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Fred McMason
Seewölfe 241 1
Dieser 14. Juni 1591 schien ein ganz besonders friedvoller Tag zu werden, dafür sprachen alle Anzeichen. Die „Isabella VIII.“ segelte mit Dreiviertelwind unter seidig blauem Himmel auf grünlich schimmernden Wogen. An Backbord lag die Insel Hispaniola als dunkelgrüner Strich. Alles sah verträumt und friedvoll aus, und so hatten die Männer der „Isabella“ auch ausgesprochen gute Laune. Auf der Kuhl schnitt der alte Segelmacher Will Thorne ein neues Schönwettersegel zurecht. Der Moses Bill half ihm dabei, und wenn es nichts zu helfen gab, dann schaute er dem Segelmacher die kleinen Tricks und Kniffe ab, die der Alte im Schlaf beherrschte. Seit sie die Silverbank passiert hatten, war ihnen kein einziger Don mehr begegnet. Überhaupt schien es weit und breit kein einziges Schiff zu geben, und die Seewölfe hatten das Gefühl, als segelten sie allein durch das Karibische Meer. Gegen Mittag wurde die friedvolle Ruhe dann jäh unterbrochen, und ein Ereignis trat ein, mit dem niemand gerechnet hatte. „Auf Nordnordwest gehen!“ sagte Philip Hasard Killigrew zu Gary Andrews, der am Ruder stand. „Da drüben haben wir schon Cabo Isabela, es wird also langsam Zeit zum Kurswechsel.“ „Auf Nordnordwest gehen“, wiederholte der hellblonde, hagere Gary. Seine schlimme Narbe über der Brust war im Laufe der Jahre verblaßt, aber jetzt, als er mit nacktem Oberkörper am Ruder stand, sah man sie deutlich als fast weißen Strich. „Nordnordwest liegt an, Sir“, sagte Gary nach einer Weile, als er Ruder gelegt hatte. „Übrigens, Sir, wir sind nicht mehr weit von Tortuga entfernt. Erinnerst du dich noch?“ Hasard sah Gary Andrews lächelnd an. Mit einer schnellen Handbewegung strich er sich die schwarzen Haare aus der Stirn. „Und ob, mein lieber Gary. Wer könnte Tortuga jemals vergessen! Das Stichwort Tortuga ist gleichbedeutend mit Caligu,
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mit Juanita, Alana und dem fetten Diego, dem Kneipenwirt. Aber das liegt schon eine sehr lange Zeit zurück.“ „Diego“, sagte Gary grinsend. „Ob es den wohl noch gibt?“ „Das werden wir spätestens auf der Schlangen-Insel erfahren. Zweihundert Seemeilen noch, dann wissen wir es.“ „Warum sollte es ihn eigentlich nicht mehr geben?“ fragte Gary sinnend. „Er ist ein Kerl, der sich eine Position erschaffen hat, die er auch behält. So eine Art Festung ist er, und er ist kein Gauner wie Nathaniel Plymson. Diego hat sich immer neutral verhalten.“ „Das ist richtig. Vielleicht hat er sich gerade aus diesem Grund immer behaupten und durchsetzen können.“ Hasard blickte auf die Seewölfe, die gerade mit dem Nachbrassen beschäftigt waren. Der Profos Edwin Carberry scheuchte mit grimmigem Gesicht die Männer herum und ließ wieder seine Lieblingssprüche ab, die sich um edle Körperteile drehten. Dann war es mit der Ruhe vorbei. Der Seewolf wollte gerade nach achtern in seine Kammer gehen und hatte den Fuß bereits auf die erste Stufe des Niedergangs gesetzt, als ein donnernder Schlag durch die „Isabella“ ging. Es polterte laut, es knirschte und rumpelte, und dann war Stille. Unmerklich hob sich das Achterschiff, dann glitt der ranke Segler weiter, als wäre nichts geschehen. Ein Riff, dachte Hasard im ersten Augenblick. Ein Riff oder eine kleine Korallenbank, die sich ganz dicht unter der Wasseroberfläche befand. Und da waren sie rübergeschrammt! Er warf einen wilden Blick nach oben in den Großmars, wo Luke Morgan Ausguck hatte. „Verdammt! Hast du nichts gesehen, Luke!“ brüllte der Seewolf mit einer Stimme, die noch mühelos bis zum fernen Küstenstrich zu hören sein mußte. Luke stand oben hinter der Segeltuchverkleidung und starrte angestrengt in das schaumige Kielwasser,
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die Bahn aus Blasen, die die „Isabella“ achteraus zurückließ. Er zuckte deutlich zusammen und schüttelte dann den Kopf. „Nein, Sir, nichts! Kein Riff, gar nichts! Auch jetzt ist immer noch Wichts zu sehen.“ Hasard lief wieder nach achtern zurück und warf einen Blick in das Kielwasser. Aber sosehr er seine Augen auch anstrengte, er sah ebenfalls nichts, nicht die Andeutung eines Riffs, keinen typischen Wirbel im Wasser. Nun, dann kann Luke ebenfallsnichts gesehen haben, dachte er. Und als Dan O’Flynn die See achteraus mit den Blicken absuchte, entdeckten selbst seine scharfen Adleraugen keine Spur. „Das könnte auch ein großer Fisch gewesen sein, der uns gerammt hat“, vermutete er. „Ein Wal vielleicht, der anschließend gleich wieder auf Tiefe gegangen ist.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, doch dann sah er, daß das Kielwasser einen „Knick“ kriegte, und im selben Augenblick tönte Gary Andrews Stimme. „Wir laufen aus dem Ruder, Sir!“ schrie Gary. „Anscheinend ist das Ruderblatt gebrochen. Dann folgte das, was unbedingt folgen mußte. Es war schon so eine Art Bordgesetz, daß der alte O’Flynn wieder seinen Senf dazugab. „Das war ein Meermann“, behauptete der hartnäckig, und um das zu bekräftigen, stieß er mit seinem Holzbein hart auf die Planken. „Ein Meermann, dessen Zorn wir herausgefordert haben“, setzte er noch hinzu. „Diese Burschen können dann fuchsteufelswild ...“ „Ich auch!“ schrie Hasard. „Und zwar sofort! Ich will von deinen lausigen Meermännern nichts mehr hören, Donegal Daniel O’Flynn!“ Der Mund des Alten verkniff sich, und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Wortlos drehte er sich um und humpelte davon. Gleich darauf sah ihn Hasard an der Arbeit.
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Inzwischen hatte Ben Brighton das Kommando zum Aufgeien gegeben, denn die „Isabella“ lief immer mehr aus dem Ruder, luvte an, und die Segel begannen zu killen. Hasard sprang selbst ans Ruder und legte es nach Backbord. „Der Bolzen ist es nicht“, sagte er, „und verklemmt ist der lausige Quirl ebenfalls nicht.“ Vor noch gar nicht so langer Zeit war ihnen schon etwas Ähnliches bei der Insel der Feuerberge passiert. Da war es ein Baumstamm gewesen, der das Ruder beschädigt hatte. Aber da hatten sie eindeutig gesehen, was passiert war. Hier ließ sich nur vermuten, daß es ebenfalls ein unter Wasser treibender Gegenstand gewesen sein mußte. Womöglich ebenfalls ein Baumstamm, der sich kurz vorm Absaufen befand und der das Ruderblatt noch einmal erwischt hatte. Vermutlich war er bei diesem Anprall darin auf Tiefe gegangen, so jedenfalls schätzte der Seewolf die Situation ein. Das Ruder funktionierte wie sonst auch immer, es ließ sich leicht drehen, zu leicht diesmal, und das hieß nichts anderes, als daß ein Teil des Blattes fehlte. Inzwischen hingen die Segel im Gei, und der Rahsegler dümpelte leicht durch das Wasser. Der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker erschien auf dem Achterdeck und beugte sieh besorgt über das Steuerbordschanzkleid. „In den Räumen ist nichts passiert“, sagte er. „Keine Planke ist beschädigt. Der Schlag ist ausschließlich gegen das Ruderblatt erfolgt. Wovon, das weiß der Teufel. Und wüßten wir es, hilft uns das auch nicht weiter.“ Er beugte sich noch weiter vor und rief über die Schulter: „Legt mal Hartruder Steuerbord! Von dem verdammten Ding ist ja überhaupt nichts mehr zu sehen!“ Hartruder wurde gelegt, und als es auf Widerstand stieß, erkannte der Zimmermann immer noch nichts. Es war ohnehin eine ziemlich uneinsehbare Stelle,
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ein gewisser toter Winkel, und so zog er seinen Kopf wieder zurück. „Ich sehe mir das selbst an“, sagte er dann. „Werft mir nachher eine Leine zu.“ Carberry sah seinen breitschultrigen Freund zweifelnd an und tippte dann mit dem Finger an den Kopf. „Nimm das Tau lieber mit“, riet er. „Oder siehst du gehobelter Stint nicht, daß wir noch Fahrt laufen, was, wie? Im Nu hängst du eine Meile achteraus.“ „Hmm, da hast du ausnahmsweise recht“, brummte Ferris. „Ich hab immer recht“, sagte der Profos. „Wenn ich etwas behaupte, dann hat es Hand und ...“ „Soll ich euch mit den Schädeln zusammenstoßen?“ fragte der Seewolf freundlich. Ferris Tucker grinste, band sich die Leine um den Bauch, setzte sich aufs Schanzkleid und ließ sich in die Tiefe fallen. Er landete wie ein Sack Mehl im Wasser, tauchte aber gleich wieder auf, spie einen Strahl Wasser aus und ließ sich an der Leine nach achtern treiben. Für die an Bord befindlichen Männer war er eine Zeitlang verschwunden, sie hörten ihn nur im Wasser planschen. „Ein zweiter Mann in den Ausguck!“ befahl Hasard. „Er soll ein Spektiv mitnehmen. Am besten gehst du selbst, Dan! Gib gut acht, ob irgendwo Schiffe an der Küste stehen, denn augenblicklich sind wir so hilflos wie ein frisch gewickelter Säugling.“ „Aye, Sir“, sagte Dan und rannte los. Die Situation war vertrackt, sie hatten wieder ein Problem am Hals, das niemand einkalkuliert hatte. Zwar wurden die Bolzen der Ruderanlage immer wieder von Ferris Tucker kontrolliert, und in dieser Hinsicht passierte nur noch ganz selten etwas, aber es gab eben doch Situationen, in denen alle Kontrolle nichts nutzte. „Dabei begann der Tag so freundlich“, maulte der Profos. „Eben noch auf Rosenkissen, jetzt schon in die Hos’ geschissen.“ „Ja, so ist das Leben“, sagte der alte O’Flynn tiefsinnig. „Mal oben, mal unten.“
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„Selten so tiefsinnige Lebensweisheiten gehört“, sagte der Seewolf. „Da kleckert die Intelligenz ja richtig auf die Planken. So laut. daß man es hört.“ O’Flynn schwieg verbiestert. Carberry räusperte sich dezent und kratzte verlegen seine Bartstoppeln. Na ja, dachte er bescheiden, geistreiche Sprüche hatten sie wirklich nicht abgelassen. Kein Wunder, wenn Hasard sarkastisch reagierte. Ein Ruck an der Leine kündigte an, daß Ferris Tucker mit seiner Besichtigung fertig war. Hand über Hand hievten sie ihn hoch. Er selbst hielt mit der einen Hand die Leine an seinem Körper fest und kletterte senkrecht an der 7 Bordwand hoch. Schon an seinem Gesichtsausdruck erkannte Hasard, daß von dem Ruder nicht mehr viel übrig war, und als Ferris wieder an Deck stand, nickte er ernst. „Muß ein Stück Treibholz gewesen sein“, sagte er. „Der Ruderschaft ist zum Glück heil geblieben, und wir können aus den Resten ein Notruder abschlagen. Die hängen nämlich noch dran. Nur werden wir nicht drum herumkommen, irgendwo aufzuslippen. Und segeln müssen wir sehr, sehr vorsichtig.“ Hasard änderte seinen Entschluß, auf dem kürzesten Weg die Schlangen-Insel anzulaufen. „Wir schlagen ein Notruder an und segeln nach Tortuga“, sagte er. „Dort haben wir die Möglichkeit, das Ruder zu erneuern. Auf der Schlangen-Insel schaffen wir nicht einmal das Höllenriff mit einem Notruder. Also fangen wir gleich an!“ * Ferris Tucker und der grauhaarige ehemalige Schmied von Arwenack, Big Old Shane, widmeten sich vom abgefierten Beiboot aus der Arbeit. Ein provisorisches Ruder anzuschlagen war gar nicht einmal so schwierig, wie es sich anhörte, aber es war und blieb eben nur ein Provisorium. Erhielt es zu starken
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Druck, dann brach es erneut, folglich mussten sie so segeln, wie Ferris das schon vorher betont hatte: sehr, sehr vorsichtig! Arbeit nahm etwa zwei Stunden in Anspruch. Die „Isabella“ dümpelte auf den Wellen und beschrieb fast einen Kreis. Ferris und Big Old Shane hatten alte Planken zersägt und sie um die noch verbliebenen Reste des alten Ruderblattes genagelt. Zwei dünne Leinen hielten den Rest am Ruderschaft fest. Das Ganze sah jetzt eher wie ein unförmiger Kasten aus, aber das Notruder erfüllte seinen Zweck mit Sicherheit, vorausgesetzt, sie gerieten nicht unversehens in einen starken Sturm mit grober See. „Sieht aus wie eine bandagierte Seekuh“; sagte der Profos, als Ferris ihn nach seiner Meinung fragte. „Aber die Hauptsache ist, es hält bis Tortuga. Dort können wir in aller Ruhe darangehen, ein neues Rüder zu bauen.“ „In aller Ruhe?“ wiederholte Ferris höhnend. „Was glaubst du wohl, was inzwischen aus Tortuga geworden ist, eh? Ein Nest voller friedvoller Chorknaben? Da hat sich doch neues Gesindel festgesetzt Piraten, Gauner, Haderlumpen. Die werden uns wohl kaum mit großem Wohlwollen empfangen, Wenn sie erst wissen, wer wir sind.“ Carberry sah seinen Freund düster an. Dann fuhr sein abgewinkelter Zeigefinger über seine Bartstoppeln am Kinn, und es hörte sich an, als marschiere eine Horde triefäugiger Küchenschaben raschelnd über das Deck. „Hm, vielleicht hast du recht. Ist auch schon verdammt lange her, daß wir da gesungen haben. Na, wir werden ja sehen.“ Dann drehte er sich um und sah die Männer grimmig an. „Könnt ihr schwangeren Plattfische euch nicht denken, daß wir jetzt weitersegeln?“ fuhr er sie an. „Oder glaubt ihr etwa, wir dümpeln hier nur rum, weil wir Langeweile haben, was, wie? Wenn ihr nicht gleich auf den Stationen seid, dann streiche ich euch eure Affenärsche grün an!“
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„Aber meinen mit weißen Punkten, bitte“, sagte Matt Davies grinsend. Dann hatte er es allerdings ziemlich eilig, zu verschwinden, denn Carberrys Gesicht verhieß nichts Gutes. Immer noch war weit und breit kein anderes Schiff zu sehen, als auf der „Isabella“ wieder die Segel gesetzt wurden. Nur dicht unter Land war ein winziges Segel zu erkennen, aber das gehörte zu einem harmlosen Fischerboot. Niemand hatte sie in der Zeit der Reparatur behelligt. In dieser Ecke war das fast ein Wunder, denn hier kreuzten häufig Spanier herum, die in Geleitzügen über den Atlantik segelten. Hasard wünschte sich zur Zeit weder Dons noch Piraten. Mit dem notdürftig geflickten Ruder waren sie hilflos und konnten sich nicht in Gefechte verwickeln lassen. Sie würden es nicht einmal schaffen, sich schnell zu verdrücken. Der Seewolf überprüfte selbst, wie das Ruder auf Druck reagierte. „Etwas schwerfälliger als sonst“, sagte er zu seinem Bootsmann Ben Brighton, „aber bis zur Südspitze Tortugas werden wir es mit Sicherheit schaffen.“ Ben Brighton nickte. In seinem Gesicht lag ein nachdenklicher Zug, dann überprüfte er das Ruder ebenfalls und ließ die „Isabella“ ein wenig abfallen. Beim nächsten Ruderdruck begann es laut zu knarren, und der Rahsegler bewegte sich etwas träge. „Hoffen wir das Beste“, sagte Ben mißtrauisch. „Es hält“, versicherte Big Old Shane und strich mit seiner großen Hand durch den grauen Bart. „Es verträgt sogar noch wesentlich mehr Druck, da brauchen wir nichts zu befürchten.“ Er lächelte zuversichtlich, und die grenzenlose Ruhe. die von dem ehemaligen Schmied von Arwenack ausging, übertrug sich auch auf die anderen. Wenn Tucker und Shane das versicherten, dann mußte es ganz einfach stimmen, dann würde das Ruder auch halten.
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Zwei Segel blieben im Gei hängen, damit der Druck auf das geflickte Ruderblatt nicht zu stark wurde. Die „Isabella“ segelte weiter. Erst am späten Nachmittag begegnete ihr ein fremdes Schiff. Aber von dieser Galeone sahen sie nur die Andeutung eines Segels. einen Hauch nur, ehe sie auch schon wieder hinter der Kimm verschwand. Den ganzen Tag lang geschah nichts. Auch in der folgenden Nacht blieb es ruhig. Gegen Morgen tauchte noch einmal eine Karacke auf, aber die wich rechtzeitig aus und lief nach Norden ab. als die „Isabella“ auf ihrem Kurs blieb. Das Ruder hielt, allen Unkenrufen des alten O’Flynn zum Trotz. Und es hielt auch noch am anderen Tag, als Tortuga gesichtet wurde. Da lag sie vor ihnen, die Südküste der Schildkröteninsel und auf den harten Gesichtern der Seewölfe erschien das erste Grinsen. Deutlich war die Erwartungsfreude darin zu lesen. „Zehn Jahre“, sagte Dan O’Flynn zum Profos. „Eine lange Zeit. Seitdem waren wir nicht mehr hier. Damals sind die Burschen. die man hier umgebracht hat, noch über die Totenrutsche ins Meergesaust. Ob sich wohl viel geändert hat?“ Der Profos lehnte am Schanzkleid, seine mächtigen Unterarme lagen auf dem Handlauf. Er spuckte gemütlich nach Lee ins Wasser, während sein Blick auf die Insel gerichtet blieb. An der üppigen Vegetation hatte sich nichts geändert. Dort wuchsen noch wie eh und je die Bananenpalmen und die Feigenbäume. Nur der Mahagoniwald auf dem Rücken der Schildkröte hatte einige Einbußen hinnehmen müssen. Wahrscheinlich hatte man das Holz gebraucht oder seinen Wert erkannt. Jedenfalls war der dichte Wald etwas geplündert und lichter geworden. Ob die Insel jetzt jemandem gehörte, ließ sich noch nicht sagen. Vermutlich war sie wie seit langer Zeit immer noch der Unterschlupf zwielichtiger Gestalten, karibischer
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und es regierte der, der sich am härtesten durchzusetzen vermochte. „Ja, eine lange Zeit“, wiederholte der Profos. „Ein paar Häuser mehr sind es geworden. Sie sehen aus wie Nester, die man an den Berg geklebt hat. Und daß hier immer noch Piraten hausen, das sieht man schon von weitem. Aber alles in allem scheint die Zeit hier ziemlich spurlos vorbeigegangen zu sein.“ Mit schwacher Fahrt lief die „Isabella“ weiter in Richtung der Bohhlenstege, an denen die Zeit ebenfalls kaum genagt hatte. Einige waren ausgebessert worden, die anderen sahen noch genauso aus wie vor zehn Jahren. Eins hatte sich auf Tortuga jedoch nicht verändert. Und das waren die Visagen jener. Kerle, die von vergammelten und abenteuerlichen Galeonen, Karavellen und Karacken dreckig herübergrinsten. Carberry zählte acht Schiffe im Hafen, darunter eine vor Anker liegende Galeere, ein schlankes, schnelles und wendiges Schiff, das sah er auf Anhieb. Das Einlaufen der „Isabella“ gestaltete sich zu einer Art Spießrutenlauf, denn die Mannschaften der anderen Schiffe hatten Aufstellung genommen und beäugten den schlanken Rahsegler gierig, verschlagen, erwartungsvoll oder neidisch. So manchem der Halsabschneider, Schnapphähne und Gauner stand der Wunsch im Gesicht, sich dieses ranke Schiffchen unter den Nagel zu reißen. „Alles ehrliche Kaufleute, fromme Pilger und ehrliche Fischer“, sagte der Profos, als er die Gestalten sah. Da standen sie am Schanzkleid wie Perlen an der Schnur. Einige trugen bunte Kopftücher, andere über der nackten Brust ein ledernes Bandelier, und darin steckten mitunter drei oder vier Pistolen. Etlichen fehlten die Zähne, ein anderer wieder hatte nur noch ein zerfranstes Ohr, und ein dritter sah so aus, als hätte man ihm den Schädel gespalten. Eine riesige blutrote Narbe zog sich senkrecht von der Stirn bis über die verunstalteten Lippen und weiter zum Kinn.
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Als der Kerl auch noch hinterhältig zu ihnen herübergrinste, fiel selbst dem hartgesottenen Profos fast die Kinnlade herunter. Da erschien ein rosig klaffender Spalt, und in diesem fürchterlichen Gewölbe stand einsam und verlassen ein einzelner Zahn, und der schimmerte auch nicht gerade in hellen Tönen. Er sah eher aus wie ein verfaulter Ast. „O Lord“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker, „der Kerl sieht so aus, als hätte er unsere gesamten Vorräte an Flaschenbomben gefressen.“ „Und die sind ihm alle im Maul explodiert“, fügte Ed hinzu. „Junge, solch Gesindel hab ich schon lange nicht mehr gesehen. Die glotzen uns an, als wollten sie uns die ‚Isabella’ gleich unterm Hintern wegklauen.“ Selbst den Seewolf bewegten beim Anblick dieser Visagen sehr gemischte Gefühle, obwohl er einiges gewohnt war. Diese Kerle gingen über Leichen. Wenn die erst einmal erfuhren, wer die Seewölfe waren, dann würde hier auf Tortuga mit Sicherheit ein Tänzchen stattfinden, eine Art Totentänzchen. Auch an den Bohlenstegen lungerten bunte, wilde, abgerissene, verdreckte und schmierige Gestalten herum. Und in allen diesen Visagen stand ein hinterhältiges Grinsen, als würden sie sagen: Na wartet nur, ihr Burschen, ihr kennt uns noch nicht. Aber das wird nicht lange auf sich warten lassen! Bevor sie anlegten, meldete Ben Brighton Bedenken an. Er zeigte mit dem Daumen auf die Schiffe, dann auf die herumlungernden Kerle und stieß tief die Luft aus. „Hier aufzuslippen. erscheint mir sehr bedenklich, Sir. Die Kerle lassen sich die Gelegenheit doch nicht entgehen. Siehst du nicht, wie begehrlich die Blicke sind, die sie uns zuwerfen? Die vermuten auf unserem Schiffchen reiche Beute.“ „Das Schiff selbst ist es, was ihnen in die Augen sticht“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Für dieses Piratengesindel wäre die ‚Isabella’ geradezu ideal. So
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schnell würde ihnen kein anderer mehr davonsegeln. Aber wir bleiben hier, wir haben keine andere Wahl. Die Kerle werden wir uns schon vorn Leib zu halten wissen. Wenn wir angelegt haben, werden wir erst einmal die Lage peilen und feststellen, wer hier das Sagen hat.“ Er sah aus den Augenwinkeln ein paar Kerle, die sich eifrig um die Festmacher kümmerten und mit hämischem Grinsen nach den Trossen griffen. Aber Smoky, der breitschultrige Decksälteste, ließ auf der Back doppelte Bucht setzen, und so kriegte die Vorleine keiner der Kerle erst in die Hand. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn bei einem schnellen Ablegemanöver genügte eine schlenkernde Handbewegung, und das Schiff war frei. Das Auge der Vorleine blieb also auf dem Schiffspoller, und die Leine wurde um den Landpoller nur herumgelegt. Als achtern belegt wurde, blieb einer der grinsenden Kerle auf dem Poller hocken. Vielleicht dachte er, der narbige Kerl mit dem Eisenkinn würde sich darüber totlachen, vielleicht aber fühlte er sich auch nur stark. Schon das Gesicht des Profos’ hätte dem verluderten Kerl zu denken geben müssen, aber wahrscheinlich konnte er nicht denken, und bei seinem kleinen Schädel, um den ein rotes Band geschlungen war, wunderte das den Profos auch nicht. In einem kleinen Kopf konnte auch nicht viel drin sein, überlegte Ed. „Na, du ungewaschenes Rübenschwein“, sagte Ed lauernd. „willst du nicht lieber verholen, was, wie?“ „Hä?“ fragte der Kerl und blieb sitzen. Carberry hielt die Leine in der Hand. Dadurch, daß die Vorleine jetzt vertäut war, schor das Achterschiff wieder leicht vorn Bohlensteg ab. Es wurde also Zeit zum Belegen. Edwin Carberry packte die Leine so, daß er das Auge in der Hand hatte. Dann erfolgte eine kleine schlenkernde Bewegung aus dem Handgelenk heraus, und im nächsten Augenblick hatte der verluderte Kerl die Leine um den Oberkörper.
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Carberrys gewaltiger Ruck lupfte den Kerl schlagartig nach vorn. Er konnte gar nicht so schnell rennen, und so flog er mehr, als er rannte, voller Wucht weiter. Auf der „Isabella“ gab es einen dumpfen Bums, als der Verluderte mit dem Kopf an die Rumpfplanken knallte Der harte Anprall ließ ihn sofort wieder zurücktaumeln, und mit einem weiteren dumpfen Laut landete er mit dem Hintern voran auf dem Bohlensteg. Sein Blick war in weite Fernen gerichtet, etwas glasig, sein Oberkörper schwankte hin und her, und auf seinen Lippen stand ein idiotisches Grinsen. Dann kippte er langsam um und blieb eine Weile so liegen. Seine Spießgesellen nahmen den Vorfall nicht weiter tragisch. Ihr schadenfrohes Gelächter brandete durch den Hafen, sie hieben sich vor Freude auf die Oberschenkel und grölten weiter. Als die „Isabella“ endlich festlag, kam auch der verluderte Kerl wieder zu sich, richtete sich auf und sah sich verständnislos nach allen Seiten um. Er befühlte seinen Schädel, fand, daß da etwas an seiner Stirn wuchs, was vormals nicht dagewesen war, und trollte sich schwankend unter leisen Verwünschungen davon. Damit war der Vorfall erledigt. Bis den Verluderten hatte auch jeder seinen Spaß daran gehabt. Hasard ging über den Niedergang auf die Kuhl hinunter und lehnte sich ans Schanzkleid. Auf dem Bohlensteg standen immer noch vier dreckige, ungewaschene Kerle herum, die die „Isabella“ neugierig musterten und sich vielsagende Blicke zuwarfen. Hasard musterte den ersten Kerl aus eisblauen Augen sehr durchdringend und scharf, und in diesem Blick lag wohl etwas, das den Burschen zu allen möglichen verlegenen Körperverrenkungen veranlaßte. Bald grinste er, darin griff er sich ans Kinn, kratzte seine Bartstoppeln und wand sich vor Verlegenheit. Laut und falsch pfeifend verzog er sich dann. Ihm folgte gleich
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darauf der nächste, als Hasards Blick ihn traf. Die beiden anderen hielt es nun auch nicht mehr länger, und als der Seewolf über das Schanzkleid auf den Bohlensteg flankte, da begannen die beiden Kerle zu rennen, als sollten sie verprügelt werden. „Merkwürdige Galgenvögel treiben sich hier herum“, sagte der Seewolf. „Wo mag nur der Anführer dieser lausigen Bande stecken? Es hat den Anschein, als warteten sie alle auf etwas.“ „Alle versammelten Schnapphähne von sämtlichen Schiffen glotzen ständig zu uns herüber und grinsen erwartungsvoll“, sagte Ed. „Da scheint sich was zusammenzubrauen.“ Noch wußte keiner, was sich in den Laderäumen der „Isabella“ befand. Die Kerle stellten lediglich Vermutungen an. Hasard dachte an die Schatztruhe mit den Juwelen und an die Silberbarren, die erst seit ein paar Tagen an Bord waren. Schon das allein war Anreiz genug, um ein Schiff zu überfallen, ganz zu schweigen von den anderen Sachen, die sich noch in den Räumen befanden. Sobald das jemand spitzte, würde hier der Teufel los sein, und dem wollten sie vorbeugen. Die Schnapphähne wußten allerdings auch nicht, daß auf dem Rahsegler alle Culverinen und auch die Drehbassen geladen waren und jeder Seewolf vor Mißtrauen nur so strotzte. Da genügte ein einziger Befehl, und in dem Hafen würde ein Gewitter niedergehen. „Vielleicht wagen sie es erst, wenn wir das Ruder neu anschlagen“, sagte Ferris Tucker. „Oder sie warten so lange, bis wir den Hafen wieder verlassen haben.“ Er warf einen bezeichnenden Blick zu der schlanken Galeere hinüber, auf der nur zwei Männer zu sehen waren. Die Galeere schien verlassen zu sein, denn aus ihrem Ruderdeck drang ebenfalls kein Ton. „Möglich“, sagte Hasard. „Auf Tortuga muß man eben immer alles mit einkalkulieren. Das gilt auch für die anderen, die ebenfalls ein Risiko eingehen. Wir werden uns erst einmal umsehen, bevor wir etwas unternehmen.“
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„Das heißt, wir gehen mal in die Kneipe?“ fragte Ferris. „Wenn es noch so ist wie früher, dann kriegen wir dort hoffentlich die Informationen, die wir brauchen. Ich kann höchstens zwei Mann mitnehmen, Ferris, das mußt du verstehen.“ „Hab ich schon begriffen, Sir“, sagte der Zimmermann, der keineswegs verärgert war. Bei diesen vielen Galgenvögeln empfahl es sich von selbst, ziemlich komplett an Bord zu bleiben und aufzupassen, daß sich keiner zu nahe heranwagte. „Gut, dann gehen Ed und Dan mit. Ben übernimmt während meiner Abwesenheit das Kommando. Dann sind genügend verläßliche Männer an Bord. Sollte etwas passieren, laßt ihr uns durch Bill sofort aus der Schildkröte holen, Ferris.“ „Aye, Sir. Wir geben acht, darauf hast du mein Wort. Außerdem ist es ja nicht weit bis zur Kneipe.“ „Ihr anderen könnt euch heute abend austoben, sobald wir die Lage überprüft haben“, sagte Hasard. Dann rief er den Profos und Dan O’Flynn. „Ihr geht mit“, sagte er kurz. „Gesoffen wird jetzt nicht, wir wollen uns lediglich einen kleinen Überblick verschaffen, denn anscheinend hat sich doch einiges verändert.“ „Sieht so aus“, sagte Carberry düster. „Bis jetzt habe ich noch kein anständiges Gesicht gesehen. Hier laufen nur ungewaschene Rübenschweine und miese Halsabschneider herum.“ Hasard lächelte unmerklich. Er sah seine beiden Söhne an, die schon wieder auf der Lauer standen, und winkte seinen ältesten Sohn heran. Seine Stimme war ernst. als er ihn musterte. „Das meiste, was ihr bisher angestellt habt, ist euch immer wieder verziehen worden“, sagte er leise. „Wenn ihr hier auf Tortuga irgendwelchen Mist baut oder auch nur ohne meine Genehmigung das Schiff verlaßt, dann wird euch nichts verziehen, und es geht auch nicht mit ein paar Hieben
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ab. Ich hoffe, ich brauche dem nichts mehr hinzuzufügen, oder?“ „Nein, Dad“, sagte Hasard. „Wenn du das ausdrücklich betonst, Sir, dann wissen wir, was los ist. Wir werden das Schiff nicht verlassen, unser Ehrenwort.“ Hasard nickte seinen Söhnen noch einmal zu. Dann gingen die drei Männer von Bord und verschwanden zwischen den Häusern. * Der Zahn der Zeit hatte sich damit begnügt, von Tortuga nur winzige Splitter abzunagen. Es hatte sich nicht viel verändert. Es gab ein paar neue Buden. Die alten staubigen Wege waren noch dieselben, und die Einwohner hatten sich nicht sonderlich vermehrt. Allerdings trafen sie niemanden, den sie noch von früher kannten. Aber das war kein Wunder. Piraten und Küstenhaie wurden meist nicht sehr alt. Sie fanden immer mal ihren Meister oder einen, der schneller mit denn Messer war, und so waren die meisten ihren Weg gegangen und nie wieder aufgekreuzt. Aber die Erinnerung an Caligu, an Juanita und Alana hing noch in der Luft - oder an Bombarde, und Hasard wurde das Gefühl nicht los, als müsste der eine oder andere gleich wieder auftauchen. Die Leute von Tortuga mochten diese schillernden Persönlichkeiten längst vergessen haben, aber sie waren auf der Insel geblieben und passten sich den kleinen Veränderungen an. Carberry blieb stehen und grinste. „Es gibt sie noch“, sagte er andächtig. „Die alte Piratenkneipe zur Schildkröte`. Mann, die sieht ja um gar nichts anders aus als früher.“ Der Geruch schien vertrauter zu werden, dachte auch Dan O’Flynn, aber natürlich war das nur Einbildung. Auch er und Hasard blieben einen kurzen Augenblick stehen. Das Bild hatte sich ihnen unauslöschlich eingeprägt. Die tief in den ansteigenden Felsen geschlagene Grotte, die immer mehr erweitert worden war und einem
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unterirdischen Labyrinth mit unzähligen Nischen, Absteigen und Nebenräumen ähnelte. „Na, dann wollen wir mal“, sagte Ed händereibend. Sie traten ein. Die Hitze, die über Tortuga wie eine Glocke hing, verschwand schlagartig und wich einer angenehm frischen Kühle, als sie an den Felswänden war es vorbeigingen. Innen war es dämmrig-dunkel, aber schon nach kurzer Zeit hatten Augen an den Dämmer gewöhnt. Es ging tiefer in den Berg hinein, und an grob zugehauenen Nischen an einer riesigen Theke aus Holz. Bänke und grobe Tische füllten die Räume. Aus einigen Nischen drangen schon jetzt um diese Zeit Gelächter und das Grölen unverkennbar angetrunkener Männer, die sich lautstark unterhielten. Niemand schenkte ihnen Beachtung. Als Hasard das schrille Kichern einer Frau hörte, wußte er auch, warum sich jetzt noch niemand für sie interessierte. Die Kerle waren beschäftigt. Bei dieser Art von Beschäftigung ließen sie sich nicht gern stören und wollten auch nicht gestört werden. „Bleiben wir doch gleich an der Theke“, schlug Dan vor. Die Theke war sauberer als die von Nathaniel Plymson. Gegen Abend mochte sich das vielleicht ändern, aber jetzt gab es keine Flecken darauf, sie war fast weiß gescheuert worden. Als Carberry mit der Faust auf die dicke Mahagoniplatte schlug, erschien ein beleibter Mann. Er schien einfach durch die Wand zu watscheln und stand gleich darauf vor ihnen. Er hatte ein dickes, fast freundliches Kindergesicht. Die hohe piepsende Stimme stand im krassen Widerspruch zu seiner Figur. Auf der Theke brannten zwei blakende Funzeln. Dort, wo der Rauch zur hohen Decke stieg, war alles pechschwarz und verqualmt. Eine dicke Fettschicht hatte sich dort im Lauf der Jahre abgelagert. Sie störte auch keinen, denn noch niemand hatte sich der Mühe unterzogen, sie zu
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entfernen. Eines Tages wächst die Kneipe von oben her zu, dachte Hasard, und dann kommt niemand mehr herein. „Was darf’s sein, Caballeros?“ fragte der Mann mit dem Kindergesicht. Hasard ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Insgeheim hatte er gehofft, den dicken fetten Diego noch hinter dem Tresen zu sehen, aber die lange Zeit hatte ihn anscheinend doch hinweggewischt, und jetzt hatte ein anderer die Kneipe übernommen. Aber dieser Kinderkopf mit den rosigen Wangen war nicht halb so durchtrieben wie der dicke Diego, das sah man auf den ersten Blick. Dan O’Flynn ließ sich auch nicht anmerken, daß er den dicken Diego erwartet hatte, aber Carberry sah man es an. Er wirkte enttäuscht, fast so, als hätte er einen guten Freund verloren oder würde zumindest der Zeit nachtrauern, als der Dicke noch hinter seinen Fässern residierte. „Drei Humpen Rotwein“, sagte Hasard. „Aber keinen Sauerampfer und keine gepanschte Brühe.“ „Ah, ein englischer Caballero“, sagte der Dicke und tat so, als sei er darüber mächtig erfreut. Er bemühte sich auch redlich, gleich seine paar Brocken Englisch an den Mann zu bringen, bis Hasard ihm erklärte,, sein Spanisch würden sie viel besser verstehen. Er füllte drei Humpen ab, zapfte sie aber nicht aus dem Riesenfaß hinter der Theke, sondern stieg in eine kleine Grotte hinunter, aus der er nach einer Weile schnaufend auftauchte. Dann knallte er die drei Humpen auf den Tisch. „Cheers“. sagte Ed und nahm einen Schluck. Dann schnalzte er mit der Zunge und nickte anerkennend. „Hm, feiner spanischer Wein“, lobte er. „Man muß nur immer genau sagen, was man will, was, wie?“ „Richtig, Senor.“ Der Dicke dienerte. „Sie sind ein Edelmann, das sieht man, das habe ich auch gleich gesehen. Sie alle verstehen was von einem guten Tropfen. Diese
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anderen Kerle hier saufen immer nur den Landwein.“ Carberry nahm einen weiteren Schluck und sah den Dicken an. Er konnte solche Kerle nicht leiden, die sich immer gleich anbiederten und alles und jeden über den grünen Klee lobten. „Gehört Ihnen die Kneipe?“ fragte er unvermittelt. „Nein, nein“, versicherte der Dicke hastig. „Dazu bin ich nichts geschäftstüchtig genug, ich helfe hier nur aus, ich bin der erste Schankknecht. Wollen Sie den Besitzer sprechen?“ „Wie heißt er denn?“ fragte Hasard. „Diego, Senor.“ Die drei Seewölfe grinsten sich an. Carberry nahm gleich noch einen langen Schluck. „Her mit ihm“, sagte er. „klar wollen wir ihn sprechen.“ Der Dicke verschwand watschelnd, und wieder sah es so aus, als ginge er direkt durch die Wand der Höhle. Eine Zeitlang tat sich nichts, dann kehrte er zurück, dienerte und grinste. „Einen kleinen Moment, er wird gleich da sein.“ Darauf brüllten ein paar Zecher in den Nischen los, und der Dicke verschwand nach einer gemurmelten Entschuldigung, um die Schreihälse zu bedienen. Dann erschien tatsächlich Diego. Die verflossenen zehn Jahre hatten ihn kaum altern, dafür aber weiter aufschwemmen lassen, er war wesentlich dicker und massiger geworden. Auch sein Gesicht ähnelte aufgequollenem Hefeteig, als er die drei Männer anblickte. Er wirkte ein bißchen ungnädig, denn offensichtlich hatte ihn der Watschelmann gerade aus dem Schlaf geschreckt, und so sah er aus mißmutig zusammengekniffenen Augen die Gäste an. Nicht zu fassen, dachte Carberry, dass es diesen Fettsack immer noch gibt. Aber er und Plymson gehörten zu den unverwüstlichen Gesellen, bei denen man nach hundert Jahren noch aufkreuzen konnte, ohne daß sich viel geändert hatte.
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Aber, zum Teufel, lag es an der Halbdämmerung, oder hatten sich die drei Seewölfe so verändert, weil der Wirt kein Zeichen des Erkennens von sich gab. „Was wünschen die Herren?“ erkundigte er sich mit rauher, leicht kratzender Stimme. „Wir wollten nur ein Loblied auf den guten Wein singen“, sagte der Seewolf lächelnd. „Sie haben da einen wirklich erstklassigen Tropfen, einen sehr süffigen Wein.“ „So, na ja, es ist ...“ Seine Stimme brach ab, er schluckte trocken, beugte sich über den Tresen und starrte die Männer wie Erscheinungen aus dem Reich der Toten an. „Mein Gott“, sagte er erstickt und mit völlig anderer Stimme, „bei allen Heiligen – der - der Seewolf!“ Immer noch starrte er die Männer an, ungläubig, als wären sie aus dem Grabe auferstanden. Er schüttelte seinen massigen Kopf, starrte und starrte und konnte es nicht glauben. Die Dackelfalten auf seiner Stirn begannen sich zu glätten, dann schlug er mit der Faust auf die Theke, dass der Krach durch das gesamte Gewölbe hallte. „Ja, der Teufel soll mich holen, Sie sind es!“ stieß er hervor und reichte spontan die Hand. „Und das ist Ihr Profos“, sagte er dann und quetschte auch Carberrys Pranke. Dann war Dan an der Reihe, aber der hatte sich in den zehn Jahren so verändert, daß Diego ihn kaum noch erkannte. Immer wieder schüttelte der Dicke den Kopf, musterte die Männer von oben bis unten und war sichtlich gerührt. „Alles, was ihr trinkt“, sagte er, „und es ist mir verdammt egal, was es ist, geht so lange auf meine Kosten, wie ihr euch auf der verdammten Insel aufhaltet.“ „Schon gut“, sagte Hasard lachend. „Wir sind weder Geister noch längst Verstorbene. Es hat nur ein wenig länger gedauert, bis wir Tortuga wieder einmal fanden.“ „Ich glaube, Sie haben viel zu erzählen, Mister Killigrew“, sagte der Dicke strahlend. „Aber dazu werden wir uns zusammensetzen. Oh, ich weiß noch, als ihr damals mit den Kerlen hier aufgeräumt
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habt. Ihr habt Caligu und all diese anderen Kerle geschafft, und mir lachte damals das Herz im Leibe, als ich euch sah. So was hat es in der verdammt langen Zeit nie wieder gegeben. Noch heute erzählt man sich davon. Aber alle dachten, ihr seid längst tot, untergegangen, von Piraten erledigt. Habt ihr das Schiff noch?“ „Immer noch die ,Isabella acht“, sagte Hasard. Er empfand für den Dicken aufrichtige Sympathie, und auch Carberry und Dan erging es so. Diego war ein ehrlicher Mann, und eigentlich war Tortuga ohne ihn kaum denkbar. Er war es noch immer, der hier alles lenkte, der Informationen verschaffte, der die Seeleute mit Proviant belieferte und versorgte und auch mal auf Pump etwas herausgab, wenn einer knapp bei Kasse war. Mittlerweile war der Dicke so eine Art Tabu geworden. Niemand traute sich an ihn heran, wollte er es mit den anderen nicht verderben. Er ergriff Hasards Arm und zog ihn einfach mit sich. Den beiden anderen winkte er, ihm zu folgen. „Kommt, wir gehen in eine Nische, wo wir ungestört sind“, sagte er. „Ich glaube, es gibt viel zu erzählen.“ Während sie zu der felsigen Nische gingen, winkte Diego den Watschelmann heran. „Bring uns zu trinken, du weißt schon, was ich meine. Wenn alte Freunde oder Totgeglaubte sich treffen, dann muß das gefeiert werden, nicht wahr?“ Der Watschelmann verschwand. Während er die Getränke brachte, schwieg Diego und sah die drei Männer der Reihe nach an. Jedesmal schüttelte er den Kopf, und seine Augen leuchteten. Es war ihm anzusehen, daß er sich aufrichtig über diesen unerwarteten Besuch freute. Hasard nickte ihm zu. Er konnte und wollte Diego diese Bitte nicht abschlagen, und so hoben sie die Humpen und prosteten sich zu. „Zehn Jahre sind es jetzt her“, begann Diego zu rechnen. „So lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich will euch keineswegs schmeicheln, aber ihr wart in der ganzen Zeit die ehrlichsten Kerle, die je auf Tortuga gelandet sind. Außer euren
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Freunden, die sind auch immer grundanständig gewesen. Ich meine diesen Franzosen, äh, wie hieß er doch gleich? Rineau oder so ähnlich.“ „Jean Ribault“, half der Seewolf nach. Bei dem Namen stieg ihm ein merkwürdiges Gefühl im Magen hoch. Warum sprach Diego in der Vergangenheit von ihm? Er fragte ihn danach, aber der dicke Wirt schüttelte schnell den Kopf. „Das ist so eine Angewohnheit“, sagte er grinsend. „Der Franzose war vor ungefähr drei Monaten noch hier. Seitdem habe ich ihn allerdings nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich wildert er irgendwo in der Karibik herum.“ Alle drei atmeten erleichtert auf, und als Hasard die nächste Frage stellen wollte, kam ihm der Dicke schon zuvor. „Auch dieser merkwürdige Wikinger war schon hier, ebenfalls die Frau, die sie die Rote Korsarin nennen und. wegen der es damals eine üble Schlägerei gegeben hat. Sie haben sich hier mit dem üblichen Ausrüstungskram versorgt und sind weitergesegelt. Wohin, das weiß ich nicht.“ Diego zwinkerte vertraulich und setzte sein Grinsen fort. „Ganz sicher sind sie wieder auf ihrem Stützpunkt. Man hört dort so allerlei munkeln, aber sie sind immer so vorsichtig, daß sie diesen Stützpunkt nur ungesehen anlaufen. Gerüchte aber gibt es viele, die Leute sind eben neugierig.“ Hasard lächelte, auch Carberry verzog die Lippen. Der dicke Diego war immer informiert. Der Seewolf war sich sicher, daß er sogar die Lage der Schlangen-Insel kannte. Aber ehe die jemand von ihm erfuhr, ließ er sich lieber den Kopf abhacken. „Ja“, sagte Dan O’Flynn, „einige haben schon versucht, diesen Stützpunkt auszukundschaften, aber es ist ihnen schlecht bekommen. Wir haben Ruderschaden, deshalb sind wir hier.“ „Ihr wollt hier reparieren?“ fragte Diego. „Wir müssen“, sagte Ed. „und wir werden wohl ein paar Tage hier liegenbleiben, bis alles erledigt ist.“
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Wieder tranken sie sich zu, und diesmal glaubte Hasard deutlich ein unruhiges Flackern in Diegos Augen zu erkennen. Vielleicht lag es aber auch nur an dem Talglicht, das so eigenartige Reflexe auf sein Gesicht zauberte. „Was ist, Diego?“ fragte Hasard leise. „Habt ihr gesehen, wer hier im Hafen liegt?“ fragte Diego dagegen. „Diese Lumpenbande steht den anderen in nichts nach, und es wird ein paar Kerle geben, die sich mit Sicherheit noch an euch erinnern werden. Und auf der ‚Isabella’ wurden bisher immer Schätze vermutet. Wenn erst bekannt wird, dass es der Seewolf mit seiner Crew ist, die hier liegen, dann geht das Tänzchen wieder los. Dann will sich jeder selbst bestätigt wissen und größer sein als ihr.“ „Das war nicht unsere erste Erfahrung“, sagte Hasard. „Die Kerle haben wir gesehen, und die Blicke dieser Kerle haben uns bereits zu denken gegeben. Hat sich hier wieder ein Kerl wie Caligu etabliert?“ Diego krauste verächtlich die Lippen. „Das ist schon der zweit. Den Nachfolger Caligus haben die eigenen Kerle in die Luft geblasen. Er konnte sich nur zwei Jahre behaupten, dann war er weg. Aber seit einigen Jahren gibt es einen anderen, und der ist mir selbst noch unheimlicher als Caligu.“ „Ist er noch brutaler?“ fragte er. „Er ist intelligenter, und das macht ihn noch gefährlicher. Caligu hat mit roher Gewalt gewütet und regiert, aber dieser Mann durchdenkt alles genau und kalkuliert sein Risiko. Natürlich ist er auch ein Gewaltmensch, aber bevor er eine Sache anpackt, überlegt er sehr lange und sehr gründlich. Vielleicht liegt es daran, daß er hier immer noch herrscht und ihm noch niemand entwischt ist.“ Diego stand unvermittelt auf, trat aus der Nische und blickte sich nach allen Seiten um. „Hier haben die Wände Ohren“, sagte er, „aber es ist niemand in der Nähe. Die meisten erscheinen erst gegen Abend. Was diesen Piratenhäuptling betrifft, so nennt
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man ihn Don Bosco. Das ist sein ganz offizieller Name.“ „Ein Spanier?“ „Ein Kreole“, verbesserte Diego. „Insgeheim wird er ei bravo camorristo genannt, der wilde Saufbold also. Ihm gehören die Galeere, einige Galeonen und Karavellen. Don Bosco jagt nie allein oder jedenfalls ganz selten. Seiner schnellen Galeere ist bisher noch keiner entwischt.“ „Ein nettes Rübenschwein“, sagte Carberry und zog finster die Augen zusammen, bis sich über seiner Nase eine steile Falte bildete. „Wird Zeit, daß hier mal wieder ausgemistet wird und diesem großkotzigen Don Bosco die Haut in Streifen von seinem ...“ „Das ist nicht unsere Sache, Ed“, unterbrach ihn der Seewolf. „Wir sind nicht hierher gesegelt um Piraten zu jagen und für andere den Acker zu bestellen. Hier muß jeder selbst sehen, wie er klarkommt, und ich habe keine Lust, mich für die Spanier zu schlagen, die ihre Beute ebenfalls geklaut haben.“ „Und wenn er uns nun ...“ „Das steht wieder auf einer anderen Seite. Solange er uns unbehelligt läßt, kann er tun, was er will.“ „Ich habe dich schon anders kennengelernt, Sir“, sagte Ed mit einer Stimme wie ein knurrender Wolf. „Früher, da hättest du diesen Hundesohn durch die ganze Karibik gejagt.“ „Noch kenne ich ihn nicht“, sagte Hasard scharf. „Und ich habe auch Caligu nur gejagt, weil er uns unbedingt um die Ecke bringen wollte. Das ist der kleine Unterschied. Ich bin nicht der Rächer der Karibik. Er soll nur nicht unseren Kurs kreuzen, mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ „Nun, so war das auch nicht gemeint, Sir“, sagte Ed treuherzig. „Wir wollen hier ja nur aufslippen, reparieren und weitersegeln.“ Diego nickte und legte seine Pranken auf den Tisch, die schwarz und dicht behaart waren. „Hoffentlich geratet ihr nicht aneinander, sonst gibt es auf beiden Seiten Verluste.“
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„Ist Don Bosco augenblicklich selbst auf Tortuga?“ erkundigte sich der Seewolf „Nein, er ist nur selten hier, aber ich wette, er weiß jetzt schon, wer ihr seid. Er hockt sicherlich in einem seiner zahlreichen Schlupfwinkel und wartet auf Nachrichten. Er erfährt grundsätzlich alles, denn hier wimmelt es nur so von Spitzeln und Zuträgern.“ „Dann müßte erst jemand lossegeln und ihn informieren“, meinte Dan. „Das war bisher aber nicht der Fall. Wir haben jedenfalls nichts bemerkt.“ Diego winkte ab. „Das hat nichts zu sagen, Seine Verstecke befinden sich auf einer der Grand-Turk-Inseln und nahe bei den Caicos. Die Nachrichten und alles, was er wissen will, werden ihm durch Brieftauben übermittelt. Jedes seiner Schiffe hat Tauben an Bord, die ihren Verschlag jeweils in seinen Schlupfwinkeln haben. Je nachdem, wo er sich gerade aufhält, lassen seine Kerle die entsprechende Taube los. Und was tut das liebe Tierchen?“ „Es beeilt sich, um in seinen Schlag zu fliegen“, sagte Ed. „Das ist zwar nicht neu, aber es geht ungeheuer schnell. Verdammt, ich glaube, mit diesem Kerl werden wir doch noch Ärger kriegen, früher oder später geraten wir aneinander. Und wehe, wenn ich dieses Rübenschwein erwische, dann werden wir, werde ich ... Na, dann prost!“ sagte der Profos. „Und vielen Dank für die Information, Diego. Es ist immer gut, wenn man weiß, mit was man zu rechnen hat.“ Diego nahm einen langen Zug aus seinem Krug und wischte sich über die dicken Lippen. „Ich glaube nicht, daß er sich hier auf Tortuga an euch herantraut“, sagte er leise. „Aber, wie gesagt, der Kerl ist unberechenbar und listenreich. Ich traue ihm alles zu. und hier wird euch auch niemand helfen.“ „Wir haben uns immer selbst geholfen, und wir sind damit am besten gefahren“, meinte Hasard. „Trinken wir noch einen, aber auf unsere Rechnung. Dann müssen wir zurück an Bord.“
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„Ihr seid meine Gäste“, sagte Diego. „Ihr werdet mich doch nicht beleidigen, oder? Ich bin stolz darauf, euch als meine Gäste zu haben, es freut mich aufrichtig.“ Eine knappe Stunde unterhielten sie sich noch, dann gab der Seewolf das Zeichen zum Aufbruch. Er hatte viel über Don Bosco und seine Machenschaften erfahren. Aber er ahnte noch nicht, was da auf sie zukam und zu welcher List der „Wilde Saufbold“ diesmal greifen würde. Etwas später kehrten sie an Bord zurück, erzählten, was sie erlebt hatten und begannen unverzüglich damit das Ruderblatt auszuwechseln ein neues anzuschlagen. * Die kleine Karavelle, die gut getarnt und versteckt in einer kaum einsehbaren Bucht auf einer der zahlreichen südlichen CaicosInseln lag, trug keinen Namen. Auch das kleine unbewohnte Eiland hatte keinen Namen. Es war nur ein winziger Vegetationspunkt im Wasser, aber auf dieser kleinen Insel gab es eine Quelle, aus der frisches Wasser sprudelte. Das war mit ein Grund, weshalb Don Bosco diese Insel als Unterschlupf gewählt hatte. Der andere Grund war der, daß diese Insel auf den ersten Blick unwirtlich schien und nichts hergab. Don Bosco hatte auf dieser Insel schon vor Jahren eine natürlich gewachsene Höhle entdeckt, die tief in den Fels führte, der sich wie ein Buckel über der Insel erhob. Im Laufe der Zeit war dieses Höhlensystem von seinen Piraten erweitert und ausgebaut worden, und es - hatte mehr geheime Ausgänge und Fluchtwege als der Bau einer BisamFuhr ein Schiff an dieser Insel vorbei, dann sahen die Besatzungen nicht, daß sich hier ein vorzügliches Versteck befand, mochten sie auch so dicht an den bewachsenen Felsen vorbeisegeln. Der Mann, der auf einem Stein ganz in der Nähe des Wassers saß, hatte die vor einer
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Stunde erhaltene Botschaft zerknüllt und starrte jetzt gedankenvoll über die Bucht. Vier andere Kerle mit Galgenvogelgesichtern hockten nicht weit von ihm weg und schienen sich zu langweilen, denn bisher hatte Don Bosco kein einziges Wort gesprochen. Aus dem Höhleneingang trat eine zierliche, schwarzhaarige und feurig wirkende Frau. Ihr Haar fiel in weichen Wellen auf die Schultern, in ihren Augen lag verhaltene Glut. Sie war ein Mischling und bewegte sich katzenhaft und schnell. Jede ihrer Bewegungen war fast tänzerisch. Sie warf dem Mann auf dem Stein einen glutvollen Blick zu und lächelte. Aber Don Bosco war noch nicht ansprechbar und reagierte auch nicht, als sich Conchita vor ihn in den Sand setzte und ihn aus kohlschwarzen Augen aufmunternd ansah. Dieser Mann hatte es ihr angetan, und sie war stolz darauf, in seiner Nähe sein zu dürfen. Er hatte sie aus dem Hurenmilieu von Tortuga herausgeholt. Seitdem war sie seine Gefährtin, eine Frau, auf die er sich blindlings verlassen konnte. Sie sah ihn immer noch an, sie konnte ihn stundenlang ansehen, denn sein Gesicht faszinierte sie immer aufs neue. Dabei sah dieses Gesicht ziemlich, wüst aus. Es war kantig und schmal, mit kühn vorspringender Nase und dunklen Augen, in denen es unheilvoll aufblitzen konnte. In diesem Gesicht, das die Sonne der Karibik in gehämmertes Kupfer verwandelt hatte, gab es viele kleine Narben und winzige Falten. Am Kinn befand sich eine Kerbe, von der man nicht wußte, ob sie schon immer dagewesen war oder ein Messerstich sie geschaffen hatte. Die Lippen waren schmal und gradlinig. Wenn sie sich öffneten, wurden dahinter zwei Reihen kleiner schneeweißer Zähne sichtbar, die Conchita immer an das Gebiß eines jungen Haifisches erinnerten. Lange schwarze Haare fielen Don Bosco bis weit in den Nacken und berührten gerade noch seine Schultern. Der geschmeidige, muskelbepackte Oberkörper des Piraten war mit
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Tätowierungen übersät, Bildern, die grausige Szenen zeigten und unauslöschbar auf seiner Haut eingestochen waren. Heute trug er nicht seine abenteuerliche bunte Kleidung. Bis auf eine bläuliche lange Hose mit breitem, reichverziertem Ledergürtel war er nackt. Die anderen Kerle rührten sich ebenfalls nicht, solange ihr Anführer nicht den Mund auftat. Einer von ihnen stocherte seit einer halben Stunde mit dem Entermesser im Sand herum, als wolle er einen Schatz ausgraben. Ein anderer streckte sich der Länge nach aus und starrte in den blauen Himmel, der sich wie ein Seidentuch über dem Meer spannte. Die beiden anderen belauerten jede Bewegung des Schwarzhaarigen und musterten heimlich und versteckt das feurige Weib. Sie verschlangen sie geradezu mit ihren Blicken. Ihr heimliches Grinsen zeigte deutlich, welcher Art ihre Vorstellungen waren und was sie mit der Frau alles getan hätten, wenn nur die Möglichkeit dazu bestand. Aber diese Möglichkeit war so weit weg wie die Sonne, die über der Karibik schien. „Der Seewolf“, sagte Don Bosco in die lastende Stille hinein. „Da hat sich Juan doch sicher verhört oder was in den falschen Hals gekriegt. Ich war sechzehn Jahre alt, als ich zum erstenmal von ihm diese Wunderdinge hörte. Aber du kennt ihn ja angeblich persönlich, Schlitzauge“, sagte er zu dem Mann, der immer noch mit dem Entermesser im Sand buddelte. Schlitzauge ließ das Messer im Sand stecken und richtete sich auf. Seinen Namen hatte er daher, weil sein linkes Auge nur ein schmaler Schlitz war. Dahinter schimmerte es gelblichweiß. Das rührte daher, daß einmal ein Messer an seinem Wangenknochen abgeprallt und unter das linke Auge geglitten war. Aber er behauptete, damit noch ganz leidlich sehen zu können. „Das stimmt auch. Don“, sagte er eifrig. „Und das war, verdammt will ich sein, wenn ich lüge. auf Tortuga. Ich stand daneben, als der Seewolf meinen alten Freund Bombarde mit dem Messer kitzelte.
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Zehn verdammte Jahre ist das her! Er hat ihn aufgespießt wie ein Wildschwein. Und Bombarde war nicht gerade einer der Schwächsten.“ „Ich kenne die Geschichte, ich habe alles über Caligu, Bombarde, den Marquis, Juanita und die Seewölfe gehört, und ich weiß auch. daß er gewaltige Schätze auf einer Insel versteckt hat. Er hat das schnellste und beste Schiff, liegt mit Ruderschaden in Tortuga und hat sicherlich unermeßliche Schätze an Bord. Aber es will einfach nicht in meinen Schädel hinein.“ „Wenn Juan das sagt, dann stimmt es, Don“, ließ sich einer der anderen Galgenvögel vernehmen. „Und wenn der Kerl hier aufkreuzt, dann ist es mit uns auch zu Ende. Der hat Caligu geschafft, der hat alle geschafft, und der ...“ „Ja?“ fragte Don Bosco ganz leise. Er schob die Zunge zwischen die weißen Zähne und grinste. „Willst du damit sagen, er schafft auch uns?“ „Zuzutrauen wäre ihm das schon, Don. Er hat immer überlebt, was man von den meisten anderen nicht sagen kann.“ Don Bosco nickte und spie in den Sand. Sein dunkelbraun verbranntes Gesicht nahm einen verschlagenen Ausdruck an. „Da ist was dran“, sagte er überlegend. „Da hast du ein wahres Wort gesprochen, mein Lieber. Wir führen hier ein wildes, aber trotzdem beschauliches Leben, und das möchte ich mir von einem Kerl wie diesem Seewolf nicht versauen lassen. Ich bin der wahre Herrscher von Tortuga, und ich denke nicht daran, meinen Anspruch wegen einer Handvoll Seewölfe aufzugeben. Nein, dann werde ich mir etwas einfallen lassen.“ Schlitzauge trat näher an den Piraten heran und musterte jeden Zug seines Gesichtes. „Dann laß uns nach Tortuga segeln, Don“, sagte er. „Wir verlegen ihm den Weg und ballern ihn im Hafen zusammen. Wenn wir alle Schiffe zusammenziehen, ist er geliefert. Dann können wir ihn sogar entern und ausplündern. Er hat höchstens zwei Dutzend Männer, aber wir haben mit allen zusammen mindestens zweihundert.“
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„Idiot“, sagte Don Bosco verächtlich. „Die Kerle kannst du doch nicht mit normalen Henkersknechten vergleichen. Ich weiß, wo meine Grenzen gesteckt sind. Und das, was ich über diese Leute gehört habe, gibt mir sehr zu denken. Nein“, sagte er, höhnisch auflachend, „den Mann hat noch keiner geschafft, der beste Beweis ist der, daß alle noch am Leben sind. Auch Caligu hat ihn mit brutaler Gewalt nicht geschafft und ist gescheitert, trotz seiner Übermacht. Und was nützen uns ein toter Seewolf und ein verbranntes Schiff? Nicht so viel!“ Don Bosco schnippte mit den Fingern. „Bei dieser Mannschaft“, fuhr er fort, „ist es ein Ding der Unmöglichkeit die Galeone unbeschädigt in die Hände zu kriegen, die Kerle werden sie mit den Zähnen verteidigen. Ich muß zu einer List greifen.“ „Aber wir haben doch die Galeere“, wandte Schlitzauge ein. „Der ist noch keiner entkommen.“ Don Bosco schüttelte ablehnend den Kopf. In diesem Fall gab er sich keinerlei Illusionen hin. Mochten andere auch größenwahnsinnig sein, er war es nicht. Und er gab vor sich selbst zu, daß er sich an diesen Brocken mit Gewalt nicht herantraute. Das hatten vor ihm schon viele andere mit dem Leben bezahlt und waren über die Totenrutsche gegangen. Nein, einem Killigrew, wie der Seewolf hieß, kam man so nicht bei. Denn wer seinen Gegner unterschätzte, der war schon geliefert. Das ist überhaupt der größte Fehler, den ein Mann begehen kann, überlegte er. Hier mußten andere Maßstäbe angelegt werden. Der schwarzhaarigen Conchita schenkte er keinen Blick. Er setzte sich wieder auf den Stein und überlegte, und er überlegte sehr lange und sehr gründlich. Das hatte ihm bisher immer das Leben bewahrt - seine List, seine Schläue. Nur deshalb war er noch immer unumschränkter Herrscher von Tortuga und einem Teil der Karibik. Die Idioten, die den erbarmungslosen Kampf suchten, hatte alle der Teufel geholt. Sie waren an der eigenen Gewalt gescheitert, der andere, wie der Seewolf,
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Klugheit und Überlegung entgegengesetzt hatten. Das war ihr Fehler gewesen, dachte er, sie konnten nicht denken und lösten ihre Probleme mit dem Messer und der Pistole. Ehrensache, daß er sich nicht mit diesen hirnlosen Dummköpfen auf eine Stufe stellen wollte. Aber die Galeone mußte er haben, sie versprach reiche Beute. In Gedanken malte er sich aus, wie die Seewölfe, allen voran ihr Kapitän, auf seiner Galeere fuhren. Er beschloß, den Kampf mit diesem ungewöhnlichen Mann aufzunehmen. Das reizte ihn, selbst wenn er von der vermeintlichen großen Beute einmal absah. Natürlich war er auch darauf sehr scharf, vielleicht war sie auch der Hauptgrund, aber er wollte gern demonstrieren, wer hier der eigentliche Herr war. „Wo ist Pablo?“ fragte er das feurige Weib. Conchita legte ihm die Hand auf den Unterarm und sah ihm in die Augen, mit einem Blick, der Don Boscos Blut sonst augenblicklich in Wallung brachte. Aber jetzt ließ ihn das kalt, jetzt galt es, andere Dinge zu erledigen, und er spürte, daß es ihn wie ein Rausch überfiel. „Pablo schläft. Er hat sich in die kühle Grotte gelegt“, sagte Conchita. „Dann wecke ihn und bringe ihn sofort her! Ihr anderen geht an Bord und sagt den Hurensöhnen, daß sie die Karavelle klarmachen sollen. Wir werden bald segeln.“ Die Kerle rissen die Arme hoch und jubelten. Ja, Don Bosco, das war schon ein Kerl, dem sie Respekt zollten. Seine Raids waren immer gründlich überlegt, und wenn er zuschlug, gab es auch meist reiche Beute. Daß er aber auch ein Menschenschinder war, nahmen sie gelassen hin. Andere Piratenkapitäne waren noch schlimmer, aber bei Don Bosco war die Beute immer reichlich und gut, und niemand wurde um seinen Anteil betrogen. Schon nach kurzer Zeit erschien Pablo. „Hör gut zu“, sagte Don Bosco kurz, „und stelle keine dämlichen Fragen. Wir segeln nachher nach Tortuga, ich habe eine
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Nachricht erhalten. Setz dich dort in den Sand, und sperr deine Ohren auf!“ Pablo war Don Boscos Vertrauensmann und ein guter Seemann. Er war einer der wenigen. die nicht wie Schnapphähne und Totschläger aussahen, und auf sein ehrliches Gesicht baute Don Bosco. Darauf basierte sein ganzer Plan. Er musterte ihn noch einmal, obwohl er ihn lange genug kannte. Ja, entschied er dann. das war die richtige Aufgabe für Pablo. Der hatte ein ehrliches, offenes Gesicht, einen treuen Hundeblick, keine Narben von Messerstechereien. und er war groß und hager. Das war immer der erste Eindruck. den andere von Pablo hatten. Kannte man ihn erst einmal näher, dann änderte sich das Bild allerdings grundlegend, denn Pablo war ein hinterhältiger Kerl. der jedes Vertrauen eiskalt mißbrauchte, der es sich erschlich und die Geprellten dann kompromißlos und kalt dem Tod auslieferte. Aber was Don Bosco am meisten an ihm schätzte, war der Umstand, daß sich in Pablos Schädel außer Saufen, Fressen und Huren auch noch etwas anderes abspielte. Er konnte mitdenken und Entscheidungen treffen, und das unterschied ihn von der üblen Horde ganz gewaltig. „Wir werden ein Schiff kapern“, sagte Don Bosco. „Und du wirst dabei die Hauptrolle spielen.“ „Also eine Kaperung mit List und Tücke“, sagte Pablo mit angenehm tief klingender Stimme. „Dazu sollten wir einen Krug kühlen Wein trinken, Don. dann überlegt es sich besser.“ „Da hast du recht, nur darf es nicht in eine Sauferei ausarten. Wir müssen einen klaren Kopf behalten. Conchita!“ brüllte er lauter als nötig. „Eine Kruke Rotwein! Los, beeil dich!“ Conchita brachte das Gewünschte, und die beiden Männer tranken abwechselnd aus der Tonkruke. Dabei erläuterte Don Bosco seinen Plan und weihte Pablo in alle Einzelheiten ein. „Wir setzen dich auf Tortuga unauffällig an Land“, sagte er. „Dich kennen da nicht viele Leute, und wir werden dafür sorgen,
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daß die, die dich kennen, rechtzeitig verschwinden. Du wirst jetzt also eine Rolle spielen, die du eisern durchstehen mußt bis zum Schluß.“ Pablo grinste. Je mehr Don Bosco erzählte, desto breiter wurde Pablos Grinsen, bis er sich schließlich auf die Schenkel schlug und Don Bosco anerkennend zunickte. „So was bringst nur du fertig, Don“, sagte er schließlich. „Und du bist der einzige, der mit einem vollkommen ehrlichen Gesicht und treuen Augen einem Mann das Messer zwischen die Rippen stecken kann und ihn dabei noch freundlich angrinst. Pablo hatte aber noch leichte Bedenken. „Dein Plan hängt an einem einzigen dünnen Haar, Don, obwohl er sehr gut ist, und dieses Haar ist die Anständigkeit des Seewolfes.“ „Auf die verlasse ich mich. Der Mann wird nicht von seinem Kurs abweichen nach allem, was ich über ihn gehört habe. Leute wie er, die gehen unbeirrbar ihren Weg.“ „Und wenn er den ausnahmsweise einmal verläßt? Schließlich ist der Mann ja kein Dummkopf und kann zwei und zwei zusammenzählen.“ „Natürlich habe ich auch daran gedacht, Pablo. Wenn du es also nicht schaffst an Bord der Galeone zu gelangen, dann blasen wir das Vorhaben ab. Es liegt an dir, ob du überzeugend wirkst.“ „Ich werde mir die größte Mühe geben. Aber es muß sehr sorgfältig inszeniert werden, und mir darf nicht viel passieren.“ „Dafür werde ich sorgen. Vergiß nicht, später das Zeug mitzunehmen. Es muß trocken aufbewahrt werden. Du darfst vor allem nicht zuviel davon nehmen, sonst sind die Kerle für alle Zeiten tot.“ „Wäre das nicht besser, Don?“ „Nein, das wäre schlecht. Ich will sie lebend, alle. Wenn sie auf meiner Galeere rudern, dann ist die Legende des Seewolfs beim Teufel, und kein Hund wird auch nur ein Stück Brot von ihm nehmen. Nur so komme ich an die gewaltigen Schätze auf der Insel heran, und dafür habe ich noch eine ganz besondere Idee entwickelt. Wenn wir das hinter uns haben, dann gehört uns
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nicht nur die gesamte Karibik, dann sind wir die Könige und brauchen in unserem ganzen Leben keinen Finger mehr zu rühren.“ Pablo nickte andächtig. Er war tief beeindruckt von dem, was Don Bosco ihm unterbreitete. Als die Kruke leer war, standen sie auf. Sie wollten keine Zeit mehr verlieren, jede Stunde zählte jetzt. * Die „Isabella“ war leicht aufgeslippt worden. Mit dem Bug lag sie tief im Wasser, das Heck mit dem beschädigten Ruderblatt ragte so hoch in die Luft, daß die Männer bequem daran arbeiten konnten. Trotzdem war die Spannung unerträglich, denn die Seewölfe sahen nur in hinterhältig grinsende Visagen. Die Piraten hatten sich versammelt und sahen ihnen zu, Sie hockten auf den Bohlenstegen, saßen in Booten oder standen am Ufer. Auch von den Schiffen grinsten sie herüber. Immer wieder vergewisserte sich der Seewolf, ob die Gefechtsbereitschaft auch streng eingehalten wurde. Mit den Drehbassen ließ sich feuern, aber bei den Culverinen sah es schlecht aus. Die befanden sich in einer Schräglage, die es nicht zuließ, sie abzufeuern. Aber für diesen Fall hatten sie noch die Brandsätze aus dem Reich des Großen Chan. Es gab immer noch einige davon an Bord, denn als sie damals zur Neige gingen, hatte die Rote Korsarin in Shanghai dafür gesorgt, daß der Seewolf in den Besitz weiterer chinesischer Brandsätze gelangt war. Hasard wollte sie nur für den absoluten Notfall anwenden und einsetzen, wenn sie hilflos waren – so, wie es jetzt der Fall war. Ferris Tucker, Big Old Shane, Smoky und Matt Davies arbeiteten verbissen daran, das provisorische Notruder auszubauen. Ein neues Ruderblatt lag bereit, es mußte nur noch zusammengefügt werden.
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„Unnötiger Mist“, sagte Ferris. „Da treibt so ein verdammter Baumstamm im Wasser und wirft alle unsere Pläne über den Haufen.“ Er arbeitete mit seiner großen Axt und hieb demonstrierend so zu, als schlage er auf die lausige Piratenbande ein. Dabei ließ er seinem Zorn auch weiterhin freien Lauf. „Seht euch nur diese Visagen an“, brummte er. „Schon bei dem Anblick kann einem schlecht werden. Die Rübenschweine stinken bis zu uns herüber.“ Shane lachte leise. Er stemmte sein mächtiges Kreuz unter das Ruderblatt und drückte. Am Schaft begann es zu knirschen. „Solange sie hier noch herumsitzen und dämliche Bemerkungen vom Stapel lassen, werden sie nicht angreifen“, sagte er in seiner ruhigen, bedächtigen Art. „Das wird sich erst ändern, wenn sie auf ihre Schiffe zurückkehren und der Oberhäuptling erscheint.“ „Trotzdem hasse ich dieses blöde Grinsen und die verdammten Bemerkungen. Mich wundert, daß Ed sich das gefallen läßt. Der fährt doch sonst immer gleich aus der Haut.“ Die Spannung wuchs weiter, und in der Luft schien es zu knistern. Denn keiner wußte so richtig, was er von der ganzen Sache halten sollte. Die Piraten benahmen sich ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten, und auch sie schienen immer noch auf ein Ereignis zu warten. Das bedeutete aber nur, daß etwas in der Luft lag, und auf dieses Ereignis wartete sogar der Seewolf schon ungeduldig. Was, zum Teufel, hatte diese Bande nur vor? Warum unternahmen sie nichts und grinsten immer so hämisch? Schon ein paarmal hatte er die anderen Schiffe genau beobachtet, aber dort regte sich nichts, was auf eine mögliche Kampfhandlung deuten konnte. Von diesem Don Bosco war ebenfalls nichts zu sehen. Der Tanz würde wahrscheinlich wohl erst dann losgehen, wenn dieses ganz besondere Exemplar hier
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eintraf. Ja, darauf schienen die Kerle alle zu warten. Unterdessen war Edwin Carberry, der Zuchtmeister und Profos der „Isabella“, abgeentert, um bei den Arbeiten am Ruderblatt mitzuhelfen. Dort, wo die „Isabella“ provisorisch aufgeslippt War, hatte man vor etlichen Jahren eine schiefe Ebene gebaut. Bei Flut wurde das Schiff auf den höchsten Punkt verholt und an schweren Eisenringen durch Taue gesichert. Lief das Wasser ab, dann blieb das Schiff auf der geneigten Ebene liegen und wurde abgepallt. Es war eine primitive Angelegenheit, aber sie erfüllte ihren Zweck. Man konnte die Schiffe einigermaßen gut reparieren, war dabei aber immer auf die Ebbe angewiesen, und da der Unterschied zwischen Ebbe und Flut recht mager ausfiel, wurde es jeweils ein Wettlauf mit der Zeit. Jetzt hatte das Wasser seinen tiefsten Stand erreicht. Auf dem glitschigen Untergrund sah Carberry fünf Männer stehen, die Ferris Tucker und den anderen bei der Arbeit zusahen und aus respektvoller Entfernung höhnische Worte hinüberriefen. Ed sah auch, daß Ferris vor Wut einen roten Schädel hatte, denn diese Anpöbeleien gingen ihm gegen den Strich, und er sah ihm an, daß er am liebsten mit seiner Axt zwischen die lästernden Rübenschweine gefahren wäre und aufgeräumt hätte. Aber die Arbeit ging ihm vor, und so hackte er verbissen und zornig auf dem Holz herum. Ein Kerl fiel Carberry ganz besonders auf, der sich aus der Gruppe deutlich abhob. Dieser Kerl war glatzköpfig und hatte einen Schädel wie eine polierte Kugel, auf der kein einziges Haar wuchs. Von der Statur her ähnelte er dem Profos, denn er war genauso breit, so groß und so wuchtig. Das Gesicht des Glatzkopfes war breit, wie gequetscht, und Carberry sah, daß dem Kerl das linke Ohr fehlte. Dort hatte er nur eine muschelförmige Verknorpelung aufzuweisen. Dieses fehlende Ohr ließ den Kerl noch roher, brutaler und schlimmer
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scheinen. Sein Brustkasten war einer Tonne ähnlich. Als Carberrys Blick weiterwanderte, sah er, daß der Glatzkopf kurze Hosen trug, die unten ausgefranst waren und bis knapp an die Knie reichten. Zwei mächtige Säulenbeine trugen dieses kahlköpfige Faß. Er hatte kein Gramm Fett am Körper, bei jeder Bewegung spielten Muskelstränge und Sehnen unter seiner Haut. Als der Profos dann die Augen von dem Kerl sah, wußte er genug. In der polierten Kugel steckten zwei kleine tückische Sauaugen. Darüber befanden sich hellblonde, ebenfalls sauähnliche Wimpern und ausgefranste Augenbrauen. Dieser Kerl mußte ein furchtbarer Kämpfer sein, ein hirnloser Idiot, der alles totschlug, was sich ihm in den Weg stellte. Carberry mußte an dieser Piratenbande vorbei, es führte kein anderer Weg zum Ruderblatt des Schiffes. Selbst wenn ein anderer Weg dorthin geführt hätte, dann hätte der Profos diesen Weg an den Kerlen vorbei gewählt. Als er den gigantischen Kahlkopf noch einmal ansah, spürte er, wie ihm das Mittagessen von gestern wieder hochstieg. Solche Typen liebte der Profos ganz besonders, die brauchten ihn auch nicht lange zu provozieren, da ging er immer gleich in die vollen. Vor den fünf Kerlen blieb er ganz dicht stehen und wartete auf eine dumme Bemerkung, aber er wartete vergebens, denn außer einem trockenen Husten und einem Räuspern vernahm er nichts. Der Glatzkopf hatte den Profos anscheinend schon richtig taxiert, oder er hatte einen Blick für rauhe Burschen. Auch er musterte den Profos ganz genau, und was er sah, ließ es ihm doch geraten erscheinen, vorerst keine großen Sprüche zu riskieren. Er sah einen Klotz von einem Kerl mit Pranken, die ohne weiteres in der Lage waren, dicke Eichenplanken zu durchschlagen, und er sah ein Kreuz wie eine Rah. Darüber thronte ein leicht eckiges Gesicht mit einem Kinn wie ein Amboß.
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Das ist ein Kinn, dachte der Glatzkopf, da muß man schon mit der Axt draufschlagen, um überhaupt eine Wirkung zu erzielen. Und die vielen Narben in dem Gesicht bewiesen Nuno, wie der Glatzkopf hieß, daß in diesem Gesicht schon wahre Schlachten geschlagen worden waren, daß da schon so mancher sein Messerchen ausprobiert, es anscheinend aber doch nicht überlebt hatte. Mit Kerlen wie diesen war jedenfalls nicht gut Salz lecken. Außerdem stand der Narbengesichtige auch noch so provozierend vor ihnen, als lauere er nur auf ein kleines Wörtchen, um gleich loslegen zu können. Nuno sah aus seinen kleinen tückischen Sauaugen die vier anderen Piraten an. Er war sicher, daß der Narbenmann sie alle vier mit den bloßen Fäusten zu Brei schlagen konnte. Nur an ihm selbst, da würde der Kerl sich die Zähne ausbeißen, denn solange Nuno lebte, hatte ihn erst ein einziger Mann flachgelegt. Das war zu einer Zeit, als Nuno stockbesoffen am Boden gelegen und der andere ihm einen Hammer an den Schädel geschlagen hatte. Sonst hatte ihn noch keiner von den Beinen gebracht. Carberry lauerte immer noch, doch die glatzköpfige Riesentonne blickte an ihm vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Dicht vor den Kerlen spie Carberry in den nassen Sand, rülpste laut und verächtlich und ging zwei Schritt weiter. Dort blieb er grinsend stehen, aber es geschah immer noch nichts. Ferris und Shane waren dabei, die Beschläge am Ruderblatt anzubringen, während Smoky die Fingerlinge säuberte und Matt Davies mit seiner Hakenprothese Nägel in das Holz trieb. Groß und gewaltig lag das neue Ruderblatt da. Vom Achterdeck hingen Tampen herab, und kräftige Fäuste warteten darauf, es hochzuhieven und einzuhängen, wenn es ganz fertig war. Aber das würde noch eine Weile dauern, denn nicht lange, und die Flut setzte wieder ein.
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Carberry half mit, und gerade als er anpackte, hörte er hinter seinem Rücken eine ölige Stimme. „Das passiert doch eigentlich nur Nachttopfseglern, daß so ‘n Ruder zum Teufel geht, hä?“ „Klar“, sagte ein anderer. „Das sind Schlickrutscher, die bewegen sich vor lauter Angst nur an der Küste entlang.“ Brüllendes Gelächter folgte. „Weil sie Schiß haben, im Meer zu segeln“, sagte ein anderer. „Deshalb bricht ihnen immer das Ruder. Das wievielte mag das wohl sein?“ „Geht ja schnell bei denen“, sagte ein anderer. „Die sind das schon gewohnt. Na, so jede Woche werden sie wohl ein neues Ruder brauchen.“ „Die kommen bestimmt nicht mal aus dem Hafen, dann ist wieder ein neues fällig.“ „Müssen wir uns das eigentlich gefallen lassen, Ed?“ fragte Ferris Tucker seinen Freund grimmig. „Noch ein Wort,. und ich jage die Kerle mit der Axt zum Teufel.“ Carberry drehte sich um und zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die fünf Piraten. „Meinst du die vier Scheißer da, die um das Faß herumstehen?“ fragte er grinsend. „Oder ist das gar kein Faß, was, wie?“ Ferris stützte sich auf seine gewaltige Axt und sah die fünf ebenfalls der Reihe nach an. „Nein, das ist kein Faß“, sagte er überzeugt. „Du meinst doch die polierte Bilgenratte da vorn. Das scheint eine Sau zu sein, die aus einem Koben ausgebrochen ist.“ „Vermutlich war das die Obersau“, sagte Ed sinnend: „Und als sie geschlachtet werden sollte, verschwand sie einfach.“ „Nun beleidigt doch nicht die Säue“, sagte Matt Davies. „Die haben einfach Pech gehabt, daß sie so aussehen wie der da.“ Nuno fiel die Kinnlade herunter, als er das hörte. In seinem breiten Gesicht zuckte es, er trat von einem Säulenbein auf das andere und schluckte aufgeregt. Die anderen Kerle legten die Hände auf ihre Messer, die sie im Hosenbund trugen.
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Der Glatzkopf bewegte sich langsam vorwärts. „Kurze Arbeitsunterbrechung“, der Profos und blickte sich nach dem Seewolf um, aber der war nicht in der Nähe. Ed grinste und rieb sich die Hände. „Hast du mich gemeint?“ grollte der Glatzkopf plötzlich. Offenbar hatte es erst jetzt richtig bei ihm gezündet. „Na sicher habe ich dich gemeint, du verlaustes, triefäugiges Rübenschwein“, sagte Ed sanft. „Verschwindet, und laßt uns in Ruhe arbeiten¬, sonst ...“ „Was sonst?“ fragte der Glatzkopf. „Dich reiß ich doch mit beiden Händen auseinander. Hast du eben Rübenschwein gesagt?“ brüllte er. „Kein Wunder, wenn du so langsam hörst“, höhnte Ed. „Man läßt sich ja auch nicht von jedem Straßenköter ein Ohr abbeißen.“ Vom Achterdeck ertönte eine schneidende Stimme, und die zerschlug des Profos’ Vorfreude schlagartig. Ben Brighton blickte nach unten. Die Muskete in seiner Hand zielte genau auf den Dicken und sprach eine deutliche Sprache. Daneben tauchten noch zwei andere Musketenläufe hinter dem Schanzkleid auf. „Verschwindet, ihr Stinktiere!“ rief er laut. „Wenn ihr Streit sucht, dann fangt ihn abends in der Kneipe an, aber haltet uns nicht von der Arbeit ab!“ Nuno zuckte zusammen, und seine Augen verschwanden fast ganz hinter dicken Wülsten, als er Ben Brighton musterte. Dann hob er langsam die Hand und ballte sie zur Faust. „Darüber wird noch gesprochen, und auch wir sind noch nicht miteinander fertig“, sagte er zu Carberry. „Du bist vielleicht hier der Profos, aber ich bin auf Tortuga mehr als du, und das wirst du noch spüren, wenn du mir wieder über den Weg läufst.“ Carberry hätte den Stunk zu gern weiter fortgesetzt, und auch Ferris Tucker war schon in seinem Element, aber dann erschien der Seewolf, und seine schnelle Handbewegung veranlaßte die Männer dazu, langsam zu verschwinden.
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Unter leisen Flüchen schlichen sie davon. Alle Augenblicke drehte sich der Dicke um und versprach allen Tod und Teufel. „Den werden wir bei Diego ganz sicher wiedertreffen“, sagte Ferris Tucker. „Dann nehme ich mir dieses Rübenschwein mal zur Brust. Die Knochen kannst du dann abnagen, Ed.“ „Hoho, erst ich, dann du. Schließlich hat er den Stunk mit mir angefangen, und so habe ich das Recht auf ihn.“ „Darüber werden wir ganz sicher nicht streiten. Aber ich weiß genau, daß wir mit dem Kerl noch viel Ärger kriegen. Wer ist er eigentlich, weißt du das?“ „Keine Ahnung“, sagte Ed. „Aber ich kann ihn mir gut als Schlagmann auf der Galeere vorstellen. Er ist genau der richtige Typ dazu, und er sieht auch so aus wie ein Menschenschinder.“ „Ja“, sagte Ferris und trieb die Axt ins Holz. „Da muß ich dir recht geben, der Kerl ist ein Höllenhund.“ Nicht im Traum hätte er daran gedacht, daß er ganz besonders diesen dicken Nuno noch einmal kennenlernen würde. Die Arbeit ging weiter. Die Piraten hatten sich zum größten Teil zurückgezogen oder dösten auf ihren Schiffen vor sich hin. Etwas später wurde die Arbeit am Ruderblatt unterbrochen, und die Seewölfe mußten abwarten, bis sich das Wasser wieder zurückzog. An diesem Tag geschah jedoch nichts, und auch in der folgenden Nacht herrschte eine seltsame Ruhe am Hafen. Der Seewolf verstand das nicht. Keiner der Kerle rührte sich, niemand unternahm Anstalten, sich auf die „Isabella“ zu stürzen. Die Kerle warteten. Sie hatten Zeit. * Am nächsten Abend, nachdem sich immer noch nichts getan hatte, gab es Landgang. Am vorherigen Tag war eine Gruppe unter Ben Brighton zur „Schildkröte“ gegangen und wieder an Bord zurückgekehrt, ohne daß es eine Schlägerei gegeben hatte. Philip Hasard Killigrew fand das mehr als
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verwunderlich. Wenn das heute abend auch so blieb, dann würde er für die Crew ein paar Büßerhemden kaufen, und fortan würden sie nur noch als fromme und gläubige Pilger durch die Lande ziehen. Allerdings mußte Hasard einschränken, daß der Profos, Dan O’Flynn und Ferris Tucker nicht mit waren. Heute waren die dabei. und Hasard hätte die „Isabella“ verwettet, falls alles glatt ablaufen sollte. Bei Diego herrschte Hochbetrieb, als sie eintrafen. Die ersten Kerle waren schon betrunken und grölten herum. Auch die Tortuga-Schnepfen, wie Carberry sie nannte, waren bereits angeheitert und gingen den Kerlen um den Bart, die ihre Beute bis auf den letzten Copper restlos versoffen und das Geld mit vollen Händen ausgaben. so wie sie es eingenommen hatten. Diego begrüßte die Seewölfe herzlich, aber knapp, weil er keine Zeit hatte, sich um sie zu kümmern, denn immer mehr Schnapphähne und Beutelschneider tauchten auf und verlangten lautstark Getränke. Eigentlich hatte Hasard vor, sich ein wenig umzuhören. Vielleicht hatte Diego Informationen, aber als er einmal zu ihm hinblickte, schüttelte der Fettwanst nur den Kopf, als hätte er Hasards Frage längst geahnt. Der Krach wurde lauter, der Radau schwoll an, als sie weiter durch die Grotte gingen. Carberry hielt nach seinem glatzköpfigen Freund heimlich Ausschau, doch er sah ihn nicht. Vielleicht erschien der Kerl erst später, vielleicht auch gar nicht. Der größte Teil der Grotten und Nischen war schon besetzt, und die leichten Mädchen von Tortuga hatten sich an die zahlungskräftigsten Burschen herangepirscht. Diego deutete von der Theke aus nach links und brüllte etwas zu den Seewölfen hinüber, aber bei dem Lärm gingen seine Worte hoffnungslos unter. „Er meint die linke Seite“, sagte Ed laut. „Dort ist anscheinend noch etwas für uns frei.“
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Es roch nach Rotwein, Schweiß, dem Ruß von Funzeln, die die Riesengrotte spärlich erhellten und lange¬ Schatten an die rohen Felswände warfen, und es roch nach Rauch und abgestandenem Qualm. In einer Ecke hockten an rohen Holzbänken ein paar wüst aussehende Kerle und spielten Karten, die sie offenbar selbst aus dickem Papier hergestellt und bemalt hatten. Zwei andere würfelten, wobei sie sich lauthals beschimpften. Eine ganze Gruppe rauchte aus dunkel verbrannten Tonpfeifen stinkenden Tabak, der die ohnehin abgestandene Luft noch ehr verpestete. Linker Hand gab es eine größere Grotte, wo nur zwei Männer saßen, die nicht einmal aufblickten, als die Seewölfe hereinkamen. Anscheinend hatten sie mit dem Piratengesindel nichts zu tun und waren harmlose Fischer oder Händler, die die Piraten belieferten. Die Grotte ging nach weiter, führte in eine schlauchartige kleine Höhle, und da saß noch ein einzelner Mann vor einem Humpen Rotwein und trank. Über seinem Tisch schaukelte an einer dünnen Schnur eine Öllampe. Der einsame Zecher hob hin und wieder seinen Humpen, trank einen Schluck setzte den Humpen dann wieder auf die Mahagoniplatte zurück und schien dumpf vor sich hin zu brüten. Die Seewölfe beachteten ihn nicht weiter, und doch sollte von diesem einsamen Zecher ihr weiteres Schicksal abhängen. Aber das ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Carberry, Tucker, Dan, Matt Davies, Big Old Shane, Smoky und der Seewolf nahmen Platz. Sie säßen noch nicht richtig, als der Watschelmann auftauchte, sich verbeugte und nach den Wünschen fragte. „Einen Gruß vom Wirt soll ich den Herren ausrichten und sie nach ihren Wünschen fragen. Er läßt sich entschuldigen und würde sich geehrt fühlen, wenn die ehrenwerten Herren eine Runde annehmen.“ „Ehre, wem Ehre gebührt“, sagte Ed salbungsvoll. „Aber ich kann diesen
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labbrigen Wein nicht mehr sehen. Ich brauche etwas, das die Knochen stärkt. Karibischen Rum vielleicht.“ Die anderen bestellten dasselbe, und so brachte der Watschelmann gleich vier Flaschen, die er auf den Tisch stellte und schon entkorkte. Während er das tat, griff Carberry nach seinem Arm. „Sag mal, Freund, kennst du einen Mann, der wie ein Faß aussieht und eine schön polierte Glatze hat? Er ist so groß und breit wie ich, aber er hat richtige Sauaugen.“ „Das ist Nuno, Senor“, sagte der Dicke. „Aber lassen Sie ihn das nur nie hören, sonst schlägt er alles kaputt.“ „Und wer ist das, was tut er?“ „Nuno ist Schlagmann auf der Galeere“, flüsterte der Watschelmann leise und sah sich dabei ängstlich nach allen Seiten um. „Sie fürchten ihn hier alle, Senor, jeder hat Angst vor ihm.“ „Hab ich’s nicht gesagt“, trumpfte der Profos auf. „Schlagmann auf der Galeere! Dem Himmelhund sieht man schon an den Augen an, was er tut. Hör zu, Dicker, wenn dieser Nuno hier auftaucht, dann sagst du mir unauffällig Bescheid, kapiert?“ „Si, Senor, aber vorsichtig ...“ „Er ist ein alter Freund von mir“, sagte Ed grinsend. „Und ich will nur mal sehen, ob in der langen Zeit nicht doch ein oder zwei Haare auf seiner Rübe gewachsen sind.“ Der Seewolf blickte seinen Profos an, Ed blickte treuherzig zurück und hob seinen Becher. „Gestern ging es ohne Streit ab“, sagte Hasard. „Da haben sich die Männer ganz diszipliniert benommen.“ Ed grinste immer noch. „Keine Sorge, Sir, ich habe wirklich nicht die Absicht, mich zu prügeln oder Stunk anzufangen. Der Dicke gefällt mir, und ich möchte nur mal sehen, ob ...“ Hasard winkte ab. Er kannte den Profos. Seit er auf der „Isabella“ nicht mehr die Neunschwänzige schwang und das Wort Zuchtmeister für ihn nur noch symbolischen Wert hatte, mußte der gute Ed von Zeit zu Zeit mal wieder Dampf ablassen. Und das konnte er am besten in den Kneipen bei den ganz großkotzigen
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Typen. Dann hatte der Profos immer „Schmetterlinge im Bauch“, wie er sagte, und die begannen dann zu kribbeln. Einmal blickte der Mann ganz hinten in der Ecke kurz herüber, dann starrte er wieder auf die Tischplatte und beschäftigte sich mit seinem Getränk. Zwei kichernde, leicht angetrunkene Weiber in bunten Röcken spähten in die Grotte. Sie waren beide schwarzhaarig, dunkeläugig und sahen die Seewölfe auffordernd an. Eine setzte sich zu Hasard, die andere blieb noch unschlüssig stehen, dann näherte sie sich Ferris Tucker, griff in seine Haare und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Hast du schöne rote Haare, Mann“, sagte sie auf spanisch. „Bist du ein Ire?“ „Ich sehe nur so aus“, sagte Ferris grinsend. „In Wirklichkeit bin ich ein Engländer.“ Er zog das Mädchen auf seinen Schoß und legte den Arm um ihre Taille. „Und ich?“ fragte der Profos sauer. „Für mich habt ihr wohl keine Freundin mehr. was, wie? Soll ich hier vertrocknen oder mein Leben als Mönch beschließen?“ Hasard schob ihm das Püppchen rüber, das sich neben ihn gesetzt hatte, und da begann Eds Gesicht zu strahlen. Er ließ ein paar Komplimente vom Stapel. die dem Seewolf Bauchgrimmen bescherten, und kümmerte sich nicht um das Gelächter der anderen. Dann wurde die Kneipe plötzlich von einer Musik erfüllt, die allen unter die Haut ging. Zwei Fiedler traten auf, und sie fiedelten auf ihren Instrumenten so laut und grell, daß sich ein paar der rauhen Gesellen die Ohren zuhielten. „Seid ihr Piraten oder Kaufleute?“ fragte das Mädchen, das jetzt bei Carberry saß und mit ihm schmuste. „Ich habe euch noch nie hier gesehen.“ „Wir haben damals bei Caligu gelernt“, sagte Ed ernst, „und jetzt sind wir ganz böse Buben.“ Das Mädchen konnte damit nichts anfangen, den Namen Caligu hatte es noch nie gehört.
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In der Ecke wandte der einsame Mann wieder den Kopf, und erst jetzt sah Hasard den Mann deutlicher. Er erwiderte offen den Blick, gab sich gelassen und ruhig, obwohl ihn insgeheim etwas zu bedrücken schien. Er hatte ein offenes und ehrliches Gesicht, klare Augen, war hager und groß und strahlte Vertrauen aus. Zu dem üblichen Gesindel von Tortuga gehörte er nicht, das stand fest. Vielleicht war er ein gestrandeter Seemann, einer, den das Los auf diese Insel verschlagen hatte wie — wie... Hasard suchte nach einem Vergleich, und dann fiel es ihm ein. In gewisser Weise erinnerte ihn dieser Mann an den alten Jonny, von dem sie die Schatzkarte hatten und der als neues Besatzungsmitglied auf die „Isabella“ integriert werden sollte. Dann aber hatte es das Schicksal doch anders bestimmt, und Jonny war an den Folgen einer Stichverletzung gestorben. Es war noch gar nicht so lange her, daß sie ihn auf See bestattet hatten. Dieser Mann war natürlich wesentlich jünger, aber der Seewolf entdeckte doch gewisse Parallelen. Nach einer Weile bestellte der Mann den zweiten Humpen und trank in aller Ruhe. Allerdings zog er sich noch etwas weiter in die Nische zurück, so daß man ihn von außen kaum noch sehen konnte. Hasard, der glaubte, ein guter Menschenkenner zu sein und jetzt erstmals eine Riesenenttäuschung erleben sollte, glaubte zu bemerken, daß sich der Unbekannte vor etwas fürchtete. Nein, Furcht war nicht der richtige Ausdruck, er hatte auch keine Angst, aber irgendetwas bereitete ihm Sorge, denn immer wieder sah er sich verstohlen nach einem Ausgang um. Inzwischen bevölkerte sich die Schildkröte“ immer mehr, und die Seewölfe sahen, daß sich jetzt der größte Teil der Tortuga-Piraten versammelt hatte. Offenbar hatte der Unbekannte nicht damit gerechnet, denn seine Hände bewegten sich auffallend unruhig über die
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Tischplatte, und Hasard sah ihm an, daß er sich am liebsten heimlich verdrückt hätte. Aus irgendeinem unbekannten Grund ging das aber nicht mehr. Danach vergaß er den Mann für eine ganze Weile, denn in der Kneipe wurde es immer lebhafter. Neue Putas erschienen, und an den Tisch der Seewölfe gesellten sich noch drei weitere Mädchen. Ein paar buntgekleidete abenteuerliche Gestalten begannen mit den Mädchen nach der grellen Musik zu tanzen, in einer der kleinen Grotten brach Streit aus. Eine Hure flüchtete kreischend, als sich zwei besoffene Kerle wegen ihr in die Haare gerieten. Gleich darauf wurden die ersten Fäuste geschwungen, aber die Schlägerei endete ziemlich schnell, denn ein bulliger Kerl packte den einen Stänkerer, drosch ihn mit dem Schädel an die Wand und schleppte den Bewußtlosen dann hinaus. In hohem Bogen landete er in der Gosse. „In der Hinsicht hat sich ebenfalls nichts geändert“, sagte Matt Davies grinsend und fummelte an dem Mädchen herum, das bei ihm auf dem Schoß saß und dümmliche Fragen stellte, die Matt geistesabwesend beantwortete. Dann folgte der Höhepunkt des Abends, als einer aus der Piratenhorde halb betrunken durch die Kneipe taumelte. Er hatte einen Drall drauf und konnte sich gerade noch an dem Tisch festhalten, an dem die Seewölfe saßen, sonst wäre er an die Wand gerannt. Am Tisch hielt er sich fest, sein Oberkörper schwankte hin und her, und er stierte genau in die Grotte, in der immer noch der einsame Unbekannte vor seinem Humpen Rotwein saß. Er rülpste laut, rülpste noch einmal und tastete auf dem Tisch herum. „Verschwinde, du Rübenschwein“, sagte Ed. „Und kotz hier nicht den Tisch voll, sonst fliegst du durch die Wand.“ Der Betrunkene schien ihn gar nicht zu hören. Immer noch stierte er in der typischen Haltung eines stark Betrunkenen in die dämmerige Grotte.
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„Ei — ei, wen haben wir denn da?“ lallte er. „Das ist doch — is doch der gute alte Pablo. Oder nicht?“ Hasard blickte aus schmalen Augen zu dem Unbekannten, von dem der Betrunkene behauptete, es wäre der gute alte Pablo. Dieser Pablo schien ein harter Knochen zu sein. Aber er fühlte sich unterlegen, denn jetzt richtete sich der Betrunkene auf und grölte: „He, ihr Säcke, Juan, Pepe, Dorian! Kommt mal her und seht, wen ich da gefunden habe!“ Er mußte seine Aufforderung noch einmal wiederholen, denn augenblicklich schien sich niemand für den Mann zu interessieren. Matt Davies stand auf und schob den Betrunkenen zur Seite. „Schrei mir hier nicht die Ohren voll, du abgeschuppter Hering, sonst ziehe ich dir die Zähne mit diesem Haken!“ Er hielt ihm den blitzblank geschliffenen und polierten Haken genau unter die Nase, den der Betrunkene wie ein Weltwunder anstierte. Dann taumelte er ein paar Schritte zurück. „Mann, ich will gar nichts von dir“, sagte er empört. „Laß mich gefälligst in Ruhe! Ich will nur den Kerl dort, aber das geht dich einen Dreck an.“ Ein zweiter Kerl erschien. Er war spindeldürr und hatte eckige knochige Schultern. Seine Schulterblätter stachen wie Belegnägel unter dem Leinenhemd hervor. Sein dünner Bart war zerfasert, als hausten darin schon jahrelang die Motten. In seinem Gesicht lag ein verschlagener, hämischer Zug, als er den Mann näher in Augenschein nahm, der jetzt den Kopf wegdrehte und so tat, als ginge ihn das alles nichts an. „Klar, das ist er, wie er leibt und lebt. Ha, jetzt haben wir diese stinkende Hafenratte endlich. Warte, du Hund, das wird dir noch leid tun.“ Er drehte sich um und stieß zwischen zwei Fingern einen grellen Pfiff aus. Gleich darauf standen drei weitere Kerle vor der Grotte. Der Angetrunkene war schon an den Seewölfen vorbei und hatte
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sich vor dem Tisch des Mannes aufgebaut. Jetzt lachte er meckernd und siegesgewiß. Der Mann stand hastig auf, wich noch zwei Schritte zurück und stand jetzt mit dem Rücken zur Wand. Seine Hand griff zum Messer, das er an der linken Hüfte trug. Aber da hatten ihn drei Kerle schon blitzschnell gepackt und drehten ihm die Arme auf den Rücken. Noch zwei weitere tauchten auf und keilten Pablo fest. „Das wird Don Bosco aber freuen“, sagte der eine voller Freude. „Jetzt wirst du deine Rechnung bezahlen, du Hundesohn, und der Don wird dir die Haut von den Knochen ziehen.“ „Das stimmt alles nicht“, sagte der Mann ruhig. „Das war ein Mißverständnis.“ Er hatte eine tiefe, angenehme Stimme, fand der Seewolf. „Und das Weib, das du dem Don entführt hast, stimmt das etwa auch nicht, du Ratte? Du hast seine Ehre besudelt.“ Ein Faustschlag traf Pablo, während die anderen ihn festhielten. Carberry blickte den Seewolf an und stand auf. Aber Hasard schüttelte nur den Kopf und nickte Ed zu, sich wieder zu setzen. Der Profos gehorchte fast widerwillig. „Erst mal sehen, um was es geht, Ed“, sagte Hasard sanft. „Du verlierst in letzter Zeit ziemlich schnell die Beherrschung.“ „Ich kann das nicht vertragen, wenn viele Kerle über einen einzelnen herfallen, dann geht mir immer der Hut hoch.“ „Noch ist das nicht unsere Angelegenheit. Warum sollen wir uns in jeden Kram einmischen? Nur weil du dich wieder mal unbedingt prügeln willst? Geh doch hin, such deinen Nino, oder wie der Affe heißt, und lege dich mit dem an, wenn du schon so versessen darauf bist. Hier warten wir erst einmal ab!“ „Aye, aye, Sir“, motzte Ed. „Der Affe heißt Nuno.“ „Keine Einwände“, sagte Hasard. Inzwischen ging der Ärger seitlich von ihnen weiter, und Pablo geriet in ernsthafte Bedrängnis, denn jetzt bereiteten sich die Kerle einen Spaß daraus, ihn zu quälen.
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Der vorhin Angetrunkene war wieder einigermaßen nüchtern, und er grölte und schrie am lautesten herum. „Wir haben schon lange kein Fest mehr gefeiert!“ brüllte er. „Die Totenrutsche ist ja schon fast außer Betrieb. Wird Zeit, daß mal wieder jemand darüber ins Meer segelt.“ Gelächter aus rauhen Kehlen brandete auf. Die Seewölfe sahen die sogenannte Totenrutsche im Geiste noch sehr deutlich vor sich. Auf Tortuga wurde man nicht wie üblich an Land bestattet. Hier galten die Gesetze der See, jedenfalls für alle, die damit zu tun hatten, und daher fuhren sie auf der Totenrutsche ihrem Element entgegen. Diese Rutsche befand sich auf der Westseite des Hafens an einer Steilklippe. Wind und Wetter hatten in diesen Felsen eine lange Rille gefurcht, die mehr als körperbreit war und direkt ins Meer führte. Starb jemand oder wurde umgebracht, was eine der häufigsten Todesursachen war, dann sauste der Betreffende über die Rille und klatschte ins Meer. Dieses Aufklatschen war für die Haie das Signal. Sie schossen von allen Seiten heran, um sich ihre Beute zu holen. Über diese Totenrutsche wollten die Kerle jetzt Pablo jagen, natürlich erst, nachdem sie ihm das Lebenslicht ausgeblasen hatten. „Klar!“ brüllten andere mit, und es wurden immer mehr, die sich um den verängstigten Mann scharten. „Wenn die Rutsche nicht mehr richtig beliefert wird, dann verderben wir es uns noch mit den Haien.“ Wieder klang lautes Gelächter auf. Ein anderer Pirat kommentierte ebenso lautstark: „Wenn wir nichts mehr liefern, werden die armen Tierchen ja bald verhungern.“ „Den Pablo kotzen die doch wieder aus“, sagte ein anderer. „Der hat Don Bosco beleidigt, und das nimmt sogar ein Hai übel.“ So ging das hin und her, und bevor sie den Mann über die Klinge springen ließen, trieben sie erst noch ihr übles Spiel mit
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ihm, schürten seine Angst und marterten ihn durch bloße Worte. Hasard hatte dem ganzen Gebrüll und Gegröle nicht viel entnommen. Er glaubte aber ungefähr zu wissen, um was es ging. Dieser Pablo hatten offenbar eine Frau aus den Klauen des Piratenhäuptlings befreit und war dabei mit List und Tücke vorgegangen. Natürlich hatte Don Bosco diese Frau entführt. Das vertrug ein Mann wie Don Bosco allerdings nicht, und seine befleckte Ehre über die Niederlage konnte nach dem Gesetz der wilden Kerle nur mit Blut abgewaschen werden. Für den Mann sah es dann allerdings nicht Mehr rosig aus. Wenn nicht bald etwas geschah, dann hatte er keine Zukunft mehr vor sich, sondern nur noch die letzte sausende Fahrt über die Totenrutsche. Als der Seewolf so weit mit seinen Gedanken gelangt war, prasselten plötzlich Faustschläge auf den Mann ein. Der spindeldürre Kerl ergriff sein Messer, packte es und schob sich zwischen die anderen, die auf Pablo einschlugen. Der Mann, anscheinend ein Fischer, wie Hasard gehört hatte, wehrte sich jedoch mit dem Mut der Verzweiflung und gab keinesfalls schon auf. Drei oder vier Schläge steckte er ein, dann riß er sich los, trat brüllend und fluchend um sich. und versetzte dem Spindeldürren einen Schlag an den Hals, daß der Kerl sich fast überschlug und dicht vor dem Profos landete. „Entweder wird man beim Schmusen oder beim Saufen gestört“, sagte verärgert. „Immer ist so ein Rübenschwein da das einem nicht sein Vergnügen gönnt. Hau ab!“ schrie er. Er bückte sich, hob den Dürren auf, war über das geringe Gewicht erstaunt und warf ihn in den schmalen Gang der Grotte. Da fiel der Dürre zwei anderen vor die Füße, die über ihn stolperten und der Länge nach zu Boden schlugen. Noch lauter wurde das Gebrüll, als sie jetzt von allen Seiten auf Pablo eindrangen. Jetzt, als erneut Messer aufblitzten, war für den Seewolf das. Maß voll, und er
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entschloß sich zum Ein--greifen, sonst würde der Mann hier vor ihren Augen abgestochen werden. „Halt!“ rief er mit einer Stimme, um die ihn selbst Carberry beneidete. Das rollte wie ein Gewitter durch die Grotte und ließ die Kampfhähne schlagartig erstarren. Sie drehten sich um und sahen zu dem hochgewachsenen schwarzhaarigen Mann mit den seltsam eisblauen Augen hin. „Was willst du denn?“ schrie ein rotköpfiger, vierschrötiger Kerl den Seewolf an. „Verschwinde, wir haben eine Abrechnung! Misch dich nicht in unsere Angelegenheiten.“ Damit, so glaubte der Vierschrötige, sei der Vorfall erledigt. Er drehte sich .um, holte aus und schlug Pablo die Faust in den Magen. Der Mann schnappte hörbar nach Luft, klappte zusammen und krümmte sich. Und da war der Rotschopf auch schon heran, um ihm den Rest zu geben. Sein Entermesser zuckte vor. Hasard war mit zwei schnellen Sätzen bei ihm. Es ging so blitzartig, daß kaum jemand die zwei schnellen Sprünge bemerkte. Er blockte den Arm des Anführers ab, stieß ihn hart zur Seite und stellte sich vor Pablo. „Auf, ihr frommen Brüder“, sagte der Profos in diesem Augenblick grinsend, „jetzt spielen wir das englische Volkstänzchen und werden die TortugaLäuse knacken.“ Das ließen sich die anderen nicht zweimal sagen, und schon sprangen sie auf. Der Vierschrötige starrte den Seewolf giftig an. Er hob das lange Messer und stürmte vor, blinde Wut im Gesicht. Aber diese blinde Wut ließ ihn unkontrolliert handeln. Noch während er sich mit dumpfem Schrei auf den Seewolf stürzte, traf ihn dessen Stiefelspitze hart am Handgelenk. Das Messer flog in hohem Bogen davon. Der Vierschrötige folgte seinem Messer gleich anschließend und verstand die Welt nicht mehr, denn wahrscheinlich war hier gerade ein Erdbeben ausgebrochen, und ein paar Magmabrocken hatten ihn getroffen. Was ihn erschütterte, waren die
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Schnelligkeit und unglaubliche Härte, mit denen das alles geschah. Verdammt, er hatte doch schon zugeschlagen, dachte er, und doch... Da flog ihm wieder etwas mitten ins Gesicht, und diesmal schien es sich um den Bug eines schnellsegelnden Schiff es zu handeln. Rasender Schmerz durchzuckte ihn, und wie durch einen Nebel sah er die Galionsfigur dieses Schiffes, das ihn jetzt endgültig untermangelte. Ein dunkles Gesicht mit eisigen Augen, langen schwarzen Haaren und einer Narbe rückte auf ihn zu, und aus weiter Ferne hörte er noch .die Stimme des Meergottes raunen. Dann verschwand er scheinbar im Kielwasser des Seglers. Das letzte, was er hörte, war ein dumpfer Knall. Aber er kriegte nicht mehr mit, daß er selbst diesen Knall verursacht hatte, als er mit seinem Körpergewicht eine Bank in Trümmer schlug. Für ein paar Lidschläge hörte in der „Schildkröte“ danach jedes Geräusch auf. Es wurde still wie im Grab. Dann hatten die Kerle endlich verdaut, was hier geschehen war, und gleich darauf setzte ein Höllenspektakel ein. * Zum Glück war die Decke nicht verputzt, sonst wäre wohl allen, die sich an der Keilerei beteiligten, der Putz auf die Köpfe gefallen. Der gewachsene Fels hielt dieser Beanspruchung allerdings mühelos stand. Während der Seewolf nach Don Bosco Ausschau hielt, ließ Carberry sich nicht stören. Er war gerade so richtig in seinem Element und haute zwei Kerle um, die sich ihm in den Weg stellten. Matt Davies knöpfte sich ein Bürschchen mit einem Fuchsgesicht und dünnem, faserigem Bart vor, das ihn unbedingt mit dem Messer kitzeln wollte. Matts blinkende Hakenprothese schoß vor, riß dem Bürschchen das Hemd von oben bis unten auf und schlug ihm das Messer aus der Hand. Dann drehte Matt die Prothese um, und gleich darauf hörte das
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Kerlchen die Englein singen. als ihm der Haken an den Schädel knallte. Das reichte für den ersten Durchgang, dann war wieder der Profos an der Reihe, der jetzt Rücken an Rücken mit Ferris Tucker kämpfte. Dan O’Flynn hieb in die Piratenmeute hinein und mußte feststellen, daß die meisten Kerle einfach zu feige zum Kämpfen waren. Hin und wieder schlich sich einer davon, kroch unter den Tischen entlang und gewann den Ausgang. Diese verblüffende Tatsache fiel auch dem Profos auf. „Warum haut ihr denn ab, ihr feigen Rübenschweine?“ schrie er. Er kriegte noch einen Mann zu fassen, doch der entwand sich seinen zupackenden Fäusten wie ein glitschiger Aal und entschwand. Der Profos konnte ihm voller Wut gerade noch in den Achtersteven treten. Aber das beförderte den Kerl nur noch schneller hinaus. Von Don Bosco war nichts zu sehen. Hasard erkannte niemanden, auf den die Beschreibung Diegos gepaßt hätte. Ein paar Kerle lagen lädiert am Boden, etliche andere hatten sich heimlich zurückgezogen. und hockten wieder wie unbeteiligt in den Nischen und Grotten, und ein Großteil war aus der Kneipe einfach auf die Straße geflüchtet. Hasard wollte sich gerade dem blutig geschlagenen Pablo zuwenden, da sah er, wie Carberry zusammenzuckte und über sein narbiges Gesicht ein fröhlicher Schimmer ging. Langsam drehte der Seewolf sich um. Da stand Nuno, der Schlagmann, und seine Glatze erinnerte an eine frisch polierte Kugel. Aus kleinen tückischen Augen starrte er den Profos an. In seinen kurzen Hosen wirkte er fast lächerlich, aber das täuschte nicht darüber hinweg, daß er ein Ausbund an Kraft und Schnelligkeit war. Und er schien bis an seinen polierten Schädel voller Haß zu stecken. Die Männer von Tortuga ahnten, was jetzt passieren würde, und sie raten schweigend zur Seite, als der Schlagmann sich breitbeinig mitten in den Gang stellte und
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die Brust vorwölbte. Jetzt sah er zum Fürchten aus. Seine Muskeln spielten wie Wülste, er ließ sie extra noch spielen, um weiteren Eindruck zu schinden. Edwin Carberry hingegen stand ganz lässig da, aber er grinste so herausfordernd, daß Nuno rot anlief. Ganz leicht drehte er den bulligen Schädel, und jetzt wurde der Knorpel sichtbar, der früher mal zu einem Ohr gehört hatte. „Ich hab dir was versprochen“, grollte Nunos Stimme durch die Grotte. „Und was ich versprochen habe, das halte ich auch. Du hast mich beleidigt, du Hundesohn.“ Ed grinste immer noch, aber diejenigen, die ihn kannten, die wußten, daß dieses Grinsen aus der finstersten Hölle kam. Da hätte selbst Luzifer seinen Schwanz eingezogen und wäre heulend in den kochenden Kessel gesprungen. Dan O’Flynn schluckte. Er war gewiß kein zarter Typ, und er hätte sich auch ohne weiteres mit dem Schlagmann angelegt, aber mit Ed hätte er sich in diesem Augenblick nicht angelegt, das gab er ganz ehrlich vor sich zu. Der Profos hatte jetzt das an sich, was ihn immer so ausgezeichnet hatte. Und das war eine gnadenlose Härte, die durch nichts zu brechen war. So hatten die Seewölfe ihren Profos schon lange nicht mehr gesehen. „Na endlich“, sagte Ed heiser, „da bist du ja, du verlauster Hurenbock. Ich dachte schon, du hättest dich feige unter irgendeinem Rockzipfel verkrochen.“ Der Gigant rückte näher, und er stand so massig wie ein Elefant in dem breiten Gang. Er schluckte die Beleidigung, aber an seinem Hals wuchsen dicke Adern hervor, seine Schweinsaugen zogen sich noch mehr zusammen. Er holte aus und ließ die rechte Faust in die linke Handfläche knallen. Carberrys Narben traten in seinem Gesicht scharf und deutlich hervor, als er jede Bewegung dieses Bullen musterte. „Fang an, Hundesohn!“ rief der Schlagmann. „Du hast den ersten Schlag, und das wird auch dein letzter sein!“
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„Sauf lieber noch einen Humpen Rotwein vorher“, sagte Ed höhnisch, „später kriegst du vielleicht das Maul nicht mehr auf.“ Der Seewolf sah gelassen zu. Er lehnte an der Wand, hatte die Arme über der Brust verschränkt, ließ aber die anderen Kerle dabei nicht aus den Augen. Carberry ging ebenfalls einen Schritt vor. Seine mächtigen Hände waren zu Fäusten geballt, aber noch hingen sie locker an seinen Hüften. Aber er stand auf dem Sprung und ließ den Bullen zuerst antanzen. Der Schlagmann ließ sich auf gewisse Weise mit einem Stier vergleichen, der gerade angriff. Er senkte seinen massigen kahlen Schädel, bis man die riesigen Wülste an seinem Genick sah. Dann hob er leicht die bulligen Fäuste an und ging auf Ed los. Er rannte nicht, er bewegte sich nur etwas schnell, und in seiner Bewegung war trotz der Masse, die er auf die Beine brachte, eine gewisse tänzerische Eleganz. Sein erster Schlag zuckte aus der Schulter heraus, machtvoll abgefeuert und nach Carberrys Schädel gezielt. Ed konnte gerade noch ausweichen, und so sauste der Hammer scharf an seinem rechten Ohr vorbei und ging ins Leere. Der Profos nutzte die Gelegenheit. Seine Fäuste schlugen ansatzlos zu und erwischten gleichzeitig die tonnenförmig vorgewölbte Brust des glatzköpfigen Giganten. Der Schlag hätte die meisten anderen Männer von den Beinen gerissen und sie bis auf den Grund ihrer Seele erschüttert, aber der Riese grinste nur, schob den linken Arm zum Abblocken vor und hämmerte Ed die Faust an das Amboßkinn. Gleichzeitig schoß auch die linke Faust vor, und dann hämmerten harte Schläge auf den Profos ein, die ihn fast zwei Yards durch den Gang trieben. Wie eine Hammerschmiede schlug der Kerl zu, immer und immer wieder. Carberry nahm auch einen Schlag an die linke Kopfhälfte hin. „Nuno! Nuno!“ brüllten ein paar Piraten begeistert, und ein ganz besonders Schlauer wedelte schon mit seinem
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Entermesser herum und wollte sich am Kampf beteiligen. Diego war die Ruhe selbst hinter der Theke. Er hatte die Arme verschränkt, und als er sie jetzt auseinanderzog, hielt er eine doppelläufige Pistole in der Hand, die er auf den Messerschwinger richtete. „Niemand greift ein“, sagte er kalt. „Wer es doch tut, dem blase ich zwei große Stücke Blei in den Schädel. Ich würde es keinem raten, wirklich keinem“, setzte er drohend hinzu. Inzwischen hatte Carberry von der rasenden Hammermühle mindestens ein Dutzend harter Treffer eingesteckt, und augenblicklich sah sogar der Seewolf besorgt zu seinem Profos hinüber. „Verdammt, Ed“, hörte Ferris ihn leise murmeln. „Du wirst dich doch nicht von diesem Kerl knacken lassen?“ Carberry stand jetzt fast an der Felswand. Sein Atem ging schwer, sein Ohr blutete, und er steckte einen Treffer nach dem anderen ein. Nuno hämmerte ihm die Fäuste in den Leib. Mit kalter Präzision schlug der Kerl erbarmungslos zu und wollte seinen Gegner systematisch zermürben und kurz und klein schlagen. Noch einmal mußte der Profos zwei harte Brocken schlucken, dann duckte er sich plötzlich, und Nunos nächster Schlag fuhr mit aller Gewalt in den Felsen. Sein Gesicht verzog sich schmerzvoll, Qual stand in seinen Schweinsaugen, und er war sekundenlang wie erstarrt. Ed rannte mit dem Schädel vor, rammte ihn Nuno in den Leib und hieb links und rechts zu, als wollte er dicke Nägel mit der bloßen Faust in ein Eichenbrett treiben. Zum erstenmal wich der Glatzkopf zurück und hob schützend die Hände vor sein Gesicht, als ein mächtiger Hieb direkt auf seiner Nase landete. Über die wulstigen Lippen drang ein Aufschrei der Wut und des Schmerzes. Zwei Fäuste schlugen ins Leere, der Profos duckte sich, blockte einen weiteren Schlag ab und kriegte mit dem einen Arm Nunos Hals zu fassen. Blitzschnell trat Carberry an die Seite des Riesen, legte auch den
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anderen Arm um seinen Hals und hob den Kerl hoch. Ed drückte erbarmungslos zu. Auf seinen Oberarmen quollen Muskelberge hervor, als er den Kerl immer weiter anhob. Nunos Säulenbeine versuchten strampelnd den Boden zu erreichen, seine Fäuste schlugen immer wieder ins Leere, er zappelte und wand sich, stieß Carberry die Ellenbogen in die Rippen und lief im Gesicht bläulich an. Ferris Tucker stieß erleichtert die angehaltene Luft aus und nickte zufrieden vor sich hin. Ja, mein Freund Ed ist schon ein Kerl, dachte er, der wird es diesem Halunken zeigen. Der Glatzkopf zuckte jetzt, als wände er sich in Todesqualen. Durch seinen gewaltigen Körper lief ein Beben, verzweifelt schnappte er nach Luft. Dann griff er mit der Hand in Carberrys Haare und vernichte, seinen Kopf hochzureißen. Auch das gelang ihm nicht. Carberry hielt ihn in dieser Lage fest, stand breitbeinig da, und dann ließ er den Kerl plötzlich los, stauchte ihn auf den Boden, hob ihn wieder hoch, bis die Bewegungen des Riesen immer matter wurden. Seine Schweinsaugen quollen ihm aus dem Schädel, als er hilflos weiter im harten Griff des Profos’ zappelte. Ed ließ ihn herunter, umklammerte aber mit beiden Händen immer noch Nunos Hals, trat ihm in die Kehrseite und schob ihn im Sturmschritt vor sich her. Erst kurz vor der Felswand ließ er ihn los. Der Dicke rannte wie ein blinder Stier dagegen. Es dröhnte durch die ganze Grotte, als er an die Felswand prallte. Ein Urschrei brach über seine Lippen, halb benommen sackte er an der Wand zusammen. Dabei drehte er sich halb um seine eigene Achse. Carberry holte tief Luft. Dann drosch er ihm beide Fäuste knallhart an den Schädel und wandte sich schnaufend ab. Nuno war verdammt hart im Nehmen, aber das hielt auch er nicht aus. Geschlagen fiel er auf die Knie, hielt sich seinen Schädel, japste jämmerlich nach Luft, als würde er
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ersticken, und fiel schließlich mit einem¬ tiefen Seufzer zur Seite. Noch einmal versuchte er sich aufzurichten, aber er schaffte es nur, seine großen Pranken auf den Boden zu stützen. Carberry stand immer noch seitlich von ihm an der Wand, und als er jetzt wieder grinste, da sah er zum Fürchten aus. „Bleib lieber liegen“, warnte Ed schwer atmend. „Ich hab noch ein paar Reserven, du Bastard.“ Er sah, wie der Dicke kraftlos wieder in sich zusammensackte, und kehrte zu seinen Kameraden zurück. Hinter der Theke grinste der dicke Diego, als hätte er soeben selbst einen Sieg errungen. Dann nickte er Ed anerkennend zu, sagte aber kein Wort. „Ar-we-nack!“ brüllte Dan begeistert und riß die Arme hoch. Dieses Gebrüll veranlaßte ein paar andere, fluchtartig das Weite zu suchen, denn als sie die Gesichter der Seewölfe sahen, glaubten sie, jetzt ginge es ihnen ebenfalls an den Kragen. Blitzschnell und ohne ihre Zeche zu bezahlen, waren sie draußen. Eine weitere Meute folgte und beeilte sich, die Tür zu erreichen. „So, das wär’s“, sagte Ed und griff an seinen Schädel, wo ihn die Faust des Dicken hart getroffen hatte. Eine Beule entstand dort, die zusehends anschwoll. Auch in seinem Gesicht zeichneten sich Flecken ab, die immer dunkler wurden, aber das störte den Profos nicht. Er warf nur noch einen verächtlichen Blick auf den wie tot daliegenden Schlagmann und griff dann nach seinem Becher. Hasard nickte seinem Profos grinsend zu. „Du bist immer noch der alte“, sagte er trocken. „Dieser Muskelberg war wirklich nicht zu verachten. Ich dachte schon, der würde dich schaffen.“ „Das dachte ich anfangs auch“, gab Ed zu. „Bei dem einen Schlag hat bei mir was ausgehakt. Ich dachte, ich triebe durch eine dichte Nebelbank.“ „Aber dann kam Wind auf“, sagte Ferris, „und hat den Nebel wieder vertrieben. So
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sah es jedenfalls aus. Mann, du hast ganz schön zugelangt, Junge.“ „Was blieb mir denn anderes übrig? Der hätte mich doch glatt umgebracht.“ Vier Männer näherten sich Nuno, berührten ihn leicht an der Schulter und halfen ihm dann auf die Beine. Der Kerl stöhnte und wand sich in ihren Händen, aber er war anscheinend noch nicht richtig bei Bewußtsein. Sie trugen ihn hinaus und kehrten auch nicht mehr zurück, nachdem sie Carberry noch einmal angeblickt hatten. Jetzt war die Kneipe ziemlich leer, bis auf ein paar Gestalten, die sich in ihren Nischen mucksmäuschenstill verhielten, um nur ja keine Aufmerksamkeit zu erregen. Hasard hatte während des Kampfes ganz den Mann in der Grotte vergessen. Auch die anderen hatten sich nicht mehr um ihn gekümmert und waren verschwunden. Jetzt saß der Dunkelhaarige immer noch da, einsam, verlassen und von keinem beachtet. Hasard musterte ihn aus den Augenwinkeln. Der Mann hatte Angst, das sah man ganz deutlich, er traute sich nicht hinaus, sonst wäre er sicherlich schon längst gegangen. Sein Gesicht sah ziemlich schlimm aus, er hatte eine ganze Menge Hiebe eingesteckt, aber er versuchte den Schmerz zu verbeißen oder ihn nicht zu zeigen, denn vermutlich legte er das als Schwäche bei sich selbst aus. „Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?“ fragte der Seewolf. Der Mann nickte, dann stand er auf und kam herüber. „Mein Name ist Pablo“, sagte er mit angenehm tiefer Stimme. „Ich möchte Ihnen meinen Respekt kundtun, Mister. Ich habe gehört, daß Sie Engländer sind. Ich danke Ihnen, denn ohne Ihr Eingreifen wäre ich jetzt erledigt.“ Der Seewolf tat das mit einer Handbewegung ab. Er sah, wie Pablo Carberry neugierig musterte. „Daß Sie den geschafft haben“, sagte er kopfschüttelnd. „das grenzt ja nahezu an ein Wunder. Den hat, solange ich ihn vom
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Sehen kenne, noch niemand geschafft. Im Gegenteil, er hat beim Faustkampf schon so manchen Mann erschlagen.“ „Trink einen mit, Pablo“, sagte Carberry. „Die Kerle haben dir ganz schön zugesetzt. Wenn es einer gewesen wäre, dann hätten wir auch nicht eingegriffen, aber wenn eine ganze Meute einen einzelnen Mann abstechen will, darin geht das gegen unsere Natur. Na, und dann juckt es uns eben in den Fäusten.“ Ed grinste. Pablo nahm den Krug, der ihm hingehalten wurde, und hob ihn hoch. Aus ehrlichen Augen sah er die Seewölfe an. „Auf die ganze Mannschaft“, sagte er. „Was müßt ihr nur für Teufelskerle sein. Ich habe euer Schiff gesehen, ein schönes und schnelles Schiff, ein Traum von einem Schiff. Und es ist verdammt sauber und gepflegt. So was kriegt man hier nicht zu sehen. Sind Sie der Kapitän, Sir?“ fragte er den Seewolf. „Ja, Killigrew ist mein Name“, sagte Hasard. „Dieser Mann hier“, damit deutete er auf Ed, „ist der Profos, das da drüben unser Zimmermann, jener heißt Dan O’Flynn, das ist Matt Davies.“ Die Seewölfe nickten Pablo zu, und Hasard hatte das Gefühl, als kenne er den Mann. Da war eine gewisse Ähnlichkeit mit einem, mehr eine Erinnerung an jemanden. Und dann fiel es ihm wieder ein. Schon vorher hatte er einmal daran gedacht, aber durch die Umstände war es ihm wieder entfallen. Ja, an Jonny erinnerte ihn dieser Pablo immer noch, jetzt wußte er es wieder. Er hatte vieles mit ihm gemeinsam, und er schien genauso einsam und verlassen zu sein wie der alte Jonny. „Um was ging es denn überhaupt?“ fragte Hasard. „Wir haben ein paar Brocken aufgeschnappt. Sie scheinen irgendwie diesem Piraten Don Bosco in die Quere geraten zu sein.“ „Ja, das stimmt“, gab Pablo zu. „Deshalb wollten die Kerle mich auch umbringen. Ich bin sicher, daß sie noch heute nacht irgendwo draußen auf mich warten. Die wollen nichts anderes, als mich über diese
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verdammte Totenrutsche sausen zu lassen.“ „Sie sind nicht aus Tortuga?“ fragte Hasard, und es war eigentlich keine Frage, sondern eher eine Feststellung. „Nein, ich bin aus Hispaniola“, erwiderte Pablo. „Ich habe ein kleines Fischerboot und besorge mir das, was ich zum Leben brauche, meist hier, weil Tortuga alles zu bieten hat.“ Der Mann sprach ruhig, erzählte sachlich und sah den Männern gerade in die Augen, sobald ihn jemand etwas fragte. Nicht das leiseste Mißtrauen stieg in den Seewölfen auf, als Pablo seine Geschichte erzählte. „Ich hatte eine Freundin“, sagte Pablo, „und die habe ich dummerweise einmal mit nach Tortuga genommen. Wir sind in eine andere Kneipe gegangen und haben etwas getrunken. Dann erschienen diese Mistkerle, allen voran Don Bosco, der sich hier zum Herrscher aufgeschwungen hat. Ich wurde erst gar nicht gefragt. Sie schnappten das Mädchen und wollten es auf ihr Schiff bringen. Als ich mich wehrte, haben sie mich zusammengeschlagen, aus der Kneipe gebracht und draußen ins Meer geworfen. Dort kam ich wieder zu mir und mußte mich wie ein geprügelter Hund davonschleichen. Sie haben mir alles genommen, mein Mädchen, meine Ehre und meine paar Habseligkeiten. Daher sann ich auf Rache und habe mich immer hier in der Nähe des Gesindels herumgetrieben, bis sich eine Gelegenheit bot.“ Pablo ergriff seinen Becher und trank einen Schluck. Er wirkte verbittert, und das konnte ihm niemand verdenken. Auf seinem zerschlagenen und verquollenen Gesicht lag ein Schatten, und er ballte die Hände zu Fäusten, wenn er daran dachte. „Und dann?“ fragte Ferris Tucker. „Die Gelegenheit bot sich ein paar Tage später. Die Piratenhorde hatte sich vollaufen lassen und ging an Bord zurück. Dort haben sie weitergesoffen. Als die meisten betrunken an Deck lagen, habe ich mich an Bord geschlichen. Ich wußte, daß
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Laura in einer Kammer eingesperrt war, und ich wußte auch, daß die Kerle am nächsten Tag zu einem ihrer Schlupfwinkel segeln wollten. Aber ich mußte schnell handeln, denn ich wußte nicht, wo diese Schlupfwinkel lagen, und wenn sie erst einmal draußen waren, dann war es für mich zu spät.“ „Ja, das verstehe ich“, sagte Carberry. „Mit dem Boot konntest du schlecht hinterher.“ „Ich hätte keine Chance gehabt. Als ich über Deck nach achtern zur Kammer schlich, stand mir plötzlich ein Kerl gegenüber, und der ging sofort auf mich los. Er hatte anscheinend Wache und war noch ziemlich nüchtern. Wir kämpften miteinander, und er verletzte mich am rechten Arm. Dann lief er in mein Messer, aber er muß den anderen noch etwas gesagt haben, bevor er starb.“ „Woher weißt du denn, daß er erst später starb?“ fragte Dan. „Hier auf Tortuga erfährt man alles“, sagte Pablo, „alles, was man wissen will. Es wimmelt hier von Spitzeln, die für diesen oder jenen arbeiten. Und so erfuhr ich das auch.“ „Und dein Mädchen – hast du sie befreit?“ „Ja, ich habe sie befreit. Dann schlichen wir uns davon und segelten zurück. Aber wir sind nicht mehr zusammen. Sie hat seit längerer Zeit einen anderen. Ein Scheißleben ist das“, sagte Pablo seufzend. „Pablo“, sagte Hasard. „Wenn Sie gewußt haben, daß die ganze Meute hinter Ihnen her ist, dann wäre ich an Ihrer Stelle nie mehr nach Tortuga zurückgekehrt. Sie mußten doch damit rechnen, daß man Sie erwischt. Wie lange liegt das denn schon zurück?“ „Etwa zwei Monate“, sagte Pablo bedrückt. „Nein, damit habe ich nicht gerechnet, denn mich kennt ja kaum jemand auf dieser Insel. Aber ich brauchte dringend neue Ausrüstung. außerdem ist mein Boot schwer angeschlagen. Daß diese Kerle ausgerechnet heute in die ‚Schildkröte kommen, damit habe ich nicht gerechnet. Es ist mir ein Rätsel, daß sie mich erkannt haben.“
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In Hasard war ein winziger Funke Mißtrauen, aber dann sagte er sich, daß die Geschichte ja mit den Tatsachen übereinstimmte und Pablo wohl keinen Grund hatte, ihnen ein Märchen aufzutischen. Dazu lag nicht der geringste Grund vor. Dann war da noch etwas: Schließlich hatte Pablo sie nicht um Hilfe gebeten, sie waren es, die für ihn Partei ergriffen hatten, als es ihm ernsthaft an den Kragen ging. Und sie waren es auch gewesen, die ihn schließlich, nachdem alles vorbei war, zu einem Schluck. eingeladen hatten. Warum, so fragte sich der Seewolf, bin ich eigentlich immer so mißtrauisch? Er verstand das nicht und schüttelte den Kopf. Wieder musterte er den Mann unauffällig. Nein, zum Mißtrauen bestand kein Anlaß. Dieser Bursche war geradeheraus, blickte ehrlich und offen, ließ an seiner Geschichte nichts aus und fügte ganz offensichtlich auch nichts hinzu. Wieder wurde er an den alten Jonny erinnert, den sie schweren Herzens der See übergeben hatten. „Trinken wir noch einen“, sagte Pablo und bestellte beim Watschelmann noch eine Flasche. „Die bezahle ich, für meine Rettung oder jedenfalls für meine vorläufige Rettung.“ „Was heißt hier vorläufige Rettung?“ fragte der rothaarige Ferris Tucker, aber dann wurde er doch nachdenklich. Pablo nickte bitter. „Ja“, sagte er langgezogen, „Sie wissen schon, was ich meine, Schiffszimmermann. Mit einem Boot kann ich Tortuga vorerst nicht verlassen, da haben sich ein paar Halunken einen Spaß bereitet und ein Leck hineingeschlagen. Wenn ihr weg seid, kann ich mir an den Fingern abzählen, was geschieht. Die Kerle lauern doch auf mich, die warten nur darauf, mich umzubringen, denn schließlich wollen sie ihre sogenannte Ehre wiederherstellen.“ Dann blickte er den Seewolf an. „Nehmen Sie sich vor dieser Bande in acht, Sir. Die werden sich nicht scheuen, auch Sie zu überfallen, sobald sich eine günstige Gelegenheit bietet. Dieser Don
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Bosco reißt sich alles unter den Nagel, was er kriegen kann. Ich bin sicher, daß so ein schnelles und rankes Schiff es ihm längst angetan hat. Er weiß mit Sicherheit, daß Sie hier liegen.“ „Darauf warte ich schon die ganze Zeit“, sagte Hasard. „Aber bisher hat sich noch niemand an uns herangetraut.“ „Das muß nichts zu bedeuten haben, Sir. Don Bosco kann Sie auch auf See abfangen oder in dem Augenblick, in dem Sie auslaufen.“ „Wir werden schon aufpassen. Aber trotzdem vielen Dank für die Warnung.“ Die Flasche wurde gebracht, dann hoben sie die Becher, und Pablo erzählte ein wenig aus seinem Leben, als Hasard ihn darum bat. Jetzt wußten sie schon mehr über ihn. Sein Vater war Engländer, seine Mutter eine spanische Guantanamera, und er selbst nannte sich lachend einen anglospanischen Bastard. Pablo war vierundzwanzig, wirkte aber etwas älter. Seinen Vater habe er nie gekannt, seine Mutter sei bei einem Überfall vor vier Jahren ums Leben gekommen, erzählte er. Die Flasche bezahlte er mit seinem letzten Geld, und dann hörte er schweigend zu, als die anderen erzählten. In der Kneipe war es still, die meisten hatten sich verdrückt. Nach einer Weile erschien Diego, brachte zwei neue Flaschen und fragte, ob er sich setzen dürfe. Natürlich durfte er, und als Pablo einmal nicht zuhörte und sich mit Dan O’Flynn unterhielt, fragte der Seewolf: „Kennen Sie den Burschen, Diego?“ „Nein“, sagte Diego, und das entsprach der Wahrheit. „Ich habe ihn noch nicht gesehen oder ihm zumindest keine Beachtung geschenkt. Die Kerle haben ihn ganz schön verprügelt.“ „Er macht einen ehrlichen und aufrichtigen Eindruck“, sagte Hasard grübelnd. „Ich überlege, ob ich ihm nicht eine Heuer auf meinem Schiff anbieten soll.“ „Ich glaube, den Mann können Sie unbesorgt nehmen, Sir. Ich kann mich nicht für ihn verbürgen, aber wenn ich an
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die anderen Beutelschneider und Schnapphähne hier denke, dann tanzt er ganz gewaltig aus der Reihe und hebt sich deutlich von dieser Brut ab. Das soll aber wirklich keine Empfehlung sein, Sir. Ich sage nur, was ich an Ihrer Stelle tun würde.“ Etwas später schlurfte Diego wieder an die Theke zurück, und Hasard hatte ein kleines Problem am Hals. Angenommen, so überlegte er, der Mann würde wirklich auf der „Isabella“ mustern. Einen guten Mann konnten sie gebrauchen, aber bisher hatte sich der Richtige noch nicht gefunden, oder es hatte unerwartete Komplikationen gegeben. Heuerte Pablo aber wirklich an, und sie segelten anschließend zur Schlangen-Insel, dann kannte auch er das Geheimnis, und das war etwas, was Hasard mit anderen nicht gern teilen wollte. Dazu kannte er den Mann zu wenig, obwohl er nicht mehr das leiseste Mißtrauen gegen ihn hegte. Aber Pablo war fürs erste ein Fremder, er würde von den Schätzen erfahren und von dem, was sich auf der Schlangen-Insel so alles tat. Er würde erfahren, wie man das Höllenriff durchsegelte und noch einiges mehr. Sollte dieser Mann aus irgendeinem Grund jemals plaudern, dann hatte das unabsehbare Folgen, nicht nur für die Bewohner der Schlangen-Insel, den Wikinger, die Rote Korsarin und Jean Ribault. „Verzeihung, Sir, Sie sind so nachdenklich“, sagte Pablo. „Kann ich Ihnen vielleicht helfen, haben Sie ein Problem?“ „Nein“, sagte Hasard lachend, „Probleme sind da, um gelöst zu werden. Ich überlege gerade, was aus Ihnen wird.“ „Nichts mehr, Sir“, sagte Pablo einfach. „Mein nächster Weg führt über die Rutsche, und später fressen mich die Haie. Aber zuvor werden noch ein paar Bastarde über die Klinge springen, ehe ich gehen werde.“ „Darüber sprechen wir noch“, sagte Hasard. „Auch das Problem wird sich lösen lassen, denke ich.“
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Er stand auf und winkte dem Profos mit den Augen, ihm zu folgen. „Ich muß auch mal, Sir“, sagte Ed verstehend. Vor der Kneipe befand sich niemand. Die kleine Straße lag wie ausgestorben da, nur um die Lampe, die leicht im Wind schaukelte und den Eingang beleuchtete, hatten sich Mücken geschart und tanzten ihren nächtlichen Tanz. Hasard vergewisserte sich noch einmal, ob keine Lauscher in der Nähe waren, aber er sah niemanden. Und auflauern tat Pablo anscheinend auch keiner, aber das war noch nicht bewiesen. Sie konnten an einer anderen Ecke auf ihn warten. „Was hältst du von dem Mann, Ed?“ fragte der Seewolf. „Dazu kenne ich ihn zuwenig“, sagte Ed. „Aber mein erster Eindruck ist nicht schlecht. Ich glaube, man kann ihm vertrauen. Nur, ich – äh ...“ „Welche Bedenken hast du?“ „Keine“, versicherte der Profos. „Er hat sich nur zu leicht in die Mangel nehmen lassen. Ich hätte wie ein Wahnsinniger auf die Kerle eingestochen und nicht so viele Prügel kassiert.“ „Du darfst nicht immer von dir ausgehen. Der Mann ist vielleicht kein erfahrener Kämpfer, und gegen die Übermacht hatte er allein nicht die geringste Aussicht, zu bestehen. Sind das alle Bedenken, die du hast?“ „Ja”, gab Ed freimütig zu. „Sonst ist er ein armer Hund, offen, ehrlich, geradeheraus. Willst du ihn anheuern, Sir?“ „Vielleicht. Wenn wir ihn nicht mitnehmen, blasen sie ihm das Lebenslicht aus, und einen neuen Mann könnten wir gut an Bord gebrauchen, denke ich.“ „Wenn du mich fragst, Sir, ich bin einverstanden. Ich verlasse mich auf meine Menschenkenntnis.“ „An der bin ich schon ein paarmal gescheitert“, gab Hasard zu. „Ich denke da nur an einige Kerle aus unserer damaligen Mannschaft, die uns beklaut und verraten haben, obwohl wir ihnen vertrauten.“ „Die Mannschaft hat sich selbst reingewaschen, Sir. Die wurde im Lauf der Zeit geläutert, gesiebt, sortiert und
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gedroschen, bis auch der letzte Dreck raus war. Wenn das Kerlchen auch nur einmal aufmucken sollte, dann kante ich ihn ab, und er geht erbarmungslos über Stag.“ „Du meinst also, wir sollten es versuchen?“ „Ich bin dafür“, sagte der Profos schlicht. „Und wie ich Ferris, Dan und Matt kenne, haben die auch nichts an ihm auszusetzen. Fragt sich nur, ob er überhaupt anheuern will.“ „Das werden wir ja gleich wissen.“ Sie gingen wieder hinein und nahmen Platz. * Hasard fackelte nicht lange, er liebte klare Entscheidungen und wollte es endlich wissen. „Sie haben nichts mehr zu verlieren. Pablo“, sagte er. „Wenn Sie also wollen, dann können Sie bei mir anheuern.“ Pablo fuhr herum und sah den Seewolf aus großen verwunderten Augen fassungslos an. „Ist das Ihr Ernst, Sir?“ fragte er heiser. „Ich pflege nicht zu scherzen.“ „Aber - Sir - ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Das hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt. Aber ich fürchte, ich bin nicht der richtige Mann für Sie. Wenn ich Ihre Leute so sehe, dann sehe ich harte, unbeugsame Männer, und gegen die bin ich nur ein kleiner Scheißer. Verzeihen Sie bitte den Ausdruck, Sir.“ „Aus manch kleinem Scheißer ist schon ein großer geworden“, sagte Ed grinsend. „Nun entscheide dich, der Kapitän wartet nicht gern lange auf Antwort.“ Pablo schlug mit leuchtenden Augen ein, als der Seewolf ihm die Hand hinhielt. Zwar sah er noch ein wenig teigig und vermatscht aus, aber das waren Äußerlichkeiten, die nicht zählten. Stolz leuchtete in seinen Augen, unbändiger Stolz, zu einer solchen Crew zählen zu dürfen. Er gab jedem die Hand, gerührt und voller Dankbarkeit, bis der Profos abwinkte. „Du mußt aber gleich deinen Einstand bezahlen, Pablo“, sagte er, „auch wenn du
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keinen lausigen Copper mehr in der Tasche hast. Das geht dann auf Vorschuß.“ „Aye, aye, Sir!“ brüllte der anglospanische Bastard freudig. Damit hatten sie sich die Pest an Bord geholt, aber das ahnte natürlich keiner. „Und noch etwas“, sagte der Profos ernst. „Bei uns herrschen Sauberkeit, Ehrlichkeit, Kameradschaft durch dick und dünn. Da wird nicht gemotzt und nicht gemeckert, das wollte ich dir noch klarieren. Und wer nicht pariert, dem ziehe ich persönlich die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch.“ „Aye, Sir, das habe ich verstanden. Ich verspreche feierlich, mich mit allen Kräften einzusetzen.“ Noch eine Buddel wurde geleert, dann mahnte der Seewolf zum Aufbruch, und sie verabschiedeten sich von Diego. „Wo liegt Ihr Boot, Pablo?“ fragte der Seewolf. Der Neue zeigte in die Dunkelheit. „Dort drüben, Sir, aber es ist beschädigt.“ „Haben Sie noch Sachen an Bord?“ „Ein paar Kleinigkeiten, falls man mir die nicht inzwischen geklaut hat“, sagte Pablo. „Gut. Mister Carberry und Dan O’Flynn werden Sie begleiten, falls doch noch ein paar Kerle herumlungern. Holen Sie ihre Sachen, und gehen Sie dann umgehend an Bord.“ „Aye, aye, Sir, und vielen Dank.“ Pablo hatte die Wahrheit gesprochen, wie Ed feststellte oder festzustellen glaubte, denn das Boot existierte wirklich, und es wies auch beträchtliche Beschädigungen auf. Als sie ganz in der Nähe waren, lösten sich ein paar Gestalten aus der Finsternis und rannten davon. Pablo grinste sich eins. Die Vorarbeit war geleistet, und es klappte alles wie am Schnürchen. Das mußte einfach echt wirken, das nahm jeder ab. Don Bosco hatte da etwas ausgebrütet, was tatsächlich Hand und Fuß hatte und geradezu genial eingefädelt war. Da war nichts dem Zufall überlassen worden, da ging alles nahtlos ineinander über.
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Er lachte bitter auf und blickte in die Dunkelheit. „Sie haben tatsächlich gewartet“, sagte er. „Bis hierher wäre ich gelangt, dann hätte mich der große Master gemustert.“ „Saubande, verdammte!“ schimpfte Ed. „Den Kerlen mußt du ja quer im Magen liegen.“ „Wer Don Boscos Zorn heraufbeschwört“, sagte Pablo. „der kann sich getrost als tot betrachten, auch wenn er noch rumläuft. Aber ich habe das geahnt. Die Kerle sind nur verschwunden, weil sie eine heillose Angst vor euch haben.“ Während Dan O’Flynn angestrengt in die Dunkelheit spähte, tasteten Carberry und Pablo im Boot herum. „Nichts mehr“, sagte Pablo erbittert, „die Halunken haben mir sogar noch den Kompaß geklaut, und auch den Proviant haben sie mitgehen lassen.“ Im Boot fand sich nichts mehr, so angestrengt sie auch suchten. „Dann gehen wir an Bord“, sagte Ed. „Wo nichts zu holen ist, kann man auch nichts mitnehmen. Du hast ja eine Hose, ein Hemd und sogar Schuhe. Das langt, mehr haben wir anderen auch nicht. Und eine zweite Garnitur wird dir unser Segelmacher schon nähen.“ „Trotzdem bin ich der glücklichste Mann auf Erden“, sagte Pablo strahlend. „Es ist, als wäre ich über Nacht zum König gekrönt worden. Ich werde euch das nie vergessen und bin schon auf die anderen Männer. gespannt.“ Von den Seewölfen hatte Pablo anscheinend noch nie etwas gehört, aber die konnte schließlich ja auch nicht jeder kennen. Aber er würde noch genug erfahren mit der Zeit. Etwas später kehrten sie an Bord zurück, und Pablo wurde den Männern vorgestellt, die noch Wache schoben. Er wurde von Ben Brighton, Stenmark, Gary Andrews und Luke Morgan begrüßt. Dann unterhielten sie sich noch ein Weilchen, und etwas später wies Edwin Carberry dem Neuen eine Koje zu. Damit war der Tag beendet. Als Pablo sich
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in der Bunk ausstreckte, grinste er zufrieden vor sich hin. Bald, dachte er, schon bald werden dieses schöne Schiffchen und sein Inhalt einem anderen gehören, und die Kerle werden in Ketten auf der Galeere schmoren. Dann war die Legende vom unbesiegbaren Seewolf zerstört, und kein Hund würde mehr ein Stück Brot von ihm nehmen, wie Don Bosco ganz richtig gesagt hatte. Mit einem zufriedenen Grinsen schlief er ein. Den kleinen Beutel mit dem verheerenden Pulver trug er im Gürtel, den würde kein Mensch bemerken. Damit nahm das Unheil seinen Lauf. * Am anderen Morgen wurde Pablo auch den restlichen Männern vorgestellt, und sie hörten seine Geschichten. Er gab jedem die Hand, hörte sich .den Namen an und versuchte, ihn zu behalten, aber bei so vielen Männern war das nicht einfach. Hasard beobachtete dabei etwas, was ihm auffiel. Als Pablo Batuti, riesigen Neger aus Gambia, die d gab, tat der schwarze Riese das nur widerwillig, sah Pablo kurz in die Augen und schaute dann rasch wieder weg. Auch beim alten. Donegal Daniel O’Flynn wiederholte sich dieser merkwürdige Vorgang, so daß Hasard nach einer Weile beschloß, Batuti aufs Achterdeck kommen zu lassen. Carberry verteilte die Arbeit. Pablo wurde zu den restlichen Arbeiten Ruder eingeteilt und verschwand gleich nach dem morgendlichen Essen nach unten, gefolgt von Ferris Tucker, Big Old Shane und den anderen. „Was ist los mit dir, Batuti?“ fragte Hasard den schwarzen Mann. „Ich habe dich beobachtet, als du Pablo die Hand gabst. Warum tatest du das so widerwillig?“ „Batuti neues Mann nicht mögen, Sir“, sagte der Gambianeger kurz. „Weil er ein zerschlagenes Gesicht hat?“ „Schläge nix machen gute Charakter, Sir. Batuti Mann nicht können leiden.“
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„Warum nicht, zum Teufel?“ „Batuti nicht wissen. Neues Mann nicht mögen“, wiederholte er stur, und das war nicht zu ändern. Batuti konnte das nicht begründen, es war bei dem unverfälschten Naturburschen eine rein instinktive Angelegenheit. Entweder mochte er einen Mann auf Anhieb, oder aber er lehnte ihn spontan ab, und das war bei Pablo der Fall. Der Neger hatte dafür ein ganz besonders feines Gespür. „Und wenn der Mann nun doch in Ordnung ist?“ bohrte Hasard. „Auch wenn in Ordnung, Sir, Batuti mögen trotzdem nicht.“ „Hm, in Ordnung, Batuti. Schick mir mal den alten O’Flynn aufs Achterdeck!“ „Sir Hasard böse auf mich?“ fragte Batuti. Der Seewolf schüttelte ernst den Kopf. „Nein, Batuti, ganz im Gegenteil: Du sagst das, was du denkst, und das schätze ich an dir.“ „Batuti dich auch sehr schätzen, Sir“, sagte der Neger lachend. Etwas später erschien Old O’Flynn auf dem Achterdeck. Er grummelte seinen üblichen Morgengruß und behauptete, sein Holzbein würde ein wenig schmerzen, aber das behauptete er oft, und meist schlug dann das Wetter um. „Was hältst du von dem neuen Mann?“ fragte Hasard. Old O’Flynn war manchmal ein Ekel, er konnte grantig sein oder schrullig, er sah mitunter Geister, Meermänner, nackte Nixen oder drohendes Unheil. Aber er hielt mit der Wahrheit nie hinter dem Berg, und wenn ihm etwas nicht paßte, dann sagte er es, egal, ob die anderen es hören wollten oder nicht. Der Alte lachte kurz auf, aber es war kein gutes Lachen. „Nicht so viel“, sagte er fingerschnippend. „Dem würde ich nicht mal mein Holzbein anvertrauen. Der Kerl würde es glatt im Herd verfeuern, nur um sich die Knochen zu wärmen.“ „Ist das deine ehrliche Meinung?“ fragte Hasard bestürzt. „Möchtest du etwas anderes hören, Sir?“ „Warum lehnst du ihn ab?“
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O’Flynn lehnte sich auf den Handlauf des Schanzkleides. Sein zerknittertes Gesicht kriegte noch mehr Falten, als er nachdenklich in die Ferne starrte. „Weißt du, Sir“, sagte er leise, „manchmal hat man so was einfach im Gefühl und findet keine Erklärung dafür. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe damals Gwens Tod vorausgeahnt, obwohl ich nie darüber gesprochen habe. Wenn ich dir jetzt sage, daß ich nur dunkle Wolken an einem finsteren Horizont sehe, dann kannst du meinetwegen ruhig darüber lachen. Ihr lacht ja sowieso über mich, und wenn es heimlich ist. Aber dieser Kerl legt einen Fluch über die ‚Isabella’, das fühle ich deutlich. Er bringt das Unheil an Bord. Aus diesem Grund lehne ich ihn ab.“ Hasard räusperte sich die Kehle frei. Irgendetwas steckte ihm tief im Hals und schien ihm die Luft abzuschnüren. Für einen kurzen Augenblick zog die Erinnerung blitzartig vorüber. Dann gab er sich einen Ruck. „Du — du hast Gwens Tod geahnt?“ fragte er beklommen. „Ja, das habe ich.“ Hasard wußte, daß der Alte keine Sprüche klopfte, und er hatte mehr als einmal bewiesen, daß sich seine Ahnungen bestätigten. Aber der Seewolf konnte jetzt nicht mehr zurück, denn außer Batuti und dem alten O’Flynn hatte die gesamte Crew für den Neuen gestimmt. „Ach was“. sagte Hasard fast ärgerlich. „Vielleicht siehst du diesmal wirklich nur Gespenster, Donegal. Sieh mal, wie der Bursche arbeitet, der rackert mehr als alle anderen.“ O’Flynn lächelte fein und wissend. „Hast du schon mal einen Neuen gesehen, der am ersten Tag faul und träge herumstand, Sir?“ „Habe ich schon, jawohl“, sagte Hasard, und insgeheim begannen sich bei ihm immer mehr Zweifel zu regen. Aber er wollte das vor sich selbst nicht zugeben. „Du bist der Kapitän“, sagte Donegal. „Du entscheidest.“ „Die Mehrheit entscheidet bei uns“, verbesserte Hasard. „Und die Mehrheit hat
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entschieden. Was würdest du an meiner Stelle jetzt tun?“ „Ich würde ihm in den Arsch treten“, sagte Old O’Flynn drastisch. „Und zwar mit meinem Holzbein, weil mir das andere zu schade ist. Und ich würde ihm so lange in den Arsch treten, bis er hinter dem Horizont verschwunden ist.“ „Das sind recht harte Worte, Donegal.“ „Ich bin auch ein harter alter Knochen, Sir. Und ich habe schon Kerle kennengelernt, die haben sogar die Haie wieder ausgekotzt, weil sie sich den Magen verdorben haben. Bei allem schuldigen Respekt, Sir, zu der Zeit hast du noch auf Arwenack Castle in die Windeln geschissen. Nimm’s mir nicht übel, Sir“, setzte Donegal grummelnd hinzu. „Nein“, sagte Hasard müde, „ich habe heute einen Tag, an dem ich niemanden etwas verüble. So einen richtig beschissenen Tag, weißt du? Da hat man einfach das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Da kotzt einen schon die Sonne an, weil man glaubt, sie gehe im Norden auf.“ „Ja, das kenne ich“, sagte O’Flynn. „Da steckt einem was tief im Hals, und man kriegt es nicht raus. Und man hat vor sich selbst ein schlechtes Gewissen“, setzte er hinzu. Dann humpelte er davon, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Hasard sah ihm lange .nach und fluchte leise und erbittert vor sich hin. Dann ging er nach unten und sah nach dem Ruderblatt. Und ganz unauffällig warf er einen Blick auf Pablo. Der lächelte ihn glücklich an, zufrieden, eine neue Heimat gefunden -zu haben. In diesem Lächeln las Hasard einen unausgesprochenen Dank. Pablo dienerte nicht, noch hoch er in sich zusammen, er gestatte sich durch das Lächeln, lediglich seinen Dank kundzutun, und er wußte nicht, daß er den Seewolf damit über alle Maßen verwirrte. Nein, dachte Hasard, er brachte es einfach nicht fertig, sich den Mann vorzuknöpfen, ihm schonungslos zu eröffnen, daß er ein
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verdammter dreckiger Bastard sei und sich zur Hölle scheren möge. Er haderte mit sich selbst, fühlte sich mies und übellaunig und konnte es nicht ändern. Er fand einfach alles zum Kotzen. „Wir werden heute noch fertig, Sir!“ rief Ferris Tucker. „Ich denke, so bis zum späten Nachmittag.“ „Wird auch verdammt Zeit“, sagte Hasard biestig. „Ich dachte schon, ihr seid über der Arbeit eingeschlafen.“ „Aber, Sir“, sagte Ferris erstaunt. „Wir haben bis zum Umfallen geschuftet.“ Leichte Empörung klang in seiner Stimme mit, und er drehte sich zu Carberry um, der den Seewolf entgeistert anstarrte. „Was ist los, Sir?“ fragte Ed verwundert. „Stell keine dämlichen Fragen, Mister Carberry!“ fuhr Hasard ihn an und ließ einen total verdatterten Carberry zurück, der sich ungläubig den Nacken kratzte. „Was ist denn mit Hasard los?“ fragte Smoky leise. „Weiß ich das?“ brüllte Ed. „Manche frühstücken morgens Nägel und kotzen abends einen Amboß aus. Und jetzt tu deine Arbeit, du kalfaterter Zackenbarsch, und stell hier keine dämlichen Fragen!“ Smoky fuhr zusammen, blickte von einem zum anderen und wirkte völlig ratlos. „Na, der Tag fängt ja gut an“, maulte er. „Solch gute Laune muß sich ja schnell auf die anderen übertragen.“ Der Seewolf enterte wieder auf und ging durch die Kuhl. Seine beiden Söhne, Hasard und Philip, tollten mit dem Affen Arwenack herum und veranstalteten ein Gebrüll, in das der Affe mißtönend mit einstimmte. „Wenn hier nicht bald Ruhe herrscht, dann kriegt ihr was hinter die Ohren!“ fuhr er die Zwillinge an. „Laßt den Affen in Ruhe, oder ich sperre euch in die Kammer.“ Die beiden starrten ihn an, als wäre er ein Fremder. Aber sie gehorchten augenblicklich. Hasard ging in seine Kammer und donnerte das Schott hinter sich zu, daß man es durch das ganze Schiff hörte. Die Arwenacks zuckten verstört zusammen und warfen sich vielsagende Blicke zu.
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Nur der alte O’Flynn grinste niederträchtig. „Es ist das Recht eines jeden Kapitäns“, sagte er, „daß er auch mal schlechte Laune hat. Und die habt ihr gefälligst hinzunehmen, ihr Zitteraale.“ „Jetzt fängt der auch noch an zu spinnen“, sagte Ferris Tucker und griff sich an den Kopf. „Mann, wenn wir Tortuga hinter uns haben, schlage ich drei Kreuze, sobald wir wieder auf See sind.“ Hoch über ihm goß sich der Seewolf gerade, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, einen großen Becher voll Rum ein, schwenkte ihn einmal in der Hand und stürzte das Zeug mit einem Zug hinunter. Dann setzte er sich auf den Rand seiner Koje und starrte durch das Bleiglasfenster hinaus. Aber er sah weder die üppige Schönheit der Landschaft noch das tiefblaue Wasser, das an Backbord herüberschimmerte. Sein Blick ging durch alles hindurch und verlor sich in weiter, unbekannter Ferne. So blieb er länger als eine Stunde sitzen und hörte weder das Hämmern noch das Sägen. Er wünschte nur, daß er Tortuga nie angelaufen hätte. Das verdammte Ruder hätte ganz sicher noch bis zur SchlangenInsel gehalten. * Am späten Nachmittag, als die Sonne schon tief im Westen stand und am Horizont kleine Schäfchenwolken schwebten, meldete der Profos, daß die Arbeit abgeschlossen sei. „Wir schwimmen gerade auf, Sir“, sagte er mit leiser, vorsichtiger Stimme. „Die Flut hat ihren Höchststand erreicht.“ Hasard ging in seiner Kammer auf und ab. Die Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt wie seinerzeit Francis Drake, wenn er auf dem Achterdeck auf und ab ging. Aber er ähnelte Francis Drake in keiner Weise, es war nur die gleiche Geste.
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„Na fein“, sagte er. „Dann löst die Leinen, laßt die Lady schwimmen und setzt die Segel.“ „Jetzt gleich, Sir?“ fragte Ed. „Wann denn sonst? Nächste Woche vielleicht? Ich kann die Luft von Tortuga nicht mehr riechen. Hier stinkt es wie auf einem Misthaufen.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Carberry, der nicht gerade glücklich darüber war, nach der Plackerei noch loszusegeln. Auch für die anderen kam die Nachricht völlig überraschend. „Was? Jetzt gleich?“ fragte auch Smoky, als Carberry ihm die Neuigkeit mitteilte. „Es wird ja gleich dunkel.“ „Na und? Bist du noch nie bei Dunkelheit gesegelt, du Qualle? Hopp, hopp, es geht los!“ Der einzige, der sich seine Überraschung nicht anmerken ließ, war Pablo. Aber er fühlte sich in diesem Augenblick hilflos. Damit hatte er natürlich nicht gerechnet. Doch das tat seinem Plan keinen Abbruch. Don Bosco lag irgendwo auf der Lauer, das wußte er, und er würde es schon merken, wenn die „Isabella“ Tortuga verließ. In Gedanken versunken stieß er mit dem Neger zusammen und entschuldigte sich. Batuti knurrte irgendetwas und wollte sich umdrehen. Pablo legte ihm den Arm auf die Schulter, eine Berührung, vor der der Gambianeger sofort zurückwich. „Wohin segeln wir?“ fragte er. Er sah dem schwarzen Riesen in die dunklen Augen und spürte, daß dieser Mann ihn ablehnte, daß er ihn nicht leiden konnte. Eine unterschwellige Gefahr ging von diesem Riesen aus, die deutlich spürbar, aber trotzdem versteckt war. „In Atlantik, ich glauben“, sagte Batuti widerwillig. Dann war der Neue Luft für ihn, denn Batuti wandte sich ab. Aus schmalen Augen sah Pablo ihm nach. Vor dem mußt du auf der Hut sein, dachte er. Der Kerl war eine schlummernde Gefahr, der reagierte mit dem kreatürlichen Instinkt seiner Rasse und roch den Braten schon, noch bevor er auf dem Herd stand.
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Die Taue waren schon gelöst, das Beiboot an Bord genommen, und drei Männer, Blacky, Stenmark und Jeff Bowie, drückten die „Isabella“ vom -Land ab. Aber sie war schon aufgeschwommen, und die drei Männer enterten über die Jakobsleiter wieder auf. „Pablo! Du gehst mit hinauf auf den Großmast“, sagte der Profos, Kennst du dich mit der Arbeit aus?“ „Ja, Mister Carberry, ich bin jahrelang auf einer Galeone gefahren. Beim Aufentern warf Pablo einen Flick nach achtern, wo der Seewolf stand. Am Ruder stand ein breiter, untersetzter Mann mit großen Händen, und der nickte gerade, als der Seewolf ihm Anweisungen gab. Pablo war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, der große schwarzhaarige Mann habe sich in den letzten Stunden irgendwie verändert. Seine Freundlichkeit war wie weggeblasen, er wirkte unwirsch, war auch anscheinend etwas ungeduldig, und alles ging ihm nicht schnell genug. Vielleicht ist das nur Einbildung, dachte Pablo, oder hat der Kerl tatsächlich etwas gemerkt? Alles Quatsch, beruhigte er sich gleich darauf selbst. Wenn der etwas gemerkt hätte, dann wäre es ihm, Pablo, schon sehr dreckig ergangen. Es schien nur so, daß der Seewolf mit sich selbst aus irgendeinem Grund nicht ins reine kam. Carberry beobachtete den Mann beim Segelsetzen und nickte. Schnell und verdammt geschickt war der Bursche, das mußte man ihm lassen, und auch etwas später, als die Nagelbank des Großmastes klariert wurde, da lief alles bei ihm wie am Schnürchen. Er schien wirklich langjährige Erfahrungen hinter sich zu haben, war willig und geschickt. Kurzum, der Profos war mit ihm zufrieden. Die „Isabella“ nahm Fahrt auf, langsam nur, und wollte nicht so richtig aus dem Hafen, doch als der Wind sie packte, zeigte sie ihm die Backbordseite und ließ sich willig vorantreiben. Die Sonne stand jetzt so dicht unter der westlichen Kimm, daß man gerade noch
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einen Hund unter ihr durchjagen konnte, dann begann sie ihren scheinbaren Abstieg ins Meer. Auf dem Achterdeck standen jetzt außer Pete Ballie, dem Rudergänger, nur der Seewolf und Ben Brighton. Ben Brighton hatte die veränderte Stimmung längst bemerkt. Er war nicht der Mann, der alles geduldig und gelassen hinnahm. Er ging einem Übel immer gern an die Wurzel. Aufgrund ihres langjährigen. Zusammenseins konnte er sich daher auch ungeniertes Fragen erlauben. „Ich weiß, daß du äußerst biestige Laune hast, Sir“, begann er, „und davon ist schon das halbe Schiff angesteckt worden. Ich weiß nur nicht, was dich bewegt, denn es ist doch alles in Ordnung.“ „Eben nicht“, sagte Hasard. „Es hat nur den Anschein, als wäre alles in Ordnung. Ich werde das dumme Gefühl nicht los, als hätte ich einen verdammten Fehler begangen.“ Bevor Ben Brighton immer richtig in Fahrt geriet, benötigte er meist einen längeren Anlauf. „Auf was bezieht sich das?“ fragte er dann neugierig. „Ich meine, was hast du falsch getan?“ „Es dreht sich um diesen Pablo, Ben, den Neuen. Ich möchte, daß auf der ‚Isabella’ Ruhe und Frieden herrschen, aber die ganze Stimmung ist irgendwie beim Teufel. Wir sind eine Crew, die immer durch dick und dünn ging, die eisern zusammenhielt, seit die üblen Elemente von Bord sind. Bei uns gab es kaum Schlägereien, der Profos brauchte nicht oder nur sehr selten einzugreifen, und jetzt ist diese Harmonie plötzlich gestört. Die Luft ist dicker geworden, und ich bin schuld daran.“ „Wegen Pablo? Aber der Mann ist doch ganz in Ordnung, soweit man das bis jetzt beurteilen kann. Klar, ein Neuer nach so langer Zeit verändert manches, aber er wird sich schnell einordnen, da bin ich sicher.“ „Zwei Mann lehnen ihn rundweg ab.“ „Ach!“ sagte Ben erstaunt. „Und warum?“
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„Das können sie eben nicht erklären. Sie lehnen ihn rein instinktiv ab, sie mögen ihn nicht.“ „Und wer sind die beiden?“ „Donegal und Batuti.“ „Donegal und Batuti“, wiederholte Ben sinnend. „Ja, und das bedrückt mich. Donegal sagte mir ganz offen, er würde den Kerl so lange in den Hintern treten, bis er hinter dem Horizont verschwände, und Batuti erklärte, er könne ihn einfach nicht leiden.“ „Batuti hat ein feines Gespür für solche Dinge. Aber dir kann man doch nichts vorwerfen, Sir.“ „Mir wirft auch niemand etwas vor, Ben. Die beiden haben auf stur geschaltet und wollen den Neuen nicht, und das muß ich akzeptieren. Das vergiftet mit der Zeit aber auch die Atmosphäre an Bord. Außerdem taucht da noch ein weiteres Problem auf: Wir segeln auf direktem Kurs zur Schlangen-Insel. und darüber habe ich lange und gründlich nachgedacht. Pablo wird vermutlich nicht ewig bei uns an Bord bleiben, wenn zwei Leute aus der Crew ihn ablehnen. Entweder ekeln sie ihn von Bord, oder sie ignorieren ihn ganz einfach. Dann geht er eines Tages vielleicht von selbst mit großer Verbitterung.“ „Jetzt verstehe ich“, sagte Ben. „Er kennt dann die Lage der Schlangen - Insel, weiß über die Schätze Bescheid, kennt das Geheimnis der Passage und was der Dinge mehr sind. Das ist es, was dir Kopfzerbrechen bereitet.“ „Richtig. Ich stehe vor einer Situation, wie sie nur sehr selten aufgetaucht ist, und ich habe diese Situation nicht richtig im Griff. Deshalb bin ich verbiestert.“ „Wenigstens hat sich deine Laune etwas gebessert“, sagte Ben. „Du hast es dir von der Seele geredet.“ „An meinem Problem ändert das nichts.“ „Was können wir dann tun?“ Der Seewolf hob die breiten Schultern und ließ sie wieder sinken. Diese Geste drückte seine ganze Hilflosigkeit aus. „Verdammt, ich kann dir nicht helfen, Sir“, fluchte Ben. „Sollen wir den Kerl wieder an Land jagen? Das würde ja direkt
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lächerlich wirken. Oder sollen wir ihn einsperren, wenn wir die Schlangen-Insel anlaufen, damit er nichts sieht?“ „Nein, das geht natürlich nicht. Die Situation ist beschissen. Ich kann nicht wieder umkehren und Pablo an Land setzen, nur weil Batuti und Donegal seine Nase nicht gefällt. Sieh dir den Kerl doch an, da steht er wie ein Häufchen Unglück mit einem fast traurigen Gesicht herum und fühlt sich ausgesprochen fremd.“ „Die Mehrheit hat entschieden“, sagte Ben. „Mir wäre lieber, die Mehrheit hätte nicht entschieden, sondern es wäre einstimmig ausgegangen, dann wäre alles in Ordnung.“ Darauf wußte Ben nichts zu erwidern, und so blieb er ziemlich ratlos auf dem Achterdeck stehen und grübelte. Die kurze Dämmerung setzte ein. Tortuga war ein buckliger Schatten t den Silhouetten schwarzer Palmen, die sich leise und sanft im lauen Abendwind wiegten. Hasard nahm das Spektiv und zog auseinander. Er blickte zum Hafen, doch da rührte sich nichts. Alles blieb ruhig. „Merkwürdig“, sagte er. „Niemand folgt uns, dabei wimmelt es im Hafen nur so von Piraten. Was ist da los?“ „Die warten noch, bis wir weit ¬genug weg sind“, erwiderte Ben. „Dann werden sie schon die Segel setzen.“ „Bei uns alles gefechtsbereit?“ fragte der Seewolf. „Hat Al Conroy mir schon bestätigt, als wir gerade aus dem Hafen segelten. Die Culverinen sind geladen, Drehbassen klar, und die Abschußgestelle stehen auch bereit.“ Hasard schob das Spektiv wieder zusammen, dann wandte er sich an Dan O’Flynn, der gerade zum Achterdeck aufenterte. „Dan, du gehst ausnahmsweise zum Ausguck in den Großmars heute nacht. Wir brauchen deine Augen, denn es wird sich bald etwas rühren, davon bin ich überzeugt. Bleib so lange oben, wie es geht. Stenmark und Luke sollen sich im anderen Ausguck ablösen. Bill geht wieder an Deck.“
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Er wollte noch hinzufügen, Dan solle die Augen offenhalten, aber das war unnötig. Dan brauchte er das nicht zu sagen, auch den anderen nicht. Dieser zusätzliche Satz war immer überflüssig, er war nur so dahingeredet. „Aye, Sir, ich gehe sofort.“ „Ich glaube eher, daß man uns auf See abzufangen versucht“, sagte Ben Brighton, als Dan seinen Posten bezogen hatte. „Irgendwo in der Nacht werden ein paar Schiffe auf uns lauern.“ „Dazu müßten sie erst unseren Kurs kennen. Niemand weiß, wohin wir segeln.“ „Tortuga besteht aus einem einzigen großen Ohr, Sir, und einer großen Nase, die das riecht, was das Ohr nicht hört.“ „Ja, da ist etwas Wahres dran.“ Dann versandete das Gespräch, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die „Isabella“ segelte weiter in die Nacht hinein. Es war eine laue Nacht. in der der Mond wie ein riesiger rötlichgelber Käse am Himmel hing und farbige Reflexe auf die leichte Dünung zauberte. Es kühlte kaum ab, aber die leichte Brise vertrieb doch die Stauhitze an Deck und erfrischte. Tortuga wurde immer kleiner, als die Seewölfe mit Dreiviertelwind weitersegelten. Die schlechte Laune des Seewolfs hatte sich nach dem Gespräch mit Ben spürbar gebessert. Trotzdem lag etwas über dem Schiff, etwas wie Erwartungsangst, etwas, das sich mit Worten nicht so einfach beschreiben ließ. Es war wie eine Schwefelwolke, die die „Isabella“ unsichtbar auf ihrem Kurs begleitete und sich bei nächstbester Gelegenheit giftig entladen konnte. Die meisten schliefen an Deck, nur einige wenige hatten sich nach unten ins Logis und ihre Bunks verkrochen. Auch Pablo schlief in dieser Nacht an Deck, nicht ohne sich vorher beim Profos zu erkundigen, ob das gestattet sei. „Hier kannst du pennen, wo du willst“, hatte der Profos geantwortet, „nur nicht auf Wache.“ Pablo hatte dankend genickt und bezog seinen Platz ganz in der Nähe des großen Wasserfasses, das auf der Kuhl stand und
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aus dem hin und wieder einer mit der Kelle Wasser schöpfte und trank. Im Morgengrauen gelang es ihm. das Pulver unbemerkt in das Faß zu schütten, als er sich darüber beugte und trank. Damit nahm das Unheil seinen Lauf und der Leidensweg der Seewölfe seinen Anfang. * Nach dem Frühstück, der Kutscher hatte Eier, Mehl und Speck zu einem dicken Papp gerührt, ertönte die Stimme Batutis aus dem Großmars. „Segel achteraus!“ rief der Gambianeger. An der Kimm war ein winziger heller Fleck auf dem Blau des Wassers zu erkennen. Es schien sich um eine winzige Karavelle zu handeln. Sie segelte auf demselben Kurs, und obwohl sie vermutlich schneller als die „Isabella“ lief, segelte sie doch nicht auf. Der Abstand blieb immer gleich, und nach einer weiteren Stunde fiel sie wieder eine Kleinigkeit zurück. „Ein Fühlungshalter“, sagte Hasard trocken. „Damit habe ich gerechnet. Den werden wir so lange im Kielwasser hängen haben, bis der Tanz losgeht. Die anderen kriegen wir spätestens morgen zu sehen, da bin ich ziemlich sicher.“ „Wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten“, versprach Ben. „Und viele dieser Halunken werden es nicht überleben.“ Der Fühlungshalter blieb kleben. Er hing wie ein Brocken Pech an ihnen. Als Hasard einmal den Kurs wechseln ließ, da stellte er fest, daß auch die kleine Karavelle etwas später ihren Kurs änderte. Ein hartes Lächeln lag auf seinen Lippen, als der Fühlungshalter sein Spielchen mit ihnen trieb. Einmal segelte er auf, bis man die Karavelle deutlich erkannte, dann fiel er wieder so weit zurück, daß er nur noch durch das Spektiv zu erkennen war. Vorerst ließ das die Seewölfe noch ziemlich unbeeindruckt, denn nach einer Weile war der Fühlungshalter plötzlich
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vergessen, weil auf der „Isabella“ andere Ereignisse eintraten. Das Frühstück war kräftig gesalzen und gepfeffert gewesen, und dazu hatte es Maisbrot gegeben. Die ganz natürliche Folge war, daß fast jeder Durst verspürte. Pablo ließ sich nichts anmerken, es wurmte ihn nur, daß ausgerechnet die beiden Söhne des Seewolfs als erste an das Faß marschierten. Er kannte die Wirkung des Pulvers, das aus einer Lianenart auf Hispaniola gewonnen wurde. Nach dem Genuß des Wassers trat der Effekt etwa eine gute halbe Stunde später auf. Dann verfiel der Körper des Menschen in eine Starre, es folgten krampfartige Zuckungen, Blauverfärbung der Haut und hohes Fieber. Diese Wirkung hielt je nach Dosierung bis zu zwanzig Stunden an, und die Dosierung hatte Pablo recht großzügig bemessen, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Bisher hatte alles ganz präzise geklappt. Der Fühlungshalter war da, und wenn die Seewölfe erst einmal flach auf den Planken lagen, dann hatte er nichts weiter zu tun, als einen kleinen Lappen, egal welcher Farbe, am Mast hochzuziehen, um damit zu signalisieren, daß alles nach Plan verlaufen sei. Dann konnte das Schiff übernommen werden, ohne daß ein einziger Tropfen Blut floß. Wenn die Seewölfe später aus ihrer Starre erwachten, dann befanden sie sich entweder in einem der Schlupfwinkel, oder sie saßen angeschmiedet auf den Bänken der Galeere. Alles war nur noch eine Frage der Zeit. Trinken würde jeder, und die Wirkung überstand keiner von ihnen, mochte er auch noch so eine gute Kondition haben. Auch Pablo würde so tun, als tränke er, um keinen Verdacht zu erregen, und er würde sich auch später gehorsam auf die Planken legen und e Rolle bis zum Ende durchspielen. Die Zwillinge schnappten sich die Kelle, dann riß sie einer übermütig dem anderen aus der Hand, und einer der Lümmel, die Pablo nicht voneinander unterscheiden konnte, trank die Kelle leer. Er schöpfte
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gleich noch einmal, dann war der andere an der Reihe, und dieses Bürschchen trank nicht, es soff das Wasser gleich literweise in sich hinein. Pablo registrierte das ohne Bedauern und mit einem wohlwollenden, freundlichen Gesichtsausdruck. Na, die kleinen Bastarde waren so gut wie erledigt, und zum Schein marschierte auch er um Wasserfaß. Aber der Kerl mit der Hakenprothese an der rechten Hand stand auch schon da. Er grinste Pablo an und wollte ihm die Kelle reichen. „Nein“, sagte Pablo freundlich, „du zuerst, David, so heißt du doch, oder habe ich das falsch verstanden?“ „Davies ist mein Nachname, mit Vornamen heiße ich Matt“, sagte der Mann mit dem blitzenden Haken. „Ach, so ein kühler Schluck tut gut, jetzt ist das Wasser noch kühl und frisch, gegen Mittag wird es dann fast lauwarm.“ Pablo lächelte ihm freundlich zu, sah, wie Matt Davies in durstigen Zügen trank, und griff dann selbst zur Kelle. Niemand beobachtete ihn, niemand sah, daß er die Kelle gar nicht füllte, er tat nur so, als habe er großen Durst. Ein paar Wassertropfen rannen ihm noch über das Kinn: Dann wartete er, und immer wieder warf er den Zwillingen einen heimlichen Blick zu. Der alte Mann, er war wohl der Segelmacher an Bord und zweifelsfrei der Älteste, wie Pablo schätzte, trank als nächster. Ihm folgten der rothaarige Schiffszimmermann und anschließend der junge Bill, den Pablo knapp über zwanzig Jahre schätzte. Noch schien keiner etwas zu spüren. Die Zwillinge halfen dem. Rothaarigen dabei, beschädigte Planken vom Ruder in schmale Latten zu sägen. Das nahm sie eine ganze Weile in Anspruch, und als es vom Achterdeck einmal glaste, war immer noch keine Wirkung eingetreten. Pablo begann unruhig zu werden. Hatte er die Dosis vielleicht doch zu knapp bemessen? Aber das konnte nicht sein.
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Don Bosco hatte das Zeug schon an Gefangenen ausprobiert, und es hatte immer geklappt. Er schielte nach dem Fühlungshalter, der wieder an der Kimm erschienen und als heller Fleck zu sehen war. Dann ging alles sehr rasch. Ferris Tucker starrte den einen Zwilling an, der sich plötzlich zusammenkrampfte und den Bauch hielt. „Was ist los?“ fragte der Schiffszimmermann. Im ersten Augenblick glaubte er, die beiden hätten wieder eins ihrer miesen Spielchen ausgeheckt, mit denen sie die Crew auf den Arm nahmen. „Mir ist schlecht“, sagte Hasard. Wie auf Kommando krümmte sich auch Philip zusammen. „Dir ist wohl auch schlecht, was?“ fragte Tucker ironisch. „Ich – ich habe Schmerzen“, sagte Philip leise und beugte sich noch weiter vor. „Klar, ihr kotzt immer im Duett. Aber heute müßt ihr euch einen Dümmeren suchen. Versucht es doch mal mit dem Neuen, der kennt eure lausigen Witze noch nicht.“ Daß einem schlecht wurde, nahm Ferris Tucker ja noch hin, aber daß dem anderen dann nichts Besseres einfiel, als die gleiche Tour abzuziehen, das nahm er ihnen nicht ab, und so grinste er nur still vor sich hin. Pablo trat näher und erkundigte sich teilnahmsvoll: „Was ist denn mit euch los? Habt ihr Schmerzen?“ Sie konnten kaum noch antworten. Ihre Gesichter wirkten total verkrampft, auf ihrer Stirn erschienen feine Schweißperlen, und der eine Bengel legte sich bereits auf die Planken. „Das ist der übliche Blödsinn“, sagte „Darauf fällt bei uns keiner mehr rein.“ „Nein, Mister Tucker“, sagte Pablo sehr bestimmt. „Die Jungen markieren nicht, die haben tatsächlich etwas. Das sieht ganz nach Krämpfen aus.“ Als Ferris jetzt die schweißüberströmten Gesichter sah, fuhr ihm doch der Schreck in die Knochen. Nein, so konnte keiner markieren, das gab es nicht, die Kerlchen hatten wahnsinnige Schmerzen.
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Der Seewolf, der das alles mit angesehen hatte, verließ das Achterdeck und durchquerte mit raschen Schritten die Kuhl. bis er vor den beiden stand, die jetzt wimmernd auf den Planken lagen. „Was ist passiert?“ fragte er kurz. Alle waren erstaunt und verwundert, und so konnte Ferris die Frage nicht beantworten. Auch Pablo gab sich ganz den Anschein hilfloser Unwissenheit. „Kutscher!“ brüllte der Seewolf. „Auf die Kuhl!“ Er hob den jungen Hasard auf und stellte entsetzt fest, daß dem Jungen Schweißbäche über das Gesicht liefen. Seine Stirn war glühend heiß. sein Atem ging keuchend. „Himmel noch mal!“ fluchte der Seewolf. „Was ist denn hier passiert? Was, zum Teufel?“ Der Kutscher erschien, während die anderen Männer stumm und entsetzt um die beiden Jungen herumstanden. Der hagere Kutscher untersuchte sie, wirkte völlig ratlos und wusste nicht, was er tun sollte. Ebenso hilflos mußte er mit ansehen, wie die Körper der Jungen seltsam starr wurden, dann wieder bogen sie sich durch und wurden von heftigen Krämpfen geschüttelt. Der Seewolf stand erschüttert daneben. „Verdammt, Kutscher!“ schrie er unbeherrscht. „Tu etwas. Du wirst doch wissen, was zu tun ist!“ Himmel, dachte er, fing diese Reise beschissen an. Der Teufel persönlich schien sich auf dem Schiff eingenistet zu haben. Der Teufel? Er warf einen undefinierbaren Blick auf Pablo, der mit besorgtem Gesicht ebenso hilflos daneben stand und nicht wußte, wie er sich verhalten sollte. „Sir, das ist vielleicht eine Seuche“, sagte er entsetzt. Hasard schien ihn nicht zu hören. Er rüttelte seinen ältesten Sohn an der Schulter, der immer heftiger zuckte. Der Kutscher rannte zur Kombüse, kehrte mit seiner Arzneikiste zurück und rieb die
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Gesichter der Jungen mit hellbrauner Flüssigkeit ein. Seine Hände zitterten vor Aufregung. „Verdammt noch mal, ich kann nichts feststellen!“ Er kreischte fast vor hilfloser Wut, während Hasard mit steinernem Gesichtsausdruck daneben stand. In diesem Augenblick verzog Matt Davies das Gesicht und krümmte sich zusammen, als hätte er einen Schlag in den Magen erhalten. Er stieß einen dumpfen Laut aus, dann wurde sein Gesicht zu einer schrecklich verzogenen Fratze. Gleich darauf krümmte er sich noch stärker zusammen, fiel mit den Knien auf die Planken und stützte sich auf seine Hakenprothese. Der Seewolf fuhr herum. „Matt!“ schrie er. Aber Matt Davies gab keine Antwort. Schaum stand vor seinen Lippen, er röchelte leise. „Ich krieg keine Luft“, stammelte er heiser. Dann konnte er sich nicht mehr auf den Knien halten und fiel um. Sein Körper war wie ein Bogen gekrümmt. Auf der „Isabella“ war im Nu der Teufel los. Außer Pete Ballie, der am Ruder stand, eilten alle zur Kuhl und umringten die Gestalten, die da schmerzverkrümmt auf den Planken lagen. „Was kann das sein?“ fragte Hasard immer wieder. Dem Kutscher kam eine Idee. „Das Frühstück“, sagte er. „Vielleicht haben uns die Halunken auf Tortuga giftiges Mehl verkauft. Oder im Speck war etwas.“ „Das kann nicht sein“, sagte Hasard. „Wir haben es über Diego bezogen, aber du kannst recht haben, Kutscher, vielleicht ist doch etwas mit dem Proviant nicht in Ordnung.“‘ Der Kutscher lag mit seinem Verdacht ziemlich nahe an der Wahrheit, aber an das Trinkwasser dachte niemand. Alle hatten sich jetzt die Theorie zu eigen gemacht, daß jemand heimlich die Lebensmittel vergiftet hätte, denn dieser Gedanke war gar nicht einmal so abwegig. Hatten die Halunken auf Tortuga deshalb so
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stillgehalten und ständig vor sich hin gegrinst? Hasard glaubte das fast mit Sicherheit, aber jetzt wurde der Kutscher aktiv. „Holt den Essig aus der Last!“ brüllte er. „Los, beeilt euch, es ist höchste Zeit.“ „Was willst du mit dem Essig?“ fragte Hasard. „Einflößen natürlich, jede Menge davon, so lange, bis sie das verdammte Zeug wieder ausbrechen. Mehr kann ich leider nicht tun, meine Grenzen sind erreicht.“ Der Essig wurde gebracht, und der Kutscher goß ihn den Zwillingen in die Münder, gab aber acht, daß sie das Zeug nicht in die Luftröhre kriegten und daran erstickten. Dazu beutelte er sie durch und bewegte sie hin und her. Jetzt sah Pablo seine große Stunde gekommen. Er stieß einen wimmernden Laut aus, krümmte sich ebenfalls zusammen und hielt sich die Hände vor den Bauch. Hasard ergriff die Essigkruke, und während Pablo noch den Mund aufriß, goß er ihm die Brühe hinein. Pablo schluckte und schluckte, bis es nicht mehr ging, dann raffte er sich mit letzter Kraft auf, hängte sich ans Schanzkleid und gab den ganzen Segen brüllend und laut stöhnend wieder von sich. Aber sicherheitshalber legte er sich danach erschöpft auf die Planken, verkrümmte sich und gab wimmernde Laute von sich. Der nächste, den es erwischte, war Ferris Tucker. Eben hatte er noch besorgt auf die anderen geblickt, da war ihm, als hätte ihn ein Hammer getroffen. Ausgerechnet bei ihm, diesem Bullen an Kraft und Stärke, schlug es wie ein Blitz ein. Es fällte ihn, und noch bevor er einen Laut ausstoßen konnte, lag er rücklings auf den Planken. An Bord ging das Grauen um, und als Hasard sich umdrehte, sah er in den runzelige, verknitterte Gesicht des alten O’Flynn. Er glaubte, seine Stimme wie eine riesige Glocke über das Deck hallen zu hören.
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„Aber dieser Kerl legt einen Fluch über die ‚Isabella’, das fühle ich deutlich. Er bringt das Unheil an Bord!“ Er sah O’Flynn wie einen Propheten dastehen, den knöchernen Zeigefinger belehrend in die Höhe gestreckt, und seine Stimme hallte immer noch seltsam hohl über das Schiff. Erst nach und nach schien sie sich wie ein Echo in weiter Ferne zu verlieren. Gehetzt sah der Seewolf sich um. Das Segel an der Kimm wurde größer, das Unheil nahte, und er konnte sich ausmalen, was die Piraten ausgeheckt hatten. Durch irgendeinen Umstand war es ihnen gelungen, Lebensmittel zu vergiften, unbemerkt, in einem unbewachten Augenblick vielleicht, als niemand damit gerechnet hatte. Jetzt lauerten sie auf ihre Beute, und diese Beute war willenlos, erledigt, wehrlos oder vielleicht schon tot. Sie konnten die „Isabella“ wie eine flügellahme Ente abschießen, in Brand setzen, entern oder was immer sie wollten. Vor Hasards Augen verschwamm alles, als er sich die Folgen überlegte. Aber daran hatte Pablo keine Schuld, auch wenn der alte O’Flynn das zehnmal behauptete, daß mit ihm ein Fluch an Bord gekommen sei. Denn Pablo hatte es genauso erwischt wie die anderen auch, und er lag immer noch zusammengekrümmt und wie leblos dicht am Schanzkleid, nachdem er sich heftig erbrochen hatte. Er sah noch mehr, und das alles mutete wie ein Alptraum an. Der alte Segelmacher Will Thorne brach röchelnd und nach Atem ringend zusammen. Der Kutscher flößte auch ihm sofort Essig ein, damit er das vermeintliche Gift wieder erbrechen konnte. Pablo hielt die Augen geschlossen und war mit der Entwicklung der Dinge mehr als zufrieden. Sie fallen um wie die Fliegen, dachte er, und wieder einmal bewunderte er Don Bosco, der auch dem Seewolf überlegen war. Und die Sache mit dem Essig war ohnehin nur ein Witz. Wenn das Lähmungsgift erst
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einmal im Blut war, dann half nichts mehr, dann nutzten auch ganze Fässer voller Essig nichts. Aus schmalen Augen sah er den letzten zusammenbrechen. Das war der junge Kerl, den sie Bill nannten. Er rannte über das Deck, sprang auf die Gräting, und mitten im Lauf schien er von einer unsichtbaren Peitsche getroffen zu werden, denn auch er hielt sich mit einem Aufschrei die Hände vor den Bauch und brach zusammen. Auf der Kuhlgräting blieb er liegen und rührte sich nicht mehr. „Essig für die Leute!“ rief Hasard in seiner Hilflosigkeit. „Alle sollen davon trinken — so lange, bis sie sich die Seele aus dem Leib kotzen.“ Und sie tranken gehorsam und voller Angst die saure Brühe, und die meisten hatten schon jetzt gelblich verfärbte Gesichter vor Angst, ebenfalls gleich an Deck zu liegen wie die anderen. Hasard selbst spürte noch keinen Schmerz, auch der Profos und die meisten anderen
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standen noch aufrecht, aber das konnte sich schon sehr bald ändern. Dann beging der Kutscher in seiner Unwissenheit einen weiteren Fehler. Er empfahl, nach der Essigbrühe soviel Wasser zu trinken, wie jeder eben gerade noch vertrug, damit das im Körper befindliche Gift sich weiter verdünne. Doch in der Angst, die an Bord herrschte, gingen seine Worte hoffnungslos unter, und zum Glück tranken nur noch zwei Männer in langen, gierigen Zügen. Hasard aber starrte mit brennenden Augen an Deck. Die „Isabella“ sah aus wie ein Totenschiff. In der Kuhl, auf der Gräting, neben dem Schanzkleid, überall lagen bewußtlose Männer, deren Gesichter sich nach dem anfänglichen Schweißausbruch bläulich verfärbten. Das Grauen ging um, und niemand konnte ihm ausweichen. Keiner wußte, wann er an der Reihe war. Totenstille breitete sich aus...
ENDE