Gruselspannung pur!
Das Pendel
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Damals Er hieß Krabat und kam aus einer ande...
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Gruselspannung pur!
Das Pendel
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Damals Er hieß Krabat und kam aus einer anderen Zeit. Er war ein junger Hexenmeister und hatte stets Unfug im Kopf. Für die Menschen im Osten war er das, was Till Eulenspiegel für die gepiesackten Bürger im Westen darstellte: ein Schelm, ein Taugenichts und Tunichtgut. Aber er war auch ein Volksheld. Er half den Unterdrückten, den Bedürftigen und Geknechteten. Krabat beherrschte die Schwarze Kunst und die Magie. Er setzte sie ein, um seine Streiche zu spielen, nicht aber, um den Menschen Schaden an Leib und Seele zuzufügen. Doch dann kam der Tag, an dem Krabat ein verhängnisvoller Fehler unterlief. Er legte sich mit den Mächten der Finsternis an… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
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Heute. Die Nacht war klar. Sterne funkelten am Himmel, und der Halbmond tauchte den Winterwald in schwaches Licht. Stille herrschte. Kaum ein Geräusch durchdrang die Nacht. Wie mahnende Finger ragten die kahlen Bäume in den Himmel. Motorengeräusch wurde hörbar, näherte sich dem Wald. Auf der einsamen Landstraße stießen Scheinwerfer ihre Lichtfinger in die Dunkelheit. Sie beschrieben einen Bogen, als der Wagen in den Waldweg abbog. In dem Passat Kombi waren Stimmen zu hören. Laute, scherzende Männerstimmen. Zitternd huschte das Scheinwerferlicht über die Bäume und Sträucher zu beiden Seiten des Weges. Der Wagen holperte ächzend durch Schlaglöcher. »Schönen Gruß an die Stoßdämpfer!« rief einer der jungen Männer im Wagen. Die anderen lachten. Sie waren zu viert. Drei junge Männer und ein Mädchen. Einer der Jungs hatte die Innenbeleuchtung eingeschaltet, riß eine Bierdose auf und rülpste nach dem ersten Schluck Gerstensaft. Der Wagen rollte auf einem Waldparkplatz aus. Direkt vor einer großen Landkarte. Die Türen des Wagens wurden aufgestoßen. »Jens, du schnappst dir die Kleine!« befahl der Mann mit der Bierdose. »Schafft der doch nicht«, widersprach der Fahrer. »Da müssen echte Kerle ran!« »Und ob ich das sch - sch - schaffe«, stotterte Jens Höhne. Der schmächtige Junge stotterte immer, wenn er aufgeregt war. Er schwang sich aus dem Wagen, lief auf die andere Seite und zog das betrunkene Mädchen halb aus dem Wagen. »Ka - kann mir vie - vielleicht mal einer helfen, Leute?« Seine beiden Kameraden bogen sich vor Lachen. »Du hattest recht«, rief Dietmar Wegner. »Jens packt es nicht.« »Helfen wir ihm, sonst bricht er noch zusammen«, schlug Jürgen Kaiser, der Fahrer des Passat, vor. Dietmar, genannt »Didi«, war mit wenigen Schritten bei Jens und setzte ihm die Bierdose an die Lippen. »Hier, nimm einen Schluck, Kleiner. Damit du Kraft bekommst!« »Bl - Bl - Blödmann! Hilf mir - lieber!« Gemeinsam hievten sie das brünette Mädchen aus dem Wagen. »Bück dich!« befahl Dietmar Wegner. Ohne sonderliche 3
Kraftanstrengung legte er Jens das Mädchen über die Schultern. »Auf geht's!« rief Dietmar Wegner. »Abmarsch, Junge, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!« »Du hast gut - reden!« stieß Jens hervor. »Du schleppst dir ja auch nicht das Kr - Kreuz krumm!« Jürgen Kaiser trat auf Jens und das Mädchen zu. »Soll ich dir helfen, Jens?« Der schmächtige Junge warf seinem Kameraden einen dankbaren Blick zu. Jürgen Kaiser öffnete seine Bierdose, nahm einen Schluck und hob mit einer Hand die brünetten Locken des Mädchens an. »So, jetzt wird's leichter. Wir können.« Didi Wegner verschluckte sich an seinem Bier, lachte kreischend und hieb sich auf den Schenkel. »Ihr ha - habt gut la - lachen, Leute!« moserte Jens Höhne. »Und ich brech mir hier einen - ab.« Dietmar Wegner leerte seine Bierdose, knüllte sie zusammen und warf sie in den Wald. »Können wir nicht verantworten, Jürgen. Was soll er mit der Kleinen anfangen, wenn er sich wirklich einen abbricht?« Jürgen Kaisers Bierdose flog ebenfalls durch die Luft. »Stimmt, Didi. Dem Manne muß geholfen werden. Zumal heute eine wichtige Nacht für ihn ist. Heute nacht wird Jens ein Mann!« Er klopfte dem schmächtigen Jungen auf die Schultern, daß er in die Knie sackte. Gemeinsam befreiten Dietmar und Jürgen ihren Freund von seiner Last. »Ob die Kleine laufen kann? Hab nämlich keine Lust, sie hier rumzuschleppen.« »Frag sie doch«, schlug Didi vor. Die Brünette kicherte nur. Gemeinsam hakten Dietmar Wegner und Jürgen Kaiser das Mädchen unter. »Vergiß die Decken und den Recorder nicht, Kleiner!« rief Didi über die Schulter zurück. »I - immer ich!« maulte Jens, aber er gehorchte. Es dauerte nicht lange, bis sie auf einer Lichtung anlangten. Der Mond beschien eine kleine Waldhütte, die den Forstarbeitern als Pausenort und bei schlechtem Wetter als Unterschlupf diente. In der Hütte wurde auch das Arbeitsgerät der Waldarbeiter aufbewahrt. Die Tür war deshalb mit einem Vorhängeschloß gesichert. 4
»Und wie kommen wir da rein?« fragte Kaiser. »Du wirst ja wohl kaum hier draußen warten wollen. Ist doch zu kalt!« Didi Wegner grinste nur und schlug mit einem großen Stein das Schloß aus der Verankerung. »Rein in die gute Stube!« In der Hütte entzündete Dietmar eine alte Stallaterne. Die Hütte wurde von schwachem Licht erfüllt. Didi Wegner fischte eine weitere Bierdose aus der Jacke und drückte sie dem Mädchen in die Hand. »Hier, Rosi, damit dein Alkipegel nicht sinkt! Gleich kannst du weitertanzen!« »Wo bleibt denn bloß der Kleine mit dem Recorder?« rief Kaiser, während sich Rosi mit der Bierdose auf die Bank fallen ließ. Der durchdringende, klagende Schrei kam so plötzlich, daß sich Dietmar und Jürgen die Nackenhaare sträubten. Dietmar fühlte, wie eine Gänsehaut über seinen Rücken kroch. »Was war denn das, zum Teufel?« Jürgen Kaiser zuckte die Achseln, als die beiden vor die Tür traten. »Keine Ahnung. Eine Krähe vielleicht?« »Quatschkopf. Wird Jens gewesen sein, während er unter den Decken zusammengebrochen ist.« Wieder ertönte ein Klageschrei, und er ging den jungen Männern durch Mark und Bein. »I - ich war das nicht!« verteidigte sich Jens und stolperte herbei. »Ist auch egal«, meinte Wegner. »Los, schaff die Sachen rein und schmeiß die Kiste an. Die Kleine will tanzen!« Bald waren die Decken auf dem Hüttenboden ausgebreitet, und der Radiorecorder gab Technoklänge von sich. Dietmar und Jürgen hatten Rosi auf die Decken gezogen. Das Mädchen bewegte sich mit geschlossenen Augen im Takt der Musik. Wegner zog eine Kapsel aus einer Schatulle und öffnete vorsichtig die beiden Hälften der Kapsel. Er schüttete das Pulver in die Bierdose, schüttelte gut durch und reichte Rosi das Bier. Sie schien alles um sich her vergessen zu haben, nahm die Dose und leerte sie auf einen Zug. »Bist du verrückt? Das Zeug haut die Kleine glatt aus den Socken!« zischte Jürgen. »Soll es ja auch«, entgegnete Wegner grinsend. »Oder trägst du gerne Socken dabei?« Der schmächtige Jens Höhne beobachtete die Bewegungen des Mädchens mit glänzenden Augen. 5
»Los, tanz mit ihr!« forderte Dietmar Wegner den Stotterer auf. »Ka - kann nicht - tanzen«, kam die zögernde Antwort. »O Mann, du machst es einem aber auch verdammt schwer, Kleiner!« Wegner nickte Jürgen Kaiser zu. Beide Männer traten zu dem enthemmten Mädchen, tanzten mit ihr, streichelten sie und brachten sie schließlich aus dem Gleichgewicht. Die Droge begann zu wirken. Dietmar Wegner zog Rosi den Pulli über den Kopf und fummelte an ihrer Jeans herum, während Jürgen Kaiser den Verschluß ihres BHs öffnete. Wenige Augenblicke später tanzte Rosi nur noch mit einem knappen, schwarzen Slip bekleidet zwischen den Männern herum. »So, Jens, deine Chance!« rief Dietmar Wegner und drehte sich zu dem schmächtigen Jungen um. Aber Jens Höhne war verschwunden! * Beim Anblick der halbnackten Rosi hatte es Jens Höhne nicht mehr ausgehalten. Er hatte sich geschämt für das, was er getan hatte, und war in den Wald gelaufen. Nie hatte er damit gerechnet, daß sich der Abend derart entwickeln würde. Nur widerwillig war er seinen Freunden zu einer Rave-Party gefolgt, hatte sich dann aber darüber gefreut, daß sie ihm helfen wollten, die Schüchternheit abzulegen. Bei dieser Rosi, die seine Freunde für ihn angeworben hatten. Als sie aber gerade fast nackt vor ihm stand, hatte Jens wieder die alte Unsicherheit gepackt. Sein erstes Mal hatte er sich immer ganz anders vorgestellt. Daß sie das Mädchen unter Drogen gesetzt hatten, wollte er ohnehin nicht akzeptieren. »He, Jens, du Träne, komm rein!« rief Jürgen. »Hier geht die Post ab! Rosi wartet schon auf dich!« Jens winkte ab. »Was ist jetzt? Kommst du? Schau mal, die Kleine kann es kaum erwarten!« Jens wandte den Kopf, als er Didis Stimme hörte. Aus der Hütte taumelte das nackte Mädchen in die Kälte. Sie schien nicht zu wissen, was mit ihr geschah. »Schnapp sie dir, bevor es einer von uns tut!« rief Wegner. »Sie wird sich hier draußen noch den Tod holen, ihr Idioten!« 6
rief Jens und sprang auf. Ihm fiel gar nicht auf, daß er diesmal nicht gestottert hatte. Jens streifte seine Jacke ab und legte sie Rosi um die Schultern. Er führte das Mädchen zur Hütte zurück. Ihr warmer Körper schmiegte sich eng an ihn und brachte ihn völlig aus dem Konzept. »Hui, ein Kavalier!« spottete Dietmar. Jens und das Mädchen hatten die Hütte beinahe erreicht, als erneut ein Klageschrei erklang. Jens suchte die dunkle Front des Waldes mit den Augen ab. Doch nichts war zu erkennen. Seine beiden Freunde verließen die Hütte und schauten sich ebenfalls um. »So langsam nervt dieses Geschrei aber«, meinte Dietmar Wegner. »Ich will wissen, was da los ist.« Jens führte Rosi in die Hütte. Kaum vernahm sie die Klänge der Technomusik, da wiegte sie ihren Körper im Tanz. Sie streifte Jens' Jacke ab und zeigte sich in ihrer ganzen Schönheit. Draußen erscholl ein weiterer Schrei. Dietmar riß eine Hacke aus der Wandhalterung und verließ die Hütte. »Ich seh nach.« »Warte, ich komme mit!« rief Jürgen Kaiser. Auch er nahm eine Hacke mit. Durch die Hüttentür beobachtete Jens, wie Dietmar und Jürgen im Wald verschwanden. Dann glitt sein Blick zu der nackten Rosi zurück, die aufreizend vor ihm tanzte. Jens schloß die Hüttentür und bewegte sich auf die tanzende Rosi zu. Seine Hände strichen über ihre warme Haut, die festen Brüste und den Nacken, und er fing an zu träumen. Vom ersten Mal… * Kaiser und Wegner hasteten Seite an Seite durch den nächtlichen Forst. »Der Schreihals ist bestimmt in der Nähe«, vermutete Dietmar. »Und wenn es mehrere sind? Vielleicht eine ganze Bande!« meldete Jürgen Kaiser Zweifel an. »Hast du Schiß?« »Quatsch. War nur so ein Gedanke.« »Die Kerle, die uns Angst einjagen können, müssen erst noch geboren werden.« Die beiden erreichten eine weitere Lichtung. Aber auch hier 7
regte sich nichts. Dann, ein gellender Schrei! Wegner drehte sich im Kreis und streckte einen Arm aus. »Es kam von dort drüben«, erklärte er. Aus der entgegengesetzten Richtung erklang nun weicher, melodischer Gesang. Verblüfft schaute Wegner seinen Begleiter an. »Ich glaub, ich spinne. Da singen doch Weiber, oder?« Kaiser nickte und hielt sich an seiner Hacke fest. Langsam überquerten Wegner und Kaiser die Lichtung und bahnten sich einen Weg durch dichtes Unterholz, begleitet vom glockenhellen Gesang mehrerer Frauen. Je weiter sie gingen, desto klarer schien der Gesang zu werden. Den beiden Männern hatte es die Sprache verschlagen. Angespannt lauschten sie der wunderbaren, lockenden Melodie. Urplötzlich brachen die Stimmen ab und machten einem Wehklagen und Jammern Platz, das den Wald durchdrang. Wieder waren es Frauenstimmen, die schluchzten, weinten und jammerten. »Was soll denn die Scheiße jetzt?« fragte Dietmar Wegner verwirrt. »Wieso heulen die Weiber denn auf einmal?« »Keine Ahnung, Mann. Irgendwas stimmt hier nicht. Komm, laß uns abhauen. Was gehen uns diese verrückten Tussen an?« Aber die Stimmen hatten die beiden Männer bereits in ihren Bann gezogen. »Wie weit willst du noch in den Wald laufen, Mann?« fragte Jürgen Kaiser. »Nicht mehr weit«, beschloß Dietmar Wegner. »Ein paar Meter noch.« Der Klageschrei war verstummt. Kaum waren Wegners Worte verklungen, hörten die beiden Männer wieder den melodiösen Gesang. Und dann hatten die beiden ihr Ziel erreicht. Sie wollten ihren Augen nicht trauen, als sie am Rand einer Lichtung die weißgekleideten, wunderschönen Frauen vor sich sahen. Sie hatten einen Kreis gebildet, hielten sich an den Händen, sangen und tanzten im Mondlicht. Als sie auf die beiden aufmerksam wurden, unterbrachen sie ihren Reigen und huschten über das Gras auf Jürgen Kaiser zu. Sie umringten ihn, kicherten und lachten. Der wußte nicht, wohin er zuerst schauen sollte. Die Gewänder der Tänzerinnen waren durchsichtig, gaben den Blick auf ihre 8
wunderschönen Körper frei. Dann streiften sie den hauchdünnen Stoff ab und näherten sich wieder Jürgen Kaiser. Ihre nackten Körper schimmerten im Mondlicht. Jürgen blieb die Spucke weg. Die nackten Schönheiten faßten ihn bei der Hand und zogen ihn in die Mitte der Lichtung. Sie tanzten um ihn herum, und zarte Hände streiften ihm die Jacke ab. Sanfte Lippen glitten über sein Gesicht und suchten seinen Mund. »Mann, Didi, diese Weiber sind einsame Spitze!« rief Jürgen Kaiser. »Da kannst du die Rosi glatt vergessen.« Die Mädchen drängten sich näher an Jürgen Kaiser und zogen ihn weiter aus, während sie sangen. Ob er wollte oder nicht, er mußte mit den nackten Schönen tanzen. Ihr Gesang ging irgendwann schlagartig in Wehklagen über. Die nackten Mädchen wichen dabei zurück. Sie jammerten und weinten. Tränen schossen aus ihren Augen und liefen über die Wangen. Die Mädchen fächerten auseinander und machten einer Frau Platz, die vom gegenüberliegenden Waldrand gekommen war und sich zu ihnen gesellt hatte. Auch sie war unbeschreiblich schön. Ihr schwarzes Haar reichte bis zu den Hüften. Ihr Körper leuchtete hell. Jürgen Kaiser hatte nie zuvor eine schönere Frau gesehen. Langsam ging sie auf Jürgen Kaiser zu. Sie hielt ihm ihre Hand entgegen, lächelte sanft. Und doch lag eine unendliche Traurigkeit auf ihrem Gesicht. Kaiser ergriff die dargebotene Hand, zog die schöne Frau an sich. Das Weinen und Wehklagen der anderen Tänzerinnen hatte er schon beinahe vergessen. Seine Lippen suchten den Mund der Frau. Ihr kalter, sanfter Körper preßte sich an ihn. Ihre Lippen reckten sich ihm entgegen. Jürgen Kaiser verlor sich in dem Kuß. Es war der letzte Kuß seines Lebens. Die nackte Schöne warf den Kopf zurück und lachte. Immer schriller. Dabei übertönte sie all ihre Gefährtinnen. Kaiser reagierte verdutzt. Seine Augen weiteten sich, als sich die Frau vor ihm veränderte und ihre Schönheit schwand. Runzeln bedeckten das einst schöne Gesicht. Der feste, junge Körper wurde schlaff. Die Lippen verdorrten. Die Haut bildete sich zurück, vertrocknete und verschwand ganz. Ein bleicher Totenschädel mit strähnigem Haar grinste Jürgen 9
Kaiser an! Der junge Mann schaute zu den Tänzerinnen, die sich ebenfalls auf erschreckende Weise verändert hatten. Auch sie waren zu alten, ausgemergelten Weibern mit grinsenden Totenfratzen geworden. Jürgen schrie. Er wollte zurückweichen, doch das Schreckenswesen vor ihm hielt ihn fest. »Du bist der erste!« rief es. »Du wirst den Anfang machen. Und jeder, der uns verfällt, wird uns einen Teil unserer Schönheit zurückgeben. Und gemeinsam werden wir den einen, der uns trotzt, besiegen. Die Hölle will es so!« Jürgen riß den Mund weit auf, als sich die Krallenfinger der gespenstischen Alten in sein Fleisch bohrten. Die Frauengestalt vor ihm zerfaserte zu einem Schemen, erhob sich und drang in seinen Mund. Ein Zittern und Beben ging durch seinen Körper. Seine Haut verdorrte. Mit schlaksigen Schritten wankte das Wesen, das einmal Jürgen Kaiser gewesen war, auf Didi Wegner zu. »Bleib weg!« schrie Wegner und hob die Hacke. »Ich warne dich, komm mir nicht zu nahe!« Doch der halb skelettierte Jürgen Kaiser näherte sich ihm unaufhaltsam. Dietmar holte zum Schlag aus! Tief grub sich die Hacke in den Leib seines Freundes. Aber kein Blut spritzte. Kein Schmerzenslaut drang über Kaisers Lippen. Die Hacke fetzte ein Loch in Kaisers Leib, trat am Rücken wieder aus. Staubteilchen stoben auf. Mit einem erschrockenen Schluchzen riß Dietmar die Hacke frei, holte erneut aus und trennte seinem vermoderten Freund den Kopf vom Rumpf. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete Wegner, wie Jürgen Kaisers Kopf über die Lichtung rollte, sich weiter veränderte und als Totenschädel liegenblieb. Dietmar Wegner wich angewidert zurück. Aus dem Halsstumpf der knochigen kopflosen Figur vor ihm tauchten schlanke, weiße Frauenhände auf, dicht gefolgt von einem Kopf. Aus dem verdorrten Körper seines Freundes stieg die schwarzhaarige Schöne, die Jürgen Kaisers Tod herbeigeführt hatte! »Komm, küß mich!« lockte sie und winkte Dietmar Wegner. Wegner ließ die Hacke fallen, wich kopfschüttelnd zurück und 10
streckte abwehrend die Arme aus. Mit einem gellenden Schrei auf den Lippen wandte er sich um und floh. Er achtete nicht auf die dürren Zweige, die ihm ins Gesicht peitschten. Er wollte nur eines: Weg von diesem furchtbaren Ort! * Auch Jens Höhne fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Er hatte sich von seinem trauten Beisammensein mit Rosi mehr erhofft. Die Brünette war in ihrem Drogenrausch einfach weggesackt. Von draußen war lautes Knacken zu hören. Jens ging zur Hüttentür. »Ihr ha - habt es a - aber mächtig eilig«, stotterte er zur Begrüßung seiner beiden Kameraden. Doch nur Dietmars breite Gestalt taumelte auf den Platz vor der Hütte. Wegners Kleidung wies zahlreiche Risse auf, sein Gesicht war zerkratzt und von blutigen Striemen gezeichnet. »Sie haben Jürgen!« stieß er keuchend hervor. »Diese Drecksweiber haben ihn umgelegt!« Wegner drängte sich an Jens vorbei in die Hütte. Jens starrte seinen Freund an. »I - ich hab keine Ahnung, wovon du redest.« Der Gesang war plötzlich da. Laut und glockenhell. Es waren mehrere Frauenstimmen, die eine liebliche Melodie sangen. »Mist!« knurrte Didi Wegner. »Brauchst dich nur umzudrehen, dann siehst du, was ich meine!« Jens drehte sich um - und schluckte. So viele bildschöne Mädchen hatte er noch nie auf einem Fleck gesehen. Sie standen vor der kleinen Hütte, hielten sich bei den Händen und sangen. Dabei lächelten sie Jens zu. Zwei Mädchen winkten und forderten ihn auf, zu ihnen zu kommen. »Laß dir bloß nicht einfallen, da rauszugehen«, zischte Dietmar. »Sie haben Jürgen umgelegt!« »Die?« Jens lachte. »Die können doch keiner Fliege was zuleide tun!« Wegner hob eine Motorsäge von einem Haken an der Wand und zerrte am Starterriemen. »Dann glaubst du mir eben nicht. Ich geh da jedenfalls nur noch bewaffnet raus!« Hoch hob er die Säge. Bereit, die zierlichen Körper zu zerstückeln. Dietmar Wegner kam nicht mehr dazu, sein grausames 11
Vorhaben zu beginnen. Die schmächtige Gestalt von Jens Höhne prallte ihm in den Rücken. Jens legte seine Arme um seinen Kameraden und riß ihn zur Seite. Beide Männer verloren den Boden unter den Füßen und stürzten. »Bist du verrückt geworden, Mann?« schrie Didi Wegner. »Diese - Hexen haben Jürgen auf dem Gewissen! Ich mach sie alle, verdammt!« Wütend riß er sich aus der Umklammerung seines Freundes und kam auf die Beine. Als er die Motorsäge hochriß, erstarrte er. In der Hüttentür war die nackte Rosi erschienen. Wie in Trance stolperte sie aus der Hütte und ging zu den singenden Jungfrauen. Nacheinander umarmten die Schattenweiber das nackte Mädchen. Eine von ihnen löste sich aus der Reihe der Sängerinnen, wurde zu einem milchigen Schatten, umgab Rosi wie einen Mantel und verschmolz mit ihrem Körper. »Genauso haben sie es mit Jürgen gemacht!« stieß Didi Wegner hervor. »Du hast es gesehen! Glaubst du mir jetzt?« Ein Ruck ging durch Rosis Körper. Der Schemen löste sich von ihr. Die Schattenweiber nahmen Rosi in ihre Mitte. Jetzt sang auch das nackte Mädchen. »Ich glaub's nicht! Ich glaub's einfach nicht!« rief Dietmar Wegner. Er stieß Jens Höhne zur Seite und ließ die Motorsäge röhren. »Ich räume jetzt mit diesem verdammten Spuk auf!« Wüttend drehte er sich um und schwenkte die knatternde Säge in die Richtung seines Kameraden. »Und wag ja nicht, mich aufzuhalten!« drohte Wegner. Als er sich umdrehte, ging der Gesang der Mädchen in lautes Klagen und Jammern über. Die Schattenweiber hatten inzwischen ihre Gewänder abgestreift und standen nun nackt und bloß vor ihm. Vorsichtig näherte sich Dietmar Wegner den Frauen. Er scheute davor zurück, mit der Säge gegen Rosi vorzugehen, aber bei den anderen Weibern hielt ihn nichts zurück. Er wußte, was sich hinter ihrer Fassade verbarg. Drohend hob der kräftige Junge die Säge. Mit einem lauten Schrei warf er sich nach vorn. Er nahm sich die erstbeste Schattenfrau vor und rammte das Blatt der Säge in ihren bleichen Körper. Kein Blut spritzte. Kein Schmerzensschrei kam über die Lippen der unheimlichen Frau. Dietmar hatte ihren Körper beinahe in 12
zwei Hälften geteilt, und doch hörte die Frau nicht zu jammern auf. Verdutzt beobachtete Dietmar, wie sich die schreckliche Wunde langsam wieder schloß. Er war so perplex, daß er nicht bemerkt hatte, wie die übrigen Mädchen einen Kreis um ihn zogen. Sie kamen immer näher. »Nein! Nicht! Weg mit euch! Ich will nicht!« schrie Dietmar, aber da war es bereits zu spät. Zarte Hände packten. Sanfte Lippen glitten über seine Haut. Sie waren kalt. Eiskalt. Bevor Dietmar wußte, wie ihm geschah, teilte sich der Kreis der Mädchen, und er sah die wunderschöne Frau vor sich, die auch Jürgen geküßt hatte. Ein Blick in ihre Augen genügte, und Dietmar fühlte in sich das unsägliche Verlangen aufsteigen. Vergessen war das schreckliche Geschehen, dessen Zeuge er im Wald geworden war. Vergessen war Jürgen Kaisers furchtbares Ende. Die Unbekannte kam Dietmars Verlangen nach. Es war der schönste Kuß seines Lebens, der sich bald als Kuß des Todes offenbarte. Jens bemerkte die grausige Veränderung, die mit den Frauen vor sich ging. Er schrie gellend beim Anblick der schlaffen Körper, der furchtbaren Fratzen und der bleichen Totenschädel. Als Jens aber mit ansehen mußte, wie aus seinem Freund Dietmar ein wandelnder Leichnam wurde, zerriß in ihm das schmale Band, das ihn noch vom Wahnsinn getrennt hatte. In das hysterische Geschrei des Jungen mischte sich irres, gellendes Gelächter. Jens kauerte sich in eine Ecke der kleinen Hütte und brabbelte vor sich hin, schrie und lachte. Spucke blubberte über seine Lippen und lief ihm über das Kinn, aber er bemerkte es nicht. Vor dem geistigen Auge des schmächtigen Jungen tauchten immer wieder das schöne Gesicht der wunderschönen Frau auf und ihre lockenden Augen, und sie verwandelte sich in eine furchtbare Totenfratze. Jens lachte, schrie und brabbelte noch, als der lockende Gesang längst verstummt und von den Klagefrauen nichts mehr zu sehen war. *
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Wir bewegten uns in einem undefinierbaren Rhythmus. Unsere Körper wurden eins. »Mach weiter!« keuchte Tessa. Ihr schweißgebadeter Körper schmiegte sich eng an mich. Dieser Beinschere konnte ich einfach nicht entfliegen, auch nicht, wenn ich gewollt hätte. »Lange kann ich mich nicht mehr zurückhalten«, stieß ich heraus. »Enttäusch mich nicht; Lieb-hieb-hiebster!« »Dann will ich mal das Gipfelkreuz aufstellen!« preßte ich bald hervor. »He, langsam. Du warst - noch nie - ein - Schnellschütze! Jaaaa!« Ich schloß die Augen und konnte Tessas Erwartungen doch noch erfüllen. Langsam öffnete ich die Augen. Ich befand mich in einem stockdunklen Raum. Wer hat denn das Licht ausgeschaltet? fragte ich mich. Ein dumpfes Glosen erfüllte da den Raum. Das aufflackernde Licht hatte nun eine dunkelrote Farbe, die an Blut erinnerte. In einer Ecke des Raumes erkannte ich eine kauernde Gestalt. Die Frau war splitternackt. Das blutrote Glosen hüllte ihren Körper ein. Sie hielt den Kopf gesenkt. Mein Blick fiel auf den Boden vor ihr. Ein Doppelkreis war zu erkennen. In seiner Mitte zeichneten sich die Linien eines Pentagramms ab. Die Spitzen des fünfzackigen Sterns trafen auf den inneren Kreis. Im Zwischenraum zwischen den beiden Kreisen erkannte ich Symbole und Bilder. Undeutlich spürte ich, wie Tessas Körper immer kälter wurde, je weiter ich mich dem Kreis mit dem Pentagramm näherte. Dafür strahlte die nackte Frau vor dem Drudenfuß eine berauschende Wärme aus. Dreizehn kleine Bilder zählte ich. Ich schaute jetzt direkt von oben auf das Pentagramm und den Doppelkreis. Ich erkannte ein Herz. Es schien zu pulsieren. Ein Vampirgebiß grinste mich an, und der dazugehörige Eichenpflock war ebenfalls zu erkennen. Die Knochenhand eines Skeletts schien nach mir greifen zu wollen, wurde immer größer und blieb doch als kleine Abbildung im Doppelkreis. Mein Blick folgte dem Kreis. Ich sah ein Kreuz, einen Sarg und eine Sonne, die mich an das siebenzackige Mal auf meiner Brust 14
erinnerte. Täuschte ich mich, oder sonderte die Sonne auch genau sieben Strahlen ab? Mein Blick löste sich von der Sonne und wanderte zu einem grellen Blitz. Nicht weit entfernt bemerkte ich ein Fragezeichen, dann ein dickes, aufgeschlagenes Buch und einen blutroten Siegelring. Meinen Siegelring! Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich schaute auf ein Fragezeichen, mit dem ich nichts anzufangen wußte. Ein Totenschädel bleckte die Zähne. Die leeren Augenhöhlen erwiderten meinen Blick, schienen mich auffangen und verschlucken zu wollen. Schließlich fiel mein Blick auf das letzte Symbol der Kette. Es war ein Frauenkopf. Ich kannte ihn. Er gehörte - Tessa! Die nackte Frau neben dem Pentagramm hob eine Hand. Diese Hand zog mich magisch an. Riesengroß erschien sie mir. Zwischen den Fingern verlief ein schmales Band, an dem ein Pendel baumelte. Über dem Fragezeichen kam es zur Ruhe, bei den folgenden Aktionen dann über dem aufgeschlagenen Buch, dem Siegelring und der Sonne. Erneut begann das Pendel zu schwingen - und verhielt über Tessas Kopf. Bevor ich mich noch wundern konnte, was sie mit diesen Symbolen zu tun hatte, geschah etwas, das mir den Atem raubte. Tessas braunes Kurzhaar wuchs. Es wurde leuchtend rot, fiel in langen Strähnen von ihrem Kopf. Smaragdgrüne Augen blickten zu mir auf. Doch nur einen Moment lang, bevor sich das Gesicht erneut veränderte. Die Haut wurde runzlig, schrumpfte und verschwand schließlich völlig. Anstelle von Tessa hübschem Gesicht grinste mich ein Totenschädel an! »Aufhören!!« Ich schrie, aber ich hörte meine eigene Stimme nicht. Fassungslos beobachtete ich, wie sich der Totenschädel in dem Doppelkreis veränderte. Aus ihm wurde Tessas Gesicht! Es konnte sich nur um eine optische Täuschung handeln. Meine Augen brannten von der Anstrengung, mit der ich den Doppelkreis betrachtete. Die nackte Frau ließ das Pendel in die Mitte des Drudenfußes sinken. Endlich hob sie den Kopf. »Mark! Komm und liebe mich!« 15
forderte sie mich auf, erhob sich und streckte mir ihre Arme entgegen. Vor mir stand Tessa in ihrer ganzen, nackten Schönheit. Ich hatte das unendliche Verlangen, Tessa zu berühren, zu streicheln und schon wieder zu lieben. Mein Atem beschleunigte sich. Tessas Lächeln war so voller Wärme. Ihr Körper vollkommen. »Komm!« lockte sie. »Empfange den schönsten Kuß deines Lebens!« Das Verlangen nach dieser Frau zerriß mich schier. Und doch kam ich nicht dazu, ihrer Aufforderung zu folgen. Tessa veränderte, auch ihr Gesicht! Für einen Augenblick war das Antlitz der Frau mit Runzeln und Warzen übersät, bevor die Haut vertrocknete und von den Gesichtsknochen wegplatzte. Eine gräßliche Totenfratze kam zum Vorschein. Im nächsten Moment veränderte sich wieder der Körper, nahm seine wunderbare, jugendliche Form wieder an. Feste Brüste mit dunklen Warzen reckten sich mir entgegen. Und doch war der Totenschädel geblieben, dessen Kiefer aufeinanderklapperten. Ich schrie und schüttelte den Kopf, riß den Blick von der Schreckensgestalt los. Mit Mühe schloß ich die Augen. »Mark! Liebster! Komm, mach mich glücklich!« drang Tessas Stimme an mein Ohr. Tessa. Meine Tessa. Ich sehnte mich nach ihr. Voller Vorfreude öffnete ich die Augen und schaute zu der Frau unter mir, die mich umklammert hielt und mir ihren Körper entgegenhob. Sie bewegte sich unter mir, wand sich wie eine Schlange, nahm meine Hand und ließ sie über ihren Körper wandern. Aber es war nicht Tessa! Ich kannte die Frau mit den smaragdgrünen Augen und dem flammendroten Haar. Ich kannte sie gut, denn sie hatte vor einigen Monaten versucht, mich zu töten. »Komm, Mark, küß mich! Werde eins mit mir!« lockte sie. Eine glitschige, pechschwarze, gespaltene Zunge drückte sich zwischen ihren Lippen hervor und sauste auf mich zu. Die Hexe unter mir zeigte mir ihr wahres Gesicht. Die spitzen Ohren, die schuppige Warzenhaut. Die schwarze Zunge hätte mich erreicht und wand sich um meinen Hals. »Neeiiinnn!!« Mein Schreckensschrei hallte in meinen Ohren wieder. Ich fühlte einen Ruck, stürzte nach vorn und sah mich auf 16
dem Berggipfel, den ich vor wenigen Augenblicken erschöpft, aber glücklich erklommen hatte. Dann stürzte ich wieder in die Tiefe. Mein Kopf fiel auf Tessas warme Brust. Ihre Hand massierte mich sanft im Nacken. Ihre Beine hatten mich freigegeben. »Mmmmh!« machte sie und ließ ihre Hand nach unten wandern, während sich ihr Leib nach oben drückte. »Du bist ja noch gar nicht müde, mein Gipfelstürmer. Dann können wir ja wieder.« Einen winzigen Augenblick lang tauchten wieder die beiden schrecklichen Frauen vor meinem geistigen Auge auf, die mein Blut in Wallung gebracht hatten und mich hatten verführen wollen. Mein schlechtes Gewissen regte sich, daß es nicht Tessas Reize gewesen waren, die an meiner Erregung Schuld trugen. Doch ich vertrieb die trüben Gedanken rasch wieder, denn Tessa läutete die nächste Runde ein… * Damals. Es war noch dunkel, als Krabat sich aus dem Hause seiner Stiefeltern schlich. Sie bewohnten eine kleine Kate in der Nähe des Dörfchens Eutrich im Sächsischen. Krabat lebte bei Mirco und Majda, einem serbischen Ehepaar, das sich von anderen fernhielt und sein karges Dasein mit Viehhüten verbrachte. Wie so oft in den Wintermonaten herrschte auch in den letzten Tagen Schmalhans Küchenmeister in Mircos Kate. Krabat, der als Findelkind in die Kate gekommen war, sah überhaupt nicht ein, daß seine Stiefeltern und auch er hungern sollten. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, zum Dreikönigsfest einen fetten Kapaun zu besorgen. Krabat zog die Hosen höher und schnürte den Strick, den er als Gürtel um die Hüften gebunden hatte, fester. Die zerrissenen Hosenbeine endeten unterhalb des Knies. Strümpfe oder gar Schuhe besaß er nicht. Noch nicht. Barfuß lief er die Straße entlang. Der Boden war an diesem Januarmorgen gefroren. Die Kälte biß in die nackten Fußsohlen, doch der Junge verzog keine Miene. Als er weit genug vom Haus der Stiefeltern entfernt war, pfiff er ein flottes Liedchen und schlug sich in die Büsche. Und damit hatte Krabat seine Betteltour angetreten. Seine 17
Wanderung führte den Dreizehnjährigen durch Wald und Feld nach Norden, bis er in die Nähe des Marktfleckens Schwarzkollm gelangte. Die Menschen hier zeigten sich nicht gerade begeistert über die Bettelei. Doch beim feisten Wirt des Gasthauses zum Roten Ochsen bekam er einen Becher frische Milch. »Mehr kann ich dir nicht geben, Bursche«, meinte der Wirt. »Hab selbst nicht genug, um meine Gäste zu bewirten. Es sind schlimme Zeiten, Bürschlein.« Krabat nickte enttäuscht und machte sich mit hängendem Kopf wieder auf den Weg. Im verblassenden Licht des schwindenden Tages stand er auf einer kleinen Anhöhe und sah vor sich eine schwarze Mühle aufragen. Krabat klopfte lautstark und sah dann den Müller vor sich. »Ich hab's nicht gerne, wenn man auf meine Tür eindrischt, Bursche!« »Ich habe Hunger«, entgegnete Krabat zögernd. Zur Unterstreichung seiner Worte hielt er dem Müller den noch fast leeren Leinensack entgegen. »Hab nur etwas Brot und Käse gesammelt. Es reicht aber nicht für drei.« »Kommst von weither, wie?« fragte der Müller. »Es sind etliche Meilen nach Süden zu, Herr«, antwortete Krabat. Der Müller musterte den Jungen mit kleinen, dunklen Augen. »Könnte einen wie dich noch gebrauchen. Hab zwar schon zwölf Müllerburschen, doch just auf den Tag muß ich mich von einem wohl trennen. Scheust du die Arbeit?« Krabat überlegte nicht lange. Man bot ihm Arbeit an. Er hätte dann die Möglichkeit, seine Stiefeltern zu unterstützen. Und so begann die schicksalhafteste Zeit in Krabats Leben - die Zeit in der Teufelsmühle! * Krabat lernte die anderen Müllerburschen kennen, die allesamt einen unglücklichen, aber wohlgenährten Eindruck machten. Müller Jakob gab Krabat erst mal saubere Kleidung. Und nach dem Essen zeigte man ihm seine Unterkunft. Die mit einem Strohsack belegte Bettstatt stand mit elf anderen zusammen in 18
dem Raum. »Und wo, bitteschön, soll ich schlafen? Ich meine, wo doch alle zwölf Betten belegt sind«, erkundigte sich Krabat. »Such dir eines aus!« war die einfache Antwort des Müllers. »Ein Lager wird heute nacht frei werden!« Krabat dachte nicht weiter über die Worte des Müllers nach und warf sich auf das erstbeste Lager. Er schlief sofort ein. Grobe Fäuste rüttelten ihn aus einem tiefen Schlaf. »Mitkommen!« rief einer der drei Burschen. »Der Müller verlangt nach dir!« »Wieso denn? Es ist mitten in der Nacht!« »Weigerst du dich, setzt es was mit dem Ochsenziemer! Und nicht zu knapp!« Krabat blieb nichts anderes übrig, als den dreien zu folgen. Sie führten ihn bis unter das Dachgestühl der Mühle. Es war zugig hier oben. Tauben gurrten verschreckt und flatterten umher. Das Knarren der Windmühlenflügel hörte sich hier oben viel lauter an als vor der Mühle. Krabat wurde in einen Raum geführt, in dem die übrigen Müllerburschen bereits versammelt waren. Man befahl ihm, sich in den Kreis der Burschen einzureihen, die um ein riesiges, waagerecht liegendes Rad Aufstellung genommen hatten. Der Raum wurde von etlichen Kerzen schwach erhellt. Unter dem Rad, auf dem Boden, zeichneten sich zwei ineinander verschachtelte Kreidedreiecke ab, die einen fünfzackigen Stern bildeten. An den Spitzen des Sterns waren ebenfalls Kerzen aufgestellt worden. Der Stern selbst war mit wunderlichen Zeichen und Symbolen versehen. Krabat schaute zu seinen Kameraden hin, die seinen Blick jedoch zu meiden schienen. Aus dem Schatten am Ende des Raumes trat die hünenhafte Gestalt des Müllers hervor. Er trug einen dunklen Samtmantel, der mit goldenen Zeichen bestickt war, die den Symbolen auf dem Stern ähnelten. Das flackernde Kerzenlicht verlieh der riesigen Gestalt mit dem struppigen Bart ein unheimliches Aussehen. Der Müller hielt ein dickes Buch in den Händen. Er ließ seinen Blick über die versammelten Müllerburschen gleiten, die den Kopf gesenkt hielten und nicht wagten, ihren Herrn und Meister anzusehen. 19
»Wieder ist ein Jahr vergangen«, begann der Müller. Seine Stimme war ein dumpfes Grollen und übertönte das Knarren der Windmühlenflügel. »Wieder ist es Zeit, dem Herrn dieser Mühle ein Opfer zu bringen. Das Brot, das ihr eßt, wird uns durch seine Gunst gewährt. Den Wein, den ihr trinkt, hat er uns in seiner Güte zugestanden. Und nur durch seine Gnade ist es uns vergönnt, in dieser Mühle zu arbeiten und das Korn der Bauern gewinnbringend zu mahlen. So geben wir ihm denn, was ihm zusteht!« Der Müller schlug das Buch auf und begann, Worte in einer Krabat fremden Spräche vorzulesen. Rauch stieg von dem fünfzackigen Kreidestern auf. »In diesem Rad steckt ein Zahn. Es ist der Zahn des Teufels, unseres Gebieters. Laßt des Teufels Zahn seine Wahl treffen!« Der Müller ließ das Buch fallen und streckte beide Arme über dem gewaltigen Wagenrad aus. Seine Hände packten zu, die Muskeln und Sehnen spannten sich. Mit einem mächtigen Ruck drehte der hünenhafte Müller das Rad, bis es knarrend rotierte und seine Speichen einen wirbelnden Reigen tanzten. Fasziniert beobachtete Krabat die Zeremonie. Ebenso fasziniert suchte sein Blick das in Leder eingeschlagene Buch, das zwischen zwei Zacken des Pentagramms gelandet war. Dieses Buch hatte ihn in seinen Bann gezogen. Das Wagenrad drehte sich nun langsamer, die Speichen waren wieder deutlicher zu erkennen. Dann kam es zur Ruhe. Zwischen zwei Speichen erkannte Krabat einen spitzen, weißen Zahn, der in seine Richtung zeigte. Die Augen der Müllerburschen folgten dem Zahn des Teufels und fanden den Jungen, auf den die Spitze des Zahns deutete. Er stand direkt neben Krabat. Der Junge war bleich geworden. »Ich will nicht«, flüsterte er. »Es darf nicht sein!« Der Müller hob beide Arme. »Es ist vollbracht! Der Zahn des Teufels hat ein Opfer gewählt. Einen aus eurer Mitte. Es ist Karl und noch in dieser Nacht wird sich sein Schicksal erfüllen!« »Halte ein, Müller!« Die Frauenstimme schien von überall herzukommen. Ihr hämisches, sinnliches Lachen erscholl. Der weiße Qualm, der von dem Pentagramm aufgestiegen war, verdichtete sich zu einem milchigen Schemen. Die durchscheinende Gestalt einer Frau wurde sichtbar, bewegte sich auf den Müller zu und kam an seiner Seite zur Ruhe. 20
Krabat riß die Augen auf, als aus dem Schemen eine schwarzgekleidete Frau wurde. Es war die schönste, die er jemals gesehen hatte. Das leuchtend rote Haar fiel ihr bis auf die Hüften. Das Gewand war tief ausgeschnitten, das Gesicht bleich, aber wunderschön. Volle, rote Lippen verhießen alle Sinnlichkeit der Welt. Grünschillernde Augen strahlten die Müllerburschen an. An einer Kette trug die Frau ein goldenes Amulett um den Hals, das zwischen ihren Brüsten ruhte. Es war ebenfalls mit seltsamen Zeichen und Symbolen versehen. Die smaragdgrünen Augen der Frau zogen alle in ihren Bann. »Wer bist du?« fragte der Müller. »Eine Gesandte - von Ihm.« »Mephisto hat dich geschickt?« Die Frau wandte dem Müller ihr Gesicht zu. Das Lächeln auf ihren Lippen schien einzufrieren. In ihren Augen lag eine unfaßbare Kälte. »Du wagst es, seinen Namen auszusprechen, Unwürdiger? Nur seine treuesten Untertanen dürfen es wagen, ihn mit Namen zu rufen oder seinen Namen zu nennen.« »Aber ich war doch immer ein treuer Diener«, rechtfertigte sich der Müller halbherzig. »Du bist ein Nichts, Müller! Ein Unwürdiger. Der Meister läßt dich gewähren, weil du ihm in deiner Verblendung jedes Jahr ein junges, unschuldiges Opfer bescherst. Was kümmern ihn da deine dummen, einfältigen Spielchen mit der Magie? Doch du gehörst noch lange nicht zu den Auserwählten, die sich anmaßen dürfen, seinen Namen zu nennen!« »Ich bedaure…« murmelte der verdutzte Müller. Schweigend ließ die Unbekannte ihren Blick über die Burschen gleiten. Als er bei Krabat angelangt war, schaute ihn die seltsame Schöne besonders lange an. »Ich bin Tabea, Herrin der Hexen«, stellte sich die Schöne aus dem Schattenreich vor. »So wie du, Müller, hat auch eine Spinnfrau im Schloß zu Hoyerswerda ihre Opfer dargebracht. Mephisto hat mir die Opfer der alten Spinnerin in seiner unendlichen Güte zugestanden. Zwölf Jungfrauen sind es, die sich in gutem Glauben auf dem Schloß verdingt hatten und nun zu meinem Gefolge gehören. Zwölf Jungfrauen, die ihr Schicksal unter großem Wehklagen betrauern und doch niemals erlöst werden.« »Und - was ist dein Begehr?« erkundigte sich Müller-Jakob leise. 21
»Die Jungfrauen rauben mir mit ihrem Wehklagen und Jammern die Ruhe. Ich habe mir etwas Besonderes für sie ausgedacht. Sie werden künftig dafür sorgen, daß Mephisto dein Opfer erhält. Sie werden dafür sorgen, daß ein anderer Gutgläubiger ihr Schicksal teilt. Vielleicht bringt sie das zur Ruhe!« »Es sei, wie du befiehlst, Tabea.« Der Müller neigte den Kopf. »Nenn mich nicht bei meinem Namen, Trottel!« zischte Tabea, wirbelte herum und packte den massigen Müller an der Kehle. »Du hast mich mit Herrin anzusprechen. Denn ich befehle über ein riesiges Reich und ein gewaltiges Heer. Wage es nicht, mir respektlos entgegenzutreten, Unwürdiger!« Mit Erstaunen beobachtete Krabat, wie es dieser doch recht zierlichen, anmutigen Frau gelang, den hünenhaften Müller mit nur einer Hand zu würgen. Tabea faszinierte den Jungen. Unablässig schaute er zu ihr hin, verfolgte jede ihrer Bewegungen. Die Oberhexe gab den röchelnden Müller frei. Der Hüne rieb sich den schmerzenden Hals und schaute unterwürfig zu Tabea hin. »Wie lauten deine Befehle - Herrin?« »Dies ist die Nacht des Dreikönigsfestes. Keine Nacht wäre geeigneter, um dein Opfer zu vollziehen! Der Auserwählte wird noch heute nacht die Mühle verlassen, den Wald durchqueren und sich zu jener Lichtung am westlichen Rand des Gehölzes begeben«, erteilte die Oberhexe ihre Anweisungen. »Er wird allein gehen. Wehe dem, der es wagt, ihm zu folgen!« »Es wird geschehen - Herrin.« Die Anrede kam dem Müller immer noch schwer über die Lippen. Tabea nickte und faltete die Hände. »Das hoffe ich für dich, Müller.« Die Hexe schaute erneut zu Krabat hinüber, ließ dann ihren Blick aber noch mal über seine Kameraden schweifen. »Hüte dich, Müller. Du hast einen unter deinem Dach, der dir Ärger bereiten könnte. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich spüre es. Und er könnte nicht nur für dich Verdruß bedeuten, sondern auch für - mich. Hüte dich!« Krabat fühlte den eiskalten Finger der Furcht über seinen Rücken gleiten, als er die geflüsterten Worte der Oberhexe vernahm. Atemlos beobachtete er, wie sich die schlanke Gestalt der Hexe in Rauch zurückverwandelte und von dem fünfzackigen Stern auf dem Boden verschluckt wurde. Die Zeremonie war beendet. Der Müller befahl seinen Burschen, 22
sich in den Schlafsaal zu begeben. Nur den Jungen, den der Zahn des Teufels auserwählt hatte, hielt er zurück. Die Müllerburschen fielen alsbald in unruhigen Schlaf. Ausgenommen Krabat. Er konnte keinen Schlaf finden. Immer wieder sah er das dicke Buch des Müllers und die wunderschöne Frau mit den leuchtend roten Haaren vor sich. Krabat faßte einen Entschluß. Er rollte sich von seiner Bettstatt, schlich barfuß die Stiegen hinab und wollte die Mühle verlassen. Doch das Tor war verschlossen. Durch eine Luke verschwand er dann im nächtlichen Wald. Er wollte unbedingt herausfinden, was mit Karl, dem Auserwählten, geschah. Liebliche Stimmen hörte er dann, folgte ihnen auf eine Lichtung - und begegnete dem Grauen! * Er sah den Müllerburschen, der bei der Zeremonie am Rad auserwählt worden war. Karl war etwas größer und älter als Krabat und schritt zaghaft über die Lichtung. Der Müllerbursche blickte sich um. Auch er mußte den geheimnisvollen, betörenden Gesang vernommen haben. Krabat schlich weiter, bis er Karl dicht vor sich sah. Dann raschelte etwas. Am gegenüberliegenden Rand der Lichtung bewegten sich Büsche. Etwas Helles war zwischen den Zweigen zu sehen. Es waren junge Frauen, die zwischen den Büschen hervortraten und sich dem Müllerburschen näherten. Krabat zählte zwölf Mädchen. Sie alle waren bleich im Gesicht und trugen durchsichtige Seidengewänder. Karl fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als er sich von einem Dutzend schöner Mädchen umringt sah. Auch Krabat ergötzte sich an dem Anblick der tanzenden Jungfrauen, die sich an den Händen gefaßt hatten und einen Reigen um den Müllerburschen aufführten. Die Tänzerinnen zogen den Kreis um Karl enger, schmiegten sich an ihn, hauchten ihm Küsse zu, ließen ihre Gewänder fallen und tanzten vor ihm herum. Urplötzlich veränderte sich ihr fröhlicher Gesichtsausdruck. Ein lauter Klageschrei erklang, aus zwölf Kehlen gleichzeitig. Die 23
Mädchen lösten den Reigen auf und wandten sich von dem Müllerbürschen ab. Tränen rannen über ihre bleichen Wangen. Der Gesang wurde von lautem Jammern und Wehklagen abgelöst. »Was habt ihr denn? Wieso weint ihr denn?« »Sie weinen um dich, mein Freund«, bekam er zur Antwort. Krabat kannte die Stimme. Er hatte sie heute schon mal gehört. Er hob den Kopf und verfolgte aufmerksam das seltsame Schauspiel, das sich ihm bot. Eine hochgewachsene, wunderschöne Frau mit flammendrotem Haar war auf die Lichtung getreten. Tabea war ihr Name. Was sucht die Hexe hier im Wald? fragte sich Krabat. Er sollte sogleich eine Antwort auf seine stille Frage erhalten. »Du bist auserwählt, wie auch diese Jungfrauen einst auserwählt waren. Schätze dich glücklich, Bursche, daß sie um dich weinen, denn niemand weinte um sie.« Tabea hob beide Arme. Das Jammern und Wehklagen der Mädchen endete. Sie näherten sich wieder dem Müllerburschen, umringten ihn und schmiegten sich an ihn. Der junge Mann wußte nicht, wie ihm geschah. Sein Gesicht nahm einen glückseligen Ausdruck an. Er genoß sichtlich die Zärtlichkeiten der nackten Mädchen. Die Oberhexe hob den Kopf zum Himmel. Das Mondlicht beleuchtete ihr schönes Gesicht. Krabat war hingerissen von dieser geheimnisvollen Frau. Ein Donnerschlag ließ da die Nacht erzittern. Rauch stieg auf. Vor Tabea erschien, wie aus dem Nichts, eine weitere Frau. »Du weißt, was du zu tun hast, Base!« sagte Tabea nur und zog sich zum Waldrand zurück. Die Angesprochene nickte stumm und breitete die Arme aus. Krabat konnte in dem Gewimmel der Leiber nur erkennen, daß ein seltsam entrückter Glanz in Karls Augen lag. Sein Gesicht strahlte vor Glück. Im nächsten Augenblick jedoch veränderte sich der Gesichtsausdruck. »Nein! Weg von mir! Hinweg!!« brüllte der Bursche und stieß die Mädchen von sich. Krabat schüttelte verwundert den Kopf. Was ist bloß in Karl gefahren? Und dann sah er den Grund für den plötzlichen Gesinnungswandel. Die Frauen hatten sich auf schreckliche Weise verändert. Aus hübschen jungen waren häßliche alte Gesichter geworden. 24
Der junge Mann schrie. Die Berührungen der alten Weiber widerten ihn an. Die Frau mit den ausgebreiteten Armen beachtete er jedoch nicht. Die Zeit schien stillzustehen. »Komm, Knabe, schließ mich in die Arme. Vergiß diese alten Klageweiber. Nimm mich, und erlebe das höchste Glück!« lockte Tabeas Base. Auch sie ließ ihr Gewand an ihrem Körper entlanggleiten und empfing Karl mit offenen Armen. Nein! Geh nicht zu ihr! Tu es nicht! wollte Krabat schreien, doch kein Ton kam über seine Lippen. Er hatte das unbestimmte Gefühl drohenden Unheils, aber er hätte es nicht begründen können. Der Müllerbursche schaute zu den alten Vetteln hinüber und stürzte sich dann in die Arme der Frau. Tabeas Base strich Karl beruhigend über das Haar, und der Bursche erlebte den ersten und schönsten Kuß seines jungen Lebens. Atemlos starrte er die Frau an. Er konnte es nicht fassen, daß ihm ein solches Glück zuteil wurde, obwohl er vom Zahn des Teufels auserwählt worden war und bereits mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Das Lächeln der Frau verblaßte. Ihr Körper wurde für Sekunden durchscheinend. Dann veränderte sich ihr Gesicht in eine runzlige, warzenübersäte Fläche. Heiseres Krächzen drang aus ihrem Mund. Die Gesichtshaut vertrocknete vor den Augen des Müllerburschen, bildete sich zurück und wich schließlich ganz. Zurück blieb eine bleiche Totenfratze. Der Bursche schrie wie nie zuvor. Doch damit hatte er gleichzeitig sein Todesurteil eingeläutet. Mit angsterfülltem Blick beobachtete Krabat, wie die Frau mit dem Totenschädel zu einem milchigen Schemen wurde und in Karls Mund verschwand. Einen Moment lang geschah nichts. Dann ging ein gewaltiger Ruck durch seinen Körper. Er schien von innen heraus zu verdorren. Krabat beobachtete, wie Karls Körper schrumpfte, sich in ein Knochengerippe verwandelte und in sich zusammenfiel. Aus dem Häufchen Staub, Knochen und Kleidung, das von ihm übrigblieb, erhob sich der milchige Schemen von Tabeas Base und verdichtete sich wieder zu einer Frauengestalt. Die Oberhexe trat vor. »Ausgezeichnet«, lobte sie und wandte 25
sich den alten Vetteln zu, die sich in lautem Wehklagen zusammengeschart hatten. »Hört auf zu jammern. Seid froh, daß es euch nicht so ergangen ist wie ihm. Ihr hattet einen raschen, schmerzlosen Tod. Aber künftig werdet ihr dazu berufen sein, weitere Jünglinge anzulocken und unschuldige Jungfern in euren Reigen aufzunehmen. Und wenn die Zeit reif ist, werdet ihr auch den einen, der sich einmal anmaßen wird, der Hölle zu trotzen, in euren Bann ziehen und ihn vernichten. Ihn - den Träger des Rings!« Krabat verfolgte, wie die zwölf schönen Jungfern, die ihre ursprüngliche Gestalt zurückerhalten hatten, singend ihre Gewänder anlegten. Und als er schon längst wieder auf seiner Bettstatt lag, hallten die Worte der Oberhexe noch lange in seinem Kopf nach. »Der eine, der es wagt, der Hölle zu trotzen ihr werdet ihn vernichten…« * Heute. Das Telefon klingelte. Ich löste mich aus der zärtlichen Umarmung des weiblichen Wesens neben mir und ließ meine Hand unter der Bettdecke hervor zum Hörer wandern. Bevor ich jedoch abnehmen konnte, hatte Tessa meinen Arm gepackt und wieder unter die Decke gezogen. »Geh nicht ran«, hauchte sie. »Und wenn es wichtig ist?« »Gibt es im Moment etwas Wichtigeres als mich?« »Auch wieder wahr.« Ich ließ es klingeln. Tessa schlang ein Bein um meine Hüften und schwang sich auf mich. Weit beugte sie sich vor, um mich mit ihren Brustspitzen zu streicheln. »Man verbrennt beim Reiten jede Menge Kalorien und ist dann fit für den Tag.« »Dann bin ich froh, daß ich zu deiner Fitneß beitragen kann«, sagte ich. »Wo wir schon beim Thema sind. Hast du heute abend schon was vor?« Ich schluckte und erzählte das Märchen, in dem das Pferd von der Prinzessin zuschanden geritten wurde… »Du willst dich doch nicht etwa beschweren? Sag jetzt nur noch, 26
es hätte dir keinen Spaß gemacht!« »Aber woher denn?« Eine Stunde später, ich war gerade auf dem Weg aus der Duschkabine, nahm ich dann doch ab, als es klingelte. »Du bist ja schwerer zu erreichen als der Bundeskanzler«, begrüßte mich Vaters Stimme. »Tut mir leid, aber wir waren - ähem - beschäftigt.« Mein Vater lachte. »Ich war auch mal jung. - Warum ich anrufe? Ich möchte, daß du mich zum Bahnhof fährst.« »Was gibt's denn dort? Eigentlich wollte ich in der Weimarer Rundschau vorbeischauen. Mich um Arbeit bemühen.« »Wir müssen einen Bekannten abholen. Er kommt extra aus dem Norden angereist, weil er wichtige Neuigkeiten für mich hat. Und die dürften auch dich interessieren, mein Junge.« »Könntest du ein wenig deutlicher werden?« »Tut mir leid, Mark. Ich bin genauso gespannt wie du. Wann kannst du mich abholen?« Wir vereinbarten die Mittagszeit. Das gab mir Gelegenheit, mich doch noch in der Redaktion zu melden. Tessa kam aus dem Bad und rubbelte sich mit einem Badetuch über den Rücken. »Wieso bist du denn so schnell verschwunden?« Ich hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. »Soll ich dich ins Büro bringen oder zuhause absetzen?« »Jetzt doch von der schnellen Truppe? Das muß ja ein ganz wichtiger Anruf gewesen sein.« »Eifersüchtig?« »Keineswegs.« Tessa schaute demonstrativ schlaff an mir hinab. »Das gäbe ja doch nur eine Blamage. In der Verfassung, in der du jetzt bist, solltest du die nächsten vierundzwanzig Stunden alles in dieser Richtung abblasen.« * In der Redaktion der Weimarer Rundschau begrüßte man mich wie den verlorenen Sohn, aber einen Auftrag hatte man nicht für mich. Ich ließ durchblicken, daß ich mal wieder eine brandheiße Reportage bearbeiten und nicht nur thüringischen Bäuerinnen traditionelle Kochrezepte entlocken wollte, und verabschiedete 27
mich. Meinen Chefredakteur bei der Rundschau, Max Unruh, hatte ich leider nicht sprechen können. Ich fuhr in den Weimarer Norden, um meinen Vater in der Siedlung Landfried abzuholen. Er saß bereits gestiefelt und gespornt in seinem Arbeitszimmer. »Dann wollen wir mal, mein Junge«, sagte er und hinkte mit seinem Gehstock zur Tür. Sein Hinken erinnerte mich daran, daß ich nicht der einzige war, der unangenehme Bekanntschaft mit den Wesen der Hölle gemacht hatte. Ulrich Hellmann hatte vor vielen Jahren eine Auseinandersetzung mit Mephistos Schergen gehabt, von der er eine Versteifung an der linken Hand und am rechten Fuß zurückbehalten hatte. Die Fahrt zum Bahnhof dauerte nur zwei Minuten. »Dort ist er!« rief Ulrich Hellmann und winkte am Bahnsteig einem mittelgroßen, stämmigen Mann, der einen beigen Trenchcoat trug und eine lederne Reisetasche neben sich stehen hatte. Der Mann erwiderte Ulrich Hellmanns Gruß und kam uns entgegen. »Darf ich dir Professor Fritz Hardenstein vorstellen, mein Junge?« fragte Vater, als der Professor vor uns stand. »Fritz, mein Sohn Mark.« Der Professor hatte einen bemerkenswerten Händedruck. Ich musterte interessiert den Mann, den ich um mehr als Haupteslänge überragte. Der Mann mochte Mitte Fünfzig sein. Er trug einen karierten Hut, der sein kurzgeschnittenes Blondhaar verdeckte. Seine klaren, blauen Augen blicken verschmitzt und aufmerksam. Ein blonder Bart zierte seine Oberlippe und verlief seitlich in dünnen Linien zum Kinn. Ich nahm Professor Hardensteins Tasche an mich. Der Professor bedachte mich mit einem seltsamen Blick aus seinen klaren Augen. Auf dem Weg zu meinem Wagen ging mir das kleine, buntgekleidete Männchen nicht aus dem Sinn, das wir am Bahnhof getroffen hatten. Wer war der Bursche? Und was hatte seine Bemerkung über die Schattenhexen zu bedeuten, die er im Vorbeigehen machte? Fragen, auf die ich hoffentlich bald eine Antwort fand. * 28
Professor Fritz Hardenstein legte sein Eßbesteck auf den leeren Teller und schob ihn zurück. »Mein Kompliment, Verehrteste. Es hat ausgezeichnet geschmeckt. Wenn Sie mich weiter so verköstigen, muß ich mir Sorgen um meine Figur machen.« Meine Mutter schaute verlegen vor sich auf den Tisch. Sie war eine ausgezeichnete Köchin, aber Komplimente über ihre Kochkunst machten sie immer verlegen. »Warum nehmen wir den Kaffee nicht im Arbeitszimmer zu uns?« schlug mein Vater vor. »Und vielleicht auch einen kleinen Verdauungscognac?« »Den schlage ich gewiß nicht ab, Ulrich.« Professor Hardenstein war sofort Feuer und Flamme. »Gestattest du, daß ich rauche?« »Fühl dich ganz wie zuhause, Fritz.« Während wir uns erhoben, holte Hardenstein eine Meerschaumpfeife aus der Tasche, deren Kopf durch Schnitzereien kunstvoll verziert war. »Eine langjährige Leidenschaft«, erklärte der Professor. »Nach dem Essen und vor dem Schlafengehen eine Pfeife rauchen.« Ich half meiner Mutter, den Tisch abzuräumen. Sie lächelte mich dankbar an und scheuchte mich dann aus der Küche. Sie wußte, wie sehr ich darauf brannte, mich an dem Gespräch zwischen meinem Vater und dem Professor zu beteiligen. Professor Hardenstein war eine angesehene Autorität auf dem Gebiet der Parapsychologie und des Okkultismus. Auch mein Vater galt als Kenner der Materie, denn seit seiner Pensionierung hatte er sich verstärkt diesem Themenkreis gewidmet. Ulrich Hellmann goß den Weinbrand in drei Schwenker und reichte sie herum. Fritz Hardenstein hatte auf dem bequemen Ledersofa Platz genommen, das in einer Ecke des Arbeitszimmers stand. Er lehnte sich behaglich zurück, schnüffelte an dem Cognacschwenker, prostete uns zu und nahm einen Schluck. »Er war es. Da bin ich mir absolut sicher«, murmelte Hardenstein, bevor er an seiner Pfeife zog und eine dichte Rauchwolke um sein Haupt schweben ließ. »Wovon, bitteschön, sprichst du?« fragte Vater. »Von dem Jungen in den bunten Kleidern.« »Sie kennen ihn?« fragte ich dazwischen. Die klaren Augen des Professors musterten mich mit einem verschmitzten Ausdruck. »Mhm«, bestätigte er brummend. »Und Sie, als Träger des Rings, sollten ihn auch kennen.« 29
Ich winkte ab. »Ganz so erfahren, wie Sie es darstellen, bin ich nicht, Professor. Ich stehe schließlich erst am Anfang meiner Karriere als Dämonenjäger. Sofern man es als Karriere bezeichnen kann.« »Sie werden Ihren Weg schon gehen, mein Junge.« »Spann uns nicht länger auf die Folter, Fritz. Wer ist der Junge? Und den Grund deines Besuches würden wir auch liebend gern erfahren.« Ungeduld war aus Ulrichs Worten herauszuhören. »Nun, der Junge heißt Krabat«, antwortete Hardenstein schlicht. »Und wenn ich an seine Worte denke, könnte sein Erscheinen durchaus mit dem Anlaß meines Besuches in Verbindung stehen.« Ich schluckte den Rest meines Cognacs und fühlte, wie sich eine wohltuende Wärme in meinem Körper ausbreitete. »Krabat? Den Namen hab ich schon mal gehört«, sagte ich. »Während meines Studiums. Aber ich könnte nicht auf Anhieb sagen, in welchem Zusammenhang.« »Dann will ich mal Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, junger Freund.« Hardenstein räusperte sich. »Krabat lebte im siebzehnten Jahrhundert in der Gegend von Hoyerswerda. Er war ein Schelm, der fast so derbe Späße trieb wie Till Eulenspiegel. Aber er hatte nicht nur Unfug im Kopf, sondern war auch ein Patriot und liebte seine Heimat.« »Genau.« Ich erinnerte ich mich. Um Krabat woben sich zahlreiche Sagen und Legenden. »Er soll aber nicht nur als Possenreißer, sondern auch als Hexenmeister bekannt gewesen sein.« Hardenstein nickte. »Eben. Krabat beschäftigte sich mit Magie. Und deshalb hatte ich eigentlich gedacht, daß Sie über ihn Bescheid wüßten.« »Ich bin ihm heute zum ersten Mal begegnet. Nicht mal mein Ring hat seine Anwesenheit angezeigt. Ich kann mir das nur so erklären, daß der Kleine kein Geschöpf der Hölle ist.« »Möglich«, meinte Ulrich. »Aber ich würde mich nicht darauf verlassen. Du hast am eigenen Leib erfahren, welch schmutzige Tricks die Hölle auf Lager hat.« Ich zuckte nur die Achseln. Ein schmächtiges Kerlchen wie diesen Krabat fürchtete ich nun wirklich nicht. Da hatte ich es schon mit ganz anderen Gegnern zu tun gehabt. »Womit wir beim eigentlichen Thema wären«, ließ sich Fritz Hardenstein vernehmen. »Dem Grund meiner Reise.« 30
Bevor der Professor jedoch fortfahren konnte, erschien Mutter mit dem Kaffee, dessen Aroma sofort das Arbeitszimmer erfüllte. Sie stellte das Tablett auf dem Kaffeetisch ab und zog sich lächelnd zurück. Professor Hardenstein trank seinen Kaffee süß und rührte bedächtig in seiner Tasse herum. »Es geht um einen großangelegten Schlag der Hölle. Nach den Informationen, die ich erhalten habe, gehe ich davon aus, daß er in Sachsen stattfinden soll.« »Wie kommst du ausgerechnet auf Sachsen?« wollte Vater wissen. »Alle Anzeichen sprechen dafür.« »Und wie soll dieser Schlag der Hölle genau aussehen?« fragte ich. »Das kann ich nicht genau sagen, junger Freund«, sagte Hardenstein bedauernd. »Vor einigen Nächten hielt ich in kleinem Kreis eine Seance ab. Dabei habe ich eine Warnung erhalten.« »Und wie sah diese Warnung aus?« Ich schaute den Professor gespannt an. »Das Medium hat jemanden - herbeizitiert«, antwortete Hardenstein zögernd. »Anders kann man es wohl kaum nennen. Es war nur ein Schemen, aber deutlich genug, daß ich eine junge Frau erkennen konnte. Sie tanzte und sang. Zuerst war es eine fröhliche Melodie, bald aber wurde die Frau traurig und weinte. Aus dem fröhlichen Lied wurde ein Klagelied.« »Und wie kommt Sachsen ins Spiel?« kam Ulrichs nächste Frage. »Ich versuchte selbstverständlich, Kontakt zu der Erscheinung zu bekommen. Ich fragte sie nach ihrem Namen und dem Grund ihrer Anwesenheit.« Hardenstein schmauchte kurz an seiner Pfeife. »Sie antwortete nicht gleich. Sie schaute mich nur mit unendlich traurigen Augen an und verblaßte zu einer undeutlichen Lichtgestalt. Kurz bevor sie sich auflöste, warnte sie mich mit durchdringender Stimme vor den Wurlawy. Ihre letzten Worte waren, daß das Sachsenland bald in Blut und Tränen schwimmen würde.« »Du nimmst die Warnung ernst?« »Wäre ich sonst hier?« kam Hardensteins Gegenfrage. »Außerdem habe ich noch nie von einer okkulten Erscheinung gehört, die gelogen hätte.« Der Professor schüttelte den Kopf. 31
»Nein, das Mädchen war aufrichtig.« »Also gut. Nehmen wir an, die Hölle plant tatsächlich Aktivitäten in Sachsen. Wo aber ist die Verbindung zu diesem Hexenmeister?« Hardenstein nippte an der Tasse, bevor er antwortete. »Das Geistermädchen warnte vor den Wurlawy. Ich habe daraufhin ein wenig nachgeforscht. Die Wurlawy sind oder waren Dämonen der Wenden. Zuweilen wurden sie auch als Klageweiber oder Schattenhexen bezeichnet. Man sagt ihnen nach, daß sie immer dann ihre Klagelieder singen, wenn Unheil droht oder der Tod eines Menschen bevorsteht. In gewisser Weise kann man die Wurlawy mit den keltischen Banshee, den irischen Dämonenweibern, vergleichen.« Der Professor richtete seine klaren Augen auf Ulrich und mich. »Erinnert ihr euch an Krabats Abschiedsworte auf dem Bahnhof?« »Ja. Er warnte mich vor den Schattenhexen«, sagte ich. »Sie denken also, daß er die Wurlawy damit gemeint hat.« »Haben Sie eine andere Erklärung parat?« Ich schüttelte den Kopf, wandte mich ab und trat gedankenverloren ans Fenster. Auch ich nahm die Warnung der Geisterfrau ernst. Aus meinen zurückliegenden Kämpfen gegen die Mächte der Finsternis hatte ich gelernt. Ich traute den höllischen Heerscharen jede nur erdenkliche Schweinerei zu. Nur wußten wir in diesem Fall zuwenig. Sachsen war groß, und Krabat war nicht zur Stelle, um uns einen Fingerzeig zu geben. Es stellte sich sowieso die Frage, auf wessen Seite der Hexenmeister stand. Und noch brennender interessierte mich, wer in diesem teuflischen Spiel die Fäden zog. »Könnte man mit Krabat in Verbindung treten?« fragte ich den Flensburger Parapsychologen. Hardensteins Gesicht zeigte keinen sehr zuversichtlichen Ausdruck. »Das bezweifle ich«, sagte er prompt. »Krabat treibt sich sicherlich noch hier in der Nähe herum, aber ich glaube, er wird erst in Erscheinung treten, wenn er es für richtig erachtet.« Ich stellte die Kaffeetasse ab. »Schade. Er hätte uns Zeit sparen können. Ich danke Ihnen, daß Sie mit Ihren Informationen zu uns gekommen sind, Professor. Auf keinen Fall werde ich tatenlos herumsitzen und zusehen, wie diese Schattenweiber ganz Sachsen in ein Inferno verwandeln.« Anerkennung lag in Fritz Hardensteins Blick. »Nichts anderes 32
habe ich von Ihnen erwartet, junger Freund.« Er schaute zu Ulrich Hellmann. »Du kannst stolz auf deinen Jungen sein, Ulrich.« Mein Vater lächelte stumm. »Wo wollen Sie ansetzen?« fragte mich der Professor. »In der Bibliothek. Ich brauche noch mehr Einzelheiten über diese Schattenhexen. Vielleicht finde ich dort sogar einen Anhaltspunkt, wo die Dämonen ihren Schlag planen könnten.« Ich beschloß, keine Zeit zu verlieren. Der Professor und Vater wünschten mir Glück. Ich verabschiedete mich von Mutter die es natürlich lieber gesehen hätte, wenn ich noch geblieben wäre. Minuten später fuhr ich in Richtung Innenstadt, in die Bibliothek. Das Jagdfieber hatte mich gepackt. * Damals. Die Erlebnisse aus der Dreikönigsnacht ließen Krabat nicht mehr los. Wochen gingen ins Land und wurden zu Monaten. Krabat und seine elf Gefährten mußten in der Teufelsmühle Knochenarbeit verrichten. Der Müller war ein gestrenger Herr. Jeden Freitag aber versammelte er seine zwölf Burschen im Obergeschoß der Mühle zu einer magischen Zeremonie. Krabat war fasziniert von den Zauberkunststücken, die der Müller mit Hilfe seines dicken Buches vorführte. Und eines Tages fand Krabat heraus, daß der Müller-Jakob auch an den anderen Wochentagen die Magie des Zauberbuches anwandte. Heimlich schlich sich Krabat nachts in die oberste Kammer der Mühle und beobachtete den Müller. Mit Schrecken wurde er Zeuge furchtbarer Verbrechen. Der Müller hexte Menschen tödliche Krankheiten oder Unglücksfälle an; Gehöfte gingen in Flammen auf, unschuldige Menschen litten unter schlimmsten Gebrechen. Der Müller nahm sogar gutbezahlte Aufträge entgegen. Da war der Bauer, dem der Hof seines Nachbarn ein Dorn im Auge war. Oder der verschmähte Liebhaber, der sich an seiner. Angebeteten rächen wollte. Müller-Jakob hexte alles, vom Todesfall bis zum Liebestrank, solange die Dukaten im Beutel klingelten. Es dauerte nicht lange, bis Krabat das Versteck des Zauberbuches ausfindig gemacht hatte und selbst heimlich in 33
dem Wälzer blätterte. Zu seiner Verwunderung mußte er feststellen, daß er die geheimen Zeichen, Symbole und Beschwörungsformeln in dem Buch verstand. Bald begann Krabat, sich einen Spaß daraus zu machen, seinen Kameraden harmlose Streiche zu spielen. Er hexte ihre Kleidung weg, ließ die Bettstatt unter ihnen zusammenbrechen, verdarb ihre Speisen und lachte Tränen, wenn sich die Burschen ärgerten. Das Jahr verging fast wie im Fluge. Wieder nahte die Dreikönigsnacht. Und damit kam der Augenblick immer näher, da wieder einer der Burschen auserwählt werden sollte, als Opfer für den Teufel zu dienen. Krabat hatte verständlicherweise nicht die geringste Lust, an der Zeremonie teilzunehmen und möglicherweise von den furchtbaren Schattenweibern innerlich aufgefressen zu werden. Also sann er auf einen Ausweg. Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Krabat hatte sich in ein Mädchen aus dem nahen Dorf verliebt. Die Magd hatte seine Gefühle erwidert, doch Krabat hatte einen Rivalen. Dieser Bauernbursche kratzte seine Ersparnisse zusammen und bat Müller-Jakob um einen Liebeszauber. Dummerweise wurde Krabat Zeuge, wie der Müller den Auftrag annahm. »Meister, gestattet, daß ich meine Eltern besuche. Mich dünkt, daß es ihnen nicht gut geht und sie meiner Hilfe bedürfen«, bat Krabat am nächsten Tag den Müller. Widerwillig billigte Müller-Jakob seinem Burschen zwei Tage Zeit zu, um seine Angelegenheiten zu regeln. Krabat hatte eine Beschwörungsformel auswendig gelernt, die es ihm ermöglichte, in Windeseile von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Wie der Wind sauste er über Stock und Stein, durch Wälder und über Felder und erreichte wenige Stunden später den Hof seiner Stiefeltern. Die waren freudig überrascht, als sie ihn in die Arme schließen durften. Nachdem sich ihre Freude etwas gelegt hatte, nahm Krabat seine Stiefeltern auf die Seite und erzählte ihnen von den Zauberkünsten des Müllers und von der Auswahlzeremonie des Teufelsopfers. Majda erschrak bis auf die Knochen. Mirco preßte wütend die Lippen aufeinander. »Ihr müßt mir helfen«, bat Krabat. »Ich will nicht, daß der Teufelszahn auf mich zeigt.« 34
Gemeinsam heckten Krabat und seine Eltern einen Plan aus. Krabats nächster Weg führte ihn zu seiner Angebeteten, jener Bauernmagd, die durch den Liebeszauber behext werden sollte. »Warte, Freund Müller, dir werde ich einen Strich durch die Rechnung machen!« schwor Krabat. Er unterrichtete die Magd von den Absichten seines Rivalen. Anschließend sprach er eine Beschwörungsformel, die den Liebeszauber unwirksam werden ließ. In einer Kammer versteckt, wurde Krabat Zeuge, wie der Knecht abgewiesen wurde. Er kicherte leise, während der Knecht immer wütender wurde und die standhafte Magd schließlich grob packte und schüttelte. »Du kommst mir gerade geschlichen, Nebenbuhler!« zischte Krabat. »Du wirst nie mehr Hand an eine Maid legen!« In dieser Nacht bewies Krabat, daß er ein gelehriger Schüler der Schwarzen Kunst gewesen war. Er lauerte dem Bauernburschen auf, nahm eine schreckenerregende Gestalt an und sorgte dafür, daß sich der Knecht vor Angst in die Hosen machte. Um die Demütigung vollkommen zu machen, hob er den Burschen auf, trug ihn durch die Luft und ließ ihn kopfüber in die Jauchegrube fallen. Wie sich der Knecht auch bemühte, er kam nicht aus der Grube heraus. Und um Hilfe schreien konnte er auch nicht, da er seltsamerweise keinen Ton über die Lippen brachte. Krabat trommelte sämtliche heiratsfähigen Frauen der Umgebung zusammen und führte sie zu der Grube, wo der Knecht vor Scham über das Gelächter der Mädchen fast versinken wollte. Doch Krabats Schuß ging nach hinten los. Der geschundene Knecht begab sich erneut zum Müller-Jakob und forderte einen Zauber, um Vergeltung an der Magd zu üben, die ihn abgewiesen hatte. Und diesmal kam Krabat zu spät. Seine Angebetete stürzte beim Dreschen von der Tenne und blieb mit gebrochenen Gliedern liegen. Nur den Kopf konnte sie noch bewegen. Fünf Tage dauerte ihr jammervoller Zustand an, dann war sie tot. Der schmächtige Krabat sann nach Vergeltung. Doch er mußte bis zum Dreikönigstag warten, ehe er seinen Racheschwur erfüllen konnte. Die Müllerburschen wurden geweckt und gegen Mitternacht 35
unter das Dach geführt. Sie nahmen um das Wagenrad mit dem Teufelszahn Aufstellung. Müller-Jakob hatte sein schwarzes, besticktes Samtgewand angelegt und murmelte vor sich hin, während er das Zauberbuch in den Händen hielt. Wie im Vorjahr stieg Rauch aus den Ritzen des Pentagramms auf dem Boden. Krabat wußte, was dies zu bedeuten hatte. Erneut würde Tabea, die Oberhexe, an der Zeremonie teilnehmen. »Wir haben uns hier versammelt, um wiederum einen von euch als Opfer für die Hölle auszuwählen. Er wird dafür sorgen, daß seinen Kameraden weiterhin Wohlstand und Gesundheit beschieden sind. Schon bald wird ein anderer seine Stelle einnehmen.« Die Stimme des Müllers erfüllte den Raum, übertönte das Gurren der Tauben und das Pfeifen des Windes. »Laßt uns das Rad drehen und sehen, wen der Teufelszahn diesmal erwählt!« »Haltet ein, Meister!« Krabats Ruf ließ den Müller stutzen. Er hatte die starken Hände bereits an das Wagenrad gelegt, schaute nun aber auf. »Was fällt dir ein, die Zeremonie zu stören, Bursche?« donnerte die Stimme des Müllers. »Es ist nur - weil es eben am Tor geklopft hat«, stieß Krabat hastig hervor. »Unsinn! Ich habe nichts gehört. Und deine Kameraden auch nicht. Laßt uns fortfahren. Und unterlaßt jegliche weitere Störung!« Müller-Jakob spannte die Muskeln und strengte sich an, das schwere Rad zu drehen. Kaum setzte es sich schwerfällig in Bewegung, als sich Krabat auch schon aus dem Kreis der Müllerburschen löste und wie der Blitz an einer schmalen Dachluke stand. »Seht, Meister, dort ist Fackelschein! Man kommt den Hügel herauf, um Euch zu besuchen!« »Unsinn! Stell dich in den Kreis zurück, Krabat!« Das schmächtige Kerlchen wußte, daß sein Stiefvater mit einer ganzen Schar von Männern zur Rettung nahte. Er mußte nur noch Zeit schinden. Krabat begab sich an seinen Platz im Kreis der Burschen. Dort aber blieb er nicht stehen, sondern sauste im nächsten Moment behende unter dem Wagenrad hindurch und flitzte zu dem Zauberbuch, das Müller-Jakob hatte fallen lassen. Krabat 36
schnappte den Wälzer und huschte wieder zu der Dachluke. Müller-Jakob fluchte. »Was soll der Unfug, Krabat? Wirst du wohl in die Reihe zurückgehen?« herrschte er den Burschen an. »Damit am Ende ich als Opfer ausgesucht werde?« Krabat lachte. »Niemals!« Der Müller richtete sich auf und machte einen Schritt auf Krabat zu. Jetzt erst bemerkte er, daß Krabat das Zauberbuch in den Händen hielt. Der Müller streckte den Arm aus. »Gib mir das Buch zurück und stell dich in den Kreis! Ich gebiete es dir, Bursche!« Krabat grinste, drehte dem Müller eine Nase und tanzte herum. »Fang mich doch, wenn du kannst, Müller!« Hinter dem Müller verdichtete sich der weiße Dunst zu der Gestalt der Oberhexe. »Ich sagte bereits vor einem Jahr, daß dir einer der Burschen Schwierigkeiten bereiten würde!« zischte Tabea. »Du hättest auf mich hören sollen, Dummkopf!« »Was kann er schon anrichten?« gab der Müller zurück. »Ein schmächtiges Bürschlein wie er ist nicht in der Lage, mich an der Nase herumzuführen!« Doch Krabat belehrte ihn eines Besseren. Mit einem Satz stand er auf dem Wagenrad, schlug das Zauberbuch wahllos an irgendeiner Stelle auf und murmelte den erstbesten Spruch. Tabea erkannte Krabats Absicht, aber es war bereits zu spät. Aus dem Nichts entstand ein Kugelblitz, sauste durch die Dachkammer und raste auf Tabea und den Müllermeister zu. Die Hexe brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit. Müller-Jakob duckte sich, allerdings nicht tief genug. Der Blitz raste über seinen Rücken und brachte ihm eine schmerzhafte Verbrennung bei, bevor er gegen die Dachstreben prallte und in tausend Funken zerstob. Tabea schrie ihre Wut hinaus. Sie hob die Arme. Bläuliche Blitze zuckten aus ihren Handflächen und Fingerspitzen. Krabat hüpfte mit einem Salto rückwärts vom Wagenrad. Die Blitze verfehlten ihn. Von tief unter der Dachkammer waren donnernde Schläge zu vernehmen. »Es klopft, Meister! Wollt Ihr nicht öffnen?« rief Krabat. Müller-Jakob brüllte und warf sich auf den Müllerburschen, der es gewagt hatte, ihm zu trotzen. Doch wieder war Krabat schneller. Behende flitzte er dem Müller zwischen den Beinen hindurch und zog sich in eine Ecke der Kammer zurück. »Schauen wir mal, wen des Teufels Zahn erwählt!« rief er lachend und 37
schleuderte Tabea eine weitere Beschwörungsformel entgegen. Unsichtbare Kräfte bewegten das Wagenrad, drehten es immer schneller. Die Müllerburschen lösten ihren Kreis auf und wichen von dem flirrenden Rad zurück. Krabat hob den Arm und schnippte mit den Fingern. Das Rad verlangsamte sich und blieb schließlich stehen. Atemlose Stille herrschte. Des Teufels Zahn zeigte auf Tabea, die Oberhexe! »Es hat dich gewählt, Hexe!« rief Krabat. »Was gedenkst du nun zu unternehmen?« Tabea stampfte mit dem Fuß auf. »Du wagst es, dich mit mir anzulegen, Bürschlein?« Sie konnte es kaum fassen. »Du hast dir die Falsche ausgesucht. Ich bin etwas zu groß für dich!« Die Oberhexe schloß die Augen und vollführte Bewegungen mit ihren Händen. Hinter Krabat flirrte die Luft. Augenblicke später erfüllte melodisches Singen den Raum. Selbst Müller-Jakob war von dem Anblick, der sich ihm bot, überrascht. Und Krabat kannte den Gesang. Er jagte ihm Schauer über den Rücken. Es war der Gesang der Schattenhexen! Krabat sah die zwölf Jungfrauen, die sich in der Kammer drängten und sich ihm singend näherten. Sie lockten Krabat mit ihrem Gesang und winkten ihm. Hastig blätterte Krabat in dem Zauberbuch. Er versuchte, die Schattenweiber nicht zu beachten, doch eine innere Macht zwang ihn, die wunderschönen Jungfrauen immer wieder anzuschauen. Sie streiften ihre hauchdünnen Gewänder ab und tanzten nun splitternackt vor ihm. Krabats Kameraden schauten den tanzenden Frauengestalten seelenruhig zu. »Folge dem Ruf der Schattenhexen, Bursche!« rief Tabea. »Sie verheißen dir alles Glück der Welt!« »Du lügst, Hexe! Sie verheißen mir den Tod!« brüllte Krabat zurück und blätterte weiter in dem Wälzer. Endlich schien er einen geeigneten Spruch gefunden zu haben und zog sich von den geisterhaften Tänzerinnen zurück, bevor sie ihn berühren konnten. Entfernt vernahm Krabat durch den Gesang ein dumpfes Krachen. Sein Stiefvater Mirco hatte bestimmt das Mühlentor aufgerammt und nahte zur Rettung. 38
Der Gesang der Schattenfrauen verwandelte sich in lautes Wehklagen. Tränen rannen über die bleichen Gesichter. Die Jungfrauen schluchzten und jammerten. »Spende ihnen Trost, Bursche!« forderte ihn Tabea auf. »Zerreißt es dir nicht das Herz, die holden Jungfrauen weinen zu sehen?« Einen Moment lang regte sich tatsächlich Krabats Mitgefühl. Er war versucht, einen Schritt nach vorn zu machen und die Mädchen tröstend in den Arm zu nehmen. Tabea rief etwas in einer unverständlichen Sprache. Die weinenden, nackten Mädchen gingen Krabat entgegen. Erwartungsvolle Blicke trafen ihn. Die ersten drei Jungfrauen hatten ihn bereits erreicht und berührten ihn mit ihren kalten Händen. »Neeiinn!!« Krabat schloß die Augen, um die jammervollen Gesichter der Mädchen nicht mehr sehen zu müssen. Gleich darauf öffnete er sie wieder - und erstarrte. Nichts war mehr von der Schönheit und Anmut der holden Jungfrauen übrig. Krabat starrte in abscheuliche Fratzen, die von unzähligen Warzen und Runzeln bedeckt waren. Zahnlose Münder öffneten sich in kreischendem Kichern. Krallenartige Finger gruben sich in seine Haut. »Weg! Weg von mir!« brüllte Krabat. Die greulichen Schattenweiber hatten eine unheimliche Kraft, zerrten an seinen Armen, seiner Kleidung und stießen unablässig ihr widerliches Gekicher aus. Krabat senkte den Kopf. Sein Blick fiel auf den Zauberspruch, den er immer noch aufgeschlagen hatte. Nur mit Mühe gelang es ihm, die vier Zeilen zusammenhängend vorzulesen. Kaum hatte die letzte Silbe seine Lippen verlassen, als die Schattenweiber gellende, schmerzerfüllte Schreie ausstießen. Die drei Weiber, die sich an Krabats Körper verkrallt hatten, erwischte die ganze Kraft des Spruchs. Aus dem Buch schössen Feuerstrahlen und bohrten sich in die schlaffen Leiber und runzligen Gesichter der alten Vetteln. Die Strahlen rissen gewaltige Löcher in die nackten Körper. Die Gesichtshaut fiel von den Wangenknochen und legte die Totenschädel frei. Die Knochen färbten sich unter den magischen Flammen schwarz. 39
Tabea kreischte wütend, als sie bemerkte, was mit den Schattenhexen geschah. Hilflos mußte sie mit ansehen, wie die faltigen Körper in Flammen aufgingen und lichterloh brannten. Die Schattenhexen wichen angsterfüllt zurück. Einige von ihnen hatten wieder ihr bildschönes Aussehen angenommen. Auf der Stiege waren polternde Schritte zu vernehmen. Krabat zog sich zum Eingang der Dachkammer zurück. »Was sagst du nun, Hexe?« rief er. »Ich habe viel von Meister Jakob gelernt. Und ich kenne das grausige Geheimnis deiner Schattenhexen! Ich werde dafür sorgen, daß künftig keine unschuldigen Burschen und Mägde aus dieser Gegend der Hölle als Opfer dienen müssen. Und auch die furchtbare Zauberei des Müllers hat von nun an ein Ende!« Im selben Augenblick tauchte Mirco mit seinen Gefolgsleuten am Kopf der Treppe auf. Sie alle waren mit Fackeln, Sensen, Dreschflegeln und Äxten bewaffnet. »Was geht hier vor sich, Krabat?« fragte Mirco, starrte verständnislos auf das Pentagramm das Wagenrad und auf die nackten, bleichen Mädchen. »Dort ist das Rad mit dem Teufelszahn, von dem ich Euch erzählte, Vater! Und dahinter steht Tabea, die Herrin der Hexen! Zerstört das Rad! Nehmt der Hölle ihre Macht! Doch hütet Euch vor den Jungfrauen. Es sind allesamt verfluchte Hexen!« Krabat klappte das Zauberbuch zu und jagte mit großen Sätzen durch die Dachkammer. Mirco und seine Begleiter folgten ihm schreiend. Mit einem gewaltigen Sprung stand Krabat erneut auf dem Rad und schaute zu Tabea hinunter. »Weiche von diesem Ort, Hexe, und weiche aus dieser Gegend. Hier wird es fürderhin nur einen Hexenmeister geben, und der heißt - Krabat!« Tabea schrie und schleuderte ihre Blitze den heranstürmenden Männern entgegen. Einige von ihnen wurden von den magischen Schlägen getroffen und wanden sich unter Schmerzensschreien auf dem Boden. Krabat hob den Fuß und trat den Teufelszahn aus der Halterung. Tabea und Müller-Jakob schrien wütend, als sie sahen, wie Krabat das Rad zerstörte. Der lachte nur hell, drehte sich wirbelnd auf einem Bein und wurde immer schneller. Im Wirbeln flüsterte er eine 40
Beschwörung. Sein Körper wurde länger und dünner. Aus dem Wirbel entstand eine gewaltige, grünschillernde Schlange, die auf Tabea zuraste. Das Schlangenmaul war weit geöffnet, von den Fangzähnen tropfte Gift. Die Oberhexe faßte sich rasch und stellte sich auf die neue Situation ein. Für sie war es ein Leichtes, dem Reptil auszuweichen. Die Luft um Tabeas Körper flirrte. Während sich die Oberhexe auflöste, rief sie ihre Schattenhexen zu sich. Aber Krabat war schnell. Verflucht schnell. Der Schlangenkörper zuckte auf den Müller zu, wand sich um seine Glieder und zog sich zusammen, daß die Knochen knackten. Gleichzeitig schossen lange Stichflammen aus dem Maul der Schlange, trafen einige der Schattenhexen und setzten die kreischenden Höllenweiber in Brand. Mirco und seine Genossen wüteten in der Dachkammer. Sie zerstörten das Rad, setzten das Gebälk in Brand und scheuchten die Müllerburschen aus dem Raum. Das magische Reptil ließ von dem Müllermeister ab. Mit einer letzten Kraftanstrengung hob der Schlangenleib den geschundenen Körper des Müllers hoch und schleuderte ihn auf die Trümmer des Rades, wo er verkrümmt liegenblieb. Krabat nahm wieder seine menschliche Gestalt an und warf einen letzten Blick auf die lodernde Dachkammer und die wenigen Aschehäufchen, die von den vernichteten Schattenhexen übriggeblieben waren. Mit Genugtuung beobachtete Krabat, wie der Zahn des Teufels von den Flammen erfaßt und vollständig verzehrt wurde. Krabat kehrte dem Ort des Schreckens für immer den Rücken. Unter seinem Hemd spürte er das dicke Zauberbuch. Er würde es hüten wie einen wertvollen Schatz. Es würde ihm künftig helfen, Unholde zu strafen, Bedürftige zu unterstützen, dem Recht zum Sieg zu verhelfen und auch ein wenig - Unfug zu treiben. Und es würde ihm eine wertvolle Stütze im Kampf gegen Tabea und die Horden der Hölle sein. Denn daß der Teufel in dieser Gegend einen Stützpunkt verloren hatte, dessen war sich Krabat gewiß. Hinter Krabat brannte die Teufelsmühle lichterloh. Wie ein Fanal leuchteten die Flammen weithin in die Nacht. Und Krabat legte eine Hand auf das Zauberbuch und lächelte.
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* Heute. Ich war in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek tatsächlich auf weitere Informationen gestoßen. Meine Stammbibliothek verfügte über einen schier unerschöpflichen Schatz an Büchern über deutsche Geschichte, Sagen und Legenden. Nur einen Bruchteil davon, dafür vieles anderes, hatte Vater auf seinem PC gespeichert. Schon während meines Völkerkundestudiums hatte mir die Bibliothek wertvolle Dienste geleistet, ebenso bei meinem Kampf gegen das Böse. An diesem Nachmittag war die Bibliothek erstaunlich gut besucht. In dem dreigeschossigen Lesesaal der Bibliothek hatten sich etliche Studenten eingefunden, um sich Notizen für ihre Studienarbeiten herauszuschreiben oder ihre Unterlagen zu vervollständigen. Ich suchte sämtliche Sagen- und Geschichtsbücher über Sachsen, die ich finden konnte, aus den Regalen und setzte mich mit dem Bücherstapel an einen kleinen Seitentisch. Nicht weit von mir hatten sich vier Studentinnen an einem größeren Tisch niedergelassen und arbeiteten gemeinsam an einem bestimmten Thema. In jedem der Sagenbücher fand ich etwas über den Hexenmeister Krabat, doch nirgends fanden die Wurlawy Erwähnung. Über Krabat erfuhr ich, daß er eine ziemliche Nervensäge gewesen sein mußte. Aber er war auch eine Art Volksheld, denn immerhin hatte er den Böhmenkönig August den Starken im Krieg gegen die Türken unterstützt und einen Mordanschlag auf den Monarchen verhindert. Und nach seinem Tode war Krabat angeblich in den Himmel gelangt. Das konnte ein Grund dafür sein, daß mein Ring seine Anwesenheit nicht angezeigt hatte. Vielleicht sollte ich wegen der Wurlawy in Büchern über wendische oder sorbische Traditionen und Legenden nachschlagen, überlegte ich. »Ja, vielleicht solltet Ihr das wirklich, Gevatter«, antwortete mir ein helles Stimmchen. Mein Kopf ruckte herum. Ich hatte die Stimme erkannt. Das erste Mal hatte ich sie am Mittag auf dem Bahnhof gehört. Sie 42
gehörte Krabat! »Hier bin ich, Gevatter!« piepste die Stimme von der anderen Seite. Ich drehte mich um. Dicht vor meiner Nase schwebte ein dickes Sagenbuch, klappte laut zu und hüllte mein Gesicht in eine Staubwolke. Krabat kicherte. »Ihr seid nicht besonders schreckhaft, Gevatter. Sonst wäre es noch lustiger gewesen!« »Mir wäre es lieber, wenn ich dich sehen könnte, Hexenmeister«, antwortete ich leise. »Und deine Späße solltest du lieber an einem anderen Ort machen. Hier ist nämlich absolute Buhe Pflicht!« »Ruhe! Ruhe! Es ist doch langweilig, immer nur still zu sein! Ich war mal in einem Kloster, und dort durfte man auch nicht sprechen! Keinen Piepser durfte man tun, es sei denn, man war eine Maus. Ich habe das rasch geändert und die Mönchlein ganz schön zum Lachen gebracht!« »Und - haben sie es dir gedankt?« »Eher das Gegenteil war der Fall, Gevatter. Mit Schimpf und Schande hat man mich aus dem Kloster gejagt. Dabei hab' ich's nur gut gemeint.« »Könntest du dich jetzt sichtbar machen, damit ich weiß, mit wem ich spreche?« bat ich. »Ihr wißt es doch, Gevatter. Ich bin Krabat, der großartige, unübertreffliche, vielgerühmte, unnachahmliche…« »Prahlhans«, fiel ich ihm ins Wort. »Hexenmeister wäre wohl das angemessenere Wort, Gevatter.« »Wenn du so unübertrefflich bist, dann mach dich endlich sichtbar!« »Wie Ihr wünscht, Gevatter! Aber mit der Stille ist's vorbei!« Kaum hatte der unsichtbare Krabat ausgesprochen, als eine dicke, fette Spinne von der Größe meiner Hand bei den vier Studentinnen über den Tisch krabbelte. Krabat hatte recht. Mit der Ruhe war es vorbei, denn die Mädchen kreischten hysterisch auf, als sie das eklige Vieh sahen. Ich packte kurzentschlossen das dickste Buch auf dem Tisch vor mir und warf es durch die Luft. Zielsicher landete es auf der Spinne. »Au!!« deklamierte Krabat. Sofort flirrte die Luft vor mir, und das buntgekleidete Kerlchen vom Bahnhof wurde sichtbar. Er rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Hinterteil. »Das war aber 43
nicht sehr höflich, Gevatter!« beschwerte er sich. »Das, was du mit den Mädchen gemacht hast, aber auch nicht«, gab ich zurück und holte mein Buch wieder. Dabei lächelte ich die vier Schönen beruhigend an. »Schön haben sie geschrien. Und wie sie in die Höhe gesprungen sind! Das war doch lustig, fandet Ihr nicht, Gevatter?« »Lustig wäre gewesen, wenn du die jungen. Damen zum Lachen gebracht hättest, Krabat. Erschrecken ist nicht lustig.« Krabat klatschte in die Hände. »Das können wir sofort nachholen! O, wie die holden Mägdlein lachen werden. Bis ihnen das Wasser aus den Augen schießt…!« Ich packte rasch seinen Arm. »Laß es lieber sein, mein Freund. Ich denke, die holden Mägdlein haben für heute genug von deinen Spaßen.« »Schade«, meinte Krabat betrübt. »Was führt dich überhaupt zu mir?« erkundigte ich mich. »Ich hatte Euch vor den Schattenhexen gewarnt, Gevatter! Aber es war zu spät. Sie haben zugeschlagen.« »Bist du nur erschienen, um mir das zu sagen?« Krabat zuckte mit den schmalen Schultern. »Vielleicht werde ich Euch auch ein wenig zur Hand gehen, Herr Markus. Ihr als Träger des Rings vermögt viel, doch ich würde zu gern ein Tänzchen mit diesen vermaledeiten Hexen aufführen.« Ich deutete auf den Stapel Bücher vor mir. »Ich weiß nicht recht, was ich von deinen Worten halten soll, Krabat. In keinem der Bücher werden die Schattenhexen erwähnt. Dafür kann ich um so mehr über deine Schandtaten lesen.« »Heldentaten, Gevatter!« Krabat hob mahnend den Zeigefinger. »Immerhin bin ich ein Held und genieße großes Ansehen am Königshofe.« Das brachte mich auf eine weitere Frage. »Wie kommst du überhaupt hierher?« Krabat grinste. »Nicht nur Ihr versteht es, durch die Zeiten zu reisen, Gevatter. Ihr vergeßt, daß ich ein Hexenmeister bin.« »Ach woher! Wie könnte ich das vergessen? Bist du nun gekommen, um mir zu helfen oder mir die Zeit zu stehlen?« »Ihr sprecht keine netten Worte, Gevatter Markus! Aber ich will darüber hinwegsehen. Ihr wollt etwas über die Schattenhexen in Erfahrung bringen.« Krabat warf sich in die Brust. »Ich weiß alles 44
über die verwünschte Brut. Fragt, und Ihr werdet Antworten erhalten.« »Wer sind die Schattenweiber, und wer führt sie an?« »Sie heißen Wurlawy und sind Dämonen, deren Ursprung weit zurückgeht, bis in die Zeit der heidnischen Wenden. Sie erscheinen in der Gestalt von lieblichen Mägdelein und locken Unschuldige mit ihrem Gesang, um ihnen dann ein gar schreckliches Ende zu bereiten. Eine Hexe hat sie aus den Tiefen der Hölle heraufbeschwören und gebietet ihnen. Sie heißt Tabea.« Tabea! Ruckartig setzte ich mich auf. Ich erinnerte mich an mein Zusammentreffen mit der Oberhexe Tabea und an das Hexengericht, das sie zusammen mit ihren Schwestern abgehalten hatte. Mir war es damals gelungen, das Blutgericht zu zerschlagen und Tabeas Schwestern zu vernichten. Sie selbst war mir entkommen. (Siehe MB. 8.) »Bist du sicher, daß Tabea dahintersteckt?« vergewisserte ich mich. »Ich habe sie gesehen und mit ihr gesprochen. Schon seit Jahren lege ich ihr Steine in den Weg, wo ich nur kann. Sie ist nicht gut auf mich zu sprechen, Gevatter. Aber meist hält sie sich im Hintergrund und überläßt einer anderen Hexe die Führung.« »Wo finde ich die Schattenhexen?« »Nun, sie dürften sich in meiner Heimat aufhalten.« »In der Gegend um Hoyerswerda?« Krabat nickte. »Dort sind sie zu meiner Zeit aufgetreten und haben viel Unheil über die Menschen gebracht. Aber ich habe es geschafft, ihnen mit meiner Zauberkunst viele Schwierigkeiten zu bereiten. Ich habe ihre Zahl verringert, doch eines Tages waren sie spurlos verschwunden. Es hat lange gedauert, bis ich dahinterkam, daß sie in Eurer Zeit ihren Schrecken verbreiten wollen, Gevatter Markus.« »Du sagst, sie haben bereits zugeschlagen?« Das Lächeln verschwand aus Krabats Gesicht. Schlagartig wurde der kleine Hexenmeister ernst. »Ich fürchte, es ist so.« Ich schaute auf die Wanduhr. Es machte wenig Sinn, jetzt noch nach Hoyerswerda zu fahren. Das hob ich mir für den nächsten Tag auf. Doch es gab jemanden, dem ich mit Krabats Anwesenheit wahrscheinlich eine große Freude bereiten konnte. »Krabat, ich werde morgen nach Hoyerswerda fahren. Und ich 45
möchte, daß du mich begleitest.« Krabat neigte den Kopf. »Es wird mir eine Ehre sein, Gevatter Markus.« »Würdest du die Nacht im Hause meiner Eltern verbringen? Es gibt dort jemanden, der sich freuen würde, dich kennenzulernen.« Auch dazu war der kleine Hexenmeister gerne bereit. Ich erhob mich und nahm die Bücher auf, um sie in die Regale zurückzustellen. Krabat stemmte die Fäuste in die Hüften und bog sich vor Lachen. »Was ist daran so lustig, daß ich Ordnung schaffe?« fragte ich. »Es ist umständlich und dauert viel zu lange«, gab Krabat zurück. »Paßt auf, Gevatter!« Krabat wischte mit dem Zeigefinger durch die Luft und drehte sich um sich selbst. Im nächsten Augenblick sauste ein lautloser Wirbelwind auf mich zu, riß mir die Bücher aus den Händen, wirbelte sie durch die Luft und verteilte sie in den Regalen. Sekunden später stand Krabat wieder vor mir. »Seht Ihr, Gevatter? So macht man das!« »Angeber!« brummte ich und strebte der Treppe zu. Ich hatte erwartet, daß Krabat mir folgen würde, doch das war nicht der Fall. Als ich mich umdrehte, stand ich allein an der Treppe. Dafür bemerkte ich bei den vier Studentinnen eine grüne Müllermütze, die in Kopfhöhe in der Luft schwebte. Eines der Mädchen hatte den Kopf zurückgebeugt, die Augen geschlossen und spitzte die Lippen zu einem Kuß! Die Müllermütze wanderte von einem Mädchen zum nächsten. Jetzt wußte ich, warum mir der Schlingel nicht gefolgt war. Er knutschte nacheinander die vier Studentinnen ab, daß ihnen im wahrsten Sinn des Wortes die Spucke wegblieb! Offenbar gefiel es den Mädchen, denn sie waren hin und weg. Mit verträumten Blicken beobachteten sie, wie sich Krabat vor ihnen materialisierte, seine Mütze vom Kopf nahm und sich galant verneigte. »Gehabt Euch wohl, holde Mägdelein!« flötete er, drehte sich auf dem Absatz um und kam zu mir stolziert. Entschuldigend hob er die Arme. »Ich hatte ihnen als Spinne wohl doch einen zu großen Schrecken eingejagt. Nun habe ich es wieder gut gemacht.« Ich schaute wieder zu den Studentinnen hinüber, die immer noch total entrückt waren. »Das sehe ich«, murmelte ich und 46
stieg vor Krabat die Treppe hinunter. »Den Kopf hast du ihnen verdreht. Aber tu mir einen Gefallen, ja? Ab sofort keine Extratouren mehr.« »Extratouren?« Krabat schien mit dem Wort nicht zurechtzukommen, runzelte die Stirn und kratzte sich hinter dem Ohr. Sein Gesicht hellte sich auf, als er offenbar doch begriffen hatte, was ich meinte. »Ich werde mich bemühen, Gevatter!« versprach er und folgte mir mit raschen Schritten zum Ausgang. * Mit kurzen, flinken Schritten trabte Krabat neben mir her durch die Stadt. Nicht wenige Passanten drehten sich nach dem kleinen, bunt gekleideten Burschen um. Krabat lächelte ihnen freundlich zu. Ich hatte den BMW auf einem freien Platz in einer stillen Seitenstraße abgestellt. Der Platz wartete noch darauf, bebaut zu werden. In der Zwischenzeit nutzte man ihn als inoffiziellen Parkplatz, wenn man Parkgebühren sparen wollte. Die Ordnungshüter knirschten mit den Zähnen, drückten aber ein Auge zu. Beim Anblick der vielen Autos stutzte Krabat. »Was sind das denn für - Kaleschen?« fragte er. »Sie fahren allein, ohne Pferde?« »Du wirst es gleich erleben, Krabat. Wir werden nämlich auch mit solch einem Wagen fahren.« »Niemals! Niemand bekommt mich, den großen, unersetzbaren Krabat, in solch ein Teufelsding!« »Nun stell dich nicht so an, Kleiner. Es ist halb so schlimm, wie es aussieht!« Ein Wagen scherte aus einer Parklücke aus und brauste dicht an Krabat vorbei. Dabei hupte der Fahrer laut. Ich zerrte den kleinen Hexenmeister vorsichtshalber zur Seite, damit er nicht doch noch überfahren wurde. »O, dieser Gestank! Und dieses furchtbare Geräusch! Das ist Teufelswerk! Nie werde ich mich in ein solch teuflisches Gefährt setzen!« Ich zuckte die Achseln. »Dann bleibst du eben hier, Kleiner.« Ich ging zu meinem Wagen und fischte die Schlüssel aus der 47
Tasche. Im selben Augenblick hörte ich den Klageschrei. Er war laut und durchdringend, fast wie der Hilfeschrei einer Frau. Ich stutzte und schaute mich um. Außer mir und dem bunten Kerlchen befand sich niemand auf dem Parkplatz. Wieder ertönte der unheimliche Schrei aus dem Nichts und ging mir durch Mark und Bein. »Hast du das gehört?« fragte ich. Krabat nickte. »Das sind die Wurlawy, Gevatter. Die Schattenhexen.« »Tut mir leid, ich sehe keine Hexe.« »Blendwerk! Aber sie sind hier, dessen könnt Ihr sicher sein. Nehmt Euch in Acht, Gevatter.« Mein Siegelring schien Krabats Worte zu bestätigen. Er erwärmte sich und begann zu glimmen. Zeigte damit eindeutig schwarzmagische Ausstrahlung an. Ich wußte, was ich zu tun hatte. Ich ging um das Fahrzeug herum, öffnete den Kofferraum und dann den Einsatzkoffer. Welche der Waffen konnte mir aber gegen unsichtbare Hexen helfen? Ich entschied mich für den Dolch. Als ich danach griff, waren sie da! Vier Frauen. Alle jung und hübsch. Ihre bleichen Körper waren in durchsichtige Gewänder gehüllt. Sie umringten mich, legten ihre zarten Hände auf meine Arme, zerrten mich von dem BMW weg. »Paßt auf, Gevatter Markus! Laßt Euch nicht von ihnen betören!« Krabats Stimme warnte mich. Waren dies die geheimnisvollen Schattenhexen? Diese bildschönen Mädchen, die sich leichtbekleidet in der kalten Januarluft bewegten? Ich konnte es kaum glauben. Von diesen Mädchen ging sicherlich keine Gefahr aus. Es fiel den vier Frauen leicht, mir den Dolch aus der Hand zu nehmen. Polternd fiel er in den Kofferraum. Die Mädchen zogen mich vom Fahrzeug weg, umringten mich, streichelten über meinen Körper. Ihre sinnlichen, verheißungsvollen Lippen näherten sich meinem Gesicht. »Verfallt nicht ihren Lockungen, Gevatter! Bleibt standhaft!« schrie der kleine Hexenmeister. Wenn das so weitergeht, habe ich damit keine Probleme, 48
Kleiner, dachte ich. Dann hast du mich nie standhafter erlebt. Ich schaute auf die durchsichtigen Kleider der Schönen, die mir tiefe Einblicke gewährten. Die Mädchen bemerkten meinen Blick und streiften die Gewänder ab. Nackt boten sie ihre schönen Körper meinen Blicken dar. Ich schluckte und fühlte, wie mir heiß wurde. »Vermaledeit! Ich hatte Euch gewarnt, Gevatter!« hörte ich Krabat schreien. »Widersteht den Lockungen dieser teuflischen Hexenbrut!« Halbherzig versuchte ich, mich aus den Umarmungen der bleichen Schönen zu befreien. Doch es gelang mir nicht. Sie schmiegten ihre zarten Leiber an mich, streichelten mich zärtlich, zogen meinen Kopf zu sich hinunter. Nur noch Augenblicke, dann würde ich die Lippen dieser wunderbaren Frauen berühren, ihre Küsse genießen. Jeder andere Gedanke war ausgelöscht. Es zählten nur noch diese vier Schönheiten und das unstillbare Verlangen, sie zu berühren! Nicht mal mein Siegelring, der nun wie verrückt an meinem Finger vibrierte und leuchtete, riß mich in die Wirklichkeit zurück. »Seid Ihr nicht imstande, so muß ich es denn tun!« hörte ich die Stimme des Hexenmeisters. »Laßt ab von ihm, Höllenbrut, oder ich zermalme euch!« Es klang irgendwie lächerlich. In meinem Unterbewußtsein fragte ich mich, wie dieser kleine Wicht gegen vier Frauen angehen wollte. Gegen vier zärtliche, liebenswerte, nette Frauen. Eines der Mädchen wandte den Kopf und schaute zu Krabat hinüber. Ihr schönes Gesicht verschwand und machte einer Maske des Grauens Platz. Mich stieß das haß verzerrte, mit Runzeln und Warzen bedeckte Gesicht der Alten sofort ab. Doch die zärtlichen Hände der übrigen Mädchen zerstreuten im Nu meine Gedanken. Aus den Augenwinkeln sah ich den grellen Blitz. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Vielmehr war ich ungehalten über die neuerliche Störung, denn ich wollte nun unbedingt wissen, wie die Küsse dieser Mädchen schmeckten. Die Schattenhexe mit der gräßlichen Fratze stieß einen schrillen Schrei aus. Auch ihre drei Gefährtinnen wirbelten nun herum und verwandelten sich. Das Haar wurde lang und strähnig, die Gesichter wurden zu grauenhaften Fratzen. Angewidert wollte ich 49
zurückprallen, doch ihre Finger, die nun zu Klauen geworden waren, hielten mich unnachgiebig fest. Rettung nahte von Krabat, als sich die Schattenweiber wieder mir zuwandten und mir den Kuß des Todes verabreichen wollten. Ich kehrte auf den Boden der Tatsachen zurück, erkannte die Gefahr und spannte sämtliche Muskeln an, um mich aus dem Griff der Hexen zu befreien. Aber sie verfügten über unmenschliche Kräfte, wie alle Geschöpfe der Finsternis. Ich hatte ihnen kaum etwas entgegenzusetzen. Ein grellbunter Wirbel sauste quer über den Platz auf uns zu, zischte wie eine Silvesterrakete durch die Luft und pfiff mit unglaublicher Geschwindigkeit heran. Die Schattenhexe, die zuerst ihr wahres Gesicht gezeigt hatte, stieß einen gellenden, angsterfüllten Schrei aus, aber ihre Warnung kam zu spät. Es geschah in Bruchteilen von Sekunden. So schnell, daß ich den Bewegungen kaum mit den Augen folgen konnte. Der pfeifende, wirbelnde Blitz schlug durch den Körper der schreienden Schattenhexe, schwenkte herum und fetzte in die Leiber der drei Wurlawy, die mich in der Mangel hatten. Sofort lösten sich ihre Griffe. Ich taumelte zurück. Der grellbunte Wirbel verlangsamte sich und wurde zu einer Gestalt. Er verdichtete sich zu Krabat, dem kleinen Hexenmeister, der erschöpft zu Boden sank. Die vier Schattenhexen konnten nicht mal mehr schreien. Ich sah die faustgroßen Löcher, die Krabat in ihre Leiber gebrannt hatte. Kein Dämonenblut strömte aus den Wunden, dafür schienen die Schattenhexen aber von innen heraus zu verbrennen. Ihre schlanken Körper schrumpften, wurden schlaff. Die bleiche Haut nahm eine dunkle Färbung an und wurde schwarz. Auch die gräßlichen Gesichter verkohlten. Es dauerte nicht lange, bis nur noch vier Aschehäufchen von der Anwesenheit der Wurlawy zeugten. Die Seidengewänder der Hexen hatten sich mit ihrem Tod aufgelöst. Ich half Krabat auf die Beine. Das Kerlchen war total erschöpft. »In meiner Zeit bin ich auf andere Weise gegen die Klageweiber vorgegangen«, sagte Krabat keuchend. »Aber gerade eben fiel mir nichts anderes ein. Ich bin ermattet, Gevatter Markus. Es ist auch für einen unüberwindlichen Hexenmeister nicht leicht, sich in einen Blitz zu verwandeln.« »Nun wirst du doch mit der gefürchteten Kalesche fahren 50
müssen, Krabat«, sagte ich, nachdem ich mich bei ihm für die Lebensrettung bedankt und ihn sichtlich in Verlegenheit gebracht hatte. »In deinem Zustand kannst du unmöglich laufen.« Auf dem ganzen Weg zur Siedlung Landfried klammerte sich Krabat an seinen Sitz und hielt die Augen fest geschlossen. * Tessa hatte sich rasch umgezogen und war dann in die Weimarer Polizeidirektion gefahren, um sich bei ihrem Chef, Hauptkommissar Langenbach, zu melden. Sie liebte ihren Job und arbeitete gern mit Menschen. Durch ihre Freundschaft mit Mark war es nicht selten vorgekommen, daß ihre Fälle mit den Mächten der Finsternis zu tun hatten. Sie tat sich zwar immer noch schwer, die Existenz von dämonischen Wesen zu akzeptieren, hatte aber schon mehrmals unangenehmen Kontakt mit der Höllenbrut gehabt. Heute schien allerdings ein Routinefall auf die Fahnderin zu warten. »Bist du fit, Tessa?« fragte Pit Langenbach. Auch er war als Marks bester Freund schon in Kämpfe gegen die Hölle verwickelt worden. »Du scheinst die zwei Tage Urlaub ja richtig genossen zu haben. Und ich dachte immer, Mark würde dich ganz schön auf Trab halten.« Tessa grinste. »Es sieht eher so aus, als hätte ich ihn auf Trab gehalten.« Pit gab das Lächeln zurück. »Der Ärmste.« Er ging zu seinem Schreibtisch und kramte darauf herum. »Ich will dich nicht gleich mit einer Riesensache behelligen, Tessa. Hier, kümmer dich mal drum. Eine Vermißtensache. Dürfte reine Routine sein.« Er warf Tessa eine dünne Akte zu. Tessa schlug den Ordner auf. Eine Fotografie zeigte das hübsche Gesicht eines jungen Mädchens mit brünetten Haaren. »Rosi Sawatzki«, las Tessa leise vor. »Neunzehn. Aus Hoyerswerda. Seit gestern nacht vermißt.« Tessa schaute auf. »Wieso kümmern sich nicht die Kollegen vor Ort darum?« »Anordnung von höherer Stelle, Tessa. Der Vater des Mädchens hat gehörigen Einfluß. Er verlangt, daß nur die besten Leute an 51
dem Fall arbeiten. Du kennst das ja. Die Sache ist schließlich auf meinem Tisch gelandet. Ich habe angeregt, daß es besser wäre, wenn eine Frau die Ermittlungen führt.« »Gibt es Anzeichen für eine Entführung?« Pit schüttelte den Kopf. »Bis jetzt nicht, Tessa. Keine Kontaktaufnähme, keine Lösegeldforderung. Es könnte alles sein: ein Sexualverbrechen, eine Entführung oder einfach nur unentschuldigtes Fernbleiben des Mädchens.« Tessa zog den Reißverschluß ihrer Lederjacke hoch. »Ich mach mich gleich auf die Socken.« Eine Viertelstunde später brauste Tessa Hayden mit einem anthrazitfarbenen Ford Mondeo auf der A 4 Richtung Dresden, wo sie auf die B 97 nach Hoyerswerda abbog. Es war Nachmittag, als Tessa in der kleinen Stadt am Rande der Lausitz ankam. Ihr erster Weg führte sie zu den Eltern der verschwundenen Rosi Sawatzki. Die Sawatzkis wohnten in einem Bungalow im Ortsteil Neustadt. Hier, wo sich die Mietskasernen der Wohnungsbaugenossenschaften mit modernsten Gebäuden abwechselten, wandelte sich allmählich die Architektur. Immer mehr moderne Ein- und Mehrfamilienhäuser lockerten das Stadtbild auf. Vor allem in ruhigen Straßen in der Nähe des Rosariums und des Planetariums und im benachbarten Ortsteil Zeissig fand man zum Teil prunkvoll ausgestattete Eigenheime. Anton Sawatzki war ein stiernackiger Mann, der einen gewaltigen Bauch vor sich herschob und seine Hosen mit breiten Hosenträgern an Ort und Stelle hielt. Er mochte noch so viel Einfluß besitzen, aber er schämte sich nicht, Tessa Hayden in Hemdsärmeln und Hosenträgern gegenüberzutreten. Marlene Sawatzki war das genaue Gegenteil ihres Mannes. Klein, zierlich und scheu. Mit im Schoß gefalteten Händen saß sie wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa und schaute die Fahnderin aus verweinten Augen an. »Sie ist noch nie von zuhause ausgerissen«, wimmerte Marlene Sawatzki. »Rosi ist ein liebes Mädchen. Sie hatte keine Geheimnisse vor uns.« »Jetzt hör mal mit dem Gejammer auf, Marlene!« brummte Sawatzki. »Du heulst dir die Augen aus dem Kopf, und das bringt Wita auch nicht zurück. Irgendein Strolch hat sie entführt, da bin ich sicher. Wita käme nie auf den Gedanken, durchzubrennen.« 52
»Hatte Ihre Tochter vielleicht Probleme? In der Schule, im Freundeskreis? Mit Ihnen oder den Geschwistern?« Anton Sawatzki wirbelte herum, soweit sein Körperbau dies zuließ. »Wita ist ein gutes Mädchen!« brüllte er. »Sie ist beliebt, kommt mit allen Leuten gut aus. Auch mit ihrer jüngeren Schwester! Wir gewähren ihr alle Freiheiten, soweit sie im Rahmen des Vertretbaren liegen. Wita hätte keinen Grund, abzuhauen oder sich…« Sawatzki hielt inne. An einen möglichen Selbstmord wollte er nicht denken. Und aussprechen wollte er den Gedanken schon gar nicht. »Bei einem Mädchen von neunzehn Jahren könnte der Rahmen des Vertretbaren aber Ihren Vorstellungen widersprechen, Herr Sawatzki«, formulierte Tessa vorsichtig. »Worauf wollen Sie hinaus, Frau Kommissarin?« fragte Sawatzki lauernd. »Wollen Sie etwa andeuten, daß sich Wita eingesperrt fühlte?« Tessa hob die Schultern. »Möglich ist alles. Hat sie einen Freund?« . »Ausgeschlossen. Davon hätten wir gewußt. Wie meine Frau schon sagte, Wita hat keine Geheimnisse vor uns.« Sawatzki stürmte auf Tessa zu. »Meine Tochter ist ein gutes Mädchen, Frau Kommissarin«, wiederholte er. »Wagen Sie es nicht, ihren Ruf oder den Ruf dieser Familie in den Dreck zu ziehen. Ich könnte im Handumdrehen dafür sorgen, daß Sie wieder Strafzettel verteilen!« Tessa warf Sawatzki einen eiskalten Blick zu und erhob sich. »Ich mache hier nur meinen Job, Sawatzki. Aber ich mache ihn auf meine Weise. Ich werde Ihre Tochter suchen, aber wenn ich dabei auf etwas stoße, das dem Ruf Ihrer Familie schaden könnte, werde ich darauf keine Rücksicht nehmen können!« Die Fahnderin schritt zu einer Wendeltreppe, die ins Obergeschoß führte. »Ich würde mich gerne im Zimmer Ihrer Tochter umschauen.« Marlene Sawatzki stand auf und ging mit raschen Schritten zur Treppe. »Ich begleite sie, Frau Kommissarin«, sagte sie leise und stieg die teppichverkleideten Stufen empor. Anton Sawatzki war hochrot angelaufen. Er stand kurz vor der Explosion. Tessa drehte sich zu ihm um und packte einen der breiten Hosenträger. »Wagen Sie es nie wieder, mir zu drohen, Herr Sawatzki. Ich verstehe etwas von meinem Job. Und wenn 53
Sie sich über mich beschweren wollen, tun Sie das bei meinem Chef!« Sawatzki zuckte schmerzhaft zusammen, als das Gummiband des Hosenträgers auf seine voluminöse Brust klatschte. Rosis Zimmer sah nicht anders aus als die Jugendzimmer anderer Mädchen in ihrem Alter. Die Wände waren mit Postern von Jon Bon Jovi, Bryan Adams und den Backstreet Boys behängt. Den Spiegel der Frisierkommode bekränzten Fotos, die Rosi im Kreis ihrer Freunde und Freundinnen zeigte. Man sah sie am Baggersee, beim Zelten, auf Geburtstagsparties, beim Reiten, in der Schule. Keines der Bilder zeigte das Mädchen in eindeutiger Umarmung mit einem Jungen. Das Zimmer war mit Stereoanlage und Fernsehapparat ausgestattet. Im CD-Wechsler lagen Scheiben mit aktueller Popmusik. »Hat Rosi ein Tagebuch geführt?« wollte Tessa wissen. »Nein. Jedenfalls weiß ich nichts davon«, erklärte Marlene Sawatzki. Tessa zog die Schranktüren auf und ging die Wäschefächer durch. Auch hier war alles ordentlich aufgeräumt und nichts Auffälliges festzustellen. Die Fahnderin nahm sich die Frisierkommode vor, zog die Schubladen auf und durchsuchte sie so behutsam wie möglich. Das Mädchen hatte neben diversen Toiletteartikeln allerlei Krimskrams in den Schubladen verstaut. Tessa entdeckte Halskettchen, Freundschaftsbänder, weitere Fotos, entwertete Konzertkarten, ein Päckchen Spielkarten. Tessa wandte sich dem Nachttisch zu, zögerte und kehrte noch mal zur Frisierkommode zurück. Rasch hatte sie gefunden, was sie suchte, und sie öffnete das Kartenpäckchen. Die oberste Karte zeigte ein Skelett, das auf einem klapperdürren Pferd saß und eine Sense in den knochigen Fingern hielt. Den Tod! Tessa drehte sich zu Marlene Sawatzki um und hielt ihr die Tarotkarten unter die Nase. »Hat sich Rosi mit außergewöhnlichen Dingen beschäftigt? Diese Tarotkarten lassen jedenfalls den Schluß zu.« »Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, Frau Kommissarin. Rosi ist bisweilen ein stilles Mädchen, das sich öfter in ihr Zimmer zurückzieht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sie von 54
diesen Dingen Ahnung hat.« »Sie wäre nicht die erste in ihrem Alter, glauben Sie mir das.« Tessa steckte die Karten in ihre Umhängetasche und nahm sich jetzt den Nachttisch vor. Zwischen Unterwäsche und Socken versteckt stieß sie auf ein zusammengefaltetes Pamphlet. Deutschland - Pende Hand! lautete die Überschrift. Der Text rief zum Beitritt in die Vereinigung auf. »Unterzeichnet« war er mit einem Pendel. Auf der Rückseite des Zettels bemerkte Tessa eine handschriftliche Notiz. Vermerkt waren das Datum des gestrigen Tages, eine Uhrzeit und der Name Didi. »Ihre Tochter scheint also doch ein paar kleine Geheimnisse zu haben, Frau Sawatzki«, sagte Tessa Hayden leise und zeigte Rosis Mutter das Flugblatt. Marlene Sawatzki las den Text und wurde blaß. »Ich - das ist ich hatte keine Ahnung…« stammelte die verzweifelte Frau. Tränen schimmerten in ihren rotgeweinten Augen. Die Fahnderin verließ Rosis Zimmer und eilte mit raschen Schritten die Stufen hinab. Anton Sawatzkis massige Gestalt stand abwartend am Fuß der Treppe. »Nun, Frau Kommissarin, haben Sie irgendwelche verdächtigen Hinweise gefunden?« fragte Sawatzki mit spöttischem Unterton. Tessa hielt ihm das zerknitterte Flugblatt vor das Gesicht. »Ich würde das schon als verdächtig bezeichnen, Herr Sawatzki. Zumindest als befremdlich. Sie nicht?« »Das - das ist…« murmelte Sawatzki. Auch er war bleich geworden. Er schluckte und öffnete den Hemdkragen. »Auf jeden Fall rufschädigend, wenn es an die Öffentlichkeit gelangt«, vollendete die Fahnderin Sawatzkis Satz. »Anton, bleib ruhig!« ließ sich Marlene Sawatzki von oben vernehmen. »Reg dich nicht auf! Ich bin sicher, es gibt eine plausible Erklärung für…« »Eine Erklärung?« Sawatzki brüllte. »Ich pfeife auf eine Erklärung! Eine ausgemachte Sauerei ist das! Solch Dreck in meinem Haus! Nicht auszudenken, was passiert, wenn das an die Öffentlichkeit dringt! Die Sawatzkis verkehren mit Sektierern! Ein Skandal!« Sawatzki hustete, wandte sich ab und wankte ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch fallen ließ. »Und mein Ruin«, fügte er hinzu. »Ich bin erledigt!« »Nun machen Sie mal halblang«, sagte Tessa. »Wahrscheinlich 55
hätten Sie auch so reagiert, wenn sich Rosi in einen Türken verliebt hätte. Alles, was nicht Ihrem Weltbild entspricht, bedeutet für Sie einen Skandal und den Ruin.« »Was wissen Sie denn schon?« brüllte Sawatzki. Tessa bemerkte, daß dem Mann tatsächlich Tränen über die Wangen kullerten. »Vornehmlich geht es hier darum, daß Rosi heil und gesund nach Hause kommt. Ich mache mir die größten Sorgen.« Sawatzki legte eine Hand auf die Herzgegend und atmete schwer. Irgendwie tat Tessa der Mann leid. Seine Frau schlich an Tessa vorbei, stellte sich hinter ihren Mann und legte ihm den Arm um den Hals. Die Kommissarin faltete das Pamphlet zusammen und steckte es in ihr Notizbuch. »Ich geh dann mal«, sagte sie leise und trat in die Diele. Frau Sawatzki machte Anstalten, Tessa zu folgen. »Bemühen Sie sich nicht«, rief die Fahnderin. »Ich finde schon allein hinaus.« Tessa hatte die wuchtige Eingangstür schon fast erreicht, als sie zurückgerufen wurde. »Frau Kommissarin!« Sawatzkis Stimme klang butterweich. Tessa schaute über die Schulter zurück. Sawatzki tauchte in der Tür zum Wohnzimmer auf. »Ich bitte Sie…« »Keine Sorge, Sie können mit meiner Diskretion rechnen.« Sawatzkis Arroganz hatte einen gewaltigen Dämpfer bekommen, und es würde lange dauern, bis er sich von diesem Schlag wieder erholt hatte. * Tessa fuhr zum Konrad-Zuse-Gymnasium im Norden des Ortsteils Neustadt. Einige Klassen hatten noch Nachmittagsunterricht. Tessa hatte Glück. Auch Rosi Sawatzkis Klasse war dabei. Tessa unterbrach ungern den Unterricht, aber sie wollte mögliche Anhaltspunkte so rasch wie möglich sammeln. Sie bat Vera Ziegler, die Klassenlehrerin, auf den Flur. »Tessa Hayden, Kripo Weimar«, stellte sie sich vor. »Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen über eine Ihrer Schülerinnen stellen. Rosi Sawatzki.« Vera Zieglers Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. »Ist Rosi etwas zugestoßen? Ist sie…?« 56
Tessa schüttelte den Kopf. »Bis jetzt wissen wir noch nicht mal, wo Rosi steckt«, sagte sie beruhigend. »Wir wissen zuwenig, um von einem Verbrechen auszugehen. Deswegen möchte ich ja mit Ihnen sprechen, um mir ein Bild von dem Mädchen machen zu können.« Vera Ziegler bat Tessa ins Lehrerzimmer, das um diese Zeit verwaist war. Auf der Kaffeemaschine stand eine halbvolle Kanne. Die Lehrerin füllte zwei Tassen und trug sie zum Tisch. »Es gibt nicht viel über Rosi zu berichten«, sagte Vera Ziegler langsam. »Sie ist ein ruhiges, bisweilen zurückhaltendes Mädchen. Sie kommt mit ihren Klassenkameraden hervorragend aus. Überhaupt gibt es selten Streit unter den Schülern. Und wenn, dann hält sich Rosi aus allen Reibereien heraus.« »Könnte es sein, daß Rosi Probleme hat? Seelische Probleme? Schwierigkeiten mit den Eltern? Oder anders gefragt - gibt es einen Grund, warum Rosi über Nacht wegbleibt, was sie sonst nie getan hat?« »Sie hat keinen Freund, wenn Sie das meinen. Und ich glaube nicht, daß sie zuhause unter Druck gesetzt wird. Gut, der Vater ist eine Autorität und recht streng, was seine Auffassung von einem korrekten Lebenswandel angeht. Aber ich würde ihn eher als jemanden bezeichnen, der seine eigene Unsicherheit durch sein rauhes Auftreten zu verbergen sucht. Die Mutter ist ein graues Pflänzchen und widerspricht ihrem Mann so gut wie nie. Aber sie kümmert sich rührend um ihre Familie. Wie eine Glucke um ihre Küken.« Vera Ziegler überlegte kurz. »Nein, ich wüßte keinen Grund, warum Rosi plötzlich von zuhause wegbleiben sollte.« Tessa Haydens nächste Frage fiel ihr nicht besonders leicht, aber sie mußte sie stellen. »Ist Ihnen bekannt, ob sich Rosi mit übernatürlichen Dingen beschäftigt hat?« Vera Ziegler schaute Tessa lange an. »Haben Sie Anhaltspunkte für diese Vermutung?« Die Kommissarin verneinte. »Wir müssen nur alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.« »Mir ist nicht bekannt, daß sich Rosi in diesen Kreisen bewegt, Frau Hayden. Und wenn ich es wüßte, würde ich alles tun, um Rosi davon abzubringen.« Die Lehrerin wurde nachdenklich. »Wir haben ein Päckchen Tarotkarten in Rosis Zimmer gefunden. Es ist nicht verboten, mit Tarotkarten zu spielen oder 57
Patiencen zu legen. Aber eine bestimmte Deutung der Karten könnte für Rosis Verschwinden verantwortlich sein.« Auch hierzu konnte Vera Ziegler keine Angaben machen. »Aber vielleicht weiß Sarah etwas. Sarah Waldmann. In der Klasse sitzt sie neben Rosi. Soviel mir bekannt ist, unternehmen die beiden auch nach der Schule öfter was.« Tessa bedankte sich und bat darum, Sarah nach dem Unterricht sprechen zu dürfen. Vera Ziegler stand bereits an der Tür, als Tessa ihr noch eine Frage nachrief. »Haben Sie schon einmal von einer Vereinigung gehört, die sich Das Pendel nennt?« Die Lehrerin überlegte, mußte aber auch diese Frage verneinen. Tessa blieb nicht lange allein im Lehrerzimmer. Gleich nachdem der Gong zur Pause ertönt war, klopfte es zaghaft an die Tür. Ein blondes Mädchen mit Jeans, Pulli, dickem Schal und Plateauschuhen betrat das Lehrerzimmer. Tessa begrüßte die Schülerin und deutete auf einen Stuhl. »Kaffee?« fragte sie. Sarah Waldmann lehnte ab. Tessa stellte im Wesentlichen die gleichen Fragen, die sie der Lehrerin gestellt hatte. Dann zog sie das Päckchen mit den Tarotkarten aus der Tasche. Sie legte die Karten offen vor Sarah auf den Tisch. Der Totenschädel auf der obersten Karte grinste die Schülerin an. Erwartungsvoll schaute Sarah Waldmann zu der Kommissarin hinüber. »Kannst du mir dazu vielleicht etwas sagen, Sarah? Wir haben die Karten in Rosis Zimmer gefunden.« Zögernd schüttelte Sarah den Kopf. »Bist du ganz sicher?« Sarah rutschte unruhig auf dem Stuhl herum. »Wir - haben damit gespielt«, rückte sie kleinlaut mit der Sprache heraus. »Es war nur ein harmloses Spiel.« »So wie das Spiel mit - dem Pendel?« Sarah Waldmanns Kopf ruckte hoch. »Woher wissen Sie von dem Pendel?« fragte sie hastig. Im nächsten Augenblick dämmerte ihr, daß Tessa gar nichts oder nicht viel wußte. Die Schülerin wurde rot. Tessa zog das Pamphlet hervor und legte es vor Sarah auf den Tisch. »Was habt ihr mit dieser Vereinigung zu tun?« »Es ist nicht so, wie Sie denken«, sagte Sarah leise. »Wir haben ein paar Typen kennengelernt. Echt nette Jungs. Sie haben uns 58
zu einem Clubtreffen des Pendels eingeladen. Wir sind aber nicht hingegangen.« »Und wie kommt Rosi dann zu diesem Flugblatt?« »Die Jungs haben es verteilt. In der Altstadt. Dabei haben wir sie wiedergetroffen. Sie haben uns zu einem Techno-Rave eingeladen. Einer hat Wita den Zettel zugesteckt.« »Seid ihr hingegangen?« »Zum Rave?« Sarah schüttelte den Kopf. »Ich nicht. Aber ich glaube, Wita wollte hin. Heimlich, damit ihre Eltern nichts merken. Sie hat bestimmt erzählt, daß sie bei mir übernachtet. Deshalb waren meine Alten auch so komisch, als Witas Eltern angerufen haben.« »Wieso hast du niemandem von dem Rave erzählt?« Sarah zuckte die Schultern. »Wita ist alt genug. Es geht mich nichts an, ob sie mit einem von den Typen rummacht oder nicht. Außerdem hat mich niemand gefragt.« »Immerhin bist du Rosis Freundin. Wo fand der Rave statt?« »In den Clubräumen des Pendels. In einer stillgelegten Kiesfabrik in Schwarzkollm.« Tessa Hayden hatte erfahren, was sie wissen wollte. Sie steckte das Flugblatt und die Karten wieder ein. »Kann ich jetzt gehen?« fragte Sarah Waldmann. »Gleich. Kennst du einen gewissen Didi?« Wieder zögerte Sarah. »Na los, raus damit! Je mehr wir wissen, desto schneller finden wir Rosi.« »Ich will aber niemanden mit reinziehen. Von mir wissen Sie nichts!« Die Kommissarin nickte. »Abgemacht. Also?« »Dietmar Wegner heißt einer der Jungs, die wir kennengelernt hatten. Er hat Wita ziemlich heftig angebaggert. Wollte unbedingt, daß sie zum Rave kommt. Wenn Sie mich fragen, hat der Kerl Wita ganz schön verwirrt.« Sarah Waldmann lächelte. »Er sah wirklich nicht schlecht aus.« »Dietmar Wegner gehört also zum Pendel?« »Ja. Ich glaube, er hat da sogar was zu sagen.« »Ihr wißt aber schon, was das für ein Verein ist?« »Ja«, meinte Sarah zögernd. »Aber wir hatten doch mit Sekten und Weltverbesserern nichts am Hut. Die Typen haben uns interessiert.« 59
Tessa erhob sich. »Du kannst gehen, Sarah. Vielen Dank.« An der Tür drehte sich Sarah noch mal um. »Werden Sie meinen Eltern Bescheid sagen? Wegen dem Pendel und so.« »Kommt drauf an, ob uns deine Informationen weiterhelfen. Es ist jetzt erst mal am wichtigsten, daß wir Rosi schnellstmöglich finden.« Während sie zu ihrem Wagen ging, jagten sich Tessa Haydens Gedanken. Seltsam, daß sich diese Gruppe ausgerechnet Pendel nannte. Die Fahnderin beschloß, noch an diesem Abend nach Schwarzkollm zu fahren. Sie wollte eine Antwort auf ihre Fragen haben, und zwar rasch. * »Du gehst der Sache auf keinen Fall allein nach!« drang die gebieterische Stimme von Hauptkommissar Peter Langenbach an Tessa Haydens Ohr. Sie hatte ihrem Chef über Handy Bericht erstattet. Daß eine mysteriöse Vereinigung in den Fall verwickelt sein sollte, hatte Langenbach nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hingerissen. »Pit, ich will mich doch nur mit den Gegebenheiten vertraut machen. Ich gehe bestimmt kein unnötiges Risiko ein. Du kennst mich doch!« »Eben. Und deswegen wirst du die Finger von der Sache lassen. Jedenfalls keine Alleingänge. Das ist ein Befehl!« Tessa unterbrach die Verbindung. Sie hatte den Ford Mondeo neben einer niedrigen Backsteinmauer am Rande von Schwarzkollm geparkt. Von hier aus hatte sie die Gebäude des stillgelegten Kieswerks im Blickfeld, in denen sich Dos Pendel versammeln sollte. Tessas Magen knurrte. Leise fluchte sie vor sich hin. Sie hätte sich mit belegten Broten eindecken sollen, aber daran hatte sie in der Aufregung nicht gedacht. Langsam schwand das Tageslicht. Tessa hatte keine Ahnung, ob sich die Mitglieder der Vereinigung heute abend treffen würden. Aber immerhin war es eine erste Spur. Falls heute kein Treffen stattfand, würde sie eben am folgenden Abend wieder Posten beziehen. Tessa glitt tiefer in den Sitz. Beim Kieswerk regte sich nichts. 60
Die dunklen Backsteingebäude mit den teilweise zersplitterten Fensterscheiben glotzten wie Geisterfratzen ihr herüber. Heulend pfiff der Nachtwind um die Gebäude. Die trostlose Umgebung war für ein geheimes Treffen wie geschaffen. Tessa wurde allmählich schläfrig. Sie mußte sich anstrengen, die Augen offenzuhalten. Immer wieder starrte sie auf die dunkle Gebäudefront, ohne eine verdächtige Bewegung feststellen zu können. Der huschende Schatten wäre ihr um ein Haar entgangen. Aber der Zufall wollte es, daß Tessa die schattenhafte Gestalt wahrnahm. »Volltreffer!« stieß sie leise hervor. Angespannt beobachtete sie, wie die Gestalt einen schmalen Durchgang erreichte, der durch eine Eisentür versperrt war. Der nächtliche Schleicher machte sich an der Tür zu schaffen. Quietschend drehte sie sich in den rostigen Angeln und schwang auf. Der Mann verankerte die Tür an der Wand und tauchte in dem Durchgang unter. Tessa wartete gespannt. Das erste Mitglied des Pendels war gekommen, und die anderen würden nicht lange auf sich warten lassen. Die Kommissarin zog ihre Pistole aus der Schulterhalfter und überprüfte sie. Acht Schuß befanden sich im Magazin der SIG Sauer. Zwei Ersatzmagazine hatte sie eingesteckt. Tessa hoffte, daß sie nicht gezwungen wurde, von der Waffe Gebrauch zu machen. Sie wollte sich nicht auf einen Kampf mit den PendelMitgliedern einlassen. Nach und nach trafen weitere dunkle Gestalten ein. Auch Mädchen waren dabei. Dann tauchte ein junger Mann aus dem Durchgang auf und zog die Tür zu. Tessa gab ihnen eine knappe halbe Stunde, dann verließ sie ihren Wagen und huschte zu der schmalen Eisentür. Vorsichtig bewegte sie die Türklinke. Die Tür war verzogen und sprang mit leisem Geräusch aus dem Schloß. Die Fahnderin schob eine Hand unter die Jacke und legte sie auf den Pistolengriff. Mit der Linken zog sie langsam die Tür auf. Bei jedem Quietschen verzog Tessa das Gesicht. Als der Türspalt breit genug war, um sie durchzulassen, schob sich Tessa ins Dunkle. Vorsichtig setzte sie ihre Schritte und 61
tastete sich voran. Sie gelangte an eine Treppe und folgte ihr nach unten. Ihre Schritte waren kaum zu hören. Tessa schlich durch einen schmalen Gang. Es roch nach Moder und Staub. Aus der Dunkelheit drang lautes Geschrei zu ihr her. Der Gang führte um eine Ecke und mündete in einen riesigen Raum, dessen Decke von Betonpfeilern gestützt wurde. Tische und Bänke waren hufeisenförmig aufgestellt worden. Pechfackeln blakten an den Wänden und verbreiteten zuckendes Licht. An der Kopfseite des Raums befand sich eine Art Bühne, auf der ein Rednerpult aufgestellt war. Tessa schätzte das Durchschnittsalter der Pendel-Mitglieder auf Anfang Zwanzig. Vereinzelt sah Tessa ältere Männer zwischen den jugendlichen Zuhörern. Alle verfolgten die Worte des Redners mit Aufmerksamkeit. Der Redner, wohl einer der ältesten Anwesenden, beendete seine Ansprache. Die Jugendlichen sprangen auf, klatschten begeistert Beifall und sangen ihre Hymne. Tessa drückte sich in eine Ecke des Saals und duckte sich, um nicht aufzufallen. Sie konnte nicht glauben, was sie hier sah. Dieser Redner hatte die Jugendlichen voll im Griff. Für sie war er das große Idol. Und alle schienen aus der Geschichte nichts gelernt zu haben. Der offizielle Teil der Veranstaltung war vorbei. Bier floß in Strömen. Die jungen Männer lachten, machten derbe Spaße. Einige Pärchen fanden sich, knutschten wild herum und zogen sich in die dunkleren Regionen des Raumes zurück. »Kameraden!« brüllte die Stimme des Redners unvermittelt in den Raum. »Kameraden, ich erwarte eure ungeteilte Aufmerksamkeit!« Schlagartig war es still im Saal. »Drei unserer Kameraden sind heute nicht unter uns. Es sind Jürgen Kaiser, Dietmar Wegner und Jens Höhne! Euch allen ist bekannt, daß unentschuldigtes Fernbleiben Konsequenzen hat! Jeder, der zum Verbleib der Kameraden Angaben machen kann, ist hiermit aufgefordert, dies zu tun.« Dietmar Wegner! Tessa erinnerte sich an den Namen des jungen Mannes, der angeblich Rosi zur Rave-Party gelockt hatte. »Ich höre, Kameraden!« Der Anführer des Pendels erfuhr nach und nach vom Techno62
Rave. Stockend berichteten einige Jugendliche, daß sie gesehen hatten, wie die drei Kameraden in Begleitung eines Mädchens die Party verlassen hatten. »Diese Veranstaltung war nicht genehmigt!« brüllte der Anführer der Gruppe. »Und sie wäre auch niemals genehmigt worden!« Der Redner streckte einen Arm aus und deutete auf ein schwarzhaariges Mädchen, das Tessa auf höchstens achtzehn Jahre schätzte. Schüchtern stand das Mädchen neben der Sitzbank. »Führt sie zu unserem Wahrzeichen. Mit dem heiligen Pendel soll sie die Mächte der Dunkelheit bitten, mir den Aufenthaltsort der Kameraden mitzuteilen!« Das Mädchen wurde in die hinterste Ecke des Raums geführt. Gegen ihren Willen. Und als sie kreischte, zog Tessa Hayden die Pistole. Sie konnte das einfach nicht mit ansehen. »Halt!« brüllte jemand hinter ihr. »Wir haben einen ungebetenen Gast!« Tessa biß die Zähne zusammen, warf sich hoch und rammte dem Kerl den Fuß vor die Brust. »Laßt das Mädchen los!« brüllte sie. Die Versammelten schrien, pfiffen und grölten durcheinander. Ein Heidenlärm entstand. Der Anführer des Pendels grinste und drehte sich zu Tessa um. »Glauben Sie wirklich, uns hier Befehle erteilen zu können?« fragte er ruhig. »Schauen Sie sich um. Wir sind in der Überzahl. Und ich glaube kaum, daß Sie hier ein Blutbad anrichten wollen.« Tessa ging darauf nicht ein. »Das Mädchen soll her kommen. Sie wird Ihre Ausweise einsammeln. Ich lade sie alle in die Polizeidirektion vor. Morgen früh um neun!« »Mit welcher Begründung?« fragte der Anführer des Pendels. »Drei Ihrer - Kameraden und eine junge Frau werden vermißt. Genügt das?« »Und wenn wir Ihrer freundlichen Einladung nicht nachkommen?« »Dann lasse ich Sie von meinen Kollegen vorführen. Wenn Ihnen das lieber ist, bitte!« Der Anführer der Vereinigung wandte sich ab und winkte. »Schafft sie her!« befahl er kurz. Tessa Hayden konnte nicht mehr reagieren. Sie fühlte sich gepackt, aus dem Gleichgewicht gebracht und stürzte auf die 63
Tischplatte. Die Pistole wurde ihr aus der Hand geschlagen. Männerfäuste griffen grob zu und zerrten sie vom Tisch. Man drehte ihr die Arme auf den Rücken. Vornübergebeugt stand sie vor dem Anführer des Pendels. »Damit kommen Sie nicht durch, Mann. Freiheitsberaubung, Volksverhetzung. Widerstand gegen eine Polizeibeamtin…« Tessa Hayden stöhnte, als man ihre Arme höher drückte. Der Anführer drehte sich langsam zu Tessa um und deutete in die Ecke, wo die beiden Pendelbrüder immer noch das schwarzhaarige Mädchen festhielten. »Bringt sie zum Pendel!« befahl er. Man drückte Tessa durch die Menge und versetzte ihr in der Ecke einen Stoß, der sie zu Boden warf. Tessa kam neben einem Doppelkreis zu liegen, in dessen Mitte sich ein Pentagramm befand. Im Kreis selbst waren verschiedene Symbole zu erkennen. »Was machen wir mit der Bullen-Tussi, Chef?« fragte ein Wichtigtuer. »Legt ihr die eigenen Handschellen an. Die Versammlung ist für heute beendet. Morgen treffen wir uns wieder, aber eine Stunde später als sonst. Geht jetzt, ich muß nachdenken!« Man fesselte Tessa die Arme auf den Rücken und ließ sie in der Ecke liegen. Die Pechfackeln wurden gelöscht. Schritte entfernten sich. »Angenehme Nachtruhe, Frau Polizistin«, hörte Tessa die Abschiedsworte des Anführers, dann schloß sich quietschend die Eisentür. Tessa Hayden blieb in dem stockfinsteren Kellerraum allein zurück. * »Mit Hilfe meines Zauberbuches konnte ich das Geheimnis der Oberhexe ergründen«, kam Krabat zum Abschluß seiner Erzählung. »Ich erfuhr, daß sich in ferner Zeit ein Mann gegen die Hölle stellen würde. Er wart der Träger des Rings genannt, Gevatter Markus. Ich erinnerte mich an Tabeas Drohung, daß ihre Schattenhexen den Träger des Rings vernichten sollten. Als die Hexenweiber aus meiner Heimat verschwanden, suchte ich mit Hilfe des Buches ihre Spur, reiste durch die Zeit und traf Euch, 64
Gevatter!« Ich hatte Krabat zu meinen Eltern gebracht. Professor Hardenstein war begeistert, den kleinen Hexenmeister persönlich kennenzulernen. Krabat hatte jedoch nichts als Unsinn im Kopf, stellte allerlei Blödsinn an und veranstaltete im Arbeitszimmer meines Vaters ein heilloses Durcheinander, bis Lydia Hellmann das Kerlchen endlich bremste. Vor meiner Mutter schien Krabat Respekt zu haben. Er wich ihr nicht von der Seite, schaute ihr beim Kochen über die Schulter und ging ihr mit allerlei Kunststückchen zur Hand, nachdem er bemerkt hatte, daß Lydia nicht gut zu Fuß war. Endlich hatten wir es geschafft, Krabat zu einem Gespräch im Arbeitszimmer zu überreden. Fritz Hardenstein stellte Krabat allerhand Fragen über seine Zeit als Hexenmeister. Die Antworten des kleinen Kerls verblüfften den Professor. »Wo - hast du denn dein berühmtes Zauberbuch, Krabat?« kam schließlich die Frage, deren Antwort den Professor am meisten interessierte. Krabat grinste verschmitzt. »Das werde ich Euch nicht auf die Nase binden, Väterchen. Ihr könntet in Versuchung geraten, es selbst ausprobieren zu wollen, oder gar es zu - stibitzen!« »Wo denkst du hin, Krabat?« wehrte sich Hardenstein. »Aber einen Blick hätte ich schon mal gern hineingeworfen.« »Papperlapapp!« entgegnete Krabat und verschränkte die Arme. »Ich kenne Euch nicht lange genug, um Euch zu trauen, Väterchen. Kaum habt Ihr das Buch vor Eurer Nase, packt Ihr es und gebt es nicht wieder her! Nein, nein, das Buch bleibt, wo es ist.« »Würdest du mir das Buch auch nicht zeigen, Krabat?« fragte ich. »Traust du dem Träger des Rings auch nicht?« Krabat druckste herum. »Bei Euch ist das etwas anderes, Gevatter Markus. Vielleicht zeige ich Euch das Buch einmal. Aber noch ist der Augenblick nicht gekommen. Wir sollten uns überlegen, was wir gegen die Klageweiber unternehmen werden.« Ich nickte. »Wir werden sie dort suchen, wo sie ursprünglich ihr Unwesen trieben. In deiner Heimat, Krabat. Die Warnung der Schattenhexe, die Professor Hardenstein erhielt, bezog sich auf Sachsen. Nichts liegt näher, als sie in der Gegend um Hoyerswerda zu vermuten.« Krabat klatschte in die Hände. »Fein gesprochen, Gevatter. 65
Wann brechen wir auf?« »Morgen früh!« »Pah! Ihr wollt eine ganze Nacht vertrödeln? Herr Markus, wir sollten uns sofort auf den Weg machen. Spannt die Rösser an, laßt die Peitsche knallen! Der unnachahmliche Krabat hat den schrecklichen Hexen den Kampf angesagt und brennt darauf, ihnen den Garaus zu machen, sie in Stücke zu reißen, zu vierteilen, zu…« Ich packte den Hexenmeister am Kragen seines Jankers und pflanzte ihn in einen Sessel. »Klappe, Krabat! Dein Tatendrang in allen Ehren, aber unsereins braucht auch mal Schlaf. Wenn wir jetzt nach Hoyerswerda aufbrechen, treffen wir mitten in der Nacht dort ein. Wir wissen nicht mal, wo wir mit der Suche beginnen sollen.« »Seid unbesorgt, Gevatter«, beruhigte mich Krabat. »Ich kenne mich dort aus. Wir suchen die Überreste der Teufelsmühle, von dort führe ich Euch zu der Stelle im Wald, wo ich die Hexen gesehen habe.« »Du machst es dir ein wenig zu einfach, Kleiner. An der Stelle, wo einst die Teufelsmühle stand, könnte man heute bereits ein Hochhaus errichtet haben. Und vielleicht gibt es den Wald auch nicht mehr.« Krabat runzelte die Stirn. »Ein Hochhaus? Was ist ein Hochhaus?« Ich verdrehte die Augen, während Professor Hardenstein versuchte, Krabat die heutige Bauweise näherzubringen. Das Telefon auf Ulrich Hellmanns Schreibtisch klingelte. Er hob ab, lauschte und hielt mir den Hörer hin. »Für dich«, sagte er kurz. »Was ist das?« fragte Krabat neugierig, der auf den Apparat aufmerksam geworden war. Flugs war er aus seinem Sessel heraus und näherte sein Ohr der Hörmuschel. »Kommen dort Töne heraus?« Offenbar hatte ihn der Gesprächsteilnehmer gehört, denn eine quakende, undeutliche Stimme antwortete. Krabat zuckte zurück. »Vermaledeites Teufelswerk! Man spricht zu mir aus jenem Knochen! Und man wirft mir wüste Worte an den Kopf. Ich werde den Knochen in ein Häuflein Mist verwandeln, auf daß der Teufelsspuk ein Ende hat!« Krabat fuchtelte mit den Fingern vor dem Telefonhörer herum. 66
Ich packte ihn, drückte seine Arme nach unten und zog das Kerlchen hinter mich. »Hör auf mit dem Unfug, Krabat! Das ist mein Gespräch!« »Mark?« hörte ich die Stimme meines Kumpels und Kampfgefährten Pit Langenbach. »Sag mal, wer quatscht den hier ständig dazwischen?« »Frag lieber nicht. Du würdest es mir sowieso nicht glauben, Pit. Was gibt's denn?« »Es geht um Tessa. Ich mache mir Sorgen um das Mädchen.« In mir verkrampfte sich alles. »Schieß los«, bat ich. »Schießen? Wieso schießen?« meldete sich Krabat zu Wort. »Mit einem Knochen kann man nicht schießen. Und durch einen Knochen schon gar nicht. Jetzt redet Ihr aber Unsinn, Gevatter Markus.« »Sei still, Krabat!« befahl ich. »Wie hast du mich gerade genannt?« dröhnte Pits Stimme an mein Ohr. »Ist mit dir alles in Ordnung, Alter? Erst soll ich dir von Tessa erzählen, und im nächsten Moment soll ich den Mund halten. Könntest du dich vielleicht mal entscheiden?« »Ich glaube, es ist besser, wenn ich bei dir vorbeikomme. Du bist im Büro?« »Ja. Ich warte auf dich.« Pit legte auf. Krabat strebte zur Tür. »Mütterchen Lydia - packt Verpflegung zusammen, schnürt den Ranzen, es geht von dannen!« »He, Krabat, das ist nicht nötig!« rief ich. »Ich besuche nur einen Freund.« Der kleine Hexenmeister wirbelte herum. »Seid Ihr von Sinnen, Gevatter Markus? Die Hexen warten. Jetzt ist nicht die Zeit, Freunde zu besuchen!« »Kümmert euch um den Kleinen und sorgt dafür, daß er keinen Blödsinn macht!« bat ich Ulrich Hellmann und den Professor. Ich schob Krabat zur Seite und verließ das Arbeitszimmer. »Haltet ein, Gevatter! Ich bleibe hier nicht allein zurück. Eure Freunde sind auch meine Freunde. Ich werde Euch begleiten!« »Das kommt überhaupt nicht in Frage, Krabat. Du bist imstande und bringst den gesamten Polizeiapparat durcheinander.« »Was ist ein Polizeiapparat?« fragte der Kleine und war schon auf dem Weg zur Haustür. Im Vorbeigehen sauste er in die Küche, drückte meiner Mutter einen Schmatz auf die Stirn, fegte wie ein Wirbelwind über Arbeitsplatte, Spüle und Küchentisch, 67
daß sie blitzten und blinkten und war schon wieder draußen, bevor Lydia Hellmann etwas sagen konnte. Kopfschüttelnd folgte ich dem kleinen Feger. »Hui, schon wieder fahrt Ihr mit diesem teuflischen Wagen, der ganz ohne die Hilfe von Pferden auskommt!« wetterte Krabat, als er vor dem stahlblauen BMW stand. »Ich kann solch Teufelswerk nicht gutheißen! Ich werde es verwandeln und…« »Es reicht, Krabat! Halt endlich den Mund und setz dich still hin. Und laß um Himmels Willen deine Zauberei bleiben!« Ich kam gut voran und betrat Minuten später das Büro des Hauptkommissars. Pit Langenbach war gerade in eine Telefonat vertieft und winkte uns grüßend zu. Dabei betrachtete er erstaunt meinen buntgekleideten Begleiter. Krabat schaute sich in dem Büro um. Argwöhnisch beäugte er den »Knochen«, den Pit an sein Ohr gepreßt hielt. Den Rest gab ihm allerdings das Faxgerät, das zu summen anfing und ein beschriebenes Blatt ausspuckte. Krabat zog mich heftig am Ärmel und deutete auf das Faxgerät. »Das - geht nicht mit rechten Dingen zu! Dieses - Teufelsding hat ein beschriebenes Papier ausgespuckt! Wo habt Ihr mich hingeführt, Gevatter Markus? In den Vorhof der Hölle?« Zu allem Überfluß rappelte jetzt auch noch die Kaffeemaschine, die auf einem niedrigen Aktenschrank stand. Vorsichtig näherte sich Krabat der Maschine, beobachtete die dunkle Brühe und schnüffelte. Pit legte auf und erhob sich. »Gut, daß du so schnell gekommen bist«, lobte er. »Wer ist der da?« »Der da heißt Krabat und ist ein Hexenmeister aus dem siebzehnten Jahrhundert. Ist sozusagen auf Dienstreise. Er war es übrigens, der bei unserem Telefonat seinen Senf dazugegeben hat.« »Und was macht der Mensch mit meiner Kaffeemaschine?« Ich schaute kurz zu Krabat, der seine Finger vor der Maschine hin und her bewegte. »Ich glaube, er verzaubert sie gerade.« Die Kaffeemaschine verpuffte. An ihrer Stelle krabbelten ein paar weiße Mäuse über den Aktenschrank. Krabat nahm die Tiere hoch und steckte sie in seine Jacke. »Ist der noch zu retten?« brüllte Pit. »Mann, bring meine Kaffeemaschine zurück!« »So wart Ihr es, Gevatter, der jene wüsten Worte durch den 68
Knochen rief!« erkannte Krabat die Stimme meines Freundes. »Ich gedenke, Euch dafür in eine garstige Krähe verwandeln. Da könnt Ihr zetern, soviel Ihr wollt, man wird Euch nicht verstehen.« »Das ist nicht sein Ernst, oder?« fragte Pit stockend und deutete mit dem Daumen auf Krabat. Ich grinste. »Doch. Aber ich glaube nicht, daß er seine Drohung wahrmacht.« »Ihr seid von Teufelswerk umgeben, Gevatter. Ihr solltet schleunigst etwas dagegen tun, sonst wird es Euer Verderben sein!« »Wovon redet der Knabe?« fragte Pit. »Nur von dem neumodischen Kram in deinem Büro. Faxgerät, Kaffeemaschine und Telefon sind für ihn Geschöpfe des Bösen. Der Computer übrigens auch. Ich an deiner Stelle würde ihn abschal…« »Was ist denn dies?« rief Krabat in diesem Augenblick und stürzte auf den Schreibtisch zu. Sein Blick war auf den Bildschirm gefallen, wo Lichtkaskaden explodierten. »Ihr habt den Sternenhimmel eingefangen und zerstört die Sterne! Scharlatan! Teufel in Menschengestalt! Ich werde Euch lehren, mit den Gestirnen Schindluder zu treiben!« Pit duckte sich hastig und schaltete den PC ab. »Ihr habt sie verschwinden lassen! O Jammer! O Elend! Wie konntet Ihr das nur tun?« »Schaff ihn hier raus, ja?« flehte Pit. »Sperr ihn in den Wagen oder mach sonst was mit ihm, aber schaff ihn mir aus den Augen!« Ich tippte dem kleinen Hexenmeister auf die schmächtige Schulter. »Krabat? Würdest du so lieb sein und dich dort auf den Stuhl setzen, während ich mit meinem Freund spreche? Du kannst inzwischen mit deinen Mäusen spielen.« Nur zögernd kam Krabat meiner Bitte nach. »Also, was ist mit Tessa?« »Sie ist in Hoyerswerda und geht dort einer Vermißtensache nach. Vor ein paar Stunden hat sie mich angerufen. Offenbar hat sie eine Spur zu einer Vereinigung verfolgt, die sich Das Pendel nennt. Sie wollte Nachforschungen in dieser Richtung anstellen, aber ich habe es ihr verboten. Seitdem habe ich nichts mehr von Tessa gehört.« 69
Das Pendel! Ich mußte an meinen Alptraum denken. Konnte es sich dabei um eine symbolische Warnung vor der Vereinigung gehandelt haben? Irgendwie glaubte ich nicht so recht daran. Denn auch Tabea war in meinem Traum erschienen. In mir festigte sich die Überzeugung, daß hier eine Verbindung bestand. »Du kennst ja Tessa«, fuhr Pit fort. »Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat, ist sie nicht mehr zu bremsen.« Ich nickte. »Du glaubst, sie hat sich deinen Anweisungen widersetzt und schnüffelt auf eigene Faust rum?« »Zuzutrauen wäre es ihr.« »Dann können wir nur hoffen, daß du dich irrst, Pit. Aber Krabat und ich wollen morgen früh sowieso nach Hoyerswerda. Dabei werden wir uns auch nach Tessa umsehen.« »Was wollt ihr denn dort oben?« »Hexen jagen«, gab ich kurz zurück. Ich wollte gerade zu einer umfassenden Erklärung ansetzen, als ein gellender Schrei ertönte. »Aaaah!« Es war eine Frauenstimme. »Nehmt diese Ratten von mir! O Gott! Kann mir denn niemand helfen?« Pit und ich spritzten gleichzeitig in die Höhe und rannten ins Nebenzimmer. Uns bot sich ein Bild der Verwüstung. Eine Beamtin in Uniform lag auf einem leergefegten Schreibtisch. Sie war über und über mit Mäusen bedeckt, die auf ihr herumkrabbelten und sich in ihrer Kleidung versteckten. Der Boden war übersät mit Papieren, Telefon, Schreibgeräten und einer Kaffeetasse. Neben einer elektrischen Schreibmaschine entdeckte ich Krabat, der eben dabei war, das »Teufelswerk« in irgendwas Häßliches zu verzaubern. »Krabat!« brüllte ich. Das Kerlchen zuckte zusammen. »Nimm die Mäuse von der Frau und verzaubere die Vierbeiner in das zurück, was sie einmal waren!« »Die Gevatterin begegnete mir ungebührlich«, rechtfertigte sich Krabat. »Mir, dem unvergleichlichen, unnachahmlichen, großartigen, edelmütigen…« »Krabat, die Frau ängstigt sich zu Tode. Hol endlich deine Mäuse von ihr weg!« Widerwillig sammelte Krabat seine Nager ein und schlich sich in Pits Büro davon. Ich folgte ihm. »Und jetzt zauberst du gefälligst 70
die Kaffeemaschine zurück!« zischte ich. »Wegen dir kriege ich hier noch Hausverbot, Kleiner!« »Was ist - Hausverbot?« Ich holte tief Luft. »Krabat? Tu es einfach, ja?« Pit Langenbach bekam seine Kaffeemaschine zurück. Die Mäuse verschwanden. Auch im Nachbarbüro schaffte Krabat widerwillig Ordnung. Ich packte Krabat am Kragen und schob ihn vor mir her, während ich Pit zum Abschied winkte. »Kraaabaaat!!« hörte ich Pits Gebrüll, als wir den Korridor hinuntergingen. Das Kerlchen kicherte. »Was hast du jetzt wieder angestellt?« fragte ich, obwohl ich mich vor der Antwort fürchtete. »Ihr batet mich, die teuflische Maschine zurückzubringen. Doch ich konnte diese übelriechende Brühe nicht ertragen. Ich habe sie ein wenig verändert.« Ich wollte nicht wissen, wogegen Krabat den Kaffee ausgetauscht hatte. Auf keinen Fall konnte es etwas Angenehmes gewesen sein. Auf diese Art und Weise kam wohl keine Freundschaft zwischen Krabat und Pit Langenbach zustande. Nur mit Mühe ließ sich Krabat dazu bewegen, die Nacht ruhig und friedlich zu verbringen. Krabat und ich schliefen im Wohnzimmer meiner Eltern, aber es dauerte lange, bis der kleine Hexenmeister endlich zur Ruhe kam. Ich hoffte, daß wir die Hexen recht bald aufstöberten. Lange ertrug ich den kleinen Quälgeist nicht mehr. * Ich erwachte von einem lieblichen Gesang. Blinzelnd schlug ich die Augen auf. Sofort schaute ich mich nach Krabat um, weil ich wieder irgendeinen Unfug vermutete. Der kleine Hexenmeister war verschwunden! Ich stand auf, huschte zum Fenster und schaute hinaus. Mein Blick fiel auf die Gartenterrasse und das darunterliegende Rasenstück. Und ich sah - Krabat! Er stand am Rand der Terrasse. Vor ihm, auf dem Rasen, standen drei junge Frauen. Sie standen dicht beieinander und 71
sangen. Ihre bleichen Körper waren in weiße, durchsichtige Gewänder gehüllt. Blumenkränze zierten die langen Haare. Ich schlüpfte in meine Stiefel und ging zur Terrassentür. Krabat hörte mich nicht. Er schien vollkommen im Bann der drei Mädchen zu stehen. Sie waren wirklich hübsch. Ihre festen, schlanken Körper waren unter den Gewändern deutlich zu erkennen. Die Mädchen sangen und winkten. Sie lockten Krabat zu sich heran, betörten ihn mit ihrem Lächeln, ihren vollen, feingeschwungenen Lippen. Der kleine Hexenmeister schien unentschlossen. Offenbar stand er kurz davor, dem Ruf der Frauen zu folgen. Ich machte einen Schritt auf Krabat zu. Im selben Moment spürte ich, wie sich der Siegelring an meiner rechten Hand erwärmte und zu glimmen begann. Er reagierte auf dämonische Ausstrahlung! Hatte ich etwa wieder jene Schattenhexen vor mir, die damit gedroht hatten, ganz Sachsen in Blut und Tränen zu ertränken? Sie sahen etwas anders aus als jene Schattenweiber auf dem Parkplatz in Weimar. »Krabat!« rief ich leise. »Hörst du mich? Du darfst ihrem Ruf nicht folgen!« Aber es war zu spät. Der kleine Zauberkünstler setzte sich in Bewegung und sprang auf den Rasen. Mit wenigen Schritten hatte er die Mädchen erreicht. Ich vermutete, daß sie Krabat im Schlaf überrascht und betört hatten. Sonst wäre es ihnen nie gelungen, die Sinne des Hexenmeisters zu verwirren. Helles Lachen drang zu mir herüber. Die Mädchen nahmen Krabat in ihre Mitte. Sie streiften ihre Gewänder ab und tanzten nackt um ihn herum. Krabat drehte sich mit ihnen. Seine Augen leuchteten. Der Gesang der Mädchen hörte schlagartig auf. Dafür erhob sich nun ein Wehklagen und Jammern. Tränen kullerten an den Wangen der Mädchen entlang. Ein gellender Klageschrei erfüllte die Luft. Krabat schien es nicht zu hören. Er stand immer noch im Bann der Mädchen. Ich rannte ins Haus zurück, jagte in die Küche und riß ein langes Tranchiermesser von der Magnetleiste an der Wand. Mein 72
Einsatzkoffer lag im Kofferraum des BMW. Es würde zu lange dauern, ihn zu holen. Wenn ich Krabat retten wollte, benötigte ich jedoch dringend eine Waffe. Ich betrachtete den Ring. Er glomm nur noch schwach. Ich riß mein Hemd auf und preßte die Siegelfläche des Rings gegen das siebenzackige Mal auf meiner linken Brust. Ein heftiger Schauer durchzuckte mich, verflog aber im nächsten Moment wieder. Der Siegelring strahlte jetzt hell und gleißend. Mit dem Lichtstrahl schrieb ich die Runen des keltischen Wortes für Waffe auf die breite Klinge des Messers. Blaue Blitze zuckten. Blaugelbe Flämmchen hüllten das Messer ein, tanzten über die Klinge. Ich hob das Messer auf und hetzte auf die Terrasse zurück. Die Wurlawy umringten Krabat eng. Ihre schlanken, festen Körper preßten sich an den kleinen Hexenmeister. Ihre Hände strichen über sein Gesicht und seine Brust. Immer noch jammerten sie, verführten Krabat aber gleichzeitig mit ihrer Anmut. Mit einem Satz war ich auf dem Rasen und jagte auf die Hexen und ihr Opfer zu. »Laßt ab von ihm. Ich bin es, den ihr wollt!« schrie ich. Die Klagefrauen unterbrachen ihr Gejammer und schauten mich an. Unendliche Traurigkeit lag in ihren Gesichtern. Ich riß mein Hemd weit auf. Der Blick der Schattenfrauen fiel auf das siebenzackige Mal auf meiner Brust. Erschrocken wichen sie zurück. Ich erlebte dieses Phänomen nicht zum ersten Mal. Schon damals, als ich meinen ersten Kampf gegen die Hexen ausgetragen hatte, war mir diese Wirkung des Mals auf die Hexenwesen aufgefallen. Die Schattenhexen fingen sich rasch. Wut stand plötzlich in ihren Gesichtern zu lesen. Sie sausten auf mich zu. Dabei veränderte sich ihr Aussehen. Ihre schönen Gesichter wurden runzlig. Die Haut vertrocknete, brach weg. Leere Augenhöhlen glotzten mich an. Die Hände waren zu knochigen Krallen geworden, die auf mich niederzuckten. Die Schattenhexen kreischten schrill. Ich trieb eines der gräßlichen Wesen mit einem Tritt von mir weg. Mit einer Drehung wandte ich mich einer anderen Hexe zu und brachte ihr einen tiefen Schnitt quer über der Brust bei. Dabei fiel mir auf, daß die Hexen ihre jugendlichen Körper 73
beibehalten hatten. Die bleiche Haut der Hexe klaffte auf. Schwarzgrünes Dämonenblut quoll aus der Wunde. Blaue Flämmchen tanzten über dem Schnitt, schienen tief in den Leib der Schattenhexe zu dringen. Ich hatte keine Zeit mehr, der verwundeten Hexe meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ein weiteres Höllenwesen sprang mir in den Rücken. Ich neigte den Kopf und beugte mich vor. Tief gruben sich die knochigen Krallenfinger in meinen Rücken. Das grinsende Totengebiß klappte Zentimeter von meinem Hals entfernt aufeinander. Ich fiel auf die Knie, warf meinen Oberkörper vor und zerrte gleichzeitig mit der Linken am strähnigen Haar der Hexe. Mit einem schrillen Laut fegte sie über mich hinweg und landete auf dem Rücken. Ich war sofort über ihr, packte sie an der Kehle, preßte sie nieder und rammte ihr die lange Messerklinge in die Brust. Hinter mir schrie Krabat auf. Er war endlich aus dem Bann der Hexen erwacht. Hastig bewegte er seine Hände und murmelte einen Zauberspruch, aber er hatte bereits zuviel Zeit verloren. Die Hexe, die ich anfangs durch einen Tritt beiseite gefegt hatte, warf sich auf den Hexenmeister. Ihre Knochenfinger legten sich um seinen Hals. Krabat brachte keinen Ton mehr heraus. Kraftlos sanken seine Arme nieder. Sein Gesicht lief blau an. Die Schattenhexe kicherte. »Gib mir einen Kuß, Kleiner! Es wird der schönste Kuß deines Lebens sein!« Ihre Totenfratze näherte sich Krabats Gesicht. Ich war mit wenigen Sprüngen hinter Krabat und der Hexe. »Krabat ist zu jung für solche Spielchen!« zischte ich, riß die Hexe an ihrem langen Haar zurück und rammte ihr die Klinge in den Leib. »Paßt auf, Gevatter!« rief Krabat mit krächzender Stimme, als er sah, wie sich hinter mir die verwundete Hexe näherte. Ich riß die Klinge frei und stieß sie nach hinten. So standen wir einige Sekunden lang. Unbeweglich verharrten wir auf der Stelle. Krabat vor mir. Die stöhnende Hexe an seinem Hals, hinter mir eine weitere Schattenhexe, die durch die Messerklinge festgehalten wurde. Dann war es vorbei. Schlagartig. 74
Die beiden Hexen begannen sich aufzulösen. Die Körper wurden schlaff und verdorrten in wenigen Augenblicken zu Skeletten. Sie fielen zu Boden und zerbröselten. Zurück blieb etwas Asche und ein paar Haare. »Ich danke Euch, Gevatter Markus. Das war Hilfe in höchster Not.« »Wieso konnten sie dich betören, Krabat? Wo du doch solch ein unnachahmlicher Hexenmeister bist?« »Spart Euch den Spott, Gevatter Markus!« Krabat senkte beschämt den Kopf. »Ich war schlaftrunken und hatte den geeigneten Zauberspruch vergessen. Aber es waren gar liebliche Mägdelein, das müßt Ihr zugeben!« »Am Anfang schon. Später nicht mehr.« Ich führte Krabat ins Haus zurück und schloß die Terrassentür. Als wir uns längst wieder niedergelegt hatten, ließ Krabat noch einmal seine Stimme vernehmen. »Was meintet Ihr eigentlich damit, daß ich zu jung für solche Spielchen sei, Gevatter? Und welche Spielchen meintet Ihr?« Ich gab ihm keine Antwort. * Tessa lehnte an der Wand und hatte die Augen geschlossen. Die stählerne Acht hatte man so fest um ihre Handgelenke gelegt, daß sie die Blutzirkulation beeinträchtigte. Tessas Hände wurden bereits taub. Die Fahnderin machte sich keine Illusionen über ihr Schicksal. Pistole und Handy hatte man ihr abgenommen. Sie hatte keine Möglichkeit, sich zu wehren oder Verstärkung anzufordern. Dem Pendel würde es nicht schwerfallen, sie für immer verschwinden zu lassen und alle Spuren zu verwischen. Tessa glaubte nicht, daß man sie am Leben lassen würde. Sie hatte zuviel mitbekommen, wußte einfach zuviel. Und der Anführer der Vereinigung schien nicht die geringsten Skrupel zu kennen. Trotz der Dunkelheit konnte Tessa Hayden nicht schlafen. Es war eiskalt in dem Kellergewölbe. Eine Zeitlang hatte sie versucht, sich durch Gymnastikübungen warm zu halten, doch bald hatte sie die Lust verloren. 75
Irgendwann hörte sie das leise Quietschen. Tessa hielt den Atem an und lauschte, waren es Ratten, oder hatte die Eisentür am Eingang zu dem Keller gequietscht? Schritte hallten von den Wänden wieder. Tessa öffnete die Augen und schaute in die Richtung, wo sie den unbekannten Besucher vermutete. Es war ein Fehler gewesen, wie sie gleich darauf feststellte. Der grelle Strahl einer Hallogenlampe traf ihr Gesicht, stach in ihre Augen und blendete sie. Tessa wandte das Gesicht ab. »Wer wird denn so schreckhaft sein?« fragte eine ihr wohlbekannte Stimme. Tessa schaute mit zusammengekniffenen Augen in das grelle Licht. Undeutlich sah sie die Umrisse eines Mannes. Aber sie hatte seine Stimme ohnehin erkannt. Es war der Anführer des Pendels! »Sie haben Mut, Polizistin«, sagte der fette Kerl. »Daß Sie sich allein in die Höhle des Löwen gewagt haben, spricht für Sie. Aber all Ihr Mut nützt Ihnen nichts.« »Wenn Sie mich umbringen wollten, hätten Sie es schon längst getan«, sagte Tessa leise. »Was haben Sie vor? Wie geht's jetzt weiter? Eine Kugel ins Genick und ab in den Wald mit der unliebsamen Bullen-Tussi?« »Nein.« Der Mann schwieg und zündete sich eine Zigarette an. Laut blies er den Rauch in Tessas Gesicht. Die Fahnderin mußte husten. »Nicht ganz«, fuhr der Anführer des Pendels fort. »Ich habe mir Gedanken gemacht. Sie können uns nützlich sein und dabei trotz allem Ihr Ende finden. Und keiner von uns wird Hand an Sie legen müssen.« »Jetzt bin ich aber gespannt wie ein Regenschirm.« Die Antwort des Mannes fiel anderes aus, als Tessa erwartet hatte. Er richtete den Lampenstrahl auf den Kreis mit dem Pentagramm. Tessa schaute die Platte verständnislos an. »Das ist unser Wahrzeichen. Das Pendel. Wir wollen die Macht. Und mit dem Pendel haben wir eine mächtige Waffe. Und die setzen wir ein.« Tessa Hayden betrachtete wieder die kreisrunde Platte vor ihr. Ein Gedanke formte sich in ihrem Kopf. »Schwarze Magie«, stellte sie fest. 76
»Kompliment, meine Liebe. Ja, die Magie war schon immer eine großartige, unbesiegbare Waffe. Wir haben die Mächte der Finsternis auf unserer Seite, Frau Kommissarin. Und morgen nacht werden Sie in den Genuß kommen, sie zu rufen.« »Warum sollte ich das tun?« »Weil Sie neugierig sind, meine Liebe. Es interessiert Sie, wer unsere Freunde aus dem Reich der Finsternis sind. Und Sie glauben mir nicht wirklich, deshalb wollen Sie mit eigenen Augen erleben, ob es tatsächlich funktioniert.« »Haben Sie Ihre ominösen Verbündeten schon mal herbeizitiert?« fragte Tessa zweifelnd. »Sagen wir so - wir hatten Kontakt«, antwortete der Fette ausweichend. »Aber Sie haben die Dienste der Dämonen noch nie in Anspruch genommen, nicht wahr?« Keine Antwort. Tessa zuckte mit den Achseln und lehnte sich an die Wand. »Lassen Sie es bleiben. Wer die Hölle um Hilfe ruft, dem wird sie zum Verhängnis. Die Mythologie besagt, daß der Teufel nie seine Dienste ohne Gegenleistung bietet. Sie werden sterben, Mann!« »Wir wollen und werden unser Ziel erreichen!« rechtfertigte der Anführer des Pendels sein Vorgehen. »Sie werden schon sehen, was Sie davon haben.« »Geschwätz, meine Liebe. Nichts als Weibergewäsch, um mich zu verunsichern. Morgen nacht werden Sie das Wahrzeichen unserer Vereinigung in Gang setzen. Und es wird ein voller Erfolg werden!« »Wenn Sie sich da mal nicht gewaltig irren, Meister.« »Ja. Das ist der richtige Titel. Meister! Nach der Aktion werde ich nicht mehr Kleinschmidt heißen, sondern meine Anhänger werden mich mit Meister anreden! Ein Titel, der meiner würdig ist!« Tessa erkannte den Wahn des Mannes, der von seinen Zielen überzeugt war und so viele junge Männer und Frauen in eine falsche Zukunft lockte. Vor lauter Selbstherrlichkeit war ihm nicht mal aufgefallen, daß er ihr seinen Namen genannt hatte. »Wissen Sie was, Kleinschmidt? Ihre hochgesteckten Ziele kotzen mich an! Sie bringen nichts als Verderben, streuen Zwietracht und reiben am Ende ein ganzes Volk auf! Aber tun Sie, was Sie nicht lassen können. Sie werden scheitern, wie so viele 77
Weltverbesserer vor Ihnen gescheitert sind.« Tessa spuckte vor Kleinschmidt aus. »Und nennen Sie mich nie wieder meine Liebe, sonst wird mir übel!« Die Fahnderin wandte den Kopf ab. Für sie war das Gespräch beendet. Kleinschmidt lachte leise. »Große Worte. Es werden Ihre letzten sein. Morgen ist es soweit. Dann erfüllt sich Ihr Schicksal! Schlafen Sie gut!« Kleinschmidt zog sich zurück und ließ Tessa in der Dunkelheit allein. Ihre Augen suchten die Stelle, wo sie den Doppelkreis mit dem Pentagramm gesehen hatte. Was mochte wohl auf sie warten? Würde die Hölle sie verschlingen? Kaum hatte sie den Gedanken gehabt, sah sie Mark Hellmanns Gesicht vor ihrem geistigen Auge. Er lächelte ihr aufmunternd zu. Und damit stellte sich Tessa eine weitere Frage. Würde Mark Hellmann diesmal rechtzeitig zur Stelle sein, um sie vor einem grauenvollen Tod zu retten? Tessa glaubte nicht daran. Denn Mark hatte nicht den blassesten Schimmer, in welch prekärer Lage sie sich befand. * Wir kamen später weg, als geplant. Krabat schilderte meinem Vater und dem Professor in recht blumiger Weise den nächtlichen Angriff der Schattenhexen. Außerdem bestand er darauf, Lydia Hellmann wieder in der Küche zur Hand zu gehen, während mein Vater, Professor Hardenstein und ich die Geschehnisse der vergangenen Nacht im Arbeitszimmer diskutierten. Ich rief Pit an und fragte nach, ob er etwas von Tessa gehört hatte, aber das war nicht der Fall. Pit war drauf und dran, ein paar Streifenwagen zu Tessas letzten bekannten Standort zu schicken. Ich überzeugte ihn, daß es besser war, wenn sich Krabat und ich erst mal allein dort umschauten. Ich wollte nicht riskieren, daß irgendwelche kriminellen Zeitgenossen durch Pits Aktion in Panik gerieten und Tessas Leben womöglich gefährdeten. Lydia Hellmann bestand natürlich darauf, uns noch ein 78
Mittagessen zu servieren, da es sich mit leerem Magen nicht besonders gut kämpfte. Krabat verabschiedete sich überschwenglich von Professor Hardenstein und meinen Eltern, bevor er sich mit gemischten Gefühlen in die stinkende, röhrende Kalesche setzte, die sich Automobil nannte. Auf der A 4 gerieten wir in einen Stau, der uns wertvolle Zeit kostete. Auf der Bundesstraße kamen wir dann auch nicht gerade flott voran, da wir mehrere LKW vor uns hatten. Als wir am späten Nachmittag in Hoyerswerda eintrafen, staunte Krabat. Er starrte die elfstöckigen Hochhäuser in der Bautzener Allee an, die aus der Zeit vor der Wende stammten und inzwischen denkmalgeschützt waren. Beim Anblick der Lausitzhalle und des modernen Berufsschulzentrums riß Krabat Augen und Mund weit auf. Solche prachtvollen Glas- und Betonbauten kannte er natürlich nicht. Sie mußten ihm wie Paläste vorkommen. »Deine alte Heimat hat sich gewaltig verändert, was?« Krabat nickte nur und konnte sich an der modernen Stadt nicht sattsehen. Erst der Anblick der Altstadt weckte Erinnerungen in dem kleinen Hexenmeister, doch auch hier hatte sich die Bauweise verändert. »Bringt mich dorthin, wo ich einst das Zauberhandwerk erlernte, Gevatter Markus«, bat Krabat. »Zur Teufelsmühle nach Schwarzkollm.« »Ich dachte, die sei abgebrannt.« »Das stimmt. Aber der Platz, auf dem sie einst gestanden, wird noch zu sehen sein.« Krabat irrte sich. Er lotste mich durch das Dörfchen Schwarzkollm, das seit drei Jahren zu Hoyerswerda gehörte. Krabat sprühte vor Stolz und Begeisterung, als er entdeckte, daß eine Straße nach ihm benannt worden war. Wir ließen den Ortskern mit seinem Wahrzeichen, der evangelischen Kirche, hinter uns und gelangten ins Gewerbegebiet. Hier, nicht weit vom Natursteinwerk, befand sich ein stillgelegtes Kies- und Betonwerk. »Dort drüben muß es sein!« rief Krabat plötzlich und deutete auf die riesige Anlage des Betonwerks. »Dort stand einst die Teufelsmühle.« 79
»Na, großartig. Von der Mühle wird nichts mehr übrig sein. Man baut dort jetzt Kies ab. Und hier willst du eine Spur der Schattenweiber finden?« »Nicht hier, Gevatter Markus. Aber ich kann mich jetzt orientieren. Wir müssen uns in den Wald begeben. Am besten lassen wir die Kalesche hier irgendwo stehen und setzen unseren Weg zu Fuß fort.« Ich überlegte. Nach dem, was Pit mir erzählt hatte, war Tessas letzte Meldung aus dieser Gegend gekommen. Wenn sie hier irgendwo gefangengehalten wurde, konnten wir uns dumm und dämlich suchen und würden sie trotzdem nicht finden. Das Areal war einfach zu groß und unübersichtlich. Hier gab es unzählige Verstecke. Es sprach also einiges dafür, uns zwischen die Bäume zu schlagen. Doch die Dunkelheit war noch nicht hereingebrochen. Die Hexen hatten sich zwar auf dem Parkplatz in Weimar bei Tageslicht gezeigt, doch ihre Domäne war die Nacht. Bei Nacht fühlten sie sich einfach am wohlsten. Ich rechnete mir größere Chancen aus, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Schattenhexen zu treffen. »Wir bleiben hier«, entschied ich. »Dort drüben ist ein schmaler Durchgang, der nur schwer einsehbar ist. Von dort haben wir einen guten Überblick. Laß uns den Wagen dort abstellen und warten.« »Wieso wollt Ihr Zeit verlieren, Gevatter? Wir müssen den Wurlawy zuleibe rücken, bevor sie großes Unheil anrichten können! Ich hatte geglaubt, viele der Hexen in meiner Zeit erwischt zu haben, doch schon sieben Schattenweiber haben uns in Eurer Zeit angegriffen. Die Oberhexe muß ihr Gefolge vergrößert haben! Die Zeit drängt, Gevatter Markus!« Trotz Krabats mahnender Worte entschied ich mich, zu warten. Ich parkte den BMW in dem Durchgang, den ich vorher entdeckt hatte. Langsam tickten die Minuten dahin. In der näheren Umgebung des Kieswerks regte sich nichts. Der Himmel verdüsterte sich zusehends. Ein scharfer Wind pfiff um die stillgelegten Backsteingebäude. Krabat begann wieder zu mosern. Unablässig plapperte und grummelte er vor sich hin und stellte meine Entscheidung in Frage. Der Kleine raubte mir den letzten Nerv. Die Abenddämmerung hatte sich eingestellt und tauchte das 80
Kieswerk in Zwielicht. Krabat setzte zu einer neuen Schimpftirade an. »Du bist nicht nur der kleinste Hexenmeister, den ich kenne, sonder hast von allen Hexenmeistern auch noch das größte Mundwerk«, fiel ich Krabat ins Wort. »Wenn du nicht sofort still bist, stopfe ich dich in den Kofferraum. Dein Gezanke geht mir auf den Wecker!« »Was ist ein - Wecker?« fragte Krabat mit gerunzelter Stirn. Ich hütete mich, ihm eine Antwort zu geben und mich damit vielleicht in eine tiefschürfende Diskussion zu verwickeln. Krabat war nur knapp vier Minuten still. Dann schoß sein schmächtiger Körper in die Höhe. »Also, wenn Ihr nicht sofort dieses teuflische Gefährt in Gang setzt und zu jenem Walde dort drüben fahrt, Gevatter, werde ich aussteigen und Euch hier allein zurücklassen. Ich, der unvergleichliche Krabat, werde mich dieser Hexenbrut wie ein großer Held zum Kampfe stellen und…« »Und wahrscheinlich gewaltig eins auf die Mütze bekommen, du Aufschneider. Gut, fahren wir. Du gibst ja sonst doch keine Ruhe.« Krabat verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. »Na bitte, warum nicht gleich? Eure Einsicht kommt reichlich spät, Gevatter. Wir haben schon sehr viel Zeit verloren!« Kopfschüttelnd ließ ich den BMW anrollen und verließ das Werksgelände. Auf der alten Werksstraße fuhren wir Richtung Forst und bogen auf Krabats Zeichen nach rechts ab. Wir folgten einer Landstraße, die am Waldrand entlangführte. Wieder gab mir Krabat ein Zeichen. Ich bog in einen breiten Waldweg ein. Der BMW holperte über den gefrorenen Pfad. Nach wenigen Metern erreichten wir einen Waldparkplatz, auf dem sich bereits ein Fahrzeug befand. Ein dunkelgrüner Passat Kombi. Ich hielt neben dem Passat an, stieg aus und näherte mich dem Fahrzeug. Das paßte Krabat natürlich überhaupt nicht. »Was haltet Ihr denn an, Gevatter Markus? Sputet Euch, die Zeit läuft uns davon! Was geht uns diese fremde Kalesche an?« »Halt den Mund, Krabat! Wenn du hier so rumzeterst, hören dich die Schattenweiber schon von Weitem kommen!« Der schmächtige Hexenmeister brummte etwas Unverständliches und schob sich tiefer in seinen Sitz. Ich schaute mich aufmerksam um und stellte fest, daß der Passat nicht abgeschlossen war. Vorsichtig öffnete ich die 81
Fahrertür, beugte mich in das Wageninnere und begann mit einer raschen Durchsuchung. Unter der Sonnenblende fand ich einen Fahrzeugschein. Der Wagen war auf einen gewissen Dietmar Wegner, wohnhaft in Hoyerswerda, zugelassen. Einige zerknüllte Bierdosen lagen zwischen Vorder- und Rücksitz. Und Flugblätter. Ich erinnerte mich an meinen Traum. Da hatte ich auf eine kreisförmige Platte gestarrt, die dieser Abbildung ähnelte. Immer mehr kam ich zu der Überzeugung, daß mein Traum mich vor einer Begegnung mit jener dubiosen Vereinigung hatte warnen wollen, auf deren Spuren auch Tessa wandelte. Zweifellos hatten Mitglieder des Pendels den Passat hier abgestellt. Ich verließ das Fahrzeug und schob mich wieder hinter das Steuer meines BMW. »Na endlich!« zeterte Krabat. »Ich dachte schon, Ihr würdet überhaupt nicht mehr fertig. Was habt Ihr denn in jener Kalesche gesucht?« »Ihr haltet mit Eurem Wissen hinter dem Berg, Gevatter Markus! Das ist nicht gut! Ich sage Euch auch alles, was ich weiß, dann kann ich auch verlangen, daß…« »Du hast mir dein Zauberbuch noch nicht gezeigt, Krabat«, fiel ich ihm ins Wort. »Du hast also auch deine Geheimnisse.« Darauf wußte das Kerlchen keine Erwiderung. Ich gab Gas und fuhr auf dem Forstweg tiefer in den Wald hinein. Ich hatte beschlossen, dem Weg möglichst lange zu folgen. Zumindest aber so lange, bis Krabat mir ein Zeichen zum Anhalten gab. Das Kerlchen mußte mir kein Zeichen geben. Ich wurde auf andere Art zum Anhalten gezwungen. Aus dem Gebüsch rechts vom Weg taumelte urplötzlich eine schmächtige Gestalt vor meinen Wagen. »Paßt auf!« schrie Krabat. Ich reagierte im Bruchteil einer Sekunde und rammte das Bremspedal nach unten. Der Unbekannte fiel gegen die Motorhaube des BMW, stützte sich ab und taumelte weiter. Sein bleiches, grinsendes Gesicht stierte uns durch die Frontscheibe an. Ich hievte mich aus dem Wagen. Auch Krabat verließ das Fahrzeug. »Was ist mit dem Gesellen?« fragte er. Der »Geselle« kicherte. Ich packte ihn am Arm und betrachtete 82
ihn im Scheinwerferlicht genauer. Er war jung, so um die Zwanzig. »Was ist passiert?« fragte ich den Glatzkopf. »Was machen Sie um diese Zeit im Wald?« Der Knabe kicherte wieder. »Sie sind so schön«, flüsterte er. »So wunderschön. Und sie singen so wunderbar. Du müßtest sie hören, Ma - Mann!« »Von wem sprechen Sie? Kommen Sie zu sich, Junge!« »Die M - Mädchen. Ich habe sie gesehen. Sie haben meine F Freunde geküßt. Sie wollten auch mich küssen.« Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des jungen Mannes. Seine Augen weiteten sich. »Nein! Nicht! Ihr kriegt mich nicht! Weg von hier, ihr - ihr Hexen!« Er keuchte. Speichel tröpfelte an seinem Mundwinkel herab. Er starrte mich an und packte meine Schultern. »Wir müssen die anderen warnen. Kleinschmidt muß Be - Bescheid wissen. Sie sind gefährlich! Sie haben Didi - sie haben ihhhn…« Der junge Mann schluchzte hemmungslos und sank in die Knie. »Hier sind wir richtig, Gevatter Markus«, erklärte Krabat leise. »Wie kommst du darauf?« Krabat deutete auf den Glatzkopf, der zu meinen Füßen kauerte. »Er ist den Wurlawy begegnet. Sie haben seine Sinne verwirrt.« Ich lenkte den BMW an den Wegesrand und legte den Halbstarken auf den Rücksitz. Er schluchzte und kicherte abwechselnd und brabbelte vor sich hin. Der Junge war vollkommen von der Rolle. Über das Gestammel des Jungen machte ich mir wenig Gedanken. Der von ihm erwähnte »Didi« war vermutlich Dietmar Wegner, dem der Passat auf dem Waldparkplatz gehörte. Aber wo ich diesen Kleinschmidt hinstrecken sollte, wußte ich im Augenblick noch nicht. Aus dem Einsatzkoffer steckte ich meine Pistole, den Silberdolch und einige Weihwasserflakons ein. Krabat wartete bereits ungeduldig. »Folgt mir getrost, Gevatter. Ich kenne mich hier aus!« sagte er, winkte und verschwand vor mir zwischen den Büschen. Gemeinsam gingen wir unserem Schicksal entgegen. Die Begegnung mit den unheimlichen Schattenhexen stand kurz bevor. Ich spürte es. 83
* Tessa hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Zweimal hatte man sie besucht, hatte ihr sogar die Handschellen kurzzeitig abgenommen und ihr Wasser hingestellt. Aber dann war die schwere Eisentür wieder zugefallen. Grelles Scheinwerferlicht zerriß die Dunkelheit. Tessa fühlte sich von rauhen Händen gepackt. Man zerrte sie auf die Füße. Die Fahnderin blinzelte, als man sie nach oben schaffte. Kalter Wind strich um das Gebäude und brannte auf ihrem Gesicht. Mehrere Fahrzeuge waren vor dem Werksgebäude geparkt worden. Ihre Scheinwerfer strahlten die gesamte Vorderfront an. Gequält schloß Tessa die Augen. Finger krallten sich in ihr kurzes Haar und rissen ihren Kopf zurück. Tessa mußte die Augen öffnen. Sie sah das Gesicht des Mannes vor sich, der sich Kleinschmidt genannt hatte. »Die Stunde der Wahrheit ist gekommen!« Kleinschmidts Augen glänzten voller Vorfreude. »Heute nacht werden wir unsere Verbündeten zu Hilfe rufen. Unsere Macht wird unermeßlich werden. Vieles wird sich ändern. Man wird uns als Helden feiern!« Seine versammelten Anhänger jubelten lautstark. »Sie schaffen es nicht, Kleinschmidt. Hören Sie auf, bevor es zu spät ist. Sie stürzen sich und diese Leute ins Unglück!« Tessas Stimme klang drängend. Der Anführer des Pendels ignorierte sie. »Holt das Wahrzeichen unserer Gruppe!« befahl er mit erhobenen Armen. »Holt das Pendel, das uns heute nacht mit unseren mächtigen Verbündeten zusammenführen soll!« Mehrere Männer verschwanden im Gebäude und kehrten bald darauf mit Platte und Pendel zurück. Man verfrachtete Tessa auf den Rücksitz eines Wagens. Kleinschmidt nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Die kleine Fahrzeugkolonne verließ das Werksgelände und fuhr auf der Landstraße am Wald entlang. Irgendwann bogen die Fahrzeuge ab und holperten auf einem schmalen Pfad durch den Winterwald. Die Wagen erreichten eine schmale Lichtung. Nebeneinander wurden sie abgestellt. Man zerrte Tessa aus dem Fahrzeug. Dicht hinter Kleinschmidt führte man sie durch den dunklen Wald. 84
Der Fußmarsch dauerte nur wenige Minuten. Er führte zwischen den Bäumen dahin, über trockene Äste und raschelndes Laub. Dann erreichte man eine größere Lichtung. Kleinschmidt deutete in die Mitte. Seine Männer eilten zu der bezeichneten Stelle, legten das Pendelbrett auf den Boden und steckten rings um das Brett Pechfackeln in die Erde. Die Kommissarin wurde vor dem Brett zu Boden gestoßen. Man nahm ihr die Handschellen ab. Die Pechfackeln wurden entzündet. Sie verbreiteten flackerndes Licht. Andächtig nahmen die Anhänger rund um Tessa, das Pendel und die Fackeln Aufstellung. Kleinschmidt drängte sich durch den Kreis und hob die Arme. »Singt unser Lied! Ich will unsere Hymne hören!« Langsam kam das Lied in Gang. Jeder der Anwesenden sang lautstark mit. Ein zufriedener Ausdruck legte sich auf Kleinschmidts Gesicht. Der Anführer des Pendels hob wieder die Arme. »Frau Kommissarin Hayden wird uns die Ehre geben, das Wahrzeichen unserer Vereinigung zu betätigen. Sie wird die schwarzen Mächte herbeirufen, die uns zur Seite stehen werden. Sie werden uns mit der Kraft erfüllen, unsere Ziele durchzusetzen.« Der fette Anführer wandte sich an die Anwesenden. »Laßt die Auserwählten vortreten!« befahl er. Fünf Mädchen, darunter auch die Schwarzhaarige, die in der letzten Nacht das Pendel hatte benutzen sollen, verteilten sich neben Tessa. Kleinschmidt senkte die Arme und deutete auf Tessa und die Mädchen. »Legt eure Kleidung ab!« befahl er. Tessa schüttelte den Kopf. »Sind Sie jetzt völlig übergeschnappt, Kleinschmidt? Ihren Hokuspokus können Sie ohne mich abziehen. Das klappt sowieso nicht, weil ich kein Medium bin. Und ich bezweifle, daß eines dieser Mädchen mediale Fähigkeiten besitzt. Wir werden uns nur eine Lungenentzündung holen. Hören Sie mit dem Schwachsinn auf, bevor sie noch mehr Unheil anrichten!« Die Kommissarin wußte, daß sie Kleinschmidt nicht von der Durchtriebenheit der Dämonen überzeugen konnte. Der Mann war wie besessen und völlig vom Gelingen seines Vorhabens überzeugt. Vielleicht konnte sie etwas erreichen, wenn sie an Kleinschmidts gesunden Menschenverstand appellierte. 85
Aber der Anführer des Pendels hatte keinen gesunden Menschenverstand mehr. Er überhörte Tessa Einwände. »Zieht euch aus. Oder sollen wir euch dabei behilflich sein?« Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Die fünf Mädchen kamen seiner Aufforderung nach und schälten sich aus ihren Kleidern. Tessa blieb keine andere Wahl. Splitternackt und vor Kälte zitternd standen die sechs Frauen schließlich auf der Lichtung. Tessa spürte fast körperlich die lüsternen Blicke der Pendelanhänger. »Bediene das Pendel!« donnerte Kleinschmidts Befehl über die Lichtung. Tessa kniete sich vor dem Pendelbrett nieder. Auf dem Pentagramm lag das kegelförmige Pendel, das an einer langen Schnur befestigt war. Zögernd nahm sie es auf, hielt es über das Brett und ließ es langsam hin und her schwingen. »Beginne!« Kleinschmidt stellte sich Tessa gegenüber und schaute zum nächtlichen Himmel. »Ihr Mächte der Finsternis, ich rufe euch! Ihr Dämonen der Hölle, ich rufe euch! Ihr Kräfte des abgrundtief Bösen, ich rufe euch! Antwortet eurem treuen Diener! Zeigt euch, um den Bund der ewigen Macht einzugehen!« Tessa ließ das Pendel stärker schwingen. Es schien mit einem gewissen Eigenleben erfüllt zu sein, wanderte nacheinander über die Symbole. Tessa zählte dreizehn Symbole, machte sich aber nicht die Mühe, sie genau zu betrachten oder ihren Sinn ergründen zu wollen. Das Pendel schwang aus. Die Spitze des Kegels zeigte auf ein Fragezeichen. Kleinschmidt schaute auf das Brett nieder. Unwillig riß er den Kopf hoch und machte mit seiner Beschwörung weiter. Tessa ließ das Pendel kreisen, spürte dann aber, wie es sich wieder seinen Weg suchte. Diesmal blieb es auf einem Frauenkopf stehen. Einen Augenblick lang glaubte Tessa, sich selbst auf dem Brett abgebildet zu erkennen. Das Pendel zeigte jedoch auf das Bild einer wunderschönen Frau mit leuchtend roten Haaren und grünen Augen. Ein Donnerschlag erfüllte die Lichtung. Kleinschmidt wirbelte herum, schaute sich um und ließ seine Blicke in die Dunkelheit wandern. Er mußte nicht lange warten. Ganz in seiner Nähe flirrte die 86
Luft. Die Umrisse einer Gestalt waren schwach zu erkennen, manifestierten sich und bewegten sich auf Kleinschmidt zu. Neben ihm stand eine hochgewachsene, schlanke Frau. Ihr bildschönes Gesicht glich dem Antlitz, das Tessa auf dem Pendelbrett gesehen hatte. »Du hast mich gerufen«, sagte die Rothaarige mit einer Stimme, deren Sinnlichkeit den Anwesenden Schauer über den Rücken jagte. »Ich wußte, daß du mich rufen würdest. Die Zeit ist reif, um die Macht der Hölle in diesem Land zu festigen.« »Wer bist du?« fragte Kleinschmidt leise. Er hatte die Stimme zwar schon bei früheren Kontakten gehört, aber gesehen hatte er diese wunderschöne Frau noch nie. »Ich bin Tabea. Die Herrin der Hexen.« Tessas Kopf ruckte hoch. Auch sie hatte schon von der Oberhexe gehört. Sie schaute auf das Pendelbrett. Unwillkürlich suchte und fand ihr Blick die Abbildung eines blutroten Siegelrings. Er erinnerte an den Ring ihres Freundes Mark. Und Tessa war mit Hoffnung erfüllt, daß Mark Hellmann doch noch durch irgendeinen Zufall rechtzeitig auftauchen würde, um sie aus dieser Klemme zu befreien und Kleinschmidts Vorhaben zu stören. Tessa kam ein Gedanke, wie sie selbst etwas, unternehmen konnte, um Kleinschmidts Pakt mit den Dämonen zu verhindern. Unmerklich bewegte sie das Pendel. Der Kegel näherte sich dem blutroten Siegelring… * Wir stapften durch den nächtlichen Wald und hatten noch keine Spur von den Hexen gefunden. Allmählich vermutete ich, daß sich der kleine Hexenmeister verirrt hatte. Die Bäume lichteten sich. Wir näherten uns einer kleinen Hütte, die vermutlich von Waldarbeitern benutzt wurde. Vor der Hütte lag eine Motorsäge im Gras. Mit der Hand an der Waffe untersuchte ich die Hütte. Ich fand Kleidungsstücke einer Frau und mehrere Bierdosen. Auf dem Boden waren Wolldecken ausgebreitet. Auf dem Tisch stand ein Radiorecorder. Hier hatte also allem Anschein nach eine Party mit anschließendem Tete-a-tete stattgefunden. Für uns war das 87
weniger von Bedeutung. »Bist du sicher, daß wir in diesem Wald auf die Schattenhexen stoßen werden?« fragte ich zweifelnd. »Wir haben noch nicht mal einen Klageschrei gehört.« »Wo bleibt Euer Vertrauen, Gevatter Markus? Dies ist der Wald, in dem ich die Wurlawy zum ersten Male sah. Und hier werden wir wieder mit den Schattenweibern zusammentreffen.« Krabat führte mich von der Lichtung weg, drang wieder in den Forst ein und bahnte sich leise einen Weg zwischen Büschen und Bäumen hindurch. Achselzuckend folgte ich ihm. Der Kleine schien zu wissen, wovon er sprach. Bald hörten wir etwas, aber es war kein Klageschrei. Es war Gesang. Aber er ähnelte in keinster Weise den lockenden Melodien der Schattenhexen. Krabat winkte mir, grinste siegessicher und schlich in die Richtung, aus der wir den Gesang hörten. Das Grinsen verschwand vom Gesicht des kleinen Hexenmeisters, als er sah, wer hier sang. »Wer sind diese Gesellen?« flüsterte er mir zu. Ich schaute auf eine Lichtung und sah etliche uniform gekleidete Jugendliche vor mir. Sie alle sangen eine Art Hymne. Zwischen ihnen konnte ich ein halbes Dutzend Frauen erkennen, die sich um ein kreisrundes Brett versammelt hatten. Ihre nackten Körper wurden von blakenden Pechfackeln beschienen. Der Gesang verstummte. Ich hörte, wie jemand die Mächte der Finsternis mit Beschwörungsformeln anrief. Vorsichtig erhob ich mich und schob mich etwas zur Seite, um besser sehen zu können. Auf dem Boden kniete eine von ihnen und hielt ein Pendel über das kreisrunde Brett. Diese Szene kannte ich. Es war die Szene aus meinem Traum! Ich war sicher, daß auf dem Brett ein Pentagramm und dreizehn Symbole abgebildet waren. Die Puzzleteile fügten sich zu einem Bild zusammen. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte ich hier die Mitglieder jener Vereinigung vor mir, die sich Das Pendel nannte! Und dann erkannte ich die Frau, die das Pendel hielt. Es war Tessa! Am liebsten wäre ich sofort auf die Lichtung gerannt und hätte 88
dem ganzen Mummenschanz ein Ende bereitet, aber ich hielt mich zurück. Tessa war nicht unmittelbar in Gefahr. Im Augenblick würde sie sich wohl höchstens einen Schnupfen holen. Man hielt sich eben nicht bei Temperaturen um den Gefrierpunkt splitternackt im Wald auf. Vorrangig waren die Schattenhexen. Um die Verblendeten sollte sich jemand anders kümmern. Ich zog mich von der Lichtung zurück und fischte mein Handy aus der Tasche. »Jetzt tragt Ihr den sprechenden Knochen schon mit Euch herum, Gevatter! Hütet Euch vor solchem Teufelszeug, sonst wird es eines Tages Euer Schaden sein!« Krabat war mir gefolgt und beäugte das Handy mißtrauisch. »Es kann mir höchstens schaden, wenn es im ungünstigsten Moment klingelt«, gab ich zurück. Ich tippte eine Weimarer Nummer ein. »Pit?« sagte ich leise, als am anderen Ende abgehoben wurde. »Hör zu. Ich hab nicht viel Zeit. Die PendelBrüder haben Tessa geschnappt. Sie haben sich hier auf einer Waldlichtung versammelt und sind mit irgendeiner schwarzmagischen Beschwörung zugange. Bring die örtlichen Sheriffs auf Trab und schick sie in den Wald beim alten Kieswerk in Schwarzkollm. Sie sollen aber so leise wie möglich sein und die Kerle nicht aufscheuchen. Okay?« »Halt dich aber zurück, ja?« bat Pit. »Du weißt, wie gefährlich diese Typen sein können.« »Mir geht es in erster Linie um Tessa und noch um ein paar Hexen, die sich hier rumtreiben sollen. Wenn mir die Kerle keine Wahl lassen, greife ich ein. Bis dann!« »Sei vorsichtig, Alter. Und bring Tessa heil nach Hause.« Ich unterbrach die Verbindung. Im selben Augenblick erscholl ein gewaltiger Donnerschlag, dicht gefolgt von einem zweiten. Krabat sauste zu mir herüber. »Sie ist da, Gevatter! Sie ist gekommen!« »Wer?« »Die Oberhexe!« Ich hastete hinter Krabat zur Lichtung und sah sie. Sie war schön wie damals, als ich ihr zum ersten Mal begegnet war. Und genauso böse. Neben dem Anführer des Pendels stand - Tabea, die Herrin der Hexen! 89
Wir beobachteten, wie die Oberhexe mit dem. Anführer des Pendels heftig diskutierte. Bevor ich es verhindern konnte, sprang Krabat in die Höhe und sauste zwischen den verdutzten Pendel-Brüdern hindurch. »Ihr werdet niemanden mehr verblenden und die Freiheit rauben!« brüllte der Kleine mit piepsiger Stimme und fetzte wie ein Wirbelwind über die Lichtung. * »Wir sind dankbar, daß du unserem Ruf gefolgt bist, Tabea. Es ist uns eine Ehre, dich begrüßen zu dürfen«, sagte Kleinschmidt. Tabeas bleiches Gesicht fuhr herum. Ihre Augen funkelten ihn wütend an. »Sprich meinen Namen nicht aus, Unwürdiger! Noch ist es dir nicht gestattet, mich mit Namen anzusprechen. Was willst du?« »Ich möchte einen Pakt mit den Mächten der Finsternis schließen. Einen Pakt mit der Hölle. Ihr sollt uns behilflich sein, unser Ziel zu erreichen.« »Und was ist dein - Ziel?« »Die Herrschaft über dieses Land!« Tabea lächelte. »Du hast dir viel vorgenommen. Was bietest du mir, wenn ich dir behilflich bin?« Kleinschmidt schluckte. Darüber hätte er sich noch keine Gedanken gemacht. Er hatte nicht damit gerechnet, daß die Hölle Forderungen stellen könnte. »Ich - also - äh…« stammelte er. »Ich will dir sagen, was ich von dir haben möchte«, unterbrach die Oberhexe Kleinschmidts Gestammel. Sie ließ ihren Blick über die Anwesenden streifen. »Ich will - die dort!« sagte sie und deutete auf Tessa Hayden. »Sie ist die Freundin eines Mannes, dessen Tod du herbeiführen wirst. Er heißt Mark Hellmann und lebt in Weimar. Meinen Schattenweibern ist es nicht gelungen, ihn zu erledigen.« Kleinschmidt schaute zu Tessa hinüber, die nur scheinbar vertieft auf das Pendelbrett stierte. Er überlegte nicht lange. »Deine Bitte sei gewährt. Du wirst die Kommissarin erhalten. Und um diesen Mark Hellmann werden wir uns ebenfalls kümmern.« »Das ist gut. Aber es ist noch nicht alles.« »Nicht?« fragte Kleinschmidt zaghaft. Die Sache wuchs ihm 90
langsam über den Kopf. Diese Hexe verlangte unter Umständen mehr, als er zu gewähren bereit war. »Ich will diese fünf Mädchen«, forderte Tabea und deutete auf die nackten Frauen, die Tessa umstanden. Kleinschmidt atmete auf. »Du bekommst sie. Wozu brauchst du sie, wenn ich fragen darf?« »Zur Verstärkung meiner Gefolgschaft. Diese fünf Mädchen werden sich fünf Jünglinge auserwählen. Und weitere fünf Burschen werden heute nacht meine Schattenweiber beglücken.« »Hör mal, das geht jetzt aber zu weit«, wandte Kleinschmidt ein. Tabea handelte blitzschnell. Ihre Finger schlossen sich um Kleinschmidts Kehle und hoben den Mann hoch, bis seine Füße den Boden verlassen hatten. »Du verweigerst mir, was mir zusteht, Wurm? Du hast mich gerufen, weil du von Machtgier besessen bist. Doch die einzige, die hier uneingeschränkte Macht ausübt, bin ich! Und über mir steht nur der Herr der Hölle. Merk dir das, Wurm. Dieses Land wird meinen Schattenweibern gehören und von ihnen beherrscht werden. Sie mögen dir dabei behilflich sein, die Menschen in diesem Land von deinen Zielen zu überzeugen. Doch sie werden die alleinigen Herrscher sein. Dieses Land wird wieder den Wurlawy gehören, wie es ihnen schon vor langer Zeit gehörte. Und niemand wird sie daran hindern, Wicht!« Die Oberhexe ließ Kleinschmidt los. Er krachte auf den Boden und knickte in den Knien ein. Mit verzerrtem Gesicht rieb er sich den schmerzenden Hals. »Nun?« fragte Tabea. Kleinschmidt nickte. »Wir werden deine Forderungen erfüllen«, versprach er mit krächzender Stimme. Tabea lächelte und hob beide Arme. »Begrüßt demütig die Klagefrauen, die hier vor langer Zeit herrschten und nun ihre Herrschaft erneut antreten werden!« rief sie. Leiser Gesang war zu hören. Aus dem Schatten der Bäume am gegenüberliegenden Waldrand lösten sich bleiche Frauengestalten und näherten sich der Mitte der Lichtung. »Ihr werdet dieses Land nicht in Blut und Tränen tränken!« brüllte eine Stimme in den Gesang hinein. Ein heller Wirbelwind sauste zwischen den versammelten Männern hindurch und fegt auf Tabea zu. 91
Die Oberhexe machte eine kurze Handbewegung. Es war, als sei der Wirbelwind gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Er stieß einen jammernden Laut aus und stürzte zu Boden, wo er sich den Kopf rieb. »Du!« schrie Tabea zornig und überrascht zugleich, als sie das Kerlchen erkannte. »Du bist der kleine Hexenmeister, der mir damals in der Teufelsmühle schon in die Quere gekommen ist. Bist du mir durch die Zeiten gefolgt, um mich hier ebenfalls zu behindern? Ich werde dich vernichten, du Ratte! Zertreten wie ein lästiges Ungeziefer werde ich dich!« »Das glaube ich dir nicht, Hexe! Deine Schattenweiber haben es nicht geschafft, Gevatter Markus und mich zu vernichten. Wir sind zu stark für deine Hexen. Weißt du überhaupt, wen du vor dir hast? Den unnachahmlichen, wunderbaren, unvergleichlichen und großartigen Krabat, seines Zeichens Hexenmeister! Ich werde dieses Land von deiner Teufelsbrut befreien!« Tabea lachte. »Du Winzling willst mir drohen? Wo hast du dein Zauberbuch? Ohne das Buch bist du doch wehrlos wie eine Fliege im Netz der Spinne! Ich werde dich von meinen Schattenfrauen umgarnen lassen, und diesmal wirst du ihnen nicht entgehen!« Der Gesang der Wurlawy wurde lauter. Die Mädchen hatten Tabea erreicht, schritten an ihr vorbei und näherten sich Krabat und den versammelten Pendel-Anhängern, die nun ihrerseits unruhig wurden. Unter den Schattenfrauen war ein nacktes, junges Mädchen zu erkennen. Sie war noch nicht ganz so bleich wie ihre unheimlichen Begleiterinnen, und ihre brünetten Haare waren nicht so lang. Und doch nahm sie an ihrem Gesang teil. »Rosi!« rief Tessa plötzlich. »Rosi, komm hier rüber!« Das Mädchen reagierte auf den Ruf. Sie suchte die Frau, die sie gerufen hatte. Doch zwei Schattenhexen faßten Rosi rasch bei der Hand und hielten sie fest. Die junge Frau hatte keine Gelegenheit, die Gruppe der Hexen zu verlassen. Krabat wich zurück. Er schloß die Augen, drehte sich um sich selbst und murmelte dabei eine Zauberformel. Sein Körper wurde durchscheinend, wirbelte immer schneller. Offenbar wollte er sich wieder in eine blitzartige Erscheinung verwandeln und damit die näher kommenden Hexen vernichten. Tabea lachte schrill. Sie machte kreisende Bewegungen mit der 92
Hand. Aus dem Nichts erschien ein gleißendes Seil und wickelte sich um den wirbelnden Hexenmeister. Krabat band sich selbst! Bevor er sich versah, lag er sauber verschnürt auf dem Boden. »Holt sie euch!« rief Tabea und trat, aus dem zuckenden Fackelschein. Die Schattenhexen fächerten auseinander. Sie lockten die Pendel-Anhänger an, betörten sie mit ihrem Gesang, glitten auf die fünf nackten Mädchen zu und zogen sie in ihre Mitte. Unter den Männern entstand Verwirrung, die sich aber rasch legte. Fassungslos beobachtete Kleinschmidt, wie seine Männer von den Schattenhexen umgarnt wurden. Tessa wußte, daß auch sie jeden Augenblick von den Schattenhexen geholt werden würde. Sie bemühte sich, das Pendel ein letztes Mal schwingen zu lassen. Vielleicht konnte sie doch noch Hilfe alarmieren. Zarte, kalte Frauenhände zogen Tessa hoch. Tessa sah, wie das Pendel nach unten fiel. Die Spitze traf genau auf die Abbildung des blutroten Siegelrings. »Schluß jetzt!« rief in diesem Moment eine Stimme, die Tessa sehr genau kannte. »Sofort aufhören! Dein Plan geht nicht auf, Tabea!« Die Oberhexe stieß einen gellenden Wutschrei aus, und die Hölle brach los! * Als ich sah, wie die Hexen Tessa packten, konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Krabat lag gefesselt auf dem Boden. Der kleine Hexenmeister, der sich selbst für unübertrefflich hielt, hatte die Oberhexe unterschätzt. Und doch konnte nur er mir helfen, wenn ich einen vernichtenden Schlag gegen die Hexen führen wollte. Meine Worte hallten über die Lichtung. Ich stieß zwei Pendelbrüder mit Karatetritten zur Seite, sprang auf Krabat zu und zielte dabei mit der Pistole auf Tabea. Die Oberhexe überwand schnell ihre Überraschung. Sie schrie vor Wut. »Das ist Mark Hellmann! Er ist es, den ich vernichtet sehen will!« herrschte sie Kleinschmidt an. »Schnappt ihn euch! 93
Tötet ihn!« Warum sollte sie sich anstrengen, wenn sie so viele Helfershelfer hatte? Kleinschmidt brüllte einen entsprechenden Befehl über die Lichtung. Diejenigen Mitglieder, die nicht im Bann der Schattenhexen standen, stürzten sich sofort auf mich. Ich feuerte auf ihre Beine. Nur weil sich die Jungs mit den Mächten der Hölle eingelassen hatten, mußte man sie ja nicht gleich umbringen. Drei, vier Mann stürzten nieder und wanden sich unter Schmerzen. Ihre Kameraden wichen zurück. Ich hatte Krabat erreicht und kniete mich neben dem kleinen Hexenmeister nieder. Rasch zog ich den armenischen Silberdolch aus dem Gürtel. Die rasiermesserscharfe Klinge durchtrennte Tabeas schwarzmagische Fessel wie Butter. Ich drückte Krabat den Dolch in die Hand. »Hier, mach weiter. Und schaff verdammt noch mal dein Zauberbuch her!« zischte ich. Als nächstes suchte ich Tessa. Die Schattenhexen schleifen sie von dem Pendelbrett weg. Mit einem lauten Kampfschrei hetzte ich über die Lichtung, prallte gegen die Wurlawy und wollte sie von Tessa wegstoßen, aber sie hielten eisern fest. Die beiden Hexen begannen mit Weinen und Wehklagen. Ihre schönen Gesichter verwandelten sich. Ich zog einen Weihwasserflakon aus der Tasche und besprengte die bleichen Leiber und häßlichen Fratzen der Hexen. Stinkender Qualm stieg auf. Das Weihwasser wirkte wie Säure und fraß sich in die Hexenkörper. Die Dämonenweiber stießen schrille Panikschreie aus und wichen von Tessa zurück, um gleich darauf sterbend zusammenzubrechen. »Das Pendel! Versuch, das aufgeschlagene Buch anzupendeln. Vielleicht hilft es was!« rief ich Tessa zu und gab ihr zur Sicherheit die übrigen Weihwasserflakons. Sie nickte und begab sich sofort zu dem Pendelbrett. Ich drehte mich um, als drei weitere Schattenhexen auf mich zurasten. Die schrecklichen Fratzen hatten mich fast erreicht, als ich mitten in die Gesichter feuerte. Der Kraft des geweihten Silbers hatten die Schattenhexen nichts entgegenzusetzen. Schlagartig verstummten ihre Schreie. Einer der Pendelbrüder trat mir meine SIG Sauer aus der Hand. Und dann warfen sich mehrere von ihnen auf mich. Ich kämpfte mit allen Tricks, kannte keine Zurückhaltung mehr. 94
Meine Ellbogen krachten in Gesichter. Meine Füße rammten wie Dreschflegel in die Leiber der Anstürmenden. Meine Hände wurden zu gefährlichen Waffen, die den Gegnern schmerzhafte Schläge verabreichten. Es zahlte sich aus, daß ich regelmäßig mit Pit Langenbach mein Kampfsporttraining auffrischte. Die Gegner stürzten zu Boden. Sie mochten zwar bei Kneipenprügeleien gewinnen, aber einem geübten Kampfsportler waren sie nicht gewachsen. Bis sich ein baumlanger Pendelbruder vor mir aufbaute und Kampfstellung einnahm. Er zog die Jacke aus, fuchtelte mit seinen mächtigen Armen vor mir herum und zeigte mir ein paar Übungen, die mich beeindrucken sollten. Nach zehn Sekunden lag er. Stöhnend und besiegt. Seine Kameraden schien der Kampfmut verlassen zu haben. Respektvoll wichen sie zurück. Ein gellender Klageschrei zerriß die Nacht. Ich wirbelte herum, als ein zweiter Schrei erklang. Neben Tabea erschien eine Frau, die der Oberhexe an Schönheit in nichts nachstand. Sie kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Für die übrigen Schattenhexen schien ihre Ankunft das Zeichen zu sein, ihre ganzen Verführungskünste spielen zu lassen. Sie streiften die Gewänder ab und ließen die Hände der umworbenen Pendelbrüder über ihre nackten Körper gleiten. »Das ist sie!« rief Krabat hinter mir. »Nehmt Euch in Acht vor ihr, Gevatter. Sie ist die Base der Oberhexe!« Aber Krabats Warnung kam zu spät. Die Anführerin der Schattenhexen hatte mich bereits zu lange angesehen, und ich hatte ihren Blick erwidert. Sie erreichte mich, schmiegte sich an mich, ließ ihre Hände über meinen Körper gleiten. Sie war die pure Lust. »Küß mich!« hauchte die Schattenfrau. »Es wird ein Kuß sein, wie du ihn noch nie erlebt hast!« Mit einem Ruck riß sie mir das Hemd auf und ließ ihre kalten Finger über meine Brust gleiten. Mit einem gellenden Schrei riß sie ihre Hand weg und wich zurück. Ihr Blick fiel auf das siebenzackige Hexenmal auf meiner Brust, das sie berührt hatte. Es mußte ihr unerträgliche Schmerzen bereitet haben. Ich erwachte wie aus einem Traum. Um mich herum sah ich, wie sich die Schattenhexen verwandelten. Ihre Körper wurden 95
schlaff, die Gesichter zu furchtbaren, abstoßenden Fratzen. Für die Pendelbrüder, die sie geküßt hatten, kam jede Hilfe zu spät. Ihre Körper trockneten von innen heraus aus; die Haut platzte von ihren Gesichtern. Sie wurden zu lebenden Skeletten, die nur wenige Schritte machten, bevor sie zusammenbrachen. Die Führerin der Schattenhexen wollte nicht aufgeben. »Du gefällst mir, Jüngling!« hauchte sie. Der Ring an meinem Finger spielte verrückt. Die schwarzmagische Ausstrahlung auf der Lichtung ließ ihn vibrieren und heiß werden. Seine Reaktion intensivierte sich, als sich die Herrin der Wurlawy wieder näherte. »Gefalle ich dir denn gar nicht?« fragte sie und streifte im Gehen ihr Gewand ab. In meinem Traum hatte ich ihren wunderschönen Körper bereits betrachten dürfen. Sie hatte alles, was nötig war, um einen Mann um den Verstand zu bringen. Im nächsten Moment preßte sie sich an mich. Sie ergriff meine Hand und legte sie auf ihre Brust. Ich schaute in ihre leuchtenden Augen und verlor den Boden unter den Füßen. Es war, als ob ich schwebte. Langsam suchten ihre vollen Lippen meinen Mund zu einem leidenschaftlichen Kuß… * Tessa hatte sich mit dem Pendel zum Waldrand zurückgezogen und kauerte über dem Brett. Sie startete zum dritten Anlauf. Das Pendel schwang über dem Pentagramm und suchte sich die Symbole aus. Immer wieder schaute Tessa zu der Lichtung hin, wo Mark Hellmann gerade mit den Anhängern des Pendels kämpfte. Mark war gut. Tessa wußte, daß ihm die jungen Kerle nicht gewachsen waren. Das Pendel bewegte sich nach rechts. Endlich hatte es das Symbol des aufgeschlagenen Buches erreicht. Würde die Spitze des Pendels diesmal über den Buch verharren? Bitte, bleib darüber hängen! flehte Tessa. Bitte! Das Pendel schwang weiter. Tessas Hoffnung sank. Und dann geschah das Unfaßbare. Das Pendel schwang zurück. 96
Die Schwingungen liefen langsam aus und ließen die Spitze des Kegels über dem aufgeschlagenen Buch verharren. Tessa stieß einen Triumphschrei aus, lachte und weinte zugleich. Und doch Wußte sie nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. »Was ist das? Wie habt Ihr das gemacht, Gevatterin? Nicht das wollte ich nicht!« Tessa hörte die piepsende Stimme ganz in ihrer Nähe und sah ein buntgekleidetes Kerlchen, das wie Rumpelstilzchen vor ihr auf und absprang. Vor dem Männchen flirrte die Luft, und ein dickes Buch erschien aus dem Nichts! Das Kerlchen schnappte das Buch aus der Luft, schlug es auf und begann eifrig zu blättern. »Er hat das Buch!« hörte Tessa die Oberhexe schreien. Tabea stand immer noch neben Kleinschmidt und deutete zu ihr und dem bunten Kerlchen hinüber. »Holt mir das Buch! Er darf nicht darin lesen!« »Ich muß den Zauberspruch finden! Ich muß den Spruch finden, um Gevatter Markus zu helfen!« murmelte der kleine Kerl und blätterte in dem Wälzer, ohne auf Tabeas Worte zu achten. Tessa begriff, daß der kleine Kerl auf Marks Seite stand. »Komm!« rief sie, »wir müssen zu Mark!« Tessa packte das Kerlchen am Arm und wieselte mit ihm über die Lichtung. Doch noch war sie zu weit von ihm entfernt, als sie bemerkte, wie ihr Freund der Führerin der Schattenhexen verfiel. Der Träger des Rings verlor sich im Gesicht dieser wunderschönen Frau. Tessa verspürte einen schmerzhaften Stich in ihrer Brust und blieb wie angewurzelt stehen. Ich habe ihn verloren! zuckte es durch ihren Kopf. Ich habe Mark an diese verdammte Hexe verloren! »O Gott, nein! Maarrkk!!« Tessas Schrei hallte über die Lichtung. In ihm lag der. ganze Schmerz, den sie in diesem Augenblick empfand. * Krabat war da! Wie durch einen Schleier sah ich ihn vor mir hochwachsen und sich zwischen der Wurlawy-Führerin und mich drängen. Ich verfluchte den kleinen Kerl! Die Lippen dieser tollen Frau 97
waren so nah gewesen… Krabat wuchs immer höher, weit über seine schmächtige Körpergröße hinaus. Er stieß mich zurück, während die Schattenhexe erschrocken von mir ließ. Ehe ich mich versah, drückte mir der Hexenmeister ein dickes Buch in die Hand. »Lest, Gevatter Markus! Lest laut und ohne Unterlaß, auf daß die Hexenbrut für immer vernichtet wird!« Ich starrte auf die Seiten des Buches, deren Schrift ich im ersten Moment nicht zu erkennen glaubte. Und doch sah ich die Buchstaben plötzlich in aller Deutlichkeit vor mir. Ich begann zu lesen, erst leise und dann immer lauter. Ich las in einer fremden Sprache, und doch verstand ich jedes Wort. Krabat wuchs weiter. Er war jetzt weit über drei Meter groß. Sein schmächtiger Körper hatte sich in eine muskulöse Gestalt verwandelt. Seine Augen schossen Blitze. Er hatte die mächtigen Hände zu Fäusten geballt. »Weichet, Teufelsbrut, auf daß ihr niemals wiederkehren möget! Mit Gevatter Markus an meiner Seite werde ich euch vertreiben aus meiner Heimat, werde euch in die Hölle schicken, auf daß ihr dort darben möget für alle Zeiten!« Krabats Worte hallten wie Donnergrollen. Blitze zuckten auf und fuhren ringsum in den Boden. Ich las weiter vor. Als ich am Ende des Spruchs angekommen war, begann ich von vorn. Und ich sah, wie Krabats gewaltige Gestalt mit furchtbarem Zorn die Führerin der Schattenhexen an den Haaren packte, sie hochhob und die zappelnde, nackte Frau festhielt. Tabea, die Oberhexe, brüllte vor Wut. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. Das goldene Amulett zwischen ihren Brüsten begann zu strahlen und schleuderte Krabat tödliche Blitze entgegen. Aber jetzt war es an Krabat, zu triumphieren. Tabeas Blitze erreichten ihn nicht. Sie prallten an einer magischen Wand ab und zerplatzten wirkungslos in tausend Sterne. Tabeas Base verwandelte sich. In ihrer Not nahm sie ihr wahres Aussehen an, zeigte ihren schlaffen Körper und das mit eitrigen Pusteln und Warzen übersäte Gesicht. Sie schrie und versprühte stinkenden Schleim aus ihrem Mund. Auch die anderen Schattenhexen waren jammernd und klagend zurückgewichen, ließen von den nackten Mädchen und den 98
Pendel-Anhängern ab, die sie sich als Opfer ausgewählt hatten. Der Klang meiner Stimme, mit der ich den Bannspruch aus Krabats Zauberbuch vorlas, schien ihnen Schmerzen zu bereiten. »Deine Macht ist gebrochen, Oberhexe! Die Zeit der Wurlawy ist vorbei! Nimm deine Base und verschwinde in die Hölle, wo du hingehörst!« Krabats Fäuste packten zu, brachen die Glieder der Schattenhexe wie Streichhölzer und warfen Tabea den verrenkten, bleichen Hexenkörper vor die Füße. Im nächsten Augenblick schrumpfte Krabat zusammen, wirbelte herum, verwandelte sich in eine gleißende Kugel, aus der mehrere Flammenblitze zuckten, die in die Körper der Schattenhexen rasten. Wie bereits auf dem Parkplatz in Weimar, ließ er den Wurlawy keine Chance. Die Klageweiber verbrannten. Nur noch Aschehäufchen blieben von ihnen übrig. Keuchend und zitternd lag der kleine Krabat neben mir im Gras. Ich beugte mich zu ihm nieder, schloß das Zauberbuch und reichte es ihm. Dankbar schaute Krabat zu mir auf und steckte das Buch unter sein Hemd. Ich nickte Tessa zu, damit sie sich um den Kleinen kümmerte. Mein Blick fiel auf Tabea, die Oberhexe. Sie war für das ganze Elend verantwortlich. Ich wollte sie nicht entkommen lassen. »Tabea! Jetzt rechnen wir beide ab!« brüllte ich, zog Krabat den Silberdolch, den ich ihm vorher überlassen hatte, aus dem Hosenbund und schleuderte die Klinge mit aller Kraft. Tabea war schnell. Verdammt schnell. Sie riß den verdutzten Anführer des Pendels zu sich heran und benutzte ihn als Schutzschild. Die Klinge fuhr ihm in die rechte Schulter. Der Mann schrie gellend auf. »Du Versager!« zischte Tabea. »Du hast mich gerufen, um deine Machtgelüste zu befriedigen. Nun wirst du mir in die Hölle folgen und mir ewig zu Diensten sein!« Die Oberhexe riß den Kopf des Mannes zurück. Ihr Körper wurde blaß, verwandelte sich in einem milchigen Schemen, in dem nur ihr gräßliches Gesicht zu sehen war, das sich zu einer Totenfratze veränderte. Der Mann in Tabeas Händen schrie gellend. Das, was er sah, war zu schrecklich für ihn. Die Geister, die er gerufen hatte, ließen ihn nun nicht mehr los. »Wir sehen uns wieder, Mark Hellmann! Ich werde meine Rache bekommen!« 99
Tabeas letzte Worte waren kaum verklungen, als der Schemen in den Mund des Mannes drang, der einmal Das Pendel angeführt hatte. Sein Körper wurde durchgerüttelt. Die Haut auf seinem Gesicht und an seinen Händen schmolz dahin wie flüssiges Wachs, löste sich von den Knochen. Zurück blieben seine Kleider und mein Silberdolch, den ich rasch an mich nahm. Ich drehte mich um, nahm meine Jacke und legte sie Tessa um die nackten Schultern. »Es ist vorbei«, sagte ich. Tessa stand auf und umarmte mich. »Wird es das jemals sein?« fragte Tessa leise und vergrub ihr Gesicht an meinem Hals. * Die örtliche Polizei ließ nicht lange auf sich warten und nahm die überlebenden Pendel-Anhänger fest. Kleinschmidt, ihr Anführer, schmorte in der Hölle. Ein Notarzt versorgte Tessa und die fünf Mädchen, die dem Kreis der Schattenhexen hatten beitreten sollen. Jens Höhne brabbelte und stotterte immer noch unverständliches Zeug vor sich hin. Er würde wohl einige Zeit in einer psychiatrischen Klinik verbringen müssen. Blieb nur noch Rosi Sawatzki. Sie stand zitternd am Rand der Lichtung. Die junge Frau schien geistesabwesend zu sein und stand offensichtlich noch im Bann der Schattenweiber. »Die Gevatterin trägt den Keim der Schattenhexen bereits in sich«, erklärte Krabat. »Aber sie hatte Glück. Sie hat noch keinen Jüngling mit ihren Reizen betört, um ihm die Lebenskraft auszusaugen. Ich denke, ich kann sie kurieren.« »Tu dein Bestes, Krabat«, bat ich und ließ den kleinen Hexenmeister mit Rosi allein. Zusammen mit Tessa beobachtete ich, wie Krabat in seinem Zauberbuch blätterte und dann daraus einen Spruch vorlas. Danach blätterte er an eine andere Stelle und las einen zweiten Spruch vor. Rosi Sawatzki brach zusammen. Ich nickte den Sanitätern zu. Sie eilten zu dem reglosen Mädchen und hoben sie auf eine Trage. 100
Krabat kam zu uns herüber. Er hielt das Zauberbuch unter den Arm geklemmt. »Der Bann der Hexen ist von ihr genommen«, sagte er nur. Tessa sah es als ihre Pflicht, Rosi Sawatzki persönlich zuhause abzuliefern. Rosis Eltern waren überglücklich, und selbst Anton Sawatzki weinte. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben. Krabat kam noch mit zu meinen Eltern, um Professor Hardenstein einen Blick in das Zauberbuch werfen zu lassen. Eine größere Freude hätte er dem Mann nicht machen können. Schließlich aber streckte er mir die kleine Hand entgegen. »Gehabt Euch wohl, Gevatter Markus. Ich habe erreicht, was ich wollte. Die verfluchte Hexenbrut ist vernichtet. Sollte mich mein Weg wieder einmal in Eure Zeit führen, melde ich mich bei Euch. Ich wünsche Euch viel Glück bei Eurem Kampf gegen das Böse.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. Mit etwas Glück würde ich das Kerlchen wiedersehen. Denn das Böse würde auch Krabats Heimat nicht verschonen. Dessen war ich mir sicher. »Ihr habt Euer Herz einem ganz außergewöhnlichen Mann geschenkt«, sagte Krabat und zwinkerte Tessa zu. »Achtet darauf, daß er es behält.« Die Luft flirrte, und Krabat war mit einem letzten Winken verschwunden. Wichtige Aufgaben standen ihm in seiner Zeit noch bevor. Er würde seinen König, August den Starken, im Kampf gegen angreifende Truppen unterstützen, ein Attentat auf ihn verhindern und eine Verschwörung aufdecken. Und natürlich würde er wieder jede Menge Unfug treiben. Krabat hatte also alle Hände voll zu tun. Ich brachte Tessa nach Hause. Sie lud mich noch auf einen Glühwein ein. »Ich habe gar nicht gewußt, daß du so ein außergewöhnlicher Mann bist«, meinte sie augenzwinkernd und zog ihren Pulli aus. Dann landete mir ihr BH auf der Schulter, und ich wußte, worauf sie anspielte…
ENDE Für Weimar und seine Einwohner kommt es diesmal ganz dicke. Und das ausgerechnet während einer der Feierlichkeiten zum Goethejahr! Gefahr aus der Luft und aus der Tiefe, doch Mark und seine Freunde können ja nicht überall sein! Alle 101
Anstrengungen gelten nun dem geheimnisvollen Bombenleger, der sämtliche Sprengsätze in der Kanalisation versteckt hat. Der Countdown läuft, und alle Eingeweihten bangen - und hoffen, die große Katastrophe doch noch irgendwie von Weimar abwenden zu können. Doch viel Zeit bleibt ihnen nicht. Fünf, noch vier Sekunden, drei…
Inferno über Weimar Atemlose Spannung für ein paar gruselige Lesestunden. Holt Euch den 38. Mark Hellmann von C W. Bach!
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