Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 673 Die Namenlose Zone
Der Bio‐Plan von Falk‐Ingo Klee
Die letzte Mission ...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 673 Die Namenlose Zone
Der Bio‐Plan von Falk‐Ingo Klee
Die letzte Mission der Scientologen
Es geschah im April 3808. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Atlan und Anti‐ES ging überraschend aus. Die von den Kosmokraten veranlaßte Verbannung von Anti‐ES wurde gegenstandslos, denn aus Wöbbeking und Anti‐ES entstand ein neues Superwesen, das hinfort auf der Seite des Positiven agiert. Die neue Sachlage gibt Anlaß zum Optimismus, zumal auch in der künstlichen Doppelgalaxis Bars‐2‐Bars der Friede einkehrt. Für Atlan jedoch ist die Situation alles andere als rosig. Der Besitz der Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst, ohne die er nicht den Auftrag der Kosmokraten erfüllen kann, wird ihm nun durch Chybrain vorenthalten. Ob er will oder nicht, der Arkonide wird verpflichtet, die Namenlose Zone aufzusuchen. Inzwischen schreibt man den September des Jahres 3808. Trotz der Vernichtung des letzten Übergangs zwischen Normaluniversum und Namenloser Zone, gibt es für den Arkoniden die Möglichkeit, dennoch in dieses Raumgebiet zu gelangen. Atlan führt eine beachtliche Streitmacht an, mit der er versuchen will, das Ungleichgewicht der Kräfte in der Namenlosen Zone zugunsten des Positiven zu verändern. Um dieser neuen Zukunft willen entwickeln Hage Nockemann und andere Mitglieder von Atlans Team eine riskante Möglichkeit des Einwirkens auf den Gegner. Es ist DER BIO PLAN …
Die Hauptpersonen des Romans: Hage Nockemann und Blödel ‐ Der Scientologe und sein Roboter entwickeln den »Bio‐Plan«. Katzulla, Borallu und Daug‐Enn‐Daug ‐ Sie tragen zum »Bio‐Plan« bei. Objount ‐ Ein führender Zyrtonier als Saboteur. Hool ‐ Objounts Roboter. Atlan ‐ Der Arkonide bekommt es mit einem Unsichtbaren zu tun.
1. Der Raum, in den sich Objount zurückgezogen hatte, war eine Abstellkammer. Defektes Gerät und ausrangierte Maschinen nahmen den meisten Platz ein. Ein solcher Ort war einem ranghohen Zyrtonier nicht angemessen. Daß 4‐Page sich dennoch hier aufhielt, hatte einen guten Grund. Er mußte sich verbergen, denn in und an der LUNGARETTE IV, in der sich dieser Raum befand, arbeiteten Vulnurer und Solaner, so daß er gezwungen war, sich zu verbergen. Bei ihm befand sich ein seinen Erbauern nachgebildeter, zeckenähnlicher Roboter namens Hool, der es verstand, sich fast völlig unsichtbar zu machen. Katzulla, 666‐Page, wußte nichts von der Anwesenheit Objounts und des Automaten, denn beide hatten sich heimlich an Bord des LUNGAR TRONS begeben. 4‐Page hatte dem Wissenschaftler mißtraut, und er hatte geahnt, daß das LUNGAR TRON, ein Mittelding aus Raumstation und Trägerschiff, versagen würde. Was er befürchtet hatte, war tatsächlich eingetreten. Es lag nun an ihm, dafür zu sorgen, daß die Feinde keinen Vorteil daraus zogen, daß sich ein relativ gut informierter Artgenosse und dieses Beiboot in ihrer Hand befanden. Objount hatte auch schon einen Plan, doch zuerst mußte Katzulla unschädlich gemacht werden, bevor er Geheimnisse verraten konnte.
»Hool, du mußt 666‐Page finden und ihn töten! Er ist ein Verräter!« Die Maschine hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Beschuldigung ihres Herrn der Wahrheit entsprach. Sie war es gewohnt, zu gehorchen, daran änderte auch der Umstand nichts, daß der Wissenschaftler zum Rat der Pagen zählte. Der Automat machte sich unsichtbar und verließ die provisorische Unterkunft. 4‐ Page wußte, daß Hool nicht ruhen und rasten würde, bis er seinen Auftrag ausgeführt hatte. * Atlan hatte sich in seine Kabine zurückgezogen, um ungestört nachdenken zu können. Seit rund fünf Monaten galt sein Sinnen und Trachten fast ausschließlich der Namenlosen Zone und der Bekämpfung der negativen Kräfte, die sich ihm und seinen Mitarbeitern in der unterschiedlichsten Form entgegenstellten und mit allen Mitteln versuchten, die Helfer des Guten zu vernichten. Ursprünglich war er ausgezogen, Breiskoll zu finden und von Chybrain die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst zurückzuerhalten, doch dann war er in einen Strudel der Ereignisse gezogen worden, die alle Gefahren der Vergangenheit noch übertrafen. Von Chybrain und Bjo erfuhr man zum ersten Mal etwas über die wahren Zustände innerhalb der NZ. Sein Entschluß, Chybrain zu suchen, stieß bei den Solanern durchaus nicht nur auf Zustimmung. Die Bewegung »Die Erneuerer« mit ihrem geheimnisvollen Führer Zelenzo an der Spitze war es vor allem, die dem Arkoniden und seinen Getreuen das Leben schwermachten und selbst vor Mordanschlägen nicht zurückschreckten. Dennoch startete er mit der MJAILAM und geriet prompt in eine Falle und in Gefangenschaft.
Auf Rostbraun, einem Planeten, auf dem zahlreiche Emulatoren festgehalten wurden, lernte er Daug‐Enn‐Daug kennen, den Emulator der Vulnurer. Er konnte als Verbündeter gewonnen werden, durch den selbstgewählten Tod der Grenzwächter gelang auch die Flucht. Man traf auf die BRISBEE‐Kinder, Nachkommen von Terranern. Der Versuch, sie zur SOL zu bringen, scheiterte jedoch zunächst. Mit Mühe und Not gelang es, sich aus einer weiteren Falle zu befreien, wenig später stieß man auf die Basis des Ersten Zählers und die Lichtquelle. Auch hier kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, die Atlan und seine Mannen jedoch letztendlich für sich entscheiden konnten. Als Kern des Bösen in der Namenlosen Zone wurde ein Volk erkannt, das Zecken glich und Raumschiffe und Roboter baute, die wie sie selbst aussahen. Nicht zuletzt durch die Aussage der Lichtquelle, die nach den Vulnurern verlangte, wurde das Ungleichgewicht zwischen Gut und Böse in diesem Sektor deutlich. Insider wurde ausgeschickt, um Hayes und die Solaner zu bewegen, nach den Bekehrern zu suchen. Unterdessen folgte Atlan einer vagen Spur, die zu Chybrain führen sollte, doch statt dessen traf er auf die Schlafenden Mächte und auf Tomagog, einen positiven Ur‐Zyrtonier. Erstmals erfuhr der Aktivatorträger in groben Zügen, was die Mächtigen der Namenlosen Zone planten und wie sie aussahen. Daß der Untergang von der MJAILAM und ihrer Besatzung noch abgewendet werden konnte, war Wajsto Kölsch zu verdanken, der nach dem Bericht Insiders mit zwei Kreuzern die SOL verlassen hatte und durch den Junk‐Nabel in die NZ eingedrungen war. Mit seiner Hilfe gelang es, die Schlafenden Mächte zu besiegen und diese Zelle des Negativen zu zerschlagen, doch an seine Rückkehr war nicht zu denken. Der Nabel war nicht mehr passierbar. Immerhin erfuhr der Arkonide, daß Zelenzo nicht mehr existierte. Er hatte sich als tragische Figur entpuppt, als ein Halb‐Emulator der Zyrtonier, der die SOL davor bewahren wollte, von den negativen Kräften in der Namenlosen Zone zerstört zu werden.
Durch glückliche Umstände gelang es Atlan, auch die nächste Hürde zu nehmen. Den Verstyrern, die von dem Führungsgremium der Zyrtonier, den Pagen, als Nabel‐Wächter eingesetzt worden waren, konnte eine empfindliche Niederlage beigebracht werden. Als eine von ihnen betriebene Gigantstation im Feuer solanischer Geschütze verging, stand einer Rückkehr ins Normaluniversum nichts mehr im Wege. Die Freude darüber wich jedoch Ernüchterung, als festgestellt wurde, daß der Nabel in einundachtzig Stunden in der Sonne Junk aufgehen würde und die SOL verschwunden war. Das war der Stand der Dinge in den frühen Morgenstunden des 17. Juli 3808 gewesen. Hilflos mußte der Aktivatorträger zusehen, daß die Berechnungen Realität wurden. Der Nabel wanderte in die Korona von Junk, die Planeten Junk I bis III wurden automatisch zerstört und mit ihnen die in ihnen befindlichen Steuerstationen. Eine Rückkehr in die NZ war damit nicht mehr möglich, Chybrain und die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst waren unter diesen Umständen unerreichbar. Der Unsterbliche war nicht der Mann, der einfach aufgab. Als ein hyperenergetisch stark strahlendes Schiff geortet wurde, folgte Atlan – und entdeckte die drei Heimatschiffe der Vulnurer und schließlich auch die SOL. Daß ihre Bewohner in der Klemme waren, verrieten schon die Instrumente, denn alle vier Raumer waren energetisch tot. Schließlich gelang eine telepathische Verständigung zwischen Tyari und Breiskoll, Sternfeuer und Federspiel, die bei Hayes waren, so daß Informationen ausgetauscht werden konnten. Man hatte es mit den Alternativ‐Toten zu tun. Die Zyrvulner, Insektoide, die ebenfalls gegen die Solaner Front machten, waren trotz ihrer Aktivitäten aber kaum mehr als Statisten. Nahezu im Alleingang gelang es Blödel, der überlegenen Technik ein Schnippchen zu schlagen und einen Teilausfall der als »Auge« bezeichneten Projektionsstation hervorzurufen. Sechs dieser Riesengebilde gab es, doch die Beschädigung des einen Raumkörpers führte zu einer gewissen Instabilität im
Energiegefüge. Die Vulnurer nutzten diese Schwäche konsequent aus, Atlan setzte nach, und dann konnte auch die abgekoppelte SZ‐1 eingreifen, wenig später stieß die Rest‐SOL dazu. Mittlerweile waren die Zyrvulner zu Freunden und Verbündeten geworden. Die Alternativ‐Toten unterlagen, ihr Befehlshaber, Borallu, konnte gefangengenommen werden. Tyari gelang es, Borallu telepathisch auszuspähen und einiges über ihn in Erfahrung zu bringen. Von Atlan genötigt, nahm er schließlich seine »dritte« Gestalt an und verwandelte sich – in einen Vulnurer. In Ermangelung eines anderen Zieles flogen die SOL, die GESTERN, die HEUTE und die MORGEN zum Junk‐Nabel zurück. Ausrichten konnte sie dort nichts, dessen waren sich alle bewußt. Und dann kam es zu mysteriösen Zwischenfällen. Einige der BRISBEE‐Kinder verschwanden spurlos, doch nicht nur die SOL war davon betroffen, sondern auch auf den Heimatschiffen der Bekehrer wurde das Phänomen beobachtet, daß Neugeborene auf einmal nicht mehr da waren. Borallu meinte, des Rätsels Lösung zu kennen aber seine These klang so abenteuerlich, daß kaum jemand daran glauben wollte. Atlan beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen, und er erfuhr Dinge, die geradezu unglaublich waren. So vermochten selbst jüngste Vulnurer einen positiven Einfluß auf die Zyrtonier auszuüben, während es den BRISBEE‐Kindern möglich war, die Schockfronten zu überwinden und in die Namenlose Zone einzudringen und auch wieder zurückzukommen, als gebe es keine Sperre. Ein Test mit der MJAILAM zeigte, daß die aufgegriffenen Nachfahren von Terranern durchaus in der Lage waren, eine Passage zu ermöglichen. Durch die Tätigkeit der Atiq‐Drillinge an Bord der MORGEN kam dem Arkoniden die Existenz einer steinernen Käfer‐Skulptur mit dem Namen »Futur« zu Ohren. Da das Ding plötzlich zum Leben erwachte, brach Atlan auf, und er traf auf die Vullkauger, intelligente Käfer, die mit den Vulnurern verwandt waren und ein Heiligtum besonderer Art verehrten. Bei der Annäherung an die
Kultstätte verwandelte sich das Futur in Jenseitsmaterie und gab damit einen deutlichen Hinweis auf die Lichtquelle. Man entdeckte die Futurboje, ein spezielles Raumgefährt, mit dem es möglich war, zwischen dem Normaluniversum und der Namenlosen Zone hin und her zu wechseln. Der erste Einsatz der Futurboje unter Atlans Kommando führte zur Basis des Ersten Zählers. Der Arkonide kam gerade noch rechtzeitig, um die Vernichtung der Lichtquelle zu verhindern. Bevor sie sich zurückzog, offenbarte die Lichtquelle sich noch als der eigentliche Emulator der Namenlosen Zone und verlangte, die Vulnurer in die NZ zu schaffen, aber auch Daug‐Enn‐Daug und Borallu. Von Raumschiffen der Zyrtonier verfolgt, setzte sich der Aktivatorträger aus der Namenlosen Zone ab. Mit Hilfe der BRISBEE‐Kinder gelangten die MJAILAM, die FARTULOON, die drei Generationenschiffe der Vulnurer und – ohne deren Unterstützung – die Futurboje in die NZ. Der von den Bekehrern ausgehende positive Effekt machte sich deutlich bemerkbar: Die vorher undurchdringlichen Schockfronten wurden teilweise durchlässig. Unter Atlans Führung stießen die wenigen Solaner, darunter das Team des Arkoniden, und die Vulnurer auf die Walgonier. Die Ankömmlinge wurden als Feinde betrachtet und bekämpft. Unterstützung erfuhren sie nur durch den Emulator dieses Volkes, Ziir‐Tinc, und seine Anhänger. Gemeinsam gingen die Getreuen des Emulators, Solaner und Insektoide gegen den Gegner vor. Daß die zahlenmäßig unterlegene Allianz die Oberhand behielt und die Walgonier ohne sinnlose Opfer befriedet werden konnten, lag nicht zuletzt an der geistigen Ausstrahlung der Vulnurer. Zuhauf wechselten die aggressiven Gaulater ins Lager der Paudencer über, die Ziir‐Tinc folgten, so daß die positive Komponente ein deutliches Übergewicht bekam. Ziir‐Tinc übermittelte Atlan die Koordinaten, die zum Versteck der Zyrtonier führen sollten; es handelte sich dabei um den
sogenannten Sektor Tabuland. Der Arkonide ließ diese Zone ansteuern. Mittlerweile waren die Sonnensysteme der NZ noch deutlicher sichtbar geworden, ein eindeutiger Beweis dafür, daß die gesetzten Akzente die negativen Kräfte und Einflüsse zurückdrängten. Das Zielgebiet wurde erreicht, doch man erlebte eine böse Überraschung: Die Raumer prallten gegen ein unsichtbares Hindernis und wurden regelrecht davongeschleudert. Atlan gab jedoch nicht auf. Alle Schiffe sammelten sich in der Nähe des MO‐4‐ Systems, in das ein großes Objekt einflog. Zur allgemeinen Verwunderung bewirkten die Vulnurer keine Aufweichung der Schockfront, die im Gegenteil noch undurchdringlicher wurde. Offensichtlich war dieser Raumkörper dafür verantwortlich, zumal die Anwesenheit von Zyrtoniern ermittelt wurde. Nur mit Mühe gelang es der Futurboje mit dem Arkoniden an Bord, diese Schockfront zu durchdringen und auf einem Planeten zu landen, den die pygmäenähnlichen Forsboter bewohnten. Nach anfänglichen Mißverständnissen gelang eine Verständigung, gemeinsam wandten sich Solaner und die Planetarier gegen die Zyrtonier. Anfangs sah alles nach einer Niederlage aus, der Aktivatorträger und einige seiner Begleiter wurden sogar gefangengenommen und in das LUNGAR TRON verschleppt, doch dann wendete sich das Blatt. Atlan wurde von seinen Leuten befreit und konnte den ebenfalls festgesetzten Katzulla mitnehmen. Schwer beschädigt konnte das LUNGAR TRON entkommen, ebenso wie eine LUNGARETTE. Zweifellos würden die Zyrtonier erfahren, was sich zugetragen hatte, dennoch wertete der Unsterbliche die Aktion als Erfolg. Er bezog das weniger auf die drei vernichteten LUNGARETTEN, sondern auf die, die notlanden mußte und ihm durch einen Handstreich der Forsboter in die Hände gefallen war. Und dann war da ja auch noch der Gefangene, der sicherlich wertvoll war. Damit nicht genug, brach auch die Schockfront um das MO‐4‐System
zusammen – ein Erfolg, der nicht zu erwarten war. Von Solanern bemannt, startete die LUNGARETTE IV von Forsbot. Was die Zyrtonier vorhatten, war klar geworden: Sie strebten die Herrschaft über das von ihnen noch nicht kontrollierte Universum an. Einen solchen Plan konnten eigentlich nur kranke Gehirne entwickeln, denn er würde sich nie verwirklichen lassen, aber ein entsprechender Versuch war nicht auszuschließen. Not, Elend und Tod drohten unzähligen Intelligenzen, wenn die kriegerischen Horden der verblendeten Völker aus der NZ diesen Sektor verlassen und über andere Zivilisationen herfallen konnten, um den Zyrtoniern den Weg zur Macht zu ebnen. Und Chybrain? Er hatte sich ganz offensichtlich übernommen und befand sich entweder in Gefangenschaft oder existierte gar nicht mehr. Atlan erhob sich aus seinem Sessel und ging nachdenklich auf und ab. Sein Blick streifte die kombinierte Zeit‐ und Datumsanzeige: 21.9.3808, 13.07.44 Uhr. Einiges war bis jetzt erreicht worden, und die Fortschritte waren unverkennbar, doch an das Zyrton‐System kam er trotz der Unterstützung der Vulnurer nicht heran. Vielleicht hätte die SOL einiges bewirken können, aber darauf konnte er nicht zählen. Notgedrungen hatte er angeordnet, die LUNGARETTE instand zu setzen, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Falls sich eine Chance ergab, wollte er damit einen Vorstoß wagen, allerdings war ungewiß, ob sich eine solche Gelegenheit überhaupt ergeben würde. Das Risiko eines solchen Unternehmens war ohnehin nicht kalkulierbar, doch er sah keine Alternative. Wenn sich die Möglichkeit bot, die Sperre zu überwinden, mußte er sie nutzen. Der Interkomanschluß sprach an. Atlan befand sich in unmittelbarer Nähe und ging sofort auf Empfang. Der kleine Bildschirm zeigte das Abbild von Nockemann. Sein Gesicht wirkte noch bleicher als sonst. »Ja, Hage, was gibt es?«
»Auf Katzulla ist ein Anschlag verübt worden«, sprudelte der Genetiker aufgeregt hervor. »Wir waren auf dem Weg von seiner Kabine zum Labor. Jemand muß ihm aufgelauert haben und hat aus einem Hinterhalt heraus auf ihn geschossen.« »Lebt er noch? Ist er verletzt?« »Eine kleine Fleischwunde, nichts weiter. Wäre Blödel nicht so geistesgegenwärtig gewesen und hätte ihn zu Boden gerissen, wäre er jetzt tot.« Erregt zwirbelte der Wissenschaftler seinen Schnurrbart. »Der Kampfroboter, der die Unterkunft des Zyrtoniers bewacht, hat uns begleitet. Er hat sofort die Verfolgung aufgenommen und versucht, den Täter zu stellen, doch der Bursche muß sich in Luft aufgelöst haben. Wir haben nicht die geringste Spur gefunden.« »Wann fand der Überfall statt?« »Vor vier, fünf Minuten.« »Warum hast du nicht gleich angerufen? Nun hat es keinen Zweck mehr, den Bezirk abriegeln zu lassen.« »Ich war ziemlich perplex«, gestand der Solaner kleinlaut. »Und dann habe ich ja auch damit gerechnet, daß der Automat Erfolg hat. Du hättest ihn sehen sollen! Das Licht des Energiestrahls wirkte auf meiner Netzhaut noch nach, als er sich in seinen Individualschirm hüllte und losraste. Dem Attentäter blieben maximal zehn bis zwölf Sekunden zur Flucht, und trotzdem konnte er entkommen.« »Wo befindet sich Katzulla jetzt?« »Blödel und die Kampfmaschine bringen ihn zur Medostation.« »Gut. Geh du auch dorthin und warte, bis weitere Roboter zu eurem Schutz dort eintreffen. Ich werde mich um die Sache kümmern.« Der Arkonide trennte die Verbindung. Er kannte die Örtlichkeiten auf jenem Deck genau. Nur zwei eng begrenzte Sektoren eigneten sich für einen solch heimtückischen Überfall, denn sie erfüllten die beiden wichtigsten Voraussetzungen für einen potentiellen Mörder: Es gab genügend Deckungs‐ und Versteckmöglichkeiten und eine
Vielzahl von Fluchtwegen. Dennoch hatte jeder schlechte Karten, wenn er es mit einem Roboter aufnehmen mußte. Daß sich der Zyrtonier an Bord befand, war ebensowenig ein Geheimnis wie der Umstand, daß stets eine Kampfmaschine bei ihm war. Offiziell diente sie zu seinem Schutz, doch sie wachte auch darüber, daß er keine Dummheiten anstellte. Bisher gab es keinen Grund zu der Annahme, daß Katzulla ein falsches Spiel trieb, ganz im Gegenteil. Er zeigte sich kooperativ und wurde zunehmend aufgeschlossener für das, was die Solaner bewirken wollten. Wer konnte ein Motiv dafür haben, Katzulla umzubringen? Wer haßte ihn so stark, daß dieser Jemand auch vor einem Mord nicht zurückschreckte? In Gedanken versunken, verließ Atlan seine Unterkunft. Er beschloß, die Telepathen einzuschalten, um Licht in die Sache zu bringen. 2. Acht Kampfmaschinen mit aktivierten Schutzschirmen hatten uns in die Mitte genommen, trotzdem empfand ich deutliches Unbehagen bei dem Gedanken daran, daß es der unbekannte Attentäter noch einmal versuchen konnte, Katzulla zu töten. Ich musterte ihn heimlich. Seiner starren Gesichtsmaske war nicht zu entnehmen, was er dachte. Die Verletzung hatte sich als relativ harmlos entpuppt. Ein Medo hatte sie gereinigt, desinfiziert und mit einem Sprühverband keimfrei verschlossen. Immer wieder ertappte ich mich dabei, daß ich Abzweigungen und Verbindungsflure mit den Augen absuchte und jeden mißtrauisch beobachtete, der uns begegnete. »Chef, ist dir nicht gut?« erkundigte sich mein Assistent besorgt. »Du bist so blaß.« »Erstens geht dich das nichts an, zweitens bin ich noch nie ein
Kunstsonnenanbeter gewesen und drittens bist du ein Einfaltspinsel«, sagte ich grimmig. »Überall kann dieser hinterträchtige Heckenschütze uns auflauern, doch du Dummkopf hast nichts anderes zu tun, als meine Hautfarbe zu analysieren.« »Die Realitäten sind mir durchaus bewußt, allerdings wußte ich nicht, daß dir dieser Verbrecher wichtiger ist als deine Gesundheit«, verteidigte sich Blödel. »Außerdem gibt es im ganzen Schiff keine Büsche, hinter denen …« »Du schweigst jetzt besser und reorganisierst deine Dateien. Dein konfuses Geschwafel verwirrt sonst noch die Kampfmaschinen.« Blödel schwieg tatsächlich. Wahrscheinlich hatten ihn meine Kenntnisse über den Aufbau kybernetischer Systeme beeindruckt, dabei wußte ich nicht einmal genau, was die Reorganisation einer Datei bedeutete. Wir durchquerten einen Verteiler und bogen in den Korridor ein, der zum Labor führte. Zwei Automaten hatten vor dem Eingang Posten bezogen. Als wir das Schott passierten, blieben unsere Leibwächter zurück, lediglich Katzullas robotischer Schatten folgte uns in den dahinterliegenden Raum. Daug‐Enn‐Daug und Borallu erwarteten uns bereits. »Entschuldigt, daß wir so spät kommen, aber es hat einen unangenehmen Zwischenfall gegeben.« »Atlan hat uns bereits informiert, Hage.« Der Emulator wandte sich an den Zyrtonier. »Katzulla, bist du trotz dieses Anschlags bereit, weiterhin zur Verfügung zu stehen und uns zu helfen?« Sieben Augen richteten sich erwartungsvoll auf 666‐Page. Ich konnte es ihm nicht einmal übelnehmen, wenn er unter diesen Umständen ablehnte, uns zu unterstützen, aber ohne seine Beteiligung würde es uns kaum möglich sein, die anstehenden Fragen zu lösen. »An unserer Zusammenarbeit wird sich nichts ändern. Wie ihr wißt, bin ich selbst Wissenschaftler. Es wäre falsch, euch für diese Tat verantwortlich zu machen.«
Mir fiel der berühmte Stein vom Herzen. »Dein Entschluß beweist innere Größe. Ich danke dir, Katzulla.« Borallu, Zyrtonier in der Gestalt eines Vulnurers, war ein genialer Wissenschaftler, der vorbehaltlos auf unserer Seite stand. Seinen Worten hatte ich nichts mehr hinzuzufügen. »Dann laßt uns gleich mit der Arbeit beginnen«, tönte Blödel vorlaut wie immer. »Versuch 251 ist an der Reihe.« Ich warf ihm einen verweisenden Blick zu, aber die anderen schienen ihm seinen Eifer nicht übelzunehmen, also unterließ ich es, ihn zu maßregeln. Das Problem, dessen wir uns angenommen hatten, war eine harte Nuß, aber ich war davon überzeugt, daß wir einen entscheidenden Schritt weiterkamen, wenn wir eine Lösung fanden. Uns beschäftigten, vereinfacht gesagt, die gespenstischen Identitäten zwischen Vulnurern und Zyrtoniern. Daß beide Insektenabkömmlinge waren, besagte in dieser Hinsicht überhaupt nichts, andererseits sprach auch die völlig unterschiedliche Gestalt nicht gegen die Gleichheitstheorie. Einen entscheidenden Hinweis in dieser Richtung hatten wir durch die Verwandlung Borallus erhalten, der sich von einer Zecke zu einer Ameise gewandelt hatte. Selbst einem Mutanten war das nur möglich, wenn es eine mehr oder weniger große Übereinstimmung der körperlichen Substanz und der Erbanlagen gab. In dieser Richtung liefen unsere Forschungen. Ein bißchen mußten wir improvisieren, weil uns nicht die Einrichtungen der SOL zur Verfügung standen, dennoch kamen wir recht gut voran. Die Phase der Apparatediagnostik hatten wir bereits abgeschlossen, nun stand mein eigentliches Fachgebiet auf dem Programm. Vier Zell‐ und Gewebeproben durchliefen unter gleichen Bedingungen eine Testreihe, die Blödel und ich gemeinsam entwickelt hatten. Es handelte sich dabei um genetisches Material von Tras‐Rivil, einem vulnurerischem Mikrobiologen, ferner um
Zellen von Daug, Borallu und Katzulla. Bei diesen Experimenten fiel meinem Mitarbeiter als mobiler Laborpositronik die wichtigste Aufgabe zu. Um nicht untätig herumzustehen, führten wir ergänzende Untersuchungen durch, von denen wir uns zusätzliche Aufschlüsse erhofften. Unter welch erschwerten Bedingungen wir arbeiten mußten, zeigte sich daran, daß uns nur zwei Mikroskope zur Verfügung standen. Borallu bediente das Rastermikroskop, bei dem die Tiefenschärfe dreihundertmal größer war als bei dem Elektronenmikroskop, das ich mit Beschlag belegt hatte. Es gab modernere Geräte, aber die Auflösungsgrenze von 107 mm, die eine zweihundertfünfzigtausendfache Vergrößerung erlaubte, reichte für meine Zwecke aus. Daug kümmerte sich derweil um die automatischen Einrichtungen und erklärte dem Zyrtonier die Schaltelemente und die Funktion der einzelnen Einheiten. »Begebt euch bitte sofort in den rückwärtigen Teil des Labors«, dröhnte plötzlich die Stimme des Kampfroboters durch den Raum. Den Burschen hatte ich fast völlig vergessen. Sein lautstarkes Organ erschreckte mich derartig, daß ich regelrecht aus meinem Sessel hochschoß und mit beiden Knien mit solcher Wucht gegen die Kante der Arbeitsplatte stieß, daß ich halb besinnungslos vor Schmerz in den Sitz zurückfiel. Mit tränenumflorten Augen sah ich schemenhaft Gestalten nach hinten huschen, der Automat hatte sich in seinen Individualschirm gehüllt und nahm vor dem Schott Aufstellung. Wie aus weiter Ferne hörte ich Blödel sagen: »Draußen wird gekämpft. Ein Unbekannter hat versucht, hier einzudringen.« Die Gefahr, in der wir schwebten, ließ mich den Schmerz fast augenblicklich vergessen. »Wer ist der Wahnsinnige, der es mit zehn Robotern aufnehmen wollte?«
»Es wären neun gewesen, um genau zu sein, denn Katzullas Begleiter ist ja bei uns, aber da die anderen sieben wieder abgezogen wurden, blieben nur zwei als Wache zurück …« »Hör auf mit dieser kleinlichen Rechnerei!« brüllte ich entnervt. »Handelt es sich um einen Solaner oder um einen Vulnurer?« »Das weiß man nicht.« Ich glaubte, nicht recht gehört zu haben. »Und wer ist ›man‹?« fragte ich. »Die Kampfroboter, die vor der Tür standen und den Angriff gemeldet haben. Jetzt steht nur noch eine Maschine dort, denn die andere wurde bei dem Überfall erheblich beschädigt, und das, obwohl beide ihre Schutzschirme schon vorher aktiviert hatten.« Mir schwindelte förmlich. Einer Kampfmaschine war mit einer Handfeuerwaffe nicht beizukommen. In aller Regel mußte man schon ein mobiles leichtes Geschütz aufbieten, um Erfolg zu haben. Unüberhörbar meldete sich der Interkomanschluß. Ausgerechnet jetzt machten mir wieder die Schmerzen zu schaffen. Heftiges Stechen, elektrischen Schlägen gleich, lähmte meine Beine. »Blödel, nimm du das Gespräch entgegen.« Er tat es. Ich hörte Atlans Stimme und sah sein besorgtes Gesicht auf dem winzigen Empfänger. »Seid ihr alle in Ordnung?« Ich nickte heftig. Mein Mitarbeiter verstand. »Ja, wir sind wohlauf.« »Warum kommt Hage nicht ans Gerät?« Obwohl ich den Kopf schüttelte, auf meine Füße zeigte und abwinkte, schien Blödel davon keine Notiz zu nehmen. »Moment, ich hole ihn.« Er wieselte zu mir herüber und streckte seine langen Arme aus. »Komm, ich trage dich, Chef.« »Idiot!« zischte ich. Notgedrungen nahm ich sein Angebot an, dabei kam ich mir ziemlich lächerlich vor, schließlich war ich weder ein Säugling noch
ein Kind. Immerhin war Blödel so taktvoll, die Aufnahmeoptik zu verstellen, so daß der Arkonide mich erst wieder sehen konnte, als ich den Platz eingenommen hatte. »Hallo, Atlan.« Ich gab mich leutselig. »Wie du siehst, haben wir den Anschlag unbeschadet überstanden.« Noch während ich sprach, schienen sich die Knie zu Ballons aufblähen zu wollen. »Und warum ist dein Gesicht dann schmerzverzerrt?« Das Pulsieren ließ nach. Ich entspannte mich ein wenig. »Das ist kaum der Rede wert. Es geht schon wieder.« »Welcher Art ist die Verletzung?« Diese Frage war mir mehr als peinlich, denn wohl oder übel mußte ich ihm die Wahrheit sagen. Die beiden Roboter bedachte ich mit einem giftigen Blick, schließlich hatte ich es diesen Blechidioten zu verdanken, wenn ich zum Gespött des ganzen Teams wurde. »Verletzung kann man es eigentlich nicht nennen, es ist ein kleines Malheur. Ich habe mich an einem Tisch gestoßen. Das tut zwar ziemlich weh, beeinträchtigt mich und meine Arbeit aber kaum.« »Schön. Ich habe die Wachen vor dem Zugang verdoppeln lassen und rund um das Labor Posten aufgestellt, so daß ihr vor weiteren unangenehmen Überraschungen geschützt seid. Leider gelang es nicht, den Täter dingfest zu machen oder zu identifizieren. Er trat unsichtbar auf.« »Unsichtbar?« stieß ich entgeistert hervor. »Ja. Zweifellos benutzte der Unbekannte dazu technische Einrichtungen, denn die Automaten konnten auf geringe Distanz Streustrahlen orten. Eins ist sicher: Weder die verwendeten Geräte noch die Waffe entstammen solanischer oder vulnurischer Produktion. Das bedeutet …« »Daß ein Fremder an Bord ist«, ergänzte ich. »Ganz recht. Jemand ist in die MJAILAM eingedrungen. Daß seine Absichten alles andere als freundlich sind, hat er deutlich demonstriert, nur bin ich mir noch nicht sicher, ob die Anschläge
tatsächlich Katzulla galten.« Ich fühlte, daß ich blaß wurde. »Du glaubst … ich meine, denkst du wirklich, daß ich das Opfer sein soll?« »Vielleicht auch Blödel. Es ist eine Theorie, nichts weiter. Auf jeden Fall halte ich euch drei für besonders gefährdet, deshalb werdet ihr ohne Robotbegleitung keinen Schritt mehr tun, bis wir des Eindringlings habhaft geworden sind. Das ist ein Befehl.« »Haben die Mutanten schon eine Spur aufnehmen können?« erkundigte ich mich hoffnungsvoll. »Nein, auch Tyari nicht. Es sieht so aus, als müßten wir in diesem Fall ohne ihre Hilfe auskommen.« Ich muß wohl nicht sehr zuversichtlich gewirkt haben, denn Atlan setzte hinzu: »Kopf hoch, Hage! Es ist alles in die Wege geleitet worden, um den Täter so schnell wie möglich zu fassen. Ich melde mich wieder, wenn es Neuigkeiten gibt.« Der Schirm wurde dunkel. Trübsinnig blickte ich auf die mattgewordene Fläche. Zu wissen, daß hinter jeder Ecke ein Killer lauern konnte, der es selbst mit mehreren Robotern aufnahm – das brachte selbst robustere Naturen als mich aus der Ruhe. Vergeblich zerbrach ich mir den Kopf darüber, warum es der Unbekannte gerade auf mich abgesehen hatte. Ich war ein harmloser Wissenschaftler und dem Einsatz von Waffen abhold, was also war das Motiv? Persönliche Rachegelüste schieden aus. Ein Mensch wie ich konnte keine Feinde haben. Das Wissen darum erleichterte mich und machte mich froh. Was mich betraf, hatte sich der Arkonide getäuscht, aber wie stand es mit Blödel? Der Bursche hatte es faustdick hinter den nicht vorhandenen Ohren, er war das genaue Gegenteil von mir. Frech, vorlaut, aufdringlich, aufbrausend, besserwisserisch, hochmütig, zynisch, beleidigend, selbstsüchtig, eigenbrötlerisch, leicht gekränkt und was der negativen Eigenschaften mehr waren. Aber wenn ich es recht bedachte, gab auch sein Verhalten keinen Anlaß dafür, ihn
umzubringen. Er war Scientologe wie ich. Blieb Katzulla. Wollte der Unbekannte verhindern, daß 666‐Page uns etwas verriet, was dieser bisher verschwiegen hatte? Wurde auf Katzulla geschossen, weil er als Überläufer betrachtet wurde? Oder einfach nur deshalb, weil er ein Zyrtonier war? * Daß Hool noch keinen Vollzug gemeldet hatte, beunruhigte Objount nicht. Wahrscheinlich hatte sich noch keine Gelegenheit dazu ergeben, um den Auftrag auszuführen, aber der Roboter würde nicht eher ruhen, bis er Katzulla getötet hatte, dessen war sich der Zyrtonier sicher. Auch 4‐Page blieb nicht untätig. Er hatte sein Versteck verlassen und befand sich auf dem Weg zur Zentrale. Mit sich führte er zahlreiche Ausrüstungsgegenstände, doch sie dienten nicht seinem persönlichen Schutz, sondern einzig und allein der Zerstörung. Er wollte verhindern, daß die Feinde mehr konnten, als das Schiff in Betrieb zu nehmen und zu steuern. Es gab technische Geheimnisse, die nicht in ihre Hände fallen sollten, er wollte sie durch Vernichtung für den Gegner unbrauchbar machen und die Instandsetzungen sabotieren, die LUNGARETTE in ein Wrack verwandeln. Anders als Hool konnte er sich nicht unsichtbar machen. Objount war daher gezwungen, Solanern und Vulnurern aus dem Weg zu gehen, doch seine genaue Kenntnis der Örtlichkeiten machte diesen Nachteil fast wieder wett. Mit angespannten Sinnen bewegte er sich auf sein Ziel zu. Eine positronische Komponente, die alle Geräusche mehr verstärkte, half ihm, schon frühzeitig zu erkennen, wenn sich jemand näherte. Selbst Roboter konnte er so rechtzeitig wahrnehmen. Ihm kam zugute, daß weder Wachen aufgestellt noch Sperren
errichtet worden waren. Innerlich triumphierte er. Einen deutlicheren Beweis dafür, daß niemand von seiner Existenz wußte, konnte es nicht geben. Objount scheute sich nicht, den Antigrav zu benutzen, um zu den tieferliegenden Ebenen zu gelangen. In dieser Hinsicht verließ er sich fast völlig auf seinen akustischen Spion. Kein Geräusch war zu hören, das Gefahrsignalisierte. DerZyrtonier spähte in den Schacht und vertraute sich dem abwärtsgepolten Feld an. Er hatte den nächsten Ausstieg noch nicht ganz erreicht, als er leises Zirpen hörte, die typischen Lautäußerungen der Vulnurer. 4‐Page lokalisierte, daß sie sich unter ihm dem Antigrav näherten. Noch waren sie so weit entfernt, daß ihm keine Gefahr drohte, dennoch schwang er sich aus dem Schacht und entfernte sich fluchtartig aus dem unmittelbaren Transportbereich. Noch ganz darauf konzentriert, nicht von den verhaßten Gegnern bemerkt zu werden, strebte Objount auf eine Abzweigung zu – und prallte fast mit einem entgegenkommenden Solaner zusammen. Verwirrt starrte der Mann sein Gegenüber an. Auch 4‐Page war ziemlich perplex. Auf diese unerwartete Begegnung war er nicht vorbereitet, dennoch überwand er seine Überraschung als erster. Während der Techniker sich noch wunderte und überlegte, was er tun sollte, zog der Zyrtonier seine Waffe und löste sie aus. Der Solaner war auf der Stelle tot. Der Zyrtonier empfand nicht das geringste Mitleid mit seinem unschuldigen Opfer. Seine Art hatte keinerlei Skrupel, wenn es darum ging, einen Plan zu verwirklichen. Es bereitete Objount einige Mühe, den Toten in eine Nische zu zerren. Damit der Leichnam nicht gleich entdeckt wurde, zerstörte er mit gezielten Schüssen die in der Nähe befindlichen Beleuchtungskörper, so daß in diesem Gangabschnitt Dunkelheit herrschte. Da die Aktion nicht völlig geräuschlos ablief, steckte 4‐ Page den Strahler noch nicht weg und lauschte angestrengt. Was er
befürchtet hatte, trat ein: Sein Akustikempfänger übermittelte die Annäherung von mehreren Vulnurern, also war sein Tun nicht unbemerkt geblieben. Objount fürchtete sich nicht vor ihnen, und er rechnete sich auch gute Chancen gegen eine kleine Übermacht aus, weil das Überraschungsmoment auf seiner Seite war, dennoch entschloß er sich, das Feld zu räumen. Der Zyrtonier schlich davon. Die Finsternis behinderte ihn kaum, denn er kannte sich in diesem Schiff sehr genau aus. Bevor die Vulnurer den Gang erreichten, bog er in einen Korridor ein, benutzte mehrere Abzweigungen und Verteiler und kehrte auf Schleichwegen zum Antigrav zurück. Er war nach wie vor in Betrieb, aber derzeit von Solanern, Vulnurern und ihren Robotern blockiert. Wie Perlen an einer Schnur schwebten sie abwärts zum nächsten Deck, auf dem sich die Zentrale befand. 4‐Page zählte mehr als fünfzig Personen und fast genausoviel Automaten. Für ihn bestand kein Zweifel daran, daß es sich um hochqualifizierte Spezialisten handelte, die der LUNGARETTE IV ihre technischen Geheimnisse entreißen wollten. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, die verhaßten Gegner und ihre Maschinen zu vernichten, ohne sich selbst zu gefährden, doch er verzichtete darauf, eine der beiden mitgeführten Katalysator‐ Kapseln in den Schacht zu schleudern. Die etwa pflaumengroßen Kugeln waren Waffen, die vor allem in geschlossenen Räumen furchtbare Wirkung zeigten. Die Geduld des Zyrtoniers wurde auf eine harte Probe gestellt. Nachdem die Kolonne verschwunden war, wartete er eine Weile, doch als er ebenfalls den Schacht benutzen wollte, hörte er erneut Stimmen. Rasch verbarg er sich und beobachtete. Wahrscheinlich hatte ein Schichtwechsel stattgefunden. Wieder schwebte eine nicht enden wollende Reihe von Personen und Robotern durch die Röhre, diesmal nach oben. Endlich war der Schacht frei. Als der Akustiksensor kein Geräusch
mehr übermittelte, ließ er sich vom abwärts gepolten Feld zur darunterliegenden Ebene tragen. Obwohl weit und breit niemand zu sehen war, benutzte er nicht den Hauptgang, sondern huschte zum Ringkorridor, der um die Zentrale herumführte. In regelmäßigen Abständen gab es Flure, die vor schweren Panzertüren endeten, doch auch die kamen für Objount nicht in Betracht. Es gab zwei getarnte Eingänge, die nur wenigen Eingeweihten bekannt waren. Eins dieser Schlupflöcher wollte er benutzen. Was auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Kommunikationsanschluß aussah – und das war er unter anderem auch –, entpuppte sich nach einigen fachmännischen Griffen 4‐Pages als positronisches Schloß. Als die Verriegelung gelöst war, schwang ein Teil der Gangverkleidung lautlos zurück. Stickige Luft drang aus dem kurzen Stollen, der von einer staubigen Lichtleiste an der Decke nur spärlich erhellt wurde. Der Boden war mit Schmutzpartikeln bedeckt, ein Zeichen dafür, daß dieser Geheimgang seit Jahren nicht mehr benutzt worden war. Objount betrat den Schacht. Automatisch glitt die Abdeckung hinter ihm in ihre ursprüngliche Lage zurück. Ohne Hast bewegte er sich vorwärts und konzentrierte sich dabei vor allem auf sein Gehör. Es war merkwürdig still, selbst der positronische Verstärker war kaum von Nutzen. Er hatte Gespräche und Diskussionen der Techniker erwartet, aber nicht einmal Wortfetzen drangen in sein Versteck, sogar das Geräusch der Lufterneuerungsanlage war nicht auszumachen. Ab und zu klirrte und klapperte etwas, feines Summen war dann und wann zu hören, sonst nichts. Verunsichert und neugierig zugleich marschierte er schneller auf das Gangende zu und betätigte einen verborgenen Mechanismus. Die massive Synthometallplatte verschwand, wie von Geisterhand bewegt, in einer Aussparung. Vor ihm hingen Raumanzüge in ihren Halterungen. Das, was sich da vor ihm aufgetan hatte, war ein zur Zentrale gehöriger
Einbauschrank, der ihm einen direkten Zugang zur Steuerkanzel ermöglichte. Hastig schob er die Kleidungsstücke zur Seite und spähte durch eine kleine Scheibe, die als Lüftungsschlitz getarnt war. Er konnte nur einen kleinen Ausschnitt überblicken, doch das reichte ihm, um zu erkennen, warum es so still war: Sowohl Solaner als auch Vulnurer trugen Schutzanzüge, verständigten sich somit ganz offensichtlich über Funk. Da sie vorher ganz normale Kombinationen getragen hatten, mußten sie hier ein entsprechendes Depot angelegt haben. Die meisten beschäftigten sich mit Tests und Messungen, kaum jemand nahm Schaltungen an den Eingabekonsolen und ‐pulten vor. In der Regel waren es Roboter, die mit Reparaturen beauftragt waren. Die Instandsetzungen waren also keineswegs abgeschlossen. Befriedigt löste Objount den Magnetverschluß eines Schiebers, öffnete die runde Klappe, stellte die Vorlaufzeit einer Katalysator‐ Kapsel ein und schob sie durch die Öffnung, die er sofort wieder schloß. In kurzer Zeit würde sich die Zentrale in ein Inferno verwandeln. Von den Stahltüren des Schrankes geschützt, beobachtete er durch das Panzerglas hindurch ungerührt die Gestalten in der Zentrale. * Gis Du Port leitete das Team der Solaner, die sich mit der LUNGARETTE beschäftigten. Die zierliche Frau mit den roten Haaren, die zu einem Bubikopf geschnitten waren, war ausgebildete Logistikerin, hatte sich jedoch auch mit der Fremdrassenpsychologie befaßt und war insofern besonders dazu geeignet, hier Pionierarbeit zu leisten. An der Spitze der schon rein zahlenmäßig viel stärkeren Gruppe der Vulnurer stand Vert Kors. Ihre Qualifikation bezog sich vor
allem auf die Gebiete Steuer‐ und Antriebstechnik, was wiederum besondere Kenntnisse der Kybernetik und positronischer Systeme beinhaltete. Die Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftlern und Technikern beider Völker war ausgezeichnet, ebenso das Verhältnis von Gis und Vert untereinander. Es gab keinen Kompetenzenstreit, kein Gerangel um Positionen und Erkenntnisse, jeder ließ seine Erfahrungen einfließen, und daran mangelte es, was Fremdrassen betraf, weder Vulnurern noch Solanern. Völlig ahnungslos war man nicht, denn sonst wäre es unmöglich gewesen, den Raumer zu fliegen, doch es war eben ein gravierender Unterschied, ob man etwas bedienen oder auch reparieren konnte. Gis Du Port trat neben Lund Neu. Er war fast einen Kopf kleiner als die Solanerin und steckte in einem Anzug, in den er sich mühsam hineingezwängt hatte. Bei seiner Leibesfülle wirkte die Schutzkleidung wie eine Haut, die jeden Moment zu platzen drohte. »Wie kommst du voran?« »Überhaupt nicht«, schnaubte der Ingenieur aufgebracht. »Ich weiß, daß diese verdammte Anlage einen Kurzschluß hat, aber ich weiß nicht, warum. Alles habe ich überprüft. Sämtliche Messungen zeigen positive Ergebnisse, aber wenn ich das Gerät anschalte, spielt es verrückt und schaltet sich ab.« »Warum setzt du keinen Diagnoseroboter ein?« »Wofür hältst du mich? Sehe ich aus wie jemand, der mit Hammer und Meißel arbeitet?« »Hammer und Meißel?« »Ich habe es von Blödel, und der hat es von Atlan. Wenn ich richtig informiert bin, handelt es sich um prähistorische Werkzeuge.« Neu erhob sich und stellte sich auf die Zehenspitzen, um größer zu wirken. »Um auf deinen famosen Diagnoseroboter zurückzukommen – er befindet sich mittlerweile in Reparatur. Wegen Zwangsabschaltung. Verstehst du? Er hat sich selbst desaktiviert. Ich wollte, ich könnte es auch.«
»Nun reiß dich mal zusammen.« Die Solanerin wurde energisch. »Wir haben schon ganz andere Probleme gemeistert. Nimm dir ein Beispiel an Hage, Atlan und Blödel. Wenn die vor jeder Schwierigkeit kapituliert hätten, wären wir schon längst nicht mehr existent.« »Ich hasse Vorbilder, und ich hasse Vorhaltungen, Vorschriften und überhaupt alles, was damit zusammenhängt«, ereiferte sich der Solaner. »Laß mich endlich in Ruhe arbeiten.« »Das tue ich gerne, aber ich möchte auch einen Erfolg sehen. Man erwartet von uns, daß wir Erfolg haben und die LUNGARETTE ohne Einschränkung einsatzbereit ist. Nur aus diesem Grund bist du hier, Lund.« »Ach, halt endlich den Mund. Du redest wie dieser Fleischberg, der in meiner Unterkunft wohnt und sich meine Gefährtin nennt. Lund, tu dies, Lund tu das! Kannst du das verstehen?« Das Gesicht des Ingenieurs verklärte sich. »Früher war sie rank und schlank, eine begehrte Schönheit, die viele Verehrer hatte, doch sie wählte mich. Ich war glücklich wie noch nie. Wir lebten nur füreinander, nichts konnte unsere Liebe gefährden. Jede freie Minute verbrachten wir zusammen, sie hing an meinen Lippen, und wir lasen uns gegenseitig die Wünsche von den Augen ab. Es war eine schöne Zeit, doch dann nahm sie zu. Und nun ist sie so fett, daß sie seitlich durch die Tür gehen muß.« »Ein Adonis bist du ja auch nicht, und wenn ich deine Körperfülle betrachte, wundert es mich eigentlich, daß du dieses Thema überhaupt angeschnitten hast.« Der Spott in der Stimme der Frau war unverkennbar. »Kümmere dich jetzt um deine Aufgabe!« »Weiber«, knurrte der Ingenieur. »Wenn du eine kennst, kennst du sie alle.« Die Solanerin wandte sich ab, weil sie Mühe hatte, ihre Heiterkeit zu verbergen. Unrecht hatte der gute Lund nicht. Else Mayer‐Lund war wahrlich keine Zierde ihres Geschlechts. Sie wollte zu Vert Kors gehen, die gemeinsam mit einem
Automaten an einer positronischen Einheit herumwerkelte, als ihr Blick auf einen pflaumengroßen eiförmigen Gegenstand fiel, der auf dem Boden lag. Da sie sicher war, ihn vorher dort nicht gesehen zu haben, hob sie ihn auf und betrachtete ihn eingehend. Die gelbe Hülle war deformiert, als wäre sie großer Hitze ausgesetzt gewesen. Ein wenig ratlos drehte sie das Ding in der Hand, doch eine Erleuchtung blieb aus, sie konnte damit nichts anfangen, also fragte sie die Vulnurerin. »Ich glaube nicht, daß diese Kapsel zu einem der Geräte hier gehört.« Die Antwort erfolgte in Interkosmo. »Wo hast du sie gefunden?« »Dort vor dem Schrank mit den Raumanzügen.« »Vermutlich gehört dieses Ei zur Ausrüstung und ist aus einer Tasche gerollt.« »Aber in der letzten Viertelstunde hat sich niemand an dem Spind zu schaffen gemacht«, wandte Gis Du Port ein. »Und vorher lag die Kapsel nicht da, dessen bin ich mir ganz sicher.« »Warte ein paar Minuten, dann kümmern wir uns gemeinsam darum. Ich glaube, daß ich den Fehler in der Steuerung der Lufterneuerungsanlage gefunden habe. Wenn der Stickstoff erst wieder gegen eine Sauerstoffatmosphäre ausgetauscht ist, können wir auch die lästige Schutzkleidung ablegen.« Die Solanerin war damit einverstanden. Sie blieb neben ihrer Kollegin stehen und sah zu, wie geschickt Vert ihre in Handschuhen steckenden zierlichen Greifzangen als Werkzeuge einsetzte. * Objount war wie vom Donner gerührt. Noch nie hatte es unter den Katalysator‐Kapseln einen Versager gegeben, doch damit nicht genug, war sie auch noch einem der Fremden in die Hände gefallen. Wütend machte er die nächste Kapsel scharf und beförderte sie
durch die Öffnung in die Zentrale. Plötzlich wurde ihm schwindelig, Atemnot befiel ihn, gleich darauf war alles wieder normal. Der Zyrtonier war davon überzeugt, daß es sich nicht um eine unerwartete Körperschwäche handelte, sondern um kurzfristigen Sauerstoffmangel. Sauerstoffmangel – das war es. Deshalb hatte die Katalysator‐Kapsel nicht funktioniert, und die zweite würde es auch nicht tun. Und aus diesem Grund trugen die Gegner auch Schutzanzüge! Die Atmosphäre in der Zentrale war für Oxygenatmer giftig! Ärgerlich darüber, das nicht gleich erkannt zu haben, riß er einen Raumanzug herunter und streifte ihn sich über. Das war in dieser Enge zwar etwas mühsam, doch er schaffte es. Er nahm sich nicht die Zeit, alle Einrichtungen durchzuprüfen, ihm genügte es, daß das Lebenserhaltungssystem und der Individualschirm funktionierten. Daß er nun nicht mehr in aller Heimlichkeit operieren konnte, sondern sich zeigen mußte, bedauerte er, doch er hatte keine andere Wahl, wenn er Erfolg haben wollte. Eilig sortierte er das mitgeführte Vernichtungspotential. Fast die Hälfte der Ladungen waren unter den herrschenden Bedingungen unbrauchbar, da sie zur Reaktion auf Sauerstoff angewiesen waren. Achtlos steckte er sie weg, zog die Antireflex‐Folie über die transparente Sichtscheibe und stieß die Türen auf. Sein überfallartiger Auftritt vermochte die Roboter im Gegensatz zu ihren Herren nicht zu verblüffen, aber eine Kampfmaschine war nicht darunter. Bevor sich ihm ein Automat nähern konnte, schleuderte er Lichtbomben in den Raum. Geblendet schlugen die anwesenden Intelligenzen Hände und Greifzangen vor die Augen, die Kapsel, die Gis Du Port gehalten hatte, fiel zu Boden. Die optisch orientierten Maschinen waren so hilflos wie ihre Erbauer. Die grellen Blitze hatten ihr Wahrnehmungsvermögen zumindest vorübergehend ausgeschaltet. Blind, wie sie waren, blieben sie stehen, wo sie sich gerade befanden. 4‐Page richtete eine stabförmige Waffe auf einen Terminal und
löste sie aus. Fauchend verließ eine Haftladung den Lauf und heftete sich an die Verkleidung. Sie enthielt einen Fusionszünder, der mit Kohlenstoffverbindungen reagierte und einen Kernbrandprozeß auslöste. Der Zyrtonier visierte ein neues Ziel an, als ihn ein eisiger Schreck durchzuckte: Die Luftumwälzanlage arbeitete auf höchsten Touren. War sie gerade erst angesprungen oder hatte er ihr Summen in seinem Eifer überhört? Wenn der Sauerstoffgehalt eine bestimme Konzentration erreicht hatte, ging die zweite Katalysator‐Kapsel hoch, und selbst der Schutzschirm vermochte ihn nicht davor zu bewahren, mit seinen Feinden zu sterben. Objount wandte sich zur Flucht. In heller Aufregung verschwand er im Schrank und schlug die Türen hinter sich zu, hetzte in den Stollen zurück und betätigte mit fahrigen Bewegungen den Mechanismus, der die schwere Platte in die alte Lage brachte. Erst als sich dieses Wandteil zwischen ihn und den Einbauschrank schob, wurde er ruhiger, dennoch machte er, daß er davonkam. Zumindest die Automaten hatten mit Sicherheit über Funk gemeldet, was passiert war. Helfen konnte ihnen und ihren Herren zwar niemand mehr nach der Explosion, aber man würde ihn verfolgen, da seine Existenz nun bekannt war. In seinem Bestreben, diesen Sektor so schnell wie möglich zu verlassen, entging ihm das vom Akustiksensor übertragene leise Rasseln. Die Steuerung der Lufterneuerungsanlage hatte erneut ihren Geist aufgegeben. * Atlan war einer der ersten, der von dem Anschlag erfuhr und damit auch wußte, daß ein Zyrtonier in der LUNGARETTE sein Unwesen trieb. Man hatte es demnach mit zwei Tätern zu tun, die zweifellos zusammenarbeiteten. Ob der Sabotageakt im Raumschiff nur als
Ablenkungsmanöver verstanden werden mußte, das dem Attentäter mehr Freiraum geben sollte oder umgekehrt, war noch herauszufinden. Der Arkonide neigte jedoch zu der Ansicht, daß jeder der beiden es ernst meinte. Bestimmt hatte selbst Katzulla nichts von diesem Killerkommando gewußt, daß sich – anders konnte es nicht sein – an Bord des Flugkörpers verborgen gehalten hatte und nun losschlug. Ihr Vorhaben war ein Kamikazeunternehmen, denn an eine Rückkehr war für sie kaum zu denken, also hatten sie ihren eigenen Tod einkalkuliert, und das machte sie doppelt gefährlich. Sie würden sich nicht einfach nur opfern, sondern versuchen, dem Gegner zugleich soviel Schaden wie möglich zuzufügen. Aus diesem Grund machten auch nur solanische Kampfmaschinen und vulnurische Sicherheitsroboter Jagd auf die beiden Zyrtonier, während sich bewaffnete Kommandos beider Völker darauf beschränkten, Sperren zu errichten und Sektoren abzuriegeln. Das galt für die LUNGARETTE, denn auf der MJAILAM wurden nur eigene Automaten und ausschließlich Menschen eingesetzt. Leider gelang es den Telepathen nicht, die Fremden aufzuspüren – sehr zum Leidwesen des Aktivatorträgers. Ihm wie allen anderen Beteiligten war daran gelegen, die Täter so schnell wie möglich dingfest zu machen, bevor Unschuldige ihr Leben lassen mußten. Der beginnende Kernbrand im Steuerzentrum des turmähnlichen Raumers war nicht unbemerkt geblieben. Solaner und Vulnurer hatten einen gemeinsamen Expertenstab gebildet und ihre Spezialisten unter starker Bewachung zum Ort des Geschehens beordert. Da der Zerfall noch nicht allzusehr fortgeschritten war, gelang es mit vereinten Kräften, den Prozeß zu verlangsamen und weitere Reaktionen schließlich ganz zu unterbinden. Bei dieser Gelegenheit wurden die Fachleute – nicht zuletzt durch einen Hinweis von Gis Du Port – auch auf die Katalysator‐Kapseln aufmerksam. Es dauerte eine Weile, bis sie erkannten, nach welch einem teuflischen Prinzip sie funktionierten, doch dann konnte auch
diese Waffe unschädlich gemacht werden. Die Logistikerin wurde nachträglich noch ganz blaß, als sie erfuhr, in welcher Gefahr sie geschwebt hatten, und sie dankte dem Himmel, daß Verts Reparaturversuch mißlungen war. Da man wußte, auf welche Weise der Zyrtonier in die Zentrale gelangt war, wurden tragbare Hohlraumtaster eingesetzt. So wurde auch der zweite Geheimgang entdeckt und ebenso wie der andere unpassierbar gemacht. Kampfmaschinen bezogen in der Steuerkanzel Posten, Sicherheitsroboter bewachten alle Zugänge und den Ringkorridor, während Kernbrandexperten, Sprengstoff‐ und Waffenspezialisten sich in der Zentrale häuslich niederließen. Zahllose Automaten patrouillierten durch das Schiff, ausgerüstet mit den unterschiedlichsten Geräten. Infrarot‐ und Ultraschallanlagen gehörten ebenso dazu wie Temperatursensoren, Hohlraumspürer und Ortungseinrichtungen. An strategisch wichtigen Positionen nahmen Feuerlöschroboter Aufstellung, Meßfühler und Lichtschranken wurden überall dort installiert, wo man es für angebracht hielt, mobile Schirmprojektoren und Alarmanlagen schützten Antrieb und Energieerzeuger ebenso wie die Hauptpositronik. Damit nicht genug, wurde auch das gesamte Schiff mit Stickstoff geflutet, so daß zumindest diese gelben Kapseln unwirksam wurden und alle Stoffe, deren Wirksamkeit davon abhing, ob Oxygen vorhanden war, doch das machte die Anwesenheit der Löschroboter nicht überflüssig. Es gab genügend chemische Verbindungen, die auch ohne Luftsauerstoff miteinander reagierten. Es bestand gar kein Zweifel daran, daß der Aufwand beachtlich war, aber der Gegner hatte auch besonderes Format bewiesen, zudem war Atlan daran gelegen, die LUNGARETTE IV zu erhalten und optimal instand zu setzen. Listig, wie der Unsterbliche war, hatte er bei der Anordnung, die Atmosphäre im Raumer durch Nitrogenium zu ersetzen, sogleich ins Kalkül gezogen, daß der Zyrtonier als Sauerstoffatmer gezwungen war, sich über kurz oder
lang einen neuen Vorrat des lebenswichtigen Gases zu besorgen. Natürlich war nicht auszuschließen, daß er auch daran gedacht und sich entsprechend eingedeckt hatte, aber das war nicht sehr wahrscheinlich. Vorsorglich hatte der Arkonide alles zusammentragen lassen, was dem Saboteur in dieser Hinsicht von Nutzen sein konnte. In zwei Ausrüstungsdepots, die schon ursprünglich diesem Zweck gedient hatten, stapelten sich die Sachen. Daß sowohl der vordere als auch der rückwärtige Eingang jeweils von einem Automaten bewacht wurde, war Taktik. Es mußte jedes intelligente Wesen stutzig machen, wenn es überall von Sicherheitskräften und Aufpassern nur so wimmelte, aber ausgerechnet die Orte leicht zu erreichen waren, die auch die Gegenseite als wichtig erkannt hatte. Jeder, der seine Sinne beisammen hatte, mußte das als Falle erkennen, und er würde sich hüten, hineinzutappen. Darauf baute der Arkonide. Wenn der Zyrtonier feststellte, daß er keine andere Wahl hatte, als in das Lager einzudringen, erkannte er die Absicht seines Gegners, ihn mattzusetzen. So aber sah es aus, als sollte es – durch die Anwesenheit der Kampfmaschinen vor den Lagern – verhindert werden, daß jemand sich unbefugt Zutritt verschaffte. Die Aufmerksamkeit des Täters würde sich auf diesen Widersacher konzentrieren, und dann konnten andere Abwehrmechanismen wirksam werden, die weniger auffällig waren. Dessen ungeachtet wurde weiter Jagd auf den Zyrtonier gemacht. Man wollte ihn stellen, bevor er erneut Unheil anrichten konnte. 3. Atlan hatte mich über den Zwischenfall an Bord der LUNGARETTE informiert. Da ich die Nachricht im Labor erhielt, konnten die
anderen mithören und besaßen den gleichen Kenntnisstand wie ich. Wir waren recht gut vorangekommen, doch angesichts dieser Information ließ ich zumindest vorerst Forschung Forschung sein. Den anderen war nicht anzusehen, was sie dachten. Immerhin wußten wir nun, daß wir es mit Artgenossen von 666‐Page zu tun hatten. »Sie sind hinter dir her, Katzulla«, sagte ich spontan. Am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen, aber es war heraus und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Grundsätzlich war ich für Offenheit, doch in diesem Fall hätte ich es ihm wohl etwas schonender beibringen können. Während ich noch verzweifelt nach Worten suchte, die meine Aussage abschwächen konnten, schoß mir ein ganz famoser Gedanke durch den Kopf. »Katzulla, ich …« »Du hast recht, Hage, es ist mein eigenes Volk, das mich verfolgt, um mich zu töten.« »Wir werden dich beschützen«, rief ich impulsiv. »Ich habe auch schon einen Plan.« »Das ist sicherlich gutgemeint, aber ich weiß nicht, ob ihr dabei auch Erfolg habt. Es waren Zyrtonier, die meine Lebensgefährtin Milorah umgebracht haben, nun geht es gegen mich.« Ein wenig Resignation schwang in der Stimme mit. Ich konnte ihn verstehen. Unter diesen Umständen, den eigenen Tod vor Augen, waren seine Sorgen mehr als berechtigt. »Ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe, deshalb habe ich mich entschlossen, aktiver und intensiver zugleich mitzuarbeiten.« »Das ist Musik in meinen Ohren«, tönte mein Assistent. »Taktgefühl war noch nie deine Stärke, aber diese Äußerung war absolut unpassend und geschmacklos.« herrschte ich ihn an. »Ist dir denn nichts heilig?« »Abstrakte Begriffe erfordern eine …« »Unterstehe dich, jetzt mit deinen verschrobenen Definitionen
aufzuwarten«, drohte ich und wandte mich an Katzulla. »Ich habe eine Idee, wie wir diese Schergen narren und auf eine falsche Fährte locken können.« »Wie willst du das anstellen?« fragte er zweifelnd. »Wir nehmen einfach mehrere Roboter und verwandeln sie zumindest äußerlich in Ebenbilder von dir. Sie werden völlig verwirrt sein, wenn sie es plötzlich mit vier oder fünf Katzullas zu tun haben.« »Das glaube ich nicht. Meine Mörder werden die Fälschungen sofort als solche erkennen.« »Und woran?« »An meinem Körper‐Kode. Ich bin sicher, daß sie entsprechende Meßgeräte mit sich führen.« »Körper‐Kode?« echote Blödel. »Was heißt das?« »Damit ihr den Zusammenhang versteht, muß ich ein wenig ausholen.« 666‐Page wirkte geistesabwesend. »Das Zyrton‐System ist von einem Wall umgeben, den niemand durchdringen kann, es sei denn, er verfügt über den richtigen Kode.« Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Dieses Geheimnis mußte der Grund dafür sein, daß Katzulla mundtot gemacht werden sollte, aber würde er es uns auch verraten? War er bereit, uns den Schlüssel in die Hand zu geben, mit dem wir das Tor öffnen konnten, das in das Innere der feindlichen Festung führte? »Es handelt sich nicht um eine technische Einrichtung, wie ihr vielleicht vermutet. Die Lösung ist biologischer Natur – nicht völlig, jedoch zum großen Teil.« Ein Dramatiker hätte es kaum besser verstanden, die Spannung seiner Zuhörer so effektvoll zu steigern. Ich platzte fast vor Neugier. »In den Genen der Zyrtonier ist eine energetische Schwingung verankert, auf die das umfassende Energiefeld des Systems anspricht. Nur wer über eine gewisse Menge dieser Zellsubstanz in seinem Körper verfügt, kann ungehindert passieren, alles andere wird abgestoßen.«
Ich war ziemlich perplex. So einfach hatte ich mir das nicht vorgestellt, aber auch nicht so kompliziert. Was die zyrtonischen Wissenschaftler da ausgetüftelt hatten, war geradezu genial. Es erforderte keinen besonderen Aufwand, etwas auf eine typische Biofrequenz einzustellen, aber es war eine fast unlösbare Aufgabe, erst einmal dahinterzukommen und einen Organismus so zu präparieren, daß er er selbst blieb, andererseits aber auch dem fremden Schwingungsniveau entsprach. Und dann mußte diese Komponente ja auch noch stabil bleiben. Wieder einmal waren wir Scientologen gefordert. »Nun werden mir auch gewisse Toleranzwerte bei den Untersuchungen klar, für die wir bisher keine plausible Erklärung gefunden haben«, meinte Borallu. »Ich schlage vor, die letzten Experimente zu wiederholen.« »Das ist sogar unumgänglich.« Wieder einmal spielte sich mein Mitarbeiter als Chef auf. »Es würde alle Tests verfälschen, wenn wir diese eben gewonnene Erkenntnis nicht in unsere Arbeit einfließen lassen würden.« »Nur die Ergebnisse sind verfälscht, nicht die Grundlagen als solche«, erwiderte ich verärgert. »Die Versuchsanordnung bleibt bestehen. Wir begnügen uns damit, Veränderungen aufzuzeichnen.« »Chef, du solltest berücksichtigen, daß sich gewisse Voraussetzungen geändert haben«, wandte Blödel ein. »Denke nur an die Ribosomen und die …« »Widersprich mir nicht ständig.« Ich warf ihm einen bösen Blick zu. »Ich habe laut und deutlich von identischen Grundlagen gesprochen und nicht von Details, wie du sie ins Feld führst. Geht das nicht in deinen Hohlkopf hinein?« »Entschuldige, Chef, ich habe mir lediglich den Hinweis gestattet, daß verschiedene Aspekte eine Rolle spielen.« »Das weiß ich selbst, du Trottel. Ich verbiete dir, mich ständig zu schulmeistern. Was du weißt, habe ich dir beigebracht.« Daug trat neben mich und legte mir besänftigend zwei seiner
zierlichen Greifzangen auf die Schulter. »Bitte, Hage, hört auf zu streiten. Versöhnt euch wieder.« »Du kennst mich als einen besonnenen Menschen, Daug, aber dieser Disput muß ausgetragen werden. Es geht nicht an, daß Blödel ständig ungestraft seine Kompetenzen überschreitet und versucht, einen Narren aus mir zu machen. Ich bin sein direkter Vorgesetzter, basta.« »Ihr seid beide exzellente Genetiker und Biologen, überhaupt Wissenschaftler von einem Format, das seinesgleichen sucht.« Der Emulator wandte sich an Borallu. »Ist es nicht so?« »Ja, ich gestehe neidlos ein, daß ihr mir überlegen seid.« Ein Kompliment aus so berufenem Mund schmeichelte mir natürlich, dennoch blieb, ich hart. »Blödel soll jetzt und hier eingestehen, daß ich sein Lehrer bin und er nur die Nummer zwei ist.« »Wie du willst, Chef.« »Ausgezeichnet, mein Lieber. Es spricht für dich, daß du einsichtig geworden bist.« »Meine Offerte entsprang eigentlich mehr der Überlegung, daß der Klügere nachgibt.« Ich spürte, daß mir seine Unverfrorenheit die Zornesröte ins Gesicht trieb. Am liebsten hätte ich diesen frechen Schnösel verdroschen, doch ich beherrschte mich. * Ich war rechtschaffen müde, dennoch konnte ich nicht einschlafen. Es gelang mir nicht, einfach abzuschalten wie eine Maschine, zu sehr beschäftigte mich noch die Tätigkeit im Labor. Dreizehn Stunden hatte ich dort ohne nennenswerte Pausen zugebracht, doch nicht nur ich, sondern auch Blödel, Daug, Borallu und Katzulla. Tras‐Rivil hatte uns eine Zeitlang Gesellschaft geleistet und war mir
zur Hand gegangen. Es war unbestreitbar, daß wir Fortschritte gemacht hatten, doch der entscheidende Durchbruch war uns noch nicht gelungen. Vielleicht lag es auch mit an den Arbeitsbedingungen, die auf der SOL ungleich besser waren. Hier waren wir gezwungen, mehr zu improvisieren, als uns lieb war, und außerdem kam noch die Bedrohung durch die Zyrtonier hinzu, die es auf Katzulla abgesehen hatten. Sie waren immer noch nicht gefaßt worden. Erstaunlich war die biologische Ähnlichkeit von Vulnurern und Zyrtoniern. Obwohl sie von ihrer äußeren Gestalt her so verschieden waren, hatten wir eine Unzahl von genetischen Übereinstimmungen gefunden, die trotz gewisser Abweichungen und Unterschiede auf eine enge stammesgeschichtliche Verwandtschaft schließen ließen. Der von den Solanern häufig gebrauchte Name »Weltraumzecken« im Zusammenhang mit den Zyrtoniern war nicht nur unwissenschaftlich, sondern völlig falsch. Zecken gehören zu den Spinnenarten, die entwicklungsgeschichtlich unter den Insekten anzusiedeln waren, zu deren Abkömmlingen Vulnurer wie Zyrtonier zählten. Das zeigte wieder einmal, wie sehr das Aussehen täuschen konnte. Nicht alles, was wir untersuchten, gab sein Geheimnis sofort preis. Mal waren gewisse Abläufe im Zellstoffwechsel anders als erwartet, dann wieder stießen wir auf Enzyme, deren Aktivitäten uns Rätsel aufgaben. Einiges entpuppte sich als krankheitsbedingte Störung, anderes basierte auf der Wechselwirkung zwischen Organismus und den bei Vulnurern und Zyrtoniern andersartigen Symbionten, also Bakterienstämmen, wie sie häufig in der Darmflora zu finden waren. Weniger deutlich, als ich gedacht hatte, unterschieden sich die Abwehrmechanismen gegen Keime voneinander. Gewiß, die Bekehrer hatten auch immer wieder Kontakte mit Planetariern, aber insgesamt gesehen, lebten sie doch in einer relativ sterilen Umgebung, nämlich auf ihren Raumern. Was hinzu kam: Bakterien
und Viren, die auf fremden Welten existierten, fanden in den Schiffen und den Körpern der Vulnurer selbst wohl nicht die Bedingungen vor, die sie zu ihrer Entwicklung benötigten. Selbstverständlich konnte auch das Gegenteil eintreten, aber dann wären unsere Freunde schon längst von einer Epidemie dahingerafft worden. Im Prinzip war es so, daß wir gegen Krankheiten der Insektoiden allein dadurch gefeit waren, daß wir völlig anders waren als sie – das galt auch umgekehrt. So robust die winzigen Erreger auch erscheinen mochten – es waren in der Mehrzahl ausgesprochene Spezialisten, denen oft schon ein Temperaturunterschied von ein paar Grad den Garaus machte. Ein wenig anders sah es bei den Zyrtoniern aus. Sie waren Planetenbewohner, und es war völlig unmöglich, einen oder mehrere Himmelskörper völlig zu entkeimen, ohne die Vernichtung allen Lebens zu riskieren. So gesehen waren sie also ständigen Angriffen von Mikroorganismen ausgesetzt, die der Organismus abwehrte, ohne gleich mit Krankheitszeichen darauf zu reagieren. Sie mußten eine ungleich höhere Zahl von Immunzellen besitzen – Leukozyten, Antikörper und andere, spezielle Eiweißverbindungen, doch das war nicht der Fall. Ich muß gestehen, daß mich das überraschte, aber das sogenannte »Crossing match« beseitigte die letzten Zweifel. Es war ein Test der Blutverträglichkeit, bezogen auf das Immunsystem ganz speziell. Bei elf der vierzehn Faktoren war der Annäherungswert erstaunlich groß. Das überraschte mich, denn selbst unter Blutsverwandten war die Affinität kaum deutlicher. Daß auch Blödel keine plausible Erklärung für diesen offensichtlichen Widerspruch hatte, war für mich durchaus kein Grund zur Freude, denn Borallu und Katzulla waren ebenfalls ratlos. Der Zyrtonier hatte versichert, daß Pharmaka im Alltag der Zyrtonier kaum eine Rolle spielten und er selbst kein Medikament eingenommen hatte, doch da bei unseren Tests jede Kleinigkeit von Bedeutung war, hatte ich das überprüft – heimlich natürlich. Ich hatte nicht die Spur von Antibiotika gefunden.
Selbst konservative Solaner hatten längst dem Spruch abgeschworen, der besagte: Es kann nicht sein, was nicht sein darf, dennoch wurde ich in dem speziellen Fall daran erinnert. Alles, was wir in diesem Zusammenhang vorbrachten wie Wohnungen mit Keimschleusen und Kuppelstädte, traf laut Katzulla nicht zu. Was sollte ich davon halten? Jede Art, so hatte sich gezeigt, besaß ihre ganz speziellen Parasiten im angestammten Lebensraum, außer – außer Züchtungen, Mutationen oder, wie man sie botanisch nannte, Hybriden. Letztere waren geschlechtslose Zwitter, die sich nicht mehr selbst vermehren konnten, doch Katzulla war keine Pflanze und war eindeutig als männlich identifiziert worden. Ich drang nicht weiter in ihn, dennoch beschäftigte mich der Gedanke weiterhin, ob sein Volk wirklich dort beheimatet war, wo es jetzt lebte. Auch eine genetische Manipulation kam in Betracht, denn die Schwäche des Immunsystems sprach eine ganz eindeutige Sprache. Eine Rasse, die dort unverändert seit Urzeiten existierte, wäre schon längst untergegangen. Daß Katzulla log, glaubte ich nicht. Wer vermochte schon noch zu sagen, wer seine Urväter waren? Die Geschichte, selbst die eigene, versank im Dunkel der Vergangenheit. Mir und allen anderen Solanern ging es da nicht anders. Wir wußten von Terra und Sol, kannten einige der alten Filme, aber was bedeutete das schon? Bilder über die ersten Menschen auf der Erde fehlten, wir hatten ohnehin keinen Bezug mehr zu diesem Planeten. Wir waren an nichts gebunden, keine Schwerkraft lähmte uns und unseren Flug. Meine Gedanken kehrten zurück zu unserem Problem. An der Tatsache, daß Vulnurer und Zyrtonier gemeinsame Vorfahren hatten, war nicht mehr zu rütteln, das war ein Fakt, den keiner in Abrede stellte. Unser Ehrgeiz war es nun, das für uns zu verwerten und eine Möglichkeit zu finden, die Atlan weiterhalf im Kampf gegen 666‐Pagens Artgenossen. Wie das letztlich geschehen und aussehen sollte, wußte ich selbst noch nicht genau. Im Augenblick betätigten wir uns noch als biologische Handwerker, die
Gemeinsamkeiten registrierten und Unterschiede auf Brauchbarkeit hin abklopften. Die Gegensätzlichkeiten der Charaktere beider Völker mußten eine Ursache haben. Sie zu finden, galt unser Bemühen. Das war alles andere als einfach. An ein paar simplen Vergleichen hatte ich das Atlan deutlich gemacht und zum Vergleich den menschlichen Körper herangezogen. Er besteht bei einem Erwachsenen aus sechzig Billionen Zellen, und der Chromosomensatz jeder Zelle enthält rund zwei Millionen Informationsabschnitte, die Gene. Rollt und faltet man nun das in einer Zelle von 0,1 Millimeter Stärke enthaltene DNS‐Material auseinander, ergibt das 25 Kilometer Länge. Daß die DNS selbst noch einmal aus hochmolekularen Nukleinsäuren bestand, erwähnte ich nur am Rande. Wesentlich diffiziler war es bei den Hormonen. So schüttet beispielsweise die Schilddrüse pro Tag nur ein tausendstel Gramm des von ihr produzierten Hormons aus. Einem Laien mag das wenig vorkommen, aber da schon milliardstel Gramm davon im Blut nachweisbar waren, interessierte uns weniger, ob die Menge ein oder zwei Nanogramm betrug, sondern was der Stoff überhaupt bewirkte, was die Norm war, ob eine Über‐ oder Unterproduktion vorlag und was der Dinge mehr waren. Wertvolle Aufschlüsse erhielten wir dabei durch die Vergleiche zu den Vulnurern. Hilfreich waren in dieser Beziehung auch die Tips und Hinweise von meinem Kollegen Tras‐Rivil, von Borallu und von Katzulla selbst. Zwar war der Zyrtonier kein Spezialist auf diesem Gebiet, dennoch verblüffte er mich mehrmals mit seinen Kenntnissen. Morgen würde ich weiterforschen. Sieben Stunden Ruhe hatte ich mir selbst zugebilligt. Blödel, der keinen Schlaf benötigte, führte in dieser Zeit Routineuntersuchungen durch, die meine Anwesenheit nicht erforderten. Ich blickte auf das Chronometer. Mir blieben nur noch gut sechs Stunden, um Körper und Geist zu regenerieren. Ich drehte mich auf die Seite. Subjektiv war ich hellwach, doch
dann fielen mir die Augen zu. Erschöpft schlief ich ein. * Das Summen des Türmelders weckte mich. Reflexhaft setzte ich mich auf die Bettkante und sah verschlafen auf die Uhr 3.36.09. Griesgrämig betätigte ich den Öffnungskontakt. »Entschuldige die Störung, Chef.« Mein Assistent trat über die Schwelle. »Ich hoffe, du hattest eine angenehme Ruhe und süße Träume.« »Den Teufel hatte ich. Weißt du, wie spät es ist?« »Selbstverständlich. Soll ich die Zeit für dich ablesen?« »Mir steht nicht der Sinn nach Spaßchen. Ich habe nicht einmal drei Stunden geschlafen«, knurrte ich übellaunig. »Wehe dir, wenn du wegen einer Banalität zu mir gekommen bist.« »Ich hätte nie gewagt, deinen Schlummer zu stören, aber bestimmt hättest du es mir übelgenommen, diese Information von einem Dritten zu erhalten.« »Blödel, ich bin müde. Ergehe dich nicht in mysteriösen Andeutungen, sondern komm endlich zur Sache, aber bitte in Kurzform.« »Heureka!« Elektrisiert sprang ich von meinem Lager auf, meine Müdigkeit war auf einmal verflogen. »Was hast du? Was hast du gefunden? Nun rede doch endlich!« »Ich hatte Proben von Liquor cerebrospinalis und …« »Von welchem Likör? Wie kommst du überhaupt an Alkohol, und was hat das mit unserem Thema zu tun?« »Du solltest genauer hinhören, Chef. Ich sprach von Liquor cerebrospinalis, also …« »Ja, ich weiß, die wäßrige Flüssigkeit des Gehirns. Weiter!« »Also, mit dem mir zur Verfügung stehenden Liquor
cerebrospinalis von …« »Jetzt hast du den verdammten Begriff zum dritten Mal gebraucht, und trotzdem bist du nicht weiter mit deiner langatmigen Erklärung als vor ein paar Minuten. Komm endlich zur Sache, du Schwätzer.« »Wenn du mich nicht dauernd unterbrechen würdest, wäre ich mit meinem Vortrag schon fast zu Ende«, beschwerte sich mein Assistent. »Ich will keinen Vortrag hören, sondern Informationen haben – stichwortartig. Los!« Dieser Blechnarr brachte mich noch um den Verstand mit seiner Wichtigtuerei. »Liquor cerebrospinalis – Katzulla, Borallu, Tras‐Rivil, Daug – Dyshormonose – Art Hyperbulie – Cyklotropin.« Nun war er völlig übergeschnappt. »Was bedeutet denn dieses Gestammel wieder?« »Das war mein Bericht in Stichworten«, sagte Blödel würdevoll. »Bist du ein Idiot, oder tust du nur so? Wer soll sich denn aus einem solchen Unsinn etwas zusammenreimen können?« fauchte ich ihn an. »Drück dich gefälligst präzise aus, aber in knapper Form. Und wenn du noch einmal Liquor cerebrospinalis erwähnst, werfe ich dich eigenhändig aus der Schleuse.« »Ich führte dergleichen Analysen besagter Flüssigkeit durch. Sie stammten von den vorher erwähnten Personen. Im Verlauf der Untersuchung stellte ich bei dem Zyrtonier eine Dyshormonose fest. Dieser Störung des Hormonhaushalts ging ich nach, denn bei den drei anderen waren die Werte bis auf vernachlässigbare Abweichungen identisch. Bei Katzulla waren alle Substanzen in nahezu gleicher Menge ebenfalls vorhanden, doch ein Hormon war bei ihm kaum noch nachweisbar. Ich habe es Cyklotropin genannt.« »Das sieht dir ähnlich, du eitler Wicht. Anstatt dich der Forschung zu widmen, wie es deine Aufgabe ist, vertust du die Zeit damit, dir Namen von Proteinen auszudenken. Und warum? Damit gespeichert wird: Cyklotropin, Entdecker Blödel. Es ist nur gut, daß
die Aminosäuren, aus denen diese Stoffe bestehen, bereits bezeichnet sind, sonst würdest du sie auch noch benennen.« Ich war verärgert und gekränkt zugleich. »Mir als deinem Vorgesetzten hätte es zugestanden, dieses Hormon zu taufen. Ich hätte es beispielsweise als Hagetropin bezeichnet, das klingt doch ganz anders als dieses alberne ›Cyklotropin‹.« »Ich habe mich ausschließlich von wissenschaftlichen Erwägungen leiten lassen«, verteidigte sich der Roboter, »Papperlapapp, du bist und bleibst ein Dummkopf.« Ich machte keinen Hehl daraus, daß ich wütend war. »Durch deine Geltungssucht hast du wieder einmal verhindert, daß mein Name der Nachwelt erhalten bleibt als das Sinnbild eines Mannes, dessen Leben und Wirken untrennbar mit grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Leistungen verbunden ist. Ist das denn zuviel verlangt bei einem Scientologen meines Formats? Antworte!« »Chef, willst du, daß ich weiter deiner Selbstdarstellung lausche, oder möchtest du zuhören? Wie du dir sicherlich denken kannst, bin ich mit meinen Ausführungen noch nicht am Ende.« »Werde nicht frech, Einauge. Spul deinen Text herunter, bevor ich es mir anders überlege und dich davonjage.« »Es war ein wenig kompliziert, festzustellen, welches Organ diesen Stoff produziert, doch es gelang mir, das herauszufinden.« Er sagte das so bedächtig, als müßte er es nachvollziehen wie ein Mensch, zugleich gab er sich so überheblich, als hätte er den Stein der Weisen entdeckt. Diese Selbstbeweihräucherung war wirklich kaum zu ertragen. »Verantwortlich dafür ist die dem Ersthirn zugeordnete Protocerebrum‐Drüse. Du wirst dich bestimmt …« »Ja, ich weiß. Wie bei fast allen Insektenabkömmlingen besteht das über dem Schlund liegende Oberschlundganglion, mithin also das Gehirn, aus drei aufeinanderfolgenden Abschnitten, aber das ist an dieser Stelle wohl uninteressant. Was ist mit diesem Hormon, wie wirkt es? Läßt es sich synthetisieren? Nun?«
»Cyklotropin wird in der Protocerebrum‐Drüse hergestellt. Man kann es als ein natürliches Psychopharmakon bezeichnen, denn es wirkt nur auf das Gehirn und beeinflußt ausschließlich die Stimmungs‐ und Gemütsverfassung. Eine Unterproduktion oder gar ein Mangel an dieser Substanz, wie er bei Katzulla festgestellt wurde, führt zu einer vom Verstand unkontrollierbaren Aggressivität, wie wir sie ja bei den Zyrtoniern erlebt haben.« »Donnerwetter, Blödel, du hast wirklich ganze Arbeit geleistet.« Ein wenig neidisch war ich schon, tröstete mich jedoch damit, daß ich es war, der ihm alles beigebracht hatte. »Atlan wird Augen machen, wenn ich ihm von unserem Erfolg berichte.« »Unserem Erfolg?« »Selbstverständlich. Wir sind ein Team, haben gemeinsam geforscht und die Grundlagen für dieses Ergebnis erarbeitet. Ich bin dein Lehrer, du mein Schüler. Hätte ich dir nicht die Anweisung gegeben, diese Untersuchungen durchzuführen, würdest du immer noch planlos suchen. Mein Geist hat erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß du überhaupt etwas finden konntest.« Innerlich gratulierte ich mir zu dieser didaktischen Meisterleistung. Ich korrigierte mich gedanklich. Nein, es war keine brillante Formulierung, es war die ungeschminkte Wahrheit. Es war mein Erfolg und nicht der von Blödel. Er war nur ausführendes Organ und hatte lediglich das in die Tat umgesetzt, was mein Verstand vorgegeben hatte. »Aber das entspricht nicht ganz den Tatsachen, Chef. Es …« »Unsinn, Blödel, denk einmal logisch. Nehmen wir ein einfaches Beispiel – einen Reinigungsroboter. Er beseitigt Schmutz, doch ist das ein Verdienst des Automaten? Nein, denn er würde ohne den Konstrukteur und den Kybernetiker gar nicht dazu in der Lage sein. Ergo: Daß er eine Leistung vollbringt, verdankt er den Gehirnen, die ihn erdacht haben. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß ihn Maschinen gebaut haben. Die wurden zwar wiederum von Maschinen hergestellt, aber letztendlich steckt der denkende
Mensch hinter allem. Ohne ihn würde es keine Positronik geben, keinen Roboter, kein Werkzeug.« »Das hat umgekehrt auch Gültigkeit. Ohne Rechner und Roboter wäre jedes Raumschiff …« »Ende der Diskussion«, sagte ich ungehalten. »Wir nennen den Mangel an Cyklotropin das ›Nockemann‐Syndrom‹. Was hast du sonst noch herausgefunden?« »Die Zyrtonier sind – wissenschaftlich gesehen – alle psychisch krank, wissen es aber nicht, weil es offensichtlich die Norm ist und zudem nicht extrem ausartet in Zerstörungsdrang oder ähnliches. Gegen die eigene Umwelt gerichtet ist ihre Aggression sicherlich nicht. Ich bin geneigt, von einer spezifischen Hyperbulie zu sprechen.« »Das sind die Nachteile der Halbbildung, Blödel.« Wider Willen mußte ich lachen, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Hältst du Katzulla und seine Artgenossen etwa für schwachsinnig?« »Nein, warum?« »Hyperbulie bedeutet eine krankhafte Steigerung des Willens bei Geisteskranken.« »Du siehst mich zerknirscht, Chef. Ich nehme diesen Begriff mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Brauchst du mich noch?« »Warum hast du es denn auf einmal so eilig?« »Ich muß zurück ins Labor.« »Willst du noch vergleichende Tests durchführen?« »Nein, dazu benötigen wir Vulnurer, die sich freiwillig zur Verfügung stellen. Das sollten wir in Angriff nehmen, wenn du deine Ruhephase beendet hast.« »Einverstanden, doch was willst du dann noch im Labor?« »Ich muß eine Speicherkorrektur vornehmen.« »Und aus welchem Grund?« »Es ist nur eine Kleinigkeit. Ich will einen Eingabefehler beseitigen.« Die Herumdruckserei machte mich hellhörig.
»Heraus mit der Sprache. Was willst du löschen?« »Hyperbulie«, gestand Blödel kleinlaut. Vor Vergnügen hieb ich mir auf die Schenkel. Mein allwissender Mitarbeiter hatte in seiner Selbstüberschätzung einen Fehler begangen, der ihn zum Gespött der Leute machte, wenn das herauskam. Nun hatte ich ihn endgültig in der Hand. »Es wäre mir sehr recht, wenn du dieses Lapsus vergessen könntest, Chef. Wirst du Stillschweigen darüber bewahren?« Mein selbstsicherer, wortgewandter Mitarbeiter wirkte auf einmal linkisch. »Wenn du willst, ändere ich auch noch Cyklotropin in Hagetropin ab.« »Nein, nein, das geht schon in Ordnung, aber denk dran: Ich werde Atlan die frohe Botschaft überbringen. Und gib bitte noch das Krankheitsbild ein – du weißt ja: ›Nockemann‐Syndrom‹.« Wie ein geprügelter Hund verließ Blödel meine Unterkunft, ich dagegen war mit mir und der Welt zufrieden. Das Ergebnis war ein schöner Erfolg. Wieder einmal war das Glück des Tüchtigen auf meiner Seite. Und dann die Bezeichnung Nockemann‐Syndrom – das zerging einem förmlich auf der Zunge! Wie banal klang da Pfeiffersches Drüsenfieber oder Basedowsche Krankheit. Nockemann‐Syndrom – was für ein herrlicher Begriff. Und alle Welt würde ihn übernehmen – Solaner, Vulnurer, Zyrtonier. Mein Name war unsterblich geworden. Welch ein Tag! 4. Objount hatte sich in sein Versteck zurückgezogen, doch er wußte, daß er auf Dauer hier auch nicht sicher war. Man machte Jagd auf ihn, die LUNGARETTE wurde systematisch durchsucht, überall patrouillierten Roboter, Bewaffnete hatten Posten bezogen. Seine Bewegungsfreiheit war so stark eingeschränkt, daß er sich fast wie ein Gefangener vorkam.
Durch stundenlanges Probieren war es ihm gelungen, die Frequenz ausfindig zu machen, auf der sich Solaner, Vulnurer und ihre Automaten untereinander verständigten. So war er in groben Zügen über das informiert, was sich im Schiff tat, und er hatte auch erfahren, daß sein Anschlag auf die Zentrale mißlungen war. Ein kurzer Funkkontakt mit Hool hatte ergeben, daß dieser ebenfalls noch keinen Erfolg gehabt hatte und zunehmend in die Defensive gedrängt wurde. Diese Meldung war nicht dazu angetan, seine Laune zu verbessern, denn der Roboter hatte den Vorteil, unsichtbar agieren zu können, und er war auf keine atembare Atmosphäre angewiesen. Deutlich wurde 4‐Page bewußt, wie mißlich seine Lage war. Ohne die Schutzkleidung wäre er schon längst gestorben, doch der Sauerstoffvorrat ging zur Neige. In spätestens sechs Stunden mußte er eine neue Katalysatorpatrone einsetzen, wenn er nicht ersticken wollte. Er war also gezwungen, ein Depot mit Raumanzügen zu finden oder in eine Ausrüstungskammer einzudringen, um sich mit den lebensnotwendigen Oxygenvorräten einzudecken. Das würde alles andere als einfach sein, denn bestimmt rechneten seine Gegner damit und hatten entsprechende Vorsorge getroffen. Immer deutlicher wurde ihm, daß er den Feind unterschätzt hatte. Die anderen verstanden nicht nur zu kämpfen, sondern sie waren zudem listenreiche Taktiker, die ihm geistig ebenbürtig waren, was ihre Führer betraf. Die Tatsache, daß das Schiff mit Stickstoff geflutet worden war, bewies, daß sie unorthodox denken und handeln konnten. Das, was er sich vorgenommen hatte, würde sich wohl nicht mehr verwirklichen lassen, darüber gab er sich keinen Illusionen hin, dennoch war seine Moral ungebrochen. Er würde kämpfen bis zum letzten Atemzug. Daß er wohl umkommen und Zyrton nie wiedersehen würde, war ihm bewußt geworden. Weitaus schmerzlicher war für ihn der Gedanke, daß ein Großteil seines Vernichtungspotentials unter den nun herrschenden
Bedingungen nicht mehr zu gebrauchen war. Es würde ihm nicht mehr gelingen, die Fremden von der LUNGARETTE zu vertreiben, den Raumer unbrauchbar zu machen oder gar zu zerstören. Als Saboteur hatte er kaum noch eine Chance, folglich blieben ihm eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten. Er konnte als Amokläufer danach trachten, dem Feind größtmöglichen Schaden zuzufügen, bevor ihn selbst das Schicksal ereilte, oder er versuchte sich als Heckenschütze. In beiden Fällen kalkulierte er seinen Tod ein, doch dann durchzuckte ihn auf einmal ein Gedanke, der ihm noch besser gefiel und der auch mehr Erfolg versprach: Er wollte die Stickstoffatmosphäre als Waffe gegen seine Gegner einsetzen, und zwar in Form von Säure. Daß Stickstoff bei gewöhnlicher Temperatur sehr träge reagierte, wußte er, doch das ließ sich ändern. Das Molekül N2 konnte durch elektrische Entladungen gesprengt werden und ging dann leicht Verbindungen mit anderen Elementen ein. Kurzschlüsse überall im Schiff, hervorgerufen durch eine Manipulation eines Hauptverteilers, mußten für seine Zwecke ausreichen. Es gab eine Säure des Stickstoffs mit der Formel HNO3, an der neben dem Nitrogenium noch Wasser‐ und Sauerstoff beteiligt waren. Salpetersäure war relativ aggressiv und griff sogar das verhältnismäßig edle Metall Kupfer an, zeigte aber kaum Wirkung, wenn es um Eisen oder Aluminium ging. Die oxydierende Wirkung der Säure war für die Passivierung verantwortlich, doch das interessierte ihn wenig. Es gab im Raumer genügend Stoffe, die von der Verbindung angegriffen wurden, so daß wichtige Einrichtungen zerfressen und vernichtet wurden. Zuerst mußte er zu den Tanks gelangen, die Sauerstoff und Wasserstoff enthielten, dann mußte er einen Hauptverteiler unbrauchbar machen. Ihm blieben noch knapp sechs Stunden, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, denn länger würde er nicht leben. Die Idee, sich eine neue Katalysatorpatrone zu beschaffen, hatte er aufgegeben. Zu groß war dabei die Gefahr, in eine Falle zu
tappen. Ein paar Minuten lang hörte er die von einem Translator übersetzten Gespräche und Meldungen seiner Verfolger ab, dann war er sicher, daß ihm keine unmittelbare Gefahr drohte. Fest entschlossen, sein Ziel zu erreichen, verließ er den Raum, der ihm als Versteck gedient hatte. * Hool unterlag keinen Stimmungsschwankungen wie ein Lebewesen. Daß er seinen Auftrag bisher noch nicht erfüllen konnte, belastete ihn daher nicht, allerdings erkannte er als logisch orientierte Maschine, daß es zunehmend schwieriger wurde, das zu erreichen, was sein Herr ihm aufgetragen hatte. Der Roboter hatte sich in der Nähe von Katzullas Unterkunft auf die Lauer gelegt, die von sechs Automaten bewacht wurde, vier weitere hielten sich in der unmittelbaren Umgebung auf. Zwar hatte sich gezeigt, daß er seinen solanischen Pendants überlegen war, doch mit einer solchen Überzahl konnte er es nicht aufnehmen. Er hatte aus den fehlgeschlagenen Angriffen gelernt. Derart spektakuläre Aktionen hatten ihm nur Mißerfolge beschert und dazu geführt, daß man auf ihn aufmerksam wurde. Mehr als einmal hatte er die Flucht ergreifen müssen, weil er von Automaten geortet worden war, und deshalb hütete er sich auch davor, anderen Robotern zu nahe zu kommen. Seine Tarnung war löchrig geworden, im Prinzip war er nur noch für die Solaner selbst unsichtbar. Das wußte er, und er hatte sich darauf eingestellt. Zeit war für ihn nur ein relativer Begriff. Geduldig wie eine Katze vor dem Mauseloch wartete Hool darauf, daß sich eine Gelegenheit bot, 666‐Page zu töten. Wieder einmal mußte er das Feld räumen, weil sich eine Kampfmaschine näherte. Hool kannte mittlerweile die gewöhnlich
zurückgelegte Distanz und verharrte an der gewohnten Stelle, doch diesmal machte der Roboter keinerlei Anstalten, stehenzubleiben und umzukehren, im Gegenteil, er bewegte sich weiter auf ihn zu, seine Waffenarme ruckten hoch. Während Hools Positronik noch zu ermitteln versuchte, ob es sich dabei um eine allgemein gehaltene Drohgebärde handelte, weil ein besonderer Umstand eingetreten war oder ob er erfaßt und angemessen worden war, registrierten die Sensoren des zyrtonischen Roboters, daß er angepeilt wurde. Er fuhr herum. Ein kastenförmiges Etwas, das auf breiten Walzen durch den Gang eilte, näherte sich ihm lautlos von hinten. Noch war die Maschine etwa zwanzig Meter von ihm entfernt, aber er ortete ein energetisches Feld, das von dem Kasten ausging. Es erfaßte den Flur in seiner ganzen Breite. Wie einen überlangen Fächerfühler »schob« der Apparat den unsichtbaren Tasterkegel vor sich her. Hool wußte, daß er entdeckt worden war. Da er die Kampfmaschine als den gefährlicheren Gegner einstufte, eröffnete er noch aus der Drehung heraus das Feuer auf sein solanisches Gegenstück, doch dessen Reaktionsvermögen war keinen Deut schlechter. Strahlenbündel rasten auf beide Automaten zu und hüllten sie in wabernde Lohe, der Korridor schien zu brennen. Umgeben von greller Glut standen sich die Roboter gleich Fackeln gegenüber, entfesselte Energien tobten durch ihre Schirme, unerträgliche Hitze breitete sich aus. Der Kunststoffbelag warf Blasen, Wandabdeckungen begannen, sich zu verformen. Inmitten dieses Infernos befanden sich die beiden tonnenschweren Kolosse, sie wichen und wankten nicht. Sie hatten sich in feuerspeiende Ungeheuer verwandelt, die nur noch ein Ziel kannten: Die Vernichtung des Gegners. Anfangs sah es nach einem Patt aus, aber dann zeigte die Kampfmaschine Wirkung. Ihr Individualschirm blähte sich auf, wurde instabil. Erste Treffer durchschlugen das Defensivsystem und trafen auf den ungeschützten Körper, faustgroße Löcher entstanden
in der Verkleidung. Die Bewegungen des Automaten wurden eckig und langsam, er taumelte. Noch einmal schien er sich aufbäumen zu wollen, dann war es um ihn geschehen. Eine donnernde Explosion zerriß seinen Rumpf. Auch der zyrtonische Roboter vermochte der kinetischen Energie der nachfolgenden Druckwelle nicht standzuhalten. Er wurde davongewirbelt und landete krachend auf dem Kasten, der sich unter seinem Gewicht in einen Haufen Schrott verwandelte. Die Luft schien zu kochen, Rauch wogte durch den Gangabschnitt, der von Zwielicht erfüllt wurde. Mehrere Leuchtplatten waren zerstört worden. Hool rappelte sich auf. Es hatte keinen Sinn mehr, zu fliehen, denn dann würde er seinen Auftrag nie mehr ausführen können. Das gelang ihm nur noch dann, wenn er den Gegner mit einer Offensive überrumpeln konnte. Zum Angriff entschlossen, wandte er sich in jene Richtung, in der Katzullas Kabine lag. Noch immer war er unsichtbar. * Ich hielt es nicht so lange im Bett aus, wie ich mir vorgenommen hatte. Kurz nach fünf Uhr wurde ich wach. Da ich sowieso nicht mehr einschlafen konnte, stand ich auf, machte mich in der Naßzelle ein wenig frisch und zog mich an. Ob Atlan schon auf den Beinen war? Ich brannte darauf, ihm von unserem Erfolg zu berichten, andererseits wollte ich aber seine Ruhe nicht stören. Auch ein Aktivatorträger hatte dann und wann ein Nickerchen nötig, und vielleicht war er ungehalten, wenn ich ihn weckte. Angesichts der Wichtigkeit der Nachricht setzte ich mich über alle Bedenken hinweg und wählte den Anschluß seiner Kabine. Der Ruf ging durch, doch es kam keine Verbindung zustande. Kurz entschlossen tastete ich den Kode der Zentrale ein. Das dunkle
Gesicht von Gus Travialto erschien auf dem Bildschirm. Er sah müde aus. »Guten Morgen, Gus.« »Morgen, Hage. Was gibt es?« »Weißt du, wo Atlan ist?« »Er ist hier. Willst du ihn sprechen?« Meine gute Laune bekam einen Knacks. Wenn ich etwas haßte, dann waren es dumme Fragen. »Natürlich, oder hast du gedacht, ich will ihm etwas vorsingen?« »Ätzend wie immer, unser Scientologe«, sagte er griesgrämig. »Du hast wohl wieder Säure genascht, wie?« »Nein, aber gleich kommt mir die Galle hoch bei deinem schwarzen Humor. Gib mir endlich Atlan.« »Willst du wissen, ob es etwas Neues gibt?« »Nein, ich meine, ja. Weißt du Neuigkeiten?« Er grinste. »Nein.« »Idiot!« schimpfte ich, doch da war sein Abbild schon erloschen. Das Bild des Arkoniden stabilisierte sich. »Guten Morgen, Hage. Seit wann gehörst du denn zu den Frühaufstehern?« »Immer, wenn die Pflicht ruft. Ich kann dir von einem Erfolg berichten.« »Laß hören. Gute Nachrichten sind in den letzten Tagen selten geworden.« Ich ließ mich nicht lange bitten und erzählte ausführlich, was wir herausgefunden hatten. Dabei hielt ich nicht damit hintern Berg, welche besondere Rolle meine Kenntnisse und Erfahrungen dabei gespielt hatten. Der Aktivatorträger hörte aufmerksam zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. »Es sind noch einige Tests erforderlich, aber ich denke, daß wir auf der richtigen Spur sind. Jetzt stellt sich nur noch das Problem, daß wir einige Vulnurer als Freiwillige benötigen.«
»Darum werde ich mich persönlich kümmern«, versprach Atlan. »Ihr bekommt jegliche Unterstützung. Wenn eure Erkenntnisse sich bestätigen – und daran zweifle ich nicht –, habt ihr uns einen großen Schritt weitergebracht. Wir müssen dann nur noch einen Weg finden, um das Ergebnis auch nutzbringend zu verwerten.« »In dieser Hinsicht habe ich mir auch bereits Gedanken gemacht, und ich glaube, daß sich meine Idee realisieren läßt.« »Kann ich Einzelheiten erfahren?« »Im Augenblick möchte ich noch nicht darüber reden. Der Plan hat noch keine konkreten Formen angenommen.« »Verstehe. Gut Ding will Weile haben.« »Äh – ja, ganz recht. Wenn du nichts dagegen hast, mache ich mich nun auf den Weg ins Labor.« »Gut. Bis später.« Der kleine Bildschirm wurde dunkel. Ich schaltete das Gerät ab und ging zur Kabinentür. Als ich sie öffnete, trompeteten mir zwei Roboter ein »Guten Morgen, Hage!« ins Ohr. Im ersten Moment zuckte ich vor Schreck zurück, doch dann fiel mir wieder ein, daß die beiden Automaten vor meiner Unterkunft Wache gehalten hatten. »Morgen, Jungs. Auf gehtʹs!« Die Kampfmaschinen nahmen mich in die Mitte. Ich wußte nicht, ob ich mich über ihre Begleitung freuen oder ärgern sollte. Zum einen bedeutete ihre Anwesenheit eine gewisse Sicherheit, zum anderen war aber auch das genaue Gegenteil der Fall. Wer Leibwächter benötigte, war in der Regel eine wichtige Persönlichkeit. Das traf bei mir selbstverständlich zu, doch es mußte nicht so offenkundig gemacht werden, daß ein Attentäter förmlich mit der Nase darauf gestoßen wurde. Jedenfalls war ich meines Lebens nicht sicher, solange dieser Zyrtonier an Bord der MJAILAM sein Unwesen trieb. Mir war jedenfalls recht mulmig zumute, als ich durch die Gänge marschierte, und immer wieder ertappte ich mich dabei, daß ich
mich umsah oder in Abzweigungen spähte, ob da niemand lauerte, der mir ans Leder wollte. Einigermaßen sicher fühlte ich mich erst, als sich das Schott zum Labor hinter mir schloß. Meine Begleiter blieben draußen. Sie gesellten sich zu den drei Kampfmaschinen, die vor dem Eingang Posten bezogen hatten. Außer Blödel und einem Kampfroboter war niemand anwesend. Mein Mitarbeiter wollte mich gerade mit Details vertraut machen, als die Rundrufanlage ertönte. »Durchsage für Sektor IV. Bleibt in euren Unterkünften und verriegelt die Türen. Wer sich auf den Fluren aufhält, soll sofort den nächstgelegenen Raum aufsuchen. Wir haben den Eindringling aufgespürt, er hält sich im besagten Bereich auf. Vorsicht! Er setzt rücksichtslos seine Waffen ein. Den Anordnungen der Sicherheitsorgane ist unbedingt Folge zu leisten. Für Sektor IV wird Gefahrenstufe 4 ausgegeben, ich wiederhole: Gefahrenstufe 4 für Sektor IV. Weitere Informationen folgen bei Bedarf.« Sektor IV – das war der Wohnbereich. Nicht nur meine Kabine befand sich dort, sondern auch die von Daug, Borallu und – Katzulla. Mir wurden die Knie weich, wenn ich daran dachte, daß ich dort noch vor wenigen Minuten gewesen war. Zitternd ließ ich mich in einen Sessel sinken. Blödel reichte mir ein Glas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Dankbar nahm ich das Gefäß, trank einen Schluck – und schoß hoch. Ich hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen, Hustenanfälle schüttelten mich, ich spuckte und würgte, meine Augen tränten. In meinem Magen mußte sich flüssige Lava befinden. »Wasser!« röchelte ich. »Wasser – schnell!« Ich erkannte nicht, wer mir da was in die Hand drückte. Wie ein Verdurstender entriß ich dem unbekannten Samariter den Behälter und schüttete das kühle Naß in mich hinein. Fast augenblicklich verspürte ich Linderung, dennoch trank ich weiter. Das Feuer in mir erlosch allmählich, mein Blick klärte sich. Ein wenig befremdet setzte ich den Erlenmeyerkolben ab.
»Was war darin?« »Eiswasser, Chef.« »Ich meine in dem Glas, das du mir zuerst angeboten hast.« »Medizinischer Alkohol mit einem Schuß Aqua destillata.« »Um ein Haar hättest du mich vergiftet, du Narr!« schrie ich ihn an. »Weißt du nicht, daß medizinischer Alkohol ungenießbar ist?« »Ich weiß nur, daß er vergällt ist; aber nicht tödlich wirkt – in Maßen genossen natürlich.« Entnervt sank ich in meinen Sitz zurück. Was sollte man darauf erwidern? * Hool hatte vergeblich versucht, die Phalanx der solanischen Roboter zu durchbrechen, um Katzulla zu töten. Zwei Gegner hatte er ausschalten können, aber dann mußte er der Übermacht weichen. Nun befand er sich auf der Flucht, doch wie sein Herr hatte er noch nicht aufgegeben. Seine Programmierung war eindeutig: Er müßte seine eigene Existenz schützen und bewahren, denn nur dann konnte er seinen Auftrag durchführen, andererseits war auch eine Kombination beider Möglichkeiten denkbar. Er mußte sich opfern, wenn er durch seine eigene Vernichtung das erreichen konnte, was ihm befohlen worden war. Der zyrtonische Roboter hastete durch einen Korridor, der ihm zumindest äußerlich vertraut war. Nunmehr kamen ihm die Ortskenntnisse zustatten, die er sich verschafft hatte. Insofern waren seine Verfolger kaum im Vorteil, dennoch befand er sich in der schlechteren Position, denn er war allein, und man versuchte, ihn einzukreisen. Ein Solaner kam auf ihn zu. Mit weitausholenden Schritten spurtete der Zweibeiner durch den Gang. Er war unbewaffnet und wäre gegen ihn geprallt, wenn Hool nicht zur Seite gewichen wäre.
Das bewies ihm, daß seine Tarnung immer noch ihren Zweck erfüllte. Aus dem gleichen Grund verzichtete er auch darauf, den Gegner zu töten. Sein körpereigenes Instrumentarium arbeitete auf Hochtouren. Er war kein gewöhnlicher Automat, sondern eine Konstruktion, die ähnliche Qualitäten besaß wie die Pagen, schließlich hatte Objount ihn nicht umsonst mitgenommen. Der Flur gabelte sich. Er wandte sich nach links, denn die rechte Abzweigung führte zu einem Verteiler, der mit Sicherheit stark bewacht war. Als er in den Seitengang einbiegen wollte, maß er plötzlich Automaten an, die aus dieser Richtung kamen. Sehen konnte er sie noch nicht, aber der Intensität der Strahlung nach mußte es sich um einen ganzen Trupp handeln. Notgedrungen entschloß er sich zur Umkehr und lief zurück. Hool kam nicht weit. Bevor er das Gangende erreichte und untertauchen konnte, kamen ihm vier Kampfmaschinen entgegen. Nun saß er in der Falle, denn von hinten rückten die anderen heran und schnitten ihm den Weg ab. Schon zuckten die ersten Energiebahnen durch den Flur. Der zyrtonische Roboter wußte, daß er keine andere Wahl hatte, als anzugreifen. Wie vom Katapult geschnellt schoß er nach vorn und löste seine Waffen aus. Die Schirme der vier Roboter leuchteten auf, doch er selbst erhielt ebenfalls erste Treffer. Die Automaten schossen Punktfeuer und versuchten so, sein Defensivsystem zu überlasten und auszuschalten. Seine Positronik erkannte die Gefahr sofort und veranlaßte ihn, sich im Zickzack fortzubewegen. Die anderen waren nur noch wenige Meter entfernt, und es war ihm noch nicht gelungen, einen zu eliminieren. Lange würde sein Schutzschirm die auftreffenden Energien nicht mehr neutralisieren können. Pausenlos prasselten die vernichtenden Strahlen auf ihn hernieder. Er hatte nur noch dann eine Chance, wenn es ihm gelang, durchzubrechen.
Aus vollem Lauf prallte er gegen einen Widersacher. Verwirrende Farbspiele durchzogen die Individualschirme, Überschlagblitze tauchten die Szenerie in stechend weißes Licht. Es roch nach Ozon und verschmortem Kunststoff, urweltliche Geräusche erfüllten den Gang, als die Giganten zusammenstießen. Die solanische Kampfmaschine wurde zur Seite geschleudert, als hätte sie ein Bulldozer gerammt. Hool verlor durch die Wucht des Zusammenpralls die Kontrolle über sich. Wie ein Kreisel wirbelte er über den Boden und landete, vom eigenen Schwung getragen, krachend an einer Wand, wurde erneut herumgerissen und kämpfte taumelnd um sein Gleichgewicht. Mit kurzen Feuerstößen versuchte er, die Gegner auf Distanz zu halten. Robotern war ein Überraschungsmoment fremd. Sie stellten sich sofort auf die neue Situation ein. Gleißende Energiebahnen verließen ihre Waffenarme, trafen auf den Schutzschirm des Eindringlings und brachten ihn zum Leuchten. Schlieren durchzogen ihn, er wurde instabil, pulsierte – und dann brach er zusammen. Da sich der vermeintliche Zyrtonier als ein Automat entpuppte, gab es für die Kampfmaschinen keine Veranlassung das Feuer einzustellen, zumal sich Hool immer noch erbittert wehrte. Sein Schicksal war besiegelt. Die Salven trafen seinen ungeschützten Körper, schmolzen und rissen die Verkleidung auf, zerstörten das komplizierte Innenleben. Der Roboter ruckte herum, Detonationen erschütterten ihn. Aus seinem Rumpf quoll Rauch, prasselnde Kurzschlüsse tanzten wie Elmsfeuer über bloßliegende kybernetische Elemente. Er war nur noch ein Wrack, aber er kämpfte noch mit der Verbissenheit eines wilden Tieres, das in die Enge getrieben worden war. Ein Körpersegment beulte sich auf und zerplatzte mit einem heftigen Knall. Es wurde förmlich weggesprengt, dann explodierte der restliche Körper. Eine schwefelgelbe Stichflamme schoß hoch, Teile der Deckenverkleidung stürzten zu Boden. Kiloschwere Bruchstücke wurden davongeschleudert, Kunstglieder und Teile
davon wirbelten umher, ein Hagel aus Trümmern, Splittern und zerfetzten Schalteinheiten prasselte auf die Kampfmaschinen herab. Heiße Luft orgelte durch den Flur, brüllende Turbulenzen rissen den übelriechenden Qualm auseinander und trieben ihn wie dunkle Gewitterwolken vor sich her. Lachen von verflüssigtem Kunststoff bildeten sich auf dem Boden, giftige Dämpfe stiegen auf. Wandabdeckungen waren herausgerissen oder deformiert worden, aus einer geborstenen Leitung entwich zischend Abwasser, ein Interkomanschluß hatte sich in einen unförmigen Klumpen verwandelt. Lumineszenzplatten hingen wie abstrakte Kunstwerke herab, andere waren bis zur Unkenntlichkeit verformt und energetisch tot. Diffuses Licht beleuchtete diesen Ort der Zerstörung, Rauch und Dampf vereinigten sich zu Nebelschwaden, die der Szenerie einen Hauch von Unwirklichkeit gaben. Für Kampfmaschinen existierten jedoch keine Stimmungsbilder, sie orientierten sich ausschließlich an der Realität. Sie hatten einen Feind gestellt und unschädlich gemacht, damit war ihr Auftrag beendet. Per Funk meldeten sie ihren Erfolg und marschierten ab. Für Aufräumungsarbeiten und Untersuchungen waren sie nicht zuständig. 5. Über Rundruf wurden wir darüber informiert, daß es sich bei dem Attentäter um einen zyrtonischen Roboter gehandelt hatte, der vernichtet worden war. Das erklärte natürlich, warum ihn die Telepathen nicht hatten aufspüren können. Nun, da die Bedrohung nicht mehr bestand, konnten wir viel gelöster weiterarbeiten. Katzulla, Daug und Borallu waren zu uns gestoßen. Blödel hatte noch in der Nacht ein Präparat entwickelt, das direkt auf die Protocerebrum‐Drüse wirkte und die Cyklotropin‐Produktion fast zum Erliegen brachte. Dieses Medikament verabreichten wir den
Vulnurern, die sich als Versuchspersonen zur Verfügung gestellt hatten. Das Ergebnis war umwerfend im wahrsten Sinne des Wortes. Unsere friedlichen Freunde verwandelten sich in wahre Teufel – aggressiv, hinterhältig und bösartig. Sie hausten wie die Vandalen und verwickelten uns in Prügeleien. Es war meinem Assistenten mit seinen Bärenkräften zu verdanken, daß wir uns hinterher nicht mit gebrochenen Gliedern in einem Medo‐Center wiederfanden. Immerhin war das der letzte Beweis für das Nockemann‐Syndrom. Wir injizierten sofort synthetisiertes Cyklotropin. Binnen weniger Minuten wurden aus den Berserkern wieder harmlose Wesen, die es nicht fassen konnten, daß sie sich wie Rowdys aufgeführt hatten. Es war durch automatische Kameras aufgezeichnet worden. Katzulla, der einen Selbstversuch mit der Zufuhr des Hormons unternahm, berichtete, daß er sich so ausgeglichen fühlte wie nie zuvor in seinem Leben, frei und unbeschwert, ja geradezu euphorisch. Alle fünf waren wir uns einig, daß die Ergebnisse des Experiments zwar Überreaktionen waren, die Richtigkeit unserer Forschungen jedoch eindeutig belegt wurde. Überreaktionen deshalb, weil wir bei den Vulnurern einen Eingriff in den Hormonhaushalt vorgenommen hatten, wie er so extrem kaum auf natürliche Weise eintreten konnte. Und anders als die Zyrtonier, die seit Generationen unter Cyklotropinmangel litten, reagierten die Bekehrer auf den Hormonmangel mit einer ausgeprägten psychischen Störung, die sich als Zerstörungsdrang zeigte. Bevor wir daran denken konnten, das Cyklotropin in größeren Mengen herzustellen und praktisch anzuwenden, mußten wir einen Weg finden, um zu den Zyrtoniern zu gelangen, und das bedeutete, daß wir uns erst einmal mit der genetisch verankerten energetischen Schwingung beschäftigen mußten. Dazu benötigten wir Zellmaterial von Katzulla, der sich auch bereitwillig eine Probe entnehmen ließ. Wieder begannen die Untersuchungen.
* Nach etwa zwölf Stunden intensiver Arbeit hatten Blödel und ich es geschafft. Daß es relativ schnell gegangen war, verdankten wir unseren guten Vorkenntnissen. Wir mußten nicht mehr jede Kleinigkeit ergründen und konnten auf bereits durchgeführte Tests zurückgreifen. Die Schwierigkeiten, die wir zu meistern hatten, waren folgende: Wir mußten diesen Stoff künstlich herstellen und dafür sorgen, daß er über die Blutbahn im ganzen Körper verteilt wurde. Dabei mußten wir beachten, daß er stabil blieb, also weder durch biologische oder biochemische Abwehrmechanismen zerstört wurde noch eine Verbindung mit Substanzen im Organismus einging und sich so selbst neutralisierte. Der Stoff mußte ins Innere der Zelle gelangen, durfte aber ihre Stoffwechselabläufe nicht stören. Wir mußten verhindern, daß er als Baustein in die Produktion der Zelle einbezogen wurde, kurz: Wir mußten eine Art organisches Neutron schaffen mit den Eigenschaften eines Elektrons. Bei den Vulnurern hatten wir in dieser Hinsicht kaum Probleme, nachdem wir die Voraussetzungen erst einmal geschaffen hatten, schwierig wurde es bei mir und Blödels Plasmazusatz, aber wieder einmal bewies er sein besonderes Format als mobile Laborpositronik. Der sechsundachtzigste Versuch brachte den gewünschten Erfolg. Unsere Biofrequenz entsprach exakt dem Schwingungsniveau eines Zyrtoniers, und sie blieb, wie sich später ergab, auf Tage hinaus stabil. Damit waren die Voraussetzungen dazu geschaffen, den Wall des Zyrton‐Systems zu durchdringen. Nun wurde das zurückgestellte Problem wieder akut, wie das Cyklotropin angewendet werden sollte, um die Zyrtonier zu befrieden. Eine Massenbehandlung oder Anwendung in Tablettenform war völlig illusorisch und schied daher aus. Wir mußten eine Möglichkeit finden, möglichst viele Zyrtonier
gleichzeitig zu erreichen. Das ging nur über eine orale Zufuhr, indem das Hormon beispielsweise unter die Nahrung gemischt oder dem Trinkwasser zugeführt wurde, aber gab es eine zentrale Versorgung auf den Planeten des Zyrton‐Systems? Es gab eine, wie mir Katzulla versicherte, und zwar betraf sie das Trinkwasser. Seines Wissens wurden weder keimtötende Mittel noch irgendwelche Chemikalien zugesetzt, doch den Härtegrad wußte er nicht. Auch Kalk und Mineralien konnten Reaktionen hervorrufen, ebenso wie ein erhöhter Säuregehalt. Nun ja, damit mußten wir leben. Einigermaßen befriedigt stellte ich die Möglichkeiten zur Diskussion, die wir hatten. Zwei Voraussetzungen waren zu erfüllen: Das Wasser durfte die Wirksamkeit des Hormons nicht beeinträchtigen, und das Cyklotropin mußte in die Blutbahn gelangen, aber dosiert. Eine Depotwirkung sollte erreicht werden, doch das setzte sowohl eine gewisse Unverdaulichkeit als auch eine bestimmte Säureresistenz voraus. Die Verdauungsorgane mußten die präparierte Verbindung aufspalten, aber so, daß die wirksamen Proteine erhalten blieben. Optimal wäre eine Flüssigkeit gewesen, doch in einem solchen Fall war eine Depotwirkung nicht zu erreichen. Der Körper würde das Hormon in kurzer Zeit abbauen, und damit war uns nicht gedient. Blieb nur noch die Pulverform. Wassertrübungen durften nicht dadurch hervorgerufen werden, es mußte transparent, geruch‐ und geschmacklos sein, und die Körnung durfte Mikrobengröße nicht überschreiten, damit das Präparat beim Trinken nicht als Fremdkörper gespürt wurde. Alle waren meiner Meinung, daß letzteres die beste Lösung war, vorausgesetzt, eine entsprechende Verfahrenstechnik zur Produktion konnte gefunden werden. Blödel sah da keinerlei Schwierigkeiten und versicherte, innerhalb mehrerer Stunden einige Kilogramm Cyklotropin herstellen zu können. Da die Zyrtonier anders als die Vulhurer nicht an die Wirkung des Hormons gewöhnt waren, reichte nach unseren Berechnungen ein Kilogramm
für fünf bis sechs Millionen Erwachsene. »Es wird also eine Art Spontanheilung eintreten«, sagte Daug, der Emulator, »aber es ist doch wohl so, daß die Zyrtonier nach einer gewissen Zeit auf eine erneute Zufuhr des Cyklotropins angewiesen sind, oder irre ich mich da?« »Nein, das ist richtig. Ich denke, daß die Zyrtonier, erst einmal positiv geworden, sich in dieser Hinsicht selbst helfen werden. Die Ursache des Nockemann‐Syndroms und die Formel des Hormons sind ja nun bekannt.« »Gut, Hage, dann bleiben noch die, die noch nicht geboren wurden. Die Nachkommen werden ja wohl wieder negativ, denn der genetische Befehl zur ausreichenden körpereigenen Produktion dieses Hormons ist in den Erbanlagen nicht verankert.« Der Vulnurer blickte mich mit seinen irisierenden Facettenaugen an. »Ich halte es persönlich für einen unhaltbaren Zustand, daß sie, ihre Kinder und Kindeskinder diese Substanz als eine Art Medikament lebenslang einnehmen müssen. Wer will dafür garantieren, daß die übernächste Generation, für die das alles Geschichte ist, auch das tut, was ihre Väter für gut hielten?« »Eine gute Frage, Daug, über die Blödel und ich uns auch schon Gedanken gemacht haben. Unsere Überlegungen gingen dahin, eine Spontanmutation durch manipulierte Viren hervorzurufen, aber die Sache ist so wohl kaum zu verwirklichen.« Ich stand auf und ging einige Schritte auf und ab. »Zum besseren Verständnis muß ich etwas weiter ausholen. Grob vereinfacht kann man sagen, daß ein Virus nur aus einer Eiweißhülle und der Erbanlage in Form von Nukleinsäure besteht. Er gelangt, leblos und ohne eigenen Stoffwechsel – im Gegensatz zur Bakterie – in den Körper, entledigt sich der Hülle und fügt das eigene Erbmaterial in das der Zelle ein, in die es eingedrungen ist. Die befallene Zelle vermag den Eindringling nicht als fremd zu erkennen und produziert – von der fremden Nukleinsäure gezwungen – neue Viren. Sind einige Dutzend bis einige Hundert davon entstanden, geht die Zelle
zugrunde, und das Virenreservoir schwärmt aus, um sich neue Zellen zu suchen.« »Warum nun ausgerechnet Viren?« erkundigte sich der Emulator. »Man merkt, daß dir diese Materie ein wenig fremd ist so wie mir früher auch. Für mich als ausgebildeten Galakto‐Genetiker war die Virologie damals nur ein Randgebiet, als Scientologe habe ich mich damit näher befaßt.« »Wir Scientologen sind eben Universalgenies«, warf mein Mitarbeiter ein. Ich mußte über seinen Eifer lächeln. Der gute Blödel! »Zurück zu den Viren. Sie sind zum Teil ausgesprochene Spezialisten, die sich auf bestimmte Zelltypen wie etwa Nervenzellen konzentrieren, doch es gibt keine, die Ei‐ oder Samenzellen befallen. Der Grund ist einleuchtend: Beide haben jeweils nur den halben Chromosomensatz, sind für sich also nicht teilungsfähig und ungeeignet zur Reproduktion von Viren. Da uns kein Virus bekannt ist, das sich darauf spezialisiert hat, gerade befruchtete Eizellen zu befallen, dürfte die von uns bevorzugte Spontanmutation so nicht erreichbar sein – wenn überhaupt.« »Aber es gibt diese Viren!« riefen Katzulla und Borallu wie aus einem Mund. Völlig perplex starrte ich die beiden an, selbst meinem Mitarbeiter hatte es die Sprache verschlagen. »Wo gibt es diese Viren?« stieß ich krächzend hervor, und Blödel rief mit seiner knarrenden Stimme: »Ein Königreich für ein solches Virus!« Katzulla und Borallu redeten beide zugleich, so daß ich so gut wie nichts verstand. Erst als sich beide darauf einigten, daß nur einer sprach, klappte es. So erfuhren wir, daß diese Spezies tatsächlich existierte, denn sowohl Vulnurer als auch Zyrtonier kannten diese Viren. Da es ein aussichtsloses Unterfangen war, sie gänzlich auszurotten, hatten Ärzte und Forscher einen Impfstoff entwickelt, mit dem weibliche Nachkommen gleich nach dem Schlüpfen
immunisiert wurden. Und allen Anstrengungen zum Trotz konnten die Zyrtonier keinen Erfolg vermelden, und auch unseren Freunden war es noch nicht gelungen, diesen unliebsamen Bewohnern der drei Heimatschiffe den Garaus zu machen, im Gegenteil: Die resistent gewordenen Keime trotzten sowohl den eigens präparierten Luftfiltern als auch den Desinfektionsmitteln. Zwar kam es aufgrund der vorbeugenden Maßnahmen nicht mehr zu Mißbildungen der Schlüpfenden, dennoch war es das alte Lied. Jeder Kampf war zu gewinnen, nur nicht der im Mikroskop. Anders als sonst waren wir diesmal ausnahmsweise nicht traurig darüber. Immerhin erntete ich merkwürdige Blicke, als ich in der Zentrale anrief und einen Kubikmeter Luft von der HEUTE anforderte. * Das Glück war auf unserer Seite, denn es gelang uns, vier Viren herauszufiltern. Da es sich um ausgesprochene Spezialisten handelte, bestand keine Gefahr, daß Solanerinnen erkranken konnten. Selbst wenn sich in unserer Mannschaft eine Frau befand, die schwanger war oder neues Leben in sich trug, ohne daß sie es wußte, konnte nichts passieren. Dieser Virus war nicht auf den Menschen übertragbar, und da meine insektoiden Partner alle männlichen Geschlechts waren, erübrigten sich spezielle Sicherheitsvorkehrungen auch in dieser Hinsicht. Obwohl ich todmüde war, hielt ich aus und beteiligte mich an den Untersuchungen. Als erstes suchten wir unter den zwei Millionen Genen jenen Abschnitt heraus, der für die Produktion des Cyklotropins verantwortlich war, dann manipulierten wir ein Virus und beraubten es zum Teil seiner Erbanlagen, die wir durch Vulnurer‐Gene ersetzten. Folgende Eigenschaften blieben dem Kunst‐Virus noch erhalten: Die Auffindung der gerade befruchteten Eizelle, das Eindringen und die Anweisung an das Zellmaterial zum
Virennachbau. Da letzteres unerwünscht war, behandelten wir das Erbmaterial der Viren durch gezielte Bestrahlung. Die befallene Zelle konnte somit keine Virus‐Nachbaubefehle mehr bekommen. Das Virus drang nur noch in die Zelle ein, setzte das künstliche, aber dominante Erbmaterial frei und hatte damit ausgespült. Anders als Bakterien, die sich im Blut aufhalten und sich selbst durch Teilung vermehren, dringen Viren so schnell wie möglich in Zellen vor, sind also für die Antikörper im Blut also nur schlecht zu erwischen. Dennoch beugten wir für den Fall der Fälle vor und schufen noch eine Art Trojanisches Pferd, indem wir einen anderen Virenstamm in gleicher Weise präparierten. Auch diese Viren kannten sowohl Vulnurer als auch Zyrtonier. Wir reduplizierten beide Arten in einer Zellkultur und erhielten so auch eine gewisse Zahl von Bastarden, die in einer anderen Verpackung auftraten, also in die Eiweißhülle des anderen Virenstamms schlüpften, ihre Erbanlagen jedoch behielten. Der Grund für unser Tun war relativ einfach: Die körpereigene Abwehr orientiert sich nur an der Art des körperfremden Eiweißprodukts. Hat beispielsweise der Körper Immunstoffe gebildet, die Typ A vernichten, so ist die Wahrscheinlichkeit gering, daß das Individuum an Typ A erkrankt. Tritt Typ A aber in der Hülle von Typ B auf, kann A sich durchmogeln, und das Lebewesen erkrankt trotzdem an Typ A. Die Vermehrung der Viren im großen Stil überließ ich Blödel und den Laboreinrichtungen. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, als ich endlich meine Kabine aufsuchte. Total geschafft fiel ich in mein Bett und schlief sofort ein. * Objount geriet allmählich in Panik. Seit Stunden hatte er vergeblich versucht, seinen Plan zu realisieren, sein Sauerstoffvorrat reichte nur
noch für zwanzig Minuten. Immer wieder hatte er sich verbergen oder zurückziehen müssen, weil Patrouillen auftauchten oder Absperrungen mit einem starken Aufgebot von Sicherheitskräften ein Durchkommen unmöglich machten. Nur der Tatsache, daß er über die Örtlichkeiten genau Bescheid wußte, verdankte er es, noch nicht gefaßt worden zu sein. Die Umwege, die er dabei in Kauf genommen hatte, ließen sich schon in Kilometern ausdrücken. Aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Starrsinnig hielt er daran fest, sein Ziel doch noch zu erreichen. Die Stickstoffatmosphäre in der LUNGARETTE mußte in Salpetersäure verwandelt werden. Es war die einzige Möglichkeit, die ihm noch blieb, um dem Feind wirkungsvoll zu schaden, deshalb hatte er auch auf spektakuläre Aktionen verzichtet. Heimlich wie ein Dieb war er durch das Schiff geschlichen, obwohl der Zyrtonier mehr als einmal die Gelegenheit dazu gehabt hatte, einige der verhaßten Vulnurer und Solaner zu töten. Trotz der Kamikaze‐Mission war das Verhalten von 4‐Page vom Verstand geprägt. Das hatte sich in den letzten Minuten ein wenig geändert. Er wußte, daß er eine neue Katalysatorpatrone benötigte, wenn er letztendlich doch noch seine selbstgestellte Aufgabe erfüllen wollte. Und das wollte er um jeden Preis. Mit angespannten Sinnen pirschte er vorwärts, sichernd wie ein Raubtier im Dschungel. Die Funksprüche der Fremden waren als Informationsquelle praktisch versiegt. Zwar konnte er sie nach wie vor empfangen, aber sie waren quasi verschlüsselt und wimmelten von Bezeichnungen, die ihm nichts sagten. Selbst die Übersetzung war in gewisser Weise noch kodiert. Mit Meldungen wie »Ebene 7 – 8, Sektor 3 erreicht!« vermochte er nichts anzufangen, deshalb hatte er sein Gerät abgeschaltet. Offensichtlich ging die Gegenseite davon aus, daß er mithören konnte. Der Korridor, den Objount durchquerte, war schmal und nur spärlich beleuchtet. Es handelte sich um eine der zahlreichen Verbindungen zwischen den Hauptfluren und war relativ
bedeutungslos. Wichtige Einrichtungen waren auf diesem Weg nicht zu erreichen, doch der Zyrtonier benutzte sie oft und schätzte sie als Ausweichmöglichkeit. Vorsichtig spähte er um die Ecke. Der Gang, der vor ihm lag, wirkte wie ausgestorben. Er witterte eine Falle und überlegte, ob er sich zurückziehen sollte, als er den Roboter am linken Ende des Flurs ausmachte. Seine Körperfärbung war mit der des Schottes, vor dem er stand und hinter dem sich ein Ausrüstungsdepot befand, nahezu identisch. 4‐Page spürte so etwas wie Heiterkeit in sich aufsteigen. Fast wäre er auf diesen plumpen Trick hereingefallen. Ein warnendes Summen ertönte und erinnerte ihn mit schmerzlicher Deutlichkeit daran, daß er nur noch für zehn Minuten Sauerstoff mit sich führte. Er gab sich keinen Illusionen hin. Wenn es ihm nicht jetzt und hier gelang, sich eine neue Patrone zu beschaffen, war es aus mit ihm – er hatte versagt. Diese Schmach wog für ihn schwerer als der eigene Tod. Warum hatte Hool sich noch nicht gemeldet? Objount versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, doch der Roboter meldete sich nicht. Ein böser Verdacht keimte in ihm auf. Zwar war es denkbar, daß ein Defekt am Gerät dafür verantwortlich war oder Funkverkehr aus irgendwelchen Gründen derzeit nicht möglich war, aber eine solche Annahme war wohl mehr hypothetischer Natur. Weitaus wahrscheinlicher war, daß Hool trotz seiner optimalen Ausrüstung vernichtet worden war. Hatte er sich geopfert, um Katzulla zu töten, oder war er zerstört worden, bevor er seinen Auftrag erfüllen konnte? Der Zyrtonier hatte ein ungutes Gefühl. Wäre es nicht besser gewesen, wenn sie zusammengeblieben wären? Wenn Hool keinen Erfolg gehabt hatte und ihm das gleiche Schicksal beschieden war, endete die Mission mit einem Fiasko. Dazu durfte es nicht kommen. Vom Ehrgeiz beflügelt und mit der Angst im Nacken, zu versagen, stürmte Objount los. Es ging nicht nur um seine Ehre, sondern auch um die der Pagen und um den Anspruch der Zyrtonier, unbesiegbar
zu sein. Der Automat würde ihn nicht aufhalten. Er zog die Antireflex‐Folie über die transparente Sichtscheibe und schleuderte dem noch knapp einhundert Meter entfernten Robot eine Lichtbombe entgegen. Für ein paar Sekunden erfüllte gleißendes Leuchten den Gang. Gegen diesen grellen Schein verblaßte jede Sonne, Optiken wurden kurzfristig unbrauchbar, der Gesichtssinn von Lebewesen war sogar für ein paar Minuten ausgeschaltet. Die Kampfmaschine hüllte sich in ihren Schutzschirm. 4‐Page hielt das für eine Geste der Hilflosigkeit und rannte weiter, darauf vertrauend, daß der Roboter geblendet war. Und aus vollem Lauf eröffnete er das Feuer auf das Synthowesen. Das Abwehrfeld leuchtete auf. Schon wollte Objount triumphieren, als die Maschine zurückschoß und er auch einen Wirkungstreffer erhielt. Sein Individualschirm verkraftete die Belastung beinahe mühelos, aber ihm ging auf, daß auch der Gegner gelernt hatte. Vermutlich orientierte sich der Automat mittels seines Instrumentariums anhand der Energieortung. Das hatte der Zyrtonier nicht einkalkuliert. Pausenlos betätigte er den Auslöser seines Strahlers, Salve um Salve traf den Schirm des Automaten. Schon zeigte er Auflösungserscheinungen. Einem Bombardement solch energiereicher Strahlung war er auf die Dauer nicht gewachsen, dagegen blieb das Defensivsystem von 4‐Page relativ stabil, obwohl sich der Roboter verbissen wehrte. Es störte den Zyrtonier nicht, daß er mehrmals das Schott traf, weil der Automat im letzten Moment ausweichen konnte, denn er sah sich als Sieger in diesem Kampf. Und er behielt recht. Der Schutzschirm des Robots wurde überlastet und brach zusammen, der nächste Treffer fällte ihn regelrecht. Krachend ging er zu Boden und rührte sich nicht mehr. Mit einer gewissen Befriedigung stapfte Objount über ihn hinweg. Er wußte, daß er keine Zeit zu verlieren hatte, denn Automaten
meldeten gewöhnlich jede Kleinigkeit, ganz gewiß aber eine bewaffnete Auseinandersetzung. Der Zyrtonier war sicher, daß das Tor von der Zentrale aus verschlossen war und versuchte daher erst gar nicht, den normalen Öffnungskontakt zu betätigen. Er legte den verborgen angebrachten Notschalter um, der die Flügelhälften entriegelte und eine preßluftbetriebene Hydraulik aktivierte. 4‐Page konnte das Zischen der komprimierten Luft hören, doch es tat sich nichts. Zuerst glaubte er an einen Defekt des Hilfssystems, doch dann erkannte er die eigentliche Ursache für das Versagen. Zwei Fehlschüsse von ihm hatten die beiden Stahlplatten miteinander verschweißt. Wie betäubt stand er da, seine Gedanken schienen gelähmt, Haß erfaßte ihn, Haß auf sich selbst. Ohne daß es ihm recht bewußt wurde, desaktivierte er seinen Individualschirm, er nahm nicht wahr, daß die Sauerstoffreserve nur noch für drei Minuten reichte. Er hatte total versagt. Dafür gab es keine Entschuldigung, und so zog er die für ihn einzig mögliche Konsequenz: Er richtete den Strahler auf sich selbst und löste ihn aus. Objount war sofort tot. 6. Wir waren darüber informiert worden, daß der Zyrtonier, der sein Unwesen in der LUNGARETTE IV getrieben hatte, Selbstmord begangen hatte. Den Grund dafür konnte ich mir denken: Er hatte den Freitod gewählt, weil er uns nicht in die Hände fallen wollte. Ich an seiner Stelle hätte da zwar ganz anders gehandelt, aber das stand ja nicht zur Debatte. Tatsache war, daß wir uns nun nicht mehr vor einem Attentäter fürchten mußten. Eine faustdicke Überraschung hatte Katzulla parat. Er hatte die Leiche gesehen und den Toten als Objount identifiziert, einen der ranghöchsten Pagen überhaupt. Das brachte mich auf eine famose Idee. Daug, Borallu, Blödel und Katzulla selbst waren von meinem
Einfall begeistert, ihn mit ein paar Hilfsmitteln und Bioplast äußerlich in 4‐Page zu verwandeln. Das erhöhte die Erfolgschancen unseres waghalsigen Plans. Wir Wissenschaftler waren darin übereingekommen, dem Zyrton‐ System an Bord der LUNGARETTE IV einen Besuch abzustatten. Natürlich wollten wir keine Höflichkeiten austauschen, sondern die aggressiven Planetarier befrieden – auf unsere Weise. Alle wichtigen Voraussetzungen dazu waren erfüllt. Es konnte eigentlich kein Mißtrauen erregen, wenn 4‐Page mit dem zurückeroberten Schiff seines Volkes auftauchte. Die Durchdringung des Walls war kein Problem mehr, da wir unsere Körper auf die entsprechende energetische Schwingung eingestellt hatten. Erst einmal vor Ort, ergab sich mit Sicherheit die Möglichkeit, unser künstliches Cyklotropin zum Einsatz zu bringen. Da es erst nach und nach in das Versorgungsnetz gelangte, würde die Wirkung nach etwa achtundvierzig Stunden einsetzen. In pausenloser Tag‐ und Nachtarbeit hatte der unermüdliche Blödel unter Einbeziehung der Laboreinrichtungen die stolze Menge von 148 Kilogramm des Pulvers hergestellt, dabei betrug der eigentliche Wirkstoffgehalt eineinhalb Zentner. Diese fünfundsiebzig Kilogramm des Hormons bewirkten eine positive Änderung von 450 Millionen Zyrtoniern. Das war so gut wie ausreichend, denn nach Katzullas Bekunden zählte sein Volk knapp eine halbe Milliarde Köpfe. Insgeheim wunderte ich mich über die Verhältnismäßig geringe Bevölkerungszahl, auf der anderen Seite war ich froh darüber. Sowohl die Rohstoffe als auch die Produktionskapazität waren begrenzt. Mittlerweile verfügten wir über ein Reservoir von Billiarden von Kunst‐Viren, die wir sofort einsetzen konnten. Desweiteren hatten wir fünfundzwanzig Zuchtstationen gebaut, die wir auf den Planeten absetzen wollten. Sie waren so konstruiert, daß sie täglich Millionen über Millionen der mutierten Viren in die Atemluft entweichen ließen. Sie würden
noch arbeiten müssen, bis auch die Neugeborenen zu Greisen geworden waren, die sich nicht mehr fortpflanzen konnten. Erst dann war sichergestellt, daß es keine negativen Zyrtonier mehr geben würde. Insofern hatten wir also alles durchdacht, nun mußte nur noch Atlan seine Zustimmung zu dem Unternehmen geben. In dieser Hinsicht war es eine harte Nuß, die Blödel und ich knacken wollten. Wir suchten ihn in der Zentrale auf und trugen ihm unser Anliegen vor. Wie ich befürchtet hatte, stand er unserem Plan recht skeptisch gegenüber, seine Körperhaltung verriet Ablehnung. »Das ist ein Himmelfahrtskommando, Hage.« »So gesehen, ist schon das Aufstehen ein Risiko. Man kann umknicken und sich den Knöchel brechen«, widersprach ich. »Das ganze Leben steckt voller Gefahren. Du solltest das am besten wissen.« »Schon, aber es widerspricht meinen Prinzipien, daß andere für mich die Kastanien aus dem Feuer holen sollen.« »Was redest du denn da?« fragte mein Mitarbeiter respektlos. »Von Feuer haben wir nichts gesagt, und deine Kastanien oder wie die Dinger heißen, interessieren uns überhaupt nicht. Oder doch, Chef?« »Nun hör schon mit dem Unsinn auf. Atlan hat bildlich gesprochen und gemeint, daß wir für ihn die Haut zu Markte tragen.« »Diesen barbarischen Brauch mache ich nicht mit«, entrüstete sich Blödel. »Wenn ich mir vorstelle, daß ich deine Haut über dem Arm hängen habe und sie anbieten soll … Wo befindet sich ein solcher Markt überhaupt?« Angesichts seiner Naivität kamen mir fast die Tränen. »Das ist nur eine Redensart, du Einfaltspinsel!« herrschte ich ihn an. »Verschone uns endlich mit deinen albernen Bemerkungen!« »Ei der Daus, die Szene wird zum Tribunal.« »Ich habe dir schon hundertmal verboten, diese blöden Zitate zu
benutzen!« »Seit wann ist Schiller blöd?« Mein Assistent zwirbelte seinen grünen Plastikbart. »Ah, Chef, ich verstehe, du hältst es mit Goethe: Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.« Am liebsten hätte ich diesem dummen Blech‐Rezitator einen Tritt versetzt, beherrschte mich jedoch, da ich in dieser Hinsicht schmerzhafte Erfahrungen gemacht hatte. »Mußt du mich ständig bis aufs Blut reizen?« schrie ich entnervt. »Das war nicht meine Absicht, Chef. Soll ich einen Medo rufen?« »Nein, du hirnloser Tölpel! Du sollst nicht alles wörtlich nehmen!« Ich kochte innerlich, mein Blutdruck mußte eine schwindelerregende Höhe erreicht haben. »Du schweigst auf der Stelle, oder ich vergesse mich!« Blödel wedelte mit den Armen und deutete hinter mich. Wütend fuhr ich herum. Wenn dieser Komiker es gewagt hatte, mich noch einmal zu veralbern, dann war sein Schicksal als Scientologe besiegelt. Ich würde ihn demontieren lassen, zu einem Wartungsroboter degradieren oder ihn dem Schrott zuführen, ich würde … Warum sahen die mich alle so merkwürdig an? Einige schüttelten den Kopf, vorwurfsvolle Blicke trafen mich, die Gesichter drückten Mißbilligung aus. Noch immer zornig, wollte ich sie schon anfahren, warum sie Maulaffen feilhielten, anstatt zu arbeiten, als mir aufging, daß meine lautstarke Zurechtweisung ihre Konzentration gestört haben mußte. Ein wenig peinlich war mir das schon, daß alle mitgehört hatten, doch andererseits hatte ich wie jeder Solaner das Recht, zu brüllen, wann und wo ich wollte. Wenn diese sogenannten Raumfahrer so dünnhäutig waren, daß sie schon bei ein wenig Lärm die Fassung verloren, waren sie fehl am Platz. Von wegen Spezialisten! Fachidioten waren sie, die mir nicht einmal im Dutzend das Wasser reichen konnten. Und dumm, wie sie waren, hielten sie wahrscheinlich zu dieser Null von einem Assistenten, waren jedoch zu feige, sich offen mit mir anzulegen. Ja, mein
glasklarer Verstand war gefürchtet, meine geschliffenen Antworten waren von bestechender Logik diktiert. Die Solaner, die meinem Genius gewachsen waren, konnte ich an einer Hand abzählen. Für diese Kleingeister hier im Raum hatte ich nur ein verächtliches Lächeln übrig. Hoch erhobenen Hauptes wandte ich mich um. Der Metallnarr reichte mir eine bedruckte Folie. Widerwillig nahm ich sie und las: HIER SIND WIR VERSAMMELT ZU LÖBLICHEM TUN. BLÖDEL. »Davon habe ich bei dir noch nichts bemerkt«, giftete ich. »Und außerdem bist du ein infamer Lügner. Dieser Spruch stammt nicht von dir, sondern von Goethe. Oder willst du das bestreiten? Antworte gefälligst!« »Danke für die erteilte Sprecherlaubnis, Chef. Du hast mir verboten, Zitate zu benutzen, und da habe ich diesen Text gewählt in der Hoffnung, daß du ihn nicht kennst«, gestand dieser Wichtigtuer kleinlaut. »Aha, du hast also versucht, mich hinters Licht zu führen!« »Aber die Lumineszenzplatten …« »Fang nicht schon wieder mit der Wortverdreherei an«, sagte ich erbost. »Tatsache ist, daß du mich täuschen wolltest, und das ist dir nicht gelungen. Wann begreifst du endlich, daß ich dir überlegen bin? Ich bin in der alten Literatur durchaus bewandert und kenne auch dieses Werk ›Ergo bibamus‹. Weißt du, was das übersetzt heißt?« »Also laßt uns trinken!« »Richtig, aber dieses Motto mißfällt mir. Hier findet kein Gelage statt, sondern eine ernsthafte Diskussion. Ich erwarte stichhaltige Argumente und Fakten, aber keine Clownerien.« Plötzlich fiel mir ein, wie ich ihn zur Räson bringen konnte. »Denk an Hyperbulie.« »Zurück zum Thema«, sagte Blödel schnell. »Es ist ja so, daß der Vorstoß ins Zyrton‐System nicht von Abenteurern geplant wurde, sondern von uns Scientologen und drei anderen ernstzunehmenden Wissenschaftlern. Gemeinsam haben wir das Für und Wider
sorgfältig abgewogen und sind zu der Überzeugung gelangt, daß das Risiko durchaus kalkulierbar ist und unsere Erfolgschancen größer sind als fünfzig Prozent. Vergiß nicht, daß ja offiziell 4‐Page mit der LUNGARETTE zurückkehrt, und das wiederum ist ein Raumer der Zyrtonier.« Er gab das Äquivalent eines Lachens von sich. »Sozusagen ein Trojanisches Pferd auf solanisch.« »Genau. Stell dir vor, ein Kreuzer käme von einer Mission zurück, die Breiskoll geleitet hat, und nun, bei der Rückkehr, meldet Bjo sich als Kommandant. Würdest du mißtrauisch, würdest du vermuten, daß Bjo in Wirklichkeit gar nicht er selbst ist?« »Natürlich nicht, doch völlig überzeugt bin ich immer noch nicht«, brummte der Arkonide. »Es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um den Zyrtoniern beizukommen. Und dazu noch auf friedlichem Weg, ohne Blutvergießen.« Ich nickte beifällig. Blödels Argumentation gefiel mir. »Außer uns fünf wird die Besatzung nur aus Vulnurern bestehen, weil sie leichter auf den genetischen Kode umzustellen sind. Alle Vorbereitungen sind abgeschlossen. Ein Wort von dir, und wir können starten.« »Gut, ich stimme zu, aber ihr könnt mir glauben, daß mir diese Entscheidung nicht leicht fällt.« »Wir rechnen auch nicht damit, daß es ein Ausflug wird, dennoch bin ich zuversichtlich, daß wir es schaffen werden und heil zurückkommen.« Ich war völlig von dem überzeugt, was ich sagte. »Ich glaube, nur selten zuvor waren die Voraussetzungen für einen Erfolg so optimal wie bei diesem Unternehmen. Vor allem Borallu und Katzulla haben uns bei unserer Arbeit sehr geholfen.« Daug trat zu uns. Von mir unbemerkt hatte er die Zentrale betreten. »Konntest du dreihundert Freiwillige auftreiben?« »Dreihundert?« Der Emulator bewegte heftig seine Fühler. »Alle haben sich gemeldet, als sie hörten, daß es gegen die Zyrtonier geht.
Ich habe die besten ausgewählt. Sie haben die Substanz bereits geschluckt, sind also entsprechend präpariert. Können wir fliegen?« »Ja, Atlan hat eingewilligt.« »So ist das also.« Der Arkonide drohte schelmisch mit dem Finger. »Hinter meinem Rücken habt ihr bereits alles in die Wege geleitet, um mit vollendeten Tatsachen Druck auf mich auszuüben. Und da sage noch mal jemand, Wissenschaftler verstünden nichts von Politik und Taktik.« »Blödel, gib Atlan die Ampullen!« Mein Mitarbeiter öffnete eine Klappe in seinem Leib und händigte dem Aktivatorträger zweiundzwanzig kleine Behälter aus. Überrascht sah er mich an. »Diese Ampullen enthalten die Substanz, die eine Durchdringung des undurchdringlichen Walls ermöglicht, also die energetische Zellschwingung eines Zyrtoniers hervorruft. Wir haben sie vorsorglich hergestellt, zu mehr reichten die Ausgangsstoffe nicht. Verwahre sie gut, vielleicht werden sie noch einmal gebraucht.« Atlan streckte mir seine Rechte entgegen. Ich nahm seine Hand und drückte sie fest. »Hage, dir und deinen Begleitern wünsche ich alles Gute und viel Erfolg. Kommt gesund und munter zurück.« »Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, würde ich gar nicht erst starten. Bis bald!« Begleitet von Blödel und Daug verließ ich den Raum. Meine Gedanken eilten voraus, vor meinem geistigen Auge sah ich schon die vulnurerische Besatzung bei den Startvorbereitungen. Die Worte des Emulators kamen mir in den Sinn – alle seines Volkes wollten an dieser Expedition teilnehmen, als sie hörten, was unser Ziel war. War das der Schlüssel, der innere Antrieb dazu, daß sie in der Vergangenheit immer wieder versucht hatten, andere Arten zu bekehren? Ging es nicht in Wahrheit um die Bekehrung der Zyrtonier, hatten sie nicht einfach nur das Bestreben der Lichtquelle falsch interpretiert? So mußte es wohl sein, denn anders war die
Bereitschaft unserer Freunde auf den drei Generationenschiffen nicht zu erklären. Daugs Artgenossen würden mit Eifer bei der Sache sein. * Die Mannschaft, die Daug zusammengestellt hatte, war wirklich ein Team von Könnern. Alles klappte wie am Schnürchen, sie beherrschte das Schiff, als hätten sie nie auf einem anderen Raumer Dienst getan. Seit rund sechs Minuten waren wir unterwegs. Der 27. September 3808 war noch jung. Exakt um 1.00.00 Uhr hatte ich den Startbefehl gegeben. Außer Katzulla, Daug, Borallu, Blödel und mir befanden sich neben den dreihundert Vulnurern noch knapp einhundert Roboter an Bord. Sie alle besaßen keinen Plasmazusatz, waren also relativ einfache Modelle, die Hilfsdienste verrichteten. Die zyrtonischen Automaten hatten wir sicherheitshalber desaktiviert. Wir wollten verhindern, daß einer von ihnen plötzlich Amok lief, weil er von 4‐Page manipuliert worden war, und eine Programmüberprüfung war zeitlich zu aufwendig. Ich war aufgeregt, mein Herz klopfte bis zum Hals. Katzulla, der Objount jetzt bis zur Fühlerspitze glich, hatte zwar versichert, daß die Passage des undurchdringlichen Walls körperlich nicht zu spüren war, aber für mich war es das erste Mal und mithin ein Erlebnis ganz besonderer Art. Die LUNGARETTE IV war in den Hyperraum übergewechselt. Ich hatte mich um die technischen Details nicht gekümmert, doch meines Wissens betrug die Überlichtetappe rund vierzig Lichtjahre, vielleicht sogar etwas mehr. In dieser Hinsicht verließ ich mich völlig auf Katzulla und die Piloten. Insgeheim bewunderte ich die Umsicht, mit der 666‐Page zu Werke ging. Er strahlte die Ruhe aus, die ich nicht hatte. Es war
nicht so, daß ich ein Mißlingen befürchtete, nein, dazu hatten wir alles zu gut vorbereitet und durchdacht, was mich nervös machte, war eine Art Lampenfieber. Das, was wir vorhatten, war für mich so etwas wie eine Premiere, denn anders als früher trug ich die Verantwortung für das Unternehmen. Ich konnte meine Kollegen um Rat fragen, doch letztendlich lag die Entscheidung bei mir. »Rückkehr in den Normalraum in elf Sekunden!« Was mochte Blödel jetzt wohl denken? Ich blickte zu ihm hinüber. Nach Katzullas Angaben und den Rekonstruktionen anhand der Trümmerstücke von Objounts Begleiter hatten solanische Spezialisten ihn äußerlich in einen zyrtonischen Roboter verwandelt. Sein Translator war mit diesem Idiom gespeichert worden wie unsere auch, doch bei ihm war noch ein Steuergerät zwischengeschaltet, das seine Stimme der typischen Tonhöhe der Zyrtonier anpaßte. Alle Aufnahmegeräte, die jemand anders als ihn oder Katzulla zeigen konnten, waren abgeschaltet worden. Ich lauschte in mich hinein, ob eine Veränderung zu spüren war. Hatten wir den Wall schon durchdrungen, oder geschah das gerade in diesem Augenblick? Für einen Augenblick glaubte ich ein feines Kribbeln auf der Haut zu spüren, aber das war wohl nur ein Streich, den mir meine Nerven spielten. Himmel, warum legte sich diese verdammte Aufregung nicht endlich? Die nebligen Schlieren verschwanden schlagartig von sämtlichen Bildschirmen, der feurige Glutball einer Sonne war zu sehen. Elf winzige Punkte, von den Tastern ermittelt und als rechnergestützte Aufnahme wiedergegeben, zeigten die Positionen der Planeten. Wir hatten den Sperrgürtel tatsächlich überwunden, ohne auch nur das geringste davon zu bemerken! Das Bild, das sich uns bot, überraschte niemanden. Katzulla hatte uns umfassend informiert, aber auch er wußte nicht alles. Zyrton, den Regierungssitz, hatte er uns ebenso beschrieben wie Gautan, Persijigg, seine Heimat, und Munntson. Von den Welten eins bis vier und neun bis elf wußte er so gut wie nichts. Sie schienen ein
Geheimnis zu bergen, denn der Zutritt war nur den ranghöchsten Pagen bis zur Zahl 32 gestattet. In dieser Hinsicht mußte er vorsichtig sein, denn er trat nun als 4‐Page auf, und der wußte natürlich, was es mit den zur Sperrzone erklärten Himmelskörpern auf sich hatte. Das Funkgerät sprach an. Objount alias Katzulla ging auf Empfang. Auf einem Monitor, der als reines Wiedergabeelement mit dem Primärschirm gekoppelt war, erkannte ich einen Zyrtonier. »Ich grüße dich, Merzzen.« »4‐Page«, kam es überrascht zurück. »Du hast es also tatsächlich geschafft.« »Hast du daran gezweifelt, 13‐Page?« »Nein, nein«, beeilte sich Merzzen zu versichern, »aber nach dem, was sich zugetragen hat, war nicht mehr mit deiner Rückkehr zu rechnen. Um so mehr freue ich mich, daß du nicht nur dich, sondern auch das Beiboot retten konntest.« Er neigte sich zur Seite. »Ich höre gerade, daß 211‐Page die LUNGARETTE per Fernsteuerung übernehmen und landen kann. Bist du dazu bereit?« Ich winkte heftig ab. Alles durfte geschehen, nur das nicht. Hoffentlich verstand mich Katzulla und erinnerte sich daran, was abgesprochen war und er zum Teil selbst vorgeschlagen hatte. Warum, zum Teufel, starrte er den anderen einfach nur an und sagte nichts? Jedes Zögern erweckte nur unnötigen Verdacht. Verzweifelt bedeutete ich ihm per Handzeichen, endlich zu reden. »Ist Ul‐Horz zufällig da?« »Nein, warum?« Ich spürte, daß meine Hände feucht wurden. Was war nur los mit Katzulla? Warum stellte er sich auf einmal so ungeschickt an? Hatte er Hemmungen, oder fühlte er sich überfordert? Hatte die Gegenseite bereits Verdacht geschöpft? »Weil der neue Rat der Pagen damit fast wieder komplett ist.« »Ja, bis auf Katzulla. Er hat versagt«, stellte 13‐Page nüchtern fest. »Dein Verdacht war berechtigt.«
»Er hat seinen Verrat mit dem Leben bezahlt. Mein Roboter hat ihn getötet.« »Gut so. Ist Hool bei dir?« »Hool? Ach so, Hool – natürlich ist er hier. Ohne ihn hätte ich es kaum geschafft, die LUNGARETTE in meinen Besitz zu bringen.« »Er hat auch besondere Qualitäten.« Merzzen gab sich erheitert. »Soll Ul‐Horz übernehmen?« Erleichtert atmete ich auf. Das wäre fast schiefgegangen. Immerhin kannten wir nun den Namen des Automaten. »Nein, ich kreuze noch eine Weile. Unsere Feinde haben ein paar Bomben im Schiff versteckt. Zwei konnten bereits entschärft werden, aber ich will warten, bis die Roboter auch den letzten Winkel durchsucht haben. Ich will nicht riskieren, daß der Raumer bei der Landung explodiert.« »Ich werde dafür sorgen, daß du abgeholt wirst und Spezialisten an Bord gehen.« Das war nun ganz und gar nicht in unserem Sinn. Katzulla blieb kaltblütig. »Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen. Ich bleibe, bis die Gefahr beseitigt ist.« »Aber du bist gefährdet. Dein Leben ist wichtiger als …« »Ich bleibe. Eine Sache, die ich einmal begonnen habe, pflege ich auch zu Ende zu führen.« »Warum bist du so uneinsichtig?« »Ich verbitte mir jegliche Kritik an meiner Handlungsweise. Oder muß ich dich erst an meinen Rang erinnern, 13‐Page?« »Nein, 4‐Page, ich habe verstanden«, entgegnete Merzzen steif. »Kann ich sonst noch etwas für dich tun?« »Im Augenblick nicht. Ich melde mich wieder.« Katzulla trennte die Verbindung. »Anfangs hatte ich Angst, daß es schiefgehen würde, aber dann hast du deine Rolle sehr überzeugend gespielt«, lobte ich. »Ich kenne Objount und seine herrische Art, denn wir haben
zusammengearbeitet – zumindest habe ich das geglaubt!« stieß der Zyrtonier wütend hervor. »Merzzen und Ul‐Horz gehörten auch zu dieser Gruppe. Daß sie mir mißtrauten und hinter meinem Rücken ein Komplott geschmiedet haben, habe ich eben erst erfahren. Diese hinterhältigen Typen wußten also, daß 4‐Page mich heimlich überwacht und an Bord des LUNGAR TRONS war. Ich hätte nicht übel Lust, mit ihnen das zu tun, was sie mir zugedacht haben, diese Intriganten.« »Du darfst dich jetzt nicht von Rachegefühlen leiten lassen, Katzulla«, sagte Daug ernst. »Die Stunde der Vergeltung ist nicht mehr fern, doch sie wird anders sein als Mord und Krieg.« »Ja, du hast recht. Wir werden es ihnen zeigen, aber anders, als sie es erwarten. Laßt uns beginnen!« Ich blickte auf einen der großen Bildschirme. Wir näherten uns Munntson, dem achten Planeten. Es handelte sich um eine der drei Wohnwelten. Gut terragroß, war die Oberfläche meist bewaldet und von unzähligen Binnenseen bedeckt – eine Kugel, die aus blauen und grünen Flicken zusammengesetzt war. * Wir hatten eine Anzahl von Explorern präpariert, die mit autarken Untereinheiten ausgerüstet waren. Sie enthielten nicht nur die automatisch arbeitenden kleinen Labors zur Virenproduktion, sondern auch einen Behälter mit aktiven Kunst‐Viren nebst einigen Kilogramm Cyklotropin. Unser Vorhaben war im Grunde genommen einfach. Wir würden diese Satelliten ausschleusen, und ein automatischer Zünder würde ihre Hülle sprengen, sobald ein Kontakt mit der Atmosphäre zustande kam. Offiziell handelte es sich dabei um eine der von Katzulla bereits erwähnten Bomben, die an Bord nicht unschädlich zu machen waren.
Die Explosion war in Wirklichkeit nur ein Ablenkungsmanöver, damit den vermeintlichen Trümmerstücken möglichst wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Diese wie deformiert aussehenden kleinen Brocken enthielten die Labors und das synthetisierte Hormon, während die von uns gezüchteten Viren gleich freigesetzt wurden. Winzige, selbständig arbeitende Antigraveinrichtungen verhinderten, daß die Mini‐Fabriken und der unregelmäßig gestaltete Container auf dem Boden zerschellten. Unsere Geräte hatten wir mit einer Menge mikropositronischer Elemente vollgestopft. So hatten wir die Steuerkomponente des Behälters mit dem cyklotropinhaltigen Pulver nicht nur nach Katzullas Angaben mit den Koordinaten der zentralen Wasserversorgung programmiert, sondern noch zusätzlich einen automatischen Suchkopf installiert. Damit ausgestattet, war der Erfolg selbst dann gewährleistet, wenn ein System ausfallen sollte. Auch die Labors verfügten über spezielle Sensoren. Sie sprachen auf ausgedehnte Wasserflächen mit einer Fließgeschwindigkeit von 0,02 m/sec an. Untergetaucht, so daß sie hoffentlich niemand fand, würden sie Viren produzieren. Ganz bewußt hatten wir als flugfähige Einheiten zyrtonische, spezielle dazu geschaffene Vollrobots gewählt, während Zünder und Sprengstoff solanischen Ursprungs waren. Alles sollte so echt wie möglich wirken, damit kein Argwohn erweckt wurde. Schließlich hatte auch ein Mächtiger wie 4‐Page keinen Freibrief für das, was er tat. Und wie es aussah, war trotz gegenteiliger Beteuerungen kein Page des anderen Freund. Ich jedenfalls hatte den Eindruck, daß Merzzen kritisch verfolgen würde, was der angebliche Objount tat, dennoch war ich zuversichtlich. Fünf hochkarätige Wissenschaftler hatten sich zu einem Gedankenkartell zusammengeschlossen. Wer war 13‐Page, daß er dieser Verbindung von Intelligenz und Wissen trotzen konnte?
* Kaum, daß die beiden ausgeschleusten Explorer wie geplant gesprengt worden waren, sprach das Funkgerät an. Ich wollte nicht mehr Hage Nockemann heißen, wenn das nicht Merzzen war – und richtig, so war es auch. 13‐Page kam gleich zur Sache. »Warum hast du zwei Satelliten ausgeschickt und über Munntson zur Explosion gebracht?« »Seit wann gehört es zu deinen Aufgaben, mich zu überwachen?« entgegnete Katzulla kühl. »Es geht nicht um dich, sondern um die Sicherheit der Bevölkerung von Munntson, für die ich verantwortlich bin. Das gilt auch für die anderen Planeten«, kam es barsch zurück. »Ich warte noch auf deine Antwort.« »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.« »In meiner derzeitigen Funktion als System‐Controller kann ich auf Aufklärung bestehen, andernfalls bin ich gezwungen, den Vorfall zu melden.« »Du weißt genau, 13‐Page, daß du mir damit nicht drohen kannst, dennoch will ich dir Auskunft geben, damit du erkennst, wie lächerlich du dich mit deinem Argwohn machst«, sagte Katzulla herablassend. »Die Vollrobots transportierten solanische Bomben, die an Bord nicht entschärft werden konnten.« »Mit dieser Erklärung kann ich mich nicht zufriedengeben. Warum steuerten sie ein Wohnwelt an und starteten nicht in den freien Raum?« »Es handelte sich um Sprengkörper von ähnlicher Beschaffenheit wie unsere Katalysator‐Kapseln. Reicht dir das?« Mein zyrtonischer Kollege machte seine Sache wirklich gut, doch der andere blieb hartnäckig. »Mit derartigen Aktionen gefährdest du Unbeteiligte. Das ist unzulässig. Sofern noch Bomben oder Blindgänger gefunden werden, sind sie an Bord einer Funkboje zu schaffen, die
ausgeschleust wird. Sie ist auf der nachfolgenden Position zu verankern.« Merzzen rasselte eine Anzahl von Koordinaten herunter. »Ein Robotkommando wird sie dort unschädlich machen.« »Du vergreifst dich im Ton, 13‐Page!« fauchte Katzulla. »Ich habe meine Vorschriften. Du kennst sie ebensogut wie ich.« »Hör auf, zu versuchen, mich zu belehren und mir Befehle zu erteilen. Wenn hier einer Anordnungen gibt, bin ich es, verstanden?« »4‐Page, ich muß dich darauf aufmerksam machen, daß es in meinem Ermessen liegt, ob ich die dir eingeräumten Privilegien akzeptiere oder ablehne. Null‐Page hat diese Entscheidung getroffen, da mit deiner Rückkehr kaum noch zu rechnen war.« Jetzt hatte Merzzen die Katze aus dem Sack gelassen. Das war natürlich eine unangenehme Überraschung, die unseren Plan über den Haufen werfen konnte. Ein Objount ohne die seiner Stellung angemessene Autorität war nicht mehr viel wert. Katzulla erfaßte das sofort. »Aber nun bin ich wieder da, und damit ist die Order hinfällig.« »Bis jetzt ist die Anweisung noch nicht widerrufen worden.« »Ich warne dich, Merzzen. Wenn du versuchst, falsches Spiel zu treiben, werde ich dich vernichten. Gib mir Null‐Page, ich will selbst mit ihm sprechen.« »Null‐Page ist nicht zu erreichen. Er hat sich mit Chybrain an einen geheimgehaltenen Ort zurückgezogen, um diesen zu verhören.« »In dieser Hinsicht kann ich Null‐Page behilflich sein. Vor seinem Tod hat Katzulla gestanden, Unterlagen zurückgehalten und versteckt zu haben. Es handelt sich um Informationen, die der Gefangene ihm gegeben hat.« »Sage mir, wo sie zu finden sind. Ich werde das Nötige veranlassen und die Unterlagen weiterleiten.« »Ich denke, du kennst den Aufenthaltsort von Null‐Page nicht, oder sollte ich mich verhört haben?« fragte Katzulla lauernd.
»Nein, ich weiß nicht, wo er sich zur Zeit befindet, aber seine Administration ist bestimmt informiert. Also?« »Ich mißtraue dir, 13‐Page. Hool wird mit einem Beiboot Persijigg anfliegen, um das Material sicherzustellen, und er wird es zu mir bringen. Ich erwarte, daß du ihn unbehelligt läßt. Ich werde die Aktion vom Raum aus überwachen.« »Gut, ich akzeptiere unter der Bedingung, daß die Bodenkontrolle von Persijigg den Flug steuert und das Schiff landet.« »Einverstanden.« Der Bildschirm wurde dunkel. Es war still im Raum, niemand sprach. Auch ich hing meinen Gedanken nach. Katzulla hatte uns gestanden, daß er Chybrain gefangengenommen hatte, doch nach Merzzens Aussage befand er sich inzwischen in der Gewalt von Null‐Page, dem ranghöchsten Zyrtonier. Angeblich hatte ihn nie jemand zu Gesicht bekommen, so daß niemand wußte, wer sich dahinter verbarg, aber die Vermutung lag nahe, daß ein anderer Page der große Unbekannte war. Wie wir Chybrain helfen sollten, wußte ich beim besten Willen nicht. Etwas besser sah es da schon mit der Bekämpfung des Nockemann‐ Syndroms aus. Mehrere Rafferimpulse waren eingegangen, die belegten, daß die Geräte sicher gelandet waren und ihre Arbeit aufgenommen hatten. Die Mutation der Zyrtonier auf Munntson war damit eingeleitet. Der Dümmste mußte aufmerksam werden, wenn wir bei jedem Planeten die gleiche Taktik anwandten. Wir waren übereingekommen, bei Persijigg auf ein Beiboot zurückzugreifen, und Katzulla hatte es ja auch geschickt verstanden, einen solchen Einsatz plausibel zu machen. Da der Raumer geopfert werden mußte, gingen lediglich einige Roboter an Bord. Die einzige Fracht waren unsere präparierten Trümmerstücke. Persijigg war die zweite Wohnwelt, deren Bevölkerung positiv durch das Cyklotropin und die Viren beeinflußt werden sollte. Sorgen bereitete mir das Verhalten von 13‐Page. Er war das
Mißtrauen in Person und beobachtete unser Tun mit Argusaugen. Das wäre an und für sich nicht weiter schlimm gewesen, aber durch die Anordnung Null‐Pages fühlte er sich »unserem« Objount gleichrangig, wenn nicht sogar überlegen. Damit hatten wir nicht gerechnet. Merzzens selbstherrliches Auftreten ließ in mir den Verdacht aufkeimen, daß er in Wirklichkeit dieser geheimnisvolle Null‐Page war. Schon wollte ich dieses Thema zur Sprache bringen, als ich Katzulla sagen hörte: »Ich habe Chybrain gefangengenommen, und ich werde ihn auch wieder befreien.« »Und wie willst du das anstellen?« erkundigte sich Blödel. »Im Alleingang, denn ihr dürft nicht gefährdet werden. Ich habe da schon eine Idee, die sich realisieren läßt.« »Willst du keine Einzelheiten nennen?« fragte Borallu. »Nein. Ihr würdet bestimmt nicht zustimmen.« »Niemand von uns darf jetzt einen Fehler begehen, sonst ist unsere Mission gescheitert«, beschwor ich den Freund. »Merzzen steckt voller Argwohn, und er wird unseren Plan mit allen Mitteln vereiteln, wenn er erst einmal Verdacht geschöpft hat. Laß uns wenigstens über dein Vorhaben diskutieren, um Schwachstellen aufzudecken.« »Ich werde Chybrain auf Zyrton aufspüren und ihm die Freiheit wiedergeben. Mehr habe ich nicht dazu zu sagen.« »Nun sei doch nicht so stur«, drang Daug in ihn. »Es ist löblich, daß du einen Fehler wiedergutmachen willst, aber der Verstand muß das Handeln diktieren und nicht das Gefühl.« »Die Entfernung zu Persijigg beträgt noch vierhundertfünfzigtausend Kilometer.« Irrte ich mich, oder vibrierte Katzullas Stimme tatsächlich ein wenig? »Das Beiboot wird in fünf Sekunden geschleust.« Groß und deutlich zeichnete sich seine Heimat auf den Schirmen ab. Stimmte ihn die relative Nähe dazu wehmütig, bewirkte der Anblick etwas in ihm, etwas wie Reue, Melancholie, Mitleid? Oder
war es ein Zufall, daß er ausgerechnet hier auf den Einfall kam, Chybrain zu befreien? Ich seufzte lautlos. Es war schon nicht einfach, einem Körper seine Geheimnisse zu entreißen, aber ich fühlte mich manchmal regelrecht hilflos, wenn es darum ging, psychische Vorgänge deutlich zu machen und zu entschlüsseln. Noch immer gab uns das komplizierte Seelenleben Rätsel auf. Und das galt besonders für die Gemütsverfassung eines positiv gewordenen Zyrtoniers. * Fünfzehn Kilometer über dem geplanten Zielhafen sprengte der eingebaute zyrtonische Mechanismus das Raumschiff auseinander. Sofort funkte Katzulla Merzzen an. Das Abbild des Zyrtoniers erschien auf dem Schirm. Bevor 13‐Page ein Wort hervorbringen konnte, fuhr der vermeintliche Objount ihn an. »Das war dein letzter Streich, 13‐Page. Diesmal bist du zu weit gegangen. Null‐Page hat dir nie und nimmer die Vollmacht gegeben, ein zyrtonisches Beiboot abzuschießen, zumal es in meinem Auftrag unterwegs war. Du wolltest Hool unschädlich machen, um zu verhindern, daß er mir die Unterlagen übergibt …« »Wovon redest du überhaupt? Der Raumer …« »Versuche nicht, dich herauszureden. Dein krankhafter Ehrgeiz hat dich zu dieser Tat getrieben, du hinterhältiger Verräter. Ich habe dich durchschaut, und bald wird auch Null‐Page wissen, was er von dir zu halten hat!« Ich lachte mir ins Fäustchen. Was Katzulla da vorbrachte, war vorher abgesprochen worden, aber seine Empörung wirkte so realistisch, als wäre Merzzen tatsächlich der Schuldige. Diese Anprangerung sollte ihn in die Defensive drängen, und das schien zu funktionieren. Wie jeder Unschuldige, der verdächtigt wurde, versuchte er, sich zu verteidigen, obwohl die Beweislast eigentlich
bei uns lag. »Mir ist es unerklärlich, wie …« »Schweig! Du wirst dich für das zu verantworten haben, was auf deinen Befehl hin getan wurde! Ohne daß es einen plausiblen Grund dafür gibt, hast du zyrtonisches Eigentum zerstört.« »Ich versichere dir, daß ich nicht das geringste damit zu tun habe. Vielleicht hat eine solanische Bombe das Schiff zerrissen.« »Wer soll dir denn diese Ausrede abnehmen? Frage Ul‐Horz, ob er Fremdenergien anmessen konnte! Los, frage ihn! Oder hast du Angst davor, daß du als Lügner entlarvt wirst?« Tatsächlich beugte der Zyrtonier sich zur Seite. Was er sprach, war nicht zu hören, denn er hatte das Mikrophon abgeschaltet, doch das Spiel seiner Fühler zeigte, wie erregt er war. Der Kontakt kam erneut zustande. »211‐Page bestätigt deine Ortung, aber das besagt überhaupt nichts. Wer sagt mir denn, ob du nicht dahintersteckst?« »Diese Unterstellung zeigt nur, daß du von deiner Person ablenken willst«, gab mein zyrtonischer Kollege zurück. »Von dir lasse ich mich weder provozieren noch als Täter hinstellen. Hool war an Bord. Welchen Grund hätte ich haben sollen, ihn zu beseitigen, dazu noch auf so spektakuläre Art und Weise?« »Das werde ich noch herausfinden!« zischte Merzzen. »Ich fürchte, dazu wirst du keine Gelegenheit mehr haben, zumal es nichts herauszufinden gibt. Du bist erledigt, 13‐Page. Ich werde Zyrton anfliegen und Null‐Page aufsuchen. Ich denke, es wird ihn sehr interessieren, was ich zu berichten habe. Welches Motiv hast du? Haß, Rache, Ehrgeiz, Geltungssucht? Oder alles zusammen?« »Du bist ein Intrigant, 4‐Page. Mit 666‐Page hast du leichtes Spiel gehabt, aber ich lasse nicht so mit mir umspringen. Wenn du den Kampf willst, sollst du ihn haben!« stieß Merzzen hervor. »Dein Schicksal ist besiegelt.« »Sollten wir diese Entscheidung nicht Null‐Page überlassen?« »Warum nicht? Allerdings wirst du es schwer haben, ihn zu
erreichen, denn ich verweigere dir die Landeerlaubnis auf Zyrton. Da nach deinem eigenen Bekunden Bomben des Gegners in der LUNGARETTE verborgen sind, geht von diesem Schiff eine nicht zu kalkulierende Gefahr aus. Du mußt einsehen, daß ich ein solches Sicherheitsrisiko nicht akzeptieren kann – weder auf der Regierungswelt noch auf einem anderen Planeten unseres Systems.« »Dir sollte klar sein, daß deine Ablehnung einem Schuldeingeständnis gleichkommt, 13‐Page. 211‐Page, ich fordere dich hiermit auf, 13‐Page seines Amtes zu entheben und ihn festzusetzen. Er hat den Interessen des zyrtonischen Volkes geschadet und eigene Ziele verfolgt, die verwerflich sind. Der Rat der Pagen wird das mit dem Tode ahnden.« »Gib dir keine Mühe, Ul‐Horz steht auf meiner Seite.« Triumph schwang in der Stimme des Zyrtoniers mit. »Du mußt dich damit abfinden, Objount, daß du kein Mächtiger mehr bist.« »Das wird sich zeigen.« Meinen Befürchtungen zum Trotz blieb Katzulla gelassen. »Was die Befehlsverweigerung von 211‐Page bedeutet, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.« »Von uns beiden wird niemand hingerichtet, Machtloser. Erkennst du denn nicht, daß du verloren hast?« »Das soll mir Null‐Page selbst sagen. Ich starte gleich mit einem Beiboot.« »Diesen Entschluß würde ich mir an deiner Stelle noch einmal überlegen.« »Derartige Drohungen schrecken mich nicht«, knurrte Katzulla und schaltete ab. In gewisser Weise konnte ich ihn verstehen. Je mehr ich von den Pagen erfuhr, um so deutlicher wurde mir, daß es sich um eine Versammlung handelte, die zwar nach außen hin geschlossen auftrat und die Vorherrschaft der Zyrtonier anstrebte, deren Individuen zugleich aber nach persönlicher Macht trachteten und untereinander Positionskämpfe austrugen. Man schloß Zweckbündnisse und verleumdete gleich darauf den Mitstreiter,
wenn es sich anbot und der eigene Vorteil vergrößert werden konnte. Dieses Gerangel um Einfluß und Privilegien erinnerte mich fatal an die Zustände auf der SOL, bevor Atlan auftauchte. Zugegeben, ich hatte davon kaum etwas mitbekommen, weil ich in meiner Arbeit aufging, doch was mir später zu Ohren gekommen war, hatte mich schockiert. Das war längst Vergangenheit, aber totalitäre Systeme funktionierten immer nach dem gleichen Schema, dabei war es egal, wie die Positionen verteilt waren. Merkwürdigerweise fanden sich immer wieder Kreaturen, die als Vollstrecker und Handlanger eines Diktators agierten, so verwerflich sein Tun auch sein mochte. In dieser Hinsicht – das hatte ich gelernt – gab es zwischen den Völkern kaum einen Unterschied. »Hage, bitte sorge dafür, daß mehrere zyrtonische Roboter ins Beiboot geschafft und mit unseren Geräten zur Mutation bestückt werden. Während des Fluges werde ich sie programmieren und sie nach der Landung ausschleusen. Es muß dann nur noch Gautan präpariert werden.« »Katzulla, die Sache ist zu gefährlich. Bleib hier!« bat ich. »Ich stehe zu meinem Wort. Man kann mir vieles vorwerfen, aber nicht Ehrlosigkeit und Feigheit. Versteht mich – ich muß es tun.« Mit diesen Worten verließ er die Zentrale. * Die LUNGARETTE befand sich in einem Orbit, der sie im Abstand von knapp 100.000 Kilometern um Zyrton herumführte. Seit über drei Stunden warteten wir auf ein Lebenszeichen von Katzulla. Die tatenlose Warterei zermürbte mich, ich war nervös und gereizt, immer wieder ging mein Blick zur Uhr. Plötzlich sprach das auf die Helmfrequenz eingestellte, mit leistungsfähigen Verstärkern versehene Hilfsfunkgerät an. Daug,
der reglos wie eine Statue davor saß, zuckte wie elektrisiert zusammen. Sofort ging er auf Empfang. Rasselnd und keuchend, von heftigen Atemzügen unterbrochen, drang Katzullas Stimme aus den Lautsprechern. »Merzzen und Ul‐Horz … haben meine … Tarnung durchschaut. Einer der … Roboter mit einer Virenproduktionsanlage … wurde gestellt, als er sich … verbotenem Gebiet näherte. Ich befinde mich … auf der Flucht, doch meine … Verfolger sind mir … dicht auf der … Spur. Ich habe keine … Chance, ihnen zu entkommen. Ihr müßt fliehen, sonst … seid ihr auch verloren. Nehmt … ah …« Das auf der Helmfrequenz arbeitende Funkgerät war in einem Schmuckgürtel verborgen, den sich unser Freund um den Leib geschlungen hatte. Es übertrug ein Fauchen aus Strahlern, dann das dumpfe Geräusch eines Aufpralls. Mehrere Stimmen waren zu hören, die der Translator getreulich übersetzte. »Er ist tot, du kannst die Waffe wegstecken.« »Sieh mal, sein Panzer löst sich schichtweise ab. Merkwürdig.« »Moment mal, das ist … das ist eine Maske. Wir …« Daug schaltete ab. Blicklos starrte ich den Emulator der Vulnurer an, seine Gestalt verschwamm vor meinen Augen. Unfähig, etwas zu sagen oder zu tun, saß ich da, ich fühlte mich leer und ausgebrannt. Trauer und Schmerz beherrschten mein Denken und Fühlen. Diese Bestien hatten ihn kaltblütig umgebracht! »Chef, es wäre ratsam, wenn wir uns zurückziehen würden.« Wie aus weiter Ferne drang Blödels Stimme an mein Ohr. Es dauerte etwas, bis ich den Sinn der Worte begriff. Meine Gedanken kehrten in die rauhe Wirklichkeit zurück. »Das tun wir auch, doch zuvor zeigen wir es diesen Mördern!« »Was hast du vor?« fragte Borallu entsetzt. »Willst du mit der LUNGARETTE Krieg führen?« »Den Krieg haben wir bereits, denn die Zyrtonier haben ihn uns aufgezwungen. Wir werden kämpfen, aber nicht mit Werfern und Kanonen, sondern mit unseren Waffen.« Ich spürte, daß Nervosität
und Unsicherheit regelrecht von mir abfielen, Kraft und Entschlossenheit traten an ihre Stelle. »Schleust drei Satelliten aus und nehmt Kurs auf Gautan. Dort wiederholen wir das Spiel und setzen uns dann ab.« »Du gehst ein ziemliches Risiko ein, Chef«, gab mein Assistent zu bedenken »Spare dir deine Ratschläge«, wies ich ihn zurecht. »Wenn es uns nicht gelingt, das Nockemann‐Syndrom in den Griff zu bekommen, war alle Mühe umsonst. Und einen zweiten Einsatz dieser Art werden die Zyrtonier kaum zulassen.« Siegessicher blickte ich in die Runde – ein Einwand blieb aus. Gleich darauf meldete ein Vulnurer, daß die drei Vollrobots gestartet worden waren und Kurs auf Zyrton genommen hatten. Befriedigt registrierte ich, daß unser Raumer die Umlaufbahn verließ und mit steigender Geschwindigkeit auf den fünften Planeten zuhielt. Gleich darauf erhielt mein Selbstbewußtsein jedoch einen argen Dämpfer, als der Leiter der Ortung mitteilte, daß sechs Raumschiffe von der Regierungswelt abgehoben hatten. Über das Ziel dieser zwölfhundert Meter langen Riesenraumzecken brauchte ich nicht lange nachzudenken. Daß ein Rendezvousmanöver nicht in Frage kam, lag auf der Hand. Es konnte dahingestellt bleiben, ob man Katzullas Nachricht mitgehört oder einfach Verdacht geschöpft hatte. Tatsache war, daß wir gejagt wurden, und der Gegner war deutlich in der Überzahl. Das sah nicht gut aus für uns, zumal wir uns in der Höhle des Löwen befanden, aber so einfach aufzugeben und zu fliehen, kam für mich nicht in Frage. »Antrieb auf Vollast!« Zyrton fiel hinter uns zurück, nicht jedoch die Verfolger. Die Großraumschiffe hatten die Lufthülle des Planeten bereits durchstoßen und gingen auf Abfangkurs. Wie gebannt starrte ich auf die Anzeigen. Unser Vorsprung hatte sich leicht vergrößert und betrug nun 3,59 Millionen Kilometer. Umwerfend war das nicht. Wenn wir mit Lichtgeschwindigkeit flogen – und das würden unsere Jäger auch tun – erreichten wir Gautan zwölf Sekunden
früher. Unter den gegebenen Umständen war das verdammt wenig. Ich wünschte, Atlan stünde mir jetzt zur Seite. »Ein Beiboot mit Sprengsatz und die restlichen Explorer zu Ausschleusung fertigmachen! Es darf nicht die geringste Panne und keine Verzögerung geben, sonst können wir die Geräte und vielleicht sogar die LUNGARETTE abschreiben.« »Ich empfehle einen automatischen, von der Positronik gesteuerten Start, Chef.« »Unter diesen Umständen kommt sowieso nichts anderes in Frage«, gab ich ärgerlich zurück. »Oder hast du geglaubt, daß wir die Satelliten mit einem Tritt aus dem Hangar befördern?« »Sie holen auf!« rief Borallu. Alarmiert blickte ich auf mein Display. Bei allen Raumgeistern, er hatte recht. Der Abstand hatte sich auf 3,45 Millionen Kilometer verringert, und er schrumpfte weiter. »Beschleunigen, beschleunigen! Mehr Leistung, volle Energie!« »Die Belastungsgrenze ist bereits um zehn Prozent überschritten.« »Dann überschreitet weiter, zum Teufel!« rief ich aufgebracht. »Entweder halten die Aggregate durch und wir schaffen es, oder das Schiff explodiert. Ob wir dadurch umkommen oder durch die Waffen der Zyrtonier, macht keinen Unterschied.« »Jawohl, Jungs, ich muß dem Chef beipflichten. Gebt Saft auf die Düsen, bis die Rohre glühen. Als Scientologe kann ich fünfzig Prozent im Rotbereich vertreten.« Pikiert musterte ich Blödel, der immer noch seine Verkleidung als zyrtonischer Roboter trug. »Ich verbitte mir deine Einmischung ganz entschieden. Erstens habe ich dich nicht um Rat gefragt, und zweitens bist du kein Hilfskommandant. Nimm das gefälligst zur Kenntnis.« Ich wandte mich an meine Mannschaft. »Antriebsleistung auf einhundertfünfzig Prozent steigern!« Ein kaum merkliches Zittern durchlief den Raumer, das Brüllen
und Tosen der überlasteten Meiler drang an mein Ohr. Abdeckungen klirrten, Vibrationen machten sich bemerkbar, unruhig pendelten die Zeiger von Instrumenten hin und her, die über keine Digitalanzeige verfügten. Ein tiefer Brummton malträtierte das Gehör, vermischt mit undefinierbaren Geräuschen. Bestimmt hatte auch die LUNGARETTE ihre Qualitäten, doch mir wäre weitaus wohler gewesen, wenn ich mich an Bord eines solanischen Kreuzers befunden hätte. Er war zwar wesentlich kleiner, dafür aber schneller, wendiger und – berechenbarer. Immerhin kamen durch unser Gewaltmanöver die Zeckenschiffe nicht näher. »Ortung. Von Gautan aus sind soeben vier Raumschiffe gestartet. Sie entsprechen dem Typ der sechs Verfolger, was Form und Größe betrifft.« Ich fühlte Bitterkeit in mir aufsteigen – und Furcht. Die als Leuchtpunkte sichtbar gemachten Objekte versuchten, uns den Weg abzuschneiden. Mühsam beherrscht fragte ich: »Entfernung zum Planeten?« »Noch 8,2197 Millionen Kilometer.« »Schleust das Beiboot und die Satelliten aus. Abdrehen und Kurs nehmen auf die Systemgrenze. Schutzschirme aktivieren!« Die Vollzugsmeldungen liefen ein. Ich zögerte. »Geschützstände besetzen!« Da Schiff ächzte und schüttelte sich, als der Pilot es mit abrupten Korrekturschüben in eine andere Richtung zwang. Die von Gautan kommenden Verfolger eröffneten das Feuer. Mehrere Salven verfehlten uns knapp, dann erhielten wir einen Treffer. Die Schirmfeldmarke kletterte auf annähernd fünfzig Prozent. Ich erschrak. Die Defensiveinrichtungen hatte ich für leistungsfähiger gehalten. »Setzt die Waffen ein! Sperrfeuer!« Die Riesenraumer hatten sich ebenfalls in Schutzschirme gehüllt. Eine grelle Energiewand schob sich zwischen uns und sie, dennoch
kamen sie näher. »Warum holen die Zyrtonier auf? Was ist mit dem Antrieb?« »Er hält die Überbelastung nicht durch, wir mußten die Energiezufuhr drosseln. Leistung derzeit zwanzig Punkte über Normalwert.« »Von Persijigg und Munntson haben jeweils vier der bekannten Großraumer abgehoben. Sie befinden sich im Anflug auf unsere Position.« Ich spürte, daß mir der kalte Schweiß ausbrach, eine eisige Hand griff nach meinem Herzen. Aufstöhnend verbarg ich das Gesicht in den Händen. Schon oft hatte ich dem Tod ins Auge gesehen, aber diesmal sah ich keine Chance, dem Sensenmann zu entkommen. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Was sollte ich tun? Wir schafften es nicht mehr, den Wall zu erreichen, der die Rettung verhieß. Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg, doch mein Gehirn war blockiert, ich war wie gelähmt, dabei raste mein Puls. Ich wollte nicht sterben, nicht so und nicht hier. Ein gewaltiger Schlag erschütterte die LUNGARETTE, die sich sofort schräg legte. Urgewalten rissen mich von dem Möbel, das mir als Sitz diente, wie ein Stück Folie wurde ich hochgewirbelt und zu Boden geschleudert. Mir blieb die Luft weg, der Schmerz raubte mir fast die Besinnung, und trotzdem nahm ich alles um mich herum so deutlich wahr, als wäre ich nur ein unbeteiligter Beobachter. Wir mußten einen Volltreffer erhalten haben. Die Beleuchtung war ausgefallen, Kurzschlüsse und weißblaue Überschlagblitze tauchten den verwüsteten Raum in ein unwirkliches Licht. Das Schreien und Wimmern Verletzter mischte sich mit dem Knallen der sich schließenden Sicherheitsschotte und dem Geheul der Alarmsirenen. Der Raumer stöhnte wie ein waidwundes Tier, die Hülle schwang wie eine Glocke. Unheilvolles Knistern und Knacken ging von Verstrebungen und Verbindungen aus. Bildschirme zerplatzten, Splitter, ungenügend verankerte Instrumente und Trümmerstücke sausten jaulend durch die Luft
und krachten gegen Wände und Einbauten. Das dumpfe Dröhnen des Antriebs war zu hören, überlagert vom Tosen überlasteter Meiler und dem schrillen Geräusch fehlgesteuerter oder außer Kontrolle geratener Aggregate. Blödel beugte sich über mich. »Chef, du blutest ja aus mehreren Wunden! Bleib ruhig liegen, ich werde dich ärztlich versorgen.« Der Schmerz war wie weggeblasen, ich fühlte mich auf einmal leicht und von wohliger Wärme umhüllt. Eine nie gekannte Ruhe überkam mich. Gelöst und heiter umfaßte ich einen Tentakelarm meines Assistenten, mit der freien Hand zog ich die Kassette aus dem winzigen Aufnahmegerät, das ich bei mir trug. »Meine Eindrücke, Empfindungen und Erlebnisse der letzten Tage sind auf diesem Band gespeichert. Übergib es Atlan.« »Warum willst du es nicht selbst tun?« »Ich fühle, daß es mit mir zu Ende geht. Du bist derjenige, der von uns allen die besten Aussichten hat, zurückzukehren.« »So darfst du nicht reden, Chef. Noch …« Die letzten Worte meines Mitarbeiters gingen in einem infernalischen Lärm unter. Instinktiv wußte ich, daß unser aller Schicksal besiegelt war, doch ich hatte auf einmal keine Angst mehr vor dem Tod. Ich war bereit. 7. Zwei Nachrichten erreichten Atlan, doch beide waren nicht dazu angetan, ihn zu erfreuen. Wie Nockemann vorausgeahnt hatte, schaffte es Blödel – nur noch ein Torso – als einziger, dem Inferno zu entkommen und das Zyrton‐System hinter sich zu lassen. Kaum noch funktionsfähig, gelang es ihm dennoch, den Arkoniden über den Tod seines Herrn und den seiner Begleiter zu informieren. Der Roboter war
zuversichtlich, was den Erfolg der Maßnahmen anging. Nach seinem Dafürhalten mußte sich der Umschwung durch das Cyklotropin und die Spontan‐Mutation ab dem 29.9.3808 einstellen, vorausgesetzt, die Zyrtonier fanden keine Gegenmittel. Als treuer Diener erfüllte er noch den letzten Wunsch des Verstorbenen und überspielte die Kassette, dann gab das Wrack endgültig seinen synthetischen Geist auf. Das Scientologen‐Team existierte nicht mehr. Den Unsterblichen schmerzte der Verlust Nockemanns mehr, als er zugeben wollte, aber er trauerte auch um Daug, Katzulla, Borallu und die dreihundert Vulnurer. Einige Stunden nach Blödels Meldung ging ein Funkspruch ein. Die Absender waren – was Atlan natürlich nicht wußte – Merzzen und Ul‐Horz. Sie hatten Null‐Page hinterbracht, was geschehen war, ohne konkret zu wissen, was mit der LUNGARETTEN‐Aktion bezweckt werden sollte. Null‐Page befahl den rangniederen beiden Pagen, nicht nur zu warnen, sondern offen zu drohen. Die Nachricht, die die Antennen der MJAILAM erreichte, war kurz und bündig. Sie lautete: JEDE WEITERE AKTIVITÄT WIRD MIT DEM TOD DES GEFANGENEN CHYBRAIN GEAHNDET. DAS GILT AUCH FÜR DEN FALL, DASS SOLANER UND VULNURER NICHT SOFORT DIE NAMENLOSE ZONE VERLASSEN. Das war mehr als deutlich. ENDE Atlan wagt wieder einmal alles, indem er mit seinem Team und einer Handvoll Solaner in das System der Zyrtonier vorstößt. Und mit diesem Vorstoß beginnt die Entscheidungsschlacht – und es naht das Ende der Macht …
DAS ENDE DER MACHT – so heißt auch der von Peter Griese verfaßte letzte Band des großen Zyklus DIE ABENTEUER DER SOL, der, wie bereits angekündigt, durch den neuen Atlan‐Zyklus IM AUFTRAG DER KOSMOKRATEN abgelöst wird.