Roy Palmer Das Pulverschiff
1. Nebeliggraue Schleier kündigten das Heraufziehen des neuen Tages an. Das schale Licht d...
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Roy Palmer Das Pulverschiff
1. Nebeliggraue Schleier kündigten das Heraufziehen des neuen Tages an. Das schale Licht des Morgengrauens verlieh dem Himmel über der chilenischen Küste eisengrauen, matten Glanz. Der Wind stand von Westen und blies gegen den schwärzlichen Uferstreifen an, hinter dem sich bald der Feuerball der Sonne erheben würde. Mit sattem Schmatzen schlugen die Wellen gegen die Bordwände der Segelpinasse, die in Sichtweite der Küste südwärts fuhr. Sie lag ziemlich tief. Bisweilen senkten sich Heck oder Bug so bedrohlich nach unten, daß Wasser übers Dollbord schwappte und Philip Hasard Killigrews Männer fast nasse Hintern kriegten. Den Seewolf mitgerechnet, befanden sich zehn Männer an Bord. Darüber hinaus barg die Pinasse eine Ladung, die schwer wie ein Haufen Kanonenkugeln wog - mit dem Unterschied, daß sie weitaus wertvoller war und ganz bestimmt nicht in Waffenrohre gestopft werden würde. Pures Silber schleuderte man nicht zurück in des Feindes Rachen. Pures Silber würde Kapitän Francis Drake im Triumphzug zurück nach England segeln, zu Ehren und zum Nutzen der Lissy. . Es war der 22. Dezember 1578. In Chile herrschte nicht Winter, sondern Sommer, weil sie sich ja auf der unteren Halbkugel befanden. Ben Brighton, der die Wache übernommen hatte und ruhig wie immer am Ruder hockte, vergeudete einen flüchtigen, etwas wehmütigen Gedanken an die »Bloody Mary«, Nathaniel Plymons Spelunke in Plymouth. Sicherlich ging es dort so kurz vor Weihnachten hoch her. Die 2
Kerle drängten sich vor der Theke, hoben ihre Humpen, schlugen einen Heidenspektakel, und Plymsons Perücke hing mal wieder schief. Kapitän Drakes Männer war ein solches Vergnügen nicht vergönnt. Sie befanden sich auf großer Entdeckungs- und Kaperfahrt, hatten die Magellanstraße passiert und dem Teufel dabei wahrhaftig ein Ohr abgesegelt. Die höllische Fahrt hatte bis aufs äußerste an ihren Kraftreserven gezehrt - bis sie endlich die Insel Mocha und nun den 30. Breitengrad erreicht hatten. Drake ankerte mit der ›Golden Hind‹ im Mündungsgebiet des Coquimbo. Philip Hasard Killigrew hatte den Auftrag erhalten, die Küste mit der Segelpinasse abzugrasen und nach dem Verbleib der ›Elizabeth‹ und der ›Marygold‹ zu forschen. Beide Schiffe hatten sie bei den Stürmen unten am Kap aus den Augen verloren. Doch immer noch hoffte Drake, sie hätten wie die ›Golden Hind‹ alles glimpflich überstanden und wären zum 30. Breitengrad gesegelt, der als Treffpunkt vereinbart war, falls der Verband auseinandergerissen wurde. Ben Brightin grinste. »Bloody Mary« oder nicht, dachte er, dieser vertrackte Törn trägt endlich auch seine Früchte. Zufrieden blickte er auf die Ladung, die da unter einem Stück Segeltuch versteckt lag: Silberbarren. Sie hatten sie den Dons abgeknöpft, ehe diese richtig begriffen hatten, was überhaupt los war. Das Maultier, das die Barren hatte tragen müssen, hatte sich über die unerwartete Erleichterung gewiß gefreut. Ben Brighton grinste bei diesem Gedanken von einem Ohr zum anderen. In der ersten Nacht ihrer Küstenfahrt mit der Pinasse hatten sie in der Nähe der Landspitze Punta Lengua de Vaca - das bedeutete übersetzt »Kuhzungenspitze« - ein spanisches Silberbergwerk entdeckt, in dem Indianer als Sklaven unter den höllischsten Bedingungen schufteten. Tausend Teufel hatten den Seewolf plötzlich geritten. 3
Für einige Zeit hatten sie ihren eigentlichen Auftrag vergessen und waren an Land gegangen. Hasard hatte gewußt, daß er hoch spielen und einiges riskieren konnte, denn mit ihm auf der Segelpinasse fuhren neun Männer, die außer einem zur alten »Isabella«-Crew zählten: Ben Brighton, Batuti, der riesige Gambia-Neger, Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies, und das Bürschchen Dan O’Flynn, Gary Andrews und Blacky. Nur Richard Minivy, der zehnte Mann, ein Kleiderschrank von Kerl, stammte aus Drakes Mannschaft. Ein Schnelldenker war er nicht, doch er glänzte als hervorragender Ruderschlagmann. An Waghalsigkeit mangelte es wahrhaftig nicht - nach den Ereignissen auf der Mocha-Insel und der bitteren Niederlage der Dons hatte sich an der chilenischen Küste rasch herumgesprochen, daß der berüchtigte ›El Draque‹ - Kapitän Drake - aufgetaucht sei und auch schon Beute geschlagen habe. Der Gouverneur in Lima hatte die einzelnen Häfen warnen lassen. Spanische Schiffe waren nach Süden ausgelaufen, um Drake abzufangen. Allgemein wurde angenommen, er würde durch die Magellanstraße wieder zurücksegeln. Bekannt war allenthalben, daß Drake mit den Indianer zusammenarbeitete, gegen die die Spanier sowieso einen ausgeprägten Haß hegten. Unterdessen ankerte die ›Golden Hind‹ vor der Mündung des Coquimbo, doch in Anbetracht der brenzligen Lage hatte Drake dem Seewolf nur zwei Tage Zeit gewähren können, um die ›Elizabeth‹ und die ›Marygold‹ zu finden. Hasards Abstecher an Land hatte also flink abgewickelt werden müssen. An der Küste hatten sie während der Nacht bereits die ersten Gegenmaßnahmen der Spanier bemerkt. Indianerdörfer wurden in Brand gesteckt, die Bewohner niedergemetzelt. Gewaltsam sollten die Menschen daran gehindert werden, Drake zu unterstützen. Hasard hatte kalte Wut gespürt, und die hatte ihm den letzten Auftrieb zu seinem Entschluß gegeben. 4
Sie hatten die Maultierkolonne überfallen, die die Barren von dem Bergwerk abtransportierte. Mit ihrer Silberlast hatten sie sich wieder zum Strand abgesetzt und waren in der Dunkelheit mit ihrer Pinasse nach Süden verschwunden. Hasard und die Hälfte der Männer schliefen jetzt mehr schlecht als recht auf den Bodenbrettern unter den Duchten. Außer Ben hielten noch Batuti, Pete Ballie, Dan O’Flynn und Gary Andrews die Augen offen. Dan spähte voraus und sichtete als erster, wie sich der düstere Küstenstreifen weiter in die See hinausschob. Ein Kap. Durch eine Gebärde bedeutete er Brighton, nach Steuerbord auszuweichen. Sie umsegelten das Kap. Außer dem Plätschern des Wassers und dem leisen Knattern des Tauwerks war nichts zu vernehmen. Es herrschte gleichsam Totenstille an Bord. Dan stieß plötzlich einen leisen Pfiff aus. Ben Brighton richtete sich auf der Ruderbank auf, und auch Batuti und die anderen wachen Männer strafften ihre Körper. Alle sahen nun, auf was Dan sie hingewiesen hatte. Das Kap bildete die nördliche Spitze einer schlauchartigen Bucht. In dieser, dicht unter Land, erhob sich ein dunkler, schlanker Rumpf mit unbeleuchteten Aufbauten und Masten mit ausgegeiten Segeln. »Hol’s der Teufel«, sagte Pete Ballie. »Eine Zweimastgaleone. Und was für ein schnittiger Kahn!« »Ein Schnellsegler«, stellte Ben Brighton fest. Er blickte aus schmalen Augen zu dem Schiff hinüber und erkannte, daß es an seiner Steuerbordseite in Höhe der Kühl vier Geschützluken zeigte. »Los, weckt den Seewolf und die anderen!« Batuti versetzte Hasard einen leichten Stoß. Der war sofort wach, blinzelte und richtete die eisblauen Augen auf die Bucht. Pete Ballie und Gary Andrews rüttelten die anderen auf die rücksichtsvolle Art wach, die sie so an sich hatten. Blacky erhielt eine Ohrfeige, weil er nicht gleich schaltete. Fluchend zog er sich am Dollbord empor. 5
Hasard schaute an Dan O’Flynn vorüber. Sein Blick tastete die Umrisse der stolzen Galeone ab. Der Wind fuhr in seine schwarzen Haare und zerzauste sie. Er reckte sich, wandte sich um und zeigte den achtern sitzenden Männern seine große, breitschultrige Gestalt. Plötzlich legte er seine weißen Zahnreihen frei. »Also, was haltet ihr von dem Pott?« »Alles andere als ein müder Waschzuber«, entgegnete Ben Brighton gelassen. »Ein verdammter Don«, gab Blacky seinen Senf dazu. »Kurzum, es würde sich schon lohnen, ihn zu entern«, verkündete das Bürschchen O’Flynn fröhlich in Hasards Rücken. Ohne den Kopf zu wenden, sagte der Seewolf: »Habe ich das Wort Entern gehört? Na schön, wenn ihr so versessen darauf seid, den Spaß will ich euch nicht nehmen. Ben, nimm Kurs auf den Don. Ihr anderen, macht euch bereit!« Sie umrundeten das Kap und gingen vor den Westwind. Brighton bugsierte die Pinasse sicher in die Bucht. Philip Hasard Killigrew stieß seine Kommandos halblaut aus. Er ließ wieder anluven, dann steuerten sie am Wind von achtern an die Galeone heran. Noch regte sich nichts an Bord des Schiffes, noch hatte sie niemand bemerkt. Dan O’Flynn richtete sich in seinem Ausguck am Bug der Pinasse auf, so hoch es ging. Im Osten schob sich die Sonne hinter bizarren Bergkuppen hoch und schickte ihre Strahlen aus. Dan deckte die Augen schützend mit der Rechen ab. Angestrengt hielt er Ausschau. »Ein Landesteg aus Holz«, meldete er plötzlich. »Ein Beiboot ist dran vertäut.« Hasard grinste. »Aha. Und was siehst du sonst noch?« »Nichts außer einem Pfad, der zwischen Felsen und Steilküste ins Innere des Landes führt.« Hasard ließ sich von Dan den Kieker aushändigen. 6
Aufmerksam schaute er hindurch und suchte das Oberdeck der Galeone ab. Kein Mensch ließ sich sehen. Hasards Blick wanderte weiter nach vorn, auf die Back, über Bugspriet und Klüverbaum hinweg, dann zurück bis an die Bordwand, wo er den Namen des stolzen Spaniers erkennen konnte. ›Valparaiso‹ hieß er. »In den Wind gehen, Ben«, sagte der Seewolf zu seinem Bootsmann. Die Segelpinasse drehte und lief querab vor der Steuerbordseite der ›Valparaiso‹ aus, bis die Heckgalerie erreicht war. An Bord der Pinasse setzte rege Tätigkeit ein. Stenmark, Batuti und Pete Ballie warfen die Leinen aus und machten fest. Gary Andrews, Blacky und Richard Minivy geiten das Segel auf. Matt Davies, Dan O’Flynn und Hasard nahmen am Bug Aufstellung und ließen die Enterhaken an ihren Tampen über ihre Köpfe wirbeln. Surrende Geräusche entstanden. Hasard ließ seinen Haken emporschwingen. Er krallte sich mit seinen eisernen Spitzen hinter einem hölzernen Wulst fest, der die Achtergalerie umspannte. Dan und Matt hatten nach einigen Versuchen auch Erfolg. Hasard hangelte als erster nach oben. Auf dem Wulst angelangt, verlagerte er die Position der Haken, indem er sie hinter das Schanzkleid klemmte und ihnen so mehr Halt verschaffte. Männer wie Batuti oder Blacky wogen mehr als Hasard, und er wollte auf keinen Fall riskieren, daß einer von ihnen zurück auf das Deck der Pinasse krachte. Er gab den gespannt Wartenden ein Zeichen. Sie kletterten einzeln an den Tauen hoch und hatten die Entermesser und Dolche zwischen die Zähne geklemmt. Dan O’Flynn bewegte sich wie ein Affe nach oben. Er hätte es ohne weiteres mit Arwenack, dem Schimpansenjungen, aufnehmen können. Nachdem Ben Brighton, Batuti und Stenmark die Achtergalerie hochgeentert waren und neben ihm kauerten, 7
riskierte Hasard einen ersten Blick über das Schanzkleid. Er hatte sich mit einem Kurzsäbel bewaffnet, den er jetzt in der rechten Faust hielt, bereit, es gleich mit einer ganzen Handvoll Dons aufzunehmen. Das Achterdeck der Galeone war wie leergefegt. Er ließ den Blick wandern, sah den Besanmast in voller Größe, entdeckte das herrenlose Steuerrad und nichts als verlassene Planken. Er runzelte die Stirn. Was war das? Ein »Geisterschiff«? Er drehte sich zu Ben Brighton, Batuti und den anderen um, die inzwischen den hölzernen Wulst erklommen hatten. Unter ihnen hob und senkte sich die leere Segelpinasse auf den flachen Wellen, ihr Baum schwankte leicht hin und her. Nur noch Ballie und Minivy turnten an den Tauen herum. »Fertig?« fragte Hasard leise. »Aye, aye, Sir.« Der Neger antwortete für alle. »Dann nichts wie ran an den Feind.« Hasard ließ sich als erster über die Brüstung des Schanzkleides gleiten. Er kam lautlos auf, duckte sich und schlich an der Backbordseite über die Poop weg. Hinter der Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Decks auf dem Achterkastell bildete, schob er sich langsam wieder hoch. Die ›Valparaiso‹ war doch nicht ganz und gar verlassen. Auf der Kuhl hockte ein Mann.
Batuti arbeitete sich auf Händen und Füßen an Hasard heran. Er hielt seinen Dolch immer noch zwischen den Zähnen, seine Augen funkelten. Ben Brighton folgte ihm dichtauf, dann kamen die anderen. Dan bewegte sich wie ein Wiesel. Er überholte Pete Ballie und Matt Davies und befand sich neben Batuti, als dieser den Seewolf erreichte. Hasard sagte gar nichts, er wies nur grinsend über die Schmuckbalustrade. 8
Dan O’Flynn musterte interessiert den hockenden Mann. Er saß mit dem Rücken zum Großmast und hatte sich dem Achterkastell zugewandt. Sein Gesicht konnte man nicht sehen, denn er hatte den Kopf auf die Knie gesenkt und die Arme davor verschränkt. »Der pennt«, tuschelte Dan respektlos. »Sollen wir ihm ein Messer zwischen die Rippen setzen?« Hasard schüttelte den Kopf. »Ich möchte, daß er weiterschläft.« »Verstehe.« Dan glitt hinter Batuti her. Der pirschte bereits die Stufen des nächsten Niedergangs hinunter. Dan holte ihn ein, gelangte an eine Luke und bückte sich nach den dort aufgereihten Koffeynägeln. Er zog einen hervor und warf ihn Batuti zu. Geschickt fing der Neger ihn auf. Im nächsten Moment war er neben dem sorglos schlummernden Don. Batuti schnitt eine gespielt bedauernde Miene, holte aus und ließ den hölzernen Belegnagel auf den Schädel des Mannes niederkrachen. Der zuckte ein bißchen zusammen und hob die Arme an. Danach stieß er einen Seufzer aus, kippte auf die linke Körperseite - und schlief tatsächlich weiter, wie der Seewolf es gewollt hatte. Dan ließ ein unterdrücktes Lachen hören. Hasard sprang vor den übrigen Männern den BackbordNiedergang hinunter. Durch Gesten gab er ihnen zu verstehen, wie sie vorzugehen hatten. Er selbst nahm sich mit Batuti, Dan, Brighton und Richard Minivy das Achterkastell vor. Die anderen schwärmten zum Vorschiff hin aus. Hasard nahm mit pantherhaften Sätzen einen Niedergang, der in die ersten Kammern des Achterdecks hinabführte. Er stieß Türen auf, untersuchte Kojen und schaute nach, ob eventuell jemand daruntergekrochen war. Schließlich geriet er in die Kapitänskammer. Sie war ebenfalls leer. Hinter seinem breiten Rücken drängten sich Batuti, Ben und 9
die anderen beiden. »He«, sagte Dan plötzlich. »Hört ihr das nicht? Das kommt vom Oberdeck.« Der Seewolf fuhr herum. Oben war wirklich Gepolter zu hören, irgend jemand fluchte, was das Zeug hielt. Die fünf kehrten an den Niedergang zurück und hasteten nach oben. Stenmark, der große blonde Schwede, schleppte einen zappelnden Mann heran. Pete Ballie, Matt Davies, Gary Andrews waren im Hintergrund zu sehen, sie hatten sich auf Vorkastell und Back verteilt. »Noch so ein Bursche wie der, den wir schlafengelegt haben«, bemerkte Stenmark. Er hielt seine Hand, groß wie eine Bratpfanne, auf den Mund des Gefangenen gepreßt und schleifte ihn zu Hasard hinüber. »Sieh bloß mal, was der für einen Aufstand macht.« »Auch Don«, stellte Batuti fest. Stenmark blieb vor dem Seewolf stehen. Seine Hände hielten den Spanier wie Eisenklammern. Auf Hasards Wink hin gab der Schwede den Mund des Mannes frei. »Wie viele Männer halten sich noch an Bord auf?« erkundigte sich Hasard auf spanisch. »Rede!« »Muguno.« Der Mann zitterte vor Angst und hatte jetzt jeglichen Widerstand aufgegeben. »Niemand.« »Er lügt«, sagte Pete Ballie. Er nahm eine drohende Haltung ein. Der Spanier schien buchstäblich in sich zusammen zu schrumpfen. Hasard verzichtete darauf, ihn weiter zu vernehmen. Er ließ ihn wie ein Paket zusammenschnüren und zu dem anderen legen. Der schlief zwar nach wie vor tief und sorglos, wurde aber ebenfalls gefesselt. Hasards Männer schwärmten wieder aus, um den Rest der Galeone zu durchsuchen. Wenig später steckte Blacky den Kopf aus einer Luke. »Der Frachtraum ist bis obenhin voll mit Pulverfässern. So, wie die Stapel aussehen, kommt es mir aber vor, als fehlten bereits 10
einige.« »Warte auf mich«, sagte Hasard. »Ich komme selbst runter und sehe mir das an.« »Aye, aye,Sir.« Philip Hasard Killigrew kletterte in den Bauch des Schiffes hinunter. Er benutzte einen Niedergang unterhalb der Kombüse, als er Gebrüll vernahm. Es klang dumpf, aber sehr nah, und schien aus dem vordersten Bereich des Vorschiffes zu dringen. Blackys mächtige Gestalt schob sich aus dem düsteren Gang, der sich vor ihm erstreckte. Er zeigte eine fragende Miene. »Was ist denn da los?« »Wenn ich das wüßte. Los, laufen wir erstmal wieder nach oben.« Sie waren kaum wieder auf dem Oberdeck, als Ben Brighton auftauchte. Ein ziemlich ratloser Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Das Rumoren war mit unverminderter Stärke zu vernehmen. »Da unten schlägt einer Rabatz«, sagte Ben. »Er steckt in der Piek, wo sich auch der Raum für die Ankertrosse befinden muß. Die Piek ist abgeschlossen, und da hab ich gedacht, bevor ich sie aufbreche ...« »Ist schon in Ordnung.« Hasard schloß sich ihm an. Gemeinsam suchten sie den Bereich unter dem Vordeck auf. »Wir fragen ihn jetzt ganz höflich, was er auf dem Herzen hat«, meinte Hasard unterwegs.
Die Vorpiek war so etwas wie der Eingang zur Hölle, ein finsteres und muffiges Loch im untersten Bugraum, in dem sich alle Gerüche sammeln, die selbst dem grimmigsten Kerl den Magen umdrehen können. Hasard selbst hatte schon Bekanntschaft mit der Vorpiek der ›Marygold‹ gemacht, stinkiges Bilgewasser schlucken müssen, und seine ganze 11
aufgestaute Wut gegen Carberry, den Profos, in die Jauche gespuckt, bevor dieser ihn endlich anerkannt hatte. Als er vor dem hölzernen Querschott stand, das die Piek der ›Valparaiso‹ abschloß, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie dem Mann dort drinnen zumute sein mochte. In dem Höllenloch war schon so mancher aufsässige Bursche weichgeklopft worden. Der Gefangene tobte und brüllte. Er fluchte auf spanisch und hatte Ausdrücke auf Lager, die einfach nicht versiegten und von denen »Vayase al diablo« - »geht alle zum Teufel« - noch einer der gelindesten war. »Caballero!« rief Hasard. Das Stakkato von Flüchen verstummte mit einem Schlag. Hasard malte sich aus, wie der Mann dahockte - verschwitzt, schwer atmend, einen gehetzten Ausdruck auf dem Gesicht. »Caballero, oiga me«, sagte er laut. »Hör mir gut zu!« Der Gefangene rasselte mit den Ketten, an die man ihn gefesselt hatte, gab jedoch keine Antwort. »Wer bist du?« fragte der Seewolf auf spanisch. Endlich erwiderte die zornige, grollende Stimme: »Von Hutten, Hölle und Teufel noch mal! Hier sitzt Karl von Hutten, der von den gottverdammten Spaniern, diesen räudigen Söhnen verlauster alter Hafenhuren, gefangengenommen wurde. Und wer, beim Satan, bist du?« »Bestimmt nicht der König von Spanien.« »Sondern? Der Klabautermann, wie?« »Du machst mir Spaß, von Hutten.« »In einer prunkvollen Kammer wie dieser hier verlernt man den Humor weiß Gott nicht.« »Wir wollen dich befreien.« Von Huttens Stimme dröhnte: »Dann, zum Henker, wartet nicht länger und öffnete endlich das verfluchte Schott. Ich bin ganz versessen darauf, eure Gesichter kennenzulernen und eine Nase voll frischer Luft zu genießen.« 12
Hasard lächelte. »Geh in Deckung, amigo. Wir müssen das Schott aufbrechen.« »Nicht nötig«, sagte der Mann. »Pablo, dieser dreckige Bastard, hat den Schlüssel zur Piek und für die verdammten Ketten.« »Pablo?« »Der Kerl, den ihr, wenn ich mich nicht verhört habe, vor ein paar Minuten geschnappt und aufs Oberdeck gebracht habt.« »Ist gut«, entgegnete der Seewolf. Er wandte sich um. Ben Brighton, Blacky, Stenmark, Batuti und Dan O’Flynn hatten sich genähert, die übrigen stießen durch den Niedergang nach. »Also«, sagte Hasard. »Ihr habt doch verstanden, oder?« »Aye, aye. Wir Pablo holen.« Batuti kehrte um und lief nach oben. Ben folgte ihm auf dem Fuß. Kurz darauf kehrten sie mit dem Spanier zurück. Er war so prächtig verpackt worden, daß er nicht einmal den kleinen Finger bewegen konnte. Zwischen seinen Lippen schaute ein zum Knäuel zusammengeballter bunter Lappen hervor. Ben nahm ihm den Knebel ab. »Hör gut zu, Pablo«, sagte Hasard zu ihm. »Meine Männer könnten dich ein paarmal kräftig durchkneten und dann auf den Kopf stellen, es würden bestimmt ein paar Schlüssel herausfallen. Habe ich recht?« Pablo nickte hastig. »Du könntest aber auch gleich reden und dir eine Menge Ärger und Gliederreißen ersparen. Also: Wo stecken die Schlüssel?« »Unterm Hemd. Auf meiner Brust«, gestand der angstschlotternde Don. Ben Brighton schaute nach. Er zerrte tatsächlich einen kleinen Rohlederbeutel aus dem Hemdausschnitt des Mannes hervor. Ein dünner Lederriemen hielt ihn am Hals Pablos. Mit verdrossenem Gesicht zückte Batuti seinen Dolch. Er ging zu 13
Pablo, und der ließ vor Grauen einen erstickten Schrei vernehmen. Brummend durchtrennte Batuti den Lederriemen. Als er fortrückte, gab der Spanier einen Laut der Erleichterung von sich. Ben gab ihm wieder den Knebel zu schmecken. Hasard nahm den Lederbeutel in Empfang, öffnete ihn und holte ein Schlüsselbund heraus. Rasch hatte er den für das Schott passenden gefunden. Er riegelte auf. Das Schott knarrte in angerosteten Eisenangeln Hasard begab sich gebückt in die Piek. Seine Männer lugten neugierig hinein. Vor ihnen erhob sich ein bärtiger, abgemagerter Mann. Seine dunkle, ledrige Haut spannte sich über groben Gesichtsknochen und deutete Höhlungen an. Tiefe Ränder zeichneten sich unter seinen dunklen Augen ah. Er war ein gemarteter Mann, nicht, weil man ihn körperlich halb zu Tode gepeinigt hatte, sondern ihm das Essen seit so langer Zeit entzogen hatte, daß er beinahe verhungert war. Seine hageren Gliedmaßen steckten in zerlumpter Kleidung. Er war groß, hatte breite Schultern, blonde Haare und wirkte wegen der schattigen Tönung seiner Haut irgendwie fremdartig. Dennoch war ihm anzusehen, daß er europäischer Abstammung war. Sein Gesicht wies regelmäßige Züge auf, die jetzt lediglich stark verzerrt waren. Er mochte Anfang der Dreißig sein, sah aber um einiges älter aus. »Danke«, sagte er. »Bei Gott, ich wäre in diesem stinkenden Loch umgekommen, wenn ihr nicht ... wer seid ihr eigentlich?« »Philip Hasard Killigrew und neun Männer von der ›Golden Hind‹.« »Engländer?« »Ja, Engländer.« »Das gibt es nicht - in diesem Land! Chile wird von den verfluchten Spaniern beherrscht, und kein Engländer hat in all diesen Jahren auch nur einen Fuß hier an Land gesetzt, geschweige denn, ein Schiff wie dieses geentert.« Er schaute 14
sie verblüfft an und bewegte die Arme, so daß die Ketten wieder klirrten. »Ich kann es einfach nicht glauben.« »Er hält uns für Gespenster«, sagte Ben Brighton. »Das ist ein schlechtes Omen«, murmelte Matt Davies düster. Pete Ballie hielt ihm unversehens die Faust unter die Nase und schob sie so weit hoch, daß seine Knöchel die aufgeblähten Flügel von Matts Nase berührten. »Fängst du jetzt auch mit dem blöden Quatsch an?« »Pete, ich ...« »Hört auf«, sagte der Seewolf. »Karl von Hutten, ich möchte erfahren, wie und warum du auf dieses Schiff gekommen bist.« »Matt Davies redet dummes Zeug daher wie Mac Pellew, der abergläubische Narr«, sagte Pete maulend. »Ich kann’s einfach nicht mehr mitanhören. Wenn ich dann auch noch an Francis Fletcher mit seinen weisen Bibelsprüchen denke ...« Ein Blick Hasards brachte ihn zum Verstummen. Karl von Hutten räusperte sich laut und hob die Ketten so, daß sie rasselten. »Könnt ihr mich nicht erstmal von den Eisenmanschetten befreien?« Der Seewolf benutzte den anderen Schlüssel von Pablos Bund. Knarrend fielen die Ketten zu Boden. Von Hutten rieb sich die Bein- und Armgelenke, versetzte seinen metallenen Fesseln noch einen erbosten Tritt und trat dann zu den Männern, um seine Geschichte zu erzählen. »Eigentlich bin ich Deutscher«, begann er. »Der Sohn Philipp von Huttens und einer indianischen Häuptlingstochter. Ich weiß nicht, ob ihr euch auskennt, was die Belange meiner Familie betrifft.« »Kaum«, gab Ben Brighton zu. »Es wäre wohl auch zuviel verlangt.« Karl blickte von einem zu anderen, dann fuhr er fort. »Mein Vater war der Generalkapitän und Gouverneur von Venezuela, einer Kolonie des deutschen Handelshauses der Welser. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, denn ein halbes Jahr vor meiner Geburt 15
geschah das Schreckliche: mein Vater wurde zusammen mit Barthel Welser, einem Sproß der Welser aus Augsburg, von den Spaniern ermordet. Das war 1556. Venezuela ging wieder in den Besitz der Spanier über. Ein Jahr verging, und die elenden Hurensöhne ermordeten auch meine arme Mutter. Eine indianische Amme brachte mich zum Stamm, dem sie angehört hatte. Eine Zeitlang durfte ich in Frieden leben, doch dann erschienen wieder die Spanier und rotteten den Stamm aus. Ich überlebte das Massaker wie durch ein Wunder. Seit ich denken kann, kämpfe ich auf Seiten der Indianer gegen die Spanier.« Er legte eine kleine Pause ein, doch niemand ergriff das Wort. Hasard musterte ihn mit seinen eisblauen Augen, ohne eine Miene zu verziehen. Die neun Männer schauten von Hutten in einer Mischung aus Spannung, Mißtrauen und Erschütterung an. »Ich muß allerdings hinzufügen, daß ich von meinem zehnten bis siebzehnten Lebensjahr in einem spanischen Kloster gewesen und von Mönchen unterrichtet worden bin«, erklärte er nun. »Schließlich gelang mir eine lange geplante Flucht. Ich erlebte Schreckliches, schier Unglaubliches, aber ich will das alles nicht schildern. Ich würde euch langweilen. Ich konnte mich bis zu den Araukanern durchschlagen. Bei einem Gefecht, das östlich von Valparaiso stattfand, wurde ich am Kopf verwundet. Die Spanier nahmen mich gefangen und führten mich auf dieses Schiff. In der Piek durfte ich schmachten und auf meinen Prozeß warten. Man wollte mich nach Lima bringen. Vor ein Gericht. Könnt ihr euch vorstellen, was mir blüht?« »Nichts weniger als der Tod«, sagte Hasard. »So ist es. Ihr habt mir das Leben gerettet.« »Das freut mich. Du hast uns eine ziemlich wilde Geschichte erzählt, aber sie erscheint mir glaubhaft.« »Sie ist wahr. Ich schwöre es.« Hasard blickte ihm ernst in die Augen. »Wir sind Drakes 16
Männer, wir haben mit ihm die Magellanstraße durchfahren und sind auf der Insel Mocha gelandet. Wir haben die Dons schädigen können, aber jetzt sind sie hinter uns her. Wir können dich an Land bringen.« »An Land? Ich meine - wie komme ich dort weiter? Wohin kann ich noch gehen?« »Du kannst auch bei uns bleiben. Ganz wie es dir gefällt.« Karl von Hutten ballte die Rechte zur Faust und schlug damit in die geöffnete linke Hand, daß es klatschte. »Teufel auch, Killigrew! Du glaubst, ich habe nichts von den tollkühnen Unternehmungen des ›El Draque‹ gehört? Mann, die sind doch so etwas wie eine Legende. Jedesmal, wenn ich einen Bericht über die Kaperfahrten aufgeschnappt habe, die er gegen die Spanier geführt hat, habe ich ihm Glück und Erfolg gewünscht. Und da fragst du noch, wofür ich mich entscheide?« Hasard verschränkte die Arme und erkundigte sich förmlich: »Wie lautet also dein Entschluß?« Karl streckte die Hand aus. »So wahr ich von Hutten heiße, ich will bei euch bleiben, mit euch kämpfen, so gut ich kann bis ich von einer Kanonenkugel zerfetzt, einer Musketenladung durchbohrt oder einer Säbelklinge aufgeschlitzt werde. Nimm meine Rechte an, Killigrew, sie gehört einem ehrlichen, wenn auch im Augenblick etwas verkommenen Mann.« Philip Hasard Killigrew ergriff die ihm dargebotene Hand. Er drückte sie und grinste plötzlich verwegen. Dan O’Flynn stellte sich dicht neben von Hutten und versetzte in der ihm eigenen vorlauten Art: »Übrigens, wir nennen ihn den Seewolf, unseren Kapitän Killigrew.« Von Hutten hielt die Hand immer noch fest und betrachtete Hasard ungeniert von oben bis unten. »Jetzt kapier ich. Über den Seewolf gehen ja auch die tollsten Geschichten reihum. Nur einer Mannschaft wie euch konnte es gelingen, einfach so mir nichts, dir nichts die ›Valparaiso‹ zu entern. Gratuliere! Das geht noch in die Geschichte ein!« 17
»Na, na«, sagte Hasard. »Nun übertreibe mal nicht. Los, wir schauen uns die Kombüse an. Hoffentlich haben die Dons ihren Koch darauf getrimmt, immer gute Vorräte zu halten.« Karl von Hutten tat ein paar unsichere Schritte auf den Niedergang zu und knickte dann jählings in den Knien ein. Hasard und Ben Brighton fingen ihn auf. Das tagelange Schmachten in der Piek hatte gehörig an den Energien des Mannes gezehrt. Er wollte nicht zugeben, daß er sich schlecht auf den Beinen hielt und ihm rundum miserabel zumute war. »Laßt mich los«, sagte er. »Bin doch kein Wickelkind.« Sie taten ihm den Gefallen, und prompt strauchelte er auf den Stufen. Es polterte gehörig. Er rutschte ihnen wieder ein Stück entgegen, fluchte, rappelte sich auf und stützte sich ab. Dann mußte er es sich doch gefallen lassen, daß sie ihm unter die Arme griffen und ihn auf das Oberdeck beförderten. Gemeinsam marschierte die elfköpfige Mannschaft über die Kuhl. Pablo wurde wieder zu seinem Kameraden an den Großmast gelegt. Der Mann schlief immer noch. Hasard ließ Karl von Hutten los und gab dessen linken Arm an Batuti ab. Er schritt auf das Kombüsenschott zu und öffnete es. Was er im Halbdunkel des Raumes entdeckte, entlockte ihm einen Pfiff. »Dreimal dürft ihr raten, was es hier zu kauen gibt, Männer.« Matt Davies verzog den Mund. »Bestimmt schimmeligen Schiffszwieback, total versalzenes Pökelfleisch und schlabberiges Dünnbier. Er will uns auf den Arm nehmen, Jungs.« Dan drängelte sich durch und nahm die Kombüse selbst in Augenschein. »He!« rief er. »Laß dich doch nicht ins Bockshorn jagen, Matt. Seht euch das an: Schinken, Würste, Frischfleisch, Hühner, Eier, Salat und anderes Grünzeug - alles, was das Herz begehrt! Und, wenn mich nicht alles täuscht, spanischer Rotwein!« Karl von Hutten stöhnte auf. Batuti und Ben Brighton 18
dirigierten ihn in die Kombüse. »Du immer Hunger wie Gorilla, kleines O’Flynn«, sagte Batuti. »Aber Karl Kohldampf wie zehn Gorillas.« Blacky und Gary Andrews übernahmen es, die unter den Deckenbalken baumelnden Schinken und Würste zu prüfen und die besten Stücke auszuwählen. Blacky holte einen Schinken herunter und warf ihn auf eine Tischplatte, daß es donnerte. Mit einem Entermesser schnitt er ihn in dicke Scheiben. Gary beschäftigte sich ausgiebig mit dem Zerteilen der Würste. Batuti raffte Salat, Tomaten, Fenchel und andere Gemüsesorten zusammen, zerpflückte sie über einer Schüssel und goß Öl und Essig darüber. Dan O’Flynn hatte bereits mit seinen flinken Fingern eine Korbflasche geöffnet und schickte sich an, ihr auf den Grund zu gucken. Hasard packte ihn am Kragen. »Das Besäufnis findet nicht statt«, sagte er. »Du schenkst jedem eine gerechte Ration Wein einverstanden?« »Aye, aye.Sir.« »Karl darf vorerst nur Wasser trinken.« »Sonst kippt er vollends von den Sohlen«, fügte Ben Brighton hinzu. Sie setzten sich. Blacky und Gary teilten Fleisch und Brot aus. Von Hutten stöhnte wieder und verdrehte die Augen, als er eine dicke Scheibe Schinken zwischen den Fingern hielt. Gierig schlug er seine Zähne hinein. Für die nächste Viertelstunde war er nicht zu sprechen. Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter. »Iß langsam. Du weißt, wie gefährlich es sein kann, alles hastig herunterzuwürgen, wenn man lange nichts zwischen den Zähnen gehabt hat.« Von Hutten nickte, erwiderte nichts, kaute weiter. Er hielt sich aber an den Rat des Seewolfes. Auch Hasard und seine Männer verspürten ein unangenehmes Knurren in den Mägen. Es war schon einige Zeit her, seit sie das letzte Mal Nahrung 19
gefaßt hatten. Voll Genuß widmeten sie sich den Köstlichkeiten, die die Kombüse bot. Der Wein war tief rot, jedoch nicht besonders schwer, er rann leicht die Kehlen herunter. Sicherlich hatten die Spanier von der ›Valparaiso‹ die Vorräte erst vor kurzem aufgenommen, und ganz bestimmt waren die Lieferanten irgendwelche Indianer, die unter dem Druck der Dons auch noch ihr letztes Huhn hergeben mußten und dann am Hungertuch nagen durften. Blacky war als erster fertig. Hasard schickte ihn als Wachposten nach oben. Etwas später mußten sich Pete Ballie und Matt Davies in den Kammern des Achterkastells umtun und nach frischer Kleidung für Karl von Hutten suchen. Von Hutten lehnte sich zurück, stieß einen zufriedenen, satten Laut aus und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Teufel auch, war das gut. Ich lebe auf.« Er reckte sich, daß die Armknochen knackten, nahm seinen Wasserkrug zur Hand und entleerte einen Schub Flüssigkeit über seinem Gesicht. Mit behäbigen Gesten massierte er seine Haut. Dan O’Flynn beobachtete ihn und kratzte sich dabei am Hinterkopf. »He, Karl!« Von Hutten hob den nassen Kopf. Er verstand auch die englische Sprache recht gut, nur beim Reden bediente er sich ausschließlich des Spanischen. »Che pasa? Was ist los?« »Drüben neben dem Kochkessel steht eine Pütz voll Wasser. Wenn du so aufs Waschen versessen bist, warum gehst du nicht hin und steckst deinen Schädel rein?« »Das ist eine Idee!« Karl erhob sich, ging zu der Pütz und tauchte sein bärtiges Haupt hinein, daß die Flüssigkeit überschwappte. Batuti klatschte grinsend in die Hände, die Männer johlten Beifall. Karl richtete sich wieder auf, trocknete sich ab und setzte sich neben den Seewolf. »Ich fühle mich wie neugeboren. Hör zu, ich glaube, es wird Zeit, daß ich einiges über die Besatzung dieses verdammten 20
Schiffes berichte.« »Ich bin ganz Ohr«, entgegnete Hasard. Pete Ballie und Matt Davies kehrten in die Kombüse zurück. Sie hatten ein paar einfache Kleidungsstücke aufgetrieben. Sofort entledigte sich Karl der Fetzen, die er noch auf dem Leib trug. Er stieg in die neue Hose und streifte sich das saubere Hemd über. Die Sachen waren ihm etwas zu groß, aber das spielte keine Rolle. »Sehe ich jetzt aus wie ein Don?« »Ja«, gab Stenmark zurück. »Himmel, Arsch und Zwirn.« Karl von Hutten nahm wieder Platz, wurde mit einem Mal sehr ernst. »Also, paßt auf. Die ›Valparaiso‹ hat mit einem klaren Auftrag diese Bucht angesteuert - oder besser, mit einem Doppelauftrag. Ihr habt die Pulverfässer im Frachtraum gesehen. Sie sollen an verschiedenen Küstenorten abgeladen werden. Das habe ich mitgekriegt, als die Dons mich auf diesen Kahn geschleppt haben. Ich habe auch in der Piek die Ohren gespitzt und ein paar andere Kleinigkeiten aufgeschnappt, wenn ich mal Besuch kriegte: Das Pulver dient zum Sprengen von Stollen in den verschiedenen Silberbergwerken bis hinauf nach Lima.« »Das ist starker Tobak«, sagte Hasard. »Und wieso hat die Besatzung die Galeone verlassen?« »Ganz einfach, weil in der Bucht die ersten Fässer entladen worden sind. Habt ihr nicht das Beiboot am Landesteg gesehen?« »Ja. Damit sind die Dons an Land, nachdem sie zwei Bordwachen zurückgelassen hatten.« »Richtig. Mit ihnen sind dreißig Soldaten unterwegs.« »Soldaten?« Karl nickte. »Die sind für den anderen Auftrag eingeteilt. Es sollen hübsche junge Indianerinnen gefangengenommen werden. Sie werden an Bord geschafft und dann nach Lima gebracht.« 21
Alle Männer hoben jetzt die Köpfe. Richard Minivy hatte einen eigentümlichen Blick. »Indianerinnen«, wiederholte er und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Was er dachte, ließ sich unschwer erraten. »Jetzt erklär’ mir mal, was die Indianermädchen in Lima sollen«, sagte der Seewolf. »Ich bin vielleicht ein bißchen schwer von Begriff, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, welchen Zweck so ein Unternehmen haben sollte.« Von Huttens Gesicht verzog sich zu einer erbitterten Grimasse. »Denk mal scharf nach. Kannst du dir die gierigen, lüsternen Blicke des spanischen Vizekönigs und seiner Höflinge in Lima ausmalen, wenn die halbnackten, verstörten Mädchen in den Palast geführt werden? Diese Bastarde wissen doch nicht mehr, womit sie die Zeit totschlagen sollen, die sie müßig verbringen.« »Die Mädchen sollen ihnen zur Kurzweil dienen?« fragte Hasard. »Ja.« »O verflucht!«
3. Sie begaben sich auf das Oberdeck. Der Morgen war nun vollständig angebrochen, die Schatten der Dämmerung waren gewichen. Im Osten stand der gleißende Feuerball der Sonne über den Bergmassiven. Hasard trat an die Backbordreling und schaute zur schroffen Küste hinüber. Er bedachte das am Anleger vertaute Beiboot der Spanier mit einem langen, nachdenklichen Blick. Sodann wandte er sich um und schaute zu Blacky hinauf, der an der Balustrade des Achterdecks erschien. »Keine Neuigkeiten, Sir.« 22
»In Ordnung. Weitermachen, Blacky. Matt und Dan, ihr besetzt die Back und haltet gleichfalls die Augen offen. Ich möchte nicht, daß uns die Spanier mit einer kleinen Überraschung bedenken.« Ben Brighton und Karl von Hutten waren neben ihm. Ben sagte: »Was tun wir also?« »Ich überlege noch. Eigentlich hätte ich nicht übel Lust, die gottverfluchte ›Valparaiso‹ mit dem Pulver in die Luft zu jagen, das sie im Bauch trägt. Wir würden mit der Segelpinasse abhauen und weiter nach der ›Elizabeth‹ und ›Marygold‹ forschen.« »Moment mal«, sagte von Huttern. »Ich will mich nicht dazwischenstecken, schließlich ist es deine Mannschaft, Seewolf. Aber ich hätte eine Kleinigkeit zu bemerken.« »Sag ruhig deine Meinung.« »Habt ihr euch die Galeone gut angesehen? Sie ist ein schnelles, wendiges Schiff, ein richtiges Schmuckstück.« Hasard legte den Kopf ein wenig zurück. Sein Blick wanderte am Großmast empor. Die Segel waren aufgegeit worden, aber es ließ sich dennoch erkennen, daß das Großsegel kein Rah-, sondern ein Gaffelsegel war. Außer diesem und der Fock verfügte das Schiff noch über ein Großmars- und Vormarssegel sowie am steil aufragenden Bugspriet über die Blinde. Hasard schaute nachdenklich über Deck und betrachtete die je vier Neunpfünder auf jeder Seite der Kuhl. »Stimmt, es ist ein schönes Schiff.« »Wir könnten es als Prise nehmen«, sagte Ben Brighton. Hasard spann den Faden weiter: »Und dann nichts wie zurück zu Kapitän Drake. Die Zeit drängt sowieso. Schön und gut, aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Wir könnten versuchen, die gelandeten Dons in die Pfanne zu hauen - und die bis dahin entführten Indianermädchen zu befreien.« »Großartig wäre das«, sagte von Hutten ehrfurchtsvoll. »Großartig schon«, meinte der Seewolf. »Wenn du mich 23
fragst, was mir mein Gefühl sagt, so muß ich eingestehen: ich würde die zweite Möglichkeit vorziehen - ankerauf gehen und schleunigst seewärts nach Norden klüsen.« »Aber Drake sagt doch immer, man müsse den Indianern helfen«, warf Ben ein. »Stimmt. Wir sollten sie als Bundesgenossen gewinnen. So wie auf der Mocha-Insel, als wir den Spaniern das kalte Grausen beigebracht haben und die Araukaner unsere Freunde geworden sind.« Hasard ging zu den beiden gefesselten Spaniern am Großmast hinüber. Ben und Karl von Hutten schlossen sich ihm an. »Nehmen wir mal an, wir schlagen den Spaniern dieses Schnippchen - was wird dann aus unserer Suche nach der ›Elizabeth‹ und der ›Marygold‹? Die müßten wir abbrechen.« Hasard baute sich vor dem Mann auf, der ihnen die Schlüssel für die Piek geliefert hatte. »Escuchame, Pablo - hör mir gut zu, ich habe dir eine Frage zu stellen.« Brighton befreite Pablo von dem Knebel. »Sind in der letzten Zeit in dieser Gegend zwei fremde Schiffe gesichtet worden?« wollte Hasard wissen. Pablo schüttelte den Kopf. Daraufhin zückte Ben sein Entermesser, hielt die Spitze unter das Kinn des Mannes und drückte ein bißchen zu. Ein kleiner Blutstropfen quoll aus der Wunde hervor. Pablo begann zu jammern, beteuerte aber immer wieder, daß er nichts Derartiges gesehen habe. Hasard knöpfte sich auch den zweiten Gefangenen vor. Er war endlich zu sich gekommen, konnte jedoch auch keine Auskunft über die beiden gesuchten Galeonen geben. »Wann erwartet ihr die Besatzung und die Soldaten zurück?« fragte der Seewolf. »Gegen Mittag«, antwortete Pablo wie aus der Pistole geschossen. Ben Brighton zog drohend die Augenbrauen zusammen. »Wenn du lügst, Hund, lasse ich dich an der Rahnock baumeln, 24
darauf kannst du Gift nehmen.« Hasard ließ sie vorerst wieder knebeln. Er ging mit Ben und von Hutten zum Achterkastell. Kurz vorher stoppte er, drehte sich abrupt zu ihnen um und sagte: ,,Also gut. Mein Entschluß steht fest. Wir bleiben und stellen den Dons eine Falle. Aber alles muß auf das genaueste vorbereitet werden.« Karl von Hutten salutierte. »Aye, aye, Sir. Die Sache ist ganz nach meinem Geschmack.«
An Bord der ›Valparaiso‹ setzte fieberhafte Tätigkeit ein. Die Hälfte von Philip Hasard Killigrews Mannschaft suchte den Frachtraum auf. Gittergrätings wurden hochgestemmt und von den Luken gezogen. Pulverfässer wurden von unten heraufgereicht, auf dem Oberdeck in Empfang genommen und ans Backbordschanzkleid auf der Kuhl gewuchtet. Auf Hasards Zeichen hin kehrten die Männer aus dem Frachtraum zurück. Ben Brighton und Dan O’Flynn hangelten derweil an der Achtergalerie nach unten und stiegen in die Segelpinasse. Ben bediente das Ruder. Dan dirigierte ihn an der Leeseite der Galeone entlang. Mittschiffs wurde wieder festgemacht. Oben ließ Hasard eine Jakobsleiter ausfahren, die bis auf das Dollbord der Pinasse herabbaumelte. Blacky stieg bis auf die Mitte der Leiter hinunter. Dann hievten Stenmark, Matt Davies, Pete Ballie und Batuti das erste Pulverfaß in die Tiefe. Behäbig sackte es außenbords hinunter. Blacky korrigierte noch zusätzlich seine Richtung, so daß es genau zwischen den Duchten der Pinasse aufsetzte. Ben Brighton und Dan O’Flynn lösten die Vertäuung des Fasses. Der Tampen schwang wieder hoch, und es ging weiter. Tiefer und tiefer senkte sich der Rumpf der Pinasse in die Fluten. Das Dollbord hatte die Wasserlinie beinahe berührt, als 25
der Seewolf aufhören ließ und Batuti und Minivy zum Pullen nach unten schickte. Schließlich befand sich die Pinasse im Windschatten. Ohne daß sich jemand an die Riemen schwang, kriegte sie mit ihrer Last keine Fahrt. Hasard und die anderen Männer auf der ›Valparaiso‹ verfolgten von der Backbordseite aus, wie sich die Pinasse dem Anleger näherte. Die Sonne war höhergekrochen und goß goldenes Licht über die Bucht. Vor den Felsen und der Steilküste lagen verstreut mattgrüne Buschgruppen, deren Farbe einen reizvollen Kontrast zur übrigen Umgebung bildete. Die Wasserfläche war ein glitzender, türkisfarbener Spiegel. »Wild-romantisch«, sagte Hasard grinsend. »Ja.« Karl von Hutten lächelte nicht. Seine Augen hatten einen harten Glanz bekommen. »Für die Dons wird es ein richtiges Gedicht werden.« »Wenn alles klappt.« »Skeptisch?« »Mein Plan ist verdammt riskant.« »Es wird alles gutgehen. Ich spüre das.« »Na, dann kann ja nichts mehr schieflaufen.« Hasard widmete seine Aufmerksamkeit der Besatzung der Pinasse. Brighton, Dan, Batuti und Minivy hatten soeben am Steg festgemacht und löschten nun die Pulverfässer. Dan blieb als Posten zurück. Die anderen drei legten ab und hielten in geradlinigem Kurs auf die Galeone zu. Sie gingen längsseits und nahmen Hasard, Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies, Gary Andrews und Karl von Hutten auf. Mit der Pulverlast an Bord hätte die Pinasse niemals auch noch die komplette Crew befördern können. Jetzt setzten sie über, um das Pulver zu verteilen und Zündschnüre zu legen. Blacky wurde als Wache für die beiden gefesselten Spanier zurückgelassen. Sofort nach dem Festmachen zog Hasard seine Kleidung aus. Stenmark tat es auf seinen Befehl hin ebenfalls. Sie ließen sich 26
ins Wasser gleiten und schwammen unter den Landesteg. Hasard prüfte sehr eingehend, wie sich die Ladungen am besten anbringen ließen. Dann gab er seine Anweisungen. »Schafft Taue aus der Pinasse heran! Wir keilen ein paar Fässer unter den Planken fest, verstanden? Willig, willig, soll ich euch erst Beine machen, ihr Teufelsbraten?« Es wurde das schwierigste Stück Arbeit, vier Fässer unter dem Steg festzuzurren. Hasard und Stenmark werkten von unten, Batuti, von Hutten, Ben Brighton und die anderen leisteten von oben her Hilfestellung. Die Sprengladungen mußten so vertäut werden, daß weder von der Landseite noch vom Wasser aus oder vom Steg selbst her etwas von ihnen zu sehen war. Hasard dachte daran, wie gut es gewesen wäre, Al Conroy, den Waffenfachmann, bei diesem Unternehmen dabeigehabt zu haben. Was Aufgaben wie diese betraf, war er ein hervorragender Spezialist. Hasard kannte sich aber auch genügend mit der höllisch explosiven Materie aus. Schließlich war er bei seinem Alten, Sir John Killigrew, dem alten Rauhbein, in die Lehre gegangen. Schon mit sechs Jahren war er kräftig von ihm geschliffen worden, hatte alle Handgriffe und Tricks kennengelernt, mit denen man sich in den scheußlichsten Situationen durchschlagen konnte. Die Schule war hart gewesen, aber mehr als einmal hatte sich ihre Nützlichkeit bewiesen. Hasard schaffte es mit Stenmarks Unterstützung, den gefährlichen Ballast unter dem Anleger festzuzurren. Die Sonne stand schon fast im Zenit, als sie auf die feuchten Planken des Steges krochen und sich aufrichteten - zwei muskulöse, hartgesichtige Männer, von denen jeder mühelos eine Tür verdecken konnte. »Weiter«, trieb Hasard seine Leute an. »Schützt keine Müdigkeit vor. Verteilt jetzt die restlichen Fässer an Land. Der schmale Streifen Strand ist weich genug, daß ihr ihn aufgraben 27
könnt.« Mit vereinten Kräften hoben sie Löcher in der Nähe des Landesteges aus und bugsierten die restlichen vier Fässer hinein, die sie mit der Pinasse herübergepullt hatten. Da wurde an den Behältern gewackelt und geruckt, wurde geschwitzt und geflucht, bevor sie richtig im Boden saßen. Batuti, Pete Ballie, Dan O’Flynn und Stenmark schoben weißen Sand über die Gruben, Hasard beschäftigte sich bereits mit den Zündschnüren. Der Untergrund wurde wieder gut eingeebnet, der restliche, ausgehobene Sand verschwand im flachen Uferwasser. Hasard führte die Lunten mit Stenmarks Unterstützung an ein nahegelegenes, dichtes Mangrovengebüsch. Er überzeugte sich davon, daß wirklich sämtliche Spuren verwischt worden waren. Natürlich wurde auch die Zündschnur sorgsam eingegraben. Die Spanier mußten schon durch puren Zufall mit der Nase daraufstoßen, um etwas von den acht gut verteilten »kleinen Überraschungen« zu entdecken. Hasard versammelte seine Männer um sich. »Nur Stenmark und ich bleiben zurück. Die anderen kehren zurück zur ›Valparaiso‹. Ihr versteckt euch an Bord.« »Und die beiden gefangenen Spanier lassen wir im geeigneten Moment Parade laufen«, sagte Ben Brighton. »Du hast es erfaßt. Sobald wir euch abgesetzt haben, verstecken wir die Pinasse. Wir brauchen sie nachher noch, um verschwinden zu können.« »Wohin bringen wir sie am besten?« erkundigte sich Stenmark. Dan O’Flynn meldete sich zu Wort. »Ich habe im südlichen Teil der Bucht etwas entdeckt. Vielleicht finden wir dort eine Art Nebenbucht, in der die Pinasse verborgen werden kann.« »Wir sehen uns den Winkel an«, sagte Hasard. »Los jetzt, nichts wie an Bord. Setzt das Segel und pullt, damit ihr schneller vorankommt.« 28
Kurz darauf glitt die vollbesetzte Pinasse zur ›Valparaiso‹ zurück. Blacky wartete mit gespannter Miene hinter dem Schanzkleid, dort, wo die Jakobsleiter war. Hasard und die anderen machten die Pinasse fest und hangelten an der Bordwand der Galeone hoch. Auf der Kuhl gab der Seewolf seine letzten Anweisungen. »Ich würde dich gern begleiten«, sagte Karl von Hutten. Hasard schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann zwar deinen Haß auf die Dons lebhaft nachempfinden. Aber auch wenn du ein noch so erfahrener und harter Kämpfer bist - du bist geschwächt, und das könnte dir einen üblen Streich spielen.« »Du meinst, du kannst mir noch nicht voll vertrauen ...« »Ich meine, wenn es an Land zu einer Auseinandersetzung mit den Spaniern kommt, könntest du umkippen, abgemagert, wie du bist«, versetzte Hasard scharf. »Gut«, erwiderte der bärtige Mann. »Ich werde meine Probe bestehen und dir zeigen, aus was für einem Holz ich geschnitzt bin.« Hasard klopfte ihm auf die Schulter. »Recht so. Sieh die Dinge bloß nicht allzu verbissen.« Er wandte sich zu den anderen um. »Ben, du übernimmst für die Zeit meiner Abwesenheit das Kommando an Bord dieses Schiffes.« »Aye, aye, Sir. Als ob es schon unseres wäre.« »Es ist bereits unser Schiff. Ihr wißt, was ihr zu tun habt.« Mit diesen Worten kletterte der Seewolf über die Reling, stieg nach unten und begab sich wieder an Bord der Pinasse. Stenmark gesellte sich zu ihm. Sie legten ab und pullten, bis der stolze Bug der ›Valparaiso‹ an ihnen vorüberglitt. Der Westwind strich über ihre Gesichter. Rasch erhoben sie sich von den Duchten, legten die Riemen fort und setzten das Segel. Die frische Brise griff hinein, straffte es und verlieh der Pinasse mehr Schub. Hasard steuerte dem südlichen Teil der Bucht entgegen. Dan hatte ihm genauer bezeichnet, was er dort entdeckt hatte. 29
Jetzt hob der Seewolf das Spektiv ans Auge, linste hindurch und sah eine Unterbrechung des flachen Uferstreifens, die sich wie ein dunkler Fleck im Schatten der nahen Felswände ausnahm. Eine Art Bresche befand sich auch in dem steil aufragenden Gestein. Hasard nahm Kurs darauf. Bald stellte sich heraus, daß das Bürschchen O’Flynn mit seinen scharfen Augen mal wieder richtig gesehen hatte. Was sich vor dem Bug der Segelpinasse öffnete, war nichts anderes als der schmale Einlaß zu einer verschwindend kleinen Nebenbucht. Wäre der Felsen nicht nach oben hin offen gewesen, hätten sie eine Grotte aufgesucht. Aber auch so wirkte das Gebilde eher wie eine Höhle als wie eine Lagune oder Bucht. Kein Licht fiel auf die Oberfläche des Wassers, der Einlaß wirkte abweisend und trügerisch, das ganze Loch war wie eine Laune der Natur. »Bravo, Dan«, sagte Hasard. »Das ist das ideale Versteck für unser Boot.« Stenmark hockte im Bug und gab seinem Kapitän Handzeichen. Hasard steuerte mit dem nötigen Feingefühl und konnte doch nicht verhindern, daß die Steuerbordwand gegen den Fels stieß. Ein häßliches, schabendes Geräusch ertönte. Eine Welle hatte die Pinasse hochgehoben und im Moment des Einlaufens gegen die rechte Seite des Einlasses gedrückt. »Verdammter Mist!« rief Stenmark. Hasard beendete das Manöver. Die Pinasse dümpelte in der winzigen Bucht. Sie konnten aufblicken und die schroffen Felswände bestaunen, die sich wie die Mauern einer Kathedrale erhoben. Einen zweiten Eingang gab es nicht. Die Bucht war so groß, daß höchstens die ›Golden Hind‹ und noch ein zweites, kleineres Schiff hineingepaßt hätten, falls sie sich jemals überhaupt durch die viel zu enge Passage hätten zwängen können. Ein schmales, steiniges Ufer umschloß die Bucht. Hasard und 30
Stenmark suchten sich die Stelle aus, an der sie am besten landen konnten. Mit Routinegriffen holten sie das Segel ein und pullten schließlich noch ein paar Schläge, um ans Ufer zu gelangen. Nachdem sie festgemacht hatten, stieg Hasard ins Wasser. Gleich hinter dem Ufer fiel der Grund abrupt ab. Er mußte schwimmen. Neben der Steuerbordwand der Pinasse tauchte er. Als er wieder auftauchte, sagte er: »Kein Leck, nur ein paar harmlose Kratzer. Die kleine Bucht ist erstaunlich tief, ungefähr zehn Faden.« »Hätte ich gar nicht gedacht.« Der blonde Schwede hob den Kopf und bedachte die Felswände, auf die die Sonne hoch über ihnen scharfe Muster zeichnete, mit einem mißbilligenden Blick. »Also, sehr gemütlich finde ich es hier nicht. Man hat den Eindruck, alles könnte jeden Augenblick zusammenfallen.« »Fängst du auch wie Mac Pellew an?« Der Seewolf kehrte mit wenigen Zügen an Land zurück, richtete sich auf und fuhr sich mit den Händen über die klatschnassen Haare. »Ach was. Wie kommen wir jetzt wieder raus?« »Warte ab.« Hasard entnahm der Pinasse ihre Waffen und das sonstige Zubehör, das sie für ihr riskantes Unternehmen benötigten. Dann schritt er vor Stenmark her auf dem schmalen Uferstreifen entlang. Sie gelangten wieder an die Passage und drückten sich an dem zerklüfteten Felsen vorbei. Sie liefen Gefahr, abzurutschen und ein Bad zu nehmen, so wenig Platz blieb ihnen. Erst am Ufer der großen Bucht gab es wieder genügend flachen Untergrund, auf den man die Füße setzen konnte. Sie liefen zu dem Mangrovengebüsch, das Hasard ausgesucht hatte, verdrückten sich hinter die üppigen grünen Blätter und legten sich flach auf den Boden. Hasard hob die Enden der Lunten auf und bereitete sich fachmännisch auf die Sprengung vor. 31
»Also, erklär’s mir noch mal«, sagte Stenmark mit verhaltener Stimme. »Ich hab’s immer noch nicht richtig kapiert.« »Ich gehe davon aus, daß Pablo die Wahrheit gesprochen hat und die Dons in Kürze auf dem Landesteg erscheinen.« »Soweit ist mir alles klar.« »Das Beiboot, das dort vertäut liegt, faßt zehn, höchstens vierzehn Menschen.« »Auch sonnenklar. Die Dons sind ein viel stärkerer Trupp und müssen zwei oder drei Fahrten unternehmen, um alle an Bord der Galeone zu kommen.« »Ich nehme stark an, daß die Spanier zuerst die gefangenen Indianerinnen rüberbringen. Auf dieser Hauptüberlegung beruht der Rest - die Berechnung der Zeit, in der ich den Steg in die Luft jagen will.« Stenmark nickte. »Schön und gut. Aber nehmen wir einmal an, wir kriegen überhaupt keine Indianermädchen zu sehen, weil die Kerle es nicht geschafft haben, welche zu fangen.« »Das wäre auch kein Beinbruch.« »Aber nehmen wir mal an, sie haben doch welche gefangen und lassen sie zuerst noch auf dem Anleger zurück, ich meine, bei der ersten Tour, die die gottverdammten Bastarde zur ›Valparaiso‹ pullen ...« »Dann«, entgegnete Philip Hasard Killigrew ernst, »können wir wohl nur noch beten.«
4. Die Sonne stand im Zenit und brannte auf die wartenden Männer herab. In der Bucht herrschte Stille. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Hätte nicht das Glucksen und Schwappen des Meereswassers fortgedauert, hätte nicht bisweilen der helle Ruf einer Möwe oder eines 32
anderen kreisenden Vogels die Ruhe und Eintönigkeit unterbrochen - das Warten wäre zur Qual geworden. Hasard hielt Feuerstein und Feuerstahl bereit. Man konnte damit alles entfachen, was brennbar war, Kerzen oder Kombüsenfeuer oder Lunten. Hundertmal hatte er sich vergewissert, daß die Spuren am und um den Anleger auch wirklich sauber verwischt worden waren. Es gab nichts, daß noch in irgendeiner Weise stutzig machte. Das Mangrovengebüsch befand sich in südlicher Richtung abseits der Landestelle, unter einem Felsüberhang, zusätzlich noch gedeckt durch herumliegende Felsbrocken und Quader. Stenmark lag flach, atmete ziemlich geräuschvoll und beobachtete eine schwarz und gelb gezeichnete Schlange, die auf der Oberseite eines der Brocken entlangglitt. Hasard hatte die Hauptlunte direkt neben sich liegen. Er hatte ihre Brenndauer berechnet, so gut das überhaupt möglich war. Gleichzeitig hatte er die Ruderzeit vom Anleger zur spanischen Galeone kalkuliert. Etwa sieben Minuten mußten es sein. Er hoffte inständig, daß alles so auslief, wie er es geplant hatte. Gleichzeitig schickte er einen prüfenden Blick zur ›Valparaiso‹ hinüber. An Bord waren lediglich Pablo und der andere Bursche zu sehen. Hasard wußte, daß Ben Brighton sie mit der Radschloßpistole in Schach hielt. Spielten sie nicht mit, würde Brighton sie ohne Zögern niederschießen. Hinter dem Backbordschanzkleid kauerten die übrigen Männer aus Hasards Crew. Karl von Hutten hatte sich eingereiht. Irgendwie hatte Hasard Vertrauen zu ihm, er machte sich keine allzu großen Sorgen, was seine Rolle in der Sache betraf. »Nun schau dir das Biest an«, stieß Stenmark plötzlich aus. Der Seewolf duckte sich und folgte mit den Augen der Blickrichtung des Schweden. Am liebsten hätte er laut losgeflucht. Mit seiner Bemerkung hatte Stenmark auf die 33
verflixte Schlange hinweisen wollen. Sie hatte gemächlich ihren Felsbrocken verlassen und glitt nun ebenso gemächlich auf die beiden Männer zu. »Ruhig Blut, Stenmark.« »Was für ein Biest ist das, Hölle und Teufel?« »Siehst du das nicht?« »Ich meine, eine giftige oder nicht giftige Schlange?« »Frag sie mal, ich kenne die Sorte nicht.« »Mannmann«, keuchte Stenmark. Die Schlange hatte sie gewittert und bäumte züngelnd den Oberkörper auf. Drohend pendelte sie hin und her. Wie eine Tänzerin, rhythmisch und geschmeidig in ihren Bewegungen, schob sie sich weiter auf sie zu. »Ich krieg zuviel«, flüsterte Stenmark. »Das ist eine giftige Sandviper, ich würde mit Matt Davies um seine Hakenhand wetten.« »Reiß dich zusammen.« »Aye, aye, Sir.« Hasard stockte plötzlich der Atem, denn hinter der Schlange und den herumliegenden Steinen hatte sich etwas bewegt. Er sichtete zuerst die Helme, dann tauchten die waffentragenden Männer auf - die Dons marschierten heran. »Stenmark, bau jetzt keinen Mist«, sagte Hasard gepreßt. »Wir kriegen Besuch. Ich dreh dir den Hals eigenhändig um, wenn du dir wegen der blöden Schlange in die Hosen machst.« Stenmark fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Er wartete mit weitaufgerissenen Augen die Ankunft der Schlange ab, griff dann kurzentschlossen zu und packte sie dicht unterhalb des Kopfes, bevor sie auf ihn zustoßen konnte. Blitzschnell trennte er ihr mit seinem Messer den Kopf ab. »Jetzt kriegen wir nicht mehr raus, ob sie tatsächlich giftig war«, flüsterte er grimmig. Hasard hörte nicht hin. Er hatte nur Augen für die Mannschaft, die etwa einen Steinwurf entfernt den hölzernen 34
Landesteg aufsuchte. An der Spitze des Trupps ging der Capitan, mit arrogant erhobenem Kopf und herablassender Miene. Es folgten zwölf Mann der Besatzung, dann dreißig Soldaten mit einem Leutnant - und zuletzt sechs junge Indianerinnen. Es handelte sich wahrhaftig um ausgesucht schöne Mädchen. Sie waren nur um die Lenden herum bekleidet, wie es auch bei den Araukanern üblich war. Hasard und Stenmark sahen große, feste Brüste wippen. Unwillkürlich glitten ihre Blicke tiefer, verharrten auf den wiegenden Hüften und wanderten schließlich weiter zu den gut geformten Waden. Hasard riß sich zusammen und musterte die Mienen der Mädchen. Verzweiflung und Angst waren in ihren Augen zu lesen. Sie schritten hintereinander und hielten die Köpfe halb gesenkt. Der Wind strich durch ihre langen schwarzen Haare und zerzauste sie. Die Handgelenke der Ärmsten waren mit Tampen gefesselt worden. Mit Tauen hatte man sie zusätzlich wie Tiere aneinandergebunden, damit keine ausbrechen und fliehen konnte. Liefen alle zugleich los, so war es für die Bewacher leicht, sie wieder einzuholen. »Die Dons, diese miesen Kakerlaken«, wetterte Stenmark leise. »Still!« »Geht dein Plan auf?« »Das sehen wir gleich. Halt die Luft an!« »Aye, aye, Sir.« Stenmark zog ein Gesicht, als wollte er’s wirklich tun. Die Spanier bevölkerten den Landesteg und benahmen sich dabei nicht gerade diszipliniert. Sie trampelten derart darauf herum, daß Hasard befürchtete, eins der Pulverfässer könnte sich lösen und ins Wasser klatschen. Dann war alles aus! »Atencion!« rief der Kapitän. Der Leutnant brachte seine dreißig Kerle ebenfalls mit einem scharfen »Achtung« zur Räson. Dann wurden Befehle ausgestoßen und das Beiboot 35
flottgemacht. Die Spannung des Seewolfes und seines Begleiters stieg ins Unermeßliche. Zuerst nahmen fünf Mann von der Besatzung im Boot Platz. Dann stieg der Kapitän zu. Er winkte herrisch, und nun wurden die sechs Indianermädchen nach vorn geschubst und in das Boot dirigiert. Hasard atmete auf. Die Mädchen mußten sich auf die Duchten des Bootes kauern. Ein Bursche der Besatzung faßte eine von ihnen an und tastete über ihre Brüste. Das Mädchen gab einen erstickten Laut von sich, und der Capitan rief seinen Mann sofort zur Ordnung. Das Beiboot lag tief im Wasser, schaukelte und drohte, Wasser überzunehmen. Ein paar barsche Kommandorufe des Capitans ertönten und wehten zu Hasard und dem Schweden herüber. Stenmark rieb sich die Hände, als zwei der auf dem Landesteg Zurückgelassenen gegen das Heck des Bootes stießen. Es setzte sich träge in Fahrt. Die Dons legten die Riemen in die Dollen und begannen angestrengt zu pullen. »Los geht’s«, versetzte der Seewolf leise. Er beugte sich über das Ende der Hauptlunte, betätigte Feuerstein und Feuerstrahl und entfachte die Schnur. Knisternd fraß sich die Glut ihren Weg, ließ schwärzliche, schwelende Aschereste hinter sich zurück und verschwand unter dem Boden. Hasard und Stenmark blickten sich an. Ohne ein Wort zu sprechen, stellten sich beide die gleiche Frage: Würde die Zündschnur unter dem Sand erlöschen? Das Beiboot glitt der ›Valparaiso‹ entgegen. An Deck der Galeone waren die Gestalten von Pablo und seinem schlafbedürftigen Compadre zu erkennen. Rollengemäß winkten sie. Der spanische Kapitän im Beiboot quittierte dies mit einer knappen Geste und drehte sich dann wieder zu seinen pullenden Kerlen um. Die sechs Indianermädchen hockten wie verängstigte Vögel auf den Duchten geduckt, scheu, verstört.
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Hasard behielt den Steg im Auge. Die Soldaten und der Rest der Besatzung lungerten teils auf den Planken, teils an Land herum. Jemand ließ eine Bemerkung fallen - Hasard erfaßte den Wortlaut, es war eine obszöne Anspielung auf die sechs Mädchen. Die übrigen lachten und schlugen sich auf die Schenkel. Stenmark lugte unausgesetzt zum Anleger hinüber, während Hasard jetzt wieder das Beiboot beobachtete. Inzwischen hatte es die Galeone erreicht und ging längsseits. Der Capitan streckte befehlend die Hand aus, stippte mit dem Finger in die Luft und bestimmte drei Männer, die als erste die Jakobsleiter erklimmen und oben auf die anderen warten sollten. Die Betroffenen erhoben sich und holten die Riemen ein. Hasard sah sie aufentern. Gleichzeitig stellte er sich die Szenerie hinter dem Schanzkleid vor, das geduckte Lauern seiner Männer, die Pablo und seinen Landsmann als Marionetten vorgeschoben hatten. Das Hochklettern der drei Dons an der Backbordwand mutete plötzlich unendlich langsam an. Hasard zählte die Sekunden. Wie lang konnten sieben Minuten sein? Wie eine Ewigkeit! Philip Hasard Killigrew stand der Schweiß in kleinen Perlen auf der Stirn. Stenmark erging es ebenso. Der Schwede hielt die Hände zu Fäusten geballt, Hasard schickte eine Art Stoßgebet zum Himmel. Francis Fletcher, der feiste Kaplan von der ›Golden Hind‹, hätte ihn geradewegs in die Hölle verdammt, wenn er den Wortlaut gehört hätte. Noch nicht, dachte der Seewolf flehentlich, jetzt noch nicht, nur ein paar Sekunden, aber dann, dann muß es passieren, falls das verflixte Luntenfeuer nicht unter dem Ufersand erstickt ist. Die drei Dons schwangen sich über die Brüstung des Schanzkleides. Urplötzlich waren sie verschwunden und ließen sich nicht wieder blicken. Doch das kriegten weder der Capitan 37
noch die übrigen Männer im Beiboot noch die Kerls an Land so richtig mit. Erst als Pablo und der Penner sich außenbords lehnten, ein Stück herabbeugten und erneut winkten, antwortete der Capitan herrisch: »Si, si, muy bien, venimos gut, gut, wir kommen jetzt.« Er stand auf und bedeutete den Indianerinnen durch eine Gebärde, ebenfalls die Jakobsleiter hochzuhangeln. Furchtsam näherten sich die Mädchen der Bordwand der Galeone und schoben sich die Holzsprossen hoch. Es bereitete ihnen einige Schwierigkeiten, mit gefesselten Händen und zudem noch aneinandergebunden zu klettern, doch sie schafften es. Hasard und Stenmark äugten mit verzerrten Mienen auf die sechs braunhäutigen, wohlgerundeten Körper, die eine Weile übereinandergestaffelt an der ›Valparaiso‹ hafteten. Dann zog sich die erste Indianerin über das Schanzkleid aufs Oberdeck zurück. Es folgte die nächste. Starke Hände griffen nach ihnen und zogen sie auf die Planken nieder, aber die gehörten natürlich nicht den Dons. Jetzt, dachte Hasard. »Jetzt, jetzt, jetzt«, hauchte Stenmark gequält.
Ihre schlimmsten Ahnungen, die Zündschnur habe aus dem einen oder anderen Grund aufgehört zu brennen, fanden keine Bestätigung. Die gefräßige Glut hatte sich durch die Lunte gearbeitet und war am Ziel. Jetzt bot sich den Beobachtern das verheerende Resultat dar. Der hölzerne Anleger klaffte plötzlich nach oben hin auf und wurde emporgefetzt, als habe eine Gigantenfaust mit aller Wucht daruntergeschlagen. Eine feurige Lohe stob himmelan, Wasser türmte sich zu einer mächtigen Fontäne schwarzer Rauch setzte dem Ganzen eine häßliche Krone auf. Unter das Donnern der Explosion mischte sich das Schreien der Männer. 38
Auch auf dem Strandstreifen gingen die Pulverladungen hoch! Hasard und Stenmark sahen die Dons inmitten von hochstiebendem Sand, Schmutz, Feuer und Wasser durch die Luft wirbeln. Der Steg zerbarst in tausend Trümmer, Pfähle, Bretter und die Körperteile der Zerfetzten wurden über das Ufer hinausgehoben. Die Druckwelle fuhr in den Mangrovenstrauch und schüttelte ihn. Unwillkürlich zogen der Seewolf und der Schwede die Köpfe ein. Der lockere Boden unter ihnen vibrierte wie bei einem Erdbeben. Schützend legten sie die Hände auf die Hinterköpfe. Ein paar Stegteile gingen in ihrer unmittelbaren Nähe nieder. Und dann kriegte Stenmark ein halbes Brett in den Rücken. Er zuckte vor Schreck zusammen, rollte sich zur Seite ab und richtete sich fluchend wieder auf. Hasard schaute sich um, als das Schlimmste vorüber war und erstarrte. Vor dem Mangrovenbusch lag ein verstümmeltes, blutendes Männerbein, nicht weit davon entfernt schaukelten andere Leichenteile auf dem Wasser. Es war ein grausiger Anblick. Dann nahm das Geschehen seinen weiteren Verlauf. Der spanische Kapitän hatte im Augenblick der Explosion wie vom Donner gerührt gestanden. Seine restlichen Männer brüllten durcheinander und wollten die Jakobsleiter erklimmen. Der Capitan faßte sich, gestikulierte und gab den Befehl, abzulegen. Die Männer stießen das Beiboot von der Galeone ab und ließen sich auf die Duchten fallen, so daß es bedenklich hinund herschaukelte und umzuschlagen drohte. Verzweifelt begannen sie zu pullen. Der Kapitän wurde sich des Ausmaßes der Explosion bewußt und faßte sich fluchend mit beiden Händen an den Kopf. Sie hatten sich noch keine drei Bootslängen von der ›Valparaiso‹ entfernt, da erhoben sich die Gestalten von Hasards Männern hinter dem Backbordschanzkleid. Ben 39
Brighton führte das Kommando. Batuti, Pete Ballie und Matt Davies legten ihre Musketen an und feuerten auf das Boot. Krachend brachen die Schüsse, weiße Qualmwölkchen pufften hoch. Die nächste Salve gaben Gary Andrews, Blacky und Richard Minivy ab. Dan O’Flynn und Karl von Hutten betätigten sich als Zureicher und Lader und hantierten mit Pulverflaschen und Ladestöcken. Im Nu stand Batuti, Pete und Matt wieder mit geladenen Musketen bereit - doch ihr Einsatz war nicht mehr erforderlich. Wütend brüllte der Kapitän auf seinen letzten Rudergast ein, der andere lag mit durchschossener Brust im Heck des Beibootes. Der Überlebende wußte nicht, was er zuerst tun sollte, pullen, lenzen oder mit seiner Muskete das Feuer der ›Valparaiso‹ erwidern. Alles Lenzen nutzte nichts, der Kahn soff ab. Außer sich vor Wut, griff der Capitan selbst nach der Muskete. Sein letzter Mann erhielt dabei einen Stoß gegen den Leib, verlor das Gleichgewicht und ging über Bord. Er klatschte ins Wasser und schwamm sofort davon. Das Beiboot füllte sich mit Wasser. Es trat durch die Lecks ein und schoß auch schon gurgelnd übers Dollbord weg. Dennoch wandte sich der Kapitän um und legte auf die Männer an Bord seines Schiffes an. »Feuer!« rief Ben Brighton. Die Dreiersalve donnerte, fegte mit glutigem Hauch auf den Don zu und packte ihn, bevor er abgefeuert hatte. Blutüberströmt sank er zusammen. Irgendwie verklemmte er sich mit den Beinen unter den Duchten, das Beiboot nahm ihn mit in die Tiefe. Der Überlebende schwamm, als wären ihm tausend Teufel der Hölle auf den Fersen. Zwischen Leichenteilen hindurch hielt er auf den Anleger zu, von dem nur noch einige klägliche Reste übrig waren. Die Stätte sah aus wie ein Schlachtfeld, kaum ein Spanier hatte die Explosion überstanden. Die wenigen Männer, die es nicht erwischt hatte, hinkten 40
davon. Der Mann vom Boot schloß sich ihnen an. Ihre Gesichter waren vom Schreck gezeichnet. Stenmark erhob sich halb. »Sollen wir?« »Nein, wir lassen sie laufen«, entgegnete Hasard. »Wir haben erreicht, was wir wollten. Es ist nicht nötig, das Massaker zu vollenden.« »Aye, aye, Sir.« Sie standen auf und kehrten im Laufschritt zu der versteckten Nebenbucht zurück. Stenmark glitt aus, als sie sich an der engen Einfahrt vorbeizwängten. Um ein Haar wäre er ins Wasser gestürzt. Aber Hasard packte im letzten Augenblick zu und bewahrte ihn davor. Hätte Stenmark ein Bad genommen, wäre es natürlich auch kein Beinbruch gewesen, er war schließlich kein Nichtschwimmer wie der Kutscher. Allerdings hätte es einen Zeitverlust gebracht, und den konnten sie nicht gebrauchen. Es galt, so rasch wie möglich aus der Bucht auszulaufen. Immerhin war der Explosionsdonner weit über Land und über Wasser gerollt, und falls er auf die entsprechenden Ohren gestoßen war, gab es für Hasards Crew bald unerwünschten Besuch - von den Spaniern! Hasard und Stenmark erreichten die Segelpinasse und sprangen hinein. Rasch hatten sie die Leinen gelöst, eine Wende gefahren und die Passage wieder unmittelbar vor sich. Diesmal schaffte der Seewolf es, sie ohne Zwischenfall zu durchfahren. Kurz darauf glitten sie unter dem anhaltenden Westwind von Südosten her auf die ›Valparaiso‹ zu. Hasard fuhr geschickte Kreuzschläge und steuerte die Achtergalerie an. Dan O’Flynn, Batuti, Blacky und Matt Davies standen schon auf dem Achterdeck, beugten sich übers Schanzkleid und winkten und johlten. Hasard und Stenmark blickten grinsend zu ihnen hoch. Ben Brighton erschien gleichfalls und beschrieb eine Geste mit der Hand, die »Victory« bedeutete - »Sieg«. Hasard und Stenmark enterten auf und wurden von den 41
begeisterten Männer in Empfang genommen. »Das war ein Meisterstück«, sagte Blacky. »Ich will sofort auf Grund laufen, wenn wir den Dons damit nicht ganz gewaltig geschadet haben.« »Nun übertreibe mal nicht«, wehrte Hasard das Lob ab. »Los, packt an und hievt die Pinasse an Bord. Wir müssen so schnell wie möglich ankerauf gehen. Auf unserem Ruhm können wir uns später ausruhen.« »Aye, aye, Sir«, sagte Blacky. Er ging sofort mit Stenmark und Batuti ans Werk. Dan hangelte in die Pinasse hinunter und schlug die Heißtaue an. Bald schwebte die Pinasse unter dem »Ho« und »Hauruck« über dem Wasserspiegel und schob sich allmählich immer höher empor, bis sie eingeschwenkt werden konnte. Wahrend die Pinasse an Bord gehievt wurde, begab sich der Seewolf auf die Kuhl. Pablo und sein Kamerad - er sah jetzt gar nicht mehr schlafbedürftig aus - waren wieder gefesselt worden. Neben ihnen, gleichfalls zu Paketen verschnürt, hockten die drei anderen Gafangenen aus den Decksplanken. Haßerfüllt funkelten sie ihre Bezwinger an. Karl von Hutten trat heran. »Wir hatten keine Schwierigkeiten mit ihnen«, sagte er. »Man muß sich eben nur verständlich machen können.« Ben Brighton lachte. »Ja, das stimmt. Also Hasard, du hättest mal sehen sollen, wie sich Hutten ins Zeug warf. Der Schinken, das Brot und die Würste haben ihn offenbar bestens aufgemöbelt.« Hasard musterte den Bärtigen aus blitzenden Augen. »Bewährungsprobe bestanden. Du paßt dich gut bei uns an. Ich glaube, wir kommen auch in Zukunft bestens miteinander aus.« Zu Ben sagte er: »Und wohin habt ihr die Indianerinnen gebracht?« »In zwei der besten Kammern im Achterkastell. Oder hättest du sie lieber in der Kapitänskammer?« 42
»Moment mal.« Die eisblauen Augen des Seewolfs hatten einen harten, unerbittlichen Glanz. Die Narbe, die sich seit dem Abenteuer auf der Mocha-Insel von der oberen rechten Stirnhälfte schräg über die linke Augenbraue und die linke Wange zog, rötete sich leicht - und das war für Brighton so etwas wie ein Alarmzeichen. »Wir haben die Mädchen befreit, sie gelten als unsere Verbündeten. Ist das klar, Mister Brighton?« »Aye, aye, Sir.« »Ich weiß, daß ihr ausgehungert wie die Geier seid, was Frauen betrifft. Aber keiner, und das gilt im gleichen Maß für mich, wird die Indianerinnen auch nur ein einziges Mal antasten, ohne Gefahr zu laufen, sofort kielgeholt oder auf der Gräting ausgepeitscht zu werden.« »Aye, aye Sir.« »Sonst noch Fragen?« »Äm-nein, Sir.« Hasard stieg aufs Achterkastell zurück und nahm mit leicht abgewinkelten Beinen hinter der Schmuckbalustrade Aufstellung. Die Pinasse war am Heck festgezurrt worden. Batuti, Blacky, Stenmark und Dan O’Flynn beeilten sich, auf ihre Posten zu gelangen. Dan enterte katzengewandt in den Großmars auf. »Auf was wartet ihr?« hallte Hasards Stimme über Deck. »Glaubt ihr vielleicht, ihr könnt euch jetzt auf die faule Haut legen? Hoch mit dem Anker! Bewegt euch, hopp-hopp, an die Arbeit!« Ben Brighton bellte seine Kommandos. »An die Brassen, Schoten und Fallen!« »Hievt auf den Anker!« Keiner der Männer murrte. Gehorsam ließen sie sich an die Brassen und Schoten purren und legten sich mächtig ins Zeug, denn sie wußten, daß der Seewolf sie zur Eile antrieb, wenn es notwendig war. Sie lachten nicht, aber sie wußten auch, wie sie 43
die barsche Order aufzufassen hatten, denn Philip Hasard Killigrew war beileibe kein Leuteschinder. Wenig später drehte die ›Valparaiso‹ den Bug seewärts, ging über Stag und hielt mit einem Kreuzschlag auf die Ausfahrt der Felsenbucht zu. Sie stieß auf die freie See vor. Hasard hatte alle Segel setzen lassen: die Fock und das Großsegel, das nicht als Rah-, sondern als trapezförmiges Gaffelsegel getakelt war, sowie Großmars- und Vormarssegel und die Blinde unter dem Bugspriet. Unter vollen Segeln glitt die schlanke Zweimast-Galeone dahin. Ihre Geschwindigkeit betrug bald schon über fünf Knoten. Hasard kreuzte mit langen Schlägen westwärts.
5. Erst als die chilenische Küste nicht mehr zu sehen war, ging er auf Nordkurs. Jetzt hatte er Gelegenheit, richtig auszukosten, was in der schmucken Beutegaleone steckte. Sie war tatsächlich ein echter Schnellsegler, hervorragend getrimmt und ausgezeichnet getakelt. Hasard konnte zufrieden sein. Ausreichend armiert war das Schiff auch. Es trug je vier Neunpfünder, also Demi-Culverinen, auf jeder Seite der Kuhl. Der Seewolf legte die Hände auf die Balustrade, die das Achterdeck zur Kuhl hin abschloß. Er stützte sich auf und schaute versonnen in den strahlendblauen Mittagshimmel hinauf. Keine Wolke zeigte sich, der Wind war frisch, aber nicht böig, ließ also nichts Böses ahnen. Eigentlich, so dachte Hasard, ist es an der Zeit, das Schiff umzutaufen. Er ließ Ben kommen und gab Anweisung, die Männer zu versammeln. Kurz darauf fanden sie sich auf dem Oberdeck ein und blickten ihn gespannt an. Dan O’Flynn linste aus dem Großmars herab. Die fünf gefangenen Spanier durften auch an dem Zeremoniell teilnehmen. 44
»Wir haben keinen Kaplan an Bord, der eine Taufe vollziehen kann«, begann Hasard. »Er kann uns aber auch nicht das Saufen verbieten!« rief Gary Andrews, und die Männer grölten Beifall. Unbeirrt, ein Lächeln auf dem wettergegerbten Gesicht, fuhr Hasard fort: »Dennoch bin ich ermächtigt, der ›Valparaiso‹, Heimathafen Valparaiso, nach gelungener Kaperung im Namen der Lissy und des gesamten Britischen Königreiches eine neue, passende Bezeichnung zu verleihen. Wer hat das uneingeschränkte Kommando an Bord?« »Der Kapitän!« riefen die zehn Männer im Chor. »Hiermit taufe ich unsere Galeone in ›Isabella III.‹ um!« Aus dem Großmars erscholl ein schriller Pfiff, das Bürschchen O’Flynn tat seinen Beifall kund. Die Männer schrien durcheinander. Stenmark machte sich schließlich auf den Weg ins Vorschiff, um nach Farbe zu suchen. Tatsächlich tauchte er später mit Topf und Pinsel auf. Unter dem Johlen und Pfeifen der Männer wurde er außenbords gehievt und malte zunächst auf beiden Seiten des Bugs und dann am Heck der Galeone den neuen Namen auf. Karl von Hutten trat zu Hasard auf das Achterdeck. »Eins würde mich interessieren. Was geschieht mit dem Pulver im Frachtraum?« »Hast du Angst, einen heißen Hintern zu kriegen?« »Nur, wenn die Dons aufkreuzen und uns jagen. Was ist, wenn eine Kanonenkugel in den Frachtraum schlägt?« »Ein winziger Funke genügt, und wir fliegen allesamt in die Luft - mit den Indianerinnen. Das wäre nicht im Sinne des Erfinders.« Hasard legte die Stirn in Grübelfalten und kräuselte die Lippen. Dann sagte er: »Natürlich könnte man das Zeug einfach außenbords werfen, und wir hätten ein Problem weniger. Abgesehen davon, daß die Galeone ein ganzes Stück schneller laufen würde. Aber, das sage ich dir ganz ehrlich, irgendwie bin ich in der Beziehung zu geizig. Pulver können 45
wir immer gut gebrauchen - und das trifft erst recht für die ›Golden Hind‹ von Drake zu.« »Also?« »Also lassen wir die Fässer hübsch dort, wo sie zur Zeit lagern. Etwas anderes, Karl. Du beherrschst doch die Indianersprache, nicht wahr?« »Nicht nur eine, mehrere.« »Das trifft sich gut. Wir beide gehen jetzt zu den Indianermädchen. Ich möchte sie unbedingt beschwichtigen und ihnen auseinandersetzen, wie die Dinge stehen.« »Etwas habe ich schon anklingen lassen ...« »Um so besser. Die Mädchen tun mir leid.« Er wandte sich ab, stieg den Niedergang hinunter und steuerte auf das Steuerbord-Querschott zu, das ins Achterkastell führte. Karl von Hutten schloß sich ihm an. Sie durchquerten das angenehme Dunkel der unter Deck liegenden Gänge und hielten vor den Kammern, die Ben Brighton den sechs Mädchen zugewiesen hatte. Hinter einer Tür war verhaltenes Kichern zu vernehmen. »Na, ganz so verstört scheinen sie nicht mehr zu sein«, sagte Hasard. »Daß wir ihre Freunde sind und sie nicht vom Regen in die Traufe geraten sind, haben sie ja sicherlich begriffen.« Er klopfte an. Das Kichern brach ab. Vorsichtig drückte er die Tür auf und schaute durch den Spalt ins Innere der Kammer. Alle sechs hatten sich auf den Kojen dieses Raumes niedergelassen und hielten offensichtlich Kriegsrat. Bei dem Erscheinen der beiden Männer zogen sie zwar etwas besorgte Mienen, trafen jedoch keinerlei Anstalten, ihre Blößen zu bedecken. Die Araukaner und alle anderen Stämme des Landes hatten nun einmal etwas andere Begriffe von Scham und Anstand, als es in Europa der Fall war. Dabei ließ Hasard in seinen Überlegungen jedoch offen, wer wohl die größere Moral besaß: die aufgetakelten, maliziösen Ladys bei Hof und in den Herrschaftshäusern, denen jedes Mittel Recht war, wenn es 46
Intrigen zu spinnen galt - oder diese freien, naturgebundenen Mädchen mit den großen dunklen Augen. Hasards Blick glitt von einem Mädchen zu anderen. Einige schlugen die Lider nieder und senkten den Blick, nur zwei brachten ein scheues, fragendes Lächeln zustande. Gerade dieser Ausdruck war es, der in dem Seewolf eine Art Barriere zusammenschmelzen ließ. Plötzlich empfand er so etwas wie Verlegenheit, ein Gefühl, das ihm sonst völlig fremd war. Diese sechs vollendet geformten, bildhübschen Wesen entwaffneten ihn einfach. Gewöhnlich brachte ihn so schnell kein Frauenzimmer aus der Fassung. Er war nicht nur gerissener, tollkühner und charakterfester als seine drei Brüder von Arwenack, der Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth, er hatte auch einen Charme, bei dem die alten Weiber wieder jung wurden, und die jungen Weiben wünschten, älter zu sein, um diesen schwarzhaarigen, blauäugigen, hartgesichtigen Teufel an die Brüste und unter die Bettdecke zu kriegen. Aber hier an Bord der frisch aus der Taufe gehobenen ›Isabella III.‹ lagen die Dinge anders. Hier durfte Hasard gerade seinen Charme nicht zur Geltung bringen. Schließlich hatte er selbst die Verhaltensregeln festgelegt. Alles, was er im Moment herausbrachte, war: »Himmel, da ist ja eine hübscher als die andere.« »Ganz bestimmt. Aber wie war das mit dem Kielholen und Auspeitschen?« »Bierernst gemeint.« »Ich habe nicht daran gezweifelt«, sagte von Hutten. Der Seewolf räusperte sich. Die beiden lächelnden Araukanerinnen faßten mehr Mut, stießen sich heimlich an und deuteten auf ihn. Ihre Blicke wanderten an seiner Gestalt auf und ab, sie kicherten, und ihm wurde noch mulmiger zumute so, als steckte er in einem Eisenpanzer, aus dem er nicht mehr herausschlüpfen konnte. »Niemand von uns soll sich einfallen 47
lassen, dem Vize und seinen Höflingen aus Lima nachzueifern. Ein Kaperfahrer, der unter der Flagge der englischen Königin über die Weltmeere segelt, hat mehr Ehrgefühl in den Knochen als alle Spanier zusammen.« Von Hutten lächelte, seine Augen blitzten. »Kein Mann ist ein Kostverächter, Seewolf. Aber wer einen so triumphalen Sieg errungen hat, dem sollte es auch nicht schwerfallen, den Gentleman zu spielen, habe ich recht?« »Das ist mein Prinzip.« »Ein lobenswerter Grundsatz. Vielleicht würden die Mädchen ganz anders darüber denken, wenn ich ihnen alles haarklein übersetzen würde. Araukanerinnen sind ihren Rettern gegenüber sehr freizügig.« »Laß das Mann. Allzu lockere Sitten verderben die Disziplin an Bord. Mach mir meine Aufgabe nicht noch schwerer.« »In Ordnung.« Eins der beiden kecksten Mädchen wandte sich mit einem Mal mit einem schnell hervorgebrachten Satz an von Hutten. Der nickte, gab etwas in ihrer für Hasard völlig unverständlichen Sprache zurück und hörte sich ihre sprudelnd vorgetragene Erwiderung an. »Sie heißt Jachala und ist die Wortführerin der sechs«, teilte er Hasard mit. »Sie möchte wissen, was wir mit ihnen vorhaben.« »Frag sie, aus welchem Dorf sie entführt wurden.« Der bärtige Mann übersetzte dies und lauschte wieder der wortreichen Erklärung Jachalas. Anschließend drehte er sich zu Hasard um. »Soweit sich das, was sie mir da auseinandersetzt, in unsere Begriffe fassen läßt, muß sich ihr Dorf rund zehn bis zwölf Meilen nordöstlich von der schlauchartigen Bucht befinden, in der die Galeone geankert hat.« »Die Spanier haben also ganz schön stramm marschieren müssen.« 48
»Der Teufel soll sie holen!« »Das ist mit denen, die wir in die Luft gejagt haben, bereits geschehen - oder meinst du, die haben alle Anspruch auf einen Platz im Paradies?« Hasards hartes Gesicht wies jetzt einen ironischen Zug auf. Rasch wurde er wieder ernst. »Sage Jachala, ich habe beschlossen, sie und die fünf anderen nach Dunkelwerden an Land zu setzen. Ich will hören, ob sie damit einverstanden ist. Der Abend bietet ihnen mehr Sicherheit vor den Spaniern, die Dunkelheit ist ihr Verbündeter. Sie können heimlich in ihr Dorf zurückkehren und das schreckliche Erlebnis vergessen. In der Zwischenzeit versorgen wir sie mit Essen und Trinken.« Karl von Hutten sprach auf die sechs Mädchen ein und unterstützte seine Worte durch erläuternde Gesten. Jachala nickte und sagte ein einziges, gutturales Wort, nachdem er geendet hatte. »Einverstanden«, sagte von Hutten. »Ausgezeichnet. Sie sollen es sich hier bequem machen. Batuti wird sich in der Kombüse umsehen und alles, was sie benötigen, herübertragen.« Karl übersetzte auch dies. Jetzt rutschte Jachala von der Koje, glitt auf Hasard zu und vollführte eine Verbeugung. Sie breitete die Arme aus, lächelte, schaute ihn aus großen glänzenden Augen an und plapperte munter daher. »Verflucht, wenn ich dich doch bloß verstehen könnte«, meinte Hasard. »Sie bedankt sich im Namen ihrer Stammesschwestern und sagt, du seist ein ganz phantastischer Bursche«, erläuterte von Hutten. Philip Hasard Killigrew grinste und deutete ebenfalls eine Verbeugung an, worauf sich das Araukanermädchen auf die Zehenspitzen stellte, ihm die feingliedrigen Hände auf die Schultern legte und ihm einen Kuß auf die Stirn drückte. Hasard schob sie sanft, aber bestimmt zurück, winkte allen 49
sechs zu und verließ mit von Hutten die Kammer. Auf dem Gang sagte von Hutten: »Ich bewundere dich ehrlich, Seewolf. Für einen Mann, der wochenlang unter den härtestens Bedingungen auf Fahrt gewesen ist, ist so etwas schon eine Herausforderung. Ich habe gesehen, wie Indianerinnen von Spaniern vergewaltigt wurden und weiß deine Anständigkeit daher doppelt zuschätzen.« »Was meine Männer in den Hurenhäusern der Häfen aufstellen, ist einzig und allein ihre Sache«, entgegnete Hasard. »Aber eine Frau gegen ihre Willen zu nehmen, ist sehr, sehr übel. Und so etwas dulde ich nicht.« Die ›Isabella III.‹ lief ruhig am Wind, es gab keinerlei unangenehme Neuigkeiten. Auf Deck unternahm Hasard eine Kontrollrunde, schickte dann Batuti in die Kombüse und schärfte allen Männern noch einmal ein, wie sie sich den Mädchen gegenüber zu verhalten hatten. Er suchte die Kapitänskajüte auf. Weisungsgemäß hatten seine Männer die Silberbarren aus der Segelpinasse gehoben und hereingebracht, sie stapelten sich jetzt an der nach achtern weisenden Wand der Kammer. Hasard kniete sich neben den stattlichen Haufen. Gedankenverloren strich er mit den Fingern über das kühle, matt glänzende Metall eines Barrens. Kein Barren fehlte, er brauchte nicht erst nachzuzählen, um das festzustellen. Die Mannschaft ging für ihn durchs Feuer, und den Kapitän zu beklauen, das lag einfach nicht drin. Hasard konnte jede Tür an Bord offenlassen, dennoch würde keiner von ihnen auch den größten Schatz nicht antasten, wenn er es nicht ausdrücklich gestattet hatte. Der einzige, der hin und wieder mal aus der Rolle fiel, war Dan O’Flynn mit seinem Heißhunger. Der Kutscher, Koch in Hasards Crew und bei diesem Unternehmen nicht mit dabei, beklagte sich des öfteren darüber, daß das Bürschchen von den Vorräten etwas klaute, wenn er mal nicht aufpaßte. Aber der Seewolf wußte genau, wie er solche Vorfälle einzustufen hatte - als bloßen 50
Schabernack. Er stand auf, deckte ein Stück Tuch über die Silberbeute und begann, das Innere der Kammer systematisch zu durchsuchen. In einem Vorratsschapp entdeckte er ein paar angestaubte Flaschen. Kleine handbeschriftete Etiketts gaben Aufschluß über ihre Inhalt: Malaga. Hasard köpfte eine Flasche und fand auch ein Glas. Er setzte sich an das Pult des spanischen Capitans und schenkte das Glas voll. Der Malaga war dunkelrot, fast schwarz, und mundete vorzüglich. Hasard trank, schlug das Loggbuch auf und studierte die Eintragungen. Etwas besonders Interessantes ging daraus nicht hervor. Die ehemalige ›Valparaiso‹ war in Chile in ihrem Heimathafen Valparaiso gebaut worden und vom Stapel gelaufen. In den knapp zwei Jahren ihres Bestehens, so stellte sich beim Durchblättern der Seiten heraus, war sie kaum richtig herangenommen worden, hatte immer nur die Küste abgefahren und hatte sich nie voll bewähren können. Vielleicht wird das bald anders, überlegte Hasard grimmig. Er hob das Glas erneut an die Lippen und leerte es. Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit durch ein schwaches, schabendes Geräusch gefesselt. Er saß still und hörte genauer hin. Schleifende, tastende Schritte näherten sich der Tür der Kapitänskammer. Hasard sagte: »Wer da? Batuti? Ben?« Keine Antwort. Er wurde stutzig, erhob sich und pirschte zur Wand. Lautlos, den Rücken zur Wand gerichtet und die Arme angewinkelt, schlich er von der Backbordseite her an die Tür. Von außen legte sich eine Hand um den Griff. Hasard bemerkte es, als sich die Klinke bewegte. Er fragte sich, wer ihm da so heimlich einen Besuch abstatten wollte. Einer seiner Männer? Unmöglich, die pflegten sich nicht anzuschleichen, wenn sie etwas wollten. Nur Dan O’Flynn konnte wieder mal einen seiner Streiche ausgeheckt haben. 51
Minivy? Er gehörte nicht zur Crew und stammte aus Drakes Mannschaft. Er war ein dumpfer, primitiver Bursche und trug meist eine ausgesprochen miesgrämige Miene mit sich herum. Hasard hatte ihn mitgenommen, weil er als Schlagmann einen hervorragenden Rudergast abgab. Führte es Arges im Schilde wegen der Silberbarren? Oder Karl von Hutten - hatte er wider Erwarten doch etwas zu verbergen? Möglich, daß die Dons ganz andere Gründe als die von ihm genannten gehabt hatten, ihn einzulochen und vor den Richter zu bringen. Hasard spielte alle Eventualitäten durch und schalt sich dann einen ausgesprochenen Idioten. Es gab nämlich noch eine andere, viel wahrscheinlichere Möglichkeit. Die Klinke war bis nach unten gedrückt worden. Sanft wurde die Tür nach innen geschoben. Hasard grinste, packte zu und riß sie ganz zu sich heran. Der Eindringling wurde hereingezerrt. Er stieß einen kleinen Schrei aus, ließ den Griff los, stolperte in die Mitte der Kammer und kam dort zu Fall. Rasch drückte Hasard die Tür wieder ins Schloß. Er ging zu dem ungebetenen Gast - es war Jachala, das Araukanermädchen. Etwas verkrümmt und mit unglücklichem Gesichtsausdruck lag sie auf den Bodenbrettern. Ihr Lendenschurz war verrutscht, und Hasard konnte an ihren berückend geformten Schenkeln buchstäblich bis in den siebenten Himmel hinauf schauen. »Du bist mir vielleicht ein Früchtchen«, sagte er. Sie nahm eine abwehrende Haltung ein. Ihre großen Augen suchten seinen Blick, bis er sich mit dem ihren verfing. Sie sprach mit vibrierender Stimme, ihr Tonfall war singend. Der Seewolf streckte ihr kameradschaftlich die Hand hin. »Na, steh schon auf, Jachala. Ich weiß ja, warum du unbedingt in meine Kammer eindringen wolltest. Du möchtest dich auf deine Art für die Rettung bedanken, habe ich recht?«
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Bei der Nennung ihres Namens glitt ein Lächeln über ihr hübsches weiches Gesicht. Sie legte ihre Finger in seine große Hand und ließ sich aufhelfen. Als sie vor ihm stand und zu ihm aufschaute, wollte sie seine Rechte nicht mehr loslassen. »Ha ...« formulierte sie mühsam, »Hasard.« Er wollte etwas Barsches erwidern, brachte es aber nicht fertig. »Ist ja großartig, jetzt hast du meinen Namen gelernt. Mädchen, ich würde dir gern ein Gläschen Malaga spendieren, aber ich lasse es bleiben, weil ich weiß, daß es garantiert Folgen haben würde. Weißt du was? Wir gehen zu deinen Freundinnen zurück. Ich liefere dich bei ihnen ab, und du bleibst brav dort, bis wir ein Plätzchen gefunden haben,«wo wir euch absetzen können.« Sie antwortete mit einem kunterbunten Redeschwall und hängte zum Schluß noch einmal die beiden Silben an: »Hasard.« Er nahm sie beim Arm und traf Anstalten, sie zur Tür zu bringen. Unversehens umklammerte sie jedoch seinen Hals, zog sich an ihm herauf, murmelte »Hasard« und preßte ihren vollen, weichen Mund auf seine Lippen. Sie schmeckte deutlich nach chilenischem Rotwein - was darauf schließen ließ, daß Batuti als provisorisch eingesetzter Proviantmeister und Koch in der Zwischenzeit Essen und Trinken für die Mädchen aufgefahren hatte - was den Wein betraf, vielleicht mehr, als angebracht war. Jachale drängte sich gegen den Seewolf. Er konnte das heiße, pulsierende Leben ihres schlanken Körpers und noch einiges mehr an seinem Leib spüren. Plötzlich ließ sie etwas ab, keuchte und streifte sich mit einer flinken Handbewegung den Lendenschurz ab. Jetzt wurde es Hasard zu bunt. Er packte sie, legte sie übers Knie und gab ihr einen kräftigen Klaps auf das wohlgerundete Hinterteil. Sie kreischte und zappelte, dann beruhigte sie sich wieder und verlegte sich aufs Flehen. 53
»Hasard«, stammelte sie immer wieder. Doch er ließ sich nicht mehr erweichen. Er kannte kein einziges Wort ihrer Sprache, doch daß sie wieder in ihre dürftige Kleidung steigen sollte, konnte er ihr auch durch Gesten beibringen. Widerstrebend zog sie das neckische Etwas über ihre Hüften zu sich herauf. Hasard schickte sie mit einem weiteren Klaps zur Tür. Dort drehte sie sich um und schaute ihn in gespieltem Zorn an. Er grinste, rückte drohend auf sie los. Jachala stieß einen unterdrückten Schrei aus und rannte in Richtung auf ihre Kammer los. Ihre Brüste wippten dabei, daß es eine Freude war, und der Seewolf sandte einen entsagungsvollen Blick zur Balkendecke hinauf. Er sorgte dafür, daß sie sich anstandslos in ihre Kammer zurückzog. Die Tür flog vor seiner Nase zu; Jachala schnatterte aufgeregt mit ihren Stammesschwestern. Kichern war zu vernehmen, aber auch etwas anderes, daß ihm verdächtig nach erbostem Schimpfen klang. Eine Weile sann er nach. Schließlich stieg er den Niedergang zum Oberdeck hinauf und rief Karl von Hutten, Blacky, Stenmark und Batuti zu sich. »Ich will, daß die sechs Mädchen ins Vordeck umquartiert werden.« Sie blickten ihn etwas ratlos an. »Das Rollen und Stampfen des elenden Waschzubers bekommt ihnen nicht«, fügte er erklärend hinzu. »Ich glaube, im Vordeck spüren sie’s nicht so sehr. Los, und nun beeilt euch!« Die vier gaben sich redlich Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. »Aye, aye, Sir«, sagte Batuti stockernst, aber mit rollenden Augen.
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6. Die See hat ihre ureigenen Gesetze und ausgeprägte Launen. Letztere gleichen den Schrullen einer alten Jungfer, die nicht mehr ganz richtig im Kopf ist. Was eben noch sonnig und rosig und unerschütterlich klar aussieht, kann im nächsten Moment schon ins Unheil umschlagen. Es war Spätnachmittag geworden. Das Sonnenlicht wurde blaß, die Hitze des Tages hatte nachgelassen und leitete zum Abend über. Die Dämmerung war nicht mehr fern. Mittlerweile hatte die Beutegaleone von Philip Hasard Killigrew beinahe wieder Kap Punta Lengua de Vaca erreicht. »Ho!« schrie Donegal Daniel O’Flynn plötzlich vom Großmars aus. »Es braut sich was zusammen! Backbord voraus!« Hasard begab sich aufs Achterdeck, trat neben die Luvwanten und hielt mit dem Kieker Ausschau. Dan hatte noch nie Matsch auf den Augen gehabt, was seine Beobachtungen betraf, und so hatte er auch diesmal allen Grund, Rabatz zu schlagen: im Nordwesten wurde das friedliche Azurblau des Himmels mit einem Mal von drohenden grauen Wolken überlagert. Rasch zogen sie sich zusammen, ballten sich zu einem schwärzlichen Gebilde hoch, das so rasend schnell am Himmel aufzog, daß einen das kalte Grausen packen konnte. Der Wind wurde handig, pendelte auf Nordwest, sprang wieder auf West und purrte die Männer an Bord der ›Isabella III.‹ nun fortwährend an die Brassen und Schoten. Hasard steckte den Kieker weg, stand am Schanzkleid und blickte dem herantobenden Sturm entgegen. Ben Brighton hatte längst begriffen und brüllte seine Befehle über Deck. Der Sturm orgelte von Nordwesten heran und türmte gewaltige Wellenberge vor der Zweimast-Galeone auf. Weiß schäumte die See auf, rollte gegen die Backbordwand des Schiffes an, drückte mit Macht dagegen und hob es hoch, so 55
daß es bedenklich nach Lee überkränkte. Dan O’Flynn klammerte sich im Großmars fest, damit er nicht in die kochende See geschleudert wurde. Hasard schickte Karl von Hutten ins Vordeck. Er sollte nach den sechs Araukanermädchen schauen und sie beruhigen. Pete Ballie stand am Ruder, Ben Brighton hastete über Deck, um die Handgriffe der Mannschaft zu überprüfen. Die Brooktaue der acht Demi-Culverinen wurden nachträglich festgezurrt, um ein Ausbrechen der Kanonen zu verhindern. Wie wichtig gerade diese Arbeit sein konnte, hatte sich beispielsweise am 19. November 1577 an Bord der ›Elizabeth‹ im Atlantik gezeigt, als der Verband zum ersten Mal zur großen Fahrt ausgelaufen war. Wegen Kapitän John Winters Unachtsamkeit hatte sich in einem der Brooktaue eine Lose gebildet und vergrößert. Schließlich war das Tau gebrochen und hatte die Kanone als Todesschlitten über Deck rasen lassen. Donnernd war sie mit dem Bootsmann durch das Schanzkleid gebrochen. Die Manntaue wurden gespannt. Hasard winkte Dan zu, und das Bürschchen enterte in einem günstigen Augenblick vom Großmars ab, hangelte in den Manntauen bis zur Poop und kletterte aufs Achterdeck. »Zum Wachwechsel ist es noch zu früh«, schrie er gegen das Tosen der Fluten an. »Zum Teufel mit dir«, gab Hasard zurück. »Wenn es hier erst richtig losgeht, ist es zu spät, den Mars räumen zu lassen. Und jetzt verzupf dich gefälligst!« »Ave, aye, Sir.« Das Brausen der aufgepeitschten See wurde stärker. Gischt schäumte an den Bordwänden empor, Brecher rollten über die Decks. Schläge trafen den Schiffsrumpf und ließen ihn bis in die Spanten erzittern. Je höher die Wogen stiegen und je wütender sie gegen die ›Isabella III.‹ krachten, desto heftiger bebten die Schläge in dem hölzernen Leib nach. Es wurde ein Sturm, der sich gewaschen hatte. 56
Zähneknirschend stand Philip Hasard Killigrew auf dem Achterdeck. Er hielt sich an einer Nagelbank fest, um nicht von den entfesselten Naturgewalten fortgerafft und über Bord gerissen zu werden. Unter ihm stampfte und schlingerte die Galeone, krängte nach Steuerbord über, ächzte wie ein gigantisches Tier und holte dann wieder zur anderen Seite über. Ein donnernder Brecher raste gegen die Backbordwand und bäumte sich krachend daran auf. Gischt schoß bis zu den Rahen hoch. Salziger Sprühregen ging auf den Seewolf nieder, näßte sein Gesicht und befeuchtete seine Kleidung. Verdammt, da haben wir den Salat, dachte er, man soll’s nie beschwören. Die ›Isabella III.‹ hatte das Unwetter vom richtigen Ausmaß gefunden. Eins, in dem sie ihre Klasse unter Beweis zu stellen hatte. Sie konnte daran zerbrechen. Es war eine echte Zerreißprobe. Wie sie ausging, konnte auch kein Seewolf voraussagen, denn das höllische Tauziehen mit den Mächten der Natur hatte viele Unbekannte. Eins mußte er wohl oder übel einsehen: Sie konnten nicht gegen den Sturm anboxen. Es wäre glatter Selbstmord gewesen. »Auf Gegenkurs gehen«, rief er Ben Brighton und Pete Ballie zu. »Wir laufen vor dem Sturm ab.« Er hatte kaum ausgesprochen, da lief die See so heftig gegen die Zweimast-Galeone, als wolle sie das Schiff mit einem einzigen, kolossalen Hieb zerbrechen. Pete Ballie drückte mit aller Macht gegen den Kolderstock und gab Gegenruder. Stenmark eilte ihm zu Hilfe. Batuti stand wie ein bronzener Götze in der Kuhl, hielt sich an den Manntauen fest und stöhnte: »O Mann, o Mann ...« »Himmel, Arsch!« rief Blacky. Der Brecher traf sie und ließ die ›Isabella III.‹ so weit überkrängen, daß das Steuerbordschanzkleid unterschnitt und die brodelnde See über Vorder- und Achterkastell stieg. Der 57
Baum des Gaffelgroßsegels stieß bis über die Nock hinaus in die hochschießende Gischt. Sie riskierten einen Ruderbruch und liefen Gefahr, die Galeone zu einem Spielball der Wellen werden zu lassen, doch sie hatten das Glück auf ihrer Seite. Der Nordwest wollte sie übermannen, ihren Widerstand brechen und sie auf die Küste zudrücken. Doch sie schafften es, im Brausen der Elemente abzufallen und auf Gegenkurs zu gehen. So jagte das Schiff schließlich nur mit dem Gaffelgroßsegel raumschots nach Süden. Ben Brighton hangelte an den Manntauen zu Hasard herüber. »Das war knapp!« rief er gegen das Tosen der Urgewalten an. »Ja«, gab der Seewolf verdrossen zurück. »Aber, verflixt und zugenäht, wir entfernen uns immer mehr von dem Treffpunkt.« »Kapitän Drake wird sich denken können, wie wir mit dem Sturm zu asten haben. Außerdem weiß er ja nichts davon, daß wir die Galeone als Prise genommen haben. Er denkt, wir segeln immer noch mit der Pinasse durch die Gegend.« »Aber länger als zwei Tage kann er nicht mit der ›Golden Hind‹ im Mündungsgebiet des Coquimbo bleiben.« »Hoffentlich schaffen wir’s noch, ihn zu erreichen.« Hasard warf einen erbitterten Blick in die kochende See. »Das hängt ganz davon ab, wie lange das Scheißwetter anhält. Drückt alle kräftig die Daumen, daß es bald nachläßt und wir wieder auf nördlichen Kurs gehen können.« Aus Richtung der Back tönte plötzlich ein schriller Schrei herüber. Hasard stand der Backbordseite des Schiffes zugewandt. Jetzt wirbelte er herum, erfaßte die Situation mit einem Blick und sprang auf die Kuhl hinunter. Das Steuerbordschott in der Querwand des Vorkastels war aufgeflogen und hatte eine schlanke, braunhäutige Gestalt ausgespuckt. Jachala! Sie kreischte und gestikulierte, tapste verzweifelt über die nassen Planken und arbeitete sich nach achtern. Die Angst hatte sie gepackt und ließ sie nicht mehr 58
los, der Schrecken über das plötzlich losgebrochene Unwetter stand in ihrem Gesicht. Hasard begriff, daß sie zu ihm wollte, daß sie Schutz suchte. Er sah aber auch, daß sie es niemals schaffen würde. Kaum hatte sie die ersten stolpernden Schritte über die Kuhl getan, war sie schon pitschnaß. Gischtnebel hüllten sie ein. Der Schaumkamm eines Brechers schoß außenbords neben ihr hoch, so dicht, daß es aussah, als würde er sie im nächsten Moment packen und mit sich fortreißen. Der Seewolf fluchte und turnte über das Quarterdeck, lief am Großmast vorbei, eilte nach Steuerbord und rückte auf das schreiende Mädchen zu. Viel zu spät tauchte Karl von Hutten in der Öffnung des Schotts hinter Jachala auf. Er wetterte, raufte sich die Haare, tobte, aber das nutzte nichts. Jachala beging eine Wahnsinnstat, die sie binnen Sekunden das Leben kosten konnte. Das Oberdeck tanzte unter Philip Hasard Killigrews Füßen. Er balancierte auf das Vorkastell zu. Jachala entdeckte ihn und breitete die Arme aus. Plötzlich glitt sie aus und schlug hin. Wie eine Katze rollte sie sich jedoch ab, kam geschmeidig wieder auf die Beine und lief weiter. Er hatte sie fast erreicht, als sich ihr rechter Fuß in einem Tau verfing. Sie stürzte wieder, war aber noch nicht hoch, als ein Brecher über Deck raste, sie erfaßte und mitnahm. Hasard hechtete auf die Araukanerin zu, packte sie, wurde aber selbst von den Füßen gerissen. Plötzlich war Karl von Hutten zur Stelle und warf sich auf sie. Er hielt sie beide fest und drückte sie mit seinem Körpergewicht nieder. Es reichte nicht ganz aus, der Wucht des Brechers Paroli zu bieten - wie von einer Geisterfaust wurde das Knäuel ihrer drei Leiber weggeräumt und gegen das Schanzkleid gespült. Aber mit seinem flinken Einsatz hatte Karl von Hutten sie davor bewahrt, außenbords zu gehen. Hasard rappelte sie auf 59
und half zuerst Jachala, dann von Hutten auf die Beine. Der blutete aus einer Platzwunde am Kopf. Das Mädchen schluchzte und lehnte sich zitternd gegen den Seewolf. Aufatmend stellte er fest, daß sie unverletzt war. Sie suchten das Vorkastell auf. Die fünf Mädchen hatten sich auf eine einzige Koje gekauert. Angstbebend waren sie zusammengerückt und hielten sich gegenseitig umklammert. Ihre weitaufgerissenen Augen konzentrierten sich auf die hünenhafte Gestalt des Seewolfes. »Danke, Mann«, sagte Hasard zu von Hutten. »Nicht dafür. Ich stehe nach wie vor in deiner Schuld.« »Rede doch keinen Quatsch. Wie konnte Jachala so einfach entwischen?« Er schnaufte erbost »Das kam aus heiterem Himmel. Eben saß sie noch ruhig da und redete auf ihre Freundinnen ein. Dann, urplötzlich, stieß sie einen Schrei aus, schlüpfte an mir vorbei und rannte raus. Ich kriegte sie zu fassen. Aber sie wand sich wie ein Aal und flutschte weg.« Er blickte das hübsche Mädchen an und ließ eine ganze Litanei auf sie niedergehen. Hasard verstand wie üblich kein Wort, begriff aber, daß es eine Strafpredigt war. Jachala senkte schuldbewußt den Blick. Am liebsten hätte sie sich in ein Spundloch verkrochen. »Nun laß sie doch«, sagte Hasard. »Sie ist durch den Schrecken genügend bestraft worden.« Das Mädchen schaute auf, deutete mit dem Finger auf ihn und redete aufgeregt auf von Hutten ein. Hasard erwiderte Jachalas verzweifelten Blick und nickte ihr lächelnd zu. »Sie sagt, die Götter und Dämonen hätten sich versammelt, um über sie herzufallen«, erklärte von Hutten. »Aus Rache für etwas, das sie, Jachala, niemals hätte tun dürfen. Sie ist von Reue erfüllt, glaubt aber nicht, daß man ihr verzeihen wird. Der Sturm ist die Strafe der Götter. Sie hat sich ihm hingeben wollen, um zu prüfen, wie schlimm die Rache ausfällt. Ich 60
kapier bloß nicht, was das mit dir zu tun haben soll.« Hasard berichtete über das Erlebnis, das er mit Jachala in der Kapitänskammer gehabt hatte. »So, und jetzt erklär ihr, daß sie sich deswegen nicht zu grämen braucht. Sag ihr, daß ich sie gern mag, setzte ihr aber auch das mit den Prinzipien auseinander. Ihren Aberglauben kann ich bestimmt nicht beseitigen. Aber sie muß einsehen, daß der Sturm nicht ihretwegen losgebrochen ist.« Karl von Hutten lachte amüsiert. Dann übersetzte er dem Mädchen Wort für Wort. Sie nickte, zeigte wieder eine entspannte Miene und verbeugte sich vor dem Seewolf. Er sprach abschließend mit ihr, von Hutten dolmetschte. »Bist du jetzt überzeugt, Jachala?« »Jachala glaubt dem großen weißen Mann.« »Dann kommst du für die Dauer des Sturmes nicht mehr an Deck?« »Jachala und ihre Schwestern warten geduldig, bis die Götter und Dämonen sich ausgetobt haben. Aber Hasard schwebt in großer Gefahr.« »Das ist nichts Besonderes«, gab er zurück. »Mach dir keine Sorgen. Das Schiff hält den Brechern stand, wir alle werden das mit heiler Haut überstehen. Sage das auch deinen Freundinnen. Nur mit dem Absetzen wird es heute nacht nichts mehr, das müßt ihr einsehen.« »Jachala und ihre Schwestern tun, was Hasard sagt.« Er fragte von Hutten, ob er einen Kopfverband benötige, aber der winkte lachend ab. Hasard kehrte nach oben zurück. Er kämpfte sich bis zum Achterkastell durch, stieg hinauf, hielt nach allen Seiten Ausschau und begutachtete die Lage. Die See kochte, toste und spuckte wie nie zuvor und schien es ganz auf die ›Isabella III.‹ abgesehen zu haben. Hasard begann sich zu fragen, ob Jachala mit ihren Gerede über die Rache der Götter nicht doch ein bißchen recht hätte, verwarf die düsteren Überlegungen dann aber ärgerlich. Lediglich eins war sicher: 61
Er hatte sich den Mädchen gegenüber sehr optimistisch geäußert, was den Ausgang dieses Sturms betraf. Er hatte es fertiggebracht, sie zu besänftigen, aber er wußte keineswegs, ob die Beutegaleone den brüllenden Attacken des Unwetters standhalten würde. Er schaute zu Ben Brighton, Pete Ballie und Stenmark hinüber und fragte sich, wieso die Kerle bei dem Tohuwabohu überhaupt noch grinsen konnten. Dan O’Flynn, der kecke Fünfzehnjährige, schob sich hinter der auf dem Achterdeck vertäuten Segelpinasse hervor, grinste gleichfalls unverschämt und hangelte an den Manntauen entlang auf ihn zu. »Ein Glück, daß du die sechs Indianerinnen im Vordeck einquartiert hast, weil es im Achterdeck zu sehr schlingert!« schrie Dan vergnügt. »Und ein Glück, daß es im Vordeck tatsächlich so ruhig ist wie in Abrahams Schoß. Ein Glück, daß sich keins der Mädchen selbständig macht und außenbords geht. Ein Segen, daß du sie nicht in den Achterdeckskammern gelassen ...« Hasard holte mit dem Fuß aus. Mit knapper Not entging das Bürschchen einem Tritt in den Hintern, der ihn glatt gegen die Schmuckbalustrade katapultiert hätte.
Das Daumendrücken, Fluchen und Beten nutzte nichts. Der Sturm dauerte die ganze Nacht über an. Hasard unternahm Standortberechnungen und konstatierte, daß sie sich am darauffolgenden Morgen bereits über dreißig Seemeilen südwestlich der schlauchartigen Bucht befanden, in der sie die ›Isabella III.‹ geentert hatten. Immer wieder wurden sie von dem mit Drake vereinbarten Treffpunkt am 30. Breitengrad abgetrieben, und die Aussicht, ihn überhaupt noch vorzufinden, schrumpfte auf eine verschwindend geringe Chance zusammen. 62
Was den Seewolf bei dem ganzen Verdruß dennoch hochhielt, waren zwei Dinge: erstens das außerordentlich disziplinierte Verhalten seiner Männer. Wieder einmal konnte er in jeder Hinsicht auf sie setzen. Sie murrten nicht, schufteten bis zur Erschöpfung und hätten sich für ihn in Stücke hauen lassen. Auch Karl von Hutten und die sechs Araukanerinnen benahmen sich vorbildlich. Jachala unternehm keine eigenwilligen Extratouren mehr. Zweitens hielt sich die Zweimast-Galeone so wacker, wie er es sich in seinen kühnsten Vermutungen nicht ausgemalt hatte. Die Holzverbände erwiesen sich als stabil, die Planken als absolut dicht - ein wirklich erstklassiges Schiff. Hasard ritt schon wieder der Teufel. Er fragte sich, wie sich das Schiff wohl im Gefecht bewähren würde. Dabei hielt der Sturm auch den ganzen Tag über noch an. Er hatte wirklich keinen Grund zum Übermut. Erst gegen Abend schwoll das nervtötende Donnern und Rauschen der Brecher ab. Die schaumgekrönten Wogenberge wurden niedriger, der ›Isabella III.‹ war es vergönnt, wieder etwas ruhiger dahinzugleiten. Ganz ließ das Wetter aber immer noch nicht nach. Der Wind pfiff noch gehörig. Als er auf Nord drehte, faßte Philip Hasard Killigrew einen raschen Entschluß. Er rief Ben Brighton, seinen Bootsmann und Ersten Offizier, zu sich und erteilte seinen Befehl. »Anluven, mehr Segel setzen und dann hoch an den Wind gehen, Ben!« »Aye, aye, Sir.« »Wir kreuzen auf Wechselschlägen nach Norden zurück.« »Ein Wagnis, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.« Hasard grinste verwegen. »Du darfst, aber es ändert nichts. Mit einem Schiff wie diesem hier können wir’s riskieren. Und jetzt haut gefälligst einen Schlag ran, ehe ich aus der Haut fahre!« »Aye, aye, Sir!« 63
Sie luvten an, kriegten die Sonne von schräg achtern in den Rücken und klüsten vor ihren rötlich werdenden Strahlen davon. Ein neuer Abend senkte sich über die See und das Land. Hasard rührte sich nicht vom Fleck, stand auf der Poop und dachte an Sir Francis Drake, die ›Golden Hind‹ und die Mannschaft, die auf sie wartete. Für sie waren der Seewolf und seine Crew jetzt bereits überfällig. Hasard wollte einfach noch nicht einsehen, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach zu spät am Treffpunkt aufkreuzen würden.
7. Nachts hatte sich der Seewolf endlich doch in seine Kammer zurückgezogen und war in einen tiefen Erschöpfungsschlaf gefallen. Am frühen Morgen weckte ihn der grelle, mißtönende Schrei Donegal Daniel O’Flynns. Der Bursche steckte mitten im herrlichsten Stimmbruch. Bei jeder Gelegenheit kippte sein durchdringendes Organ über, sackte entweder in den Keller, in den tiefsten Baß ab, oder glitt nach oben in einen schrillen Diskant hinauf. Eben das war im Moment der Fall. »Segel ho! Backbord voraus!« Hasard, der in voller Montur geruht hatte, sprang mit einem Satz auf und hastete nach oben. Auf dem Quarterdeck richtete er den Blick nach oben, schirmte die Augen mit der flachen Hand gegen die Sonne ab und erspähte die Gestalt Dans. Er hockte wieder als Ausguck im Großmars und fuchtelte ziemlich erregt mit den Händen. »Zwei Galeonen!« schrie Dan aufs Deck hinunter. »Zwei gottverdammte Spanier!« Richard Minivy war gerade in Hasards Nähe. Er zog die übliche sauertöpfische Miene. 64
»Spanier? Woher will der Bengel das wissen? Wie kann er’s auf die Entfernung sehen? Mir will das nicht in den Kopf.« Hasard bedachte den ungeschlachten Mann mit einem verwunderten Seitenblick. Für Minivy war das schon eine ziemlich lange Rede gewesen. Hasard schaute wieder nach oben und rief: »He, Dan! Wieso Dons? Woran erkennst du das?« »An ihren Bugspriets baumeln Holzkreuze!« schrie Dan O’Flynn zurück. »Führen das vielleicht die Engländer, he? Sag bloß noch, du hast da vorn an der Kimm eben die ›Elizabeth‹ und die ›Marygold‹ vermutet. O Mann, schlag dir das bloß schleunigst aus dem Kopf.« Der Seewolf setzte sich über die Respektlosigkeit des Bürschchens hinweg. Er sprang aufs Achterkastell, schnappte sich ein Spektiv und lugte nach den beiden Galeonen aus. Suchend wanderte sein Blick an ihren Flögein und Maststengen über die Masten bis auf die Decks hinunter, und rasch hatte er herausgefunden, was er wissen wollte. Ja, sie waren beide größer als die ›Isabella III.‹ und außerdem stärker armiert. Selbstverständlich hatten ihre Besatzungen die Zweimast-Galeone ebenfalls gesichtet. Sie hielten mit Südkurs auf sie zu! Hasard lief auf die Backbordseite der Kuhl zurück, blickte durch das offene Schott in die Kombüse und sah Batutis breite, muskulöse Gestalt vor dem Herd mit dem Holzkohlenfeuer. Der Neger muselte herum und beschäftigte sich augenscheinlich mit der Bereitung eines kräftigen Frühstücks. »Laß das jetzt«, sagte Hasard. »Lösch das Feuer. Es gibt draußen bald Zunder genug.« Batuti tat, wie ihm geheißen, erschien aber mit einer Muck an Deck, aus der es heiß und dampfend aufstieg. »Seewolf müde und durstig«, sagte er mit tiefer Stimme. »Braucht Gesöff zum Aufmuntern, dann mehr Zunder unter den Hintern von Dons.« Hasard nahm den heißen Trank entgegen und nippte daran. 65
»Sag mal, was hast du Satansbraten denn da reingekippt?« »Chicha, Ssör.« »Ein Drittel?« »Hälfte, Captain. Gibt frische Kraft in Muskeln.« Chicha war ein hochprozentiger, scharfer Maisschnaps der Araukaner. Der Proviantmeister von der ehemaligen ›Valparaiso‹ mußte ihn mit den Lebensmitteln beschafft haben, die die Dons den Indianern abgeknöpft hatten. Und jetzt hatte Batuti den Vorrat in einem der Kombüsenschapps aufgestöbert. Hasard stürzte das Getränk ganz herunter. Es brannte in Kehle und Magen, stieg, dem Gefühl nach zu urteilen, bis in die Haarwurzeln und war dazu angetan, eine drei Tage alte, steif gewordene Seemannsleiche wieder zum Leben zu erwecken. »Gut«, ächzte Hasard. »Du verteilst die Rationen gerecht an die Männer, Batuti. Halb Wasser, halb Chicha, verstanden?« »Aye, aye, Sir!« Strahlend kehrte der Gambia-Neger in die Kombüse zurück und beeilte sich, den kostbaren, hochprozentigen Stoff an den Mann zu bringen. Die fünf gefangenen Dons, die seit Ausbruch des Sturms unter dem Vordeck schmorten, kriegten natürlich nichts davon ab. Die Araukanerinnen auch nicht, denn Alkohol, schon in geringen Mengen verabreicht, konnte ja bekanntlich heftige Reaktionen bei ihnen auslösen. Philip Hasard Killigrew ließ gefechtsklar machen. »Schiff klar zum Gefecht!« Ben Brightons Stimme dröhnte über das Deck. Das Patschen nackter Fußsohlen tönte über die Decksplanken. Im Eiltempo begaben sich die Männer auf ihre Gefechtsstationen. Karl von Hutten hielt nichts im Vordeck, er schloß sich dem erfahrenen Stenmark an. Die Stückpforten gingen hoch, rumpelnd wurden die acht Kanonen der ›Isabella III.‹ ausgefahren. Ihre Mündungen schauten drohend aus den Luken hervor. Batuti hatte die Kombüsenfeuer gründlich gelöscht. Jetzt wetzte er über Deck 66
und streute Sand aus. Dan O’Flynn blieb auf Hasards Geheiß hin im Ausguck. Pete Ballie bediente das Ruder. Ben Brighton stürmte auf die Kuhl und beteiligte sich an den Vorbereitungen. Außer ihm hantierten Batuti, Matt Davies, Gary Andrews, Blacky, Richard Minivy, Stenmark und Karl von Hutten an den Geschützen herum - acht Mann also, einer für jede Demi-Culverine. Genau genommen war es eine verdammt knappe Mannschaft. Auf anderen Schiffen ging eine solche Prozedur mit dem größten Aufwand an Männern und Material vonstatten. Aber auf der ›Isabella III.‹ mußte in Ermanglung der nötigen zahlenmäßigen Unterstützung jeder Mann sein eigener Geschützführer sein. Ben Brighton nahm die Zubehöre der Kanonen in Augenschein - Kartuschen, Keile, Schwämme, Handspaken, Kuhfüße, Pulver, Kugeln. Vor allem achtete er darauf, daß die Pulverhörner ordnungsgemäß gefüllt waren. Batuti, Matt Davies, Gary Andrews und Blacky betätigten sich als Pulverträger. Sie ließen die Eimer, die zum Befeuchten der Wischer bereitstanden, außenbords schwingen, tunkten sie unter und zogen sie mit Meerwasser gefüllt wieder hoch. Hasard stand unterdessen neben seinem Rudergänger und überprüfte durch den Kieker jedes Manöver der Dons. Nach wie vor hielten die beiden Galeonen Südkurs. Pete Ballie sagte: »Meinst du denn, die wollen uns wirklich an den Kragen? Vielleicht kennen sie die ›Valparaiso‹ und lassen uns glatt als waschechte Spanier durchgehen.« Der Seewolf schüttelte den Kopf. »Mach dir da keine falschen Hoffnungen, Pete. Vergiß nicht, daß wir den Namen des Schiffes geändert haben und daß die spanische Hoheitszeichen ebenso wie das berühmte Holzkreuz unterm Bugspriet fehlen.« »Ja, zum Teufel auch.« »Weißt du, was wir tun, Pete?« »Klar - nichts wie drauf auf die Dons und dann ...« 67
»Zunächst mal steuerst du auf die chilenische Küste zu.« »Aye, aye, Sir.« Über Steuerbordbug steuerten sie nun am Wind auf den flachen dunklen Uferstreifen zu. Nach wie vor wehte der Wind aus nördlicher Richtung über die See. Hasard trat ans Backbordschanzkleid und hielt gespannt nach den beiden Galeonen Ausschau. Prompt schwenkten sie nach Osten. Vor dem Wind pflügten sie mit steif aufgeblähten Segeln die See und trachteten danach, dem Seewolf und seiner Mannschaft den Weg abzuschneiden. Jetzt zeigte sich, daß Hasard goldrichtig gehandelt hatte, als er den Befehl gegeben hatte, auf Gefechtsstation zu gehen. Es war nie falsch, Vorsorge zu treffen. Vielleicht war dies der einzige Trumpf, den sie in Händen hielten, denn langsamer als die Dons waren sie ohnehin, weil sie hart am Wind segeln mußten. Die Spanier rückten näher. Die Kurse der Schiffe liefen in schräger Richtung aufeinander zu. Es war der Moment abzusehen, in dem sich die ›Isabella III.‹ den beiden größeren Galeonen auf Schußweite genähert haben würde. Hasard eilte an die Schmuckbalustrade, die das Achterdeck nach vorn hin abschloß. »Ben!« »Sir?« »Alles in Ordnung dort unten?« »In bester Butter. Wir sind bereit, den Himmelhunden die erste Breitseite zu verpassen.« In der Tat hatte die emsige Tätigkeit der acht Männer auf der Kuhl keine Sekunde nachgelassen. Pulver war in die Bodenstücke der Kanonen gefüllt worden, daß ihr Gewicht etwa der Hälfte der Schwere der Kugeln entsprach. Die Männer hatten die Kellen aus den Händen gelegt und mit Ansetzern Knäuel Kabelgarn auf das Pulver gepreßt. Sodann waren die Kugeln aufgesetzt worden, die wiederum mit Kabelgarn in ihren Lagen gehalten wurden. Zuletzt waren die Zündlöcher 68
mit Pulver gefüllt worden. Gellend hallte Ben Brightons Kommando über das Deck. »Spannt die Hähne!« »Hasard!« tönte in diesem Augenblick eine helle Stimme aus dem Großmars auf die Kuhl herunter. »Bei allen Teufeln der Hölle - ich seh schon wieder was!« »Land in Sicht, das ist doch klar«, sagte Karl von Hutten spöttisch. »Deswegen braucht er uns nicht verrückt zu machen.« »Was ist?« rief Hasard zu dem Bürschchen hinauf. »Kabbelwasser dicht vor der Küste.« »Und?« »Und? Ich will mir auf der Stelle eine Hand abhacken und mir eine Ledermanschette und einen Eisenhaken wie Matt Davies verpassen lassen, wenn das nicht Felsbarrien unmittelbar unter der Wasserlinie sind.« Hasard stieß einen Pfiff aus. Matt Davies zog ein beleidigtes Gesicht und murte: »Müßt ihr Affenärsche denn immer auf meine Eisenhand anspielen? Könnt ihr euch nicht mal was anderes ausdenken?« »Stell dich nicht an wie an altes Waschweib«, gab Gary Andrews zurück. »Schipper auf dem Nachttopf«, knurrte Matt. »Ruhe«, bat sich der Seewolf mit donnernder Stimme aus. »Folgendes, Männer: was Dan O’Flynn entdeckt hat, haben die Spanier bestimmt noch nicht erkannt. Die See hat Schaumkämme und ist bewegt. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sie die Veränderung auf dem Wasser bemerkt hätten. Wie ich die Dinge einschätze, werden sie die Barriere unter Wasser viel zu spät erkennen. Das müssen wir zu unserem Vorteil ausnutzen. Pete!« »Sir?« »Kurs beibehalten!« »Aye, aye, Sir.« 69
»Moment mal«, sagte Karl von Hutten. »Ich begreife ja, daß du die Spanier auf die Felsen locken willst - aber wie? Was wird dabei aus uns?« »Aber wir«, äffte Blacky ihm nach. »Kapierst du denn nicht ziehst du dir die Hosen mit der Zange an? Die ›Isabella III.‹ ist viel flacher gebaut als die dicken Galeonen der Dons.« »Nein, das war mir bis jetzt nicht richtig bewußt.« »Da sieht man, was für eine Landratte du bist.« »Blacky, ich ...« »Ruhe!« rief Hasard noch einmal. »Ihr habt es also erfaßt. Wir riskieren mal wieder einiges, aber daran habt ihr Teufelsbraten euch ja langsam gewöhnt. Haltet die Posten! Legt die Ohren an! Batuti, du hältst zusätzlich deine Brandpfeile bereit!« »Aye, aye, Sir.« Philip Hasard Killigrew kehrte an das Backbordschanzkleid des Achterkastells zurück. Sein Gang glich dem einer Wildkatze. Er verharrte, setzte das Spektiv an und richtete die Optik auf die erste spanische Galeone, die drohend und unaufhaltsam heranrauschte. Hasard legte seine weißen Zahnreihen frei, ein kühner, stolzer Zug spielte um seine Lippen, seine eisblauen Augen blickten entschlossen. Es waren junge Augen in einem Gesicht, das unauslöschlich von Wind, Wetter und Sonne gezeichnet war - ein junges und doch altes Antlitz, braungebrannt und durch die Narbe noch wilder und verwegener als bisher. Die erste Galeone schob sich sehr nah an sie heran, die Kursrichtungen beider Schiffe stießen im stumpfen Winkel aufeinander. Nur noch eine Frage von Minuten war es, dann würden sie unweigerlich aufeinandertreffen. Die zweite Galeone segelte in der Kiellinie des ersten Schiffes und schloß ziemlich dicht auf. Die ›Isabella III.‹ schob sich mit steiler Bugwelle auf das Kabbelwasser zu. Hasard preßte die Lippen zu einem Strich 70
zusammen. Er drehte sich um und gab Pete Ballie einen unmißverständlichen Wink. Pete Ballie legte die ZweimastGaleone zwei Strich weiter auf nordöstlichen Kurs. Sie fuhren einen scharfen Kreuzschlag nach Steuerbord. Schon sahen die Männer die Umrisse der ersten spanischen Galeone hinter den Luvwanten und Pardunen emporwachsen. Ben Brighton juckte es in den Fingern, er konnte es kaum erwarten, den Spaniern eins auf den Pelz zu brennen. Hasard zögerte jedoch noch. Absichtlich. Knapp wischte die Beutegaleone vor dem stolzen Bugspriet und der aufwendigen Galionsfigur des ersten feindlichen Schiffes vorüber. Hasard formte die Hände zu Fäusten, die Knöchel knackten. Es war ein Moment äußerster Spannung, denn sie klüsten geradewegs durch das Kabbelwasser. Berechnen ließen sich die lebensgefährlichen Unterwasserfelsen nicht, möglich war alles. Sie konnten mit Donner und Doria auflaufen, und Hasard sah schon im Geist vor sich, wie Jachala und die anderen fünf Mädchen angstkreischend aus dem Vorkastell stürzten. Die düstere Vision bewahrheitete sich nicht. Dan krähte triumphierend im Ausguck. Das Kabbelwasser lag hinter dem Heck der ›Isabella III.‹ - sie hatte wieder Tiefwasser erreicht. Die erste Galeone der Spanier konnte jedoch nicht mehr ausweichend manövrieren. Wie Hasard vermutet hatte, entdeckten die Spanier das Verhängnis viel zu spät. Der Seewolf stürzte an das Schanzkleid über der Achtergalerie, die Männer auf der Kuhl lehnten sich über die Steuerbordreling, so weit, als wollten sie außenbords springen und ein Bad nehmen. Alle beobachteten gebannt, was nun mit dem allzu forschen Spanier passierte. An Bord der Galeone gab es Aufruhr, das war deutlich zu verfolgen. Barsche Kommandorufe schallten herüber, jemand schrie einen spanischen Fluch doch all das nutzte nichts. Mit voller Fahrt rauschte das Schiff zwischen die tückischen Kliffs. 71
Hasard erkannte, daß die Spanier noch nach Süden abdrehen wollten. Sie gaben sich wirklich redlich Mühe, ihr Schiff herumzubringen. Aber das Manöver steckte noch in seinen Ansätzen, als es geschah. Das Unglück kündigte sich mit rasch zunehmendem Knirschen an und ging dann in ein Krachen und Splittern über. Die Takelage schwankte plötzlich wie wild, Männer purzelten auf dem Deck übereinander. Gleich darauf ging ein einziger Aufschrei des Entsetzens durch die Reihen der spanischen Mannschaft. Der Großmast neigte sich behäbig zur Backbordseite über. Wenig später schleifte der Großmast samt Rahen und Segeln auf der Backbordseite im Wasser. Das gesamte Schiff krängte und nahm eine beängstigende Lage ein - beängstigend für die Spanier. Hasards Männer johlten, hieben sich gegenseitig auf die Schultern, rieben sich zufrieden die Hände und spuckten bedeutungsvoll in die See. Mitleid mit den Spaniern gab es nicht - denn hätten die Dons sie zu fassen gekriegt, hätten sie noch weniger Pardon gekannt. Die Spanier kappten wie wahnsinnig Wanten, Schoten und Fallen des Großmastes. Der Mast hing zu zwei Dritteln außenbords. Wie ein Strohhalm war er oberhalb der Nagelbank weggeknickt. Das Schanzkleid, wo er aufgeschlagen war, war eingedrückt worden. Mit Äxten hieben die Spanier den kläglichen Holzrest durch, der ihn noch an seinem Stumpf hielt. Schließlich wuchteten sie den Überhang hoch. Der Großmast tauchte samt Takelage in die See. »Die Satanbraten sitzen fest!« brüllte Stenrnark. »He, da rauscht die zweite Galeone heran!« schrie Dan O’Flynn mit überkippender Stimme. »Klar bei Kartuschen!« kommandierte Ben Brighton. »Hopphopp, keine Müdigkeit vorschützen, die Partie ist noch nicht gewonnen!« Der Seewolf schwang herum und verfolgte mit bloßen Augen 72
das Handeln der Mannschaft des zweiten Schiffes. Sie befand sich zwar fast unmittelbar im Kielwasser des Anführers, hatte aber doch noch rechtzeitig nach Steuerbord abdrehen können. Sie vollführte eine Halse, ging auf Südkurs und segelte haarscharf an den tödlichen Riffs vorbei. »Die nehmen Reißaus!« schrie Karl von Hutten von der Kuhl heraus. Hasard ließ wenden. Die ›Isabella III.‹ fiel ab, hatte jetzt Luv und schoß hinter dem Spanier her.
8. An Bord der spanischen Galeone herrschte ein beinahe heilloses Durcheinander. Was den Landsleuten vom ersten Schiff widerfahren war, hatte den Dons ziemlich zugesetzt. Ihr Mut war dahin, sie suchten ihr Heil in der Flucht oder wollten wenigstens Abstand gewinnen, um die Disziplin wiederherzustellen, sich zu sammeln und auf ein Feuergefecht vorzubereiten. Jetzt zeigte sich, wie nützlich Philip Hasard Killigrews frühzeitige Vorbereitungen waren. Der Spanier ging auf Westkurs. Hasard gab Pete Ballie laufend Ruderanweisungen. Die schnelle Zweimast-Galeone zog über dem Don mit und deckte ihn schließlich ab. Die Geschützrohre der Backbordseite richteten sich drohend auf den Spanier. »Feuer!« rief der Seewolf. Rote Feuerzungen leckten fast gleichzeitig aus den Rohrmündungen der vier Demi-Culverinen. Ohrenbetäubend klang der Lärm der donnernden Kanonen über Deck. Beißender gelber Pulverrauch floß in dichten Wolken ineinander, als die Geschütze im Rückstoß nach hinten prallten. Batuti, Matt Davies, Gary Andrews und Blacky waren die 73
zuständigen Kanoniere gewesen. Hals über Kopf stürzten die Dons an ihre Geschütze. Es gab eine Verzögerung, als der Fockmast sich plötzlich nach vorn neigte und mit brechendem Geräusch aufs Deck krachte. Geschrei verkündete Hasards Männer, wie sehr die Spanier aus dem Konzept gebracht worden waren. Ein Mann drüben auf der stolzen Galeone wurde von dem zerknickenden Fockmast zerquetscht, ein kaum noch als menschlich zu bezeichnender Laut gellte über die See. Dann ging der Fockmast wie der Großmast der ersten Galeone baden. Andere Kanonenkugeln hatte das Schanzkleid der Galeone lädiert oder Männer umgerissen. Die unerhörte Präzision, mit der die Seewolf-Crew gezielt und geschossen hatte, rief auf der anderen Seite Panik hervor. Der Capitan hatte vollauf damit zu tun, die Angst und Ratlosigkeit seiner Leute niederzubrüllen und sie an die Geschütze zu scheuchen. Mit beträchtlicher Verspätung beantworteten die Dons das Feuer. Weiße Wolken von Pulverdampf stiegen über den Geschützluken an der Steuerbordseite auf. Die Kugeln fegten orgelnd heran und rissen Wasserfontänen von der Bordwand der ›Isabella III.‹ hoch. Wie Krater stiegen die eigentümlichen Gebilde hoch, läppten an ihrer Oberseite über und fielen wieder in sich zusammen. Im Gegensatz zu Killigrews Männern hatten die Spanier verteufelt schlecht gezielt. Batuti erklomm mit erstaunlicher Gewandtheit den Fockmast, bereitete seinen ersten Brandpfeil vor und schoß ihn im Vorbeisegeln auf die Galeone ab. Er blieb im Großmast stecken und richtete nicht viel aus, weil das Material des Mastes Hartholz war. Den nächsten Pfeil setzte der Neger höher - und prompt fing das Großsegel Feuer. »Vorauslaufen und auf Gegenkurs gehen«, schärfte Hasard Pete Ballie ein. »Aye, aye, Sir!« 74
Hasard lief an die Schmuckbalustrade, legte die Hände trichterförmig an den Mund und brüllte: »Wir halsen, segeln wieder an dem Don vorbei und verpassen ihm die Steuerbordbreitseite!« »Aye, aye, Sir!« Wenig später befand sich die schnittige Zweimast-Galeone wieder auf gleicher Höhe mit dem Feind, und diesmal hatten Ben Brighton, Richard Minivy, Stenmark und Karl von Hutten Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Von Hutten setzte den Schuß seines Neunpfünders etwas zu weit an - die Kugel orgelte flach über das Oberdeck des angeschlagenen Spaniers weg, raffte eine Handvoll grauenvoll schreiender Männer von Bord, richtete aber nichts Entscheidendes aus. Anders verhielt es sich mit den restlichen drei Kugeln. Schmutziggelbe und rote Feuerzungen leckten aus den Rohren. Die Faust des Todes stieß zur Galeone hinüber und hieb gleich drei Löcher in die Bordwand - unter der Wasserlinie! Hasard ließ anluven und beobachtete. Der Spanier erwiderte wieder das Feuer, aber es genügte, daß sich die ›Isabella III.‹Besatzung duckte. Ein Teil des Schanzkleides wurde angekratzt, aber sonst rasten die gegnerischen Ladungen über das Ziel hinaus oder fielen vor dem Beuteschiff in die See. »Pech, daß die Dons kein so gutes Zielwasser wie wir getrunken haben«, schmetterte Dans Stimme aus dem Großmars. »Der nimmt Lorbeeren für sich in Anspruch, die ihm nicht zustehen«, sagte Pete Ballie grinsend. An Bord der spanischen Galeone schwärmten die Männer aus, um das Feuer zu löschen. Jemand schleuderte den Inhalt einer Segeltuchpütz in die Flammen. Aber das brachte nur wenige Sekunden Aufschub. In dichten, weißen Dampfwolken verdunstete das Wasser. Der Nordwind fachte die Flammen sofort wieder an. Verzweifelt schlugen ein paar Spanier mit ihren Jacken auf das Feuer ein, aber kurze Zeit später brannten 75
auch die Kleidungsstücke. Ihre Bemühungen waren sinnlos. Batuti kauerte nach wie vor als Fockmastgast auf seinem Posten und bepflasterte die Galeone mit weiteren Brandpfeilen. Er schoß schnell und mit größter Genauigkeit und überschüttete die Dons förmlich mit glutheißen Überraschungen. Der erste Spanier indessen hing schief auf einem Unterwasserriff. Hasard verfolgte vom Achterdeck der ›Isabella III.‹ aus, wie von dem hoffnungslos festsitzenden Schiff zwei Beiboote zu Wasser gelassen wurden. Hektik und Panik bestimmten die Szene. Inzwischen hatte Ben Brighton nachladen lassen, zuerst auf der Backbordseite. Da Batuti vorübergehend ausfiel, machte sich Stenmark hinter seiner Demi-Culverine nützlich. Hasard sprang auf die Kuhl hinunter, übernahm das Geschütz des Schweden und befand sich folglich in Karl von Huttens unmittelbarer Nachbarschaft. Pete Ballie wußte, was er zu tun hatte. Er fuhr eine wunderschöne Wende und zog zum drittenmal an dem zweiten Schiff der Dons vorbei. Und dann prasselte eine Breitseite auf die Galeone, die sich gewaschen hatten. Stenmark, Matt Davies, Gary Andrews und Blacky heizten den Gegnern gehörig ein. Gleich darauf schwang die Beutegaleone des Seewolfs wieder herum, und das Donnern der Kanonen setzte von neuem ein. Ben Brighton, Minivy, Karl von Hutten und Philip Hasard Killigrew feuerten. Hasard hatte seinen Neunpfünder mit Auskratzern und Wischern traktiert und nachgeladen, gepfropft und mit Zündpulver versehen. Jetzt griff er wie die anderen drei nach der Abzugsschnur. Er brüllte »Feuer!« und die vier DemiCulverinen auf der Steuerbordseite spien Feuer, Blei und Verderben aus. Die Kanonen ruckten auf ihren Lafetten zurück und wurden von den Brooktauen aufgefangen. Beißender 76
Rauch verbreitete sich erneut auf der Kuhl. Dieses Mal hatte der Seewolf mit Kettenkugeln laden lassen. Drüben wurde der Besanmast zerfetzt. Die Engländer verfolgten, wie ein Spanier, dem ein Mastteil die Beine zerschmettert hatte, mühselig über Deck kroch, sich hochzog, über das Backbordschanzkleid außenbords fallen ließ und in der See verschwand. Dort, wo er eingetaucht war, blieb ein roter Blutfleck auf dem Wasser zurück. »Futter für die Haie«, sagte Karl von Hutten gepreßt. Hasard streifte ihn mit einem raschen Seitenblick. Hart, wie aus Holz geschnitzt, zeichneten sich die Züge des Bärtigen durch die Qualmschwaden ab. Es war keine Spur von Mitleid darin. Hasard begriff vollends, wie groß der Haß dieses Mannes gegen die Spanier war. Die Spanier zeigten kaum noch Gegenwehr. Hasard fiel ein dicker Brocken vom Herzen. Mehr als um die in der Kapitänskajüte aufgestapelten Silberbarren hatte er sich um die Pulverfässer im Frachtraum der ›Isabella III.‹ gesorgt. Hätten die Dons Oberwasser gekriegt und ihnen ein paar Treffer verpaßt, wäre es dem Seewolf und seinen Freunden wie der Besatzung der Zweimast-Galeone auf dem Anleger in der schlauchförmigen Bucht ergangen. Sie wären mit ihrem Schiff hoch in die Luft gewirbelt, in tausend Stücke zerfetzt und auf Nimmerwiedersehen ins Meer verstreut worde. Hasard ließ nun nicht mehr halsen. Abstand legte sich zwischen die zweite Galeone und die ›Isabella III.‹ Batuti enterte aus dem Fockmast ab, verstaute Pfeil und Bogen und half den anderen, die Spuren des Gefechtes auf Deck zu beseitigen und die acht Kanonen nachzuladen. »Die Dons verzupfen sich«, meldete Dan O’Flynn von seinem luftigen Posten aus. Ben Brighton stieg zum Seewolf auf das Achterdeck hinauf. Gemeinsam traten sie an das Schanzkleid über der Achtergalerie und schauten zu dem jämmerlich feststeckenden 77
ersten Spanier hinüber. Inzwischen waren die beiden Beiboote voll bemannt. Wortfetzen klangen undeutlich herüber. Hastig wurden die Boote zur Küste gepullt. Ben zog eine etwas unschlüssige Miene. »Braten wir denen nun was über oder nicht?« »Wir lassen sie ziehen.« »An Land werden sie so schnell wie möglich Verstärkung holen und unsere Verfolgung aufnehmen.« Hasard musterte seinen Bootsmann und Ersten Offizier. »Das ist mir klar, Ben. Aber die Dons würden uns so oder so hetzen. Übertreiben wir das Blutvergießen nicht.« Sie kreuzten eine Weile zwischen den gefährlichen Riffs und der zweiten, manövrierunfähig gewordene Galeone. Geduldig warteten sie die Entwicklung der Dinge ab. Es bedurfte keines Eingreifens mehr, von nun an nahm praktisch alles von selbst seinen Lauf. Die Dons auf der zweiten Galeone brachten es nicht fertig, das Feuer an Bord unter Kontrolle zu bekommen. Spitze Schreie drangen zur ›Isabella III.‹ herüber. Ein paar Mann, so war zu beobachten, sprangen einfach über Bord - es war glatte Meuterei. Hasard und seine Männer wußten, was die Stunde geschlagen hatte. Rund dreißig Minuten nach dem Abfeuern der letzten Breitseite von Bord der Zweimast-Galeone stach mittschiffs der spanischen Galeone ein Feuerblitz hoch. Ein dröhnendes Geräusch wehte herüber, gleichzeitig riß die Wucht der Explosion das Schiff buchstäblich in zwei Teile auseinander. Planken, Balken, Eisenstücke und menschliche Körperteile segelten durch die Luft und regneten im Umkreis von gut einer Viertelmeile auf das Wasser nieder. Unter einer schwärzlich-grauen Rauchwolke schlugen die Wellen über den kläglichen Überresten der vormals so stolzen Galeone zusammen. Hasards Männer hatten vorsichtshalber Deckung gesucht. Aber nur wenige Trümmer waren auf das Deck der ›Isabella 78
III.‹ niedergegangen. Jetzt hasteten sie ans Schanzkleid, streckten die Köpfe darüber hinaus und stießen begeisterte Rufe aus. Hasard stand über der Kuhl und blickte zufrieden auf seine kleine, aber eisenhart gedrillte Mannschaft. Keiner hatte ernsthafte Verletzungen davongetragen, es gab nur ein paar harmlose Kratzer. Stenmark zog sich mit Batutis Unterstützung den Rest eines Holzsplitters aus dem Arm. Keine Verluste auf der ›Isabella III.‹! Ein merkwürdiges, zunächst schlecht einzuordnendes Geräusch ließ die Männer herumfahren. Sie dachten schon, es würde neuen Verdruß geben, als sie die Ursache erkannten. Ein Brecher hatte die erste Galeone auf dem Riff angehoben und ließ sie nun wieder auf die unter Wasser liegenden Felsen krachen. Das Schiff stieß derart heftig nach unten, daß es, ohnehin schon arg beschädigt, nun den Rest erhielt und auseinanderbrach. Das Ende der Galeone wurde von den Männern mit Jubelschreien und heiserem Gegröle begleitet. Dan stieß eine Serie von schrillen Pfiffen aus. Blacky warf lachend seine Mütze hoch. Sie wirbelte bis an die Gaffel des Großsegels hoch, fiel wieder zurück und wurde geschickt von ihm aufgefangen. Die Männer waren außer Rand und Band, er herrschte Hochstimmung. Matt Davies war derart aus dem Häuschen, daß er Gary Andrews aus Versehen um ein Haar seinen Eisenhaken in den Oberarm gerammt hätte. Die Schlacht war vorüber, Philip Hasard Killigrew ließ abdrehen, sämtliche Segel setzen und dann nordwärts klüsen. Blacky und Stenmark stellten sich grinsend bei ihrem Seewolf ein. Ihr Gebaren ließ auf ein Vorhaben schließen. Sie muteten wie eine etwas heruntergekommene Abordnung an, mit teilweise verschlissener und zerrissener Kleidung, nackten, dreckigen Füßen, zerzausten Haaren, Rußspuren und Schürfwunden im Gesicht, auf den Armen und Oberkörpern. 79
»Dan hat recht«, begann Blacky. »So ein Schlückchen Zielwasser vor Beginn des Kampfes kann oft Wunder wirken.« »Hast du gesehen, wie gut diesmal unsere Kugeln saßen?« Stenmark war wohl klar, daß die Bemerkung überflüssig war, aber ihm fiel im Augenblick nichts Besseres ein. »Also, die Sache mit dem heißen Gesöff war schon eine gute Idee von Batuti«, rundete Blacky seine Rede ab. Hasard verschränkte die Arme und nahm eine lässige Haltung ein. »Aha. Ihr habt also gar nicht bemerkt, daß in der Brühe zur Hälfte Chicha enthalten war, hm?« Stenmark kratzte sich am Hinterkopf. »Chicha? Was zum Teufel ist das? Ein Zaubermittel?« Blacky setzte ebenfalls eine unwissende, fragende, sagenhaft dämliche Miene auf. Geduldig antwortete der Seewolf: »Ein Zaubertrank von der Art, wie ihr ihn euch bei Nathaniel Plymson in Plymouth, in seiner verdammten Spelunke »Bloody Mary«, in die Kehlen schüttet, und den man gewöhnlich als Whisky bezeichnet. Wh-i-s-k-y, ist euch das Wort ein Begriff?« »Schon«, erwiderte Stenmark. Blacky zog immer noch ein absichtlich begriffsstutziges Gesicht. »Und C-h-i-c-h-a«, sagte Hasard grinsend, »ist ein etwa doppelt so starker Indianerschnaps, der einem so viel Feuer im Hintern anfacht, daß man drei Tage lang auf dem Donnerbalken hockt.« »Himmel noch mal!« Blacky schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Und so ein Zeug hat uns Batuti, dieser verfluchte schwarze Teufel, eingekippt? Da würde ich aber sofort dafür sorgen, daß die restlichen Flaschen eingesammelt und vor Dan O’Flynn versteckt werden, sonst kriegt der einen Durchmarsch, der ihm sämtliche Kraft aus den Knochen zieht. Also, Stenmark und ich, wir übernehmen das mit den Flaschen sofort, und ...« Hasard packte sie, drehte sie um und beförderte sie mit Macht den Niedergang hinab. Sie stolperten auf die Kuhl hinunter, 80
schlugen hin und wälzten sich lachend auf den Planken. Hasard sprang hinter ihnen her. In diesem Moment stimmte die ganze Mannschaft ein wahrhaft infernalisches Gebrüll an. Der Seewolf wurde auf die Schultern von Batuti und Stenmark gehoben und im Laufschritt in die Kombüse getragen. Sie ließen ihn hochleben. Er wehrte den Trubel mit ein paar beschwichtigenden Gesten ab, rutschte wieder zu Boden und sagte zu dem Gambia-Neger: »Batuti, sofort das Kombüsenfeuer anheizen und Zielwasser bereiten. Das ist ein Befehl!« »Aye, aye, Sir!« Als der letzte Rest Chicha ausgesoffen war, ließ Hasard die angestaubten Flaschen mit dem echten Malaga aus der Kapitänskammer holen. Es wurde reihum getrunken, geflachst und aus vollem Herzen gelacht. Karl von Hutten beteiligte sich begeistert an dem ausgelassenen Treiben. Er war ein freier Mann, hatte neue Freunde gefunden und war in eine unzertrennlich zusammengeschmiedete Mannschaft integriert worden - was wollte er noch mehr? Hasard kletterte aufs Achterdeck zurück. Zufrieden beobachtete er seine kleine Crew. Alle hatten mittlerweile kräftig getrunken, aber wie es schien, vergaß niemand darüber seine Aufgaben an Bord oder fiel aus dem Rahmen. Es schien so.
9. Richard Minivy stand am Schanzkleid auf dem Vordeck und hatte einen Arm um die Luvwanten geschlungen, um nicht umzukippen. Er schwankte dennoch beträchtlich. Grinsend nahm er die Flasche entgegen, die Matt Davies ihm reichte. Er setzte sie an die Lippen, legte den Kopf zurück und trank glucksend. Etwas von dem süßen, schweren, ungemein 81
süffigen Malaga lief über sein Kinn und tropfte in den weit offenstehen Hemdkragen. Minivy setzte ab. Verdrossen stierte er in die Flaschenöffnung und registrierte nach einigem Überlegen, daß er bis auf den blanken Boden der Flasche sehen konnte. »Verdammt«, sagte er mit schwerer Zunge. Er schleuderte sie über die rechte Schulter hinter sich in die See. Dabei kippte er leicht nach hinter über, verlor beinahe das Gleichgewicht und drohte, der Flasche nachzusegeln und ihr dort unten in den sonnendurchglänzten Fluten Gesellschaft zu leisten. Er schaffte es, die Balance zu halten. Ohne sich der Gefahr recht bewußt geworden zu sein, lehnte er sich vornüber und bedachte das Deck mit einem langen, rätselhaften Blick. Er rülpste, fuhr sich mit dem Handrücken über die feuchten Lippen und lehnte sich gegen das Schanzkleid. »He, Minivy!« rief Matt Davies. »Schon schwer angeschlagen, was? Paß auf, daß du nicht kenterst!« Die anderen lachten. Richard Minivy brabbelte etwas Unverständliches. Plötzlich ließ er die Luvwanten los, tat ein paar wankende Schritte, gestikulierte schwerfällig und kippte dann einfach um. Er küßte die Planken, wälzte sich auf den Rücken und gab grunzende Laute von sich. »Schlagseite«, kommentierte Blacky. Die Männer grölten und schlugen sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Eine Pütz Wasser her«, schrie Karl von Hutten. »Damit kriegen wir ihn schon wieder auf die Beine!« »Ach was.« Blacky winkte ab. »Der kommt schon allein wieder zurecht.« Ben Brighton musterte Minivys liegende Gestalt mit einem etwas mißbilligenden Blick, dann trat er in die Mitte der Kuhl und begann, seine Befehle zu geben. Die Kanonen mußten entladen und mit Brooktauen wieder festgezurrt werden. Auch die Decks mußten aufgeklart werden. Es gab genügend zu tun. 82
Die Männer wetzten auf und ab, fluchten, packten zu und waren darauf bedacht, die Arbeit schnell hinter sich zu bringen. Minivy geriet darüber total in Vergessenheit. Der große, breitschultrige Mann kroch leise schimpfend bis an das Steuerbordschanzkleid, rollte sich darunter zusammen und fiel in einen kurzen, aber tiefen Schlaf. Er hielt die Augen verdreht und sah aus wie ein Ohnmächtiger. Als er wieder aufwachte, sandte er einen trüben Blick zum Holzquerschott hinüber, das auf den Niedergang zu den Kammer des Vorkastells führte. Irgendwie erinnerte es ihn an etwas - und plötzlich richtete er sich auf, wischte sich mit den Händen über das Gesicht und rülpste zufrieden. Er warf einen lauernden Blick über die Schulter zurück. Philip Hasard Killigrews Mannschaft war vollauf beschäftigt. Niemand beachtete ihn, Minivy, Drakes Mann. Blöde Hunde, dachte er. Dann kroch er am Schanzkleid entlang zum Schott. Er drückte es auf und schaute sich wieder sichernd um. Die Luft war rein. Kein Mensch sah, wie er unters Vordeck schlüpfte. Dunkelheit umfing ihn. Ihm wurde schwindlig, aber er kämpfte das Gefühl nieder. Behutsam drückte er das Holzquerschott zu und verriegelte es. Hinter seinem Rücken ertönten die verhaltenen Stimmen der sechs Araukanermädchen. Sturm und Seegefecht waren überstanden, sie hatten jetzt allen Grund, beruhigt zu sein und sich nicht mehr zu sorgen. Richard Minivy dachte an ihre schlanken, wohlproportionierten Körper, ihre hübschen Gesichter, die langen, schwarzen Haare - und fühlte Hitze in sich aufsteigen. Von Anfang an hatte er sie neugierig und verlangend beäugt Aber er hatte sich nicht an sie herangewagt, bei all den barschen Ermahnungen, die der Seewolf ausgesprochen hatte. Erst der Alkohol hatte seine Bedenken ausgeräumt. Er fühlte sich ziemlich stark und hätte es auch mit Hasard selbst aufgenommen. O Mann, dachte er, na wartet, ich werde 83
es euch allen schon zeigen, wie man mit diesen Weibsbildern umzuspringen hat! Die wollen doch nichts anderes ... Unsicheren Schrittes tapste er den Niedergang hinunter, strebte durch einen düsteren Gang auf die beiden Kammern der Indianerinnen zu. Eine Tür stand offen. Aus der danebenliegenden Kammer erklangen die zarten, melodiösen Stimmen der Mädchen. Minivy stöhnte vor Vorfreude. Er verharrte einen Augenblick vor der verschlossenen Tor. Dann stieß er sie mit einem Ruck auf. Die Köpfe der sechs Mädchen ruckten hoch. Sie hockten auf den Kojen und waren in ein eifriges Gespräch vertieft gewesen. Jetzt verstummten sie und guckten neugierig und ein wenig ängstlich den schrankgroßen, bulligen Mann an, der da leicht gebückt unter der Füllung der Tür stand und sie anstarrte. Jachala lächelte, sagte etwas und nickte Minivy zu. Sie dachte, der Seewolf wollte sie sprechen. Sie war überzeugt, Minivy sei als Bote geschickt worden. Er grinste. »Gut. Se-sehr gut. Komm her. Hi-hierher, Kleine, damit ich dich vernaschen kann. Bi-bist ein ordentlich dralles Stück Weiberfleisch. Wie ha-heißt du doch gleich. Jachalawas?« Er rückte auf die sechs zu. Jachala lächelte immer noch. Aber dann zeigte Minivy eine so ordinäre und eindeutige Gebärde, daß sie alle begriffen. Jachala sprang auf. Auch ihre Freundinnen erhoben sich und wichen mit ihr vor dem betrunkenen, brutalen Mann zurück. »Angst?« Er schüttelte brummend den Kopf. »Nicht v-vor Onkel Richard, ihr kleinen Bi-Biester. Onkel Richard ist nett, haha, ein richtiger Pracht-Prachtkerl, und er hat Qualitäten.« Jachala haspelte etwas in ihrer eigentümlich singenden Sprache herunter, aber er winkte ab. »Red keinen Quatsch. Komm schon! Ich zeig dir wa-was.« Er lallte Unverständliches und stolperte auf sie zu. Jachala rückte zur Seite. 84
»Verdammt«, sagte er. »Au-aus-kneif en ist bei mir nicht, du - Aas!« Drei Mädchen sprangen Minivy von hinten an und wollten ihn zurückhalten. Er schüttelte sie ab, daß sie hinfielen und sich wehtaten. Sie kreischten entsetzt auf. Ihr Schreien weckte Minivys brutalsten Instinkte. Er wurde wütend, brüllte und packte Jachala. Mit einem spitzen Laut schlug sie ihm ins Gesicht, tauchte unter seinen Armen durch, lief auf den Gang hinaus und hastete auf nackten Fußsohlen zum Schott. Richard Minivy torkelte hinter ihr her. Als sie das Schott verriegelt vorfand und verzweifelt mit den Fäusten dagegentrommelte, schnaufte er zufrieden. »So - jetzt hab ich d-dich, du kleine Kröte.« Er griff sie sich und trug sie in die Kammer mit der offenstehenden Tür. Er bewegte sich behäbig, fast tollpatschig. Der Alkohol hatte seinen Verstand umnebelt und ihn langsam in seinen Reflexen werden lassen. Aber er war stark, unheimlich stark! Jachala konnte zappeln und um sich schlagen, soviel sie wollte, sie kam nicht mehr frei. Er schleuderte sie auf eine der Kojen. Mit dem Fuß kickte er die Tür hinter sich ins Schloß. Er sah ihre zuckenden Brüste, die vollen, fraulichen Hüften, die Angst in ihrem Gesicht, und das alles machte ihn fast verrückt. Er wollte sich auf sie stürzen. Doch in diesem Augenblick wurde die Tür in seinem Rücken aufgestoßen. Ihre Kante traf seine Wirbelsäule. Er stolperte nach vorn und schlug der Länge nach auf die Bodenbretter. Wütend schlug er mit den Fäusten Um sich. Die fünf Freundinnen Jachalas stürmten den Raum, warfen sich todesmutig auf ihn, kratzen, bissen und schlugen ihn. Minivy war träge in seinen Bewegungen, doch seine Kraft dominierte immer wieder. Brüllend räumte er die braunhäutigen Leiber von sich fort. Sie taumelten kreuz und quer durch die Kammer, und ein Mädchen schlug heftig gegen 85
die Wand. Ein Klagelaut drang über seine Lippen, und sie rutschte schlaff an der Wand zu Boden. Jachala und die andere Araukanerin zogen sie hoch. Den dreien gelang es, den Raum zu verlassen. Erst jetzt rappelte sich der betrunkene Mann mit stierem Blick auf. Zwei Mädchen schlüpften unter seinen zugreifenden Armen davon. Eins konnte sich jedoch nicht mehr rechtzeitig absetzen. »J-jetzt bist du dran«, sagte er. Er drängte sie in eine Ecke und ließ sie nicht aus den Augen. Sie zitterte am ganzen Körper, aber das störte ihn nicht im geringsten. Seine Hände nestelten am Hosenbund. Gerade ihr panikhaftes Benehmen brachte ihn in Fahrt. »Ich zeige’s dir, ver-verfluchte Hure«, stieß er hervor. Das Vordeck erbebte plötzlich unter hammerschweren, dröhnenden Schlägen. Minivy stoppte. In seinem Hirn funkte es. Er drehte sich um und versuchte, die Herkunft der Schläge zu orten. Diese Chance nutzte die Araukanerin. Sie ließ sich fallen und krabbelte an seinen Beinen vorbei. Als er es bemerkte, wollte er sie aufhalten. Aber sie war schnell. Kreischend hetzte sie vor ihm aus der Kammer. »Na warte!« brüllte er. In der festen Annahme, alle sechs wieder zu stellen, trottelte er den Gang entlang. Doch mit einem Mal zersprang die Verriegelung des Querschotts unter den erbosten Schlägen von Hasards Männern. Das Holzschott flog auf und knallte innen gegen die Wand des Niederganges. Licht flutete grell über die Stufen bis in den Gang des Vorkastells. Was Minivy nicht wußte: Blacky war stutzig geworden, weil Drakes Mann plötzlich an Deck gefehlt hatte. Der Krach im Vordeck war schließlich bis auf die Kuhl zu hören gewesen, und Blacky und ein paar andere Männer hatten den Seewolf alarmiert. Sofort waren sie mit Schiffshauern, Haken und Piken gegen das verriegelte Schott vorgerückt. 86
Jetzt stand es sperrangelweit offen. Die verstörten Mädchen sprangen die Stufen hoch und hetzten gleich darauf in kopfloser Flucht an Hasards Männer vorbei. Minivy befand sich auch schon auf den Stufen. Er hatte viel zuviel Schwung, um noch vor den grimmigen Männern abstoppen zu können. Wie ein wilder Bulle setzte er den Mädchen nach. »Faßt ihn!« rief Hasard. Minivy wollte natürlich an der Crew vorbeischlüpfen. Blacky, Stenmark, Karl von Hutten und Batuti packten jedoch gleich als erste zu, kriegten ihn zu fassen, rissen ihn herum und zu sich heran. Dann warfen sich auch die anderen auf den bärenstarken Mann. Sie fluchten in allen Tonlagen, und Matt Davies verspürte nicht übel Lust, Minivy einfach seinen Eisenhaken zwischen die Zähne zu rammen. Gary Andrews hielt ihn jedoch zurück. Hasard überließ den betrunkenen, grölenden Minivy seinen Männern, die ihn auf die Kuhl zerrten. Sie waren zu sechst. Minivy wehrte sich eine Zeitlang wie ein Berserker, doch dann brach sein Widerstand kläglich zusammen. Er bezog die größte Tracht Prügel seines Lebens. Philip Hasard Killigrew stand mit verschränkten Armen am Schanzkleid, schaute mit unbewegter Miene zu und griff nicht ein. Minivy hatte sich gegen einen Befehl aufgelehnt und erhielt jetzt die Strafe dafür. Er hatte gegen die ungeschriebenen Gesetze der Crew, jede Anweisung ihres Kapitäns bedingungslos zu befolgen, in schmählicher Weise verstoßen. Jetzt erhielt er seine Abreibung. Blut floß aus seiner Nase. Er hatte Beulen und blaue und rote Flecken, und es kamen immer noch mehr hinzu. Jachala löste sich aus der Gruppe der Mädchen und lief zu Hasard hinüber. Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm und redete auf ihn ein. Karl von Hutten war nicht zur Stelle, um übersetzen zu können. Es hatte im Moment auch keinen Zweck, denn er war 87
damit beschäftigt, Richard Minivy die Fäuste gegen die Brust, in die Seiten und in die Magengrube zu hämmern. Hasard verstand aber auch so, was das Araukanermädchen von ihm verlangte. Minivy hatte sie vergewaltigen wollen, aber sie konnte dennoch nicht zusehen, wie er zum Krüppel geschlagen wurde. Sie setzte sich für ihn ein. Hasard fand ihr Verhalten sehr großmütig. Er nickte ihr zu, dann erteilte er den Befehl: »Schluß! Laßt ihn jetzt. Er hat genug.« Sie rückten von ihm ab, und er brach auf der Stelle zusammen. Blacky und Stenmark hoben ihn auf und schleppten ihn ins Achterkastell. Minivy hatte seine Abreibung weg, er war gleichsam lazarettreif. Karl von Hutten trat zu Hasard und Jachala und sagte mit wutverzerrtem Gesicht: »Dieses Schwein! Totschlagen sollte man ihn!« Der Seewolf blickte ihn sekundenlang ernst an. »Ich verstehe sehr gut, daß du über Minivy empört bist«, sagte er schließlich. »Ich billige seine Tat ebensowenig wie du und will sie auch nicht rechtfertigen. Aber du mußt wissen, daß er zu Drakes Leuten zählt, nicht zu meiner Crew. Bei meinem Haufen gibt es solche Dinge nicht. Klar?« Von Hutten lächelte wieder, der Haß verlor sich aus seinem Gesicht. ,Aye, aye, Sir.«
10. Gegen Abend hatten sie die schlauchförmige Bucht, in der sie die ›Isabella III.‹ gekapert hatten, wieder passiert. Dan O’Flynn hatte sich aufs Ohr hauen können und war von Gary Andrews im Großmars abgelöst worden. 88
Gary Andrews meldete nichts, das den Seewolf aufschrecken lassen konnte. Die Zweimast-Galeone segelte in Küstennähe. Es gab keine drohend heraufziehenden Wolken über der Kimm, keinen zunehmenden oder umschlagenden Wind, keine spanischen Galeonen, die die Ruhe der Mannschaft stören konnten. Außer dem Bürschchen Dan hatten sich Ben Brighton, Pete Ballie, Stenmark und Karl von Hutten in die Kojen verziehen dürfen. Richard Minivy schlief seinen Rausch aus und erholte sich von seinen Beulen und Schmerzen. Blacky hatte das Ruder übernommen. Matt Davies und Batuti hielten die Stellung auf der Kuhl. Der lange Tag ging zur Neige, über den Horizont kroch die Dämmerung herauf. Die See war glatt wie eine polierte Tischplatte. Hasard hatte Gary Andrews den Befehl gegeben, nach einer für ihr Vorhaben geeigneten Bucht zu suchen. Eine Stunde später hatte Gary sie entdeckt. Der Seewolf ließ den Bug der Galeone durch den Wind drehen. Sie gingen auf Nordostkurs und erreichten nach einer weiteren Stunde die Bucht, in der nun endgültig die sechs Mädchen abgesetzt werden sollten. Dan, Ben, Pete, Stenmark und Karl erschienen wieder auf Deck. Sie hatten lange genug geruht und waren bereit, die Männer auf Deck abzulösen. Für die Dauer des nun erforderlichen Manövers benötigte Hasard noch die komplette Crew. Er ließ den Anker werfen. Dann wurde die Pinasse außenbords geschwenkt und am Heck nach unten gehievt. »Ben«, sagte der Seewolf. »Du nimmst Stenmark, Pete, Blacky und Richard Minivy mit.« »Minivy?« fragte der Bootsmann argwöhnisch. »Ja. Als Schlagmann ist er nicht zu verachten. Laßt ihn gefälligst in Ruhe, er hat seinen Senf weg. Nur, wenn er sich aufsässig zeigt, bringt ihr ihn zur Räson, aber ich schätze, er wird sich friedlich verhalten. Wer sich aber mit ihm anlegt, 89
kriegt es mit mir zu tun.« »Aye, aye, Sir.« Minivy war auch auf den Beinen. Er hatte sich leise und gebückt wie ein geprügelter Hund aufs Vordeck gestohlen. Hasard rief ihn jetzt heran. Über das, was sich am Morgen abgespielt hatte, wurde nicht mehr gesprochen. Auf Hasards Anordnung hin holte Karl von Hutten die Araukanerinnen aus dem Vorkastell. Sie trippelten auf das Achterdeck. Hier ließ der Seewolf ihnen von Karl von Hutten sagen, daß sie nun endlich ihre uneingeschränkte Freiheit wiedererlangten und zu ihrem Stamm zurückkehren könnten. Jachala blickte ihn aus glänzenden Augen an. Von Hutten übersetzte, was sie zuletzt noch zum Ausdruck brachte. »Jachala ist sehr traurig. Sie und ihre Schwestern würden Hasard gern ein Geschenk überreichen, aber sie besitzen keine Reichtümer und tragen nichts als ihre einfachen Kleider.« »Kleider ist gut«, meinte Dan O’Flynn vorlaut. »Halt den Rand«, sagte Hasard. Dann, zu den Mädchen gewandt: »Für uns ist es Geschenk genug, daß ihr lebt, nach Hause zurückkehren könnt und wißt, daß es unter den weißen Männern nicht nur Halunken gibt.« »Jachala und ihre Schwestern tragen das Andenken von Hasard und seinen Männern in ihren Herzen!« Jachala stellte sich noch einmal auf die Zehenspitzen, hauchte dem Seewolf einen Kuß auf die Wange und lief dann überstürzt davon. Ihre Freundinnen verneigten sich graziös. Sie wandten sich auch ab und gesellten sich zu ihrer Wortführerin. Stenmark und Pete Ballie waren schon in die Segelpinasse abgeentert. Ben Brighton und Blacky halfen den Indianerinnen über das Schanzkleid, von dort aus hangelten sie auf einer Jakobsleiter in die Tiefe. Minivy stand mit zerknirschter Miene etwas abseits. Hasard schaute von oben zu. Richard Minivy stieg als letzter hinunter. Ihm wurde der Platz direkt vor Ben zugewiesen, und 90
er hatte nicht die geringste Möglichkeit, aus der Rolle zu fallen. Die Pinasse legte ab, Ben ließ die vier Rudergäste kräftig pullen. Die ›Isabella III.‹ ankerte in der Einfahrt der Bucht. Zügig glitt die Pinasse am Nordkap vorüber und hielt auf den Strand zu, der von Bord der Galeone aus als undeutlicher, schemenhafter Streifen zu erkennen war. »Eigentlich schade«, sagte Hasard. »Andererseits ist es aber besser, keine Frauen an Bord zu haben. Sie verderben die Mannschaft, so oder so. Sind auf einem Schiff fehl am Platze.« »Sag ich auch«, bemerkte Dan naseweis. »Möchte bloß wissen, wieso Jachala sich so brüsk von dir abgewandt hat, Hasard. Ein bißchen inniger hätte der Abschied doch ausfallen können, oder nicht?« »Lauselümmel.« Karl von Hutten tippte leicht mit dem Finger gegen seine Stirn. »Tust du jetzt bloß so blöd, oder hast du wirklich nicht gesehen, daß sie Tränen in den Augen hatte?« Die Pinasse hatte die Bucht sehr rasch durchquert, da Ben Brighton noch zusätzlich das Segel hatte setzen lassen. Jetzt ließ er es wieder aufgeien, schwang sich dann mit den Männern außenbords und half mit, das Boot an Land zu ziehen. Das Uferwasser reichte ihnen bis zu den Hüften. Gerade so weit, daß die Pinasse nicht abtreiben konnte, hievten sie sie auf den knirschenden Sand. Ben trat neben seinen vier Männern auf den Strand und nickte den Mädchen aufmunternd zu. Jachala sagte etwas zu ihren Gefährtinnen. Sie kletterten über das Dollbord und sprangen an Land. »Ihr könnt jetzt abhauen«, sagte Ben in seiner gewohnten behäbigen Art »Den Weg kennt ihr sicherlich. Ihr seid doch in dieser Gegend zu Hause.« Kurz darauf schauten sie den sechs Araukanerinnen nach, die wie scheues Wild in der Dunkelheit verschwanden. »Mann«, sagte Stenmark. »Was werden die froh sein!« Blacky hörte nur mit halbem Ohr der kurzen Unterhaltung zu, 91
die sich zwischen Ben, dem Schweden und Pete Ballie entspann. Er hatte im Süden, an Land, eine schwache Bewegung wahrgenommen. Mißtrauisch zog er die Augenbrauen zusammen. Seine Augen waren Schlitze. Plötzlich erfaßte er die Lage. Er packte Ben Brighton beim Arm und schüttelte ihn. In der Dunkelheit hatte er das Verhängnis, das da von Süden über den Strand anrückte, zu spät erkannt - zu spät, um sich noch ungesehen absetzen zu können. Gestalten schälten sich aus der Nacht hervor, die Umrisse marschierender Männer. Ein ganzer Trupp hielt auf die kleine Bootsbesatzung zu - und kein Mensch der Welt hätte Blacky davon überzeugen können, daß diese Burschen Friedliches im Schilde führten, daß sie etwa aufgekreuzt waren, um ihnen einen schönen Abend zu wünschen. »Ben, Mensch, Ben, ein Trupp Soldaten«, raunte Blacky dem verwirrt blicken Bootsmann zu. Die anderen verstummten und blickten in die Richtung, die er mit dem Finger wies. »Dons«, stellte Stenmark fest. »Die haben uns auch entdeckt.« Brighton sprach es aus, warf sich herum und riß die Männer mit sich fort. Im selben Moment legten die Spanier an Tempo zu und stürmten heran. Musketen schwangen hoch und wurden angelegt. Ben Brighton war heilfroh, nicht den Anker der Pinasse geworfen zu haben. Sie eilten ins flache Uferwasser, duckten sich hinter die Backbordwand und brauchten nur kräftig an der Pinasse zu rucken und zu zerren, um sie vom Strand zu ziehen. Sie stießen sie in die Bucht hinaus, während die ersten Dons stehenblieben, in die Hocke gingen und zu feuern begannen. »’rein in den Kahn«, befahl Ben Brighton. Tollkühn hechteten sie über das Dollbord und ließen sich zwischen den Duchten nieder. Mit ein paar Griffen brachten sie das Segel hoch. Ben ging als vorletzter an Bord. Er rechnete sich doch noch eine Chance aus, vor den gottverdammten 92
Spaniern mit heiler Haut zu entwischen. Dann sah er Minivy im Wasser stehen. »He, Richard, hierher!« schrie er und streckte die rechte Hand über die Bordwand. Er kriegte den bulligen Mann zu fassen. Doch der wollte von einer Unterstützung nichts wissen und riß sich los. Er drehte sich um und watete zurück an Land. »Du Narr!« rief Ben ihm nach. »Bist du übergeschnappt?« An Land blitzte es rot und gelb vor den Mündungen der spanischen Musketen auf. Weiß stieg der Pulverqualm hoch, die Ladungen strichen beängstigend nah über die Köpfe der Bootsbesatzung weg. Alle vier mußten sich ducken. Richard Minivy raste an Land zurück. Es war ein Wunder, daß er es schaffte, ohne von den Musketenkugeln durchlöchert zu werden. Irgendwie gelangte er an einen der knienden Dons heran. Er sprang ihn von der Seite an, warf ihn zu Boden, drosch wie von Sinnen auf ihn ein und entriß ihm die Muskete. Sie war leer, aber er hieb damit um sich und erwischte einen Nebenmann des anderen am Kopf. Auch der ging zu Boden. Ben Brighton raufte sich die Haare. »Verflucht, verflucht, was dem bloß zu Kopf gestiegen ist! Wie sollen wir ihn da wieder raushauen?« Von Bord der ›Isabella III.‹ wehte eine harte, durchdringende Stimme herüber. »Zurück, Ben!« Es war Philip Hasard Killigrew, der da rief. Brighton kroch zum Ruder der Pinasse. Nur widerstrebend sorgte er dafür, daß sie aus der Schußweite der Dons gerieten. Er beugte sich über das Heck, winkte Minivy zu und schrie: »Verdammter Bastard, nimm die Beine in die Hand und komm zurück!« Minivy wollte nicht. Er ließ den Kolben der Muskete gerade auf den Schädel eines dritter Spaniers niedersausen. »Haut ab!« brüllte er. »Ich will nicht mehr zurück an Bord!« Ohnmächtig vor Wut und Ratlosigkeit mußten Ben und die 93
anderen drei zusehen, was weiter an Land geschah. Die Feuerblitze der Musketen beleuchteten Minivys schrankgroße Gestalt. Er wirbelte um die Körperachse und ließ die leergeschossene Beutewaffe wie einen Dreschflegel gegen die Leiber der heranstürzenden Gegner prallen. Zwei oder drei holte er noch von den Beinen. Dann feuerte einer heimtückisch von hinten auf ihn. Minivy kriegte die voller Ladung zwischen die Schultern. Er gab einen gurgelnden Laut von sich und ging in die Knie, nahm aber mit den Pranken noch einen Don mit. Im Todeskampf wälzte er sich mit ihm auf dem Ufersand. »Er hat ihn erdrosselt«, sagte Pete Ballie ehrfürchtig. Ben Brightons Miene war steinern. »Aber mit ihm ist es auch aus. Ich glaube, er wollte durch sein Verhalten etwas gutmachen. Der verdammte Idiot.« »Gott sei seiner Seele gnädig«, sagte Stenmark. Sie mußten wieder die Köpfe einziehen. Diesmal wurde von Bord der Zweimast-Galeone aus das Feuer eröffnet. Die Segelpinasse war nah genug an das Schiff herangeglitten. Jetzt schossen Hasard, Gary Andrews, Batuti, Matt Davies, Dan O’Flynn und Karl von Hutten über ihre Köpfe weg auf die Spanier, was das Zeug hielt. Sie benutzten Beutemusketen und legten sie auf Gabelstützen auf, so daß sie eine größere Zielgenauigkeit als die Feinde erreichten. Batuti bediente sich zuerst auch einer Muskete, legte sie dann aber weg, um zu seinen bewährten Pfeilen und dem Bogen zu greifen. Schmerzensschreie vom Ufer her verkündeten, daß Hasard und seine Crew Treffer erzielt hatten. Jeder Wehlaut eines Dons wurde mit heiserem Gebrüll von Bord der ›Isabella III.‹ quittiert. Ben Brighton bugsierte die Segelpinasse ans Heck der Galeone. Von oben wurden Leinen herabgeworfen. Dan O’Flynn beugte sich über das Schanzkleid. Brighton, Stenmark, Blacky und Pete Ballie belegten die Tauenden am 94
Bug der Pinasse. Dan stieß einen grellen Pfiff aus. Die ›Isabella III.‹ ging ankerauf und nahm die Pinasse im Schlepp mit. An Land blieben die verbitterten Spanier zurück. Über Schiffe verfügten sie nicht, nicht einmal über eine lächerliche Nußschale. So mußten sie hilflos mitansehen, wie sich die Zweimast-Galeone ihren Blicken entzog, und konnten keine Anstalten treffen, sie zu verfolgen.
Als sie sich weit genug von der Küste entfernt hatten, ließ Hasard beidrehen, damit Ben und die anderen drei an Bord der Galeone aufentern konnten. Mit vereinten Kräften wurde die Pinasse auf das Achterdeck herauf gehievt. Der Seewolf und alle anderen lauschten dem Bericht ihres Bootsmannes. Ben berichtete, was Minivy im einzelnen getan hatte. Als er geendet hatte, war es Karl von Huttens Miene anzusehen, daß er sich mit Gewissensbissen abplagte. Hasard beließ es dabei. Er ersparte sich jeglichen weiteren Kommentar. Nur ganz allgemein bemerkte er: »Ich habe so das unbestimmte Gefühl, daß an der chilenischen Küste allmählich mehrere Wespennester angestochen sind.« Sie gingen wieder auf Nordkurs. Die Nacht bot ihnen Gelegenheit, schichtweise zu schlafen. Unangenehme Überraschungen stellten sich nicht mehr ein. Ausgeruht wurden sie Stunden darauf an Deck Zeugen, wie der neue Tag anbrach. Donegal Daniel O’Flynn hatte wieder den Großmars erklommen und richtete seine scharfen Augen nach Nordost. Hasard ließ näher an die Küste herangehen. Und plötzlich stieß Dan einen seiner gefürchteten, durchdringenden Schreie aus. »Die Bucht, Leute!« »Buchten gibt es viele«, sagte Matt Davies sarkastisch. »Wenn sich der Knabe doch mal genauer ausdrücken wollte.« 95
»Wir sind am 30. Breitengrad angelangt!« johlte Dan über ihnen. Hasard, der längst die entsprechenden Positionsberechnungen angestellt hatte und also wegen der Meldung nicht aus den Wolken fiel, gab seine Befehle. So strich die Galeone fast an der Einfahrt zur Bucht vorüber, drehte dann jedoch hart nach Westen ab und segelte am Wind auf den Treffpunkt zu. Philip Hasard Killigrew nahm das Spektiv zur Hand. Wenige Augenblicke später erlebte er eine böse Überraschung. Die ›Golden Hind‹ von Francis Drake war spurlos verschwunden! »Kreuzdonnerwetter!« fluchte Ben Brighton. »So ein Pech aber auch, sie hätten noch ein paar Stunden länger warten können!« Hasard hatte es erwartet, daß Drake wie vereinbart aus der Bucht aufbrechen würde - und doch nahm er es erst jetzt als unabwendbare Tatsache hin. Seine Miene fiel dementsprechend aus. Er zog ein Gesicht, als habe er einen Eimer spanischen Rotweinessigs die Kehle hinabgestürzt. »Ben! Pete!« rief er nach kurzem Überlegen. »Wir segeln die Bucht aus. Ich will, daß ihr das Schiff dicht unter Land am Ufer vorübersteichen laßt.« »Aye, aye, Sir!« Ben Brighton hielt es für ziemlich überflüssig, dieses Manöver auszuführen. Aber er hütete sich, dem Seewolf zu widersprechen. Er erlaubte sich nicht die kleinste Bemerkung, weil er wußte, wie leicht er in diesem Moment mit ihm anecken konnte. Und dann zeigte sich, daß Hasard doch keine falsche Entscheidung getroffen hatte. Die ›Isabella III.‹ schob sich am Westufer der Bucht entlang, als plötzlich Zweige und Blattwerk des Ufergebüsches zu erbeben begannen. Es raschelte und zuckte ganz gewaltig im Dickicht. Unterdrückte, 96
kehlige Laute drangen daraus hervor. Hasard schickte seine Besatzung mit einem Wink in Deckung. Sekunden später kauerten sie alle hinter dem Steuerbordschanzkleid, die Musketen und Stichwaffen in Reichweite. Gebannt blickten sie auf das Gebüsch. Vier Männer brachen aus dem Gestrüpp hervor, und neben ihnen hechelte etwas Kleineres, Dunkles dahin - eine fünfte, beinahe menschengleiche Gestalt. Die Männer brüllten aus Leibeskräften und gestikulierten. Die fünfte Erscheinung vollführte einen imponierenden Satz und katapultierte sich auf die Schulter des neben ihr laufenden Mannes. Sie stürzten sich ins Wasser. Erst jetzt erkannte Hasard, daß einer von ihnen eine Landratte sein mußte. Er konnte nicht schwimmen. Zwei Kumpane packten ihn, zerrten und schleppten ihn mit. Als säße ihnen ein Ungeheuer im Nacken, schwammen sie auf die ›Isabella III.‹ zu. Der Seewolf begriff. Dan krähte aus dem Großmars die Bestätigung für seine plötzliche Vermutung. »Himmel, Arsch und Zwirn - der olle Tucker, Smoky, der verdammte Kutscher und Al Conroy!« Das Bürschchen mit den schärfsten Augen führte einen richtigen Freudentanz im Großmars auf und gebärdete sich dabei so verrückt, daß es beinahe abgekippt und auf die Kuhl hinabtrudelte. Die Mannschaft auf Deck stimmte grölend und lachend in sein Empfangsgeheul ein. Tatsächlich handelte es sich bei den vier Schwimmern um die restlichen vier Männer der Crew: Smoky, ehemaliger Decksältester von Drakes ›Marygold‹, der Schiffszimmermann Ferris Tucker, Al Conroy, der Waffenexperte - und der bedauernswerte Kutscher, Koch und Feldscher bei Killigrew, der als geborene Landratte immer noch nicht richtig schwimmen konnte. Ferris und Al halfen ihm daher. Und was da quietschfidel auf Smokys Schulter hockte und die kleine Faust zum Ufer hin schüttelte, war niemand anders als 97
Arwenack, der kecke Schimpansenjunge. Das »Hurra« der Bordcrew brach schlagartig ab, denn Hasards »Wespennest-Theorie« bekam einen neuen Trumpf aufgesetzt. Die Büsche an Land bewegten sich wieder. Spanische Soldaten liefen daraus hervor, die Zweige und Blätter schlugen klatschend hinter ihnen zusammen. Sie fluchten, rissen ihre Musketen hoch und drückten ab. »Das Theater geht wieder los!« brüllte Pete Ballie. »Scheiße verdammte, wenn man ein paar Dons abserviert hat, kriechen aus dem nächsten Loch gleich wieder doppelt so viele hervor.« Die Dons feuerten mit ihren Musketen auf die Schwimmenden. Hasard brauchte keinen Befehl auszustoßen, seine Mannschaft war auch so auf Zack. Blacky, Stenmark und die anderen schossen auf die Spanier. Batuti schwang hinter dem Schanzkleid hoch, brachte seinen Bogen in Anschlag und ließ die Sehne los. Ein Pfeil sirrte zum Ufer und bohrte sich in die Brust eines Spaniers. Die unerhörte Präzision, mit der der Pfeil ins Ziel gegangen war, stiftete Aufruhr unter den Dons. Ein paar Augenblicke lang setzten sie mit dem Schießen aus, spritzten zur Seite und suchten Deckungen auf. Die Zeitspanne reichte den Schwimmern, sich weiter zur Galeone hin in Sicherheit zu bringen - und Hasard und die Männer an Bord fanden Gelegenheit, die Steuerbordbreitseite gefechtsklar zu machen. Das Feuer senkte sich auf die Lunten, und im nächsten Moment ruckten die vier Demi-Culverinen brüllend zurück. Vier Stichflammen leckten von den Lukensülls fort und schleuderten die Neunpfünderkugeln zum Ufer. Die Spanier hockten immer noch viel zu dicht zusammen. Ihr Gebrüll verkündete, daß die Kugeln voll ins Ziel gegangen waren. Sand stob hoch, und mit ihm wurden die zerfetzten Körper der Dons ins Gebüsch geschleudert. Am Strand bildeten sich kraterförmige Löcher, das Blattwerk des Dickichts verfärbte 98
sich vom Blut der Verletzten. »Die feuern nicht mehr«, versetzte Ben Brighton grimmig. Tucker und Al Conroy beförderten den ächzenden Kutscher unter allerhand Flüchen bis an die Steuerbordwand der ›Isabella III.‹. Smoky redete beruhigend auf den schimpfenden Arwenack ein. Eine Jakobsleiter wurde außenbords geworfen. Sie klatschte gegen die Bordwand, die vier turnten daran hoch. Die Hände der Freunde streckten sich ihnen entgegen. Kaum waren sie an Deck, wurde lautstark das Wiedersehen gefeiert. Der einzige, der sich nicht recht beteiligte, war der Kutscher. Er hatte eine Menge Wasser geschluckt und war mehr tot als lebendig. »Mannmann«, tönte Stenmark. »Jetzt ist die alte ›Isabella‹Crew wieder vollzählig beisammen. Was sagt ihr zu diesem Schiffs, Leute?« »Nicht schlecht«, erwiderte Ferris Tucker. »Haben die Dons ihn freiwillig rausgerückt, als sie euch aufentern sahen?« »Fast so war’s«, sagte Hasad. Ben Brighton berichtete in kurzen Zügen über ihre Erlebnisse. Dann schilderte Smoky, was sich in der Bucht vor der Mündung des Coquimbo ereignet hatte. »Kapitän Drake ist um Mitternacht ankerauf gegangen«, sagte er. »Ich will ganz ehrlich sein: Er hat euch alle aufgegeben und die Segelpinasse samt Seewolf und Crew abgeschrieben. Außerdem war zu beobachten, daß von Süden her an der Küste entlang Fackellichter näherrückten. Man suchte die Küste ab Dons natürlich. Der Kapitän war überzeugt, daß man ihn gesehen hatte. Die Fackeln rückten auf die Bucht zu - und da hat er sich nordwärts gewandt.« »Und wieso seid ihr Himmelhunde nicht mitgesegelt?« wollte der Seewolf wissen. Der Kutscher spuckte einen Schwall Wasser aus, atmete tief und rasselnd durch und entgegnete: »Himmel, weil wir einfach fest daran glaubten, daß ihr zurückkehren würdet.« 99
»Da sind wir schlicht und klammheimlich von Bord gegangen«, fügte Al Conroy hinzu. »Wir mußten uns im Gebüsch verstecken, weil die verdammten Spanier eine Gruppe Männer an der Bucht zurückgelassen hatten.« Ferris Tucker rieb sich die Nase, dann fuhr er mit den Händen durch die Haare, um Ordnung in die wirr herabhängenden Strähnen zu bringen. »Erst, als wir euch entdeckten, haben wir’s gewagt. Den Rest wißt ihr ja.« Hasard grinste. »Wißt ihr, wie man das nennt?« »Treue Pflichterfüllung«, sagte Tucker lapidar. »Hm. Ich würde das eher unerlaubte Entfernung von Bord der ›Golden Hind‹ nennen. Drake wird euch die Köpfe abreißen.« Der Schiffszimmermann schüttelte sein breites Haupt. »Mein Kapitän heißt Phillip Hasard Killigrew!« »He - ho!« schrie Dan O’Flynn, der den Großmars kurzfristig verlassen hatte, jetzt aber wieder aufgeentert war. »Auf dem Vordeck!« Die Mannschaft fuhr herum. Hasard blickte an ihren Rücken vorbei und gewahrte Pablo, der aus dem Vorkastell hervorgekrochen war und gemeint hatte, sich bei dem Trubel verdrücken zu können. Irgendwie hatte er es geschafft, seine Fesseln zu lösen. Der Seewolf fluchte, und seine Leute rückten auf den plötzlich vor Angst schlotternden Mann zu. Sie packten ihn, bevor er ausrücken konnte. Hasard ging zu ihnen und sah sich die Taureste an, die von seinen Handgelenken und Fußknöcheln herabhingen. »Durchgebissen«, stellte er fest. »Deine Compadres müssen gute Zähne haben. Wirklich eine beachtliche Leistung.« »Knüpft mich nicht auf«, flehte Pablo. »Ach was. Ich habe sowieso die Nase voll von euch Dons.« Hasard tippte mit dem Finger auf Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti. »Holt die anderen vier Kakerlaken herauf. Sie brauchen sich nicht mehr zu bemühen, ihre Tampen durchzunagen.« 100
Kurz darauf standen die fünf Spanier am Steuerbordschanzkleid. Sie zogen verstörte Gesichter. Vielleicht nahmen sie an, der Seewolf würde sie zwar nicht aufknüpfen, aber kielholen lassen. Pablo begann lauthals zu jammern. Batuti gab ihm eine Ohrfeige, und er verstummte. »Aufs Schanzkleid klettern«, befahl Hasard. Sie hatten die Hände frei, aber ihre Füße waren noch locker zusammengebunden, damit sie es nicht allzu leicht hatten. Sobald sie mühsam balancierend auf der Brüstung standen, rief Hasard: »In den Hintern treten!« Nichts taten die Männer lieber als das. Füße schwangen hoch, die Spanier schrien und klagten und wurden mit Wucht außenbords befördert. Fünf Klatscher verkündeten, daß sie in den Fluten gelandet waren. Die Crew lehnte sich übers Schanzkleid und grölte und pfiff ihnen nach. Es fiel den Dons nicht leicht, sich über Wasser zu halten. Da sie aber die Hände frei hatten, gingen sie auch nicht richtig unter. Verzweifelt paddelnd gelangten sie an Land. Sie hockten schwer atmend auf dem Ufersand und knüpften ihre Fußfesseln auf, als die ›Isabella III.‹ unter Vollzeug aus der Coquimbo-Bucht glitt, um Drakes ›Golden Hind‹ nachzusegeln.
ENDE
Karibik-Piraten von John Roscoe Craig Im frühen Morgengrauen blitzen von Puerto de Caldero Schüsse, und über die See rollt Kanonendonner heran. Hasard erkennt, daß zwei Schiffe sich ein hitziges Gefecht liefern. Weil Hasard zuerst an die ›Golden Hind‹ denkt, mischt 101
er sich ein. Er hilft wider Willen einem Piraten zu fetter Beute, doch nun läßt sich der Irrtum nicht mehr korrigieren. Der Seewolf soll noch oft Gelegenheit haben, seine freundliche Hilfe zu bereuen, denn »Einohr« Mac Dundee, der Schotte, ist zu jeder Gemeinheit fähig ...
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