Der hundertste Jahrestag der Entdeckung des Wurmlochs gibt Anlaß zu großen Feierlichkeiten. Schiffe mit Gästen aus alle...
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Der hundertste Jahrestag der Entdeckung des Wurmlochs gibt Anlaß zu großen Feierlichkeiten. Schiffe mit Gästen aus allen Teilen der Galaxis treffen auf Deep Space Nine ein, darunter auch der Frachter »Ulysses«. Doch kaum hat er angedockt, entkommt von Bord das Tier eines Besatzungsmitglieds und sucht Schutz bei Jake Sisko. Es kann weder sprechen, noch will es essen, aber es spielt leidenschaftlich gern Ball. Da die Kreatur harmlos zu sein scheint, erlaubt Commander Sisko seinem Sohn und Nog, es als Schoßtier zu halten, während Sicherheitschef Odo dessen ehemaligen Besitzer unter die Lupe nimmt. Da taucht durch das Wurmloch ein gewaltiges frem des Schiff auf und übermittelt Deep Space Nine ein Ultimatum: Sollte der Thronfolger des fremden Ster nenreichs nicht unverzüglich freigelassen werden, würde die Station zerstört. Commander Sisko ist ratlos. Es muß ein Irrtum vor liegen, denn unter den Ehrengästen befindet sich die ser Würdenträger nicht. Die Lage spitzt sich zu, als merkwürdige Kreaturen die Station zu terrorisieren beginnen.
MEL GILDEN & TED PEDERSEN
DAS
SCHOSSTIERCHEN
Star Trek®
Starfleet Kadetten
Band 8
Deutsche Erstausgabe
E-Book by »Menolly«
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY
Band 0606508
Titel der Originalausgabe
STAR TREK: DEEP SPACE NINE # 4
THE PET
Übersetzung aus dem Amerikanischen von
UWE ANTON
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Copyright © 1994 by Paramount Pictures
Erstausgabe bei Pocket Books,
a division of Simon & Schuster, Inc., New York
Copyright © 1995 der deutschen Ausgabe und der
Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, Mün
chen
Printed in Germany 1995
Umschlagbild: Alan Gutierrez
Innenillustrationen: Todd Cameron Hamilton
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München
Technische Betreuung: M. Spinola
Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: Ebner Ulm
ISBN 3-453-09432-8
Für Phillip – keep on Trekkin' MEL
Für Phyllis – hier ist ein
weiteres Schoßtier für die Menagerie
TED
STAR TREK: DEEP SPACE NINE
Die Hauptpersonen
JAKE SISKO – Jake ist Teenager und der einzige menschliche Junge, der ständig auf Deep Space Nine wohnt. Jakes Mutter starb, als er noch sehr klein war. Er kam mit seinem Vater auf die Raumstation, fand dort aber nur sehr wenige Kinder in seinem Alter vor. Er erinnert sich nicht an das Leben auf der Erde, mag aber Baseball und Schokoriegel und würde sich am liebsten vor seinen Hausaufgaben drucken. Sein Va ter billigt seine Freundschaft mit Nog nicht. NOG – Ein junger Ferengi, dessen wichtigstes Ziel im Leben es ist, Geld zu verdienen. Darin unterscheidet er sich nicht von den anderen Mitgliedern seiner Spe zies. Es stört ihn nicht, daß sein Vater Rom häufig ge schäftlich unterwegs ist und sein Onkel Quark dann auf ihn aufpaßt. Nog hält die Menschen mit ihren Vorstellungen von Vertrauen, Hilfsbereitschaft und Freundschaft für seltsam. Er versteht Jake nicht im mer, doch da sein Vater ihm den Umgang mit dem Jungen von der Erde verboten hat, sind Nog und Jake die besten Freunde. Nog spielt anderen gern Streiche, versucht aber immer, Odo aus dem Weg zu gehen. COMMANDER BENJAMIN SISKO – Jakes Vater wurde von Starfleet Command als Befehlshaber der Raumstation und Verbindungsoffizier zwischen der Föderation und Bajor nach Deep Space Nine versetzt. Seine Frau kam bei einem Angriff der Borg ums Le ben, und er zieht Jake allein groß. Er hat stets sehr
viel zu tun, bemüht sich jedoch, mehr Zeit für seinen Sohn zu finden. ODO – Der Sicherheitsoffizier wurde vor vielen Jah ren von bajoranischen Wissenschaftlern gefunden und weiß nicht, woher er ursprünglich stammt. Er ist ein Gestaltwandler und kann daher für eine gewisse Zeit jede beliebige Form annehmen. Normalerweise bewahrt er ein menschenähnliches Äußeres, doch et wa alle sechzehn Stunden fällt er in seinen natürli chen flüssigen Zustand zurück. Gesetzesbrechern bringt er keine Nachsicht entgegen, und Ferengi noch weniger. MAJOR KIRA NERYS – Kira war während der Be setzung Bajors durch die Cardassianer Freiheits kämpferin im bajoranischen Untergrund. Nun vertritt sie auf der Station die Interessen Bajors und ist Siskos Erster Offizier. Ihr Temperament ist legendär. LIEUTENANT JADZIA DAX – Eine alte Freundin von Commander Sisko und Wissenschaftsoffizier. Dax ist eine Trill und besteht in Wirklichkeit aus zwei miteinander verbundenen Wesen. Im Wirtskörper ei ner jungen Frau lebt ein Symbiont mit eigenständi gem Bewußtsein. Sisko kannte den Symbionten Dax in dem vorhergehenden Gastkörper, der männlich war. DR. JULIAN BASHIR – Der abenteuerlustige Dr. Bashir zählte zu den besten Studenten seines Jahr gangs und bat darum, auf einen Außenposten am Rand des Föderationsraums versetzt zu werden. Sei
ne Begeisterungsfähigkeit bringt ihn manchmal in Schwierigkeiten. MILES O'BRIEN – Früher Transporter-Chef an Bord der USS Enterprise und nun Leiter der technischen Abteilung auf Deep Space Nine. KEIKO O'BRIEN – Keiko war auf der Enterprise Bo tanikerin, zog aber mit ihrem Ehemann und ihrer kleinen Tochter Molly auf die Station um. Da es für eine Botanikerin auf Deep Space Nine kaum etwas zu tun gibt, hat sie eine Schule eröffnet und unterrichtet alle Kinder, die ständig oder auch nur zeitweise auf der Station wohnen. QUARK – Der Ferengi ist Nogs Onkel und Ge schäftsmann. Ihm gehört ein Restaurant, dem ein Spielkasino und Holo-Kammern angeschlossen sind. Es befindet sich auf der Promenade, dem zentralen Schauplatz zahlreicher Aktivitäten auf der Station. Quark hat bei jedem Geschäft, das an Bord gemacht wird, die Hand im Spiel, und schafft es fast immer, dem Gesetz – normalerweise in Gestalt von Odo – ei nen Schritt voraus zu bleiben.
1 »Den Ball anspielen!« Die donnernde Stimme des Schiedsrichters hallte durch das Yankee Stadion. Die Zuschauer sprangen von ihren Sitzen auf. Er kam. Der junge Jake Sisko ging langsam zum Wurfmal und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Nicht, daß er nervös war, aber es war Mitte Juli in New York City, und er kam vor Hitze fast um. Wie haben sie nur ohne Klimakontrolle überlebt? fragte Jake sich. Er hatte nie zuvor darüber nachgedacht, aber die Erde des zwanzigsten Jahrhunderts war ein ziemlich primitiver Ort gewesen. Jake betrachtete die Gesichter der Menge. Sie war teten begierig auf diesen Augenblick – sogar die Au ßerirdischen. Dad wird Quark wütend anfahren, weil er Aliens in sein Baseball-Holospiel programmiert hat, dachte er. Commander Benjamin Sisko spielte gern Baseball, und zwar ohne jeden Firlefanz. Aber Feren gi kannten sich mit diesem Sport genauso wenig aus wie eine bajoranische Baumkröte und interessierten sich noch weniger dafür. Die Programmierung dieser Holokammer-Simulation war für Quark eine strikt geschäftliche Angelegenheit und eine Möglichkeit, sich bei der Föderation lieb Kind zu machen. »Jake.« Benjamin Sisko näherte sich dem niedrigen
Hügel. Seine Trainermontur war absichtlich zerknit tert. Jake spielte gern Baseball, weil sein Dad sich nur bei diesem Sport wie ein Kind statt wie ein Erwach sener benahm. Sonst trug der Commander von Deep Space Nine stets eine Starfleet-Uniform, die aussah, als käme sie frisch aus dem Replikator, was norma lerweise auch der Fall war. Benjamin Sisko trat zum Hügel. »Wirf den Ball tief und nach innen«, flüsterte er seinem Sohn zu. »Ge nau, wie ich es dir beigebracht habe. Nicht schnell, und auf keinen Fall geradeaus.« Sein Dad hatte ihm das schon hundertmal gesagt. Der Satz war Jake in Fleisch und Blut übergegangen. »Alles klar, Dad.« »Trainer«, berichtigte der ältere Sisko ihn. »Tut mir leid. Trainer.« Benjamin Sisko verließ den Hügel und kehrte zum Unterstand zurück. Er hielt kurz inne und runzelte die Stirn, als er in die Zuschauerränge sah und zwei Ferengi bemerkte, die Erdnüsse und Lavawürmer feilboten. Auf dem Wurfmal schätzte Jake seinen Gegner ab. Der Mann auf dem Schlagmal sah nicht aus, als wäre er ein großer Sportler. Er war, um es frei heraus zu sagen, übergewichtig. Mehr als das, er war fett. Aber Babe Ruth hatte vielleicht auch den härtesten Schlag in der Geschichte des Baseball. Das hatte zumindest Jakes Vater gesagt. Jake würde jetzt selbst herausfin den, ob diese Behauptung der Wahrheit entsprach. Jakes erster Schlag kam etwas zu tief und etwas zu weit nach innen. »Ball eins!« Das war nicht ganz so einfach wie das Üben auf dem Kornfeld in Iowa; in dieser Simulation hatte sein
Dad ihm die Grundlagen des Baseball beigebracht. Unter anderem war dieses Wurfmal viel weiter vom Schlagmal entfernt. Jakes nächster Schlag traf genau ins Ziel und über raschte Babe Ruth auf dem Schlagmal. »Treffer!« Noch ein Fehlwurf. Dann ein weiterer Treffer. Schließlich »Ball drei!« Jetzt galt es. Mittlerweile schwitzte Jake wirklich, und das lag nicht nur an der Hitze. Bei diesem Wurf mußte er voll auf Zack sein. Jake holte aus und warf. Der Ball senkte sich durch die Luft zum Schlagmal. Babe Ruth holte aus. »Computer. Programm anhalten.« Der Baseball verharrte zwei Meter vor dem Schlagmal. Babe Ruth und alle anderen im Stadion taten es ihm gleich. Benjamin Sisko lief aus dem Unterstand. »O'Brien!« rief er. Die Tür zur Holokammer tauchte mitten in der Luft zwischen dem Wurfmal und dem ersten Mal auf. Chefingenieur O'Brien trat hindurch und ging in sei ner Starfleet-Uniform quer durch das Yankee Stadion. Niemand auf den Rängen bemerkte es; alle Zuschau er waren erstarrt. Das war wirklich eine ›Auszeit‹, dachte O'Brien. »Tut mir leid«, entschuldigte der Leiter der techni schen Abteilung sich, als er Sisko erreichte. »Sie wer den in der OPS gebraucht. Vier Schiffe haben gerade angedockt, und weitere sind auf dem Weg durch das Wurmloch. Da Andockplatz sechs noch repariert wird, fehlt uns eine Anlegestelle.« »Dann muß ein Schiff eben im Orbit warten«, er widerte Sisko und drehte sich zu Jake um.
Nun war er an der Reihe, sich zu entschuldigen. »Tut mir leid, mein Sohn. Wir müssen das Spiel ein andermal fortsetzen.« Jake nickte. »Computer, Programm speichern und beenden.« Augenblicklich verschwand das Yankee Stadion. Jake sah seinem Vater und O'Brien nach, die die Holokammer bereits verließen, und folgte ihnen dann. Die beiden Starfleet-Offiziere betraten einen Tur bolift, der sie direkt zur OPS bringen würde, das Nervenzentrum der Station, von dem aus alle techni schen Funktionen von Deep Space Nine kontrolliert wurden. Heute wurde der Jahrestag der Entdeckung des bajoranischen Wurmlochs begangen, der die Fö deration mit dem Gamma-Quadranten verband, und die Feier zog Schiffe von beiden Seiten des Wurm lochs wie ein Magnet an. Es war früher Nachmittag, und auch wenn sein Vater arbeiten mußte, Jake hatte frei. Er eilte zur Promenade, um seinen Freund zu suchen, den Feren gi Nog. Bei all diesen Schiffen, die an der Station andock ten, würde es sicher einiges zu sehen geben.
2 Als Jake Sisko das Geschöpf zum erstenmal sah, stürmte es direkt auf ihn zu. So etwas passierte gele gentlich, wenn Jake mit Nog in einem von Quarks Ju nior-Holokammern Raumsafari spielte. Aber Jake befand sich jetzt nicht in einer Holo kammer. Statt dessen war er auf der Promenade von Deep Space Nine, einem Bereich mit exotischen Ge schäften, in dem sich die Passagiere und Mann schaftsmitglieder der zahlreichen Raumschiffe drängten, die zur Zeit angedockt hatten und auf die Freigabe warteten, das Wurmloch passieren zu dür fen. Zum Glück war das Geschöpf, das auf ihn zulief, nicht gerade riesig. Es hatte etwa die Größe des Bern hardiners, mit dem Jake gespielt hatte, als sein Dad ihn bei ihrem letzten Besuch auf der Erde in die Schweizer Alpen mitgenommen hatte. Aber es sah nicht aus wie ein Bernhardiner oder wie irgendein anderer Hund. Es erinnerte Jake an die Nashörner, die einst über die Savannen Afrikas gezo gen waren, einmal abgesehen davon, daß dieses We sen von der Spitze seines kurzen Horns bis zum bu schigen Ende seines Schwanzes mit goldenem Fell bedeckt war. Mehr konnte Jake in der kurzen Zeit nicht wahr nehmen, während das Geschöpf wie ein Kaninchen,
das im Wald vor einem verfolgenden Fuchs floh, durch die Menge auf der Promenade preschte und gegen Jake prallte. Sowohl der Junge als auch das Ge schöpf fielen zu Boden. Jake bekam es einen Augenblick lang mit der Angst zu tun, doch als er in die Augen des Wesens schaute, sah er, daß es sich nicht um ein wildes Tier handelte. Das war ein Geschöpf mit einiger Intelligenz. Und es verspürte Furcht. Langsam streckte Jake die rechte Hand aus. Er wußte, wie es war, allein zu sein und Angst zu haben. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er sich lange ge nauso gefühlt. Er nahm den gleichen einsamen Schmerz in den Augen dieses Geschöpfs wahr. Das Wesen reagierte auf Jakes sanfte Berührung und beruhigte sich. Eine beträchtliche Weile saßen sie sich Auge in Auge gegenüber und vergaßen die Menge, die sich um sie versammelte. »Bleib stehen!« Ein wütender Schrei, der wie ein Donner klang, zerriß die Ruhe des Augenblicks. Die Menge wich auseinander, als ein großer Mann mit schwarzem Haar und einer Narbe auf der Wange sich wütend hindurchdrängte. Er war wie ein Raumfahrer gekleidet, aber seine Manieren kündeten eher von finsteren Seitengassen als von Raumschiffdecks. »Bleib stehen!« rief der Mann erneut, und das We sen zuckte zusammen, als wäre es geschlagen wor den. »Komm her!« Trotz des barschen Befehls rührte das Geschöpf sich nicht. Es wollte bei Jake bleiben, als könne der Junge es vor dem wütenden Riesen schüt zen, der ihn weit überragte. »Das Tier gehört mir«, sagte der Mann und fun kelte Jake wütend an. »Gib es her!«
Jake war zu verblüfft, um etwas zu sagen. Ihm wurde klar, warum das Wesen – oder jedes andere – Angst vor diesem Mann hatte. Der Raumfahrer griff an Jake vorbei und nach dem Geschöpf. »Nein!« Die vertraute Stimme gehörte Nog. Jake sah, daß sein Freund zu ihnen lief. Nog zeigte auf etwas, das der Mann in der linken Hand hielt. »Sie dürfen ihm kein Dornenhalsband anlegen«, sagte Nog. »Damit tun Sie ihm weh!« Der junge Fe rengi wollte nach dem Halsband greifen, doch der Mann stieß ihn grob zur Seite. In die Menge geriet Bewegung, doch niemand schien versessen darauf zu sein, sich mit dem wütenden Raumfahrer anzulegen. »Es gehört mir. Ich kann mit ihm machen, was ich will.« Jake sprang auf, nahm all seinen Mut zusammen und bot dem Mann die Stirn. »Sie dürfen ihm kein Dornenhalsband anlegen.« »Soll ich es lieber dir anlegen?« Es war mehr als ei ne Frage; es war eine Drohung – und keine feinsinni ge. »Geh mir aus dem Weg, Junge!« Der Mann trat vor. Jake bewegte sich nicht. Doch was er erwartet hatte, trat nicht ein. Der Mann blieb stehen, wenn auch nicht aus eigenem Entschluß. Lediglich der star ke Arm Odos, des Sicherheitsoffiziers von DS Nine, verhinderte, daß der Mann Jake berührte. »Sollen wir das auf zivilisierte Art und Weise diskutieren?« Der Mann war nicht in der Stimmung, irgend et was mit irgend jemandem zu diskutieren. Er wirbelte herum und versuchte, seine Faust in Odos Gesicht zu schlagen – aber Odos Gesicht war nicht mehr dort, als
die Faust kam. Da Odo Gestaltwandler war, spaltete er sein Ge sicht einfach, als wäre es flüssig. Die Faust des Man nes drang mitten durch die Öffnung, die genau dort entstand, wo Odo normalerweise seine Nase bildete. Der Mann zog die Faust zurück, murmelte einen Fluch gegen alle Gestaltwandler im allgemeinen und diesen im besonderen und trat mit dem rechten Fuß zu. Odo machte einen Schritt zur Seite und nutzte den Schwung des Mannes aus, um ihn auszuhebeln und flach auf den Rücken zu werfen. Mit einer schnellen Bewegung setzte Odo einen Fuß auf die Kehle des Mannes und übte Druck aus. Der Raumfahrer rang nach Atem, erbleichte und erschlaffte dann. Odo sah zu Jake hinüber und lächelte beruhigend. »Er ist nur ohnmächtig. Ich habe ihm lediglich die Kampfeslust genommen.« Der Constable zerrte den Mann auf die Füße. Er schnappte noch immer nach Luft. »Aber er wird morgen einen wunden Hals haben.« Odo sah dem Mann in die Augen und verlangte eine Erklärung. »Wer...« Mehr brachte der Raumfahrer nicht her aus. »Ich bin das Gesetz auf Deep Space Nine. Und Sie wollten es gerade brechen.« Der Mann riß sich aus Odos Griff los, stolperte und lehnte sich dann gegen ein Schott. Nun, da sein Ge genüber zumindest für den Augenblick den Kamp feswillen verloren hatte, richtete Odo seine Aufmerk samkeit auf die Schaulustigen. »Das reicht. Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Gehen Sie Ihren Geschäften nach.«
Während die Menge sich langsam auflöste, ging Nog zu Jake hinüber, der das beunruhigte Geschöpf sanft streichelte. Der Mann hatte seine Fassung zu rückgewonnen und funkelte sie wütend an. »Dieses Ding gehört mir.« Er deutete auf Jake und Nog. »Die se beiden wollten es stehlen.« »Es... er hatte Angst«, sagte Jake. »Wir wollten ihm nur helfen.« Jake zeigte auf das mit Dornen gespickte Halsband, das auf dem Boden lag. »Das da wollte er ihm anlegen.« Odo hob das Halsband auf und drehte sich zu dem Raumfahrer um. »Was Sie im Weltraum machen, ist Ihre Angelegenheit, aber diese Station ist Territorium der Föderation. Und für die Verwendung eines sol chen Halsbands brauchen Sie eine Erlaubnis. Wer sind Sie?« »Ich bin Dorm, Dritter Maat der Ulysses. Wir sind gerade aus dem Gamma-Quadranten durch das Wurmloch gekommen. Dieses Geschöpf gehört mir.« Dorm trat einen Schritt vor, und das Wesen suchte schnell hinter Jake und Nog Schutz. »Er scheint Sie aber nicht besonders zu mögen«, stellte Odo fest. »Na und? Ich kenne meine Rechte. Es gehört mir. Ich kann mit ihm machen, was ich will.« Jake und Nog appellierten gleichzeitig an Odo. »Sie dürfen nicht zulassen, daß er ihn mitnimmt«, sagte der eine, und der andere ergänzte: »Er wird ihm weh tun.« Odo dachte über die verzwickte Lage nach. »Wenn Dorm der Besitzer dieses Geschöpfs ist, kann ich nicht verhindern, daß er sein Eigentum beansprucht.« Jake erschauderte bei der Vorstellung, dieses sanfte
Geschöpf in den groben Händen des Raumfahrers zu sehen. Dorm lächelte zufrieden und trat einen Schritt vor, doch Odo hielt ihn auf. »Andererseits muß ich eine rechtsgültige Quittung sehen.« »Eine Quittung? Wovon sprechen Sie? Ich habe dieses Ding aufgelesen, während es auf irgendeinem Raumfelsen im Gamma-Quadranten herumspazierte, der sich als Planet tarnte. Ich habe keine Quittung. Ich brauche auch keine. Ich muß Ihnen keine bescheuerte Quittung zeigen.« Odo ignorierte den Ausbruch des Raumfahrers. »Sie sagen, Sie kommen von der Ulysses?« fragte er ruhig. Dorm nickte. »Das Schiff liegt an Andockplatz acht. Wartet auf Reparaturen. Seit drei Tagen hängen wir schon auf diesem Müllhaufen, den Sie Raumstation nennen.« »Chief O'Brien ist im Augenblick etwas überarbei tet. Wegen der Wurmloch-Feier herrscht zur Zeit re ger Andrang. Aber er tut bestimmt, was in seinen Kräften steht.« Odo wechselte das Thema. »Wenn ich mich recht entsinne, hat die Ulysses den GammaQuadranten im Auftrag der Föderation vermessen.« »Na und?« Jake lächelte schwach. Da er der Sohn eines Star fleet-Commanders war, verstand er mehr von Raum recht als die meisten anderen Jungen in seinem Alter. »Dem Gesetz zufolge wird alles, was Sie während Ihrer Mission an Bord Ihres Schiffes bringen, Eigen tum des Schiffes.« Odo warf einen Blick auf das Ge schöpf. »Dieses Wesen ist Besitz der Ulysses. Ich fürchte, Ihr Captain wird entscheiden müssen, wem es gehört.«
»Das können Sie nicht machen«, protestierte Dorm. »Ich kann, und ich werde«, sagte Odo entschieden. »Kommen Sie morgen früh mit Ihrem Captain in Commander Siskos Büro, und wir werden die Sache klären.« »Aber was wird bis dahin aus dem kleinen Kerl?« wollte Jake wissen. Er streichelte das Wesen mit dem goldenen Fell noch immer. Odo kratzte sich am Kinn und dachte nach. »Ich habe im Augenblick keine Zelle mehr frei.« Dann lä chelte er, soweit seine fast menschlichen Züge es ihm ermöglichten, und sah Jake an. »Ich würde vorschla gen, ihr beide übernehmt bis dahin für ihn die Ver antwortung.« Jake und Nog verbrachten den Rest des Nachmittags mit ihrem neuen Freund in ihrem derzeitigen ›Ge heimversteck‹, einem aufgegebenen Modul für War tungsarbeiten in einem der oberen Andockmasten. Deep Space Nine, wie die Bezeichnung von Star fleet für die Raumstation lautete, die den Planeten Bajor umkreiste, war ursprünglich von den Cardas sianern als Überwachungszentrale der Bergwerkstä tigkeit auf dem Planeten errichtet worden. Nachdem sie die Bajoraner ausgeplündert hatten, bis ein weite rer Verbleib nicht mehr profitabel war, hatten die Cardassianer die Station aufgegeben. Doch als in die sem Sonnensystem im Asteroidengürtel von Denorios ein stabiles Wurmloch entdeckt worden war, hatte Starfleet die Station als Außenposten und als Zwi schenstation für Händler, Forscher, Wissenschaftler und Diplomaten reaktiviert, die in den GammaQuadranten flogen oder aus ihm zurückkehrten.
Jakes Vater, Benjamin Sisko, war als Commander hier stationiert, und Deep Space Nine stand unter dem Schutz von Starfleet – für den Fall, daß die Car dassianer jemals zum Schluß kommen sollten, die Station sei es wert, von ihnen wieder in Besitz ge nommen zu werden. Jake hatte sich wirklich nicht gewünscht, auf Deep Space Nine zu leben. Er hatte sich danach gesehnt, zur Erde zurückzukehren. Andererseits wollte er bei seinem Vater sein. Und wenn Starfleet Benjamin Sis ko genau hier benötigte, würde Jake eben versuchen, hier heimisch zu werden. Als Jake und sein Vater auf der Station eingetroffen waren, hatte es dort kaum Kinder gegeben. Eigentlich hatte es dort fast gar keine Leute mehr gegeben. Fast alle, die dazu imstande gewesen waren, hatten die Raumstation bereits verlassen, entweder um sich auf Bajor niederzulassen oder um einen profitableren Ort zu suchen, an dem sie ein Geschäft errichten konnten. Commander Sisko hatte mehrere Ladenbesitzer über redet, auf der Station zu bleiben. Am schwierigsten war es gewesen, Quark zu überzeugen, Nogs Onkel, der keinen Profit darin sah, in der Nähe eines ausge beuteten Planeten zu bleiben. Doch irgendwie hatte sein Vater dem Ferengi ein Angebot gemacht, das dieser nicht ablehnen konnte, wenngleich er Jake nie verraten hatte, wie es ausgesehen hatte. Doch wie dem auch sei, Quark hatte sich zögernd zum Bleiben entschlossen, und auf Deep Space Nine hatten die Geschäfte wieder aufgemacht – wenngleich sie in der ersten Zeit nur sehr schlecht gelaufen wa ren. Doch dann hatte man das bajoranische Wurmloch
entdeckt, und die Abkürzung zum Gamma-Quadran ten eröffnete eine Vielfalt von neuen Möglichkeiten. Allmählich waren immer mehr Schiffe durch das Wurmloch geflogen, und die Bevölkerung auf der Station wuchs. Während der Handel zunahm, ließen sich immer mehr Familien auf Deep Space Nine nie der, bis es schließlich so viele Kinder an Bord der Station gab, daß sich Chief O'Briens Frau, Keiko, überreden ließ, eine Schule aufzumachen. Wenngleich Jake sich gern und häufig darüber be klagte, gefiel der Unterricht ihm eigentlich sehr gut. Von seiner Mutter hatte er einen tiefen Wissensdurst geerbt. Doch bei seinem Freund Nog war es etwas anderes. Daß Nog überhaupt in die Schule ging, war ein großer Sieg für Keiko, und der Commander hatte dafür im Hintergrund die Fäden ziehen müssen. Die Ferengi hielten von einer formellen Schulbildung, was die Schlammfresser von Lyorax vom Waschen hielten – sie betrachteten es als unnatürlich. Nog mochte von Geburt her zwar ein Ferengi sein, doch seine Einstellung konnte einem manchmal fast menschlich vorkommen. Nach einigen Anfangs schwierigkeiten hatte er festgestellt, daß es ihm wirk lich gefiel, etwas zu lernen. Jake und Nog hatten mittlerweile festgestellt, daß sie einiges gemeinsam hatten. Sie hatten sehr schnell herausgefunden, daß dazu in erster Linie ihre Neugier gehörte. Ursprünglich hatte die Verzweiflung sie zusam mengebracht, denn sonst gab es auf der Station nie manden, der auch nur annähernd in ihrem Alter war. Doch es hatte nicht lange dauert, bis echte Bande ent standen waren. Nog war schnell Jakes bester Freund geworden, und so wäre es wahrscheinlich auch ge
kommen, wären sie beide auf der Erde gewesen. Nun stiegen sie gemeinsam mit ihrem neuen au ßerirdischen Gefährten die vergessene Treppe hinauf, die zu einem kleinen Raum führte, der sich auf halber Höhe im Inneren des dritten Andockmasts befand. Die Geräte, die sich einst in dem Raum befunden hatten, waren schon längst entfernt worden. Als ein zige Einrichtungsgegenstände waren noch ein Tisch in einer Ecke und ein paar Regale vorhanden. Jake hatte diesen Raum während eines ihrer ›Ver steck‹-Spiele gefunden. Sie hatten ihn augenblicklich als ›Klubhaus‹ übernommen, wenngleich Jake seinem Freund erst erklären mußte, was dieser Begriff be deutete. Ferengi-Kinder verbrachten ihre Zeit nor malerweise mit praktischeren Unternehmungen und lebten ihre Phantasien nicht in – wie ihre Eltern meinten – kindischen menschlichen Spielen aus. Jake hatte ein paar Lampen organisiert und seinen alten Holospiel-Projektor hier aufgebaut, während Nog aus einem Lagerraum einen alten Replikator ›be sorgt‹ hatte. Schon bald war der Raum zu ihrem urei genen Reich geworden, zu dem niemand sonst Zutritt hatte – bis jetzt. Als sie die Kammer betraten, kam Jake plötzlich ei ne Idee. Er betrachtete das Geschöpf. »Wir können dich nicht ständig ›es‹ oder ›er‹ nennen. Du mußt ei nen Namen bekommen.« »Einen guten Ferengi-Namen«, schlug Nog vor. »Nein.« Jake betrachtete das kleine, nashornähnli che Geschöpf und sah dann wieder zu seinem Freund. »Versteh mich nicht falsch, Nog, aber es muß ein Name sein, der zu ihm paßt. Namen sind sehr wichtig. Sie verraten einem viel über eine Person.«
»Und wie soll er heißen?« Jake überlegte einen Augenblick lang angestrengt. Der Name mußte etwas Besonderes sein. Etwas Pas sendes. Plötzlich hatte er es. Der perfekte Name. »Ba be.« »Babe?« Jake nickte. »Babe Ruth war einer der größten Helden des Baseball. Und wie unser Freund leicht über gewichtig. Der Name paßt zu ihm. Wirklich.« Nog war davon nicht überzeugt, aber da ihm kein besserer Name einfiel, erklärte er sich einverstanden. »Babe«, sagte Jake zu dem außerirdischen Wesen. »Du bist der erste Außenstehende, der diesen Raum betreten darf.« »Und das«, betonte Nog, »ist ein besonderes Privi leg. Eine große Ehre.« Babe runzelte sein fellbedecktes Horn, während er die Kammer durchstöberte. Jake hatte den Eindruck, daß das Geschöpf verstand, was sie sagten, aber viel leicht besaß es auch nur eine gutentwickelte natürli che Neugier. Sie waren übereingekommen, daß es sich bei Babe um einen ›Er‹ handelte, weil sie sonst ihre wichtigste Regel hätten brechen müssen: Mäd chen hatten in ihrem Klubhaus nichts zu suchen. Bald fand Babe ein geeignetes Eckchen auf dem höchsten Regal und rollte sich zusammen, um ein Nickerchen zu halten. Jake vermutete, daß Babe viel leicht von einer gebirgigen Welt stammte, auf der man nur in den höheren Regionen sicher war. Das Wesen war ein ausgezeichneter Kletterer. Nog war eher der Meinung, daß es auf Babes Welt viele Bäume gab. Jake und Nog betrachteten den schlafenden Babe
mit wachsender Zuneigung. Ganz gleich, was sie tun mußten, sie kamen überein, dieses sanfte Wesen nie mals in die Hände einer so groben Person wie Dorm fallen zu lassen. Sie wußten nicht, was sie vielleicht tun mußten, um dies zu verhindern, doch Jake und Nog besiegelten ihre Verpflichtung formell mit einem geheimen Schwur, den sie in einem Holospiel gehört hatten, ›Piraten der Plejaden‹. Den Rest des Nachmittages verbrachten sie mit ei ner angenehmeren Beschäftigung – sie spielten eine Runde ›Meister des Labyrinths‹ auf dem HolospielProjektor. Nog, der sich für einen Labyrinth-Meister ersten Ranges hielt, war überrascht, wie schnell Babe die Möglichkeiten erkannte. In den ersten zwölf Spielen verließ er das Labyrinth sieben Mal vor Nog. Jake, der es insgeheim haßte, das Spiel als zweiter Sieger zu beenden, wenn er gegen Nog antrat, strahlte darüber, daß sein Ferengi-Freund immer wieder den kürzeren zog. Dann schien Babe jedoch Nogs offensichtliches Un behagen zu spüren, und Jake glaubte zu beobachten, daß das Geschöpf absichtlich in die falsche Richtung lief und Nog die drei letzten Runden gewinnen ließ. Jake hielt dies für einen weiteren Hinweis darauf, daß Babe intelligenter als ein durchschnittliches Haustier war, wohingegen Nog darauf bestand, seine überle genen Fähigkeiten als Ferengi hätten sich der neuen Herausforderung gestellt. Als sie alle des Spielens überdrüssig waren, verlie ßen sie das Klubhaus und besuchten das Aussichts deck über der Promenade. Das war einer von Jakes Lieblingsorten. Die großen Fenster boten einen Blick auf das bajoranische Sonnensystem und das dahin
terliegende Weltall. Wenn man durch die obere Ebe ne ging, stellte sich der überwältigende Eindruck ein, daß Deep Space Nine tatsächlich eine Insel war, die im riesigen Ozean des Weltraums trieb. Doch von dort oben konnte man nicht nur die Sterne draußen, sondern auch die zahlreichen Wesen sehen, die sich unter einem auf der Promenade drängten. Der Jahrestag der Entdeckung des Wurmlochs hatte so viele verschiedene Gruppen von Menschen und Fremdwesen angelockt, wie Jake sie noch nie an einem Ort gesehen hatte. Viele von ihnen schlender ten mit ihren eigenen Schoßtieren über die Promena de. Jake machte auf der Schulter eines stämmigen sardakanischen Händlers einen pfeifenden TyraVogel aus, dann eine Spinnen-Wespe, die um den Kopf ihres Besitzers flatterte, und zwei sechsbeinige Randläufer, die ständig ihre Leinen um die Beine ih rer bajoranischen Herrin wickelten. Aber keins dieser anderen Tiere, da stimmten Jake und Nog überein, konnte Babe eine Tjrak-Kerze reichen. Da das Zimmer, das Quark seinem Bruder Rom und seinem Neffen Nog zur Verfügung gestellt hatte, selbst nach Ferengi-Maßstäben sehr klein war, hatten Jake und Nog beschlossen, daß Babe die Nacht über im Quartier der Siskos bleiben sollte. Später an diesem Abend erwähnte Jake beim Essen seinem Vater gegenüber Babes schnelle Lernfähigkeit. »Das muß nicht unbedingt heißen, daß Babe nach unseren Maßstäben intelligent ist«, erwiderte Benja min Sisko. »Morovianische Ratten finden sich in ei nem komplizierten Labyrinth schneller zurecht als ih re Besitzer, aber sie sind nicht im menschlichen Sinne intelligent.«
»Babe ist klüger als jede Ratte«, erwiderte Jake. »Davon bin ich überzeugt, Jake. Auf seine eigene Weise. Wir alle haben unsere besonderen Talente. Wie ein großer Sportler zum Beispiel.« »Aber hast du mir nicht gesagt, daß beim Baseball der beste Werfer nicht der mit dem schnellsten Ball, sondern der mit dem klügsten ist?« Benjamin Sisko lächelte. »Ja, das habe ich.« Der Commander schaute zu Babe hinüber, der sich auf seinem Lieblingssessel zusammengerollt hatte. »Ich muß eingestehen, daß dein Freund Babe immer hin klug genug ist, sich den besten Stuhl im Haus auszusuchen.« Jake wechselte das Thema. »Dad, weshalb will die
ser Raumfahrer Babe unbedingt behalten?« fragte er. »Er scheint Schoßtiere nicht besonders zu mögen.« »Babe ist ein seltenes Geschöpf aus dem GammaQuadranten. Ich vermute, Dorm hat vor, ihn zu ver kaufen.« »Zu verkaufen?« Jake war entsetzt von der Vor stellung, Babe könne wie selbstversiegelnde Bolzen ge- und verkauft werden. Als er mit dem Essen fertig war, ging er zu Babe hinüber. Ihm gefiel, daß sein Vater Babe ›Freund‹ nannte, und nicht ›Wesen‹ oder ›Geschöpf‹ oder, noch schlimmer, wie Dorm es auf der Promenade getan hatte, ›Ding‹. Es war einfach nicht richtig, daß Babe einem anderen Wesen gehörte. Jake sah zu, wie sein Vater den Tisch abräumte und das benutzte Geschirr zum Recycling in den Um wandler steckte. Er war überzeugt, daß es dem Commander von Deep Space Nine gelingen würde, sich auf die Zuständigkeit von Starfleet zu berufen und zu verhindern, daß Babe an Dorm zurückgege ben wurde. Jake streichelte das weiche, goldene Fell des Fremdwesens. Babe reagierte mit einem leisen Sum men darauf, das dem Schnurren einer irdischen Katze nicht unähnlich war. In diesem Augenblick faßte Jake endgültig den Entschluß, Babe zu behalten.
3 »Fertig?« fragte Nog. »Meinetwegen kann's jetzt losgehen«, erwiderte Ja ke. Nog nickte und warf den kleinen weißen Baseball. Er schoß durch den blauen Himmel von Iowa zum Schlagmal. Krach! Jake holte aus, und der Schläger traf hart gegen den Ball. Die weiße Kugel raste über die Wiese zu den fernen Kornfeldern. »Noch ein langer Ball!« Jake lächelte, als er beob achtete, wie der Ball, den er gerade getroffen hatte, knapp an Nogs übergroßen Ohren vorbeizischte. Als der Ferengi reagierte und halbherzig nach dem Ball griff, war er schon längst außerhalb der Reichweite seines Handschuhs. Dieser Schlag würde dem Schlä ger einen Lauf um sämtliche Male in einem Zug er möglichen. Im Normalfall wäre es jedenfalls so gewe sen. Plötzlich sprang ein pelziger Komet vom Boden hoch und schnappte den hervorragend geschlagenen Ball mitten in der Luft. Babe hatte es schon wieder getan. »Ihm gefällt dieses Spiel wohl«, sagte Nog, als das kleine, nashornähnliche Geschöpf seinen Fang dem Ferengi stolz vor die Füße legte.
Jake bedachte das kleine Pelzwesen, das so schnell zu einem wichtigen Teil ihres Lebens wurde, mit ei nem Lächeln. Babe war eindeutig ein passender Na me. Er fragte sich, ob man auf dem Planeten, von dem er kam, ebenfalls Baseball spielte. Jake wußte, daß das Gespräch im Büro des Commanders gut aus gehen würde. Aber nur für den Fall, daß dem nicht so sein sollte, wollten sowohl er als auch Nog noch so viel von der kostbaren Zeit, die ihnen blieb, mit Babe verbringen. Auf dem flachen Hügel bereitete Nog sich auf ei nen weiteren Wurf vor. Jake trat zum Mal und zö gerte dann. Die Sonne stand direkt über ihnen, und das hieß, es war an der Zeit, mit diesem Spiel aufzu hören. »Computer, Programm beenden«, sagte Jake. Die Landschaft von Iowa verschwand. Jake und Nog verließen die Holokammer, und Babe folgte ihnen. Sie umgingen die Promenade, auf der es, wie Jake feststellte, bereits vor Passagieren und Mannschafts mitgliedern der kleinen Armada von Raumschiffen wimmelte, die an der Station angedockt hatten, um den Jahrestag der Entdeckung des Wurmlochs zu fei ern, ganz zu schweigen von einem unablässigen Strom von Bajoranern, die die Gelegenheit nutzten, die der planetarische Feiertag bot, um sich Deep Space Nine anzusehen. Für die meisten war es ihr erster Besuch hier, doch Jake bemerkte, daß ziemlich viele der Bajoraner ehe malige Sklaven der cardassianischen Herren waren, die Deep Space Nine einst beherrscht hatten. Nun kamen sie, um als freie Männer und Frauen durch die
stählernen Korridore zu schreiten. Nog wies stolz darauf hin, daß sein Onkel Quark neben dem Haupteingang der Andockplätze einen Souvenirstand errichtet hatte, in dem er echte cardas sianische Artefakte und Schätze aus dem GammaQuadranten feilbot. »Die neunte Erwerbsregel: ›In stinkt plus Gelegenheit gleich Profit‹.« Aber Jake wurde auch an eine andere Erwerbsregel der Ferengi erinnert: »Ein Sonderangebot ist norma lerweise gar keines.« Die ›echten‹ cardassianischen Artefakte stammten aus dem Replikator, und die Schätze aus dem Gamma-Ouadranten von einem ka jorakanischen Raumfahrer und Händler, der in Quarks Bar zuviel getrunken und zu große Summen am Dabo-Rad gesetzt hatte. Obwohl Jake genau ausgerechnet hatte, wie lange sie brauchen würden, um von den Holokammern zur OPS zu gelangen, hatte das Gespräch bereits begon nen, als sie dort eintrafen. Odo wartete schon ungeduldig vor der Tür von Commander Siskos Büro auf sie. Während er Jake, Nog und Babe hineinführte, erklärte er schnell, daß der Commander und Captain Pawlow von der Ulys ses das Problem bereits erörtert hatten. Commander Sisko war in ein Gespräch mit einem großgewachsenen Mann mit einem roten Bart vertieft und schien ihr verspätetes Eintreffen nicht zu bemer ken. Der Raumfahrer, Dorm, sah jedoch wütend zu ihnen hinüber. Jake, Nog und Babe traten leise in eine Ecke und warteten, bis sie aufgerufen wurden. Als es bei dem Gespräch zu einer kurzen Pause kam, wandte Benjamin Sisko sich seinem Sohn zu.
»Schön, daß du es noch geschafft hast«, sagte er mit einem leisen Tadel. »Tut mir leid, Dad«, erklärte Jake, »aber auf der Promenade war es furchtbar voll.« Sisko wollte etwas erwidern, doch Captain Pawlow kam ihm zuvor. »Sehen Sie Ihnen die Verspätung nach, Commander. Es sind noch Jungs, und sie ge nießen den Luxus ihrer Jugend.« Er drehte sich zu Ja ke und Nog um und stellte sich vor. »Ich bin Alexan der Pawlow, Captain der Ulysses.« Zum erstenmal konnte Jake den Captain genauer betrachten. Pawlow war ein großer russischer Bär von Mann, der Jake an das Bild von einem Kosaken führer erinnerte, das er in einem alten Geschichtsbuch gesehen hatte. Er befand sich nicht nur im Büro des Commanders auf der OPS von Deep Space Nine, sondern beherrschte es geradezu. Sein langes, lockiges Haar und sein zottiger Bart waren hellrot, und sein Temperament schien genauso feurig zu sein. Jeden falls flackerte es grell auf, als er sich wieder dem Grund zuwandte, aus dem er hierherbeordert wor den war. Zum Glück richtete sein Zorn sich nicht auf Jake oder Nog, ja nicht einmal auf Babe, der sich zwischen den beiden Jungs zusammengerollt hatte. Er war auch nicht wütend darüber, daß Commander Sisko ihn hierhergebeten hatte. Nein, sein Zorn galt ein deutig seinem Dritten Offizier. Jake stellte fest, daß Dorm im Gegensatz zum Vor tag ruhig dastand und den verbalen Ausbruch seines Captains hinnahm. Es war für die anderen Anwesen den kein angenehmer Anblick, und Jake tat der Raumfahrer fast etwas leid.
Nachdem Pawlow den Raumfahrer zurechtgewie sen und sein Bedauern über den Vorfall zum Aus druck gebracht hatte, richtete er seine Aufmerksam keit wieder auf den Commander. »Ich entschuldige mich für das Vorgehen meines Offiziers. Dorm hat das Geschöpf ohne meine Erlaubnis und ohne mein Wissen an Bord der Ulysses gebracht.« »Ich habe nicht gedacht, daß es so wichtig ist...«, setzte Dorm an, hielt jedoch abrupt inne, als der Captain ihn ansah. »Dorm kommt seinen Pflichten stets nach«, fuhr Pawlow fort, »hat aber einen Wesenszug, der den meisten freien Raumfahrern zu eigen ist. Manchmal interpretiert er die Vorschriften so, wie es ihm am be sten in den Kram paßt.« »In seinen Adern muß Ferengi-Blut fließen.« Kaum war diese Bemerkung über Siskos Lippen gekommen, als der Commander auch schon zu Nog schaute, als wolle er ihm sagen, daß Anwesende natürlich ausge nommen waren. Nog lächelte nur. Jake wußte, daß er die Bemer kung des Commanders nicht als Beleidigung, son dern als Kompliment auffaßte. »Um wieder zur Sache zu kommen...«, fuhr Sisko fort. »Wir haben hier ein Problem, das gelöst werden muß.« »Ja«, pflichtete Pawlow ihm bei und dachte dann kurz nach. »Ich habe den größten Teil meines Lebens auf den Randwelten verbracht, wo wir dazu neigen, uns eigene Regeln zu schaffen. Doch diese Expedition in den Gamma-Quadranten führte ich im Auftrag der Föderation durch.« Er schaute zu Babe hinab. »Ich würde das Wesen
gern auf seine Heimatwelt zurückbringen, aber das ist leider nicht möglich.« Er sah zu Dorm hinüber. »Wir haben auf vielen Planeten Station gemacht, und mein Dritter Offizier kann sich nicht mehr genau er innern, von welchem das Geschöpf stammt.« Pawlow strich über seinen Bart. »Auf der Ulysses haben wir keinen Platz für das Wesen.« Er funkelte Dorm wü tend an. »Und ich befürchte, daß es meinem Dritten Offizier an der Eignung mangelt, ein Haustier zu halten und zu pflegen.« Captain Pawlow lächelte Jake und Nog zu. »Daher habe ich mich entschlossen, die Obhut über das Ge schöpf in eure Hände zu legen.« Er sah Sisko an. »Ih re Zustimmung natürlich vorausgesetzt, Comman der.« »Die haben Sie. Unter einer Bedingung.« Sisko sah Jake und Nog an. »Ihr seid für Babe verantwortlich. Ihr beide müßt mir versprechen, daß ihr euch um ihn kümmert – und ihn so abrichtet, daß er auf der Stati on keine Probleme schafft.« Jake fiel auf, wie ernst sein Vater dreinschaute. Wann immer Benjamin Sisko einen solchen Gesichts ausdruck aufsetzte, meinte er wortwörtlich, was er sagte. »Wir versprechen es, Dad.« Nach Beendigung der Konferenz blieb Jake und Nog keine Zeit mehr, Babe zum Quartier der Siskos zu bringen, wenn sie noch pünktlich zum Unterricht erscheinen wollten. Daher verbrachte das fellbedeckte außerirdische Wesen seinen ersten Tag als offizieller Bewohner von Deep Space Nine, indem er seine neuen Herren in die Schule begleitete. Babe kam natürlich auf Anhieb hervorragend an –
sogar bei Keiko O'Brien, die seine Anwesenheit zum Anlaß nahm, mit ihren jungen Schutzbefohlenen über die Verantwortung für andere Wesen zu sprechen. Da es sich bei Deep Space Nine noch immer um eine Zwischenstation handelte, auf der verhältnismäßig wenig Familien wohnten, gab es hier auch nur sehr wenig Schoßtiere. »Aber haben die frühen Pioniere auf der Erde nicht Hunde mitgenommen, als sie die Grenze überschrit ten und ins Neuland zogen?« fragte Jake. »Ja, das haben sie. Aber diese Hunde waren keine Haustiere. Sie waren Arbeitstiere, genau wie die Pferde der Cowboys.« »Wo liegt denn da der Unterschied?« fragte die Tochter eines bajoranischen Ladenbesitzers. »Dumme Tiere...«, begann Keiko, hielt dann inne und lächelte zu Babe hinüber. »Ich sollte ›nicht ver nunftbegabte Wesen‹ sagen. Ich wollte dir gegenüber nicht unhöflich sein, Babe. Wir Menschen neigen da zu, Geschöpfe, die wir beherrschen, als ›dumm‹ zu bezeichnen, obwohl viele von ihnen viel klüger als ih re Besitzer sind.« Jake hoffte, daß sie nicht ihn und Nog meinte. »Es gibt zwei Kategorien von zahmen Tieren. Die erste ist die der Arbeitstiere, wie die Hunde, die ur sprünglich von den Wölfen abstammen und den frü hen Menschen der Erde bei der Jagd oder dem Schutz ihrer Herden geholfen haben. Die zweite, eine Kate gorie, die erst viel später in unserer Geschichte auf getaucht ist, umfaßt Tiere, die von den Leuten gehal ten werden, damit sie Gesellschaft haben. Das sind die Haus- oder Schoßtiere.« »Babe ist unser Haustier«, erklärte Nog stolz.
»Dann«, erwiderte Keiko, »habt ihr die Verantwor tung übernommen, euch um ihn zu kümmern. Du und Jake, ihr seid sozusagen zu seinen Eltern gewor den.« Jake und Nog wechselten einen Blick. Sie verstan den, wie ernst ihre Verantwortung war. »Am Anfang macht es großen Spaß, ein Haustier zu haben«, fuhr Keiko fort. »Doch es werden Zeiten kommen, da Babe Probleme bereitet und ihr euch wünscht, ihn nicht aufgenommen zu haben. Und ir gendwann wird er alt und krank werden. Aber er bleibt eure Verantwortung, und ihr könnt ihn nicht wie ein kaputtes Spielzeug fallenlassen.« »Das würden wir mit Babe nie machen«, versi cherte Jake ihr. Keiko lächelte. »Nein, Jake. Ich weiß, daß ihr das nie tun würdet.« Nach Schulschluß eilten Jake und Nog zur Promena de, und Babe trottete hinter ihnen her. Es war noch immer sehr voll dort, als sie sich den Weg zu Quarks Bar bahnten. Die Ladenbesitzer und Fußgänger, an denen sie vorbeikamen, waren von dem Tier mit dem goldenen Fell und dem Horn, das den beiden nicht von den Fersen wich, sehr beeindruckt, und Jake und Nog be schlossen, ausgiebig zu feiern, weil das Geschöpf in ihre Obhut übergeben worden war. Sie nahmen in einer Ecke der Bar Platz, die für Fa milien reserviert war. Es war eine ziemlich kleine Ni sche mit lediglich zwei Tischen. Quark sah es gern, wenn die unterschiedlichsten Gäste bei ihm einkehr ten. Familien gaben seinem Betrieb zwar einen re
spektablen Anstrich, aber anständige Leute neigten auch dazu, ihr Geld zusammenzuhalten. Quark waren jene ungestümen Gäste lieber, die ih ren Arbeitslohn bereitwillig ausgaben, gern starke Drinks tranken und nichts dagegen hatten, ein Spiel chen am Dabo-Rad zu riskieren. Zum Glück für Quark hatten nur wenige von ihnen Erfolg. »Sieh an, mein Neffe und der junge Sisko«, be grüßte Quark die Jungs, als sie Platz nahmen. »Was darf es sein? Etwas Besonderes für einen besonderen Tag?« Jake bestellte ohne das geringste Zögern. »Zweimal ventaxanische Vulkan-Eiscreme.« Es war ein beson derer Tag, dachte er. Aber wegen Babe, nicht wegen der Wurmloch-Feier. Quark schaute zu Babe hinab. »Und für euern pel zigen Freund?« Jake war nicht auf den Gedanken gekommen, et was für Babe zu bestellen. Abgesehen von ein paar Schlucken Wasser hatte Babe am Vortag nichts zu sich genommen, und er schien auch jetzt nicht hung rig zu sein. »Nichts«, sagte Jake zu Quark und zuckte mit den Achseln. Als Quark ging, beugte Jake sich zu Nog hinüber. »Wir geben Babe lieber nichts, bevor Dr. Bashir ihn untersucht hat. Wir wollen ja nicht, daß er krank wird.« »Gute Idee«, pflichtete Nog ihm bei. Während sie auf ihre Eisbecher warteten, beschäf tigte Jake sich mit dem, was zu seiner liebsten Akti vität auf Deep Space Nine geworden war – andere Leute beobachten.
Die ungewöhnlichen undoftmals völlig bizarren Rei senden, die die Station besuchten, regten Jakes Phanta sie an. Er stellte sich gern vor, von welchen Planeten diese seltsamen Leute kamen und zu welchen aufre genden Welten sie wohl weiterfliegen würden. Der zweiköpfige benzianische Minenarbeiter, der gleichzeitig aus zwei Schalen irgendeine blaue Suppe schlürfte, war ein gutes Beispiel. Jake fragte sich, wie es wohl war, zwei Köpfe zu haben. Stritten die beiden Köpfe je miteinander? Es war wohl ziemlich schwie rig, wütend aus dem Raum zu stürmen und den an deren Kopf zurückzulassen. Oder der echsenhäutige alborianische Vertreter, der seine Tagesumsätze auf einem dreidimensionalen Holoschirm abrechnete. Jake stellte sich vor, daß der Vertreter in Wirklichkeit ein Waffenhändler war, der am Rande der Föderationsgesetze operierte, obwohl die holographischen Darstellungen auf seinem Dis play eher wie ganz normale Haushalts- und Reini gungsgeräte aussahen. Doch als sein Blick in eine dunkle Ecke des Raums fiel, der von einigen dicken braunen bajoranischen Blumen vom Rest der Bar abgetrennt wurde, stellte Jake fest, daß Dorm sie beobachtete. Die Eindring lichkeit des kalten Blickes, mit dem der Raumfahrer sie musterte, jagte Jake einen Schrecken ein. Gegenüber von Dorm saß ein häßlich aussehendes Fremdwesen mit einem schildkrötenähnlichen Kopf am Tisch, das seine lange, schwarze Zunge dazu be nutzte, lebende Insekten aus einem schleimigen Hau fen zu schnappen, der aussah, als käme er nicht aus dem Nahrungsmittel-Replikator, sondern aus einer Müllgrube.
Jake wandte den Blick schnell ab. »Da drüben sitzt Dorm«, flüsterte er Nog zu. »Ganz ruhig«, erwiderte der Ferengi. »Er wird uns nicht belästigen.« Doch noch während Nog seinen Freund beruhigte, kam Dorm quer durch die Bar zu ihnen hinüber. Viel zu schnell stand er wie ein großer, böser Geist vor ih rem Tisch. Babe, der bislang ruhig unter dem Tisch gelegen hatte, stieß etwas aus, wobei es sich nur um ein Knur ren handeln konnte. Dorm trat schnell einen Schritt zurück, blieb aber am Tisch stehen. »Wir haben einen schlechten Anfang gehabt. Kön nen wir nicht Freunde sein?« Dorm versuchte, nett zu sein, hatte offensichtlich jedoch keine große Übung in der Kunst der höflichen Unterhaltung. Sein Angebot, Freundschaft zu schließen, war so ernst wie das eines Horax gemeint, der einen zum Essen einlud, dabei allerdings zu erwähnen vergaß, daß man selbst der Hauptgang sein würde. »Lieber nicht«, sagte Nog. Dorm betrachtete den kleinen Ferengi. Langsam setzte er eine Grimasse auf, bei der es sich wohl um ein Lächeln handeln sollte. »Na schön. Vergessen wir die Freundschaft. Ferengi sind Händler. Machen wir also ein Geschäft.« »Was für ein Geschäft?« fragte Nog. Jake sah, daß in Nogs Augen plötzlich der für Fe rengi typische Blick lag, und wußte, daß Nog – ob wohl er den Raumfahrer offensichtlich nicht ausste hen konnte – zu sehr Ferengi war, um eine Gelegen heit auszulassen, Profit zu machen. Dorm ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Ich
kaufe euch das Geschöpf wieder ab«, sagte er schnell. »Er ist nicht zu verkaufen«, erklärte Jake. Dorm ignorierte Jake und unterhielt sich aus schließlich mit Nog. »Du kannst einen schönen Ge winn einstreichen.« »Warum wollen Sie Babe zurückhaben?« fragte Nog. Dorm beugte sich zu dem übergroßen Ohr des Fe rengi hinab. »Ich sollte dir das eigentlich nicht auf die Nase binden, aber ihr habt mich in eine ziemliche Klemme gebracht.« Dorm schaute über die Schulter zu dem Insekten essenden Fremdwesen in der Ecke zurück. »Mein Freund mit den seltsamen Eßgewohn heiten ist Sammler. Er unterhält eine Art Zoo und sammelt Lebewesen.« Dorm zeigte auf Babe, der sich wieder unter dem Tisch versteckte. »Dieses kleine Geschöpf ist eine neue Lebensform aus dem Gamma-Quadranten, und mein Freund würde eine Menge bezahlen, wenn er es seiner Sammlung einverleiben könnte.« Dad hatte recht, dachte Jake. Dorm scherte sich nicht die Bohne um Babe. Er wollte das Wesen nur haben, um es verkaufen zu können. Nog schien Dorms Angebot tatsächlich in Betracht zu ziehen, was Jake gewaltig störte. Aber dann ge wannen Nogs menschliche Eigenschaften über seine angeborene Ferengi-Gier die Oberhand. »Wir verkau fen ihn nicht. Zu keinem Preis.« »Ich kann mit meinem glitschigen Freund dort drüben ein gutes Geschäft machen.« Dorm warf einen Blick zu der Ecke zurück, in der sein außerirdischer Gefährte noch immer emsig damit beschäftigt war, mit der Zunge Fliegen zu fangen. »Und ich möchte
nicht, daß ihr es mir verderbt. Verkauft mir das Ge schöpf, oder es wird euch leid tun – sehr leid!« Jake wußte nicht, was Dorm jetzt tun würde, und er war froh, daß ihm erspart blieb, es herauszufinden, denn in diesem Augenblick kehrte Quark mit den beiden riesigen ventaxanischen Vulkan-Eisbechern zurück. Ob nun absichtlich oder nicht, jedenfalls stellte er die beiden qualmenden Süßspeisen so auf den Tisch, daß der Rauch zu Dorms Gesicht hochzog. Der Raumfahrer hustete, warf den beiden Jungs einen drohenden Blick zu, der wohl ›Ihr seht mich wieder!‹ bedeuten sollte, und stapfte davon. »Guten Appetit«, sagte Quark, als er zum Tresen zurückkehrte. Jake und Nog konnten es kaum abwarten, bis die brennenden Vulkane des ventaxanischen Desserts sich abgekühlt hatten. Doch Babe schien die Hitze nichts auszumachen, denn er versuchte, an Jakes Eis becher zu lecken. »Nein«, sagte Jake zu ihm. »Das ist nicht gesund für dich.« Babe gab ein leises Geräusch von sich, das zu besa gen schien: »Ich weiß schon selbst, was gut für mich ist.« Jake wäre vielleicht schwach geworden, doch Nog erinnerte ihn daran, daß sie erst mit Dr. Bashir sprechen mußten, bevor sie Babe etwas zu essen ge ben konnten. »Tut mir leid, Babe«, sagte Jake zu dem Geschöpf. »Es ist zu deinem eigenen Besten.« Jake verzog schwach das Gesicht, als er die Worte wiederholte, die sein Vater so oft zu ihm gesagt hatte. Er hatte sich geschworen, sie nie zu jemand anderem zu sagen.
Babe gab sich damit anscheinend zufrieden und setzte sich wieder. Jake und Nog richteten ihre volle Aufmerksamkeit wieder auf die Eisbecher, die end lich soweit abgekühlt waren, daß man sich über ihren Inhalt hermachen konnte. Die Jungs wurden dermaßen von den Eisbechern in Anspruch genommen, daß sie gar nicht bemerkten, was um sie herum geschah, bis sie Quarks hektischen Schrei hörten. »Feuer!« Jake schaute auf und sah, daß eine riesige Nachbil dung des ventaxanischen Vulkans aus dem Nichts er schienen war. Sie war über drei Meter groß und lo derte mitten auf dem Boden, direkt vor Babe. An scheinend war sie völlig außer Kontrolle. Rauch, Asche und eine hohe Flammensäule stiegen zur Dek ke auf. »Feuer!« rief noch jemand, doch das war völlig überflüssig, denn plötzlich schien die gesamte Bar in Flammen zu stehen. Die Gäste sprangen schnell auf, wenngleich die meisten von ihnen so geistesgegen wärtig waren, ihre Getränke mitzunehmen. Dichter Rauch breitete sich in Quarks Bar aus. »Die Feuerlöschanlage!« rief Quark. »Sie müßte sich automatisch einschalten! Dafür mache ich O'Bri en verantwortlich!« Nog sprang auf und lief zu den manuellen Kon trollen an der Wand. »Ich schalte sie ein, Onkel Quark!« Jake packte Babe und zog ihn von dem Vulkan fort, der glühendheiße Lavabrocken aus Schokolade in alle Richtungen schleuderte. »Babe! Verschwinde!« In diesem Augenblick setzte die Feuerlöschanlage
ein. Quarks Bar wurde von einer Sturzflut aus feue rerstickenden Flüssigkeiten durchnäßt. Nog lief zu Jake und Babe hinüber. »Ich glaube, wir gehen lieber«, schlug er vor. Jake war sich nicht ganz sicher, wie man sie für diesen Zwischenfall verantwortlich machen wollte, doch der Blick, den Quark ihnen zuwarf, verriet ihm, daß es wirklich keine gute Idee war, in der Bar zu bleiben. Bei ihrem Rückzug schaute Jake durch den Wol kenbruch zurück und stellte fest, daß der Vulkan nicht nur erloschen, sondern völlig verschwunden war.
4 Der Tag, der im Büro des Commanders so gut begon nen hatte, nahm dort ein wesentlich schlechteres En de. Jake, Nog und Babe saßen an einer Wand, um zu erfahren, welches Schicksal sie erwartete. Jake wußte, daß sie nicht erschossen, an den Füßen aufgehängt oder cardassianischen Blutegeln vorgeworfen werden würden, doch das hinderte ihn nicht daran, sich dar über Sorgen zu machen, für einen wie großen Anteil an dem Zwischenfall in Quarks Bar man ihnen die Schuld geben würde. Jake war bemüht, nicht hinzu schauen, wann immer der Commander in ihre Rich tung sah, während Odo ihm Bericht erstattete. »Danke, Constable«, sagte Sisko, als der Sicher heitsoffizier fertig war. »Das ist Quarks geschätzte Aufstellung der Schä den.« Odo gab Sisko das Dokument, und der Com mander warf einen schnellen Blick auf die Liste. »Für eine Schätzung ist die Aufstellung aber sehr detailliert.« Sisko legte das Dokument auf den Schreibtisch und griff dann wieder danach, um einen zweiten Blick darauf zu werfen. »Es sind keine Schä den aufgeführt, die durch das Feuer entstanden sind.« »Es gab auch keine«, erwiderte Odo. »Das verstehe ich nicht. Die Feuerlöschanlage
wurde doch aktiviert, weil es gebrannt hat.« »Es schien ein Feuer zu geben, Commander. Die Beweise sprechen eine deutliche Sprache. Es hat le diglich scheinbar gebrannt.« »Ich verstehe nicht genau, was Sie mir damit sagen wollen, Constable. Hat es nun gebrannt oder nicht?« »Um eins Ihrer wunderlichen irdischen Sprich wörter umzuformulieren... Wo Rauch ist, ist nicht immer Feuer. In Quarks Bar ist kein einziger Gegen stand durch Feuer beschädigt worden.« »Wollen Sie mir etwa sagen, daß es sich um eine Massenhalluzination handelt?« »Angesichts der Tatsache, daß es später Nachmit tag war und die Gäste, die Quarks Bar besuchen, nicht zu den zuverlässigsten Leuten auf der Station gehören, vermute ich, daß der Anblick des brennen den Desserts, das Jake und Nog bestellt haben, einen von ihnen zu der Annahme verleitete, in den Räum lichkeiten habe es gebrannt.« »Ich verstehe. Und alle sind in Panik geraten, bevor sie merkten, daß es keinen Grund zur Panik gab. Danke, Odo. Das wäre alles.« Commander Sisko richtete seine Aufmerksamkeit nun auf Jake und Nog. »Junger Mann.« Jake zuckte jedesmal zusammen, wenn sein Vater diesen Ausdruck benutzte. »Wie er klärst du das?« »Wir haben nichts angestellt, Commander«, be harrte Nog. »Ich gebe dir auch keine Schuld«, sagte der Com mander zu Nog, doch sein Blick blieb auf seinen Sohn gerichtet. Das Wort noch blieb zwar unausgespro chen, doch Jake spürte trotzdem, daß es im Raum zu schweben schien.
»Wir wissen nicht, was passiert ist, Dad. Ehrlich nicht. Plötzlich war überall Feuer und Rauch. Ich ha be Babe von den Flammen zurückgezogen, und Nog hat die Feuerlöschanlage aktiviert.« Sisko erhob sich und kratzte sich am Kopf. »Die ganze Sache ist mir ein Rätsel. Alle behaupten, es hätte ein Feuer gegeben, aber verbrannt ist nichts.« »Doch die Schäden, die der Löschschaum ange richtet hat, sind echt«, fügte Odo hinzu. »Sicher. Aber wir können den jungen Nog doch kaum dafür bestrafen, daß er eine vermeintliche Ka tastrophe verhindern wollte.« »Was sage ich Quark?« »Daß Starfleet ihm die Schäden ersetzen wird.« Sisko ergriff das Dokument und gab es Odo zurück. »Die tatsächlichen Schäden.« »Ich werde ihm das schon begreiflich machen.« Odo drehte sich um und verließ das Büro. Als die Tür sich schloß, sah Sisko seinen Sohn an. »Ich weiß nicht genau, was in Quarks Bar passiert ist. Aber ihr drei scheint jedenfalls vom Haken zu sein – zumindest für den Augenblick.« »Dann können wir gehen?« fragte Jake. »Ja. Aber versucht, euch – und euer Schoßtier – aus Schwierigkeiten rauszuhalten. Wenigstens den Rest des Tages über.« Jake und Nog kehrten zur Promenade zurück, und Babe trottete neben ihnen her. Jake war nicht ganz klar, was sie getan haben sollten – falls sie überhaupt irgendeine Schuld traf. Aber wenn Erwachsene betei ligt waren, mußten Kinder nicht unbedingt etwas getan haben, damit man ihnen die Schuld in die
Schuhe schieben konnte. Selbst sein Dad reagierte manchmal so, als wären Kinder von Natur aus so un aufrichtig wie Ferengi. Deshalb hatte der Commander auch nie ganz gebilligt, daß Nog Jakes bester Freund war. Sie nahmen einen Turbolift, der sie zum Aussichts deck brachte. Jake blieb vor dem Fenster stehen, das einen Blick auf die Stelle bot, von der er wußte, daß sich dort das Wurmloch befand, und fragte sich, wann er einmal die Gelegenheit bekommen würde, durch den Tunnel zu fliegen, der diesen Teil der Galaxis mit dem über siebzigtausend Lichtjahre entfernten Gamma-Qua dranten verband. Jake benutzte das Wort wann und nicht das Wort ob, denn er wußte genau, daß er eines Tages zu den Sternen fliegen würde, vielleicht sogar zu Babes Hei matwelt, wo auch immer die sich befinden mochte. »Irgendwie«, sagte Jake zu Nog, »müssen wir Babe wieder nach Hause bringen.« »Willst du unser Schoßtier einem Fremden geben, nachdem Captain Pawlow es uns gegeben hat?« fragte Nog. Jake griff hinab und rieb sanft das weiche Fell auf Babes Horn. Er muß einsam sein, dachte Jake. So sehr er den Gedanken verabscheute, sich von seinem neuen Gefährten zu trennen, so wenig würde er zögern, ihn aufzugeben, sollte es eine Möglichkeit geben, ihn nach Hause zu schicken. »Wir müssen daran denken, was für Babe am besten ist. Vielleicht sehnt er sich nach seinem wirklichen Besitzer.« Babe rieb sich an Jakes Bein, als hätte er dessen Ge danken gelesen und wisse die Besorgnis des Jungen
zu schätzen. Dann schoß er davon wie ein Welpe, der eine neue Welt zu erkunden hatte, und lief ihnen vor aus zu der Treppe, die zur überfüllten Hauptebene hinabführte. Es war Abend, und Quark hatte den Verkauf von Souvenirs beendet. Statt dessen standen nun zwei junge, wunderschöne Bajoranerinnen in einheimi schen Kostümen dort und forderten die Passanten auf, das Spielkasino zu betreten und mal am DaboRad zu drehen. Nun war der helle Familienzirkus des Tages der grelleren Atmosphäre einer Nebenstraße auf einer Randwelt gewichen. Jake stellte fest, daß Babe ihnen nicht mehr dicht auf den Fersen blieb, sondern mutiger geworden war und auf kurzen Streifzügen die Gegend erkundete. Doch er entfernte sich nie sehr weit von ihnen, als wisse er genau, daß sein Erzfeind, Dorm, noch immer in der Nähe war. »Jake! Schau doch mal! Da drüben!« Nog blieb ste hen. Jake, der auf Babe geachtet hatte, wäre fast mit ihm zusammengestoßen. Sie standen vor drei sich drehenden holographi schen Kugeln, die potentiellen Kunden ihre Botschaft verkündeten – oder besser gesagt entgegenschrien: NUR HIER!
›UNGEHEUER DES VERLORENEN PLANETEN‹
DAS ABENTEUER
SPIELT SICH IN IHREM VERSTAND AB!
Die Kugeln, die in allen Farben des Regenbogens leuchteten, forderten Neugierige auf, die HoloSpielhalle zu betreten. Jake und Nog sahen erstaunt zu, wie die Werbung sich in einen Ausschnitt des
Spiels selbst verwandelte. Mutige Raumfahrer kämpf ten gegen purpurne Monster mit zahlreichen schwar zen Hörnern und scharlachroten Schwänzen, die so scharf wie Speere waren. Die Raumfahrer, die Jake und Nog überraschend ähnlich sahen, kämpften in den Kratern eines braunen Wüstenplaneten, über dem drei Monde schwebten. »Das sind ja wir!« rief Nog und zeigte auf die Raumfahrer in dem Hologramm. Jake nickte wissend. »Der Sensor scannt die Perso nen, die sich in der Nähe befinden, und program miert ihre Ebenbilder in das Spiel.« Trotzdem war Ja ke schwer beeindruckt. »Das ist das neue Spiel, von dem wir gehört ha ben«, sagte Nog, als die Vorschau erlosch. Jarad, der bajoranische Besitzer der Spielhalle, trat neben sie. Die meisten seiner Produkte waren für das Publikum gedacht, das auch Quarks Holokammern besuchte, und eigentlich nicht für Familienvorfüh rungen geeignet. Aber er bot auch eine kleine Aus wahl von Spielen für Jugendliche an und reflektierte dabei auf die wachsende Anzahl von Kindern auf Deep Space Nine und auf Raumreisende, die sie als Geschenke für zu Hause erwarben. »Seid ihr an einer Sondervorstellung interessiert?« Jake und Nog waren seine besten Kunden für solche Spiele. Deshalb gewährte er ihnen manchmal ko stenlose Vorführungen; ihre Reaktion verriet ihm, wie gut die Spiele sich verkaufen würden. »Na klar«, erwiderte Jake. Nog befand sich bereits in der Spielhalle. In ihrer Begeisterung, das neue Spiel sehen zu dür fen, hatten sie Babe ganz vergessen.
Sich selbst überlassen, begann Babe mit der Erkun dung der Promenade. Zuerst lockte ihn der süße Geruch der algoriani schen Gewürze. Dann trieb er sich eine Weile vor der Bude eines Händlers herum, der Singkristalle vom Orion feilbot. Die gesamte Promenade war ein Jahr markt der fremden Gerüche und Farben, die das Ge schöpf immer weiter von der Spielhalle weglockten. Schließlich führte Babes Streifzug ihn zum nicht so überfüllten hinteren Ende der Promenade – wo er plötzlich und abrupt stehenblieb. Er spürte Gefahr, und sein Horn zitterte. Schnell drehte Babe sich um und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Doch die massige Gestalt Dorms stand direkt in seinem Weg. Er betrachtete das kleine Geschöpf, wie ein tödliches Raubtier ein wehrloses Opfer anstarren mochte, das sich zu weit von der Sicherheit der Herde entfernt hatte. Babe wich zurück. »Wohin willst du, mein pelziger Freund?« Babe verstand die Worte vielleicht nicht, doch ihre Bedeutung war ihm kristallklar. Plötzlich und wie von Panik getrieben, stürmte das kleine, nashornähnliche Geschöpf auf einen Seiten gang zu. Doch der Korridor endete abrupt vor einem Schott. Babe saß in der Falle. Dorm stand an der Öffnung des Ganges und zog das dornengespickte Halsband unter seiner Tunika hervor. »Das wird dir weher tun als mir«, sagte er, während er grinsend vortrat. Wie ein gefangenes Tier, dem keine andere Wahl blieb, stürmte Babe verzweifelt auf seinen Angreifer zu. Dorm schwang das Halsband wie ein Lasso, hatte
jedoch die Schnelligkeit seines Opfers falsch einge schätzt. Babe lief zwischen seinen Beinen hindurch und wirbelte ihn herum, daß er das Gleichgewicht verlor und bäuchlings zu Boden fiel. »Das wirst du bereuen«, fluchte Dorm. Er rappelte sich wieder auf, und sein Gesicht wurde von rasen dem Zorn verzerrt. Babe mußte feststellen, daß mehrere Passanten sei nen Weg blockierten, und lief auf einen Laden zu, doch dessen Tür war verschlossen. Babe kratzte hek tisch an dem Türblatt. »Weiter kommst du nicht«, sagte Dorm, während er sich Babe näherte. »Du kannst nicht davonlaufen.« Babe versuchte es auch gar nicht, sondern drehte sich statt dessen zu seinem Widersacher um. Dorm schien dies als Zeichen zu nehmen, daß das Geschöpf aufgeben wollte. Er trat zuversichtlich vor. Plötzlich erschien zwischen Dorm und Babe ein Ungeheuer auf der Promenade. Brüllend richtete es sich vor dem Raumfahrer auf. Seine schwarzen Hör ner schimmerten bedrohlich, sein roter Schwanz peitschte von der einen Seite auf die andere. Dorm schrie auf, und er war nicht der einzige. Aus dem einen Schrei wurden viele. Die Leute sahen das tobende purpurne Monstrum und liefen davon. Auf der Promenade kam es zu einer Massenpanik, als die Menge in alle Richtungen auseinanderstob und die Leute in ihrer Eile und Angst übereinander fielen. Der Aufruhr sorgte dafür, daß Jake und Nog aus der Spielhalle stürmten. »Babe!« rief Jake. »Wo ist er?«
»Da!« Nog deutete auf den Platz, an dem purpur nen Ungeheuer vorbei, das die Menge bedrohte. Dort schoß ihr pelziger Freund zwischen den Beinen der Flüchtenden auf eine Treppe zu. Jake wollte loslaufen und ihm folgen, aber ein Si cherheitswächter trat ihm in den Weg. »Nein. Das übernehme ich, mein Sohn.« Der Sicherheitswächter stieß Jake beiseite. Er befahl den Leuten, ihm aus dem Weg zu gehen, trat dann in die Mitte des Platzes und zielte mit seinem Phaser. Er gab einen einzigen Schuß auf das Ungeheuer ab. Und das Ungeheuer verschwand. Als Jake sich dann hektisch umsah, stellte er fest, daß auch Babe verschwunden war.
5 Eine Durchsuchung der Promenade erwies sich als ergebnislos. Babe blieb verschwunden. Jake und Nog machten sich Sorgen. Ihr Haustier hatte es mit der Angst zu tun bekommen und wahr scheinlich ein Schlupfloch gefunden. Es konnte über all auf der Station sein. Jakes Tante auf der Erde hatte eine Katze. Wenn Kitty Angst bekam, kroch sie in die kleinste und dun kelste Ecke. Sollte Babe diese Fähigkeit ebenfalls ha ben, würden sie ihn vielleicht nie finden. »Wenn er hungrig wird, wird er schon rauskom men.« Nog war überzeugt davon, daß man mit Nah rung jedes Lebewesen herauslocken konnte, doch Ja ke hatte seine Zweifel. Er konnte sich nicht erinnern, daß Babe während der fast zwei Tage, die sie sich nun schon kannten, irgend etwas gegessen hatte. »Vielleicht muß Babe gar nicht essen«, überlegte Jake laut. »Natürlich muß er essen«, beharrte Nog. »Jeder muß etwas essen.« »Hoffentlich hast du recht.« »Vertrau mir. Die Ferengi kennen sich damit aus.« Bei Jake stellte sich plötzlich ein unangenehmer Gedanke ein. »Du glaubst doch nicht, daß Dorm ihn erwischt hat, oder?« »Soll Odo das doch überprüfen.«
Leider war Odo anderweitig beschäftigt, als die Jungs ihn vor Quarks Bar fanden. Er versuchte, Licht in die Angelegenheit mit dem verschwundenen Ungeheuer zu bringen, und sein Tonfall ließ nicht den geringsten Zweifel daran, daß er überzeugt war, der Ferengi sei irgendwie in die Sache verwickelt. »Aber wie können Sie mich nur verdächtigen?« fragte Quark und bemühte sich redlich, bereits bei der bloßen Andeutung einer Verfehlung in Zorn zu geraten. »Weil Sie alles getan haben, was in Ihrer Macht stand«, erwiderte Odo, »um während der WurmlochFeier Profit zu machen.« »Natürlich habe ich das getan. Kein Ferengi würde so eine Gelegenheit verstreichen lassen, ohne zu ver suchen, sie auszunutzen, soweit es in seinen Kräften steht.« »Also gestehen Sie es ein?« fragte Odo. »Ich gestehe gar nichts ein«, erwiderte Quark. Er deutete auf die spärliche Menge auf der Promenade. »Warum sollte ich etwas tun, das meine potentiellen Kunden vertreibt?« Odo mußte zögernd zugeben, daß das Erscheinen des Ungeheuers Quarks Geschäften nicht gerade för derlich war. Als Jake und Nog sahen, daß der Sicherheitsoffizier von Deep Space Nine mit Quark fertig war, ergriffen sie die Gelegenheit, Odo zu bitten, ihr vermißtes Schoßtier zu suchen. Jake erklärte, daß Dorm auf der Promenade gewe sen war, als Babe verschwunden war. Nog fügte hin zu, sie wären überzeugt, der Raumfahrer habe etwas damit zu tun.
Obwohl Odo Verständnis für die Sorge der Jungs hatte und sogar einräumte, daß Dorm für Babes Ver schwinden verantwortlich sein konnte, mußte er zu erst diese Ermittlung beenden, bevor er eine neue be ginnen konnte. »Sehr wahrscheinlich versteckt Babe sich nur«, ver suchte Odo sie zu beruhigen, bevor er ging, um mit anderen Besuchern der Station zu sprechen, die das Ungeheuer ebenfalls gesehen hatten. Doch Jake befürchtete, daß es vielleicht schon zu spät war, falls Babe wirklich von Dorm entführt wor den war. Da alle Erwachsenen sich um etwas küm merten, das sie für ein wichtigeres Problem hielten, waren Jake und Nog auf sich selbst angewiesen. »Wir müssen Detektiv spielen«, sagte Jake. »Wie in Sherlock Holmes und die cardassianische Lei che?« fragte Nog. »In diesem Holovid, das wir letzte Woche gesehen haben?« Jake nickte. Die beiden Jungs setzten sich auf eine Bank und überlegten, was Sherlock Holmes und sein Gefährte Dr. Watson in ihrer Situation getan hätten. »Wenn er Babe wirklich hat, wird er versuchen, ihn diesem Außerirdischen zu verkaufen, mit dem wir ihn in Quarks Bar gesehen haben«, vermutete Jake. »Dann suchen wir den Außerirdischen doch und fragen ihn.« »Er wird uns nichts verraten«, meinte Jake. »Doch, das wird er«, sagte Nog. »Wir müssen ihm nur die richtigen Fragen stellen.« Er zeigte das breite Ferengi-Grinsen, das verriet, daß er einen Plan hatte. Und das bedeutete normalerweise Ärger für jeman den. Das Fremdwesen, so hatte Nog von seinem Onkel
Quark erfahren, war ein xaranianischer Händler, der unter dem Namen Forsh bekannt war. Sie fanden ihn in der bajoranischen Sauna gegenüber von Quarks Spielkasino, halb untergetaucht in einem Schlamm bad. Eigentlich lag er nicht allein in dem Becken. Ein Dutzend Sumpfschnecken schlängelten sich durch den blaugrünen Morast. »Sie reinigen den Körper«, sagte Forsh zu ihnen. »Ihr solltet es irgendwann mal versuchen.« Jake bemühte sich, irgendwo anders hinzuschauen. Obwohl er wußte, daß bei manchen fremden Spezies ein Schlammbad eine ganz alltägliche Praxis war, zog er trotzdem altmodische Seife und Wasser vor. »Ich will direkt zur Sache kommen«, sagte Nog und kniete neben dem Alien mit dem Schildkröten kopf nieder. »Bitte«, antwortete Forsh. »Dein Onkel Quark hat einen ausgezeichneten Ruf. Ich nehme an, sein junger Neffe hat mir ein interessantes Angebot zu machen.« »Es geht um das außerirdische Wesen...« »Das der Raumfahrer Dorm mir verkaufen wollte«, unterbrach Forsh ihn, »ohne zu erwähnen, daß es ihm gar nicht gehört.« »Ja. Dieses Geschöpf, Babe, gehört uns.« Nog deu tete damit an, daß Jake bei einem möglichen Geschäft sein Partner war. »Und ihr möchtet es verkaufen?« »Wenn der Preis in Ordnung ist, werden wir solch ein Geschäft vielleicht in Betracht ziehen.« Jake biß sich auf die Zunge. Was, wenn Nog auf den Handel einging? Forsh lehnte sich in den Schlamm zurück. Seine Zunge schnellte heraus und rollte sich um eine un
vorsichtige Flüsterfliege, die sich zu nahe herange wagt hatte. »Das kleine Geschöpf wäre eine will kommene Ergänzung meiner Sammlung.« Forsh drehte den Kopf und musterte Nog ein dringlich. »Ich werde nicht feilschen«, sagte er, »aber der Preis wird euch gefallen. Das garantiere ich. Wann könnt ihr liefern?« Nog erhob sich. »Morgen abend – falls wir uns zum Verkauf entschließen.« »Ich sehe eurer Entscheidung freudig entgegen und hoffe, daß beide Seiten davon profitieren werden.« Forsh lehnte sich noch tiefer zurück und tauchte fast völlig in den Schlamm ein. Jake und Nog verließen die Sauna. »Was hatte das zu bedeuten?« fragte er den Ferengi, als sie draußen waren. »Hätte Dorm Babe gestohlen, hätte er ihn bereits verkauft. Dann wäre Forsh nicht mehr an unserem Angebot interessiert gewesen.« »Vielleicht ist er das auch gar nicht. Vielleicht will er nur, daß wir glauben, er sei interessiert, damit wir keinen Verdacht schöpfen.« »Könnte sein. Aber das glaube ich nicht. Ferengi haben einen siebten Sinn für Verhandlungen. Forsh will unbedingt einen Handel abschließen.« »Dann hat Dorm Babe nicht.« »Noch nicht.« Jake dachte darüber nach und überlegte dann laut. »Wenn Babe Angst hatte, ist er vielleicht dorthin zu rückgekehrt, woher er kam.« »Aber«, hielt Nog dagegen, »wie will er denn in den Gamma-Quadranten zurückkehren?« »Nein. Ich meine nicht seinen Heimatplaneten. Ich
meine das Raumschiff, das ihn durch das Wurmloch hierhergebracht hat – die Ulysses.« Sie fanden die Ulysses am Andockplatz zwei, also im ältesten Bereich der Station. Die Luft in dem Gang, der zu der Luftschleuse führte, roch modrig; die ab gestandenen Gerüche von tausend Raumschiffen, die hier angedockt hatten, als Deep Space Nine noch eine cardassianische Station gewesen war, hatten sich noch nicht verflüchtigt. Jake war der Ansicht, daß diese Gerüche der Sekti on einen Anflug von Romantik und Abenteuer ver liehen. Nog beschwerte sich, daß es hier schlicht und einfach stank. Captain Pawlow war in seiner Kabine und ging auf seinem Computerterminal die Frachtliste durch. Im Gegensatz zu den blitzblanken Schiffen von Starfleet war die Ulysses alt und ungepflegt. Das Quartier des Captains war noch kleiner, als Jake es vermutet hatte. »Das Leben in der Handelsflotte unterscheidet sich beträchtlich von dem auf einem der Raumschiffe, auf denen dein Vater gedient hat«, versetzte Pawlow, als er Jakes Gesichtsausdruck bemerkte. »Ich wollte nicht...«, begann Jake zu erklären, doch Pawlow fuhr mit der Hand durch die Luft, als wolle er unsichtbare Spinnweben zerreißen. »Du mußt dich nicht entschuldigen«, sagte er. »Die Ulysses ist alt und sollte in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Das sollten wir beide.« Er zerrte an seinem roten Bart. »Aber keiner von uns würde wohl noch lange leben, wenn wir nicht durchs Weltall streifen könnten.« Pawlow lehnte sich in seinem Sessel zurück, der unter der plötzlichen Gewichtsverlagerung ächzte.
»Also, was kann ein alter Raumdackel für euch tun, Jungs?« Jake erzählte ihm, daß Babe verschwunden war. Der Captain lauschte geduldig. »Ich bezweifle, daß das Geschöpf hierher zurückkehren würde«, sagte er dann. »Ich bin sicher, die Zeit mit Dorm war für das Wesen nicht angenehm.« »Aber wenn Babe Angst hat, wäre das ein vertrau ter Ort«, sagte Nog. »Ja. Das stimmt allerdings.« Captain Pawlow drehte sich auf seinem Stuhl und gab einen Kode in den Wandcomputer ein. Jake war überrascht, daß er mit dem Computer nicht sprach, wie alle anderen es taten. »Ich hasse sprechende Maschinen. In dieser Hin sicht bin ich altmodisch«, erklärte Pawlow, während er den Bildschirm betrachtete. »Da wir im Auftrag der Föderation unterwegs sind, muß ich alles und jeden, der die Ulysses betritt oder verläßt, ins Logbuch eintragen.« Er hielt inne, während die Daten weiter hin den Bildschirm hinabrollten. »Euer Geschöpf ist nicht hierher zurückgekehrt, um sich zu verstecken. Es wäre ein Eintrag im Computer vorhanden.« »Er könnte sich nicht an Bord geschlichen haben?« fragte Nog. Jake dachte an Dorm. »Oder vielleicht hat man ihn an Bord geschmuggelt?« Pawlow schüttelte den Kopf. »Nein. Nachdem wir uns im Büro des Commanders unterhalten haben, habe ich die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Je der, der an Bord der Ulysses kommt, wird nun auto matisch eingetragen.« Er schaltete den Bildschirm aus und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Jake
und Nog. »Tut mir leid, Jungs. Ihr müßt woanders nach eurem Schoßtier suchen.« Aber wo? fragte Jake sich. »Solltet ihr nicht eure Hausaufgaben machen?« fragte Commander Sisko seinen Sohn, als Jake und Nog die OPS betraten. Es war Zeit zum Abendessen, und das normalerweise hektische Nervenzentrum von Deep Space Nine war fast leer. Nur Vork, der bajoranische Lehrling der Wartungsabteilung, der Chief O'Brien zugeteilt war, führte auf der technischen Station ein paar Tests durch. Major Kira saß Sisko gegenüber an der Kommandokonsole, wo sie einige der monatli chen Berichte an Starfleet geschrieben hatte. Der Commander verabscheute es, diese Statusmeldungen verfassen zu müssen. »Babe ist verschwunden«, sagte Jake zu seinem Vater. »Odo hat mich informiert. Aber ich habe gedacht, ihr zwei Detektive hättet ihn mittlerweile gefunden.« Jake schüttelte den Kopf. »Wir haben überall nach ihm gesucht.« »Vielleicht ist er auf die Ulysses zurückgekehrt«, schlug Major Kira vor. »Nein«, erwiderte Nog. »Wir haben Captain Paw low gefragt. Er hat ihn nicht gesehen.« »Er wird bestimmt wieder auftauchen«, sagte Sis ko. Jake war klar, daß sein Vater versuchte, ihn zu trö sten, aber er hatte in der kurzen Zeit, die sie zusam men waren, eine tiefe Zuneigung zu dem fremden Geschöpf entwickelt. Er wollte, daß sein Vater etwas unternahm.
»Kannst du nicht mit den Sonden nach ihm su chen?« fragte Jake, als er zur Kommandokonsole trat. »Wenn er einen Kommunikator trüge, wäre das kein Problem. Aber so gibt es für den Computer keine Möglichkeit, dein Schoßtier zu finden.« »Kannst du nicht Odos Leute nach ihm suchen las sen?« »Odo hat genug mit diesen seltsamen Erscheinun gen zu tun.« »Erscheinungen?« fragte Nog. »Er meint Geister«, erklärte Jake dem Ferengi. »Die visuellen Halluzinationen, zu denen es auf der Promenade gekommen ist«, erklärte Kira. »Sie treiben Odo noch in den Wahnsinn.« »Auf mich haben sie allmählich dieselbe Wirkung«, sagte Sisko. Jake wußte, daß seinem Vater alles unangenehm war, was sich vernünftigen Erklärungen entzog. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Jake dazu beitragen wollen, das Rätsel aufzuklären. Doch jetzt hatte er sich mit einem dringenderen Problem zu beschäfti gen. Sie mußten Babe einfach finden. Kira betrachtete die Gesichter der beiden Jungs. »Vielleicht sollten wir Babes Beschreibung auf der Station verteilen?« schlug sie vor und sah dem Com mander an. »Jeder, der ihn sieht, meldet sich auf der OPS?« Die Idee kam Jake sehr vernünftig vor. Sisko war offensichtlich einverstanden. »Machen Sie das«, sagte er zu Major Kira. Doch bevor die Bajoranerin die Information in ihr Computerterminal eingeben konnte, wurde sie von einem lauten Piepton unterbrochen.
»Etwas kommt durch das Wurmloch«, sagte sie, während sie die Daten betrachtete, die auf dem Com puter der Kommandokonsole erschienen. »Was meinen Sie mit etwas?« fragte Sisko. »Ich bin mir nicht sicher.« »In welcher Hinsicht?« Sisko trat neben Major Kira, um die Daten selbst zu betrachten. »Wenn es ein Schiff ist«, sagte Kira ungläubig, »ist es groß. Sehr groß.« »Auf den Schirm«, befahl Sisko. »Sehen wir uns den Besucher mal an.« Der große Wandbildschirm erhellte sich und zeigte eine dreidimensionale Ansicht des bajoranischen Sonnensystems. Da es sich bei der Darstellung um ein Hologramm handelte, sah jede auf der OPS anwesen de Person dieselbe Perspektive. »Vergrößern. Zeigen Sie uns das Wurmloch.« Das Bild des Asteroidengürtels von Denorios dehnte sich aus. Die Bildschirme zeigten noch immer lediglich die leere Sternenlandschaft. »Wo ist es?« fragte Sisko. Kira schaute auf ihren Kontrollschirm. »Es müßte jeden Augenblick sichtbar werden.« Plötzlich erschien das Wurmloch. Es sah aus wie ein kosmisches Auge, das erwachte und sich öffnete. Der vertraute bunte Tunnel bildete eine Spirale in mitten des schwarzen Nichts. Dann kam das Schiff durch das Wurmloch. Es war groß. Sehr groß. Jake hatte schon viele Schiffe durch das Wurmloch kommen sehen. Aber noch nie ein so großes. Nogs Mund klaffte vor Erstaunen auf.
Endlich brach Kira die Stille. »Ich hätte nicht ge dacht, daß ein so großes Schiff es durch das Wurm loch schaffen könnte.« »Ich würde Ihnen sofort beipflichten, Major«, sagte Sisko. »Wäre da nicht dieser Beweis auf unseren Schirmen.« Es war ein Raumschiff. Das erkannte Jake auf den ersten Blick. Aber es ähnelte keinem Modell, das er je gesehen hatte. Es war kugelförmig und pulsierte in seltsamen, hypnotischen Farben. Es erinnerte Jake an eine große Seifenblase. Aber so, wie die Farben schil lerten, schien diese Blase fast lebendig zu sein. Das Wurmloch schloß sich hinter dem seltsamen Raumschiff. Erneut war dort nur der leere Raum zu sehen. Doch jetzt verdrängte die riesige Kugel die
Sterne und alles andere. Das riesige Gebilde füllte den holographischen Schirm aus. Und es kam direkt auf sie zu.
6 Einen langen Augenblick bewegte sich auf der OPS niemand. Es hatte den Anschein, als wären sie Teil eines Holokammer-Dramas, und das Programm wäre angehalten worden. Aber dieses Drama war nur allzu wirklich. Jake stellte fest, daß sogar Nog zur Ab wechslung mal sprachlos war. Die riesige Kugel, die aus dem Wurmloch gekom men war, behielt ihren Kollisionskurs mit Deep Space Nine bei. Sisko erkannte die potentielle Gefahr als erster und reagierte. »Schilde hoch!« rief er. Kira gab schnell die nötigen Anweisungen in das OPS-Terminal ein. »Defensivschilde gehoben.« »Verteidigung ist überflüssig. Im Augenblick jeden falls.« Die Stimme erklang dröhnend aus dem Nichts, explodierte in ihren Ohren. Alle Blicke richteten sich auf den Hauptbildschirm. Das kugelförmige Raumschiff hatte angehalten und hing in bedrohlicher Position unangenehm nah über der Station. Nun wurde dieses Bild von einem Ge sicht ersetzt. Zumindest vermutete Jake, daß es sich darum han delte. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Wo er den Kopf des Wesens zu sehen erwartete, nahm er eine viel kleinere Version der pulsierenden Energiekugel wahr, die durch das Wurmloch gekommen war.
Erneut dröhnte die Stimme in ihren Ohren. »Ich bin Oryx. Admiral des Hohen Kommandos. Verteidiger der Wahrheit. Hüter des Glaubens. Wächter der Linie.« Nach einem weiteren langen Augenblick sah Jake, daß sein Vater absichtlich einen Schritt vortrat, damit sich die Aufmerksamkeit der Besucher auf ihn lenkte. »Ich bin Benjamin Sisko, Commander von Deep Space Nine. Wie können wir Ihnen helfen?« »Indem Sie zurückgeben, was Sie entführt haben.« »Ich verstehe nicht. Was haben wir Ihrer Meinung nach denn entführt?« »Den nächsten in der Linie.« »Was ist ›der nächste in der Linie‹?« »Er. Der, der als nächster unsere Welt beherrscht.« »Ich weiß nicht, ob der, nach dem Sie suchen, auf unserer Station ist. Aber Sie dürfen sich gern hier um sehen.« Eine behandschuhte Hand griff nach oben, hob die Energiekugel hoch und enthüllte ein Gesicht, das fast menschlich war, wenn auch purpurn und echsenähn lich. Es wurde von schroffen Taschen aus dicker, kie selartiger Haut umgeben. Der Handschuh und die Uniform schienen aus irgendeinem metallischen Ma terial gewebt zu sein. »Sie stellen meine Geduld auf die Probe, Comman der Sisko.« Die Stimme dröhnte zwar nicht mehr, aber die Drohung war noch immer vorhanden. Sehr deutlich sogar. »Das ist nicht meine Absicht, Admiral. Aber Sie treffen hier ohne Vorwarnung ein und beschuldigen uns, etwas – oder jemand – gestohlen zu haben, den Sie nicht näher beschreiben können oder wollen.« »Wir wissen, daß der Prinz bei Ihnen ist.«
»Und wieso wissen Sie das?« »Eins der Schiffe, denen Sie Schutz gewähren, hat den Prinzen zu Ihrer Station gebracht.« »Welches Schiff?« »Das wissen wir nicht. Aber wir wissen, daß das Schiff vor uns durch das Loch im Weltraum geflogen ist.« »In den letzten beiden Tagen sind wegen der Feier Dutzende von Schiffen durch das Wurmloch ge kommen. Es könnte jedes von ihnen gewesen sein. Es könnte aber auch ein völlig anderes Schiff gewesen sein.« »Eins dieser Schiffe hat unseren Prinzen gestoh len«, behauptete der Admiral. »Aber Sie wissen nicht, welches?« »Diese Information liegt uns nicht vor.« Siskos Frustration klang in seinen Worten mit. »Wenn Sie uns nicht sagen können, welches Schiff Sie in Verdacht haben, möchte ich Sie bitten, uns ein Bild Ihres vermißten Prinzen zur Verfügung zu stellen.« Der Admiral schien diesen Vorschlag als Beleidi gung aufzufassen. »Wissen Sie, was Sie verlangen?« »Nur ein Bild. Wie sollen wir Ihren Prinzen suchen, wenn wir nicht wissen, wie er aussieht?« »Das ist unmöglich. Es ist verboten, seine Königli che Hoheit in seinem derzeitigem Zustand zu be trachten. Als er entführt wurde, stand das Ende sei nes Anachoretentums kurz bevor.« »Was ist Anachoretentum?« »Das ist unsere Sache und geht Sie nichts an.« »Wenn wir Ihnen helfen sollen, geht es uns durch aus etwas an.« »Sie stellen meine Geduld weiterhin auf die Probe,
Commander.« Die behandschuhte Hand griff nach einem Schalter. »Ich gewähre Ihnen einen Ihrer Tage, um uns zurückzugeben, was uns gehört.« »Und wenn wir Ihren Prinzen nicht finden?« »Dann lassen uns unsere Gesetze keine andere Wahl.« Der Admiral schloß seinen Helm wieder. »Wir werden Ihre Station zerstören.« »Und Sie gehen dabei das Risiko ein, Ihren Prinzen ebenfalls zu töten?« »Wenn es geschehen muß, wird es geschehen. Wenn wir den Prinzen nicht zurückbekommen können, muß er mit denen untergehen, die ihn entführt haben. So lautet unser Gesetz.« »Was ist das für ein Gesetz, das Hunderte von un schuldigen Leuten sterben läßt, nur weil jemand, den Sie suchen, auf dieser Station sein könnte?« »Es ist nicht nötig, daß Sie unsere Gesetze verstehen. Es genügt, daß Sie sie kennen – und wissen, daß wir sie voll ziehen werden, wenn Sie unseren Prinzen nicht finden und ausliefern.« Der Bildschirm wurde schwarz. Jake wand sich unbehaglich. Sein Vater war klug. Er war vielleicht der klügste Mensch auf Deep Space Nine. Doch wie sollte er jemanden finden, von dem er nicht mal wußte, wie er aussah? Zwanzig Minuten später erinnerte die zunehmende Aktivität auf der OPS Jake an eine Ntok-Ameisen kolonie im Belagerungszustand. Die Besatzungsmit glieder, die dienstfrei gehabt hatten, waren zurückge rufen worden und sahen nun die Logbücher aller Schiffe durch, die in den letzten drei Wochen durch das Wurmloch gekommen waren. Jake beobachtete
sie, wie sie in den Datenbanken nach irgendeinem Hinweis suchten, der sie auf die Spur des vermißten Prinzen bringen könnte. Die Aufgabe schien hoff nungslos zu sein, denn niemand hatte eine Ahnung, wonach er suchen sollte. In einem anderen Teil des Raums hatten sich die Führungsoffiziere von Deep Space Nine um die Kommandokonsole geschart. Außer Commander Sis ko und Major Kira befanden sich dort Chefingenieur Miles O'Brien, Wissenschaftsoffizier Jadzia Dax, Chefarzt Dr. Bashir und der Sicherheitsoffizier der Station, Odo. »Damit haben wir es zu tun«, beendete Sisko die Zusammenfassung der Ereignisse der letzten Stunde. »Irgendwelche Vorschläge?« »Haben Sie versucht, noch einmal Kontakt mit dem fremden Schiff aufzunehmen?« fragte Dax. Kira nickte. »Sie antworten nicht.« Sisko sah O'Brien an. »Chief, kann diese Station sich gegen einen Angriff verteidigen, falls es zu Feindseligkeiten kommen sollte?« O'Brien dachte lange darüber nach. Er war kein Mann, der voreilige Schlüsse zog. »Unbekannt, Commander«, erwiderte er schließlich. »Über unse ren Köpfen hängt ein Raumschiff von Borg-Größe. Ich muß davon ausgehen, daß ihre Waffen ziemlich wirksam sind.« Jake sah, daß sein Vater kurz das Gesicht verzog, als der Chief die Borg erwähnte. Er verspürte den gleichen Zorn und Schmerz, als er sich an die Schlacht von Wolf 359 und den Tod seiner Mutter bei dem Angriff der Borg erinnerte. »Das ist schlecht«, brachte Julian Bashir seine Be
sorgnis zum Ausdruck. »Sehr schlecht«, fuhr O'Brien fort. »Um es ganz ein fach auszudrücken... falls es zu einem Kampf kommen sollte, sitzen wir hier wie auf dem Präsentierteller.« »Dann müssen wir dafür sorgen, daß es nicht dazu kommt«, sagte Sisko. »Sie scheinen lediglich die Rückkehr ihres Prinzen zu verlangen«, sagte Kira. »Leider«, meldete Odo sich zu Wort, »gibt es in un seren Dateien keinen Hinweis darauf, daß jemand, dessen Aussehen dem des Fremden auf dem Schiff entspricht, die Station betreten hat. Wir wissen nicht mal, ob ihr Prinz so aussieht.« »Er muß hier sein«, sagte Bashir. »Nicht unbedingt, Doktor«, erklärte Odo geduldig. »Nur weil die Aliens der Meinung sind, daß er durch das Wurmloch gekommen ist, wird aus dieser An nahme noch lange keine Tatsache.« »Aber sie sind dieser Ansicht, Constable.« Sisko er hob sich von der Konsole. Er schritt zumeist auf und ab, wenn er sich einem schwierigen Dilemma ausge setzt sah. »Und solange sie glauben, daß wir ihren Prinzen haben, müssen wir ebenfalls davon ausge hen.« Sisko blieb stehen und drehte sich zu seinen Führungsoffizieren um. »Ich bin für alle Vorschläge offen.« Niemand sagte etwas. Dann hüstelte im Hinter grund jemand. Jake und Nog hatten während des Gesprächs ruhig in einer Ecke gesessen. Nun trat Jake vorsichtig einen Schritt vor. »Jake.« Sisko sah seinen Sohn an. »Du solltest nicht hier sein.«
»Äh... Dad... du hast um Vorschläge gebeten.« »Das stimmt, Benjamin«, erinnerte Dax ihn. »Sie haben in der Tat um welche gebeten.« »Na schön. Was schlägst du also vor, mein Sohn?« Jake zögerte einen Augenblick lang. Er hatte die Sache noch nicht ganz durchdacht. »Wenn du wüß test, woher das fremde Schiff kommt, könntest du die Logbücher der Schiffe überprüfen, die hier angedockt liegen, und feststellen, welches von ihnen in ihrem Sonnensystem war.« »Aber wir wissen nicht, woher die Fremden kom men.« »Könntest du sie nicht fragen?« Commander Sisko nahm den Rat seines Sohnes an und befahl Major Kira dann, das fremde Schiff anzu funken. Es folgte keine verbale Antwort, doch kurz darauf bestätigte das Computersystem von Deep Space Nine den Empfang einer Datenübermittlung. Dax trat zu ihrer Konsole und betrachtete die Da teneingabe. »Ich glaube, sie haben uns gegeben, wor um wir gebeten haben.« »Sie glauben es?« »Ihre Sternenkarten unterscheiden sich beträchtlich von den unsrigen. Und da wir vom GammaQuadranten keine umfassenden Karten haben, wird es eine Weile dauern, bis wir ihre Daten übersetzt ha ben und verstehen können.« »Aber wir haben nicht viel Zeit, Dax.« »Das weiß ich auch, Benjamin.« »Geben Sie Ihr Bestes – und zwar so schnell wie möglich.« Sisko wandte sich an Odo. »Constable, be ginnen Sie sofort mit einer gründlichen Durchsuchung
der Station. Gehen Sie davon aus, daß der Prinz sich entweder vor uns versteckt oder gefangengehalten wird, falls er tatsächlich hier sein sollte.« Odo erhob sich von der Konsole. »Falls ihr ver schwundener Prinz irgendwo auf Deep Space Nine ist, werde ich ihn finden.« Sisko drehte sich zu Chief O'Brien um. »Begleiten Sie ihn, Chief. Sie kennen sich in dieser Station besser aus als jeder andere.« O'Brien erhob sich schnell und folgte Odo zum Turbolift, während die anderen zu ihren jeweiligen Stationen gingen. Jake stieß Nog an. »Wir können ihnen bei der Su che nach dem Prinzen kaum helfen. Darum kümmert mein Dad sich schon. Wir müssen unser verschwun denes Haustier finden.« Odo erwartete nicht, daß die Suche nach einem ver schwundenen Prinzen oder einem verlorenengegan genen Schoßtier auf Deep Space Nine sich schwierig gestalten würde. Es gab nicht viele Orte auf der Stati on, an denen man sich verstecken oder versteckt ge halten werden konnte. Zumindest ging Odo davon aus, als er und O'Brien mit der Suche nach dem Prin zen anfingen. Doch am folgenden Morgen hatte er nicht den geringsten Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort des Prinzen gefunden. »Ich glaube nicht, daß er hier ist«, vertraute Odo O'Brien an, als sie durch einen der Tunnels gingen, die den Habitatring mit dem Andockring verbanden. »Wir haben alle Gästequartiere durchsucht.« »Wir haben an den offensichtlichen Stellen gesucht. Vielleicht ist es an der Zeit, es mit den weniger au
genfälligeren zu versuchen.« O'Brien betrachtete auf seinem Mini-Computer den Grundriß der Station. »Wenn Sie eine Idee haben, Chief, behalten Sie sie nicht für sich.« »Na ja«, murmelte O'Brien, während er auf Tasten drückte, »das sind die ursprünglichen cardassiani schen Diagramme.« Er drückte auf eine weitere Taste, und die Darstellung veränderte sich. Nun schloß sie neue Diagramme ein, die die ersten überlagerten. Sie waren in anderen Farben gehalten, so daß man die Unterschiede auf einen Blick bemerkte. »Und so sieht die Station heute aus.« Odo betrachtete die Darstellung und zeigte dann mit dem Finger auf einen Ausschnitt. »Was ist mit den Stellen, wo es nur alte Strukturen gibt?« »Diese Bereiche haben wir abgeriegelt. Wir benut zen sie nicht.« »Aber kann man sich Zugang zu ihnen verschaf fen?« »Zu einigen davon bestimmt. Andere werden von massiven Bermit-Platten blockiert. Dieses Material ist fester als Stahl oder Tritanium. Da kommt niemand durch.« »Wir sehen uns trotzdem dort um, nur für den Fall, daß jemand eine Möglichkeit gefunden hat.« »Aber wie wollen wir...?« Dazu war es erforderlich, daß O'Brien das massive Metall der alten Platten durchschnitt. Es war eng in dem aufgegebenen Energieschacht, und die Hitze, die der Laserbohrer ausstrahlte, brachte O'Brien ins Schwitzen. Die Luft war abge standen, und der Mangel an Umweltkontrollen in
dieser Sektion machte die Aufgabe noch schwieriger. Zum Glück handelte es sich bei diesem um den letz ten der abgeschotteten Bereiche, den sie durchsuchen mußten. Aber bei keinem anderen war es so schwie rig gewesen, sich Zugang zu verschaffen. »Es wird noch zwanzig Minuten dauern, bis ich ei ne Öffnung geschnitten habe, die groß genug ist, daß wir hindurchsteigen können«, sagte er zu Odo. Der Gestaltwandler stimmte mit O'Brien überein, daß es sich wahrscheinlich um ein sinnloses Unter fangen handelte. Dennoch mußten sie jeder Möglich keit nachgehen. Der Constable trat an O'Brien vorbei und stellte sich vor den schmalen Spalt, den der Lei ter der technischen Abteilung bislang in das Bermit geschnitten hatte. »Sie ist groß genug«, sagte Odo. Fasziniert beobachtete der Chief, wie Odo eine schlangenähnliche Gestalt annahm, als bestünde er aus der Knetmasse, mit der O'Briens Tochter Molly gelegentlich spielte. Problemlos glitt die Gestalt, die Odo angenommen hatte, durch den Schlitz in der Wand. Obwohl es O'Brien viel länger vorkam, mußte er nur eine oder zwei Minuten warten. Dann glitt die Schlange durch den Schlitz zurück auf den Boden des Schachts und nahm wieder die vertrautere Gestalt des Constables der Station an. »Da drinnen ist nichts«, sagte Odo, nachdem die Umwandlung vollzogen war. »Ich wäre auch gern zu so etwas imstande«, sagte O'Brien neidisch. »Dann könnte ich mich wirklich in meine Arbeit reinknien.« »Wie ihr Menschen zu sagen pflegt: ›Man will im
mer das haben, was man gerade nicht will.‹« »Nicht hat«, berichtigte O'Brien. »Aber Sie haben recht. Das trifft auf die meisten von uns zu.« »Und im Augenblick wollen wir unbedingt den verschwundenen Prinzen finden, doch es will uns einfach nicht gelingen. Wo sollen wir jetzt noch su chen?« O'Brien betrachtete die Darstellung auf seinem Mi ni-Computer. »Keine Ahnung. Wir haben an allen aussichtsreichen Orten nachgesehen. Es könnte noch ein paar verborgene Ecken und Winkel auf der Stati on geben, die die Cardassianer nicht in ihre Pläne aufgenommen haben. Aber die Suche nach ihnen könnte lange dauern.« »Die Zeit wird allmählich knapp«, warnte Odo. Jake und Nog, die anderswo auf der Station ebenfalls mit einer Suche beschäftigt waren, wußten auch, daß die Zeit allmählich ablief. Es war früher Vormittag, und sie hatten noch keine Spur von ihrem vermißten Schoßtier gefunden. »Ich weiß nicht mehr, wo wir noch suchen sollen«, sagte Nog müde, während sie auf der Galerie saßen und die Beine über der bevölkerten Promenade bau meln ließen. Niemand außer den Führungsoffizieren und Odos Sicherheitswächtern wußte von der Gefahr, die von dem riesigen Schiff ausging. Jake dachte nicht einmal an die Fremdwesen an Bord dieses Schiffes. Er grübelte gedankenverloren über eine alte Geschichte nach, eine frühe KriminalStory, in der der Gegenstand, den jeder suchte, nie mals gefunden wurde, weil er an einem Ort ›versteckt‹ war, an dem jedermann ihn sehen konnte.
Jake sprang plötzlich auf. »An einem Ort haben wir noch nicht nachgesehen«, sagte er. »Und wo?« »Am offensichtlichen Ort. An dem Ort auf dieser Station, wo Babe sich vielleicht sicher fühlt.« »Unser Klubhaus!« rief Nog, während er Jake folg te, so schnell er konnte.
7 Mittlerweile wurde Benjamin Sisko auf der OPS klar, daß seine Leuten allmählich nicht mehr wußten, was sie noch tun sollten. »Also schön, alle hergehört«, sagte er. »Hören wir kurz auf und fassen zusammen, was wir haben.« »Wir haben weniger als vier Stunden«, erinnerte Major Kira ihn, obwohl ihr Verhalten deutlich mach te, daß niemand in dem Raum daran erinnert werden mußte. »Wir hatten kein Glück bei der Suche nach ihrem Prinzen«, sagte O'Brien. »Odo macht zwar noch wei ter, aber es ist ziemlich klar, daß er nicht auf der Sta tion ist.« »Versuchen Sie, Kontakt mit dem fremden Schiff aufzunehmen«, sagte Sisko zu Dax. Die Trill drehte sich mit ihrem Stuhl und gab den entsprechenden Befehl in ihr Terminal ein. »Sie wollen nicht mit uns sprechen«, sagte Dax, nachdem sie es ein paar Minuten lang ergebnislos versucht hatte. »Das müssen sie aber!« sagte Sisko und schlug wütend mit der Faust auf die Kommandokonsole. Dieser Gefühlsausbruch war sehr ungewöhnlich für ihn; normalerweise war er stets beherrscht. »Wir hören.« Die Stimme hallte durch den Raum. Alle drehten sich zum Hauptbildschirm um. Er
zeigte weiterhin das große Schiff der Fremden, das in der Nähe von Deep Space Nine im Raum schwebte. Es hängt dort wie eine Bombe, dachte Sisko. Er hoffte, daß die Bombe nicht explodierte. »Wir haben nach Ihrem Prinzen gesucht«, sagte Sisko, »aber er befindet sich nicht auf dieser Station.« Nun wurde das Schiff auf dem Bildschirm von dem energetischen Helm des Admirals der Fremden er setzt. »Wir wissen, daß er dort ist«, erklang die Stimme. »Dann helfen Sie uns, wenn Sie keinen Krieg vom Zaum brechen wollen.« »Welche Hilfe brauchen Sie?« »Beamen Sie einen Trupp von Ihrem Schiff auf die Station, der uns bei der Suche helfen kann.« »Das ist nicht möglich.« »Und was ist möglich?« fauchte Sisko. Nun schwang deutlicher Zorn in seiner Stimme mit. »Oh ne Ihre Mitwirkung ist es uns nicht möglich, Ihren Prinzen zu finden.« »Wir haben Ihrem Computer unsere Sternenkarten ge schickt. Das muß genügen. Finden Sie das Schiff, das wi derrechtlich auf unserem Planeten gelandet ist, und zwin gen Sie die Verantwortlichen, uns den Prinzen zurückzu geben.« »Wir konnten Ihre Karten des Gamma-Quadranten noch nicht mit den unseren in Einklang bringen. Wir brauchen Zeit.« »Sie haben drei der Zeiteinheiten, die Sie Stunden nen nen.« »Aber...« »Mehr Zeit bleibt Ihnen nicht. Der Kontakt wird jetzt abgebrochen.«
Der Energiehelm auf dem Bildschirm verschwand und wurde erneut durch das fremde Schiff ersetzt. Sisko wandte sich an seinen wissenschaftlichen Of fizier. »Dax, was wissen wir?« Die Trill betrachtete ihr Terminal. »Ihre Welt heißt Pyx. Das ist so ziemlich alles.« »Aber welches der Raumschiffe in unseren An dockplätzen war in ihrem System?« »Das weiß ich nicht, Benjamin.« »Wann werden Sie es wissen?« Dax gab einen Befehl ein und wartete auf die Be rechnung. »In etwa neunzig Minuten müßte ich eine Antwort bekommen.« »Das wird fürchterlich knapp, Commander«, warf O'Brien ein. »Zu knapp, Chief«, erwiderte Sisko. »Aber es muß reichen.« Zur gleichen Zeit fanden Jake und Nog im oberen Andockmast Babe genau dort, wo Jake es vermutet hatte. Das kleine Fremdwesen schlief auf einem Regal in ihrem Klubhaus. »Babe!« rief Jake, während er hinüberlief und sei nen pelzigen Freund umarmte. Babe bewegte sich schläfrig und stieß Jake mit sei nem weichen Horn an. »Er scheint müde zu sein«, sagte Nog. Jake hatte es auch schon bemerkt. »Vielleicht ist er hungrig«, sagte er, während er weiterhin das dichte Fell streichelte. Nog trat zu dem alten Replikator hinüber, den er aus einem Lagerraum ›besorgt‹ hatte. Sie hatten ihn seit einem Monat nicht mehr benutzt, nicht mehr seit
der Katastrophe, als Nog versucht hatte, den berühm ten Sumpfsalat seiner Großmutter zuzubereiten. An scheinend hatte er die altersschwachen Mikroschalt kreise des Geräts weit überschätzt. Seitdem konnte man die Arbeitsweise des Replikators nicht mehr vorhersagen. »Das funktioniert nicht«, erklärte Nog nach ein paar abgebrochenen Versuchen, etwas Einfaches und Eßbares zu produzieren. Ihnen blieb nur noch die Möglichkeit, zu Quarks Spielkasino zu gehen und mehrere Mahlzeiten zu be stellen, von denen eine vielleicht in Babes Speiseplan paßte. Da sie keine Ahnung hatten, was das kleine Geschöpf normalerweise zu sich nahm, mußten sie mehrere Gerichte zur Auswahl holen. »Wir sollten wirklich vorher mit Dr. Bashir spre chen«, sagte Jake, als sie wieder aufbrachen. Babe lag noch immer auf dem Regal, und Jake machte sich nun wirklich Sorgen. »Er ist zu beschäftigt mit der Suche nach diesem verschwundenen Prinzen«, erwiderte Nog. »Außer dem ist Babe so klug, daß er nur essen wird, was ihm tatsächlich bekommt.« »Wir haben wohl keine andere Wahl«, sah Jake ein, als er Nog zur Tür hinaus folgte. Babe blieb allein im Klubhaus zurück und schlief friedlich weiter. Doch plötzlich setzte er sich kerzengerade auf. Das Geräusch schwerer Schritte näherte sich. Dorm erschien auf der Schwelle und zeigte ein bö ses Grinsen, das noch bedrohlicher als seine Narbe anmutete. »Sieh an, wen haben wir denn hier?« Er blockierte die Türöffnung mit seinem Körper. »Hab
ich mir doch gedacht, daß ich dich finden werde, wenn ich diesen beiden Bälgern folge.« Babe sprang von dem Regal in die Mitte des Raums und bot seinem Feind die Stirn. »Diesmal entkommst du mir nicht«, sagte Dorm drohend. Er holte einen Phaser unter seiner Tunika hervor. »Und dafür wird dieses kleine Ding sorgen.«
8 Jake und Nog kehrten rechtzeitig zurück, um alles zu beobachten – aber verhindern konnten sie es nicht. Sie hatten, schwer beladen mit Kartons voller Nah rungsmittel, die sie Babe vorsetzen wollten, gerade die Schwelle ihres Klubhauses erreicht, als sie Dorm sahen. Der Raumfahrer hob seinen Phaser und zielte. Und sie mußten hilflos zusehen, wie er einen schwa chen Energiestrahl abschoß, der Babe mitten in die Brust traf. Das kleine, pelzige Geschöpf winselte leise und versuchte, gegen die Lähmung anzukämpfen. Dann fiel es auf die Seite und blieb zuckend auf dem Boden liegen. Dorm stellte den Phaser neu ein. »Sieht so aus, als bräuchtest du eine stärkere Dosis. Ich will nicht, daß du aufwachst, bevor ich dich Forsh übergebe.« »Nein!« riefen Jake und Nog gleichzeitig. Sie ließen die Kartons fallen und stürzten sich auf Dorm. Auch gemeinsam wären die beiden Jungen dem viel stärke ren Dritten Offizier der Ulysses nicht gewachsen ge wesen, doch ihr Angriff kam für Dorm völlig überra schend. Er verlor das Gleichgewicht und fiel zu Bo den, und der Phaser flog aus seiner Hand. Dorm brüllte wie ein verwundeter Löwe. Er schüt telte die beiden Angreifer ab und kam wieder auf die Beine. »Jetzt habt ihr Ärger, Jungs – großen Ärger.« Er griff Jake zuerst an.
Jake warf sich zur Seite und wich der ersten Attak ke des Raumfahrers aus. »Schnapp dir den Phaser!« rief er Nog zu, während er zur Tür taumelte. Dorm war schon unterwegs, um sich die Waffe zu greifen, doch Nog sprang den Raumfahrer an und versuchte, die Beine des viel größeren Mannes fest zuhalten. Das hielt Dorm einen Augenblick lang auf, machte ihn ansonsten aber nur noch wütender. Dorm warf sich vor und hielt Nog am Arm fest. Nog stieß jenes besondere Heulen aus, das Ferengi von sich geben, wenn sie in Gefahr sind. Dorm igno rierte den Schrei jedoch und hob den Jungen hoch in die Luft. Aber er kam nicht dazu, etwas anderes mit ihm anzustellen, denn Jake schüttete ihm eine Schüs sel mit Cayon-Chili mitten ins Gesicht. Es war zwar nicht mehr besonders heiß, aber der dicke, scharfe Eintopf floß dem Raumfahrer in die Augen. »Ich kann nichts mehr sehen!« schrie er. Jake ergriff die Gelegenheit, lief an Dorm vorbei und hob den Phaser auf. »Hände doch!« befahl er und versuchte, die befehlsgewohnte Stimme seines Vaters nachzuahmen. Dorm kratzte sich mit der rechten Hand den Chili eintopf aus den Augen, während er mit der linken weiterhin den zappelnden Nog festhielt. »Wirf den Phaser hin«, knurrte Dorm wütend. Jake trat einen Schritt zurück. Er wußte nicht ge nau, auf welche Betäubungsstärke die Waffe einge stellt war, und er wollte auf keinen Fall Nog treffen. Dorm nutzte diesen Augenblick des Zögerns, um seinen muskulösen Arm um Nogs Hals zu legen. Nog heulte noch lauter. »Laß den Phaser fallen, oder ich breche deinem Fe
rengi-Freund das Genick.« Dorm bog den Arm stär ker zusammen, und Nogs Heulen wurde von einem würgenden Geräusch ersetzt. Jake zögerte noch einen Augenblick lang. Mehr brauchte ein erfahrener Straßenkämpfer wie Dorm nicht. Er warf Nog auf Jake. Beide Jungen taumelten gegen die Wand. Jake hielt den Phaser fest – aber nicht lange. Dorm lief zu ihnen und setzte seinen schweren Stiefel auf Jakes Arm. Dann bückte er sich und riß den Phaser aus Jakes schwachem Griff. Dorm gab Jake frei und trat zurück. Die beiden Jungen drückten sich gegen die Wand. Dorm senkte den Phaser langsam. »Ihr habt mir je de Menge Ärger eingebrockt.« Er lächelte sie boshaft an. »Jetzt kann ich es euch heimzahlen.« Dorm zielte mit dem auf tödliche Stärke einge stellten Phaser auf sie. Aber er kam nicht dazu, die Waffe abzufeuern, denn in diesem Augenblick fiel ihm die Decke auf den Kopf – buchstäblich. Jake und Nog beobachten erstaunt, wie die Decke der Wartungskammer herunterbrach. Dorm stieß ei nen Schrei aus und lief los, um sich in Sicherheit zu bringen. Er unternahm keine Anstalten, Jake, Nog oder Babe zu retten. Doch so seltsam es ihnen auch vorkam, sie mußten gar nicht gerettet werden. Denn Dorm hatte den Raum kaum verlassen, als auch die Schäden wieder verschwanden. Die Wartungskammer sah genauso aus wie vor dem Einsturz. »Was ist passiert?« fragte Nog. Jake sah zu ihrem Schoßtier hinüber. »Das war Ba be.« »Was?«
»Er hat es gemacht. Babe hat irgendeine hypnoti sche Illusion geschaffen.« Babe trottete zu ihnen hin über und legte den Kopf in Jakes Schoß. »Dann hat Babe auch die Illusionen auf der Prome nade erzeugt«, vermutete Nog. »Ja«, sagte Jake nickend. »So muß er sich in der Wild nis seines Planeten verteidigen. Eine Art Tarnung.« Jake streichelte das goldene Fell auf Babes Horn. Das kleine Geschöpf seufzte. Es schien erschöpft zu sein, als habe die Anstrengung, sie zu retten, seine letzte Kraft gekostet. »Ganz ruhig, Babe.« Jake versuchte, sein Schoßtier zu trösten. »Der böse Mann ist weg.« Plötzlich begann Babe zu zittern, als wäre er von einem Blitz getroffen worden. Er rollte sich von Jakes Schoß und wälzte sich auf dem Boden. Jake und Nog beobachteten Babes Anfall, konnten je doch nichts dagegen tun. Schließlich ließen die Krämp fe nach. Babe kämpfte sich schwach auf die Füße. »Ganz ruhig, Babe.« Jake trat vor und versuchte, sich zuversichtlich zu geben, doch Babes Eingeweide zuckten, als hätte er einen gobianischen Speichel wurm verschluckt. Etwas Seltsames geschah mit sei nem Freund, und Jake hatte nicht die geringste Ah nung, was er dagegen tun sollte. Bevor er das Ge schöpf erreichen konnte, wurde es von einem weite ren Krampf erschüttert. Dann warf es sich herum und schoß zur Tür. »Halte ihn auf, Nog!« rief Jake. Der Ferengi wollte das Wesen abfangen, doch es war zu flink für ihn. Babe sauste an ihm vorbei und zur Tür hinaus. Ferengi mochten finanzielle Genies sein, aber herausragende Sportler waren sie ganz be stimmt nicht.
Jakes Gedanken rasten. Er überlegte, was sein Va ter in dieser Situation tun würde. Irgend etwas stimmte mit Babe nicht, und das Geschöpf brauchte die Hilfe eines Experten. »Du holst Dr. Bashir«, sagte Jake zu Nog, »und ich suche Babe.« Nog eilte hinaus, ohne – wie sonst üblich – Wider spruch einzulegen. Jake wußte, daß Nog seinem Urteilsvermögen ver traute, wenn es hart auf hart kam – zumindest wenn es bei der Sache um etwas anderes als einen mögli chen Profit ging. Doch nun mußte er seinen Teil dazu beizutragen und Babe finden. Allerdings wußte er nicht mal, wo er mit der Suche anfangen sollte. Dann fiel Jake ein, daß Babe sich ursprünglich auf das höchste Regalbrett im Klubhaus gelegt hatte, und er vermutete, daß das verletzte Geschöpf erneut höheres Gelände aufsuchen würde. Jake ging zum Ende des kurzen Korridors vor ih rem Klubhaus und kletterte die Leiter hinauf, die zur Spitze des Andockmasts führte. Dieser Teil von Deep Space Nine war eigentlich nie zu Ende gebaut worden – zumindest nicht im Inne ren. Vor Jake befand sich ein Gerippe von Balken, zwischen denen unbefestigte Kabel hinabfielen. Der verlassene Mast bog sich leicht nach innen und wur de schmaler, je höher Jake stieg. Gelegentlich ruhte Jake sich auf kleinen Arbeits plattformen aus, auf denen er zumindest festen Bo den unter den Füßen hatte. Er schaute über den Rand eines solchen Gebildes hinab und stellte fest, daß er sich hoch über dem Fuß des Masts befand. Sehr hoch darüber. »Babe«, rief Jake nervös. »Wo bist du?« Das verlief
nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Wenn Jake eins scheute, dann Höhen. Jake stieg die nächste Leiter hinauf. Plötzlich brach eine verrostete Sprosse unter seinem Gewicht. Hek tisch griff Jake nach irgend etwas, woran er sich fest halten konnte – doch die obere Hälfte der Leiter löste sich aus dem Rahmen. Jake baumelte in der Mitte der Röhre an der abgeknickten Leiter – hoch über dem Fuß des Masts. Langsam lösten sich die Schrauben, die den unte ren Teil der Leiter an der Wand festhielten. Jake schloß die Augen. Um gegen sein Zittern an zukämpfen, konzentrierte er sich darauf, was er nun zu tun hatte. Das Problem war lediglich – er wußte es nicht. Er wünschte, sein Vater wäre hier. Auf der OPS lief es kaum besser. Sisko sah ungedul dig zu, während der Leiter der technischen Abteilung versuchte, ein unerwartetes Problem im Logikspei cher des Hauptcomputers zu reparieren. »Verdammte cardassianische Technik«, fluchte O'Brien leise. »Mir ist egal, wer dafür verantwortlich ist, Chief. Bringen Sie die Sache in Ordnung.« »Ich tue mein Bestes, Commander.« O'Brien schickte sich an, die fünfte Platine auszutauschen. Hoffentlich hatte sie tatsächlich den Fehler verur sacht. Die Frist, die die Pyxianer ihnen gesetzt hatten, lief allmählich ab. Und sie hatten noch immer nicht herausbekommen, welches der Schiffe, die an den Andockplätzen lagen, das Sonnensystem der Frem den besucht hatte. Der starke Andrang zur Jahresfeier der Entdeckung des Wurmlochs erleichterte ihnen die
Aufgabe nicht gerade. »Chief, würden Sie sich bitte beeilen«, mahnte Dax leise. O'Brien schob die Platine an Ort und Stelle und überzeugte sich, daß sie eingerastet war. »Na schön, versuchen Sie es mal.« Dax drückte auf ein paar Knöpfe. Nach einer mi nimalen Verzögerung erschien auf ihrem Bildschirm eine Sternenkarte des Gamma-Quadranten. Es han delte sich um den Ausschnitt einer Starfleet-Karte von den Systemen in unmittelbarer Nähe des Wurmlochs. Nun drückte sie auf einen anderen Knopf, und die erste Karte wurde von einer zweiten überlagert, die wesentlich mehr Sterne enthielt. Das war die Karte, die die Pyxianer ihnen geschickt hat ten. »Wir haben eine Übereinstimmung von neun undneunzig Prozent«, sagte sie zu Sisko, und die Er leichterung in ihrer Stimme war offensichtlich. »Legen Sie sie auf den Hauptschirm«, befahl Sisko. Augenblicklich erschien eine holographische Dar stellung des Gamma-Quadranten auf dem großen Wandschirm. »Computer, wo befindet sich das System der Py xianer?« fragte Major Kira. Ein Stern im Hologramm begann zu blinken. »Computer, vergrößern.« Auf Kiras Befehl holte der Computer den blinken den Stern ganz nah heran, bis sich das Bild schließlich in die Darstellung eines Sonnensystems mit elf Pla neten und vierundzwanzig Monden verwandelte. »Na schön, jetzt wissen wir, woher sie kommen«, stellte Sisko fest. »Aber welches Schiff ist dort gewe sen?«
»Computer, vergleiche das Sonnensystem der Py xianer mit den Logbüchern der Raumschiffe, die zur Zeit an Deep Space Nine angedockt haben.« »Eine Übereinstimmung gefunden«, erwiderte die Stimme des Computers. »Computer, zeige uns die Übereinstimmung«, be fahl Sisko. Sofort überlagerte die Silhouette eines Raumschiffs die holographische Darstellung des Sonnensystems. »Das Forschungsschiff Ulysses der Föderation befand sich in diesem Sonnensystem.« »Ich hätte es mir denken können«, stieß Odo her vor, während er zum Turbolift lief. »Ich werde unse ren vermißten Prinzen in zehn Minuten gefunden ha ben – oder zumindest wissen, was ihm zugestoßen ist«, sagte er, als die Lifttüren sich hinter ihm schlo ssen. »Kira, nehmen Sie Kontakt mit den Pyxianern auf«, befahl Sisko. »Mal sehen, ob wir verhindern können, daß die Dinge uns aus der Hand gleiten, bis Odo zu rück ist.« »Ich versuche es«, erwiderte Kira, während ihre Finger über das Kontrollpanel huschten. »Aber es treten starke Störungen auf. Fast so, als...« Kira hielt mitten im Satz inne. Alle anderen erstarrten ebenfalls. Ein dumpfes Grollen schien von irgendwo unter ihren Füßen zu kommen. Hätten sie sich auf einem Planeten befunden, wäre es dem Inneren der Welt selbst entsprungen. Es war wie... »Ein Erdbeben!« rief ein Fähnrich instinktiv, warf sich unter einen Tisch, um Schutz zu finden, und ignorierte die Absurdität seiner Aussage völlig.
Plötzlich vibrierte der Raum heftig. Personen und Gegenstände wurden hin und her geworfen, als wä ren sie Spielzeuge in einem Puppenhaus, das vom Kind eines Riesen durchgeschüttelt wurde. Einer der Hilfscomputer wurde aus seiner Verankerung geris sen, flog durch den Raum und verfehlte Kira nur ganz knapp. Das Kabel, an dem ein Wandmonitor be festigt war, riß, und der Bildschirm stürzte herab und zerbrach auf der Kommandokonsole. Der Raum zitterte weiterhin, und die Offiziere ver suchten, sich irgendwo festzuhalten. »Es sind die Pyxianer!« rief jemand. »Unsere Gnadenfrist ist gerade abgelaufen«, sagte Dax. Der Angriff hatte begonnen.
9 Jake nahm das Poltern nicht wahr, das man in ande ren Bereichen von Deep Space Nine spürte. Während er in dem Andockmast an einer abgeknickten Leiter mitten über dem Nichts schwebte, hatte er dringen dere Sorgen. Vorsichtig streckte er die rechte Hand aus, wäh rend er sich mit der linken weiter an der Leiterspros se festhielt. Seine Finger griffen durch Luft. Die Wandbalken, die ihm einen sicheren Halt bieten konnten, waren außerhalb seiner Reichweite. Der Bo den des Mastes verschwand anscheinend ein paar Kilometer unter ihm im Halbdunkeln. Er versuchte, den Arm weiter auszustrecken. Als er sein Gewicht verlagerte, knackte die Leiter bedroh lich. Die Schrauben, die den unteren Teil an der Wand festhielten, ächzten. Eine von ihnen knackte. Was würde Dad tun? Jake fragte sich, ob sein Vater je in einer solchen Lage gewesen war. Er wußte, daß Führungsoffiziere eines Raumschiffs von Starfleet oft dem Tod ins Auge sehen mußten. Auf so eine Gelegenheit hätte Jake gern verzichtet. Aber nun war sie da, und er mußte etwas unternehmen. Sofort. Wenn er noch lange hier hing, würden seine Arme ermüden, und er würde fallen. Oder die Schrauben würden brechen oder sich aus der Wand lösen, und
die Leiter würde hinabstürzen und ihn mitnehmen. Es gab eine Chance. Er konnte versuchen, sich über den Abgrund zur Wand zu schwingen – und damit in Sicherheit. Aber er hatte nur einen Versuch. Bei dieser Belastung würden sich unter Garantie Schrauben aus ihrer dürftigen Verankerung lösen, und die Leiter würde hinabstürzen. Und wenn er sich an der Wand nicht irgendwo festhalten konnte, würde umgehend hinterherstürzen. Nach einem Augenblick des Zögerns traf er eine Entscheidung. Jake schloß die Augen und schwang seinen Körper zurück. Er hörte, wie die Schrauben knirschten und sich lösten. Dann öffnete er die Augen wieder, schwang nach vorn und ließ die Leiter los, als er den Scheitelpunkt des Bogens erreicht hatte. Wie ein Akrobat auf einem Trapez flog Jake durch die Leere. Einen Augenblick lang war er überzeugt, daß er es nicht schaffen würde. Dann schlossen seine Hände sich um einen Balken, und er zog sich dicht an die Wand. Hinter ihm löste die Leiter sich aus ihrer Veranke rung und taumelte in den dunklen Abgrund des Schachts. Während sie hinabstürzte, schlug sie immer wieder scheppernd gegen die Seiten des Andock masts. Jake hielt sich einige Minuten lang an dem Balken fest. Er zitterte heftig, als er sich vorstellte, was pas siert wäre, wenn er ihn verfehlt hätte. Doch das Zit tern legte sich schnell wieder. Er hatte es geschafft. Er war in Sicherheit. Ganz langsam und vorsichtig stieg Jake den Mast hinab.
Er befand sich fast schon auf der Höhe des Klub hauses, als ihm wieder einfiel, weshalb er überhaupt hier war. Wo war Babe? Auf Deep Space Nine war das völlige Chaos ausge brochen. Die Promenade wurde schnell zum Kata strophengebiet. Die Leute flohen, während große, stählerne Stützbalken wie metallische prähistorische Ungeheuer aus dem Boden des Einkaufszentrums brachen. Ein Träger schoß wie ein Pfeil in die Luft, bohrte sich in die Decke und baumelte bedrohlich über den Köpfen der fliehenden Fußgänger. Ein Teil der Galerie über der Promenade brach auseinander. Nur die schnelle Reaktion eines Hilfsin genieurs verhinderte, daß mehrere bajoranische Schaulustige in die Spalte stürzten. Starke Schockwellen ließen die Station wie unter einer endlosen Reihe von Erdbeben erzittern und ris sen alles um, was nicht niet- und nagelfest war – und das traf auf zahlreiche Gegenstände zu. Ein aufmerk samer Sicherheitswächter zog ein kleines Mädchen hoch, das gestürzt war und von einem außer Kon trolle geratenen Wartungskarren überrollt zu werden drohte, und brachte es in Sicherheit. Leute duckten sich und wichen Gegenständen aus, die aus allen Richtungen auf sie zugeschossen kamen. Die Promenade war zu einem Schlachtfeld geworden, auf dem es nirgendwo mehr sicher war. Doch un glaublicherweise wurde trotz der Panik und der Sachschäden niemand von einem dieser umherschie ßenden Projektile verletzt. Quark mußte entsetzt zusehen, wie sein gesamter
Vorrat an Juno-Wein von den Regalen fiel und eine Pfütze aus rosafarbener Flüssigkeit zu seinen Füßen bildete. Als die Bar um ihn herum zusammenstürzte, tat er das einzig Vernünftige – er versteckte sich unter dem Tresen. »Tolle Sicherheitsvorkehrungen«, fluchte Quark, als ein weiteres Regal mit teuren Likören über ihm zusammenbrach. »Odo, wo sind Sie, wenn ich Sie brauche?« Mittlerweile stellte Commander Sisko auf der OPS die gleiche Frage. »Wo ist Odo?« »Er war auf dem Weg zu dem Andockplatz, an dem die Ulysses liegt«, erwiderte Major Kira. »Aber ich kann sein Kommunikator-Signal nicht erfassen. Ich kann überhaupt kein Kommunikator-Signal mehr erfassen.« Ein weiteres Beben erschütterte die OPS. Alles, was nicht sicher befestigt war, flog durch den Raum. Die gesamte Station schien an den Nähten zu zerreißen. »Womit beschießen die Pyxianer uns?« fragte Sis ko, der sich an der Kommandokonsole festhielt. »Unbekannt«, erwiderte Kira und versuchte, über ihr Computer-Terminal Befehle einzugeben. »Es scheint sich um eine Art Hochfrequenz-Energiestöße zu handeln. Sie reißen die Station auseinander.« »Das habe ich auch schon mitbekommen! Aber was können wir dagegen tun?« »Im Andockplatz zwei ist Feuer ausgebrochen«, meldete Dax. »Schicken Sie ein paar Leute hin«, befahl Sisko. »Ich kann niemanden mehr irgendwohin schik ken«, erwiderte O'Brien. »Alle meine Leute sind im
Augenblick an mindestens drei Stellen gleichzeitig.« »Reagieren die Pyxianer auf unsere Funksprüche?« wandte Sisko sich an Major Kira. »Ich habe alle Kanäle geöffnet, Commander. Sollten sie mich empfangen, antworten sie jedenfalls nicht.« In diesem Augenblick traf das bislang stärkste Be ben die Station. Wir halten das nicht mehr lange durch, dachte Sisko. Odo, hoffentlich kommen Sie schnell mit dem Prinzen zurück. Während die Station auseinanderbrach, kämpfte Dorm sich zu den Hangars durch, in denen sich die Flitzer befanden. An den Andockplätzen herrschte das nackte Chaos, und unter diesen Umständen wür de keinem größeren Schiff die Flucht gelingen, doch ein kleinerer Flitzer mochte es vielleicht schaffen, sich in dem Durcheinander davonzustehlen. Dorm ver schwendete keinen Gedanken daran, daß er ein sin kendes Schiff verließ, und auch nicht an den Um stand, daß er alle anderen zurücklassen mußte. Vielleicht nicht alle. Denn in diesem Augenblick sah der Raumfahrer Babe. Das fellbedeckte kleine Fremdwesen saß mitten in dem Korridor. Es hatte fast den Anschein, als wartete es auf Dorm. Der Raum fahrer nahm dies als Zeichen, daß sein Schicksal sich endlich zum Besseren wendete. Er lächelte. »Hab ich dich«, sagte Dorm und griff nach Babe. Überraschenderweise unternahm das Geschöpf keinen Fluchtversuch. »Wenigstens kann ich diesen verdammten Ort mit ein paar Barren in Gold gepreßtem Latinum verlas sen.« Dorm pfiff leise vor sich hin, während er das Geschöpf durch den Gang trug.
Dorm fand Forsh, den Außerirdischen mit dem schildkrötenähnlichen Kopf, vor der Luftschleuse, die zu seinem Schiff führte. Kein einziges Schott funktio nierte mehr, also gab es keine Möglichkeit, an Bord des Schiffes zu gelangen. »Niemand kann die Station verlassen!« jammerte Forsh. »Wir sind alle verloren! Auch die, die ein Raumschiff besitzen!« »Dann haben Sie ja bestimmt nichts dagegen, mir meine Ware zu bezahlen«, sagte Dorm und schob Ba be vor. »Was soll ich mit diesem Ding anfangen, wenn die ganze Station auseinanderbricht?« »Das ist mir, ehrlich gesagt, völlig egal«, lautete Dorms barsche Antwort. »Aber wir haben eine Ver einbarung getroffen. Und Sie werden sich daran hal ten.« Dorm zog seinen Phaser hervor, um zu zeigen, daß er es ernst meinte. Forsh nickte und holte etwas aus einem Beutel an seinem Gürtel. Es war eine schmale Karte, die wie ei ne Computerplatine aussah. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Schuldverschreibung, die überall in der Föderation gegen fünf Barren in Gold gepreßtes Latinum eingetauscht werden konnte, ohne daß dem Überbringer Fragen gestellt wurden. »Das ist der Be trag, den wir vereinbart haben«, sagte Forsh, wäh rend er Dorm die Karte gab. Dorm nahm die Verschreibung entgegen, griff dann in Forshs Beutel und zog vier weitere Karten heraus. »Ich habe den Preis gerade erhöht.« Als der Alien versuchte, ihn aufzuhalten, stieß Dorm ihn zurück und hob drohend den Phaser. »Ir gendwelche Einwände?«
Forsh schaute auf den Phaser und dann auf Dorms schroffes Gesicht. Ein weiteres Beben durchlief die Station. Forsh taumelte gegen die Wand. »Nehmen Sie al les, was Sie haben wollen«, sagte er müde zu Dorm. »Und dann gehen Sie einfach und lassen mich in Ru he.« Dorm wollte sich umdrehen, hielt dann jedoch in ne. Er schaute zu Babe hinab, der die ganze Zeit über ruhig sitzen geblieben war. »Er gehört Ihnen, Forsh.« Plötzlich erhob das fellbedeckte Geschöpf sich auf die Hinterbeine. Nur – es war ein ganz anderes We sen. Babe wurde zu Odo. »Sie! Der Gestaltwandler! Der Sheriff!« schrie Dorm. Die Metamorphose war abgeschlossen, und Odo hatte wieder seine humanoide Gestalt angekommen. »Sicherheitsoffizier wäre die richtige Bezeichnung.« Odo trat einen Schritt vor. »Sie stehen unter Arrest.« Dorm richtete den Phaser auf ihn. »Was habe ich mir denn zuschulden kommen lassen?« »Zuerst einmal haben Sie etwas verkauft, das Ihnen nicht gehört.« Dorm schaute sich um. »Hier ist nichts, was ich verkaufen wollte.« Was auch der Wahrheit entsprach, denn Babe war ja durch Odo ersetzt worden. »Der eigentliche Anklagepunkt«, erklärte Odo, »lautet auf Entführung des pyxianischen Prinzen.« »Was für ein Prinz? Ich weiß nicht, wovon Sie spre chen.« »Ich habe gerade das Logbuch der Ulysses überprüft. Das Schiff ist in das Sonnensystem der Pyxianer ein
gedrungen. Sie waren auf einem ihrer Monde.« »Na und? Ich habe keinen Prinzen entführt.« »Ich bin anderer Ansicht«, behauptete Odo. »Und wo ist dieser Prinz?« »Das werden Sie mir jetzt sagen.« Dorm hob den Phaser. »Ich sage Ihnen gar nichts, Gesetzeshüter.« Der Raumfahrer schoß aus nächster Nähe auf Odo. Der Strahl traf Odo voll in die Brust. Doch dann ge schah etwas Bemerkenswertes. Der Strahl prallte von der Brust des Gestaltwandlers ab und wurde auf Dorm zurückgeworfen. Die reflektierte Energie traf den Raumfahrer und riß ihn von den Beinen, als wäre er von einem Faustschlag gefällt worden. Forsh sah völlig erstaunt zu. Odo lächelte und tippte mit der Spitze des Zeige fingers auf seine unnatürlich aufgeblähte Brust. »Die Gesetzeshüter der alten Erde nannten so etwas ›ku gelsichere Weste‹. Dieses Material ist natürlich viel leistungsfähiger. Und so elastisch, daß es jede ge wünschte Form annehmen kann«, fügte er hinzu, während seine Brust wieder ihre normale Größe an nahm. Der Sicherheitsoffizier kniete neben dem bewußtlo sen Raumfahrer nieder. »Zum Glück hat der reflek tierte Strahl ihn nur betäubt. Aber leider war er noch so stark, daß er wohl eine ganze Weile schlafen wird. Und das heißt, daß ich in nächster Zeit nicht heraus finden kann, was er über den Prinzen weiß.« Odo gab die Karten zurück, die Dorm dem schild krötenähnlichen Wesen hatte stehlen wollen. »Ich schlage vor, daß Sie sich in Zukunft anständigere Ge schäftspartner aussuchen.«
Ein weiteres Beben rollte durch die Station. Odo packte den bewußtlosen Dorm am Kragen und zerrte ihn zum Turbolift. Um ihn herum schien die Station an der Schwelle zur Auflösung zu stehen. »Natürlich«, fügte Odo hinzu, »scheint im Augen blick keiner von uns eine nennenswerte Zukunft zu haben.«
10 Jake machte sich ebenfalls über die Zukunft Sorgen. Er hatte den größten Teil des oberen Andockmasts durchsucht und keine Spur von Babe gefunden. Er befürchtete, daß das Fremdwesen, wie andere kranke oder verletzte Geschöpfe es auch taten, sich in ir gendeinem Loch verkrochen hatte, um dort einen si cheren Unterschlupf zu finden. In solchen Fällen starb das Tier normalerweise, weil es niemanden gab, der ihm helfen konnte. Jake wollte nicht, daß es Babe ebenso erging. Er mußte ihn finden. Und durch schie res Glück fand er ihn tatsächlich. Neben der Wartungskammer, die sie zu ihrem Klubhaus umgebaut hatten, befand sich ein versie gelter Verschlag, in dem die cardassianischen Arbei ter ihre Werkzeuge weggeschlossen hatten. Die Car dassianer hatten nicht nur den Bajoranern alles ge stohlen, was man in den Laderaum eines Raumschif fes packen konnte, sie waren auch sehr bewandert darin, sich gegenseitig zu bestehlen. Jake hatte den Verschlag bislang nicht beachtet, weil er davon ausgegangen war, daß er verschlossen war. Doch als er zum Klubhaus zurückkehrte, stol perte er über ein lockeres Kabel und fiel gegen die Tür des Schuppens, woraufhin diese aufschwang. Babe lag auf dem obersten Regal des Verschlags; auch hier hielt er sich in den Schatten. In dem schwa
chen Licht, das in die Kammer fiel, als Jake die Tür aufriß, sah er Babes goldenes Fell. Es schien heller geworden zu sein und zu leuchten. Als er dann näher kam, wurde ihm klar, daß er nicht Babes Fell sah, sondern goldene Seidenfäden. Jake wollte sie berühren, hielt dann jedoch inne. Wenn Babe verletzt war, mochte dieses Phänomen zu seinem Heilungsprozeß gehören. Er wollte nichts tun, was Babe schaden könnte. Wo blieben Nog und Dr. Bashir? Wie als Erwiderung auf seine drängenden Gedan ken hörte Jake das Geräusch sich nähernder Schritte. »Jake?« erklang dann Nogs Stimme. »Ich bin hier«, erwiderte Jake und trat aus dem Verschlag. Nog lief zu ihm, gefolgt von Dr. Bashir. »Du hast aber lange gebraucht«, sagte Jake zu dem Ferengi. »Er wollte nicht mitkommen«, erwiderte Nog und warf einen Blick auf Bashir. »Aber ich habe gesagt, das sei die einzige Möglichkeit, dich aus dem An dockmast zu holen.« »Du mußt hier raus«, sagte Dr. Bashir zu Jake. »Die Station wird angegriffen, und diese Masten werden vielleicht nicht mehr lange halten.« Plötzlich ließ ein weiteres Beben Deep Space Nine erzittern. Diesmal kam es von der Mitte der Station. Der Aufprall war zwar gedämpft, aber sie spürten ihn trotzdem. »Was war das?« fragte Jake, als er sein Gleichge wicht zurückgefunden hatte. »Ein Raumbeben!« sagte Nog. »Sie treten überall in der Station auf.«
»Deshalb müssen wir sofort gehen«, drängte Dr. Bashir. Jake rührte sich nicht von der Stelle. »Nicht ohne Babe.« Er war entschlossen, seinen fellbedeckten Freund nicht im Stich zu lassen, koste es, was es wolle. Er zeigte in den Schuppen, und Dr. Bashir trat hinein. »Außergewöhnlich.« Nog war ebenfalls verwirrt darüber, was mit ihrem Haustier geschah. »Babe stirbt!« Der Ferengi wollte zu Babe laufen, doch Bashir streckte einen Arm aus und hielt ihn sanft fest. »Warte.« Nun endlich handelte Bashir wie der Arzt, der er war. Er hielt den Medo-Tricorder in der ausgestreck ten Hand und ging ganz langsam zu Babe hinüber, um das Geschöpf nicht zu beunruhigen. Doch dar über hätte er sich keine Gedanken machen müssen. Babe war mit anderen Dingen beschäftigt. Aus ihm wuchsen dünne goldene Fäden, die schnell seinen ge samten Körper umschlangen. »Wissen Sie, was mit ihm geschieht?« fragte Jake in der Hoffnung, der Arzt könne in Ordnung bringen, was auch immer mit dem kleinen Geschöpf nicht stimmte. Bashir antwortete nicht sofort. Er war zu beschäf tigt damit, die Daten zu interpretieren, die sein Tri corder ihm zeigte. »Das ist absolut unglaublich!« sagte er schließlich. »Was ist unglaublich?« fragte Nog. »Babe ist...« Der Arzt hielt inne. Jake wußte, daß er bestrebt war, stets möglichst genaue Diagnosen zu stellen. Mit der Medizin nahm Dr. Bashir es sehr ge
nau. Manchmal wurde seine wahre Brillanz von dem Zögern verborgen, das seinen Beurteilungen zumeist vorausging. »Ich glaube«, sagte Dr. Bashir nun, »daß Babe eine Verwandlung durchmacht.« »Ist das gut?« fragte Nog. »Eine Verwandlung?« Jake hatte nicht die geringste Ahnung, wovon Dr. Bashir sprach. »Wie...« Der Arzt dachte einen Augenblick lang nach. »Ihr wißt doch, wie eine Raupe sich in einen Schmetterling verwandelt?« Jake und Nog starrten ihn an. Sie kamen nicht da hinter. Er versuchte es erneut. »Babe spinnt einen Kokon.« »Babe ist eine Art Raupe?« fragte Jake. Bashir nickte. »Ja. Genau. Babe hat das Ende eines bestimmten Stadiums seines Lebens erreicht und wechselt jetzt in ein neues über.« »Als würde er erwachsen?« staunte Nog. »In gewisser Hinsicht, ja. Aus Kindern werden Er wachsene, und unsere Körper vollziehen dabei be deutende Veränderungen. Wir sagen Pubertät dazu, wenn aus einem Jungen ein Mann wird, oder aus ei nem Mädchen eine Frau.« »Aber was wird aus Babe?« »Das ist eine sehr gute Frage, Jake. Aber leider habe ich noch keine Antwort darauf.« Während ihres Gesprächs hatten die goldenen Fä den sich weiterhin um Babe gewickelt. Mittlerweile war er von dem seltsamen Kokon völlig eingehüllt. Das kleine, fellbedeckte Geschöpf, das ihr Schoßtier gewesen war, ließ sich kaum mehr ausmachen. »Aber wir werden es bald sehen«, fügte Dr. Bashir hinzu.
»Dauert es nicht eine Weile, bis aus einer Raupe ein Schmetterling wird?« fragte Nog. »Ja. Aber unterschiedliche Spezies vollziehen die Umwandlung mit unterschiedlicher Geschwindig keit. Die Daten meines Tricorders weisen darauf hin, daß Babes Metamorphose sehr schnell vonstatten geht.« Bashir kniete nieder und bedeutete den Jun gen, es ihm gleich zu tun. »Wir können jetzt eins der Wunder der Natur beobachten.« Zur gleichen Zeit beobachtete Commander Sisko in einem anderen Teil der Raumstation etwas völlig an deres – die Vernichtung von Deep Space Nine. Auf der OPS sah es aus wie in einem Katastro phengebiet. Überall hingen zerbrochene Balken her ab. Mehrere Wandverkleidungen waren abgerissen worden und machten es fast unmöglich, sich in dem Raum zu bewegen. Einige Computer waren umge kippt. Trümmer übersäten den Boden und rutschten jedesmal, wenn ein weiteres Beben die Station er schütterte, hin und her. Berichte von ähnlichen chaotischen Zuständen ka men aus zahlreichen weiteren Teilen der Station. Da die meisten Monitore ausgefallen waren, handelte es sich lediglich um verbale Beschreibungen der Verwü stungen. Das machte Sisko am meisten zu schaffen. Was die Schäden seiner Station betraf, war er fast blind. »Ich begreife das nicht«, sagte O'Brien, jedesmal wenn ihm ein neuer Notfall gemeldet wurde. »Den wenigen Instrumenten zufolge, die noch funktionie ren, müßte eigentlich alles in Ordnung sein.« Kira runzelte die Stirn. »Sehen Sie sich doch um,
Chief. Es ist nicht alles in Ordnung.« Sisko hatte befohlen, die Phaser der Station auf das pyxianische Schiff zu richten und das Feuer zu erwi dern. Doch was den Schaden betraf, den sie anrichte ten, hätten sie genausogut ins leere All zielen können. Dax konnte es ebenfalls nicht erklären. »In drei hundert Jahren«, sagte die Trill, »habe ich so etwas noch nie gesehen. Es liegt nicht daran, daß die Schilde der Pyxianer so stark sind. Es ist, als wäre ihr Schiff überhaupt nicht vorhanden.« In diesem Augenblick ließ ein weiteres scharfes Be ben den Raum erzittern. Die Wände schienen unter dem Aufprall gequält zu kreischen. »Ich weiß nicht, wie lange die Station das noch durchhält, Commander«, sagte O'Brien, der sich fest hielt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Umgeben von beschädigten Geräten und einer Crew, die ganz kurz vor dem Zusammenbruch stand, kam Benjamin Sisko zum Schluß, daß sie ganz drin gend ein Wunder benötigten. Ein Wunder war genau das, worauf Jake und Nog in der Werkzeugkammer im oberen Andockmast war teten. Dr. Julian Bashir hatte es vorhergesagt. Und vor ihren Augen begann es. Der Kokon, der Babe umgab, pulsierte mit einer seltsamen Energie, die aus seinem Inneren kam. Die dünnen goldenen Fäden begannen zu schwingen wie die Saiten einer Geige und gaben ein Geräusch von sich, wie sie es noch nie gehört hatten. Sie hielten sich die Ohren zu, um das sirenenhafte Wehklagen nicht mehr hören zu müssen, das so laut wurde, daß es be reits schmerzte. Trotzdem hallte das Geräusch noch
in ihren Köpfen wider. Nog hatte besonders stark darunter zu leiden. Schließlich konnte er es nicht länger ertragen und taumelte aus dem Verschlag. Jake wollte ihm schon folgen, als Dr. Bashir seinen Arm berührte. Jake drehte sich um und schaute in die Richtung, in die der Arzt zeigte. Der Kokon explodierte. Nein – es war keine Explo sion. Jake korrigierte seinen ersten Eindruck. Er schien zu verdampfen. Die goldenen Fäden dehnten sich aus und ver schwanden. Plötzlich leuchtete im Inneren des zerfallenden Ko kons ein helles Licht auf. Jake und Dr. Bashir legten die Hände auf die Augen, um sie vor der Helligkeit abzuschirmen, die den Verschlag ausfüllte wie der Blitz eines explodierenden Sterns. Sie hielt kaum eine Millisekunde lang an, doch als Jake die Augen wieder öffnete, hatte das grelle Leuchten des Blitzes Nach bilder erzeugt, die wie Ballons auf seiner Netzhaut zersprangen. Jake glaubte, erblindet zu sein und nie wieder etwas sehen zu können. Doch die Ballons ver blichen schnell. Einen Moment lang sah Jake alles nur verschwommen. Schließlich kehrte sein Sehvermögen zurück. Und was er sah, war in der Tat ein Wunder.
11 Auf der OPS erlebte Benjamin Sisko kein Wunder, sondern eher das gewaltsame Ende eines Traums. Diese Raumstation, die im Auftrag der siegreichen Cardassianer von bajoranischen Zwangsarbeitern er baut worden war, war zu einem hellen Leuchtfeuer der Hoffnung für Bajor geworden, für eine Welt, die diese Hoffnung dringend brauchte. Und nun drohte dieser Traum gemeinsam mit Deep Space Nine un terzugehen. Und er konnte nichts dagegen tun. Die Station war nicht in der Lage, sich zu verteidigen oder offensive Maßnahmen gegen diesen übermächtigen Feind ein zuleiten. »Ich verstehe einfach nicht, was hier geschieht, Benjamin«, sagte Dax. »Keine unserer Waffen scheint auch nur die geringste Wirkung zu erzielen.« »Es ist wie bei einem Holospiel«, fügte O'Brien hin zu. »Einmal davon abgesehen, daß dies hier wirklich geschieht.« »Wirklich...« Sisko wollte etwas sagen, verstummte jedoch, als eine weitere Schockwelle die OPS durchlief. Nachdem Sisko das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, schaute er zu dem verängstigten Dorm hinüber, der noch immer auf dem Stuhl saß, auf den Odo ihn gedrückt hatte. Kein Wunder: Eine Druckschlaufe, die um seine Knöchel lag, verhinderte, daß er sich
bewegen konnte. Der Commander stimmte mit Odo überein, daß der Raumfahrer teilweise für ihre Notla ge verantwortlich war. Mittlerweile stand zweifelsfrei fest, daß Dorm in der Tat ohne Erlaubnis mit einem Flitzer auf einem der Monde von Pyx gelandet war. Doch bei dem Verhör hatte Dorm bestritten, irgend etwas von einem pyxianischen Prinzen zu wissen. Weigerte er sich, die Wahrheit zu sagen, würde er mit allen anderen auf der Station sterben. Doch er blieb störrisch bei seiner Aussage. Mittlerweile trafen aus allen Bereichen der Station Berichte von schweren Verwüstungen ein. Es war bemerkenswert und seltsam zugleich, daß niemand ernsthaft verletzt worden war; es hatte lediglich eini ge leichte Blessuren gegeben, als es zu der einen oder anderen Panik gekommen war. »Die ganze Situation ist sehr seltsam«, sagte Sisko zu niemandem im besonderen. »Es hat fast den An schein...« »Dad!« Sisko drehte sich um und stellte erstaunt fest, daß sein Sohn in der Türöffnung des Turbolifts stand. »Jake«, sagte Sisko, »du hast hier nichts zu suchen.« »Schon in Ordnung, Commander.« Julian Bashir tauchte hinter Jake auf, und neben ihm stand Nog. Erst jetzt bemerkte Sisko, daß sich noch jemand in dem Lift befand, jemand, den er nicht kannte. Bashir drehte sich zu dem Fremden um. »Sir, darf ich Ihnen Seine Hoheit, den Königlichen Prinzen der Pyxianer, vorstellen?« Sisko sah einen Jugendlichen etwa in Jakes Alter, der so groß und schlank wie ein zylianisches Wind schilfrohr war. Er hatte ein humanoides Aussehen,
war jedoch von Kopf bis Fuß mit einer purpurnen, kieselartigen Haut bedeckt. »Ich bin...« Der Junge hielt inne, schaute zu Jake und Nog hinüber und lächelte dann, als er wieder Sisko ansah. »Ich bin derjenige, den Sie Babe genannt haben.« »Ich verstehe nicht ganz«, sagte O'Brien. »Ich glaube, Dr. Bashir wird es uns erklären kön nen.« Bashir lächelte, wie er es stets tat, wenn er die Ge legenheit bekam, seine Intelligenz unter Beweis zu stellen. »Das Wesen, das wir als Babe kannten, war... eine Art Raupe, die sich nun in einen Schmetterling verwandelt hat.« »Das ist unglaublich.« O'Brien hatte offensichtlich noch mit dieser Vorstellung zu kämpfen. Sisko rieb sich das Kinn. »Ich kann Sie nicht mehr Babe nennen. Wie soll ich Sie nennen?« »Mein richtiger Name ist Joryl«, erwiderte der Jun ge, der Babe gewesen war. Er schaute zu dem Raum fahrer Dorm hinüber, der gefesselt in einer Ecke saß. »Dieser da hat mich aus meinem Heim entführt, be vor das Anachoretentum – meine Zeit der Verwand lung – beendet war.« In diesem Augenblick erschütterte ein weiteres Be ben den Raum. Sisko taumelte und fing sich im letzten Moment ab. »Ich schlage vor, daß wir weitere Erklärungen erst einmal zurückstellen.« Er sah Joryl an. »Können Sie uns helfen, weitere Zerstörungen zu verhindern, be vor Deep Space Nine völlig verwüstet wird?« Joryl nickte und trat zum Kommunikationstermi nal. »Hier spricht Joryl aus der Linie.«
»Ihr seid in Sicherheit, mein Prinz?« hallte die Ant wort auf der OPS. »Ich bin in Sicherheit, Admiral. Macht das, was ge schehen ist, ungeschehen.« »Auf Euern Befehl wird es so sein.« Ein blendender Blitz füllte die OPS aus. Der grelle Schein hielt nur kurz an, und als er verschwand, war alles in dem großen Raum genau so, wie es vor dem Angriff gewesen war. »Die OPS war ein Schlachtfeld! Jetzt ist sie wieder völlig normal!« kommentierte Major Kira die Ver wandlung erstaunt. Jake sah auf den nun wieder funktionierenden Bildschirmen, daß auch überall auf der Raumstation – von der Promenade bis zu den entlegensten Andock plätzen – alles wieder ganz normal war, als wäre gar nichts geschehen. »Wie ist das möglich?« fragte O'Brien. »Weil es nie passiert ist«, sagte Joryl. »Sie haben das alles nur in Ihrer Einbildung gesehen. Es hat sich in Wirklichkeit gar nicht ereignet. Wir Pyxianer sind eine friedliche Rasse«, sagte Joryl zu Commander Sis ko. »Friedlich«, murrte Major Kira. »Sie hätten unsere Station fast zerstört.« »Eigentlich nicht, Major«, sagte Sisko. »Es war nur eine Illusion.« »Den Trick würd' ich auch gern lernen«, sagte Nog. »Dann waren wir nie wirklich in Gefahr?« fragte Kira. Joryl zögerte. »Das nicht gerade. Obwohl die Py xianer mit Hilfe unserer Gedankenverstärker ledig lich eine künstliche Wirklichkeit projiziert haben –
wie es auch in Ihren Holokammern geschieht –, kommt das Erlebnis denen, die in die Illusion hinein gezogen werden, echt vor.« »Mit anderen Worten... wenn Ihre Leute Deep Space Nine ›zerstört‹ hätten, wäre das Trauma der Er fahrung für jeden an Bord verheerend gewesen«, sagte Bashir. Joryl nickte. »Ich fürchte, das trifft zu.« »Warum«, fragte Sisko, »ist Ihr Admiral nicht ein fach an Bord gebeamt, damit wir über die Sache spre chen konnten – bevor es zu Feindseligkeiten kam, auch wenn der Angriff in Wirklichkeit gar nicht statt fand?« »Unsere Spezies lebt sehr zurückgezogen, Com mander. Unsere einzige echte Verteidigung ist die Fähigkeit, uns zu tarnen. Jedweder direkte Kontakt macht uns verwundbar. Wir vermeiden ihn, koste es, was es wolle.« Joryl erhob sich. »Aber ich muß jetzt gehen. Mein Anachoretentum ist beendet, und mein Volk erwartet seinen Prinzen.« Jake ging zu dem außerirdischen Jugendlichen hinüber, der nun etwas größer als er selbst war. »Es ist ziemlich unheimlich, zu dir hinauf- statt hinabzu schauen.« Joryl lächelte Jake zu. »Jake, ich werde dich nicht vergessen. Und dich auch nicht, Nog.« Er bedachte auch den Ferengi mit einem Lächeln. »Und auch nicht die Freundschaft, die ihr beide mir angeboten habt.« »Wir werden dich auch nicht vergessen«, erwiderte Jake. »Du magst zwar nicht mehr unser Schoßtier sein, aber du wirst immer unser Freund bleiben.« Als er sah, wie sein Vater Joryl zum Transporter der OPS begleitete, stellte sich bei Jake das Gefühl ein,
etwas Großes und Wichtiges trete aus seinem Leben, und er kam sich auf einmal einsam vor. Er schaute zu Nog hinüber und entnahm dessen Gesichtsausdruck, daß der Ferengi offensichtlich ähnlich über Joryls Aufbruch von Deep Space Nine empfand. »Vielleicht sehen wir uns einmal wieder, Joryl«, sagte Sisko, als der Prinz auf die Transporterplatt form trat. »Vielleicht, Commander. Dies könnte der Augen blick sein, da die Pyxianer dazu übergehen, Kontakt mit anderen Lebensformen aufzunehmen.« »Du bist hier jederzeit willkommen«, sagte Jake, während er in seinen Taschen wühlte. Nach einem Augenblick des Zögerns holte er einen abgegriffenen Baseball heraus und warf ihn Joryl zu. Der Prinz pflückte den Ball aus der Luft und be trachtete ihn erfreut. Er, Jake und Nog lächelten sich an. »Danke«, sagte Joryl. »Ich werde dieses Geschenk von zwei Wesen, die einen Fremden in ihrer Mitte aufnahmen, immer in Ehren halten.« Joryl trat auf die Plattform und drehte sich dann zu O'Brien um, der am Kontrollpult stand. »Ich bin be reit.« »Einen zum Beamen«, sagte O'Brien und berührte die Kontrollfläche. Der elektronische Strahl umhüllte den königlichen pyxianischen Prinzen und verwandelte seinen ech senähnlichen Körper in Atome. Er verschwand. »Leb wohl, Babe«, sagte Jake leise.
12 Die Fans im Yankee Stadion tobten. Drei gelungene Würfe und zwei Fehlschläge. Beginn des neunten Durchgangs. Die Zuschauer ergötzten sich an seinem wackligen Vorsprung von einem Lauf. Babe Ruth signalisierte eine Pause und trat vom Mal zurück. Er schwang seinen Schläger in einem wütenden Bogen, der wie ein Messer durch die schwüle Julihitze schnitt. Er trat zum Schlagmal zurück. Er war bereit. Babe Ruth schaute zum Wurfmal hinüber und setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. Äußerlich wirkte der junge Jake Sisko genauso zu versichtlich. Doch innerlich drehte sich ihm der Ma gen um. Jetzt galt es. Die Partie hing völlig von ihm und seinem nächsten Wurf ab. Spiele klug, sagte Jake sich. Er erwartet einen schnel len, scharfen Ball. Also gib ihm etwas anderes, etwas Ein faches. Jake schaute zu seinem Vater im Unterstand hin über, und dann zu dem neuen Schlägerträger – Nog. Dann holte er aus, trat vor und warf den Ball. Er hatte sich zu einem langsamen Bogenwurf ent schlossen, der auf die innere Ecke gezielt war. Es war der Wurf, den er auf dem Kornfeld mit Nog und Babe geübt hatte – dem anderen Babe. Es war sein bester Wurf. Aber er war nicht gut genug.
Dieser Babe im Trikot der Yankees mußte auf ge nau diesen Wurf gewartet haben. Der Ball knallte mit einem Krachen gegen den Schläger, das wie das Ge räusch einer explodierenden Bombe durch das Stadi on hallte. Der Ball pfiff an Jakes Ohr vorbei und gewann an Höhe, während er sich dem Innenfeld näherte. Das Spiel schien endgültig entschieden zu sein. Doch dann, als der Ball immer länger wurde – sprang je mand hoch in die Luft und schnappte ihn sich. Babe. Das kleine, nashornähnliche Geschöpf hielt den brillant geschlagenen Ball, der dem Schläger ei nen Lauf um sämtliche Male in einem Zug ermöglicht hätte, in seinem Mund. Als er dann wieder zu Boden sank, verwandelte er sich in die humanoide Gestalt des Prinzen. »Du bist out!« rief der Prinz, als er auf dem Gras des Außenfeldes landete. Jake drehte sich mit einem breiten Lächeln zu sei nem Vater um. »Danke, Dad. Es war eine tolle Über raschung, Babe in der Holokammer zu sehen.« Der ältere Sisko nahm die Trainermütze ab und kratzte sich am Kopf. »Ich bin genauso überrascht wie du, mein Sohn.« Er schaute zu Nog hinüber. »Hast du an dem Programm herumgespielt, Nog?« »Nein, Commander Sisko, das habe ich nicht. Ich schwöre, ich war es nicht.« Lächelnd schritt der Prinz zum Wurfmal. »Ich bin keine eurer Holokammer-Illusionen«, sagte er, wäh rend er Jake den Ball zuwarf. »Bist du es wirklich? Aber ich dachte, du wärest schon längst auf dem Weg nach Pyx.« »Das bin ich auch. Aber wir Pyxianer können
Ebenbilder von uns über viele Lichtjahre hinweg pro jizieren, sogar durch ein Wurmloch. Gedanken haben keine Dimension.« Der Prinz schaute zu der jubelnden Menge hin über, die das Yankee Stadion füllte. Obwohl die Heimmannschaft verloren hatte, liebten die Leute ih ren Sport geradezu. »Ich verstehe dieses Spiel zwar nicht ganz«, sagte der Prinz zu Jake, »aber es gefällt mir – in meinen beiden Gestalten.« »Ich wünschte, du könntest hierbleiben«, sagte Ja ke, obwohl er wußte, daß dies unmöglich war. »Ich muß gehen. Aber ich lasse dir ein Geschenk zurück, damit du dich an mich erinnerst.« Und mit diesen Worten verschwand er. Commander Sisko und Nog gingen zum Wurfmal. Nog zeigte auf etwas. Jake sah, daß er auf den Base ball in seiner Hand deutete. Nur, daß es gar kein Baseball war. Es hatte die Größe und Form eines Baseballs. Aber es war nicht weiß, sondern seine Oberfläche schillerte in allen Farben des Regenbogens, wie es auch bei dem riesigen Schiff und bei Oryx' Helm der Fall ge wesen war. Ein inneres Licht verlieh der Kugel ein Eigenleben. Jake betrachtete den schwach leuchtenden Ball. Als er ihn drehte, konnte er darin schwache Bilder ausmachen, zuerst das eines kleinen, fellbe deckten Nashorns und dann das des jungen Prinzen. Jake glaubte, eine Stimme zu hören, die in seinem Kopf hallte: Ich werde immer bei euch sein, meine Freun de. Er schaute zu Nog hinüber und erkannte an dessen Lächeln, daß auch der Ferengi die Stimme gehört hatte.
Commander Sisko legte einen Arm um Jakes und den anderen um Nogs Schulter. »Gehen wir nach Hause, Jungs. Ich gebe jedem eine ventaxanische Vulkan-Eiscreme aus.« Sie gingen zu der Stelle, an der sich die Tür der Holokammer befand. »Computer, Programm anhal ten«, sagte Sisko. »Und speichern«, fügte Jake hinzu.