BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga
DER AUSERWÄHLTE von Manfred Weiland & Werner K. Giess Erinjij, die »Geißel«, ...
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BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga
DER AUSERWÄHLTE von Manfred Weiland & Werner K. Giess Erinjij, die »Geißel«, nennen die Völker der Milchstraße die Menschen jener Zeit, in die es die Mitglieder der Marsmission - John Cloud und die GenTecs - verschlagen hat. Und während auf Kaiser, der Nargenwelt, erste Zipfel des Geheimnisses gelüftet werden können, das mit der Invasion der Erde des Jahres 2041 zusammenhängt, wechseln wir den Schauplatz. CLARON, ein Bund aus sechs raumfahrenden Völkern - allesamt organischer Natur ringt verzweifelt um die Wahrung des Friedens. Denn das zerbrechliche Kräftegleichgewicht zwischen Organischen und Anorganischen wurde von den Menschen ins Wanken gebracht. Durch ihre ebenso rigorose wie skrupellose Expansionspolitik. Aber auch durch eine andere Spezies wird der Frieden bedroht den legendenumwitterten Jay'nac. Anorganische, die nicht gewillt scheinen, länger nur tatenlos mit anzusehen, wie sich die Erinjij ein Sonnensystem noch dem anderen einverleiben. Als es aussieht, als könnte nichts mehr die Jay'nac von ihrem Weg in die offene Aggression abhalten, signalisieren sie doch noch einmal Gesprächsbereitschaft mit der Allianz - aber unter Bedingungen, die CLARON nur erfüllen kann, wenn die Sucher erfolgreich sind. Die Sucher, psibegabte Wesen, die in den unerforschten Bereichen der Galaxis nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen fahnden - als letzte Hoffnung der Organischen. Die Suche Algorian hörte - vor allem aber spürte er -, wie der, dem er diente, die Zentrale der MASOT betrat. Die Präsenz des Ankömmlings verschlug ihm schier den Atem. Dennoch vermied er es zunächst, von den Kontrollen aufzublicken, mit deren Hilfe er das Schiff steuerte. Der überlaute saugende Atem des Erstlings schien den gesamten Raum einzunehmen. Wie stets überfiel Algorian eine abstruse Angst, dass der, dem er diente, tatsächlich sämtliche darin befindliche Luft für sich allein beanspruchen und in sich einsaugen könnte. So schnappte er ein-, zweimal nach Atem, ehe er sich fasste und wieder unter Kontrolle hatte. »Nimm Platz«, bat er und wies auf den speziellen Sitz in unmittelbarer Nachbarschaft des seinen. Nicht nur das ungestüme Atemgeräusch ließ den Erstling monströs erscheinen - auch rein äußerlich flößte er Respekt ein.
Mehr als das, dachte Algorian immer noch bebend. Er ist blanker Terror. Und wenn ich dies so empfinde, wie muss er dann erst auf Fremde wirken? Auf solche, die ihm nicht halb so nahe stehen? Es war müßig, darauf eine Antwort finden zu wollen. Der Erstling stapfte auf den Sitz zu. Er war nicht nur doppelt so groß wie Algorian, sondern besaß auch das fast dreifache Gewicht. Was an Algorian zierlich und zart war, konnte bei ihm nur als kolossal bezeichnet werden. In seiner frühen Jugend hatte sich Algorian oft gewünscht, mit seinem erstgeborenen Bruder tauschen zu können - inzwischen war er sich längst nicht mehr sicher, ob dessen Status tatsächlich so erstrebenswert war. Der Koloss sank in den Sitz, dessen Material sich mit einem schmatzenden Geräusch an seine Konturen anschmiegte. Noch schrecklicher klang es, wenn der Erstling sich daraus erhob - es ähnelte jedes Mal einem kurzen Kampf, bei dem er sich aus der Konstruktion befreien musste. Als versuchte sie, ihn festzuhalten und Bestandteil des Riesen zu bleiben. Kaum saß er, senkten sich von der Decke Fäden herab, die sich in den kantigen Schädel des Aorii bohrten. Und schon wenige Herzschläge später bestätigten Algorians Instrumente, dass der Kontakt hergestellt war. Eine neue Etappe der Suche konnte beginnen.
Expansion 17 Jahre nach der Ankunft (n.A.) Der Auftrag war klar formuliert. »Erobern Sie den Tarrant!« Drei Schlachtschiffe brachen auf - die KYOTO, die BAGDAD und die KIEW. An Bord befanden sich Elite-Angriffstruppen, besonders ausgebildete, hochintelligente Soldaten. Sie flogen den Planeten Tarrant an. Tarrant befand sich im Sternensystem Triangulum und war ein Planet der fünften Ordnung, besaß also die Größe der Erde. Bevölkert war Tairant von den Foranern und Liscombianern. Die beiden Bevölkerungsgruppen waren seit gut zweihundert Jahren miteinander verfeindet und bekämpften sich bis aufs Blut. Und diese Feindschaft gedachte Mallory, Kommandant der Erdflotte, auszunutzen. »Tarrant ist jetzt im Erfassungsbereich der Sensoren, Sir! », ertönte es aus dem Lautsprecher. »Entfernung: 10.000 Meilen.«
Auf dem riesigen Monitor in der Kommandozentrale des Flaggschiffs KYOTO erschien der Planet mit seinen beiden Monden. »Gut«, sagte Commander Mallory mit sonorer Stimme. »Navigation, Anflugwinkel für eine tiefe Umlaufbahn berechnen. Piloten sollen die Lande-Shuttles vorbereiten.« Deckert, der 2. Offizier, salutierte steif und verließ die Zentrale, während er bereits Befehle in sein Kehlkopfmikrofon schnarrte. Mallory wandte sich an John Briscoe, seinen ersten Offizier. »Nach der Landung greifen wir sofort die Hauptstadt Battlon an. Es ist wichtig, dass wir Solo Hasradun, den Präsidenten der Foraner, in unsere Gewalt bekommen. Wenn wir ihn haben, wird sein Volk kooperieren.« »Die Liscombianer sind auch nicht zu unterschätzen, Sir«, wandte Briscoe ein. »Schließlich ist es den Foranern während des mehrere hundert Jahre andauernden Krieges nicht gelungen, sie zu unterwerfen, obwohl sie in der Überzahl sind. Wir sollten die Truppen deshalb aufteilen, Sir. Während sich die halbe Truppe in Richtung Battlon in Marsch setzt, sollte sich die andere Hälfte nach Süden begeben und die Hauptstadt der Liscombianer besetzen.« Commander Mallory wiegte nachdenklich den Kopf. »Geschlossen besitzen unsere Männer enorme Kampfkraft. Wenn wir sie aber aufsplitten... « Briscoe blickte seinen Commander abwartend an. Er hatte ihm seine Bedenken mitgeteilt, doch die Entscheidung lag nicht bei ihm. Mallory verzog das Gesicht. Ja, er würde die Befehle letztendlich geben müssen. Er hatte die Verantwortung zu tragen, und er würde es sein, dessen Kopf bei einem Fehlschlag rollen würde. Doch ihm gefiel das alles nicht. Er war Soldat, Eroberer, Invasor und Kämpfer - er empfing Befehle und führte sie aus. Der Befehl lautete, die Foraner und Liscombianer zu unterwerfen, damit die Erde ihre Arbeitskraft noch nutzen konnte. Die Lebensbedingungen auf Tarrant entsprachen denen auf der Erde. Es gab keine übermäßig hohen Konzentrationen von Schwermetallen oder anderen Giften. Die Atmosphäre und die Zusammensetzung der Luft bewegten sich in akzeptablen Parametern. Ja, Tarrant war wie geschaffen dafür, eine Kolonie der Menschheit aufzunehmen. Für die Foraner und Liscombianer aber war kein Platz mehr. Bei allem, was Richard Mallory heilig war - er war kein Schlächter! Dazu jedoch degradierte ihn der Zweck der Mission, auf die er mit seinen Leuten entsandt worden war. Der Gedanke daran ließ Mallorys Mundhöhle austrocknen und seinen Hals eng werden. Versonnen starrte er auf einen unbestimmten Punkt an der Wand. Endlich nickte er. »Ich gebe Ihnen Recht, John. Wir dürfen die Liscombianer wohl tatsächlich nicht unterschätzen. Darum nehme ich Ihren Vorschlag an. Während Captain Deckert mit der halben Mannschaft gegen Battlon marschiert, halten Sie mit dem Rest der Crew die Liscombianer in Schach.« »Präsident der Liscombianer ist Moran Melix, ein Stratege, wie er im Buche steht, Sin Solo Hasradun hingegen ist Krieger. Er war mal Kommandant des
Flottenverbandes der triangulumischen Allianz, und er wurde wiederholt wegen seines Mutes und seines großen Erfolges ausgezeichnet.« Commander Mallory zuckte mit den Schultern. »Sie kümmern sich also um den Strategen Moran Melix, John. Deckert widmet sich Solo Hasradun. Überwachen Sie den Eintritt in die Umlaufbahn. Sollten irgendwelche Raumschiffe von den Sensoren geortet werden, aktivieren Sie die Schirme und benachrichtigen mich.« »Klar, Sir. Ich glaube aber nicht, dass wir angegriffen werden. Die triangulumische Allianz wurde schließlich in Kenntnis gesetzt, dass wir auf Tarrant landen. Als Begründung für unsere Landung wurde die friedliche Erforschung der Galaxie angegeben.« John Briscoe lachte fast belustigt auf. »Es klingt wie Hohn in meinen Ohren, Sir.« Rich Mallory warf seinem ersten Offizier einen unergründlichen Blick zu. Dann stieg es fast schleppend aus seiner Kehle: »Es steht uns nicht zu, die Entscheidung der Admiralität anzuzweifeln, John. Befehl und Gehorsam! Das ist es, dem wir uns unterworfen haben, als wir uns zur Raumflotte gemeldet haben. Wir haben einen Eid geleistet. Also gehorchen wir dem Befehl.« Der Commander richtete seinen Blick auf den Monitor. Der Planet zeigte sich in überwiegend grüner Farbe. Wie ein Smaragd hob er sich vor dem dunklen Hintergrund des endlos anmutenden Universums ab. Sie waren am Ziel. Der grüne Planet! Viele Lichtjahre von der Erde entfernt wusste niemand in den drei Raumschiffen genau, was sie erwartete. Kampf? Gefangenschaft? Tod? Alles war ungewiss. John Briscoe schnarrte seine Befehle, die der Kommunikationsoffizier an die KIEW und die BAGDAD weiterleitete. Commander Mallory widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem Monitor, auf dem der grüne Planet rasch größer wurde. Mallory wusste, dass die Farbe von den dschungelartigen Wäldern herrührte, die den Planeten bedeckten. »Deckert, wie weit sind die Shuttles?«, hörte der Commander den 1. Offizier sagen. »Die Landungsfahrzeuge sind klar, Sir! «, erklang es aus dem Lautsprecher. »Sind die Soldaten bereit?« »Jawohl, Sir.« Briscoe nickte zufrieden. »Commander?« Mallory riss sich aus seinen Gedanken und blickte seinen ersten Offizier an. »Wir wären so weit.« Der Commander zögerte einen kaum merklichen Moment. »Sie kennen Ihre Aufgabe. Führen Sie sie aus! « »Jawohl, Sir!« Briscoe verließ die Kornmandozentrale. Mallory schaute ihm einen Augenblick fast neidisch nach.
Natürlich würden sich die Landungstruppen in Lebensgefahr begeben. Trotzdem war er ein wenig neidisch. Er als Commander konnte natürlich nicht persönlich an dem Angriff teilnehmen. Oh, ihm war klar, dass er die Erinnerungen an Tod, Verstümmelungen und Chaos verdrängte. Doch jetzt war es so, dass er darauf zu achten hatte, dass sie in der Umlaufbahn blieben, und darauf, dass die Schiffe Tarrants keine Gefahr darstellten. Sobald man auf dem Planeten erkannte, dass sie nicht der friedlichen Erforschung der Planeten wegen hergekommen waren, könnten sie versuchen, sich zu wehren. Mallory verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln. Nicht, dass zu erwarten wäre, dass sie damit Erfolg hätten. In dieser Gegend der Galaxis hatte ihnen keine Zivilisation etwas entgegenzusetzen. Das war auch der Grund, warum er zwar über Elite-Bodentruppen verfügte, jedoch nur über drei Schiffe. Es würde reichen müssen...
Cy
Da war ein Wirbel aus Farben, aus Hitze und Kälte, aus Licht und Dunkelheit... ... und da war er. Cy. Der Aurige kämpfte den ungleichen Kampf gegen die Elemente, gegen Gewitter und Sturm und all die elenden Dämonen, die ihn zu vernichten trachteten, mit wachsender Verzweiflung. Wir schaffen es nicht, dachte er. Wir werden zwischen den Gewalten zerrieben. Wenn er alle Augenknospen gleichzeitig öffnete, hatte er das Gefühl von den Kräften zerrissen zu werden, die an dem Dragg zerrten - und damit letztlich auch an ihm. Dazu kam das jammervolle Heulen des riesigen Tiers, mit dem er in empathischer Verbindung stand und dessen Hautsegel sich flatternd in den Turbulenzen verhedderten und dadurch zu immer bedrohlicheren Situationen führten. Die Reiseplattform auf dem Rücken des Draggs schaukelte unkontrolliert hin und her. Immer wieder wurde Cy gegen die Reling oder den zentralen Aufbau geschleudert, in dem sich die Kajüte mit allen Vorräten an Werkzeug und Nahrung befand. Obwohl er sich selbst vertäut hatte, fürchtete er immer häufiger, über Bord gespült und von der Verdammnis des ewigen Mahlstroms verschlungen zu werden. Die Stimme des Sturms überdeckte immer häufiger das Jammern des Draggs, bei dem es sich um eine erfahrene Kreatur handelte, die aber auch - bei aller Routine noch niemals so weit draußen gesegelt war. Normalerweise befuhren Dragg-
Gespanne nur den unmittelbaren Bereich um die heimatliche Zone. Dort, in den gemäßigten Gefilden, stellten sie das effektivste Fortbewegungsmittel dar. Mit ihrer Hilfe vermochte ein Aurige die Spore im Bedarfsfall innerhalb eines einzigen HellDunkel-Wechsels zu überqueren oder sogar auf die andere Seite zu gelangen. Nun aber hatte der Dragg gemeinsam mit zwei seiner Artgenossen und ihren Passagieren die ruhigen Häfen verlassen. Seit einer Zeitspanne, die ungefähr dreißig Hell-Dunkel-Wechseln entsprach, wurde das lebendige Gefährt regelrecht durch die tobenden Orkanströmungen geprügelt. Sie hatten sich seit dem Aufbruch beständig gesteigert - und strebten einem Höhepunkt entgegen, der für Cy und seine Kameraden nur eines bereit halten konnte: den unvermeidlichen Tod. Der junge Aurige vermochte sich die Qualen nicht auszumalen, die ihn erwarteten, sollte der Dragg seinen Kampf verlieren und entkräftet zum bloßen Spielball der Urgewalten werden. Noch hielt er dagegen, aber seine Gefühle drangen immer schwächer zu Cy vor. Die Schwäche würde ihn bald besiegen. Worauf habe ich mich nur eingelassen? Er wusste, dass dies die falsche Frage zum gänzlich falschen Zeitpunkt war, denn welche Alternative wäre ihm wohl geblieben? Auf der Kleinen Welt auszuharren und untätig auf das sichere Ende zu warten? Den Hungertod ohne die geringste Gegenwehr zu akzeptieren? Ohne wenigstens den Versuch zu machen, etwas dagegen zu tun? Nein, die wenigen Vorräte gingen rapide zur Neige - nicht nur hier an Bord. Der Lebensquell war allzu plötzlich versiegt, von einem Wechsel zum anderen. Es war keine Zeit geblieben, Depots anzulegen, von denen die Aurigen auch nur mittelfristig hätten zehren können. Kein Alter, kein Weiser wusste, warum es so gekommen war. Es war einfach geschehen. Und die einzige Möglichkeit, der Katastrophe auf den Grund zu gehen, bestand darin, eine Expedition in Bereiche zu starten, wo nie zuvor ein Aurige gewesen war. Eine Expedition, die Ka anführte, der energischste unter den Weisen. Ausgerüstet mit Proviant, der nun den anderen auf Auri fehlte. Dort hungerten und verhungerten vielleicht diesem Moment Freunde und Verwandte... Cy wusste nicht, wann er den Ältesten Ka mit seinem Dragg zuletzt gesehen hatte. Es musste wenigstens ein Hell-Dunkel--Wechsel her sein, sei4-sie-inle Ligen Böen und unberechenbaren Winden voneinander getrennt wurden. Auch El, der dritte Teilnehmer, war dabei seinen Blicken entschwunden. Verloren gegangen. Cy schauderte und hoffte noch immer, dass die launischen Strömungen ihn wieder mit den anderen zusammenführten. Nur zu dritt hatten sie vielleicht eine Chance, doch noch zur Quelle, die versiegt war, vorzustoßen und... Der Gedanke riss im selben Moment wie eine der Häute seines Draggs. Es gab ein hässliches, tief in Cys Bewusstsein hineinschneidendes, selbst den Sturm übertönendes Geräusch - und dann bäumte sich sein lebendes Gefährt auch schon schmerzgeplagt auf.
Abermals wurde er brutal gegen die Aufbauten der Plattform geschleudert, und für Sekunden überlagerten die Gefühle des verwundeten Draggs seine eigenen Schmerzen. Unter Aufbietung aller Reserven gelang es Cy, dem einzigen Gefährten, der ihm noch geblieben war, beruhigende Impulse zu schicken. Sie schienen ins Hirn der gemarterten Kreatur zu dringen und sie wider Erwarten sogar zu trösten. Allmählich erlahmten seine unkontrollierten Bewegungen, und Cy fand Zeit, sich um sich selbst zu kümmern. Nur seiner Robustheit verdankte er es, dass er nicht längst umgekommen war. Aurigen waren generell zäh, selbst in hohem Alter noch. Beinahe so zäh wie die Draggs, mit denen sie seit Urzeiten in Harmonie lebten. Draggs waren treue, anspruchslose Kreaturen, denen es aber an Verstand fehlte. Sie waren nicht in der Lage zu planen, sich selbst zu reflektieren oder gar über ihren Platz in der Welt zu sinnieren, wie Aurigen es vermochten. Sie lebten in den Tag, weideten auf den Auen oder leisteten den Aurigen wertvolle Hilfsdienste beim Einbringen der Ernte, die nun erstmals ausgefallen war. Cy stöhnte. Es ging nicht nur um sein eigenes Überleben - es ging um sein Volk! Zum wiederholten Mal versuchte er über die Entfernung hinweg einen Kontakt zu Ka oder El herzustellen. In der gemäßigten Zone war es Aurigen untereinander möglich, sich zu spüren. Gefühlsbilder des anderen wahrzunehmen, seine Stimmungen, Sorgen, Hoffnungen - manchmal sogar seine Träume. Dies funktionierte ähnlich wie die empathische Verbindung zu den Draggs. Es war eine Gabe. Ein Geschenk der Schöpfung. Mehr hätte Cy nicht darüber zu sagen gewusst. Es genügte. Aber all seine Fähigkeiten, all sein Talent reichte auch diesmal nicht aus. Es kam keine Verbindung zustande. Die hiesigen Strömungen mussten schuld daran sein. Selbst die Verbindung zu dem Dragg war hier draußen wesentlich schwächer und schwieriger aufrechtzuerhalten als in der Lebenszone. Der Gedanke an seine sterbende Welt ließ Cy in Wehmut verfallen. Er war auf Auri geboren und dort aufgewachsen, aber so wie die Dinge standen, würde es ihm verwehrt bleiben, auch dort sterben zu dürfen. Er hatte sich Ka angeschlossen, weil der Weise an sein Verantwortungsbewusstsein appelliert hatte. Denn trotz seiner Jugend genoss Cy den Ruf, mehr Geschick im Umgang mit Draggs und mehr Phantasie beim Ersinnen von Konstruktionen, die die Erntearbeit erleichterten, zu besitzen als irgendeiner sonst. Dieses Talent hat mir kein Glück gebracht, dachte Cy in einem Anflug von Selbstmitleid. Ich werde einsam und verlassen fernab meiner Familie sterben, während die anderen wenigstens... Vor ihm tauchte etwas auf. So jäh und unvermittelt, dass seine Gedanken zu gerinnen schienen. Und dass keine Möglichkeit mehr bestand, ihm auszuweichen. Was ist das? Es sah aus wie ein Trümmerstück. Wie Teil eines geborstenen Gebirges, nur dass es glänzte und schimmerte wie... Wie nichts, was Cy je erblickt hatte.
Nein, Cy hatte dergleichen wahrhaftig noch nie gesehen, und noch ehe er wusste, wie ihm geschah, kollidierte sein Dragg-Gespann auch schon damit. Er fand nicht einmal mehr Zeit, in Panik zu verfallen. Ein fürchterlicher, jäh abbrechender Schrei aus dem Maul des verendenden Tieres, dann rissen die Taue, wurde der Aurige hineingeschleudert ins wirbelnde, blitzende Licht des Mahlstroms, in dem es kein Oben und kein Unten - überhaupt keine Richtung - mehr zu geben schien. Aus! Vorbei! Ende!, durchzuckte es Cy. Das Ende für mich, das Ende für alle anderen... Aber er täuschte sich. Es war erst der Anfang unglaublicher, sich überstürzender Ereignisse.
Erde, Beijing, 2041 a.D.
Im Schatten der falschen Kathedrale hasteten Menschen. Xian stand abseits mit ihrem Mann Wei Sie hustete. Sie war schweißgebadet. Ihre Augen tränten. Wei stützte ihren hageren Körper. Sein Gesicht leuchtete. »Es... es ist noch viel unglaublicher, als ich dachte... ! « Wie ein Lauffeuer hatte sich verbreitet, was passiert war. Sie hatten ihr kleines Dorf nahe der Hauptstadt verlassen und sich einer Gruppe angeschlossen, die gegen den Strom der Flüchtlinge aus der Stadt vorgedrungen war. Allesamt lebensmüde Narren wie sie selbst. Oder solche voller Hoffnung, wie Wei nicht müde wurde zu betonen. Hoffnung. Xian wusste nicht, was sie davon halten sollte. »Die Außerirdischen kommen! « »Die Außerirdischen sind gelandet!« Von Mund zu Mund war die Nachricht weiter getragen worden, nachdem das kaiserliche Fernsehen die Bilder ausgestrahlt hatte. Die Bilder der in den Orbit eintretenden Raumschiffe, groß wie Wolkenkratzer, von denen eines später hier gelandet war. Raumschiffe! ... oder >KathedralenJungs< beschäftigen. Die Mädels sollten es ebenso drauf haben...« »Sie sind ja eine Emanze...«, erwiderte Palmer in gespieltem Erstaunen. Dass er sofort auf ihr Geplänkel einging, zeigte ihr, wie sehr auch er sich nach den Zeiten der relativen Normalität zurücksehnte. »Obwohl... Sie haben Recht. Zuzutrauen wäre es diesem Burschen, dass er zum Chauvinismus neigt. Allein, uns fehlen die Beweise, um ihn dafür hinter Schloss und Riegel zu bringen... « Sarah blickte Palmer an. >Sie mögen ihn auch nicht, oder?« »Mag ich meinen Zahnarzt?« Palmer verzog das Gesicht. »Nein. Aber ich muss trotzdem mit ihm zusammenarbeiten, wenn ich nicht will, dass der Schmerz noch schlimmer wird.« »Kein guter Vergleich.« »Ich bin auch nicht für Metaphern aufgelegt.« »Wie denken Sie über meine Entscheidung? - Ja, ich weiß, Sie sind loyal, Sie haben sie mitgetragen, aber- was denken Sie darüber?« »Dass wir uns mit Sadako kurzschließen sollen?« Sie nickte.
»Cronenbergs Demonstration mit dieser Telepathin war beeindruckend. Die Schlüsse, die er zieht, sind nicht von der Hand zu weisen. Ich würde sagen: Es ist klug, den Dialog mit einem Mann zu suchen, der diese ganze Scheiße höchstwahrscheinlich übersteht, ohne dass es ihm an den Arsch geht.«
»Aber er hält ebenfalls still. Schon seit Tagen ist die Situation unverändert. Die Schiffe sind gelandet. Die Schiffe haben sich verwandelt!« Sie atmete tief durch, konnte immer noch nicht begreifen, was sie via Bildschirm gesehen hatte. »Aber er hat seine Drohung, sein Reich bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, noch immer nicht wahr gemacht. Die Mittel, die uns noch zur Verfügung stehen, zeigen, dass keine einzige Atomrakete abgefeuert wurde, egal ob boden-, luft-, oder wassergestützt. « »Wofür wir dankbar sein sollten.« »Schon - aber es erklärt nicht, was das Mädchen gesehen hat.« »Die Telepathin.« »Scobee...« Sie nickte. Nach einer kurzen Pause nahm sie den Faden wieder auf. »Wir beide, Sie und ich, Sid, wissen nicht zweifelsfrei, ob die Aussagen des Mädchens nicht manipuliert werden.« Er schürzte die Lippen, wiegte skeptisch den Kopf. »Wofür sollte das gut sein? Was sollte sich Cronenberg davon erhoffen?« »Wenn ich das wüsste.« Die Telepathin hatte Kontakt zu ihrem Doppelklon gehalten, der mit anderen Besatzungsmitgliedern des ehemaligen Marsschiffes RUBIKON ins JupiterWurmloch gestürzt war. Danach hatte es ausgesehen, als wären die Expeditionsteilnehmer umgekommen - zumindest für immer ihrer Reichweite entzogen. Doch wider Erwarten hatte Scobee - die Telepathin- nach einem kurzen »Filmriss«, wie sie es selbst ausdrückte, wieder Kontakt zu GT-Scobee auf der anderen Seite des Wurmlochs erhalten. Seither hielt die Verbindung, die einseitig war und von der ihr Doppelklon von der Mannschaft der Rubikon nicht einmal etwas wusste. Seither diktierte die Telepathin ununterbrochen Geschehnisse aus ferner Zukunft - so zumindest die inzwischen favorisierte Theorie zu allen Vorgängen. Die RUBIKON-Besatzung war fernab des Sonnensystems - niemand wusste, wo der Austrittspunkt des Wurmlochs lag - auf Raumschiffe mit irdische Namen gestoßen, die in Kampfhandlungen mit einer anderen Partei verwickelt waren. Eines dieser Raumschiffe, von denen Scobee berichtete, trug den Namen PEKING. Und daraus leiteten Leute wie Cronenberg nun ab, dass es den Menschen der Gegenwart - uns, dachte Sarah beklommen - irgendwie gelungen sein musste, die Invasion der Äskulap-Schiffe zu überstehen, sich vielleicht sogar in den Besitz außerirdischer Hochtechnologie zu bringen, um eine unbestimmte Zahl von Jahren später dazu in der Lage zu sein, selbst ins All vorzustoßen, die Grenzen des Sonnensystems hinter sich zu lassen - zu expandieren!
In der Zukunft - zu der das Telepathenmädchen einen »Draht« zu haben schien. Zeittelepathin hatte Dr. Xander Hays sie ob dieses nicht für möglich gehaltenen Talents genannt - und schien darüber ebenso verblüfft zu sein wie alle anderen. Obwohl Sarah ihm nicht traute. Er und Cronenberg verkörperten all das, was sie immer abgelehnt hatte - und auch künftig ablehnen würde. Dennoch hatte Sid Palmer Recht: Sie mussten sich arrangieren. »Momentan deutet nicht viel darauf hin, dass es sich tatsächlich um das handelt, was wir unter Invasion verstehen würden«, murmelte sie mehr zu sich selbst, aber laut genug, um es auch Palmer hören zu lassen. »Alles ist so verdammt - friedlich. Ist es nicht unglaublich, wie ruhig die Bevölkerung sich verhält. Man hat ihre Regierung quasi enthauptet - sie wissen momentan nicht, was aus ihrer Präsidentin geworden ist. Auch an anderen Orten der Welt sieht es nicht wesentlich anders aus. Und trotzdem gibt es so gut wie keine Panik. Das ist fast schon gespenstisch.« »Wäre Ihnen Panik lieber?« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht lieber - aber ich könnte es eher verstehen.« Palmer wollte etwas erwidern, als es an die Tür klopfte. Sarah stand auf und öffnete. Es war Hays. »Neuigkeiten?«, fragte Sarah, nachdem sie den Wissenschaftler knapp - fast schon unhöflich - begrüßt hatte. Hays verneinte. »Cronenberg schickt mich. Er meinte, solange Sie auf die Verbindung zum Kaiser warten, solle ich Ihnen etwas zeigen, was mich vielleicht interessiert. Sie sind heute eingetroffen. Es war ein schwieriger Transport, aber ich musste darauf bestehen. Sie sind unersetzlich.« »Wovon, zur Hölle, reden Sie?« »Wenn Sie mir folgen wollen...«
Cy Schon der Gedanke daran erschreckte ihn. Er kämpfte mit sich. Ekel, Angst... Wenn ihm klar gewesen wäre, was der Begriff »Mörder« bedeutet, hätte er sich bestimmt dafür gehalten. Dabei sagte ihm sein Verstand, dass der Dragg längst tot war und dass es keine andere Möglichkeit gab, um zu überleben. Wenigstens für eine Weile... Wesen wie Cy töteten nicht. Sie brauchten es nicht, trugen Konflikte mit Argumenten und Verstand aus. Und sie mussten auch nicht töten, um sich zu ernähren, denn das Muttergestirn schenkte ihnen genug Nahrung jeglicher Art, die durch den Lebensgürtel nach Auri getrieben wurde.
Bis vor kurzer Zeit, als eine der beiden Nahrungsquellen versiegte, als keine nährstoffreichen Pollen mehr heranschwebten, um eingefangen und verwertet zu werden. Und nur vom Licht der Sonnenmutter allein konnten die Aurigen auch nicht existieren. Nur beides zusammen erhielt sie am Leben, ließ ihren Stoffwechsel funktionieren. Manche munkelten, dass in grauer Vergangenheit - von der niemand mehr wirklich etwas Genaues wusste, weil sie viel zulange zurücklag - die Vor-Vor-Vorundsoweiter-Vorfahren der heutigen Aurigen noch nicht beweglich waren. Stattdessen waren sie fest verwurzelt mit dem Boden, der sie hervor sprießen ließ. Damals sollten sie ihre Nahrung aus dem Boden gezogen haben. Cy war nicht sicher, ob er das glauben konnte. Es war für ihn einfach unvorstellbar, fest an einen Ort gebunden zu sein und ihn vom ersten Moment der Bewusstwerdung bis zum Tod niemals verlassen zu können. Jene, die das erzählten, mussten sich irren. Natürlich konnten sie leicht solche Märchen erzählen, verwiesen sie doch immer darauf, dass jene Zeit Millionen mal Millionen von Hell-Dunkel-Phasen zurücklag. Wer konnte es nachprüfen? Niemand! Erneut packte der Sturm zu und schleuderte das zerstörte Gespann herum. Cy begriff, dass er seine Gedanken nicht länger verschwenden durfte. Er musste etwas tun, und das so schnell wie möglich. Er musste das tun, was er verabscheute. Den Dragg zerlegen!
Expansion, 17 nA.
Captain Mike Deckert mochte keine kurzfristigen Änderungen. Wenn ein Plan erst einmal für gut befunden worden war, warum ihn dann ändern. Zumal in diesem Fall offensichtlich keine neue Fakten aufgetaucht waren, die eine solche Änderung rechtfertigten. Dass die Liscombianer auch auf Tarrant lebten, war schließlich kein Geheimnis. Deckert fragte sich, ob der Commander möglicherweise zu wankelmütig für seine Aufgabe war. Nicht, dass der Captain sich jemals irgendwie in dieser Richtung geäußert hätte, das war nicht gut für die Moral. Doch man durfte sich schließlich so seine Gedanken machen. Andererseits hatte der Commander einen ausgezeichneten Ruf... »Fertig machen zur Landung! «, sagte der Pilot des Shuttle, mit dem Deckert flog.
Immer diese Formalien. Deckert hätte jedem seiner Männer den Hals gebrochen, der jetzt noch nicht bereit war »Wow!«, brüllte der Pilot plötzlich. Das Shuttle ruckte zur Seite, sodass Deckert in die Sicherheitsgurte geworfen wurde. »Sie schießen mit Raketen auf uns! «, rief der Pilot. »Diese elenden Kreaturen wagen es tatsächlich, auf uns zu schießen.« »Natürlich, du Trottel!«, brummte Deckert. »Nachdem die Schiffe drei Dutzend Shuttles ausgespuckt haben, wird da unten selbst dem Dümmsten klar geworden sein, dass das nichts mehr mit friedlicher Erforschung des Planeten zu tun hat. Und dumm sind die...« Ein erneutes Aufbäumen der Landefähre versiegelte Mallory die Lippen. Er blickte zum Monitor zu seiner Linken. In einem Feuerball wurde eines der Shuttles zerrissen, das sich im Landeanflug auf Tarrant befand. Der fürchterliche Knall war zwar nicht bis in den schalldicht abgeschotteten Flugkörper zu vernehmen, doch Deckert konnte sich das lebhaft vorstellen. Trümmer des zerstörten Shuttles flogen durch die Luft wie Schrapnell... Die Flugabwehrraketen, die die Foraner der Invasion von den drei Raumschiffen entgegenschickten, zogen ihre lautlosen Bahnen. Feurige Schweife und schwarzen Rauch hinter sich herziehend, waren sie verheerend in ihrer Wirkung, wenn sie trafen. Deckerts Pilot hatte aufgehört zu fluchen und konzentrierte sich darauf, den heranzischenden Sprengkörpern geschickt auszuweichen. Nachfolgende Shuttlepiloten waren zum Teil weniger geübt oder hatten weniger Glück. Zum Teil hatten sie auch einfach keine Chance auszuweichen. Immer wieder zeugten feurige Lichtblitze davon, dass eine Rakete getroffen und eines der angreifenden Shuttles zerstört hatte. Captain Deckert ahnte, dass die Invasion auf Tarrant von ihnen allen einen hohen Preis fordern würde. Und einen Augenblick lang empfand er Hass! Hass auf Commander Mallory, der ihn mit dieser blutigen Mission betraut hatte und der einen guten Plan in letzter Minute geändert hatte. Aber als guter Soldat hatte er zu gehorchen. Deckert ahnte nicht, wie ähnlich er dem Commander eigentlich war...
Cy
Lange Schleier einer dunkelroten Flüssigkeiten wehten davon. Blut, dachte Cy. Das muss das Blut sein.
Er hatte davon gehört, es aber nie selbst gesehen. Aurigen besaßen einen völlig anderen Metabolismus. Auch in ihren Körpern gab es Flüssigkeiten und Sekrete, aber sie waren anders als das Blut. das in den Dragg oder auch anderen Lebewesen floss. Er schnitt die Hautsegel vom Körper des Dragg, die noch einigermaßen intakt waren. Gerade drei Stück. Das war wenig, zumal die Gefahr bestand, dass der nicht aufhören wollende Sturm sie ebenso zerfetzen würde, wie die Segel am lebenden Dragg zerrissen hatte. Aber es war den Versuch wert. Cy schauderte, als er die Hautsegel sicherte und den nächsten, noch grausigeren Teil seiner Arbeit in Angriff nahm. Er brauchte Schnüre, Seile, und die fand er in den Sehnen des Tieres, die er aus den Gliedmaßen heraustrennen musste. In dieser Hinsicht gab der Dragg trotz seiner enormen Körpergröße nicht sehr viel her, denn die Sehnen waren relativ kurz. Cy würde sie miteinander verknoten oder besser noch vernähen müssen. Das war sicherer. Knoten lösten sich zu leicht, wie fest auch immer man sie anzog. Die Sehnen waren feucht und glitschig. Sie mussten erst trocknen, ehe er mit ihnen weiterarbeiten konnte. Mittlerweile ließ der Sturm weiter nach. Dennoch blieb er gefährlich, und da der Aurige nicht bestimmen konnte, wohin er jetzt getrieben wurde, wuchs die Furcht in ihm, den Weg zurück niemals mehr finden zu können. Diese Furcht war es, die ihn beflügelte, die ihn schneller arbeiten und seinen Ekel überwinden ließ. Nun wandte er sich den Resten der Plattform zu. Mit dem wenigen Werkzeug, das ihm verblieben war, machte er sich daran, eine Art »Floß« zu bauen, das wiederum wie zuvor die Reiseplattform über einen kleinen Aufbau verfügte, der als Stauraum dienen konnte. Er brachte das, was ihm an Proviant verblieben war, darin unter. Immer wieder hielt er auch Ausschau nach den nahrhaften Pollen. Doch nirgendwo gab es sie. Der einst immerwährende Strom, der Auri erreicht hatte, schien für alle Zeiten versiegt. Oder war er nur durch den tobenden} Sturm in eine andere Richtung gelenkt worden? Es war müßig, darüber nachzudenken, denn durch Denken und Grübeln allein konnte Cy nichts an den Dingen ändern. Immer wieder lauschte er auch nach seinen Kameraden. Aber er konnte niemals wieder einen von ihnen spüren. Er versuchte, sich zu erinnern, wie die Dragg ihre Hautsegel ausspannten. Wie sie sie aufstellten und schwenkten, um mit dem Sonnenwind zu gleiten. Und er bemühte sich, eine Konstruktion zurechtzubasteln, die dieses Schwenken und Ausrichten nachahmte. Allmählich nahm die Sache Formen an. Er zog die Schnüre aus Sehnen, verband sie mit den Masten und Gaffeln. Zog sie durch Ösen, schuf Befestigungsmöglichkeiten. Er arbeitete langsam, weil das alles für ihn höchst ungewohnt war, aber er arbeitete präzise und überlegt. Jede Ursache durchdachte er in der Theorie hinsichtlich ihrer Wirkung. Und dabei lernte er zugleich, wie er diese Segel bedienen musste, um das Floß zu stabilisieren, damit er die Richtung wieder fand, aus der bislang die Nahrung
heran getrieben wurde. Fand er diese Richtung, konnte er irgendwann auch den Heimweg wieder finden. Endlich, nach mehreren Hell-Dunkel-Wechseln, in denen er wenig Nahrung zu sich genommen hatte, weil er seiner Arbeit wegen kaum Zeit dafür fand, war es so weit. Er konnte die Segel hissen. Die Windströmung, die längst kein Orkan mehr war, füllte die Segel. Und Cy begann zu navigieren, so wie es früher der Dragg getan hatte. Das Floß löste sich von dem toten, längst ausgebluteten Geschöpf. Irgendwie war Cy darüber erleichtert. Obgleich er jetzt keinen »festen Boden« mehr unter sich hatte, verschwand aber auch der schaurige Anblick eines Wesens aus seinem ständigen Blickfeld, das ihm lange Zeit treu gedient hatte, und das er zum Dank dafür zerlegt hatte... Zerlegen musste, um dort zu überleben, wo es dem Dragg nicht gelungen war. Er hatte in diesen Tagen viel gelernt. Er war reifer geworden. Aber hatte er das wirklich so gewollt - in dieser brutalen Weise? Musste Erfahrung den Tod in sich bergen? Nun endlich konnte er seinen Weg fortsetzen. Doch er war sich auch über die nicht enden wollende Gefahr im Klaren. Ein zweiter Orkan dieser Art würde ihn und sein Floß vernichten, so wie er den Dragg vernichtet hatte. Einmal war Cy davongekommen. Eine zweite Chance bekam er nie mehr.
Erde, Beijing, 2041 a.D.
Im Laufen fragte sich Xian zum wiederholten Mal, warum nirgends Ordnungskräfte und Soldaten zu sehen waren. Hier war ein fremdes Raumschiff gelandet. Hier hatte sich eben dieses Schiff mit an Zauberei grenzenden Mitteln in etwas anderes verwandelt. Und trotzdem demonstrierte Sadako kaum Stärke? Obwohl sie sich anstrengte, schaffte es Xian nicht, Wei zu erreichen, bevor er das Portal durchschritt. Ein Kind kreuzte ihren Weg und lenkte sie ab. Es weinte jämmerlich. Xian blieb stehen und ging vor dem Jungen in die Hocke, fasste ihn an den Schultern, sprach beruhigend auf ihn ein. In diesem Augenblick tauchte hinter ihr eine Frau auf, trat ihr in den Rücken, packte den Jungen und riss ihn, während Xian stürzte, mit sich fort. Die Frau hatte einen kleinen Koffer bei sich; Das Weinen entfernte sich, und als sich Xian endlich wieder
aufrichtete und ihre Kleidung glatt strich, waren Mutter und Sohn wie von der Bildfläche verschwunden. Wenn es überhaupt ihr Sohn war, durchzuckte Xian ein bizarrer Gedanke. Woher wollte sie wissen, dass sie nicht gerade Zeuge einer dreisten Entführung geworden war? Sie schüttelte die Verstörtheit ab und setzte ihren Weg zu dem außerirdischen Bauwerk fort. Niemand sonst schien zum Portal zu streben. Die Leute, die Xian sah, hasteten in der Mehrzahl achtlos vorüber, und selbst die Gruppe, mit der sie nach Beijing gekommen waren, hatte sie schon vor einer Stunde aus den Augen verloren. Sie sehnte sich nach ihrem Dorf zurück. Nein, korrigierte sie sich, du sehnst dich nach Erlösung. Danach, noch einmal ganz von vorne anfangen zu können. Ein neues Leben. Ohne Schatten... Sie war über die eigenen Gedanken so verblüfft, dass sie stolperte und fast noch einmal hingefallen wäre. Es muss die Nähe dieses sakral anmutenden Baues sein, dachte sie. Aber sie erkannte sich selbst nicht wieder. Nicht nur Wei hatte sich verändert. Und noch etwas bemerkte sie, als sie das Tor in dem riesigen Gebilde fast schon erreicht hatte und an den Außenwänden emporblickte. Die Verwandlung dieses Dings war noch nicht abgeschlossen. Was ihr aus der Ferne entgangen war, wurde aus der Nähe offensichtlich: Entlang der anthrazitfarbenen Fläche war Bewegung! Es erinnerte an ein Rekonstruktionsprogramm, mit dem Xian manchmal zu Hause am Computer arbeitete. Sie war leidenschaftliche Fotografin mit einem Hang für Altes. Oft durchstreifte sie die Umgebung des Dorfes auf der Suche nach Tonscherben oder anderen Überresten, die ihr interessant erscheinen. Diese nahm sie mit nach Hause, fotografierte sie und ließ die Aufnahmen der Fragmente ein Programm durchlaufen, das selbst aus einem Splitter noch Rückschlüsse auf das frühere Ganze zu ziehen vermochte - erst ein grobes Raster erstellte und dieses nach und nach ausfüllte. So wie das langsame Wachsen einer Rekonstruktion entlang eines ersten groben Rasters wirkte auch der Anblick der »Kathedrale« auf Man. Sie hatte die Anfänge nicht erlebt, aber jetzt - jetzt sah es aus, als fülle sich das weit fortgeschrittene Grundgerüst immer noch mit »Fleisch«. Details wurden ausgearbeitet. Atome gruppierten sich um... Nanotechnologie, dachte sie. In einer Perfektion, von der wir nur träumen - oder die wir nur fürchten können... Sie fürchtete sich auch, das Ding zu betreten. Tat es aber doch und folgte Wei wie an einer unsichtbaren Schnur. Die Schwelle war ein Problem. Auf der Schwelle - der Zugang war offen, und es gab kein sichtbares Tor. um ihn überhaupt zu schließen -überkamen Xian noch einmal heftigste Zweifel, ob sie klug handelte. Ob sie wusste, was sie da tat_ Sie wusste es nicht, entschied sie. Aber ihre Beine trugen sie nach kurzem Zögern fast wie von selbst über die Schwelle, von der aus nichts zu erkennen war, was sich dahinter befand.
Das änderte sich jenseits der Marke, die sie überschritt. Und mit einem Gefühl, als hätte sie gerade die Welt verlassen, schrie sie gellend auf.
Die Suche Übergangslos zerbarst die Routine in tausend imaginäre Scherben. Algorian hatte das Gefühl, von einer gewaltigen, würgenden Faust umschlossen zu werden, als sein Erstling plötzlich - noch bevor ein Instrument ansprach - grollend verkündete: »Eine Sppurrrrr!« Die Zentrale schien über Algorian zusammenzustürzen. Es ist nur eine Spur, versuchte er sich zu beruhigen. Zugleich aber war er sich bewusst, dass es eben auch die erste Fährte war, die sie seit Beginn der Suche überhaupt aufgenommen hatten. Während der ganzen Zeit, die hinter ihm lag, hatte Algorian immer geglaubt, dieser Augenblick müsste etwas Erhebendes, geradezu Feierliches an sich haben. Die Wirklichkeit sah anders aus. Sehr viel nüchterner und ernüchternder. Augenblicklich war er in die Aufgeregtheit seines Bruders eingebunden. Und mit minimaler Verspätung schlugen auch die Ortungsgeräte an. Treffer!, dachte Algorian. Wobei Treffer noch nicht Volltreffer hieß, aber davon ließ sich Algorian nicht bremsen. Vor ihm baute sich knisternd ein Tasthologramm auf, in das eine Sternenkarte jenes Sektors eingebettet war, den sie gerade bereisten. Die zurückliegenden Etappen, allesamt erfolglos verlaufen, waren als farblich abgesetzte Linien markiert. Der Kartenausschnitt machte nicht einmal 0,01 Prozent des Gesamtumfangs der Galaxis aus und umfasste bis dato unerschlossenes Gebiet. Die Suche hatte den nützlichen Nebeneffekt, dass dieses bisherige Niemandsland zumindest kartographiert wurde. Algorian und sein Erstling hatten insgesamt vier Sonnensysteme entdeckt, die sich rein theoretisch für eine Kolonisierung geeignet hätten. Systeme, die allerdings auch für die Aggressoren von Interesse werden konnten, obwohl gerade sie - so schien es - sich lieber auf bereits voll entwickelte Infrastrukturen konzentrierten. Der Gedanke an die Aggressoren, die für sämtliche Anstrengungen, die die Allianz CLARON in jüngerer Vergangenheit unternommen hatte, verantwortlich waren, drohte Algorian aus der Konzentration zu reißen. Doch dann nahm ihn das Jagdfieber wieder voll gefangen. Jagdfieber! Er hatte sich immer gefragt, wie sich der Moment anfühlen würde, in dem sein Erstling »anschlug«.
Jetzt wusste er es. Es war atemberaubend. Es beherrschte ihn bis in die letzte Faser seines Seins, während seine Hände über und durch das Hologramm huschten, die schaltbaren Felder berührten und so den Kurs der MASOT beeinflussten, ihn auf die stetig fließenden Informationen abstimmten. Die Psi-Fühler des Erstlings hatten sich in das noch ferne, am Rande der Wahrnehmung befindliche Ziel ausgerichtet und tasteten es nun unentwegt ab. Der betreffende Stern funkelte tiefrot innerhalb der Darstellung. »Spurrr starrkkk! «, kommentierte der Erstling. Dass er zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit die Stimme erhob, bedeutete für seine Verhältnisse fast schon Redseligkeit. »Spürrrre dasss gessucchhte Mussterrrr! Klaarrrr... Ganzzz klarrr!« Die Worte schnitten wie Klingen in Algorians Körper. Er verinnerlichte sich, was es bedeuten würde, wenn ausgerechnet ihnen Erfolg beschieden wäre. Ruhm und Ehre ein Leben lang... Vielleicht wäre er der erste Nachgeborene, dem es in einem solchen Fall gelingen könnte, wenigstens vorübergehend ins Bewusstsein der völlig auf Erstlinge fixierten Aorii-Gesellschaft zu dringen... Wunschdenken!, maßregelte er sich. Was bist du doch für ein Narr! Wie leicht du aus der Bahn zu werfen bist! Es wird sich als Irrtum erweisen. Als Beinahe Treffer. Alles andere wäre... wäre... Er fand keinen passenden Vergleich. Die MASOT glitt dem Zielstern entgegen. Der Erstling pumpte fauchend Luft, seine Präsenz auf geistiger Ebene schwoll an. Die Atmosphäre innerhalb der Schiffszentrale war zum Zerreißen gespannt. »Schnellerrrr!«, drängte der Koloss, aus dessen Schädel die Kabelverbindungen wie ein Bündel mörderischer Zachwürmer heraus stachen. Das Antriebsgeräusch, sonst dumpf und monoton, hatte sich zu einem hohen Singen gesteigert. Mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit raste das Schiff dem Ort entgegen, an dem der Erstling etwas gefühlt, geortet hatte, das den geforderten Parametern entsprach. Und Algorian wurde immer nervöser, je näher sie kamen. Narr!, schimpfte er sich wieder und wieder - um seine Erwartungen zu dämpfen und zu verhindern, dass die Enttäuschung, die folgen musste, ihn nach übertriebener Hoffnung wieder brutal auf den Boden der Tatsachen zurückbeförderte...
Expansion, 17 n.A.
Leise wie ein Adler glitt das Shuttle durch die Schneise zwischen den himmelstürmenden Bäumen. Dann wurde es abgebremst. Es stand sekundenlang in der Luft, dann senkte es sich langsam auf den Boden nieder. Die Landefähre brauchte keine Rollbahn. Wie ein Helikopter konnte sie senkrecht niedergehen. Mit einem kaute wahrnehmbaren Ruck setzte sie auf, und der Co-Pilot drückte den Knopf, der die Luke öffnete. Captain Deckert schnappte sich sein Gewehr, erhob sich und sprang aus dem Shuttle. Er lief an den Rand der breiten und endlos lang anmutenden Straße, die den Dschungel zerschnitt wie ein graues Band. In der Ferne waren Türme und einige Häuser zu sehen. Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, dass sie direkt in der Hauptstadt landen sollten. Doch die Anzahl der Angriffsshuttles war halbiert worden, und das Luftabwehrfeuer war stärker als vorausgesehen. Sie hatten unmöglich den ursprünglichen Kurs beibehalten können, wollten sie nicht inakzeptable Verluste riskieren. Mit der vollen Anzahl Shuttles wäre ihr eigenen Abwehrfeuer vermutlich dicht genug gewesen, um alle Raketen abzufangen. Offensichtlich hatte Commander Mallory einen Fehler begangen. Hoffentlich bleibt das der einzige!, dachte Deckert grimmig. Seine Soldaten, die mit ihm in der Landefähre gewesen waren, folgten ihm. Die übrigen 13 Shuttles landeten nach und nach. Deckert presste die Lippen zusammen, sodass sie nur noch einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. Vier Fähren!, schoss es ihm durch den Kopf. Gott verdammt! Die Landung hat uns schon vier Fähren gekostet. 200 Soldaten und 8 Piloten - alle tot! Was für ein Preis! Es war ein Himmelfahrtskommando, mit dem er von Mallory betraut worden war. Der Tod flog mit ihnen und war allgegenwärtig... Aus den 14 Shuttles sprangen 700 Elitesoldaten, Soldaten. Im Laufschritt nahmen sie Aufstellung. Niemand verlor ein Wort. Es bedurfte keiner gebrüllten Befehle, keiner schnarrenden Kommandos. Die Männer waren aufeinander eingespielt, jeder kannte seinen Platz und seine Aufgabe. Innerhalb kürzester Zeit standen sie in Reih und Glied. Es waren neun Kompanien gewesen. Jetzt waren es noch fünf zu jeweils 100, vier zu jeweils 50 Mann. Die Kameraden dieser dezimierten Einheiten hatten in den Shuttles gesessen, die von den Flugabwehrraketen der Foraner getroffen worden waren. Aus den neun Kompanien wurden sieben mit jeweils 100 Mann gebildet. Mit ihren schwarzen Helmen und dunkelgrünen Anzügen sahen die Soldaten aus wie überdimensionale Ameisen, wie Klone, die sämtlich einer dieser Erscheinungen nachgebildet worden waren. Aber es waren Menschen aus Fleisch und Blut. Keiner älter als 25 Jahre. Männer, die in geheimen Lagern zu kompromisslosen Kampfmaschinen herangezüchtet worden waren, die in ihrem Leben nichts anderes kennen gelernt hatten als zu gehorchen, zu kämpfen - und zu töten.
Die Kompanieführer versammelten sich um Deckert und schnarrten ihre Meldungen herunter. »Wir trennen uns!«, erklärte Deckert, der sich bereits einen Ausweichplan zurechtgelegt hatte. »Bis zur Hauptstadt liegen etwa zehn Meilen vor uns. Jede Kompanie versucht für sich, das Ziel zu erreichen. Sollten Ihnen Foraner in feindseliger Absicht gegenübertreten - eliminiert sie. Wir sind hergekommen, um Tarrant zu erobern und zur ersten Kolonie der Menschheit im Sternenbild Triangulum auszurufen. Noch Fragen?« »Nein, Sir«, erklang es mehrstimmig. »Ich selbst übernehme die 7. Kompanie. Lasst euch nicht umbringen, Jungs. Abrücken! « Die Kompanieführer salutierten und liefen auseinander. Kurz darauf erschallte es: »A-Kompanie, rechts um! A-Kompanie - Marsch! « Die B-Kompanie folgte, dann die C-Kompanie... Zuletzt wurde die G-Kompanie in Marsch gesetzt. Es war die 7. Kompanie, wie Captain Deckert sie bezeichnet hatte. Er führte die Männer in den Dschungel hinein. Vögel zwitscherten, Insekten summten. Das schrille Geschrei irgendwelcher Urwaldbewohner sickerte heran. Überall war Knacken und Rascheln, Rauschen und Säuseln. Doch das alles wurde übertönt, als die Triebwerke der Shuttles aufbrüllten. Das Heulen der Maschinen betäubte die Trommelfelle. ` Im nächsten Augenblick erhob sich das erste Shuttle über die Urwaldriesen. Das zweite folgte, das dritte... Die Landefähren drehten ab und nahmen Kurs zu den Mutterschiffen. Es wäre viel zu gefährlich gewesen, sie im Urwald zurückzulassen. Nachdem die Foraner die Menschen schon mit Flugabwehrraketen in Empfang genommen hatten, hätten sie die Shuttles unweigerlich zerstört, sobald sie sie geortet hatten. Ohne die Landefähren aber wären der Captain und seine sieben Kompanien Soldaten nicht mehr von dem Planeten entkommen können. Und das hätte ihrer aller Ende bedeutet... Sie marschierten in Dreier-Reihe. Vorneweg stapfte Captain Deckert durch das Dickicht aus Farnen und riesigen Schachtelhalmen, die die Größe von mittleren Bäumen besaßen. Die Hände des Captains lagen fest um das Blastergewehr. Seine Augen waren unablässig in Bewegung. Die Soldaten bewegten sich verhältnismäßig leise. Au - - sic ununterbrochen sichernd um. Dichte Schatten nisteten zwischen den uralten Stämmen. Sträucher und Felsklötze im Hintergrund verschwammen in der diesigen Luft. Vereinzelte Lichtbahnen brachen durch das Zweiggespinst und malten goldene Muster auf den Waldboden. Überall war ein Wechsel von Licht und Schatten, der das Auge irritierte und huschende Gestalten vortäuschte.
Captain Mike Deckert fühlte sich von tausend Augen beobachtet. Er fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut. Sie waren in feindseliger Absicht auf Tarrant gelandet, und Entgegenkommen oder Verständnis durften sie nicht erwarten. Der Commander gab sich keinen Illusionen hin. Er schaute nach links, nach vorne, nach rechts. Nichts ! Wie zufällig wanderte sein Blick an einem der Baumriesen, der sich ein Stück vor ihm zum Himmel reckte, in die Höhe. Und da sah er die Gestalt - ein Foraner. »Achtung, sie sind da!«, zischte Deckert in das Kehlkopfmikro, über das er mit allen Männern seiner Kompanie in Verbindung stand. Er warf sich zur Seite und riss das Gewehr hoch. Lautlos raste der Blasterstrahl schräg nach oben, kreuzte sich mit der grellen Lichtbahn aus dem Gewehr des Foraners. Deckerts Energiestrahl traf den Foraner mitten in die Stirn. Dort, wo der Captain eben noch gestanden hatte, brachte der feindliche Blaster die Luft zum Kochen und bohrte sich in den Stamm eines Baumes. Rinde spritzte, Holzspäne flogen wie Geschosse durch die Luft, Flammen züngelten um das Einschussloch, erloschen aber sogleich wieder. Der Foraner kippte von dem Ast, auf dem er gehockt hatte, und stürzte in die Tiefe. Das Blastergewehr glitt ihm aus den Händen. Äste brachen unter dem Gewicht des Getöteten, andere wurden nach unten gedrückt und peitschten wieder nach oben, dann kam der Aufprall auf dem Waldboden. Mit ausgebreiteten Armen blieb die Kreatur liegen. Die Soldaten waren abgekniet. Sie bildeten einen Kreis, die Mündungen ihrer Gewehre zeigten in alle Himmelsrichtungen. Sekundenlang geschah gar nichts. Captain Deckert kniete inmitten seiner Männer. Jede Faser seines Körpers war auf das Äußerste gespannt. Die Atmosphäre war spannungsgeladen wie vor einem schweren Gewitter, gefährlich und nahezu unerträglich. Deckerts Sinne arbeiteten mit doppelter Schärfe, und er spürte instinktiv, dass irgendwo zwischen den Urwaldriesen und im dichten Unterholz die Hölle für sie vorbereitet wurde. Sekunden später begann das Chaos. Zwischen den Bäumen glühten die Blasterstrahlen aus den Waffen der Foraner auf. Doch die Einheimischen waren nicht zu entdecken. Sie verstanden es, sich wie Tiere im dichten Gebüsch des Dschungels zu verkriechen und für den Gegner unsichtbar zu bleiben. Von allen Seiten griff der lautlose Tod nach Deckerts Männern. Sie wurden von den Treffern herumgerissen und geschüttelt, bäumten sich auf, und stürzten tot oder sterbend zu Boden. Es gab keine Gnade und kein Erbarmen. Es gab nur Hass und tödliche Leidenschaft. Blindlings feuerten die Invasoren von der Erde zurück. Hin und wieder landeten sie einen Zufallstreffer.
»Wir hauen ab!«, brüllte Deckert. »Rückzug!« Er federte hoch und stürmte los. Seine Männer, soweit sie noch dazu in der Lage waren, folgten ihm nach allen Seiten feuernd und sich auf diese Weise Feuerschutz gebend. Plötzlich sprang direkt vor Deckert ein Foraner hinter einem Baum hervor. Der Captain erfasste das Bild dieser Kreatur, die mit ihren überlangen Armen und den kurzen, stämmigen Beinen eher an einen Affen als an ein intelligentes Wesen erinnerte. Er trug einen Brustharnisch aus matt glänzendem Metall, einen Helm aus demselben Material und Beinkleider aus Leder. Seine Füße steckten in hohen Stiefeln. Mit wütendem Geheul legte der Foraner an. Das hässliche, dunkle Gesicht hatte sich verzerrt. In den gelben Augen, die wie Wolfslichter schimmerten, glomm der fanatische Hass. Die langen, schwarzen Haare waren verfilzt und strähnig. Einen Herzschlag lang war der Captain wie gebannt von dieser Erscheinung. Dann aber schüttelte er die Lähmung ab, feuerte und... Der Blasterstrahl konnte den Brustpanzer nicht durchdringen. Deckert war einen Augenblick lang schockiert. Ungläubiges Staunen erfüllte ihn. Einen Lidschlag später hielt er höher und traf das verzerrte Gesicht. Der Kopf zerplatzte regelrecht, und der Foraner brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Wütendes Gebrüll erschallte ringsum. Der Captain sprang über den reglos Daliegenden hinweg. Als er einen schnellen Blick über die Schulter warf, sah er den Rest seiner Mannschaft hinter sich herstürmen. Die Männer feuerten, was die Rohre hielten, trotzdem sah Deckert noch einige von ihnen stürzten. Der Magen krampfte sich ihm zusammen. Es ging einen Abhang hinauf. Über dem Rand erhoben sich Bäume und dichtes Strauchwerk. Atemlos langte Deckert oben an. Seine Lungen stachen. Seine Bronchien rasselten. Der Captain wirbelte herum. Ein Blick auf die kläglichen Rest seiner Kompanie sagte ihm, dass gut die Hälfte der Männer gefallen war. Die Erkenntnis kam mit schmerzlicher Schärfe und drohte den Captain wie mit tonnenschweren Gewichten zu erdrücken. Unten rannten einige der Foraner aus dem dichten Gestrüpp, knieten ab, zielten sorgfältig und schickten die grünlichen Blasterstrahlen hangaufwärts. Männer wurden getroffen, bäumten sich auf, stürzten und starben. Es war furchtbar. »Beeilt euch, verdammt! In Deckung!« Der Captain brüllte sich fast die Lunge aus dem Leib. Unter dem Helm drang allerdings kein Laut hervor, und durch die Lautsprecher der Headsets an den Helmen der Soldaten würden seine Worte gefiltert und normal zu vernehmen sein. Deckert feuerte auf die Angreifer und sah die affenartigen Kreaturen stürzen. An ihm vorbei rannten die Soldaten, warfen sich in Deckung und eröffneten ebenfalls das Feuer auf die Foraner.
Die Blastergewehre schickten ihre Tod bringenden Lichtbahnen aus den Mündungen. Die Foraner stürmten den Hügel hinauf und griffen mit wüstem Geschrei angriffen. Die Blasterstrahlen aus ihren Waffen ließen das Erdreich spritzen, Felsbrocken zerplatzten, Baumstämme qualmten dort, wo ihnen die gebündelten Lichtstrahlen tiefe Wunden beigebracht hatten. »Captain«, kam es durch den Lautsprecher in Deckerts Helm, »Sir, wir werden uns hier nicht lange halten können. Sicher werden die Foraner sehr bald Verstärkung erhalten. Und wenn sie uns in der Zange haben, dann gute Nacht.« Es war Sergeant Miles Warwick, der diesen drängenden Appell abgesetzt hatte. Deckert schoss einen der Angreifer von den Beinen. Er sah ihn die Arme hochreißen, und das Gewehr des Foraners flog in hohem Bogen davon. Schwer krachte der Körper auf den Waldboden und verschwand im kniehohen Unkraut. »Wir ziehen uns zurück, Sergeant«, sagte Deckert nach kurzer Überlegung. »Sie und ihre Gruppe decken unseren Rückzug. Wir geben Ihnen Feuerschutz, sobald wir die Stadt am Ende der Straße erreicht haben.« »Meine Gruppe, Sir«, kam es bitter zurück, »besteht noch aus sieben Mann. Sieben von zwanzig Aber in Ordnung, Sir. Ziehen sie sich mit dem Rest der Kompanie zurück. Wir werden diese Halbaffen aufhalten, so lange es geht.« »Sergeant Walker! «, rief der Captain ins Mikrofon. »Hören Sie mich, Walker?« Ein Knistern drang durch den Lautsprecher, dann eine Stimme: »Walker ist gefallen, Sit. Er...« »Wer sind Sie?« »Soldat Wassilovic.« »Übernehmen Sie die zweite Gruppe, Wassilovic, und unterstützen Sie Sergeant Warwick. Klar?« »Klar, Sir.« »Erste Gruppe, zweite Gruppe, fünfte Gruppe - Rückzug!«, stieß der Captain grimmig hervor. Er erhob sich, feuerte blitzschnell noch einige Male und sah einige der sich den Hügel hochkämpfenden Foraner stürzen, dann warf er sich herum und rannte mit langen, kraftvollen Sätzen den Abhang hinunter. Etwa 35 Mann folgten ihm. Die dritte und vierte Gruppe blieb auf dem Kamm zurück und lieferte den Foranern einen verbissenen Kampf. Captain Deckert und der Rest der G-Kompanie verschwanden im dichten Dschungel.
Cy Einsamkeit.
Verlorenheit. Das war es, was Cy empfand während seiner Weiterreise unter den erschwerten Bedingungen. Er gewöhnte sich rasch daran, mit den Segeln zu navigieren, aber er gewöhnte sich nicht daran, allein zu sein. Keine anderen Aurigen in der Nähe, nicht einmal ein Dragg. Er war allein. So allein, wie er es sich niemals zuvor hatte vorstellen können. Mehrere Hell-Dunkel-Wechsel vergingen, während er weiterflog, dem ungewissen und unsicheren Ziel entgegen. Bis plötzlich ein seltsames Etwas seinen Weg kreuzte. Ein Ding, wie er es nie zuvor gesehen hatte. Es glänzte im Licht der Lebensspenderin, aber seine Ränder waren gezackt und zerfranst, als hätte Feuer an ihnen gefressen. Es glitt vorbei, ehe er danach greifen konnte. Um es einzufangen, hätte er wenden müssen. Doch er verzichtete darauf. Die Strömung war gerade sehr günstig, und nach einem vorübergehenden Kurswechsel hätte er sich erst mühsam wieder einfädeln müssen. Zumal es nicht sicher war, ob es ihm überhaupt gelungen wäre, das seltsame Ding zu verfolgen und einzuholen. Denn er hätte gegen die Strömung des Sonnenwinds fliegen müssen. Dem Ding selbst schien diese Strömung nichts auszumachen. Es flog ihr ungehindert entgegen. Getrieben vielleicht von einem völlig anderen Zwang. Bald darauf sah er andere Dinge vorübertreiben, größere und kleinere. Ihre Formen waren unterschiedlich, aber alle zeigten deutliche Merkmale einer Beschädigung oder Zerstörung. Sie bewegten sich unterschiedlich schnell und in unterschiedliche Richtungen. Cy beobachtete, wie zwei dieser Fragmente einander berührten, voneinander abprallten und auf neue Bahnen gestoßen wurden. Je weiter er vordrang, desto mehr dieser Trümmerteile gab es. Ja, richtig: Es mussten Trümmer sein. Er musste an seine Reiseplattform denken. Das, was von ihr losgeschlagen worden war, musste diesen Teilen in gewisser Hinsicht ähneln. Was aber war hier zerstört worden? Er näherte sich immer mehr dem Zentrum. Bald schon musste er die Segel reffen, musste zusehen, dass sein Floß langsamer wurde. Denn je dichter das Trümmerfeld, desto größer wurde die Gefahr, eines der Teile ungewollt zu rammen. Und viele von ihnen waren größer als sein Floß... Sein räumliches Denken versagte, als er sich vorstellte, wie das zerstörte Objekt einmal ausgesehen haben mochte. Sicher war es sehr groß gewesen, wenn auch bestimmt nicht so groß wie eine Spore vom Ausmaß der Auri. Aber was hier an Teilen herumschwebte, überstieg beinahe sein Begriffsvermögen. Es war riesig. Er manövrierte vorsichtig zwischen den Trümmern hindurch und näherte sich einem Teil, das weitaus großer war als alle anderen. Anfangs noch hatte er es zwar für groß, aber nicht für so groß gehalten. Mit der Zeit stellte er fest, dass er die Entfernung falsch eingeschätzt hatte - das Objekt war weiter entfernt von ihm und deshalb in Wirklichkeit auch um ein vielfaches größer als bei seinem ersten Beobachtungseindruck.
Die ursprüngliche Form ließ sich nicht mehr erkennen. Überall waren gewaltige, ausgefranste Löcher. Hier und da ragten Gitter und Streben einsam ins Nichts wie die Knochen eines Dragg. Es sah so aus, als hätte sich im Innern des Objektes ein mächtiger Riese ausgetobt, wild um sich geschlagen und große Teile abgeschlagen und fortgeschleudert. Doch es gab auch eine Stelle, die so aussah, als habe jene Riesenfaust von außen zugeschlagen und sich tief in das Objekt hineingebohrt. Cy konnte sich nicht vorstellen, was hier geschehen war. Aber irgendwie ahnte er, dass dieses zerstörte Objekt wichtig war. Dass es eine Bedeutung für ihn hatte, und auch für alle anderen Aurigen, für die Spore, für ihrer aller Leben und Überleben. »Ich muss herausfinden, was dieses Ding war«, sagte er leise. Er manövrierte sein Floß dicht an das Trümmerobjekt heran und dockte an. Sorgfältig vertäute er es, damit die Strömung des Sonnenwinds, die das Muttergestirn dem Lebensgürtel schenkte, es nicht davon treiben lassen konnte. Und ein neuerlicher Sturm erst recht nicht. Er sah noch einmal zur Sonnenmutter, nahm ihr rötlichgelbes Licht auf - und betrat das Trümmerobjekt.
USA, Nevadawüste, geheimer unterirdischer Komplex, 2041 a.D. Das aufgedunsene, narbige Gesicht verzog sich zu einem abfälligen Lächeln. Der kleine Mund mit den aufgeworfenen Lippen formte ein Bild, das an einen vergreisten Babymund erinnerte. Sarah Cuthbert unterdrückte das Gefühl von Abscheu, das ihr den klaren Sinn trüben wollte. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Hays hatte sie erkannt, dass dieser Mann alles missen ließ, was nötig gewesen wäre, um sie zu Freunden zu machen. Es war nicht einmal genug vorhanden, um gegenseitige Wertschätzung, gegenseitigen Respekt gedeihen zu lassen. Schon als Mann an sich ist er abstoßend, dachte sie. Aber seine Einstellung übertrifft alles. Der Lift stoppte, die Tür glitt auf. Hays machte eine auffordernde Geste. »Madam President ... « »Danke, nach Ihnen.« Er akzeptierte, ohne sich zu zieren. Auch die Liftfahrt war mit einem starken Déjà-vu für die Präsidentin verbunden. So hatte alles begonnen. Mit einem Ausflug in die Tiefe eines ähnlichen Stützpunkts wie diesem hier. ort, wo Hays sein Telepathenprojekt geleitet hatte. Dort, wo Sarah zum ersten Mal dem Mädchen Scobee begegnet war - dem Ebenbild von GT Scobee, die auf der RUBIKON reiste.
Eine einschneidende Erfahrung, wie auch die SCHWARZE FLUT, die Abermillionen Leben ausgelöscht hatte. (Siehe Band 1 »Armageddon« von Manfred Weinland) Und allein schon deshalb, dachte Sarah, sind die Invasoren zu verdammen! Sie mögen sich noch so zurückhalten. Niemand glaubt ihnen, dass sie keine Gräuel im Schilde führen. Sie haben die Welt schon an den Rand der Katastrophe geführt. Denkbar, dass sie jetzt gekommen sind, um die Früchte zu ernten, die sie gesät haben. Aber welche Früchte konnten das sein? Worauf hatten es die Außerirdischen abgesehen? Noch immer gab es kein Gesicht hinter der Angst, die einen ganzen Planeten knebelte. Kein Hinweis auf das Aussehen der Invasoren. Ihre Herkunft. Ihre... »Worauf warten Sie?« Sarah schüttelte ihre Benommenheit ab, ärgerlich, weil Hays sie dabei ertappt hatte, wie sie kurz von ihren Gedanken gefangen genommen wurde. Die Sorgen wurden nicht weniger, doch wenn sie sich diesbezüglich einem Menschen nicht mitteilen wollte, dann war es der Wissenschaftler. Ein kurzer, matt erhellter Korridor, dann eine Tür, die sich nach Retinaabtastung öffnete. Hays' Fingerspitzen huschten über eine Schalttafel neben dem Türrahmen und legitimierten auch seine Begleiterin, den dahinter liegenden Raum zu betreten. Sarah verzichtete darauf, sich mies zu fühlen, weil sie in dieser Sache auf Hays angewiesen war. Die Art, wie er es genoss, sich vor ihr aufzublasen, weckte nur Ärger, Wut und Verachtung. Nein, Dr. Hays war niemand, der es ihr leicht machte, an die guten Absichten hinter dem Klonprojekt zu glauben. Ein Eindruck, der von seiner Verbundenheit mit Cronenberg noch untermauert wurde. Seelenverwandte, dachte sie. Falls sie noch eine Seele haben. Und sie nicht längst dem Teufel verkauft hatten. Wieder übertrat sie die Schwelle erst nach Hays. Ein steriler, karger Raum erwartete sie. Er entsprach dem Klischee eines Bunkertrakts, in dem sich bestenfalls ein Tisch und Stühle befanden, damit die Wachhabenden Karten spielen oder sich sonst wie die Zeit vertreiben konnten. Aber es gab nicht einmal Möbel. Nur ausklappbare Bänke an den Wänden. Und eine weitere Tür. Sie war unverschlossen und mit einem normalen Türknauf zu öffnen. »Nur damit Sie Bescheid wissen«, sagte Hays, während er das Licht im Nebenraum aktivierte. »Sie sind nicht tot.« Mit diesen Neugier weckenden Worten führte er die Präsidentin in einen Bereich, der frappant an ein pathologisches Institut erinnerte. Den Autopsiebereich. Es war Raum genug vorhanden für ein gutes Dutzend der Behälter, von denen nur drei gleichmäßig über die schattenlos erhellte Fläche verteilt standen. Rundum geschlossene, undurchsichtige Behälter aus Aluminium oder einem ähnlich aussehenden Material. Jeder hatte etwa den dreifachen Umfang eines Sarges.
»Was ist das?« Sie löste den Blick von den Behältern und starrte ihn an. »Sie hatten Recht, es interessiert mich. Also spannen Sie mich nicht unnötig noch länger auf die Folter.« »Mobile Stasebehälter«, erwiderte Hays. »Ich nenne sie vereinfachend: meine Frischhalteboxen.« Obwohl er grinste, erreichte der Witz nicht seine Augen. »Sie zeigen mir bestimmt keine leeren Stasesysteme«, sagte sie, ohne seinen »Sinn für Humor« auch nur mit einer einzigen Bemerkung zu würdigen. »Oder wollen Sie mir nur nahe legen, ich sollte mich besser auf Eis zu legen lassen? Bis alles wieder gut ist?« Ihr Sarkasmus musste selbst ihn erreichen. Doch er zeigte keine Reaktion - so wenig wie sie kurz zuvor auf seine launige Bemerkung. Ohne etwas zu erwidern, ging er auf den mittleren Behälter zu und betätigte ein paar Tasten an der Stirnseite. Der leise Brummton, der den Raum erfüllte, veränderte sich, wurde heller. Und dann verlor die Wand des Behälters scheinbar ihre Dichte. Undurchsichtiges Metall wandelte sich zu Material, das erst an milchiges, dann - binnen weniger Sekunden - an absolut klares Glas erinnerte. Zudem war das Innere des Behälters beleuchtet, sodass Sarah mühelos die darin ruhende Gestalt als das erkennen konnte, was sie war. »Scobee!«, rief sie empört. »Was haben Sie mit dem Mädchen gemacht - und warum? Sie ist unsere einzige Verbindung zu...« Sein spöttisches Grinsen brachte sie zum Verstummen. »Es ist nicht das Telepathenmädchen?« Er schüttelte den Kopf. »Ein... weiterer Klon?« Sie ballte die Fäuste. Auf dem ursprünglichen Stützpunkt hatte sie Hays eindringlich gefragt, ob es noch weitere Klone auf der Erde gebe. Er hatte im Brustton der Überzeugung verneint. Und tat es auch jetzt. Er verneinte. Er winkte sie näher zu sich heran und wartete, bis ihr Blick das entspannte Gesicht der Staseschläferin ausgiebig studiert hatte. »Ist sie nicht wunderschön?« Sarah zuckte leicht zusammen, als sie den bemüht leichthin gesagten Satz innerlich sezierte. Aus den Augenwinkeln musterte sie den Professor. Was hatte der Zug um seine Lippen zu bedeuten? Dieser... Lüsterne-Alte-Männer-Ausdruck... Sie versuchte, sich einzureden, dass dergleichen nur ihrer eigenen schmutzigen Fantasie entspringen konnten. Die Abgründe, die Möglichkeiten, die sich für Hays aus dem täglichen Umgang mit den Klonen und ihrer Konditionierung ergeben hatten, beunruhigten sie plötzlich fast mehr als die gesichtslosen Fremden in ihren Schiffen. Schiffe, die inzwischen zu Basen geworden waren. Was darauf hindeutete, dass die Invasoren sich auf einen längeren Aufenthalt einrichteten. Sie gab sich einen Ruck. Überging seine rage. Aber nicht für sich selbst. Schön, dachte sie. Wunderschön, o ja. Aber irgendwie wirkte diese Scobee auch reifer als das Telepathenmädchen und selbst als GT-Scobee, die sie von Bildübertragungen her kannte. »Ich warte!«, sagte sie. »Auf eine Erklärung. Auf eine sehr gute Erklärung... «
Sein Feixen erlosch. »Das«, er machte eine Geste wie ein Zirkusdirektor, der den Auftritt eines Artisten ankündigt, »sind die Vorlagen.« »Die...?« Sie sprach es nicht aus. Aber sie begriff. »Nein...«, flüsterte sie, ohne genau zu wissen, warum ausgerechnet diese Antwort sie entsetzte. »Doch. Darf ich vorstellen: Matrix Scobee.« Seine Hand deutete auf den zweiten Tank. »Matrix Resnick... « Und auf den letzten. »Matrix Jarvis...«
Die Suche Die MASOT fiel in den Normalraum zurück. Vor ihr, in Fahrtrichtung, lag die Sonne, aus deren Nähe die wilde Hoffnung weckenden Impulse gekommen waren. Algorian hielt die Luft an. Selbst die geräuschvolle Atmung des Erstlings schien für ein paar Momente auszusetzen. Bis sie wieder hörbar wurde, hatte Algorian bereits erste Daten des Systems gesammelt. Schneller als er es erwartet - schneller sogar noch, als er es befürchtet - hatte, holte ihn die Enttäuschung ein. Sterne ganz ohne Planeten waren extrem selten, aber hier lag offenbar ein solcher Fall vor. Doch damit nicht genug, wies die Sonne, die ungefähr dem selben Helligkeitstyp wie Pandra entsprach, der Sonne seines Heimatsystems, eine weitere Absonderlichkeit auf, die mindestens ebenso rar war. Einen Kranz. Algorian kannte optisch ähnlich aussehende Planeten aus eigener Erfahrung, aber Sonnen...? Wenige Handgriffe genügten, um den im Hologramm prangenden Stern nicht nur exakt zu vermessen, sondern die eingehenden Daten auch mit den in den Datenbänken gespeicherten abzugleichen. Ein Harxostern, dachte Algorian. Harxo bedeutete auf Aorii Ring. Extrem selten. Die das Gestirn umlaufenden Ringe sind meist extrem kurzlebig, extrem instabil... Aber davon konnte im vorliegenden Fall offenbar keine Rede zu sein. Saugend erwachte der Erstling aus der kurzzeitigen Erstarrung. »Issst da!«, fauchte er. Gleichzeitig wand er sich in nie erlebter Weise. Bäumte sich auf, sank zurück, bäumte sich auf... Die abrupten, an Kontraktionen erinnernden und von ihm selbst nicht zügelbaren Bewegungen führten beinahe dazu, dass ihm sämtliche Kabel gewaltsam aus dem Kopf gerissen wurden. Bei einem geschah dies tatsächlich, und ein dicker schwarzer Bluttropfen quoll aus der Wunde, noch bevor der Medi-Automat einschreiten konnte. »Da?«, echote Algorian. Für einen Moment wusste er tatsächlich nicht, worauf sich die Bemerkung des Erstlings bezog. Er war mindestens ebenso verwirrt, ebenso beeindruckt wie dieser.
Dennoch nahm er allen Mut zusammen und erwiderte: »Du hast dich geirrt. Offenbar wurdest du von einem hyperphysikalischen Phänomen irritiert. Die Sonne strahlt auf n-dimensionaler Ebene. Den Werten zufolge...« »Da!«, unterbrach ihn sein erstgeborener Bruder schroff und betätigte die Sensoren in den Armlehnen, worauf sich sämtliche Kabelverbindungen aus ihm zurückzogen, bevor er sich wuchtig aus dem Sitz stemmte. Die Kanäle schlossen sich. Obwohl Algorian diesen Vorgang unzählige Male beobachtet hatte, war er immer noch fasziniert davon. Der Boden schien zu beben, als der Erstling auf ihn zustapfte und unmittelbar vor ihm stehen blieb. »Müssenn näherrr! « »Aber... « Es war nicht der Erstling, der Algorian unterbrach. Ein Alarm heulte auf, und in dem Hologramm vor den beiden Aorii begann ein Warnsymbol zu pulsieren. Algorian realisierte die Ursache noch schneller als sein ungeliebter Bruder. »Erinjij ! «, keuchte er und erstarrte vor seiner Konsole. »Erinjij-Alarm!«
Expansion, 17 n.A. Der Planet befand sich im Alarmzustand. Die gesamte Armee war mobilisiert. Die Hauptstadt der Nordprovinz, Battlon, wurde von starken Armeeeinheiten hermetisch abgeriegelt. Schweres Gerät war aufgefahren, die foranischen Bomber standen bereit. Captain Deckert und seine brutal dezimierte Kompanie hatten sich durchgeschlagen. Auch den beiden Gruppen, die den Rückzug des Captains und der übrigen Männer gesichert hatten, war es gelungen, den Foranern zu entkommen. Captain Deckert hatte Verbindung mit den anderen Kompanieführern aufgenommen. Die A- und die D-Kompanie waren ebenfalls in einen Hinterhalt der Foraner geraten. Die Verluste waren immens. Jetzt lagen die Soldaten rund um Battlon verteilt im Rand des Urwaldes und warteten auf ihren Einsatz. Deckert nahm Verbindung mit Commander Mallory im Flaggschiff auf. »Die Truppen der Foraner haben eine Blockade rund um Battlon errichtet, Sir«, berichtete Deckert. »Von den 900 Männern, die mit mir hierher marschieren sollten, sind mehr als 250 tot. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, Commander, dass wir die Einheimischen stark unterschätzt haben.« »Wollen Sie die Planung der Admiralität kritisieren?« »Natürlich nicht, Sir. Aber ich sehe jedenfalls kaum eine Chance, in die Stadt einzudringen und Solo Hasradun als Geisel zu nehmen.«
Kurze Zeit herrschte Schweigen. Schließlich erwiderte Commander Mallory: »Ich werde die Bomber schicken, Captain, damit diese Sie aus der Luft unterstützen.« »Danke, Sir Haben Sie schon Nachricht von John Briscoe erhalten?« »Er hat zwei Shuttles verloren«, berichtete der Commander. »In schätzungsweise einer Stunde werden er und seine Leute in der Nähe von Tbnsaba, der Hauptstadt der Liscombianer, landen. Mal sehen, ob ihnen Moran Melix auch einen derart blutigen Empfang bereitet.« »Ich bin davon fast überzeugt, Sir. Wahrscheinlich haben sich die Foraner und Liscombianer sogar verbündet, um uns mit vereinter Kraft von Tarrant zu fegen.« »Kaum denkbar«, kam es zurück. »Aber ich will es auch nicht ausschließen. Ich werde jetzt die Bomber losschicken, Captain. Viel Glück.« Captain Deckert nahm seinen Helm ab und strich sich mit der flachen Hand über die Augen. Dann schaute er sich um. Die meisten seiner Männer lagerten zwischen den Bäumen und Sträuchern. Viele von ihnen hatten die schwarzen Helme abgenommen. Die Waffen lagen griffbereit neben ihnen. Einige der Soldaten beobachteten ihn. Deckert war seit zehn Jahren Soldat und war in vielen Kämpfen geprägt worden. Seine Haare waren rötlich blond und kurz geschoren. Sein hohlwangiges Gesicht war kantig und von Narben übersät. Irgendwann jedoch hatte er angefangen, nachzudenken. Und er war zu dem Ergebnis gekommen, dass er als Soldat nur dazu da war, die Expansion der menschlichen Gesellschaft mit brachialer Gewalt und gnadenloser Brutalität voranzutreiben. Die Völker auf Tarrant sollten unterworfen und versklavt werden. Der Planet war nur dünn besiedelt und bot ähnliche Verhältnisse wie die Erde. Darum waren sie von der Admiralität auf Terra als künftige Kolonien auserkoren worden, in die Menschen geschickt werden konnten, um Platz auf der Erde zu schaffen. Deckert stülpte sich den Helm wieder auf den Kopf und nahm Verbindung zu dem Spähtrupp auf, den er losgeschickt hatte, damit er über die Vorgänge und Truppenbewegungen vor Battlon auf dem Laufenden gehalten wurde. »Die Stadt wird nach allen Himmelsrichtungen abgesichert, Sir«, berichtete der Corporal, der den Spähtrupp führte. »Auch innerhalb der Stadt finden Truppenbewegungen statt. Auf dem Flugfeld sind 20 Bomber aufgefahren. Ich denke, Sir, die Foraner machen es uns nicht einfach. Es sieht aus, als hätten sie sämtliche Truppen der Nordprovinz um und in Battlon zusammengezogen.« »Wir erhalten Unterstützung aus der Luft, Corporal«, knurrte Deckert ins Mikrofon. »Bleiben Sie mit Ihren Männer auf dem Posten und unterrichten Sie mich über alles, was sich in Battlon abspielt.« »Klar, Sir.« Deckert ließ die Kompanieführer bei sich antreten und unterrichtete sie mit knappen Worten. »Sobald die Bomberflottille ihre Ladung abgeworfen hat«, endete Deckert, »stürmen Sie mit Ihren Männern die Zugänge der Stadt. Aber es soll nur ein Scheinangriff sein. Sie sollen die Foraner lediglich ablenken.«
»Wieso das?«, fragte einer der Männer in der Runde. »Wenn wir diese Halbaffen schon vor den Mündungen haben...« »Weil ich nicht noch mehr Männer verlieren will«, erklärte der Captain mit ruhigem Ton. »Wir sind auf diesem Planeten gelandet, um ihn zu übernehmen, nicht um uns selbst zu verheizen.« Der Captain ließ seine Worte kurz wirken, dann fuhr er fort. »Ich habe mir folgenden Plan ausgedacht, Männer. Während unsere Bomber den Foranern das Feuer unterm Hintern schüren und anschließend die Truppe den Scheinangriff durchführt, dringe ich mit fünf Freiwilligen in die Stadt ein. Es sollte möglich sein, sich bis zum Präsidentenpalast durchzuschlagen und einzudringen. Die Hauptstreitmacht der Foraner ist rund um Battlon verteilt und wird durch den Angriff abgelenkt.« »Grundgütiger«, entfuhr es einem der Männer in der Runde, »das heißt, Captain, Sie wollen Ihr Fell sozusagen zu Markte tragen.« »Es ist den Einsatz sicherlich wert, wenn ich Erfolg habe. Sollte es mir gelingen, Solo Hasradun in unsere Gewalt zu bekommen, dann haben wir gewonnen. Hasradun wird von den Foranern verehrt wie ein Gott. Nein, nicht wie ein Gott. Er ist ihr Gott. - Wer geht mit mir? Ich werde es keinem von euch befehlen.« Kurze Zeit verstrich, in der die Soldaten schweigend verharrten und wahrscheinlich abwogen. Dann trat einer vor. »Ich gehe mit Ihnen, Sir.« Der Captain warf einen Blick auf den Namen des Soldaten, der auf der linken Brustseite seiner Uniform zu lesen war. »Gut, Sergeant Curtis. Treten Sie neben mich.« Nach und nach traten weitere Männer vor. »Corporal Chung Li«, sagte einer. »Ich komme mit Ihnen, Sin« »Sergeant Brenner, Sir, ich melde mich freiwillig.« Zwei Soldaten kamen hinzu. Ihre Namen waren Cartec und Maghini. Weitere Freiwillige boten sich an, doch der Captain winkte ab. »Fünf Mann«, sagte er mit Entschiedenheit. »Je kleiner die Gruppe, desto besser.« Am Himmel ertönte das Donnern der Triebwerke, als die Bomber, die Commander Mallory geschickte hatte, die Wolkendecke durchstießen und Kurs auf Battlon nahmen.
Die Suche Das einzelne Schiff tauchte aus dem Ortungsschatten der umkränzten Sonne auf. Keine Kampfeinheit, analysierte Algorian unter Nutzung aller ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Eher ein... Frachter?
Ausgerechnet hier, am Ende der Spur, die der Erstling gewittert zu haben meinte, auf die Geißel der Galaxis zu treffen, erschütterte Algorian tiefer, als er sich selbst eingestehen wollte. Waren die Bösen längst weiter vorgedrungen, als man ahnte? Noch während er gegen die Verblüffung ankämpfte, beugte der Erstling sich vor. Seine Hände glitten über die Schaltfelder und aktivierten die Maske. Im Bruchteil eines Augenblicks wucherte das Tarnfeld über die Schiffshülle - und entzog sie nicht nur rein optisch der Wahrnehmung von außen. Zwar gab es Gerüchte, die Erinjij - oder Menschen, wie sie sich selbst nannten verfügten inzwischen über eine Ortungstechnik, die selbst hochwertigste Aorii Tarnfelder durchdrang, aber dafür gab es bislang noch keinen einzigen stichhaltigen Beweis. Algorian hoffte, dass nicht ausgerechnet die MASOT diesen Beweis erbringen würde. Auch wenn der Erinjij-Raumer kein Schlachtschiff zu sein schien, war seine Bewaffnung der des Spürers aller Voraussicht nach weit überlegen. »Haat mann unns entdecktt?« Algorian fixierte die Instrumentenanzeigen mit einer Inbrunst, als wollte er sie zwingen, die Frage des Bruders negativ zu bescheiden. Nach einer Weile sagte er: »Dafür sind keinerlei Anzeichen feststellbar. Sie scheinen mit anderem beschäftigt.« Die eigenen Worte riefen ein Frösteln bei ihm hervor. Wer hatte je davon gehört, dass Erinjij etwas ohne böse Absicht oder Hinterlist taten? »Spürst du etwas, hoher Bruder?«, wandte sich Algorian unterwürfig an den Erstling. »Ja, die Spurrr!« Algorian hätte es nicht für möglich gehalten, dass es einmal so weit kommen könnte - aber in dieser heiklen Situation interessierte ihn die Spur, an der sein Bruder so starrsinnig festhielt, nicht im Entferntesten. Denn Erinjij bedeutete allzu oft Tod. Möglicherweise sogar Schlimmeres als das. Es hieß, sie machten keine Gefangenen, niemals. Aber niemand wusste sicher, was aus denen wurde, die ihnen lebendig in die Hände fielen... Und der jüngste Zusammenstoss zwischen Erinjij und Barschieri hatte die Lage noch verschärft. Falls die Jay'nac die Geduld verloren, konnte Algorian dies bis zu einem gewissen Punkt sogar verstehen. Obwohl die anorganischen raumfahrenden Völker der Galaxis nicht vergleichbar verbunden waren wie die organischen, besaßen die Jay'nac doch einen besonderen Status. Sie waren das Sprachrohr aller bekannten Siliziumrassen. Ihr Wort hatte Gewicht. Und genau dieses Gewicht hatte vor geraumer Zeit den Anstoß zur Suche gegeben. Ohne die Jay'nac, wusste Algorian so gut wie sein Erstling, wäre weder die MASOT noch eines der anderen Spürschiffe ausgeschwärmt, um nach ihnen zu suchen. Nach einer Spezies, die alle Voraussetzungen erfüllte, um die ins Stocken geratenen Verhandlungen mit den Jay'nac endlich fortsetzen zu können. Denn die anorganische Spezies wollten nicht länger stillhalten. Sie rüsteten unverhohlen auf.
Die Erinjij sollten keine friedliebenden Völker mehr überfallen, drangsalieren oder gar von ihren Heimatwelten vertreiben - so die offizielle Verlautbarung der Jay'nac. Eigentlich ein hehrer Vorsatz, wäre da nicht die Sorge der Allianz gewesen, die offene Kriegserklärung der Jay'nac gegen die Menschen könnte schwerwiegende Folgen haben - vielleicht schlimmere noch als das zunehmend skrupellosere Vorgehen der Erinjij. Die Allianz fürchtete, dass das Vorgehen gegen die Menschen für die Anorganischen nur derVorwand sein könnte, auf den sie lange gewartet hatten. Wir fürchten, was wir nicht verstehen, dachte Algorian. Und wenn wir irgendjemanden noch weniger verstehen als die Menschen - dann die Anorganischen! Die Jay'nac jedenfalls schienen fest entschlossen, den Erinjij und deren aggressiver Expansion Einhalt zu gebieten. Indem sie eigenes Potential, eigene Aggression dagegen setzten.
Erde, Beijing, 2041 a.D. Der Raum war riesig und leer. In dem Sinne leer, dass sich nicht annähernd das darin befand, was sie auch nur vage erwartet hatte. Es gab keine Dinge darin. Und es gab Wei nicht darin. Wei war durch dasselbe Portal wie sie selbst geschritten, nur ein klein wenig früher. Doch die Gestalt, die ihr den Rücken zukehrte, die einzige Person, das einzige Etwas außer ihr selbst, das in der Weite des riesigen, lichten Gewölbes zu erkennen war, war von völlig anderer Statur. Klein und gedrungen, der Hinterkopf kahl, die Arme schlaff nach unten hängend. Xian hätte sich am liebsten umgedreht und wäre wieder hinausgerannt. Doch als sie sich umwandte, sah sie keine Tür mehr. »Geh heim«, sagte eine Stimme. »Du bist ungeeignet. Man wird sich beizeiten um dich kümmern. Um dich und alle, die blind sind wie du. Taub und blind...« Was redete er da? Wie redete er? Ihr Herz drohte anzuhalten. Sie hatte die Stimme so lange nicht mehr gehört. So lange nicht. Er drehte sich um, als sie sich umdrehte. Er war nur Zentimeter von ihr entfernt - so nah. Xian wurde ganz kalt. Das Blut sackte aus ihrem Kopf bis hinab in die Beine. Ich falle, dachte sie. Ich verliere die Besinnung - oder sterbe sogar. Das... Das war nicht möglich! Vater?!?
Die Gestalt sah aus wie ihr Vater. Sie roch wie er. Jede Geste, jede Betonung stimmte. Dann war er fort. Xian sah ihn nicht gehen. Aber sie sah Wei in geringer Entfernung vor einer Wand mit unbekannten Symbolen stehen, als wäre er die ganze Zeit dort gewesen. »Wei!«, rief sie. Er drehte sich um, und sie rannte auf ihn zu. »Wei!« Als sie nach ihm fasste, stieß er sie weg. »Du musst heim! «, sagte er scharf. »Sie haben gesagt, du bist ungeeignet. Und dass man sich um dich kümmert. Um dich und die anderen.« Ihr wurde so schlecht, dass sie eine Minute lang glaubte, sich übergeben zu müssen, diese Übelkeit nicht anders loswerden zu können. »Geh! Verschwinde!« Die Art, wie er sie ansah, erstickte jedes Aufbegehren im Keim. Xian war zumute, als würde ihr bei lebendigem Leib das Herz herausgeschnitten. »Wei...« »Hau ab!« Da war Wut in seiner Stimme, die an Hass grenzte. Ein Zorn, ein Aufbrausen, das sie reagieren ließ, als würde sie von einem anderen gelenkt. Als sie sich diesmal umdrehte, war die Tür wieder da. Sie torkelte hindurch. Im Freien angekommen, blieb sie stehen und spürte Tränen über ihre Wangen laufen. Ihr war, als wäre es dunkel und kalt und Nacht, obwohl noch immer heller Tag war und keine Wolke den Himmel trübte. Sie wartete stundenlang vor dem Ding, das nicht war, was es schien. Wei tauchte nicht auf. Weder an diesem noch an einem der nächsten Tage. Xian sah ihren Mann nie mehr wieder.
Cy Cy erkundete das zerstörte Objekt. Warum, konnte er sich selbst nicht erklären. Irgendetwas in ihm raunte ihm zu, es sei wichtig, während er andererseits immer wieder an sein Volk auf Auri denken musste, das darbte und starb, wenn nicht bald neue Nahrungsquellen erschlossen wurden. Die Zeit verrann viel zu schnell. Der Aurige schalt sich einen Narren, und doch machte er weiter, durchstreifte die Kavernen und Hallen, sah seltsame Geräte, die alle mehr oder weniger zerstört waren. Wozu sie dienten, konnte er nicht erkennen. Wie auch. So etwas hatte er nie zuvor in seinem Leben gesehen.
Er begriff lediglich, dass es sich um Apparaturen handelte, die gebaut worden waren, um irgendetwas zu tun. Aber was das war... Wer konnte es sagen? Cy nicht! Ihm fehlte die Erfahrung. Aber eines wurde ihm dennoch klar. Dieses Etwas war von außen zerstört worden. Die Faust, die von außen zugeschlagen hatte! Etwas war eingeschlagen und hatte die Zerstörungen ausgelöst. Aber was war dieses Etwas? Woher kam es? Und wie konnte es so stark sein, ein so großes Objekt völlig zu zertrümmern? So sehr, dass viele Teile losgeschlagen und mehr oder weniger schnell in alle Richtungen davon geschleudert wurden? Cy ahnte, dass er den Verlust seines Gespanns einem dieser Trümmerteile verdankte. Das im Sonnensturm heranrasende Teil, mit dem sein Dragg kollidiert war und dabei sein Leben verloren hatte, gehörte sicherlich zu diesem Objekt. Es musste eines der am kräftigsten hinfort gestoßenen Teile sein, das am schnellsten und damit am weitesten flog. Oder...? War es vielleicht etwas Ähnliches gewesen wie das, das dieses Objekt zerstört hatte? Gab es noch mehr von diesen zerstörerischen Dingen im Lebensgürtel um die Muttersonne? Aber warum zeigte es sich dann erst jetzt, warum nicht schon viel früher? Waren diese zerstörerischen Dinge vielleicht sogar dafür verantwortlich, dass die nahrungshaltigen Pollenströme ausblieben? Fragen, Fragen, nur Fragen..., dachte Cy. Aber ich brauche ANTWORTEN! Doch wer konnte ihm diese Antworten geben? Woher sollte er wissen, dass er einen Großteil seiner Fragen beantwortet bekommen hätte, wenn er vor der Zerstörung dieser Maschine hier eingetroffen wäre? Müde verließ er das Wrack. Draußen hing sein Floß sicher an den Seilen, mit denen er es befestigt hatte. Er sah sich um, sein Blick suchte das große Licht der Muttersonne, der Lebensspenderin. Aber er fand etwas anderes. Grelles Aufblitzen in weiter Ferne. Tödliches Licht. Und dann ging eine Sonne auf, eine zweite neben der Lebensspenderin. Doch sie war nur klein, und sie verstrahlte ihr ganzes Licht innerhalb weniger Augenblicke, um dann für immer zu verlöschen...
Die Suche
»Dasss Erinjij-Schifff bewegt sssich auf der Spurrr! «, knarrte die Stimme des Erstlings. Algorian schrak zusammen. Wenn der Rofasch Recht behielt, war ein Konflikt unausweichlich. Denn der Erstling würde keinesfalls von dieser Spur ablassen. Nicht so nahe vor dem sicher geglaubten Ziel. Und die Aorii hatten in diesem Kampf keine Chance. »Kollisionskurrrs!«, verlangte der erstgeborene Bruder. »Das ist Selbstmord«, murmelte Algorian und wunderte sich über den Mut, dem Bruder zu widersprechen. »Wir sollten das nicht tun. Wir werden eine andere Spur finden.« »Will diese! «, drängte der Erstling. »Geh aufff Kollisionskurrrs!« Seine Stimme wurde lauter. Drohender. Verzweiflung packte Algorian. »Wir werden sterben. Sie schießen uns zusammen!« »Nein. Tuu, wasss ich sssage! « Offenbar vertraute der Erstling auf die Tarnvorrichtung. Aber spätestens dort, wo die Spur endete, musste das Suchschiff sich zeigen, und die Erinjij würden nicht zögern, sofort zu schießen. Aber es blieb Algorian nichts übrig, als dem Befehl zu gehorchen. Mit leicht zitternden Händen beschleunigte er das Suchschiff, und die Distanz zum ErinjijSchiff schrumpfte rasch zusammen. »Waffen kkklarmachennn!« »Waffen klar.« Aber es beruhigte den Piloten nicht. Immer näher kamen die beiden Schiffe sich. »Da ist etwas«, stellte Algorian plötzlich fest, der immer wieder die Anzeigefelder der Ortung beobachtete. »Genau dort, wohin die Erinjij wollen.« Das Ziel befand sich im Gasring, der den Harxostern umgab. Je näher das Suchschiff dem Ring kam, desto deutlicher zeichneten sich jetzt mehrere größere Objekte ab, die in ihm trieben. Aber die Erinjij interessierten sich wohl nur für das kleinste der Objekte. Weshalb? »Spurrr endet dorrrt.« Algorian verzichtete auf eine Antwort. Was hätte er noch sagen sollen? Stattdessen konzentrierte er sich auf die Auswertung der Ortungsdaten. »Es scheint sich um so etwas wie eine Maschine zu handeln«, sagte er. »Eine produzierende Maschine. Aber sie ist defekt. Sie ist zerstört worden. Nur noch ein Wrack, ein Trümmerstück. Und darin...?« Darin sollte sich das Ziel ihrer Suche befinden? Und warum fragte der Erstling nicht, warum und von wem diese Maschine zerstört worden war, die ungeheuer groß gewesen sein musste? Oder was sie produziert haben könnte, als sie noch funktionierte? Ein Taststrahl erfasste eines der Fragmente der Maschine. Algorian zoomte das Bild heran. »Nahrrrung«, sagte der Erstling plötzlich. »Diese Maschine prrroduzierrrte Nahrrrung.«
»Woher weißt du das, hoher Bruder?« »Schonnn gesehennn. Urrralte Zivilisssation. Längsttt verrrloschen. Niemannnd kennt sie mehrrr« Plötzlich änderte das Erinjij-Schiff seinen Kurs! »Sie haben uns entdeckt!«, keuchte Algorian. Vermutlich waren ihnen die Ortungsimpulse der MASOT aufgefallen. »Abwehrrrschiuün aufff!«, befahl der Erstling. Nur einen Herzschlag vorher hatte Algorian den Schalter bereits berührt. Es war der Augenblick, in dem der ErinjijFrachter das Feuer eröffnete. Die Energiefinger seiner Waffensysteme stachen überlichtschnell durch den Raum und schlugen in den sich soeben aufbauenden Abwehrschirm des Suchschiffs. Die Schirmfeldprojektoren wurden durch eine Energie-Rückkoppelung überladen. Explosionen erschütterten die MASOT. Algorian wartete nicht ab. Er erwiderte das Feuer. Aber die Erinjij wichen rasant aus. Irgendwie mussten sie den Zielfokus bereits in dem Moment errechnet haben, als die MASOT schoss. Algorian konnte die Schussbahnen nicht so rasch korrigieren, wie der Frachter im Raum tanzte. Frachter? Das war ein Kreuzer, als Frachter getarnt! Er projizierte ein falsches Impulsbild, das gegnerische Ortungen täuschen sollte. Jetzt aber zeigte er seine wahre Kampfkraft. Immer mehr Energieerzeuger wurden hochgefahren. Der Kreuzer wurde zu einer Feuer speienden Festung. Algorian schloss mit seinem Leben ab.
USA, Nevadawüste, geheimer unterirdischer Komplex, 2041 a.D. Der Begriff hatte sich so tief in Sarah Cuthberts Denken eingebrannt, dass ihr schwindelte, auch wenn sie noch immer nicht wusste, warum ihre Reaktion auf Hays' Eröffnung mit solcher Heftigkeit ausfiel. Matrix Scobee! Wenn die GenTecs Klone waren, musste es irgendwo die Vorlage, das Original geben... »Warum liegen sie in Stase?« »Es war ihr eigener Wunsch.« Ihr eigener Wunsch... Warum konnte sie das nicht glauben? Welchen Grund sollte Hays haben, sie zu belügen. Jeden Grund!, gab sie sich selbst die Antwort. Ich bin nichts, was ihm willkommen wäre. Er ist ein fanatischer Wissenschaftler. Ein moderner Dr. Frankenstein. Vielleicht sogar mit einer großen Prise Dr. Jekyll. Ich würde ihm
nicht einmal trauen, wenn er der letzte Mensch auf der Welt wäre. Und ich fürchte, umgekehrt hält sich das Zutrauen auch in Grenzen. Keine gesunde Grundlage für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Aber sie hatten bereits einen Kriegsschauplatz - es wäre töricht gewesen, intern weitere Gräben zu öffnen. »Warum?«, fragte sie. »Sie wollten die Zukunft sehen«, sagte Hays, und auch das fiel ihr schwer zu glauben. Es klang so simpel. Zu simpel. »Sie sind unser Depot. Der Mutterboden, aus dem wir jederzeit identische >Pflänzchen< ziehen und mit Wachstumsbeschleunigern an das Original heranführen können.« »Entschuldigen Sie meine Offenheit, aber das klingt nicht nur ein klein wenig verrückt. Die Zukunft sehen. Diese Matrix-Vorlagen geben ihr Leben auf. Wofür? Wer gab ihnen die Garantie, dass sie je wieder geweckt werden? Wissen Sie was, Hays, Sie können sich Ihr >freiwillig< in die Haare schmieren - ich glaube Ihnen kein Wort!« »Verstehe.« Er wirkte keine Spur beleidigt. »Sie haben ganz offenbar zu oft Kontakt mit anderen Politikern. Da verliert man den Glauben an die Lauterkeit von Menschen.« »Sie sind ein Idiot. Ein gefährlicher Idiot. Wissen Sie was? Ich werde mit Cronenberg sprechen.« »Und worüber?« Er blieb seiner Linie treu: Arroganz pur. Dass die Präsidentin seines Landes vor ihm stand - welchen Landes?, dachte Sarah ironisch -, hatte ihn schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen nicht weiter beeindruckt. Jetzt schien es ihn sogar zu amüsieren. Sarah fragte sich, was sie von ihm noch zu erwarten hatte, wenn er wahrhaftig eine Form von Wahnsinn ausbrütete. Sie sah ihn kalt an. So eisig, dass die Stase ein Sonnenbad dagegen war. »Ich werde darauf bestehen«, sagte sie und machte an diesem Punkt eine bewusste Pause, »dass sie geweckt werden. Zumindest einer von ihnen. Geweckt - und dann können sie mir selbst bestätigen, ob es wahr ist, dass sie sich freiwillig von ihnen auf Eis legen ließen. -Was sagen Sie nun, Doktor Hays?« Es war das erste Mal, dass sie ihn erbleichen sah. Das erste Mal, dass Worte von ihr wirklich Wirkung bei ihm zeigten. Schließlich leckte er mit einer weiß belegten Zunge über seine Oberlippe und schnappte ein wenig atemlos: »Ich schätze Cronenberg nicht als jemanden ein, der jeder Laune nachgibt.« Jetzt war es Sarah, die unbeeindruckt blieb. »Ich bin die Präsidentin«, sagte sie ohne besondere Betonung. Er dachte darüber nach. Schließlich zuckte er mit den Schultern. »Versuchen Sie es.« Und während Sarah wenig später von Hays begleitet zur Kommandoebene des unterirdischen Komplexes zurückkehrte, wurde sie den Verdacht nicht los, dass es hinter der Fassade des Wissenschaftlers noch heftiger brodelte, als man allein gekränkter Eitelkeit - oder was auch immer - zuschreiben konnte.
Er war fassungslos. Und am liebsten, das las sie in seinen Augen, hätte er sie hinterrücks ermordet. Der Wahnsinn trieb immer skurrilere Blüten.
Die Suche
Als Algorian die Augen wieder öffnete und die Schwärze wich, wunderte er sich, warum er noch lebte. Er lag auf dem Boden. War er durch eine Treffer-Erschütterung aus dem Sitz geschleudert worden, oder hatte ihn sein Hassbruder fort gestoßen? Der Erstling saß jetzt selbst an den Kontrollen und steuerte die MASOT und ihre Waffen. Er schaffte es sogar, einige Treffer anzubringen und selbst den Salven der Erinjij immer wieder auszuweichen. Dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis die Erinjij ihnen den Fangschuss verpassten. Wieder schlugen Kampfstrahlen in der MASOT ein. Die Schadensmeldungen häuften sich. Noch waren keine Überlebenssysteme oder gar der Antrieb ausgefallen, aber es konnte nicht mehr lange dauern. Einige Fehlschüsse zuckten in die Gaswolke hinein und ließen dabei bizarre Lichteffekte entstehen. Das Gasgemisch entzündete sich entlang der Kampfstrahlen und zog grelle Spuren durch den Ring um das Zentralgestirn. Im nächsten Moment flammte draußen im All eine künstliche Mini-Sonne auf, erstrahlte in einem Feuerwerk faszinierender Farben und verlosch dann wieder. Die Ortungen zeigten ausglühende Wrackteile, die sich nach allen Richtungen verteilten. »Haben wir...?«, entfuhr es Algorian. Der Erstling räumte den Pilotensitz wieder. »Meteorrrit«, sagte er. »Sssehr grrroß.« Algorian ließ sich hinter seinen Kontrollen nieder. Er checkte die Aufzeichnungen. In der Tat hatte ein sehr großer Meteorit mit hoher Geschwindigkeit das ErinjijSchiff getroffen. Das hatten die Abwehrschirme des Kreuzers nicht verkraftet. Die kinetische Energie des Einschlags hatte den Raumer sofort zerstört. Andere, kleinere Meteoriten zogen ihre Bahn. Während des Gefechts hatte wohl keiner von ihnen auf den sich mit hoher Geschwindigkeit nahenden Meteoritenschwarm geachtet. Algorian erschauerte bei dem Gedanken, dass es auch die MASOT hätte sein können, die getroffen wurde. Er ahnte jetzt auch, wodurch die Maschine zerstört worden war, zu welcher die Spur führte. Sie war wohl ebenfalls von einem Meteoriten getroffen worden, nur musste der recht klein gewesen sein, denn sonst wäre nicht so viel von der Maschine übrig geblieben.
»Die Spurrr«, sagte der Erstling, als sei überhaupt nichts geschehen. Es war eine Aufforderung, kein Hinweis. Dennoch scannte Algorian den Weltraum nach Biowerten ab. Aber keiner der Erinjij schien die Explosion des Kreuzers überlebt zu haben, und der Aorii flog die Maschine an.
Expansion, 17 n.A. Es waren dieselben Shuttles, die die Soldaten auf Tarrant abgesetzt hatten, die nun in Kampfformation auf Battlon zudonnerten. Das Tosen, das sie verursachten, dröhnte in den Ohren und lähmte die Trommelfelle. »Einsatzbereitschaft!«, rief der Captain und schloss das Visier seines Helmes. Die Soldaten setzten ihre Helme auf und bezogen Stellung. Die Blastergewehre waren entsichert und schussbereit. Flugabwehrraketen, die vor Battlon abgefeuert wurden, rasten himmelwärts. Die Bomber flogen halsbrecherische Manöver, um nicht getroffen zu werden. Dennoch explodierte einer von ihnen in einem riesigen Feuerball. Die Trümmer des Flugkörpers regneten zu Boden. Aber im nächsten Moment fielen die Bomben aus den Abwurfschächten. Die Einschläge wurden begleitet von dröhnenden Detonationen. Einige Panzerfahrzeuge und Mannschaftstransporter, die vor Battlon aufgefahren waren, wurden in ihre Einzelteile zerlegt. Brennende Trümmer flogen nach allen Seiten auseinander, dichter Qualm bildete sich und zog träge zwischen die Gebäude der Stadt. Und irgendwo in diesem Chaos starben Foraner. Plötzlich tauchten von irgendwoher foranische Jagdflieger auf und nahmen Kurs auf die Shuttles, die Tod und Verderben gebracht und nach der ersten Angriffswelle abgedreht hatten. Gleichzeitig griffen Deckerts Bodentruppen an. Es sah aus, als würde der Dschungel im Süden der Stadt eine Volk riesengroßer, mutierter Ameisen ausspucken. Die schwarzen Helme glänzten geheimnisvoll und zeigten keine Gesichter hinter den heruntergeklappten Visieren. Die Foraner warfen sich ihnen entgegen. Die Lichtbahnen der Blaster töteten unerbittlich Mitglieder beider Rassen. Schließlich zog sich der Truppenverband von der Erde zurück. Die Foraner folgten ihnen triumphierend. Es waren viele hundert Krieger in matt glänzenden Harnischen und Helmen, die - wie auch die Brustpanzer - aus einem Material bestanden, das die Blaster nicht zu durchdringen vermochten. Hoch über den verfeindeten Parteien lieferten sich die Jäger der Foraner und die Shuttles der Eindringlinge einen mörderischen Kampf. Raketen fanden ihr Ziel,
explodierten und zerfetzten Flugzeuge und Landefähren gleichermaßen in tausend Stücke. Es war die Hölle. Auf die Erde regnende Trümmer erschlugen Foraner und Soldaten gleichermaßen. Die Bodentruppen verwickelten die angreifenden Eingeborenen in einen Stellungskampf. Die Foraner zahlten ihrem blindwütigen Angriff einen hohen Blutzoll...
Die Suche Sie solle Nahrung produziert haben, hatte der Erstling behauptet. Eine nähere Analyse der Überreste bestätigte das. Diese Maschine hatte bis zu ihrer Zerstörung eine Art Pollen produziert, die äußerst nährstoffhaltig waren - und diese offenbar einfach ausgestoßen, um sie innerhalb der Gaswolke vom Sonnenwind davon treiben und verteilen zu lassen. Woher die Rohstoffe kamen, blieb unerfindlich. Auf den ersten Blick ergab das für Algorian keinen Sinn. Auf den zweiten Blick schon, als sie das Lebewesen fanden, das sich in den Resten der Maschine befand, reglos und ohne Bewusstsein. Die Biowerte ergaben, dass die Substanz, die von der Maschine geformt wurde, und von der es rudimentäre Überreste gab, dem Wesen als Nahrung diente. Es handelte sich um ein eigenartiges Geschöpf. Zunächst hatte Algorian es für eine Pflanze gehalten, die sich aus einem unerfindlichen Grund in diesem Trümmerstück befand. Aber der Bioscan ergab, dass es ein intelligentes Wesen war, das nur völlig anders gestaltet war, als es die Aorii und die anderen Völker der Allianz gewohnt waren. Es ähnelte einem knospenübersäten Busch, ungefähr gleich breit wie hoch und dick. Im Innern des »Gezweigs« befand sich eine Verdickung, die ein wenig an einen Spinnenleib erinnerte, aber auch pflanzlicher Natur war. Ein Gehirn im gewohnten Sinn gab es nicht, die neurologische Aktivität des Wesens durchzog den gesamten Körper. Eine Verdickung im Innern diente als Gedächtnisreservoir. Zum Leben benötige es den Anzeigen zufolge nur Wasser, die pollenartigen Nährstoffe und Licht. Nur fehlten nun die Nährstoffe, denn die Maschine, die sie produziert hatte, existierte nicht mehr. Im Innern des Pflanzenkörpers befand sich zudem ein kleines anorganisches Partikel, von dem auch der Erstling mit seiner arroganten »Weisheit« nicht sagen konnte, welchem Zweck es diente. Er behauptete nur, dieses Wesen sei einer derer, die er mittels seiner Parakraft als geeignet erspürt hatte.
Also nahmen sie das Wesen an Bord...
Cy Die Rückkehr aus der warmen, weichen Finsternis war zunächst von Gegenwehr bestimmt. Ja, wahrhaftig, alles in ihm sträubte sich, den Ort vollkommener Ruhe und vollkommenen .Friedens, an dem er weilte, wieder zu verlassen. Will nicht! Ich - will - das - nicht! Nein, bitte... Aber alles ging wie von selbst. Er hatte keine Macht darüber. Etwas zog sein Bewusstsein aus den wohligen Tiefen zurück ans... LICHT! Als er seine Augenknospen öffnete, war es wie eine Explosion der Sinne. Er war geblendet, gleichzeitig aber auch außerstande, sich der Helligkeit zu entziehen. Und da waren Töne, Klänge - da waren Umrisse, wie er sie nicht kannte, noch nie zuvor gesehen hatte... War das die Sphäre, in die Aurigen mit ihrem Tod wechselten? Er war völlig frei von Furcht und bereit, alles hinzunehmen. Und wahrscheinlich hatte er ohnehin keine Wahl. Die Schleier senkten sich. Silhouetten gewannen an Schärfe und Substanz. Und in unmittelbarer Nähe sagte eine Stimme etwas, das er nicht verstand. Es klang durchaus freundlich, wohlwollend, mitfühlend - aber konnte er dem trauen? Plötzlich hörte er ein Krächzen, vernahm er lallende, sinnlose Sätze in einer Sprache, die er kannte. Er brauchte lange, ehe er begriff, dass kein anderer als er selbst sie von sich gab. Seine Stimmfäden rieben hart aneinander. »... bin ich?« Die Antwort erfolgte aus der Tiefe des Raumes - aber wieder unverständlich und von einem Wesen, das sich jetzt immer deutlicher aus den Nebeln schälte und... Cy erschrak bis in den innersten Kern seines Stammes. ... und das alles, nur kein Aurige war! Der Schock war so gewaltig, so überwältigend, dass Cy erneut das Bewusstsein verlor.
Expansion, 17 n.A.
Captain Deckert und die fünf Freiwilligen hatten sich im Schutz des Dschungels nahe an die Stadt herangearbeitet. Die Foraner waren von den angreifenden Soldaten zunächst in eine Abwehrschlacht verwickelt worden. Jetzt stürmten sie hinter den Invasoren von der Erde her, um sie zu überrennen und zu vernichten. Am Himmel tobte der Luftkampf. In den aufgegebenen Stellungen der Foraner vor der Stadt brannten einige Fahrzeuge. Eine Gasse, die zwischen die Häuser führte, lag etwa hundert Meter vor dem Captain und seiner kleinen Gruppe. Sie war eng und von Unkraut zugewuchert. Die Gebäude zu beiden Seiten waren alt, Farbe blätterte ab. Die schmale Gasse lag wie ausgestorben vor den sechs Soldaten. »Vorwärts!«, zischte Deckert. Sie spurteten los. Hundert Meter - ebenso viele Schritte, und jeder konnte der letzte sein. Alle sechs Soldaten hielten das Gewehr im Anschlag, um sofort das Feuer zu eröffnen, sollte es notwendig sein. Aber wahrscheinlich hielt der Luftkampf die Verteidiger Battlons so sehr in seinem Bann, dass sie vergaßen, die Zugänge in die Stadt gegen eine so kleine Gruppe zu sichern. Auch dort, wo sich die Eindringlinge in den Dschungel zurückgezogen und verschanzt hatten, tobte ein fürchterlicher Kampf. Die Foraner stürmten mit der Verbissenheit hasserfüllter Fanatiker vor und starben wie die Fliegen im Blasterfeuer der Invasoren. Ungeschoren erreichten Deckert und seine Männer die Gasse und schlichen geduckt an den Hauswänden entlang. Die Herzen schlugen hart gegen die Rippen. Die Gasse mündete in einen großen Platz, der von hohen Gebäuden gesäumt war. Deckert ließ seinen forschenden Blick über die Fassaden gleiten, die Mündung des Gewehrs immer auf den Punkt gerichtet, den er gerade anschaute. Nirgendwo ließ sich ein Foraner sehen. Die Häuser muteten an wie leer stehend. Hinter keinem der Fenster war eine Bewegung wahrzunehmen. Deckert sagte sich, dass sich die Zivilbevölkerung der Stadt wohl in unterirdischen Bunkeranlagen verkrochen hatte, als die Ankunft der Invasoren von der Erde gemeldet worden war. Dunkler Qualm von den brennenden Fahrzeugen vor der Stadt zog zwischen die Häuser. Dem Captain schien die Stille trügerisch und gefährlich. Irgendwo steckten Soldaten der Foraner in den Häusern und warteten nur darauf, dass er und seine Männer sich sehen ließen. Er verspürte ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Sein Instinkt für die Gefahr meldete sich. Noch einmal blickte er sichernd in die Runde. »Der Präsidentenpalast liegt mitten in der Stadt«, stieß er schließlich hervor. »Es wird eine gute Stunde dauern, bis wir ihn erreichen. Gebt mir Feuerschutz. Ich versuche den Platz zu überqueren. Wenn ich drüben bin, folgen Sie mir, Curtis. Als nächster laufen Sie los, Brenner... « Deckert winkte ab. »Die Reihenfolge ist egal. Ich mache jetzt den Anfang. Schießt, was das Zeug hält!«
Er stieß sich ab und landete zwei Schritte weiter auf dem Pflaster des großen Platzes. Sofort rannte er weiter. Nichts geschah. Deckert erreicht die Mitte. Noch 25 Schritte... Aus einem Fenster rechter Hand fuhr ein Blasterstrahl. Auch von links und von vorne wurde Deckert unter Feuer genommen. Er warf sich flach auf den Boden, die und Lichtfinger zischten über ihn hinweg. Der Captain wälzte sich herum. Dort, wo er eben noch gelegen hatte, wurde eine Steinplatte von einem Treffer regelrecht zerpulvert. Gesteinssplitter spritzten wie kleine Geschosse durch die Luft. Deckerts fünf Begleiter begannen zu schießen. Die Strahlen bohrten sich in die Fensterhöhlungen, aus denen der Captain unter Feuer genommen wurde, und zwangen die Foraner in Deckung. Mike Deckert war wieder auf die Beine geschnellt und rannte in Zickzacklinie weiter. Seine Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Einige Schüsse verfehlten ihn. Ein Blasterstrahl traf seinen Helm und wurde abgefälscht. Der Captain warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen die Tür des Hauses, das ihm am nächsten war. Krachend flog sie auf. Einen Lidschlag später war er im Schutz des Gebäudes. Es war ein Haus, wie es der Captain auch von der Erde kannte. Er war nicht verwundert, wusste er doch, dass die Kultur der Foraner und auch die der Liscombianer sehr der seiner Heimat glich. Die Geschichte beider Planeten war ähnlich verlaufen. Das Leben auf Tarrant - überhaupt im Sternenbild Triangulum war allerdings erst später, viel später entstanden. Während auf der Erde durch eine kosmische Katastrophe die Saurier vor 65 Millionen Jahren ausstarben und dann mehr als 60 Millionen Jahre verstreichen mussten, bis der erste Mensch sie bevölkerte, ging dieser Prozess auf Tarrant wie im Zeitraffer vonstatten. Im Norden waren es die Foranern, im Süden die Liscombianern, die sich zur dominierenden Spezies entwickelt hatten. Sie standen körperlich auf einer Entwicklungsstufe, die mit dem homo habilis vergleichbar war, dem ersten Lebewesen der Gattung Mensch auf Erden. Geistig jedoch waren sie viel weiter und standen auf einer Stufe mit den Menschen des 20. Jahrhunderts. Und ihre Technik - besonders die Waffentechnik - war noch weiter fortgeschritten, was wahrscheinlich auf den immerwährenden Kampf zwischen den beiden Völkern zurückzuführen war. Der Captain schmiegte sich hart an die Wand neben der Tür. Im Korridor war es düster. In schräger Bahn fiel Tageslicht herein. Über Deckert knarrte es, und er richtete das Gewehr nach oben. Draußen vernahm er trappelnde Schritte. Er wandte sich ab, schob sich vor, glitt um den Türstock herum und stand geduckt im Freien. Haken schlagend wie ein Hase spurtete Sergeant Curtis über den Platz, während seine Kameraden ihm Feuerschutz gaben.
Vereinzelte Lichtstrahlen aus den umliegenden Gebäuden stießen auf den Sergeant zu. Deckert feuerte und gab ihm zusätzlich Feuerschutz. Curtis sprang in den Hausflur - und entdeckte oben auf der Treppe einen Foraner. Der Sergeant feuerte ansatzlos. Der Brustpanzer des Foraners lenkte den Lichtstrahl ab. Putz und Mauerwerk spritzten, Staub wölkte vor dem faustgroßen Loch auf, dass der Blaster in die Wand gehämmert hatte. Bei dem Foraner glühte es auf. Curtis hechtete nach vorne, rollte über die Schulter ab, kam vom eigenen Schwung getragen wieder hoch und feuerte erneut. Der Foraner benötigte eine gewisse Zeit, um sich auf das jäh veränderte Ziel einzustellen - und als er Curtis erneut anvisierte, war es bereits zu spät. Doch es war nicht Curtis, der geschossen hatte, sondern der Captain. Der Kopf des Foraners zerfiel regelrecht. Der Helm polterte die Treppe hinunter, einen Augenblick später schlug der unförmige Leib lang hin. »Wir werden uns mit den Schutzpanzern und Helmen dieser Kreaturen ausrüsten«, beschloss Deckert. »Fangen Sie gleich an, Curtis...« Der Captain wandte sich wieder der Tür zu. Ein zweiter seiner Gefährten - Corporal Chung Li - rannte über den Platz, so schnell ihn seine Beine zu tragen vermochten. Gleichzeitig feuerte er mal nach links, dann nach rechts. Die gründlichen Lichtstreifen der Blaster zischten durch die Luft. Der Captain schoss in rasender Folge. Getroffen kippte ein Foraner aus einer der Türen. Es schepperte, als er auf das Pflaster prallte. Sein Helm rollte davon. Der Corporal hatte das schützende Gebäude fast erreicht, von dem aus ihm auch der Captain Feuerschutz gab, als er getroffen wurde. Die Beine wurden ihm vom Boden weggerissen. Ein Schrei brach als ersticktes Röcheln aus seiner Kehle. Dann schlug er der Länge nach hin, überschlug sich einige Male und blieb schließlich mit ausgebreiteten Armen liegen. »Diese elenden Hunde! «, brüllte Cartec auf der anderen Seite des Platzes und stürmte schießend los. Er rannte nicht auf das Gebäude zu, bei dem sich der Captain und Sergeant Curtis verschanzt hatten, sondern wandte sich nach rechts, wo es in einem Fensterrechteck ununterbrochen aufglühte. Die Soldaten auf beiden Seiten des Platzes deckten dieses Fenster mit ihren Energiegeschossen ein. Cartec verschwand im Haus. Kurz darauf trat er die Tür des Raumes, in dem er den Gegner vermutete, einfach ein. Es knirschte und splitterte, als das Schloss aus dem Rahmen brach. Der Corporal presste sich rechts daneben gegen die Wand. Ein Blasterstrahl von innen jagte durch die Türöffnung, doch Cartec befand sich nicht in der Schusslinie.
Er zählte bis drei und sprang in das Türrechteck. Er kniete links ab und feuerte. Ein Energiestrahl stieß auf den Foraner zu, schleuderte ihn gegen die Wand, schien ihn sekundenlang daran festzunageln. Erst als Cartec den Abzug losließ und der Blasterstrahl erlosch, rutschte der Foraner zu Boden. Cartec lief zum Fenster und äugte hinaus. »Ich habe den Burschen getötet«, sagte er ins Funkmikrofon. »Ziehen Sie sich seinen Harnisch über, Cartec«, befahl Deckert, »und setzen Sie den Helm auf.« »Wie sollen wir in Verbindung bleiben, Captain?«, fragte der Soldat. »Wir haben keine Ahnung, von wie vielen Gegnern wir hier umgeben sind. Alleine auf sich gestellt ist jeder von uns zum Untergang verdammt... « »Mit der Verkleidung fallen wir in der Stadt nicht so auf wie mit unseren schwarzen Helmen, Cartec«, versetzte der Captain. »Was die Verständigung angeht, so werden wir eben versuchen, nicht getrennt zu werden. Unabhängig davon ist jeder von uns auf sich allein gestellt so oder so verraten und verkauft, Soldat.« Sergeant Brenner hetzte über den Platz. Er erreichte den Schutz des Gebäudes, und dann folgte als letzter Maghini. Auch er erreichte ungeschoren die Deckung. Aus einem Gebäude schräg gegenüber feuerten mindestens drei Schützen. Cartec und Sergeant Curtis deckten sie von zwei Seiten mit ihren Schüssen ein. »Brenner, folgen Sie mir!«, kommandierte Captain Deckert. Die beiden rannten schießend und Haken schlagend auf das Gebäude zu, in dem sich drei oder vier Foraner verschanzt hatten. Ihre Blasterstrahlen kreuzten sich mit denen der Invasoren. Es zischte, wenn die Lichtblitze an den Hauswänden gebrochen wurden. Rauchende, schwarz verbrannte Löcher blieben in den Wänden zurück, wo die Blaster einschlugen. Wie durch ein Wunder wurden weder der Captain noch der Sergeant getroffen. Sie drangen in das Haus ein. Es waren drei Foraner, die sie in Empfang nahmen, aber den hervorragend ausgebildeten Soldaten von der Erde hatten die Einheimischen nichts entgegenzusetzen. Noch ehe sie richtig zum Denken kamen, brachen sie tot zusammen. »Okay«, sagte der Captain, lehnte das Gewehr an eine Wand und nahm seinen Helm ab. Er bückte sich über einen der Toten und öffnete dessen Harnisch. »Maskenball, Sergeant«, sagte er grinsend. »Worauf warten Sie?« Jetzt erst fiel ihm auf, dass der Luftkampf über der Stadt beendet war. Die Shuttlebomber, die Mallory ihm geschickt hatte, waren hinter den Wolken verschwunden. Die Flugzeuge der Foraner waren zerstört oder gelandet. Am Rand des Dschungels südlich der Stadt wurde allerdings noch heftig gekämpft. Die Todesschreie der Getroffenen gellten schaurig bis in die Stadt.
Die Suche Algorian blickte auf das Wesen hinab, das er an Bord der MASOT genommen hatte und von dem sie inzwischen wussten, wo es genau in diesem anachronistischen Gasring beheimatet gewesen war. Sie hatten seinen Weg zurückverfolgt - auch mit Hilfe von Rofaschs Geistfühlern... Dabei hatten sie eine bestürzende Entdeckung gemacht. Bestürzend nicht nur für das Wesen vor ihnen, sondern auch für sie selbst. Er wandte sich an seinen Hassbruder. »Wir können hier nicht länger bleiben, sonst gefährden wir uns selbst. Wir hatten Glück, dass der Meteorit das Erinjij Schiff zerstört hat, aber wo ein Kreuzer auftaucht, können jederzeit weitere folgen. Zudem können die Strömungen hier im Ring selbst uns gefährlich...« Der Erstling unterbrach ihn brüsk. »Hasttt du immerrr noch nicht begrrriffen, wasss es bedeutttet, ihn gefundenen zu haben? Dddie Analyse hattt errrgeben, dasss errr den perrrfekttten Körrrper besssitzt. Die Suche hattt ein Ennnde - und wirrr beide habennn gefunnnden, wonachchch die halbe Allianz fahndettt! « Das war nicht einmal übertrieben, fand Algorian, der sich wunderte, dass der Erstling sich dazu herabließ, von »wir« statt von »ich« zu sprechen. Selbst ein Pragmatiker wie er musste wissen, wie verschwindend gering die Chancen gestanden hatten, in der Kürze der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit einen Erfolg zu verbuchen. Und dass ausgerechnet sie beide mit der MASOT fündig geworden waren, grenzte an ein schieres Wunder. Algorian kehrte dem Bruder den Rücken und widmete sich wieder dem Wesen, das sie an Bord genommen hatten. Das wie eine Pflanze, ein kahler Baum, aussehende Wesen hatte erneut das Bewusstsein verloren. »Esss issst intelligennnt - dasss errrschwert die Angelegenheit«, sagte der Erstling. Die Jay'nac würden sich nicht mehr lange hinhalten lassen. Sie schienen fest entschlossen, den Flächenbrand auszulösen. Den Krieg, vor dem jedem friedliebende Individuum der Galaxis bangte. Die Aorii hatten seit vielen Generationen keinen Kampf mehr geführt - weder untereinander noch gegen einen Feind von außen. Seit die wichtigsten organischen Völker sich zu einer Allianz zusammengeschlossen hatten, schien alles auf eine blühende Zukunft hinauszulaufen. Doch dann waren die Erinjij gekommen. Wie aus dem Nichts. Und seither traten sie die ehernen Gesetze der Allianz mit Füßen, akzeptierten nur ein Recht - ihr eigenes, das des Stärkeren, wie sie unverhohlen verkündet hatten. »Was meinst du mit >es erschwert die Angelegenheit