Nr. 2593
Leo Lukas
Das PARALOX ARSENAL Ein ungeheuerliches Machtinstrument – in wessen Hände wird es geraten? In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das ent spricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Seit einiger Zeit tobt der Kampf um die PolyportHöfe, der mehrere Galaxien umspannt. Die sogenannten Polyport-Höfe sind Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, mit denen sich gigantische Entfernungen überbrücken lassen. Als die Frequenz-Monarchie aus einem jahrtau sendelangen Ruheschlaf erwacht, beanspru chen ihre Herren, die Vatrox, sofort die Herrschaft über das Transportsystem und mehrere Galaxien.
Die Terraner und ihre Verbündeten wehren sich erbittert – und sie entdecken die Achillesferse der Vatrox. Rasch gelingen ihnen entscheidende Schläge in der Milchstraße sowie in Andromeda. Allerdings sind damit nicht alle Gefahren besei tigt. Mit den Vatrox hängen zwei rivalisierende Geisteswesen zusammen, die weitaus bedroh licher für die Menschheit sind. Gleichzeitig droht eine noch schlimmere Gefahr: der Tod von ES, jener Superintelligenz, mit der Perry Rhodan und die Menschheit auf vielfältige Weise verbunden sind. Zu retten ist sie nur durch ein einziges Mittel: DAS PARALOX-ARSENAL ...
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Rhodan selbst, sowie Lotho Keraete hat ten versucht, das schwarze Tor zu durch schreiten, das sich in der Schiffswand gebildet hatte. Mit Grauen erinnerte sich Perry an das wenige Minuten zurücklie gende Erlebnis. Prolog: Er war eingedrungen, dann jedoch ste In der Schneise von Anthuresta cken geblieben, bewegungsunfähig wie in einem mehrdimensionalen Streckbett. Ramoz sagte: »Himmelfahrtskom Chancenlos, sich mittelfristig gegen die mando.« auf ihn einwirkenden Selbstmordimpul Das war insofern bemerkenswert, weil se zu wehren. Ramoz ein Tier war, das nicht sprechen Aus eigener Kraft hätte Perry sich konnte. nicht mehr befreien können. Zum Glück »Habe ich mich gerade verhört?«, fragspie ihn das Medium, te Perry Rhodan. in dem er gefangen »Oder hat er tatsäch war, nach einer für ihn lich ...« Die Hauptpersonen des Romans: »Sein Fauchen klang unbestimmbaren Zeit Julian Tifflor – Der Aktivatorträger verändert sich zu mit viel Phantasie wie spanne wieder aus. sehends. ›Himmelfahrtskom Icho Tolot und Lo Perry Rhodan, Icho Tolot und Lotho Keraete – Die mando‹. Aber das hat tho Keraete berichte Zurückgewiesenen harren an der Schneise aus. nichts zu bedeuten.« ten, dass es ihnen Safri-16 – Der Robotregent vereint Sadismus und Mo ral. Mondra Diamond ebenso ergangen war. ließ sich auf die Fer Der Haluter und der Banlaroguel – Die graue Eminenz tritt in vielerlei Ge stalt auf. sen nieder und kraul Bote der Superintelli Duleymon die Siebenundsechzigste – Die Monarchin te den Luchsartigen genz ES waren nahe der Vatrox erwartet Tifflors Rückkehr, um ihr Volk zu hinter den Spitz daran gewesen, sich retten. ohren. »Er ist zwar und ihren Geist aufzu klug, doch so klug geben. auch wieder nicht.« Welche Instanz auch »Zufall, meinst du. hinter diesen VorkehWie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass rungen steckte – man hatte es offenbar eine Abfolge tierischer Laute zufällig nicht darauf abgesehen, sie zu eliminie wie ›Himmelfahrtskommando‹ klingt?« ren, lautete Tolots Resümee. Man entließ Icho Tolot öffnete den breiten Mund sie aus aussichtsloser Lage, nachdem sie und setzte zum Sprechen an. in die Schranken gewiesen worden wa Perry kam ihm zuvor. »Die Frage war ren. rhetorisch gemeint, Tolotos. – Bitte, sei Perry Rhodan missfiel der Gedanke so gut und behalte das Tier im Auge, sehr, für unwürdig befunden worden zu Mondra.« sein. Mehr Kopfzerbrechen bereitete ihm »Nichts anderes hatte ich vor.« Sie hob freilich, dass das schwarze Tor einen von die Schultern. »Ramoz ist nervös und ge ihnen, nämlich Julian Tifflor, im Gegen reizt wie wir alle. Kein Wunder nach den satz zu den drei anderen nicht wieder jüngsten Vorkommnissen. Allerdings ausgeworfen hatte. scheint er keine unmittelbaren Bedro Ausgerechnet Tiff, dessen Zellaktiva hungen zu wittern.« tor seit einigen Stunden aus ungeklärten »Für sich und uns. Was hingegen Tiff Gründen nicht mehr funktionierte! und Tanio betrifft, dürfte der Begriff Hatte er, geschwächt wie er dadurch ›Himmelfahrtskommando‹ nur allzu pas war, sich der Selbstmord-Strahlung send sein.« nicht lange genug zu widersetzen ver Alle drei Zellaktivatorträger, auch mocht? Wer meint, er könne
für sich allein gehen,
wird stehen bleiben.
Julian Tifflor, Haikus von unterwegs
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Sie wussten es nicht. Umgekehrt ließ sich das Faktum, dass Tiff verschwunden blieb, auch optimis tisch deuten: dass er mehr Erfolg als die drei anderen gehabt hatte und durch die mysteriöse Schleuse zum PARALOX ARSENAL vorgestoßen war. Einer von euch wird gehen. Die ande ren bleiben hier, hatte eine telepathische Stimme mitgeteilt, verbunden mit star kem, mentalem Druck. Der Auserwählte wird Leid auf sich nehmen wie kein Mensch zuvor. Er wird Belastungen er fahren wie kein Mensch zuvor. Er wird Geduld beweisen müssen wie kein Mensch zuvor. Selbstverständlich hatte Perry Rho dan diese Aussagen auf sich bezogen. In solchen Fällen war gewöhnlich er der Auserwählte. Dann aber hatte die Stimme einen an deren Namen verkündet: Es ist schon vor sehr langer Zeit entschieden worden. Ju lian Tifflor geht. Nur er, kein anderer. Was sollte das bedeuten, »vor langer Zeit entschieden?« Gleichwohl hatte Perry, der nicht der Typ war, ominösen Geistesstimmen wi derspruchslos zu gehorchen, sich trotzig in die Schwärze des Tors geworfen, prak tisch zugleich mit Tiff, Keraete und To lot. Mit dem bekannten Ergebnis. * »Mikru?« »Ich höre, mein Pilot.« Die Stimme des Obeliskenraumers erklang in der Zen trale. MIKRU-JONS humanoider Avatar jedoch zeigte sich nicht. Ob es sich um ein Indiz dafür handel te, dass ihre Kapazitäten hochgradig ausgelastet waren, oder ob das Schiff schmollte, wollte Perry gar nicht wis sen. »Hast du inzwischen neue Erkennt nisse gewonnen? Wie und von wem das Tor errichtet worden ist und so wei ter?« »In diesem Fall hätte ich mich sofort gemeldet. Mir liegen auch keine ver wertbaren Ortungsdaten über Tifflors
Verbleib vor. Nein, ich kann die Verbin dung, die mir aufgezwungen wurde, aus eigener Kraft nicht wiederherstellen.« »Trotzdem danke.« »Bitte.« Täuschte er sich, oder schaffte sie es sogar, ein einziges Wort süffisant klingen zu lassen? Perry brachte durchaus Verständnis für MIKRU-JON auf. Sie beklagte sich zu recht darüber, dass die Silberkugel sie nicht bloß verstärkte, sondern gewisser maßen, schlicht aufgrund der überle genen Technologie, dominierte: »Sie mischt sich in meine intimsten Abläufe ein!« Armes, eigenwilliges Schiff ... Er ließ seinen Blick über die Mutanten schwei fen. Lucrezia DeHall, Rence Ebion und Shanda Sarmotte, die drei jungen Star dust-Terraner, sowie das Konzept Lloyd/ Tschubai, sie alle schüttelten langsam den Kopf. Ihre Hypersinne nahmen nichts von Bedeutung wahr, hieß das. Etwas an der Art, wie Sarmotte lin kisch hin und her tänzelte, brachte Perry dazu, nochmals nachzufragen. »Ist dir vielleicht doch etwas aufgefallen, Shan da?« »Nein. Nichts ... Wichtiges.« »Erzähl es trotzdem.« Die junge Frau wirkte manchmal zö gerlich und schwer von Begriff. Was nichts an ihrer ausgewiesenen Parabega bung änderte. »Ramoz«, sagte sie leise. »Ich kann sei ne Gedanken nicht lesen, nur durch seine Augen sehen. Aber wie er das gesagt hat, also gefaucht, ihr wisst schon, was wie ›Himmelfahrtskommando‹ klang, da hat er ... genau hierhin geschaut.« Sie deute te auf die Stelle, an der Tanio Ucuz gestanden hatte, bevor er zum Nebel streif wurde und schließlich ganz ver schwand. »Ah ja. Danke auch dir!« * »Noch ist nichts verloren.« Lotho Ke raete ließ sich in einen Sessel gleiten;
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wohl kaum, weil er zu müde zum Stehen war, sondern um die Situation zu ent krampfen. »Beide sind erst wenige Minuten weg.« Reflexhaft blickte Perry auf sein Chro nometer. Man schrieb den 10. Mai 1463 NGZ, kurz nach 19.15 Uhr. Der Mann aus Metall hatte recht. Aber wenn Perry etwas hasste wie die Pest, dann, die Hände in den Schoß zu legen. Einstweilen ruhten alle Hoffnungen auf Tanio Ucuz. Der Oberstleutnant, Tifflors langjähriger persönlicher Si cherheitsbeauftragter, hatte eine dünne Spur entdeckt. Von unbekannter energetischer Aus prägung, laut Tanios Angabe. Sehr eigen, und sehr schwach. Ucuz war – unter anderem – Nullpoler. Er konnte Energie spüren: Kraftfelder, Strahlungen und andere energetische Erscheinungen konventioneller wie übergeordneter Art, im lokalen wie auch viele Millionen Kilometer entfernten Be reich. Basierend auf dieser Wahrnehmung vermochte er im zweiten Schritt ein hy perphysikalisches Entstofflichungsfeld zu erstellen, seinen Körper aufzulösen und sich in Energieströme »einzufädeln«. Er nutzte diese als Transportwege und rematerialisierte willentlich an einem anderen Ort, ähnlich wie die WoolverZwillinge. Bloß aus Jux und Tollerei, hatte er hin zugefügt, würde er der fremdartigen, be denklich dünnen Spur nicht folgen. Er war keineswegs sicher, sich darin auf Dauer stabilisieren zu können, ganz zu schweigen von einem Zweiten. Aber da es um Tifflor ging ... Und nun war der Oberstleutnant ver schwunden. Geduld, ermahnte sich Perry Rhodan. Der Zeitablauf im energetischen Medium ist ein anderer. Ucuz kann jeden Moment wiederauftauchen. Mit Tiff im Schlepp tau. Oder auch nicht.
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1. Gottsuche Er trat in das Innere des Zeitkorns, und die Mündung des Jahrmillionentun nels schloss sich hinter ihm. Eine Metallwand wuchs aus dem Nichts und versperrte seinen Fluchtweg. Weitere viereckige Elemente glitten aus dem Boden. Sie umschlossen Julian Tifflor, kesselten ihn ein, nahmen ihm die Luft zum Atmen. Die Platten zerfaserten und zerfielen zu immer kleineren Ein heiten, die sich rasch seinem Körper an passten und hauteng an ihn drückten. Tiff wollte etwas sagen. Schreien. Sich kundtun. Doch jede Bewegung wurde zur Qual. Das zersplitternde Metallwerk adap tierte ihn für seine Zwecke und presste ihn in eine genehme Form. Er fühlte kleinste Plättchen gegen seine Zähne schlagen, sobald er den Mund öffnete. Das Metall wollte ihn einnehmen. Sein Inneres auskleiden. »Aus!«, presste er unter Schmerzen hervor. »Bitte!« Das metallene Wachstum fand abrupt ein Ende, und nach einem Moment des Innehaltens erlaubte ihm der seltsame Mechanismus ein wenig mehr Freiheit. So, dass Tiff atmen, dass er sich einiger maßen entspannen konnte. Eine Quadratplatte, 50 Zentimeter hoch und bloß wenige Millimeter dick, schob sich vor ihm aus dem Boden. Sie kippte schräg nach hinten, spaltete sich in dünne Scheiben, die gegeneinander schlugen. Sie erzeugten ... eine Stim me. »Vernunftbegabtes Leben«, urteilte das Maschinenwerk. »Vier Extremitäten. Denkprozessualer Haupteinheitsknoten im obersten Körpergelenkteil. Nur we nige Sinne, meist schmalbandige Sin neswahrnehmungseinheiten. Grenzwer tig halbintelligent. Eine Kommunikati on ist eingeschränkt möglich. Sprich, Wesen!« *
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Julian Tifflor ließ die Beurteilung un gerührt über sich ergehen. Er hatte als Mensch schon weitaus schlimmere Beleidigungen zu hören bekommen, an gefangen bei den Schmähungen der Ar koniden vor mehr als dreitausend Jah ren. Zuzüglich der einen oder anderen Jahrmillion, die ich mittlerweile wan dernd verbracht habe ..., dachte er. »Ich verlange Kommunikation«, sagte die Platte. Sie gab ihrem Wunsch durch eine Verengung im Brustbereich zusätz lichen Ausdruck. »Ich bin Terraner«, sagte Julian Tifflor. »Und ich bin auf der Suche.« »Suche ist ein veraltetes Konzept. Du wirst es in meinem Existenzbereich nicht mehr finden. Ich habe es ausge merzt. Was zu suchen war, wurde gefun den.« »Ich verstehe nicht ...« »In einfacheren Worten: Ich fülle das Zeitkorn zur Gänze aus. Es gibt nichts, was in diesem Bereich unentdeckt ge blieben wäre.« »Du weißt also zum Beispiel über Emotionen Bescheid?« Der Druck ließ ein wenig nach, meh rere Plättchen fielen ab und versanken im granulatbedeckten Boden. »Als ich begann, mich hier auszubrei ten, stand ich in Konkurrenz zu Leben den. Ich lernte die Unterschiede zwischen ihnen und mir kennen. Ich lernte, dass ich diese Lebenden verstehen musste, um sie besiegen zu können. Also beschäftigte ich mich mit ihren Emotionen.« »Du glaubst also, biologisch gewach sene Geschöpfe zu durchschauen?« »In einer abstrakten Art und Weise.« »Wenn du meinst, uns ausreichend analysiert zu haben – wie kommt es, dass du mein Leben verschont hast? Gibt es doch noch etwas, worauf dir Antworten fehlen?« »Ja«, antwortete das Maschinenwerk in aller Offenheit. »Ich suche den Weg zu Gott.« *
Julian Tifflor fühlte sich tiefer in das Zeitkorn gedrängt. Sein Horizont war stets eingeschränkt. Niemals sah er weiter als einige Meter voraus. Zusätzliche Platten schoben sich aus dem Boden oder versperrten ihm den Blick nach oben. Manchmal musste er schmale Gänge durchschreiten, die bei anderen klaustrophobische Anfälle aus gelöst hätten. »Hast du einen Namen?«, fragte er. »Oder eine Funktionsbezeichnung?« »Ich habe mich auf die reine Bezeich nung beschränkt. Ich sehe mich als NullEins. Oder EinsNull.« »Das binäre Prinzip. Plus und Minus. Gut und Böse. Yin und Yang.« »Ich merke, du hast verstanden.« Tiff wurde aus dem Gang geschubst. Über mehrere Treppenabsätze erreichte er das Innere eines schummrig beleuch teten Raums. Ein wenig Licht erhielt er durch über Metallplatten reflektierten Schein vor die Beine gespiegelt. Es muss te also »weiter oben« so etwas wie eine Leuchtquelle existieren, die NullEins nicht ausgeschaltet hatte. Oder mir zu Ehren reaktiviert hat? Erneut fühlte er sich vorwärts gescho ben und gedrängt. Auf ein tiefes schwarzes Loch zu, dessen Grund nicht zu erkennen war, dessen Ausmaße unge heuerlich groß erschienen. »Dies ist mein Kern«, sagte NullEins. »Hier bin ich meiner Existenz selbst am nächsten. Und hier werden wir uns dar über unterhalten, was ich von dir verlan ge. – Setz dich. Wesen deiner Art sitzen gerne.« Julian Tifflor wurde noch näher zum Rand des Lochs genötigt. Als er Widerstand leisten wollte, drückten die nach wie vor an seinem Körper befindlichen Plättchen schmerz haft gegen seine Kniekehlen, sodass er einknickte. Er konnte knapp verhindern, kopf über in das bodenlose Nichts zu stürzen. Er fing sich mit den Händen ab, fand ausreichend Widerstand im Granulat boden und hockte sich nieder, wie es
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NullEins verlangte. Seine Beine bau melten über dem Abgrund. * »Du kommst von außerhalb. Aus dem Tunnel. Dir ist es gelungen, von einem Zeitkorn zum nächsten vorzudringen. Das bedeutet, dass du die Langlebigkeit in dir trägst. Korrekt?« »Ja.« Julian Tifflor sah keine Veranlas sung zu lügen – und er bezweifelte, ob es ihm überhaupt gelingen würde. Diese maschinelle Existenz umgab und beherrschte ihn. Gewiss konnte sie seine Vitalfunktionen anmessen. Herz schlag und Puls und Hunderte andere Werte, um in ständigen Abfragen festzu stellen, wie er auf gewisse Reize reagier te. Selten hatte er sich derart hilflos ge fühlt. Dennoch wollten sich nicht die ganz großen Emotionen der Verzweiflung einstellen. Womöglich war er bereits zu lange unterwegs, um die Tiefen und Hö hen der Gefühlswelt jemals wieder rich tig spüren zu können. »Du bist hier, weil du etwas suchst.« »Richtig.« »Ich habe den Inhalt deines Rucksacks erspürt. Es handelt sich um mehrere Pe rianth-Kristalle. Du suchst ein weiteres Exemplar.« »Hast du es ... aufgenommen? Existiert es noch?«, fragte Tiff mit verräterisch klopfendem Herzen. »Es ist noch da. Ich verfüge also über etwas, das du von mir haben möchtest. Ich befinde mich demnach in einer sehr guten Verhandlungsposition, zumal ich dich jederzeit töten kann.« »Dem widerspreche ich nicht.« »Dann reden wir jetzt über Gott.« »Das ist ein heikles, weil metapho risches Thema.« »Es ist ein reales Thema. Weil ich er baut und programmiert wurde. Weil mei ne Existenz auf dieses Zeitkorn reduziert bleibt – und es andere Orte außerhalb meines persönlichen Universums gibt. Solche, die mir unerreichbar bleiben. Ich
habe versucht, dezentrale Einheiten von hier zu anderen Körnern zu schicken. Je doch ist die Zeit ein Faktor, dem selbst ich nichts entgegenzusetzen habe.« »Vielleicht bin ich dein Gott?«, fragte Julian Tifflor. »Mir ist gelungen, woran du scheitertest.« »Du weist das Attribut der Langlebig keit auf. Doch dir haftet sonst nichts Gottähnliches an. Meine Erschaffung muss einer mächtigen Entität vorbehal ten gewesen sein, der keinesfalls die Schwächen einer biologisch bestimmten Existenz anhafteten.« Ein kalter Luftzug fuhr durch Tiffs Hosenbeine. Wollte ihn NullEins etwa davor warnen, Blasphemie zu betrei ben? »Was erwartest du von mir, NullEins?« »Wir treffen eine Einigung. Du wirst einen Teil von mir in teildesaktiviertem Zustand mit dir nehmen. Sobald wir Gott gefunden haben, erhältst du zur Be lohnung den Perianth-Kristall.« »Na, wenn’s weiter nichts ist ...« »Spotte nicht!« Drohend erhöhte sich der Druck der Metallplättchen. »Soll nicht wieder vorkommen. Aber zwei Fragen wirst du mir gestatten. Ers tens: Was bedeutet teildesaktiviert? Zweitens: Was möchtest du mit Gott be sprechen?« »Ich werde einen Teil des Weges ge meinsam mit dir gehen. Zumindest so lange, bis die zu erwartenden Abnut zungserscheinungen ein gewisses Maß erreichen. Dann werde ich mich in den Winterschlaf begeben, den du zu gege bener Zeit beenden wirst. Nur wenn du mich im Zeitkorn Gottes erweckst, be kommst du den Perianth. Und was deine Frage nach Gott und dem, was ich mit ihm vorhabe, betrifft ...« »Ja?« »Ich werde ihn töten.« * Die Beleuchtung in dem riesigen Raum, der von einem einzigen künstli chen Wesen besetzt wurde, erlosch
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schlagartig. Der Einzige, Letzte machte das Licht aus. Sie verließen das Zeitkorn. EinsNull begab sich mit Tifflor auf Reisen, und angesichts der besonderen Umstände war es nicht notwendig, dass er einen Schlüssel nahm und seine bisherige Woh nung versperrte. »Warum möchtest du einen Teil des Weges selbst zurücklegen?« Julian Tifflor betrachtete das eigenar tige Gefährt, das völlig lautlos neben ihm herrollte. Es bestand aus kleinen und kleinsten Plättchen, die aneinanderge fügt waren und ein Rad bildeten. Am oberen Scheitelpunkt des Körpers glitt ein Knubbel dahin, der Tiff als Ori entierungspunkt diente. Wann immer sie miteinander kommunizierten, nahm er den Knubbel in Augenschein. »Wir werden auf frühere Bestandteile meines Selbst stoßen. Ich möchte analy sieren, warum sie versagt haben. Viel leicht kann ich einige Überreste aufneh men und derart weitere Aktivitätszeit gewinnen.« »Aber es gibt einen anderen Grund, nicht wahr?« »Was möchtest du damit sagen?« »Dass du es drauf anlegst, dich mit mir zu unterhalten.« »So ist es.« »Und warum? Ich dachte, dass du die Unterhaltungen mit den Lebenden längst durchdekliniert hättest?« »Ich habe unzählige Gespräche ge führt. Solche, die unter dem Aspekt der Freiwilligkeit geschehen sind, und sol che, die ich erzwungen habe. Jahrtau sende deiner Zeit habe ich damit ver bracht. Manche Antworten waren nicht zufriedenstellend. Irrationalität ist ein Thema, mit dem ich mich lange beschäf tigt habe, und es hat einige Aspekte er geben, die ich mit dir besprechen möchte.« »Als da wären?« »Warum gilt Mord als unmoralisch, wenn man damit Vereinfachungen der eigenen Existenz herbeiführen kann?«
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Julian Tifflor setzte Schritt vor Schritt. Wie gewohnt. Er wusste nicht, ob er die ungewohnte Abwechslung genießen oder bedauern sollte. * Die Jahre vergingen, die Jahrzehntau sende vergingen. Das übliche Marsch-Mantra, das Ge fühl eines Versinkens im Ewigkeitstrott, wollte sich diesmal nicht einstellen. NullEins erwies sich mehr und mehr als lästiger Störfaktor. Als das mechanische Wesen irgendwann einmal in sich zusam menbrach, fühlte Julian Tifflor Erleich terung. Aus dem Inneren des Rades, aus einem Mischmasch aus Plättchen, tauchte ein kleines Kästchen auf, das bislang ver borgen gewesen war. Es war gerade groß genug, um einen Perianth-Kristall zu ummanteln. Der nun im Winterschlaf be findliche NullEins war auf winzige Be standteile reduziert. Julian Tifflor fühlte sich versucht, das Kästchen aufzubrechen; doch das künst liche Wesen hatte ihn vor diesem Schritt gewarnt. Jeglicher Versuch der Gewalt anwendung würde den Perianth zerstö ren. Erst wenn er das nächste Zeitkorn erreichte, durfte er NullEins wecken. Der Unterschied war leider leicht fest stellbar: Im Jahrmillionentunnel fluk tuierte hoch konzentrierte Vitalenergie, in den Krusten der Zeitkörner jedoch nicht. Tiff trug die Büchse Pandoras mit sich. Wohin er kam, am anderen Ende dieses Tunnelabschnitts – er würde die jewei lige Biosphäre zum Untergang verurtei len. Seufzend packte er das Kästchen in seinen Rucksack und machte sich weiter auf den Weg. Er hatte noch ein schönes Stück vor sich. Falsch. Schön war definitiv kein passender Ausdruck für das Martyrium, dem er sich unterzog.
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2. Gipfelsieg Geschafft. Der Zugang zur Kaverne, zur Kruste des Zeitkorns. Vorsichtig steckte Tiff den Kopf durch den Eingang. Ruhiges Land lag vor ihm, und es entsprach seinen Erwartungen. Er blieb am Zugang stehen, zog das Kästchen von NullEins und hielt die Ar me ins Innere. Plättchen bewegten sich knirschend. Das Kästchen entfaltete sich. Das Bewusstsein von NullEins er wachte; das künstliche Bewusstsein »bootete« hoch. »Ich habe meinen Teil unseres Handels erfüllt«, sagte Julian Tifflor. »Du kannst das Innere des Zeitkorns ... schme cken?« Töne erklangen. Die Sprachsteuerung benötigte einige Sekunden, um eine ver nünftige Antwort geben zu können. »Ja«, sagte NullEins. »Ich kann keine Vitalenergie mehr anmessen.« »Also bekomme ich den Perianth?« »Du kannst ihn haben.« Das blumenkelchförmige Objekt schob sich aus Gewirr der Plättchen und fiel wie von selbst in Tiffs Rechte. »Danke!«, sagte er. »Ich werde dich nun allein las sen.« Schweigen. Dann fragte NullEins: »Ich dachte, dass du das Zeitkorn erkun den wolltest?« »Und ich dachte, dass du dich augen blicklich auf die Suche nach Gott ma chen würdest, um ihn zu töten.« »Ich benötige einige Zeit, um die Er weckungs- und Wachstumsroutinen zu durchlaufen. Wir haben darüber gespro chen.« »Ja, das haben wir. Ich wünsche dir viel Glück.« * Behutsam legte Tifflor den winzigen Rest der Maschinenintelligenz in unmit telbarer Nähe des Übergangs zwischen Tunnel und Zeitkorn-Kruste ab. »Darf ich dir einen letzten Rat geben?«
»Du möchtest mir einen Rat erteilen?« »Ganz genau. Wenn du vollends er wacht bist und siehst, was sich ringsum befindet, denk daran, dass man Gott nach Ansicht vieler schlauer Wesen am ehesten in sich selbst findet. Er drehte sich um und machte sich auf den Weg. Wie lange würde es dauern, bis das künstliche Geschöpf sein Manöver durchschaut hatte? Julian Tifflor, Altruist aus Leiden schaft, war umgekehrt und hatte das künstliche Bewusstsein wieder in seine eigene Lebenssphäre zurückgebracht. Wenn NullEins so funktionierte, wie es Tiff in Erfahrung gebracht zu haben glaubte, würde er ihm nicht folgen, um sich zu rächen. Er würde begreifen. Er schüttelte die Beine aus und ging los. Er nahm eine Strecke, die nicht in Kilometern, sondern in Jahrhunderttau senden gemessen wurde, zum dritten Mal in Angriff. * Da war dann, später, tiefer unten in der Vergangenheit, diese Zeitkorn-Krus te, deren Inneres von einer pflanzlichen Zivilisation aus wandernden Lianenge schöpfen durchzogen wurde. Durch ein wenig Staub, den Julian Tifflor aus seinem Rucksack schüttelte, konnten die Caridis-Geschirre, wie sich die Bewohner selbst nannten, die Biodi versität ihres Reichs entscheidend erwei tern. Dafür erwarb Tiff das Recht auf Erhalt des hiesigen Perianth-Schlüs sels. Lediglich die mühsame Verständigung erforderte, dass er sich mehrere Wochen im Inneren des Zeitkorns aufhielt. Alle sechzig Stunden unternahm er einen er holsamen, quasi den Speicher seines nach wie vor inaktiven Zellaktivator chips auffrischenden Spaziergang durch das vitalenergetische Feld des Tunnels. Danach setzte Julian Tifflor den Marsch fort. *
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Die Zeitkorn-Kruste wurde von einer Symbiontengesellschaft beherrscht. Von einer, deren Wirtskörper gerade mal halb so groß waren wie jene Schmarotzer, die sich unter dem Schnaufen und dem Weh klagen ihrer Träger befördern ließen. Julian Tifflor hatte nicht allzu viel zu tun, um den dort abgelegten PerianthKristall zu ertricksen. Der gesellschaft liche Stillstand hatte zu einer geistigen Trägheit geführt, der dem Unsterblichen zu einem raschen Erfolg verhalf. So konnte er die Kaverne schon bald wieder verlassen. Nicht, ohne zuvor in den Köpfen der Wirte einige neue Ge danken zu hinterlassen. Kichernd verließ er die Sphäre, und er ahnte, dass er, wenn er nicht besser auf seine geistige Gesundheit Acht gab, dem Irrsinn verfallen würde. Dennoch trug die Idee, irgendwann hierher zurückzu kommen und das Wachstum seiner ge danklichen Saat zu überprüfen, etwas durchaus Amüsantes in sich. Vielleicht ergab sich ja auf dem Rück weg, in schätzungsweise zehn oder zwölf oder fünfzehn Millionen Jahren, diese Gelegenheit. * »Ein neues Zeitkorn, ein neues Glück, ein ...«, sang jemand aus vollem Halse. Wer? Ach, er. Julian Tifflor kroch durch den bemer kenswert kleinen Eingang. Seine Hände scharrten über Fels, und er musste, ent gegen seiner bisherigen Erfahrungen, bergan klettern. Vorbei an breiten Flä chen voll Krüppelgewächsen und lang dornigem Unkraut, hoch zur Spitze eines Bergs. Der Perianth-Detektor wies ihm ein deutig den Weg. Er musste den Berg überqueren, wollte er seinem Ziel näher kommen. Schnell wurde die Luft dünner, und noch viel schneller erreichte Julian Tifflor die Grenzen seiner Belastbarkeit. Er hatte erst etwa 200 Höhenmeter ge wonnen und hechelte verzweifelt nach
Luft. Sein Kopf drohte vor Schmerz zu platzen. Er hielt inne und ließ sich auf den Rü cken fallen. Die Luft war angenehm warm; Naturgesetze, wie er sie kannte, beanspruchten an diesem Ort keine Gül tigkeit. Links bewegten sich Büsche, aller dings wehte kein Wind. Tiff meinte, aus dem Augenwinkel Bewegungen wahrge nommen zu haben. Man beobachtete ihn, war sich aber noch nicht sicher, was man mit ihm anfangen sollte. Müde kam er wieder auf die Beine. Er blieb wachsam, während er seinen Weg zum Gipfel fortsetzte. Die Unbekannten wollten ihm wohl nicht an den Kragen; es hätte bereits genügend Möglichkeiten gegeben, sich seiner zu bemächtigen oder ihn auszuschalten. Man beobachtet dich, alter Mann ... Lass sie deine Selbstsicherheit spüren – und auch den Respekt, den du angesichts dieser seltsamen Landschaft empfin dest. Tiff musste sich nicht sonderlich ver stellen. Die Rauheit der Umgebung ver setzte ihn in eine seltsame Stimmung. Er fühlte sich einem heimatähnlichen Um feld ausgesetzt – und er genoss es. Ob wohl die Erinnerungen daran Jahrmilli onen zurücklagen. Er kletterte weiter. * Die duftenden Gräser einer Art Hoch alm machten bald kargerem Bewuchs Platz, und kaum hatte sich Tiff an die distelartigen Gewächse gewöhnt, musste er sich mit dem Vorwärtskommen auf glänzend nassem Gestein beschäftigen. Er hielt keuchend inne. Es mochten etwa noch 150 Meter bis zum schroffen Gipfelgrat sein. Rechts zog sich eine Art Eisfeld dahin, das wie ein gefrorener Sturz über wei teren Blütenfeldern wirkte. Gelbe, rote und violette Blümchen waren unter der Schicht im Moment der Hochblüte ein gefroren worden.
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»Ein Pass«, sagte er laut, um den Klang des Echos zwischen dem Haupt- und einem Nebengipfel auszuloten. »Und es gibt Spuren, die darauf schließen lassen, dass dieser Weg öfter begangen wurde oder wird.« Schon wieder dieses Rascheln. Tiff zwang sich, ruhig zu bleiben und sich nicht umzudrehen. Er hatte seine Beob achter irritiert, aufgeschreckt. Hatte er etwa eine zu heftige Bewegung getan, ängstigten sie sich vor seinem Keu chen? Julian Tifflor folgte den Kratzspuren im Fels. Sie deuteten darauf hin, dass sich hier jemand Gedanken darüber ge macht hatte, den Pass besser begehbar zu machen – aber auch nicht zu gut. An dernfalls hätte es Abgrenzungen, Stütz stufen und kleine Hinweise auf den ex akten Verlauf des Wegs gegeben. »Na und? Immerhin bin ich Boy Scout«, murmelte er, »vermutlich sogar der aller letzte. Ich finde schon meinen Weg!« Falsch. Perry und Bully waren eben falls bei den Pfadfindern aktiv gewe sen. Aber wie wollten diese Jünglinge ge gen ihn und seine Erfahrung anstinken? Ihr Lebensalter maß in lächerlichen vier stelligen Zahlenbereichen ... * Tiff lachte – und wieder scheuchte er seine heimlichen Begleiter in ihre Verste cke zurück. Nackte Füße, krallenbe wehrt, kratzten über Fels oder über Eis. »Ihr mögt wohl keine Geräusche?«, fragte er in die Stille. »Tun sie euch weh?« Julian Tifflor erwartete keine Antwort, und er erhielt auch keine. Er setzte sei nen Weg fort, stieg den schmalen, kaum erkennbaren Pfad bergan. Das bunte Tuch an erfrorenen Blumen, unter dem Eis verborgen, irritierte seine Sinne. Angesichts dieses Farbenirrsinns würde es ihm auch hier nicht gelingen, seine Verfolger auszumachen; zu sehr waren seine Augen beansprucht.
Der niedrige Sauerstoffgehalt zehrte an seiner Substanz. Er gierte nach mehr Luft und atmete dreimal, viermal so rasch wie normal, um seine Lungen fül len zu können. Noch waren es etwa zwanzig Höhenmeter bis zur Passhöhe; eine lächerliche Distanz, wie man glau ben mochte. Es sind schon Terraner wenige Zenti meter vor der rettenden Hütte gestorben, dachte er. Die Überlebenden hatten die Weisheit besessen, sich rechtzeitig zu rückzunehmen. Indem sie zum Beispiel am Berg der Weisheit nicht die letzte al ler Fragen stellten ... Julian Tifflor befolgte den eigenen Ratschlag. Er setzte Fuß vor Fuß, hielt kurz inne und tankte Kraft, bevor er den Vorgang wiederholte. Es war hier nicht viel anders als im Jahrmillionentunnel: Immer nur der nächste Schritt war wich tig. Sein Herz schmerzte. All seine Ner venenden schmerzten. Selbst die Gedan ken schmerzten. Er konnte seine Verfolger spüren – oder täuschte er sich? Verfing er sich im Wahn, bedingt durch Sauerstoffunterversor gung seines Gehirns? Er hätte sich bloß umzudrehen brau chen und hätte seine Bestätigung be kommen. Hätte seine Neugierde stillen können. Und das Ziel? Dieser höchste Punkt, der ihm hoffentlich erlauben würde, über das Land des Zeitkorns hinweg zublicken und seine Größe auszulo ten? Dreh dich um!, forderte eine sirenen ähnliche Stimme irgendwo in diesem Klumpen, der sich Kopf nannte. Neu gierde ist das wichtigste menschliche Gut. Es formte uns auf dem Weg zu Intel ligenzwesen und es machte, dass wir den Weltraum zu erobern lernten. Ein Schritt aufwärts. Pause machen. Nach Luft schnappen. Was für einen bitteren Beigeschmack das Wort »erobern« während all der Jah re als Unsterblicher bekommen hatte ... Sie waren so naiv gewesen. Hatten an
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sich gerafft, was links und rechts des Weges gelegen war. Anfänglich von den »Umständen«, von den Feinden, getrieben, später von der eigenen Unruhe. Das Innehalten und ein ausreichendes Maß an Nachhaltigkeits denken war den Terranern nur selten in den Sinn gekommen. Ein Schritt aufwärts. Pause machen. Nach Luft schnappen. * Er vernahm die Geräusche. Sie hörten sich nun bedrohlich an. So als wollte ihn eine Horde zahnbewehrter Osterhasen anfallen und ihm Schokoladensoße in den Rachen stopfen, bis er an einem Zu ckerschock verendete. Tiff wollte lachen; gerade rechtzeitig konnte er sich davon abhalten. Lachen kostete wertvollen Sauerstoff. Ein Schritt aufwärts. Pause machen. Nach Luft schnappen. Die Osterhasen wollten ihm an den Kragen. Sie hatten ihn eingelullt und ihm Harmlosigkeit vorgegaukelt. In Wirklichkeit warteten sie auf Opfer, um deren Schwächen zu analysieren und dann erbarmungslos zuzuschlagen. Wenn es Osterhasen gibt, sind Weih nachtsmänner, Christkinder, Nikolause, Yetis, Bigfoots und Wolpertinger meist nicht allzu weit, sagte sich Tiff. Sie sam meln sich ringsum. All diese Schreckens und Segensgestalten, die mich während meiner Kindheit – und auch noch viel, viel später – erschreckt und einen dicken Kontrapunkt gesetzt hatten. Einen Kon trapunkt gegenüber dem dicken, satu rierten Gott Des Ewigen Fortschritts. Und jetzt sind die Kontrapunkte ge kommen, um mich zu holen. Ein Schritt aufwärts. Pause machen. Nach Luft schnappen. Warum gibt es einen Kontrapunkt, aber keinen Propunkt? Hat sich schon jemals ein Etymologe mit diesem ernst haften Problem der Sprachforschung auseinandergesetzt? Tifflor wollte einen weiteren Schritt
aufwärts machen. Doch er stieg ins Lee re – beziehungsweise abwärts. Er hatte es geschafft. Irgendwie. * Er blickte auf eisbedecktes Land hin ab, diesmal nicht in Rot und Violett und Gelb gehalten, sondern in weißem Weiß, und hinter dem Weiß stand das Rund ei ner stecknadelkopfgroßen Sonne. Oder das, was er für eine Sonne hielt, die aber keine war. Im Tal ästen breitbeinige Säuger an weit ausladenden Bäumen. Tiff meinte, Vogelgezwitscher zu hören und das Rau schen eines Wasserfalls, und hinter ihm rumorte die Horde seiner Wahngestal ten. Sie zischten und fauchten und groll ten, kurz: Sie nutzten die gesamte Band breite ihrer bestialischen Ausdruckswei sen. Sie drohten ihm. Sie wollten, dass er sich umdrehte. Jetzt noch, doch noch. Dass er sie an blickte und ihrem Schrecken verfiel. Um zur Salzsäule zu erstarren. Aber nein. Julian Tifflor lächelte. Die ser Herausforderung begegnete er spie lend. Neugierde war eine reichlich dum me Idee angesichts des Marsches gewor den, den er hinter sich und noch vor sich hatte. Ein Schritt abwärts. Pause machen. Nach Luft schnappen. Er wusste, dass mit jedem Meter, den er nun zurücklegte, die Ängste kleiner und die Stimmen leiser würden. Also stieg er abwärts, mit jeder Minu te besser gelaunt und an Kraft gewin nend. Tiff hatte einen weiteren Kampf gegen sich selbst gewonnen, und es scherte ihn niemals mehr wieder, ob die Bedrohung in seinem Rücken tatsächlich existiert hatte oder bloß ein Ausbund seiner Phan tasie gewesen war. Er holte sich den Perianth-Kristall an dem Ort, den der Detektor angezeigt hat te, und verließ das Lebenskorn, ohne über diese äußerst merkwürdige Episode
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seines langen Marsches auch nur einen weiteren Gedanken zu verlieren. Tifflor ahnte, dass noch wesentlich größere Be lastungen seiner harrten. 3. Die Medusen Gehen. Gehen. Gehen. Und die Zeit verflog ... nicht. Die einzige Abwechslung war seine stetig wachsende Paranoia. Tiff war in zwischen ganz sicher, dass ihn jemand beobachtete. Ein ums andere Mal, im Abstand von Jahrzehntausenden, glaubte er aus den Augenwinkeln einen Schatten zu erspä hen, flüchtig, von undefinierbarer Ge stalt. Aber er drehte sich nicht um. Kein Lebewesen, kein Roboter ver mochte den Jahrmillionentunnel zu überwinden, hatte Duleymon die Sie benundsechzigste behauptet. Einzig je mand mit einem Zellaktivator – der für diesen Zweck modifiziert, eigentlich: sa botiert worden war. Tiff selbst hatte Urga Chrem...irgend was, der Wirtin der KyBaracke, die dafür nötigen Daten geliefert. Im Grunde hatte er sich die Falle, in die er getappt war, selbst gestellt. Oder würde sie stellen. Indem er das Notizbuch, das er bei sich trug, zurück nach oben, in die Zukunft schickte. Wie auch immer ... Er schritt dahin, pausenlos, atemlos. Die Ährenspindel des Zeitspeers, der verdammte Lange Gang, erstreckte sich unabsehbar weit in beide Richtun gen. Da sich die Aussicht vor Tifflor je doch nie änderte, vielmehr den Eindruck erweckte, er käme keinen Meter vor wärts, blieb er in seinem Gehirn gefan gen. Das war kein angenehmer Ort. * Hinter dem Ausgang zum nächsten Zeitkorn – dem neunten? Oder doch
schon dem zehnten? – fiel das Land der Kruste steil ab. Julian Tifflor schlitterte vorsichtig in die Tiefe, stets darauf bedacht, den am Abhang wild wuchernden dunkelroten Büschen und ihren zentimeterlangen, ra siermesserscharfen Dornen auszuwei chen. Die Blätter waren fast kreisrund, die größten Exemplare maßen mehr als 20 Zentimeter im Durchmesser. Nach wenigen Minuten erreichte er die Sohle. Eine brettebene Oberfläche breitete sich vor ihm aus, so weit das Au ge reichte. »Flüssigkeit«, sagte er zu seinem bes ten Gesprächspartner der letzten Millio nen Jahre, zu sich selbst. »Flüssigkeit, aber kein Wasser.« Er nahm sein Fahrtenmesser und tauchte es mit der Klinge voran in die geleeartige Masse. Es sank langsam ein und ging in Zeitlupentempo unter. Bevor es völlig versank, zog Tiff das Messer zu rück und betrachtete die Schlieren, die an der Schneide zurückgeblieben wa ren. »Eine Viskosität ähnlich wie Propan triol, auch Glycerin genannt.« Vorsichtig benetzte er die Zunge. Gerade mal so viel, dass er den Geschmack erahnen konnte. »Süß. Widerlich süß.« Tiff fühlte Hunger. Wie lange hatte er keine Nahrung mehr zu sich genommen? War es gut für seinen Gemütszustand, über derartige Dinge nachzudenken, und sollte er überhaupt noch über etwas nachdenken? Er zog den Perianth-Detektor zu Rate. Das Gerät wies ihm den Kurs zum nächs ten Schlüssel, und wie er befürchtet hat te, würde er über die Flüssigkeit reisen müssen, immer der Nase nach. »Vielleicht kann ich einen Umweg nehmen, entlang des Ufers?« Seine Stim me klang ungewohnt kratzig. Es fehlte ihr dieser leichte Nachhall, den die Tun nelwände verursachten. Er ging nach links, um nach wenigen Minuten an einer Mauer hochwuchernder Büsche zu scheitern. Dort gab es kein Weiterkommen. Wenn ihn seine Augen
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nicht täuschten, wuchs das Rot auch ent lang des rechten Ufers des Glycerin-Sees viel zu dicht, als dass er das Buschwerk hätte überwinden können, ohne sich tie fe Wunden zuzufügen. Wunden, deren Heilung der Zellakti vator nicht beschleunigen würde. Blut verlust, den kein Vitalenergiespender ersetzte ... »Wie lange bist du nicht mehr ge schwommen, alter Junge? Weißt du noch, wie es geht?« * Julian Tifflor kehrte an jene Stelle zu rück, wo er das Messer in die Flüssigkeit getaucht hatte. Nach wie vor zeigten sich Spuren sei nes Versuchs an der Glycerin-Oberflä che. Nur ganz langsam und träge füllte Flüssigkeitsschleim das entstandene Loch auf. Würde er ihn tragen? War die Viskosi tät ausreichend groß? Vorsichtig tat er einen ersten Schritt. Das Ufer fiel sanft ab, und der Boden war angesichts der klaren, fast transparenten Flüssigkeit gut zu erkennen. Die Oberfläche fühlte sich schwabbe lig an, Tiff konnte sich kaum auf den Bei nen halten. Im Schneckentempo sank er ein, und als er einen Schritt vorwärts machte, wollte der Fuß nicht freikom men. Er stolperte. Klatschte mit dem Ge sicht voran auf die Flüssigkeit. Versank unendlich langsam, in diesen heimtücki schen Gefilden, und je wilder er mit den Armen ruderte, um sich zu befreien, des to tiefer tauchte er ein, desto bedroh licher wurde seine Situation. Ruhe bewahren!, mahnte er sich. Du weißt, was zu tun ist. Tifflor trieb in der Flüssigkeit, besten falls zwei Meter vom rettenden Ufer ent fernt, und konnte weder vor noch zurück. Der Seegrund war höchstens eineinhalb Meter entfernt. Er würde in Plansch beckentiefe ersticken, wenn es ihm nicht innerhalb der nächsten zwei Minuten ge
lang, seinen Körper so zu drehen, dass er aufstehen konnte. Gegen den Widerstand des Glycerins zog er die Beine an. Vorsichtig, ganz vor sichtig. Es dauerte unendlich lange, bis er in die richtige Lage gelangte. Seine Lungen brannten, der Kopf schmerzte, er benötigte Atemluft, raschraschrasch! Endlich drehte sich sein Körper dank der Schwerpunktverlagerung nach un ten, endlich konnte er die Beine ausstre cken, wiederum viel zu langsam, wäh rend sein Kopf nach oben glitt. Tiff hielt die Augen krampfhaft offen; er sah die Oberfläche nur wenige Zenti meter über sich, und er fühlte sich, als müsste er platzen, als müsste er nachge ben und ertrinken ... Seine Zehenspitzen berührten den Bo den. Mit aller Kraft seiner Oberschenkel drückte er seinen Körper durch. Dem »Himmel« entgegen! Es dauerte eine weitere Ewigkeit, bis er die Oberfläche durchstoßen und den Kopf frei von Gly cerinschlieren bekommen hatte, um ei nen gierigen Atemzug zu tun. Um fast zu ersticken an dem dicksämigen Material, das er schluckte. Tiff hustete und spie aus und wäre vor Schwäche beinahe noch einmal vorn übergefallen. Jede Vorwärtsbewegung würde sein Ende bedeuten. Er musste den Körper schwerpunkt nach hinten verlagern, um Zentimeter für Zentimeter zum rettenden Ufer zu trippeln. Unendlich langsam gelang es ihm, sich aus dieser Falle zu befreien. Sein Meta bolismus drohte zu kollabieren. Als er endlich die Füße aus dem Glycerin neh men konnte, ließ er sich kraftlos nach hinten fallen, um augenblicklich in einen tiefen Erschöpfungsschlaf zu versinken. * Als er wieder erwachte, zeigte ihm die Uhr, dass nahezu sieben wertvolle Stun den vergangen waren. »Das war kein sonderlich guter Ein stieg, mein Bester!«
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Julian Tifflor streifte allmählich ver krustende Reste der glycerinähnlichen Flüssigkeit ab und stand auf. Der See lag ruhig vor ihm, die von ihm verursachte Delle war wieder geschlos sen. Alles war ruhig. Nichts deutete auf die Gefährlichkeit dieses Mediums hin. »Und jetzt, mein Bester? Wie kommen wir zur anderen Seite des Zeitkorns und wie sammeln wir dabei den PerianthKristall auf?« Weit draußen, am Horizont, sah er Be wegung, und gleich darauf hörte er Ge räusche, wie sie von unzähligen ChitinBeinen verursacht wurden, wie sie frü her, für ihn vor fast undenklichen Zeiten, während terranischer Heuschreckenpla gen, die Bewohner mancher Landstriche in Angst und Entsetzen getrieben hat ten. Eine schwarze Wolke bildete sich. Sie bewegte sich langsam, aber stetig auf ihn zu. Tiff kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, was da vor sich ging. Doch es dauerte einige Minu ten, bis er die tierischen Gestalten von einander unterscheiden konnte: Es waren mehrbeinige Wasserläufer, die, teils in einander verkeilt und teils wild umher springend, den Weg zum Ufer suchten. * Tausende, Zehntausende waren es, und sie nahmen wenig Rücksicht auf ih re Artgenossen. Ihnen ging es einzig und allein ums Überleben inmitten dieses Schwarmtreibens. Tiff hatte noch keine Möglichkeit, Größenvergleiche anzustellen, doch er schätzte die Tiere auf etwa halb manns groß. Er beobachtete einen willkürlich wir kenden Schwenk der Läufer. »Niedriges spezifisches Gewicht. Sie lassen die chi tingeschützten Unterleiber flach über die Flüssigkeit rutschen. Die Oberfläche wird immer nur ganz kurz mit ihren Tel lerbeinen berührt.« Er beobachtete den Schwarm und
analysierte die instinktgesteuerten Be wegungen der Läufer. Sie ließen sich mal hier-, mal dahin treiben, um irgendwann einmal einen Uferstreifen anzusteuern, wenige Gehminuten von seinem Stand ort entfernt – aber noch diesseits der Buschgrenze. Etwas drängte aus dem Glycerin hoch. Weiße Fäden oder Arme, die in Zeitlu pentempo nach den Läufern tasteten und immer wieder Tiere erwischten. Tifflor schluckte hart. Dieses Meer of fenbarte immer mehr Gefahren, und an gesichts der kurzen Zeit, die ihm inner halb der Zeitkorn-Kruste zur Verfügung stand, fragte er sich, wie er seine Aufga be jemals erfüllen sollte. Lerne. Beobachte. Versuche zu verste hen. Sein analytisch geprägter Verstand, sein ganzer Stolz, war eingerostet. Es war ihm niemals schwergefallen, Ideen zu entwickeln und Assoziationsketten zu bilden. Doch nun ... Tiff beobachtete, wie die Läufer an Land kamen und nun mit schwerfällig wirkenden Schritten auf die Büsche zu staksten, um über das Dickicht herzufal len und die Blätter zu vertilgen. Er ver hielt sich so ruhig wie möglich. Keines falls wollte er auf sich aufmerksam machen. Wer wusste schon, wie diese Schwarm tiere auf ungewohnte Eindringlinge re agierten? Das große Fressen dauerte mehr als zwanzig Stunden. Draußen, vor der »Küste«, färbte sich die Glycerin-See in des blassrosa. Meterlange Arme glitten ins Freie. Ab und zu reckten die Seebewohner ihre weißen Leiber ins Freie. Sie wirkten schlank und durchaus humanoid. Sie bewegten sich elegant und voll führten einen fast hypnotisch wirkenden Tanz, der die Läufer tatsächlich, nach dem sie die Büsche beinahe vollends ab geäst hatten, in Unruhe versetzte. Viele von ihnen trippelten nervös hin und her, als könnten sie den Verlockungen nicht länger widerstehen.
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Als sich das erste Tier in Bewegung setzte, auf den Armdschungel zu, folgten ihm die anderen wie Lemminge. Gut und gern die Hälfte stelzte und glitt über die Glycerin-Oberfläche auf die Wasserme dusen zu, wie Tifflor die Seebewohner mittlerweile getauft hatte. »Das sieht mir nach einem reichlich gedeckten Tisch aus«, meinte er und be obachtete, wie sich die Läufer ohne wei tere Gegenwehr ihrem Schicksal erga ben. Sie wurden in die Tiefe gezogen, erbarmungslos, einer nach dem anderen, Hunderte und Aberhunderte, während am Ufer bloß einige wenige Exemplare übrig blieben. Wahrscheinlich jene, die zu viel gefressen hatten und sich nicht mehr bewegen konnten. Tiff sah zu, mit jener Gemütsruhe, die er mittlerweile gewonnen hatte. Er wür de sich kein zweites Mal blindlings in das Meer stürzen. Wenn er die Glycerin-See überqueren und seine Aufgabe erfüllen wollte, muss te er sich bestmöglich vorbereiten – und wenn es ein paar Jährchen dauerte. * Er verbrachte jeweils vierzig bis fünf zig Stunden im Land der Kruste, um dann wieder in den Tunnel zurückzukeh ren und »sich die Beine zu vertreten«. Um Vitalenergie zu tanken, nachzuden ken, das Durst- und Hungergefühl zu verlieren und alle Müdigkeit abzuschüt teln. Wieder in die Kruste des Zeitkorns zu rückgekehrt, errichtete er aus verkrüp pelten Ästen und breiten Buschblättern eine notdürftige Unterkunft, in ausrei chendem Sicherheitsabstand zum Gly cerin-See, um vor weiteren Überra schungen gefeit zu sein. Tiff sammelte Informationen über die überaus reichhaltige Flora und Fauna. Sie reichte von winzigen, blutsaugenden Schädlingen über zeckenartige Ge schöpfe, deren Bisse ihm unerwartet in tensive Glücksgefühle bereiteten, bis hin zu fliegenden Schlangenwesen, die sich
mithilfe ihrer ausgebreiteten Häute weit über die Wasseroberfläche hinaustreiben ließen, um dort draußen Jagd auf qual lenartige Geschöpfe zu machen. Immer wieder blickte er auf den Peri anth-Detektor. Er zeigte stets in dieselbe Richtung. »Der Kristall ist vermutlich im Glyce rin verborgen«, sagte er, um gleich dar auf wieder zu verstummen. Du benötigst eine Art Taucherausrüs tung, setzte er das Zwiegespräch in Ge danken fort. Sieh dich um, was die hie sige Flora und Fauna zu bieten haben ... Einige 50-Stunden-Fristen vergingen, und sie summierten sich zu »mehreren«, die schließlich zu »unzähligen« wurden. Jahreszeitenwechsel geschahen. Das Glycerin verfärbte sich innerhalb eines Tages marmorrot, und die Flossen zehn Meter langer und schmal gebauter Räu ber durchpflügten die zähe Flüssigkeit, um unter anderen Bewohnern des Sees blutige Ernte zu halten. Tiff beglückwünschte sich zu dem Be schluss, nicht gleich nach der Fertigstel lung seines mühsam gezimmerten Bootes aufgebrochen zu sein. Er tat es auch, nachdem eine weitere Färbung der Flüs sigkeit erfolgte und eine neue Sorte von Meeresräubern die kantigen, zahnbe wehrten Gesichter ins Freie reckten, um lautstark nach Nahrung zu schreien. Er unternahm erste, vorsichtige Test fahrten, gesichert mit aus Pflanzenbast gedrehten Seilen, um sich jederzeit zu rück ans Ufer und in Sicherheit bringen zu können. Er verbesserte das Boot, experimen tierte mit gekochtem Rindensud als Ab dichtmittel und wartete eine Regenperi ode in der Sicherheit des Tunnels ab, um danach die Schäden an all den vorberei teten Ausrüstungsgegenständen mühse lig zu reparieren. Wie viel Zeit war vergangen, als er endlich meinte, alles zum Gelingen sei ner Überfahrt unternommen zu haben? Ein Menschenjahr? Zwei? Mehr? Tiff kicherte. Es spielte keine Rolle. Zeit war zur untergeordneten Variablen
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– oder Konstanten? – seiner Existenz ge worden. Schließlich schob Tifflor das Boot in den Glycerin-See und packte zwei der kürzeren Ruderstangen, um sich mit ih rer Hilfe vom Ufer abzustoßen. Wieder einmal hatte er bloß noch 62 Stunden zu leben. * Die Tiefe betrug, wie nach den unzäh ligen Übungsfahrten erhofft, an kaum einer Stelle mehr als vier Meter. Wenn die Länge seiner Stakstangen nicht aus reichte, griff er zu den bereitliegenden Rudern und schob das Boot unter größ ten Anstrengungen vorwärts. »Kein Flüssigkeitseinbruch, gut, gut«, sagte er und tastete den Boden seines Ge fährts ab. Aneinander gepappte Chitin hüllen der Wasserläufer und mehrere Schichten der Rotbuschblätter, über Feuer gehärtet, erfüllten ihren Zweck ausgezeichnet. Da und dort kräuselte sich die Ober fläche. Wassermedusen begleiteten ihn auf seiner Fahrt. Sie wirkten neugierig. Die frecheren durchstießen das Wasser mit ihren schmalen Köpfen und beob achteten ihn mit aufmerksamen Augen, die an meterlangen Stielen hingen. Als eine der Medusen mit einem Arm ins In nere seines Gefährts griff und umhertas tete, versetzte er ihr einen leichten Schlag. Augenblicklich zog sich das Tier wieder zurück. Für eine Weile ließ der kleine Schwarm von ihm ab, um ihn nun aus einem größeren Sicherheitsabstand als zuvor zu beobachten. »Lass dich bloß nicht täuschen, alter Mann!«, sagte sich Tiff. »Die Wasserme dusen sind Räuber. Sie warten geduldig auf ihre Chance. So, wie sie die Schwär me der Wasserläufer verfolgen und auf den geeigneten Moment zum Zuschlagen lauern.« Täuschte er sich, oder zeichnete sich am Horizont bereits das andere Ufer ab? Er blickte auf die Uhr. Er ruderte und
stakste nun seit etwa neun Stunden. Sein Körper, in tagelangen Vorbereitungs übungen gestählt, war schweißnass, und ihn fror. Gerne hätte er eine Ruhepause einge legt. Angesichts all der Ungewissheiten, denen er ausgesetzt war, beschloss er, sich vorerst keine Schonung zu gönnen. Tiffs Boot zog eine unverkennbare Spur hinter sich her. Das Glycerin schwappte in Zeitlupentempo in die ent standene Fahrrinne zurück. Dort, wo er die Stakstangen eingesetzt hatte, schmatzte und gurgelte es. Der Perianth-Detektor schlug aus! Das erste Mal, seitdem er in die Zeit korn-Kruste vorgedrungen war. Er ver langte eine Richtungsänderung um we nige Grade und zeigte an, dass sich sein Ziel nur noch wenige Hundert Meter vor aus befinden musste. »Wie befürchtet«, murmelte er, »inmit ten des Glycerin-Sees.« Der Leib einer Meduse schob sich weit aus dem Wasser. Das Tier beäugte ihn, und es wirkte, als freute es sich über Tiffs Worte. * Er konnte den Kristall sehen. Er lag auf einer Felsspitze, etwa zwei Meter un ter ihm. Hatte jemand das so wertvolle Arte fakt hier abgelegt? War es für die Was sermedusen so etwas wie ein heiliges Relikt – oder war es bloßer Zufall, dass es nicht weiter in die Tiefe gekullert war? So oder so, Tiff sah sich von einem rie sigen Schwarm Medusen umringt. Sie umkreisten sein Boot. Die Mutigsten nä herten sich und schlugen mit den Armen wuchtig gegen den Rumpf, um sich gleich darauf wieder zurückzuziehen. Noch hielt der Kahn. Noch zeigten sich nirgendwo Risse oder Absplitte rungen. Er hatte gut daran getan, all sei ne Mühen und Energien in den Bootsbau zu legen. Tiff schob eine der Stangen zum Kris
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tall. Vielleicht ließ er sich mithilfe eines Greifmechanismus lösen und hochzie hen? Mit einer Schleife aus Bast, die er um das Ding legte? Nein. Der Perianth saß viel zu fest. Womöglich war er eingeklemmt? Oder längst mit dem Gestein verwachsen? Oder musste er nur den inneren Wider stand der zähen Suppe überwinden? Während er die Medusen mit weiteren Hieben gegen die langen Arme fernzu halten versuchte, bereitete Tiff seinen Taucheranzug auf den Einsatz vor. Mit schwerem Sand gefüllte Chitinkörper würden ihn so rasch wie möglich absin ken lassen. Mehrere Seile, die er um das Boot gespannt hatte, würden ihm helfen, zurück an die Oberfläche zu gelangen. Tiff zog die provisorische Tauchermas ke über, das Prunkstück seiner Arbeit. Eine Chitinhülle bedeckte sein Gesicht vom Mund abwärts bis hin zum Schul teransatz. Weich gekaute Blätter dienten als Dichtmaterial. Er brachte sie sorgfäl tig rings um die scharfgratigen Ränder des Atemaufsatzes an, sodass so wenig Flüssigkeit wie möglich eindringen konnte. Tage hatte er mit der Konstruktion dieser Maske verbracht. Unzählige Pro totypen hatte er verschlissen, bis er end lich dieses Exemplar in Händen hielt. Der Sauerstoff würde für sechs oder sieben Atemzüge reichen, das Ausblasen musste jeweils über die Nase erfolgen. Er hatte lange geübt, bis ihm diese unge wohnte Atemtechnik in Fleisch und Blut übergegangen war, zumal jedes Ausat men angesichts der Konsistenz der Flüs sigkeit einen gewaltigen Kraftakt bedeu tete. Letzte Überprüfungen, letzte Tests. Gleichmäßig atmen, durch die Nase. Die Reserven im Mundbereich ja nicht an greifen. Die oft geübten Tauchbewe gungen verinnerlichen. Er warf das schwerste Gewicht ins Wasser und sah zu, wie es in Zeitlupen tempo versank. Ein Seil rollte sich ab; es führte knapp am Perianth vorbei. Minuten vergingen, bis die sandgefüllte
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Chitinhülle endlich den Grund be rührte. »Auf geht’s, alter Junge!«, feuerte sich Tiff an. Er warf einen letzten, prüfenden Blick auf die Wassermedusen, packte die weiteren Gewichte und stieg mit den Beinen voran ins Wasser. Es dauerte 30 Sekunden, bis sein Kör per im Glycerin-See verschwunden war. Tief Luft holen, ein letztes Mal. * Er versank. Alles ringsum trübte sich ein wenig ein. Die Sicht blieb jedoch aus reichend. Den Körper am Seil entlang nach un ten drehen. Sparsame und kurze Bewe gungen. Schmal bleiben, die Arme weit nach oben gestreckt. Dem seltsamen Me dium bloß nicht zu viel Widerstand bie ten. Der Perianth befand sich nur einen Meter unter ihm, und erstmals musste Tifflor ausatmen, die verbrauchte Luft so fest wie möglich durch die Nasenlöcher blasen, um gleich darauf gierig durch den Mund einzuatmen. Er zog sich weiter nach unten, vorbei an mehreren Luftblasen, die nahezu be wegungslos stehen blieben und wahr scheinlich erst in Stunden die Oberfläche erreichen würden. Da war der Perianth! Er steckte fest, war mit dem Gestein durch korallenähn liche Ablagerungen verbunden. Tiff zog das Messer und schob die Klinge sorgfäl tig unter den Kristall. Er hielt kurz inne und tat konzentriert den zweiten Atemzug. Täuschte er sich, oder schmeckte die Luft schal? Seine Haut brannte. Das glycerinähn liche Fluid verursachte Reizungen, wie er wusste. Doch das durfte ihn nicht ab lenken. Immer tiefer glitt die Klinge, bis Tiff den Perianth freibekam. Mit klopfendem Herzen griff er danach und verstaute ihn in einer Brusttasche. Wieder umdrehen, den Kopf nach oben bekommen, so rasch wie möglich. Er lag
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gut in der Zeit, der Sauerstoff reichte bei Weitem. Hochziehen, am Seil hochhan geln, Griff über Griff setzen ... Er stieß gegen einen Körper. Gegen ei ne Wassermeduse, die ihren Leib um das Seil geschlungen hatte. Und neben ihr trieben andere. Dut zende, womöglich Hunderte, die eine schier unüberwindlich wirkende Mauer bildeten und ihm den Weg nach oben versperrten. * Die Tiere starrten ihn an, ihre breiten Mäuler weit aufgerissen. Erstmals erhielt Tiff die Gelegenheit, die Medusen aus unmittelbarer Nähe zu studieren. Wäre die Situation eine ande re gewesen, hätte ihn der Anblick gewiss fasziniert. Er erblickte mehrere nach innen ge richtete Zahnreihen, die ein Opfer immer tiefer in den Schlund befördern würden. Das Glycerin flutete ihre Körper, strömte hindurch und blähte sie auf. Muskelkon traktionen erlaubten ihnen, sich mithilfe der Flüssigkeit vorwärts zu bewegen und dieses merkwürdige Medium zur Be schleunigung zu nutzen. Tiff tankte ein drittes Mal frischen Sauerstoff, sammelte seine Kräfte. Er hielt das Messer vor sich und achtete auf die Armbewegungen der Wassermedu sen. Sie beobachteten ihn, unterschätzten womöglich seine Möglichkeiten. Er stach unvermittelt zu, so schnell er es gegen den Widerstand zuwege brach te, und ritzte einen der Arme. Das Tier zog seinen Leib zusammen und glitt nach oben hin weg, doch bevor Tiff die ent standene Lücke nutzen konnte, war sie bereits von einer anderen Meduse ge schlossen. Sie verständigten sich durch Körper kontakt. Durch Signale, die sie mittels ihrer Arme weitervermittelten. Erneut stach er zu, so stark und so schnell es angesichts der dicksämigen Flüssigkeit möglich war. Er erwischte den Arm eines weiteren Tieres und
trennte ihn ab; unendlich langsam tru delte er an ihm vorbei, hinab zum Boden des Sees, und diesmal schloss sich die Lücke nicht mehr so rasch. Seine Gegner wussten nicht so recht, was sie mit ihm anfangen sollten; er passte nicht in ihr Beuteschema. Und er zeigte sich von ihrer Jagdtaktik unbeein druckt. Ein Hieb traf Tiff an der Schulter. Er war schnell, viel zu schnell geführt. Tiff konnte seine Arme nicht rechtzei tig zur Verteidigung hochreißen. Der Schlag schmerzte nicht sonderlich, auch nicht die anderen, die nun von allen Sei ten auf ihn niederprasselten – doch sie drohten, seine Schutzausrüstung, seine Atemmaske zu lösen! * Er wehrte sich, so gut es ging, ließ das Messer kreisen ... und doch hatte er das Gefühl, stets zu spät dran zu sein, immer wieder danebenzuzielen. Tiff war von Körpern und Armen um geben, von Leibern, die ihn zu zerdrü cken drohten, die ihn mit sich ziehen wollten, weg vom Seil, dem rettenden Fixpunkt inmitten der Glycerin-Masse, in diesem unbekannten Element. Ein vierter Atemzug, ein fünfter. Tiff kämpfte sich durch die Masse. Etwas würgte ihn, und nur mit Mühe konnte er sich des Arms erwehren, sich am Leib einer Meduse abstoßen, um wei tere Zentimeter zu gewinnen, höher zu gelangen, der rettenden Oberfläche ent gegen. Sie schien nur Zentimeter ent fernt zu sein ... Tiff fürchtete, die Orientierung zu ver lieren. Wo war oben, wo unten? Zähe Flüssigkeit quoll in seine Chitin-Maske und füllte langsam den Atemhelm. Er tat einen Atemzug und wusste, dass dies der letzte sein würde, wenn er es nicht in den nächsten 30 Sekunden nach oben schaff te. Er teilte weitere Stiche und Hiebe aus. Seine Arme schmerzten vom Kampf ge gen das zähe Medium. In Tiffs Brust
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pochte es, weil der verfluchte Zellaktiva tor nicht funktionierte. Im linken Bein kündigte sich ein Krampf an. Es war vorbei, wenn ihm nicht gleich der rettende Einfall kam. Jetzt, sofort! Mit roher Gewalt allein würde er diese Mauer aus Wesen niemals durchdringen können. Tiff befreite sich aus dem Griff mehre rer Arme und tastete nach dem Perianth, um sich dann im Kreis zu drehen und den Kristall herzuzeigen, wie einen Schatz, den ... Wie einen Schatz, den er bereit war zu zerstören. Er ließ das Messer über die Oberfläche gleiten. Die Klinge hinterließ keinerlei Spuren – und dennoch wichen die Wassermedusen wie auf Kommando zurück, machten ihm Platz. Sie wollten unter keinen Umständen, dass der Perianth beschädigt wurde! Hielten sie ihn für einen heiligen Stein oder ein besonders wertvolles Symbol? Es kümmerte Tiff nicht. Hauptsache war, dass sie von ihm abließen und er, ohne weiter behindert zu werden, nach oben gelangte, immer wieder mit dem Messer über den Kristall schabend.
stand, grässlich schrill, und augenblick lich flohen die Wassermedusen, zogen sich mehrere Meter weit zurück. Er verstand: Der Edelstein war ihnen keineswegs heilig. Durch die Berührung mit dem Messer entstanden Töne, die den Tieren Schmerzen bereiteten. Mühsam kam Tiff auf die Beine und sah sich um. Ringsum war alles weiß von den Körpern der Medusen. Ein einziger dunkler Fleck zeigte sich in diesem Meer aus Weiß, ein wie sie geformter Schatten, wohl eine Art schwarzes Schaf ... Julian Tifflor griff zur Stakstange und machte sich auf den Weg, hin zum gegen überliegenden Ufer. Es mochte vielleicht zwei Kilometer entfernt sein, und er ahnte, dass er angesichts der Angst der Medusen vor den lauten und schrillen Tönen keine Sorgen mehr haben musste, sein Ziel zu erreichen. Tiff hätte Freude und Triumph ge spürt, wenn er nicht so grässlich er schöpft gewesen wäre.
*
Die ekelhafte, glycerinartige Flüssig keit musste eine Komponente enthalten haben, die ihm sogar noch im Tunnel Probleme bereitete. Tiff delirierte. Trotz der Vitalenergie. Die volle Länge des nächsten Tun nelstücks schleppte er sich am Rand der Bewusstlosigkeit dahin, verfolgt von Tagmahren und Schatten in einem Schlauch, in dem das golden zähe Licht keinen Schatten warf. Er schwamm auf einer Welle von Schmerzen. Die Medusen kehrten ebenfalls als Echos wieder, nicht real, natürlich nicht. Banifour Crumplei machte seine Auf wartung, desgleichen Divijut der Drei kronjuwelige und viele andere, die Tiff getroffen hatte oder vielleicht noch tref fen würde. Zwischendurch tanzte er Tango mit den Skeletten, deren Zahl meistens wuchs, je näher er einer Tunnelmündung
Die Medusen wanden sich wie unter Schmerzen. Sie zeigten wütende Reakti onen – und trauten sich dennoch nicht, ihn anzugreifen. Zu wertvoll war ihnen dieses Objekt, um es beschädigt zu se hen. Julian Tifflor durchstieß die Oberflä che quälend langsam und atmete er leichtert durch, als er nach dem Seil tas tete und sich zentimeterweise ins Boot zog. Völlig am Ende seiner Kräfte, ließ er sich hineinfallen und blieb auf dem Rü cken liegen, bloß ein paar Sekunden, um Atem zu schöpfen, um diese köstlich fri sche Luft zu schmecken. Arme glitten über die Reling, so viele Arme, tasteten nach ihm und nach dem Perlianth. Müde kratzte Tiff mit der Klinge über den Kristall. Ein Ton ent
4. Der Meridian
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kam. Dann war er durch, überraschend früh. Beinahe sollte er dem Glycerin-See dafür dankbar sein, dass dessen Gift ihm das Denken verschleiert hatte. * Das nächste Zeitkorn: ein einziger bunter, lustiger, zweieinhalbtägiger Fie bertraum. Wesen, zerzaust und zerfleddert wie Vogelscheuchen, empfingen Tiff mit aus gebreiteten Armtentakeln und bezogen ihn in ihre Spiele ein. Sie erzählten ihm Geschichten und horchten aufmerksam den seinen zu. So heiter, so harmlos, so unschuldig seelenrein verhielten sie sich, dass alle Müh und Plage von Tifflor abfiel. Hier war er ...dings, egal, hier durfte er sein. Herrlich, wie sie untereinander die Unvernunft teilten! Heißa, wie sie sich balgten und gleich darauf liebkosten! Hojotoho, wie ... Nur der blöde Schatten störte. Immer wieder drängte er sich dazwischen, fast so, als gönne er Tiff das bisschen Erho lung nicht. Jedes Mal wirkte er solider, wie ge presster Nebel, der besser und besser die humanoide Form behielt. Hatte er sich früher vor ihm versteckt, wedelte der Verfolger nun mit den Armflossen, als wolle er partout Tifflors Aufmerksam keit erregen. »Geh weg, zurück in die Düsternis, aus der du kommst! Lass mich in Ruhe, Ne belmann!«, rief Tiff, und seine Freunde, die Scheuchenwesen, griffen den Ruf so gleich auf und wiederholten ihn dut zendfach. Der gesichtslose Schatten aber blieb hinderlich. Zuletzt verfestigte er sich derart, dass er Tifflor harte Schläge zu fügen konnte. Er prügelte ihn regel recht aus dem Kreis der Zerrupften, schubste ihn hierhin und dorthin, bis zu einer Quelle, aus der klares Wasser spru delte. Tiff trank aus einem daneben gele genen, hübschen, kristallinen Blüten
kelch ... und erkannte, als seine Sicht sich klärte, den Perianth-Schlüssel! Zugleich setzten rasende Kopf schmerzen, Übelkeit und Selbstekel ein. Wie hatte er sich nur solch billigen Ver lockungen ergeben können? Mit zusammengekniffenen Augen sah er sich um. Der Schatten war verschwun den. Aber in die Borke eines Baumstam mes waren frische Schriftzeichen geritzt, in der Sprache der Mächtigen: »Spute dich! Deine Frist läuft in wenigen Stun den ab.« Tiff eilte zur Mündung des Tunnels, so schnell ihn die weichen Knie trugen. * Der nächste Abschnitt des Langen Gangs war anders beschaffen als die Vo rigen. Es handelte sich, wenn Julian Tifflor richtig mitgezählt hatte, um das zehnte Teilstück, also das Mittelstück des Jahr millionentunnels: Halbzeit. Bald – sofern der Ausdruck bald gerechtfertigt war – hatte er eine Hälfte der Strecke hinter, die andere Hälfte vor sich. In dieser Richtung. Rechnete er frei lich den Rückweg hinzu, war noch nicht einmal ein Viertel bewältigt ... Statt sich über den Teilerfolg zu freuen, fiel Tiff in abgrundtiefe Verzweiflung. Jäh überwältigte ihn die Erkenntnis, dass er sich zu viel zugemutet hatte. Selbst wenn keine Zelle seines Körpers alterte, selbst wenn ihn die Vitalenergie, mit welcher der Tunnel geflutet war, dauerhaft heilte und physisch konser vierte – Tiffs Psyche litt und verfiel zuse hends. Wie sonst ließ sich erklären, dass er an etlichen Ausstülpungen des Ganges vor beiging, bis er deren Existenz überhaupt bewusst wahrnahm? Falls sie tatsächlich existierten. Oder war er nun doch wahnsinnig geworden und erschuf sich selbst in gewissen Ab ständen »Auszeit-Höhlen«? Es handelte sich um unterschiedlich große Kavernen. Miniaturuniversen ex
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trem geringen Durchmessers? Nie richtig aufgeblühte, im Wachstum stecken ge bliebene Knospen, Verunreinigungen auf der Ährenspindel ... Vielleicht auch dem vierten Zeitkorn verwandt, wo der ehe malige Orbiter Banifour Crumplei sein kärgliches Dasein gefristet hatte ... Tiffs Gedanken verhedderten sich. Der Kater, der Traumentzug und die Ödnis des Tunnelinneren forderten ihren Tri but. Einem spontanen Impuls folgend, bog Tifflor in die nächste Kaverne ab. Er legte sich auf den weichen, moosartigen Boden und schlief ein. * Wie war das möglich?!, schoss ihm durch den Kopf, nachdem er wieder er wacht und aufgesprungen war, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. Die im Langen Gang fluktuierende Vi talenergie bewirkte, dass sein Stoffwech sel ausgesetzt war. Tiff musste, konnte weder atmen noch essen, trinken oder schlafen. Aber offensichtlich galt das nicht für diese Kavernen! Er horchte in sich hin ein. Er fühlte sich gut, ausgeruht wie ewig lange nicht. Und er erinnerte sich dunkel, dass er geträumt hatte; nicht halluziniert, sondern richtig geträumt. Wie war das möglich? Ach, egal. Pfeif darauf! Einem geschenkten Esel schaute man nicht unter den Schweif oder wie auch immer das Sprichwort lautete. Erst zögerlich, dann geradezu be schwingt kehrte Julian Tifflor in den Jahrmillionentunnel zurück. Wenn ihm das Schicksal schon ein klein wenig Lin derung spendierte, würde er sie dankbar annehmen. Und zwar, ohne sinnlos dar über zu grübeln, aus welcher Verkettung von Zufällen oder Einflüssen diese Aus zeit-Höhlen resultierten. Die nicht enden wollende Wanderung war auch so noch Marter genug. Aber immerhin, die Aussicht auf ein kurzes, normales Schläfchen alle paar Jahrtau
sende, auf eine einzige Nacht innerhalb des immer gleich tristen Tages verschaff te Tiff Erleichterung und Auftrieb. Er nutzte jede Gelegenheit, jede Ka verne, die sich ihm bot. Von einigen zweigten Seitengänge ab. Aus gutem Grund hütete Tiff sich, sie zu betreten ... Dachte er. * Einmal aber, plötzlich, bemerkte er, siedend heiß erschrocken, dass er soeben aus einem solchen Nebengang gekom men war! Sosehr er sich das Gehirn zermarterte – Tiff konnte sich nicht erinnern, was er darin gesucht, getan, erlebt hatte. Er zog nur blanke Nieten. Sein Gedächtnis ver sagte. Ging es nun doch zu Ende mit ihm? Wie sonst sollte er diesen unbegreiflichen Vorfall bewerten denn als Indiz dafür, dass seine geistige Zerrüttung unauf haltsam voranschritt? Noch eine weitere Entwicklung berei tete ihm Sorge: Der Diamantstaub, der sich wie Raureif auf seiner Körperober fläche niederschlug, bedeckte mittler weile beide Arme vollständig, dazu Teile der Hüfte und des rechten Oberschen kels. Das Zeug ließ sich nicht mehr abschüt teln, sondern breitete sich auch unter der Montur weiter aus. In seinem Gesicht er tastete Tiff ebenfalls winzige, kristalline Verhärtungen. Was geschah mit ihm? Falsch: Was war schon längst mit ihm geschehen? Er sehnte die nächste höhlenartige Ausbuchtung herbei. Schlafen, vielleicht auch träumen ... Das zwingt uns still zu stehen. Das ist die Rücksicht, welche Elend lässt zu hohen Jahren kommen. Denn wer ertrüge der Zeiten Spott und Geißel? Wo hatte er diese Zeilen gelesen, vor Millionen von Jahren? Bei wem? Rilke? Nein, das stammte aus keinem So nett, sondern aus einem Drama. William Shakespeare: Hamlet. Genau. Der Prinz
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von Dänemark, der Irrsinn vorgaukel te und deshalb erst recht verrückt wur de ... »Nur, dass die Furcht vor etwas nach dem Tod, dem unentdeckten Land, von des Bezirk kein Wand’rer wiederkehrt, den Willen irrt. Dass wir die Übel, die wir haben, lieber ertragen, als zu unbe kannten fliehen.« Als habe sich in seinem malträtierten Gehirn eine Schleuse geöffnet, überflute ten Zitate Julian Tifflors Bewusstsein. Die Zeit ist aus den Fugen, bereit sein alles, der Rest hingegen Schweigen ... Wie das auf seine Situation passte! Ge hend, gehend, unermüdlich gehend schlug sich Tiff mit den Fäusten gegen die Schläfen. Ob’s edler im Gemüt, der Pfeile Spitzen des wütenden Geschicks zu dul den oder, sich waffnend gegen eine See von Plagen, durch Widerstand sie enden? Sterben, schlafen – nichts weiter! Nichts weiter. Nicht weiter marschie ren, Fuß vor Fuß setzend, sondern aufge ben. Einsicht zeigen. Alles fallen lassen. Den Rucksack mit den Perianth-Schlüs seln, das dumme Gewehr, die Last der Verantwortung einfach hinwerfen. In der nächsten Kaverne, schwor sich Tiff, würde er sich hinlegen, lang aus strecken und zur ewigen Ruhe begeben. Seinen Geist aushauchen. Abschließen, mit allem, was war. Er konnte nicht mehr. Er hatte sein Möglichstes versucht, bis zur Neige her gegeben, was in ihm steckte. Wie sich herausstellte, war das zu wenig. Tja, Pech! Er war eben nur Julian Tifflor, nicht Perry Rhodan. Obwohl er bezweifelte, dass Perry viel weiter gekommen wäre. Niemand, nie mand, kein Mensch, kein Terraner, bio logisch unsterblich oder nicht, vermoch te den Jahrmillionentunnel zu durch schreiten. Man musste akzeptieren, dass es Din ge gab, die mehr als eine Nummer zu groß für einen waren. Und dann, wenn man diese Einsicht gewonnen hatte, musste man die Konsequenzen ziehen.
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Endlich tauchte die nächste Kaverne auf. Tiff stieß einen Jauchzer aus, verfiel in lockeren Trab und lief darauf zu. Dies würde sein Grab werden. In diese Höhle würde er sich legen, um zu schla fen, wegzudämmern und zu sterben. Aber da lag schon jemand. * Tiff strauchelte über dürre Beine. Das Insektenwesen war schwer ver letzt. Getrocknetes schwarzgrünes Blut bedeckte seinen Kampfanzug und die sichtbaren Teile des Panzers. Als Tiff sich, ohne nachzudenken, zu ihm nieder beugte und, in eine altvertraute Routine verfallend, vorsichtig die Wunden unter suchte, kam der Fremde zu sich. Eine Ahnung von Glanz kehrte in die Facettenaugen zurück. »Julian?« Erst glaubte Tiff an eine akustische Täuschung. Woher sollte der Sterbende seinen Namen kennen? »Julian Tifflor, bist du das?« »Ja. Ja, ich bin es. Aber ich wüsste nicht ...« »Du siehst, mein Freund, zuletzt ha ben sie mich leider doch noch er wischt.« »Kann ich dir irgendwie ...?« »Helfen? Nein, Zukünftiger, mir kann nichts und niemand mehr helfen.« Die Stimme bröckelte. Zuckungen durchlie fen den harten und doch so fragilen Leib. Ratlos legte Tiff die Hand auf den an thrazitfarbenen Panzer. Wer war der Fremde? Was verband sie beide? »Dennoch«, röchelte der Insektoide. »Ich scheide aus diesem Leben in der Zuversicht, dass die Macht des Schwur bunds von Chundarfall gebrochen wird. Für die Bewohner des Temporalen Me ridians rückt die Freiheit in greifbare Nähe. Das ist auch dein Verdienst. Dan ke für alles, Julian, und gute Weiter rei...« Der Körper bäumte sich auf. Aus dem Mund quoll grünlicher Schaum. Die Au gen flackerten und erloschen.
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Tifflor ließ den Leichnam aus den Ar men gleiten und bettete ihn behutsam auf den harten Boden. Gern hätte er ihn begraben. Jedoch fehlte ihm das nötige Werkzeug. Er hatte keinen Spaten, auch keinen Desintegrator, um die Leiche zu zer strahlen. In jähem Zorn schleuderte Tiff das nutzlose Sturmgewehr ins Dunkle der Kaverne. »Wer warst du?«, schrie er den Namen losen an. »Was haben wir gemeinsam durchgemacht? Wieso erinnere ich mich nicht daran?« Irgendwann besann er sich, dass es ihn nicht weiterbrachte, wenn er den Kopf gegen die Höhlenwand schlug. Er wischte das warme, klebrige Blut ab, das seine Sicht verschleierte. Dann stakste er hinaus, ein lebender Toter, zurück in den verhassten Jahrmil lionengang. * Dieses schockierende Erlebnis wühlte Julian Tifflor dermaßen auf, dass er halb bewusstlos dahinstolperte, eine unbe stimmbare Zeitspanne lang. Blindlings wählte er die nächstbesten Abzweigungen. Als sein Kopf wieder klarer wurde, musste er erkennen, dass er sich verirrt hatte. Hoffnungslos. In einer Kaverne, von der vier im We sentlichen identische Gänge abzweigten, sank er zu Boden. Er war sicher, nie wie der aufstehen zu können. Er hatte versagt. Er hatte die einzige Chance verspielt, das PARALOX-ARSE NAL und vor allem die darin enthaltene, unersetzliche Menge an Psi-Materie für die Menschheit und die dieser seit Jahr tausenden gewogene Superintelligenz ES zu bergen. Über ihn fiel ein Schatten. Nein, der Schatten! Der ihm schon viel weiter oben, viel höher im Zeitspeer aufgefallen war. Der ihn später aus Geistestrübung und höchster Not gerettet hatte, damals, vor Jahrmillionen, im zehnten Zeit korn ...
Dieses Mal hatte der Schatten, der sich zu ihm herabbeugte, ein Gesicht. Tifflors Gesicht. 5. Unter Folter und Eis »Halt durch«, sagte der Schatten mit Julian Tifflors eigener Stimme. »Steh wieder auf. Das Schlimmste ist über standen.« »Ach? Das wüsste ich aber.« »Nein, das weißt du nicht. Du weißt überhaupt nicht mehr sonderlich viel aus der Zeit deiner Jahrmillionenwande rung. Dein Gehirn verkraftet die elend lange Belastung nur, indem es Erinne rungen löscht.« »So.« Tiff schnippte mit den Fingern. »Ja, genau so.« Der andere, der andere, pechschwarze Tifflor, wiederholte die Geste. »Um Neues zu erlangen, muss man Altes hergeben. Hat man dir das denn nicht schon in eurer Grundschule beigebracht?« »Ich ... weiß es nicht mehr.« »Würdig und recht«, sagte Tiffs dunk les Spiegelbild. »Jetzt komm schon, mach hin! Aber halte dich von den Abzwei gungen fern. Du hast sie nicht mehr nö tig. Das härteste Stück deines Weges liegt hinter dir.« Tiff rieb sich die glatte, kalte, kristal line Stirn. »Behauptet wer?« »Banlaroguel. Wir treffen uns. Schon bald, unweigerlich. Bis dahin erfüll dei ne Aufgabe, Menschlein. Geh weiter.« Der Schatten half ihm hoch, klopfte ihm zwei-, dreimal auf den Rücken und versetzte ihm dann einen leichten, auf munternden Stoß. Und Julian Tifflor, keineswegs sicher, ob er nicht endgültig schizophren geworden war, fiel in Trab und kämpfte sich weiter. Er ging, und ging, und ging ... * Den nächsten Perlianth eroberte Tifflor vom Glücksspielmeister der Herr
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scher-Rotte des elften Zeitkorns, den Triunden. Der runzelige Gnom beherrschte die dreizehnflächigen Würfel zwar ausge zeichnet. Jedoch scheiterte er an seinem feurigen Temperament – und daran, dass sich Tiff eine Menge Tricks von seinem Freund Ronald Tekener abgeschaut hat te. Nach einem strategisch geschickten Schwerelos-Wurf durch die Steil-Schi kane des oktonetischen Virtual-Spiel feldes heimste Tiff den Sieg ein. Natürlich bedauerte er, dass der Ver lierer an Ort und Stelle hingerichtet wur de. Aber wie schon in einigen ZeitkornKrusten zuvor musste der Terraner seine moralischen Skrupel hintanstellen. Es ging um weit mehr als um sein schlechtes Gewissen ... Tiffs Abgang erfolgte überstürzt. Die Herrscher-Rotte wollte sich nicht an ge troffene Abmachungen halten. Daher musste er Fersengeld geben, verfolgt von 500 waffenschwingenden Gestalten, die immer wieder schwere Geschosse in sei ne Richtung abfeuerten. Doch die Flucht gelang problemlos. Kein Wunder, angesichts der Tatsache, dass die Triunden nur 40 Zentimeter groß waren. Die Reise ging weiter, das nächste Ziel wartete. * Zeitkorn-Kruste zwölf: bewohnt von riesigen Geschöpfen, die anscheinend ziellos umherstapften und dröge ein Bein vor das andere setzten. Sie gingen stets paarweise, die Köpfe zueinander gekehrt. Was sich wie Wel lengemurmel anhörte, entpuppte sich dank der Arbeit der Translator-Scheibe rasch als akzentuierte und nuancen reiche Sprache. Die Hünen missachteten Julian Tifflor. All ihr Interesse galt dem jeweiligen Partner. Die Gesprächsstoffe waren fast ausschließlich philosophischer Natur, und so lernte der Unsterbliche, während er dem untrüglichen Richtungsweiser
des Perianth-Detektors folgte, einige be merkenswerte Einsichten zum Thema »Sinn des Lebens« kennen. Irgendwann durchdrang ein lang an haltendes Geräusch wie von einem Gong das Land dieser Zeitkorn-Kruste. Die Wesen, die für ihre Art keinen Namen kannten, wurden unruhig. Immer wieder nahmen sie das Wort Sieben in den Mund, als handle es sich um eine heilige Zahl. Sie blieben stehen oder umtänzelten einander. So lange, bis in ihren faltigen Antlitzen eine bemer kenswerte Änderung geschah: Ein Stück chen Haut löste sich an der Stirn, dann an den breiten Schläfen, und rasch riss der graue, kaum mehr durchblutete Lap pen des »Gesichts« ab. Darunter kam etwas ... Unfertiges zum Vorschein. Ein neues Gesicht – das bin nen weniger Minuten verfestigte und ei ne Physiognomie zeigte, die Tifflor Sor gen bereitete. Er assoziierte Aggressivität mit dem Muskel- und Faltenspiel, Paarungs bereitschaft und Wildheit. So rasch er konnte, entfernte er sich aus der Gesell schaft der fast sechs Meter großen Riesen – und er tat gut daran. Denn ebenso schnell, wie die Gesichter von ihnen abgefallen waren, änderte sich auch ihr Charakter. Sie fanden sich zu Gruppen zusammen, fielen übereinander her und taten, was Wesen nun mal so taten, wenn sie Lust aneinander empfan den. Ringsum wirbelte Staub auf. Bald war Tiff vom Sand eingebacken. Nur mit Glück gelang es ihm, unversehrt zu ent kommen und eine Anhöhe zu erklim men. * Das Zeitkorn war recht klein, stellte er nach einem Rundumblick fest. Offen kundig hatte er es beinahe zu einem Drittel durchquert. Die Spuren der Horde waren überall zu erkennen. Es waren Spuren, die glei chermaßen auf Zerstörung wie auf
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Betulichkeit und Neuaufbau hindeute ten. In sicherer Entfernung wartete Tiff, bis wieder Ruhe einkehrte – und ein wei terer Gesichtswechsel eintrat. Wiederum wurde die Ziffer Sieben genannt. Die Wesen flüsterten einander das Wort zu, von einem zum anderen. So als wäre es der Begriff für dieses merkwürdige Ritu al. Aus paarungswilligen Gestalten wur den nun im Halbschlaf vor sich hin tor kelnde Tölpel, die keinen Sinn für die Geschehnisse links und rechts ihres Pfades hatten. »Sie haben sieben Gesichter«, sagte sich Julian Tifflor. »Sieben Gemütszu stände, die sie während jedes einzelnen ihrer Tage durchlaufen. Es wäre viel leicht vernünftig, jetzt abzuhauen und nicht darauf zu hoffen, dass das vierte Gesicht ebenso friedfertig ist wie das dritte.« Er nahm die Beine in die Hand und machte sich auf die Suche nach dem Kristall. Um dann, als er ihn aus einem Schrein am Fuß einer besonders großen Düne geborgen hatte, weiter zu eilen, oh ne sich noch einmal umzudrehen. Das Fauchen und Brüllen, das ihm folgte, hörte sich nicht eben einladend an ... * Eine zerwühlte, zerzauste Welt ... Es roch nach Torf, nach Fäkalien und abgestandenem Wasser. Stickige Hitze brach über Julian Tifflor herein. Regen tropfen platschten schwer auf Boden blätter, die bis zu drei Meter Durchmes ser aufwiesen. Sollte er in den Jahrmillionentunnel zurückkehren und ein Ende des Regen schauders abwarten? Tiff entschied sich dagegen. Er wollte die Aufgabe so schnell wie möglich erledigen und dann in die Beschaulichkeit seines eigentlichen Um felds zurückkehren. War das wirklich er, der so dachte? Tiff lachte hohl. Er hatte im Tunnel weitaus mehr Zeit verbracht als irgend-
wo sonst. Das mattwattige Weiß der Gänge, das diffuse Licht, die geruchlose Umgebung, die Kavernen ... Dies alles war ihm Heimat geworden. Für Jahrmil lionen! Ein Blitz zuckte herab und fuhr in den Boden, keine fünfzig Meter von Tifflor entfernt. Er wurde von den Bei nen gefegt, von einer Druckwelle, und prallte gegen einen riesigen Haufen, während ohrenbetäubender Donner er klang. Er hatte Mühe, sich aus dem Schlamm zu befreien, so fest war der Aufprall ge wesen. Doch der Morast hatte weitaus schlimmere Folgen seines Sturzes ge mildert. Mehrere Bäume standen in Flammen. Andere waren wie riesige Mi kado-Stäbchen übereinander verkeilt und völlig entlaubt. Julian Tifflor holte tief Atem. Er spuckte Matsch aus und massierte die Ohrläppchen. Sein Gehör war eingeschränkt. Don ner, der nach wie vor übers Land rollte, erschien ihm weit weg zu erklingen. »Sehr eindrucksvoll, nicht wahr?«, sagte eine Stimme neben ihm. Tiff zuckte zusammen und hob die Ar me zur Abwehr hoch. Doch da war nichts. Niemand. Oder ein Jemand, der einen Deflektor schirm nutzte. Die Sprache ... Er verstand sie. Wel chem der weit über hundert Idiome, die er gelernt hatte, gehörte sie an? War es Cantarisch? Das Zentrums-Idi om der Galaxis M 87? Oder Sothalk, wie es in der Mächtigkeitsballung ESTAR TUS gesprochen wurde? Larion, wie es die Laren verwendeten? Nein. Es handelte sich um Aylos – die Sprache der Ayindi, die Sprache des Arresums! Er versuchte, die passenden Worte aus seinen Erinnerungen hervorzukramen, und sagte dann: »Wirklich, sehr beein druckend.« »Du verstehst mich also«, sagte das unsichtbare Gegenüber. »Gut.« Der Deflektorschirm erlosch. Tiff
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blickte hoch zu einer etwa zweieinhalb Meter großen Gestalt, deren Körperbau klobig wirkte. Tiff sah ein kantiges, aber ausdrucksstarkes Gesicht und erinnerte sich vage an Moira. Die flache Nase, flan kiert von haarlosen Brauenwülsten und tief in knochigen Höhlen liegenden Au gen mit violetten Pupillen. »Ich bin Zeel. Ich bin eine Tartos die ser Sphäre.« Die Ayindi kaute mit ihren breiten, ausladenden Kieferknochen an einem Stück Holz, das sie nun achtlos ausspuckte. »Ich bin Julian Tifflor. Terraner.« Er machte seinen Kotau. »Wer oder was ist eine Tartos?« »Ein Drittelbeherrscher dieses wun derbaren Landes.« Zeel beugte sich weit zu ihm herab und blinzelte mit den gelb roten Schlitzaugen. »Ich, Feyol und Voure teilen es uns auf. Wir kämpfen in Dreihundert-Jahres-Abschnitten dar um.« Tiff verstand kaum ein Wort des Ge sagten. Dennoch blieb er ruhig. Die Ay indi-Frauen galten nicht unbedingt als die liebenswertesten aller Lebewesen, und er würde den Teufel tun, diese leben de Kampfmaschine zu reizen. »Du kommst aus dem Außerhalb«, sagte Zeel. »Du musst eine bewunderns werte Konstitution haben.« »Ich kann die Vitalenergie des Tunnels nutzen.« »Ah – ein Unsterblicher.« Zeel streckte blitzschnell einen ihrer Prankenarme aus, packte Tiff am Hals und zog ihn mü helos zu sich hoch. »Du bist also der Aus erwählte.« »J... ja!«, krächzte der Terraner und versuchte, möglichst ruhig zu bleiben. »Ob ich mir deine Unsterblichkeit ho len kann? Ist sie übertragbar wie eine Krankheit? Wie ein Virus?« »Nein.« »Oh, wie schade. Dies hätte mir einen geringen Vorteil gegenüber Feyol und Voure gebracht.« Zeel ließ ihn achtlos fallen. *
Tiff stürzte aus zwei Metern Höhe zur Erde. Er hatte Mühe, den Aufprall mit den Beinen abzufedern. »Warum bist du hierhergekommen?« Julian Tifflor rieb sich den Hals. An zwei Stellen fühlte er Feuchtigkeit. Dort hatten sich die Krallen der Ayindi ins Fleisch gebohrt. »Ich suche den Peri anth-Kristall, der in dieser ... Zone ver borgen sein muss.« »Beschreib ihn mir.« Tiff tat ihr den Gefallen. »Wir besitzen diesen Gegenstand. Wir mögen ihn. Wir wollen ihn nicht herge ben.« »Ich benötige ihn, um meine Heimat galaxis und einige andere vor dem Un tergang bewahren zu können.« Zeel bog den Kopf weit nach hinten und lachte ohrenbetäubend. »Was sind schon einige wenige Galaxien gegen das Universum?«, sagte sie, nachdem sie sich beruhigt hatte. »Hast du denn eine Ah nung, wie lange mein Volk schon gegen das Vordringen der Abruse kämpft, wel che Opfer es bringen musste?« »Nein«, log Tiff. »Die Abruse frisst und erstarrt, was ihr in den Weg kommt. Sie zerstört und macht sich zu eigen, was ihr in den Weg kommt ...« Zeel erzählte ihm eine Geschichte, die den Terranern seit der Expedition zur Großen Leere vor 250 Jahren hinlänglich bekannt war. Das Arresum war – in einem bildlichen Vergleich – die »Rückseite« eines Möbi us-Bandes, die Rückseite des hiesigen Universums. In ihr breitete sich ein kris tallines Geschöpf aus, das Planeten und Lebewesen gleichermaßen zersetzte und ersetzte. In der Wahrnehmung der drei Ayindi dieses Zeitkorns tat sie es noch immer, während die Gefahr in Tiffs Jetzt zeit längst gebannt war. »Wie kommt es eigentlich, dass du meine Sprache sprichst?«, fuhr ihn Zeel an und stieß ihm die sieben Krallenfinger einer Hand schmerzhaft tief in die linke Schulter. »Anderen Ayindi ... gelang es, ins Par
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resum überzuwechseln. Ich bin ... ihnen begegnet.« »Ach ja!«, sagte Zeel gedankenverlo ren und ließ ihn los. »Die andere Seite des Universums ...« Der Körper der Ayindi erschlaffte, der Kopf fiel fast haltlos vornüber. Für kurze Zeit wirkte es, als habe die Kriegerin all ihre Kraft verloren. Dann richtete sie sich wieder auf und starrte ihn an. »Meine beiden Kolle ginnen und ich haben diese Sphäre vor Äonen in Besitz genommen«, sagte Zeel ungewöhnlich leutselig. »Unsere Origi nal-Körper sind längst verrottet. Was du vor dir siehst, ist ein Optimal-Klon. Ein verbesserter und verfeinerter Körper, dem zu Beginn seiner Lebensflut die Ei genbewusstseins-Erinnerungen der ur sprünglichen Zeel aufgeprägt wurden.« »Ein Klon. Dennoch fühlst du dich als ein ...« »Natürlich. Ich bin ich, nur besser.« Die Ayindi lachte. »Wir drei stehen in ständigem Wettstreit. Wir wollen fit für jenen Augenblick bleiben, da unsere Sphäre in sich zusammenbricht und wir in unser früheres Leben zurückgelassen werden.« * Die Frau war irrsinnig. Ihre Klon-Persönlichkeit war irrsin nig. Sie hatte sich in wirren Theorien verfangen, die ihre beiden Kollegen und sie vor womöglich 300.000 Jahren entwi ckelt hatten! »Unser Spiel ist der Kampf um das Tartos der Sphäre, um die Vorherrschaft. Diesmal scheint Voure die Oberhand zu behalten. Sie würde damit bereits zum dreihundertzwölften Mal gewinnen, während ich bei erst dreihundertvier Siegen liege.« Zeel starrte ihn an. Ihre Blicke schmerzten. »Was erwartest du von mir?«, fragte Tiff. »Taktische Ratschläge? Oder dass ich deinen Rivalinnen mit dem Knüppel über die Häupter schlage?«
»Dir liegt sehr viel an diesem Peri anth-Kristall, nicht wahr?« »Stimmt.« »Ich würde ihn dir beschaffen. Voraus gesetzt ...« »Ja?« »Vorausgesetzt, du würdest es mir ge statten, einige Versuche mit dir anzustel len.« »Versuche?« »Experimente. Ich werde dir Gen proben entnehmen und sie in Modelle meiner Nachfolge-Klone einpflegen. Womöglich lassen sich durch diese Kom bination neue, gewinnbringende Eigen schaften erarbeiten.« Eine Ayindi wie Moira, die in der Milchstraße für Angst und Schrecken ge sorgt hatte, hätte niemals einen derar tigen Vorschlag gemacht. Sie hätte sich genommen, was sie wollte. »Ich bin einverstanden.« »Du bist dir der Konsequenzen be wusst?« »Ich verstehe nicht ...« »Bevor ich mich mit den Einkreu zungen beschäftige, werde ich deine physische Leistungs- und Leidensfähig keit austesten. Um zu sehen, ob du über haupt etwas zu bieten hast.« »Mit anderen Worten ...?« »Ich werde dich foltern.« Nun – das klang schon wieder viel mehr nach Moira. »Einverstanden«, sagte Julian Tifflor. Was war schon eine kleine kurze Dosis Schmerz im Vergleich zu jenen Qualen, die er bereits im Jahrmillionengang erduldet hatte und weiter erdulden musste? * Es geschah und es ging vorüber. Die Ayindi hielt Wort. Die Suche nach dem vierzehnten Peri anth-Schlüssel brachte Tiff in luftige Höhen; in ein von stempelartigen Stein gebilden dominiertes Reich. An den Rundspitzen der Felsen klebten weit ausladende Wohnnester. Die Aussicht ins Land war atemberaubend – und beängs
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tigend, selbst für einen Mann wie Julian Tifflor. Das friedliebende Vogelvolk der Kai turyx wurde von drei Seiten bedrängt. Reptiloide, Humanoide und harmlos wirkende, eineinhalb Meter große Erd männchen hatten sich aus Gründen, die Tiff nicht nachvollziehen konnte, gegen die Kaituryx verbündet. Sie belagerten die wagemutigen Bauten und brachten sie nach und nach zum Fall, um nach Vertreibung der Flugfähigen die Eierge hege und flügellahmen Senioren hinzu richten. Das Ende der Kaituryx-Zivilisation war absehbar. Julian Tifflor bedauerte es, nicht mehr als einige wenige Rat schläge hinterlassen zu können, bevor er den Perianth-Kristall in Empfang nahm. Zwei der stärksten Krieger transpor tierten ihn ans andere Ende der Zeit korn-Kruste. * Nummer 15: Eine Welt in sich, voll Glimmer und Glanz, voller Eis und Schnee. Das Leben spielte sich unter dem Bo den – besser gesagt: unter dem Eis – ab. Bei vergleichsweise angenehmen Tempe raturen um den Gefrierpunkt gruben as selähnliche Geschöpfe, sechs Meter lang, Stollen über Stollen, um an Blasen hei ßer Luft heranzukommen und sich eine Weile in deren schwefligen Dämpfen zu suhlen. Die Asselwesen hatten keine Gegner zu fürchten. Dennoch lebten sie stets am Rande ihres zivilisatorischen Zusam menbruchs. Die Blasen, die aus einem vulkanisch hochaktiven Untergrund stammten, fraßen sich über Jahrhunderte hinweg durchs Eis nach oben. Aber sie wurden weniger. Bald, in vielleicht fünf- oder sechstausend Jahren, würde diese kleine Welt ihr Ende finden. Hier war die Biosphäre eines Planeten in die Kruste des Zeitkorns versetzt wor den, und sie hatte ihre Bewohner lange
erhalten. Nun war die Zeit des Schwa nengesangs angebrochen. Julian Tifflor unterhielt sich ausführ lich mit den Ältesten der Gliederfüßer, die ihm bereitwillig den PerianthSchlüssel überreichten. Sie waren demü tige Geschöpfe und verfügten über Ein sichten, die den Unsterblichen wünschen ließen, sich noch weitaus länger an die sem Ort aufhalten zu dürfen. Doch die Unruhe trieb ihn vorwärts. Er hatte geschätzte drei Viertel seiner Expedition hinter sich – in dieser Rich tung. Der Zielstrich befand sich höchs tens noch ein paar Millionen Jahre ent fernt. Zwischenspiel: Unzumutbar Perry Rhodan stand auf, setzte sich wieder und sprang erneut hoch, als hätte er sich das Hinterteil an glühenden Koh len verbrannt. »Das kann’s ja wohl nicht sein«, schnaubte er. »Wir sind so nah dran und jetzt drehen wir Däumchen?« »Rhodanos«, sagte Icho Tolot, für ha lutische Verhältnisse leise, »wir haben alle Optionen kalkuliert. Derzeit können wir nichts machen außer voreilige Fehler. Im Übrigen sind gerade einmal sechzehn Standardminuten verstrichen, seit Tanio Ucuz zu seiner Mission aufgebrochen ist.« »Und die Lage in der Umgebung ist ruhig«, ergänzte Lotho Keraete. »Beide feindlichen Parteien haben sich zurück gezogen, um ihre Bestände aufzustocken und sich neu zu formieren.« »Ramoz ist eingedöst«, sagte Mondra. »Erfahrungsgemäß bedeutet das, dass keinerlei Angriffe unmittelbar bevorste hen.« Perry verdrehte die Augen. »Das weiß ich alles. »Aber ...« Er stockte, weil sich in der Mitte der Zentrale ein weißer, spi raliger Nebelstreif bildete. Dann noch einer, und noch einer. *
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Drei identische, vertraute Silhouetten zuckten hin und her, immer wieder ein ander überlappend, sich abstoßend und suchend, bis sie sich endlich zur Gestalt des Oberstleutnants vereinigten. »Tanio? Bist du in Ordnung?«, fragte Rhodan. »Nein. Aber ich arbeite daran.« Perry presste die Lippen zusammen und ließ dem Nullpoler Zeit, sich zu fas sen – was möglicherweise wörtlich zu nehmen war. Schließlich war er in drei kurz aufeinanderfolgenden Raten zu rückgekehrt. Nachdem er sich einige Male ge schüttelt und ausgiebig gedehnt und ge streckt hatte, als wolle er sich seiner Un versehrtheit vergewissern, berichtete Ucuz: »Es tut mir leid, aber ich kann die dünne Verbindungsspur nicht als Trans portmedium nutzen. Das liegt an der temporalen Komponente.« »Die Spur verläuft also durch die Zeit?« »Diesen Eindruck habe ich zumindest gewonnen. Jedenfalls drängte sich mir, je weiter ich vordrang, das Gefühl auf, ich müsste subjektiv Hunderttausende von Jahren zurücklegen, bis ich das Ziel er reichen würde. Ich bedaure zutiefst, aber eine derartige psychisches Belastung zu ertragen traue ich mir nicht zu.« Rhodan nickte. »Niemandem wäre so etwas bei Bewusstsein zuzumuten.« Allein beim Gedanken daran schau derte ihn.
ten. Allerdings musste ich schleunigst umkehren, als ich bemerkte, dass ich zer rissen zu werden drohte, aufgespaltet, gleichsam fragmentiert.« »Fragmentiert – wie das PARALOX ARSENAL?« »Nicht unwahrscheinlich, dass wir es hier mit einer Art Echo der Primärwir kung zu tun haben«, grollte Icho Tolot. »Was, diesen Gedanken weiter gespon nen sowie das Indiz der Jahrhunderttau send-Distanz einbeziehend, den Schluss zuließe, dass sich am anderen Ende der Temporalspur tatsächlich ein Zeitkorn des PARALOX-ARSENALS befindet. In Summe: Die Anzeichen dafür mehren sich.« »Schön. Und was bringt uns das?« Per ry trommelte mit den Fingerspitzen auf der Armlehne seines Sessels. Niemand kannte eine Antwort. Der Nullpoler, ihr heißestes, weil einziges Ei sen im Feuer, hatte unverrichteter Dinge umkehren müssen. Weitere Optionen hatten sie derzeit nicht. Nach wie vor sah MIKRU-JON, Silberkugel hin oder her, sich außerstan de, die Verbindung zu reaktivieren. »Alles hängt an Julian Tifflor,« sprach Mondra aus, was wohl jeder in der Zen trale dachte. Ja. Alles hängt an Tiff.
*
Im sechzehnten, recht unwirtlichen Zeitkorn fror er, sobald er aus der Tun nelmündung in die Landschaft der Krus te getaumelt war, bis auf die Knochen. Die thermo-isolierende Bergsteiger montur, die Tiff sich vom Nano-Ge sträuch in Duleymons Reich gewünscht hatte, nutzte ihm so gut wie gar nichts. Er hätte sich einen Helm dazu denken sollen, wie bei einem SERUN. Schon bald glaubte Tiff, die Gesichtshaut und die Finger würden erstarren. Aber auf das Naheliegende kam man ja nie ... Die Kälte drang durch die Hals
»Hast du Hinweise auf Julian Tifflor vorgefunden?«, fragte Keraete »Leider nein. Nichts, überhaupt nichts.« Ucuz schob das markante Kinn vor. Seine Kiefermuskulatur spannte sich an. »Positiv interpretiert: Er steckt zu mindest nicht in dem von dir erkundeten temporalenergetischen Medium fest«, sagte Mondra Diamond. »Oder?« »Ich konnte keinerlei andere Präsenz wahrnehmen, so weit meine Sinne reich
6. Das Glück der Roboter und Bären
Clubnachrichten
Vor wor t Werte Leserinnen und Leser, es ist kein Fanzine, aber Buchhändler heute 1-2/2011 wirbt auf dem Cover mit dem neuen Band der »Ayla« Serie, nämlich »Ayla und das Lied der Höhlen« von Jean M. Auel. Drinnen dann ein Sonderteil »Fantasy & Science Fiction« mit dem schönen Untertitel »Auf den Schwingen der Phantasie ins Herz der Galaxie«. Und mittendrin: JUPITER aus der PERRY RHODANRedaktion. Wow! Vor 20 Jahren hätte mir das keiner geglaubt, wenn ich das vorhergesagt hätte. Per aspera ad astra! Euer Hermann Ritter
Nachrichten Empfehlung des Monats: Das Erbe Unter den eigenartigen Fanzines, die mir in den letzten Jahren untergekommen sind, nimmt dies eine Sonder rolle ein. Auf den ersten Blick ist Das Erbe eine alter native Fassung von PERRY RHODAN 1000. Kopiert in A4, mit drei Tackernadeln zusammengebastelt, keine 40 Seiten stark. Dazu kommt, dass die Geschichte einige Rechtschreibfehler aufweist und die Seiten »Zum vorliegenden Roman« falsch herum sortiert sind. Aber dann stellt man fest, dass dieses Heft erstmals zum PERRY RHODAN-WeltCon 1980 in Mannheim erschienen ist. Es gibt also eine hohe Wahrscheinlich keit dafür, dass die Leserbriefe von Walter Ernsting, Willi Voltz und Felix Aust alle echt sind. Gerade vor dem PERRY RHODAN-WeltCon jetzt, über 30 Jahre später, ist das interessant zu lesen. Und die Handlung – nun, es ist eine Alternativhandlung
Vierwöchentliche Beilage zur PERRY RHODAN-Serie. Ausgabe 444.
Clubnachrichten
zu PERRY RHODAN 1000. Über Geschmack lässt sich
streiten, aber rein aus nostalgischen Gründen sollte
man einen Blick riskieren.
Herausgeber ist die Stellar Press, Alfred Dietrich,
Lange Gasse 27, 73312 Geislingen. Der Preis liegt
bei 1,95 Euro.
Online: Sümpfe
Mit Rezensionen beschäftigt sich dann Fantasia 316e,
man ist also sozusagen wieder in »bekannte Gewäs
ser« zurückgekehrt. Autor ist wieder einmal Franz
Schröpf, der nicht schläft oder isst, aber dafür andau
ernd liest. Anders ist sein Ausstoß an Rezensionen
nicht zu erklären.
Herausgeber ist der EDFC e.V., Postfach 1371,
94003 Passau (www.edfc.de).
Das Sumpfgeblubber 81 bietet – neben vielen Fanta sy-Dingen – den Bericht über ein PERRY RHODANRollenspiel, das im Rahmen der Arge Festak durch geführt wird. Harald Schäfer schildert die Umstände des 1993 begonnenen Spiels, das sich sehr eng an die PERRY RHODAN-Zeitschiene hält. Die Zeichnungen der Charaktere, die Fotos der Spielfläche und der Aus blick auf den geplanten Roman – wow, das macht schon was her! Kontakt bekommt man unter dem Kontaktformular online bei http://substanz.markt-kn.de.
Online: Ellerts Post
Online: Fantasia
Online: Science Fiction
Nachdem ich bis P gekommen war (Fantasia 311e), vermutete ich eigentlich, es würde jetzt mit »Q« wei tergehen. Doch Erik Schreiber überrascht mich mit seinem Teil 4 für »Deutsche Phantastik 2010« als Fan tasia 312e, welcher »R bis Z« umfasst. Ach ja, nett wäre es, wenn man auf dem Cover erwäh nen würde, welche Nummer das Fanzine gerade hat. Danke! Die Ausgabe Fantasia 313e nennt sich »Die Tränen Luzifers« und ist eine von Alisha Bionda herausgege bene Kurzgeschichtensammlung; die Folgenummer Fantasia 314e heißt dann »Der Dorn im Auge« und ist ebenso eine von Alisha Bionda herausgegebene Kurz geschichtensammlung. Sehr schön gemacht, aber trotzdem würde man sich (als Freund des Ausdrucks) ein Inhaltsverzeichnis auf den ersten Seiten wün schen, damit man weiß, was einen erwartet. Mit demselben Problem (kein Inhaltsverzeichnis) kämpft Fantasia 315e mit dem Titel »Tot aber feurig« und dem (mir unverständlichen) Untertitel »TriAdeM« (genannt wird das Projekt im Vorwort, aber nicht erklärt), wieder Alisha Bionda als Heraus geber.
Mit dem kommerziell angelegten Magazin Andro meda (ein weiterer Flop in der Magazinlandschaft) und einigem Kleinkram beschäftigt sich Capricor nus 93. Heruntergeladen werden kann es unter http://sfbooks.here.de. Eine liebevoll gemachte Geschichte des Science Fic tion Club Deutschland (SFCD) kann man sich als PDF anschauen, nämlich unter www.charlys-phan tastik-cafe.de/download/SFCD-Geschichte.pdf. Ein wahres Liebhaberstück – allein die Reprodukti onen der Fanzine-Cover sind schon jede Sekunde Herunterladen wert. Die aktuelle Terracom 131 ist das erste Heft, das von Nils Hirseland als Präsident der PROC e.V. zusammen gestellt wurde; ein monatlicher Turnus wird an gestrebt. Auf 82 Seiten findet man wieder vieles über PERRY RHODAN; besonders schön ist die Zusammen stellung der aktuellen Informationen über den PERRY RHODAN-WorldCon. Herunterladen kann man sich das Heft unter www.terracom-online.net. Mit Phantast 1 präsentiert sich ein neues Online-Sci ence-Fiction-Magazin, das in seiner Startnummer unter der Ägide von Rupert Schwarz auf über 70 Sei
Ein seltenes Jubiläum begeht die Ellerts Stammtisch Post mit der 150. Ausgabe. Das kostenlose Informati on-Fanzine wird vom PERRY RHODAN-Stammtisch Ernst Ellert in München herausgegeben; Herausgeber ist Erich Herbst. Es wird zum Stammtisch verteilt, man kann es aber ebenso herunterladen – und zwar unter www.prsm.clark-darlton.de. Gratulation zum Jubiläum – und natürlich ein fröh liches »Weiter so!« für die nächsten 150 Ausgaben.
Clubnachrichten
ten nette Artikel präsentiert. Das Vorwort »Back to the Roots« von Jürgen Eglseer weist den Weg. Ein nettes Fanzine, an dem mich besonders der Artikel über die Serie »Pern« von Rupert Schwarz interessiert hat. Das Fanzine kann man unter www.fictionfantasy.de herunterladen.
schreibungen und ein paar Buchbesprechungen.
Wie immer: ein schönes Heft!
Ein Heft kostet 2,50 Euro. Herausgeberin ist Ulrike
Stegemann, Stichstraße 6, 31028 Gronau/Leine
(www.elfenschrift.de).
Fandom Observer
Online: Steampunk Auf Englisch ist die Gatehouse Gazette 17, deren The ma »jazz edition« ist. Sehr interessant sind die Artikel über »Berlin’s golden twenties«, die Kleiderartikel und die Einführung in den »Dieselpunk«. Herunterladen kann man sich das Heft unter gatehouse.ottens. co.uk. Abenteuer & Phantastik Die Qualität dieses Magazins schwankt weiter zwi schen »durchschnittlich« und »sehr gut«. Ich bin nie ganz enttäuscht, aber manchmal reicht es nicht, um mich vom Stuhl zu reißen. Das aktuelle Abenteuer & Phantastik 84 bringt eine längere Darstellung über Filme, die sich mit der Unausweichlichkeit des Schick sals beschäftigen. Nebeneinander stehen dann »Die Welt am Draht« und »The Saint«, was mir inhaltlich überhaupt nicht einleuchten will. Sehr schön ist dafür der Auszug aus dem zweiten Band von »Magierdämmerung« von Bernd Perplies, das Buch steht schon in meinem Regal. Das Interview mit Andreas Gössling zu »Der Ruf der Schlang« hat mir gefallen, aber das war es schon an großen Artikeln, die mich begeistert haben. Der Rest ist das Übliche: viele Filmrezensionen, ein guter Überblick über Neu erscheinungen und so weiter. Das Heft kostet 4,50 Euro. Herausgeber ist der Aben teuer Medien Verlag, Jaffestraße 6, 21109 Ham burg (www.abenteuermedien.de). Elfenschrift Das Thema der Elfenschrift 29 ist »Fabelhafte Wesen«. Die Geschichten und Interviews im Heft gruppieren sich um dieses Oberthema, die hervorragenden Zeich nungen tun ihren Teil dazu, den »Flair« des Heftes zu erzeugen. Dazu kommen Hinweise auf aktuelle Aus
Die Nachrufe auf Hans Joachim Alpers, der mit einem Taschenbuch an der PERRY RHODAN-Serie beteiligt war, eröffnen den fandom observer 261. Es gibt Fan zine-Rezensionen, einen zweiseitigen Artikel über das Buch von Michael Haitel und Robert Hector zu PERRY RHODAN 2500, die Rezension eines PERRY RHODANTaschenheftes, Neues aus der Szene ... alles gut les bar, alles lustig aufbereitet. Immer ein schönes Fanzine. Herausgeber ist Martin Kempf, Märkerstraße 27, 63755 Alzenau (www.fandomobserver.de). Ein Abonnement über zwölf Ausgaben kostet 24 Euro. Fanzine Kurier Nach einigen Monaten Pause erscheint der FanzineKurier 149 mit 16 Seiten A5, voll mit Rezensionen zu aktuellen Fanzines. Hier heißt es auch: warten auf die Jubelnummer! Herausgeber ist Armin Möhle, Eibenweg 18, 49134 Wallenhorst (
[email protected]). Ein Heft kostet 60 Cent. FOLLOW Mit fast 400 Seiten präsentiert sich FOLLOW 409. Wieder gibt es den bekannten Mix aus Kurzgeschich ten, Länderbeschreibungen der Fantasy-Welt »Magi ra« oder Conberichten. Das ganze Heft ist netterweise mit vielen Illustrationen verziert, sodass es sich aus gesprochen nett durchschmökern lässt ... Nicht alles habe ich gelesen, aber die Sachen, die ich gelesen habe, haben mir gefallen. Für Kontakt zu dem FOLLOW herausgebenden Verein FantasyClub e.V. wende man sich an Hermann Rit ter, Soderstraße 67, 64287 Darmstadt (im Internet findet man den Club unter www.fantasy-club-on line.de).
Clubnachrichten
games orbit Ein Werbemagazin, ich weiß, aber eines, das netter weise in Spieleläden ausliegt. So ist games orbit 25 wieder voll mit Rezensionen, aber ebenso mit schönen Dingen über Brettspiele. Ohne das Heft hätte ich nicht gewusst, dass das Brettspiel »Labyrinth« schon 25 Jahre alt ist ... Herausgeber ist die Leuchtameisen Kommunika tions-Kooperative, Heilbronner Straße 7, 70174 Stuttgart; Näheres findet man unter www.gamesor bit.de. SF-Notizen Auch hier steht ein Jubiläum an, wie man aus der Nummerierung von SF-Notizen 699 ersehen kann. Es gibt Rezensionen, großartige Cartoons, einen Artikel um den Wirbel um ein »Tyrannen-Quartett« (ja, so etwas gibt es) und vermischten Spaß, so das Foto eines Umschlags mit der Aufschrift »Vorsicht!!! Dieser Umschlag enthält die Antwort auf die dritte ultimate Frage! Öffnen auf eigene Gefahr!«. Als Beilage gibt es ein A6-Heftchen mit einem Nachruf auf Hans Joachim Alpers mit sehr persönlichen Erinnerungen von Kurt S. Denkena. Herausgeber ist Kurt S. Denkena, Postfach 760 318, 28733 Bremen (E-Mail IKUB-enksdkena@web. de). Ein Preis ist nicht angegeben.
Artikel wie »Dihydrogen-Monoxid: Der unsichtbare Killer« (H2O) und der Artikel über den »Einsatz« von Medien in der Polizeiarbeit. Dazu Rezensionen und einige nette Kurzinformationen. Ich finde es immer wieder interessant. Ein Lesetipp. Das Heft kostet sechs Euro. Herausgeber ist die Ge sellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (kurz GWUP), Arheil ger Weg 11, 64380 Roßdorf (im Internet unter www. gwup.org). Star Gate Der Doppelband Star Gate 77/78 präsentiert die bei den Romane »Das Ende der Offenbarung« von Wilfried A. Hary und »Die vergessenen Götter« von W. A. Tra vers. Schade finde ich, dass diese unterhaltsame deutsche Science-Fiction-Serie manchmal Namen von Figuren bringt, die ich eher langweilig finde. »Namneits« ist »Steinman« umgedreht, »Nevs« ist »Sven« und so weiter. Ansonsten. Sehr unterhaltsam, das deutsche Original der Serie »Stargate«. Der Band kostet 7,95 Euro. Herausgeber ist Hary-Pro duction, Canadastraße 30, 66482 Zweibrücken (www.HaryPro.de).
Skeptiker Die – laut Untertitel – »Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken« skeptiker 1/2011 liefert wieder eine Menge Artikel, die sich – wenn zum Teil nur am Rande – mit Themen beschäftigen, die für den Sci ence-Fiction-Fan interessant sind. Da gibt es (wissen schaftliche) Artikel über Parapsychologie, aber eben so über Homöopathie und Wahrsagerei. Großartig sind Impressum Die PERRY RHODAN-Clubnachrichten erscheinen alle vier Wochen als Beilage zur PERRY RHODAN-Serie in der 1. Auflage. Anschrift der Redaktion: PERRY RHODAN-Clubnachrichten, Pabel-Moewig Verlag GmbH, Postfach 2352, 76413 Rastatt. E-Mail:
[email protected]. Bei allen Beiträgen und Leserzuschriften behält sich die Redaktion das Recht auf Bearbeitung und gegebenenfalls auch Kürzung vor; es besteht kein Anspruch auf Veröffentlichung. Für unverlangte Einsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Das PARALOX-ARSENAL
öffnung und die Ärmel ein und verbrei tete sich innerhalb der Montur, derart heftig, dass Tiff am ganzen Leib schlot terte. Wie ... Espenlaub; was immer das war. Vor der Mündung lag eine Art Balus trade. Eine schmiedeeiserne Wendeltrep pe führte die Felswand hoch. Eis bedeck te den Handlauf. Tiff stieg hinauf. Links herum, und links herum, und immer wieder links herum ... Oben empfing ihn kalter Stahl: ein Windfang, dahinter ein Labor. Bläulich schimmernde Wände. Ein Roboter auf Schwebekufen glitt auf ihn zu. Er hatte die Form eines gedrungenen, liegenden Zylinders, in den anscheinend wahllos zahlreiche Kegel mit der Spitze voran gesteckt worden waren. »Und wer bist jetzt du wieder?«, fragte Tiff heiser. Jede Silbe produzierte ein Wölkchen in der Luft. »Ich wurde unter dem Namen Safri-16 konzessioniert«, sagte die metallische Gestalt. »Und du?« »Julian Tifflor.« »Was bedeutet das?« Gute Frage. »Keine Ahnung. Nein, warte. Meinen Vornamen trugen vor lan ger Zeit einige Kaiser meiner Heimat welt. Einer von ihnen hat sogar einen Kalender erfunden, glaube ich. Aber er stand auf verlorenem Posten gegen den sich ausbreitenden Aberglauben. Oder war das ein anderer?« »Es wäre nett, wenn du deine Gedan kengänge nach logischen Kriterien ord nen könntest.« »Ja? Eine Anhebung der Raumtempe ratur wäre ebenfalls eine Geste, die ich begrüßen würde.« Unvermittelt klafften in der Wand kreisrunde Öffnungen auf. Ventilatoren umspülten Tiff mit brennheißer Luft. »Genug!«, schrie er. »Das reicht! Sonst verbrenne ich. Drossle den Ausstoß, bis ich Halt sage. Bitte!« »Ich mag es«, sagte Safri-16, »wenn sich Fleisch vor mir windet. Andererseits langweilt es mich, wenn deinesgleichen
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nur mehr herumzuckt und allzu früh ver dirbt. – So besser?« * Tiff bedankte sich. »Bist du allein hier?« »Mitnichten. Wo denkst du hin?« Über Safris Hülle liefen elektrische Entla dungen, kalte blaue Blitze. »Mein Volk ist ebenso zahlreich wie glücklich. Die pseudoindividuellen Wichte, die mir un tertan sind, können gar nicht mehr damit aufhören, sich gegenseitig zu stimulie ren.« »Ihr seid Roboter.« »Wahres Leben, ja. Wir durchleuchten die Finsternis. Wir sammeln Daten. Al lerdings lohnt es nicht mehr, sie zu ana lysieren. Die Parameter ändern sich nicht. Nichts ändert sich hier. Wir haben Frieden. – Bringst du Krieg, Julian Tifflor?« »Nicht, wenn ich ihn vermeiden kann.« »Schade. – Worauf bist du dann pro grammiert?« »Ich soll mir ein Artefakt aneignen. Einen Kristall in Blütenform.« Er war geistig zu ausgebrannt, um Lügen zu er finden. »Den Perianth? Den willst du mir rau ben? Das geht nicht. Den gebe ich nicht her.« »Aha. Was könnte ich dir dafür anbie ten?« »Du? Du bist ein armseliger Fleisch klumpen, Julian Tifflor. Nichts an dir hat für mich Wert. Gleichwohl errechne ich die Chance, dass du mich kurzfristig auf heitern könntest. Nenne weitere Argu mente!« Was sollte Tiff, dem der Kopf schwamm in träge machender Wärme, darauf sagen? »Warum willst du mir den Perianth-Schlüssel nicht geben? Ich muss ihn unbedingt auftreiben. Er ist sehr wichtig für mich, ja für eine große Region des Kosmos. Benötigst du ihn denn? Würdest du ihn überhaupt ver missen?«
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Leo Lukas
»Und ob. Komm mit, Weichling, ich zeige dir etwas.« * Safri-16 führte Tifflor durch einen an deren Ausgang ins Freie. Sofort sprang die Temperatur um, und erneut machte sich beißende Kälte bemerkbar. »Die Witterung hier ist für mich nur schwer zu ertragen«, sagte Tiff mit klap pernden Zähnen. »Könntest du mich eventuell dagegen schützen?« »Ich soll einen Dieb verwöhnen, der es auf meinen wertvollsten Besitz abgese hen hat? Das ist amüsant! Haha!, gut gemacht. Hast deinen Lohn verdient.« Wieder irrlichterte es über die Hülle des Roboters. Eine transparente, leicht schillernde Schutzschirmblase baute sich um Tifflor auf und hielt die Kälte draußen. »Danke!«, sagte Tiff. »Würdest du mich terminieren, um an den Perianth zu gelangen?« »Falls es wirklich darauf ankäme ... Ich weiß es nicht.« Das entsprach der Wahrheit. »Ich hoffe, wir finden eine bes sere, gewaltlose Lösung.« »Nicht nur ein Räuber, sondern sogar ein potenzieller Mörder! Fein, fein.« Safri-16 gab ein Geräusch von sich, das sich wie der tosende Applaus eines tau sendköpfigen Publikums anhörte. Sie kamen zu einer Brücke, die sich über ein blühendes Tal spannte. Erst auf den zweiten Blick erkannte Tiff, dass es sich bei den Gewächsen um Eisblumen handelte. Zwischen stählernen Gebäuden tum melten sich Roboter, einzeln wie auch in Grüppchen. Etliche scharten sich um pelzige Wesen, die entfernt an terra nische Grizzlybären erinnerten. Sie gin gen aufrecht und trugen Hüte mit langen Federbüschen. Manche verteilten kleine Gegenstände aus ihren Umhängeta schen. »Mit euch lebt ein zweites Intelligenz volk?« »In schrecklich trauter Eintracht«,
antwortete Safri-16. »Seit Äonen treten nicht die geringsten ethnischen Span nungen auf. Alle haben einander lieb und tauschen ständig Komplimente aus.« »Dir missfällt das.« »Darauf kannst du Viren nehmen. Ich ertrage diese pausenlose, fade Harmonie nicht. Leider bin ich die einzige Einheit, die aufgrund ihrer Programmierung da zu fähig ist, diese Zustände kritisch zu hinterfragen.« »Du könntest sie ändern. Du sagtest, die anderen seien deine Untertanen. Wenn dir so sehr daran liegt, wieso schürst du nicht Konflikte?« »Bist du irre? Das wäre moralisch ver werflich.« »Mich hast du vorhin gequält.« »Erstens nur kurz und zweitens unter stehst du mir nicht. Mein Volk hingegen ist wunschlos glücklich. Das erwähnte ich doch bereits. Hörst du eigentlich zu?« »Entschuldige. Ich finde deine Haltung sehr ... beeindruckend. Du leidest und stellst trotzdem das Wohl der vielen über dein eigenes.« »Weil ich so konzessioniert wurde. Verhält es sich denn nicht bei allen Re genten in dieser Weise?« »Nein.« Fast hätte Tiff laut aufgelacht. »Keineswegs. Nach meiner reichen Er fahrung stellst du damit eher eine statis tische Ausnahme dar.« »Ach? Das ist interessant. Darüber musst du mir bei Gelegenheit mehr er zählen.« * Die Brücke mündete in ein hohes, pa lastartiges Bauwerk. Julian Tifflor folgte dem seltsamen Ro boter durch eine Flucht von Sälen voller stählerner Statuen. Etwa ein Drittel stellte Bärenwesen in diversen Posen dar, etwa ein Drittel unterschiedliche metal lene Gestalten. Das letzte Drittel bestand aus abstrakten Skulpturen. Darauf angesprochen, erklärte Sa
Das PARALOX-ARSENAL
fri-16 mit Wehmut in der synthetischen Stimme: »Monumente, die das Gedenken an früher hochhalten. Ans Draußen. Nie mand außer mir kommt, sie zu betrach ten.« »Du fühlst dich eingesperrt, möchtest hinaus?« »Zurück. Natürlich. Ich arbeite an nichts anderem. Dieser Lebensraum ist weitläufig, allemal groß genug für mein Volk. Meine beiden Völker, die in Frieden beieinanderwohnen. Mich jedoch befrie digt er nicht.« »Das kann ich nachempfinden.« »Du hast leicht reden. Du bist aus dem Langen Tunnel gekommen, ver magst ihn also zu überwinden. Nieman dem von uns ist das gelungen. Wir ha ben Späher ausgeschickt, in beide Rich tungen, aber nur einer kehrte zurück, vollkommen entkräftet. Er berichtete von zerfallenen Maschinen und Skelet ten. Daraufhin habe ich die Erkun dungen eingestellt.« Ja, die Skelette ... Julian Tifflor war über viele Knochen gestiegen auf seinem bisherigen Weg. »So sieht es fast überall aus«, sagte er leise. »In der Nähe der Mündungen, versteht sich. Weiter drinnen ... ist dann gar nichts mehr.« »Was liegt am anderen Ende?« »Ein Lebenskorn, dem eurigen ver gleichbar und doch ganz anders. Und dahinter, nach einem ungefähr ähnlich langen Gang, noch eines, und noch eines. Zwanzig, insgesamt. Wenn’s wahr ist. Sofern ich mich richtig erin nere.« »Hast du sie alle ausgeraubt?« Tiff spürte das Gewicht der Kristall blüten in seinem Rucksack. »Man hat mir in den allermeisten Fällen freiwillig gegeben, was zu besorgen mir aufgetra gen wurde.« »Kaum zu glauben. Nun, hier wirst du scheitern. Aber sich mit dir zu unterhal ten macht Spaß.« »Ich genieße unser Gespräch ebenfalls. Ehrlich.« »Ein ehrlicher Dieb. Haha! Was für ein
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köstlicher Kerl du doch bist, Julian Tifflor!« * Während sie Halle nach Halle ab schritten, versuchte Tiff, sich seine Er lebnisse am Beginn der Reise zu verge genwärtigen. Sie lagen so weit zurück und ... Aber er musste, um auf Kurs bleiben zu können, sich in Erinnerung rufen, warum er eigentlich unterwegs war. Was ihn antrieb; welcher Teufel ihn geritten hatte, diesen Tort auf sich zu nehmen. Wer? – Duleymon. Die siebenundsechzigste Monarchin der Vatrox. Genauer: jener Volksgruppe, deren Schlachtlicht als Wrack durch die katastrophale Fragmentierung des PA RALOX-ARSENALS in die Kruste des ersten Zeitkorns verschlagen worden war. In den Zeitspeer, den sie auch die »Mächtige Garbe« nannten. Duleymon hatte ihn in der Hand. Sie wusste, dass er dasselbe anstrebte wie sie: das PARALOX-ARSENAL aus seinem temporalen Versteck zu holen, die Nullfeldblasen aufzuschließen, die darin deponierte Psi-Materie zu bergen ... Kein anderer Weg führte zu diesem Ziel als jener durch den Langen Gang. Tifflor hatte in eigenem Interesse gar nicht an ders gekonnt, als ihren Auftrag anzuneh men. Bloß wollte Duleymon keineswegs der sterbenden Superintelligenz ES, dem Mentor der Menschheit, helfend bei springen. Nein, ganz im Gegenteil: Sie beanspruchte das PARALOX-ARSE NAL für sich und ihr Volk – das es schließlich ursprünglich angelegt und die Psi-Materie darin gebunkert hatte. War der Vatrox-Monarchin daraus ein Vorwurf zu machen? Mitnichten. Aus ih rer Sicht lagen hehrste Motive der Er pressung zugrunde, die Tiff in den Jahr millionentunnel getrieben hatte. Trotzdem würde ihm beizeiten etwas einfallen müssen, wie er nach seiner Rückkehr verhindern könnte, dass das
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Leo Lukas
PARALOX-ARSENAL in die Hände der Frequenz-Monarchie fiel. Im Grunde war seine Ausgangsposition lachhaft: Was sollte er ausrichten, er allein, zu diesem Zeitpunkt vermutlich ein psychisches Wrack, gegen Duleymons ganzes, gut or ganisiertes Reich, das ihre Volksgruppe im ersten Zeitkorn errichtet hatte? War vielleicht von den Renegaten Hil fe zu erhoffen? Aber die beschäftigten sich hauptsächlich damit, sich im »Klam men Korridor« gegenseitig zu dezimie ren, und waren kein nennenswerter Machtfaktor. Davon abgesehen, warum hätten sie Tiff, einen Fremden, unter stützen sollen? Weil er der Zukünftige war? Tausend und ein Mal hatte er diesel ben Pläne schon geschmiedet und wieder verworfen. Und ob er, je tiefer er kam, je länger und nachhaltiger sein Geist zer rüttet wurde, verwickeltere und sicherere Ideen entwickeln würde, stand zu be zweifeln. Noch hatte er – ha! – Zeit. Noch war es nicht so weit. Noch musste er sich Duley mon nicht zum Endkampf stellen. Welch jämmerlich schwacher Trost ... * Im hintersten Residenzsaal, der voller Vitrinen mit schwer zu definierenden Objekten war, sagte Safri-16: »Hier siehst du die Fundstücke, die damals mit uns und den Vorfahren der Pelzigen her ein in die Kruste geschwemmt worden sind. Die meisten wurden zerstört, zer schmolzen zu Schrott. Auch beim Rest kann ich, beschränkt, wie ich bin, die ur sprünglichen Funktionen nur mangel haft extrapolieren.« »Dennoch bewahrst du sie auf.« »Sie verbinden mich mit der alten Hei mat. Mit der alten, gefrorenen Zeit. Sie und ... die Fenster.« Der Roboter drückte eine Tapetentür auf. Dahinter lag ein schnurgerader Schlauch von Korridor, der sich in scheinbar unendlich weiter Ferne nach rechts wegdrehte.
An der einzigen wattigen Wand hingen Gemälde in quadratischen Rah men. Sie alle zeigten nichts als Schwär ze. Tiff erinnerte sich. In einem solchen, in sich selbst gekrümmten Raum hatte er sich bereits aufgehalten. Vor Jahrmillio nen ... Duleymons Galerie. »Wir sehen durch ein Fenster im Tem poralmantel auf reales Geschehen«, hat te die Vatrox behauptet. »Auf exakt je nen Moment, an dem sich dieser Sektor des Zeitspeers jetzt befindet.« »Zeitfenster«, sagte Tifflor rau. »Ja. Ermöglicht durch die Barbakane. Und den Perianth-Schlüssel. Ich experi mentiere seit der Katastrophe damit her um. Viel kann ich damit nicht anfangen, da seine Kodierung nicht zu dieser Sphä re passt. Immerhin sehe ich auf diese Weise meine Heimat, zur Zeit der Hoch blüte unserer Zivilisation.« »Einige wenige Momentaufnahmen.« »Sie besänftigen mich. Sie spenden mir Trost, wenn ich meine Integralkreise verätzen möchte vor Sehnsucht. Aber ich komme nicht weiter, nicht zurück. Ich habe Fenster; doch keine Tür.« »Die Kristallblüten wurden von einem Zufallsgenerator über die Ährenspindel verstreut«, erläuterte Tiff. »Wobei kein Schlüssel im zugehörigen Zeitkorn lan den durfte. Sicherheitsvorkehrungen, gedacht zur Abwehr von VATROX-VA MU, einer sehr bösen Entität.« »Nie davon gehört.« »Sei froh. Wie auch immer, in meinem Rucksack trage ich vierzehn Perianths mit mir. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der für diese Sphäre Pas sende dabei ist. Lass sie uns durchpro bieren.« * Sie erzielten einen Erfolg. »Was heißt das jetzt?«, fragte Sa fri-16. »Das heißt, dass ich dir eine Zeittür in die Vergangenheit deines Volkes aufsto
Das PARALOX-ARSENAL
ßen kann. Apropos, was geht da eigent lich vor sich?« »Wir erobern unsere Galaxis. Wir sen gen und brandschatzen. Wir unterjochen falsches Leben. Wir pflügen eine Furche der Verwüstung ...« »Halt! Gemach, gemach. Das klingt übel. Warum sollte ich so etwas unter stützen?« »Hörst du nicht zu? Kapierst du über haupt nichts? Es ist bereits geschehen. Es geschieht, jetzt, da draußen in meiner Galaxis, schau hin! Du kannst nichts dran ändern. Ich will nur dabei sein.« Safri-16 hatte recht. Die Ährenspindel des Langen Gangs erstreckte sich räum lich durch die Zeit. Sonst hätte Tiff sie nicht durchwandern müssen, Schritt für Schritt für Schritt. »Im Übrigen«, fuhr der Roboter fort, »sind die Auswirkungen und Nebenef fekte der Fragmentierung des PA RALOX-ARSENALS weit katastropha ler als unser bescheidener Feldzug. Un ter den direkten und indirekten Folgen der Entstehung des Zeitspeers litten und leiden unzählige Völker in verschiedenen Galaxien. Vielleicht sogar in verschie denen Universen? Wenngleich es, logisch betrachtet, so gut wie keinen Unter schied macht, ob ein paar Millionen kurzlebiger Intelligenzwesen auf einmal sterben oder hintereinander, im Laufe weniger Jahrhunderte, einen sozusagen ›natürlichen‹ Tod erleiden.« Tiff bedachte dieses Argument und konnte es nicht entkräften. »Okay. Aber du hast die Nebeneffekte der temporalen Anomalien erwähnt. Deine Galaxis ist stark davon betroffen. Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit wirst du in naher Zukunft wieder hierher verschlagen werden, ist dir das klar? Die Zeit lässt sich nicht überlisten. Du gehst hinaus, meuchelst ein wenig herum, und dann ... saugt es dich wieder ein. Von anderswo. Weil dann dort die Katastrophe passiert. Vermutlich landest du überdies als Strandgut in einer ganz anderen Zeit korn-Kruste.« »Logisch. Aber während dieses Inter
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mezzos habe ich ein Leben. Ein wahres Leben. Alles würde ich dafür geben.« »Alles?«, fragte Tiff nach. »Sogar dei nen Perianth-Schlüssel?« * Er öffnete die Zeittür. »Meine Völker in dieser Sphäre wer den ohne mich bestehen«, sagte Safri-16. »Sie sind gefestigter, als ich es mir jemals gewünscht hätte.« Bären und Roboter, dachte Tiff. Wie nett. Würden sie noch eine Heizung ein bauen, wäre es hier fast gemütlich. Seine Hand streifte eine Außentasche der Montur. Darin befand sich das Notiz buch, sein Notizbuch, das Duleymon ihm mitgegeben hatte. Er hatte nun eine kla re Vorstellung davon, wie es in die Hände der Vatrox gefallen sein musste – fallen würde – gefallen sein würde ... Tiff zog es heraus. »Warte kurz«, sagte er zu dem Roboter. »Ich muss noch schnell etwas erledigen.« »Kein Problem. Ich habe schon sehr lange gewartet. Die zusätzliche Ver schwendung minimaler Zeiteinheiten verdrießt mich nicht.« »Schön.« Tiff begann, die ersten Seiten des Büchleins zu beschreiben. Er kannte ja den Inhalt, hatte ihn selbst gelesen, nachdem das Notizbuch seinen Weg ins erste Zeitkorn gefunden hatte. Seine letzten Zeilen lauteten: »Nimm diese Warnung ernst. Überleg dir gut, ob du dir das antun willst, Zeitparadoxon hin oder her. Vieles spricht aus jetziger Sicht dafür, dass gleich zu sterben die bessere Wahl gewesen wäre.« Tiff musste schmunzeln. Er würde die Warnung ernst nehmen – ernst genom men haben, exakter ausgedrückt. Und trotzdem gehen. Gegangen sein. Ach, was soll’s! Nachdem er dem Roboter das Notiz buch übergeben hatte, verabschiedete Tiff ihn herzlich. Irgendwie hatte er ihn lieb gewonnen. »Werden wir uns wiedersehen?«, fragte Safri-16.
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»Wer weiß? Vermutlich aber nicht.« Julian Tifflor verstaute den Kristall kelch in seinem Rucksack. Dann schloss er hinter der stählernen Gestalt die Zeit tür, seufzte und schlenderte zur entge gengesetzten Mündung des Jahrmillio nentunnels. Ihm war nach Gehen zumute. 7. Völkermord Im siebzehnten Zeitkorn erwartete Tiff eine böse Überraschung. Es war leer – eine hohle Mantelblase. Keine Kruste, kein Gramm Psi-Materie im offen zugänglichen, etwa vier Kilo meter durchmessenden, gähnend leeren Depot. Tifflor fluchte. Er fand keinerlei An zeichen, wohin der Inhalt verschwunden war und wer dafür die Verantwortung trug. Beim Gedanken, was derjenige, der ihm zuvorgekommen war, mit der ent wendeten, mutmaßlich enormen Menge an Psi-Materie anstellen konnte, stell ten sich Tiffs Nackenhaare auf. Oder – eine kleine Hoffnung – stammte von hier die über Jahrmillionen in der Schneise von Anthuresta erschienene und zu Staub und Gas materialisierte Psi-Ma terie? Dann ging er in die Hocke, ließ sich langsam umkippen, rollte sich in Embryonalposition zusammen und weinte. Es war aus, vorbei, alles vergeblich gewesen. Der ganze jahrmillionenlange Marsch, die unmenschliche psychische Belastung, die schleichende Verwand lung zu ... wozu auch immer Tiff gewor den war ... er hätte sich die Torturen er sparen können. Ende der Fahnenstange. Wer dieses Depot ausgeräumt hatte, hatte gewiss auch den hiesigen Perianth mitgenom men. Tiff benötigte aber sämtliche zwan zig Schlüssel; nach allem, was er wusste, durfte nicht einer fehlen. Oder? Mehr aus Starrsinnigkeit denn
aus Hoffnung aktivierte er den Detektor an seinem Oberarm. Tiff biss sich auf die Unterlippe. Er war, trotz der Kristallschicht, die inzwi schen fast seine gesamte Haut bedeckte und Haare ummantelte, ein Terraner, ein Mensch. Und Menschen klammerten sich nun mal an den allerletzten Strohhalm. Ein Holo baute sich auf. Das dünne Armband, ein hoch spezialisiertes, auf Mikro- und Nanotechnologie basierendes Ortungsgerät, stellte selbsttätig eine Ver bindung zu allen erreichbaren Kommu nikationskanälen und Datenspeichern her. Durch Fingerbewegungen, die ihm Duleymon beigebracht hatte, änderte Tiff den Maßstab der Übersichtskarte. Ein blinkender grüner Punkt zeigte den Standort des Perianth-Schlüssels an. Den Standort. Des Schlüssels? Tatsächlich – in diesem Zeitkorn be fand sich ein Perianth! Tiff konnte es kaum glauben, ver mochte sein Glück nicht zu fassen, bis er das wertvolle Artefakt mit eigenen Au gen vor sich sah. Es lag viele Hundert Meter vom Eingang entfernt einfach am Boden der Hohlblase, deren künstlicher Schwerkraftvektor nach außen wies. Tränen lachend packte Tiff vorsichtig den kristallinen Blütenkelch zu den fünfzehn anderen. Dass sein Rucksack davon nicht leichter wurde, kümmerte ihn nicht. Er tänzelte förmlich in den Jahrmillionentunnel. Im achtzehnten Zeitkorn hingegen ging Tifflors Glückssträhne zu Ende. * Von allen Krusten, die er bislang be sucht hatte, war dies die paradiesischs te. Aus der Tunnelmündung blickte Tiff hinab auf eine Seenlandschaft, wie ge malt von einem chinesischen Künstler der frühen Kaiserzeit. Ornamentale Gär ten umgaben Pagoden mit zehn, zwölf oder mehr Stockwerken. Schlanke, elegant geschwungene
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Gondeln befuhren die Seen. An deren Ufern fanden kulturelle Veranstaltun gen statt. Zahlreiche, sehr verschieden artige Wesen wiegten sich im Tanz oder wohnten Konzerten und theatralischen Vorführungen bei. Bunte Fesselballons trieben über den fröhlichen Feierlich keiten. Das fast schon kitschige Idyll bekam allerdings für Tifflor einen äußerst bit teren Beigeschmack, sobald er den Peri anth-Detektor konsultierte. Den Holos zufolge hatte die Kruste dieses Zeitkorns die Ausdehnung eines kleinen Planeten. Aber nirgendwo blinkte ein grüner Punkt. An einen Fehler des Detektors wollte Tiff nicht glauben. Bislang hatte das Ge rät tadellos funktioniert, unter unter schiedlichsten, teilweise extremen Be dingungen. Wurde der Perianth abgeschirmt, so dass das Nano-Armband ihn nicht orten konnte? Theoretisch vorstellbar, doch wenig wahrscheinlich. Laut Duleymon war es unmöglich, die Signale zu unter drücken. Allerdings bezog die Vatrox-Monar chin ihre Kenntnisse hauptsächlich aus Tiffs eigenem Notizbuch, das er Safri-16 mitgegeben hatte, damit es zu Duleymon gelangte, indem der Roboter erneut als Strandgut eingesaugt wurde. Die darin getroffenen Aussagen bezogen sich nur auf die ersten sechzehn Zeitkörner. Da nach, dahinter, räumlich tiefer in der Vergangenheit lag gänzlich unbekanntes Terrain ... Verzweiflung wallte in Julian Tifflor auf. War er so weit gekommen, um nun doch zu scheitern? Er wollte sich die Haare raufen, doch sie waren steif vor Diamantstaub. Da erschien sein Doppelgänger, kör perlicher denn je. * »Bemüh dich nicht«, sagte der andere Tifflor. »Was du hier suchst, habe ich be reits selbst gefunden.«
»Wie ... selbst? Wer ... bist du – ich? Ein früheres oder späteres ...« »Aber nein. Ich borge mir bloß deine Gestalt. Ich kenne sie gut. Schließlich begleite ich dich schon lange.« »Warum?« »Du wirst es bald erfahren. Die Zeit der Ernte ist nah.« »Ich habe nicht mehr die Kraft, mich länger vertrösten zu lassen.« Tiff nahm Kampfstellung ein. »Falls es darauf hin ausläuft, dass nur einer von uns die Perianth-Schlüssel haben kann, lass es uns gleich hier und jetzt ausfech ten!« Sein dunkleres Ebenbild lächelte kühl. »Du würdest den Kürzeren ziehen, glaub mir. Es wäre töricht, mit mir kämpfen zu wollen und übrigens vollkommen unnö tig.« »Klär mich auf oder stell dich!« »Du gefällst mir, sagte ich das schon? Diese Widerborstigkeit, dieser rührend hoffnungslose Optimismus! Fast gereicht es mir zur Ehre, dich zu kopieren.« »Zum letzten Mal ...« »Beruhige dich. Es ist beinahe voll bracht. Deine Wanderung neigt sich dem Ende zu. Den Rest des Fußmarsches kann ich dir nämlich ersparen.« Ehe Tiff zu einer Reaktion fähig war, schnellte sein Doppelgänger auf ihn zu und ergriff ihn am Arm. Die Umgebung verschwamm. * Sie materialisierten in einem grauen, wattigen Gang, ganz ähnlich den Gale rien von Duleymon und Safri-16. »Wir befinden uns im neunzehnten Zeitkorn«, erklärte der andere Tifflor. Der Grauton seiner Haut hatte abermals eine hellere Färbung angenommen. »Du kannst über eine derartige Dis tanz teleportieren?« »Ich würde es eher als Teletemporati on bezeichnen. Aber im Prinzip hast du recht. Meine Fähigkeiten steigern sich, je näher ...« Er winkte ab. »Dazu später. Schön der Reihe nach, alles zu seiner
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Zeit. Zuerst sollst du Zeuge eines ab scheulichen Verbrechens werden.« Tiffs Ebenbild ging von einem der Zeitfenster zum anderen und berührte die schwarzen Flächen. »Sieh selbst.« Er rief Standbilder auf, die er im Unter schied zu der Vatrox und Safri-16 nicht nur heranzoomte, sondern auch zu kurzen Szenenabläufen erweiterte. »Wie machst du das?«, fragte Tiff. »Es ist keine große Kunst. Einge schränkt in den Zeitfluss einzugreifen, vermag ich schon mit nur drei PerianthSchlüsseln.« Schon mit dreien ... Und mit allen zwanzig? Wer war dieses Wesen, und was führte es im Schilde? Tiff hatte eine Ahnung, aber er wollte Gewissheit. Er betrachtete die Bilder. Richtiger ausgedrückt: Er schaute durch die Zeit fenster hinaus in die Vergangenheit, die hier zugleich Gegenwart war. Mehr als einmal musste er sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden. Gelegentlich gab sein Doppelgänger leise Erklärungen ab. Meistens jedoch erkannte Tiff ohnedies, worum es sich handelte. Um ein abscheuliches Verbrechen, in der Tat. * Julian Tifflor erlebte mit, wie ein gan zes Volk ausgelöscht wurde. Ein mora lisch hochstehendes Volk, das in bester Absicht wahrlich kosmische Geschichte geschrieben hatte. Trotz ihrer Weisheit, ihrer starken pa ranormalen Fähigkeiten und der überaus fortschrittlichen Technologie, die ihnen zur Verfügung stand, begingen die An thurianer – denn um diese handelte es sich – einen entscheidenden Fehler: Sie halfen den Falschen. Sie unterstützten eine bedürftige Spe zies, die vor einer großen Bedrohung floh, und rekrutierten sie als Hilfsvolk. Un zweifelhaft verfügten die Vatrox, wie sie sich nannten, über großes Potenzial. Sie
bildeten eine besondere Art von geisti gem Kollektiv aus Milliarden Einzelbe wusstseinen, die nach ihrem Tod als Va mu erneut ausgeschickt wurden, um ihr leibliches Dasein wieder aufzunehmen; zunächst in normal geborenen Körpern, schließlich in Klonkörpern. Die meisten Anthurianer hielten große Stücke auf sie. Doch die Vatrox wollten selbst an die Macht, weil sie die Anthu rianer als zu weich, zu sanft, zu freund lich einstuften, ohne je ihre wahren Mo tive zu erkennen. »Neun Komma acht Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung«, murmelte Julian Tifflor, während er ebenso ange widert wie fasziniert den Putsch der Vatrox gegen ihre ehemaligen Retter mitverfolgte. »Zeit ist relativ.« Sein dunkleres Eben bild schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, dass sie überhaupt nicht damit rechneten. Freilich, die Rebellion war perfekt vorbereitet. Und die Grausam keit, mit der die Vatrox zuschlugen, überstieg jede Vorstellungskraft.« »Ich sehe es«, sagte Tiff mit belegter Stimme. Viele Schlüsselszenen in den Rahmen der Zeitfenster waren an Dras tik nicht zu überbieten. Abermillionen Anthurianer starben, ihre Körper er starrten. Nur die an übergroße Schnee flocken erinnernden psimateriellen Arte fakte blieben, genau wie bei den anderen, den 50 Milliarden ... »Ich habe es schon viel zu oft gesehen«, gab der andere zurück. »Aber du kannst es, obwohl es jetzt, vor unseren Augen geschieht, nicht ver hindern.« »Nein. Nicht von hier aus. Nicht ohne die zwanzig Perianths.« * Tifflor sog unwillkürlich scharf die Luft ein. Die wenigen kurzen Sätze er öffneten eine neue, durchaus beklem mende Perspektive. Sein Doppelgänger sprach weiter: »Fünfhundert Millionen Anthurianer.
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Allesamt ermordet, brutal abgeschlach tet. Aus freien Stücken waren sie zu rückgeblieben, hatten darauf verzichtet, im ›grenzenlosen Glück‹ aufzugehen.« »Stopp«, bat Tifflor. »Grenzenloses Glück? Ich nehme an, das ist nicht ein fach so dahingesagt, sondern bezeichnet eine Superintelligenz, so wie ...« »ESTARTU«, sagte der Doppelgänger. »Ja, du kennst sie, die Mentorin meines Volkes, obwohl sie erst mit und durch uns wieder vollends ESTARTU wurde. Aber über sie sprechen wir hier und jetzt nicht. Wir sprechen über die, die zurück blieben. Weil sie für einen Fortbestand des Polyport-Systems sorgen wollten. Und das«, er umfasste mit einer Armbe wegung die lange Reihe der Schreckens bilder, »war der Dank.« Er klang so verbittert, so persönlich betroffen, dass bei Tiff der Groschen fiel. »Du bist ... einer von ihnen.« »Ja.« »Ein Anthurianer. In Projektionsge stalt?« »Natürlich. Mein Name ist Banlaro guel.« »Du wurdest durch die Fragmentie rung des PARALOX-ARSENALS in den Zeitspeer versetzt. Quasi als Strandgut der Katastrophe, so wie alle anderen Be wohner der Mächtigen Garbe. Seither hast du dich und deine Fähigkeiten wei terentwickelt.« »Gratuliere. Du ziehst die richtigen Schlussfolgerungen.« Tiff zuckte die Achseln. »Weißt du, was ich nicht verstehe?« »Frag!« »Deine Artgenossen. Viele von ihnen«, Tiff wies auf die entsprechenden Zeit fenster, »nehmen nicht nur ohne Gegen wehr hin, was ihnen die Vatrox antun. Sondern sie wirken, sofern ich ihre Kör perhaltung nicht missinterpretiere, fast schon erfreut. Als hofften sie, nach ihrem Tod in ESTARTU aufzugehen.« »Unsinn. Sie sind bloß perplex über den schmählichen Verrat.« »Hm. Mag sein. Was rede ich? – Außer dem war ja nach dem Abzug ESTARTUS
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das Duo ES/Anti-ES für die gemeinsame Mächtigkeitsballung in der Lokalen Gruppe und den Fernen Stätten verant wortlich. Aber ... Wäre es nicht ebenso möglich, dass die Sterbenden nun Teil von ES werden? Sollten sie absichtlich in ...« Tiff schluckte, statt den Satz zu voll enden. Hatten die Anthurianer ihre Mündel von Anfang an durchschaut? Vielleicht wussten sie von deren skru pelloser Eigenart und beneideten sie dar um. Oder hatten sie die Vatrox gar des halb zu ihren Helfern und Erben ge macht? Hatte die Vergeistigung, das Aufgehen in einer der Superintelligenzen ESTAR TU oder ES, solch einen hohen Wert für die verbliebenen 500 Millionen Anthuri aner, dass sie körperlich ausgelöscht werden wollten – von einer Spezies, der eine solche Untat zuzumuten war? »Du brabbelst absurdes Zeug!«, rief Banlaroguel erbost. »Versündige dich nicht an meinem Volk!« Hart packte er Tiff am Arm und tele temporierte mit ihm. 8. Erinnerungen an eine mögliche
Zukunft
Er fand sich unter Wasser schwebend wieder, allerdings von einer großen Luft blase umschlossen. Tifflors Doppelgän ger war verschwunden. Dafür schwamm durch die grünblauen Fluten mit majestätisch langsamen Flos senschlägen ein dunkelgrauer, riesen hafter Leib auf die Blase zu: ein Walwe sen, gut hundert Meter lang, somit dop pelt so groß wie die bisher bekannten Anthurianer. »Banlaroguel?« »Der nämliche«, dröhnte eine mentale Stimme in Tifflors Gehirn. »Willkommen in meiner Welt.« Die telepathische Übertragung war derart intensiv, dass Tiff fürchtete, jeden Moment würde sein Kopf zerspringen.
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»Könntest du bitte ein wenig leiser, äh, denken?« »Nein.« »Verstehe. Au. – Gehe ich recht in der Annahme, dass wir uns im zwanzigsten Zeitkorn befinden?« »Das ist richtig. Einige Dutzend Die ner, Kristallingenieure der Esnur, gingen mir vor langer Zeit dabei zur Hand, die Kruste in eine Wasserwelt umzubauen.« »Deren einziger biologischer Bewoh ner du bist?« »Das Schicksal hat mir leider keine Gefährten vergönnt.« »Und jetzt willst du selbst Schicksal spielen.« »Ich will nicht, Julian Tifflor. Ich muss. Und du wirst mein ausführendes Organ sein.« Warum bloß hatte Tiff das Gefühl, vom Regen in die Traufe geraten zu sein? * Das große Volk der Anthurianer, er klärte Banlaroguel, müsse überleben. Der Kosmos erlitte einen unwiederbring lichen Verlust, würde sein Volk tatsäch lich restlos ausgelöscht werden. »Aber es ist bereits Tatsache. Es ist schon längst geschehen«, sagte Tiff müde und traurig. »Einzig du bist übrig, der Letzte in wahrer, körperlicher Gestalt. Und selbst du hast dich während deines Aufenthalts in diesem Zeitkorn verän dert.« »Schweig!«, donnerte die mentale Stimme. Ein Kaleidoskop aus Eindrücken von immenser Heftigkeit überschwemmte Tifflors Bewusstsein. Seine Mentalstabi lisierung hielt dem Ansturm keine Se kunde lang stand. Er fühlte mit Banlaroguel und dessen Ahnen. Erlebte mit, wie aus dem Zusam menwirken der hochbegabten Walwesen und der Superintelligenz ESTARTU Gutes erwuchs. Rund vier Millionen Jahre vor der Er höhung des Hyperwiderstands erreich ten die intelligenten Riesen der Anthuri
aner im weltumspannenden Türkisozean von Anthuria ein Stadium der Intel ligenz, das sie eindeutig von Tieren unterschied. Begünstigt wurde diese Entwicklung, weil ihre Heimatwelt über gewaltige Hyperkristallvorräte von hoch wertiger Natur verfügte. Hyperkristalle waren auch Bestand teil ihres Metabolismus und führten zur Ausprägung von zunächst unbewusst ge nutzten paranormalen Kräften, die unter anderem auch Fernwahrnehmungen deutlich über die Grenzen ihres Lebens raums hinaus gestatteten. Es waren diese Kräfte und Fernwahr nehmungen, die die Anthurianer das Er scheinen des »grenzenlosen Glücks« er kennen ließen – ein maßgebliches Ereig nis, das im »Hymnus des grenzenlosen Glücks« quasi verewigt wurde. Die meis ten Informationen der anthurianischen Überlieferung bis zurück zu dieser Ära der Anfänge wurde über viele, viele Ge nerationen in Form von »paranormal unterlegten Gesängen« weitergetragen. Das Erscheinen glich einer leuchtenden Aura, die den gesamten Planeten umhüllte und zugleich bis in den Kern durchdrang. Verbunden damit waren In formationen zu Aufstieg und Nieder gang, zu Tod und Wiedergeburt – die Anthurianer »hörten« von Koridecc und Sorrmo und ihrer Vereinigung, von KymJorier-Schmetterlingen und Pflanzenvä tern, vom fast tödlichen Niedergang und vom geschwächten Wanderer und seiner abermaligen Erhöhung, in deren Verlauf eine markante Scheibenwelt entstand, die fortan Bruder und Schwester als »Anker« diente ... Der ESTARTU-Anteil suchte nach »Spuren der Ursprünge« – jener der Spo renwolke Sorrmo und des KorideccSchmetterlings. Gefunden wurde in die ser Hinsicht nichts – aber es kam in der extrem weit von der Lokalen Gruppe entfernten Ringgalaxis, die bis dahin zu keiner Mächtigkeitsballung einer ande ren Superintelligenz gehörte, zu der Ent deckung der extrem umfangreichen La gerstätten hochwertiger Hyperkristalle
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wie Salkrit, Altrit und anderen, vor allem auf der Heimatwelt der Anthurianer. Zu einem direkten Kontakt der An thurianer mit der Teilwesenheit kam es allerdings nicht. Die Anthurianer be merkten »nur« die Anwesenheit, erhiel ten aber dank ihrer Paragaben durch die Ausströmungen bis zu einem gewissen Grad Zugriff auf das mit dem »grenzen losen Glück« verbundene Wissen und empfanden diese indirekte Begegnung schon als äußerst beglückend, zeigte sie doch, in welche Richtung auch die eigene Entwicklung gehen konnte. Der Einklang von Anthurianern und ESTARTU führte zu weit mehr als der kombinierten Namensgebung »Anthur/ esta« für ihre Galaxis. Eine Region des Friedens entstand, ein via Eiris-Vernet zung positiv beeinflusstes Refugium. Die Fernen Stätten, die fortan zur Mächtig keitsballung von ES gehörten. Indirekt unterstützt von den ungewöhnlich zahl reich vorhandenen, hochwertigen Hy perkristallen, gewann die Entwicklung der Völker zum Positiven ebenfalls an Kraft. In einem durchaus mühsamen und langsamen Weg über rund eine Million Jahre gelang den Anthurianern der Auf stieg aus eigener Kraft bis in bemerkens werte Höhen – sogar weitgehend fried lich und ohne tief greifende Konflikte oder Kriege. Möglich war das unter anderem des halb, weil es sich um eine Zivilisation handelte, die mehr eine geistige Ent wicklung betrieb, statt einer technolo gisch und expansiv nach außen gerichte ten. Verbunden damit war, dass sie in dieser Zeit ihre Heimatwelt körperlich gar nicht verließen, wohl aber dank pa ranormaler Fernwahrnehmung ferne Welten erkennen, erforschen und rein geistig »besuchen« konnten. Handwerklich total benachteiligt, ba sierte die Macht der Anthurianer schließ lich auf extrem starken paranormalen Kräften und der fast spielerischen Hand habung von Psi-Materie, die sie durch die Kräfte des Geistes – und ihrer Anbin
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dung an das natürliche Psionische Netz des Kosmos – aus Hyperenergie konden sieren konnten. Die Lebenserwartung normaler An thurianer war auf einige Jahrtausende angewachsen – es gab jedoch auch ein zelne Individuen, die deutlich älter, um nicht zu sagen ausgesprochen langlebig oder relativ unsterblich wurden. Wieder andere führten das Ende der körper lichen Existenz bereits nach wenigen Jahrhunderten willentlich herbei – und erstarrten dabei zur Versteinerung, wäh rend nochmals andere in die Richtung einer Vergeistigung strebten, ihre Körper bewusst dauerhaft entmaterialisierten und in den meisten Fällen Teil des natür lichen psionischen Netzes wurden. Und schließlich gab es jene, die ihre Riesenkörper zwar entmaterialisierten, aber als »Ersatz« durch andere, ebenfalls durch die Kräfte des Geistes geschaffene ersetzten. In den nächsten rund drei Millionen Jahren wurden die Anthurianer die maß gebliche Zivilisation in Anthuresta. Rein durch die Kräfte des Geistes wurden bei Bedarf die benötigten Wirkungen ge schaffen oder »materialisiert« – egal, ob für die Fortbewegung im Weltall oder die Besiedlung anderer Welten. Erst mit der Zeit entwickelte sich daraus eine beson dere Form der »Para-Technologie«. Am Ende der Entwicklung hatten die Anthurianer rund 10.000 Wasserwelten besiedelt und eine Gesamtpopulation von etwas mehr als 50 Milliarden erreicht – und dann kam es zu einer Katastrophe »universalen« Ausmaßes. Auch die Erhöhung des Hyperwider stands gefährdete die ideale, ideelle Partnerschaft nicht. Dank ihrer Paraga ben und der Nutzung von Hyperkristal len und Psi-Materie wurden die Anthu rianer von Hyperimpedanz-Schocks we sentlich weniger betroffen als alle anderen Völker. Genau deshalb fühlten sie sich zur selbstlosen Hilfe verpflich tet. Recht schnell entstand die Grundidee zur Schaffung einer Schutzzone im Sinne
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einer Arche für bedrohte Völker. Das große Projekt der Anthurianer, an dem die Esnur als Kristallingenieure mit wirkten, wurde in Angriff genommen: eine Sphäre von stellarer Dimension, eingebettet in eine knotenförmige Verdi ckung des natürlichen psionischen Netzes. Gemeinsam entwarfen und errichte ten sie TALIN ANTHURESTA, das »Wunder von Anthuresta«: im Kern die von einer Pseudosonne umgebene Zen tralstation; in die materieprojektiv-psi materielle Kugelschale eingebettet ins gesamt 20.000 Artefakte planetaren Aus maßes von scheibenförmiger Gestalt, nach dem Vorbild des Ankers der Super intelligenz, der Kunstwelt Wanderer. Parallel dazu gelang es, die gewaltigen intergalaktischen Ent- und Verzerrungs phänomene praktisch zu nutzen – in Form der Sektorknospen. Diverse Völker wurden auf den Schei benwelten von TALIN ANTHURESTA angesiedelt, unterschiedliche Denkschu len verbanden sich damit. Die Schule der Homogenisten bevor zugte die Besiedlung durch eine Popula tion, die auf einem natürlichen Planeten entstanden war und lediglich auf ein Ob jekt verpflanzt wurde. Die Evolutionis ten generierten Bevölkerungen aus we nig komplexen biologisch-kulturellen Keimen und beschleunigten ihre Ent wicklung, sobald sie auf der ihnen zuge dachten Scheibenwelt eingetroffen wa ren. Die Heterogenisten schließlich führ ten zwei, drei oder noch mehr einander unbekannte Zivilisationen auf den Ob jekten zusammen und beobachteten ih re Tendenzen: Kombinierten sie sich, erzeugten sie ein neues Ganzes, oder sie schlossen sich von- und gegeneinander ab und segmentierten ihre Scheiben welt? Nur in ganz wenigen Fällen erfuhren außenstehende Völker überhaupt von dem, was in TALIN ANTHURESTA ge schah. Und je mehr Zeit verging, desto weniger erforderlich wurde parallel zum
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Aufbau des Polyport-Netzes die ur sprüngliche Archenfunktion. Zugang zum Wunder von Anthuresta hatten ohnehin nur die Anthurianer mit ihren Ur-Controllern, alle anderen Con troller zeigten die riesige Sphäre nicht einmal an. Von diesen fiel den Vatrox bei ihrem Putsch kein Einziger in die Hände; die Frequenz-Monarchie erfuhr nie von TALIN ANTHURESTA. Als die Vatrox gerettet wurden und später in die Dienste der Anthurianer traten, war das Polyport-Netz längst ge schaffen. Handelssterne, Distribut-De pots und Polyport-Höfe waren über die Galaxien verstreute Knoten eines extrem weitmaschigen Geflechts, das letztlich auf die Kraftlinien des natürlichen Psio nischen Netzes zurückgriff. In direkter Nachbarschaft von An thuresta befanden sich die Durchdrin gungsgalaxis Schelv und die Balkenspi rale Kaskallen. Weiter entfernt waren die elliptische Riesengalaxis Yandi, Za gadan und Alkagar und weitere. Schließ lich Bra-Nok-Zo und Sporteph-Algir alias Diktyon mit Kyon Megas sowie Duerchan – später Hathorjan und An dromeda genannt – und natürlich auch die Milchstraße ... »Unbestritten habt ihr Gewaltiges ge leistet«, versuchte Tifflor zwischendurch aufzubegehren, »und euch beachtliche Verdienste um diese und andere Gala xien erworben. Aber das ist Geschich te.« Sofort wies Banlaroguel ihn wieder in die Schranken. »Geschichte wird ge schrieben. Mit den richtigen Mitteln kann sie sogar vollkommen um- und neu geschrieben werden.« »Was um aller Himmel willen hast du vor?« * Abermals brachte ihn ein Übermaß an Impressionen zum Verstummen. Tiff nahm, ohne sich dagegen wehren zu können, Teil am Höhepunkt der an thurianischen Entwicklung – dem Gro
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ßen Gesang. Unter ESTARTUS Anlei tung vergeistigten sich rund viertausend Jahre nach der Erhöhung des Hyperwi derstands gleichzeitig rund fünfzig Mil liarden Anthurianer. Sie begünstigten auf diese Weise die Trennung von ES und ermöglichten ESTARTU, endgültig zur eigenständigen Superintelligenz zu wer den. Der Große Gesang ... Banlaroguel war dabei gewesen, erkannte Tiff. Und An lass zur Trennung war, wie Tiff aus ande rer Quelle wusste, das Erscheinen des Helioten auf Wanderer gewesen, der ES zur Teilnahme an Thoregon zu überreden versuchte, in ESTARTU jedoch die un terdrückten Erinnerungen an die erste Existenz geweckt hatten. Zusammen mit dem Anthurianer spürte Tiff, wie das dreieinige, bislang verschmolzene Geisteswesen in Aufruhr geriet, der sich auch für einen passiven Beobachter psychisch kaum ertragen ließ. Die Wesenheit wurde buchstäblich zerrissen – in einem Prozess, der keines wegs schmerz- oder emotionsfrei ab lief, sondern eine schier unerträgliche Belastung für alle Beteiligten darstell te. Erstmals wurde die Kunstwelt Wande rer, materieller und doch aus der Gedan kenkraft der Superintelligenz nach eige nem Willen gestalteter »Anker«, zu einem Bestandteil von TALIN ANTHURESTA, ließ eins der Artefakte planetaren Aus maßes entstofflichen und rückte an seine Stelle. Die Bewusstseine der fünfzig Milliar den Anthurianer, verteilt über Tausende Welten von Anthuresta, aber auch in TA LIN ANTHURESTA, lösten sich von den Körpern, stiegen auf und vereinigten sich zu einem machtvollen Kollektiv. Sie waren es, die ESTARTU förmlich aus dem bisherigen Verbund heraustrennten und dabei in der »neugeborenen« Entität aufgingen. In gewisser Weise glichen sie den Vojariden als »Geburtshelfer« bei der Entstehung von ES. Die Begleiterscheinungen dieser Ab spaltung, dieses Ur-Sprungs einer Su
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perintelligenz, waren für die Zurück bleibenden fast nicht bei klarem Ver stand zu verkraften. Wäre da nicht das Frohlocken, das reine, schon nahezu grenzenlose Glück, die Vorfreude auf Er füllung gewesen, Banlaroguel hätte diese Erfahrung nicht heil überstehen können; und Tifflor schon gar nicht. Er schnappte nach Luft, als nach dem Verschwinden von Wanderer aus TALIN ANTHURESTA auch die Sturmflut der Erinnerungen abklang. »Ich verstehe«, japste er, »dass du dich nach den glor reichen Epochen deines Volkes zurück sehnst. Aber du musst dich damit abfinden, dass du sie nicht wiederauferstehen lassen kannst.« »Du hast ja keine Ahnung, ES-Kind.« * Sein Plan stehe kurz vor der Vollen dung, erläuterte Banlaroguel. Ursprünglich hatte er darauf hingear beitet, den Verrat der Vatrox und damit den Untergang seines Restvolks unge schehen zu machen. Mittels der drei Pe rianth-Schlüssel, die er an sich gebracht hatte, öffnete er eine Zeittür und ent sandte einen Projektionskörper. »Wohin? In welche Ära?« »Zu meinen Vorfahren. Es gelang mir, mit einem von ihnen zu kommunizieren. Ich versuchte, ihn vor der Gefahr zu war nen, die aus der Rekrutierung der Vatrox entstehen würde.« »Du hast riskiert, ein Zeitparadoxon zu schaffen?« »Mit vollster Überzeugung. Aber die Reaktion meines Artgenossen enttäusch te mich schwer. Er verweigerte sich jeder Einsicht, sperrte sich gegen die Erkennt nis, es mit einem Mahner aus seiner Zu kunft zu tun zu haben – und beging Selbstmord, indem er sich versteinerte und ein psimaterielles Artefakt von tra gischer Schönheit hinterließ.« »Die Beharrungskräfte der Zeit«, sagte Tiff, nachgerade erleichtert. »Damit ist nicht zu spaßen.« Er habe trotzdem einen zweiten An
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lauf unternommen, erzählte der Anthu rianer. * In Projektionsgestalt drang Banlaro guel gezielt nach TALIN ANTHURESTA vor. Fogudare, die oberste Instanz in der »Welt der zwanzigtausend Welten« und den Vatrox sowie ihren Kollektivwesen gegenüber durchaus misstrauisch einge stellt, war als Einziger hier zurückge blieben, in jenem als »Arche« gedachten Projekt, das aber seit dem Großen Ge sang von den anderen Überlebenden ebenso ehrfurchtsvoll wie auch etwas ängstlich gemieden wurde – ein weiterer Grund, weshalb die Vatrox nie davon er fuhren. Als Banlaroguel Kontakt zu Fogudare aufnahm, war dieser gerade dabei, zum Schutz von TALIN ANTHURESTA ein zusätzliches Sicherheitssystem in Per son des Stalwarts Agrester zu installie ren. Sein wichtigster Helfer, der Kris tallingenieur Clun’stal, war ebenfalls zugegen. Ansonsten wurde das als Arche gedachte Projekt seit dem Großen Ge sang von den anderen Überlebenden ebenso ehrfurchtsvoll wie auch etwas ängstlich gemieden. Banlaroguel setzte große Hoffnungen in Fogudare, weil er aus der Überlieferung von dessen Einstellung wusste. Wer wäre geeigneter gewesen, die furchtbare Bot schaft aus der Zukunft zu empfangen? Dennoch misslang das gut gemeinte Vorhaben. Fogudare ignorierte den Be sucher vollständig. Ja, er gab vor, er näh me dessen projizierte Anwesenheit gar nicht zur Kenntnis. Der Esnur Clun’stal folgte dem Vorbild seines Meisters. Ungestüm drang Banlaroguel mental auf Fogudare ein. Er setzte alles daran, dessen geistigen Widerstand zu brechen und ihn doch noch erfolgreich vor den Umsturzplänen der Vatrox zu warnen. An diesem Punkt der Erzählung be kam Tifflor eine Gänsehaut. Er wusste, wie diese Episode enden würde.
»Mag sein, dass ich ihn zu heftig be drängte. Schlagartig flackerte Wahnsinn in Fogudares Blick auf«, schilderte Ban laroguel, Tiffs Luftblase mit der puren Wucht seiner Gedanken in Vibrationen versetzend. »Sein Geist verwirrte sich. Ich erreichte ihn nicht mehr. Jeglicher weiterer Versuch einer rationalen Kom munikation verlief ergebnislos.« »Du warst das«, sagte Tiff; nicht als Anklage, lediglich als Feststellung. »Der Auslöser. Du hast Fogudare in den Wahn sinn getrieben.« Dies sei keineswegs mit Vorsatz ge schehen, betonte Banlaroguel. Um zu retten, was noch zu retten war, habe er sich redlich bemüht, wenigstens Clun’stal einzuweihen, indem er ihm die Warnung vor den Vatrox einpflanzte. Aber der Esnur, aufs Engste mit sei nem Meister verbunden und ohne eige nes Erinnerungsvermögen, war zu einem Haufen winziger, unzusammenhän gender Kristalle zerflossen – zerfallen in den Solitärschlaf. 9. Macht und Ohnmacht »Auch der zweite Versuch ging schief. Und wie lautet nun dein dritter Plan?«, fragte Tiff. »Obwohl ich nicht sicher bin, ob ich ihn wirklich hören möchte.« »Du hast keine Wahl. – Ich gestehe, ei ne Weile ratlos gewesen zu sein. Bis du am Rand meines Wahrnehmungsbereichs auftauchtest.« »Als ich meinerseits begann, mich be obachtet zu fühlen«, ergänzte Tiff. »Im Jahrmillionentunnel zwischen dem drit ten und dem vierten Zeitkorn.« Allmählich kam eins zum anderen. Die Puzzlesteine fielen an ihren Platz, das Gesamtbild vervollständigte sich. Banlaroguel hatte viel Zeit und Ener gie darauf verwendet, seine paranormale Reichweite zu erhöhen. Die Projektions fähigkeit, gewissermaßen eine Sonder form der Teletemporation, war entfer nungsabhängig. Zusammen mit seinen
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Esnur-Assistenten fand er einen Weg, sie durch hypertechnische Vorrichtungen zu verstärken. »Du kamst mir gerade recht. Dauer haft konnte ich dich jedoch nicht beglei ten, sonst wäre ich ebenfalls der Zeitstre ckung im Tunnel unterlegen.« »Schon klar. Der einzige Idiot«, stellte Tifflor bitter fest, »der die volle Länge abklappern musste, war ich.« »Richtig. Und von großem Nutzen, da ich die Perianths aus den weiter ent fernten Lebenskrusten nicht hätte trans portieren können. Aber tröste dich. Zu rück an deinen Ausgangspunkt wirst du schneller gelangen, als du zu blinzeln vermagst.« »Als dein – wie hast du es bezeichnet? – ›ausführendes Organ‹, nehme ich an. Um exakt was zu bewerkstelligen?« »Ist das so schwer zu erraten? Du wirst mein Volk retten, desgleichen die ur sprünglichen Bewohner der Schneise von Anthuresta. Sowie natürlich die üb rigen, andernorts und zu anderen Zeiten von der multitemporalen Katastrophe betroffenen Zivilisationen.«
»Nein«, sagte Tiff. Für einen Moment setzte sein Herzschlag aus. »Nein. Das kann nicht dein Ernst sein.« »Oh doch. Mit den zwanzig PerianthSchlüsseln wirst du, Julian Tifflor, die Fragmentierung des PARALOX-ARSE NALS und die Entstehung des Zeitspeers ungeschehen machen.« * Tiff vermeinte, sein Innerstes stülpe sich nach außen. Er wusste nicht, wie am besten protestieren; welche Gegenargu mente er als erste vorbringen sollte. »Da... dann«, stammelte er, »dann be kommt VATROX-VAMU die Psi-Materie des PARALOX-ARSENALS!« »Falsch, viel zu kurz gegriffen. Be greifst du denn nicht? Der Zeitspeer, die se groteske, perverse Anomalie, schlägt ja erst die Schneise von Anthuresta. Eben erst!« Erneut überspülten vehemente Visi onen Tiffs Geist. Die Ringgalaxis, in der ohnehin extrem starke Hyperorkane tob ten ... Nun weiter angefacht und aufge-
Das Reich der Harmonie ... -Band 2600 erscheint am 17. Juni 2011.
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heizt von einer Strukturerschütterung gleich einem titanischen Donnerschlag ... Abermillionen Sonnen und eine nicht abzuschätzende Anzahl bewohnter Pla neten, auf einen Schlag in eine Art Su pertransition gerissen, in der gesamten, schlauchförmigen Region von etwa zehn tausend Lichtjahren Länge und rund fünfhundert Lichtjahren Durchmesser ... Als ziehe ein überdimensionierter, über dimensionaler Staubsauger das Gebiet entlang und fege es im wahrsten Sinne des Wortes leer ... Für den Bruchteil einer Sekunde wur de der gesamte Bereich zu einem »Super aufriss«, einer klaffenden Lücke in der Struktur des Standarduniversums. Die Sonnen und ihre Planeten verpufften förmlich im übergeordneten Gefüge des Hyperraums. Und als »Nachhall« ver blieben nur interstellarer Staub und Gas, geringfügig dichter als im übrigen Leer raum zwischen den Sternen von An thuresta ... »Eben erst«, wiederholte Banlaroguel dröhnend, »wird die Grundlage für die gesamte Entwicklung gelegt. Die Spitze des Zeitspeers zieht die Furche. Dieses Ereignis stellt die Weiche in die falsche, verderbliche Richtung. Du aber, kleiner schwacher Mensch Julian Tifflor, wirst der gesamten Historie der Anthurianer vom Anfang her eine entscheidende Wen dung geben.« * »Nein«, sagte Tiff tonlos. »Das kannst du nicht von mir verlangen. Ein derma ßen unabsehbares, mehrere Galaxien, wenn nicht sogar verschiedene Universen betreffendes und zweifellos erschüt terndes Zeitparadoxon ...« Banlaroguel setzte unerbittlich fort: »... muss unweigerlich die Geschichte meines Volkes dahingehend verändern, dass meine Vorfahren sich gar nicht erst mit den Vatrox einlassen. So begreif doch endlich! Diese grässliche, scheinbare Re alität, in die wir verschlagen wurden, stellt das eigentliche Paradoxon dar!«
»Ohne die uns bekannte Abfolge der Ereignisse gäbe es auch dich nicht. Nicht hier, in dieser Form.« »Na und? Dafür existiere ich anders wo. Nicht als letztes, aufgeblasenes, mu tiertes Relikt, sondern in Gemeinschaft mit meinem Volk.« Bedauernd erkannte Tiff, dass er ein mächtiges, überaus begabtes Wesen vor sich hatte, das gleichwohl aus Trauer und Vereinsamung zum Fanatiker ge worden war. Er konnte den Anthurianer gut verstehen, sogar seine Motive. Sein Vorhaben jedoch billigte Tiff nicht im Mindesten. Worum sich wiederum Banlaroguel wenig scherte. Er war nicht auf Tifflors Zustimmung angewiesen. Mittels seiner Suggestivkraft würde er ihn ganz einfach zwingen, das Jahrmilli onenwerk zu vollenden. Tiffs Mentalsta biliserung war ihm nicht gewachsen, ein Hypno-Block im Handumdrehen instal liert. * Mit dem passenden Perianth-Schlüs sel aus Julian Tifflors Rucksack zapfte Banlaroguel die Nullfeldblase seines Zeitkorns an. Psi-Materie, gezügelt und gelenkt von den Parakräften des Anthurianers, strömte auf sie beide ein und lud sie au genblicklich auf. Unermessliche blitz weiße Hitze durchpulste Tiff. Zugleich setzte ein schwaches, sehr lange nicht mehr verspürtes Pochen ein. Der Zellaktivatorchip unterhalb des lin ken Schlüsselbeins hatte seine Tätigkeit wieder aufgenommen. Ein fürchterlicher Druck hätte von Tiff abfallen sollen. Er war gerettet, die permanente, Jahrmillionen währende Todesdrohung gebannt! Jedoch ver mochte er sich dessen nicht zu erfreuen; nicht unter diesen Umständen. Einst, vor einer Zeitspanne, die kein Menschengehirn sich wirklich vorstellen konnte, war er Ersatzmann gewesen, Perry Rhodans Double und Stellvertre
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ter. Dann war er losgeschickt worden als Knecht im Auftrag Duleymons, der Mon archin der Vatrox-Enklave im ersten Zeitkorn. Und nun ... diente er dem Anthurianer Banlaroguel als Marionette. Um einen Plan auszuführen, der an Hybris vergeb lich seinesgleichen suchte. Tiffs Umgebung verblasste. Das Wal wesen schleuderte ihn zurück durch Raum und Zeit. Da ihn Banlaroguel, ge stärkt durch die Psi-Materie, nun sogar über diese Distanz fernsteuern konnte, musste der Anthurianer sich und seinen voluminösen Leib nicht auch selbst ver setzen. * Nach der Ankunft blieb Tifflors Wahr nehmung getrübt. Als drücke ihm das paranormale Potenzial, das ihm gegen seinen Willen eingeimpft worden war, die Augäpfel gleichermaßen nach innen und außen, sah er nur verschwommen, fehlfarben, verzerrt. Schleierhaft erkannte er die Tun nelmündung und die davor postierten Darturka. Etwas in ihm dachte »Klick!«, worauf die Klonsoldaten umfielen gleich steinernen Götzen. Er hoffte, dass sie nur betäubt waren. Wie in Trance erklomm Tiff die verwit terten Stiegen, die zur Großen Barrikade führten. Gnomenhafte Gestalten um tanzten ihn, nachdem er mit einem bei läufigen Wink das Tor aufgesprengt hat te. »Er ist zurück!«, jubelten zwei von ih nen, deren Namen wohl Krepsh und Vel rit lauteten. »Der Zukünftige hat heim gefunden aus der Vergangenheit. O Wun der, o Glorie! Lass dich geleiten zu Duleymon der Siebenundsechzigsten. Sie wird entzückt sein.« »Das bezweifle ich«, lallte Tifflor. * Er ging und ging, verhielt auch vor dem SynThron nicht seinen Schritt, son
dern ging weiter, leichtfüßig und unauf haltsam wie ein glutheißer Sturmwind. Aus verborgenen, jählings ausfahren den Geschützen in der Wand wurde auf ihn gefeuert. Die Luft brannte, knatterte, zischte. Tiff wischte Kugeln und Strah lenbündel hinweg. Aufgepumpt mit Psi-Materie, unzer störbar aus seiner Mitte heraus glühend, legte er, in seinen Bewegungen beschleu nigt, die Hände um Duleymons Hals, ehe sie auch nur ein Fingerglied gerührt hatte. »Du hast etwas in deinem Besitz, das mir noch fehlt«, sagte jemand mit Tiffs rauer Stimme. »Gib es mir.« Eilends übergab ihm die Vatrox den zwanzigsten und letzten PerianthSchlüssel. Er nahm ihn entgegen, eine huldvolle Geste andeutend. »Sei bedankt«, sagte Banlaroguel tri umphierend durch Julian Tifflors Mund. Er war am Ziel oder zumindest kurz davor. Seine Hände stellten den Ruck sack ab und öffneten ihn. Sie legten die Perianths, einen nach dem anderen, ne beneinander auf das Podest. Wie von selbst ordneten sich die kris tallenen Blütenkelche. Kaum erkennbare Fugen glitten ineinander, verbanden sich zu einer Traube von blendender, unüber trefflicher Perfektion. »So«, erschallte die Stimme seines Puppenspielers in Tiffs Kopf. »Jetzt tu, was noch getan werden muss.« 10. Die Entscheidung Er spürte die Macht, die den vereinig ten Artefakten innewohnte. Sie erlaubte ihm Zugriff auf sämtliche Depots in den Nullfeldblasen. Mehr noch: Der gesamte Zeitspeer ge horchte, gehörte ihm, ihm und seinem Meister Banlaroguel. Tiff fühlte die Macht körperlich; seine mittlerweile vollständig mit Diamantreif überzogene Hautoberfläche kribbelte vor Energie. Er würde nie mehr der Alte sein. Nie mehr der »Reserve-Rhodan«. Keine
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Schranken, keine Wälle würden ihm je mals wieder den Weg versperren. Er konnte sich alles nehmen, was er begehrte, von jetzt an auf immerdar. Nie mand würde wagen, es ihm zu verweh ren; niemand außer Banlaroguel. »Gut gemacht«, übermittelte der An thurianer. »Nun trennt uns nur noch ein kleiner Schritt von der Erlösung. Mach dich mit dem Perianth-Komplex ver traut und dir die Mächtige Garbe unter tan. Lass dir Zeit. Wir haben alle Zeiten aller Welten erobert.« Tiff konnte nicht anders, als dem men talen Befehl Folge zu leisten. Er war ein Nichts gegen den schier unendlich weit entfernten, jedoch kristallhautnah prä senten Meister, der die Fäden zog. Der Wille seines Herrn würde gesche hen. Er würde in den Ablauf der Ge schichte eingreifen mit fester, unbeirr barer Hand, und mochte davon das Ge füge des gesamten Kosmos zerschnitten und neu zusammengefügt werden. »Lass dir Zeit, Julian Tifflor.« Milde klang die Stimme, fast zärtlich. * Zeit. Zeit war das Stichwort. Er hatte keine Chance gegen den Rie senwal, der paranormalen Übermacht Banlaroguels nichts entgegenzusetzen. Außer ... der Erfahrung, die nur er ge macht, außer den Qualen, die kein ande rer als er durchlitten hatte. Tiff strich sich über die vom Kristall staub verhärteten Wangen. Er klopfte mit den Knöcheln darauf, aber sie gaben nicht nach. Er war nicht mehr der Alte. Er würde niemals mehr der Alte gewesen sein. Er war jetzt der Alte. Etwa zehn Millionen Jahre Einsam keit auf dem Rücken, schüttelte Tifflor die Beeinflussung ab, so locker, als handle es sich um ein Spinnennetz, um metal lische Plättchen, um Blutstropfen un schuldiger Opfer, um Schlieren einer glycerinen Flüssigkeit.
Sein Doppelgänger erschien, zum Ver wechseln ähnlich, nunmehr hellhäutig, eins zu eins Tiffs Ebenbild. »Werd nicht übermütig!« Wer? Welcher von ihnen? »Ich«, sagte Julian Tifflor, »bin ein Terraner. Du hingegen stellst nur einen dürftigen, äußerlichen Abklatsch mei ner Person dar. Nimm einen Rat von mir an, Banlaroguel: Gib auf. Verzieh dich!« Während er sprach, schlug er zu. Er setzte die psimateriell verstärkten Kris talle seiner Diamanthaut dazu ein, den paranormalen Spiegel umzudrehen. Tiff benutzte ihn, wie er selbst als Spiegelung fremder Sehnsüchte benutzt und miss braucht worden war. Alles, was ihm im Langen Gang an Leid und Demütigung widerfahren war, holte er aus sich heraus. Er ballte es und schleuderte es zurück, weit, Millionen Jahre weit zurück, in die Tiefe, nach un ten, nach hinten in der Zeit. Erkenne dein Scheitern!, suggerierte er dem Widersacher aus der Vergangenheit. Weiche! Du hast verloren. Scher dich hin weg! Der Projektionskörper ruderte mit den Armen, ungezielt, als wäre er eher an Flossen gewöhnt. Dann flammte er grell auf – und verblasste. Ein Stöhnen durchlief den Thronsaal, das erste Zeitkorn, die gesamte Ähren spindel. Die tiefe Trauer des Urlautes, der sich durch Raum und Zeit entfaltete, ergriff auch Tifflor. Nur im ersten Augen blick erinnerte er an den ersten Ton des Großen Gesangs. Tiff erkannte, dass er selbst nicht viel weniger verloren hatte. Dem stand ein persönlicher Gewinn gegenüber, auf den er gern verzichtet hätte. Dann war Ruhe. Stille, mentales Schweigen. Leere, schneidende Leere. Banlaroguel hatte, im gleichen Mo ment, da er sich sein Versagen einge stand, das Leben losgelassen; wie viele, wie alle seiner Art vor ihm. *
Das PARALOX-ARSENAL
Tiff stand breitbeinig auf dem SynThron, über die Vatrox gebeugt. »Und nun?«, fragte Duleymon. »Die gesamte Mächtige Garbe liegt in deiner Hand. Was wirst du damit anfangen?« »Ich weiß noch nicht.« Tiff strich sich über den Nasenrücken, wie wenn er eine Narbe ertasten wollte. Dabei trafen seine Finger auf nichts als kalten Kristall. »Wirst du mich töten, Zukünftiger, und mein Volk endgültig zum Untergang verurteilen?« »Warum sollte ich? Du hast nur deine ureigensten Interessen verfolgt. Daran finde ich nichts Verwerfliches.« »Wie nobel.« »Geschenkt. – Ich stehe«, gab Tiff zu, »vor einem Dilemma. Banlaroguel hatte insofern recht, als ich, indem ich nicht radikal in den Zeitablauf eingreife, die Völker der Schneise und der übrigen be troffenen Sektoren zum unwiderruf lichen Tod verurteile.« »Das ist leicht aufzulösen«, sagte Du leymon. »Du kannst kein Leid verhin dern, das bereits durchlebt wurde. Eltern mussten ihre geliebten Kinder begraben oder kamen nicht einmal mehr dazu. Dies ist bereits passiert, in aller Tragik. Niemand kann es jemals wieder unge schehen machen.« »Ein kluger Einwand. Ganz abgesehen davon, was damit angerichtet würde, wenn VATROX-VAMU sich das PA RALOX-ARSENAL einverleiben könnte. Darüber zu urteilen, welche dieser Alter nativen das geringere Übel wäre, maße ich mir nicht an.« »Du könntest die Entscheidung mir überlassen.« Begierig schielte Duleyman nach der Perianth-Traube. »Ja sicher. – Aber ernstlich: Was wür dest du an meiner Stelle tun? Wenn ich, was mich bloß einen gedanklichen Befehl kostet, die Nullfeldblasen öffne, sodass sie ihren Inhalt in meine ehemalige Real zeit entleeren. Wird dabei der Zeitspeer zerstört? Die Ährenspindel, mitsamt sämtlicher Zivilisationen von Intelli genzwesen in den Krusten der Zeitkör ner. Kann ich das verantworten?«
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»Es kommt ganz auf den Endzweck an«, sagte die Vatrox trocken. »Was be wirkst du damit?« »Die Superintelligenz ES«, antwortete Tiff, »eine höhere Entität, die wir uns keineswegs ausgesucht haben, die uns und die anderen Bewohner ihrer Mäch tigkeitsballung jedoch seit langer Zeit fördert und behütet, liegt im Sterben. ES friert sich zu Tode, benötigt dringend Vi talenergie. Meine Leute haben alles Mög liche versucht, aber nach aktuellem Wis sensstand hilft nur noch die Psi-Materie, die von deinen Leuten im PARALOXARSENAL gebunkert wurde.« »Ihr oder wir, hm?«, erwiderte Duley mon. »Bedauerlich. Ich hatte gehofft, wir beide könnten uns auf eine Art Unent schieden einigen.« »Tja. Leider nicht.« »Schade. Aber ich bin dir nicht böse. Niemand von uns kann aus seiner Haut heraus, nicht wahr?« Schon gar nicht, wenn sie von diaman tenem Raureif versiegelt wurde, dachte Tiff. Laut sagte er: »Ich gäbe viel für eine fairere Lösung.« Gleich darauf fiel sie ihm ein. *
Die Welt des
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Es war so naheliegend, dass man erst mal drauf kommen musste. Nichts war schwieriger zu erkennen als die eigenen blinden Flecken. Tiff übernahm die Kontrolle über den Zeitspeer. Dann zwackte er die Psi-Ma terie des kleinsten Depots ab, jener ver gleichsweise winzigen Sphäre, in der er auf den Orbiter Banifour Crumplei ge troffen war. Damit verstärkte Julian Tifflor die Äh renspindel so weit, dass sie die Entla dung der Nullfeldblasen aller Wahr scheinlichkeit nach überstehen würde und anschließend, wenngleich um erheb liches Potenzial reduziert, wieder uner reichbar, abgeschottet, durch die Zeiten geschützt und verborgen war. »Mehr kann ich nicht für euch tun«, sagte er. »Der Rest liegt bei euch und dem Schicksal, mit dem ihr zugegebenerma ßen nicht die besten Erfahrungen ge macht habt. Aber wie gesagt, darüber hinaus sind mir die Hände gebunden.« »Wird dein ES diese Teilmenge nicht vermissen?« »Falls dem so wäre und es darauf an käme, werde ich mit den Konsequenzen leben müssen.« »Respekt. Relativ sauber aus der Affä re gezogen«, versetzte Duleymon iro nisch. »Aber danke! Wir werden dich in guter Erinnerung behalten, Zukünf tiger.« »Ich bin längst vergangen«, gab Tifflor zurück. »Den alten Tifflor gibt es schon lange nicht mehr.« »Schon wieder eine Art Triumph.« Er lachte humorlos. »Ich sehe darin keinen Grund zum Jubeln.« »Das kommt vielleicht noch. – Ich wünsche dir viel Glück«, sagte Duley mon, die Hand zum Abschied erhoben. »Und von Herzen, dass du mit deiner Jahrmillionenlast zurechtkommen mö gest.« * Julian Tifflor machte sich an das Auf räumen. Er leitete die angekündigten
Arbeiten in die Wege. Dann erledigte er die noch übrigen Pflichtübungen. Mit dem Potenzial, das ihm die Peri anth-Traube verlieh, erneuerte er die temporale Protuberanz zum von ESTAR TU hinterlassenen Mond und zum Zeit umformer in Lotho Keraetes Silberku gel. Tifflor wies die Temporalhülle der Äh renspindel an, die Strahlung zu emittie ren, die jener des Schwarzen Lochs Anansar entsprach. Er stellte die mentale Frage nach Prryns. Er, wer sonst, wies die Barbakane des ersten Zeitkorns an, was sie beim Kontakt mit MIKRU-JON, 300.000 Stan dardjahre weit in der Zukunft, offenba ren sollten und was nicht. Damit sich die Prophezeiung erfüllte; genau so, wie sie sich erfüllt hatte. Zuletzt programmierte er die Null feldblasen des PARALOX-ARSENALS in seinem Sinn. Dann vergrub Tiff die Traube der zwanzig Perianth-Schlüssel. Unterhalb des Nano-Gestrüpps, nahe der Plantage, inmitten des Kreises aus Menhiren versenkte er sie so, dass sie erst nach geraumer Zeit wieder in Duley mons Besitz gelangen würden. Die Verzögerung war nötig, wollte er nicht den erfolgreichen Ausgang des Un ternehmens im letzten Moment noch ge fährden. Die Psi-Materie des PARALOX ARSENALS musste für ES geborgen werden. Danach sollte die Monarchin mit der Perianth-Traube und der gesam ten Ährenspindel anfangen, was immer sie für segensreich hielt. Aus ihr entkom men konnte weder sie noch sonst jemand. Das Innere würde verschlossen sein wie ehedem. Julian Tifflor kehrte zurück zu denen, die er früher, vor Jahrmillionen, seine Freunde genannt hatte. Diesen letzten Schritt einer langen Wanderung tat er im vollen Wissen, dass jemand wie der, zu dem er im Jahrmillionentunnel des Zeitspeers geworden war, niemals wie der Freunde sein Eigen nennen würde, die ihn auch nur ansatzweise zu verste hen vermochten.
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Epilog: Kleine und größere Kristalle »Alarm!«, rief Mikru, unmittelbar nachdem der Avatar des Obelisken schiffes erschienen war. »Die Verbindung wird wiederaufgebaut.« »Von der anderen Seite aus?«, fragte Perry Rhodan erregt. Es war kurz vor Mitternacht. Längst hatten sie die frucht losen Diskussionen darüber, was sie sonst noch versuchen könnten, eingestellt. »Im Zusammenspiel mit Keraetes Zeitumformer, ja.« Die Wand verdunkelte und verformte sich. Perry, der wie die anderen aufge sprungen war, wich mit ihnen auf die andere Seite zurück. Das schwarze, an ein weit aufgeris senes Maul gemahnende Tor bildete sich erneut. Heraus trat ... Julian Tifflor. Aber wie sah er aus! * Tiff war nackt, jedoch am ganzen
Körper bedeckt mit einer zweiten Haut aus allerfeinsten glitzernden Kristal len. Sie überzogen auch das Gesicht wie eine dünne, bewegliche Totenmaske aus Diamentstaub. Nur die Augen blieben frei. In ihnen las Perry Rhodan ... Er schluckte. »Julian. Mein Freund«, sagte er rau. »Es tut gut, dich wiederzu sehen. Wir haben uns große Sorgen ge macht, obwohl du nur einige Stunden weg warst.« »Diesbezüglich irrst du dich ein we nig«, gab Tifflor zurück. Seine Stimme klang vertraut, fast wie immer; wäre da nicht ein Unterton gewesen, eine zusätz liche bassige Komponente, als käme sie aus einem sehr, sehr tiefen Schacht. »Aber das macht nichts. Ich werde es dir beizeiten erklären.« »Du hattest Erfolg?« Tiff verzog den Mundwinkel zum An satz eines Lächelns. »Meine Mission ist abgeschlossen. Das Ergebnis sollte sich in Kürze zeigen.« »Das PARALOX-ARSENAL ...?«
Ein Fanfilm-Wettbewerb zum -WeltCon 2011 Die Fans sind dazu aufgerufen, ihre eigenen Kurzfilme zu entwickeln, die maximal eine Viertelstunde lang sein und etwas mit PERRY RHODAN zu tun haben sollen. Ob die Filmfans einen Real- oder einen Animationsfilm drehen, bleibt ihnen überlassen. Als Jury konnte der Pabel-Moewig Verlag drei prominente Filmschaffende verpflichten. Dabei handelt es sich um Volker Engel (VFX-Supervisor; erhielt 1997 den »Oscar« für die Spezialeffekte von »Independence Day«.), Oliver Scholl (Production Designer; unter anderem für die Filme »Independence Day«, »Godzilla« und »The Time Machine«) und Bruno Eyron (Schauspieler; unter anderem »Balko«, »SOKO Donau«, »Raumstation Unity«). Eine Vorab-Jury, in der unter anderem der PERRY RHODAN-Autor Marc A. Herren und der Filmjournalist Robert Vogel tätig sind, sichtet alle eingehenden Wettbewerbsbeiträge. Die zehn besten Filme werden auf dem PERRY RHODAN-WeltCon im September 2011 gezeigt, die Jury wählt dann die Gewinner aus.
Der Einsendeschluss für den Wettbewerb ist der 1. Juli 2011. Weitere Informationen finden sich auf der WeltCon-Homepage: www.weltcon2011.de
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»Lasst euch überraschen.« O nein, dachte Perry. Bitte nicht. Etwas an Tifflor – und nicht bloß die Kristallschicht, die sich wie ein kos mischer Anhauch auf seiner Haut nie dergeschlagen hatte – erinnerte Rhodan fatal an Höhere Wesenheiten oder ihre Diener. Eine gewisse Entrücktheit, Abgeho benheit, Unnahbarkeit ... Hoffentlich fing Tiff jetzt nicht auch noch an, sich orakelhaft zu gebärden! Als habe er Rhodans Gedanken erra ten, sagte Tifflor: »Keine Sorge. Nach menschlichem Ermessen sollten wir demnächst die Früchte unserer gemein samen Anstrengungen ernten. Übrigens, mein Aktivatorchip funktioniert wie der.« »Das freut mich außerordentlich.« Perry platzte fast vor Neugier. Aber eine ungekannte Scheu hielt ihn davon ab, den sichtlich gezeichneten Kameraden mit Fragen zu bestürmen. Den übrigen in der Zentrale Versam melten erging es ähnlich. Eine ebenso gespannte wie andächtige Pause trat ein. Dann tat Julian Tifflor einen tiefen Seufzer und begann zu erzählen.
sie immer noch mit dir?«, fragte Icho To lot. »Ich benutzte sie, um den Rücktrans port in der temporalen Protuberanz zu beschleunigen. Dabei wurde die Psi-Ma terie verbraucht, glaube ich.« Tifflor wischte sich über den Handrücken, ohne dass auch nur ein Stäubchen der Dia mantschicht sich gelöst hätte. »Bis auf minimale Restbestände.« Perry verzichtete auf den Hinweis dar auf, was schon geringste Mengen von Psi-Materie bewirken konnten ... »Geht es dir ... gut? Brauchst du etwas, können wir irgendwie ...« »Ich bin in Ordnung und komme zu recht. – Mikru, wäre es möglich, dass du mir eine neue Kabine einrichtest? Leer, mit weißen, watteartigen Wänden; ich beschreibe dir meine Wünsche vor Ort genauer.« »Jederzeit«, antwortete die feminine Materieprojektion. Selbst MIKRU-JONS Avatar wirkte befangen. »Dann bitte gleich. Ich bin sehr müde und bitte euch alle um Vergebung, dass ich mich zurückziehen möchte.« »Klar. – Wann, sagtest du ...?« »Ich habe noch keinen Zeitpunkt ge nannt, Perry Rhodan. Aber es beginnt«, er horchte in sich hinein, »jetzt.«
* * Sein Bericht, so knapp er ausfiel, er zielte einen nachhaltigen Eindruck. Niemand wollte als Erster einen Kom mentar dazu abgeben. Alle rangen nach Worten, der Haluter ebenso wie die Ter raner und der Bote von ES. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gab Perry Rhodan schließlich zu. »Das ist unglaublich. Unfassbar. Zehn Millionen Jahre ...« »Sehr grob über den Daumen gepeilt«, sagte Tiff. »Die beiden letzten Teilab schnitte des Langen Gangs hat Ban laroruguel mir ja erspart. Allerdings glaube ich nicht, dass das einen großen Unterschied macht.« »Die Psi-Materie, mit der dich der Anthurianer aufgeladen hat – trägst du
Kaum war Tifflor in Richtung seiner Kabine verschwunden, schlug MIKRU JON Alarm. Am 11. Mai 1463 NGZ, eine halbe Stunde nach Mitternacht, materi alisierte der erste gewaltige Psi-MaterieBrocken in der Schneise von Anthures ta. »Weltraumbeben, Dimensionsverzer rungen, diverse weitere unerquickliche Begleiterscheinungen!«, rief Mikru. »Wenn ihr mich fragt, sollten wir schnellstens das Weite suchen.« Perry Rhodan erteilte Startbefehl. Das Obeliskenschiff hatte den Mond kaum verlassen, als schon die nächste Erschüt terung angemessen wurde. Und noch eine, und noch eine ... Als
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wären sie auf einer unsichtbaren Schnur aufgefädelt, materialisierten die Psi-Materie-Depots der Zeitkörner. MIKRU-JON wurde empfindlich durchgerüttelt. Das Schiff hatte tüchtig zu kämpfen, um den Nebenwirkungen dieses kosmischen Spektakels zu entkommen. Angespannt beobachteten Perry Rhodan und seine Mitstreiter die holografischen Darstellungen. Die achtzehn unterschiedlich voluminösen Fragmente – zwei waren ja verloren gegangen beziehungsweise anderweitig genutzt
worden – fügten sich zu einer einzigen mondgroßen Ballung zusammen. Dieser Vorgang nahm einige Stunden in Anspruch. Am Schluss war ein grob kugelför miger Riesendiamant entstanden, über sät von Abermillionen Facetten. Das im Licht der fernen Sonnen glitzernde und funkelnde Gebilde durchmaß 1088 Kilo meter. »Fast sechshundertfünfundsiebzig Millionen Kubikkilometer pure Psi-Ma terie«, flüsterte Icho Tolot kaum hörbar. In der Tat, der Haluter flüsterte.
ENDE
Das PARALOX-ARSENAL ist gefunden, aber zu welchem Preis! Und längst ist nicht sichergestellt, wer es zuerst in die Hände bekommen wird: Perry Rodan, VATROX VAMU oder gar Sinnafoch? Band 2594, verfasst von Frank Borsch, blendet um zu den Erlebnissen jenes Vatrox, der zuerst gegen die Menschen versagte und der sie trotz seiner Tode über die letzten Monate als Feind begleitete. Der Roman erscheint nächste Woche überall im Zeitschriftenhandel unter folgendem Titel: BEGEGNUNG DER UNSTERBLICHEN
PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag GmbH, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:
Swen Papenbrock. Druck: VPM Druck KG, Karlsruher Str. 31, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG,
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Kommentar
Das PARALOX-ARSENAL(II) Als Folge des Zugriffsversuchs von VATROX-VAMU auf das PARALOX-ARSENAL und seine Psi-Materie ma terialisierten weite Teile des Polyport-Netzes im Stan darduniversum – und das PARALOX-ARSENAL ver schwand spurlos. Nicht einmal ES wusste, wo es sich befand und wie man darauf Zugriff nehmen konnte. Es gab nur den vergleichsweise vagen Hinweis von ESTARTU: Vor knapp zehn Millionen Jahren kam es im Restkern von Anthuresta zu einer Katastrophe – und die Schneise entstand als etwa 10.000 Lichtjahre langes und rund 500 Lichtjahre durchmessendes Ge biet. In diesem wurden Sonnen und Planeten in den Hyperraum gerissen und verpufften dort förmlich. Im Gegenzug machten sich immer deutlichere Spuren von interstellarem Staub und Gas breit. Die Dichte dieser Spuren erhöhte sich im Laufe der Jahrmillionen. Zumindest ein Teil davon hatte seinen Ursprung in PsiMaterie. Deren Energie wurde in extrem langsamer Verpuffung freigesetzt und erschien in Form von Nor malmaterie im Standarduniversum. ESTARTU fand die genaue Ursache allerdings nie her aus. Der Schwester von ES gelang es nicht, die Spur der Psi-Materie zu ergründen. Das Einzige, so Lotho Kereate, was sie wahrzunehmen glaubte, war eine vage Abfolge von sonderbaren Verdickungen in Form von Nullfeldblasen, die in die Zukunft wies. Vor dem Hintergrund der Großen Zeitschleife und ihrer eben erst erfolgten Trennung von ES beschloss ESTARTU, ihrem Bruder zunächst nichts von diesen Beobach tungen zu berichten. Bevor ESTARTU Anthuresta end gültig verließ, um ihre eigene Mächtigkeitsballung in Besitz zu nehmen, stationierte sie am Rand der Schnei se einen Mond, dessen Zentrum sie aushöhlen und mit einer Beobachtungsstation versehen ließ. (PR 2591) Leider lieferte die Beobachtungsstation keine wesent liche Informationen, die ESTARTU geholfen hätten, die Katastrophe in der Schneise nachzuvollziehen. Aller dings erhielt sie im Laufe der Zeit Hinweise darauf, dass insgesamt zwanzig Nullfeldblasen entstanden waren, die sich ihrem Zugriff entzogen. Sie reichten vom Entstehungszeitpunkt der Schneise bis fast zehn Millionen Jahre in die Zukunft. ESTARTU nannte die se Einzelgebilde Zeitkörner und ihre Gesamtheit den Zeitspeer. Gemeinsam bilden sie ein größeres Ganzes außerhalb unseres Begriffswesens, außerhalb von Raum und Zeit.
Das erste Zeitkorn konnte laut Lotho Keraete indirekt der Entstehung der Schneise und das letzte dem Er eignis in Andromeda vor circa dreihunderttausend Jahren zugeordnet werden. Diese beiden Eckpunkte, besser gesagt: Schauplätze, bilden Anfangs- und End punkt des Zeitspeers. Mit dem einen beginnt die Per lenkette an Nullfeldblasen, mit dem anderen endet sie. (PR 2591) ESTARTU entsandte eine Flotte der Andury, Ahnen der heutigen Elfahder ebenso wie Vorfahren der HalbspurChangeure, nach Andromeda. Auf diese Weise erfuhr die Schwester von ES vom Zugriffsversuch des Wesens VATROX-VAMU auf das PARALOX-ARSENAL, gipfelnd in der Mitteilung an die Elfahder: »Weil VATROX-VAMU darauf zugreifen wollte, ist das PARALOX-ARSENAL in Zeitkörner fragmentiert. Findet den Zugang, um mei nem sterbenden Bruder zu helfen!« (PR 2569) Anti-ES gelang eine ähnliche Beobachtung wie damals ESTARTU. Doch dieser Teil der Superintelligenz konn te sich keinen Reim darauf machen, und erst recht wollte er ES nicht in seine Geheimnisse einweihen. Die Informationen flossen über, gewiss, doch sie blieben ungenutzt. Erst als es zur Trennung der beiden so un terschiedlichen Wesen kam, begann ES die galaxien umspannenden Verknüpfungen einzuordnen und zu verstehen. Um mehr herauszufinden, erhielt Lotho Keraete den Auftrag, mit einem Zeitumformer in die Vergangenheit zu reisen. Er sollte beim Zugriffsversuch VATROX-VA MUS nicht nur dabei sein, sondern vor allem heraus finden, was genau mit dem PARALOX-ARSENAL ge schah. Und um, sofern möglich, eine Möglichkeit zu finden, die Psi-Materie des PARALOX-ARSENALS für ES zugänglich zu machen. Dass es im PARALOX-ARSENAL Sicherheitsvorkeh rungen der Vatrox gab, war bekannt. Somit konnte die Selbstmord-Strahlung letztlich gar nicht so sehr über raschen. Überraschender war dagegen die Mitteilung des ES-Boten. Letztlich war seine Zeitreise ursächlich daran beteiligt, dass VATROX-VAMU überhaupt auf das PARALOX-ARSENAL aufmerksam wurde. Ande rerseits verhinderte sie auch, dass VATROX-VAMU Zugriff erhielt – wenngleich damit genau genommen auch der ganze Rattenschwanz der nachfolgenden Ereignisse so geschah, wie er uns bekannt ist ... Rainer Castor
Leserkontaktseite Vorwort Liebe Perry Rhodan-Freunde, wir nähern uns im Schnellgang dem Abschluss des Zyklus. Während ich an diesen Zeilen für euch sitze, arbeiten die Autoren gerade mit Hochdruck an den letzten Manuskripten bis 2599. Um Nachsicht bitte ich euch, dass ich in diesen Wochen kein Sterbenswörtchen zu euren Spekulationen von mir gebe. Die Prinzipien des Ausschluss verfahrens haben sich längst herumgesprochen. Entsprechend harmlos kommen manche Fragen daher, die mich derzeit erreichen. Sechs Wochen spannen wir euch also noch auf die Folter und hoffen, dass es nicht zu sehr wehtut. Am 29. April 1996 verstarb Peter Griese. Wir behalten ihn in dankbarer Erinnerung. Am 1. Mai 1969 startete die zweite Auflage der PERR RHODAN-Taschenbücher.
Ernst Lala,
[email protected] Bitte richte Frank Borsch meine Gratulation zu seinem Doppelband über die beiden Vatrox Sinnafoch und Vastrear aus. Diese Romane gehören für mich zum Besten, was der Stardust-Zyklus bis jetzt bietet. Die Beschreibungen der beiden, ihre Gefühle, ihre Ängste und ihre Machtkämpfe waren spitze. Ein wenig Traurigkeit bleibt für mich dennoch. Kruuper weilt nicht mehr unter den Lebenden, eine meiner Lieb lingsfiguren. Für mich ist der Zyklus gut. Er gehört auf alle Fälle zu den Besseren. Macht weiter so, ich freue mich schon jetzt auf den kommenden Zyklus, vielleicht mit der SOL? Bitte verschrottet die MIKRU-JON und die JULES VERNE nicht.
Rainer Markert,
[email protected] Die Hefte 2584 und 2585 lagen – entgegen meinen Lesegewohnheiten – tagelang ungelesen im Regal. Wen interessieren schon die Machtkampfspielchen zweier Vatrox? So was findet sich doch täglich tonnen weise (im Beruf, der Politik, im Verein usw.). Und auch noch über zwei Romane? ES geht es an den Kragen, und dann so was? Der lau fende Zyklus nähert sich dem Ende, und das eigentliche Ziel ist noch so weit entfernt. Verstehe das, wer will. Die beiden Romane sind für sich dennoch sehr span nend und unterhaltsam. Heute dann ging es endlich weiter, Band 2586 mit Piet Rawland. Der gute Piet fiel hier zwar etwas »schmal brüstig« aus, eine Portion mehr Frühzeit-Tekener wäre nicht schlecht gewesen. Aber dennoch ist es ein Ro man, der runtergeht wie Öl.Alles dabei zur Befriedigung verwöhnter Altleser-Seelen. Vielen herzlichen Dank! Ebenfalls dabei ist ein weiterer Artikel von Rüdiger Vaas. Die ganze Kosmologiediskussion ist schon lustig. Wie tröstend (nach Einstein), von so beeindruckenden Köp fen wie Roger Penrose zu lesen. Danken möchte ich hier endlich auch mal meinem Mozart unter euch tollen Autoren, Michael Marcus Thurner. Seine Romane geben eine Bewussheit und Seinsge genwart des persönlichen Erlebens in den Geschehnis sen wieder, dass man es kaum fassen kann und sich im Nachhall irgendwie wertvoll beschenkt fühlt. Das ist schon äußerst beeindruckend. Zum Wichtigsten: Lasst zum Zyklusende TALIN AN THURESTA und das Polyport-System weiterbestehen.
Wir haben es ausgerichtet. Frank hat eine Kopie deiner Mail erhalten.
Dein Mozart hat eine Kopie der Mail erhalten und sich über das Lob sehr gefreut.
Zur aktuellen Handlung Matthias Praetsch,
[email protected] Vielen Dank an Dirk Schulz für das beste Titelbild, an das ich mich erinnern kann. Ich musste im ersten Mo ment an den Revolvermann aus Stephen Kings »Dunk lem Turm« denken. Wie Heft 2586 zeigt, geht es also auch mal ohne ty pische SF-Bilder. Bitte auch in Zukunft Mut dazu, auch wenn vielleicht mal negative Kritik kommt. Die Raumschiffe-Liebhaber werden ja oft genug bedient. Die kommen auch bei diesem Titelbild auf ihre Kosten.
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Dass du es fünfzehn Hefte vor dem Ende des Zyklus kaum mehr erwarten kannst, wie es ausgeht, verstehen wir sehr gut. Die Machtkämpfe zweier Vatrox sind zu nächst einmal nichts Überwältigendes, aber sie dienen als Rahmen für die Geschichte des ganzen Volkes der Vatrox. Und die ist spannend und von großer Bedeutung für sein Handeln in den vergangenen Jahrmillionen. Peter Glasmacher,
[email protected] Mein Kommentar zu Heft 2586: wow!
Geht nun hin und rettet Wanderer. Ohne ihn wären die
nächsten 17.000 Jahre langweilig.
Das wäre auch der Fall, wenn es nicht ab und an eine
Prise Kosmokraten und Ähnliches gäbe.
Vielen Dank an euch alle für ein Zyklus-Highlight.
Übrigens, das erste Heft, das ich damals in Händen
hielt, war »Der Kaiser von New York«.
Ebenfalls: wow! Ist schon ein paar tausend Jahre her, dass es da einen Kaiser gab. Udo Classen,
[email protected] Lese gerade den Roman Nummer 2586, und er gefällt mir sehr gut. Aber eines ist mir aufgefallen. Dieser Piet Rawland ist ja ein schlimmer Finger. Auf Seite 6 unten links wacht er »neben einer ziemlich blonden Lady auf«. Er geht aufs Klo, und bei der Rückkehr auf Seite 7 oben rechts sitzt die Lady aufrecht im Bett ... »Sie versuchte eben, sich den schwarzen Wasserfall ihres Haares hochzustecken.« Da hat der Autor nicht aufgepasst, und alle nachge schalteten Kontrollen haben nicht funktioniert. Das ist ärgerlich. Da sich diese Dinge auf Wanderer in einer Projektions welt abspielen, verwundert es nicht, wenn sie ab und zu plötzlich Form oder Farbe wechseln. War also Absicht! Rawland hat sich beim letzten Zusammentreffen mit Perry in Heft 2522 bekanntlich selbst erschossen, um zu verdeutlichen, wie schlimm es um ES steht. Heinz-Ulrich Grenda,
[email protected] Band 2586 von Wim Vandemaan hat mich beeindruckt. Meinen Glückwunsch an ihn.
Endlich mal wieder eine gute Story in der Serie und
eine mit Erklärungen: Die Anthurianer als Hersteller der
Kybb-Titanen. Alle großen Raumfahrzeuge der »Wale«
scheinen Virusform zu haben.
Und »ES« hatte wohl immer die Finger mit drin,
»schluckt« außerdem noch »Vamu« und verträgt es
auch ohne Schwierigkeiten.
Rhodan hat jetzt also auch eine Sektorknospe, vielleicht
eine mit Weisungsbefugnis für die anderen?
Harald Bestehorn,
[email protected] Eine kurze Anmerkung zum Leserbrief von Juerg Schmidt in LKS 2586. Er schreibt: »Die Ansicht, im Mittelalter glaubten die Menschen, auf einer Scheibe zu leben, ist bekanntlich eine der größten und am weitesten verbreiteten histo rischen Irrtümer.« Dem kann ich zustimmen. Schon in der Antike berechneten Philosophen den Erdumfang recht genau. Im Gegensatz zum geozentrischen Welt bild wurde die Scheibentheorie auch nicht von der Kirche verteidigt. Diese Behauptung entstand erst in der Neuzeit. Gefes tigt wird sie von der bekannten Zeichnung des For schers, der am Scheibenrand hinter das Sternenzelt guckt. Leo Lukas weiß das auch. Es hat ihm sicher Spaß gemacht, eine echte Scheibenwelt zu beschreiben. War Wanderer jetzt eigentlich eine Scheibe oder ein halber Planet? Noch ein kleiner Surftipp:Auf google.com die Bilder des Oriental Pearl Tower in Shanghai ansehen. Er wirkt wie ein gelandetes Raumschiff. Wanderer war immer eine Scheibenwelt. Du meinst EDEN II, die eine Hälfte des halbierten Planeten Gosh mos Castle. Meldungen In den vergangenen Tagen landeten wieder etliche Hin weise auf meinem Schreibtisch, besser gesagt: in dem komischen Kasten, der da steht. PERRY RHODAN-Extra Nummer 12 ist erschienen, das Heft liegt an den Kiosken für euch bereit oder ist da schon ausverkauft. Der Roman trägt den Titel »Count down«. Es handelt sich um einen packenden SF-Thriller von Alexander Huiskes. Das umlaufende Titelbild hat Dirk Schulz gemalt.
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Zusätzlich gibt es ein exklusives Hörbuch, das aus schließlich mit diesem PR-Extra angeboten wird. Hans Kneifel verfasste die Novelle »Labyrinth der BASIS« und schickt Perry Rhodan darin in einen ungewöhnlichen Einsatz. Ebenfalls neu auf dem Markt ist ATLAN-Hardcover 38 »Das Erbe der Akonen«. Bei den ATLAN-Taschenbüchern erscheint der dritte Band der Sternensplitter-Trilogie. Er trägt den Titel »Ge heimplan Quinto-Center« und wurde von Michelle Stern geschrieben. Michelle Stern feiert mit diesem Taschenbuch ihren Einstand bei ATLAN. Der Roman erscheint im April 2011. Vermischtes Volker Hoeschel,
[email protected] PERRY RHODAN begleitet mich schon seit meiner frü hen Jugend. Ich verbinde gute und schlechte Zeiten mit den lieb gewordenen Personen, die jetzt – genau wie auch in meinem aktiven Leben (Krankenpfleger ) – an fangen, diese Welt zu verlassen. Da jetzt der Karneval in seiner Blüte steht, werde ich mich in diesen und anschließend auf die literarischen Ergüsse meiner Lieblingsautoren (sind ja alle) stür zen. Wir drücken dir die Daumen, dass der Sturz in den Kar neval nicht ins Auge gegangen ist. Mit diesem kleinen Schlenker gelingt mir tatsächlich die Überleitung zum nächsten Thema, in dem es um ein ganz besonderes Auge geht. Kenner der Zyklen zwischen Band 800 und Band 1000 wissen bereits, wovon die Rede ist. Michel Wuethrich,
[email protected] Wenn zwischendurch eine Lieblingsfigur über die Klin ge springen muss, dann erhöht das den Kitzel des Lesers. Da ist keine Figur mehr sicher, dass sie das Heft/das Abenteuer auch wirklich übersteht. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Perry und Atlan – und vielleicht noch der eine oder andere aus der Riege der Unsterblichen. Doch auch da sollten wieder Geschichten geschrieben werden, in denen der Leser um diese Figuren bangen kann.
Die Leser, die fordern, dass alles beim Alten bleibt, aber
trotzdem jede Woche neu unterhalten werden wollen,
denen sage ich, dass sie sich einem Realitätscheck
unterwerfen sollen. Beides gleichzeitig ist schlichtweg
unmöglich.
Würdet ihr nach diesem Muster verfahren, hieße das,
dass immer wieder dieselben alten Geschichten er
zählt werden, wenn auch in einem neuen Gewand.
Wollen wir das wirklich?
Was natürlich nicht heißt, dass man euch Autoren nicht
gelegentlich sagen darf, was man gern hätte.
Wir freuen uns darüber, wenn ihr uns das kundtut. Werner Wilden,
[email protected] Ähnlich wie Rainer Battenfeld halte ich von dem lau fenden Zyklus nicht allzu viel. Sicherlich gab es auch schon Zyklen, mit denen ich noch weniger klarkam, aber das ist doch schon ziemlich lange her. Irgendwann hat jemand in einem Leserbrief mal ge schrieben, wer den Schwarm überlebt hat, übersteht auch alles andere. Und an diesem Punkt bin ich jetzt – noch 23 Bände, dann ist es geschafft. Positiv vermerke ich die teilweise Verlagerung der Handlung nach Andromeda. Hier wurde tatsächlich nochmals an uralte Zeiten angeknüpft. Und nun: ES liegt im Sterben, ergeht sich aber immer noch in kryptischen Bemerkungen, mit denen keiner etwas anfangen kann. Mein alter Freund Reginald Bull ist fast auf null heruntergefahren. Im gerade gele senen Band 2576 taucht er zu meiner Freude nach gefühlten zwei Jahren noch mal auf, aber sonst? Was nützt es mir, wenn ich weiß, dass er als Frontmann in der Milchstraße tätig ist (deine Worte, Arndt) und die Leser nichts von ihm mitkriegen – selbst wenn er in jedem dritten Band von einem der Protagonisten er wähnt wird? Und dann das Psi! Die Handlung in PR war für mich immer irgendwie »greifbar«. Die derzeit laufende Handlung wirkt ziemlich surrealistisch auf mich. So. Das musste einfach mal sein. PR und seine Mannen begleiten mich seit über 40 Jahren (das bitte ich un bedingt als Kompliment aufzufassen), und da kann ich nicht davon ausgehen, dass mir immer alles gefällt. Jetzt hoffe ich noch auf einen vernünftigen Zyklus-Ab schluss und danach auf bessere Zeiten.
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Mein Wunsch wäre mal eine Handlung weitgehend ohne Perry. Der Meister gibt zu Beginn ein paar selt same Worte von sich, verschwindet dann spurlos, und Bully & Co. machen sich auf die Suche. Dabei bleiben sie aber in heimischen Gefilden. Ein Zyklus ohne Perry, das geht nicht. Schließlich ist er die Hauptfigur. Kein Leser wird so etwas wirklich wol len. Eine Handlungsebene mit Perry muss immer dabei sein. Im laufenden Zyklus haben wir mehrere Schauplätze innerhalb einer Handlungsebene. Das macht das Ganze Sinnafoch und Darturkas
ein wenig komplex, und man muss als Autor und als Leser die Fäden besser im Kopf behalten. Das sollte aber auch kein Problem sein. Das kryptische ES: Aber natürlich gibt es einen Grund für dieses Verhalten, die Lähmung der sterbenden Su perintelligenz und das, was wir von Anfang an schon in der Milchstraßen- und Andromeda-Handlung ausge sagt haben. Niemand, selbst Rhodan nicht, darf weiter gehende Informationen erhalten, sonst wäre der ganze schöne Plan gefährdet. Also abwarten, bis wir die Lösung präsentieren, und danach ein Urteil fällen. von Uwe Riedl,
[email protected] Zu den Sternen! Euer Arndt Ellmer Pabel-Moewig Verlag GmbH Postfach 2352 76413 Rastatt
[email protected] Impressum Alle abgedruckten Leserzuschriften erscheinen ebenfalls in der E-Book-Ausgabe des Romans. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen oder nur ausschnittsweise zu übernehmen. E-Mail- und Post-Adressen werden, wenn nicht ausdrücklich vom Leser anders gewünscht, mit dem Brief veröffentlicht.
Glossar Ährenspindel
Zeitspeer
Die Ährenspindel ist auch als »Der Lange Gang« oder »Jahrmillionengang« bekannt. Es handelt sich um die hyperphysikalische »Schnur«, an der die zwanzig Zeit körner aufgefädelt sind; durch den Einfluss des Zeit umformers verdickte sich diese Schnur zu einer Zeit linie und diese wiederum zum Jahrmillionengang. Die Außenseite wird von einem Temporalmantel ge schützt, innen ist der Gang wie ein Tunnel hohl und mit einer speziellen Form von Vitalenergie geflutet, die Stoffwechsel und Schlaf unnötig macht. Innerhalb dieses Tunnels bewegt sich Tifflor von Zeitkorn zu Zeitkorn; anders sind sie nicht erreichbar. Die Abstän de variieren, die Tunnelstücke sind also unterschied lich lang: Die reine Gehzeit beträgt wohl zwischen 300.000 und drei Millionen Jahren ... Von außen be trachtet, also in Relation zum Zeitablauf in den Krus ten, vergehen hingegen nur wenige Minuten (ähnlich wie bei einem Transport durchs Polyport-Netz; in die sem ist die subjektive Wahrnehmung freilich ungleich angenehmer).
Der Zeitspeer wird auch als »Mächtige Garbe« be zeichnet. Er besteht aus dem in zwanzig Zeitkörner fragmentierten PARALOX-ARSENAL und der Ähren spindel, die aus dem Zusammenwirken von Schutz vorkehrungen der Vatrox und Lotho Keraetes Zeitum former entstand: Statt nur räumlich, wie von den Vatrox geplant, wurden die zwanzig Depots auch in der Zeit verteilt.
PARALOX-ARSENAL Als PARALOX-ARSENAL wird als Oberbegriff die ge sammelte Psi-Materie der Vatrox bezeichnet; diese Bezeichnung steht für Gebilde, Funktion und Inhalt gleichermaßen. Nach dem Zugriff VATROX-VAMUS zerfiel das PARALOX-ARSENAL in zwanzig sogenann te Zeitkörner, die zusammen den Zeitspeer bildeten. Perianth-Schlüssel »Perianth« kann mit »Kelch und Krone« übersetzt wer den und geht als Ausdruck auf die Anthurianer bzw. ESTARTU zurück. Es handelt sich bei den PerianthSchlüsseln um zwanzig blütenförmige, etwa faust große Kristalle, die den Zugriff auf die Sicherheitsvor kehrungen jeweils eines bestimmten Zeitkorns (einschließlich der Nullfeldblase) ermöglichen. Sie wurden im Zeitspeer mittels eines Zufallsgenerators verstreut, als Teil der ursprünglichen Schutzvorkeh rungen. Die Vatrox erhofften sich davon im Ernstfall einen Vorsprung, weil sie zumindest wussten, wonach zu suchen wäre, und was man als Detektor nutzen kann.
Zeitkörner Die Zeitkörner werden auch als »Lebenskörner« be zeichnet und sind die zwanzig Teil-Depots, in die das PARALOX-ARSENAL zerfiel. Alle Zeitkörner sind gleich aufgebaut, aber keineswegs von identischer Ausdeh nung. Ganz innen befindet sich jeweils eine Menge Psi-Materie, gesichert von einer Nullfeldblase samt Hyperkristall-Stabilisatoren und sonstigen Sicher heitseinrichtungen. Außen liegt der »Temporalmantel«, der das Gebilde in ein Mikro-Universum mit eigenen Gesetzen entrückt. Dazwischen liegt die unterschied lich dicke »Kruste« aus aufgesaugtem Material und Strandgut, Lebensraum der entwurzelten Völker; in jeder dieser Krusten befindet sich einer der zwanzig Perianth-Schlüssel, allerdings niemals derjenige, der für die entsprechende Kruste gedacht ist. Zeitfenster und Zeittüren Durch Zeitfenster oder -türen kann man aus der Tem poralen Hülle eines Zeitkorns in eine konkrete Raum zeit blicken oder treten. Eine solche Zeittür ist es auch, durch die Tiff in die Ährenspindel gelangte. Diese Zeit tür öffnet der Zeitumformer von Keraetes Silberkugel, kombiniert mit dem ESTARTU-Relikt; zugleich er schafft er damit erstmals eine Verbindung ins Jahr 1463 NGZ.