Im Gasthaus
„Lutter
und Wegner"
im Vorraum, wo die verehrlichen Gäste die Garderobe abzulegen pflegten, war eine Rei...
30 downloads
524 Views
275KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Im Gasthaus
„Lutter
und Wegner"
im Vorraum, wo die verehrlichen Gäste die Garderobe abzulegen pflegten, war eine Reihe von Haken mit Zylinderhüten und Halbpelzen besetzt, — ein Zeichen dafür, daß der Keller sich guten Besuches erfreute. j Als der Neuangekommene die Stufen zum Gewölbe i hinunterschritt, schlug ihm der Schwall erregter Stimmen entgegen. Der Kellner Franz, der eben mit einem Tablett voller Weingläser durch die Tischreihen eilte, verstand es, trotz dieser gefährlichen Fracht eine untertänige Verbeugung zu machen: „Wünsche einen guten Abend, Herr Kommerzienrat!" Der Mann, dem dieser Gruß galt, brummte undeutlich aus dem Gestrüpp seines dichten Bartes hervor und begab sich mit zielsicherem Schritt in eine der Gewölbenischen. Dort hatte er den Kreis seiner Freunde entdeckt. W i e er durch das vornehme Lokal dahinging —> den langschößigen Gehrock hochzugeknöpft, das Kinn in die schneeweißen Ecken des hohen Stehkragens gerahmt •— machte er ganz den Eindruck eines selbstsicheren, von seiner Bedeutung und bürgerlichen Stellung überzeugten Mannes. Ein paar Studenten, die lärmend an einem der Mitteltische saßen, schwiegen bei solchem Anblick für einen Moment, und einer von ihnen flüsterte seinen Kommilitonen erklärend zu: „Das ist Kommerzienrat Barheine aus der Kochstraße, der eine Grabsteinfabrik betreibt und mehrere Miethäuser besitzt, ein angesehener und schwerreicher Mann, aber . . ." und das fügte der Gewährsmann bedauernd und ein wenig abfällig hinzu: „. . . Konservativ! Sehr konservativ] Er hat keinen Begriff von Demokratie!" Mit nicht sehr freundlichen Blicken sahen die Studenten zu Herrn Barheine herüber. Dieser hatte unterdessen seinen Platz erreicht, wo man ihn offenbar längst erwartete. Der Kellner Franz stand schon am Tisch. „Eine Flasche Rotspon wie immer, Herr Kommerzienrat?" Herr Barheine nickte. Gleich darauf wurde eingeschenkt. Aber noch ehe die Tafelrunde mit dem ersten Zutrunk zu Ende war, fiel schon der lebhafte und bewegliche Meister Raddaz mit den letzten Neuigkeiten über den Ankömmling her. Herr Raddaz w a r ein reich gewordener Schneider, der mit fünfundzwanzig Gesellen arbeitete und seinen Betrieb
*
vornehm „Pariser Modemanufaktur und Magazin" nannte. Er hatte es immer ein wenig mit den Fremdwörtern. „Herr Kommerzienrat sind im Bilde ?" begann er überzusprudeln, ^,die französische Affäre hat Imitation gefunden! Soeben bringt uns Monsieur Lessing, der Ihnen -wohlbekannte Redakteur unserer Berlinischen Zeitung, die alarmierenden Nachrichten aus Baden und München, daß man es da wie dort angezeigt gefunden hat, dem französischen Beispiel nachzuahmen und den offenen Konflikt mit der angestammten Obrigkeit nicht zu scheuen!" „Aber, meine Herren!" brummte der Kommerzienrat, „so lassen Sie mich doch mit der Politik in Ruhe! W a s geht das uns an? Mit dem alten Goethe sage ich: ,Ein garstig Lied — Pfui! Ein politisch Lied!' Der wohlanständige Bürger und getreue Untertan Seiner preußischen Majestät befaßt sich nicht mit offenbaren Regierungsangelegenheiten. Lassen Sie uns von anderen Gegenständen sprechen!" „Bravo! Bravo!" fiel sogleich der Fabrikbesitzer Brennike ein. „Ganz mein Standpunkt I Seit vor sechzig Jahren diese Große Revolution in Frankreich umging, gibt es keine Ruhe und Sicherheit mehr im bürgerlichen Leben. Jeder Untertan will nicht nur seine eigene Meinung über die wohllöbliche Regierung haben, sondern sie auch laut und vernehmlich ausdrücken. Ja, man erlebt in zunehmendem Maße, daß sogar Taglöhner, Fabrikarbeiter und — wie mir mein Bruder, der Gutsbesitzer in Westpreußen, schreibt, •— auch die kaum aus der Leibeigenschaft befreiten Landarbeiter und Polen zu politisieren beginnen, Forderungen an die gottgewollte Obrigkeit stellen und widersetzlich werden. Wohin soll das führen?" „Sie mögen recht haben, Herr Brennike", warf nun der dicke Hofbäkker Kruse ein, nachdem er einen nachdenklichen Schluck getan hatte, „aber eben weil der vierte —- der Arbeiterstand -—• immer stärker nach oben drängt, sollte sich der dritte •—• der Bürgerstand •—• um so eingehender mit den Zuständen der öffentlichen Ordnung befassen, denn es ist viel verbesserungsbedürftig im deutschen Land!" „Das ist Sache Seiner Majestät des Königs", rief der Kommerzienrat ganz verstimmt. Der unentwegte Hofbäcker schüttelte den Kopf. „Sie wissen doch, Herr Kommerzienrat, was in Paris am 22. und 24. Februar geschah?! Die Bürgerschaft hat sich erhoben und den König Louis Philipp davongejagt. D a s ist nun genau sechs Tage her." „Das wußten w i r bei der Zeitung noch am Abend desselben Datums!" sagte Redakteur Lessing. „Der neue, elektrische Telegraph schickt jede Nachricht in Sekundenschnelle durch die Welt."
'
3
'
7
„Sehen Sic, Herr Redakteur*6, entgegnete der liouimerxienr&t, der nun warm zu werden begann, „da haben Sie den vielgepriesenen Fortschritt der Techniki Nichts wie Unruhe stiften diese Erfindungen! "Was nützt uns zum Beispiel dieser Telegraph: kaum war die Botschaft von der Pariser Februar-Revolution in Deutschland bekannt, als alle Wirrköpfe und Revoluzzer Morgenluft zu wittern begannen und nun glaubten, auch in unserem geordneten Lande müsse schnell das Unterste zuoberst gekehrt werden. „Sprechen Sie nicht von Wirrköpfen und Revoluzzern, Herr Kommerzienrat. Die Forderung der Völker nach Grundrechten •— Verfassungen genannt •—• iftt auch dem Ausland nicht unbekannt. England hat seine erste Freiheitsakte schon im Jahre 1215 bekommen, die Amerikaner legten 1776 ihre Grundrechte nieder und 1789 erklärten die Franzosen die Menschen-und Bürgerrechte. Warum sollten also nicht auch endlich die Deutschen eine Verfassung und die einfachsten Menschenrechte genießen?!" „Sie sind ja ein Umstürzler, Herr Redakteur, wenn Sie so reden?!" Herr Lessing hob abwehrend die Hände: „An meiner Königstreue bitte ich nicht zu zweifeln] Den Traum von einer deutschen Republik lassen wir meinetwegen den süddeutschen, den schwäbischen Ländern •— sie werden schon sehen, wie weit sie kommen! Aber, meine Herren, Sie müssen doch zugeben, daß die gegenwärtigen Zustände Deutschlands nicht ideal sind! Das Volk fühlt das und ist unruhig. Ja, ich möchte sagen, ganz Europa hat seit dem Jahre 1789 und seiner Revolution nicht vergessen, was Freiheit und Mitregierung für die Völker bedeuten. Nirgendsmehr scheint das Volk bereit, schweigend und widerstandslos die erstickende Gewalt des Fürsten, die Bespitzelung, die Rechtlosigkeit und politische Ohnmacht hinzunehmen und sich—mit Verlaub zu sagen — das Maul verbieten zu lassen...'* „Schieben Sie die Spannung zwischen Untertanen und Obrigkeit lieber auf die zunehmende, verderbliche Industrialisierung, Herr Redakteurl Unsere Bevölkerung hat rapide zugenommen, ein vierter Stand — wie unser Freund Kruse ganz richtig bemerkte — ist entstanden: Leute ohne Grund und Boden, Taglöhner, Arbeiter und Entwurzelte. Die ganze Unruhe richtet sich mehr gegen die Maschinen als gegen die staatliche Ordnung. Aus England hört man und -— wie Sie selber in Ihrer Zeitung geschrieben haben — auch bei der neuerlichen, französischen Revolution, daß die ersten Angriffe der Aufrührer den Fabriken gelten und daß man dort sogleich die Maschinen zerschlägt. Die Fabriken machen den Handwerker brotlos und den Arbeiter zum abhängigen Knecht."
4
„Da muß ich protestieren, Herr KommerzienratI warf Fabrikbesitzer Brennike ein, „wir hätten keine Beschäftigung für die Arbeitermassen ohne die großartigen Maschinen, wir vermöchten ohne Industrie nicht mehr die Warenmengen herzustellen, die heute notwendig geworden sind. Sehen Sie nur: meine Textilfabrik und Weberei ... ." „Ach, darum geht es ja gar nicht!" fiel der Redakteur ärgerlich ein. „ W a s sich jetzt vorbereitet, ist eine rein bürgerliche Umwälzung. Der vierte Stand hängt sich höchstens an die Rockschöße des Bürgertums, er selbst hat weder Stimme noch Vertretung, keine Organisation und keinen Einfluß." „Und hinter der bürgerlichen Revolution", knurrte der rotgesichtige Bäcker, „ist schon anno 89 die Revolution des Pöbels marschiert. Das kann leicht noch einmal geschehen!" „Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Redakteur, halten Sie es für ausgemacht, daß es zu Unruhen oder Aufständen kommt? Haben Sie Rapport in dieser Hinsicht?" Das steuerte der Schneider begierig bei. Der spitzbär'tige Redakteur wiegte bedächtig das Haupt. Dann nahm er einen tiefen Schluck aus dem Wreinglas und neigte sich flüsternd vor. „Meine Herren, wie Sie wohl wissen, ist unsere Königlich privilegierte Berlinische Zeitung, die man die ,Vossische' nennt, ein gediegenes, bürgerliches Blatt und immer recht zuverlässig informiert. Und so sind "wir auch davon unterrichtet, daß verschiedene polizeilich verbotene W^nkelblättchen und Flugschriften seit Tagen, ja Wochen verbreitet sind. Mein sogenannter Kollege Held, der früher einmal in Leipzig die sattsam bekannte Hetzzeitung ,Lokomotive' herausgegeben hat, redigiert jetzt in Berlin — den Augen der Polizei-Zensur entzogen —• ein republikanisches Journal, das sich ,Volksstimme' nennt. Und darin •— unter uns gesagt —• habe ich die neuesten Neuigkeiten gelesen. Aber ich bitte um Diskretion: wir von der ,Vossischen' dürften das alles eigentlich gar nicht wissen. Ich vertraue jedoch auf Ihre Verschwiegenheit. Also hören Sie: Die badischen Landtagsabgeordneten haben gefordert: Pressefreiheit •—- Aufhebung der landes- und grundherrlichen Gerichte •—- Errichtung einer Bürgerwehr neben dem Militär. Und nun kommt die Sensation: Der erschreckte Großherzog hat alles bewilligt] In München ist es zu Unruhen gekommen, das Volk —• Studenten vor allem — haben die Freundin König Ludwigs I., eine Tänzerin namens Lola Montez, zur Stadt hinausgetrieben und wie es scheint, wird der König ihr nachfolgen müssen. In Württemberg, Hessen und Hannover fordert das Volk allenthalben Freiheit und Mitregieruhg.
Dies alles •—• streng vertraulich] Die Polizei hat der Presse Anweisung gegeben, den Berlinern diese Nachrichten vorzuenthalten, und Sie kennen unsere Polizei! Die Herren schauten einander verdutzt an. D a s waren erregende Neuigkeiten, die man da zu hören bekam. Endlich fand Hofbäcker Kruse das W o r t wieder. „Wenn man es recht bedenkt", sagte er vorsichtig, „so haben die Badenser mit ihren Forderungen eigentlich gar nicht so unrecht. Sollten wir das nicht auch so machen? Es ist wahrlich an der Zeit, daß man endlich die Vorrechte gewisser Stände aufhebt und den Bürger, der die Steuern bezahlt, auch ein Wöitchen mitreden läßt, wenn es um die Festsetzung der Steuern geht." „Aber Herr H o f bäckermeister!" empörte sich der Schneider, „warum sagen Sie nicht gleich mit den Franzosen: Liberte, egalite, fraternite > Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?!" „Na, nur immer langsam, meine Herren!" dämpfte Kommerzienrat Barheine diese Entgleisung. „W^ir wollen erst mal abwarten, was Seine Majestät und das Militär dazu sagen! Für uns, den gehobenen Bürgerstand •—• wie ich wohl sagen darf •— gilt jedenfalls das Wort, das damals beim Einzug Napoleons in Berlin zu lesen war: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!" Damit erhob sich der Herr Kommerzienrat, sichtlich unzufrieden mit diesem Abend, denn er liebte diese aufgeregten, politischen Gespräche wirklich nicht — und verließ würdevoll den gewohnten Stammtisch. Während er in der hereinbrechenden Dämmerung von der Ecke Französische und Charlottenstraße in Richtung Kochstraße ausschritt, überdachte er noch einmal das Gehörte. Ach, was! sagte er zu sich selber, so schnell schießen die Preußen nicht! Es wird viel geredet, die Köpfe sind erhitzt und die Regierung hat die Polizeiherrschaft tatsächlich ein wenig übertrieben. Aber —• eine Revolution im ordentlichen Berlin?! Nein — das ist ganz ausgeschlossen! Dann aber fiel dem braven Bürgersmanne doch auf, daß die Straßen für die späte Stunde ungewöhnlich belebt waren, daß trotz der kaltea Witterung 1 sich an allen Ecken Gruppen debattierender Menschen" zusammenballten, daß viel heimliches Volk durch die dunklen Seitengassen trieb. Doppelposten der Königlichen Polizei, mit aufgebürsteten Schnurrbärten und schleppenden Säbeln schritten bösen Blickes an den Ansammlungen vorbei.
In einer Tor durchfahrt, die durch eine der neuen Gaslaternen erleuchtet war, standen die Leute dichtgedrängt. Irgend ein Papier war dort angeklebt und wie zum Hohne gerade unter einer deutlich sichtbaren Tafel mit der Inschrift: U n b e f u g t e s A n s c h l a g e n von P l a k a t e n s t r e n g verboten! Der Kommerzienrat hörte im langsamen Vorbeigehen, wie eben eine Stimme vorlas: Deutsche Mitbürgerl Kommt zur Massen-Versammlung Unter den Zelten am Montag, dem 6. März. Die Stunde des Weltgerichts ist nahe bevor. Die Freiheit steigt aus dem Grabe und die Werke des Satans versinken in ewige Finsternis. Die Völker der alten W e l t erheben sich aus ihrer Erniedrigung. Die Throne wanken . . ." Barheine hörte nicht weiter hin. Höchst beunruhigt machte er sich rasch davon. Außerdem nahten schon mit klirrendem Schritt zwei Polizisten. Erschreckt eilte der Kommerzienrat seiner Wohnung zu.
Sehtearz — Rot — Gold JKudolf Barheine war gewohnt, sobald er sein Haus betrat, von dd alten Hausmagd Kathrein in Empfang genommen zu werden, die ihn schon an der Art des Aufschließens erkannte. Als nun diesmal Kathrein ,—• diensteifrig wie immer •—- aus der Küche herbeigewatschelt kam, vergaß sie gegen alle Regel, den hingehaltenen Zylinderhut abzunehmen. Die Petroleumlampe zitterte in ihren Händen: „Ooch, Herr Kommerzjenratl Ooch, wat werd'n Se Sachen!" Weiter war nichts aus der alten Getreuen herauszubringen, und Rudolf Barheine ging ärgerlich in das Wohnzimmer, einen großen Raum, der ganz modern durch offenes Gaslicht erhellt war und eine Reihe bequemer Plüschsessel, ein breites. Ledersofa und wunderschöne Biedermeiermöbel aufwies. Frau Kommerzienrat Barheine stand in Erwartung ihres Eheherrn an die Glasvitrine gelehnt, die in Anlehnung an die Erzeugnisse der Fabrik mit einer Urnendekoration gekrönt war. „Guten Abend Rudolf!" empfing ihn die Frau mit verdächtiger Freundlichkeit. Der Kommerzienrat begann den Kragen zu lockern und sah unruhig auf seine Frau. „ W a s ist denn geschehen]?" fragte er dann. „Also heraus mit der Sprache! Ist etwas im Geschäft quer gegangen?"
Frau Barhein«: schüttelte den Kopf. Statt zu antworten begann sie plötzlich zu "weinen. „Fritz ist da . . . " Fritz, das war der zweiundzwanzigjährige, einzige Sohn, der Stolz des Hauses, der seit zwei Jahren als flotter Student in Jena studierte und in langen Stulpstiefeln, farbigem „Stößer" und Burschenschaftsband zum Staunen der Nachbarschaft schon einige Male als Couleurstudent in Berlin erschienen war. „"Wieso kommt er jetzt •—mitten im Wintersemester