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Sir Henry Rider Haggard (1856-1925), einer der bedeutendsten englischen Erzähler der Jahrhundertwende, gehört zu den Klassikern des phantastischen Abenteuerromans. Seine exotischen und farbenprächtigen Fantasy-Epen spielen vornehmlich im dunklen Herzen Afrikas, das zu jener Zeit noch weitgehend unerforscht und von wilden Völkerschaften bewohnt war und Raum bot für Spekulationen über geheimnisvolle unentdeckte Reiche und legendäre uralte Zivilisationen. Bambatse ist eine Felsenfestung in Südostafrika. Eine Gruppe portugiesischer Siedler und Missionare, vor den Eingeborenen auf der Flucht Richtung Küste, wurde dort eingeschlossen und völlig aufgerieben. Um den Gegnern nicht in die Hände zu fallen, hatte sich seinerzeit eine junge Portugiesin von den Felsen in den Fluß gestürzt. Der Geist dieses Mädchens erscheint zuweilen über der Festungsruine, und die Sage berichtet, daß er einen ungeheuren Schatz an Diamanten bewache, den die Portugiesen mit sich führten und auf Bambatse versteckten. Mr. Clifford, ein alter Engländer, seine Tochter Benita Beatrix und ein junger Mann namens Jacob Meyer brechen auf, um diesen Schatz zu suchen. Sie sind überzeugt, die ebenso mißtrauischen wie abergläubischen Eingeborenen übertölpeln zu können. Jacob Meyer glaubt nicht an Geister, aber er ist ein Besessener, der über Leichen geht, um an das Vermögen heranzukommen.
Von Henry Rider Haggard erschienen in gleicher Ausstattung in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: Sie · 06/4130 Allan Quatermain · 06/4131 Ayesha – Sie kehrt zurück · 06/4133 Sie und Allan · 06/4133 König Salomons Diamanten · 06/4134 Die heilige Blume · 06/4135 Das Halsband des Wanderers · 06/4136 Tochter der Weisheit · 06/4137 Das Sehnen der Welt · 06/4138 Morgenstern · 06/4146 Als die Welt erbebte · 06/4147 Das Nebelvolk · 06/4148 Das Herz der Welt · 06/4149 Kleopatra · 06/4310 Der Geist von Bambatse · 06/4311 Allan Quatermain der Jäger · 06/4367 Allan Quatermain und die Eisgötter · 06/4368 Weitere Ausgaben sind in Vorbereitung.
HENRY RIDER HAGGARD
Der Geist von Bambatse Fantasy Roman 15. Band der Haggard-Ausgabe Mit den Illustrationen der Originalausgabe, einem Vorwort von Alvin F. Germeshausen und einem Nachwort von Bernhard Heere
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/4311
Titel der englischen Originalausgabe BENITA Titel der amerikanischen Ausgabe THE SPIRIT OF BAMBATSE Deutsche Übersetzung von Hans Maeter Das Umschlagbild schuf Vicente Segrelles/Norma
Redaktion: Wolfgang Jeschke Die Erstausgabe des Romans erschien als Fortsetzung in der Zeitschrift »Cassell's Magazine« zwischen Dezember 1905 und Mai 1906; im September 1906 als Buch im Verlag Cassell, London, (entgegen dem Wunsch des Autors, der »The Spirit of Bambatse« bevorzugt hätte) unter dem Titel »Benita«; die gleichzeitig erscheinende amerikanische Ausgabe im Verlag Longmans, Green, New York, trug den Titel »The Spirit of Bambatse« Copyright © 1986 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Copyright © 1979 des Vorworts by Alvin F. Germeshausen Copyright © 1986 des Nachworts by Bernhard Heere Printed in Germany 1986 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: Schaber, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-31341-0
INHALT Henry Rider Haggard: ein Meister des Fantasy-Romans Eine Einführung von Alvin F. Germeshausen ...... 7 Anmerkung des Autors .......................................... 18 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Geständnisse ................................................... Das Ende der ›Zanzibar‹ ................................ Wie Robert an Land gelangte ........................ Mr. Clifford ..................................................... Jacob Meyer ..................................................... Die Goldmünze ............................................... Die Boten ......................................................... Bambatse .......................................................... Der Schwur Madunas ..................................... Der Berggipfel ................................................. Die Schläfer in der Höhle ............................... Der Beginn der Suche ..................................... Benita plant die Flucht ................................... Die Flucht ........................................................ Die Verfolgung ................................................ Wieder in Bambatse ........................................ Das erste Experiment ...................................... Die andere Benita ............................................ Das Erwachen ................................................. Jacob Meyer sieht einen Geist ........................ Die Botschaft der Toten .................................. Die Stimme der Lebenden .............................. Benita gibt ihre Antwort ................................ Das echte Gold ................................................
20 36 50 63 78 91 104 118 134 147 161 174 187 201 213 226 239 251 266 279 292 306 320 334
Ruinen, Rätsel und ein Okkultist ... Nachwort von Bernhard Heere ..................... 350
Henry Rider Haggard: ein Meister des Fantasy-Romans Eine Einführung von Alvin F. Germeshausen »Manche singen von Alexander und manche von Herkules, von Hektor und Lysander und anderen solch großen Namen.« Ich jedoch habe die angenehme Aufgabe, die vielfachen Qualitäten Henry Rider Haggards zu preisen, einen unübertrefflichen Fürsten des Abenteuers und der Fantasy. Meine erste Bekanntschaft mit dem mächtigen Strom seiner Schöpferkraft datiert von dem Zeitpunkt, als ich ein zerlesenes Exemplar von She in der öffentlichen Bücherei von Oakland entdeckte. Danach folgte die Lektüre über die Taten des unbezwingbaren Umslopogaas in Hearsts »American Weekly«, deren Eindruck durch lebensnahe, vielleicht etwas unheimliche Illustrationen zu einem anderen Buch H. Rider Haggards, Nada the Lily, ergänzt wurde. Später folgten King Solomon's Mines und andere Thriller. Unglücklicherweise wurde mein knospender literarischer Geschmack sowohl zu Hause als auch in der Schule vehement mißbilligt. Mir wurde energisch klargemacht, daß Stevenson und Dumas ›Klassiker‹ seien, Haggard jedoch nur Unterhaltungsromane ohne bleibenden Wert schriebe. Dem habe ich damals widersprochen und bin bis heute bei diesem Widerspruch geblieben und bedaure, daß man diesen Mei-
ster in Büchern über Literatur mit einem großen ›L‹ lediglich in Fußnoten erwähnt – wenn überhaupt. Haggard wurde 1856 geboren und starb 1925. Er führte ein langes, ausgefülltes und ereignisreiches Leben. Er diente seinem Land mehrfach und in verschiedenen Positionen und verwandte viel Zeit und Energie für die großen und dringlichen Probleme der englischen Landwirtschaft. Das Leben dieses Autors von 58 Büchern, von denen 35 Fiktion sind, läßt sich grob in drei Gebiete unterteilen, denen er seine Zeit und Energie widmete, und die sich teilweise überlappen. Zuerst wäre sein Leben im Dienst von Krone und Öffentlichkeit zu erwähnen, das am besten in seiner Autobiographie The Days of My Life (1926), einem umfangreichen, zweibändigen Werk, beschrieben wird. Außerdem gibt es darüber auch noch eine Arbeit seiner Tochter, Lilias Rider Haggard, The Cloak That I Left (1951). Nach einer recht oberflächlichen und begrenzten Schulbildung, die seiner guten und wohlhabenden Familie unwürdig war, ergab sich für Haggard die Gelegenheit, Mitarbeiter eines Kolonialbeamten, Theophilus Shepstone, zu werden, der eine Expedition in den Transvaal unternahm. Im Jahr 1876 war dieses Gebiet Südafrikas so fern und unbekannt wie Thule. Als Assistent im Stab des Legal Officers (Gerichts-Beamten) durchquerte Haggard das fast unbekannte Territorium und beobachtete und absorbierte alles, was ihm Land und Leute an Ungewöhnlichem und Fremdartigem boten. Um einen Kommentator zu zitieren: ›... einer der eingeborenen Helfer Shepstones machte großen Eindruck auf ihn und wurde später eine der Hauptfiguren seiner Zulu-
Romane. Er war ein großer, kräftiger Krieger, ein geschmeidiger schwarzer Achilles, und trotz seiner sechzig Jahre ein gutaussehender Mann ... den die Welt später als Umslopogaas kennenlernen sollte.‹* Sie wurden enge Freunde, da Haggard ein aufmerksamer, interessierter Zuhörer war, wenn dieser dunkelhäutige Held von seiner Jugend und seinem Volk erzählte. Haggard heiratete und kehrte nach England zurück, um ein Jurastudium zu beginnen. Während der Zeit schrieb er Artikel für Zeitungen und Zeitschriften und sein erstes Buch, Cetywayo and His White Neighbours (1882), eine Frucht seiner Afrika-Erfahrungen. Dieses Buch gilt auch heute noch als wertvolle Lektüre für Studien dieser Geschichtsepoche. Machen wir einen Sprung über mehrere Jahre: Nach wenigen literarischen Erfolgen finden wir Rider Haggard als Farmer wieder, der sich ausgiebig mit den sehr dringlichen, fast nicht zu bewältigenden Problemen der Landwirtschaft befaßt. Zu dieser Zeit galt fast jede Neuerung im Agrarwesen als verdächtig. Haggard kämpfte energisch gegen diese Einstellung und versuchte, einen Wandel herbeizuführen. Er schrieb A Farmer's Year (1890), eher ein Tagebuch über das Landleben als ein Buch über die Landwirtschaft, in dem er die Hoffnungen und Enttäuschungen englischer Landleute schilderte. Ein reizendes Buch, das auch heute noch seine Leser findet. In den Jahren 1901–1902 bereiste Haggard alle englischen Counties, um Material für einen Bericht an die *
Cohen, Morton, Rider Haggard: His Life and Works, (London, Hutchinson, 1969) S. 35.
Nation zu sammeln. Das Ergebnis dieser Arbeit war Rural England (1906), in dem Haggard feststellte, daß nur die Regierung die Landwirtschaft retten und die dazu benötigten parlamentarischen Hilfsmaßnahmen durchsetzen könne, lange bevor in den USA ähnliche Maßnahmen durch das New Deal getroffen wurden. Unglücklicherweise war das Parlament apathisch, und erst 1909 wurden einige der von ihm vorgeschlagenen Programme Gesetz. Der nächste Dienst für sein Land begann 1905, als er sich für das von der Heilsarmee durchgeführte Programm zur Ausrottung von Arbeitslosigkeit und Armut einsetzte. Dies erforderte auch eine Reise in die USA und einen freundschaftlichen Kontakt zu Präsident Theodore Roosevelt. Haggards Buch, Regeneration (1910) war der Niederschlag dieser Studien. Es folgte 1910 seine Arbeit bei der Royal Erosion and Reforestation Commission (Königliche Kommission für Erosion und Wiederaufforstung). Diese Tätigkeit wurde 1911 mit seiner Erhebung in den Ritterstand belohnt, eine Ehrung, die er mehr als verdient hatte. Im Jahr 1912 erhielt er einen wirklichen Public Relations Posten, bei der Dominion Commission, die sich um das Wohlergehen der über die ganze Welt verstreuten Dominions und ihre Beziehungen mit ›Mutter England‹ kümmerte. Diese Kommission befaßte sich mit Belangen von Handel, sozialen und wirtschaftlichen Problemen und der Förderung ihrer Bodenschätze und verschaffte Haggard die Gelegenheit zu weltweiten Reisen und zu einer Rückkehr nach seinem geliebten Afrika. Unglücklicherweise wurde die Arbeit dieser Kommission sehr bald durch den Aufbruch des Krieges abgebrochen.
Wieder ein Zitat: »Haggards unerschöpfliche Energie, sein Bestreben, seinem Land zu dienen, und seine Suche nach Ruhm brachte ihn ins Interesse einer breiten Öffentlichkeit.«* Er war ein gutaussehender Mann mit angenehmen Manieren und von großer Beredsamkeit; sehr wenige Literaten sind auch auf anderen Gebieten so erfolgreich gewesen wie er. Soviel zu Haggards Leben im Dienst seines Landes, das von soliden Erfolgen gekrönt war. Die zweite Facette, Haggards Privatleben, war auf Familie und Freunde konzentriert. Seine Ehe war glücklich, wurde jedoch durch die Tragödie des frühen Todes seines Sohnes überschattet. Die Liste seiner Freunde liest sich wie ein Pantheon literarischer Größen und von Menschen, die zumindest zu ihrer Zeit Beifall und Kritik ernteten: Stevenson, Kipling, Stanley Weyman, W. E. Henley und Andrew Lang. Jeder dieser Männer teilte mit Haggard den Glauben in die Realität der Imagination und die Welt der Phantasie, ganz gleich, wie individuell sie nuanciert sein mochte. Lang, ein bekannter Gelehrter, gab ihm Stimuli und Ideen, und es kam zu einer Zusammenarbeit, The World's Desire (1890). Dies ist eine fast in Vergessenheit geratene, doch sehr interessante Abenteuer-Geschichte, eine Fortsetzung der Odyssee. Sie war kein Verkaufserfolg. Kipling, zwei Jahre jünger als Haggard, erschien im Jahr 1899 auf der Londoner Szene, und Haggard führte ihn in die literarischen Kreise ein. Als Gegenleistung gab Kipling ihm viele Anregungen, eine geplante Zusammenarbeit kam jedoch nicht zustande. Stevenson war ein Freund durch Korrespondenz, *
Cohen, a. a. O., S. 179.
und ein wohlmeinender Kritiker und Bundesgenosse. Henley erwies sich als Katalysator, dessen kompetente Kritik und gute Kontakte zu Verlegern, mit denen er die Veröffentlichung einiger von Haggards frühen Werken arrangierte, eine große Hilfe waren. Alle diese Männer standen in der ersten Linie des Marsches zum Romantizismus des späten neunzehnten Jahrhunderts. Manche der Teilnehmer an diesem Marsch paßten sich beinahe bei jedem Schritt dem Rider Haggards an. Der hervorragende Graecist Gilbert Murray, zum Beispiel, schrieb die Haggardähnliche Romanze Goby; oder Shamo (1889), genau wie M. P. Shiel sich bei seinem Buch Children of the Wind (1923) an Haggard anlehnte, während Arthur Stringer, ein Amerikaner, den an She erinnernden Roman The Woman Who Couldn't Die (1929) schrieb. Die dritte und wichtigste Facette von Haggards Karriere ist zweifellos die des Schriftstellers, des Verfassers von Romanzen. Berühmt durch seine Hauptcharaktere – Allan Quatermain, She-Who-Must-Be-Obeyed, und den eindrucksvollen Umslopogaas – verstand es Haggard, nicht nur solche titanischen Figuren aufzubauen, sondern auch den weniger wichtigen Gestalt und Charakter zu verleihen. Die größten seiner Bücher sind und bleiben nach meiner Meinung Allan Quatermain, The Ancient Allan, The Ivory Child, King Solomon's Mines, Nada the Lily, She und Wisdom's Daughter. Andere Bücher, die nicht ganz jene Kategorie erreichen, die ich jedoch ebenfalls mit großem Genuß gelesen habe, sind unter anderem People of the Mist, Queen Sheba's Ring und Benita, An African Romance, ein Buch, das in Amerika unter dem Titel The Spirit of Bambatse veröffentlicht wurde. Sie sind alle
lesenswert, besonders jedoch das letztere. Benita hätte eine weit größere Beachtung verdient. Es kombiniert die Elemente ›Lost Race‹ (vergessene Rasse), Abenteuer und übernatürliche Erscheinungen (einen echten Geist) zu einer bezaubernden Liebesgeschichte. In diesem Roman begegnen wir den faszinierendsten Schöpfungen Haggards: Jacob Meyer, einem finsteren, aber starken Mann von vielen Gaben; dem unvergeßlichen Mambo, Priester und Führer einer aussterbenden ›vergessenen Rasse‹, die jedoch seltsamerweise in einer dunkleren Umwelt überleben kann, ein Sterblicher, der in zwei Welten oder auf zwei Ebenen zu existieren scheint; und Benita Clifford selbst, die schöne, unerschrockene Heroine, die sich jeder Gefahr gewachsen zeigt und die Wiederverkörperung einer anderen, früheren Heroine zu sein scheint. Ich bin froh, daß dieses ›verlorene‹ Buch wieder zu haben ist; es ist, kurz gesagt, ein ›Knüller‹. Zurück zu Jacob Meyer: er ist, wie immer wieder herausgestellt wird, Jude, und das wird als eines seiner nachteiligen und unsympathischen Charakteristika beschrieben, obwohl nichts Spezifisches angegeben wird. Haggard ist in dieser Beziehung inkonsequent. Man hat ihn des Antisemitismus beschuldigt, doch preist er in mehreren seiner Bücher die alten Hebräer und ihre Zivilisation. Außerdem gibt es einen öffentlichen Appell Haggards, der in der Londoner Times* abgedruckt wurde, in welchem er die Schaffung eines jüdischen Heimstaates (unter briti*
Huntington Sammlung: Briefe und anderes holographisches Material der Henry E. Huntington Library and Art Gallery, San Marino, California.
scher Oberhoheit) in Palästina fordert; und das geschah im Jahr 1915, also bevor die zionistische Bewegung ihren Zenith erreichte. Genauso wurde Haggard vorgeworfen, daß er Dissenters (von der Staatskirche Abweichende) ablehne (Joan Haste), die eheliche Untreue befürworte (Beatrice) und Haß auf die Deutschen predige (in mehreren Werken). Der Schlüssel zu allem liegt wahrscheinlich in seiner stark pro-britischen und pro-Empire-Haltung – er war in vieler Hinsicht beinahe der Prototyp des klassischen Imperialisten, was bei einem wirklich populären Autor nicht sehr überraschen sollte – und das umfaßte natürlich auch seine Liebe zur etablierten Kirche und dem typischen Engländer, so wie er ihn sah, und besonders dem englischen Landmann. Ein anderer Vorwurf, der Haggard gemacht wurde, besonders z u seinen Lebzeiten, betraf die Gewalttätigkeit. Es fließt viel Blut! Sein Biograph schrieb, daß er Massaker zwar ausgezeichnet beschriebe, jedoch zu oft.* Einer der Kritiker bedauerte: »... ein Gestank nach Blut, der den widerwärtigen Details wie eine Ausdünstung entströmt«, und erwähnte die »... Tiefen der Erniedrigung [in die] ein sensationsgieriger Romanautor kühl hinabsteigen kann.« [Wir werden] »... mit abgeschlachteten Menschen, die uns auf jede nur denkbare unappetitliche Art serviert werden, reichlich bedient: sie werden aufgespießt, erschlagen, in Löwenfallen gefangen, von Elefanten i n Stücke gerissen, und so weiter.«** Diese Kritiker standen nicht allein; ein anderer * **
Cohen, a. a. O., S. 226. »Fall of Fiction«, Fortnightly Review, September 1888; wie von Cohen zitiert, a. a. O., S. 226.
Rezensent nannte Nada the Lily »das blutrünstigste Buch seines Umfangs, das es gibt. Es trieft vor Blut.«*** Ja, Haggard ist mehrfach der Vorwurf gemacht worden, ein übertrieben blutrünstiger Autor zu sein, besonders in seinen vier Zulu-Romanen, Nada the Lily, Marie, Child of Storm und Finished. Hier sind Bilder der Zulu, bevor sie von der ›Zivilisation‹ verdorben wurden. Hier werden Giganten und große Taten geschildert, die von britischer Moral und der angeblichen Heiligkeit menschlichen Lebens unberührt sind (die Moral, die von den Agenten des Britischen Imperiums praktiziert wurde, war freilich nicht viel besser, als die ›Wildheit‹ der Zulus). Eine der Hauptfiguren dieser Darstellungen ist Chaka, ein Krieger-König, der sich mit Alexander oder Cäsar vergleichen läßt. Er war eine Mischung aus militärischem Geschick und äußerster Grausamkeit, der die Zulus zu einer Krieger-Nation machte, deren Bräuche, Taktiken und Strategien den vorhandenen Waffen, dem Land und den Menschen optimal angepaßt waren. Während Chakas Herrschaft töteten er und seine Armeen mehr als eine Million Menschen. Haggard reflektiert diese Ereignisse sehr genau durch die Gedanken und Gefühle eines uns fremden Volkes – das aber doch wieder nicht so fremd ist. Er sagte: »Ich habe versucht, sie so darzustellen, wie sie waren, mit all ihrem abergläubischen Wahnsinn und ihrer blutigen Größe.« Er glaubte, sich an die Tatsachen halten zu müssen, und ich gebe ihm recht. Haggard hat in unseren Tagen nur wenig literari*** Pall Mall Budget, wie in »Rider the Ripper« zitüert, Critic, 9. Juli 1892, wie von Cohen zitiert, a. a. O., S. 227.
sche Beachtung gefunden, bis Morton Cohen Rider Haggard: His Life and Work schrieb, das 1960 von Hutchinson in London veröffentlicht wurde. Diese gelehrsame Arbeit führt fünfzig Schriften über Haggard auf. Die Encyclopedia Britannica (14. Ausgabe) erwähnt ihn nur äußerst knapp, ebenso Edward Wagenknechts Cavalcade of the English Novel. Die E. B. gönnt ihm 197 Worte und führt nur vier Buchtitel auf. Die umfangreiche Cassell's Encyclopedia und der zweibändige Readers' Index – in dem viele Tausende von Autoren und Titel aufgeführt werden – erwähnt ihn überhaupt nicht. Magill's Encyclopedia of World Authors (1978) zeigt sich da großzügiger; sie räumt Haggard einen Abschnitt von mehreren hundert Worten ein und listet sieben seiner Bücher auf, fünf davon Romane. Es gibt eine ausgezeichnete HaggardBiographie, die jedoch heute kaum noch zu haben ist. J. E. Scott's Bihliography of the Works of Sir H. Rider Haggard wurde von Elin Mathews, Herts, England, im Jahr 1947 in einer Auflage von fünfhundert numerierten Exemplaren verlegt und ist heute für jeden Haggard Sammler ein Stück von unermeßlichem Wert. Viele Männer und Frauen des literarischen Lebens haben Haggards Lob gesungen, unter ihnen Graham Greene, C. S. Lewis, Henry Miller, Katherine Mansfield, Edward Shanks und Stella Gibbons. Haggards schwerwiegendste Fehler sind sein manchmal etwas flüchtiger Stil und seine konsequente Ernsthaftigkeit, die wohl seinem angeborenen Hang zur Würde zugeschrieben werden muß. Seine seltenen Versuche, humorvoll oder witzig zu sein, sind ausnahmslos mißlungen. Captain Good in The
Treasure of the Lake (1926), zum Beispiel, wirkt nur langweilig, wie ein halb vergessener Witz, den man in einer geräuschvollen Umgebung anderen zuflüstert. Abschließend sei gesagt, daß ich Haggard früher und heute stets genossen habe, von sieben bis siebzig Jahren. Für mich ist er die Quelle und Essenz des ›Geistes der Romance‹.* Er, nicht Burroughs, bedeutet für mich Afrika. Ich sehe ihn nicht nur als einen Meister des Fantasy-Abenteuers, sondern auch, und vor allem, als einen Meister der Literatur. Copyright © 1979 by Alvin F. Germeshausen
*
›romance‹ ist im Gegensatz zur ›novel‹ der vornehmlich auf Unterhaltung bedachte Abenteuerroman.
Anmerkung des Autors Es mag den Leser dieser Geschichte interessieren, daß ihr Autor glaubt, sie auf eine Reihe von Tatsachen gegründet zu haben. Es wird behauptet, daß vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren ein abenteuerlustiger Händler, der von Eingeborenen des hinter Quilimane gelegenen Gebietes die Legende von einem großen Schatz gehört hatte, der im sechzehnten Jahrhundert von einer Gruppe Portugiesen vergraben worden sei, die kurz darauf massakriert wurden, versucht habe, diesen Schatz mit Hilfe eines Mesmeristen zu finden. Nach seiner Erzählung machte das Kind, das bei diesem Experiment als Medium benutzt wurde, im Zustand der Trance genaue und detaillierte Angaben über Abenteuer, Leiden und Tod der unglücklichen portugiesischen Männer und Frauen, von denen sich zwei von einer hohen Klippe in den Sambesi stürzten. Obwohl dieses Kind, das als Medium benutzt wurde, keine andere Sprache als Englisch beherrschte, soll es die Gebete, die von diesen Unglücklichen gesprochen worden waren, auf portugiesisch wiedergegeben und sogar die Choräle gesungen haben, die diese vor ihrem Tod sangen. Außerdem beschrieb es, neben vielen anderen Details, das Vergraben des großen Schatzes und die genaue Lage des Verstecks so akribisch, daß der weiße Mann und der Mesmerist dort nachgraben konnten und auch die Stelle fanden, an der er gelegen hatte – denn die Beutel waren verschwunden, von den Fluten des Flusses fortgespült worden. Einige Goldmünzen aber waren zurückgeblieben, eine davon ein Dukaten, geprägt von Aloysius Mocenigo, Doge von Venedig. Daraufhin wurde der Junge wieder in Trance
versetzt (insgesamt wurde er achtmal mesmerisiert) und verriet, wo die Beutel mit dem Gold jetzt lagen. Doch bevor der weiße Händler sich erneut auf die Suche machen konnte, wurde die kleine Gruppe von Eingeborenen, deren abergläubische Ängste geweckt worden waren, außer Landes gejagt und konnten gerade ihr nacktes Leben retten. Es sollte hinzugefügt werden, daß der zu jener Zeit herrschende Häuptling – so wie der in dieser Geschichte – den Ort für heilig erklärte und daß, sollte er jemals betreten werden, Unglück über den Stamm kommen werde. So konnte es geschehen, daß dieses Tabu viele Generationen lang niemals verletzt wurde, bis seine Nachkommen schließlich durch Krieg vom Ufer des Sambesi vertrieben wurden, und von einigen von ihnen hörte der weiße Mann die Legende.
1 Geständnisse Herrlich, herrlich war diese Nacht! Kein Lüftchen regte sich; die schwarzen Rauchwolken, die aus den Schornsteinen des Postdampfers Zanzibar quollen, lagen tief über der See, wie riesige, schwebende Straußenfedern, die eine nach der anderen in Sternenlicht verschwanden. Benita Beatrix Clifford, die nach ihrer Mutter Benita benannt worden war, und Beatrix nach der einzigen Schwester ihres Vaters, lehnte verträumt am Schanzkleid des Schiffes und überlegte, daß bei dieser völlig unbewegten See ein Kind in einem Rindenboot sicher einen Hafen erreichen könnte. Ein hochgewachsener Mann von etwa dreißig Jahren, der eine Zigarre rauchte, kam auf sie zugeschlendert. Als sie ihn kommen hörte, rückte sie ein Stück zur Seite, als ob sie ihm neben sich Platz machen wollte, und es lag etwas in dieser Bewegung, das einen Beobachter hätte vermuten lassen, daß diese beiden Menschen freundschaftlich, wenn nicht noch enger, verbunden waren. Einen Augenblick lang zögerte er, und während er stehenblieb, trat ein Ausdruck von Zweifel, sogar von Verzweiflung auf sein Gesicht. Es war, als ob er wüßte, daß sehr viel davon abhinge, ob er diese versteckte, freundliche Einladung annähme oder ablehnte und nicht entscheiden könnte, was er tun sollte. Es hing auch viel davon ab, nicht weniger, als ihrer beider Schicksal. Wenn Robert Seymour weitergegangen wäre, um seine Zigarre allein zu rauchen,
hätte diese Geschichte ein ganz anderes Ende genommen; das heißt, wer hätte sagen können, wie sie geendet haben würde? Die furchtbare, vorausbestimmte Katastrophe, die diese Nacht noch in ihrem Schoß barg, wäre geboren worden ohne daß bestimmte, entscheidende Worte gesprochen worden wären. Nach der gewaltsamen Trennung, welche Chance hätten sie gehabt – selbst wenn sie beide den Schrecken dieser Nacht überlebt hätten –, daß ihre Pfade sich in den unendlichen Weiten Afrikas noch einmal kreuzen würden? Doch das Schicksal hatte es nicht so bestimmt, denn gerade als er sich entschlossen hatte, weiterzugehen, sagte Benita mit ihrer leisen, sanften Stimme: »Wollen Sie ins Rauchzimmer gehen, oder in den Salon zum Tanz, Mr. Seymour? Einer der Offiziere hat mir gesagt, daß man dort heute zum Tanz aufspielt«, setzte sie hinzu, »weil das Meer so ruhig ist, daß wir glauben könnten, an Land zu sein.« »Weder, noch«, antwortete er. »Das Rauchzimmer ist muffig, und meine Tage, an denen es mir Spaß machte, zu tanzen, sind leider vorbei. Nein, ich möchte mir nach dem üppigen Dinner nur etwas Bewegung verschaffen und dann auf einem Liegestuhl einschlafen. Aber ...«, setzte er hinzu, »woher wußten Sie, daß ich es war? Sie haben sich nicht umgewandt.« »Ich habe nicht nur Augen, sondern auch Ohren«, antwortete sie mit einem kleinen Lachen, »und nachdem wir fast einen Monat lang zusammen auf diesem Schiff sind, sollte ich Ihren Schritt kennen.« »Ich kann mich nicht erinnern, daß irgend jemand ihn schon gekannt hätte«, sagte er, mehr im Selbstge-
spräch als zu ihr, und trat dann neben sie an die Reling. Seine Zweifel waren verschwunden. Das Schicksal hatte gesprochen. Für eine. Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden, dann fragte er sie, ob sie nicht zu dem Tanz gehen wolle. Benita schüttelte den Kopf. »Und warum nicht? Sie tanzen doch gern, und sehr gut, wie ich feststellen konnte. An Partnern mangelt es auch nicht. Es sind mehrere Offiziere da, besonders Kapitän ...« Er ließ den Satz unvollendet. »Ich weiß«, sagte sie; »es wäre sicher auch recht nett, aber ... Mr. Seymour, werden Sie mich für albern halten, wenn ich Ihnen jetzt etwas sage?« »Ich habe Sie bisher noch nie für albern gehalten, Miß Clifford, und wüßte deshalb nicht, warum ich jetzt damit anfangen sollte. Was wollen Sie mir sagen?« »Ich gehe nicht zu dem Tanz, weil ich Angst habe, ja, entsetzliche Angst.« »Angst? – Wovor denn?« »Das weiß ich nicht so genau; aber, Mr. Seymour, ich habe das Gefühl, als ob wir am Rand einer entsetzlichen Katastrophe stünden – als ob uns eine grundlegende Veränderung bevorstünde, und dahinter ein anderes Leben, völlig neu und unbekannt. Dieses Gefühl kam während des Dinners über mich – deshalb habe ich den Tisch vorzeitig verlassen. Ich hatte die Leute angesehen – und sie kamen mir plötzlich völlig verändert vor, ja, alle, einige wenige ausgenommen.« »War auch ich anders?« fragte er neugierig. »Nein, Sie nicht«, und ihm war, als ob er sie »Gott
sei Dank!« flüstern hörte. »Und waren Sie anders?« »Ich weiß nicht. Ich konnte mich ja nicht sehen; ich war die Seherin, nicht die Gesehenen. Das ist schon immer so gewesen.« »Magenverstimmung«, sagte er nachdenklich. »Wir essen zu viel auf diesem Schiff, und das heutige Dinner war besonders umfangreich und schwer. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich mir aus diesem Grund noch etwas Bewegung mache ... machen wollte.« »Und hinterher schlafen.« »Ja, zuerst etwas Bewegung, und dann Schlaf. Miß Clifford, das ist das Gesetz des Lebens – und des Todes. Es endet mit Schlaf, und alle Gedanken hören mit dem Schlaf auf, deshalb wäre die Katastrophe, die sie voraussehen, für manche von uns ein Segen, weil sie einen langen Schlaf und keine Gedanken bedeutet.« »Ich sagte, daß sie sich verändert hätten, nicht, daß sie aufgehört hätten, zu denken. Vielleicht haben sie sogar noch mehr gedacht als vorher.« »Dann wollen wir beten, daß Ihre Katastrophe abgewendet werden möge. Für Sie würde ich Wismut und kohlensaures Salz verschreiben. Außerdem kommt es einem bei diesem ruhigen Wetter mehr als unwahrscheinlich vor. Schauen Sie, Miß Clifford«, setzte er mit unverhohlenem Enthusiasmus hinzu und deutete nach Osten. »Schauen Sie!« Ihr Blick folgte seiner ausgestreckten Hand, und die riesige Scheibe des afrikanischen Mondes stieg über den Horizont. Und das Wasser des Ozeans verwandelte sich plötzlich in Silber, ein breiter Pfad schimmernden Silbers erstreckte sich vom Mond zu
ihnen. Es hätte eine Straße der Engel sein können. Das sanfte, silbrige Licht fiel auf ihr Schiff, erhellte seine sich nach oben verjüngenden Masten und jedes Detail der Takelage. Es strich zu beiden Seiten des Schiffes vorbei und erhellte da und dort die flache, von einer leichten Brandung gesäumte Küste, die mit dicht bewachsenen Kloofs gesprenkelt war. Selbst die runden Hütten von Kaffernkraals waren in dem strahlenden Licht vage zu erkennen. Und auch andere Dinge wurden sichtbar, zum Beispiel die Gesichter dieser beiden Menschen. Der Mann hatte eine helle Haut und blondes Haar, in dem sich bereits Spuren von Grau zeigten, besonders in seinem Schnurrbart. Sein Gesicht war gut geformt, wenn auch nicht besonders hübsch, da es seinen Zügen an Ebenmäßigkeit fehlte; seine Wangenknochen lagen zu hoch, das Kinn war zu klein, Fehler, die zum Teil durch seine ruhigen und fröhlichen grauen Augen ausgeglichen wurden. Sein Körper war breitschulterig und muskulös, und er trug den unverwechselbaren Stempel eines englischen Gentleman. So war die Erscheinung Robert Seymours. Das Mädchen an seiner Seite sah in diesem Licht bezaubernd schön aus, obwohl sie auf diese Bezeichnung eigentlich keinen Anspruch hatte, vielleicht mit Ausnahme ihrer Figur, die schlank, weiblich gerundet und besonders anmutig war. Ihr fremdartig südländisch wirkendes Gesicht war ungewöhnlich; sie hatte dunkle Augen, einen etwas zu breiten Mund, dunkles, welliges Haar, eine breite Stirn und ein meistens nachdenkliches Gesicht, das jedoch von einem plötzlichen, strahlenden Lächeln erhellt werden konnte. Sie war keine Schönheit, doch eine sehr at-
traktive Frau, die eine bemerkenswerte Anziehungskraft besaß. Sie blickte auf das Meer hinaus, zuerst zum Mond, dann auf die Silberstraße, die sein Licht auf das Wasser warf, dann zur Küste. »Wir sind Afrika schon sehr nahe«, sagte sie. »Zu nahe, wenn Sie mich fragen«, antwortete er. »Wenn ich der Kapitän wäre, würde ich um zwei oder drei Strich abdrehen. Es ist ein seltsames Land, und voller Überraschungen. Miß Clifford, halten Sie mich für aufdringlich, wenn ich Sie frage, warum Sie nach Afrika gehen? Sie haben es mir noch nicht gesagt.« »Nein, weil es eine ziemlich traurige Geschichte ist; aber Sie können sie hören, wenn Sie wollen. Wollen Sie?« Er nickte und holte zwei Liegestühle, die er in einer Ecke aufstellte, die von einem der Rettungsboote am Ende des Decks abgeteilt wurde, und sie setzten sich, die Gesichter der See zugewandt. »Sie wissen, daß ich in Afrika geboren wurde«, begann Benita, »und dort lebte, bis ich dreizehn Jahre alt war – ich habe erst heute nachmittag festgestellt, daß ich noch immer Zulu sprechen kann. Mein Vater war einer der ersten Siedler in Natal. Sein Vater war Pastor gewesen, ein jüngerer Sohn der Lincolnshire Cliffords. Sie sind noch immer große Leute dort, aber ich zweifle, daß sie auch nur von meiner Existenz wissen.« »Ich kenne sie«, sagte Robert Seymour. »Ich war sogar im letzten November von ihnen zur Jagd eingeladen worden, und da ...« Er unterbrach sich hastig. »Bitte fahren Sie fort!«
»Mein Vater bekam irgendwie Streit mit seinem Vater, ich habe keine Ahnung, aus welchem Grund, und emigrierte nach Afrika. In Natal heiratete er meine Mutter, eine Miß Ferreira, die mit Vornamen, wie ich und auch ihre Mutter, Benita hieß. Sie war eine von zwei Töchtern, und ihr Vater, Andreas Ferreira, der eine Engländerin geheiratet hatte, war halb holländisch und halb portugiesisch. Ich erinnere mich sehr gut an ihn; er war ein gutaussehender, alter Mann mit eisengrauem Haar und dunklen Augen. Er war für damalige Verhältnisse sehr reich – das heißt, er hatte riesigen Landbesitz in Natal und Transvaal, und große Rinderherden. Ich bin also halb englisch, etwas holländisch und zu mehr als einem Viertel portugiesisch – eine recht bunte Mischung verschiedener Rassen. Mein Vater und meine Mutter kamen nicht gut miteinander aus. Mr. Seymour, ich will Ihnen die ganze Wahrheit sagen: er trank, und sie war krankhaft eifersüchtig, obwohl er sie leidenschaftlich liebte. Außerdem verlor er den größten Teil ihrer Mitgift beim Spiel, und nach dem Tod des alten Andreas Ferreira verarmten sie. Eines Nachts kam es zu einer furchtbaren Szene zwischen ihnen, und in seiner Wut schlug er sie. Nun müssen Sie wissen, daß meine Mutter eine sehr stolze Frau war, und eine entschlossene Frau. Sie trat vor ihn hin und sagte – ich habe es selbst gehört – ›Das werde ich dir niemals vergeben. Wir sind miteinander fertig.‹ Am nächsten Morgen, als mein Vater wieder nüchtern war, bat er sie um Verzeihung, doch sie gab ihm keine Antwort, obwohl er am selben Tag zu einem vierzehntägigen Treck aufbrechen mußte. Als er fort war, befahl meine Mutter, den Kap-Wagen
anzuspannen, packte ihre Kleider, nahm das Geld, das sie beiseite gelegt hatte, fuhr nach Durban, und nachdem sie dort bei der Bank das ihr verbliebene Vermögen so angelegt hatte, daß es ihr ein kleines, regelmäßiges Einkommen brachte, fuhr sie mit mir nach England. Für meinen Vater ließ sie einen Brief zurück, in dem sie ihm erklärte, daß sie ihn nie wiedersehen wollte, und wenn er versuchen sollte, sich in mein Leben einzumischen, würde sie mich unter den Schutz eines englischen Gerichts stellen, das nicht erlauben würde, daß man mich in das Haus eines Trinkers brächte. In England lebten wir bei meiner Tante in London, die mit einem Major King verheiratet gewesen, inzwischen jedoch verwitwet war und fünf Kinder großzuziehen hatte. Mein Vater schrieb oft und flehte meine Mutter immer wieder an, zu ihm zurückzukehren, was sie jedoch ablehnte – aus übertriebenem Stolz, wie ich annehme; jedenfalls halte ich ihre Unnachgiebigkeit auch heute noch nicht für gerechtfertigt. So vergingen zwölf oder mehr Jahre, bis meine Mutter plötzlich starb und ich ihr Vermögen erbte, das mir zwei- bis dreihundert Pfund pro Jahr einbringt und das von ihr so angelegt wurde, daß niemand herankommt. Das war vor etwa einem Jahr. Ich schrieb meinem Vater von ihrem Tod, und er schickte mir einen jammervollen Brief; ich erhielt mehrere solcher Briefe von ihm, genaugenommen. Er flehte mich an, zu ihm zu kommen und ihn nicht in seiner Einsamkeit sterben zu lassen, da ihn sein gebrochenes Herz wohl sehr bald umbringen würde, wenn ich nicht zu ihm käme. Er erklärte mir, daß er das Trinken seit langer Zeit aufgegeben habe, da es sein Le-
ben ruiniert hätte, und er hatte seinem Brief sogar ein von einem Arzt und einem Magistrat unterschriebenes Attest beigefügt, das diese Behauptung bestätigte. Schließlich erklärte ich mich bereit, zu ihm zu kommen, obwohl meine fünf Vettern und ihre Mutter alles versuchten, mir diesen Plan auszureden. Aber ich hatte meinen Entschluß gefaßt. Wie oft hatte ich mir in all den Jahren gewünscht, wieder auf dem Veld zu sein, weit fort von den lärmenden Straßen und dem Londoner Nebel. Ich bin jung und kräftig, und ich möchte etwas sehen, Dinge, die die Natur hervorgebracht hat, nicht solche, die von Menschen gemacht worden sind, die Dinge, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere. Ich kann immer nach London zurückkehren, wenn es mir hier nicht gefallen sollte.« »Ja, oder wenigstens manche Menschen können das. Es ist ein seltsamer Zufall, Miß Clifford, aber ich habe Ihren Vater kennengelernt. Sie haben mich schon die ganze Zeit an einen Mann erinnert, dessen Namen ich vergessen hatte. Jetzt ist er mir wieder eingefallen; es war Clifford.« »Wo denn, um alles in der Welt?« »An einem höchst seltsamen Ort. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich schon einmal in Südafrika war, wenn auch unter anderen Umständen. Vor vier Jahren war ich zur Großwildjagd hergekommen. Mein Bruder und ich – er ist inzwischen gestorben, der arme Junge – drangen von der Ostküste ins Land vor und gelangten so ins Land der Matabele, an den Ufern des Sambesi. Da wir in diesem Gebiet nicht viel Wild antrafen, wollten wir nach Süden weiterziehen, als uns ein paar Eingeborene von einer wunderbaren, alten Ruine berichteten, die ein paar Meilen von dort
entfernt auf einem über dem Flußufer aufragenden Berg stünde. Wir ließen also den Wagen und die Ochsen auf unserer Seite des steilen Nek zurück, dessen Überquerung sehr schwierig war, und nahmen nur unsere Gewehre und einen Sack mit Nahrungsvorräten mit, als wir aufbrachen. Der Berg mit der Ruine war weiter entfernt, als wir angenommen hatten, obwohl wir ihn von der Kuppe des Nek aus schon deutlich sehen konnten, und bevor wir ihn erreichten, wurde es dunkel. Nun hatten wir vor der Mauer, die den Fuß des Berges umgab, einen Ochsenwagen und ein Zelt entdeckt, die weißen Männern gehören mußten, und gingen darauf zu. Wir sahen, daß im Zelt Licht brannte, und die Leinwand am Eingang war nach beiden Seiten zurückgeschlagen, da die Nacht sehr heiß war. Im Zelt saßen zwei Männer, der eine alt, mit einem grauen Bart, der andere ein gutaussehender Mann von noch nicht vierzig Jahren, wie ich schätzte, mit einem unverkennbar jüdischen dunklen Gesicht, schwarzen, stechenden Augen, und einem schwarzen Spitzbart. Sie waren damit beschäftigt, einen Haufen goldener Schnüre und Reifen zu begutachten, die auf einem Tisch zwischen ihnen lagen. Als ich den Zelteingang erreichte und sie ansprechen wollte, hörte oder sah mich der schwarzbärtige Mann, griff nach einem Gewehr, das am Tisch lehnte, fuhr herum und legte die Waffe auf mich an.« »Nicht schießen, um Gottes willen, Jacob«, rief der ältere Mann, »es sind Engländer.« »Das ist mir gleich«, antwortete der andere mit einem leichten ausländischen Akzent, »wir wollen hier keine Spione und keine Diebe.«
»Wir sind weder das eine noch das andere«, sagte ich, »aber ich schieße mindestens so gut wie Sie, Freund.« »Inzwischen wies die Mündung meines Gewehrs auf seine Brust. Daraufhin überlegte er es sich anders und senkte seine Waffe; wir erklärten den beiden, daß wir uns lediglich auf einer archäologischen Expedition befänden, und schließlich wurden wir gute Freunde, obwohl keiner von uns besondere Sympathien für diesen Mr. Jacob entwickelte – seinen Familiennamen habe ich vergessen. Er war mir zu schnell mit dem Gewehr bei der Hand und hatte wahrscheinlich, wie ich vermute, eine geheimnisvolle und nicht sonderlich saubere Vergangenheit. Um es kurz zu machen: als Ihr Vater – denn er war es – feststellte, daß wir nicht die Absicht hatten, uns in seine Angelegenheiten einzumischen, erzählte er uns freimütig, daß sie nach einem Schatz suchten. Sie hätten von einer riesigen Menge Goldes gehört, die vor zwei oder drei Jahrhunderten von Portugiesen an diesem Ort vergraben worden sei. Die Schwierigkeit sei nur, daß die Makalanga, die in der alten Festung lebten, die Bambatse genannt wurde, ihnen nicht erlaubten, dort zu graben, weil sie sagten, der Ort sei von Geistern bewohnt, die großes Unglück über den Stamm brächten, wenn man sie stören würde.« »Und haben sie die Festung jemals betreten können?« »Das weiß ich nicht, da wir am nächsten Tag weiterzogen. Doch vorher machten wir einen Besuch bei den Makalanga, die uns auch ohne Schwierigkeiten in das alte Fort einließen, da wir keine Spaten mit uns führten. Übrigens, das Gold, bei dessen Überprüfung
wir Ihren Vater und seinen Freund antrafen, stammte aus alten Gräbern außerhalb der Mauern und hatte nichts mit dem geheimnisvollen großen Schatz zu tun.« »Wie sah das Fort aus?« fragte Benita. »Ich liebe Ruinen.« »Oh! Wunderbar. Der ganze Berg war von einer gigantischen, runden Mauer eingefaßt, die von Gott weiß wem erbaut worden ist. Auf halber Höhe des Berges befand sich eine zweite umlaufende Mauer, und auf seinem Gipfel eine dritte, die, soweit ich verstanden habe, eine Art Allerheiligstes umschloß, und über allem, am Rand des Gipfels, erhob sich eine riesige Granitsäule.« »Natürlich, oder von Menschen errichtet?« »Das weiß ich nicht. Sie haben uns nicht hinaufgelassen. Doch wurden wir ihrem Häuptling und Priester vorgestellt, Repräsentant von Staat und Kirche in einem, ein wunderbarer alter Mann, sehr weise und sehr freundlich. Ich erinnere mich daran, daß er mir sagte, wir würden uns wiedersehen, was ich recht seltsam fand. Ich fragte ihn auch nach dem Schatz, und warum er die anderen weißen Männer nicht danach suchen ließe. Er antwortete, daß der Schatz niemals von einem Mann gefunden werden würde, ob er weiß sei oder schwarz; sondern daß nur eine Frau ihn zu einem festgesetzten Zeitpunkt finden könne, wenn es dem Geist von Bambatse gefiele, unter dessen Schutz der Schatz sich befände.« »Wer ist dieser Geist von Bambatse, Mr. Seymour?« fragte sie. »Das habe ich nicht genau feststellen können, nur daß es sich anscheinend um eine Frau handelt, um
eine weiße Frau, die hin und wieder bei Sonnenaufgang erscheint, oder auch im Mondlicht, und dann auf der Spitze der hohen Granitsäule steht, von der ich Ihnen erzählte. Ich erinnere mich, daß ich an jenem Morgen vor Sonnenaufgang aufstand, um sie zu sehen – wie ein Narr, und natürlich sah ich nichts – und das ist alles, was ich von dieser Sache weiß.« »Haben Sie auch mit meinem Vater gesprochen, Mr. Seymour – allein, meine ich?« »Ja, ein wenig. Er begleitete uns am nächsten Tag zu unserem Wagen zurück, wahrscheinlich, um eine Weile der ständigen Gesellschaft seines Partners Jacob zu entrinnen. Das war nicht verwunderlich bei einem Mann, der genau wie ich, wie ich feststellte, in Eton und Oxford erzogen worden war, und ungeachtet seiner Schwächen – von denen ich übrigens nichts bemerkte, da er keinen Tropfen Alkohol anrührte – sich wie ein Gentleman benahm, was man von Jacob ganz und gar nicht behaupten konnte. Aber dieser Jacob war sehr belesen – besonders in obskuren Randgebieten – und sprach alle Sprachen unter der Sonne; ein schlauer und brauchbarer Ganove, kurz gesagt.« »Hat mein Vater auch etwas von sich erzählt?« »Ja. Er gestand mir, daß er sein ganzes Leben lang nur Mißerfolge gehabt und sich wegen vieler Dinge große Vorwürfe zu machen habe – wir hatten Vertrauen zueinander gefaßt, müssen Sie wissen. Er berichtete mir auch, daß er Angehörige in England habe – was für Angehörige, hat er mir nicht gesagt –, denen ff ein Vermögen verschaffen wolle, als Wiedergutmachung für die Fehler und Missetaten der Vergangenheit, und daß dies der Grund für seine Schatz-
suche sei. Doch aus dem, was Sie mir berichtet haben, muß ich schließen, daß er nichts gefunden hat.« »Nein, Mr. Seymour, er hat den Schatz nicht gefunden, und er wird ihn auch niemals finden; ich bin aber trotzdem froh, daß er an uns gedacht hat. Ich würde mich jedoch gerne einmal dort, bei diesem Bambatse, selbst umsehen.« »Ich auch, Miß Clifford, mit Ihnen und mit Ihrem Vater, doch ohne diesen Jacob. Falls Sie jemals mit ihm nach Bambatse gehen sollten, sage ich Ihnen nur: Hüten Sie sich vor Jacob!« »Oh! Ich habe keine Angst vor Jacob«, antwortete sie lachend, »obwohl ich glaube, daß mein Vater noch immer mit ihm zu tun hat; jedenfalls hat er in einem seiner Briefe von einem Partner gesprochen, einem Deutschen.« »Jacob ein Deutscher? Ihr Vater muß gemeint haben: ein deutscher Jude.« Danach herrschte eine Weile Schweigen zwischen den beiden, bis er plötzlich sagte: »Sie haben mir Ihre Geschichte erzählt; wollen Sie jetzt auch die meine hören?« »Ja«, antwortete sie. »Ich werde Ihre Geduld nicht lange in Anspruch nehmen, Miß Clifford, denn, wie Cannings armer Scherenschleifer, habe ich kaum etwas zu erzählen. Sie sehen vor sich einen der unnützesten Männer der Welt, ein Mitglied der Schicht, die man in England die Klasse der Müßiggänger nennt, der absolut keine Fähigkeiten aufzuweisen hat, außer einigermaßen gut schießen zu können.« Benita blickte ihn schweigend an. »Diese Leistung scheint Sie nicht besonders zu be-
eindrucken«, fuhr er fort, »es ist jedoch die Wahrheit, daß ich während der letzten fünfzehn Jahre – ich bin im vergangenen Monat zweiunddreißig geworden – fast meine ganze Zeit diesem Sport gewidmet habe, mit Ausnahme von etwas Angeln im Frühjahr. Da ich mein Licht nicht unter den Scheffel stellen will, möchte ich hinzufügen, daß man mich zu den sechs besten Schützen in England zählt, und daß es mein Ehrgeiz war – ja, mein Ehrgeiz, muß ich gestehen – besser zu werden, als die anderen fünf. Und dieser sündhafte Ehrgeiz hat den Mann, der vor Ihnen steht, zu Fall gebracht. Man hat behauptet, daß ich einige weitere Fähigkeiten habe, doch habe ich sie vernachlässigt, um meiner Art des Müßiggangs nachgehen zu können. Ich habe keinen Beruf erlernt und niemals gearbeitet, mit dem Resultat, daß ich mit zweiunddreißig Jahren ruiniert und ohne Hoffnung bin.« »Warum ruiniert und ohne Hoffnung?« fragte sie mitfühlend, da die Art, wie er es gesagt hatte, sie mehr berührte als seine Worte. »Ruiniert, weil mein Onkel, John Seymour Seymour, dessen Erbe ich war, die Indiskretion beging, noch einmal zu heiraten, und die junge Dame ihn mit strammen Zwillingen beglückte. Mit dem Erscheinen dieser Zwillinge verschwanden natürlich meine Aussichten auf ein Erbe, und auch eine Zuwendung von eintausendfünfhundert Pfund pro Jahr, die er mir ausgesetzt hatte, um meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen als sein nächster Angehöriger nachkommen zu können. Ich besaß ein wenig eigenes Geld, aber ich hatte auch Schulden, und im Augenblick stellen eine Bankanweisung von 2163 Pfund, 14 Schilling und 5 Pence, die ich in meiner Tasche trage,
und ein wenig Kleingeld meine gesamten irdischen Güter dar, also in etwa die Summe, die ich bisher pro Jahr verbrauchte.« »Aber das würde ich nicht Ruin nennen, sondern Reichtum«, sagte Benita erleichtert. »Mit zweitausend Pfund können Sie in Afrika ein Vermögen verdienen. Und was ist mit der Hoffnungslosigkeit?« »Ich bin hoffnungslos, weil es absolut nichts gibt, was mir die Zukunft lebenswert erscheinen ließe. Wenn diese zweitausend Pfund aufgebraucht sind, wüßte ich nicht, womit ich auch nur einen Sixpence verdienen könnte. In diesem Dilemma kam mir die Erkenntnis, daß mir nur die Möglichkeit bleibt, meine einzige Fähigkeit praktisch anzuwenden und Großwildjäger zu werden. Ich habe vor, so lange Elefanten zu töten, bis eines Tages ein Elefant mich tötet. Zumindest«, setzte er in verändertem Tonfall hinzu, »hatte ich das bis vor einer halben Stunde vor.«
2 Das Ende der ›Zanzibar‹ »Bis vor einer halben Stunde? Aber warum ...« »Warum ich meine Ansicht geändert habe, und mit dieser Ansicht meinen ganzen, bescheidenen Lebenszuschnitt? Miß Clifford, da Sie die Güte haben, daran interessiert zu sein, will ich es Ihnen sagen. Der Grund dafür ist, daß eine Versuchung, der ich bisher zu widerstehen vermocht habe, während der letzten dreißig Minuten zu stark für mich geworden ist. Sie wissen, daß alles seinen Bruchpunkt hat.« Er paffte nervös an seiner Zigarre, warf den Rest ins Meer und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Miß Clifford, ich habe es gewagt, mich in Sie zu verlieben. Nein, bitte lassen Sie mich ausreden. Wenn ich das getan habe, ist noch genügend Zeit, mir die Antwort zu geben, die ich erwarte. Bis dahin aber gestatten Sie mir den Luxus, ernsthaft zu sprechen. Für mich ist das ein völlig neues Gefühl, und deshalb unbezahlbar. Darf ich fortfahren?« Benita antwortete nicht. Er stand auf, mit der ruhigen, gelassenen Bewegung, die für ihn charakteristisch war, und stellte sich vor sie, so daß er ihr vom Mondlicht erhelltes Gesicht sehen konnte, während das seine im Schatten blieb. »Außer den zweitausend Pfund, von denen ich eben gesprochen habe, besitze ich nichts, das ich Ihnen bieten könnte. Ich bin ein fauler, wertloser Mensch. Selbst als ich wohlhabend war und glaubte, ein großes Vermögen zu erben, habe ich niemals ge-
wagt, obwohl es mir häufig nahegelegt wurde, eine Dame zu bitten, ihr Leben mit mir zu teilen, und die – in Aussicht stehende Erbschaft. Heute glaube ich, daß ich mir niemals so viel aus einer Frau gemacht habe, um auf diesen Gedanken zu kommen, da im anderen Fall mein Egoismus meine Skrupel sicher überwunden hätte – so wie an diesem Abend. Benita – wenn ich Sie so anreden darf – zum ersten und letzten Mal! Ich ... ich liebe Sie. Nein, sagen Sie nichts, hören Sie mir zu!« fuhr er fort, und er sprach jetzt hastiger, schneller, wie ein Mensch, der etwas Wichtiges zu sagen hat und wenig Zeit zu haben glaubt. »Es ist seltsam – unerklärlich, aber wahr, wahr – ich liebe Sie seit dem Zeitpunkt, als ich zum ersten Mal Ihr Gesicht sah. Vielleicht erinnern Sie sich: Sie standen an die Reling gelehnt, als ich in Southampton an Bord kam, und als ich die Gangway hinaufging, blickte ich auf, und mein Blick traf den Ihren. Unwillkürlich blieb ich stehen, und die dicke, alte Lady, die in Madeira von Bord ging, rannte in mich hinein und fragte mich, ob ich vorwärts oder rückwärts gehen wolle. Erinnern Sie sich?« »Ja«, sagte sie leise. »Diese Worte waren eine Allegorie«, fuhr er fort. »Das fühlte ich damals schon. Ja, ich wollte fast sagen, ›rückwärts‹ und meine Passage auf diesem Schiff verfallen lassen. Doch dann sah ich wieder Sie an, und irgend etwas in mir drängte: ›vorwärts‹. Also ging ich weiter, und am oberen Ende der Gangway zog ich vor Ihnen meinen Hut, ein Gruß, zu dem ich kein Recht hatte, den Sie jedoch, wie ich mich erinnere, erwiderten.«
Er machte eine kurze Pause, und fuhr dann fort: »Und so, wie es begann, ist es weitergegangen. Es ist doch immer so, nicht wahr? Der Anfang ist alles, das Ende muß zwangsläufig folgen. Und jetzt habe ich ausgesprochen, was ich bis vor einer halben Stunde noch mit aller Gewalt zu vermeiden suchte, bis Sie plötzlich auch im Hinterkopf Augen bekamen, und ... oh! Benita, ich liebe Sie. Nein, bitte nicht reden; ich bin noch nicht fertig. Ich habe Ihnen gesagt, was ich bin, und es gibt kaum mehr über mich zu sagen, denn ich habe keine Laster – außer dem schlimmsten: Faulheit, und nicht die geringsten Spuren irgendeiner Tugend, die ich entdecken könnte. Doch verfüge ich über gewisse Erfahrungen, die ich im Laufe vieler Jagden gewonnen habe, und aus dieser Erfahrung heraus will ich Ihnen einen guten Rat geben. Es ist durchaus möglich, daß Sie mein Geständnis lediglich als eine amüsante Bord-Plauderei betrachten. Aber ich halte es auch für denkbar, daß Sie es genauso ernst nehmen wie ich. Wenn dem so sein sollte, rate ich Ihnen als Freund und als erfahrener Mann: Vergessen Sie es! Weisen Sie mich zurück! Schicken Sie mich fort! Sie werden es nicht bedauern.« »Machen Sie sich über mich lustig, oder ist dies alles ernst gemeint, Mr. Seymour?« fragte Benita ohne ihn anzusehen. »Ernst gemeint? Natürlich ist es ernst gemeint. Wie können Sie das fragen?« »Weil ich immer der Ansicht war, daß Menschen sich bei einer solchen Gelegenheit möglichst günstig herausstellen wollen.« »Richtig. Aber ich tue niemals, was ich tun sollte, eine Tatsache, für die ich dankbar sein sollte, wenn
ich es mir richtig überlege, denn sonst wäre ich jetzt nicht hier. Ich möchte Ihnen ein möglichst schlechtes Bild von mir geben, denn ich mag alle möglichen Fehler haben, doch zumindest bin ich ehrlich. Nachdem ich Ihnen nun gesagt habe, was ich bin, oder was ich bis vor einer halben Stunde war, ein Faulenzer, ein Nichtsnutz, ein hoffnungsloser Versager, frage ich Sie ... ob Sie mehr hören wollen.« Sie richtete sich halb auf, blickte ihn zum ersten Mal an und sah, daß sein Gesicht im Mondlicht verzerrt und blaß aussah. Vielleicht übte dieser Anblick eine gewisse Wirkung auf sie aus, vielleicht so weit, daß er etwas von dem nachteiligen Eindruck löschte, den seine bitteren, sarkastischen Selbstanklagen hervorgerufen hatten. Auf jeden Fall schien Benita ihre Absicht zu ändern, ließ sich wieder zurücksinken und nickte ihm zu. »Fahren Sie fort, wenn Sie wollen«, sagte sie. Er verneigte sich leicht und fuhr fort: »Ich danke Ihnen. Ich habe Ihnen erklärt, was ich bis vor einer halben Stunde war. Jetzt will ich Ihnen sagen, was ich bin und hoffen, daß Sie mir glauben werden. Ich bin ein ehrlicher Büßer, ein Mensch, der ein neues Licht erblickt hat. Ich bin noch nicht alt und glaube, daß sich unter allen meinen Fehlern einige Fähigkeiten verbergen. Vielleicht bietet sich mir doch noch irgendeine Möglichkeit. Ich glaube nicht, daß Sie einen anderen Mann finden, der Sie mehr und zärtlicher liebt als ich. Ich möchte in Zukunft nur noch für Sie da sein, nur noch für Sie leben, intensiver, als ich in der Vergangenheit für mich gelebt habe. Ich möchte Ihre Entscheidung nicht beeinflussen, doch muß ich Ihnen sagen, daß ich in diesem Augenblick an einem
Scheideweg stehe. Wenn Sie mir Ihr Jawort geben, könnte ich noch immer ein Ehemann werden, auf den Sie stolz sein könnten – wenn nicht, schreibe ich das Wort ›Finis‹ auf den Grabstein der Zukunft von Robert Seymour. Ich bete Sie an. Sie sind die Frau, mit der ich mein Leben verbringen möchte; Sie haben in meinem Leben gefehlt. Ich bitte Sie, mutig zu sein und das Risiko auf sich zu nehmen, mich zu heiraten, obwohl ich nichts als Armut vor uns sehe, denn ich bin ein Abenteurer.« »Sagen Sie das nicht«, widersprach sie rasch. »Wir alle sind Abenteurer in dieser Welt, und ich bin es mehr als Sie. Wir müssen nur uns richtig sehen, und nicht, was wir haben oder nicht haben.« »So sei es, Miß Clifford. Dann habe ich nichts mehr zu sagen; jetzt ist es an Ihnen, mir zu antworten.« In diesem Augenblick hörte der Klang des Klaviers und der Fiedel im Salon auf. Einer der Walzer war zu Ende, und einige der Tänzer kamen an Deck, um zu flirten oder sich abzukühlen. Ein Paar, das sich offensichtlich dem ersteren hingab, trat in der Nähe von Robert und Benita an die Reling, so daß eine Fortsetzung des Gesprächs unmöglich wurde, und begann mit der in solchen Fällen üblichen Unterhaltung. Gute zehn Minuten lang standen sie so und gerieten in einen amüsierten Streit darüber, daß der Mann um einen Tanz betrogen worden sei, bis Robert Seymour, sonst ein sehr ruhiger, philosophischer Mann, die beiden am liebsten erschlagen hätte. Er fühlte – den Grund dafür konnte er nicht angeben –, daß seine Chance ihm unter den Fingern zerrann, und Benitas Vorahnung, daß jeden Moment irgend etwas Furchtbares passieren würde, sprang auf ihn über. Die ner-
vöse Spannung wurde immer stärker, fast unerträglich, und es gab keine Möglichkeit, sie zu beenden. Benita zu bitten, mit ihm an einen anderen Ort zu gehen, war unter den gegenwärtigen Umständen nicht möglich, besonders, da er dann das andere Paar bitten mußte, ihnen den Weg freizugeben. Und währenddessen fühlte er mit sinkendem Herzen, daß Benita wahrscheinlich jedes zärtliche Gefühl, das sie ihm entgegenbringen mochte, unterdrückte und ihre lange verzögerte Antwort wahrscheinlich ›Nein‹ lauten würde. Aus dem Salon erklang wieder Musik, und die beiden jungen Leute wandten sich endlich zum Gehen. Plötzlich hörte Robert einen aufgeregten Ruf von der Brücke, und dann sah er vor dem mondhellen Himmel einen Mann nach vorn laufen. Im nächsten Augenblick schrillte die Glocke im Maschinenraum. Er kannte das Signal – es bedeutete ›Stop‹, und sofort darauf ertönte ein zweites, das ›volle Kraft zurück‹ befahl. »Ich möchte doch wissen, was da los ist«, sagte der junge Mann zu seiner Begleiterin; sie blieben stehen und blickten zur Brücke hinauf. Doch bevor sie etwas antworten konnte, wußten sie es. Robert hatte das Gefühl, als ob der Rumpf des riesigen Schiffes plötzlich gestoppt würde, während seine Aufbauten sich weiter vorwärts bewegten, begleitet von einem Geräusch, das noch schrecklicher und nervenaufreibender war: das Gleiten und Scheuern des Schiffsrumpfes über etwas, das unsichtbar unter der Meeresoberfläche lag, hilflos, schwerfällig, wie ein Mann über Eis oder einen glattgebohnerten Boden schlittert. Spanten krachten, Taue zerrissen mit scharfem Knall. Schwere Gegenstände rutschten über das
Deck, und alle Menschen wurden bugwärts geschleudert. Benita wurde aus ihrem Liegestuhl katapultiert und prallte gegen Robert, so daß sie gemeinsam ins Speigatt fielen. Er war unverletzt und stand sofort wieder auf, Benita jedoch blieb reglos liegen, und er sah, daß sie mit dem Kopf aufgeschlagen war, denn Blut rann über ihre rechte Wange. Er hob sie auf, voller Angst und Verzweiflung, da er fürchtete, daß sie tot sei, und preßte seine Hand auf ihr Herz. Gott sei Dank! Es schlug noch. Sie lebte. Die Musik im Salon hatte schlagartig aufgehört, und für eine Weile herrschte Stille. Dann, von einer Sekunde zur anderen, begann der panische Tumult einer Schiffskatastrophe; Menschen rannten mit angstvoll aufgerissenen Augen kopflos hin und her; Frauen und Kinder begannen zu schreien; ein Pastor fiel auf seine Knie, hob die Hände und betete. Dies ging eine Weile so, bis der Zweite Offizier an Deck erschien und den Leuten zurief, daß alles in Ordnung sei, der Kapitän ließe ihnen mitteilen, daß niemand Grund zur Beunruhigung habe. Er setzte hinzu, daß sie nicht mehr als sechs Meilen von der Küste entfernt seien und das Schiff in einer halben Stunde auf Grund gesetzt werden würde. Während er sprach, begannen die Maschinen, die gestoppt worden waren, wieder zu arbeiten, und der Bug des Schiffes schwang in weitem Bogen herum, bis er landwärts wies. Anscheinend waren sie auf einen Felsen gelaufen und befanden sich jetzt wieder im tiefen Wasser. Das Schiff machte gute Fahrt, hatte jedoch eine starke Schlagseite nach Steuerbord. Jetzt begannen auch die Pumpen zu arbeiten und spuckten dicke Strahlen schaumigen Wassers in die See. Matrosen
rissen die Abdeckungen von den Rettungsbooten und schwangen einige von ihnen aus. Das war es, was um sie herum geschah. Mit der bewußtlosen Benita auf seinen Armen, deren Blut aus der Kopfwunde auf seine Schulter rann, stand Robert eine Weile still da und überlegte. Dann kam er zu einem Entschluß. Benita hatte eine Kabine auf diesem Deck, und dorthin drängte er sich durch die kopflos hin und her wogende Menge; es waren mehr als fünfhundert Leute an Bord des Schiffes. Er stieß die Tür mit dem Ellbogen auf und fand die Kabine leer, da die Dame, mit der Benita sie teilte, bereits geflohen war. Er legte Benita behutsam auf die untere Koje und zündete die kardanisch aufgehängte Kerze an. Sobald sie brannte, suchte er nach Schwimmwesten, und glücklicherweise fand er zwei; eine davon legte er ihr vorsichtig um. Dann nahm er einen Schwamm und wusch ihr das Gesicht. An ihrer Schläfe war eine große, angeschwollene Platzwunde, und das Blut rann noch immer, aber die Wunde war nicht sonderlich tief oder ernsthaft, und der Knochen schien, soweit er das feststellen konnte, nicht verletzt worden zu sein. Er war zuversichtlich, daß sie nur betäubt war und bald wieder zu Bewußtsein kommen würde. Da er nicht in der Lage war, mehr für sie zu tun, kam ihm ein plötzlicher Gedanke, als er ihre Schreibmappe, die beim Auflaufen des Schiffes zu Boden geschleudert worden war, entdeckte. Er öffnete sie, nahm einen Bogen Papier und einen Bleistift heraus und schrieb. »Sie haben mir keine Antwort gegeben, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß ich auf dieser Welt, die einer von
uns, oder wir beide, vielleicht bald verlassen werden, auch keine mehr zu erhalten hoffen kann. Im letzteren Fall werden wir uns an einem anderen Ort darüber unterhalten – vielleicht. Falls es mein Schicksal sein sollte, fortzugehen, und das Ihre, zu bleiben, hoffe ich, daß Sie manchmal an mich denken, als einen Mann, der Sie ehrlich liebte. Sollte es jedoch Ihr Schicksal sein, fortzugehen, werden Sie diese Worte niemals zu Gesicht bekommen. Doch wenn den Toten Wissen gegeben ist, seien Sie versichert, daß Sie mich so finden werden, wie Sie mich verlassen haben – als den Ihren, und nur den Ihren. Aber vielleicht werden wir beide überleben; darum bete ich. – S. R. S.« Er faltete den Bogen, öffnete den obersten Knopf von Benitas Bluse und schob ihn hinein, sicher, daß sie ihn finden würde, falls sie am Leben bleiben sollte. Dann verließ er die Kabine und trat wieder an Deck, um nachzusehen, was geschah. Das Schiff dampfte noch immer, machte aber nur langsame Fahrt. Die Schlagseite nach Steuerbord war jetzt so stark, daß es schwierig war, aufrecht zu stehen. Aus diesem Grund drängten sich fast alle Passagiere auf der Backbordseite, da sie instinktiv das Verlangen hatten, so weit wie möglich vom Wasser entfernt zu sein. Ein Mann mit einem bleichen, verzerrten Gesicht taumelte auf ihn zu und lehnte sich über die Reling. Es war der Kapitän. Ein paar Sekunden lang umklammerte er mit beiden Händen das Geländer und schien tief in Gedanken versunken. Robert Seymour sah seine Chance, ihn anzusprechen. »Entschuldigen Sie«, sagte er, »ich mische mich
nicht gern in die Angelegenheiten anderer Leute ein, aber aus Gründen, die nichts mit mir zu tun haben, halte ich es für richtig, wenn Sie das Schiff stoppen und die Boote zu Wasser lassen. Die See ist ruhig; wenn Sie nicht warten, bis es zu spät ist, sollte es keine Schwierigkeiten machen, sie abzufieren.« Der Mann starrte ihn an. »Sie bieten nicht genug Raum für alle, Mr. Seymour«, sagte er dann. »Ich hoffe, das Schiff auf Grund setzen zu können.« »Auf jeden Fall könnten so die meisten gerettet werden«, antwortete Seymour, »während sonst ...« Er deutete auf das Wasser, das jetzt bereits an einer Seite das Deck überspülte. »Vielleicht haben Sie recht, Mr. Seymour. Mir ist es gleich. Ich bin erledigt. Aber die armen Passagiere! Die armen Passagiere!« Und er kletterte zur Brücke hinauf wie eine verwundete Katze auf einen Baum, und kurz darauf hörte Robert ihn Befehle schreien. Eine Minute später stoppte das Schiff. Zu spät hatte der Kapitän entschieden, das Schiff zu opfern und die Menschen zu retten, die an Bord waren. Sie begannen, die Boote abzufieren. Robert ging zur Kabine zurück, wo Benita noch immer bewußtlos lag, und wikkelte sie in einen Mantel und ein paar Decken. Dann, als er eine zweite Schwimmweste am Boden liegen sah, band er sie sich um, da er wußte, daß noch etwas Zeit war. Er hob Benita auf seine Arme, und da er sicher war, daß die Menschen sich auf der Steuerbordseite drängen würden, wo die Boote dem Wasser näher waren, trug er sie unter Schwierigkeiten – da es ein steiler Anstieg war – zum Backbord-Kutter, der, wie er wußte, unter dem Kommando eines guten Mannes stehen würde, des Zweiten Offiziers, den er
bei den sonntäglichen Bootsmanövern beobachtet hatte. Hier war der Andrang, wie er erwartet hatte, nicht sehr groß, da die meisten Leute glaubten, daß es nicht möglich sei dieses Boot sicher zu Wasser zu lassen; oder, falls ihre Urteilskraft verschwunden war, sagte der Instinkt ihnen das. Der erfahrene Seemann, der Zweite Offizier, und seine Leute waren jedoch schon dabei den Kutter abzufieren. »Frauen und Kinder zuerst«, rief er. Sie stürzten sich ins Boot, und Robert sah, daß es bald voll sein würde. »Ich fürchte, daß ich mich als Frau zählen muß«, sagte er, »da ich eine Frau auf den Armen trage.« Und unter Aufbietung aller Kräfte, Benita in einem Arm haltend, ließ er sich am Tau hinab und gelangte, unterstützt von einem Rudergänger, sicher ins Boot. Zwei oder drei Männer sprangen nach ihm hinein. »Abstoßen«, befahl der Offizier, »das Boot kann nicht mehr tragen.« Als sie sich mit den Riemen von der Bordwand abstießen, stürmten Menschen, die keinen Platz mehr in den Booten der Steuerbordseite gefunden hatten, an die Reling. Ein paar der Mutigsten ließen sich an den Tauen herab, andere sprangen zwischen sie oder verfehlten das Boot und stürzten in die See. Einige prallten auf die Dollbords des Bootes und wurden schwer verletzt oder waren auf der Stelle tot. Trotzdem blieb das Boot auf ebenem Kiel, wenn auch stark überladen. Die Riemen wurden ausgebracht; sie glitten am Bug des in seinem Todeskampf liegenden Schiffes vorbei und nahmen Kurs auf die Küste, die nur drei Meilen entfernt war.
Das brachte sie auf die Steuerbordseite des Schiffes, wo sie Zeugen einer schrecklichen Szene wurden. Hunderte von Menschen kämpften um Platz in den Booten, mit dem Ergebnis, daß einige der Boote kenterten und ihre menschliche Fracht ins Meer kippten. Andere hingen an Bug oder Heck, da ihre Taue sich in der Eile und Hektik verheddert hatten, und von ihnen fielen die Menschen nacheinander in die See. Um die letzten Boote, die noch nicht abgefiert waren, entbrannte ein höllischer Kampf; Männer, Frauen und Kinder kämpften um ihr Leben, und die Starken, verrückt vor Todesangst, zeigten keinerlei Rücksicht auf die Schwachen. Aus dieser Masse von Menschen, von denen die meisten zum Sterben verurteilt waren, erhob sich ein Babel von Lauten, die in ihrer Summe zu einem einzigen, langen Schrei wurden, wie von einem im Todeskampf liegenden Riesen. Und das alles unter einem klaren, mondhellen Himmel und über einer See, die so ruhig war wie Glas. Auf dem Schiff, das jetzt auf seiner Steuerbordseite lag, schrie die Sirene noch immer nach Hilfe, und ein paar tapfere Männer schossen noch immer Notraketen ab, die himmelwärts stoben und zu einem Sternenregen zerplatzten. Robert erinnerte sich, daß die letzte Rakete, die er gesehen hatte, bei einer fête zum Amüsement der Gäste abgefeuert worden war. Der Kontrast war entsetzlich. Er fragte sich, ob es irgendeine niedere oder höllischere Art von Menschen gab, die Freude an einer Tragödie haben mochte, wie sie sich jetzt vor seinen Augen abspielte; und wie es möglich war, daß die gnadenvolle Kraft, in welche die Menschheit ihren Glauben setzte, eine solche Tragödie zuließ.
Das Schiff kippte; zusammengepreßte Luft oder Dampf riß die Decks auf; Trümmer wurden in die Luft geschleudert. Und der Kapitän stand noch immer auf der Brücke, die Hände um die Reling geklammert. Seymour sah sein bleiches Gesicht – das Mondlicht schien ein leichenhaftes Lächeln auf seine Züge zu malen. Der Offizier, der das Boot kommandierte, rief seinen Leuten an den Riemen zu, von dem untergehenden Schiff wegzuhalten, um nicht in seinen Strudel gezogen zu werden. Die Zanzibar wälzte sich auf den Rücken wie ein sterbender Wal. Das Mondlicht schien auf ihren Kiel und zeigte den klaffenden Riß, den der Fels ihr geschlagen hatte, auf den sie aufgelaufen war, und dann war sie verschwunden. Nur eine kleine Wolke von Rauch und Dampf zeigte die Stelle, an der das Schiff untergegangen war.
3 Wie Robert an Land gelangte An der Stelle, an der die Zanzibar versunken war, hatte sich ein gewaltiger Strudel gebildet, aus dem dunkle Gegenstände hervorschossen und wieder untertauchten. »Stillsitzen, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist«, sagte der Offizier ruhig. »Jetzt kommt der Sog.« Und er kam, zog sie auf den wirbelnden Strudel zu, bis das Wasser über die Bordwände des Bootes schwappte. Doch bevor sie hineingezogen wurden, hatte die See ihr Opfer verdaut, und mit Ausnahme von großen Luftblasen, die um sie herum an die Oberfläche kamen und platzten, war das Wasser wieder still. Im Augenblick waren sie sicher. »Passagiere«, sagte der Offizier, »ich werde jetzt auf See hinausrudern, zumindest bis Tagesanbruch. Wir haben so die Chance, auf ein Schiff zu treffen. Wenn wir zur Küste rudern, scheitern wir in den Brechern.« Niemand widersprach; sie waren alle zu benommen, um sprechen zu können, doch Robert erkannte, daß der Mann einen klugen Entschluß gefaßt hatte. Die Matrosen begannen zu rudern, doch bevor sie ein Dutzend Yards hinter sich gebracht hatten, erhob sich ein dunkler Schatten aus dem Wasser. Es war ein Wrackteil, und an das Holz geklammert sahen sie eine Frau, die ein Bündel an ihre Brust drückte. Sie lebte und flehte die Menschen im Boot an, sie an Bord zu nehmen.
»Rettet mich und mein Kind!« rief sie. »Im Namen Gottes, rettet uns!« Robert erkannte die Stimme. Es war die einer jungen Dame, die zusammen mit ihrem neugeborenen Kind zu ihrem Mann nach Natal fuhr. Er streckte die Hand aus, um sie ins Boot zu ziehen. »Das Boot ist ohnehin schon überladen«, sagte der Offizier mit sehr ernster Stimme. »So leid mir das tut, aber wenn wir noch einen Menschen an Bord nehmen, sind wir alle nicht mehr sicher.« Bei diesen Worten erwachten die Passagiere aus ihrer Benommenheit. »Stoßt sie zurück!« rief eine Stimme. »Sie soll selbst sehen, wie sie sich retten kann.« Und die anderen murmelten zustimmend. »Um Christi willen, um Christi willen!« jammerte die ertrinkende Frau und klammerte sich verzweifelt an Roberts Hand. »Wenn Sie versuchen, die Frau an Bord zu ziehen, stoßen wir Sie ins Meer«, sagte dieselbe Stimme, und Robert sah eine Messerklinge blitzen, bereit, in seinen Arm zu fahren. Jetzt sprach der Offizier wieder. »Die Lady kann nicht ins Boot kommen, wenn nicht einer von uns es verläßt. Ich würde es selbst tun, doch es ist meine Pflicht, hierzubleiben und mich um Sie zu kümmern. Ist einer der Männer bereit, ihr seinen Platz zu überlassen?« Doch alle Männer – es waren sieben außer der Mannschaft – senkten den Kopf und schwiegen. »Rudert weiter!« sagte der Offizier. »Sie wird gleich von selbst loslassen.« Während er diese Worte aussprach, schien Robert
ein ganzes Jahr zu leben. Hier bot sich ihm eine Gelegenheit, die Sünden seines luxuriösen, unnützen Lebens wiedergutzumachen. Vor einer Stunde noch hätte er sie mit Freuden und ohne eine Sekunde zu zögern wahrgenommen, doch jetzt – jetzt, wo Benita bewußtlos an seiner Brust ruhte und ihre Antwort noch immer in ihrem Herzen verwahrte ... Doch Benita würde sein Opfer gutheißen, und wenn sie ihn nicht im Leben liebte, würde sie die Erinnerung an ihn lieben. Sekunden später hatte er seinen Entschluß gefaßt. »Thompson«, sagte er zu dem Offizier. »Wenn ich gehe, schwören Sie, diese Frau und ihr Kind ins Boot zu nehmen?« »Gewiß, Mr. Seymour.« »Dann werde ich gehen. Und wenn einer von Ihnen überlebt, sagen Sie dieser Lady« – er deutete auf Benita – »wie ich gestorben bin, und daß ich angenommen hätte, sie würde meinen Entschluß, so zu handeln, gutheißen.« »Ich werde es ihr sagen«, antwortete der Offizier, »und ich werde sie retten, wenn es irgendwie möglich ist.« »Dann haltet Mrs. Jeffreys fest, bis ich über Bord bin. Ich lasse meinen Mantel für sie zurück.« Ein Matrose packte den Arm der Frau, und Robert konnte sich mit Mühe von ihrem Griff befreien. Er drückte Benita an seine Brust, küßte sie auf die Stirn und ließ sie behutsam auf den Boden des Bootes gleiten. Dann zog er seinen Mantel aus und rollte sich über den Bordrand in die See. »Und jetzt zieht Mrs. Jeffreys herein!« Das gelang nach einigen Schwierigkeiten, und er
sah die Frau ohnmächtig auf dem Platz zusammensinken, den er freigemacht hatte. »Gott segne Sie, Sie sind ein tapferer Mann«, sagte Thompson. »Ich werde Sie immer in Erinnerung behalten, und wenn ich hundert Jahre leben sollte.« Doch von den anderen sagte keiner ein Wort. Vielleicht, weil sie sich schämten. »Ich habe nur meine Pflicht getan«, antwortete Seymour aus dem Wasser. »Wie weit ist es bis zur Küste?« »Ungefähr drei Meilen«, rief Thompson aus dem abtreibenden Boot zurück. »Halten Sie sich an der Planke fest, oder Sie kommen niemals lebend durch die Brandung.« Er hob grüßend die Hand. »Goodbye.« »Good-bye.« Dann nahm das Boot Fahrt auf und verschwand bald in dem aufsteigenden Nebel. Robert zog sich auf die Planke, die das Leben von Mrs. Jeffreys und ihres Kindes gerettet hatte, und lauschte. Hin und wieder hörte er einen verzweifelten, erstickten Schrei und wußte, daß die See wieder ein Opfer gefunden hatte. Ein paar hundert Yards entfernt sah er einen dunklen Schatten, den er für ein Boot hielt. Doch wenn es eins war, mußte es ebenfalls überfüllt sein. Außerdem konnte er es nicht einholen. Nein, seine einzige Chance bestand darin, das Ufer zu erreichen. Er war ein guter Schwimmer, und das Wasser war so warm wie Milch. Es gab keinen Grund, warum er es nicht schaffen sollte, von seiner Schwimmweste und der Planke an der Wasseroberfläche gehalten – wenn die Haie ihn in Ruhe ließen, was ihm einigermaßen sicher schien, da sie beim
Wrack genügend Nahrung finden würden. Trotz der dünnen Nebelschwaden konnte er die Richtung nicht verfehlen, denn durch die nächtliche Stille hörte er jetzt das Tosen der gewaltigen Brecher an der Küste. Ah, diese Brecher! Er dachte daran, wie er und Benita vom Schiffsdeck aus mit seinem Fernglas zum Ufer hinübergeblickt und sie an den nackten, scharfen Klippen emporschäumen gesehen hatten; und sie hatten sich gewundert, daß sie selbst bei dem völlig ruhigen Meer eine solche Gewalt besaßen, und wenn er das Ufer lebend erreichen sollte, würde er sich mit dieser Gewalt messen müssen. Nun, das war nicht zu ändern, und je eher er es tat, desto eher würde es ausgestanden sein, so oder so. Zu seinem Glück hatte die Flut eingesetzt und trieb ihn auf die Küste zu. Er brauchte kaum mehr zu tun, als sich an seiner Planke festzuhalten, die er sich quer unter die Brust geschoben hatte, und mit den Füßen zu steuern. Und selbst so kam er gut voran, fast eine Meile pro Stunde, schätzte er. Schwimmend hätte er das Tempo natürlich erheblich steigern können, aber er mußte mit seinen Kräften haushalten. Es war ein seltsames Gefühl, auf der stillen See und unter den stillen Sternen zu treiben, und seltsame Gedanken füllten Roberts Seele. Er fragte sich, ob Benita überleben und was sie zu seiner Tat sagen würde. Aber vielleicht war sie schon tot, und er würde sie sehr bald wiedersehen. Er überlegte, ob er in den Brechern sterben würde, und ob sein Opfer ausreichte, um seine vergangenen Sünden gutzumachen. Er hoffte es und schickte ein stilles Gebet zum Himmel, für sich, für Benita, und für all die armen Menschen, die ihnen vorausgegangen waren, mitten aus ihren
Vergnügen in die Halle des Todes geschleudert. Er trieb im Wasser, und das Toben der Brecher kam näher und näher, und seine Anspannung wuchs im gleichen Maß, bis er plötzlich einen dunklen Schatten auftauchen sah, den er für einen Hai hielt, und diese Gefahrensituation zerriß den Fluß seiner Gedanken. Es war jedoch nur ein Stück Treibholz, stellte er kurz darauf fest. Ein paar Minuten später erschien dann wirklich ein Hai; deutlich konnte er seine segelförmige Rückenflosse erkennen. Doch diese raubgierige Bestie war entweder satt oder ängstlich, denn als Robert mit der flachen Hand auf das Wasser schlug und laut schrie, zog sie ab und ließ sich auch nicht wieder blicken. Kurz darauf erreichte Robert ein Gebiet immer höher werdender Wellenkämme und -täler, das dem Feld der Brandung vorgelagert war. Er schoß eine Schräge hinab und wurde kurz darauf ohne eigenes Zutun den gegenüberliegenden, steilen Wellenhang hinaufgetragen, von dessen Höhe er einen Ausblick auf die breite, weiße Gischtlinie hatte, die den dunklen Uferklippen vorgelagert war. An einer Stelle, etwas rechts von ihm, schien die Gischt weniger stark zu sein, und er glaubte, in der dunklen Linie der Klippen eine Unterbrechung zu sehen, als ob sich dort ein Spalt oder sogar eine kleine Bucht befände. Auf diese Stelle lenkte er jetzt seine Planke zu; er schnitt die Wogen dabei diagonal, was ihm die Flut glücklicherweise gestattete, ohne sich zu sehr anstrengen zu müssen. Die Wellentäler wurden immer tiefer, und auf den Kämmen zeigten sich mehr und mehr Schaumkronen. Er war in den Bereich der Brandung gelangt, und nun
begann der Kampf ums Leben. Vor ihm sah er die Brecher, größer und größer werdend, uferwärts rollen. Selbst von einem sicheren Standort aus ist der Anblick solcher sich türmender Wogen entsetzlich, wie jeder, der sie von dieser Küste aus oder auf der Insel Ascension gesehen hat, bestätigen kann. Wie sie diesem schiffbrüchigen Mann vorgekommen sein mochten, der sie an seine Planke geklammert völlig allein und unter dem fahlen Mondlicht sah, kann man sich daher leicht vorstellen. Doch angesichts der Gefahr wuchsen sein Mut und seine Entschlossenheit; wenn er hier sterben sollte, würde er kämpfend untergehen. Er war durchfroren und erschöpft gewesen, doch jetzt waren Kälte und Erschöpfung von ihm abgefallen, und er fühlte sich warm und kräftig. Vom Kamm einer hohen Woge aus sah er etwa eine halbe Meile voraus eine schmale Schlucht, in deren Mitte ein kleiner Fluß ins Meer mündete, und auf diese Flußmündung hielt er zu. Anfangs ging alles gut. Er wurde von der See emporgetragen und glitt in einer Wolke weißen Gischts wieder zu Tal. Höhen und Täler wurden steiler und steiler, und dann begannen sich die Wellenkämme über seinen Kopf zu brechen. Robert konnte nicht mehr seine Richtung bestimmen, er mußte sich dorthin treiben lassen, wohin ihn die Brecher schlugen. Jetzt war er plötzlich in einer Hölle schäumenden Wassers, das ihn ohne seine Schwimmweste und die Planke unweigerlich zum Grund gerissen und ertränkt hätte. Selbst so wurde er von den sich überschlagenden Brechern immer wieder unter Wasser gedrückt und kam oft gerade rechtzeitig wieder an die Oberfläche, bevor ihm die Luft ausging. Und um
sich herum hörte er das Tosen und Schäumen der Wogen, und über allem ein regelmäßiges Donnern wie von schweren Geschützen – das Donnern der ans Ufer schlagenden Brecher. Die Planke wurde ihm aus den Händen gerissen, doch er packte sie wieder und hielt sich mit der Kraft der Verzweiflung an ihr fest, obwohl ihre scharfen Kanten sich in seine Arme bohrten. Wenn die Brecher ihn unter ihren Wassermassen begruben, hielt er den Atem an, und wenn er wieder emporgeschleudert wurde, zog er gierig die frische Nachtluft in seine Lungen. Eben noch saß er auf dem Kamm einer Woge wie ein Tritone, und im nächsten Augenblick schoß er wie ein Delphin in die Tiefe, ein hilfloser Spielball der Naturgewalten; und als ihn seine Kräfte zu verlassen drohten, fühlte er Grund unter seinen Füßen. Im nächsten Augenblick wurde er von einem Brecher über diesen Grund gerollt, von einem tonnenschweren Gewicht auf Sand und Stein gepreßt. Die Planke wurde ihm aus den Händen gerissen, doch seine Korkweste brachte ihn wieder an die Oberfläche. Die zurückflutenden Wasser rissen ihn wieder ein Stück vom Ufer fort, und er trieb hilflos und verzweifelnd in der See, da er nicht mehr die Kraft hatte, sich gegen sein Schicksal zu wehren. Dann packte ihn wieder ein Brecher, größer und mächtiger als alle anderen – ein Brecher, den die Kaffern einen ›Vater der Wellen‹ nennen. Er nahm ihn in die Umarmung seiner gewaltigen, grünen Wölbung, riß ihn mit sich, als ob er nur ein Strohhalm wäre, weit ans Ufer und trug ihn über den breiten Gürtel scharfer Felsklippen hinweg. Mit einem gewaltigen Donnern schlug er an die Küste, warf Robert auf Sand
und Steine einer kleinen Bank in der Flußmündung und rollte ihn mit seiner unerschöpflichen Kraft über den harten Grund. Doch irgendwann ging diese Kraft doch zu Ende, und die schäumenden Wassermassen begannen zum Meer zurückzulaufen und rissen ihn in ihrem Sog mit. Robert war am Ende seiner Kraft und fast bewußtlos, doch war ihm noch soviel Reaktionsfähigkeit verblieben, um zu wissen, daß er verloren war, wenn er noch einmal ins tiefe Wasser geschwemmt werden würde. Als die Rückströmung ihn über die Sandbank riß, versuchte er sich mit beiden Händen am Grund festzuklammern, und durch die Gnade Gottes packten sie etwas. Es mochte ein Baumstumpf gewesen sein, oder etwas anderes; er hat es nie feststellen können. Auf jeden Fall gab es ihm Halt, und er klammerte sich daran fest. Würde das Strömen der Wasser denn niemals aufhören? Seine Lungen drohten zu zerreißen. Er mußte seinen Halt loslassen! Oh! Die Gischt wurde dünner, und jetzt tauchte sein Kopf daraus hervor. Und dann waren Gischt und Wasser zurückgeflutet und ließen ihn wie einen gestrandeten Fisch auf der Sandbank zurück. Eine halbe Minute oder länger lag er keuchend auf dem harten, mit Steinen übersäten Kies. Dann wandte er den Kopf und sah einen weiteren Brecher heranrollen. Er stemmte sich auf, fiel zu Boden und kam wieder auf die Füße, und dann lief er taumelnd landeinwärts, während das schäumende Wasser des Brechers ihn brüllend wie ein Raubtier verfolgte und an seinen Beinen emporgischtete. Weiter ... weiter ... bis er aus seiner Reichweite gelangte ... auf trockenen Sand. Dort verließen ihn seine Kräfte endgültig, sein rechtes Bein
knickte ein, und aus hundert Wunden und Schrammen blutend brach er zusammen und blieb reglos liegen. Das Boot, in dem Benita sich befand, lag so tief im Wasser, daß es gegen die Strömung der Flut kaum Fahrt machte, vor allem, da die große Zahl der Passagiere die Ruderer stark behinderte. Nach einer Weile kam eine leichte ablandige Brise auf, wie es hier gegen Morgen oft der Fall ist, und der Offizier, Thompson, riskierte, das Segel aufzuziehen. Es ergaben sich dabei einige Schwierigkeiten, da der Mast vom Boden des Bootes hervorgeholt und in die Halterung eingesetzt werden mußte, und als der leichte Wind das Segel füllte, schrien die Frauen auf, weil er ihr überladenes Boot so weit auf die Lee-Seite drückte, daß das Dollbord fast das Wasser berührte. »Jeder, der sich bewegt, wird über Bord geworfen!« sagte Thompson, der an der Ruderpinne saß, und danach wurden sie ruhig. Nun machten sie gute Fahrt, doch auf den Gesichtern der Seeleute zeichnete sich Unruhe ab, da die Windstärke zuzunehmen schien und der Kutter selbst bei nur geringem Seegang kaum Überlebenschancen hatte. Zwei Stunden später hatte der Wind so weit aufgefrischt, daß sie gezwungen waren, das Segel wieder einzuziehen und zu treiben. Mr. Thompson versuchte, den Leuten Mut zu machen und sagte ihnen, daß sie inzwischen den Haupt-Schiffahrtsweg der Küstenroute erreicht hätten, und falls sie bis Sonnenaufgang kein Schiff sichten würden, wollte er die Küste entlanglaufen, in der Hoffnung, eine Stelle zu finden, wo die Brecher nicht so stark waren und sie
landen konnten. Wenn seine Worte auch keine Hoffnung weckten, so beruhigten sie die Leute zumindest, und sie saßen schweigend, den Blick auf den heller werdenden Horizont gerichtet. Schließlich färbte sich das Grau zu einem matten Rosa, und dann stieg mit der Plötzlichkeit, die für Südafrika typisch ist, die riesige, rote Sonnenscheibe aus dem Meer und vertrieb mit ihren Strahlen den Nebel. Nach einer halben Stunde waren auch die letzten Spuren verschwunden, die Sonnenwärme erweckte die lethargisch gewordenen Menschen im Boot zu neuem Leben, und sie starrten einander an, um zu sehen, wer von ihnen noch lebte. Dann fragten sie nach Essen, und die Matrosen verteilten Schiffszwieback und Wasser. Benita war noch immer bewußtlos. Ein besonders gefühlskalter Kerl, der ihren Körper als Fußstütze gebrauchte, sagte, daß sie anscheinend tot sei und man sie über Bord werfen sollte, um das Boot zu erleichtern. »Wenn Sie diese Lady ins Meer werfen, lebend oder tot«, sagte Mr. Thompson drohend, »werfe ich Sie hinterher, Mr. Batten. Denken Sie daran, wer sie hergebracht hat, und wie er gestorben ist.« Daraufhin schwieg Mr. Batten, Thompson stand auf und blickte nach Norden. Kurz darauf flüsterte er einem der Matrosen etwas zu, der sich nun ebenfalls erhob und dann nickte. »Das muß ein Schiff der anderen Linie sein«, sagte er, und die Passagiere, die jetzt ebenfalls nach Norden starrten, sahen eine Rauchfahne über dem Horizont. Thompson gab den Befehl, eine kleine Ecke des Segels aufzuziehen und ein weißes Hemd an der
Mastspitze auszubringen. Und dann legten sich die Matrosen wieder in die Riemen. Der Kutter nahm erneut Fahrt auf und steuerte einen leicht nördlich abfallenden Kurs in der Hoffnung, den Kurs des Dampfers zu kreuzen. Dieser näherte sich sehr rasch, und sie, die noch mehrere Meilen vor sich hatten, wagten nicht, mehr Segel aufzuziehen. Eine halbe Stunde später war das Schiff fast auf gleicher Höhe, und sie waren noch immer ein gutes Stück von ihm entfernt. Thompson ließ ein Reff aus dem Segel nehmen, und der Wind trieb das Boot ein wenig schneller durchs Wasser. Der Dampfer glitt in etwa drei Meilen Entfernung an ihnen vorbei und die Menschen wurden von tiefer Verzweiflung gepackt. Jetzt zog der findige Thompson, ohne sich vorher bei den Ladies zu entschuldigen, seine Jacke und sein weißes Hemd aus, befahl einem Matrosen, es an dem Riemen zu befestigen und hin und her zu schwenken. Doch der Dampfer fuhr weiter, bis sie plötzlich das Heulen seiner Sirene hörten und sahen, daß der Bug in ihre Richtung drehte. »Sie haben uns gesehen!« rief Thompson. »Dankt Gott dafür, denn es kommt Wind auf. Refft das Segel, wir brauchen es nicht mehr!« Eine halbe Stunde später, nach einer Reihe vorsichtiger Manöver, da der Wind stark aufgefrischt hatte und Wasser über das Heck des tief beladenen Bootes schwappte, war das Boot an einer Leine festgemacht, die ihnen vom Deck des DreitausendTonnen-Dampfers Castle zugeworfen worden war, der sich auf der Fahrt nach Natal befand. Dann rasselte das Fallreep herab, und kräftige Matrosen, die
auf der unteren Gräting standen, zogen sie, einen nach dem anderen, aus dem Boot und retteten sie vor einem Tod, den sie so nahe vor Augen gehabt hatten. Als letzte vor Thompson wurde Benita mit einem Tau, das der Offizier um ihre Brust geknotet hatte, aus dem Boot gezogen. »Noch Hoffnung?« fragte ein Offizier, der auf der Gräting stand, als er die leblose Gestalt sah. »Kann ich nicht sagen«, antwortete Thompson und sah zwei Matrosen nach, die sie behutsam das Fallreep hinauftrugen. »Rufen Sie Ihren Arzt!« Sie wollten das Boot treiben lassen, doch Thompson bestand darauf, daß es ebenfalls an Bord gehievt wurde. Inzwischen hatte sich die Nachricht von der Ankunft der Schiffbrüchigen herumgesprochen, und die Passagiere der Castle, in Pyjamas oder Morgenmäntel gekleidet, manche sogar nur in eine hastig übergeworfene Decke gehüllt, drängten sich um die erschöpften Menschen, die an Bord kamen. »Ich bin eigentlich Abstinenzler«, sagte der Zweite Offizier, Thompson, als er dem Kapitän der Castle einen kurzen Bericht gegeben hatte, »aber wenn mich jetzt jemand zu einem Whisky-Soda einlädt, sage ich nicht nein.«
4 Mr. Clifford Obwohl der Schock, den sie durch den harten Aufprall erlitten hatte, Benita in eine stundenlange Bewußtlosigkeit versetzt hatte, war ihre Verletzung nicht sehr ernst, da sie offenbar nicht frontal, sondern seitlich aufgeschlagen war, so daß zwar die Haut aufgeplatzt, der Schädel jedoch unverletzt geblieben war. Unter der kompetenten Behandlung durch den Schiffsarzt der Castle kam sie bald wieder zu Bewußtsein, war jedoch noch immer benommen und glaubte, an Bord der Zanzibar zu sein; der Arzt hielt es für richtig, ihr diese Illusion noch eine Weile zu lassen. Nachdem man ihr etwas Brühe eingeflößt hatte, gab er ihr deshalb eine Schlaftablette, deren Wirkung bis zum folgenden Morgen anhielt. Dann kam sie völlig zu Bewußtsein, spürte Kopfschmerzen, und als sie unwillkürlich mit der Hand an ihre schmerzende Stirn griff, ertastete sie den Verband. Und dann sah sie eine ihr fremde Stewardeß auf dem Bettrand sitzen, die ihr eine Tasse Brühe entgegenhielt. »Wo bin ich? Ist dies ein Traum?« fragte sie. »Trinken Sie die Brühe, dann werde ich es Ihnen sagen«, antwortete die Stewardeß. Benita trank, da sie sich hungrig fühlte, und wiederholte dann ihre Frage. »Ihr Schiff ist auf ein Riff gelaufen und gesunken«, sagte die Stewardeß. »Viele der Passagiere sind ertrunken, doch Sie hat man bewußtlos in ein Boot ge-
bracht. Sehen Sie, dort sind Ihre Kleider; sie sind völlig trocken.« »Wer hat mich ins Boot gebracht?« fragte Benita leise. »Ein Gentleman, wurde berichtet. Er hat Sie in eine Decke gewickelt und Ihnen eine Schwimmweste umgebunden.« Jetzt erinnerte sich Benita wieder an alles, was geschehen war, bevor die Dunkelheit über sie hereingebrochen war – an die Frage, die sie nicht beantwortet hatte, an das junge Paar, das flirtend neben ihnen gestanden hatte – alles kam in ihre Erinnerung zurück. »Ist Mr. Seymour gerettet worden?« flüsterte sie, und ihr Gesicht wurde bleich vor Angst. »Sicherlich«, antwortete die Stewardeß ausweichend, »aber es befindet sich kein Gentleman dieses Namens auf diesem Schiff.« In diesem Augenblick trat der Arzt herein, und sie bestürmte auch ihn mit Fragen. Doch da er von Thompson über Roberts Selbstaufopferung informiert worden war, gab auch er ihr keine Antwort, da er ahnte, wie es zwischen ihr und Robert stand und die Auswirkungen eines Schocks befürchtete. So sagte er nur, daß er hoffe, Mr. Seymour sei mit einem anderen Boot gerettet worden. Erst drei Tage später getraute man sich, Benita die Wahrheit zu sagen, da sie sich nun nicht mehr länger verheimlichen ließ. Mr. Thompson trat in ihre Kabine und berichtete ihr, was vorgefallen war. Sie hörte ihm schweigend, entsetzt, verwundert zu. »Miß Clifford«, sagte er abschließend, »ich bin der Meinung, daß Mr. Seymour das Tapferste getan hat,
was ein Mensch tun konnte. An Bord habe ich ihn immer für einen etwas arroganten Nichtstuer gehalten, aber er war ein großartiger Mann, und ich bete zu Gott, daß er lebt, so wie die Frau für ihn betet, für die und deren Kind er sein Leben riskiert hat.« »Ja«, wiederholte sie mechanisch, »ein großartiger Mann, und ich glaube«, fügte sie mit plötzlicher Überzeugung hinzu, »daß er am Leben ist. Wenn er tot wäre, würde ich das spüren.« »Ich bin froh, daß Sie das sagen, Miß Clifford«, sagte Thompson, obwohl er vom Gegenteil überzeugt war. »Hören Sie«, fuhr Benita fort, »ich möchte Ihnen etwas sagen. Als dieses furchtbare Unglück geschah, hatte Mr. Seymour mich gerade gefragt, ob ich ihn heiraten wolle, und ich wollte ihm mein Jawort geben – weil ich ihn liebe. Ich glaube, daß ich ihm meine Antwort noch geben kann.« Thompson erklärte noch einmal, daß er das hoffe, und da er nicht nur ein mutiger und kompetenter, sondern auch ein ehrlicher und mitfühlender Mann war, meinte er es auch ernst; doch in seinem Herzen war er überzeugt, daß sie ihm ihre Antwort erst jenseits des Grabes würde geben können. Dann übergab er ihr das Papier, das die Stewardeß an ihrem Busen gefunden hatte, als sie sie entkleidete, und da er eine schmerzliche Reaktion Benitas befürchtete, die er nicht miterleben wollte, verließ er fast fluchtartig die Kabine. Benita las Roberts Zeilen zweimal, dann drückte sie das Papier an ihre Lippen und murmelte: »Ja, ich werde an dich denken, Robert Seymour, in Liebe und Treue, und jetzt oder später sollst du deine Antwort
haben, falls du sie noch möchtest. Wo immer du sein magst, wo immer ich hingehe, werde ich auf dich warten.« Am Nachmittag, als sie sich wieder etwas gefangen hatte, kam Mrs. Jeffreys mit ihrem Baby zu ihr. Die arme Frau war noch immer bleich und litt unter den Nachwirkungen des Schocks, doch das Kind hatte durch das Bad im warmen Wasser des Indischen Ozeans keinerlei Schaden davongetragen. »Sie müssen mich hassen«, rief sie schluchzend und warf sich vor Benita auf die Knie. »Aber ich wußte nicht, was ich tat. Ich war in Todesangst um mich und mein Kind«, und sie küßte das schlafende Baby leidenschaftlich. »Und ich habe alles gar nicht richtig begriffen ... ich war so benommen ... Und Mr. ... dieser Held hat sein Leben für uns geopfert, als andere mit den Riemen nach mir schlagen wollten. Ja, sein Blut klebt an meinen Händen, weil er starb, damit mein Kind und ich leben.« Benita blickte sie an und sagte sanft: »Vielleicht ist er nicht gestorben. Trauern Sie nicht um ihn, denn selbst wenn er sein Leben geopfert haben sollte, war es ein ehrenvoller, würdiger Tod, und ich bin stolzer auf ihn, als wenn er wie die anderen, die Sie mit dem Riemen in die See zurückstoßen wollten, am Leben geblieben wäre. Was immer ihm geschehen sein mag, es ist nach Gottes Willen geschehen und deshalb zum Besten. Auf jeden Fall sind Sie und das Kind Ihrem Mann zurückgegeben, obwohl es mich den kostete, der – mein Mann geworden wäre.« Am Abend kam Benita zum ersten Mal an Deck, sprach mit den anderen Damen, die gerettet worden waren, und erfragte jede Einzelheit, an die sie sich
erinnern konnten. Mit den geretteten Männern – ausgenommen Mr. Thompson – sprach sie jedoch kein Wort, und sehr bald, nachdem sie gemerkt hatten, was sie von ihnen hielt, wichen sie ihr aus, so wie sie bereits Mrs. Jeffreys ausgewichen waren. Die Castle kreuzte etwa dreißig Stunden lang an der Stelle, an der die Zanzibar untergegangen war, rettete eine zweite Bootsladung Überlebender und einen Heizer, der an ein Wrackteil geklammert im Wasser trieb. Doch an die Küste konnte niemand gelangen, da aus dem Wind inzwischen ein Sturm geworden war und kein Boot heil durch die Brecher kommen würde. Man hatte jedoch einem vorüberfahrenden Dampfer, der nach Port Elizabeth lief, Nachricht von der Katastrophe übermitteln können, und auch die Namen der Überlebenden, die gerettet worden waren, und so wurden sie um die ganze Welt verbreitet. In der Nacht nach Benitas Gespräch mit Mrs. Jeffreys erreichte die Castle Durban und ging weit draußen vor Anker, da sie zu großen Tiefgang hatte, um über die Sandbarriere in den Hafen einlaufen zu können. Bei Anbruch der Dämmerung weckte die Stewardeß Benita aus einem unruhigen Schlaf, um ihr mitzuteilen, daß ein älterer Gentleman mit dem Schlepper herausgekommen sei und sie zu sprechen wünsche. Um keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen, hatte sie das Wort ›älterer‹ hinzugefügt und besonders betont. Sie half Benita beim Ankleiden, und als die Sonne aufging und die Berea, den Point, die weißen Häuser Durbans und die hinter ihr liegende Weite Natals mit ihrem goldenen Licht erhellte, trat sie an Deck und
sah dort, an die Reling gelehnt, einen hageren, graubärtigen Mann stehen, den sie nach all den Jahren sofort wiedererkannte. Ein erwartungsfrohes Erschauern lief durch ihren Körper, als sie ihn dort, anscheinend tief in Gedanken versunken, vor sich sah. Immerhin war er ihr Vater, der Mann, dem sie ihre Existenz auf dieser bitteren Erde verdankte, diesem Ort der Schrecken und Freuden, der Verzweiflung und Hoffnung. Vielleicht war so viel an ihm gesündigt worden, wie er sich an anderen versündigt hatte, überlegte sie, als sie auf ihn zutrat und ihre Hand auf seinen Arm legte. »Vater«, sagte sie. Mit der raschen Bewegung eines um vieles jüngeren Mannes fuhr er herum. Wie sein Geist war auch sein Körper geschmeidig geblieben. »Mein Liebling«, sagte er, »deine Stimme hätte ich unter Tausenden herausgehört. Sie hat viele Jahre lang in meinen Träumen zu mir gesprochen. Ich danke dir, daß du zu mir zurückgekommen bist, und ich danke Gott, daß er dich erhalten hat, wo so viele Menschen umgekommen sind.« Und er schlang seine Arme um sie und küßte sie. Sie zuckte ein wenig zurück, da er unbeabsichtigt die Wunde an ihrer Schläfe drückte. »Entschuldige«, sagte sie, »aber ich habe eine kleine Verletzung am Kopf.« Erst jetzt bemerkte er den Verband. »Man hat mir nicht gesagt, daß du verletzt worden bist«, sagte er mit seiner leisen, kultivierten Stimme, ein Erbe seiner Erziehung und Abstammung, das ihm auch die langen Jahre in der Wildnis nicht hatten nehmen können. »Sie haben mir nur mitgeteilt, daß du gerettet
seist. Es gehört zu meinem Unglück, daß ich dir gleich im ersten Augenblick unseres Wiedersehens weh tun muß, der ich dir ohnehin schon so viele Schmerzen bereitet habe.« Benita wußte, daß er sich damit für die Fehler der Vergangenheit entschuldigen wollte, und ihr Herz war gerührt. »Es ist nicht schlimm«, sagte sie. »Du konntest es nicht wissen und hast es nicht absichtlich getan.« »Nein, Benita, ich habe es nicht gewußt und nicht beabsichtigt. Glaube mir, daß ich nie ein mutwilliger Sünder war, sondern nur ein schwacher. Du bist eine sehr schöne Frau geworden, Benita, noch schöner, als ich erwartet hatte.« »Was«, sagte sie lachend, »mit diesem Verband um den Kopf?« Doch sie dachte, daß diese Bezeichnung eher auf ihren Vater zutraf, der trotz seiner Jahre ausnehmend gut aussah. Er hatte wache, blaue Augen, ein ausdrucksvolles Gesicht, einen grauen Bart. Wie konnte dies der Mann sein, der ihre Mutter geschlagen hatte, fragte sie sich. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie er vor Jahren gewesen war, als Sklave des Alkohols, und wußte, daß die Antwort leicht zu finden war. »Erzähl mir, wie du der Katastrophe entronnen bist«, sagte er und streichelte ihre Hand mit seinen schlanken Fingern. »Du weißt nicht, was ich durchgemacht habe. Ich wartete hier im Royal Hotel auf dich, als das Telegramm eintraf, daß die Zanzibar mit allen Passagieren und der gesamten Besatzung untergegangen sei. Zum ersten Mal nach vielen Jahren habe ich wieder Alkohol getrunken, um meine Trauer zu ertränken – du brauchst keine Angst zu haben,
Liebling, es war das erste und das letzte Mal. Später traf dann ein zweites Telegramm ein, in dem die Namen der Geretteten angegeben wurden, und – Gott sei Dank, oh! Gott sei Dank – war der deine darunter.« »Ja«, sagte sie, »ich sollte Ihm danken – und einem anderen. Hast du von Mr. Seymour gehört – ich meine, wie er mich gerettet hat?« »Einiges. Während ich hier auf dich wartete, habe ich mit dem Offizier gesprochen, der euer Boot befehligte. Er war ein sehr tapferer Mann, Benita, und es tut mir leid, dir sagen zu müssen, daß er tot ist.« Sie umklammerte mit beiden Händen die Reling und starrte ihn mit bleichem Gesicht an. »Woher weißt du das, Vater?« Mr. Clifford zog ein Exemplar des Natal Mercury vom vergangenen Tag aus der Tasche seines Mantels, und während sie vor grauenhafter Anspannung fast verging, überflog er den langen Artikel über den Untergang der Zanzibar. Schließlich fand er den Abschnitt, den er suchte und las ihn ihr laut vor. »Die Männer, die an der Küste nach weiteren Überlebenden der Schiffskatastrophe suchten, berichteten, daß sie einen Kaffer getroffen hätten, der ihnen eine Uhr zeigte, die er, wie er sagte, einem toten Weißen abgenommen habe, der im Sand neben der Mündung des Umvoli gelegen habe. Auf der Innenseite der Uhr waren folgende Worte eingraviert: Für Seymour Robert Seymour von seinem Onkel, zum 21. Geburtstag. Der Name Mr. Seymours wird im Schiffsmanifest als Erster-Klasse-Passagier von Southampton nach Durban aufgeführt. Er war Mitglied einer alten Familie von Lincolnshire. Er befand sich
auf seiner zweiten Reise nach Afrika, das er bereits vor einigen Jahren mit seinem Bruder zu einer Großwildjagd besucht hatte. Alle, die ihn damals kennengelernt haben, werden wie wir diesen Verlust betrauern. Mr. Seymour war ein bekannter Schütze und Jäger und ein englischer Gentleman der besten Art. Zuletzt wurde er gesehen, als er eine der Überlebenden der Katastrophe, Miß Clifford, die Tochter des bekannten Natalpioniers gleichen Namens, in ein Boot trug. Diese junge Lady befindet sich jedoch, wie berichtet wurde, unter den Geretteten, und da er mit ihr zusammen in das Boot stieg, gibt es noch keine Erklärung dafür, wie er den Tod an der Küste gefunden hat.« »Ich fürchte, da gibt es keine Zweifel mehr«, sagte Mr. Clifford und faltete die Zeitung zusammen. »Ja, keine Zweifel ...«, wiederholte sie gepreßt. »Und doch ... und doch ... Oh! Vater, er hatte mich gerade gefragt, ob ich ihn heiraten wolle, und ich kann es einfach nicht glauben, daß er gestorben sein soll, bevor ich ihm antworten konnte.« »Guter Gott!« sagte der alte Mann leise, »davon haben sie mir nichts gesagt. Gott steh dir bei mein armes Kind! Es ist sicher auch kein Trost, zu wissen, daß er nur einer von dreihundert war, die mit ihm gegangen sind. Sei tapfer, Benita, nimm dich zusammen vor all diesen Leuten. Sieh, dort kommt der Schlepper!« An die folgende Woche hatte Benita kaum irgendwelche Erinnerung. Als sie von dem Schlepper an Land gesetzt worden waren, nahmen sich Freunde ihres Vaters ihrer an und brachten sie zu ihrem Haus,
das auf der Berea gelegen war. Nachdem die erste Aufregung von Rettung und Trauer abgeklungen war, setzte die unvermeidliche Reaktion ein, und sie wurde so schwach, daß der Arzt auf absoluter Bettruhe bestand. Fünf Tage dauerte es, bis mit dem Abheilen ihrer Kopfwunde auch ihre Kräfte zurückkehrten, doch es war eine sehr traurige Benita, die eines Nachmittags aus ihrem Zimmer auf die Veranda trat und auf die grausame See hinausblickte, die jetzt so glatt und friedlich war, wie der Himmel über ihr. Ihr Vater, der sich während ihrer Krankheit liebevoll um sie gekümmert hatte, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand in die seine. »Wunderbar«, sagte er und blickte sie forschend an. »Du bist wieder genauso wie vorher.« »Ich werde nie wieder so sein wie vorher«, antwortete sie. »Mein altes Ich ist tot, wenn auch mein Körper wieder gesund geworden ist. Vater, ich weiß, daß es eine Sünde ist, doch ich wünschte, ich wäre auch gestorben. Ich wünschte, er hätte mich mit sich genommen als er in die See sprang, um das Boot leichter zu machen.« »Das darfst du nicht sagen«, unterbrach er sie hastig. »Natürlich weiß ich, daß ich dir nicht viel bedeute – wie könnte ich das, nach allem, was in der Vergangenheit geschehen ist? Aber ich liebe dich, mein Liebling, und wenn ich noch einmal völlig allein leben müßte ...« Seine Stimme brach. »Du wirst nicht wieder allein leben«, sagte sie und sah den alten Mann mit ihren dunklen, sanften Augen an. »Wir haben jetzt nur noch einander auf dieser Welt, nicht wahr? Die anderen sind fort und kehren nie mehr zurück.«
Er schlang seine Arme um sie, zog sie an sich und küßte sie. »Wenn du nur lernen könntest, mich zu lieben«, murmelte er. »Ich liebe dich doch«, antwortete sie, »und ich werde, solange ich lebe, keinen anderen Mann mehr lieben.« Dies war der Beginn einer tiefen Zuneigung zwischen Mr. Clifford und seiner Tochter, die bis zum Ende andauern sollte. »Gibt es etwas Neues?« fragte sie etwas später. »Nicht über ihn. Wahrscheinlich hat die Flut seinen Körper fortgespült, nachdem der Kaffer ihn entdeckt und ihm die Uhr abgenommen hatte. Er war ein großartiger junger Mann, und mir ist inzwischen wieder eingefallen, daß ich mir damals, als wir uns bei der Ruine voneinander verabschiedeten, gewünscht hatte, einen Sohn wie ihn zu haben. Wenn ich daran denke, daß er mir fast ein Sohn geworden wäre ... Nun, das Gras muß sich beugen, wenn der Wind weht, wie die Eingeborenen sagen.« »Ich bin froh, daß du ihn kennengelernt hast«, sagte sie leise. Dann begannen sie von anderen Dingen zu sprechen. Er berichtete ihr, daß inzwischen alle Einzelheiten bekannt geworden seien, und daß die Menschen von Robert Seymour als dem Helden sprächen und ihre Neugier sich auch sehr mit ihr beschäftigte. »Dann wollen wir so rasch wie möglich von hier fort«, sagte sie nervös. »Aber wohin, Vater?« »Die Entscheidung liegt bei dir, Liebling. Hör zu, dies ist meine Situation. Ich habe viele Jahre lang hart gearbeitet, mit dem Ergebnis, daß ich und mein Part-
ner jetzt eine gute Farm in Transvaal, auf dem Hochland in der Nähe von Lake Chrissie, besitzen. Wir züchten dort Pferde und sind dabei nicht schlecht gefahren. Ich habe eintausendfünfhundert Pfund gespart, und die Farm bringt uns ein Nettoeinkommen von sechshundert Pfund im Jahr. Aber es ist ziemlich einsam dort. Die einzigen Menschen, mit denen wir zusammenkommen, sind ein paar Buren, aber es sind recht nette Leute. Für dich wäre es jedoch sicher eine Zumutung, so von aller Welt abgeschieden leben zu müssen ...« »Nein, überhaupt nicht«, antwortete sie lächelnd. »Vielleicht nicht jetzt, aber mit der Zeit, wenn du weißt, wie es ist, allein in der Wildnis zu leben. Nein. Ich könnte meinen Anteil an der Farm meinem Partner anbieten. Ich bin sicher, daß er ihn kaufen würde. Oder ich könnte ihn bitten, mir einen Teil des Gewinns zuzuschicken, was er sicher nicht tun würde. Wir könnten dann, wenn du es willst, in der Nähe einer der Städte leben, oder sogar, da du ein eigenes Einkommen hast, nach England zurückkehren, wenn dir das lieber sein sollte.« »Wäre dir das lieber?« fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich gehöre hierher. Außerdem muß ich etwas suchen, bevor ich sterbe – für dich, Benita.« »Du meinst, bei der alten Ruine?« fragte sie und blickte ihn abwartend an. »Ja. Du weißt also schon davon«, antwortete er verwundert. »Aber natürlich! Seymour hat es dir erzählt. Ja, bei den alten Ruinen – aber diese Geschichte werde ich dir später erzählen, nicht jetzt, und nicht hier. Was möchtest du also tun, Benita? Denk daran,
daß ich die Entscheidung völlig dir überlasse. Ich werde alles tun, was du bestimmst.« »Auf jeden Fall will ich nicht in einer Stadt leben und auch nicht nach England zurückkehren«, antwortete sie, während seine Blicke erwartungsvoll an ihren Lippen hingen. »Dies ist für mich das Gelobte Land geworden. Vater, ich möchte mit dir auf deine Farm gehen; dort finden wir unsere Ruhe, du und ich.« »Ja«, antwortete er ihr ein wenig unsicher, »aber du mußt wissen, daß wir dort nicht allein sein werden. Mein Partner Jacob Meyer lebt auch auf der Farm.« »Jacob Meyer? Ah! Ich erinnere mich.« Sie verzog das Gesicht. »Er ist Deutscher, nicht wahr, und ziemlich seltsam?« »Ein deutscher Jude, ja, und sehr seltsam. Hätte ein Dutzend Vermögen machen können, und hat bisher so gut wie gar nichts erreicht. Zu unpraktisch, zu versponnen, trotz all seiner Intelligenz und seiner Intrigen. Er ist kein guter Mensch, Benita, obwohl er mir sehr nützlich ist.« »Wie ist er dein Partner geworden?« »Oh! Vor ein paar Jahren tauchte er bei mir auf und erzählte mir eine Jammergeschichte. Er sagte, er sei Händler in Zululand gewesen, habe jedoch eines Tages Streit mit ihnen bekommen – warum, weiß ich nicht. Das Ende war jedenfalls, daß sie seine Wagen verbrannten, seine Waren und Ochsen stahlen und seine Diener töteten. Sie hätten auch ihn getötet, doch habe er ihnen, wie er mir sagte, auf eine sehr merkwürdige Weise entkommen können.« »Wie?« »Indem er den Häuptling mesmerisiert und ihn gezwungen habe, ihn durch die Reihen seiner Krieger
zu führen. Eine höchst merkwürdige Geschichte, aber ich traue Jacob so etwas durchaus zu. Er hat sechs Monate lang bei mir gearbeitet und sich dabei sehr anstellig und klug gezeigt. Dann, eines Abends – ich erinnere mich, es war wenige Tage, nachdem ich ihm von dem Schatz in den Ruinen der Makalanga erzählt hatte – zog er fünfhundert Pfund in Noten der Bank von England aus dem Futter seiner Weste und bot mir an, den halben Anteil an der Farm zu kaufen. Ja, fünfhundert Pfund, Benita, und ich hatte ihn all die Monate für einen Bettler gehalten. Nun, ich hatte mich irgendwie an ihn gewöhnt, und seine Gesellschaft war immerhin besser als gar keine, und so stimmte ich schließlich zu. Wir haben bisher auch in allem Glück gehabt, bis auf diese Expedition nach dem Schatz, den wir nicht finden konnten, doch immerhin haben wir dabei durch das Elfenbein, das wir unterwegs kauften, mehr als unsere Unkosten hereinbringen können. Beim nächsten Mal werden wir Erfolg haben, dessen bin ich sicher«, setzte er voller Enthusiasmus hinzu. »Das heißt, wenn wir die Makalanga dazu bringen können, uns auf ihrem Berg graben zu lassen.« Benita lächelte. »Ich würde es für besser halten, wenn du bei der Pferdezucht bleibst«, sagte sie. »Du sollst das entscheiden, nachdem du die Geschichte gehört hast. Aber du bist in England aufgewachsen; wirst du keine Angst haben, nach Lake Chrissie zu gehen?« »Angst vor was?« fragte sie. »Oh, vor der Einsamkeit, und ... vielleicht vor Jacob Meyer.«
»Ich bin auf dem Veld geboren und ich habe London immer gehaßt, Vater. Und was deinen seltsamen Partner, Jacob Meyer, betrifft, so fürchte ich mich vor keinem Mann auf dieser Welt. Mir steht der Sinn nicht mehr nach Männern. Auf jeden Fall möchte ich sehen, ob ich dort zurechtkommen kann.« »Gut«, antwortete ihr Vater mit einem Seufzer der Erleichterung. »Du kannst ja jederzeit hierher zurückkommen, nicht wahr?« »Ja«, sagte sie leise, »ich kann jederzeit zurückkommen.«
5 Jacob Meyer Mehr als drei Wochen waren vergangen, als Benita sich eines Morgens von dem Cartel oder Bett aus aufgespannten Fellen im Wagen erhob, sich ankleidete, den Vorhang zur Seite zog und sich auf das Voorkisse oder Kutschbock setzte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und es lag Frost in der Luft, denn es war das Ende des Winters auf dem Hoch-Veld von Transvaal. Benita fror trotz ihres dicken Mantels und rief dem Kutscher, der auch Koch war und dessen in Decken gehüllte Gestalt sie beim Feuer hocken sah, zu, sich mit dem Kaffee zu beeilen. »Noch kleine Weile, Missie«, rief er zurück und hustete Rauch aus seinen Lungen. »Der Kessel singt noch nicht, und das Feuer ist so schwarz wie die Hölle.« Benita überlegte, daß diese Örtlichkeit nach den Vorstellungen der meisten Menschen rot sein sollte, doch hielt sie es für richtiger, nicht darüber zu streiten, sondern zu warten, bis das Wasser kochen und ihr Vater erscheinen würde. Kurz darauf kroch er unter dem Wagen hervor, wo er sich mit einer Plane einen geschützten Schlafplatz eingerichtet hatte, bemerkte, daß es an diesem Morgen wirklich zu kalt war, um sich zu waschen, setzte sich an Benitas Seite und küßte sie. »Wie weit ist es noch bis nach Rooi Krantz, Vater?« fragte sie. Rooi Krantz war der Name seiner Farm. »Ungefähr vierzig Meilen. Mit den beiden kranken
Ochsen werden wir es bis heute abend nicht schaffen, aber nach dem mittäglichen Ausspannen können wir zu Pferd weiterreiten und bei Sonnenuntergang dort sein. Ich habe den Eindruck, daß das Trecking dich langweilt.« »Nein«, antwortete sie. »Ich mag es sogar sehr. Es ist so geruhsam, und ich schlafe tief und fest auf diesem Cartel. Ich wünschte, ich könnte mein ganzes Leben lang so durch dieses schöne Land trecken.« »Das kannst du auch, wenn du es willst, Benita, monatelang. Südafrika ist ein riesiges Land, und wenn das Gras wächst und du es noch immer willst, gehen wir auf einen langen Treck.« Sie lächelte, antwortete jedoch nicht, da sie wußte, daß er an einen weit entfernt liegenden Ort dachte, an dem, wie er glaubte, einst Portugiesen ihr Gold vergraben hatten. Der Kessel begann zu singen, und Hans, der Koch, nahm ihn triumphierend vom Feuer und goß das kochende Wasser auf eine großzügig bemessene Portion Kaffee, den er aus einer alten Senfbüchse in die Kanne gelöffelt hatte. Nachdem er das Gebräu mit einem Stock gründlich umgerührt hatte, nahm er ein glühendes Holzstück aus dem Feuer und warf es in die Kanne, ein Verfahren, das, wie alle erfahrenen Trekker im Veld wissen, den Kaffeesatz zu Boden sinken läßt und den Kaffee auf diese Weise klärt. Dann füllte er zwei Becher und reichte sie zusammen mit einem ehemaligen Gurkenglas voll Zucker den beiden hinauf. Milch hatten sie nicht, doch der Kaffee schmeckte viel besser als er aussah; Benita trank sogar zwei Tassen davon, um sich aufzuwärmen und den harten Zwieback aufzuweichen. Und bevor dieser Tag vor-
bei war, würde sie froh sein, daß sie sich gründlich gestärkt hatte. Die Sonne stieg über den Horizont; riesig und rot schien sie durch den Bodennebel, und als sie gefrühstückt hatten, gab Clifford Befehl, die Ochsen, die in ihrer Nähe an dem trockenen Gras fraßen, einzuspannen. Der Voorlooper, ein Zulujunge, der sich neben Hans gehockt hatte und den Rest des Kaffees mit ihm teilte, stand stöhnend auf und ging, um die Tiere zu holen. Kurz darauf unterbrach Hans seine Tätigkeit, die Kochutensilien zusammenzupacken, und sagte leise: »Kek! Baas.« Benita und ihr Vater folgten mit ihren Blicken seinem ausgestreckten Arm und sahen nicht mehr als hundert Yards entfernt ein großes Rudel Wilderbeest oder Gnu, die über einen Bergkamm zogen, hin und wieder stehenblieben und die typischen Luftsprünge vollführten, die die Buren zu der Schlußfolgerung gebracht hatten, daß diese Tiere einen Wurm im Gehirn hätten. »Gib mir ein Gewehr, Hans«, sagte Mr. Clifford. »Wir brauchen Fleisch.« Bis er seine Westley-Richards ausgepackt und geladen hatte, war die Herde verschwunden; nur ein Bock war zurückgeblieben und starrte mißtrauisch zum Wagen herüber. Mr. Clifford legte das Gewehr an und schoß. Der Bock brach zusammen, sprang aber sofort wieder auf und verschwand hinter dem Bergkamm. Mr. Clifford schüttelte den Kopf. »Ich treffe nicht oft so schlecht, Benita«, sagte er, »aber das Licht reicht noch nicht. Trotzdem, er ist getroffen. Was meinst du? Sollen wir die Pferde satteln und ihn verfolgen? Ein Ritt wird dich aufwärmen.«
Benita, die ein gutes Herz hatte, sagte sich, daß es notwendig war, das angeschossene Tier zu erlösen, und nickte zustimmend. Fünf Minuten später trabten sie den Berghang hinauf, nachdem Mr. Clifford den Befehl gegeben hatte, weiterzutrecken, bis sie wieder dazustoßen würden. Hinter der Bergkette lag eine weite Fläche marschigen Geländes, das eine halbe Meile weiter von einer weiteren Hügelkette begrenzt wurde, und von deren Höhe – inzwischen war es ganz hell geworden – sahen sie den waidwunden Bullen auf der dahinter liegenden Ebene stehen. Sie ritten auf ihn zu, aber bevor sie auf Schußweite heran waren, galoppierte er weiter, da die Kugel ihm nur eine leichte Wunde in die Flanke geschlagen hatte und er jetzt wußte, woher die Gefahr kam. Immer wieder ergriff er die Flucht, sowie sie sich ihm näherten, und als Mr. Clifford absteigen wollte, um einen Weitschuß zu riskieren, stob er mit langen Sätzen davon. »Komm!« drängte er. »Wir dürfen nicht aufgeben.« Jetzt war der Jäger in ihm erwacht. Sie ritten im Galopp weiter, Hänge hinauf und hinab, durch eine wellenförmige Landschaft, die Benita an den Golf von Biskaya bei Sturm erinnerte, über halbtrockene Vleis, die während der Regenzeit Tümpel waren, und über die Löcher von Ameisenbären, die ihre Pferde fast zu Fall gebracht hätten. Fünf Meilen oder mehr verfolgten sie den angeschossenen Bullen, der um diese Jahreszeit, gegen Ende des Winters, schlank war und trotz seiner Verletzung schneller laufen konnte als ihre guten Pferde. Und dann, als sie den Grat einer weiteren Hügelkette erreichten, sahen sie, wohin er wollte, denn plötzlich
waren sie mitten in riesigen Herden, zwischen Tausenden oder gar Zehntausenden von verschiedenen Tieren, soweit das Auge reichte. Es war ein Anblick, wie man ihn heute auf dem Veld von Transvaal nicht mehr findet: Wilderbeeste, Blessböcke, Springböcke in riesigen Herden, und unter ihnen einige Quagga und Hartebeeste. Mit einem donnernden Poltern setzten sich die unzähligen Hufe in Bewegung und wirbelten Staubwolken auf, als die Tiere beim Anblick ihres Feindes, des Menschen, die Flucht ergriffen. Nach allen Richtungen stoben sie in riesigen, braunen Wellen auseinander und ließen das ermüdete, waidwunde Wildebeest hinter sich, so daß es schließlich allein auf dem brandgeschwärzten Veld zurückblieb. Sie ritten auf das Tier zu, bis Mr. Clifford, der seiner Tochter ein Stück voraus war, fast auf gleicher Höhe mit ihm war. Das verängstigte, erregte Tier machte einen letzten Versuch, sein Leben zu retten. Es blieb plötzlich stehen, warf sich herum und griff Clifford mit gesenktem Kopf an. Clifford riß das Gewehr hoch und feuerte ohne zu zielen. Die Kugel schlug in den Körper des Bullen, konnte seinen Angriff jedoch nicht stoppen. Seine Hörner trafen den rechten Vorderlauf von Mr. Cliffords Pferd, und im nächsten Augenblick rollten Roß, Reiter und Wilderbeest zusammen auf dem Veld. Benita, die etwa fünfzig Yards zurückgeblieben war, schrie erschrocken auf, doch bevor sie ihren Vater erreicht hatte, sprang der lachend auf, da er völlig unverletzt geblieben war. Auch das Pferd kam sofort wieder auf die Beine, doch der Bulle konnte sich nicht wieder erheben. Er stemmte sich auf die Vorderläufe,
stieß ein dumpfes Stöhnen aus, blickte mit wild rollenden Augen umher und brach tot zusammen. »Ich habe noch nie erlebt, daß ein Wilderbeest so angegriffen hat«, sagte Mr. Clifford. »Verdammt! Ich glaube, mein Pferd lahmt.« Es lahmte wirklich, auf dem rechten Vorderlauf, den die Hörner des Wilderbeest getroffen hatten, doch schien die Verletzung nicht schwer zu sein. Nachdem Mr. Clifford sein Taschentuch an einem seiner Hörner befestigt hatte, um die Geier von ihm fernzuhalten, schwang er sich auf sein lahmendes Pferd, und sie ritten in die Richtung, in der der Wagen jetzt sein mußte. Doch sie waren weiter galoppiert, als sie angenommen hatten, und es war Mittag vorbei als sie einen Weg erreichten, den sie für den richtigen hielten. Doch da sie keine Spur darauf entdecken konnten, ritten sie auf ihm zurück in der Erwartung, den Wagen irgendwo ausgespannt zu finden. Doch sie ritten Meile um Meile, ohne den Wagen auszumachen. Als sie endlich einsahen, daß sie sich auf einem falschen Weg befinden mußten, ritten sie zurück bis zu der Stelle, an der sie auf ihn gestoßen waren, und hielten sich dann mehr nach rechts. Inzwischen waren dunkle Wolken aufgezogen, und gegen drei Uhr brach ein Gewitter los, begleitet von einem wolkenbruchartigen, eiskalten Regen, der sie innerhalb von Minuten bis auf die Haut durchnäßte. Und, was noch schlimmer war, nach dem Platzregen begann es zu nieseln, und Nebel stiegen auf, die immer dichter wurden, als sich der Abend näherte. Nun waren sie in einer wirklich verzweifelten Lage. Verirrt, hungrig, bis auf die Haut durchnäßt, mit müden Pferden, von denen eins dazu auch noch
lahmte, zogen sie über das trostlose Veld. Nur ein einziger Glücksumstand kam ihnen zu Hilfe. Als die Sonne unterging, drangen ihre Strahlen durch den Nebel und sagten ihnen, in welche Richtung sie reiten mußten. Sie wandten ihre Pferde und ritten auf die sinkende Sonne zu, bis sie hinter dem Horizont verschwand. Dann machten sie eine kurze Rast, doch da sie fühlten, daß sie die Nacht nicht überleben würden, wenn sie sich in der schneidenden Kälte nicht bewegten, ritten sie kurz darauf weiter. Mr. Cliffords Pferd lahmte inzwischen so stark, daß er es nicht mehr reiten konnte, also stieg er ab und führte es, und er machte sich bittere Vorwürfe, seine Tochter durch seinen Leichtsinn in diese Lage gebracht zu haben. »Das macht nichts, Vater«, antwortete sie erschöpft. »Mir ist es egal. Man kann auf dem Veld genausogut sterben, wie auf See oder irgendwo anders.« Sie zogen weiter, ohne zu wissen, wohin. Benita schlief im Sattel ein und schreckte erst auf, als sie ganz in der Nähe eine Hyäne heulen hörte. Und zum zweiten Mal, als ihr Pferd in die Knie brach. »Wie spät ist es?« fragte sie schließlich. Ihr Vater riß ein Streichholz an und blickte auf seine Uhr. Es war fast zehn; sie waren fünfzehn Stunden von ihrem Wagen fort und hatten während dieser Zeit nicht einen Bissen gegessen. Mr. Clifford hatte in gewissen Abständen sein Gewehr abgefeuert. Nun hatte er aber nur noch eine Patrone, und als er im Licht des Streichholzes das erschöpfte Gesicht seiner Tochter sah, schoß er auch diese ab, obwohl in dieser öden Wildnis kaum Hoffnung bestand, daß der Schuß Hilfe herbeirufen würde.
»Sollen wir halten oder weitermachen?« fragte er nach einer Weile. »Das ist mir egal«, antwortete sie. »Ich fürchte nur, wenn ich jetzt anhalte, ist es für immer.« Der Regen hatte inzwischen aufgehört, doch der Nebel war noch genauso dicht wie zuvor. Sie waren unversehens in dichtes Buschwerk geraten, und nasse Zweige fuhren ihnen ins Gesicht. Völlig erschöpft stolperten sie weiter, bis Benitas Pferd plötzlich stehenblieb, als ob eine Hand es beim Zügel gepackt hätte, und sie eine Männerstimme, die mit einem fremden Akzent sprach, sagen hörte: »Mein Gott! Wohin wollen Sie?« »Ich wünschte, ich wüßte es«, antwortete Benita wie im Traum. In diesem Augenblick durchbrachen die Strahlen des Mondes die Nebelschwaden, und Benita sah zum ersten Mal Jacob Meyer. In diesem Licht wirkte er nicht unsympathisch. Er war ein Mann um die vierzig, nicht sonderlich groß, doch schlank und agil, mit einem schwarzen Spitzbart, ebenmäßigen semitischen Gesichtszügen, einer elfenbeinbleichen Hautfarbe, die selbst die afrikanische Sonne nicht bräunen zu können schien, und dunklen, glänzenden Augen, die einmal wie schlafend wirkten und im nächsten Augenblick das Feuer seiner Gedanken zu reflektieren schienen. Doch trotz ihrer Müdigkeit spürte Benita, daß irgend etwas in der Persönlichkeit dieses Mannes sie alarmierte und abstieß, etwas Wildes, Grausames. Sie fühlte, daß in ihm das Feuer unerfüllten Ehrgeizes und unerfüllter Wünsche brannte, und daß er, um seine Ziele zu erreichen, vor nichts zurückschrecken würde.
Nach einer kurzen Pause sprach er weiter, und der Ton seiner Stimme erzwang ihre Aufmerksamkeit. »Es war gut, daß Sie mich hergerufen haben, um nach Ihnen zu sehen. Nein, es war keine Telepathie, sondern eher – wie nennt man das? – ein Instinkt. Irgend etwas sagte mir, daß ich hierherkommen und Sie retten müßte. Sehen Sie, Clifford, mein Freund, wohin Sie Ihre Tochter geführt haben. Sehen Sie! Sehen Sie!« Und er deutete nach unten. Sie beugten sich vor und starrten in eine Schlucht, die so tief war, daß das Mondlicht nicht bis zu ihrem Boden vordrang. »Sie sind kein guter Veld-Trecker, Clifford, mein Freund. Noch ein Schritt dieser dummen Pferde, und dort unten würden jetzt zwei blutige Klumpen liegen, aus denen zersplitterte Knochen ragen. Ja, dort auf den Felsen, fünfhundert Fuß tiefer. Und Sie hätten heute nacht sehr fest geschlafen, alle beide.« »Wo sind wir hier?« fragte Mr. Clifford wie betäubt, »über Leopards Kloof?« »Ja, über Leopards Kloof«, bestätigte Meyer. »Sie sind auf dem Grat entlanggezogen, und nicht auf dem Boden der Schlucht. Es war wirklich ein Segen, daß ich die Gedanken Ihrer Tochter aufgefangen habe, denn ich bin sicher, daß sie eine GedankenSenderin ist. Ah! Plötzlich kam es über mich, traf mich wie ein Schlag mit einem Stock, während ich nach Ihnen suchte und feststellte, daß Sie Ihren Wagen verloren hatten. Es sagte zu mir: ›Reite auf den Grat über Leopards Kloof! Und reite schnell!‹ – Ich bin so schnell ich konnte durch Felsen und Dunkelheit geritten, durch Nebel und Regen, und ich war noch nicht eine Minute hier, als ich das Zaumzeug
des Pferdes dieser Dame packte.« »Wir sind Ihnen sehr dankbar«, murmelte Benita. »Dann haben Sie mich tausendfach entlohnt«, sagte Jacob Meyer. »Nein, ich muß dankbar sein, daß Ihre Gedanken mich rechtzeitig hierherriefen und ich Sie vor Unglück bewahren konnte.« »Gedanken oder keine Gedanken, Ende gut, alles gut«, unterbrach Mr. Clifford ungeduldig, »und Gott sei gedankt, daß wir nur noch drei Meilen von der Farm entfernt sind. Würden Sie uns führen, Jacob? Sie konnten schon immer im Dunkel sehen.« »Ja, ja«, sagte er bereitwillig und nahm den Zaum von Benitas Pferd in seine feste, bleiche Hand. »Oh! Mein Pferd wird schon folgen, oder stecken Sie Ihren Arm durch seinen Zügel. Gut. Und jetzt kommen Sie, Miß Clifford, Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Bei Jacob Meyer sind Sie sicher.« Sie begannen den Abstieg in die Schlucht. Meyer sprach nicht mehr; er schien sich völlig darauf zu konzentrieren, einen sicheren Weg zu finden, auf dem die Pferde nicht stolpern würden. Und auch Benita sprach nicht; sie war völlig erschöpft, so erschöpft, daß sie selbst die Kontrolle über ihre Gedanken und ihre Vorstellungskraft verlor. Sie schienen sich von ihr zu lösen und neue Kräfte zu finden, besonders die Kraft, in die geheimen Gedanken des Mannes einzudringen, der an ihrer Seite ging. Sie sah sie vor ihren Augen vorbeigleiten wie lebende Wesen, konnte sie aber trotzdem nicht lesen. Eines jedoch begriff sie sofort: daß sie für diesen Mann plötzlich wichtig geworden war, nicht so, wie Frauen allgemein für Männer wichtig sind, sondern auf eine andere Weise. Sie hatte das Gefühl, als ob sie mit seinen
Lebenszielen verwoben worden und von nun an zu ihrer Erfüllung nötig wäre, als ob sie der Mensch sei nach dem er Jahre und Jahre gesucht hatte, der einzige Mensch, der Licht in sein Dunkel bringen konnte. Diese Vorstellungen bedrückten sie derartig, daß sie dankbar war, als sie so rasch verschwanden, wie sie aufgetaucht waren, und sie nur noch fühlte, daß sie vor Müdigkeit und Kälte halbtot war, daß ihr alle Glieder schmerzten und der steile Weg ihr endlos vorkam. Endlich gelangten sie auf ebenen Boden, und kurze Zeit darauf durchquerten sie einen schmalen Flußlauf, passierten ein Tor und hielten vor der Tür eines erleuchteten Hauses. »Sie sind endlich daheim, Miß Clifford«, hörte sie die klangvolle Stimme Jacob Meyers sagen, »und ich danke der Macht, die unsere Geschicke bestimmt, daß sie mir gesagt hat, wie ich Sie retten kann.« Ohne ihm zu antworten glitt Benita aus dem Sattel, und sie war so erschöpft, daß sie sich nicht länger aufrecht halten konnte; ihre Knie gaben nach, und sie sank zu Boden. Mit einem erschrockenen Ausruf beugte Meyer sich über sie und richtete sie auf. Dann rief er zwei Kaffern, die gekommen waren, um die Pferde zu versorgen, und brachte Benita mit ihrer Hilfe ins Haus. »Sie müssen sofort zu Bett gehen«, sagte er, während er die Tür des Wohnzimmers aufstieß. »Ich habe vorsorglich den Kamin in Ihrem Zimmer anzünden lassen, falls Sie heute eintreffen sollten, und die alte Tante Sally wird Ihnen gleich eine Suppe mit einem Schuß Brandy bringen, und Wasser für Ihre Füße. Ah, da bist du ja, alte Vrouw. Komm und hilf der Lady! Ist alles bereit?«
»Ja, Baas«, antwortete die Frau, eine füllige Mulattin mit einem freundlichen Gesicht. »Kommen Sie, junge Lady, ich werde Ihnen beim Auskleiden helfen.« Eine halbe Stunde später lag Benita, die mehr Brandy getrunken hatte, als je zuvor in ihrem Leben, fest in Decken eingewickelt im Bett und schlief wie eine Tote. Als sie erwachte, fiel helles Licht durch das Fenster ihres Zimmers, und ein Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand, sagte ihr, daß es bereits halb zwölf war. Sie hatte fast zwölf Stunden lang geschlafen und fühlte, daß sie trotz der Unterkühlung und der Strapazen wieder bei Kräften war ausgenommen ein dumpfes Gefühl im Kopf, das aber vielleicht auf den ungewohnten Brandy zurückzuführen sein mochte – und vor allem hungrig. Von draußen drang die Stimme Jacob Meyers herein, die ihr jetzt schon fast vertraut klang; er befahl einigen Eingeborenen, mit dem Singen aufzuhören, um die Tochter des Baas nicht zu wecken. Er verwandte das Zulu-Wort ›Inkosi-kaas‹, was, wie sie sich erinnerte, ›Oberste Frau‹ oder ›Anführerin‹ bedeutete. Er war sehr rücksichtsvoll ihr gegenüber, dachte sie dankbar, bis ihr plötzlich einfiel, daß sie einen spontanen Widerwillen gegen diesen Mann hatte. Dann sah sie sich im Zimmer um und stellte fest, daß es sehr hübsch eingerichtet war. Die Wände waren mit Tapeten beklebt, und sie sah mehrere recht gute Aquarelle, die sie an diesem entlegenen Ort nicht erwartet hatte. Sie fragte sich, wer sie aufgehängt hatte, die alte Mulattin Sally oder Jacob Meyer. Und sie fragte sich auch, wer die Bilder gemalt haben
mochte, die sämtliche afrikanische Sujets zeigten. Und irgend etwas sagte ihr, daß diese Bilder, und auch die große Schale mit Lilien, die auf dem Tisch stand, von Jacob Meyer stammten. Auf dem Nachttisch entdeckte sie eine kleine Handglocke. Sie nahm sie und läutete. Sofort hörte sie Sally nach Kaffee rufen, und eine Minute darauf trat die füllige Mulattin ins Zimmer, mit einem Tablett, auf dem eine Kanne und eine Tasse standen, dazu Milch und Zucker, ja, und sogar Eier und Toast, die sie offensichtlich für Benita bereitgehalten hatte. In einem Englisch, das stark mit holländischen Worten vermischt war, sagte sie Benita, daß ihr Vater noch immer im Bett sei ihr jedoch seine Grüße ausrichten ließe und wissen wolle, wie sie sich fühle. Während Benita mit großem Appetit frühstückte, ließ Sally das Bad einlaufen und brachte dann ihre Sachen, die sie in einer Kiste aus Durban mitgebracht hatte. Inzwischen war der Ochsenwagen eingetroffen. Benita fragte, wer ihr die Anweisung gegeben habe, ihre Sachen auszupacken, und Sally antwortete, Herr Meyer habe es ihr befohlen, damit Benita nicht im Schlaf gestört würde und ihre Sachen bereit lägen, wenn sie aufwachte. »Der Herr Meyer scheint sehr viel an andere Menschen zu denken«, sagte Benita. »Ja, ja«, antwortete die alte Mulattin, »er denkt viel an andere Menschen, wenn er an sie denken will, doch meistens denkt er nur an sich. Baas Meyer ist ein sehr schlauer Mann, oh, ein sehr schlauer Mann, der auch ein großer Mann sein möchte. Und eines Tages, Missie, wird er auch ein großer Mann sein, groß und reich – falls Heer God, der Allmächtige, es zuläßt.«
6 Die Goldmünze Sechs Wochen waren seit der ereignisreichen Nacht von Benitas Ankunft in Rooi Krantz vergangen. Inzwischen war der Frühling angebrochen, und das Veld war smaragdfarben mit Gras und hell mit Blumen. Die Bäume in der Kloof hinter dem Haus hatten ihr grünes Blätterkleid angelegt, und die Mimosen blühten. Im Gezweig der Bäume nisteten Hunderte von Ringeltauben, und auf den steilen Felsen über dem Abgrund fütterten rothalsige Geier ihre Jungen. An den Ufern des kleinen Flusses und rund um den See blühten Schweine-Lilien, ein Meer von Weiß. Alles war voller Leben und Hoffnung. Nur Benitas Herz war tot und hoffnungslos. Sie war wieder völlig gesund, noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so wohl und kräftig gefühlt, doch ihre Seele war verdorrt. Den ganzen Tag über war sie tief in Gedanken versunken, und in der Nacht träumte sie von dem Mann, der sein Leben für eine hilflose Mutter und ihr Kind hingegeben hatte. Sie fragte sich, würde er es auch getan haben, wenn er die Antwort bekommen hätte, die ihr auf den Lippen gelegen hatte? Vielleicht hatte das Schicksal ihr deshalb nicht die Zeit zu einer Antwort gelassen, weil sie einen Feigling aus ihm gemacht hätte. Daß er sein Leben geopfert hatte, schien jetzt ohne jeden Zweifel festzustehen, da man nichts mehr von ihm gehört hatte; die Tragödie der Zanzibar begann bereits in Vergessenheit zu geraten.
Doch Benita konnte nicht vergessen. Sie ritt über das Veld, sie saß am Ufer des Sees und sah den Wasservögeln zu und hörte sie nachts in großen Schwärmen übers Haus fliegen. Sie lauschte dem Gurren der Tauben und dem Trillern der Lerchen hoch in der Luft. Sie zählte die Wildtiere, die den Grat der Hügelkette entlangzogen, bis ihr Verstand halb betäubt war. Sie suchte Trost am Busen der Natur und fand keinen; sie suchte ihn am nächtlichen Sternenhimmel, und oh, er war so unendlich weit entfernt. Innerlich war sie gestorben, sie, die äußerlich so schön war. Das einzige, was ihr Freude machte, war die Gesellschaft ihres Vaters, der sie ehrlich liebte, und seine Liebe war Balsam für ihr verwundetes Herz. Und auch an der Gesellschaft Jacob Meyers fand sie Interesse, da ihre anfängliche Angst vor diesem Mann bald abgeklungen war und sie ihn recht interessant fand, und auf seine Weise auch gut erzogen, obwohl er ein Jude war, der den Glauben an seine eigene Religion verloren hatte und das Christentum ablehnte. Er erzählte ihr, daß er in Deutschland geboren, aber bereits in jungen Jahren nach England geschickt worden war, um sich dem Militärdienst zu entziehen, den die Juden nicht mögen, da er keinen Profit bringt. In London war er Sekretär in einer Firma südafrikanischer Händler geworden, und nachdem er dort alle Fähigkeiten seiner Rasse gezeigt hatte, wurde er nach relativ kurzer Zeit in die Kap-Kolonie geschickt, um die Leitung eines Zweigbüros zu übernehmen. Was dort geschah, hat Benita nicht erfahren, doch wahrscheinlich hatte er zu große Fähigkeiten einer nicht ganz legalen Art entwickelt. Auf jeden Fall löste die Firma ihre Verbindung mit ihm, und er zog jahrelang
als wandernder Händler durch das Land, bis er schließlich bei ihrem Vater landete und dessen Partner wurde. Wie immer aber seine Vergangenheit ausgesehen haben mochte, Benita fand sehr bald, daß er ein überaus fähiger und angenehmer Mensch war. Er und niemand anders hatte die Aquarelle gemalt, die die Wände ihres Zimmers schmückten, und er spielte und sang so gut wie er malte. Außerdem war er, wie ihr Vater ihr bereits erklärt hatte, äußerst belesen auf Gebieten, mit denen man sich auf dem afrikanischen Veld sonst nicht beschäftigte; er besaß eine umfangreiche Bibliothek, die hauptsächlich aus geschichtlichen, philosophischen und wissenschaftlichen Büchern bestand, von denen er ihr bereitwillig welche auslieh. Romane und dergleichen besaß er nicht, weil er das Leben selbst und die Geheimnisse und Probleme, die es umgaben, um so vieles interessanter fand als Produkte der Phantasie, wie er ihr erklärte. Eines Abends, als sie zusammen am Ufer des Sees entlanggingen und den Schein der untergehenden Sonne auf dem leicht bewegten Wasser zittern sahen, überwand Benita ihre Zurückhaltung und fragte ihn geradeheraus, wie es käme, daß ein Mann wie er mit einem Leben in dieser abgeschiedenen Einöde zufrieden sei. »Damit ich ein besseres gewinne«, antwortete er. »Oh, nein, nicht irgendwo im Himmel, Miß Clifford, denn davon weiß ich nichts, und ich glaube auch nicht, daß es darüber etwas zu wissen gibt. Sondern hier, hier!« »Was verstehen Sie unter einem besseren Leben, Mr. Meyer?«
»Darunter verstehe ich«, sagte er mit einem Aufblitzen seiner dunklen Augen, »großen Reichtum, und die Macht, die Reichtum mit sich bringt. Ah! Ich sehe, daß Sie mich für sehr gemein und materialistisch halten; doch Geld ist der Gott dieser Welt, Miß Clifford, Geld ist der wahre Gott.« Sie lächelte und sagte: »Dann, fürchte ich, ist er ein unsichtbarer Gott auf dem Hoch-Veld, Mr. Meyer. Mit der Pferdezucht werden Sie keine Reichtümer gewinnen, und es gibt hier niemanden, den Sie beherrschen könnten.« »Glauben Sie wirklich, daß ich auf Rooi Krantz bin, um Pferde zu züchten?« erwiderte er. »Hat Ihr Vater Ihnen nichts von dem großen Schatz erzählt, der in den Ruinen der Makalanga versteckt ist?« »Ich habe etwas darüber gehört«, antwortete sie seufzend. »Vor allem, daß Sie und mein Vater dort waren und enttäuscht zurückgekehrt sind.« »Ah! Der Engländer, der ertrunken ist, hat davon gesprochen, nicht wahr? Er hat uns dort entdeckt.« »Ja, und Sie wollten ihn erschießen, erinnern Sie sich noch daran?« »Ja, Gott im Himmel, weil ich glaubte, er sei gekommen, um uns zu berauben. Nun, ich habe nicht geschossen, und kurz darauf wurden wir von dort verjagt, was jedoch nicht tragisch war, da diese Narren von Eingeborenen sich weigerten, uns in der Festung graben zu lassen.« »Warum denken Sie dann noch immer an diesen Schatz, der wahrscheinlich überhaupt nicht existiert?« »Warum, Miß Clifford, denken Sie an verschiedene Dinge, die wahrscheinlich nicht existieren? Vielleicht, weil Sie fühlen, daß sie hier oder an einem anderen
Ort wirklich existieren. Sehen Sie, genauso fühle ich gegenüber diesem Schatz. Er existiert, dessen bin ich mir sicher, und ich werde ihn finden – jetzt wird es mir gelingen ... Ich werde mehr Gold sehen, als Sie sich überhaupt vorstellen können, und deshalb züchte ich hier auf dem Veld von Transvaal Pferde. Ah! Sie lachen; Sie denken, daß ich hier nur Träume züchte – oder Alpträume.« Plötzlich bemerkte er Sally, die hinter einer kleinen Bodenerhebung hinter ihnen aufgetaucht war, und fragte irritiert: »Was willst du schon wieder, alte Vrouw?« »Der Baas Clifford will mit Ihnen sprechen, Baas Jacob. Es sind Boten von weither eingetroffen, die mit Ihnen beiden reden wollen.« »Was für Boten?« »Das weiß ich nicht«, antwortete Sally und fächelte ihr breites Gesicht mit einem gelben Taschentuch. »Sie gehören einem Volk an, das mir fremd ist; sie sind abgemagert von ihrer langen Reise, und sprechen eine Art Zulu. Der Baas wünscht, daß Sie gleich kommen.« »Kommen Sie auch, Miß Clifford? Nein? Dann erlauben Sie, daß ich mich jetzt entferne.« Er hob seinen Hut und ging. »Ein seltsamer Mann, Missie«, sagte die alte Sally, als er verschwunden war. »Ja«, sagte Benita gleichgültig. »Ein sehr seltsamer Mann«, fuhr die alte Frau fort, »zu viel in seinem Kopf.« Sie tippte an ihre Stirn. »Ich glaube, daß er eines Tages platzen wird, doch wenn er nicht platzen sollte, wird Baas Jacob einmal ein großer Mann sein. Ich habe Ihnen das schon einmal
gesagt, und ich sage es Ihnen noch einmal, weil ich glaube, daß seine Zeit gekommen ist. Jetzt werde ich das Abendessen kochen.« Benita blieb am Seeufer sitzen, bis es dunkel zu werden begann und die Wildgänse über sie hinwegzogen. Dann ging sie zum Haus zurück und dachte nicht mehr an Herrn Meyer; sie wußte nur, daß sie es leid war, an diesem Ort zu leben, wo es nichts gab, mit dem sie ihre Gedanken beschäftigen und sie von ihrer Trauer ablenken konnte. Beim Dinner an diesem Abend bemerkte sie sowohl bei ihrem Vater, als auch bei dessen Partner eine nur unvollständig unterdrückte Erregung, deren Ursache sie zu erraten glaubte. »Haben Sie Ihre Boten getroffen, Mr. Meyer?« fragte sie, als die Männer ihre Pfeifen angezündet hatten und die Flasche Squareface, wie man den holländischen Schnaps in jenen Tagen nach der Form seiner Flasche nannte, auf dem Tisch stand. »Ja, ich habe sie getroffen«, antwortete er, »sie sind jetzt in der Küche.« Er blickte Mr. Clifford an. »Benita«, sagte ihr Vater, »es ist etwas sehr Entscheidendes geschehen.« Sie blickte ihn hoffnungsvoll an, doch er schüttelte den Kopf. »Nein, nichts, das in irgendeinem Zusammenhang mit dem Schiffsuntergang steht; das ist endgültig erledigt. Aber etwas, das dich vielleicht doch interessieren könnte, wenn du die Geschichte hören magst.« Benita nickte. In ihrer gedrückten Stimmung war sie bereit, alles zu hören, was ihre Gedanken ablenken konnte. »Du weißt schon einiges von dieser Schatzsuche«, fuhr ihr Vater fort. »Nun sollst du auch ihren Anfang
erfahren. Vor einigen Jahren, kurz nachdem du und deine Mutter nach England gegangen seid, unternahm ich eine Expedition ins Landesinnere, um Großwild zu schießen. Mein Begleiter war ein alter Mann namens Tom Jackson, ein Abenteurer, und einer der besten Elefantenjäger in ganz Afrika. Wir waren recht erfolgreich und trennten uns nördlich des Transvaal. Ich wollte das Elfenbein, das wir erbeutet oder eingehandelt hatten, zur Küste bringen, und Tom wollte noch eine Saison bleiben und später nachkommen, um seinen Anteil bei mir abzuholen. Ich kam hierher und kaufte mit meinem Geld diese Farm von einem Buren, der ohnehin aufgeben wollte und sie mir deshalb sehr billig überließ. Ich habe ihm für die sechstausend Acres nur hundert Pfund zahlen müssen. Das Küchengebäude dort drüben war das alte Haus; dieses habe ich neu erbaut. Mehr als ein Jahr verging, bevor ich Tom Jackson wiedersah, und als er hier erschien, war er mehr tot als lebendig. Er war von einem angeschossenen Elefanten verletzt worden und hatte einige Monate bei den Makalanga, nördlich von Matabele-Land, gelegen, um seine Wunden auszuheilen, an einem Ort namens Bambatse, erklärte er mir. Diese Makalanga sind ein merkwürdiges Volk. Ich glaube, daß ihr Name ›Menschen der Sonne‹ bedeutet. Auf jeden Fall sind sie die letzten einer uralten Rasse. Während Tom bei ihnen war, heilte er den alten Molimo, den Hohepriester des Stammes, von einem schweren Fieber, indem er ihm Chinin gab, und natürlich wurden sie dadurch recht gute Freunde. Der Molimo wohnte zwischen Ruinen, von denen es in jenem Teil Südafrikas eine Menge gibt. Niemand weiß, wer sie zu-
rückgelassen hat; wahrscheinlich waren es Menschen, die vor Tausenden von Jahren dort gelebt haben. Doch der Molimo erzählte Tom Jackson eine Legende von dieser verfallenen Festung, die mit ihrer jüngeren Geschichte zu tun hat. Er sagte, daß vor sechs Generationen, als sein UrUr-Ur-großvater Häuptling des Stammes war – Mambo nannte er es – alle Eingeborenen in diesem Teil Südafrikas sich gegen die Weißen, wahrscheinlich Portugiesen, erhoben, die dort nach Gold gruben. Sie massakrierten die Weißen und ihre Sklaven zu Tausenden und trieben die Überlebenden vom Süden, wo heute Lobengula herrscht, zum Sambesi, dem Fluß, auf dem die Portugiesen die Küste zu erreichen hofften. Eine kleine Gruppe von ihnen, nicht mehr als etwa zweihundert Männer und Frauen, erreichten schließlich die Festung Bambatse, in der der Molino jetzt lebt, ein gewaltiger Ruinen-Komplex, der von den Alten auf einem uneinnehmbaren Berg am Ufer des Sambesi erbaut wurde. Sie hatten eine große Ladung Gold bei sich, Schätze des Landes, die sie über Jahre gesammelt und gehortet hatten und nun zur Küste schaffen wollten. Doch obwohl sie den Fluß erreichten, konnten sie auf ihm nicht entkommen, da die Tausenden von Eingeborenen, die sie verfolgt hatten, die alte Feste einschlossen und mit Kanus den Fluß patrouillierten. Und die armen Flüchtlinge besaßen keine Boote. So kam es, daß sie in dieser uneinnehmbaren Festung eingeschlossen und belagert wurden und langsam verhungerten. Als die Eingeborenen wußten, daß sie alle tot waren, zogen sie wieder ab, da sie Blut und Rache wollten und an Gold nicht interessiert waren. Doch der
Vorvater des alten Priesters, der einen geheimen Zugang zu der Feste kannte und den Portugiesen freundlich gesonnen war, drang ein und fand unter den Toten eine Frau, die noch lebte, doch vor Leid wahnsinnig geworden war, eine junge, schöne Frau, die Tochter des portugiesischen Kapitäns. Er gab ihr zu essen, und sie schlief vor Erschöpfung ein. Doch während der Nacht, als sie wieder etwas zu Kräften gekommen war, verließ sie ihn, und bei Tagesanbruch sah er sie auf einer Felsnadel stehen, die über dem Fluß aufragt, ganz in Weiß gekleidet und mit offenem Haar. Er rief einige seiner Berater zu sich, und gemeinsam versuchten sie, die Frau zu überreden, herunterzusteigen, doch sie antwortete: ›Nein, mein Verlobter und alle meine Verwandten und Freunde sind tot, und ich werde ihnen folgen.‹ Dann fragten sie sie, wo das Gold sei, denn da sie die Festung Tag und Nacht beobachtet hatten, wußten sie, daß es nicht in den Fluß geworfen worden war. Sie antwortete, der Schatz sei wo er sei und daß kein schwarzer Mann ihn jemals finden werde, selbst wenn er sein ganzes Leben nach ihm suchte. Sie fügte hinzu, daß sie den Schatz in seine Obhut und die seiner Nachkommen gebe, damit sie ihn bewachten, bis sie eines Tages zurückkommen würde. Und sie sagte auch, der Himmel habe ihr verkündet, daß, sollten sie dieses Vertrauen mißbrauchen, dieselben Wilden, die ihren Vater und sein Volk getötet hatten, auch ihn und sein Volk töten würden. Als sie das gesagt hatte, stand sie noch eine Weile betend auf der Spitze der Felsnadel. Dann warf sie plötzlich die Arme hoch und sprang in den Fluß und wurde nie wieder gesehen.
Von jenem Tag an hält man die Ruinen für verwünscht, und mit Ausnahme des Molimo, der sich manchmal dorthin zurückzieht, um zu meditieren und Offenbarungen von den Geistern zu empfangen, darf niemand seinen Fuß in den oberen Teil der Festung setzen – und die Eingeborenen würden eher sterben, als sie zu betreten. Folglich muß das Gold noch an der Stelle sein, wo es damals versteckt wurde. Auch Tom Jackson erhielt, ungeachtet seiner Freundschaft mit dem Molimo, nicht die Erlaubnis, diesen Teil der alten Feste zu betreten. Nun, Tom hat sich von Verwundung und Krankheit nie wieder erholt. Er ist hier gestorben und ich habe ihn auf dem kleinen Friedhof hinter dem Haus begraben, den die Buren für ihre Toten angelegt hatten. Kurz nach seinem Tod wurde Mr. Meyer mein Partner – ich habe vergessen, dir zu sagen, daß ich ihm diese Geschichte erzählte – und wir beschlossen, nach diesem Schatz zu suchen. Den Rest kennst du. Wir sind nach Bambatse getreckt, haben uns dort als Händler ausgegeben und trafen uns dort mit dem alten Molimo, dem Tom Jackson von mir berichtet hatte. Wir fragten ihn, ob die Geschichte, die er Jackson erzählt hatte, wahr sei, und er versicherte uns, daß sie wahr sei, jedes einzelne Wort der Legende, so wahr wie die Sonne, die vom Himmel schien, denn sie sei durch viele Generationen vom Vater auf den Sohn übergegangen, und daß sie sogar den Namen der weißen Frau wüßten, die von der Felsnadel in den Tod gesprungen war. Er war Ferreira, der Familienname deiner Mutter, Benita, der allerdings in Südafrika recht häufig ist. Wir baten ihn, uns den obersten Teil der Feste be-
treten zu lassen, doch er weigerte sich und sagte, daß der Fluch der weißen Frau noch immer auf seinem Haupt und den Seinen liege, und daß kein Mensch ihn betreten dürfe, bis die Ferreira eines Tages wiederkäme. Alle anderen Teile von Berg und Festung stünden uns offen, und wir könnten graben, wo wir wollten. Also gruben wir und entdeckten auch einige Gräber der Alten, in denen wir goldene Ketten, Armreifen und anderen Schmuck fanden, im Wert von etwa hundert Pfund, würde ich sagen. Außerdem – das war an dem Tag, als der junge Seymour bei uns auftauchte, und das erklärt Jacob Meyers Aufregung, da er glaubte, endlich auf der Spur des Schatzes zu sein – fanden wir auch eine Goldmünze, die ohne Zweifel von den Portugiesen stammte. Hier ist sie.« Er zog ein dünnes Goldstück aus der Tasche und warf es vor Benita auf den Tisch. »Ich habe es einem Mann gezeigt, der in diesen Dingen bewandert ist, und er sagt, daß es ein von einem der venezianischen Dogen geschlagener Dukaten sei. Doch es ist der einzige, den wir gefunden haben. Das Ende kam, als die Makalanga uns erwischten, als wir versuchten, in den obersten Teil der Festungsanlage einzudringen und uns vor die Wahl stellten, entweder sofort zu verschwinden oder getötet zu werden. Also verschwanden wir, da selbst der größte Schatz einem Toten nur wenig nützt.« Mr. Clifford schwieg und stopfte seine Pfeife; Jacob Meyer schenkte sich ein Glas Squareface ein. Benita starrte auf die seltsame, alte Münze, in deren Mitte sich ein Loch befand, und fragte sich, mit welchen Szenen von Angst und Blutvergießen sie verbunden gewesen sein mochte.
»Behalte sie«, sagte ihr Vater, als sie sie ihm zurückgeben wollte. »Sie würde gut an dein Armband passen.« »Danke, Vater«, antwortete sie. »Obwohl ich nicht einsehe, warum ich den ganzen Schatz der Portugiesen haben soll, denn ich bin sicher, daß wir niemals mehr davon sehen werden.« »Und warum nicht?« fragte Meyer rasch. »Die Geschichte sagt Ihnen den Grund dafür: weil die Eingeborenen euch nicht einmal danach suchen lassen werden. Und außerdem sind Suchen und Finden zwei sehr verschiedene Dinge.« »Eingeborene ändern manchmal ihre Meinung, Miß Clifford. Die Geschichte ist noch längst nicht zu Ende. Sie haben bis jetzt lediglich ihren Anfang gehört, und jetzt sollen Sie erfahren, wie sie weitergeht. Darf ich die Boten hereinrufen, Clifford?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf und verließ den Raum. Weder Mr. Clifford noch seine Tochter sprachen ein Wort, nachdem er gegangen war. Benita schien völlig damit beschäftigt, die Goldmünze an ihrem Armband zu befestigen, doch während sie das tat, erwachte wieder jener seltsame sechste Sinn in ihr. So wie beim letzten Dinner an Bord der Zanzibar eine unheilvolle Vorahnung sie in Unruhe versetzt hatte, wurde sie auch jetzt wieder von Angst gepackt. Wieder warf eine Vorahnung von Angst und Tod dunkle Schatten auf ihre Seele. Die Goldmünze schien ihr eine Botschaft übermitteln zu wollen, aber sie konnte sie nicht verstehen. Sie wußte nur, daß ihr Vater und Jacob Meyer und – ja, ja, ja – auch Robert Seymour in diese Tragödie verstrickt waren. Oh! Wie war das
möglich, da er doch tot war? Wie konnte diese Goldmünze sie mit ihm verbinden? Sie wußte es nicht, und es interessierte sie nicht. Alles, was sie wußte, war, daß sie diesen Schatz bis ans Ende der Welt verfolgen würde, und, wenn es sein mußte, selbst über dieses Ende hinaus, wenn er sie nur wieder zu ihm führen würde.
7 Die Boten Die Tür wurde geöffnet, und Jacob trat wieder herein, gefolgt von drei Eingeborenen. Benita sah und hörte sie nicht hereinkommen, da ihre Seele weit entfernt war. Sie stand am anderen Ende des Raums, ganz in Weiß gekleidet, denn Trauer trug sie nur in ihrem Herzen, auf ihrem Gesicht, in ihren großen, dunklen Augen und in ihrer stolzen, fast abweisenden Haltung. Jacob Meyer schien zu spüren, daß in ihr etwas vorging, und blieb stehen. Die drei Eingeborenen spürten es ebenfalls und verhielten bei der Tür. So standen sie, alle vier, am anderen Ende des langen Wohnzimmers und blickten auf Benita und in ihre von Trauer und Leid verschatteten Augen. Einer der Eingeborenen deutete mit seinem dünnen Finger auf ihr Gesicht und flüstert den anderen etwas zu. Meyer, der ihre Sprache verstand, hörte die geflüsterten Worte. »Seht! Der Geist des Felsens!« »Was für ein Geist, und was für ein Felsen?« fragte er leise. »Sie, die auf Bambatse umhergeht; sie, die unsere Augen gesehen haben«, antwortete der Mann, ohne seinen Blick von Benita zu wenden. Benita hatte den leisen Dialog gehört und ahnte, daß von ihr gesprochen wurde, obwohl sie nicht ein einziges Wort verstand. Mit einem Seufzer schüttelte sie die düsteren Visionen ab, die sie bedrückten, und setzte sich auf einen Stuhl. Nun traten die Boten, ei-
ner nach dem anderen, vor sie hin, verneigten sich tief, berührten den Fußboden mit den Fingerspitzen und starrten in ihr Gesicht. Ihren Vater grüßten sie jedoch nur durch Erheben der rechten Hand. Benita blickte die drei Männer an, die auf ihre Weise recht interessant wirkten; sie waren hochgewachsen und schlank, von hellbrauner Hautfarbe und hatten schmale, ausdrucksvolle Gesichter. Es war kein Negerblut in ihnen, sondern das eines alten Volkes, wie der Ägypter oder Phönizier; Männer, deren Vorväter schon vor einigen Jahrtausenden weise und kultiviert waren und vielleicht an den Höfen der Pharaonen oder Solomons gedient hatten. Nach der formellen Begrüßung Benitas hockten sich die drei Männer nebeneinander auf den Boden, zogen ihre Karosse* um sich und warteten schweigend. Jacob Meyer überlegte eine Weile, dann sagte er: »Clifford, würden Sie alles, was jetzt gesprochen wird, Ihrer Tochter übersetzen, damit sie sicher ist, daß alles wortwörtlich wiedergegeben wird?« Dann wandte er sich an die drei Eingeborenen. »Eure Namen sind Tamas, Tamala und Hoba, und du, Tamas, bist der Sohn des Molimos von Bambatse, der Mambo genannt wird, und ihr beiden, Tamala und Hoba, seid seine engsten Berater. Stimmt das?« Sie nickten zustimmend. »Gut. Du, Tamas, wirst jetzt alles wiederholen, was du uns vorhin gesagt hast, und deine Botschaft noch einmal ausrichten, damit auch diese Dame sie hört, da sie Anteil an dieser Sache hat.« *
Kaross: hemdähnliches Gewand – Anm. d. Übers.
»Wir wissen, daß sie Anteil daran hat«, antwortete Tamas, »wir lesen in ihrem Gesicht, daß sie sogar den größten Anteil daran hat. Es bestehen für uns keine Zweifel, daß sie es ist, von der der Geist meinem Vater berichtet hat. Und dies sind die Worte des Molimo, von meinem Mund gesprochen, die zu überbringen wir so weit gereist sind. ›Als ihr beiden weißen Männer vor vier Jahren Bambatse besuchtet, batet ihr mich, Mambo, um Erlaubnis, den Heiligen Ort betreten zu dürfen, damit ihr dort nach dem Schatz suchen könntet, den die Portugiesen zur Zeit meines Vorvaters der sechsten Generation dort versteckt haben. Ich verbot euch, diesen Heiligen Ort zu betreten, oder auch nur zu sehen, da ich durch Geburt der Wächter dieses Schatzes bin, obwohl ich nicht weiß, wo er liegt. Doch jetzt befinde ich mich in einer verzweifelten Situation. Ich habe erfahren, daß Lobengula, der Usurpator, der König der Matabele ist, sich durch mich aus bestimmten Gründen beleidigt fühlt, vor allem, weil ich ihm nicht genügend Tribut geschickt habe. Es ist mir berichtet worden, daß er im kommenden Sommer ein Impi ausschicken will, das mich und mein Volk vernichten und meinen Kraal so schwarz wie ein verbranntes Veld machen soll. Ich habe nicht genügend Männer, um diesem mächtigen Herrscher widerstehen zu können, und mein Volk ist nicht kriegerisch. Von einer Generation zur anderen waren die Makalanga Händler, Besteller des Landes, Metallarbeiter – Männer des Friedens, die nicht den Wunsch haben, zu töten, oder getötet zu werden. Und es sind ihrer nur wenige. Deshalb habe ich nicht die Kraft, Lobengula Widerstand leisten zu können.
Ich erinnere mich an die Waffen, die du und dein Begleiter bei euch hattet, die mit einem Knall auf große Entfernung töten. Wenn ich solche Waffen hätte, könnte die das Impi Lobengulas, dessen Krieger den Assegai benutzen, besiegen. Wenn ihr mir hundert Gewehre und einen großen Vorrat an Pulver und Kugeln bringt, hat der Geist mir verkündet, ist es mir nach dem Gesetz erlaubt, euch den Heiligen Ort zu öffnen, wo ihr dann so lange graben könnt, wie ihr wollt, und den Goldschatz, so ihr ihn finden solltet, mit euch nehmen, ohne von mir und meinem Volk daran gehindert zu werden. Aber ich will euch gegenüber ehrlich sein: das Gold wird durch niemanden gefunden werden, als durch den Menschen, dem es so bestimmt worden ist. Die Weiße Frau hat es zur Zeit meines Vorfahren so verkündet; er hat es mit eigenen Ohren gehört, und ich habe es mit eigenen Ohren von seinen Nachkommen gehört, und so soll es sein. Trotzdem: wenn ihr mir die Gewehre bringt, könnt ihr das Heiligtum betreten und sehen, ob einer von euch dieser dazu Bestimmte ist. Doch ich glaube nicht, daß irgendein Mann das Geheimnis lüften kann, denn es ruht in einer Frau, doch das könnt ihr selbst herausfinden. Ich sage nur, was mir befohlen wurde. Dies ist meine Botschaft, gesprochen von meinem Mund, Tamas, den Sohn meiner Lenden, und meine Berater, die mit ihm gehen, werden bezeugen, daß er die Wahrheit spricht. Ich, Mambo, der Molimo von Bambatse, entbiete euch meine Grüße und werde euch hier willkommen heißen und mein Versprechen erfüllen, wenn ihr mit weitschießenden Gewehren zu mir kommt, zehn mal zehn von ihnen, und dem Pul-
ver und den Kugeln dazu, mit denen ich die Matabele vertreiben kann, nicht jedoch, wenn ihr mit leeren Händen kommt. Mein Sohn, Tamas, und meine Berater, werden euren Wagen in mein Land fahren, denn ihr dürft keine Diener mitbringen. Der Geist der Weißen Frau, die sich vor den Augen meines Vorvaters tötete, ist kürzlich gesehen worden, als sie auf der Spitze der Felsnadel stand; und sie hat mich auch mehrere Male in der geheimen Kammer, in der ihre Landsleute starben, aufgesucht. Ich weiß nicht, was dies alles bedeutet, doch glaube ich, daß sie mir unter anderem mitteilen wollte, daß die Matabele uns angreifen werden. Ich erwarte den Befehl des Himmels. Ich sende zwei Karosse als Geschenk, und ein wenig Gold der Alten, da Elfenbein für meine Boten zu schwer ist und ich keinen Wagen habe. Seid gegrüßt.‹« »Wir haben dich gehört«, sagte Meyer, als Mr. Clifford die letzten Sätze Tamas' übersetzt hatte, »und wir möchten dir eine Frage stellen. Was meinst du, wenn du sagst, daß der Geist der Weißen Frau gesehen worden ist?« »Ich meine das, was ich gesagt habe, weißer Mann«, antwortete Tamas. »Sie wurde von uns dreien gesehen, als sie beim Morgengrauen auf der Spitze der Felsnadel stand; und mein Vater hat sie nachts im Schlaf gesehen und mit ihr gesprochen. Dies war das dritte Mal zu Lebzeiten meines Vaters, daß sie ihm und anderen erschienen ist, und immer vor einem entscheidenden Ereignis.« »Wie sah sie aus?« fragte Meyer. »Wie sie aussah? Oh! Wie die Lady, die vor uns sitzt. Ja, genauso, oder jedenfalls schien es uns so.
Doch wer kann das sagen? Wir haben noch keine andere weiße Frau gesehen, und sie war ein gutes Stück von uns entfernt. Bringt diese Lady mit und stellt sie Seite an Seite mit dem Geist, damit wir sie miteinander vergleichen und euch eine bessere Antwort geben können. Nehmt ihr das Angebot des Molimo an?« »Das werden wir euch morgen früh sagen«, antwortete Meyer. »Hundert Gewehre sind nicht so leicht zu beschaffen und kosten viel Geld. Morgen bekommt ihr eure Antwort. Bis dahin ist für euch Essen da, und ein Platz zum Schlafen.« Die drei Männer schienen von seiner Antwort enttäuscht, da sie sie wohl für eine höflich formulierte Ablehnung hielten. Eine Minute lang berieten sie leise miteinander, dann griff Tamas in seine Umhängetasche und zog etwas heraus, das in trockene Blätter eingewickelt war; er schlug die Blätter auseinander und enthüllte eine wunderbare Halskette aus schweren, goldenen Gliedern, in die wasserklare Steine eingefaßt waren, welche sie auf den ersten Blick als ungeschliffene Diamanten von erheblichem Wert erkannten. An dieser Kette hing ein goldenes Kruzifix. »Wir überreichen dieses Geschenk im Namen Mambos, meines Vaters«, sagte er. »Es ist für die Lady, da die Karosse und Rohgold für sie kaum von Wert sind. Diese Kette hat eine Geschichte. Als die portugiesische Dame sich in den Fluß stürzte, trug sie sie um ihren Hals. Im Sturz schlug sie gegen eine kleine, spitze Felsnase, die ihr die Kette abriß. Seht, hier ist sie gebrochen und mit Golddraht repariert worden. Sie blieb auf der Felsnase liegen, und mein Vorvater hat sie dort gefunden. Sie ist ein Geschenk für die Lady, wenn sie verspricht, sie zu tragen.«
»Nimm sie an«, murmelte Mr. Clifford, als er ihr die Worte Tamas' übersetzt hatte, »sonst beleidigst du sie.« Also sagte Benita: »Ich danke dem Molimo und nehme sein Geschenk an.« Tamas erhob sich, trat zu ihr und legte die alte, mit soviel Tragik verknüpfte Kette um ihren Hals. In dem Moment, als Benita sie auf ihrer Haut spürte, wußte sie, daß es eine Kette des Schicksals war, die sie einem unbekannten Ziel entgegenführen würde, dieses Schmuckstück einer Frau, die genauso in Trauer und Unglück gewesen war, wie sie selbst, und die keinen anderen Ausweg aus ihrem Leid gesehen hatte, als den Tod. Hatte sie gefühlt, wie diese Kette ihr vom Hals gerissen wurde? fragte sie sich, so wie sie, Benita, gespürt hatte, als sie ihr umgehängt wurde? Die drei Boten verneigten sich und gingen hinaus. Jacob Meyer hob die Hand, als ob er Benita ansprechen wollte, überlegte es sich jedoch anders und schwieg. Beide Männer warteten, daß sie spreche, doch sie wußte nicht, was sie sagen sollte, und so war es ihr Vater, der schließlich das Schweigen brach. »Was sagst du dazu, Benita?« fragte er. »Ich? Ich habe nichts dazu zu sagen, außer daß ich eine sehr seltsame Geschichte gehört habe. Die Botschaft des Molimo ist an dich und an Mr. Meyer gerichtet, Vater, und muß also von euch beantwortet werden. Was habe ich damit zu tun?« »Eine ganze Menge, glaube ich, oder zumindest scheinen die drei Männer dieser Meinung zu sein. Auf jeden Fall kann ich nicht ohne dich nach Bambatse gehen, und ich werde dich nicht mitnehmen, wenn du es nicht willst; es ist ein weiter Weg und ein nicht
ungefährliches Unternehmen. Die Frage ist: Möchtest du mitkommen?« Sie überlegte ein paar Sekunden lang, während die beiden Männer sie gespannt anblickten. »Ja«, sagte sie schließlich. »Ich werde mitkommen, wenn du es möchtest, nicht, weil ich diesen Schatz finden will, sondern weil die Geschichte und das Land, in dem sie sich abgespielt hat, mich interessieren. Ich glaube nicht an den Schatz. Selbst wenn die Makalanga abergläubisch sind und Angst haben, selbst danach zu suchen, bezweifle ich, daß sie es euch erlauben würden, wenn er gefunden werden könnte. Für mich ist diese Reise keine gute Spekulation, sondern ein Risikounternehmen.« »Wir glauben, daß wir gute Chancen haben«, sagte Meyer entschieden. »Und ohne Risiko kann man keine Millionen Pfund bekommen.« »Ja, ja«, sagte ihr Vater, »aber sie hat recht. Die Gefahren sind vielleicht größer, als wir ahnen: Fieber, Raubtiere, Wilde, und andere, die wir nicht einmal voraussehen können. Habe ich das Recht, sie ihnen auszusetzen? Sollten wir nicht lieber allein gehen?« »Das wäre sinnlos«, antwortete Meyer. »Die drei Boten haben Ihre Tochter gesehen und bringen sie irgendwie mit ihrer abergläubischen Geschichte von einem Geist in Verbindung, von der ich, der ich mich mit solchen Dingen beschäftigt habe, kein Wort glaube. Ohne sie werden wir einen Fehlschlag erleiden.« »Was die Risiken und Gefahren betrifft, Vater«, sagte Benita, »so fürchte ich sie nicht. Was geschehen soll, wird geschehen, und wenn ich wüßte, daß ich am Sambesi sterben werde, wäre es mir auch egal. Doch ich weiß – woher, kann ich nicht sagen –, daß
du und Mr. Meyer in größerer Gefahr seid als ich. Deshalb müßt ihr entscheiden, ob ihr das Risiko auf euch nehmen wollt.« Mr. Clifford lächelte. »Ich bin ein alter Mann«, sagte er. »Das ist die Antwort.« »Und ich bin an Gefahren gewöhnt«, sagte Meyer achselzuckend. »Wer würde nicht ein paar kleine Risiken auf sich nehmen, um eine so einmalige Chance auszunutzen? Reichtum – Reichtum, mehr Reichtum, als wir uns vorstellen können, und mit ihm Macht – Macht, um sich zu rächen, um zu belohnen, um gesellschaftlichen Status zu erkaufen, und Vergnügen, und all die schönen Dinge, die nur den ganz Reichen vorbehalten sind.« Er spreizte die Hände und blickte zur Decke empor, wie in Anbetung dieses goldenen Gottes. »Mit Ausnahme solcher Kleinigkeiten wie Gesundheit und Glück«, kommentierte Benita sarkastisch, da dieser Mann und seine materialistischen Begierden sie anwiderten, besonders wenn sie ihn mit einem anderen verglich, den sie verloren hatte – obwohl dieser Mann in der Vergangenheit ziemlich faul und unproduktiv gelebt hatte, wie sie zugeben mußte. Benita hatte noch nie einen Menschen wie Meyer kennengelernt, so talentiert, so ehrgeizig – und so seelenlos. »Dann ist es also entschieden«, sagte sie. Mr. Clifford zögerte, doch Meyer sagte sofort: »Ja, es ist entschieden, ein für allemal.« Sie wartete einen Moment lang, daß ihr Vater noch etwas sagen würde, doch er schwieg. »Gut. Also brauchen wir uns nicht mehr mit Zweifeln und Argumenten herumzuschlagen. Wir werden
nach Bambatse gehen, einem fernen Ort am Sambesi, und dort nach vergrabenem Gold suchen. Und wenn Sie es finden sollten, Mr. Meyer, hoffe ich, daß es Ihre Erwartungen erfüllt und Ihnen all das Glück bringt, das Sie sich erhoffen. Gute Nacht, Vater. Gute Nacht.« »Meine Tochter glaubt, daß das Gold uns Unglück bringen wird«, sagte Mr. Clifford, als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. »Das ist ihre Art, es zu sagen.« »Ja«, sagte Meyer düster, »das glaubt sie, und sie ist einer der Menschen, denen Visionen gegeben sind. Aber sie mag sich irren. Die Frage ist doch: sollen wir diese Chance wahrnehmen, auch wenn sie mit Gefahren verbunden ist, oder sollen wir hierbleiben und unser ganzes Leben lang schlechte Pferde züchten, während sie, die keine Angst hat, sich über uns lustig macht? Ich jedenfalls werde nach Bambatse gehen.« Wieder antwortete Mr. Clifford nicht direkt, sondern stellte nur eine Frage. »Wie lange werden wir brauchen, um Gewehre und Munition zu beschaffen, und was werden sie kosten?« »Etwa eine Woche, denke ich«, antwortete Meyer. »Der alte Potgieter in Wakkerstroom hat gerade hundert Martins und hundert Westley-Richards importiert. Fünfzig von jedem plus zehntausend Schuß Munition dürften um die sechshundert Pfund kosten, und soviel haben wir auf der Bank. Wir haben auch den neuen Wagen und mehr als genug gute Ochsen und Pferde. Wir können ein Dutzend Pferde mitnehmen und sie nördlich des Transvaal für einen guten Preis verkaufen, bevor wir in das Gebiet der Tsetse-
Fliegen kommen. Die Ochsen werden uns wahrscheinlich hindurchbringen; sie sind nicht so empfindlich.« »Sie haben schon alles durchdacht, Jacob«, sagte Mr. Clifford. »Aber es wird uns eine Menge Geld kosten, von anderen Dingen ganz zu schweigen.« »Ja, eine Menge Geld, und diese Gewehre sind eigentlich viel zu gut für die Kaffern. Birmingham Gasrohre würden für sie auch reichen, aber es sind keine zu haben. Aber was sind Gewehre und Geld im Vergleich zu dem, was sie uns bringen werden?« »Darüber sollten Sie lieber mit meiner Tochter sprechen, Jacob. Sie scheint ihre eigene Meinung zu diesem Thema zu haben.« »Miß Clifford hat eine vorgefaßte Meinung, die sich nicht ändern wird«, antwortete Meyer. »Ich werde sie deshalb nichts mehr fragen.« Dann verließ auch er den Raum, um Anordnungen für die Reise nach Wakkerstroom zu treffen, zu der er am nächsten Morgen aufbrechen wollte. Doch Mr. Clifford saß bis nach Mitternacht allein im Wohnzimmer und überlegte, ob er das Richtige beschlossen hatte, und ob sie den Schatz finden würden, von dem er seit Jahren träumte, und was die Zukunft ihnen bringen mochte. Wenn er es nur hätte sehen können! Als Benita am nächsten Morgen zum Frühstück kam, fragte sie, wo Mr. Meyer sei und erfuhr, daß er schon in aller Frühe nach Wakkerstroom aufgebrochen war. »Dem scheint es wirklich ernst zu sein«, sagte sie lachend. »Ja«, antwortete ihr Vater, »Jacob ist es immer
ernst, doch irgendwie hat ihm seine Ernsthaftigkeit bis jetzt nichts eingebracht. Wenn unser Unternehmen fehlschlagen sollte, so jedenfalls nicht wegen mangelnder Überlegung und Vorbereitung durch ihn.« Es dauerte fast eine Woche, bevor Meyer wieder auf der Farm eintraf, und inzwischen hatte Benita mit den Vorbereitungen für den langen Treck nach Bambatse begonnen. Das ließ ihr jedoch genügend Zeit, um – mit ihrem Vater als Dolmetscher – lange Gespräche mit den drei Makalangas zu führen, die für die Ruhepause nach ihrer langen Reise dankbar waren. Ihre Gespräche behandelten allgemeine Themen, da sie sich stillschweigend geeinigt hatten, nicht mehr über den Schatz der Portugiesen und alles, was damit zusammenhing, zu sprechen, doch gab ihr diese Unterhaltung die Möglichkeit, sich eine Meinung von diesen drei Männern und ihrem Volk zu bilden. Obwohl sie einen Zuludialekt sprachen, besaßen sie nicht die Tapferkeit der Zulus und lebten in tödlicher Angst vor den Matabele, die Bastard-Zulus waren – in einer solchen Angst, daß sie bezweifelte, ob die hundert Gewehre ihnen etwas nützen würden, wenn sie von diesem Stamm angegriffen werden sollten. Sie waren, was ihre Väter vor ihnen gewesen waren: Bauern und Metallbearbeiter, keine Krieger. Sie nahm sich auch die Zeit, soviel wie möglich von ihrer Sprache zu lernen, die sie nicht schwierig fand, da sie eine natürliche Sprachbegabung besaß und niemals das Holländisch und Zulu vergessen hatte, das sie als Kind aufgeschnappt hatte, und das jetzt sehr rasch wieder zurückkam. Sie konnte sich bereits recht gut in diesen beiden Sprachen unterhalten, besonders, da
sie ihre freien Stunden dazu benutzte, die Grammatik zu studieren und sie zu lesen. So vergingen die Tage, bis eines Abends Jacob Meyer mit zwei Scotch Carts zurückkam, auf denen zehn lange Kisten lagen, die wie Särge aussahen, und einige kleine, die sehr schwer zu sein schienen, sowie eine riesige Menge von Nahrungsmitteln und anderen Dingen, die er für ihre Reise eingekauft hatte. Wie von Mr. Clifford vorausgesagt, hatte er nichts vergessen; er hatte sogar daran gedacht, für Benita verschiedene Kleidungsstücke zu kaufen, und sogar einen Revolver, den sie gar nicht haben wollte. Drei Tage später, an einem besonders schönen Sonntagmorgen verließen sie Rooi Krantz, angeblich zu einer Handels- und Jagd-Expedition im nördlichen Transvaal. Benita blickte zurück auf das hübsche Haus und die dicht mit Bäumen bewachsene Kloof hinter ihm, in die sie beinahe abgestürzt wäre, und auf den stillen See, über dem an seinen Ufern nistende Wasservögel kreisten, und seufzte. Jetzt, wo sie die Farm verlassen mußte, kam sie ihr wie ein Zuhause vor, und sie dachte daran, daß sie sie vielleicht nie wiedersehen würde.
8 Bambatse Fast vier Monate waren vergangen, als der Ochsenwagen, mit dem Mr. Clifford, Benita und Jacob Meyer reisten, eines Abends zum ersten Mal im Land des Molimo von Bambatse ausgespannt wurde. Der Name des Molimo war Mambo. Oder vielleicht war das ein Titel, da nach den Angaben seines Sohnes Tamas jeder Häuptling dieses Stammes Mambo genannt wurde, obwohl nicht alle Mambos auch Molimos waren, oder Vertreter oder Propheten des Gottes, oder des Großen Geistes, den sie Munwali nannten. Deshalb waren der Molimo oder Priester Munwalis und der Mambo oft verschiedene Männer. Tamas, zum Beispiel, würde, wie er erklärt hatte, nach dem Tod seines Vaters Mambo sein, doch da ihm nicht die Gabe der Visionen gegeben war, würde er nicht zum Molimo ernannt werden. Im Lauf dieser langen Reise hatten sie eine ganze Reihe von Abenteuern bestehen müssen, wie sie damals, vor den Tagen der Eisenbahn, jedem AfrikaReisenden zustießen: Abenteuer mit wilden Tieren und Eingeborenen-Stämmen, Abenteuer mit angeschwollenen Flüssen, und, was am schlimmsten war, mit Durst, denn drei Tage lang waren sie ohne Wasser, da ein Wasserloch, in dem sie ihren Vorrat auffüllen wollten, aus irgendeinem Grund trocken war. Doch keins ihrer Abenteuer hatte ernsthafte Folgen; die drei waren noch nie in ihrem Leben bei besserer Gesundheit gewesen, denn zu ihrem Glück waren sie
bis jetzt ohne Fieber davongekommen. Das rauhe, wilde Leben sagte Benita sehr zu, so sehr, daß keiner ihrer Londoner Bekannten dieses sonnenverbrannte, aktive Mädchen, das am Lagerfeuer saß, wiedererkannt hätte. Alle Pferde, die sie mitgenommen hatten, waren verkauft worden, nur ein paar waren gestorben. Drei Tiere hatten sie zurückbehalten; sie waren ›gesalzt‹ oder gegen die tödliche Pferdekrankheit immun. Ihre Diener hatten sie mit einem Scotch Cart voll Elfenbein, von Buren gekauft, die es im nördlichen Transvaal erbeutet hatten, nach Rooi Krantz zurückgeschickt. Deshalb – dies war ein Teil der Abmachung – mußten nun die drei Makalanga die Ochsen antreiben und aus- und einspannen, während Benita sich um das Essen kümmerte, das zumeist aus Wild bestand, das die beiden weißen Männer schossen oder von Eingeborenen kauften. Tagelang waren sie durch ein Land getreckt, das so gut wie menschenleer war, und jetzt, nachdem sie den Kamm eines hohen Neks überquert hatten, dasselbe, vor dem Robert Seymour vor vier Jahren seinen Ochsenwagen zurückließ, schlugen sie ihr Lager auf einer weiten Ebene auf, die, wie sie an zahlreichen Resten von Mauern sahen, einmal dicht besiedelt und kultiviert gewesen war. Rechts von dieser Ebene stieg das Land zu einer bergigen Hochebene an, hinter der, wie die Makalanga erklärten, der Sambesi floß, und vor ihnen, nicht weiter als zehn Meilen entfernt, erhob sich ein großer, einzeln stehender Berg: Bambatse, der Ort, den zu erreichen sie diese lange Reise unternommen hatten. Und zu diesem Berg, dessen Fuß von einer Biegung des Sambesi umspült wurde,
war einer der drei Makalangas vorausgeeilt, um ihre Ankunft zu verkünden. Sie hatten ihr Lager mitten in einem Ruinenfeld aufgeschlagen. Die meisten Mauerreste hatten einen runden Grundriß, und Benita, die sie im hellen Mondlicht betrachtete, vermutete, daß sie einst Häuser gewesen waren. Vor Hunderten von Jahren, sagte sie sich, mußten sie gebaut worden sein, und damals war hier wahrscheinlich das Siedlungsgebiet einer größeren Bevölkerung gewesen. Nein, nicht vor Hunderten, vor Tausenden von Jahren, erkannte sie, als sie in der Mitte von einem der kreisförmigen Mauerreste einen mächtigen Baobab aufragen sah, der nicht weniger als fünfzehnhundert Jahre hinter sich gebracht haben mußte, seit das Samenkorn, aus dem er gewachsen war, die harte Steindecke gesprengt hatte, deren Reste noch immer um seinen gigantischen Fuß lagen. Tamas, der Sohn des Molimo, sah, daß sie sich für diese Reste einer untergegangenen Zivilisation interessierte, trat auf sie zu und grüßte sie. »Lady«, sagte er in seiner Sprache, die sie jetzt recht gut beherrschte, »Lady«, und er machte eine umfassende Geste mit seiner feingliederigen Hand, »sieh die Stadt meines Volkes!« »Woher weißt du, daß es die Stadt deines Volkes war?« fragte sie. »Ich weiß es nicht, Lady. Steine können nicht reden, die Geister sind stumm, und wir haben vergessen. Trotzdem glaube ich, daß es so ist, und unsere Väter haben uns erzählt, daß noch vor sechs oder acht Generationen viele Menschen hier lebten, wenn auch nicht die, welche diese Mauern erbauten. Selbst vor
fünfzehn Jahren gab es noch viele Menschen hier, aber die Matabele haben die meisten von ihnen getötet, und jetzt sind wir nur noch wenige. Komm her und sieh!« Er führte sie durch die Öffnung in der Umzäunung eines quadratischen Rinderkraals. Er war dicht mit hohem Gras und Buschwerk bewachsen, und zwischen der wuchernden Vegetation lagen Hunderte von menschlichen Schädeln und anderen Knochen. »Die Matabele haben sie während der Zeit von Moselikatse getötet«, sagte er. »Verstehst du jetzt, warum wir die Matabele fürchten und Gewehre haben wollen, um uns gegen sie verteidigen zu können, selbst wenn wir unsere Geheimnisse verkaufen müssen, um diese Gewehre bezahlen zu können, da wir kein Geld haben?« »Ja«, sagte sie und blickte den hochgewachsenen, würdig aussehenden Mann an, in dessen Seele die Eisen der Furcht vor Tod und Sklaverei so tiefe Narben gebrannt hatten. »Ja, ich verstehe.« Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch treckten sie weiter, und immer noch sahen sie Zeugnisse ausgestorbener, untergegangener Völker. Sie hatten nicht mehr als zehn Meilen hinter sich zu bringen, um das Ziel ihrer langen Reise zu erreichen, doch der Weg, wenn man ihn so nennen konnte, führte steil bergauf, und die Ochsen, von denen nur noch vierzehn übrig waren, um den schwerbeladenen Wagen zu ziehen, waren abgemagert und erschöpft, so daß sie nur sehr langsam vorankamen. Es war nach Mittag, als sie endlich die sogenannte Stadt Bambatse erreichten. »Wenn wir wieder von hier aufbrechen, dann mit
einem Boot, es sei denn, daß wir frische Treck-Ochsen kaufen können«, sagte Meyer mit einem skeptischen Blick auf die schnaufenden Tiere. »Warum?« fragte Mr. Clifford besorgt. »Weil mehrere der Ochsen von Tsetse-Fliegen gebissen worden sind, genau wie mein Pferd, und das Gift beginnt jetzt seine Wirkung zu zeigen. Ich hatte schon gestern abend den Verdacht, war mir aber nicht so sicher, doch jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Sehen Sie sich ihre Augen an. Es ist in dem BuschVeld passiert, wo wir vor acht Tagen waren. Ich habe gesagt, daß wir dort nicht lagern sollten.« In diesem Augenblick erreichten sie den Grat des Hügels und sahen auf seiner anderen Seite die wundervollen Ruinen von Bambatse, jetzt zum Greifen nahe. Vor ihnen erhob sich ein Berg, der mitten in dem breiten Sambesi-Fluß zu stehen schien, dessen Wasser ihn an drei Seiten umspülten. Die vierte, ihnen zugewandte Seite war auch von der Natur geschützt, da hier die Granitflanke des Berges eine über fünfzig Fuß hohe, steile, fugenlose Wand bildete, die nur an einer schmalen Stelle unterbrochen war, von der eine Art natürlicher Damm zur Stadt führte. Auf dem Berg selbst, dessen Basis eine Fläche von acht oder zehn Acres einnahm und der von einem tiefen Donga oder Graben umgeben wurde, befanden sich drei ringförmige Festungsmauern, eine über der anderen, die nicht von den jetzt lebenden Menschen errichtet worden waren. Benita sah die mächtigen, hohen Mauern an und begriff, warum die armen, flüchtenden Portugiesen hier ihre letzte Zuflucht gesucht hatten und schließlich nicht von den Tausenden von Wilden umgebracht worden waren, die sie ver-
folgt und belagert hatten, sondern vom Hunger. Diese Bergfeste, erkannte sie, war für jede noch so starke Streitmacht uneinnehmbar, wenn sie über keine Belagerungsgeschütze verfügte. Auf der ihnen zugewandten Seite des natürlichen Grabens, der in früheren Zeiten sicher mit Wasser aus dem Sambesi gefüllt gewesen war, stand das Dorf Bambatse Makalanga, eine Ansammlung von siebzig oder achtzig armseligen Hütten, rund, wie die ihrer Vorväter, doch nicht aus Stein erbaut, sondern aus Lehm und Stroh. Um diese Hütten herum lagen Gärten, oder quadratische Felder, die gut bestellt waren und auf denen jetzt das Korn reifte. Benita konnte jedoch keine Rinder entdecken und schloß daraus, daß sie aus Gründen der Sicherheit auf dem Berg, hinter die schützenden Mauern gebracht worden waren. Der Wagen rumpelte den holperigen Weg entlang und durch den Ort, wo einige wenige Frauen und Kinder aus den Hütten kamen und sie ängstlich anstarrten. Dann fuhren sie über den Damm, dessen anderes Ende mit Dornengestrüpp und großen Steinen blockiert war. Während sie darauf warteten, daß dieses Hindernis beseitigt wurde, blickte Benita die untere umlaufende Mauer an, die etwa dreißig oder vierzig Fuß hoch war und an ihrer Basis einen Durchmesser von vielleicht zwanzig Fuß aufwies. Sie war aus schweren Granitblöcken errichtet, die ohne Mörtel aufeinandergefügt und mit seltsamen Mustern aus andersfarbigen Steinen geschmückt waren. In beiden Seitenwänden des Durchlasses entdeckte sie tiefe Rillen, in denen früher wahrscheinlich ein Fallgatter lief, das jedoch längst vermodert war. »Ein herrlicher Ort«, sagte sie zu ihrem Vater. »Ich
bin sehr froh, daß ich mitgekommen bin. Hast du hier schon alles gesehen?« »Nein, nur was zwischen der ersten und der zweiten Mauer liegt, und einmal war ich auch zwischen der zweiten und der dritten. Der alte Tempel, oder was immer es ist, steht auf dem Gipfel, und das ist der heilige Bezirk, den man uns strikt verwehrt hat. Dort oben muß der Schatz liegen.« »Vielleicht«, antwortete sie lächelnd. »Aber welche Garantie haben wir, daß sie uns jetzt erlauben, dort oben zu graben? Vielleicht werden sie nur die Gewehre nehmen und uns dann die Tür weisen – oder besser, das Tor.« »Ihre Tochter hat recht, wir haben keine Garantie dafür«, sagte Meyer, »und bevor die Kisten abgeladen werden, müssen wir uns eine Garantie verschaffen. Oh! Ich weiß, daß es riskant ist, und es wäre besser gewesen, uns darum als erstes zu kümmern, aber dazu ist es jetzt zu spät. Sehen Sie, man hat den Weg freigeräumt. Weiter! Weiter!« Die lange Peitsche knallte, die armen, ausgelaugten Ochsen stemmten sich in ihre Joche, und sie zogen die Karren durch das Tor der schicksalhaften Festung, das gerade breit genug war, um den Wagen hindurchzulassen. Hinter dem Tor lag ein großer, freier Platz, auf dem, wie sie an zahlreichen Ruinen und Mauerresten sahen, einst eine Anzahl von Gebäuden gestanden hatte, deren Reste jetzt von Gras, Sträuchern und Schlingpflanzen überwuchert waren. Dies war der äußere Ring der Tempelfestung, in dem früher sicher die Priester und Truppenführer ihre Häuser gehabt hatten. Nach etwa einhundertfünfzig Yards erreichten sie die zweite Ringmauer, die ge-
nauso gebaut war wie die erste, doch nicht ganz so dick, und dort saßen in ihrem Schatten die Bewohner von Bambatse, um sie zu begrüßen. Als sie sich ihnen auf etwa fünfzig Yards genähert hatten, stiegen sie von ihren Pferden, die sie beim Wagen in der Hut von Tamala zurückließen. Dann nahmen die beiden Männer Benita in die Mitte, und sie schritten auf die Gruppe von Eingeborenen zu, die in drei Reihen dicht beieinander vor der Mauer saßen. Es mochten etwa zweihundert sein, alles erwachsene Männer. Als sie auf sie zutraten, erhoben sich alle – bis auf einen, der mit dem Rücken an die Mauer gelehnt sitzenblieb – und Benita sah, daß diese Männer von der gleichen Art waren, wie die drei Boten: groß und schlank, mit melancholischen Augen und dem Gesichtsausdruck von Menschen, die Tag für Tag in Angst vor Tod und Versklavung leben. Vor ihnen war eine Lücke in den dichten Reihen der Männer, durch die Tamas sie führte, und Benita hatte das Gefühl, als ob sie von allen Seiten angestarrt würde. Vor dem Mann, der mit dem Rücken an die Mauer gelehnt auf dem Boden hockte, sein Gesicht hinter einer wunderbar gewebten Decke verborgen, die er sich über den Kopf gelegt hatte, standen drei geschnitzte Hocker. Tamas forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen, und da es gegen die Anstandsregeln verstieß, als erste zu sprechen, setzten sie sich schweigend. »Seid geduldig und vergebt meinem Vater, wenn er euch warten läßt«, sagte Tamas nach einer Weile. »Er betet zum Munwali und zu den Geistern seiner Väter, daß eure Ankunft Glück bringen und daß eine Vision über die Dinge, die kommen werden, sich auf ihn senken möge.«
Benita, die die Blicke von zweihundert Augenpaaren auf sich gerichtet fühlte, wünschte, daß diese Vision recht bald kommen mochte, doch ein paar Minuten später hatte sie sich an die Situation gewöhnt und genoß beinahe dieses seltsame Erlebnis. Die mächtigen, uralten Mauern, die von unbekannten Händen errichtet worden waren, und die so viel Geschichte und so viel Tod gesehen hatten; der schweigende, dreifache Ring geduldiger, ernster Männer, den letzten Nachkommen einer alten zivilisierten Rasse, die zusammengesunkene Gestalt des Mannes, der sich unter einer Decke verbarg und mit seinem Gott in Verbindung zu sein glaubte – es war alles sehr fremdartig und ein interessantes Bild für jemand, der der Monotonie europäischer Zivilisation müde geworden war. Seht, jetzt regt sich der Mann und wirft seine Decke zurück, die einen weißhaarigen Kopf enthüllt, ein durchgeistigtes, asketisches Gesicht, so hager, daß jeder Knochen sich deutlich abzeichnet, und mit dunklen Augen, die blicklos zum Himmel emporstarren, wie bei einem Menschen in tiefer Trance. Dreimal seufzte er schwer auf, und die Blicke der Männer hingen gespannt an seinem Gesicht. Dann senkte er den Kopf und sah die drei Weißen an, die vor ihm saßen: Zuerst Mr. Clifford, und sein Gesicht nahm einen sorgenvollen Ausdruck an, dann Jacob Meyer, und es wirkte erschrocken. Zuletzt blickte er in das Gesicht Benitas, und jetzt wurden seine dunklen Augen ruhig und glücklich. »Weißes Mädchen«, sagte er mit sanfter, leiser Stimme, »für dich zumindest habe ich gute Nachricht. Wenn dir der Tod auch nahe kommt, wenn du ihn
auch zu deiner Linken und zu deiner Rechten sehen magst, vor dir und hinter dir, fürchte dich nicht, sage ich dir, fürchte dich nicht! Hier sollst du, die tiefes Leid kennenlernte, Glück und Frieden finden, o Mädchen, in der der Geist einer wohnt, die so rein und so weiß wie du war und vor langer Zeit hier gestorben ist.« Und während Benita noch über die Worte nachdachte, die er mit einem so freundlichen Ernst gesprochen hatte, und die ihr, auch wenn sie nicht an sie glaubte, doch einen gewissen Trost schenkten, blickte er ernst ihren Vater und dann Jacob Meyer an, und schwieg. »Hast du keine angenehme Prophezeiung für mich, alter Freund?« fragte Jacob Meyer, »der ich so weit gereist bin, um sie zu hören?« Sofort wurde das faltige Gesicht undurchdringlich, ausdruckslos, und er antwortete: »Nein, weißer Mann, keine, die ich beauftragt bin, dir auszurichten. Suche selbst den Himmel nach ihr ab, der du so weise bist, und lies sie, wenn du es kannst.« Er blickte wieder zu Mr. Clifford, dann zu Benita, und sagte mit einer völlig veränderten, festeren Stimme: »Ich begrüße euch im Namen und in Anwesenheit meiner Kinder. Sohn Tamas, auch dich grüße ich; du hast deine Mission gut erfüllt. Hört jetzt! Ihr seid müde, wollt euch ausruhen und essen; doch habt ein wenig Geduld, da ich euch noch etwas sagen muß. Blickt euch um! Ihr seht hier meinen ganzen Stamm, nicht einmal zwanzig mal zehn Männer über dem Knabenalter, die wir einmal so zahlreich waren wie die Blätter an jedem Baum. Warum sind wir tot? Durch die Schuld der Amandabele, jener bissigen Hunde, die Moselikatse,
der General Chakas, vor zwei Generationen vom Süden her gegen uns geführt hat, und die uns seitdem Jahr für Jahr heimsuchen und töten. Wir sind kein kriegerisches Volk, da wir den Kriegen und der Lust am Töten entwachsen sind. Wir sind Männer des Friedens, die nur den Wunsch haben, ihr Land zu bestellen und der Kunst nachzugehen, die unsere Vorväter uns überliefert haben, und die Himmel über uns anzubeten, wohin wir eines Tages zurückkehren werden, um uns mit den Geistern unserer Vorväter zu vereinen. Doch die Amandabele sind blutgierig und stark und wild, und sie kommen, um unsere Kinder und Alten zu ermorden und die Mädchen und die jungen Frauen als Sklaven mitzunehmen, und mit ihnen alle unsere Rinder. Wo sind unsere Rinder? Lobengula, der Häuptling der Amandabele, hat sie; kaum eine Kuh ist uns geblieben, um den Kranken und den mutterlosen Kindern Milch zu geben. Und dennoch fordert er noch mehr Rinder von uns. Tribut, sagen seine Boten, zahle deinen Tribut, oder meine Impis werden kommen und euch mit dem Tribut auch das Leben nehmen. Aber wir haben keine Rinder, sie sind alle fort. Wir haben nichts mehr als diesen Berg und die alten Bauten, die auf ihm stehen, und ein wenig Korn, von dem wir leben können. Ja, das sage ich, ich, der Molimo, dessen Vorväter große Könige waren; ich, der mehr Weisheit besitzt als alle Heerscharen der Amandabele.« Und während er das sagte, sank sein weißhaariger Kopf auf seine Brust, und Tränen rannen über seine gefurchten Wangen. »Mambo, es ist wahr«, riefen seine Männer. »Hört weiter!« fuhr er nach einer kurzen Pause fort.
»Lobengula droht uns, deshalb habe ich Boten zu diesen beiden weißen Männern entsandt, die schon einmal bei uns waren, und ich ließ ihnen sagen, wenn sie mir hundert Gewehre und Pulver und Kugeln brächten, damit wir uns hinter unseren starken Mauern gegen die Amandabele verteidigen könnten, würde ich sie zu dem geheimen Heiligen Ort führen, den sechs Generationen lang kein Fuß eines weißen Mannes betreten hat, und ihnen erlauben, nach dem Schatz zu suchen, der dort versteckt ist, nach jenem Schatz, den sie schon vor vier Wintern suchen wollten. Als ich ihnen damals die Erlaubnis verweigerte und sie von hier vertrieb, weil die Weiße Frau, die hier gestorben ist, uns mit einem Fluch belegt hat, daß wir das Schicksal ihrer Gefährten erleiden würden, wenn wir das vergrabene Gold einem anderen auslieferten als dem Menschen, der dazu benannt würde. Meine Kinder, der Geist von Bambatse hat mich besucht, ich habe die Weiße Frau gesehen, und andere haben sie gesehen, und während ich schlief, sagte sie zu mir: ›Laß die beiden Männer kommen und nach dem Schatz suchen, denn bei ihnen ist eine, der das Gold meines Volkes gehören soll. Die Gefahr ist groß, denn viele Speere nähern sich Bambatse.‹ Meine Kinder, ich habe meinen Sohn und zwei weitere Männer auf eine lange Reise geschickt, bis zu dem Ort, an dem diese beiden Männer leben und den sie mir vor vier Wintern genannt hatten, und sie sind nach vielen Monden zurückgekehrt und haben diese beiden Männer mitgebracht, und eine Frau, von der ich nichts wußte, sie, von der der Geist zu mir gesprochen hat.« Er hob seine runzelige Hand, deutete auf Benita
und sagte: »Dort sitzt sie, jene, auf die wir sechs Generationen lang gewartet haben.« »So ist es«, antworteten die Makalanga. »Sie ist die Weiße Frau, die zurückgekommen ist, um das Ihre zu holen.« »Freunde«, wandte sich der Molimo wieder an seine Gäste, die sich nach der Bedeutung seiner seltsamen Worte fragten, »habt ihr die Gewehre mitgebracht?« »Ja«, sagte Mr. Clifford. »Sie sind auf dem Wagen, die besten, die man bekommen kann, und mit ihnen zehntausend Schuß Munition, die wir für sehr viel Geld gekauft haben. Wir haben unser Versprechen eingelöst; wirst du nun auch das deine einlösen, oder sollen wir wieder gehen und die Gewehre mit uns nehmen und euch den Matabele mit euren Assegais gegenübertreten lassen?« »Sage, was du verlangst, wir werden dir zuhören«, antwortete der Molimo. »Gut«, sagte Mr. Clifford. »Dies sind unsere Bedingungen: daß du uns Unterkunft und Nahrung gibst, während wir bei euch sind. Daß du uns zu dem Heiligen Ort auf dem Gipfel dieses Berges führst, wo die Portugiesen starben und das Gold vergraben ist. Daß du uns die Erlaubnis gibst, nach diesem Gold zu suchen, wann und wo wir wollen. Daß du uns, falls wir das Gold oder irgend etwas anderes finden, das für uns wertvoll ist, gestattest, es mit uns zu nehmen, und uns dabei behilflich bist, sei es durch die Beschaffung von Booten und Ruderern, die uns den Sambesi hinab zur Küste bringen, oder auf eine andere Art, die uns geeignet erscheint. Daß du niemandem erlaubst, uns während unseres Aufenthaltes unter euch
zu verletzen, zu belästigen oder zu kränken. Bist du damit einverstanden?« »Es ist noch nicht alles«, sagte der Molimo. »Dies sollte noch hinzugefügt werden: Erstens, daß ihr uns lehrt, mit den Gewehren zu schießen; zweitens, daß ihr den Schatz allein suchen und finden werdet, wenn es so bestimmt sein sollte, das heißt, ohne unsere Hilfe, da dies eine Angelegenheit ist, in die wir uns nicht einmischen dürfen; und drittens, daß, falls die Amandabele uns angreifen sollten, solange ihr hier seid, ihr euer bestes tun werdet, um uns zu helfen, ihre Angriffe abzuwehren.« »Erwartest du ihren Angriff so bald?« fragte Meyer mißtrauisch. »Weißer Mann, wir erwarten ihren Angriff immer. Ist es abgemacht?« »Ja«, antworteten Mr. Clifford und Jacob Meyer wie aus einem Munde, und der letztere fügte hinzu: »Die Gewehre und Munition gehören dir. Führe uns jetzt zu dem geheimen Ort. Wir haben unseren Teil der Abmachung erfüllt, und wir vertrauen darauf, daß du und dein Volk auch den ihren erfüllen.« »Weißes Mädchen«, sagte der Molimo an Benita gewandt, »sagst auch du, daß es so abgemacht ist?« »Ich sage, was mein Vater sagt.« »Gut«, antwortete der Molimo, »dann erkläre ich in Gegenwart meines Volkes und im Namen des Munwali dessen Prophet ich bin, daß es so zwischen uns abgemacht ist, und möge die Rache des Himmels auf jene fallen, die diesen Pakt brechen! Spannt jetzt die Ochsen der weißen Männer aus, füttert ihre Pferde und entladet den Wagen, damit wir die Gewehre zählen können. Bringt ihnen Essen ins Gästehaus,
und wenn sie gegessen haben, werde ich, der als einziger von uns jemals den Heiligen Ort betreten hat, sie dorthin führen, damit sie dort nach dem suchen können, was die weißen Männer von Jahrhundert zu Jahrhundert ersehnt haben – um es zu finden, wenn sie können, und wenn nicht, in Frieden zu gehen.«
9 Der Schwur Madunas Mr. Clifford und Meyer erhoben sich und wollten zum Wagen zurückgehen, um das Ausspannen der Ochsen und das Absatteln der Pferde zu beaufsichtigen. Benita stand ebenfalls auf und fragte sich, wann das Essen, das man ihnen versprochen hatte, fertig sein würde, da sie sehr hungrig war. Der Molimo begrüßte seinen Sohn Tamas, tätschelte liebevoll seine Hand und unterhielt sich mit ihm, als Benita, die die beiden Makalangas interessiert beobachtete, plötzlich lautes, erregtes Rufen hinter sich hörte. Als sie sich umwandte, um nach der Ursache der Aufregung zu sehen, erblickte sie drei hochgewachsene Männer in vollem Kriegsschmuck, mit Lederschilden am linken Arm, Speeren in der rechten Hand, schwarzen Straußenfedern, die sie im wolligen Haar stecken hatten, schwarzen Moochas um ihre Lenden, und die Wedel schwarzer Ochsenschwänze unter den Knien befestigt, die durch die Menge der Makalangas gingen, als ob sie sie nicht sähen. »Die Matabele! Die Matabele sind über uns gekommen!« rief eine Stimme. Und andere schrien: »Lauft zu euren Mauern!« und wieder andere: »Tötet sie! Es sind nur ein paar.« Doch die drei Männer marschierten weiter, ohne sich um die zu kümmern, bis sie vor dem Molimo standen. »Wer seid ihr, und was wollt ihr?« fragte der alte Mann geradeheraus, obwohl die Angst, die ihn beim
Anblick der drei Männer gepackt hatte, seinen ganzen Körper zittern ließ. »Das solltest du doch wissen, Häuptling von Bambatse«, antwortete ihr Sprecher lachend, »da du Männer wie uns schon häufig gesehen hast. Wir sind die Kinder Lobengulas, des Großen Elefanten, des Königs, des Schwarzen Bullen, des Vaters der Amandabele. Wir haben eine Botschaft für dein Ohr, alter Mann, und da wir dein Tor offen fanden, sind wir hereingekommen, um sie dir zu geben.« »Dann sprecht eure Botschaft, Boten Lobengulas, in mein Ohr und das meines Volkes.« »Deines Volkes. Ist dies dein ganzes Volk?« sagte der Sprecher verächtlich. »Wozu haben die Berater des Königs dann ein so großes Impi gegen euch ausgeschickt, wo doch ein Trupp halbwüchsiger Jungen mit Stöcken ausgereicht hätte? Wir dachten, daß dies nur die Söhne deines Hauses seien, die Männer deiner eigenen Familie, die du zusammengerufen hast, um mit den weißen Männern zu essen.« »Schließt die Öffnung in der Mauer«, rief der Molimo, den die beleidigenden Worte in Wut versetzt hatten. »Es ist bereits geschehen, Vater«, antwortete eine Stimme. Doch die Matabele lachten nur, und ihr Sprecher sagte: »Seht, meine Brüder, er glaubt uns jetzt in der Falle zu haben, die wir nur zu dritt sind. Gut, töte uns, alter Zauberer, wenn du so willst, doch wisse, daß mein Speer, wenn sich die erste Hand gegen uns erhebt, dein Herz durchbohren wird, und daß die Kinder Lobengulas nicht leicht sterben. Wisse auch, daß das Impi das nicht weit von hier auf unsere Rückkehr wartet, euch töten wird, jeden von euch,
Mann und Frau, Knabe und Mädchen, Kinder an der Hand ihrer Mütter, und Säuglinge an der Brust, niemand wird übrig bleiben – niemand, der sagen könnte: ›Hier lebten einst die feigen Makalanga von Bambatse.‹ Also sei kein Narr und sprich höflich zu uns, damit wir vielleicht dein Leben und das deiner Leute verschonen.« Die drei Männer hatten sich Rücken an Rücken gestellt, so daß sie in alle Richtungen blickten und niemand ihnen in den Rücken fallen konnte, und warteten. »Ich töte keine Boten«, sagte der Molimo, »doch wenn sie unflätig reden, lasse ich sie hinausjagen. Eure Botschaft, Männer der Amandabele.« »Ich höre dich. Höre nun du auf die Worte Lobengulas!« Nun begann er zu sprechen, in der ersten Person, als ob er selbst der König der Matabele wäre, der zu seinem Vasallen, dem Häuptling der Makalanga spräche. »Ich habe im vergangenen Jahr Boten zu dir entsandt, du Sklave, der es wagt, sich Mambo der Makalanga zu nennen, einen Tribut in Kühen und Frauen gefordert und dich gewarnt, daß ich sie mir nehmen würde, wenn du sie mir nicht schicktest. Du hast sie mir nicht geschickt, doch habe ich dich damals verschont. Jetzt entsende ich erneut Boten zu dir. Übergib ihnen fünfzig Kühe und fünfzig Ochsen, und Männer, die sie treiben, und zwölf junge Frauen, die von meinen Boten ausgesucht werden sollen, oder ich werde dich und deinen Stamm, die ihr der Erde schon zu lange zur Last gefallen seid, vor Aufgang eines neuen Mondes vernichten. Dies sind die Worte Lobengulas«, schloß er, nahm
eine Schnupftabaksdose aus Horn aus einem Schlitz in seinem Ohrläppchen, bediente sich und streckte sie mit einer unverschämten Geste dem Molimo entgegen. So groß war die Wut des alten Häuptlings, daß er seine Selbstbeherrschung verlor und dem Mann die kleine Horndose aus der Hand schlug, so daß sich ihr Inhalt auf den Boden ergoß. »Genauso soll das Blut deines Volkes vergossen werden, du Narr«, sagte der Mann ruhig, während er sich bückte, die kleine Dose aufhob und so viel Schnupftabak, wie er retten konnte, zusammenscharrte. »Höre!« sagte der Molimo mit gepreßter, zitternder Stimme. »Dein König verlangt Rinder, obwohl er weiß, daß kaum noch eine Kuh da ist, um dem mutterlosen Kind Milch zu geben. Er verlangt Frauen, doch wenn er sie nimmt, bleiben keine zurück, die unsere jungen Männer heiraten könnten. Und warum ist das so? Weil der Geier, Lobengula, uns das Fleisch von den Knochen gefressen hat; ja, noch während wir leben hat er unser Fleisch zerrissen. Jahr um Jahr haben seine Krieger geraubt und getötet, bis von uns nichts mehr übrig war. Und jetzt verlangt er, was wir nicht mehr haben, um einen Grund zu finden, uns anzugreifen und zu ermorden. Wir haben nichts mehr, was wir Lobengula geben können. Du hast meine Antwort!« »Wirklich!« antwortete der Mann mit einem höhnischen Grinsen. »Wie kommt es dann, daß ich dort drüben einen voll beladenen Wagen sehe, und Ochsen in seinen Jochen? Ja«, wiederholte er mit Betonung, »und mit Dingen beladen, wie wir sie schon
Buluwayo gesehen haben; denn Lobengula kauft auch Gewehre von den weißen Männern, o kleiner Makalanga. Gut. Du wirst uns also den Wagen und seine Ladung geben, und die Ochsen und die Pferde; es ist zwar nur eine kleine Gabe, doch wir werden sie als Tribut annehmen und in diesem Jahr nichts mehr von dir fordern.« »Wie kann ich euch das Eigentum meiner Gäste geben?« fragte der Molimo. »Geht! Tut, was ihr wollt, aber geht! Oder ich lasse euch von den Mauern der Festung stürzen.« »Gut! Doch wisse, daß wir sehr bald zurückkehren und mit euch ein Ende machen werden, da wir es leid sind, so lange und mühsame Reisen für so wenig Tribut machen zu müssen. Geht, hackt eure Felder, Männer von Bambatse, doch ich schwöre euch im Namen Lobengulas, ihr werdet das Korn nicht mehr ernten!« Bei diesen drohenden Worten begannen die Makalanga zu zittern, doch in dem alten Molimo schienen sie nur eine prophetische Wut zu entfachen. Ein paar Sekunden lang stand er reglos, den Blick himmelwärts gewandt, die Arme erhoben wie im Gebet. Dann sprach er, mit einer neuen Stimme, einer klaren, ruhigen Stimme, die nicht seine eigene zu sein schien. »Wer bin ich?« sagte er. »Ich bin der Molimo der Bambatse Makalanga; ich bin die Leiter zwischen ihnen und dem Himmel; ich sitze auf dem obersten Ast des Baumes, unter dem sie Schutz finden, und dort oben, im Wipfel dieses Baumes, spricht Munwali mit mir. Was für euch nur das Wispern der Winde ist, sind Stimmen, die in mein Geisterohr flüstern. Einst waren meine Vorväter große Könige, die Beherrscher
dieses ganzen Landes, die Mambos, und das ist noch immer mein Ehrentitel. Wir haben in Frieden gelebt; wir haben gearbeitet und niemandem etwas Böses getan. Dann seid ihr Zulu-Wilden aus dem Südwesten gekommen, und euer Weg war rot von Blut. Jahr um Jahr habt ihr geraubt und zerstört; ihr habt unsere Rinder gestohlen, ihr habt unsere Männer ermordet, ihr habt unsere Frauen und unsere Kinder verschleppt und zu euren Sklaven gemacht, bis schließlich in der tiefen Grube, die mit dem Korn des Lebens gefüllt war, nur noch eine Handvoll übrig geblieben ist. Und diese Handvoll, sagt ihr, wollt ihr nun auch noch fressen, damit die Körner nicht auf fruchtbaren Boden fallen und wachsen können. Ich sage euch, daß es nicht so kommen wird. Was auch immer geschehen mag, ich habe Worte für das Ohr eures Königs, eine Botschaft für eine Botschaft. Sagt ihm, so habe der weise alte Molimo von Bambatse gesprochen. Ich sehe ihn, gejagt wie eine verwundete Hyäne durch die Flüsse, durch dichten Busch und über die Berge fliehen. Ich sehe ihn in Schmerz und Elend sterben, doch sein Grab sehe ich nicht, denn das soll kein Mensch kennen. Ich sehe weiße Männer, die ihm sein Land und all seinen Reichtum nehmen; ja, ihnen und keinem Sohn Lobengulas werden seine Männer das Bayéte, den Königsgruß, entbieten. Von all seiner Größe und seiner Macht soll nur dies bleiben, ein Name, den die Menschen von einer Generation zur anderen verfluchen. Und zuletzt sehe ich Frieden für unser Land, und für die Kinder meiner Kinder.« Er machte eine kurze Pause und setzte dann hinzu: »Für dich, du Hund, gibt es auch eine Botschaft vom Munwali, gesprochen von dem Mund des Molimo:
Ich werde keine Hand gegen dich erheben, doch wirst du nicht leben, um das Gesicht deines Königs zu sehen. Und jetzt geht!« Einen Augenblick lang schienen die drei Matabele verängstigt, und Benita hörte einen von ihnen zu den beiden anderen sagen: »Der alte Zauberer hat uns verhext! Er hat den Großen Elefanten und sein ganzes Volk verhext! Sollen wir ihn töten?« Doch ihr Sprecher schüttelte seine Furcht sofort wieder ab, lachte und sagte: »Deshalb also hast du die weißen Männer hergebracht, du alter Verräter, um mit ihnen ein Komplott gegen den Thron des Königs zu machen!« Er fuhr herum und starrte Mr. Clifford und Jacob Meyer an. »Gut, Graubart und Schwarzbart. Ich werde euch so zu Tode bringen, wie ihr es euch nicht einmal vorstellen könnt, und was das Mädchen angeht, so ist sie gut gebaut und soll des Königs Bier brauen und eine seiner Frauen werden, falls es ihm nicht gefällt, sie mir zu schenken.« In einer Sekunde war es geschehen! Als der Mann über Benita sprach, schien Meyer, der seinen Drohungen und seinen bombastischen Worten unbeteiligt zugehört hatte, plötzlich zu erwachen. Seine dunklen Augen funkelten, und sein blasses Gesicht verzog sich zu einer grausamen Maske. Er riß den Revolver aus dem Gürtel und drückte ab, in einer einzigen, blitzschnellen Bewegung. Der Matabele stürzte zu Boden. Die Männer rührten sich nicht, sie starrten nur auf den Toten. Sie waren in diesem wilden Land an Tod gewöhnt, doch die Plötzlichkeit des Sterbens verwirrte sie. Der Kontrast zwischen dem kraftstrotzen-
den, brutalen Krieger, der noch eben vor ihnen gestanden hatte, und dem schwarzen Körper, der reglos am Boden lag, war so stark, daß er sie fast paralysierte. Dort lag der Tote, und über ihm, den rauchenden Revolver in der Hand, stand Meyer und lachte schallend. Benita fühlte, daß Meyer richtig gehandelt und der Mann seine Strafe verdient hatte. Doch sein Lachen ließ sie zusammenfahren, denn in ihm glaubte sie das Herz dieses Mannes sprechen zu hören, und oh, es war kalt und ohne Gnade! Die Gerechtigkeit sollte nicht lachen, wenn das Schwert herunterfährt! »Seht nun«, sagte der Molimo mit seiner ruhigen Stimme und deutete auf den toten Matabele. »Habe ich gelogen, oder war es die Wahrheit, als ich sagte, daß dieser Mann nicht mehr das Gesicht seines Königs sehen wird? Und was dem Diener geschah, wird auch seinem Herrn geschehen, nur etwas langsamer. Das ist das Dekret des Munwali, gesprochen von der Stimme seines Mundes, des Molimo von Bambatse. Geht jetzt, Kinder Lobengulas und nehmt diese erste Frucht der Ernte mit euch, welche die weißen Männer unter den Kriegern Lobengulas einbringen werden.« Die leise Stimme schwieg, und die Stille war so absolut, daß Benita glaubte, das Kratzen der Füße einer grünen Eidechse zu hören, die etwa einen Yard entfernt über einen Stein kroch. Dann wurde sie plötzlich zerrissen. Die beiden überlebenden Matabele machten kehrt und flohen um ihr Leben, und so wie fliehende Hunde von der Schafherde verfolgt werden, setzten auch die Makalanga hinter den beiden her. Sie packten sie, rissen ihren kriegerischen Schmuck herunter und schlugen sie
mit Fäusten und Stöcken und Steinen, bis die beiden Männer, halb bewußtlos und blutend, anscheinend von einem Instinkt geleitet, auf Benita zutaumelten, welche die grausame Szene entsetzt beobachtet hatte, sich vor ihr zu Boden warfen, die Hände in ihren Rock gruben und um Gnade flehten. »Treten Sie etwas zur Seite, Miß Clifford«, sagte Meyer und hob seinen Revolver. »Drei von diesen Wilden werden mein Gewissen nicht mehr belasten als einer.« »Nein!« sagte Benita scharf. »Mambo, diese Männer sind Boten. Verschone ihr Leben!« »Hört die Stimme des Mitleids!« sagte der alte Prophet, »die an einem Ort spricht, an dem man das Mitleid niemals gekannt hat, und sie soll nicht vergeblich gesprochen haben. Zeigt ihnen Gnade, die selbst keine Gnade kennen, denn sie hat ihre Leben durch ihre Bitte erkauft!« »Sie werden die anderen zu uns bringen«, murmelte Tamas, und selbst Mr. Clifford schüttelte den Kopf. Doch der Molimo sagte nur: »Ich habe gesprochen. Laßt sie gehen! Das, was geschehen soll, wird geschehen, und aus dieser Tat wird nichts Böses erwachsen, das nicht auch sonst auf uns gekommen wäre.« »Ihr habt gehört«, sagte Benita rasch auf Zulu. »Geht, und macht schnell!« Die beiden Männer stemmten sich mühsam auf die Füße und hielten sich aneinander fest, als sie vor ihr standen. Einer von ihnen, ein Mann mit kräftigen, klugen Gesichtszügen, in dessen Haar sich Spuren von Grau zeigten, blickte Benita an und sagte mit
brüchiger Stimme: »Hör mich an! Dieser Narr ...« – er deutete auf den Toten –, »dessen großmäulige Reden ihm den Tod gebracht haben, war nur ein gewöhnlicher Krieger. Ich, der ich schwieg und ihn reden ließ, bin Maduna, ein Prinz des königlichen Hauses, der den Tod verdient hat, da ich vor diesen Hunden die Flucht ergriff. Doch nehmen ich und mein Bruder, der neben mir steht, das Leben aus deinen Händen, Lady, die, nachdem ich es mir eben überlegt habe, sich weigern würde, ihr Leben aus den unseren zu nehmen. Doch ob ich lebe oder sterbe spielt keine Rolle. Das Impi wartet, die Mörder sind bereits vor diesen Mauern! Die Dinge, die geschehen sollen, werden geschehen, und der alte Zauberer hat wahr gesprochen. Höre, Lady, sollte das Schicksal es wollen, daß du einmal von Maduna das Leben zweier Menschen fordern willst, verspricht er sie dir hiermit in seinem Namen und im Namen seines Königs. Sie sollen in Sicherheit weiterziehen, mit allem, was ihres ist und ohne daß Zoll gefordert wird. Erinnere dich an den Schwur Madunas, Lady, wenn für dich die Stunde der Not kommt, und du, mein Bruder, sollst diesen meinen Schwur vor unserem Volk bezeugen.« Die beiden schwerverletzten Männer richteten sich auf, so gut sie es vermochten, hoben ihre rechten Arme und erwiesen Benita den Häuptlingsgruß. Nachdem sie das getan hatten, wandten sie sich um, ohne einen der anderen zu beachten, humpelten über den Platz und verschwanden durch die Toröffnung, die für sie wieder freigeräumt worden war. Während der ganzen Zeit hatte Meyer nicht ein Wort gesprochen. Jetzt sagte er mit einem bitteren Lächeln: »Mitleid, Miß Clifford, verdeckt, wie ein
gewisser Paulus in Ihrem Neuen Testament feststellte, eine Vielzahl von Sünden. Ich hoffe sehr, daß sie auch unsere Überreste vor den scharfen Blicken der Aasvogels verdecken werden, nachdem wir auf eine solche Art gestorben sind, wie dieses Vieh sie uns versprochen hat.« Er deutete auf den Toten. Benita blickte ihren Vater an. »Mr. Meyer meint, daß es töricht von dir war, um die Leben dieser beiden Matabele zu bitten. Es wäre für uns alle sicherer, wenn sie tot wären, da sie jetzt auf Rache sinnen. Ich verstehe dich natürlich, Benita, aber ...« Er zögerte und ließ den Satz unvollendet. »Der Molimo war nicht deiner Meinung«, sagte Benita erregt, »und wenn, so wäre es mir auch egal gewesen. Es war schlimm genug, daß ein Mann getötet wurde.« Sie hob fröstelnd die Schultern. »Ich hätte es nicht ertragen, auch die beiden anderen sterben zu sehen.« »Sie sollten sich nicht um den Tod dieses Burschen grämen, da er ihn durch das, was er über sie sagte, selbst heraufbeschworen hat«, sagte Meyer mit Nachdruck. »Wenn er es nicht getan hätte, wäre ihm nichts geschehen, jedenfalls nicht durch mich. Und was die anderen beiden betrifft, so habe ich mich nicht eingemischt, weil ich erkannte, daß es sinnlos gewesen wäre. Außerdem bin ich Fatalist, genau wie Ihr Freund, der Molimo, und glaube, daß das Schicksal der Menschen vorbestimmt ist. Und noch etwas«, setzte er scharf hinzu, »unter Wilden ist kein Platz für Ladies.« »Warum haben Sie das nicht schon auf Rooi Krantz festgestellt?« fragte Mr. Clifford. »Sie wissen, daß ich von Anfang an dieser Meinung war, doch ich wurde
überstimmt. Und jetzt möchte ich vorschlagen, daß wir diesen Ort so schnell wie möglich verlassen, sofort, sobald wir gegessen haben, bevor die Matabele uns den Rückweg abschneiden.« Meyer blickte zu den Ochsen hinüber, die ausgespannt worden waren. Neun von ihnen waren auf den Beinen und grasten, doch die fünf, die nach Meyers Ansicht von Tsetse-Fliegen gebissen worden waren, lagen ohne sich zu rühren am Boden. »Neun ausgemergelte, erschöpfte Ochsen können den Wagen nicht ziehen«, sagte er. »Außerdem ist Bambatse wahrscheinlich bereits von den Matabele umzingelt, und sie haben uns nur passieren lassen, um die Gewehre erbeuten zu können, von denen ihnen ihre Spione sicher berichtet haben. Und schließlich, nachdem wir soviel Geld und Mühe aufgewandt haben, um hierherzukommen, werde ich nicht von hier fortgehen, bevor wir nicht gefunden haben, was wir suchen. Aber wenn Sie glauben, daß das Leben Ihrer Tochter hinter diesen Mauern mehr gefährdet ist als außerhalb von ihnen, können Sie es gerne versuchen, falls Sie hier Diener anwerben können, was ich bezweifle. Oder, wenn man hier Ruderer findet, könnten Sie mit einem Kanu den Sambesi hinabfahren – falls Sie keine Angst vor dem Fieber haben. Das müssen Sie mit ihr ausmachen, Clifford.« »Schwierigkeiten und Gefahren, wohin man blickt, Benita«, sagte ihr Vater leise. »Was meinst du?« Benita überlegte einen Augenblick lang. Sie wollte vor allem Jacob Meyer entkommen, vor dem sie jetzt wirklich Angst hatte, und hätte alles auf sich genommen, um das zu erreichen. Andererseits war ihr Vater völlig ausgepumpt und brauchte dringend Ruhe; und
schließlich wäre es ein bitterer Schlag für ihn, wenn er dieses Unternehmen abbrechen müßte. Und, wenn man sich die Tatsachen vor Augen hielt: wie sollten sie es ohne Ochsen und Männer schaffen? Und letztlich drängte sie irgend etwas in ihr, dieselbe Stimme, die sie dazu bestimmt hatte, mit den beiden Männern nach Bambatse zu gehen, zum Bleiben. Und so kam sie sehr bald zu einem Entschluß. »Vater«, sagte sie, »ich danke dir, daß du so fürsorglich an mich denkst, doch soweit ich die Dinge beurteilen kann, gehen wir größere Risiken ein, wenn wir versuchen, von hier fortzugehen, als wenn wir bleiben. Ich bin mit euch gekommen, obwohl du mich davor gewarnt hast, und jetzt muß ich mein Schicksal auf mich nehmen und auf Gott vertrauen, daß er uns sicher durch alle Gefahren bringt. Mit den hundert Gewehren sollten die Makalanga in der Lage sein, diese Festung gegen die Matabele zu halten.« »Ich hoffe es«, antwortete ihr Vater, »doch sie sind keine Krieger. Und wenn ich es jetzt auch für besser halte, wenn wir niemals hierhergekommen wären, bin auch ich der Meinung, daß es am besten ist, hierzubleiben und in Gott zu vertrauen.«
10 Der Berggipfel Wenn unsere Abenteurer gehofft hatten, noch an diesem Tag zu dem Heiligen Ort der Festung geführt zu werden, sollten sie enttäuscht werden. Der Nachmittag und ein Teil des Abends vergingen mit dem Auspacken der Gewehre und eines Teils der Munition, und den ersten, oberflächlichen Anweisungen an die führenden Makalange, wie diese Waffen zu gebrauchen seien, wovon sie nicht die geringste Ahnung hatten. Die anderen Mitglieder des Stammes hatten sofort nach dem Besuch der drei Matabele-Boten ihre Frauen und Kinder in den unteren Bezirk der alte Feste gebracht, und mit ihnen ihre Schafe und Ziegen und die wenigen Kühe, die ihnen verblieben waren, und waren damit beschäftigt, die Toröffnung dauerhaft mit schweren Felsblöcken zu verschließen; ein Zickzack-Tunnel zum Flußufer, der innerhalb weniger Minuten blockiert werden konnte, war jetzt der einzige Einlaß durch die dicke Mauer. Eine Anzahl der Männer war ausgesandt worden, um die weitere Umgebung auszukundschaften und, wenn möglich, die Position des Matabele-Impi festzustellen. Daß dieses Impi in der Nähe war, schien jetzt so gut wie sicher. Eine Frau, die dem verletzten Prinzen, Maduna, und seinem Begleiter ein Stück weit gefolgt war, berichtete, daß sie etwa drei Meilen von Bambatse entfernt von einer kleinen Gruppe Matabele erwartet worden seien, die sich dort in einem Gebüsch versteckt gehabt hätten, und daß diese Männer Bah-
ren aus Asten angefertigt hätten, auf denen man sie fortgetragen habe; wohin, könne sie nicht sagen, da sie es nicht gewagt habe, sie weiter zu verfolgen. Benita verbrachte diese Nacht in dem Gästehaus, das nichts anderes war als eine Hütte, wenn auch ein wenig größer als die, in denen die Eingeborenen wohnten, während die beiden Männer in ihrem Wagen schliefen. Sie war so müde, daß sie lange keinen Schlaf finden konnte. Ihre Gedanken beschäftigten sich ständig mit den Ereignissen dieses Tages: den seltsamen Prophezeiungen des alten Molimo, die ihr Glück und Frieden versprochen hatten; die Ankunft der drei Boten des Königs der Matabele, die brutalen Drohungen ihres Sprechers und sein Tod durch die Hand Jacob Meyers. Diese Szene ging ihr nicht aus dem Sinn: immer wieder erlebte sie die plötzliche Veränderung von Meyers gleichgültigem Gesicht, als der Krieger sie zu beleidigen und zu bedrohen begann, sah die blitzschnelle Handbewegung, das Aufblitzen des Schusses, den sekundenschnellen Wechsel vom Leben zum Tod, hörte das grausame Lachen des Mörders. Ja, Jacob Meyer konnte grausam und sadistisch werden, wenn ihn irgend etwas in Wut versetzte! Und was hatte ihn heute in Wut versetzt? Sie hatte keinen Zweifel, daß es um sie gegangen war – und daß es sich bei ihm nicht nur um Ritterlichkeit gegenüber einer Frau gehandelt hatte. Selbst wenn er zu einer ritterlichen Geste fähig gewesen wäre, hätte er ihretwegen niemals das Risiko zukünftiger Schwierigkeiten und persönlicher Rache auf sich genommen. Nein, es war etwas, das tiefer lag. Sie hatte niemals etwas gesagt oder getan, was ihn dazu berechtigt haben könnte, doch schon seit langem hatte in Benita
ein Instinkt oder eine Einsicht den Verdacht aufkeimen lassen, und jetzt war sie sicher. Die Vorstellung war ihr schrecklich – schlimmer als alle anderen Gefahren zusammengenommen. Natürlich hatte sie ihren Vater, der ihr einen gewissen Rückhalt gab, doch er kränkelte seit einiger Zeit; das Alter und die Strapaze dieser Reise hatten seine Kräfte erschöpft. Wenn ihm irgend etwas zustoßen sollte – wenn er, zum Beispiel, stürbe ... Benita wagte nicht, an die Konsequenzen zu denken, wenn sie hier allein zurückbleiben sollte, außerstande, Hilfe herbeizurufen – allein mit Wilden – und mit Jacob Meyer. Oh! Wie anders wäre ihr Leben verlaufen, wenn diese entsetzliche Schiffskatastrophe nicht gewesen wäre! Es war dieses Unglück und ihr ständiges Denken an ihn, den sie dabei verloren hatte, die sie dieses Abenteuer getrieben hatten, in der Hoffnung, daß Gefahren und Strapazen ihr Leid betäuben könnten, bis jetzt aber hatte es ihr nur neue Probleme gebracht. Doch sie fühlte sich nach wie vor in Gottes Hand und vertraute auf Ihn. Wenn es ihr bestimmt war, zu sterben, was kam es darauf an? Doch der alte Molimo hatte ihr gesagt, daß sie vor dem Tod sicher sei und Glück und Frieden finden würde. So hatte er es ihr versprochen, wie einer, der von ihrem Leid wußte, und kurz darauf, durch den Tod des Matabele-Kriegers, hatte er sich als echter Prophet erwiesen. Außerdem – sie wußte nicht wie und warum – schien ihr Herz ihr zu sagen, daß die Worte dieses alten Visionärs Wahrheit waren, und daß sie, auf irgendeine nicht vorhersehbare Weise, wirklich Frieden finden würde. Von dieser Intuition ein wenig getröstet, schlief Be-
nita endlich ein. Am nächsten Morgen, als sie aus der Hütte trat, traf sie ihren Vater, der sie davon in Kenntnis setzte, daß sich bis jetzt noch kein einziger Matabele habe sehen lassen. Ein paar Stunden später berichteten auch Späher, die in die Festung zurückkamen, daß sie im Umkreis von mehreren Meilen keine Spur von ihnen hätten finden können. Trotzdem gingen die Verteidigungsvorbereitungen weiter, und die hundert besten Männer wurden mit Gewehren ausgerüstet und im Gebrauch der Waffen instruiert. Diese Aufgabe konnten die beiden weißen Männer Tamas und seinen beiden Begleitern, Hoba und Tamala, überlassen, die während der monatelangen Reise nach Bambatse den Umgang mit Gewehren gründlich erlernt hatten. Das Schießen der neuen Rekruten war jedoch so schauerlich und so gefährlich, daß alle anderen Deckung suchen mußten, wenn einer von ihnen nach einem auf der Mauer aufgestellten Ziel schoß. Und es ging auch nicht ohne Opfer ab; ein armer TreckOchse – glücklicherweise einer der kranken – und zwei Schafe wurden getötet. Meyer, der eine Nahrungsverknappung bei einer längeren Belagerung voraussah und entsprechende Vorkehrungen traf, hatte beschlossen, daß die von Tsetse-Fliegen gebissenen Ochsen getötet werden sollten. Nachdem das getan war, wurden sie enthäutet und ihr Fleisch in lange, schmale Streifen geschnitten, die im heißen Sonnenlicht aufgehängt zu Biltong trocknen sollten. Benita hoffte, daß sie nie gezwungen sein würde, dieses harte getrocknete Fleisch zu essen. Es sollte jedoch die Zeit kommen, wo sie für das zähe, vom Gift der Tsetse-Fliege durchsetzte Bil-
tong noch dankbar sein würde. Gegen Mittag, nachdem sie gegessen hatten, gingen Mr. Clifford und Jacob Meyer zum Molimo, der an der zweiten Mauer saß. Mr. Clifford deutete auf die Männer, die sie mit Gewehren ausgerüstet hatten und sagte: »Wir haben unser Versprechen eingelöst, nun erfülle du das deine! Führ uns zu dem Heiligen Ort, damit wir dort mit unserer Suche beginnen können!« »So soll es sein«, antwortete er und stand auf. »Folgt mir, weiße Männer!« Ohne jede Hilfe führte er sie an der Innenseite der äußeren Mauer entlang, bis sie auf einen knapp einen Yard breiten Pfad gelangten, der hart am Fluß entlang verlief, an einer Stelle sogar über das Ufer hinausragte. Diesem schwindelerregenden Pfad folgten sie für etwa zwanzig Schritte, bis zu einer Maueröffnung, die so schmal war, daß sie sie nur einzeln passieren konnten. Daß dies der einzige Zugang zum zweiten Bezirk der Feste war, zeigte sich daran, daß der Granitfels am Boden dieser Öffnung von Millionen von Füßen, die ihn im Laufe von Jahrtausenden passiert hatten, glattgeschliffen war. Der Zugang verlief im Inneren der fast zwanzig Fuß dicken Mauer nicht gerade, sondern im Zickzack. Auf ihrer anderen Seite lag ein steil ansteigender Hang, der wie der untere Bezirk mit Ruinen und Mauerresten übersät war, zwischen denen jetzt Bäume, Büsche und Schlingpflanzen wucherten. »Der Himmel gewähre uns, daß das Gold nicht hier vergraben ist«, sagte Mr. Clifford, als er das unübersichtliche Durcheinander von Steinen und Vegetation überblickte, »denn dann werden wir es niemals finden.«
Der Molimo schien die Bedeutung seiner Worte an seinem Gesicht abgelesen zu haben, denn er antwortete: »Nein, ich glaube nicht, daß es hier ist. Die Belagerer sind bis hierher vorgedrungen und haben mehrere Wochen vor der dritten Mauer kampiert. Ich könnte euch die Stellen zeigen, wo ihre Kochfeuer waren und wo sie versucht haben, die dritte Mauer zu unterminieren, hinter der die Portugiesen aushielten, bis der Hunger sie tötete, da sie ihr Gold nicht essen konnten. Folgt mir weiter!« Sie stiegen den Hang hinan, bis sie den Fuß der dritten Mauer erreichten, und, wie zuvor, führte der Molimo sie an ihr entlang, bis zu einem Punkt oberhalb des Flusses. Doch hier gab es keinen Durchlaß, sondern nur eine Reihe von schmalen Stufen aus einzeln in die Mauer eingelassenen Steinen, die von ihrer Basis bis zu der dreißig Fuß hohen Krone führte. »Die Schatzsuche ist wirklich ein hartes Brot«, sagte Benita, als sie den steilen, gefahrvollen Anstieg betrachtete. »Ich glaube nicht, daß ich das schaffe.« Ihr Vater blickte ebenfalls zur Mauerkrone empor und schüttelte dann resigniert und enttäuscht den Kopf. »Wir brauchen ein Seil«, sagte Meyer zum Molimo, und seine Stimme klang verärgert. »Wie sollen wir ohne Seil dort hinaufkommen?« »Ich bin alt, doch ich schaffe es«, antwortete der Molimo überrascht. Für ihn, der sein ganzes Leben lang diese schmalen Stufen hinaufgestiegen war, bot die hohe Mauer keinerlei Schwierigkeiten. »Trotzdem«, setzte er hinzu, »habe ich oben ein Seil, das ich manchmal in dunklen Nächten benutze. Ich werde hinaufklettern und es herablassen.«
Er stieg hinauf, und es war ein seltsamer Anblick, wie seine altersdürren Beine von einer schmalen Stufe zur anderen traten, so selbstverständlich und sicher, als ob er nur eine Treppe hinaufschritte. Kein Affe konnte geschickter sein und so gleichgültig gegenüber der schwindelnden Höhe. Kurz darauf verschwand er durch eine kleine, quadratische Öffnung in der Mauerkrone, und weniger als eine halbe Minute später tauchte er wieder auf, ließ ein kräftiges Seil herab und versicherte, daß er es gut festgebunden habe. Meyer war so begierig, endlich den Ort zu sehen, von dem er so lange geträumt hatte, daß er das Seil sofort packte und hinaufzuklettern begann. Als er die Öffnung erreicht hatte, wies er Mr. Clifford an, das Seil um Benitas Taille zu verknoten, und nun war sie an der Reihe. Es war nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte, da sie kräftig und gelenkig war, und die Gewißheit, daß das Seil einen Absturz verhindern würde, gab ihr Selbstvertrauen. Dann wurde das Seil zum dritten Mal herabgelassen, und ihr Vater band das Ende um seinen Leib. Und es war gut, daß er das tat, denn als er etwa auf halber Höhe war, glitt sein Fuß – durch Ungeschicklichkeit oder weil er die Nerven verlor, was bei einem alten Mann nicht zu verwundern war – von der schmalen Stufe ab, und wenn nicht das Seil gewesen wäre, das von Meyer und dem Molimo gehalten wurde, wäre er auf den harten Fels gestürzt, oder an ihm vorbei in den Fluß, der fast dreihundert Fuß unter ihnen lag. So aber gelang es ihm, wieder Halt zu finden, und kurz darauf war er bei den anderen, wenn auch außer Atem und totenbleich vor Schreck. Benita küßte ihn erleichtert und überlegte
dabei wie nahe daran sie gewesen war, mit Meyer allein zurückzubleiben. »Ende gut, alles gut, mein Kind«, sagte Mr. Clifford. »Aber ich wünschte aufrichtig, mich mit dem bescheidenen Profit der Pferdezucht zufriedengegeben zu haben.« Benita antwortete nicht; es war zu spät, über dieses Thema zu sprechen. »Schlaue Burschen, die Alten«, sagte Meyer. »Sehen Sie!« Er deutete auf eine schwere, quadratische Felsplatte, durch die der Zugang wirksam blockiert werden konnte, da sich die Krone der Mauer leicht nach außen neigte, wie es bei alten Ruinen üblich war. »Ja«, antwortete Benita, »wir sollten hier drin ziemlich sicher sein, und das ist gut so, da ich vorläufig nicht die Absicht habe, wieder hinabzusteigen.« Sie durchquerten den tunnelartigen Gang, der durch die Krone der Mauer führte, und traten auf ihrer anderen Seite ins Freie. Sie blieben stehen und sahen sich um. Die Mauer, die genauso wie die beiden unteren aus riesigen, ohne Mörtel aufeinander gefügten Steinquadern erbaut worden war, wirkte sehr gut erhalten, denn ihre einzigen Feinde waren die Zeit, die tropischen Regen und die wuchernden Bäume und Sträucher, die da und dort Steine gesprengt oder verschoben hatten. Die Mauer umschloß den Gipfel des Berges, etwa drei Acres Grund, und auf ihrer Krone standen in regelmäßigen Abständen Pfeiler aus Stein, etwa zwölf Fuß hoch, in deren Kopfteil die rohe Nachbildung eines Geiers gemeißelt war. Viele dieser Pfeiler waren jedoch umgestürzt, vom Wind oder
durch Erosion zu Fall gebracht, oder vielleicht von Blitzen getroffen, und lagen zerborsten auf der Mauerkrone, oder, wenn sie nach innen gefallen waren, an ihrem Fuß. Sechs oder acht dieser Säulen standen jedoch noch. Benita erfuhr später, daß sie wahrscheinlich von den alten Phöniziern errichtet worden waren, oder einem anderen seefahrenden Volk jener Epoche, welches dieses gigantische Festungswerk erbaut hatte, und etwas mit der genauen Berechnung der einzelnen Jahreszeiten und ihrer Unterteilung zu tun hatte, die sich an der Länge ihrer Schatten ablesen ließ. In diesem Augenblick schenkte sie ihnen noch keine sonderliche Beachtung, da ihr Interesse von einem anderen, eindrucksvolleren Relikt der Antike gefangengenommen wurde, das auf dem Gipfel des Berges und hart an der steil zum Fluß abfallenden Felswand stand, die hier sogar Teil der Mauer war. Es war eine Klippe in der Form eines hohen, schlanken Kegels, von der Robert Seymour ihr an Bord der Zanzibar erzählt hatte, wie man sie häufig in phönizischen Tempeln findet. Doch diese etwa fünfzig Fuß hohe Säule war nicht von Menschenhand geformt worden, sondern sie war ein gigantischer Granitmonolith, der vor Tausenden oder Millionen Jahren stehengeblieben war, als der weichere Fels um ihn herum von Zeit und Wetter zum Zerfall gebracht und abgetragen worden war. Auf der dem Gipfel zugekehrten Seite dieser Felsnadel waren Stufen in den harten Stein geschlagen worden, über die man auf die Spitze gelangen konnte. Sie hatte einen Durchmesser von etwa sechs Fuß und war zu einer Art Schale ausgehöhlt worden, wahrscheinlich zum Zweck von
Götterverehrung und Opferung. Dieses außergewöhnliche, von der Natur geschaffene Monument, das wegen der Form des Berges nur vom Fluß aus zu sehen war, stand leicht nach außen geneigt, so daß seine Spitze ein gutes Stück über den Sambesi ragte. »Dort oben war es«, sagte der Molimo, »wo mein Vorvater die letzte der Portugiesen sah, die schöne Tochter des großen Kapitän Ferreira, als sie sich in die Fluten stürzte, nachdem sie das Gold in unsere Obhut gegeben und mit einem Fluch beladen hatte, der bis zu ihrer Rückkehr wirken sollte. So habe ich sie auch in meinen Träumen gesehen, und auch andere haben sie gesehen, doch die nur aus der Ferne, vom Fluß aus.« Er schwieg eine Weile und blickte Benita mit seinen seltsamen, verträumten Augen an. Dann sagte er plötzlich: »Sag, Lady, kannst du dich an nichts mehr erinnern?« Jetzt wurde Benita ärgerlich, denn die ganze Sache war ihr unheimlich und zerrte an ihren Nerven. »Wie kann ich mich daran erinnern, da ich doch erst vor fünfundzwanzig Jahren geboren wurde?« »Das weiß ich nicht«, antwortete er. »Wie könnte ich es auch wissen, der ich nur ein ungebildeter Schwarzer bin und vor nicht mehr als etwas über achtzig Jahren geboren wurde? Doch sage mir, Lady, weil ich deine Weisheit suche, woher du kommst. Aus der Erde oder vom Himmel? Woher? Du schüttelst den Kopf, du, die du dich an nichts erinnern kannst. Nun, ich kann es auch nicht, und doch ist es wahr, daß alle Kreise sich irgendwo treffen, und es ist wahr, daß die portugiesische Lady gesagt hat, sie würde zurückkehren, und letztlich ist es auch wahr,
daß sie genauso war, wie du es bist, denn sie geht an diesem Ort umher, und ich, der ich sie dort im Mondlicht sitzen sah, kenne ihre Schönheit wohl. Und wenn sie nicht im Fleisch wiederkommt, so ist ihr Geist zurückgekehrt, denn, Lady, aus deinen Augen blickt er mir entgegen. – Kommt!« sagte er abrupt. »Laßt uns hinabsteigen, denn es gibt noch mehr, das ich euch zeigen möchte. Habt keine Angst, der Weg ist leicht zu gehen.« Also stiegen sie den Hang hinab, dessen Unebenheiten durch Erosion und Schutt der Ruinen ausgeglichen wurden, gelangten in einen Dschungel dichter, verfilzter Vegetation, durch den ein schmaler Pfad führte. Er führte sie an den Ruinen mehrerer Gebäude vorbei, deren Sinn und Zweck längst in Vergessenheit geraten waren, denn ihre Dächer waren schon vor Hunderten oder Tausenden von Jahren eingefallen, und gelangten schließlich zum Eingang einer Höhle, der sich unterhalb des Fußes der Felsnadel befand. Hier bat der Molimo sie, ein paar Minuten lang zu warten, damit er in der Höhle die Lampen anzünden könne. Wenig später trat er wieder heraus und sagte ihnen, daß alles bereit sei. »Habt keine Angst vor dem, was ihr sehen werdet«, setzte er hinzu, »denn wisset, weiße Menschen, daß außer meinen Vorvätern und mir niemand diese Höhle betreten hat, seit die Portugiesen hergekommen und in ihr gestorben sind, noch haben wir, die wir sie nur aufsuchten, um hier zu beten und das Wort des Munwali zu hören, jemals etwas berührt oder verändert. So wie es damals gewesen ist, findet ihr es noch heute vor. Komm, Lady, komm! Sie, dessen Geist in dir ist, war die letzte deiner Rasse, wel-
che durch diese Tür geschritten ist. Es ist deshalb richtig, daß deine Füße und ihr Geist die ersten sein sollen, die sie wieder passieren.« Benita sträubte sich ein wenig, da ihr der Ort unheimlich erschien. Doch dann, entschlossen, vor diesem alten Priester keine Furcht zu zeigen, nahm sie die dürre, knochige Hand, die er ihr entgegenstreckte, und schritt erhobenen Hauptes ins Dunkel. Die beiden Männer wollten ihr folgen, doch der Molimo hielt sie mit einer schroffen Geste zurück und sagte: »Nein! Die Lady wird die Höhle zuerst und allein betreten! Dies ist ihr Haus, und wenn sie euch einladen sollte, hier zu wohnen, so sei es. Doch erst soll sie ihr Haus allein besuchen.« »Unsinn!« sagte Mr. Clifford verärgert. »Das lasse ich nicht zu. Sie wird sich ängstigen.« »Lady, vertraust du mir?« fragte der Molimo. »Ja«, antwortete sie, und setzte hinzu: »Vater, ich glaube, es ist besser, wenn du mich zuerst allein gehen läßt. Ich habe keine Angst mehr, und es ist vielleicht nicht klug, ihm zu widersprechen. Dies ist eine sehr seltsame Geschichte – so völlig anders als alles, was ich jemals erlebt habe – und ich glaube wirklich, daß es besser ist, wenn ich zuerst allein mit ihm gehe. Falls ich nicht bald zurückkomme, kannst du uns folgen.« »Solche, die in den Schlaf der Toten eintreten, sollten leise gehen«, sagte der alte Molimo mit einer Singsangstimme. »Der Atem der Lady ist rein, und ihr Schritt ist leicht. Ihr Atem wird die Toten nicht beleidigen, und ihr Schritt wird die Toten nicht stören. Weiße Männer, scherzt nicht mit den Toten, denn die Toten sind mächtig und werden sich an euch rä-
chen, wenn auch ihr tot seid – bald, sehr bald, wenn ihr tot seid, tot in eurem Leid, tot in euren Sünden, tot, und zu den anderen Toten geht, die uns hier erwarten.« Er begann mit leiser Stimme ein Lied zu singen und führte Benita an der Hand vom Licht ins Dunkel, aus dem Leben an den Ort des Todes.
11 Die Schläfer in der Höhle Wie alle anderen Zugänge in dieser alten Festung war auch dieser eng und gewunden. Wahrscheinlich hatten die Alten ihn so angelegt, um die Höhle, die letzte Zuflucht, besser verteidigen zu können. Nach der dritten Biegung sah Benita jedoch Licht, das eine Lampe verströmte, die am Ende des gewundenen Tunnels stand. In die rechte Wand war in einer Höhe von etwa drei Fuß über den Boden eine muschelförmige Nische in den Fels geschlagen. Die Form kam ihr irgendwie bekannt vor, und den Grund dafür sollte sie bald erfahren, obwohl sie sie im Augenblick mit nichts in Verbindung bringen konnte. Die Höhle, die sie jetzt betraten, war riesig, hoch und nicht nur von der Natur geformt; ihre Wände waren von Menschenhand gestaltet oder zumindest geglättet worden. Wahrscheinlich hatten die Priester der Alten hier ihr Orakel eingerichtet oder ihre Opferungen durchgeführt. Zuerst konnte Benita nicht viel erkennen, da die beiden Lampen mit Flußpferdöl, die der Molimo angezündet hatte, nur wenig Licht gaben. Als sich ihre Augen jedoch an das Halbdunkel gewöhnt hatten, bemerkte sie, daß die Höhle bis auf einen kleinen Fellteppich, auf dem, wie sie vermutete, der Molimo saß, wenn er hier meditierte, einige Kalebassen und Schüsseln für Wasser und Essen, völlig leer war. Weiter hinten, in der Mitte der Höhle, stand ein Gerät aus schimmerndem Metall, das sie nach seiner Dop-
pelkurbel und der Laufrolle für eine Art Winde hielt, zurecht, wie sie gleich darauf feststellte, denn unter ihr sah sie die Öffnung eines Brunnens, der Wasserquelle für den obersten Teil der Festung. Hinter dem Brunnen entdeckte sie einen Altar, der wie der untere Teil einer Pyramide geformt war, und etwas weiter entfernt, an der gegenüberliegenden Wand der Höhle, sah sie im Licht der Lampe, die auf dem Altar stand, vage die Konturen eines riesigen Kreuzes, das als Relief aus dem Fels geschlagen war. An dem Kreuz hing eine aus weißem Stein gehauene Christusfigur, die Dornenkrone auf dem auf die Brust gesunkenen Kopf. Jetzt verstand sie: Wer immer hier als erster diese Höhle zum Tempel seiner Götter gemacht haben mochte, sie war später von Christen übernommen worden, die hier das Symbol ihres Glaubens in den Fels gehauen hatten. Und die muschelförmige Nische in der Wand des Höhleneingangs war zweifellos ein Weihwasserbecken. Der Molimo nahm die Lampe vom Altar, und hielt sie vor das riesige Kruzifix, vor dem Benita, obwohl sie keine Katholikin war, den Kopf neigte und sich bekreuzigte. Dann senkte er die Lampe, so daß ihr Licht auf den Boden fiel, und Benita sah eine große Zahl zugedeckter Gestalten auf dem nackten Fels liegen, die auf den ersten Blick aussahen, als ob sie schliefen. Der Molimo trat zu einer von ihnen und berührte sie mit seinem nackten Fuß, worauf das Tuch, mit dem sie zugedeckt war, zu Staub zerfiel und ein weißes Skelett enthüllte. All diese Schläfer lagen in wirklich tiefer Ruhe, denn sie waren seit über zweihundert Jahren tot. Dort lagen sie nun, Männer, Frauen und Kinder, doch von
letzteren nur ein paar. An einigen der Skelette hing Schmuck, andere steckten in Rüstungen, und neben den Überresten der Männer lagen Schwerter, Speere oder Messer, und da und dort alte, primitive Feuerwaffen. Ein paar der Toten waren in der trockenen Luft mumifiziert worden – groteske, schauerliche Gestalten, von denen sie den Blick rasch abwandte. Der Molimo führte sie um den Altar herum zum Fuß des Kruzifixes, und direkt unter diesem Symbol der Christenheit lagen zwei Gestalten, die mit Tüchern aus einem schweren, mit Golddraht durchwobenen Material zugedeckt waren, für das die Makalanga zu der Zeit, als die Portugiesen erstmals mit ihnen in Kontakt kamen, berühmt waren. Der Molimo ergriff die beiden Tücher und zog sie herab. Vor Benita lagen die Leichen eines Mannes und einer Frau. Die Gesichter waren durch Verwesung unkenntlich, doch das Haar – weiß bei dem Mann, blauschwarz bei der Frau – war völlig erhalten. Sie mußten Menschen von Rang gewesen sein, da Orden auf der Brust des Mannes glitzerten und sein Schwert einen goldenen Knauf hatte, während um den Hals der Frau eine kostbare Kette hing und auch Handgelenke und Finger mit Juwelen geschmückt waren. In der rechten Hand hielt sie ein Buch mit einem Einband aus Silberplatten. Benita löste es vorsichtig aus der Hand der Toten. Es war eine wunderbar illuminierte Bibel, in der die Dame anscheinend gelesen hatte, bis sie in den Schlaf der Erschöpfung sank, aus dem der Schlaf des Todes wurde. »Sieh hier den Lord Ferreira und seine Frau«, sagte der Molimo, »die ihre Tochter so bettete, bevor sie ging, um ihnen in den Tod zu folgen.« Auf ein Zei-
chen von Benita hin deckte er die beiden Toten wieder zu. »Hier schlafen sie«, fuhr der alte Mann fort, »einhundertundfünfzigunddrei von ihnen, einhundertundfünfzigunddrei, und wenn ich nachts an diesem Ort träume, sehe ich ihre Geister, ja, die Geister jedes einzelnen von ihnen, die sich neben ihren toten Körpern erheben und durch die Höhle gleiten, der Mann mit seiner Frau, das Kind mit der Mutter, um mich anzublicken und mich zu fragen, wann die Lady wiederkehren wird, um sich ihr Erbe zu holen und ihre Leichname zu begraben.« Benita erschauerte. Die makabre Feierlichkeit dieses Ortes bedrückte sie. Sie glaubte jetzt auch, diese Geister zu sehen. »Es ist genug«, sagte sie. »Laß uns gehen!« Also gingen sie, und der gekreuzigte Christus, zu dem sie einige Male zurückblickte, verschwamm zu einem weißen Fleck und wurde dann im Dunkel sichtbar, in dem er von einer Generation zur anderen über die Toten gewacht hatte, den Toten, die ihn in der Stunde der Verzweiflung um seine Hilfe angefleht und seine Füße mit ihren Tränen genetzt hatten. Sie war froh, o so froh, als sie das unheimliche Dunkel hinter sich ließ und in das helle Tageslicht hinaustrat. »Was hast du gesehen?« fragten ihr Vater und Meyer wie aus einem Mund, als sie ihr bleiches Gesicht sahen. Sie ließ sich auf einen Stein neben dem Höhleneingang sinken, und bevor sie sich wieder in der Lage fühlte, zu sprechen, antwortete der Molimo an ihrer Stelle.
»Sie hat die Toten gesehen. Der Geist, der in ihr ist, hat die Toten gegrüßt, die er vor so vielen Jahren zurückließ. Die Lady hat dem Weißen Mann, der am Kreuz hängt, ihre Huldigung erwiesen und ihn um Vergebung und um seinen Segen gebeten, so wie die, deren Geist in ihr ist, ihm vor den Augen meiner Vorväter ihre Huldigung erwies und um seine Vergebung und seinen Segen bat, bevor sie sich in die Fluten stürzte.« Er deutete auf das kleine goldene Kruzifix, das auf Benitas Busen lag, als Anhänger der Kette, die Tamas, der Bote, ihr auf Rooi Krantz gegeben hatte. »Jetzt«, fuhr er fort, »jetzt ist der Bann gebrochen, und die Schläfer müssen an einem anderen Ort schlafen. Tretet ein, weiße Männer! Tretet ein, wenn ihr euch traut, bittet um Vergebung und Segen, sammelt all die trockenen Knochen zusammen, nehmt den Schatz, der einst ihnen gehörte, und besiegt den Fluch, der auf ihm liegt, wenn ihr es könnt, wenn ihr es könnt, wenn ihr es könnt! Bleib du hier!« sagte er zu Benita, »im süßen Licht der Sonne. Und ihr, weiße Männer, folgt mir, folgt mir in das dunkle Reich der Toten, um nach dem zu suchen, was die weißen Männer lieben.« Und noch einmal verschwand er in dem dunklen, gewundenen Tunnel, wandte sich ein paarmal um und winkte ihnen, ihm zu folgen, und sie gingen ihm nach, als ob er sie gegen ihren Willen vorwärtszöge. Denn jetzt, im letzten Moment, ging eine abergläubische Angst von ihm auf sie über, und sie zeigte sich in ihren Augen. Benita, die benommen auf dem Stein saß, da ihr Erlebnis sie bis auf den Grund ihres Herzens erschüttert hatte, kam es vor, als ob nur wenige Minu-
ten vergangen wären, obwohl es fast eine Stunde später war, als ihr Vater wieder erschien, und sein Gesicht war genauso bleich wie es das ihre gewesen war. »Wo ist Mr. Meyer?« fragte sie. »Oh«, antwortete er, »er sammelt all den Schmuck von den Toten ein und wirft ihre Knochen in einer Ecke der Höhle auf einen Haufen.« Benita stieß einen kleinen Schrei des Entsetzens aus. »Ich verstehe dich«, sagte ihr Vater. »Dieser eiskalte Bursche hat vor nichts Respekt! Obwohl er anfangs fast so viel Angst zu haben schien wie ich. Er sagte, daß wir unsere Suche nicht durchführen könnten, wenn überall Skelette herumlägen, und man sollte sie so bald wie möglich beiseiteräumen. Aber vielleicht hat er wirklich Angst vor ihnen und will sich selbst beweisen, daß sie nichts anderes als Staub sind. Benita«, fuhr der alte Mann fort, »ich wünschte ehrlich, daß wir diese Sache niemals angerührt hätten. Ich glaube nicht, daß etwas Gutes dabei herauskommen kann, und sie hat uns schon jetzt genug Kummer bereitet. Dieser alte Prophet besitzt wirklich das Zweite Gesicht oder so etwas, und er hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, sondern hat in dieser schrecklichen Höhle dauernd geredet und alles mögliche Unheil prophezeit, das auf uns zukommen wird.« »Mir hat er nur Gutes geweissagt«, erklärte Benita mit einem kleinen Lächeln, »obwohl ich nicht weiß, wie es möglich sein kann, daß ich jemals wieder Frieden finde – und Glück. Aber wenn dich alles so sehr bedrückt, Vater, warum gibst du dann nicht auf und versuchst zu fliehen?«
»Dazu ist es zu spät, Benita«, sagte er dumpf. »Meyer würde nicht mitkommen, und es ginge mir wider die Ehre, ihn hier zurückzulassen. Außerdem würde ich den Rest meines Lebens über mich lachen müssen. Und schließlich, warum sollen wir nicht einen Teil des Goldes haben, wenn es gefunden werden kann? Es gehört niemandem; wir nehmen es uns nicht durch Raub oder Mord; das Gold ist den Portugiesen, die seit über zweihundert Jahren tot sind, nichts mehr nütze, und ihre Erben, falls sie welche haben sollten, könnten wir niemals finden. Und es kann ihnen auch egal sein, ob sie so liegen, wie sie gestorben oder nach ihrem Tod von anderen gebettet worden sind, oder ob ihre Knochen auf einen Haufen geworfen werden. Unsere Ängste sind nichts weiter als Friedhofsaberglauben, mit dem uns dieser Ghul von Molimo infiziert hat. Stimmst du mir darin zu?« »Ja«, antwortete Benita, »obwohl ich glaube, daß gewisse Orte und Dinge ihr eigenes Schicksal haben – vielleicht. Auf jeden Fall weiß ich, daß es jetzt keinen Sinn mehr hat, umzukehren, selbst wenn wir es könnten, und deshalb sollten wir durchhalten und das Ende dieses Unternehmens abwarten. Gib mir die Wasserflasche! Ich bin durstig.« Etwas später kam auch Jacob Meyer aus der Höhle, ein großes Bündel in der Hand. Es war der Schmuck, den er den Toten abgenommen und in eines der golddurchwirkten Tücher gewickelt hatte. Er versteckte das Bündel hinter einem Stein. »Die Höhle sieht jetzt viel ordentlicher aus«, sagte er, während er sich den Staub abklopfte, der bei seiner unheiligen Tätigkeit seine Kleidung und sein Haar bedeckt hatte. Dann griff er nach der Wasserfla-
sche und trank gierig. »Haben Sie schon Pläne für unsere Suche gemacht?« fragte er dann. Sie schüttelten den Kopf. »Aber ich. Schließlich hatte ich genügend Zeit dazu, während ich die Knochen beiseite räumte. Hier sind sie: Es ist sinnlos, wieder nach unten zu steigen. Erstens ist der Weg zu gefährlich und nimmt zuviel Zeit in Anspruch, und zweitens sind wir hier oben sicherer und haben nur hier zu tun.« »Aber was ist mit den Dingen, die wir brauchen?« wandte Benita ein, »vor allem Essen?« »Das ist doch ganz einfach, Miß Clifford; wir müssen sie heraufschaffen. Die Kaffern sollen sie zum Fuß der dritten Mauer bringen, und wir ziehen sie an dem Seil herauf. Wasser ist mehr als ausreichend in dem Brunnen, der von einer Quelle gespeist wird, die hundertfünfzig Fuß tiefer liegt; die alte Kette liegt noch auf der Rolle, wir brauchen uns also nur ein paar Eimer vom Wagen bringen zu lassen. Holz zum Kochen ist auch mehr da, als wir brauchen. Wir können unser Lager in der Höhle aufschlagen oder außerhalb von ihr, je nach Wetter. Ruhen Sie sich noch etwas aus, während ich hinuntergehe! Ich werde in etwa einer Stunde zurück sein und schon einige von unseren Sachen mitbringen, und dann müssen Sie mir helfen und sie heraufziehen.« Er ging, und bevor es dunkel wurde, hatten sie alles heraufgeschafft, was sie fürs erste brauchten, und am folgenden Abend, nach einem Tag harter Arbeit, hatten sie sich, so gut es ging, in ihrer seltsamen Wohnung eingerichtet. Die Plane des Ochsenwagens war in der Nähe des Höhleneingangs als Zelt für Be-
nita aufgespannt; die beiden Männer schliefen in der Nähe unter einem Baum, dessen dichtes Laubdach selbst schweren Regen abhalten würde. Unter einem anderen Baum befand sich ihre Feuerstelle. Die verschiedenen Vorräte, darunter zwei Kästen Squareface und eine große Menge Biltong* von den geschlachteten Ochsen wurden zusammen mit der Munition im Höhleneingang aufbewahrt. Meyer hatte auch ausgehandelt, daß ihnen täglich frisches Fleisch gebracht wurde, das sie in Körben heraufzogen – bis zu dem Tag, an dem es kein Fleisch mehr gab – und dazu grüner Mais als Gemüse und Korn zum Brotbacken. Und da sich das Wasser des Brunnens als rein und klar erwies, hatten sie alles, was sie zum Leben brauchten. Bei all diesen Vorbereitungen ging ihnen der alte Molimo tüchtig zur Hand, und auch als sie abgeschlossen waren, zeigte er keine Neigung, sie zu verlassen. An jedem Morgen stieg er die steilen Steinstufen der Mauer hinab und blieb den Tag über bei seinen Leuten, doch bevor es dunkel zu werden begann, kam er zur Höhle zurück, wo er seit vielen Jahren die Nächte in der unheimlichen Gesellschaft der toten Portugiesen verbracht hatte, zumindest aber mehrere Nächte pro Woche. Jacob Meyer versuchte Mr. Clifford einzureden, daß er Abend für Abend bei ihnen erschien, um zu spionieren, und war dafür, ihn fortzuschicken, doch Benita, zwischen der und dem alten Mann sich eine seltsame Freundschaft entwickelt hatte, verhinderte das, indem sie ihm erklärte, daß sie durch die Anwesenheit des Molimo viel sicherer seien – er sei auch eine Art Geisel, fügte sie hinzu –, als *
Trockenfleisch
ohne ihn; außerdem könnte seine genaue Kenntnis dieses Ortes ihnen eine große Hilfe sein. Also erlaubte man ihm zu bleiben, was auch sein gutes Recht war. Während dieser ganzen Zeit gab es nicht die geringsten Anzeichen für einen bevorstehenden Angriff der Matabele, und die Angst vor dieser Katastrophe begann allmählich abzuklingen. Benita sah, daß ihre neun verbliebenen Ochsen und die beiden Pferde – das Pferd Meyers war gestorben – zusammen mit den Ziegen und Schafen der Makalanga täglich zum Weiden hinausgetrieben wurden, und daß die Frauen auf den außerhalb der unteren Mauer gelegenen Feldern arbeiteten. Trotzdem wurden Wach- und Späherdienst fortgesetzt, und nachts schlief alles innerhalb der Festungsmauern. Auch die Ausbildung der Männer an den Feuerwaffen unter dem Kommando von Tamas ging weiter. Am vierten Morgen waren endlich alle Vorbereitungen abgeschlossen, und die Suche nach dem Schatz konnte beginnen. Zunächst befragten die beiden Männer den Molimo ausgiebig nach dem Versteck, da sie annahmen, daß er, selbst wenn es ihm nicht bekannt war, doch seit sechs Generationen überlieferte Legenden und Berichte gehört haben mußte, in denen sich vielleicht ein Hinweis befand. Doch er erklärte ernsthaft, daß er nichts wüßte, außer, daß die portugiesische Lady gesagt hätte, daß er versteckt worden sei; und er habe auch weder durch einen Traum, noch durch eine Vision etwas von diesem Versteck erfahren, setzte er hinzu, da ihn das Gold nicht interessiere. Wenn es hier war, war es hier; wenn es nicht hier war, war es nicht hier – es sei Sache der weißen Männer, danach zu suchen.
Aus irgendeinem logisch nicht untermauerten Grund war Meyer zu der Überzeugung gelangt, daß sich der Schatz in der Höhle oder in ihrer unmittelbaren Nähe befinden müßte, und hier begannen sie deshalb mit ihrer Suche. Zunächst nahmen sie an, daß die Portugiesen ihn in den Brunnen geworfen haben mochten, doch das war nur unter sehr großen Schwierigkeiten nachzuprüfen. Sie hängten ein Metallstück an einen Strick – es war ein alter, portugiesischer Schwertgriff – ließen es hinab und stellten fest, daß es in hundertzwanzig Fuß Tiefe die Wasseroberfläche berührte, und den Boden des Brunnens in hundertsiebenundvierzig Fuß Tiefe. Also befanden sich siebenundzwanzig Fuß Wasser in dem Brunnen. Sie beschwerten einen Eimer, ließen ihn hinab, bis er den Grund berührte, und zogen ihn wieder empor. Dieses Manöver wiederholten sie einige Male. Beim dritten Mal brachte er einen menschlichen Knochen und einen Armreif aus purem Gold nach oben. Doch dies bewies nichts, außer daß ein Mensch, vielleicht vor mehreren tausend Jahren, in den Brunnen gefallen oder hineingestoßen worden war. Von dem Ergebnis unbefriedigt, beschloß Meyer, der ein sehr gründlicher Mensch war, den Brunnen selbst zu untersuchen, ein Vorhaben, das mit großen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden war, da sie keine Leitern hatten, und schon gar nicht so viele, daß sie bis zum Grund des Brunnens reichten. Deshalb fanden sie diesen Ausweg: Am Ende der alten Kupferkette wurde ein Sitzbrett befestigt, auf dem sie Meyer, so wie vorher den Eimer, in den Schacht hinablassen würden. Doch, wie Benita feststellte, wür-
den sie es vielleicht schaffen, ihn hinabzulassen, doch nicht in der Lage sein, ihn dann wieder heraufzuziehen. Also unternahmen sie, nachdem der Sitz an der Kette befestigt war, zunächst ein Experiment, indem sie den Sitz mit einem Stein beschwerten, der etwa das Gewicht eines Mannes hatte. Benita und ihr Vater hatten keinerlei Schwierigkeiten, ihn hinabzulassen, doch als es dazu kam, ihn wieder heraufzuwinden, reichte ihre Kraft gerade dazu aus. Drei Menschen konnten es leicht schaffen, doch mit zweien war es riskant. Jetzt bat Meyer den Molimo – das heißt, er befahl es ihm – ein paar seiner Männer heraufzurufen, um ihnen zu helfen, doch das lehnte der alte Häuptling rundheraus ab. Das heißt, aus Gründen der Höflichkeit erfand er passende Ausreden: sie seien mit der Ausbildung an den Gewehren und mit Wachdienst beschäftigt; sie hätten Angst, nach hier heraufzukommen, und so weiter. Schließlich wurde Meyer wütend, seine Augen funkelten, er knirschte mit den Zähnen und begann, den alten Häuptling zu bedrohen. »Weißer Mann«, sagte der Molimo, als Meyer schwieg, »das ist nicht möglich. Ich habe mein Versprechen gehalten. Sucht nach dem Gold! Findet es und nehmt es mit euch! Doch dies ist ein heiliger Ort. Niemand meines Volkes, mit Ausnahme dessen, der das Amt des Molimo innehat, darf seinen Fuß hierher setzen. Töte mich, wenn du willst; doch wenn du mich tötest, werden sie anschließend auch dich töten.« Darauf versuchte es Meyer, nachdem er erkannt hatte, daß Gewalt ihn nicht weiter brachte, mit Bitten
und fragte ihn, ob er ihnen dann nicht selbst helfen könne. »Ich bin alt, und meine Kraft ist gering«, antwortete er; »doch ich will mein Bestes geben. Aber wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich nicht in den Schacht hinabsteigen.« »Ich werde es trotzdem tun«, sagte Meyer, »und schon morgen.«
12 Der Beginn der Suche Also wurde am folgenden Tag das große Experiment unternommen. Die Kette und die uralte Winde waren geprüft worden und hatten sich als stabil erwiesen. Nun setzte Meyer sich auf den Holzsitz, nahm eine Lampe in die Hand und steckte, für den Fall, daß sie erlöschen sollte, außerdem drei Kerzen und Zündhölzer in die Tasche. Ohne zu zögern schwang er sich dann auf den über dem fast hundertfünfzig Fuß tiefen Schacht hängenden Sitz, während die anderen drei die Kurbeln der alten Winde festhielten. Dann begannen sie die Kette langsam abzuspulen, und sein bleiches Gesicht verschwand in der dunklen Tiefe. Nach jeweils drei oder vier Umdrehungen der Kurbeln stoppten sie für ein paar Sekunden, damit er die Schachtwände untersuchen konnte, und als er in etwa fünfzig Fuß Tiefe war, rief er zu ihnen hinauf, ihn auf der Höhe festzuhalten, und sie hörten, wie er mit einem Hammer gegen die Schachtwand schlug. Nach einer Weile rief er ihnen zu, ihn weiter hinabzulassen, und sie drehten wieder die Kurbeln, bis fast die ganze Kette durchgelaufen war und sie wußten, daß er nun dicht über der Wasseroberfläche sein mußte. Benita beugte sich über den Rand des Schachts und sah, daß der Lichtpunkt der Lampe verschwunden war. Sie war erloschen, und er machte keinen Versuch, sie wieder anzuzünden. Sie riefen nach ihm, und als er nicht antwortete, begannen sie,
ihn so schnell, wie es ihnen möglich war, emporzuziehen. Sie schafften es gerade unter Aufgebot ihrer letzten Kraftreserven und waren völlig erschöpft, als Meyer endlich hinter dem Brunnenrand auftauchte. Im ersten Augenblick glaubten sie, er sei tot, und wenn er sich nicht vorsichtshalber an die Kette gebunden hätte, wäre er wirklich tot gewesen, denn offensichtlich war er schon seit geraumer Zeit bewußtlos. Er war fast von seinem Sitz gerutscht, und sein Gewicht wurde lediglich durch den Lederstrick gehalten, den er um seine Brust geschlungen und an der Kette verknotet hatte. Sie schwangen ihn über den Brunnenrand und gossen ihm Wasser ins Gesicht, bis er, zu ihrer Erleichterung, den Mund aufriß und nach Luft schnappte. Kurz darauf war er wieder so weit bei Sinnen, daß sie ihn, von beiden Seiten gestützt, an die frische Luft führen konnten. »Was ist Ihnen passiert?« fragte Clifford. »Mit Gas vergiftet worden, vermute ich«, antwortete Meyer stöhnend und preßte beide Hände an seinen schmerzenden Kopf. »Die Luft am Boden tiefer Brunnen ist häufig schlecht, doch ich habe nichts gerochen oder gefühlt, bis ich plötzlich bewußtlos wurde. Das hätte schiefgehen können – sehr schief.« Später, als er sich ein wenig erholt hatte, berichtete er ihnen, daß er an einer Stelle, tief im Brunnenschacht, an der dem Fluß zugekehrten Seite, eine Stelle entdeckt habe, wo der Felsen auf einer Fläche von etwa sechs mal vier Fuß abgeschlagen und später mit Steinen anderer Färbung und hartem Lehm ausgebessert worden war. Direkt darunter befänden sich Löcher, in denen noch Reste von Holzbohlen steck-
ten, was darauf schließen ließ, daß sich hier einmal ein Zwischenboden oder eine Plattform befunden hatte. Es war an dieser Stelle gewesen, während er die verrotteten Bohlenstümpfe untersucht habe, daß er bewußtlos geworden sei. Er setzte hinzu, daß sich an jener Stelle der Zugang zu dem Versteck des Goldes befinden könne. »Wenn dem so sein sollte«, sagte Mr. Clifford, »muß es auch dort versteckt bleiben, da es keinen besseren Wächter haben könnte, als schlechte Luft. Außerdem findet man in vielen Brunnen solche Zwischenböden, damit Unrat, der in den Schacht fällt, aufgefangen wird und nicht das Wasser verunreinigt. Und die Ausbesserungsarbeit an der Wand, die Sie gesehen haben, ist wahrscheinlich von den Alten durchgeführt worden, damit der Schacht nicht einstürzen konnte.« »Hoffen wir es«, sagte Meyer, »denn wenn sich die Luft dort unten nicht erheblich reinigt, würde nicht einmal ich es wagen, noch einmal hinabzusteigen, und wenn sich nicht jemand selbst davon überzeugt, ist das kaum festzustellen – man könnte natürlich eine brennende Lampe hinablassen ...« Das war das Ende ihres ersten Versuchs. Die Suche wurde erst am nächsten Nachmittag wieder aufgenommen, als Meyer sich ein wenig von seiner Gasvergiftung erholt hatte und seine von dem Strick aufgescheuerten Achselhöhlen nicht mehr schmerzten. Das heißt, von den Folgen der Gasvergiftung erholte er sich anscheinend nie wieder völlig, da Benita, die ihn aus bestimmten Gründen von diesem Zeitpunkt an sehr genau beobachtete, eine fortschreitende We-
sensveränderung bei ihm festzustellen glaubte. Bis dahin war er ein ziemlich zurückhaltender Mensch gewesen, der sich stets in der Gewalt hatte und nur selten von sich sprach, und wenn sie einiges von ihm wußte, so nur, weil sie gewisse Dinge erriet und schlußfolgerte, und nicht, weil er sich irgendeine Blöße gegeben hatte. Nur zweimal hatte sie einen Blick in sein Herz werfen können: einmal, als sie am Tage der Ankunft der Boten am Ufer von Lake Chrissie miteinander gesprochen hatten, wo er ihr sein Verlangen nach Reichtum und Macht offenbart hatte, und zum zweiten Mal vor wenigen Tagen, als er den Boten der Matabele tötete. Und doch war sie sicher, daß sein Herz rebellisch und leidenschaftlich war, daß seine Kühle wie die Eisschicht auf einem Fluß war, unter der sich wilde Strömungen verbergen. Die Art, wie seine dunklen Augen funkelten, selbst wenn sein blasses Gesicht unberührt schien, sagte ihr das – und noch einige andere Dinge. Zum Beispiel, als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, sprach er die ersten Worte, die er äußerte, auf deutsch, und da sie ein wenig von dieser Sprache verstand, glaubte sie, ihren Namen zusammen mit zärtlichen Attributen gehört zu haben. Von diesem Tag an ließ seine Selbstkontrolle rapide nach, das heißt, Benita hatte das Gefühl, als ob er zunehmend die Fähigkeit verlöre, sich zu beherrschen. Er erregte sich ohne jeden ersichtlichen Grund und begann darüber zu schwärmen, was er tun würde, wenn sie das Gold gefunden hätten; wie er sich an der Welt rächen würde, für alles, was sie ihm angetan habe, wie er ein ›König‹ werden würde. »Ich fürchte, daß Sie diese erhabene Position recht
einsam finden werden«, sagte Benita mit einem amüsierten Lachen, doch schon sehr bald taten ihr diese Worte leid, denn er antwortete mit einem Blick auf sie, der sie schaudern ließ: »O nein! Ich werde nicht einsam sein, denn es wird neben mir eine Königin geben, eine schöne Königin, die ich mit Reichtümern überschütten, die ich lieben und anbeten werde.« »Was für eine glückliche Dame!« sagte sie, noch immer lachend, zog sich dann aber rasch unter einem Vorwand zurück. Bei anderen Gelegenheiten, besonders nach Einbruch der Dunkelheit, ging er vor dem Höhleneingang auf und ab, murmelte vor sich hin oder sang alte deutsche Lieder. Außerdem gewöhnte er sich an, auf den hohen Granitpfeiler zu klettern und oft stundenlang dort oben zu sitzen. Mehr als einmal rief er ihr zu, heraufzukommen und seinen ›Thron‹ mit ihm zu teilen. Doch waren diese Ausbrüche anfangs noch so selten, so daß ihr Vater, dessen Aufnahmefähigkeit nachgelassen zu haben schien, sie kaum wahrnahm. Nachdem eine weitere Suche im Brunnenschacht außer Frage stand, machten sie sich daran, die Höhle selbst gründlich zu überprüfen. Sie untersuchten die Wände Zoll um Zoll, indem sie sie mit dem Hammer abklopften, jedoch ohne Resultat. Dann überprüften sie den Altar, der sich aber als ein massiver Stein herausstellte. Mit Hilfe einer Leiter, die sie angefertigt hatten, untersuchten sie anschließend das riesige Kruzifix und stellten fest, daß die weiße Gestalt am Kreuz aus weichem Sandstein bestand und aus der Statue eines heidnischen Gottes gefertigt worden war. Im Rückenteil erkannten sie noch Teile eines faltigen Gewandes und langer Haare, da der Künstler es an-
scheinend für überflüssig gehalten hatte, auch diese nicht sichtbaren Partien zu bearbeiten. Außerdem stellten sie fest, daß die nach beiden Seiten gestreckten Arme angefügt worden waren und aus einem etwas dunkleren Stein bestanden, und daß das Gewicht der Figur zum Teil von einer schweren Eisenklammer getragen wurde, zum Teil von starken, zusammengedrehten Kupferdrähten, die um die Handgelenke gebunden und hell gestrichen waren, damit sie wie Seile wirkten. Diese Drahtseile liefen durch Löcher, die in den Querbalken des Kreuzes gebohrt waren, und das Kreuz selbst war Teil der Felswand, von der eine Schicht abgeschlagen worden war, so daß es erhaben hervortrat. Seltsamerweise wurde dieser Teil der Suche Benita und ihrem Vater überlassen; Meyer schien einen Widerwillen dagegen zu haben. Er war Jude von Geburt und verleugnete seinen Glauben an diese wie auch an alle anderen Religionen, und doch schien er dieses Symbol des Christentums zu fürchten und bezeichnete es als entsetzlich und unglückbringend; ja, er, der ohne jedes Anzeichen von Respekt oder Reue die Toten beraubt und ihre Reste in eine Ecke geworfen hatte. Doch auch die Untersuchung des Kruzifixes erbrachte nichts. Aber als Mr. Clifford, eine Laterne in der rechten Hand, die Leiter herabstieg, die von Benita gehalten wurde, rief Jacob Meyer, der vor dem Altar geblieben war, ihnen zu, daß er etwas entdeckt habe. »Dann haben Sie mehr erreicht als wir«, sagte Mr. Clifford, stieg die letzten Leitersprossen herab und ging auf ihn zu.
Meyer klopfte den Boden mit einem Holzstab ab, eine Arbeit, die er begonnen hatte, nachdem sich die Wände der Höhle als unergiebig erwiesen hatten. »Hören Sie«, sagte er und ließ den schweren Stab ein paar Schritte rechts vom Altar auf den Boden prallen. Er rief ein hartes, metallisch klingendes Geräusch hervor, wie es bei einem festen Grund der Fall ist. Dann trat er vor die Mitte des Altars und ließ wieder den Stab auf den Stein fallen, doch jetzt gab es einen dumpfen, hohlen Klang. Immer wieder klopfte er den Boden ab, bis er genau festgelegt hatte, wo der feste Stein aufhörte und der hohl klingende Abschnitt begann, ein Quadrat von etwa acht Fuß Seitenlänge. »Wir haben es!« rief er aufgeregt. »Dies ist der Eingang zu dem Versteck, in dem sich das Gold befindet.« Und die anderen waren geneigt, ihm zu glauben. Nun aber mußte die Theorie in die Praxis umgesetzt werden, und das erwies sich als eine recht zeitraubende und mühselige Angelegenheit. Drei Tage lang arbeiteten sie vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein. Der Boden war an dieser Stelle mit einer Schicht aus einer Art Zement bedeckt, die sich als überaus hart und widerstandsfähig erwies. Und diese Zementschicht, die aus einer Mischung von Granitstaub und hartem Lehm bestand, mußte zunächst abgeschlagen werden. Als diese Arbeit mit Hilfe einer Brechstange, die sie aus dem Wagen hatten bringen lassen, getan war, lag nackter Fels vor ihnen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte Benita bereits, daß sich darunter alles Mögliche verbergen mochte, bestimmt aber kein Schatz, weil ihr klar wurde, daß die sterbenden Portugiesen weder die Kraft noch die Zeit gehabt hatten,
den Boden mit einer Zementschicht zu bedecken. Doch als sie das den beiden Männern sagte, wies Meyer ihren Einwand zurück und bestand darauf, auf der richtigen Spur zu sein. Wahrscheinlich hätten die Makalanga den Zement nach den Tagen der Portugiesen gegossen, sagte er, da bekannt sei daß sie das Wissen um die Baukunst ihrer Vorväter bewahrt und erst in jüngster Zeit verloren hätten, als die Matabele ihre Massaker begonnen hatten. Als der Zement endlich abgeschlagen und die Stelle saubergefegt worden war, entdeckten sie eine große in den Boden eingelassene Steinplatte, die mehrere Tonnen wiegen mußte. Da sie in den gewachsenen Feld einzementiert war, schien es unmöglich, sie herauszuheben, selbst wenn sie die dazu nötige Kraft und Hebel gehabt hätten. Also blieb nur eine Möglichkeit: sie mußten ein Loch in die Steinplatte schlagen. Als sie mehrere Stunden daran gearbeitet und lediglich eine sechs Zoll tiefe Grube in den harten Granit getrieben hatten, schlug Mr. Clifford, dessen alte Knochen schmerzten und dessen Hände aufgeschunden waren, vor, es mit Schießpulver zu versuchen. Also schütteten sie eine reichliche Portion in das Loch, das mit feuchtem Lehm und einem schweren Stein verdämmt wurde. Durch diese Verdämmung lief die Lunte, die sie aus der Baumwolle eines Lampendochts gefertigt hatten. Nachdem alles vorbereitet war, zündeten sie die Lunte an, verließen die Höhle und warteten. Fünf Minuten später ließ eine Explosion den Fels erzittern, doch dauerte es mehr als eine Stunde, bis der Pulverrauch sich so weit verzogen hatte, daß sie die Höhle betreten konnten, und dann stellten sie fest,
daß das Ergebnis weit hinter ihren Erwartungen zurückblieb. Zunächst war die Steinplatte nur gesprungen, nicht zerschmettert worden, da die Wucht der Explosion nach oben verpufft war und nicht nach unten geschlagen hatte, wie es bei Dynamit der Fall gewesen wäre. Außerdem hatte der schwere Stein, mit dem sie die Pulverladung verdämmt hatten, oder die Wucht der Explosion mehrere Tonnen Gestein von der Decke losgeschlagen, die jetzt mehrere, gefährlich aussehende Risse zeigte. Und Benita glaubte, daß die weiße Gestalt am Kreuz etwas weiter nach vorne hing als vorher – doch sie sagte den anderen nichts von dieser Vermutung. Das Resultat dieses Experiments war also, daß sie nun Massen schweren Gesteins, das von der Decke herabgestürzt war, von der Steinplatte räumen mußten, die genauso unbeweglich festsaß wie zuvor. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiter mit der Brechstange zu arbeiten. Schließlich, am Abend des dritten Tages harter Arbeit, als die beiden Männer am Ende ihrer Kraft waren, stieß die schwere Brechstange durch den Stein und demonstrierte die Tatsache, daß unter ihr ein Hohlraum lag. Mr. Clifford und noch mehr Benita waren die Sache leid und schlugen vor, alles weitere auf den nächsten Morgen zu verschieben, doch davon wollte Jacob Meyer nichts wissen. Also arbeiteten sie weiter, bis sie gegen elf Uhr nachts das Loch soweit erweitert hatten, daß ein Mann hindurchkriechen konnte. Wie sie es bereits bei dem Brunnen getan hatten, loteten sie auch hier die Tiefe zunächst mit einem an ein Seil gebundenen Stein aus und stellten fest, daß der Hohlraum nur acht Fuß tief war. Um sicher zu sein, daß die Luft rein
war, ließen sie dann eine Kerze hinab, die beim ersten Mal erlosch, dann jedoch munter brannte. Nachdem auch dieser Punkt geklärt war, brachten sie die Leiter, auf der Jacob Meyer dann in die Tiefe stieg. Kurz darauf klangen gutturale deutsche Flüche zu ihnen herauf. Mr. Clifford fragte, was los sei und erhielt die Antwort, daß die Höhle eine Grabkammer sei, in der nichts weiter läge, als ein verdammter toter Mönch – eine Erklärung, die Benita schallend auflachen ließ. Schließlich stiegen sie und ihr Vater ebenfalls in die Kammer hinab und sahen dort die Überreste eines alten Missionars in seiner Kutte, eine Kette mit einem Kruzifix aus Elfenbein um den Hals; und auf seiner Brust lag ein Pergament, deren Beschriftung besagt, daß er, Marco, geboren im Jahr des Herrn 1438 in Lissabon und 1503 in Bambatse gestorben, siebzehn Jahre lang im Königreich von Monomotapa gearbeitet, große Mühsal auf sich genommen und viele Seelen zu Christus gebracht habe. Er, der vor seinem Eintritt in den Dienst der Kirche Bildhauer gewesen war, sei es gewesen, der aus der Statue einer heidnischen Göttin, die seit der Zeit der Antike in dieser Höhle gestanden habe, die Christusgestalt am Kreuz geschaffen habe, um aus diesem ehemaligen Heidentempel ein Haus Gottes zu machen. Die Schrift endete mit der Bitte an alle guten Christen, für sein Seelenheil zu beten und die Ruhe seiner Knochen nicht zu stören, die hier auf die Wiederauferstehung warteten. Als dieser fromme Wunsch von Mr. Clifford übersetzt worden war – der Text war in Latein abgefaßt, an das er sich von seiner Zeit in Eton und Oxford noch etwas erinnerte – konnte Jacob Meyer seine Wut
kaum noch beherrschen. Er starrte auf seine blutenden Hände, und anstatt für die Seele dieses Missionars zu beten, verfluchte er sie, wo immer sie jetzt sein mochte, und beförderte die Knochen, deren Ruhe er nach der in dem Pergament ausgesprochenen Bitte nicht stören sollte, mit Fußtritten in eine Ecke der Grabkammer, um sich davon zu überzeugen, daß unter ihnen nicht eine Treppe verborgen war. »Wirklich, Mr. Meyer«, sagte Benita, die selbst in dieser feierlich-unheimlichen Umgebung ihren Humor nicht verloren hatte, »wenn Sie nicht vorsichtiger sind, werden die Geister all dieser Toten Sie heimsuchen.« »Sollen sie mich doch heimsuchen, wenn sie es können«, sagte er wütend. »Ich glaube nicht an Geister und fordere sie alle heraus, zu mir zu kommen.« In diesem Augenblick sah Benita, als sie aufblickte, eine Gestalt aus dem Dunkel in den Lichtkreis treten, der aus dem Loch in der Decke in die Höhle drang. Die Gestalt bewegte sich lautlos, daß sie zusammenschreckte, denn sie mochte sehr wohl einer der Geister sein, an die Jacob Meyer nicht glaubte. Es war jedoch der alte Molimo. »Was sagt der weiße Mann?« fragte er Benita, und der Blick seiner verträumten Augen glitt von einem zum anderen und durch die entweihte Grabkammer. »Er sagt, daß er nicht an Geister glaubt und sie herausfordert«, antwortete sie. »Der weiße Goldsucher glaubt nicht an Geister und fordert sie heraus«, wiederholte Mambo mit seiner singenden Stimme. »Er glaubt nicht an die Geister, die ich jetzt überall um mich herum sehe, die wütenden Geister der Toten, die darüber sprechen, wo er
liegen soll, und was ihm geschehen soll, wenn er tot ist, und wie sie einen willkommen heißen werden, der ihre Ruhe stört und sie durch seine Suche nach den Reichtümern, die er anbetet, herausfordert und verflucht. Einer von ihnen steht direkt neben ihm, in ein langes, braunes Gewand gekleidet und mit einem toten Mann am Kreuz vor seiner Brust, der so wie jener aussieht«, und er deutete auf das ElfenbeinKruzifix, das Meyer dem Toten abgenommen hatte und in seiner Hand hielt. »Und er reckt diesen Elfenbein-Mann empor und verkündet diesem Weißen Jahrhunderte schlaflosen Leids, wenn auch er einer der Geister geworden ist, an die er nicht glaubt.« Jetzt konnte Meyer seine Wut nicht mehr länger beherrschen. Er starrte zum Molimo empor und verfluchte ihn; er behauptete, daß der Molimo sehr wohl wisse, wo der Schatz versteckt sei und wenn er es ihm nicht verriete, würde er ihn töten und zu seinen Freunden, den Geistern, schicken. So wild und teuflisch war sein Gesichtsausdruck, als er Mambo seine Drohungen entgegenschrie, daß Benita unwillkürlich vor ihm zurückwich, während Mr. Clifford vergeblich versuchte, ihn zu beruhigen. Doch der alte Mann zeigte nicht die geringste Angst. »Laßt ihn sich austoben«, sagte er, als Meyer endlich erschöpft schwieg. »Es ist wie bei einem Unwetter, wenn die Blitze zucken und der Donner grollt und das Wasser von den Felsen strömt; doch dann tritt wieder die Sonne aus den Wolken hervor, und der Berg sieht genauso aus, wie er immer gewesen ist, nur das Gewitter hat seine Kraft verbraucht und ist vergangen. Ich bin der Fels; er ist nur der Wind, die Blitze und der Regen. Ihm ist nicht erlaubt, mir Leid
anzutun, und die Geister, an die er nicht glaubt, horten seine Flüche, um sie eines Tages wie Steine auf sein Haupt fallen zu lassen.« Mit einem verächtlichen Blick auf Jacob wandte der alte Mann sich um und glitt lautlos ins Dunkel zurück, aus dem er gekommen war.
13 Benita plant die Flucht Als Benita am nächsten Morgen das Frühstück zubereitete, sah sie Jacob Meyer in der Nähe auf einem Felsen hocken. Er wirkte mürrisch und niedergeschlagen, hatte das Kinn in seine Hände gestützt und starrte sie an, ohne auch nur eine Sekunde lang den Blick von ihr zu wenden. Sie spürte, daß er seine ganze Willenskraft auf sie konzentrierte, daß irgendeine neue Idee, die mit ihr zu tun hatte, in seinem Gehirn entstand, denn es war eine ihrer unheilvollen Gaben, die Gedankengänge dieses Mannes interpretieren zu können. So sehr sie ihn auch haßte, es bestand doch diese seltsame Verbindung zwischen ihnen. Man wird sich erinnern, daß Jacob sie bei ihrem ersten Zusammentreffen über Leopard's Kloof einen ›Gedankensender‹ genannt hatte, und das Wissen um diese geistige Intimität bedrückte sie. Von jenem Tag an war sie vor allem bestrebt gewesen, diese Tür zwischen seiner Natur und der ihren zu schließen, sich von ihm zu isolieren. Doch dieser Versuch war niemals ganz erfolgreich. Es gelang ihr nicht, diese Tür geschlossen zu halten; sie schwang immer wieder auf, und Benita war gezwungen, in dem verhaßten Buch seiner Seele zu lesen. Und ihre noch größere Angst war, daß er vielleicht ihre Seele genauso lesen könnte, wie sie die seine. Angst und Ekel packten sie, und sie beugte sich tiefer über das Feuer, und ständig fühlte sie den Blick seiner schwarzen Augen, mit dem er ihre Seele zu
durchbohren schien. Plötzlich kam sie zu einem Entschluß. Sie würde ihren Vater bitten, mit ihr zu fliehen. Jacob Meyer würde sich nie davon abbringen lassen, nach dem Schatz zu suchen, bis er ihn gefunden hatte, oder bis jede weitere Suche unmöglich wurde. Dann sollte er ihn eben allein finden. Natürlich würde eine solche Flucht mit großen Gefahren verbunden sein. Von den Matabele war zwar nichts zu sehen, sie mochten aber trotzdem in der Nähe sein; und den Wagen konnten sie nicht benutzen, selbst wenn sie genügend Ochsen hätten, da er zur Hälfte Jacob Meyer gehörte und deshalb für ihn zurückgelassen werden mußte. Aber sie hatten ja ihre beiden Pferde, die inzwischen kräftig und fett geworden waren, wie der Molimo ihnen gesagt hatte. In diesem Augenblick erhob sich Meyer und trat auf sie zu. »Woran denken Sie, Miß Clifford?« fragte er mit seiner sanften Stimme mit dem fremden Akzent. Sie zuckte zusammen, antwortete jedoch ohne Zögern. »An das Holz, das zu grün ist, und an die Lammkoteletten, die mehr geräuchert als gebraten werden. Wird Ihnen Lammbraten nicht über, Mr. Meyer?« Er wischte ihre Frage beiseite. »Sie sind so gut – oh, ich meine es ehrlich –, so gut, daß Sie nicht einmal bei so kleinen Dingen lügen sollten. Das Holz ist nicht grün, ich habe es selbst von einem abgestorbenen Baum geschlagen, und das Fleisch wird nicht verräuchert, und Sie haben weder an das eine noch an das andere gedacht. Aber was in Ihrem Kopf vorging, habe ich diesmal nicht genau feststellen können, und deshalb bitte ich Sie, es mir zu sagen.«
»Also wirklich, Mr. Meyer«, sagte sie und wurde rot. »Meine Gedanken gehören mir.« »Ah! Glauben Sie? Ich bin da anderer Meinung: sie gehören mir, so wie die meinen Ihnen gehören; eine Gabe, die die Natur uns beiden geschenkt hat.« »Ich will dieses Geschenk nicht«, antwortete sie, doch selbst jetzt war es ihr nicht möglich, so sehr sie es auch wollte, eine Lüge auszusprechen und diese entsetzliche Gedankenverbindung gänzlich abzustreiten. »Das tut mir leid«, antwortete er, »da mir diese Gabe sehr teuer ist, sogar teurer als das Gold, das wir nicht finden können, weil sie mich Ihnen näher bringt, Miß Clifford.« Sie wandte sich zu ihm um und wollte antworten, doch er hob abwehrend die Hand. »Oh! Seien Sie nicht ärgerlich auf mich und befürchten Sie nicht, daß ich Sie mit süßen Worten bedrängen werde, denn das werde ich nicht tun, bevor die Zeit gekommen ist – und ich bin sicher, daß sie kommen wird – wo Sie solche Worte gerne hören. Doch heute möchte ich Ihnen etwas anderes sagen: ist es nicht wunderlich, daß unsere Gedanken so aufeinander abgestimmt sind, und sollte nicht eine tiefere Bedeutung darin liegen? Sehen Sie darin nicht auch ein Zeichen, daß der Himmel für uns wirkt? Nein, sagen Sie nicht, daß dieses Wirken aus einer tieferen Region kommt. Ich behaupte nicht, diese Erwiderung in Ihrer Seele gelesen zu haben, sie ist zu normal und selbstverständlich. Ich beschränke mich darauf, festzustellen, daß sich hier ein Wirken von Instinkt oder Natur manifestiert, oder des Schicksals, wenn Sie wollen, und uns einen Weg zeigt, auf dem wir Großes erreichen können.«
»Ich gehe meinen Weg allein, Mr. Meyer.« »Ich weiß, ich weiß, und das ist das Bedauerliche. Das Schwierige jeder Verbindung zwischen Mann und Frau ist, daß sie sich zwar lieben, aber nicht verstehen. Die Augen mögen den anderen suchen, Lippen und Hände einander berühren, und doch bleiben sie allein, voneinander isoliert, oft sogar antagonistisch. Es gibt keine Kommunion der Seelen. Doch wenn es durch eine Fügung des Schicksals anders ist, wenn sie einander ergänzen, wenn sie eins zu sein scheinen – oh! was für ein Glück können sie gewinnen, und welche Möglichkeiten stehen ihnen offen!« »Vielleicht, Mr. Meyer; doch, um ehrlich zu sein, diese Möglichkeiten interessieren mich nicht.« »Noch nicht; aber ich bin sicher, daß Sie eines Tages anders darüber denken. Doch ich wollte Sie eigentlich nur um Verzeihung bitten. Ich habe gestern abend in Ihrer Gegenwart meine Selbstbeherrschung verloren. Bitte, verurteilen Sie mich nicht; ich war völlig erschöpft, und der alte Idiot hat mich aufgeregt mit seinem dummen Geschwätz über Geister. Ich glaube nun mal nicht an derartigen Unsinn.« »Warum hat es Sie dann so in Wut versetzt? Sie hätten doch auch mit überlegener Ruhe reagieren können, oder auch mit Verachtung, anstatt ... sich gehen zu lassen.« »Das weiß ich auch nicht; aber ich glaube, daß die meisten von uns sich davor fürchten, etwas akzeptieren zu müssen, was wir ablehnen. Diese uralte Höhle geht mir auf die Nerven, Miß Clifford, und auch Ihnen, das weiß ich. Denken Sie doch an all die Verbrechen, die im Lauf der Jahrtausende in ihr stattgefunden haben, all das Leid, das Menschen dort ertragen
mußten. Ich bin sicher, daß in dieser Höhle Menschenopfer dargebracht worden sind – der große Brandfleck auf dem Fels ist wahrscheinlich das Überbleibsel einer Feuerstelle. Und dann diese armen Portugiesen, die dort langsam verhungerten, während Tausende von Wilden ihrem Sterben zusahen. Haben Sie sich jemals vorgestellt, was das bedeutet? Natürlich haben Sie das getan, da Sie genauso wie ich mit einer lebhaften Phantasie geschlagen sind. Gott im Himmel! Ist es ein Wunder, wenn dieser Ort einem die Nerven zerfrißt? Besonders, wenn man nicht finden kann, wonach man sucht, den riesigen Schatz« – er machte ein verzücktes Gesicht – »der Ihnen und mir gehören soll und uns groß und glücklich machen wird.« »Der mich aber im Augenblick zu einer Küchenmagd und sehr unglücklich macht«, antwortete Benita lächelnd, denn sie hörte die Schritte ihres Vaters. »Reden Sie nicht mehr von dem Schatz, Mr. Meyer, sonst könnten wir Streit bekommen. Damit müssen wir uns bis zum Überdruß befassen, wenn wir danach suchen. Geben Sie mir Ihren Teller, bitte! Das Fleisch ist endlich gar.« Nach dem Frühstück ging die endlose, unergiebige Suche weiter. Noch einmal wurden Wände und Boden der Höhle abgeklopft, und sie fanden auch weitere Höhlungen. Drei Tage harter Arbeit waren nötig, um drei von ihnen aufzubrechen, die, genau wie die erste, Gräber waren, jedoch Gräber der Alten, die wahrscheinlich lange vor der Geburt Christi gestorben waren. Dort lagen sie, den Kopf auf vergoldete Holzkissen gebettet, wie sie die Ägypter benutzt hatten, Goldreifen um Hand- und Fußgelenke, und neben sich Goldklumpen, die aus verrotteten Umhän-
getaschen gefallen waren, und kunstvoll gefertigte Vasen und Töpfe, die wohl mit Opfergaben gefüllt gewesen waren, manche von ihnen mit Goldstaub, um für die Kosten ihrer Reise in die andere Welt bezahlen zu können. So kam es, daß ihre Entdeckungen doch einige Früchte trugen. Aus einem der Gräber holten sie hundertdreißig Unzen Gold. Trotzdem war es nicht das, was sie suchten: den gehorteten Reichtum der Monomopata, den die fliehenden Portugiesen mit sich gebracht und hier, an ihrem letzten Zufluchtsort, vergraben hatten. Benita verlor jetzt auch das letzte Interesse an dieser Suche; sie nahm sich nicht einmal die Mühe, das dritte Grab anzusehen, das die beiden Männer öffneten, obwohl das Skelett, das darin lag, zu seiner Zeit ein Riese gewesen sein mußte, wenn man nach der Goldmenge urteilte, die er mit sich ins Grab mitgenommen hatte. Sie wußte, daß sie nie wieder einen menschlichen Knochen oder einen antiken Armreif oder Ring sehen wollte; der Anblick einer Straße im Londoner Nebel oder eines Spielzeugladens in Westbourne Grove hätte sie hundertmal mehr interessiert als diese einmaligen archäologischen Funde, die, wären sie damals bekannt geworden, die Hälfte aller Wissenschaftler Europas angelockt hätten. Sie hatte nur einen Wunsch: von Bambatse zu fliehen, von seinen wunderbaren Befestigungen, von seinem geheimnisvollen Felskegel, von seiner Höhle, seinen Toten und – von Jacob Meyer. Benita stand oft auf der Mauer ihres Gefängnisses und blickte sehnsuchtsvoll auf das weite, offene Land, das unter ihr lag. Sie riskierte sogar den Auf-
stieg auf den mächtigen Granitkegel und setzte sich auf seine schalenförmig ausgehöhlte Spitze, auf die Jacob Meyer sie einige Male eingeladen hatte, um seinen Thron mit ihm zu teilen. Es war ein schwindelerregender Platz, denn da die Felsnadel auswärts geneigt war, ragte ihre Spitze über die vom Wasser umspülten Felsen hinaus, so daß sich unter ihr ein überhängender Steilabfall von vierhundert Fuß zum Bett des Sambesi befand. Zuerst machte diese schwindelnde Höhe benommen. Ihre Augen schwammen, und ein Frösteln lief ihr über den Rücken, so daß sie sich auf den Boden der sechs Fuß durchmessenden Schale setzte, von der sie, wie sie wußte, nicht abstürzen konnte. Allmählich gewöhnte sie sich jedoch an die Höhe und begann den herrlichen Ausblick über Fluß und Sümpfe und die fernen Berge zu genießen. Sie war jedoch nicht nur wegen der schönen Aussicht heraufgekommen, sondern zu einem anderen, ganz bestimmten Zweck. Sie wollte sehen, ob es möglich war, in einem Eingeborenenboot, wie sie die Makalanga besaßen, flußabwärts zu fliehen oder den Fluß zu überqueren. Anscheinend war es jedoch nicht möglich, da der Fluß, der hier ruhig und fast träge dahinfloß, etwa eine Meile entfernt in Katarakte stürzte, die sich bis zum Horizont erstreckten, und beide Ufer von hohen, mit dichtem Buschwerk bestandenen Bergen gesäumt wurden, über die man kein Kanu tragen konnte, selbst wenn es ihnen gelänge, Träger zu finden. Sie hatte davon schon von dem Molimo erfahren, doch da sie seine ängstliche Natur kannte, wollte sie selbst ein Urteil fällen. Also blieb ihnen nur eine Möglichkeit, wenn sie fliehen wollten: zu Pferd.
Nachdem Benita von dem hohen Felskegel herabgestiegen war, suchte sie nach ihrem Vater, dem sie bisher noch nichts von ihren Plänen gesagt hatte. Der Zeitpunkt war günstig, da sie sicher war, ihn allein zu treffen. An diesem Nachmittag war Meyer hinabgestiegen, da er versuchen wollte, die Makalanga zu überreden, ihnen zwanzig Männer zu geben, die beim Graben helfen sollten. Beim Molimo, wird man sich erinnern, hatte er sich bereits eine Abfuhr geholt, doch er war ein Mann, der nicht so leicht aufgab, und glaubte, Tamas oder einen anderen der Führer durch Bestechung, Drohungen oder andere Mittel dazu bringen zu können, ihre abergläubische Angst zu vergessen und ihnen bei der Suche zu helfen. Wie es sich herausstellte, endete sein Vorhaben mit einem völligen Fehlschlag, da ihm jeder der Makalangas, den er ansprach, erklärte, daß das Betreten des Heiligen Orts für sie den sicheren Tod bedeuten und die Rache des Himmels auf ihren Stamm fallen und ihn bis zur letzten Frau und zum letzten Kind vernichten würde. Mr. Clifford, bei dem sich inzwischen die Spuren der harten Arbeit zu zeigen begannen, hatte die Abwesenheit des Antreibers Jacob wahrgenommen, um eine Weile in der Hütte zu schlafen, die sie sich inzwischen unter dem großen Baobab gebaut hatten. Als sie darauf zutrat, kam er eben gähnend heraus und fragte, wo sie gewesen sei. Benita sagte es ihm. »Ein schwindelerregender Ort«, sagte er. »Ich habe noch nicht gewagt, hinaufzuklettern. Warum bist du dort oben gewesen, Liebling?« »Um mir den Fluß anzusehen, solange Mr. Meyer fort ist, Vater; denn wenn er mich gesehen hätte, hätte
er den Grund dafür leicht erraten können.« »Welchen Grund, Benita?« »Ich wollte sehen, ob man mit einem Boot von hier fliehen kann. Aber das ist unmöglich. Eine Meile flußabwärts sind Stromschnellen, und auf beiden Ufern Berge und Felsen und Dickicht.« »Hast du einen Grund zum Fliehen?« fragte er und blickte sie forschend an. »Einen sehr schwerwiegenden Grund«, antwortete sie leidenschaftlich. »Ich hasse diesen Ort; er ist ein Gefängnis, und es ekelt mich, wenn ich nur ein Wort von diesem Schatz höre. Und vor allem ...« »Was vor allem, Benita?« »Vor allem«, ihre Stimme war nur ein Flüstern, als ob sie fürchtete, daß er sie selbst noch am Fuß des Berges hören könnte, »vor allem habe ich Angst vor Mr. Meyer.« Diese Eröffnung überraschte ihren Vater nicht. Er nickte nur und sagte: »Sprich weiter!« »Vater, ich glaube, daß er den Verstand verliert, und es ist entsetzlich, mit einem Verrückten hier eingesperrt zu sein, besonders, da er begonnen hat ... so zu mir zu sprechen ...« »Du willst doch nicht etwa sagen, daß er zudringlich geworden ist«, sagte ihr Vater und sein Gesicht lief rot an, »denn wenn es so ist ...« »Nein, nicht zudringlich – noch nicht.« Und sie berichtete ihm, was zwischen ihr und Meyer vorgefallen war. »Du verstehst, daß ich diesen Mann hasse«, setzte sie hinzu, »und daß ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will.« Und sie stieß ein kleines Schluchzen aus, das direkt aus ihrem Herzen zu kommen schien. »Und außerdem scheint er eine Art Gewalt über mich
zu bekommen. Er folgt mir ständig mit seinen Blikken, dringt in meine Gedanken ein, und ich habe das Gefühl, daß er sie bereits lesen kann. Ich halte es nicht länger aus, Vater. Bitte, bitte, bring mich von hier fort, im Namen Gottes, bring mich fort von diesem verfluchten Berg und seinem Gold und seinen Toten, und laß uns wieder zusammen über das freie Veld ziehen!« »Das tue ich lieber heute als morgen«, antwortete er. »Ich habe mehr als genug von dieser Angelegenheit, zu der ich mich habe überreden lassen, weil ich verrückt nach Gold war. Ich glaube jetzt sogar, wenn diese Suche noch länger dauert, werde ich meine Knochen hier zurücklassen.« »Und wenn dies Entsetzliche geschehen sollte, was wird dann aus mir, allein mit Jacob Meyer?« fragte sie ruhig. »Ich würde vielleicht zu demselben Schicksal getrieben werden, wie das arme Mädchen vor zweihundert Jahren.« Und sie deutete auf den Felskegel hinter sich. »Um Gottes willen, sprich nicht so!« sagte er erregt. »Warum nicht? Man muß den Dingen ins Auge sehen, und das wäre besser, als Jacob Meyer ins Auge sehen zu müssen, denn wer würde mich hier beschützen?« Mr. Clifford ging ein paar Minuten auf und ab; seine Tochter blickte ihn abwartend an. »Ich sehe nicht, wie wir von hier fortkommen könnten«, sagte er schließlich. »Den Wagen können wir nicht nehmen, selbst wenn wir genügend Ochsen hätten, da er sowohl ihm wie mir gehört, und ich bin sicher, daß er diesen Schatz niemals aufgeben wird, falls man ihn nicht von hier vertreibt.«
»Und ich hoffe, daß das nicht geschehen wird. Aber die Pferde gehören uns, Vater. Es war das seine, das gestorben ist. Wir können von hier fortreiten.« Er blickte sie ein paar Sekunden lang an und sagte dann: »Ja, wir können fortreiten – in den Tod. Angenommen, die Pferde werden krank oder lahm; angenommen, wir stoßen auf die Matabele oder finden kein Wild, das wir schießen können; angenommen, daß einer von uns krank wird – oh, und hundert andere Dinge, die uns unterwegs zustoßen könnten. Was dann?« »Es ist genausogut, in der Wildnis zu sterben, wie hier, wo die Gefahren gleich groß sind. Wir müssen es wagen und auf Gott vertrauen. Höre, Vater, morgen ist Sonntag, der Tag, an dem wir beide nicht arbeiten. Aber Mr. Meyer ist Jude, und er verschwendet keinen Tag. Ich werde ihm sagen, daß ich hinuntergehe, um mir andere Kleider aus dem Wagen zu holen und andere Sachen den Eingeborenenfrauen zum Waschen zu geben, und daß du mich selbstverständlich begleiten wirst. Vielleicht glaubt er mir und bleibt hier, besonders, da er erst heute unten war. Dann können wir uns die Pferde holen, und Gewehre und Munition, und so viel Nahrungsmittel, wie wir mitnehmen können, und den alten Molimo überreden, uns das Tor zu öffnen. Du weißt, daß das kleine Seitentor von hier aus nicht zu sehen ist, und bevor Mr. Meyer uns vermißt und nach uns zu suchen beginnt, sind wir schon zwanzig Meilen weit weg, und ein Mann zu Fuß kann Pferde nicht einholen.« »Er wird mir vorwerfen, daß ich ihn im Stich gelassen habe, und er hätte recht damit.« »Du kannst beim Molimo einen Brief hinterlassen,
in dem du erklärst, daß es meine Schuld sei daß ich krank geworden sei und fürchtete, zu sterben, und daß es nicht fair gewesen wäre, ihn zum Mitkommen aufzufordern, da er dann den Schatz verlöre, von dem er gern jeden Penny behalten könne, falls er ihn finden sollte. Oh! Vater, zögere nicht länger; sag, daß du mich von hier fortbringst, von diesem Berg, und von Mr. Meyer.« »So sei es«, antwortete Mr. Clifford, und während er sprach, hörten sie ein Geräusch und sahen Jacob Meyer auf sich zukommen. Glücklicherweise war er so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, daß er nicht den schuldbewußten Ausdruck auf ihren Gesichtern bemerkte und sie Gelegenheit hatten, sich etwas zu sammeln. Und trotzdem wurde sein Mißtrauen wach. »Worüber haben Sie so ernsthaft gesprochen?« fragte er. »Wir haben uns gefragt, wie Sie mit den Makalanga zurechtkommen würden«, antwortete Benita, und diese Lüge bedrückte sie nicht, »und ob Sie sie dazu überreden könnten, den Geistern gegenüberzutreten. Ist es Ihnen gelungen?« »Nein«, antwortete er und runzelte die Stirn. »Diese Geister sind unsere schlimmsten Feinde; die Feiglinge haben geschworen, daß sie lieber sterben würden. Ich hätte gerne ein paar von ihnen beim Wort genommen und Geister aus ihnen gemacht; doch ich dachte an unsere Situation und tat es nicht. Keine Angst, Miß Clifford, ich habe nicht eine Sekunde lang meine Beherrschung verloren, jedenfalls nicht nach außen. Also, wie die Dinge nun stehen, werden wir noch härter arbeiten müssen. Ich habe einen neuen
Plan, den wir ab morgen durchführen werden.« »Nicht morgen, Mr. Meyer«, sagte Benita lächelnd. »Morgen ist Sonntag, und wie Sie wissen, heiligen wir diesen Feiertag.« »Oh! Das habe ich vergessen. Die Makalanga mit ihren Geistern, und Sie mit Ihrem Sonntag, ich weiß wirklich nicht, was von beiden schlimmer ist. Dann muß ich morgen eben eure Arbeit noch zusätzlich tun.« Er zuckte die Achseln und ging.
14 Die Flucht Am nächsten Morgen nahm Meyer seinen neuen Plan in Angriff. Worin er bestand, sagte er Benita nicht, und sie machte sich nicht die Mühe, ihn danach zu fragen, erriet jedoch, daß er die ganze Höhle vermessen und in Quadrate einteilen wollte, um planmäßig jeden Sektor genau zu untersuchen. Gegen zwölf Uhr erschien er zum Mittagessen, in dessen Verlauf er bemerkte, daß ihn die Arbeit mehr als sonst ermüde, wenn er allein sei, und daß er froh sein würde, wenn es endlich Montag wäre und sie wieder mit ihm in der Höhle wären. Seine Worte verstörten Mr. Clifford und riefen sogar in Benita Schuldgefühle wach. Was würde er empfinden, fragte sie sich, wenn er herausfand, daß sie fortgelaufen waren und er von nun an immer allein sein würde? Sie war beinahe versucht, ihm die Wahrheit zu sagen – doch sie schwieg. Sie wußte, daß Offenheit ihren Fluchtplan zunichte machen würde, da er sie durch Argumente, Drohungen, Gewalt oder Appelle an ihre Loyalität dazu bringen würde, ihn aufzugeben. Doch sie fieberte dem Augenblick entgegen, an dem sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnte, um endlich frei zu sein von Bambatse, seinen Ruinen, seiner Grabkammer – und von dem Ghul Jacob Meyer, der tote Knochen und lebende Herzen mit dem gleichen Geschick handhabte und doch nicht fähig war, den Schatz zu finden, der in beiden verborgen lag. Also verbarg sie die Wahrheit vor ihm und sprach
mit fieberigem Eifer von anderen Dingen, wie von der Schießausbildung der Makalanga und dem Risiko eines Angriffs der Matabele, das jetzt nur noch sehr gering erschien; und auch vom Zustand ihrer Ochsen und den Möglichkeiten, welche zu kaufen, um die verendeten Tiere zu ersetzen. Sie ging sogar noch weiter; in ihrem Eifer, Jacob Meyer hinters Licht zu führen, griff sie zu einer Lüge und errötete nicht einmal, als sie den vorwurfsvollen Blick ihres Vaters auf sich ruhen spürte. Ganz nebenbei erwähnte sie, daß sie den Nachmittag ihres freien Tages dazu benutzen wollten, hinunterzugehen, das Lager der Makalanga zwischen der ersten und der zweiten Mauer aufzusuchen und für ein paar Stunden die große Welt zu erleben; außerdem wollte sie bei dieser Gelegenheit ihre Sachen dort zum Waschen geben und sich neue Kleidung und ein paar Bücher aus dem Wagen holen. Jacob, dessen Gedanken sich mit Berechnungen seines neuen Plans beschäftigten, hörte ihr mit finsterem Gesichtsausdruck zu. »Ich hätte gute Lust, mit Ihnen zu gehen«, sagte er, und Benita erschauerte bei diesen Worten. »Es ist wirklich unerträglich einsam in der Höhle, und ich glaube, merkwürdige Geräusche zu hören, als ob die alten Knochen rasselten, und Laute, die wie Seufzen und Flüstern klingen, die wahrscheinlich vom Durchzug hervorgerufen werden.« »Warum tun Sie es nicht?« fragte Benita herausfordernd. Es war ein riskanter Vorstoß, doch er hatte Erfolg. Falls auch nur eine Spur von Mißtrauen in ihm gewesen sein sollte, war es nun verschwunden. »Weil ich keine Zeit dazu habe. Wir müssen diese
Sache so oder so zu Ende bringen, bevor die Regenzeit beginnt und wir im Wasser ertrinken oder vom Fieber verrotten. Machen Sie Ihren Nachmittagsausflug, Miß Clifford, jede Dienerin, die alle Hausarbeiten macht, ist dazu berechtigt, und diese Tätigkeit ist ja leider Ihr Los hier. Ich bitte Sie nur«, setzte er mit der Besorgnis um ihre Sicherheit hinzu, die er immer zeigte, wenn er sich in einer ruhigeren Stimmungslage befand, »vorsichtig zu sein. Clifford, achten Sie darauf, daß Sie vor Sonnenuntergang zurück sind. Diese Mauer ist für Ihre Tochter zu gefährlich, wenn es dunkel wird. Rufen Sie nach mir, wenn sie an ihrem Fuß sind, dann komme ich und helfe Ihnen. Vielleicht sollte ich doch mit Ihnen gehen. Nein. Das kann ich nicht. Ich habe mich bei den Makalanga gestern so unbeliebt gemacht, daß sie mich sicher für einige Zeit nicht sehen wollen. Ich hoffe, daß Sie einen angenehmeren Nachmittag haben werden als ich. Warum machen Sie nicht einen kleinen Ausritt? Ihre Pferde sind fett geworden und brauchen Bewegung, und ich glaube nicht, daß Sie sich vor den Matabele fürchten müssen.« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zur Höhle zurück. Mr. Clifford blickte ihm bedrückt nach. »Oh, ich weiß«, sagte Benita, »es scheint sehr schäbig. Aber man muß manchmal schäbig handeln. Hier sind unsere Bündel, fertig gepackt. Laß uns gehen!« Sie gingen zum Ausstieg in der Krone der Mauer, und von dort aus warf Benita einen letzten Blick auf den Ort, den sie nie wiederzusehen hoffte. Doch sie hatte nicht das Gefühl, ihn zum letzten Mal zu sehen; in ihr war keine Abschiedsstimmung, und als sie die gefährlichen Stufen der Wand hinabstieg, überlegte
sie sogar bereits, wie sie am sichersten wieder hinaufklettern könnte. Außerdem konnte sie nicht glauben, daß sie mit Mr. Meyer endgültig fertig war. Ihr kam es vor, als ob ihre Zukunft noch für eine ganze Weile von ihm bestimmt werden würde. Sie erreichten den untersten Bezirk der Festung und wurden von den Makalanga überrascht, doch ohne Feindseligkeit begrüßt, wie sie es nach Meyers gestrigem Auftritt befürchtet hatten. Die Männer waren noch immer bei der Waffenausbildung, und einige von ihnen hatten sich zu recht passablen Schützen entwickelt. Sie gingen zu der Hütte, in der die Sachen, die sie im Wagen zurückgelassen hatten, aufbewahrt wurden, und packten rasch zusammen, was sie mitnehmen wollten. Hier schrieb Mr. Clifford auch den Brief, und noch nie war ihm das Schreiben so unangenehm gewesen. Lieber Meyer, Ich weiß nicht, was Sie von uns halten werden, doch wir haben beschlossen, von hier zu fliehen. Der Grund dafür ist, daß ich mich nicht wohl fühle und meine Tochter das Hiersein nicht länger ertragen kann. Sie sagt, daß sie sterben würde, wenn sie noch länger bliebe, und daß die Schatzsuche in der entsetzlichen Höhle ihre Nerven zerschlissen habe. Ich hätte Ihnen offen von unserem Vorhaben erzählt, doch Benita bat mich, es nicht zu tun, da sie überzeugt war, daß Sie uns auf irgendeine Weise zum Bleiben überredet hätten. Was das Gold betrifft, so gehört es Ihnen, falls Sie es finden. Ich verzichte auf meinen Anteil. Wir lassen Ihnen den Wagen und die Ochsen zurück und werden versuchen, mit den Pferden nach Rooi Krantz zu gelangen. Wir sind uns der Gefah-
ren dieses Unternehmens bewußt, doch sind sie geringer, als wenn wir unter den derzeitigen Umständen hierbleiben würden. Falls wir Sie nicht wiedersehen sollten, hoffen wir, daß Sie uns vergeben mögen und wünschen Ihnen viel Glück. Mit aufrichtigem Bedauern T. CLIFFORD Nachdem der Brief geschrieben war, sattelten sie die Pferde, die man ihnen gebracht hatte, und steckten so viel Munition, wie sie den Pferden aufzulasten wagten, in die Satteltaschen, und befestigten ihre wenige Habe in Bündeln hinter ihren Sätteln. Dann nahmen sie jeder ein Gewehr – während ihrer langen Reisen hatte Benita das Schießen gelernt – saßen auf und ritten zu dem kleinen Seitentor, da das Haupttor, durch das sie hereingekommen waren, jetzt mit schweren Steinen dauerhaft verschlossen war. Das Seitentor, nicht mehr als ein schmaler Spalt in der dicken Mauer, zu der von außen ein steiler, schmaler Weg heraufführte, war offen, da die Furcht vor einem Angriff der Matabele inzwischen abgeklungen war und die Makalanga ihre Schafe und Ziegen durch dieses Tor zu den Weiden trieben, das durch mehrere scharfe Biegungen innerhalb der dreißig Fuß dicken Mauer in wenigen Minuten mit Steinen verschlossen werden konnte, die für diesen Zweck bereitlagen. Außerdem hatte der vorzeitliche Erbauer der Festung es so konstruiert, daß es von zwei Punkten der Mauer aus überwacht werden konnte. Die Makalanga, die sie zum Tor reiten sahen, blickten sie neugierig an, machten aber keinen Versuch, sie aufzuhalten, doch sie wußten, daß sie einige
Schwierigkeiten mit den Posten haben würden, die das Tor Tag und Nacht bewachten, und bei denen Mr. Clifford auch seinen Brief hinterlassen wollte. Als sie jedoch das Tor erreichten und abstiegen, um die Pferde durch die enge, gewundene Passage und den steilen Pfad außerhalb der Mauer hinabzuführen, entdeckten sie, daß die einzige Wache der alte Molimo war, der an die Mauer gelehnt dasaß und zu dösen schien. Doch als sie näherkamen, war er plötzlich sehr wach und fragte sie, ohne sich zu rühren, wohin sie wollten. »Etwas ausreiten«, antwortete Mr. Clifford. »Meine Tochter fühlt sich in dieser Festung eingesperrt und möchte einmal wieder die Luft der Freiheit atmen. Laß uns passieren, Freund, sonst können wir bis Sonnenuntergang nicht zurück sein.« »Wenn ihr bei Sonnenuntergang zurück sein wollt, weißer Mann, warum habt ihr so schwere Bündel an euren Sätteln, und warum sind eure Satteltaschen mit Munition gefüllt?« fragte er. »Sicherlich sagst du mir nicht die Wahrheit und hoffst, nie wieder die Sonne über Bambatse sinken zu sehen.« Benita begriff, daß es keinen Sinn hatte, ihn hinters Licht führen zu wollen und sagte mutig: »Ja, so ist es. Aber oh, mein Vater, halte uns nicht zurück, denn uns treibt die Angst von hier fort.« »Und siehst du vor dir keine Angst? Angst vor der Wildnis, wo niemand geht, außer vielleicht die Matabele mit ihren blutigen Speeren; Angst vor wilden Tieren und vor Krankheiten, die euch befallen, so daß ihr, erst der eine und dann der andere, elend sterbt?« »Ja, es gibt viele Ängste, und viele Gefahren, mein
Vater, doch ist keine so groß wie die, welche wir hinter uns lassen. Dies ist ein verwunschener Ort. Wir geben unsere Suche auf und wollen nicht länger hierbleiben.« »Er ist verwunschen, das stimmt, doch seine Geister werden dir kein Leid zufügen, die sie als die Ernannte begrüßt haben, und wir sind immer bereit, dich zu beschützen, da es ihr Befehl ist, den sie mir im Traum gegeben haben. Und es sind auch nicht die Geister, die du fürchtest, sondern der weiße Mann, euer Gefährte, der dich seinem Willen unterwerfen will. Leugne es nicht, da ich alles gesehen habe.« »Wenn du die Wahrheit kennst, wirst du uns auch gehen lassen«, sagte sie flehend, »denn ich schwöre, daß ich nicht länger hier bleiben kann.« »Wer bin ich, daß ich dich zurückhalten sollte?« fragte er. »Doch sage ich dir, daß es besser wäre, wenn du bliebest, da du dir und deinem Vater so viele Schrecken ersparen würdest. Habe ich dir nicht schon vor vielen Tagen gesagt, daß hier und nur hier dein Schicksal sich erfüllen wird? Geh, wenn du willst, doch du wirst zurückkehren!« Und wieder schien er in Halbschlaf zu versinken. Die beiden berieten hastig miteinander. »Wir werden nicht umkehren«, sagte Benita, die vor Zweifel und Angst den Tränen nahe war. »Ich denke nicht daran, mich von diesen vagen Sprüchen beeinflussen zu lassen. Was kann er schon von der Zukunft wissen? Außerdem hat er nur gesagt, daß wir zurückkommen werden, und wenn das geschehen sollte, sind wir wenigstens für eine kurze Zeit frei gewesen. Komm, Vater!« »Wie du willst«, antwortete Mr. Clifford, der zu
niedergedrückt und verwirrt schien, um zu widersprechen. Er legte den Brief auf den Schoß des Molimo und bat, ihn Meyer zu übergeben, wenn dieser käme, um nach ihnen zu suchen. Der alte Mann schien ihn nicht zu hören; ja nicht einmal, als Benita ihm Lebewohl sagte, ihm für seine Güte dankte und ihm und seinem Stamm alles Gute für die Zukunft wünschte, sagte er ein einziges Wort oder blickte auch nur auf. Sie führten ihre Pferde durch den gewundenen Mauertunnel und den steilen Abhang hinab. Auf der anderen Seite des tiefen Grabens, der früher einmal, mit Wasser gefüllt, ein zusätzlicher Schutz der Festung gewesen war, stiegen sie wieder auf und trabten den gleichen Weg entlang, den sie gekommen waren. Dieser Weg – eigentlich war es nur eine Spur – führte zunächst zwischen den Gärten und Feldern der Makalanga hindurch und dann über das Ruinenfeld, den Resten einer antiken Stadt, deren Feste und Heiligtum Bambatse gewesen war. Diese Reste einer untergegangenen Zivilisation erstreckten sich über mehrere Quadratmeilen, und an ihrer jenseitigen Grenze erreichten sie einen schmalen Paß, der über eine langgestreckte Bergkette führte, denselben Paß, vor dem Robert Seymour und sein Bruder vor vier Jahren ihren Ochsenwagen zurückgelassen hatten, da er ihnen zu jener Jahreszeit unpassierbar erschienen war. Dieser Paß oder Poort, wie man in Südafrika sagt – war in alter Zeit stark befestigt gewesen, denn zu beiden Seiten standen die Ruinen von Wehrtürmen. Außerdem verengte er sich an seinem Scheitelpunkt zu einer schmalen Schlucht, so daß wenige Männer, selbst wenn sie nur mit Pfeil und Bogen be-
waffnet waren, eine angreifende Streitmacht für geraume Zeit aufhalten konnten. Hinter dem Paß lag eine weite Ebene, die mit Koopjes und einzeln stehenden Granitpfeilern übersät war, die aus riesigen aufeinandergetürmten Felsblöcken bestanden. Mr. Clifford und Benita waren gegen drei Uhr zu ihrem irrsinnigen Unternehmen aufgebrochen, und als die Sonne zu sinken begann, ritten sie über diese Ebene, die sich bis zum Horizont erstreckte, und waren fünfzehn oder sechzehn Meilen von Bambatse entfernt, das längst hinter der Bergkette außer Sicht gekommen war. In ihrer Nähe befand sich ein Koopje mit einer kleinen Quelle, bei der sie auf ihrer langen Reise das letzte Lager aufgeschlagen hatten, und da sie nicht wagten, bei Dunkelheit weiterzureiten, wollten sie dort absatteln, da um die Quelle auch gutes Gras für die Pferde wuchs. Bevor sie das Koopje erreichten, stießen sie auf eine kleine Herde Hartebeeste, die zur Quelle zogen, um dort zu trinken, doch obwohl sie über frisches Fleisch froh gewesen wären, wagten sie doch nicht zu schießen, um nicht die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich zu ziehen, die in der Nähe sein mochten; aus dem gleichen Grund machten sie auch kein Feuer. Nachdem sie den Pferden Fußfesseln angelegt hatten, damit sie zwar grasen, aber nicht fortlaufen konnten, setzten sie sich unter einen Baum und aßen etwas von dem Biltong und dem gekochten Mais, den sie mitgenommen hatten. Als sie mit ihrer Mahlzeit fertig waren, wurde es dunkel, und da der Mond nur eine dünne Sichel war, konnten sie nichts anderes tun, als zu schlafen, nachdem sie ihr Lager durch einen Ring vertrockneten Dornengestrüpps gesichert hatten. Als
diese Arbeit getan war, waren sie trotz der Nervenbelastung, die dieser Tag ihnen gebracht hatte, und trotz ihrer Angst vor Löwen – von denen es viele auf dem Veld gab – so müde, daß sie sofort einschliefen und erst eine halbe Stunde vor der Morgendämmerung erwachten. Sie erhoben sich fröstelnd, denn obwohl die Luft warm war, hatte ein schwerer Tau ihre Decken durchnäßt, und aßen wieder beim matten Licht der Sterne, während die Pferde ihre Mägen mit dem saftigen Gras füllten. Beim ersten Morgengrauen legten sie den Tieren die Sättel auf, und bevor die Sonne über den Horizont stieg, waren sie wieder unterwegs. Als sie schließlich aufging, gaben ihr Licht und ihre Wärme Benita neuen Lebensmut. Ihre Ängste schienen mit der Nacht zu weichen, und sie sagte zu ihrem Vater, daß sie den erfolgreichen Beginn ihrer Reise als ein gutes Omen sähe, worauf er nur antwortete, daß er es hoffe. Den ganzen Tag über ritten sie bei strahlendem Wetter weiter, ohne die Pferde anzutreiben, da sie jetzt sicher waren, daß Jacob Meyer, der ja, wenn er sie verfolgen sollte, zu Fuß war und sie nicht mehr einholen konnte. Gegen Mittag machten sie Rast, und nachdem Mr. Clifford einen kleinen Bock erlegt hatte, kochte Benita einen Teil des frischen Fleisches in dem einzigen Topf, den sie mitgenommen hatten, und sie genossen die erste richtige Mahlzeit auf dieser Reise. Gegen Sonnenuntergang erreichten sie einen weiteren ihrer früheren Lagerplätze, ebenfalls ein buschbedecktes Koopje. Hier befand sich die Quelle auf halber Höhe des Hügels, und sie sattelten auf einer winzigen Lichtung ab, deren Farne und Moose ihr
das Aussehen eines Steingartens verliehen. Obwohl sie jetzt genügend kaltes Fleisch hatten, fühlten sie sich so sicher, daß sie ein Feuer machten. Es schien auch notwendig, da sie frische Löwenspuren entdeckt hatten, und kurz vor Erreichen des Hügels sahen sie sogar einen Löwen durch das Ried des Marschlandes laufen, das am Fuß der Anhöhe lag. An diesem Abend tafelten sie königlich mit Wildbraten, und nachdem sie, wie am Vorabend, eine Boma – einen Zaun aus Dornengestrüpp – um ihren Lagerplatz gezogen hatten, legten sie sich nieder. Doch es war ihnen in dieser Nacht nicht vergönnt, Ruhe zu finden, denn kaum hatten sie die Augen geschlossen, als in ihrer unmittelbaren Nähe eine Hyäne zu heulen begann. Sie schrien laut, und das Tier verschwand im Dunkeln, doch eine oder zwei Stunden später hörten sie ein drohendes Knurren, gefolgt von lautem Brüllen, dem ein zweites Brüllen antwortete, und die Pferde begannen ängstlich zu wiehern. »Löwen!« sagte Mr. Clifford, sprang auf und warf trockenes Holz ins Feuer, bis die Flammen über mannshoch aufloderten. Danach war an Schlaf nicht mehr zu denken, denn obwohl die Löwen sie nicht angriffen, zogen sie auch nicht ab, nachdem sie die Witterung der Pferde bekommen hatten, sondern strichen ständig knurrend und brüllend, um das Koopje herum. Dies ging so bis gegen drei Uhr morgens, als die Bestien endlich verschwanden. Nun schienen sie sicher zu sein, und nachdem sie noch einmal Holz ins Feuer geworfen hatten, versuchten sie zu schlafen. Als Benita, wie es ihr vorkam, nur wenige Minuten geschlafen hatte, wurde sie durch ein neues Geräusch
aufgeschreckt. Es war noch immer dunkel, doch im Licht der Sterne sah sie, daß die Pferde nicht beunruhigt waren; eins von ihnen hatte sich hingelegt, das andere fraß Laub von dem Baum, an den sie angebunden waren. Also kam das Geräusch nicht von einem Raubtier. Sie lauschte angespannt ins Dunkel, und jetzt hörte sie es wieder: ein leises Murmeln, als ob Menschen am Fuß des Hügels miteinander sprächen. Sie weckte ihren Vater und berichtete ihm davon, doch obwohl sie ein- oder zweimal das Geräusch von Schritten zu hören glaubten, geschah nichts. Trotzdem blieben sie wach, sattelten die Pferde so geräuschlos, wie es ihnen möglich war, und warteten auf die Dämmerung. Schließlich brach sie an. Auf dem oberen Teil des Hügels waren sie in klarer Luft, die von dem roten Licht des Morgens erhellt wurde, unter ihnen jedoch lagen dichte Schwaden perlgrauen Nebels. Allmählich wurden sie von den Strahlen der aufgehenden Sonne aufgelöst, und Benita sah einen Wilden, in seinen Kaross gehüllt, einen Speer in der Hand, der auf und ab ging und gähnte. »Sieh!« flüsterte sie. »Sieh!« Mr. Cliffords Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm. »Die Matabele«, sagte er. »Mein Gott! Die Matabele!«
15 Die Verfolgung Es waren die Matabele; darüber gab es keinen Zweifel, denn kurz darauf traten drei Männer zu dem Posten und begannen mit ihm zu reden, wobei sie mit ihren langen Speeren den Hang des Hügels heraufdeuteten. Offensichtlich wollten sie einen Überraschungsangriff durchführen, sobald es hell genug geworden war. »Sie haben unser Feuer gesehen«, flüsterte Mr. Clifford seiner Tochter zu. »Wenn wir unser Leben retten wollen, gibt es nur eine Möglichkeit: Wir müssen fliehen, bevor sie sich sammeln können. Das Impi lagert wahrscheinlich auf der anderen Seite des Hügels, also müssen wir den Weg nehmen, auf dem wir gekommen sind.« »Aber der führt nach Bambatse zurück«, sagte Benita entsetzt. »Bambatse ist besser, als das Grab«, antwortete ihr Vater. »Bete zum Himmel, daß wir es heil erreichen!« Auf diese Feststellung gab es keine Antwort, und nachdem sie einen Schluck Wasser getrunken und hastig einen Bissen gegessen hatten, krochen sie zu ihren Pferden, stiegen auf und ritten so lautlos wie möglich den Hang hinab. Der Posten war wieder allein, die anderen drei Männer hatten ihn verlassen. Er stand mit dem Rükken zu ihnen. Als sie sich ihm auf etwa zehn Schritte genähert hatten, hörte er den leisen Hufschlag der Pferde im tiefen Gras, fuhr herum und sah sie. Er
stieß einen gellenden Schrei aus, hob seinen Speer und stürmte auf sie los. Mr. Clifford, der vor Benita ritt, riß das Gewehr an die Hüfte – um es anzulegen, war keine Zeit – und drückte ab. Benita hörte den harten Aufschlag der Kugel auf den Lederschild des Matabele, und im nächsten Augenblick lag er am Boden und stieß mit Armen und Beinen um sich. Während sie weiterritten, sah sie hinter der Schulter des Koopje Hunderte von Kriegern, und hinter ihnen eine Rinderherde, und das Licht der Morgensonne glitzerte auf den Spitzen der Speere und auf den Hörnern der Rinder. Sie blickte zur anderen Seite und entdeckte dort eine zweite Kolonne von Männern, die auf sie zukamen. Die beiden Gruppen des Impi waren dabei sie einzuschließen. Zwischen ihnen war nur noch eine schmale Gasse frei. Sie mußten durchbrechen, bevor die Falle ganz zuschnappte. »Komm!« rief sie erregt, schlug ihrem Pferd die Hacken in die Flanken und riß hart am Zügel. Ihr Vater erkannte die Gefahr ebenfalls und trieb auch sein Pferd zum Galopp an. Jetzt lösten sich von jedem der beiden Flügel der Matabele ein Dutzend Krieger, die voranstürmten und ihnen den Weg abschneiden wollten. Würden sie hindurchkommen, bevor sich die Falle schloß? Das war die Frage, von der es abhing, ob sie noch drei Minuten zu leben hatten oder nicht. Auf Gnade von diesen blutdürstigen Wilden zu hoffen, nachdem sie gerade einen von ihnen getötet hatten, war absurd. Natürlich hatten sie in Notwehr geschossen, doch das würde diese Wilden genausowenig beeindrucken wie die Tatsache, daß sie nur harmlose Reisende waren. Weiße waren
bei den Matabele nicht beliebt, wie sie wußten, vor allem nicht jetzt; und ihre Ermordung in dieser abgelegenen Einöde, wo es keinen Zeugen gab, würde niemals bekannt und noch weniger gerächt werden. All das ging ihnen durch den Kopf, während sie auf die sich schließenden Flügel der Matabele zugaloppierten. Oh! Was für eine schreckliche Lage. Noch zweihundert Yards, dann würde sich ihr Schicksal entscheiden. Entweder waren sie ihnen dann entkommen, zumindest vorläufig, oder sie waren tot; oder, eine dritte Möglichkeit, sie wurden gefangengenommen und sahen einem noch schrecklicheren Schicksal entgegen. Benita war entschlossen, das um jeden Preis zu verhindern. Sie hatte ihr Gewehr und den Revolver, den Jacob Meyer ihr gegeben hatte. Sie würde sicher eine Gelegenheit finden, eine der beiden Waffen gegen sich zu richten. Sie biß die Zähne zusammen und schlug immer wieder auf das Pferd ein, so daß es zu fliegen schien. Die Matabele-Krieger liefen, so schnell sie konnten, um sie zu fangen, und wenn sie nur fünf Sekunden länger Zeit gehabt hätten, wäre es ihnen auch gelungen. Doch diese fünf Sekunden retteten ihnen das Leben. Als sie zwischen den sich schließenden Backen der Zange hindurchbrachen, waren die vordersten Krieger nur noch knapp zwanzig Yards entfernt. Als sie erkannten, daß ihnen ihre Beute zu entkommen drohte, hielten sie an und schleuderten ihnen einen Schauer von Speeren entgegen. Einer von ihnen zischte dicht an Benitas Wange vorbei ein zweiter zerfetzte ihr Kleid, ein dritter traf das Pferd ihres Vaters in den linken Hinterlauf, dicht über dem Knie, blieb dort ein paar Sekunden lang stecken und fiel dann zu
Boden. Zunächst schien das Tier die Wunde kaum zu spüren, und Benita atmete erleichtert auf, da sie glaubte, daß es nur ein Kratzer sei. Dann dachte sie nicht mehr daran, da einige der Matabele, die Gewehre hatten, auf sie zu schießen begannen, und obwohl sie erbärmliche Schützen waren, flogen ein paar ihrer Kugeln doch ungemütlich nahe an ihnen vorbei. Schließlich hörte sie einen Mann, den schnellsten der Läufer, schreien: »Das Pferd ist verwundet! Wir werden euch fangen, bevor die Sonne sinkt!« Dann passierten sie die Kuppe einer kleinen Anhöhe und waren für eine Weile außer Sicht. »Gott sei Dank!« sagte Benita keuchend, als sie wieder allein auf dem Veld waren. Aber ihr Vater schüttelte den Kopf. »Glaubst du, daß sie uns verfolgen werden?« fragte sie. »Du hast gehört, was der Mann gesagt hat«, antwortete er ausweichend. »Sie sind wahrscheinlich auf dem Weg nach Bambatse und haben einen kleinen Umweg gemacht, um einen anderen Stamm zu vernichten und die Rinder zu stehlen, die wir bei ihnen sahen. Ja, ich fürchte, daß sie uns verfolgen werden. Die Frage ist nur, wer zuerst in Bambatse sein wird, wir oder sie.« »Mit den Pferden sollten wir das leicht schaffen, Vater.« »Ja, wenn ihnen nichts zustößt.« Und während er diese Worte sprach, knickte seine Stute auf dem verwundeten Hinterlauf ein, fing sich jedoch sofort wieder und galoppierte weiter. »Hast du das gesehen?« fragte er. Sie nickte. »Sollen wir anhalten und nach der Wunde sehen?«
»Nein«, antwortete er. »Wir haben nur eine Chance, wenn wir das Tier in Bewegung halten; sowie die Wunde steif wird, ist es aus. Aber die Sehne kann nicht durchtrennt sein, sonst hätte es keinen Schritt mehr tun können.« Sie ritten weiter. Den ganzen Vormittag ließen sie die Pferde in schnellem Trab gehen, und trotz des zunehmend stärker werdenden Lahmens von Mr. Cliffords Stute kamen sie gut voran, daß sie schon gegen Mittag die Stelle erreichten, wo sie die erste Nacht nach ihrer Flucht aus Bambatse verbracht hatten. Hier zwangen sie Erschöpfung und Durst, eine Rast einzulegen. Sie stiegen ab und tranken gierig das kühle Quellwasser und ließen auch die Pferde saufen. Anschließend aßen sie ein wenig; nicht, weil sie hungrig waren, sondern um bei Kräften zu bleiben, und während sie aßen, untersuchten sie das verwundete Bein der Stute. Es war stark angeschwollen, und noch immer rann Blut aus dem klaffenden Riß, den die Klinge des Assegai geschlagen hatte. Außerdem hatten sich die Muskeln so zusammengezogen, daß nur noch die Spitze des Hufs den Boden berührte. »Wir müssen weiter, bevor sich die Muskeln ganz verkrampfen«, sagte Mr. Clifford, und sie stiegen wieder auf. Gott im Himmel! Was war das? Die Stute rührte sich nicht. In seiner Verzweiflung schlug Mr. Clifford grausam auf das Tier ein, worauf es auf drei Beinen ein paar Schritte vorwärtshumpelte, und dann wieder stehenblieb. Entweder war eine verletzte Sehne gerissen, oder die Entzündung der Wunde war so weit fortgeschritten, daß es sein Knie nicht mehr beugen
konnte. Benita begriff, was das für sie bedeutete, ihre Nerven versagten, und sie begann zu weinen. »Nicht weinen, Liebling«, sagte ihr Vater. »Gottes Wille geschehe. Vielleicht haben sie die Verfolgung inzwischen aufgegeben; und auf jeden Fall habe ich noch meine Beine, und Bambatse ist höchstens noch sechzehn Meilen entfernt. Vorwärts!« Er hielt sich an ihren Steigbügelriemen fest, und sie stiegen den Hang hinauf, der zu dem Poort in der Bergkette führte, die vor der Ebene von Bambatse lag. Sie hätten die Stute gerne erschossen, um sie von ihrem Leid zu erlösen, hatten jedoch Angst, ein Gewehr abzufeuern. Also überließen sie das arme Tier seinem Schicksal und gaben alles auf, was es trug, mit Ausnahme einiger Patronen. Bevor sie weiterritten, nahm Mr. Clifford dem Tier jedoch auf Bitten seiner Tochter Sattel und Zaumzeug ab, damit es vielleicht eine Chance zum Überleben hatte. Eine Weile humpelte es auf drei Beinen hinter ihnen her, dann blieb es stehen, wieherte kläglich, und kam zu Benitas Erleichterung hinter einer Wegbiegung außer Sicht. Nach etwa einer halben Meile wandte sie sich noch einmal um, in der Hoffnung, daß die Stute sich erholt hatte und ihnen weiter folgte, doch sie konnte sie nirgends entdecken. Aber sie sah etwas anderes: drei oder vier Meilen hinter ihnen, und in der klaren Luft deutlich auszumachen, waren eine Anzahl schwarzer Punkte, aus denen hin und wieder etwas aufblitzte. »Was ist das?« fragte sie kaum hörbar und fürchtete sich vor der Antwort. »Die Matabele, die uns verfolgen«, antwortete ihr Vater, »oder genauer gesagt, eine Gruppe ihrer schnellsten Läufer. Es sind ihre Speere, die im Sonnenlicht
aufblitzen. Dies ist unsere Situation, Liebling: Die Männer werden uns einholen, bevor wir Bambatse erreichen; sie sind zum Laufen trainiert und können fünfzig Meilen durchhalten, wenn es sein muß. Aber bei diesem Vorsprung wird es auch ihnen nicht gelingen, einen Reiter einzuholen. Du mußt weitermachen und mich zurücklassen; ich werde schon irgendwie durchkommen.« »Niemals! Niemals!« rief sie entsetzt. »Du wirst und du mußt es tun«, sagte Mr. Clifford hart. »Ich befehle es dir! Ich bin dein Vater, und du hast mir zu gehorchen! Was kommt es auf mich an? Vielleicht kann ich mich vor ihnen verstecken oder ihnen entkommen; und wenn nicht – ich bin ein alter Mann, mein Leben liegt hinter mir, während du das deine noch vor dir hast. Also lebe wohl, Benita, und sei Gott befohlen!« Er ließ den Steigbügelriemen los. Benita zügelte ihr Pferd. »Ich reite keinen Schritt weiter«, sagte sie entschlossen. Jetzt begann er, ihr bittere Vorwürfe zu machen, beschuldigte sie, ungehorsam und respektlos zu sein, und als das nichts fruchtete, flehte er sie fast unter Tränen an, allein weiterzureiten. »Vater«, sagte sie und beugte sich aus dem Sattel – sie hatten sich inzwischen wieder in Bewegung gesetzt – »ich habe dir gesagt, warum ich von Bambatse fliehen wollte: weil ich lieber mein Leben riskieren als länger dortbleiben wollte. Glaubst du, daß ich jetzt dorthin zurückgehe und mit Jacob Meyer allein bleibe? Und noch etwas möchte ich dir sagen: Mr. Seymour ist tot, und ich kann darüber nicht hinwegkommen, so sehr ich es auch versucht habe. Deshalb,
obwohl ich Angst habe, ist es mir egal, ob ich sterbe. Nein, wir werden zusammen entkommen, oder zusammen sterben!« Mit einem resignierten Seufzen gab ihr Vater sich geschlagen, und sie erwogen nun von neuem ihre Chancen. Ihr erster Gedanke war, sich zu verstecken, doch mit Ausnahme einiger Bäume war das Land völlig offen und es gab nichts, worin sie Deckung hätten finden können. Sie dachten an die Ufer des Sambesi, doch zwischen ihnen und dem Fluß erhob sich ein kahler, felsübersäter Berg, dessen Hang mehrere Meilen weit war. Lange bevor sie seine Kuppe erreichen konnten, falls das Pferd es überhaupt noch zu schaffen in der Lage war, würden die Matabele sie eingeholt haben. Mit anderen Worten, es blieb ihnen keine andere Möglichkeit, als bis zum Paß vorzudringen, und wenn sie das Glück haben sollten, ihn vor den Matabele zu erreichen, das Pferd dort aufzugeben und sich in den Ruinen, die hinter dem Paß lagen, zu verstecken. Dies sollte möglich sein, sowie es dunkel geworden war. Aber sie machten sich nichts vor; die Chancen standen fünfzig zu eines gegen sie, falls ihre Verfolger nicht müde wurden und aufgaben. Jetzt aber hatte es nicht den Anschein, denn nachdem sie sie aus der Ferne entdeckt hatten, steigerten die langbeinigen Läufer ihr Tempo sogar noch, und die Entfernung zwischen ihnen und ihrer Beute schrumpfte rasch. »Vater«, sagte Benita. »Eins mußt du verstehen: Ich werde mich von diesen Wilden nicht lebend gefangennehmen lassen.« »Oh! Wie könnte ich ...« Er brachte den Satz nicht zu Ende.
»Darum will ich dich auch nicht bitten«, antwortete sie. »Das werde ich selbst erledigen. Nur, falls ich nicht richtig treffen sollte ...« Sie sah ihn an. Der alte Mann war am Ende seiner Kraft. Keuchend taumelte er den steil ansteigenden Pfad bergauf und stolperte immer häufiger über Steine. Benita erkannte seinen Zustand, glitt aus dem Sattel und ließ ihn aufsteigen. Nun lief sie eine Weile neben dem Pferd her, und als sie müde wurde, wechselten sie wieder die Plätze. Auf diese Weise legten sie mehrere Meilen zurück. Schließlich, als sie beide fast am Ende ihrer Kraft waren, versuchten sie zu zweit zu reiten, Benita im Sattel, und er auf der Kruppe des Pferdes, denn ihr Gepäck hatten sie schon längst weggeworfen. Doch das Pferd war ebenfalls erschöpft und konnte die doppelte Last nicht tragen; nach einigen hundert Yards stolperte es, stürzte, kam wieder auf die Beine und blieb zitternd stehen. Also waren sie wieder gezwungen, abwechselnd zu gehen und zu reiten. Inzwischen war es nur noch eine Stunde bis Sonnenuntergang, und der schmale Paß lag etwa drei Meilen vor ihnen. Diese entsetzlichen drei Meilen wurden zu Benitas schlimmsten Alpträumen! Die vorderste Gruppe der Matabele war jetzt nur noch zweitausend Yards hinter ihnen; als sie die Hälfte der Strecke hinter sich hatten, nur noch eintausend; und als die letzte Meile vor ihnen lag, waren sie auf etwa fünfhundert Yards herangekommen. Die Natur vollbringt Wunder, und eins ihrer größten ist die Leistungsfähigkeit ihrer Kreaturen in extremen Situationen. Als sich die Krise näherte, schien alle Erschöpfung von den beiden abzufallen, war
zumindest vergessen. Sie hätten sich nicht frischer fühlen können, wenn sie eben aus dem Bett gestiegen wären. Selbst das Pferd schien neue Kraftreserven gefunden zu haben, und als es nach einer Weile wieder langsamer wurde, stach Mr. Clifford ihm die Spitze seines Jagdmessers in die Flanke. Keuchend nahmen sie die letzten fünfhundert Yards bis zum Scheitelpunkt des Passes in Angriff, und hinter ihnen kam der Tod, in Gestalt der Bluthunde der Matabele. Die Sonne sank, und vor der riesigen, rotglühenden Scheibe hoben sich die dunklen Gestalten ihrer Verfolger als scharfe Silhouetten ab; ihre breiten Speerklingen wurden vom Licht der Sonne gerötet, als ob sie in Blut getaucht worden wären. Sie waren jetzt so nahe herangekommen, daß sie ihre spöttischen Rufe hören konnten, mit denen sie sie aufforderten, sich hinzusetzen und sich töten zu lassen und so allen unnötige Mühe zu ersparen. Sie waren nur noch knapp dreihundert Yards entfernt, und der Scheitelpunkt des Passes lag noch immer eine halbe Meile vor ihnen. Fünf Minuten vergingen, und hier, wo der Pfad besonders steil und rauh wurde, stolperte das Pferd immer langsamer voran. Mr. Clifford ritt dieses letzte Stück des Anstiegs, und Benita lief an der Flanke des Pferdes und hielt sich am Steigbügelriemen fest. Sie warf einen Blick zurück. Die Wilden, die fürchteten, daß ihr Opfer auf der anderen Seite des Berges ein Versteck finden könnten, stürmten voran, und das Pferd konnte nicht schneller gehen. Ein Mann, ein großer, muskulöser Bursche, war den anderen weit voraus. Nach zwei Minuten war er bis auf weniger als hundert Schritte herangekommen, etwas näher, als der Ab-
stand zum Scheitelpunkt des Passes betrug. Und in diesem Augenblick blieb das Pferd stehen und weigerte sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Mr. Clifford sprang aus dem Sattel, und Benita, die so außer Atem war, daß sie nicht sprechen konnte, deutete auf den heranstürmenden Matabele. Mr. Clifford setzte sich auf einen Fels, spannte sein Gewehr, atmete tief durch und feuerte auf den Krieger. Mr. Clifford war ein guter Schütze, und sein Können ließ ihn auch in dieser kritischen Situation nicht im Stich. Der Mann taumelte, stürzte zu Boden, richtete sich mühsam wieder auf und humpelte zu seinen Kumpanen zurück, die stehenblieben, mit ihm sprachen und anscheinend seine Wunde flüchtig versorgten. Diese Atempause sollte sich als ihre Rettung erweisen, denn sie gab ihnen die Zeit, um in einem letzten, verzweifelten Ansturm den Scheitelpunkt des Passes zu erreichen. Nicht daß sie dadurch gerettet gewesen wären, denn wo immer sie auch hinfliehen mochten, würden die Matabele ihnen folgen, und es war noch immer hell genug, um jedes Entkommen unmöglich zu machen. Die Wilden hatten den verwundeten Mann auf den Boden gelegt und kamen jetzt, fünfzig oder mehr, nach Rache brüllend auf sie zugestürmt. Hand in Hand taumelten Vater und Tochter durch die enge Schlucht des Passes, und hinter ihnen kamen die Matabele, jetzt in der schmalen, von steilen Felswänden eingefaßten Schlucht eng aufgeschlossen wie eine Hundemeute. Plötzlich zuckten von allen Seiten, wie es Benita vorkam, grelle Blitze aus dem Dunkel, und ihre Ohren dröhnten vom Krachen von Schüssen. Die Matabele gingen zu zweit und zu dritt zu Boden, bis nur
noch ein paar von ihnen auf den Beinen waren, und die hatten jedes Interesse an der Verfolgung verloren. Sie warfen sich herum und flohen aus dem engen Paß zum offenen Hang auf der anderen Seite. Benita sank erschöpft zu Boden, und das nächste, woran sie sich erinnerte, war die sanfte Stimme Jacob Meyers, die sagte: »Also sind Sie von Ihrem Ausritt zurück, Miß Clifford, und es war vielleicht gut, daß ich Ihre Gedanken empfing, Sie wünschten mich hier, an diesem Ort, zu treffen.«
16 Wieder in Bambatse Benita konnte sich nicht erinnern, wie sie nach Bambatse gekommen waren, doch erfuhr sie später, daß man sie und ihren Vater auf Lederschilden zum Berg getragen hatte. Als sie wieder zu sich kam, lag sie in ihrem Zelt vor dem Eingang der Höhle auf dem Gipfel der Tempelfestung. Ihre Füße waren wundgelaufen, und alle Knochen taten ihr weh, und diese Schmerzen riefen ihr sofort all die Schrecken, die hinter ihr lagen, in die Erinnerung zurück. Wieder sah sie die wilden Matabele, die sie hetzten, wieder hörte sie ihre grausamen, höhnischen Zurufe, und dann das Krachen der Gewehrschüsse; und wieder hörte sie aus der niedersinkenden Nacht Meyers sarkastische Begrüßungsworte. Was danach kam, war in ein barmherziges Dunkel gehüllt; nur vage erinnerte sie sich daran, daß man ihr am nächsten Morgen geholfen hatte, den Berghang hinaufzusteigen und sie am Seil festgebunden an der dritten Mauer emporgezogen hatte. Dann kam wieder ein Dunkel des Vergessens. Die Leinwand ihres Zelteingangs wurde zurückgeschlagen, und sie kauerte sich auf ihrem Bett zusammen und schloß die Augen, aus Angst, daß ihr Blick auf das Gesicht Jacob Meyers fallen würde. Doch als sie spürte, daß nicht er es war – vielleicht hatte sie es auch am Schritt des Besuchers gehört – öffnete sie sie vorsichtig einen Spalt breit. Der Mann, der in ihr Zelt trat, war nicht Jacob Meyer, und auch nicht ihr Vater,
sondern der alte Molimo, der auf sie zutrat und ihr eine Kalebasse mit Ziegenmilch reichte. Sie setzte sich auf und lächelte ihn an; Benita hatte eine Zuneigung zu diesem uralten Mann entwickelt, der so ganz anders war, als jeder andere Mensch, den sie kennengelernt hatte. »Sei gegrüßt, Lady«, sagte er mit sanfter Stimme, und seine verträumten Augen lächelten sie an. »Ich bringe dir Milch. Trink, du brauchst Stärkung!« Sie nahm die Kalebasse und leerte sie bis auf den letzten Tropfen, und noch nie hatte etwas so köstlich geschmeckt wie diese Ziegenmilch. »Gut, gut«, murmelte der Molimo zufrieden, »jetzt wirst du wieder gesund werden.« »Ja, ich werde wieder gesund werden«, antwortete sie, »aber was ist mit meinem Vater?« »Habe keine Furcht; er ist noch schwach, wird sich aber auch erholen. Du wirst ihn bald sehen.« »Ich habe die ganze Milch getrunken«, sagte sie erschrocken, »und nichts für ihn übriggelassen.« »Deshalb habe ich zwei Kalebassen mitgebracht«, sagte er lächelnd, »eine für jeden. Wir haben nicht viele Ziegen, doch die beste Milch haben wir für euch aufgehoben.« »Erzähl mir alles, was geschehen ist, Vater«, sagte sie zu dem alten Priester, der diese Anrede liebte. Er lächelte wieder mit seinen Augen und hockte sich in die Ecke des Zelts. »Ihr seid fortgeritten, obwohl ich dir sagte, daß ihr zurückkommen müßtet, wie du dich erinnern wirst. Ihr habt meine Weisheit mißachtet, und ich habe alles erfahren, was euch zugestoßen ist, und wie ihr dem Impi entkommen seid. In jener Nacht, kurz nach Son-
nenuntergang, kam der Schwarze – ja, ja, ich meine Meyer, den wir wegen seines Bartes so nennen – und wegen seines Herzens«, setzte er hinzu. »Er kam zu mir gestürzt und fragte nach euch, und ich gab ihm den Brief. Er las ihn, und oh, dann wurde er wahnsinnig! Er fluchte in seiner eigenen Sprache, er begann zu toben, er hob sein Gewehr und wollte mich erschießen, doch ich saß, ohne mich zu rühren und blickte ihn an, bis er sich wieder beruhigte. Dann fragte er, warum ich ihm diesen Streich gespielt hätte, und ich antwortete ihm, daß ich kein Recht dazu hätte, dich und deinen Vater gegen euren Willen zurückzuhalten, und daß ich glaubte, du seist fortgegangen, weil du dich vor ihm fürchtest, was kein Wunder sei. Ich sagte ihm auch, daß ich ihm als Medizinmann riete, vorsichtig zu sein, da er sonst verrückt werden würde, da ich schon jetzt den beginnenden Wahnsinn in seinen Augen sehen könnte. Danach wurde er sehr still, weil meine Worte ihn in Angst versetzten. Dann fragte er, was er tun könne, um euch zurückzuholen, und ich sagte ihm, nichts, nichts, da ihr schon weit fort wärt und es sinnlos sei, euch zu verfolgen, und er sollte mit Geduld auf eure Rückkehr warten. Er fragte, was ich damit meinte, und ich antwortete ihm, daß ich meinte, was ich gesagt habe, nämlich daß ihr in großer Eile und aus großer Gefahr zurückkommen würdet – obgleich ihr mir das nicht glauben wolltet, als ich euch das sagte –, denn ich hatte es vom Munwali erfahren, dessen Kind du bist. Also sandte ich meine Späher aus, doch diese Nacht verging, und auch der folgende Tag und die folgende Nacht, und wir warteten und unternahmen
nichts, obwohl der Schwarze euch allein folgen wollte. Doch am nächsten Morgen bei Tagesanbruch kam ein Bote, der berichtete, daß seine Brüder, die auf Berggipfeln versteckt wachten, ihm zugerufen hätten, daß das Impi der Matabele, nachdem es einen kleinen Stamm am Unterlauf des Sambesi vernichtet habe, auf Bambatse vorrücke, um auch uns zu vernichten. Und am Nachmittag traf ein zweiter Späher ein, der berichtete, daß ihr beide von dem Impi umzingelt worden wärt, aber ausbrechen konntet und nun um euer Leben rittet. Nun versammelte ich fünfzig der besten unserer Männer, stellte sie unter das Kommando meines Sohnes Tamas und schickte sie zum Paß, um dort einen Hinterhalt zu legen, denn auf der freien Ebene wagten wir, die wir nicht kriegerisch sind, uns den Matabele nicht zum Kampf zu stellen. Der Schwarze ging mit ihnen, und als er erkannte, in welcher Gefahr ihr euch befandet, wollte er euch entgegenlaufen und sich den Matabele zum Kampf stellen, denn er ist ein tapferer Mann. Doch ich hatte Tamas die Anweisung gegeben: ›Versucht nicht, im offenen Gelände gegen sie zu kämpfen, denn dort werden sie euch mit Sicherheit töten.‹ Außerdem war ich sicher, daß ihr die Schlucht am höchsten Punkt des Poort erreichen würdet. Nun, ihr habt sie erreicht, wenn auch um die Breite eines Grashalms, und meine Kinder schossen mit den neuen Gewehren, und da die Schlucht so eng ist, daß sie kaum danebenschießen konnten, haben sie viele der Hyänen der Amandabele getötet. Aber Matabele zu töten ist wie Flöhe auf dem Rücken eines Hundes zu zerquetschen; es kommen immer mehr. Trotzdem, es hat seinen Zweck erfüllt, du und dein Vater wurden geret-
tet, und wir haben nicht einen einzigen Mann verloren.« »Wo sind die Matabele jetzt?« fragte Benita. »Vor unseren Mauern, ein großes Impi von dreitausend Mann oder mehr, unter dem Kommando Madunas, dem Sohn ihres Königs, dessen Leben du von uns erbeten hast, und der dich trotzdem jagte, wie ein Wild.« »Vielleicht wußte er nicht, wer wir waren«, sagte Benita. »Vielleicht«, antwortete der Molimo und rieb sich das Kinn, »denn in solchen Sachen hält sogar ein Matabele normalerweise sein Wort, und du weißt, daß er dir Leben um Leben versprochen hat. Aber jetzt sind sie hier und brüllen wie hungrige Löwen vor unseren Mauern, und deshalb haben wir euch auf den Berggipfel gebracht, damit ihr vor ihnen in Sicherheit seid.« »Und bist auch du in Sicherheit, mein Vater?« »Ich denke schon«, antwortete er mit einem kleinen, trockenen Lachen. »Wer immer diese Feste erbaut haben mag, hat sie uneinnehmbar gemacht, und wir haben beide Tore blockiert. Und sie haben auch keinen von uns draußen gefunden; alle waren innerhalb der Mauern, als sie kamen, selbst unsere Schafe und Ziegen. Und die meisten unserer Frauen und Kinder haben wir mit Kanus zur anderen Seite des Sambesi geschickt, wohin ihnen die Matabele nicht folgen können, da sie es nicht wagen, über den Fluß zu schwimmen. Deshalb haben wir, die in der Festung bleiben, Nahrung für gut drei Monate, und bevor die vergangen sind, wird der Regen das Impi vertreiben.«
»Warum seid ihr nicht alle über den Fluß gegangen, mein Vater?« »Aus zwei Gründen. Wenn wir unsere Feste verließen, die wir von Anbeginn gehalten haben, würde Lobengula sie nehmen und besetzen, so daß wir unser Erbe nie wieder betreten könnten, was für uns die größte Schande wäre und die Rache der Geister unserer Ahnen auf unsere Häupter herabbeschwören würde. Der zweite Grund ist, daß du zurückgekehrt bist und wir bleiben müssen, um dich zu beschützen.« »Du bist sehr gut zu mir«, murmelte Benita. »Nein, nein, wir haben dich hergebracht, und wir tun, was man von Oben befiehlt. Es mögen noch immer Gefahren auf dich zukommen, ja, ich bin fast sicher, daß sie kommen werden, doch bitte ich dich noch einmal, dich nicht zu fürchten, denn aus dieser bösen Wurzel wird eine Blume des Glücks sprießen.« Er stand auf, um zu gehen. »Bleib!« sagte Benita. »Hat Meyer das Gold gefunden?« »Nein, er hat nichts gefunden, doch er jagt nach ihm wie ein hungriger Schakal nach einem Knochen. Dieser Knochen ist aber nicht für ihn bestimmt; er ist für dich, nur für dich. Oh! Ich weiß, daß du nicht suchst, aber du wirst trotzdem finden. Nur, wenn du das nächste Mal Hilfe suchst, lauf nicht wieder in die Wildnis hinaus. Hör auf das Wort Munwalis, gegeben durch seinen Mund, den Molimo von Bambatse!« Und während er das sagte, ging der alte Priester rückwärts aus dem Zelt. Wenige Minuten später trat ihr Vater herein. Er sah sehr schwach und krank aus und stützte sich auf ei-
nen Stock. Sie begrüßten einander mit einer herzlichen Umarmung und dankten Gott für ihre Rettung aus höchster Not. »Du siehst, Benita, daß wir diesem Ort nicht entrinnen können«, sagte Mr. Clifford dann. »Wir müssen das Gold finden.« »Das Gold ist mir gleichgültig«, antwortete sie energisch. »Ich kann selbst das Wort nicht mehr hören. Wer kann an Gold denken, wenn draußen dreitausend Matabele darauf warten, uns zu töten!« »Irgendwie habe ich jetzt keine Angst mehr vor ihnen«, sagte ihr Vater. »Sie haben ihre Chance gehabt und sie verspielt, und die Makalanga schwören, daß die Festung jetzt, wo sie Gewehre haben, nicht gestürmt werden kann. Ich habe aber vor jemand anderem Angst.« »Vor wem?« »Vor Jacob Meyer. Ich habe ihn vorhin gesehen und glaube, daß er verrückt wird.« »Das hat der Molimo auch gesagt. Aber woraus schließt du das?« »Aus seinem Aussehen, aus seinem Benehmen. Er sitzt herum, murmelt vor sich hin und starrt mit seinen funkelnden Augen umher, und manchmal stöhnt er und bricht Sekunden später in schallendes Gelächter aus. Aber das ist nur, wenn er seine Anfälle bekommt, sonst erscheint er völlig normal. Wenn du kräftig genug bist, steh auf und überzeuge dich selbst davon.« »Ich mag nicht«, antwortete Benita kaum hörbar. »Vater, ich habe jetzt noch mehr Angst vor ihm als zuvor. Oh! Warum hast du mich nicht unten gelassen, bei den Makalanga, anstatt mich hier heraufzu-
schleppen, wo wir diesem entsetzlichen Juden ausgeliefert sind?« »Ich wollte es, Benita, aber der Molimo sagte, daß wir hier oben sicherer seien, und befahl seinen Männern, dich heraufzubringen. Außerdem hat Jacob geschworen, mich zu töten, wenn ich ohne dich heraufkäme. Jetzt verstehst du vielleicht, warum ich ihn für verrückt halte.« »Warum? Warum?« »Das mag Gott wissen«, antwortete er stöhnend. »Ich vermute, er glaubt, daß wir das Gold ohne dich niemals finden werden, weil der Molimo ihm gesagt hat, daß es für dich, und nur für dich sei, und er ist sicher, daß der alte Mann das zweite Gesicht hat. Und er hätte mich ermordet – ich habe es in seinen Augen gesehen –, deshalb hielt ich es für klüger, nachzugeben, als dich allein zurückzulassen. Es gab natürlich einen Weg ...« Sie blickte ihn fragend an. »Und welchen?« »Ihn zu erschießen, bevor er mich erschießen konnte«, antwortete er flüsternd. »Um deinetwillen ... aber dazu konnte ich mich nicht zwingen.« »Nein«, sagte sie erschauernd, »das nicht – das nicht! Lieber wollen wir sterben, bevor sein Blut auf unser Haupt kommt. Ich werde jetzt aufstehen und versuchen, keine Furcht zu zeigen. Ich bin sicher, daß es das Beste ist, und vielleicht gelingt es uns doch noch irgendwie zu fliehen. Bis dahin wollen wir uns bemühen, ihn bei guter Laune zu halten, und so tun, als ob wir wie zuvor nach diesem widerlichen Schatz suchen würden.« Benita stand auf und stellte fest, daß zwar ihre Glieder ein wenig steif waren, sie aber sonst keinen
Schaden davongetragen hatte. Als sie aus dem Zelt trat und zur Kochstelle ging, sah sie, daß alles, was sie brauchte, bereitlag und machte sich daran, das Abendessen zu kochen, wie sie es immer getan hatte. Von Meyer, der zweifellos diese Vorbereitungen getroffen hatte, sah sie nichts. Kurz vor Dunkelwerden kam er jedoch auf sie zu, wie sie es erwartet hatte, und obwohl sie seine Schritte nicht hörte und mit dem Rücken zu ihm saß, spürte sie seine Gegenwart, und ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wandte sich um und blickte ihn an. Er stand dicht hinter ihr auf einem Granitblock. Seine weichen Veld-Schuhe machten nicht das leiseste Geräusch auf dem Fels, und Meyer konnte sich so lautlos bewegen wie eine Katze. Die letzten Strahlen der sinkenden Sonne fielen auf seine agile, nervöse Gestalt, und in ihrem intensiven, roten Licht sah er furchterregend aus. Er wirkte wie ein Panther, der sich zum Sprung duckt, und seine Augen leuchteten wie die eines Panthers, und Benita wußte, daß sie die Beute war, nach der es ihn gelüstete. Trotzdem hielt sie sich an ihren Entschluß, keine Angst zu zeigen und nickte ihm lächelnd zu. »Guten Abend, Mr. Meyer. Oh! Mein Nacken ist so steif, daß ich kaum den Kopf wenden kann, um Sie anzusehen.« Und sie lachte. Er sprang federnd von dem Granitfelsen, auch wie ein Panther, und trat vor sie hin. »Sie sollten dem Gott danken, an den Sie glauben, daß nicht Ihr ganzer Körper steif ist – oder besser, was die Schakale von ihm übriggelassen hätten.« »Das tue ich, Mr. Meyer, und ich danke auch Ihnen; es war sehr tapfer, daß Sie hinausgegangen sind, um
uns zu retten. – Vater«, rief sie dann zur Hütte hinüber, »komm doch bitte her und sage Mr. Meyer, wie dankbar wir ihm sind.« Mr. Clifford humpelte aus der Hütte. »Das habe ich bereits getan.« »Ja«, antwortete Jacob, »das haben Sie, und warum sollten Sie sich wiederholen? Ich sehe, daß das Abendessen fertig ist. Lassen Sie uns essen! Sie müssen sehr hungrig sein; anschließend habe ich Ihnen etwas zu sagen.« Sie aßen, doch ohne großen Appetit, vor allem Meyer rührte kaum etwas an, trank jedoch ziemlich viel, zuerst schwarzen Kaffee, und dann Squareface mit Wasser. Doch er drängte Benita die besten Bissen auf, ließ sie dabei keine Sekunde lang aus den Augen und sagte, sie müsse jetzt gut essen, da sonst ihre Schönheit vergehen und ihre Kräfte nachlassen würden. Benita mußte an die Märchen ihrer Kindheit denken, in denen der Oger die Prinzessin mästete, die er zu verspeisen gedachte. »Sie sollten an Ihre eigenen Kräfte denken, Mr. Meyer«, sagte sie. »Ein Mensch kann nicht nur von Kaffee und Squareface leben.« »Das ist alles, was ich heute abend brauche. Ich fühle mich erstaunlich wohl, seit Sie wieder zurück sind. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so gesund und kräftig gewesen zu sein. Ich kann für drei arbeiten und werde nicht müde; heute nachmittag zum Beispiel habe ich mehrere Stunden lang Nahrungsmittel die steile Mauer heraufgeschleppt, weil wir uns auf eine lange Belagerung vorbereiten müssen, und fühle mich, als ob ich nicht einen einzigen Korb angehoben hätte. Doch als Sie fort waren – ah, da fühlte
ich mich erschöpft.« Benita wechselte das Thema und fragte, ob er irgend etwas Neues entdeckt hätte. »Noch nicht, aber jetzt, wo Sie wieder hier sind, wird es bald geschehen. Ich habe einen unfehlbaren Plan. Außerdem war es ohne Sie sehr einsam in der Höhle, also habe ich mich nur ein wenig hier draußen umgesehen, bis es Zeit wurde, Sie vom Paß abzuholen und ein paar Matabele zu schießen. Wissen Sie, daß ich sieben von ihnen selbst getötet habe? Als ich schoß, um Sie zu retten, konnte ich mein Ziel nicht verfehlen.« Benita schreckte vor ihm zurück. »Sprechen Sie nicht vor meiner Tochter von diesen schrecklichen Dingen«, sagte Mr. Clifford scharf. »Es ist schlimm genug, wenn man zum Töten gezwungen wird; man soll hinterher nicht auch noch davon reden.« »Sie haben recht«, sagte Jacob Meyer nachdenklich, »und ich bitte um Verzeihung, obwohl ich nichts so sehr genossen habe, als diese Wilden abzuschießen. Nun, sie sind fort, doch es sind noch ein paar tausend von ihnen dort draußen. Hören Sie! Jetzt singen sie ihren Abendchoral.« Und er schlug mit seinem langen Zeigefinger den Takt zu den schaurigen Klängen des Matabele-Kriegsgesangs, der von der Ebene zu ihnen herauftönte. »Er klingt fast wie eine religiöse Hymne, finden Sie nicht? Nur die Worte ... nein, ich werde sie nicht übersetzen. In unserer Situation sind sie zu persönlich. Und jetzt möchte ich Ihnen etwas sagen«, fuhr er fort. »Es war sehr unschön von Ihnen, einfach wegzulaufen und mich hier allein zu lassen, und auch
nicht ehrenhaft. Offen gesagt, Clifford«, setzte er in einem Ausbruch von Wildheit hinzu, »wenn es nur um Sie gegangen wäre, hätte ich Sie bei Ihrer Rückkehr erschossen. Verräter verdienen doch die Todesstrafe, nicht wahr?« »Bitte, sprechen Sie nicht in diesem Ton mit meinem Vater«, sagte Benita scharf, und ihre Wut erstickte jede Angst. »Außerdem bin ich es, dem Sie Vorwürfe machen sollten.« »Es ist mir ein Vergnügen, Ihren Befehlen zu gehorchen«, sagte Meyer mit einer leichten Verbeugung. »Ich werde dieses Thema nie wieder berühren. Und ich mache Ihnen auch keinen Vorwurf; wer könnte das auch? Jedenfalls nicht Jacob Meyer. Ich verstehe sehr gut, daß Sie sich hier oben langweilten, und man muß Damen ihre Kaprizen zugestehen. Und schließlich sind Sie ja wieder zurückgekommen; warum soll man also von dieser Sache reden? Aber ich habe dafür Sorge getragen, daß Sie – um Ihrer eigenen Sicherheit willen – keine eigenmächtigen Ausflüge mehr machen, bis wir zusammen von hier fortgehen. Nachdem ich die Vorräte heraufgebracht hatte ... aber das können Sie morgen früh ja selbst sehen. Jedenfalls kann niemand mehr diese Mauer hinaufsteigen – und, was noch wichtiger ist, niemand kann an ihr hinabsteigen. Außerdem werde ich, um ganz sicher zu gehen, ab heute vor der Maueröffnung schlafen.« Benita und ihr Vater starrten einander an. »Aber der Molimo hat ein Recht, heraufzukommen«, protestierte sie. »Dies ist sein Heiliger Ort.« »Er wird eben vorläufig unten meditieren müssen. Der alte Narr tut, als ob er alles wüßte, doch er hatte
keine Ahnung, was ich vorhatte. Außerdem wollen wir doch verhindern, daß er uns stört, nicht wahr? Er könnte uns beobachten, wenn wir das Gold finden und es später rauben.«
17 Das erste Experiment Wieder blickten Benita und ihr Vater einander an, fast mit einem Ausdruck der Verzweiflung. Sie saßen in der Falle, von jeder Hilfe abgeschnitten, in der Gewalt eines Mannes, der verrückt wurde. Mr. Clifford sagte nichts. Er war alt und schwach geworden; seit Jahren, obwohl er es nicht wußte, hatte Meyer ihn beherrscht, doch niemals so sehr wie in dieser Stunde extremer Belastung. Außerdem hatte der Mann gedroht, ihn zu ermorden, und er hatte Angst davor, nicht so sehr um seiner selbst willen, als für seine Tochter. Wenn er jetzt sterben sollte, was würde aus ihr werden, die dann allein mit Jacob Meyer zurückbliebe? Das Wissen um seine eigene Torheit, die er zu spät erkannt hatte, erfüllte ihn mit Scham. Wie hatte er so leichtfertig sein können, ein Mädchen auf ein solches Unternehmen mitzunehmen und es der Gesellschaft eines prinzipienlosen Kerls auszusetzen, von dessen Vergangenheit er nichts weiter wußte, als daß sie dunkel und zweifelhaft war! Er hatte ein schweres Verbrechen begangen, zu dem ihn seine Gier nach Gold verleitet hatte, und das Gewicht seiner Schuld drückte seine Zunge nieder und verschloß ihm den Mund. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Eine Weile war auch Benita still; sie sah alle Hoffnung schwinden. Aber sie war eine mutige Frau, und kurze Zeit später hatte sie ihren Schock überwunden. Empörung füllte ihre Brust und sprühte aus ihren dunklen Augen. Sie wandte den Kopf und starrte Ja-
cob an, der seine Pfeife rauchte und ihre Verwirrung genoß. »Wie können Sie es wagen?« sagte sie mit leiser, eisiger Stimme. »Wie können Sie es wagen, Sie erbärmlicher Feigling?« Er duckte sich unter ihrem Zorn und ihrer Verachtung ein wenig zusammen, schien sich dann jedoch wieder zu fangen und wirkte konzentriert und angespannt, wie jemand, der fühlt, daß er vor einem alles entscheidenden Kampf steht. »Seien Sie nicht ärgerlich auf mich«, sagte er, »das kann ich nicht ertragen! Es schmerzt mich – ah! Sie wissen nicht, wie es mich schmerzt. Ich will jetzt offen mit Ihnen reden, und in Gegenwart Ihres Vaters, weil es so ehrenhafter ist. Ich wage es, offen zu sein – um Ihretwillen.« »Um meinetwillen? Wie kann es mir dienen, an einem so entsetzlichen Ort mit Ihnen gefangen zu sein? Ich würde die Gesellschaft der Makalanga jederzeit vorziehen, ja sogar«, setzte sie verächtlich hinzu, »die der blutdürstigen Matabele.« »Erst gestern hatten Sie es aber noch sehr eilig, vor ihnen davonzulaufen, Miß Clifford«, erinnerte er sie. »Doch Sie scheinen mich nicht zu verstehen. Wenn ich sage, um Ihretwillen, so meine ich damit eigentlich, um meinetwillen. Sehen Sie: Sie wollten von hier fort und mich allein zurücklassen. Es ist Ihnen nicht gelungen. Doch beim nächsten Mal könnte es Ihnen gelingen – und was würde dann aus mir?« »Das weiß ich nicht, Mr. Meyer«, sagte sie, und ihre Augen setzten hinzu: ›Und es interessiert mich auch nicht.‹ »Ah! Aber ich weiß es. Beim letzten Mal hat es
mich fast verrückt gemacht; beim nächsten Mal würde ich bestimmt verrückt werden.« »Weil Sie glauben, daß Sie durch mich diesen Schatz finden werden, an den Sie Tag und Nacht denken. Mr. Meyer ...« »Ja«, unterbrach er rasch. »Weil ich glaube, in Ihnen den Schatz zu finden, von dem ich Tag und Nacht träume, und weil dieser Schatz für mich lebensnotwendig geworden ist.« Benita wandte sich rasch ihrem Vater zu, der über den Sinn dieser Eröffnung nachzudenken schien, aber bevor einer der beiden antworten konnte, strich sich Jacob Meyer mit einer fahrigen, verwirrten Geste über die Stirn und sagte: »Ich meine diesen ... diesen Schatz. Ja, den gewaltigen Schatz reinen Goldes, der so tief vergraben liegt, daß man ihn nur schwer entdecken und in Besitz nehmen kann, den verborgenen Schatz, der uns beiden so viel Glück und Macht geben könnte, wenn man ihn nur finden und abzählen könnte, Stück für Stück, Münze für Münze, während der langen Jahre eines ganzen Lebens.« Wieder machte er eine Pause, bevor er weitersprach. »Ja, Miß Clifford, Sie haben völlig recht, das ist der Grund, warum ich aus Ihnen eine Gefangene gemacht habe, weil, wie es der alte Molimo sagt, der Schatz Ihnen gehört und ich ihn mit Ihnen teilen will. Doch es sieht so aus, als ob er sich nicht finden ließe, obwohl ich so hart gearbeitet habe, nicht wahr?« Und er blickte auf seine zerschundenen, schwieligen Hände. »Sehr richtig, Mr. Meyer, er läßt sich nicht finden, und deshalb sollten Sie aufgeben und uns zu den
Makalanga hinabgehen lassen.« »Aber es gibt einen Weg, Miß Clifford, es gibt einen Weg. Sie wissen, wo der Schatz verborgen ist und werden es mir sagen.« »Wenn ich das wüßte, hätte ich es Ihnen längst gesagt, Mr. Meyer, denn dann könnten Sie das Zeug nehmen, und unsere Partnerschaft wäre endlich zu Ende.« »Nicht bevor er geteilt ist, Miß Clifford, Unze für Unze, und Münze für Münze. Aber zuerst müssen Sie mir zeigen, wo er verborgen ist.« »Wie denn, Mr. Meyer?« fragte sie. »Ich kann doch nicht zaubern.« »Doch, das können Sie. Ich werde Ihnen sagen, wie Sie es machen müssen. Hören Sie, und auch Sie, Mr. Clifford! Ich habe studiert. Ich weiß von vielen geheimen Dingen, und ich lese in Ihrem Gesicht, daß Sie die Gabe besitzen ... Lassen Sie mich eine Weile in Ihre Augen blicken, Miß Clifford; Sie werden sanft einschlafen, und im Schlaf, durch den Sie nicht den geringsten Schaden erleiden, werden Sie sehen, wo das Gold liegt und es mir sagen.« »Was meinen Sie damit?« fragte Benita verwirrt. »Ich weiß, was er meint«, sagte Mr. Clifford. »Sie wollen meine Tochter mesmerisieren, wie damals den alten Zulu-Häuptling, nicht wahr?« Benita öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Meyer sagte rasch: »Nein, nein, lassen Sie mich ausreden, bevor Sie sich weigern. Sie besitzen eine Gabe, die kostbare Gabe des Hellsehens, die so selten ist.« »Woher wissen Sie das, Mr. Meyer? Ich bin noch nie in meinem Leben mesmerisiert worden.« »Darauf kommt es nicht an. Ich weiß es; ich bin
dessen von Anfang an sicher gewesen, seit unserer ersten Begegnung bei Leopard's Kloof. Obwohl Sie es damals sicher nicht gespürt haben, es war diese Ihre Gabe, die meinen Verstand beeinflußte, der mit dem Ihren im Gleichklang ist, die mich damals zur rechten Zeit an den Rand der Schlucht geführt hat, um Sie zu retten, so wie es diese Gabe war, die Sie auch vor der Schiffskatastrophe gewarnt hat – oh! Ich habe davon durch Sie selbst erfahren. Ihr Geist kann sich aus dem Körper lösen, er kann in die Vergangenheit und in die Zukunft blicken, er kann verborgene Dinge aufspüren.« »Das glaube ich nicht«, antwortete Benita; »und auf jeden Fall soll er nicht von Ihnen gelöst werden.« »Aber ja, aber ja«, rief er leidenschaftlich, und seine schwarzen Augen funkelten. »Oh! Ich habe dies alles vorausgesehen, und aus diesem Grund habe ich darauf bestanden, daß Sie mit uns kommen, damit wir, wenn alles andere fehlschlagen sollte, auf Ihre Gabe zurückgreifen können. Nun, alles andere ist fehlgeschlagen. Ich habe sehr große Geduld gezeigt und kein Wort verloren, doch jetzt gibt es keinen anderen Weg mehr. Wollen Sie so selbstsüchtig, so grausam sein, mich zurückzuweisen, Sie, die uns innerhalb einer Stunde reich machen könnte, und dabei keinerlei Schaden erleiden würde? Ich versichere Ihnen, Sie werden lediglich fühlen, eine Weile geschlafen zu haben.« »Ja«, antwortete Benita. »Ich weigere mich, meinen Willen in die Hände irgendeines anderen Menschen zu geben, und vor allem nicht in die Ihren, Mr. Meyer.« Er wandte sich mit einer Geste der Verzweiflung
an ihren Vater. »Können Sie sie nicht überreden, Mr. Clifford? Sie ist Ihre Tochter und wird Ihnen gehorchen.« »Nicht darin«, sagte Benita. »Nein«, antwortete Mr. Clifford. »Das kann ich nicht, und ich würde es auch nicht tun, wenn ich es könnte. Meine Tochter hat völlig recht. Außerdem habe ich etwas gegen übernatürliche Experimente dieser Art. Wenn wir das Gold nicht ohne sie finden können, muß es eben bleiben, wo es ist, das ist alles.« Meyer wandte sich ab, um sein Gesicht zu verbergen. »Ich fürchte, daß ich mich mit dieser Antwort abfinden muß«, sagte er, als er nach einer Weile wieder aufblickte. »Aber noch eine Frage, Miß Clifford: Als Sie eben davon sprachen, Ihren Willen nicht in die Hände eines anderen Menschen geben zu wollen, schließt das auch Ihren Vater ein?« Sie schüttelte den Kopf. »Werden Sie dann ihm erlauben, Sie zu mesmerisieren?« Benita lachte. »Gerne, wenn er dazu bereit ist«, sagte sie. »Aber ich fürchte, daß dieses Unternehmen nicht sehr erfolgreich verlaufen wird.« »Gut, das werden wir morgen feststellen. Jetzt bin ich müde, genau wie Sie. Ich werde in mein neues Bett vor dem Ausstieg der Mauer gehen«, setzte er mit Nachdruck hinzu. »Warum sträubst du dich so gegen diese Sache?« fragte ihr Vater, als sie allein waren. »Oh, Vater«, erwiderte sie, »begreifst du denn
nicht? Es fällt mir schwer, es dir zu erklären, doch ich muß es tun. Zu Anfang wollte Meyer nur das Gold, doch jetzt will er mehr, er will auch mich. Und ich hasse ihn. Du weißt, daß dies der Grund für meine Flucht war. Ich habe einiges über Mesmerismus gelesen und in London auch zwei oder drei Experimente gesehen. Wer weiß, was geschieht, wenn ich ihm erlaube, meinen Verstand dem seinen zu unterwerfen? Obwohl ich ihn so hasse, könnte ich dadurch zu seiner Sklavin werden.« »Jetzt verstehe ich«, sagte Mr. Clifford. »Oh, warum habe ich dich je hier herausgebracht! Es wäre besser gewesen, wenn ich dich nie wiedergesehen hätte!« Am folgenden Tag wurde das Experiment durchgeführt. Mr. Clifford unternahm den Versuch, seine Tochter zu mesmerisieren. Jacob Meyer, der, wie sich herausstellte, reiche Erfahrungen in dieser zweifelhaften Kunst besaß, hatte seit dem frühen Morgen versucht, Benitas Vater darin zu instruieren. Im Verlauf dieser Lektionen erklärte er ihm, daß er diese ihm von der Natur verliehene Gabe einmal für kurze Zeit dazu benutzt habe, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und es nur deshalb so bald wieder aufgegeben habe, weil er feststellte, daß es seine Gesundheit untergrub. Mr. Clifford fragte, warum er ihm nicht schon früher davon berichtet hätte. »Es gibt vieles in meinem Leben, worüber ich Ihnen nichts gesagt habe«, antwortete Jacob Meyer mit einem kleinen, verschlagenen Lächeln. »Zum Beispiel habe ich Sie einmal mesmerisiert, ohne daß Sie etwas davon merkten, und deshalb müssen Sie immer tun, was ich verlange – mit Ausnahme von Angelegen-
heiten, die Ihre Tochter betreffen, da ihr Einfluß stärker ist als der meine.« Mr. Clifford starrte ihn an. »Kein Wunder, daß Benita sich von Ihnen nicht mesmerisieren lassen will«, sagte er scharf. Jetzt erkannte Jacob seinen Fehler. »Sie sind noch dümmer, als ich angenommen habe«, sagte er. »Wie hätte ich Sie ohne Ihr Wissen mesmerisieren können? Das war doch nur ein Scherz.« »Den habe ich nicht entdecken können«, sagte Mr. Clifford unsicher, und sie setzten die Instruktion fort. Kurz nach Mittag wurde Mr. Cliffords neuerworbenes Wissen dem praktische Test unterzogen – in der Höhle, die Meyer als den dafür am besten geeigneten Ort anzusehen schien. Benita, die jetzt das Amüsante dieser Angelegenheit erkannte, saß auf der Steinstufe unter dem großen Kruzifix im Licht dreier Lampen; zwei standen neben ihr, die dritte auf dem Altar. Vor ihr stand ihr Vater, starrte ihr in die Augen und bewegte seine Hände langsam hin und her, wie Jacob es ihm angewiesen hatte. Er wirkte dabei so lächerlich, daß Benita sich sehr beherrschen mußte, um nicht laut aufzulachen. Und dieser Lachreiz war die einzige Wirkung, die seine Grimassen und Gesten auf sie ausübten, obwohl sie nach außen hin ernst und gesammelt zu erscheinen versuchte und sogar hin und wieder die Augen schloß, um ihren Vater zu ermutigen. Einmal, als sie sie wieder öffnete, erkannte sie, daß seine Bemühungen ihn zunehmend erschöpften, und daß Jacob ihn mit einer so penetranten Konzentration anstarrte, daß sie ihre Augen sofort
wieder schloß, um sein Gesicht nicht mehr sehen zu müssen. Kurz darauf spürte Benita etwas, eine Art unwiderstehliche Gewalt, die in sie eindrang, etwas Sanftes, Subtiles, das in ihr Bewußtsein zu kriechen schien, wie ein Wiegenlied ihrer Mutter in den lange zurückliegenden Jahren ihrer frühesten Kindheit. Sie hatte das Gefühl, verloren in Eis und Schnee herumzuirren, und der Schnee hüllte sie ein, und sie fiel, fiel in einem Gestöber von zehn Milliarden Flocken, und jede von ihnen hatte ein winziges, feuriges Herz. Dann fiel ihr ein, daß es gefährlich war, im Schnee zu schlafen, und daß sie sich sofort wachrütteln mußte, wenn sie nicht sterben wollte. Benita erwachte gerade zur rechten Zeit – doch nun wurde sie über den Rand eines Abgrunds getragen, von den Schwingen weißer Schwäne, und unter ihr breitete sich ein tiefes Dunkel, in dem sich schattenhafte Gestalten bewegten; diese trugen eine Lampe an der Stelle, wo ihr Herz hätte sein müssen. Oh, wie schwer ihre Augenlider waren! Es mußten Gewichte an ihnen hängen, Gewichte aus Gold. Ja, jetzt war es ihr gelungen, sie wieder zu öffnen, und sie sah. Ihr Vater hatte seine Bemühungen eingestellt und rieb sich die Stirn mit einem roten Taschentuch trocken, doch hinter ihm, die Arme nach ihr ausgestreckt, den Blick seiner schwarzen, glühenden Augen auf ihr Gesicht gerichtet, stand Jacob Meyer. Benita sprang auf und schüttelte den Kopf wie ein Hund. »Schluß mit dem Unfug!« sagte sie. »Er macht mich müde.« Sie ergriff eine der Lampen und lief davon. Benita hatte erwartet, daß Jacob Meyer wütend auf sie sein würde und bereitete sich innerlich auf eine
harte Auseinandersetzung vor. Doch es geschah nichts. Wenig später sah sie die beiden Männer auf sich zukommen, offensichtlich in eine freundschaftliche Unterhaltung vertieft. »Mr. Meyer sagt, daß ich kein Mesmerist bin, Benita«, sagte ihr Vater, »und das will ich ihm gerne glauben. Vor allem ist es ein sehr anstrengender Job. Ich bin so müde, wie nach unserer Flucht vor den Matabele.« Sie lachte und antwortete: »Wenn man von dem Resultat ausgeht, bin ich völlig deiner Ansicht. Das Okkulte liegt dir wirklich nicht, Vater.« »Haben Sie denn gar nichts gespürt?« fragte Meyer. »Überhaupt nichts«, antwortete sie und blickte ihm in die Augen. »Nein, das stimmt nicht ganz; ich fand es entsetzlich langweilig, und es tat mir leid, daß mein Vater sich lächerlich gemacht hat. Graue Haare und Unfug dieser Art passen einfach nicht zusammen.« »Nein«, antwortete er, »da bin ich vollkommen Ihrer Ansicht – nicht Unfug dieser Art.« Damit ließ er das Thema fallen. Während der folgenden Tage hörte Benita zu ihrer grenzenlosen Erleichterung nichts mehr vom Mesmerismus. Vor allem, weil es etwas anderes gab, das sie alle beschäftigte. Die Matabele waren es anscheinend leid geworden, auf der Landseite der Festung auf und ab zu marschieren und ihre Kriegslieder zu singen, und hatten sich entschlossen, anzugreifen. Von ihrem Aussichtspunkt auf dem Berggipfel konnten die drei ihre Vorbereitungen genau verfolgen. Schlanke, hohe Bäume wurden gefällt und herangeschleppt, um Sturmleitern herzustellen, außerdem trieben sich
zahlreiche Späher vor der Mauer herum, die nach Schwachstellen in der Verteidigung suchten. Als sie zu nahe kamen, feuerten die Makalanga auf sie und töteten einige von ihnen, worauf sich die anderen zu ihrem Lager zurückzogen, das sich in einer Bodensenke befand. Meyer fiel plötzlich ein, daß die Matabele dort zwar von den Kugeln der Makalanga sicher waren, von der Höhe des Gipfels jedoch bequem unter Feuer genommen werden konnten, und um seine Frustration einzudämmen, begann er auf sie zu schießen. Sein Gewehr war eine großkalibrige Martini, und er hatte sich einen ausreichenden Vorrat Munition zurechtgelegt. Außerdem war er ein ausgezeichneter Schütze, und sein Auge war so scharf wie das eines Habichts. Ein paar Versuchsschüsse halfen ihm, das Visier auf die richtige Entfernung einzustellen; die Entfernung betrug nicht ganz siebenhundert Yards, und dann begann er seine Operation. Er lag auf der Mauerkrone, den Gewehrlauf auf einen Stein gestützt, und wartete, bis der Mann, der die Herstellung der Leitern überwachte, frei stand. Dann zielte er sorgfältig und schoß. Der Mann, ein weißbärtiger Wilder, sprang in die Luft und fiel auf den Rücken; seine Kumpane starrten verblüfft umher und fragten sich, woher die Kugel gekommen sein konnte. »Hübsch, nicht wahr?« sagte Meyer zu Benita, die durch ein Fernglas zu den Matabele hinüberblickte. »Ja, hübsch«, sagte sie angewidert, »aber ich mag so etwas nicht sehen.« Sie gab das Glas ihrem Vater und stieg von der Mauer. Doch Meyer blieb oben, und immer wieder hörte sie das Krachen seiner Schüsse. Am Abend berichtete
er ihr, daß er sechs Männer getötet und zehn weitere verwundet hätte, und setzte hinzu, daß ihm das Schießen noch niemals so viel Spaß gemacht habe wie heute. »Was nützt es, wenn so viele Matabele dort draußen sind?« fragte sie. »Nicht viel«, gab er zu. »Aber es irritiert sie, und mich amüsiert es. Außerdem ist es Teil unseres Abkommens mit dem Molimo, daß wir den Makalanga helfen, wenn sie angegriffen werden.« »Ich glaube, es macht Ihnen Spaß, Menschen zu töten«, sagte sie. »Zumindest macht es mir nichts aus, Miß Clifford, besonders, weil sie versucht haben, Sie zu töten.«
18 Die andere Benita In unregelmäßigen Abständen, wenn er nichts zu tun hatte, ergab sich Jacob Meyer dem neuen Sport des Menschenschießens; Mr. Clifford schloß sich ihm gelegentlich an, doch mit weniger Erfolg. Sehr bald zeigte es sich, daß die akkuraten, tödlichen Schüsse die Matabele stark irritierten und ärgerten. Verlust von Leben als Abstraktum störte sie nicht, doch wenn keiner von ihnen wußte, wann er an der Reihe war, von diesen von der Höhe des Berges herabsausenden Kugeln getötet zu werden, bekam die Sache ein anderes Gesicht. Eine Verlegung des Lagers war nicht einfach durchzuführen, da sie es mit einer starken Boma umgeben hatten, als Schutz gegen etwaige nächtliche Überfälle der Makalanga, und außerdem konnten sie keine andere günstige Stelle finden. Das Ergebnis war, daß sie ihre Angriffsvorbereitungen beschleunigten und die Festung Bambatse zu stürmen versuchten, bevor sie genügend Leitern hergestellt hatten. In der Morgendämmerung des dritten Tages nach Mr. Cliffords Mesmerisierungsversuch wurde Benita von Schüssen und Schreien aus dem Schlaf gerissen. Sie zog sich hastig an, lief zur Mauer, kletterte auf ihre Krone und fand ihren Vater und Mr. Meyer dort bereits mit ihren Gewehren in Stellung. »Die Narren greifen das kleine Tor an, durch das Sie zu Ihrem Ausflug aufgebrochen sind, Miß Clifford«, sagte Meyer, »und das ist die ungünstigste
Stelle für einen Angriff. Wenn die Makalanga auch nur ein bißchen Mumm haben, werden sie den Burschen jetzt eine Lektion erteilen.« Dann ging die Sonne auf, und sie sahen zwei Gruppen der Matabele, die lange Leitern mit sich schleppten, durch den Frühnebel auf das Fort zustürmen. Die beiden Männer eröffneten das Feuer auf sie, konnten bei dem Nebel und dem unsicheren Licht jedoch nicht feststellen, ob die Schüsse trafen. Kurz darauf verkündeten laute, jubelnde Schreie, daß die Feinde den Graben überwunden hatten und ihre Leitern an der Mauer aufrichteten. Bis zu diesem Augenblick hatten die Makalanga sich nicht gerührt, doch jetzt prasselte Dauerfeuer von den Bastionen, welche zu beiden Seiten des Tors lagen, das das Impi zu stürmen versuchte, und bald sahen sie mehrere Dutzend Matabele, die sich verwundet zum Lager zurückschleppten, und von diesen schoß Jacob Meyer, da das Licht jetzt besser war, fast die Hälfte nieder. Das alte Fort hallte wider von Kriegslärm. Das immer wieder aufbrandende Kriegsgeschrei der Matabele verriet, daß sie immer wieder versuchten, über ihre Leitern die Mauer zu erstürmen, und jedesmal von dem massierten Gewehrfeuer zurückgeschlagen wurden. Doch dann verkündete triumphierendes Geschrei daß ihr letzter Ansturm erfolgreich war. Das Feuer ließ nach, und Benita spürte, daß ihr das Blut aus den Wangen wich. »Diese Feiglinge von Makalanga fliehen«, murmelte Mr. Clifford verstört. Doch wenn dem so war, so fanden sie ihren Mut bald darauf wieder. Die Schüsse krachten schneller
hintereinander als zuvor, und das wilde Kriegsgeschrei der Matabele »Tötet! Tötet! Tötet!« wurde leiser und verebbte. Fünf Minuten später befand sich das Impi in voller Flucht, und die Krieger schleppten zahlreiche Tote und Verwundete auf ihren Rücken und auf den Leitern mit zurück. »Unsere Makalanga-Freunde sollten uns für die hundert Gewehre auf den Knien danken«, sagte Jacob, während er immer wieder lud und auf die zurückflutenden Matabele feuerte. »Ohne die Gewehre hätte man ihnen längst die Hälse durchgeschnitten«, setzte er hinzu, »mit ihren Speeren wäre es ihnen niemals gelungen, die Wilden aufzuhalten.« »Ja, und uns hätte man sie auch durchgeschnitten«, sagte Benita erschaudernd, denn der Anblick der blutigen Schlacht und die Ungewißheit über den Ausgang dieser Belagerung machten sie krank vor Angst. »Gott sei Dank, es ist vorbei! Vielleicht geben sie jetzt auf und ziehen ab.« Aber ungeachtet der blutigen Niederlage dachten die Matabele nicht daran, da sie mehr Angst davor hatten, als Besiegte zu ihrem König nach Buluwayo zurückzukehren, als sich noch einmal dem tödlichen Gewehrfeuer der Verteidiger zu stellen. Sie schlugen ein mit Ried und Gebüsch bestandenes Areal am Flußufer frei und verlegten ihr Lager dorthin, wo es nicht mehr von den beiden weißen Männern auf dem Berggipfel eingesehen und unter Feuer genommen werden konnte. Hierher zogen sie sich zurück und hofften, die Festung entweder auszuhungern oder eine andere Möglichkeit zu finden, in sie einzudringen. Nachdem Meyer dadurch die Ziele für seine Schießübungen genommen waren – die Matabele wa-
ren jetzt sehr vorsichtig geworden und keiner von ihnen zeigte sich in Sicht- und Schußweite – konnte er wieder seine ganze Aufmerksamkeit der Schatzsuche zuwenden. Nachdem die Suche in der Höhle trotz aller Mühe erfolglos geblieben war, nahm er jetzt das Gelände außerhalb der Höhle in Angriff, das mit Bäumen, Gras und Büschen bewachsen und von einigen Dutzend Ruinen und Mauerresten übersät war. Sie begannen etwas planlos in den größeren dieser Ruinen zu graben, und ihre Mühe wurde auch belohnt, da sie wieder auf alte Gräber stießen und bei den Skeletten kleinere Goldmengen in Gestalt von Armreifen, Ketten und anderen Schmuckstücken fanden. Doch von dem Schatz der Portugiesen fanden sie keine Spur. So kam es, daß sich ihre Stimmung von Tag zu Tag mehr verdüsterte, bis sie zuletzt kaum noch miteinander sprachen. Jacob Meyer war seine tiefe Enttäuschung vom Gesicht abzulesen, und Benita wurde von einer immer stärker werdenden Verzweiflung gepackt, da eine Flucht vor ihrem Gefängniswärter hier oben und den Matabele vor den Mauern unmöglich schien. Außerdem hatte sie noch einen anderen Grund zur Sorge. Ihr Vater hatte seit geraumer Zeit gekränkelt, doch jetzt schienen seine Kräfte immer rascher und immer stärker zu verfallen. Er war innerhalb kurzer Zeit zu einem sehr alten Mann geworden. Seine Kraft und Energie waren dahin, und seine Gedanken beschäftigten sich ständig mit seiner Schuld, Benita an diesen schrecklichen Ort gebracht zu haben, und mit dem grausamen Schicksal, das sie hier erwarten mochte, so daß er an nichts anderes mehr denken konnte.
Vergeblich versuchte sie, ihm sein Schuld- und Reuegefühl auszureden; er rang nur die Hände, stöhnte und betete, daß Gott und sie ihm seine Sünde vergeben mochten. Und jetzt zeigte sich auch Meyers Herrschaft über ihn immer deutlicher. Mr. Clifford flehte den Mann fast unter Tränen an, sie zu den Makalanga hinuntergehen zu lassen. Er versuchte ihn sogar mit seinem Anteil an dem Schatz zu bestechen und bot ihm für den Fall, daß er nicht gefunden werden sollte, seine Hälfte der Farm in Transvaal an. Aber Jacob wies ihn mit rüden Worten zurück und erklärte ihm, daß sie dieses Unternehmen zusammen angefangen hätten und es nun auch gemeinsam durchstehen müßten. Dann ging er fort, hockte sich auf einen Stein und brütete eine Weile vor sich hin, wie er es jetzt immer häufiger tat, und Benita bemerkte, daß er dazu stets sein Gewehr oder einen Revolver mitnahm. Anscheinend fürchtete er, daß ihr Vater das Gesetz in die eigenen Hände nehmen und sich durch eine Kugel von ihm befreien könnte. Ein Trost aber war ihr geblieben: wenn der Jude sie auch ständig beobachtete, versuchte er doch nie, sie auf irgendeine Weise zu belästigen, nicht einmal mehr mit seinen geheimnisvollen amourösen Andeutungen. Sie begann schließlich zu hoffen, daß sich diese Anwandlung gelegt oder er seine Annäherungsversuche als hoffnungslos aufgegeben hatte. Eine Woche war seit dem Angriff der Matabele vergangen, und nichts geschah. Die Makalanga kümmerten sich nicht um die Belagerer, die ihr Lager am Ufer des Sambesi nicht verließen, und der Molimo hatte niemals versucht, über die blockierte Treppe zu ihnen heraufzusteigen oder sich auf andere Weise mit
ihnen in Verbindung zu setzen, und das war in Anbetracht der großen Zuneigung, die er für Benita empfand, so ungewöhnlich und seltsam, daß sie zu dem Schluß kam, er müsse tot sein; vielleicht war er bei dem Angriff gefallen. Selbst Meyer hatte jetzt aufgehört zu graben; er saß den ganzen Tag nur herum und brütete vor sich hin. Das Abendessen dieses Tages war eine triste Angelegenheit. Einmal, weil ihre Vorräte zur Neige gingen, und zweitens, weil niemand auch nur ein Wort sprach. Benita brachte keinen Bissen hinunter; sie konnte das harte, sonnengetrocknete TreckOchsenfleisch nicht mehr sehen, und das war alles, was sie zu essen hatten, seit Meyer die Treppe an der Mauer blockiert hatte. Glücklicherweise hatten sie aber reichlich Kaffee, und davon trank sie zwei Tassen, die Jacob ihr höflich reichte. Er schmeckte ungewöhnlich bitter, fand sie, aber das mochte daher kommen, daß sie weder Milch noch Zucker hatten. Als sie gegessen hatten, verbeugte Meyer sich vor ihr und murmelte, daß er jetzt zu Bett gehen würde, und ein paar Minuten später folgte Mr. Clifford seinem Beispiel. Benita begleitete ihren Vater bis zur Hütte, half ihm, seine Jacke auszuziehen, was ihm bereits sehr schwer zu fallen schien, wünschte ihm eine gute Nacht und ging zum Feuer zurück. Es war unheimlich still, kein Laut kam von den Matabele oder den Makalanga, und das helle Mondlicht schien Büsche und Ruinen mit phantastischen Schatten zu bevölkern, die wie lebende Wesen wirkten. Benita weinte ein wenig, da ihr Vater sie jetzt nicht sehen konnte, und verkroch sich dann in ihr Bett. Anscheinend war das Ende nahe, wie immer es
aussehen mochte, und sie konnte es nicht ertragen, daran zu denken. Außerdem waren ihre Lider schwer wie Blei und sie war so todmüde, daß sie in Schlaf fiel, bevor sie ihr Gebet zu Ende gesprochen hatte. Wenn sie wach gelegen hätte, wie es in diesen schicksalhaften Tagen oft der Fall gewesen war, hätte sie gesehen, daß gegen Mitternacht eine Gestalt mit lautlosen Schritten in ihr Zelt geschlichen kam, und hätte im Licht des Mondes, der durch den offenen Zelteingang hereinfiel, die Gestalt eines Mannes erkannt, dessen glühende Augen sie anstarrten, und der sich über sie beugte und mit ausgestreckten Armen über ihrem Gesicht mysteriöse Gesten vollführte. In ihrem Drogen-Schlaf spürte sie nicht, daß sie allmählich in eine magische Trance hinüberglitt. Sie wußte nicht, daß sie aufstand, ihren dicken Mantel überwarf, ihre Lampe anzündete und dem winkenden Finger gehorchend aus dem Zelt trat. Sie hörte nicht, daß ihr Vater aus seiner Hütte stolperte, aufgestört vom Geräusch ihrer Schritte, und auch nicht die Worte, die zwischen ihm und Jacob Meyer gewechselt wurden, während sie, mit der Lampe in der Hand, wie ein kraftloses Gespenst neben ihnen stand. »Wenn Sie es wagen, sie aufzuwecken«, zischte Jacob, »wird sie sterben, und danach werden Sie sterben.« Er griff an den Revolver in seinem Gürtel. »Es wird ihr nichts geschehen, das schwöre ich. Kommen Sie mit und sehen Sie zu. Leise, Mann, leise! Unser aller Zukunft hängt von dieser Sache ab.« Willenlos gegenüber dem Befehlston seiner Stimme und dem harten Glanz seiner Augen nickte Clifford und folgte ihnen. Sie traten durch den gewundenen Zugang der
Höhle, als erster Jacob, der rückwärts ging, wie der Herold einer Majestät, dann die Majestät selbst in der Gestalt einer blonden, leichenblassen Frau, die in einen langen Mantel gekleidet war und eine Lampe in der Hand trug, und als letzter der alte, weißbärtige Mann, wie die Zeit, die der Schönheit zum Grab folgt. Jetzt waren sie in der riesigen Höhle, gingen an den offenen Gräbern, dem Brunnen und dem Altar vorbei und standen schließlich vor dem großen Kruzifix. »Setzen Sie sich!« sagte Meyer, und die in tiefer Trance befindliche Benita setzte sich auf die Stufen zu Füßen des Kreuzes, stellte die Lampe vor sich auf den Felsen und neigte den Kopf, so daß ihr langes Haar auf ihre nackten Füße fiel. Meyer hielt seine Hände eine Weile über ihren gesenkten Kopf. »Schlafen Sie?« fragte er dann. »Ich schlafe«, sagte sie mit leiser, unnatürlich klingender Stimme. »Ist Ihr Geist wach?« »Er ist wach.« »Befehlen Sie ihm, durch die Zeiten zurückzugehen und sagen Sie mir, was Sie dort sehen!« »Ich sehe eine Höhle, in der wilde, nackte Menschen hausen. Ein alter Mann stirbt dort drüben« – sie deutete nach rechts –, »und eine Frau mit einem Kind an der Brust kümmert sich um ihn. Ein Mann – es ist ihr Ehemann – tritt herein. Er hält eine Fackel in einer Hand, und mit der anderen zerrt er einen Bock herein, den er erlegt hat.« »Schluß«, befahl Meyer. »Wie lange ist das her?« »Dreiunddreißigtausendzweihundertunddrei Jahre«, kam die Antwort ohne Zögern. »Gehen Sie weiter, gehen Sie dreißigtausend Jahre
voran und sagen Sie mir, was Sie sehen!« Sie schwieg. »Warum sagen Sie nichts?« fragte er. »Geduld; ich muß diese dreißigtausend Jahre durchleben, durch viele Leben in vielen Epochen, und keins darf ich auslassen.« Wieder herrschte eine Weile Stille, bis sie endlich sprach. »Sie sind vergangen, dreißigtausend Jahre sind vergangen, und in der Zeit vor dreitausend Jahren sehe ich, daß diese Höhle sehr verändert ist. Ihre Wände sind geglättet, der Boden geebnet, und sie ist voller Menschen in langen Gewändern, die von Spangen zusammengehalten werden. Hinter mir steht die weiße Statue einer Göttin mit einem ruhigen, grausamen Gesicht, vor dem Altar brennt ein Feuer, und auf dem Altar opfert ein Priester ein kleines Kind, das laut schreit.« »Weiter! Weiter!« sagte Meyer drängend, als ob der Schrecken der geschilderten Szene ihn entsetzte. »Gehen Sie zweitausendsiebenhundert Jahre weiter und sagen Sie mir, was Sie sehen!« Wieder entstand eine Pause, während der Geist, den er in Benitas Körper wachgerufen hatte, diese lange Zeitspanne durchlebte. Dann kam die Antwort, langsam und zögernd. »Nichts; nichts; die Höhle ist dunkel und leer. Nur die Toten schlafen unter ihrem Boden.« »Warten Sie, bis Sie wieder Leben sehen«, befahl er, »und dann sprechen Sie weiter!« »Jetzt sind wieder Menschen da«, sagte sie kurz darauf, »Mönche in langen braunen Kutten und mit Tonsuren. Einer von ihnen stellt das Kruzifix her, die
anderen knien vor dem Altar. Sie kommen und gehen. Von wem soll ich Ihnen erzählen?« »Erzählen Sie mir von den Portugiesen, die hierhergeflohen und gestorben sind.« »Ich sehe sie«, antwortete Benita nach einer kurzen Pause. »Zweihundertdrei Leute – Männer, Frauen und ein paar Kinder. Sie sind erschöpft und hungrig, und ihre Kleider sind zerrissen. Unter ihnen ist ein sehr schönes, junges Mädchen. Sie kommt auf mich zu, tritt in mich ein. Sie müssen jetzt fragen«, setzte sie fast unhörbar hinzu, »ich bin nicht mehr ...« »Sprechen Sie!« befahl er, doch die zusammengesunkene Gestalt schüttelte den Kopf. »Sprechen Sie!« befahl er noch einmal, worauf eine andere Stimme, nicht die Benitas, ihm in einer anderen Sprache antwortete. »Ich höre, aber ich verstehe Ihre Sprache nicht.« »Großer Gott!« sagte Meyer. »Es ist Portugiesisch.« Und für eine Weile schien er völlig verwirrt, denn er wußte, daß Benita diese Sprache nicht beherrschte. Er aber kannte sie, da er einige Zeit in Lorenco Marquez gelebt hatte. »Wer sind Sie?« fragte er auf portugiesisch. »Benita da Ferreira, die Tochter von Kapitän da Ferreira und seiner Frau, der Lady Christina, die jetzt neben Ihnen steht. Blicken Sie nach rechts, dann sehen Sie sie.« Jacob blickte unsicher umher. »Was hat sie gesagt? Ich habe nicht alles verstanden?« fragte Mr. Clifford. Meyer sagte es ihm. »Aber das ist Schwarze Magie«, rief der alte Mann. »Benita kann nicht ein Wort Portugiesisch, wie kann
sie es dann sprechen?« »Weil sie nicht länger unsere Benita ist, sondern eine andere Benita, Benita da Ferreira. Der Molimo hatte recht, als er sagte, daß der Geist dieser toten Frau in ihr wohnt, so wie auch ihr Name auf sie übergegangen ist«, setzte er hinzu. »Hören Sie auf damit!« sagte Clifford. »Die Sache ist mir zu unheimlich. Wecken Sie sie auf, sonst werde ich es tun!« »Und ihr den Tod bringen. Wenn Sie sie jetzt berühren oder stören, wird sie auf der Stelle sterben.« Und er deutete auf Benita, die reglos und bleich vor ihnen kauerte, als ob sie bereits tot wäre. »Seien Sie still!« fuhr er fort. »Ich schwöre Ihnen, daß ihr nichts geschehen wird, und daß ich Ihnen jedes Wort, das sie spricht, übersetzen werde. Versprechen Sie mir, daß Sie still sein werden, oder ich sage Ihnen nichts, und das Blut Ihrer Tochter kommt auf Ihr Haupt.« Mr. Clifford stöhnte und sagte: »Ich verspreche es.« »Erzählen Sie mir Ihre Geschichte, Benita da Ferreira«, wandte Jacob Meyer sich wieder an die Frau. »Wie sind Sie und die anderen Leute hierhergekommen?« »Die Stämme der Monomotapa haben sich gegen unsere Herrschaft erhoben und viele von uns getötet. Ja, auch meinen Bruder, und den, dem ich anverlobt war. Wir Überlebenden sind zu dieser alten Feste geflohen, in der Hoffnung, auf dem Sambesi zur Küste entkommen zu können. Der Mambo, unser Vasall, gab uns hier Asyl, aber die Stämme belagerten uns mit vielen tausend Kriegern und verbrannten alle Boote, so daß wir nicht auf dem Fluß entfliehen konnten. Immer wieder griffen die Wilden an, und
immer wieder schlugen wir sie zurück, bis ihre Toten den Graben füllten und sie keine weiteren Angriffe mehr wagten. Dann begannen wir zu hungern, und sie stürmten die erste Mauer. Wir hungerten weiter, und sie überwanden auch die zweite Mauer. Doch die dritte Mauer konnten sie nicht erklimmen. Also starben wir vor Hunger. Einer nach dem anderen legte sich auf den Boden der Höhle, um nie wieder aufzustehen, bis zuletzt nur noch ich übrig geblieben war, denn solange noch etwas zu essen da war, gaben die Leute es mir, da ich die Tochter ihres Kapitäns war. Ja, und dann kniete ich allein vor diesem Kruzifix neben den Leichen meines Vaters und meiner Mutter und erflehte vom Sohn der Heiligen Jungfrau die Gnade des Todes, der nicht kommen wollte. Und als ich hier kniete, verlor ich die Sinne. Als ich wieder zu mir kam, standen der Mambo und seine Männer um mich herum, denn jetzt, nachdem die Wilden wußten, daß alle tot sein mußten, waren sie wieder abgezogen, und der Mambo und seine Männer, die sich bis dahin auf der anderen Seite des Flusses versteckt gehalten hatten, waren zurückgekommen, und sie wußten, wie man die dritte Mauer bezwingen kann. Sie trugen mich von den Toten fort, sie gaben mir zu essen, und meine Kraft kehrte zurück; doch während der Nacht entfloh ich ihnen, die ich den sündigen Vorsatz gefaßt hatte, nicht weiterleben zu wollen, kletterte auf den Pfeiler aus schwarzem Fels, und als die Sonne aufging, sahen sie mich dort oben stehen. Sie flehten mich an, herabzukommen und schworen mir, mich zu beschützen, doch ich sagte: ›Nein‹, denn ich wollte nur sterben, damit ich wieder mit meinem
Vater und meiner Mutter und meinem Bruder zusammensein würde, und mit dem, der mir teurer war als alle anderen. Sie fragten mich, wo wir unseren großen Schatz verborgen hätten.« Bei diesen Worten zuckte Jacob Meyer zusammen, und übersetzte sie hastig, während Benita schwieg, als ob sie spürte, daß die Macht seines Willens momentan gewichen war. »Sprechen Sie weiter!« sagte er dann, und aus dem Mund Benitas kamen wieder Worte, gesprochen von einer fremden, klangvollen Stimme und einer fremden Sprache, die Benita nicht kannte. »Ich antwortete, daß er sei wo er sei, und daß sie, wenn sie ihn irgendeinem Menschen, außer dem dafür Bestimmten, ausliefern würden, das Schicksal, das mein Volk befallen hatte, auch das ihre befallen würde. Ja, ich habe den Schatz in ihre Obhut gegeben, bis ich eines Tages wiederkehren würde, da mein Vater mir mit seinem letzten Atemzug befohlen hatte, sein Versteck niemandem zu verraten, und ich glaubte, daß ich, die ich nun zu sterben bereit war, niemals zurückkommen würde. Dann verrichtete ich mein letztes Gebet, küßte das goldene Kruzifix, das jetzt auf der Brust derer liegt, in der ich wohne« – und die Hand der lebenden Benita wurde gehoben und zog das Symbol ihres Glaubens mit einer langsamen Bewegung unter dem Mantel hervor, hielt es für einen Moment ins Lampenlicht und ließ es wieder an seinen Platz zurückfallen. »Dann preßte ich beide Hände vor meine Augen und stürzte mich von der hohen Säule in die Fluten des Flusses.« Die Stimme schwieg, doch von Benitas Lippen kam
ein entsetzlicher Laut, wie er von einem Menschen ausgestoßen werden mag, dessen Knochen auf Felsen zerschmettert werden, gefolgt von anderen, wie von einem, der im Wasser ertrinkt. Sie klangen so entsetzlich, daß Mr. Clifford beinahe in Ohnmacht sank, und selbst Jacob Meyer so blaß wurde wie das bleiche Gesicht Benitas. »Wecken Sie sie auf! Um Gottes willen, wecken Sie sie auf!« sagte ihr Vater. »Sie stirbt! Sie stirbt wie die andere Frau vor zweihundert Jahren!« »Nicht bevor sie uns gesagt hat, wo das Gold ist. Seien Sie still, Sie alter Narr! Sie fühlt nichts und sie leidet nicht. Es ist nur der Geist der anderen, der in ihr ist, der die Vergangenheit noch einmal erlebt.« Wieder herrschte Stille. Es schien, als ob die Geschichte zu Ende erzählt worden sei und der Erzähler gegangen wäre. »Benita da Ferreira«, sagte Meyer schließlich. »Ich befehle Ihnen, mir zu sagen: Sind Sie tot?« »Oh! Ich wünschte, ich wäre tot, so wie mein Körper tot ist!« sagten die Lippen Benitas. »Aber ich kann nicht sterben. Ich muß dieses Fegefeuer erleiden und allein weiterleben, bis zu dem vom Schicksal vorbestimmten Tag. Ja, ja, der Geist von ihr, die Benita da Ferreira war, muß an diesem Ort umgehen. Das ist ihr Fluch, Wächterin dieses Schatzes zu sein, der der Erde durch Grausamkeit entrissen und mit den Leben von Menschen bezahlt wurde.« »Ist er noch immer sicher an seinem Ort?« flüsterte Meyer. »Ich werde nachsehen.« Und nach einer kleinen Pause: »Ich habe nachgesehen. Er ist dort, vollständig bis zum letzten Goldkorn, in Beuteln aus Ochsenhaut,
und nur einer von ihnen ist zu Boden gefallen und aufgeplatzt. Er ist der Beutel, der schwarz und rot gefärbt ist.« »Wo ist der Schatz?« sagte Jacob Meyer begierig. »Das darf ich Ihnen nicht sagen. Niemals. Niemals!« »Gibt es jemanden, dem Sie es sagen dürfen?« »Ja.« »Wem?« »Ihr, in deren Brust ich lebe.« »Sagen Sie es ihr!« »Ich habe es ihr gesagt. Sie weiß es.« »Und darf sie es mir sagen?« »Sie kann das Geheimnis bewahren oder auch nicht, wie sie es für richtig hält. Oh! Meine Beschützer, ich danke euch. Meine Last ist von mir genommen, meine Sünde des Selbstmordes ist gesühnt.« »Benita da Ferreira, sind Sie gegangen?« Keine Antwort. »Benita Clifford, hören Sie mich?« »Ja, ich höre Sie«, antwortete die Stimme Benitas, und sie sprach Englisch, obwohl Jacob Meyer sie irrtümlich auf portugiesisch angesprochen hatte. »Wo ist das Gold?« »In meinem Gewahrsam.« »Sagen Sie es mir! Ich befehle es Ihnen!« Doch sie gab keine Antwort. Er fragte sie immer wieder, und sie sprach kein Wort mehr, bis ihr schließlich der Kopf auf die Knie sank, und sie kaum hörbar murmelte: »Erlösen Sie mich, oder ich sterbe ...«
19 Das Erwachen Jacob Meyer zögerte noch immer. Das große Geheimnis war nicht preisgegeben worden, und, wenn er diese Gelegenheit vorbeigehen lassen würde, konnte es auf ewig verborgen bleiben. Doch wenn er auch zögerte, Mr. Clifford zögerte nicht. Das Wissen um die Gefahr, in der sein Kind schwebte, das Gefühl, daß ihr Leben unter dem Druck des unheimlichen Banns, in dem sie gefangen war, auf eine geheimnisvolle Weise versickerte, versetzte ihn in eine wilde Wut. Seine Kraft und Männlichkeit kehrten zu ihm zurück. Er sprang Meyer an die Kehle, umklammerte sie mit einer Hand, und riß mit der anderen das Messer aus seinem Gürte. »Sie Teufel!« keuchte er. »Wecken Sie sie auf, oder Sie gehen mit ihr in den Tod!« Jetzt gab Jacob nach. Er schüttelte seinen Angreifer ab und trat zu Benita, und während ihr Vater mit erhobenem Messer hinter ihm stand, beschrieben seine Hände seltsame Gesten über ihrem Kopf, und er murmelte leise Befehle. Eine ganze Weile zeigten sie keinerlei Wirkung, und die beiden Männer waren fast sicher, daß sie verloren war. Verzweiflung packte ihren Vater, und Meyer verstärkte seine Bemühungen in schwarzer Kunst, bis Schweiß auf seiner Stirn perlte und ihm in großen Tropfen übers Gesicht lief. Oh, endlich regte sie sich! Sie hob den Kopf ein wenig, und ihre Brust hob sich in einem tiefen Atemzug. »Gott im Himmel, ich habe sie gerettet!« murmelte
Jacob auf deutsch. Jetzt öffneten sich Benitas Augen, und dann stand sie auf und seufzte. Doch sie sagte kein Wort. Wie eine Schlafwandlerin ging sie zum Ausgang der Höhle, und ihr Vater lief ihr voraus, um ihr mit der Lampe zu leuchten. Ohne sich umzublicken, ohne ein Wort trat sie ins Freie und ging weiter zu ihrem Zelt, wo sie sich sofort aufs Bett warf und im selben Moment auch schon in tiefen Schlaf fiel. Es war, als ob die Wirkung des Schlafmittels, das Jacob ihr in den Kaffee gemischt hatte, und die für eine Weile von einer noch stärkeren Droge Jacobs ausgeschaltet worden war, jetzt wieder eingesetzt hätte. Meyer blickte eine Weile auf sie hinab, dann sagte er zu Mr. Clifford: »Machen Sie sich keine Sorgen, und stören Sie sie nicht. Sie wird morgen früh aufwachen, als wenn sie normal geschlafen hätte.« »Das hoffe ich um unser beider willen«, antwortete er und starrte ihn an. »Denn wenn nicht, wird einer von uns, oder beide, morgen tot sein.« Meyer überhörte die Drohung. Er schien so erschöpft, daß er sich kaum aufrecht halten konnte. »Ich bin völlig fertig«, sagte er. »Ich muß mich ausruhen.« Und er taumelte aus dem Zelt wie ein Betrunkener. Mr. Clifford, der ihm nachblickte, sah, wie er zur Feuerstelle ging, die Ginflasche ergriff und einen langen Zug daraus nahm. Dann taumelte er weiter, zu seinem Schlafplatz auf der Mauerkrone. Die ganze Nacht hindurch bis einige Zeit nach Sonnenaufgang saß Mr. Clifford am Bett seiner Tochter, obwohl ihm, leichtbekleidet, wie er war, die Morgenkühle bis in die Knochen drang. Schließlich,
als die Sonne bereits hoch stand, richtete Benita sich auf und öffnete die Augen. »Was machst du denn hier, Vater?« fragte sie. »Ich wollte nur sehen, wo du so lange bleibst, Liebes. Sonst bist du um diese Zeit längst auf.« »Ich muß verschlafen haben«, antwortete sie gähnend. »Aber das scheint auch nichts genützt zu haben. Ich fühle mich völlig zerschlagen, und der Kopf tut mir weh. Oh! Ich erinnere mich«, rief sie dann. »Ich hatte einen entsetzlichen Traum.« »Was hast du geträumt?« fragte er so gleichgültig, wie es ihm möglich war. »Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber es hatte irgendwie mit Mr. Meyer zu tun«, und sie erschauderte. »Ich hatte das Gefühl, seiner Macht unterworfen zu sein, als ob er meinen Körper und meine Seele in seinen Besitz gebracht hätte, und mich zwang, ihm alle Geheimnisse zu offenbaren.« »Was für Geheimnisse, Benita?« »Das weiß ich nicht mehr, doch wir gingen hinüber zu den Toten, und dort habe ich sie ihm verraten. Oh! Vater, ich habe Angst vor diesem Mann, entsetzliche Angst! Beschütze mich vor ihm!« Und sie begann zu weinen. »Natürlich werde ich dich vor ihm beschützen, Liebes. Irgend etwas muß dich aufgeregt haben. Komm, zieh dich an und geh in die Sonne, dann wirst du es bald vergessen haben. Ich mache gleich Feuer.« Eine Viertelstunde später trat Benita zu ihm. Sie sah blaß und verstört aus, war aber sonst wie immer. Sie hatte einen gesunden Appetit und aß eine ordentliche Portion Hartzwieback und sonnengetrocknetes Fleisch.
»Der Kaffee schmeckt anders als gestern abend«, stellte sie fest. »Ich glaube, es ist irgend etwas darin gewesen, was mir diesen schrecklichen Traum beschert hat. Wo ist Mr. Meyer? Oh, ich weiß!« Sie preßte wieder ihre Hand an die Stirn. »Er schläft noch immer auf der Mauerkrone.« »Wer hat dir das gesagt?« »Das kann ich nicht sagen, aber es ist so. Er wird nicht vor ein Uhr herkommen. So, jetzt fühle ich mich schon viel besser. Was wollen wir tun, Vater?« »In der Sonne sitzen und uns ausruhen, denke ich.« »Ja, das wollen wir tun, oben auf der Mauer. Von dort aus können wir die Makalanga sehen, und es ist schön zu wissen, daß es noch weitere Menschen auf der Erde gibt als uns beide und Mr. Meyer.« Also stiegen sie auf die Mauerkrone, setzten sich auf den Platz, von dem aus Jacob Meyer das Lager der Matabele beschossen hatte, und blickten auf den unteren Bezirk hinab, zwischen der ersten und zweiten Mauer, wo die Makalanga ihren gewohnten Beschäftigungen nachgingen. Durch den Feldstecher erkannte Benita sogar Tamas, obwohl sie dessen nicht sicher war. Trotzdem erregte sie ihre Entdeckung. »Ich bin sicher, daß es Tamas ist«, sagte sie. »Oh, wie sehr ich mir wünsche, daß wir jetzt dort unten bei ihm wären, auch wenn wir dann den Matabele näher sein würden. Sie sind jedenfalls besser als Mr. Meyer, viel besser.« Eine Weile schwiegen sie, dann sagte sie plötzlich: »Vater, du verbirgst etwas vor mir, und bei mir kommen jetzt einige Erinnerungen zurück. Sag mir, bin ich gestern abend mit Mr. Meyer irgendwohin gegangen – du und er und ich zusammen?«
Er zögerte und blickte schuldbewußt auf seine Hände. Mr. Clifford war noch nie ein guter Schauspieler gewesen. »Ich erinnere mich, daß wir es getan haben; ich bin sicher, daß wir es getan haben. Sag es mir, Vater. Ich muß es wissen.« Er gab nach. »Ich wollte es vor dir verheimlichen, Benita, doch vielleicht ist es besser so. Es ist eine sehr seltsame Geschichte. Versprichst du mir, dich nicht aufzuregen?« »Ich verspreche dir, nicht mehr aufgeregt zu sein, als ich es jetzt bin«, antwortete sie mit einem kleinen, traurigen Lachen. »Erzähle!« »Du erinnerst dich, daß Jacob Meyer dich mesmerisieren wollte, nicht wahr?« »Das werde ich niemals vergessen.« »Nun, gestern abend hat er dich mesmerisiert.« »Was?« rief sie entsetzt. »Was? Oh! Wie schrecklich! Jetzt verstehe ich alles. Aber wann?« »Als du fest eingeschlafen warst, vermute ich. Ich habe nur etwas davon gemerkt, weil ich durch ein Geräusch aufgeweckt wurde, und als ich aus meiner Hütte kam, sah ich dich, wie du ihm wie eine Schlafwandlerin folgtest.« Dann berichtete er ihr alles, was geschehen war, und sie hörte mit wachsendem Entsetzen zu. »Wie konnte er es wagen!« rief sie, als ihr Vater seinen langen Bericht beendet hatte. »Ich hasse ihn! Ich wünschte fast, du hättest ihn getötet.« Und sie ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten und schüttelte sie. »Das ist aber nicht sehr christlich von Ihnen, Miß Clifford«, sagte eine Stimme. »Aber es ist ein Uhr
vorbei und da ich noch immer lebe, bin ich gekommen, um Ihnen zu sagen, daß Essenszeit ist.« Benita fuhr herum und starrte hinab. Am Fuß der Mauer, hinter ein paar Büschen, stand Jacob Meyer. Ihre Blicke trafen sich; der ihre war voller Trotz, der seine voll Machtbewußtsein. »Ich habe keinen Hunger, Mr. Meyer«, sagte sie. »Ich bin sicher, daß Sie Hunger haben. Bitte kommen Sie herunter zum Essen. Bitte.« Er hatte leise und bescheiden gesprochen, fast bittend, doch in Benitas Ohren klangen seine Worte wie ein Befehl. Sie stieg langsam von der Mauer herab, gefolgt von ihrem Vater, und dann gingen sie zu dritt, ohne ein Wort miteinander zu reden, zur Feuerstelle. Als sie gegessen hatten – oder so getan hatten, als ob sie äßen –, sagte Meyer: »Ich sehe, daß Ihr Vater Ihnen alles erzählt hat, Miß Clifford, und ich bin froh darüber. Für mich wäre das eine sehr schwierige und peinliche Angelegenheit gewesen, da ich Sie für vieles um Vergebung bitten muß. Aber was konnte ich tun? Ich wußte, so wie ich es immer gewußt habe, daß wir den Schatz nur mit Ihrer Hilfe finden können. Also habe ich Ihnen etwas in den Kaffee getan, um Sie in Schlaf zu versetzen, und Sie im Schlaf hypnotisiert, und ... der Rest ist Ihnen ja bekannt. Ich besitze einige Erfahrungen in dieser Kunst, aber noch nie habe ich etwas ähnliches wie gestern abend erlebt, und ich hoffe, es nicht noch einmal zu erleben.« Bis dahin hatte Benita schweigend zugehört, doch jetzt wurden Empörung und Neugier stärker als Scham und Haß. »Mr. Meyer«, sagte sie, »Sie haben schamlos und
niederträchtig gehandelt, und ich werde Ihnen das niemals vergeben.« »Bitte, sagen Sie das nicht. Bitte sagen Sie das nicht«, unterbrach er in einem Tonfall echter Bestürzung. »Ich mußte es wissen, und es gab keinen anderen Weg. Sie sind eine geborene Hellseherin, eine Begnadete unter Zehntausenden, das habe ich von Anfang an gewußt, und Ihnen war klar, was auf dem Spiel steht.« »Damit meinen Sie soundsoviel Unzen Gold, nicht wahr?« »Damit meine ich die Größe, die Gold einem geben kann, Miß Clifford.« »Solche Größe, Mr. Meyer, die Ihnen ein Fieber, oder ein Matabele-Speer, oder Gottes Wille jederzeit rauben kann. Aber geschehen ist geschehen, und früher oder später werden Sie für diese Sünde bezahlen müssen. Jetzt möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Sie glauben an nichts, wie Sie mir mehr als einmal erklärt haben. Sie sagen, daß es keine Geister gibt, und wenn wir sterben, sterben wir, und das ist das Ende. Stimmt das nicht?« »Ja, das stimmt.« »Dann erklären Sie mir bitte, was es war, das gestern abend aus meinem Mund gesprochen hat, und wie es möglich war, daß ich, die kein Wort Portugiesisch kann, in dieser Sprache gesprochen habe.« Er zuckte die Achseln. »Das ist eine schwierige Frage, doch ich glaube, daß ich sie beantworten kann. Es gibt keine Geister, keine Identität, die den Tod eines Menschen überlebt. Doch es gibt so etwas wie ein unbewußtes Ich, das Teil vom Lebensprinzip des Universums ist, und,
wenn es jemandem gelingt, sein Wissen zu entsiegeln, weiß er alles, was im ganzen Universum geschehen ist und noch geschehen wird. Eines Tages werden Sie vielleicht die Werke meines Landsmannes Hegel lesen, in ihnen wird dieses Prinzip behandelt.« »Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Benita kühl. »Ich komme gerade darauf, Miß Clifford. Gestern abend habe ich Ihr unbewußtes Ich – den Teil Ihrer Persönlichkeit, der alles weiß – befreit, so daß es sehen konnte, was in vergangenen Zeiten an diesem Ort geschah. Sie kannten bereits die Geschichte des toten Mädchens, Benita da Ferreira, und diese Geschichte haben Sie nachvollzogen, haben in der Sprache gesprochen, die sie benutzte, so wie Sie auch Griechisch oder irgendeine andere Sprache gesprochen hätten, wenn es die ihre gewesen wäre. Es war nicht ihr Geist, der aus Ihnen sprach, sondern Ihr eigenes, vergrabenes Wissen, von Ihrer eigenen Vorstellungskraft hervorgerufen. Daß ihr Name mit dem Ihren identisch war, ist zweifellos ein seltsamer Zufall, aber auch nicht mehr. Außerdem haben wir keinen Beweis dafür, daß es stimmt; wir wissen lediglich, daß Sie es in Trance gesagt haben.« »Vielleicht«, antwortete Benita, die nicht in der Stimmung für philosophische Diskussionen war. »Aber vielleicht werden auch Sie eines Tages einen Geist sehen, Mr. Meyer, und dann Ihre Ansichten ändern.« »Wenn ich einen Geist sehe und weiß, daß es wirklich ein Geist ist, dann werde ich an Geister glauben. Aber wozu reden wir von Geistern? Das bringt uns nicht weiter. Ich suche keine Geister, sondern das
Gold der Portugiesen. Ich bin sicher, daß Sie mir jetzt sagen können, wo es verborgen ist. Sie hätten es schon gestern abend gesagt, wenn Ihre Nervenkraft nicht versagt hätte, da Sie an den Zustand der Trance nicht gewöhnt sind. Als Benita da Ferreira haben Sie gesagt, daß Sie es sähen und haben auch seinen Zustand beschrieben. Dann konnten oder wollten Sie nichts mehr sagen, und es wurde unumgänglich, Sie aufzuwecken. Miß Clifford, Sie müssen sich noch einmal von mir mesmerisieren lassen. Nur für ein paar Minuten. Denn diesmal brauchen wir keine Zeit für die Geschichte der Höhle zu verschwenden, sondern können sofort zur Sache kommen. Und wir werden das Gold finden. Falls Sie nicht bereits wissen, wo es ist«, setzte er hinzu und sah sie forschend an. »In dem Fall brauchte ich Sie nicht noch einmal zu bemühen.« »Ich weiß es nicht, Mr. Meyer. Ich erinnere mich an nichts, das mit dem Gold zusammenhängt.« »Was meine Theorie bestätigt«, sagte er. »Der angebliche Geist von Benita da Ferreira behauptete, das Geheimnis an Sie weitergegeben zu haben, doch im Wachzustand kennen Sie das Geheimnis nicht. Sie hat es also nicht an Sie weitergegeben. Sie konnte es auch nicht an Sie weitergeben, weil sie nicht existiert. Aber im Zustand des Unbewußten werden Sie es kennen, und deshalb müssen Sie mir erlauben, Sie noch einmal zu mesmerisieren. Nein, nicht gleich, sagen wir in ein paar Tagen, wenn Sie sich wieder völlig erholt haben. Ich würde den Mittwoch vorschlagen, heute in drei Tagen.« »Sie werden mich nie wieder mesmerisieren, Mr. Meyer.«
»Nein, nicht solange ich lebe«, kam ihr Vater ihr zu Hilfe, der bis dahin schweigend zugehört hatte. Jacob senkte ergeben den Kopf. »Das glauben Sie heute, doch ich bin anderer Meinung. Was ich gestern abend getan habe, tat ich gegen Ihren Willen, und ich kann es jederzeit wieder tun, und erheblich leichter. Doch würde ich viel lieber Ihr Einverständnis dazu haben, da ich es ja nicht für mich allein tue, sondern für uns alle. Und jetzt wollen wir nicht mehr davon sprechen, damit wir nicht in Streit geraten.« Er stand auf und ging fort. Die nächsten drei Tage waren für Benita ein einziger Alptraum. Sie wußte, daß Jacob Meyer eine gewisse Gewalt über sie erlangt hatte, daß zwischen ihm und ihr eine untrennbare Verbindung entstanden war. Sie war mit seinen Gedanken vertraut; es kam oft vor, daß sie ihm bei Tisch oder anderswo etwas zureichte, bevor er sie darum gebeten hatte, oder ihm auf eine Frage antwortete, die er noch gar nicht gestellt hatte. Außerdem konnte er sie aus kürzeren Entfernungen zu sich rufen. Mehrmals hatte sie es erlebt, daß sie beim ziellosen Umherwandern innerhalb der Rundmauer, die ihr Gefängnis umgab, was sie oft tat, um sich ein wenig Bewegung zu machen, plötzlich spürte, daß ihre Schritte zu einem ganz bestimmten Punkt gelenkt wurden – einmal zu diesem, das nächste Mal zu einem anderen –, und wenn sie ihn erreichte, sah sie sich stets Jacob Meyer gegenüber. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie hergebeten habe«, sagte er dann, lächelte sie auf seine sarkastische Weise an und zog höflich den Hut, »doch ich wollte Sie
fragen, ob Sie Ihren Widerstand gegen meine Bitte, sich noch einmal von mir mesmerisieren zu lassen, inzwischen aufgegeben haben.« Dann hielt er sie eine Weile mit seinen Blicken fest, so daß sie glaubte, ihre Füße seien im Boden verwurzelt, bis sie plötzlich das Gefühl hatte, als würde ein Seil zwischen ihr und ihm zerschnitten und wußte, daß er sie durch einen Willensakt freigegeben hatte. Halb erstickt vor Wut und blind vor Tränen machte sie kehrt und floh vor ihm wie vor einem wilden Tier. Doch wenn ihre Tage schrecklich waren, wie sahen ihre Nächte aus, seit sie in ständiger Angst lebte, daß er ihr wieder etwas in den Kaffee oder ins Essen tun und sie, während sie schlief, in seinen Bann zwingen könnte? Um sich vor dem ersteren zu schützen, aß und trank sie nichts, das sich in seiner Nähe befunden hatte. Um der zweiten Gefahr aus dem Weg zu gehen, schlief sie von nun an in der Hütte bei ihrem Vater, der sein Lager neben der Tür aufgeschlagen und sein geladenes Gewehr in Reichweite hatte. Er hatte Jacob Meyer geradeheraus erklärt, daß er ihn erschießen würde, sollte er ihn bei seinen üblen Praktiken erwischen, eine Drohung, über die der jüngere Mann nur lachte, da er sich vor Mr. Clifford nicht fürchtete. Während der langen Nachtstunden hielten Vater und Tochter abwechselnd Wache, einer von ihnen schlief, während der andere hinaussah und lauschte. Und nicht immer lauschte Benita vergeblich. Mindestens zweimal hörte sie leise Schritte, die ihr verrieten, daß Meyer um die Hütte schlich, und fühlte eine entsetzliche Welle von sanfter Energie durch ihren Körper fluten. Sie weckte dann ihren Vater und flü-
sterte: »Er ist hier, ich fühle, daß er hier ist.« Doch bis der alte Mann mühsam auf die Füße gekommen war – er war inzwischen sehr hinfällig geworden, und ein akuter Rheumatismus und ähnliche Beschwerden hatten seine Gelenke steif werden lassen – und aus der Hütte kroch, war niemand mehr zu sehen. Er hörte nur noch leise, sich entfernende Schritte, und ein leises spöttisches Lachen. So vergingen zwei entsetzliche, bedrückende Tage, und der dritte Morgen brach an, der Morgen des gefürchteten Mittwoch. Noch bevor es dämmerte, besprachen Benita und ihr Vater – sie hatten beide in der Nacht kein Auge zugetan – ihre Lage, da sie wußten, daß sie jetzt auf eine Krise zutrieb. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich ihn töte, Benita«, sagte er. »Ich werde mit jedem Tag schwächer, und wenn ich es noch länger hinausschiebe, habe ich vielleicht nicht mehr die Kraft dazu, und dann bist du ihm ausgeliefert. Ich kann ihn erschießen, wenn er mit dem Rücken zu mir steht, und obwohl mir selbst der Gedanke daran zuwider ist, glaube ich doch, daß man mir das vergeben wird. Und wenn nicht, kann ich es auch nicht ändern. Ich muß vor allem an dich denken und an meine Pflicht dir gegenüber.« »Nein, nein«, rief sie erschrocken, »das lasse ich nicht zu. Es wäre Mord, auch wenn er dir den Tod angedroht hat. Man sollte ihm zugute halten, daß er nicht mehr zurechnungsfähig ist. Wir müssen das Risiko auf uns nehmen und auf Gott vertrauen. Er wird uns retten. Und wenn Er es nicht tun sollte«, setzte sie hinzu, »im schlimmsten Fall kann ich mich selbst retten.« Und sie berührte den Griff des Revolvers, den sie jetzt Tag und Nacht bei sich trug.
»So sei es«, sagte Mr. Clifford mit einem leisen Stöhnen. »Laß uns um Erlösung aus dieser Hölle beten und unsere Hände nicht mit Blut beflecken!«
20 Jacob Meyer sieht einen Geist Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Benita: »Vater, sollte es nicht möglich sein, doch irgendwie zu fliehen? Vielleicht sind die Stufen an der Mauer nicht so blockiert, daß man sie überhaupt nicht benutzen kann.« Mr. Clifford dachte an seine steifen Gelenke und seinen schmerzenden Rücken und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Meyer hat mich nie nahe genug herangelassen, um sie genauer ansehen zu können.« »Warum tust du es nicht jetzt? Du weißt, daß er lange schläft, weil er fast die ganze Nacht wach ist. Nimm den Feldstecher und sieh dir den Ausstieg von einer der Ruinen aus an. Er wird dich nicht hören oder sehen, aber wenn ich in seine Nähe käme, würde er das spüren und aufwachen.« »Gut, ich werde es versuchen. Und was hast du inzwischen vor?« »Ich werde auf den Pfeiler klettern.« »Du willst doch nicht etwa ...« »Nein, nein, ich werde nicht dem Beispiel Benita da Ferreiras folgen, wenn ich nicht dazu gezwungen werde. Ich will mich umsehen, das ist alles. Man sieht sehr weit von dort oben. Vielleicht sind die Matabele inzwischen verschwunden; wir haben während der letzten Tage nichts von ihnen gehört.« Sie zogen sich an, und sobald es hell genug geworden war, verließen sie die Hütte und trennten sich:
Mr. Clifford ging, das Gewehr in der Hand, auf die Wand zu, Benita schritt zu dem Granitkegel. Sie kletterte hinauf und stand schließlich auf seiner wie eine Schale geformten Spitze. Dichter Nebel hing über dem Flußlauf und seinen Ufern, und sie wartete darauf, daß das Sonnenlicht ihn auflösen würde. Sie überlegte sich, welchem Zweck dieser Granitpfeiler bei den Alten einst gedient haben mochte; zweifellos hatte es irgend etwas mit der Sonnenanbetung zu tun. Sie schloß es daraus, weil die Strahlen der aufgehenden Sonne, zumindest zu dieser Jahreszeit, als erstes die Spitze des Pfeilers trafen. So kam es, daß Benita, während sie wartend dort stand, plötzlich von Licht umflutet wurde, das so hell und intensiv war, daß ihre in ein fließendes weißes Gewand gehüllte Gestalt wie Silber glänzte. Länger als eine Minute lang blendeten die goldenen Lichtspeere sie so stark, daß sie nichts sehen konnte und völlig reglos stand, da sie Angst hatte, sich zu bewegen, bis die Sonne höher stieg und ihre Strahlen über sie hinwegglitten. Nun beleuchteten sie auch das Flußtal und begannen die Nebelschwaden zu vertreiben, und sie blickte hinab. Das Lager der Matabele war von hier aus nicht zu sehen, da die flache Senke, in der es lag, von der Schulter des Berges verdeckt wurde. Hinter ihm befand sich jedoch eine kleine Anhöhe, vielleicht etwas mehr als eine halbe Meile von ihrem Standort entfernt, und dort entdeckte sie etwas, das wie eine Wagenplane aussah, um die sich mehrere Gestalten bewegten. Sie schienen zu rufen oder zu schreien, denn durch die Stille des afrikanischen Morgens hörte sie undeutlich ihre Stimmen heraufdringen.
Als der Nebel sich aufzulösen begann, erkannte sie, daß es sich tatsächlich um einen Ochsenwagen handelte, der offensichtlich gerade von den Matabele angehalten worden war, denn immer mehr der schwarzen Gestalten liefen auf ihn zu. Im Augenblick schien ihr Interesse jedoch von etwas anderem gefangengenommen zu sein, denn sie deuteten immer wieder mit ihren Speeren auf den Pfeiler von Bambatse. Da erkannte Benita, daß sie auf diesem erhöhten Punkt, in dem grellen Licht der Morgensonne von dort unten deutlich zu sehen sein mußte, und es mochte der Anblick ihrer Gestalt sein, die wie ein Adler auf seinem Horst zwischen Himmel und Erde stand, der die Männer heraufstarren ließ. Und nicht nur die Wilden interessierten sich für sie, denn jetzt tauchte neben dem Wagen ein weißer Mann auf, der ein langes Perspektiv auf sie richtete. An dem roten Flanellhemd und dem breitkrempigen Hut erkannte sie, daß er ein Weißer sein mußte, und oh, wie sehnte sie sich danach, mit ihm zu sprechen, ganz egal, wer er sein mochte. Der Anblick eines Engels vom Himmel wäre Benita in ihrer bedrückenden Lage nicht willkommener gewesen. Aber es konnte ja nur ein Traum sein. Wie sollten ein weißer Mann und ein Ochsenwagen in diese abgelegene Gegend kommen? Und warum hatten die Matabele den Mann nicht sofort getötet? Sie konnte es sich nicht erklären, doch schienen sie keinerlei Mordabsichten zu hegen, da sie noch immer lebhaft gestikulierend zu ihr heraufstarrten, und der Mann durch sein Teleskop in ihre Richtung blickte. So ging es eine ganze Weile; dann wurden die Ochsen ausgespannt; schließlich erschien eine weitere Gruppe von Mata-
bele, die den weißen Mann, offensichtlich gegen seinen Willen, in Richtung Lager wegführten, wo er den Blicken Benitas entzogen war. Da es nun nichts mehr zu sehen gab, stieg sie wieder von der Säule herab. An ihrem Fuß traf sie ihren Vater, der sie suchte. »Was ist los?« fragte er, als er ihren erregten Gesichtsausdruck bemerkte. »Oh!« Das Wort klang wie ein Schluchzen. »Ein weißer Mann ist mit seinem Wagen hier angekommen. Ich habe gesehen, wie die Matabele ihn gefangennahmen.« »Dann ist der arme Teufel jetzt sicher schon tot«, sagte ihr Vater. »Aber was hat ein weißer Mann hier zu suchen? Wahrscheinlich ein Jäger, der ihnen in die Falle gegangen ist.« Benita nickte enttäuscht. »Und ich hatte gehofft, daß er uns vielleicht helfen könnte.« »Wahrscheinlich hat er selbst hier Hilfe gesucht. Er ist tot, und damit ist es zu Ende. Gott möge seiner Seele Frieden geben. Wir haben unsere eigenen Sorgen. Ich habe mir die Mauer angesehen. Es ist sinnlos zu hoffen, an ihr hinabzusteigen. Wenn Meyer ein gelernter Maurer wäre, hätte er nicht gründlicher arbeiten können. Kein Wunder, daß wir den Molimo nicht mehr gesehen haben. Nur ein Vogel könnte zu uns heraufkommen.« »Wo ist Mr. Meyer?« »Er schläft unter einem Regenschutz aus Zweigen direkt neben dem Ausstieg. Jedenfalls glaube ich das. Es war sehr schwer, in dem Schatten etwas zu erkennen; doch auf jeden Fall habe ich ein Gewehr gesehen, das neben seinem Unterschlupf auf dem Boden lag. Komm, laß uns Frühstück machen! Er wird sich
bestimmt bald zeigen.« Sie frühstückten, und zum ersten Mal seit jenem Sonntag aß Benita mit Appetit. Der Anblick des weißen Mannes hatte sie neu belebt, obwohl ihr Vater sicher war, daß er inzwischen von den Speeren der Matabele getötet worden war. Aber vielleicht war es ihm doch gelungen, zu fliehen, überlegte sie. Auch während des Frühstücks ließ sich Jacob Meyer nicht sehen, doch das überraschte sie nicht. Er aß jetzt immer allein, holte sich die Nahrungsmittel aus ihrem kleinen Vorratslager und bereitete sie über seinem eigenen Feuer zu. Als sie gefrühstückt hatten, bemerkte Mr. Clifford, daß sie kein Trinkwasser mehr hatten, und Benita sagte, sie würde in die Höhle gehen und einen Eimer Wasser aus dem Brunnen holen. Ihr Vater erbot sich, sie zu begleiten, doch sie antwortete, daß es nicht nötig sei, da sie den Eimer sehr gut ohne Hilfe heraufwinden könne. Also ging sie, in der einen Hand einen Eimer, in der anderen eine Lampe. Als sie durch den gewundenen Tunnel ging, der in die Höhle führte, blieb sie einen Augenblick lang stehen, da sie glaubte, einen Lichtschimmer zu bemerken, ging dann jedoch weiter, und als sie um die letzte Biegung des Tunnels in die Höhle trat, sah sie nichts als tiefes Dunkel vor sich. Offenbar hatte sie sich geirrt. Sie ging zum Brunnen, hängte den Eimer an den großen Kupferhaken der Kette und fragte sich, wie schon so oft, wie viele Menschen seit frühester Zeit bis heute dies wohl getan haben mochten, denn das Metall des schweren Hakens war an der Auflagefläche dünn gescheuert. Dann ließ sie die Kette ablaufen, und das rasselnde Geräusch hallte hohl aus dem
tiefen Schacht herauf. Endlich hörte sie das Aufklatschen des Eimers auf dem Wasser, und sie begann ihn wieder emporzuziehen, wobei sie hin und wieder Pausen einlegte, da sie den Eimer aus großer Tiefe heraufholen mußte und die Kette ziemlich schwer war. Der Eimer tauchte auf. Benita schwang ihn über den Rand des Brunnens, löste ihn vom Haken und nahm ihre Lampe auf, um die Höhle zu verlassen. Als sie etwas sah oder fühlte – sie war sich dessen nicht sicher –, hob sie die Lampe empor, und in ihrem Licht sah sie eine Gestalt zwischen ihr und dem Ausgang der Höhle stehen. »Wer sind Sie?« fragte sie. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein paar Minuten so stehen zu bleiben, Miß Clifford?« fragte die sanfte Stimme von Jacob Meyer aus dem Dunkel. »Ich habe Papier und Bleistift mitgebracht und möchte eine Skizze von Ihnen machen. Wissen Sie eigentlich, wie schön Sie aussehen, wenn das Licht der Lampe von oben auf Ihr Gesicht fällt? Ich weiß nicht, welche Pläne das Schicksal für mich bereithält, doch im Grunde meines Herzens bin ich Künstler, und ich habe noch nie ein so schönes Bild gesehen. Vielleicht wird diese Skizze mich eines Tages berühmt machen. ›Wie eine Statue sie dort stand, Die Achatlampe in der Hand.‹ Das sollte ich unter dieses Bild schreiben. Sie kennen den Vers, nicht wahr?« »Ja, Mr. Meyer, aber ich fürchte, Sie werden Ihre Skizze nach dem Gedächtnis zeichnen müssen, da ich die Lampe nicht länger über meinen Kopf halten
kann; mein Arm tut mir schon jetzt weh. Ich weiß nicht, warum Sie hergekommen sind, aber da Sie mir offenbar gefolgt sind, sollten Sie jetzt die Freundlichkeit haben, mir den Eimer Wasser zu tragen.« »Ich bin Ihnen nicht gefolgt, Miß Clifford. Ich war bereits vor Ihnen in der Höhle, um ein paar Messungen durchzuführen.« »Wie können Sie im Dunkel etwas messen?« »Es war nicht dunkel. Ich habe meine Lampe gelöscht, als ich Sie kommen hörte, da ich wußte, daß Sie sonst weglaufen würden. Und jetzt wollen wir einiges besprechen. Miß Clifford, haben Sie Ihre Einstellung geändert? Sie wissen, daß die Zeit abgelaufen ist.« »Ich werde sie niemals ändern. Lassen Sie mich vorbei Mr. Meyer!« »Nein, nicht bevor Sie mich angehört haben. Sie sind sehr grausam zu mir, wirklich sehr grausam. Sie begreifen nicht, daß ich eher hundertmal sterben würde, bevor ich etwas täte, das Ihnen auch nur den kleinsten Schaden zufügen könnte.« »Ich verlange nicht, daß Sie sterben; ich verlange nur, daß Sie mich in Ruhe lassen – das ist viel einfacher.« »Aber wie kann ich Sie in Ruhe lassen, wenn Sie ein Teil von mir sind, wenn ich ... Sie liebe? Endlich ist die Wahrheit heraus, und nun können Sie sagen, was Sie wollen.« Benita hob den Wassereimer an, und sein Gewicht schien ihren Körper zu stabilisieren. Dann setzte sie ihn wieder ab, da ein Entkommen unmöglich war. Sie mußte diese Situation durchstehen. »Ich habe nichts zu sagen, Mr. Meyer, außer, daß
ich Sie nicht liebe, und auch keinen anderen Mann – jedenfalls keinen lebenden. Ich danke Ihnen für das Kompliment, das Sie mir mit Ihren Worten erwiesen haben, doch mehr als diesen Dank kann ich Ihnen nicht geben.« »Keinen lebenden Mann«, wiederholte er. »Das heißt, Sie lieben einen Toten – Seymour, der damals ertrunken ist, nicht wahr? Kein Wunder, daß ich ihn vom ersten Augenblick an haßte, als er vor Jahren hier auftauchte, lange bevor Sie in mein Leben getreten sind. Vorahnung, wieder das unbewußte Ich. Aber was hat man davon, einen Toten zu lieben, einen, der keine Existenz mehr hat, der zu dem Lehm zurückgekehrt ist, aus dem wir geformt wurden, der nicht mehr ist und nie wieder sein wird? Sie haben nur ein einziges Leben; wenden Sie sich wieder den Lebenden zu und machen Sie es fruchtbar und glücklich.« »Ich kann Ihre Ansicht nicht teilen, Mr. Meyer. Für mich leben die Toten, und eines Tages werde ich sie wiedersehen. Und jetzt lassen Sie mich bitte gehen!« »Nein, ich lasse Sie nicht gehen. Ich werde mit Ihnen streiten und ringen, wie ein Namensvetter meiner Rasse in der alten Fabel mit dem Engel rang, bis Sie mich segnen. Sie verachten mich, weil ich Jude bin, weil ich schon so vieles unternommen und keinen Erfolg gehabt habe, weil Sie glauben, daß ich verrückt bin. Aber ich sage Ihnen, daß die Saat der Größe in mir verborgen liegt. Geben Sie sich mir, und ich werde Sie groß machen, denn jetzt weiß ich, daß Sie es sind, die mir das geben kann, was mir von Natur aus fehlt. Wir werden den Schatz entdecken und gemeinsam herrschen ...«
»Bis wir in wenigen Tagen verhungern oder die Matabele unserem Leben mit ihren Speeren ein Ende setzen. Nein, Mr. Meyer, nein!« Und sie versuchte, an ihm vorbei den Ausgang der Höhle zu erreichen. Er streckte die Arme aus und versperrte ihr den Weg. »Hören Sie zu!« sagte er. »Ich habe Sie bis jetzt gebeten, und mit Ihnen von Mann zu Frau gesprochen. Jetzt, nachdem Sie mich zurückgewiesen haben, und da Sie allein zwischen mir und dem Wahnsinn stehen, werde ich eine andere Methode anwenden. Ich bin Ihr Herr, und Sie sind eine Dienerin meines Willens. Ich befehle Ihnen, mir zu gehorchen!« Er beugte sich vor und blickte ihr starr in die Augen, und Benita fühlte, wie ihre Kraft sie verließ. »Ah!« sagte er. »Sie sind jetzt meine Dienerin, und um das zu besiegeln, werde ich Sie küssen, und dann werde ich Sie in Schlaf versetzen, und Sie werden mir alles sagen, was ich wissen will. Später, zu einem Zeitpunkt, den ich festsetzen werde, können wir heiraten. Oh! Hoffen Sie nicht darauf, daß Ihr Vater Sie retten wird, denn sollte er sich einmischen, werde ich diesen alten Trottel töten, den ich nur Ihretwegen bisher verschont habe. Denken Sie immer daran: Wenn Sie mich wütend machen, werde ich ihn töten, und das Blut Ihres Vaters wird über Ihr Haupt kommen. Und jetzt werde ich Sie küssen.« Benita hob die Hand, um nach dem Revolver in ihrem Gürtel zu greifen, doch sie fiel kraftlos zurück; es war, als ob sie gelähmt wäre, so gelähmt wie ein Vogel von einer Schlange, so daß es ihm nicht möglich ist, seine Flügel zu entfalten und fortzufliegen, sondern er reglos sitzenbleibt und seinen Tod erwartet.
Sie befand sich in der Gewalt eines Mannes, den sie haßte. Konnte Gott so etwas zulassen? fragte sie sich vage und sah, wie sich die Lippen Jacob Meyers den ihren näherten. Sie berührten die ihren, und in diesem Augenblick – warum es so war, hat Benita niemals verstanden – brach der Bann. All seine Macht über sie war dahin, sie war wieder frei Herrin ihrer selbst. Angewidert stieß sie den Mann zurück, hob ihren Eimer auf und machte sich nicht einmal die Mühe, zu laufen, sondern ging gemessenen Schrittes hinaus, und er stand mit hängenden Armen da und starrte ihr nach. Sie trat ins Sonnenlicht hinaus und löschte die Lampe. Sie fühlte, daß ihre Brust, die nach der Szene, die sie eben erlebt hatte, voller Schreck und Entsetzen hätte sein sollen, seltsamerweise von Frieden und Glück erfüllt war. Sowie das herrliche Sonnenlicht ihr in die Augen fiel, war auch ein Licht der Freiheit in ihre Seele gefallen. Sie fürchtete sich nicht mehr vor Jacob Meyer; sein feiger Kuß hatte die Ketten zerbrochen, mit denen er sie an sich gefesselt hatte. Ihr Verstand war dem seinen unterworfen gewesen, doch jetzt, wo er seinen Körper mit ins Spiel gebracht hatte, hatte sein Verstand seine Macht über den ihren verloren, und Benita wußte, daß er nie wieder in der Lage sein würde, sie zu mesmerisieren – nein, nicht einmal im Schlaf, wenn ihre Willenskraft ausgeschaltet war. Das war der Grund dafür, daß sie sich so froh fühlte wie ein Vogel, der gerade dem Käfig entschlüpft ist. Als sie auf die Hütte zutrat, sah sie ihren Vater auf einem Stein unter dem ausladenden Baum sitzen, da der alte Mann jetzt so geschwächt und von Schmerzen geplagt war, daß er sich nicht lange auf den Bei-
nen halten konnte, und als sie ihn sah, erinnerte sie sich wieder an Meyers Drohungen, ihn zu töten. Dieser Gedanke ließ das wiedergefundene Glücksgefühl augenblicklich ersterben. Sie mochte jetzt vor ihm sicher sein; sie war überzeugt, daß sie vor ihm sicher war, doch was war mit ihrem Vater? Wenn Meyer herausfand, daß er bei ihr seinen Willen nicht mehr durchsetzen konnte, würde er vielleicht seine Drohung wahrmachen und ihn töten. Sie erschauerte bei der Vorstellung, nahm sich jedoch sofort wieder zusammen, damit ihr Vater ihre Bedrückung nicht merkte, und trat mit ihrem Eimer Wasser auf ihn zu. »Du bist lange fortgewesen, Liebes«, sagte Mr. Clifford. »Ja, Vater. Mr. Meyer war in der Höhle und hat mich aufgehalten.« »Wie ist er in die Höhle gekommen, und was wollte er von dir?« »Ich weiß nicht, wie er hineingekommen ist – wahrscheinlich hineingeschlichen, als ich ihn nicht sehen konnte. Und was er wollte: Hör zu!« Und sie berichtete ihm Wort für Wort, was sie mit Meyer gesprochen hatte, und was geschehen war. Bevor sie alles erzählt hatte, erstickte ihr Vater fast an seiner aufwallenden Wut. »Dieser Dreckskerl! Dieser Strolch!« keuchte er. »Ich hätte mir nie träumen lassen, daß er sich eine derartige Frechheit erlauben würde. Gott sei Dank, daß ich noch immer ein Gewehr halten kann, und wenn er herauskommt ...« »Vater«, sagte sie ruhig, »dieser Mann ist verrückt. Er ist nicht verantwortlich für das, was er tut, und
deshalb darfst du an so etwas nicht denken, es sei denn, es geschähe aus Notwehr. Und was er über dich sagte, halte ich nur für leere Drohungen. Meinetwegen brauchst du dir jetzt keine Sorgen mehr zu machen, seine Macht über mich ist gebrochen; sie verschwand wie durch einen Blitzschlag, als seine Lippen mich berührten.« Und sie fuhr mit der Hand über die ihren, als ob sie eine Verunreinigung fortwischen wollte. »Ich fürchte mich jetzt vor nichts mehr. Und ich glaube, daß der alte Molimo recht hatte und ich eines Tages ...« Benita hörte ein schlurfendes Geräusch hinter sich und wandte sich um. Sie sah ein seltsames Bild: Jacob Meyer torkelte auf sie zu, und seine Füße schlurften kraftlos über Gras und Steine. Sein Gesicht war totenbleich, sein Unterkiefer hing herab wie bei einem Toten, seine Augen waren weit aufgerissen und voller Entsetzen. Er kam auf sie zugeschlurft, als ob er ihre Gesellschaft und ihren Schutz suchte, bis er vor ihnen stand, am ganzen Körper zitternd und mit schweißtriefender Stirn. »Was ist mit Ihnen los, Mann?« fragte Mr. Clifford. »Ich ... ich ... habe einen Geist gesehen«, flüsterte er. »Sie sind doch nicht in die Höhle zurückgekommen, nicht wahr?« fragte er Benita, die darauf den Kopf schüttelte. »Was für einen Geist?« fragte Mr. Clifford. »Das weiß ich nicht. Meine Lampe ging aus, und dann begann hinter mir ein Licht zu leuchten. Ich wandte mich um, und auf den Stufen vor dem Kruzifix sah ich eine Frau knien. Ihre Arme hielten die Beine der Figur umklammert, ihre Stirn ruhte auf den Füßen, ihr langes, schwarzes Haar hing bis zum Bo-
den; sie war ganz in Weiß gekleidet, und das Leuchten ging von ihrem Körper und von ihrem Gesicht aus. Langsam, ganz langsam wandte sie den Kopf und sah mich an, und, o Himmel, dieses Gesicht ...« Er verbarg das seine in den Handflächen und stöhnte. »Es war wunderschön; ja, ja, aber auch entsetzlich anzuschauen, wie das Gesicht eines Racheengels. Ich floh zum Ausgang, und das Leuchten – nur das Leuchten – folgte mir durch die ganze Länge der Höhle, und auch durch den Tunnel, bis ich ins Sonnenlicht hinaustaumelte. Ich habe einen Geist gesehen! Ich, der ich nicht an Geister und Gespenster glaube, habe einen Geist gesehen! Und ich schwöre Ihnen, daß ich für alles Gold der Welt nie wieder den Fuß in diese Höhle setzen werde.« Und dann, bevor sie antworten konnte, machte er kehrt und lief davon, als ob ihn die Angst noch einmal gepackt hätte, und sie sahen ihn durch die Büsche brechen und von Fels zu Fels springen wie ein verschreckter Bock.
21 Die Botschaft der Toten »Meyer hat immer gesagt, daß er nicht an Geister und Gespenster glaubt«, bemerkte Mr. Clifford nachdenklich. »Nun, jetzt glaubt er an sie«, sagte Benita mit einem kurzen Auflachen. »Aber, Vater, der arme Mann ist verrückt, da gibt es für mich jetzt keine Zweifel mehr, und wir dürfen ihn nicht länger ernst nehmen.« »Der alte Molimo und ein paar seiner Leute, Tamas, zum Beispiel, haben ebenfalls erklärt, daß sie Benita da Ferreiras gesehen hätten. Sie sind auch verrückt, Benita?« »Das weiß ich nicht, Vater. Wer kann das sagen? Alle diese Dinge sind mysteriös. Ich weiß lediglich, daß ich noch kein Gespenst gesehen habe, und wahrscheinlich auch niemals eines sehen werde.« »Nein. Aber als du dich in Trance befandest, hat etwas, das nicht du warst, aus deinem Mund gesprochen, und dieses Andere behauptete, die andere Benita zu sein, Benita da Ferreira. Doch wie du eben gesagt hast, man kann diese Dinge mit dem Verstand nicht erfassen, und schon gar nicht an einem so gespenstischen Ort wie diesem, aber auf jeden Fall haben wir von Jacob Meyer jetzt nicht mehr viel zu befürchten.« »Dessen bin ich nicht sicher, Vater. Verrückte können ihre Launen von einer Sekunde zur anderen ändern.« Wie es sich herausstellte, hatte Benita mit dieser Be-
fürchtung völlig recht. Gegen Abend tauchte Meyer wieder auf; er sah noch immer blaß und verstört aus, schien aber davon abgesehen wieder wie sonst zu sein. »Ich hatte wohl eine Art Anfall heute morgen«, erklärte er, »anscheinend hervorgerufen durch eine Halluzination, die über mich kam, als in der Höhle meine Lampe plötzlich erlosch. Ich erinnere mich, daß ich glaubte, einen Geist gesehen zu haben, während ich doch genau weiß, daß es so etwas nicht gibt. Ich war sicher das Opfer von Enttäuschung, Frustration und anderer, noch stärkerer Emotionen.« Und er sah Benita an. »Deshalb vergessen Sie bitte alles, was ich gesagt und getan habe – und könnte ich jetzt etwas zu essen haben?« Benita füllte ihm seine Schüssel, und er aß schweigend, doch anscheinend mit Appetit. Als er gegessen und zwei oder drei Gläser Squareface getrunken hatte, sagte er: »Ich bin hergekommen, obwohl ich weiß, daß ich hier nicht willkommen bin«, sagte er mit ruhiger, sachlicher Stimme, »da ich etwas Geschäftliches mit Ihnen besprechen möchte. Ich habe dieses Bambatse bis obenhin satt und denke, daß es höchste Zeit wird, zum Ziel dieses Unternehmens zu kommen, nämlich das versteckte Gold zu finden. Und das kann, wie wir alle wissen, nur auf eine ganz bestimmte Weise erreicht werden, durch die hellseherischen Fähigkeiten eines von uns, und die hypnotischen Kräfte eines anderen. Miß Clifford, ich ersuche Sie, sich von mir in Trance versetzen zu lassen. Sie haben uns alles andere gesagt, aber nicht, wo der Schatz verborgen ist, und das müssen wir erfahren.« »Und wenn ich mich weigere, Mr. Meyer?«
»Dann muß ich, so leid mir das täte, Maßnahmen ergreifen, um Ihren Gehorsam zu erzwingen. Ich sähe mich dann gezwungen« – bei diesen Worten funkelten seine Augen wild – »Ihren Vater zu exekutieren, dessen Widerstand und Einfluß auf Sie zwischen uns und einem unermeßlichen Reichtum stehen. Nein, Clifford«, setzte er hinzu, »lassen Sie die Hand von Ihrem Gewehr, ich habe längst den Revolver in meiner Tasche auf Sie gerichtet, und in dem Moment, wo Ihre Hand das Gewehr berührt, drücke ich ab. Sie armer, alter Mann, glauben Sie allen Ernstes, daß Sie sich, krank und steif wie Sie sind, mit meiner Beweglichkeit, meiner Intelligenz und meiner Kraft messen können? Ich könnte Sie auf ein Dutzend verschiedene Arten töten, bevor Sie überhaupt in der Lage wären, auch nur einen Finger gegen mich zu erheben, und bei dem Gott, an den ich nicht glaube, das werde ich auch tun, wenn Ihre Tochter sich nicht nachgiebiger zeigt!« »Das wird sich erweisen, Freundchen«, sagte Mr. Clifford mit einem harten Lachen, da er ein mutiger alter Mann war. »Ich bin nicht sicher, ob Gott – an den Sie nicht glauben – nicht vorher Sie töten wird.« Benita, die während dieses Wortwechsels mit sich selbst zu Rate gegangen war, blickte jetzt auf und sagte: »Also gut, Mr. Meyer, ich erkläre mich einverstanden – weil mir nichts anderes übrig bleibt. Morgen vormittag können Sie versuchen, mich zu mesmerisieren, am gleichen Ort, vor dem Kruzifix in der Höhle.« »Nein«, sagte er rasch, »es war nicht dort, es war hier, vor der Höhle, und hier werden wir es tun. Der Ort, den Sie genannt haben, Miß Clifford, erscheint
mir als eine sehr unglückliche Wahl.« »Aber der Ort, den ich bestimme.« »Und dies ist der Ort, den ich bestimme, und mein Wille hat Vorrang vor dem Ihren, Miß Clifford.« »Weil Sie, der Sie nicht an Geister glauben, Angst haben, noch einmal die Höhle zu betreten, Mr. Meyer, damit Sie nicht ...« »Wovor ich Angst habe oder nicht, steht hier nicht zur Debatte«, rief er wütend. »Wählen Sie, Miß Clifford: Entweder Sie tun, was ich Ihnen befehle, oder Ihr Vater stirbt! Morgen früh erwarte ich Ihre Antwort, und wenn Sie sich mir noch immer zu widersetzen wagen sollten, ist er innerhalb einer Viertelstunde tot, und dann sind wir beide hier allein. Oh! Sie können mich boshaft und einen Schurken nennen, aber Sie sind es, die boshaft ist, Sie, Sie, Sie, die mich zu solchem Handeln zwingt!« Ohne ein weiteres Wort sprang er plötzlich auf und zog sich rückwärtsgehend von ihnen zurück, wobei er seinen Revolver, den er aus der Tasche gezogen hatte, auf Mr. Clifford gerichtet hielt. Das letzte, das sie von ihm sahen, waren seine Augen, die wie die eines Löwen aus der Dunkelheit leuchteten. »Vater«, sagte Benita, als sie sicher war, daß er sie nicht mehr hören konnte, »dieser Verrückte will dich wirklich ermorden, da gibt es keinen Zweifel mehr.« »Ja, keinen Zweifel mehr«, sagte Mr. Clifford zustimmend. »Wenn ich morgen abend noch am Leben sein sollte, habe ich Glück gehabt; es sei denn, daß ich ihn vorher töten oder ihm irgendwie aus dem Weg gehen kann.« »Ich glaube, daß du es kannst«, sagte sie rasch. »Ich habe eine Idee. Er hat Angst, die Höhle zu betreten;
dort werden wir uns verstecken. Wir können reichlich Nahrung mitnehmen und haben soviel Wasser, wie wir wollen, während er nichts zu trinken hat, falls es nicht regnet.« »Aber was dann, Benita? Wir können doch nicht auf ewig in der dunklen Höhle bleiben.« »Nein, aber wir können so lange dort bleiben, bis irgend etwas geschieht. Irgend etwas muß und wird geschehen. Sein geistiger Verfall wird nicht stehenbleiben; vielleicht wird er vollends wahnsinnig und tötet sich. Oder er versucht, uns anzugreifen – obwohl das nicht wahrscheinlich ist –, und dann müssen wir tun, was wir können, um unser Leben zu verteidigen. Oder es kommt Hilfe von außen. Schlimmstenfalls sterben wir, so wie wir auch hier draußen sterben würden. Komm, wir wollen uns beeilen, bevor er es sich anders überlegt und zurückkommt!« Mr. Clifford gab nach, da ihm klar war, daß er kaum eine Chance gegen den kräftigen, agilen Jacob Meyer hatte, selbst wenn er sich dazu bringen würde, den Versuch zu machen, ihn zu töten. Ein Kampf konnte nur mit seinem eigenen Tod enden, und dann wäre Benita ihm und seinem Irrsinn völlig schutzlos ausgeliefert. Eilig schafften sie ihre wenigen Habseligkeiten in die Höhle. Zuerst trugen sie den größten Teil der verbliebenen Nahrungsvorräte hinein, die drei Lampen und den letzten Kanister Petroleum. Dann gingen sie zurück und holten den Eimer, die Munition und ihre Kleidung. Schließlich, als Meyer sich noch immer nicht zeigte, wagten sie sogar, das Zelt, das sie aus der Wagenplane gemacht hatten, in die Höhle zu
schaffen, und alles Holz, das sie bei der Feuerstelle aufgeschichtet hatten. Dies erwies sich als ein mühseliges Unterfangen, da Mr. Clifford in seinem Zustand keine Lasten tragen konnte. Zuletzt blieb es Benita allein überlassen, die schweren Äste hereinzuschleifen, während er neben ihr ging und sie mit seinem Gewehr schützte, damit sie nicht von Meyer überrascht werden konnte. Als sie endlich alles in die Höhle geschafft hatten, war es lange nach Mitternacht, und sie waren so erschöpft, daß sie sich ungeachtet der Gefahr auf die Wagenplane fallen ließen, die am Ende der Höhle in der Nähe des Kruzifixes lag, und sofort einschliefen. Als Benita erwachte, war die Lampe ausgegangen, und es war stockdunkel. Glücklicherweise erinnerte sie sich, wohin sie die Streichhölzer getan hatte, und die Laterne mit der Kerze. Sie zündete die Kerze an und blickte auf ihre Uhr. Es war kurz vor sechs. Draußen war sicher schon die Dämmerung angebrochen, und in einer oder zwei Stunden würde Meyer feststellen, daß sie verschwunden waren. Angenommen, seine Wut sollte sich als stärker erweisen als seine Angst, und er würde zu ihnen eindringen? Sie würden es nicht einmal merken, bevor sie sein Gesicht in dem engen Lichtkreis der Laterne sahen. Oder er mochte sogar ihren Vater aus dem Dunkel heraus erschießen. Was konnte sie tun, um rechtzeitig gewarnt zu werden? Sie hatte einen Einfall. Sie löste eins der dünnen Seile von der Wagenplane, nahm die Laterne – ihr Vater schlief noch tief und fest, stellte sie bei dieser Gelegenheit fest – und trat in den tunnelartigen, in Zickzackwindungen verlaufenden Höhleneingang. In seiner letzten Biegung hatte
sich früher eine Tür befunden, und sie befestigte das Seil an dem Rest eines Steinscharniers, das sich auf der einen Seite in etwa achtzehn Zoll Höhe befand, und an einer Steinöse, die auf der anderen Seite in den Fels geschlagen war, und früher wohl einen Riegel aus Holz oder Eisen aufgenommen hatte. Sie wußte, daß Meyer keine Lampen hatte, nur Streichhölzer, und vielleicht ein paar Kerzen. Deshalb würde er wahrscheinlich, wenn er versuchte, in die Höhle einzudringen, über das Seil stolpern und sie dadurch warnen. Dann ging sie zurück, wusch sich Hände und Gesicht mit dem Wasser, das sie am Vorabend aus dem Brunnen gezogen hatten, um ihren Durst zu löschen, und richtete Haare und Kleidung, so gut es ging. Danach – ihr Vater schlief noch immer – machte sie sich daran, die Lampen nachzufüllen, zündete eine davon an und blickte umher. Es war wirklich eine schreckliche Wohnung, in der sie nun leben mußten, erkannte sie. Über ihnen hing das riesige Kruzifix, und in der Ecke lagen die zusammengeworfenen Reste der Portugiesen. Ein Schädel, an dem noch lange, schwarze Haare klebten, grinste sie an, eine mumifizierte Hand streckte sich ihr entgegen, wie um nach ihr zu greifen. Oh, es war wirklich kein Wunder, daß Jacob Meyer hier Gespenster gesehen hatte! Vor dem Altar war das aufgebrochene Grab, in dem sie den toten Mönch gefunden hatten, und seine Knochen lagen, in die braune Kutte gewickelt, in einer Ecke der Grabkammer, wohin sie Jacob Meyer durch einen Fußtritt befördert hatte. Und um sie herum nur tiefe Dunkelheit und absolute Stille. Endlich wachte ihr Vater auf, und sie war froh,
wieder menschliche Gesellschaft zu haben. Sie frühstückten Zwieback und Wasser, und dann begann Benita, während ihr Vater, das Gewehr in den Händen, den Eingang überwachte, ihre Sachen zu ordnen. Sie richtete die Wagenplane – mit Hilfe von Ästen, die sie hereingebracht hatten – wieder zu einer Art Zelt auf, breitete darin die Decken aus, damit sie und ihr Vater dort schlafen konnten, und stapelte neben dem Zelt die Nahrungsmittel und andere Dinge. Während sie damit beschäftigt war, hörte sie vom Eingang der Höhle ein Geräusch. Jacob Meyer war im Zugangstunnel über das Seil gestolpert. Sie ergriff die Laterne und lief zu ihrem Vater zurück, der jetzt das Gewehr hochriß und rief: »Wenn Sie hereinkommen, schieße ich!« Darauf antwortete Jacobs Stimme aus dem gewölbten Zugang: »Ich habe nicht die geringste Absicht dazu; ich werde warten, bis Sie herauskommen. Sie werden es nicht lange aushalten; der Schrecken der ewigen Dunkelheit wird Sie töten. Ich brauche nur hier im Sonnenlicht zu sitzen und zu warten.« Er lachte, und sie hörten seine Schritte, die sich entfernten. »Was wollen wir tun?« fragte Mr. Clifford verzweifelt. »Wir können nicht ohne Licht sein, und wenn wir Licht haben, wird er bestimmt bis zum Ende des Tunnels kriechen und uns erschießen. Er ist jetzt vollends verrückt geworden, das habe ich an seiner Stimme erkannt.« Benita überlegte eine Weile, dann sagte sie: »Wir müssen den Eingangstunnel blockieren. Sieh!« Und sie deutete auf die großen Steintrümmer, die die Explosion ihrer Sprengladung von der Höhlendecke ge-
rissen hatte. »Sofort, sofort«, drängte sie, »er wird vorläufig nicht zurückkommen, wahrscheinlich nicht vor Anbruch der Nacht.« Also begannen sie mit der Arbeit, und noch nie hatte Benita so hart gearbeitet, wie an diesem Tag. Die weniger großen Felstrümmer trugen sie zu zweit, die anderen, die zu schwer waren, rollten sie mit der Brechstange. Zum Glück für sie war die Passage nur drei Fuß breit und sechs Fuß hoch, und es war reichlich Material da. Bevor es Abend wurde, hatten sie den Durchlaß mit einer mehrere Fuß dicken Mauer versperrt. Es war getan, und sie betrachteten ihr Werk voller Stolz, obwohl Benita einfiel, daß sie vielleicht ihr eigenes Grab gemauert hatten. Wegen der Lage der Mauer, im Winkel der schärfsten Biegung, konnten sie sicher sein, daß Meyer sie nicht mit einem Pfahl einrammen konnte, und es war auch kein loses Schießpulver mehr da. Es blieb ihm also nur die Möglichkeit, die schweren Steine Stück für Stück mit den Händen herauszubrechen, und das, hofften sie, würde über seine Kräfte gehen. Und wenn er es dennoch versuchen sollte, würden sie es früh genug hören. Aber dennoch sollte dieser Tag nicht ohne ein neues Unheil zu Ende gehen. Nachdem sie die Sperrmauer mit ein paar schweren Ästen zusätzlich abgestützt hatten und ein schweres Felsstück, das sie am Boden verankern sollte, heranwuchteten, stöhnte Mr. Clifford plötzlich auf und sagte: »Irgend etwas ist mit meinem Rückgrat passiert. Hilf mir zum Zelt, ich muß mich hinlegen.« Langsam und offensichtlich unter großen Schmer-
zen taumelte Mr. Clifford zum anderen Ende der Höhle und lehnte sich auf Benita wie auf einen Stock. Als sie das Zelt erreichten, brach er auf den Decken zusammen und blieb reglos liegen wie ein Toter. Nun begann für Benita die schrecklichste Zeit ihres Lebens. Stunde um Stunde verfiel ihr Vater mehr. Schon vor ihrer Flucht in die Höhle war er sehr krank gewesen, doch jetzt, nach diesem Unfall, verschlechterte sich sein Zustand fast zusehends, und er hatte starke Schmerzen. Sein Rheumatismus oder was immer es war, schien sich auf sein verletztes Kreuz auszuweiten, und die Schmerzen waren so unerträglich, daß er kaum zehn Minuten hintereinander schlafen konnte. Außerdem konnte er kaum etwas von dem armseligen Essen, das Benita für ihn zubereitete, zu sich nehmen, und er aß nichts anderes, als etwas in Kaffee aufgeweichten Zwieback und hin und wieder etwas Brühe, ein geschmackloses Zeug, da sie aus Biltong oder sonnengetrocknetem Ochsenfleisch hergestellt wurde, mit ein wenig Salz als einzigem Gewürz. Und es gab noch zwei weitere Ängste, gegen die sie ankämpfen mußte: die Dunkelheit und Jacob Meyer. Vielleicht war die Dunkelheit die schlimmere von den beiden. Das Leben in einem ständigen Halbdunkel beim Schein einer einzigen Lampe – sie wagte nicht mehr anzuzünden, da sie mit dem Petroleum sparsam umgehen mußten – kam ihr vor, als ob sie sich in einer mondlosen Nacht unter einem Himmel befände, an dem nur ein einziger Stern schien. Ah! Wie kann ein Mensch, der so etwas nicht selbst erlebt hat, wissen, was es bedeutet? Hier lag der alte, kranke Mann, dort waren die grinsenden Totenschädel und Skelette,
um sie die Dunkelheit und die Stille, und hinter allem lauerte ein entsetzlicher Tod – oder Jacob Meyer. Doch der machte sich nicht bemerkbar, obwohl sie ein- oder zweimal glaubte, vor der Wand, die sie errichtet hatten, sein irres Gemurmel zu hören. Anscheinend machte er nicht den Versuch, sie einzureißen, oder es war ihm nicht gelungen, oder er fürchtete, daß man ihn, wenn es ihm gelänge, mit einer Kugel empfangen würde. Schließlich dachte Benita nicht mehr an ihn. Sollte er irgendwann den Eintritt in die Höhle erzwingen, mußte sie sehen, wie sie mit ihm fertig wurde. Viel größere Sorge machte ihr, daß ihr Vater immer mehr und immer rascher verfiel. Drei schreckliche Tage vergingen, und das Ende war inzwischen abzusehen. Obwohl Benita versuchte, sich zum Essen zu zwingen, bekam sie nicht genug Nahrung hinunter, um bei Kräften zu bleiben. Jetzt, wo die Passage blockiert war, wurde die Luft in der Höhle, vor allem durch das Feuer, das sie zum Kochen brauchten, so verraucht und giftig, daß sie sie zu ersticken drohte. Der Mangel an Schlaf erschöpfte den Rest ihrer Kräfte, die Angst vor dem, was das Morgen bringen könnte, nahm ihr den Lebenswillen. Sie begann zu verzweifeln, und die Stunde war nahe, in der sie und ihr Vater sterben würden. Einmal, als sie Seite an Seite mit ihm schlief und von seinem Stöhnen aus dem Schlaf gerissen wurde, blickte sie auf die Uhr. Es war Mitternacht. Sie stand auf, trat zu dem verglimmenden Feuer, wärmte den Rest der Biltong-Brühe auf und goß sie in einen Becher. Sie brachte ihn ihrem Vater und zwang ihn, ein paar Schlucke zu trinken. Von einem plötzlichen Schwächegefühl gepackt, trank sie dann den Rest
selbst. Die kleine Stärkung gab ihr die Kraft zum Nachdenken, und verhalf ihrem Vater dazu, wieder in seinen unruhigen Schlaf zu verfallen. Aber das Nachdenken brachte sie nicht weiter, ihre Lage war hoffnungslos. Es blieb nur noch das Gebet. Benita wurde von einer plötzlichen Unruhe gepackt, sie nahm die Laterne und begann in der Höhle umherzugehen. Die Mauer, die sie errichtet hatten, war intakt, und oh, wenn sie daran dachte, daß jenseits von ihr frische Luft war und Sterne vom nächtlichen Himmel schienen! Sie kam wieder zurück, umrundete die Gräber, die Meyer aufgebrochen hatte, zuletzt das des alten Mönchs, trat am Altar vorbei und stand schließlich auf den Stufen unterhalb des Kruzifixes, hielt die Laterne mit der Kerze empor und blickte in das Gesicht des dornengekrönten Christus. Es war wunderbar geschnitten; das Mitleid mit der ganzen Menschheit war in diesem Gesicht ausgedrückt. Mußte nicht Er, den es darstellte, auch mit ihr Mitleid haben? Sie kniete sich auf die oberste Stufe, umklammerte die von Nägeln durchbohrten Füße und begann zu beten, nicht um die eigene Rettung, sondern um die ihres Vaters. Sie betete, wie sie noch nie zuvor gebetet hatte, und während des Gebets überkam sie eine Schwäche, und sie sank in Ohnmacht. Es schien Benita, als ob sie aus einem tiefen Schlaf plötzlich zum Leben erwachte, und sie sah viele Dinge. Zum Beispiel sah sie sich selbst in einem Zustand tiefer Trance auf denselben Stufen sitzen, auf denen sie jetzt kniete, und vor ihr standen ihr Vater und Jacob Meyer. Und eine Stimme sprach in ihr; sie konnte die Stimme nicht hören, doch sie schien die Worte,
die sie sprach, vor sich zu sehen, als ob sie in der Luft schwebten. Und dies waren die Worte: »Umarme die Füße des Gekreuzigten und drückte sie nach links. Die Passage, die du siehst, führt zu der Kammer, in der das Gold liegt, und von dort zum Ufer des Flusses. Das ist das Geheimnis, das ich, die tote Benita, dir, der lebenden Benita, weitergeben will, so wie es mir befohlen wurde. Friede sei mit deiner Seele, im Leben wie im Tod!« Dreimal schien sie diese Botschaft im Bewußtsein Benitas zu wiederholen, und dann erwachte sie so plötzlich, wie sie eingeschlafen war, und jeder Buchstabe der Botschaft hatte sich fest in ihr Gehirn eingegraben. Sicher war es ein Traum gewesen, sagte sie sich, nichts als ein Traum, dadurch hervorgerufen, daß ihre Arme die Füße des Kruzifixes umklammerten. Wie hatten die Worte gelautet? ›Drücke sie nach links!‹ Sie tat es, doch nichts rührte sich. Sie versuchte es noch einmal, und es geschah noch immer nichts. Natürlich war es ein Traum gewesen. Warum hatte man ihn ihr gesandt, nur um sie zu narren? In einem Anfall von Wut und Enttäuschung stemmte sie sich mit dem Rest ihrer Kraft gegen die steinernen Füße des Gekreuzigten. Sie bewegten sich ein wenig! Und dann, plötzlich, ohne ihr Zutun, schwangen sie sich empor, bis auf Kniehöhe der Statue, die von dem Lendentuch bedeckt waren, das auch die Scharniere verdeckte. Ja, sie schwangen herum und legten eine Passage mit einer steilen Treppe frei, über die kühle, frische Luft heraufströmte.
Benita erhob sich mit zitternden Knien. Dann ergriff sie ihre Laterne und lief zu dem Zelt, in dem ihr Vater lag.
22 Die Stimme der Lebenden Mr. Clifford war wach. »Wo warst du?« fragte er mit dünner, kraftloser Stimme. »Ich wollte mit dir reden.« Und dann, als das Licht der Kerze auf ihr Gesicht fiel, bemerkte er die Veränderung darin. »Was ist geschehen?« fragte er. »Ist Meyer tot? Sind wir frei?« Benita schüttelte den Kopf. »Vor ein paar Stunden hat er noch gelebt, denn ich hörte ihn vor der Mauer, die wir errichtet haben, toben und fluchen. Aber mir ist alles wieder eingefallen, Vater; ich glaube, ich habe es gefunden.« »Was ist dir wieder eingefallen? Was hast du gefunden? Bist du auch verrückt geworden, wie Jacob?« »Mir ist wieder eingefallen, was mir jemand gesagt hat, als ich mich in Trance befand, was ich danach aber vergessen habe. Und ich habe eine Passage gefunden, die zu dem Ort führt, an dem das Gold versteckt ist. Ihr Eingang liegt im Kruzifix, das keiner von uns untersucht hat.« Das Gold schien Mr. Clifford nicht zu interessieren. In seinem Zustand war ihm aller Reichtum, der im Boden Afrikas liegen mochte, völlig gleichgültig. Außerdem haßte er inzwischen diesen verdammten Schatz, der schuld daran war, daß er hier ein so erbärmliches Ende finden würde. »Wohin führt die Passage?« fragte er. »Hast du nachgesehen?« »Noch nicht; aber die Stimme in mir sagte ... ich
meine, ich träumte, daß sie zum Flußufer führt. Glaubst du, daß du gehen kannst, wenn du dich auf mich stützt?« »Nicht einen Schritt«, antwortete er. »Hier, wo ich bin, werde ich sterben.« »Nein, nein, so etwas darfst du nicht sagen. Jetzt, wo wir einen Weg nach draußen gefunden haben, können wir gerettet werden. Oh, wenn du nur – wenn du nur gehen könntest! Oder wenn ich nur stark genug wäre, um dich zu tragen!« Und sie rang die Hände und begann zu weinen, so schwach war sie. Ihr Vater blickte sie forschend an. Dann sagte er: »Es geht eben nicht, Benita, und deshalb ist es das Ende. Aber du kannst es schaffen, und darum mußt du jetzt gehen.« »Was? Und dich hier alleine lassen? Niemals!« »Ja, und mich hier alleine lassen. Sieh, es ist kaum noch Petroleum da, und auch die Kerzen gehen zu Ende. Wir haben nur noch wenig Zwieback, und keiner von uns kriegt dieses Biltong noch hinunter. Ich glaube, daß ich sterbe, und deine Gesundheit und Kraft vergehen zusehends in diesem Dunkel; wenn du hierbleibst, wirst du mir bald nachfolgen. Und was ist die Alternative? Der Verrückte dort draußen, das heißt, wenn du noch die Kraft haben solltest, die Mauer einzureißen, was ich sehr bezweifle. Du mußt gehen, Benita.« Doch sie weigerte sich noch immer. »Siehst du denn nicht ein, daß dies meine einzige Chance ist, am Leben zu bleiben?« drängte er sie. »Wenn du jetzt gehst, kannst du vielleicht Hilfe herbeiholen, bevor es mit mir zu Ende geht. Wenn diese
Passage wirklich ins Freie führt, endet sie wahrscheinlich irgendwo im untersten Bezirk, zwischen der ersten und zweiten Mauer, wo die Makalanga sind, obwohl sie von ihrer Existenz nichts wissen. Wenn dem so ist, könntest du zum Molimo gehen, und wenn der gestorben sein sollte, zu Tamas oder einem der anderen, und sie werden uns helfen. Geh, Benita, geh!« »Daran habe ich nicht gedacht«, sagte sie. »Natürlich wäre das möglich, falls die Passage überhaupt nach unten führt. Nun, zumindest kann ich mich einmal umsehen und komme sofort zurück, um dir zu berichten.« Benita stellte den Kanister mit dem Rest des Petroleums neben das Lager ihres Vaters, damit er die Lampe nachfüllen konnte, wenn sie leer war. Außerdem stellte sie die Schüssel mit den Resten des Zwiebacks, etwas Biltong, eine Flasche Squareface und den Wassereimer in seine Reichweite. Als das getan war, zog sie ihren langen Mantel über, steckte ein Stück Biltong in die eine Tasche, und Streichhölzer und drei der vier verbliebenen Kerzen in die andere. Die vierte legte sie neben das Bett ihres Vaters zu den anderen Sachen. Als sie ihre Vorbereitungen beendet hatte, kniete sie sich neben ihn, küßte ihm die Stirn und betete, daß sie sich wiedersehen mochten, obwohl sie wußte, daß diese Hoffnung nur sehr gering war. Ob jemals zwei Menschen in einer schrecklicheren Lage gewesen waren? fragte sie sich, als sie ihren sterbenden Vater anblickte, den sie jetzt verlassen mußte, so daß er nun allein mit dem Tode rang, während sie ins Innere der Erde hinabstieg, einem unbekannten Schicksal entgegen!
Mr. Clifford schien ihre Gedanken zu lesen. »Ja«, sagte er, »es ist ein seltsamer Abschied zu einem seltsamen Vorhaben. Doch wer weiß? Vielleicht gefällt es dem Schicksal, dir Erfolg zu schenken, und wenn nicht – dann sind unsere Sorgen ohnehin bald vorbei.« Benita küßte ihn noch einmal und riß sich dann rasch von ihm los. Sie trat in die Passage, deren Zugang durch den unteren Teil des Kruzifixes gebildet wurde, blieb einen Moment lang stehen und untersuchte den Mechanismus, dann klemmte sie einen Stein so hinein, daß der aufschwingende Teil nicht hinter ihr zufallen konnte. Sie hatte anfangs geglaubt, daß er von einer Art Feder betätigt wurde, doch jetzt erkannte sie, daß dem nicht so war; die ganze Masse hing an drei schweren, wunderbar versteckten Steinscharnieren. Staub und jahrhundertelange Verwitterung, die diesen Zugang so schwer zu öffnen gemacht hatten, machten auch diese winzigen Risse unsichtbar, so daß jemand, der das Geheimnis nicht kannte, monate- oder jahrelang suchen konnte, ohne es zu entdecken. Doch Benita hatte kaum einen Blick für solche Details und bemerkte deshalb auch nicht, daß die Passage genauso perfekt angelegt worden war. Offensichtlich stammte dieser Geheimgang nicht von den Portugiesen, sondern war von den Phöniziern oder von einem anderen Volk jener frühen Zeitepoche angelegt worden, ein Zugang zur Schatzkammer, dessen Tür im Allerheiligsten lag, so daß nur die höchsten der Priester Zutritt zu ihm hatten. Der Geheimgang, etwa sechs Fuß hoch und vier Fuß breit, war aus dem gewachsenen Fels herausgeschlagen worden, und Tau-
sende von Meißelspuren waren an Wänden und Dekken noch deutlich zu erkennen, genau wie auf den Stufen der Treppe, die nur wenig benutzt worden waren und so neu wirkten wie an dem Tag, an dem sie fertiggestellt worden waren. Benita stieg die Stufen hinab, leuchtete mit ihrer Kerze und zählte sie. Die dreißigste brachte sie auf einen kleinen Absatz, und hier fand sie die erste Spur von dem Schatz, den zu finden sie so viel gelitten hatten. Etwas glitzerte vor ihrem Fuß. Sie hob es auf. Es war ein winziger Goldbarren von zwei oder drei Unzen Gewicht, den man offenbar hier verloren hatte. Sie ließ ihn fallen und blickte auf die Tür, die den kleinen Raum am Fuß der Treppe abschloß, und zu ihrem Entsetzen sah sie, daß es eine Tür aus schweren Bohlen war, mit starken Eisenbändern und gewaltigen Riegeln. Doch die Riegel waren nicht zugeschoben, und als sie an ihnen zog, knarrte die Tür in ihren verrosteten Scharnieren und schwang auf. Zwei weitere Stufen führten hinab, und dann stand Benita in der Schatzkammer. Sie war quadratisch und hatte die Ausmaße eines kleinen Zimmers. An beiden Seitenwänden waren Beutel aus Rohleder fast bis zu der niedrigen, gewölbten Decke gestapelt. Unmittelbar hinter dem Eingang war einer dieser Beutel zu Boden gefallen und aufgeplatzt. Er war mit Gold gefüllt, zum Teil in Ingots, zum Teil in rohen Nuggets, die jetzt in einem schimmernden Durcheinander am Boden lagen. Als sie sich vorbeugte, um es genauer zu betrachten, fiel ihr ein, daß ihr Vater ihr erzählt hatte, sie hätte im Zustand der Trance gesagt, einer der Beutel in der Schatzkammer sei aufgeplatzt, und es sei der
schwarzrotfarbene Beutel. Vor ihr lag der aufgeplatzte Beutel, und – tatsächlich: die Farbe des Leders war schwarz und rot. Sie erschauerte. Es war unerklärlich, unheimlich. Unheimlich war es auch, in der dicken Staubschicht, die sich im Lauf von zwanzig oder mehr Jahrhunderten auf dem Boden der Kammer gebildet hatte, Fußspuren zu sehen, die Fußspuren der letzten Menschen, die die Schatzkammer betreten hatten. Zwei Menschen waren es gewesen, ein Mann und eine Frau, und keine Wilden, da sie Schuhe getragen hatten. Benita setzte ihren Schuh in einen Fußabdruck der Frau. Er paßte genau hinein; der Abdruck hätte von ihr selbst stammen können. Vielleicht war er von der anderen Benita, überlegte sie, die von ihrem Vater hierher geführt worden war, nachdem die Portugiesen ihren Schatz in der Kammer untergebracht hatten, damit sie wußte, wo er sich befand, und woraus er bestand. Nach einem letzten Blick auf diesen unschätzbaren Haufen Gold, der so viel Unglück gebracht hatte, ging sie weiter, da sie das Gold des Lebens und der Freiheit suchte, für sich und für ihren Vater. Sie blickte umher. War dies das Ende der Treppe? Um besser sehen zu können, blieb sie stehen und öffnete die vordere Glasscheibe der Laterne. Doch noch immer konnte sie keine Öffnung und keine Tür in den Felswänden entdecken. Aber warum flackerte ihre Kerze dann so, und wie kam es, daß die Luft hier unten so frisch war? Sie ging ein paar Schritte weiter und erkannte plötzlich, daß die Fußspuren der Toten, denen sie gefolgt war, plötzlich aufhörten, und blieb stehen.
Und gerade rechtzeitig! Nur einen Schritt weiter, und sie wäre in die Öffnung eines tiefen Schachts gefallen. Sie war früher mit einer Steinplatte bedeckt gewesen, doch diese war entfernt und nicht wieder aufgelegt worden. Sie lehnte daneben an der Wand. Doch Benita war zu schwach, um sie wieder über die gähnende Öffnung zu legen. Sie hockte sich an den Rand und streckte ihre Laterne vor. Und nun sah sie, daß sie einen Treppenschacht vor sich hatte, denn sie bemerkte eine lange Reihe schmaler Stufen, die steil in die Tiefe führte und im Dunkel verschwand. Ohne zu zögern begann sie hinabzusteigen, immer tiefer und tiefer, einhundert Stufen – zweihundert – zweihundertfünfundsiebzig Stufen, und überall, wo sich Staub angesammelt hatte, sah sie die Fußspuren des Mannes und der Frau. Es waren zwei Reihen von Spuren; eine führte hinab, und die andere herauf. Die heraufführende waren die jüngeren, da sie häufig die hinabführenden überlagerten. Warum waren diese beiden Menschen wieder umgekehrt? fragte sich Benita. Sie kam zum Ende der schmalen Treppe und betrat eine natürliche Höhle, deren Wände und Decke roh und unbearbeitet waren. Wasser rann und tropfte herab. Sie war nicht sehr groß und roch durchdringend nach Moder, Fäulnis und Verwesung. Immer wieder blickte Benita umher, konnte jedoch in dem schwachen Licht ihrer Kerze keinen Ausgang entdekken. Doch plötzlich entdeckte sie etwas anderes: Als sie auf etwas treten wollte, das sie für ein Stück Fels hielt, bewegte es sich unter ihrem Fuß. Sie hörte das Aufeinanderkrachen mächtiger Kiefer, und ein harter Schlag ans Bein hätte sie fast zu Boden geworfen. Als
sie rückwärts taumelte, sah sie eine riesige, ekelerregende Kreatur im Dunkel verschwinden. Der ›Fels‹, auf den sie getreten war, war ein Krokodil gewesen, das hier seinen Unterschlupf hatte! Mit einem kleinen Schrei lief sie zur Treppe zurück. Den Tod hatte sie erwartet – aber nicht zwischen den Kiefern eines Krokodils! Doch noch während sie keuchend vor Entsetzen am Fuß der Treppe stand, stieg eine neue Hoffnung in ihr auf. Wenn das Krokodil hier hereingekommen war, mußte es auch wieder hinausgelangen können, und ein Durchschlupf, der einem so riesigen Tier Platz bot, mußte auch groß genug sein, um sie hindurchzulassen. Außerdem wußte sie jetzt, daß sie sich in unmittelbarer Nähe des Wassers befinden mußte, denn sonst hätte das Krokodil hier nicht seinen Unterschlupf gesucht. Sie nahm all ihren Mut zusammen, und nachdem sie in die Hände geklatscht, laut Schreie ausgestoßen und ihre Laterne hin und her geschwenkt hatte, um weitere Krokodile, die womöglich im Dunkeln lauern mochten, zu verscheuchen, ging sie zu der Stelle zurück, wo sie auf die Echse getreten war. Offensichtlich war hier sein Bett, denn sein langer, schwerer Körper hatte einen tiefen Abdruck im Schlamm hinterlassen, und rings herum lagen die Überreste der Tiere, die es als Nahrung hereingeschleppt hatte. Von dieser Vertiefung führte eine Schleifspur weg, die selbst im matten Licht der Laterne deutlich zu erkennen war. Benita folgte dieser Spur, die vor einer nackten, glatten Felswand endete. Und jetzt wußte sie, warum die Fußspuren der beiden Portugiesen wieder zurückführten: hier hatte sich ursprünglich eine
Öffnung befunden, die von den Menschen, die diese Treppen und die Schatzkammer angelegt hatten, mit Steinen und Zement zugemauert worden war. Aber wie war das Krokodil hinausgekommen? Benita bückte sich und leuchtete die Felswand mit der Laterne ab, und ein paar Schritte rechts von der vermauerten Öffnung entdeckte sie ein Loch, das aussah, als ob es vom Wasser in den Stein genagt worden wäre. Jetzt glaubte Benita zu verstehen. Der Granit war mit einer weicheren Gesteinsschicht durchsetzt, die im Lauf der Jahrtausende vom Wasser des Flusses aufgelöst und fortgeschwemmt worden war; und das Krokodil hatte den so entstandenen Spalt entdeckt und erweitert. Sie ließ sich auf Hände und Knie hinab, schob die Laterne vor sich her und kroch durch die verschlammte, stinkende Röhre. Und dann – oh, dann fühlte sie, daß kühle Luft um ihr Gesicht fächelte, und sie hörte das Rauschen von Ried, das Plätschern von Wasser, und sah einen einzigen Stern wie eine Lampe am nachtdunklen Himmel hängen – den Morgenstern. Benita hätte vor Glück weinen können, sie wäre am liebsten vor diesem Stern auf die Knie gesunken und hätte ihn angebetet, doch sie schob sich weiter, bis sie das Ende der Felsenröhre erreichte und zwischen hohem Rohr durch flaches Wasser kroch. Sie hatte das Ufer des Sambesi erreicht. Sofort löschte sie ihre Kerze, damit ihr Licht sie nicht verriete, denn ihr ständiges Leben mit Gefahren hatte ihre Sinne für solche Vorsichtsmaßnahmen geschärft und fast zu einem Instinkt werden lassen. Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, doch der abnehmende Mond und die Sterne gaben ausreichend Licht. Sie richtete sich vorsichtig auf und
blickte umher. Über ihr erhob sich die Außenmauer von Bambatse, deren Fuß von den Fluten des Sambesi umspült wurde, wenn er nicht, wie es jetzt der Fall war, Niedrigwasser führte. Also war sie nicht mehr innerhalb der Festung, wie sie es sich erhofft hatte, sondern außerhalb von ihr. Oh! Was sollte sie tun? Wieder zurückgehen? Wie konnte sie dadurch ihrem Vater und sich selbst helfen? Weitergehen? Dann würde sie in die Hände der Matabele fallen, deren Lager ein Stück flußabwärts lag, so wie der unglückliche weiße Mann, dessen Gefangennahme sie von ihrem Aussichtspunkt auf der Spitze der Felsnadel aus beobachtet hatte. Ah, dieser weiße Mann! Wenn er nur noch leben würde und sie ihn erreichen könnte! Doch vielleicht hatten sie ihn nicht getötet, überlegte sie. Es war Wahnsinn, doch sie mußte es herausfinden; irgend etwas zwang sie, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Wenn ihre Suche fehlschlug und sie heil zurückkehrte, würde sie die Makalanga rufen, die ihr von der Mauerkrone ein Seil zuwerfen und sie hinaufziehen würden, bevor die Matabele sie fingen. Auf jeden Fall war sie entschlossen, nicht ohne irgendeinen Erfolg in die entsetzliche Höhle zurückzukehren, um dort gemeinsam mit ihrem armen Vater zu sterben. Lieber wollte sie hier umkommen, in der klaren, reinen Luft und unter den hellen, funkelnden Sternen, selbst wenn es ein Matabelespeer war, der ihr den Tod brachte, oder eine Kugel aus ihrem eigenen Revolver. Sie blickte umher, um sich zu orientieren, falls es notwendig werden sollte, zum Eingang der Höhle zurückzufinden. Es erwies sich als sehr einfach. Hundert Fuß oberhalb ihres Standorts, wo eine kleine
Klippe aus der glatten Felswand herauswuchs – die Legende behauptete, daß es die Klippe sei welche Benita da Ferreira bei ihrem Sturz von der Spitze des Pfeilers gestreift hatte, und die ihr die Halskette abgerissen hatte – wuchs ein verkrüppelter Mimosenbaum aus einer Felsspalte. Um die Öffnung selbst zu markieren, knickte sie ein Bündel Rohrhalme um, nachdem sie zuvor ein paar Tandsticker-Schwefelhölzer abgerissen und sie in den röhrenartigen Zugang geworfen, damit ihr Geruch das Krokodil vertrieb, falls es jetzt zurückkehren sollte, und ihre Laterne hinter einen Stein neben dem Eingang gestellt hatte. Dann machte sich Benita auf den Weg, den sie, wenn der Fluß Hochwasser geführt hätte, nur schwimmend hätte bewältigen können. Jetzt aber lag ein schmaler Schlammgürtel zwischen dem Wasser und der steilen, glatten Felswand, über der sich die Mauer erhob. Nie würde sie diese Minuten vergessen, in denen sie zwischen Fels und Wasser durch den zähen Schlamm stapfte. Die hohen Rohrhalme regneten Tau auf sie herab, bis sie völlig durchnäßt war; große, schwarzäugige Finken – von den Eingeborenen Saccabooles genannt – flogen auf, wenn sie sich ihnen näherte und glitten lautlos über die Wasser des Flusses; Eulen flatterten vorbei und Rohrdommeln schrien dem dämmernden Morgen entgegen. Große Fische schnellten sich aus dem Wasser – oder waren es Krokodile? Benita hoffte, daß es Fische waren; denn nach dem Schrecken hatte sie vorerst genug von Krokodilen. Es war alles äußerst seltsam. War sie wirklich dieselbe Frau, fragte sie sich, die noch vor einem Jahr mit ihrer Kusine die Westbourne Grove entlanggeschlen-
dert war und die Auslagen im Fenster von Whitley betrachtet hatte? Was würden die Cousins und Cousinen sagen, wenn sie sie jetzt sehen könnten, bleich und mit aufgerissenen Augen, von Verzweiflung erfüllt durch den Schlamm eines unbekannten Flußufers stapfend und von einem Tod in den anderen fliehend! Sie quälte sich weiter; über sich den perlfarbenen Himmel, an dem die Sterne blasser wurden, um sich herum die taufeuchten Halme des Rieds, und die dichten, ziehenden Schwaden des Frühnebels, der das ganze Land bedeckte. Die Mauern von Bambatse blieben hinter ihr zurück, und sie trat endlich auf festen Boden – auf dem sich das Lager der Matabele befand! Doch sie konnte durch den Nebel weder das Lager noch einen einzigen Matabele entdecken. Wahrscheinlich hatten sie die Feuer ausgehen lassen, und sie war unbemerkt zwischen den Wachen hindurchgegangen. Instinktiv, ohne zu überlegen, änderte sie ihre Richtung und ging auf die kleine Anhöhe zu, auf der sie den Wagen des weißen Mannes gesehen hatte, in der vagen Hoffnung, daß er noch immer dort stehen würde. Immer weiter stolperte sie durch den Nebel, bis sie gegen etwas Weiches stieß; es war ein Ochse, der an einem Treck-Seil angebunden war, und hinter ihm entdeckte sie mehr als ein Dutzend weiterer Ochsen und die weiße Plane eines Wagens. Also war er wirklich noch hier, aber der weiße Mann, wo war er? Benita ging an der langen Reihe der Ochsen entlang, bis sie den Disselboom des Wagens erreichte. Sie blieb stehen, starrte durch den dichten Nebel und lauschte. Als sie nichts sah und
hörte, stieg sie auf den Bock des Wagens und starrte in den Raum unter der Plane. Der Nebel war selbst bis hierher vorgedrungen, so daß sie nichts sehen konnte; aber sie hörte etwas, den regelmäßigen Atem eines schlafenden Menschen. Irgend etwas machte sie sicher, daß er der weiße Mann war, ein Kaffer atmete nicht so. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, blieb also auf dem Bock sitzen. Es war, als ob der schlafende Mann ihre Anwesenheit spürte, er wälzte sich herum und murmelte etwas – und seine Worte waren englisch! Dann riß er plötzlich ein Streichholz an und entzündete eine Kerze, die neben ihm im Hals einer Bierflasche steckte. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, als das Streichholz aufflammte, da sein Arm es verdeckte, und die Kerze brannte sehr langsam an. Das erste, was sie sah, war der Lauf eines Revolvers, dessen Mündung auf sie gerichtet war. »Und jetzt, mein schwarzer Freund«, sagte eine ruhige, wohlklingende Stimme, »verschwinde, oder du fängst eine Kugel. Eins – zwei ... Oh, mein Gott!« Die Kerze flammte auf, und ihr Licht fiel auf das bleiche Gesicht Benitas, deren langes Haar über Schultern und Brust fiel, und spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen Augen. Sie konnte noch immer nichts erkennen, weil das Licht sie blendete. »Oh, mein Gott«, sagte die Stimme noch einmal. »Benita, Benita! Bist du gekommen, um mir zu sagen, daß ich zu dir kommen soll? Ich bin bereit, meine Geliebte, meine Geliebte! Jetzt werde ich deine Antwort hören.« »Ja«, flüsterte sie, kroch vom Bock ins Innere des Wagens und warf sich an seine Brust. Sie hatte ihn wieder – ob tot oder lebend war ihr
gleichgültig, sie hatte ihn wieder, aus der Hölle war sie zu ihm gekrochen, zu ihrem Himmel, ihrem Zuhause.
23 Benita gibt ihre Antwort »Deine Antwort, Benita«, sagte Robert verträumt, denn ihm kam alles wie ein Traum vor. »Habe ich sie nicht schon vor Monaten gegeben? Oh, ich erinnere mich, nur in meinem Herzen, nicht mit meinen Lippen, weil ich dann diesen Schlag bekam! Und später hörte ich, was du getan hast, und wäre fast gestorben. Ich wünschte mir auch den Tod, um bei dir sein zu können, doch ich konnte nicht sterben, ich war zu kräftig; und jetzt verstehe ich den Grund dafür. Nun, es scheint, als ob wir beide lebten, und ganz egal, was geschehen mag, hier ist meine Antwort; ein für allemal: Ich liebe dich. Ich schäme mich nicht, dir das zu sagen, weil wir vielleicht sehr bald zum letzten Mal getrennt werden. Doch ich kann jetzt nicht reden, ich bin hergekommen, um meinen Vater zu retten.« »Wo ist er, Benita?« »Er liegt im Sterben, in einer Höhle am Gipfel des Berges. Ich bin durch einen Geheimgang herausgekommen. Sind die Matabele noch immer hier?« »Allerdings«, antwortete er. »Aber es ist irgend etwas geschehen. Meine Wächter weckten mich vor etwa einer Stunde und sagten, daß ein Bote des Königs eingetroffen sei und jetzt palavern sie über Lobengulas Botschaft. Nur deshalb ist es dir gelungen, durchzukommen. Sonst hätten die Wachen dich mit ihren Speeren aufgespießt, diese Bestien.« Er zog sie an sich und küßte sie zum ersten Mal, und ließ sie, als ob er
sich seiner Gefühlsaufwallung schämte, sofort wieder los. »Hast du etwas zu essen?« fragte sie. »Ich ... ich sterbe vor Hunger. Vorher habe ich es nicht gemerkt, aber jetzt ...« »Hunger! Du hast Hunger, während ich ... hier ist noch etwas kalter Braten, den ich gestern nicht mehr hinunterbekam und für die Kaffern hinausgestellt habe. Mein Gott! Daß ich dir so etwas anbieten muß! Aber er ist gut. Du mußt jetzt essen.« Benita nahm das gebratene Fleischstück in die Hände und schlang gierig ein paar Bissen hinunter; sie hatte seit Tagen nur von etwas Zwieback und Biltong gelebt. Es schmeckte herrlich. Sie hatte das Gefühl, noch nie etwas so Gutes gegessen zu haben. Und er sah ihr beim Essen zu, ohne sie auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. »Wie kannst du mich ansehen?« sagte sie schließlich verlegen. »Ich schaue entsetzlich aus; ich habe in einer dunklen Höhle gelebt und bin durch Schlamm gekrochen. Ich bin sogar auf ein Krokodil getreten!« »Ich bin froh, dich überhaupt zu sehen«, antwortete er langsam. »Für mich bist du schön, bist es immer gewesen.« Sie blickte an sich hinab, sah ihren erbärmlichen Zustand, und ihre Augen waren feucht, als sie aufblickte und sagte: »Danke. Jetzt ist es mir egal, was mir geschehen mag, und was ich erlebt habe, hat überhaupt keine Bedeutung mehr. Doch können wir von hier entkommen?« »Das weiß ich nicht«, antwortete er; »aber ich bezweifle es. Setz dich eine Weile auf den Kutschbock, während ich mich anziehe. Dann werden wir sehen.«
Benita tat, was er ihr gesagt hatte. Der Nebel begann sich zu lichten, und ihr bot sich im zunehmenden Tageslicht ein Anblick, der ihr Herz sinken ließ: zwischen ihr und dem Berg Bambatse strömte eine Horde von Matabele zu ihrem Lager am Flußufer Sie waren abgeschnitten. Zwei Minuten später setzte Robert sich neben sie, und sie sah ihn besorgt an. Er schien weit älter als an dem Abend, an dem sie sich an Bord der Zanzibar zum letzten Mal gesehen hatten, und auch verändert; sein Gesicht wirkte ernster, und außerdem trug er inzwischen einen Bart. Er schien auch etwas zu hinken. »Ich fürchte, das ist das Ende«, sagte Benita und deutete auf die Matabele am tiefer gelegenen Flußufer. »Ja, es sieht so aus. Aber wie du so sage auch ich: Was kommt es darauf an?« Er nahm ihre Hand in die seinen und setzte hinzu: »Wir wollen glücklich sein, solange wir es können, und sei es nur für ein paar Minuten. Sie werden bald hier sein.« »Bist du ihr Gefangener?« fragte sie. »Ja. Ich bin dir gefolgt, und sie haben mich gefangengenommen; du weißt, daß ich schon einmal hier war und den Weg kannte. Sie wollten mich auf der Stelle töten, aus Prinzip sozusagen, doch dann fiel einem von ihnen, der intelligenter war als der Rest, ein, daß ich als Weißer ihnen vielleicht zeigen könnte, wie die Festung gestürmt werden kann. Inzwischen hatte ich mich überzeugt, daß du hier bist, da ich dich auf der Spitze der Felsnadel über der Festung gesehen hatte, obwohl die Schwarzen glaubten, du seist der Geist von Bambatse. Also war ich nicht daran interessiert, ihnen zu helfen – du weißt, was geschieht, wenn
die Matabele stürmen! – Aber da ich jetzt wußte, daß du noch lebtest, war ich auch nicht daran interessiert, zu sterben. Also ordnete ich an, daß sie mit ihren Assegais und Äxten einen Tunnel graben sollten – durch Granit. Sie haben bis jetzt ganz zwanzig Fuß geschafft, und haben nach meiner Schätzung noch hundertvierzig Fuß vor sich. Gestern abend hatten sie keine Lust mehr weiterzugraben und sprachen wieder davon, mich zu töten, wenn ich nicht sofort einen besseren Plan entwickeln würde. So stehen die Dinge, und ich weiß nicht, was passieren wird. Hallo! Da kommen sie. Versteck dich im Wagen – schnell!« Benita gehorchte, und von der Plane verborgen lauschte und beobachtete sie, ohne daß die Matabele sie sehen konnten. Die Gruppe, die auf sie zukam, bestand aus einem Häuptling und einer Wache von zwanzig Kriegern. Benita kannte den Häuptling. Es war Maduna, der Sohn des Königs, dem sie das Leben gerettet hatte. An seiner Seite war ein Zulu aus Natal, Robert Seymours Kutscher, der Englisch verstand und als Dolmetscher fungieren sollte. »Weißer Mann«, sagte Maduna, »wir haben eine Botschaft unseres Königs erhalten. Lobengula will einen großen Krieg und braucht uns. Er befiehlt, diesen lächerlichen Kampf abzubrechen, diesen Kampf gegen Feiglinge, die sich hinter ihren Mauern verkriechen, und die wir sonst längst getötet hätten, jeden einzelnen von ihnen, ja, und wenn wir hier sitzen müßten, bis wir alt und grau würden. Und durch diesen Befehl des Königs lassen wir sie noch eine Weile leben.« Robert antwortete höflich, daß er froh sei, das zu hören und wünschte ihnen eine gute Reise.
»Wünsche dir selbst eine gute Reise, weißer Mann«, war die ernste Antwort. »Warum? Willst du, daß ich euch zu Lobengula begleite?« »Nein; du gehst vor uns zum Kraal des Schwarzen, der noch größer ist als das Kind Moselikatses, zu dem König, der Tod genannt wird.« Robert verschränkte die Arme. »Sprich weiter!« »Weißer Mann, ich habe dir das Leben versprochen, wenn du uns zeigen würdest, wie wir diese Mauem zertrümmern oder erstürmen können. Aber du hast uns zum Narren gehalten, du hast uns geraten, mit Speeren und Äxten durch Fels zu graben. Ja, durch harten Stein zu hacken, als ob es weicher Boden wäre – obwohl du uns mit der Weisheit deines Volkes einen besseren Rat hättest geben können. Deinetwegen müssen wir in Schande vor unseren König treten, und deshalb mußt du, der sich über uns lustig gemacht hat, sterben. Steig herunter, damit wir dich töten und erfahren, ob du ein tapferer Mann bist oder nicht.« In diesem Augenblick, während die Hand ihres Geliebten nach dem Revolver tastete, den er unter seiner Jacke verbarg, kam Benita aus dem Wagen hervor, in dem sie sich versteckt gehabt hatte, und stellte sich neben ihn auf den Bock des Wagens. »Ow!« rief Maduna. »Es ist die Weiße Frau. Wie kommt sie hierher? Das muß Zauberei sein. Oder können Frauen fliegen wie Vögel?« Er und die anderen Matabele starrten sie verblüfft an. »Was kommt es darauf an, wie ich hergekommen bin, Häuptling Maduna?« antwortete sie auf Zulu.
»Doch will ich dir sagen, warum ich gekommen bin: Um dich daran zu hindern, deinen Speer in unschuldiges Blut zu tauchen und den Fluch unschuldig vergossenen Blutes über dein Haupt zu bringen. Antworte mir: Wer hat dir und deinem Bruder das Leben gerettet, als die Makalanga euch bei lebendigem Leib zerreißen wollten, wie eine Hyäne den Bock zerreißt? War ich es, oder war es eine andere?« »Du warst es und keine andere, Inkosi-kaas«, antwortete Maduna und hob salutierend seinen Assegai. »Und was hast du mir damals versprochen, Maduna?« »Frau von hoher Geburt, ich versprach dir dein Leben und deine Habe, solltest du jemals in meine Gewalt kommen.« »Ist ein Häuptling der Amandabele, ein Mann königlichen Geblüts, ein Lügner, wie ein Mashona oder ein Makalangasklave? Oder, noch schlimmer, sagt er nur die halbe Wahrheit, wie ein Betrüger, der die Hälfte des Preises zurückbehält?« fragte sie verächtlich. »Maduna, du hast mir nicht ein Leben versprochen, sondern zwei, zwei Leben und die Habe, die den beiden gehört. Frage deinen Bruder, der dort hinter dir steht, und der Zeuge deines Schwurs war!« »Gott im Himmel!« murmelte Robert Seymour, als er Benita neben sich stehen sah, mit herrisch ausgestrecktem Arm und funkelnden Augen. »Wer hätte es für möglich gehalten, daß eine halbverhungerte Frau einen solchen Auftritt zuwege bringen könnte, bei dem es um Leben und Tod geht!« »Es ist, wie es die Tochter weißer Häuptlinge gesagt hat«, antwortete der Mann, an den sie sich gewandt hatte. »Als sie uns aus den Fängen der Maka-
langa-Hunde befreite, hast du ihr zwei Leben versprochen, mein Bruder, eins für das deine, und eins für das meine.« »Habt ihr seine Worte gehört?« fuhr Benita fort. »Er hat mir zwei Leben versprochen, und wie hält dieser Prinz königlichen Geblüts sein Versprechen? Als ich und der alte Mann, mein Vater, in Frieden durch dieses Land ritten, hetzte er seine Speere auf uns und ließ uns jagen wie Wild. Doch es waren die Jäger, die in eine Falle gingen und starben, und nicht die Gejagten.« »Es war eure Schuld, nicht die unsere«, sagte Maduna beschämt. »Wenn ihr euch an mich gewandt hättet, hätte ich euch gehen lassen. Doch ihr habt meine Wache getötet, und dann begann die Jagd, und bevor ich wußte, wer ihr wart, waren meine Läufer außer Rufweite.« »Ich hatte kaum Gelegenheit, dich um Gnade zu bitten, doch wollen wir es dabei belassen«, antwortete Benita. »Ich will deinem Wort Glauben schenken und vergebe dir diese Sünde. Doch jetzt verlange ich, daß du dein Wort hältst. Geh und laß uns in Frieden!« Maduna zögerte noch immer. »Ich muß dem König berichten«, sagte er. »Was bedeutet dir dieser weiße Mann, daß ich ihm das Leben lassen soll? Ich gebe dir dein Leben und das Leben deines Vaters, doch nicht das dieses weißen Mannes, der uns hereingelegt hat. Wenn er dein Vater wäre, oder dein Bruder, wäre das eine andere Sache. Doch er ist ein Fremder, und er gehört nicht dir, sondern mir.« »Maduna«, sagte sie scharf, »teilen Frauen wie ich einen Wagen mit einem Fremden? Dieser Mann ist
für mich mehr als ein Vater oder ein Bruder. Er ist mein Ehemann, und ich fordere sein Leben von dir.« »Ow!« sagte einer der anderen Matabele. »Jetzt verstehen wir. Sie ist seine Frau und hat ein Anrecht auf ihn. Wenn sie nicht seine Frau wäre, wäre sie nicht in seinem Wagen. Es ist klar, daß sie die Wahrheit spricht, obwohl wir nicht wissen, wie sie hier hergekommen ist, es sei denn, daß sie, wie wir annehmen, eine Hexe ist.« Und er grinste über seine Schlauheit. »Inkosi-kaas«, sagte Maduna, »du hast mich überredet. Ich gebe dir das Leben dieses weißen Fuchses, deines Ehemanns, und hoffe, daß er dich nicht so hereinlegt, wie er uns hereingelegt hat, und dir befiehlt, Felsen zu hacken, und nicht den Acker.« Und er blickte Robert finster an. »Ich gebe dir ihn und alles, was ihm gehört. Hast du sonst noch einen Wunsch?« »Ja«, sagte Benita kühl. »Ihr habt viele Ochsen, die ihr anderen Stämmen geraubt hat. Meine haben wir gegessen, und ich brauche Ochsen, um meinen Wagen zu ziehen. Ich bitte dich um ein Geschenk von zwanzig Ochsen, und ...«, setzte sie hinzu, »von zwei Kühen mit jungen Kälbern, denn mein Vater ist krank und braucht Milch.« »Oh! Gebt sie ihr! Gebt sie ihr!« rief Maduna mit einer tragischen Geste, die Benita unter anderen Umständen zum Lachen gebracht haben würde. »Gebt sie ihr und sorgt dafür, daß es gute Tiere sind, bevor sie auch unsere Speere und Schilde verlangt – denn schließlich hat sie mein Leben gerettet!« Also liefen mehrere Krieger los, um die Ochsen und Kühe zu holen, die sie wenig später herantrieben.
Während all dies geschah, sammelte sich das große Impi der Matabele auf dem ebenen Grund etwa hundert Yards rechts von ihnen für den Rückmarsch. Nun begannen sie an ihnen vorbeizuziehen, und als erstes kamen die Jungen, welche die Matten und Kochtöpfe auf ihren Köpfen trugen und die erbeuteten Rinder und Schafe vor sich hertrieben. Inzwischen war die Kunde von Benita, der weißen Hexe, die sie nicht töten konnten, und die auf mysteriöse Weise vom Berggipfel in den Wagen ihres Gefangenen herabgeflogen war, unter ihnen verbreitet worden; sie wußten auch, daß sie es war, die ihren Häuptling vor den Makalanga gerettet hatte, und diejenigen von ihnen, die ihr Gespräch mit Maduna gehört hatten, bewunderten den Geist und den Mut, mit dem sie ihren Willen durchgesetzt hatte. Deshalb hoben sie, als sie am Wagen vorbeizogen und ein Spottlied auf die Makalanga sangen, die über die Mauerkronen ihrer Festung zu ihnen herüberstarrten, salutierend ihre Speere vor Benita. Schließlich waren sie fort, und nur Maduna und eine Wachmannschaft von etwa zweihundert Mann blieb zurück. Maduna trat vor den Wagen und blickte Robert Seymour an. »Höre, du Fuchs, der uns harten Fels hacken ließ!« sagte er wütend. »Du hast uns dieses Mal überlistet, doch sollte ich dich noch einmal treffen, stirbst du. Ich habe dir dein Leben geschenkt«, setzte er fast flehend hinzu, »doch wenn du wirklich so tapfer bist, wie man es den weißen Männern nachsagt, warum kommst du nicht herunter und kämpfst mit mir Mann gegen Mann, um der Ehre willen?« »Ich fürchte, diese Ehre muß ich ablehnen«, sagte
Robert, als ihm Madunas Herausforderung übersetzt worden war, »denn welche Chance hätte ich gegen einen so tapferen Krieger? Und diese Lady – meine Frau – benötigt meine Hilfe während ihrer Heimreise.« Maduna wandte sich verächtlich von ihm ab. »Ich gehe jetzt«, sagte er zu Benita, »und fürchte dich nicht, du wirst auf deiner Reise keine Matabele treffen. Hast du noch mehr Worte für mich, du Schöne mit einer Zunge wie Öl und einem Verstand, der wie Stahl schneidet?« »Ja«, antwortete Benita. »Du hast dein Wort gehalten, und als Dank dafür will ich dir Glück wünschen. Überbringe deinem König diese Botschaft von der Weißen Hexe von Bambatse, denn die bin ich: daß er die Makalanga, meine Diener, in Ruhe und Frieden in ihrem alten Heim leben lasse, und daß er keinen Speer gegen die Weißen Männer erhebt, damit ihm nicht das Übel widerfahre, das der Molimo ihm geweissagt hat.« »Ah!« sagte Maduna. »Jetzt verstehe ich, wie du vom Berggipfel in den Wagen dieses Mannes geflogen bist. Du bist keine weiße Frau, du bist die Hexe von Bambatse selbst. Du hast es eben selbst gesagt, und mit solchen ist nicht gut zu hadern. Große Lady der Zauberei Geist der alten Tage, ich grüße dich, und ich danke dir für deine Gaben von Leben und Glück. Lebwohl!« Dann wandte er sich um und ging an der Spitze seiner zweihundert Männer davon, so daß Benita und Robert kurz darauf allein waren – bis auf die drei Zulu-Diener und die kleine Herde von Rindern. Nachdem Benita ihre Rolle gespielt und das Spiel
gewonnen hatte, brach sie in Tränen aus und warf sich an Roberts Brust. Doch kurze Zeit später löste sie sich wieder aus seinen Armen. »Ich bin ein selbstsüchtiges Weib«, sagte sie. »Wie kann ich es wagen, so glücklich zu sein, wenn mein Vater im Sterben liegt, oder gar schon tot ist? Wir müssen sofort gehen.« »Wohin?« fragte Robert verwirrt. »Zum Berggipfel, natürlich, woher ich gekommen bin. Oh, stell mir jetzt keine Fragen. Ich werde dir unterwegs alles erzählen. Warte!« Sie rief einem der Zulu-Diener zu, der gerade dabei war, eine der beiden geschenkten Kühe zu melken, zwei Flaschen mit dieser Milch zu füllen. »Sollten wir nicht lieber den Makalanga zurufen, uns einzulassen?« schlug Robert vor, während der Zulu Milch in zwei Flaschen abfüllte, und Benita den Rest des gebratenen Fleisches in ein Tuch wickelte. »Nein, nein. Sie werden glauben, daß ich bin, was ich eben zu sein behauptete: die Hexe von Bambatse, deren Erscheinen Unheil ankündigt, und sie könnten sogar eine Falle fürchten. Außerdem können wir die oberste Wand nicht erklettern. Du mußt den Weg gehen, den ich gekommen bin, und wenn du deinen Leuten trauen kannst, bring zwei von ihnen mit, daß sie uns mit Laternen leuchten. Der Junge kann hierbleiben und die Rinder bewachen.« Drei Minuten später gingen sie, gefolgt von den beiden Zulus, am Ufer des Sambesi entlang. »Warum gehst du nicht schneller?« fragte sie nach einer Weile ungeduldig. »Oh, du hinkst. Robert, wie bist du verletzt worden, und du bist nicht tot, wie es alle geschworen haben?«
»Aus einem sehr einfachen Grund, Benita: Weil ich nicht gestorben bin. Als der Kaffer mir die Uhr stahl, war ich bewußtlos, das ist alles. Die Sonne brachte mich dann wieder zu Bewußtsein. Dann tauchten ein paar Eingeborene auf, gute Leute auf ihre Art, obwohl ich nicht ein Wort, das sie sprachen, verstehen konnte. Sie machten eine Bahre aus Ästen und trugen mich ein paar Meilen landeinwärts zu ihrem Kraal. Es tat scheußlich weh, weil mein Oberschenkel gebrochen war. Im Kraal schiente ein KaffernMedizinmann das Bein auf seine Art; es ist jetzt einen Zoll kürzer als das andere, doch es ist besser, als gar nichts. Ich lag zwei volle Monate lang in dem Kraal, denn es gab im Umkreis von hundert Meilen keinen einzigen Weißen, und wenn es einen gegeben hätte, wäre es mir unmöglich gewesen, mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Anschließend brauchte ich einen weiteren Monat, um in Richtung Natal zu humpeln, bis es mir schließlich gelang, ein Pferd zu kaufen. Der Rest ist sehr einfach. Ich stellte fest, daß ich totgesagt war und ritt so rasch ich konnte zur Farm deines Vaters, Rooi Krantz, wo ich von der alten Sally erfuhr, daß ihr auf Schatzsuche gegangen wärt, auf die Suche nach demselben Schatz, von dem ich dir auf der Zanzibar berichtet hatte. Also folgte ich euch, stieß auf die Diener, die ihr zurückgeschickt hattet, die mir alles über eure Reise berichteten, und nach einiger Zeit – nach vielen Abenteuern, wie es in den Büchern heißt – fuhr ich direkt in das Camp unserer Freunde, der Matabele. Sie wollten mich auf der Stelle töten, als plötzlich du auf der Spitze der Felssäule erschienst, leuchtend
wie ... wie der Engel der Morgenröte. Ich wußte, daß du es warst, denn ich hatte von deinem Fluchtversuch gehört, und daß man dich und deinen Vater wieder nach Bambatse zurückgejagt hatte. Doch die Matabele waren überzeugt, den Geist von Bambatse zu sehen, der in dieser Gegend einen besonderen Ruf zu genießen scheint. Auf jeden Fall lenkte das ihre Aufmerksamkeit von mir ab, und später fiel ihnen ein, wie ich dir bereits erzählte, daß ich eine Art Ingenieur sei und ihnen bei der Eroberung der Festung helfen könnte. Den Rest kennst du ja, nicht wahr?« »Ja«, antwortete Benita, »den Rest kenne ich.« Dann erreichten sie den Riedgürtel und konnten nicht mehr reden, da sie hintereinander gehen mußten. Als Benita wenig später aufblickte, sah sie, daß sie sich bereits unterhalb des Mimosenbaums befanden, der aus einer Felsspalte wuchs. Und nach einigem Suchen fand sie auch das Büschel Rohr, das sie geknickt hatte, um die unauffällige Öffnung, durch die sie herausgekrochen war, wiederzufinden, und sie entdeckte auch ihre Laterne. Es schien Wochen her zu sein, seit sie sie dort zurückgelassen hatte. »Jetzt«, sagte sie zu Robert, »zünde deine Kerze an, und wenn du ein Krokodil siehst, schieß bitte sofort!«
24 Das echte Gold »Laß mich vorangehen«, sagte Robert. »Nein«, antwortete Benita. »Ich kenne den Weg. Aber achte bitte auf das furchtbare Tier.« Sie kniete nieder und kroch in die enge Öffnung; Robert folgte ihr, und nach ihm kamen die beiden Zulus, die lauthals protestierten, daß sie keine Ameisenbären seien, die unter der Erde wühlten. Als Benita die Höhle erreichte, hob sie die Laterne und sah sich um, und als sie das Krokodil nirgends entdecken konnte, schritt sie mutig auf den Fuß der Treppe zu. »Beeil dich!« flüsterte sie, als Robert sie erreicht hatte, denn in dieser dunklen, tropfenden Höhle schien es geboten, leise zu sprechen. »Mein Vater ist dem Tod nahe. Ich habe entsetzliche Angst, daß wir zu spät kommen könnten.« Sie quälten sich die endlosen Stufen hinauf, eine seltsame Prozession, denn die beiden Zulus, unter freiem Himmel tapfere Männer, schlotterten vor Angst, bis Benita endlich durch die Falltür die Schatzkammer erreichte und Robert heraufhalf, der durch sein lahmes Bein etwas behindert war. »Was ist das alles?« fragte er und deutete auf die Stapel von Lederbeuteln, während sie auf die beiden verängstigten Kaffern warteten. »Oh! Gold nehme ich an«, sagte sie gleichgültig. »Sieh, hier liegt etwas davon auf dem Boden, in Benita da Ferreiras Fußspuren.« »Gold! Das müssen doch Millionen Pfund ... Und
wer, um alles in der Welt, ist Benita da Ferreira?« »Das werde ich dir später erzählen. Sie ist seit zwei- oder dreihundert Jahren tot; es war ihr Gold, oder das ihrer Leute, und dies sind ihre Fußspuren in dem Staub. Aber laß jetzt das Zeug hier liegen. Komm rasch!« Sie gingen durch die Tür, die Benita am Morgen geöffnet hatte, und stiegen die letzten Stufen empor. Benita war jetzt von einer solchen Angst erfüllt, daß sie sich nicht erinnern konnte, wie sie hinaufgestiegen war. Was sollte sie tun, wenn die Tür unter dem Kruzifix zugefallen sein sollte? Was sollte sie tun, wenn ihr Vater tot war? Was sollte sie tun, wenn Jacob Meyer in die Höhle eingedrungen war? Oh! Jetzt hatten sie das Ende der Stufen erreicht. Die Tür wäre zugefallen, wenn sie nicht den kleinen Stein zwischen Tür und Türfutter geklemmt hätte. »Vater! Vater!« rief sie und lief auf das Zelt zu. Keine Antwort. Sie riß die Leinwand zur Seite, hielt ihre Laterne ins Zelt und blickte auf ihren Vater hinab. Er lag bleich und reglos. Sie war zu spät gekommen. »Er ist tot! Er ist tot!« schrie sie und ließ sich auf die Knie sinken. Robert kniete neben ihr nieder und untersuchte den alten Mann. »Er sollte tot sein«, sagte er nach einer Weile, »aber ich glaube, daß er noch lebt, Benita. Ich kann sein Herz schlagen fühlen. Nein, verschwende jetzt keine Zeit. Gieß etwas von dem Squareface in einen Becher und mische es mit Milch.« Sie tat es, und während er den Kopf ihres Vaters leicht anhob, flößte sie ihm etwas von der Flüssigkeit ein. Zuerst rann es ihm wieder aus dem Mund, doch
dann machte er automatische Schluckbewegungen, und sie wußten, daß er lebte und dankten dem Himmel. Zehn Minuten später richtete Mr. Clifford sich auf und starrte sie verwirrt an, während vor dem Zelt die beiden Zulus, deren Nerven jetzt endgültig versagten, den Knochenhaufen in der Ecke der Höhle und das riesige Kruzifix anstarrten und laut ihr Schicksal bejammerten, in eine Höhle voller vermoderter Skelette und Geister verschleppt worden zu sein, um hier elend umzukommen. »Ist es Jacob Meyer, der da draußen einen solchen Lärm macht?« fragte Mr. Clifford mit matter Stimme. »Und wo warst du so lange, Benita, und – wer ist dieser Gentleman, der neben dir kniet? Ich glaube, mich an sein Gesicht erinnern zu können.« »Er ist der weiße Mann, der in dem Wagen war, Vater, ein alter Freund, der von den Toten auferstanden ist. Robert, kannst du diese heulenden Kaffern nicht zur Ruhe bringen? Ich kann verstehen, daß sie heulen, mir war tagelang auch zum Heulen zumute, aber ... Oh, Vater, Vater, verstehst du denn nicht, was ich dir sagen will? Wir sind gerettet! Ja, aus der Hölle und den Fängen des Todes gerissen.« »Ist Jacob Meyer denn tot?« »Ich weiß nicht, wo er ist, oder was mit ihm geschehen ist, und es ist mir auch egal. Aber vielleicht sollten wir uns doch lieber darum kümmern. Robert, draußen ist ein Verrückter. Sag den Kaffern, sie sollen die Mauer einreißen und fange ihn, ja?« »Was für eine Mauer? Was für ein Verrückter?« fragte er und starrte sie verwirrt an. »Ach, richtig, das kannst du ja nicht wissen. Ich
werde dir die Mauer zeigen, aber du mußt auf alles gefaßt sein; wahrscheinlich wird er auf uns schießen.« »Das klingt etwas riskant, findest du nicht?« fragte Robert zweifelnd. »Ja, aber wir müssen das Risiko auf uns nehmen. Wir können meinen Vater nicht die steilen Stufen hinabtragen, und wenn wir ihn nicht bald an die frische Luft schaffen, stirbt er bestimmt. Der Mann dort draußen ist Jacob Meyer, sein Partner – du mußt dich an ihn erinnern. Die Strapazen und die wochenlange Suche nach dem Schatz haben ihn geistig verwirrt. Er wollte mich mesmerisieren, und ...« »Und was noch? Dich lieben etwa?« Sie nickte und fuhr fort: »Als er seinen Willen wegen des Mesmerisierens nicht durchsetzen konnte, drohte er, meinen Vater zu ermorden, und deshalb haben wir uns in diese Höhle geflüchtet und uns hier eingemauert, bis ich endlich einen anderen Ausweg fand.« »Ein reizender Gentleman, dieser Mr. Meyer, jetzt wie schon damals«, sagte Robert wütend. »Wenn ich mir vorstelle, daß du einem solchen Strolch ausgeliefert warst ... Nun, ich hoffe, bald ein Wort mit ihm reden zu können.« »Tu ihm nicht weh, Robert, wenn es nicht unbedingt nötig sein sollte. Denk daran, daß er nicht zurechnungsfähig ist. Er hat neulich geglaubt, hier einen Geist gesehen zu haben.« »Wenn er sich nicht benimmt, wird er bald eine ganze Menge Geister um sich sehen«, murmelte Robert. Sie gingen zum Ausgangsstollen und begannen so leise wie möglich die Mauer abzutragen und zerstör-
ten innerhalb weniger Minuten, was Benita und ihr Vater unter so vielen Mühen aufgebaut hatten. Als sie fast durchgebrochen waren, sagte Benita den beiden Zulus, daß draußen ein Feind sei den sie, wenn es notwendig werden sollte, müßten einfangen helfen. Sie nickten eifrig. Um aus der unheimlichen Höhle herauszukommen, hätten sie es mit einem Dutzend Feinden aufgenommen. Jetzt war ein Loch durch die Mauer gebrochen, und Robert forderte Benita auf, zur Seite zu treten. Sobald sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, das von draußen in den Zugangstunnel fiel, zog er seinen Revolver und bedeutete den Zulus, ihm zu folgen. Leise schlichen sie den Stollen entlang, und sie ließen sich Zeit dabei um nicht vom grellen Sonnenlicht geblendet zu werden. Benita wartete mit klopfendem Herzen. Eine kurze Zeit verging, sie wußte nicht, wie lange es war, als plötzlich ein Gewehrschuß krachte. Benita hielt es nicht länger aus. Sie lief die gewundene Passage entlang, und als sie in das grelle Sonnenlicht hinausstürzte, sahen ihre sekundenlang geblendeten Augen zwei verschwommene Gestalten, die sich am Boden wälzten. Dann erkannte sie, daß es Robert und Jacob Meyer waren, und die Kaffern sprangen um die beiden herum und suchten nach einer Gelegenheit, Meyer zu packen. Schließlich schafften sie es, und Robert erhob sich und klopfte den Staub von Händen und Knien. »Ein liebenswerter Gentleman, dieser Jacob Meyer«, stellte er noch einmal fest. »Ich hätte ihn töten können, da er mir den Rücken zuwandte, habe es jedoch nicht getan, weil du mich darum gebeten hat-
test. Dann stolperte ich mit meinem lahmen Bein, und er fuhr herum und feuerte mit seinem Gewehr. Sieh!« Er deutete auf die Stelle, wo die Kugel sein Ohr gestreift hatte. »Ein Glück, daß ich ihn packen konnte, bevor er dazu kam, ein zweites Mal abzudrücken.« Benita fand keine Worte, ihr Herz quoll über von Dankbarkeit. Sie ergriff nur Roberts Hand und küßte sie. Dann sah sie Jacob Meyer an. Er lag auf dem Rücken, und die beiden Zulus hielten ihn an Armen und Beinen fest. Seine Lippen waren aufgesprungen und verschwollen, sein Gesicht war fast schwarz, doch aus seinen Augen sprühten Irrsinn und Haß wie nie zuvor. »Ich kenne dich«, schrie er Robert an. »Du bist auch ein Gespenst! Du bist der Geist des Mannes, der ertrunken ist. Wenn du kein Geist wärst, hätte meine Kugel dich getötet.« »Ja, Mr. Meyer«, antwortete Robert Seymour. »Ich bin ein Gespenst. Und jetzt«, wandte er sich an die beiden Zulus, »bindet ihm die Hände auf den Rücken und durchsucht ihn. Er hat einen Revolver in der rechten Tasche.« Sie taten es, und kurze Zeit später war Mr. Meyer entwaffnet und an einen Baum gefesselt. »Wasser«, stöhnte er. »Seit Tagen hatte ich nichts zu trinken als den Tau, den ich von den Blättern lekken konnte.« Benita fühlte Mitleid mit ihm, lief in die Höhle und kam kurz darauf mit einem Becher Wasser zurück. Einer der Kaffern hielt ihn ihm an die Lippen, und er trank gierig. Sie ließen einen der beiden Zulus als Wache bei ihm zurück und gingen wieder in die Höhle, um Mr. Clifford zu holen. Sie trugen ihn auf
seiner Matratze heraus und legten ihn in den Schatten eines Felsens, und Mr. Clifford segnete sie mit matter Stimme, daß sie ihn wieder ans Licht der Sonne gebracht hatten. Beim Anblick des alten Mannes flammte die Wut Meyers erneut auf. »Ah!« schrie er. »Wenn ich Sie nur längst getötet hätte, dann würde sie jetzt mir gehören, und nicht jenem Kerl. Sie waren es, der immer zwischen uns stand.« »Hören Sie, Mr. Meyer!« sagte Robert. »Ich vergebe Ihnen alles andere, aber, ob Sie geistig normal sind oder nicht, lassen Sie Miß Cliffords Namen aus dem Spiel, sonst überlasse ich Sie den beiden Kaffern, die Sie so behandeln werden, wie Sie es verdienen.« Jacob Meyer begriff und war still. Sie gaben ihm mehr Wasser, und auch zu essen, etwas von dem Fleisch, das sie mitgebracht hatten, und das er gierig hinunterschlang. »Sind Sie jetzt einigermaßen bei Sinnen?« fragte ihn Robert, als er damit fertig war. »Dann hören Sie mir zu! Ich habe gute Nachrichten für Sie. Der Schatz, nach dem Sie so lange gesucht haben, ist gefunden worden. Wir werden Ihnen Ihre Hälfte geben, und einen Wagen mit Ochsen, damit Sie von hier wegkommen können. Aber wenn ich Sie noch einmal sehen sollte, bevor wir in zivilisierte Gegenden kommen, knalle ich Sie ab wie einen tollwütigen Hund.« »Sie lügen!« sagte Meyer mißtrauisch. »Sie wollen mich in die Wildnis hinausjagen, damit ich von den Matabele umgebracht werde.« »Bindet ihn los«, befahl Robert den Zulus, »und bringt ihn her! Ich will ihm zeigen, ob ich lüge oder nicht.«
»Wohin bringen Sie mich?« rief Meyer ängstlich. »Doch nicht in die Höhle? Ich geh nicht in diese Höhle. Ein Geist haust in ihr. Wenn der Geist nicht gewesen wäre, hätte ich die Mauer längst eingerissen und Clifford vor den Augen seiner Tochter erschossen. Aber immer, wenn ich mich der Mauer näherte, erschien der Geist dieser Frau und starrte mich an.« »Zum ersten Mal höre ich davon, daß ein Geist sich nützlich gemacht hat«, bemerkte Robert. »Bringt ihn her! Nein, Benita, er soll sehen, ob ich lüge.« Die Lampen wurden angezündet, und die beiden kräftigen Zulus schleppten Jacob Meyer durch den gewundenen Zugangstunnel in die Höhle. Anfangs sträubte er sich verzweifelt, erst als er erkannt hatte, daß sein Widerstand sinnlos war, ergab er sich in sein Schicksal, doch seine Zähne klapperten vor Angst. »Das ist grausam«, sagte Benita. »Ein bißchen Grausamkeit kann ihm nicht schaden«, antwortete Robert. »Er ist damit anderen gegenüber stets ziemlich großzügig gewesen. Außerdem bekommt er jetzt, wonach er so lange gesucht hat.« Sie führten Jacob zum Fuß des Kruzifixes, wo ihn ein heftiger Anfall zu überkommen schien, stießen ihn durch die aufgeschwungene Tür, die sich in seinem Sockel befand, und schleppten ihn dann die Stufen hinab, bis sie in der Schatzkammer standen. »Sehen Sie«, sagte Robert, zog sein Jagdmesser und schlitzte einen Lederbeutel auf. Ein Strom von kleinen Barren und Nuggets rieselte heraus. »Behaupten Sie noch immer, daß ich lüge?« Bei diesem Anblick fiel die Angst von ihm ab, und ein verschlagener Ausdruck trat in seine Augen.
»Wunderbar, wunderbar!« sagte er, »mehr als ich erwartet hatte: Säcke und Säcke mit Gold. Nein, nein, es ist nur ein Traum – wie alles andere. Bindet meine Arme los, damit ich es fühlen kann!« »Bindet ihn los!« sagte Robert und zog seinen Revolver. »Er kann uns nichts tun.« Die Kaffern gehorchten; Jacob stürzte sich auf den zerschnittenen Beutel und grub seine Hände in das Gold. »Keine Lüge!« schrie er, als er eine Menge mit beiden Händen heraushob und daran roch. »Gold! Gold! Gold! Millionen Pfund in Gold! Wir wollen ein Geschäft machen, Engländer, dann werde ich Sie nicht töten, wie ich es vorgehabt hatte. Sie nehmen das Mädchen und geben mir alles Gold.« Und in seiner Ekstase ließ er sich die glitzernden Nuggets über Kopf und Körper rinnen. »Eine neue Version der Sage von Danae«, sagte Robert sarkastisch; doch er sprach nicht weiter, weil sich Jacob Meyers Gesicht plötzlich veränderte – entsetzlich veränderte. Es wurde grau unter der sonnengebräunten Haut, seine Augen wurden groß und rund, und er fuchtelte mit beiden Händen durch die Luft, als ob er etwas von sich fortschieben wollte. Er zitterte am ganzen Körper, und sein Haar sträubte sich. Langsam wich er zurück, und er wäre in das offene Loch des Treppenschachts gestürzt, wenn einer der Kaffern ihn nicht zur Seite gestoßen hätte. Er wich weiter zurück, bis er mit dem Rücken an die gegenüberliegende Wand stieß, und stand dort reglos, mit hängenden Armen – vielleicht eine halbe Minute lang. Dann hob er die rechte Hand und deutete zunächst auf die uralten
Fußspuren, von denen noch einige im Staub zu erkennen waren, und dann, wie es schien, auf Benita. Seine Lippen bewegten sich rasch, er schien zu bitten, zu flehen, aber – und das war das Entsetzlichste – nicht ein Laut kam aus seinem Mund. Schließlich verdrehte er die Augen nach oben, so daß nur das Weiße zu sehen war, sein Gesicht wurde so schweißnaß, als ob man Wasser darauf gegossen hätte, und ohne einen Laut stürzte er zu Boden, wo er reglos liegenblieb. Die Szene war so entsetzlich, daß die beiden Kaffern auf der Stelle kehrtmachten und laut heulend die Treppe hinaufhetzten. Robert eilte zu dem Juden, drehte ihn auf den Rücken, legte ihm die Hand auf die Brust und hob seine Augenlider an. »Tot«, sagte er; »Hunger, Aufregung – Herzschlag, würde ich sagen.« »Vielleicht«, antwortete Benita leise, »aber ich fürchte, daß auch ich jetzt an Geister zu glauben beginne. Sieh, Robert, ich habe sie vorher nicht bemerkt, und ich bin niemals dort gegangen, doch die Fußspuren führen direkt auf ihn zu.« Und kaum hatte sie das gesagt, machte auch sie kehrt und floh die Treppe hinauf. Eine Woche war vergangen. Die beiden Wagen waren mit einer Fracht beladen, die vielleicht kostbarer war, als sie jemals Ochsenwagen transportiert hatten. In einem von ihnen lag Mr. Clifford, wortwörtlich auf Gold gebettet, noch immer sehr schwach und krank, aber doch in einem wesentlich gebesserten Zustand und mit der Aussicht auf Genesung. Sie wollten in der ersten Morgendämmerung aufbrechen, und Ro-
bert und Benita waren bereits wach und warteten. »Komm!« sagte sie und berührte seinen Arm. »Ich möchte Bambatse noch einmal sehen, zum letzten Mal.« Sie stiegen den Hang des Berges hinauf und die Stufen der dritten Mauert die Meyer blockiert hatte, die jedoch jetzt wieder frei waren, und erreichten den Eingang der Höhle. Sie zündeten die Lampen an, die sie mitgebracht hatten, und traten hinein. Dort lagen die Bruchstücke der Mauer, die Benita und ihr Vater in Angst und Verzweiflung errichtet hatten, dort war der Altar der Opferungen, kalt und grau, wie er seit vielleicht dreitausend Jahren gestanden hatte. Dort befand sich das Grab des alten Mönchs, der jetzt einen Gefährten hatte, denn neben ihm lag Jacob Meyer, unter einem Hügel von dem Schutt begraben, den er selbst in seiner irrsinnigen Jagd nach Reichtum aufgewühlt hatte. Und dort hing die weiße Christusgestalt am Kreuz. Nur die Skelette der Portugiesen waren nicht mehr da. Robert hatte sie mit Hilfe der Kaffern in die leere Schatzkammer geschafft, die Öffnung des nach unten führenden Treppenschachts verschlossen und die Tür im Sockel des Kruzifixes zugemauert, damit sie endlich in Frieden ruhen konnten. Sie hielten sich nur kurz in dieser von so vielen schrecklichen Erinnerungen erfüllten Höhle auf, wandten ihr dann für immer den Rücken, traten ins Freie und stiegen auf den hohen Granitkegel, um die Sonne über dem Sambesi aufgehen zu sehen. In ihrer ganzen Pracht stieg sie über den Horizont, dieselbe Sonne, die auf die verzweifelte Benita da Ferreira geschienen hatte, und auf die englische Benita, als sie
genauso verzweifelt und hoffnungslos hier oben gestanden und gesehen hatte, wie der weiße Mann von den Matabele gefangengenommen worden war. Doch wie anders war ihre Lage heute; auf der Spitze der Felsnadel, von der vielleicht viele Opfer in die Tiefe gestürzt worden waren, und von der die junge Portugiesin in den Tod gesprungen war, standen jetzt zwei glückliche Menschen und scheuten sich nicht, dem Himmel für die Freude zu danken, die er ihnen gewährt hatte, und für die Hoffnung auf ein langes, erfülltes Leben, das vor ihnen lag. Hinter ihnen war der Schrecken der Höhle, unter ihnen zogen die Frühnebel durchs Flußtal, doch über ihnen schien die strahlende Sonne vom ewigen Himmel. Sie stiegen von dem Pfeiler herab, und an seinem Fuß sahen sie einen alten Mann in den Strahlen der Morgensonne sitzen. Es war Mambo, der Molimo der Makalanga; selbst aus einiger Entfernung erkannten sie ihn an seinem schneeweißen Haar und seinem schmalen, asketischen Gesicht. Als sie nähertraten, sah Benita, daß er die Augen geschlossen hatte, und sie machte Robert leise darauf aufmerksam, daß er schliefe. Doch er hatte sie kommen hören und erriet sogar ihre Gedanken. »Mädchen«, sagte er mit seiner sanften Stimme, »Mädchen, das bald zur Frau werden soll, ich schlafe nicht, wenn ich auch von dir träume, so wie ich zuvor von dir geträumt habe. Was habe ich dir damals, bei unserer ersten Begegnung, gesagt? Daß ich für dich gute Nachricht hätte; daß du, wenngleich du von Tod umgeben sein würdest, keine Furcht haben solltest; daß du, die großes Leid erfahren habe, hier Glück und Frieden finden würdest. Doch du wolltest den
Worten des Munwali gesprochen vom Mund seines Propheten, nicht glauben, so wie er, der jetzt an deiner Seite steht, mir nicht glauben wollte, als ich ihm damals sagte, daß wir uns wiedersehen würden.« »Vater«, antwortete sie, »ich glaubte, daß du mir den Frieden versprachst, den man nur im Grab findet.« »Du wolltest mir nicht glauben«, fuhr er fort, ohne auf ihren Einwand zu achten, »und deshalb wolltest du von hier fliehen, und deshalb war dein Herz von Schrecken und Schmerz zerrissen, als es in Vertrauen und Frieden das Ende der Dinge hätte abwarten sollen.« »Vater, ich habe großes Leid erlitten.« »Das weiß ich, und weil es so war, hat der Geist von Bambatse so große Geduld mit dir gehabt und den Schritt deiner Füße stets richtig geführt. Ja, der Geist war immer bei dir, bei Tag und bei Nacht, am Morgen und am Abend. Wer war es, der den Mann, der jetzt in jener Grube liegt, durch Schrecken und Irrsinn getötet hat, als er deinen Willen beugen und dich zur Frau nehmen wollte? Wer war es, der dir das Geheimnis der Schatzkammer verraten hat, und wessen Fußspuren hast du auf der Treppe gefunden? Wer hat dich an den Wachen der Amandabele vorbeigeführt und dir den Verstand und die Kraft verliehen, das Leben dieses Mannes aus den blutigen Händen Madunas zu retten? Ja, sie war bei dir, und sie wird bei dir sein. Nie wieder wird die Weiße Hexe auf der Spitze des Pfeilers über Bambatse stehen, wenn die Sonne aufgeht oder der Mond auf den Granit scheint.« »Vater, ich habe dich nie verstanden, und ich ver-
stehe dich auch heute nicht«, sagte Benita. »Was hat dieser Geist mit mir zu tun?« Er neigte lächelnd ein wenig den Kopf und antwortete dann: »Das darf ich dir nicht sagen; du wirst es eines Tages erfahren, doch nicht hier. Wenn auch du in das Reich der Stille eingetreten bist, wirst du es wissen. Doch ich sage dir, daß dies nicht geschehen wird, bevor dein Haar nicht so weiß ist wie das meine, und deine Jahre so viele sind wie die meinen. Ah! Du hast geglaubt, daß ich dich verlassen hätte, als du in Angst um das Leben deines Vaters in der Dunkelheit der Höhle betetest. Doch dem war nicht so; ich habe das Unheil nur seinen Lauf nehmen lassen, wie es vorgeschrieben war, damit dein Schicksal sich erfülle.« Er stand auf, stützte sich auf seinen Stab und legte seine Greisenhand auf Benitas Kopf. »Wir werden uns unter dieser Sonne nicht mehr sehen«, sagte er. »Doch weil du edel und rein und treu bist, empfange den Segen des Munwali gesprochen vom Mund seines Dieners Mambo, des alten Molimo der Bambatse. Obwohl du von Zeit zu Zeit Tränen kennenlernen und im Schatten des Kummers wandeln wirst, sollst du lange, glückliche Tage an der Seite dessen verbringen, den du dir erwählt hast. Kinder werden um euch sein, und Kindeskinder, und auch auf ihnen ruht der Segen des Munwali. Das Gold, das die Weißen so lieben, gehört euch, und es soll sich vermehren und den Hungrigen zu essen geben, und Kleider denen, die frieren. Doch in euren Herzen ruht ein reicherer Schatz, der niemals vergehen kann, der unermeßliche Schatz der Barmherzigkeit und der Liebe. Im Wachen und im Schlafen soll
die Liebe euch bei der Hand führen, bis sie euch schließlich aus der dunklen Höhle des Lebens in das ewige Haus von reinstem Golde bringt, das früher oder später alle, die es suchen, erreichen werden.« Er deutete mit seinem Stab auf den rotglühenden Morgenhimmel, an dem rosige Wolken emporstiegen und sich auflösten. In Roberts und Benitas Augen wirkten sie wie geflügelte Engel, die das dunkle Portal der Nacht aufstießen und die alles besiegende Pracht ankündigten, bei deren Kommen Dunkelheit und Verzweiflung entfliehen.
Ruinen, Rätsel und ein Okkultist ... Nachwort von Bernhard Heere »Man glaube nur nicht, der Mensch sei der älteste oder der letzte der Weltbeherrscher. Die Alten waren, die Alten sind und die Alten werden sein. Nicht in den Räumen, die uns bekannt sind, sondern zwischen ihnen gehen sie gelassen und unbeirrt umher, ohne Dimension und für unsere Augen unsichtbar.« H. P. LOVECRAFT Der Fantasy-Roman »Der Geist von Bambatse«, der erstmals im Jahre 1907 unter dem Titel »Benita« erschien, kann nicht anders als eine Entdeckung bezeichnet werden. Henry Rider Haggard, dieser ebenso spannende wie romantische Abenteuerautor aus dem England der Jahrhundertwende, hat hier mit großer Meisterschaft alles das in Szene gesetzt, was ihm die Gunst seiner Leser in aller Welt einbrachte. Da tritt uns zunächst der mitreißende Geschichtenerzähler entgegen, der als britischer Afrika-Pionier den schwarzen Kontinent der damaligen Zeit mit seiner ganzen exotischen Wildheit so wunderbar zu schildern vermochte. Aber auch die Fantasy-Elemente dieses Romans ziehen uns mit ihrer dramatischen Spannung unweigerlich in ihren Bann. Wir stoßen auf die Spuren eines rätselhaften Volkes der Vorzeit, begegnen einem finsteren jüdischen Okkultisten mit erstaunlichen Fähigkeiten und erleben einen Geist, der in gespenstischen Gewölben heraufbeschworen wird. »Der Geist von Bambatse« ist Abenteuer- und Ge-
spenstergeschichte zugleich, jedoch eine von der besten Sorte, die tiefe Einblicke in okkulte Geheimwissenschaften und eine profunde Kennerschaft archäologischer Forschungen verrät. Grund genug, so möchte man meinen, das Werk Rider Haggards endlich einmal als das anzuerkennen, was es tatsächlich repräsentiert, und damit aufzuhören, diesen Autor in das obsolete Abseits trivialer Unterhaltungsliteratur zu verbannen. Kritiker-Vorurteile sind jedoch langlebig, was von fragwürdigen Klassifizierungen leider oft ebenso gilt. Trotz der Welterfolge, die Rider Haggard mit einigen seiner Romane erzielen konnte, hat man ihn von seiten der Kritiker eigentlich immer nur als obskuren Schreiber abgetan, der mehr oder weniger Triviales ohne bleibenden Wert produziert hätte. Bis in unsere Tage hinein versuchte man sein Werk als »spekulative Abenteuerunterhaltung«, als »gigantisch ausgedehnte pubertäre Wunschträume« oder aber völlig danebengreifend als Glorifizierung blutrünstiger Gewalt beim Leser in einen zweifelhaften Ruf zu bringen. Selbst ein sonst so aufgeschlossener Literaturexperte wie Rein A. Zondergeld nimmt in seinem erst kürzlich erschienenen »Lexikon der phantastischen Literatur« Rider Haggard nur widerwillig wahr, attestiert ihm so gut wie keine literarische Qualität und betrachtet vor allem sein späteres Werk als etwas, das »aufgrund einer zunehmenden okkultistischen Tendenz nur für Fans genießbar« ist.* Über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten, doch der Verdacht ist nicht von der Hand zu *
»Lexikon der phantastischen Literatur«, hrsg. von Rein A. Zondergeld, Frankfurt 1983, suhrkamp taschenbuch 880, S. 114.
weisen, daß hier ungeprüft dumme alte Vorurteile wiedergekäut werden. Tatsache ist jedenfalls, daß die Romane Rider Haggards auch in Deutschland nicht nur für eine kleine Fan-Gemeinde, sondern – wie im englischen Sprachraum – auch für eine breite Leserschaft durchaus »genießbar« zu sein scheinen, wie das wachsende Interesse verschiedener Verlage an diesem Autor und das immer lebhafter werdende Echo im Buchhandel beweisen. Gerade in seinem Roman »Der Geist von Bambatse«, der im Vergleich zu seinen frühen Bestsellern, wie etwa »Sie« oder »König Salomons Diamanten«, leider weitgehend unbekannt geblieben ist, zeigt sich ein Autor wie Rider Haggard von seiner interessantesten Seite. Er kombiniert hier eine Schatzsucher- und Abenteuergeschichte mit dem, was man als »lost race novel« (das Motiv einer vergessenen bzw. untergegangenen Rasse) bezeichnet, ein seither oft kopierter Topos der phantastischen Literatur, als dessen unbestrittener Klassiker jedoch Rider Haggard nach wie vor noch gelten kann. Rider Haggard nimmt in diesem wie in anderen seiner Romane immer wieder Bezug auf die verschollenen oder untergegangenen Kulturen der Alten und stellt dabei die archäologischen Bauwerke der Vergangenheit oft in den Mittelpunkt der Handlung. So hat auch die Gespenstergeschichte, die Rider Haggard hier einfließen läßt, mit einer seichten Gruselstory nach Art des trivialen Schauerromans nichts zu tun, sondern offenbart einen archäologischen Hintergrund, der die Altertumswissenschaft seit der Jahrhundertwende immer wieder beschäftigt hat. Die Rede ist von Simbabwe, einem gigantischen Ruinenkomplex im ehemaligen Süd-Rhodesien, das
vor einigen Jahren ebenfalls unter dem Namen Simbabwe eine schwarzafrikanische Republik wurde. Und zwar ist es die Bergfestung von Bambatse, wie sie hier beschrieben ist, mit ihren konzentrischen Ringmauern, ihren bizarren Granitformationen und ihrer schier uneinnehmbaren Gipfelfeste, die Rider Haggard dem seltsamen Ruinenfeld von Simbabwe entnommen hat. Doch um genau zu sein: die Ruinen von Simbabwe befinden sich nicht am oberen Sambesi, wohin Rider Haggard den Schauplatz dieses Romans verlegt hat, sondern am Oberlauf des Save, auf einem Granitplateau, das zwischen dem Sambesi im Süden und dem Limpopo im Norden eine Art von Wasserscheide darstellt. Simbabwe ist die größte und zugleich rätselhafteste alte Ruinenstätte, auf die man in Afrika südlich der Sahara stoßen kann. Das Wahrzeichen von Simbabwe ist der sogenannte »Elliptische Tempel«, eine elliptische Festungsarchitektur mit fast 300 m langen Ringmauern, die stellenweise eine Höhe bis zu 10 m erreichen. Diese Mauern, die zum Teil geschickt in die Gebirgsformationen eingelassen sind, besitzen nirgends Kanten, sondern überall nur abgerundete Ränder. Ein konischer Rundturm, der sich nach oben verjüngt und nur an der Spitze eine Öffnung besitzt, ist ein weiteres auffälliges Bauwerk dieses Ruinenkomplexes. Neben dem »Elliptischen Tempel« befinden sich auf dem gegenüberliegenden Steilhang nochmals steinerne Mauern, und das in einer solchen Anzahl, daß man hier nach dem griechischen Vorbild von der »Akropolis« spricht. Bei den Mauern von Simbabwe wurden weder Mörtel noch Zement als Bindemittel verwendet, vielmehr bestehen sie aus dem Trockenmauerwerk behauener Granits-
teine, die in mühseliger Arbeit eingepaßt und aufeinandergeschichtet wurden. Bautechnik und Güte dieser Mauern ist oft unterschiedlich. Die Umfassungsmauer des Tempels ist zusammen mit dem konischen Rundturm in ebenmäßiger Ziegelsteinbauweise errichtet, bei der die einzelnen Steine nahezu fugenlos aneinandergereiht sind. Daneben gibt es aber auch zahllose kleine und schlechtgebaute Mauern, die im bautechnischen Niveau deutlich abfallen und auf andere, weniger ambitionierte Erbauer schließen lassen. Schon Jahrhunderte vor der Wiederentdeckung Simbabwes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben es Araber und Portugiesen wie selbstverständlich gekannt, doch schon damals waren Herkunft und Erbauer dieser einstmals gewaltigen Festungsanlage bei den Eingeborenen in Vergessenheit geraten. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß sich unzählige Legenden, Überlieferungen und wissenschaftliche Hypothesen um jenes geheimnisvolle Zeugnis der Vergangenheit zu ranken begannen. Es war der deutsche Geologe Karl Mauch, der im Jahre 1870 als erster Europäer die Ruinen von Simbabwe besichtigte, eine genaue Beschreibung davon lieferte und sie mit einem uralten Mythos in Verbindung brachte. Er glaubte nämlich, in Simbabwe die Reste eines gewaltigen untergegangenen Reiches aus vorchristlicher Zeit gefunden zu haben, das mit der Überlieferung des sagenhaften Goldlandes Ophir aus dem Alten Testament identisch sei. In der Bibel wird nämlich an mehreren Stellen von einem fernen Goldland berichtet, aus dem König Salomon seine ungeheuren Schätze an Gold, Silber und Edelsteinen bezogen haben soll. Dieses sagenhafte Land Ophir, über
das von seiten der Bibel keine genaueren Angaben gemacht werden, wurde jedoch mit all seinen mutmaßlichen Schätzen niemals gefunden und gab seither Goldsuchern wie Geographen, Glücksrittern wie Kolonialgouverneuren immer neue Rätsel auf. Als nun am Ende des 19. Jahrhunderts die ersten britischen Pioniere Ostafrika erreichten, rief die Wiederentdeckung von Simbabwe eine unglaubliche romantische Begeisterung hervor, war man doch der Meinung, in diesen Ruinen dem Goldland Ophir auf die Spur gekommen zu sein. Rider Haggard selbst hat diese Idee als Grundlage für seinen Weltbestseller »König Salomons Diamanten« verwendet, und es scheint, daß sich die Ophir-Theorie in der kolonialen Vorstellungswelt vieler Köpfe niedergeschlagen haben muß. Ein britischer Schriftsteller der damaligen Zeit, E. P. Mathews, gibt die euphorischen Empfindungen wieder, die mit den Entdeckungen von Simbabwe verbunden waren. Er schreibt im Stil kolonialer Selbstverklärung: »Heute ist der Engländer in dem Land Ophir – er öffnet die Schatzhäuser des Altertums wieder ... wir werden schließlich noch erleben, daß in einigen Jahren das Bild Königin Victorias aus dem Gold geprägt wird, mit dem König Salomon seinen Thron von Elfenbein und die Pfeiler aus Zedernholz in seinem Tempel überzog.«* Inzwischen wissen wir, daß die hochfliegenden Hoffnungen der Engländer, zu den alleinigen Ausbeutern der Goldadern Rhodesiens zu gehören, von der blutigen Realität der *
E. P; Mathews: »Zambesia. England's El Dorado in Africa«, London 1981 S. 35. Zitiert nach: B. G. Paver: »Simbabwe. Rätsel des alten Goldlandes« Stuttgart 1959, S. 52.
Burenkriege schnell zunichte gemacht wurden. Die Idee jedoch, hinter der Ruine von Simbabwe das verschollene Goldland Ophir zu vermuten, die einst unzählige Goldsucher, Pioniere und Abenteurer in das Land Cecil Rhodes trieb, hält auch heute noch vor den Fakten stand. Rhodesien gehörte lange Zeit mit seinen zahllosen, im ganzen Land verstreuten Goldund Erzadern zu den wichtigsten Goldlieferanten des Weltmarkts. Und auch die vielen Funde uralter Goldund Kupferminen, auf die man in ganz Rhodesien und einem großen Teil seines Hinterlandes stieß, schienen der Ophir-Theorie recht zu geben. Die Entdeckungen voreuropäischer Goldschürfstellen waren jedoch nicht die einzigen Beweise, die die Vermutung einer einstmals großartigen Goldund Handelsmacht im Raum des heutigen Simbabwe nahelegten. Neben den Ruinen von Simbabwe fand man an nahezu 500 weiteren Stellen des Landes Überreste von ehemaligen Siedlungen, Festungsanlagen und seltsamen, tief durch den Fels gebrochenen Ausschachtungen mit oberirdischem Zugang, die man lange Zeit als »Sklavengruben« bezeichnete. Die wohl eindrucksvollste Entdeckung aber wurde ca. 200 km nördlich von Simbabwe im Inyangagebirge gemacht. Hier stieß man in einem Gebiet von mehreren tausend Quadratkilometern neben zahlreichen Ruinen auf gigantische Terrassenkulturen, die riesige Flächen einnehmen und sogar Spuren ehemaliger Straßen und Bewässerungskanäle tragen. Allein in diesem Gebiet, an der Nordgrenze des ehemaligen Rhodesien, wurden nach Schätzungen von Fachleuten Millionen Tonnen Erde und Steine durch menschliche Hände bewegt, was auf schier über-
menschliche Anstrengungen schließen läßt, und immer wieder aufs neue die Frage nach der Herkunft dieser verschollenen Kultur der Alten aufwirft. Historiker und Archäologen haben seither äußerst fragmentarisches und oft genug auch widerspruchsvolles Beweismaterial zusammengetragen, um den Ursprung dieser Kultur zu erklären. So schrieb man die Ruinen von Simbabwe nacheinander dem König Salomon und der Königin von Saba zu, deren Goldreichtümer die Bibel ebenfalls hervorhebt, ferner der altägyptischen Königin Hatschepsut, in deren Regierungszeit eine Expedition in das ferne Gold- und Edelholzland Punt fällt, und schließlich dem minoischen Kreta, wie man aufgrund gefundener Felsmalereien zu rekonstruieren versuchte. In dieses farbige Panoptikum der unterschiedlichsten Standpunkte reihte sich auch der berühmte deutsche Ethnologe Leo Frobenius ein, der in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts auf mehreren Reisen nach Südafrika die Simbabwe-Kultur eingehend erforschte, dabei eindrucksvolle Grabhöhlen und Felszeichnungen entdeckte und schließlich eine Theorie ganz eigener Art aufstellte. In seinem heute noch höchst lesenswerten Buch über »Erythräa«* legte er seine Ansichten über die erythräische Kultur nieder und stellte die Behauptung auf, daß einst Seefahrer aus Indien und dem Persischen Golf über den Indischen Ozean nach Südostafrika gekommen seien. Als Beweis dafür führte er den sogenannten »Ritualmord der Bantukönige« an, wonach ein kranker oder *
Vgl. Leo Frobenius: »Erythräa. Länder und Zeiten des heiligen Königsmordes«, Berlin 1931.
schwacher Herrscher seines Amtes enthoben und rituell getötet werden mußte. Diesen Brauch hätten die Seefahrer des Altertums aus Indien und Mesopotamien zu den Bantus nach Afrika gebracht, zusammen mit vielen anderen Mythen des indischen Kulturkreises. Daß Leo Frobenius mit diesen Ansichten zumindest einen Teil der historischen Wahrheit beanspruchen darf, beweisen die zahlreichen Fundstücke aus chinesischen und indischen Importen, die bei den Ausgrabungen in Simbabwe und den umliegenden Ruinenfeldern ans Tageslicht kamen. So fand man hier immer wieder indische Perlen und in einem Fall sogar chinesisches Porzellan aus der Ming-Dynastie, was die Schlußfolgerung früher Handelsbeziehungen zwischen Ostafrika und Südostasien nahelegt. Ohne Zweifel hat sich Haggard bei seiner FantasyGeschichte um die Festung von Bambatse von den zu seiner Zeit noch recht unsicheren Spekulationen anregen lassen. Das mag auch der Grund dafür sein, weshalb Haggard in seinem Roman nur sehr vage Andeutungen über die Herkunft dieser afrikanischen Festungsruine macht. Er spricht in seinem Roman lediglich von den Alten und bringt sie an manchen Stellen in eine nur sehr oberflächliche Beziehung mit den alten Ägyptern und Phöniziern. Auch diese Idee scheint zu Zeiten Rider Haggards im Schwange gewesen zu sein. Es gibt ein Buch aus dem Jahre 1896, das den Titel »Monomotapa« trägt, und zu dem Rider Haggard das Vorwort geschrieben hat. Hier sind vom sagenhaften Land Ophir der Bibel bis hin zu dem mythischen Negerreich des Monomotapa alle nur existierenden Überlieferungen zusammengetragen, die irgendwie einmal mit der Simbabwe-Kultur in Zu-
sammenhang gestanden haben. In jener umfassenden Darstellung, die von Cecil Rhodes persönlich in Auftrag gegeben wurde, sind es dann auch die Phönizier, die als die ersten Kolonisatoren im östlichen Afrika betrachtet werden. Die Phönizier, ein früher Zweig des semitischen Stammes, wanderten im zweiten vorchristlichen Jahrtausend von Babylon aus in die syrischen Küstengebiete ein und gründeten dort eine große See- und Handelsmacht. Sie errichteten im gesamten südlichen Mittelmeerraum mächtige Stadtstaaten und Handelsniederlassungen, standen mit dem altägyptischen Reich in Verbindung und drangen über das Rote Meer in den Orient vor. Ob die Phönizier auf ihren Fahrten durch den südlichen Ozean tatsächlich auch Ostafrika erreichten, kann heute nicht mehr nachgeprüft werden. Auf alle Fälle gibt es unterhalb der Mündung des Sambesi den uralten Hafen Sofala, den auch die Schiffe der ersten portugiesischen Eroberer anliefen, und von da aus hätten es fremde Seefahrer nicht mehr allzu weit bis ins Landesinnere nach Simbabwe gehabt. In neuerer Zeit, als die Archäologie daranging, mit sogenannten exakten wissenschaftlichen Methoden Alter und Herkunft der Simbabwe-Kultur zu bestimmen, verfielen diese und ähnliche Spekulationen jedoch der globalen Ächtung. Die Überlieferungen von einem sagenhaften Goldland des Altertums wurden als bloßer Mythos belächelt, und die vielschichtigen Vermutungen vorchristlicher Kolonisatoren schob man als unwissenschaftlich oder gar rassendiskriminierend beiseite. Man nahm nun plötzlich an, daß es eingeborene Afrikaner waren, die im Mittelalter ohne fremde Hilfe die Kultur von Groß-Simbabwe
geschaffen hätten. Darüber vergaß man freilich, wie wenig die so sorgfältig ausgeführten Steinbauten, die man in den gewaltigen Ringmauern von Simbabwe gefunden hatte, mit der Tradition der Bantus zu tun hatten. Auch die Berichte der Portugiesen, wonach diese Ruinen bereits im 16. Jahrhundert bis auf ein elendes Häufchen von Eingeborenen verlassen waren, sprechen nicht gerade für die Mittelalter-Theorie afrikanischer Hochkultur der neueren Forschung. Die Eingeborenen glaubten lange Zeit, daß es Teufel waren, die Simbabwe erbaut hätten, und selbst die bisher gemachten, spärlichen archäologischen Funde konnten keine befriedigende Auskunft über das rätselhafte Volk geben, das hier einmal gigantische Kulturleistungen vollbrachte. So zieht auch B. G. Paver, ein hervorragender Kenner der Funde in Ostafrika, offen folgendes Fazit und schreibt ganz im Sinne der romantischen Ansichten Rider Haggards: »Hunderte von Büchern wurden geschrieben und doch bleibt auch jetzt noch vieles ungesagt. Es gibt zum Beispiel eine Erzählung von blutenden Skulpturen, die aus Simbabwe verschwanden. Oder Geschichten von Spiritismus und Séancen; ... Da gibt es Berichte von einer Höhle in den Bergen von Inyanga, in deren Felswand ein von Menschen ausgehauenes Gesicht sei, von seltsamen Einschnitten in Berghängen für Straßen, die nirgends hinführen und von parallelen Gängen, von denen niemand weiß, wozu sie angelegt wurden ... Wir wissen weder, wer Simbabwe erbaut hat, noch welches Volk die Erzadern Afrikas mit ihrem Kupfer, Gold, Manganerz oder Zinn erschloß ... Wir stehen nicht am Ende, sondern am An-
fang romanhafter Abenteuer.«* In dem »romanhaften Abenteuer«, das Rider Haggard hier erzählt, gibt er auch einen Eindruck von den Eingeborenen-Völkern wieder, die heute noch im östlichen Afrika anzutreffen sind und die sich vor der Ära der Weißen oft genug die blutigsten Machtkämpfe lieferten. Da gibt es zunächst die Makalanga, die armseligen, heruntergekommenen Nachfahren der einstigen Herrscher von Bambatse, ein schon reichlich dezimiertes und vom Aussterben bedrohtes Volk, das aber interessanterweise noch über bruchstückhafte Reste alten Wissens verfügt, die es aber selbst nicht mehr zu deuten weiß. Ihre Feinde sind die Matabele, kriegerische schwarze Eroberer und Plünderer, die nach Belieben mit den hilflosen Makalanga umspringen und sie bereits bis auf den letzten Ochsen ausgeraubt haben. Erst die Gewehre der weißen Schatzsucher machen den Terrorakten der Matabele ein Ende und lassen den endgültigen Vernichtungsfeldzug gegen die Makalanga vor den Toren von Bambatse scheitern. Vor allem unter ihrem Anführer Lobengula, der auch bei Rider Haggard erwähnt wird und von den Eingeborenen den Beinamen »Hexenmeister« erhielt, brachten die Matabele Mord und Verwüstung nach Ostafrika, rotteten ganze Stämme aus und unterwarfen schließlich das gesamte Gebiet zwischen dem Limpopo und dem Sambesi. Damit freilich erreichte Lobengula eine ähnliche zweifelhafte Berühmtheit wie ein weiterer schwarzer Diktator seiner Zeit, der berüch*
B, G. Paver: »Simbabwe. Rätsel des alten Goldlandes«, Stuttgart 1959, S. 238 f.
tigte Zulu-General Chaka nämlich, der »Schwarze Napoleon«, wie man ihn auch nannte, auf dessen Konto die Vernichtung von fast einer Million Menschen in Afrika geht. Das traurige Schicksal der Makalanga, das Rider Haggard hier beschreibt, scheint also nicht das einzige dieser Art gewesen zu sein und zeigt, daß auch vor der Herrschaft des Weißen das Leben der Schwarzen im südlichen Afrika keineswegs ein paradiesisches Dasein, sondern ein Leben in Elend und Furcht war. Der »Mambo« der Makalanga besitzt in diesem Roman die Gabe des Hellsehens und der Prophetie, und es gibt hier auch noch eine zweite, weit weniger sympathische Figur, die zu den übernatürlichen und okkulten Dingen in Beziehung steht: Jacob Meyer, ein deutscher Jude, der, wie F. Germeshauser in seinem ausgezeichneten Vorwort schon ausführt, nicht gerade die Wertschätzung Haggards auf seiner Seite hat. Jacob Meyer wird von Haggard zu einer faszinierendamoralischen, jedoch deutlich abstoßenden Negativgestalt gestempelt, bei der unübersehbare antideutsche wie auch antijüdische Affekte mit einfließen. So ist Jacob Meyer skrupellos und hinterhältig, geldgierig und machtbesessen, ständig hinter der unschuldigen Schönheit Benita her, und die schlimmsten Mittel sind ihm gerade recht, um an das Geheimnis des verborgenen Schatzes zu kommen. Diese Figur ist so offensichtlich negativ überzeichnet, daß man nach Gründen suchen muß, die die irrationale Abneigung Rider Haggards gegen die Deutschen und die Juden zu erklären versuchen. Verantwortlich dafür ist vielleicht das etwas starrsinnige Festhalten an konservativen Vorurteilen und
der unbedingte Glaube an die Mission des britischen Imperialismus, Überzeugungen, die Rider Haggard sein Leben lang nie in Frage gestellt hat. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, daß Haggard die blutige Niederschlagung der Burenaufstände durch britische Kolonialtruppen ausdrücklich begrüßte und auch die Autonomierechte, die den Buren schließlich von der britischen Regierung zugestanden wurden, aufs schärfste mißbilligte. Unter den Buren, die sich damals in Südafrika und Transvaal schon weitgehend von der britischen Krone unabhängig gemacht hatten, gab es laut Statistiken auch viele eingewanderte Juden, die wahrscheinlich, ihrem kaufmännischen Naturell entsprechend, den Handel und die Ausbeutung der Goldminen kontrollierten. Dies zog sicherlich den Neid und die Mißgunst der britischen Farmer nach sich, die in Südafrika immer in der Minderheit waren, und so werden die Resentiments verständlich, die der dem englischen Landmann so zugetane Haggard gegen Buren wie Juden gehabt haben mag. Was die Deutschen anbetrifft, so konnten auch deren Aktivitäten, als Kolonialmacht in Ost- und Südwestafrika Fuß zu fassen, von seiten Haggards nicht anders als mit unverhohlenem Mißtrauen betrachtet werden, stand doch die deutsche Präsenz in Afrika vor dem Ersten Weltkrieg den britischen Interessen deutlich im Wege. In unseren Tagen, wo nahezu alle schwarzafrikanischen Völker ihre Unabhängigkeit erhalten haben, und die letzte Bastion einer rassistischen weißen Minderheit in Südafrika bedenklich ins Wanken geraten ist, kann Haggards unbeugsames Eintreten für den britischen Imperialismus kaum mehr auf Ver-
ständnis hoffen. In der Zeit der kolonialen Aufteilung Afrikas aber, in der jede europäische Nation eifersüchtig darüber wachte, vom überseeischen Kuchen den größten Teil abzubekommen, gehörten die konservativen Leitbilder Haggards zu einem nationalaufgeputschten Zeitkolorit, das heute im Zeitalter politischer und nationaler Nivellierung der Vergangenheit angehört und allenfalls noch von historischem Interesse sein kann. Jacob Meyer gibt in diesem Roman Rider Haggards nur zum Teil eine Art von britisch-imperialistischem Feindbild ab, bei dem propagandistisch der »häßliche« Deutsche ebenso entlarvt werden soll wie der »schmutzige« jüdische Geschäftemacher. Zum anderen Teil wird Jacob Meyer als ein hoch intelligenter Okkultist mit vielen Gaben geschildert, der besonders in den geheimen Wissenschaften von Hypnose und Mesmerismus ein ausgewiesener Fachmann zu sein scheint. Freilich benützt er diese Fähigkeiten allein dazu, um an das Geheimnis des verschollenen Schatzes der Portugiesen heranzukommen und die medialbegabte Benita, die allein darüber Auskunft geben kann, in einen tranceähnlichen Tiefschlaf zu versetzen. Der zum Hellsehen befähigte Geist Benitas wird daraufhin von Jacob Meyer erbarmungslos durch die Jahrtausende alte Vergangenheit der Festung von Bambatse gehetzt, wobei sich Bilder von schrecklicher Deutlichkeit einstellen. Der Geist Benitas erblickt in der langen Vergangenheit von Bambatse zuerst eine Sterbeszene unter steinzeitlichen Höhlenmenschen, dann, nur ein paar lächerliche hunderttausend Jahre später, das grausame Ritual eines Kindesopfers, schließlich das Auftreten der ersten christlichen Missionare und zu-
letzt das Drama um den verschollenen Schatz der Portugiesen. Allein, das Versteck dieses Schatzes gibt der Geist von Bambatse der einzig dafür bestimmten Benita, seiner eigenen Inkarnation, erst später in einem Traum bekannt. Wie so oft in seinen Romanen hat Rider Haggard auch hier die Möglichkeiten von Magie und Okkultismus so weit ins Phantastische übersteigert, daß alles etwas zu sehr in die Nähe bloßer Konstrukte und oberflächlicher Effekte gerät. Trotzdem lohnt es sich, den Begriff des Mesmerismus, den Rider Haggard im Zusammenhang mit den okkulten Praktiken Jacob Meyers des öfteren erwähnt, einmal genauer auf seinen historischen Hintergrund zu untersuchen. Dieser Begriff geht auf den deutschen Arzt Franz Anton Mesmer zurück, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine, wie wir heute sagen würden, alternative Heilmethode begründete. Mesmer ging davon aus, daß der Mensch zwei unterschiedlich aufgeladene magnetische Pole besitze und es im menschlichen Körper eine Art von Kraftstrom gäbe, den er »animalischen Magnetismus« nannte. Jede Krankheit sei, nach Auffassung Mesmers, auf eine Störung dieses innermenschlichen Stromflusses zurückzuführen und müsse dementsprechend mit dem Magneteisen behandelt werden. Vor allem an somnambul veranlagten Menschen, die in einen hypnoseähnlichen »magnetischen« Schlaf versetzt wurden, versuchte Mesmer seine Theorie zu exemplifizieren. Dabei glaubte er, daß diese Somnambulen im »magnetischen« Schlaf hellseherische Fähigkeiten entwikkelten, Raum und Zeit überschreiten und Ereignisse aus der Ferne schildern könnten. Berichte dieser und
ähnlicher Art beschäftigten aufs lebhafteste die gebildete Welt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und selbst der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer setzte sich in seiner Schrift »Versuch über das Geistersehn und was damit zusammenhängt« mit diesen Phänomenen auseinander, die man heute als außersinnliche Wahrnehmung, als ESP oder Psi bezeichnet. Besonders in England, das schon immer eine besondere Vorliebe für Spiritismus, Spuk und Geheimgesellschaften entwickelte, wurden die Untersuchungen Mesmers mit Begeisterung aufgenommen. Es war deshalb auch die englische Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die sich jenen »Nachtseiten des Seelenlebens« mit enthusiastischem Interesse zuwandte und damit ein Faszinosum der Romantik wiederentdeckte, dem neben Haggard viele Schriftsteller jener Zeit erlagen. Vielleicht hängt der Beliebtheitsgrad, den die Romane Rider Haggards zur Zeit wieder erreichen, mit dieser romantischen Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen und Rätselhaften, nach dem Abgründigen und Phantastischen zusammen, nach der heute wieder viele Menschen verlangen. Vielleicht stehen wir heute, kurz vor der Jahrtausendwende, vor einem neuen romantischen Jahrhundert. Copyright © 1986 by Bernhard Heere