C. H. Guenter
Das Otranto-Desaster Roman
Ullstein
1 An kalter Front
Am Morgen dieser Funkspruch. Das hatte Kapitän...
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C. H. Guenter
Das Otranto-Desaster Roman
Ullstein
1 An kalter Front
Am Morgen dieser Funkspruch. Das hatte Kapitänleutnant Lützow, Kommandant von U-136, noch nicht erlebt. Auch in Kameradenkreisen war Ähnliches nie erzählt worden. Auf Feindfahrt, schon draußen im Nordatlantik, voll mit Treibstoff, Torpedos und Proviant für sechs Wochen, Boot wie Besatzung in bester Verfassung, kam dieser Befehl. - Operation abbrechen »Ist etwa Frieden eingekehrt?« fragte Leutnant Wessel, der II. Wachoffizier. Sie wurden nicht zur Basis zurückbeordert, sondern nach Norwegen. »Es geht nach Kristiansand«, sagte Lützow. »Wir setzen den Kurs so ab, daß wir uns zwischen den Orkneys und den Shetlandinseln durchmogeln.« Der einzige, der Freude empfand, war der Navi gator; Obersteuermann Klein, als ehemaliger Fischdampferkapitän ohnehin ein halber Skandinavier. »Meine Wahlheimat.« Leutnant Wessel schüttelte sich deutlich. »No Fisch, no Hammelkoteletts, no Alkoholverbot.« »Aber Schinken«, spottete Klein. »Entweder lebendig und weiblich, bitte, á la nature oder geräuchert.« Zwischen ihrem derzeitigen Standort und Südnorwegen lagen 800 Seemeilen. Das bedeutete drei Tage Marschfahrt durch die winterlich rauhe See.
Die kalten Temperaturen ließen erst nach, als sie in den Golfstrom kamen. Aber dort brauten sich Nebel zusammen. Bei Nacht liefen sie durch die Inseln und Schären in den Sund. An der Pier, die man U-136 zuwies, gab es kein Empfangskomitee. Nur eine weiße Kiste stand da. Ein quadratisches Ding, etwa zwe i mal zwei Meter und ebenso hoch, zusammengeschweißt aus Stahlblechprofilen. Als es hell wurde, fuhr der Standortkommandeur, ein Fregattenkapitän, persönlich vor und sprach mit Lützow. Dabei händigte er ihm zwei dicke Umschläge aus. Sie waren versiegelt und enthielten mit Sicherheit Geheimdokumente. Der Standortkommandeur wünschte gute Fahrt. Kaum war er weg, kletterte der Kranführer in sein Steuerhaus. Der tonnenschwere Behälter wurde von der Pier auf U-136 verladen. An Deck vor dem Turm sollte er seegangfest verschraubt werden. Das besorgten der leitende Ingenieur, Oberleutnant Behrens, und sein Maschinenpersonal. Über den Inhalt wurde gerätselt. »Tannenbäume oder Weihnachtsgänse?« fragte Maschinenmaat Krause. »Oder gar ein Filmprojektor, damit die öden Abende auf See etwas unterhaltsamer zu gestalten sind?« »Na, hoffentlich gibt es dazu ein paar hübsche Filmchen. Mit Marika Rökk, und nicht die ollen Kamellen von der Olympiade und vom Reichsparteitag in Nürnberg.« »Dient alles der moralischen Aufbesserung«, bemerkte der LI, »das eine wie das andere.« Der Kommandant wandte sich an seinen Leitenden: »Wird uns diese Kiste beim Tauchen beeinträchtigen?« »Man hat mir versichert«, sagte Behrens, »daß sie 1:1 wiegt. Das Gewicht entspricht ihrer Wasserverdrängung.« Von den versiegelten braunen Umschlagen hatte einen der Kommandant, den anderen der Leitende Ingenieur in Empfang genommen. Vermutlich enthielten sie Einzelheiten bezüglich des Inhalts der Kiste. Außerdem hatte der Standortkommandeur noch erklärt: »Erst nördlich vom Polarkreis zu öffnen.«
Immerhin wußten sie jetzt, wohin es ging. Kapitänleutnant Lützow ließ von Obersteuermann Klein Generalkurs Island absetzen. Das Boot brauchte fünfzig Stunden bis auf 67 Grad Nordbreite. Dort öffneten die Empfänger befehlsgemäß die Umschläge mit den geheimen Anweisungen. Beim Abendessen in der Messe sagte LI Behrens und massierte dabei seinen U-Boot-Bart, der so dunkel sproß wie seine Haartolle: »Bedaure: Inhalt der Kiste weder Weihnachtsbaum noch Weihnachtsgänse noch Filmprojektor, sondern etwas ganz was Neues.« »Und was bitte sah Ihr entzündetes Auge voll Staunen?« fragte Wessel »Eine vollautomatische Wetterstation.« Behrens hatte die technischen Angaben bereits studiert und fuhr fort: »In das Ding ist alles eingebaut, wozu die Meteorologen auf der Zugspitze zehn Mann benötigen. Der Roboter mißt Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Wind, Niederschläge, Sonnenscheindauer und Wolkenbewegungen. Alles wird über Punk zur zentralen deutschen Wetterstation nach Berlin gefunkt. Zweimal täglich.« »Plus Berücksichtigung oberbayrischer Bauernregeln«, ergänzte Leutnant Wessel. »Und woher nimmt das Monster seine Energie?« »Aus Batterien.« »Und wenn die leer sind?« »Sie werden laufend nachgeladen. Von einem Windgenerator. Der arbeitet etwa umgekehrt wie ein Ventilator. Der Sturm treibt den Propeller an und der eine kleine Lichtmaschine. In der Gegend da oben bläst es ohnehin Tag und Nacht.« I WO Rahn, ihr blonder Siegfried, immerhin Stellvertreter des Kommandanten, wollte wissen, wo das Gerät aufgestellt werden sollte. »In der Wetterküche«, sagte Kapitänleutnant Lützow. »Hier ist doch überall Wetterküche«, wandte Wessel ein.
»Aber in Spitzbergen ist eine besonders feine Art von Wetterküche. Dort braut sich alles zusammen an Polartiefs und Hochs, was sich später in Mitteleuropa auswirkt.« »Auf den Kriegsschauplätzen«, ergänzte Behrens. »Dachte, alle U-Boote geben, ebenso wie wir, täglich zweimal einen Wetterbericht ab.« »Aber nicht aus dem Eismeer. Hier haben wir wenige zuverlässige Quellen.« Jeder sah irgendwie ein, daß das Wetter wichtig sein konnte, besonders für moderne Waffen, deren Einsatz meist von bestimmten Umweltbedingungen abhing. »Spitzbergen also«, faßte Wessel zusammen. »Zieht euch warm an, denn die Kälte greift den Darm an.« Später steckten Kommandant und Obersteuermann Klein, über die Kartenkiste gebeugt, die Köpfe zusammen. Das Gebiet von Spitzbergen war nicht nur ein zerklüftetes bergiges Stück Land, das meist von Schnee und Eis bedeckt war, sondern bestand aus mehreren Inselgruppen. »Unser Ziel ist die Bahrens-Insel nordwestlich Spitzbergens«, entnahm Lützow der BdU-Order. »Da dürften um diese Jahreszeit nicht einmal Eskimos oder Pelztierjäger unterwegs sein.« »Deshalb hat man auch den Dezember für die Operation ausgewählt«, vermutete der Kommandant. Durch Nebel und Schneegestöber, später durch treibende Schollen, tasteten sie sich an Spitzbergen, dieses Stück Eis im Norden, heran und umrundeten es von Süd über Ost. Sie brauchten langer als erwartet, bis sie die Insel Bahrens, die mit der großen Insel verwachsen zu sein schien, fanden. Dort entdeckten sie eine durch Vorgebirge windgeschützte Bucht.
Behrens und seine Leute machten sich an den Abtransport des Behälters. Die automatische Wetterstation war zu schwer, um ohne Kran bewegt werden zu können. Es hieß aber, sie sei schwimmfähig. Sie lösten also den Behälter von seiner Ver-
schraubung, improvisierten zwei Torpedoschienen, die sie extra dick mit Waffenfett einschmierten von der Vorderseite des Turms bis zur Bordwand. Viele >Haurucksvorerstvorerst< gefällt mir nicht«, betonte Lützow immer wieder. »Dönitz lenkt und Gott denkt.« LI Behrens bemerkte dazu: »Das Wort >vorerst< bedeutet nur die halbe Wahrheit. Und die ist immer auch halb falsch.« Obersteuermann Klein setzte den Kurs ab. »Barra Head, äußere Hebriden. Null sechs fünf Grad.« »Entfernung?« »Zwo sechs.« »Ostereier?« »Zweitausendsechshundert Seemeilen, wenn wir uns in der Irischen See dicht an der Ostküste entlangmogeln.« Es blieb ihnen ohnehin nichts anderes übrig, als sich, angesichts des dichten Verkehrs im Sankt-Georg-Kanal, in neutralen Gewässern zu bewegen. Da wimmelte es nur so von Fähren, Fischern, Küstenfrachtern, Schleppern und britischen NavyEinheiten. Bei der bescheidenen Geschwindigkeit von sechs Knoten, die sie in DG-Schaltung schafften, wurden sie für die Strecke rund zwei Wochen benötigen. Bei mittleren Wetterbedingungen. Diesbezüglich sah es allerdings schlecht aus. Von Nordost her rollten schon wieder schwere Brecher heran. Vierzehn Tage Sturmfahrt standen U-136 bevor. Die DG-Schaltung ließ zu, daß immer ein Diesel stand und abkühlte. Sie nahmen sich den defekten vor, kippten die Flurplatten hoch und verschafften sich Zugang zu dem Motorblockteil mit dem lockeren Lager. Zuerst bauten sie das Pleuel aus, gossen dann die Lagerschale nach, polierten und hohnten sie. Nach dem Zusammenbau Probelauf. Öldruck wieder vier Atü. »Dreizehn Stunden«, lobte der LI die Mannschaft. »Gute Zeit, Leute. Das können die bei MAN auch nicht schneller.« »Aber vielleicht besser«, meinte Obermaschinist Rinzler.
»Das wird sich herausstellen.« Behrens reinigte die Hände mit grüner Paste, dann kletterte er auf die Brücke und meldete: »Diesel läuft wieder wie Butter.« »Aber Butter läuft wie Rotznase«, ergänzte Wessel, ohne gefragt zu sein. Der Kommandant sprach seine Anerkennung aus. »Danke, LI«, sagte er schlicht. Eigentlich verdienten der LI und seine Leute mehr als einen Händedruck. Langst hatte das Boot Planquadrat 48 verlassen und näherte sich, wie auch der Konvoi, vielmehr die Reste von ihm, den Küsten Europas. Im Radio jagten sich die Sondermeldungen. Deutsche U-Boote hatten 140 000 Tonnen feindlichen Schiffsraum versenkt. In einer einzigen Nacht. Eigene Verluste keine. Angeblich. »Kurs acht fünf!« befahl Lützow. »Kurs liegt an.« Die Engländer nannten es storming weather. Die äußeren Hebrideninseln waren nicht einmal zu ahnen. Das Licht der Leuchtturme von Skerryvore Lighthouse drang kaum durch Regen und Gischt. Wer diesen Seegang in der Stahlröhre des 7C-Bootes nicht ausgehalten hätte, wäre längst gestorben. Aber alle lebten noch. Ab und zu tauchten sie. Drunten war es erträglich. Einmal bei ruhiger Unterwasserfahrt hatte der I WO Sport in Form von Leibesübungen angeordnet. »Zwecks Entrostung der Gelenke«, lautete seine Begründung. Er selbst war ihr strammer Vorturner. Leutnant Wessel, der nur zusah, gab seinen Kommentar. »Bloß keinen einzigen Herzschlag für Sport vergeuden. Er könnte dir am Ende fehlen.« »Aber es erfrischt den Geist«, keuchte Rahn, »und der bewirkt eine gesunde Seele.« »Unser I WO spricht heute wieder einmal jesusmäßig«, hetzte Wessel, »aber einen Menschen voll Gelassenheit ficht das nicht an. Mens lustico in corpore alcoholico.«
Rahn begann in der engen O-Messe mit Blick durch das Schott in den vorderen Mannschaftsbugraum herumzuhüpfen. Wegen der erstaunten Blicke des Kommandanten bemerkte er: »Ich war schon in der Tanzstunde ein berühmter Walzerknaller.« »Deshalb nannten sie ihn auch La Jana, den Stern von Rio«, spottete Wessel. »Oder war es Anna Pawlowa, der sterbende Schwan?« »Schluß jetzt mit Palaver«, rügte Lützow, »und aufhören mit dem Turnvater-Jahn-Gequatsche hier in dieser Enge. Außerdem kostet Turnen zuviel Sauerstoff. Bitte mir lieber volle Aufmerksamkeit bei Wache aus.« Mit seiner gemäßigten Fahrt lief das Boot in den dreißig Meilen breiten Nordkanal ein, der sich wie ein Schlund vom Atlantik in die Irische See öffnete. Dabei hielt es sich hart an der Ostseite der irischen Insel, möglichst in Sichtweite der Küste. »An Backbord, das ist noch die britische Grafschaft Ulster«, stellte Obersteuermann Klein fest. »Aber bald kommt die Grenze, wo die Republik Irland beginnt.« Das Leuchtfeuer Greencastle war noch britisch. Das auf der anderen Seite der Bucht, das Feuer von Carlingford, hingegen war schon irisch. Kaum in irischen Hoheitsgewässern, wurde der Verkehr noch dichter. Zu Fahren und Frachtern kamen ganze Kutterflottillen irischer Fischer. Meist noch unter Segeln, belebten sie die graugrüne See, oft gescheucht von britischen Wachbooten. Beinah jede Stunde überflog sie ein Fernaufklärer. Dann ließ Lützow Alarmtauchen, denn wenn die Engländer etwas haßten, dann waren es deutsche U-Boote. Die standen ganz oben auf der Liste der Unbeliebtheit. Die mochten sie noch weniger als Sauerkraut mit Bratwurst. Es war am Vormittag. Kaum war der Aufklärer vom Dienst verschwunden, brummte ein Flugboot tief über die Kimmlinie. »Schon wieder einer, Herr Kaleu.« »Jetzt werden wir aber böse.« Mit Schnelltauchen war die Kielwasserspur des Bootes nicht zu verwischen. Deshalb ließ Lützow Kurs auf eine nahe Grup-
pe von Kuttern nehmen, die gemütlich vor ihren Netzen Richtung Isle of Man tuckerten. Das Boot kam gut herunter. Bald hörten sie über sich das Schüttern der einzylindrigen Glühkopfdiesel. Doch plötzlich raschelte vo m Oberdeck her ein verdächtiges Scheuern. Dazu gab es einen deutlichen Ruck, wie es in einer bremsenden Straßenbahn geruckt hatte. Die Fahrt kam aus dem Boot, als wurde es festgehalten. Das Boot zerrte an etwas, als müsse ein Pferd einen schweren Wagen bergauf ziehen. Dazu nahm es Schräglage nach Backbord ein. Wie an Gummiseilen wurde es zurückgefedert. Als hatte er Eiswasser in den Adern, forderte Lützow: »An alle Stationen! Schadensmeldungen!« Offenbar ahnte er Schlimmes. Doch es wurde noch einen Zacken schlimmer. Die Backbordschraube ging fest. Das Hauptruder und eines der Steuerbordriefenruder ließen sich trotz Motorkraft kaum noch bewegen. LI Behrens erschien im Zentraleschott, wie immer zerknittert vor Sorge und aschfahl. »Sieht aus, als seien wi r ...« »...in ein Netz geraten«, ergänzte Lützow. Um den Behang loszuwerden, ließ er auf Tiefe gehn. Es war, als reiße sich das schwere Boot von einigen der Sisaltrossen frei. Nach zehn Meilen war nichts mehr zu hören, und sie tauchten auf. Es sah nicht gut aus. Ein Fischernetz überzog das Oberdeck wie ein Schleier aus grobmaschigem Tüll mit fingerdicken Faden. Im Netz hingen Algen, Muscheln, Grobzeug. »Der Fischersmann wird ganz schon toben«, vermutete Lützow. »Aber erst mal wird er rätselraten.« »Wie lange dauert es, bis wir den Gammel loshaben, LI?« »An Deck eine Stunde«, schätzte Behrens. »Sechs Mann mit Eisensägen und Hebelschneidezangen antreten!« befahl er. »Bringt den Bolzenschneider mit.« Schon bald rutschte das Netz über das Vordeck in die Tiefe. »Mit Netzabweiser wäre das nicht passiert.«
»Wir müssen da etwas konstruieren, Herr Kaleu.« »Jetzt Schraube und Tiefenruder. Da muß einer runter«, befürchtete der Kommandant. »Mit dem Tauchretter?« »Das Wasser ist eisig.« »Die Männer sollen sich ablösen und dick einfetten. Länger als ein paar Minuten hält das keiner aus.« Leutnant Wessel, der dabeistand, meinte betroffen: »Aber Pipifax ist das diesmal nicht, Kameraden.« Im Strom trieb das Boot langsam auf die Küste zu.
4 Mitgegangen, mitgehangen
Generalfeldmarschall Keitel und Generaloberst Halder schätzten einander nicht sonderlich, was sie jedoch nicht an perfekter Zusammenarbeit hinderte. Besonders dann, wenn es galt, Front gegen gemeinsame Gegner aufzubauen. Der konnte dann Himmler heißen, Göring oder sogar Hitler. Beim Flug von Berlin ins Führerhauptquartier Rastenburg in Ostpreußen saßen sie meist getrennt. Heute allerdings nicht, denn vom Oberbefehlshaber der Wehrmacht war eine Sondersitzung anberaumt worden. In der Generalsmaschine, einer zweimotorigen Siebel, steckten sie die Köpfe zusammen. »Admiral Canaris von der Abwehr hat mir gesteckt, worum es geht«, deutete Keitel an. »Balkan«, vermutete der Generalstabschef kurz, »speziell um den Busenfreund des Führers, Benito Mussolini.« Das löste beim Feldmarschall ein mißmutiges Seufzen aus. »Bei ihrem letzten Treffen in Florenz hat Mussolini dem Führer schon angedeutet, daß er Griechenland angreift.« »Er dachte, das ginge so leicht wie bei den Negern in Somaliland.« »Der Führer versuchte, es ihm auszureden. Und dann ist Mussolini doch in den Krieg gezogen, weil er dachte, da schaut grade mal keiner hin«, bemerkte der Zyniker Halder. »Und jetzt geht ihm sein Faschistenhintern auf Grundeis.« »Ich werde es bei meinem Lagevortrag entsprechend würdigen«, sagte der Feldmarschall. Aber er versprach viel und hieltoft wenig. Wenn er dem Oberbefehlshaber gegenüberstand, erstarrte er vor Ehrfurcht.
»Passen Sie auf, Keitel«, riet ihm der Generaloberst, »vor dem Führer ist man verdammt allein.« »Ich war und bin immer allein«, erwiderte der Preuße trotzig. In groben Einzelheiten sprachen sie ab, wie sie vorgehen wollten. Erst kam die Aufzählung der Erfolge an den Fronten, dann folgten die Mißerfolge, danach die kritischen Punkte und am Ende die Warnungen. Alles sachlich fundiert, aber so schlüssig, daß auch ein Feldherrengenie wie A. H. es verstand. Die Generale ließen sich noch einen Kaffee bringen. Bei A. H. gab es nur Hagebuttentee mit Zitronensaft aus garantiert deutschen Gewächshäusern am Bodensee. Sie verspeisten auch noch ein paar Schnitten mit Tatar und Gänseleberpastete. A. H. nahm als Vegetarier bestenfalls Fisch zu sich. Bald flogen sie schon über Westpreußen mit seinen riesigen Gütern, den Wäldern und den Seen. Zwanzig Minuten später ging die Siebel zur Landung herunter. Vorher zog sie noch eine Schleife über der Wolfsschanze, wie das im Wald versteckte Hauptquartier genannt wurde, und setzte dann auf. Im letzten Augenblick reichte der Funker noch die neuesten Radiomeldungen herein. Nirgendwo sah es glänzend aus, eher miserabel. General Keitel baute es vorsichtig in seinen Lagebericht ein. Der pünktliche A. H. kam heute drei Minuten zu spät. Er stürmte herein, schwarze Hose, SA-braune Uniformjacke. Händeschütteln fiel auch aus. Vermutlich war man schlechter Laune. »Zur Sache!« schnarrte er. »Wer fängt an?« Kurzer Rundblick mit Augenkontakt. »Sie Generaloberst.« Gebeugt über die quadratmetergroße Lagekarte stützte der General mit geöffneten Armen die Hände auf den Tisch und sprang gleich mitten ins Thema. »Zwar sind die Briten in der Cyrenaika zum Angriff angetreten, aber Rommel geht gegen Tobruk vor.« Eine Unmenge von Details folgten. Ortsnamen, Truppenbewegungen, die daran beteiligten Einheiten, Reserven, Vorräte. Diesen Teil seines Vortrages beendete der Feldmarschall mit dem Bericht über den Kriegsschauplatz Rumänien.
»Rumänien ist besetzt. Deutscher Einmarsch in Bulgarien läuft planmäßig. Aber wie es aussieht, werden britische Truppen in Griechenland invasieren.« Damit war er beim Balkan angelangt. Nun folgten die schlechten Nachrichten: »Bekanntlich hat Mussolini im Oktober den Krieg mit Griechenland begonnen.« Etwas höhnisch fuhr er fort: »Anfangs haben die italienischen Truppen rasch die albanisch-griechische Grenze überschritten. Mussolini behauptete, das Ganze sei in vierzehn Tagen vorbei. Heute sind seine Truppen im allgemeinen Rückzug begriffen. Die Griechen, gegen Witterungseinflüsse offenbar völlig unempfindlich, schlagen die Italiener an allen Abschnitten zurück. Die zittern vor Kälte, erfrieren, verhungern. Kein Nachschub an Waffen und Munition kommt durch. Die Truppenverbände haben sich ungeordnet aufgelöst, versuchen jetzt wenigstens Tirana zu halten.« In A. H.s Gesichtszüge trat Unmut. »Ich bitte mir Objektivi tät aus, General«, unterbrach er den Vortragenden. »Sparen Sie sich Ihre Seitenhiebe auf die strategische und militärische Tüchtigkeit unseres Verbündeten.« Klar war, und jeder im Raum wußte es, daß Mussolini im vergangenen Oktober den Krieg mit Griechenland aus reiner Geltungssucht begonnen hatte. So saßen seine Armeen in der Falle. Die Engländer besetzten Kreta. Von den dort stationierten Einheiten der Royal Navy wurde der Nachschub für Mussolinis Balkanarmee nicht nur gestört, sondern nahezu unterbrochen. Bevor er seine darbenden, frierenden Divisionen opferte, hatte Mussolini A. H. um Hilfe gebeten. »Und ich werde mein Versprechen halten«, betonte A. H., mit dem Fingerknochel auf die Tischplatte hämmernd. Nun kam die Vorwarnstufe. »Mein Führer, wollen Sie in der Tat unsere Armeen am Balkan einsetzen? Das wurde unsere Aufmarschplane für Barbarossa, also die Ostoffensive, völlig durcheinanderbringen«, fragte der Generalfeldmarschall. Und der Generaloberst setzte hinzu: »Falls wir eine Armee mobilisierter Infanterie plus eine Panzerarmee abziehen.« A. H. sah das durchaus ein. Aber Mussolini war sein Freund.
Und an jenem strahlenden Tag in Florenz, als Mussolini in nagelneuer Fantasieuniform aufgetreten war wie ein Pfau, hatten sie sich Treue geschworen. Jeder versprach dem anderen zu helfen, wenn er in Not geriet. A. H. fragte: »Warum ist die Nachschublage für die Italiener so schlecht?« »Wie man hört, werden alle Frachter in der Adria und weiter südlich zerbombt und auf rätselhafte Weise torpediert.« »Das sind doch nur aufgebauschte Gerüchte«, tat es A. H. ab. »Es sind die Beobachtungen unserer Fernaufklärer, mein Führer.« Nicht erst heute, schon seit Tagen suchte A. H. nach einer Lösung, Mussolini wenigstens teilweise zu unterstützen. Er bat um Vorschlage. Nachschub per Bahn über den Balkan war wegen der dortigen Bandentätigkeit unmöglich. Luftversorgung fiel auch aus wegen der Menge des benötigten Materials. Man mußte versuchen, die italienischen Nachschubkonvois vor den ständigen Torpedierungen zu schützen. Das brachte den Oberkommandierenden der Marine, Großadmiral Raeder, ins Spiel. »Ich hätte da eine Idee ...« Doch A. H. unterbrach ihn barsch. »Die Italiener haben doch eine eigene großartige Flotte.« »Die hatten sie leider nur bis zum 21. November vergangenen Jahres, mein Führer«, entgegnete Raeder. Der Admiral schilderte in dürren Worten die Tragödie von Tarent. »Wegen des starken Nachschubverkehrs für die Front durch die Adria und Ägäis, bekam Admiral Andrew Cunningham vom Lord der Admiralität in London den Befehl, diesen zu unterbinden. Pläne wurden ausgearbeitet. Cunningham entschloß sich, die italienische Flotte in ihrem Nest in der Bucht von Tarent zu zerstören. Dazu ließ er sich die Flugzeugträger Illoustrius und Eagle unterstellen. Aber letzterer war reichlich veraltet, und italienische Bomber hatten ihn an der Küste Kalabriens schwer erwischt. Trotzdem wurde die Eagle zum Einsatz herangezogen. Kurz vorher verlor Cunningham bei einem Zu-
sammenstoß noch drei Maschinen, Doch er vereinigte alles, was ihm geblieben war, nämlich einundzwanzig veraltete Torpedoflugzeuge. Sie sollten in zwei Wellen anfliegen. Die erste Welle bestand aus zwölf Doppeldeckern. Um null ein Uhr, rund 180 Meilen von Tarent entfernt, starteten sie.« Raeder konzentrierte sich sichtlich auf seinen Vortrag: »Am Abend des 21. November 1940 wiegte sich das italienische Flottengeschwader in Tarent in Sicherheit. Gegen Mitternacht stand der Mond im letzten Viertel. Sämtliche Schlachtschiffe ankerten im Ostwinkel der Bucht zwischen der Insel San Pietro und der Landspitze San Vieto. Insgesamt waren es sieben schwere Schiffe. Zwei von ihnen, die 41 000 Tonnen große Littorio und die Vittorio Veneto, waren erst vor kurzem in Dienst gestellt worden. Der Schutz der Schiffe galt als ausgezeichnet. Es gab eine hölzerne Brückenmole und zwei Liniennetze, dazu Minenfelder bis hinauf nach Otranto. Außerdem schützten den Luftraum gestaffelte Ballonsperren. Die offene Flanke deckten mehrere Kreuzer und eine Halbflottille Torpedoboote. Gegen diese stark verteidigte Basis war bisher kein Angriff geführt worden. Weder zur See noch in der Luft. Man wiegte sich also in Sicherheit.« Der vortragende Raeder, ein ausgezeichneter Kenner des Seekrieges und seiner Geschichte, nahm einen Schluck Mineralwasser und fuhr dann fort. Diesmal mit dramatisch gesteigerter Stimme. »Plötzlich gab es Alarm in Tarent. Die Flak schoß aus allen Rohren. Schlagartig war das Ufer taghell, denn zwei britische Pfadfinderflugzeuge hatten eine Reihe von Leuchtraketen abgeschossen. Ihr grelles Licht machte die Silhouetten der Schiffe scharf wie Scherenschnitte. Nun tauchten die Torpedoflugzeuge auf. Ein Dutzend Swortfish, alte einmotorige Zweidecker, näherten sich im Tiefflug von Osten. Die englischen Torpedos trafen die Schlachtschiffe Cavour und Vittorio. Helle Brände brachen aus, an denen sich die zweite Welle, die knapp nach der ersten aufgestiegen war, orientierte. Es waren die restlichen neun Flugzeuge des britischen Admirals Cunningham. Ihre Torpedos rissen die Flanke der Caio Duilio auf und brachten die bereits getroffene Vittorio in der Bucht endgültig zum
Sinken. Damit war die Hälfte der italienischen Panzerflotte, nahezu ohne Verluste der Engländer, zerstört worden.« Offenbar hatte A. H. genug. Er wollte jetzt Raeders Lösungsvorschlag hören, bat ihn aber gemeinsam mit den anderen zum Frühstück in den Führerbunker. Von außen ein grauer mit Tarnfarbe bemalter Betonwürfel, strahlte er innen das aus, was die Nazis als Eleganz bezeichneten. Man hatte Deckenbalken eingezogen, angeblich aus den Spanten einer Hansakogge. Gerüchten zufolge hatte schon der Seeräuber Klaus Störtebeker unter diesen Spanten gezecht und gesegelt. Die Teppiche waren in SA-Farben aus der Wolle Lüneburger Heideschnucken gewebt, das Leder der Clubsessel stammte von der Haut garantiert germanischer Kühe, sagte man. Die dunklen Holzgestelle der Sessel waren mit goldgefaßtem Ostseebernstein garniert. Schmiedeeiserne Leuchter standen mehr im Weg als herum. Tee wurde serviert. Brombeerblatter. Fermentiert schmeckte das Getränk angeblich wie indischer Darjeeling. Natürlich gab es kein chinesisches Porzellan, sondern Tassen aus Selb. A. H. forderte Admiral Raeder auf, seine Idee, mir der man angeblich Mussolini helfen könne, im einzelnen darzulegen. Aber bitte nicht in einer Form, als lese er aus dem Kriegstagebuch der italienischen Flotte vor, rügte er. Trotzdem blieb Admiral Raeder nichts anderes übrig, als noch einmal die Historie zu bemühen: »Fast gleichzeitig mit der Zerstörung der italienischen Flotta Grande in Tarent, also schon am 11. November, haben die Engländer die französische Flotte in Mers-El-Kébir angegriffen.« »Und versenkt«, ergänzte der Generalfeldmarschall. »Eine typisch britische Hundsfötterei gegen die eigenen Verbündeten.« »Der Rest war Selbstversenkung.« Ungerührt durch diesen Einwand fuhr Raeder fort: »Es gibt noch einige französische Verbände in den Heimathäfen. Zwei Kreuzer liegen in Toulon. Auf sie konnte man eventuell zurückgreifen, um Mussolinis Nachschubwege zu sichern und die rätselhaften Torpedoangriffe in der Straße von Otranto zu klären.«
A. H. wollte sich den Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, aber vorher wurde ein Imbiß gereicht. Pastete von Fjordalgen, Kapernsülze, dazu Salate, Salate. Ihm schmeckte es, die anderen stocherten darin herum. Offenbar war der Oberbefehlshaber aller Waffengattungen jetzt besserer Laune. »Lassen Sie die Pläne im Detail ausarbeiten, Raeder«, befahl er. »So können wir Mussolini helfen, ohne eigene Kräfte in Anspruch zu nehmen. Mit der Regierung in Vichy, mit Marschall Pétain, werden meine Herren Diplomaten schon zurechtkommen. Oder wir drehen den Messieurs ein wenig den Hahn zu.« Admiral Raeder wollte sich mit seinem Stab sofort an die Ar beit machen, während sich die Generale unmerklich, aber zufrieden zunickten. Vorerst hatten sie das Schlimmste abgewendet, nämlich daß der Oberbefehlshaber, nur um Mussolini zu unterstützen, die Aufstellung seiner Angriffsarmeen im Osten schwächte. Die Aktion >Barbarossa< war auf den Tag und die Minute festgelegt. Sie mußte im Juni zwischen Ende der Schlammperiode auf Rußlands Straßen und dem Beginn des Winters Ende Oktober erfolgen. Sie glaubten, noch einmal gewonnen zu haben.
5 Die im Dunkel sieht man nicht
Er hieß Felsenstein und trug Zivil. Aber er fuhr einen tarnfarbig gespritzten VW-Kübel mit WH-Nummer: Wehrmacht-Heer. Felsenstein hatte den Auftrag, in Berlin einen bestimmten Mann zu suchen. Aber wie, wenn dieser Mann nicht gefunden werden wollte? Felsenstein hatte in Ämtern und Sekretariaten herumtelefoniert. Auch verschiedene private Geheimnummern hatte er angerufen. Ohne Ergebnis. Dann hatte er quer durch Berlin alle besseren Bars und Kabaretts abgeklappert. Das bedeutete mehrere Stunden Fahrt in der verdunkelten, verschneiten Stadt. Endlich fand er ihn. Einsam saß er an der Bar im Hotel Adlon vor einem Glas Rotwein, seine geliebte Havanna paffend. Er trug sogar Uniform, die eines Admirals. Sein schräger Blick traf den Zivilisten, der auf ihn zukam. Trotz dunklem Anzug hatte sich Felsenstein nicht völlig zu tarnen vermocht. Seine Bewegungen, seine Ladestockhaltung verrieten, daß er Offizier war. Der Admiral hatte Felsenstein von oben bis unten gemustert und sagte, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen: »Sie kenne ich. Sie sind Soldat.« Der etwa Dreißigjährige stellte sich mit knapper Verbeugung vor: »Oberst Felsenstein, Adjutant von General Keitel.« Der schwere Körper des deutschen Abwehrchefs Canaris schien um Halswirbelbreite zusammenzusacken. Die Miene in seinem gebräunten Seemannsgesicht veränderte sich wie nach einem Schluck schlechten Rums.
»Was will denn Keitel von mir? Um mal eine Stunde allein zu sein, muß ich mich schon nach Timbuktu schießen lassen, fürchte ich. Sauladen.« »Der General muß Sie dringend sprechen«, erklärte der Adjutant. »Dann bringen Sie ihn doch her. Hier gibt es jede Menge Schnaps und lose Weiber. Aber davon träumt Ihr Chef ja nicht mal.« Oberst Felsenstein wurde von der aufgesetzten Heiterkeit des Admiral Canaris nicht angesteckt. Er blieb todernst. »Der General erwartet Sie.« »Doch wohl nicht in einer Tanzdiele.« »Im Reichskriegsministerium, Herr Admiral.« Keitel stand im Rang über Canaris. Wenn der also schon seine Truppen ausschwärmen ließ, um ihn zu finden, hatte er ihm etwas mitzuteilen. »Na denn«, seufzte Canaris. »Aber meinen Fahrer habe ich schon nach Hause geschickt.« »Ich bin motorisiert«, erklärte Oberst Felsenstein. Draußen wuchtete sich Canaris in den VW-Kübel mit dem Flatterdach. So freundlich, wie es Keitel überhaupt möglich war, begrüßte er den Abwehrchef. Der zog seinen Uniformmantel aus, warf ihn über eine Stuhllehne. »Wie geht es Ihnen, Canaris?« »Nach der Rüttelei im Kübelwagen und dem Gehüpfe im Paternoster nicht mehr so gut, aber für Sie tue ich ja alles, General.« Sie kannten sich, und der Feldmarschall wußte, daß Canaris überhaupt nichts für ihn tun wurde, es sei denn, er wurde gezwungen. Ganz beiläufig schaute sich Canaris um. Das Büro war preußisch einfach bis trist Schreibtisch Eiche, Schrank-Modell Kasernenspind, Vorhänge Leinen grob, die Sessel unbequem. Man schickte den Adjutanten hinaus. Ein Zeichen, daß der
General gleich zur Sache kommen wollte, und dieselbe geheim war. »Wir sind in Sorge«, begann er. Canaris verstand das Wort >wir< so, daß damit die oberste Dreierbande gemeint war: Keitel, Halder und A. H. Der General wurde beinah blumig: »Die Italiener sitzen am Balkan, mit Verlaub zu sagen, in der Scheiße. Kein Nachschub gelangt mehr aus den südlichen Adriahäfen an die griechische Front. Achtundneunzig von hundert Transportschiffen werden versenkt. Was englische Bomber nicht auf den Grund des Meeres schicken, besorgen Torpedos, obwohl weit und breit kein gegnerisches Fahrzeug zu sichten ist. Weder U-Boot noch Zerstörer, Schnellboot oder dergleichen.« »Behauptet wer?« unterbrach ihn Canaris. »Die Italiener.« »Na ja dann«, bemerkte Canaris grinsend. »U-Boote sieht man bekanntlich sowieso nicht, Schnellboote kommen meist bei Nacht, nachdem sie sich eingenebelt haben, weiß doch jeder Leichtmatrose.« Der General ging gar nicht darauf ein. »Besonders schlimm ist es am Absatz des italienischen Stiefels um die Straße von Otranto herum.« Canaris wurde allmählich klar, daß man hier keinen sachverständigen Kommentar von ihm verlangte, sondern etwas anderes. Und schon rückte der General damit heraus. »Der Führer wünscht, daß sich die deutsche Abwehr darum kümmert, ob die Engländer vielleicht eine neue Waffe entwickelt und an einer der Küsten oder Inseln vor Otranto heimlich stationiert haben.« Um nicht vorschnell zu reagieren, steckte sich Canaris seinen Havannastummel noch einmal an und paffte los, obwohl er wußte, daß sein Gegenüber Nichtraucher war. Dann erwiderte er: »Wir unterhalten in Italien kein Agentennetz.« Empört fragte der General, warum dies so sei. Canaris versteckte sich hinter dem Mann mit dem großen Schatten: »Tut mir leid. Es geschah auf besonderen Wunsch des Führers sowie aus Rücksichtnahme auf Herrn Mussolini und
dessen Stolz.« Spöttisch, was selten bei ihm vorkam, kam die nächste Frage: »Herr Admiral Canaris ...«, er war aufgesprungen und ging mit Paradeschritten auf und ab, »... Admiral Canaris, wann haben Sie sich jemals nach irgendwelchen Wünschen von wem auch immer gerichtet?« »Bei Wünschen in Befehlsform«, betonte Canaris, »schon.« Der General blieb stehen, etwas breitbeinig in seinen Breecheshosen mit den roten Streifen und den handgenähten Reitstiefeln. Die Arme in die Seite gestützt, schaltete er auf Exerzierplatzton: »Hier liegt ein Befehl vor«, schnarrte er. »Der Führer wünscht, daß Sie auf jeden Fall etwas unternehmen. Oder wollen Sie das schriftlich?« Canaris drückte endlich den Havannastummel in den massiven Messingascher. »Ihre Lautstärke genügt. Sie hören von mir.« Beim Aufstehen streifte Canaris' Blick das schwarze Zifferblatt seiner Marineuhr mit den grünen Leuchtziffern. 23 Uhr. Die Bar im Adlon schloß erst nach Mitternacht. Er konnte also die angebrochene Flasche Rotwein zu Ende trinken. Und nachdenken. Um Ideen in einem klärenden Gespräch auszuformen, sprach Canaris stets mit seinem Stellvertreter Kapitän zur See Oster darüber. »Typisch, was die im Oberkommando wieder einmal fordern. Heute gilt das Verbot von Agententätigkeit bei unserem italienischen Verbündeten, um Herrn Mussolini nicht den Hauch eines Mißtrauens entgegenzubringen, aber gestern schon soll ein Spionagenetz aufgebaut sein. Das geht nicht einmal mit blitzartiger Lichtgeschwindigkeit rückwärts.« »Es ist praktisch unmöglich«, antwortete Oster, vom Typus her dem ehemals schlanken, jetzt füllig gewordenen Canaris entsprechend, »so was dauert zehn Jahre.« Als Beweis, daß sie auf der gleichen Wellenlänge dachten, äußerte Oster noch etwas, woran auch Canaris schon herumgeknobelt hatte: »Sie haben doch gute Verbindungen zur katholischen Kirche, Admiral.«
»Der Nuntius von Berlin ist beinahe mein Freund.« Und dieser Freund war Kardinal Orsenigo. Mit ihm hatte das Vatikanische Staatssekretariat den zweitmächtigsten Mann der Römischen Kirche nach Berlin geschickt. »Ich werde mich wohl an ihn wenden«, entschied Canaris. »Natürlich bitte ich ihn nicht um seine Hilfe, sondern um seinen Rat.« Der Terminplan des Nuntius war auf Wochen hinaus voll. Wer eine Audienz bei Orsenigo wollte, mußte sich lange vorher anmelden. Canaris aber hatte die Nummer seines Privatsekretärs. »Morgen um neun, Herr Admiral«, sagte dieser. »Wie lange werden Sie seine Eminenz wohl beanspruchen? Eine Stunde?« »Das kommt auf den Kardinal an«, äußerte Canaris vorsichtig. Pünktlich am nächsten Morgen, es war ein Donnerstag, erschien Canaris in der Nuntiatur. Der Kardinal sei gerade in der Kapelle beim Morgengebet, hieß es. Doch wenig später nahmen die Herren gemeinsam das zweite Frühstück ein. Bei Italienern, so wußte Canaris, bestand es nur aus einer winzigen Tasse Kaffee. Einem sehr schwarzen, sehr bitteren mokkaähnlichen Sud, den man Espresso nannte, der mit Dampf über die gemahlenen Bohnen gepreßt wurde, und einem Brioche. Der Nuntius trug eine weiße Soutane mit seidenem Gürtel in Kardinalsrot und ein ebensolches Käppi. Er sah beinahe aus wie der Heilige Vater, gab sich aber absolut jovial und freundlich. »Wenn Sie zu mir kommen, Canaris«, sagte er lächelnd, »brennt Rom.« »Noch nicht, Eminenz«, schränkte Canaris ein. Mit wenigen Worten, aber entgegen seiner direkten Art diplomatisch verbrämt, schilderte der Admiral dem höchsten Vertreter der Katholischen Kirche in Deutschland sein Problem. »Es setzt mich in Erstaunen«, erklärte der Nuntius daraufhin, »einen Mann wie Sie, dem der Ruf der Allwissenheit vorausgeht, einmal in Schwierigkeiten zu sehen.«
Admiral Canaris ersparte sich die Erwiderung, daß es nur einen gebe, der allwissend sei, nämlich Gottvater. Der Nuntius bewegte die Lippen, als spreche er tonlos vor sich hin. Dann ein Seufzen der Qual. »Was kann ich da bloß tun, Admiral. Ich habe keine Mata Haris in meiner Mannschaft, keinen Oberst Redl.« »Aber ...«, setzte Canaris an, »die Katholische Kirche ist die größte Organisation mit Millionen Augen und Ohren rund um die Welt.« »Und Schweigegelöbnis«, schränkte der Nuntius ein. Canaris wurde deutlicher, vielleicht verstand der jesuitisch gebildete Kardinal ihn so besser. »Sie verfügen über Quellen, Eminenz, von denen die Diplomaten aller Länder nur träumen können.« Der Nuntius wußte durchaus, wo rauf der Admiral hinauswollte. Geheimdienstleute dachten immer spionagemäßig. Der Nuntius, ein kluger und vorsichtiger Mann, versuchte sich zunächst einmal vor der Entscheidung zu drücken. »Ich will darüber nachdenken«, sagte er. Und mit Rom sprechen, ergänzte Canaris für sich. Dann wurde er verabschiedet. »Gott zum Gruß, Bruder Canaris.« Mit nur einem Plan, dem Problem näher zu kommen, wäre Canaris ein armseliger Abwehrchef gewesen. Er bestellte einen Mann in sein Büro, der die Katholische Kirche mit ihren Möglichkeiten in- und auswendig kannte. Er war jahrelang Priester gewesen, mit Qualifikation zu höchsten vatikanischen Ämtern. Dann hatte er dummerweise in Rom eine bildschöne Italienerin aus gutem Hause geschwängert. Nicht die Tatsache, daß er den Zölibat gebrochen hatte, zerstörte seine Laufbahn, sondern daß er die Contessa heiraten mußte. Der Expriester, eine Erscheinung wie ein eleganter braungebrannter Tennislehrer, verbreitete Duftwolken von Rasierwasser, als er das Büro des Abwehrchefs betrat. Er rauchte flache ägyptische Zigaretten der Marke >Nil< und war auch einem Kaffee mit Cognac nicht abgeneigt.
»Aber bitte nennen Sie mich nicht Hochwürden«, bemerkte er lächelnd. Förmlichkeiten ersparte ihm Canaris gern, denn seit der Unterredung im Führerbunker in Ostpreußen waren schon drei Tage vergangen, und in Rastenburg wartete A. H. auf Ergebnisse. Canaris setzte den Expriester ins Bild, soweit er durfte, seinerseits interessierte er sich für die Infrastruktur der Katholischen Kirsche, soweit es die Beschaffung von Informationen betraf. »Da liegen Sie in Ihrer Annahme absolut richtig, Admiral«, sagte sein Besucher. »Immerhin unterhält der Kirchenstaat über hundert Nuntiaturen in fast allen Ländern der Welt. Die päpstlichen Diplomaten sind die Augen und Ohren des katholischen Imperiums. Sie sammeln Informationen, verhandeln im Namen des Papstes mit den zuständigen Regierungen. Sie kontrollieren Bischöfe, aber auch Theologieprofessoren an den Hochschulen auf mögliches Abweichlertum.« Canaris hatte ihn verstanden und deutete an, worum es ihm ging. »Die Chefs aller Geheimdienste wurden sich einen solchen Apparat nur wünschen. Aber die Nuntiaturen beschränken ihre Kontakte wohl meist auf Regierungskreise.« »Dafür stehen dem Nuntius«, führte der Besucher weiter aus, »Ortskirchen mit Tausenden von Priestern, Laienpredigern, Sozialhelfern sowie Mönchen und Nonnen in Klöstern zur Verfügung, die bis in den letzten Winkel des jeweiligen Landes tätig sind. Diese Spione des Vatikans sind unvergleichlich bessere Quellen als die größten Geheimdienste jemals erschließen können.« Nach einer Reihe technischer Fragen hatte Canaris noch einige, bei denen es um seine Ziele ging. »Was glauben Sie, habe ich vom deutschen Nuntius zu erwarten?« »Das gleiche, was das Reich vom Vatikan zu erwarten hat.« »Und das waren weiterhin großzügige Duldung, Einhaltung des Konkordats und der Kirchenverträge?« »So ist es.« »Gibt es da eine gewisse Gegenseitigkeit?« Der Besucher war sich nicht ganz sicher, äußerte sich deshalb
jesuitisch. »Der Vatikan wird tun, was man von ihm erwartet, aber auf niedrigster Stufe.« Canaris gab sich philosophisch. »Eine Stufe ist immer davon abhängig, von welchem Niveau man ausgeht.« »Fürchte, es geht von Null an.« Nur war Canaris diese Null nicht bekannt. Und seinem Besucher auch nicht. Achtundvierzig Stunden später erhielt Canaris einen Anruf aus dem Büro des Kardinal-Nuntius. Der Privatsekretär ließ seinen Auftraggeber, Kardinal Cesare Orsenigo, unerwähnt, sondern sagte nur: »Herr Admiral, ich darf Sie bitten, uns eine Person Ihres Vertrauens zu benennen. Sie wiederum wird vermutlich in Genua einen Mann unseres Vertrauens treffen. Er kommt aus der südlichen Provinz Apulien. Den genauen Ort und die Stunde geben wir Ihnen noch bekannt.« Der Kardinal ließ ihn nicht grüßen, also ließ auch Canaris den Kardinal nicht grüßen. Telefone wurden abgehört. Da er in seinen Bemühungen bestenfalls einen Schritt und einen halben vorangekommen war, unterrichtete Canaris zunächst auch niemanden sonst.
6 Gefangen in irischer See
Alle waren froh, daß es Nacht wurde. Der Strom trieb das antriebslose Boot immer näher an die irische Küste heran. Bald waren im Fernglas schon die Lichter der Häuser und die Scheinwerfer der Autos auf den Straßen auszumachen. Um die Sisaltrossen des Fischernetzes, die sich um die Schrauben, um Haupt- und ein Tiefenruder verwickelt hatten, zu lösen, wechselten die kräftigsten Männer von U-136 einander ab. Trotz dicker Schichten aus Schmierfett und Schweineschmalz - etwas anderes stand an Bord nicht zur Verfügung - hielten sie es in dem eiskalten Wasser nicht lange aus. Der Leitende, Oberleutnant Behrens, stand mit seiner Uhr dabei und holte seine Männer durch Leinensignal nach spätestens drei Minuten wieder herauf. Dann waren sie so durchgefroren, daß man sie an Deck ziehen mußte. Sofort bekamen sie heißen Tee eingeflößt und vorgewärmte Decken umgelegt. Einer von ihnen meldete: »Das Tiefenruder ist jetzt frei, Herr Oberleutnant. Am Hauptruder sagen wir noch eine Strahltrosse durch. Sie hat sich direkt am Schaft verfangen und festgeklemmt. Mit dem Bolzenscheider geht nichts. Die Trosse ist daumendick.« Die nächste Partie glitt ins Wasser, das nur wenig über vier Grad plus hatte. Wie sie arbeiteten, hämmerten und sägten, war bis ins Boot hinein zu hören. »Verdammt!« fluchte der Leitende. »Kann es denn so verdammt schwer sein, diese Scheißleinen von der Schraube zu lösen! «
Wieder tauchte ein fettbeschmierter muskulöser Körper neben der Bordwand auf. Der Maschinist riß sich die Nasenklemme und das Mundstück des Tauchretters weg und prustete: »Gott der Herr, wir schaffen das nicht.« Um seinen Männern ein Beispiel zu geben, wollte LI Behrens selbst mit hinuntertauchen. Er stand schon halbnackt an Deck, als ihn der Kommandant zurückpfiff. »Das ist Wahnsinn. Sie nicht, LI. Sie brauchen wir noch.« Und Wessel knurrte im Hintergrund: »Ein guter LI ist so selten wie eine Jungfrau auf einem Marineschulschiff.« Sie arbeiteten die ganze Nacht durch in Viererschicht. Drei Schichten tauten auf, eine fror zu Eiszapfen. Gegen Morgen kam ein Maschinengefreiter herauf, ballte die Faust und streckte den Daumen ab. »Wir haben's!« keuchte er. Den Strahleblick, den Behrens jetzt drauf hatte, so was mußte man wirklich üben. Die Werkzeuge wanderten durch das Torpedoluk, das Deck wurde klargemacht. »Danke, LI«, sagte der Kommandant, »für Ihre Männer eine extra Flasche Cognac. Und vergeßt mir nicht, irgend etwas zu konstruieren, das wie ein Netzabweiser ausschaut.« Lützow kletterte über die Steigeisen auf den Turm und gab den Befehl: »Beide Diesel mit langsamer Fahrt angehen!« II WO Wessel, der neben ihm stand, deutete plötzlich nach Achtern. Er hatte etwas gesehen. »Teufel! Und was ist das, mon capitaine?« Dort an Steuerbord, wo der Tankwulst gegen das Heck hin auslief, bewegte sich etwas Schwarzes, glänzend wie ein Fisch in ein Meter Tiefe. Aber es war kein Fisch. Die hatten nur eine Heckflosse. Dieses Wesen aber hatte zwei, ziemlich kräftige Beine, am Rucken die rote Preßluftflasche eines Tauchgerätes, in der Hand ein Ding, das aussah wie jener Stock, den Männer im oberbayrischen Winter zum Eisschießen verwenden. Unten am Fuß rund, dann kegelförmig zulaufend, oben mit einem
Griff. Blitzschnell, ohne daß er eine Erklärung abgeben konnte, allein auf die Überzeugung hin, daß es sich um einen Kampfschwimmer mit Haftladung handelte, schwang sich Wessel auf die Turmverschalung und hechtete mit weitem Sprung vom Turm ins Wasser in Richtung auf das amphibische Wesen. Er platschte einige Meter hinter ihm auf, war aber trotz UBoot-Lederzeug schneller und beweglicher. Wessel erwischte den Kampfschwimmer am Fuß. Der versuchte sich erst loszureißen, dann die Haftmagnete seiner Hohlladung gegen den Rumpf von U-136 zu drücken. Das gelang ihm auch. Sofort tauchte er unter. Doch Wessel saß ihm im Genick, riß ihm den Atemschlauch von der Preßluftflasche und säbelte ihm die Handkante ins Genick. Betäubt sank der Froschmann zunächst bewegungslos auf Tiefe. Wessel crawlte zu der Haftladung, die an der Bordwand klemmte und deren Zunder vermutlich schon tickte. Diese Dinger waren in der Lage, die Seite eines U-Bootes völlig aufzureißen bis hin zu den Innereien. Sie konnten sogar Panzerfahrzeuge und Tanks zerstören. Mit aller Kraft hängte sich Wessel an den Griff des tödlichen Monsters und riß es weg. Es gelang ihm nur, weil die Haftung der Magnete an der Schiffsfarbe nicht voll eingesetzt hatte. Mit beiden Händen schleuderte er die Haftladung über den Kopf so weit wie möglich weg. In etwa zehn Meter Entfernung klatschte sie in die See. Sein Lederzeug hatte sich inzwischen voll Wasser gesaugt. Wessel konnte sich nur noch mühsam schwimmend über Wasser halten. Doch da streckten sich ihm schon hilfreiche Hände entgegen und zogen ihn an Deck. Während er taumelnd dastand, sah er, wie der schwarzgummierte Froschmann nach Steuerbord davonschwamm, genau in die Richtung, wo die Hohlladung aufgekommen war. Leider würde ihnen dieser Einzelkämpfer zwecks Verhör nicht mehr zur Verfügung stehen ... Auf den zwei Meilen bis zur Küste hätten sie ihn vielleicht noch erwischt, denn er konnte nicht mehr abtauchen. Aber
dort, wo er jetzt schwamm, detonierte in diesem Augenblick die Haftladung mit ungeheurem Druck. Das Meer färbte sich rot von seinem Blut. Als sie ihn mit dem Bootshaken an Deck holten, hatte sein Rumpf keine Arme mehr und nur noch ein Bein. Aber noch schien er zu leben. Der tödlich verletzte englische Kampfschwimmer wurde unter Deck gebracht. U-136 machte Fahrt und ging auf Tiefe. II WO Wessel, der sich helfen lassen mußte, das vom Seewasser gequollene nasse Lederzeug loszuwerden, fragte mehr im allgemeinen: »Und was wollte der Dichter uns damit sagen? Aufpassen Herrschaften ... Holzauge sei wachsam ... und ...« »... und was bitte?« fragte der Kommandant. »Wo einer ist, da können auch zwei sein, Herr Kaleu. Wie heißt es doch so schön: Wer lügt, der stiehlt, der bricht auch ein, und der kann auch ein Mörder sein.« Den Schwerverletzten hatten sie auf eine Koje gelegt. Verhör war nicht möglich. Er hatte das Bewußtsein verloren. Immer noch stark ausblutend, hörte sein Herz bald auf zu schlagen. Lützow beschloß, ihm ein Seemannsgrab zu gewahren. »Über Bord mit ihm, sobald wir wieder droben sind. Aber mit Ehrenbezeugung, wenn ich bitten darf. Bringt das Tauchgerät in Sicherheit. Auch alles, was von dem Gummianzug noch übrig ist.« Es handelte sich offensichtlich um eine neue englische Entwicklung. Die glatte schwarze Außenhaut war innen mit rotem Schwammgummi gefüttert, und am Fuß trug der Mann eine halbmeterlange Flosse. Diese Flosse behielt Wessel. »Als verdiente Beute«, wie er sagte, »oder Souvenir.« In der Dundalk Bay, etwa vier Meilen von der Küste entfernt, übergaben sie den toten Engländer dem Meer. Das Wetter wurde schlecht, Nebel kam auf. U-136 nahm südlichen Kurs auf Dublin zu. In der O-Messe sagte Kapitänleutnant Lützow zu Leutnant Wessel: »Sie haben das Boot gerettet und ein paar Wünsche frei.«
»Dann einen Whisky bitte, ohne Eis.« »Eis ist ausgegangen, Herr Leutnant«, bedauerte der Koch, »darf es auch Whisky ohne Wasser sein?« »Witzbold, he?« sagte Wessel. »Dann hätten wir einen zuviel an Bord«, bemerkte Lützow trocken. Noch vor »Backen & Banken« bat der Zentralemaat, den Kommandanten sprechen zu dürfen. »Was haben Sie auf dem Herzen, Stösser?« fragte Lützow. Die Pupillen von Stösser machten einige Bewegungen von links nach rechts. »Unter vier Augen, Herr Kaleu.« Lützow wußte, daß so etwas von der gesamten Besatzung beobachtet wurde und blitzschnell die Runde machte. Also wollte er keinerlei Heimlichkeiten Vorschub leisten. Trotzdem zog er sich mit Stösser hinter den grünen Filzvorhang des Kommandantenschapps zurück. Auf der Tischplatte sitzend, sagte er: »Stehen Sie bequem. Bootsmaat. Also, was gibt's?« »Ich wollte niemanden von der Besatzung beunruhigen«, erklärte Stösser, »aber dieser englische Froschmann kommt direkt von Nerrow Water Castle. Da ist ein ganzes Nest voll von denen.« »Das liegt noch auf der britischen Seite von Nordirland«, bemerkte Lützow, »in der Grafschaft Ulster.« Während Stösser dies kopfnickend bestätigte, wollte Lützow mehr wissen. »Wie kommen Sie denn darauf 5« Der Zentralemaat antwortete nicht direkt, sondern berichtete kurz: »Bevor ich zu Ihnen an Bord kam, Herr Kaleu, war ich bei den Kleinkampfverbänden in Swinemünde. Sie bildeten uns dort zu Kampftauchern und Torpedoschwimmern aus. Torpedoschwimmer, das sind Leute, die sich von Torpedos ziehen lassen oder draufsitzen und die Aale an das Ziel herandirigieren.« Lützow unterbrach ihn. »Was hat das mit Nerrow Water Castle zu tun?« »Ausgebildet wurden wir alle nach den Erfahrungen eines
Offiziers der Royal Navy namens Captain Grabb. Besser bekannt unter dem Namen Froschmann-Grabb. Er hat schon berühmte Kunststückchen geliefert, was das Anbringen von Hartladungen an feindlichen Schiffsrümpfen betrifft. Freiwillige dafür auszubilden ist sein Spezialgebiet.« Lützow war sofort klar, wie nahe sie an dieser Kampfschwimmerschule vorbeigeschrammt waren. Die Engländer hatten das havarierte Boot auf See gesehen und sofort einen Taucher losgeschickt. »Da sind wir dem Teufel noch mal haarscharf von der Sense gesprungen. Besten Dank auch. Stösser. Ich werde Sie im Kriegstagebuch lobend erwähnen.« Während das Boot weiter Richtung Sankt-Georg-Kanal fuhr und LI Behrens seine Diesel auf äußerster Sparflamme laufen ließ, um Treibstoff zu sparen, wurde Kapitänleutnant Lützow klar, daß die Engländer, was Froschmann-Operationen betraf, der deutschen Marine überlegen waren. Er wurde das in einem Sonderbericht erwähnen müssen. II WO Leutnant Wessel, Held des Tages, genoß das kurze Nichtstun. Nach dem Whisky legte er eine kurze Pause ein. Dann begehrte er schinkenbelegte Stullen mit Tee, Frühstück null dreizehn, Mittag um null einundzwanzig Uhr. Das alles gemütlich, in abwechselnden Schritten. Vom Wachdienst befreit, schlief er dann von Hell bis Dunkel und zurück.
7 Gammel in Genua
An den letzten zweihundert Metern der äußeren Überseepier des Hafens von Genua, der Molo Vecchio, lag noch immer der deutsche Passagierdampfer Mombasa. Die einzige Verbindung zum Land waren die Leinen und das Telefonkabel. Alle zehn Tage kam der Frischwasserprahm und füllte die Tanks der Mombasa mit jeweils hundertzwanzig Tonnen aus den Quellen des Küstengebirges. Für das Wasser nahmen die Italiener Höchstpreise. Aber Kapitän Lorensen rechnete pro Mann der Restbesatzung einen Kubikmeter täglich. Das schloß das Baden, Verbrauch in der Küche und im WC ein. Bei einem Gespräch mit dem Zahlmeister und dem Leitenden Chief verordnete er vorsichtshalber ein Sparprogramm für den Wasserverbrauch. Künftig sollten die zwölf Mann der Restbesatzung nicht mehr als 5000 Liter pro Tag benötigen. »Sonst stehen wir eines Tages ohne Zaster auf dem Trockenen. Aus Bremen, von der Reederei, ist nichts mehr zu erwarten.« Die Mombasa befand sich innerhalb des Zollgebietes. Mit seinem Paß konnte jedes Besatzungsmitglied, sooft es wollte, das Schiff verlassen und sich in die Stadt begeben. Ebenso durften Besucher an Bord, vorausgesetzt, sie besaßen die nötigen Papiere. Eines Tages, es war im Februar 1941, meldete sich ein Mann aus Berlin an. Er war Angestellter der Reederei. Lorensen kannte ihn dem Namen nach. Er hieß Wittmann und war diplomierter Schiffbauingenieur.
Guten Gewissens empfing ihn Lorenzen, als der Besucher an der Stelling aus dem Taxi stieg. Gleich von Anfang an bemühte er sich um einen lockeren Ton »Bringen Sie uns schon die Ostereier, Wittmann?« Der graue Rechenschiebertyp verstand offenbar solche Späße nicht. »Erst mal einen Hauten Arbeit, Käptn.« Dann flunkerte Wittmann, Angeblich machte er ein paar Tage Urlaub in Italien, in Portofino, und dei der Gelegenheit wolle er sich das gute Schiff noch einmal anschauen. Aber die Kontrolle war wohl der Hauptgrund seiner Visite. Lorensen glaubte, rasch die Wahrheit herauszuhören. Da er für Genauigkeit war, fragte er: »Sie wollen das Schiff noch einmal sehen. Wie darf ich das verstehen. bitte?« Der Mann von der Reederei tat erstaunt. »Lesen Sie hier keine Zeitungen?« »Wenn wir Glück haben, bekommen wir alle drei Tage eine, und die ist dann meistens schon zwei Wochen alt.« »Radio?« »Kaputt.« Diplomingenieur Wittmann nickte verständnisvoll, führte die Spitzen seiner Finger gegeneinander, hob sie in Augenhöhe und schiele darüber hinweg. »Alle Schiffe«, er räusperte sich, »alle deutschen Schiffe, soweit sie in Häfen des Auslandes liegen, sind verstaatlicht.« »In Häfen des neutralen Auslandes«, verbesserte ihn Lorensen. Wirrmann ging über den Einwand hinweg, denn über Schifte, die dem Feind in die Hände gefallen waren, hatte man ohnehin keine Verfügungsgewalt mehr. Er fuhr fort: »Die Besatzungen wurden Wehrdienstverpflichtet. Also in die Kriegsmarine übernommen. Am besten, Sie melden sich freiwillig, Lorensen, Sie bekämen automatisch den Rang eines Korvettenkapitäns.« Am nächsten Morgen prüfte der Besucher die Schiffspapiere. Die echten Mombasa-Dokumente sowie die anderen, die Lorensen gefälscht hatte, um durch den Suez-Kanal zu kommen. »Gute Arbeit«, sagte der Kontrolleur und nahm sich Zeit, die
Vorräte sowie den Technischen Zustand der Mombasa zu überprüfen. Es war wie eine Inventur. Jede Büchse mit Sardinen hakte er auf den Listen ab, jedes Ersatzteil, jeden Liter Schmieröl und Dieselkraftstoff, jede Ersatzschraube. Die Zahl der Glühbirnen ebenso, dann den Bestand an Medikamenten in der Schiffsapotheke. Das dauerte drei Tage. Am Ende nahm sich Wittmann Zeit für Gespräche mit der Restbesatzung. Mit den Offizieren unterhielt er sich ausführlich, mit jedem anderen Angestellten mindestens zehn Minuten. »Ist gut geführt Ihr Laden, Lorensen«, äußerte er schließlich anerkennend. Der Kapitän dachte schon, damit sei er ihn endlich los, da interessierte sich Wittmann noch für die Passagierlisten. Jeden einzelnen Namen ging er durch, als suche er einen bestimmten. »Die Leute sind alle von Bord«, erklärte Lorensen noch einmal. Der Mann von der Reederei blinzelte deutlich. »Wirklich alle?« »Meines Wissens ...«, um nicht lügen zu müssen, sprach Lorensen nicht weiter. Das war gut für ihn, denn Wittmann zeigte sich erstklassig informiert. »Alle Passagiere bis auf einen«, sagte er, »eine Frauensperson. Wo hält sie sich auf?« Lorensen leugnete nicht, daß sich eine gewisse Rosita Merano, Sängerin, Schauspielerin, Kabarettistin, noch an Bord aufhielt und erzählte kurz ihre Geschichte. »Danke, die kennen wir«, unterbrach ihn der Kontrolleur. »Ich habe ihr gestattet, vorerst an Bord zu bleiben.« »Das wissen wir.« Lorensen glaubte, seine Handlungsweise erklären zu müssen. »Sie hat die Passage bis Le Havre bezahlt und im Grunde genommen das Recht, dort abgeliefert zu werden.« »Aber da fahren wir ja nicht hin, oder?« »Vorerst nicht«, schränkte Lorensen ein. »Aber Vertrag ist Vertrag. So gesehen hat Frau Merano das Recht, an Bord zu
bleiben, bis sie ihr Passageziel erreicht hat.« »Wenn es den Ausschlußparagraphen von höherer Gewalt nicht gäbe«, wandte Wittmann ein. »Davon steht nichts auf dem Ticket.« Lorensen wußte, daß diese Begründung sehr dünn war. Dann ging es auch gar nicht mehr ums Juristische, sondern daß Wittmann sofort Frau Rosita Merano sprechen wollte. Die Sängerin war immer noch eine elegante Erscheinung, von etwas flitteriger Schönheit. Nur ein Mann, der ewige Keuschheit geschworen hatte, wäre von ihr nicht entzückt gewesen. Wittmann aus Berlin gehörte offenbar zu dieser Kategorie. »Wir wissen alles über Sie«, setzte er an, »es steht in den Zeitungen.« Dann zählte er auf: »Sie haben in Berlin bei der Ufa gearbeitet und im >Kabarett der Komiker< gastiert. Sie haben dieTournee nach Johannesburg/Südafrika von gestern auf heute angenommen, weil wegen Ihrer respektlosen Witzeleien gegen führende Staatsmänner die Gestapo hinter Ihnen her war.« Das gab Rosita Merano unumwunden zu. Nur änderte sie den Begriff Staatsmänner in Nazionalsozialisten ab. »Deshalb kann ich nicht nach Hause.« »Und im Ausland haben Sie Ihre schlimmen Desavouierungen gegen den Führer, gegen Minister Goebbels und andere auf die Spitze getrieben.« »Davon ist mir nichts bekannt. Im Gegenteil, ich habe meine Texte entschärft.« Da zog der Mann aus Berlin sein Notizbuch aus der Sakkotasche, blätterte es durch und las vor: »Unser Mittelsmann im Trocadero-Garden-Nachtclub in Kapstadt hat folgendes notiert: Zwischen zwei Liedern sagte die Sängerin R. IN.: ... Der Lehrer malt einen Kreis an die Tafel. >Was ist dasDer dicke Göring< schreit die Klasse. - Der Lehrer malt nun einen Klumpfuß an die Tafel, >Hinkebein Goebbels< schreit die Klasse. - Der Lehrer malt zwei senkrechte kleine Striche an die Tafel. Ratloses Schweigen. Bis einer aus der hinteren Bank sich meldet und ruft >Eigentlich ist das ein Anführungszeichen, Herr Lehrer, aber wie ich den Laden hier kenne, kann es sich nur um
unseren heißgeliebten Führer, den Dekorationsmaler Adolf Schicklgruber, handelnCatapult< nicht nur geplant, sondern die Durchführung angeordnet. Ein Beweis, daß sie fest entschlossen waren, den Kampf gegen Deutschland mit allen Mitteln fortzusetzen. Dem stand noch die französische Flotte im Wege. Sie war nahezu intakt und mußte deshalb zerstört werden. Einheiten, die auf den Antillen oder sonstwo in fernen Häfen stationiert waren, Schlachtschiffe, Zerstörer, U-Boote, befanden sich im we sentlichen schon in Händen der Engländer. Vier Kreuzer und ein Flugzeugträger ankerten vor Alexandria, für die Deutschen ohnehin nicht erreichbar. Ebensowenig wie die sieben Kreuzer in Algier. Aber das mächtigste Geschwader ankerte im Hafen von Mers-El-Kébir. Die Schlachtschiffe Bretagne und Provence, das Flugzeugmutterschiff Commandant Teste, Zerstörer der Terrible-Klasse und die nagelneuen kostbaren Schlachtschiffe Dunkerque und Strasbourg. Wegen der letzteren war Churchill äußerst beunruhigt. London fürchtete, man konnte sie mit den deutschen Schlachtschiffen Scharnhorst und Gneisenau zusammenführen und damit eine Front gegen die britische Homefleet bilden. Besonnene britische Admirale machten Churchill darauf aufmerksam, daß die Durchführung des Unternehmens >Catapult< keine sehr ritterliche Tat sei. Churchill aber sah die Gefahr sehr wohl und befahl die Durchführung. Bei den in England liegenden französischen Schiffen lief >Ca-
tapult< ohne Schwierigkeiten ab. Die französischen Besatzungen wurden im Schlaf überrascht. Außerdem verfügten die Schiffe über keinerlei Schweröl mehr, um die Kessel anzuheizen, und die Verschlüsse der Geschütze lagen an Land unter Bewachung. In Mers-El-Kébir war alles anders. Dort waren die Franzosen seetüchtig. Das führte zu einem schrecklichen Ende. Am 3. Juli, um sieben Uhr morgens, erschien Vizeadmiral Sommerwill mit seiner Armada vor der Hafenausfahrt und verminte sie. Dann ließ er den Franzosen ein Ultimatum signalisieren: ÜBERGABE ALLER SCHWIMMENDEN EINHEITEN ODER VERSENKUNG Die Franzosen erhielten sechs Stunden Bedenkzeit. Schließlich antwortete der französische Admiral: »Wir werden Gewalt mit Gewalt beantworten!« Und gab den Befehl zum Anheizen der Kessel. Die Funkverbindung zur Restregierung in Frankreich war schlecht. Also ließ er das Ultimatum verstreichen. Erst als die Salven der Engländer fielen, billigte die französische Admiralität in Vichy diese Haltung der Flotte. Die Franzosen in Mers-El-Kébir hatten noch gehofft, durchbrechen und nach Möglichkeit die Katastrophe verhindern zu können. Die Briten eröffneten jedoch um 17 Uhr 45 volles Feuer. Die französischen Schiffe, gerade mit Ankerlichten beschäftigt, waren ein leichtes Ziel. Manche von ihnen ließen die Ankerkette herausrauschen und dampften los, wurden aber zusammengeschossen oder an der Sperre durch Minen schwer beschädigt. Die Franzosen wehrten sich verzweifelt. Die Dunkerque feuerte vierzig Schuß auf die britische Houd, die Provence lief auf Grund und schoß sinkend noch aus allen Rohren. Der Zerstörer Mogador flog in die Luft, die Bretagne explodierte nach der ersten Salve. Die Briten stellten ihr Feuer erst ein, als der französische Admiral Gensoul signalisierte, daß alle seine Schiffe außer Gefecht seien. Trotzdem versuchten am nächsten Tag noch drei Wellen bri-
tischer Torpedoflugzeuge die nur leicht beschädigte Dunkerque zu versenken. Sie schossen sogar mit Bordwaffen auf Schnellboote, welche die schwimmenden Matrosen zu retten versuchten. Die Verluste der Franzosen an diesem Tag beliefen sich auf 1297 Mann allein an Toten. Minister Darlan erklärte bitter: »Ich wurde von meinen Waffenbrüdern verraten.« Ein Krieg zwischen Frankreich und England konnte von Pétain nur noch um Haaresbreite verhindert werden. Die Reste der französischen Heimatflotte lagen im Kriegshafen von Toulon an der nördlichen Mittelmeerküste. Die Schiffe waren zwar gut gesichert, ihre Waffen aber ohne Munition. Deshalb verbreitete sich die Befürchtung, sie könnten einem erneuten britischen Kommandounternehmen zum Opfer fallen. Sei es durch Taucher, Torpedoboote oder Bomber, die von Malta aus operierten. Aus diesem Grund gab der Flottenadmiral den Befehl zur Selbstversenkung. Die französischen Kommandanten zündeten die in ihren Schiffen angebrachten Sprengpatronen und öffneten die Bodenventile in den Bilgen. So sank die stolze französische Heimatflotte auf den Grund der See, bevor sie den Engländern in die Hände fiel. Was übrigblieb, waren drei Zerstörer der Terrible-Klasse und zwei kleine Kreuzer. Auf diese fünf Einheiten hatten es die Deutschen abgesehen, um damit dem stark bedrängten Mussolini zu Hilfe zu kommen. In der ersten Februarwoche erschienen deshalb zwei deutsche Marineoffiziere, ein Vizeadmiral und ein Fregattenkapitän, bei der französischen Ersatzregierung in Vichy. Marschall Pétain, der mit einer schweren Erkältung zu Bett lag, delegierte das Gespräch an seinen Polizeiminister. Diesem erklärten die Deutschen Emissäre klipp und klar, worum es ging. »Wir benötigen dringend die noch fahrbereiten Einheiten Ihrer Flotte in Toulon, Monsieur Commandante.«
Da ein geschickter Unterhändler nie etwas ohne Gegenleistung hergab und der Polizeiminister ein abgebrühter Fuchs war, machte ihm der Admiral ein Angebot: »Wenn Sie uns in diesem Punkt, das betrifft die Übernahme von drei Zerstörern und zwei kleinen Kreuzern, keine Schwierigkeiten bereiten, dann garantiert Ihnen das deutsche Reich weiterhin die Versorgung mit Kohle aus dem Elsaß, mit Strom aus italienischen Wasserkraftwerken und den freien Zukauf von Lebensmitteln für Ihre Bevölkerung.« Der Franzose schien zu erkennen, daß das kein schlechtes Geschäft für ihn war. Doch gab es dafür einen besonderen Grund, den er den Emissären aus Berlin nicht verschweigen konnte. »Meine Herren«, gestand er, »leider verfügen wir von Vichy aus über keinerlei Verbindung nach Toulon, geschweige denn Befehlsgewalt. Was immer Sie unternehmen, um die Schiffe in Ihre Hand zu bekommen, geht auf Ihr Risiko. Wir können nur eines tun. Ich kann versuchen, Admiral Le Luc anzurufen, daß er sich zurückhält und jeden Zwischenfall vermeidet. Um Ihre Pläne nicht von vorneherein zu einem Mißerfolg werden zu lassen, schlage ich Ihnen vor, sie geheimzuhalten, was ich auch unsererseits garantiere.« Als die Emissäre von Vichy in das deutsche Hauptquartier nach Paris zurückfuhren, sagte der Vizeadmiral zu seinem Begleiter: »Von wegen Geheimhaltung. Wenn in Vichy auch nur zwei Männer davon wissen, dann wissen es eine Stunde später zweihundert, am nächsten Tag ganz Frankreich und die Engländer auch.« »Wir müssen also mit einer gewissen Raffinesse vorgehen«, schlug der Fregattenkapitän vor. »Lassen Sie die Pläne schon einmal ausarbeiten«, befahl der Admiral. Die Deutschen zogen eine Panzerdivision zusammen. Das ließ sich nicht verheimlichen. Aber immerhin war das Ziel dieser Konzentrationsmaßnahme in Südfrankreich unklar. In Toulon ging es unterdessen um Minuten. Panzer drangen
in die Stadt ein, so lautlos wie ihnen das die Ketten ihrer Fahrwerke erlaubten. Aber es war eine kalte Nacht gewesen, und die Masse der Bevölkerung schlief noch in der Wärme ihrer Betten. Auf dem Weg zum Kriegshafen wurden von den deutschen Kommandos mehrere Polizeiposten überwältigt, ehe sie Alarm schlagen konnten. Dann drangen die deutschen Soldaten in das Fort La Malque ein, wo der Marinepräfekt seinen Sitz hatte. Er bekam die Anweisung, alle bestehenden Befehle zu widerrufen und sich den deutschen Truppen zu ergeben. Dies wurde durch ein Telefonat Lavais bekräftigt. Der Minister befürchtete nämlich, die Zerstörung der restlichen Schiffe könnte Hitlers Zorn entfachen und zu Gegenmaßnahmen führen. Schon hatten die Deutschen die Kais erreicht. Zwischen den Schiffen und den Panzern entspann sich ein kurzes Feuergefecht, bis ein deutscher Panzerkommandant herüberrufen ließ: »Spart euch eure drei Patronen, Messieurs.« Noch zur gleichen Stunde gingen Kommandos von Spezialisten an Bord der drei Zerstörer und zwei kleinen Kreuzer. Als sie die Schlafdecks betraten, standen die französischen Matrosen meist noch in Unterhosen vor ihnen. Die Deutschen sorgten dafür, daß von der Operation so wenig wie möglich bekannt wurde, daß die Zeitungen nicht mit Schlagzeilen erschienen und die Radiostationen nichts erwähnten. Die Franzosen hatten ohnehin jeden Grund zu schweigen. Die Eroberung der fünf Schiffe war ein letztes Symbol des Niedergangs, der schwer auf ihnen lastete. In der Nacht wurden die Kessel angeheizt. Bei den Zerstörern ging das schnell. Ihre modernen Feuerungsanlagen arbeiteten mit Schweröl. Die kleinen Kreuzer der IN-Klasse Montane und Macon stammten aus der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Sie fütterten ihre Feuer noch mit Kohle. Bis genug Dampf vorhanden war, dauerte das fünf bis sechs Stunden. Endlich waren auch diese beiden 4000-Tonnen-Kreuzer auslaufbereit. Am Morgen des 3. Februar verließ das französische Geschwader den Hafen von Toulon mit Kurs Südost. Es konnte
nur achtzehn Knoten laufen, denn es mußte sich nach den Kreuzern richten, deren 14000-PS-Kolbendampfmaschinen keine höhere Geschwindigkeit zuließen. Das französische Stammpersonal war durch Fachkräfte der deutschen Kriegsmarine ergänzt worden. Zunächst schien an Bord der fünf Schiffe alles klarzugehen. Dafür hatte schon der Geschwaderchef, Kapitän z. See Tiedke, gesorgt. Seine kurze Rede in flottem Französisch war allerdings nicht die ganze Wahrheit. Als er sagte: »Dieser Einsatz, Messieurs, geschieht auf Befehl von Marschall Pétain und der Regierung von Vichy«, entsprach das noch den Tatsachen. Doch als er fortfuhr, das Ziel der Operation zu erklären, belog er die französischen Offiziere und Mannschaften: »Wir laufen zunächst in die Gewässer um Korsika, von wo uns gemeldet wird, daß korsische, also französische Fischer von italienischen Kutterflottillen bedrängt und zum Teil angegriffen werden. Man versucht, sie aus ihren angestammten Fischgründen zu vertreiben. Deshalb werden wir uns dorthin begeben.« Nach zehnstündiger Marschfahrt kam die Insel Korsika, die Heimat Napoleons, am Horizont in Sicht. Aber das Geschwader lief daran vorbei. In unveränderter Formation, ein Zerstörer voraus, die Kreuzer Macon und Montane in Kiellinie, die anderen zwei Zerstörer seitlich gestaffelt, nahm das Geschwader nun Kurs Sardinien. Das zum Teil deutsche Maschinenpersonal meldete dem Geschwaderchef, daß unter den Franzosen eine gewisse Unruhe aufkomme. Kapitän z. See Tiedke besprach sich mit seinen Offizieren sowie mit den Kommandanten der anderen Schiffe über Sprechfunk. Dabei legte er die Taktik fest. »Wir müssen bis in die Adria vorstoßen. Es ist unser Ziel, den Engländern eine Demonstration zu bieten, daß wir bereit sind, Mussolini zu Hilfe zu eilen. Südlich von Sardinien, auf 8 Grad West und 38,5 Nord, nehmen wir Ostkurs, umrunden Kap Spartivento mit Generalrichtung Sizilien, Straße von Messina. Sollte es von
seiten der französischen Besatzung zu Aufruhr kommen, ist dieser gewaltsam zu unterdrücken.« Mit seiner Befürchtung, die Franzosen konnten meutern, hatte sich Tiedke nicht geirrt. Zwar galten die französischen Teilbesatzungen nach wie vor als Soldaten Frankreichs, dem sie Treue geschworen hatten, aber die Befehle aus Vichy nahm keiner ernst. Jedenfalls erreichte die Kommandobrücke des kleinen Kreuzers Macon die Meldung einer Maschinenhavarie. Wie sich herausstellte, war einer der Dampfkondensatoren auf Montane angebohrt worden, und es waren mehrere Rücklaufpumpen defekt. Die Schaden konnten durch die deutschen Fachleute rasch behoben werden. In das Bohrloch des undichten Kondensatorgehäuses wurde eine Schraube gedreht, die tropfenden Pumpen wurden neu gepackt. Der als Täter ermittelte Rädelsführer wurde eingesperrt. Daraufhin konnte der Kreuzer seine Fahrt wiederaufhehmen. Am Mittag des nächsten Tages wurde jedoch offensichtlich, daß sich das Geschwader der Straße von Messina näherte. Dafür gab es nur einen Grund, nämlich, daß es ins Ionische Meer einlaufen wurde. Daraufhin wurde der höchste französische Offizier, ein Kapitän, bei Tiedke vorstellig. Er kam mit der Pinasse herüber. Tiedke, der mit Schwierigkeiten rechnete, hatte sich einiges zurechtgelegt. Er bat den Franzosen höflich in seine Kammer, bot ihm Kaffee und Cognac an und erläuterte ihm die Lage. Als erfahrener Unterhändler versetzte er dem Franzosen erst einen Schock, um diesen dann allmählich aufzulösen. Er sagte in fließendem Französisch: »Monsieur, zunächst bedauere ich, daß es so aussieht, als habe man Sie hinters Licht geführt. Die Lage ist aber folgende: Wir besitzen Meldungen, wonach sich ganze Flottillen adriatischer Fischdampfer auf dem Wege ins Tyrrhenische Meer begeben, weil sich dort angeblich genug Fisch befindet, was in der Adria in diesem Winter nicht der Fall zu sein scheint.« »Oder man hat sie leergefischt.«
»Durch diese Massierung wird korsischen Fischern ein großer Teil ihrer Ausbeute weggenommen«, fuhr Tiedke fort. »Weil die Italiener sich wie die Sieger aufführen«, wandte der Franzose ein, »auch wenn sie keinen Schuß gegen uns abgefeuert haben.« »Die Italiener sind unsere Verbündeten«, entgegnete Tiedke, »ich bin jedoch beauftragt, hier ein gewisses Maß ausgleichender Ordnung herzustellen.« Tiedke sprach so überzeugend, daß ihm der Franzose glaubte. Dies um so mehr, als Tiedke die Unterredung mit einem Versprechen beendete: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als deutscher Offizier, daß wir zwar in die Adria einlaufen, doch in keinem italienischen Hafen anlegen werden.« Diese Aussage entsprach der Wahrheit und war trotzdem falsch. Sie verschleierte, daß Tiedke Anweisung hatte, sich der Balkanküste in Richtung Albanien zu nahern. Zufrieden verließ der dienstälteste französische Offizier die Macon, wie er aber diesem aufrechten Mann gegenüber sein Ehrenwort halten sollte, wußte Kapitän z. See Tiedke in dieser Stunde noch nicht. Sein Befehl lautete nämlich, nahe dem griechischen Hafen Hegumenitsa auf Reede vor Anker zu gehen. Durch die Entwicklung der nächsten vierundzwanzig Stunden wurde Kapitän Tiedke davor bewahrt, sein Offiziersehrenwort zu brechen, denn zu diesem Zeitpunkt lebte er nicht mehr. Das französische Geschwader passierte die Straße von Messina, die Enge zwischen Sizilien und Calabrien also. Dann schwenkte es auf Kurs Süd, umschiffte Kap Spartivento und änderte den Kurs abermals auf 32 Grad. In der Nacht passierten die fünf Schiffe den Golf von Tarent. Um in die Adria zu gelangen, mußte nur noch das Kap Santa Maria di Leuca umrundet werden. Dies geschah in der Nacht. Als der Morgen dämmerte, lag die Straße von Otranto vor ihnen. Bei diesem Meeresabschnitt zwischen Italien und Griechenland von immerhin vierzig Meilen Breite, war die Bezeichnung Straße praktisch untertrieben. Kaum hatte das Geschwader den Absatz des italienischen
Stiefels umschifft, schlug ihnen Adriabläue entgegen und jene kurze kabbelige See, die Tiedke aus der Ostsee bekannt war. Die Sonne hielt sich nur kurz. Bald wurde sie umwölkt, Böen kamen auf, stürmisches Wetter mit Regen setzte ein. Trotzdem schien es immer noch eine ungestörte Kreuzfahrt zu werden. Am Himmel war kein feindliches Flugzeug auszumachen und ringsum an der Kim kein Fahrzeug. Weder Fischdampfer oder Frachter noch die hier gefährlichen britischen Schnellboote. Trotzdem erschütterte wenig später eine Explosion nahe dem Vorschiff der Macon die friedliche Stille. Sekunden darauf explodierte die Munitionskammer des Kreuzers, obwohl darin nur Katuschen gelagert waren. Das Blinksignal des kleinen Kreuzers hatte die anderen Schiffe des Geschwaders noch nicht erreicht, als die Montane von zwei Torpedos getroffen wurde und kurz nacheinander zwei der drei Zerstörer. Bis auf den einen von ihnen, der sich sofprt an die Rettung Schiffbrüchiger machte, war binnen einer Stunde von dem französischen Geschwader nichts mehr übrig. Vier Schiffe waren auf den Grund der Adria gesunken. Der letzte Zerstörer, dem es wie ein Wunder gelungen war, der Torpedolaufbahn auszuweichen, konnte die wenigen Überlebenden aufnehmen. Er brachte sie in den italienischen Flottenstützpunkt Tarent. Dort wurden alle Mannschaften und Offiziere, die das rätselhafte Massaker überlebt hatten, isoliert und verhört. Jedoch ohne ein verwertbares Ergebnis. Niemand konnte sagen, wo her diese Torpedos gekommen waren. Sie waren plötzlich da, hieß es übereinstimmend. Sämtliche Fachleute der Marinekommandos zwischen Neapel und Kiel standen vor einem Rätsel. Nur in einem Punkt war man sich einig: daß dringend etwas geschehen mußte
9 Einsatz ohne Ziel
Im Februar herrschte in Europa Hochwinter. Die Tage waren noch kurz, aber gefährlich hell. »Aufpassen, Herrschaften!« warnte der Kommandant den Brückenausguck immer wieder. »Fliegerbomben sind schlimmer als Wasserbomben.« Sobald die Sonne aufging, mußten sie tauchen. Mit fünf Knoten Unterwasserfahrt hungerte sich U-136 durch den Sankt Georgs-Kanal, dessen Ende einer riesigen Kreuzung glich. An Backbord, also nach Osten, kam man in die Straße von DoverCalais. Stur geradeaus ging es in den Golf von Biskaya und über Steuerbord in den Atlantischen Ozean. Die geographische Position, die sie jetzt innehatten, lag breitenmäßig etwa in der Höhe von Nürnberg, aber es war milder. Nachts, wenn II WO Wessel Wache ging, war auch der stämmige Obersteuermann Klein, der Fischdampferkapitän, mit dem sich Wessel gut verstand, meist dabei. »Da oben in Irland haben wir dem Teufel eben noch ein Ohr abgesegelt«, meinte Klein. »Ja, es stand kurz vor dem Schiefgehen«, pflichtete ihm Wessel bei. »Gefangenschaft wäre das mindeste gewesen. Die Engländer hatten uns kaltlächelnd abkassiert. Haben Sie schon mal daran gedacht, gefangengenommen zu werden, II WO?« »Kommt drauf an, wer einen erwischt«, erwiderte Wessel. »Mit den Engländern käme ich zurecht. Die Engländer verstehen meinen Humor, die Spanier mein Faible für Frauen, die Italiener meine unübertreffliche Eleganz. Die russische
Küche schätze ich nicht, und wenn ich nach Amerika käme, mußte ich jede Stunde dreimal Scheiße schreien, oder mögen Sie Wiener mit Sirup?« »Diesmal kommen wir ja nach Hause«, hoffte Klein. »Noch drei Tage. Fünfhundert Meilen.« »Lorient ist nicht mein Zuhause«, erwiderte Wessel. »Ich bin überall zu Hause, nur nicht auf einem U-Boot.« »Wie kommen Sie dann hierher?« »Das Schicksal geht oft seltsame Wege.« »Aha«, verstand ihn Klein. »Freiwilligenmeldung aus Liebeskummer. « »So weit daneben liegen Sie gar nicht«, räumte Wessel ein. Durch den Steuermannsgefreiten wußte die Besatzung immer Bescheid über Standort, Kurs und Ziel. In ihren Wohnröhren machten sich Maate, Matrosen und Heizer schon allmählich landfein. Bärte ab, Läuse knacken. Sie konnten es kaum erwarten, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, sich einen anzutrinken, den Geruch der Bars und der Puffs in die Nase zu bekommen. Sie tauschten ihre Erfahrungen aus, jeder hatte andere Wünsche und Träume. »Ich kenne da eine Frau, die sieht nach Spaß und Geld aus«, sagte der Funker. »Woran erkennst du das?« »Den Spaß am Hintern.« Der Torpedomixer hatte andere Vorstellungen. »Am liebsten sind mir die Molligen, die mit den weichen milchweißen Brüsten.« »Und ich mag am liebsten die Mädchen von der Fischfabrik in Cuxhaven«, gestand ein Zentralgast. »Ein feiner Duft nach Sardellen ist ihnen eigen, aber man weiß, wo sie herkommen.« »Du hast keine Ahnung, Mann«, erwiderte der E-Heizer, »aber davon eine ganze Menge. Am liebsten sind mir die Nutten. Die fragen nicht warum und weshalb, wohin und woher.« »Das behauptet er nur, weil er auf eine kleine Prostituierte steht. Sie stammt von den Rifkabylen in Nordafrika und hat einen Punkt auf der Stirn. Spricht nicht mal Deutsch.«
»Hauptsache sie kann Französisch.« Gelächter. Französisch 69, das Soixanteneuf, war auch Ungebildeten ein Begriff. Kapitänleutnant Lützow, der Alte, wie sie ihn nannten, ließ keine Art von gammeliger Marscherleichterung durchgehen. Bei diesigem Wetter brachte er das Boot nach oben, um mit Diesel schneller voranzukommen. Immer wieder schärfte er seinen Leuten ein: »Die Engländer haben ein neues Funkmeßgerät, das sogenannte Radar. Damit orten sie eine treibende Konservenbüchse. Daß mir keiner auf Wache einpennt!« Leise bemerkte I WO Rahn zu Wessel: »Eines muß man dem Alten lassen, er hat die Kardnialstugenden des Thomas von Aquin. Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit.« »Aber ein Privatleben führt er wohl mitnichten.« In diesem Punkt irrte sich Wessel gewaltig. Wenn Lützow auch nicht an Bars und Bistros dachte, so wünschte er sich doch oft von Bord seines Bootes. Er hoffte auf einen kurzen Urlaub in Österreich. Dort, in Salzburg, war seine Verlobte, die Jüdin Esther Rothild, als Kinderärztin untergeschlüpft. Er wußte nicht, wie es ihr ging. Schon drei Monate hatte er nichts mehr von ihr gehört. Er wollte sie nur einmal in die Arme schließen. Aber davon ließ er nie etwas nach außen dringen. Nichts lenkte ihn je von seiner schwierigen Aufgabe, U-136 auf seinen Feindfahrten zu kommandieren, ab. Nach Eintritt der Dunkelheit bewegte sich das Boot anders. Die langsam anrollende Atlantikdünung erfaßte es von Steuerbord. Ein Zeichen, daß sie die Südspitze von Irland, Cape Clear, passiert hatten. Sie hielten jetzt mit Kurs 185 Grad auf die französische Küste zu. Gegen 23 Uhr lief über FT ein Gekados-Befehl ein. Der Funkmaat gab ihn zwecks Offiziersentschlüsselung in die OMesse. Wessel holte die ENIGMA aus dem Holzkasten und drückte die einzelnen Buchstaben der Gruppen hinein. Das decodierte Signal erschien dann in Klarschrift unter der Glas-
scheibe. Nach wenigen Minuten hatte er den Funkspruch entziffert, schrieb ihn nieder, klemmte ihn in die blecherne Kladde, die dann dem Kommandanten auf die Brücke gereicht wurde. Wessel war der erste, der den Befehl des BdU kannte. Vielleicht wegen seiner angeborenen Schnodderigkeit war er auch hart im Nehmen. Was er gelesen hatte, haute ihn nicht um. Er war aber sicher, daß einige Leute ganz schon zusammenbrechen würden. Eine halbe Stunde später polterte der Kommandant von der Brücke. Er rutschte an der senkrechten Leiter zur Zentrale, schob die Kommandantenmütze mit dem ehemals weißen Bezug in den Nacken und griff sich das Mikrophon der Lautsprecheranlage. Erst räusperte er sich einmal, dann sagte er: »Mal alle herhören, Leute! Ausscheiden mit Vorfreude.« - Das Wort ausscheiden bedeutete im Marinejargon soviel wie Schluß machen mit etwas. - Der Kommandant fuhr fort: »Kursänderung auf 340 Grad. Wir treffen in der Biskaya einen Ve rsorger. Ende der Durchsage.« Was das zu bedeuten hatte, begriff jeder voll Entsetzen. Die Kursänderung führte sie weit weg von ihrer Basis, mitten hinein in die Biskaya mit ihren Februarstürmen. Also nichts mit Duschen, frischen Klamotten, einer anständigen astrein weiß bezogenen Pritsche. Nichts mit Bars, nichts mit Mädchen. »Wozu hab' ich mir eigentlich den Bart abgenommen?« fragte ein Maschinist. Ebenso wie bei den Mannschaften wurde auch in der O-Messe beim Mitternachtskaffee daran herumgerätselt, was der BdU mit ihnen vorhatte. Selbst bei den Offizieren war die Stimmung ziemlich niedergeschlagen, drohte doch nach elf Wochen Feindfahrt ein neuer Einsatz. »Wir machen das ja nicht aus Jux und Dollerei«, bemerkte Wessel. Voll Ungeduld warteten sie auf Einzelheiten. »Was bedeutet, wir sollen in der Biskaya versorgt werden?« fragte der Leitende, obwohl er es genau wußte. »Mit dem, was uns fehlt. Mit Diesel, Proviant und Torpedos.«
»Und wer behebt unsere Schäden? Bringen die einen Netzabweiser und eine neue U-Boot-Kanone mit?« Kapitänleutnant Lützow las von den Gesichtern seiner Männer die Frage, warum man wenige hundert Meilen von Lorient entfernt das Boot nicht einlaufen ließ, obwohl es werftreif war. Es gab nur eine Erklärung: »Admiral Dönitz hat etwas besonders Elegantes mit uns vor. Doch überall in den französischen Stützpunkten sitzen Spione. Wenn sie das Einlaufen und schnelle Wiederauslaufen von U-136 beobachten, melden sie das sofort nach London. Dort würde man gewisse Schlüsse ziehen. Also will man es nicht vor den Augen der Spione durchführen.« »Eine anständige Frau zieht sich ja auch nur im Schlafzimmer aus und nicht vor aller Augen«, konnte sich Wessel eine Bemerkung nicht verkneifen. Auch wenn nicht sofort erkennbar war, was Nackttanz mit einem U-Boot zu tun haben sollte. »44,2 Grad Nord, 7 Grad West«, wiederholte Obersteuermann Klein und beugte sich über die Kiste in der Zentraleecke, die auf normalen Schiffen Kartenraum genannt wurde, »das liegt ziemlich nahe an der spanischen Küste.« »Die Spaniolen verfolgen eine freundliche Neutralität und drücken beide Augen zu«, meinte Lützow dazu, »bis jetzt. Entfernung, Fahrtdauer bitte.« Klein rechnete: »Distanz: dreihundert Meilen. Erreichen die Position in vierzig Stunden.« Der Leitende stand in seiner bevorzugten Stellung, die rechte Hand am Entlüftungshebel des Steuerbordtauchtanks, die linke in der Overalltasche. »Wenn wir noch bis dahin kommen, dann mit dem letzten Tropfen.« Der Kommandant probierte eine Art Lächeln. »Und was ist mit der Geheimreserve des LI?« »Einschließlich Geheimreserve«, betonte Behrens, »diesmal.« »Na, hoffentlich treffen wir den Versorger auf Anhieb.« In einem weiten Seegebiet war es immer problematisch, den Turm eines anderen U-Bootes auszumachen, wenn man nicht
funken durfte und ringsum alles grau in grau lag. Aber nicht umsonst waren U-Boot-Fahrer für ihre präzise Navigation berühmt. Ab und zu kam es sogar vor, daß eigene Fernaufklärer, die sich verfranzt hatten, tief auf ein Boot herunterstießen und um den genauen Standort baten. In der Biskaya empfing U-136 schweres Wetter. I WO Rahn, der die Vormittagswache ging, mußte sich mit den Feuerwehrgurten ankarabinern. Immer wieder, wenn der Bug in einen querlaufenden Wellenberg eintauchte, wurde er mit Tonnen von Spritzwasser überflutet. Wessel verlor trotzdem seinen Humor nicht und kam auf den Turm. »Haben Sie die Gummi-Pariser noch in der Tasche?« fragte er. »Aus der Verwendung wird wohl nichts werden.« Rahn, der Lateiner, der Altphilologie studieren wollte, um irgendwelchen Kohorten von Schülern die wichtigste Sprache des klassischen Altertums beizubringen, wollte mit seinen Kenntnissen glänzen und antwortete: »Pariserum semper habemus.« »Habemusen Sie auch semper? Wann haben Sie das letzte Mal einen Gummi gebraucht?« Oberleutnant Rahn, der seinen seltenen Scherz abgeschmettert sah, fragte: »Warum sind Sie eigentlich immer so zynisch, Wessel?« Wessel ohne Nachdenken: »Weil ein guter Dichter auch immer ein guter Kotzbrocken ist, Herr Kamerad.« In den nächsten Minuten redeten sie wenig. Sie hatten zu tun, die Brecher zu überstehen. Ohne Gurte wären sie achteraus geschwemmt worden. Einmal sagte Wessel, tropfnaß, trotz Handtuch um den Hals und Loch in den Gummistiefeln, damit das Wasser ablaufen konnte: »Heute kann mich nicht einmal der Teufel erschrecken.« »Sind Sie so gut drauf?« »Nein, so schlecht.« Den Rest fetzte ihnen der Wind von den Lippen. Während der letzten Stunden von Rahns Wache sollte eigentlich der Versorger auftauchen, denn sie hatten die Position ge-
nau erreicht. Der Funker hatte sie durch eine Kreuzpeilung des Senders Madrid und des Soldatensenders Calais ermittelt. Doch der Versorger tauchte nicht auf. Auch über Sprechfunk kam kein Kurzsignal. Ab und zu erschien der Kommandant auf der Brücke, ließ sich ein geputztes Glas geben, nahm einen Rundblick vor und verschwand schaudernd wieder. »Besser betrunken als ersoffen«, sagte er nur. Die Sicht betrug bestenfalls eine halbe Meile zur Seite und nach oben. Aber das schützte vor Flugzeugen. Dreißig Stunden drehte U-136 im vorbestimmten Planquadrat weite Schleifen. Der Diesel drehte mit langsamster Fahrtstufe. Der Obermaschinist hatte im Tank noch hundert Liter gepeilt. Wenn der Versorger nicht auftauchte, lagen sie als bewegungsunfähiges Ziel in der See. Ab und zu hörten sie, wie ein tieffliegender Aufklärer über sie hinwegbrummte. Doch das bereitete ihnen im Augenblick weniger Sorgen als das Rendezvous. Die Dunkelheit brach schon früh herein. Endlich von Steuerbordseite ein Blinksignal. Lützow ließ das vereinbarte Erkennungszeichen zurückmorsen. Vorsichtig näherten sich die zwei Boote einander bis auf die geringste Sicherheitsentfernung. Während sie parallel zueinander mit etwa fünfzig Meter Abstand lagen, holten die Männer des Versorgers, es war ein Typ IVX-Seekuh, die Dieselleitung per Schlauchboot über. Die Heizer von U-136 standen schon an der geöffneten Oberdeckklappe und verschraubten den armdicken schwarzen Gummischlauch an die Öffnung des Hauptdieseltanks. Dann das Handzeichen und das Kommando: »Diesel marsch!« Mit jedem Liter, der herüberfloß, hellte sich das Gesicht des Leitenden auf. Nach neunzig Minuten etwa hatten sie hundertzehn Tonnen übernommen und waren nun bis zum Stehkragen voll. Inzwischen hatte das Schlauchboot von U-136 begonnen, Proviant abzuholen. Obst, Frischgemüse, Konserven. Den Rohwürsten und Schinken machte das Seewasser wenig aus, den Frischbroten dagegen mehr, obwohl man sie in wasserdichte Seesäcke verpackt hatte.
Dann kam die schwierigste Arbeit. U-136 mußte ein Dutzend tonnenschwerer LU-Torpedos übernehmen. Der Kampfsatz, also vier davon, kam gleich in die Bugrohre, der Rest wurde im Torpedoraum verstaut, wo jetzt die totale Enge bestand. Die Torpedos herüberzuschwimmen, an Deck zu nehmen und durch das schräge Torpedoluk nach unten zu bringen war knochenbrechend. Und das bei im Seegang ständig schlingerndem Boot. Ein Mann verletzte sich den Arm, einem zweiten rasierte der Torpedo ein Stück Oberschenkelpelle mit Fleisch ab. Gegen Mitternacht endlich hatten sie auch die 2-cm-Geschütze übernommen, die man ihnen anstelle der weggerissenen U-Boot-Kanone mitgebracht hatte. »Und wo bleibt mein Netzabweiser?« schrie Behrens über Megaphon zu dem Versorger hinüber. »Fehlanzeige!« kam es zurück. »Wird bei den neuen Booten auch nicht mehr eingebaut.« Die Kommandanten verabschiedeten sich, wünschten einander gute Fahrt, Mast- und Schotbruch und fette Beute. Mehr nicht. U-Boot-Kommandanten hatten eines gemeinsam mit Schauspielern: Sie waren selten untereinander befreundet. Beide schienen froh zu sein, daß sie endlich abhauen konnten. Irgendwann würde es hier krachen, denn es hatte aufgeklart, und sie lagen wie auf dem Präsentierteller. Kaum war der Versorger verschwunden, meldete LI Behrens das Boot klar. »Und jetzt dreimal volle Kanne!« befahl Lützow. Ausgerüstet für weitere vier Wochen Feindfahrt, wurde U-136 allmählich in die Absichten des BdU eingeweiht. In der Nacht erreichte sie ein codierter Geheimbefehl. Im Klartext lautete die Order: LAUFEN SIE KURS NORDAFRKA. WARTESTELLUNG IN BUCHT AL SCHAMIR. Obersteuermann Klein, der die Karte ungefähr im Kopf hatte, sagte: »Das liegt zwischen Kap Spartel und westlich Tanger.« Jetzt wußte Lützow, was es geschlagen hatte. Seine schlimm-
sten Vorahnungen schienen sich zu bestätigen. »Das bedeutet Gibraltar! Durch die Meerenge von Gibraltar! Das schafft keiner.« Doch was war der Zielhafen? Das große Rätselraten brachte eine gewisse Unruhe an Bord. Lützow, vom Charakter her nicht empfindlich oder wehleidig, dachte jedoch an seine Männer und funkte zurück. Er wies darauf hin, daß sein Boot nicht voll kampffähig sei. Nach Stunden, sie lagen schon auf Westkurs, traf die Antwort ein. BDU AN U-LÜTZOW. SCHÄDEN KÖNNEN AM ZIELHAFEN BEHOBEN WERDEN WEITERE EINZELHEITEN FOLGEN Der II WO Wessel, der das alles verfolgt hatte, sagte zu Obersteuermann Klein: »Ich weiß, daß ich ein schlimmer Finger bin und für meine Worte und Taten eines Tages bestraft werde. Aber ich bin auch pervers genug, um das zu genießen.« »Was?« fragte Klein, der nur halb hingehört hatte. »Gibraltar«, knurrte Wessel, »das Tor zur Hölle.«
10 Das Rätsel von Otranto
Die Versorgung der italienischen Balkanfront wurde von den italienischen Adriahäfen aus durchgeführt. Derzeit stellte man in Mestre einen großen Konvoi zusammen. Mestre hatte die besten Bahnanschlüsse an das oberitalienische Industriegebiet: an Turin, wo bei FIAT Panzer und Lastwagen gebaut wurden, an die Monfalcone-Werke, die Artilleriegranaten, Kanonen und Haubitzen herstellten, sowie an die Fabriken um Brescia und Mailand, welche Handfeuerwaffen und die dazugehörige Munition lieferten. Der Konvoi wurde Tag und Nacht beladen, am 16. sollte er auslaufen, was sich aber wegen organisatorischer Mängel verzögerte. Oft gab es Fliegeralarm, dann wieder waren Bahngleise zwischen Mailand und Verona von britischen Bomben getroffen worden. Oft mangelte es auch an der Bereitstellung von Transportmaterial. Es fehlten Tieflader für Panzer und Kanonen. Meist kamen die Kesselwaggons mit Benzin zu spät an. Am Verladehafen von Mestre steigerte sich ein heilloses Durcheinander zum Chaos, das sich erst zu ordnen begann, als die Schiffe auslaufbereit meldeten. Der Admiral der Nachschubflotte bestimmte den Termin: 17 Uhr vor Eintreten der Dämmerung am darauffolgenden Nachmittag. Schon in den Morgenstunden warfen die Versorger Leinen los, um durch die Fahrrinne die obere Adria zu erreichen. Dort sammelten sie sich und nahmen ihre Position im Geleit ein. Die italienische Marine hatte an Begleitfahrzeugen zusammengekratzt, was überhaupt aufzutreiben war. Viel zu wenige Einheiten für die vierzehn Schiffe des Konvois. Die uralten Torpedo-
boote Typ D'Annunzio 1916, die bewaffneten Fischlogger, die Schnellboote machten ihre Minderzahl dadurch we tt, daß sie sich mit hoher Geschwindigkeit in und um den Geleitzug bewegten. Bewacht wurde der Konvoi von italienischen Jagd- und Kampfflugzeugen, die jeden Angriff der Engländer oder Griechen verhindern sollten. Aber die tiefhängende Wolkendecke war für größere Einsatze des Gegners ohnehin ungeeignet. Der Admiral auf dem vorausfahrenden Truppentransporter Santa Barbara hatte klare Order erteilt. Der Konvoi lief also mit einer Geschwindigkeit von neun Knoten auf Südostkurs 135 Grad die Adria hinunter. Dabei hielt sich das Führungsschiff so nahe an der Küste wie möglich. Der Admiral hatte vorgesehen, daß der Konvoi erst vor der Straße von Otranto die Adria queren würde. Dann mit Hartruder auf Nordkurs drehte und weiter mit Volldampf, was die Kessel hergaben, damit er die 40 Meilen bis zur dalmatinischen Küste und ihrem Zielhafen in möglichst kurzer Zeit bewältigte. Die Zeit für diesen gefährlichen Abschnitt war mit drei bis vier Stunden kalkuliert. Aber noch lagen vierhundert Seemeilen bis zum Augenblick des Kurswechsels vor dem Konvoi. Er wurde bis Otranto bei den vorherrschenden Wetterverhältnissen sechsundvierzig Stunden brauchen, den Punkt also am Abend des Freitag erreichen. Das Geleit passierte Rimim, Ancona, Pescara, später das Vorgebirge vom Gargano. Der Admiral blieb in ständiger Funkverbindung mit dem Oberkommando in Neapel. Seine stereotypen Meldungen lauteten: »Konvoi bleibt auf Kurs. Wetterbedingungen günstig. Kein Feind in Sicht. Ohne besondere Vorkommnisse.« Das sollte auch bis zur Änderung des Generalkurses so bleiben. Zur gleichen Stunde ging es in Madrid hoch her. Nach einem Opernbesuch - wie meist in Spanien zu Beginn eines Festes von nationaler Bedeutung kam Bizets Oper Carmen zur Aufführung - begaben sich die geladenen Gäste mit ih-
ren Limousinen ins Hotel Esplanados, einem palastartigen Gebäude, innen und außen dominierte weißer Marmor. Die Nummernschilder der Fahrzeuge, der schwarzlackierten Mercedes-, Lancia- und Rolls-Royce-Limousinen, bewiesen ihre Zugehörigkeit zur internationalen Diplomatie. Die Stander auf den Kotflügeln deuteten an, daß es sich um hochgestellte Gäste, um Minister, kirchliche Würdenträger und Delegierte der Offizierscorps handelte. Getragen wurden ordensgeschmückte Galauniformen oder Frack. Die Damen, alle in Abendgarderobe, zeigten kostbaren Schmuck auf den Dekolletes. Immerhin hatte das Protokoll dafür gesorgt, daß im theaterähnlichen Festsaal die verschiedenen Gästegruppen getrennt saßen. Zumindest hatte man zwischen die kriegführenden Nationen Deutsche und Italiener, Engländer und Griechen die neutralen Skandinavier plaziert. Zu trinken gab es vorzüglichen spanischen Sekt. Mehrere Kapellen spielten auf. Erst liefen die üblichen Folkloredarbietungen ab. Die Flamencotänzer, meist Zigeuner, trugen enge schwarze Anzüge mit roten Schärpen. Die bunten Kleider der Tänzerinnen mit ihren stufenförmigen Volants bildeten dazu farbige Tupfer. Meist war wegen der Kastagnetten und Absatzstakkatos keine Unterhaltung möglich. Der deutsche Geheimdienstchef, Admiral Canaris, gab sich ganz versunken dem Wein, seiner Zigarre und den hübschen Mädchen hin, als in den Schein seiner Tischlampe ein Mann in gnadenlos weißer Offiziersuniform trat. Es war der italienische Spionagechef, Colonello De Santis, in voller Pracht. Die beiden Chefs kannten sich zwar, aber den Italiener hatte Canaris dort nicht erwartet. Da De Santis ebenso ohne Begleitung war wie Canaris, bekam das Treffen sofort konspirativen Charakter. Nach nur we nigen Worten der Begrüßung stieß man mit den Weingläsern an. Weil De Santis aber auffallend schweigsam war, fragte Canaris mit Blick auf seine Marinearmbanduhr: »Wie geht es Ihrem Geleitzug, De Santis?« »Bis jetzt gut. Danke der Nachfrage.«
Canaris zog an seiner Zigarre. Durch den blauen Rauch hindurch musterte er den Kollegen. »Deshalb sind Sie doch gekommen, Colonello, um mit mir über gewisse Dinge zu reden.« So hart wollte der Italiener das Thema aber nicht angehen. Ostentativ schaute er sich um, nach allen Seiten, zur Bühne, zu den Rängen hinauf und fragte: »Wissen Sie eigentlich, Admiral, warum wir hier sind?« Canaris nickte. »Wegen des Generalissimus.« »Hat Franco Namenstag?« Entweder tat der Italiener nur so, oder er wußte es wirklich nicht. Franco hatte immerhin einige tausend Gäste geladen. »Er feiert fünfjähriges Jubiläum als Staatschef«, erklärte Canaris. »Hat er sich da nicht verrechnet?« erwiderte der Italiener belustigt. »Staatschef ist er doch erst seit 1939.« »Seine Zeitrechnung beginnt schon 1936 mit der Militärrevolte in Spanisch-Marokko«, vermutete Canaris. »Molto interessante«, spottete der Italiener, »doch unser Al liierter wird er nicht.« »Er möchte Gibraltar, aber keinen Krieg.« »Na ja, die Spanier. Sie kommen nicht mal zur Hochzeit, es sei denn, die Braut hat einen goldenen Hintern.« Endlich kam er zur Sache: »Was halten Sie nun wirklich von den geheimnisvollen Torpedoangriffen in der Straße von Otranto, Admiral? Ist es vielleicht doch nur eine Anhäufung von Zufällen?« »Aus Zufall sinken nicht zwei Kreuzer und zwei Zerstörer«, entgegnete Canaris, »und eine Menge Ihrer Nachschubdampfer. « »Scusi, ich bin nicht Marineoffizier, sondern komme von der Fliegerei«, betonte der italienische Spionagechef. »Aber Flugzeugbomben waren es mit Sicherheit nicht. Vielleicht ein Minenfeld.« »Und wer bitte sollte das gelegt haben?« wollte Canaris wissen. »Von Ihrer eigenen Küstenverteidigung stammt es nach-
weislich nicht. Feindliche Verminung wurde auch nicht beobachtet. « »Woher wissen Sie das?« tat der Italiener überrascht. »Man hat so seine Verbindungen.« Beiden war klar, daß da unten am italienischen Stiefelabsatz irgend etwas im Gange war, so daß kein Nachschub mehr durchkam. »Ob England eine neue uns unbekannte Waffe entwickelt hat?« »Colonello De Santis«, setzte der Deutsche an, »gibt es seitens Ihres Agentennetzes auch nur andeutungsweise Hinweise darauf?« »Mi dispiace, no. Tut mir leid, selbst wenn Ihr Amt mit seinen weltweiten Verbindungen bis Südamerika nichts in Erfahrung bringen konnte ...« Canaris war nicht der Mann, der gerne zugab, wenn er so we nig wußte, daß er sich in einem Zustand von Ratlosigkeit befand. Aber hängen lassen wollte er den Italiener auch nicht. Nach einer längeren Pause - er wartete erst den tosenden Applaus für das Solo einer Flamencosängerin ab - äußerte er sich in seiner knurrigen Art. »Wir werden etwas unternehmen, De Santis.« »Existieren schon konkrete Pläne, Signor Admiral?« »Allerdings.« »Aber Sie möchten nicht darüber reden.« »Es gibt noch zu viele unabwägbare Voraussetzungen, die dazu nötig sind.« Man trank und rauchte, widmete sich den erstklassigen Darbietungen auf der Bühne, während sich die Sänger abmühten oder die Flamenco-Girls die geschwungene breite Treppe heruntersteppten. Unvermittelt ließ sich der Italiener wieder vernehmen: »Sie arbeiten also auch an der Lösung des Otranto-Problems?« »Mit Nachdruck, Colonello«, versicherte der Deutsche. »Doch hoffentlich nicht durch Agenteneinsätze auf italienischem Territorium.« »Werde mich hüten, Ihnen in die Quere zu kommen«, wehrte
Canaris ein wenig scheinheilig ab. Was das deutsche Marineoberkommando in Verbindung mit der deutschen Abwehr ausgeknobelt hatte, ließ er sich allerdings nicht entlocken. Trotzdem versuchte es der Italiener noch einmal. »Das tun Sie doch nicht aus purer Nächstenliebe, Bruderliebe oder treuer Kameradschaft für uns.« »Allerdings«, gestand Canaris diesmal. »Wir tun es zu höchstem Eigennutz. Wie Sie wissen, versorgen wir General Rommel und unser Afrikacorps in Libyen per Schiff über das Mittelmeer. Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, daß uns Ähnliches widerfährt wie Ihnen in der Adria.« Ziemlich spät, die Gala zu Ehren der Staatsgäste war beendet und es ging schon auf 2 Uhr morgens zu, erschien ein picobello gewandeter italienischer Marineoffizier auf dem Marmorparkett. Offenbar suchte er jemanden unter den Gästen. Kaum hatte der Capitano den graulockigen Cäsarenkopf des italienischen Abwehrchefs entdeckt, eilte er auf ihn zu, salutierte militärisch und beugte sich dann zu ihm hinunter. Dicht am Ohr des Colonello meldete er etwas. De Santis erblaßte, schien bestürzt und fragte zurück. Die Antwort des Adjutanten war aber nur ein Schulterzucken. Kaum war der Attache gegangen, saß der Italiener minutenlang in betroffener Teilnahmslosigkeit da. Schließlich hob er den rechten Arm und streckte zwei Finger weg. Admiral Canaris, der nicht sicher war, was das bedeutete, fragte: »Meinen Sie damit das Siegeszeichen unseres geschätzten Freundes Winston Churchill? Victoria! Sieg an allen Fronten!« »Nein, es bedeutet diesmal nicht V, sondern die Zahl zwei«, antwortete De Santis nahezu tonlos. Dabei brach er fast in Tränen aus. Seine Stimme klang brüchig. »Nur zwei, nur zwei von vierzehn Frachtern sind durchgekommen. Alle anderen ...«, er deutete mit dem Daumen nach unten. »Versenkt?« fragte Canaris entsetzt.
»Diavolo! Weiß der Teufel!« Dann bestellte De Santis noch eine Flasche Fundador, spanischen Cognac, um einigermaßen darüber hinwegzukommen. »Erst hat man unsere Flotte in Tarent zerstört, und jetzt das«, murmelte er immer wieder.
11 Dem Teufel in die Suppe gespuckt
Auf dem Marsch durch die stürmische Biskaya achtete U-136 darauf, nicht von feindlichen Patrouillen gesichtet zu werden. Lützow hütete sich davor wie ein Pianist vor dem Bruch seines Daumens. Kaum hatte sich U-136 von dem Versorger getrennt, lief ein Funkspruch ein. Der BdU erteilte U-136 einen strikten Nichtangriffsbefehl. Nicht einmal zur Selbstverteidigung durften Waffen eingesetzt und damit die Tarnung aufgegeben werden. Das Boot sollte jedem am Horizont sichtbaren Schiff ausweichen und vor jedem Flugzeug sofort auf Tiefe gehen, sich unsichtbar machen. Man brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen, um sich auszurechnen, daß eine äußerst wichtige Operation geplant war. »Da ist schwer was im Busch«, sagte Rahn. »Erst lassen sie uns nicht nach Lorient, dann gibt es Versorgung auf See, und jetzt sind wir ständig auf Tauchstation. Mamma mia!« »Und das mit einem nicht unbedingt kampfklaren Boot«, fugte LI Behrens hinzu. Zwanzig Stunden später, nur noch sechzig Meilen von der Küste Afrikas entfernt, traf dann, mehrmals überschlüsselt, eine Order ein: STOSSEN SIE DURCH DIE MEERENGE VON GIBRALTAR - DANACH KURS GENUA - AB SOFORT FUNK STILLE - VIEL GLÜCK Das war also das Todesurteil.
Kapitänleutnant Lützow hatte mit Brutalitäten gerechnet, aber die äußerste aller Möglichkeiten immer von sich gewiesen. Jeder U-Boot-Kommandant wußte, daß es seit einem Jahr keinem Fahrzeug der mit England kriegführenden Mächte gelungen war, die Meerenge zwischen Europa und Afrika zu passieren. Weder über noch unter Wasser. Während sie an der Kartenkiste den Srandort nachkoppelten, bemerkte Obersteuermann Klein leise: »Da muß es dem BdU verdammt auf den Nägeln brennen, wenn er uns nach Gibraltar hetzt.« »Aber warum treibt er uns da durch?« ergänzte Lützow. »Weil ihm der Arsch mit Grundeis geht, Herr Kaleu, und obwohl er weiß, daß die Straße von Gibraltar bewacht ist wie die Bank von England.« Lützow legte den Bleistift neben den Winkelmesser und nickte. »Was ist so wichtig, um dafür notfalls ein Boot zu opfern?« »Nicht notfalls, sondern mit ziemlich an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Herr Kaleu.« »Sagen wir hundert zu eins«, schätzte Lützow. »Bleibt ja noch eins übrig.« Wie immer hatte sich der Einsatzbefehl im Boot rasch verbreitet. Die Männer liefen herum mit Gesichtern grau wie alte Leichentücher. Lützow glaubte, sie an die Kandare nehmen zu müssen. Mit sparsamen Worten, Ausdruckslosigkeit im Gesicht, sprach er ins Zentrale-Mikrophon: »Wir machen das schon, Männer«, erklärte er bemuht locker im Ton. »Wir schaffen das. Einer muß der erste sein, dem das gelingt. Wir kriegen das hin.« Leise wandte sich Obersteuermann Klein an den Kommandanten: »Ist das nicht reine Augenwischerei, Herr Kaleu?« »Stimmt. Eine glatte Lüge. Ich sage das ja nur, um den Männern nicht die letzte Hoffnung zu nehmen.« Am nächsten Tag kamen die afrikanische Küste und das hohe Kap Spartel in Sicht. Sie fuhren daran entlang mit Ostkurs Richtung Tanger, bogen dann in die Bucht von El Schamir ein. Lützow legte das Boot in das weiche Geröll des Grundes auf etwa fünfunddreißig Meter Tiefe. Die Besatzung hatte Befehl,
in den Kojen zu bleiben, sich dabei so wenig wie möglich zu bewegen, um Sauerstoff zu sparen. Nur die zur Lebenserhaltung notwendigen Aggregate liefen. Die Luftumwälzung, der Kreiselkompaß, ab und zu sprang eine Trimmpumpe an. In der O-Messe brütete Lützow mir seinen zwei Wachoffizieren und dem Obersteuermann über Segelhandbüchern und den Karten von Gibraltar. »Eigentlich war es mein Traum, den Affenfelsen und die Pyramiden einmal wirklich zu sehen«, sagte Wessel. »Vielleicht ein andermal«, tröstete ihn Lützow. Obersteuermann Klein, der als Fischdampferkapitän Gibraltar schon mehrmals passiert hatte, gab seine Erfahrung dazu. »Die Enge von Gibraltar, im Altertum die Säulen des Herkules genannt, ist an der schmälsten Stelle vierzehn Kilometer breit.« »Das läßt sich natürlich leicht überwachen.« »Die mittlere Tiefe betragt dreihundert Meter«, entnahm Rahn der Karte. »Ohne Klippen und Untiefen«, ergänzte Klein. »Aber das Ganze hat natürlich seine Tücken.« Das Hauptproblem lag in der Strömung. Aus dem Atlantik wurde mit starker Oberflächengeschwindigkeit kaltes Wasser ins Mittelmeer geschoben. »Mit bis zu acht Knoten.« »Darauf könnte man prima durchrutschen.« »Aber nicht getaucht. Sobald man taucht, hat man schon auf wenigen Metern Tiefe den Gegenstrom des warmen Mittelmeerwassers im Gesicht. Und der ist eher noch stärker.« »Da kommen wir mit E-Maschinen kaum gegen an«, ergänzte LI Behrens. »Was heißt kaum, in diesem Fall überhaupt nicht.« »Also muß man oben bleiben oder versuchen, sich halbgetaucht und mit Diesel durchzumogeln.« Angesichts der totalen Überwachung der Meerenge mit Sicherungsfahrzeugen und aus der Luft, war das praktisch heller Wahnsinn. Kapitänleutnant Lützow, der die Verantwortung trug und die Entscheidung fällen mußte, sah nur einen Weg: »Wir müs-
sen so nah wie möglich auf der afrikanischen Seite bleiben und es bei Nacht versuchen. Wenn ein Bewacher kommt, sofort alarmtauchen. Eine andere Chance sehe ich bis jetzt noch nicht. Wir können nur auf zwei Verbündete hoffen, auf Nebel und schlechte Sicht...« »Dann werden aus den vierzehn Kilometern schnell achtundzwanzig«, ergänzte Wessel, ihr Hoffnungsträger. Aber U-136 hatte Zeit, um günstige Bedingungen abzuwarten. Der Kommandant hockte schlaflos in seinem Schapp hinter dem grünen Filzvorhang. Ab und zu kam er auf einen Kaffee heraus. Einmal sagte er: »Ich habe einen Plan, der mit Sicherheit nicht funktioniert.« »Probieren können wir ihn ja mal, Herr Kaleu«, meinte Wessel. »Gegen Gibraltar hilft die raffinierteste Taktik so gut wie nichts.« »Gibraltar, das ist der Tod«, ließ sich der sonst stramm tapfere I WO Rahn vernehmen. Bis ihn dann Wessel auf seine Art aufbaute: »Was regen Sie sich auf? Von allen Irdischen kennt ohnehin keiner den Tag und die Stunde. Weder Knecht noch Edelmann. Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit.« Obwohl es nicht Rahns Art war, heute ließ er sich sogar ins Gemüt blicken: »Kenne da ein Mädchen, groß, schlank, blond, sportlich, blaue Augen, feste Zöpfe. Betrachte sie als meine Braut. Sie arbeitet als Sekretärin beim Wehrersatzkommando in Hannover. Wir legen jede Mark zusammen, die wir haben, um uns ein Häuschen zu kaufen.« Wessel nahm einen Schluck Kaffee und goß auch die Tasse des I WO voll. »Trösten Sie sich. Wenn man tot ist, ist das schönste Haus weniger wert als ein Acker in Sibirien.« Wessel hätte gerne eines von jenen Schlagerliedchen angestimmt, die ihn immer auf andere Gedanken brachten:... Das kannst nur du sein ... Dazu sagte er dann immer: »Wie heißt es doch so schon? Das kannst nur duhu sein ...« »Und wer bitte ist Duhuu?« Die Schwierigkeiten des Auftrages ließen Kapitänleutnant
Lützow kaum Ruhe finden. Immer hatte er sich als unverletzlicher Sieger gefühlt. Doch während er so dalag und zur Decke starrte, wurde ihm klar, daß man auch mit Anstand verlieren können mußte. Alles war bedacht, jedes Für und Wider. Ob dieser Gibraltar-Durchbruch gelang, hatte aber mit Können nichts mehr zu tun, man brauchte auch die nötige Portion Glück. Und Lützow hatte sein Glück bis heute mächtig strapaziert. Da sich bei den Gesprächen der Männer alles nur noch um Gibraltar drehte, verbot Lützow, auch nur das Wort zu erwähnen. Gibraltar kam auf den Index. Ab und zu gingen sie hoch, um das Boot durchzulüften und die Batterien nachzuladen. Auch holten sie Wettermeldungen ein. Aber mit günstigem Wetter rechnete Lützow ohnehin nicht. Sein Plan sah etwas anderes vor. Er schärfte dem Maat im Horchraum ein, auf Schraubengeräusche zu achten. »Hauptsächlich auf einen dicken Tanker oder Frachter«, sagte er. »Sie wissen, wie die daherkommen. Die Maschine hört man kaum, weil sie mit Dampf fahren, aber die langsam drehende Schraube.« Auf so ein Schiff wartete Lützow. Und wenn eines vorbeikam, dann gab es Alarm. Dann wurde es nur noch Stunden dauern, bis es vor ihm lag: das Tor des Schreckens.
12 Das Bauernopfer
Der Luxusdampfer Mombasa von der deutschen Afrikaline lag nun seit fünfzehn Monaten vertäut in Genua. Man hatte ihn weit draußen an der Molo Vecchio festgemacht, gegenüber der Ponte Andrea Doria, von wo aus die italienischen Atlantikliner einst in See gegangen waren. Mit Kurierpost erhielt Kapitän Lorensen die Mitteilung, daß das Schiff nun offiziell der deutschen Kriegsmarine unterstellt war und daß geheime Arbeiten durchzuführen seien. Diese bestanden im wesentlichen aus zusätzlicher Bemalung und der Übernahme von mehreren tausend leeren Fässern und wasserdicht verschlossenen Kisten. Kapitän Lorensen rief seine Restmannschaft zusammen: »Es gibt Arbeit, meine Herren. Bekanntlich hat unser Schiff ohnehin weiße Farbe. Nun ist etwa auf Höhe des Schornsteins an Backbord und Steuerbord jeweils ein großes rotes Kreuz aufzumalen. Haben wir genug Farbe an Bord?« »Wie groß müssen die Kreuze sein?« fragte der Chief. »Beide Balken vier Meter Länge von der Stelle ab, wo sie sich überkreuzen. Breite zwei Meter.« »Dann reichen sie von der Wasserlinie bis zum Oberdeck.« »Das ist beabsichtigt«, bestätigte Lorensen. »Wie also steht es mit der roten Farbe?« »Wenn wir etwas Mennige zumischen, dann kommen wir hin.« »Und wie lange wird das dauern?« »Drei bis vier Tage«, schätzte der Chief. »Ich setze jeden Mann an, der 'nen Pinsel halten kann.«
Der Zahlmeister massierte sein stoppeliges Kinn. »Dann wird ja ein Lazarettschiff draus.« »Noch lange nicht«, befürchtete Lorensen, »denn es gibt noch mehr, was wir zu tun haben. In den nächsten Tagen kommen per Lastwagen und Eisenbahntransport verschlossene Holzfässer und zugenagelte Kisten, einige tausend Stück. Irgend jemand muß das alles in den umliegenden Provinzen organisiert haben.« »Müssen wir das Holz übernehmen?« »Wir lassen alles in die leeren Laderäume an Bug und Heck verstauen.« »Soll uns das etwa unsinkbar machen?« wandte der Chief ein, »wie einen Sperrbrecher? Die packt man auch von oben bis unten mit Kisten, Fässern, Holz und Korkresten voll.« »Sehr richtig«, pflichtete ihm Lorensen bei, »damit das Zeug bei Beschuß Auftrieb verleiht und der Kahn nicht gleich auf Tiefe geht.« »Gegen eine Mine oder einen Torpedo nutzt das trotzdem wenig«, fürchtete der Zahlmeister. Bevor Lorensen die Besatzung zur Arbeit entließ, fragte der Chief: »Geht es endlich wieder auf die Reise, Käptn?« »Wohin würden Sie denn gerne fahren?« fragte Lorensen spöttisch. »Ich weiß es selbst noch nicht. Wir sollen uns aber zum Auslaufen bereithalten.« Fünfzehn Monate lang hatte sich nichts am eintönigen Tagesablauf der Mombasa geändert. Und plötzlich ging es los. Nur, was man mit dem Schiff vorhatte, das wußte nicht einmal Kapitän Lorensen. Auf dem Weg zur Kabine seines einzigen Passagiers mußte Lorensen am Funkraum vorbei. Der Funker winkte mit einem Te legramm. »Gratuliere, Käptn«, sagte er. »Bitte, nein, nicht vorher. Ich hab' erst im nächsten Monat Geburtstag.« »Zur Beförderung«, sagte der Funker. Lorensen überflog die wenigen Zeilen. Das Telegramm kam
aus Berlin vom Reichsmarineministerium. Man hatte ihn zum Korvettenkapitän/Sonderführer befördert. »Kein Grund zum Feiern«, sagte er und zerknüllte das Papier. Als er die Kabine von Rosita Merano betrat, sah er sie nicht. Unten im Salon oder in der Bar hatte sie aber auch nicht gesessen. Da hörte er durch die halboffene Tür des Badezimmers ein Plätschern. »Wer ist da?« vernahm er ihre kräftige Stimme. »Nur ich, Madame.« »Sie dürfen reinkommen, Käptn.« Sie hatte das Haar hochgesteckt. Weißer Badeschaum bedeckte ihre Schultern und Brüste. »Das ist noch das einzige Vergnügen, das ich hier habe«, sagte sie. »Ich bade dreimal täglich.« »Vielleicht konnten Sie es auf einmal beschränken, Madame«, wünschte Lorensen. »Wir müssen jeden Liter Trinkwasser mit Devisen bezahlen, und die haben wir nur in beschränkter Menge zur Verfügung.« »Aber Rotwein und Gin gibt es doch noch, oder?« »In ausreichender Menge.« Sie rieb sich den Hals, die Schultern und die Partien unter Wasser mit einem großen Schwamm ab, streckte eines ihrer langen Beine aus dem Schaum, massierte auch das, als sei sie allein und unbeobachtet. Dazu bemerkte sie: »Sie besuchen mich leider nie ohne Grund, Käptn.« Lorensen zog den Badehocker heran und setzte sich. »Ich sehe Probleme, Madame«, fing er an. »Sind sie schon da oder kommen sie erst noch auf uns zu?« »Es ist eine geheime Kommandosache, und ich darf eigentlich gar nicht darüber reden. Aber da Sie sich an Bord ohnehin in einer Art Isolierhaft befinden, dürfen Sie es wissen. Die Mombasa wird vermutlich Genua verlassen.« »Bringen Sie mich direkt nach Amerika? New Orleans wäre mir am liebsten.« »Über das Ziel hüllen sich die Befehlsstellen noch in Schweigen. Aber im neutralen Ausland liegt es bestimmt nicht. Ich
stelle Ihnen also frei...« Mit einer Handbewegung, daß der Badeschaum von ihrem Arm bis zum Spiegel spritzte, unterbrach sie ihn. »Ich bin heimatlos. Wohin sollte ich gehen? Darf ich nicht mitkommen?« »Egal wohin?« »Egal wohin«, erklärte sie. »Wo Sie sind, ist mein Vertrauen, Käptn.« Inzwischen war das Badewasser offenbar kalt geworden. Ungeniert, als sei eine nackte Frau einem angezogenen Mann gegenüber nichts Besonderes, stieg sie aus der Wanne. Ihre Haut hatte immer noch zarten Braunton, und ihr Kopfhaar war ungefärbt, das sah man jetzt. Während sie über den Wannenrand stieg, hüpften ihre Brüste. Sie schnippte mit den Fingern. »Würden Sie mir wohl bitte das Badetuch reichen, Kapitän Lorensen? Da, das grüne aus Chenille.« In einer der darauffolgenden Nächte ereigneten sich seltsame Dinge. Von der Stazione Maritime her näherten sich auf der Sopraelevata, jener breiten Straße, die um den ganzen Hafenbereich herumführte, Fahrzeugkolonnen. Lastwagen mit Planen und andere, die Feldhaubitzen angekoppelt hatten, sowie kleine Panzer und Zugmaschinen. Die Anhänger mit drei Achsen beförderten zweifellos schwere Güter. Als erstes wurden von den normalen Lastkraftwagen Tornister, Stahlhelme und Gewehre abgeladen. Die italienischen Pioniere, und um solche handelte es sich zweifellos, hatten das nötige Transportgerät dabei. Neben die Personengangway montierten sie im Licht ihrer Scheinwerfer eine Art stählerne Rampe, auf der die kleinen FIAT-Panzer sowie die Geschütze durch die seitliche Ladeluke der Mombasa in die mittleren Laderäume verfrachtet wurden. Bis zum Morgengrauen verluden die Italiener dann noch Holzgestelle mit schweren Artilleriegranaten. Von dem Lärm wurde der Steward wach. Der weckte sofort
den Kapitän. Von der Brücke aus sah Lorensen zunächst ratlos zu. Was konnte er unternehmen? Die Italiener hatten die ganze Pier und das Schiff mit bewaffneten Soldaten abgeriegelt. Schließlich kleidete er sich an, ging von Bord und fragte sich zu dem kommandierenden Offizier durch. Es war ein ziemlich junger gutaussehender Maggiore, schon vom Gesicht her ein aalglatter Bursche. Zunächst achtete er gar nicht auf den deutschen Seeoffizier, sondern erteilte weiter seine Befehle und Anordnungen, bis sich Lorensen vierkant vor ihm aufbaute. Mit all seinem verfügbaren Italienisch erklärte er: »Die Mombasa ist ein Lazarettschiff, Signore.« Der italienische Offizier hatte offenbar damit gerechnet, daß es zu diesem Zusammenstoß kommen würde. »Für mich ist die Mombasa leerer Transportraum«, erwiderte er, »ein bißchen Bemalung macht daraus keinen RotkreuzDampfer.« »Sie wird aber als solcher deklariert«, entgegnete Lorensen heftig. »Nach der Genfer Konvention darf ein Lazarettschiff nicht angegriffen werden. Es darf aber auch keine Waffen oder kampffähige Soldaten transportieren. Das ist ein glatter Verstoß gegen internationales Recht. Welcher Befehl gestattet es Ihnen mithin, Maggiore, Kriegsgerät an Bord der Mombasa zu verbringen?« Der Italiener steckte sich eine Zigarette in den Mund. Diensteifrig sprang einer der Soldaten heran und reichte ihm Feuer. Durch seine Römernase ausrauchend, erwiderte der italienische Pionieroffizier: »Wie gesagt, das ist doch gar kein richtiges Lazarettschiff, sondern ein Witz, Signor Capitano. Sie haben offenbar keine Ahnung, was man mit Ihnen vorhat. Welches Spiel mit Ihnen getrieben wird.« Lorensen war sich klar darüber, daß er hier in jedem Fall den kürzeren zog. Er befand sich auf italienischem Territorium und war eingekreist von der halben italienischen Armee. Aber er gab nicht auf. Als Mombasa-Kapitän kündigte er dem Italiener an, daß er
die Vorgänge seiner übergeordneten Dienststelle melden würde. Für die Mombasa, einem deutschen Schiff, seien die Anordnungen des italienischen Kriegsministeriums oder irgendeines Bereichsbefehlshabers nicht gültig, argumentierte er. »Also stoppen Sie die Beladung, Signor Maggiore, ma presto, e subito!« Lorensen machte auf dem Absatz kehrt und ging. Er war noch nicht weit gekommen, da vernahm er die raschen Schritte des Italieners hinter sich. Der Maggiore packte ihn bei der Schulter und riß ihn zurück. Es war eine unfreundliche Geste. Doch der Italiener lächelte dabei. In seinem Florentiner Italienisch, der Sprache der Gebildeten, antwortete er auf Lorensens letzte Bemerkung: »Sollten Sie uns Schwierigkeiten bereiten, Signore, dann müssen wir unsererseits leider melden, daß sich seit einem Jahr eine weibliche Person bei Ihnen an Bord befindet. Sie steht nicht auf der Meldeliste und wird möglicherweise von den deutschen Behörden gesucht. Warum also bieten Sie Signorina Merano dieses Versteck? Ist sie etwa eine Spionin? Wollen wir beide nicht lieber über diese Vorgänge Schweigen bewahren?« Angewidert über solche Art von Erpressung, nickte Lorensen nur und eilte an Bord der Mombasa. Bis zum Morgen hatte er entschieden, was er tun wollte. Er setzte eine Meldung nach Berlin auf. Doch sie traf nie in Berlin ein. Mehrmals kam der Funker in die Kapitänskajüte. »Immer noch starke Störungen, Käptn. Ich komme nicht durch.« »Liegt es vielleicht an Ihrem Sender?« »Ein Telefunken fällt nicht so schnell aus, Käptn.« »Dann sind es die Italiener«, vermutete Lorensen, »die pfuschen uns hier irgendwie in die Frequenz.« Fortan beschloß der Mombasa-Kapitän, die Dinge einfach laufen zu lassen. Möglicherweise hatte das alles mit dem Sonderauftrag zu tun, von dem er bis jetzt nur so viel wußte, daß sein Schiff dazu benötigt wurde. Er konnte nichts unternehmen, denn als Korvettenkapitän war er in den Befehlsbereich der deutschen Kriegsmarine einge-
bunden. Bei seinem nächsten Routinegespräch mit dem Chief ordnete Lorensen an, daß ein Probelauf mit der Hauptmaschine durchzuführen sei. »Geht es endlich los, Käptn?« »Ich habe nur das Schiff auslaufklar zu halten. Was liegt an Reparaturen an, Chief?« »Eigentlich wollte ich die Rudermaschine zerlegen und überholen«, berichtete der Erste Ingenieur. »Wie lange dauert das?« »Zehn Tage bis zwei Wochen.« »Das verschieben wir«, entschied Lorensen. Der heimliche Treff zwischen Rosita Merano und dem Mann, der unter dem Mantel Priesterkleidung trug, sollte alle zwei Wochen in der Nacht vom Freitag zum Samstag erfolgen. Es war wieder Freitag, der Abend eines windigen Tages mit eiskaltem Regen. Eingehüllt in ihren Kapuzenmantel verließ die Sängerin die Mombasa, eilte durch das Hafengelände zum Tor an der Piazza Cavour. Dort betrat sie den Wachraum der Zöllner und sagte: »Bitte rufen Sie mir ein Taxi, Signore.« Sie verlangten ihren Passo porto, obwohl man sie inzwischen gut kannte. Der Beamte blätterte in dem Paß, schaute hinein, verglich ihr Gesicht mit dem Paßfoto wie bei einer fremden Person, klappte den Paß zu, gab ihn zurück und sagte: »Bedaure, Signorina.« »Was bedauern Sie?« »Wir können Sie nicht in die Stadt lassen.« »Diavolo, perché?« fuhr sie ihn an. Ein Polizist kam hinzu und unterstützte den Zollbeamten: »Anordnung der Militärbehörden.« »Ich bin keine Militärperson. Ich möchte nur in die Stadt hinauf, um Spaghetti zu essen und ein Glas Wein zu trinken.« »Das können Sie später auch noch, Signorina. Die Anordnung gilt bis nächste Woche. Keine Zivilperson, die nicht im Freihafen beschäftigt ist, darf ihn verlassen. Ausländer Inbegriffen.«
Sie zeigte, daß sie wütend war. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Sie mußte zurück auf das Schiff.
13 Der Hauch des Todes
»Beide Diesel Große Fahrt voraus!« »Gehen Umdrehungen für vierzehn Knoten«, erfolgte die Rückmeldung. »Tauchtanks durchgeblasen«, kam es aus der Zentrale. »Aber klar bei Entlüftungen!« befahl der Kommandant. Sie folgten einem dickärschigen Frachter. »Babylon aus Rio«, entzifferte I WO Rahn im Nachtglas. Der Kommandant rief in die Zentrale hinunter: » Blättert mal im Flottenhandbuch.« Sie fanden es schnell. Die Babylon aus Rio war ein 6000Tonnen Kühlfrachter. Geschwindigkeit 20 Knoten. »Der fährt Rindfleisch nach Nahost«, vermutete Klein. »Aber 20 Knoten Geschwindigkeit können wir nicht halten.« Es sah wirklich so aus, als laufe ihnen der Südamerikaner auf und davon. Das kostete, kaum war die Spannung etwas gelöst, wieder Nerven. Sie hatten einige Tage in der Bucht von AI Schamir, westlich Tanger, auf Grund gelegen. Eine Warteposition, um gemäß BdU-Befehl bei günstiger Gelegenheit durch die Meerenge von Gibraltar nach Genua zu stoßen. Kapitänleutnant Lützow ließ sich Zeit, bis so viele Voraussetzungen wie möglich stimmten, um lebend ins Mittelmeer zu gelangen. Dann waren ihre Chancen um wenige Prozente größer. »Was wir brauchen«, hatte Klein immer wieder gesagt, »ist Flutzeit, Nacht und schlechtes Wetter.«
Der Zeitpunkt, zu dem der Atlantikstrom am stärksten durch die Meerenge nach Osten düste, war berechenbar. Ebenso der Einbruch und die Dauer der Dunkelheit. Nicht jedoch das Wetter. So hatte U-136 sich vierundsiebzig Stunden dicht unter der afrikanischen Küste aufgehalten, bis Lützow es wagte. »Besser wird es nicht mehr«, brummte er, nachdem der Funkraum einen aufkommenden Frachter meldete. Als dieser um die Ecke des Vorgebirges kam und sein Schraubengeräusch am deutlichsten peilte, tauchte U-136 auf. Oben diesige Dunkelheit, Wind mit Regen durchmischt. Sicht zwei Kabellängen. Der schwarze Koloß überholte sie. »Und jetzt einscheren und dranhängen!« Sie liefen also hinter dem Frachter her. Die mit äußerster Kraft laufenden Diesel gaben ihnen im Oberflächenstrom eine Geschwindigkeit von achtundzwanzig Knoten über Grund, was etwa der eines Zerstörers entsprach. »Kurs null acht acht«, korrigierte Lützow das Ruder. »Er läuft uns davon«, fürchtete Klein. »Die Buchstaben an seinem Heck sind kaum noch lesbar.« Kapitänleutnant Lützow befand sich entscheidungsmäßig in einer Notlage. Wenn er die E-Maschinen zuschalten ließ, konnten sie die Geschwindigkeit des Frachters halten, und der Pott würde sie vielleicht unbemerkt durch die Meerenge ziehen ... vielleicht. Aber dann waren in einer Stunde die Batterien völlig leergelutscht, und U-136 konnte nicht einmal mehr tauchen. »Es muß auch so gehen«, hoffte Lützow. Wie immer herrschte in der Meerenge starker Verkehr. Trotz Dunkelheit schien alles unterwegs zu sein, was schwimmen konnte. Fähren, Fischlogger, Küstenmotorschiffe, normaler Dampferverkehr plus Sicherungseinheiten. Alle mit heller Friedensbeleuchtung. Immer wieder zeigte das Radarmeßgerät Impulse an. Lützow kümmerte sich wenig darum. Er vertraute den fünf Männern, die scharfen Ausguck hielten. Mehrmals kamen Bewacher sehr nahe. U-136 lief jetzt halbgeflutet, so daß nur noch der Turm
herausragte. »Bewacher an Steuerbord, vermutlich britische Fregatte!« rief der II WO. Und schon wurde zu ihnen herübergeblinkt. Der Engländer forderte Erkennungssignal an. Das kannte Lützow nicht. Aber auf der anderen Seite, an Backbord, auf Gibraltar zu, wimmelte es nur so von Einheiten. Schon einmal hatte ein U-Boot-Kommandant diesen Trick angewandt und damit Erfolg gehabt. Auch Lützow probierte ihn: Er ließ die EK-Forderung des Engländers zur anderen Seite nach Norden blinken. Sie mehrmals wiederholend, erhielt er sogar Antwort. Es war eine ungleichmäßige Reihe von kurzen und langen Lichtsignalen. Der Engländer auf der Afrikaseite wurde schon ungeduldig. Vermutlich im letzten Moment gab ihm Lützow die Antwort, die er erwartete. »Ob er es nun glaubt oder nicht.« »Und wenn nicht?« »Dann soll ihn der Blitz beim Pinkeln treffen.« Nach einer Weile drehte der Engländer zögernd ab. Gleich darauf die nächste Gefahrenmeldung: »Bewacher aus neun Uhr mit hoher Geschwindigkeit. Läuft auf uns zu.« Lützow wollte schon Alarmtauchen befehlen, da richtete sich seitlich von ihnen eine riesige schwarze Wand auf. Mindestens sechs Meter hoch, fünfzig Meter lang und aus Stahl. Die Bordwand eines anderen Frachters. Dankbar nahm Lützow die Deckung an und legte neben dem Frachter etwa acht Meilen zurück, wie ein Entenküken dicht bei der Mutter. Immer wieder peilte Klein jedes erreichbare Feuer. Rechterhand zogen die Lichter von Tanger vorbei. »Leuchtfeuer von Punta Malabata in Sicht«, ließ sich Klein vernehmen. »Wenn wir Benzu geschafft haben, dann wären wir durch.« »Ja, wenn ich am Hintern Flügel hätte ...« Lützow mit seinem feinen Gespür für Logik, Taktik und Technik glaubte nicht daran, daß sie die Gefahr schon hinter sich hatten. Von Tanger her tauchte wieder ein Zerstörer auf.
Also verdrückten sie sich auf die andere Seite ihres Schutzengels. In seinem mächtigen Kielwasser wurde U-136 durchgeschaukelt. Das nahmen sie gerne hin. Wenn alles so blieb, dann kamen sie beim ersten Anlauf glatt ins Mittelmeer hinein. Es wäre zu schön gewesen. Mehrmals wechselten sie die Seiten des schweren Frachters wie einen Schutzschild. Doch Minuten später verließ sie das Glück. Sie hörten das Ping eines feindlichen Asdic-Strahls. Lützow ließ Alarmtauchen. Rahn fiel die eiserne Leiter zur Zentrale beinahe hinunter und verstauchte sich den Fuß. Er humpelte weg. Noch war der letzte Mann nicht durch das Turmluk in der Zentrale, da erfaßte sie ein weißer Scheinwerferfinger. »Verdammt, der hat uns noch gesehen. Ruder hart unten. Auf neunzig Meter gehen!« Lützow wandte sich an Klein: »Wie tief ist es hier?« »Vierhundert Meter, Herr Kaleu.« »Und der Grund?« »Felsig, klippig, spitznadelig.« Sie hörten die hellsingenden Schrauben des schnellen Zerstörers über sich. Schon beharkte er sie fürchterlich mit Wasserbomben. Lützows Vorteil bestand darin, daß es nur ein einziger Verfolger war, und der konnte nicht herumtoben wie ein Wilder und nach Belieben Wasserbomben werfen. Sie waren ja nicht im freien Atlantik. Also mußte der Kerl Rücksicht auf den Schiffsverkehr nehmen. »Aber er wird Unterstützung anfordern«, fürchtete Lützow. Mit Zickzack- und Achterbahnkurven, mit Maschine stop und AK voraus, versuchte Lützow den Wasserbombenserien zu entgehen. Aber die Dinger lagen verdammt gut und schüttelten das Boot durch, daß es nicht nur in ihren Köpfen dröhnte, sondern im ganzen Körper. So ging es stundenlang. »Muß sich um einen Hellseher handeln«, sagte Lützow. Er dachte sich so stark in den gegnerischen Kommandanten hinein, daß man es fast zu hören glaubte. »Auf zweihundert Meter gehen, Kurs 170.«
Er wollte so nah wie möglich an die afrikanische Küste heran. Aber jetzt hatten sie auf Tiefe den Mittelmeerstrom gegen sich, und der Verfolger gab nicht nach. Lützow sah nur eine Möglichkeit, die schon vielen Gejagten geholfen hatte: sich tot zu stellen. »Wir legen uns auf Grund«, entschied er. »Tiefe dreihundertvierzig Meter, Herr Kaleu.« In aller Vorsicht steuerte Lützow den Meeresboden an. Als das Echolot kaum noch Abstand zum Grund meldete, setzte der LI das Boot vorsichtig auf. Es knackte und seufzte in den Spanten. Das Boot schwankte im Strom, als würde ein Ei auf der Tischkante balanciert. Sie suchten sich lieber eine andere Stelle, die noch dreißig Meter tiefer lag. Dort kam das Boot endlich zur Ruhe. Die Schraubengeräusche der Bewacher wurden leiser. »Die sind jetzt jot-we-de«, meldete der Horcher, »ganz weit draußen.« Und Lästermaul Wessel wünschte: »Also fröhliches Absaufen. Und nicht vergessen, der letzte macht das Licht aus.« Bei der angeordneten Stille und im Licht der wenigen Lampen, die aus Gründen des Stromsparens noch brannten, wurde das Knirschen der Spanten überdeutlich. Niemand wußte genau, was das Boot aushielt und wann es der Druck der tausend Tonnen Wasser über ihnen zerquetschen wü rde. I WO Rahn, der sich beim Einsteigen und Fallenlassen an der Zentraleleiter den Knöchel massiv verstaucht hatte, hockte in der O-Messe und stöhnte herum. Als Essen gab es nur Halbwarmes. Wessel verlangte Spiegelei. »À la Winston«, flüsterte er dem Koch zu, »auf beiden Seiten gebraten.« »Mögen Sie etwa diesen Churchill?« höhnte Rahn bissig. »Ich hab' ihn zum Fressen gern.« Als Wessel fertig war, fragte der Kommandant: »Wie hat das geschmeckt?« »Es hätte schlimmer kommen können, Herr Kaleu.« Immer wieder quetschten sich Männer auf dem Weg von der
Zentrale in den Bug-Mannschaftsraum an ihnen vorbei. Dann trafen den Kommandanten ihre stummen fragenden Blicke. »Wir sind noch nicht durch, Männer«, sagte Lützow, »noch gar nicht. Holt euch schon mal Bier ab. Eine Flasche pro Mann. Als Henkersschluck.« Die Schmerzen setzten Rahn mächtig zu. Er versuchte sie zu unterdrücken und keuchte: »Admiral Dönitz wird schon wissen, was er von uns verlangt.« »Ja, er weiß immer, was er verlangt und auch was er sagt«, knüpfte Wessel an. »Ich hab' ihn mal erlebt bei meiner Vereidigung. Soldaten, Matrosen, hat er gesagt, wer ein echter Seemann werden will, dem werden wir in der Rekrutenkompanie vom Ausbildungsmaat erst mal die Eier abschleifen lassen, bis ihm das Wasser im Arsche kocht. Dann kommt der Matrose auf ein Segelschulschiff. Bei jedem Orkan klettert er bis zur obersten Rah. Da werdet ihr kotzen, kotzen. Nur wenn der braune Ring hochkommt, den müßt ihr wieder runterschlukken, das ist der Arsch, den braucht ihr noch. Und wenn das noch nicht genügt, versetzt man euch auf ein U-Boot. Da lernt ihr vor Wasserbomben zu zittern, wenn sie euch das Trommelfell zerfetzen. Und seid ihr dann noch immer Süßwassermatrosen, ja dann muß ich mich wohl selbst um euch kümmern.« »Das hat der BdU-Chef so nie gesagt«, kommentierte Rahn. »Nie würde sich der Großadmiral derart proletenhaft äußern.« Wessel wischte sich die braune Dolle aus der Stirn. »Dann hat es eben Wessel gesagt. Der steht für Wahrhaftigkeit in allen Lebenslagen.« I WO Rahn humpelte aufs WC, und der Leitende bemerkte hinter ihm her: »Der I WO ist gewiß bald wieder gesund.« »Ja, denn er ist schon fast wieder so blöd wie immer«, konnte Wessel sich nicht verkneifen. Sie hörten nichts mehr von Verfolgern. Nur ab und zu einen vorbeituckernden Kolcher. Nach zwanzig Stunden, oben mußte es wieder Nacht sein, entschloß sich Lützow zum Auftauchen. Erst nach starkem Anblasen und Leerdrücken der Ballasttanks löste sich U-136 von
den Grundfelsen, in die es sich offenbar verklemmt hatte. Während das Boot stieg und mit E-Maschinen anging, sagte Lützow: »Erbitte mir blitzartige Befolgung meiner Kommandos. « Bange Minuten verstrichen. Von oben kein Schraubengeräusch, Totenstille. Oder lagen die Häscher auf der Lauer? Der LI sagte die Tiefe an: »...achtzig Meter... sechzig Meter... vierzig ... zwanzig ... fünfzehn ...« Das Zentrale-Sehrohr wurde ausgefahren. Der Kommandant hing schon am Okular. Rundblick. Nichts. Öde Wassersteppe. »Auftauchen!« »Boot durchgeschnitten«, meldete der LI. Zunächst sah es draußen nach einer Katastrophe aus. Es war mondhell und völlig klar ringsum. Der Oberflächenstrom riß das Boot mit und haarscharf an einer Fahrwasserbake vorbei. Doch merkwürdigerweise war der östliche Ausgang der Meeresstraße nahezu leergefegt. Offensichtlich verstärkten die Engländer nur bei schlechtem Wetter die Kontrollen. Bei klarer Sicht vertrauten sie ihren Radargeräten sowie den Ausguckposten auf dem Felsen von Gibraltar oder drüben in Tanger. Lützow riskierte es jetzt einfach. Er öffnete das Turmluk, forderte beide Diesel an, ließ sie Große Fahrt gehen und gleichzeitig die Batterien laden. Der Maat klappte die Handgriffe des Zentralesehrohrs hoch. Und fuhr es ein. Lützow stand als einer der Ersten auf dem Turm. »Wo ist hier Holz?« fragte er und klopfte dreimal. »Ich glaube, wir leben noch. Rahn, machen Sie einen entsprechenden Eintrag im Kriegstagebuch.« In den nächsten Stunden, während sich U-136 aus der Todeszone immer weiter entfernte, flüsterte Wessel dem Obersteuermann zu: »Der Alte war gut.« »Der war sogar bestens. Wie er das in den letzten achtundvierzig Stunden gedeichselt hat, Mannomann!« Wessel setzte das Fernglas ab und ulkte: »Der Alte muß irgendwann mal einen U-Boot-Film gesehen haben.« U-136 nahm Generalkurs auf die Balearen. 35 Grad.
Spanien war neutral, und in spanischen Gewässern gab es mehr Sicherheit als anderswo. Noch drei Tage, dann würden sie den 42. Breitengrad überqueren und den Golf von Lion erreichen. Das war dann schon die französische Küste.
14 Dritter Versuch
»Ich bin Oberleutnant z. See Albert Greif«, meldete sich der junge Marineoffizier zackig und sperrte seinen Kurierkoffer auf. »Ich komme direkt vom OKM in Berlin.« Kapitän Lorensen, der ihn in seiner Kajüte empfangen hatte, bot an, was es gab: »Kaffee, Tee, ein Glas Wein, Mineralwasser?« Der Besucher verzichtete, fragte aber: »Wann sind Sie auslaufbereit, Kapitän?« Lorensen staunte nun doch über soviel Forschheit. »Binnen zwölf Stunden.« »Für den genauen Zeitpunkt«, schnarrte Oberleutnant Greif, »erhalten Sie Funkbefehl. Das Stichwort lautet: Otranto.« Korvettenkapitän Lorensen setzte sich erst einmal bequem. »Und was bitte bedeutet das?« »Es ist ein Code.« »Dachte ich mir beinah. Aber welchen Kurs soll ich nehmen, welches Ziel ansteuern? Das muß ich dem Hafenkapitän melden, wenn ich ausklariere.« »Wird von uns erledigt, Kapitän Lorensen.« Für den Kapitän der Mombasa war das zuwenig. »Wird es eine längere Reise?« Nun entnahm der Oberleutnant seiner Kuriertasche einen dicken braunen Umschlag aus Natronpapier. Er deutete auf die unverletzten Dienstsiegel und schaute sich um. »Wo ist Ihr Tresor?« Der war hinter einem der Holzpaneele verborgen. Lorensen öffnete das Stahlfach.
Der Besucher legte den Umschlag hinein mit den Worten: »Erst auf See zu öffnen.« Dann fragte er den Mombasa-Kapitän weiter aus: »Gibt es besondere Vorkommnisse zu vermelden?« Vom rüden Ton der Unterhaltung wenig eingenommen, antwortete Lorensen ausweichend: »Gewiß nichts, was Sie nicht schon wissen.« Der Oberleutnant aus Berlin nickte, tippte kurz einen militärischen Gruß an den Schirm seiner Offiziersmütze und äußerte: »Bitte lassen Sie mir eine Kabine anweisen.« Lorensen reagierte erstaunt. »Bleiben Sie für längere Zeit an Bord?« »Mich werden Sie so schnell nicht los. Ich fahre sogar mit«, antwortete Oberleutnant Greif. Die Nacht war dunkel, aber trocken und frühlingshaft lau. An der Galata Molo Vecchio brannten nur wenige Lampen. Den Kragen des Trenchcoat hochgeschlagen, Schirmmütze auf, schlich eine Person von Bord der Mombasa. In den dunkelblauen Marinehosen steckte aber mit Sicherheit kein Mann, was an dem graziösen Gang zu erkennen war. Sie verließ das Sperrgebiet durch das Tor an der Piazza Cavour. Am kleinen Markt eilte sie die Stufen zwischen den engstehenden Häusern hinauf in die Altstadt. Erst dort nahm sie die Schirmmütze ab und schüttelte das rote Haar nach hinten. Von der Piazza Matteotti bog eine Sackgasse nach links. Dort dröhnte Lärm aus der Fischerkneipe Lupo di Mare. Erst zögerte die Frau, dann wagte sie es hineinzugehen. Sie hatte keine andere Wahl, denn sie war dort verabredet. Eingezwängt zwischen den nach Teer und Salzwasser stinkenden Fischern, nahm sie an der Bar das Übliche. Weißwein mit einer Scheibe Zitrone und einen Teller mit gerösteten Garnelen. Immer wieder schaute sie auf die Uhr. Mit ziemlicher Verspätung, erst gegen 23 Uhr, erschien der Mann, den sie schon einige Male getroffen hatte. Diesmal war Padre Servatio als Seemann verkleidet. Er trug
einen schwarzen Rollkragenpullover unter der Jacke mit den doppelreihigen Ankerknöpfen, nickte Rosita Merano zu und sagte zu dem Padrone: »Lo stesso, per favore. Das gleiche wie die Signorina.« Dann wandre er sich an Rosita: »Das letzte Mal habe ich Sie vermißt, figlia mia.« »Das Hafengebiet war gesperrt.« »Erfuhr es leider zu spät.« Er schaute auf seine Armbanduhr mit dem zersprungenen Glas. »Konnte heute leider nicht pünktlich sein. Die Züge hier, wann fahren die schon nach Plan! Und jetzt im Krieg, keine Kohle ...«, es sah aus, als sei er schon lange unterwegs, »... bin gestern noch vor Tagesanbruch losgezwitschert«, erzählte der Priester, »mußte vorher noch meine Quellen in Apulien aufsuchen.« Aber auch aus dem südlichsten Zipfel Italiens brachte er keine brauchbaren Informationen mit. Er bestätigte nur, was alle schon wußten. »Immer wieder werden Schiffe, die um das Kap herum durch die Straße von Otranto gehen, von Torpedos versenkt. Doch keiner meiner Pfarrer, Kirchenhelfer und Gemeindemitglieder in den Ortschaften längs der Küste konnten bisher beobachten, daß die Angriffe von dort aus erfolgen. Und Sie können mir glauben, Signorina, die Bauern sehen jeden Ast, jeden Wurzelstock, der mutwillig ausgerissen wird.« Durstig nahm er einen Schluck von dem kühlen Trebbiano, schaute sich um, steckte seine Pfeife an und ließ sich von einem der Fischer Feuer geben. Dann fuhr er fort: »Man will gehört haben, daß ein neuer Versuch geplant ist, um dem Rätsel von Otranto auf die Spur zu kommen. Versuch welcher Art, das wissen wir nicht. Nachdem ein Nachschubkonvoi und ein Geschwader französischer Kriegsschiffe ausgelöscht wurden, welche Möglichkeiten bleiben da noch.« In der Ecke wurde ein Tisch frei. Sie nahmen ihre Gläser und setzten sich. Der Wirt stellte ihnen einen frischgefüllten Fiasco dazu. Am Tisch neben der Tür wurden laut Fangpartien versteigert. Die Fischer und die Händler schrien sich gegenseitig ihre Preise zu und schlugen mit den Fäusten auf die Holzplatten. Dem ungleichen Paar war es recht. So konnten sie nicht be-
lauscht werden. Rosita Merano bestätigte Padre Servatio, daß mit dem Passagierdampfer Mombasa wohl etwas geplant sei. »Das Schiff erhielt an Backbord und Steuerbord je ein zehn Meter hohes Kreuz aufgemalt.« »Wissen wir. Man will es wohl als Lazarettschiff kennzeichnen«, mutmaßte Servatio. »Aber ein Lazarettschiff ist in der Regel unbewaffnet, hörte ich.« »Richtig«, bestätigte Servatio, »es darf keinerlei Kriegsgerät mitführen.« Die Merano blies eine herabhängende Haarsträhne auf die Stirn zurück. »Dann verstehe ich nicht«, deutete sie an, »warum die Mombasa nachts heimlich von den Italienern mit Waffen beladen wird.« Dabei erwähnte sie sogar die Art von Waffen und Munition. Dann fuhr sie fort: »Kapitän Lorensen hat deswegen Schwierigkeiten mit italienischen Kommandobehörden gehabt.« Mehr konnte sie dazu nicht sagen. Padre Servatio bat sie, ihn, wenn möglich, rechtzeitig zu unterrichten, wann die Mombasa in See gehe und wohin. »Geben Sie mir eine Adresse, Hochwürden.« »Werfen Sie die Nachricht in einem Umschlag in den Briefkasten des Pfarrbüros der Kirche von San Donato. Sie wird mir dann telefonisch zugeleitet.« »Heute Morgen kam ein Kurier aus Berlin«, erwähnte die Merano noch. »Was er mitbrachte - keine Ahnung. Lorensen und der Oberleutnant verschwanden in der Kapitänskajüte.« Erst dachte Padre Servatio eine Weile nach, dann sagte er: »Ist der Kurier noch an Bord?« »Er bezog eine Kabine neben der meinen.« »Dann passiert vorerst wahrscheinlich nichts«, vermutete Servatio. »Wir bleiben weiter in Kontakt, cara mia. Manus manum lavat, und gehen Sie mit Gott, meine Tochter.«
Der Mond war hinter Wolken verschwunden, und am Pier der Molo Vecchio hatte man alle Lampen gelöscht, als Rosita Merano wieder an Bord schlich. Auf dem Weg von der Gangway an der Reling entlang zu den Niedergängen baute sich plötzlich ein Mann vor ihr auf. Gleichzeitig betätigte er den Lichtschalter. Sie hörte noch das Knacken, ehe Helligkeit sie umgab. »So heimlich wie Sie von Bord gegangen sind, kommen Sie nicht wieder herein«, zischte Oberleutnant Greif mit seiner unangenehm spitzen Stimme. »Nehmen Sie mal die Mütze ab.« Ihr rotes Haar quoll hervor. »Warum schleichen Sie vermummt aus dem Sperrgebiet? Wo sind Sie gewesen?« »Spaghetti essen.« »Reden Sie keinen Unsinn«, entgegnete er scharf. Sein Verhalten machte sie ärgerlich. Deshalb erwiderte sie ebenfalls unfreundlich: »Wo hätten Sie denn gerne, daß ich gewesen bin, Herr Oberleutnant?« Greif tat nicht lange herum. »Ich erkläre Sie hiermit für festgenommen, Frau Merano.« Schon waren zwei bewaffnete Matrosen zur Stelle und eskortierten sie hinauf zur Kapitänskajüte. In Anwesenheit von Lorensen forderte der deutsche Seeoffizier Rosita Merano auf, eine Erklärung abzugeben. Doch sie reagierte mit einer Gegenforderung: »Ich muß Sie unter vier Augen sprechen, Oberleutnant.« »Ich brauche Zeugen«, beharrte Greif, »sonst heißt es noch, ich hätte Sie vergewaltigt.« Die Sängerin setzte sich unaufgefordert, entnahm ihrem flachen silbernen Etui eine Zigarette, steckte sie an, kreuzte die Beine übereinander und bemerkte: »Treiben Sie Ihre Unhöflichkeit nicht zu weit, Oberleutnant. Ich rate Ihnen gut. Wenn ich sage, ich muß Sie allein sprechen, dann hat das Gründe.« Sie wollte Lorensen, der immer fair zu ihr gewesen war, in gewisse Dinge nicht verwickeln. Lorensen verstand sie offenbar, ging hinaus und schloß die Tür seiner Kajüte hinter sich. »Ich warte«, drängte Greif.
Jetzt eröffnete Rosita Merano dem deutschen Offizier etwas, wozu sie sich in dieser Notlage berechtigt sah. »Ich arbeite für Admiral Canaris«, erklärte sie. »Hoffe doch, Sie wissen, wer Admiral Canaris ist. Chef der deutschen Spionageabwehr.« Oberleutnant Greif beherrschte seine Überraschung nur mühsam und forderte Beweismaterial. »Können Sie das mit Dokumenten belegen?« Daraufhin erwiderte die Sängerin herablassend, indem ihr helles Lachen ihn zu erniedrigen schien: »Agenten führen in der Regel keine Ausweise mit sich.« »Sie zwingen mich von meinem Dienstrang Gebrauch zu machen«, erwiderte er bösartig. Das forderte ihre Entgegnung heraus: »Ich bin keine militärische Person, also auch nicht Ihre Untergebene.« »Aber Sie behaupten, im Dienst von Canaris zu stehen.« Das alles machte sie mehr als wütend. Sie rauchte ihm mitten in sein fischig glattes Gesicht und sagte: »Wissen Sie was, Sie kleiner Scheißer, Sie können mich mal. Wenn Sie mir nicht glauben, dann rufen Sie doch in Berlin an. Ich hoffe, daß über Ihr komisches Oberkommando die Nummer von Canaris zu erfahren ist. Tun Sie das sofort, noch in dieser Stunde. Und dann können Sie von Glück reden, wenn ich Sie nicht in Ihren mikkrigen Arsch trete.« Sie hatte sich wirklich bemüht, ordinär zu sein. Aber anders verstand dieser arrogante Wicht wohl nicht.
15 Ein Lockvogel mit 20 000 Tonnen
Der Funker überbrachte die neueste Meldung: »Stichwort Otranto, Herr Kapitän.« Mit der Minimalbesatzung und Hilfe einiger Trossenzieher, die immer in Häfen herumlungerten, legte der Luxusliner ab. Ohne Schlepperhilfe war das nicht einfach. Mit geringster Schraubendrehzahl rückwärts und Hartruderlage stemmte sich die Mombasa gegen die achterne Spring. Langsam löste sie sich mit dem Bug von der Pier und drehte im großen Hafenbecken über Backbord zur großen Mole hin. Die passierte das Schiff am Dienstagmorgen 8 Uhr 30 bei Dämmerungsende. Befehlsgemäß öffnete Kapitän Lorensen die versiegelte Order erst außerhalb der Dreimeilenzone auf See. Zunächst entnahm er ihr, daß er die Südspitze Italiens zu umrunden habe, um durch die Straße von Otranto den Hafen von Triest zu erreichen. Aus Sicherheitsgründen sei die Route durch das Tyrrhenische Meer so zu wählen, daß er Korsika und Sardinien im Westen liegen ließ und in fünf Meilen Abstand zur italienischen Küste die Straße von Messina ansteuerte. Erfahrungsgemäß wurde dieser innere Bereich weniger häufig von feindlichen Einheiten gestört. Auch waren die Distanzen von der Flugzeugbasis Malta bis zur Toskana oder der Küste von Kampanien für Feindmaschinen einfach zu groß. Nach mehreren Kurskorrekturen ließ Kapitän Lorensen 75 Grad steuern. An La Spezia vorbei war das die kürzeste Strecke zur Insel Elba. Daß die Mombasa auf irgendeine Weise von einem Fahrzeug geschützt würde, war nicht zu erkennen. Das kümmerte Kapi-
tän Lorensen zunächst auch wenig. Er vertiefte sich weiter in die Einsatzanweisungen aus Berlin. Oberleutnant z. See, Albert Greif kam auf die Brücke. Von Anfang an bestand zwischen ihm und Lorensen eine gewisse Abneigung. Sie mochten einfach gegenseitig ihre Gesichter nicht. In diesem Fall aber hatte Lorensen den Wunsch, gewisse Unklarheiten mit dem Kurieroffizier zu besprechen. Greif reckte die Nase hoch in den Wind, schnüffelte herum, schaute auf den Kompaßkurs, der im Ruderhaus anlag, und auf die Stellung des Maschinentelegraphen. »Schöner klarer Morgen«, sagte Greif dann. »Kaiserwetter, zum Helden zeugen.« Lorensen sprach so wenig mit ihm, wie es die Höflichkeit gerade noch erlaubte. »Rund dreihundert Meilen bis Ponsa«, bemerkte der Kapitän sachlich. »Das wäre querab Neapel.« »Etwa zwanzig Stunden Fahrt.« »Gehen Sie mit den Drehzahlen herunter«, forderte der Kurier, »sonst kann uns der Bewacher nicht folgen.« »Ich sehe ohnehin keinen.« Am fernen Horizont waren nur einige Fischkutter auszumachen. »Daß er segelt, ist ja wohl nicht anzunehmen.« Der Oberleutnant wollte offenbar nicht darauf eingehen. »Sie haben die Order gelesen und verstanden, Kapitän Lorensen, hoffe ich.« »Ich auch. Einiges davon bietet keinerlei Schwierigkeiten. Ich habe Kurs Sizilien zu nehmen. Dort werde ich erst einmal die Meerenge von Messina durchlaufen; dann Richtung Ionisches Meer steuern. Unklar ist allerdings: Werden wir in Griechenland Verwundete der italienischen Armee aufnehmen oder Nachschub hinbringen?« Das konnte ihm Greif auch nicht beantworten. »Damit wären alle Unklarheiten beseitigt«, spottete Lorensen, »aber daß uns die Italiener mit Kriegsgerät vollgepackt haben, ist Ihnen doch bekannt.«
Greif umging diese Bemerkung, vermutlich aus Unwissenheit. »Zunächst hat die Operationsabteilung der Kriegsmarine Sie mit Fässern vollgepackt, damit Sie schön am Schwimmen bleiben, Kapitän.« Offenbar hatte Lorensen irgend etwas von einem französischen Geschwader gehört. Entsprechend vorsichtig formulierte er seine Frage: »Es geht also durch die Straße von Otranto? Schöne Aussichten.« Endlich schien Greif mit der Wahrheit herauszurücken. »Unsere Fahrt, Kapitän Lorensen, dient einem höheren Zweck, nämlich der Klärung jener rätselhaften Torpedoangriffe in der Straße von Otranto, die ständig zu neuen Versenkungen führen. Das soll mit Hilfe der Mombasa endlich beantwortet werden. « Kapitän Lorensen verstand ihn durchaus richtig. »Die Mombasa dient mithin als Lockvogel, um eventuelle Torpedos auf sich zu ziehen?« Oberleutnant Greif schwieg, trat hinaus in die Steuerbordnock und suchte mit dem Glas das Meer ab. Als er zurückkehrte, sagte er: »Wir sind ja nicht allein, Lorensen.« »Sie meinen in bezug auf Begleitschutz? Ich sehe nur keinen. Kriegen wir den etwa von den Italienern? Wohl kaum. Denn riechen die Unrat, dann machen sie sich aus dem Staube.« »Unsere Eskorte ist tagsüber weitgehend unsichtbar. Machen Sie sich einmal die Mühe, Lorensen, und beobachten Sie für längere Zeit achtern den 60 Grad Sektor hinter dem Schiff. Vielleicht können Sie etwas feststellen.« Es dauerte ziemlich lange, dann fiel es Lorensen wirklich auf. Ab und zu tauchte, versetzt hinter der Mombasa und dort, wo das Kielwasser auslief, etwas aus der See, das aussah wie ein dunkelgrauer Spargel mit verdicktem Ende. Zweifellos das Sehrohr eines U-Bootes, dessen Kommandant mit äußerster Vorsicht damit umging. »Ein U-Boot also«, wandte sich Lorensen an den Oberleutnant. »Richtig. Es folgt uns wie ein Schatten. Tagsüber getaucht.« Dem taktisch und technisch interessierten Lorensen war das
nicht genug. »Was ist das für ein Fahrzeug?« »Ein Kampf-U-Boot, nehme ich an.« »Das dachte ich mir beinah«, erwiderte Lorensen ironisch, »aber wer sitzt am Sehrohr?« »Einer unserer Besten, hörte ich.« Lorensen äußerte sich nicht dazu, bis er das Puzzle seiner Gedanken zusammengesetzt hatte. »Im Mittelmeer gibt es keine deutschen U-Boote«, stellte er fest. »Falls doch, müßten sie von ihren südfranzösischen Basen hierherkommen.« »Durch die Biskaya und Gibraltar«, ergänzte Greif. »Wenn der Kommandant des Bootes hinter uns das geschafft hat, muß er wirklich das As der Asse sein.« Gegen Abend, die Dämmerung war schon nahezu beendet, tauchte in einem Schaumwall plötzlich das U-Boot auf, schnitt durch die Oberfläche und lief neben der Mombasa her. Als Erkennungszeichen gab es den Code >Otranto< herüber und ein weiteres Blinksignal. KOMMANDANT AN KOMMANDANT - BITTE LAUFEN SIE TAGSÜBER NICHT SCHNELLER ALS 5 KNOTEN. SONST KANN ICH IHNEN NICHT FOLGEN. MEINE BATTERIEREICHWEITE BETRÄGT GETAUCHT NUR 80 SEEMEILEN Lorensen ließ das Zeichen für »Verstanden« zurückmorsen. Der Signalgast des U-Bootes blinkte das Endzeichen für den Kontakt. Rasch entfernte sich das U-Boot westwärts, bis es kaum noch zu sehen war. Nur die Abgase seiner Diesel, die über dem Wasser hingen, waren noch einige Zeit zu riechen.
16 Der Fänger unter der See
Nach der Horrorfahrt durch Gibraltar betrachtete die Besatzung von U-136 die Begleitung des Luxusliners Mombasa als ruhige Nummer. Die vier Offiziere und 44 Mann hatten sich auf einen schlauen Lenz eingerichtet. Trotz der Enge in der kaum siebzig Meter langen und nur sechs Meter breiten Stahlröhre ließen sie es sich verhältnismäßig gut gehen. Zwar stank es wie immer nach Batteriesäure, nach Dieselmief, Torpedofett und klammen Salzwasserklamotten, dazu kam das Vibrieren der zwei mal 1400 PS MAN-Diesel, aber die Männer begannen schon wieder an etwas anderes als Gibraltar zu denken - an gutes Essen und Thema eins bis vierzehn: Weiber. Die Freiwache lag auf den Kojen und hatte Befehl, sich auszuruhen. Damit endlich der Schrecken von Gibraltar aus Hirn und Knochen verschwand. Die Männer erzählten sich dies und das von ihren Mädchen, von ihren Plänen. Der eine hatte einen Großvater in Hamburg. »Der Alte besitzt ein Haus an der Reeperbahn. Das betreibt er als Bordell. Da arbeiten zwanzig Mädchen. Später einmal reiße ich da nur noch die Tickets ab. Fünfundzwanzig Mark pro Freier für fünfzehn Minuten.« »Und wieviel schaffen die pro Schicht?« »Rund ein Dutzend pro Dame. Die fleißigen mehr.« »Die Fleißigen, das sind die fixen und die schnellen.« Der Pufferbe schwärmte weiter: »Wie gesagt, ich kassiere die Bons. Mein Anteil, das sind für mich am Tag netto dreitausend Piepen auf die Hand.« Der Zentraleobergefreite machte es einen Schlag einfacher.
»Ich ziehe am Hafen in Hamburg 'nen Fischladen auf. Morgens um sechs kommen die Köche von den feinen Restaurants und holen das Beste weg.« »Das ist dann auch das Teuerste. Aber die Feinschmecker, die haben's ja«, warf einer von links oben ein. »Tschää, um acht Uhr dreißig tauchen dann die Mädels auf, die Hausfrauen oder die Dienstbolzen für die besseren Herrschaften. Und um zehn peilen die armen Schlucker um die Ecke und kaufen den Pofel weg. Ab elf sitze ich in der Kneipe und trinke mein Köm.« »Und am Nachmittag?« fragte einer vor Langeweile gähnend. »Da verscheuere ich zehn Kisten geräucherten Aal.« Einige schnarchten. Später, bei Wachwechsel, polterten die Seestiefel über eiserne Flurplatten. Rahn, der die Gespräche der Besatzung mitgehört hatte, fragte den II WO Wessel: »Was werden Sie tun, wenn Sie jemals bis zum Frieden durchhalten sollten?« »Nichts bis gar nichts«, gestand Wessel. »Schreiben Sie weiter Ihre frechen Lieder und Kabarettwitzchen?« »Nein, wo denken Sie hin«, sagte Wessel. »Ich setze mich in Berlin auf den Ku'damm, lege meine Mütze vor mich hin und warte auf Spenden. Vor mir ein Schild: Verarmter Penner bittet um eine milde Gabe zwecks chirurgischer Verlängerung seines Schwanzes.« »Sie sind ein Rübenschwein, Wessel«, empörte sich Rahn. Obersteuermann Klein koppelte über seine Seekarte gebeugt. »Noch vierzig Stunden bis Otranto.« Und zum Kommandanten gewandte: »Rennt uns der Musikdampfer immer noch auf und da von?« »Er macht tagsüber vier Knoten.« »Ob er weiß, um was es geht?« »Klar. Aber die greifen doch kein Lazarettschiff an«, behauptete der I WO. »Und wie war das bitte am 7. Mai 1915, als ein deutsches U-
Boot die Lusitania versenkt hat? Dabei kamen tausend Menschen ums Leben.« »Die Lusitania war nur als Lazarettschiff getarnt. Sie hatte Munition an Bord. Es waren Fotos von der Verladung in New York aufgetaucht«, gab Rahn zu bedenken. Tagsüber tauchte U-136 und folgte der Mombasa mit E-Maschinenfahrt. Kontakthalten war nicht schwierig. Deutlich hörte man das Schraubengeräusch. Ab und zu nahm Lützow Rundblick durch das Sehrohr. »Noch dreißig Stunden bis Otranto«, berechnete Obersteuermann Klein. »Dann kann es brenzlich werden«, bemerkte Lützow, aber nicht so, als rechne er ernsthaft damit. »Bis jetzt keinerlei Zwischenfall, Herr Kaleu.« »Genau das gefällt mir nicht«, sagte der Kommandant. »Das dicke Ende kommt immer am Ende.« Der erfahrene Obersteuermann stimmte ihm auf etwas andere Weise bei: »Am besten«, philosophierte er, »es passiert immer nur ein bißchen was.« »Volksmund«, kommentierte Wessel. Von Süden begann es zu wehen. Ein warmer Saharawind ließ die Temperatur hochschnellen. Der Schirokko nahm an Stärke zu und wühlte das Meer auf. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Mombasa und U-136 die Liparischen Inseln weit im Westen liegenlassen und waren in die Straße von Messina eingelaufen. Sie hatten die Lichter von Messina gesehen und die von Reggio Calabria. Aber es gab kaum Schiffsverkehr in der sonst äußerst belebten Meerenge. »Bei so einem Wetter kommen die Italiener nicht mal zu ihrer eigenen Hochzeit«, bemerkte Obersteuermann Klein. »Es sei denn, die Braut hat eine Million Doller«, ergänzte Wessel. Kaum hatten sie die Meerenge passiert, gingen sie auf Südostkurs, um die Stiefelspitze des italienischen Festlandes zu umrunden.
Es wurde heller. »Dämmerungsbeginn!« meldete Klein nach unten in die Zentrale. Der Kommandant schaute herauf, schien das Wetter und die Gesinnung zu prüfen und entschied kurz: »Wir bleiben für den Rest der Reise oben. Blinksignal an Mombasa: Sie können jetzt volle Geschwindigkeit laufen. Maximal 16 Knoten.« Die Mombasa legte sofort Drehzahlen zu. In U-136 gingen die Diesel auf Große Fahrt. Die Vibrationen wirkten hinauf bis zur Turmverkleidung und ließen die Bleche zittern. Der Schirokko erwischte sie jetzt von der Seite. Bei querlaufender See begann U-136 zu krängen und mit dem Bug scheinbar wütend gegen die Wellenberge zu schlagen. Wessel gab seinen Kommentar dazu ab. Damit löste er bei I WO Rahn heftige Empörung aus. Er reimte: »Schönes Wetter, weit zu blicken Hohes Gras und nichts zu fi...« Rahn humpelte von einem Bein auf das andere und zischte: »Sie sind eine alte Rübensau, Wessel.« »Wieso?« fragte der erstaunt. »Das werden Sie selbst am besten wissen.« Wessel verneinte kopfschüttelnd und antwortete:»Da müssen Sie mich falsch verstanden haben, oder Sie hören schlecht. Der Reim lautet: Hohes Gras und nichts zu pflücken ... Ich bin nämliche ein Blumenfreund. Jetzt im Februar brechen zu Hause die ersten Krokusse durch den Schnee. Es war also nicht das Wort, an das Sie dachten, dieses fürchterliche schweinische Wort mit F.« Rahn, der immer noch Schmerzen hatte, schwieg lieber. Obersteuermann Klein steckte den Kopf durch das Turmluk. »Noch hundertzehn Meilen bis Otranto«, dabei schnappte er kurz frischen Ozon. Bei der augenblicklichen Geschwindigkeit waren das etwa sechs Stunden. Nach Wachablösung legte Rahn seinen bandagierten Fuß hoch und ließ sich vom Sani noch eine Schmerztablette geben. Wes-
sel, der dachte, er müsse dem l WO etwas Gutes tun, sagte: »Ich übernehme Ihre nächste Wache, wenn's recht ist.« »Wieso das denn?« tat Rahn erstaunt. »Warum sind Sie ausgerechnet zu mir so freundlich?« Wessel, der jede Gefühlsduselei mit Schnoddrigkeit umging, erwiderte nur: »Weil Sie der schönste Mann an Bord sind, I WO, weil Sie so gut gekleidet sind und weil Sie als einziger hier jodeln können.« Der Kommandant, der den Hickhack zwischen seinen zwei Wachoffizieren oft amüsiert verfolgte, sprach mit dem Leitenden, der durch das Schott aus dem Maschinenraum trat. »Beide Diesel laufen wie Uhrwerke«, meldete Behrens. »Und der Lagerschaden?« wollte Lützow wissen. »So was vertanzt sich mitunter, oder wir haben uns geirrt. Defekt an Ju-Verdichter ist ebenfalls behoben.« »Was war kaputt?« »Nur eine Dichtung hat geblasen, denke ich.« »Dann sind wir ja wieder in Form.« »Allzeit bereit«, sagte Behrens. »Behrens unser Dichter und Denker«, frozzelte Wessel. Für den Durchbruch durch die Straße von Otranto hatten sie die Zeit um Mittag herum gewählt. Seit der Umrundung der Südspitze von Reggio Calabria lagen sie auf Ostkurs. Küstennah, aber in sicherem Fahrwasser, erreichten sie die Einbuchtung des Golf von Tarent. »Dort liegt die italienische Flotte auf Grund«, äußerte Lützow ernst, »die soll es beim Spaghettiessen erwischt haben.« Von der Brücke meldete der Ausguck: »Leuchtturm auf Capo Santa Maria di Leuca in Sicht!« Das war der Bereich, in dem unwiderruflich die Straße von Otranto begann. Kapitänleutnant Lützow kletterte selbst auf die Brücke und ergänzte die Wache um zwei Augen. »Von jetzt ab wird's kriminell, Herrschaften.« Aber ringsum war nichts zu sehen, wovon Gefahr ausging. Ein paar Fischer mit geflickten Segeln trieben sich in etwa drei
Meilen Entfernung vor der Küste herum. Weit am Horizont lief ein Dampfer nach Südosten. Vermutlich ein Neutraler, der von Triest kam. »Wie am Sonntagnachmittag auf dem Kirchhof«, meinte einer. »Trotzdem geht es jetzt angeblich um die Wurscht«, sagte Wessel. In Kapitänleutnant Lützow entwickelte sich wieder jenes Gefühl, das er seinen sechsten Sinn nannte. Gefahr war nicht objektiv zu erkennen, er wußte aber, daß sie da war. Er wandte sich an den II WO: »Für das Ktb: Uhrzeit 12.45. Standort 40 Grad Nord, 90 Ost. Gehen aufnordöstlichen Kurs.«
17 Der Tag und die Stunde
»Auf Wracks achten!« schärfte Kapitän Lorensen seinem Brükkenpersonal, dem Ausguck, dem Ersten Offizier, der die Nachmittagswache ging, und seinem Navigator ein. »Nicht alle Wracks sind gekennzeichnet oder zu sehen.« »Einige davon sind nicht einmal in die Seekarte eingetragen, Käptn«, rief der Mann aus dem Kartenraum. Lorensen ging von der Brückennock aus ein Stück nach achtern und trat über das Süll des Funkraums. »Wettermeldung?« »Wetter bleibt, Käptn.« »Noch etwas von unserem Begleiter gehört?« »Hält Funkstille, Käptn.« Das bedeutete, daß sich beide Fahrzeuge an die Abmachungen halten würden. Die Mombasa gab den Kurs vor. Geschwindigkeit 16 Knoten. U-136 folgte. Wenn es wirklich zu einem Torpedoangriff kam, dann war das bei dieser hohen Fahrtstufe und der aufgewühlten See schon eine äußerst schwierige Operation. Lorensen trat wieder hinaus in die Nock und stemmte sich gegen den Schirokko. Der Fahrtwind der Mombasa kam hinzu, und es wehte einen fast um. Oberleutnant Greif hatte zu Ende gefrühstückt und noch Rührei an der Lippe. »Warum hält sich dieses verdammte U-Boot nicht an Backbordseite?« »Ich bat Kapitänleutnant Lützow darum«, erwiderte Lorensen, »weil ich uns von Land her verhältnismäßig geschützt sehe. Wenn es wirklich zu einem Angriff kommt, was ich be-
zweifle, dann ist er von Osten her zu erwarten.« U-136 hatte sich an Steuerbord vorausgestaffelt und lief etwa mit drei Kabellängen Abstand auf parallelem Kurs. Als der Leuchtturm des Kaps achteraus verschwand und der von San Cesarea in Sicht kam, traf Kapitän Lorensen die nächste Anordnung: »Jede Hand, die nicht im Schiff gebraucht wird, sofort an Deck. Schwimmwesten sind anzulegen, ebenso Stahlhelm. Rettungsflöße und Boote klarmachen!« Wenig später befanden sich alle, mit Ausnahme von zwe i Mann Maschinenpersonal, an Oberdeck. Damit der Schirokko ihre Zigaretten nicht mitrauchte, standen sie meist in Deckung der Aufbauten. Rosita Merano war nicht unter ihnen. Die Kapok-Schwimmwesten, die bis über den Hals reichten, ließen die Männer unförmig erscheinen. Unter den Stahlhelmen glichen sie Schildkröten. Ihre Gesichter wirkten entweder ratlos oder verärgert. Sie fühlten sich sicher auf ihrer schwimmenden Insel von 20 000 Tonnen Stahl. Kapitän Lorensen wandte sich über die Bordsprechanlage an seine Männer: »Eine reine Sicherheitsmaßnahme. Schätze, daß ich in ein bis zwei Stunden Entwarnung geben kann.« Oberleutnant Greif wandte sich an ihn: »Warum so behutsam, Käptn? Ihre Leute hatten sechzehn Monate ein verdammt feines Leben, wenn man an das der Soldaten an der Westfront, an die Flieger und an die U-Bootbesatzungen denkt. Weshalb entschuldigen Sie sich also, Käptn?« »Weil es um Leben und Tod geht.« »Was ich für übertrieben halte.« »Und falls sie es wagen, trotzdem ein Lazarettschiff anzugreifen, sogar ein deutsches, was dann, Herr Oberleutnant Greif?« »Nicht zu vergessen, wir fahren unter italienischer Flagge, Käptn.« Die Umflaggung hatte Lorensen nie gepaßt. Aber das Oberkommando hatte darauf bestanden, weil bisher immer nur Schiffe angegriffen worden waren, die nicht die deutsche Kriegsflagge geführt hatten. Greif schien die Angst zu unterdrücken. »Sehen Sie an Land
oder auf See irgend etwas Verdächtiges, Käptn?« »Nur ein paar Fischkutter unter Segeln.« »Na bitte.« Der stramme Oberleutnant aus Berlin atmete tief ein und blies sich auf, als sei alles schon gewonnen. Der Schirokko wehte so stark, daß er Wasserstaub von den Wellenkämmen fetzte. Die Luft schien zu vibrieren. Die Temperatur kletterte über 25 Grad. Unbeeinflußt davon drückten die 18 000 PS das Schiff vorwärts. Auch die kabbelige See konnte dem Kasten, der so lang war wie zwei Fußballfelder, nichts anhaben. Die Mombasa hielt sich frei von Untiefen und Wracks, von denen teilweise noch die Mastspitzen herausragten. Wie alle Vorgebirge der Welt mit starken Strömungen und wechselnden Winden war auch Cap d'Otranto ein Schiffsfriedhof. Bis 13 Uhr nahmen der Schirokko und die Temperatur eher noch zu. Doch schon um 13 Uhr 10 war das Wetter nebensächlich geworden. Vom Bug der Mombasa her dröhnte ein Schlag, als hätte sie Unterwasserfelsen gerammt. Kurz darauf ein zweiter stahlharter Treffer mittschiffs mit einer explosionsartigen zwanzig Meter hohen Wasserfontäne, weiß und grau. Durch den Lärm und das Getöse hörte man Lorensen rufen: »Torpedotreffer! Auf Laufbahnen achten! Hart Steuerbord!« Sekunden später tobte ein dritter, ein fürchterlicher Stoß durch das Schiff, gefolgt von einem Ton, als habe der schwingende Klöppel die große Glocke getroffen. »Wassereinbruch!« wurde von der Maschine gemeldet. »Backbordwand Abteilung zwei bis vier aufgerissen.« Es schäumte und strudelte nur so herein. »Schiff sinkt!« kam es von achtern. »Schiff sinkt schnell!« »Alle Mann von Bord!« befahl Kapitän Lorensen. Von seiner vorlichen Position aus hatte U-136 die Vorgänge beobachtet. »Den hat's erwischt.« »Dreimal.«
Der Horchraum meldete auf die Brücke: »Kein Fremdgeräusch feststellbar. Eigengeräusche zu laut.« Noch vor dem dritten Treffer hatte Kapitänleutnant Lützow geflucht: »Mir reicht's verdammt. Beide Diesel AK voraus. Hart Backbord. Oberdeckwaffen besetzen. Klar bei Torpedorohr eins bis vier.« U-136 drehte auf die Mombasa zu, um irgendwie zu helfen und um alles zu tun, was nötig war. Es hatte die Mombasa noch nicht erreicht, als eine fürchterliche Explosion den Luxusdampfer von innen heraus beinah zerriß. Eine weitere Explosion folgte, als berste ein mit TNT gefüllter Berg. Man sah, wie die Männer der Mombasa über Bord geschleudert wurden. Ein paar Rettungsinseln schwammen herum. Boote wurden nicht mehr zu Wasser gebracht. Eine zweite innere Explosion folgte. Feuer flammte in schwarzen Sprengstoffwolken hoch. »Wahnsinn!« sagte Lützow. »Hatten die vielleicht Munition geladen?« Um 13 Uhr 35, keine fünfzehn Minuten nach dem ersten Treffer, waren von der Mombasa nur noch Brücke und Schornstein zu sehen. Und auch die sackten schnell weg. Ohne Drehen oder Aufbäumen, Kiel unten, ging das schöne Schiff auf Tiefe. »Die müssen ihre Torpedos extra gestreichelt haben«, bemerkte Wessel mit makaberem Humor. »Aber wer und wo?« Es stank nach verbranntem Öl, nach Gummi und verschmorter Farbe. Und nach TNT. Während die Männer von U-136 die Sinkstelle nach Wrackteilen und Schiffbrüchigen absuchten, war nirgendwo am Kap und in der Straße von Otranto ein weiteres Fahrzeug auszumachen. U-136 aber lag da wie eine Zielscheibe. Von den fünfzehn Personen, die sich an Bord der Mombasa aufgehalten hatten, fanden sie nur treibende Leichen oder Leichenteile. Doch ziemlich entfernt hörten sie einen Verletzten schreien. Sie zogen ihn heraus. Ein Stück kantigen Stahls ragte aus seiner Brust.
Ganz in der Nähe winkte ihnen jemand zu. Auch der zweite Schiffbrüchige wurde in Eile geborgen. Der Schwerverletzte mit der durchbohrten Brust starb noch auf dem Transport hinab zur Zentrale in einer Blutlache. Als der zweite Schiffbrüchige auf der Koje lag, wunderten sich alle. Es war eine Frau. Von den harten Männern des U-136 wagte sich keiner so recht an sie heran. Wessel zog ihr die Schuhe aus, schnitt die Gurte der Schwimmweste durch und schälte sie vorsichtig aus der blauen Kulanijacke. Eine Frau von etwa dreißig Jahren mit rotem Haar. Selbst die Schrammen und Schnittverletzungen im Gesicht taten ihrer rassigen Schönheit keinen Abbruch. Offenbar hatte sie starke Prellungen, denn sie stöhnte, während Wessel sie entkleidete. Immer wieder sagte sie: »O Gott! Mein Gott!« Dann lag sie wieder mit geöffneten Augen da, ohne Reaktion, wie in einem tiefen Schock. »Die kenne ich«, sagte Wessel zum I WO, »das ist die Merano.« »Die wer bitte?« »Na, die Sängerin Rosita Merano ... Roter Mund, warum küßt du denn schon ... und so weiter. Wir sind zusammen in Berlin aufgetreten. Im Kabarett der Komiker. Ich im Vorprogramm, sie im Hauptprogramm.« »Zu Pferd oder am Trapez?« lästerte Rahn. »Ich war der Schlattenschammes, der Kaffeeholer, und sie der Star. Vielleicht wäre aus mir auch mal was geworden, wenn mich die Kriegsmarine nicht zu ihrer wunderschönen Fahne gerufen hätte. Aber Rosita, die hat Karriere gemacht, hat inzwi schen mehr als eine Million Platten verkauft und drei Filme gedreht. Aber eins, zum Teufel, möchte ich gerne wissen: Was verdammt nochmal sucht diese Frau im Meer vor Otranto.« Für Rahn schien das auch äußerst rätselhaft. »Und wie kam sie auf die Mombasa?« Ohne diese Frage beantworten zu können, erwiderte Wessel: »Wir müssen mit der Zeit gehen, I WO, die Welt ist rund.«
Noch bevor U-136 das Absuchen der Sinkstelle beendet hatte, gab Kapitänleutnant Lützow einen verschlüsselten Funkspruch an seine vorgesetzte Kommandobehörde, den BdU: SCHIFF MOMBASA DURCH DREI TORPEDOTREFFER UNBEKANNTER HERKUNFT UND INNERE EXPLOSIONEN GESUNKEN - EIN ÜBERLEBENDER GERETTET - ERBITTE EINLAUFGENEHMIGUNG NEAPEL Um nicht wie auf dem Präsentierteller in der Straße von Otranto herumzuschippern, nahm U-136 schon Kurs Südwest, bis dann die Erlaubnis aus Kap Kernevel für Zielhafen Neapel eintraf. Auf ihrer Koje liegend, hatte die Morphiumspritze Rosita Merano schmerzfrei gemacht. Offenbar hatte sie Wessel erkannt, denn sie sagte: »Pit, unser kleiner Poposcheitelmann.« Sie hatte ihn immer Pit genannt. »Wo bin ich eigentlich, und wie kommen Sie hierher?« »Ich wohne hier«, antwortete Wessel. Sie suchte seine Hand und ließ sie nicht mehr los. Allmählich und ganz vorsichtig, erzählte er ihr, was geschehen war. Sie hatte fast alles verstanden. »Wir sind also in einem U-Boot. Da werden Frauen nicht gebraucht.« »Nur in ganz seltenen Fällen, Rosita«, räumte er ein. »Und wo werden Sie mich abladen?« »In einem Hospital vermute ich.« »Aber wo?« »In Neapel, wie es aussieht.« Das schien ihr ganz und gar nicht zu gefallen. Er spürte, wie sich ihre Finger um seine Hand verkrampften. »Bitte lassen Sie mich nicht im Stich, Pit.« »Zirkus-, Schaustellerleute und andere Zigeuner halten doch zusammen«, versicherte er. Nach einer Weile setzte sie mehrmals an: »Können Sie... können Sie etwas für mich erledigen, Pit?« »Was auch immer, Rosita.« »Nur ein Telefongespräch. Bitte rufen Sie in Genua an. Beim Stadtpfarrer von San Donato. Er soll Padre Servatio verständigen.«
»Seit wann haben Sie es mit der Kirche, Rosita?« Mühsam versuchte sie zu lächeln. »Gezwungenermaßen, Pit, nicht aus freien Stücken, nicht aus tiefem Herzen.« Am Abend des nächsten Tages lief das deutsche U-Boot 136Lützow auf Neapel zu. Von weitem war der Vesuv im Abendlicht zu erkennen. Er trug eine weiße Kappe aus Schnee, und die Sonne färbte sie rot.
18 Die Geier kreisen
Berlin reagierte eiskalt. Man gewann den Eindruck, daß weniger der Verlust der Mombasa betrauert wurde, sondern daß ein anderes Interesse im Vordergrund stand, nämlich den Zwischenfall propagandamäßig für Deutschland auszuschlachten. Schon am Tag danach hielt der Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels im Sportpalast vor 3000 Menschen eine seiner Hetzreden. Goebbels rechnete fürchterlich mit den Engländern und mit Churchill ab. Die Briten nannte er ein Volk von Feiglingen, weil sie hinterrücks ein Lazarettschiff torpediert hatten. Churchill nannte er einen Syphilitiker - was nicht zutraf -, dann bezeichnete er ihn als Trinker - was allerdings den Tatsachen entsprach -, außerdem nannte er ihn blutrünstigen Mörder, der über Leichen ging. Dies war insofern zutreffend, als alle Staatsmänner, die je einen Krieg begonnen haben, blutrünstige Mörder sind. Dem dröhnenden Applaus glaubte Goebbels entnehmen zu können, daß das Volk nach Vergeltung schrie. Die Luftwaffe habe die Absicht, die Bombardierung Londons wiederaufzunehmen, verkündete er. Selbst die internationale neutrale Presse fiel über London her. Die gewöhnlich englandfreundliche argentinische Zeitung >Prensa< verurteilte den Angriff auf die als Lazarettschiff gekennzeichnete Mombasa. Sie erinnerte daran, daß deutsche U-Boote nie ein Lazarettschiff angegriffen hätten. Der Fall Lusitania von 1915 sei keine Ausnahme gewesen, denn die Lusitania sei in New York und in Boston mit Munition
vollgeladen worden. Die schwedische Zeitung >Dagens Nyhetter< kommentierte, daß sich England mit seinem Vorgehen in der Adria selbst einen schlechten Dienst erwiesen habe. Der moralische Akt, Polen nach dem Überfall durch Deutschland zu helfen, sei durch die Versenkung der Mombasa entwertet. Möglicherweise habe dieser Fall Einfluß auf das Verhalten der Kombattanten während des ganzen Krieges. Sogar amerikanische Blätter, die stets auf selten Englands standen, verurteilten die Torpedierung der Mombasa an der italienischen Küste. Der britische Premierminister Winston Churchill wehrte sich gegen diese Anschuldigungen. Wiederholt erklärte er sich bereit zu schwören, daß England weder durch die Royal Navy noch die Royal Air Force mit dem Angriff auf die Mombasa das Geringste zu tun habe. Wiederholt besprach er sich in Downing Street Nr. 10 mit seinen Ministern. »Man treibt mich immer mehr in die Enge, Gentlemen«, klagte er. »Aber bei Gott, Sir«, erwiderte man ihm, »graben Sie nicht die alte Kiste mit der Lusitania wieder aus und behaupten Sie bitte nicht noch einmal, die Fotos von der Munitionsverladung in Boston seien eine Fälschung gewesen.« »Werde mich hüten«, versprach der Premier. Als Churchill begriff, daß ihm alle Waffen gegen die Vorwürfe der Weltpresse aus der Hand genommen wurden, kam ihm ein Mann zu Hilfe, den er im Grunde wenig schätzte und mit dem er nicht gerechnet hatte. Sir Bick Goldsmith-White, der Chef des britischen Geheimdienstes MI-6, den es offiziell gar nicht gab, überbrachte ihm spät nachts eine Mitteilung, von der Churchill hoffte, sie könne ihm aus der Patsche helfen. Er benutzte sie zunächst nicht offiziell, sondern ließ dem >Daily Express< eine Nachricht zuspielen mit dem Hinweis, diese Meldung könne ruhig als aus offizieller Quelle stammend bezeichnet werden.
Der Leitartikler des >Daily Express< schrieb, daß es den Anschein habe, als würde sich die Geschichte doch ab und zu wiederholen. Immerhin sei erstaunlich, daß zwischen der Versenkung der Lusitania 1915 und der Torpedierung der Mombasa in diesem Februar 1941 gewisse Parallelen bestünden. Angeblich existierten Fotos von der Verladung von Waffen und Munition auf die Lusitania. Ebenso sei aber bekanntgeworden, daß auch das deutsche Lazarettschiff Mombasa Sprengmittel an Bord mitgeführt habe. Warum sonst wäre sie von innen heraus explodiert? Im Amt Canaris, der Zentrale der deutschen Abwehr, war die Aufregung groß. Woher bezogen die Engländer ihr Wissen über die Waffen auf der Mombasa. Hatten sie Beweise? Und was war dran an den Gerüchten, die auch den Admiral erreicht hatten? Canaris mußte unbedingt Colonel De Santis sprechen. Dessen Flugzeug, eine zweimotorige SIAI-Marchetti, befand sich gerade auf dem Flug von Rom nach Stockholm. Über Funk ließ Canaris die Maschine über Berlin herunterbeordern, fuhr zum Flughafen Tempelhof und traf dort seinen italienischen Amtskollegen. Der stets elegante Italiener war heute zivil in einen gestreiften blauen Zweireiher gekleidete. Er befand sich schließlich auf der Reise in ein neutrales Land. Etwas hastiger als sonst zog er an der Zigarette, als ahne er, was Canaris von ihm wollte. Trotzdem strahlte er Canaris mit seinen dunklen Augen an, als der ihm den >Daily Express< -Artikel zeigte. »Wieviel Wahrheit ist da dran, Colonello?« fragte Canaris scharf. »Wenn Sie sagen, nichts ist dran, dann wünsche ich Ihnen einen guten Weiterflug.« Der Italiener sah wohl ein, daß er hier nicht ohne Blessuren herauskam. Die Beinfreiheit auf dem Rücksitz der MercedesPullman-Limousine war so groß, daß er die Knie übereinanderschlagen konnte. Er klopfte etwas Asche von der Bügelfalte und riskierte es einfach mal: »Und wenn ich Ihnen antworte, daß doch etwas dran ist, amico Canaris, was dann?« »Bringen Sie mich in große Verlegenheit, Colonello. Dann
wünsche ich Ihnen keine gute Weiterreise. Aber bitte jetzt die Wahrheit, De Santis, die reine, volle.« Der Italiener wischte die beschlagene Scheibe an seiner Seite frei. Draußen wirbelte Schnee vom Himmel. De Santis hüllte sich fester in seinen pelzgefütterten Trenchcoat und gestand kleinlaut: »Italien handelte aus einer Notlage heraus. Wir haben tatsächlich Nachschub, Panzer, Haubitzen und Munition auf die Mombasa verfrachtet. Sie sollte einen dalmatinischen Hafen anlaufen. Mit der Ladung wären unsere schwer kämpfenden Truppen aus dem Gröbsten heraus gewesen.« Canaris hatte das erwartet. Als ein Mann vornehmen Charakters ging er nicht näher darauf ein, sondern steckte sich seine kaltgewordene Zigarre an. Er blies ein, zwei Ringe und wiegte den grauhaarigen Schädel. »Wie hat der britische Geheimdienst MI-6 das herausgefunden? Hinter dem >Daily Express< -Artikel stehen doch Regierungskreise.« »Ich war nie groß im Erraten von Rätseln«, antwortete De Santis, »ich mag nicht mal Glücksspiele. Die sind mir mit zu vielen Zufällen und Unwägbarkeiten verbunden. Im Spionagegeschäft hingegen arbeitet man mit Fakten. Aber wie die Briten solche Behauptungen nachschieben können, ist mir unerfindlich.« »Gibt es Spione in Genua?« »Wir haben die Szene im Griff, Admiral.« Canaris, ein einst erfahrener Flottillenchef, hielt sich an Tatsachen. »Wahrscheinlich liegt es daran, daß die Mombasa von innen heraus explodierte«, mutmaßte er. »Die Luft in leeren Fässern und Kisten detoniert höchst selten.« De Santis nickte ziemlich belämmert. »Tragen Sie uns das nach, Canaris?« »Da bin ich wie ein Elefant«, antwortete der deutsche Abwehrchef spöttisch, »ich trage jedem immer alles nach. Selbst meiner Mutter trage ich nach, daß sie mich als Kind nicht ernähren konnte und mich mit der Brust einer Landarbeiterin aus einem kaschubischen Zigeunerstamm säugen ließ.« Im Grunde hatte man sich auf dieser Ebene wieder verstanden. Keiner hackte dem anderen deswegen ein Auge aus.
Kaum lag U-136 in Neapel an den Leinen, verfaßte Kapitänleutnant Lützow anhand des Kriegstagebuchs seinen Bericht für den BdU. Er schilderte minutengenau die Vorgänge, die zur Versenkung der Mombasa geführt hatten, und erklärte dabei die Rolle seines Bootes. Er tat dies, ohne irgend etwas zu beschönigen. Die Taktiker von Admiral Dönitz würden selbst erkennen müssen, daß U-136 in diesem Fall wenig hatte unternehmen können. Die einzige Überlebende der Mombasa war ins Marinehospital >Tre Croce< eingeliefert worden. Außer einem Schock, Prellungen und Blutergüssen hatte Rosita Merano wenig davongetragen. Aber ein Glückskind war sie trotzdem nicht, denn die Italiener begannen sich für sie zu interessieren. Von dem Zeitpunkt ab, als die Ärzte es zuließen, wurde sie fast täglich verhört. Nachdem die Fragen zur Person geklärt waren, wollten die Italiener wissen, wie sie an Bord der Mombasa gekommen sei. Das hatte sich bis jetzt nicht aufklären lassen. Die Sängerin gab zu Protokoll, sie sei nach Einlaufen der Mombasa im Herbst des vergangenen Jahres an einer Hepatitis erkrankt, die sie sich in Südafrika zugezogen habe. »Warum hat man Sie dann nicht in ein Hospital verbracht?« fragte der mühsam deutschsprechende Italiener. »An Bord war ich sicherer, Signora.« »Was, bitte, hätte Sie in einem Hospital verunsichert?« »Es gab Probleme mit der Gestapo in Berlin. Man hätte mich wohl aufgegriffen. Außerdem hatte ich die Passage bis Le Havre bezahlt. Deshalb gestattete mir Kapitän Lorensen, an Bord zu bleiben, und sorgte für Pflege. Ich laborierte fast ein Jahr an der Gelbsucht.« Sie zog ein Lid herab. »Schauen Sie in meine Augen. Immer noch gelb.« »Ich sehe nichts.« Der italienische Offizier, der dem Verhör beiwohnte, sprach mit dem Dolmetscher, und der übersetzte dann: »Das können Märchen sein. Oder die Wahrheit.« »Fragen Sie doch Kapitän Lorensen«, schlug Rosita den Ita-
lienern vor. Das konnte sie ohne Gefahr, denn sie wußte, daß Lorensen nicht unter den Geretteten war. Die Italiener jedoch pokerten: »Das werden wir umgehend tun, Signorina. Aber noch haben Sie die Chance, uns die Wahrheit zu sagen.« »Es ist die Wahrheit«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Eine andere Darstellung seitens des Capitano Lorensen wird Sie doppelt schwer belasten«, drohten sie. Kaum waren die Italiener gegangen, unterrichtete die Sängerin durch einen Boten ihren Freund, den Zweiten Wachoffizier auf U-136. Sie hatten sich mehr als nur angefreundet. Als Wessel kam, ihr seine Schokakola-Ration mitbrachte und erbeutete Ananas in Dosen, schimpfte sie: »Diese Italiener geben keine Ruhe.« »Was wollen die Spaghetti denn von dir?« »Ich fürchte, sie halten mich für eine Spionin.« »Gibt es Anlaß dazu?« wollte er wissen. »Selbst wenn man davon absieht, daß ich keine Spionin bin«, antwortete die Sängerin, »dann ist die Geschichte meiner letzten zwei Jahre natürlich sehr abenteuerlich.« Wie sie in den weißen Bettbezügen lag, mit dem Kopf auf einer Fülle roter Haare, dem gebräunten Teint, den Anthrazitaugen, sah sie umwerfend reizvoll aus. Wessel beugte sich vor, küßte sie kurz und sagte: »Ich werde für dich tun, was ich kann, verlaß dich auf mich.« Die italienische Spionageabwehr beschritt den Dienstweg. Ein Capitano besuchte den Kommandanten auf U-136. Er schilderte ihm die Sachlage. Daraufhin war Lützow klar, daß die Italiener ihm Schwierigkeiten bereiten konnten, wenn er den Kontakt Wessels zu der Sängerin nicht unterband. Immerhin versorgten die Italiener U-136 mit Frischwasser, mit Frischgemüse, Geflügel und Brot. Er versprach zu tun, was in seinen Kräften stand. Kaum war der Italiener von Bord, stellte Lützow seinen II WO zur Rede. »Die Iraker sind mißtrauisch«, sagte er. »Stellen Sie den Kontakt zu Frau Merano möglichst ein.«
»Ist das ein Befehl?« fragte Wessel. »Frau Merano ist immerhin Deutsche. Die Italiener vermuten wer weiß was, eine Art Mata Hari. Ich kann sie doch nicht schutzlos sitzenlassen.« »Beschränken Sie den Kontakt auf ein Mindestmaß«, riet ihm Lützow. »Bringen Sie uns mehr in Schwierigkeiten.« »Meine Gefühle sind rein privat, Herr Kaleu.« »Im Krieg gibt es kein Privatleben, Wessel. Wenn Sie nicht einsichtig sind, zwingen Sie mich, von meinem Dienstrang Gebrauch zu machen.« Zu einem weiterführenden Gespräch und Maßnahmen kam es mehr. Der Maat brachte einen Funkspruch, der soeben aus Berlin eingetroffen war, und der Lützow auf den Magen schlug. Er wurde ins Marineministerium beordert. »Ich muß dem Admiral Rede und Antwort stehn«, kommentierte Lützow die bevorstehende Dienstreise. »Und zwar über die mißliche Rolle, die unser Boot bei der Versenkung der Mombasa angeblich gespielt hat.« »Hätten wir uns vor den Musikdampfer legen sollen und die Torpedos mit dem Boot abfangen?« »Mir unserem Astralleib«, lästerte Wessel. »Zweifellos wird Dönitz diese Möglichkeit erwägen«, fürchtete Lützow.
19 Scherbengericht
Beim Lufttransportkommando-Süd ergatterte Kapitänleutnant Lützow einen Platz. Das Kurierflugzeug nahm ihn mit. Noch vor Mitternacht flog es ab. In weniger als sechs Stunden war Lützow in Berlin. Die Stadt lag grau unter grauem Himmel mit Schneematsch auf den Straßen. Und in Sizilien hingen die Zitronen an den Bäumen ... Ein Dienstwagen brachte Lützow zum Ministerium, einem düsteren Backsteinkasten an der Spree. Dafür, daß ihn die Luftwaffe so rasch nach Berlin befördert hatte, ließ ihn Admiral Dönitz, Befehlshaber der U-Boote, um so länger warten. Das sah schon nach einer Art Vorbestrafung aus. Erst gegen Mittag wurde Lützow vorgelassen. Das Büro des BdU war so groß wie ein Tennisplatz und so gemütlich wie eine Kasernenstube aus der Kaiserzeit. Vom Linoleum bis zu Schreibtisch und Bücherregal - alles Billigware. Der Admiral wirkte wie immer höchst imposant. Schlank, rank, sauertöpfisch. Das war Dauerzustand bei ihm. Nur älter war er geworden. Dönitz aufrecht hinter seinem Schreibtisch postiert, schaukelte auf den Fußballen vor und zurück, kam aber seinem hochdekorierten Kommandanten nicht einen Schritt entgegen. Stehend ließ er Lützow seinen Vortrag halten. Manchmal sah es aus, als höre er gar nicht hin. Doch mittendrin schlug er mit der Faust auf eine Akte und schrie: »Das lasse ich mir von einem jungen Spund wie Sie nicht bieten. - In faulen Ausreden kann ich mich beerdigen lassen. Auch ich war mal U-BootKommandant.«
Ja, anno 1917, dachte Lützow, vor fünfundzwanzig Jahren. Der Ton des BdU nahm an Unfreundlichkeit zu. Sie mochten sich eben beide nicht. Von Anfang an. Dönitz hatte andere Lieblinge. Lützow versuchte in seinem Vortrag so sachlich zu bleiben wie nur möglich, bis ihn Dönitz erneut unterbrach. »Das akzeptiere ich nicht«, rief er. »Das war keine reife Leistung, Lützow, das war gar nichts. Das nenne ich Feigheit vor dem Feind.« Und das warf er einem Ritterkreuzträger vor. Bei aller gebotenen Höflichkeit ließ sich Lützow das nicht bieten. »Sollte ich mein Boot opfern«, fragte er, »wegen eines leeren Kastens von Luxusdampfer?« Zunächst nahm Dönitz das mit eisernem Gesicht hin. Dann bewegte er sich ruckartig näher. Er war etwa einen halben Kopf großer als Lützow. Kinn vor, Hände auf dem Rücken, marschierte Dönitz hin und her. Kehrtwendung links, Kehrtwendung rechts. Zunächst schien er einzulenken, gab seiner Stimme eine gefährliche Milde. »Das können Sie mir nicht erzählen, Lützow. Sie sind doch ein fähiger Kommandant. Einer meiner besten. Wollen Sie allen Ernstes behaupten, daß Sie von einem Torpedoangriff nichts bemerkten, ehe die Mombasa in die Luft flog?« »Es war nichts zu sehen, Herr Admiral«, versicherte der Kapitänleutnant. »Mein Ausguck war mit acht Mann besetzt.« »Dann haben die eben alle geschlafen«, unterbrach ihn Dönitz. »Klar bei Auge, das kenne ich. Irgendwoher mußten die Torpedolaufbahnen ja kommen.« »Es gab keine, Herr Admiral.« »Zum Teufel, aber die Torpedos waren doch da. Wo Torpedos sind, gibt es Blasenbahnen. Kamen die Dinger etwa vom Himmel hoch?« »Im Horchgerät waren weder Gegnermaschinen noch Torpedolaufgeräusche zu orten, Herr Admiral.« Dönitz stieß ein höhnisches Lachen aus. »Ich glaube Ihnen nicht. Kein Wort.«
Was Lützow auch zur Sachlage äußerte, es nutzte ihm wenig. Vielleicht lag es auch daran, daß er sich nicht mit der aalglatten Eleganz anderer Offiziere darstellen konnte. »Ich glaube Ihnen nicht«, wiederholte Dönitz. »Alles Hasardeure mit Angst um ihr lächerliches kleines Leben, wo es doch jetzt um wirklich Großes geht.« Plötzlich begann der BdU zu toben. »Sie belügen mich auf unverschämte Weise. Meine Stabsoffiziere haben die Situation vor Otranto nach Ihrem Kriegstagebuch rekonstruiert. Ihre Angaben können nicht den Tatsachen entsprechen.« Er trat so dicht vor Lützow, daß dieser seinen Atem spürte. Er roch nach Vibert-Veilchen-Pastillen. »Ich nehme Ihnen das Ritterkreuz ab!« schrie Dönitz außer sich. Da konnte Lützow nicht anders, als zu erwidern: »Es wurde mir vom Führer verliehen, Herr Admiral.« Während sich Dönitz weiter in unhaltbaren Vorwürfen erging, über die geringe Einsatzfreude seiner Kommandanten, über die Versenkungsziffern, die zurückgingen, über angebliche Torpedoversager, neue Ortungsgeräte des Gegners, die ganze altbekannte Litanei, versuchte Lützow abzuschalten. Mit unbewegtem Gesicht schaute er geradeaus zum Fenster hinaus und dachte immer nur ... 21 ... 22 ... 23 ... Spontan traf Dönitz eine Entscheidung. Es sah aus, als habe er Überdruck abgelassen, und wurde nun endlich sachlich. »Sie kehren natürlich nicht zu Ihrer Basis nach Lorient zurück, bevor dieser Saustall in Otranto ausgemistet ist. Mit verdoppeltem Einsatz werden Sie Ihr Versagen wettmachen. Egal was Sie unternehmen. Sie werden diese Vorgänge, diese angeblich so rätselhaften Torpedoschüsse, untersuchen, werden die Gründe herausfinden und abstellen. Mehr habe ich Ihnen nicht zusagen.« Das kam praktisch einem Ultimatum gleich. Der Admiral deutete einen militärischen Gruß an, zackig wie immer, und widmete sich seinem Schreibtisch und der Aktenarbeit. Lützow war für ihn so gut wie nicht mehr vorhanden. Benommen marschierte Lützow durch die Sekretariate und Büros, durch die Gänge und das Treppenhaus. Wenn Dönitz
glaubte, er hatte ihn gebrochen, so irrte er sich. Er hatte nur seinen Trotz geschürt. Lützow hatte das Ministerium noch nicht verlassen, da holte ihn ein Läufer ein. »Wir haben Platz in einem Kurierflugzeug für Sie freigemacht, Herr Kapitänleutnant. 16 Uhr ab Tempelhof.« Worüber jeder andere erfreut gewesen wäre, für Lützow bedeutete es einen neuen Tiefschlag. Insgeheim hatte er gehofft, mit dem Fronturlauberzug über Salzburg-Triest nach Neapel zurückfahren zu können. Für wenige Stunden meinte es das Schicksal dennoch gut mit ihm. Am Münchner Hauptbahnhof hielt er Judith, seine Braut, in den Armen. Er küßte sie, sah ihr schönes Gesicht, die schrägen dunklen Augen, die vollen Lippen, das schwarze Haar. »Mein Herz«, sagte er. Sie hakte sich bei ihm unter. Die Kuriermaschine Berlin-Verona-Rom war wegen der Wetterlage in München gelandet. Schneetreiben bis hinauf in die Alpen, in Oberitalien typischer Nebel, das verbot jeden Flugverkehr. Sofort hatte Lützow im Hospital in Salzburg angerufen. Das war vor drei Stunden gewesen. Und jetzt war Judith bei ihm. »Bin vom Krankenhaus sofort zum Bahnhof gerast, ohne Koffer, ohne adieu zu sagen, nur mit Kamm und Taschentuch, einfach weg. Der Schnellzug braucht ja nur siebzig Minuten.« Zu ihrem Glück fehlte noch, daß sie ein Hotelzimmer fanden. Sie bekamen eines, nur ein Stück stadteinwärts, noch vor dem Justizgebäude. Im ehrwürdigen Hotel Schottenhammel wollten sie einem Ritterkreuzträger der U-Boot-Waffe ein Zimmer nicht verweigern. Das Zimmer war gut geheizt, man konnte duschen. Zu belegten Brötchen brachte der Kellner sogar eine Flasche Rotwein. Sie erinnerte Lützow an die Zeit im Yachtclub in Flensburg. Dort hatten Judith und er sich kennengelernt, hatten sich in die Augen gesehen, hatten miteinander geredet, getanzt und sich von da ab geliebt. Für alle Zeiten. Am Wochenende waren
sie auf der Ostsee gesegelt, die Förde entlang bis Sonderburg. Sie hatten Chianti getrunken, den im geflochtenen Bastkorb, und dann hatten sie sich auf dem schwankenden Boot in der engen Kajüte geliebt. Ohne großes Trara vorher, aber mit viel Gefühl. Seitdem waren sie zusammen, so oft die Umstände es zuließen. Damals hatte Judith schon ihren Dr. med. gehabt. Das war vier Jahre her. Um Arbeit zu bekommen, hatte sie falsche Angaben zur Person gemacht. Später, als sie nebeneinander auf dem Bett lagen, sagte sie: »Der Verwaltungsdirektor der Chirurgischen Kinderklinik ist hinter mir her. Er scheint zu ahnen, daß bei mir etwas nicht stimmt. Er verlangt immer wieder den arischen Nachweis.« »Kein Wunder, so wie du aussiehst«, sagte Lützow. Sie lachte ein wenig bitter. »Schon im Lyzeum behaupteten sie, ich sei das hübscheste Madchen, bis herauskam, daß ich Jüdin bin. Laß uns nicht mehr davon reden, Toni.« Und sie drückte sich eng an ihn. Doch der Gedanke, daß sie immer mehr in Gefahr geriet, ließ ihn nicht los. Seine Hilflosigkeit quälte ihn. »Was willst du tun«, fragte er, »wenn es wirklich gefährlich wird?« »Verreisen«, deutete sie an, »irgendwohin. Meine Familie hat weitreichende Verbindungen. Die Rothildbanken sind ja kein so kleiner Laden. Ich muß nur den richtigen Augenblick abpassen. Natürlich werde ich immer einen gepackten Koffer bei Fuß haben. Das ist die eine Möglichkeit.« »Und die andere?« fragte er, die Glaser nachfüllend. Was sie daraufhin antwortete, überraschte ihn nicht wenig. »Oder ich bekäme ein Baby ... von einem Seehelden.« Er glaubte nicht richtig verstanden zu haben. »Jetzt im Krieg? Das arme Wurm.« »Du hast recht«, sagte sie, »es würde eines Tages erfahren, zu welchem Zweck es in die Welt gesetzt wurde. Lieber sterbe ich.« Sie umarmten sich lange und stumm. Sie wußten nicht, ob sie sich noch einmal sehen würden. Doch es wurde eine Nacht voll Glück und auch voll Traurigkeit.
»Ich fürchte mich vor morgen«, gestand Judith leise, »vor der Dämmerung.« Aber die war nicht aufzuhalten. Der Tag kam. »Hinter dir sind sie mit Wasserbomben her«, sagte sie, »und hinter mir mit den Nürnberger Gesetzen.« »Du mußt ins Ausland, Judith«, entschied Lützow. »Wir werden einen Weg finden.« An die Zimmertür wurde geklopft. Es war nicht der Kellner mit dem Frühstück, sondern der Hotelpikkolo mit einer Nachricht. »Der Flugplatz Riem hat angerufen, Herr Kapitänleutnant. Start um zehn Uhr.« Es wurde ein qualvoller Abschied. Beide wußten sie, was ihnen drohte. Lützow stand vor einer der schwierigsten Aufgaben seiner Laufbahn. Er sollte etwas finden, was es nicht gab. Und bei Judith ging es um das nackte Überleben. »Glaub mir« flüsterte sie, »keine Wirkung ohne Ursachen. Bei mir ist es demnächst der Judenstern, und bei dir ...«, sie faßte an seinen Halsorden, der auch beinah aussah wie ein Stern, »... bei dir ist es das da.«
20 Intrigen
Im Boot wurde geschraubt, gehämmert und geschweißt. Im Vorübergehen sagte Behrens zu Wessel: »Wird wieder fast wie neu, der alte Zossen.« »Und wie sehr fast?« fragte Wessel. »Nagel.« Behrens war schon wieder weiter, drehte sich aber noch einmal um. »Wann kommt der Chef zurück?« »Keine Ahnung. Heute, morgen ...« »Ob sie ihm einen dritten breiten Ärmelstreifen verpassen?« »Oder die Pelle abzieh'n«, fürchtete Wessel. In der O-Messe fragte ihn I WO Rahn, der nicht so gut mit dem LI konnte, wie es hinten ausssah. »Sie polieren das Boot auf, wie neu, nagel.« Rahn, der gegen Abkürzungen war, fragte pikiert: »Und was bedeutet nagel?« »Nagelneu«, antwortete Wessel. »Das ist dasselbe wie bei tot...... mause.« »Als ob es etwas anderes als tot gäbe.« »Klar gibt es das«, erläuterte ihm Wessel, »angetötet, tot, mausetot.« »Das klingt wie bei diesen Bestandsanforderungslisten. Wie ich diese Abkürzungen hasse. - Kanne ... gieß mit Brause ... dünn, Feger ... Hand mit Borsten ... kurz, Hammer ... blei mit Griff... Holz...« »Nicht gerade nach Duden«, meinte Wessel, »aber deutlich auch für geistig Minderbemittelte. Hose unter mit Beine lang.«
»Überhaupt dieses Marinedeutsch«, fuhr der künftige Philologe Rahn fort, »die Besatzung trifft sich vor dem Kino, hinter dem Kino und nach dem Kino vor dem Kino. Anzug blau. Ausgang. Stiefel-See, Hose in denselben.« »Mir gefällt es«, gestand Wessel, »es bereichert doch die seit Goethe allmählich verödende deutsche Sprache. Im übrigen melde mich für Stunden drei von Bord.« »Gehen Sie wieder zu dieser Schickse?« »Schickse«, erwiderte Wessel, »ist auch nicht deitsch... hoch, sondern Jiddisch.« Während seiner Hospitalbesuche bei Rosita Merano hatte sie Wessel ihre Geschichte erzählt. Daß sie ihm nicht alles beichtete, war ihm klar. Beim heutigen Besuch sah Wessel wieder den Priester neben dem Bett der Sängerin sitzen. Schon gestern hatte er gefürchtet, sie bekäme die letzte Ölung. Es hatte sich aber herausgestellt, daß der Besucher, Padre Servatio, normale Hospitalseelsorge ausübte. Angeblich. Kaum war Wessel im Zimmer, verschwand der Priester, flüsterte Wessel aber zu, daß er ihn unbedingt sprechen müsse. »La Signorina corre pericolo ...« Wessel setzte sich neben Rosita ans Bett, links ein paar Blumen, rechts eine Dose mit Ananas. Die Sängerin wirkte verändert. »Ich habe Angst, Pit«, gestand sie. »Mein ganzes Leben besteht nur noch aus Angst.« »Jeder trägt eine Portion Urangst mit sich, Darling.« »Bei mir fing es schon im Elternhaus an.« Von ihren Eltern hatte sie noch nie gesprochen. »Mein Großvater war ein Altnazionaler. Mein Vater, eine Etage höher, ein Nazionalsozialist, brachte es bis zum Standartenführer. Er zwang mich zum Bund deutscher Mädchen zu gehen, zum BdM, oder er würde mir das Taschengeld streichen. Ich traf mich aber heimlich mit Jungkommunisten. Das wurde meinem Vater zugetragen, und er setzte mich auf die Straße. Er war das absolute totale Arschloch. Alle meine Ahnen waren Arschlöcher, vielleicht bis auf
einen, diesen Zirkusreiter, der meine Großmutter schwängerte. Zum Glück konnte ich etwas Gitarre spielen. Damit schlug ich mich durch. Anfangs in Wirtshäusern und Kneipen ...«, es fiel ihr schwer, über diese Dinge zu reden, und sie zögerte, ehe sie fortfuhr, »... seitdem sind sie hinter mir her. Aber es gibt auch ein paar Leute, auf die man sich verlassen kann.« »Du bist eben doch ein Sonnygirl.« »Das muß ich aufschreiben. Du bist mein Sonnygirl, das wäre ein guter Schlagertitel.« Sie tastete nach seiner Hand. »Du hast mein Vertrauen, Pit. Ebenso wie Padre Servatio. Der Stadtpfarrer von San Donato in Genua hat ihm mitgeteilt, wo ich bin.« Eine Stunde später, als Wessel seinen Besuch beendete, wartete Padre Servatio immer noch draußen vor der Tür. In einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Italienisch machte er Wessel klar, daß sich die Signorina in Gefahr befand. Diesmal von selten der Italiener. Man müsse versuchen, sie an einen anderen Ort zu bringen. »Ich weiß wohin«, flüsterte der Padre im Beichtstuhlton, »und ein Fahrzeug kann ich auch besorgen.« »Wann?« fragte Wessel nur. »In der Dunkelheit«, schlug Servatio vor, »so um mezzanotte, um Mitternacht herum, wenn alles schläft.« Pit Wessel war nicht nur ein großer Organisator, sondern auch ein Mann mit Ideen. Mit einem zusammengerollten Kleiderbündel unter dem Arm wartete Wessel im Dunkeln zwischen den Fiorelila-Büschen des Parks vor dem Hospital Tre Croci. Er hatte seine dritte Uniform, einen weißen Isländer mit Rollkragen und eine Mütze ohne goldene Offiziersborte am Schirm dabei. Dazu ein paar Bordschuhe. Ständig hielt er den beleuchteten Hospitaleingang im Blick. Es schlug schon 01 Uhr, als endlich die hohe Gestalt des Priesters zwischen den Rot-Kreuz-Laternen auftauchte. Padre Servatio nahm zwei Finger in den Mund und pfiff kurz. Der Priester eilte voraus und winkte Wessel immer dann zu,
wenn die Treppe und der Flur frei waren. Rosita saß auf dem Bett. Etwas mühsam kleidete sie sich an, zog den Rollkragenpullover über, schlüpfte in die blaue Hose, die Segeltuchschuhe und den Kulani. Das rote Haar stopfte sie unter die Mütze. Auf Wessel und Padre Servatio gestützt verließ sie das Zimmer. Beim Treppengehen verzerrte sich ihr Gesicht. Sie hatte noch Schmerzen. Unten an der Auffahrt zum Hospital wartete der Wagen, den der Priester organisiert hatte. Ein FIAT. Sie fuhren damit durch immer engere Gassen in die Altstadt. Bei einer Witwe, die Servatio als zuverlässig und verschwiegen bezeichnete, brachte er Rosita unter. »Natürlich kann sie nicht ewig hier bleiben. Ich habe Freunde in einem Kloster in der Toskana«, deutete er an. »Mal abwarten, a domani...« Auch am nächsten Tag war Kapitänleutnant Lützow noch nicht in Neapel zurück. Wie es hieß, steckte das Kurierflugzeug wegen Nebel irgendwo in der Po-Ebene fest. Mit Zugverbindungen sah es auch schlecht aus. In der darauffolgenden Nacht besuchte Wessel wieder die Sängerin. Er hatte einige Mühe, in dem Gassengewirr das richtige Haus zu finden. Als er Rosita sah, hatte sie sich erneut verändert. Wie ein Schmetterling, der aus seiner Puppe geschlüpft war. Außerhalb des Hospitals mit seinem Lysolgeruch, den Schwestern und Ärzten, ohne Kontrolle der Italiener schien sie richtiggehend aufzublühen. Sie hatte sogar etwas Rouge auf die Lippen gelegt. Wessel packte aus seinem Brotbeutel Dinge, die es auch in Neapel nicht mehr gab: Dosenschinken, Schweinefleischkonserven, Zigaretten. Bei Kerzenlicht nahmen sie eine kleine Mahlzeit zu sich. Dabei spielte das Radio leise etwas mit Mandolinen und Mondschein... Als er sie fragte: »Geht es dir wieder gut«, antwortete sie völlig unerwartet: »Weißt du, wie sich eine Frau fühlt, die seit zwei Jahren keinen Mann hatte?«
»Genau«, antwortete er, »ich denke, sie fühlt sich wie ein Mann, der seit zwei Jahren keine Frau hatte.« »Wann warst du das letzte Mal mit einem Mädchen zusammen, Pit?« Er schaute auf die Uhr, als wurde es sich um Sekunden handeln. »U-Boot-Chronometer haben leider keine Datumsanzeige.« »Ich glaube, ich bin schon wieder Jungfrau. Kann man eigentlich zuwachsen?« »Mal nachsehen«, schlug er vor. Ihre Haut war an manchen Stellen blau und rot von den Blutergüssen. Aber die taten nicht weh. Und gegen Morgen lagen sie immer noch auf dem schmalen Bett. Als es klopfte, zog Rosita schnell die Decke über ihren nackten Körper. Draußen stand Padre Servatio. »Wir müssen weg«, entschied er. »Sofort. Es kommt auf jede Minute an.« Sie löschten alle Spuren, rafften zusammen, was herumlag. Unten wartete der FIAT mit laufendem Motor. »Ich bringe Rosita in ein Kloster bei Sienna«, sagte Padre Servatio. »Sie hören von mir, Signor Pit.« »Wie wollen Sie mich finden?« »Keine Sorge, wir haben tausend Augen.« Bevor er sich neben den Fahrer des FIAT schob, zog ihn Wessel noch einmal am Arm heran. Wessel sagte: »Meine Anerkennung, Padre. Fabelhaft, wie sich die Kirche um eine fremde Person kümmert, die immerhin nicht einmal Protestantin ist.« Der Priester, der offenbar über die Aufgabe der Mombasa ebenso Bescheid gewußt hatte, wie er die künftige Operation von U-136 kannte, gab Wessel einen merkwürdigen Tip, den dieser nicht sofort verstand. Er kleidete ihn in eine Frage. Sie lautete: »Worauf achtet der Seemann in unbekanntem Fahrwasser?« Zum Abschied küßten sich Wessel und Rosita Merano nicht nur flüchtig.
Mit vereistem Gesichtsausdruck, noch unbewegter als sonst, kehrte Kapitänleutnant Lützow an Bord seines Bootes zurück. Schon an Oberdeck, zog er den Mantel aus und warf ihn samt Mütze einem Matrosen zu. Unter Deck verschwand er wortlos in seinem Schapp hinter dem grünen Filzvorhang. Dann rief er den I WO. »Rahn, klarmachen zum Auslaufen in dreißig Minuten.« U-136 passierte die Mole und lief im Fahrwasser auf die Kriegsansteuerungstonne zu, als sich Lützow Wessel vornahm. »Sie waren wieder bei diesem Weib«, legte er los. Wessel öffnete den Mund, um zu antworten. Lützow schnitt ihm das Wort ab: »Bevor Sie mich belügen, sagen Sie lieber gar nichts.« Nach einer Weile murmelte Lützow vor sich hin: »Muß mir überlegen, ob ich Sie wegen Befehlsverweigerung bestrafen soll.« »Bloß keine Ausnahme, Herr Kaleu. Ich bitte darum.« Sie nahmen jetzt Kurs Süd auf die Straße von Messina. »Dann bestrafe ich Sie mit vierundzwanzig Stunden Ausgangssperre«, entschied Lützow grinsend. »Wirksam von sofort bis morgen früh null neun Uhr dreißig.« Die Italiener hatten ihn, nachdem er mit dem Zug in Neapel angekommen war, ungefähr informiert. Nun wollte Lützow genau wissen, was sich in den drei Tagen seiner Abwesenheit ereignet hatte. »Signorina Merano ist in Sicherheit«, berichtete Wessel. »Ein gewisser Padre Servatio läßt Sie grüßen.« »Ein Priester«, fragte Lützow erstaunt, »mich?« »Schätze, er ist der Chef im Spionagedienst des vatikanischen Konzils«, antwortete Wessel locker. »Er weiß über die vergangenen und künftigen Operationen von U-136 ziemlich Bescheid. Außerdem gab er mir einen Rat.« »Und der lautet wie?« »Worauf achtet der Seemann in unbekanntem Fahrwasser.« »Das ist eher eine Frage, wie mir scheint«, äußerte Lützow dazu. »Sie kennen doch diese Jesuiten, Herr Kaleu. Die sagen doch nie genau, was sie meinen. Aber wenn man darüber nachdenkt,
über das, was sie gemeint haben konnten, kommt man dahinter, was sie gesagt haben.« Lützow examinierte seinen II WO. »Und worauf bitte achtet der Seemann in unbekanntem Seegebiet?« »Daß er immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel hat«, antwortete Wessel. »Das klingt auch verdammt jesuititsch«, bemerkte Lützow dazu.
21 Auf Bewährung
U-136 fuhr aufgetaucht mit südöstlichem Kurs. Inzwischen war es in italienischen Gewässern schon so bekannt, daß auf Geheimhaltung verzichtet werden durfte. »Ich kann die Kompaßzahlen schon auswendig vorbeten«, sagte Klein, »Golf von Policastro, Messina, Ionisches Meer, Tarent. Die Reise machen wi r jetzt zum dritten Mal. Die italienischen Fischkutter haben nicht mal Seekarten oder Kompaß an Bord.« »Die machen es schon immer mit Daumen mal Spaghetti«, spottete Wessel. Ab und zu, eher selten, erschien der Kommandant auf dem Turm und holte sich eine Nase voll frischer Luft. Früher nur wortkarg, wirkte er jetzt mürrisch und auf irgendeine Weise gleichgültig. Er überließ alles seinen Offizieren. I WO Rahn die Routinearbeiten, Wessel den Ausguck. »Unser Ziel ist Otranto. Bitte dann gewahrschaut zu werden«, gab er gerade noch von sich. »Nach Otranto, das sind drei Tage«, rechnete Klein. Längst hatte sich Lützow wieder zurückgezogen. Was er hinter dem grünen Filzvorhang tat, wußte niemand genau. Nur der Backscharter, der ihm Kaffee brachte und auch eine Kanne davon auf die Brücke trug, meldete besorgt: »Der Kaleu liegt auf seiner Koje und starrt zur Decke.« »Er kann mit offenen Augen schlafen«, ergänzte Klein, »ganz seltene Gottesgabe.« Wessel, der gerne ins Detail ging, wollte etwas mehr wissen: »Wie sieht er aus?«
»Wie immer, Herr Leutnant.« »Dann sieht er aus wie Moltke«, äußerte der Obersteuermann, »und denkt über taktische Probleme nach.« Rahn, der auf dieser Wache den Kommandanten vertrat, nahm eine schnellaufende italienische Inselfähre ins Glas und fragte ganz allgemein: »Was sollen wir noch in Otranto? Die Küste neu vermessen?« »Schätze, das hat Columbus schon vor uns erledigt«, vermutete Wessel. »Da hat sich seit vierhundert Jahren nichts verändert.« Bald waren sie vorbei an Messina und Reggio Calabria, umrundeten die Stiefelspitze und nahmen Kurs auf den Golf von Squillace, da tauchte das aschgraue Gesicht des Kommandanten im Luk auf. Er betrat den Turm nicht, sondern erteilte nur eine kurze Anweisung. »Laufen Sie den nächsten kleinen Fischerhafen an. Wie heißt der?« »Cregani Manna«, antwortete Klein auswendig. Dann wandte sich Lützow an Wessel: »Sie sind doch fix im Organisieren, Leutnant. Besorgen Sie einen Außenbordmotor, einen oder zwei Kanister Benzin dazu. Um jeden Preis. Es koste, was es wolle. Tauschen Sie, feilschen Sie, lassen Sie sich etwas einfallen. Sie verfügen doch über ausreichende Überredungskünste.« Und schon war der Alte wieder verschwunden. »Einen Außenbordmotor«, wiederholte Wessel, »luft- oder wassergekühlt?« »Für unser Schlauchboot«, vermutete Rahn. »Die Pullerei geht zu langsam. Wenn die See gegen die Steilküste gischtet, kommt man per Hand kaum frei.« Sie liefen also den Fischerort an. Es war gegen Abend. Wessel schaute in mehrere Kneipen. In einer Mischung aus Spanisch, Italienisch und Englisch sprach er erst mit dem Padrone, die Wirte wußten am besten Bescheid. Es dauerte einige Zeit, bis man ihn verstanden hatte, und gab ihm eine Adresse. Es war die einer Fischerwitwe, deren Mann im Winter auf See geblichen war.
Wessel fand das alte Haus am Ende des Hafens und wurde mit der Fischersfrau einig. Ja, sie habe noch den Außenbordmotor ihres Mannes, einen ziemlich betagten >Evinrude