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HELMUTH ...
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HELMUTH ..........................................................................4 PLÄNE SCHMIEDEN ............................................................8 HELMUTH IST VERSCHWUNDEN .......................................12 VORBEREITUNGEN ..........................................................16 DAS GEHEIMNIS VON BURG ECKBERTSTEIN ....................19 DER RITT ZUR BURG .......................................................22 NACHT ÜBER ECKBERTSTEIN ..........................................25 EIN GESPENST AUF ABWEGEN .........................................28 UNERWARTETE ÜBERRASCHUNG ....................................31 HILFE, EIN GEIST .............................................................36 DIE ENTDECKUNG ...........................................................39 DAS GEHEIMNIS DER FÄSSER ..........................................44 ENTDECKT .......................................................................47 GEFANGEN ......................................................................52 DIE RETTUNG ..................................................................55 HELMUTH GREIFT EIN ......................................................61 WIEDER AUF BURG ECKBERTSTEIN .................................64 HELMUTH IST WIEDER WEG .............................................71
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1. Kapitel Helmuth Auf den ersten Blick sah Helmuth wie ein ganz gewöhnlicher Esel aus. Er hatte dunkelgraues, struppiges Fell, so wie jeder normale andere Esel auch. Doch Helmuth war Alexander Schlöderblohms Esel - und das machte ihn zu etwas Besonderem. Helmuth gehörte zu der Sorte Esel, die an keiner Leiter vorbeigehen kann. Jedesmal stieß er dagegen, als wolle er herausfinden, was passieren werde. Wie zufällig rempelte Helmuth auf dem Alderhof im Vorbeigehen auch diesmal eine Leiter an. Oben auf der obersten Sprosse stand Hugo und verschönte die Fensterläden im ersten Stock mit einem neuen Anstrich. Durch die Erschütterung löste sich der Henkel des Farbeimers, den Hugo oben an die Leiter gehängt hatte. Der Farbeimer machte sich selbständig. Sein Inhalt ergoß sich auf die neue Tischdecke, die Hugos Frau Gerlinde im Erdgeschoß gerade am offenen Fenster ausschüttelte. „Paß doch auf!" schimpfte sie und wedelte mit der farbtriefenden Decke. Helmuth trottete weiter, als sei nichts geschehen. Er achtete nicht auf die vernichtenden Blicke, die Hugo ihm hinterhersandte. Ohne solch prickelnde Abwechslung erschien Helmuth sein Leben fad und langweilig. Zwischenfälle wie dieser steigerten Helmuths Laune. Es ließ ihn dabei völlig kalt, wenn die Menschen mit ihm schimpften. Oft ritt ein bebrillter Junge im besten Teenageralter auf Helmuth. Während Helmuth Katastrophen herbeiführte, zog sein Herrchen Alexander das Chaos magisch an. Alex und Helmuth hatten sich gesucht und gefunden. Sie ergänzten sich so gut wie ein linker und ein rechter Schuh. Alex führte Helmuth gerade Richtung Stall. Waldi, der Dackel von Graf Alderhof, beschnupperte Helmuth neugierig. Dann kläffte er den Esel wütend an. Das konnte Helmuth aber nicht aus der Ruhe bringen. Nur Alex drehte sich neugierig nach Waldi um und prallte im nächsten Moment mit Ewalds chromblitzendem Traktor zusammen. Das hatte man davon, wenn man nicht auf den Weg 4
achtete, weil man von einem wilden Tier angegriffen wurde. „AUA!" schrie Alexander. Helmuth wieherte los. Es klang verdächtig danach, als ob er sein Herrchen auslachte. Alex hielt sich seine schmerzende Nase und starrte erschrocken auf den Traktor. Dieser ruckelte an und raste dann scheinbar fahrerlos davon. Was war passiert? Ewald lag unter dem Armaturenbrett des Traktors und polierte liebevoll die Kabel. Sein blitzender Traktor war für Ewald ein Signal gegen den Schmutz, der sich überall auf der Welt auftürmte. Plötzlich erschütterte ein lautes BOING das Innere des Traktors. Vor Schreck richtete sich Ewald auf, und - BOING! - knallte sein Kopf gegen das Armaturenbrett. In einer fließenden Bewegung sackte Ewalds leicht benebelter Kopf auf das Gaspedal. Gleichzeitig hielt er sich an der Gangschaltung fest. Der erste Gang rastete ein, und der Traktor brauste munter los. Aufgeregt flatterten Hühner und Enten vor dem herannahenden Traktor davon, der führerlos in Schlangenlinien über den Hof kurvte. Alex stand vor Schreck wie angewurzelt da. Bewegungslos starrte er auf den Traktor, der eine enge Kurve zog. Dann raste das Fahrzeug genau auf Alex zu. Laufen war noch nie Alex' starke Seite gewesen. Der Abstand zwischen ihm und dem Traktor verringerte sich daher auch zusehends. Wie lange konnte Alex hoffen, diesem Ding noch zu entkommen? Verständlicherweise war Alex nicht gerade scharf darauf, von einem noch so chromblitzenden Traktor überrollt zu werden. Was sollte er bloß tun? Schließlich war er es nicht gewohnt, daß ihn wildgewordene Traktoren mit donnerndem Motor verfolgten. „HÜÜÜÜLFÜÜÜ!" schrie Alex. „HÜÜLFÜÜÜ!" Unterdessen ritten Conny, Steffi, Barbara und Gertie auf ihren Pferden durch den Wald. Schon früh am Morgen waren sie aufgebrochen. An einem Tag wie diesem machte das Reiten besonders viel Spaß. Die Luft war mild und erfüllt vom Summen der Insekten. Ein paar junge 5
Rebhühner und ihre Eltern huschten aus dem hohen Gras. Flink trippelten sie quer über den Weg. In diesem Augenblick schoß ein Bussard im Tiefflug heran. Er streckte seine Klauen vor, um eines der Jungen zu schlagen. Conny hielt vor Schreck den Atem an. Aber die Rebhühner konnten sich gerade noch ins hohe Gras retten. Der Bussard sah die Reiterinnen und drehte schimpfend ab. Conny ritt gerne durch den Wald. Auf ausgewiesenen Reitwegen konnte sie ungestört dahintraben. Die Wälder um den Alderhof waren ein wahres Reiterparadies. Unzählige Tiere bevölkerten die Wälder. Brombeer- und Himbeersträucher säumten viele Wege. Auf einer Lichtung ästen drei Hirsche. Plötzlich hoben sie die Köpfe, stellten die Lauscher nach vorn und witterten, ob von den Menschen wohl eine Gefahr ausgehe. Mißtrauisch äugten sie den Mädchen nach, die langsam über die Lichtung davon ritten. Erst als der Wald sie wieder verschluckt hatte, verloren die Hirsche ihren Argwohn und ästen weiter. Die Mädchen ritten am Forsthaus vorbei. Über der Tür des schmucken Hauses hing ein Hirschgeweih. Ein Setter kam den Reiterinnen schwanzwedelnd entgegen und lief ihnen noch ein gutes Stück hinterher. An einer Wegkreuzung machte er kehrt und rannte zum Haus zurück. Der kristallklare See inmitten einer Lichtung lud zur Rast ein. Während die Mädchen im weichen Moos vor sich hinträumten, grasten ihre Pferde. In den Wipfeln der alten Eichen zwitscherten Vögel. Die Wiese schimmerte bunt von unzähligen Wildblumen. Ab und zu setzte sich ein Schmetterling auf Arme oder Beine der Mädchen. Ein Heer von Fröschen tummelte sich am Seeufer und gab ein quakendes Konzert. Conny wohnte bei ihren Großeltern, denen der Alderhof gehörte. Fast zwei Monate war es jetzt schon her, da Connys Vater beruflich nach Brasilien mußte. Als er in das große Flugzeug stieg, war Conny sehr traurig gewesen, denn ihr Vater war ihre ganze Familie. Connys Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Ihr Vater mußte damals so schnell nach Brasilien abreisen, daß Conny kaum mehr viel Zeit blieb, sich richtig von ihm zu verabschieden. 6
„Nicht traurig sein", hatte er ihr am Abend vor seiner Abreise gesagt, „ich komme ja bald wieder. Ein Jahr ist keine Ewigkeit." Für ein Mädchen von fünfzehn Jahren aber waren zwölf Monate eine unvorstellbar lange Zeit. In der Nacht vor dem Abflug kam sich Conny sehr einsam und verlassen vor. Aber inzwischen hatte sie sich auf dem Alderhof eingelebt. Er war ihr zweites Zuhause geworden. Graf und Gräfin Alderhof kümmerten sich liebevoll um ihre Enkelin. Conny hatte schnell das Gefühl, sie habe schon immer auf dem Reiterhof gelebt. „Es wird Zeit, daß wir nach Hause reiten", sagte Conny, als die Schatten länger wurden. Die Mädchen schwangen sich in die Sättel und ließen den Wald hinter sich. Ein Feldweg führte schnurstracks zum Alderhof. Als Conny Alexander Schlöderblohm in der Ferne in Todesangst schreien hörte, trieb sie ihr Pferd Kobalt zum scharfen Galopp an. Conny glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie Kobalt im Innenhof des Gutes zügelte. Stürmte da wirklich Alexander Schlöderblohm, verfolgt von Ewalds Traktor, auf sie zu? ,O nein!' dachte Conny ängstlich. ,Nicht schon wieder eine Katastrophe!' „Lauf, Alex!" schrie Conny hinter Alexander her. „Ich laufe doch!" rief Alex zurück und keuchte dabei wie eine altersschwache Lokomotive. „Oder sieht es etwa nicht so aus, als ob ich liefe?" Im nächsten Augenblick überschlugen sich die dramatischen Ereignisse. Hugo hatte sich inzwischen einen neuen Farbeimer besorgt und war damit wieder auf die Leiter geklettert. Direkt unter dieser Leiter sprintete Alex hindurch. Das hatte Hugo jedoch nicht mitbekommen. Ahnungslos strich er die Fensterläden weiter. Im nächsten Moment nahm das Drama seinen Lauf. Wie von Zauberhand verschwand die Leiter, und Hugo klammerte sich hilferufend am Fensterbrett fest. Der Farbeimer landete laut krachend auf dem Traktor. Sein ganzer Inhalt ergoß sich über das Gefährt und überzog die chromblitzende Karosserie mit einem wunderschönen lindgrünen Graffiti-Muster. Als Conny sah, daß Alexander um sein Leben lief, zögerte sie keinen Moment. Sie trieb Kobalt an und ritt im scharfen Galopp 7
hinter Alexander her. Als sie auf gleicher Höhe mit ihm war, schwang Alex sich hinter Conny auf Kobalt. In diesem Moment tauchte Ewald unter dem Traktorsitz hervor. Die Beule an seinem Kopf hatte große Ähnlichkeit mit einem Hühnerei. „Wa ... was geht hier vor?" stammelte Ewald, der von der Amokfahrt seines Traktors überhaupt nichts mitbekommen hatte. Nachdem Ewalds Hinterkopf das Gaspedal nicht mehr nach unten drückte, rollte der Traktor allmählich aus. Er wurde immer langsamer und stoppte schließlich ganz. Ewald stierte fassungslos auf seinen farbbeklecker-ten Traktor. Conny kannte diesen Blick. Wer Ewald jetzt zu nahe kam, schwebte in Lebensgefahr. Während Ewald seinen nun nicht mehr so sauberen Traktor wieder und wieder völlig fassungslos umkreiste, murmelte er ununterbrochen etwas vor sich hin. Das waren bestimmt keine Schmeicheleien. Conny stieg vom Pferd und stützte Alex, der sich völlig verausgabt hatte. Er röchelte, keuchte und japste nach Luft. Seine Beine fühlten sich an, als seien sie aus Weichgummi. Vor seinen Augen verflossen die Umrisse der Gegenstände bis zur Unkenntlichkeit. Nur Helmuths Schreie drangen klar und deutlich an Alexanders Ohr. Helmuth war begeistert. Nie im Leben hätte der Esel gedacht, daß es so schön sein könnte, eine Leiter umzuwerfen. Das kluge Tier merkte sich den Spaß gut.
2. Kapitel Pläne schmieden Conny und ihre Freundinnen verbrachten den nächsten Vormittag im Stall und striegelten sorgfältig ihre Pferde. Sie kämmten die Mähnen der Tiere mit dem Mähnenkamm, damit sie nicht verfilzten. Mit dem Hufkratzer reinigten sie die Hufe. Geduldig ließen die Pferde die Prozedur über sich ergehen. „Was unternehmen wir denn zusammen am Wochenende?" wollte 8
Steffi wissen. „Wir könnten zur alten Mühle reiten", schlug Barbara den anderen Mädchen vor. „Och, da waren wir doch erst vorgestern", maulte Gertie. „Fällt euch denn nicht mal was anderes ein?" „Schlag du doch was besseres vor", meinte Conny. „Was haltet ihr davon, wenn wir zur Burg reiten und dort übernachten?" fragte Gertie. „Das ist bestimmt toll aufregend. Vielleicht gibt es in den finsteren Ruinen sogar Gespenster." Ungefähr fünf Kilometer vom Alderhof entfernt lag Burg Eckbertstein. Im Lauf der Jahrhunderte war sie zerfallen und von Unkraut überwuchert. Heute lebten dort viele seltene Vogelarten und andere Tiere. „Das einzige, was es dort gibt, sind Fledermäuse", lachte Steffi. „Meinst du, ich hab' Lust, mir in dem nassen Gras eine Krankheit zu holen? Nee, da schlaf ich lieber zu Hause im warmen Bett." „Wir schlafen doch nicht im Gras, du Dummerchen!" Gertie schüttelte tadelnd den Kopf. „Wir nehmen doch Zelte und Schlafsäcke mit." Das war natürlich was anderes. Im Grund genommen fanden die anderen Gerties Idee gar nicht so übel. Je länger sie sich darüber unterhielten, desto begeisterter wurden sie. „Aber erst muß ich meinen Großvater fragen, ob er uns den Ausflug erlaubt", meinte Conny, die wußte, daß der Graf über alles Bescheid wissen wollte. „Na, dann fragen wir ihn doch", lachte Gertie. Gemeinsam betraten die Mädchen das Wohnhaus, wo Else gerade Staub wischte. „Else, weißt du, wo ich meinen Großvater finden kann?" fragte Conny höflich. „Nein!" Else öffnete das Fenster und schlug das Staubtuch aus. „Was willst du denn von dem Grafen?" „Wir wollten ihn fragen, ob wir in der Burgruine über Nacht campen dürfen." „In der Burgruine???" Eises Gesicht nahm schlagartig die bleichgelbe Farbe ihres Staubtuchs an. „In der Ruine, wo es vor 9
Geistern, Gespenstern und was-weiß-ich-nicht-noch-alles wimmelt?" „Barmherziger Staubsauger! Das ist doch wohl nicht euer Ernst!" Else verschlug es den Atem. War die Ruine wirklich so unheimlich? Steffi lief bei dem Gedanken an Gespenster ein eisiger Schauer über den Rücken. Im Geist sah sie sich schon von einer Horde Skelette umzingelt. „Ach, Else", lachte Conny unbeeindruckt, „du glaubst doch wohl nicht im Ernst an Gespenster?" „Das erlauben deine Großeltern nie", antwortete Else ausweichend. „Dafür werde ich schon sorgen." „Ich glaub' schon, daß sie uns ihre Zustimmung geben," meinte Conny, die Eises Ablehnung nicht sonderlich beeindruckte. „Bereitest du bitte einen Picknickkorb mit Käsebrötchen vor, damit wir unterwegs nicht auch noch verhungern?" „Wenn euch die Gespenster um die Ruine jagen, werdet ihr keine Zeit zum Essen haben", konterte Else trocken. „Ihr reitet nicht zur Burg, weder bei Tag und schon gar nicht bei Nacht. Basta!" Wenn Else „Basta" sagte, dann meinte sie das auch. Jedes Widerwort war verschwendete Luft. „Ihr könnt doch auf der Wiese neben dem Haus zelten", versuchte Else die Mädchen ein wenig zu trösten. „Wenn ihr Hunger bekommt, braucht ihr bloß ein paar Meter weit bis zur Küche zu gehen. Ist das kein toller Vorschlag?" „Phantastisch", seufzte Conny wenig begeistert 10
und ging nach draußen. „Das fängt ja gut an", schimpfte Gertie und folgte Conny und den anderen. „Das war's dann wohl", meinte Steffi resigniert. „Noch ist das letzte Wort nicht gefallen", munterte Conny ihre Freundinnen auf. „Mein Großvater gibt uns vielleicht doch noch die Erlaubnis." „Hoffentlich", erwiderte Barabara. Dann machten sich die Mädchen auf die Suche nach Graf Alderhof. Unterdessen kämpfte Waldi im Hof mit ganz anderen Problemen. Er stand auf Kriegsfuß mit einem Käfer. Dieses Insekt wagte es doch tatsächlich, schnurstracks auf ihn zuzuwandern. Selbst Waldis Knurren beeindruckte das krabbelnde Insekt nicht im geringsten. Zuerst erstaunte Waldi das, dann erschrak er. Im Grunde genommen hatte er keinen blassen Schimmer, was für ein Tier da auf ihn zuwanderte. Weil ihm nichts Besseres einfiel, fing Waldi nun laut zu bellen an. Als Antwort darauf breitete der Käfer seine Flügel aus und flog genau auf Waldis Nase zu. Das war zuviel für den kleinen Dackel. Jaulend und Haken schlagend wetzte er über den Hof, sauste in den Stall und suchte in Kobalts Box Unterschlupf. Inzwischen hatte sich der Käfer längst verkrümelt. Dennoch zitterte Waldi noch eine Weile am ganzen Körper und wagte sich nicht aus der Box hervor. Verwundert blickte Kobalt auf den kleinen Hund, der da zwischen seinen Beinen hockte. Kobalt hatte Waldi noch nie besonders ins Herz geschlossen. Normalerweise kläffte Waldi nämlich immer frech hinter den Pferden her. Im Augenblick gab er jedoch keine besonders große Nummer ab. Aber er fühlte sich in der Nähe des großen Tieres einigermaßen sicher. Unterdessen saß Graf Alderhof auf einer Bank im kleinen Park neben dem Gutshaus und genoß die Ruhe. Nach und nach gruppierten sich Conny und ihre Freundinnen um den Grafen. Sie bestürmten ihn sofort mit Fragen und Bitten, ob sie einen Ausflug nach Burg Eckbertstein unternehmen dürften. „Wenn ihr versprecht, vorsichtig zu sein, habe ich nichts dagegen", sagte der Graf schließlich. „Aber ihr müßt Cornelia als Aufsichtsperson mitnehmen! Darauf bestehe ich!" 11
Die Mädchen hatten ihr Ziel erreicht. „Wir schlafen in einer richtigen Gespensterburg!" freute sich Conny, und ihre Freundinnen stimmten fröhlich in ihr Gelächter ein.
3. Kapitel Helmuth ist verschwunden Das gibt es doch nicht!" schrie Alexander Schlöderblohm fassungslos. „Helmuth ist weg!" Atemlos erreichte Alexander die Stelle, wo Helmuth vor dem Alderhof-Stall gestanden hatte. Alex war höchstens zwei Minuten weg gewesen, um sich in der Küche ein Butterbrot zu holen. „Was ist los?" fragte Conny, die in diesem Moment aus dem Stall trat. An Alex bleichem Gesicht erkannte sie gleich, daß etwas nicht stimmte. „Helmuth ist fort", flüsterte Alexander mit zitternder Stimme. „Man hat ihn gestohlen." „Vielleicht ist er nur weggelaufen", beruhigte ihn Conny. „Helmuth hat seinen eigenen Kopf." „Ich hatte ihn angebunden", stieß Alex hervor und deutete auf den abgerissenen Strick, der an einem Befestigungsring baumelte. „So tu doch was," forderte Alex Conny auf und ruderte dabei wild mit den Armen in der Luft herum. Dann rannte er los und suchte nach seinem geliebten Esel. Wie ein aufgescheuchtes Huhn sauste er im Zickzack über den Hof. Ewald, der seinen Traktor sehr mühsam von der grünen Farbe befreit hatte, sah dem vorbeirasenden Alex ganz verstört hinterher. „Wo ist mein Helmuth?" jammerte Alex immerfort. In diesem Moment kehrte Graf Alderhof von einem Spaziergang zurück. „Was hast du denn?" fragte er. „Da vorne stand eben noch Helmuth!" Mit zitterndem Finger deutete Alex auf die Stelle, wo er Helmuth das letzte Mal gesehen hatte. „Mein Esel. Ein wunderschöner Esel. Und jetzt... jetzt ... ist er weg." Völlig fertig ließ sich Alexander auf die Sitzbank unter der alten 12
Eiche fallen und schien schlagartig um Jahre gealtert zu sein. „Wir sollten die Polizei rufen", meinte Conny, die langsam die Angelegenheit wirklich ernst nahm. „Mein Helmuth", jammerte Alex. „Mein lieber Helmuth ..." „Versuchen können wir's", meinte der Graf. „Aber ich habe Zweifel, ob das viel Sinn hat. Die Polizei hat Wichtigeres zu tun, als nach einem Esel zu fahnden." „Meine Mutter hat mir heute morgen gesagt, ich solle zu Hause frühstücken", stöhnte Alex, von Selbstvorwürfen gequält. „Aber nein, ich mußte ja unbedingt eines von Eises Käsebrötchen haben. Hätte ich Helmuth doch nur nie allein gelassen." „Helmuth ist sicher nur weggelaufen", meinte auch der Graf. „Er hat das Seil durchgeknabbert und strolcht irgendwo durch die Gegend. Wer sollte denn schon einen Esel stehlen?" „Hier handelt es sich nicht um irgendeinen Esel!" Alex warf dem Grafen einen empörten Blick zu. „Es handelt sich um meinen Helmuth." „Komm, wir suchen deinen Helmuth", schlug Conny vor und zog den verzweifelten Jungen mit sich. Wenig später verließ eine kleine Suchexpedition den Alderhof. Alexander und Conny ritten gemeinsam auf Kobalt, Barbara, Gertie und Steffi bildeten den Rest der Truppe. Bis zum späten Nachmittag suchten sie alle nahen Feldwege ab. Aber nirgends fanden sie auch nur die geringste Spur, die darauf hinwies, daß Helmuth hier gewesen sein könnte. Bei Kirchberg, einem kleinen Ort mit malerischen Fachwerkhäusern, legten sie eine Rast ein. Die Mädchen setzten sich ins Gras und streckten sich. „Hab' ich einen Durst", meinte Gertie. „Und ich erst", bestätigte Barbara. „Ich kauf uns drüben in Kirchberg eine Limo", sagte Conny. „Kommst du mit, Alex?" Mit resignierendem Schulterzucken stimmte Alex zu und trottete hinter Conny her. Sie gingen zu Fuß über eine schmale Brücke und erreichten fünf Minuten später den Ort. Ein kleiner Jahrmarkt hatte seine Zelte auf dem Dorfplatz aufgeschlagen. Mittelpunkt der Kirmes 13
war das Eselreiten. Gegen Endgeld konnten Kinder hier reiten. „Helmuth!" keuchte Alex plötzlich. Wie gebannt starrte er auf einen der Esel, der gerade Pause hatte. Er war hinter der Bude angeleint. „Das ist nicht Helmuth", meinte Conny. „Helmuth hat doch keine schwarzen Flecke in seinem grauen Fell", stellte sie sachlich fest. „Darauf fall' ich nicht rein!" Alex stürmte auf den vermeintlichen Helmuth zu und musterte ihn aus nächster Nähe. „Man hat ihn angemalt." Alex ging ein paarmal um den Esel herum, dann war er sich ganz sicher. „Das ist er!"" sagte Alex und knotete den Esel los. „Die haben ihm Flecke aufgemalt, die Mähne gefärbt und eine Blesse auf die Stirn gepinselt. Ganz schön schlau, aber nicht schlau genug für einen cleveren Schlöderblohm!" „Das ist nie und nimmer Helmuth", seufzte Conny und beobachtete mit einer gehörigen Portion Skepsis Alex' Treiben. „Helmuth war kleiner. Jetzt sag bloß noch, sie hätten dem hier Stelzen angebunden, bloß um dich hinters Licht zu führen!" Alex überhörte Connys Spott. Er war mit Wichtigerem beschäftigt. Mit aller Kraft zog er an dem Strick, damit Helmuth ihm folgte. Der gewünschte Erfolg blieb Alex allerdings versagt. Stur wie ein Esel blieb das Grautier stehen. Stattdessen begann es nun auch noch inbrünstig und unüberhörbar zu schreien. „IIIIIIIII-AAAAAAA!" machte der Esel. Immer mehr Kirmesbesucher blieben stehen und beobachteten Alex bei seinem Treiben. Vorsichtshalber hielt Conny großen Abstand zu ihrem Freund. Plötzlich legte sich eine Hand von der Größe einer Kohlenschaufel bleischwer auf Alex' Schulter. „Was hast du denn mit meinem Esel vor?" schallte es im tiefen Baß aus dem grimmigen Mund des Schaustellers, der groß und breit war wie ein Berg. „Das ist mein Esel", konterte Alex. „Sie haben ihn mir gestohlen." Daraufhin wurde der Budenbesitzer noch unfreundlicher, als er sowieso schon war. Er packte Alex am Kragen und ballte die Faust. 14
„Lassen Sie Alexander los!" Furchtlos trat Conny vor den Budenbesitzer. „Das ist sein Esel." Connys Einwand bewirkte wenig. Unbarmherzig schüttelte der Budenbesitzer Alex durch. „L-L-L-o-o-s-l-l-a-a-s-s-e-e-e-n!" stotterte Alexander, dem der Angstschweiß auf der Stirn stand. Immer mehr Schaulustige drängten sich heran. Grob versetzte der Budenbesitzer Alex einen heftigen Tritt in den verlängerten Rücken. „Laß dich hier nie wieder blicken, sonst rufe ich die Polizei!" drohte der vierschrötige Mann. Unsanft landete Alex zwischen zwei scheppernden Mülltonnen auf seinem Hosenboden. „Das war nicht fair", murmelte er, als Conny ihm auf die Beine half. „Komm, wir gehen besser!" riet sie ihm. „Wir wissen ja nun, wo Helmuth ist. Vom Alderhof aus verständigen wir die Polizei. Morgen hast du deinen Helmuth wieder." Humpelnd verließ Alex den Ort seiner Niederlage. „Vielleicht ist es morgen schon zu spät", jammerte er. „Womöglich reisen die Schausteller schon heute ab und sind morgen irgendwo im Ausland", befürchtete Alex. „Oder sie lassen Helmuth rasch verschwinden. Dann hängt er morgen als Salami in der Metzgerei." Aber ein Blick auf den grimmigen Schausteller genügte, und Alex wußte, daß Rückzug angesagt war. Als der Suchtrupp eine Stunde später den Alderhof erreichte, hörten sie Helmuth schon von weitem schreien. Sein „IIIAHHH" schallte aus dem Haus. Conny und Alex schwangen sich von Kobalt und rannten ins Haus. Sie betraten das Wohnzimmer und machten sich auf das Schlimmste gefaßt. Das Schlimmste war jedoch noch nicht schlimm genug. Mitten im Zimmer stand Helmuth und schrie gellend vor Vergnügen. Daß der Esel des Schaustellers gar nicht der richtige Helmuth war, spielte nun keine Rolle mehr. Alles, was zählte, war das Chaos, das Helmuth im Wohnzimmer angerichtet hatte. Der Boden war übersät 15
von umgekippten Möbeln. Erbarmungslos hatten Helmuths Hufe die Teppiche und seine Zähne die Vorhänge zerfetzt. Überall lag zerbrochenes Porzellan herum. So ähnlich mußte es nach einem Erdbeben aussehen. „O nein!" Conny fühlte, wie sie vor Schreck eine Gänsehaut bekam. „Offensichtlich war Helmuth sauer, daß ich ihn allein im Hof gelassen habe." Behutsam näherte sich Alex dem Esel. „Es tut mir schrecklich leid, Helmuth. Das soll nie wieder vorkommen!"
4. Kapitel Vorbereitungen Kobalt witterte, daß etwas im Busch war. Conny und die anderen Mädchen trafen sich in letzter Zeit öfter im Stall als sonst. Dann schmiedeten sie Pläne und kicherten viel. Einem so intelligenten Pferd wie Kobalt konnten sie nichts vormachen. Irgendwas war hier im Busch ... Normalerweise reinigten die Mädchen das Sattel und Zaumzeug in der Sattelkammer. Aber für vier Leute war es dort viel zu eng. Deshalb setzten sie sich auf Strohballen in die Boxengasse. Mit Schwämmen seiften sie das Lederzeug ein und entfernten mit stumpfen 16
Messern hartnäckige Fettreste. Mit einem Fensterleder trockneten sie das Zaumzeug dann ab. „Möööönsch!" rief Gertie und klatschte vor Begeisterung in die Hände. „Wir schlafen in einer richtigen Gespensterburg. Das ist obercool und echt locker!" „Ich leg' mich mit meinem Schlafsack in die Folterkammer", scherzte Barbara unerschrocken. „Und wenn mir 'n echtes Skelett begegnet, nehm' ich es gleich mit nach Hause." „Das Gesicht deiner Eltern möchte ich sehen, wenn du denen deinen Freund vorstellst", lachte Conny. So ging es noch eine ganze Weile hin und her. Die Mädchen alberten rum und malten sich ihren Ausflug in den schaurigschönsten Farben aus. Dabei polierten sie die Steigbügel, die Schnallen und die Gebißringe mit einem Metallreiniger und weichen Tüchern. Dann massierten sie in Kreisbewegungen die Sättel mit Seife ein. Die Gurtriemen und Satteltaschen wurden besonders sorgfältig behandelt. „Also einverstanden", schloß Conny die Unterhaltung. „Am Samstagmittag ziehen wir los. Das wird bestimmt ein toller Ausflug." „Ausflug?" wiederholte Alexander Schlöderblohm, der plötzlich in der Boxengasse stand. „Ja", erwiderte Conny. „Wir reiten nach Burg Eckbertstein und campen da eine Nacht lang." „Super", frohlockte Alex. „Der Gruselschuppen bietet für einen echten Horrorfan wie mich alles, was er sich nur wünschen kann. Wann reiten wir los?" „Wir haben beschlossen, daß es ein reiner Mädchenausflug wird. Du bist doch kein Mädchen, oder etwa doch?" „Was?" schnaubte Alex entrüstet. „Ihr wollt mich nicht dabeihaben? Ich bin doch nicht irgendein Irgendwer. Schreibt euch das hinter die Ohren!" „Und wenn du Rudolph Rotnase wärst, das hier wird eine Mädchenparty", trotzte Gertie. „Also, laß uns gefälligst in Ruhe, oder möchtest du dir einen Satz heißer Ohren von mir abholen?" Gerties Vorschlag zauberte die Schreckensvision einer 17
schallenden Ohrfeige vor Alex' geistiges Auge. „Warum könnt ihr mich denn nicht mitnehmen?" Alex blickte so flehentlich wie möglich zu den Mädchen. „Dafür muß es doch einen Grund geben?" „Weil wir zu weit draußen sind, um rechtzeitig die Feuerwehr oder den Notdienst rufen zu können", konterte Steffi. „Und die werden wir wohl brauchen, wenn du und Helmuth mitkommen." „Aha, ihr spielt auf den unbedeutenden Vorfall mit Helmuth im Wohnzimmer des Alderhofs an", vermutete Alex mit gereizter Stimme. „Deine Kombinationsgabe verblüfft mich immer wieder", schmunzelte Barbara. „Wir könnten dich höchstens mitnehmen, wenn du mit Helmuth die ganze Zeit in einem Zwinger bleibst." „He, das ist eine gute Idee!" Alex' bittende Blicke mochten Steine erweichen, aber keine Mädchenherzen. „Mit dem Zwinger bin ich einverstanden!" „Das sollte ein Scherz sein", knurrte Gertie und rollte dabei mit den Augen. „Also gut. Stimmen wir ab", verkündete Alex. „Wer ist dafür, daß ich mitkomme - und wer ist dagegen?" „Es gibt keine Abstimmung, Alex", meldete sich Barbara. „Niemand von uns ist dafür, daß du oder irgendein anderer Junge mitkommt. Da brauchen wir erst gar nicht lange abzustimmen." „Wieder eine vernichtende Niederlage für die Demokratie", seufzte Alex abgrundtief und tat ganz zerknirscht. „Alex, wir möchten dich nur um einen kleinen Gefallen bitten", sagte Conny liebenswürdig. „Laß uns jetzt bitte endlich allein." „Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß ihr in den Ruinen auch nur einen Augenblick ohne männlichen Schutz schlafen könnt? Oder wißt ihr nicht, was euch in einem Spukschloß alles zustoßen kann?" Alex' Einwand zog nicht, wie er rasch feststellte. Und das, obwohl er die farbigsten Schreckensvisionen von tanzenden Skeletten beschrieb, die sich mit klappernden Knochen um die Mädchen scharten und sie jagten. Conny und ihre Freundinnen jedoch brachen lediglich in prustendes Gelächter aus. „Macht euch nur lustig über mich", knurrte Alex beleidigt. „Denkt 18
an meine Worte, wenn ihr in der Nacht hilflos durch die finsteren Ruinen irrt und seelenlose Wesen um Gnade anfleht!" Schmollend verließ Alex die Scheune. „Wir haben keine Angst vor Gespenstern!" rief ihm Barbara hinterher. „Hoffentlich sehen wir eines. Das war' echt 'ne Wucht." „Gott hat sich bestimmt was dabei gedacht, als er Alexander schuf", seufzte Gertie. „Aber es hatte bestimmt nichts mit Ordnung zu tun." Die Ablehnung der Mädchen verkraftete Alexander nicht so einfach. Ein Schlöderblohm war es nicht gewohnt, daß man ihm die kalte Schulter zeigte. Aber was sollte er tun? Vor den Mädchen auf dem Bauch rutschen? Nein, das wollte er auch nicht. Dafür war sein Selbstbewußtsein zu ausgeprägt. Hatte er es vielleicht nötig, vor diesen eingebildeten Mädchen zu katzbuckeln? ,Nein! Niemals! Das kommt nicht in Frage!' redete er sich ins Gewissen. Dennoch war Alexander verzweifelt. Erst eine verteufelt gute Idee führte ihn aus dieser seelischen Schieflage.
5. Kapitel Das Geheimnis von Burg Eckbertstein Heulend strich der Wind um den Alderhof. Ab und zu peitschten Zweige die Fensterscheiben des Kaminzimmers. In der Ferne grollte Donner, und Wetterleuchten erhellte gespenstisch die Nacht. Conny saß in einem Ohrensessel vor dem offenen Kamin. Gedankenverloren blickte sie in das lodernde Feuer. Der Graf stand am Fenster und zog die Vorhänge zu. Dann setzte er sich in einen Sessel neben Conny. „Weißt du, was Else anstellt, weil ich euch die Erlaubnis gegeben habe, zur Burg Eckbertstein zu reiten?" fragte der Graf. „Sie will in einen unbefristeten Kochstreik treten." „Warum hat Else nur soviel Angst?" Conny schreckte mit einem 19
Ruck aus ihren Gedanken. „Wir haben doch schon öfter längere Touren gemacht und über Nacht gecampt." „Ja", stimmte der Graf zu. „Aber nicht zur Burg Eckbertstein. Es soll dort nämlich spuken." „Du meinst wirklich, das stimmt?" staunte Conny. „Altweibergeschwätz!" Der Graf richtete sich etwas im Sessel auf. „Gespenster gibt's nur in der Literatur oder im Film. Aber du weißt ja, manche Geschichten sind einfach nicht totzukriegen. So ist es auch mit der vom Geist von Eckbertstein. Schon mein Großvater erzählte die Geschichte seinen Kindern." „Du machst mich aber neugierig, Großvater!" Conny schlug die Beine übereinander und stützte ihr Gesicht auf beide Fäuste. „Was ist das für eine Geschichte?" „Ich weiß nicht, ob ich sie dir erzählen soll." Der Graf lehnte sich im Sessel zurück. „Sie ist dumm und nicht gerade für sensible Mädchenohren bestimmt." „Och, bitte", drängte Conny. „Na gut", lenkte der Graf ein. „Die Legende berichtet, daß das Unglück an einem düsteren Herbstabend im Jahre 1680 seinen Lauf nahm. Es heißt, der damalige Burgherr hätte sich der Zauberei verschrieben, Geister beschworen und sie zu seinen Sklaven gemacht. Der Burgherr besaß ein prächtiges Roß, wie es noch nie zuvor jemand gesehen hatte. Es hieß Levitan. Man munkelte, der Burgherr habe die Geister gezwungen, dieses Roß dem leibhaftigen Höllenfürsten zu stehlen. An dem betreffenden Herbstabend stattete John Barton seinem Oheim einen Besuch ab. Barton war ein verkrachter Student, ein mittelloser Studiosus, der außer einem Berg Schulden nichts sein Eigen nannte. Aber er war der einzige Erbe des Burgherrn und erhoffte sich nach dessen Tod ein beträchtliches Vermögen. Als Barton sich an diesem Abend der Burg näherte, heulte und pfiff der Sturm wehklagend um die trutzigen Mauern. Trotz des drohenden Unwetters verließen die Dienstboten fluchtartig das Gemäuer. Als Barton schließlich die Burg betrat, war sie bis auf den sterbenden Burgherrn menschenleer. John trat an das Sterbelager seines Oheims. 20
John, mein guter Junge', flüsterte dieser. ,Es ist mir unmöglich, die Geister weiter zu bannen. Fliehe, solange du kannst. Sie werden kommen, um den prächtigen Hengst Levitan seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzubringen. Außer diesem Pferd besitze ich nichts mehr. Fliehe, John, bevor die Geister kommen! Fliehe, sonst holen sie auch dich in die Hölle!' Kaum hatte der Burgherr diese Warnung ausgesprochen, sank er in die Kissen zurück und verschied. Aus der Halle vernahm Barton in diesem Augenblick Hufschlag und dann ein helles Wiehern. Er eilte hinab und sah den prächtigen Hengst. Durch die Fenster fiel der fahle Mondschein auf Levitan, der unruhig in der Hallenmitte tänzelte. Mit einer Mischung aus Angst und Neugier näherte sich Barton dem Pferd. Wie von einer magischen Kraft fühlte er sich zu dem Tier hingezogen. Selbst sein ungeschultes Auge erkannte, daß dies das prächtigste Pferd der Welt war. Obwohl Barton eine innere Stimme zur Flucht riet, trat er gebannt neben Levitan und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Plötzlich ertönte der Klang einer dumpfen Glocke. Das Geläute schwoll an. Gleichzeitig erhob sich ein furchtbarer Sturm. Entsetzen lahmte Barton. Als er sich umdrehte, schwebten Geister heran und strecken ihre bleichen Finger nach ihm aus. Weder Levitan noch John Barton wurden jemals wieder gesehen. Von da an verbreitete sich die Sage, daß Bartons Geist noch heute in den Ruinen von Burg Eckbertstein spukt", endete der Graf die Erzählung und schaute ein wenig hilflos zu seiner Enkelin. Conny hatte die ganze Zeit völlig still und regungslos gelauscht, während eine Gänsehaut nach der anderen ihren Rücken rauf und runter lief. Sie bereute längst, daß sie ihren Großvater zum Erzählen dieser gruseligen Geschichte gedrängt hatte. „Ach du liebe Güte, du bist ja ganz blaß geworden", stellte der Graf erschrocken fest. Nichts lag ihm ferner, als Conny Angst einzujagen. „Das war eine ... äh, nette Geschichte!" Conny reckte sich und gähnte. „Ich glaube, es wird langsam Zeit, daß ich ins Bett gehe. Gute Nacht." 21
Conny gab ihrem Großvater einen flüchtigen Kuß auf die Wange und ging in ihr Zimmer. Draußen heulte der Sturm immer heftiger. Irgendwo hatte sich ein Fensterladen geöffnet. Mit dumpfem Knall schlug er gegen die verwitterte Hauswand. Dies war eine jener Nächte, in denen selbst der ausgekochteste Geisterleugner darüber grübelte, ob es nicht doch Gespenster gibt.
6. Kapitel Der Ritt zur Burg Punkt zwölf Uhr mittags verließen Conny und ihre Freundinnen am Samstag den Alderhof. Cornelia, die Verwalterin des Gutes, begleitete sie. Die Pferde trugen die zusammengerollten Schlafsäcke und Zelte auf ihrem Rücken. In den prallvollen Satteltaschen steckten die Verpflegung und die Kleidung der Mädchen. Obwohl Else ganz und gar gegen diesen Ausflug war, hatte sie doch Butterbrote geschmiert und außer Obst auch noch Kuchen und Limonade eingepackt. Waldi lief den Ausflüglern ein Stück hinterher und kläffte übermütig. Am Hoftor blieb er stehen. Die Welt außerhalb seines Reviers war Waldi nicht geheuer. Während sie langsam über einen Feldweg ritten, wollte Barbara wissen, was das eigentlich für eine Geschichte um Burg Eckbertstein sei. Ihre Mutter hatte ihr zwar erzählt, es gebe da eine Legende über die Burg. Aber näheres hatte sie auch nicht gewußt. Auf Barbaras Drängen hin erzählte Conny die Gruselgeschichte von Burg Eckbertstein, so wie sie ihr der Großvater so eindringlich berichtet hatte. „Ach, vergiß doch dieses Märchen", lachte Gertie, als Conny geendet hatte. „Wie kann man nur an Gespenster glauben? Ich kenne keinen, der jemals eines hat kommen oder gehen sehen." „I-Ich glaube auch nicht an Geister", meinte Steffi und flüsterte dabei, als fürchtete sie, ein naher Geist könne sie hören. Im Schrittempo ritten sie durch den Wald. Plötzlich raschelte 22
etwas neben ihnen im Farnkraut. Conny zü-gelte Kobalt. Aus dem Farn stakste ein kleines Rehkitz auf wackligen, noch ungeübten Beinen. Es zeigte überhaupt keine Angst vor den Reitern. Mit großen Augen blickte es die Menschen neugierig an. „Ist es nicht süß?" seufzte Barbara entzückt und stieg vom Pferd. „Und wie zahm es ist!" „Wo mag wohl seine Mutter sein?" Conny blickte sich suchend um, entdeckte aber keine Ricke. „Kann sein, daß sie uns wittert und sich nicht herantraut", vermutete Cornelia. „Vielleicht ist das Kitz aber auch eine Waise, und was dann?" Steffi stieg nun ebenfalls ab. „Nicht anfassen!" befahl Cornelia, als sie sah, wie Barbara auf das Kitz zuging. „Warum denn nicht?" Barbara blickte verständnislos auf. „Ich will es doch nur einmal lieb streicheln." „Wenn du das Kitz berührst, hat es Menschengeruch an sich", erwiderte Cornelia. „Dann nimmt die Ricke ihr Junges nicht mehr an, und es muß jämmerlich verhungern und sterben." Das sahen Barbara und Steffi ein. Sie schwangen sich wieder in die Sättel und folgten Cornelia. Das Kitz blickte den wegreitenden Mädchen verwundert hinterher. 23
Etwa dreißig Meter weiter zügelte Cornelia ihr Pferd und schaute zurück. Von hier aus konnten sie das Kitz beobachten, ohne selbst von ihm gesehen zu werden. Der Wind stand günstig, so daß die Ricke sie nicht wittern konnte. Es vergingen bange Minuten. Jeden Augenblick konnte ein Fuchs aus dem dichten Farn springen und sich im Jagdfieber das Kitz holen. Plötzlich bewegte sich etwas im Schatten der Bäume. Die Ricke trat vorsichtig auf den Weg hinaus. Sie liebkoste das Kitz mit der Zunge, dann entfernte sie sich mit ihrem Jungen. Nach diesem kurzen Intermezzo setzten die Mädchen ihren Weg fort. Als sie den Wald hinter sich gelassen hatten, stieg der Pfad steil an. Überall ragten große Felsbrocken aus dem hohen Unkraut. Oben auf dem Hügel erhob sich die düstere Burgruine. „Kulturgeschichtlich ist der marode Bunker bestimmt interessant", meinte Barbara ein wenig respektlos. „Kein Mensch weit und breit. Laßt die Augen und die Gedanken wandern, Freundinnen. Es wäre unverzeihlich, wenn wir den Anblick dieses Monuments jemals vergessen würden. Und bitte, Gertie, verdirb die erhabene Stimmung nicht dadurch, daß du deine Sprüche klopfst, hier sei total tote Hose und dir würden bereits die Füße einschlafen." Das war natürlich nicht so ernst von Barbara gemeint, und die Mädchen kicherten gutgelaunt. Was Kobalt und die anderen Pferde anging, so ließ sie der Anblick der Ruine sichtlich kalt. Für die Tiere war Burg Eckbertstein mit Sicherheit die uninteressanteste Sehenswürdigkeit weit und breit -nichts weiter als ein hoffnungslos verwildeter Rasen, auf dem überall Reste eingestürzter Mauern lagen. Nein, für ein Pferd konnte dieser Ort mit keinerlei Attraktionen aufwarten. Das Gras schmeckte auch nicht besonders gut. Kobalt war es völlig unverständlich, warum Conny ihm ausgerechnet hier den Sattel abnahm. „Die Burg ist ein echter Geheimtip", verkündete Conny. „Die steht in keinem Reiseführer." „Kein Wunder", meinte Steffi. „Ich glaube kaum, daß ein paar olle Disteln und vergammelte Steine für eine Touristenattraktion 24
ausreichen." Der ehemalige Innenhof der finsteren Burg war Gertie nicht geheuer. Beim Anblick der verfallenen Türme und windschiefen Torbögen war sie sich nicht mehr so sicher, ob es hier nicht doch Gespenster gab. Conny mußte beim Anblick der Ruinen an die Geschichte denken, die ihr der Großvater über Burg Eckbertstein erzählt hatte. Natürlich war es nur eine Legende. Aber in jeder Legende steckte schließlich ein Fünkchen Wahrheit. Was war wahr am Geheimnis von Burg Eckbertstein? Etwa, daß hier wirklich ein Geist umging? Conny schüttelte energisch den Kopf. Ihre langen blonden Haare glänzten dabei wie Gold in der Sonne. Jetzt aber Schluß mit den Gespenstern!' Conny rief sich ein wenig ärgerlich selbst zur Ordnung Im Augenblick waren die Mädchen vor Geistern sicher. Denn bekannterweise spuken Gespenster nicht bei Tag. Doch bis zum Abend war es nicht mehr sehr weit. Schon wurden die schwarzen Schatten der Bäume lang und länger ...
7. Kapitel Nacht über Eckbertstein Nachdem sie die Zelte aufgebaut und ein kleines Feuer entfacht hatten, aßen Conny und ihre Freundinnen die Brote, die ihnen Else mitgegeben hatte. Faul lagen sie dabei rings um das Lagerfeuer im Gras. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont versunken. Die Luft wurde kühler und roch intensiv nach Ginster. Eine Besichtigung der Ruine erübrigte sich. Die meisten Teile waren eingestürzt, die übrigen vom Einsturz bedroht. „Morgen mußt du mich unbedingt fotografieren, Conny", mummelte Gertie kauend. „Das glaubt mir sonst keiner, daß ich wirklich am Ende der Welt war." „Ach kommt, Mädchen", lachte Cornelia. „Es ist doch toll hier. Diese Ruhe, diese Abgeschiedenheit, wo findet man das sonst noch?" Nach dem Essen spielte Cornelia auf der Gitarre. Die Mädchen sangen ein paar lustige Lieder, dann unterhielten sie sich angeregt 25
über ein Thema, das beinahe so wichtig war wie Pferde: Jungs. „Meinst du, er schmollt immer noch?" fragte Gertie. „Oder hat er sich wieder beruhigt?" „Wer?" wollte Conny wissen. „Wer schon? Der verrückte Alex!" lachte Gertie. „Ach, der!" Conny schlang die Arme um ihre angewinkelten Beine. „Nein! Das hat der längst vergessen. Alex interessiert sich doch nur für seine KatastrophenErfindungen. Wißt ihr noch, als Else ihn einmal bat, für einen Augenblick auf das Essen aufzupassen? Alex nutzte die Gelegenheit, sein neu entwickeltes Speisesalz in der kochenden Suppe auszuprobieren. Das ganze Essen ging daraufhin in Flammen auf. Seitdem hat Alex Küchenverbot, wenn Else nicht da ist." „Also, ich habe Alex aus jedem nur möglichen Blickwinkel angesehen, aber wie ich auch gucke, er gefällt mir einfach nicht", warf Barbara ein. „Und da behauptet der doch tatsächlich, Mel Gibson habe nichts, was er nicht auch habe. Hahaha!" „Seit ich Alex kenne, habe ich öfters an Auswanderung gedacht", lachte Steffi los, und alle stimmten in das Gelächter ein. Von Minute zu Minute nahm die Dunkelheit zu. Schwere Regenwolken bedeckten den ohnehin schon düsteren Himmel. Die Ruine wirkte noch finsterer. „So", sagte Cornelia schließlich bestimmt. „Es ist Schlafenszeit, meine Damen." 26
Ohne langes Murren krabbelten die Mädchen in ihre Zelte. Conny teilte das ihre mit Barbara. „Meinst du, es spukt diese Nacht?" fragte Steffi aus dem Nachbarzelt ein wenig ängstlich. „Unsinn", munterte Conny sie auf. „Das einzige, was uns hier erschrecken wird, ist höchstens der Ruf eines einsamen Käuzchens." „Genau", lachte Gertie. „Wir brauchen vor nichts Angst zu haben, außer vor der Angst." „Ach, hör' bloß auf!" lachte Barbara. „Du redest fast schon wie Alex." Conny schaute noch einmal nach den Pferden. „Gute Nacht, Kobalt!" Conny streichelte sanft durch seine Mähne. „Schlaf gut." Kobalt blickte Conny hinterher. Dem Pferd war es auch nicht geheuer an diesem Ort. Kobalt vermißte seinen gewohnten Stall. Das ungewohnte Zirpen der Grillen ging ihm ziemlich auf die Nerven und machte ihn nervös. Zehn Minuten später lagen die Mädchen in ihren Schlafsäcken. Conny fürchtete schon, sie würde ,vor Aufregung kein Auge zubekommen. Aber kaum hatte sie sich hingelegt, war sie auch schon tief und fest eingeschlafen. Draußen knackte ein Zweig. Barbara fuhr wie elektrisiert hoch. Conny hielt den Atem an. Ihr Herz klopfte ein paar Takte schneller. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit. Dann schnaubte Kobalt leise. Die Nähe ihres vierbeinigen Freundes beruhigte Conny. „Das waren nur die Pferde", seufzte Barbara erleichtert und kuschelte sich wieder in den Schlafsack. Barbara war so müde, daß sie bald einschlief. Sie hatte einen merkwürdigen Traum, in dem sie durch das Burggewölbe irrte. 27
Plötzlich öffnete sich hinter ihr quietschend eine Tür, und ein grinsendes Skelett trat ein. Barbara wollte schreien, aber sie bekam keinen Ton heraus. Das Skelett kam näher und näher. „Hallo", lispelte das Skelett, als es dicht vor Barbara stand. „Ich heiße Detlev. Wie wär' es, wenn du mich deinen Eltern vorstellst?" Während die Mädchen mehr oder weniger ruhig schliefen, näherte sich draußen in der Dunkelheit wahrhaftig ein Gespenst.
8. Kapitel Ein Gespenst auf Abwegen Alexander Schlöderblohms Vergeltungsplan sah wie folgt aus: Als Gespenst verkleidet, würde er die Mädchen erschrecken. Wenn diese dann kreischend vor ihm flohen, bereuten sie sicherlich, daß sie keinen männlichen Beschützer dabei hatten. Es schien Alex allerdings angebracht, einen anderen Weg zur Burg einzuschlagen, als ihn die Mädchen genommen hatten. Vielleicht hatten sie was auf dem Alderhof vergessen, ritten zurück und begegneten ihm. Dann hieß es Adieu, Überraschung. Alexander trug die normale Gespenster-Standard-Ausrüstung bei sich. Dabei handelte es sich um ein weißes Laken, das zuvor ein beschauliches Dasein als Bettuch gefristet hatte. Als Augenersatz hatte Alex zwei Löcher in das Tuch geschnitten. Außerdem schleppte Alex - für die notwendige Grusel-Beschal-lung - ein Kofferradio mit. Die Betonung lag dabei auf „Koffer", denn das Monstrum besaß die Ausmaße eines Schrankkoffers. Helmuth war von diesem nächtlichen Ausritt alles andere als begeistert. Grimmig schleppte er seinen Reiter durch den düsteren Wald. Nach etwa einer halben Stunde hatte Alex jede Orientierung verloren. Plötzlich standen sie am Rande eines großes Sumpfloches. Der braungrüne Matsch sah nicht besonders einladend aus. Helmuth machte einen Schritt vorwärts und versank bis zum Bauch. Alex stieg ab und zog seinen Esel mit Mühe wieder aus dem Sumpf hervor. Kaum befreit, suchte Helmuth das Weite. Zuvor schüttelte er sich 28
aber noch die Ausrüstung - Gespensterverkleidung und Radio - vom Rücken. Alex blieb nichts anderes übrig, als die Sachen selbst zu tragen. Unter dem Gewicht des Kofferradios brach er beinahe zusammen. Als er so durch den finsteren Wald taumelte, begegnete ihm neues Ungemach. Eine Wolke Stechmücken hüllte ihn ein. Da Alex keinen Arm zur Gegenwehr frei hatte, war er binnen kurzer Zeit mit lustig aussehenden Stichen übersät. Dank eines kleinen Zwischenspurts hängte Alex die fliegenden Feinschmecker ab. Wer hätte geahnt, daß Spuken so anstrengend sein könnte? Alex' Herz rotierte wie eine wildgewordene Trockenschleuder. In regelmäßigen Abständen stieß er unflätige Verwünschungen gegen den langohrigen Vierbeiner aus, der ihn in diese wüste Lage gebracht und dann so schnöde im Stich gelassen hatte. Hinter jedem Gebüsch vermutete Alex ein Raubtier, das ihn lippenleckend als Zwischenimbiß erwartete und verschlingen würde. Gerade als Alex aufgeben wollte, erkannte er vor sich die düsteren Umrisse von Burg Eckbertstein. Am Burgeingang wartete auch schon Helmuth. Um die Mädchen nicht aufzuwecken, verzichtete Alex auf eine Schimpfkanonade. Lautlos führte er Helmuth an den Zelten der schlafenden Mädchen vorbei. „Trampel nicht so wie ein Elefant, sondern trippel leise wie ein Mäuschen", flüsterte Alex seinem Esel ins Ohr. „Sonst geht unsere Überraschung den Bach runter, du dummes Grautier!" Zunächst einmal suchte Alex ein passendes Versteck für Helmuth. Leise tasteten sie sich eine abfallende Böschung hinab. Sie endete an einem Loch in einer eingestürzten Mauer, hinter dem ein großes, intaktes Gewölbe lag. Das war genau das Versteck, das Alex suchte. Rasch zog er sich seine Gespensterverkleidung über. Dann verließ er mit dem Ghettoblaster das Gewölbe. Draußen suchte Alex angestrengt nach einem idealen Ort zum Spuken. Direkt hinter den Zelten entdeckte er eine fünf Meter hohe Mauer. An einer Seite war sie so abgebröckelt, daß die Steine wie Stufen zur Mauerkrone führten. Alex behagte der Gedanke nicht sonderlich, über die wackligen Steine zu steigen. Mit gemischten Gefühlen machte er sich an den Aufstieg. Einmal trat sich Alex auf den Saum seiner 29
Gespensterverkleidung und rutschte ab. Da er in einer Hand das schwere Kofferradio trug, blieben ihm nur fünf Finger, um sich an einigen Wurzelsträngen festzuhalten. Alex kam mit ein paar Schrammen und dem Schrecken davon. Mit letzter Kraft konnte er sich auf einen sicheren Halt ziehen. „Puh", seufzte Alex. „Um ein Haar hätte ich als echtes Gespenst auftreten können." Nach einer halsbrecherischen Kletterpartie erreichte Alex die Krone der alten Wehrmauer. Von hier überblickte er den Innenhof. Die Zelte der Mädchen standen keine zehn Meter entfernt. Alex freute sich schon auf die kreischenden Mädchen, die in wenigen Augenblicken den Burghof bevölkern würden. Morgen würde er sie dann ganz scheinheilig fragen, wie der Ausflug denn gewesen sei. In Zukunft würden ihn die Mädchen dann sicherlich auf Knien anflehen, doch als ihr großer Beschützer mitzukommen. Schlöderblohm, was willst du mehr? Alex stellte das Kofferradio ab und hoffte inständig, daß die Mädchen wirklich vor ihm erschraken. Wenn nicht, würde er ziemlich die Hucke vollkriegen. Es war kaum anzunehmen, daß gerade die Woche „Seid höflich zu Geistern" war. Unterdessen machte Helmuth in dem Gewölbe eine interessante Entdeckung. Für einen Esel gab es nichts Langweiligeres, als sich in einem muffigen Keller die Hufe plattzustehen. Außerdem wurde selbst der geduldigste Esel irgendwann einmal hungrig. Deshalb machte sich das Langohr auf Entdeckungsreise. Helmuth 30
strolchte durch verschiedene Räume auf der Suche nach etwas Eßbarem. Aber die Gewölbe waren so leer wie sein Eselsmagen. Deshalb schaute Helmuth ziemlich verwundert, als er plötzlich auf einer Steinplatte einen Apfel und ein Butterbrot fand. Helmuth ließ es sich gut schmecken. Der Apfel war zwar nicht mehr taufrisch, aber auch nicht viel älter als einen Tag. Irgendwer mußte die Nahrungsmittel hier unten vergessen haben. Aber wie das Brot und der Apfel hierher gekommen waren, interessierte Helmuth nicht. Hauptsache, es schmeckte. Nichts vermochte den vierbeinigen Feinschmecker aus der Ruhe zu bringen. Denn die Mahlzeiten waren Helmuth heilig. Keine Macht der Welt konnte den Esel daran hindern, Kräfte für neue Dummheiten zu sammeln.
9. Kapitel Unerwartete Überraschung Minutenlang brütete Alex darüber nach, mit welcher Kassette er seinen Gespenster-Auftritt akustisch untermalen sollte. Er hatte mehrere Geräuschkulissen zur Auswahl. Beispielsweise die mit dem vor Bauchweh jaulenden Werwolf oder das Jaulen eines Vampirs mit Zahnschmerzen. Beides erzeugte die Marke zehn auf der nach oben offenen Gänsehautskala. Alex entschied sich für den Sound der Mumie mit Migräneanfall. Dezibelmäßig gab das am meisten her. Gerade als Alex seine künstlerische Geister-Perfor31
mance mit glühender Begeisterung beginnen wollte, wurde sie auch schon unterbrochen. Durch das Burgtor ratterte ein altersschwacher Lastwagen auf den Innenhof. Am Steuer des Wagens saß Eddy. Er und sein Beifahrer hatten beide ausgesprochene Galgenvogel-Gesichter. Eddy war klein und dick, während Ralf dürr wie eine Bohnenstange aussah. „Aufwachen, Ralf, befahl Eddy. „Wir sind da." Ralf blinzelte verwundert und erstarrte. Auf der Mauer sah er Alex in seiner Gespensterverkleidung wie ein Irrwisch hopsen. „D-Da, Eddy", stotterte Ralf. „Ein Ge-Geist!" „Seit wann stotterst du denn?" wunderte sich Eddy. Dann erblickte auch er Alex. Vor Schreck verlor Eddy die Kontrolle über den Lastwagen. Erschrocken fuhren die Köpfe von Kobalt und den anderen Pferden herum. Das Fahrzeug mit den beiden Männern raste genau auf die Tiere zu. „WAAAAAH!" schrie Eddy, als plötzlich die Pferde vor ihm im Scheinwerferlicht auftauchten. „Was haben denn die Gäule hier zu suchen?" Die Pferde sprangen zur Seite und machten dabei so ein Spektakel, daß Conny und Barbara unsanft aus ihrem Schlaf gerissen wurden. „Was ist da draußen für ein Krach?" nuschelte Barbara ziemlich verschlafen. „Keine Ahnung!" Flink schlüpfte Conny aus ihrem Schlafsack. „Das hört sich wie ein Auto an! Ich schau nach, dann wissen wir's." Vorsichtig krabbelten die beiden Mädchen nach draußen. 32
Steffi und Gertie knieten vor ihrem Zelt. „Vielleicht spukt's hier doch", meinte Gertie ein wenig kleinlaut. „Der Krach wird lauter", stellte Conny fest. Cornelia kam aus ihrem Zelt und schaute zur Seite. Der Lastwagen raste genau auf die Zelte zu. „Nichts wie weg hier, Kinder!" rief Cornelia kreidebleich. Sie hatte als erste die Gefahr erkannt. „Der Lastwagen walzt alles platt." Das ließen sich die Mädchen natürlich nicht zweimal sagen. Keinen Augenblick zu früh hechteten sie zur Seite. Hinter ihnen zermalmten die Reifen des Lastwagens das Zelt, in dem Conny und Barbara eben noch geschlummert hatten. Conny rutschte im feuchten Gras aus und knallte mit dem Kopf gegen einen Stein. Einen Augenblick lang sah sie unzählige blitzende Sterne, die einen bunten Reigen vor ihren Augen tanzten und als Feuerregen zerplatzten. „Ist der übergeschnappt?" schrie Steffi. „Das ist doch keine Autobahn hier." Eddy hatte den Lastwagen gerade wieder unter Kontrolle bekommen, als erneut zwei Pferde die Fahrtrichtung des Wagens kreuzten. „Verflixt!" brüllte Eddy lautstark. „Das ist hier doch keine Pferdekoppel!" Eddy riß das Steuer rasch herum und wich den Tieren um Haaresbreite aus. Dafür befand sich das Auto nun auf direktem Kollisionskurs mit der Burgmauer, auf der Alexander rumhüpfte. Eddy trat wuchtig in die Eisen. Mit blockierenden Reifen knallte der Laster gegen die Mauer. Durch den Aufprall 33
stürzte ein Teil der Wehrmauer ein. Zwar suchte Alex sein Gleichgewicht, fand es aber nicht und fiel vornüber. Er schlug einen perfekten Salto in der Luft und landete - von der Weichheit des Aufpralls angenehm überrascht - auf der Plane des Lasters. Alex' Transistorradio purzelte ebenfalls von der Mauer herunter. Es knallte hart auf den Boden und kullerte die Böschung neben der Mauer hinab. Als es im Gewölbe von einem Pfeiler gestoppt wurde, löste die Erschütterung den Abspielmechanismus aus. „UUUUUUUUOOOOOOOIIIIII!" dröhnte es unheimlich und in einer ohrenbetäubenden Lautstärke aus den Boxen. Noch schauriger hallte das Echo. Unterdessen legte Eddy den Rückwärtsgang ein, setzte zurück und raste Richtung Ausfahrt davon. Alex kam sich auf der Lastwagenplane vor wie auf einem Trampolin. Mit Vollgas holperte der Lastwagen über den unebenen Boden. Bei jedem Schlagloch federte Alex einen halben Meter von der Plane hoch. In den Kurven rollte Alex mit rudernden Armen von einer Seite zur anderen. Er kreischte, als er in einer besonders scharfen Kurve über die Kante der Plane kullerte. Während seine Beine bereits im Leeren strampelten, hielt er sich gerade noch an der Kante der Plane fest. Verblüfft starrte Conny auf den zappelnden Geist, der sich mehr schlecht als recht an dem schaukelnden Lastwagen festklammerte. „Hilfe!" schrie Alex. „Hilfeeeee!" Conny kam die Stimme zwar merkwürdig bekannt vor, aber sie erkannte Alexander Schlöderblohm unter der Gespensterverkleidung nicht. Kaum war der Lastwagen aus der Ruine verschwunden, kehrte wieder Ruhe ein. Niedergeschlagen versammelten sich Conny und ihre Freundinnen vor den Überresten ihrer plattgewalzten Zelte. „Tja, mit Campen ist's wohl vorbei", stellte Conny sachlich fest. „Unsere Zelte sind platt wie Flundern." „Besser die Zelte als wir", entgegnete Barbara. „Stell dir vor, wir wären nicht rechtzeitig aufgewacht." Nein, das mochten sich die Mädchen lieber nicht vorstellen. „Sagt mal, was sind das für unheimliche Schreie?" fragte Steffi besorgt. „Hört sich an wie der Schrei einer gequälten Seele." 34
„UUUUUUUHHHOOOOO!" spielte Alex' Kofferradio in dem Gewölbe. Der Schall wurde von den Gewölbewänden hin- und hergeworfen und tausendfach verstärkt. „Allmählich gruselt's mich auch", gab Conny zu. „Ich glaube, wir reiten besser nach Hause." Cornelia stimmte dem Vorschlag zu. „Wir verlassen die Ruine lieber, bevor noch ein größeres Unglück passiert", sagte sie. Die Mädchen fingen zuerst die Pferde ein. Dann sammelten sie die Überreste der kaputten Zelte zusammen. Die Sachen verstauten sie auf den Pferden, die sich, mittlerweile wieder beruhigt hatten. Unterdessen genoß Helmuth im Gewölbe das Butterbrot. Selbst Alexanders Kofferradio, das neben ihm plärrte, konnte ihm den Appetit nicht verleiden. Da gingen ihm zwei vierbeinige Futterneider schon bedeutend mehr aufs Gemüt. Gierig lauerten zwei Mäuse auf jeden Brotkrumen, den Helmuth fallen ließ. Mit einem mächtigen „IIIIIAAAA" verscheuchte Helmuth die beiden mausgrauen Nervensägen, die ihm sein karges Mahl neideten. Zehn Minuten später hatten die Mädchen ihre Pferde gesattelt und das Gepäck auf ihnen verstaut. Was als ausgelassener Abend am Lagerfeuer begonnen hatte, endete traurig. In gedrückter Stimmung ritten Conny und ihre Freundinnen von Burg Eckbertstein zum Alderhof zurück. Diesen Ausritt würden sie so schnell nicht vergessen. Darüber waren sich alle einig. Dabei konnten sie nicht ahnen, was ihnen noch alles bevorstand. 35
10. Kapitel Hilfe, ein Geist Während der Fahrt ins Ungewisse rutschte Alexander Schlöderblohm mehr als einmal das Herz in die Hose. Wieder einmal hatte ihn das Schicksal in eine Lage gebracht, der er sich nicht gewachsen fühlte. „Wahnsinn! Das Ganze ist kompletter Wahnsinn", seufzte er aus tiefster Seele. Mit jedem Kilometer, den sich der geheimnisvolle Laster von der Ruine entfernte, wurde Alex' Gesicht noch eine Nuance blasser. Wo diese Fahrt enden würde, stand in den Sternen. Vielleicht - so überlegte Alex - wäre es besser, wenn er um Hilfe rief. Andererseits reagierte der Fahrer vielleicht sauer über einen blinden Passagier. Vor Alexanders geistigem Auge erschien die Vision eines zwei Meter großen, wutschnaubenden Truckfahrers. Sofort ließ er seinen Plan fallen und krallte sich verbissen an der Plane fest. Plötzlich stoppte der Wagen. Er hielt genau unter einer alten Buche. Als sich die Fahrertür öffnete, hatte sich Alex bereits wieder auf die Plane des Lasters hochgezogen. Von dort aus hangelte er sich auf den untersten Ast des Baumes. Für jemanden, der so viele Tarzanfilme wie Alex gesehen hatte, war das eine Kleinigkeit. Eddy und Ralf stiegen fluchend aus dem Wagen und blieben neben dem Führerhaus stehen. Drei Meter über ihnen lag Alex in seiner Gespensterverkleidung bäuchlings auf einem Ast, der 36
verdächtig knarrte. Sollte einer der Burschen einen verträumten Blick nach oben werfen, wäre Alex erledigt. „O Mann", schimpfte Eddy. „Auf der Burg wimmelt's ja nur so von Gören." „Wir ziehen das trotzdem durch", beharrte Ralf. „Und zwar noch diese Nacht. Ich bin nicht hier, um vor irgendwas wegzurennen, sondern ich will einen Auftrag erledigen. Außerdem sind die Mädels nach dem Schreck bestimmt verduftet." „Dein Wort in Gottes Gehörgang", hoffte Eddy. „Aber was ist mit dem Gespenst? Meinst du, das ist auch fort?" Dem „Gespenst" stockte vor Schreck der Atem. Dafür klopfte sein Herz doppelt so schnell wie normal. Diesen Kerlen wollte er nicht in die Finger fallen! „Werd' nicht kindisch, Eddy", raunzte Ralf. „Es gibt doch keine Gespenster." „Willst du damit behaupten, ich sei plem-plem?" zischte Eddy. „Du hast es doch auch mit eigenen Augen gesehen, oder?" „Das war bestimmt nur eine optische Täuschung", wiegelte Ralf energisch ab. „Ha!" schnaubte Eddy. „Das nennst du eine Optische Täuschung? Und diese furchtbaren Schreie? Das war wohl eine akustische Täuschung, was?" „Naja", meinte Ralf. „Wahrscheinlich." „Vielleicht hast du ja recht", gab Eddy klein bei. Während Alex vor Angst bibberte, vernahm er hinter sich ein merkwürdiges Geräusch. Es war eine Art Rauschen, das rasch lauter wurde. Im Tiefflug sauste eine Eule heran und ließ sich dekorativ auf Alex' Kopf nieder. „UUUUUHUUUU!" machte die Eule. „Schockschwerenot!" kreischte Alex, der keinen Schimmer hatte, was da auf seinem Kopf vor sich ging. „Was ist das?" Vor Schreck verlor Alex das Gleichgewicht. Mit rudernden Armen und flatterndem Gespensterkostüm sauste er in die Tiefe. Die Erde raste Alex entgegen. Alles, was er tun konnte, war Hoffen und Bangen. 37
„Oh!" kreischte Ralf, als er Alex in seinem Gespensterkostüm hinter Eddy runtersausen sah. „Was ist los, Ralf?" fragte Eddy ohne den leisesten Verdacht, daß hinter ihm ein Bettlakengespenst vom Baum segelte. „Du machst ein Gesicht, als hättest du einen furchtbaren Geist gesehen!" In diesem Moment hatte Gespenster-Alexander seinen großen Auftritt direkt neben Eddy. PLATSCH landete er im Gras. Im nächsten Augenblick wurde Alex schwarz vor Augen. Nicht, daß er ohnmächtig geworden wäre, aber die Augenschlitze seines Gespenster-Kostüms waren verrutscht. Es dauerte einige Sekunden, bis er die Gucklöcher wieder vor den Augen hatte. Alex wunderte sich nicht darüber, daß er diesen Sturz halbwegs heil überlebt hatte. Und auch nicht, daß die beiden Kerle ihm nicht die Hose stramm zogen, weil er sie belauscht hatte. Am meisten wunderte Alex sich, daß die Typen vor ihm Reißaus nahmen. „Tempo, Eddy, Tempo!" schrie Ralf und klemmte sich auf den Beifahrersitz. „Das Burggespenst hat uns sogar bis hierher verfolgt!" Eddy ließ sich nicht lange bitten. Er sprang hinter das Steuer, gab Gas und raste mit Vollgas davon. Ächzend kam Alex wieder auf die Beine. Ihm blieb nun nichts 38
anderes übrig, als seinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Und bis zur Burg Eckbertstein war es ein ganz schönes Stück. Vor Wut kickte Alex jeden Stein weg, der ihm im Weg lag. Dummerweise trat er dabei gegen einen Kiesel, dessen größter Teil im Boden steckte. „AUTSCH!" schrie Alex, als er sich an dem unbeweglichen Stein die Zehen verbog. Von da ab humpelte Alex im großen Bogen um jeden Stein, den er auf dem Pfad erblickte. Was für ein Streß! Und dabei hatte Alex bisher immer gedacht, daß man als Gespenst ein geruhsames Nachtleben führte. Zumindest bis zur Geisterstunde. Aber Pustekuchen! Alex war schleierhaft, wieso nicht mehr Gespenster an Magengeschwüren litten.
11. Kapitel Die Entdeckung Eine Viertelstunde nach Mitternacht erreichten Conny und ihre Freundinnen den Alderhof. Müde stiegen sie vorm Stall aus den Sätteln. „Vergeßt nicht, den Pferden die Hufe auszukratzen und den angetrockneten Schweiß abzubürsten", sagte Cornelia. Sie ging ins Haus, um Schlafplätze für die Mädchen vorzubereiten. Kaum hatte Cornelia das Haus betreten, klingelte das Telefon. Wer konnte das so spät noch sein? Cornelia ging schnell in ihr Büro und nahm den Hörer ab. „Hier ist Frau Schlöderblohm", klang es leise vom anderen Ende der Leitung. „Ich rufe wegen meines Sohnes Alexander an." „Was ist mit Ihrem Sohn?" wunderte sich Cornelia. „Ich komme gerade von einem Besuch bei meiner Mutter zurück, und Alexander ist nicht zu Hause." Frau Schlöderblohms Stimme zitterte leicht. „Ich mache mir große Sorgen um den Jungen." „Tut mir leid, aber Alexander ..." In diesem Augenblick fiel Cornelias Blick durchs Fenster. „Moment mal", stutzte Cornelia. „Vor dem Haus steht Alexanders Mofa. Ich denke, er ist bei Helmuth im Stall." 39
Cornelia versprach Frau Schlöderblohm, gleich nach Alexander zu sehen und legte auf. „Habt ihr hier irgendwo Alexander gesehen?" fragte Cornelia, als sie den Stall betrat. Die Mädchen waren noch mit dem Trockenreiben ihrer Pferde beschäftigt. „Nein, Cornelia", antwortete Conny. „Aber ich schau mal in Helmuths Box nach." Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Alexander neben Helmuth im Stroh eingeschlafen wäre. „Helmuth ist fort", stellt Conny fest, als sie die Box betrat. Dafür entdeckte sie einen Zettel, den Alex an die Boxenwand gepinnt hatte. Darauf stand: Wenn ihr mich sucht, ich muß noch etwas spuken. „Jetzt geht mir ein ganzer Kronleuchter auf", meinte Barbara, als sie den Zettel gelesen hatte. Conny wußte nun auch, wieso ihr die Stimme des merkwürdigen Gespenstes gleich so bekannt vorgekommen war. „Der Schuft wollte uns, als Gespenst verkleidet, zu Tode erschrecken", schimpfte Gertie. „Na, den Spaß haben bestimmt andere gehabt," meinte Barbara trocken. „Ob Alexander womöglich noch auf der Burg ist?" fragte Steffi. „Von mir aus kann er dort so lange bleiben, bis er schwarz wird", 40
erwiderte Conny. „Ich bin müde und geh' ins Bett", fuhr sie fort. „Aber vielleicht ist ihm ja wirklich was passiert", befürchtete Barbara. „Quatsch," unterbrach Conny sie. „Alexander passiert niemals etwas; er läßt passieren." Else half Cornelia, einen Gästeraum für Connys Freundinnen herzurichten. Während die Mädchen ihre Schlafstatt betraten, ging Conny in ihr Zimmer. „Schlaft gut", verabschiedete sie sich an der Tür von ihren Freundinnen. Dann wartete sie noch fünf Minuten lang und schlich dann wieder auf den Flur hinaus. Die Luft war rein. Lautlos glitt Conny die Treppe hinab und verließ leise das Haus. Natürlich machte sich Conny um Alexander Sorgen. Um ihn mußte man sich eigentlich immer Sorgen machen. Aber das brauchte Conny den anderen ja nicht auf die Nase zu binden. Schließlich reichte es, wenn sich nur eines der Mädchen die Nacht um die Ohren schlug. Zehn Minuten später verschwand Conny auf Kobalt leise in die Nacht. Sie ritt durch den dunklen Wald. Zum Glück hatten sich die Wolken etwas verzogen, so daß der Mond reichlich Licht spendete. Weit in der Ferne zuckten Blitze und tauchten den Himmel in blendendes Licht. Einen Augenblick lang erhellte das Wetterleuchten die Umrisse von Burg Eckbertstein. Dann versank die Landschaft wieder in tiefe Finsternis. „AAAAAOOOOOUUUUU!" hallte es durch die Ruine, als Conny in den Burghof ritt. Sie ahnte, dass diese furchtbaren Schreie irgendetwas mit Alexander zu tun hatten, obwohl dies nicht seine Stimme war. Conny stieg ab und ließ Kobalt zwischen Büschen zurück. Sie schlang den Zügel um einen Zweig. „Ich komme bald zurück, Kobalt", versprach sie und huschte weg. Vorsichtshalber hatte Conny eine Taschenlampe mitgenommen. Sie erwies ihr in dem dunklen Innenhof gute Dienste. Lautlos näherte sich Conny der Lärmquelle. „UUUUUAAAAHHHHOOOOOHH!" Die Schreie schallten aus dem Gewölbe. Conny war nicht sehr 41
behaglich zumute, als sie in den dunklen Keller hinabstieg. Dort unten herrschte plötzlich unheimliche Stille. Das Tonband hatte sich abgespielt. Lauschend blieb Conny stehen. Dann ging sie wieder ein paar Schritte und lauschte erneut. Nichts war zu hören. Nur der Wind heulte leise um die Burg. Irgendwo plätscherte herabtropfendes Wasser. „Wenn Alex mit dem Laster weggefahren ist, kann er nicht hier sein", mutmaßte Conny völlig richtig. Sie ärgerte sich, daß sie nicht eher darauf gekommen war. „Ich muß in der Richtung suchen, in die er gefahren ist. Irgendwo werde ich schon eine Spur von ihm entdecken." „IIIII-AAAAA!" schallte es Conny aus einem anderen Gewölbe entgegen. Es klang fast wie ein menschlicher Schrei. Leise schlich Conny weiter. Sie hörte, wie jemand gegen einen Stapel Kisten stieß, der polternd zu Boden fiel. Vor lauter Aufregung bemerkte Conny nicht, daß ihre Hände zitterten. Vorsichtig pirschte Conny zur nächsten Maueröffnung. Sie betrat nun die größte Gewölbehalle der Burgruine. Im Lichtkegel ihrer Taschenlampe blickten Conny zwei große, dunkle Augen an. „IIIII-AAAAA!" schrie Helmuth laut, als Conny ihn anleuchtete. „Helmuth", staunte Conny, als sie erkannte, wen sie da vor sich hatte. „Was machst du denn hier?" „IIIII-AAAAA!" antwortete Helmuth, was soviel wie „Das möcht' ich selbst gern wissen" bedeutete. „Guter alter Helmuth!" Vor Freude umarmte Conny den Esel. „Dein Herrchen hat dich wohl hier versteckt, damit wir dich nicht sehen, stimmt's?" Conny drehte sich um und ließ das Licht der Taschenlampe kreisen. Vielleicht steckte Alex doch hier irgendwo. Aber sie konnte keine Spur des Jungen entdecken. Dafür sah Conny etwas anderes: Fässer. Aber nicht eines oder zwei, fast einhundert Fässer türmten sich im hinteren Teil der Gewölbehalle auf. Überrascht leuchtete Conny auf die Behälter und ging näher heran. Sie schien in eine Art Lagerhalle geraten zu sein. Bloß, wer benutzte eine Burgruine als Lager? 42
Einige der Fässer waren bereits durchgerostet. Übelriechende Flüssigkeit sickerte aus ihnen hervor, die auf dem Boden große Lachen bildete. Beißender Gestank verätzte die Luft. Conny mußte heftig husten. Höchst überrascht blieb Conny vor den Tonnen stehen. Im Licht der Taschenlampe entdeckte sie auf jedem Faß ein Totenkopfzeichen. Das bedeutete: GIFT. Schlagartig war Conny klar, was der Lastwagen zu so später Stunde in der einsamen Burgruine zu bedeuten hatte: Man wollte hier in aller Stille seine gefährliche Fracht abladen, eine Fracht, die eine Gefahr für Menschen, Tiere und Pflanzen war! Plötzlich erinnerte sich Conny an die Schlagzeilen in den Tageszeitungen und die Kommentare im Fernsehen. Die Reporter berichteten davon, daß Polizei und Staatsanwaltschaft zwei Männer suchte, die der Umweltverschmutzung verdächtigt wurden. Beide waren wegen ähnlicher Delikte einschlägig vorbestraft. Sie hatten mehrere Jahre im Gefängnis gesessen. Vor kurzem wurden sie entlassen. 43
Alle Anzeichen sprachen dafür, daß die Ganoven erneut in dunkle Geschäfte verwickelt waren.
12. Kapitel Das Geheimnis der Fässer Nach vielen Mühen und Strapazen erreichte Alex die Burg. Dort fragte er sich, welche unerwarteten Hindernisse in dieser Nacht wohl noch auftauchen würden. Die Bilanz seines Gespensterspiels war niederschmetternd. Er hatte sich wieder einmal selbst zum Hampelmann gemacht. Alex humpelte bei jedem Schritt mehr. Warum hatte er auch ausgerechnet heute seine neuen Schuhe angezogen? Sie waren noch nicht eingelaufen. Morgen würde er keine Hühner-, sondern Adleraugen an den Zehen haben. Ohne zu ahnen, was ihn erwartete, wankte Alex in das Gewölbe hinab. Er klopfte sich den Staub von seiner Gespensterverkleidung, kratzte sich den Kopf und dachte an nichts Böses, als er die große Halle betrat. Im dunklen Eingang prallte Alexander beinahe mit Conny zusammen. „Huch!" kreischte Alex, dem vor lauter Schreck das Herz in die Zehenspitzen rutschte. „Alexander!" stieß Conny keuchend hervor. „Wie hast du mich erkannt?" stotterte Alex völlig verdattert. Schließlich trug er immer noch sein Gespensterkostüm. „Einen schönen Menschen wie dich kann nichts entstellen", antwortete Conny, deren Herz heftig pochte. „Eigentlich wollte ich euch ein bißchen erschrek-ken", gab Alex zu und zog die Gespenster-Kapuze nach hinten. „Daraus ist leider nichts geworden." „Wir hatten auch ohne dich Aufregung genug, Alexander", seufzte Conny. Dann berichtete sie ihm von ihrem Fund. „Und du weißt wirklich nichts von den Giftfässern?" fragte sie schließlich. 44
„Keinen Schimmer", schwor Alex hoch und heilig bei seiner Gespenster-Ehre. Conny führte Alex zu den Fässern. Eine Reihe von ihnen war bereits sehr morsch. Sie standen wohl schon eine geraume Zeit hier. „Das sieht echt übel aus!" Alex schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. „Soll ich dir mal was verraten, Alex?" flüsterte Conny. „Ich glaube, wir sind einem richtig großen Umweltskandal auf der Spur." „Wahrscheinlich wollten die Typen diese Nacht hier wieder viele Fässer abladen", vermutete Alex. „Das erklärt auch die Anwesenheit des Lasters um diese Uhrzeit auf der Burg." „Meinst du, die Kerle kehren in dieser Nacht noch einmal zurück?" Conny spürte ein etwas mulmiges Gefühl in der Magengegend. „Kann schon sein", entgegnete Alex. „Aber erst einmal müssen sie sich von dem Schreck erholen, den ich ihnen eingejagt habe." „Wir kehren zum Alderhof zurück und alarmieren die Polizei", schlug Conny vor. „Gute Idee", meinte Alex und drehte sich nach Helmuth um. Doch das Grautier war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. „Helmuth!" schrie Alex. „Wo bist du?" „Hier drüben", rief Conny. Sie entdeckte den Esel bei den Fässern. Dort hatte Helmuth ein herrliches Butterbrotpapier gefunden. Es roch so verlockend, daß es der Esel gierig kaute. „Mach, daß du von den Fässern wegkommst, Helmuth!" befahl Alex. „Das ist gefährlich." 45
Aber der Esel, der auf einen Menschen hörte, der mußte erst noch geboren werden. Mit einer Eselsgeduld ignorierte Helmuth sein Herrchen. „Hörst du nicht?" Wütend packte Alex Helmuths Zügel und zog kräftig. „Wie kann man nur so störrisch sein? Du dummes Vieh!" Alex zog fester. Helmuth trat einen Schritt zurück, und Alex flog der Länge nach auf den Bauch. Manchmal hatte Conny den Eindruck, Alex würde schon auf Erden für all seine Sünden bestraft. Als nächstes versuchte Alex den Esel durch Zuspruch, Schmeicheleien und wüste Drohungen gefügig zu machen. Alles blieb vergebens. Alex verlor das letzte Quentchen seiner Geduld. Er schimpfte wie ein Rohrspatz und zog so fest, daß sich die Zügel tief in seine Hände schnitten. „Ich laß nicht locker, du ..." Fieberhaft suchte Alex nach einem passenden Schimpfwort für den sturen Vierbeiner. Urplötzlich drehte Helmuth den Kopf zur Seite. Alex wirbelte an dem festgeklammerten Zügel herum wie der Hammer eines Hammerwerfers. Unsanft knallte er mit dem Rücken gegen eines der Fässer. Der Verschluß am Ausguß der Tonne fehlte. Deshalb spritzte etwas von dem Inhalt über Alexanders Gespensterkostüm. Zischend löste sich der Stoff auf. „Oha", war alles, was Alex dazu einfiel. „Das ist Säure!" schrie Conny. „Sie verätzt dein Geisterkostüm. Nichts wie runter mit dem Lappen!" Das ließ sich Alex nicht zweimal sagen. In Rekordzeit schlüpfte er aus dem Kostüm. „Um ein Haar hält' ich ganz schön ätzend ausgesehen!" jammerte Alex und warf den säureverseuchten Stoff auf den Boden. Er landete in einer der Pfützen. Brodelnd löste sich das Kostüm darin vollends auf. „Weiß du was, Conny?" stotterte Alex. „Das ist kein Umweltskandal mehr, sondern eine saftige Umweltkatastrophe, der wir hier auf die Spur gekommen sind! Ich kann es kaum fassen!" Conny nickte stumm. Wenn das, was immer aus diesen Tonnen sickerte, ins Grundwasser lief, dann war das wirklich eine Katastrophe. Conny wußte, dass bereits ein Liter Öl mehrere tausend 46
Liter Wasser ungenießbar machte. Und die Flüssigkeit in den Fässern war bestimmt viel gefährlicher als Öl. Alex zuckte zusammen. Draußen wurde Motorengeräusch lauter. Ein Wagen ratterte in den Burghof. Er verlangsamte seine Fahrt und kam vor dem Gewölbeeingang zum Stehen. Conny und Alex rissen die Augen weit auf und erstarrten vor Schreck. „Sie sind zurückgekommen", flüsterte Conny.
13. Kapitel Entdeckt Eddy spürte ein ziemliches Unbehagen, als er aus dem Lastwagen stieg. Er fürchtete, daß jeden Augenblick wieder ein Geist in den Ruinen auftauchen könnte. Die Burg sah ganz schön gespenstig aus. Ralf schaute gleichgültig drein. Er öffnete vorsichtig die Heckklappe des Lasters. Die Ladefläche war voller Giftfässer. Die Gauner hatten eine Schubkarre dabei, auf die sie zwei der Fässer luden. „Mann, hab' ich einen Kohldampf", knurrte Ralf/ „Wir legen erst eine Pause ein, wenn wir die Ladung hier unten verstaut haben", sagte Eddy streng, als sie das Gewölbe betraten. Ralf murrte etwas Unverständliches. Während er die Taschenlampe trug, durfte Eddy die schwere Schubkarre schieben. Conny und Alex huschten hinter die aufgestapelten Giftfässer in Deckung, ansonsten hätten die beiden Kerle sie sofort entdeckt. Alexander zog Helmuth mit ins Versteck. Ausnahmsweise ließ sich der Esel einmal willig am Zügel führen. „Das sind die beiden Typen, die schon mal mit dem Laster durch die Ruine gebrettert sind", flüsterte Alex, als er die Kerle sah. Draußen schlug das Wetter um. Der Wind frischte auf und jagte pechschwarze Wolken über die Ruine hinweg. Rasch lauter werdendes Donnergrollen kündigte ein schnell nahendes Gewitter an. Ralf und Eddy verließen das Gewölbe mit der leeren Schubkarre und holten zwei neue Giftfässer von der Ladefläche des Lastwagens. 47
Das Ganze wiederholte sich noch mehrmals. Plötzlich gab es einen Knall, der heftig von den Gewölbewänden widerhallte. Vor Schreck zuckte Conny ängstlich zusammen. „War das ein Schuß?" stammelte sie. „Ach was," beruhigte Alex sie. „Bestimmt ist ihnen beim Ausladen ein Faß heruntergefallen." „Mein Zeh! Mein Zeeeeh!" hallte Wehklagen von draußen ins Gewölbe. „Paß doch auf, wo du die Fässer runterrollen läßt!" schimpfte Eddy wie ein Rohrspatz. Alex lag mit seiner Vermutung goldrichtig. Im nächsten Moment hörte Conny ein schepperndes, klapperndes Geräusch. Das Echo verstärkte den Lärm unheimlich. In Connys Ohren klang es, als säße sie mit Alex in einer Trockenschleuder, deren Lager kaputt waren. Eddy fluchte und stürmte hinter dem Giftfaß her, das in immer schnellerer Fahrt ins Gewölbe hinabrollte. Mit einem lauten Rumms knallte es gegen die Wand und blieb dort liegen. Nicht auszudenken, wenn das Faß aufgeplatzt wäre! „Das kommt davon, wenn man mit Idioten zusammenarbeitet", schimpfte Eddy. Daß er mit 'Idiot' seinen Kumpel meinte, war klar. Murrend rollte Eddy das Faß zu den anderen und richtete es auf. Dann humpelte er nach draußen. „Bestimmt machen sich Cornelia und dein Großvater schon Sorgen, wo du bleibst, Conny", meinte Alex. „Jede Wette, Ewald und Hugo sind schon unterwegs." „Vergiß es", flüsterte Conny. „Zu Hause weiß niemand, daß ich hier bin." „Dann laß uns abhauen", schlug Alex vor. „Vielleicht gibt's hier noch einen zweiten Ausgang." In dem Moment brachten Eddy und Ralf die letzten Fässer runter. Sie stapelten sie auf und setzten sich auf einen Mauervorsprung. Besorgt sah Conny, daß die beiden ein paar Meter entfernt Pause machten. Ralf packte ein Butterbrot aus. Der Duft frischer Schinkenwurst weckte Hel-muths unersättlichen Appetit. Conny und Alex verhielten sich mucksmäuschenstill. Conny 48
fürchtete, daß die beiden Umweltverbrecher ihr laut klopfendes Herz hören könnten. „Irgendwann wird irgendwer die Fässer hier unten entdecken", unkte Ralf. „Irgendwann vielleicht!" gab Eddy zu. „Aber bis dahin haben wir hier ein billiges Entsorgungslager für den Sondermüll. Die Firmen glauben, wir schafften das Zeug auf französische Sonderdeponien, und blechen dafür natürlich entsprechend gut." „Mann, wir machen damit jede Menge Kohle! Und wenn wir dieses Lager vollgestopft haben, suchen wir uns halt ein anderes." Ein gewaltiger Donnerschlag dröhnte durch die Luft. Das Gewitter war genau über der Burg. Es rauschte mächtig über Connys und Alexanders Köpfen. Ein wahrer Wolkenbruch ging über der Ruine nieder. Wasser tropfte überall durch die Decke und bildete am Boden kleine Pfützen. Nach ein paar Minuten - Conny erschienen sie wie eine Ewigkeit standen die Männer auf und gingen. „Und jetzt?" flüsterte Conny. „Wir notieren uns ihr Autokennzeichen und zeigen die zwei bei der Polizei an", schlug Alex vor. Währenddessen schob Helmuth mächtig Kohldampf. Dieser verführerische Duft nach Wurstbrot lag ihm noch immer in seinen Nüstern. Helmuths Eselsohren wippten vor und zurück. Plötzlich bewegte sich etwas zu Helmuths Hufen. Er traute seinen Eselsaugen nicht. Die beiden Mäuse, diese Futterräuber, huschten in die Richtung, aus der der Wurstdurft herüberwehte. „IIIIII-AAAAA!" schnaubte Helmuth entrüstet. Im nächsten Augenblick sprang der Esel gleichzeitig mit allen vieren in die Luft und raste hinter den Mäusen her. Unvorsichtigerweise versuchte Alex, Helmuth am Zügel festzuhalten. Es sah ziemlich komisch aus, wie der Esel losrannte und einen zappelnden Alex hinter sich herzog. Blindlings trabte Helmuth zwischen den äußerst wacklig aufgestapelten Fässern hindurch. Es blieb nicht aus, daß er die eine oder andere Tonne streifte. Wie bei einem Dominospiel rissen die 49
umkippenden Fässer andere mit. Conny bekam einen ziemlichen Schreck, als sie Alex hinter dem einstürzenden Tonnenberg verschwinden sah. Dann schlug ihr Alex' zornige Stimme ans Ohr. Der Lautstärke nach zu urteilen, mußte Alex noch ziemlich lebendig sein. Vorsichtig umrundete Conny die Tonnenhalde. Endlich sah sie Alex. Der hockte zwischen den Fässern am Boden. Sein Kopf lief merkwürdig rot an. „Es ist, um sich in den Bauch zu beißen", knurrte Alex und schwang wütend die Fäuste Richtung Helmuth. Der Esel hatte nicht die geringste Neigung, sich beleidigen zu lassen. Provozierend schaute er in eine andere Richtung. „Alex!" schrie Conny. „Nicht bewegen!" Aber zu spät. Alex stand auf und knallte mit dem Kopf gegen die Unterseite eines querliegenden Fasses. BOING! Daraufhin rollte das Faß von der Tonne, auf der es lag, und knallte hart auf den Boden. KLONG! Der Deckel sprang auf, und mit einem unheilvollem Plätschern ergoß sich der giftige Inhalt dampfend über den ganzen Boden. „Vorsicht, Alex!" warnte Conny erneut. „Die Säure schwappt auf dich zu!" Das brauchte Conny Alex nicht zweimal zu sagen. Zum Glück hatte sein Gehirn nach dem Sturz seine Tätigkeit 50
nicht völlig eingestellt. Mit weit aufgerissenen Augen stierte Alex eine Sekunde lang auf die zischende, ätzende Flüssigkeit, die ihm da entgegenschwappte. Dann war er auch schon auf den Beinen. Die Säure verfehlte Alex' Füße um ein Haar. „WAAAAA!" kreischte Alex in einer Lautstärke, die Tote hätte erwecken können. „Horch mal", sagte Eddy, als er gerade in den Lastwagen steigen wollte. „Irgendwas ist da unten los." „Da schreit doch jemand", knurrte Ralf; „Komm, das sehen wir uns mal aus der Nähe an." Mit einem kessen Sprung brachte sich Alex vollends vor der Säure in Sicherheit. Er landete genau neben dem Eingang, durch den in diesem Augenblick Ralf und Eddy eintraten. Beinahe hätte Alex die beiden umgerissen. Ralf stoppte abrupt und ballte seine breite Hand zu einer Faust. „Sieh an", zischte Eddy. „Was haben wir denn da für ein sauberes Früchtchen?" „Hab' ich also richtig vermutet", grinste Ralf böse. „In dem Gewölbe schnüffelt 'ne zweibeinige Ratte herum!" Eddy packte Alex unsanft am Ohr und zog ihn daran vom Boden hoch. „AUTSCH!" protestierte Alex. „Das ist Körperverletzung und mutwillige Organbeschädigung!" „Was du nicht sagst, Jungchen", lachte Eddy schäbig. „Dann warte mal ab, denn das hier ist erst der Anfang." Alex hatte aber keine Lust zu warten. Stattdessen trat er Eddy vors Schienbein. „AU-AU-AU!" jammerte Eddy und hüpfte auf einem Bein wild auf der Stelle. Alex war nicht faul, wirbelte herum und haute ab. Er war schnell, aber Ralf und Eddy waren schneller. Bevor Alex wußte, wie ihm geschah, hatten ihn die beiden Ganoven schon am Wickel. „Loslassen!" befahl Alexander nun doch etwas ängstlich. Er hatte seine schier aussichtslose Lage erkannt. „Laß mich endlich los, du Scheusal!" 51
14. Kapitel Gefangen Als Conny die beiden Kerle eintreten sah, huschte sie wieder flink hinter die Fässer in Deckung. Vorsichtig spähte sie zur Eingangstür. Eddy packte Alex am Kragen und schüttelte ihn wie einen Milchshake durch. „Wohin so eilig, Kerlchen?" knurrte er. „Dir treiben wir deine Neugier schon aus! Bist du allein? Rede!" „G-G-Ganz allein", log Alex. „Ehrenwort." „Nichts zu sehen", bestätigte Ralf, der sich nach einem möglichen Komplizen umsah. „Guck trotzdem mal hinter den Fässern nach", befahl Eddy. „Da gibt's viele Verstecke." Conny duckte sich hinter eine Tonne. Jetzt konnte sie die Kerle nicht mehr sehen. Sie vernahm lediglich Ralfs näherkommende Schritte. Conny hielt den Atem an. Sie fühlte sich unfähig, auch nur einen Finger zu rühren. Noch zwei Schritte, und der Mann würde sie unweigerlich entdecken. In diesem Augenblick stürmte Helmuth seinem Lieblingsmenschen zu Hilfe. Die beiden so übel riechenden Kerle zerrten seinen Futtergeber an ihm vorbei. Helmuth wußte, wie man mit Feinden umgehen mußte. Er wußte, daß Menschen nicht gerne gebissen oder getreten wurden. „IIII-AAAA!" krächzte Helmuth wie ein asthmatisches Rhinozeros und stürmte los. Er gehorchte einem Impuls, der ihm sagte: Ohne diesen bebrillten Menschen bleibt der Futtertrog leer. Alex hielt vor Freude die Luft an, als er Helmuth zwischen den Fässern heranstürmen sah. „Helmuth! Hurra!" jubelte Alex etwas zu früh, wie sich rasch herausstellen sollte. Ralf taumelte nämlich zurück und verlor dabei sein zweites Butterbrot aus der Hosentasche. Helmuth erspähte das leckere Wurstbrot und stoppte aus vollem Lauf. Ohne einen weiteren Gedanken an sein Herrchen zu verschwenden, stürzte sich Helmuth 52
auf die Beute. Er verzehrte das Brot mit sichtlichem Genuß. „Hahaha", lachte Ralf hämisch. „Sein Appetit ist wohl stärker als seine Anhänglichkeit." „Laß uns gehen", meinte Eddy schließlich. „Außer uns ist hier niemand. Ich glaube nicht, daß der Lümmel gelogen hat. Dafür hat er die Hosen viel zu voll." „Und was machen wir mit ihm?" Ralf deutete mit dem Kinn auf Alex. „Den bringen wir dorthin, wo er uns nicht mehr schaden kann", antwortete Eddy vieldeutig. „Helmuth ...!" schrie Alex, als ihn die Männer wegzerrten. „Laß mich nicht im Stich!" Im Vergleich zu einem Wurstbrot hatte Alex bei Helmuth die denkbar schlechtesten Karten. Conny lauschte angestrengt. Die Schritte der Männer verhallten in der Ferne. Dann herrschte tiefe Stille, die nur vom Donnerrollen und Helmuths Schmatzgeräuschen unterbrochen wurde. Als sie ganz sicher war, daß außer ihr und Helmuth niemand mehr in dem Gewölbe war, wagte sich Conny aus ihrem Versteck. In dem Gewölbe war es stockfinster. Ihre Taschenlampe hatte Conny in der ganzen Aufregung irgendwo verloren. Vorsichtig tastete sich Conny vorwärts. Ihre größte Sorge war, daß sie in eine Säurepfütze treten würde. Mit dem Schienbein knallte Conny heftig gegen eine umgestürzte Tonne. BOING! Regungslos hielt Conny den Atem an und lauschte. Ob die Männer den Krach draußen gehört hatten? Als alles still blieb, wagte sich Conny weiter. Schritt für 53
Schritt ging sie langsam voran. Mit ausgestreckten Armen tastete sie sich durch die Dunkelheit. Plötzlich berührten ihre Fingerkuppen die kalte Steinwand. Ein paar Schritte weiter befand sich die Türöffnung. Danach gabelte sich der Gang. Conny geriet in den falschen Korridor. Der Gang wurde immer schmaler und niedriger. Er ging stetig bergab. Vermutlich führte er in die ehemaligen Kerkerräume. Die Regenfluten drangen durch das Erdreich und plätscherten überall von der Decke herab. Nachdem Conny eine Weile so gegangen war, wurde ihr klar, daß sie sich auf dem falschen Weg befand. Unterdessen zerrten die beiden Verbrecher Alexander ins Freie. Der Donner hallte so laut, daß Alex schon fürchtete, er würde taub. Blitze durchschnitten den schwarzen Himmel und bildeten dort ein gigantisches Netzwerk. Eilig zerrten die Männer Alex durch den dichten Regen neben sich her. „Ist Ihnen klar, daß Sie alles nur noch viel schlimmer machen?" Alex' Bemerkung entlockte Eddy lediglich ein müdes Grinsen. „Was machen wir mit diesem Kümmerling?" fragte er höhnisch. „Na was wohl?" knurrte Ralf. „Wir lassen ihn unauffällig für immer verschwinden." „Und wie?" interessierte sich Eddy. „Ach, weißt du", grinste Ralf, „ich hab' da so meine ganz speziellen Methoden!" Unterdessen machte Conny kehrt. Langsam durchschritt sie den anderen Gang. Sie kam nur mühsam voran. Das Wasser schwappte nun knöcheltief über den Boden. Fünf Minuten später trat sie endlich ins Freie. Der Sturm blies ihr heftig ins Gesicht. Irgendwo schrie eine Eule. Fortwährend rissen Blitze den Himmel auf. Die Wolken hatten sich geöffnet, und aus ihnen ergossen sich Sintfluten auf die Erde. Wo steckte Alex? Leiser werdendes Motorengeräusch drang aus der Ferne. Wieselflink huschte Conny zwischen den verfallenen Steinmauern in den Burghof. Der Innenhof der Burg war 54
menschenleer. Die beiden Verbrecher waren tatsächlich fort. Alex allerdings auch.
15. Kapitel Die Rettung Obwohl Conny die Umweltgangster nicht mehr sah, hörte sie ihren Laster noch. Deshalb lief sie auf einen Erdwall, von dem aus sie den hinteren Teil der Ruine überblicken konnte. Der Lastwagen bog gerade in die Ausfahrt. Er holperte auf dem unebenen Boden durch das Burgtor davon. Ob die Ganoven Alex im Wagen mitgenommen hatten? Conny vermutete es. Ob sie ihren Feund wohl je wiedersehen würde? Niedergeschlagen durchquerte Conny den Hof. Ihr blieb nichts anderes übrig, als mit Kobalt heimzureiten. Von dort aus würde sie die Polizei alarmieren. Obwohl sie völlig durchgeweicht war, schien Conny den Regen nicht zu spüren. Sie dachte nur an das schlimme Schicksal, das Alexander erwartete. Hinter ihr trabte Helmuth aus dem Gewölbe heraus. Das Butterbrot hatte ihm noch besser geschmeckt als das erste. Genießerisch leckte er sich die Lippen und fragte sich, ob es hier wohl noch mehr zu fressen gibt. „Hilfeeee!" drang es plötzlich an Connys Ohr. „Hilfe! Hört mich denn niemand?" Zweifellos handelte es sich um Alexanders Stimme. „Wo bist du?" Conny blickte sich überall suchend um, aber sie konnte Alex beim besten Willen nirgends ausmachen. „Sag schon, wo du steckst!" „Hier bin ich!" Alex' Stimme durchdrang nur schwach das Heulen des Sturms. „Wo ist hier?" Conny ging ein paar Schritte vorwärts und spähte in die Nacht. „Na, hier unten", drang es irgendwo aus der Dunkelheit. „Im Brunnen." 55
Ungläubig blickte Conny zu dem alten Brunnen, der sich in der Hofmitte befand. So schnell sie konnte, lief Conny hin und beugte sich über den Brunnenrand. „Himmel, Alex!" Conny blieb vor Schreck das Herz stehen, als sie Alex sieben Meter tiefer im Brunnenschacht im Kreis paddeln sah. „O Mann!" stöhnte Alex. „Bis heute habe ich Wasser immer gemocht. Ich habe sogar mal Fische gehabt. Aber das hier ist entschieden zuviel. Überall Wasser! Mir steht das Zeug echt bis Oberkante Unterlippe!" Am meisten Angst machte Alex aber, daß die Schachtwände zu glatt und steil waren, um raufklettern zu können. Nach einigen Fehlversuchen hatte Alex diesen Gedanken schon aufgegeben. Einmal war er abgerutscht und fast einen ganzen Meter tief untergetaucht, ohne daß seine beiden Füße auf Grund gestoßen waren. „Haben dich die Schufte da runtergeworfen?" Vergeblich suchte Conny nach einer Möglichkeit, in den Schacht hinabzuklettern. „Richtig", bestätigte Alex. „Für die Polizei soll es so aussehen, als sei ich ausgerutscht und in den Brunnenschacht gefallen. Hilf mir, Conny! Die Wände sind spiegelglatt, und das Wasser ist eiskalt. Lange kann ich nicht mehr durchhalten!" „Du darfst nicht aufgeben, Alex!" rief Conny. „Ich suche etwas, womit ich dich raufziehen kann." Conny lief los und hoffte, daß sie irgendwas Brauchbares finden würde. Die Aussichten dafür waren jedoch denkbar schlecht. Da fiel ihr Blick auf ein paar Nylonschnüre, die von ihrem kaputten Zelt liegengeblieben waren. Das war ein Geschenk des Himmels! Flink knüpfte Conny drei der Schnüre zu einem Seil zusammen. Damit kehrte sie zum Brunnen zurück und warf das eine Ende zu Alex herab. „Ich halte das Seil fest, Alex", rief sie. „Du brauchst nur daran hochzuklettern." Conny stemmte sich mit den Füßen gegen die Brunnenwand und hoffte, daß Alex sie nicht mit in den Schacht hinabriß. „Geht nicht, Conny", schrie Alex, nachdem er zweimal abgerutscht war. „Meine Finger sind steifgefroren. Hab' keine Kraft 56
mehr. Oje, mir steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals." Was jetzt? Connys Gedanken wirbelten wild durcheinander. Sie würde es nicht schaffen, Alex ohne fremde Hilfe hochzuziehen. Wenn sie nur jemanden hätte, der ihr beim Ziehen helfen könnte ... „Kobalt\" schoß es Conny durch den Kopf. Rasch lief sie zu ihrem Pferd, band es von dem Gebüsch los und führte es zum Brunnen. „Wenn wir dich nicht hätten, sah' Alex ganz schön alt aus, Kobalt", seufzte Conny. Das Ende der Schnur knotete sie an Kobalts Sattel fest. Dann führte sie ihn von dem Brunnen weg. Mit der Kraft der Verzweiflung klammerte sich Alex am anderen Seilende fest. Langsam, aber stetig wurde er aus dem Wasser gezogen. Die Gewißheit, daß die Plackerei bald ein Ende hatte, verlieh ihm das nötige Durchhaltevermögen. Wie ein nasser Sack glitt Alex über den Brunnenrand und purzelte ins Gras. „I-Ich w-wußte gar nicht, d-daß Wasser so eisig s-sein k-kann." Alex bibberte vor Kälte wie Espenlaub. "D-Danke, Conny." „Bedanke dich bei Kobalt, entgegnete Conny und knotete die Schnur vom Sattel los. „Danke", seufzte Alex und setzte sich auf den Boden. Erschöpft lehnte er sich mit dem Rücken an die verwitterte Brunnenwand. „Eine kleine Ruhepause wird mir doch wohl vergönnt sein", stöhnte er völlig fertig und kratzte sich am Bein, wo etwas juckte. Merkwürdigerweise juckte es mehr, je mehr er kratzte. Jetzt juckte auch noch das andere Bein. Alex kratzte beide Beine gleichzeitig. Das Jucken nahm auf Alex Rücken seine Fortsetzung. Unablässig huschten Alex' Hände von vorn nach hinten und in umgekehrte Richtung. „Was ist denn jetzt schon wieder?" seufzte Conny, der Alex seltsamer Veitstanz nicht entging. „Du hast nicht zufällig 'n Päckchen Juckpulver verloren?" Alex kratzte sich vorn und hinten gleichzeitig. Connys Augen wurden plötzlich groß, dann lächelte sie verschmitzt. 57
„Wie sitzt es sich eigentlich auf einem Ameisenhaufen?" erkundigte sie sich. „Woher soll ich das wissen?" knurrte Alex, der immer noch nicht schaltete. „Na, weil du auf einem sitzt", gab Conny zurück. „W-WAS?" schrie Alex. So schnell hatte Conny noch nie einen Menschen aufstehen sehen. Wie ein Wilder sprang Alex umher, drehte sich um die eigene Achse und ließ seine Hände auf alle möglichen Körperstellen klatschen. Der Anblick war derart komisch, daß sich Conny nur mit Mühe das Lachen verkneifen konnte. Endlich war auch die allerletzte Ameise aus dem Hosenbein geschüttelt. Wie der Blitz fuhr Alex herum. Mit funkelnden Augen blickte er Conny an. „Das sind alles nur diese gemeinen Schufte schuld!" tobte Alex. „Wo sind diese miesen Typen? Wenn ich die in die Flossen krieg, dann ..." Alex ließ seine Fäuste durch die Luft wirbeln, als kämpfe er gegen Windmühlenflügel. Alex ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß er Eddy und Ralf den Kampf seines Lebens liefern würde. Alex nahm die Beine in die Hand und sauste 58
schnurstracks zur eingestürzten Wehrmauer. Weiter unten sah er den Lastwagen auf der Serpentinenstraße wegfahren. Das Fahrzeug war schon weit entfernt. Doch nicht weit genug, um es mit einem gezielten Wurf nicht treffen zu können. „Denen zertrümmere ich die Windschutzscheibe!" Alex suchte nach einem passenden Wurfgeschoß. „Dann können sie nichts mehr sehen und fahren schnurstracks in den Graben." In wilder Hast stromerte Alex durch das hohe Gras und suchte nach einem geeigneten Wurfgeschoß. Er bückte sich, verschwand für einen kurzen Moment in dem Grünzeug, stand wieder auf und suchte weiter. „Es ist zum auf die Bäume klettern", murmelte er dabei immerfort. Conny sah aus einiger Entfernung Alexanders Suche zu. Er ging vor, dann wieder zurück, wühlte zwischen beinhohen Brennesseln und guckte gewissenhaft unter jeden Busch. Schließlich hob Alex einen armlangen, merkwürdig gekrümmten Ast auf und wog ihn prüfend in der Hand. „Kannst du denn so weit werfen?" Conny schaute ziemlich ungläubig drein. „Na, und ob", erwiderte Alex. „Ist doch kinderleicht. Vorausgesetzt, man kann werfen, dann kann man werfen. Wenn man's nicht kann, dann kann man's halt nicht!" „Aha", sagte Conny und schüttelte über Alex' tiefschürfende Erkenntnis 59
den Kopf. „Denen zeig ich's!" Alex holte weit mit dem Stock aus. „Aufgepaßt!" In einer eigenartig abgehackten Körperbewegung warf Alex den Ast. Pfeifend durchschnitt das Geschoß die Luft. Dabei wirbelte es um die eigene Achse. „Na, da staunst du?" Selbstbewußt schaute Alex Conny an. Dicht vor dem Lastwagen wich das kreiselnde Holz vom Kurs ab. Alex hatte das Holzstück so kunstgerecht geworfen, daß es die Eigenschaften eines Bumerangs annahm. Der Ast beschrieb einen weiten Keis und sauste genau auf Alex Hinterkopf zu. Es gab einen dumpfen Knall. „AUA!" schimpfte Alex, der der Länge nach auf den Boden schlug. „Gratuliere!" Conny hob den Stock auf. „Du hast wirklich getroffen." „Und wie!" jammerte Alex, griff sich an den Hinterkopf und stand stöhnend auf. „Schau mal", lachte Conny. „Der Stock ist wie ein Bumerang gebogen!" Alex sagte darauf nichts. Leise jammernd rieb er sich immer wieder die eiförmige Beule und wandte sich beleidigt von Conny ab. „Sei doch nicht sauer", meinte Conny. „Ich kann doch nichts dafür, daß es wieder mal den falschen getroffen hat." „Du hast ja recht", gab Alex zu. „Es war meine eigene dumme Schusseligkeit." Resignierend zuckte Alex mit den Schultern. „Na ja", tröstete ihn Conny. „Wenn du mal nach Australien kommst, brauchst du das Bumerangwerfen wenigstens nicht mehr zu lernen." „Ich werde dort Bumerang-Meister aller Klassen", prahlte Alexander. „Selbst die Eingeborenen werden blaß vor Neid, wenn ich mit meinem Super-Bumerang die tollsten Kunststücke vorführe." „Paß aber auf, daß du nicht im Zirkus landest", sagte Conny cool.
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16. Kapitel Helmuth greift ein Majestätisch thronte Helmuth oberhalb der Serpentinenstraße auf einem Felsvorsprung. Von hier aus berherrschte der Esel die Welt. Scharfsichtig beobachtete er den wegfahrenden Lastwagen mit seinem „Butterbrotlieferanten". Wahrscheinlich war das ganze Auto voller Butterbrote, die diese Schurken ganz alleine vertilgen wollten. Warum noch zögern? Querfeldein schoß Helmuth den steilen Hang hinab. Wie ein Wirbelsturm überrannte er alles, was sich ihm in den Weg stellte. Er pflügte jeden Busch um, der ihm vor die Hufe kam. Irgendwie würde er diese Menschen zwingen, ihm seinen Anteil an den Wurstbroten zu geben. „Eddy", stöhnte Ralf, „diese schreckliche Straße ist der reinste Mord." Im Schrittempo hopste der Lastwagen über den holprigen Fahrweg. RUMMS-RUMMS-RUMMS machte es bei jedem Schlagloch. Im gleichen Takt wie der Lastwagen hopsten Eddy und Ralf auf und nieder. „Noch zweihundert Meter, und wir sind auf der Bundesstraße", beruhigte Eddy seinen Beifahrer. Helmuth mußte sich etwas einfallen lassen, um den Lastwagen aufzuhalten. In halbsbrecherischem Tempo schnitt er dem Lastwagen den Weg ab. Der Esel entwickelte immer mehr Geschick darin, die Geröllhalden in wahnwitziger Geschwindigkeit zu umkur-ven. Wie ein geölter Blitz flitzte Helmuth den Hang hinab und sprang auf den Fahrweg. Eddy und Ralf waren beide ziemlich entsetzt, als Helmuth plötzlich vor ihrem Wagen auftauchte. Todesmutig galoppierte der Esel dem Laster entgegen. Aufgeregt hüpfte er direkt vor dem Kühler herum. „Vorsicht, Eddy!" kreischte Ralf. „Der Esel rennt genau in den Wagen!" Aber das sah Eddy selbst. Automatisch riß er das Steuer herum 61
und trat auf die Bremse. „Das darf doch nicht wahr sein", kreischte Eddy. „Ich seh' wohl Gespenster!" Mit blockierten Reifen drehte sich der Laster um die eigene Achse und knallte gegen eine alte Eiche, die neben der Straße stand. Conny und Alex ritten beide auf Kobalt. Über den ausgetretenen Pfad verließen sie die Burg. „Ich bin der größte Pechvogel des ganzen Universums", jammerte Alexander, den die Ameisenbisse immer noch überall juckten. „Ist das nicht Helmuth?" staunte Conny, als sie am Fuß des Hügels einen Esel schreien hörte. „IIIIII-AAAAA!" „Ja", staunte Alex. „Seine Stimme erkenne ich unter Hunderten von Eseln!" Sie ritten um eine Biegung. Dahinter kam der Lastwagen der beiden Verbrecher zum Vorschein. Der Kühler war voll gegen den Baum gerumst und total zerknauscht. Helmuth stand neben dem Führerhaus und schrie verärgert. Alles, was er wollte, war ein Butterbrot. Schließlich war er nicht umsonst den langen Weg gerannt. Eddy und Ralf kauerten beide angstschlotternd im Führerhaus. Vorsichtig lugten sie durch das geschlossene Seitenfenster. „Was will dieser dämliche Esel denn bloß von uns?" jammerte Ralf. „Du kannst ja rausgehen und ihn selbst fragen", schlug Eddy vor. Seiner Ansicht nach hatte der Esel Böses mit ihnen vor. Unzählige Gedanken schwirrten durch Eddys Kopf, wie sie diesen verflixten Esel vielleicht loswerden könnten. Jedoch erwies sich ein Geistesblitz nach dem anderen als völlig unbrauchbar. „Hilfe", schrie Ralf, als er Conny und Alex sah. „Schaff doch einer den tollwütigen Esel weg!" „Ich glaub's einfach nicht", staunte Alex. „Wie hat Helmuth das bloß geschafft?" „Keine Ahnung", antwortete Conny. „Ich weiß nur, daß wir jetzt schnell zum Alderhof reiten und von dort sofort die Polizei rufen." Eine halbe Stunde später erreichten Conny und Alex den 62
Alderhof. Noch ehe Kobalt stand, sprang Conny schon blitzschnell aus dem Sattel. „Großvater!" rief Conny und stürmte Richtung Haustür. „Großvater, wach auf!" Vor Aufregung brauchte Conny drei Anläufe, ehe sie den Schlüssel im Schlüsselloch hatte und die Haustür öffnen konnte. „Großvater!" Im Eiltempo stürmte Conny die Treppe hoch, wobei ihre Reitstiefel einen unüberhörbaren Lärm machten. „Potzblitz", gähnte der Graf verschlafen. „Weißt du überhaupt, wie spät es ist, Conny?" „Entschuldige! Das ist mir jetzt völlig egal", keuchte Conny und blieb vor ihrem Großvater stehen. „Du mußt sofort die Polizei anrufen." Schlagartig machte der Graf ein ernstes Gesicht. „Nun mal langsam mit den jungen Pferden", sagte er. „Erzähl mir erst mal, was passiert ist." Rasch sprudelte Conny eine Kurzfassung von dem heraus, was sie auf Burg Eckbertstein erlebt hatten. Sie erzählte von den Giftfässern und schilderte, wie Helmuth die Ganoven in Schach hielt. „Ihr macht ja wirklich Sachen!" meinte der Graf stirnrunzelnd, als Conny geendet hatte. Dann rief er bei der Polizei an. Kurz vor Sonnenaufgang erreichte der Streifenwagen Eddy und Ralf. Die beiden Verbrecher festzunehmen, war ein Kinderspiel im Vergleich dazu, Helmuth von dem Laster wegzulotsen. Nur widerstrebend ließ er die beiden „Butterbrotlieferanten" von dannen ziehen. Ein Polizist legte Eddy die Handschellen an und zerrte ihn aus dem Lastwagen. „IIIIII-AAAAA!" blökte Helmuth den Ganoven an. „WAAAAA!" schrie Eddy und fiel vor Schreck auf die Knie. Aus lauter Angst vor Helmuth krabbelte Eddy auf allen vieren zum Polizeiwagen. Dann wurde auch Ralf in Handschellen aus dem Lastwagen geführt. Im nachhinein waren Ralf und Eddy ganz froh, daß die Polizei sie aus den Klauen dieses „Esel-Monsters" befreite. Sie gestanden auch 63
gleich an Ort und Stelle alle ihre Schandtaten; Hauptsache, die Polizisten brachten sie möglichst weit von Helmuth weg. Das Wetter hatte sich ein wenig aufgeklärt, als Conny und Alex zum Lastwagen zurückkamen. Hinter den Hügeln rollte der Donner immer leiser. Conny und Alex sahen gerade noch, wie die Polizisten die beiden Halunken in Handschellen abführten und dann wegfuhren. Erleichtert atmete Conny auf. Zu guter Letzt hatte sich doch noch alles zum Besten gewendet. Die Ganoven waren festgenommen und würden ihre Strafe für das, was sie getan hatten, erhalten. Eddy und Ralf waren so mit den Nerven fertig, daß sie ihre Missetaten nur so hervorsprudelten und die Polizisten Mühe hatten, sich alles zu merken. Vor lauter Aufregung gestanden sie auch einige Gesetzesübertretungen ihrer unrühmlichen Vergangenheit. Der Polizist auf dem Beifahrersitz kam kaum mit den Notizen mit, so schnell beichteten die beiden Ganoven ihre Untaten. Conny und Alexander waren froh, daß die beiden Schufte endlich weg waren. Nur Helmuth blickte traurig hinter dem Polizeiauto her. Alex schwang sich von Kobalt und rannte zu seinem geliebten Esel. „Helmuth, du bist der Größte", lachte Alex und umarmte ihn herzlich. „IIIII-AAAAA!" In diesem Punkt stimmte Helmuth mit seinem Herrchen überein.
17. Kapitel Wieder auf Burg Eckbertstein Helmuths Heldentat sprach sich wie ein Lauffeuer auf dem Alderhof herum. Helmuth sah dem Treiben um seine Person interessiert zu. Die Mädchen aus den Reitkursen verwöhnten ihn mit Mohren und Äpfeln. „Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt nicht zur Burg Eckbertstein reiten?" fragte Else rechthaberisch. „Um ein Haar wäre euch dort ein Unglück widerfahren!" 64
„Wer weiß, wann und ob man überhaupt die Giftfässer entdeckt hätte, wenn wir nicht zur Burg geritten wären", konterte Alex. „O nein, diese Aufregung ist selbst im nachhinein noch zuviel für mein Herz", jammerte Else und wankte bleich in die Küche zurück. „Ihr beide hättet eigentlich auch eine Strafe verdient", meinte der Graf. „Nachts alleine zur Burg reiten, war sehr leichtsinnig von dir, Conny." Conny wurde puterrot. „Du bist der Hauptschuldige, Alex", fuhr der Graf mit seiner Strafpredigt fort. „Ohne deine Gespensterspielerei hätte Conny keinen Grund gehabt, zur Burg zurückzureiten." Alex sah nicht sehr glücklich aus bei dem Gedanken, daß Conny wegen ihm Kopf und Kragen riskierte. „Davon abgesehen, habt ihr eure Sache wirklich fein gemacht." Ein breites Lächeln stahl sich in das Gesicht des Grafen. „Der Umweltminister schickt euch eine Urkunde mit persönlicher Widmung. Darauf könnt ihr wirklich sehr stolz sein." Eine Spezialfirma entsorgte die Giftfässer. Danach konnten die Mädchen vom Alderhof den verpatzten Ausflug wiederholen. Einstimmig wurde aber von einer weiteren Übernachtung abgesehen. Vorsichtshalber lud man Alex gleich mit ein. An einem sonnigen Samstagmorgen warteten Conny, Steffi, Gertie und Barbara über eine Stunde auf Alexander Schlöderblohm. „Wo bleibt der nur?" maulte Gertie. Wie aufs Stichwort bog Alex auf seinem Mofa in den Hof ein. Er hatte mehrere Kühlboxen umgehängt. Unter seinem rechten Arm klemmte ein großer Sonnenschirm. An seinem Hals baumelten eine Video-und eine Fotokamera, dazu noch ein riesiges Fernglas. „Steht nicht so tatenlos rum", beschwerte sich Alex, als er vom Mofa stieg. „Helft mir lieber, das Zeug auf Helmuth zu befestigen!" „A-Alex ...", stotterte Conny entgeistert. „Was hast du mit dem ganzen Plunder vor?" „Ich denke, wir machen einen Ausflug?" erkundigte sich Alex, wähend er Helmuth sattelte. „Na ja", stimmte Conny zu. „Aber wir machen doch keine 65
Weltreise." „Das ist wirklich nur das Allernötigste", erklärte Alex und machte einige wilde Verrenkungen, um die prall gefüllten Satteltaschen auf Helmuths Rücken zu wuchten. Helmuth ging unter dem Gewicht sichtlich in die Knie. „Hast du da 'n Kühlschrank drin?" spöttelte Gertie und deutete auf ein großes Paket. „Ich hab' meine Karl-May-Sammlung dabei", keuchte Alex. „Leider gingen nicht mehr als vierzig Bände in die Taschen rein." „Was willst du denn damit?" staunte Steffi. „Wenn's langweilig wird, wirst du mir dankbar sein, daß ich etwas zum Lesen dabei habe", entgegne-te Alexander gönnerhaft. „Aber muß es denn gleich eine ganze Bücherei sein?" stöhnte Barbara. „Und wofür soll der Sonnenschirm gut sein?" wollte Conny wissen, als Alex das Monstrum vom Mofa lud. „Fürchtest du etwa, wir finden in der Burgruine kein schattiges Plätzchen?" „Vielleicht", erwiderte Alex in prophetischer Weisheit. „Vielleicht aber auch nicht." „Dieser Irre hat sogar Tennisschläger mit", staunte Gertie, die zwei Griffe aus einer der Taschen ragen sal; und den Zipfel eines Netzes. „Wer keine Lust zum Lesen hat, kann Tennis spielen", erklärte Alex. Conny stieß einen Stoßseufzer aus und verdrehte die Augen. Nachdem Helmuth bis zur Grenze seiner Tragkraft mit unnützem Zeug behangen war, schwang sich Alex endlich in den Sattel. Standhaft weigerte sich Helmuth jedoch, sich auch nur einen Schritt voranzubewegen. Schließlich war er ein Esel und kein Lastwagen. „Alexander!" rief der Graf. „Warte mal einen Moment. So kannst du unmöglich los!" „Aber wieso denn nicht?" maulte Alex. „Ich bin mir sicher, daß du Helmuths Nutzlast bei weitem überschritten hast", schmunzelte der Graf. Trotzdem war die Strenge in seinem Ton unüberhör-bar. „Entweder du läßt den ganzen Krempel hier, oder du bleibst hier." 66
Murrend ergab sich Alex seinem Schicksal und lud ab, was abzuladen war. Helmuth zeigte sich kooperativ. Nachdem das Gewicht von seinem armen Rücken verschwunden war, trottete er auch brav hinter den vorausreitenden Mädchen her. „Bei Tag wirkt die Ruine gar nicht mehr so unheimlich", stellte Barbara fest, als sie in den Burghof ritten. „Paßt auf, wo ihr euch hinsetzt", riet Conny ihnen, als sie von den Pferden absaßen. „Hier gibt's bestimmt sehr giftige Kreuzottern." „Ach, die tun doch keinem was, solange man nicht auf sie tritt", lachte Alex und ließ sich dabei übermütig ins Gras plumpsen. Alex schlug die Beine im Stile eines coolen Draufgängers übereinander. Den Girls mußte man imponieren, oder? Alex überlegte, was er tun konnte, damit Conny klar wurde, was für ein Mordskerl er war (damit sie die peinliche Geschichte mit den Ameisen in seiner Hose möglichst bald vergessen würde). Unterdessen sattelten die Mädchen ihre Pferde ab und ließen sie frei zwischen den Ruinen grasen. Alex lag ausgestreckt da, verschränkte die Hände im Genick und blickte in den dunkelblauen Himmel. Plötzlich raschelte etwas neben ihm im hohen Gras. „Eine Schlange!" Mit einem Sprung war Alex auf den Beinen und schrie. Was hätte er sonst'machen sollen? Eine Gitfschlange mit nackten Händen erwürgen? Er war doch nicht Indiana Jones ... Die Mädchen fuhren alle zu Alex herum. Der sah ungeheuer komisch aus, wie er in bizarren Verrenkungen durchs Gras hüpfte. Er lief so schnell, daß er bei jedem Wettbewerb dafür einen Preis bekommen hätte. Dann erklomm er die nächstbeste Mauer und schrie lauthals um Hilfe. Aber statt ihm zu helfen, schauten sich die Mädchen die Giftschlange interessiert näher an. Dann fingen sie alle schallend an zu lachen. „Was gibt's denn da zu kichern?" knurrte Alex. „Du bist ja vor einer Blindschleiche weggelaufen", lachte Conny. „Eine Blindschleiche?" wiederholte Alex perplex. Er wurde puterrot und wippte verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Bist du dir sicher, ob sich eine Giftschlange da nicht gut getarnt hat?" 67
„Vollkommen", bestätigte Conny. „Es soll aber Leute geben, die Schlangen nicht so richtig von Eidechsen unterscheiden können." Kleinlaut und mit roten Wangen kletterte Alex von seinem Zufluchtsort herab. „Es tut mir leid, daß ich schon wieder den Hampelmann gespielt habe", entschuldigte sich Alex. „Hampelmann oder nicht", lachte Conny, „es war jedenfalls sehr lustig." Abgesehen von diesem kleinen Zwischenfall verlief der Tag in beschaulicher Ruhe. Die Mädchen breiteten die Picknickdecke auf einem warmen Fleckchen Gras aus. Von hier konnten sie den größten Teil der romantischen Ruine überblicken. Conny öffnete eine der Satteltaschen und holte ein ganzes Sortiment von Plastikbehältern heraus. „Das nenn' ich eine Auswahl", staunte Barbara. In den Behältern waren Brote und Obst. Else hatte ihnen auch frisch gebackenen Marmorkuchen mitgegeben. Jeder hatte eine Flasche Limonade dabei. „Dasch ischt Lebenschqualität", mummelte Alex mit vollgestopften Hamsterbacken. „Dasch Doschengulasch schmeckt gansch auschgezeichnet." „Dosengulasch?" staunte Conny. Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, im Picknickkorb Gulasch mitgenomen zu haben. „Ach, herrje", lachte Gertie prustend los. „Schaut mal, Alex ißt Hundefutter." Tatsächlich! Irgendwie mußte eine von Waldis Futterdosen mit in den Picknickbeutel geraten sein. Noch mehr als über das Hundefutter lachten die Mädchen über die Grimassen, die Alex nun schnitt. Um sein Gesicht zu wahren, kaschierte Alex seine Verlegenheit. Er tat einfach so, als schmecke ihm das Dosenfutter einfach großartig. „Hervorragend, wirklich hervorragend", nuschelte er, „probiert doch auch mal etwas." „Nein, danke", lachte Conny. „Mir wird allein bei dieser Vorstellung schon ganz schlecht!" „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letztenmal so was 68
Gutes gegessen hab'," verkündete Alex, als er die letzten Reste Hundefutter aus der Konserve kratzte. Währenddessen widmeten sich die Mädchen Eises Nudelsalat, den sie mit viel Liebe zubereitet hatte. „Und was ist das?" Skeptisch hielt Alex eine geschlossene Plastikdose hoch. „Meerschweinchenfutter, Hamsterfutter oder Karnickelfutter?" „Nein", lachte Conny, „das sind Kekse." Die Kekse schmeckten Alex allerdings bedeutend besser als das Hundefutter. Nachdem er satt war, fand es Alex an der Zeit, sich bei den Mädchen zu entschuldigen. Er räusperte sich und sagte dann, daß es ihm leid tun würde, daß er die Mädchen nachts erschrecken wollte und es dank seines Geschicks - oder vielmehr Mißgeschicks - zu solch chaotischen Szenen gekommen war und er sich später nur an die schönen Stunden in der Burg -natürlich nicht an die weniger schönen Stunden des Nachts erinnern möchte und .. An diesem Punkt brach Alex stotternd ab, weil er den Faden verloren hatte. Die Mädchen blickten ihn alle aus erwartungsvollen Augen an, was ihn noch zusätzlich verwirrte und ganz verlegen machte. „Sprich dich nur aus", lächelte Conny zuckersüß. Alex atmete tief durch. Dann 69
begann er erneut seine Entschuldigungen runterzuraspeln. „Du braucht dich doch nicht zu entschuldigen", lächelte Conny noch süßer, als er nach einer geschlagenen Viertelstunde geendet hatte. Das aber brachte Alex fast völlig aus der Fassung. Da redete er sich den Mund franselig und erntete dann nur ein müdes Gähnen. „Mädchen ...", schnaufte Alex verächtlich und schmollte. Allerdings nicht sehr lange. In einer Kühlbox hatte Conny VanilleEiscreme als Nachtisch. Manchmal konnte Alex so stur wie Helmuth sein. Aber bei Vanille-Eis wurde selbst ein dickköpfiger Schlöderblohm schwach. Das Picknick dauerte noch bis zum Abend. Als die Sonne hinter den Ruinen verschwand, machten sich die Freundinnen und Alexander auf den Heimritt. Die Dunkelheit brach schnell herein. Graues Dämmerlicht breitete sich innerhalb der Ruine aus. Die Mädchen räumten ihre Sachen zusammen. Alex holte die Pferde. Kobalt schnaubte ungeduldig. Er konnte es kaum erwarten, von hier wegzukommen und seinen Stall wiederzusehen. So eine lausige Nacht wollte er in dieser Ruine nicht mehr verbringen. Hauchdünne Nebel stiegen aus dem feuchten Gras empor und verhüllten die Landschaft ringsumher. Die Luft war erfüllt vom Geruch nach Erde und den immer leiser werdenden Abendgesängen der Vögel. Als die Freunde durch den Torbogen ritten, ertönte hinter ihnen der Schrei einer Eule. „HUUUUUUUHUUUU!" Alex erschauderte. „Jede Wette", flüsterte er mit zittriger Stimme, „in der Burg spukt's doch." Eines stand für Alexander aber unumstößlich fest: In dieses gräßliche Gemäuer würden ihn keine zehn Pferde mehr bringen.
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18. Kapitel Helmuth ist wieder weg Helmuth war wieder mal ausgerückt. Dabei hatte ihn Alex nur einen winzigen Moment aus den Augen gelassen. „Das ist der Gipfel", schimpfte Alex. „Er ist in die ... Richtung gelaufen!" Ewald deutete zu den Wiesen. Auf Kobalt nahmen Conny und Alex gleich die Verfolgung des ausgerissenen Esels auf. Auf der Lichtung zügelte Conny ihren Kobalt, um sich einen Überblick zu verschaffen. Und was sah sie? Zuerst eine romantische Kapelle. Davor eine Hochzeitsgesellschaft mit Braut, Bräutigam, Verwandten und Bekannten und kleinen Kindern, die Blumen streuten. Sie waren alle so beschäftigt, daß keiner von Helmuth Notiz nahm. Lautlos stiegen Conny und Alex von Kobalt. Sie ließen das Pferd bei den Büschen zurück und liefen so schnell sie konnten auf Helmuth zu. Der pirschte leise hinter die Braut. Unvorsichtigerweise hielt die ihren Brautstrauß nicht vor, sondern neben sich. Während sie nach dem Pfarrer Ausschau hielt, knabberte Helmuth seelenruhig an dem Blumenstrauß. Zu Helmuths Glück blickten auch die anderen Hochzeitsgäste alle zu dem näherkommenden Wagen des Pfarrers. Conny und Alex schoben und zogen mit vereinten Kräften. Aber Helmuth rührte sich keinen Millimeter, bevor er nicht die letzte Blüte des Hochzeitsstraußes vernascht hatte. Dann folgte er artig zum Waldrand. Dort machten Conny und Alex, daß sie rasch wegkamen. Unterdessen schritten Braut und Bräutigam - begleitet von einem feierlichen Hochzeitsmarsch - in die kleine Kapelle. Und wenn die Braut nach der Trauung den Brautstrauß traditionsgemäß den Gästen zuwarf, würde irgendwer ein paar abgenagte Stengel an den Kopf bekommen. 71
„Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Leute Helmuth bemerkt hätten", stöhnte Alex. „Das war die letzte Katastrophe, die Helmuth angerichtet hat, so wahr ich Schlöderblohm heiße." „Dein Wort in Gottes Gehörgang", erwiderte Conny gelassen und guckte dabei skeptisch drein. An diesem Tag war Helmuth zum ersten Mal schneller auf dem Alderhof als Kobalt. Und das hatte einen ganz besonderen Grund. „Wetten, daß ich den Brunftschrei des großen Hirsches naturgetreu nachmachen kann?" prahlte Alex und legte seine Finger an den Mund. Er ließ einen Schrei ertönen, der Conny durch Mark und Bein ging. Kobalt scheute. „BROOOOOOUUUU!" „Na", grinste Alex stolz, „da staunst du, was?" „Umwerfend", seufzte Conny. Besorgt drehte sich Conny zu einer Schonung um. Das Unterholz knackte bedrohlich. „Weg hier!" rief Conny erschrocken und gab Kobalt die Zügel frei. „Was ist denn?" Leicht verwirrt blickte Alexander hinter Conny her. „Frag nicht so viel, reite los!" Conny hatte schon fast fünf Meter Vorsprung. Alex drehte sich noch einmal zu der Schonung um und sah dort den gigantischsten Hirschbullen, den er je gesehen hatte, auf sich zu rasen. Von dem Anblick war Helmuth nicht minder erschüttert als sein Herrchen. Der Esel machte einen gewaltigen Satz nach vorne und sauste mit Vollgas an dem Mädchen vorbei. Nach drei Kilometer langer Jagd ließ der Hirschbulle von seiner Verfolgung ab. Conny ritt auf Kobalt geruhsam aus dem abendlichen Wald. In der Ferne schimmerten die höher liegenden Bergwälder noch feuerrot im Licht der letzten Sonnenstrahlen. Hinter der kleinen Holzbrücke, die über den Bach führte, begann der Kiesweg. Die Steine knirschten unter den Hufen des Pferdes. Jetzt war es bis zum Alderhof nicht mehr weit. Helmut erreichte den Hof mit einer halben Minute Vorsprung vor Kobalt. 72
Direkt vor dem Schweinepfuhl machte der Esel eine Vollbremsung. Wie von der Schleuder gerutscht, schoß Alex über den Kopf des Esels hinweg. Wild mit den Armen rudernd, sauste er über den Zaun des Pfuhls und landete bäuchlings im braunschwarzen Morast. Helmuth genoß den Anblick. Er blökte vor Vergnügen und scharrte mit den Vorderhufen. „Na warte!" schimpfte Alex, stand auf, rutschte aus und schlug wieder der Länge nach hin. „Dafür verarbeite ich dich zu Wurst." In diesem Augenblick ritt Conny in den Hof. Das nahende Mädchen vor Augen, nahm Alex eine lässige Haltung an. Pfeifend saß er da und tat so, als sei es das Natürlichste von der Welt. Währenddessen quiekten rings um ihn her die Schweine. Sie waren sichtlich erbost über den Fremdkörper in ihrem Pfuhl. Aus den Stallungen und dem Gutshaus strömten die Bewohner des Alderhofes, um zu sehen, was beim Pfuhl los war. Selbst Graf und Gräfin Alderhof ließen sich den Anblick nicht entgehen. Auf allen vieren krabbelte Alex aus dem Morast. „O Alex", stöhnte Cornelia. „Was hast du jetzt schon wieder für eine Katastrophe angestellt?" „Nichts, was er nicht schon mal gemacht hätte", lachte Conny ausgelassen. „IIIIII-AAAAAA!" bestätigte Helmuth. Ende
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