Christian Schuh / Robert Kromoser / Michael F. Strohmer Ramón Romero Pérez / Alenka Triplat Der agile Einkauf
Christian Schuh Robert Kromoser Michael F. Strohmer Ramón Romero Pérez Alenka Triplat
Der agile Einkauf Erfolgsgarant in volatilen Zeiten
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1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Maria Akhavan-Hezavei | Sabine Bernatz Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1807-9
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»NEVER WASTE A CRISIS.« Rahm Emanuel, Stabschef des Weißen Hauses unter US-Präsident Barack Obama
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INHALT Vorwort der Autoren ____________________________________________ 11 1 DIE KRISE VON 2008 UND IHRE VORGESCHICHTE _____________________ 13 1.1 Die Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933 und die Lehren daraus ___________ 14 1.2 Weltweiter Wohlstand und erste Warnsignale _______________________ 20 1.3 Die Krise von 2008 ___________________________________________ 25 2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? ______________ 29 2.1 Die traditionelle Rolle des Einkaufs _______________________________ 30 2.2 Bestandsaufnahme der Ausschöpfung fallender Rohstoffpreise durch die deutsche Industrie ____________________________________ 40 2.3 Der Einkauf muss agil werden ___________________________________ 43 Management des Risikos mit Lieferanten ___________________________ 45 Kosten senken und Wert steigern mit dem Einkaufsschachbrett ___________ 46 Nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen ________________ 47 Bereinigung des Produktportfolios ________________________________ 48 Insourcing zur Kapazitätsauslastung/Cash Management ________________ 50 3 VOLATILITÄT AUF VERSCHIEDENEN EBENEN ________________________ 51 3.1 Krisenanfälligkeit von Ländern ___________________________________ 52 Finanzsystem _______________________________________________ 52 Wechselkurse und damit verbundene Kapitalzuflüsse __________________ 54 Staatsverschuldungsgrad und Finanzpolitik __________________________ 55 Heterogenität von Industrien/Branchen ____________________________ 56 Rohstoffe __________________________________________________ 56 Spekulationen in Immobilien ____________________________________ 57 3.2 Krisenanfälligkeit von Branchen __________________________________ 57 Zyklizität einer Branche ________________________________________ 58
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Investitionsgüter versus Konsumgüter _____________________________ 58 Verschuldungsgrad __________________________________________ 59 Gewinnmarge_______________________________________________ 60 4 DISKUSSION DER AUSWIRKUNGEN VON KRISEN _____________________ 61 4.1 Auswirkungen von Krisen auf die Liquidität __________________________ 61 4.2 Auswirkungen von Krisen auf Operations ___________________________ 63 4.3 Auswirkungen von Krisen auf die Unternehmensstrategie _______________ 67 5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL ____________________________________ 71 5.1 Strategie 1 – Management des Risikos mit Lieferanten _________________ 71 Lieferantenlandschaft als Treiber des Risikomanagements ______________ 72 Der Prozess des Risikomanagements ______________________________ 72 5.2 Strategie 2 – Kosten senken und Wert steigern mit dem Einkaufsschachbrett® _____________________________________ 81 Vier Einkaufsstrategien ________________________________________ 84 Positionierung von Beschaffungsgruppen im Einkaufsschachbrett und Ableitung besonders mächtiger Ansätze zur Kostensenkung und Wertsteigerung __________________________________________ 89 Ideengeber zur Entwicklung einer grundlegenden Beschaffungsgruppenstrategie durch Anwendung aller 64 Felder _________ 91 Ableitung einer Beschaffungsstrategie für große Anlageninvestitionen ______ 92 5.3 Strategie 3 – Nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen ______ 95 5.4 Strategie 4 – Bereinigung des Produktportfolios _____________________ 105 Ursachen des Trends zu steigender Komplexität in Unternehmen _________ 106 Einfluss des Produktportfolios auf die Wertkette _____________________ 110 Bereinigung des Produktportfolios mit einem integrierten Wertschöpfungsansatz ______________________________ 112 5.5 Strategie 5 – Insourcing zur Kapazitätsauslastung/Cash Management _____ 123 Insourcing ________________________________________________ 123
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6 FALLSTUDIEN _____________________________________________ 135 6.1 Fallstudie 1: Finanzwesen _____________________________________ 6.2 Fallstudie 2: Maschinenbau ____________________________________ 6.3 Fallstudie 3: Prozessindustrie ___________________________________ Struktur der Industrie ________________________________________ Inputfaktoren Stahl __________________________________________ Angebot und Nachfrage ______________________________________ Auswirkungen der Krise von 2008 _______________________________ Handlungsempfehlungen für die Stahlindustrie in der Krise______________ 6.4 Fallstudie 4: Automobilindustrie _________________________________ 6.5 Fallstudie 5: Chemische Industrie ________________________________ 6.6 Fallstudie 6: Energieversorgung _________________________________ 6.7 Fallstudie 7: Telekommunikation_________________________________
135 139 143 143 143 144 144 148 149 154 157 160
Schlussbetrachtungen __________________________________________ 165 Literaturverzeichnis ____________________________________________ 166 Autoren _____________________________________________________ 167
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VORWORT DER AUTOREN Wie schnell sich die Zeiten ändern. Noch im Sommer 2008 plante ein ukrainischer Stahlhersteller, 17 Mrd. US-Dollar in die Erweiterung seiner Produktionskapazitäten zu investieren. Nur zwei Monate später standen mehr als die Hälfte der Hochöfen in der Ukraine still. Was zunächst als ein auf den US-amerikanischen Immobilienfinanzierungssektor begrenzt erscheinendes Problem begann, entwickelte sich zur größten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren. Alle Winkel der Welt und nahezu alle Branchen wurden von dieser Krise erfasst. Gerade im Einkauf – an der Schnittstelle zum Lieferantenmarkt – wurde der Umschwung besonders stark spürbar. Die noch im Jahr 2008 dominierenden Themen Verkäufermarkt, Versorgungsengpässe und Preisauftrieb wurden durch die neuen Themen Käufermarkt, Insolvenzen von Lieferanten und Nutzung der fallenden Rohmaterialpreise abgelöst. In von der Krise besonders hart getroffenen Unternehmen kam die Einkaufstätigkeit aufgrund von Absatzrückgängen und übervoller Lager nahezu vollständig zum Erliegen. Durch das entschlossene Einschreiten der großen Volkswirtschaften mit riesigen Stützungspaketen konnte ein katastrophales Abrutschen der Weltwirtschaft in eine tiefe Depression vermieden werden. Allerdings macht die daraus resultierende, übermäßige Verschuldung der Staaten die sich vielerorts abzeichnende Erholung anfällig für Rückschläge. Die wohl wichtigste Lehre aus den Entwicklungen der letzten Jahre ist, dass man jederzeit auf ein Umschlagen der Situation gefasst sein muss. Nach dem Erfolg unseres letzten Buchs „Das Einkaufsschachbrett“ wurden wir von unseren Klienten und Lesern mit immer mehr Nachdruck dazu aufgefordert, zur Rolle des Einkaufs in diesen volatilen Zeiten Stellung zu nehmen. Diesem Wunsch sind wir schließlich gerne nachgekommen. Wir begannen zunächst damit, die Mechanismen von Wirtschaftskrisen auch für uns selbst verständlich zu machen. Danach übertrugen wir diese Erkenntnisse auf Modellunternehmen aus einzelnen, von der Krise unterschiedlich stark betroffenen, Branchen. Schließlich erarbeiteten wir die idealen Beiträge, die der Einkauf abhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Situation in diesen Branchen leisten soll. Die essenzielle Erkenntnis aus all diesen Überlegungen
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war, dass der Einkauf vor allem agil entsprechend der sich jeweilig bietenden Situation agieren muss. Das Beibehalten von eingefahrenen Wegen wird im neuen wirtschaftlichen Paradigma gnadenlos bestraft. Bei der inhaltlichen Gestaltung dieses Buchs führten wir eine Vielzahl von Gesprächen mit Klienten sowie Kollegen bei A.T. Kearney. Besonders wertvolle Hinweise für den Feinschliff der Kernaussagen verdanken wir Mirko Lange, Senior Vice President Supply Management von ThyssenKrupp Elevator. Stellvertretend für alle Kollegen, die uns als wertvolle Diskussionspartner beim Schreiben dieses Buches zur Verfügung gestanden haben, danken wir Íñigo Aranzabal – Madrid, Johan Aurik – Brüssel, John Blascovich – New York, Laurent Chevreux – Paris, Charles Davis – London, Laurent Dumarest – Paris, Stephen Easton – London, Joachim Ebert – Chicago, Kai Engel – Düsseldorf, Axel Freyberg – Berlin, Jules Goffre – München, Florian Haslauer – Wien, Petra Helfferich – Kopenhagen, Günter Jordan – München, Bo Kaunitz – Stockholm, Götz Klink – Stuttgart, Ruslan Korsh – Moskau, Robert Kremlicka – Wien, Werner Kreuz – Düsseldorf, Rick Kozole – Detroit, John Kurtz – Jakarta, Alexander Malkwitz – Düsseldorf, Federico Mariscotti – Mailand, Xavier Mesnard – Paris, Dietrich Neumann – Berlin, Thomas Rings – München, Oliver Scheel – Düsseldorf, Wim Plaizier – Amsterdam, Marco Santino – Rom, Sieghart Scheiter – Düsseldorf, Niko Soellner – Düsseldorf, Martin Sonnenschein – Berlin, Dan Starter – Dubai, Wolfgang Steck – London, Markus Stricker – Sao Paulo, Jan Fokke van den Bosch – Amsterdam, Jan van der Oord – Amsterdam, Bart van Dijk – Amsterdam, Mirko Warschun – München und Peter Wessmann – Düsseldorf. Besonderer Dank gilt unserem Kollegen David Liebig, der mit der Übernahme des Lektorats dieses Buch erst ermöglichte. Wir sind zuversichtlich, einen Leitfaden dafür geschaffen zu haben, den Einkauf quer über einen Konjunkturzyklus hinweg mit dem maximalen positiven Effekt für das Unternehmen einzusetzen. Dieses Buch richtet sich somit vor allem an Vorstände, Restrukturierer und Sanierer sowie an Einkaufsleiter. Wir wünschen unseren Lesern viel Erfolg beim Meistern der anstehenden Herausforderungen. Christian Schuh Robert Kromoser Michael F. Strohmer Ramón Romero Pérez Alenka Triplat
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DIE KRISE VON 2008 UND IHRE VORGESCHICHTE
In den sechs Jahrzehnten nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war 1975 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,9 Prozent das wirtschaftlich düsterste Jahr. Über diesen Zeitraum hat sich die stark exportabhängige Wirtschaft Deutschlands – Deutschland soll hier stellvertretend für viele andere westeuropäische Länder diskutiert werden – als robust gegenüber Störungen erwiesen. So wuchs die Wirtschaftsleistung im Wesentlichen unbeschadet von Volatilitäten wie dem Auf und Ab des Kalten Kriegs, vom Kommen und Gehen technologischer Innovationen, von demografischen Veränderungen, von Ölpreisschocks, von der Öffnung neuer Märkte und vom Heranwachsen neuer Konkurrenten, um nur einige der gemeisterten Herausforderungen zu nennen. Kaum jemand erwartete einen ernsthaften Abschwung. Die letzte große Wirtschaftskrise – die Depression in den 30er Jahren – lag weit zurück und war, wenn überhaupt, nur noch in volkswirtschaftlichen Büchern oder aus den Erzählungen der Großeltern präsent. Der Ökonom und Träger des Wirtschaftsnobelpreises 2008, Paul Krugman – dessen lesenswertes Buch „The Return of Depression Economics“ dieses Kapitel wesentlich inspiriert – stellt den Vergleich mit einer besiegt geglaubten Seuche auf. Frühere Generationen wurden in unregelmäßigen Abständen Opfer eines Krankheitserregers, der eine Rezession oder im schlimmsten Fall sogar eine Depression auslöst. Diese Seuche galt mit den Mitteln der modernen Volkswirtschaftslehre als besiegt. Nun scheint sie als neuer, gegen diese Mittel resistenter Stamm wieder aufzutauchen. Obwohl die massiven staatlichen Stützungspakete die Lage nach der Krise von 2008 insgesamt beruhigen konnten, kann niemand die weitere wirtschaftliche Entwicklung vorhersagen. Im Gegenteil, was die Krise am besten gezeigt hat, ist die Kurzlebigkeit von Prognosen. Gerade der Einkauf ist aber auf eine Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Lage in hohem Maße angewiesen. Beispielsweise hat der Abschluss eines Jahresvertrages zu einem im Jahr 2008 vermeintlich günstigen Aluminiumpreis so manches Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage gebracht, nachdem der Preis nach Abschluss um nochmals 50 Prozent nachgab. Auch dieses Kapitel kann keine zuverlässigen Vorhersagen der wirtschaftlichen Zukunft liefern. Was es aber
C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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kann, ist die Anatomie von Wirtschaftskrisen erläutern. Auf dieser Basis kann der Leser aus der Interpretation von Nachrichten und Marktbeobachtungen selbst eine bessere Einschätzung der Lage vornehmen.
1.1 DIE WELTWIRTSCHAFTSKRISE 1929 BIS 1933 UND DIE LEHREN DARAUS Wirtschaftskrisen gibt es bereits, seit es Wirtschaft gibt, und schon das Weströmische Reich wurde 276 bis 334 von einer schweren Inflation heimgesucht. Hier soll aber nicht zu weit in die Vergangenheit zurückgegangen werden. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 soll als Modell zum besseren Verständnis der Krise von 2008 herangezogen werden. Die 20er Jahre waren unserer Zeit nicht unähnlich. Große, internationale Konzerne standen miteinander im Wettbewerb und waren über die Börsen mit Durchschnittsbürgern eng verzahnt. In den Schaufenstern der Warenhäuser weckten neue, innovative Konsumgüter wie beispielsweise Radios, Kühlschränke, Geschirrspüler und Waschmaschinen Begehrlichkeiten. Informationen verteilten sich per Fernschreiber, Zeitungen und Radio bereits recht schnell. Im Verlauf der 20er Jahren trieb eine unaufhaltsam scheinende Hausse den DowJones-Index auf das nahezu Vierfache des Wertes von 1923. Man sprach von „Eternal Prosperity“ – einem ewigen Wohlstand. Angetrieben von dieser Hochstimmung und dem Wunsch, auch selbst zumindest einige der neuen Konsumgüter zu besitzen, begannen zahlreiche Kleinanleger zu spekulieren. Millionen Arbeiter und Angestellte nahmen kurzfristig hohe Kredite auf, um sich davon Aktien zu kaufen (oft gaben sich die Banken allein mit den Aktien als Sicherheit zufrieden), in der Hoffnung, diese mit den erwarteten und sicher erscheinenden Gewinnen zurückzahlen zu können. Im Dezember 1928 gab der Börsenkurs zum ersten Mal signifikant nach. Aber die meisten Spekulanten und Makler sahen keinen Grund zur Beunruhigung. Die damals noch recht unerfahrene US-Notenbank versuchte einzugreifen und erhöhte die Zinsen auf langfristige Kredite, um die Kreditfinanzierung von Aktienkäufen zu bremsen. In der herrschenden Euphorie wechselten die Anleger aber einfach zu kurzfristigen Kredi-
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ten und die Spekulationsblase blähte sich weiter auf. Schließlich erreichte der DowJones-Index am 3. September 1929 einen historischen Höchststand von 381 Punkten. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Kurse volatil. Es gab zwar Warnungen im Vorfeld, die jedoch als Schwarzmalerei abgetan wurden. Die Mehrzahl der Wirtschaftsführer und -wissenschaftler war noch Mitte Oktober 1929 davon überzeugt, dass der Höhenflug ewig weitergehen würde. Der Wirtschaftsprofessor Irving Fisher erlangte zweifelhaften Ruhm, als er noch am 16. Oktober 1929 verkündete: „Es sieht so aus, als ob die Aktien ein dauerhaftes Hochplateau erreicht haben“1. Als der Dow-Jones-Index kurz darauf deutlich ins Minus drehte, brach jedoch Nervosität aus. Viele Anleger wurden sich erstmals des Risikos bewusst, das sie eingegangen waren, und erkannten, dass sie so ihre Kredite nicht würden zurückzahlen können. Der Kapitalzufluss brach ein, das Handelsvolumen nahm deutlich zu. Die gesamte Woche vor dem eigentlichen Zusammenbruch war von Hektik und Angst gekennzeichnet. Makler arbeiteten bis tief in die Nacht und die Polizei sperrte vorsorglich die Gegend um die New Yorker Börse ab. Am 23. Oktober 1929 lag der Dow-Jones bei nur noch knapp über 300 Punkten. Am 24. Oktober 1929 – der „Schwarze Donnerstag“ – begann der Handel an der Wall Street ruhig. Gegen 11 Uhr änderte sich das schlagartig – ohne erkennbaren Auslöser. Durch massive Verkäufe setzten die Kurse zum Sturzflug an, in Panik wurden viele Händler angewiesen, zu jedem Preis zu verkaufen, und der Handel brach mehrfach zusammen. Zwei Stunden später war der Gesamtwert der börsennotierten Unternehmen um elf Mrd. US-Dollar gefallen, ungefähr 1,5 Prozent des damaligen Jahres-Bruttosozialproduktes der USA. Heute würde dies einem Tagesverlust an der Wall Street von über 200 Mrd. US-Dollar entsprechen. Am Freitag setzte sich der Trend unverändert fort. Die schlechten Nachrichten aus den USA hatten nun auch die europäischen Börsen erreicht, aber die europäischen Wertpapiermärkte reagierten zunächst eher optimistisch auf das Platzen der riesigen Spekulationsblase an der New Yorker Börse. Man erwartete nämlich, dass die USamerikanischen Kreditgeber künftig ihr Geld wieder nach Europa verleihen würden, statt es, wie in den anderthalb Jahren zuvor, an der Wall Street zu konzentrieren.
1
Paul Krugman, The Return of Depression Economics. W. W. Norton, New York, 2009
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Endgültig brach der Markt erst am darauffolgenden Dienstag zusammen. Die Kurse waren zu weit gefallen, um die Kredite noch decken zu können – die Banken forderten ihr Geld zurück und zwangen die Anleger, ihre als Sicherheit hinterlegten Aktien zu verkaufen. Dies sorgte für massive Verkäufe zu jedem Preis, das Handelsvolumen stieg immer weiter und der Dow-Jones fiel auf 260 Punkte. Die Kurse trudelten weiter nach unten, und der Kurswert der Unternehmen fiel um weitere 14 Mrd. US-Dollar. Am Mittwoch wuchs das Handelsvolumen weiter, einige Aktienkurse waren um 99 Prozent gefallen. Die Kurse fielen noch weitere drei Wochen. Erst am 15. November 1929 stellte sich eine Seitwärtsbewegung ein, der Dow-Jones stand bei ca. 180 Punkten. Einige glaubten, der Tiefpunkt sei erreicht und kauften wieder mit hohem Risiko die vermeintlich billigen Aktien. Aber die Kurse fielen weiter. Erst im Sommer 1932 war der Boden bei 41 Punkten erreicht – dem gleichen Wert wie am 26. Mai 1896, der Erstpublizierung des Dow-Jones Index. Die Krise sprang von den Börsen auch sehr schnell auf die Realwirtschaft über. Die Auswirkungen waren dabei von Land zu Land unterschiedlich (siehe Abbildung 1). Während einige Länder, wie Großbritannien und Schweden, nur kurze wirtschaftliche Dellen zu verzeichnen hatten, wurden die USA – sie erzeugten 1929 fast die Hälfte der industriellen Güter und waren damals mit Abstand die größte Exportnation der Welt – und Deutschland besonders hart getroffen. In beiden Ländern brach die industrielle Produktion bis zum Höhepunkt der Krise 1932 um 40 Prozent ein. Im gleichen Zeitraum schrumpfte der Welthandel um etwa zwei Drittel.2 Nicht alle Branchen wurden von der Weltwirtschaftskrise im gleichen Ausmaß erfasst. Während die Automobilproduktion in den USA und Deutschland um etwa 70 Prozent zurückging, waren Energieversorger in beiden Ländern kaum betroffen. Bei einer detaillierten Betrachtung einzelner Branchen lässt sich ein klarer Trend zu preiswerten und innovativen Produkten erkennen. So kollabierte beispielsweise in der Weltwirtschaftskrise der Absatz von Luxusautos gegen null, während sich der Absatz von billigen, dreirädrigen Autos mehr als verdoppelte.
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FERI; A.T. Kearney
1 DIE KRISE VON 2008 UND IHRE VORGESCHICHTE ___________________________________________ 17
110 Schweden UK
100 Deutschland Frankreich
90
80 USA
70
60
0
1929
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1932
1933
Abbildung 1: Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in ausgewählten Ländern 1929 bis 1934
Die Auswirkungen auf einzelne Firmen und den Arbeitsmarkt waren enorm. Zwischen 1929 und 1933 verzeichnete beispielsweise Siemens einen Umsatzeinbruch von 61 Prozent und baute die Hälfte der Mitarbeiter ab. Viele Firmen und mit ihnen verbundene Banken wie der Nordwolle-Konzern und die Danat Bank schlitterten in die Zahlungsunfähigkeit. Eine unglückliche Schlüsselrolle bei der Weltwirtschaftskrise kam Herbert Hoover, Präsident der USA von 1929 bis 1933, zu. Die Öffentlichkeit sah in ihm zunächst einen genialen Technokraten, der die Wirtschaft effizient handhaben und dem gesamten Land zu Wohlstand verhelfen würde. Er verstand die Weltwirtschaftskrise primär als
1934
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moralische Herausforderung, bei der über eine Art Selbstreinigung des Systems „verrottete“ Marktteilnehmer ausscheiden und damit Platz für „gesunde“ Spieler gemacht würde. Er hielt mitten in der Krise an einem ausgeglichenen Staatshaushalt fest, erhöhte Steuern, kürzte öffentliche Investitionen und forderte gleichzeitig die Bürger auf, der wirtschaftlichen Zukunft zuversichtlich entgegenzusehen. Hoover – tief geprägt von persönlichen Erfahrungen als Bergbauingenieur in der frühen Sowjetunion – fürchtete, dass zu viel staatliche Unterstützung schädlich für den US-amerikanischen Individualismus wäre und die Moral der Bürger schwächen würde. Präsident Hoover wurde dafür insbesondere vom Ökonomen John Maynard Keynes heftig kritisiert. In öffentlichen Veranstaltungen verwendete Keynes die Analogie, dass der wirtschaftliche Motor ein Problem mit der Zündung habe (ein „Magneto“Problem, wie es damals hieß). Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass der wirtschaftliche Motor nicht aus eigener Kraft wieder anspringen würde, sondern Starthilfe von der Regierung bräuchte. In gewisser Weise war Keynes mit dieser Ansicht damals ein Konservativer. Im Gegensatz zu vielen anderen Intellektuellen seiner Zeit war er immerhin nicht der Meinung, dass das kapitalistische System eine Fehlkonstruktion sei, die durch eine Art zentrale Planwirtschaft ersetzt werden müsse. Für Keynes war der Kapitalismus nicht gescheitert, sondern benötigte bloß eine zeitlich beschränkte, staatliche Intervention, die – ohne Eingriffe in das Privateigentum – das System wieder zum Laufen bringen könne. Der von Keynes geforderte staatliche Impuls kam dann doch in zwei Etappen – die erste davon war der „New Deal“. Dieser war ein Bündel von Wirtschafts- und Sozialreformen in den USA, das mit massiven staatlichen Investitionen die Binnenkonjunktur ankurbeln und die durch die Weltwirtschaftskrise verursachte Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut lindern sollte. Die von Keynes inspirierten Reformen begannen mit dem Amtsantritt des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt im Jahre 1933. Ihnen lag jedoch noch keine voll ausgearbeitete Theorie zugrunde. Stattdessen orientierten sie sich an den offenkundigen sozialen Problemen, die durch Einzelmaßnahmen gelöst werden sollten. Gemeinsam war den verschiedenen Maßnahmen jedoch der politische Wille, nicht mehr darauf zu warten, dass der Markt das Problem von alleine löst. Bemerkenswert ist, dass mit dem New Deal die Regierung der USA erstmalig in der Geschichte massiv in die Marktwirtschaft eingriff. Die verschiedenen Maßnahmen hatten zunächst eine belebende Wirkung auf den Arbeitsmarkt, verschafften jedoch
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nur kurzzeitig Linderung. Eine erste vorsichtige Kürzung der Staatsausgaben zur Eindämmung der Staatsverschuldung im Jahr 1937 führte zur sogenannten „RooseveltDepression“. Der Konsens unter Wirtschaftshistorikern ist, dass eine Bankenkrise Anfang der 30er Jahre die bereits herrschende schwere Rezession letztlich zu einer Weltwirtschaftskrise mit einer tiefen Depression verstärkte. Die Rezession drückte auf Rohstoffpreise, die fallenden Rohstoffpreise wiederum trieben viele hoch verschuldete US-amerikanische Farmer in den Ruin. Die bankrotten Farmer verursachten Kreditausfällen bei amerikanischen Banken, die wiederum Auslöser für „Bank Runs“ zuerst im mittleren Westen der USA und dann im ganzen Land waren. Bei den Bank Runs (dt. etwa: „Ansturm auf eine Bank“) versuchen viele Anleger einer Bank, zeitgleich ihre Einlagen abzuheben. Da die Banken meistens nur einen Bruchteil der Einlagen als Bargeld bereithalten, kommt es bei einem Bank Run leicht zur Insolvenz. Die Reaktion auf diese fatale Kettenreaktion war das Glass-Steagall Gesetz. Es wurde am 16. Juni 1933 von Präsident Roosevelt erlassen, um den Banken mehr Sicherheit zu gewähren und sie vor riskanten Spekulationen zu schützen. Dazu wurde in dem Gesetz die Trennung von Geschäftsbanken, die Einlagen annehmen durften, und Investmentbanken, die keine Einlagen annehmen durften, angeordnet. Geschäftsbanken wurden strengen Auflagen hinsichtlich der Risiken, die sie eingehen durften, unterworfen, erhielten aber gleichzeitig jederzeitigen Zugang zu Finanzmitteln der Fed zum Diskontsatz. Zusätzlich verpflichtete das Gesetz erstmals Banken, eine Einlagenversicherung abzuschließen. Das endgültige Ende der Weltwirtschaftkrise brachte erst der Zweite Weltkrieg. Der damit verbundene Aufschwung in den kriegswichtigen Industrien machte den New Deal obsolet. Als die USA 1941 nach dem japanischen Überfall auf die Pazifikflotte in Pearl Harbor in den Krieg eintraten, bedeutete dies beispielsweise für das bis dahin verarmte Kalifornien wirtschaftlich goldene Zeiten. Oakland wurde zur größten Werft der USA mit Hunderttausenden Arbeitern. Im Jahre 1943 lief alle zehn Stunden ein fertiges Schiff vom Stapel. Ganze Stadtgebiete von Los Angeles und San Diego verwandelten sich in Produktionsstätten für Flugzeuge. Allein 1944 wurden dort mehr als 100.000 Militärflugzeuge gebaut.
20 _________________________________________WELTWEITER WOHLSTAND UND ERSTE WARNSIGNALE
1.2 WELTWEITER WOHLSTAND UND ERSTE WARNSIGNALE Die wirtschaftliche Erholung nach 1945 und die Überzeugung, dass eine weitere Depression mit staatlichen Interventionen verhindert werden könne, führten schließlich zu einer breiten Akzeptanz des Kapitalismus und der freien Marktwirtschaft in der westlichen Welt. Im Westen entstand der Konsens, dass bei sich abzeichnenden Rezessionen mit niedrigen Zinssätzen und gegebenenfalls mit staatlichen Investitionen auf Kosten eines Budgetdefizits zu antworten ist. Die Seuche Rezession schien tatsächlich besiegt zu sein. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und den erfolgreichen marktwirtschaftlichen Reformen in China schien der Siegeszug des Kapitalismus endgültig zu sein. Zum ersten Mal seit dem viktorianischen Zeitalter wurde der Kapitalismus nicht bloß wegen seiner unbestreitbaren Vorteile akzeptiert, sondern stand auch ohne ideologische Konkurrenz da. Verstärkt wurde der kapitalistische Optimismus besonders durch zwei Faktoren:
Moderne Informationstechnologien – sie veränderten alle Aspekte der Arbeitswelt viel tiefgreifender als jede andere Entwicklung der vorangegangenen 100 Jahre. Sie brachten auch den Typus des „romantischen“ Unternehmers zurück. Ähnlich wie Generationen zuvor Thomas Alva Edison oder Henry Ford waren Bill Gates von Microsoft oder Sergey Brin und Larry Page von Google Identifikationsfiguren für Legionen von Firmengründern.
Globalisierung – noch in den 70er Jahren war das heutige Ausmaß an Globalisierung undenkbar. Die dramatischen Lohnkostenvorteile in den damaligen Entwicklungsländern reichten keinesfalls aus, Investitionen anzulocken. Versuche, diesen Ländern wirtschaftlich auf die Beine zu helfen, beschränkten sich meist darauf, „gerechtere“ Rohstoffpreise zu fordern. Durch eine Kombination von Faktoren wie niedrigere Zölle, bessere Telekommunikation und günstigere Transportkosten begannen Länder, die bis dahin Jute und Kaffee produzierten, plötzlich Hemden und Turnschuhe und später Autos und Fernseher herzustellen. Der Wohlstand in diesen Ländern stieg enorm – 1975 betrug der Durchschnittslohn in Taiwan fünf Prozent des Werts in den USA, im Jahr 2006 lag Taiwan bereits bei 62 Prozent.
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Der weltweite Optimismus basierte aber auch darauf, dass regionale Wirtschaftskrisen wie zum Beispiel die „Tequila Krise“ von 1994, in welcher der Mexikanische Peso mehr als 50 Prozent seines Werts verloren hatte, schnell gelöst werden konnten. Damals gerieten die mexikanischen Staatsfinanzen in eine gefährliche Schieflage, die nur durch ein Darlehen der US-Regierung in Höhe von 50 Mrd. US-Dollar stabilisiert werden konnte. Jedenfalls war die Tequila Krise nach 18 Monaten vorbei (ebenso Folgekrisen in verschiedenen Ländern Lateinamerikas), und der Verlauf der Ereignisse bekräftigte die vorherrschende Meinung, dass mit schnellem und entschlossenem Eingreifen eine Rezession beherrscht werden könne. Über diese Euphorie blieben Fragen nach den eigentlichen Ursachen der Tequila Krise ungestellt – bis unmittelbar vor dem Ausbruch der Krise war Mexikos damalige Wirtschaftspolitik nämlich als geradezu vorbildlich gelobt worden. Ein weiteres übersehenes Warnsignal war die lange anhaltende Rezession in Japan. Wie konnte die über lange Zeit zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem großen Binnenmarkt, hochqualifizierten Arbeitskräften, einem modernen Finanzsektor, vielen in Hochtechnologie führenden Unternehmen und einer stabilen Regierung in eine derart ausweglose Falle geraten? Japan hatte lange als das wirtschaftliche Musterland schlechthin gegolten. Kaum ein anderes Land der Welt hat jemals eine derart tiefgreifende ökonomische Umwälzung erfahren wie Japan in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Innerhalb von zwei Jahrzehnten wurde ein Agrarland zum weltweit größten Exporteur von Stahl und Autos. Ab den 70er Jahren wurde Japan sogar zum teils bewunderten, teils gefürchteten Rivalen der USA. Im Jahr 1990 übertraf die Börsenkapitalisierung aller japanischen Firmen jene aller US-amerikanischen Firmen um das Doppelte – und das, obwohl das Bruttosozialprodukt der USA mehr als doppelt so groß wie das von Japan war. Sogar der Abbau dieser Blase erfolgte geordnet durch schrittweise von der japanischen Notenbank angehobene Zinssätze, die schließlich dazu führten, dass die Preise von Aktien und Immobilien um ca. 60 Prozent sanken. Für einige Zeit war man der Meinung, dass das Eingreifen der Notenbank erfolgreich gewesen war und man damit zu einer gesünderen Gesamtstruktur der Wirtschaft zurückgefunden habe. Allerdings erreichte die japanische Wirtschaft über zehn Jahre lang nicht die zuvor als normal erachteten Wachstumsraten. Nur in einem einzigen Jahr der 90er Jahre wurde zumindest die durchschnittliche Wachstumsrate der 80er Jahre erreicht! Nach anfänglichem Zögern senkte die japanische Notenbank den Zinssatz auf null Prozent. Auch
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dies war nicht ausreichend, um die Wirtschaft nachhaltig in Gang zu bringen. Wenn Zinssenkungen nicht ausreichen, schlägt man bei Keynes nach. Seine Forderung während der Weltwirtschaftskrise war, dass der Staat als Investor einspringen soll, wenn die Privatwirtschaft nicht in der Lage ist, für Vollbeschäftigung zu sorgen. Japan agierte massiv im Sinne von Keynes und baute in großem Stil Straßen und Brücken – böse Zungen behaupten, dass in Japan mittlerweile jeder Wanderweg asphaltiert ist. Leider blieben auch diese Programme ohne den gewünschten Effekt. Japan kam nicht aus der Rezession, dafür drehte das japanische Budget von einem Überschuss von drei Prozent (vom Bruttosozialprodukt) Anfang der 90er Jahre auf ein Defizit von über zehn Prozent und einer Staatsverschuldung von über 100 Prozent des Bruttosozialprodukts Ende der 90er Jahre. Das letzte Mal, dass eine große Volkswirtschaft in einer ähnlichen Falle wie Japan in den 90er Jahren war, waren die USA in den 30er Jahren. Erst im Jahr 2003 besserte sich die Lage der japanischen Wirtschaft mit Hilfe von gestiegenen Exporten. Ausschlaggebend war hier vor allem das riesige Handelsbilanzdefizit der USA. Davon profitierte Japan zum einen über direkte Warenlieferungen und zum anderen über Zulieferungen von Investitionsgütern und Komponenten nach China, woher der Großteil der US- amerikanischen Importe stammt. Die Verschnaufpause für Japan sollte aber nur von kurzer Dauer sein. Die Vorfälle in Lateinamerika und Japan waren aber nicht die einzigen übersehenen Warnsignale. Wie konnte es passieren, dass die Abwertung des Baht – der thailändischen Währung – eine finanzielle Lawine auslöste, die große Teile der asiatischen Wirtschaft unter sich begrub? Die Industrialisierung begann in Thailand erst in den 80er Jahren. Investoren waren vor allem japanische Firmen, die in Thailand Produktionsstätten eröffneten. Die Transformation von einem Agrarland in ein Industrieland führte in Thailand zu beeindruckenden Wachstumsraten von acht Prozent und mehr pro Jahr. Bis in die frühen 90er Jahre wurde das Wachstum primär mit thailändischen Sparguthaben finanziert. Dann begannen sich westliche Investoren im großen Stil in Entwicklungsländern – oder „Emerging Markets“ wie es nun hieß – zu engagieren. Dieser massive Zufluss an Kapital führte in Thailand (und vielen anderen asiatischen Ländern) zu einem Investitionsboom, einer steigenden Inlandsnachfrage durch neue kaufkräftig gewordene Bevölkerungsgruppen und damit ansteigenden Importen. Gleichzeitig machten die gestiegenen Löhne Thailand etwas weniger wettbewerbsfähig, wodurch sich das Wachstum der Exporte verlangsamte. Das Ergebnis war ein rasant steigendes Handelsbilanzdefizit – der Kapitalzufluss aus dem Ausland finan-
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zierte zu einem immer größeren Anteil die Importe. Das Budgetdefizit von Thailand stieg auf etwa sieben Prozent und viele Ökonomen wurden nervös. Man erwartete eine Währungskrise, aber keinesfalls in dem Ausmaß, wie sie sich im Jahr 1997 einstellen sollte. Zunächst kam der Kapitalzufluss nach Thailand ins Stocken. Die Gründe dafür lagen aber außerhalb Thailands – einige Absatzmärkte für thailändische Produkte hatten Probleme und die Abwertung des japanischen Yen machte die südostasiatischen Länder weniger wettbewerbsfähig. Die ersten Investoren machten in Thailand erhebliche Verluste und der einsetzende Vertrauensverlust entwickelte sehr schnell eine Eigendynamik. Immer mehr Verluste aus fragwürdigen Investitionen im Zuge überhöhter Börsenkurse und Immobilienpreise türmten sich auf und führten zu einem zusätzlichen Vertrauensverlust und damit zu einem weiter reduzierten Kapitalzufluss. Vor diesem Hintergrund begannen Spekulanten auf einen fallenden Baht zu setzen. Sie nahmen in großem Stil Kredite in Baht auf, um damit US-Dollar zu kaufen – in der Erwartung, dass diese in naher Zukunft einen deutlich höheren Wert in Baht haben würden. Damit zwangen sie die thailändische Notenbank, Baht aufzukaufen und ihre Währungsreserven zu erschöpfen. Das Abschmelzen der Währungsreserven nährte die Überzeugung weiterer Spekulanten, dass der Baht bald abgewertet würde. An einem solchen Punkt muss eine Regierung eine klare Entscheidung treffen – entweder klarmachen, dass man die Währung um jeden Preis verteidigt oder abwertet. Wie viele Regierungen zuvor wartete die thailändische Regierung noch einige Tage ab und gab schließlich am 2. Juli 1997 auf – der Wechselkurs des Baht, der zuvor an den US-Dollar gekoppelt war, wurde freigegeben. Bis zu diesem Punkt war nichts Ungewöhnliches geschehen. Auch Großbritannien war im Jahr 1992 in einer ähnlichen Situation gewesen und musste schließlich das Pfund um 15 Prozent abwerten. Eine Abwertung in ähnlicher Größenordnung wurde auch für den Baht erwartet. Tatsächlich fiel der Baht um 50 Prozent und wäre vermutlich noch viel weiter gefallen, hätte die thailändische Notenbank die Zinssätze nicht drastisch erhöht. Zur Überraschung der meisten Beobachter blieb die Krise jedoch nicht auf Thailand beschränkt, sondern breitete sich wie ein Flächenbrand aus. Indonesien, das hinsichtlich Budgetdefizit, Exportprofil und einer Reihe anderer Faktoren vorbildlich aussah, war binnen drei Monaten in einem noch schlechteren Zustand als Thailand. Die Krise erfasste nicht nur ganz Südostasien, sondern sogar Südkorea. Südkorea hatte nur eine nennenswerte Verbindung mit Thailand – jene in den Köpfen der Inve-
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storen. Geld, das in die Region floss, stammte zu einem großen Teil aus „Emerging Market Funds“. Die schlechten Nachrichten aus Thailand führten zu einem Abfluss von Kapital aus diesen Fonds und damit zu einem Abfluss von Kapital aus allen Ländern dieser Region. Warum wurde Asien gerade im Jahr 1997 so hart von einer Rezession getroffen und nicht schon früher? Asien hatte schon viel stärkere externe Erschütterungen verkraftet, beispielsweise den Absturz der Rohölpreise im Jahr 1985. Der fundamentale Unterschied zu früheren Krisen war, dass die asiatischen Volkswirtschaften durch die Öffnung ihrer Kapitalmärkte verwundbar geworden waren. Noch im Jahr 2004 stellte der nunmehrige Chef der Notenbank der USA, Paul Bernanke, unter dem Titel „The Great Moderation“ die These auf, dass die moderne Volkswirtschaftslehre das Problem der Konjunkturzyklen in den Griff bekommen habe. Demnach seien wirtschaftliche Abschwünge heute nicht mehr als kleine Ärgernisse, die aber keine wirklich gravierenden Probleme schaffen. Interessanterweise ignorierten Bernanke und viele andere Verfechter dieser These all die oben diskutierten Warnsignale. Durch die Asienkrise Ende der 90er Jahre war eine Gruppe von asiatischen Volkswirtschaften mit immerhin über 600 Mio. Einwohnern, die zusammen ein Viertel der weltweiten Produktion erwirtschafteten, in einer Situation, die der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre sehr ähnlich war. Darunter Japan, die damals zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Ähnlich wie in der Weltwirtschaftskrise kam der Absturz aus heiterem Himmel, ähnlich wie in den 30er Jahren erwies sich die konventionelle ökonomische Medizin als unwirksam, ja sogar kontraproduktiv. Es gab also viele Indikatoren für die Verwundbarkeit der Weltwirtschaft. Diese wurden aber von führenden Wirtschaftswissenschaftern, Politikern und Journalisten der westlichen Welt ignoriert und beiseitegeschoben.
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1.3 DIE KRISE VON 2008 Zwischen 2003 und 2007 verdreifachten sich die Aktienkurse und Rohstoffpreise. Im Jahr 2009 befand sich ein Großteil der Welt in einer Krise, die der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 noch ähnlicher sah als die Asienkrise der 90er Jahre. Wie kam es dazu? In der Rückschau waren die 1990er Jahre ein fabelhaftes Jahrzehnt. Das Gefälle zwischen Arm und Reich schrumpfte, die Arbeitslosigkeit fiel auf lange nicht erreichte Tiefstände. Dennoch wurde damals die Saat für den Crash von 2008 gelegt. Der Kongress hob auf Initiative der Regierung Clinton das Glass-Steagall Gesetz auf. Mit dem Glass-Steagall Gesetz wurde nahezu 70 Jahre lang erfolgreich verhindert, dass Banken zuerst investiv bei einem Unternehmen tätig werden und diesem Unternehmen dann bei Schwierigkeiten (um die Investition zu schützen) unverantwortliche Kredite geben. Diese Kredite wären sonst aus den gewöhnlichen Einlagen von Privatpersonen oder kleineren Unternehmen finanziert worden und hätten in Folge diese Anleger in Gefahr gebracht. Kaum war das Gesetz Geschichte, hatten sich die Banken Geschäftsbereiche im Investmentbanking zugelegt. Exzesse wie Enron waren die Folge. Fast insolvent, hätte Enron von den Kreditabteilungen der großen Banken keinesfalls neue Mittel bekommen dürfen. Die Banker liehen trotzdem, wider alle Vernunft. Die Party der 1990er Jahre endete mit dem Platzen der „Dot.com Blase“ und den Terroranschlägen des 11. September 2001. Zur Stützung der Wirtschaft nach diesen Ereignissen senkte die Fed unter der Leitung von Alan Greenspan den Leitzinssatz auf ein Prozent. Wall Street Banken konnten sich zu diesem Leitzinssatz billig mit Geld versorgen. Gleichzeitig waren institutionelle Investoren wie Pensionsfonds und Anleger aus China und dem Nahen Osten auf der Suche nach vielversprechenden Geldanlagemöglichkeiten. Dieses Überangebot an billigem Geld verleitete die Banken dazu, nach mehr „Leverage“ zu suchen. Unter „Leverage“ (dt. Hebel) versteht man das Leihen von Geld, um damit das Ergebnis eines Geschäfts zu verstärken. Nachfolgend ein kurzes Beispiel, um die Wirkungsweise von „Leverage“ zu erläutern:
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Traditionell würde ein Unternehmer mit Eigenkapital von 10.000 Euro Waren um 10.000 Euro kaufen und diese für 11.000 Euro weiterverkaufen und hätte so einen Gewinn von 1.000 Euro erwirtschaftet.
Mit Leverage leiht sich derselbe Unternehmer zusätzlich zu seinen eigenen 10.000 Euro weitere 90.000 Euro, kauft damit Waren für 100.000 Euro, verkauft diese für 110.000 Euro weiter, zahlt das ausgeliehene Geld mit etwas Zinsen zurück und macht einen Gewinn von nahezu 10.000 Euro.
Anstatt einer Eigenkapitalverzinsung von zehn Prozent erreicht der Unternehmer im Beispiel mit Leverage eine Eigenkapitalverzinsung von fast 100 Prozent! Leverage ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells von Banken. Das Überangebot an billigem Geld ließ die Banken boomen. Auf der Suche nach immer mehr Leverage kamen Investmentbanken auf die Idee, Hypothekarkredite auf Eigenheime aufzukaufen. Das Risiko erschien überschaubar, da die Hauspreise über viele Dekaden kontinuierlich gestiegen waren. Zunächst gaben sich die Investmentbanken mit den monatlichen Ratenzahlungen der Hausbesitzer zufrieden. Dann begann das Financial Engineering. Die Hypotheken wurden in Tranchen aufgeteilt und dann wieder gebündelt. Das Ergebnis waren die berüchtigten Collaterialized Debt Obligations (CDOs). CDOs funktionieren wie Wasserbecken in einer Kaskade. Zuerst füllt der Strom eingehender Ratenzahlungen das oberste Becken – also die sichere Tranche. Dann werden in Folge die riskanteren Tranchen bedient. Wenn einige Kreditnehmer ausfallen, fließen weniger Ratenzahlungen und die riskanteste Tranche kann nicht vollständig bedient werden. Um nun die CDOs weiterverkaufen zu können, behandelten die Investmentbanken die Tranchen unterschiedlich:
Die sichersten Tranchen wurden so weit mit Versicherungen (Credit Default Swaps) abgestützt, dass sie von Rating Agenturen das begehrte AAA-Rating erhielten und dann gegen eine niedrige Rendite an institutionelle Investoren weiterverkauft
Die riskanteren Tranchen wurde so konfiguriert, dass sie von den Rating Agenturen mit BBB eingestuft wurden und an andere Banken weiterverkauft bzw. gar nicht „gerated“ sowie gegen hohe Renditen an Hedge Fonds weiterverkauft wurden
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Alle Beteiligten verdienten prächtig am Geschäft mit Hypotheken. Diese Erfolge zogen weitere Investoren an, die auch CDOs kaufen wollten. Allerdings war der Markt limitiert – nahezu alle US-Amerikaner, die sich Hypothekarkredite leisten konnten (sogenannte Prime Mortgages), hatten schon welche. Natürlich gab es auch hier immer wieder Ausfälle, die aber aufgrund der immer schneller steigenden Hauspreise kein Problem darstellten. Damit fiel die nächste Hemmschwelle. Man begann, Hypothekarkredite an Personenkreise zu vergeben, die keine Anzahlung leisten und kein regelmäßiges Einkommen nachweisen konnten – die sogenannten Sub-Prime Mortgages. Zunächst lief auch das Geschäft mit den in CDOs gebündelten Sub-Prime Mortgages hervorragend. Sobald man diese wie eine heiße Kartoffel an den nächsten Käufer weitergegeben hatte, war auch das Problem des eventuellen Ausfallsrisikos vom Tisch. Dann brach der Trend. Viele Sub-Prime Mortgages fielen aus, Familien wurden delogiert und die Häuser am Immobilienmarkt angeboten. Das daraus resultierende Überangebot an Immobilien brachte die Hauspreise in den USA insgesamt unter Druck – zuerst verlangsamte sich der Preisanstieg, dann begannen die Preise zu fallen. Damit kamen auch jene Familien unter Druck, die sich ihre Hypothekarkredite grundsätzlich leisten konnten. In ihrer Nachbarschaft kamen immer mehr mit dem eigenen vergleichbare Häuser zu deutlich niedrigeren Preisen auf den Markt und immer mehr Familien stellten sich die Frage „Warum sollen wir 300.000 US-Dollar an Hypotheken für ein Haus abzahlen, das jetzt ganz offensichtlich nur noch 90.000 US-Dollar wert ist?“. Die Folge war, dass viele Familien aus dem Hypothekarkredit ausstiegen. Die Investmentbanken sahen sich plötzlich in Unmengen nahezu wertloser Häuser investiert und versuchten diese verzweifelt weiterzuverkaufen, um ihre Kredite zu bedienen, was natürlich nicht mehr funktionierte. Die US-amerikanischen Investmentbanken sind an diesem System weitgehend zugrunde gegangen. Das Problem der zu toxischen Papieren gewordenen CDOs war aber, wie oben dargestellt, nicht auf die Investmentbanken begrenzt, sondern hatte weite Teile des Finanzsektors erfasst. In ihrer Essenz bestand die Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 im gleichzeitigen Verfall der Aktienkurse, Immobilienpreise und Rohstoffpreise (wie zuletzt zwischen 1929 und 1933). Dieser dreifache Entwertungsprozess veranlasste Haushalte, Unternehmen, Banken und Staaten, ihre Nachfrage einzuschränken, und übertrug sich so auf die Realwirtschaft.
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Zusammengefasst ist unser Wirtschaftssystem viel anfälliger für tiefe Krisen als bisher angenommen. Was in diesem Zusammenhang Grund zur Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass die Auswirkungen der Krise von 2008 im Grunde mit ihren Ursachen bekämpft werden. Billiges Geld löste die Krise von 2008 aus. Billiges Geld – niedrige Zinsen und enorme staatliche Hilfspakete – soll die Auswirkungen der Krise von 2008 bekämpfen lösen. Wohl nicht ganz zu Unrecht befürchten Skeptiker, dass mit diesem billigen Geld bereits die Saat für die nächste große Krise gelegt wird. In Summe wird man sich für die absehbare Zukunft wohl auf eine Periode mit hoher Volatilität einstellen müssen. Neue Blasen werden Booms auslösen und das Platzen dieser Blasen wird über Nacht neue Krise auslösen. In dieser neuen Realität ist der Einkauf gemeinsam mit den anderen Kernfunktionen der Wertschöpfungskette – Produktion, Logistik und Vertrieb – extrem gefordert. Hohe Agilität wird absolut erfolgskritisch.
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2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? Die Krise von 2008 stürzte die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession. Es stellt sich nun die Frage, was der Einkauf beitragen kann, um ein Unternehmen möglichst unbeschadet durch eine Rezession zu bringen. Hier gilt es zunächst, die Übersetzung von der Makroebene der volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Krise auf die Mikroebene der konkreten Situation des Unternehmens in wirtschaftlich volatilen Zeiten zu finden. Dabei kommen insbesondere dem Vertrieb und dem Einkauf, den beiden unternehmerischen Funktionen mit der stärksten Interaktion mit externen Partnern, wichtige Rollen zu. Ebenso wie der Vertrieb über Kontakte zu Kunden kann der Einkauf über vertiefte Gespräche mit Lieferanten ein differenziertes Bild der Lage erstellen. So können hohe Lagerbestände, reduzierte Aufträge von Wettbewerbern oder abgebrochene Entwicklungsprojekte Frühindikatoren für einen sich abkühlenden Markt darstellen. Umgekehrt kann auch ein erster Aufschwung rechtzeitig erkannt werden. Neben der Aufgabe, Transparenz im Markt zu erzeugen, ist der Einkauf natürlich primär dafür zuständig, die Kosten für extern bezogene Produkte und Leistungen zu senken und gemeinsam mit Lieferanten Wert zu schaffen. Nun kommt es in einer Rezession oft zu Entwicklungen, die einen drastischen Rückgang des Einkaufsvolumens mit sich bringen können und daher einige Beteiligte zumindest kurzfristig an der Existenzberechtigung des Einkaufs zweifeln lassen. Viele Unternehmen in der Automobilzulieferindustrie und im klassischen Maschinenbau verzeichneten in den Jahren 2008 und 2009 Umsatzeinbrüche von 50 Prozent und mehr. Die wenigen noch ankommenden Aufträge wurden oft überwiegend mit Material aus dem Lager realisiert, da man die Lagerbestände unter der Erwartung von Lieferengpässen im Jahr 2008 noch gehörig gesteigert hatte. Unternehmen, die derart hart von der Krise getroffen waren, kauften kaum noch etwas ein. Der Einkauf hat in solch einer Situation kaum noch eine Plattform für eine reguläre Interaktion mit Lieferanten und kann damit auch seiner sekundären Rolle als Informationsbeschaffer nur noch sehr eingeschränkt nachkommen. Welchen Beitrag zur Restrukturierung des Unternehmens kann der Einkauf unter solchen Umständen noch leisten? Grundsätzlich stellen sich für Unternehmen in einer Wirtschaftskrise einkaufsseitig folgende Fragen: C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Werden die fallenden Rohmaterialpreise bereits hinreichend ausgeschöpft? Werden Auswüchse des vergangenen Verkäufermarktes wie überhöhte Preise, ungünstige Zahlungsbedingungen und nicht adäquate Leistungen der Lieferanten in der Krise aggressiv genug adressiert? Werden drohende Insolvenzen von Lieferanten rechtzeitig erkannt und bestehen tragfähige Notfallpläne? Diese und weitere Fragen stehen im Zentrum der folgenden Kapitel des Buches. Damit die Fragen von Führungskräften überhaupt gestellt werden, muss der Einkauf in den betreffenden Unternehmen jedoch die interne Wahrnehmungsschwelle überschritten haben. Leider gibt es noch immer etliche Unternehmen, in denen der Einkauf als rein operative „Bestellabteilung“ geführt wird, und mit wichtigen Fragestellungen gar nicht befasst ist.
2.1 DIE TRADITIONELLE ROLLE DES EINKAUFS Eine sehr einfache, aber zugleich weitreichende Erkenntnis ist, dass der Einkauf nur dann exzellente Arbeit leisten kann, wenn er die Strategie des Top-Managements kennt. Gleichzeitig muss das Top-Management aber auch wissen, wie es den Einkauf steuern kann. Häufig funktioniert dieser Regelkreis nur schleppend, zumindest nicht reibungslos. In vielen Unternehmen ist der Einkauf hierarchisch zwei oder drei Ebenen vom Top-Management entfernt. Über diese Distanz hinweg ist an geordneten Gedankenaustausch nicht zu denken und entsprechend selten gelangen Einkaufsthemen auf die Vorstandsagenda. Das hat Folgen. Ohne entsprechende Kommunikation mangelt es den Führungskräften an Erfahrung und Gespür dafür, welchen Beitrag der Einkauf leisten kann. Umgekehrt ist auch bei vielen Einkäufern die Ebene der Geschäftsführung eine unbekannte Größe. Die im Top-Management diskutierten Themen sind dem Einkauf weitgehend fremd oder nur am Rande bekannt. Wenn in Unternehmen hier keine Kommunikationswege vorgezeichnet sind, kommen die Botschaften stark verzerrt an. Unternehmen, die auf die Kommunikation zwischen Vorstand und Einkauf verzichten, berauben sich eines ihrer wirkungsvollsten Instrumente.
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Es versteht sich nicht von selbst, dass sich Entscheider für den Einkauf interessieren oder gar engagieren. Im deutschsprachigen Raum stammt der überwiegende Anteil der Vorstände und Geschäftsführer aus dem Bereich Vertrieb, Technik oder Finanzen. Karrieren, die im Einkauf starten und auf die erste Ebene führen, sind dagegen selten. Das führt zu einer isolierten Position des Einkaufs. Top-Manager, die aus dem Vertrieb kommen, haben immerhin Erfahrungen aus Verhandlungen mit den Einkäufern auf Kundenseite. Die Verhandlungserlebnisse mit Einkäufern auf Kundenseite sind sicherlich oft nicht erfreulich. Wer findet es angenehm, wenn das Preis-/Leistungs-Verhältnis der vom eigenen Unternehmen angebotenen Produkte und Dienstleistungen von den Einkäufern der Kunden routinemäßig hinterfragt wird, vor allem, wenn man zuvor bereits mit F&E des Kunden die genauen Spezifikationen der Produkte besprochen hatte? In diesem Umfeld werden Einkäufer oft als „Bremser” und auch nicht als sehr kompetent wahrgenommen. Die Einkäufer haben sich vielleicht wirklich nicht die Mühe gemacht, die technischen Anforderungen an das Produkt zu verstehen, oder sie kamen ohne Kenntnis der Kostenstrukturen ihrer Lieferanten in die Verhandlung. Vor diesem Hintergrund kann man die Preisvorstellungen der Einkäufer als unrealistisch empfinden – beispielsweise wenn die hohen Anlaufkosten eines neuen Produktes nicht berücksichtigt wurden und der Verkäufer mit einem Auftrag letztlich nichts verdient hat. Will man die wahrgenommenen oder tatsächlichen Schwächen vieler Einkaufsorganisationen verstehen, hilft ein Blick zurück in eine der Geburtsstunden der Industrialisierung. Die Anfänge der industriellen Massenproduktion technisch komplexer Produkte reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1905 gab es in den USA ca. 50 Automobilunternehmen, die heute als „Start-ups“ bezeichnet werden würden. Zu dieser Gruppe gehörte auch Henry Ford mit seiner neu gegründeten Ford Motor Company. An seinem jungen Unternehmen waren anfangs verschiedene Investoren beteiligt. Als die Investoren über das Firmenprofil und die strategische Ausrichtung des Unternehmens berieten, plädierten sie dafür, Autos für die wohlhabende Oberschicht zu bauen. Doch sie konnten Henry Ford mit ihren Argumenten nicht überzeugen. Vor dem familiären Hintergrund einer bescheidenen Bauernfamilie aus Michigan verfocht er eine genau gegenteilige Strategie. Seine Vision war, dass die Arbeiter der Ford Motor Company nicht nur Autos bauen, sondern diese selbst kaufen und an arbeitsfreien Sonntagen damit spazieren fahren sollten. Anstatt auf die Investoren zu hören, zahlte Henry Ford sie aus und verfolgte sein Ziel alleine weiter. Er erkannte, dass er im
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Interesse des Absatzes seines Produkts seinen Arbeitern ein gutes Einkommen zahlen und ihnen Freizeit einräumen müsse. Zugleich setzte er alles daran, in kürzerer Zeit mehr Autos zu geringeren Kosten zu produzieren, sodass sie auch für die Arbeiter der Ford Motor Company erschwinglich werden würden. Das war nur der erste in einer Reihe von Geniestreichen von Henry Ford, die ihn in Amerika und weltweit zu einem Wegbereiter der Industrialisierung im 20. Jahrhundert machen sollten. Ford erkannte ebenfalls die Notwendigkeit, lokale Dienstleistungen und eine entsprechende Infrastruktur zu etablieren. Eine erfolgreiche Einführung der Automobile für breite Bevölkerungsschichten würde unabdingbar mit einem flächendeckenden Serviceangebot verknüpft sein. So schuf Henry Ford, ein halbes Jahrhundert bevor Ray Kroc seinen ersten McDonald’s Hamburger im Franchise-System verkaufte, ein Franchise für Autohändler und Reparaturbetriebe. In gleicher Weise unterstützte er den Bau von Tankstellennetzen und besseren Straßen, die schließlich zum US-amerikanischen Interstate-Highway-System führten. Nicht das Erfinden von neuen Produkten, sondern die Optimierung des Produktionsprozesses war die große Stärke Henry Fords. Während beim herkömmlichen Zusammenbau eines Autos durch ein Team viele Einzelteile von Hand angepasst – also gefeilt, geschliffen, gebogen usw. – wurden und somit jedes Auto in gewisser Weise ein Unikat war, organisierte Ford den Fertigungsprozess basierend auf standardisierten, passgenauen Teilen mit geringen Toleranzen. Diese Teile konnten in jedes Auto eingebaut werden. Damit konnte das Fließband, auf dem die Autos im Takt von einer Station zur nächsten bewegt und dort in jeweils kleinen Fertigungsschritten nach dem tayloristischen Prinzip der Arbeitsteilung montiert wurden, erst sein volles Potenzial entfalten. Mit diesen für viele Branchen richtungsweisenden Ansätzen konnte das Ford-Werk Highland Park bereits 1914 alle 93 Minuten ein T-Modell ausliefern. Der Erfolg bestätigte Ford, konsequent seinen eigenen Weg weiterzuverfolgen und nicht von Dritten abhängig zu sein. Bis zum Ende der 1920er Jahre war die Ford Motor Company vertikal so stark integriert, dass sie praktisch unabhängig von Zulieferern geworden war. Ford kontrollierte Gummibaum-Plantagen in Brasilien, Flotten von Frachtschiffen, eine Eisenbahngesellschaft, 16 Kohlebergwerke, riesige Forstwirtschaften sowie Erzgruben in Michigan und Minnesota. All diese Lebensadern liefen im Werk in River Rouge zusammen, in dem über 100.000 Arbeiter beschäftigt waren.
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Fords Beispiel machte Schule. Die von ihm perfektionierte vertikale Integration war nicht nur in der Automobilindustrie anzutreffen, sondern in etwas abgeschwächter Form auch in anderen Branchen. Die Automobilhersteller produzierten bis in die 1950er Jahre konsequent alles, bis hin zur kleinsten Schraube, selber. Unabhängige Zulieferer wie Robert Bosch waren damals noch die klare Ausnahme. Unter den großen Automobilherstellern dauerte es bis in die 1990er Jahre, bis die internen Zulieferer aus den Unternehmen herausgelöst wurden. Der hohe Grad an vertikaler Integration der Automobilhersteller und vieler anderer Branchen führte lange Zeit dazu, dass die Einkaufsabteilungen keine besondere Bedeutung und Einkäufer nicht allzu viel zu tun hatten. Einkauf war vom Aufgabenprofil zwischen Logistik und Rechnungswesen angesiedelt. Die Einkäufer beherrschten die erforderlichen administrativen Abläufe, um von Lieferanten Ware zu erhalten. Bei den bestellten Produkten ging es wegen der vertikalen Integration in erster Linie um Rohmaterialien wie Kohle und indirekte Materialien wie Schreibpapier. Entsprechend war der Einkauf in den meisten Unternehmen vor allem mit dem Schreiben von Bestellungen beschäftigt. Eine verantwortliche Aufgabe kam den Einkäufern nur dann zu, wenn Probleme mit der Versorgungssicherheit auftraten. Erst mit dem Herauslösen wichtiger Lieferanten aus dem Konzernverband wandelten sich die Bedingungen im Einkauf und es entstanden völlig neue Perspektiven. Diese Veränderungen vollzogen sich keinesfalls unbemerkt. Vielmehr waren sie durch ein starkes Medienecho auch für die interessierte Öffentlichkeit deutlich wahrnehmbar. Die größte Aufmerksamkeit erhielt dabei das Global-Sourcing-Projekt von GM/Opel im Jahr 1985. Dieses Projekt brachte erstmalig in einem großen Konzern den Einkauf auf die Vorstandsagenda. Dabei drehte der damalige Projektleiter von GM/Opel, José Ignacio López de Arriortúa, unerbittlich und unnachgiebig an den Kostenschrauben und fand mit seinen „López-Methoden“ nachhaltig Eingang in die Management-Literatur. Worin bestanden die viel diskutierten und beachteten Veränderungen? Einer der an diesem Projekt maßgeblich Beteiligten beschreibt es folgendermaßen: „Im Rahmen des Global-Sourcing-Projekts bei Opel wurden Leistungen erbracht, die bis heute noch nicht richtig gewürdigt werden. Der moderne Einkauf wurde damals eigentlich erst erfunden. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie ein Einkauf Mitte der 1980er Jahre aussah und welche Rolle er im Unternehmen spielte. Der Einkauf war bis dahin bestenfalls ein ausführendes Organ, das die Wünsche von F&E oder der Pro-
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duktion erfüllte. Ein Optimierungsprojekt im Einkauf hätte damals am ehesten das Ziel gehabt, eine Bestellung möglichst schnell zum Lieferanten zu bringen. Anregungen der Einkäufer, auch einmal andere, neue Lieferanten für Auftragsvergaben zu berücksichtigen, wurden von den Bedarfsträgern in F&E und Produktion in der Regel nicht beachtet. Veränderungen gab es damals nur, wenn sich ein Einkäufer und ein Bedarfsträger auf persönlicher Ebene zufällig besonders gut verstanden.“ Der Erfolg des Global-Sourcing-Projekts bei GM/Opel wurde vor diesem Hintergrund durch folgende Faktoren getrieben.
Größere Beachtung des Einkaufs durch den Vorstand – in einem durchschnittlichen Industrieunternehmen verantwortet der Einkauf Kosten, die etwa die Hälfte des Umsatzes ausmachen. Trotz dieses Volumens nimmt der Einkauf in den wenigsten Unternehmen eine maßgebliche Position ein. Nur sehr selten ist ein Vorstand speziell für den Bereich Einkauf zuständig und fällt entsprechende Entscheidungen. In vielen Unternehmen steht der Einkauf nicht einmal auf derselben Ebene wie F&E, Produktion oder Finanzwesen. GM/Opel veränderte die traditionellen Spielregeln im Rahmen des Global-Sourcing-Projektes vollständig. Zunächst wurde Ignacio López, der Global-Sourcing-Projektleiter, während des Projekts in den Vorstand berufen. Dieses Signal war für alle Seiten unmissverständlich, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch bei den Lieferanten: Der Einkauf wurde endlich ernst genommen, bekam einen völlig neuen Stellenwert und auch die Zulieferer rückten stärker in den Fokus. Diese veränderte Einstellung der Geschäftsführung – und die dadurch gestärkte Ausgangsbasis – verhalfen den Einkäufern bei GM/Opel sowohl zu einer verbesserten Verhandlungsposition am Lieferantenmarkt als auch zu einer verbesserten Position intern. So konnten sie nun auch ihren internen Ansprechpartnern, vor allem in F&E, auf Augenhöhe gegenübertreten. Dem Einkauf war es jetzt möglich, seine Anliegen zu verfolgen und umzusetzen. Wenn der Einkauf darauf drängte, früh in Projekte der Produktentwicklung einbezogen zu werden, und damit die Ideen von Lieferanten stärker einfließen zu lassen, musste dies berücksichtigt werden.
Aufbrechen traditioneller Lieferantenbeziehungen – viele Schwachpunkte des Einkaufs von GM/Opel waren eindeutig auf interne Ursachen zurückzuführen. Die oft über lange Jahre eingespielten Beziehungen zwischen Einkäufern und Lieferanten mussten infrage gestellt und, wo nötig, durch effizientere Lösungen ersetzt
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werden, da sie meist nicht nur intransparent, sondern auch sehr kostenträchtig waren. Einfache Lösungen ließen sich durch organisatorische Veränderungen wie Rotation der Verantwortlichkeiten von Einkäufern herbeiführen. So bekamen die Einkäufer einen frischen Blick bzw. eine neue Perspektive auf eine Situation. Wenn es nach Preisvergleichen tatsächlich zur Beendigung von Lieferantenbeziehungen kam, so konnten diese von den neuen Kollegen unbefangener angegangen werden. Umgekehrt standen die wenig vorbelasteten, neuen Stelleninhaber auch neuen Lieferanten jeweils aufgeschlossener gegenüber. Sie hatten keine Altlasten zu verteidigen und konnten vor allem die neue selbstbewusstere Rolle des Einkaufs intern glaubwürdiger wahrnehmen.
Internationaler Wettbewerb als neue Herausforderung für Lieferanten – noch immer ist nicht nur in vielen deutschen Unternehmen, sondern auch bei den europäischen Nachbarn die jeweils eigene Landessprache maßgeblich, wie bei technischen Zeichnungen und Produktspezifikationen schnell deutlich wird. Im Global-Sourcing-Projekt bei GM/Opel wurde erstmals systematisch der internationale Lieferantenmarkt untersucht und angesprochen. Bei größeren Beschaffungsmengen wurden die in den jeweiligen Ländergesellschaften niedergelassenen Einkäufer beauftragt, bei ihren lokalen Stammlieferanten Angebote einzuholen. Nach einem „Global Competition“ genannten Ansatz wurden diese Angebote miteinander verglichen. Durch dieses Vorgehen wurden natürlich der Stolz und Ehrgeiz der Einkäufer angespornt. Jeder hoffte auf den Sieg des von ihm nominierten Lieferanten. Entsprechend hart und zielgerichtet verliefen dann allerdings auch die Verhandlungen zwischen den Einkäufern und ihren jeweils etablierten Lieferanten.
Langfristige Kostensenkung durch verbesserte Prozesse – das Global-SourcingProjekt, das zunächst dem globalen Preisvergleich galt, erzielte noch einen weiteren Effekt: Im Laufe der Zeit ergaben sich zahlreiche Prozessverbesserungen bei den Lieferanten. Den Einkaufsteams bei GM/Opel war aufgefallen, dass viele mittelständische Lieferanten im Prozessmanagement weit unter den Standards weltweit agierender Automobilhersteller lagen. Um diesen Lieferanten zu helfen, wurden ihre Prozesse von interdisziplinären GM/Opel-Teams nach einem vorgegebenen Raster untersucht und bewertet. Dieser Ansatz half, im damaligen Umfeld erhebliches Verbesserungspotenzial zu identifizieren und zu realisieren.
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Bei aller Kritik an den späteren Aktivitäten von Ignacio López hat dieses weltweit erste Einkaufsprojekt maßgeblich zur Bereitschaft von Führungskräften in der Automobilindustrie und darüber hinaus beigetragen, die Rolle des Einkaufs neu zu bewerten. Mitverantwortlich für diese Entwicklung war neben den deutlich sichtbaren Einsparungen zweifellos die starke öffentliche Diskussion über das Projekt. Dem Einkauf wurde erstmalig eine wesentliche Rolle bei der Steigerung der Margen eingeräumt. In der Folge wurden quer über alle Branchen hinweg eine Vielzahl ähnlicher Projekte durchgeführt. So entstand im Laufe der Zeit ein immer klareres Bild darüber, was einen schlagkräftigen Einkauf ausmacht: 1.
Der Einkauf ist eine interdisziplinäre Top-Management-Aufgabe. Der Einkauf nimmt gleichberechtigt mit Vertrieb, F&E und Produktion an der Formulierung und Umsetzung der Unternehmensstrategie teil. Ein guter, schlagkräftiger Einkauf kann, je nach Situation im Unternehmen, flexibel verschiedene Rollen spielen und dabei einen Turnaround unterstützen, die Integration einer neu erworbenen Division vorantreiben oder die Umsetzung der Unternehmensstrategie befruchten. Voraussetzung dafür ist, dass Top-Management und Einkauf gut verzahnt sind, der Einkauf funktions- und geschäftsbereichsübergreifend agiert und zwischen Einkauf und Unternehmensstrategie eine starke Wechselwirkung existiert. Die Verzahnung von Top-Management und Einkauf erfordert auf beiden Seiten Kenntnisse: Das Top-Management weiß, wie es den Einkauf steuern kann und der Einkauf ist gleichzeitig über die Planungen des Top-Managements informiert. Das Top-Management sollte sich regelmäßig mit Einkaufsthemen beschäftigten, um das Werkzeug Einkauf perfekt zu beherrschen. Da sich Sourcing-Maßnahmen in vergleichsweise kurzer Zeit in der Gewinn- und Verlustrechnung niederschlagen, gehört der Einkauf zu den wichtigsten taktischen Instrumenten eines Unternehmens. Um gestaltend wirken zu können, muss der Einkauf funktionsübergreifend agieren. Wird der Einkauf von F&E als Partner ernst genommen, können beispielsweise frühzeitig Ideen von Lieferanten in die Produktentwicklung eingebracht werden. Gemeinsam mit der Produktion können Make-or-Buy-Entscheidungen moderiert oder die Sortimentspolitik beeinflusst werden. Das funktionsübergreifende Agieren erfordert hohe interdisziplinäre Kompetenz im Einkauf. Zugleich muss die Funktion so im Unternehmen positioniert sein, dass der Einkauf auf Augenhöhe mit anderen Funktionsbereichen diskutieren kann. In dem personenmäßig kleinen Einkaufsbereich können gegebenenfalls auch vom Top-Management gewollte organisatorische Veränderungen pilotiert werden. Dadurch kann der Einkauf über
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ansonsten weitgehend voneinander unabhängig agierende Geschäftsbereiche hinweg eine organisatorische Klammer bilden. Von der Bündelung der Einkaufsmacht profitieren alle Geschäftsbereiche, ohne dabei an Gestaltungsspielraum zu verlieren. 2.
Externe Kommunikation ist ein wesentliches Element im Einkauf. Das Unternehmen tritt gegenüber Lieferanten mit einer Stimme auf. In einem schlagkräftigen Einkauf folgen interne und externe Kommunikation einem fein getakteten Plan. Dem TopManagement kommt dabei die Aufgabe zu, eine positive und optimistische Stimmung zu verbreiten und damit intern die Mitarbeiter auf Einsparungsziele auszurichten. Extern sind die Lieferanten von der Ernsthaftigkeit dieser Anstrengungen zu überzeugen, um damit den Boden für Kostensenkungen zu bereiten. Jeder mit Lieferanten in Kontakt stehende Mitarbeiter ist dabei ein wichtiger, ja entscheidender Kommunikationskanal. Gut geschulte Verkäufer von Lieferanten versuchen, den Einkauf zu umgehen, direkt mit den Bedarfsträgern, beispielsweise in der Produktentwicklung, Kontakt aufzunehmen und den Einkauf durch getroffene Vereinbarungen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Mit einem straffen Lieferantenmanagement und eindeutig definierten Ansprechpartnern für Lieferanten wird dieser Wildwuchs unterbunden.
3.
Der Einkauf arbeitet mit analytischen Werkzeugen und trachtet danach, besser informiert zu sein als die Lieferanten. Ein zeitgemäßer Einkauf verknüpft technische und kaufmännische Informationen mit Erkenntnissen über den Beschaffungsmarkt und geht damit bestens vorbereitet in Verhandlungen mit Lieferanten. Zielsetzung ist es, nicht nur den Markt und das Marktpreisniveau zu kennen und zu antizipieren, sondern auch mehr über den Gegenstand der Verhandlung zu wissen als der Lieferant. Das traditionelle „Armdrücken“ zwischen Einkauf und Lieferanten steht damit nicht mehr auf der Tagesordnung. Zum Schaffen von Transparenz ist es unentbehrlich, kontinuierlich den Rohstoffmarkt zu beobachten sowie die Ursachen von Preisschwankungen zu analysieren und zu verstehen. Um Transparenz über die Ursachen von Preisschwankungen zu erhalten, müssen die Wertschöpfungskette und die Kostenstruktur untersucht werden. Wurde ein grundlegendes Verständnis über die Kostenstruktur geschaffen, helfen Kostensimulationsmodelle zu einem detaillierten Verständnis der Margenentwicklung. Derartige Modelle zeigen beispielsweise, dass der starke Anstieg der Stahlpreise
38 ___________________________________________________DIE TRADITIONELLE ROLLE DES EINKAUFS
Mitte 2008 nicht nur durch eine Erhöhung der Kostenpositionen, etwa bei Erzen, verursacht wurde, sondern – verbunden mit einem verknappten Angebot – vor allem zu einer massiven Steigerung der Gewinne von Stahlherstellern geführt hat. 4.
Der Einkauf entwickelt ausgehend von der Nachfragemacht des Unternehmens und der Angebotsmacht der Lieferanten für jede Beschaffungsgruppe einen maßgeschneiderten und differenzierten Ansatz zur Kostensenkung und Wertsteigerung. Je nach Nachfragemacht des Unternehmens und Angebotsmacht der Lieferanten sind sehr unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit Lieferanten erforderlich. A.T. Kearney hat dafür mit dem Einkaufsschachbrett einen umfangreichen Methodenbaukasten entwickelt. Das Einkaufsschachbrett bietet einen logischen Rahmen, mit dem für jede Beschaffungsgruppe geeignete Ansätze und Maßnahmen zur Kosten- und Wertoptimierung in jeder möglichen Lieferantenmarktsituation ausgewählt werden können. Das Einkaufsschachbrett und dessen Anwendung werden in Kapitel 5.2 näher beschrieben.
5. Der Einkauf ist gleichberechtigt mit Vertrieb und Produktion in die Bedarfs- und Kapazitätsplanung nahtlos und unmittelbar eingebunden. In vielen Unternehmen werden die Bedarfs- und Kapazitätspläne in Bereichssilos erstellt. Der Vertrieb erstellt einen Absatzplan, die Produktion erstellt einen Kapazitätsplan und der Einkauf versucht, die Kapazitäten der Lieferanten in Erfahrung zu bringen und zu reservieren. Abgleiche dieser Teilpläne erfolgen oft nicht zeitnah. Dies führt dazu, dass sich relativ kleine Schwankungen in den Planbedarfen der Kunden über einen Peitschenschlageffekt zu großen Abweichungen gegenüber Lieferanten aufschaukeln können. In vielen Einkaufsorganisationen sind die besten Mitarbeiter ausschließlich mit daraus resultierenden Feuerwehraktionen gebunden. Der Abgleich des erwarteten Bedarfs der Kunden mit den verfügbaren Kapazitäten in der eigenen Produktion und bei Lieferanten erfordert einen rollierenden Planungsprozess, in den der Vertrieb, die Produktion und der Einkauf gleichberechtigt eingebunden sein müssen. 6. Der Einkauf verfügt über angemessene Informationssysteme und kann jederzeit darüber Auskunft geben, wer was von welchem Lieferanten bezieht. Häufig versprechen Dienstleister, dass mit der unternehmensweiten Einführung eines ERPSystems (wie SAP, Oracle etc.) alle für den Einkauf erforderlichen Daten sauber aufbereitet vorliegen werden. Die Erfahrung zeigt, dass dieser erhoffte Zustand
2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? _____________________________________ 39
niemals eintritt. Der Hauptgrund dafür ist, dass der flächendeckende Roll-out eines ERP-Systems oft zwei oder drei Jahre dauert. Über diesen Zeitraum ergibt sich im heutigen dynamischen Industrieumfeld zwangsläufig eine Vielzahl von Änderungen. Innerhalb von zwei Jahren kann z. B. ein Wettbewerber mit einer völlig anderen Datenstruktur übernommen werden oder neue Absatzmärkte, die vor zwei Jahren unbedeutend und für den Roll-out nicht relevant waren, können inzwischen eine starke Rolle übernommen haben. Vor diesem Hintergrund ist es unvermeidlich, dass ERP-Systeme auf absehbare Zeit immer etwas den aktuellen Entwicklungen hinterherhinken. Zusätzlich wird die breite Nutzung der ERP-Systeme vielfach durch mangelhaft gepflegte Stammdaten erschwert. Wer spontan von einem Einkaufsmanager eine aktuelle Aufstellung der wichtigsten Beschaffungsgruppen erbittet, die Größe des gesamten Beschaffungsvolumens des letzten Geschäftsjahrs zu erfahren sucht oder an den entsprechenden Zahlen für das laufende Geschäftsjahr interessiert ist, erhält oft stockende Antworten. Für den Einkauf ist nur durch Einsatz schnell anpassbarer, konsistenter und gut integrierter Informationssysteme möglich festzustellen, wer was von welchem Lieferanten bezieht. 7.
Der Einkauf verfügt über eine ausreichende Anzahl technisch und kaufmännisch hoch qualifizierter Mitarbeiter und ist im Unternehmen als Karrierestation begehrt. Um gleichberechtigt an der Diskussion strategischer Fragen teilnehmen zu können, fundierte Analysen erstellen zu können sowie differenzierte Ansätze zur Kostensenkung und Wertsteigerung entwickeln zu können, benötigt der Einkauf eine ausreichende Anzahl technisch und kaufmännisch hoch qualifizierter Mitarbeiter. In einem beispielhaft herausgegriffenen mittelgroßen europäischen Industrieunternehmen sieht die Anzahl Mitarbeiter pro Funktionsbereich in etwa folgendermaßen aus: Einkauf : F&E : Vertrieb : Produktion = 40 : 300 : 800 : 5.000. Diese Zahlenverhältnisse signalisieren, dass der Einkauf auf sich allein gestellt keine starke Position hat. Abhilfe kann allerdings nicht durch eine personelle Aufstockung geschaffen werden. Wichtiger ist es, die funktionsübergreifende Natur des Einkaufs zu fördern. Ein schlagkräftiger Einkauf zeichnet sich dadurch aus, dass er eng mit den anderen Funktionen verzahnt ist. Daher sitzen in führenden Unternehmen Einkäufer und Techniker nicht nur im gleichen Gebäude, sondern sogar – nach bestimmten Beschaffungsgruppen und Technologien gegliedert – am selben Tisch. Das Resümee dieser Zusammenarbeit ist durchweg positiv. Ein
40 _ BESTANDSAUFNAHME DER AUSSCHÖPFUNG FALLENDER ROHSTOFFPREISE DURCH DIE DEUTSCHE INDUSTRIE
derart gegliederter Einkauf wird für ehrgeizige Mitarbeiter anderer Funktionsbereiche sehr schnell attraktiv. Sie streben in den Einkauf und führen damit zu einer befruchtenden Durchmischung der Unternehmensbereiche.
2.2 BESTANDSAUFNAHME DER AUSSCHÖPFUNG FALLENDER ROHSTOFFPREISE DURCH DIE DEUTSCHE INDUSTRIE Wie Kapitel 2.1 zeigte, ist der Aufbau eines schlagkräftigen Einkaufs schon in wirtschaftlichen Hochzeiten nicht trivial. Im Vorwort wurde ausgeführt, dass der Wunsch bestand, zur Rolle des Einkaufs in der Wirtschaftskrise Stellung zu nehmen. Ein probates Mittel für den Einstieg in ein derart anspruchsvolles Thema ist eine Bestandsaufnahme. Ausgewählt dafür wurde die wohl einfachste der unter Kapitel 2 vorgestellten Fragen: Werden die fallenden Rohmaterialpreise bereits hinreichend ausgeschöpft? War die Zeit bis Mitte des Jahres 2008 von einem Nachfrageboom und damit einem massiven Preisanstieg an den Rohstoffmärkten gekennzeichnet, kam der darauf folgende dramatische Preisverfall unerwartet und überraschte viele Unternehmen. Der viel beachtete Rohstoffindex von Jim Rogers fiel vom historischen Hoch im Juli 2008 in nur fünf Monaten um mehr als 50 Prozent. Rohöl beispielsweise fiel von 150 US-Dollar je Barrel auf zwischenzeitlich rund 50 US-Dollar je Barrel und der Preis für manche Stahlsorten halbierte sich. Vom Einkauf war hier ein hohes Maß an Agilität gefordert. Zuerst musste der Einkauf in einem immer knapper erscheinenden Markt die Versorgung der Werke sicherstellen. Bei den dann sinkenden Rohstoffpreisen ging es vor allem darum, die Kosten zu senken. Unternehmen können und sollen diese Volatilität dazu nutzen, kurzfristig von den sinkenden Rohstoffpreisen zu profitieren. In einer Vielzahl von Gesprächen mit Einkaufsverantwortlichen und Mitgliedern der Geschäftsführung verdichtete sich der Eindruck, dass an dieser Stelle erhebliche Potenziale ungenutzt blieben. Anstatt aktiv auf Lieferanten zuzugehen, schienen viele Unternehmen darauf zu vertrauen, dass die Lieferanten ihnen die sinkenden Preise automatisch weiterreichen. Aussagen wie die folgenden dienen dafür als Beleg:
2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? _____________________________________ 41
„Wir sind schon froh, dass die Rohstoffpreise nicht mehr weiter steigen.“ „Die Lieferanten geben sinkende Rohstoffpreise automatisch an uns weiter.“ „Wir wissen nicht genau, wie hoch der Materialeinsatz unserer Lieferanten ist.“ „Wir haben nicht die Ressourcen, um Bewegungen auf den Rohstoffmärkten zu verfolgen.“ „Wir schreiben regelmäßig aus, damit sollten wir von fallenden Rohstoffpreisen profitieren.“ Zunächst galt es, diese Wahrnehmungen durch eine Bestandsaufnahme der Ausschöpfung fallender Rohstoffpreise durch die deutsche Industrie analytisch zu untermauern. An dieser Bestandsaufnahme nahmen im Jahr 2009 über 100 Vorstandsvorsitzende bzw. Geschäftsführer großer deutscher Unternehmen der Branchen Prozessindustrie (Chemie, Pharma und Stahl), Maschinenbau, Automobilindustrie, Energie und Versorgung, Transport und Konsumgüter teil: Segmentierung nach Branchen
Segmentierung nach Umsatz >2.000 2 000 m €
Fi Finanzen Konsumgüter
Prozess
7% 9%
1 000 – 1.500 1.000 1 500 m €
24 %
Transport
1.500 – 2.000 m €
8% 5% 8%
9% 12 %
500 – 1.000 m €
21 %
Energie 18 %
Maschinenbau
Automobil
Abbildung 2: Segmentierung der Teilnehmer nach Branche und Umsatz
19 %
60 %
< 500 m €
42 _ BESTANDSAUFNAHME DER AUSSCHÖPFUNG FALLENDER ROHSTOFFPREISE DURCH DIE DEUTSCHE INDUSTRIE
In dieser Studie wurde mit den folgenden sieben Fragen untersucht, inwieweit Unternehmen die richtigen Hebel nutzen, um die fallenden Rohstoffpreise zu nutzen: 1.
Wie rohstoffintensiv sind die Produkte des Unternehmens?
2.
In welchem Ausmaß litt das Unternehmen unter dem Anstieg der Rohstoffpreise in den Jahren 2007 und 2008?
3.
In welchem Ausmaß hat das Unternehmen Transparenz über die wichtigsten Rohstoffmärkte und deren Wertschöpfungskette geschaffen?
4.
In welchem Ausmaß analysiert das Unternehmen die Kostenstruktur der Zukaufteile und konfrontiert Lieferanten mit konkreten Forderungen nach kurzfristigen Preissenkungen?
5. In welchem Ausmaß hat das Unternehmen wirksame spezifische Maßnahmenpakete zum strategischen Umgang mit Rohstoffen erarbeitet? 6. In welchem Ausmaß geben Lieferanten fallende Rohstoffpreise proaktiv an das Unternehmen weiter? 7.
In welchem Ausmaß schöpft das Unternehmen die fallenden Rohstoffpreise schon jetzt voll aus?
Insgesamt waren die meisten Teilnehmer der Ansicht, über die richtigen Hebel für den Umgang mit Rohstoffen zu verfügen. So meinten 89 Prozent der Teilnehmer, dass ihr Unternehmen hinreichende Transparenz über die wichtigsten Rohstoffmärkte und deren Wertschöpfungsketten geschaffen habe. 80 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass sie die Kostenstrukturen der Zukaufteile analysieren und damit Preissenkungen bei Lieferanten im Rahmen von Nachverhandlungen erzielen. 71 Prozent der teilnehmenden Unternehmen waren zuversichtlich, über hinreichend spezifische Maßnahmenpakete zum strategischen Umgang mit Rohstoffen zu verfügen. Obwohl viele der teilnehmenden Unternehmen überzeugt waren, die richtigen Hebel anzuwenden, wurde aus den fallenden Rohstoffpreisen jedoch unzureichend Profit erwirtschaftet. Ganze 68 Prozent der befragten Unternehmen litten in den Jahren
2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? _____________________________________ 43
2007 und 2008 unter den steigenden Rohstoffpreisen. 77 Prozent der Teilnehmer waren sich bewusst, dass ihre Lieferanten die fallenden Rohstoffpreise nicht proaktiv weitergeben. Gleichzeitig waren 43 Prozent der Teilnehmer davon überzeugt, dass die vorhandenen Potenziale bei Rohstoffen besser genutzt werden könnten. Obwohl also die befragten Unternehmen überwiegend meinten, bereits die richtigen Hebel einzusetzen, sahen sie selbst, dass sie die Potenziale aufgrund fallender Rohstoffpreise nur unzureichend ausnutzten. Selbst bei diesem vergleichsweise einfachen Thema besteht also dringender Handlungsbedarf.
2.3 DER EINKAUF MUSS AGIL WERDEN Dringender Handlungsbedarf im Einkauf besteht aber nicht nur hinsichtlich der besseren Ausschöpfung fallender Rohstoffpreise. Die Kernfrage lautet: Wie kann der Einkauf dazu beitragen, ein Unternehmen möglichst erfolgreich über einen Konjunkturzyklus zu bringen? Der Blick zurück in die Weltwirtschaftskrise und aktuelle Beobachtungen zeigen gleichermaßen, dass unterschiedliche Branchen, in unterschiedlichen Ländern und Regionen von volatilen Märkten unterschiedlich stark betroffen sind. Einige Branchen – wie die Pharmazeutische Industrie und die Energiewirtschaft – kommen zumindest historisch betrachtet – gut durch Wirtschaftskrisen. Andere Branchen – wie die Hersteller von Konsumgütern – werden von Wirtschaftskrisen erst erfasst, wenn ein markanter Anstieg der Arbeitslosigkeit die Kaufkraft von Konsumenten deutlich dämpft. Schließlich gibt es Branchen – wie beispielsweise die Automobilindustrie – , die von Krisen früh erfasst wurden und werden und einen tiefen Einbruch erleiden. Doch auch innerhalb von stark betroffenen Branchen gibt es markante Unterschiede zwischen Unternehmen. So war General Motors während der Weltwirtschaftskrise so gut aufgestellt, dass man durch die Akquisition von Opel nach Europa expandieren konnte. Ähnlich schien der Volkswagen-Konzern in der Krise von 2008 deutlich besser aufgestellt zu sein als die Branche im Allgemeinen.
44 _______________________________________________________ DER EINKAUF MUSS AGIL WERDEN
Mit der Bewertung der Auswirkung der Krise auf ein Unternehmen ist auch die wichtigste Grundlage dafür geschaffen, die Antwort auf die oben eingeführte Kernfrage – wie der Einkauf dazu beitragen kann, ein Unternehmen möglichst erfolgreich über einen Konjunkturzyklus zu bringen – zu geben: Boom
Kosten senken und Wert steigern mit dem Einkaufsschachbrett ®
Konjunkturzyklus
Management des Risikos mit Lieferanten
Nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen
Bereinigung des Produktportfolios
Insourcing zur Kapazitätsauslastung/ Cash Management
Krise
6
Abbildung 3: Der agile Einkauf quer über den Konjunkturzyklus
Je nach konkreter Position eines Unternehmens im Konjunkturzyklus, ordnet die obige Abbildung 3 fünf differenzierte Strategien zu:
Management des Risikos mit Lieferanten
Kosten senken und Wert steigern mit dem Einkaufsschachbrett
Nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen
2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? _____________________________________ 45
Bereinigung des Produktportfolios
Insourcing zur Kapazitätsauslastung/Cash Management
Management des Risikos mit Lieferanten Jedes Unternehmen ist über seine Lieferanten zumindest mittelbar vom Auf und Ab der Weltwirtschaft betroffen. Die Wirtschaft ist über Unternehmen, Branchen, Regionen und Länder hinweg so verflochten, dass jeder lokale Boom und jede lokale Krise auf die Lieferantenlandschaft jedes Unternehmen durchschlägt. Lieferanten können von der Volatilität der Märkte in vielfacher Hinsicht betroffen sein. Eine unmittelbar spürbare Auswirkung der Krise von 2008 sind Schwierigkeiten bei der Finanzierung bereits lang geplanter Investitionen. Trotz vieler Bankenhilfspakete wurde die Kreditvergabe der Banken sehr restriktiv gehandhabt. Gravierender sind ernsthafte, wirtschaftliche Probleme eines Lieferanten, die durch die Wirtschaftskrise ausgelöst sind. Es gibt Branchen, in denen mit der Insolvenz von über einem Drittel der beteiligten Lieferanten gerechnet wird. Da Lieferanten in vielen Fällen nicht exklusiv in eine Branche liefern, können die Kollateralschäden in anderen Branchen enorm sein. Drohende Ausfälle von Lieferanten werden auch in einer Phase der Hochkonjunktur nie ganz zu vermeiden sein. Einerseits können Lieferanten auch in Boomzeiten in eine wirtschaftliche Schieflage geraten, andererseits kann der Ausfall eines Lieferanten durch die stark steigende Nachfrage nach den Produkten dieses Lieferanten bedingt sein – ein Szenario, das noch in der ersten Hälfte des Jahres 2008 in vielen Branchen vorherrschend war. Jedenfalls sollte ein Unternehmen von teilweisen oder vollständigen Ausfällen eines Lieferanten nicht unvorbereitet überrascht werden. Wichtig ist der Aufbau einer Funktion im Einkauf, die das Management des Risikos mit Lieferanten übernimmt, sodass Ausfallrisiken frühzeitig erkannt werden. Falls Ausfälle tatsächlich drohen oder gar eintreten, sind tragfähige Notfallpläne erforderlich, die dann nur noch aktiviert werden müssen.
46 _______________________________________________________ DER EINKAUF MUSS AGIL WERDEN
Kosten senken und Wert steigern mit dem Einkaufsschachbrett Für die Entwicklung von Beschaffungsstrategien in der Abhängigkeit von Nachfragemacht und Angebotsmacht hat A.T. Kearney das Einkaufsschachbrett entwickelt. Die Logik hinter dem Einkaufsschachbrett ist, dass die Beschaffungsstrategie für eine Beschaffungsgruppe von der spezifischen Situation abhängen soll, in der sich das Unternehmen befindet. Traditionelle Ansätze im Einkauf basieren oft auf Anfragen und Volumenbündelung. Die 64 Felder im Einkaufsschachbrett bieten je nach Angebotsmacht und Nachfragemacht differenzierte Methoden zur Kostensenkung und Wertsteigerung mit Lieferanten. Da ein Großteil dieser Methoden bisher nicht im Werkzeugkasten von Einkaufsorganisationen zu finden war, motiviert die Arbeit mit dem Einkaufsschachbrett dazu, neue und unkonventionelle Lösungswege zu beschreiten. Die stark interdisziplinäre Idee hinter dem Einkaufsschachbrett ist für Führungskräfte aller Funktionsbereiche unmittelbar zugänglich und führt zu einer Aufwertung des Stellenwerts des Einkaufs im Unternehmen. In die Entwicklung des Einkaufsschachbretts sind Erfahrungen aus weltweit mehr als 500 Einkaufsprojekten allein in den letzten drei Jahren eingeflossen. In zahlreichen Anwendungen bei Klienten hat A.T. Kearney nachgewiesen, dass das Einkaufsschachbrett quer über alle Branchen und Beschaffungsgruppen in jedem denkbaren Verhältnis von Nachfragemacht und Angebotsmacht funktioniert. Besonders ein volatiles wirtschaftliches Umfeld macht eine kontinuierliche Überprüfung der Position von Beschaffungsgruppen im Einkaufsschachbrett erforderlich. Beispielsweise wird sich für alle Unternehmen, die Stahl einkaufen, die entsprechende Positionierung von Anfang 2008 über Anfang 2009 bis Anfang 2010 dramatisch verändert haben. Anfang 2008 bestanden gravierende Engpässe an Stahl und die Angebotsmacht der Lieferanten war entsprechend hoch. Ein Jahr später waren Stahlhersteller froh, überhaupt einen Abschluss zu tätigen um damit Bestände abzubauen. Anfang 2010 wiederum wiesen viele ökonomische Indikatoren auf eine sich erholende Wirtschaft hin und die zwischenzeitliche Nachfragemacht der Kunden ließ spürbar nach. Jede dieser unterschiedlichen Positionierungen im Einkaufsschachbrett führt zu gänzlich unterschiedlichen Beschaffungsstrategien, die in der jeweiligen Situation zum Erfolg führen.
2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? _____________________________________ 47
Unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Situation ist die Positionierung im Einkaufsschachbrett jedenfalls individuell für das jeweilige Unternehmen vorzunehmen. Viele Unternehmen befinden sich auch während einer Rezession in einer komfortablen wirtschaftlichen Situation. Diese Unternehmen laufen jedoch Gefahr, die sich durch die Krise bietenden Chancen am Lieferantenmarkt, wie oben am Beispiel der fallenden Rohstoffpreise erläutert, nicht hinreichend auszuschöpfen. Der Einkauf in diesen Unternehmen wird sich nach Jahren ständig steigender Preise über die nunmehrige Trendumkehr freuen. Das Top-Management wird in der Krise, alarmiert durch die Probleme anderer Branchen, die Aufmerksamkeit primär auf den Absatzmarkt und auf das Schaffen von Reserven für potenziell schlechtere Zeiten konzentrieren. Dabei kann leicht übersehen werden, dass gerade in der Krise Durchbrüche im Einkauf möglich sind. Durch eine Krise verschieben sich in allen Branchen für nahezu alle Beschaffungsgruppen die Verhältnisse zwischen der Nachfragemacht der kaufenden Unternehmen und Angebotsmacht der Lieferanten. Dies macht grundsätzlich eine Neudefinition der Beschaffungsstrategien für alle betroffenen Beschaffungsgruppen erforderlich. Nur ein agiler Einkauf ist in der Lage, seine Herangehensweise an den Markt in so kurzer Zeit so grundlegend zu verändern.
Nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen Ein sich veränderndes wirtschaftliches Klima bietet Unternehmen, die gut aufgestellt sind, eine Reihe von Chancen an der Schnittstelle zum Lieferantenmarkt. Wer erinnert sich nicht noch gut an den Sommer 2008, als viele Lieferanten – vor allem im Rohstoffsektor – glaubten, der Boom würde ewig dauern? Damals wurden die Preise immer weiter nach oben geschraubt, ohne den Kunden dafür wenigstens Mengen zu garantieren und Liefersicherheit zu gewährleisten. Dabei schossen zahlreiche Lieferanten mit ihren Forderungen über das Ziel hinaus und ihre Kunden gingen viele – oft auch zu viele – Kompromisse ein. Selten zuvor schlug ein Verkäufermarkt derartig schnell in einen Käufermarkt um wie im Jahr 2008. Die Erinnerungen an einige Marktbeobachtungen wie überzogene Forderungen von Lieferanten, durch Lieferengpässe ausgelöste Produktionsausfälle, nicht eingehaltene Zusagen von Lieferanten beim Einbringen von Innovationen sind noch frisch. In einem Käufermarkt können Fehlentwicklungen der vorangegangenen Jahre
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korrigiert und grundsätzliche Weichenstellungen für die Verbesserung der strategischen Wettbewerbsposition vorgenommen werden. Es geht dabei darum, vor allem mit den großen, wichtigen Lieferanten die Spielregeln über das gesamte Spektrum der Zusammenarbeit neu zu definieren. Die entsprechenden Anstrengungen sollen aber nicht vom Gedanken an „Revanche“ getrieben sein. Unternehmen sollten auf der Hut sein, nicht die Fehler der Lieferanten zu wiederholen, da den Lieferanten einseitig aufgezwungene, unfaire Bedingungen am Ende der Krise nur zu verstärkten Gegenreaktionen führen könnten. Bei der nachhaltigen Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen wird die Beziehung mit einem Lieferanten quer über alle relevanten Beschaffungsgruppen und alle Dimensionen der Zusammenarbeit auf den Prüfstand gestellt. Die entsprechenden Untersuchungen beginnen beim Beitrag des Lieferanten zur Umsetzung der Unternehmensstrategie, erstrecken sich über alle funktionalen Bereiche, die mit dem Lieferanten interagieren (zumeist F&E, Produktion und Einkauf), und schließen auch operative Themen wie Zahlungsziele oder Lagerhaltung ein. Dem aus den Untersuchungen entspringenden Ist-Profil der Lieferantenbeziehung wird ein Soll-Profil – also eine Wunschvorstellung, wie die Beziehung in zwei bis drei Jahren idealerweise aussehen sollte – gegenübergestellt. Aus dem interdisziplinär erarbeiteten Soll-Profil werden im Rahmen einer strategischen Bewertung jene Kernpunkte hervorgehoben, die für das Unternehmen besonders erstrebenswert sind. Diese Kernpunkte bilden dann gemeinsam mit den erwarteten Zielvorstellungen des Lieferanten die Grundlage für die Erarbeitung einer Verhandlungsstrategie. Ziel der Verhandlung mit dem Lieferanten ist es, eine vernünftige, bessere und nachhaltig wirkende Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen herbeizuführen. Diese wird natürlich primär die Interessen des Unternehmens berücksichtigen, sollte aber auch die Interessen des Lieferanten nicht außer Acht lassen.
Bereinigung des Produktportfolios Viele Branchen gerieten durch die Krise von 2008 in zuvor nie gekannte Absatz- und Ergebnisprobleme. Da oft die gesamte Branche betroffen war, litten neben den Unternehmen auch deren Lieferanten. Dabei gewann die Sorge um die wirtschaftliche Stabilität der Schlüssellieferanten bald Vorrang vor Ansätzen zur Kostensenkung oder zur Neugestaltung der Beziehungen mit diesen Lieferanten.
2 VERLIERT DER EINKAUF IN EINER KRISE AN BEDEUTUNG? _____________________________________ 49
Der Einkauf muss dabei nicht auf das Management des Risikos mit Lieferanten beschränkt bleiben. In Boomzeiten ist der Druck, hohe Komplexität im Produktportfolio direkt anzugehen, dank guter Absatz- und Ergebniszahlen oft nicht groß genug. Eine sich abzeichnende Krise bietet die Gelegenheit, sich von unprofitablem Geschäft zu trennen und sich so optimal für die Zeit in und nach der Krise zu positionieren. Gerade der Einkauf kann bei der Bereinigung des Produktportfolios eine Schlüsselrolle spielen. Der Einkauf ist fast nie der Verursacher hoher Komplexität und kann daher den Status quo weitgehend unvorbelastet hinterfragen. Gleichzeitig verfügt ein schlagkräftiger Einkauf über detaillierte Kenntnis des aktuellen Produktportfolios und erhält aus der Interaktion mit Lieferanten täglich Hinweise auf die hohen Kosten, die von der Komplexität verursacht werden. Die Bereinigung des Produktportfolios eines Unternehmens kann damit vom Einkauf federführend vorangetrieben werden. Ebenso wie bei den vier anderen differenzierten Strategien, um ein Unternehmen möglichst erfolgreich über einen Konjunkturzyklus zu bringen, ist der Einkauf aber auch hier auf eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Funktionsbereichen angewiesen. Im ersten Schritt wird dabei Transparenz der Komplexitätskosten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg hergestellt. Dies beinhaltet insbesondere eine verursachungsgerechte Zuordnung der Komplexitätskosten auf die Kostenträger Produkt und Kunde. Mit dieser Transparenz kann man sehr schnell Produktsegmente und Kundengruppen erkennen, die einen schlechten oder gar negativen Beitrag zur Wertschöpfung aufweisen. Hier gilt es nun, aus einem Maßnahmenbündel, das vom Anheben der Preise bis zum Streichen der entsprechenden Produktsegmente reicht, die richtige Maßnahme auszuwählen. Es geht nicht darum, einfach die kleinsten Segmente zu eliminieren. Die Regulierung der Komplexität kann gezielt zur Differenzierung im Wettbewerbsumfeld oder zur Kostenminimierung entlang der Wertkette genutzt werden. Gerade an dieser Stelle ist eine enge Verzahnung mit der Unternehmensstrategie erforderlich. Nachhaltigkeit der Anstrengungen zur Bereinigung des Produktportfolios wird dadurch erreicht, dass Kenngrößen aus dem Komplexitätsmanagement, wie Mindestrenditen pro Produktsegment, in Zielvereinbarungen übersetzt werden und über geeignete Werkzeuge und Systeme eine kontinuierliche Überwachung und Steuerung der Komplexität sowie der damit verbundenen Kosten und Strukturentscheidungen ermöglicht wird.
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Insourcing zur Kapazitätsauslastung/Cash Management Die Krise von 2008 bedrohte eine Reihe von Unternehmen existenziell. Unternehmen, die Anfang des Jahres 2008 noch in voller Blüte standen und deren Hauptsorge im Einkauf die Versorgungssicherheit war, erlebten teilweise Absatzeinbrüche von 70 Prozent und mehr. Die wenigen noch vorhandenen Aufträge konnten großteils mit Material, das in den überquellenden Lagern lag, ausgeführt werden. In manchen Fällen kaufte man kaum noch etwas ein. In derart stark von einer Krise betroffenen Unternehmen ist der Fokus auf kurzfristige Maßnahmen, die das Überleben sichern sollen, eingeengt. Der Einkauf kann hier vor allem beim Abfedern von Remanenzkosten einen wesentlichen Beitrag leisten. Selbst wenn dies gewollt wäre, können die betroffenen Unternehmen den Personalstand gar nicht schnell genug abbauen, um diesen an den kollabierten Auftragseingang anzupassen. Es gilt hier also, Wertschöpfung ins Haus zu holen, mit der die vorhandenen Mitarbeiter und Maschinen bestmöglich ausgelastet werden können. Diese Wertschöpfung von anderen Unternehmen zu erhalten ist in einer Krise, von der fast alle Branchen erfasst sind, zwar nicht unmöglich, aber doch sehr anspruchsvoll. Mehr Erfolg verspricht ein prüfender Blick auf Umfänge, die gegenwärtig von Lieferanten gefertigt werden. Diese wurden historisch oft vom Unternehmen selbst hergestellt und aus verschiedenen Gründen – vielfach um die Kapazität zu steigern – an Lieferanten outgesourct. Die dafür erforderlichen Kompetenzen sind aber häufig noch im Haus, und die Entscheidung, das Outsourcing zumindest temporär – unter ausschließlicher Berücksichtigung der Grenzkosten – wieder zurückzunehmen, liegt ausschließlich beim Unternehmen.
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3
VOLATILITÄT AUF VERSCHIEDENEN EBENEN
Eine Krise äußert sich immer durch die Effekte, die sie hervorruft. Auch globale Krisen zeichnen sich dadurch aus, dass zwar nahezu alle Länder von der Krise betroffen sind, die Auswirkungen jedoch in signifikant unterschiedlichem Maß zu Buche schlagen. Geht man eine Granularitätsstufe weiter, so sieht man, dass auch Branchen wieder in einem vollkommen unterschiedlichen Maß von einer Krise betroffen sind, und schließlich bei einem weiteren Schritt, dass Unternehmen ebenfalls unterschiedlich stark von einer Krise betroffen sein können. Dies wird als Krisenanfälligkeit bezeichnet. Wie wahrscheinlich eine Einheit von einer Krise betroffen ist, kann anhand unterschiedlicher Einflussfaktoren aufgezeigt werden:
Land: Finanzsystem, Wechselkurse und damit verbundene Kapitalzuflüsse, Staatsverschuldungsgrad und Finanzpolitik, Heterogenität der Industrien/Branchen, Rohstoffe und Spekulation in Immobilien
Branche: Zyklizität einer Branche, Investitionsgüter versus Konsumgüter, Verschuldungsgrad, Gewinnmarge
Krisen wie jene von 2008 werden immer wieder auftreten – manchmal wird der Aufschwung nach kurzer Zeit wieder einsetzen und manchmal wird die Erholungsphase länger dauern. Aufgabe des Einkaufs ist es, durch Agilität auf diese Schwankungen vorbereitet zu sein und in der Krise seinen Wertbeitrag zu leisten. Anhand der folgenden Einflussfaktoren soll nun die Krisenanfälligkeit von Ländern und Branchen näher untersucht werden, um Einkaufsverantwortlichen Einblicke in die Krisenanfälligkeit des eigenen Unternehmens außerhalb dessen Einflussbereiches zu gewähren.
C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
52 ______________________________________________________ KRISENANFÄLLIGKEIT VON LÄNDERN
3.1 KRISENANFÄLLIGKEIT VON LÄNDERN Die Krisenanfälligkeit eines Landes hängt davon ab, wie exponiert dieses gegenüber verschiedenen Einflussfaktoren ist. Hierbei sind vor allem das Finanzsystem und die Industriestruktur mit der damit verbundenen Rohstoffabhängigkeit von Bedeutung.
Finanzsystem Der Einflussfaktor „Finanzsystem“ setzt sich aus drei Teilfaktoren zusammen: die Internationalität der nationalen Finanzinstitute, die Größe des Bankensystems im Vergleich zur Staatsgröße sowie das spezifische Liquiditätsrisiko der Banken. Die Internationalität nationaler Finanzinstitute sowie die damit einhergehenden internationalen Verflechtungen dienen vor allem dazu, die in den einzelnen Ländern bestehenden Risiken zu verteilen und auszugleichen. Dieser Ansatz der Risikostreuung funktioniert gut bei nationalen Krisen. Handelt es sich jedoch um Krisen, die eine Region betreffen, in der die Finanzinstitute besonders stark vertreten sind, oder um globale Krisen, so führt dies zu einem umgekehrten, sogar verstärkenden Effekt, was sich anhand der Entwicklungen in (1) Großbritannien, den USA und Deutschland, (2) Österreich sowie (3) Italien zeigen lässt. (1) Großbritannien, die USA und Deutschland wurden gleich zu Beginn der Krise von 2008 hart getroffen, da die Finanzinstitute in diesen Ländern stark internationalisiert sind. Zudem haben die betroffenen Finanzinstitute aktiv neue Finanzprodukte entwickelt und damit zu einem schnellen Wachstum der Derivatgeschäfte beigetragen. Der damit verbundene, hohe Spekulationsgrad hat ebenso maßgeblich zur starken Betroffenheit durch die Krise beigetragen. (2) Österreich und seine Finanzinstitute befinden sich aufgrund der starken Aktivitäten in Osteuropa in einer besonderen Situation. Die österreichischen Finanzinstitute spielen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs eine sehr aktive, sogar eine führende Rolle in Osteuropa. Durch Finanzierung von Investitionen, gewerblich und private Baufinanzierungen und Konsumkredite wurde ein wichtiger Beitrag zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts osteuropäischer Länder geleistet. Im Herbst 2008 kollabierten jedoch aufgrund von sinkenden Exporten die meisten osteuropäischen Währungen,
3 VOLATILITÄT AUF VERSCHIEDENEN EBENEN _______________________________________________ 53
wie beispielsweise der polnische Zloty oder der ungarische Forint. Da viele Kredite in Fremdwährungen wie dem Euro oder dem Schweizer Franken abgeschlossen worden waren, erhöhte sich schlagartig die Kreditsumme in der Lokalwährung und viele Kredite wurden damit uneinbringlich. Dies führte dazu, dass Österreich und seine Finanzinstitute stärker und schneller durch die Krise von 2008 betroffen waren als andere Länder mit einem ähnlichen Internationalisierungs- und Spekulationsgrad. (3) Italien weist im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Beispielen eine geringe Internationalisierung seines Finanzplatzes auf. Dies wurde oft als Schwäche und Nachteil für die italienische Wirtschaft empfunden. In der Krise von 2008 erwies sich diese Tatsache jedoch als Vorteil für Italien, da damit eine spätere und geringere Betroffenheit durch die Krise einherging. Aufgrund der geringeren Internationalisierung gibt es in Italien einen niedrigeren Spekulationsgrad, was auch zu einem niedrigeren Anteil an faulen Wertpapieren in den Bilanzen der Finanzinstitute führte. Des Weiteren wurden in Italien klare Grenzen für risikoreiche Papiere eingeführt. Die Größe des Bankensystems im Vergleich zur Staatsgröße bildet den zweiten Teil des Einflussfaktors „Finanzsystem“. Hierbei gilt, dass sich die Vermögenswerte des Bankensystems in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des Staates, ausgedrückt durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP), befinden müssen, um die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten. Als Negativbeispiele sind hier sicherlich Island und die Schweiz anzuführen, wo die Größe des Bankensystems ein Vielfaches des BIP ausmacht. In Island waren die Vermögenswerte der drei größten Banken neun Mal so groß wie das BIP. Der Finanzsektor Islands ist somit im Vergleich zum BIP deutlich zu groß und Island musste bereits vom Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Kredit über 4,5 Mrd. US-Dollar aufnehmen, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Auch in der Schweiz belaufen sich die Vermögenswerte der drei größten Banken auf das Siebenfache des Bruttoinlandsprodukts. Die Schweiz wäre somit im Ernstfall nicht in der Lage, größere Bankenausfälle kompensieren zu können. Das Liquiditätsrisiko der Banken komplettiert neben der Internationalität der Finanzinstitute und der Größe des Bankensystems den Einflussfaktor „Finanzsystem“. Vor Beginn der Krise von 2008 war die Liquiditätsabsicherung der Banken zum größten
54 ______________________________________________________ KRISENANFÄLLIGKEIT VON LÄNDERN
Teil auf leicht veräußerlichen Wertpapierdepots aufgebaut. Die viel zu niedrigen Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an Banken führten schließlich zu den großen Problemen, die die Banken mit Beginn der Krise zu bewältigen hatten. Bereits seit einiger Zeit wird international an Regularien gearbeitet, um die Eigenkapitalbasis von Banken zu stärken und sie damit weniger anfällig zu machen. Bereits vor Ausbruch der Krise von 2008 wurde mit den Basel-Vorgaben ein Schritt in diese Richtung gemacht. Diese Maßnahmen führen jedoch zu einem erhöhten Kapitalaufwand und damit auch zu steigenden Zinssätzen. Alternativ könnten die Banken zwar ihr Kreditportfolio reduzieren, was jedoch die bereits vorhandene Kreditklemme noch weiter steigern würde. Die Veränderungen führen zudem dazu, dass Banken zukünftig von Unternehmen eine niedrigere Verschuldungsgrenze einfordern. Für Unternehmen steigt damit die Notwendigkeit, ihr Eigenkapital, welches allerdings wesentlich teurer ist als Fremdkapital, zu erhöhen. Auch die Kosten von Fremdkapital werden steigen. Bisher war der Spread bei den Zinssätzen zwischen sicheren und riskanten Kreditnehmern relativ klein und hat daher die tatsächlichen Risiken und ihre Kosten nur unzureichend abgedeckt. In Zukunft sind bei der Finanzierung riskanterer Geschäfte deutlich höhere Kapitalkosten zu erwarten. Die Veränderungen im Bankensektor führen also dazu, dass Finanzierungen zukünftig für Unternehmen teurer werden und mit strengeren Auflagen, wie etwa einem höheren Eigenkapital, verbunden sein werden.
Wechselkurse und damit verbundene Kapitalzuflüsse Das Vertrauen auf stabile oder sich positiv entwickelnde Wechselkurse wirkt auf die Wirtschaft eines Landes stabilisierend. Umgekehrt kann mangelndes Vertrauen oder sich negativ entwickelnde Wechselkurse eine Krise verursachen oder verstärken. Haushalte und Unternehmen in vielen Ländern haben in Fremdwährungen Kredite aufgenommen, um von niedrigen Zinsniveaus zu profitieren – im Glauben, dass die Wechselkurse gegenüber dem Euro langfristig stabil bleiben werden. Insbesondere einige Länder in Europa hatten einen Boom an Privatkrediten, der den Kapitalzufluss angeheizt hat und zu einem großen Schuldenüberhang verbunden mit einer starken
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Exposure gegenüber Fremdwährungen geführt hat. Im Gegensatz dazu haben sowohl lateinamerikanische als auch asiatische Länder ihr Exposure gegenüber Fremdwährungen deutlich reduziert. Nahezu alle osteuropäischen Länder haben mit einem starken Rückgang an ausländischen Finanzierungsmöglichkeiten zu kämpfen. Während es noch im Jahre 2007 in Osteuropa einen Zufluss an privaten Kapitalströmen von über 600 Milliarden US-Dollar gab, hat sich das nun stark gewandelt, was für Osteuropa eine schwere Kredit- und Finanzierungskrise bedeutet. Besonders stark betroffen sind hierbei Länder mit einem hohen Leistungsbilanzdefizit wie etwa die Ukraine. Diese abrupte und intensive Korrektur durch den plötzlichen Stopp der Kapitalzuflüsse führte zu einer starken Beeinträchtigung der Realwirtschaft und übt einen starken Druck auf die Wechselkurse aus. Sogar Länder, die kein hohes Leistungsbilanzdefizit aufweisen, haben mit den Anpassungen der Fremdwährungskredite zu kämpfen. Seit dem Beginn der Krise von 2008 ist es insbesondere in Osteuropa sehr schwer geworden, an Kapital zu kommen. Die lokalen Investitionen und Konsumkredite sind empfindlich teurer geworden und sowohl Unternehmen als auch Privathaushalte verfügen über sehr begrenzte Mengen an liquiden Mitteln. Als exemplarisches Unternehmen sei hier der Haushaltsgerätehersteller Gorenje angeführt, der einen massiven Einbruch in der Ukraine hinnehmen musste, da viele Haushalte aufgrund der nun überteuerten Kreditkonditionen praktisch am Rande der Privatinsolvenz stehen.
Staatsverschuldungsgrad und Finanzpolitik Die Krisenanfälligkeit wird auch stark vom Verschuldungsgrad eines Staates beeinflusst. Als Beispiele von Staaten mit hohem Verschuldungsgrad sind Japan, Griechenland und Italien zu nennen, die alle ein Verhältnis von Staatsschulden zu BIP von über 100 Prozent aufweisen. Weniger stark von der Krise in 2008 betroffen waren hingegen lateinamerikanische Länder, die nach den Krisen in den 90er Jahren ihre Politik signifikant geändert und eine restriktive Fiskalpolitik verfolgt haben. Die Banken in Lateinamerika werden eher konservativ geführt und sind auch stark reguliert. Anstelle von Ausgabenreduktionen aufgrund der verminderten Steuereinnahmen – wie normalerweise üblich – konnten
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die Ausgaben sogar gesteigert werden. Dies lag daran, dass die Zentralbanken in Lateinamerika genug Glaubwürdigkeit als Inflationsbekämpfer gesammelt und ausreichend Reserven aufgebaut haben, um das Zinsniveau zu reduzieren, ohne dabei die Gefahr einzugehen, die Stabilität der Währung negativ zu beeinflussen.
Heterogenität von Industrien/Branchen Je heterogener die Industriestruktur eines Staates ist, desto geringer ist das Risiko, massiv von einer Krise getroffen zu werden. Krisen betreffen die verschiedenen Industrien in unterschiedlicher Härte und in einem unterschiedlichen zeitlichen Rahmen. Die Slowakei war beispielsweise in der Krise von 2008 sehr stark betroffen, weil dort der Fokus auf der Automobil- und Automobilzulieferindustrie liegt. Ebenso war auch Deutschland aufgrund der starken Spezialisierung auf die Produktion von Investitionsgütern besonders stark betroffen, da bei mangelnder Liquidität Investitionen von Unternehmen stark zurückgefahren, verschoben oder zur Gänze gestrichen werden.
Rohstoffe Die Rohstoffvorkommen spielen eine signifikante Rolle bei der Beurteilung der Krisenanfälligkeit von Ländern. Gerade bei Rohstoffen wie Gas oder Erz wird der massive Einfluss auf die Volkswirtschaft erkennbar, wenn man an Länder wie Russland (etwa 40 Prozent der gesamten Gaslieferungen in Europa), Brasilien, Norwegen oder Australien denkt. In Boomzeiten, in denen die Rohstoffpreise explodieren, ist man damit sehr finanzstark. Diese Einnahmen sollten aber auch dazu verwendet werden, ein Finanzpolster für Krisenzeiten aufzubauen. In der Krise verfallen die Rohstoffpreise mit Sicherheit und ohne Vorsorge können rohstoffreiche Länder dann besonders hart von Krisen getroffen werden.
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Spekulationen in Immobilien Wenn sich Immobilienpreise von der Entwicklung der Realwirtschaft abkoppeln und Kredite auf Basis dieser aufgeblähten Immobilienbewertungen vergeben werden, kann dies sehr leicht zu einer Krise der Realwirtschaft führen. Irland war im Vergleich zu allen anderen Ländern der EU besonders stark von der Krise von 2008 betroffen. Die Wirtschaft ist geschrumpft und die Arbeitslosigkeit hat sich verdoppelt. Irland hatte vor allem mit faulen Krediten für Immobilien zu kämpfen. Die geringen Zinsen für Kreditfinanzierungen – aufgrund der Euromitgliedschaft – hatten zu einem Feuerwerk bei Immobilienpreisen geführt. Die Konsequenz der hohen Immobilienpreise war, dass diese einen wahren Bauboom ausgelöst haben. Als sich allerdings die Krise bemerkbar machte und die Blase geplatzt war, blieb eine Altlast von unverkauften Häusern und uneinbringlichen Krediten. Die irische Regierung hat zusätzlich während der Zeit des Immobilienbooms problematische Entscheidungen bei der Einkommensbesteuerung getroffen und die Staatseinnahmen zu stark an die Steuern für neue Immobilien und Kapitalverzinsung gekoppelt. Als jedoch die Preise für Immobilien fielen bzw. es zu weitaus weniger Verkäufen kam, führte das nicht nur zu einer Krise, sondern trocknete zusätzlich aufgrund des Steuersystems die Staatskasse aus.
3.2 KRISENANFÄLLIGKEIT VON BRANCHEN Wie stark eine bestimmte Branche von einer Krise betroffen ist hängt vor allem davon ab, welche Zyklizität diese Branche aufweist, ob es sich um eine Investitionsgüteroder Konsumgüterbranche handelt, wie verschuldet die Branche insgesamt ist und wie die Gewinnmargen kalkuliert werden. So zeigt beispielsweise die Pharmabranche eine sehr geringen Krisenanfälligkeit, während Druckmaschinenhersteller als Investitionsgüterhersteller extrem krisenanfällig sind.
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Zyklizität einer Branche Man kann generell zwischen zyklischen und nicht zyklischen Branchen unterscheiden. Während Banken, die Bau- und die Automobilindustrie einer hohen Zyklizität unterliegen, sind die Pharma- und die Lebensmittelbranche einer nur geringen Zyklizität ausgesetzt. Darüber hinaus ist auch zu beachten, dass bestimmte Branchen einen großen Effekt auf vorgelagerte Branchen haben. So hat zum Beispiel die Baubranche in guten wie auch in Krisenzeiten auf Stahlhersteller, Zementhersteller und Baumaschinenhersteller einen starken Einfluss.
Investitionsgüter versus Konsumgüter Investitionsgüterbranchen sind von Krisen weitaus stärker betroffen als Konsumgüterbranchen. Investitionen können mit sofortiger Wirkung gestoppt oder verschoben werden. Außerdem entfallen mit eingetrübtem Wirtschaftsklima vorerst Erweiterungsinvestitionen. Folgende Auswirkungen können bei Investitionsgüterherstellern beobachtet werden:
Geringere Anzahl von Aufträgen: Investitionen werden von vielen Unternehmen in Krisenzeiten sehr schnell gekürzt, verschoben oder gar gestrichen. Ein namhafter Stahlhersteller hat Ende 2008 aufgrund der schlechten Wirtschaftlage ein Projekt über ein neues Stahlwerk in Osteuropa gänzlich gestrichen. Viele andere Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen haben Modernisierungen verschoben. Verstärkt wird diese Problematik auch dadurch, dass aufgrund von höheren Kapitalkosten die Investitionsbereitschaft noch weiter abnimmt.
Auslastungsprobleme: Die geringere Anzahl von Aufträgen führt konsequenterweise zu einer Reduktion der Auslastung. In der Folge sehen sich Investitionsgüterhersteller aus den verschiedensten Industrien signifikanten Ergebnisproblemen gegenüber, da die Anlagen nicht mehr effizient gefahren werden können und die Fixkosten das Unternehmen zu erdrücken drohen.
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Liquiditätsengpässe: In wirtschaftlich angespannten Zeiten kommt es durch die oben beschriebenen Effekte zu Liquiditätsengpässen im Unternehmen. Einerseits verursacht durch interne Probleme, andererseits – und dies ist oftmals weitaus problematischer – durch verspätete Zahlungen von Kunden bei laufenden Aufträgen, gerade wenn die Kunden Liquiditätsprobleme haben oder aber Aufträge kündigen.
Konsumgüterhersteller sehen sich auch in Krisen meist einer relativ stabilen Nachfrage gegenüber. Dies gilt nicht nur für Lebensmittel. So verzeichnete zum Beispiel die Unterhaltungselektronik – ein Bereich, in dem man in Krisenzeiten den Konsum reduzieren könnte, um zu sparen – sogar signifikante Steigerungen. Dies ist vor allem auf verändertes Konsumverhalten in der Krise zurückzuführen, das zu einer höheren Nachfrage aufgrund fallender Preise (negativ elastisch) führt. Gleichzeitig sind die Produkte der Unterhaltungselektronik schon fast zu Basisgütern geworden und haben kaum noch Luxuscharakter.
Verschuldungsgrad Jede Branche hat unterschiedliche Spezifika. Manche Branchen erfordern hohe Investitionen, um Wachstum für die Zukunft sicherzustellen. Gute Zukunftsprognosen vor allem in wirtschaftlich guten Jahren führen dazu, dass kapitalintensive Branchen massiv investieren. So haben vor allem Unternehmen in der investitionsintensiven Prozessindustrie hohe Schulden angehäuft, die teilweise allerdings auch auf Übernahmen zurückzuführen sind. Rio Tinto hat eine Nettoverschuldung von 39 Milliarden US-Dollar angehäuft, Arcelor Mittal 33 Milliarden oder Lafarge 23 Milliarden US-Dollar. Insgesamt wurden etwa 80 Prozent der Schulden, die diese Unternehmen aufweisen, für Übernahmen verwendet. Doch nicht nur Übernahmen können zu einem solchen Verschuldungsgrad führen. Auch organisches Wachstum, welches in Zeiten der Hochkonjunktur geplant und gestartet wird, kann in Krisenzeiten zu einem finanziellen Problem werden, wie das Beispiel der neuen Stahlwerke von ThyssenKrupp in Rio de Janeiro/ Brasilien und in Alabama/USA zeigt.
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Problematisch ist in Krisenzeiten, dass das Verkaufen von Unternehmensanteilen auch nur begrenzt oder gar nicht möglich ist, da einerseits potenzielle Käufer ebenso wenig über genügend finanzielle Mittel verfügen, um Käufe zu tätigen, und andererseits die Bewertung der zu verkaufenden Unternehmensanteile meist so niedrig ist, dass aus einer solchen Transaktion ein signifikanter Verlust entstehen würde.
Gewinnmarge Ein weiterer Einflussfaktor ist die Gewinnmarge bzw. die allgemeine Kostenstruktur und das Preisniveau einer Branche. Während im IT-Bereich – man denke an Unternehmen wie SAP, Microsoft, Apple – Margen von über 30 Prozent möglich sind, liegt die Baubranche bei zwei bis drei Prozent.
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4
DISKUSSION DER AUSWIRKUNGEN VON KRISEN
Die Krise von 2008 war gravierender als alle Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit. In einer derart heftigen Rezession können auch an sich gut positionierte Unternehmen ohne eine Verkettung unternehmerischer Fehlentscheidungen in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Die Auswirkungen einer Rezession auf Unternehmen sind vielfältig und betreffen die Liquidität, Operations und die Unternehmensstrategie.
4.1 AUSWIRKUNGEN VON KRISEN AUF DIE LIQUIDITÄT Wirtschaftskrisen wirken sich auf die Liquidität insgesamt negativ aus und dies wird insbesondere anhand folgender Merkmale deutlich:
Liquiditätszuflüsse brechen aufgrund von Absatzrückgängen unmittelbar ein
Überproportional viel Liquidität fließt ab aufgrund von Abnahmeverpflichtungen gegenüber Lieferanten
Zahlungen von Kunden verspäten sich oder fallen gar aus
Die Kreditbereitschaft der Banken sinkt und immer mehr Unternehmen haben Schwierigkeiten, Alternativen zu diesen Kreditlinien zu finden
Die unmittelbarste und sichtbarste Auswirkung der Krise von 2008 auf die Liquidität war täglich in vielen Industrien spürbar: Ein massiver Absatzrückgang führte zum sofortigen Versiegen von Liquiditätszuflüssen. Unternehmen aus der Anlagen- und Maschinenbauindustrie waren mit Einbrüchen von 30 bis 50 Prozent besonders hart betroffen. Vereinzelt gab es von 2008 auf 2009 sogar Fälle von über 60 Prozent Umsatzrückgang. Verursacht wurden diese Rückgänge durch stornierte und ausbleibende Aufträge, aber auch durch eine zunehmende Anzahl von Insolvenzen der Kunden.
C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Parallel zum einbrechenden Geschäft bestanden aber oft hohe Abnahme- und damit Zahlungsverpflichtungen weiter. In Boomzeiten hatten viele Unternehmen langfristige Verträge zur Volumensicherung abgeschlossen. So mussten viele Unternehmen sehr viel mehr Material bezahlen und auf Lager legen als sie eigentlich angesichts des niedrigen Umsatzniveaus brauchten. Selbst in Fällen, in denen keine Kunden Aufträge stornierten oder in denen ein Unternehmen von Insolvenzen seiner Kunden verschont blieb, optimierten viele Kunden ihre Liquidität in der Krise, indem sie Zahlungen verzögerten. Dabei zeigte die Praxis, dass längere Zahlungsziele bilateral verhandelt wurden und nur selten einseitig die Zahlungen verzögert wurden. Einige Automobilhersteller beispielsweise gewährten den eigenen Vertragshändlern einen Zahlungsaufschub. Je nach Vereinbarung konnten damit zwei bis drei Monate gewonnen werden. Trotz einer Verlängerung der Zahlungsziele konnte nicht von einer generellen Verschlechterung der Zahlungsmoral die Rede sein. Allerdings fielen gerade diejenigen Unternehmen einer zumindest punktuell verschlechternden Zahlungsmoral zum Opfer, die ohnehin bereits besonders stark von der Krise betroffen waren. Eine Untersuchung von Dun & Bradstreet ergab, dass sich allein in der Automobilbranche die Zahl der ernsthaften Beanstandungen von Zahlungen vom Jahr 2008 auf 2009 verdoppelte. Eine weitere Auswirkung auf die Liquidität ergibt sich aus dem erschwerten Zugang vieler Unternehmen zu Fremdkapital. Insbesondere das private Finanzwesen war im Jahr 2009 hinsichtlich der Kreditvergabe sehr restriktiv geworden. Die daraus resultierende Kreditklemme traf vor allem die Branchen, die von der Finanz- und Wirtschaftskrise ohnehin besonders stark betroffen waren, hier vor allem die Automobilindustrie und den Maschinen- und Anlagenbau. Dabei war der Bedarf an kurzfristigen Krediten zur Absicherung der Liquidität sehr hoch: Allein in der Automobilzuliefererindustrie entsteht bei einem kurzfristigen Refinanzierungsbedarf von 25 Prozent der Verbindlichkeiten ein Kapitalbedarf von knapp acht Mrd. Euro. Neben diesen vier überwiegend negativen Auswirkungen einer Krise auf die Liquidität gibt es immerhin auch einen Lichtblick: Im Zuge der Krise von 2008 kam es zu einer massiven Senkung der Rohmaterialkosten, die sich positiv auf die Liquidität der meisten Unternehmen auswirkte. Die Commodity-Preise waren im Jahr 2009 im Vergleich zum Höchststand Mitte 2008 massiv gesunken. Von dieser Entwicklung profitierte die Liquidität von Unternehmen, die Rohmaterialpreisschwankungen im Rahmen von
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indexbasierten Verträgen berücksichtigt hatten. Solche Verträge sehen vor, dass die Kosten für den Rohmaterialanteil regelmäßig der Entwicklung der Rohmaterialpreise angepasst werden. Unternehmen, die solche Klauseln mit ihren Lieferanten verhandelt hatten, profitierten. Diejenigen Unternehmen, die nicht über indexbasierte Verträge verfügten, mussten die sich ergebenden Potenziale über Nachverhandlungen einfordern. Dass dies oft nicht gelang, wurde in Kapitel 2.2 diskutiert.
4.2 AUSWIRKUNGEN VON KRISEN AUF OPERATIONS Eine Krise hat neben Auswirkungen auf Liquidität auch Auswirkungen auf Operations. Operations umfasst hier alle Wertschöpfungsstufen, die zur Erstellung der Produkte des Unternehmen erforderlich sind. Hierzu zählen vor allem Einkauf, Logistik, Produktion und F&E. In Operations treten im Zuge einer Krise insbesondere folgende Auswirkungen auf:
Die Nachfragemacht des Einkaufs kann sich verringern, da aufgrund des Umsatzrückgangs auch das Einkaufsvolumen bei Lieferanten zurückgeht.
Die Logistikkosten sinken kurzfristig insbesondere aufgrund von gesunkenen Transportkosten.
Die Produktionskapazitäten werden trotz geringer Auslastungen kurzfristig konstant gehalten, jedoch wird es mittelfristig zu einer Marktbereinigung kommen.
F&E wird kurzfristig keine signifikanten Änderungen erleben, da bestehende F&ERessourcen vor allem dazu genutzt werden, kurzfristig einsetzende Innovationen und technische Optimierungsprogramme umzusetzen.
Die Krise von 2008 führte in vielen Unternehmen zu einer Verringerung ihrer Nachfragemacht. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass je nach Branche und Unternehmen zwischen 40 und 70 Prozent des Umsatzes auf eingekaufte Produkte und Dienstleis-
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tungen entfallen. Wenn im Rahmen einer Krise der Umsatz zurückgeht, geht automatisch auch das Einkaufsvolumen zurück. Dies hat im Wesentlichen folgende Konsequenzen für das betroffene Unternehmen:
Das Unternehmen verliert einen wichtigen Verhandlungshebel zur Durchsetzung von Materialkostenreduktionen.
In einigen Fällen kann der Rückgang des Einkaufsvolumens dazu führen, dass das Unternehmen von Lieferanten mit Preiserhöhungen oder -nachforderungen aufgrund nicht eingehaltener Volumenzusagen konfrontiert wird. Diese Preisnachforderungen können je nach Unternehmen und Vertragsgestaltung berechtigt sein. Solche Fälle sind häufig als Konsequenz auf in Boomzeiten entstandene Verträge zurückzuführen, bei denen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit kritischer Produkte Abnahmegarantien ausgesprochen wurden. Je nach vertraglicher Situation oder Angebotsmacht des Lieferanten können Preiserhöhungen realisiert werden, insbesondere wenn es sich um einen engen Markt mit wenigen Anbietern handelt.
Der Rückgang des Einkaufsvolumens kann auch Lieferanten in Schwierigkeiten bringen. Dies ist insbesondere bei solchen Lieferanten der Fall, deren Umsatz sehr stark von einem Kunden oder von einer Branche abhängig ist. Besonders augenfällig wurde dieser Umstand im Zuge der Krise von 2008 in der Automobilindustrie, wo die Hauptsorge der Einkaufsmanager im Jahr 2009 dem Erhalt von Lieferanten galt. Diese reale Gefahr spiegelt sich auch in dem von A.T. Kearney 2009 erhobenen CPO Club Risk Index wider: 57 Prozent der teilnehmenden Unternehmen gaben an, dass sie eine Verschlechterung der Finanzsituation der Lieferanten befürchten, die sich negativ auf das eigene Unternehmen auswirken kann.
Insgesamt hat eine Krise auf den Einkauf spürbar negative Auswirkungen, die zu einer Bedrohung für die Operations des Unternehmens werden kann. Eine Krise wirkt sich auch auf die Logistik und die resultierenden Logistikkosten aus. Logistikkosten umfassen dabei alle Kosten für Transport, Lagerbetrieb und Bestand. Die Auswirkungen der Krise von 2008 auf diese Kosten waren differenziert und unterschieden sich vor allem in der Fristigkeit ihrer Wirkung. Kurzfristig erlebten die Logistikkosten in der Krise, gerade im Vergleich zu den vorangegangenen Boomjahren,
4 DISKUSSION DER AUSWIRKUNGEN VON KRISEN ___________________________________________ 65
eine leichte Erholung. Die Entwicklung der einzelnen Logistikkostenarten verlief dabei differenziert. Die Transportkosten sanken durch niedrigere Treibstoffkosten und den massiven Rückgang der Frachtvolumina. Der Rückgang der Transportkosten wurde dabei jedoch von einer Zunahme der Bestandskosten kompensiert. Da die Produktion bei den meisten Unternehmen nicht mit der gleichen Geschwindigkeit wie der Absatz schrumpfte, führte dies zu steigenden Vorräten. Dabei steckt gerade in diesen Bestandskosten ein erhebliches Potenzial: Eine aktuelle Untersuchung von A.T. Kearney zeigt, dass durch eine Verringerung der Lagerreichweiten deutscher Unternehmen in Summe rund 40 Mrd. Euro an gebundenem Kapital freigesetzt werden könnten. In einem Boom steigen die Logistikkosten wie andere Faktorkosten stetig an. In der Hochkonjunktur von 2003 bis 2008 wuchsen die durchschnittlichen Logistikkosten für einen gegebenen Branchenmix um knapp 20 Prozent von 6,1 auf 7,3 Prozent des Umsatzes. Allein die Transportkosten stiegen in diesem Zeitraum um 35 Prozent an. Treiber dieses massiven Anstiegs der Logistikkosten waren vor allem die Knappheit an Transportkapazitäten sowie die fortschreitende Globalisierung und die damit verbundenen größeren Transportentfernungen und steigenden Treibstoffkosten. Die Auswirkungen der Globalisierung werden bei den überregionalen Zuliefer- und Kundenverflechtungen der europäischen Unternehmen deutlich: Der als Maß für die Globalisierung der Supply Chain zugrunde gelegte Warenverkehr nahm von 2003 bis 2008 deutlich zu und zwar pro Jahr um rund zehn Prozent auf der Einkaufsseite und um rund elf Prozent auf der Absatzseite. Eine Krise wie jene von 2008 inklusive der damit verbundenen Konjunkturprogramme einzelner Regierungen führt kurzfristig zu einer Verlangsamung der Globalisierungsdynamik. Die Erholung der Logistikkosten im Zuge der Krise von 2008 ist also lediglich ein temporäres Phänomen. Langfristig werden makroökonomische Treiber zu einem erneuten Anstieg der Logistikkosten führen. Neben den Auswirkungen auf Einkauf und Logistik sind die Auswirkungen einer Krise auch auf die Produktion spürbar. Der Umsatzrückgang der Krise von 2008 führte in zahlreichen Industrien zu einer Unterauslastung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Kurzfristig wurde diese Unterauslastung durch Freisetzung von Leiharbeitern sowie flexible Arbeitszeitmodelle, wie zum Beispiel Abbau von Überstunden, Abbau von Urlaubstagen und Kurzarbeit, überbrückt. Mittel- bis langfristig führen Rezessionen jedoch zu massiven Umwälzungen der Produktionsstruktur, die vor allem in zwei Tendenzen sichtbar werden:
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Produktionsstätten, die in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs bereits nicht wettbewerbsfähig sind, werden im Zuge einer Krise massiv reduziert. Unternehmen überdenken dabei ihre Fertigungsstruktur hinsichtlich Anzahl, Standorte, Größe und Wertschöpfungstiefe der einzelnen Fertigungsstätten grundsätzlich. Als Konsequenz der Krise von 2008 wird eine Reduktion des globalen Produktionsnetzwerks um rund 20 Prozent bis 2013 erwartet.
Im Zuge einer Krise wird in der Regel eine regionale Verschiebung von Produktionskapazitäten beobachtet. Als Konsequenz der Krise von 2008 kann es in einzelnen Sektoren zu einer Regionalisierung kommen. Diese Regionalisierung ist eine Konsequenz aus der Notwendigkeit sowohl zur Senkung der Logistikkosten als auch zur Erhöhung der Flexibilität zur Bedienung der regionalen Märkte. Sie kann vor allem für westeuropäische Unternehmen vorteilhaft sein. So können beispielsweise deutsche Fabriken aufgrund einer vergleichsweise starken industriellen Basis auf Vorteile lokaler industrieller Cluster zurückgreifen. Damit sind hocheffiziente Lieferketten möglich, die kundenorientiert, bestandsarm, schnell und flexibel sind. Zudem ermöglicht das Know-how industrieller Cluster technologische Innovationen, die den Abstand zum Wettbewerb weiter vergrößern.
Letztlich hat die Finanz- und Wirtschaftskrise auch unterschiedliche Auswirkungen auf F&E. Kurz- und mittelfristig bleiben die Auswirkungen auf die F&E-Ressourcen jedoch schwach. Vielen Unternehmen ist noch in Erinnerungen geblieben, wie schwer es in Wachstumszeiten war, ausreichend qualifizierte F&E-Mitarbeiter zu finden. Der Mangel an F&E-Mitarbeitern war viele Jahre lang ein wachstumshemmender Faktor. Um nicht noch einmal in eine solche Situation zu geraten, lasten die meisten Unternehmen ihre bestehenden F&E-Kapazitäten meistens folgendermaßen aus: 1.
Vorantreiben von Innovationen und damit Schaffen von Grundlagen für nachhaltiges Wachstum
2.
Programme zur technischen Optimierung der bestehenden Produkte, wie z. B. Reduktion technischer Varianten, Entfeinerung von Produkten sowie allgemeine Reduzierung von Komplexität
4 DISKUSSION DER AUSWIRKUNGEN VON KRISEN ___________________________________________ 67
Kurzfristig hatte die Finanz- und Wirtschaftskrise also keine signifikanten Auswirkungen auf die F&E-Struktur der meisten Unternehmen. Mittel- und langfristig wird es jedoch zu einer Neuordnung der F&E-Ressourcen kommen, wie sie heute bereits in einigen Industrien beobachtet werden kann. In der Mikro- und Nanoelektronikindustrie beispielsweise ist die Funktion der F&E in unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen global verteilt auf drei regionale Cluster in Nordamerika, Europa und Asien. Asien mit seinen niedrigen Faktorkosten übernimmt hier vor allem Aufgaben in der Softwareentwicklung, bei Entwicklungstests und bei einfacheren Stufen der Vorentwicklungen. Im Zuge der Krise von 2008 wird diese Optimierung des F&E-Netzwerkes auch in anderen Industrien stattfinden. Zusammenfassend haben Krisen kurzfristig negative Auswirkungen auf den Einkauf. Die Logistik profitiert von Krisen kurzfristig, bleibt langfristig jedoch von Kostenerhöhungen dominiert. Produktion und F&E werden mittel- und langfristig eine Phase der Optimierung der Netzwerke durchlaufen.
4.3 AUSWIRKUNGEN VON KRISEN AUF DIE UNTERNEHMENSSTRATEGIE Neben Auswirkungen auf Liquidität und Operations haben Krisen auch Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie:
Strategische Fragestellungen rücken in Krisen bei zahlreichen Unternehmen zugunsten von Operations und Liquidität in den Hintergrund.
Langfristiges Wachstum verschwindet in Krisen von der Agenda vieler Unternehmensleiter komplett.
Das Geschäftsportfolio wird in Krisen oft kurzfristig optimiert, statt es langfristig auszurichten.
Viele Unternehmen vernachlässigen in Krisen die Frage einer nachhaltigen und langfristig angelegten Gestaltung der Lieferantenbeziehung zugunsten einer kurzfristigen Optimierung der Materialkosten.
68 _______________________________ AUSWIRKUNGEN VON KRISEN AUF DIE UNTERNEHMENSSTRATEGIE
Auch in der Krise von 2008 rückten strategische Fragestellungen in den Hintergrund. Unternehmen waren insbesondere mit punktuellen Maßnahmen beschäftigt, ihre Operations und Liquidität zu optimieren. Dabei bestätigen Untersuchungen die Bedeutung der strategischen Ausrichtung für Unternehmen auch in Krisenzeiten. Eine aktuelle Untersuchung von A.T. Kearney von über 1.200 Insolvenzen zeigt, dass in den meisten Fällen (rund 54 Prozent der untersuchten Insolvenzen) falsche Strategie- und Investitionsentscheidungen die Hauptursache von Insolvenzen waren. Statt diese Themen offensiv anzugehen, führt eine Krise oft zu einer „strategischen Schockstarre“ vieler Unternehmen. Gerade Krisen bieten strategische Wachstumschancen, insbesondere durch Fusionen und Akquisitionen. Finanziell gesunde Unternehmen können die wirtschaftlichen Schieflagen von Wettbewerbern oder Zulieferern dazu nutzen, Aufträge, einzelne Werke und Produktlinien oder sogar ganze Unternehmen zu relativ günstigen Konditionen zu übernehmen. Die durch die Krise bedingten niedrigen Börsenbewertungen zahlreicher Wettbewerber und Lieferanten bieten hier große Chancen. Krisen bieten aber auch Möglichkeiten zum Eingehen interessanter Partnerschaften, beispielsweise mit Anbietern aus Schwellenländern, an. Im Zuge der Krise von 2008 übernahmen indische und chinesische Automobilhersteller einige prominente europäische Spieler wie Jaguar, Land Rover und Volvo. Aber auch in anderen Branchen stellen europäische Firmen attraktive Übernahmeziele dar – sie bieten nämlich Zugang zu westlichen Märkten, F&E-Expertise sowie etablierte Marken. In Boomphasen werden unprofitable Produkte oder Kunden häufig nicht transparent, da sie von profitableren Produkten oder Kunden quersubventioniert werden. Krisen führen dazu, dass viele Unternehmen ihr Produkt- und Kundenportfolio auf den Prüfstand stellen. Dazu gehört die Untersuchung von Produkten, Kunden und Geschäftsmodellen im Hinblick auf Profitabilität und Wachstumspotenzial. Dabei wird auch betrachtet, wie trotz steigender Unsicherheit und heterogener Kundenbedürfnisse langfristig die Produkt- und Prozesskomplexität im Unternehmen gesteuert und reduziert werden kann. Letztlich wird im Zuge von Krisen auch die Frage der Gestaltung der Lieferantenbeziehungen in den Vordergrund rücken. In volatilen Zeiten durchlaufen die Beziehungen zwischen einkaufenden Unternehmen und Lieferanten eine regelrechte Achterbahnfahrt. Hatte man bis Mitte 2008 noch von einem Verkäufermarkt gesprochen, in dem hohe Auslastungniveaus und hohe Rohstoffpreise Lieferanten vielfach in eine komfortable Verhandlungsposition mit hoher Angebotsmacht gebracht haben, drehte sich
4 DISKUSSION DER AUSWIRKUNGEN VON KRISEN ___________________________________________ 69
diese Situation bis Ende 2008 um 180 Grad. Dies führt zurück zur Kernfrage dieses Buches – wie kann der Einkauf dazu beitragen, ein Unternehmen möglichst erfolgreich über einen Konjunkturzyklus zu bringen?
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FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL
In diesem Kapitel wird die zuvor gestellte Kernfrage – wie kann der Einkauf dazu beitragen, ein Unternehmen möglichst erfolgreich über einen Konjunkturzyklus zu bringen – beantwortet. Dazu werden die im Kapitel 2.3 eingeführten fünf differenzierten Strategien im Detail vorgestellt: 1.
Management des Risikos mit Lieferanten
2. Kosten senken und Wert steigern mit dem Einkaufsschachbrett 3. Nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen 4.
Bereinigung des Produktportfolios
5. Insourcing zur Kapazitätsauslastung/Cash Management
5.1 STRATEGIE 1 – MANAGEMENT DES RISIKOS MIT LIEFERANTEN Da im Zuge von Krisen bis zu einem Drittel der Lieferanten einer Branche insolvenzgefährdet ist, können Kollateralschäden in anderen Branchen enorm sein. Risikomanagement ist also das Gebot der Stunde. Das Management des Risikos mit Lieferanten umfasst die systematische Analyse, Identifikation, Bewertung und vor allem das Beherrschen von Risiken, die von Lieferanten ausgehen. In Krisenzeiten ist dies vor allem das Gewährleisten von Versorgungssicherheit. Durch geeignete Methoden wie Screening des Lieferantenmarktes und Strategien zum Umgang mit insolvenzgefährdeten Unternehmen werden die Auswirkungen einer möglichen Insolvenz eines Lieferanten beherrschbarer gemacht. „Feuerwehraktionen“ sollen damit nur noch in Ausnahmefällen nötig sein.
C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
72 ___________________________________ STRATEGIE 1 – MANAGEMENT DES RISIKOS MIT LIEFERANTEN
Lieferantenlandschaft als Treiber des Risikomanagements Wesentlicher Treiber der Notwendigkeit eines Risikomanagements ist die Komplexität der Lieferantenlandschaft. Diese ergibt sich aus der Anzahl der Lieferanten, die für die Produktion notwendig sind, und der Austauschbarkeit dieser Lieferanten. Je komplexer ein Produkt und je differenzierter der Lieferantenmarkt, desto wichtiger ist es sicherzustellen, dass alle in die Produktion einfließenden Komponenten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Fällt nur ein Lieferant aus, kommt die Produktion zum Stillstand und Kundenaufträge können nicht mehr erfüllt werden. Ein Pkw wird beispielsweise aus etwa 3.000 Komponenten in insgesamt 1.500 Modulen gefertigt und dabei sind bis zu 1.000 verschiedene Lieferanten eingebunden. Fehlt nur ein Teil oder ein Modul, welches nicht kurzfristig austauschbar ist, kann das gesamte Fahrzeug nicht fertiggestellt werden. Dieses Beispiel illustriert, wie umfassend ein wirkungsvolles Risikomanagement angelegt sein muss, um Ausfälle zu vermeiden.
Der Prozess des Risikomanagements Unternehmen, die einen aktiven Risikomanagementprozess einführen oder bereits leben, gehen dabei in drei wiederkehrenden Schritten vor: 1.
Analyse und Identifikation von kritischen Lieferanten – welche Lieferanten sind gesund, welche Lieferanten könnten kritisch werden oder sind bereits von einer Insolvenz bedroht? Wie wichtig sind diese für das Unternehmen bzw. wie einfach können diese ausgetauscht werden?
2. Strategien zum Management des Risikos mit Lieferanten festlegen – mit welchen Strategien kann das Risiko beherrschbar gemacht werden? 3.
Umsetzen der Strategien zum Management des Risikos mit Lieferanten – wie erfolgt die Umsetzung der zuvor definierten Strategien?
5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL ________________________ 73
Schritt 1: Analyse und Identifikation von kritischen Lieferanten Im ersten Schritt muss aus der Analyse von unternehmens- und marktspezifischen Daten klar hervorgehen, welches Risiko ein Lieferant grundsätzlich darstellt. Die Ermittlung erfolgt über einen Risikofaktor, der eine Kombination aus finanziellen, strategischen und operativen Risiken darstellt und so zeigt, wie robust ein Lieferant ist. Des Weiteren muss beurteilt werden, wie abhängig das Unternehmen von diesem Lieferanten ist. Hier müssen zumindest Wechselkosten, Wechselzeit, Volumen, Innovationsfähigkeit des Lieferanten und die Qualität der Zusammenarbeit mit dem Lieferanten in bereichsübergreifenden Bewertungen analysiert werden. Die Stellungnahmen von F&E, Produktion, Logistik und Vertrieb sind für den Einkauf dabei unerlässlich, da nur so eine umfassende Beurteilung der Lage erarbeitet werden kann. Zusammengefasst werden der Risikofaktor und die Abhängigkeit vom Lieferanten im in Abbildung 4 dargestellten Risikomanagement-Portfolio: H h Hoch
Finanziell
Strategisch
Risikofaktor
Operativ
Gering Gering
Wechselkosten
Abbildung 4: Risikomanagement-Portfolio
Abhängigkeit von Lieferanten Wechselzeit
Volumen
Innovations- Qualität der g Zusammenfähigkeit arbeit
Hoch
Andere
74 ___________________________________ STRATEGIE 1 – MANAGEMENT DES RISIKOS MIT LIEFERANTEN
Der Risikofaktor fokussiert rein auf die Bewertung des Lieferanten und beschäftigt sich nicht mit dem Verhältnis zum nachfragenden Unternehmen. Der Risikofaktor ist damit eine absolute und keine relative Bewertung. Wichtig und entscheidend für die Aussagefähigkeit des Risikofaktors ist die Verwendung einer breiten Datenbasis für die Analyse. Die ermittelten Informationen müssen miteinander verknüpft werden und fügen sich als Mosaiksteine zu einem objektiven Bild des Lieferanten zusammen. Verwendet werden dabei alle verfügbaren Informationen, wie:
Pressemeldungen über neue Projekte oder neu gegründete Kooperationen und Berichte über strukturelle Probleme und Maßnahmen wie eingeführte Kurzarbeit
Veröffentlichungen von Finanzplanungen, wie Cashflow-Planung, geplante Return on Investments oder Umsatz- und Ergebnisplanungen
Bilanz und GuV und daraus abgeleitete Kennzahlen wie Cashflow, Eigenkapitalquote, EBIT, EVA, WACC, ROI, ROCE – diese ermöglichen Branchen- und Benchmarkvergleiche zur Entwicklung des Unternehmens
Informationen zu Risiken von Branchen oder Unternehmen von Organisationen wie Creditreform
Ergänzt werden diese Informationen noch um zukunftsorientierte Szenarien und Kostensimulationsmodelle. Es müssen „wenn-dann“-Beziehungen für die Szenarienplanung geschaffen werden. Für die Abbildung des Risikofaktors sind finanzielle, strategische und operative Indikatoren zu kombinieren, um auf diese Weise ein ganzheitliches Bild des Unternehmens inklusive Zukunftsszenarien aufzuzeigen: Finanzielle Indikatoren sollen zeigen, wie robust oder krisenanfällig ein Lieferant ist. Diese umfassen allgemeine Insolvenzanalysen und -statistiken, die Aussagen zur Insolvenzwahrscheinlichkeit in bestimmten Branchen und über spezifische Unternehmen treffen.
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Als Beispiel für die zuletzt dargestellten, qualitativen Informationen wird die Analyse eines Stahlherstellers herangezogen. Diese beinhaltete Informationen über die weltweit gekürzten Produktionsmengen oder stillgelegten Kapazitäten. In einer detaillierten Recherche konnte ein Gesamtbild über den Konzern geschaffen und die Ausfälle und Produktionskürzungen genau aufgelistet werden (z. B.: Stilllegung eines Hochofens im Werk A und damit eine Produktionskürzung von 1,2 Mio. Tonnen Rohstahlproduktion). Weiterführend wurde anhand der Kostenstruktur simuliert, was diese Stilllegungen kosten und wo die Schwelle anzusetzen ist, ab der das Unternehmen in die roten Zahlen abgleitet bzw. ab welchem Schwellenwert ein Insolvenzrisiko besteht. Dabei wurden alle Kostenpositionen abgebbildet, sprungfixe Kosten betrachtet und profunde Kenntnis hinsichtlich der Industriedynamik eingebaut. Strategische Indikatoren enthalten branchen- und unternehmensspezifische Zukunftsprognosen, in denen Punkte wie die zu erwartende Industriekonsolidierung, Veränderungen in der Abnehmerlandschaft, Technologieführerschaft eines bestimmten Unternehmens und Alternativprodukte behandelt werden. Die Marktdurchdringung des Lieferanten und die geografische Abdeckung bestimmter Regionen sowie die Innovationsstrategie sind weitere wichtige Bestandteile dieser Analyse. Operative Indikatoren setzen eine detaillierte Kenntnis des zu bewertenden Unternehmens voraus und erfordern branchenspezifische Benchmarks. Hierzu zählen Daten und Fakten aus Einkauf, Produktion und anderen relevanten Funktionsbereichen. Hierbei ist es besonders sinnvoll, mit Branchenexperten zu sprechen, Kontakte zu verschiedenen Unternehmen innerhalb einer Branche zu pflegen, um erste Indikationen über gefährdete Unternehmen abzufragen, sowie sich bei Werksbesuchen selbst ein Bild über Auslastung und Stimmung des spezifischen Unternehmens zu machen. In diese operativen Untersuchungen ist auch einzubeziehen, ob der Lieferant aktuell Preiserhöhungen durchsetzen will oder mit Kampfpreisen anbietet, ob Qualitätsprobleme gestiegen sind oder ob es signifikante personelle Veränderungen gegeben hat. Beim Sammeln von Informationen für diese gesamthafte Bewertung inklusive entsprechender Zukunftsszenarien sollen die Lieferanten selbst auch eingebunden werden. Wer kann bessere Informationen zum Status quo und den Herausforderungen und Problemen der Branche oder auch zu Mitbewerbern am Markt liefern als die Lieferan-
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ten selbst? Man kann sich hierbei bereits einen ersten Überblick verschaffen, welche Maßnahmen zum Abfedern der Risiken von den Lieferanten selbst gesetzt werden und wie die Entwicklung der Branche aus Sicht der Lieferanten beurteilt wird. Das Ausmaß der Abhängigkeit von Lieferanten ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, kann sich jedoch als größeres Problem erweisen als zunächst angenommen. Wechselkosten, Wechselzeit, das Volumen, welches beim Lieferanten platziert ist, die Innovationsfähigkeit sowie die Qualität der Zusammenarbeit sind die Faktoren, die die Abhängigkeit vom Lieferanten bestimmen. Wechselkosten und Wechselzeit spielen insbesondere in produzierenden Unternehmen eine wichtige Rolle. Werkzeuge, die im Eigentum des Lieferanten sind und bei denen der Lieferant über spezifisches Know-how verfügt, lassen sich meist nur äußerst kostenintensiv nachbauen und stellen nicht selten ein Hindernis für einen schnellen Wechsel dar. Der Wechsel großer Volumina zu alternativen Lieferanten birgt ein erhebliches Risiko für das abnehmende Unternehmen, insbesondere wenn noch keine langjährige Erfahrung mit dem Alternativlieferanten besteht. Kleine, unkritische Einkaufsvolumina können dahingegen meist einfacher, schneller und risikoloser gewechselt werden. Des Weiteren ist natürlich zu beachten, dass qualifizierte Alternativlieferanten häufig keine Kapazitäten für große Volumina frei haben. Häufig bestehen langjährige Entwicklungszusammenarbeiten mit einzelnen Lieferanten, sodass das technische Know-how dieser Lieferanten als unentbehrlich für das abnehmende Unternehmen eingestuft wird. Patente erschweren es neuen Lieferanten zusätzlich, eine identische Produktqualität und -technologie zu liefern, oder erfordern besonders hohen Aufwand bei der Entwicklung alternativer Lösungen. Einen Lieferanten, der regelmäßig Innovationen hervorbringt, wird man wohl weniger schnell wechseln als ein Unternehmen mit mangelnder Innovationsfähigkeit. Auch eine qualitativ hochwertige Zusammenarbeit mit dem Lieferanten führt zu einer höheren Abhängigkeit. Zum einen, weil die Wechselbereitschaft in der eigenen Organisation nicht gegeben ist, zum anderen, weil viele Prozesse und Details eingespielt sind. So wissen bestehende Lieferanten oft auch ohne schriftliche Dokumentation genau, was sie wie tun müssen, neue Lieferanten müssen hingegen erst in mühevoller
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Kleinarbeit über viele Details aufgeklärt werden. In vielen Unternehmen sind durch die hohe Qualität der Zusammenarbeit und eine gewisse Nachlässigkeit viele Prozesse oder Spezifikationen mit den Lieferanten nicht sauber dokumentiert und erschweren deshalb den Wechsel. Andere Faktoren, die bei der Bewertung der Abhängigkeit beurteilt werden müssen, sind beispielsweise das Preisniveau oder auch regionale Ausprägungen. Ein gutes Preisniveau kann von einem Lieferanten, der beispielsweise mit bereits abgeschriebenen Maschinen produziert, also genauso abhängig machen. Der Wechsel zu einem Alternativlieferanten würde in diesem Fall zu einem höheren Preis führen und kann damit die Gesamtkalkulation des Produktes beim abnehmenden Unternehmen negativ beeinflussen. Zusätzlich können bei Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, Abhängigkeiten von lokalen Lieferanten entstehen, die von der Eigentümerseite explizit oder implizit diktiert werden. Zur Beurteilung der Abhängigkeit von Lieferanten sind im abnehmenden Unternehmen alle betroffenen Funktionen bestmöglich einzubeziehen. Nur durch gemeinsame, interdisziplinäre Bewertungen mit F&E, Produktion, Logistik und Vertrieb kann der Einkauf ein umfassendes Bild der Abhängigkeit erarbeiten. Hier müssen oft auch konträre Ansichten miteinander in Einklang gebracht werden. Beispielsweise haben Vertrieb und F&E oft gänzlich unterschiedliche Vorstellungen über die Abhängigkeit von einem Lieferanten als der Einkauf. Wenn es andere Konzernteile gibt, die auf dieselben Lieferanten zugreifen, so ist die übergreifende Bewertung auf diese Konzernteile auszudehnen. Bei einem globalen Spezialisten für Gefahrguttransporte zeigte sich dieser Sachverhalt sehr deutlich. Vor dem Hintergrund der Krise von 2008 sollte interdisziplinär diskutiert werden, welche Wartungs- und Reparaturwerkstätten als entbehrlich eingestuft werden können. Sowohl dem Vertrieb als auch dem Einkauf war klar, dass nicht das gesamte Werkstättennetz erhalten bleiben könnte – eine Konzentration auf wenige strategische Partner schien unabdingbar. Während der Abstimmungsgespräche zeigten sich dann jedoch deutlich unterschiedliche Ansichten. Während sich der Einkauf für kostengünstige Werkstätten aussprach, die teilweise in Osteuropa lagen und dadurch
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zusätzliche Transportzeiten verursacht hätten, argumentierte der Vertrieb vehement für die „Hochleistungswerkstätten“ mit wesentlich höheren Preisen und bestmöglichem Service vor Ort. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass die letztgenannten Werkstätten über die vergangenen Jahrzehnte hinweg einen sehr engen, informellen Kontakt zum Vertrieb aufgebaut hatten, der zunächst überwunden werden musste.
Schritt 2: Strategien zum Management des Risikos mit Lieferanten festlegen Risikomanagement umfasst vier Basisstrategien, die je nach Bewertung des Risikofaktors und der Abhängigkeit vom Lieferanten zur Anwendung kommen:
Beobachten: Der Lieferant wird beibehalten und einer kontinuierlichen Überprüfung und regelmäßigen Neubewertung unterzogen. Damit soll ein Früherkennungssystem für Problemfälle (Insolvenzen etc.) gespeist werden.
Wechseln: Sofern der aktuelle Lieferant gefährdet ist und eine Wechselmöglichkeit besteht, die durch eine robuste Lieferantenbasis gestützt ist, sollte diese wahrgenommen werden. Wenn ausreichend Zeit vorhanden ist, können auch neue Lieferanten identifiziert und für einen Wechsel in Betracht gezogen werden.
Mit Partner zusammenführen: Konsolidierungsprozesse am Lieferantenmarkt werden bewusst über einen Lieferanten initiiert, der dem Kunden sehr nahe steht. Dies ist vor allem dann möglich, wenn das initiierende Unternehmen über eine sehr hohe Nachfragemacht verfügt und mittels Druck die Übernahme oder Zusammenführung beschleunigen kann. Diese Lösung ist besonders elegant, da sie tendenziell zu einem besseren Preisniveau bei geringerem Risiko und niedrigerer Abwicklungskomplexität führt.
Unterstützen: Besteht keine Möglichkeit zum Wechsel oder ist der Lieferant wichtig für die technische Entwicklung, so empfiehlt sich eine weitere Unterstützung. Hierbei sind die unterschiedliche Ausprägung (je nach Betroffenheit) und der zeitliche Horizont festzulegen. Unterstützung des Lieferanten reicht von Unterstützung durch das abnehmende Unternehmen bis hin zu der Möglichkeit, dass staatliche Maßnahmenpakete für bestimmte Branchen beschlossen werden – und vorab durch Lobbying herbeigeführt werden. Möglichkeiten zur Unterstützung von Lieferanten sind:
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Das Unternehmen unterstützt den Lieferanten finanziell. Die Bandbreite reicht dabei von einer Einmalzahlung, der Verkürzung des Zahlungsziels oder einem Darlehen, um eine Insolvenz abzuwenden, über eine Anhebung der Preise für einen bestimmten Zeitraum bis hin zur Übernahme von Anteilen am Lieferanten.
Der Kunde kann den Lieferanten auch strukturell unterstützen, indem er dem Lieferanten Know-how-Träger zur Seite stellt. Ist das Beschaffungsvolumen in ausgewählten, sich überschneidenden Beschaffungsgruppen des Kunden größer als das des Lieferanten, können dem Lieferanten die wohl besseren Preise des Kunden zugänglich gemacht werden. In diesem Fall ist aber zu bedenken, dass der Lieferant auch nach einer Krise diesen Vorteil nutzen könnte, ohne dafür eine Gegenleistung zu liefern, was vorab vertraglich zu regeln ist.
Mehrere Unternehmen unterstützen einen Kernlieferanten: Wenn ein Lieferant nicht nur für ein Unternehmen, sondern für eine ganze Branche von großer Bedeutung ist, kann es zu einer Branchenlösung kommen. Das bedeutet, dass sich im Fall einer drohenden Insolvenz die abnehmenden Unternehmen koordinieren und den Lieferanten stützen. Dabei wird meist nach einem Schlüssel vorgegangen, der sich an den jeweiligen Umsätzen mit diesem Lieferanten orientiert. Ein Austausch sensibler Informationen unter den Wettbewerbern (beispielsweise Preise) darf hier nur unter strenger Beachtung des Kartellrechts erfolgen.
Private Fonds (z. B. Banken, Private Equity) übernehmen Lieferanten einer bestimmten Branche. Das Unternehmen, welches das Risikomanagement aktiv in die Hand nimmt, ist dabei primär im Hintergrund gestaltend tätig. Der Fonds kann mit wichtigen Marktdaten, branchenspezifischen Informationen und Hinweisen auf operative und strategische Verbesserungspotenziale versorgt werden.
Es werden Kooperationen zwischen Industrie und öffentlicher Hand initiiert und entsprechend vorangetrieben. In einer koordinierten Aktion zwischen Industrie und öffentlicher Hand kann beispielsweise ein Unternehmen Anteile an einem Lieferanten gemeinsam mit Bundesländern oder Staaten übernehmen.
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Staatliche Maßnahmenpakete werden als Folge von Lobbying der Industrie aufgelegt. Im Falle von staatlichen Unterstützungsprogrammen besteht nur ein geringer Einfluss des Kunden auf den Lieferanten, selbst wenn diese durch ein bestimmtes Unternehmen vorangetrieben wurden. Vom Unterstützungsprogramm profitiert dann letztlich die gesamte Branche.
Staatliche Maßnahmen kamen im Zuge der Krise von 2008 vor allem der Automobilindustrie zugute. Sie reichten von Teilverstaatlichungen – wie im Fall von General Motors und Chrysler in den USA – bis zu den Verschrottungsprämien in Europa. In Deutschland wurde ein Förderrahmen von 1,5 Mrd. Euro und damit eine Prämie von je 2.500 Euro bezogen auf 600.000 Fahrzeuge festgelegt. Neben gewissen ökologischen Effekten brachte die Verschrottungsprämie vor allem für die Zulieferindustrie eine signifikante Entlastung und führte zu einer – zumindest vorübergehenden – Steigerung der Auslastung und einer Verminderung des Insolvenzrisikos.
Schritt 3: Umsetzen der Strategien zum Management des Risikos mit Lieferanten Die Umsetzung der Risikomanagement-Strategien erfolgt im Rahmen eines detaillierten Projektmanagements mit Meilensteinplanung. Hierzu muss genau festgelegt werden, wer wann für welche Aktivitäten verantwortlich ist. Wichtig ist, das TopManagement eng einzubinden, da viele aus dem Risikomanagement resultierenden Entscheidungen letztlich durch den Vorstand erfolgen müssen. Ein Automobilhersteller wendet Risikomanagement bereits weitgehend analog zu den oben beschriebenen Prozessen und Aktivitäten an. Ausgangspunkt für das Einführen des Risikomanagements im Konzern waren die gleichzeitigen Insolvenzen zweier wichtiger Lieferanten, wobei ein Lieferant ein großer Zulieferer war und der zweite Lieferant in einer Nische tätig war. Für das sehr breite Produktspektrum des großen Lieferanten wurden erhebliche Volumina teilweise problemlos auf Wettbewerber verlagert. Dieser große Lieferant lieferte aber auch Produktgruppen, für die es nur schwer möglich war, eine Alternative zu finden. Erst Gespräche auf Vorstandsebene mit anderen Zulieferern bewegten die Zulieferer dazu, diese kritischen Geschäftsbereiche mit einer entsprechenden finanziellen Unterstützung seitens des Automobilherstellers zu übernehmen und so die Produktion sicherzustellen. Der kleine Lieferant wurde über die Dauer von über einem Jahr finanziell gestützt. Die Stützung war dann im folgenden Jahr in Form von verminderten Produktpreisen wieder zurückzuzahlen. Die Kraftanstrengung, die
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der Automobilhersteller zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit unternehmen musste, war enorm. Die betroffenen Bereiche fokussierten über Wochen nahezu ihre gesamte Zeit und Energie nur auf diese beiden Lieferanten. Angesichts dieser Erfahrung wurde entschieden, einen rollierenden Prozess einzuführen, der die Robustheit der Lieferanten und damit ihren Risikofaktor sowie die Abhängigkeit des Unternehmens regelmäßig prüft. Eine Checkliste und ein Ablaufplan wurden sowohl für die Durchführung der Bewertung als auch für die Anwendung der verschiedenen Risikomanagement-Strategien entworfen.
5.2 STRATEGIE 2 – KOSTEN SENKEN UND WERT STEIGERN MIT DEM EINKAUFSSCHACHBRETT® Die meisten Unternehmen haben sich in der Vergangenheit im Einkauf vor allem auf relativ einfache Instrumente fokussiert, wie z. B. Ausschreibungen, Volumenbündelung und Mehrjahresverträge. Diese Instrumente gehören auch heute noch zum unverzichtbaren Standardrepertoire vieler Einkäufer, unabhängig davon, ob sie tatsächlich in jeder Situation oder in jedem Lieferantenmarkt geeignet sind. Die genannten Instrumente hatten bereits vor der Krise von 2008 ihre Grenzen erreicht, da sie bei steigenden Rohstoffpreisen und durch fortschreitende Konsolidierung mächtig gewordenen Lieferanten wirkungslos geworden waren. Um auch in einem Verkäufermarkt ein geeignetes Instrumentarium für den Einkauf bereitzustellen, wurde von A.T. Kearney mit dem Einkaufsschachbrett ein strategischer Rahmen geschaffen, der eine logische und systematische Auswahl von Methoden für jedes denkbare Verhältnis von Nachfragemacht und Angebotsmacht bereithält. Angebot und Nachfrage bestimmten schon die Machtverhältnisse auf den Basaren des alten Babylons. Das Römische Reich, die Blütezeit Venedigs, das British Empire, der Aufstieg der USA zur Weltmacht, der europäische Einigungsprozess über Montanunion, EWG und EG zur EU – sie alle waren von Angebot und Nachfrage gesteuert. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Gesetze von Angebot und Nachfrage heute weniger richtig sind als in den vergangenen Jahrtausenden, oder dafür, dass sich dies in absehbarer Zukunft – über die Konjunkturzyklen hinweg – ändern sollte.
82 _____________ STRATEGIE 2 – KOSTEN SENKEN UND WERT STEIGERN MIT DEM EINKAUFSSCHACHBRETT®
Angebotsmacht und Nachfragemacht als grundsätzliche Ordnungskriterien im Einkauf haben den Vorteil, dass dieses Konzept sofort von allen anderen Funktionen und quer über alle Hierarchiestufen des Unternehmens verstanden wird. Gerade die Geschäftsführung und der Vorstand denken in hohem Maße in diesen Kategorien, was dem Einkauf die Verzahnung eigener Ideen mit der Unternehmensstrategie ungemein erleichtert. Wie kann man nun Angebotsmacht und Nachfragemacht zu einer im Einkauf operativ nutzbaren Methodik entwickeln? Die Antwort liegt in einem Portfolio, das das Spielfeld des Einkaufs von niedriger bis hoher Nachfragemacht und von niedriger bis hoher Angebotsmacht aufspannt:
5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL ________________________ 83
Hoch
Hohe Angebotsmacht
Hohe Angebots- und Nachfragemacht
Niedrige Angebotsund Nachfragemacht
Hohe g Nachfragemacht
Angebotsmacht
Niedrig Niedrig
Abbildung 5: Das Spielfeld des Einkaufs
Nachfragemacht
Hoch
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Vier Einkaufsstrategien In diesem Spielfeld lassen sich in einem ersten Ansatz vier grundsätzlich unterschiedliche Situationen eintragen, die sich am besten anhand von Beispielen illustrieren lassen:
Hohe Nachfragemacht: Ein großer Automobilhersteller – wie Volkswagen – kauft Schmiedeteile. Weltweit gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende Hersteller von Schmiedeteilen. Davon sind sicherlich Dutzende qualifiziert, die Anforderungen von Volkswagen hinsichtlich Qualität und Stückzahlen zu erfüllen. Volkswagen ist hier gegenüber den Lieferanten von Schmiedeteilen ein übermächtiger Nachfrager, der den Wettbewerb unter den Lieferanten zum eigenen Vorteil nutzen kann.
Hohe Angebots- und Nachfragemacht: Wenn derselbe große Automobilhersteller wie im vorigen Beispiel Motor-Managementsysteme von Bosch kauft, stellt sich die Situation gänzlich anders dar. Bosch genießt in vielen Segmenten eine faktische Alleinstellung. Trotzdem ist Bosch auf die großen Automobilhersteller ebenso angewiesen wie umgekehrt. Im Interesse beider Parteien ist hier sicherlich das Erlangen langfristiger gemeinsamer Vorteile.
Hohe Angebotsmacht: Auch ein großer Automobilhersteller stößt mit seiner Nachfragemacht an Grenzen. Insbesondere ist das dann der Fall, wenn der Automobilhersteller auf oligopolistische Marktverhältnisse stößt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Einkauf von Platin. Volkswagen bezieht zwar sehr viel Platin für Katalysatoren, ist aber weitestgehend an die Preisfindungsmechanismen der Rohstoffbörsen gebunden. Unternehmen, die sich hoher Angebotsmacht gegenübersehen, werden fortwährend danach trachten, die Natur der Nachfrage gänzlich zu verändern, um sich damit aus der Umklammerung der Lieferanten zu befreien.
Niedrige Angebots- und Nachfragemacht: Ein weiteres Beispiel für niedrige Nachfragemacht eines großen Automobilherstellers sind Flugreisen. Hier ist die Situation im Gegensatz zum vorherigen Beispiel aber insofern ausgeglichener, als die Liberalisierung in diesem Markt wirklich funktioniert hat und die Angebotsmacht der Lieferanten ebenfalls niedrig ist. Neben der Verhandlung von Rabatten ist eine ganz wichtige Frage, ob die entsprechende Flugreise überhaupt erforderlich ist oder ganz eingespart werden könnte. Das Unternehmen wird also vorwiegend die Nachfrage selbst steuern.
5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL ________________________ 85
Das von Nachfragemacht und Angebotsmacht aufgespannte Portfolio lässt sich in beliebig viele Felder einteilen. A.T. Kearney hat drei Gliederungsstufen eingeführt:
Abbildung 6: Rahmen für die Auswahl von Einkaufsstrategien
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Vier Felder – Basisstrategien, die vor allem die Diskussion des Einkaufs mit dem Top-Management des Unternehmens unterstützen sollen 16 Felder – Hebel, die insbesondere für die interdisziplinäre Diskussion – also zum Beispiel mit der Produktentwicklung – geeignet sind
64 Felder – Ansätze, die das eigentliche Einkaufsschachbrett bilden und ein operatives Werkzeug des Einkaufs darstellen
An dieser Stelle liegt der Fokus auf einer Einführung der vier Basisstrategien. Als weiterführende Lektüre wird das Buch „Das Einkaufsschachbrett – mit 64 Ansätzen Materialkosten senken und Wert schaffen“ –, erschienen im Gabler Verlag und mittlerweile auch in englischen und chinesischen Übersetzungen vorliegend sowie der Besuch der Website www.einkaufsschachbrett.de empfohlen.
Wettbewerb unter den Lieferanten nutzen Die bekannteste und wahrscheinlich meist genutzte Basisstrategie des Einkaufsschachbretts „Wettbewerb unter den Lieferanten nutzen“ eignet sich insbesondere im Falle hoher Nachfrage- und niedriger Angebotsmacht, wie sie beispielsweise bei einfachen Schmiedeteilen oder einfachen geschweißten Stahlbaugruppen in vielen Branchen zu finden ist. Sie zielt darauf ab, den Wettbewerb unter den Lieferanten zum eigenen Vorteil zu nutzen. Variationen dieser Basisstrategie sind, den Wettbewerb durch geeignete Maßnahmen im Lieferantenmarkt weiter anzufachen oder mittels analytischer Werkzeuge die Preisbildung der Lieferanten zu beeinflussen. Wesentliche Hebel dieser Strategie sind die Nutzung von Ausschreibungen, die Nutzung globaler Lieferantenmärkte, die Prüfung der Preisstrategien der Lieferanten sowie die Durchsetzung von Zielpreisen. Letztere bietet insbesondere in der aktuellen wirtschaftlichen Situation Möglichkeiten zur kurzfristigen Materialkostenoptimierung.
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Gemeinsam mit dem Lieferanten nach einem Vorteil suchen Wenn zwei gleichberechtigte Marktteilnehmer aufeinandertreffen, also die Angebotsund Nachfragemacht jeweils sehr hoch sind, ist die erste beschriebene Basisstrategie „Wettbewerb am Lieferantenmarkt nutzen“ nicht ausreichend und auch nicht zielführend, um nachhaltige Kosten- oder Wertvorteile zu erzielen. In der Automobilindustrie beispielsweise findet sich beim Einkauf zahlreicher Baugruppen diese Marktkonstellation wieder (z. B. Motorsteuerungen bei Automobilherstellern). Die Einkaufsstrategie muss hier daher das Streben nach einem gemeinsamen Vorteil sein. Die Spielarten dieser Basisstrategie unterscheiden sich nach Umfang und Intensität der Partnerschaft. Der Umfang kann von abgestimmter Bedarfs- und Kapazitätsplanung bis zu einer vollständigen Verzahnung der Wertkette reichen. Die Intensität kann von einer projektbedingten Teilung der Kosten bis hin zu einer Teilung von wirtschaftlichem Erfolg und Risiko reichen. Die Krise von 2008 bietet eine gute Ausgangssituation für partnerschaftliche Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitieren, da viele Unternehmen gezwungen sind, wirklich alle Möglichkeiten der Kosten- und Wertoptimierung zu nutzen, auch wenn das vielleicht den Abschied von völliger Autonomie in manchen Bereichen bedeutet. Wesentliche Hebel dieser Basisstrategie sind neben einer Wert- oder Kostenpartnerschaft, eine Transparenz schaffende, integrierte Planung sowie die Steuerung entlang der Wertkette.
Natur der Nachfrage verändern Wenn eine niedrige Nachfragemacht auf eine hohe Angebotsmacht trifft, kann die richtige Basisstrategie nur die „Natur der Nachfrage verändern“ sein. Hohe Angebotsmacht liegt vor, wenn es Lieferanten aufgrund ihrer technischen Alleinstellung, eines exklusiven Marktzugangs oder eines gegebenen Marktpreises gelingt, eine monopolistische oder quasi-monopolistische Position aufzubauen. Eine solche Marktkonstellation ist in vielen Fällen kein Naturgesetz, sondern bewusst oder unbewusst vom kaufenden Unternehmen herbeigeführt worden. Sie ist oft das Ergebnis langfristiger Entwicklungspartnerschaften, bei denen Lieferanten insbesondere für die F&E-Abteilung des einkaufenden Unternehmens unentbehrlich werden. Gründe hierfür können neben hohen Wechselkosten auch (scheinbar) einzigartige Technologien sein.
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Die Veränderung der Natur der Nachfrage erfordert ein Ausloten dieser Abhängigkeiten, also einer Beantwortung der Frage, inwiefern die technischen Spezifikationen so verändert werden können, dass das Unternehmen wieder an Handlungsspielraum gewinnt. Die Erfahrung zeigt, dass fast alle Monopole umgehbar sind. Insbesondere in Zeiten geringer Auslastung und wirtschaftlichen Abschwungs können – zur Auslastung technischer Kapazitäten – solche historisch gewachsenen Abhängigkeiten in Angriff genommen werden, da nun Kapazitäten und Entwicklungsressourcen vorhanden sind. Die Hebel zum Ändern der Natur der Nachfrage sind die technische Re-Spezifizierung von Komponenten, der Vergleich mit technischen Alternativen, die Entwicklung neuer technischer Optionen und das Risikomanagement.
Nachfrage steuern Die vierte Basisstrategie zielt darauf ab, die Nachfrage professionell zu steuern. Sie eignet sich insbesondere im Falle niedriger Angebots- und Nachfragemacht, wie sie beispielsweise bei zahlreichen indirekten Beschaffungsgruppen (z. B. Bürobedarf, MRO) vorkommt. Die Steuerung der Nachfrage erfordert zunächst ein detailliertes Verständnis dafür, wer was von welchem Lieferanten kauft. Auf dieser Basis ist zu überlegen, ob man innerhalb des Unternehmens oder über die Unternehmensgrenzen hinweg durch Bündelung die niedrige Nachfragemacht kompensieren kann. Unterstützt werden diese Überlegungen durch ein konsequentes Infragestellen der Notwendigkeit des entsprechenden Bedarfes, Schaffung von Transparenz hinsichtlich des Ausgabeverhaltens und die Festlegung und Überwachung von Richtlinien. Die Hebel dieser Basisstrategie sind Volumenbündelung oder Bündelung über Einkaufspartnerschaften, Schaffung von Datentransparenz durch Nutzung kaufmännischer Daten und Nachfragemanagement. Die praktische Anwendung des Einkaufsschachbretts kann dabei unterschiedlichste Ausprägungen annehmen, im Folgenden werden illustrativ drei Beispiele vertieft:
Positionierung von Beschaffungsgruppen im Einkaufsschachbrett und Ableitung besonders mächtiger Ansätze zur Kostensenkung und Wertsteigerung
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Ideengeber zur Entwicklung einer grundlegenden Beschaffungsgruppenstrategie durch Anwendung aller 64 Felder
Ableitung einer Beschaffungsstrategie für große Anlageninvestitionen
Positionierung von Beschaffungsgruppen im Einkaufsschachbrett und Ableitung besonders mächtiger Ansätze zur Kostensenkung und Wertsteigerung Bei der Positionierung von Beschaffungsgruppen im Einkaufsschachbrett werden die Beschaffungsgruppen hinsichtlich der beiden Dimensionen Nachfrage- und Angebotsmacht bewertet. Bei der Einordnung in der Dimension Nachfragemacht sind folgende Überlegungen anzustellen: Welchen Anteil am relevanten Absatzmarkt (einer Region) hat das Unternehmen? Welche Wachstumsperspektiven bietet das Unternehmen für Lieferanten? Welche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Kompetenzen bietet das Unternehmen für Lieferanten? Welchen Imagegewinn können Lieferanten daraus ziehen, für das Unternehmen zu arbeiten? Eine hohe Nachfragemacht besteht, wenn Lieferanten am kaufenden Unternehmen nicht vorbei können, das Unternehmen der größte Bezieher von bestimmten Produkten ist, dazu noch stark wächst, ständig gemeinsam mit Lieferanten an Innovationen arbeitet und eine hohe Reputation genießt. Bei der Einordnung in der Dimension Angebotsmacht sind folgende Überlegungen anzustellen: Wie viele fähige Lieferanten gibt es? Wie verteilen sich die Marktanteile auf diese Lieferanten?
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Wie ist die Dynamik von Fusionen und Akquisitionen im Lieferantenmarkt? Wie leicht können neue Anbieter in den Markt einsteigen? Wie leicht können Lieferanten gewechselt werden? Wie verfügbar sind Substitutionsprodukte? Wie leicht kann auf Substitutionsprodukte umgestellt werden? Wie ist die Verfügbarkeit der Produkte und zeichnen sich Lieferengpässe ab? Eine hohe Angebotsmacht besteht, wenn Lieferanten als Monopolisten am Markt agieren, ihre Produkte patentrechtlich geschützt sind, die Hürden für Neueinsteiger oder Substitutionsprodukte sehr hoch sind und die Nachfrage das Angebot übersteigt. Wichtig ist, dass nach erfolgter Einordnung der Beschaffungsgruppen in das Einkaufsschachbrett ein Plausibilitätscheck durchgeführt wird. Dazu ist insbesondere der Quervergleich der Positionen der Beschaffungsgruppen untereinander nützlich. Auf Grundlage dieser Einordnung der Beschaffungsgruppen werden passende Ansätze ermittelt, die im Umfeld der Einordnung liegen. Es ist allerdings zu beachten, dass die Einordnung nicht mathematisch genau zu einem Ansatz führt, sondern eine Gruppe nebeneinander liegender Ansätze infrage kommt. Zur effektiven Nutzung sollte dann eine Diskussion erfolgen, wie die jeweiligen Ansätze auf die Beschaffungsgruppe angewendet werden können. Die Zuordnung der Beschaffungsgruppen zu den einzelnen Ansätzen bildet nur eine Momentaufnahme ab. Das bedeutet, dass die Positionierung der Beschaffungsgruppen nach Angebots- und Nachfragemacht – und somit der zugeordnete Ansatz – nur für einen bestimmten Zeitraum gültig ist, in dem sich der Markt nicht signifikant verändert. Tatsächlich kann sich die Positionierung der einzelnen Beschaffungsgruppen aber über die Zeit sehr dynamisch verändern. Daher ist eine ständige Neubewertung der Positionierung erforderlich, um sicherzustellen, dass die richtigen Ansätze angewendet werden.
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Gerade jetzt in volatilen Zeiten, in denen ein Boom fast über Nacht von einer Krise abgelöst werden kann, ändert sich das Verhältnis zwischen Angebots- und Nachfragemacht kurzfristig oft signifikant. Ein kontinuierliches Hinterfragen der Ansätze der letzten Jahre ist aus diesem Grund unbedingt erforderlich.
Ideengeber zur Entwicklung einer grundlegenden Beschaffungsgruppenstrategie durch Anwendung aller 64 Felder Das Einkaufsschachbrett wird auch als logischer Rahmen für die Ideenfindung einer langfristigen Beschaffungsstrategie verwendet. Die Arbeit mit dem Einkaufsschachbrett kann hier auch weitreichende Folgen auf das Produktportfolio und somit auf die Gesamtstrategie haben. Als die Preise für Rohmaterialien, wie Erz, Stahl, Aluminium u. v. a. m., vor allem Anfang und Mitte des Jahres 2008 die Höhepunkte erreichten, haben sich einige Unternehmen die Frage gestellt, wie die zukünftige Beschaffungsstrategie aussehen kann, um (1) die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und (2) diese Rohmaterialien zu angemessenen Preisen beziehen zu können. Bedenkt man, dass die Entscheidung für beispielsweise ein bestimmtes Fahrzeugmodell inklusive der „Bill of Materials“ – also woraus das Fahrzeug in den Details besteht – für sechs bis acht Jahre bindend ist, wird klar, dass die Beschaffungsstrategie für z. B. Stahl oder Aluminium signifikant für den Geschäftserfolg ist. Um das Einkaufsschachbrett als Ideengeber zu nutzen, wird in einem Workshop mit einem funktionsübergreifenden Team jedes Feld des Einkaufsschachbretts diskutiert und die Ideen, welche Bedeutung das Feld für die Beschaffungsstrategie haben könnte, notiert. Es entsteht ein zumeist beeindruckendes Konvolut an Ideen, in dem die Sichtweisen zu den einzelnen Feldern von Einkauf, Entwicklung, Technik und Sales aufgezeichnet werden. Im Anschluss daran wird eine Bewertung vorgenommen, unter welchen Marktvoraussetzungen welche Schachbrettfelder einsetzbar sind. Damit werden auch die Eintrittswahrscheinlichkeit der Marktvoraussetzungen und die strategischen Auswirkungen der Anwendung des Schachbrettfeldes dokumentiert. Nachdem diese Arbeiten sorgfältig durchgeführt wurden, werden die Maßnahmen priorisiert und eine Gesamtbeschaffungsstrategie abgeleitet.
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Ableitung einer Beschaffungsstrategie für große Anlageninvestitionen Im Boom der Jahre 2003 bis 2008 kamen viele Anlageinvestitionen bei Fertigstellung sehr viel teurer als ursprünglich geplant und brachten die investierenden Unternehmen teilweise in bedenkliche wirtschaftliche Schieflage. Weiterhin verfehlen viele laufende Projekte Termin- und Budgetziele. Das Einkaufsschachbrett kann auch genutzt werden, um eine Anlageninvestition zum Erfolg zu führen. Neben den Marktunsicherheiten, einer hohen Sensitivität des Investitionsvolumens und langer Amortisationszeiträume liegt ein typischer Aspekt von Anlageinvestitionen in einer relativ hohen Angebotsmacht der infrage kommenden Unternehmen bei vergleichsweise geringer Nachfragemacht der investierenden Unternehmen. Die Praxis zeigt, dass für die Beschaffung ganzer Anlagen oder Hauptkomponenten meist lediglich zwei bis maximal fünf geeignete Anbieter zur Auswahl stehen. Erschwerend kommt hinzu, dass Anlageninvestitionen in einer Branche oft zyklischen Schwankungen unterworfen sind. Beispielsweise akkumulierten Energieversorger in der ersten Dekade nach der Liberalisierung der Märkte einen beachtlichen Investitionsrückstau. Nun beginnen alle Energieversorger fast gleichzeitig, riesige Investitionsprogramme aufzulegen. Naturgemäß sind die infrage kommenden Anlagenlieferanten nicht in der Lage, alle diese Projekte gleichzeitig mit derselben Aufmerksamkeit zu realisieren. Der Aufbau einer Konkurrenzsituation bei der Neu- oder Wiederbeschaffung großer Anlagen ist hierdurch massiv erschwert, wodurch erfolgreiche Preisverhandlungen extrem erschwert werden. Dennoch kann durch Zerlegung der Anlagen in einzelne Haupt- und Basiskomponenten die Nachfragemacht des investierenden Unternehmens deutlich erhöht werden. Die Haupt- und Basiskomponenten können dann getrennt an Anbieter vergeben und später wieder selbst oder durch einen Generalunternehmer zusammengeführt werden. Die Aufteilung in mehrere Komponenten erweitert die Anbieterlandschaft, bietet dadurch Raum für Verhandlungen und ermöglicht Einsparungen gegenüber dem Kauf einer kompletten Anlage. Das Einkaufsschachbrett kann sehr gut dafür genutzt werden, die verschiedene Positionierung von Haupt- und Basiskomponenten zu illustrieren und die Folgen und Vorteile einer Aufteilung in mehrere Komponenten zu verdeutlichen.
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Insgesamt ist dabei die Balance zwischen zwei Extremen zu finden – auf der einen Seite die Komplettvergabe an einen Anbieter, verbunden mit niedriger Komplexität bei der Durchführung der Investition und Inbetriebnahme der Anlage, auf der anderen Seite die Vergabe in einzelnen Paketen mit unterschiedlichen Anbietern, d. h. hohem Wettbewerb, aber gleichzeitig hoher Komplexität beim Management der Schnittstellen. Bei einer zu hohen Anzahl von Paketen überschreitet die Schnittstellenkomplexität die Grenze der Beherrschbarkeit. In Folge treten Schwierigkeiten bei der Abwicklung des Projekts und bei der Inbetriebnahme auf. Entscheidend für die Beherrschbarkeit von Schnittstellen ist das Ausmaß an technologischer Kompetenz, die im Unternehmen vorhanden ist, sowie die praktischen Erfahrungen mit der Steuerung von Investitionsprojekten. Auf jeden Fall kann das Einkaufsschachbrett in seiner vollen Breite nur dann erfolgreich in Unternehmen eingesetzt werden, wenn funktionsübergreifende Zusammenarbeit sichergestellt ist. Viele der 64 Ansätze erfordern umfangreiche Kooperation mit anderen Unternehmensbereichen. So verlangen beispielsweise diverse der Ansätze rund um „Natur der Nachfrage verändern“ die Kooperation mit F&E. Die Einhaltung von Ausgaberichtlinien kann nur in enger Zusammenarbeit mit dem Controlling erfolgen. Ein Ansatz wie Supplier-Fitness-Programm kann nur mit voller Unterstützung des eigenen Produktionsbereiches erfolgen. Gemeinsam mit Lieferanten nach einem Vorteil suchen berührt in vielen Fällen strategische Fragestellungen, die der vollen Aufmerksamkeit der Unternehmensleitung bedürfen.
Beispiel: Einkauf von Schmiedeteilen durch einen Tier-1 Automobilzulieferer im Verlauf der letzten Jahre Der Einkauf von Schmiedeteilen durch einen Tier-1 Automobilzulieferer ist ein plastisches Beispiel dafür, wie sich die Positionierung einer Beschaffungsgruppe im Verlauf der Zeit massiv verändert. Der Automobilzulieferer kauft Schmiedeteile in diversen Geometrien und Spezifikationen ein. Die Rohmaterialkosten dieser Schmiedeteile machen je nach Teil zwischen 50 und 70 Prozent der Gesamtkosten aus. Die Kosten für Schmiedeteile sind somit in starkem Maße von den Entwicklungen am Stahlmarkt abhängig.
94 _____________ STRATEGIE 2 – KOSTEN SENKEN UND WERT STEIGERN MIT DEM EINKAUFSSCHACHBRETT®
Sieht man sich den Verlauf der Stahlpreise und der Liefersituation im vergangenen Jahrzehnt an, stellt sich die Situation sehr volatil dar. Während zwischen 2003 und 2005 die Stahlpreise deutlich sanken, gab es bis etwa Anfang 2008 einen massiven Aufschwung und eine bis dahin nie dagewesene Steigerung der Stahlpreise. Dieser Anstieg wurde über alle Elemente der Wertschöpfungskette durchgereicht. Insbesondere Hersteller von Schmiedeteilen konnten aufgrund der hohen Wachstumsraten und der daraus resultierenden hohen Werksauslastungen die Stahlpreiserhöhungen mit kräftigen Aufschlägen an ihre Kunden weiterreichen. Der Automobilzulieferer wurde dementsprechend von Schmiedeteillieferanten regelmäßig mit Preisforderungen im zweistelligen Prozentbereich konfrontiert. In dieser Situation war die Angebotsmacht der Lieferanten sehr hoch bei gleichzeitig hoher Nachfragemacht des Automobilzulieferers. Hintergrund war, dass das einkaufende Unternehmen einen recht hohen Anteil am relevanten Gesamtmarkt hatte. Das Einkaufsschachbrett weist deshalb auf die Basisstrategie „Gemeinsam mit dem Lieferanten nach einem Vorteil suchen“. Mit der Krise von 2008 änderte sich die Lage schlagartig. Durch den Verfall der Rohstoffpreise und den Rückgang des Automobilabsatzes brach die Angebotsmacht der Lieferanten massiv ein. Kurzfristig konnte nun der größte Vorteil durch die Anwendung der Basisstrategie „Wettbewerb unter den Lieferanten nutzen“ geschaffen werden. In diesem Fall adressierte der Automobilzulieferer systematisch alle Schmiedeteillieferanten in Nachverhandlungen, um Preiszugeständnisse zu erzielen. Fokus der Verhandlungen waren dabei nicht die Schmälerungen der Margen der Schmiedeteillieferanten, sondern die sofortige Rücknahme der im Rahmen der Rohstoffpreis-Hausse akzeptierten Preiserhöhungen. Im Zuge der Verhandlungen konnten sehr kurzfristig Preissenkungen von 15 bis 20 Prozent erreicht werden. Erst das schnelle Umschalten auf eine neue Basisstrategie durch einen sehr agilen Einkauf machte diesen Erfolg in so kurzer Zeit möglich. Um aber nicht nur einen kurzfristigen Vorteil zu realisieren, der spätestens bei der nächsten Rohstoffpreiserhöhung wieder zulasten des Automobilzulieferers gegangen wäre, wurde im Rahmen einer mittel- bis langfristigen Neuausrichtung mit den Lieferanten die Geschäftsbeziehung auf eine neue Grundlage gestellt. Fokus war dabei die langfristige Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Zu diesem Zweck wurden alle 64 Ansätze des Einkaufsschachbretts genutzt, um Ideen für eine langfristige Rohstoffstrategie zu
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entwickeln. Im Zusammenhang damit wurde beispielsweise der Ansatz A6 – Vertikale Integration – als Ideengeber beleuchtet. Hier wurde zur Absicherung gegen mögliche zukünftige Stahlpreiserhöhungen – im Rahmen eines natürlichen Hedgings – ein Anteil an einem Stahlhersteller gekauft, der dem Gesamtwert des benötigten Stahls entsprach. Erhöhungen des Stahlpreises werden künftig also durch eine Steigerung des Wertes der Beteiligung am Stahlhersteller kompensiert.
5.3 STRATEGIE 3 – NACHHALTIGE NEUGESTALTUNG DER LIEFERANTENBEZIEHUNGEN Nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen bedeutet, basierend auf Erfahrungen mit den Lieferanten und den Erwartungen für die Zukunft, das Lieferantenportfolio für die Zukunft so auszurichten, dass das Unternehmen Wettbewerbsvorteile erhält bzw. ausbauen kann. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur die Fokussierung auf die richtigen Partner, sondern eine Ausrichtung der Schnittstellen mit den Lieferanten auf einen Idealzustand. Es geht darum, mit aktuell großen und wichtigen sowie wichtig werdenden Lieferanten neue Spielregeln der Zusammenarbeit zu definieren. Eine Krise wird dabei zur Chance, da man in einem Käufermarkt Fehlentwicklungen eines vorangegangenen Verkäufermarktes unmittelbar korrigieren kann. Unternehmen, die sich auch in einer Krise robuster Absätze erfreuen, verfügen durch die Krise über eine dramatisch gestiegene Nachfragemacht. Diese Nachfragemacht sollte aber nicht dazu missbraucht werden, sich für die Hochpreiszeiten zu „rächen“, sondern vielmehr die Geschäftsbeziehung mit Lieferanten auf eine neue Basis zu stellen. Mit der nachhaltigen Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen wird ein Interessenausgleich beider Parteien angestrebt und damit eine langfristige, über die aktuelle Situation hinaus stabile und wechselseitig vorteilhafte Beziehung etabliert. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ – ist ein Satz aus Schillers „Das Lied von der Glocke“. Die Aufgabe eines agilen Einkaufs besteht grundsätzlich darin, die Beziehungen zu Lieferanten kontinuierlich kritisch zu hinterfragen.
96 ______________________ STRATEGIE 3 – NACHHALTIGE NEUGESTALTUNG DER LIEFERANTENBEZIEHUNGEN
In einer Hochkonjunktur ist es schwierig, die Beziehungen mit Lieferanten kritisch zu hinterfragen. Unternehmen sind in Boomzeiten meist schon froh, wenn Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Preisniveaus orientieren sich dabei oft an überhitzten Märkten und müssen ohne nennenswerten Verhandlungsspielraum akzeptiert werden. Als Beispiel sei hier die Stahlindustrie im Jahr 2008 genannt, die verfügbare Mengen zu historischen Höchstpreisen zuteilte und Kundenbedarfe häufig nur zu 60 bis 80 Prozent erfüllen konnte. In solchen Situationen stellen sich viele Unternehmen die Frage, ob man auf die richtigen strategischen Partner gesetzt hat, die neben der Versorgungssicherheit auch ein faires Preisniveau aufrechthalten. Beim Übergang vom Boom in die Krise – wie zuletzt in der Krise von 2008 – ist ein Großteil der Lieferanten schlagartig zu gering ausgelastet und dadurch hungrig nach Geschäft. Anfang des Jahres 2009 waren Stahlhersteller nur zu etwa 50 bis 70 Prozent ausgelastet und mussten Anlagen stilllegen. In den USA wurden 17 von insgesamt 26 Hochöfen heruntergefahren. Während sich die Preisgestaltung in Boomzeiten primär am Weltmarktpreis orientiert, versuchen Lieferanten in Krisenzeiten oft, mit den tatsächlichen Herstellkosten zu argumentieren – variable Kosten sinken in der Krise tendenziell, die Fixkosten bleiben aber unverändert. Durch eine derartige Argumentation wollen Lieferanten vermeiden, den vollen Preisverfall des Marktes zu absorbieren, und sind sogar bereit, über von Marktpreisen abgekoppelte, alternative und längerfristig gültige Preismodelle zu verhandeln. Anhand des Beispiels Aluminium lässt sich dieser Sachverhalt gut erläutern. Für Aluminiumhersteller war es bisher nahezu ein Dogma, die Preise über die London Metal Exchange (LME) zu fixieren. Dieses System wurde interessanterweise von den Kunden nie mit Nachdruck hinterfragt. Für die Hersteller war die Abrechnung nach LME vorteilhaft. So wurden Preise von über 3.000 US-Dollar pro Tonne erzielt, die von den Herstellkosten von durchschnittlich 1.600 US-Dollar pro Tonne völlig entkoppelt waren. Die Kunden gingen davon aus, dass die LME-Preise das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zuverlässig wiedergeben. Diese Argumentation ist zu einem gewissen Grad auch zutreffend. Dennoch muss in Erinnerung gerufen werden, dass an der LME täglich bis zu 30 Mal mehr Aluminium gehandelt wird, als tatsächlich von der Industrie verarbeitet wird. Spekulanten, die selbst kein Aluminium verarbeiten, haben also einen viel größeren Einfluss auf die Preise als die verarbeitende Industrie.
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Getrieben von diesen Erkenntnissen führte ein großer Abnehmer von Aluminium Anfang 2009 mit ausgewählten Aluminiumlieferanten Gespräche, um alternative Preismodelle auszuloten. Eine Kopplung der Preise an die Herstellkosten zuzüglich einer fairen Marge wurde von einigen Lieferanten als gangbarer Weg anerkannt. Von der Koppelung an die Herstellkosten profitieren beide Seiten – sowohl der Aluminiumkunde als auch der Aluminiumlieferant. Für den Kunden kommt es vor allem zu einer Verminderung der Preisvolatilität und zu einer besseren Planbarkeit der Produktkosten. Denkt man an einen Automobil- oder Flugzeughersteller, der steigende Rohstoffpreise kaum an den Endkunden weitergeben kann und sich mit dem Start einer neuen Modellreihe auf das Material festlegt, so ist die Planbarkeit eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Investitionsentscheidung. Der Lieferant von Aluminium kann seine Fixkosten langfristig durch Abnahmeverpflichtungen mit dem Kunden decken und Investitionen finanzieren bzw. Finanzierungsmittel erhalten. Außerdem hat er eine konstante Marge – und das auf Jahre. Es wird spannend zu beobachten sein, wie viele Unternehmen diese Chance nutzen und die Vertragsstruktur auf eine völlig neue Basis stellen. Nicht nur die langfristige Preisgestaltung ist zu untersuchen. Ein weiteres Beispiel zeigt, wie die strategische Ausrichtung auf bestimmte Kundengruppen Früchte tragen kann, wenngleich nicht immer der kurzfristig maximale Gewinn erreicht werden kann. Für Stahlhersteller waren Automobilhersteller in Zeiten der steigenden Stahlpreise (2004–2008) unter Profitabilitätsgesichtspunkten wenig attraktiv. Automobilhersteller sind anspruchsvolle Kunden, die hohe technologische Anforderungen haben und vor allem an langfristigen Fixpreisverträgen interessiert sind (zwölf bis 36 Monate). Die Bauindustrie, bei der Stahlhersteller die Preise alle drei Monate anpassen können, war demgegenüber aus Profitabilitätsgesichtspunkten weitaus attraktiver. Bei jedem weiteren Preisschub stand die Entscheidung, die Automobilindustrie zu beliefern bzw. überhaupt noch Langfristverträge einzugehen, auf dem Prüfstand. Als zum Jahresende 2008 die Baukonjunktur einbrach und der Preis von Stahl verfiel, waren die Stahlhersteller jedoch froh, relativ stabile Kunden (die Automobilindustrie wurde durch Verschrottungsprämien vor den ärgsten Auswirkungen der Krise von 2008 geschützt) mit einer nicht überdurchschnittlichen, aber immerhin soliden Marge zu haben. In einer Krise kann der Einkauf daran gehen, längst überfällige Bereinigungen im Lieferantenportfolio vorzunehmen. Man kann Lieferanten aussortieren, auf die in der Vergangenheit aufgrund der Ressourcenknappheit nicht verzichtet werden konnte. Im
98 ______________________ STRATEGIE 3 – NACHHALTIGE NEUGESTALTUNG DER LIEFERANTENBEZIEHUNGEN
Gegenzug werden bestehende Lieferanten, die sich in Vergangenheit bewährt haben, ausgebaut und vielversprechende neue Lieferanten aufgebaut. Ziel ist es, Geschäft zu den für das Unternehmen idealen Wunschlieferanten zu verlagern. Die nachhaltige Neugestaltung der Lieferantenbeziehungen umfasst folgende fünf Schritte: 1.
Transparenz schaffen über Schnittstellen mit Lieferanten
2.
Beschreibung des Ist-Zustandes und Veränderung über die Zeit
3. Definition des Idealzustandes und Identifikation des Handlungsbedarfes 4.
Priorisieren der Wünsche und Handlungsbedarfe
5. Sicherstellen von Nachhaltigkeit unter klarer Darstellung der Vorteile für beide Seiten
Schritt 1: Transparenz schaffen über Schnittstellen mit Lieferanten In einem ersten Schritt muss transparent gemacht werden, in welchen Bereichen die Schnittstellen zu Lieferanten liegen, die typischerweise von formellen fachlichen bis hin zu informellen Schnittstellen reichen. Beispiele dafür sind: Top-Management: Vorstand bzw. Geschäftsführung des Unternehmens und des Lieferanten stehen in Kontakt und setzen die für die Arbeitsebenen der beiden Häuser gültigen Leitplanken. Hier stehen meist Fragestellungen von grundsätzlichem und richtungsweisendem Charakter im Vordergrund. Oft werden aber auch gravierende operative Probleme oder finale Preisverhandlungen zur obersten Führungsebene eskaliert.
F&E: Hier kooperiert meist die F&E des Unternehmens mit der F&E des Lieferanten, um neue Produkte marktreif zu machen und bestehende Produkte zu verbessern. Die F&E des Unternehmens steht zusätzlich oft auch in Kontakt mit dem Vertrieb des Lieferanten.
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Produktion und Logistik: Auch auf dieser Ebene bestehen zwischen Unternehmen und Lieferanten enge Verschränkungen. Die Produktion hat darüber hinaus oft auch direkten Kontakt mit der F&E und dem Qualitätswesen des Lieferanten.
Vertrieb und Marketing: Gerade wenn Innovationen des Lieferanten prominent vermarktet werden sollen (Stichwort „Intel inside“), kooperieren Vertrieb und Marketing beider Parteien sehr eng. Vertrieb und Marketing des Unternehmens steht aber vielfach auch in direktem Kontakt mit der F&E des Lieferanten, um die Anforderungen der Endverbraucher und die richtigen Botschaften für die Endverbraucher perfekt in Einklang zu bringen.
Finanz- und Rechnungswesen: Unternehmen und Lieferant streben eine hohe Prozessqualität im übergreifenden Finanz- und Rechnungswesen an. Trotzdem werden in der Praxis immer wieder Reklamationen und Nachforderungen die Beziehung auf die Probe stellen.
Je nach Branche und Natur der Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmen und Lieferanten lässt sich die Liste der Schnittstellen zwischen beiden Partnern noch deutlich verlängern.
Schritt 2: Beschreibung des Ist-Zustandes und Veränderung über die Zeit In interdisziplinären Workshops wird aufgenommen, wie die Funktionen die jeweiligen Schnittstellen zum Lieferanten beurteilen und wie sich diese über die Zeit hinweg verändert haben. Illustrativ soll eine solche (verfremdete) Matrix für einen spezifischen Lieferanten gezeigt werden:
F&E: 1. Lieferant ist Innovationsführer im Segment X, Nachholbedarf im Segment Y. 2. Vor 13 Jahren gemeinsamer Erfolg mit dem Produkt A, welches auf einer Innovation des Lieferanten aufgebaut hat. Seither keine Exklusivität auf Entwicklungen mit dem Lieferanten. 3. Wenig Kooperation mit der eigenen F&E. Sehr (zu?) aktiv beim Wettbewerber B. 4. Lieferant arbeitet aktuell an einer Entwicklung, die den Markt revolutionieren könnte und überaus interessant scheint.
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5.
Für eine unternehmensinterne Innovation könnte der Lieferant hilfreich sein und das „go-to-market“ beschleunigen.
Produktion und Logistik: 1. Hohe Liefertreue und Zuverlässigkeit. 2. Unflexibel bezüglich alternativer Konzepte, wie Plant in Plant. 3. Gerade bei innovativen Produkten wenig Bereitschaft, die Spezifikationen abzuändern.
Vertrieb und Marketing: 1. Sehr gute, hoch motivierte und technisch ausgebildete Verkaufsmitarbeiter. 2. Indizien, dass der Lieferant das Segment Z bei Kunden direkt bearbeitet und Druck ausübt, ein für das Unternehmen ungünstiges Produkt des Lieferanten auszuwählen.
Personalwesen: 1. Keine Beobachtungen
Finanzwesen: 1. Drei Prozent-Skonto-Regelung wurde im Rahmen eines Projektes des Lieferanten vor zwei Jahren abgeschafft. 2. 30 Prozent aller Rechnungen werden beanstandet.
Schritt 3: Definition des Idealzustandes und Identifikation des Handlungsbedarfes Die Definition des Idealzustandes mit dem Lieferanten erfolgt über eine ausführliche „Wunschliste“, die alle Anforderungen an einen Idealzustand umfasst (die Priorisierung erfolgt im nächsten Schritt). Die möglichen Ausprägungen und Wünsche – vor allem in Krisenzeiten – werden nachfolgend nach Funktionen geordnet beispielhaft dargestellt:
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Top-Management Auf Top-Management-Ebene werden vor allem strategische Themen in der Neugestaltung von Lieferantenbeziehungen besprochen. Hierunter fallen generelle Leitplanken für die Zusammenarbeit und strategische Innovationen bis hin zu Akquisitionsaktivitäten.
Generelle Leitplanken: Veränderungen in der grundsätzlichen Preisbildung bedürfen einer Abstimmung auf Vorstandsebene. Wenn, wie im oben genannten Beispiel der LME-basierten Preisbildung, von einer allgemein von der Industrie angewendeten und im Unternehmen gelebten Preisbildung abgegangen wird, bedeutet dies einen Paradigmenwechsel. In einem aktuellen Projekt für einen Klienten in der deutschen Industrie fanden zunächst Vorabgespräche im kleinen Kreis durch das Top-Management beider Seiten statt. Hier wurden keine Details, sondern die generelle Bereitschaft, aus der gelebten Praxis auszubrechen und neue Wege zu beschreiten, diskutiert. Wichtig waren auch das Aufzeigen der Vorteile für beide Seiten und ein Austausch der Strategien. Voraussetzungen für erfolgreiche Gespräche sind auf der Seite des Lieferanten langfristiges Denken, Expansionspläne, Fokus auf Fixkostendeckung und konstante Auslastung. Das Top-Management beider Seiten formuliert in einer Absichtserklärung, eine gemeinsame Strategie über den gesamten Konjunkturzyklus hinweg zu verfolgen. Damit wird sichergestellt, dass die Vereinbarung auch bei einem erneuten Anstieg der Rohstoffpreise hält. Hier sind Fairness und ein langer Atem gefordert.
Strategische Innovationen: Wichtige strategische Innovationen leiten sich von erwarteten technologischen Trends und Marktanforderungen ab, beispielsweise werden die Überlegungen in der Automobilindustrie zurzeit sehr stark von alternativen Antrieben bestimmt. In der Regel verfügen auch große Unternehmen nicht über die erforderlichen Ressourcen, diese Innovationen ohne externe Hilfe zu realisieren. Da mit der Auswahl des Entwicklungspartners hier eine ganz wesentliche Weichenstellung für das Unternehmen erfolgt, werden schon die ersten Anbahnungsgespräche auf der Ebene des Top-Managements geführt.
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F&E
Das Treiben neuer Innovationen in einer Partnerschaft oder das beschleunigte „auf den Markt bringen“ von im Entwicklungsprozess befindlichen Innovationen kann sowohl für Lieferanten als auch für das Unternehmen selbst ein Erfolgsfaktor sein. Gerade in Krisenzeiten besteht eine erhöhte Nachfrage nach innovativen Produkten. Die Neuausrichtung von Lieferantenbeziehungen soll die Innovationen des Lieferanten abgreifen und diese gemeinsam mit dem Lieferanten weiterentwickeln und beschleunigen. Unternehmen verfügen gerade in Krisenzeiten über ausreichend personelle Ressourcen, um sich Innovationen zu widmen. Wenn die neu auf den Markt kommende Innovation einen wirklichen Wettbewerbsvorteil des Unternehmens darstellt, ist die Möglichkeit einer Exklusivität zu prüfen. Hierzu bedarf es ebenfalls einer Diskussion über die gemeinsamen Entwicklungsanstrengungen nach der Krise.
Der Zugang zu bestehenden Technologien des Lieferanten wird in Zeiten der Hochkonjunktur häufig verwehrt. Sollte ein solcher Lieferant weiterhin Wunschlieferant bleiben, so ist die Beziehung zu ihm neu auszurichten. Technologien, über die Wettbewerber eventuell bereits verfügen, werden auch dem Unternehmen verfügbar gemacht. Die Entwicklungs- und Einkaufsabteilung des Unternehmens können zu Krisenzeiten entsprechenden Druck aufbauen. Alternativ kann in diesem Zusammenhang der Aufbau eines neuen Lieferanten geprüft werden.
Produktion und Logistik
Das Einführen von Logistikkonzepten wie Vendor Managed Inventory ist in Krisenzeiten deutlich leichter möglich. Freie Ressourcen, Überbestände und eine zunehmende Serviceorientierung gegenüber dem Kunden machen die Umsetzung solcher Logistikkonzepte möglich.
Das Plant-in-Plant-Konzept – ein Lieferant ist mit einem eigenen Standort im Betrieb des Unternehmens präsent und erbringt dort einen Teil der Wertschöpfung – umfasst eine Verflechtung mit dem Lieferanten.
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Beschrieben sei dies anhand eines Yachtherstellers. In einem schwachen wirtschaftlichen Umfeld waren sowohl der Yachthersteller als auch der Motorenhersteller, der hauptsächlich für die Automobilindustrie produziert, bereit, neue Wege der Zusammenarbeit zu gehen. Dabei stimmte der Motorenhersteller zu, den Motor nicht nur an die Rampe zu liefern, sondern auch die Montage des Motors in der Yacht zu übernehmen. Es wurde ein Plant-in-Plant-Konzept geschaffen, in welchem der Lieferant eigene Mitarbeiter im Kundenwerk beschäftigt, mit denen er die Motoren direkt einbaut und prüft. Der Produktionsprozess läuft seither stabiler und die Fehlerquote verzeichnete einen deutlichen Rückgang.
Vertrieb und Marketing
Das Abstellen von „Backdoor-Selling“ – dabei umgeht der Lieferant seinen Kunden und spricht direkt mit den Kunden seines Kunden – kann nur in Situationen mit großer Nachfragemacht erfolgen. Dies soll anhand eines Beispiels erläutert werden. Ein Hersteller von flexibler Verpackung kauft normalerweise von seinen Lieferanten Aluminium, Plastikfolie, Farben, Lacke etc. Diese werden dann in seiner Produktion bedruckt und an den Kunden verkauft. Der Kunde, ein Süßwarenhersteller, hat normalerweise hohe Anforderungen vor allem an die Druckpräzision, Verarbeitbarkeit und Qualität des Materials. Diese werden funktional vorgegeben, wobei bisher jedoch keine Vorgabe der Lieferanten erfolgte. Findige Kunststofffolienlieferanten haben allmählich begonnen, ihre Margen nach oben zu treiben, indem nicht die direkten Kunden aus der Verpackungsindustrie bearbeitet wurden, sondern die Kunden der Verpackungsindustrie, also Süßwarenhersteller. Über eine Bonuszahlung oder einen Kick-back an den Süßwarenhersteller werden diese dazu animiert, der Verpackungsindustrie die Folienlieferanten zu diktieren. Naturgemäß sind die Verpackungshersteller mit dieser Regelung unglücklich, da sie bei der Auswahl von Materialien und Lieferanten stark eingeschränkt werden.
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Personalwesen
Die Übernahme von Personal des Lieferanten bedeutet ebenfalls eine vollständige Neugestaltung der Beziehungen. Im Vordergrund steht hier die konsensuale Übernahme von Mitarbeitern des Lieferanten, um beispielsweise bestimmte Kompetenzen ins Unternehmen zu ziehen. Wieso sollte ein Lieferant dazu bereit sein? Das wichtigste Argument ist der Transfer von loyalen Mitarbeitern an ein Kundenunternehmen, da diese die Schnittstellen besser steuern können. Zusätzlich sind Lieferanten in Krisenzeiten froh darüber, Mitarbeiter nicht kündigen zu müssen, sondern für deren Weiterbeschäftigung sorgen zu können.
Die Übernahme des eigenen Personals durch den Lieferanten ist vor allem bei Make-or-Buy-Entscheidungen wichtig. Zunächst ist dabei zu bewerten, ob die aktuell selbst erstellte Leistung durch einen Lieferanten besser und kostengünstiger erbracht werden kann. Hierunter fallen beispielsweise die Auslagerung von Reinigungs- oder Überwachungsdienstleistungen oder technisch hochwertige Aktivitäten, wie das Bestücken von Leiterplatten.
Finanzwesen
Die Anpassung von Zahlungsbedingungen kann sowohl mit ausgewählten als auch mit allen Lieferanten erfolgen.
Schritt 4: Priorisieren der Wünsche und Handlungsbedarfe Wie im vorigen Kapitel beschrieben, sind die Wünsche an den Idealzustand und der somit gegebene Handlungsbedarf über alle Schnittstellen des Unternehmens hinweg sehr umfangreich. Klar ist an dieser Stelle, dass man nicht von einen Tag auf den anderen in allen Ausprägungen und Schnittstellen den Ideallieferanten schaffen kann. Daher muss priorisiert werden, welche Ziele des Unternehmens am wichtigsten sind und mit welchen Punkten die Lieferanten die Zielerreichung bestmöglich unterstützen können.
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Ist es für ein Unternehmen ein Hauptziel, zu den Innovationsführern im Bereich alternativer Antriebstechnik zu gehören, so werden die Wünsche von Top-Management und F&E, mit einem Partner eine Entwicklungskooperation voranzutreiben, hoch priorisiert. Geht es um eine Beschaffungsgruppe, die simple Zukaufteile repräsentiert, so werden Wünsche der Produktion und Logistik über einen optimalen Versorgungsablauf vorrangig umgesetzt.
Schritt 5: Sicherstellen von Nachhaltigkeit unter klarer Darstellung der Vorteile für beide Seiten Eine Partnerschaft im professionellen, wirtschaftlichen Umfeld funktioniert so lange, wie jede der beteiligten Parteien einen langfristigen Vorteil sieht. Dieser Vorteil muss für beide Seiten ersichtlich sein. Die Stoßrichtungen, um die Lieferantenbeziehungen in einer Krise neu zu gestalten, sind also vielfältig. In der Beratungspraxis von A.T. Kearney hat der durch die Krise von 2008 verursachte Wechsel von einem Verkäufermarkt zu einem Käufermarkt in einer Vielzahl von Projekten zu der oben beschriebenen Neugestaltung von Lieferantenbeziehungen geführt.
5.4 STRATEGIE 4 – BEREINIGUNG DES PRODUKTPORTFOLIOS Ohne steuernde Maßnahmen wächst in jedem Unternehmen das Produktportfolio stetig an. Die Ursachen dafür liegen in externen Faktoren – wie der Heterogenität von Kundenanforderungen – und in internen Faktoren – wie der Kreativität der F&E. Gerade in Krisenzeiten stellt die Bereinigung des Produktportfolios eine Möglichkeit dar, Kostensenkungspotenziale zu realisieren. Unternehmen sind stetig auf der Suche nach der nächsten großen Chance, um Wachstum zu erreichen – sie suchen nach neuen Vertriebskanälen, nehmen neue Produkte ins Portfolio auf oder erschließen neue Märkte. Und das ist auch richtig so, denn Wachstum ist immer noch der größte Erfolgsfaktor im heutigen Unternehmensumfeld. Es gibt viele Möglichkeiten zu wachsen. Die Globalisierung bringt neue, spannende Märkte in Reichweite. Wertketten werden in sämtliche Ecken der Welt verteilt. Verbraucher und Kunden sind bereit, neue Produkte oder Dienstleistungen aufzunehmen, und verlangen gleichzeitig immer stärker maßgeschneiderte Angebote. Der Preis für
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dieses Wachstum ist für Unternehmen nicht unwesentlich – er bedeutet oft übermäßige und außer Kontrolle geratene Komplexität. Übermäßige Komplexität bedeutet nicht nur hohe Kosten, sondern behindert Unternehmen auch bei der Verfolgung weiterer Wachstumsziele. Bei der Bereinigung des Produktportfolios ist es wichtig, diejenigen Segmente zu identifizieren, mit denen man sprungfixe Kosten reduzieren kann. Dies kann beispielsweise durch die Schließung einer Produktionslinie, eines Werkes oder der Reduktion von Leistungen Dritter geschehen. Zur Identifikation der größten Kostenblöcke können die bekannten Variantenbäume als ein Mittel zur Darstellung der Komplexität im Unternehmen genutzt werden. Die Entscheidung erfolgt dabei basierend auf Profitabilität und dem strategischen Wert, der auf die Teileebene zurückverfolgt werden kann. Der Einkauf kann dabei eine wichtige Steuerungsaufgabe erfüllen, da die Auswirkungen der Produktvielfalt sehr häufig ein wesentlicher Treiber der Materialkosten sind. Entscheidend ist, dass die Bereinigung des Produktportfolios nicht nur rein kostenbasiert erfolgt, sondern, dass auch die Kundenbedürfnisse berücksichtigt werden.
Ursachen des Trends zu steigender Komplexität in Unternehmen Komplexität ist quer über alle Branchen auf dem Vormarsch und ähnlich sind auch die Gründe für die Zunahme der Komplexität branchenübergreifend. Die letzten 20 Jahre waren geprägt von einer Öffnung globaler Märkte, die viele neue Konsumenten mit neuen Kundenwünschen gebracht hat. Zuerst kamen die Osteuropäer mit ihrem Hunger nach internationalen Marken, die sie bis dahin nur aus der Ferne kannten. Dann folgten die schnell wachsenden Mittelschichten von China und Indien. Ungehemmter Konsum spielt hier eine besonders große Rolle, da er gewissermaßen eine Antithese zur zuvor staatlich verordneten Uniformität darstellt. Überall gab es zuvor nur eine sehr eingeschränkte Produktauswahl. Deswegen ist es umso leichter zu verstehen, dass die Öffnung dieser neuen Märkte einen derart massiven Bedarf an Varianten mitgebracht hat. Sehr schnell haben diese neuen Konsumenten auch ihre eigenen Anforderungen an die Märkte gestellt, da ihr Geschmack und ihre Wünsche nicht immer mit jenen von Westeuropäern oder Amerikanern korrelierten.
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Aber es waren nicht nur die „neuen“ Konsumenten, die zu einer Vermehrung von Produkten und Dienstleistungen geführt haben. Individualismus wurde zum Lebensstil. Der heutige Konsument will, zumindest in Westeuropa, sein neues Auto nicht mehr einfach bei einem Händler abholen, sondern wird eingeladen, sich ein Auto zu konfigurieren, das einzigartig auf seine Anforderungen zugeschnitten ist. Die mögliche Vielfalt ist bei vielen Automodellen mittlerweile so groß, dass in einem Jahr keine zwei identischen Fahrzeuge von den Fließbändern laufen. Mit der Internetrevolution und den täglich wachsenden Möglichkeiten der Informationstechnologie geht ein Trend zum Aufbruch der Wertketten einher. Amazon ist ein gutes Beispiel dafür. Die Kompetenzen, die das Unternehmen für die Abwicklung von Online-Buchbestellungen aufgebaut hat, wurden längst auf eine schier unüberschaubare Vielfalt anderer Produkte übertragen. Heute kann man bei Amazon eine große Bandbreite von Konsumgütern aller Art kaufen und die Auswahl wird täglich ausgeweitet. Die meisten dieser Produkte werden nicht von Amazon direkt angeboten – Amazon betreibt nur die Lieferkette zwischen Verkäufer und Endverbraucher. Die Kernkompetenz von Amazon ist die weit verzweigte und eng integrierte Lieferkette, innerhalb derer die Kommunikation in Echtzeit erfolgt. Amazon verwendet eigenentwickelte Anwendungen für fast jeden Aspekt der Supply Chain: Lagerverwaltung, Transport Management, Inbound- und Outbound-Lieferungen, Nachfrageprognosen, Inventarplanung und vieles mehr. Laut Jeffrey Wilke, Senior Vice President für weltweite Operations, konzentriert sich Amazon bei strategischen Wachstumsüberlegungen auf Preis, Auswahl und Verfügbarkeit, da diese drei Kriterien die Lieferkette erfolgskritisch bestimmen. Damit übertrifft Amazon alle Erwartungen von Kunden, während mittelgroße Wettbewerber noch heute mit der Integration einer Vielzahl von Software-Tools mit manuellen Prozessen wie beispielsweise Telefon- und Fax-Bestellungen kämpfen. Amazon ist bei Weitem nicht das einzige Beispiel aufgebrochener Wertketten. So findet man etwa in der Lebensmittel- und der Pharmabranche zahlreiche Beispiele für eine ausgelagerte Produktion, dies vor allem bei den Produkten, die sich in der Einführungsphase befinden und bei denen noch nicht klar ist, ob der Markt das Produkt tatsächlich annimmt, und die erforderlichen Skaleneffekte für den Hersteller selbst noch nicht erreicht sind.
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Die Öffnung globaler Märkte hat nicht nur eine größere Anzahl von Produkt- und Dienstleistungsvarianten gebracht, sondern auch neue Wettbewerber. Diese konnten vor allem aufgrund niedriger Faktorkosten in ihren Herkunftsländern auf dem Weltmarkt erhebliche Anteile gewinnen. Gleichzeitig kann man quer über alle Branchen hinweg eine intensive Konsolidierung beobachten. Die Vorteile der Konsolidierung sind vielfältig – Unternehmen erschließen neue Märkte, gewinnen Zugang zu neuen Technologien, positionieren eine Produktionsstätte in Niedriglohnländern und schaffen Skaleneffekte. Gleichzeitig führt die Konsolidierung aber auch zu zusätzlicher Komplexität, die die internen Prozesse und die Organisation belastet. Durch die Konsolidierung werden Unternehmen immer größer und arbeiten zunehmend in Silos, entweder auf der Ebene von Geschäftseinheiten oder auf der Ebene von Funktionsbereichen. Sehr oft erschöpft sich der Gestaltungswille mit der Akquisition neuer Unternehmensteile. Die Integration erfolgt dann vielfach halbherzig und bleibt auf eine finanzielle Konsolidierung und einen einheitlichen Marktauftritt beschränkt. Der Ausweg wird dann vermehrt im Schaffen vieler kleiner Profit Center gesucht. Diese haben zwar den Vorteil von unternehmerischer Verantwortung nahe am Markt, nutzen aber die bei der Akquisition angestrebten Skaleneffekte und Synergien in keiner Weise aus. In derartig dezentral strukturierten Unternehmen ist auch die Einkaufsverantwortung über die einzelnen Profit Center fragmentiert. Die Leiter der Profit Center können die Fragmentierung mit dem Argument, dass der Einkauf ja einen ganz wesentlichen Beitrag zur Profitabilität leistet, auch gut begründen. Gut gemeinte Ansätze zur Standardisierung verpuffen in einem solchen Umfeld wirkungslos. Der Einkauf hat hier – genau wie die anderen Funktionsbereiche – meist kein Mandat, Profit-Center-übergreifend zu agieren. Eine betroffene Führungskraft artikuliert ihre Frustration mit dieser Situation so: „Es sieht so aus, als ob wir eine Lücke in unseren Kontrollmechanismen haben. Immer wenn wir versuchen, an einem Ende die Komplexität zu reduzieren, verschiebt sich das Problem an das andere Ende.“ Das Hauptproblem liegt hier in unzureichender Transparenz über die gesamte Wertkette. Um die Auswirkungen von Komplexität vollständig verstehen zu können, müssen Unternehmen ihre gesamte Wertkette transparent machen und dabei sogar Teile der Wertketten ihrer Lieferanten und Kunden mit einbeziehen. Mit der transparenten Wertkette können die Gemeinkosten verursachergerecht zugeordnet werden und daraus die tatsächlichen Margen pro Produkt oder Kunde ermittelt werden. Die Zuordnung der Gemeinkosten umfasst dabei alle
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Elemente der Wertschöpfung vom Einkauf der Komponenten über die erforderlichen Anpassungen in Produktion und Logistik für unterschiedliche Fertigungslose bis hin zur Bereitstellung von Ersatzteilen für Reparaturen und Nachrüstungen. Viele große Unternehmen sind wie oben beschrieben nach Silos strukturiert und verfügen keine ausreichende Transparenz über die Wertkette. Entsprechend besteht auch keine klare Verantwortung für die Beherrschung der Komplexität. In diesen Unternehmen werden die Entscheidungen über Varianten existierender oder neuer Produkte oft von Marketing und Vertrieb getroffen. Selten werden die Auswirkungen der Komplexität auf das gesamte Unternehmen überprüft. Erforderlich wären hier die Zuordnung klarer Verantwortlichkeiten und der Aufbau aussagekräftiger Steuerungssysteme. In einer aktuellen Befragung deutscher Unternehmen wurde festgestellt, dass die meisten Unternehmen Komplexitätsmanagement nicht in ihrer Unternehmensstrategie und Kultur eingebettet haben. Komplexitätsmanagement bleibt an diesem Punkt meist auf Einzelinitiativen in Unternehmensbereichen beschränkt, die oft an mangelnden Eingriffsmöglichkeiten in anderen Bereichen scheitern. So kann zum Beispiel ein Verpackungseinkäufer in der Lebensmittelindustrie sehr selten Marketing und Vertrieb vom Nutzen einer Variantenreduktion bei Verpackungstypen überzeugen. Auch wenn die Variantenreduktion deutliche Kostenreduktionen mit sich bringen würde und die Prozesse effizienter und weit automatisierter ablaufen könnten, werden diese Vorschläge meist nicht aufgegriffen. Hemmend wirkt hier, dass die Verursacher von Komplexität – in diesem Fall Marketing und Vertrieb – überwiegend nicht an den Auswirkungen der Komplexität – in diesem Fall hohe Kosten in Einkauf, Produktion und Logistik – gemessen werden. Entsprechende Vorschläge werden meist nur dann implementiert, wenn es gute persönliche Beziehungen zwischen den Spielern einzelner Bereichen gibt. Nicht zuletzt fehlt es an entsprechenden Prozessen und Werkzeugen zur Beherrschung der Komplexität. Diese Werkzeuge müssen eine kontinuierliche Überwachung und Steuerung der Komplexität und der damit verbundenen Kosten und Entscheidungen ermöglichen. Oft sind die Ursachen und Folgen der Komplexität nur auf einer stark aggregierten Ebene verfügbar, zum Beispiel wenn ein Unternehmensbereich in Summe nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Oder die Werkzeuge sind zwar in einzelnen Funktionsbereichen verfügbar, haben aber nicht die benötigte Reichweite für eine gesamthafte Analyse der gesamten Wertkette. So versuchen die Techniker oftmals gemeinsam mit dem Einkauf, die zugekauften Teile und Komponenten soweit wie möglich zu standardisieren, die Produktion versucht, über Module die Fertigung flexibel zu gestal-
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ten, und die Logistik versucht, Wege zu kürzen und Mengen zu bündeln. Trotzdem sind diese guten häufig aber isolierten Initiativen nicht aufeinander abgestimmt und heben sich im schlimmsten Fall sogar gegenseitig auf. Das folgende Beispiel illustriert die Treiber von Komplexität in der Lebensmittelindustrie. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren mehrere Sparten, zuletzt einen prominenten Hersteller von Keksen, akquiriert. Aufgrund des steigenden Wettbewerbs vor allem durch Handelsmarken wurden immer neue Produktvarianten auf den Markt gebracht. Diese neuen Varianten waren teilweise echte Innovationen, teilweise einfache Erweiterungen des Produktportfolios quer über alle Marken hinweg. Durch die Zukäufe kamen auch neue Fertigungstechnologien, die aber fest mit einzelnen Produkten verknüpft waren, in das Unternehmen. Für den Anlauf neuer Produkte nutzt das Unternehmen oft externe Partner (Contract Manufacturers). Manchmal werden mit diesen Partnern auch neue Technologien entwickelt. Obwohl das Unternehmen insgesamt profitabel wächst, herrscht zunehmend Unbehagen über die steigende Komplexität. Eines der Indizien dafür, dass hier erhebliche Potenziale brachliegen, sind die zahlreichen Verpackungsdienstleister, die in den Werken das Verpacken von Fertigprodukten übernehmen – oft in manueller Arbeit. Die Vielfalt an Verpackungslösungen macht die Nutzung der vorhandenen hochmodernen vollautomatischen Verpackungsmaschinen häufig fast unmöglich. Dieses Thema wird übergreifend kaum diskutiert, da Marketing, Produktion und Einkauf über unterschiedliche und nicht aufeinander abgestimmte Zielsysteme gesteuert werden.
Einfluss des Produktportfolios auf die Wertkette Ansätze, die Komplexität als entweder gut oder schlecht einzuordnen, greifen zu kurz. Komplexität kann beides zugleich sein. Es ist daher richtiger, die Wertschöpfung der Komplexität und die Kosten der Komplexität zu untersuchen. Dabei sollen die Wertschöpfung maximiert und die Kosten minimiert werden. Wertschöpfende Komplexität können Innovationen von F&E sein, die erforderlich sind, um auf dem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Marketing testet neue Varianten von existierenden Produkten (manchmal wird nur die Verpackung geändert) und versucht, diese auf den Markt zu bringen und damit neue Nischen zu besetzen. Der Vertrieb versucht gleichzeitig, durch Erschließung neuer Vertriebskanäle neue Endver-
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braucher zu erreichen. Allen gemeinsam ist das Ziel, die Marktanteile zu erhöhen. So kann beispielsweise ein Hersteller industrieller Lacke mit einer kleineren Verpackungseinheit Privatkunden erreichen, die den Lack in ihrem Eigenheim nutzen. Cross-Selling ist bei Finanzdienstleistern sehr populär, weil es eine einzigartige Chance darstellt, die Kundenbindung zu erhöhen, indem man den Kunden beispielsweise bei der Gewährung eines Baudarlehens zusätzlich eine Lebensversicherung anbietet, die den Kunden tatsächlich lebenslang an den Finanzdienstleister bindet. Gleichzeitig steigen für alle oben genannten Beispiele mit der Komplexität auch die Kosten. In der Produktion steigen die Kosten mit kleinen Losgrößen, die zusätzlich noch höheren Abfall verursachen. Der höhere Aufwand für das Umrüsten in der Produktion kann letztlich sogar erhebliche Investitionen auslösen. In F&E werden bedeutende Ressourcen für die Entwicklung, das Design und für die Freigabe neuer Varianten aufgewandt. Da die Ressourcen in F&E begrenzt sind, können zu viele neue Varianten bestehender Produkte sogar die Entwicklung neuer und langfristig überlebenswichtiger Produkte verzögern oder gar verhindern. Auch der Einkauf wird mit kleineren Mengen konfrontiert und kann seine Nachfragemacht nicht mehr entsprechend in den Liefermärkten einsetzen. Gleichzeitig steigen mit der höheren Anzahl an Varianten die Transaktionskosten. Die Logistik ist ebenfalls betroffen – das Lager wird durch höhere Bestände, obsolete Spezifikationen und höheres Risiko von Schwund belastet. Der Warenausgang muss immer mehr kleine Lieferungen bewältigen und hat dabei nur begrenzte Möglichkeiten, diese sinnvoll zu bündeln. Die steigenden Kosten treffen letztlich auch die Hauptverursacher von Komplexität – Marketing und Vertrieb. So beobachtet man sinkende Effizienz in der Vertriebsorganisation, es kommt immer öfter zur Kannibalisierung zwischen Produktlinien und Marken und die Kosten für Werbung steigen stetig an. Es ist wichtig zu verstehen, dass Komplexitätsmanagement nur Erfolg haben kann, wenn es in Einklang mit der Unternehmensstrategie gebracht wird. Unternehmen wie Apple oder Bang & Olufsen haben ein straffes Produktportfolio. Andere Unternehmen wie Amazon bieten eine überwältigende Vielfalt, mit der sie auch gut umgehen können. Jedes Unternehmen muss daher zuerst das jeweils richtige Maß an Komplexität – abhängig von der Strategie – finden. Auf dieser Basis müssen dann der Wert und die Kosten von Komplexität aufeinander abgestimmt werden. Von Fall zu Fall kann der richtige Weg die Reduktion von Komplexität oder die Nutzung von Komplexität zum Erreichen der Wachstums- und Profitziele sein.
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Bereinigung des Produktportfolios mit einem integrierten Wertschöpfungsansatz Unternehmen können ein Übermaß an Komplexität auf zwei Ebenen adressieren: auf der für den Kunden sichtbaren Ebene, wenn Produktvarianten aus dem Portfolio genommen werden, und auf einer für die Kunden verborgenen Ebene, wie etwa die Vereinheitlichung von Produktionsprozessen oder zugekauften Komponenten. In Unternehmen findet man heute vor allem eindimensionale Versuche, die Komplexität zu reduzieren. Viele Unternehmen haben eine lange Geschichte von Initiativen zur Komplexitätsreduktion hinter sich und haben feste Regeln und Schwellenwerte eingeführt. Oft sind die Ergebnisse dieser Bemühungen die Harmonisierung bestimmter Rohstoffe oder Komponenten oder die Eliminierung von D-Produkten aus dem Portfolio. D-Produkte sind hier als jener Teil eines Pareto-Diagramms definiert, in dem Produkte mit niedrigen Stückzahlen und niedrigem oder negativem Deckungsbeitrag zu finden sind. Auch wenn diese Anstrengungen zur Bereinigung des Portfolios richtig und notwendig sind, reichen sie nicht aus. Die Eliminierung von D-Produkten bringt in der Regel eine Reduktion von 10 bis 20 Prozent der Varianten – trotzdem bleiben aber die Auswirkungen auf die Kosten oft minimal. Und innerhalb von ein oder zwei Jahren wächst die Komplexität dann zurück auf das alte Niveau und der Reduzierungsaufwand muss wieder von vorne beginnen. In einem nachhaltigen Ansatz sollten sich Unternehmen auf die Wurzeln der Komplexität fokussieren und Prozesse schaffen, mit denen die Komplexität kontinuierlich unter Kontrolle gebracht wird. Dies erfordert von Unternehmen genauso viel Mühe und Kreativität, wie zuvor in den Aufbau des komplexen Produktportfolios geflossen ist. Dazu hat sich ein integrierter Ansatz bewährt, mit dem die erforderliche Transparenz über die Kosten und Nutzen der Komplexität quer über alle Elemente einer Wertkette geschaffen wird. Dieser integrierte Ansatz zur Beherrschung und Reduktion von Komplexität erfolgt in sechs Schritten:
Ermittlung von Profitabilität auf Kunden-, Produkt und SKU (Stock Keeping Unit/ Artikelnummer)-Ebene
Strategischen Wert von SKU/Produkt/Technologie ermitteln
Koppelung der Variantentreiber über die gesamte Wertkette
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Identifizierung der Potenziale zur Variantenreduktion
Analyse von Profitabilitätsverlust und Fixkostenreduzierung
Umsetzung der identifizierten Potenziale
Schritt 1: Ermittlung von Profitabilität auf Kunden-, Produkt und SKU-Ebene Bevor man entscheidet, wo in einem Produktportfolio die größten Potenziale für eine Bereinigung sind, ist es wichtig zu verstehen, wie hoch die wahre Profitabilität eines Kunden, eines Produkts und oder einer SKU ist. Die meisten Unternehmen messen die Profitabilität mit Deckungsbeiträgen I und II. Diese umfassen den Umsatzerlös reduziert um variable Kosten, z. B. Kosten für Material und Lohnkosten aus der Produktion, sowie teilweise die Fixkosten aus der Produktion. Auch anfallende Preisreduktionen wie Rabatte, Boni und Reduktionen auf Basis von Zahlungskonditionen werden dabei berücksichtigt. Dies reicht aber für die erforderliche Transparenz bei Weitem nicht aus. Die Beratungspraxis von A.T. Kearney zeigt, dass der von Kunden tatsächlich bezahlte Nettopreis oft weniger als 60 Prozent vom Listenpreis beträgt. Dafür gibt es viele Gründe. Häufig liegen diese in einer übermäßig aufwändigen Betreuung eines Produktes oder eines spezifischen Kunden. Beispiele dafür sind die Kosten für Konsignationslager, Abwicklungskosten von Eilaufträgen, Kosten für technische Unterstützung und Garantieversprechungen. Wenige Unternehmen haben vollständigen Einblick in diese Arten von Kosten. Meist reichen die existierenden Kostenrechnungsmodelle nicht aus, da diese nur auf Produktebene umfassend verfügbar sind und nicht alle Kostenkomponenten richtig erfassen. Abhilfe schafft hier, die Profitabilität mithilfe einer „Costto-Serve“-Analyse zu messen, um die zusätzlichen Betreuungskosten zu ermitteln. Zuerst müssen die Erosionstreiber oder die Quellen für die Betreuungskosten ermittelt werden. Um diese nach Kunden und Aufträgen spezifisch zu erfassen, müssen alle Kosten betrachten werden, die im Laufe eines Auftrags oder einer Kundenbetreuung anfallen: Jeder Auftrag beginnt mit der Vorbereitung des Angebots und damit verbundenen Aktivitäten. Diese werden je nach Branche und Segment unterschiedlich intensiv ausgeführt. Ein Rohstoffhersteller schließt meist Jahresverträge ab und verwendet daher viel Zeit für die Angebotsvorbereitung, die Bestellungen erfolgen dann über das ganze Jahr verteilt. Anders wird ein Investitionsgüterhersteller für jeden
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Auftrag meist nur eine Bestellung erhalten. Um ein Produkt oder eine Dienstleistung an Kunden verkaufen zu können, müssen diese zuerst entwickelt werden. Daher müssen die Entwicklungskosten vollständig erfasst werden, mit Fokus auf Anpassungen, die spezifisch für diesen bestimmten Auftrag erfolgen. Wenn zuvor eine Machbarkeitsstudie durchgeführt wurde, muss auch diese vollständig erfasst werden. Genauso fallen Kosten für die Musterherstellung oft vor der Auftragserteilung an und werden in der Regel den Gemeinkosten zugeschlagen. Beispielsweise testen Automobilhersteller für jeden neuen Auftrag Muster von mehreren Lieferanten, um den besten auszuwählen. Die Kosten für diese Muster tragen in der Regel die Lieferanten. Je nach Branche spielen auch Werbung und Marktforschung eine entscheidende Rolle bei der Angebotsvorbereitung und sollten ebenfalls berücksichtigt werden.
Es folgt die Verkaufsphase, in der die Zeit hauptsächlich mit Verhandlungen und Anpassungen des Angebots verbracht wird. Hier werden neben dem Preis auch Rabatte, Zahlungskonditionen und Bonusvereinbarungen festgelegt, die einen entscheidenden Einfluss auf die Profitabilität haben können. Bei der Profitabilitätsberechnung müssen alle Vertragsbedingungen berücksichtigt werden – Beispiele dafür sind Jahresboni auf Basis der erreichten Volumina, Mengenrabatte, Rabatte für Bestellstaffeln, Skonto auf Basis von Zahlungskonditionen, Kreditvereinbarungen, Vorratsbestimmungen, Konsignationslagervereinbarungen, und FOREX Vereinbarungen.
In Produktion und Distribution sind die Erosionstreiber, die man in der Produktion finden kann, vor allem kleine Auftragsgrößen und damit verbundene Rüstkosten und Stillstandszeiten. Ebenso müssen spezifische Kundenanforderungen, die Änderungen im Produktionsprozess erfordern, höhere Qualitätsstandards mit zusätzlichen Abnahmeprüfungen oder das Führen von Sicherheitsbeständen und damit verbundene Kapitalkosten erfasst werden. Ähnlich wird der Wert in der Distribution vernichtet, wenn kleinere Aufträge in kürzerer Zeit zu Kunden geliefert werden müssen.
In der finalen Phase nach der Auftragserfüllung kommen die Kosten für die technische Unterstützung (wie z. B. Trainings und operative Unterstützung bei der Inbetriebnahme oder während des Betriebs), für den Kundendienst (Verfolgung von
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Aufträgen, Fakturierung), für die Erstellung von Dokumentationen (Spezifikationen, Zertifizierungen) und für die Einhaltung der Garantievereinbarungen (Ersatzteile und Wartung) hinzu. Abschließend werden die Kosten, die von den identifizierten Erosionstreibern verursacht werden, neu allokiert. Wenn möglich, werden die Kosten direkt pro Kundenauftrag ermittelt (z. B. Transportkosten, Bonusauszahlungen). Dort, wo eine direkte Zuordnung nicht möglich ist, wird mit Hilfe einer Aktivitätenanalyse gearbeitet. Die relevanten Aktivitäten wie Kundenbetreuung werden einer SKU oder zumindest dem Kunden oder Produkt zugeordnet. Auf dieser Basis können die Lohnkosten den SKUs, Kunden oder Produkten zugeordnet werden. Wenn die Produktionskosten auf Basis von 100 Prozent Kapazitätsauslastung ermittelt werden, dann sollten diese auch entsprechend für die Auslastungsvarianz proportional zu Kunden oder SKU-Anteil angepasst werden. Ähnliches gilt für die Kosten für Abfall und Ausschuss, die in der Fertigung anfallen. Ergebnis dieser Analysen ist die genaue Profitabilität auf SKU-/Produkt- und KundenEbene. Diese wird auch „Net Pocket Marge“ (NPM) genannt, da sie genau den Beitrag misst, der tatsächlich in den „Taschen“ des Unternehmens ankommt. Die NPM kann grafisch mit einem Wasserfall-Diagramm dargestellt werden und illustriert anschaulich, wie der Deckungsbeitrag als Anfangspunkt ermittelt wurde und welche einzelnen Kostenblöcke davon abgezogen werden. Ein Vergleich der einzelnen NPM-Werte auch für SKUs, Produkte und Kunden wird später bei der Identifizierung der Kandidaten zur Eliminierung verwendet.
Schritt 2: Strategischen Wert von SKU/Produkt/Technologie ermitteln Entscheidungen in Unternehmen werden nicht alleine auf Basis der Profitabilität getroffen – auch der strategische Wert von SKUs, Produkten und Technologien fließt in Entscheidungen ein. Wenn ein Unternehmen die Strategie verfolgt, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, um neue Kundensegmente zu erobern, kann dieses Produkt trotz niedrigerer Profitabilität am Anfang des Produktlebenszyklus einen hohen strategischen Wert haben. Ähnlich wird in vielen Branchen oft mit Bündeln gearbeitet, in denen ein Produkt eine niedrigere Profitabilität hat, um ein wesentlich
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profitableres Produkt zu unterstützen. Beispiele dafür sind Härter mit einem sehr niedrigen, oft nicht kostendeckenden Preis, die als Koppelprodukt einen wesentlich teureren Lack stützen. Der strategische Wert basiert oft auf quantitativen Daten wie historische Marktwerte und deren erwartete Trends (z. B. Marktgröße, Marktanteile, Wachstum, Umsatz) und auf qualitativen Daten wie Kundenloyalität, die Möglichkeiten einer Technologiesubstitution, Innovationsstärke oder die Kostenvorteile eines Produkts. Die einzelnen Werte sollten mindestens auf Produkt, Technologie und Kundenebene ermittelt werden. Mit Hilfe von Gewichtungsfaktoren wird dann ein strategischer Wert ermittelt. Dieser strategische Wert wird wie in Abbildung 7 illustriert den NPM-Werten gegenübergestellt. Wenn man die NPM-Achse durch ein Unternehmensziel für die Marge (statt 0 Prozent) teilt und die Achse mit dem strategischen Wert durch die Mitte teilt, entsteht ein Portfolio mit vier Quadranten. Für jeden Quadranten ergibt sich eine spezifische Strategie für den Umgang mit SKUs/Produkten/Kunden oder auch Technologien: Wenn beide Werte über den definierten Grenzen liegen, sind das die Produkte, die das Unternehmen jedenfalls behalten sollte und die womöglich das Wachstum noch weiter vorantreiben sollten, ohne aber die Profitabilität negativ zu beeinflussen. Wenn der strategische Wert höher ist als der Durchschnitt und der NPM-Wert unterdurchschnittlich ist, sollten die Kostenstrukturen optimiert und gleichzeitig die Preise erhöht werden. Wenn die NPM-Werte über einen längeren Zeitraum nicht erhöht werden können, dann sollte überlegt werden, diese Produkte trotz deren strategischem Wert aus dem Portfolio zu eliminieren.
Die Produkte mit überdurchschnittlicher Profitabilität und einem niedrigen strategischen Wert werden genau beobachtet. Hier soll vor allem ausgeschlossen werden, dass sie einen negativen Einfluss auf Produkte mit hohem strategischen und NPM-Wert haben. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn sie F&ERessourcen blockieren. Nach Möglichkeit sollten sie durch Produkte mit höherem strategischen Wert ersetzt werden.
5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL _______________________ 117
Im letzten Quadranten befinden sich Produkte mit niedrigem strategischen Wert und geringer Profitabilität. Diese sind – vor allem wenn mit ihnen größere Kostenblöcke eingespart werden können – Kandidaten zur Eliminierung.
Net-Pocket-Margin-Werte (in % %)
Beobachten und nach Bedarf ersetzen
Niedrig
Behalten und wachsen
Unternehmensziel für die Marge
0% Kandidaten für Eliminierung
Kostenstrukturen optimieren und Preise erhöhen
Strategischer Wert
Abbildung 7: Gegenüberstellung von strategischem Wert und Net Pocket Margin
Hoch
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Schritt 3: Koppelung der Variantentreiber über die gesamte Wertkette Das nun noch fehlende Glied, um die Komplexität im Unternehmen zu verstehen, ist die Auswirkung einer Entscheidung zur Rationalisierung des Portfolios auf die gesamte Wertkette. Es reicht hier – wie schon weiter oben ausgeführt – nicht aus, sich nur auf die Profitabilität und den strategischen Wert zu fokussieren und die D-Produkte zu eliminieren. Das Problem liegt darin, dass die SKUs mit niedriger NPM nicht immer die größten Treiber der Komplexität im Unternehmen sind. Hinter den SKUs mit schlechten NPM-Werten können gleichzeitig auch hohe Verkaufsmengen stecken, die signifikante Beiträge zur Abdeckung der Fixkosten erbringen, die auch bei Eliminierung der SKUs nicht entfallen würden. Mit der Ermittlung der NPM wurden bereits die Kosten auf Produkteben ermittelt. Die Wechselwirkung eines Produkts oder sogar einer SKU auf die Komplexität einer Wertkette wird mit Hilfe von Variantenbäumen dargestellt. Mit Variantenbäumen werden mehrere Komplexitätstreiber wie zum Beispiel Technologie (oder Plattform), Produktionsprozess, Produktspezifikation, Rohstoff oder Subkomponente (Typ, Spezifikation, Lieferart, relevante Bauteile) und Verpackungsmaterial in einer hierarchischen Struktur organisiert. Ganz oben im Variantenbaum sollten die Komplexitätstreiber angeführt werden, die den höchsten Einfluss auf die Kosten haben (z. B. Technologie). Als Hilfe bei der Erstellung der Variantenbäume kann man die existierende Produkthierarchie und die Stücklisten heranziehen. Am Ende sollte man jede SKU im Variantenbaum finden können. Durch Verknüpfung von NPM einer SKU im Variantenbaum kann man für jeden Komplexitätstreiber den Einfluss auf die Profitabilität ermitteln. Auf diese Weise kann man für jede Technologieplattform ermitteln, welche Profitabilität mit ihr erwirtschaftet wird.
5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL _______________________ 119
Varianten
Technologie
Komplexitätsttreiber
Geschmack
Flaschengröße in l
Sparkling
Klar
Anzahl SKUs
Limette
Limonade
Orange
0.5
6F
Apfel
4*6T
Multifrucht
12T
2
Alu Flasche
28C
H20
4*6
Private label
Mountain
Clear spring
Mountain
Clear spring
Carrefore
15
41
24
54
36
Früchte
1
Dose
*6
Sparky
Light
1.5
Plastik
24T
Tea
Vitamine
0.75
Glass
Marken
Sub-Brands
Zitrone
0.33
Verpackungsmaterial
Sekundäre Verpackung
Still
*6 Promo 1L
*16
Teazy
Tesco
26
Abbildung 8: Beispiel eines Variantenbaums für einen Getränkehersteller
Schritt 4: Identifizierung der Potenziale zur Variantenreduktion Bei der Identifizierung der Potenziale zur Variantenreduktion werden zunächst die finanziell schwachen Produktgruppen (basierend auf Komplexitätstreibern wie Technologie, Markt und Produktkanäle) ermittelt. Danach bestimmt man, in welchem Ausmaß die Fixkosten reduziert werden könnten, wenn man diese finanziell schwachen Produktgruppen eliminieren würde. Wenn die Senkung der Fixkosten höher ist als der Verlust an Profitabilität und die Produktgruppe nicht von strategischer Bedeutung ist, dann hat man eine zur Rationalisierung geeignete Produktgruppe identifiziert. Die Potenziale können dabei entlang des Variantenbaums aufgezeigt werden:
17
120 _______________________________________ STRATEGIE 4 – BEREINIGUNG DES PRODUKTPORTFOLIOS
Das Straffen von Technologien ist der einfachste Weg, größere Kostenblöcke (vor allem auch Fixkosten) zu eliminieren.
Mit dem Wegfall einer Technologie werden eine oder mehrere Produktlinien, mitunter sogar ganze Werke, geschlossen. Vor allem wenn ein bestimmtes Werk unter Verdacht steht, nicht profitabel zu sein, und daher bereits ein Schließungskandidat ist, hilft der Ansatz mit Hilfe von NPM-Werten und Variantenbäumen dabei, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Bei der Aufgabe einer Technologie werden nicht nur unprofitable SKUs gestrichen, auch profitable Produkte oder SKUs sind betroffen. Daher muss für diese profitablen Produkte entsprechender Ersatz gefunden werden, um die Kunden weiterhin erfolgreich versorgen zu können.
Standardisierung von Rohstoffen und Komponenten – hier werden die Einsparungen über niedrigere Preise, die aus Skaleneffekten resultieren (da pro Teil eine höhere Menge eingekauft wird), erzielt. Zusätzlich müssen auch weniger Bestellungen abgewickelt werden, wodurch die Prozesskosten im Einkauf sinken.
Mit der Standardisierung von Verpackungstypen können ganze Äste im Variantenbaum eliminiert werden. Wenn ein Reinigungsmittel in 1, 3 und 5 Kilo Einheiten geliefert wird und dafür noch unterschiedliche Geometrien verwendet werden, kann man hinterfragen, ob so viel Komplexität wirklich erforderlich ist und welchen Wert das bringt. Gebindeformen und -größen, die von Kunden nicht erwünscht sind, sollten eliminiert werden.
SKUs mit schlechtem Ergebnis können aus dem Portfolio gestrichen werden.
Nachhaltig unprofitable Kunden sollten aus dem Portfolio gestrichen beziehungsweise in andere, kostengünstigere Vertriebskanäle verlagert werden (beispielsweise Verlagerung hin zu Großhändlern als Alternative zur Direktbelieferung).
Schließlich sollten auch die Kundenbestellungen optimiert werden. Dabei werden üblicherweise drei Schwellenwerte zum Management der Logistikkosten definiert: minimale Bestellmenge, maximale Frequenz von Lieferungen und minimale Anzahl SKUs pro Palette. Dadurch werden die einzelnen Lieferungen besser ausgelastet und die Kosten werden über Skaleneffekte gesenkt.
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Um das im Unternehmen vorhandene Wissen vollkommen auszuschöpfen, sollten die Analysen zur Identifizierung der Potenziale zur Variantenreduktion in interdisziplinären Workshops mit Einkauf, Produktion, Technik, Marketing, Vertrieb und Logistik erfolgen.
Schritt 5: Analyse von Profitabilitätsverlust und Fixkostenreduzierung Nachdem die einzelnen Kandidaten für Eliminierung oder Wechsel identifiziert wurden, fehlt nur noch die finale Entscheidung, ob tatsächlich umgesetzt werden soll. Diese Entscheidung muss mit einer Gesamtkostenbetrachtung begründet werden. Für jede Entscheidung sollte ihr Einfluss auf die Wertkette ermittelt werden. Nachdem über Variantenbäume eine Verknüpfung der einzelnen Bereiche entsteht, ist es auch möglich, eine erneute Profitabilitätsrechnung aufgrund der vorgeschlagenen Eliminierungen zu erstellen. Erst auf dieser Basis – nachdem genau überprüft worden ist, wie hoch der mögliche Profitabilitätsverlust ist und wie hoch die gegenüberstehende Fixkostenreduktion ist – kann eine faktenbasierte Entscheidung getroffen werden. Erst wenn nachgewiesen ist, dass die Fixkostenreduktion größer ist als der mögliche Profitabilitätsverlust, lohnt es sich für ein Unternehmen, einzelne Äste oder Varianten aus seinem Portfolio zu nehmen.
Schritt 6: Umsetzung der identifizierten Potenziale Die Erkenntnisse aus den Schritten 4 und 5 dienen als Entscheidungsvorlage für das Top-Management. Die Umsetzung ist genauso aufwändig wie die oben beschriebene Analyse, da sie oft in mehreren Bereichssilos gleichzeitig stattfindet. Wenn beispielsweise eine Gruppe von SKUs aus dem Portfolio eliminiert wird, um dadurch eine ganze Produktionslinie zu schließen, dann sollten vor allem Vertrieb und Produktion für die Umsetzung zuständig sein. Zuerst müssen alle betroffenen Kunden über die Änderungen informiert werden (welches Produkt soll eliminiert werden, welches Ersatzprodukt wird vorgeschlagen, wie lange wird die Produktion noch erhalten) und dann werden die Änderungen konsequent umgesetzt. Es ist wichtig, dass die Kommunikation zu Kunden frühzeitig und kontinuierlich erfolgt, um keine Kunden aufgrund dieser Bereinigung zu verlieren.
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Beispiel für eine erfolgreiche Bereinigung des Produktportfolios Ein führender Hersteller von Lebensmittelzutaten litt als Folge zahlreicher Akquisitionen in Europa unter einer Überzahl an Produkten und Geschäftsmodellen. Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, die erwarteten Synergien in Beschaffung, Produktion und F&E zu realisieren. Die Business Units in den meisten westeuropäischen Ländern hatten noch immer jeweils eigene, fast autonome Organisationen einschließlich Vertrieb, Marketing, Produktion, Logistik und F&E. Auch die Produktportfolios unterschieden sich erheblich von einem Land zum anderen. In einigen Ländern wurde der größte Teil des Umsatzes mit Fertigprodukten für den Handel erbracht. In anderen Ländern dominierten die Verkäufe von Halbzeugen und Rohstoffen an Lebensmittelhersteller. Die meisten Geschäftseinheiten erreichten nicht die kritische Größe und waren entsprechend nicht in der Lage, sich um die Weiterentwicklung der Produkte zu kümmern. Gleichzeitig bestand immer höherer Kostendruck aufgrund steigender Rohstoffkosten und gleichzeitig sinkender Marktpreise für viele der Standardprodukte des Unternehmens. Das Unternehmen benötigte kurzfristig wirksame Ergebnisse, um Skaleneffekte endlich nutzen zu können. Bei der Identifizierung von Potenzialen stieß man auf folgende Herausforderungen:
Es gab erhebliche Unterschiede in den Märkten in Europa, die für die kommenden Jahre noch beibehalten werden sollten. Daher galt es, sorgfältig zu identifizieren, wo Synergien genutzt werden können, ohne das lokale Geschäft in Gefahr zu bringen.
Einige der Landesgesellschaften waren noch recht profitabel und zögerten, ihre Portfolios oder Geschäftsmodelle im Interesse des großen Ganzen anzupassen.
Die Analyse wurde daher in mehreren Piloten nach Ländern organisiert, um die Potenziale für die Optimierung des Portfolios und die Fixkostensenkungen zu ermitteln. Der erste Schritt war eine Erstellung von Variantenbäumen, basierend auf Technologie-und Markt/Kanal-Merkmalen. Der Schwerpunkt lag nur begrenzt auf der SKU-Ebene, da die Profitabilität in diesem Detailgrad nicht mehr mit vertretbarem Aufwand erfasst werden konnte. Im Durchschnitt wurden zwischen 25 und 30 Produkt-Cluster pro Land identifiziert.
5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL _______________________ 123
Der nächste Schritt umfasste die Ermittlung finanziell schwacher Produkt-Cluster und die Ermittlung der mit diesen Clustern zusammenhängenden Fixkosten. Mit einer ersten Rationalisierungswelle wurden etwa 20 Prozent der SKUs und Fixkosten von 10 Millionen Euro eliminiert. Damit waren die Piloten für sich alleine genommen schon wirtschaftlich erfolgreich. Zusätzlich öffneten die Piloten den Weg für eine große Konsolidierung des Produktionsnetzwerks, die am Ende Einsparungen von mehr als 250 Millionen Euro lieferte. Darüber hinaus wurde mit F&E-Kompetenzzentren die Time-toMarket für neue Produkte erheblich verkürzt.
5.5 STRATEGIE 5 – INSOURCING ZUR KAPAZITÄTSAUSLASTUNG/ CASH MANAGEMENT Insourcing kann in akuten Krisen einen signifikanten Beitrag zum Überleben eines Unternehmens leisten. Insourcing beruht darauf, dass die Fixkosten nicht so schnell abgebaut werden können, wie der Absatz einbricht – ein Szenario, das in der Krise von 2008 bei vielen Unternehmen vor allem im Anlagenbau und in der Lkw-Branche eingetreten ist – und bei einer Grenzkostenbetrachtung das Insourcing von Aktivitäten zu einer Ergebnisverbesserung führt. Es verhindert auch ein Abfließen von Liquidität. Gemeinsam mit einem stringenten Cash Management wird so die Innenfinanzierungskraft des Unternehmens, die in Zeiten der Liquiditätsknappheit noch an Bedeutung gewinnt, gestärkt. Gerade bei Vorräten und Lieferantenverbindlichkeiten kommt dabei dem Einkauf eine bedeutende Rolle zu.
Insourcing In einer heftigen Rezession – wie in der Krise von 2008 – gelten teilweise andere Regeln als im normalen Wirtschaftsleben. Während man in den letzten Jahren und Jahrzehnten eher über Outsourcing sprach, mit dem man sich verstärkt auf Kernkompetenzen konzentrierte, und Tätigkeiten, die nicht zum Kernbereich des Unternehmens gehörten, an Spezialisten auslagerte, geht man beim Insourcing nun den entgegengesetzten Weg. Warum dieser Paradigmenwechsel in einer Krise? In Zeiten des stetigen Wachstums kann es sich ein Unternehmen üblicherweise ohne größere Auswirkungen auf die eigene Belegschaft erlauben, Aktivitäten auszulagern. Die eigene Beleg-
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schaft wächst dann einfach weniger schnell als der Umsatz. In Krisenzeiten kommt es allerdings vielerorts zu massiven Umsatzeinbrüchen und damit zu einer Unterauslastung der eigenen Mitarbeiter. Hier kann Insourcing, wenn mit Augenmaß und Übersicht betrieben, ein probates Mittel zur Ausgabenreduktion und damit ein Beitrag zur Überlebenssicherung sein. Selbst wenn die Durchführung der Aktivitäten im eigenen Unternehmen in Summe teurer ist als bei Lieferanten, kann Insourcing sinnvoll sein, da hier eine Grenzkostenbetrachtung angestellt werden muss. Es werden also nur die durch das Insourcing neu hinzukommenden (meist variablen) Kosten mit den Kosten des Lieferanten verglichen. Bestehende Fixkosten gehen nicht in die Betrachtung ein. Ein Mitarbeiter, der ohnehin im Unternehmen verfügbar ist und eine Tätigkeit neu übernehmen kann, würde also mit Grenzkosten von null angesetzt. Bei extremer Unterauslastung kann es leicht vorkommen, dass die Kapazität der eigenen Mitarbeiter und damit die Fixkosten durch Kurzarbeit, Kündigungen oder andere Maßnahmen nicht schnell genug oder nur unter Inkaufnahme von signifikanten Kosten an das niedrigere Auslastungsniveau angepasst werden können bzw. das Unternehmen bei völliger Anpassung an die momentane Auslastungssituation immer noch durch die Remanenzkosten erdrückt werden würde. Es kann aber auch sein, dass die Mitarbeiterzahl aus strategischen Gründen nicht angepasst werden soll, da Mitarbeiter in der Krise gehalten werden sollen und man auf zukünftige Wachstumsperioden gut vorbereitet sein möchte. In diesen Fällen, in denen also die Fixkosten nicht gesenkt werden können oder sollen, entspricht jeder Euro weniger Ausgaben an Dienstleister oder Fremdfirmen, der durch Eigenleistung ersetzt werden kann, einem Euro Ersparnis. Da die infrage kommenden Leistungen und Teile in der Vergangenheit aus gutem Grund fremdvergeben wurden, ist beim krisen- und liquiditätsbedingten Insourcing aber neben der Kosteneinsparung gegen Grenzkosten auf jeden Fall auch auf die Einfachheit der Umsetzung, Kurzfristigkeit und Reversibilität zu achten:
Einfachheit der Umsetzung, da man keine neue Komplexität im Unternehmen schaffen möchte. Selbstverständlich sind solche Maßnahmen vorzuziehen, die relativ einfach entschieden werden können und die sonstigen Abläufe im Unternehmen nicht weiter belasten.
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Kurzfristigkeit, da die Einsparungen möglichst rasch realisiert werden müssen. In Zeiten der Krise dürfen keine Maßnahmen mit lang andauernden Umsetzungsplänen im Vordergrund stehen. Vielmehr sind Maßnahmen zu wählen, die rasch greifen und zur sofortigen Ergebnisverbesserung beitragen.
Reversibilität, da man zwar kurzfristig den Weg des Insourcings beschreitet, langfristig jedoch die Flexibilität zur erneuten Auslagerung von Tätigkeiten sichern möchte. Dieser Faktor wird im Unternehmen voraussichtlich für intensive und kontroverse Diskussionen sorgen, da durch das Insourcing die Gefahr besteht, dass Lieferanten insolvent werden und ein späteres Auslagern von Tätigkeiten zurück zum bewährten Partner nicht mehr realisierbar ist. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass Investitionen getätigt werden, die eine spätere Auslagerung erschweren. Für den Fall eines Aufbaus völlig neuer Bereiche stellt sich die Frage, wie einfach diese in späteren Jahren wieder abgebaut werden können.
Sehr oft treffen diese Kriterien auf eher einfache Teile zu, für die noch Fertigungsanlagen im Unternehmen bestehen, die jetzt in der Krise aber nicht mehr ausgelastet sind. Häufig wurden solche Teile in der Vergangenheit aus Kapazitätsgründen oder aufgrund von kostengünstigeren Lieferanten fremdvergeben. Einfache Drehteile können beispielsweise in vielen Industriebetrieben in diese Kategorie fallen. Im Beispiel von Drehteilen gibt es auch viele potenzielle Lieferanten, an die das Teil zukünftig wieder fremdvergeben werden kann, es ist also auch das Kriterium der Reversibilität erfüllt. Außerdem ist auch im Unternehmen mit keinen größeren Widerständen zu rechnen, wenn diese Teile in Zukunft bei wieder besserer Auftragslage wieder fremdvergeben werden. Reintegriert ein Unternehmen aber einen kompletten ehemaligen Fertigungsbereich, dessen frühere Verlagerung bereits für interne Spannungen im Unternehmen gesorgt hatte, so kann dies wohl relativ rasch und einfach durchgeführt werden, wenn noch entsprechendes Know-how im Unternehmen vorhanden ist. Das Kriterium der Reversibilität ist hier aber kritisch zu beleuchten. Eine spätere neuerliche Verlagerung wird nur unter großen Reibungsverlusten und internen Widerständen möglich sein. Vor einem detaillierten Einstieg in die Thematik des Insourcings soll noch einmal der übliche „Make or buy“-Prozess beleuchtet werden, da sich die Insourcing-Überlegungen maßgeblich an diesem Prozess orientieren.
126 ____________________STRATEGIE 5 – INSOURCING ZUR KAPAZITÄTSAUSLASTUNG/CASH MANAGEMENT
Beim Outsourcing stellt man sich in der Regel die Frage nach der Kernkompetenz und Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Kostenstruktur einer Aktivität bzw. eines Produkts, da selbstverständlich keine Kernkompetenzen fremdvergeben werden sollen. Gleichzeitig besteht kein Erfordernis zur Auslagerung von Aktivitäten, wenn das eigene Unternehmen kostenseitig wettbewerbsfähig ist. Um festzustellen, ob eine Kernkompetenz vorliegt, ist zu hinterfragen, ob ein hergestelltes Teil oder ein Produktionsprozess von strategischer Relevanz bzw. ein wesentliches Differenzierungsmerkmal für das Unternehmen ist oder in Zukunft sein wird. Schließlich geht es darum, den derzeitigen Wettbewerbsvorsprung nicht aus der Hand zu geben und auch für die Zukunft zu bewahren. Ob ein Prozess oder Teil ein Differenzierungsmerkmal ist, zeigt sich vor allem am Kunden, nämlich bei der Frage, ob der Kunde ein spezifisches Produktmerkmal – das eben durch ein Teil, einen Prozess oder eine Technologie ermöglicht wird – besonders wertschätzt. Neben der strategischen Relevanz können operative Fähigkeiten oder auch Fragestellungen den Ausschlag für die Definition als Kernkompetenz geben, wenn sie einen operativen Vorteil für das Unternehmen mit sich bringen, nämlich:
Kann ein Teil oder ein Produktionsprozess überhaupt aus dem bestehenden Produktionsprozess herausgelöst werden? Vielleicht hat ein Produzent im Verbund Vorteile oder es können Nachteile im Kundenservice bei einer Fremdvergabe entstehen. Auch die Frage, ob eine enge Zusammenarbeit mit der R&D-Abteilung erforderlich ist und wie häufig Produktänderungen oder Produktneuentwicklungen auftreten, ist wesentlich.
Gibt es überhaupt relevante Lieferanten im Markt, die in der Lage sind, das Teil zu liefern, oder über die wesentlichen Technologien verfügen?
Hat das Unternehmen selbst die erforderlichen Fähigkeiten, die erforderlichen Kapazitäten und das erforderliche Qualitätsniveau?
Die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit der Kostenstruktur ist relativ einfach durch einen Vergleich mit einem potenziellen Lieferanten beziehungsweise Dienstleister zu beantworten. Dabei darf allerdings nicht nur die derzeitige Kostenposition berücksichtigt werden. Ebenfalls zu berücksichtigen ist die zukünftige Kostenstruktur, da mögli-
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cherweise absehbar ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt wegen fehlender Skaleneffekte oder wegen Technologieänderungen eine nachteilige Kostenstruktur bestehen wird. In diesem Fall ist eine Auslagerung der Tätigkeit vorzuziehen. Selbst wenn man heute wettbewerbsfähig bei der Kostenstruktur ist, allerdings bereits absehbar ist, dass man es in Zukunft nicht mehr sein wird, spricht das ganz klar für eine Fremdvergabe. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Kernkompetenzen nicht fremdvergeben werden sollten. Ebenfalls besteht bei Wettbewerbsfähigkeit der Kostenstruktur kein Bedarf zur Fremdvergabe. Daraus folgt, dass in der Regel nur weniger wichtige Aktivitäten und jene mit nicht wettbewerbsfähigen Kostenstrukturen ausgelagert werden. Wenn man diese Fremdvergabe-Logik nun auf die Insourcing-Situation überträgt, ergibt sich folgendes Bild: Zuerst analysiert man alle fremdvergebenen Aktivitäten hinsichtlich deren Zugehörigkeit zu den Kernkompetenzen. Ausgelagerte Tätigkeiten können aus früherem Fehlverhalten resultieren. Ebenfalls können sich seit der Fremdvergabe Technologien, Kundenanforderungen und Ähnliches geändert haben, die bei neuerlicher Betrachtung eine Definition als Kernkompetenz rechtfertigen. Damit ist für diesen Bereich bereits die Entscheidung zum Insourcing gefallen. In Krisenzeiten ist hierbei allerdings sehr vorsichtig vorzugehen und vorherrschende Meinungen sind zu objektivieren, da Mitarbeiter oft rasch dazu tendieren, ausgelagerte Tätigkeiten, an denen „schon immer ihr Herz hing“, in den Rang einer Kernkompetenz zu heben. Für den Großteil der bewerteten Aktivitäten, die eindeutig keine Kernkompetenzen sind, beleuchtet man dann, ob die Aktivitäten überhaupt intern durchgeführt werden könnten, und falls ja, ob sie kurzfristig umsetzbar und auch später wieder reversibel sind. Falls alle diese Fragen mit Ja beantwortet werden können, erfolgt eine detaillierte Kostenbetrachtung. Bei der Fremdvergabe basierte die Entscheidung in der Regel auf einer Vollkostenbetrachtung. Bei der Frage des Insourcings in Krisenzeiten muss stattdessen eine Grenzkostenbetrachtung durchgeführt werden. Viele der relevanten Kosten sind ohnehin vorhanden und können kurzfristig nicht abgebaut werden. Die Fixkosten der unterbeschäftigten Kapazitäten führen dann bei Insourcing zu niedrigeren Stückkosten, da die Kosten für den externen Lieferanten voll eingespart werden, wohingegen intern nur variable Kosten anfallen. Im Rahmen der Grenzkostenrechnung werden demnach keine Fixkosten berücksichtigt. Selbstverständlich dient
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diese Betrachtung eher einer kurz- bis mittelfristigen Optimierung. Dennoch, solange die Kriterien der Einfachheit, Kurzfristigkeit und Reversibilität berücksichtigt werden, kann in Krisenzeiten ein wesentlicher Ergebnisbeitrag erzielt werden. Eine stärkere Auslastung der eigenen Ressourcen durch Insourcing kann in der Regel in drei verschiedenen Ausprägungen relevant werden, die jeweils für unterschiedliche Beschaffungsgruppen bzw. Dienstleistungen infrage kommen: Völliges Insourcing
Mitarbeiter zur Verfügung stellen (weil Know-how oder Werkzeuge fehlen)
Reduktion der externen Aktivitäten und höhere Übernahme von Verantwortung aller Mitarbeiter
Völliges Insourcing Bei völligem Insourcing wird die Arbeit wieder komplett in das eigene Unternehmen integriert. Es werden intern beispielsweise wieder Arbeitspläne erstellt und Kapazitäten reserviert. Typische Bereiche, für die ein völliges Insourcing relevant ist, sind zum Beispiel:
Komponenten, die früher selbst gefertigt wurden, jedoch später aus Kostengründen und Gründen der Komplexitätsreduzierung fremdvergeben wurden. Häufig existieren die Produktionsanlagen noch im Unternehmen, zum Beispiel für einfache Drehteile, Schweißteile etc., oder der Zusammenbau von Baugruppen, für die kaum Maschinen erforderlich sind, sondern vor allem Arbeitskräfte notwendig sind.
Dienstleistungen, für die keine Maschinen und keine speziellen Kenntnisse erforderlich sind.
5 FÜNF DIFFERENZIERTE STRATEGIEN FÜR EINEN AGILEN EINKAUF IM DETAIL _______________________ 129
Mitarbeiter zur Verfügung stellen Bei dieser Ausprägung ist man in der Regel auf spezielle Kenntnisse oder Maschinen des Lieferanten angewiesen. Ein völliges Insourcing würde in diesen Fällen eine hohe Komplexität bedeuten. Sehr oft ist aber die zur Verfügungstellung von eigenen Mitarbeitern bei gleichzeitiger Reduktion der Lieferanten-Mitarbeiter möglich. Diese Ausprägung bietet sich beispielsweise in folgenden Situationen an:
Die Fähigkeiten zur Unterstützung von Tätigkeiten stehen im Unternehmen bereit oder es handelt sich um Hilfstätigkeiten zur Unterstützung des Lieferanten ohne weitere Voraussetzungen.
Der Lieferant nutzt selbst noch Zeitarbeitskräfte, die durch freie Kapazitäten des Unternehmens ersetzt werden.
Der Lieferant hat sehr viel einfachere und kostengünstigere Möglichkeiten zum Mitarbeiterabbau.
Reduktion der externen Aktivitäten und höhere Übernahme von Verantwortung aller Mitarbeiter Sehr oft können externe Aktivitäten einfach weggelassen und durch mehr Verantwortungs- oder auch Kostenbewusstsein aller Mitarbeiter aufgefangen werden. Beispielsweise können Reinigungszyklen der Reinigungsfirmen reduziert und durch mehr Eigenverantwortung gestreckt werden. Möglich wird dies beispielsweise durch gesteigerte Sauberkeit am eigenen Arbeitsplatz. Oder Lieferanten entstehen hohe Kosten durch die Erhöhung des Servicegrads für die Mitarbeiter, zum Beispiel bei der Verteilung von Büromaterialien im Kundenunternehmen. Hier können in Krisenzeiten relativ einfach Einsparungen durch Verringerung der Bequemlichkeit erzielt werden.
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Fallstudie Insourcing Die Bedeutung und Wirkung von Insourcing kann an einem einfachen Beispiel aus dem Maschinenbau verdeutlicht werden. Kaum eine andere Branche ist von der aktuellen Wirtschaftskrise so stark betroffen wie der Maschinenbau. Investitionsentscheidungen werden zurückgestellt und potenzielle Kunden können die geplante Finanzierung nicht sicherstellen. Einige Produktlinien verzeichnen gar Umsatzeinbrüche von 50 bis 80 Prozent. Klassische Maßnahmen wie Kapazitätsreduktion können derartig massive Rückgänge nicht mehr ausgleichen, da Kapazitäten gar nicht schnell genug abgebaut werden könnten und das Unternehmen durch die verbleibenden Fixkosten erdrückt werden würde. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass ein Umsatzeinbruch von 80 Prozent eine nur vorübergehende Erscheinung ist. In dieser Situation wurde das gesamte Beschaffungsvolumen eines Maschinenbau-Unternehmens von 150 Mio. Euro auf die Möglichkeit des Insourcings und daraus resultierende Ergebnisverbesserungen geprüft. Rund die Hälfte des Beschaffungsvolumens war Wertschöpfung der direkt vorgelagerten Lieferanten und stand damit zur Disposition für potenzielle Ergebnisverbesserungen. Das gesamte Beschaffungsvolumen wurde nun in einer Vielzahl von Gesprächen und Workshops systematisch auf Einfachheit, Kurzfristigkeit und Reversibilität hin untersucht. Ergebnis war, dass rund 40 Mio. Euro Ergebnisverbesserungspotenzial gegen Grenzkosten identifiziert wurden. Davon konnten etwa die Hälfte ohne Vorbehalte kurzfristig realisiert werden, wobei die andere Hälfte wegen mangelnder Reversibilität bis auf Weiteres zurückgestellt wurde. Die Ergebnisverbesserungen aus Insourcing retteten das Unternehmen in einer sehr prekären Situation. Es hätte nicht die finanziellen Mittel gehabt, um die erforderlichen Restrukturierungskosten des weiteren ohne Insourcing notwendigen Personalabbaus zu tragen, und gleichzeitig konnten Hunderte Arbeitsplätze im Unternehmen zunächst gesichert werden.
Cash Management Mit der Optimierung des Cash Managements kann der Einkauf eines Unternehmens in Krisenzeiten sehr kurzfristig einen signifikanten Beitrag zum Überleben des Unternehmens leisten. Nicht nur in Krisenzeiten ist der Stellenwert zusätzlicher Liquidität immens. Häufig wird übersehen, dass der Einkauf über wesentliche Hebel verfügt, die viel zu wenig genutzt werden. Die drei wesentlichen Säulen zur Optimierung des Working Capitals sind Forderungen, Vorräte und Verbindlichkeiten, wobei vor allem
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Vorräte und Verbindlichkeiten ganz massiv vom Einkauf beeinflusst werden können. Während Preissenkungen immer der Zustimmung des Lieferanten bedürfen und mit erheblichem Aufwand verbunden sein können, ist der Beitrag des Einkaufs zum Cash Management sehr viel einfacher zu erzielen, jedoch mit ebenso signifikanter Auswirkung auf den Unternehmenserfolg. Der besondere Charme der Senkung von Vorräten und der Erhöhung der Verbindlichkeiten liegt demnach darin, dass sie überwiegend eigenverantwortlich umgesetzt werden können, keines Vorlaufs bedürfen und mit sehr geringem Aufwand umgesetzt werden können. Die Reduzierung der Lagerbestände an Roh-, Halbfertig- und Fertigwaren ist heute zu einer permanenten Aufgabe des Einkaufs geworden. In Krisenzeiten gewinnt diese Rolle des Einkaufs an zusätzlicher Relevanz. Einerseits nimmt die Bedeutung von Liquidität grundsätzlich zu, andererseits eröffnen sich dem Einkauf neue Möglichkeiten durch geänderte Rahmenbedingungen. Die Reduzierung der Lagerbestände berührt vor allem die Bereiche Einkaufsstrategie, Materialplanung, Produktionsplanung, Produktion, Lagerung, Auftragsbearbeitung und Distribution. Die Reduzierung der Vorräte um eine Million Euro reduziert die Notwendigkeit von Kreditlinien für diesen Betrag – es kommt also zu einer Aktivierung eigener Liquiditätsreserven und einer Substitution externer Kredite durch Innenfinanzierung. Dies ist ein Umstand, der in Krisen ein nicht zu unterschätzender Faktor ist und der Finanzabteilung und der Unternehmensleitung zusätzlichen Handlungsspielraum eröffnet. Gleichzeitig ist eine nicht unbeachtliche Ergebnisverbesserung durch die Nutzung von Innenfinanzierungen möglich – bei einem angenommenen Zinssatz von acht Prozent verbessert sich das Ergebnis um 80.000 Euro p. a. In Boomzeiten mit ihren drohenden Versorgungsengpässen bauen viele Unternehmen volle Lager auf, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Hinzu kommt häufig ein hohes, bereits platziertes Bestellvolumen mit Abnahmeverpflichtung bei den Lieferanten. Nach einem abrupten Einbruch der Konjunktur und der Auftragseingänge – wie bei der Krise von 2008 – und den damit einhergehenden Umsatzrückgängen sind viele Unternehmen mit zu hohen Lagerbeständen und zusätzlich ausstehenden Bestellungen konfrontiert. Diese können im Extremfall zu einer massiven Bedrohung für die Liquiditätssituation des Unternehmens werden.
132 ____________________STRATEGIE 5 – INSOURCING ZUR KAPAZITÄTSAUSLASTUNG/CASH MANAGEMENT
Was können und müssen Unternehmen in dieser Situation tun, um die Lagerbestände und Liquiditätsbelastung zu reduzieren? Zunächst müssen die Bestände an die aktuelle Krisensituation angepasst werden, beispielsweise müssen Wiederbeschaffungszyklen überprüft werden. In der Boomphase wurden häufig mehrmonatige oder sogar mehrjährige Wiederbeschaffungszeiten in den Systemen eingestellt. Aufgrund der gewandelten Situation sind Lieferanten wieder innerhalb kürzester Zeit lieferfähig. Diese Veränderung muss in den Systemen verankert werden, da es sonst zu überfrühten Bestellungen und damit Abnahmeverpflichtungen kommt.
Sicherheitsbestände an das reduzierte Umsatzvolumen angepasst werden.
ggf. Bestell-Losgrößen reduziert werden, da zu große Losgrößen zu einer überproportionalen Liquiditätsbelastung führen.
Bestellungen frühzeitig storniert werden bzw. dem Lieferanten frühzeitig realistische neue Lieferdaten für Bestellungen genannt werden. Oft wird die Kommunikation von verringerten Volumina an Lieferanten aufgrund der erwarteten negativen Reaktion unnötig lange hinausgeschoben. Dies vergrößert meist nur die Probleme, da der Lieferant mittlerweile tatsächlich selbst Bestellungen vorgenommen oder Teile bereits vorgefertigt hat.
Darüber hinaus müssen viele auch in „Normalzeiten“ gültige Maßnahmen angesichts der Liquiditätsknappheit verschärft und auf ihre Anwendungsmöglichkeit hin überprüft werden. Beispielsweise müssen
Langsamdreher abverkauft werden.
mögliche Rückverkäufe von zum Beispiel Rohmaterialien an Lieferanten beleuchtet werden.
die vorhandenen Vorräte exakt bekannt sein, um unnötige Bestellungen zu vermeiden.
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Zwischenlager abgebaut werden. In Zeiten der Vollauslastung wurden oft kleinere „inoffizielle“ Zwischenlager angelegt, um einen reibungslosen Ablauf in der Produktion zu gewährleisten. Bei Unterauslastung müssen diese wieder rigoros aufgelöst werden, da sie ihre ohnehin fragwürdige Existenzberechtigung verloren haben.
in volatilen Zeiten laufend die Absatzpläne des Vertriebs hinterfragt und Bestellungen und Lagerhaltung angepasst werden.
Just-in-Time-Lieferungen bei Produkten mit hohem Wertanteil forciert werden. In Zeiten von Unterauslastung können dem Lieferanten oft abseits des Preises Zugeständnisse auf Nebenschauplätzen abgerungen werden, zu denen er in „Normalzeiten“ nicht bereit wäre. Das Management der Verbindlichkeiten ist der zweite wesentliche Stellhebel für den Einkauf, um die Liquiditätssituation des Unternehmens zu verbessern. Hierbei werden vor allem die Bereiche Bedarfserkennung, Vertragsabschluss und Bestellung, Warenannahme und Betragsauszahlung betrachtet. Wenn beispielsweise ein Unternehmen mit durchschnittlich 100 Mio. Euro Lieferantenverbindlichkeiten seinen Zahlungszyklus für Verbindlichkeiten von durchschnittlich 30 Tage auf 45 Tage anhebt, hat das eine große Auswirkung auf die Cash-Position des Unternehmens. Die Zinslast wird – bei einem unterstellten Zinssatz von 8 Prozent – um 4 Mio. Euro jährlich gesenkt. Zusätzlich wird freie Liquidität in Höhe von 50 Mio. Euro geschaffen. Die Verlängerung des Zahlungszieles ist also ein bedeutender Hebel zur Verbesserung der Liquidität eines Unternehmens. Natürlich kann die Nutzung dieses Hebels auch zu Reputationsverlusten führen, aber zielgerichtet und mit maßvoller Abwägung eingesetzt, ist er eine unverzichtbare Maßnahme zur Freilegung stiller Liquiditätsreserven. Das Management der Lieferantenverbindlichkeiten kann in unterschiedlichen Ausprägungen erfolgen. Beispielsweise
können Zahlungsfristen durch Verhandlungen verlängert werden
kann die Anzahl der Zahlungsläufe gesenkt und tagesgenaue letztmögliche Bezahlung unter Ausnutzung von Skonto sichergestellt werden
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können mangelhafte Lieferungen des Lieferanten rigoros reklamiert und diesbezügliche Zahlungen zurückstellt werden
Neben der Vergrößerung der Lieferantenverbindlichkeiten spielen die Zahlungskonditionen eine wesentliche Rolle. Hierbei sind insbesondere die möglichen Skontospielräume zu nutzen.
Beispiel Cash Management Die Wirkung von effektivem Cash Management wird vor dem Hintergrund der Krise von 2008 sehr rasch deutlich. Ein Maschinenbau-Unternehmen verhandelte mit Banken über einen 20 Mio. Euro Kredit zur Finanzierung von Umstrukturierungsmaßnahmen. Durch rigoroses Ausreizen der Lieferantenverbindlichkeiten konnte der Kreditbedarf allerdings auf 10 Mio. Euro reduziert werden – der Rest wurde durch Innenfinanzierung aufgebracht. Erreicht wurde dies, indem mit vielen Lieferanten über neue Zahlungsfristen verhandelt wurde. Die Ausweitung der Zahlungsfristen führte bei den Lieferanten zwar zu kleineren Unstimmigkeiten, solange die Verhandlungen fair geführt wurden, hielten sich die negativen Reaktionen in Grenzen. Die mangelnden Alternativen für die Lieferanten und der neue Käufermarkt müssen eben auf allen Schauplätzen genutzt werden. Bezüglich einer Reduktion der Vorräte wurde in diesem Fall mit Lieferanten sehr frühzeitig über die Stornierung bzw. zeitliche Verschiebung von Bestellungen verhandelt, da der deutliche Umsatzeinbruch ansonsten zu einer Explosion der Vorräte geführt hätte. Die frühzeitige, offene Kommunikation mit Lieferanten ermöglichte auf Lieferantenseite eine ebenfalls schnelle Anpassung an die neue Auftragslage und so konnte trotz Auftragseinbruch eine gute Beziehung beibehalten werden. Zusätzlich wurden alle neuen Bestellungen einer Überprüfung hinsichtlich tatsächlichem Bedarf und der Möglichkeit der Abdeckung durch bestehendes Lagermaterial unterzogen.
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6
FALLSTUDIEN
6.1 FALLSTUDIE 1: FINANZWESEN Im Gegensatz zu klassischen Industrieunternehmen hat im Finanzsektor der Einkauf einen vergleichsweise geringen Stellenwert. Mit der Krise von 2008 nahm der Stellenwert des Einkaufs bei Finanzdienstleistern jedoch deutlich zu, da man auch im Finanzwesen festgestellt hat, dass der Einkauf einen massiven Profitabilitätshebel darstellt. Aktuell wenden sich Finanzdienstleister zunehmend der Optimierung ihres Einkaufs zu und realisieren dabei Einsparpotenziale im deutlich zweistelligen Prozentbereich. Anders als in Industrieunternehmen ist der Wertschöpfungsanteil der gesamten Beschaffungsgruppen für Finanzdienstleister vergleichsweise gering und macht beispielsweise im Vergleich zur Automobilindustrie nur einen Bruchteil aus. Einzige Ausnahme bildet dabei die EDV-Infrastruktur, die für Finanzdienstleister das Rückgrat ihrer Wertschöpfung darstellt. Bei vielen Finanzdienstleistern haben sich daher Fachbereiche oder selbstständige Einheiten herausgebildet, die EDV-Dienstleistungen intern erbringen und auch den Einkauf von Hard- und Software sowie entsprechender externer Dienstleistungen koordinieren. Oft führt die Suche nach Optimierungspotenzialen zunehmend zu einem stärker zentralisierten bzw. koordinierten Einkauf über alle Beschaffungsgruppen hinweg. Mit einer solchen Reorganisationsmaßnahme geht die Erwartung einher, Bündelungsvorteile über Geschäftseinheiten oder Regionen hinweg nutzen zu können sowie gleichzeitig beschaffungsgruppenspezifische Einkaufskompetenz zu konzentrieren und allen Bedarfsträgern zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig beobachtet man, dass, während vor einigen Jahren lediglich „Global Player“ unter den Finanzdienstleistern auf diese Art und Weise ihre Kosten optimiert haben, nun zunehmend auch mittelgroße, regionale Finanzdienstleister diese Chance zur Kostenoptimierung erkennen. Trotz insgesamt günstiger Rahmenbedingungen sind jedoch Herausforderungen bei der Datentransparenz, beim Einsatz innovativer Einkaufsmethoden und der organisatorischen Absicherung zu meistern.
C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
136 __________________________________________________________ FALLSTUDIE 1: FINANZWESEN
Grundvoraussetzung für ein wirksames Beschaffungsmanagement sind ausreichende Informationen zum Beschaffungsvolumen. In der Praxis verhindert eine Vielzahl im Unternehmen existierender Einkaufssysteme einen Gesamtblick auf das eigene externe Ausgabenvolumen. Wesentlicher Hemmschuh einer Zusammenführung der unterschiedlichen Daten sind höchst heterogene EDV-Landschaften, die nicht selten aus unterschiedlichen ERP-Systemen bestehen. Erschwerend kommt hinzu, dass unterschiedliche Klassifizierungssysteme für Materialien und Dienstleistungen sowie uneinheitliche Lieferantenbezeichnungen verwendet werden. Zudem sind erfahrungsgemäß Qualität und Detailgrad der erfassten Beschaffungsdaten bei Finanzdienstleistern eher gering. Dies gilt insbesondere für Bereiche jenseits von IT und Telekommunikation und ist häufig darauf zurückzuführen, dass einer systematischen Erfassung in der Vergangenheit aufgrund der vermeintlichen Ferne zur eigentlichen Leistungserbringung keine Bedeutung beigemessen wurde. Notwendig ist daher umso mehr die Schaffung eines Mindestmaßes an Transparenz der Beschaffungsdaten – jedoch ohne durch manuelles Zusammentragen von Daten eine Lähmung der Gesamtorganisation herbeizuführen. Neueste Methoden erlauben hier eine deutliche Reduzierung des manuellen Aufwands bei der Harmonisierung und Klassifizierung der Daten. Im Mittelpunkt steht dabei die Erstellung eines sogenannten „Datenkubus“, der Auswertungen zum Beschaffungsvolumen über Leistungen, Lieferanten und Unternehmenseinheiten erlaubt. Erfahrungsgemäß lassen sich für Finanzdienstleister im Einkaufsbereich drei große Beschaffungsgruppen identifizieren: IT und Telekommunikation, Dienstleistungen sowie Verwaltung und Gebäude. Mit 35 bis 45 Prozent stellt IT und Telekommunikation die größte Beschaffungsgruppe dar. Das übrige Ausgabenvolumen verteilt sich vor allem auf einzelne Beschaffungsgruppen wie Werbung und Marketing, sonstige externe Dienstleistungen und Gebäudeunterhalt. Ist eine grundlegende Ausgabentransparenz hergestellt, gilt es, über beschaffungsgruppen-spezifische Einkaufsstrategien Kostensenkungspotenziale bestmöglich zu erschließen. Häufig sind sogar in spezialisierten IT-Fachbereichen weitere Optimierungsmöglichkeiten vorhanden, da deren Tätigkeitsschwerpunkt in vielen Fällen auf der Bedarfsdeckung statt der Einkaufsoptimierung liegt. Dies geht mit einem eher technischen statt kaufmännischen Qualifikationsprofil der Mitarbeiter in diesen Bereichen einher. Oftmals verzichten die IT-Bedarfsträger auch auf die Einbindung der spezialisierten Einkaufsfunktion.
6 FALLSTUDIEN ____________________________________________________________________ 137
Im Regelfall offenbart bereits die Ausgabentransparenz erste Ansatzpunkte zur kurzfristigen Optimierung. Dazu zählen beispielsweise der einfache Abgleich unterschiedlicher Konditionen verschiedener Organisationseinheiten bei identischen Lieferanten sowie die kritische Prüfung gewährter Volumenrabatte bei Schlüssellieferanten. Des Weiteren ist die Frage zu beantworten, in welchem Umfang eine Beschaffungsgruppe in der bisherigen Form überhaupt noch benötigt wird oder ob bestimmte vereinbarte Leistungen reduziert werden können. Wesentlicher Hebel zur Optimierung ist die Bündelung von Beschaffungsvolumina und Lieferantenkonsolidierung. Eine umfassende Realisierung der Potenziale und Besonderheiten einzelner Beschaffungsgruppen erfordert jedoch die im Einkaufsschachbrett beschriebenen differenzierten Optimierungsansätze. Für die meisten Beschaffungsgruppen ist die Angebotsseite in einer tendenziell schwachen Position, da eine Vielzahl von Anbietern existiert und ein Wechsel des Anbieters ohne Gefährdung des Kerngeschäfts leicht möglich ist. Hier lassen sich unter Anwendung wettbewerblicher Strategien wie Volumenbündelung, Ausschreibung, Zielpreisvorgabe oder Maßnahmen zur Volumensteuerung signifikante Einsparungen realisieren – und dies kurz- bis mittelfristig. Allerdings ist die Nutzung der klassischen Ausschreibung nicht für alle Beschaffungsgruppen ohne Weiteres sinnvoll. Die Erfahrung zeigt, dass über die reine Nutzung dieses typischen Wettbewerbsansatzes nur ein Teil der Potenziale realisiert wird. Dies gilt beispielsweise im bedeutenden Bereich Software. In einer Vielzahl von Fällen sehen sich Finanzdienstleister hier dominierenden Anbietern gegenüber – was ganz besonders für den Bereich von ERP-Systemen gilt. Neben Strategieansätzen wie der Bündelung des Bedarfs und Lizenzclearing sind hier intelligente Vertragskonstrukte, zum Beispiel die Modifizierung von Nutzerrollen, geeignet, zusätzlichen Spielraum zu eröffnen. Hohe Einsparungen werden vor allem in Beschaffungsgruppen realisiert, die traditionell nicht Teil der Beschaffungsoptimierung sind – wie beispielsweise im Marketing. Hier werden erste Einsparungen in der Regel bereits dadurch erzielt, dass Leistungen entbündelt werden: dabei wird die Leistungserbringung für die kreative Erstellung von Broschüren und deren Druck getrennt und auf dieser Basis werden wettbewerbliche Optimierungsstrategien angewendet. Viele Marketingdienstleistungen stellen sich zudem beim genaueren Hinsehen als standardisierbar heraus und können daher auch
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ausgeschrieben werden. Eine Beteiligung der Beschaffungsabteilung beim Einkauf von Marketingleistungen darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Einkauf beispielsweise Kreativagenturen und deren Leistungen bestimmt: Der Einkauf versteht sich als Serviceabteilung für die Bedarfsträger und professionalisiert den Einkaufsprozess, ohne in Kreativentscheidungen einzugreifen. Schließlich sind zur nachhaltigen Erzielung von Einsparpotenzialen im Einkauf eine organisatorische Verankerung von Expertenwissen und ein koordiniertes Vorgehen über alle Bedarfsträger unerlässlich. Best-Practice-Beispiele zeigen, dass dies nicht zwingend mit einem aufwändigen Personalaufbau in der Fläche einhergehen muss, sondern vielmehr durch die intelligente Steuerung einer virtuellen Beschaffungsorganisation geleistet wird. Ankerpunkt ist dabei eine „schlanke“ koordinierende Einkaufsfunktion. Häufig wird durch Gleichsetzung von „Koordination“ mit „Zentralisierung“ interner Widerstand aufgebaut und werden damit die Möglichkeiten zur vollständigen Nutzung der eigenen Einkaufsposition verbaut. Führende Finanzdienstleister begegnen dieser Herausforderung, indem sie Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen der zentralen Beschaffungsfunktion und dezentralen Einheiten anhand der Charakteristika des Lieferantenmarktes und der Bedeutung von Beschaffungsgruppen festlegen. So werden Beschaffungsgruppen mit überregionalem Lieferantenmarkt unter Einbindung der relevanten Bedarfsträger eher zentral gesteuert. Entsprechend bedingen lokale Lieferantenmärkte eine dezentrale Verantwortung im Beschaffungsgruppenmanagement. Lokale Beschaffungsgruppen profitieren jedoch vom zentral koordinierten Wissensaustausch, zum Beispiel hinsichtlich Ausschreibungsunterlagen. Untersuchungen zum Management der Beschaffungsgruppen von Finanzdienstleistern zeigen, dass in zunehmendem Maße auch externe Dienstleister bei der Optimierung von Beschaffungsgruppen einbezogen werden. Dies gilt beispielsweise für den Bereich des Gebäudemanagements und der Fuhrparkbewirtschaftung. Hier wird das Expertenwissen der externen Dienstleister genutzt, um eigene Ressourcen an anderer Stelle im strategischen Einkauf einzusetzen. Die Gesamtsteuerung verbleibt dennoch in jedem Fall bei der Einkaufsfunktion.
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Um die Funktionsfähigkeit der Einkaufsorganisation zu gewährleisten, muss über eine effektive Governance regelkonformes Verhalten eingefordert werden. Dies beginnt mit einem notwendigen Commitment zum koordinierten Vorgehen, das grundsätzlich das Gemeininteresse den Einzelinteressen vorzieht. So muss sichergestellt sein, dass gemeinsam geschlossene Lieferantenverträge auch von allen beteiligten Bedarfsträgern genutzt werden. Zur Umsetzung dieser Regel bedarf es einer funktionierenden Eskalationsinstanz, die Konfliktsituationen löst. Ferner ist ein effizientes Controlling notwendig, das Abweichungen ermittelt und auf dieser Basis regelkonformes Verhalten herbeiführt. Die Umsetzung der künftigen Aufgabenverteilung muss in jedem Fall durch ein effektives Change Management begleitet werden, das eine dauerhafte Stabilität der Prozesse sicherstellt. Insgesamt können Finanzdienstleister durch die Nutzung der richtigen Hebel im Einkauf eine Reihe von Optimierungschancen nutzen. Die Rahmenbedingungen für Finanzdienstleister sind aktuell günstig und versprechen kurz- und mittelfristig messbare Einspareffekte. Neben einem Mindestmaß an Transparenz über das eigene Beschaffungsvolumen ist auch der Wille zu einer stärkeren Koordination der Beschaffungsaktivitäten zentrale Voraussetzung, um die vorhandenen Potenziale wirklich gezielt zu realisieren.
6.2 FALLSTUDIE 2: MASCHINENBAU Kaum eine andere Industrie war von der Krise von 2008 so stark betroffen wie der Maschinenbau. Entscheidungsprozesse der Kunden von Maschinenbauern dauern in einer Krise länger oder Investitionsentscheidungen werden überhaupt zurückgestellt. Die Gründe dafür liegen klar auf der Hand. Einerseits benötigen die Unternehmen in der Krise keine Kapazitätserweiterungen mehr, andererseits werden wegen eigener Liquiditätsprobleme Investitionsentscheidungen sehr viel kritischer bewertet. Aber selbst wenn potenzielle Kunden gerne Maschinen kaufen würden, können sie die geplante Finanzierung oft nicht sicherstellen. Die Kreditmärkte sind trotz aller Bankenrettungspakete träge, in vielen osteuropäischen Ländern ist es für Unternehmen gar nahezu unmöglich, neue Kredite für Investitionen zu bekommen. Selbst fix zugesagte Aufträge werden von Kunden storniert und zahlreiche Unternehmen verzeichnen einen negativen Auftragseingang – das heißt, es gibt mehr Stornierungen als neue Aufträge.
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In der Druckmaschinenbranche kommen beispielsweise zudem noch spezifische, nicht nur von der Krise beeinflusste, negative Faktoren hinzu. So haben in den letzten Jahren viele Zeitungen von Schwarz-Weiß-Druck auf Farbdruck umgestellt, wodurch der Markt vielerorts gesättigt ist. Gleichzeitig ist das Druckvolumen, durch den Rückgang des Print-Werbemarktes und den nunmehrigen krisenbedingten Einbruch noch verschärft, insgesamt rückläufig. Daraus resultierend erleiden Maschinenbauer plötzlich massive Umsatzeinbrüche von bis zu 50 oder gar 80 Prozent in einigen Produktlinien. Umsatzeinbrüche in diesem Ausmaß führen nicht selten zu existenzbedrohenden Situationen für die betroffenen Unternehmen. Einige der „Ikonen“ des weltweit bewunderten deutschen Maschinenbaus stehen unter massivem Druck. Viele der betroffenen Unternehmen verhandeln mit Banken über Kredite zur Finanzierung notwendiger Restrukturierungsmaßnahmen oder mit Ankerinvestoren, die frisches Geld einbringen sollen. Ganz unschuldig sind zahlreiche der betroffenen Unternehmen an der kritischen Lage aber dennoch nicht. Eine hohe Fertigungstiefe inklusive Komponentenfertigung macht sie besonders anfällig für die jetzt auftretenden Volumeneinbrüche. Unzulängliches Bedarfs- und Kapazitätsmanagement führte vielerorts zu gut ausgelasteten Fabrikhallen und Überstunden bis in den Dezember 2008. Langfristige Lieferverbindlichkeiten wurden sogar noch eingegangen, als sich die Krise längst abzeichnete. Überquellende Lager und Abnahmeverpflichtungen zehren in der Krise an der Liquidität vieler Unternehmen. Die Hochphase der Überstunden ging in vielen Unternehmen abrupt zu Ende und direkt in Kurzarbeit über. Eine klare Transparenz und Kommunikation gegenüber den eigenen Lieferanten in Form von Stornierungen und Bestellungsaufschüben wurde dagegen viel zu lange versäumt. Umsatzeinbrüche im Ausmaß von 50 Prozent und mehr, wie derzeit im Maschinenbau zu beobachten, können nicht mehr nur durch klassische Maßnahmen wie Kapazitätsreduktion ausgeglichen werden. Selbstverständlich haben viele der betroffenen Unternehmen Restrukturierungsprogramme aufgelegt. Werksschließungen und Kündigungswellen werden von Kurzarbeit begleitet, allerdings können bei derart dramatischen Einbrüchen die vorhandenen Kapazitäten nicht schnell genug abgebaut werden. Zudem kann der geplante Abbau die bereits angeschlagene Finanzierungskraft des Unternehmens schnell übersteigen. Letztlich besteht die Gefahr, dass das Unternehmen bei starken Einschnitten durch die verbleibenden Remanenzkosten erdrückt wird.
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Bei allen Aktionen zum Kapazitätsabbau muss zudem berücksichtigt werden, dass ein Umsatzeinbruch von 80 Prozent eine nur vorübergehende Erscheinung ist und das Unternehmen für spätere Erholungsphasen adäquat vorbereitet werden muss. In dieser sehr heiklen Situation stellt sich für die Unternehmen des Maschinenbaus die Frage, welches das richtige Maßnahmenpaket ist, um das Überleben zu sichern. Dabei soll im Weiteren vor allem beleuchtet werden, welchen Beitrag der Einkauf dazu leisten kann. Restrukturierungskosten für Werksschließungen und Personalabbau zehren bei parallelen Umsatzeinbrüchen massiv an der Liquiditätssituation der Unternehmen. Die Unternehmensleitung versucht daher, frisches Geld von Banken und Eigenkapitalgebern zu besorgen. Die Möglichkeiten der Innenfinanzierung werden dabei teilweise unterschätzt, obwohl sie einen unschätzbaren Beitrag leisten können. Der Einkauf spielt hierbei eine ganz entscheidende Rolle. Zuerst gilt es, jegliche Zahlungen an Lieferanten zu hinterfragen. Jede zusätzliche Verbindlichkeit gegenüber Lieferanten stellt eine zeitweise Möglichkeit der Innenfinanzierung dar, sodass die Unternehmensleitung weniger Kapital an anderer Stelle aufbringen muss. Dazu ist eine Segmentierung der Lieferanten erforderlich, um festzulegen, wie an bestimmte Gruppen von Lieferanten herangegangen werden soll, um einen Zahlungsaufschub zu erreichen. Dabei spielen Zeitdauer und Qualität der bestehenden Lieferantenbeziehung und damit ihre Belastbarkeit, strategische Relevanz und Abhängigkeit im Falle der Gefährdung von laufenden Lieferungen durch die Gespräche und die eigene strategische Relevanz für den Lieferanten eine entscheidende Rolle. Zusätzlich müssen die Vorräte und Bestellungen systematisch durchleuchtet werden. Zuerst ist zu überprüfen, ob alle Parameter im Bestellsystem wie Wiederbeschaffungszeit, Losgrößen oder Sicherheitsbestände an die aktuellen Erfordernisse angepasst sind. Schließlich ist der Maschinenbau nach Jahren des starken Wachstums direkt in die Krise geschlittert. Im Anschluss daran sind Verbesserungspotenziale beim Umlaufvermögen zu identifizieren, also zum Beispiel den aktuellen Status erfassen und mit Hilfe von Benchmarking einen realistischen Soll-Zustand definieren. Die konsequente Umsetzung der identifizierten Maßnahmen hinsichtlich einer Reduktion der Vorräte ist dann der logische Abschluss zur Optimierung des Umlaufvermögens.
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Eine weitere wesentliche Strategie in akuten Krisenzeiten besteht im Insourcing. Bei extremer Unterauslastung macht es durchaus Sinn, vorübergehendes Insourcing im Zuge einer Grenzkostenuntersuchung in Betracht zu ziehen. Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass die Umsatzeinbrüche im Maschinenbau von 50 bis 80 Prozent nicht langfristig sind und die Notwendigkeit besteht, auf eine spätere Normalisierung des Geschäfts vorbereitet zu sein. Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass nur solche Aktivitäten und Teile ins Unternehmen zurückgeholt werden, die später wieder leicht ausgelagert werden können – bei denen das Insourcing also reversibel ist. Ansonsten wird zwar die Krise überlebt, es droht aber ein schwerwiegendes und nicht mehr in den Griff zu bekommendes langfristiges Ergebnisproblem. An früherer Stelle in diesem Buch in Kapitel 5.5 wurde bereits auf die Bedeutung von Einfachheit der Umsetzung, Kurzfristigkeit und Reversibilität in Zusammenhang mit Insourcing hingewiesen. Wenn einer dieser Faktoren nicht erfüllt ist, kann Insourcing dennoch für einen Ergebnisbeitrag genutzt werden. Kein Alternativlieferant ist so glaubwürdig wie das eigene Unternehmen. Wenn der aktuelle Lieferant mit der Option des Insourcings seines Lieferumfangs konfrontiert wird, sind sehr kurzfristige und ergebniswirksame Preisnachlässe durchsetzbar. Einerseits können es sich viele Lieferanten einfach nicht erlauben, signifikante Lieferumfänge zu verlieren, da dies in vielen Fällen die Insolvenz nach sich ziehen würde. Andererseits kann es durchaus zum Gesamtoptimum des Lieferanten und Kundenunternehmen führen, wenn vom Lieferanten harte Restrukturierungsschnitte zur Beibehaltung der Wettbewerbsfähigkeit gesetzt werden und das Kundenunternehmen im Gegenzug auf das ohnehin suboptimale Insourcing verzichtet. Neben diesen sehr kurzfristigen Strategien zur unmittelbaren Ergebnisverbesserung darf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit im Maschinenbau, selbst in harten Krisenzeiten, nicht völlig außer Acht gelassen werden. Natürlich sollten auch Strategien wie die Bereinigung des Produktportfolios, Supplier Risk Management oder andere aus dem Einkaufsschachbrett abgeleitete Strategien zur Anwendung kommen. Dennoch liegt der Fokus im Maschinenbau in der Krise sicher bei Strategien zur Liquiditätssicherung, die das kurzfristige Überleben des Unternehmens zum Ziel haben.
6 FALLSTUDIEN ____________________________________________________________________ 143
6.3 FALLSTUDIE 3: PROZESSINDUSTRIE Während sich zur Jahresmitte 2008 die Nachrichten über Rekorde an den Stahl- und Rohstoffmärkten überschlugen, wurden diese nur kurze Zeit später von Meldungen über Preiseinbrüche, Kapazitätsstilllegungen und Entlassungen abgelöst. Die Börsenkurse zahlreicher Stahlerzeuger gerieten massiv unter Druck. Um zu verstehen, was sich in der Krise von 2008 am Stahlmarkt ereignete, müssen zunächst die Wertschöpfungskette sowie die Kundenindustrien analysiert werden.
Struktur der Industrie Der Stahlmarkt hatte 2007 eine Gesamtproduktion von knapp 1,3 Mrd. Tonnen, welche von über 500 Stahlherstellern weltweit hergestellt wurden. Die Top 10 Stahlhersteller produzierten etwas mehr als 350 Mio. Tonnen. Weltmarktführer ist mit großem Abstand ArcelorMittal (Jahresproduktion 120 Mio. Tonnen). Die Stahlindustrie befindet sich im frühen Stadium eines Konsolidierungsprozesses, der in Japan am weitesten fortgeschritten ist. Europa liegt bei der Konsolidierung im Mittelfeld, während die chinesische Stahlindustrie am stärksten fragmentiert ist. Die EU hatte im Jahr 2007 eine Stahlproduktion von 240 Mio. Tonnen und einen Stahlbedarf von 225 Mio. Tonnen. Europas Stahlbedarf könnte also weitestgehend intra-regional gedeckt werden. China war jahrelang Nettoimporteur, was auch einer der Gründe für das starke Steigen der Stahlpreise im beginnenden 21. Jahrhundert war, und wurde erst 2004/2005 zum Nettoexporteur. 90 Prozent der Stahlproduktion Chinas wird lokal weiterverarbeitet. Die USA, Kanada und Mexiko (NAFTA) decken den Stahlbedarf hauptsächlich aus der eigenen Produktion, jedoch werden insbesondere Spezialgüten importiert. Bereits 2007 hatten die Länder des NAFTA mit 30 Mio. Tonnen im Vergleich zum Gesamtbedarf von 140 Mio. Tonnen relativ große Stahlreserven aufgebaut.
Inputfaktoren Stahl Je nachdem, ob man von einer integrierten Hütte mit Hochofen oder von Stahl aus einem Elektrolichtbogenofen spricht, besteht hauptsächlich Bedarf an den Inputfaktoren Eisenerz, Kokskohle, Schrott, Elektrizität und einigen Legierungselementen. Der Markt für Erz wird von drei Unternehmen dominiert und es wird mit einer weiteren
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Konsolidierung am Lieferantenmarkt gerechnet. Stahlproduzenten haben sich aufgrund der starken Dominanz der Eisenerzhersteller immer wieder an Minen beteiligt und strategisch in die eigene Unabhängigkeit investiert.
Angebot und Nachfrage Kapazitäten, Produktion und Nachfrage haben sich global gesehen in den letzten Jahren bis auf wenige Ausnahmen parallel entwickelt. Verknappungen gab es nur temporär. Faktoren wie BIP-Wachstum und Großprojekte beeinflussten den Stahlpreis und damit auch die Investitionsbereitschaft von Unternehmen der Stahlindustrie. Großprojekte waren geplant, um den steigenden Bedarf der Bauindustrie und am Automobilmarkt zu decken. Das größte Wachstum wird auch zukünftig in China gesehen. China stellt und verbraucht bereits mehr als ein Drittel der gesamten Stahlproduktion, gefolgt von anderen asiatischen Staaten wie beispielsweise Indien, der EU, NAFTA und GUS. Größter Abnehmer ist und bleibt dabei die Bauindustrie, die insbesondere aufgrund des starken Wachstums der BRIC-Staaten einen stetigen Mehrbedarf aufweist. Die Automobilindustrie, die mit einer geschätzten Nachfrage in 2007 von ca. 120 Mio. Tonnen der zweitgrößte Abnehmer von Stahl ist, rechnet langfristig mit steigenden Absätzen. Insbesondere die Entwicklung hochfester Stähle macht Stahl trotz Leichtbautrend weiter attraktiv und verhindert damit die großflächige Substitution durch andere Materialien wie Aluminium. In anderen Industrien ist Stahl als Einsatzmaterial ebenfalls nicht ersetzbar, und so ist auch mittelfristig ein Bedarfswachstum insbesondere des Maschinen- und Anlagenbaus, der Verpackungsindustrie und des Schiffsbaus zu erwarten.
Auswirkungen der Krise von 2008 Margendruck durch hohe Rohstoffpreise und verfallende Stahlpreise Stellvertretend für andere bei der Stahlproduktion benötigte Inputfaktoren sei hier Eisenerz herangezogen. Noch im Juni 2008 wurden erfolgreiche Verhandlungen zugunsten der dominierenden Anbieter von Eisenerz vermeldet. Die „Financial Times“ schrieb am 24. Juni 2008, dass Rio Tinto und BHP Billiton bei ihren Hauptabnehmern in China und Japan eine Preissteigerung um fast 100 Prozent durchgesetzt haben. Es wurde zu dieser Zeit sogar von einem „Nachsehen“ des brasilianischen Erzlieferanten
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Vale gesprochen, der Preiserhöhungen von „nur 70 Prozent“ ausgehandelt hatte. Als Reaktion und in Erwartung dieser Preiserhöhung ließen Stahlproduzenten wie ArcelorMittal, Usiminas und chinesische Unternehmen mit Sätzen wie „Wir sind das am schnellsten wachsende Bergbauunternehmen“ oder „Wir werden bis zu 70 Prozent unseres Eisenerzbedarfes selbst decken“ aufhorchen. Mit der Krise von 2008 setzte der Preisverfall aller Inputfaktoren ein. Beispielsweise fiel der Schrottpreis von über 550 US-Dollar je Tonne im Juni 2008 auf 190 US-Dollar je Tonne im Januar 2009. Im April 2009 wurde für eine Tonne Schrott nur noch 150 US-Dollar bezahlt. Ähnlich entwickelte sich Kokskohle, die in einigen Regionen zu Spitzenzeiten bei über 300 US-Dollar je Tonne gehandelt wurde und im April 2009 gerade noch einen Preis von 128 US-Dollar je Tonne erzielte. Dies hätte grundsätzlich zu einer Entlastung der Stahlhersteller führen können, da der Verfall der Stahlpreise damit kompensiert werden könnte. Tatsächlich ergab sich aber das Problem, dass aufgrund der speziellen Vertragsstrukturen die Stahlhersteller keinen wirklichen Spielraum hatten:
Die Rohstoffverträge waren bereits langfristig abgeschlossen. Die Sorge, nicht genug Rohstoffe zu bekommen, hat bei langen Vertragslaufzeiten zu überhöhten Preisen geführt. Nur wenige Stahlhersteller konnten diese Preise mit der Krise von 2008 auf ein realistisches Niveau reduzieren.
Die Verträge mit Kunden wurden einerseits aufgrund der Erfahrungen in den vergangenen Jahren der Hochkonjunktur und der hohen am Markt erzielbaren Preise, andererseits aufgrund von tradierten industriespezifischen Vertragslaufzeiten eher mit kurzen Laufzeiten abgeschlossen. Einer der größten Abnehmer für Stahl ist die Bauindustrie. Die Bauindustrie hat seit jeher kurz laufende Verträge von drei Monaten oder gar nur Projektverträge, die zu Tagespreisen abgeschlossen werden. Sie war in einem Markt, in dem die Preise quasi monatlich nach oben stiegen, ein gern gesehener Kunde der Stahlindustrie, da zudem die Anforderungen an die Stahlgüten nicht sehr hoch waren. Stahlhersteller konnten so in der Boomzeit jederzeit die höchsten Preise realisieren und die Bauwirtschaft reichte die hohen Preise wiederum an ihre Endkunden weiter. Ein anderes Bespiel für kurzfristige Vertragslaufzeiten sind Service Center (Verarbeitungsbetriebe für Stahl, die vor allem Klein- und Kleinstkunden beliefern). Im Gegensatz dazu war die Automobilindustrie mit ihren
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langen Vertragslaufzeiten im Boom ein geduldeter, aber nicht besonders beliebter Kunde der Stahlindustrie. Die fixen Verträge mit der Automobilindustrie machten kurzfristige Preiserhöhungen schwierig, zusätzlich forderten die Automobilhersteller immer hochwertigere Güten. Die Hochpreisphasen und der nahezu stetig steigende Stahlpreis führten sogar dazu, dass Verkäufer dazu angehalten wurden, nur sehr kurzfristige Verträge abzuschließen und geringe Mengen zu verkaufen, da an andere Kunden möglicherweise gewinnbringender verkauft werden könnte. So wurde noch im August 2008 eine Tonne feuerverzinktes Stahlband in Nordeuropa zu durchschnittlich 880 Euro verkauft, während bereits im Januar 2009 nur noch ein Preis von 595 Euro und im April sogar nur noch 475 Euro realisiert werden konnte. Somit hatte der Einkauf langfristig die Rohstoffbeschaffung auf einem viel zu hohen Kostenniveau abgesichert und der Verkauf viele Kunden auf kurzfristige Verträge zum Spotpreis umgestellt. Das Resultat war ein signifikanter Margendruck, dem dann mit anderen Mitteln begegnet werden musste.
Doch was passierte mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit von den dominierenden Rohstoffherstellern? Mit hohen Rohstoffpreisen und niedrigeren Verkaufspreisen, d. h. mit den schrumpfenden Margen sowie durch den starken – noch später zu behandelnden – Mengenrückgang füllte sich die Kriegskasse für Zukäufe und Investition nicht wie erwartet. Im Gegenteil: Bei vielen Stahlherstellern wurden Reserven für die Krise verwendet und Großprojekte zur Optimierung des Nettoumlaufvermögens gestartet. Somit war auch für den Zukauf von Minen kein Geld vorhanden und Investitionen konnten nicht getätigt werden – obwohl Eisenerzminen so billig wie noch nie waren. Als Beispiel seien hier die drei größten Eisenerzproduzenten genannt: Ihr Börsenwert reduzierte sich von 236 Mrd. Euro im August 2008 auf 137 Mrd. Euro im Februar 2009 – ein Verfall von 42 Prozent.
Reduktion der Kapazitäten, Investitionsstopps Die erste Reaktion zur Bekämpfung sinkender Stahlpreise war die Reduktion der Kapazitäten. Dies war einerseits eine Maßnahme, um die Preise hochzuhalten, andererseits auch nötig, da die Hauptabnehmer Bauindustrie, Automobilindustrie oder Maschinenbau ihre Bedarfe teilweise um bis zu 80 Prozent reduzierten. Für die Kapazitätsreduktionen wurden zunächst Maschinen- und Anlagenwartungen vorgezogen, alte und unrentable Anlagen vorübergehend heruntergefahren oder stillgelegt und die Auslastung der Anlagen reduziert. So waren beispielsweise im Januar 2009 mehr als
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die Hälfte der US-amerikanischen Hochöfen heruntergefahren. Zudem hielten viele Stahlhersteller ihre Hochöfen bei niedrigen 50 Prozent Auslastung. Einige Beispiele verdeutlichen die Situation in der Krise von 2008: ArcelorMittal hatte kurzfristig eine Kapazitätsauslastung der Werke in Cleveland und Riverdale von unter 20 Prozent. Die durchschnittliche Kapazitätsnutzung lag weltweit bei 55 bis 60 Prozent im ersten Quartal 2009.
Duferco schaltete einen Hochofen im ersten Quartal 2009 ab und reduzierte teilweise die Weiterverarbeitung von Stahl um 30 Prozent.
Tata Steel musste signifikante Einschnitte hinnehmen – unter anderem einen Abbau von etwa 3.500 Mitarbeitern. Die Produktion in Europa wurde im vierten Quartal 2008 und im ersten Quartal 2009 um 30 Prozent gekürzt. Erschwerend kam hinzu, dass ein hoher Schuldenstand durch die Übernahme von Corus dem Unternehmen zusätzliche Sorgen bereitete. Die Planung der Stahlindustrie war jedoch gänzlich auf Wachstum ausgerichtet. Anstelle von Kapazitätsreduktionen waren massive Kapazitätserweiterungen geplant. Mit kleineren Maßnahmen wie teureren High-Performance-Erzen, Anlagenmodernisierungen und -erweiterungen wurde kurzfristig nach Möglichkeiten gesucht, um die Gesamtkapazität steigern zu können. Stellvertretend für viele andere Unternehmen seien die Großprojekte von ThyssenKrupp in Rio de Janeiro/Brasilien bzw. Alabama/ USA sowie ein Großprojekt von voestalpine am Schwarzen Meer genannt, welches die gleiche Kapazität haben sollte wie das Stammhaus in Linz/Österreich. ThyssenKrupp hatte eine Budgetüberschreitung von mehr als dem Doppelten des budgetierten Wertes und in Zeiten der Krise massive Schwierigkeiten in Bezug auf die Auslastung. Das Projekt am Schwarzen Meer wurde gänzlich – noch früh genug – abgesagt. An dieser Stelle sei kurz auf das Verhältnis zwischen Anlagenbauern und Stahlherstellern eingegangen. Grundsätzlich ist der Markt der Unternehmen, die ganze Stahlwerke, Hochöfen bzw. Walzanlagen entwickeln, produzieren und liefern können, oligopolistisch. Dies stellt von Zeit zu Zeit Investitionsvorhaben auf eine harte Probe, da in Boomzeiten häufig ein gleichzeitiger Investitionsbedarf der Stahlhersteller festzustellen ist, was auch in den Jahren 2007 und 2008 beobachtet werden konnte. Die drei großen Anlagenbauer wie Siemens VAI, SMS Demag und Danieli waren bestens ausgelastet
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und hatten weltweit interessante Projekte. Für Stahlhersteller war es teilweise sogar schwierig, überhaupt ein Angebot von einem dieser Hersteller für den Aufbau einer neuen Anlage zu bekommen. Selbst bei laufenden Projekten wurde der Zeitplan nicht eingehalten, und die Stahlhersteller hatten teilweise massive Verzögerungen in Kauf zu nehmen. Mit der Krise von 2008 drehen nun die Verhältnisse. Zwar waren die Anlagenbauer zu Beginn der Krise durch volle Auftragsbücher noch gut ausgelastet, doch fehlt es an Neuaufträgen. Die Pipeline war leer. Ein Anlagenbauer ließ sich in einem persönlichen, informellen Gespräch sogar zu der Aussage hinreißen, dass „2009 eine voll integrierte Stahlhütte für die Hälfte des 2008er Preises zu haben ist.“
Handlungsempfehlungen für die Stahlindustrie in der Krise
Öffnen bestehender Verträge: „Pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) beschreibt das Prinzip der Vertragstreue in den Rechtswissenschaften. Das Öffnen von Verträgen und Neuverhandeln würde generell auf eine fehlende Pakttreue hinweisen. In Krisenzeiten sollte sich dieser Frage jedoch von einer anderen Seite genähert werden, nämlich: Kann der Kunde ohne das Zutun der Lieferanten diese Krise überleben und ist das Öffnen von Verträgen vor diesem Hintergrund moralisch zulässig? Es ist nicht einzusehen, dass langfristige Verträge mit Abnahmeverpflichtungen zu überteuerten, der aktuellen Konjunkturlage nicht entsprechenden Preisen einzuhalten sind, wenn dadurch die Existenz eines Unternehmens bedroht ist. Im Einkauf ist über eine Flexibilisierung der Verträge nachzudenken (Stichworte: intelligente Vertragsstruktur oder auch Gewinnbeteiligung), um dem Kunden ein Atmen in den Mengen, also das Anpassen an den tatsächlichen Verbrauch zu ermöglichen.
Investitionsstopps oder antizyklische Investition: Je nach Liquidität des Unternehmens muss zwischen Investitionsstopps und antizyklischer Investition unterschieden werden. Beide Möglichkeiten können zielführend sein. Während Unternehmen, die ohnehin substanzielle Liquiditätsprobleme und eventuell sogar hohe Abschreibungen haben, nicht weiter investieren sollten, ist es für Unternehmen, die auf einer gefüllten „Kriegskasse“ sitzen, sicherlich richtig, bei den krisenbedingt niedrigen Unternehmensbewertungen sich entweder rückwärts zu integrie-
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ren oder in neue Regionen vorzudringen. Das Kaufen von Minen stellt in diesem Zusammenhang möglicherweise eine strategisch sinnvolle Variante der vertikalen Integration dar.
Fokus auf Nettoumlaufvermögen: A.T. Kearney betrachtet regelmäßig die Veränderung des Nettoumlaufvermögens in der Stahlindustrie. Durch gezielte Optimierung könnten Stahlhersteller ihr Nettoumlaufvermögen um mehr als 20 Prozent reduzieren und dadurch Milliarden einsparen (allein in Europa etwa 7 Mrd. Euro). Vor allem beim Hauptfaktor „Lagerbestände“ sind erhebliche Verbesserungen möglich. Gerade in einer Krise lassen Unternehmen der Stahlbranche diese Potenziale häufig ungenutzt, was eine negative Auswirkung auf die Liquidität hat.
Betrachtet man die fundamentalen Treiber der Stahlindustrie und geht man in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht von einem düsteren Langzeitszenario aus, so wird der Stahlmarkt wieder zur früheren Stärke zurückkehren. Insbesondere Regionen mit einem bisher geringen Stahlkonsum werden mittelfristig – aufgrund des großen Nachholbedarfs hinsichtlich Infrastruktur und Industriegütern – die Nachfrage erneut ankurbeln.
6.4 FALLSTUDIE 4: AUTOMOBILINDUSTRIE Erstmalig seit 2001 gingen im Jahr 2008 die Fahrzeugabsätze weltweit zurück. Fast über Nacht begann ein signifikanter Verfall der Absatz- und damit auch der Produktionszahlen. Nicht nur die Automobilhersteller waren signifikant betroffen von der abflauenden Automobilkauflust der Konsumenten, die vor allem durch unsichere Zukunftsprognosen verstärkt wurde, auch für die Automobilzulieferer verschlechterte sich die Lage dramatisch – stärker noch als für die OEMs. Die Automobilindustrie ist global ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – so auch die europäische Automobilindustrie. Die Automobil- und -zulieferindustrie repräsentieren ein Drittel der Arbeitsplätze in der Industrie der EU27. Die Investitionen in F&E betragen jährlich 20 Mrd. Euro. Die Bedeutung der Automobilindustrie wird noch dadurch unterstrichen, dass auch der Logistik- und der Finanzsektor direkt oder indirekt 13 Millionen Arbeitsplätze an die Automobilindustrie gebunden haben. Alleine das Steuervolumen
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für Fahrzeugsteuern beträgt 360 Mrd. Euro. Vor diesem Hintergrund können die Auswirkungen der Krise von 2009 abgeschätzt werden. Mit Sommer 2008 begannen die Verkaufszahlen zu sinken. Der Schock darüber sowie der Zusammenbruch von wichtigen Exportmärkten ließen die Automobilindustrie früh auf die Krise reagieren und entsprechend vorsichtig planen. Betrachtet man, dass die Automobilhersteller in Krisenzeiten nur zu etwa 65 Prozent ausgelastet sind, wird auch klar, wie stark diese Industrie von einer Krise betroffen sein kann. Die Schwierigkeiten an den Finanzmärkten, an Geld zu kommen, die relativ niedrigen Margen der meisten Automobilhersteller, hohe Fixkosten, hohe Personalkosten und hoher Finanzierungsaufwand für F&E (beispielsweise für emissionsarme Fahrzeuge, Leichtbau und Elektroantriebe) sind Indikatoren, dass Automobilhersteller sehr schnell in Richtung Insolvenz schlittern können. Aufgrund der oben genannten Punkte – Anzahl Beschäftigte in der Automobilindustrie und Abstrahleffekte auf andere Branchen – legten einige Länder sehr ambitionierte Hilfsprogramme für die Automobilindustrie auf. Damit konnte großer volkswirtschaftlicher Schaden abgewendet werden. In Europa führten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Österreich zur Ankurbelung der Automobilindustrie eine Abwrackprämie ein. Deutschland und Frankreich setzten weitere Maßnahmen zur Förderung von F&E in Richtung Nachhaltigkeit, Hybridantriebe und erneuerbare Energien an. Frankreich stützte die Liquidität der Kredithäuser von Renault und PSA in Höhe von 2 Mrd. Euro, da zwei Drittel der Franzosen ihre Fahrzeuge leasen. Die Programme hatten noch eine weitere Dimension in der Zulieferindustrie. Die europäischen und insbesondere auch die deutschen Zulieferer konnten in den letzten Jahren kontinuierlich die Ertrags- und Innovationskraft steigern, trotzdem sind die meisten Zulieferunternehmen im Vergleich zu den OEMs finanziell relativ schwach aufgestellt. Im Jahr 2009 galt entsprechend eine der Hauptsorgen der Einkaufsabteilungen der OEMs der Überlebensfähigkeit ihrer Zulieferer. Natürlich hängt es von der spezifischen finanziellen und strategischen Ausganglage ab, wie stark ein Zulieferer von einer Krise betroffen ist. Strategische Stärke zeigt sich in Technologie- und Marktführerschaft bei regional stabilem Kundenportfolio, finanzielle Stärke in ausreichender Liquidität und hoher Eigenkapitalbasis.
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Für Automobilhersteller und -zulieferer war es einkaufsseitig sehr wichtig, auf die fallenden Rohstoffpreise schnell zu reagieren, um sich neben dem Umsatzeinbruch nicht einer Kostenfalle gegenüberzusehen. Nach einer noch nie da gewesenen Explosion der Rohstoffpreise beobachtete man einen fast bodenlosen Fall der Preise. Rohstoffe wie Öl, Stahl, Aluminium etc. fielen zwischen 30 Prozent und 70 Prozent. Ein führender OEM hat hier kurzfristig reagiert und umfassende Rohstoffstrategien erarbeitet. Er verschaffte sich zunächst Transparenz über die wichtigsten Rohstoffmärkte und analysierte penibel die Kostenstrukturen seiner Rohstofflieferanten. Über profunde Kenntnis der Wertschöpfungsketten und detaillierte Informationen über Kostenstruktur und Kostensimulationstools konnten die Veränderungen in den Zukaufspreisen faktenbasiert genau dargestellt werden. So wurde beispielsweise ein Bauteil mit einem hohen Aluminiumanteil nachkalkuliert und mit dem Verfall des Aluminiumpreises (von 2.900 US-Dollar im Juli 2008 auf 1.300 US-Dollar im Januar 2009) konnten Kostensenkungen von 35 Prozent gefordert werden. Wichtig dabei war, dass die kostenbasierte Preismodellierung mit dem Lieferanten nachvollziehbar diskutiert und auch der Index akzeptiert wurde. Der Lieferant war mit einem fairen Verhandlungsstil, der auf Fakten basierte, konfrontiert. Dieser OEM konnte damit die Krise von 2008 für unmittelbar wirksame Materialkostensenkungen nutzen und in Ruhe strategische Weichenstellungen für den Umgang mit Rohstoffen vornehmen. Viele Unternehmen haben leider die Marktbewegungen nach unten nicht mitgenommen. Einerseits weil sie sich viel zu wenig mit der wirklichen Kostenstruktur auseinandergesetzt haben, andererseits auch deshalb, weil sie nach den Jahren der steigenden Rohstoffpreise froh darüber waren, endlich nicht mit Preiserhöhungen konfrontiert zu sein. Von Lieferanten zugestandene Preisreduktionen von zwei bis drei Prozent wurden hier schon als Erfolg gefeiert. Dass hier den Unternehmen Einsparungen in Milliardenhöhe verloren gingen, wurde oft übersehen. Einige wenige OEMs behielten in der Krise einen kühlen Kopf und feilten weiter an ihren Rohstoffstrategien – nach dem Motto „Eine Situation wie Anfang 2008, wo wir uns preislich alles gefallen lassen mussten, passiert uns nie wieder“. Somit wurden die Kenntnisse der Kostenstrukturen, über die Zulieferindustrie und deren Wertschöpfungsketten und vor allem über die schlechte wirtschaftliche Lage, in der sich traditionelle Zulieferer sowie Unternehmen der Stahl-, Aluminium- und Kunststoffindustrie befanden, genutzt, um sich langfristig aufzustellen.
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Dazu wurden in einem ersten Schritt möglichst viele kreative Ideen zum Umgang mit dem spezifischen Rohstoffmarkt generiert. Zur systematischen Generierung und Sammlung der Ideen auf Basis der zuvor erarbeiteten Markttransparenz wurde dabei das Einkaufsschachbrett als logischer Rahmen herangezogen. Damit wird gewährleistet, dass alle im Einkauf denkbaren Hebel bei der Ideengenerierung systematisch durchdekliniert werden. Um die Ideengenerierung auf eine möglichst breite Basis zu stellen, wurden dafür interdisziplinäre Teams mit Teilnehmern aus allen Regionen der Welt zusammengestellt. Mit diesem umfassenden Ansatz wurden Hunderte neuer Ideen für den Umgang mit Rohstoffen entwickelt. Im Folgenden beispielhaft ausgewählte, aus dem Einkaufsschachbrett abgeleitete, Ideen: Vertikale Integration: Zur Versorgungs- und Preissicherung stellt sich für die Automobilbranche als großer Abnehmer von Stahl und Kunststoffen – direkt und indirekt – immer wieder die Frage nach vertikaler Integration. Gerade durch den extremen Verfall der Börsenkurse sämtlicher Rohstoffhersteller ist die Marktkapitalisierung auf ein Langzeittief gefallen und eine Akquisition oder eine Beteiligung äußerst interessant. Dennoch sind die aufzubringenden Mittel gerade in Zeiten der Krise für eine derartige Investition nur schwer zu rechtfertigen. Darüber hinaus passt ein Einstieg ins Rohstoffgeschäft grundsätzlich weder strategisch noch operativ ins Portfolio eines OEMs.
Intelligente Vertragsstrukturen: Unter diesen Begriff fallen zum Beispiel differenzierte Vertragsstrukturen oder finanzielles Hedging. Durch den Nachfrageboom nach Stahl bis Mitte 2008 stiegen die Stahlpreisindizes deutlich an. Die damit verbundenen Preisforderungen der Stahlhersteller führten zu einer Entkoppelung der Stahlpreise von den Herstellkosten. Das Risiko von Preissteigerungen lag somit aufseiten der OEMs. Dagegen führen Materialkostenindex-basierte Verträge (basierend auf neutralen Indizes) zu einer partnerschaftlichen Risikoteilung und zu einer Minimierung der durch Spekulation und Überhitzung gesteuerten Marktbewegungen. Neben einer vertraglichen Ausgestaltung mit Rohstofflieferanten eignet sich bei zahlreichen Rohstoffen wie beispielsweise Aluminium eine Preisabsicherung der Rohstoffkomponente durch finanzielles Hedging. Dies ist entweder über die bestehenden Terminmärkte wie die London Metal Exchange oder über Banken (OTC) möglich. Während Hedging mittlerweile für standardisierte Roh-
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stoffe (Aluminium, Blei, Kupfer etc.) auf breiter Front eingesetzt wird, sind die erst kürzlich eingeführten Kontrakte für Stahl noch umstritten und finden nur eingeschränkt Anwendung.
Lieferantenentwicklung und Best-Shoring: Die ständige Suche nach alternativen Lieferanten hat insbesondere durch die steigende Anzahl an Insolvenzen noch mehr Bedeutung erhalten. In diesem Zusammenhang lassen sich zum einen die Lieferantenentwicklung, die den unterstützenden Aufbau des Lieferanten umfasst, und das Best-Shoring, bei welchem qualifizierten Lieferanten, die bereits die notwendigen Anlagen und das Know-how haben, mit Qualitäts- und Kostenvorteilen unterscheiden. Beide Ansätze dienen der Erweiterung des bestehenden Lieferantenportfolios und erhöhen somit die Versorgungssicherheit entscheidend.
Strategische Allianzen: Die wichtigsten Lieferanten im Portfolio, die sogenannten Kernlieferanten, werden oftmals mit strategischen Partnerschaften gebunden. Dadurch entsteht eine zusätzliche Versorgungssicherheit für den OEM und eine gesicherte Grundauslastung für den Lieferanten. Dabei können die rechtlichen Ausgestaltungen von einem Joint-Venture bis hin zu langfristigen Abnahmeverträgen reichen. Strategische Allianzen sind eine beliebte Methode, um Lieferanten zu Investitionen im Hinblick auf mittel- bis langfristig benötigte Kapazitäten zu bewegen.
Einkaufsgemeinschaften: Ein weiterer in der Automobilbranche häufig eingesetzter Hebel sind mittel- bis langfristig eingerichtete Einkaufsgemeinschaften. Diese dienen in erster Linie der Reduktion der Einkaufskosten durch Volumenbündelung. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei Einkaufsgemeinschaften meist nur die Juniorpartner mit kleinem Volumen profitieren.
Anschließend wurden diese Ideen priorisiert, indem der finanzielle (Einsparungen, EBIT, ROI etc.), der strategische (Produkt, Technologie, Märkte, etc.) und der organisatorische (Bereiche, Marken, Kultur) Fit sowie das spezifische Risiko der einzelnen Rohideen bewertet wurden. Die priorisierten Ideen wurden nun im Detail evaluiert. Weitere Hebel zur Kostensenkung und Cash-Optimierung, die in der Automobilindustrie im Rahmen der Krise von 2008 angewendet wurden, umfassen:
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Kurzfristige Asset-Optimierung, wie Investitionsstopps oder Überarbeitung des Investitionsplanes, Asset-Verkäufe (Immobilien, Maschinen, Anlagen), Verkauf oder Verpfändung von Forderungen, Insourcing ausgelagerter Kapazitäten, Verkauf von Patenten, Joint-Ventures. Diese Maßnahme reduziert die entsprechenden Bilanzpositionen um bis zu 15 Prozent und verringert den Bestand ausstehender Forderungen um bis zu 25 Prozent.
Bestandsfreisetzung, wie Reduktion von Sicherheitsbeständen, Kaufstopp für bestimmte Teile oder Revision von Lieferfrequenzen. Diese Maßnahme senkt das in den Beständen gebundene Kapital zwischen 20 und 50 Prozent und generiert zusätzlich auch Einsparungen durch die Reduktion von Kapitalbindungs- und Lagerhaltungskosten.
Gemeinkostenoptimierung, wie der Aufbau von Shared Service Centern, Reduzierung von Zulagen und Boni, Revision von Reiseregelungen, Abbau von Überstunden, Kurzarbeit, Outsourcing von MRO, Flottenmanagement und Reduktion von Service-Levels. Hier ist eine Reduktion der Kosten bis zu 25 Prozent möglich.
6.5 FALLSTUDIE 5: CHEMISCHE INDUSTRIE Unabhängig von der Krise von 2008 macht die chemische Industrie zurzeit einen grundsätzlichen Wandel durch. Einige der führenden Unternehmen erneuern und aktualisieren ihre Produktportfolios, die sie über Jahrzehnte verfolgt hatten. Drei grundsätzliche Trends verändern dabei die globale chemische Industrie: Globalisierung, Fusionen und Produktspezialisierung. Diese Trends zwingen immer mehr chemische Unternehmen, sich mit erhöhter Komplexität zu beschäftigen. Während die Komplexität in den Unternehmen immer weiter ansteigt, wird das effektive Management dieser Komplexität immer bedeutender, um die Profitabilität zu erhalten. In Krisenzeiten ist der richtige Augenblick gekommen, die Komplexität von Unternehmen kritisch zu hinterfragen. Bei zurückgehenden Umsätzen und damit einhergehender sinkender Profitabilität müssen Kosten reduziert werden und oft auch Produktlinien aufgelassen werden. In diesem Zusammenhang kann eine Krise als Chance verstanden werden, die schlecht aufgestellten Bereiche mit positiver Auswirkung
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auf die Profitabilität stillzulegen. Bei der Komplexitätsreduzierung werden die Bereiche identifiziert, mit denen man sprungfixe Kosten reduzieren kann – sei es über die Auflassung einer Produktionslinie, die Schließung eines Werkes oder die Eliminierung der Leistungen eines externen Dienstleisters. Um dabei die richtigen Bereiche identifizieren zu können, müssen Unternehmen aber die Transparenz der Komplexitätskosten über die gesamte Wertkette hinweg schaffen. Zur Differenzierung zwischen wertschaffender und wertvernichtender Komplexität zu differenzieren, gilt es, die zentrale Frage zu beantworten: „Sind die Kundenanforderungen wirklich vollständig verstanden und so in ein Produkt übersetzt worden, dass die Kunden die von ihnen induzierte Komplexität bezahlen?“ Wertschaffende Komplexität ist oft ein echter Wettbewerbsvorteil und sollte aktiv und effizient gesteuert werden, hingegen muss wertvernichtende Komplexität auf ein Minimum reduziert werden. Zuerst muss ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen Komplexität und Kosten geschaffen werden. Organisatorisch betrachtet entsteht Komplexität meist in F&E sowie Marketing und Vertrieb, also am Anfang der Wertkette. Von dort aus überträgt sich Komplexität auf die übrigen Stufen: Einkauf, Produktion und Logistik. Komplexität reduziert die Skaleneffekte und verringert damit die Einkaufsmacht, während die Produktions- und Logistikkosten sich erhöhen. Die Grundlage aller Komplexitätsreduktion ist das Schaffen von Transparenz. Bevor man eine Entscheidung trifft, wo im Produktportfolio die größten Potenziale für eine Bereinigung vorhanden sind, ist es wichtig zu verstehen, wie hoch die tatsächlich „wahre“ Profitabilität eines Kunden, eines Produktes und sogar einer SKU ist. Um diese Transparenz herzustellen, müssen auch alle Prozesskosten richtig zugeordnet werden, das sind zum Beispiel spezifische Kundenbetreuungskosten, Abwicklungskosten oder Garantieversprechen. Es ist also eine pragmatische aktivitätenbasierte Kostenkalkulation notwendig, um die realen Komplexitätskosten je Produkt ermitteln zu können. Wenige Unternehmen haben einen vollständigen Einblick in diese Art von Kosten. Meist reichen die existierenden Kostenrechnungsmodelle nicht aus, da diese nur auf Produktebene umfassend verfügbar sind und nicht alle Kostenkomponenten richtig erfasst sind. Wichtige Kosten aus zum Beispiel Vertrieb und F&E müssen verursachungsgerecht auf Produkt- bzw. Produktgruppenebene aufgeschlüsselt werden. Daher wird die Profitabilität mit Hilfe einer „Cost-to-Serve“-Analyse gemessen, um die zusätzlichen Betreuungskosten zu ermitteln
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Der isolierte Blick auf die Profitabilität greift aber zu kurz, denn genauso wichtig ist die Beachtung der strategischen Ursachen der Komplexität. Dazu zählen zum Beispiel neue Produkte, die häufig noch nicht den geforderten Deckungsbeitrag erzielen, eine gezielte Steigerung des eigenen Marktanteils durch aggressive Preisgestaltung sowie bestimmte innovative Angebote, die primär zur strategischen Positionierung dienen. Der strategische Wert der Produkte ist also ebenfalls zu berücksichtigen. Hier sind zum Beispiel Faktoren wie Marktgröße, -anteil sowie -wachstum, technische Substitutionsmöglichkeit und Kundenloyalität mit einzubeziehen. Aus einer Matrix von strategischem Wert und realer Profitabilität lässt sich dann der Handlungsbedarf zur Reduzierung vom Komplexität differenziert ablesen. Der Handlungsbedarf kann sich auch aus einer Analyse der Komplexitätstreiber ableiten lassen, indem jeweils die Anzahl der Treiber, die 80 Prozent des gesamten EBIT – nach verursachungsgerechter Kostenaufschlüsselung – erwirtschaften, der Gesamtzahl der Treiber gegenübergestellt werden. So wurden in einem beispielhaften Chemieunternehmen 80 Prozent des EBITs mit 2 von 10 Technologien, 208 von 512 Rohstoffen, 17 von 33 Verpackungen, 197 von 892 Produkten, 41 von 65 Marken,
5 von 12 Marktsegmenten und
214 von 2.142 Kunden erwirtschaftet. Diese Analyse gibt bereits klare Hinweise darauf, in welchen Bereichen signifikante Fixkosten reduziert werden können, welche die damit erwirtschafteten Profite weit übersteigen, und führt zu einer klaren Fokussierung und Priorisierung der Handlungsgebiete.
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Zusätzlich zur quantitativen Transparenz erlaubt der Einsatz von Variantenbäumen auf Bauteil-, Technologie- oder Markenebene die Abbildung der strukturellen Komplexität. Die Definition der Komplexitätstreiber ist dabei eine notwendige Voraussetzung für einen nachhaltigen Reduzierungsansatz. Experten aus allen Funktionsbereichen erarbeiten auf Basis der quantitativen und Transparenz schaffenden Analysen gezielt Vereinfachungen nach dem Motto „Simplify for Value“. Die besondere Herausforderung liegt dabei darin, funktionsübergreifend mit Offenheit und Kreativität zu überlegen, wie ein Optimum aus Komplexität und Profitabilität erreicht werden kann.
6.6 FALLSTUDIE 6: ENERGIEVERSORGUNG Die Krise von 2008 trifft auch die Energiewirtschaft. Sie steht insbesondere vor folgenden Herausforderungen:
Die Commodity-Preise sinken durch den Konjunkturabschwung.
Schwankende Commodity-Preise setzen vor allem kleine Unternehmen unter Druck.
Die Attraktivität von Kraftwerksinvestitionen sinkt.
Es ist ein Rückgang des organischen Wachstums zu verzeichnen.
Durch die Krise von 2008 und die dadurch bedingte sinkende weltweite Nachfrage nach Commodities sanken auch die Preise von Gas, Öl und Kohle stark. Dieselbe Entwicklung war bei den Strompreisen auf den Großhandelsmärkten zu beobachten, die insbesondere zu den Gas- und CO2-Preisen eine hohe Korrelation aufweisen. Die Volatilität der Commodity-Preise setzt vor allem kleinere Unternehmen unter Druck. Große vertikal integrierte Unternehmen können Schwankungen auf den CommodityMärkten besser abfangen. Kleine Unternehmen und reine Energieverteilunternehmen ohne eigene Stromerzeugung sind bei steigenden Preisvolatilitäten einem steigendem Preisrisiko ausgesetzt. Fehleinschätzungen über die Preisentwicklung bei der Strombeschaffungsstrategie können sich fatal auswirken. Dadurch kommen manche Unter-
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nehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Das regulierte, stabile Netzgeschäft und das Strom- und Gasgeschäft mit volatilen Preisen entwickeln sich stärker auseinander und erfordern unterschiedliche Geschäftsmodelle. Neben dem Druck durch sinkende und stärker schwankende Commodity-Preise werden gleichzeitig Kraftwerksinvestitionen zunehmend unattraktiver. Selbst für die großen Utilities haben sich im Zuge der Finanzkrise die Fremdkapitalkosten teilweise um mehr als einen Prozentpunkt erhöht. Dies führt zu einem deutlichen Absinken der Attraktivität von Kraftwerksinvestitionen und zu einem verstärkten Anreiz, alte abgeschriebene Kraftwerke länger zu betreiben. Notwendiger Anlagenersatz bei langfristig steigendem Stromverbrauch erfordert aber umfangreiche Investitionen in den europäischen Kraftwerkspark von etwa 30 bis 35 Mrd. Euro pro Jahr. Die Finanzkrise wirkt sich nicht nur auf die Profitabilitätsentwicklung, sondern auch auf die Umsatzentwicklung aus. Es sind Rückgänge beim organischen Wachstum zu erwarten. Seit dem Jahr 2000 hat der steigende Energieverbrauch bei gleichzeitig steigenden Commodity- und Energiepreisen den europäischen Energieunternehmen ein jährliches organisches Wachstum von durchschnittlich rund 8 Prozent p. a. ermöglicht. Hinzu gekommen ist bei führenden Unternehmen ein akquisitorisches Wachstum in etwa gleicher Höhe. In den Folgejahren der Krise von 2008 ist mit Erlös- und Ergebnisrückgängen zu rechnen. Zusammenfassend bedeutet das, dass die Energiewirtschaft einem hohen Ergebnisdruck ausgesetzt ist. Gleichzeitig ist in zahlreichen Energieunternehmen aufgrund von Vereinbarungen zur Arbeitsplatzsicherung Personalabbau kaum durchführbar. Aus diesem Grund stellt der Einkauf einen wichtigen Hebel dar. Dazu kommt, dass die meisten Energieunternehmen auch aufgrund ihrer regionalen und teilweise kommunalen Struktur bisher keinen schlagkräftigen Einkauf aufgebaut haben. Bei großen Energieversorgungsunternehmen kann man häufig die folgende Beobachtung hinsichtlich des Einkaufs machen: Das Beschaffungsvolumen ist sehr stark quer über unterschiedliche Bedarfsträger, Geschäftseinheiten und Regionen fragmentiert. Bündelungsansätze werden dadurch häufig im Keim erstickt. In vielen Energieversorgungsunternehmen werden Einkaufsentscheidungen nicht selten durch die Bedarfsträger selbst (also z. B. Marketing) getroffen. Die Einkaufsfunktion wird dabei häufig als reiner Bestellabwickler wahrgenommen. Die Kommunikation gegenüber den Lieferanten ist ähnlich
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wie die Betreuung der Materialgruppen sehr stark dezentralisiert und fragmentiert. Dementsprechend kommunizieren sowohl Einkauf und andere Funktionen als auch unterschiedliche Geschäftseinheiten unkoordiniert mit den Lieferanten. So fragmentiert wie die Organisation ist, so dezentral wird auch eingekauft. Bündelungseffekte gibt es kaum, selbst innerhalb einer Region wird unkoordiniert eingekauft. Da die Energieversorgungsunternehmen von der Krise von 2008 nur moderat betroffen sind und im Einkauf noch großen Nachholbedarf haben, ist hier vor allem die verstärkte Nutzung des Einkaufsschachbretts angezeigt. Die größten Beschaffungsgruppen eines Energieversorgungsunternehmens umfassen Dienstleistungen aller Art (inkl. Bauleistungen, EDV als auch Marketing, Wirtschaftsprüfung etc.) und technisch anspruchsvolle Produkte (Turbinen, Kabel, Transformatoren etc.). Die Angebots- und Nachfragemacht dieser Beschaffungsgruppen hat sich mit der Krise von 2008 massiv geändert. Während es in den Jahren 2007 und 2008 bei der Versorgung mit Transformatoren zu enormen Engpässen kam und auf dem Markt fast jeder Preis durchgesetzt werden konnte, hat sich diese Situation leicht entspannt. Zusätzlich drängt eine Vielzahl neuer und fähiger Lieferanten aus Niedrigkostenländern auf den Markt. Die Beschaffungsgruppen des Energieversorgungsunternehmens wurden in dem Einkaufsschachbrett nach Angebots- und Nachfragemacht neu positioniert und für jede dieser Beschaffungsgruppen wurde die passende Methode zur Kostenoptimierung ausgewählt und angewendet. Für Transformatoren konnte anhand einer Kostenregressionsanalyse eine Faktengrundlage zur Preiskalkulation erstellt werden, die bei Nachverhandlungen zu einer verbesserten Verhandlungsposition gegenüber den Lieferanten geführt hat. Die Kostenregressionsanalyse basiert auf der Methode der statistischen Regressionsanalyse, die dazu dient, Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen Variablen zu quantifizieren und in einer mathematischen Formel darzustellen. Diese Abhängigkeiten können sehr vielseitig sein und können auf technischen Parametern oder auch Serviceparametern basieren. Die Kostenregressionsanalyse wird in erster Linie für kaufmännische Anwendungen genutzt. Damit kann relativ schnell organisationsübergreifend Transparenz in das Preisgefüge eines bestimmten Teils oder einer Baugruppe gebracht werden. So lässt sich beispielsweise feststellen, ob ein bestimmter Lie-
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ferant systematisch über alle Ausprägungen einer Baugruppe zu teuer ist oder nur punktuell. Darüber hinaus kann ermittelt werden, ob bestimmte Geschäftseinheiten prinzipiell zu teuer einkaufen. Diese Informationen können gezielt für Nachverhandlungen mit Lieferanten genutzt werden, um kurzfristige Einsparungen zu erzielen. Um diese Nachverhandlungen erfolgreich durchzuführen, muss eine Verhandlungsstrategie für jeden Lieferanten erarbeitet werden, die ein Risikoszenario berücksichtigt und die Technik mit einbezieht. Als Kostentreiber wurden bei einem Energieversorger unter anderem Leistung, Ladeverluste, aber auch die hohe Abhängigkeit von Materialkosten (beispielsweise von Kupfer) identifiziert. Auf der Basis dieser Kenntnisse konnten neue Verträge geschlossen werden. Es wurden Kick-back-Vereinbarungen getroffen. Es wurde festgelegt, dass dem Käufer nachträglich ein Bonus von circa 5 Prozent des jährlichen Einkaufsvolumens gutgeschrieben werden. Da Transformatoren einen hohen Kupferanteil enthalten, war die Einsparung aufgrund des auf etwa das Doppelte gestiegenen Kupferpreises enorm hoch. Als weiteres Ergebnis wurde eine Grundlage für die Preisermittlung für zukünftige Bestellungen gelegt, denn die Kostentreiber bleiben auf absehbare Zeit die gleichen. Und nicht zuletzt konnten viele kleinere Lieferanten, von denen zum Beispiel kleinere Business Units Transformatoren beschafft hatten, zu größeren Lieferanten aufgebaut werden, die dann aufgrund der Kenntnis der Kostentreiber auf der Kundenseite um bis zu 20 Prozent günstiger als bisherige Lieferanten anbieten konnten. Bei diesem Unternehmen konnten anhand der angewandten Methode nicht nur „Hochpreisoasen“ identifiziert werden, die in Nachverhandlungen mit Lieferanten gemeinsam zu prüfen waren. Es ist auch eine nachhaltige, technische Diskussion unter Beteiligung des Einkaufs, der Technik und auch der Lieferanten eingeleitet worden.
6.7 FALLSTUDIE 7: TELEKOMMUNIKATION Zwar ist die Weltwirtschaftskrise vergleichsweise spät in der Telekommunikationsbranche angekommen, dennoch hat sie in 2009 zu einem Umsatzrückgang von etwa 2,3 Prozent und einer Abnahme der Beschäftigung um 3,1 Prozent geführt. Im Vergleich zu anderen Industrien hat die Telekommunikationsbranche somit verhältnismäßig gut abgeschnitten. Für Telekommunikationsunternehmen gibt es jedoch keinen Anlass, sich zurückzulehnen. Eine A.T. Kearney Untersuchung zeigt, dass, wenn die Telekommunikationsanbieter untätig blieben, dies im Jahr 2013 bereits dazu führen
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kann, dass der Umsatz für eine Mobilfunkminute nur mehr ihren Erstellungskosten entspräche und damit die Marge gegen null ginge. Telekommunikationsunternehmen stehen somit unabhängig von Krisen unter hohem Ergebnisdruck, der besonders von folgenden Faktoren getrieben wird:
Sinkender oder stagnierender Markt im Kerngeschäft
Zunehmender Verfall der Margen je Kunde
Steigende Anforderungen an Kapitalinvestitionen für neue Technologien
Veränderung von hardware- hin zu softwarezentrierter Leistungserstellung Damit die Effizienz dennoch gesteigert werden kann, wird der Einkauf auch zukünftig einen signifikanten Beitrag leisten müssen. Da die meisten Telekommunikationsunternehmen in der Vergangenheit bereits erfolgreich im Einkauf agiert haben, ist der Bedarf für fortgeschrittene und auf die jeweilige Lieferantenmarktsituation zugeschnittene Methoden zur Kostensenkung unter den oben angeführten Herausforderungen besonders hoch. Die vier Einkaufsstrategien des Einkaufsschachbretts bieten auch für die Telekommunikationsindustrie eine Antwort auf jede Marktkonstellation zwischen Lieferanten und Einkauf bzw. auf jedes Verhältnis zwischen Nachfrage- und Angebotsmacht. Da der Einkauf in Telekommunikationsunternehmen sehr differenzierten Lieferantenmarktsituationen ausgesetzt ist, wie die Einordnung typischer Beschaffungsgruppen in das Einkaufsschachbrett zeigt, sind unterschiedliche Einkaufsstrategien gefordert. Beim Einkauf von Kabeln oder Antennen liegt beispielsweise ein ganz anderer Lieferantenmarkt vor als beim Einkauf von Core Routern. In der Telekommunikationsindustrie ist es in vielen Situationen sinnvoll, den Wettbewerb am Lieferantenmarkt zu nutzen. Unsere Erfahrung zeigt, dass zwar die meisten Einkaufsorganisationen von Telekommunikationsunternehmen insbesondere Ausschreibungen und Wettbewerbsaktivierung als Hebel zur Kostensenkung anwenden. Die wenigsten Telekommunikationsunternehmen wenden allerdings Möglichkeiten zur Durchsetzung von Zielpreisen an. Dabei können beispielsweise durch Anwendung von Kostenregressionsanalysen insbesondere Telekommunikationsunternehmen signi-
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fikante Einsparungen in ihrem Einkaufsvolumen für Beschaffungsgruppen wie z. B. Kabel (Kupfer, Faser), Antennen oder ODM-Handsets, aber auch für IT-Kategorien wie z. B. Server und Speicher realisieren. Diese Strategie eignet sich jedoch nicht für Beschaffungsgruppen, in denen Telekommunikationsunternehmen Lieferanten mit einer starken Marktposition gegenüberstehen. In der Telekommunikationsindustrie findet sich diese Marktkonstellation beispielsweise beim Einkauf zahlreicher Baugruppen wieder, z. B. bei High-End-Geräten oder bei Dienstleistungen der Netzwerkwartung. Die Einkaufsstrategie bei einer solchen Marktkonstellation muss das Streben nach einem gemeinsamen Vorteil sein. Wesentliche Hebel dieser Strategie sind neben einer Wert- oder Kostenpartnerschaft eine Transparenz schaffende, integrierte Planung sowie die Steuerung der Wertkette. Die Intensität der Partnerschaft kann dabei von einer Ad-hoc-Beziehung im Rahmen einer projektbasierten Zusammenarbeit bis hin zu einer langfristig orientierten strategischen Allianz reichen. Darüber hinaus gibt es auch in der Telekommunikationsindustrie Situationen, bei denen es Lieferanten gelingt, eine monopolistische oder quasi-monopolistische Position aufzubauen. Sie findet sich beispielsweise bei Core Routern, RAN-Erweiterungen, aber auch bei ERP-Systemen wieder. Eine solche Marktkonstellation ist in vielen Fällen das Ergebnis langfristiger Entwicklungspartnerschaften, bei denen Lieferanten insbesondere für die F&E des einkaufenden Unternehmens unentbehrlich geworden sind. Gründe hierfür können neben hohen Wechselkosten auch vermeintlich einzigartige Technologien sein. Die Hebel einer erfolgreichen Einkaufsstrategie unter diesen Bedingungen sind die technische Re-Spezifizierung von Komponenten, der Vergleich der Beschaffungsgruppen mit technischen Alternativen, die Entwicklung neuer technischer Optionen und das Risikomanagement. Ein konkreter Ansatz aus dem Einkaufsschachbrett ist das sogenanntes „Invention on Demand“. Gegenstand dieses Ansatzes sind das systematische Hinterfragen der Grundelemente eines technischen Systems und die Suche nach Alternativen im gesamten Feld der Wissenschaft. Damit wird das Ziel verfolgt, neue technische Optionen der von Lieferanten gelieferten Baugruppen zu entwickeln. „Invention on Demand“ eignet sich insbesondere bei patentgeschützten Komponenten oder Systemen.
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Schließlich ist es in der Telekommunikationsbranche auch notwendig, die Nachfrage professionell zu steuern. Diese Einkaufsstrategie eignet sich insbesondere im Falle einer niedrigen Angebots- und Nachfragemacht, wie sie etwa bei zahlreichen indirekten Materialkategorien vorkommt. Dazu zählen beispielsweise die Bereiche Bürobedarf, „MRO“ (Maintenance, Repair und Operations) oder Baudienstleistungen. Letztere sind in der Telekommunikationsindustrie besonders relevant. Die Hebel dieser Strategie sind Einkaufspartnerschaften, Schaffung von Datentransparenz, Volumenbündelung und Nachfragemanagement. Konkrete Ansätze zur Kostensenkung und Wertsteigerung sind neben der Festlegung und Überwachung von Richtlinien auch die Schaffung von Transparenz hinsichtlich des Ausgabeverhaltens. Mit Hilfe von z. B. IT-basierten „Spend-Cube-Lösungen“ kann hier eine Transparenz über das Beschaffungsvolumen nach Lieferanten, Geschäftseinheiten und Beschaffungsgruppen geschaffen werden kann.
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SCHLUSSBETRACHTUNGEN Unternehmen müssen sich der neuen wirtschaftlichen Realität stellen – nicht Jahrzehnte nahezu ungebremsten Wachstums sind der Normalzustand, sondern ein permanenter Wechsel zwischen Boom und Krise. Um erfolgreich über die zukünftig wohl noch volatileren Konjunkturzyklen zu kommen, müssen Unternehmen permanent die folgenden Fragen stellen: Was sind die Treiber des gegenwärtigen Trends? Wie robust sind diese Treiber?
In welchen Szenarien kann eine Trendwende eintreten?
Wie werden Kunden, Lieferanten und Wettbewerber auf die Trendwende reagieren? Wie gut ist das Unternehmen auf die Trendwende vorbereitet? Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Kernfunktionen der Wertschöpfung eines Unternehmens zu – also Einkauf, Produktion, Logistik und Vertrieb. Je agiler diese Kernfunktionen im Erkennen neuer Situationen und in der Anpassung darauf sind, desto erfolgreicher werden Unternehmen auch in volatilen Zeiten sein. Mit den fünf in diesem Buch vorgestellten differenzierten Strategien kann der Einkauf in jeder Phase eines Konjunkturzyklus einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens leisten und hinsichtlich Agilität Maßstäbe setzen. Die Autoren wünschen den Lesern viel Erfolg beim Meistern der zukünftigen Herausforderungen!
C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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LITERATURVERZEICHNIS
Krugman Paul, The Return of Depression Economics. W. W. Norton, New York, 2009.
Schuh Christian, Kromoser Robert, Strohmer Michael F., Romero Pérez Ramón, Triplat Alenka. Das Einkaufsschachbrett: Mit 64 Ansätzen Materialkosten senken und Wert schaffen, Gabler, Wiesbaden, 2008.
Stiglitz Joseph, The Roaring Nineties: A New History of the World's Most Prosperous Decade. W. W. Norton, New York, 2003.
C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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AUTOREN CHRISTIAN SCHUH (
[email protected]) ist Leiter der europäischen Supply Management Practice von A.T. Kearney und in Wien ansässig. In seinen 16 Jahren bei A.T. Kearney hat er eine Vielzahl von Projekten für Klienten vor allem aus der Anlagenbau-, Automobil-, Baumaschinen-, High Tech-, Rüstungs-, Verpackungsund Stahlindustrie in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Ukraine und in den USA verantwortet. Seine Beratungsschwerpunkte umfassen Einkauf, Produktentwicklung und Organisation. Er ist Autor einer Reihe von Fachbüchern, darunter „Das Einkaufsschachbrett“, 2008 und „Der Einkauf als Margenmotor“, 2005 im Gabler Verlag erschienen. Vor A.T. Kearney war er mehrere Jahre bei Unilever tätig. Er hat an der TU Graz Strömungsmaschinenbau studiert und über Anwendungen Künstlicher Intelligenz in der Industrie promoviert. ROBERT KROMOSER (
[email protected]), arbeitet seit zwölf Jahren bei A.T. Kearney und wohnt in Wien, hat aber den Großteil seiner Beratungspraxis neben Österreich in Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und in den USA erworben. Er ist Mitglied der Operations Practice mit Schwerpunkt Einkauf und Kostensenkung und hat eine Vielzahl von globalen Projekten in der Automobil-, Baumaschinen-, Energieversorgungs-, Maschinen- und Anlagenbau- und Stahlindustrie geleitet. Er ist Co-Autor des Fachbuches „Das Einkaufsschachbrett“, 2008 erschienen im Gabler Verlag. Robert Kromoser hat an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Carnegie Mellon University (USA) Betriebswirtschaft studiert. MICHAEL F. STROHMER (
[email protected]) ist Mitglied der Operations Practice und gehört dem Wiener Büro an. In seinen zehn Jahren Beratungserfahrung bei A.T. Kearney hat er diverse internationale Projekte für Klienten im Anlagenbau, in der Automobil-, Rüstungs-, Lebensmittel-, Verpackungs- und Stahlindustrie hauptsächlich in Post-Merger-Situationen geleitet. Seine Beratungsschwerpunkte umfassen Supply Management, Supply Risk Management, Rohstoffstrategien, Post Merger Management und Large-Scale-CAPEX-Projekte. Er veröffentlichte Bücher und Beiträge zum Thema Post Merger Management und hielt darüber Vorträge auf internationalen Konferenzen. Er ist Autor einer Reihe von Fachbüchern, darunter „Das Einkaufsschachbrett“, 2008 im Gabler Verlag erschienen. Michael F. Strohmer hat sowohl in Betriebswirtschaft als auch in Rechtswissenschaften an der JohannesKepler-Universität Linz über Merger Management promoviert. C. Schuh et al., Der agile Einkauf, DOI 10.1007/978-3-8349-6409-0, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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RAMÓN ROMERO PÉREZ (
[email protected]) ist Mitglied der Operations Practice und arbeitet seit sieben Jahren bei A.T. Kearney im Berliner Büro. Er hat eine Vielzahl von Einkaufsprojekten für Klienten vor allem aus der Anlagenbau-, Automobil-, Energie- und Stahlindustrie, sowie im Großhandel durchgeführt und geleitet. Seine Beratungsschwerpunkte umfassen Supply Management, sowie Strategien zur Durchführung von Anlageninvestitionen. Er ist aktiv als Trainer von Verhandlungsstrategien und Anwendung fortgeschrittener Methoden im Einkauf. Er ist Autor einer Reihe von Fachbüchern, darunter „Das Einkaufsschachbrett“, 2008 im Gabler Verlag erschienen. Ramón Romero Pérez hat Betriebswirtschaftslehre an der WHU Vallendar, Kobe University (Japan) und Manchester Business School (Großbritannien) studiert. ALENKA TRIPLAT (
[email protected]) ist Mitglied der Operations Practice und gehört dem Wiener Büro an. In ihren sieben Jahren bei A.T. Kearney hat sie eine Vielzahl von Projekten für Klienten vor allem aus der Anlagenbau-, Chemie-, Lebensmittel-, Stahl-, und Verpackungsindustrie in Deutschland, Österreich, der Schweiz und über längere Zeit in den USA durchgeführt und geleitet. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich Supply Management, darunter Global Sourcing, Entwicklung von Einkaufsstrategien und Performance-Systemen sowie Verhandlungsstrategien. Sie ist aktiv als Trainerin für Einkaufsstrategie und Verhandlungen. Sie ist Autorin einer Reihe von Fachbüchern, darunter „Das Einkaufsschachbrett“, 2008 im Gabler Verlag erschienen. Alenka Triplat hat Volkswirtschaftslehre an der Universität von Ljubljana (Slowenien) und Betriebswirtschaftlehre an der Wirtschaftsuniversität Wien studiert.