Gilmore Girls Der Ernst des Lebens Band 4 Erscheinungsdatum: 2004 Seiten: 191 ISBN: 3802532627 Amazon-Verkaufsr.: 15310 ...
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Gilmore Girls Der Ernst des Lebens Band 4 Erscheinungsdatum: 2004 Seiten: 191 ISBN: 3802532627 Amazon-Verkaufsr.: 15310 Durchsch. Kundenbew.: 4/5 Scanner: Crazy2001 K-leser: klr CCC C C C CCC
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AAA ZZZZZ Y Y A A Z Y Y AAAAA Z Y A A Z Y A A ZZZZZ Y 2004
Dieses E-Book ist Freeware und somit nicht für den Verkauf bestimmt.
Arme Rory! Kaum hat das neue Schuljahr begonnen, geht der Kleinkrieg mit ihrer Dauerrivalin Paris in die nächste Runde. Und nach ihrem Flirt mit der überkandidelten Schülerinnenvereinigung Puffs fliegt Rory sogar fast von der Schule. Aber was ist das alles gegen Grandmas grandiose Idee, sie in ein Ballkleid zu zwängen und in die gute Gesellschaft einzuführen? Hätte sie doch bloß auf die Warnungen ihrer Mutter Lorelai gehört. Oder rechtzeitig das Weite gesucht. Nun aber gibt es kein Zurück mehr. Rory bleibt nichts anderes übrig, als sich unter den Augen ihrer Großmutter, die natürlich Feuer und Flamme ist, in eine Lady zu verwandeln. Aber cool sein können echte Gilmore Girls auch noch später ...
Helen Pai
Gilmore Girls DER ERNST DES LEBENS
Roman
Aus dem Amerikanischen von Antje Görnig
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Der Roman »Gilmore Girls – Der Ernst des Lebens« entstand auf der Basis der gleichnamigen Fernsehserie von Amy Sherman-Palladino, produziert von Warner Bros, ausgestrahlt bei Vox.
Erstveröffentlichung bei Harper Collms Publishers, Inc. New York, 2002. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Gilmore Girls. The Other Side of Summer.
Copyright © 2004 Warner Bros. Entertainment Inc. GILMORE GIRLS and all related characters and elements are trademarks of and © Warner Bros. Entertainment Inc. WB SHIELD:TM ©Warner Bros. Entertainment Inc. (sO4)VGSC 1991
© der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft Köln, 2004 Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Ralf Schmitz Produktion: Elisabeth Hardenbicker Umschlaggestaltung: Sens, Köln Senderlogo: ©Vox 2004 Titelfoto: © 2004 Warner Bros. Satz: Hans Winkens, Wegberg Printed in Germany ISBN 3-8025-3262-7
Besuchen Sie unsere Homepage: www.vgs.de
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1 Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es eine verstörende Vielzahl von Songs über das Ende der Schule und die Sommerferien gibt, aber nur sehr wenige über den Herbst und die Rückkehr in den Unterricht? Vertrauen Sie mir, ich weiß es, ich habe zusammen mit meinen besten Freundinnen recherchiert – Lane Kim, die alles über Musik weiß, und meiner Mom Lorelai Gilmore, die fast alles über alles weiß. Wir haben schließlich einen Song von den White Stripes gefunden, einer Band aus Detroit, die aus Jack und Meg White besteht. »We’re Going to Be Friends« ist schlicht, fast wie ein Beatles-Song, und er handelt von den Freuden der Kindheit und der aufregenden Zeit des Schulbeginns. Offenbar gibt es eine Kontroverse darüber, ob Jack und Meg Geschwister oder ein ehemaliges Ehepaar sind, aber für mich ist die Frage wichtiger, wie Detroit, die Automobilhauptstadt der Welt und eine Metropole, die uns Alice Cooper, Iggy Pop und Eminem geschenkt hat, eine Band hervorbringen konnte, die einen derart unschuldigen und eingängigen Song geschrieben hat? Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag den Sommer. Ich finde den Sommer toll. Ich liebe nur zufälligerweise die Schule, und ich spüre diese Aufregung, von der die White Stripes singen, jedes Mal, wenn ich an die Schule denke. So kam es, dass ich am ersten Tag des Herbstsemesters mit großer Erwartung im Luke’s Diner saß und mit meiner Mom frühstückte. Es gibt keinen besseren Ort als das Luke’s, um den Tag zu beginnen. Dort gibt es, Hand aufs Herz, den besten Kaffee der Welt, obwohl ich das natürlich nicht mit Sicherheit weiß, -3-
da ich meine Heimatstadt Stars Hollow, Connecticut, noch nicht oft verlassen habe. Aber das wird sich ändern, sobald ich die nächste Christiane Amanpour bin, um die Welt reise und berichte, was dort so los ist, und natürlich überall den Kaffee probiere, damit ich meine längst getroffene Entscheidung untermauern kann. Um dorthin zu kommen, muss ich natürlich erst mal die Highschool beenden und nach Harvard gehen, der Universität meiner Träume, aber das bedeutet, dass ich rechtzeitig zum Schulbeginn auf der Matte stehe. Also beendete ich mein Frühstück, sah zu, wie Mom ihres verzehrte und starrte sie ungeduldig an. »Wie sind die Eier?«, fragte ich schließlich in der Hoffnung, sie anzutreiben. »Gut«, antwortete Mom. »Das freut mich«, sagte ich. Mom aß unbeirrt weiter, und ich starrte sie an, während ich ungeduldig mit den Fingern trommelte. »Sie sind noch immer gut«, sagte Mom und warf mir einen Blick zu. »Das freut mich noch immer.« »Hör zu, Freak, wir werden uns nicht verspäten.« »Es ist der erste Schultag. Ich will früh genug dort sein.« »Wir werden früh genug dort sein. Versprochen.« »Ich habe in diesem Jahr andere Kurse. Meine Routen sind nicht mehr dieselben. Ich habe noch nicht den schnellsten Weg gefunden. Und mein Spind ist auch verlegt worden, sodass ich nicht einmal weiß, ob er in Ordnung ist, und vielleicht werde ich einen neuen bekommen, und Gott allein weiß, wie lange das dauern oder wo er sein wird, und das könnte den ganzen Tag ins Chaos stürzen.« Mom lächelte mich an. »Ich bin bloß -4-
aufgeregt«, schloss ich und erwiderte ihr Lächeln. Lane kam durch die Tür gestürmt. »Oh, Gott sei Dank, dass ihr noch nicht gegangen seid«, rief sie, eilte an unseren Tisch und setzte sich. »Nein… was ist los?«, fragte ich. »Ich habe den tollsten Plattenladen der Welt gefunden, er ist zehn Minuten von unserer Schule entfernt, und ich frage mich, wie sehr du mich liebst«, sagte Lana und nahm ihren Rucksack ab. Was war denn das für eine verrückte Frage? Schließlich ist sie abgesehen von Mom schon immer meine beste Freundin gewesen. Ich würde alles für sie tun. »Adresse«, sagte ich, als ich mich zur Seite beugte, um ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber aus meiner Tasche zu nehmen. »Record Breaker, Incorporated. 2453 Berlin Turnpike.« Ich schrieb es auf. »In Ordnung. Jetzt deine Bestellung.« »Ja«, sagte Lane aufgeregt. Sie brachte ihre zerlesene Ausgabe von The MOJO Collection zum Vorschein und schlug sie auf. The MOJO Collection, ein monströses Buch über die Geschichte des Popalbums, wird von den Leuten von MOJO herausgegeben, Englands führendem Rockmagazin. Die Zeitschrift beauftragte führende Musikjournalisten damit, die ihrer Meinung nach wichtigsten Alben zusammenzustellen, die jemals aufgenommen wurden, und ihre Bedeutung für die populäre Musik einzuschätzen. Lane hat ihre Anweisungen befolgt, ihre eigene CD-Sammlung eingeschätzt und für unzulänglich befunden, und versucht seitdem, sie zu verbessern. »Charles Mingus, The Black Saint and the Sinner Lady«, las Lane vor. -5-
»Richtig«, nickte ich und schrieb es auf. »The Sonics, Here Are the Sonics.« »Brenn mir eine Kopie. Weiter.« »MC5, Kick Out the jams, Fairport Convention, Liege and Lief, Bee Gees, Odessa…« »Bee Gees. Wirklich?«, fragte ich überrascht. Sie schlug das Buch zu und legte ehrfürchtig ihre Hand darauf. »Nun, MOJO sagt…« »Dann muss es wohl stimmen.« »Okay, das war’s. Jetzt muss ich nur noch eine Platte von Whistler, Chaucer, Detroit und Greenhill finden, dann bin ich endlich mit den Sechzigern durch«, fuhr Lane fort, während sie mir das Geld gab. »Ich werde heute noch vorbeischauen. Spätestens morgen«, versprach ich. »Ich liebe es, wenn du wieder zur Schule gehst«, erklärte sie mit einem breiten Lächeln. »Ich auch«, sagte ich und lächelte ebenfalls. Mom stand auf und wandte sich zum Tresen. »Hey!«, rief ich ihr zu. »Ich hole Donuts für später«, entgegnete sie. »Danach fahre ich dich zur Schule, und die netten Männer in den weißen Kitteln werden dich abholen.« Taylor Doose, Besitzer von Doose’s Market und selbst ernanntes Stadtoberhaupt, drängte sich mit seiner Pfadfindergruppe vorbei, und Mom trat zur Seite und wartete ungeduldig, während sie sich über ihre Bestellung stritten. Schließlich fiel sie ihnen ins Wort: »Hey, Donuts, bitte.« »Wir waren zuerst hier«, sagte eines der Kinder. »Auf dem Planeten?«, erwiderte Mom. »Hä?«, antwortete das verwirrte Kind. »Du hast verloren«, sagte Mom und wandte sich an Luke; »Schokolade, Zimt und Streusel.« -6-
Ehe Luke die Bestellung ausführen konnte, klingelte das Telefon, und alle stöhnten auf. »Komm schon!«, drängte Mom. »Haltet alle die Klappe!«, befahl Luke. Er nahm den Hörer ab, und wir alle sahen ihn ungeduldig an. Mom ging schließlich hinter den Tresen, nahm eine Tüte und steckte einige Donuts hinein. Ich stand auf und fühlte mich der Schule einen Schritt näher. »Das ist unglaublich!«, schrie Luke ins Telefon. Alle drehten sich um und starrten ihn an. »Du wirst dich nie ändern, nicht wahr? Okay, schön! Mach, was du willst! Triff die Vorbereitungen. Ich muss arbeiten. Wir reden später weiter!« Dann knallte er den Hörer auf die Gabel. »Alles okay?«, erkundigte sich Mom. »Hast du eine Schwester?«, wollte Luke wissen. »Äh… nein«, erwiderte Mom. »Ich aber«, warf eines der Kinder ein. »Du hast mein Mitgefühl«, sagte Luke und stapfte die Treppe zu seinem Büro hinauf. Mom sah ihm nach, bis ich sie daran erinnerte, dass die Zeit lief. Sie nahm ihre Tüte mit den Donuts, und endlich war ich auf dem Weg zur Schule. Mom setzte mich vor dem imposanten Tor der Chilton Prep School ab und ich ging hinein. Die Korridore waren voller uniformierter Kids, die ihre Spinde und Klassenzimmer suchten. An der Wand hing ein Banner mit der Aufschrift WILLKOMMEN ZURÜCK IN CHILTON. Mir blieben noch ein paar Minuten, also suchte ich meinen Spind, legte einige Bücher hinein und machte mich dann auf den Weg zu meiner ersten Unterrichtsstunde. Als ich mich dem Klassenzimmer näherte, kamen mir aus der anderen Richtung Paris Geller und ihre besten Freundinnen Madeline Lynn und -7-
Louise Grant entgegen. Paris starrte mich einen Moment eisig an, bevor sie den Raum betrat. »Okay, zweite Runde«, seufzte ich. Paris Geller verabscheut mich aus mancherlei Gründen, aber hauptsächlich, weil ich lebe. Im vergangenen Jahr kam sie an meinem ersten Tag in Chilton auf mich zu und wollte wissen, ob ich Lust hätte« für die Schülerzeitung The Franklin zu arbeiten. Dann erzählte sie mir, dass sie deren Herausgeberin werden würde, derzeit die Klassenbeste sei und nach ihrem Abschluss die Abschiedsrede bei der Schulentlassungsfeier halten wollte. Und von da an ging’s bergab. Es war extrem ermüdend, von Paris gehasst zu werden, sie war inzwischen tatsächlich die Herausgeberin von The Franklin, und ich gehörte zu ihrem Mitarbeiterstab. Ich ging ins Klassenzimmer und marschierte sofort zu Paris. »Fünf Sekunden?«, fragte ich. »Vier.« »Gut.« »Jetzt sind’s nur noch drei.« »Paris, so muss das nicht laufen.« »Nein?« »Du und ich werden zusammen eine Menge Zeit im Unterricht und bei der Arbeit an The Franklin verbringen.« »Schon klar.« »Wir werden in demselben Raum sitzen, uns den Sauerstoff teilen müssen, hin und wieder Blickkontakt haben…« »Das lässt sich vermeiden«, unterbrach sie mich. »Hör zu, ich sage nicht, dass wir Freundinnen sein sollten, ich will gar nicht mit dir befreundet sein. Ich sage nur, dass wir vielleicht so tun sollten, als spielten wir -8-
eine Rolle im richtigen Leben.« »Richtiges Leben?«, fragte Paris. »Ja. Im richtigen Leben gibt es immer Leute, die man nicht mag, mit denen man aber auskommen muss.« »Dessen bin ich mir durchaus bewusst.« »Deshalb schlage ich vor, dass wir miteinander auskommen.« Ich hielt das für einen vernünftigen Vorschlag, aber Paris war offenbar anderer Ansicht. »Du hast nur Angst, dass ich dir bei der Arbeit an The Franklin das Leben zur Hölle machen werde. Vor allem, da ich die Herausgeberin bin und du… oh, wie war noch mal das Wort?… nicht«, sagte Paris. »Wenn du die kostbare Energie, die du normalerweise in die Zeitung stecken solltest, lieber damit verschwenden willst, mir das Leben zu vermiesen, so ist das deine Entscheidung. Ich habe nur eine Alternative vorgeschlagen«, erklärte ich. Paris dachte einen Moment darüber nach. »Die Zeitung könnte in diesem Jahr richtig toll werden«, fuhr ich fort. »Ich weiß«, antwortete Paris ein wenig trotzig. »Können wir uns nicht einfach darauf einigen und alles andere vergessen?«, fragte ich hoffnungsvoll. Louise und Madeline kamen herüber. »Alles okay?«, fragte Louise. »Ja, alles ist in Ordnung«, antwortete ich. »Wir unterhalten uns nur«, sagte Paris. »Unterhalten? Ihr beide?«, entfuhr es Madeline. »Über The Franklin«, fügte Paris hinzu. »Oh.« Madeline dachte einen Moment nach. »Nein, das kommt mir trotzdem seltsam vor.« »Hey, hör zu, wir alle arbeiten zusammen an der Zeitung, und es wird eine Menge langer Nachmittage und -9-
Wochenenden geben…«, sagte Paris. »Wochenenden?«, unterbrach Louise. »Wir müssen irgendwie miteinander auskommen«, erklärte Paris mit einem Blick zu mir. »Richtig?« »Richtig«, bestätigte ich ein wenig überrascht, dass mein Vortrag anscheinend doch von Erfolg gekrönt war. »Es tut mir Leid«, sagte Louise. »Aber zurück zu den Wochenenden.« »Okay, dann machen wir es so«, fuhr Paris fort, die Louise völlig ignorierte. »Nun, die erste Redaktionskonferenz von The Franklin findet heute statt.« »Ja, so ist es«, nickte ich. »Um vier Uhr«, sagte Paris. »Klingt gut«, meinte ich. Paris und ich sahen uns einen Moment an. Wie es schien, hatten wir einen Waffenstillstand geschlossen. Wir nahmen unsere Plätze ein und bereiteten uns auf den Unterricht vor. »Von Wochenenden war nie die Rede. Ich brauche meine Wochenenden. Ich erledige all das an den Wochenenden!«, beklagte sich Louise weiter und wies auf ihre Haare, ihr Gesicht und ihren Körper. Als der Unterricht begann, sah ich zu Paris hinüber und lächelte freundlich. Um zehn vor vier ging ich zum Redaktionsraum von The Franklin. Da ich früh dran war, setzte ich mich vor dem Redaktionsraum auf die Bank und nahm Selected Letters of Dawn Powell aus meinem Rucksack. Powell war eine erfolgreiche Schriftstellerin, die für ihren satirischen Humor bekannt war. Etwas satirischer Humor kann einem Mädchen nicht schaden, sagte ich mir und begann zu lesen, während ich auf das Eintreffen der - 10 -
anderen Redaktionsmitglieder wartete. Nach ein paar Minuten bemerkte ich, dass Stimmen aus dem Raum drangen, daher trat ich ein und stellte fest, dass die gesamte Redaktion bereits versammelt und die Konferenz in vollem Gang war. Paris saß am Kopfende des langen Konferenztisches und sprach zu der Gruppe, zu der auch Mrs O’Malley gehörte, die Beraterin der Zeitung. »Die Titelseite ist öde. Sie ist schlimmer als öde. Sie ist vollkommen meinungsfrei. Entscheidet euch für eine Partei, Leute«, sagte Paris gerade, als ich hereinkam. »Oh, Rory«, nickte sie und verstummte, damit auch ja alle mein verspätetes Erscheinen mitbekamen. »Hey«, murmelte ich verwirrt. »Nett von Ihnen, dass Sie auch noch zu uns stoßen, Ms Gilmore«, sagte Mrs O’Malley. »Ich… ich dachte, wir fangen um vier an«, stotterte ich. »Nein. Wir fangen um Punkt viertel nach drei an«, erwiderte Mrs O’Malley. Ich versuchte ihr die Umstände zu erklären, aber Paris unterbrach mich. »Hör zu, wir verschwenden nur unsere Zeit.« Ich funkelte Paris an. Offenbar war der Waffenstillstand schon wieder beendet. Mrs O’Malley bat mich, Platz zu nehmen, und Paris setzte die Konferenz fort. »Okay, wir waren gerade dabei, die Aufträge zu verteilen. Nun, Rory, da du so spät gekommen bist, sind die meisten interessanten Themen unglücklicherweise bereits vergeben.« »Oh, ich bin schockiert«, sagte ich. »Warte, warte, lass mich mal auf meiner Liste nachsehen. Vielleicht ist noch etwas für dich übrig.« Angesichts der unschuldigen Miene, die Paris jetzt - 11 -
aufsetzte, konnte ich nur den Kopf schütteln. »Okay, hier ist etwas«, erklärte sie. »Der neue Parkplatz wird gepflastert.« »Und?« »Und du kannst darüber berichten.« »Über was berichten?« »Den Fortschritt beim Pflastern.« »Ist das dein Ernst?« »Absolut. Ich bin sicher, dass es irgendwo einen Aufhänger gibt. Ist für den Umweltschutz gesorgt? Wie sieht der finanzielle Hintergrund aus? Hätte man vielleicht Ziegelstein nehmen können, vor allem, wenn man die Architektur des Gebäudes bedenkt…?« »Ja, ja, ich verstehe, was du meinst«, fiel ich ihr ins Wort. »Aber, hey«, fuhr Paris fort und sah mich direkt an, »wenn du es für unter deiner Würde hältst, kannst du auch bis zur nächsten Ausgabe warten und die Zeit für eine schöne Maniküre nutzen.« »Das ist schon okay«, sagte ich. »Oder für eine Massage.« »Ich mache es ja.« »Aromatherapie. Dann riechst du ein paar Tage wie ein Pfirsich.« »Ich sagte, ich mache es, okay? Ich schreibe über das Pflaster.« Ich schenkte Paris mein bestes falsches Lächeln. »Okay. Gut. Nun, ich schätze, das war’s dann.« Alle standen vom Tisch auf und gingen. Paris trat an einen der Computer, und ich folgte ihr. »Probleme, Ms Gilmore?«, fragte Paris, ohne vom Bildschirm aufzublicken. »Nein. Absolut keine Probleme. Ich liebe diesen - 12 -
Auftrag.« »Das freut mich.« »Ich werde den besten Artikel über Pflastersteine schreiben, den du je gelesen hast.« »Das hoffe ich.« »Und nächste Woche, wenn du mir den Knüller über die Installation der neuen Kupferrohre gibst, werde ich genauso begeistert sein.« »Ich steh auf Teamspieler.« »Und ganz gleich, wie verrückt, dumm und sinnlos die Aufträge sind, die du mir gibst, ich werde nicht kündigen, und ich werde nicht zurückstecken. Du kannst also heute Abend nach Hause gehen und über die Tatsache nachdenken, dass, ganz gleich, was du tust, und ganz gleich, wie böse du bist, am Ende des Jahres in meinem Highschool-Studienbuch stehen wird, dass ich für The Franklin gearbeitet habe. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss noch einen Text über die Entstehung von Beton lesen.« Ich wandte mich ab und marschierte davon. »Am Dienstag liegen tausend Worte auf meinem Schreibtisch!«, rief sie mir nach. Und es wurde noch schlimmer. Als ich den Korridor hinunterging, traf ich Max Medina, meinen Englischlehrer und den Ex-Verlobten meiner Mutter. Dies war das erste Mal, dass wir uns über den Weg liefen, seit sie die Hochzeit abgesagt hatte, und keiner von uns wusste, was er tun oder wie er reagieren sollte. Also handelten wir instinktiv. Max versuchte mich anzusprechen, und ich rannte in die andere Richtung davon, bevor er das erste Wort herausbekommen konnte. Während der Busfahrt nach Hause ließ der Schock nach, Max getroffen zu haben, und ich dachte daran, wie - 13 -
Paris mich ausgetrickst und dafür gesorgt hatte, dass ich zu spät zur ersten Redaktionskonferenz des neuen Schuljahrs kam. Als ich Mom im Luke’s traf, war ich richtig sauer. »Oh, mein Gott, ich hasse sie!«, sagte ich, als ich das Lokal betrat. »Oh, ich auch!«, stimmte meine Mom zu. »Du hast keine Ahnung, von wem ich rede.« »Solidarität, Schwester.« Ich nahm neben Mom Platz, trank einen Schluck Kaffee und erklärte dann: »Paris…« »Oh, nun ja, das hätte ich wissen müssen«, sagte Mom. »Sie denkt, sie kann mich von der Schülerzeitung vergraulen, aber das kann sie nicht«, fuhr ich fort. »Nein, kann sie nicht«, bekräftigte Mom. »Ich habe noch nie jemanden wie sie getroffen. Ihr beharrliches Festhalten an diesem dummen Groll, der völlig unbegründet ist und niemals enden wird, zeigt ein Maß an Entschlossenheit, das ich nie für möglich gehalten hätte. Ich fange allmählich an, sie zu bewundern.« »Der erste Tag war also Mist?«, fragte Mom. »Nur die Redaktionskonferenz war Mist. Der Rest war gut.« »Schön, ich bin froh, das zu hören.« Sie schwieg einen Moment, ehe sie fortfuhr. »Hast du… zufällig Max getroffen?« Jetzt war ich an der Reihe, einen Moment zu schweigen. »Eigentlich nicht.« »Nein?« Mom wirkte ein wenig überrascht. »Nein. Unsere Wege haben sich einfach nicht gekreuzt«, sagte ich vorsichtig. »Ist er nicht dein Literaturlehrer?«, fragte Mom. - 14 -
»Ja, aber vor mir sitzen sehr große Leute«, erwiderte ich. »Rory…« »Ich habe ihn auf dem Korridor gesehen und bin in die andere Richtung gegangen und…« »Warum?« »Ich weiß es nicht. Ich dachte, es ist das, was du willst.« »Nur weil Max nicht mehr ein Teil meines Lebens ist, heißt das nicht, dass er kein Teil deines Lebens sein kann. Er muss ein Teil deines Lebens sein. Du musst ihn sehen und mit ihm reden, und das ist okay. Es ist gut. Ich weiß, dass im Moment alles verkorkst zu sein scheint, aber ich will nicht, dass du ihm aus dem Weg gehst. Vor allem nicht wegen mir. Okay?« »In Ordnung.« »Es tut mir Leid, dass ich dich in diese Lage gebracht habe«, fügte Mom sanft hinzu. »Das ist schon okay. Ich setze es auf die Liste«, erwiderte ich. »Mein Gott, diese Liste wird ziemlich lang«, sagte Mom mit einem Lächeln. »Du hast ja keine Ahnung.« Ich lächelte zurück. »Nach Hause?« »Ich folge dir.« Wir wollten schon nach draußen gehen, als Mom eine ihrer weltberühmten beiläufigen Fragen stellte. »Hey, haben wir genug Pappteller?« »Ich weiß es nicht. Lass mich einen Blick in das extrem detaillierte Verzeichnis werfen, das ich über deinen monatlichen Verbrauch an Papptellern führe«, erwiderte ich. Was sollte man sonst auf eine derartige Frage antworten? - 15 -
»Okay, wenn du sarkastisch wirst, will ich meine blauen Flip-Flops zurück«, sagte Mom. »Ich denke, „wir haben nur noch ein paar«, erklärte ich, als wir die Tür passierten. »Warum?« »Wir haben morgen Abend ein kleines Treffen«, erklärte Mom, während wir nach Hause gingen. »Was für eine Art Treffen?«, wollte ich wissen. »Nun, Lukes Neffe ist hier, und ich dachte, wir könnten vielleicht dafür sorgen, dass er sich etwas mehr zu Hause fühlt«, erklärte Mom. Ich war irgendwie überrascht. Ich hatte keine Ahnung, dass Luke einen Neffen hatte. Sie fügte hinzu, dass sein Neffe Jess nach Stars Hollow ziehen würde. »Hast du ihn schon kennen gelernt?«, fragte ich. »Ein wenig.« »Wie ist er so?« »Nun, ich will mal so sagen, er ist nicht gerade der ideale Ersatzmann für diesen neuen Trottel in der Show.« Wir gingen weiter die Straße hinunter Richtung Doose’s Market und passierten die Bücherei, was mich daran erinnerte, dass ich mich zwar gerne an den Vorbereitungen für das Willkommen-in-Stars-HollowAbendessen beteiligt hätte, mich aber auf die Recherche über Pflastersteine konzentrieren musste. Mom stimmte unter der Bedingung zu, dass diese Recherche die Band Pavement einschloss. Wir einigten uns schließlich darauf, dass ich bei meinen Nachforschungen Songs von Pavement hören würde. Ich betrat die Bücherei, um meinen Artikel zu beginnen, und Mom ging weiter nach Hause. Am nächsten Nachmittag kehrte ich in den Redaktionsraum von The Franklin zurück. Ich hatte meinen Artikel früher am Tag abgegeben, saß allein im - 16 -
Zimmer und las, als Paris hereinkam. »Oh, hallo«, sagte sie ein wenig überrascht, mich zu sehen. »Hi«, erwiderte ich. »Du bist früh dran.« »Nun ja, ich wollte nicht schon wieder zu spät kommen wie beim letzten Mal.« Ich lächelte sie süffisant an. »Das wird nicht noch mal passieren.« Paris nahm ihren Platz am Ende des Tisches ein, mir direkt gegenüber, während die anderen Redaktionsmitglieder hereinströmten. »Hey. Hast du schon gehört, dass Kimber Slately und Tristin das neue Megapaar sind?«, fragte Madeline, als sie mit Louise eintrat. »Ich dachte, Kimber und Sean Asher wären dieses Jahr John und Jackie«, erwiderte Louise. »Nein. Sean ist jetzt mit Deeds McGuire zusammen. Was Jeff Trainer in Dottie Lords Arme getrieben hat, sodass Madison Malins zum ersten Mal, seit er Kapitän des Lacrosse-Teams wurde, allein ist.« Louise war beeindruckt. »Du bist immer über alles auf dem Laufenden. Du hast anscheinend ein Händchen für so was.« »Ich weiß«, entgegnete Madeline. »Hey, Paris, was hältst du davon, wenn ich eine Klatschkolumne für The Franklin schreibe?« »Hm«, machte sie. »Ich weiß nicht. Das ist schwierig. Ich meine, es geht hier um The Franklin, eine Zeitung, die schon seit fast hundert Jahren existiert. Es gab mindestens zehn ehemalige Herausgeberinnen von The Franklin, die später für die New-York Times gearbeitet haben. Sechs sind zur Washington Post gegangen. Drei schreiben für den New Yorker. Ich glaube, eine hat sogar - 17 -
den Pulitzer-Preis gewonnen. Aber Schwamm drüber. Ich könnte die erste Herausgeberin in der Geschichte von The Franklin sein, die eine Kolumne bringt, in der es ausschließlich darum geht, wen Bifry zuletzt angebaggert hat. Ein Dilemma. Weißt du, ich werde später darauf zurückkommen.« Madeline musste eine Sekunde darüber nachdenken. »Okay«, sagte sie, noch immer nicht ganz sicher, was Paris meinte. Mrs O’Malley kam mit einem Stapel Unterlagen in den Raum und wandte sich an die Gruppe. »Oh, gut, wir sind alle hier. Und dazu noch pünktlich«, fügte sie mit einem Seitenblick auf mich hinzu. »Wunderbar. Nun, ich habe alle Artikel gelesen. Sie waren alle ausgezeichnet. Flott, informativ, gut recherchiert… Paris, Sie sollten sehr stolz auf das Team sein, dass Sie dieses Jahr zusammengestellt haben.« »Vielen Dank.« Paris lächelte geschmeichelt. »Ich meine, wenn Sie eine Reporterin haben, die ein unglaublich banales und scheinbar unwichtiges Thema wie die Pflasterung eines Fakultätsparkplatzes in einen bittersüßen Artikel über die Tatsache verwandeln kann, dass alles und jeder irgendwann veraltet sein wird, dann haben Sie wirklich etwas erreicht. Ms Gilmore, ich war gerührt.« Paris rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. »Das habe ich alles Paris zu verdanken«, sagte ich, als Paris mir ein falsches Lächeln schenkte. Mrs O’Malley wandte sich an Paris. »Ich rate Ihnen, Ms Gilmore beim nächsten Mal etwas zu geben, das etwas mehr Pep hat.« »Oh, ja. Tolle Idee«, gab Paris zurück. Mrs O’Malley forderte die Redaktionsmitglieder auf, - 18 -
am Layout zu arbeiten, und ich ging zu einem der Computer und nahm davor Platz. Paris marschierte umgehend hinter mir her. »Nun, gratuliere«, sagte sie. »Danke«, antwortete ich und blickte zu ihr auf. »Du musst sehr stolz auf dich sein«, fuhr sie fort. »Ich verstecke mich nicht, wenn ich an einem Spiegel vorbeigehe«, erwiderte ich. »Ich schätze, es gehört zu meinem Job als Herausgeberin, dafür zu sorgen, dass unsere besten Autorinnen unsere besten Artikel schreiben. Deshalb… werde ich dir eins unserer besten Themen geben.« Ich sah sie misstrauisch an. »Ahha…« »Titelseite. Titelstory. Obere Hälfte.« »Komm zum Haken, Paris.« »Kein Haken.« »Kein Haken«, wiederholte ich skeptisch. »Ich würde das Schuljahr gern mit einem Porträt des Lehrers beginnen, der im letzten Jahr zum beliebtesten Pädagogen gewählt wurde. Du weißt schon, ein tief schürfendes, rückhaltloses Interview. Alle wollen es. Du hast es«, sagte Paris aufrichtig. »Du machst Witze«, meinte ich, noch immer ein wenig argwöhnisch. »Nein.« Sie schien wirklich keine Witze zu machen. »Nun, danke«, sagte ich, als ich mich wieder dem Computer zuwandte. »Keine Ursache. Also mach dich an die Arbeit und beschaffe dir so schnell wie möglich einen Gesprächstermin bei Mr Medina.« »Was?« »Ich weiß, das kommt ein bisschen plötzlich, aber ich hätte es gern als Aufhänger für unsere erste Ausgabe.« - 19 -
»Mr Medina?« »Er hat einen Erdrutschsieg errungen.« »Aber…«. »Tut mir Leid, gibt es ein Problem?« Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, also schwieg ich. Paris flötete: »Ich meine, gibt es irgendeinen Grund, warum du ihn nicht interviewen willst? Schließlich solltest von allen Leuten du am besten in der Lage sein, eine echt tiefschürfende Story aus ihm herauszuholen, vor allem, da er mit deiner Mutter verlobt ist.« Ich schwieg weiter. »Sie sind doch noch immer verlobt, oder?«, fuhr Paris mit geheuchelter Besorgnis fort. »Halten wir das Privatleben meiner Mutter lieber da raus, okay?« »Oh, das klingt übel«, meinte Paris. »Es ist nicht übel, es geht dich bloß nichts an«, widersprach ich. »Schön. Willst du das Interview oder nicht?« Ich kämpfte einen Moment mit mir und antwortete schließlich: »Ja, ich will das Interview.« »Gut. Und hol mehr aus ihm heraus als nur seine Lieblingsfarbe, okay?« Paris marschierte extrem selbstzufrieden davon. Woher wusste sie, dass zwischen Max und meiner Mom etwas vorgefallen war? Sie musste gestern gesehen haben, wie ich ihm ausgewichen war, nachdem ich den Redaktionsraum verlassen hatte. Es war sicherlich nicht das erste Mal, dass Paris etwas sah, von dem ich nicht wollte, dass sie es sah. In meinen ersten Tagen in Chilton hatte sie beobachtet, wie meine Mom und Max in seinem Klassenzimmer geknutscht hatten. Klar, das war nicht gerade besonders schlau von ihnen gewesen, aber musste - 20 -
von allen Schülern in Chilton ausgerechnet Paris sie sehen? Aber dies war ein wichtiger Artikel, und ich musste nur einen Weg finden, ihn zu schreiben, ohne Max wirklich zu interviewen.
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2 An diesem Abend fand das große Abendessen statt. Und das meine ich wörtlich. Die beste Freundin meiner Mutter, Sookie St. James, plante ein Festmahl, auf das Heinrich der Achte stolz gewesen wäre. Sie wollte sichergehen, dass Lukes Neffe sich willkommen fühlte, und brachte ständig neue Einwände vor (»Was ist, wenn er keine Milchprodukte mag?«, hatte sie zum Beispiel einfühlsam gefragt). Also standen sie und ihr Freund Jackson in der Küche, wo sie Schmorbraten, Hähnchenflügel, Stampikartoffeln und vier verschiedene Sorten Salat zubereiteten, und ich glaube, ich habe sogar das Wort »Grillkäse« gehört. Während sie kochten, stellte ich meine Fragen für das Interview mit Max zusammen. Schließlich gelangte ich zu dem Schluss, dass eine gute Journalistin objektiv sein und ihre persönlichen Gefühle beiseite schieben sollte, und vereinbarte für den Nachmittag des folgenden Tages ein Treffen mit Max. Mom steckte ihren Kopf herein und fragte, ob ich an den Feierlichkeiten teilnehmen wollte. »In einer Sekunde«, erwiderte ich, während ich mich auf den Computermonitor konzentrierte. »Du klingst gereizt«, meinte Mom. »Ich konzentriere mich.« »Okay, konzentriere dich nicht zu sehr. Die Jungs mögen euch dumm. Richtig, Jackson?« »Wenn du um einen Baum biegen kannst, geh einfach weiter«, rief Jackson aus der Küche. Es klopfte an der Tür, und Mom verschwand um zu öffnen. Ein paar Minuten später kamen Luke und sein Neffe Tess in die Küche, und Mom stellte sie Sookie und - 22 -
Jackson vor. Ich saß noch immer an meinem Schreibtisch, drehte mich aber kurz um und sagte Hallo, um dann meine Sachen wegzuräumen und später zu ihnen zu stoßen. Jess sah aus, als wäre er etwa in meinem Alter, und er hatte dunkle Augen und dunkle Haare. Er kam in mein Zimmer. »Ich bin Rory.« »Ja, das dachte ich mir schon.« »Nett, dich kennen zu lernen.« Jess näherte sich meinem Schreibtisch, blieb aber stehen, als er all die Bücher in den Regalen bemerkte. »Wow, auf Platten stehst du wohl nicht gerade.« »Oh, ich lese viel«, erwiderte ich. »Liest du?« »Nicht viel.« Er schlug meine Ausgabe von Allen Ginsbergs Howl auf. »Ich könnte es dir leihen, wenn du willst. Es ist toll.« Jess klappte das Buch zu und legte es weg. »Nein, danke.« »Nun, falls du deine Meinung änderst…« Er näherte sich mir weiter, als meine Mutter mit zwei großen Schüsseln voller Essen hereinkam und erklärte, dass das Festmahl im Wohnzimmer serviert werden würde. »Bin sofort da«, sagte ich, als Sookie, Jackson und Luke vorbeikamen und ebenfalls Schüsseln und Teller mit Essen trugen. Jess schob die Spitzengardine vor dem Fenster zur Seite. »Kann man es öffnen?« »Oh, ja, du musst es nur entriegeln und dann drücken.« »Toll«, sagte er und entriegelte das Fenster. »Sollen wir?« »Sollen wir was?« »Abhauen.« »Nein«, sagte ich lachend. - 23 -
»Warum nicht?« »Weil es Dienstagabend in Stars Hollow ist. Wir könnten nirgendwo hin. Der rund um die Uhr geöffnete Minimarkt hat vor zwanzig Minuten geschlossen.« »Dann werden wir eben spazieren gehen oder uns auf eine Bank setzen und unsere Schuhe anstarren.« »Hör zu, Sookie hat eine Tonne richtig tolles Essen gekocht, und ich verhungere. Auch wenn es im Moment nicht danach aussieht, werden wir dabei eine Menge Spaß haben. Vertrau mir«, sagte ich mit einem Lächeln. »Ich kenne dich nicht mal.« »Sehe ich etwa nicht vertrauenswürdig aus?« »Kann sein.« »Okay, gut, gehen wir essen.« Ich verließ mein Zimmer und trat an den Kühlschrank. Jess folgte mir langsam. »Willst du ein Wasser?«, fragte ich. »Oh, ich hole es mir schon«, erwiderte er. »Okay.« Ich ging zu den anderen ins Wohnzimmer. In dei Mitte des Raumes war ein großer Tisch aufgestellt, und Sookie arrangierte gerade die Platten mit Essen. Ich setzte mich neben meine Mom. »Hey, Rory, wo ist Jess?«, fragte Luke. »Er holt sich ein Wasser«, erklärte ich. Mom gab Luke einen Teller, auf dem sich himmelhoch Essen türmte. »Hier.« »Es tut mir Leid, du musst mich mit dir verwechselt haben«, sagte Luke. »Oh, zu viel?« Mom nahm den Teller wieder an sich und fügte einen weiteren Schlag Stampfkartoffeln hinzu. »Ich habe das Knoblauchbrot vergessen«, rief Sookie. »Ich hole es schon«, sagte Mom, reichte Luke seinen noch volleren Teller und verschwand in der Küche. - 24 -
Mom war eine Weile fort, und Jess war noch immer nicht am Tisch aufgetaucht, daher stand Luke auf, um nach ihnen zu sehen. Eine kurze Weile später kehrte Mom mit dem Knoblauchbrot und einem wütenden Gesichtsausdruck an den Tisch zurück. Sie erzählte uns, dass Luke und Jess gegangen waren und nicht mit uns essen würden. Und dann waren wir zu viert und hatten genug zu essen, um ein kleines Land zu ernähren. Der nächste Morgen erwies sich als schwierig. Mom wich aus, als ich sie nach dem Streit am vergangenen Abend fragte, aber es reichte mir schon, dass sie sich weigerte, ins Luke’s zu gehen. Also standen wir vor der Tür des Lokals, während im Innern köstlicher Kaffee auf uns wartete. »Du bist total kindisch«, sagte ich zu ihr. »Bin ich nicht«, erwiderte sie kindisch. »Und jetzt werden wir nie wieder ins Luke’s gehen und einfach verhungern.« »Rory, wir haben uns furchtbar gestritten, okay? Nicht wie Nick und Nora. Sondern wie Sid und Nancy, und ich werde nicht hineingehen.« »Aber der Kaffee ist dort drinnen. Und es ist Teilchentag. Willst du mir allen Ernstes weismachen, dass du dir von einem dummen Streit den Teilchentag verderben lassen willst?«, appellierte ich an ihre Vernunft. »Nein, das werde ich nicht.« »Gut«, sagte ich erleichtert. »Also geh rein und bestell zwei Kaffee und zwei Teilchen zum Mitnehmen«, befahl Mom. »Du machst Witze?« »Vergiss die Servietten nicht.« »Mom, er wird wissen, was los ist. Er ist nicht dumm.« - 25 -
»Hey, er kann nicht beweisen, dass du das alles nicht für dich allein bestellst, oder? Nein. Also mach schon. Husch, husch. Mommy wartet hier.« Ich seufzte und betrat das Lokal. Luke stand hinter dem Tresen, und ich baute mich vor ihm auf. »Hey, Luke.« »Rory«, grüßte er. Er wirkte recht freundlich. »Ah, ich möchte zwei Kaffee und zwei Kirschteilchen zum Mitnehmen, bitte«, sagte ich. »Zwei Kaffee und zwei Kirschteilchen.« Er sah mich misstrauisch an. »Oh, und ein paar Servietten«, fügte ich hinzu. »Eins davon ist für sie, nicht wahr?« »Für wen? Oh, nein, nein, nein, die sind alle für mich. Ich bin heute superhungrig. Ich wollte schon drei bestellen, aber das entscheide ich erst, wenn ich eins gegessen habe.« »Ich sag dir was. Ich werde dir ein Teilchen und eine Tasse Kaffee geben. Du kannst dich dort drüben hinsetzen und essen, und wenn du fertig bist, dort drüben, wo ich dich sehen kann, bring ich dir das zweite.« »Du willst wirklich hier herumstehen und mir zusehen, wie ich ein Teilchen esse?« »Im Kabelfernsehen läuft nichts, und ich brauche dringend Unterhaltung.« »Okay, aber das ist verrückt. Ihr hattet also einen Streit? Große Sache. Du weißt, dass ihr euch sowieso wieder versöhnen werdet, und es gibt keinen besseren Tag zum Versöhnen als den Teilchen tag. Der glücklichste aller Tage. Der Tag, an dem wir alle bei einem leckeren Teilchen und einer Tasse Kaffee sagen: >Hey, lasst uns vergeben und vergessen.Hi, ich bin Rory. Ich bin im fortpflanzungs- und heiratsfähigen Alter und werde jetzt vor jungen Männern herumstolzieren, die ebenfalls im fortpflanzungs- und heiratsfähigen Alter sind, damit sie mich alle genau in Augenschein nehmen können.definitiv< gesagt?« »Definitiv«, bestätigte Mom mit einem Lächeln. »Also gibt es eine Fünfzig-zu-fünfzig-Chance.« Ich war echt aus dem Häuschen. »Ich weiß es nicht. Er klang ziemlich sicher. Ich würde sagen sechzig zu vierzig«, meinte Mom und legte ihren Arm um mich, während wir zurück in die Küche gingen. Der Debütantinnenball wurde schnell zum wichtigsten Punkt in unserem Leben, hauptsächlich, weil Grandma alle paar Sekunden deswegen anrief. Ihren Broschüren entnahm ich, dass ich nicht nur meinen Dad, sondern auch noch einen weiteren Begleiter für den Abend brauchte, und ich fand es passend, dass diese Person mein Freund Dean Forrester sein sollte. Zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, war der einfache Teil. Ihn davon zu überzeugen, an einer Veranstaltung teilzunehmen, bei der er einen Smoking tragen musste – nun, der Teil würde einige Mühe kosten. Nach einiger Überredung sagte er zu, und um ihm zu zeigen, was ihn erwartete, bat ich ihn und Lane, herzukommen und zusammen mit mir ein Video anzuschauen. Mom lief durchs Haus und telefonierte zum siebenundachtzigsten Mal an diesem Tag mit Grandma, und wir waren im Wohnzimmer und sahen uns das Band an. Ich saß auf der Armlehne, Dean neben mir auf der Couch und Lane an seiner Seite. Ich drehte mich zu Dean um. »Und?« - 51 -
»Und was?«, erwiderte Dean. »Es ist gut, nicht?«, fragte ich und zeigte auf den Fernseher. »Das ist die Rock-and-Roll-Hall-of-FameAufnahmefeier«, erklärte er. »Ja. Und sieht Neil Young nicht cool aus?«, sagte ich begeistert. »Schon möglich«, erwiderte er halbherzig. »Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, er trägt einen Smoking«, fuhr ich fort. Es funktionierte nicht. »Neil Young sieht cool aus, weil er Neil Young ist, und nicht, weil er einen Smoking trägt«, konterte Dean. Mom kam ins Wohnzimmer zurück und telefonierte noch immer. »… Nein, ich muss sie nicht fragen, Mom, weil ich die Antwort bereits kenne. Ich kenne die Antwort, Mom, ich kenne die Antwort. Ja… Nein… Okay, nun, ich muss sie nicht fragen, Mom… Einen Moment.« Dann wandte sie sich an mich und fragte, ob ich wollte, dass Grandmas Coiffeur mir vor dem Ball die Haare machte. Ich sah sie entsetzt an, und sie sprach wieder in den Hörer. »Oh, ich habe sie nicht aufgehetzt, Mom. Unterhalten wir uns wieder über die Handschuhe…« Und sie ging wieder aus dem Raum. »Ich denke, du wirst in einem Smoking toll aussehen«, sagte ich zu Dean. »Smokingzwang«, fügte Lane hinzu, während sie in einer der DAR-Broschüren blätterte. Dean warf Lane einen kurzen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass sie nicht scherzte, und sah mich dann überrascht an. »Was?« »Ja«, fuhr Lane fort, »hier steht, dass alle Begleiter einen schwarzen Smoking, weißen Kummerbund und weiße Handschuhe tragen müssen.« - 52 -
»Was?«, wiederholte Dean, diesmal empört. »Ich bin sicher, dass die Handschuhe optional sind«, meinte ich, um ihn zu beruhigen. »Nach dem, was hier steht, nicht.« Lane hielt die Broschüre hoch. »Smokingzwang? Handschuhe?«, wiederholte Dean. »Denk an Neil Young«, mahnte ich. Dean starrte mich nur an. »Denk daran, dass du mich liebst.« Er starrte weiter und sagte nichts. »Denk daran, dass ich mir einen Monat lang mit dir Battlebots ansehen werde.« Dean seufzte. »Zeig mir noch einmal Neil Young«, bat er. Als ich das Band zurückspulte, hupte in der Einfahrt mehrmals ein Auto. »Dad!« Ich sprang auf und rannte zur Tür, dicht gefolgt von meiner Mom. »Dad!«, rief ich wieder, als ich die Treppe hinunter zu meinem Dad lief, der neben seinem Wagen stand. »Wow! Bleib sofort stehen«, sagte Dad. Ich erstarrte ein paar Schritte von ihm entfernt zur Salzsäule. »Eine Lady läuft niemals einem Gentleman entgegen, der nicht angemeldet wurde«, fuhr er fort. »Tut mir Leid. Wir haben meine wilde Seite noch nicht ganz gezähmt«, erwiderte ich und strahlte ihn an. »Nun, Gott sei Dank, dass ich jetzt hier bin«, erklärte er. Ich ging zu ihm und zog ihn an mich. »Ich habe dich vermisst.« »Ich dich auch«, gab er zurück. »Hey!«, sagte meine Mom und küsste meinen Dad auf die Wange. »Was ist das?« Sie trat an den nagelneuen Wagen meines Dads. »Was? Oh, mein Gott, wo ist der denn hergekommen?«, rief mein Dad und tat so, als wäre er überrascht, als er - 53 -
sich umdrehte und seinen Volvo betrachtete. »Was ist aus deinem Motorrad geworden?«, fragte Mom. »Es klingt verrückt, aber irgendwer in der Autowaschanlage hat die Schlüssel vertauscht«, entgegnete Dad mit einem Lächeln. »Das ist ein Auto«, erinnerte Mom. »Ja, das ist es.« »Es hat vier Räder und ein Dach und Airbags und Sicherheitsgurte, und, mein Gott, es riecht wie ein Wald«, sagte sie, als sie den Kopf in das offene Fenster auf der Fahrerseite steckte. Dad ging zum Heck des Wagens. »Na ja, ich brauchte mehr Platz, weil ich etwas Großes transportieren musste.« Er nahm ein schweres Päckchen aus dem Kofferraum und reichte es mir. »Ich glaube, das gehört dir.« »The Compact Oxford English Dictionary!«, rief ich aufgeregt, als ich das Päckchen an mich nahm. Dad lächelte bei meiner Reaktion. »Ich habe dir versprochen, dass ich dir eine Ausgabe besorge. Es tut mir nur Leid, dass es so lange gedauert hat.« »Schon okay«, sagte ich. Ich konnte meine Augen nicht von dem Wörterbuch wenden. »Die gute Nachricht ist, dass dies die neueste Ausgabe ist. Hätte ich dir die alte geschenkt, würde vermutlich das Wort >jiggy< fehlen«, fuhr Dad fort. »Danke! Ich liebe es! Ich werde sofort ein paar Dinge nachschlagen!« Ich wollte schon ins Haus rennen, als Dad mich zurückhielt und ein Vergrößerungsglas aus seiner Tasche zog und es mir gab. Ich rannte zurück ins Haus, um Lane und Dean mein neues Spielzeug zu zeigen. - 54 -
The Compact Oxford English Dictionary ist die einbändige Version des zwanzigbändigen Oxford English Dictionary (allgemein als das beste Wörterbuch der Welt bekannt). Es enthält nicht nur aktuelle Wörter und ihre Bedeutung, sondern auch längst veraltete. Neun Seiten der zwanzigbändigen Ausgabe sind in der einbändigen Version verkleinert und auf einer Seite abgedruckt. Man braucht ein Vergrößerungsglas, um die Einträge zu lesen. Alle richtigen Schriftsteller besitzen das OED. Während wir Wörter nachschlugen, dröhnte laute Metal-Musik der Band Rammstein aus Dads Wagen. Ich nutzte die Gelegenheit, ein paar meiner neuen, ausgefallenen Wörter zu benutzen und bat sie, die Kakofonie zu mitigieren. Sie können die Begriffe gerne nachschlagen. Nachdem ich Dean dazu gebracht hatte, den Smoking zu akzeptieren, konzentrierten wir uns als Nächstes auf das Tanzen. Auf den Kotillon sollte ein formeller Tanz mit meinem Begleiter folgen, daher nahmen Dean und ich Tanzunterricht bei Miss Patty. Sie drückte die Abspieltaste ihres Kassettenrekorders, Frank Sinatras Aufnahme von »The Way You Look Tonight« ertönte, und wir versuchten unbeholfen, Walzer oder Foxtrott oder Twostepp zu tanzen, während Miss Patty uns Anweisungen zurief. »Zählt im Kopf die Schritte«, instruierte uns Miss Patty. »Seht euch in die Augen. Dean, führst du?« »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte er frustriert. »Okay, okay, stopp, stopp, stopp«, rief Miss Patty und stellte die Musik ab. »Merkt euch eins, zu den wichtigsten Dingen beim Ballsaaltanzen gehört, sich auf einen Punkt zu konzentrieren, damit euch nicht schwindlig wird. Ich möchte jetzt, dass ihr euch etwas - 55 -
aussucht, auf das ihr euch konzentriert. Ich habe früher gerne einen einsamen Seemann angesehen«, sagte sie und senkte die Stimme. »Wenn ihr euch dreht, dreht auch den Kopf und sucht euren Punkt.« Sie demonstrierte es, indem sie herumwirbelte und »Hallo, Matrose!« rief. »Hallo, Matrose. Hallo, Matrose. Jetzt versucht ihr es.« »Sie wollen mich auf den Arm nehmen«, murmelte Dean. »Ich denke, du schaffst es auch ohne >Hallo, Matrose< zu rufen«, ermutigte ich ihn. »Rory…« »Battlebots«, erinnerte ich ihn. »Für den Rest deines Lebens«, erklärte er. Miss Patty ließ die Musik weiterlaufen, Dean nahm mich in seine Arme, und wir fingen noch einmal von vorn an. »Hey, ihr werdet wirklich besser. Jetzt seht ihr euch sogar an«, sagte Mom, als sie und Dad mit Kaffee und Muffins in das Studio kamen. »Braucht jemand eine Pause?«, fragte Dad. Dean nickte hastig, und Miss Patty stimmte widerwillig zu. »Nun, wie läuft es?«, flüsterte Mom, als Miss Patty nach draußen ging, um eine Zigarette zu rauchen. »Eigentlich bin ich nicht besonders gut«, gestand ich. »Ja, was mich ziemlich bremst, denn ich bin ein Naturtalent«, fügte Dean hinzu. »Nun, vielleicht brauchst du nur einen Glitzerhandschuh und einen echt irren Gesichtsausdruck«, sagte Mom. »Einmal hat Miss Patty befürchtet, Dean könnte sich verletzen, und ich musste mich in die Ecke setzen und zusehen«, berichtete ich. - 56 -
»Hey, niemand stellt mein Baby in eine Ecke«, sagte Mom in gespielter Entrüstung. »Es ist nicht deine Schuld«, erklärte Dad in dem Versuch, mich zu trösten. »Ballsaaltanzen ist eine wundervoll sexistische Angelegenheit. Jede Frau kann es. Sie braucht nur einen starken männlichen Führer. Keine Beleidigung, Dean.« Er wirbelte spielerisch meine Mom herum, die nicht ganz mitkam, und sie gerieten ins Stolpern. »Na ja, fast jede Frau kann es.« »Ich war nicht vorbereitet, ich war nicht vorbereitet«, protestierte Mom. »Ich verlange eine zweite Chance.« »Schön.« Dad trat von Mom zurück, drehte die Musik auf und fragte sehr höflich: »Darf ich Sie um diesen Tanz bitten?« »Ich weiß nicht«, erwiderte Mom, als Dad sie in die Arme nahm. »Haben Sie Treuhandvermögen?« Zu mir sagte sie: »Das musst du immer vorher klären.« Dad tanzte mit ihr zu den Walzerklängen durch den Raum. Beide lachten, aber sie fanden schnell ihren Rhythmus und führten eine wirklich wundervolle, perfekt choreografierte Sequenz von Schritten vor. Dean und ich wechselten einen erstaunten Blick. Miss Patty beobachtete alle von der Tür aus, wo sie ihre Zigarette zu Ende rauchte. Ich denke, selbst Mom und Dad waren ein wenig überrascht, und als sie ihren Tanz beendeten, klatschten wir alle Beifall. »Okay, ich bin adoptiert«, sagte ich. »Ja, das kriege ich nie hin«, nickte Dean. »Ach was, ihr braucht nur ein wenig Übung«, ermutigte Dad uns. »Hör auf deinen Vater, Rory. Deinen bewundernswerten, bewundernswerten Vater«, sagte Miss Patty. - 57 -
»Komm«, wandte sich Mom an meinen Dad, »verschwinden wir von hier, bevor du Pattys nächster Mann wirst.« »Bis später«, rief Dad uns zu. »Bye, Patty«, fügte er flirtend hinzu. Miss Patty seufzte tief. »Ohhh, wie Sie mit mir spielen.« Und dann setzten wir unseren Tanzunterricht fort. Als Dean und ich nach Hause kamen, hatte Mom eine obszöne Menge an chinesischem Essen bestellt, die Schachteln nahmen den ganzen Couchtisch ein. Sie murmelte etwas von einer »Henkersmahlzeit«. Als wir mit dem Essen fertig waren, versuchte Dad, Dean zu zeigen, wie man eine Fliege band, während Mom und ich den Tisch abräumten. Dann lackierte ich mir die Zehennägel, und Mom demonstrierte die Fähigkeiten, die sie in ihrer wohl behüteten Kindheit gelernt hatte, indem sie ein Buch auf dem Kopf balancierte, im Zimmer herumspazierte und gleichzeitig mit Stäbchen aus einer Schachtel aß. »Seht ihr, nur eine Lady kann anmutig mit einem Buch auf dem Kopf in einem Zimmer herumgehen und Hühnchen Kung Pao essen«, informierte sie uns. »Und eine wirkliche Lady kann sogar die Erdnüsse zurück in die Schachtel spucken, ohne dass jemand es bemerkt.« »Wow«, machte ich beeindruckt. »Nun ja, aber lass dich nicht einschüchtern. Du musst üben und nochmals üben, um mein Niveau zu erreichen.« Sie neigte den Kopf, und das Buch fiel in ihre Hand. »Möchte jemand die letzte Eierrolle?«, fragte ich. »Ah, nein«, erwiderte Dean. Ich griff danach. »Hey, was hast du vor?«, ging Mom dazwischen und - 58 -
streckte den Arm aus, um meine Hand zu blockieren. »Ich will mir die Eierrolle nehmen.« »Du willst dir selbst die Eierrolle nehmen?« »Ja.« »Nein«, wies sie mich zurecht. »Ladys nehmen sich nie selbst die Eierrolle. Ladys nehmen sich nie selbst irgendetwas. Sie nehmen sich nicht mal die Zeit für eigene Ideen«, sagte sie, als sie mir die Eierrolle gab. »Oh, Mann.« »Sie sitzen nur hilflos da und warten darauf, dass ein junger, starker Mann vorbeikommt und ihnen hilft. Sie treten nicht in Pfützen, sie steigen nicht über Pfützen. Sie können Pfützen nicht einmal ansehen. Sie müssen mit verbundenen Augen in einen Sack gesteckt und über Pfützen getragen werden.« »Gibt es nicht irgendeine Regelung, wie lange Ladys reden dürfen?«, fragte ich, während ich die Eierrolle verzehrte. »Ah… nein. Jetzt sprich mir nach: >Ich bin vollkommen hilflos.Debütantin< kommt von dem französischen Wort >debutereinführen< heißt«, fuhr die Moderatorin fort, »und wir hoffen, dass dieser - 66 -
Abend all diese außergewöhnlichen jungen Frauen in ein Leben bürgerlicher Gewissenhaftigkeit und sozialer Verantwortung einführen wird.« Mom blickte weiter zur Seite. Es war bei all den Lichtern schwer zu erkennen, aber es sah so aus, als hätte sie Grandma und Grandpa entdeckt. Schließlich stand sie auf und trat zu ihnen, nahm sie beim Arm und führte sie in den Nebenraum. Wo wollten sie hin? Das Orchester spielte »Thank Heaven for Little Girls«, und die Debütantinnen wurden vorgestellt. Ich sagte zu meinem Dad, dass ich Mom, Grandma und Grandpa holen würde, und marschierte los. Als ich die Tür erreichte, hörte ich Grandpa brüllen, aber ich hörte auch, wie die Moderatorin sich immer mehr »Gilmore« näherte. Dies war mein erster Debütantinnenball, aber ich vermutete, nicht an meinem Platz zu sein, wenn mein Name aufgerufen und der Scheinwerfer auf mich gerichtet wurde, würde mir von der Gesellschaft nicht als Vorteil angerechnet werden. Ich informierte die Familie, dass ich als Nächste dran war, und eilte zu meinem Dad zurück, als die Moderatorin »Elizabeth Doty, Tochter von George Edward Doty der Vierte und Eleanore Doty« ankündigte. Die leicht angesäuselte Libby schwankte ein wenig, aber ihr Vater stützte sie tapfer. »Lorelai Gilmore, Tochter von Christopher Haden und Lorelai Gilmore«, kam die Ankündigung. Der Scheinwerfer fiel auf meinen Dad und mich, und wir gingen die Treppe hinunter, die sich schier endlos vor mir zu erstrecken schien. Schließlich erreichten wir die unterste Stufe, und Dad küsste meine Hand. Ich machte einen kleinen Knicks, während mein Dad Dean ansah, der an der Seite wartete. Dean trat vor, nahm Dads Stelle - 67 -
ein und ergriff meine Hand. Er klemmte sie unter seinen Arm und führte mich zu meinem nächsten Ziel, dem Fächertanz. Ich hoffte, dass Mom, Grandma und Grandpa rechtzeitig zur Stelle sein würden, um mir dabei zuzusehen. Der offizielle Tanz mit Dean lief erstaunlich gut – ich denke, Miss Patty wäre stolz auf uns gewesen –, und irgendwann war der Abend dann auch schon zu Ende. Auf der Rückfahrt nach Stars Hollow erzählte Mom mir, dass Grandpa glaubte, aus seinem Unternehmen ausgebootet werden. Darüber hatten sich Grandma und Grandpa gestritten, als wir sie zum Abendessen in ihrem Haus besucht hatten, und deshalb hatte er an diesem Abend im Nebenraum gepoltert. Ich fühlte mich schrecklich. Grandpa war schon seit dreißig Jahren bei seinem Unternehmen, und er liebte seinen Job. Ich hoffte wirklich, dass er sich irrte. Als wir wieder in der Stadt waren und Dad und Dean trafen, gingen Dad und ich Seite an Seite durch die Straßen von Stars Hollow, gefolgt von Mom und Dean. »Wusstest du, dass man dich für einen heißen Dad hält?«, sagte ich. »Wirklich?«, fragte Dad. »Libby meinte, dass es zu schade ist, dass du mein richtiger Dad bist, denn wenn du mein Stiefvater wärst, könnte ich dich Mom ausspannen«, erklärte ich. »Diese Libby wird es zu was bringen«, erwiderte Dad. »Also, ich war sehr stolz auf euch«, sagte Mom. »Ihr alle habt die ganze Zeremonie durchgestanden, ohne eine Miene zu verziehen. Fast alle«, fügte sie an meinem Dad gewandt hinzu. »Es tut mir Leid, aber dieser Fächertanz war mehr, als ich ertragen konnte.« - 68 -
»Hey, ich brauche jetzt einen Burger«, erklärte Mom. »Ich auch«, sagte ich. »Dean?«: »Ehrlich gesagt, kann ich im Moment nur daran denken, aus diesem Smoking herauszukommen«, erwiderte Dean. »Hey, pass auf. Du sprichst jetzt mit einer Lady«, erinnerte Mom ihn. »Und wie wäre es, wenn ich mir das Ding zu Hause herunterreiße?«, fragte Dean. »Besser«, meinte Mom. »Danke, dass du mitgegangen bist«, sagte ich zu Dean. »Ab morgen wirst du dafür bezahlen.« Er küsste mich und machte sich dann auf den Heimweg. Da Dad früh am nächsten Morgen abreisen musste, beschloss er, ebenfalls zu Bett zu gehen. »Was? Noch nicht einmal Zeit für Pommes?«, fragte ich. »Ich sag dir was. Ich werde etwas früher aufstehen und Kaffee mit dir trinken, bevor ich fahre. Abgemacht?« »Abgemacht.« Ich zog ihn an mich. Mom bat mich, vorauszugehen und zu bestellen, also eilte ich zum Luke’s und ließ Mom und Dad allein zurück, damit sie reden konnten. Im Lokal war es ruhig, und Luke brachte mir sofort einen Burger mit Pommes. Ich wollte gerade in meinen Burger beißen, als Mom hereinkam. »Hey«, rief Mom. Ich erstarrte mit dem Burger in der Hand. »Was?« »Nach allem, was du heute Abend durchgemacht hast, komme ich hier herein und ertappe dich, wie du so isst?« Ich dachte einen Moment über das nach, was sie gesagt hatte, und spreizte dann meinen kleinen Finger ab. »So ist es richtig«, erklärte Mom stolz, als sie sich neben mich setzte. - 69 -
»Eine Lady zu sein ist schwer«, seufzte ich. »Nun, wie denkst du über diesen Abend?« »Der Fächertanz war demütigend. Ich werde nie wieder einen Knicks machen. Aber dass Dad da war, war toll«, sagte ich mit einem Lächeln. Mom blickte ein wenig wehmütig. »Ja, das war es.« »Er hat eine neue Freundin, weißt du?« »Sherry.« »Ja.« »Das arme Mädchen ist nach einem Journey-Song benannt worden. Das muss hart sein.« »Er scheint glücklich zu sein.« »Er ist es. Er ist es… wirklich.« »Das freut mich.« Moni zögerte eine Millisekunde, bevor sie mir zustimmte. »Aber Grandma tut mir irgendwie Leid. Sie hat sich so auf diesen Abend gefreut, und am Ende war sie so unglücklich…« »Keine Sorge. Sie wird sich beim nächsten Mal mehr amüsieren.« Ich starrte sie an. »Wie bitte?« »Ja. Wir haben dich für die nächsten sechs Bälle angemeldet.« »Das ist nicht witzig.« »Hey, das wird so lange gehen, bis du einen Preis nach Hause bringst.« »Ich ignoriere dich jetzt.« Luke brachte Moms Bestellung. »Na«, sagte er, als er den Teller vor ihr hinstellte, »vom Ball zurück?« »Ja«, nickte Mom. »Ich habe einen gläsernen Schuh und eine Visitenkarte hinterlassen für den Fall, dass der Prinz strohdumm ist.« »Eine gute und verzweifelte Idee«, lobte Luke. - 70 -
»Danke«, sagte Mom stolz. Sie bemerkte Jess, der gerade die Treppe hinter Luke heruntergekommen war. »Hm, Luke?« »Was?« Luke drehte sich um und sah Jess, der ein kariertes Hemd und eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballkappe trug und wie ein entschlossener Lokalinhaber aussah. Er wischte den Tresen, und Luke ging zu ihm. »Was denkst du eigentlich, was du da machst?« »Arbeiten«, erwiderte Jess. »Du hältst das also für witzig, ja?« »Es tut mir Leid«, antwortete Jess. Er wies auf seine Kleidung. »Ich dachte, das ist die übliche Uniform.« »Schön, weißt du was? Es ist okay. Amüsier dich ruhig. Das stört mich überhaupt nicht. Geh einfach da rüber und mach den Tisch sauber. Okay? Ich ignoriere dich einfach Du existierst gar nicht.« »Okay.« Jess ging zu dem Tisch und brachte ihn auf Vordermann, wobei er geschickt die Gegenstände hochhob, die auf der Platte standen, um unter ihnen sauber zu machen. Luke wischte über den Tresen und versuchte ihn zu ignorieren. »Das reicht! Geh nach oben und zieh dich um!«, explodierte Luke. Jess hörte auf zu arbeiten. »Was immer du sagst, Onkel Luke«, erklärte er und sah mich mit der Andeutung eines fast verschwörerischen Lächelns an. Es war irgendwie witzig. »Es heißt Luke! Einfach Luke! Mr Luke!«, sagte Luke, während er ihm folgte. »Sprich mich am besten überhaupt nicht mehr an!«, rief er Jess die Treppe hinauf nach, warf frustriert seinen Lappen hin und verschwand in der Küche. Dann waren nur noch wir beide da, - 71 -
elegante Ladys in ihrer eleganten Abendgarderobe, mit unseren Burgern und Pommes. Der Debütantinnenball stellte für Mom und mich einen Wendepunkt dar. Die Tage vor dem Ball waren für uns die Tage-bevor-ich-es-besser-wusste, und nach dem Ball pflegte Mom auf alles, was ich sagte, mit den Worten zu reagieren: »Das ist die einzig richtige Antwort für eine Dame der Gesellschaft.« Aber schon bald kehrten die Schule und das Leben zu den Tagen-bevor-ich-es-besserwusste zurück, und ich fand mich im Luke’s wieder und sang einen Barry-Manilow-Song. Bevor Sie den Stab über mich brechen, hören sie sich lieber zuerst den Grund dafür an. Wir waren einmal mehr zum Frühstück ins Luke’s gegangen. Ich hoffe wirklich, dass Ihnen inzwischen klar geworden ist, dass es kein besseres Lokal als das Luke’s gibt. Und dieses Mal war es erstaunlich gut besucht. »Wow«, rief Mom überrascht, als wir eintraten, »ziemlich viel los heute. Hat Luke in Reklame investiert oder so was?« »Er hat gute Mund-zu-Mund-Propaganda«, gab ich zurück, während wir den letzten freien Tisch ansteuerten. »Dann werden wir schlechte Mund-zu-MundPropaganda verbreiten müssen, wenn wir auch in Zukunft einen Tisch bekommen wollen.« »Das wäre nicht richtig, aber von mir aus. Ungeziefer?«, schlug ich vor, als wir uns setzten. »Oder kein trinkbares Wasser«, erwiderte Mom. »Oder kein trinkbares Ungeziefer«, fügte ich hinzu. »Das würde die Gäste vertreiben.« »Oder so verwirren, dass sie wegbleiben.« Wir sahen zu Luke hinüber, der mit einem älteren Bewohner von Stars Hollow plauderte. »Es ist unheimlich, ihn so reden zu sehen«, meinte - 72 -
Mom. »Wie meinst du das?«, fragte ich. »So betont freundlich. Normalerweise ringt er sich nur ein paar mürrische, einsilbige Bemerkungen ab und verschwindet wieder.« »Er ist der Meister der Einsilbigkeit«, stimmte ich zu. »Er flirtet nie mit den weiblichen Gästen. Ist dir das schon aufgefallen?« »Er hat oft mit dir geflirtet.« »Hör bloß auf.« »Hey, flirte jetzt mit ihm. Wir brauchen Kaffee.« »Oh, Luke!«, rief Mom und legte eine vollendete Scarlett-O’Hara-Vorstellung hin, »wir verzehren uns nach Erfrischungen!« Sie wedelte mit einer Serviette, als wäre sie ein Taschentuch, um ihre Worte zu unterstreichen. »Mach dir bloß nicht ins Hemd«, fauchte Luke sie mürrisch an. »Hu, er kann so schnell das Programm wechseln«, sagte Mom. »Hey, ich habe eine CD unter dem Fahrersitz unseres Wagens gefunden. Hast du eine verloren?«, fragte ich unschuldig. Normalerweise wird das Horten von Musik im Lorelai Gilmore-Haushalt streng missbilligt. Aber in diesem Fall hatte ich nichts dagegen. »Nicht, dass ich wüsste«, entgegnete Mom, »aber ich bin ziemlich schlampig, was CDs angeht.« »Du hast sie also nicht versteckt?« »Warum sollte ich eine CD verstecken?« »Ich weiß nicht. Bay City Rollers…« »Es ist keine Bay-City-Rollers-CD.« »Woher weißt du das?«, fragte ich schnell. »Weil ich weiß, was nicht unter diesem Sitz versteckt - 73 -
ist«, erklärte Mom ein wenig trotzig. »Ha! Weil du genau weißt, dass eine von Barry Manilow unter dem Sitz liegt.« »Oh.« Mom schnitt ertappt eine Grimasse. »Wo ist Barry Manilow?«, fragte Luke, als er mit der Kaffeekanne an unseren Tisch trat. »Unter Moms Sitz«, erwiderte ich. »Klar doch. Wo sollte er auch sonst sein?«, meinte Luke. »In Ordnung, ich gestehe, ich habe Barry Manilow versteckt.« »Du gestehst!« Ich war verblüfft. »Aber er war sehr groß, als ich sehr klein war. Und es ist die Liveversion eines Medleys mit sämtlichen Werbejingles, die er geschrieben hat«, erklärte Mom. »Keine Sorge. Jedem ist hin und wieder ein kleines schuldbeladenes Vergnügen gestattet«, informierte ich sie. »Sehr diplomatisch von einem Mädchen, das zwei Jahre lang ein Bryan-Adams-Poster über seinem Bett hängen hatte«, sagte Mom. »Petze.« »Verheimlichst du auch ein schuldbeladenes Vergnügen, Luke?«, fragte Mom. »Nö«, sagte Luke. »Stehst du auf Musik?«, hakte Mom nach. »Sicher«, antwortete Luke. Mom sah mich an. »Der einsilbige Mann schlägt wieder zu.« »Wir nehmen zwei Muffins«, sagte ich zu Luke. »Kommt sofort.« Und er ging davon. Ich lachte leise. »Was ist?«, fragte Mom. - 74 -
Ich lachte weiter. »Oh, Barry Manilow…« »Hör auf«, befahl Mom. »Looks like you made it…«, sang ich. »Ach ja? Spice Girls…« »Duran Duran…« »Dido…« »Olivia Newton-John.« >»The Macarenaunter die anderen mischenHey, habt ihr was dagegen, - 82 -
wenn ich mich auf peinliche Weise aufdränge, obwohl ich nicht zu euch gehöre und auch nicht zu euch gehören will