lord 63, 178 Chester, Lewis 66 Chomsky, Noam 169 f., 280, 386 Christie, Doug 131 Christopherson, Thies 253, 318 Chrysostomos, Dio 370 ff. Churchill, Winston 328
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Clark, Alan 120 Cochran, Johnny 114 Cocteau, Jean 387 Congdon, Tom 65 Craig, Gordon 81 Dahmer, Jeffrey 80 Davies, Michael 351 Dawidowicz, Lucy 102 f., 105, 188, 314, 380 Dearden, Basil 273 Deckert, Günter 167, 319 Dejaco, Walter 241 ff. de Man, Paul 374 Dering, Wladislaw 40, 129 f. Dershowitz, Alan 114 f., 369 Diana, Pricess of Wales 115 Disraeli 120 Dolman, Alfred 59 Domitian 372 Dössecker, Bruno 98 Dragon, Szlama 224, 250 Dunne, Thomas 79 Dwork, Debórah 34, 185 ff., 212, 222, 240, 251 Eden, Anthony 246 Eichmann, Adolf 99, 156, 170, 187, 279, 315 f. Eisenhower, Dwight D. 377 Eliot, T. S. 118, 120 f., 272, 381 Engele, Cecily 116 Ertl, Fritz 241 Evans, Richard J. 103, 127 f., 216 f., 220, 283-298, 358 f., 373 f., 380 Faurisson, Robert 133,167 ff., 171 f., 203, 207, 217, 252,
418
255, 364, 374 Feinsilber, Alter (alias Stanislaw Jankowski) 250 Finkelstein, Norman G. 379, 381 Finley, M. I. 390, 395 f. Forbes-Watson, Anthony 32, 112, 353, 367 Foucault, Michel 252 Foxman, Abraham 380 Franco 70 Frankfurter, Felix 246 Freud, Sigmund 220 Frey, Gerhard 319 Fröhlich, Elke 176 f. Funke, Hajo 128, 220, 316-323, 363 f., 385 Gaber, Joseph 389 Geyer, Michael 182 Gilbert, (Sir) Martin 216, 328 Glickes, Irwin 108 Goebbels, Joseph 46, 304, 311 f., 327, 360 Goldhagen, Daniel Jonah 67, 103 ff., 122, 181 f., 188 f., 280 f., 314, 380, 392 Goldwater, Barry 320 Gollancz, Victor 119 Goodman, Andy 86 Göring, Hermann 186, 259 f., 328 f. Gradowski, Salmen 224, 396 Gray, Mr. Justice Charles (Richter) 29 f., 148 f., 162, 167, 173, 181,191, 195, 198, 200, 205, 207, 225, 229, 260, 287-291, 296 f., 305, 312, 314, 320, 322, 325, 328, 331, 337, 339 ff., 349 ff., 352, 354-
366, 386, 393 Greiser, Arthur 189 Grossman-Weil, Sara 251 Günsche, Otto 65 f. Gutman, Israel 379, 381 Haider, Jörg 385 Hancock, Tony 326 Handlin, Oscar 100 Hanf, Robert 216 Harris, Robert 178, 352, 373 Heinrich VIII. 271 Heß, Rudolf 261, 297 Heydrich, Reinhard 50 f., 186, 189 f., 192, 274, 276, 357 Hilberg, Raul 75, 99 f., 104, 156 f., 182, 186, 201, 216, 241, 276, 281, 389-393, 395 Himmler, Heinrich 50, 98,104, 149, 158, 160-164, 185 ff., 189, 276, 278, 309, 315 Hitchens, Christopher 81, 386, 390 Hitler, Adolf 34, 42 f., 49-52, 62 ff., 67, 78, 80, 104, 112, 120, 126, 161 f., 164, 167 f., 173, 179, 181, 188, 241, 258 f., 261, 275-278, 285, 295-298, 302-305, 307, 309, 311 f., 314 f., 326-329, 333 f., 337 f., 347, 356 f, 360, 369, 391 Homer 370 f., 390 Horthy, Miklós 258, 356, 360 Höß, Rudolf 199, 236, 241, 250, 262 f., 362 Hössler 249 Irving, David 59-75, 323-329
Jabotinsky, Vladimir 314 Jäckel, Eberhard 126, 182, 302 Jankowski, Stanislaw siehe Feinsilber, Alter Janner, Greville 313 Julius, Anthony 114-132, 135, 137, 216, 220, 265, 272, 285, 313, 329, 349, 353 Kádár, János 68 Kahane, Meir 281 Kammler, Hans 214 Karpf, Anne 379 Karski, Jan 246 Kazin, Alfred 98 Keegan, John 66 f., 172, 179-184, 274, 359, 369, 385 Keitel, Wilhelm 65 Kennedy, Edward 37, 135, 324 Kershaw, Ian 127 Kimber, William 39, 46 Kipling, Rudyard 119 Kitaj, R. B. 121 Koestler, Arthur 246 Kogon, Eugen 195 Köppens, Dr. 189 Korherr, Richard 163 f. Kremer, Johann Paul 248 f. Kujau, Konrad 126 Kula, Michael 250, 255 Kushner, Tony 96 Lammers (Reichsminister) 301 Larkin, Philip 121 Laski, Harold 119 Lautréamont 168 Lawrence, Bill 244, 247 Lawton, Mr. Justice (Richter) 38 f., 140
419
Le Pen, Jean-Marie 43, 385 Leeper, Reginald 245 Leuchter, Fred 77 f., 153 f., 201205, 207, 211 f., 219 Levin, Brian 287 Libson, James 122-134,138 Lindsey, Dr.William 255 Lipstadt, Deborah 32, 82, 85-91, 94 f., 106-113 Livingstone 59 Longerich, Peter 281, 307-315, 346 Lovell, White & Durrant 122 MacDonald, Kevin 174 ff. MacMillan, Harold 118, 351 Mann, Thomas 193 Mansfield, Michael 114 Marlowe, Christopher 119 Maxwell, Robert 109, 142 Mayer, Arno 101 f., 104 f., 221 f. McCarthy, Joseph 346 McClelland, Roswell 246 McCloy, John 68 Mengele, Dr. Josef 131 Milch, Erhard 74 Millar, Peter 176-179 Mishcon de Reya, Lord 116,121 f., 124,126,129,135,142 f., 329 Mitchell, Ian 351 f. Momigliano, Arnoldo 396 Mommsen, Hans 277 Morell, Theo 69 Morris, David 49 Morris, Errol 201 f. Morrow, Lance 66 Mosley, Oswald 61 f., 73, 140 Müller, Heinrich 161
420
Munkman, John 155, 283 Murray, Charles 273 Murrows, Edward R. 95 Mussolini 314 Nagy, Imre 68 Naumann, Michael 257 Neill, Andrew 177 Noakes, Jeremy 127 Novick, Peter 87, 95-99, 101, 376 ff., 382 Olère, David 235, 255, 335, 361 Orwell, George 120 Palmer, Craig T. 174 Peacock, Helena 116 Pearson 367 Peters, Joan 380 Piper, Dr. Pranciszek 240 Podhoretz, Norman 89,101, 378 Pohl, Oswald 50f. Powell, Enoch 56, 312 Pressac, Jean-Claude 207, 222, 240 Rabin, Yitzhak 345 Rákosi, Mátyás 68 Rampton, Richard 32, 47, 125, 150-155, 158-166, 173, 184, 188-192, 194-197, 200, 205, 207-214, 258-273, 321-329, 331-340, 347, 349, 351 f., 353, 355, 367, 369 Ranke, Leopold von 53 Rassinier, Paul 168 Reich, Walter 111 Reitlinger, Gerald 182 f. Remer, Otto Ernst 318 f.
Renouf, Michèle 386 Renouf, Sir Francis »Frank die Bank« 386 Ribbentrop, Joachim von 258 Richs, Frank 80 Rimbaud, Arthur 168 Robertson, Geoffrey 114 Roeder, Manfred 254 Rogers, Heather 32, 142, 260, 328, 353 Rommel, Erwin 64, 74, 279 Roosevelt, Franklin Delano 71, 246, 255 Rosenberg, Julius und Ethel 97 Rosenzweig, Franz 216 Rothschild, Lionel de 271 Rubinstein, Michael 40, 74, 116, 351 Rudolf, Germar 205 Rushdie, Salman 112 Scardino, Marjorie 113 Scheck, Barry 114 Schindler, Oskar 145 Schwerner, Michael 86 Scotland, A. 263 f. Sehn, Jan 248 ff. Sereny, Gitta 66, 74, 121 f., 124, 126 f., 145, 176 f. Shakespeare, William 119 Shylock 271 Singer, Isaac Bashevis 86 Skelton-Robinson, Thomas 128 Spiegelman, Art 87 Spielberg, Steven 32 Stäglich, Wilhelm 254, 318, 321 Stalin, Jossif Wissarionowitsch 97, 350 Steel, Helen 49
Stone, I. F. 378 Sydnor, Charles 66 Tabeau, Jerzy 246 Tauber, Henryk 224, 230 ff., 250, 255, 361 Thatcher, Margaret 118, 270 Thornhill, Randy 174 Tiso, Jozef 187 Tito, Josip 350 Todorov, Tzvetan 3820 Tolstoj, Leo 351 Tolstoj, Nikolai 351 Trajan 372 Trench, John (Richter) 132 f., 135 f. Trevor-Roper, Hugh 66f., 69, 99f. Truman, Harry S. 377 Tschechow 283 Tuchmann, Barbara 100, 380 Turner, Harald 196 Uris, Leon 39 f., 83, 116 van Pelt, Robert 34, 166, 185188, 188, 200 f., 206, 210 ff., 215-258, 262, 264 f., 290, 335, 337, 361, 375, 387, 395 Verrall, Richard (alias Richard Harwood) 168 Vespasian 372 Vidal-Naquet, Pierre 169-172, 222, 241, 243 Vrba, Rudolf 246 f. Wachsmann, Nicholas 128 Warner, Jack 273 Wasserstein, Bernard 216 Watt, Donald Cameron 172 f., 359
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Watts, Nigel 350 f. Weber, Mark 263 Weidenfeld, Lord George 74 Weizsäcker, Ernst von 146 Wells, H. G. 246 Werkmann, Georg 242 Werth, Alexander 97 West, Rae 354 Wetzel, Eberhard 193 Wetzler, Alfred 246 f. White, Hayden 299 f., 303 Wiesel, Elie 98, 130 Wilkomirski, Binjamin 98, 381 Wilmot, Chester 180 Wilson, E. O. 174 Zündel, Ernst 75 ff., 133,137, 146, 179, 201, 203, 217, 255, 274, 318, 364
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Sachregister Stichwörter in Kursivdruck bezeichnen Printmedien: Presseorgane (Zeitungen, Zeitschriften u. ä.) sowie Buch- und Filmtitel mit den in Klammern genannten Autoren. A Battle for History (Irving) 180 A Natural History of Rape: Biological Bases of Sexual Coercion (Thornhill/Palmer) 174 A People That Shall Dwell Alone: Judaism as a Group Evolutionary Strategy (MacDonald) 175 Abhörberichte der BBC 193 Adolf Hitler: The Medical Diaries (Irving) 69 Affäre Faurisson 386 »Aktion Reinhard« 192, 246 Aldershot 165 Aldington-Verfahren 352 American Jewisch Committee 32, 96, 103 American-Arab Anti-Discrimination Committee 345 Angesichts des Äußersten (Todorov) 382 Anklage, Eröffnungsplädoyer 3846 Anti-Defamation League von B’nai B’rith 32, 96, 100, 102, 105, 314, 345, 380, 395 Antisemitismus 267, 289, 339, 357 —, Irvings 362 f.
—, Kampf gegen 368 Archiv Mussolinis 61 Assassins of Memory (VidalNaquet) 171 Atlanta Constitution 111 Aufklärungsfotos 235 Auschwitz 35, 98, 215-256 Auschwitz: 1270 to the Present (Dwork/van Pelt) 34, 185 Auschwitz-Luftaufnahmen 221 Auschwitz-Prozess, Krakau 82, 248 f. Australien, Antisemitismus 267 f. Babi-Yar, Massaker von 244 Belzec 35, 97 f., 164, 165, 199, 246, 324, 346 Bengal Lancers 59 Bergen-Belsen 96, 145 Berlin 97 Berufung 366 Beweisführung, David Irving 38 Beyond Belief: The American Press and the Corning of the Holocaust 1933-1945 (Lipstadt) 91, 94 f. Birkenau 77, 103, 146, 187, 201, 204, 206, 213 f., 226, 247 f., 253, 334, 336 Bischoff 214
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Blausäure 229, 233, 335 siehe auch Zyklon B Board of Deputies of British Jews 32, 116, 122, 141, 395 Boston Globe 111 British Academy 127 Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939-1948 (Wilkomirski) 381 Bruns-Protokoll 45 Buchenwald 95, 96, 145, 168 Bürgerrechtsbewegung 88 Chassidim 85 Chelm 165 Chelmno 35, 190 f., 193 f., 197, 236 Cherwell-Archiv 64 Clarendon Club 124 Commentary (Trevor-Roper) 89, 99,101 Cyanwasserstoffsäure siehe Zyklon B Dachau 96, 145 Daily Mirror 142 Daily News 80 Daily Telegraph 180, 369 Davenport & Lyons, Anwaltskanzlei 116, 126, 141 ff. Dekonstruktivismus 374 Deportationen 279, 334, 337 Deportationspolitik, antijüdische 277 Der Auschwitz-Mythos (Stäglich) 318 Der Krieg als Kreuzzug (Mayer) 221 Der Untergang Dresdens (Irving) 62 f., 294 f.
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Deutsche Alternative 317 Deutsche Erd- und Steinwerke (DEST) 185 Deutsche Volksunion (DVU) 319 Did Six Million Really Die? (dt.: Starben wirklich sechs Millionen?) (Verrall alias Harwood) 168 Die blaue Lampe (Orig.: The Blue Lamp) Film von Basil Dearden 273 Die Endlösung (Reitlinger) 182 f. Die Holocaust-Industrie (Finkelstein) 381 Die Vernichtung der europäischen Juden (Hilberg) 99, 390 Dokumente, historische — Verfälschung, absichtliche 365 Dorot Foundation 93 Dresden — Bombardierung 43, 357 — Todesopfer 63 DuPont 255 DVU siehe Deutsche Volksunion Economist 257 Eichmann in Jerusalem (Arendt) 100 Eichmann-Prozess 99 f., 377 Eid 55 Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit (engl.: A Nation on Trial) (Finkelstein/ Birn) 380 Einmann-Gaskammer 72 Endlösung (der Judenfrage) 43, 103, 156,163, 186, 250, 302 f. England, »Ritualmord-Verleum-
dung« 271 ENIGMA-Code 64 »Entlausungswagen« 196 Enzyklopädie des Holocaust 379 Erfindung 48 Eröffnungsplädoyer — Anklage 38 — Verteidigung 47-52 Ethik der Solidarität 383 Euthanasie-Programm 150, 194 Evangelium nach Johannes, 8:32 321 Evidence for the Implementation of the Final Solution (van Pelt) 34 Exodus (Uris) 39, 83, 116 Exodus-Prozess 40, 83, 129, 140 Expertengutachten, Evans 286 f., 289, 302 ff, 306 Extremismus 339 —, gewaltloser 320 Falschübersetzung 48 Faschismus, Rehabilitierung 385 Fehler, Historiker 282 Fragments (dt.: Bruchstücke) (Wilkomirski) 98 From Time Immemorial (Peters) 380 Germanisierungsprojekt, Himmler 186 Geschichtsfälschungen 48 —, größere 333 Geschworene 38 Goebbels-Biographie 57, 59, 81, 285, 294, 319, 327 Goebbels. Macht und Magie (Irving) 57, 79, 285, 297
Goebbels-Tagebücher 79, 122, 124, 138 f., 176, 327, 348, 357, 364 Göring-Biographie (Irving) 58, 259 Gräuelpropaganda, alliierte 255 Guardian 352 Hadassah Magazine 90 Hagenau, Kundgebung 318 Halle — Kundgebung (Video), Skinheads 318, 385 Heß-Telegramm 306 Hiroschima 148 Historiker, Fehler 282 Hitler-Biographie 127, 152 Hitler-Prozess (1924) 348, 356 Hitler’s Willing Executioners (dt.: Hitlers willige Vollstrecker) (Goldhagen) 189 Hitler’s War (Irving) siehe Hitlers Krieg »Hitler-Tagebücher« 68, 75, 78, 126, 202, 373 Hitlers Krieg (Irving) 49, 51, 65 ff, 74, 76, 78, 151 f., 158, 161, 163 f., 173,177, 180 f., 189, 258, 275, 284, 294 Hitlers Weltanschauung (Jäckel) 126 Hitlers willige Vollstrecker (Goldhagen) 67, 189, 280, 380 Hochtemperatur-LeichenVerbrennungsofen 239 Holocaust-Leugner, Credo 358 Holocaust-Leugnung 251 Horizon 246
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I. G. Farben 157, 185 f., 247 IHR siehe Institute for Historical Review Ilias 371, 390 Ilias-Leugnung 372 Im Schatten Hitlers? Historikerstreit und Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik. (Evans) 127 In Defense of History (Evans) 127, 298, 300, 373 Institute for Historical Research 263 Institute for Historical Review (IHR) 133, 296, 375 Invasion Kretas 181 Johannes 8:32, Evangelium nach 321 Judaistik 91 ff. Juden von Malta (Marlowe) 119 Judentransport 158 Kach-Partei 281 Kampf gegen Rassismus/ Antisemitismus 368 Kattowitz 186 Kaufmann von Venedig (Shakespeare) 119 Kiew 244 Kohlenmonoxid 193 Kommunismus, ungarischer 67 Korherr-Bericht 163 f. Kowno 311 Krakau 82 Krakauer Prozess 249 siehe auch Auschwitz-Prozess, Krakau Krankheitsopfer 214 Krematoriumskapazität 283
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Kremers Tagebuch-Protokoll 248 Kreta, Invasion 181 Kreuzverhör — Evans, Richard 283-306 — Irving, David 150-155, 158166, 258-273, 323-329 — van Pelt, Robert Jan 218-256 — Ziele 155 Kricket, Rassismus 270 Krieg und Frieden (Leo Tolstoj) 351 Kriegführung, psychologische 255 »Kristallnacht« 297, 356, 360 siehe auch »Reichskristallnacht« Krupp 62, 157 Ku Klux Klan 272 Kulmhof 195 Lady Chatterly-Prozess 112 Le Monde 168 Les Temps Modernes (Hilberg) 380 Leuchter-Report 52, 78, 154, 194, 198, 203, 205, 211, 251 Leugnen des Holocaust (Lipstadt) 57, 83, 91, 95, 108, 110 ff., 141, 171, 333, 373 Life 95 Litzmannstadt siehe Lodz Lodz (Litzmannstadt) 235 London Review of Books 387 Los Angeles Times 111 Lublin 165, 247 Lubliner Reservatsplan 277 Luftschutzbunker-Theorie 212 Machtergreifung, Hitler 216 Madagaskar 164
Madagaskar-Plan 276 Majdanek 35, 77, 97 f., 199, 247, 324 Malkinia 165 Massaker — Riga 45, 49 — Schlucht von Babi-Yar 244 Massenverbrennungsprogramm 223 Massenvernichtung, Beweise 360 Maus (Spiegelman) 87 McCarthyismus 346 Mein Kampf (Hitler) 60 f., 188, 307, 312 Mémoire en défense (Faurisson) 169 »Millionen-Dollar«-Frage 328 Mischehen 273 Mishcon de Reya, Anwaltskanzlei 116 Mittelbau-Dora 168 Monowitz 185, 208, 247 Mr. Death — The Rise and Fall of Fred Leuchter (Film von Errol Morris) 201 Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord (Novick) 87, 376 »Nacht der langen Messer« 309 National Alliance 364 National Conference of Black Lawyers 345 National Lawyers Guild 345 Nationalitätengesetz 270 f. Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas (Kogon) 195
Nazi Policy, Jewish Labor, German Killers (dt.: Judenmord. NS-Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter) (Browning) 274 Nazi-Euphemismen 308 Neo-Faschisten 365 Neunundreißig Stufen (Buchan) 119 New Commonwealth Institute 62 NewRepublic 99, 103, 280, 380 New Statesman 68 Newsweek 68 New York Newsday 111 New York Review of Books 81 New York Times 80,182,244, 247 New York Times Review of Books 100, 110 Nürnberger Prozesse 264 Observer 74, 121 f. Offenlegung (prozessrelevanter Urkunden) 123-126, 128 f., 134 f., 141, 265 Olère-Zeichnungen 235 Operation Reinhard 192, 236, 274 f. siehe auch »Aktion Reinhard« Oranienburg 236 Originalzeugnisse 396 Palästina-Leugnung 381 Pearl Harbor 96, 278 Plaszow 145 PM 378 Pogrom 298 siehe auch »Kristallnacht« sowie »Reichskristallnacht« Polenfeldzug (1939) 277
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Polish Fortnightly Review 245 f. Postmodernismus, Epiphänomen des 374 Private Eye 142 PRO siehe Public Record Office Propaganda, britische 192 Propagandamaschinerie 307 Prozess — Kosten 367 — Struktur 37 f. Public Record Office (PRO; Nationalarchiv) 262 Publisher’s Weekly 80 RAF 62 Rassismus 289, 339, 357 —, Kampf gegen 368 »Reichskristallnacht« 134, 261, 285, 297 Reichstagsrede, Hitler (30.01.1939) 71 Reinhard-Lager 337 Rereading German History: from Unification to Reunification, 1800-1996 (Evans) 127 Rhetorik (Aristoteles) 370 Richard-Nixon-Komplex 241, 276 Riga (Lettland) 35 — Massaker 45, 49 Rituale der Vergeltung (Evans) 127 Ritualmord-«Verleumdung«, England 271 Rommel-Biographie 65 Royal Historical Society 127 Rudolf-Report 205 Satanische Verse (Rushdie) 112
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Schindlers Liste (Film von Steven Spielberg) 98 »Schlegelberger-Memorandum« 301, 303, 356, 360 Schloss Colditz 138 Schlussplädoyers — Irving, David (Anklage) 341347 — Rampton, Richard (Verteidigung) 321-340 Sechs-Tage-Krieg (1967) 378 Selling Hitler (Harris) 178, 373 Semlin 196 f. Separation and Its Discontents: Toward an Evolutionary Theory of Anti-Semitism (MacDonald) 175 Shoah Foundation 32,145 Skinhead-Kundgebung, Halle 3180 Sobibór 35, 97, 165, 199, 346 Solidarität, Ethik der 383 Sophies Entscheidung (Film) 98 Sophistische Widerlegungen (Aristoteles) 370 Sowjetunion 89 — Überfall auf die 324 SS-Gruppenführertagung (1943), Posen 309 Staatsgeheimnisse (Breitman) 182 Stalingrad 162 Stern 68 f. Stoizismus 370 Strategic Air Command 62 Suez-Krise (1956) 377 Sunday Times 66, 68 f., 79, 124, 176, 178, 327
T. S. Eliot, Anti-Semitism, and Literary Form (Julius) 117 Tagebuch der Anne Frank 99 Tagebücher — Goebbels 46 — Gradowski 396 — Irving 342 Talmudschulen (Jeschiwas) 92 Tampa, Florida 269, 325 Tatsachenfeststellungen, historische 47 1000-Dollar-Angebot 67 The Auschwitz Lie (Christopherson) 253, 318 The Bell Curve (Murray) 273 The Culture of Critique: An Evolutionary Analysis of Jewish Involvement in Twentieth Century Intellectual and Political Movements (MacDonald) 175 The Destruction of Convoy PQ 17 (Irving) 39 The Face of Battle (dt.: Das Antlitz des Krieges. Die Schlachten von Azincourt 1415, Waterloo 1815 und an der Somme 1916) (Keegan) The Hitler We Loved and Why (Zündel) 75 The Hoax of the Twentieth Century (Butz) 138 The Minister and the Massacres (Nikolai Tolstoj) 351 The Nation 378 The New Republic 109 The Path to Genocide (dt.: Der Weg zur »Endlösung«. Entscheidungen und Täter)
(Browning) 274 »The Prioress’s Tale« (Chaucer) 271 The Second World War (Keegan) 181, 183 The Struggle for Europe (dt. Der Kampf um Europa) (Wilmot) 180 The Technique of Advocacy (Munkman) 155, 283 The Thin Blue Line (Film von Errol Morris) 202 The War After (Karpf) 379 The War Against the Jews (Dawidowicz/Goldhagen) 102, 189 The War Between the Generals (Irving) 41 The Mare’s Nest (Irving) 64 Theresienstadt 105 Thyssen 62 Time 66, 240 Times 270 Times Literary Supplement 180 Tischgespräche, Hitlers 189 Todesopfer, Dresden 63 Topf & Söhne 156, 239, 242 Treblinka 35, 67, 96 f., 164 f., 199, 324, 346 Trial of War Criminals 190 Tribune 120 Troja 371 Typhus 361 Typhus-Epidemie 213, 226 f., 249 Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Foucault) 252 f.
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UFOs: Nazi Secret Weapons (Zündel) 75 Unerbetene Erinnerung (Hilberg) 104, 389 Unternehmen Barbarossa 103, 281 Uprising (Irving) 67 f. Urteilsspruch, Berufung 366 Urteilsverkündung 352-366 Vanity Fair 69, 81 Verbrennungskapazität 228 Verbrennungsvorrichtung 236 Verfälschung, absichtlich — Dokumente, historische 365 Vergasungsvorrichtungen 232 Verleumdungsklage 31 Verschwörung, internationale 44 Verschwörungstheorien 176 Verteidigung — Eröffhungsplädoyer 47-52 — Sachverständiger der 200 Vertuschung 48 Verzerrung 48 Victims of Yalta (Tolstoj) 351 Vidal Sassoon Center 108, 131 Vietnam(krieg) 89, 161 Völkermord, systematischer 166 VölkischerBeobachter 71 Wahrheit, Verfälschung 48 Wall Street Journal 99 War Crimes and the Wardenship of Winchester College (Aldington) 350 War Refugee Board, Bern 246 Wartheland 189, 334 Washington Post 80, 369
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Why Did the Heavens Not Darken? — The Final Solution in History (dt.: Der Krieg als Kreuzzug) (Mayer) 101 f. Wiedergutmachung 268 Woolf-Report 128 Yad Vashem 100, 131, 282, 379 Yad Vashem Studies 100 Zamosc 165 Zentrum für AntisemitismusStudien 83 Zeugen der Anklage — Irving, David 145-150,190, 207-214, 323-329 — Keegan, John 179-184 — MacDonald, Kevin 174 ff. — Millar, Peter 176-179 — Watt, Donald Cameron 173 f. Zeugen der Verteidigung — Browning, Christopher 274283 — Evans, Richard 283-306 — Funke, Hajo 316-323 — Longerich, Peter 307-315 — van Pelt, Robert Jan 215-218 Zeugenaussagen 396 Zitieren, falsches 48 Zugeständnisse, Irvings 364 f. Zündel-Prozess 108, 131,133, 255, 274 Zyanid 202, 204, 206 f. Zyklon B (Blau-/Cyanwasserstoffsäure) 77,156,199, 204, 231, 236, 241, 243, 335