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Seewölfe 343 1
John Curtis 1.
Was sich in der zweiten Maihälfte im Jahre 1593 dem Hafen von Plymouth näherte, ließ sogar die abgebrühten Fischer auf See leicht erschauern. Manche bekreuzigten sich hastig und starrten dem Ding entsetzt, verwundert oder verängstigt nach. Es war eine viermastige Galeone von annähernd vierhundert tons Größe. Drei ihrer Masten waren rahgetakelt, der achtere Mast trug Lateinerbeseglung. Das war es aber nicht, was die Fischer so erschütterte. Sie starrten mit offenen Mündern auf rote Segel, die sich im Wind blähten, Segel, die weithin als Fanal leuchteten und die Erinnerung an Blut hervorriefen. Auch das hätten die verstörten Fischer noch verkraftet. Erst der Anblick der Besatzung ließ sie krampfhaft schlucken. An Deck des Schiffes bewegten sich recht merkwürdige Gestalten. Sie hatten von Wind und Wetter gegerbte Gesichter, die von der Sonne braun gebrannt waren. Ihre Haare waren schwarz und im Nacken zu einem dicken Zopf geflochten. Auf den Köpfen trugen sie flache tellerähnliche Hüte, wie man sie in England noch nie gesehen hatte. Seltsamerweise befand sich unter diesen unheimlich wirkenden Männern auch eine Frau, die auf dem Achterdeck stand, und deren Anblick die Fischer noch mehr verwirrte. Sie trug Hosen, dazu Stiefel und eine rote Bluse. Über der Bluse trug sie noch eine helle Segeltuchjacke. In ihrem ovalen Gesicht standen die Wangenknochen leicht hervor, und die Augen, mandelförmig und leicht geschlitzt, verliehen ihr etwas Rätselhaftes und Fremdes. Ihr Haar war lang und schwarz und flatterte im Wind. Ihre vollen roten Lippen waren etwas spöttisch Verzogen, als sie die Blicke der Fischer bemerkte. Es war die erste Reise der Roten Korsarin nach England. Sie war auf dieses Land, aus dem der Seewolf stammte, eigentlich schon immer sehr neugierig gewesen.
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Dieser ziemlich öde Küstenstrich ist also seine Heimat, überlegte sie. Auf den ersten Blick ein nichtssagendes Land, nicht kalt und nicht warm um diese Jahreszeit, ein einfacher Küstenstrich mit kleinen Erhebungen und nur wenig zartem Grün, das an den Bäumen und Sträuchern aufbrach. Im Grunde genommen sah es in ihrer chinesischen Heimat um diese Jahreszeit auch nicht sehr viel anders aus. Dagegen bot die Karibik, aus der Siri-Tong nach England gesegelt war, wesentlich mehr Reize. Sie war ein wenig enttäuscht, wollte das aber vor sich selbst nicht zugeben und behielt ihr rätselhaftes Lächeln bei. Sie blickte auf den Hafen von Plymouth, in dem einige Schiffe an den Piers lagen und weiter hinten, in der beginnenden Dämmerung gerade noch erkennbar, weitere ankerten. Schon jetzt begannen sich die ersten Neugierigen zu versammeln. Viele standen so versteckt, daß man sie kaum sah, und starrten voller Ehrfurcht auf das Schiff, das im Segel einen gewaltigen Drachen führte, der sich im leichten Wind immer wieder aufblies und dadurch den Eindruck erweckte, als atme und lebe er. Einige der versteckt lauernden Gaffer erkannten auf Anhieb, daß dieses Schiff mit den blutroten Segeln eine englische Konstruktion war, noch dazu ausnehmend gut bestückt. Vorn und achtern standen je drei großkalibrige Drehbassen an Deck, und was sich hinter den Stückpforten an schweren Stücken verbarg, ließ sich ebenfalls mühelos erahnen. Außerdem war es ein Schiffstyp, der bei der englischen Flotte wegen seiner großen Laderäume und dem verhältnismäßig flach gebauten Rumpf sehr gefragt war. Einige schätzten. daß der Schiffsbaumeister von. Plymouth, Hesekiel Ramsgate, diese Galeone gebaut hatte, und damit lagen sie genau richtig. „Roter Drache“, wie das Schiff der Korsarin hieß, war früher unter dem Namen Albion“ gesegelt. Siri-Tong hatte
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die wendige Galeone auf Bora-Bora erbeutet. „Wir legen dort drüben an der freien Pier an, Barba“, sagte sie zu ihrem Rudergänger. „Mister Boyd, sorgen Sie für ein exaktes Anlegemanöver« und erteilen Sie die nötigen Befehle dazu.“ „Aye, Madam”, erwiderte der Erste Offizier. Die Männer, die die Rote Korsarin befehligte, gehorchten aufs Wort. Da gab es kein Zögern und kein Zaudern. Ihre Befehle kamen knapp und klar, und die Crew arbeitete reibungslos und gut zusammen. Während das Schiff mit den roten Segeln einen langen Bogen beschrieb, hielt SiriTong immer wieder Ausschau, beobachtete den Hafen, behielt 'gleichzeitig die Crew im Auge und nahm die Eindrücke des Hafens in sich auf. Nach Plymouth war sie nur aus einem Grund gesegelt: Sie hoffte hier mit dem Seewolf Philip Hasard Killigrew, dem Wikinger Thorfin Njal und auch mit dem Franzosen Jean Ribault zusammenzutreffen. Sie wollte eine Besprechung darüber ansetzen, was mit der Schlangen-Insel in der Karibischen See zu geschehen hätte, denn dort mußte jetzt einiges getan werden. Es war schon eine Menge getan worden. Sehr viel hatte sich dort im Lauf der Zeit verändert, doch es mußte noch mehr geschehen im Hinblick auf die Menschen der Schlangen-Insel, auf die Befestigungen und was der Dinge mehr waren. Eine schlagkräftige Flotte sollte dort aufgebaut werden. Siri-Tong hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon. Ihr schwebten eine Anzahl von Veränderungen vor. Daß das alles zu einem großen Teil schon abgesprochen war, ahnte sie nicht. Sie wußte nichts von den Gesprächen zwischen Hasard, Ribault, dem Wikinger und Hesekiel Ramsgate. Und sie wußte auch nicht, daß Ramsgate plante, seine Werft auf die Schlangen-Insel zu verlegen. Sie vermutete lediglich, daß einiges zwischen den Männern vereinbart worden
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war. Das genügte ihr allerdings nicht. Sie hatte die ältesten Rechte an der SchlangenInsel und nahm sich vor, in dieser Angelegenheit ein Machtwort mitzusprechen. Als sie jetzt den Blick hob, sah sie, daß immer mehr Leute im Hafen zusammenströmten und sie alle wie Wundertiere von den Gaffern angestarrt wurden. . Die Rote Korsarin lächelte verhalten, als sie die staunenden Blicke sah, die sich auf die Zopfmänner und sie selbst richteten. Natürlich trug keiner ihrer Männer einen Zopf, und es gab auch keinen Chinesen an Bord. Das war nur Maskerade, Mummenschanz, nicht um zu beeindrucken, sondern um etwas zu erfahren, denn angeblich sprachen ihre Männer ja auch kein Englisch. Einem aber, der die Sprache nicht verstand und sprach, begegnete man mit Sicherheit sorgloser und plauderte mehr aus. Auf diese Art und Weise erhoffte sie, alles das zu erfahren, was sie wissen wollte. * In Nathaniel Plymsons Spelunke, der berüchtigten Hafenkneipe „Bloody Mary“ an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street, war die Ankunft des fremden Schiffes ebenfalls sehr schnell bekannt geworden und hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Die üblichen Schnapphähne, Beutelschneider, Hasardeure und Galgenstricke hockten in der „Bloody Mary“ und soffen Plymsons Fusel. Das feiste Schlitzohr Plymson war an diesem Tag kaum wiederzuerkennen. Nicht daß er sich verändert hatte, er trug nur wieder eine neue Perücke, weil die letzte mal wieder bei einer handfesten Auseinandersetzung in seiner Kneipe restlos zertrampelt worden war. Einer der Trunkenbolde hatte damit den Boden aufgewischt und das zerzauste Gebilde dann großzügig über den mumifizierten Stör gehängt, der Plymsons Theke zierte und schon so alt war wie die Welt.
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Plymson hatte diesmal eine Perücke nach französischer Art auf seinem kahlen Schädel. Die Perücke war grau gepudert mit einigen dunklen Streifen darin und fiel ihm: in kleinen Wellen dicht an dicht bis in sein feistes Genick. Von hinten gesehen, verlieh sie ihm etwas Seriöses. Drehte er sich aber um, dann erkannte man in seinem feisten Gesicht die Schlitzohrigkeit der ganzen Welt, den freundlichgeldheischenden Blick und eine gewisse Art von Hinterhältigkeit, die nie aus seinen Zügen verschwand. Jeder hatte durch Plymsons schwach angedeutetes Grinsen unweigerlich das Gefühl, beschissen worden zu sein, auch wenn das nicht immer zutraf. „Da ist ein rotes Schiff“, sagte der grobe Johann zu Plymson. Der Schankknecht grinste dazu etwas dümmlich. „Es segelt gerade in den Hafen und legt an.“ „Ein rotes Schiff?“ fragte Plymson. Er sah seinen Schankknecht ungläubig an. „Du meinst ein schwarzes. Das ist der Wikinger mit seiner Lausebande.“ „Ein rotes“, beharrte der grobe Johann, der mit dem Schimpansen Arwenack von der „Isabella IX.“ eine gewisse Ähnlichkeit hatte, was zumindest die Haare auf seinem Körper betraf. Vom Gesicht her sah fraglos der Schimpanse besser aus. Plymson schüttelte den Kopf, warf seinen Schmierlappen, mit dem er die Bier- und Weinlachen vom Tresen zu wischen pflegte, auf die Theke und ging wortlos hinaus. Ihm folgten gleich darauf noch weitere Kerle. Draußen starrte sich Plymson die Schweinsäuglein aus, und sein dreifach gestaffeltes Wabbelkinn geriet in lebhafte Bewegung. „Verdammt“, sagte er ächzend, „ein Schiff mit roten Segeln.“ „Hab ich doch gesagt“, maulte der grobe Johann. der sich ebenfalls die Augen ausstarrte. Plymson beobachtete das Anlegemanöver. Sein Mund war weit aufgerissen, er glaubte an einen bösen Traum, und er spürte, wie es unter seiner neuen Perücke unangenehm zu kribbeln und zu jucken begann.
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Da war ein verdammter höllischer Drache auf dem Großsegel zu sehen, ein gewaltiges Biest. das ihn böse anstarrte, und wenn die merkwürdigen Kerle an Bord an dem Segel zerrten, um es aufzutuchen. dann holte dieser Drache jedesmal tief Luft und blies seinen feurigen Atem genau in seine Richtung. Als Plymson noch ein kleiner fetter und ungezogener Bengel war, da hatte er oft von solchen Drachen gehört, daß sie Feuer spien und kleine Jungs fraßen, die in den Hühnerställen die Eier klauten. Ja, genauso war ihm der Drache immer geschildert worden, und jetzt sah er ihn als riesige Abbildung auf einem Segel. Und weil er immer die Leute beschissen und betrogen hatte, richtete der Drache jetzt sein Augenmerk genau auf ihn, als wisse er, was mit Plymson los sei. Jetzt krümmte der Drache seinen fürchterlichen Leib zu einem gewaltigen Sprung. Plymson schloß die Augen. Er war keines Wortes mächtig. Erst als er sie Wieder öffnete, war das Höllenvieh verschwunden und hatte sich zum Schlummer unter die Rah gepackt. Plymsons entsetzter Blick wanderte weiter. Den Namen des Schiffes vermochte er nicht zu lesen, denn der bestand aus einem krakeligen Gewirr völlig unverständlicher rätselhafter Zeichen, die er nie in seinem Leben gesehen hatte. Yard um Yard tastete er mit seinen Blicken weiter das unheimliche Schiff ab und zuckte immer wieder zusammen. Er bemerkte Gestalten, wie er sie ebenfalls noch nie gesehen hatte. Kerle mit langen schwarzen Zöpfen und Tellerhüten auf dem Schädel. Ja, und - er sah eine Frau. Eine verteufelt hübsche Frau war das, sehr schlank, mandeläugig, fremd, exotisch mit langen schwarzen Haaren. Sie trug Stiefel und unter ihrer Segeltuchjacke eine Bluse, die so rot war wie die Segel an den Rahen. Die Aufregungen reißen einfach nicht ab, dachte Plymson wie betäubt. Da war der Seewolf mit seiner wilden Horde von Kerlen gewesen, dann der Wikinger mit seiner Satansbrut und dann noch ein Kerl, der genau wie der Seewolf aussah, genauso
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breit, so groß und stark, der aber blonde Haare hatte. Und jetzt lief dieses Schiff ein! Das war fast zuviel. Erst jetzt ging dem Schankwirt auf, daß diese exotische Frau auf dem Achterdeck beileibe kein Passagier war. Sie gab Befehle, und die Zopfkerle flitzten nur so, wenn sie etwas in einer Sprache rief, die Plymson nicht verstand. Diese Sprache bestand nur aus Zischen, Gurgeln und Miauen, etwa so wie die Kater maunzten, wenn sie nachts über die Dächer strichen. Plymson verstand die Welt nicht mehr. Er hatte, weiß Gott, schon viel erlebt, aber in Plymouth artete das immer mehr aus. Wilde, verwegene Kerle, dachte er, die einer Frau aufs Wort gehorchen, so was gibt es doch gar nicht! So ein zierliches Persönchen kann doch keine ausgewachsenen Kerle beliebig hin und her scheuchen! „Eine Frau“, sagte neben ihm der grobe Johann staunend. „Die kommandiert da!“ „Seh ich selbst“, murmelte Plymson halb erschlagen von dem wunderlichen Anblick. „Scher dich wieder in die Kneipe.“ „Aber ich will doch die Frau sehen. Sie ist schön, was?“ „Ja, sie ist schön, sehr schön“, sagte Plymson ächzend. „Aber sie scheint auch gefährlich zu sein. Sie muß aus einem sehr fernen und fremden Land stammen.“ „Vielleicht aus Frankreich“, sagte der grobe Johann, dessen geistiger Horizont bestenfalls bis über den Kanal reichte. Dann, nach nochmaliger Aufforderung, er möge sich gefälligst sofort in die Kneipe verziehen, verschwand er, während Plymson noch eine ganze Weile blieb und das Schiff beobachtete, das ihm ein Rätsel nach dem anderen aufgab. Die Neugierigen säumten fast den ganzen Hafen und starrten wortlos das Schiff an. Hin und wieder murmelten die Leute leise, fast ehrfurchtsvoll, und sie starrten sich die Augen aus, denn nach einer Weile erschien eine weitere Frau flüchtig an Deck und besprach sich mit der Frau in der roten Bluse. Diese junge Frau stammte von der Insel Mocha und hieß Araua. Sie war die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana
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und des Seewolfs, aber das wußte keiner in Plymouth, denn niemand kannte die Hintergründe dieser Geschichte. Araua war noch sehr jung und wohnte auf der Schlangen-Insel in der Karibischen See. Siri-Tong hatte ihr versprochen, sie mitzunehmen, sobald sie nach England segelte, und das war jetzt geschehen. Für die Gaffer wirkte Araua ebenfalls fremd und exotisch. Sie staunten über diese aufblühende Schönheit. Doch die Tochter der Schlangenpriesterin verschwand kurz darauf wieder unter Deck. Plymson wischte sich den Schweiß von der Stirn und merkte nicht, daß seine neue Perücke halb verrutschte und an Backbord sein kahler Schädel blanklag. Himmel, dachte er, was ist das nur für ein Schiff? Zwei Frauen an Bord, beide von ausgesuchter Schönheit, und eine von ihnen kommandiert eine rauhe und wilde Männerschar! Der Teufel mochte wissen, was ganz Plymouth wohl bald bevorstand. In letzter Zeit hatten sich die Ereignisse ja ständig überschlagen, und jetzt gesellte sich ein neues hinzu. Heftig schluckend kehrte er in die „Bloody Mary“ zurück, lehnte sich über die Theke und begann in seiner Erinnerung zu kramen und zu grübeln, denn das Schiff ließ ihm keine Ruhe mehr. Es füllte sein ganzes Denken aus, ganz besonders natürlich die Frauen an Bord. Da war doch mal irgendetwas mit dem Seewolf gewesen, wenn er sich recht erinnerte. Natürlich wurde viel getuschelt, und es wurden auch Märchen erzählt und Legenden verbreitet. Ein Körnchen Wahrheit aber steckte meist darin, und jetzt entsann sich der dicke Kneipenwirt auch an das Getuschel in seiner Kneipe und auch an das, was die ehrbaren Bürger von Plymouth oft gemunkelt hatten. Der Seewolf sollte ja angeblich irgendwo in der Karibik hausen, an einem geheimen Ort, auf einer Schatzinsel oder so ähnlich. Und natürlich wimmelte es in der Karibik nur so von Piraten, wie Plymson sich das erschauernd vorstellte. Da wurden von morgens bis abends Leute abgemurkst, da hausten bärtige Gesellen auf Inseln, auf
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denen Gold und Silber in riesigen Mengen versteckt sein sollten. Der Seewolf aber, so munkelte man, sollte sich mit einer äußerst gefährlichen Piratin verbündet haben, die ebenfalls in der Karibik ihr Unwesen trieb. Plymson schluckte bei dem Gedanken, daß es vielleicht diese Frau sein könnte. Aber so ganz genau wußte er das nicht. Jedenfalls schwante ihm Unheil. Seufzend sah er die Kerle an, die es wieder in die „Bloody Mary“ gezogen hatte. Sie soffen sich den Kragen voll, erzählten üble Witze und lachten. Zwei grölten betrunken ein obszönes Lied. Wenn er sie jetzt hinauswarf, konnte er seinen Laden schließen und sich irgendwohin verholen. Doch mit diesen Zechbrüdern war nicht zu reden, solange sie soffen. Die würden wieder mal bis zum frühen Morgen bleiben. Er war nicht in der Lage, sie hinauszuwerfen, sonst ging es ihm selbst an den Kragen. Also schickte Plymson ein Stoßgebet zum Himmel, daß die Besatzung dieses unheimlichen Schiffes nicht bei ihm einkehren möge, so sehr er auch auf das Geld erpicht war. Nein, diese unheimlichen Leute wünschte er nicht aus der Nähe kennenzulernen, dann lieber kein Geschäft, aber einen ruhigen Abend. Inzwischen war es dunkel geworden, und am Himmel erschienen die ersten funkelnden Sterne. „Hoffentlich kommen die Kerle dieses Schiffes nicht zu mir“, sagte Plymson zum groben Johann mit der Holzhackervisage. „Der Himmel möge mich davor bewahren.“ Johann wuchtete gerade ein Rotweinfaß auf die Theke. Die Lampe vor der Kneipe hatte er schon entzündet, und jetzt ging er daran, auch die Fensterläden zu schließen. Dabei blickte er durch eins der Fenster hinaus und zuckte deutlich sichtbar zusammen. „Was ist?“ fragte Plymson mit klopfendem Herzen. „Da sind schon welche von den Zopfmännern im Anmarsch“, sagte der grobe Johann bedächtig. „Und diese - diese
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Frau mit der roten Fahne, äh, ich meine mit der roten Bluse ist auch dabei.“ „Der Himmel steh mir bei“, klagte Plymson, „es gibt doch noch so viele andere Kneipen. Ausgerechnet zu mir. Was habe ich nur getan?“ Sein zum Himmel gesandtes Stoßgebet war zwischen den Sternen sang- und klanglos verschwunden. Weiter oben hatte man sicher anderes zu tun, als sich um Plymsons Hafenspelunke zu kümmern. Nathaniel Plymson riskierte noch einen schnellen ängstlichen Blick hinaus und fühlte seinen Herzschlag immer lauter. Tatsächlich, da rücken die unheimlichen Gestalten an. Und dieses schwarzhaarige Weib mit der roten Bluse trug doch wahrhaftig einen Degen. Auf den Schreck genehmigte sich der dicke Plymson erst mal einen. Es bestand kein Zweifel, daß sie seine Kneipe auserkoren hatten. 2. Aus den Erzählungen des Seewolfs und auch aus den Berichten der anderen Arwenacks wußte Siri-Tong eine ganze Menge über Plymsons berüchtigte Kneipe. Diese Spelunke schien ein Symbol für Plymouth zu sein, und sie wurde von den Seewölfen oft demoliert, aus „Tradition“, wie der Profos Edwin Carberry zu nennen pflegte. Bei Plymson wurden aber auch Informationen gehandelt und Auskünfte, die Siri-Tong sich hier erhoffte. Vielleicht wußte der Wirt, ob der Wikinger oder der Seewolf schon wieder in Plymouth waren, ob sich Jean Ribault auf der Werft aufhielt, und was der Dinge mehr waren. Sie wollte auch wissen, wo die Werft des Mister Ramsgate lag. Das alles hoffte sie von dem Spelunkenwirt in Erfahrung zu bringen. In ihrer Begleitung befanden sich sechs Männer. Ihr Erster Offizier Boyd war dabei, und dann vor allem Barba, ein wüst aussehender Riese von erschreckendem Äußeren. Er sah aus wie ein Schlagetot der übelsten Sorte, mit vielen Narben in seinem Gesicht, dessen Blick Furcht und
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Schrecken verbreitete. Das betraf aber nur sein Äußeres, denn Barba war ein ehrlicher und anständiger Kerl, der für die Rote Korsarin bedingungslos durchs Feuer ging. Die vier anderen Männer waren kaum noch als Engländer zu erkennen. Ihre harten Gesichter waren sonnenverbrannt und dunkel. Die Tellerhüte und schwarzen Zöpfe veränderten sie noch mehr. „Da drüben ist die Kneipe“, sagte SiriTong und blieb stehen. Ihre rechte Hand wies kurz auf das Eichenschild und die danebenhängende Funzel, die leicht hin und her schwang. „Wir bleiben dabei, daß keiner von uns ein Wort Englisch versteht. Erst wenn ich euch ein Zeichen gebe, beenden wir die Maskerade. Ich spreche chinesisch, und ihr schweigt. Wenn die Kerle denken, daß wir ihre Sprache nicht verstehen, dann plaudern sie vielleicht einiges aus.“ „Sehr gut, Madam“, sagte der Erste Offizier. „Vermutlich werden aber abfällige Bemerkungen fallen, wenn wir angeblich nichts verstehen.“ „Das soll mich den Teufel scheren, Mister Boyd, auch wenn sich die Kerle über uns belustigen. Wir werden ganz sicher auffallen.“ Aus der „Bloody Mary“ drang Gesang, ein paar saftige Flüche waren zu hören, dann wieder das Gegröle von angetrunkenen Männern. Die Rote Korsarin drückte die Bohlentür auf und trat ein. Hinter ihr folgte der wüst und finster aussehende Barba, dann die anderen. Siri-Tong war noch nicht ganz bis an den Tresen gelangt, als schlagartig jedes Geräusch verstummte. Von einer Sekunde zur anderen wurde es mucksmäuschenstill und unheimlich ruhig. Ungeniert sah sie sich um. Über der Theke hing tatsächlich dieses mumifizierte Störvieh, das bei jedem leichten Luftzug hin und her pendelte. Der Stör hatte das Maul weit aufgerissen und schien nach den Eindringlingen zu schnappen, ganz so, wie Carberry es immer erzählt hatte. Die lastende Stille in der Kneipe wurde durch das Schlagen der Glocke der St.-
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Andrew-Kirche unterbrochen. Als die sieben Schläge verhallten, war es wieder totenstill. Ausnahmslos alle Kerle starrten die Rote Korsarin an, ungeniert, wild und lüstern waren die Blicke auf sie gerichtet. Man konnte es den Kerlen auch nicht verübeln, denn so ein Rasseweib hatten sie noch nie gesehen, und so stierten sie mit aufgerissenen Mäulern weiterhin die Frau an. Ihre Blicke glitten über das schmale Gesicht mit den Mandelaugen, dann weiter, tasteten die Figur ab und rutschten grinsend weiter, als hätten sie diese Frau bereits mit den Augen ausgezogen. Siri-Tong, die angeblich kein Wort Englisch sprach, führte sich bei dem feisten Plymson auf ihre Art ein. Nach den Erzählungen mußte der Dicke mit der schlechtsitzenden Perücke der berüchtigte Wirt sein, der sie ebenfalls ungeniert anstarrte. Mit einer schnellen, fließenden Bewegung zog die Rote Korsarin ihren Degen. Die Klinge zuckte im Schein der Funzeln wie ein Strahl auf und wies auf ein kleines Weinfaß. Plymson verschluckte sich im ersten Schreck, in der Annahme, das wilde Teufelsweib hätte es auf ihn abgesehen. Aber dann verstand er diese Geste. Sein Wabbelkinn zuckte lebhaft, seine Finger waren ebenfalls sehr unruhig. Nur seine hinter fetten Polstern liegenden Schweinsäuglein waren weit aufgerissen. Inzwischen gingen die sechs anderen Kerle mit den Zöpfen und den Tellerhüten auf den Köpfen schweigend zu einem großen Tisch, neugierig verfolgt von den verblüfften Zechern. An dem Tisch hockten zwei stupide grinsende Fischer. deren Gesichter immer länger wurden, als Barba sich ihnen näherte. Er warf den beiden nur einen Blick zu, doch der genügte bereits, um einen der Kerle blitzartig zur Räumung zu veranlassen. Der andere zierte sich noch ein wenig und tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Sein Blick war fast ausdruckslos auf die eichene Tischplatte gerichtet.
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Barba räusperte sich drohend. Dann griff seine mächtige Pranke einmal kurz zu, kriegte den Hemdkragen des Fischers zu fassen und zog ein wenig daran. Es wirkte spielerisch, doch den Fischer lüpfte es augenblicklich in die Höhe, obwohl er selbst ein Kerl wie ein Schrank war. Eine schleudernde Handbewegung erfolgte, auch nur so aus dem Handgelenk. Doch der kleine Schwung genügte, um den schweren Mann blitzartig durch die Kneipe rasen zu lassen. Bevor er an die Wand krachte, konnte er sich noch an einem der anderen Tische einen Halt verschaffen. Niemand muckte auf, niemand sagte ein Wort, als sich die sechs Zopfmänner an dem Tisch niederließen, an dem gleich darauf auch die Rote Korsarin Platz nahm. Plymson starrte die Frau immer noch an. Schweiß stand in winzigen Perlen auf seiner Stirn, hinter der es pausenlos arbeitete. Er hatte beide Hände um das Weinfaß gekrampft und schluckte. Die Rote Korsarin gab den Blick zurück, musterte ihrerseits den dicken Plymson, was ihn noch mehr ins Schwitzen brachte, und schlug dann energisch mit der Degenklinge auf den Tisch. Plymson dienerte, schnappte sich das Fäßchen und fiel vor Eifer fast über seine eigenen Beine. Eigenhändig schenkte er in rasender Eile die Humpen voll und katzbuckelte. „Entschuldigung, meine Dame“, sagte er, „verzeihen Sie bitte. Ich heiße Sie auf das allerherzlichste willkommen in meiner bescheidenen, äh - Knei äh Gastwirtschaft, Madam. Es ist ein sehr guter Wein, den ich da habe, er wird Ihnen ...“ Kohlschwarz funkelnde Augen blickten ihn an. Plymson schluckte abermals, seine Kinne wabbelten, und er versuchte entschuldigend zu grinsen. Gleich darauf fuhr er jedoch wie von der Natter gebissen zurück, als die Rote Korsarin etwas sagte. Es war eine Sprache, die Plymson noch nie vernommen hatte, sie klang zischend und fordernd, und er beeilte sich, mit seinem Fäßchen wieder hinter den Tresen zu gelangen. Außerdem wußte er nicht, ob die
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seltsamen Laute ihm gegolten hatten oder den sechs Männern. So blieb er auf dem Sprung bereit hinter der Theke stehen und tat so, als betrachte er angelegentlich den staubigen Stör. Wieder sagte die Rote Korsarin etwas und hob den schweren Krug aus Zinn. Die sechs Männer folgten ihrem Beispiel und hoben ebenfalls die schweren Krüge. Plymson lief ein Schauer über den Rücken, denn das Satansweib leerte den großen Krug, ohne ihn auch nur einmal abzusetzen. Das schaffte selbst der grobe Johann nicht. Plymson kriegte Stielaugen und ließ die Kinnlade herabgeklappt vor Staunen. Die Krüge wurden hart auf den Tisch zurückgesetzt. Immer noch herrschte tiefe Stille in der „Bloody Mary“. In den harten Gesichtern der anderen Kerle stand lüsternes Grinsen, ihre Blicke waren immer noch auf Siri-Tong gerichtet. Schweigend hob einer nach dem anderen ebenfalls seinen Krug und trank. Bei einigen sah es aus, als wollten sie sich mit Gewalt Mut ansaufen. Als Plymson den nächsten Blick riskierte, sagte die Korsarin etwas in dieser unverständlichen singenden Sprache. Gleichzeitig gab sie ihm durch Handzeichen etwas zu verstehen. Was, zum Teufel, will sie nur? dachte er schwitzend. Er kam aber eilfertig heran und katzbuckelte wieder. „Äh, das Fäßchen, Madam“, sagte er erleichtert, denn der Wink mit der Hand galt eindeutig dem Rotweinfaß. „Sofort, edle Dame, sofort Madame“, schmeichelte er. „Ja, ich verstehe, Sie wünschen das Faß in der Nähe des Tisches zu haben. Ihr untertänigster Diener, ehrenwerte Dame.“ Zum ersten Male mischte sich jetzt einer der Seeleute ein, die Siri-Tong nur angestarrt hatten. „Nun mach dir mal nicht in die Hose, Plymson“, sagte der Mann mit der Statur eines ausgewachsenen Bären. Er war schon stark angetrunken. „Du weißt ja noch gar nicht, ob das eine ehrenwerte Dame ist. Vielleicht ...“
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„Halt's Maul“, erklärte Plymson. „Was ich sage, geht dich gar nichts an. Sauf weiter oder verschwinde.“ Er brachte das Fäßchen dicht neben dem Tisch in Stellung und füllte erneut die schweren Krüge. Als er aufblickte, hörte er einen Ton, der seinen Puls in die Höhe trieb. Das war einer von Plymsons Lieblingstönen, und er war Musik für seine Ohren. Eine dicke schwere Goldmünze klingelte auf der Tischplatte, so ganz nebenbei von der eigentümlichen Frau hingeworfen. Sie drehte sich noch ein paarmal und lag dann still. Plymsons Augen wuchsen noch weiter aus seinem Kopf, als die ehrenwerte Dame auf die Münze deutete und wieder etwas Unverständliches sagte. Plymson nahm die Münze unter vielen Verneigungen und dienerte sich rückwärts gehend zur Theke zurück. Auch die anderen wurden immer aufmerksamer. Da diese Frau so leichtsinnig und lässig mit derartigen Goldmünzen umging, schien sie vermutlich genügend davon zu haben. Das warf gleich wieder Vermutungen auf, die diesmal allerdings laut und ungeniert geäußert wurden. „Ihr braucht nicht rumzudrucksen!“ rief ein vierschrötiger Kerl. „Die komischen Leute verstehen kein einziges Wort Englisch, sonst hätten sie es längst angebracht. Ich hab mal gehört, daß solche Zopfmänner irgendwo auf der anderen Erdseite leben sollen.“ „Quatsch doch nicht“, fiel ein anderer ein, „ich habe mir ganz was anderes überlegt. Ich glaube nämlich, daß dieses unheimliche Weib da zu dem behelmten Wikinger gehört. Der sieht auch so fremdartig aus.“ „Oder es ist die Piratenfreundin vom Seewolf“, meinte ein anderer. „Aber dann ist sie zu spät dran. Der Seewolf und der Kerl mit dem Helm sind gestern aus Plymouth ausgelaufen.“ „Warum soll sie denn 'ne Piratin sein?“ fragte der Kerl, der aussah wie ein riesiger
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Bär. „Ihr spinnt ja, das ist einfach ein prächtiges Weib.“ Siri-Tong und ihre sechs Begleiter spitzten zwar die Ohren, aber sie' ließen sich nicht anmerken, daß sie jedes Wort verständen. Doch gleich darauf nahm das Gespräch mit den Vermutungen und Phantastereien eine Wendung, auf die die Rote Korsarin gern verzichtet hätte und die ihr langsam, aber sicher das Blut in die Wangen trieb. „Ich glaube auch, daß die was mit dem Seewolf zu tun hat“, sagte ein weiterer Angetrunkener beharrlich. „Was sollte sie wohl sonst in diesem lausigen Kaff suchen, he?“ Der Kerl mit der Bärenfigur erhob sich jetzt und grinste hinterhältig und schmierig. Dabei starrte er die Korsarin von der Seite her lüstern an. „Das Weib gefällt mir“, sagte er herausfordernd, „das ist was anderes als deine miesen Huren, Plymson. Deshalb habe ich einen guten Vor- schlag für dich. Ich gebe dir zwei Goldstücke, wenn du der Lady so viel einschenkst, daß sie besoffen wird. Ich würde mir das wirklich was kosten lassen, wenn ich die mal so richtig na ja. du weißt schon, was ich meine. So ein Weib habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.“ Daraufhin setzte grölendes Gelächter aus rauhen Kehlen ein. Ein anderer mischte sich ein, ein bärtiger wüster Kerl, der mit funkelnden Augen um sich starrte. „So einfach wird das nicht sein, Hank. Die sechs Zopfkerle sind auch noch da, und sie scheinen recht harte Gesellen zu sein.“ „Plymson kann ihnen doch etwas in den Wein tun“, sagte der Breite gelassen. „Ein kleines Pülverchen, einen Schlummertrunk. Das tust du doch hin und wieder mit Leuten, die nach dem Erwachen staunen, daß sie sich auf einem Schiff befinden.“ Plymson wand sich wie ein Aal. „Das ist mir zu gefährlich“, sagte er, „ich möchte mich da lieber raushalten, wenn sie doch etwas mit dem Seewolf zu tun hat. Nein, nein, das riskiere ich nicht.“
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„Du riskierst doch sonst immer alles. Zwei Goldstücke, Plymson, vergiß das nicht!“ Plymson schüttelte den Kopf, daß die Locken der Perücke nach allen Seiten flogen. Der Klotz von einem Kerl mit starken behaarten Armen stand etwas unsicher von seinem Schemel auf. Zwei Schritte brachten ihn in die Nähe des Tisches, wo die Fremden tranken. Er fühlte sich nicht nur stark, er war es auch, und das wollte er den anderen jetzt wohl beweisen. „Dann eben ohne Goldstücke“, sagte er schmierig. Als er das letzte Wort gesprochen hatte, griff er plötzlich zu. Seine Pranken griffen nach Siri-Tong. Er wollte sie von hinten umklammern und faßte nach ihren Brüsten. Er hatte sich das ganz einfach vorgestellt, doch Siri-Tong reagierte wie eine wilde Tigerin. Noch bevor Barba und die anderen reagierten, sprang sie auf und wich mit einem blitzschnellen Satz nach links aus. Der Kerl, den die anderen Hank nannten, hielt immer noch die Hände ausgestreckt, nur war da nichts mehr. Er stand nur noch da und staunte, und auch das Staunen verging ihm gleich darauf gründlich, denn jetzt bewies die Rote Korsarin, daß sie ihren Namen zu Recht trug. Ihr Degen glitt fast von selbst in die Hand, zuckte vor, so schnell, daß die meisten die Bewegung nicht sahen, und schon hieb sie mit der scharfen Klinge gezielt nach dem bärenstarken Kerl. In dessen Augen begann es zu flackern, als die Degenspitze haarscharf an seinem Gesicht vorbeizuckte. Er zog den Kopf zurück und hielt schützend die Hand vor das Gesicht. Himmel, dachte er entsetzt, das Satansweib scheint es tatsächlich ernst zu meinen, die reagiert ja schlimmer als eine Furie! Die Rote Korsarin zeigte dem Kerl jetzt, daß man sie nicht ungestraft beleidigen durfte. Ihr Degen pfiff durch die Luft, und gleich darauf war das Hemd des Mannes vom Hals bis zur Brust sauber aufgeschlitzt, ohne daß sich auch nur ein Blutstropfen zeigte. Hanks gieriger Blick war wie weggeputzt.
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Anfangs war es Verwunderung und Erstaunen gewesen, jetzt verwandelte sich sein Gesicht zu einer Fratze voller Wut und Angst. Vor sich sah er die Frau mit dem Degen, die kaltblütig nach ihm hieb. Und jeder Hieb traf mit beängstigender Präzision. Bei jedem sirrenden Degenhieb wurde ihm die Kleidung auseinandergefetzt. Vor Entsetzen schloß er die Augen und versuchte mit der Hand ein paar lahme Bewegungen der Abwehr. Doch kaum hatte er die Hand oben, da zuckte wieder der Degen vor. Sein Hemdärmel zerfetzte, ein weiterer Hieb trennte ihm die Jacke auf. Röchelnd wich er bis an die Wand zurück, bis es nicht mehr weiterging. Doch die Rote Korsarin war unerbittlich. Systematisch und mit genau dosierten Degenhieben fetzte sie seine Kleidung auseinander. Seine Jacke bestand nur noch aus Fetzen und Streifen, sein Hemd hing in Streifen von seiner Brust, und als ein scharfer Hieb seinen Gürtel zerschnitt, rutschten ihm die Hosen bis zu den Knien hinunter. Zitternd, gedemütigt und halb entkleidet stand er nur noch in der Unterwäsche an der Wand. Doch damit nicht genug. Der scharfe Degen in der Hand der Roten Korsarin drehte sich leicht, die Breitseite der Klinge pfiff blitzschnell durch die Luft. Klatschende Schläge ertönten, und bei jedem Hieb, der ihn am Körper traf, krümmte sich der Kerl wimmernd zusammen. Auf seiner bloßen Haut erschienen blutrote Striemen. Ein letzter gequälter Schrei brach über seine Lippen, dann lag Hank zusammengekrümmt am Boden, die Hände angstvoll über dem Kopf erhoben. Die Rote Korsarin fuhr mit funkelnden Augen herum. „Hat noch jemand Lust, mich mal so richtig ...?“ fragte sie kalt. Die Kerle starrten sie verdattert und entsetzt an, denn jetzt sprach sie plötzlich fehlerfreies fließendes Englisch. Mit hervorquellenden Augen starrten sie auf die Rote Korsarin, sprachlos, tief
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beeindruckt von dem, was sie soeben gesehen hatten. Einer der Kerle sprang wutentbrannt hoch. Die Schande, von einer Frau so behandelt zu werden, wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Noch während er aufsprang, zog er bereits sein Entermesser, um sich auf SiriTong zu stürzen. Der Riese Barba langte zu, wild und ungestüm griff er nach dem Messerstecher. Mit einem wuchtigen Schlag fegte er dem Kerl das Messer aus der Faust, das klirrend zu Boden fiel. Wo der hünenhafte Barba hinschlug, da wuchs kein Gras mehr. Mit der linken Hand hielt er den Kerl fest. Von unten zuckte seine rechte Faust mit gewaltigem Schlag hoch. Gleichzeitig ließ er los. Der Schrei erstickte dem Messerhelden auf den Lippen, der harte Schlag trieb ihn wie eine abgefeuerte Kanonenkugel zurück. Er hatte so viel Schwung drauf, daß er quer durch Plymsons Spelunke flog, sich dabei wie-ein Kreisel um seine Achse drehte und durch das ebenerdige Fenster flog. Das Fensterkreuz nahm er gleich mit und verschwand in einem Hagel aus Glas und berstendem Holz. Ein weiterer Kerl versuchte es ebenfalls, doch er war kaum aufgestanden, als Barba ihm die Hand auflegte. Barbas Hand war größer als der Kopf des Seemannes, und da sie ziemlich schwer war und zudem Barbas Gewicht auf ihr lastete, blieb der Kerl hocken und wurde zusehends kleiner. Dabei verbreiterte sich sein Gesicht, und ähnelte entfernt an einen zusammengequetschten Pfannkuchen. Plymson sah wieder mal seine Kneipe in Trümmer gehen und rang verzweifelt die Hände. Zum Teufel. von den Seewölfen wußte er ja, daß sie jeden angerichteten Schaden großzügig bezahlten. Bisher hatte er dabei sogar immer gut abgeschnitten, denn die Arwenacks waren wirklich nicht kleinlich und rechneten ihm auch den Verlust an, den er zum Wiederaufbau seiner Kneipe brauchte. Was dieses Satansweib jedoch tun würde, das wußte er nicht. Vielleicht schlugen ihre
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Kerle jetzt alles zusammen und verschwanden dann sang- und klanglos, natürlich ohne zu bezahlen. Plymson war jedenfalls nicht gewillt, so ohne weiteres finanzielle Einbußen hinzunehmen. Daß sie doch Englisch sprach, gab ihm etwas Mut, und so trat er bescheiden ein paar Schritte vor und rang erneut die Hände. Dabei hatte er einen Hundeblick drauf, der jeden erbarmte. „Bitte, Madam!“ rief er. „Bitte, Madam, nicht schon wieder! Meine Kneipe wird ständig in Trümmer gelegt. Ich flehe Sie an, Madam, haben Sie Erbarmen mit einem armen Schankwirt.“ Barba war gerade dabei, den Kerl durch den Schemel zu drücken, doch jetzt gab ihm Siri-Tong einen schnellen Wink. Barba ließ los, und der Kerl fiel wie eine plattgeklopfte Scholle mit einem leisen Stöhnen vom Hocker. Plymson fühlte, wie sich die kohlschwarzen Augen der Frau heiß und glühend in seine Seele brannten. Ein paar Lidschläge lang musterte sie ihn wie einen fetten Käfer. „Du bist Nathaniel Plymson“, sagte sie bestimmt, „der Wirt der sogenannten ,Bloody Mary'. Ist das richtig?“ Plymson riß wieder die Schweinsäuglein auf, diesmal vor Entsetzen, denn er nahm an, daß sein Sündenregister lang genug war, um jetzt auch den Degen kennenzulernen. Dieses Teufelsweib kannte sogar seinen Namen. Die Frau wurde ihm immer unheimlicher. „Jaaa“, brach es gequält über seine Lippen. „Zu Diensten, Madam, ich bin Nathaniel Plymson.“ Sekundenlang erschien ein spöttischer Zug auf ihrem Gesicht, doch er verschwand sogleich wieder. „Sehr gut“, sagte sie. Dann wandte sie sich an ihren Ersten Offizier, Mister Boyd, der mit kalten Augen die restlichen Seeleute fixierte, die sich nicht mehr zum Kampf entschließen konnten und nur abwartend und lauernd herumhockten. „Räumen Sie die Kneipe aus, Mister Boyd, und sperren Sie sie gut ab. Die Zeche für alles, was noch offen ist, werde ich
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begleichen. Mister Plymson wird uns an Bord begleiten.“ „Sofort, Madam“, sagte der Erste. Dann gab er den Männern ein Wink, um die Gäste aus der Kneipe hinauszuloben. Aber die wollten nicht. Einer stand auf und hob die Faust. Die anderen nahmen eine drohende Haltung ein, und ein paar schwielige Hände legten sich an die Hüften, wo die Entermesser steckten. „Wir lassen uns nicht rauswerfen!“ schrie ein Kerl wild. „Von euch schon gar nicht. Wir bestimmten selbst, wann wir gehen.“ Barba hob den Schreihals mitsamt dem Stuhl hoch, trug ihn bis an die Tür und preßte den zappelnden Mann eng an seinen gewaltigen Brustkorb, als trüge er ein kleines Kind. Der Kerl saß so verkeilt auf dem Stuhl, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Vor der Eichentür kippte Barba den Kerl auf die Straße, und als er mit dem leeren Stuhl wieder zurückkehrte, flog schon der nächste Schreier auf die buckligen Katzenköpfe. Zwei andere rasten ebenfalls mit einem Affenzahn hinterher. Gleich darauf setzte in der Millbay Road wieder der bekannte Spektakel ein. Fensterläden wurde aufgestoßen, die braven Bürger brüllten sich wieder einmal die Kehlen heiser über den Lärm, der wie immer aus Plymsons Kneipe drang. Die Leute von der St. Mary Street, die mit den Anwohnern der Millbay Road ohnehin auf Kriegsfuß standen, brüllten ebenfalls und schimpften auf die anderen, die den Krach veranstalteten. Die ersten Wurfgeschosse flogen aus den Fenstern, und ihnen folgten aus Protest Töpfe mit eindeutigem Inhalt. Danach klappten die Fensterläden wieder zu. Inzwischen war Plymsons Kneipe verwaist. Außer ein paar Kakerlaken und dem groben Johann befand. sich niemand mehr darin. Die Hinausgeworfenen brüllten auf der Straße weiter, und erregten damit den erneuten Zorn der braven Bürger. Siri-Tong und ihre Männer focht das nicht an. Barba selbst amüsierte sich über den Straßenzauber. Die Kneipe wurde
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verschlossen, und Plymson stand schweißüberströmt und zitternd auf der Straße. Er starrte zur Pier hinüber, wo das Drachenschiff wie ein sprungbereites Ungeheuer dalag, und fragte sich beklommen, was sie jetzt wohl mit ihm vorhatten. „Genau auf das Schiff zu, Mister Plymson“, hörte er die Stimme der Roten Korsarin. Und als er wieder stehenblieb, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, spürte er einen kleinen Piekser zwischen den Rippen. Schwitzend vor Angst marschierte er weiter, denn die Aufforderung mit dem Degen war unmißverständlich. Innerlich schloß Plymson bereits mit seinem Leben ab. Ganz sicher würde ihn das Teufelsweib auf dem Höllenschiff an die größte Rah hängen lassen. Er fragte sich nur verzweifelt, was er verbrochen hatte, das ihren Zorn so herausforderte. 3. Auf der Millbay Road fanden sich die Geschlagenen wieder, teilweise durchnäßt von dem, was die Bürger aus den Fenstern geworfen hatten. Dementsprechend sauer war auch ihre Stimmung, und alles in ihnen schrie nach Rache. Sie wollten es diesen Zopfkerlen und dem Weib mit dem schnellen Degen schon noch zeigen. Einer der Galgenvögel, der bei Plymson durch seine Zuträgereien immer freies Saufen hatte und hin und wieder noch ein Geldstück nebenbei, baute sich vor den anderen auf. „Das nehmen wir nicht hin!“ brüllte er wild. „Das werden wir diesen Kerlen heimzahlen!“ „Willst du etwa auf das Schiff?“ fragte einer. „Quatsch, die verarbeiten uns doch zu Hackfleisch. Aber wir besorgen es denen anders.“ „Wie denn?“ „Wir hängen ihnen was an. Schließlich müssen wir Plymson helfen. Bei ihm hocken wir warm in der Kneipe, und jetzt stehen wir im Freien, ohne was zu saufen.
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Wir gehen zur Stadtgarde und alarmieren die Soldaten. Gründe genug gibt es ja.“ Gründe hatten sie wirklich genug, wenn es auch sehr egoistische Motive waren, die sie so handeln ließen. Es wurde noch ein wenig beratschlagt, hin und her palavert, und dann zog der Trupp los, zur Stadtgarde. Dort hatte in dieser Nacht ein Lieutenant das Kommando. Er war noch sehr jung und sehr ehrgeizig und wollte es auch noch weiterbringen. Für seinen Namen konnte er nichts, denn er hieß Braggart, was soviel wie Prahler oder Großmaul bedeutet. Mit dem Maul war Braggart sowieso immer vorn, und so musterte er jetzt die Galgenstricke, die da vor ihm standen, und hörte ihnen geduldig zu, was ihm über die Fremden berichtet wurde. Nach einer Weile schwoll ihm der Kamm, und er stand auf. Es stank ihm schon lange, daß Fremde hier im Hafen von Plymouth, ohne lange zu fragen, einliefen, verholten oder die Ordnung durcheinanderbrachten. Der Seewolf ging hier ein und aus und hatte schon für erheblichen Ärger gesorgt. Der Seewolf hatte den Wikinger nach sich gezogen, über den sich Braggart ebenfalls schon öfter geärgert hatte. Und schließlich war hier noch ein Deutscher aufgetaucht, und jedesmal war prompt der Teufel los gewesen. Und jetzt erschien dieses Weib und sorgte für neue Aufregung. Schließlich gab es ja auch eine Hafenordnung, und Braggart ärgerte sich über seinen Vorgesetzten, den Hafenkommandanten, weil der nichts gegen den Seewolf und die anderen Kerle unternahm. Braggart wußte allerdings auch nicht, daß der Hafenkommandant genaue Anweisungen durch Lord Cliveden erhalten hatte, den Seewolf in Ruhe zu lassen und mit dem nötigen Respekt zu behandeln. „Also noch einmal“, sagte er aufgebracht und ging mit wuchtigen Schritten auf und ab. „Der Wirt Plymson ist von diesem Weib und ihren Kerlen entführt worden. Richtig?“
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„Richtig, Lieutenant“, sangen die Galgenvögel unisono. „Punkt zwei: Diese Leute haben widerrechtlich Plymsons ,Bloody Mary' geschlossen, zuvor jedoch noch ein Fenster zerstört und anständige Bürger verprügelt. Richtig?“ „Richtig, Sir“, pflichteten sie ihm bei. „Und dann hat sie sich unsittlich benommen, indem sie Mister Hank auf schändlichste Weise entkleidet hat - mit dem Degen. Und Hank ist wirklich ein äußerst gutmütiger Kerl.“ Der „gutmütige Kerl“, stand mit zerrissenen Klamotten wie ein Häufchen Elend da und bemitleidete sich selbst, da es ihm doch so peinlich war, ohne Hosen vor einer fremden Frau gestanden zu haben. Und er hatte doch überhaupt nichts getan, was solche unsittlichen Maßnahmen rechtfertigte. Überhaupt, vor den Augen aller hatte sie ihn entkleidet, und er schämte sich so, daß er sich kaum noch auf die Straße traute. „Das langt“, sagte Braggart herrisch. „Was soll denn aus England werden, wenn hier .jeder tut, was er will, die Bürger vermöbelt, die Kneipen zerstört und anständige Bürger entführt!“ „Und einen unsittlich belästigt, Sir“, warf Hank ein. Lieutenant Braggart platzte fast der Kragen. „Jetzt werde ich mit diesem Gesindel mal aufräumen, wenn es gewissen Herren dazu an Mut fehlt“, sagte er, ohne den Namen seines Vorgesetzten zu erwähnen. „Jetzt ist Schluß. Plymouth wird wieder eine ruhige Stadt, wo jeder Bürger ungestört seinem Leben nachgehen kann. Die Anschuldigungspunkte genügen, um das Schiff an die Kette legen zu lassen und die gesamte Satansbrut in den Kerker zu werfen. Mit dem Weib werde ich schon fertig. Geht jetzt nach Hause und freut euch darauf, daß dieser Saustall einmal richtig ausgemistet wird.“ „So einen Lieutenant müßte jede Stadt haben“, sagte Hank lobend und stachelte Braggart damit nur noch mehr an. „Das
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sind noch Männer, die es verstehen, sich durchzusetzen.“ Grinsend zogen sie ab. Jetzt konnte das Hafentänzchen beginnen. Braggart würde ihnen die Flausen schon austreiben. Draußen rieben sie sich erst einmal die Hände und grinsten dreckig, als sie sahen, wie Braggart sofort ans Werk ging und einen Trupp Stadtsoldaten zusammenstellen ließ. Die Männer waren gut bewaffnet, sie trugen Musketen, Pistolen und Tromblons. Braggart selbst führte das Kommando an. Gleich darauf zog der Trupp zum Hafen, kehrte jedoch gleich darauf noch einmal um, weil Braggart in der Eile vergessen hatte, die Pulverhörner mitzunehmen. Vorsichtshalber ließ er die Waffen gleich an Ort und Stelle laden, und so glaubte er, leichtes Spiel zu haben. * Nathaniel Plymson war doch sehr erstaunt, daß er nicht ohne viel Federlesens an die Rah gehängt wurde. Wie in einem Traum marschierte er über das Deck des unheimlichen Schiffes und wurde nach achtern dirigiert. Augenblicke später fand er sich in einem Raum wieder, der ihn verwirrte und höchst unsicher werden ließ. Es war ein kostbar eingerichteter Salon, den chinesische Masken und Schnitzereien zierten. Von der Decke sahen furchterregende Drachen herab. Die Möbel in dem Salon waren mit eingelegten Goldund Silberintarsien verziert. An den Wänden hingen seidene Teppiche, aus einer kleinen Schale auf dem Tisch stieg süßlich duftender Rauch auf. Plymsons Füße versanken in dicken Bodenteppichen mit Drachenmustern. Alle schweren Möbel waren fest im Boden verankert. Die Koje faszinierte ihn ebenfalls, wenn sie auch die Bezeichnung Koje kaum verdiente. Es war ein geheimnisvolles Prunkbett, in die Wand eingelassen, von der ein zartrosa gewellter Vorhang hing.
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Plymson stierte wie ein Kalb. Seine Augen waren groß und verständnislos aufgerissen, vor Verlegenheit rieb er seine dicken Hände. Dieser Salon strahlt die Atmosphäre einer phantastischen Frau aus, die sich trotz aller Härte und Unbeugsamkeit noch ein Eigenleben bewahrt hat. dachte Plymson. Dafür hatte er einen Blick. Sein Blick fiel auf eine reich verzierte Truhe, die rechts und links von zwei furchterregenden hölzernen Gestalten flankiert wurde. Es waren zwei grausig anzusehende Krieger mit mordlüsternen Augen in schmalen Gesichtern. Plymson fühlte sich in dieser Atmosphäre wie verwandelt, wenn sie ihn auch stark verwirrte. Da hingen kunstvolle Öllampen von der Decke und verbreiteten beileibe nicht den Duft wie die in seiner Kneipe. Sie blakten auch nicht. Sie brannten ganz ruhig, und der schwere Duft, den sie verströmten, erinnerte das alte Schlitzohr Plymson an Rosenöl, wie man es in einer guten Galanterie zu kaufen kriegte, vorausgesetzt, man hatte genügend Geld. Als Siri-Tong die Truhe öffnete, hielt Plymson erst einmal die Luft an, als es ihm gelang, einen schnellen Blick hineinzuwerfen. Die Truhe war mit Kostbarkeiten, Silberund Goldschmuck gefüllt, dazwischen lagen wahllos dicke Goldmünzen herum. Dicke, fette schöne, gelblich funkelnde Goldmünzen, die seinen Blick immer begehrlicher werden ließen. In dieser Truhe hätte Plymson gern einmal gewühlt. Ein paar Jahre seines Lebens hätte er dafür geopfert. Doch da schnappte der schwere Deckel wieder zu. und die Herrlichkeit war beendet. Die Rote Korsarin gab ihm drei der dicken Münzen, was den geldgierigen Plymson zu heftigem Schlucken veranlaßte. „Damit dürfte der angerichtete Schaden bezahlt sein“, sagte sie kühl, „oder reicht das nicht?“ „Doch, doch“, versicherte Plymson hastig, „das ist wirklich schon zuviel, Madam.“
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„Behalte es trotzdem, Mister, und nimm da drüben Platz, ich wünsche ein paar Auskünfte von dir.“ Auskünfte? dachte Plymson. Auskünfte mußte er bezahlen, und so war es auch üblich, daß er dafür bezahlt wurde. Die alte Schlitzohrigkeit gewann bei ihm wieder die Oberhand, und als er merkte, daß ihm nichts passierte, wurde er etwas frecher. „Sie kriegen jede Auskunft von mir, Madam, die Sie wollen. Nur - es ist üblich, dafür ein kleines Scherflein zu entrichten, zumal ich bemerkte, daß es Ihnen nicht gerade schlechtgeht.“ Ihr Lächeln verschwand für einen Lidschlag, dann erschien es wieder in ihrem Gesicht. Aber diesmal lächelte sie anders, unergründlich und so merkwürdig, als hätte sie Eis in den Augen. Diesmal war Plymson an die falsche Adresse geraten. Bei den Seewölfen kassierte er öfter mal ab, hier hatte er auch schon abkassiert. und doch war alles anders. Wenn er Killigrew oder den Wikinger geldheischend anblickte, dann drückten die immer ein Auge zu und schoben ihm etwas in seine feisten Fingerchen. Diese Frau hier war knallhart, sie schob ihm nichts in die Fingerchen, sie holte nur kurz aus und gab dem verblüfften Plymson mit ihrer zarten Hand eine kräftige Ohrfeige. Der Dicke zuckte erbleichend zurück. Damit hatte er nicht gerechnet. Und dann stauchte sie ihn auch noch zusammen. „Ich habe dich eben gut bezahlt, sehr gut!“ fauchte sie. „Aber du willst offenbar meine Lage ausnutzen, du nichtsnutziger unverschämter Hurensohn. So etwas schätze ich nicht, merk dir das gut, Nathaniel Plymson.“ Plymson rieb sich die Wange und blickte die Tigerkatze vor ihm trotzig an. „Ich weiß nichts“, murrte er erschreckt und verärgert über die schnelle Ohrfeige. Siri-Tong rief nach ihrem Ersten Offizier und nach dem Steuermann Barba, die auch sofort erschienen. „Dieser Plymson“, sagte sie, „ist etwas trotzig und verstockt. Ich denke, wir lösen
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das Problem, indem wir ihn kielholen. Vielleicht ist er danach bereit, etwas über den Seewolf und den Wikinger zu erzählen.“ Barba griff schon nach Plymsons Oberarm und nickte so freundlich wie ein Fleischerhund. „Er wird bestimmt reden, Madam“, versicherte er. „Oder soll er vorher noch einmal darüber nachdenken?“ „Neiiiin!“ schrie Plymson gellend. Er begann am ganzen Körper zu zittern und kroch in sich zusammen. „Es war doch nur ein kleiner Scherz, Madam. Natürlich sage ich alles, fragen Sie bitte.“ „Ein seltsamer Mann“, sagte die Rote Korsarin kopfschüttelnd. Dann begann sie zu fragen, und der dicke Plymson gab schwitzend all die Antworten, die sie hören wollte. Wenn er an das Kielholen dachte, dann wurde ihm schlecht, denn er .spürte jetzt, daß diese Frau nicht lange fackelte. Nach und nach erfuhr Siri-Tong alles über den Seewolf und den Wikinger, doch dann gab es eine Unterbrechung, als an das Schott ihrer Kammer geklopft wurde. Der Mann von der Backbordwache trat ein. „Soldaten sind am Kai erschienen, Madam, ziemlich viele. Sie haben auch einen großen Pferdewagen dabei.“ Auf ihrer Stirn erschien eine steile Falte. „Soldaten? In Ordnung, Nat, ich bin gleich an Deck.“ Dann wandte sie sich an Barba. „Du bleibst hier bei Plymson und bewachst ihn, Barba. Mister Boyd geht mit an Deck. Paß gut auf Plymson auf, Barba.“ „Aye, Madam.“ Die Rote Korsarin stürmte an Deck. Sie hatte es sehr eilig, denn zweifellos bahnten sich jetzt Schwierigkeiten an. Am Hafen hatte sich unterdessen eine Menge verändert, wie sie befremdet und verärgert feststellte. Der Anblick der vielen Soldaten erfüllte sie mit Zorn. Ihr Blick wanderte weiter, und sie sah den Pferdewagen, von dem gerade eine dicke eiserne Kette gehoben und neben die Galeone gelegt wurde. Ihr Gesicht rötete sich heftig, denn sie ahnte, was diese Kette zu bedeuten hatte.
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Boyd stand mit finsterem Gesichtsausdruck neben ihr und sah zu. „Dieses England ist ein recht eigentümliches und befremdliches Land, Mister Boyd“, sagte sie heiser. „Ich verstehe nicht, daß ein Mann wie der Seewolf es hier aushält. Anfangs war ich neugierig, dieses Land kennenzulernen, doch es gefällt mir immer weniger.“ „Es wirkt vielleicht nur befremdlich auf Sie, Madam, weil Sie mit den Gepflogenheiten und Bräuchen noch nicht vertraut sind“, sagte der Erste ruhig. „Einem Engländer mag es im Land des Großen Chan anfangs ähnlich ergehen.“ „Vielleicht haben Sie recht“, gab sie zu. Inzwischen hatte sich Lieutenant „Großmaul“ auf dem Kai aufgebaut. Der Kerl mit dem rotzig-frechen Gesicht marschierte über die Katzenköpfe und musterte im Schein der Hafenlaternen das fremdartige Schiff und die schweigenden Männer darauf. Dann marschierte er heran, mit wuchtigen Schritten und herrischem Gebaren. Sein Kinn war vorgereckt, die Brust ebenfalls, und seine Augen blitzten, als er jetzt dicht vor der Galeone stand. „Wo ist der Kapitän dieses Schiffes?“ herrschte er die Männer der Besatzung an. „Ich verlange sofort den Kapitän zu sprechen. Wenn er nicht augenblicklich erscheint, lasse ich das Schiff durch die Soldaten stürmen.“ Siri-Tongs Gesicht verschloß sich noch mehr. Sie trat dichter ans Schanzkleid des Achterkastells und sah den aufgeblasenen Kerl kalt an. „Ich bin der Kapitän dieses Schiffes“, sagte sie ruhig. Braggart blickte hoch. Ungläubig sah er die Frau an, die da so gelassen stand und ihn fast verächtlich musterte. Er sah nicht, wie sie einem anderen Mann verstohlen einen Wink mit der Hand gab. Mister Boyd hatte verstanden und verschwand wie ein Geist. „Zum Teufel!“ schrie Braggart außer sich, als er den ersten Schreck überwunden hatte und sich nun auf den Arm genommen fühlte. Die Kerle hatten ihm zwar etwas von einem Weibsstück erzählt, aber es war
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nicht die Rede von einem weiblichen Kapitän gewesen. So was gab es auch überhaupt nicht. „Den Kapitän will ich sprechen!“ brüllte Braggart. „Ich habe nichts da- von gesagt, daß er seine Hafenhure vorschicken soll! Ich lasse mich doch nicht für dumm verkaufen. Mit Weibern verhandle ich nicht, schon gar nicht mit jeder beliebigen Hafendirne. Der Kapitän soll augenblicklich erscheinen, sonst ist hier der Teufel los.“ Die erneute Demütigung und Beleidigung, die die Rote Korsarin hinnehmen mußte, verstärkte nur ihre Wut. Respektlos nannte sie der Kerl eine Hafenhure. Das ging zu weit, sie ließ sich das von diesem Stiesel nicht bieten, der da so selbstherrlich auf dem Kai stand und sie mit der größten Selbstverständlichkeit beleidigte. Ihre Hand zuckte zur Hüfte, und so schnell, wie sie nach unten fuhr, tauchte sie auch wieder auf. Eine doppelläufige Radschloßpistole richtete sich auf die Brust des Lieutenants, der verkrampft dastand und entsetzt zu der Frau hochblickte. Zur selben Zeit geschah aber mit geradezu unheimlicher Lautlosigkeit noch mehr. Das unheimliche Schiff wurde jäh lebendig. Gestalten tauchten wie aus dem Nichts aus und besetzten blitzartig die sechs schwenkbaren Drehbassen an Bord. Die Geschütze schwenkten herum und richteten sich auf die entsetzten Soldaten. Damit aber nicht genug. Ein leises Rumpeln war zu hören. Die erste Geschützpforte flog hoch. und eine Kanone zeigte drohend ihren Schlund. Gleich darauf rollte das zweite Geschütz heraus und zeigte die Mündung. Das waren gut und gern englische und sehr solide Zwanzigpfünder, wie der Lieutenant betäubt erkannte, als sich ein Rohr nach dem anderen hervorschob. Er starrte sie wortlos an, wich verkrampft einen Schritt zurück und blieb wieder stehen, denn die doppelläufige Pistole folgte jeder seiner Bewegungen. Neben den riesigen Kanonen sah er es glimmen, und in dem schwachen Glimmen erkannte er Schatten, die sich leicht
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bewegten, Kerle mit Lunten, die nur darauf warteten, die Kanonen abzufeuern. Ob sie wirklich geladen waren, konnte Braggart nicht feststellen, aber er wollte es auch nicht ausprobieren. Die Lunten brannten jedenfalls, und an der Entschlossenheit der Kerle, zu feuern, war wohl kaum zu zweifeln. Die Frau beugte sich etwas vor. Ihre Pistole zielte immer noch auf Braggarts Herz. Dann beschrieb die Mündung eine auffordernde kreisende Bewegung. Ihre Stimme klang peitschend und doch eiskalt. „Kommen Sie mit erhobenen Händen sofort an Bord meines Schiffes!“ Lieutenant Braggart blieb mit offenem Mund stehen. Das - das war einfach unerhört, was dieses Satansweib da forderte. Segelte hier frech in den Hafen, ohne sich um die Hafenordnung zu kümmern, schloß die Kneipe, entführte einen Mann und fing mit anderen eine Schlägerei an. Nicht zu fassen ist das, dachte er wutschnaubend. Und jetzt zielte sie mit einer Pistole auf ihn und bedrohte mit den Kanonen ihres Schiffes die Stadtsoldaten von Plymouth. Eine unbeschreibliche Wut stieg in ihm hoch. Von einem Kerl hätte er sich das nicht gefallen lassen, aber jetzt von einer Frau? Niemals! Er dachte nicht daran, der Aufforderung des weiblichen Kapitäns Folge zu leisten. Mit verzerrten Zügen blieb er reglos stehen, bis ein letztes Mal die eisige Stimme erklang: „Beeilen Sie sich, Lieutenant. Es ist die letzte Aufforderung an Sie. Los, an Bord!“ Braggart blieb immer noch stehen und ignorierte den Befehl, denn ein Befehl war es eindeutig. Mal sehen, ob sie wagen würde, auf ihn tatsächlich zu feuern. In seine Überlegungen krachte ein Schuß. Aus dem Lauf der Doppelläufigen löste sich ein Blitz. In der kleinen Faust der Frau zuckte die Waffe nach oben. Braggart spürte, wie ihm die obere Schädeldecke weggerissen wurde. Er stieß einen dumpfen Schrei aus. Doch er hatte
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sich im ersten Schreck geirrt. Es war nicht seine Schädeldecke, die da auf Reisen ging, es war seine Kopfbedeckung, die ihm vom Schädel gefegt wurde und auf die Katzenköpfe flog. Vor Haß, Ärger und der ihm angetanen Schmach begann er zu zittern, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann schlotterte er auch ein wenig vor Angst vor diesem Satansweib, das so verdammt gut treffen konnte. Seine Kopfbedeckung lag noch auf den buckligen Katzenköpfen der Pier, als etliche seiner Soldaten auch schon ohne seinen Befehl abzuwarten, die Musketen hochrissen, um es diesen Teufeln an Bord zu zeigen. Doch auf dem Schiff reagierten sie schnell, gnadenlos und mit einer Härte, die die Soldaten erschreckte. Eine der Drehbassen schwenkte herum und entlud sich, noch während sie gedreht wurde. Die Soldaten warfen sich beim Aufblitzen schnell zu Boden und hielten die Hände vor die Gesichter. Einige der Musketen polterten dumpf auf die Steine. Eine Ladung grobgehacktes Blei donnerte über die Soldaten hinweg. Sie war so gezielt, daß sie keinen getroffen hätte, auch wenn die Kerle stehengeblieben wären. Am Kai stand noch eine alte Eiche. Die fing den Bleihagel auf, warf ihr Altlaub zum größten Teil ab und ließ noch ein paar kleingehackte Äste zu Boden fallen. Reisig und Laub rauschten nieder und legten sich auf die platt am Boden liegenden Soldaten, die alle ihr letzten Stündlein gekommen glaubten. Wieder hob sich kreisend die Pistole, und diesmal beeilte sich der junge Lieutenant sehr, dem stummen Befehl zu folgen. Wahrscheinlich würde mir jetzt nicht nur die Kopfbedeckung fehlen, dachte er, sondern gleich noch einiges mehr. Das änderte jedoch nichts an seiner erbosten Stimmung. Er fühlte sich hilflos und degradiert, verspotten von dieser Frau, und er hatte eine Mordswut, ohne zu überlegen, wodurch er die Frau gereizt hatte. Er hatte sie beleidigt und bedroht, doch das zählte für ihn nicht.
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Mit steifen Beinen ging er vorwärts. Dabei stieß er wüste Drohungen aus und knirschte mit den Zähnen. Den schweigenden Leuten warf er finstere Blicke zu, aber an Bord des Schiffes fühlte er sich gar nicht wohl. Inzwischen, als die Drehbasse abgefeuert worden war, hatten sich die meisten Gaffer aus dem Staub gemacht und waren davongelaufen in ihrer grenzenlosen Angst. Auch einige der Soldaten hatten sich anscheinend in Nichts aufgelöst. Die Gaffer standen jetzt hinter Hauseingängen oder beobachteten aus nur spaltbreit geöffneten Fensterläden, was sich am Hafen tat. Der Lieutenant stand jetzt seelisch zermürbt und erschüttert vor der Roten Korsarin, die ihn im Schein der Deckslampen verächtlich musterte. Die doppelläufige Pistole war wieder in ihrem Gürtel verschwunden. An ihrer Stelle hielt sie jetzt den Degen in der Hand, dessen Klinge sie Braggart auf die Brust setzte. Der Lieutenant wagte kaum noch, sich zu rühren. Er blickte in mandelförmige schwarze Augen und hörte eine Stimme, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Du hast mich eine Hafenhure genannt“, sagte sie leidenschaftslos. „Mich, den Kapitän dieses Schiffes, Siri-Tong. Niemand tut das ungestraft, und niemand hat das bisher auch überlebt. Mal sehen, ob es dir dabei besser ergeht.“ Links und rechts fuhr die Klinge pfeifend durch die Luft. Unter den scharfen Hieben wand sich Braggart wie ein getretener Wurm. Schmerz und Schreck durchzuckten ihn gleichzeitig. Er verspürte den heißen brennenden Schmerz erst an der rechten, dann an der linken Schulter. Die platte Seite des Degens zog schärfer als eine neunschwänzige Peitsche. Braggart blieb in der gekrümmten Haltung unterwürfig stehen. Er hatte diesem Teufelsweib nichts entgegenzusetzen, sie war eindeutig überlegen. „Entwaffnen und kielholen, den Kerl!“ befahl sie mit harter Stimme. Zwei Männer stürzten sich auf Braggart und entrissen
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ihm Pistole, Degen und Messer. Dann hielten sie ihn erbarmungslos fest. Erst jetzt ging Braggart endgültig auf, in was er sich eingelassen hatte und was ihm bevorstand. Kielholen! Er klappte fast zusammen vor Angst, denn er hatte einmal beim Kielholen auf einem Schiff zugesehen, weil er sich nichts darunter hatte vorstellen können. Danach wußte er es, und jetzt wurde ihm diese grausame Szene aus der Erinnerung wieder sehr deutlich ins Bewußtsein zurückgerufen. Der Mann, den sie damals im Hafen von Plymouth gekielholt hatten, war nach der fürchterlichen Prozedur tot - ertrunken. Ein paarmal hatten sie ihn unter dem Schiff durchgezogen. Hinterher tauchte nur noch eine Leiche auf. „Nein, Madam“, keuchte er heiser, „bitte nicht, Madam. Ich bin kein Feigling, gewiß nicht, aber das überlebt man nicht, das ist schlimmer als ...“ Wieder erschien dieser verächtliche Blick. Ihre Mundwinkel waren leicht herabgezogen. „Natürlich überlebt man das nicht“, erwiderte sie höhnisch. „Oder jedenfalls nur sehr selten. Und ein Großmaul wie du übersteht das mit Sicherheit nicht. Angst hast du außerdem, und ein Feigling bist du auch. Wenn wir dich jetzt kielholen, wirst du das Wasser im Hafen verschmutzen, daß die Fische flüchten, denn ich wette, du hast gleich die Hosen voll.“ Braggart versuchte, seine erbärmliche Angst herunterzuschlucken. Ein dicker Kloß hing in seiner Kehle, seine Schultern brannten noch von den Hieben, und zwei Kerle hielten ihn wie in einem gewaltigen Schraubstock fest. Dann glaubte er zu träumen, denn neben der Roten Korsarin erschien eine weitere Frau an Deck, nein, eher ein Mädchen von zarter aufblühender Schönheit, genaugenommen eine junge Frau mit seidigen. schwarzen langen Haaren und sanften Augen, die erstaunt auf die Szene blickten.
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Ist denn hier alles verrückt? dachte Braggart. Zwei Frauen auf einem Schiff mit Zopfmännern, einem Schiff, das zweifellos hier in Plymouth bei Ramsgate gebaut worden war. Er begriff überhaupt nichts mehr und starrte nur abwechselnd die beiden Frauen an. Dann versuchte er, sich aus dem eisenharten Griff der beiden Kerle zu befreien. Das gelang schon gar nicht, zudem spürte er gleich darauf wieder die Degenspitze auf seiner Brust. Nur eine winzige oder unbedachte Bewegung, und die Spitze würde sich in seinen Körper bohren. In genau diesem Augenblick passierte etwas Furchtbares: An dem nächtlichen Himmel von Plymouth explodierte etwas. Es hatte den Anschein, als würde ein Komet auf die Stadt stürzen. Scheinbar mitten am Himmel gingen tausend bunte kleine Sterne auf, die nach allen Seiten auseinanderflogen. Zwischen der herabstürzenden funkelnden Pracht erschien eine Rauchwolke, gleich darauf erfolgte ein dumpfer hallender Knall. Das Licht, das jetzt niederregnete, wurde immer heller und gleißender und erleuchtete den Hafen bis nach Rame Head hinüber. Als die Sterne noch einmal in sich selbst explodierten, war ein unheimliches Pfeifen und Heulen zu hören. Da trieb es auch die letzten Gaffer endgültig in die Häuser. Laut schreiend flüchteten sie vor dem unerklärlichen Phänomen, in der Annahme, der Weltuntergang sei nahe. Siri-Tong fuhr herum und blickte in jene Richtung, aus der das höllische Feuer kam. Sie kannte es nur zu gut. „Brandsätze vom Schwarzen Segler!“ rief sie. „Ja, der Wikinger, zweifellos“, bestätigte der Erste Offizier, denn auch er kannte mittlerweile alles über „Eiliger Drache über den Wassern“ und seinen merkwürdigen Wikinger-Kapitän. „Er hat einen Gegner unter Feuer genommen“, sagte die Rote Korsarin ruhig, „das sehe ich daran, wie er den Brandsatz abgefeuert hat. Demzufolge dürfte auch der Seewolf in unmittelbarer Nähe sein.
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Sie scheinen dort drüben vor der Werft zu liegen, wie Plymson das schon bestätigt hat.“ „Was geschieht mit dem Kerl, Madam?“ fragte Boyd. Siri-Tong warf Braggart einen letzten verächtlichen Blick zu, unter dem der Lieutenant zusammenzuckte. „Schmeißt ihn ins Hafenwasser, aber zuerst Leinen los und Segel setzen, wir verholen zur Werft. Und bringt Plymson an Deck, er soll uns hinüberlotsen.“ „Aye, Madam“, sagte Boyd grinsend. „Da hast du noch einmal Glück gehabt, du Ratte. Haltet ihn noch so lange fest“, befahl er dann den beiden Männern. Wieder setzte auf „Roter Drache“ eine hektische Betriebsamkeit ein. Ein paar Befehle wurden gebrüllt, dann enterten die ersten Männer auf, um die Segel zu setzen. Der Wind stand günstig, so daß die Galeone keine Schwierigkeiten hatte, ihren Liegeplatz zu verlassen. Für Braggart hatte der Vorfall eine gute Wendung genommen. Das Hafenwasser war um diese Jahreszeit zwar noch lausig kalt, aber es war immer noch besser, ein Stück zu schwimmen, als unter dem Schiff durchgeholt zu werden. Aber dumm ist diese Frau gewiß nicht, überlegte er. Sie hielt ihn so lange fest, daß seine restlichen Soldaten nichts unternehmen konnten. Eine grenzenlose Wut überfiel ihn wieder, weil er immer noch der Unterlegene war und sie das als Selbstverständlichkeit betrachtete, über einen Mann gesiegt zu haben. Die Leinen wurden gelöst, Plymson erschien schlotternd und bebend an Deck und sah sich ängstlich um. Und Braggart wurde immer noch im eisenharten Griff gehalten. Dann segelte die Galeone langsam los, und Braggart versuchte erneut, sich aus dem Griff zu befreien. Doch einer der Kerle, die ihn hielten, lachte nur rauh. „Du landest noch früh genug im Bach, Kleiner, brauchst dich nicht so zu beeilen.“ Als sie etwa fünfzig Yards vom Kai entfernt waren, erschien der blutrünstig aussehende Riese Barba und nahm den
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beiden Männern den „Kleinen“ ab, der wild zu zappeln begann. „In Zukunft wirst du vor einer Lady etwas mehr Respekt zeigen, du Hafenkacker!“ fuhr ihn Barba an. „Sei froh, daß du jetzt nicht am Tampen unter dem Schiff hängst.“ Braggart gab keine Antwort. Vor dem Ungetüm von Kerl mit dem wüsten Gesicht empfand er eine unbeschreibliche Angst. Barba drehte sich den Kerl in aller Ruhe zurecht. Mit der linken Pranke packte er den Lieutenant am Genick und drehte ihm die Uniformjacke zusammen, die Rechte packte ihn am Hosenboden und verfuhr auch nicht gerade zärtlich. Dann lüftete er ihn an wie einen Mehlsack und hob ihn mühelos hoch. „Ratten gehen an Backbord über Stag“, belehrte er den Mann. Dann holte er schwungvoll aus. Braggart hing quiekend wie ein zappelnder Frosch in den mächtigen Armen, die ihn plötzlich losließen. Mit einem wilden Schrei auf den Lippen flog er über Bord, während das Teufelsschiff rasch an ihm vorbeiglitt. Sein zweiter Schrei verhallte ungehört. Das Wasser war entsetzlich kalt, und Braggart begann fluchend und voller Haß zu schwimmen. Immer wieder stieß er wüste Flüche und üble Drohungen aus, bis er nach einer Ewigkeit triefnaß das Land erreichte und ihn hilfreiche Hände nach oben zogen. Aber da war er erst richtig aufgebraßt und schrie die Soldaten an: „Was steht ihr Idioten noch herum? Legt an und gebt Feuer! Los, hoch mit den Musketen, schießt, was die Rohre hergeben!“ Tropfnaß wie ein begossener Pudel, schnatternd und frierend stand er auf der Kai, ein völlig derangierter Mann mit einer grenzenlosen Wut im Bauch, über den heimlich auch seine Leute lachten. Aber sie schossen wenigstens hinter dem Satansschiff her, und das Knattern der Musketen übertönte jedes andere Geräusch am Hafen.
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Sie trafen nur nicht, und das ließ Braggart noch wilder werden. Als die Musketen leer gefeuert waren, war auch der Lieutenant mit seinen Nerven restlos am Ende, denn er hörte die höhnische Antwort nur allzu deutlich. Sie bestand aus einem wilden und rauhen, verspottenden Gelächter, das weithin zu hören war. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so blamiert. 4. Dem dicken Plymson erging es nicht viel besser als Braggart. Er wurde das Gefühl nicht los, mitten im Fegefeuer gelandet zu sein, denn was sich um ihn herum abspielte, konnte eigentlich nur in der Hölle passieren, niemals aber in einem friedlichen Hafen. Er war beim Satan persönlich an Bord, das stand fest, und damit hatte er auch zweifellos recht. Er stand jetzt auf dem Achterdeck, gab zitternd den Kurs nach Rame Head an und schlotterte an allen Gliedern. Zur See fahren? No, Sir, im Leben nicht, dann lieber gleich in die Hölle oder direkt ins Fegefeuer sausen, dachte er immer wieder. Auf See mußte man ja alle Augenblicke um sein Leben fürchten, weil es da so grauenhaft zuging. Ein wenig dachte Plymson auch an die Männer, die er betrunken gemacht und dann an Schiffe verschachert hatte, die dringend Leute brauchten. Ihm selbst hatte das immer zwei englische Pfund eingebracht, aber was mochte es den armen Teufeln erst eingebracht haben an Qualen und Pein? Er segelte nur ein paar Yards durch den Hafen und erlebte schon die fürchterlichsten Dinge. Wie mochte das erst sein, wenn man sich mitten auf dem Meer befand? Als Plymson soweit mit seinen Gedanken war, gab es einen so gewaltigen Knall, daß er unwillkürlich in die Knie ging und sich mit den Händen auf den Planken abstützen mußte.
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Jetzt war dieser fürchterliche heulende Komet auf der Erde eingeschlagen, und die Welt ging endgültig unter. In Rame Head blitzte es auf, so grell, daß Plymson vor Entsetzen die Augen schloß und mit den Zähnen klapperte. Eine gewaltige Stichflamme schoß da in den Himmel. Es war, als würde die gesamte Werft samt allen Schiffen in den Himmel fliegen und einige Tonnen Schießpulver noch dazu. Plymson erhob sich stöhnend, als die Druckwelle heranorgelte, ihn erneut auf die Planken warf und wie eine wilde Bö in die Segel fuhr. Das Feuer verbreitete sich weiter über den ganzen Horizont und ließ jede noch sä kleine Einzelheit deutlich und scharf erkennen. Niemand wußte, was da vor sich gegangen war. Plymson ahnte es nicht einmal, er nahm nur an, daß ein Schiff beschossen worden war und pausenlos Kanonen hämmerten. Er hatte auch keine Ahnung davon, daß der Wikinger soeben zwei seiner Brandsätze abgefeuert hatte. Diese beiden hatten die „Crown“ getroffen und in Brand gesetzt. Das Schiff mußte aufgegeben werden, denn das Feuer war nicht mehr zu löschen. Es lief wie brennendes Öl die Niedergänge hinunter und erreichte schließlich die Pulverkammer. Den Männern gelang es noch, in letzter Sekunde unbeschadet das Schiff zu verlassen und sich auf die „Golden Gull“ zu retten. Gleich darauf flog das Schiff mit gewaltigem Getöse in die Luft. Die Überreste versanken zischend im Wasser. Genau das war jetzt eben geschehen. Augenblicklich wußte auch niemand, daß man sie soeben auf der „Isabella“ des Seewolfs und dem Schwarzen Segler des Wikingers bemerkt hatte. Auf beiden Schiffen hatte man sich über den Knall der abgeschossenen Drehbassen gewundert. Durch das Spektiv erkannten Hasard und auch der Wikinger jetzt die Galeone der Roten Korsarin, die direkt auf sie zusegelte. Siri-Tong lief weiter auf Rame Head, unbeirrbar trotz der brüllenden Detonation.
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Sie übersah die Situation mit einem einzigen Blick und schätzte sie genau richtig ein. Außerdem hatte sie von Plymson alles erfahren, was sie wissen wollte, und das war doch eine ganze Menge gewesen, was der Dicke nach und nach ausgepackt hatte. „Barba“, sagte sie leise zu dem fürchterlich aussehenden Riesen, der das Ruder übernommen hatte. „Wir segeln dort so hinein, daß wir weder uns selber noch den drei anderen Galeonen das Schußfeld behindern. Dort vorn“, ihr Finger wies zwischen die beiden Schiffe, „gehen wir vor Anker.“ „Verstanden, Madam“, sagte Barba mit tiefer Stimme. „Hier scheint wirklich der Teufel los zu sein. Immer wieder hat man es auf den Seewolf abgesehen.“ Die Rote Korsarin nickte erbittert, Zorn flammte in ihr auf. „Du sagst es, Barba. Ich begreife dieses Land nicht. Ich begreife auch nicht, daß der Seewolf in seiner Heimat, der er doch stets treu und unter Einsatz seines Lebens gedient hat, ständig ein Verfolgter ist, ein Mann, dem man nur Ärger bereitet. Nein, nein, Thorfin hatte schon ganz recht, als er diese Königin ablehnte, die nicht in der Lage ist, ihre Freunde zu schützen. Was hat der Seewolf nur alles auf sich genommen, um ihr die Schätze abzuliefern. Der Dank dafür sieht jedenfalls erbärmlich aus.“ „So ist es, Madam“, sagte Barba. Zehn Minuten später wurden die Segel aufgetucht. Mit schwacher Fahrt lief „Roter Drache“ in die Nähe des Schwarzen Seglers, von dem jetzt laute Rufe herüberklangen. ' Der Anker klatschte ins Wasser und faßte Grund. An der Trosse schwoite das Schiff der Roten Korsarin langsam herum, bis es endlich zur Ruhe gelangte. „Fiert das Boot ab“, befahl Siri-Tong. „Zwei Männer sollen mich zum Schwarzen Segler hinüberpullen.“ „Aye, aye, Madam.“ Etwas später gab es an Bord von „Eiliger Drache über den Wassern“ eine recht denkwürdige Begrüßung, denn in
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Begleitung der Roten Korsarin befand sich Araua, die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana. Damit begann ein ziemliches Verwirrspiel. * Nach dem Untergang der Karavelle „Crown“ war bei den Engländern vor Rame Head der Teufel los. Der Schock saß den Männern von Sir Andrew Clifford und Marquess Henry of Battingham noch schwer in den Knochen. Tote hatte es keine gegeben, und die Männer hatten sich auf die ganz in der Nähe liegende Karavelle „Golden Gull“ gerettet, während sich Sir Andrew und Marquess Henry an Bord der „Glourios“ befanden. Marquess Henrys Gesicht war leichenblaß vor Angst und ohnmächtigem Zorn. Zu diesem fahlen Gesicht stand in krassem Gegensatz seine schreiend bunte Uniform. Der Marquess handelte wieder einmal auf eigene Rechnung. Das war ihm schon einmal teuer zu stehen gekommen, doch eine Lehre hatte er nicht daraus gezogen. Noch immer war er im Besitz von vorgesiegelten Papieren, die er bei Hofe in London eingesteckt und mitgenommen hatte und nach Belieben verwendete. Diese königlichen Siegel verliehen ihm fast unbegrenzte Vollmachten und öffneten ihm Tür und Tor. Leider war nur das königliche Siegel echt, alles andere füllte der ehrenwerte Marquess stets nach Belieben aus. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle beide kalte Füße, denn die Lage spitzte sich weiter zu und wurde immer kritischer, besonders jetzt, seit die „Crown“ so überraschend in die Luft geflogen war. „Wir hätten von dieser ganzen Aktion die Hände lassen sollen“, bemerkte der Marquess zitternd. „Jetzt wächst uns die Sache über den Kopf, und wenn wir nicht schleunigst etwas unternehmen, dann sehe ich sehr schwarz, Andrew.“ „Wir können nicht mehr zurück“, erwiderte Sir Andrew. Auch er fühlte sich nicht mehr wohl, seit diese Aktion mit der
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Beschlagnahme der Schiffe immer weiter eskalierte. „Ich weiß augenblicklich wirklich nicht, was ich tun soll. Wir haben aber den Vorteil auf unserer Seite. Die Seewölfe sind diesmal zu weit gegangen, und das werden sie auch genau wissen. Daher kann uns nicht viel passieren, denn immerhin haben sie ein Schiff der Krone versenkt.“ „Das war aber dieser Wikinger“, warf der Marquess ein. Sir Andrew winkte verächtlich ab. „Wikinger hin, Wikinger her, das alles ist doch eine zusammengehörende Clique. Was wir auch unternehmen werden, es reicht zur Rechtfertigung weiterer Maßnahmen ganz sicher. Nicht einmal die Königin kann den Seewolf jetzt noch schützen. So schlecht ist unsere Lage trotz allem noch nicht. Der Mann hat mit der Versenkung der Karavelle einen großen Fehler begangen, und er selbst wird das wohl am besten wissen. Überlegen wir lieber, was zu tun ist.“ In dem Augenblick, als Sir Andrew das sagte, war der Seewolf bereits mit einem Boot zum Wikinger unterwegs. In seiner Begleitung befanden sich Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und der Profos Edwin Carberry. Hasard selbst war bis zum Bersten mit Wut auf den Wikinger erfüllt, der durch seine übereilte Eigenmächtigkeit diesen ganzen Ärger heraufbeschworen hatte. Hasard hatte vor, dem Nordmann gründlich die Leviten zu lesen. Er wußte, daß es jetzt Ärger gab und sie damit einen nicht wieder gut zumachenden Fehler begangen hatten. Sir Andrew und der Marquess überlegten inzwischen weiter, was sie unternehmen konnten. „Da ist dieses fremde Schiff mit den rötlichen Segeln“, sagte der Marquess erbittert. „Niemand weiß, woher es kam. Das ist alles sehr geheimnisvoll, aber mit diesem Schiff handeln wir uns weiteren Ärger ein, da bin ich ganz sicher.“ „Woher es kam, wissen wir nicht, es war plötzlich da“, sagte Sir Andrew. „Aber ich weiß, daß es ebenfalls zu dem Seewolf und seinen Männern gehört.“
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„Ja, natürlich. Daher mein Vorschlag, Andrew: Wir schicken einen Kurier nach Bristol. Ich weiß, daß in Bristol ein starker Verband englischer Kriegsgaleonen liegt und sich dort außerdem eine Menge Landtruppen befinden. Der Kurier wird den Verband mobilisieren und sofort in Marsch setzen. Wenn wir das durchsetzen, dann hängt der Seewolf mit seiner gesamten Clique ein paar Tage später an der Rah seines eigenen Schiffes.“ „Um Gottes willen“, wehrte Sir Andrew entsetzt ab. „Wie wollen wir das begründen?“ Über das fahle Gesicht des Marquess glitt ein hinterhältiges Grinsen. Er klopfte mit der mageren Faust auf seine Brusttasche und holte etwas daraus hervor. „Ich habe mich mit königlichen Siegeln und Unterschriften eingedeckt“, prahlte er. „Es ist nur der Befehl auszufüllen, weiter nichts.“ Auch Sir Andrew grinste jetzt. „Die Maßnahme ist gerechtfertigt“, gab er zu, „wenn ich dabei auch ein etwas merkwürdiges Gefühl habe. Gut, wir werden den Kurier losschicken, aber zu niemandem ein Wort.“ Sie sahen sich an und nickten sich zu. Sie waren sich doch ziemlich schnell einig geworden, die ehrenwerten Gentlemen. Der Kurier wurde in die achtere Kammer befohlen und erhielt das vorbereitete Schreiben ausgehändigt. Danach wurde in aller Heimlichkeit ein Boot zu Wasser gelassen, das durch die Dunkelheit dem Ufer zupullte, um den Mann an Land zu bringen. * Die Dunkelheit war nicht vollkommen, denn auf einigen Schiffen brannten Laternen, und aus etlichen Häusern schimmerte ebenfalls Licht. Das. war bei den Bürgern der Fall, deren Tagesarbeit jetzt begann. Auf dem Schwarzen Segler, den jetzt zwei Boote ansteuerten, hockte der Stör im Ausguck. Die beiden Boote hatte er dem Wikinger bereits gemeldet, und der wußte
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auch, wo für ihn die Glocken hingen. In dem einen Boot befand sich Siri-Tong, das war sicher, und in dem anderen pullte Hasard heran, und der Seewolf würde ihm eine fürchterliche Standpauke halten, das war ebenfalls klar, und das würde auch dem dickfelligen Thorfin Njal unter die Haut gehen. Kein Wunder, daß der Wikinger teils erfreut und teils bedrückt den Besuchern entgegensah. Das Gesicht des Störs war von Natur aus lang, deshalb hatte er auch den Spitznamen Stör weg. Aber jetzt, nachdem er die beiden Boote dem beklommen wirkenden Wikinger gemeldet hatte, wurde sein Gesicht noch etwas länger, denn von der „Glorious“ löste sich ebenfalls ein Boot, nahm aber eine ganz andere Richtung. Der Stör kniff die Augen zusammen und beobachtete das Boot, das da so heimlich zum Land hin gepullt wurde. Dann enterte er ab und meldete Thorfin Njal leise seine Beobachtung. Der Wikinger fackelte nicht lange. Schnell sah er zu den beiden anderen Booten, die noch eine Weile brauchen würden, bis sie den Schwarzen Segler erreichten. Es blieb noch genügend Zeit. „Das geht mir zu still und heimlich“, sagte er grollend. „Dieser ehrenwerte Mistkerl hat etwas vor, und das gilt uns. Vielleicht läßt er einen Mann absetzen, der andere alarmiert, damit sie dem Halunken zu Hilfe eilen. Aber den werden wir uns schnappen und vorsichtig aushorchen.“ Was Thorfin Njal unter „vorsichtig aushorchen“ verstand, war dem Stör auf Anhieb klar. Beim vorsichtigen Aushorchen setzte es Püffe und Maulschellen, da war der Wikinger nicht zimperlich, und nach einer derartigen Aushorchung war der Betreffende kaum noch in der Lage, auf seinen eigenen Beinen zu stehen. „Fiert schnell auf der anderen Seite das kleine Boot ab“, befahl er. „Dann nicht direkt hinterher, sondern einen kleinen Bogen pullen. Du übernimmst den Kerl, Stör, und bringst ihn hier an Bord. Soll ich dir erklären, wie man das anfängt, oder
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weißt du das von allein? Ich will jedenfalls den Kerl haben, verstanden?“ „Den Kerl haben, verstanden“, sagte der Stör. Hin und wieder quasselte er den letzten halben Satz des Wikingers nach, als könne er ihn sich dadurch besser einprägen. Von da an ging alles sehr schnell. Der Stör unternahm die Aktion im Alleingang, sprang in das abgefierte Boot und pullte los, sich immer im Schatten des Schwarzen Seglers und seiner Deckung haltend. Das andere Boot, das langsam dem Ufer entgegenrückte, behielt er dabei unentwegt im Auge. Es dauerte nicht lange, dann wußte der Stör, welche Stelle die Kerle anzulaufen gedachten. Als er sich einmal umdrehte, sah er, daß sich vom Schwarzen Segler ein weiteres kleines Boot löste. Kein Zweifel, daß Thorfin Njal darin hockt, dachte der Stör. Vielleicht traute Thorfin ihm diese Aktion doch nicht zu und wollte auf Nummer Sicher gehen. Oder lag es etwa daran, daß der Wikinger die bevorstehende Kontroverse mit dem Seewolf noch etwas hinauszuzögern gedachte? Thorfin wählte wieder 'eine andere Stelle aus. Ihm ging es wirklich nur darum, den geheimnisvollen Kerl nicht entwischen zu lassen, denn ihm schwante eine ganze Menge Unheil. Der Stör setzte sein Boot hart auf den Sand, stieg -an Land und beschrieb einen weiten Bogen. Das Beiboot der „Glorious“ hatte das Ufer immer noch nicht erreicht. Aber Thorfin war schon fast an Land. Aus dem Strandgebüsch heraus beobachtete der Stör das Anlegen des Beibootes. Thorfin hatte sein Boot jetzt ebenfalls verlassen und war nicht mehr zu sehen. Dann stieg der Mann aus, flüsterte noch etwas zu den beiden anderen und schlug sich heimlich in die Büsche. Geduckt schlich er genau auf den lauernden Stör zu. Als der heimliche Bote das Gestrüpp erreichte, mußte er ganz dicht an dem Stör vorbei, so dicht, daß er ihn fast streifte. Der Stör hatte die gewaltige Rechte schon geballt und holte aus.
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Der Hieb traf den Boten genau auf den Punkt. Er sauste rückwärts durch das Gestrüpp und blieb reglos liegen. „Gut so“, sagte eine Stimme dicht neben ihm. „Ich dachte schon, der Kerl würde einen anderen Weg wählen und du ihn verpassen. Deshalb bin ich selbst nachgekommen. Warte noch“, sagte der Wikinger. „Die Kerle im Boot dürfen uns nicht sehen. Laß sie noch ein wenig weiterpullen.“ „Aber inzwischen sind die anderen an Bord“, meinte der Stör. „Das dauert noch“, sagte Thorfin in stoischer Ruhe. Er wartete ab, bis das Boot aus ihrem Blickfeld war und warf sich dann den immer noch bewußtlosen Mann über die Schulter. Stampfend schritt er davon. 5. Auf der Kuhl des Schwarzen Seglers fiel die Begrüßung etwas eigentümlich aus, trotz der Wiedersehensfreude zwischen Hasard und der Roten Korsarin. Das lag an der geladen wirkenden Atmosphäre, denn auch ein paar andere hielten sich noch auf der Kuhl auf. Da war Gotlinde Njal, geborene Thorgeyr, die angetraute Frau des Wikingers, die in stolzer, fast königlicher Haltung dastand. Gotlinde war fast so groß wie der Wikinger, hatte ein ebenmäßiges klares Gesicht mit einer geraden Nase und rotblondes. langes Haar, das der leichte Wind ihr über die Schultern wehte. Ihr Kinn war fest, die Lippen voll und rot, und ihre Haltung drückte Ablehnung und Eifersucht zugleich aus. Gotlinde hatte, im Gegensatz zur Roten Korsarin, breitere Schultern, trotzdem aber schmale Hüften und lange Beine. Das leicht Herbe in ihrem Gesicht wirkte auf die meisten Männer stark anziehend. Als Schmuck trug sie silberne Armbänder, eine silberne Halskette und um die Taille einen silbernen Gürtel. Ihre starke Persönlichkeit drückte sich darin aus, daß sie es immerhin schon geschafft hatte, den polternden Wikinger
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etwas zu besänftigen, und ihn dazu gebracht hatte, seinen Kupferhelm wenigstens beim Essen und in der achteren Kammer abzulegen. Und das wollte eine Menge heißen. Jetzt fixierten ihre grünen Augen mißtrauisch die Rote Korsarin und Araua, die neben ihr stand. Dann war noch der Franzose Jean Ribault anwesend, ein schlanker, geschmeidiger Mann, den ewig ein Hauch Abenteuer umwehte. Der Profos Edwin Carberry grinste verstohlen, als die drei so unterschiedlichen Frauen sich mehr oder minder verstohlen musterten und mit Blicken abtasteten. Niemand blickte so recht durch, denn Gotlinde wußte nichts von der Roten Korsarin und Araua, und die wiederum wußten nichts von dieser langbeinigen nordischen Schönheit, die ihre stolze und überlegene Haltung immer noch beibehielt. Gotlinde hatte Siri-Tongs Namen schon gehört, aber die wahren Zusammenhänge waren ihr unbekannt. Der Wikinger hatte immer nur grummelnd etwas angedeutet, aber nichts Konkretes gesagt, und so blieb alles ein wenig geheimnisvoll. Jetzt, da sie diese sagenumwobene Frau direkt vor sich sah, wurde ihr Blick noch spitzer und abweisender, fast verletzend musterte sie die Rote Korsarin. Siri-Tong spuckte innerlich bereits auch schon Gift und Galle, doch das lag an den abschätzenden und fast beleidigenden Blicken dieser langbeinigen Zicke, wie sie Gotlinde in Gedanken nannte. Die schien von ihr absolut gar nichts zu halten. Hasard bereitete der Peinlichkeit ein Ende, denn er sah nicht nur Carberrys heimliches Grinsen, sondern auch, daß Jean Ribault immer mehr zu feixen begann. „Das ist Gotlinde Thorgeyr“, sagte Hasard, „Thorfins Frau, die er kürzlich geheiratet hat. Ich war Thorfins Trauzeuge.“ „Ge-geheirat?“ fragte Siri-Tong fassungslos. „Thorfin hat diese - diese Frau geheiratet? Wie ist das möglich?“ Sie war so fassungslos, wie Hasard und seine Männer sie noch nie gesehen hatten.
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Gotlinde hingegen, der englischen Sprache kaum mächtig, verstand nur immer wieder „Thorfin“ und sonst nichts, und das ließ ihre grünen Augen immer härter funkeln. Alles mußte ihr Wort für Wort übersetzt werden, und das, was sie verstand, wollte sie einfach nicht verstehen. Aha, dachte sie. Mit der hat Thorfin also ein Techtelmechtel gehabt, wie sie fälschlicherweise glaubte. Deshalb erging sich der Wikinger auch immer nur in vagen Andeutungen. Na, das schwarzhaarige Biest mit den schrägen Augen sollte sie, Gotlinde, noch so richtig kennenlernen, der würde sie schon die Zähne zeigen. „Wollt ihr euch nicht begrüßen?“ fragte Hasard unsicher, als er sah, daß sich die Blicke der drei Ladys immer schärfer kreuzten. „Ich glaube, das ist nicht nötig“, sagte SiriTong kalt. „Ich weiß zwar nicht, für was mich die Dame hält, aber ihre Blicke sind ausgesprochen beleidigend. Diese Frau steckt ja von oben bis unten voller Mißtrauen.“ Als Gotlinde das hörte, reagierte sie ebenfalls sauer und warf den Kopf noch weiter in den Nacken. Da schaltete sich Araua ein, die mit ihren feinen ausgeprägten Sinnen sofort merkte, daß hier der Streit spürbar in der Luft lag und die beiden Frauen sich nicht ausstehen konnten. „Das alles scheint doch nur ein Mißverständnis zu sein“, sagte sie mit ihrer hellen Stimme. Sie stand direkt neben dem Seewolf, ihrem Vater, und griff verstohlen nach seiner Hand. Schon die Begrüßung war sehr zärtlich ausgefallen, seit Vater und Tochter sich wiedergesehen hatten. „Das ist kein Mißverständnis!“ rief SiriTong empört. „Ich sehe doch an ihren giftiggrünen Augen, was diese Lady von mir denkt. Sie meint sicher, ich hätte etwas mit ihrem - ihrem, ich meine mit Thorfin. Am besten, du hältst dich da heraus, Araua.“ „Ich versuche nur zu vermitteln, Siri-Tong, und ich glaube, es liegt auch im Interesse meines Vaters, wenn ...“
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„Wer ist die Frau?“ ließ Gotlinde über einen der dolmetschenden Wikinger fragen. Der Wikinger Arne, der die Verhältnisse genau kannte, übersetzte auch bereitwillig. „Das ist Araua, die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana und damit die Tochter des Seewolfs.“ Gotlindes entsetzter Blick wanderte von Hasard zu Araua, dann wieder mißtrauisch zu Siri-Tong. „Das scheint mir hier ja ein feiner Haufen zu sein“, sagte sie erregt zu Arne. „Hier steigt wohl jeder mit jedem in die Koje, wie es den Herrschaften gerade beliebt. Ein Sumpf der Unmoral ist das! Ich denke, der Seewolf war doch einmal verheiratet und hat auch von seiner Frau zwei Söhne?“ Ihre Empörung war echt, weil sie von den Zusammenhängen nichts ahnte. Daher wurde sie auch immer wilder und stellte sich alles mögliche vor. „Was hat sie gesagt?“ fragte Hasard. Er verlor ein wenig die Balance, als Gotlinde ihn empört musterte und dann hoheitsvoll den Kopf schüttelte. „Hab ich nicht so richtig verstanden“, brummte Arne, „sie meint nur, sie wundert sich ein wenig.“ „Über was denn?“ „Äh - wegen der Tochter, Sir.“ Jean Ribault amüsierte sich köstlich. Er hielt sich beide Hände vor den Leib, krümmte sich zusammen und lachte laut los. Einfach köstlich sind diese Mißverständnisse, dachte er. Da würden sich ja gleich zwei Furien in die Haare geraten. Er malte sich das schon so richtig aus. Das war ja noch interessanter als der kürzlich erfolgte Stapellauf seiner beiden neuen Schiffe von Ramsgate. Araua behielt die Ruhe und ergriff selbstverständlich die Partei ihres Vaters, denn Gotlinde ließ sich in ihrer Empörung dazu hinreißen, den Seewolf als einen , unmoralischen Kerl zu bezeichnen, und arrogant durchblicken, daß vermutlich noch wesentlich mehr nette Kinderchen von ihm in allen Teilen der Welt die Länder bevölkerten, und zweifellos hätte er mit der Roten Korsarin doch auch etwas
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gehabt, aber das sei nicht ihre Sache, sie wollte das nur bemerken. Außerdem wisse sie jetzt sehr genau, wie sie dran sei in diesem Sündenpfuhl. „Na, das kann ja heiter werden“, knurrte Hasard. „Kaum seht ihr euch, schon geratet ihr euch in die Haare. Dabei ist das alles wirklich nur ein Mißverständnis. Aber das werden wir euch noch genau erklären.“ „Ich brauche keine Erklärung von dieser nordischen Schneegans“, sagte Siri-Tong empört. „Ich verzichte darauf. Wenn das Weib noch ausfallender wird, hole ich sie mir vor den Degen.“ Ribault krümmte sich immer noch vor Lachen, was ihm von allen Seiten strafende Blicke eintrug. Zum Glück gab es jetzt eine Unterbrechung, und die entschärfte für einige Augenblicke die Situation, denn jetzt enterte der Wikinger auf und trug einen Kerl über der Schulter, den er verächtlich auf die Planken warf. Ihm folgte gleich darauf der Stör. Thorfin hatte schon einiges auf der Jakobsleiter vernommen und überblickte die zugespitzte Situation sofort. Sein Grinsen war im beginnenden Morgendämmer breit und freudig. Er streckte seine gewaltigen Arme aus, riß Siri-Tong mit einem unterdrückten Freudenschrei an seine breite Brust und gab ihr einen schmatzenden Kuß. Gotlinde Njal fiel fast in Ohnmacht, als ihr angetrauter Gatte jetzt auch noch die andere blutjunge Frau abschmatzte. Sie trat energisch zwei Schritte vor und tippte Thorfin ebenso energisch mit dem Finger auf die Schulter, was soviel heißen sollte, es sei jetzt wohl genug geküßt. Als das nichts fruchtete und der Wikinger immer noch die junge Araua im Arm hielt, klopfte Gotlinde etwas nachdrücklicher. Diesmal mit einem hölzernen Belegnagel, und zwar direkt an den Helm des Wikingers. Es hörte sich an, als schlage die Turmuhr, und in Thorfins Schädel klang es hallend nach wie ein riesiger Gong. Da dieser Gong unüberhörbar war, ließ er Araua
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endlich los und grinste seinem eifersüchtigen Eheweib entschuldigend zu. „Ich bin vor Freude ganz außer mir“, gestand er, nahm Gotlinde den Belegnagel weg und streckte ihn in die Nagelbank zurück. „Das sehe ich deutlich!“ rief sie empört. „Ihr scheint euch alle sehr zu freuen, wahrscheinlich schon auf die heutige Nacht bei gegenseitigen Kurzbesuchen. Aber ich komme schon noch dahinter, Thorfin, und dann Werden wir eine sehr ernste Unterredung haben.“ „Verdammt, das ist alles ein Irrtum!“ schrie der Wikinger. „Dir, meine liebe Gotlinde, würde ich raten, deinen kühlen Verstand zu gebrauchen. Du bist wohl eifersüchtig?“ „Was, wie?“ röhrte der Profos lachend dazwischen. Aber dann wurde auch er schnell ernst. Gotlinde trat zwei Schritte zurück. Ihr Gesicht schien noch etwas herber zu werden, doch nach und nach siegte die kühle Sachlichkeit bei ihr, und sie bedauerte, daß sie sich doch zu beleidigenden Äußerungen hatte hinreißen lassen. Jetzt wurde ihr schlagartig klar, daß es da doch etliche Dinge gab, die sie nicht wußte, die sie auch gar nicht wissen konnte, weil man ihr einfach zu wenig erzählt hatte. Nach und nach, so beruhigte sie sich selbst, würde sich das Bild schon abrunden und klarer werden, und so gewann sie zusehends ihre Beherrschung zurück. Hasard erklärte Siri-Tong in kurzen Zügen alles, was inzwischen vorgefallen war, und setzte sie ins Bild. Der Wikinger, dem das schlechte Gewissen fast sichtbar auf dem Helm stand, nickte eifrig, damit Hasard den unangenehmen Vorfall mit der „Crown“ vielleicht vergaß. Aber in der Beziehung täuschte er sich gründlich, denn nach der kurzen Erklärung blickten ihn die blauen Augen des Seewolfes eiskalt und sehr hart an. „Jetzt zu dir, Thorfin“, sagte Hasard schneidend. „Ich beglückwünsche dich zu
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der erfolgreichen Versenkung der Karavelle. Was du dir damit geleistet hast, setzt wahrhaftig allem die Krone auf. Man wird sagen, wir hätten es getan und ein Schiff der Krone versenkt, man wirft uns alle in einen Topf. Das wird auch Lord Cliveden bei Hofe nicht ausräumen können. Du hast uns mit deiner verdammten Voreiligkeit in die allergrößten Schwierigkeiten gebracht. Etwas mehr Verstand hätte ich dir schon zugetraut. Vielleicht hast du zumindest eine Ahnung, wie wir uns aus dieser Sache herauswinden können. Unsere Lage hat sich dadurch gewaltig verschlechtert, in der besseren Position sind jetzt die ehrenwerten Gentlemen.“ Der Wikinger schrumpfte zusammen und wurde sichtlich kleiner. Erspielte auch nicht den Poltermann, sondern blieb geknickt und ruhig. „Die ,Crown` versuchte die Sperre zu durchbrechen“, sagte er entschuldigend. „Damit hätte sich unsere Position eindeutig verschlechtert. Wir haben uns strategisch so verhalten, daß wir ganz Rame Head unter Kontrolle haben. Die Gentlemen können sich ohne unsere Kontrolle nicht bewegen, und auf den Schiffen entgeht uns ebenfalls keine Bewegung. Das war der Grund, warum ich die beiden Brandsätze abfeuerte.“ „Es war gegen meinen ausdrücklichen Befehl, Thorfin. Jetzt haben wir den Ärger auszubaden, den es sicher geben wird. Diesmal werden wir auch vor den Augen der Königin nicht gut bestehen.“ „Ich entschuldige mich nochmals in aller Form“, sagte Thorfin. „Es ist geschehen“, erklärte Hasard, „und wir ändern nichts, wenn wir uns jetzt nur noch in Vorwürfen ergehen. Wir werden sehen, wie wir aus dieser Sache herausgelangen.“ Gotlinde ließ sich alles übersetzen. Ihr Gesicht wirkte jetzt entspannt, und das Mißtrauen war aus ihren Blicken so gut wie verschwunden. Da sie eine kluge Frau war, bereute sie bereits, so schnell gehandelt zu haben. Was wußte sie schon groß von der Roten Korsarin? Ließ sich ein
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Mensch aus ein paar Tatsachen seines Lebens heraus überhaupt begreifen oder beurteilen? Sie verneinte das insgeheim und gab sich einen Ruck. Dann ging sie mit erhobenem Kopf zu Siri-Tong hinüber und gab der verblüfften Korsarin die Hand. Siri-Tong ergriff die Hand, nickte der Frau des Wikingers zu und lächelte flüchtig. Das gegenseitige Mißtrauen schien sich langsam, aber sicher abzubauen, denn sie hatten wahrhaftig andere Probleme, als sich gegenseitig zu belauern. Auch Araua empfing diesen Händedruck, und danach war die Lage für einige Zeit wieder leicht entspannt. Erst jetzt kümmerte man sich um den Kerl, den der Wikinger mitgebracht hatte. Der hockte unsicher auf den Planken, liebevoll von dem besorgten Stör am Hals festgehalten, damit er nicht freiwillig über Bord ging. Thorfin hievte den Kerl mit einem Ruck auf die Beine. „Ich weiß nicht, wer das ist, Seewolf“, sagte er, „aber der Kerl wurde heimlich von der ,Glorious` aus an Land gepullt. Vermutlich soll er eine Botschaft überbringen. Wir haben sein Ablegen gerade noch rechtzeitig bemerkt und holten ihn uns.“ Im immer heller werdenden Dämmer sahen sie einen ängstlich zusammengeduckten Mann, der furchtsam auf die Planken starrte. Seinen rechten Arm hatte er so vor die Brust gepreßt, als müsse er dort etwas verbergen. „Wer sind Sie?“ fuhr Hasard ihn an. „Und was hatten sie an Land zu suchen?“ „Von mir erfahren Sie nichts“, erwiderte der Mann trotzig. Sein Blick 'flackerte immer noch übernervös. „O doch, wir erfahren schon, was wir wollen“, sagte Hasard. Er riß den Arm des Mannes herunter und griff nach der Jacke. Der Mann versuchte, sich aus dem Griff zu winden, doch das gelang ihm nicht. Als er sich noch weiter sperrte, gab ihm der Wikinger eine seiner berühmten nordischen Kopfnüsse. Hasards
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vorwurfsvollen Blick übersah er dabei geflissentlich. Der Mann sagte zwar immer noch nichts, denn in seinem Schädel herrschte totales Durcheinander, doch er versuchte auch nicht mehr, sich zu wehren. Hasard zog ihm ein versiegeltes Pergament aus der Jacke. Es war eine königliche Vollmacht, die im Namen der Königin die Unterschrift des Marquess Henry of Battingham zeigte. „Oh, das scheint ja ein ganz heißes Eisen zu sein“, sagte Ben Brighton. „Das Schreiben ist noch versiegelt.“ „Damit hat sich der Kerl schon einmal durchs Leben gemogelt“, sagte der Seewolf. „Ich wette, daß die Königin von diesem Schreiben nicht die geringste Ahnung hat.“ „Willst du das Siegel erbrechen, Sir?“ „Mit der größten Selbstverständlichkeit“, erwiderte Hasard, und schon erbrach er das Siegel und begann, die Zeilen im Namen der Königin fassungslos zu überfliegen. Es war eine Order, die besagte, daß sich das in Bristol befindliche Geschwader augenblicklich auf den Weg nach Plymouth zu begeben hätte, um den bedrängten Schiffen der Navy Hilfe zu leisten. Gleichzeitig sollten auch dreihundert Soldaten in Marsch gesetzt werden. „Das hat sich der Marquess prächtig überlegt“, sagte Hasard und gab das im Namen der Königin gefälschte Schriftstück weiter. Dann packte er den Mann und zog ihn dicht zu sich heran. „Du wirst jetzt reden, mein Freund“, sagte er kalt. „Wenn du nicht auspackst, hängen wir dich an die nächste Rah.“ „Ich - ich werde alles sagen“, stammelte der Mann. „Wer gab dir das Schriftstück?“ „Marquess Henry persönlich.“ „Welche Instruktionen gab er dir noch?“ „Ich sollte mir in Plymouth ein Pferd mieten. Dafür erhielt ich zwei Goldstücke. Ich sollte nach Bristol reiten und dort ...“ „Weiter, wir hören zu, pack ruhig aus.“
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„Dort liegt eine stark armierte englische Flotte. Dem Befehlshaber sollte ich das Schreiben aushändigen und ihm mitteilen, daß unsere Schiffe im Hafen von Plymouth von einer Horde bewaffneter Piraten bedroht würden. Eins unserer Schiffe sei bereits versenkt worden, und es hätte eine Menge Toter gegeben.“ „Keinen einzigen hat es gegeben“, sagte Hasard kalt. „Ich sollte es aber behaupten.“ „Sonst noch etwas?“ „Nein, nur die Übergabe des Schriftstückes.“ „Da haben wir üblen Piraten aber Glück gehabt, daß wir dich noch rechtzeitig fingen, was, wie?“ fragte der Profos freundlich. „Da haut so eine Kanalratte ab nach Bristol und hetzt uns die englische Flotte auf den Hals.“ „Er ist nur der Kurier, nicht mehr und nicht weniger. Laß ihn in deine Vorpiek sperren, Thorfin, und paß auf, daß er nicht entwischen kann. Niemand darf merken, daß wir ihn abgefangen haben.“ Thorfin packte den verhinderten Kurier am dürren Hals und schob ihn nach Vorn. Den Stör nahm er mit, damit der aufpaßte und Thorfin sich davon überzeugen konnte, daß der Kerl ausbruchssicher aufbewahrt wurde. Dann kehrte er wieder zurück. Hasard nickte ihm zu, sein Zorn war verraucht. Der Wikinger hatte ihnen mit der Gefangennahme des Kuriers einen unschätzbaren Vorteil verschafft, denn jetzt würden die ehrenwerten Gentlemen auf den englischen Schiffen sehr lange und vergeblich auf die starke Flotte warten. Aber die Lage war verdammt ernst, und jetzt war jeder alarmiert, denn vielleicht gelang es dem Marquess, noch einen zweiten Kurier in Marsch zu setzen. Tauchte die Flotte aus Bristol hier aber wirklich auf, dann gab es einen erbarmungslosen Kampf auf Leben und Tod. Engländer standen sich dann Engländern gegenüber, und keine Seite würde Pardon geben. Das mußte unbedingt verhindert werden. „Es gibt nur eine Lösung“, sagte die Rote Korsarin mit harter Stimme. „Wir holen
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uns den Marquess und diesen anderen Kerl. Wir bringen sie an Bord meines Schiffes. Dann werde ich den Herren ein Ultimatum stellen, und wer es nicht annimmt, der fährt auf dem schnellsten Weg zur Hölle. Das ist die beste, bequemste und vor allem schnellste Lösung. Hier vor Plymouth sind uns die Hände gebunden, hier können wir nicht viel ausrichten.“ „Und wie soll dieses Ultimatum aussehen?“ erkundigte sich Hasard mit fast sanfter Stimme. „Abzug aller englischen Schiffe, Räumung der Werft von den Soldaten“, erklärte sie knapp. „Bei Nichterfüllung des Ultimatums schlage ich vor, einen der ehrenwerten Herren öffentlich im Hafen an der Großrah meines Schiffes aufzuknüpfen.“ „Wir sind hier in England, Siri-Tong“, sagte der Seewolf. Sie verzog nur verächtlich die Mundwinkel. „England - was ist das schon! Ein Land, das seine treuesten Kämpfer diffamiert und verfolgt. Ihr habt eine beeinflußbare Königin und alte Hofschranzen, die nichts anderes tun, als Intrigen zu spinnen. Ihr habt eure Knochen für die Krone hingehalten, und was tut diese verdammte Krone? Sie schadet euch durch miese Typen und feige hinterhältige Kerle, wo sie nur kann. Ihr seid in England keine freien Männer, man nimmt euch die Schiffe mit Gewalt weg, die ihr von eurem Geld bezahlt habt. Geld, das ihr auch der Krone gabt und für das ihr hart kämpfen mußtet.“ Hasard schluckte und sah in die flammenden Augen der heißblütigen Frau. Was sie sagte, war die Wahrheit, daran führte kein Weg vorbei. Trotzdem ging es nicht so, wie sie sich das vorstellte. Gewisse Regeln, auch wenn sie ungeschrieben waren, mußten respektiert werden. „So geht das nicht“, sagte er noch einmal, „auch wenn deine Argumente stichhaltig sind. Wir können so nicht handeln, es steht zuviel auf dem Spiel.“
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„Eure Freiheit und euer Leben stehen auf dem Spiel!“ rief sie leidenschaftlich aus, doch da wurde sie von Ribault unterbrochen. „Sie sind zum ersten Male in England, Madam“, sagte er ruhig. „Sie sehen das anders als wir. Es wird sich auch eine andere Lösung anbieten.“ „Unser tollkühner Franzose hat doch nicht etwa Angst?“ höhnte die Rote Korsarin. „Jean Ribault, seit wann ...“ Ribault lief rot an und schluckte hart. „Das lasse ich nicht auf mir sitzen, Madam“, sagte er scharf. „Schon gut, Jean, ich bin mitunter etwas impulsiv, es war auch nicht so gemeint“, sagte sie beschwichtigend. „Aber welche Lösung des Problems gibt es noch?“ „Es dauert nicht lange, dann erscheint Lord Cliveden“, sagte Hasard, „ein mit allen Vollmachten der Königin ausgestatteter ehrenhafter und absolut verläßlicher Mann, der keine Intrigen spinnt. Er wird auch die Sache mit der versenkten ,Crown` klären, davon bin ich überzeugt. Als Sonderbeauftragter der Königin hat Lord Cliveden uns schon mehr als einmal aus der Patsche geholfen und alles bereinigt. Wichtig für uns ist der Umstand, daß es keine Toten gegeben hat, es ist nur ein Materialverlust entstanden, der jederzeit zu ersetzen ist.“ „Ich bin damit nicht einverstanden“, sagte Siri-Tong. „Wer weiß, wann und ob dieser Lord hier überhaupt eintrifft. Hängt einen der Kerle an die Rah, und alles wird sich in Wohlgefallen auflösen.“ Gotlinde, die das übersetzt kriegte, hörte mit großen erstaunten Augen zu. Zum ersten Male spürte sie jetzt, an was für harte Kerle sie da geraten war und daß die Rote Korsarin fast noch schlimmer war als alle anderen zusammen. „Ich betonte schon einmal, daß das keine Lösung unseres Problems darstellt“, sagte Hasard etwas schärfer. „So etwas geht in der Karibik, aber nicht in Plymouth. Wir könnten uns nie wieder in England blicken lassen.“ „Ich wüßte auch nicht, was du hier noch verloren hast“, erklärte Siri-Tong schroff.
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Aus den anfangs noch sanften Klängen wurden bittere und immer schärfere Worte. Die Gemüter erhitzten sich. Siri-Tong bestand auf ihrer ultimativen Forderung, während Hasard und Jean Ribault sie kategorisch aus Vernunftgründen ablehnten. „Nun sag doch auch einmal etwas, Thorfin!“ rief die Rote Korsarin. „Schließlich geht es um unsere gemeinsame Zukunft. Wie ihr mir erzählt habt, .will Ramsgate mit zur SchlangenInsel. Ich halte das für eine sehr gute Idee, wir brauchen den Mann sogar dringend, denn auf der Insel wird sich bald grundlegend einiges ändern, und das müssen wir noch in allen Details besprechen. Ein Teil eurer Pläne sind mir bekannt. Wir brauchen jetzt auch dringend die beiden beschlagnahmten Schiffe, die schon vom Stapel gelaufen sind und am Ausrüstungskai liegen.“ „Natürlich brauchen wir die“, sagte der Wikinger grollend. „Und ich bin auch dafür, daß wir sie uns holen und die anderen Kerle alle zum Teufel jagen. Ich stehe voll und ganz auf deiner Seite, SiriTong. Wir sollten dieser Brut zu Leibe rücken und wirklich einen der Sirs hängen, wenn sie das Ultimatum nicht befolgen.“ „Du also auch“, sagte Hasard. „Ihr ahnt ja nicht, was ihr damit heraufbeschwört. Wir können England nicht endgültig und für immer den Rücken kehren und den Bruch mit der Königin riskieren. Und das wird der Fall sein, wenn wir uns an einem dieser adeligen Stiesel vergreifen.“ Auch die junge Araua schwenkte zu Hasards Erstaunen ins Lager des Wikingers und der Roten Korsarin um. Er sah seine Tochter sehr nachdenklich an, die sich nicht bedingungslos auf die Seite des Vaters schlug. Ihr stand auch noch die Begegnung mit den Zwillingen bevor, überlegte er. Wie würde sie wohl reagieren? „Es geht um unsere Existenz“, sagte Araua ruhig, „da muß ich Siri-Tong recht geben. Es geht um die Existenz der SchlangenInsel und die der Menschen, die dort wohnen. Was bisher alles geplant ist,
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können wir uns nicht durch ein paar unbedarfte und eigennützig handelnde Kerle zerstören lassen.“ „Sollen wir etwa warten, bis die hohen Herren doch noch Verstärkung erhalten?“ fragte Siri-Tong zornig. „Der Kurier ist abgefangen worden“, sagte Hasard. „Trotzdem besteht die Möglichkeit, daß Verstärkung anrollt. So, wie wir unsere Schiffe jetzt placiert haben, können die Kerle gar nichts gegen uns unternehmen. Doch das kann sich schon bald ändern, vielleicht morgen schon.“ Hasard sah den Franzosen Ribault an und wog das Für und Wider einer solchen Aktion noch einmal ab. „Nein“, sagte er hart, „ich lehne das erneut aus den vorhin genannten Gründen ab. Ich will nicht zeit meines Lebens ganz England als Feind gegen mich haben.“ „So gelangen wir zu keiner Einigung“, sagte Big Old Shane. „Was . nutzt es uns, wenn wir hier stundenlang palavern und es geschieht nichts. Einigkeit und Friede sind das, was wir zumindest untereinander brauchen, und die Probleme der Schlangen-Insel müssen auch noch besprochen werden. Ich schlage daher vor, \via- halten es so, wie wir es immer gehalten haben, wenn es nicht mehr weiterging. Wir stimmen einfach ab. Der Beschluß der Mehrheit ist dann bindend und maßgebend.“ „Das ist die vernünftigste Lösung“, sagte der Seewolf. „Seid ihr mit der Abstimmung einverstanden?“ Insgeheim rechnete er sich seine Chancen aus. Ribault stand auf seiner Seite, dann natürlich der nächste stimmberechtigte Mann seiner Crew, er selbst, ja, das war's, dachte er. Drei Stimmen gegen drei Stimmen, dabei kam auch nichts heraus. Es blieb also abzuwarten, ob es sich nicht einer doch noch anders überlegte. „Einverstanden“, sagten sie alle. Stimmberechtigt war außer Hasard noch einer aus der Crew der Arwenacks, in diesem Fall Hasards Stellvertreter Ben Brighton, der ruhige, besonnene und immer abwägende Mann. Eine Stimme
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hatte Siri-Tong, eine Araua, eine der Wikinger und eine der Franzose Ribault. „Wer ist für den Plan der Roten Korsarin, den Kerlen ein Ultimatum zu stellen?” Hasard erlebte schluckend eine herbe Enttäuschung. Die beiden Frauen hoben spontan die Hände, die mächtige Faust des Wikingers reckte sich in den Himmel, und dann hob Ben Brighton ruhig und entschlossen ebenfalls die rechte Hand. Hasard sah ihn verwirrt an. Sein Blick irrte zu Ribault, doch der Franzose regte sich nicht, seine Hand blieb unten. „Vier Stimmen gegen zwei“, sagte Hasard fassungslos und sah wieder Ben Brighton an, der den Blick gelassen zurückgab. „Du stimmst dafür?“ fragte er ungläubig. „Ich stimme dafür“, sagte Ben entschlossen. „Man hat uns genug auf den Füßen herumgetrampelt, gerade hier in Plymouth. Immer wieder kreuzen diese adligen Heuchler und Galgenstricke auf. Es wird Zeit, daß wir endlich einmal aufräumen und diesen Kerlen die Zähne zeigen.“ „Nun gut“, sagte Hasard, „der Entscheidung beuge ich mich mit Jean Ribault selbstverständlich. Wir sind überstimmt. Es wird also beschlossen, das Ultimatum zu überbringen.“ Der dicke Plymson, der einsam, verschüchtert und verlassen irgendwo an Deck herumstand und verlegen seine feisten Wurstfinger knetete, begann wieder, wie ein großer Pudding zu zittern, als er das hörte. Innerlich schloß er bereits mit dem Leben ab. Das sah ganz so aus, als würde hier wieder mal ein Höllentänzchen beginnen. Und er konnte nicht fort, er mußte den hilflosen Zuschauer spielen. Verzweifelt zerrte er an seiner Perücke. Als Hasard sich umdrehte, sah er den Profos an. Carberry stand grinsend an Deck und rieb sich in der Vorfreude auf die folgenden Ereignisse schon fröhlich die Hände. 6.
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Die weitere Besprechung fand. in der Kammer des Wikingers statt, die sich jetzt sehr verändert hatte. Man sah auf den ersten Blick, daß hier eine Frau an Bord war, die rigoros mit Thorfins lässigem Schlendrian aufgeräumt hatte. Da lag nichts mehr herum, da gab es keine Unordnung mehr, denn eine liebevolle Hand war hier am Werk und hatte des Wikingers „Torfkiste“ gründlich umgekrempelt. Allerdings gab es gleich nach dem Eintreten eine wundersame Überraschung. Dem Profos klappte glatt der Unterkiefer weg, als sie alle an der großen Back Platz nahmen. Gotlinde warf ihrem Poltermann einen undeutbaren Blick zu. Thorfin versuchte, diesen Blick zu ignorieren, doch die grünen Augen sahen ihn weiterhin an, bis der Wikinger etwas in seinen Bart brummelte und mit spitzen Fingern zu seinem Helm griff. Aha, dachte Ed, jetzt wird der alte Polaraffe wieder an seinem verdammten Kupferhelm kratzen, wie er das oft tat, wenn er sich eigentlich den Schädel kratzen wollte. Thorfin nahm jedoch den Helm fast feierlich ab und schob ihn ans Ende des Tisches. Carberry starrte ihn perplex an. „Ich denke, du behältst das Ding sogar in der Koje auf“, sagte er erstaunt. „Den hast du doch fast nie abgenommen, seit ich dich kenne.“ In Gotlindes Mundwinkeln stand ein genauso undeutbares kleines Lächeln, wie es auch dieser Blick ausgedrückt hatte. Der Profos räusperte sich leise, ihm ging sofort eine Fackel auf. So ist das also, dachte er grinsend. Gotlinde hatte diesem fellgekleideten Ungetüm wohl endlich einmal die ersten feinen Manieren beigebracht. Das war ja wirklich eine Sensation. Die anderen dachten sich ebenfalls ihr Teil, aber sie sagten nichts, und so beschloß der Profos, auch nicht weiter zu lästern. Die Atmosphäre wurde etwas sachlicher. Der Plan sollte erörtert werden, denn man
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konnte ja schlecht zu den ehrenwerten Sirs hinüberpullen und ihnen ein schriftliches Ultimatum auf den Tisch legen. Hasard und. Ribault nahmen ihre Abstimmungsniederlage nicht etwa zum Anlaß, sich jetzt schweigend zurückzuhalten: Im Gegenteil: Es war der Seewolf, der ganz nüchtern das Konzept erstellte. „Wir werden eine Einsatzgruppe zusammenstellen, deren Ziel die ,Glorious‘ ist“, sagte er. „Diese Gruppe stellen wir von allen drei Schiffen zusammen, von der ‚Isabella', dem Schwarzen Segler und von ,Roter Drache'. Das Unternehmen kann aber erst in der nächsten Nacht beginnen, wenn es Erfolg haben soll. Uns bleibt also der ganze heutige Tag zum Überlegen und Erzählen. Dabei werden wir auch die Reise in die Karibik besprechen und die weiteren Probleme erörtern.“ „Sehr vernünftig“, sagte Siri-Tong. „Ich freue mich, daß du jetzt auch so denkst.“ „Ich bin überstimmt worden“, sagte Hasard lächelnd. „Aber das ist kein Grund, daß ich mich nun zurückhalte.“ Die beiden tauschten einen längeren Blick miteinander, der auch Araua nicht entging. Sie musterte ihren Vater, dann die Rote Korsarin und räusperte sich leise. „Und wie geht es weiter?“ fragte sie eifrig. Hasard starrte auf die Tischplatte, ihm war Arauas Blick ebenfalls nicht entgangen. Verdammt, später werde ich noch einmal eine Menge zu erklären haben, dachte er, aber das schob er noch hinaus. Die Zeit war noch nicht reif dafür. „Drei Einsatzgruppen also“, begann Hasard zu erläutern, „von jedem Schiff etwa acht bis zehn Leute, das dürfte reichen. Im Schutz der Dunkelheit pullen wir an die ,Glorious' heran und werden sie im Handstreich entern. Siri-Tong übernimmt das Entern genau mittschiffs mit ihren Leuten. Thorfin wird zur selben Zeit das Vorkastell stürmen, und meine Gruppe übernimmt das Achterschiff. Ich war schon einmal an Bord und kenne mich da ganz gut aus. Wenn wir das erreicht haben, nehmen wir Andrew und den Marquess gefangen. Unsere Leute werden
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dann die ,Glorious' aus dem Verband der Engländer heraussegeln. Ich bin sicher, daß keine der Karavellen wagen wird, uns dann anzugreifen, sie werden gegen ihr eigenes Schiff nichts unternehmen, zumal wir ja die beiden Gauner an Bord haben.“ „Es sind eine Menge Leute an Bord“, gab Ben zu bedenken. „Wäre es nicht besser, wir würden unsere Gruppen verstärken?“ Hasard lächelte und schüttelte dann den Kopf. „Zum einen haben wir die Überraschung auf unserer Seite und zum anderen Eds altbewährten Trick, der die Männer kopflos durcheinander scheuchen wird. Aber davon später.“ „Was ist mit dem Kapitän Oliver O'Brien?“ fragte Carberry. „Der wollte doch ...“ „Richtig, darauf lege ich allergrößten Wert. O'Brien wird gegen die Abgabe seines Ehrenwortes entwaffnet. Ihm darf auf keinen Fall etwas geschehen, ich verlange seine absolute Unversehrtheit, denn der Mann ist ein ganzer Kerl und vor allem ein ausgezeichneter Seemann.“ „Und das Ultimatum?“ fragte Siri-Tong. „Das wirst du Sir Andrew hier an Bord deines Schiffes stellen, die Einzelheiten haben wir ja besprochen. Du verlangst, daß die beiden Schiffe herausgegeben werden und die Soldaten die Werft verlassen, damit Ramsgate ungehindert und ungestört bleibt. Den alten Gauner Andrew bringen wir hierher.“ „Ich brenne darauf, ihn zu sehen“, sagte die Korsarin. „Es wird wirklich allerhöchste Zeit, daß mit diesem verstaubten und muffigen Gesindel aufgeräumt wird, um hier wieder frei atmen zu können.“ „Sie werden sich nicht groß zur Wehr setzen“, prophezeite Hasard, „denn die beiden Gauner wissen schließlich selbst, daß sie keine ehrlichen Vollmachten der Krone besitzen. Sie haben alles auf eigenes Risiko unternommen, um Ramsgate, seine Werft und sein ganzes Können in ihre Gewalt zu bringen. Damit wollen sie dann später bei Hofe glänzen und Ruhm einheimsen.“
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„Soweit ist das alles klar“, sagte die Rote Korsarin mit einem harten Blick in den Augen. „Wir gehen davon aus, daß die Halunken das Ultimatum annehmen. Es kann aber auch sein, daß sie es nicht tun. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann lasse ich alle beide an Deck meines Schiffes aufknüpfen.“ Die anderen waren schon hart genug, aber Siri-Tong erwies sich immer noch als eine Spur härter und gnadenloser. Kein Wunder, sie war es nicht gewohnt in einem beengenden Land wie England zu leben. Außerdem war ihre Mentalität anders. Wie nicht anders zu erwarten war, stieß der Wikinger sofort in das gleiche Horn. „Ich werde ihnen die Schlinge um die lausigen Hälse legen“, versprach er. Hasard griff wieder beschwichtigend ein, und es hatte ganz den Anschein, als würde wieder offener Krieg unter ihnen ausbrechen. „Ich bleibe dabei“, sagte Siri-Tong ungerührt. „Wenn die Nichtbeachtung des Ultimatums keine Konsequenzen hat, und zwar ernsthafte und schwerwiegende, dann ist ein derartiges Ultimatum ohnehin sinnlos.“ „Sehr schön“, sagte Hasard sarkastisch, „dann hängen die beiden also an deiner Rah und baumeln im Wind. Du hast sie dann das Fürchten gelehrt. Und wie geht es, bitte, weiter?“ Daraufhin schwieg sie erst einmal, und als sich Hasard mit dieser Frage an den Wikinger wandte, kratzte Thorfin seinen Schädel und war ganz entsetzt, als er merkte, daß er keinen Helm trug und das Kratzen daher so merkwürdig klang. „Das werden wir dann schon sehen“, erklärte er trotzig. „Ihr habt immer noch nicht begriffen, daß wir hier vor einem völlig anderen Problem stehen“, sagte Hasard. „Es gibt zumindest gewisse Richtlinien, an die wir uns halten müssen, und eine ganz bestimmte Grenze dürfen wir auch nicht überschreiten, sonst haben wir eine ganze Seemacht gegen uns, und man wird uns nicht nur in England jagen.“ Araua und Gotlinde versuchten ebenfalls, die Rote Korsarin von diesem Vorhaben
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abzubringen, und so halb war ihnen das auch schon gelungen. „Wie sollen wir den Gaunern das Fürchten beibringen, wenn wir außer leeren Phrasen nichts zu dreschen haben?“ rief sie aufgebracht. „Die werden sich über uns krank lachen!“ „Man muß sie ja nicht gleich hängen“, erwiderte Hasard. „Bei der Nichterfüllung unserer Forderungen setzen wir zum Schein eine Verhandlung an und verurteilen die beiden ebenfalls zum Schein durch Erhängen an der Rah. Das wird sie weichklopfen, denn sie kennen unsere wahren Absichten ja nicht.“ Siri-Tong war mit ihren Argumenten aber noch nicht am Ende. „Ich kann dich nicht genügend warnen, Hasard. Aufgrund deiner großmütigen Entscheidungen hast du schon oft eine Pleite erlebt und hinterher bereut, daß du nicht härter gehandelt hast. Ist das richtig?“ „Das will ich nicht abstreiten.“ „Es wird weiterhin Schwierigkeiten mit diesen Kerlen und der dazugehörigen Clique geben, davon bin ich überzeugt. Sie werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um zu einem späteren Zeitpunkt die Krone und damit die Königin so aufzuwiegeln, daß sogar ein Geschwader englischer Schiffe auslaufen wird, um in der Karibik nach der Schlangen-Insel zu suchen. Und wenn sie uns gefunden haben, dann werden sie auch nicht zögern, uns anzugreifen. Nur das ist meine Sorge, und aus dem Grund will ich vorbeugen.“ Hasard preßte die Lippen zusammen. Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte. Er griff nach dem Becher mit Rotwein, den Gotlinde ihnen allen hingestellt hatte, und nahm einen tiefen Zug. „Nein, das glaube ich nicht“, sagte er dann entschieden. „Soweit wird die Krone nicht gehen.“ „Sie wird“, sagte Ribault hart. „Sie tut es ganz sicher. Ich muß mich diesmal der Ansicht von Madam anschließen, sie hat mit ihrer Vermutung gar nicht so unrecht. Ich habe lange Gespräche mit Hesekiel Ramsgate geführt und dabei mehr über England erfahren, als ich in etlichen Jahren
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erfahren konnte. Ramsgate kennt den größten Teil dieser blutsaugenden adligen Brut, und er weiß Bescheid über ihre Hinterhältigkeit, über ihre Machenschaften und Betrügereien, über ihre Ränke und Listen, die sie aushecken. Und die englische Königin, eure Lissy, wie ihr sie zu nennen pflegt, ist ebenfalls durch die Adligen leicht zu beeinflussen und hat schon mehrfach über Nacht ihre Meinung geändert. Oder ist ihre Habgier euch noch nie gefährlich geworden? Außerdem wird diese Sache hier in Plymouth ganz sicher ein Nachspiel haben und bei Hofe gehörige Wellen schlagen. Aber wenn du anderer Ansicht bist, Sir, dann höre ich sie mir gern an.“ Hasard wurde nachdenklich. Die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich noch. Dann sah er den Franzosen an. „Wir haben in dieser Hinsicht wirklich einiges erlebt, das ist richtig. Ich vertrete jedoch weiterhin meinen Standpunkt, nicht noch mehr böses Blut zu schaffen. Ich bin auch der Ansicht, daß wir, sobald wir diese Aktion durchgeführt haben, uns so schnell wie möglich aus Plymouth verholen.“ Hasard blieb eisern bei seinem Standpunkt, und so nach und nach wurde eine Einigung erzielt. Der Beschluß fiel auch einstimmig, Plymouth nach der Aktion sofort zu verlassen. Die Einzelheiten wurden besprochen, und später wandte man sich dem Thema und den Problemen der Schlangen-Insel zu, die in einen riesigen uneinnehmbaren Stützpunkt verwandelt werden sollte. Anschließend war das Thema „Um- und Auszug“ der Werft an der Reihe. Jeder einzelne Punkt wurde genau durchgesprochen. Darüber wurde es schließlich später Nachmittag. 7. In der folgenden Nacht lief die Aktion eine Stunde vor Mitternacht an. Auf den Schiffen vor Rame Head waren fast überall die Lichter gelöscht worden. Nur bei dem englischen Verband brannten noch
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Lampen an Bord, die einen milchigen Schimmer über das Wasser warfen. Auch die „Wappen von Kolberg“ unter Hasards Vetter Arne von Manteuffel, die vor der Werft des alten Ramsgate lag, war völlig abgedunkelt, obwohl die Aktion mit Arne nicht besprochen worden war. Vorerst wollte Hasard seinen deutschen Vetter da heraushalten. Sir Andrew und der Marquess ahnten nicht, daß das Unheil bereits seinen Lauf nahm. Sie hatten sich noch zu einem Schwätzchen in der Kapitänskammer eingefunden, nahmen einen letzten Umtrunk und wollten dann ihre Kojen aufsuchen. „Morgen früh dürfte der Kurier Bristol erreicht haben“, sagte der Marquess. „Wenn das Geschwader in See geht, wird es nochmals einige Tage dauern, ich rechne mit etwa vier Tagen, bis es hier ist. So lange sind uns noch die Hände gebunden.“ „Und so lange werden wir uns auch ganz ruhig verhalten“, bemerkte Sir Andrew, „um diese Kerle nicht noch weiter zu reizen. Wenn sie wieder dieses teuflische Feuer vom Himmel regnen lassen, dezimiert sich unsere Flotte um mindestens ein weiteres Schiff.“ Über seinen Rücken kroch eine Gänsehaut, wenn er an die brennende „Crown“ dachte, die mit Donnergetöse in den Himmel geflogen war und durch ihr Feuer ganz Plymouth erhellt hatte. Daß ihr Kurier gar nicht weit entfernt von ihnen wohlverwahrt und sicher in der Vorpiek hockte, ahnten sie nicht. Daß die sogenannte „Piratenbande“ längst im Besitz ihrer gefälschten königlichen Dokumente war, hätte bei ihnen mit Sicherheit Herzkrämpfe ausgelöst, wäre ihnen das bekannt gewesen. So palaverten sie weiter, malten sich aus, was mit der „Piratenbande“ geschehen würde, und tranken Wein. Inzwischen hatten sich die drei Boote weiter genähert und waren auch von den Deckswachen der „Glorious“ und den anderen Schiffen nicht bemerkt worden. Niemand dachte an eine derartige Aktion.
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Hasard befand sich mit seinem Boot schon dicht am Achterkastell. Über die „Isabella“ hatte Dan O'Flynn während seiner und Ben Brightons Abwesenheit den Befehl. Im Boot befanden sich außer Hasard und Ben noch Ferris Tucker, Shane, Matt Davies, der Profos, Sam Roskill, Jan Ranse, Roger Brighton und der blonde Schwede Stenmark. Das zweite Boot, das sich jetzt mittschiffs näherte, trug außer der Roten Korsarin insgesamt acht Mann. Auch der Franzose Jean Ribault befand sich darin. Im dritten Boot, das auf das Vorkastell zulief, stand mit grimmigem Gesicht der Wikinger, wieder ganz in rauchgraue Felle gehüllt und so gut wie unsichtbar. Er hatte acht Männer dabei. Die Riemen der Boote waren umwickelt worden, und so glitten sie fast lautlos näher. Das Wasser unten war finster und schwarz wie Tinte. Hin und wieder gluckerte es leise. Im Schein der Deckslaternen waren immer wieder Schatten zu erkennen, die auf und ab gingen. Auch drangen geflüsterte Worte über das Wasser. In der Dunkelheit waren schwach die Silhouetten der beiden Karavellen „Golden Gull“ und „Thames“ zu erkennen. Die weiter hinten liegende Galeone „Sunderland“ ragte wie ein aufgetauchter Walrücken aus dem Wasser. Im Boot des Wikingers war in dieser Stille plötzlich ein leichtes Poltern zu vernehmen. Den Fluch verkniffen sich die Kerle gerade noch. Vermutlich war einer von ihnen beim Aufstehen über die Ducht gestolpert. Hasard hielt den Atem an, beugte die Arme und den Oberkörper vor und hielt sich mit den Händen am Ruderschaft der vor ihm liegenden Galeone fest. Dann wartete er. Alles blieb mucksmäuschenstill, doch gleich darauf vernahm er Schritte, und eine nur schemenhaft erkennbare Gestalt beugte sich achtern über das Schanzkleid und spähte in die Tiefe. „Da hat was geknackt“, meldete sich eine Stimme.
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„Da knackt öfter mal was“, sagte eine andere. „Wird im Batteriedeck gewesen sein.“ Schritte waren zu hören, als sich noch ein zweiter Mann über das Schanzkleid beugte. Die Köpfe verschwanden wieder. Niemand hatte etwas gesehen. Die Männer in den Booten atmeten erleichtert auf. Der Dunkelheit hatten sie es einerseits zu verdanken, daß man sie nicht gesehen hatte, und andererseits dem Licht der Deckslaternen, denn die Wachen sahen vom Hellen ins Dunkel und waren im Nachteil. Nachdem sich oben alles wieder beruhigt hatte, begann der Seewolf als erster achtern aufzuentern. Geschickt und lautlos erreichte er das Achterkastell, verknotete die mitgebrachte Leine und ließ sie hinunter, damit die anderen aufentern konnten. Einer nach dem anderen erschien lautlos an Deck und kauerte sich auf die Planken. Im Schein der Lampen spähte Hasard an den Masten vorbei nach vorn, wo der erste Kopf unvermittelt erschien. Keiner der sechs Wachgasten warf auch nur einen einzigen Blick zur Galion. Sie standen zusammen und hielten ein unerlaubtes Schwätzchen miteinander ab. Nur ein Mann marschierte einsam weiter. Nach einer Weile gingen die Männer wieder auseinander. Nach und nach wurden die strategisch wichtigsten Punkte des Schiffes unbemerkt besetzt. Hasard und der Profos Schlichen weiter auf die Wachen zu, während Ribault und die Korsarin ebenfalls das Vordeck erreichten. Dann tauchte auch der Wikinger von der anderen Seite auf. Drei seiner Männer schafften es, das Deck ungesehen zu erreichen, der vierte wurde entdeckt. Einer der Wachgasten drehte sich um und zeigte voller Entsetzen auf ein Gesicht am Schanzkleid. „Verdammt, da ist doch ...“ rief er. Die Köpfe der fünf anderen Männer fuhren ebenfalls herum, um das Phänomen anzustarren, doch da waren die anderen
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schon heran. Von jetzt an ging es auch nicht mehr so lautlos ab. Hasard schnappte sich den ersten Kerl, legte ihm den Arm von hinten um den Hals und hob ihn leicht an. Der Kerl zappelte ein paarmal in dem eisenharten Griff, dann sank er ohnmächtig auf die Planken. Blitzschnell hatte der Wikinger den nächsten Mann geschnappt. Er drosch ihm von oben die Pranke auf den Schädel und fing den Zusammensackenden auf. Dem dritten hielt Siri-Tong den Degen vor die Brust und drückte ihn damit an den Fockmast. „Keinen Ton“, zischte sie leise, „oder du stirbst auf der Stelle.“ Luke Morgan hatte schon einem anderen die Faust auf den Punkt gesetzt. Doch dem Mann gelang es noch, einen erstickten Schrei auszustoßen. Der letzte Wachgänger brüllte wie am Spieß, doch sein Schrei blieb ihm halb in der Kehle stecken, als Roger Brighton zuschlug. Dem Profos Edwin Carberry blieb diesmal nur das Zuschauen, was ihn verdammt ärgerte. Doch auf dem Schiff wurde es jetzt lebendig. Wie aus den Planken gewachsen, tauchten überall Gestalten aus den Niedergängen auf. Es wurde laut gebrüllt, obwohl die meisten nicht richtig begriffen, was hier eigentlich los war. „Sag jetzt deinen Spruch auf, Ed“, sagte Hasard, „und denk an O'Brien, damit ihm nichts geschieht.“ „Aye, Sir“, sagte der Profos, und konnte es wieder einmal nicht lassen, denn einer der Engländer stand gerade so günstig da und wollte auf ihn losgehen. Carberry holte aus und schlug mit beiden Händen gleichzeitig zu. Die beiden Dinger, genau auf die Ohren placiert, ließen den Mann fast taub werden. Als der Profos wieder losließ, stand der Mann immer noch da und konnte sich nicht entscheiden, nach welcher Seite er fallen sollte. Mit einer weiteren Ohrfeige half Ed ihm zur Steuerbordseite, wie sich das für höhere Chargen gehört, denn der Mann trug Uniform, und da lag es sich an Steuerbord vornehmer als an Backbord.
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Das Getrappel wurde lauter. Stimmen brüllten durcheinander. Der Profos rannte in einen der Niedergänge und brüllte mit einer Stimme, die bis in den letzten Winkel zu hören war: „Raus, Leute, raus! Beeilt euch. Die Kerle haben Feuer in der Pulverkammer gelegt. Wir fliegen jeden Augenblick mit dem verdammten Kahn in die Luft.“ Sein Gebrüll wiederholte er noch einmal, dann war an Bord der Galeone nicht nur der Teufel los, sondern das Schiff ähnelte einem Irrenhaus, in dem Tobsüchtige rücksichtslos alles niedertrampelten, was ihnen im Wege stand. „In der Pulverkammer brennt es!“ brüllte Ed wieder. Um die allgemeine Verwirrung kräftig anzuheizen, rannten die Seewölfe, der Wikinger mit seinen Männern und die Kerle der Roten Korsarin ebenfalls wild durcheinander und schrien sich die Kehlen heiser. Ohne zu überlegen oder sich tatsächlich davon zu überzeugen, ob es in der Pulverkammer brannte, sprangen die ersten über Bord und schwammen, so schnell sie konnten, vom Schiff weg. Wozu hätte man sich von dem Brand auch erst überzeugen sollen? Es genügte, wenn einer „Feuer in der Pulverkammer!“ rief. Steckte man dann erst noch neugierig die Nase hinein, dann flog einem die Pulverkammer vielleicht noch um die Ohren. Also sprangen sie lieber und wählten das Wasser als das sichere Element, denn darin konnte man wenigstens noch schwimmen. Etwa fünfzehn Kerle planschten jetzt gestikulierend und wild brüllend im Bach und warteten auf die höllische Detonation. Der Schreck steckte ihnen noch in den Knochen, als die „Crown“ explodiert war, und so glaubte jeder unbesehen, daß ihnen jetzt ein ähnliches Schicksal beschieden sei. „Das funktioniert immer“, behauptete der Profos und wischte sich vor Lachen die Tränen aus dem Gesicht. „Seht nur, wie diese Rübenschweine hüpfen und springen,
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wie die jungen Ziegenböcke rennen sie herum und stoßen sich die Hörner.“ Einen, der sich noch nicht so ganz entschließen konnte, beförderte Stenmark ins nasse Element, und einen zweiten schnappte sich der Profos. Das Kerlchen hatte ein direkt grämliches Gesicht, als Ed es am Hals packte. „Es brennt gar nicht richtig“, sagte Ed leise, „aber besser, du schwimmst jetzt auch zu deiner Mutti nach Hause, was, wie?“ Und dann schwamm der Grämliche, denn der Narbenkerl, den er noch nie an Bord gesehen hatte, feuerte ihn einfach außenbords. Zu dem Zeitpunkt waren es schon zwanzig, die das Schwimmen exerzierten und es sehr eilig hatten, sich auf die anderen Karavellen zu verteilen. Dort wurden bereits auch überall Lichter an Deck entzündet, obwohl niemand wußte, was los war. Ein Mann stürmte ebenfalls an Deck. Hasard erkannte O'Brien, der aus einem achteren Niedergang erschien und erst einmal für Ordnung sorgen wollte. Aber er konnte sich in der Meute tobender und vor Angst fast wahnsinniger Kerle nicht durchsetzen, weil niemand mehr auf ihn hörte. Hasard war mit wenigen Schritten bei ihm und ergriff seinen Arm. „Tut mir leid, O'Brien“, sagte er, „es wird Ihnen nichts geschehen. Geben Sie mir Ihre Pistole und Ihr Ehrenwort, daß sie sich passiv verhalten werden.“ O'Brien überwand seinen Schreck ziemlich schnell. Er starrte den Seewolf an und nickte dann. „Was wollen Sie?“ fragte er tonlos. „Den beiden Gentlemen ein Ultimatum stellen und den entwürdigenden Zustand endlich beenden.“ „Ich verstehe, Sir. Sie haben mein Wort und können sich auf mich verlassen.“ Schweigend händigte er dem Seewolf seine Pistole aus. Sein Gesicht blieb starr, als er die vielen fremden Leute auf der „Glorious“ musterte. Dann wandte er sich
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ebenso schweigend ab. Nur um seine Mundwinkel zuckte es leicht. Ben Brighton blieb bei ihm. Und für den Fall, daß sie jemand beobachtete, tat er so, als würde er O'Brien mit der Waffe bedrohen. Das gab für alle Fälle ein besseres Bild ab. Die Mannschaft war fast verschwunden. Sie schwamm im Wasser. Hasard, Jean Ribault, die Rote Korsarin und Thorfin stürmten jetzt nach achtern, denn inzwischen hatten die ehrenwerten Sirs wohl bemerkt, daß an Bord ihres Schiffes einiges nicht mehr stimmte. Hasard wußte, wo sich die Kapitänskammer befand. Noch bevor er das Schott aufdrückte, hörte er Sir Andrews verärgert klingende Stimme: „... wohl eine Schlägerei ausgebrochen. Unerhört ist das! Ich werde mich sofort ...“ Krachend flog das Schott auf. Neben dem Seewolf erschienen die anderen und drängten hinein. Die beiden Kerle sprangen ächzend auf. Der Marquess wurde noch blasser und hielt sich krampfhaft an der Tischkante fest, während Sir Andrew vor Schreck den Zinnbecher umstieß und ebenfalls nach Halt suchte. Wie eine Lache aus rotem Blut lief der Rotwein über das weiße Tuch. Die beiden waren so entsetzt, daß sie lange Zeit kein Wort hervorbrachten. Sie standen nur da und stierten. Vom Deck her waren jetzt undeutlich andere Geräusche zu hören. Zweifellos wurden der Anker gehievt und Segel gesetzt. „Wir werden eine kleine Reise unternehmen, Gentlemen“, sagte die Rote Korsarin kalt. „Ihre Besatzung ist verschwunden, jetzt sind wir die Besatzung!“ Sir Andrews Gesicht begann zu zucken. Der Marquess verfärbte sich weiter und wurde immer blasser. Sein Adamsapfel hüpfte auf und nieder, und dann rang sich Sir Andrew zu einem schrillen Schrei durch. ,,Ich bin zutiefst empört! Was erlauben Sie sich auf meinem Schiff? Sind Sie wahnsinnig geworden, hier einzudringen?“
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Er verließ den Tisch, lief knallrot an und wollte auf den Seewolf losgehen. Hasard erwartete ihn gelassen und sah, wie Sir Andrew die Finger zu Krallen krümmte und ihm wie eine Katze das Gesicht zerkratzen wollte. Er holte kurz aus und gab dem Sir zwei harte Ohrfeigen, die ihn quer durch den Raum trieben. Sir Andrew, mit den Fäusten eine absolute Null, quiekte laut vor Schmerz, Demütigung, Angst und Empörung, raffte sich aber noch einmal auf und zeigte wieder die Krallen. Hasard ließ ihn wieder dicht heran, dann schlug er ihm wie einer lästigen Fliege den Handrücken hart auf die Nase. Danach sah Sir Andrew total verändert aus. Es war ein greinendes Häufchen Elend, das vor Selbstmitleid zerfloß und dessen Uniform nach den relativ harmlosen Ohrfeigen zerknautscht und zerknittert war. Der Wikinger packte zu und zerrte den Sir wieder auf die Beine. Der hatte jetzt beide Hände vor das Gesicht geschlagen und wartete angstvoll auf weitere Ohrfeigen. Diesen Augenblick nutzte der bleiche Marquess zur Flucht. Er zitterte und schlotterte am ganzen Körper, denn mit ihm würde diese wilde Piratenhorde genauso verfahren. Geduckt rannte er auf das Schott zu, zog den Kopf zwischen die Schultern und wollte mit einem gewaltigen Satz hindurch. Doch dicht vor der rettenden Öffnung hielt ihn etwas auf, und als er entsetzt die Augen aufriß, erkannte er eine Degenspitze, die nicht einmal zitterte, aber direkt und fast zärtlich seinen Adamsapfel berührte. Die schwarzhaarige Frau sah ihn kalt und verächtlich an. Ihr rechter Arm bewegte sich leicht, und der Marquess erwartete schwitzend den endgültigen Todesstich. Wie es in seinen verstaubten adligen Kreisen üblich war, war sein Herz der Belastung nicht gewachsen, und so erlöste ihn eine gnädige Ohnmacht vorübergehend von allen weiteren Schrecknissen. Wie leblos kippte er vor der kopfschüttelnden
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Roten Korsarin mit geschlossenen Augen zur Seite. „Ein tapferer Kämpfer“, sagte Siri-Tong. „Ein wirklich heldenhafter Mann, pfui Teufel.“ Verächtlich hieb sie ihm einmal die flache Klinge über den durchlauchten Hosenboden, doch das brachte' den Marquess auch nicht auf die Beine. „An Deck mit den Kerlen“, sagte Hasard, schnappte sich den Sir, während sich der Wikinger den Bewußtlosen über die Schulter warf, und ging nach oben. Die „Glorious“ war aus dem englischen Verband ausgeschoren. Vor Rame Head war der Teufel los. Auf den Karavellen wurde gebrüllt und geschimpft, denn sie merkten, welcher List sie auf den Leim gegangen waren. Aber niemand unternahm etwas, wie Hasard das schon vorher ganz richtig vermutet hatte. Sie wagten nicht, etwas zu unternehmen, denn die Angst saß ihnen in den Knochen, und schließlich konnten sie ja nicht ihr eigenes Schiff unter Feuer nehmen, das jetzt in der Nähe von Siri-Tongs Galeone vor Anker ging. Etwas später luden sie die ehrenwerten Gentlemen auf „Roter Drache“ um. Der Marquess war immer noch bewußtlos. 8. Eine Pütz Seewasser, vermischt mit den Duftstoffen der Bürger von Plymouth klatschte dem Marquess ins Gesicht und brachte ihn mit einem lauten Ächzen auf die Beine. Der Wikinger schüttelte ihn noch ein wenig, bis der Marquess endgültig wach war und wieder auf eigenen Beinen etwas jämmerlich stehen konnte. Daß er sich an Bord des Schiffes der Roten Korsarin befand, begriff er anfangs noch nicht so richtig im Gegensatz zu Sir Andrew, der alles bis auf die paar Maulschellen unbeschadet überstanden hatte. „So, ihr Maulhelden und Intriganten“, sagte die Rote Korsarin, „jetzt sprechen wir eine verständliche und klare Sprache. Ich fordere euch auf, die beiden Schiffe, die am Ausrüstungskai liegen, sofort
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freizugeben. Diese Aufforderung ist ultimativ. Weiter verlange ich, daß ebenfalls sofort sämtliche Soldaten abgezogen werden. Das alles hat innerhalb einer Stunde zu geschehen, mehr Zeit lasse ich nicht zu. Einer von euch wird den Befehl dazu an Land geben, der andere bleibt so lange als Geisel hier. Das ist alles. Wenn das Ultimatum abgelaufen und meine Forderung nicht erfüllt ist, greife ich härter durch.“ Sir Andrew hatte einen Teil seiner Überlegenheit wieder zurückgewonnen. Nur der Marquess sah noch etwas schlapp aus. „Sie sind ja verrückt!“ stieß er hervor. „Sie wagen, uns ein Ultimatum zu stellen? Lächerlich ist das! Ein Weib wie Sie vergreift sich an zwei Adligen und scheut sich nicht, lächerliche Forderungen zu stellen? Das Ultimatum wird ablaufen, ohne daß etwas geschieht, das verspreche ich dir, du Schlange!“ sagte er haßvoll. Siri-Tong behielt ihre kalte und überlegene Art bei. Nur in ihren Mandelaugen glomm ein gefährliches Licht. „Nach Ablauf des Ultimatums hängen Sie an der Großrah meines Schiffes, das verspreche ich Ihnen ebenfalls. Und Sie werden auch noch zusehen, wie der Marquess seinen Platz an der Rah erhält. Es macht mir wirklich nichts aus, zwei Adlige Ihrer Sorte an meiner Rah hängen zu haben.“ Sir Andrew grinste abfällig. Er hatte noch einen Trumpf im Ärmel, so glaubte er jedenfalls. Bald würde die Verstärkung hier sein, und das gab ihm neuen Auftrieb. Bald - überlegte er. So bald war das gar nicht, und das verdammte Satansweib sah tatsächlich so aus, als würde sie nicht lange fackeln. Er warf einen vorsichtigen Blick auf den Seewolf, doch in dessen Gesicht las er die grausame Wahrheit. Nein, sie würden sich nicht scheuen, Hand an ihn und den Marquess zu legen. Er schluckte hart und voller Qual. Sein Hals war knochentrocken. Dann giftete er los. „Wagen Sie nicht, Hand an einen Sir zu legen!“ schrie er. „Sie kommen aus
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England nicht mehr heraus, niemals! Man wird Sie alle fangen und einer grausamen Folter unterziehen. Und danach sind Sie es, die öffentlich am Galgen hängen werden. Hier wurden schon öfter Piraten gehängt.“ „Jawohl!“ schrie jetzt auch der Marquess. „Keiner von euch wird England verlassen, ihr alle werdet es büßen. Wir haben ausgezeichnete Verbindungen zum königlichen Hof, und wir werden euch um die ganze Welt hetzen lassen, jeden einzelnen, und jeder wird einen qualvollen Tod erleiden.“ „Jaja“, sagte Hasard heiter, „Ihre ausgezeichneten Verbindungen zum königlichen Hof werden bald unterbrochen sein.“ Dann drehte er sich um und gab einem der Männer mit der Hand ein Zeichen, „Holt mal unseren guten Freund vom Schwarzen Segler“, sagte er. Jeff Bowie und Stenmark verschwanden grinsend und kletterten in das kleine Boot, um den Kurier zu holen. Sir Andrew und der Marquess standen da und wurden von den Seewölfen mitleidig belächelt. Eine geraume Zeit sprach niemand ein Wort. Aber da war dieses merkwürdige Grinsen in den Gesichtern der „Piratenbande“, das allen beiden nicht gefiel. Die hatten etwas vor, nur wußten beide nicht, was das wohl sein könne. Daher wurde ihnen immer mulmiger zumute. „Jaja, was, wie?“ sagte der Profos grinsend. „Da denkt man immer, man ist wer, und schon kackt einem ein anderer in die Koje. Ihr seht ziemlich belämmert aus, ihr blaublütigen Kanalratten.“ Ängstliche Augen starrten sie an. Sie wanden sich unbehaglich. „In einer Dreiviertelstunde läuft das Ultimatum ab“, sagte die Rote Korsarin kalt. „Ich werde mein Wort halten.“ „Das werden Sie nicht wagen!“ schrie der Marquess. „Unsere Verbindungen bei Hofe ...“ Kalkweiß geworden, brach er jäh ab und starrte auf den Mann, den der Seewolf vor sie hinschob. Der Kurier starrte niedergeschlagen zu Boden, seine Hände
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zitterten, und im Schein der Deckslaternen sah sein Gesicht aus wie das eines Ertrunkenen. Den ehrenwerten Sirs aber erging es nicht besser. Ihnen quollen fast die Augen aus dem Schädel, so entsetzt waren sie. „Der Kurier nach Bristol“, sagte Hasard trocken. „Zur Zeit ist er leider verhindert, er hat sich vor dem langen Marsch noch ein wenig bei uns ausgeruht. Aber den Mann trifft keine Schuld. Die Schuldigen werden sich bei Hofe verantworten müssen, daß sie Order im Namen der Königin gaben und diese Order leider, leider doch nicht so ganz in Ordnung ist. Sie scheint mir gefälscht zu sein.“ Damit zog er das Schriftstück aus der Jacke und wedelte den beiden Kerlen damit vor der Nase herum. „Jaja“, sagte der Profos düster, „Äpfel klauen und Vogelnester ausnehmen, das sind mir die Richtigen. Wir werden das Schriftstück natürlich Ihrer Majestät der Königin übergeben. Die wird euch Rübenschweine dann zur Palast-Polonäse einladen. Das ist doch ein dicker Hund, was, wie?“ Sir Andrew ging als erster ein Licht auf, was das zu bedeuten hatte. Seine Schultern sanken ein, er stieß heftig die Luft aus. Aus seinem Mund drang ein heiseres Röcheln. „O mein Gott“; sagte er klagend. Voll schlimmer Ahnungen erfüllt schloß er die Augen. Auch dem Marquess dämmerte jetzt das Licht der Erkenntnis. Keine Verstärkung, nichts, dafür ein Ultimatum oder ein Strick um den erlauchten Hals. Selbst wenn sie noch einmal gnädig davonkamen, stand ihnen bei Hofe einiges bevor. Dagegen war die Versenkung der „Crown“ fast schon ein Klacks. „Haben Sie sich entschlossen, die Schiffe freizugeben und die Soldaten von der Werft und vom Ausrüstungskai abzuziehen?“ fragte Siri-Tong drohend. „Meine Forderung läuft bald ab.“ Sir Andrew war es siedendheiß geworden. Auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen so groß wie Taubeneier. Sein linkes Auge
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zuckte unentwegt, und er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Der Marquess stieß Laute der Verzweiflung aus und hatte Tränen in den Augen. Alle beide enthielten sich vorerst noch der Stimme und hofften auf ein Wunder. Das Wunder geschah auch, allerdings wesentlich anders, als die beiden sich das vorstellten. Siri-Tong gab einem fürchterlich anzusehenden finsteren und narbigen Kerl einen Wink. Der Kerl sah wahrhaftig wie ein Fleischer aus, und als er jetzt grinste, wirkte er noch schrecklicher. Noch schlimmer war es, als er eine lange Leine über die Rah warf und das Ende lose an der Nagelbank belegte. An der Leine war noch ein Auge, und das erinnerte die beiden verteufelt an einen Henkersstrick, in dessen Schlinge bequem ein Hals paßte. Der fürchterliche Riese zupfte noch ein bißchen an der Schlinge herum, damit sie auch ordentlich aussah, wenn sie einen erlauchten Hals zierte, und warf dann einen zweiten Strick über die Rah, an dem er ebenso sorgfältig herumzupfte, denn auch die zweite Schlinge sollte einen erlauchten Hals zieren. Der Marquess wurde grün im Gesicht und erbrach sich auf den Planken, was die Seewölfe mit einem unwilligen Stirnrunzeln quittierten. Dann wartete er auf die gnädige Ohnmacht, denn nun schien es wirklich ernst zu werden. Doch auch die Ohnmacht blieb diesmal aus. „Ihr wollt also nicht“, sagte die Korsarin gleichmütig. „Nun gut. Hänge den Kerl da zuerst auf, Barba!“ Sie zeigte auf den Marquess, der jetzt Todesängste ausstand, als der grobe Kerl sich anschickte, ihm die Schlinge um den Hals zu streifen. „Wir nehmen die Bedingungen an!“ kreischte er in höchster Not. „Aber hängen Sie uns nicht auf.“ „Sie werden alles das tun, was ich verlange“, sagte Siri-Tong. „Einer von euch bleibt so lange hier an Bord. Der
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andere sorgt dafür, daß meine Forderungen erfüllt werden.“ In diesem Augenblick gab es eine Unterbrechung. Der Wikinger deutete auf das Wasser und sah die Männer an. „Eine Schaluppe läuft direkt auf uns zu“, sagte er leise. Als sie sich umdrehten, sahen sie im beginnenden Dämmer eines kühlen Morgens ein Boot mit drei Männern. Es hielt auf sie zu. Die Gestalten in dem Boot waren noch nicht zu erkennen. „Hallo, Sir Hasard!“ hallte es schwach über das Wasser. „Das ist Lord Cliveden“, sagte Hasard verblüfft. „Weg mit den Stricken“, flüsterte er dann der Roten Korsarin zu. „Der Lord muß nicht unbedingt sehen, was wir vorhaben.“ „Schon wieder so ein blaublütiger“, zischte Siri-Tong. „Was will der denn hier?“ „Das weiß ich nicht. Aber vermutlich ist er auf die Vorfälle bei Rame Head aufmerksam geworden. Er ist keiner von der Sorte wie diese Kerle hier.“ Hasard rief etwas zurück, während Barba die Stricke unauffällig entfernte. Die Schaluppe wurde größer, und jetzt erkannten die Seewölfe auch, wer sich in dem Boot befand. Es war Lord Cliveden in Begleitung des Hafenkapitäns und des Kommandanten der Stadtsoldaten. „Das sieht nach weiterem Ärger aus“, sagte Thorfin. „Die haben alle so ernste Gesichter.“ „Sollen sie etwa lachen?“ fragte Hasard spöttisch. „Dazu besteht doch wirklich kein Grund.“ * Die Jakobsleiter war ausgebracht worden. Die Schaluppe legte an und wurde vertäut. Lord Cliveden blickte hoch und wahrte auch die Höflichkeitsformen. „Ist es gestattet, an Bord zu kommen?“ fragte er. „Erlaubnis erteilt“, erwiderte Siri-Tong. Lord Cliveden und die beiden Männer enterten auf. Der Lord sah gespannt die
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Rote Korsarin an und zog die linke Augenbraue fragend hoch, dann räusperte er sich und nickte ihnen zu. Er war sehr verwundert, und noch erstaunter wurde er, als Hasard die Rote Korsarin als Kapitän des Schiffes „Roter Drache“ vorstellte. Seine beiden Begleiter kamen aus dem Staunen ebenfalls nicht mehr heraus. Immer wieder musterten sie die schwarzhaarige Frau verstohlen. „Sie haben mir vermutlich etwas zu sagen, Sir Hasard“, sagte der Lord ruhig und ohne Vorwurf in der Stimme. „Ich hörte vorhin von gewissen - hmm - Vorfällen im Hafen. Es soll ein Schiff der Krone versenkt worden sein.“ „Das entspricht den Tatsachen, Mylord. Die Galeone ,Crown` ist von uns versenkt worden.“ „Er hat sie in Brand geschossen, Mylord“, sagte der Marquess haßerfüllt. „Und dieses Weib da wollte uns hängen lassen. Zudem stellte sie unannehmbare Forderungen.“ Auch Sir Andrew trat jetzt vor. In der Nähe des Lords fühlten sie sich etwas sicherer. Lord Cliveden kannte die beiden. Das drückte das leichte Rümpfen seiner Nase aus. Es war den blaublütigen Herren nicht sonderlich geneigt, denn sie hatten schon früher für eine Menge Ärger gesorgt. „Hängen?“ fragte Lord Cliveden. „Ja, Mylord, da hängen noch die Stricke“, sagte der Marquess. „Direkt an der Großrah.“ Der Lord blickte nach oben, doch da hing kein Strick mehr. Leicht indigniert sah er die verblüfften Kerle an. „Da - da hingen aber eben noch welche“, sagte Sir Andrew. „Wenn man Sie hängen wollte, dann hätte man ihnen sicher die Hände verbunden“, erklärte der Lord nachsichtig. „Aber an imaginären Stricken ist noch niemand gehängt worden.“ Die Nachsichtigkeit und der leise Spott in seiner Stimme verrieten, daß er die beiden für etwas übergeschnappt hielt. „Bitte, erklären Sie mir, Sir Hasard, was hier vorgefallen ist“, bat er den Seewolf, ohne einen weiteren Blick an die beiden Sirs zu verschwenden, die sich immer
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wieder betreten nach den Henkersstricken umsahen. Hasard hatte ihm eine Menge zu sagen. Er hielt sich strikt an die Wahrheit, ließ nichts aus und fügte auch nichts hinzu. Als die Rede auf die Eigenmächtigkeiten Sir Andrews und des Marquess kam, runzelte Lord Cliveden unwillig die Stirn. „Mit königlicher Order?“ fragte er ungläubig. „Können Sie das beweisen, Sir Hasard?“ „Ja, Mylord, hier ist das Dokument.“ Lord Cliveden nahm es entgegen und las es durch. Schon beim Lesen verfinsterte sich sein Gesicht immer mehr. Dann ließ er den Schrieb sinken und war sichtlich empört. „Eine einwandfreie Fälschung“, sagte er eisig. „Eine unglaubliche Eigenmächtigkeit dieser beiden Gentlemen.“ Er trat dichter an die beiden traurigen Gestalten heran und musterte sie verächtlich und ablehnend. „Ich erwarte augenblicklich Ihre Stellungnahme. Haben Sie wirklich die Werft besetzen lassen und die Schiffe requiriert?“ Sir Andrew nickte stumm. Der Marquess nickte ebenfalls kleinlaut und nestelte nervös an seiner Uniform. „Und das im Namen der Königin?“ Wieder nickten beide wie zwei böse Buben, die eine riesengroße Lumperei ausgeheckt hatten. „Das wird Sie teuer zu stehen kommen, Gentlemen. Den Beweis werde ich an mich nehmen. Sie sind hiermit bis zur Klärung der Angelegenheit jeglicher Ämter enthoben. Betrachten Sie sich vorläufig als meine Gefangenen.“ Die beiden zuckten zusammen. Im beginnenden Morgen waren ihre Gesichter aschgrau und leer. Wie geprügelte Hunde standen sie da und rührten sich nicht. Sie verzichteten auch auf eine Rechtfertigung, denn der Lord würde ihnen doch nicht mehr glauben nach allem, was passiert war. Cliveden wandte sich schweratmend um. In seinen Zügen stand immer noch heller Zorn.
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„Die Werft ist immer noch besetzt?“ fragte er. Diesmal nickte der Kommandant der Stadtsoldaten kläglich. „Ja, Mylord. Ich konnte aufgrund der Order nicht anders handeln und mußte die Soldaten abkommandieren. Der Vorfall mit der Stadtgarde ist allerdings auf die Eigenmächtigkeit Mister Braggarts zurückzuführen.“ „Plymouth scheint mir mehr und mehr zu einem Tollhaus zu werden“, sagte der Lord ärgerlich. „Die Vorfälle häufen sich, aber ich werde sie alle untersuchen lassen. Sie, Kommandant, werden veranlassen, daß die Soldaten sofort die Werft räumen und die beiden Schiffe freigegeben werden. Ich selbst werde dafür sorgen, daß der Verband ebenfalls in See geht. Ich wüßte nicht, zu welchem Zweck er hier in Plymouth liegt. Begleiten Sie mich bitte hinüber“, sagte er zu dem Kommandanten und dem Hafenkapitän. Dann wandte er sich an Hasard. „Wir werden unsere Unterredung fortsetzen, Sir Hasard. Es gibt noch einiges zu klären.“ „Dann erwarte ich Sie hier an Bord, Mylord. Ich schlage vor, wir setzen das Gespräch in der Kapitänskammer von Madam Siri-Tong fort.“ „Behalten Sie die beiden Kerle im Auge“, empfahl der Lord noch, bevor er „Roter Drache“ verließ und wieder in die Schaluppe stieg. Dabei wies sein Finger auf die Sirs, die sehr jammervolle Figuren abgaben und jetzt erkannten, in welche gefährliche Lage sie sich selbst manövriert hatten. „Das wird sicherlich ein übles Nachspiel haben, und die Untersuchung wird noch einiges mehr ergeben“, sagte Hasard zu Sir Andrew, der dazu schwieg. Nur der Marquess versuchte noch einmal, sich aufzuspielen. „Unser Einfluß bei Hof ist nicht gering“, sagte er, „dem wird sich auch ein Lord beugen müssen.“ „Vorerst ganz bestimmt nicht“, sagte Hasard kalt. „Das wird im Gegenteil Ihren sogenannten Einfluß sehr schmälern.“
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Die beiden sahen geknickt zu, wie der Lord mit seinen Begleitern an Bord der „Glorious“ ging und gleich darauf eine hektische Betriebsamkeit einsetzte. Sein nächster Besuch galt der Galeone „Sunderland“, sein anderer den Karavellen „Golden Gull“ und „Thames“. Dann wurde die Schaluppe zum Land gepullt. Es wurde heller in Plymouth, die Einzelheiten ließen sich besser und klarer erkennen. „Die gehen ankerauf“, sagte Jean Ribault, „alle gehen ankerauf und setzen die Segel.“ Hasard nahm das erleichtert zur Kenntnis. „Ich bin froh, daß dieser Lord Cliveden ein so korrekter Mann ist“, sagte er. „Ohne sein Zutun hätten wir nur noch mehr Ärger am Hals.“ Auf dem Wasser wurde es lauter. Kommandos erklangen, auf allen Schiffen wurden jetzt die Segel gesetzt, dann verließ die „Glorious“ ganz langsam die Reede mit Kurs auf die See. „Seht es euch gut an“, empfahl der Wikinger den beiden Gefangenen. „Da segeln sie, und ihr seid nicht mehr an Bord. Und wenn die weggesegelt sind, dann kriegt ihr ein nettes Plätzchen an Bord, wo ihr in Ruhe über eure Lumpereien nachdenken könnt.“ In den beiden Sirs tobten wechselweise die Gefühle. Diesmal waren sie ohnmächtiger und hilfloser Natur, von der Beschämung ganz zu schweigen. Aber es lag auch Wut in ihren Gesichtern, als das Geschwader langsam den Hafen verließ. „Ab mit den Kerlen in die achtere leere Kammer, Barba“, sagte die Rote Korsarin. „Die ist zwar ausbruchssicher, aber laß sie von einem Mann noch zusätzlich bewachen.“ „Dafür hafte ich mit meinem Kopf, Madam“, versicherte Barba. Die beiden schlotterten jetzt noch heftiger. In der Gewalt dieses Teufelsweibs zu sein, war für sie keine angenehme Vorstellung. Barba schleppte die Kerle fort und ließ einen Mann als Wache postieren. Als Lord Cliveden wieder zurück-. kehrte, fand das weitere Gespräch im Beisein
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Ribaults, des Wikingers, der roten Korsarin und Hasards in der Kapitänskammer statt. Lord Cliveden legte vier Pergamentrollen auf den Tisch, alle mit königlichem Siegel versehen. „Die fand ich an Bord“, erklärte er. „Der Marquess oder Sir Andrew haben sie mitgehen lassen. Zunächst aber etwas anderes, was Sie betrifft, Sir Hasard:' Der Lord zog ein weiteres Dokument hervor und überreichte es dem Seewolf. In seinem Gesicht erschien ein schnelles Lächeln. „Dieses Dokument ist echt“, sagte er heiter. „Es handelt sich um einen neu ausgestellten Kaperbrief der Königin, gesiegelt und gezeichnet, gegen Quittung zu überreichen. Dieser neue Kaperbrief ermächtigt Sie, den Handelskrieg gegen die Spanier auf den Weltmeeren fortzuführen, um das neuerliche Erstarken der Spanier zu verhindern und zu unterbinden. Bitte sehr.“ Hasard stand auf und nahm das Dokument entgegen. Es trug das königliche Siegel und die Unterschrift der Lissy. Ein Gefühl der Freude und der Freiheit durchströmte ihn. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Mylord“, sagte er etwas heiser. „Wir stehen tief in Ihrer Schuld. Ohne Sie wären wir in große Schwierigkeiten geraten.“ „Noch sind die Schwierigkeiten nicht ganz ausgeräumt, Sir Hasard“, sagte der Lord ernst. „Die Soldaten sind von der Werft abgezogen, und Sie können auch über die beiden Galeonen, prächtige ausgezeichnete Schiffe übrigens, frei verfügen. Niemand wird Sie in Plymouth mehr belästigen.“ „Die Galeonen gehören Monsieur Ribault, Mylord. Er hat sie bei Ramsgate auf eigene Rechnung bauen lassen. In ein paar Tagen sind sie fertig ausgerüstet.“ „Rüsten Sie sie schnell aus, Monsieur Ribault“, empfahl der Lord, „Sie sollten keine Zeit mehr verlieren.“ „Sehr wohl, Mylord“, sagte der Franzose mit einer Verbeugung. „Nach diesem bedauerlichen Zwischenfall mit der ,Crown` möchte ich nicht verhehlen, daß es ratsam scheint, Plymouth
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ebenfalls möglichst rasch zu verlassen, Sir Hasard.“ „Wir kommen für den angerichteten Schaden in voller Höhe auf, Mylord“, versicherte der Seewolf. „Bezahlen Sie ihn mit dem Gold, das Sie künftig den Spaniern wieder abnehmen werden. Ich muß dazu sagen, daß der Einfluß dieser beiden Gentlemen bei Hofe nicht gerade gering ist. Ihnen wird zwar eine strenge Untersuchung bevorstehen, doch man pflegt bei Hofe in solchen Fällen rasch zu vergessen. Das haben Sie ja selbst schon erlebt.“ „Leider ja, Mylord.“ „Wo befinden sich die Männer jetzt?“ „In einer ausbruchssicheren Kammer an Bord meines Schiffes“, sagte Siri-Tong. „Gut, ich werde sie nachher noch einmal sprechen. Ich empfehle Ihnen, die beiden bis zu Ihrer Abreise an Bord zu lassen, damit sie in der Zwischenzeit nichts unternehmen können. Ich werde noch heute im Laufe des Tages nach London fahren und Ihre Majestät, die Königin, um eine Audienz ersuchen. Ich werde jedenfalls mein Möglichstes tun.“ „Ich danke Ihnen“, sagte Hasard schlicht, doch den Dank wehrte Lord Cliveden rasch ab. „Dazu ist es noch etwas zu früh“, sagte er. „Ich kann Ihnen nichts versprechen, aber das hier ist ein sehr ernst zu nehmender Zwischenfall, der noch Folgen haben kann.“ „Darüber bin ich mir im klaren, Mylord.“ Es wurden noch weitere Einzelheiten besprochen, und diesmal berichtete der Seewolf ausführlicher. Danach nickte der Lord und erhob sich. Hasard stellte ihm eine Quittung über den Erhalt des Kaperbriefes aus und überreichte sie ihm dankend. Sorgfältig, wie es seiner Art entsprach, las Lord Cliveden das Papier durch, dann faltete er es ebenso sorgfältig und verstaute es in seiner Uniformjacke. Anschließend begleiteten ihn Hasard und die Rote Korsarin zu der Kammer, in der die beiden Sirs schmorten.
John Curtis
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„Sind wir frei, Mylord?“ fragte Sir Andrew. Sie wußten von der Absprache zwischen den Männern und der Frau, und so schöpften sie wieder neue Hoffnung. Lord Cliveden bereitete den beiden Halunken eine herbe Enttäuschung, als er ablehnend den Kopf schüttelte. „Ich kann augenblicklich nichts für Sie tun. Sir Hasard hat sich geweigert, Sie freizulassen, und gegen diese Weigerung bin ich machtlos. Aber es wird sich im Lauf der Zeit sicher alles klären. Ich habe mir übrigens gestattet, an Bord der ,Glorious` die königlichen Dokumente mitzunehmen, damit nicht noch weiterer Schaden angerichtet wird.“ Die beiden starrten ihn beschämt an, dann senkten sie die Köpfe. Lord Cliveden verließ sie grußlos. Das Schott schloß sich, der Wachtposten zog wieder auf. Hasard und die anderen begleiteten den Lord bis zu der Schaluppe und winkten ihm nach, als ihn der Hafenkapitän und der Kommandant persönlich an Land pullten. Lord Cliveden winkte zurück. Dann saß er wie aus Stein geformt auf der Ducht. „Ein wahrhaft feiner und zuverlässiger Mann“, sagte Hasard anerkennend und reckte die Schultern. Der Profos gähnte verstohlen und grinste ein bißchen: „Eine kleine Feier sollte das schon wert sein“, murmelte er. „Keine Einwände“, sagte Hasard lachend, „jetzt, da ich mich wieder viel freier fühle.“ „Und einen neuen Kaperbrief hast du, Sir, das ist schon der zweite Grund zum Feiern. Dann der Abzug der Seesoldaten“, zählte der Profos weiter auf, „die Freigabe der Schiffe und so. Eigentlich ist das ein Grund, um die ganze Woche durchzusaufen.“ „Zuerst verholen wir und legen uns vor die Werft, damit wir alle schön beisammen sind und nichts mehr passieren kann. Und dann gehen wir mit Hochdruck daran, um auf unsere baldige Abreise hinzuarbeiten. Erst danach werden wir feiern.“
Das Ultimatum der Roten Korsarin
„Den Stapellauf der beiden Schiffe haben wir auch nur halb begossen“, motzte der Profos. Hasard überhörte das. Aber er beschloß, das tatsächlich nachzuholen, denn eine kleine Feier war das wert. Danach stiegen sie in die Boote und kehrten an Bord zurück. Auf der Werft kehrte wieder Ruhe ein. Hesekiel Ramsgate erschien und rieb sich die Hände. Er gab Hasard die Hand und nickte den anderen glücklich zu. „Jetzt scheint alles in Ordnung zu sein“, sagte er erfreut. „Dieser Lord ist ein prächtiger Kerl.“ „Ja, das ist er“, bestätigte Hasard. „Wir haben noch ein kleines Problem“, sagte die Rote Korsarin. Sie wies auf einen einsam und verlassen dastehenden dicken Mann, der verlegen seine Finger knetete. „Du lieber Himmel, Plymson. Den habe ich glatt vergessen“, sagte Hasard. „Der schlottert ja immer noch vor Angst.“ Nathaniel Plymson glich einem geprügelten Hund. Dann schlich er langsam und demütig heran. „Du kannst das kleine Boot nehmen, Plymmie“, sagte Hasard und lächelte. „Damit kannst du nach Plymouth pullen. Und ich möchte dir auch noch einen guten Rat geben : Du hast zwar nicht viel erfahren, aber du kannst genug Unheil stiften, wenn du über das, was du weißt, auch nur ein Wort verlauten läßt. Ich verlange von dir, daß du schweigst wie ein Fisch.“ Plymson versprach alles. Er wollte nur noch weg von diesem Höllenschiff und dem Teufelsweib, und so sagte er zu allem ja und amen. Unter lebhaften Beteuerungen stieg er in das Boot, bedankte sich lauthals und pullte wie ein Irrer davon. Vor lauter Angst schaute er nicht mehr zu den höllischen Schiffen. „So schnell müßte man pullen können“, sagte der Profos anerkennend. „Das hat von uns noch niemand geschafft.“ Plymson hörte nur noch ein rauhes Gelächter und zog das Genick ein. Er war für lange Zeit bedient, aye, Sir…
John Curtis
Seewölfe 343 45 ENDE
Das Ultimatum der Roten Korsarin