Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 543 All‐Mohandot
Das Nickelschiff von Peter Griese
Auf dem Weg zum Ysterioo...
7 downloads
242 Views
982KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 543 All‐Mohandot
Das Nickelschiff von Peter Griese
Auf dem Weg zum Ysterioon
Seit Dezember des Jahres 3586, als die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört. Schließlich ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes das Ende des Jahres 3791, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettet. Gegenwärtig hält sich Atlan mit der abgekoppelten SZ‐2 in der Kleingalaxis Flatterfeld auf. Seine selbstgewählte Mission, die auf die Enträtselung des Geheimnisses der nickelraubenden Ysteronen ausgerichtet ist, scheint auf dem Planeten Break‐2 ihr Ende gefunden zu haben. Die Solzelle wird durch mysteriöse Einwirkungen am Start gehindert. Nur eine radikal umgebaute Korvette kann den Flug zum Ysterioon fortsetzen. Diese Korvette ist DAS NICKELSCHIFF …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide macht sich auf den Weg zum Ysterioon. Brooklyn ‐ Die Magnidin zeigt ihr technisches Genie. Girgeltjoff ‐ Der Ysterone kehrt in seine Heimat zurück. Sanny ‐ Die Molaatin setzt ihre Fähigkeiten ein. Breckcrown Hayes ‐ Pilot der DUSTY QUEEN.
1. »Und ich sage euch, Atlan und die beiden Magniden stecken unter einer Decke. Sie spielen uns etwas vor. Sie halten uns hier auf dieser Welt fest und geben vor, die SZ‐2 könne nicht mehr starten, weil eine unbekannte Macht sie an Break‐2 fesselt. Das ist der größte Unsinn, den ich je in meinem Leben gehört habe. Seit wann soll ein Raumschiff nicht mehr starten können?« Morrosson Sum war in höchstem Maß erregt. Er redete wild gestikulierend auf seine Zuhörer ein. Zwölf Solaner hockten um ihn herum, teils auf dem Boden und teils auf mitgebrachten Sitzgelegenheiten. Der Treffpunkt dieser Leute war ein seit langem stillgelegter Vorratsraum, der auch nach der Behebung des Rohstoffmangels der SOL noch keinen Verwendungszweck gefunden hatte. Acht der Zuhörer waren ebenfalls Buhrlos. Für diese Solaner war die Situation noch kritischer als für die gewöhnlichen Menschen, denn sie mußten in regelmäßigen Zeitabständen hinaus in das Vakuum des Weltalls, um ihre Glashaut zu regenerieren. Das Heimweh plagte aber alle Solaner, und nicht nur die, die sich hier getroffen hatten. Die SOL war zum erstenmal in ihrem Leben für längere Zeit geteilt worden. Atlan hatte seine Vorstellungen gegen den High Sideryt durchgesetzt und war allein mit der SZ‐2 nach der Kleingalaxis Flatterfeld geflogen. Für die Solaner war das so, als ob man ihnen einen Teil ihrer
Heimat genommen hätte. Das zählte auch für die Menschen, die immer nur in der Solzelle‐2 gelebt hatten. Allein das Wissen um das Fehlen des Mittelteils und der SZ‐1 machte die Leute seelisch krank. »Ich gebe zu, daß ich mir nichts sehentlicher wünsche, als die baldige Vereinigung der Teile der SOL.« Orest Vida war ein junger Solaner mit pockennarbigem Gesicht. Die Hautveränderung war jedoch nicht krankhafter Natur, sondern Vida war mit dieser unbedeutenden Mutation zur Welt gekommen. »Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, daß Atlan uns etwas vorgaukelt. Er hat sich immer offen und ehrlich verhalten.« »Ich fühle mich schon krank«, sagte eine ältere Buhrlofrau, »seit ich weiß, daß wir festen Boden unter den Füßen haben. Dazu kommt das Fehlen eines Teiles der Heimat und das Bedürfnis, in den Weltraum zu gehen. Mit Behelfsmaßnahmen kann man den Vakuumaufenthalt zwar verzögern, aber das ist keine Dauerlösung.« Die anderen Buhrlos nickten und zollten der Frau Beifall. »Wir müssen der Sache auf den Grund gehen«, verlangte Orest Vida. »Mit Vermutungen ist uns nicht gedient. Wir sollten einen der Magniden, am besten Brooklyn, schnappen und ausquetschen.« Die Meinungen über diesen Vorschlag waren geteilt. »Dummes Zeug«, brüllte Morrosson Sum. Wieder fuchtelte der alte Buhrlo wild mit den Armen. »Ich sehe keinen Sinn darin, neue Lügen zu hören. Wir werden etwas ganz anderes tun. Wir werden den direkten Beweis liefern, daß die SZ‐2 starten kann.« »Und wie willst du das bewerkstelligen, Morrosson?« »Ganz einfach.« Sum setzte eine triumphierende Miene auf. »Wir besetzen die Zentrale und starten das Schiff selbst.« »Du bist verrückt geworden«, beschwerte sich Orest Vida. Eine halbe Stunde später, als die Diskussion beendet war und der Plan in allen Einzelheiten festlag, war er jedoch anderer Meinung. In der Zentrale der SZ‐2 herrschte ziemliche Ratlosigkeit. Seit fünf Tagen saß das riesige Kugelschiff auf dem verlassenen Planeten
Break‐2 fest. Einen Grund dafür hatte man bislang nicht finden können. Atlan hatte im Einverständnis mit den beiden Magniden Palo Bow und Brooklyn mehrfach versucht, das Schiff zu starten. Triebwerke und Antigrav arbeiteten fehlerfrei, aber die SZ‐2 bewegte sich keinen Millimeter. Nach etwa einer Minute schalteten die Antriebe automatisch wieder ab, weil sie vollkommen überlastet wurden. Es war, als ob eine gewaltige Faust das Schiff auf die Oberfläche des Planeten drückte. Die Magniden und alle, die etwas von naturwissenschaftlichen Dingen verstanden, arbeiteten ohne Pause, um dieses Geheimnis zu lüften. Bis jetzt zeigte sich kein Erfolg, denn die Energie, die die SZ‐2 an den Boden drückte (und eine Energieform mußte es wohl sein), ließ sich nicht anmessen. Einzig allein Bjo Breiskoll, der Mutant, konnte mit seinen Parasinnen eine Vermutung aufstellen. Er behauptete, schon seit Tagen eine Strahlung zu empfangen, in der man die Ursache für den verhinderten Start sehen konnte. »Eigentlich sind es zwei verschiedene Komponenten«, erläuterte der Katzer. »Die eine ist identisch mit der Strahlung, die ich schon in der Robotstation der Ysteronen in Bumerang festgestellt habe. Die Nickelanteile senden ein Fluidum aus, das ich spüre, dessen Sinn ich aber nicht erkennen kann. Fast glaube ich, daß die Ysteronen das Element Nickel in irgendeiner Form modifiziert haben.« »Und die zweite Komponente?« fragte Brooklyn. Die sechzigjährige Magnidin wirkte niedergeschlagen, denn sie betrachtete die Lage als hoffnungslos. Wie immer trat sie jedoch äußerlich sehr gepflegt auf. Ihre Ansichten trug sie charmant und liebenswürdig vor, was aber nichts daran änderte, daß sie sehr stark ihren einmal gefaßten Meinungen verhaftet war. »Über die kann ich nicht viel sagen«, bekannte Breiskoll. »Ich merke nur, daß da etwas ist. Manchmal glaube ich, daß es uns aus der Richtung, in der wir die Heimat der Ysteronen vermuten,
weghalten will. Das stimmt mit der Reaktion der SZ‐2 überein. Dann wieder ist da ein Sog, der etwas anziehen will.« »Einmal so und einmal so?« wollte Palo Bow wissen. Der schwarzhäutige, fettleibige Solaner gehörte wie Brooklyn zu den fortschrittlicheren Magniden. »Nein«, erklärte Bjo Breiskoll bestimmt. »Beide Anteile spüre ich eigentlich ständig.« »Diese Diskussionen bringen uns nicht weiter«, stellte Atlan fest. »Es muß etwas geschehen.« »Was, Arkonide?« In Brooklyns Frage lag eine Spur von Spott. »Du spielst doch gern den alleswissenden Könner. Nun beweise uns, was in dir steckt. Wenn du uns hier heraushaust, werde ich ein gutes Wort bei Chart Deccon für dich einlegen.« Atlan ging nicht direkt auf diese Bemerkung ein. Er verstand die schwelende Nervosität der Solaner, aber er hatte keine Lösung parat. Er stand vor einem Rätsel. »Unsere Versuche, ein Beiboot zu starten, sind ebenso fehlgeschlagen«, resümierte er. »Widersinnig ist jedoch, daß wir uns mit planetengebundenen Antigravgleitern ohne Behinderung bewegen können.« »Kluge Worte ohne Nutzen«, meinte Palo Bow knapp. »Kann uns der verrückte Ysterone keine Auskunft geben?« Brooklyn spielte damit auf Traug‐Tul‐Traug an, das einzige intelligente Lebewesen, das man auf Break‐2 getroffen hatte. TTT, wie die Solaner den Erzähler nannten, hatte Atlan weitere Aufschlüsse über das Leben der Ysteronen geliefert. Unklar blieb jedoch, inwieweit man den Aussagen des alten Ysteronen glauben konnte, denn der wirkte tatsächlich etwas verrückt. »Girgeltjoff und Argan U sind auf dem Weg zu ihm«, sagte Atlan. »Sie sollen versuchen, etwas in dieser Richtung herauszubekommen. Der Alte treibt sich ja fast immer in der Nähe der SZ‐2 herum. Viel verspreche ich mir allerdings nicht von dieser Maßnahme.«
»In unserer Lage muß man jedem Fingerzeig nachgehen«, meinte Brooklyn. »Du mußt nämlich wissen, daß es über kurz oder lang zu einer prekären Lage kommt, wenn wir nicht starten können.« »Du sprichst von den Buhrlos«, vermutete Atlan. »Nicht nur die meine ich.« Brooklyn nickte. »Ich denke an alle Solaner der SZ‐2. Durch die Trennung vom Mutterschiff hast du ihnen etwas genommen, was zu ihrem natürlichen Lebensbereich gehört. Ich gebe offen zu, daß auch ich von einem nagenden Heimweh geplagt werde. Schließlich sind wir alle Solaner, du, Atlan, natürlich ausgenommen. Und Solaner gehören in eine komplette SOL.« Bei den letzten Worten hatte die Magnidin ihre Stimme gehoben und ihr einen drohenden Beiklang gegeben. Atlan erkannte daran, wie ernst die Bedenken der Frau waren. Kaum bemerkt von den anderen, war Sternfeuer in die Zentrale gekommen. Sie wartete, bis sich eine Gesprächspause ergab, dann wandte sie sich an den Arkoniden. »Ich habe ein paar merkwürdige Gedanken aufgefangen«, berichtete sie. »In einigen Teilen der SZ‐2 beginnen die Menschen sich zusammenzurotten. Sie fordern den baldigen Start.« »Das wollen auch wir«, wunderte sich Atlan. »Oder steckt etwas anderes dahinter?« Sternfeuer nickte. »Heimweh zum anderen Teil der SOL«, erklärte sie. »Da haben wir es«, trumpfte Brooklyn auf. »Ich werde mich um das Problem kümmern«, versprach Atlan und winkte Bjo Breiskoll zu. »Innere Unruhen hätten uns jetzt gerade noch gefehlt.« Gemeinsam mit dem Katzer und Sternfeuer verließ er die Zentrale. Während Atlan mit seinen Begleitern die beunruhigten Solaner aufsuchen wollte, begegneten ihm der Ysterone Girgeltjoff und der Puschyde Argan U. Zwischen den beiden so ungleichen Lebewesen hatte sich seit den Ereignissen auf der Pluuh‐Welt Worsian‐IV eine
enge Freundschaft entwickelt. »Wir haben den verrückten Erzähler nicht gefunden«, plapperte Argan los. »Er hat sich wohl irgendwo in den Bergen oder zwischen den Felsen verkrochen.« »Das ist merkwürdig«, sagte der Arkonide. »Mir hat TTT eher den Eindruck gemacht, als würde er sich über unsere Anwesenheit freuen. Schließlich hat er viele Jahre hier allein verbringen müssen. Wer hat ihn eigentlich zuletzt gesehen?« »Ich«, antwortete Girgeltjoff, der die Sprache der Solaner inzwischen fehlerfrei beherrschte. Auch Argan U hat in den letzten Wochen viel dazugelernt. Er konnte sich fast fehlerfrei ausdrücken. »Aber das war vor zwei Tagen«, fügte der junge Ysterone nach einer Weile hinzu. Atlan betrachtete den Riesen aufmerksam. Inzwischen konnte er mit mancher Geste Girgeltjoffs etwas anfangen. »Du verschweigst mir etwas«, behauptete er. »Warum?« Girgeltjoff druckste herum. »Eigentlich ja«, meinte er dann. »Aber es hat nichts zu bedeuten.« »In unserer Lage kann alles etwas bedeuten. Bitte vertraue dich uns an.« Der Ysterone verschränkte seine vier Beine zu einer merkwürdigen Form eines Schneidersitzes. Dann begann er zu erzählen. »Als ich Traug‐Tul‐Traug zuletzt sprach, war er merkwürdig verändert. Ich glaube, er war müde und erschöpft. Und verwirrt, mehr als sonst. Deshalb habe ich seinen Worten keine Bedeutung beigemessen.« »Welchen Worten?« drängte der Arkonide. Girgeltjoff verzog sein Gesicht. »Er sagte zu mir, es gäbe für ihn nun nichts mehr zu erzählen. Deshalb habe er einen bösen Zauber über dein Raumschiff verhängt. Was er damit meinte, weiß ich wirklich nicht. Und dann erwähnte er noch, daß er ein paar Tage allein sein wollte und daß ich euch am
besten nichts von der Unterhaltung sage. Erst als Argan und ich ihn nicht antrafen, kam mir der Verdacht, daß an seinen Worten doch etwas Wahres sein könnte.« Atlan überdachte das Gehörte. Bei dem alten Ysteronen, von dem sie etwas über die Heimat dieses Volkes und seine frühere Geschichte erfahren hatten, kannte er sich nicht aus. Was war Wahrheit und was waren Erfindungen? »Ich halte es für ausgeschlossen«, erklärte Bjo Breiskoll, »daß TTT in der Lage wäre, die SZ‐2 an diesen Planeten zu fesseln.« »Das glaube ich auch nicht«, unterstrich Atlan. »Seine Äußerungen gegenüber Girgeltjoff lassen jedoch einen anderen Schluß zu. Fast bin ich geneigt anzunehmen, daß der Alte wußte, daß wir nicht wieder von hier wegkommen. Wer weiß, ob er uns alles berichtet hat, was er weiß.« »Ich habe seine Gedanken nur unvollständig lesen können«, gab der Katzer zu. »So geht es mir bei Girgeltjoff ja auch. Nur in direkter Sicht funktioniert es einigermaßen.« »Egal, ob etwas an der Sache ist oder nicht«, entschied Atlan. »Wir werden TTT suchen. Zuerst muß ich mich um die beunruhigten Gemüter kümmern. Dann starten wir eine gezielte Suche.« In diesem Augenblick schlug der Armband‐Interkom des Arkoniden an. Es war Brooklyn, die ihn aus der Kommandozentrale rief. »Ich möchte dich bitten«, sagte die Magnidin mit einem eigenartigen Unterton in der Stimme, »sofort zu uns zu kommen.« »Warum?« wollte Atlan wissen. »Ich kann dir jetzt keine Erklärung geben«, preßte die Frau hervor, »aber es ist wichtig.« Sie spricht unter Druck, meldete Atlans Extrahirn. Der kleine Bildschirm des Geräts erlosch. Die Verbindung war von der Zentrale aus unterbrochen worden. »Dann werden wir wohl wieder zurückgehen«, murrte Atlan. »Ja.« Breiskoll nickte. »Ein Haufen heimwehkranker Leute haben
Bow und Brooklyn in ihrer Hand. Sie haben etwas vor, bei dem du auch zugegen sein sollst.« Du hast die Gefahr unterschätzt, warf Atlans Extrahirn diesem vor, die durch die Abtrennung der SZ‐2 entstanden ist. »Willst du nicht ein paar Vorbereitungen treffen«, fragte Bjo Breiskoll besorgt, »bevor du in die Falle rennst? Da drin sieht es gar nicht gut aus. Es sind mindestens zehn Personen, die die Gewalt an sich gerissen haben.« »Es sind normale Solaner und keine Verbrecher«, antwortete der Arkonide. »Sie sind in einer psychischen Streßsituation. Da wäre es falsch, mit Gewalt zu antworten.« Er legte sogar seine Waffen ab, bevor er die Eingangsschleuse betrat. »Dann bleiben Sternfeuer und ich für alle Fälle lieber draußen«, meinte der Mutant. Atlan war mit dem Vorschlag einverstanden. In der Kommandozentrale erblickte Atlan neben den beiden Magniden und sieben Mann des Stammpersonals nur zwei Personen, die nicht hierher gehörten. Eine davon war ein älterer Buhrlo. »Morrosson Sum«, sagte Atlan, der sich an den Gläsernen erinnern konnte. »Was führt dich zu uns?« Den jungen Solaner mit dem zernarbten Gesicht kannte er nicht. Vorsichtig blickte sich der Arkonide um. Erst jetzt entdeckte er weitere Personen, die sich hinter den Schaltpulten und Einrichtungsgegenständen verborgen hielten. Auch entdeckte er mehrere Waffen, die auf die Magniden und nun auch auf ihn selbst gerichtet waren. »Da uns die Schiffsführung betrügt«, erklärte Sum, »müssen wir selbst etwas unternehmen.« »Wer sagt, daß ihr betrogen werdet?« Atlans Augen bildeten schmale Schlitze. »Ich sage es«, antwortete Morrosson Sum trotzig. »Weil ich es
weiß.« »Aha«, machte Atlan nur. »Genau so ist es«, fuhr der Weltraumgeborene fort. »Wir haben erkannt, daß du mit den Magniden unter einer Decke steckst. Ihr wollt uns die Rückkehr zum Hauptteil der SOL verweigern und habt daher das Märchen erfunden, daß wir nicht starten können.« »Ein Märchen, aha, ich verstehe«, sagte Atlan kühl. »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?« fuhr ihn der junge Solaner an. »Wer bist du überhaupt?« entgegnete Atlan ohne jede Erregung. »Ich bin Orest Vida.« Die Zornesadern schwollen im Gesicht des Mannes. »Eigentlich solltest du mich kennen. Ich habe als bester Schüler in einem Astronautenkurs abgeschnitten und stehe auf dem Sprung, in den Kreis der Ahlnaten aufgenommen zu werden.« »Ich habe noch nie von dir gehört.« Atlan drehte sich demonstrativ wieder dem Buhrlo zu. »Wenn dein Kumpan von solchen Dingen etwas versteht, dann dürfte es ihm ja nicht schwerfallen, die SZ‐2 zu starten.« Morrosson Sum schaute einen Moment verblüfft drein, dann hatte er sich wieder gefangen. »Das werden wir auch tun«, fauchte er. »Wir wissen, daß es hier Schaltungen gibt, die einen Start verhindern. Außerdem könntet ihr uns paralysieren. Für diesen Fall haben wir vorgesorgt. Bei dem geringsten Anzeichen eines Angriffs von eurer Seite werden meine Leute feuern.« »Ich habe nicht vor, euch anzugreifen«, erklärte der Arkonide sachlich. »Warum sollte ich mich gegen rechtschaffene Solaner wenden, die vom Heimweh geplagt sind? Auch die Magniden und ich haben nur den einen Wunsch, nämlich die SZ‐2 schnell wieder flott zu bekommen. Leider haben wir den Grund, der dies verhindert, noch nicht entdeckt.« Er drehte sich halb mit ausgestrecktem Arm durch den Raum und deutete auf die technischen Einrichtungen.
»Es steht euch alles zur Verfügung. Auch die lokale Positronik. Ihr bekommt volle Befehlsgewalt über sie. Es würde mich freuen, wenn ihr die SZ‐2 starten könntet.« Nun war der Gläserne endgültig verunsichert. »Das ist doch nur ein Trick«, schimpfte er. »Du hast irgendeine üble Sache ausgeheckt.« »Nein. Du bist blind, weil du nicht mehr Herr deiner Gefühle bist. Das ist es, und nicht anderes. Bitte startet die SZ‐2. Ich sehe darin die einzige Möglichkeit, euch überzeugen zu können. Und wartet nicht zu lange, ich habe nämlich noch einiges zu tun, um das Schiff wirklich wieder unter Kontrolle zu bekommen.« Morrosson Sum gab seine Anweisungen. Atlan, die Magniden und das übrige Personal sahen schweigend zu. Nur Palo Bow äußerte sich einmal, als Orest Vida zu vergessen schien, vor dem Startversuch den Verschluß aller Hangartore zu überprüfen, die nach draußen führten. Als die Energien in die Triebwerke strömten, schnellten die Anzeigen in die Höhe. Morrosson Sum setzte eine triumphierende Miene auf. »Es funktioniert alles glatt«, bestätigte auch Vida. »Schub!« brüllte der Buhrlo begeistert. Die Hände seiner Helfer glitten über die Bedienungs‐ und Steuerungseinheiten. Die SZ‐2 schüttelte sich einmal kurz. Dann sank das leise Geräusch der Triebwerke in dunklere Töne ab und verschwand schließlich ganz. Die Anzeigen gingen auf null. »Überlastung wegen unüberwindbarem Gegendruck«, meldete die Positronik. »Es mußte automatisch abgeschaltet werden.« Morrosson Sum stieß einen Fluch aus. Er kam auf Atlan zu und hielt diesem drohend seine Waffe vor das Gesicht. »Das hast du sauber eingefädelt, Weißhaar! Mich kannst du nicht hinters Licht führen. Schalte sofort die Positronik ab.« »Bitte.« Atlan schob den Lauf der Waffe mit einem Finger zur
Seite. »Das ist nicht mehr notwendig«, rief Orest Vida kleinlaut. »Ich habe es bereits getan. Aber auch jetzt sprechen die Antriebe nicht an, da die Überbelastung des Startversuchs noch nachwirkt. Es war keine simulierte Geschichte, Morrosson. Die SZ‐2 sitzt wirklich fest.« Der alte Buhrlo blickte in die Gesichter seiner Leute, aber die schwiegen verunsichert. »Ihr seht also«, sagte Atlan, »daß ihr uns nur bei der Arbeit stört. Wenn ich euch einen Rat geben darf, so geht in das nächste Medo‐ Center. Es gibt harmlose Medikamente, die eure Sehnsucht für eine Weile unterdrücken. Indessen können wir gemeinsam nach einem Ausweg suchen. Ich brauche euch alle dafür, denn wir müssen Traug‐Tul‐Traug finden. Allem Anschein nach weiß er etwas über die Macht, die uns an Break‐2 fesselt.« Sums Hand mit der Waffe sank langsam nach unten. Der Gläserne schwieg. »Ihr könnt jetzt gehen.« Atlan deutete auf den Ausgang. 2. Nachdem die Gefahr durch die vom Heimweh geplagten Solaner erkannt worden war, wurde alles getan, um den armen Menschen zu helfen. Die beiden Magniden, denen es ja nicht anders ging als der übrigen Besatzung, kümmerten sich selbst um die Hilfsaktion. Die Medo‐Stationen waren zwar auf einen Massenandrang von Kranken nicht vorbereitet, aber dank dem persönlichen Einsatz Palo Bows und Brooklyns bekam man die Sache schnell in den Griff. Die Mediziner mußten sich außerdem um die Buhrlos kümmern, deren Haut so zu verdicken drohte, daß sie sterben würden. An einen Spaziergang im echten Vakuum des Weltalls war ja unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu denken. Im Lauf der letzten Jahrzehnte hatte man allerdings verschiedene Methoden entwickelt,
die den Weltraumgeborenen zumindest insofern halfen, als sie den Zeitpunkt für den Vakuumaufenthalt um ein paar Wochen verschieben konnten. Da Atlan auch um diese Dinge wußte, drängte er noch energischer auf eine Lösung. Die Solaner, die sich inzwischen wieder besonnen hatten, halfen ihm dabei nach besten Kräften. Den einzigen Fingerzeig, den man besaß, waren die Aussagen Girgeltjoffs über sein letztes Gespräch mit dem verrückten Erzähler der Ysteronen. Traug‐Tul‐Traug mußte schnellstmöglich gefunden werden. Alle Mannschaftsmitglieder, die keine Heimwehsymptome mehr zeigten, wurden in die Gleiter und Shifts gesteckt, um die Umgebung nach TTT abzusuchen. Brooklyn startete unterdessen in der Kommandozentrale einen zweiten Rettungsversuch. Nach den bisherigen Erfahrungen war innerhalb des Sperrgürtels, den die Pluuh um das Herrschaftsgebiet der Ysteronen gelegt hatten, Funk in jeder Form möglich. Nur nach außerhalb drang aus unbekannten Gründen kein Signal. Dadurch war jeder Kontakt zur restlichen SOL unmöglich. Die Magnidin ging bei ihren Überlegungen davon aus, daß es innerhalb der Raumkugel, in der man sich befand und in der auch das geheimnisvolle Ysterioon, die Heimat der Ysteronen, liegen mußte, auch noch andere Völker geben konnte. Man wußte ja praktisch nichts über diesen hermetisch abgeriegelten Teil der Kleingalaxis Flatterfeld, die von ihren Bewohnern All‐Mohandot genannt wurde. Von einem solchen vermuteten Volk erhoffte man sich Hilfe. Die Ortungs‐ und die Funkzentrale wurden bis zum letzten Platz besetzt. Die Antennen aller Energietaster und Funkgeräte richteten sich in den Raum, um Informationen zu sammeln. Drei Tage nach den Unruhen um die Heimwehkranken traf sich Atlan mit den beiden Magniden in der Nähe der Zentrale. Der Arkonide hatte die Suchaktionen nach dem alten Ysteronen
geleitet, während Brooklyn mit ihren Leuten den ganzen Raumsektor abgesucht und Palo Bow sich um die innere Ordnung und insbesondere um die Kranken gekümmert hatte. Die Unterredung der drei dauerte nur wenige Minuten, niemand wußte etwas Neues zu berichten. Von TTT gab es keine Spur. Der ganze Raumabschnitt, der mit den Sensoren der SZ‐2 erfaßbar war, war ohne besondere Merkmale. Es gab keine Funksignale oder energetische Tätigkeiten, die einen Hinweis auf das Vorhandensein von Raumschiffen oder intelligenten Lebewesen lieferten. Das einzige, was man unregelmäßig empfangen konnte, waren die seltsamen Hyperfunksymbole der Ysteronen. Deren Inhalt konnte man nicht entschlüsseln. Diese Sendungen kamen sowohl aus der Gegend, in der man das Ysterioon vermutete, als auch aus der Richtung der Sternenballung Bumerang. Hyperfunk war jedoch in diesem Fall eine nicht genaue Bezeichnung. Die Empfänger der SZ‐2 nahmen diese Signale zwar auf, aber es war eindeutig, daß sie den Sperrgürtel der Pluuh überwanden, was den Signalen der SZ‐2 oder der restlichen SOL nicht gelang. Die Ysteronen mußten also eine modifizierte Art Hyperfunk verwenden, mit dem sie die Absperrung der Pluuh mühelos überwinden konnten. Atlan war sich sicher, daß die Nickeldiebe daneben auch eine Möglichkeit besaßen, diese Absperrung körperlich zu umgehen, denn sonst wären die Ysteronen nicht auf den Welten der Molaaten in Bumerang aufgetaucht. Diese Vermutungen halfen ihm allerdings auch nicht weiter. An Bord der SZ‐2, so wußte Bow zu berichten, herrschte eine einigermaßen geregelte Ordnung. Es zeigte sich allerdings, daß die Solaner, die man anfangs für immun gegen die Heimwehkrankheit gehalten hatte, nach und nach auch der Sehnsucht nach der ganzen SOL verfielen. Für die Medo‐Stationen gab es also immer noch genug Arbeit, die Lage war jedoch nicht kritisch.
»Wir sind so schlau wie vor vier Tagen«, stellte Brooklyn resignierend fest. »Was soll nun geschehen?« »Ich werde eine Lösung finden«, versprach Atlan. Aber er mußte gleich hinzufügen, daß er noch keinen blassen Schimmer davon hatte, wie diese aussehen würde. »Wie lange halten die Buhrlos es noch aus?« fragte die Magnidin. »Vielleicht drei, höchstens vier Wochen«, antwortete Palo Bow. »Ich gehe jetzt selbst auf die Suche nach dem verrückten Ysteronen«, erklärte der Arkonide. »Er ist unser letzter Hoffnungsschimmer.« »Wir sollten über Funk Notrufe absetzen«, verlangte Brooklyn, »bevor es zu einer Katastrophe kommt. Wir gehen hier ja ein.« Atlan schüttelte den Kopf. »Wenn alle Stricke reißen«, sagte er, »bin ich mit dieser Maßnahme einverstanden. Wir sollten aber noch warten, denn jedes Funksignal verrät den Ysteronen, daß wir hier sind.« »Und wie lange willst du noch warten?« wollte Palo Bow wissen. »Eine Woche, vielleicht zwei. Es hängt davon ab, was sich weiter tut.« * Eine knappe Stunde später war Atlan mit einem Antigravgleiter unterwegs. Zu seinen Begleitern gehörten Argan U, Girgeltjoff und der Solaner Breckcrown Hayes. Der baumgroße Ysterone hatte Schwierigkeiten, seine vier langen Säulenbeine in dem Fahrzeug unterzubringen, und Argan riet ihm fast pausenlos zu neuen Versuchen, wie er dies tun sollte. Girgeltjoff, der in mancher Hinsicht das Gemüt eines Jugendlichen besaß, versuchte, sämtliche Ratschläge des Puschyden zu befolgen. Das endete damit, daß er auf zwei Beinen hockte und die beiden anderen über den offenen Gleiter ins Freie baumeln ließ.
»Vielleicht wollte er sterben«, sagte der Ysterone unvermutet. »Wer?« Atlan drehte sich halb um, denn er steuerte den Gleiter selbst. »Der Erzähler«, meinte Girgeltjoff. »Wie kommst du darauf.« Argan Us Worte klangen wie ein Vorwurf. »Auf mich machte er einen ganz frischen Eindruck.« »Nur wenn er redete«, widersprach der Ysterone und versuchte eine bequemere Haltung zu finden. Seine für den riesigen Körper viel zu kleinen Arme fuhren hilflos durch die Luft. »Ich habe einmal einen Ysteronen erlebt, der kurz vor dem Tod stand. Er zeigte ähnliche Verhaltensweisen wie Traug‐Tul‐Traug.« »Warum hast du das nicht eher gesagt«, warf Hayes Girgeltjoff vor. Der blickte verschüchtert. »Es ist mir eben erst aufgefallen. Außerdem kann ich mich irren.« »Eben erst aufgefallen«, wiederholte der Solaner. »Und vor vier Tagen hast du den Alten zuletzt gesehen?« »Natürlich.« Atlan winkte ab. »Laß ihn, Breck. Denk daran, was der arme Kerl schon durchgemacht hat.« Breckcrown Hayes schwieg. »Wie ist das, wenn ein Ysterone stirbt«, fragte Atlan den Riesen. »Traurig«, antwortete Girgeltjoff. »Alle Sünden seines langen Lebens fallen ihm ein. Dann überwältigt ihn sein Schamgefühl, und er geht dahin.« »Das meine ich nicht. Wird er beigesetzt, oder was macht man mit dem Leichnam?« »Man entfernt alles Nickel von ihm.« »Und dann?« »Dann verkriecht er sich und wird irgendwann zu Staub.« Hayes wollte wegen dieser unlogischen Antwort schon wieder etwas sagen, aber Atlan kam ihm zuvor. »Wenn TTT wirklich sterben wollte, und sein tagelanges
Verschwundensein läßt dies sogar in den Bereich der Möglichkeiten kommen, wohin hat er sich dann begeben?« Girgeltjoff starrte den Arkoniden an. »An einen einsamen Ort, vermute ich«, sagte er dann. »Auf diesem Planeten ist jeder Ort einsam«, plapperte Argan U dazwischen. »Ihr solltet einmal nach Cur‐Cur U kommen. Da ist immer etwas los. TTT könnte sich dort nicht verstecken.« »Sieh dich hier um, Girgeltjoff.« Atlan deutete hinaus in die Landschaft. »Wenn du sterben müßtest, wohin würdest du dich begeben?« Der Ysterone drehte seinen Kopf und blickte in alle Richtungen. »In die Berge«, meinte er dann. Atlan wendete den Gleiter und steuerte das nächste Gebirge an. Schroffe Felsen ragten schon bald dicht vor ihnen auf. Hier wuchsen nur noch niedrige Pflanzen mit knochigen Hölzern. Er zog den Gleiter immer höher, um möglichst große Teile der Landschaft überblicken zu können. »Hier war gestern schon ein Suchtrupp«, behauptete Breckcrown. Er hielt eine Karte in der Hand, die die Bordpositronik der SZ‐2 angefertigt hatte. In ihr hatte der Solaner alle Gebiete eingetragen, in denen die Suchtrupps gewesen waren. »Wir sollten es weiter im Westen versuchen.« »Wo ist Westen?« wollte Argan U wissen. »Dort!« Hayes hob einen der kleinen Ärmchen des orangegeschuppten Puschyden hoch und deutete zur Seite. Atlan nickte nur und gab dem Gleiter eine neue Richtung. »Stop!« rief Hayes plötzlich. Der Arkonide hielt an. Hayes starrte mit einem Fernglas nach unten. Dabei beugte er sich weit über den Rand des Gleiters, so daß Argan U einen entsetzten Schrei ausstieß. Mitten in der felsigen Gebirgslandschaft lag ein kleines Stück grasbewachsener Fläche. Dort mußte eine Quelle sein, denn in
dieser Höhe hatten sie einen so starken Pflanzenwuchs nirgends mehr gesehen. »Ich sehe Fußspuren in dem Gras«, behauptete Hayes, »die nur von TTT stammen können. Oder bist du da unten schon herumgelaufen, Girgeltjoff?« Der Ysterone verneinte, während Atlan den Gleiter nach unten absacken ließ. Tatsächlich fand man eine deutliche Spur, die eigentlich nur von dem vierbeinigen Alten herrühren konnte. Das armlange Gras hatte sich teilweise schon wieder aufgerichtet. »Mindestens zwei Tage alt«, stellte Atlan fest. »Wenn es geregnet hätte, wären die Spuren längst verwischt.« »Was du alles weißt«, staunte Argan U. »Was mag ihn hierhergetrieben haben?« sinnierte der Arkonide. »Fast möchte ich glauben, was Girgeltjoff über den Tod TTTs vermutet.« »Er ist in diese Richtung gegangen.« Breckcrown Hayes deutete auf eine mehrere hundert Meter breite Geröllhalde, die sich über den vor ihnen ansteigenden Gebirgszug erstreckte. Atlan setzte den Gleiter wieder in Bewegung. Diesmal blieb er dicht über der Oberfläche und versuchte den Spuren zu folgen, so lange man sie erkennen konnte. Als das Grün des Grases felsigem Untergrund wich, wurde die Sache schon schwieriger. Aber auch hier gab es noch Hinweise, die das scharfe Auge des Arkoniden deuten konnte. Ein Koloß, wie der mehrere Tonnen schwere Traug‐ Tul‐Traug hinterließ selbst hier noch eine Fährte. Dann aber verwandelte sich der Untergrund in blanken Fels, und die Spur war weg. Atlan zog den Gleiter wieder höher. »Er muß hier irgendwo sein.« Argan U hielt eine Hand über die Augen und blickte wichtigtuerisch über die Abhänge. »Er kann noch meilenweit gegangen sein«, meinte Hayes. »Wir haben ja auf Worsian‐IV erlebt, welche Strecke Girgeltjoff in kürzester Zeit überwunden hat.«
»Ich bin noch jung«, widersprach der Ysterone. »Daß Traug‐Tul‐ Traug es bis in diese Höhe geschafft hat, wundert mich schon. Ich hätte es ihm nicht zugetraut.« »Dann muß er hier sein«, wiederholte der Puschyde noch einmal. Er kletterte an dem Ysteronen hoch, der ihm dabei half. So hatte U einen noch besseren Überblick. »Seht ihr«, plapperte der Kleine dann. »Da ist er ja.« Sein Ärmchen deutete auf einen Felsvorsprung, der aus einer Steilwand ragte. Tatsächlich lag dort eine Gestalt. Atlan lenkte den Gleiter über einen mehrere hundert Meter tiefen Abgrund auf die Stelle zu. Das Felssims war etwa zwanzig Meter breit und ragte knapp zehn Meter über den Abgrund. Ein normaler Zugang zu dieser Stelle war nicht zu erkennen. Dort, wo der Vorsprung in die senkrechte Wand überging, hockte der alte Erzähler der Ysteronen mit dem Rücken zur Wand. Seine vier Beine waren seltsam verrenkt, so daß Atlan annahm, er sei hier abgestürzt. Er landete den Gleiter und sprang hinaus. Die anderen folgten ihm. »Er ist tot«, stellte Girgeltjoff fest, als sie TTT erreicht hatten. »Er starb friedlich an Altersschwäche, und da er das geahnt hat, hat er sich diesen einsamen Ort gesucht. Von ihm wirst du nichts mehr erfahren.« Atlan blickte an der senkrechten Felswand hoch. »Wie ist er hierher gelangt?« fragte er. »Oder ist er abgestürzt.« Hayes deutete ebenfalls auf den Felsen. »Dort sind Spuren. Es klingt unwahrscheinlich, aber es sieht so aus, als sei er tatsächlich von oben herabgeklettert.« »Dann war unsere Suche zwar erfolgreich«, bemerkte Argan U, »aber letztlich doch völlig sinnlos. Der Alte kann nicht mehr reden.« Girgeltjoff hatte sich ein paar Meter von den anderen entfernt. Er starrte in den Abgrund und dann auf den Boden zu seinen Füßen.
Plötzlich stieß er einen spitzen Schrei aus. »Reden kann er nicht mehr, Argan«, rief er aufgeregt. »Aber er hat uns eine Botschaft hinterlassen.« Atlan trat zu dem Riesen. »Welche Botschaft?« »Bleib stehen, Atlan«, verlangte Girgeltjoff. »Es ist ja schon fast alles zerstört. Diese Zweige hier«, er deutete auf die verdorrten Äste, die scheinbar ungeordnet herumlagen, »sind einwandfrei absichtlich so gelegt worden. Sie sind geordnet gewesen, als wir kamen. Leider habt ihr durch euer Getrampel alles kaputt gemacht. Es sind Symbole in unserer Schrift.« »Getrampel«, schimpfte Argan U. »Der einzige, der hier trampelt, bist du.« »Hört auf zu streiten«, fuhr Atlan dazwischen. »Was steht dort?« Girgeltjoff drehte seinen Kopf hin und her. »Ein paar Brocken kann ich noch entziffern. Das meiste ist aber von uns selbst so in Unordnung gebracht worden, daß es keinen erkennbaren Zusammenhang mehr ergibt. Ich lese da das Wort Raumschiff, das Wort Tod, und Gefangenschaft und Nickel.« »Mit diesen verrückten Äußerungen des Alten können wir wenig anfangen«, brummte Breckcrown Hayes. »Das stimmt«, gab Atlan zu. »Würdest du alles lesen können, Girgeltjoff, wenn die Zweige wieder in ihrer ursprünglichen Form auf dem Boden lägen?« »Bestimmt«, antwortete der Ysterone. »Aber das geht ja wohl nicht. Es wurde durch uns vieles zerstört. Ich selbst bin auch daran schuld.« »Bitte kein erneutes Gejammer.« Argan U drohte seinem neuen Freund mit dem Finger. »Wartet und tretet zur Seite«, bat Atlan. Dann ging er vorsichtig zu dem Gleiter zurück und stellte sich an die Stelle, an der er als erster das Fahrzeug verlassen hatte. Er schloß die Augen und rief sich die Erinnerung an diesen Moment zurück.
Auf sein fotografisches Gedächtnis konnte er sich verlassen, auch wenn es um etwas so scheinbar Belangloses ging, wie herumliegendes Reisig. Einfach war die Sache trotzdem nicht. Breckcrown Hayes, Argan U und Girgeltjoff staunten jedoch nicht schlecht, als Atlan begann, die Zweige neu zu ordnen. Schon nach den ersten Handgriffen klatschte der Ysterone begeistert in die Hände. »Gut«, rief er. »Das ergibt einen Sinn. Es heißt …« »Halte endlich den Mund«, brüllte Argan stimmgewaltig nach oben. »Siehst du nicht, daß sich Atlan konzentrieren muß.« Sofort verstummte der Riese. Atlan arbeitete in aller Ruhe. Er benötigte jedoch fast eine Stunde, bis er fertig war. »Das war es wohl«, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die harte Konzentration hatte ihm viel abverlangt. »Dürfen wir jetzt Beifall klatschen?« fragte der Puschyde. »Erst möchte ich wissen, welche Botschaft TTT hinterlassen hat. Daß er es überhaupt getan hat, ist ein Zeichen dafür, daß er mit unserem Auftauchen gerechnet hat.« Girgeltjoff schritt die vier Reihen aus Zweigen mehrmals ab. Dann sagte er: »Auf mich wartet der Tod. Auf euch auch, denn dieser Planet bedeutet für euch die ewige Gefangenschaft. Euer Raumschiff ist mit dem Boden verschweißt oder verbunden, denn die Macht des Ysterioons verwehrt euch den Weiterflug. Niemals mehr werdet ihr in den Weltraum gelangen, es sei denn, ihr hättet ein Schiff, das zur Hälfte aus reinem Nickel besteht.« »Das ist alles?« fragte Atlan. Der Ysterone bestätigte das. Er las den ganzen Text noch einmal vor, wobei deutlich wurde, daß er bei dem Wort verschweißt oder verbunden Übersetzungsschwierigkeiten hatte. »Wenn ich diese Nachricht richtig verstehe«, meinte Breckcrown
Hayes, »dann hält uns eine Beeinflussung durch das Ysterioon vom Weiterflug ab. Das klingt doch sehr unwahrscheinlich, denn wir sind noch etwa vier Lichtjahre von dort entfernt. Wie soll das funktionieren?« Er erhielt keine Antwort auf diese Frage. »Wir haben einen Hinweis«, stellte Atlan fest, »den wir verfolgen sollten. Das ist mehr, als ich erhofft hatte. Wir fliegen zurück. Was soll mit TTT geschehen, Girgeltjoff?« »Bitte laßt ihn so liegen«, antwortete der Ysterone. »Es war sein Wille, daß er so starb.« Auf dem Rückflug lenkte Breckcrown Hayes den Gleiter. Er starrte den schweigenden Atlan mehrfach von der Seite an. »Ich sehe, wie es in deinem Kopf arbeitet. Störe ich dich, wenn ich dich etwas frage?« »Nein, frage nur.« »Glaubst du das, was der verrückte Alte uns da hinterlassen hat?« »Ich muß es glauben«, antwortete Atlan. »Es ist der einzige Hinweis, den wir haben, um Break‐2 wieder verlassen zu können. Es geht schließlich um unser aller Leben. In erster Linie natürlich um die Buhrlos, denn die werden nicht mehr lange leben, wenn wir keinen Ausweg finden.« Hayes nickte. »Du glaubst es also, weil du nichts Besseres weißt.« »So ist es wohl«, gab der Arkonide zu. »Dann hätte ich noch eine zweite Frage. Wie willst du die SZ‐2 in ein Schiff verwandeln, das zur Hälfte aus Nickel besteht?« »Das will ich nicht.« Atlan blickte den grauhaarigen Solaner ruhig an. »Ich will es nicht, weil es nicht geht.« 3. Noch am gleichen Tag fand in der SZ‐2 eine Krisensitzung statt. Als Raum hatte man einen Hangar ausgewählt, weil Girgeltjoff nicht in
die üblichen Konferenzsäle paßte und Atlan den Ysteronen unbedingt dabei haben wollte. Die beiden Magniden reagierten skeptisch auf den Bericht Atlans und die seltsame Botschaft, die Traug‐Tul‐Traug den Solanern hinterlassen hatte. »Abgesehen davon, daß es unmöglich ist, ein Schiff zur Hälfte aus Nickel zu gestalten«, sagte Palo Bow, »hätte eine solche Maßnahme auch nicht den geringsten Sinn.« »Ich bin da anderer Meinung«, widersprach Bjo Breiskoll. »Ich habe euch schon gesagt, daß ich verschiedene Strahlungen wahrnehme, die von dem Ysterioon oder seinem vermutlichen Standort ausgehen. Da die Ysteronen regelmäßig auf Nickelraubzüge gehen und nach Girgeltjoffs Aussage dieses Volk nicht ohne Nickel leben kann, muß es dort große Mengen davon geben. Wir wissen zwar nichts über den wirklichen Sinn dieser Ansammlung von Nickel, aber wir wissen, daß es dort benötigt wird. Was läge also näher, als daß man vom Ysterioon aus versucht, alles abzuhalten, außer natürlich Nickel.« »Ich kann da keinen Sinn erkennen«, maulte der Magnide. »Ich sehe auch keinen Sinn«, bestätigte Atlan. »Darum geht es ja auch nicht in erster Linie. Unser Ziel ist es erst einmal, die SZ‐2 von der unsichtbaren Fessel zu befreien. Das kann nur geschahen, wenn wir mit einer kleinen Einheit zu dem geheimnisvollen Ysterioon vorstoßen und die Ursache dieser Fessel beseitigen.« »Was sich die Ysteronen natürlich mit Freude gefallen lassen«, höhnte Palo Bow. »Damit rechne ich nicht gerade.« Atlan blieb sachlich. »Es scheint mir aber der einzige realisierbare Weg zu sein. Wenn jemand einen besseren Vorschlag zu machen hat, dann soll er ihn vorbringen.« Brooklyn strich sich über die Haare. »Wenn ich dich recht verstehe, Atlan, dann willst du mit einem Beiboot der SZ‐2 allein weiterfliegen. Dieses Beiboot müßte dann zur Hälfte aus Nickel bestehen. Da beginnt doch schon das Problem. Wenn wir alles
Nickel zusammenkratzen, das an Bord der SZ‐2 ist, dann macht dies nicht einmal die Hälfte der Masse eines Shifts aus.« »Ich habe nicht an ein Shift gedacht«, erklärte der Arkonide, »und auch nicht an eine Space‐Jet. Damit würden wir bei den Ysteronen bestimmt nichts erreichen. Ich brauche mindestens eine Korvette.« Palo Bow klatschte sich auf die Schenkel und brach in höhnisches Gelächter aus. »Du drehst wohl vollkommen durch, Arkonide«, rief er empört. »Eine Korvette, die zur Hälfte aus Nickel besteht. Das ist ein schlechter Witz.« »Du redest heute zuviel, Palo.« Brooklyn scheute nicht davor zurück, den Bruder der ersten Wertigkeit in der Gegenwart anderer Solaner zurechtzuweisen. »Dafür denkst du zu wenig. Ich habe Atlans Plan durchschaut. Wenn wir Nickel brauchen, dann müssen wir es uns beschaffen.« »Wir haben keine Anlage zur Umwandlung von chemischen Elementen an Bord«, sagte Bow. »Abgesehen von labormäßigen Möglichkeiten. Damit würden wir tausend Jahre brauchen, um die erforderliche Nickelmenge zu erzeugen.« »Break‐2.« Brooklyn deutete mit einem Finger nach unten. »Dieser verflixte Planet wird uns helfen. Wir müssen es so machen wie die Ysteronen. Sie holen sich das Nickel auch aus den Kernen von Planeten.« Palo Bows Augen weiteten sich. »Bravo, Schwester der ersten Wertigkeit. Das ist die Lösung. Nur mußt du mir jetzt noch erklären, wie du an das Nickel kommen willst.« »Ich habe mich in meinen Studien viel mit Planeten befaßt. Es muß gelingen. Allerdings brauche ich dazu die Hilfe der ganzen Besatzung der SZ‐2.« Brooklyn stand auf. »Auch die kleine Molaatin Sanny mit ihren Rechenkünsten kann mir sehr behilflich sein. Das erspart eine Menge Zeit, um die Positroniken mit allen möglichen Daten zu füttern.« »Ich freue mich«, gab Atlan zu, »daß du auf meine Vorstellungen
ansprichst, obwohl ich diese noch gar nicht ausgedrückt habe. Das technische Instrumentarium der SZ‐2 sollte uns genügen, um an die erforderliche Nickelmenge zu kommen. Allerdings brauche ich auch ein paar Leute und Roboter, denn während ihr auf Nickelsuche geht, werde ich eine Korvette umrüsten, damit sie das Zeug dann auch in großen Mengen an Bord nehmen kann.« »Ich helfe dir dabei«, warf Argan U in das Gespräch. »Wir werden uns über die Aufteilung schon einig, Atlan.« Brooklyn war plötzlich Feuer und Flamme. »Ich schätze, daß wir vielleicht zwei oder drei Wochen brauchen werden.« Nun stand auch Palo Bow auf. Er fuchtelte wild mit den Armen herum, bis man ihn endlich reden ließ. »Ich bin mit dem Plan einverstanden«, brummte er unwirsch, »aber nur weil wir keinen besseren haben. Was mich stört, ist eins: Wer gibt uns die Garantie, daß der alte Erzähler uns nicht einen Bären aufgebunden hat?« »Mit dieser Unsicherheit müssen wir leben«, antwortete der Arkonide. In der folgenden Woche verwandelte sich die Landschaft rings um den Landeplatz der SZ‐2 gewaltig. Zwei Personen waren es, die eine fast hektische Betriebsamkeit entwickelten, Atlan und die Magnidin Brooklyn. Die Frau hatte dem Arkoniden mehrfach versichert, daß sie das Problem der Nickelgewinnung lösen würde. Er solle sie nur in Ruhe arbeiten lassen. Die Solaner packten willig mit an, denn sie waren davon überzeugt, daß diese Arbeiten den ersten Schritt zur Rückkehr zur SOL darstellten. Atlan ließ unter Aufwendung aller Möglichkeiten der Traktor‐ und Antigravfelder eine Korvette aus einem Hangar nach draußen auf den Planeten bugsieren. Das war kein leichtes Unterfangen, denn auch bei dem 60 Meter durchmessenden Kugelschiff versagte der normale Antrieb vollständig. Man war auf die Hilfsinstrumente
der SZ‐2 angewiesen. Als das Schiff endlich unweit der riesigen Kugel der Solzelle im Freien stand, atmete Atlan auf. Er wußte aber, daß dies auch nur ein erster Arbeitstakt gewesen war. Nun begann der eigentliche Umbau. Atlan hatte dazu bereits konkrete Vorstellungen parat. Alle erforderlichen Einrichtungen, wie die Zentrale mit den Kontroll‐ und Steuereinrichtungen, die Funk‐ und Ortungsanlagen, sowie die Impulsgeschütze, die normalerweise dicht über der unteren Polschleuse angeordnet waren, wurden in die beiden obersten Decks verfrachtet. Dadurch wurde es dort natürlich etwas eng, aber durch diese Maßnahme und unter Inkaufnahme des Verzichts auf einer Reihe von normalen technischen Bestandteilen der Korvette wurde die untere Kugelhälfte fast völlig leer. Nur der zentrale Antigravschacht reichte noch durch das ganze Schiff. In den so gewonnenen Leerraum sollte das Nickel verstaut werden. Das unterste Deck konnte dafür aber nicht ausschließlich verwendet werden, denn Atlan wollte auch noch eine Space‐Jet mitnehmen, die natürlich auch einen Teil des Volumens für sich beanspruchte. In den Mannschaftsräumen wurde eine Kabine so vergrößert, daß Girgeltjoff darin gerade unterkommen konnte. Auch dafür mußte ein Durchbruch zum nächst niedrigeren Deck geschaffen werden, denn der Riese mit einer Körpergröße von fast 20 Metern brauchte auch dann, wenn er sich kleinzumachen versuchte, enormen Platz. Ohne den Ysteronen wollte Atlan den Flug aber nicht beginnen. Wenn man tatsächlich zu dem Ysterioon gelangen sollte, so würde ihm Girgeltjoff, der ja Vertrauen zu den Menschen gefaßt hatte, eine wertvolle Hilfe sein. In die Außenwand der Korvette wurde schließlich noch ein separater Eingang eingebaut, durch den Girgeltjoff an Bord gehen sollte. Zur Not konnte er aber auch durch die unteren Lagerräume ins Freie gelangen, allerdings nur dann, wenn man das dort vorgesehene Nickel wieder entladen hätte.
Noch gab es nur wilde Vermutungen über das, was sich in nächster Zeit abspielen würde. Atlan überzeugte sich zwischendurch davon, daß die Arbeiten Brooklyns vorangingen. Unterdessen stellte er seine Mannschaft zusammen. Neben der Stammbesatzung der Korvette, die aus sechzehn Solanern bestand, sollten Girgeltjoff, Argan U und Breckcrown Hayes den Arkoniden begleiten. Außerdem boten sich die fünf Molaaten an, aber Atlan entschied sich dafür, nur Oserfan und Sanny mitzunehmen. Bjo Breiskoll und Sternfeuer knobelten freundschaftlich aus, wer Atlan unterstützen sollte. Der Zufall entschied, daß Sternfeuer an Bord der Korvette den Flug mitmachen sollte. Durch die Nähe des Katzers hatte Sternfeuer ihre telepathischen Fähigkeiten so weit regeneriert, daß sie für eine längere Zeit in der Lage sein würde, mit Breiskoll geistigen Kontakt zu halten. Als Atlan schon glaubte, die Mannschaft sei komplett, erlebte er eine Überraschung. Palo Bow suchte ihn auf. Der dunkelhäutige Magnide betrachtete schweigend den fast beendeten Umbau der Korvette. »Hat sie schon einen Namen?« fragte er Atlan. »Ihre offizielle Bezeichnung ist SZ‐2‐D‐14«, antwortete der Arkonide. »Wir haben ihr den Eigennamen DUSTY QUEEN gegeben.« »Ich habe erfahren, wen du zur Mannschaft eingeteilt hast«, kam Bow auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. »Eine Person hast du vergessen.« »So?« Atlan zog die Stirn hoch. Der Magnide nickte. »Wir haben vom High Sideryt eine klare Anweisung bekommen, dich nie allein zu lassen. Also mußt du entweder mich oder Brooklyn mitnehmen.« Das war typisch für Chart Deccon, aber Atlan behielt seine Überlegungen für sich.
»Wenn ihr mir die Wahl laßt«, antwortete er, »so entscheide ich mich für Brooklyn.« Palo Bow nickte und zeigte damit an, daß er mit dem Vorschlag einverstanden war. * Aus der Sicht der Frau stellten sich die Ereignisse dieser arbeitsreichen Tage etwas anders dar. An Bord der SZ‐2 lebten rund 30 000 Menschen. Ein Teil davon war durch die Heimwehkrankheit ausgefallen, ein anderer Teil waren vorwiegend Frauen, Kinder und alte Menschen, die Brooklyn nicht für ihr Vorhaben gebrauchen konnte. Immerhin mobilisierte sie 9 000 Personen, die in drei Schichten rund um die Uhr arbeiteten. Da die Solaner wußten, um was es ging, scheuten sie vor keinen Mühen zurück. Auf die Buhrlos mußte die Magnidin ebenfalls verzichten, denn diese unterlagen einer Sonderbehandlung, um die Zeit bis zum nächstmöglichen Vakuumaufenthalt möglichst weit hinauszuschieben. Körperliche Anstrengungen waren in diesem Fall denkbar ungeeignet. Die Magnidin selbst lenkte alle Maßnahmen von einem Gleiter aus, mit dem sie fast ständig in der Nähe ihrer Baustelle war. Zuerst begann man damit, ein kreisrundes Loch aus dem Erdreich zu heben und das Material abzutransportieren. Dies geschah sowohl mit Hilfe der planetengebundenen Transporter, als auch mit den Traktor‐ und Antigravprojektoren der SZ‐2. Die Baustelle selbst lag nur 500 Meter vom Rand des Raumschiffs entfernt. Die Mulde, die zuerst erzeugt wurde, durchmaß 75 Meter und war anfangs 40 Meter tief. Der Rand des so entstandenen Beckens wurde mit den Desintegratorstrahlern so verschweißt, daß er nicht nur stabil sein
würde. Er konnte nun auch die Maschinen und Aggregate tragen, die Brooklyn am Rand aufstellen wollte. In den Werkhallen der SZ‐2 war man unterdessen damit beschäftigt, ein riesiges Gerüst zu bauen, das nach der Fertigstellung über die Mulde geschoben wurde. Darauf hoben die Solaner dann einen Hochleistungs‐Energieprojektor, der die eigentliche Arbeit verrichten sollte. Nach Brooklyns Plan wollte man sich regelrecht in den Planeten Break‐2 fressen, um bis zu dessen Kern vorzustoßen. Ein Team von Geologen war ununterbrochen damit beschäftigt, den inneren Aufbau von Break‐2 zu vermessen und die Schichten auszumachen, die gefährlich werden konnten. Der Planet war in vielen Beziehungen erdähnlich. So rechnete man damit, daß man auf Magmaströme stoßen würde, die besondere Abdichtungsmaßnahmen erforderlich machen konnten. Als der Energieprojektor zum ersten Probelauf angeworfen wurde, waren bereits sechs Tage seit dem Beschluß vergangen. Vielen Solanern ging alles zu langsam, und auch Palo Bow, der nicht einmal aus der SZ‐2 kam, hatte genug zu tun, um interne Schwierigkeiten zu meistern. Immer wieder kam es zu Auswüchsen durch Heimwehkranke oder Buhrlos. Atlan war während des Probelaufs in dem Kommandogleiter der Magnidin und verfolgte den meterdicken, glühenden Strahl, der sich in den Boden fraß. Als weiterer Test wurden nun die Energieschirme eingeschaltet, deren Aggregate an dem Beckenrand standen. Diese waren für den Notfall vorgesehen, wenn man auf eine Überdruckzone aus Magma, Wasser oder Gasen stoßen würde. Die komplizierteste Justierungsarbeit war jedoch der Aufbau der Maschinen für die Innenverkleidung des Bohrlochs. Hier leistete Sanny ganze Arbeit. Sie begleitete die Techniker und ermittelte in Sekundenbruchteilen die notwendigen Werte für die Einstellung. Brooklyn wollte ein »Rohr« von fünf Metern in die Tiefe treiben. Der eigentliche Desintegratorstrahl würde ein sieben Meter durchmessendes Loch herausfräsen. Die Seitenwände würden dann
aus dem verdampften Material gebildet werden und aus hochverdichtetem Gestein bestehen. Eine Gruppe von Ahlnaten hatte in aller Eile ein bekanntes Verfahren der Stahlerzeugung so modifiziert, daß es sich auf das Erdreich anwenden ließ. Man erreichte damit zwar bei weitem nicht die Werte, die beispielsweise die Außenhülle der SZ‐2 besaß. Brooklyn war sich jedoch sicher, daß ihr Bohrloch unter diesem molekülverdichteten Material stabil bleiben würde. Break‐2 besaß einen Durchmesser von 11 357 Kilometern. Das bedeutete nach den Schätzungen und Messungen der Geologen, daß man mindestens 4 800 Kilometer in die Tiefe vordringen mußte, um auf den begehrten Eisen‐Nickel‐Kern zu stoßen. Als die Molaatin Sanny von dieser Schätzung erfuhr, ließ sie sich alle bekannten Daten über Break‐2 geben, die man inzwischen ermittelt hatte. Dann stellte die Molaatin fest, daß man in 4 287 Kilometern auf Nickel stoßen würde. »Hast du eine Zeitberechnung durchgeführt?« fragte Atlan die Magnidin. Dem Arkoniden war bei der riesigen Strecke, die es zu überwinden galt, nicht ganz wohl. »Im günstigsten Fall brauchen wir zwölf Tage ab Beginn der eigentlichen Bohrung«, erklärte Brooklyn. Atlan registrierte nebenbei, daß die sechzigjährige Frau sich unter der freiwillig übernommenen Aufgabe verändert hatte. Sie war offener geworden und damit nicht mehr so starr in ihrer Meinung. Allerdings hatte sie sich auch äußerlich verändert. Der Charme, den sie auszustrahlen pflegte, war einer natürlichen Härte gewichen. Überhaupt wunderte sich Atlan über die Solaner, die unter der Belastung und der Aufgabe wie verwandelt waren. Erstmals sah er Ferraten, Ahlnaten und normale Solaner Hand in Hand arbeiten, ohne daß es zu Bevormundungen kam. Wenn es doch einmal kritisch zu werden drohte, war meist ein besonnener Mann zur Stelle, der den Streit schlichtete. »Zwölf Tage«, sinnierte Atlan. »Das würde bedeuten, daß du pro
Tag etwa 350 Kilometer schaffen willst. Das klingt reichlich phantastisch. Ich bewundere deinen Eifer und dein technisches Verständnis, aber du gestattest, daß ich Zweifel habe.« Brooklyn winkte ab. »Wir wollen mindestens 400 Kilometer pro Tag schaffen. Das ist nicht viel, wenn du weißt, wie unser Apparat arbeitet. Siehst du dort in der Mitte die Kugel über dem Energieprojektor?« Atlan nickte. »Das Ding habe ich zuerst anfertigen lassen. Es hat unten eine Öffnung. Durch die werden alle Aggregate in das Innere gebracht, wenn die Testläufe abgeschlossen sind.« »Alle Aggregate?« fragte Atlan, der sich wegen des Umbaus der DUSTY QUEEN nur wenig um die Aktivitäten der Magnidin gekümmert hatte. Brooklyn deutete auf den Hochleistungs‐Energieprojektor. »Der paßt hinein und außerdem der Wandler zur Erzeugung von molekularverdichteter Materie. Dann haben wir noch Platz für einen kleinen Energieprojektor, der ein Dichtungsfeld erzeugen kann, wenn etwas schiefgehen sollte. Die Positronik, die alles steuern soll, ist nur faustgroß.« »Ich verstehe«, sagte Atlan bewundern. »Du läßt diese Kugel mit den Maschinen in das Innere des Planeten dringen, und sie zieht dabei eine Röhre hinter sich her, die aus der umgewandelten Materie abgedichtet wird.« »So ist es. Und was geschieht, wenn die Kugel zerstört wird? Wir wissen viel über das Innere von Planeten, aber man ist doch nie vor einer Überraschung sicher.« Brooklyn wendete ihren Gleiter so, daß Atlans Blick auf die SZ‐2 fiel. Aus einer Schleuse dicht unter dem Ringwulst glitt an einem Antigravstrahl gerade eine zweite Kugel heraus. »Meine Reserve.« Brooklyn blickte auf ihre Uhr. »Sie wurde auf die Stunde genau pünktlich fertig. Außerdem ist an eine dritte Kugel mit allen Aggregaten gedacht. Mit ihrem Bau wird morgen
begonnen. Nach Sannys Berechnungen hält eine Kugel durchschnittlich fünf Tage. Das besagt wenig, denn es könnten uns die ersten beiden nach wenigen Stunden zu Bruch gehen, während die fünfte oder sechste über einen Monat hält. Mit dem Durchschnitt ist das so eine Sache.« Atlan spürte, daß das Problem der Nickelgewinnung bei Brooklyn in guten Händen war. Die Magnidin schien wirklich an alles gedacht zu haben. Er störte sie nicht weiter mit Fragen, denn Brooklyn bediente gleichzeitig drei Funkkreise zu den Leuten auf ihrer Baustelle. Sie hatte wahrlich genug zu tun. Am Abend des zwölften Dezember 3791 waren die Testläufe abgeschlossen. Die Scheinwerfer der SZ‐2 und der Baustelle Brooklyns tauchten die Landschaft in gleißende Helligkeit. Der fest installierte Desintegrator hatte ein Loch von zweihundert Metern Tiefe gebohrt, in das man die erste Kombikugel aus Hochleistungszerstrahler, Materiewandler und Schutzschirmprojektor hinab ließ. Die Mikropositronik war so vorbereitet, daß sie selbständig ihre Tätigkeit aufnehmen würde. Ebenfalls würde sie alle Störungen und Besonderheiten melden, die sich ergeben konnten. Eine eigens zusammengebaute Funkanlage, deren Wellenlänge auf den Durchmesser des zu bohrenden Stollens abgestimmt war, würde diese Nachrichten übermitteln. Über dem Bohrloch hing in dem Gestänge ein Umsetzer, der die Signale zur Zentrale der SZ‐2 leiten sollte. Brooklyn befahl alle Solaner an Bord der SZ‐2. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn es konnte Unvorhersehbares geschehen. So trafen sich Atlan, die Magniden und ein paar Dutzend der wichtigsten Leute in einem Konferenzsaal in der Nähe der Kommandozentrale. Palo Bow hatte inzwischen dort die notwendigen Geräte aufbauen lassen, mit denen man die Kugelsonde verfolgen und auch notfalls eingreifen konnte. Sie versammelten sich vor einem großen Datenschirm, der direkt die Angaben der Kugelpositronik wiedergab. Um Atlan scharten
sich die beiden Molaaten Oserfan und Sanny, Argan U, Breckcrown Hayes, Breiskoll und die Zwillinge Sternfeuer und Federspiel. »Start der Aktion in fünf Minuten«, verkündete Brooklyn zufrieden. Der Arkonide spürte aber, daß die Frau müde war. Sie hatte in den vergangenen Tagen nur wenige Stunden geschlafen. Auf dem Bildschirm leuchtete seit einiger Zeit eine Schrift. GRUND ERREICHT. ALLE SYSTEME BETRIEBSBEREIT. Darunter stand: NOCH 250 SEKUNDEN. Die Zahl wurde alle zehn Sekunden verringert. »Hast du auch alles richtig berechnet?« erkundigte sich Argan U bei Sanny. Die kleine Molaatin nickte. »Natürlich weiß ich nicht«, sagte sie dann, »ob man mir immer die richtigen Daten gegeben hat. Meiner Ansicht nach ist alles klar. Inzwischen weiß ich auch, daß der Durchschnittswert für die Lebensdauer von Brooklyns Kugel zwar nur ein paar Tage beträgt. Die Kugel, die jetzt auf dem Grund des Schachtes liegt, wird jedoch siebzehn Tage und vier Stunden halten. Damit braucht Brooklyn die Reservekugeln gar nicht. Ich verstehe leider nichts von dem technischen Krimskrams, sonst könnte ich es euch vielleicht sogar begründen.« »Das brauchst du nicht«, versicherte der Puschyde treuherzig. »Ich glaube dir auch so.« »Ich habe sogar schon berechnet«, plapperte Sanny weiter und strich sich dabei mit ihren zierlichen Händchen über ihren einteiligen Umhang, »wie lange eine solche Kugel in der Röhre bliebe, wenn Brooklyn ihr Rohr durch den ganzen Planeten gebohrt hätte.« »Wie meinst du das?« Der Puschyde wurde neugierig. »Stell dir vor, Argan«, erklärte die Paramathematikerin, »das Bohrloch reicht durch Break‐2 bis zur Gegenseite und du wirfst hier einen Stein oder eine Kugel hinein. Was geschieht dann?« »Ganz einfach.« Argan U strahlte, weil er die Lösung erkannt zu
haben glaubte. »Mein Stein fällt hinein und kommt auf der anderen Seite wieder heraus.« Sanny wollte antworten, aber Brooklyn bat jetzt um Ruhe. Die übermittelten Daten zeigten an, daß sich die Kugelsonde in wenigen Sekunden in Bewegung setzen würde. Auf dem Datenschirm wurden die Sekunden rückwärts abgezählt. Die über die Funkstrecke eingehenden Informationen waren das einzige, was man in der SZ‐2 unmittelbar erfuhr, denn die Massetaster konnten die Fünf‐Meter‐Kugel nicht oder nur ungenau von dem umgebenden Gestein unterscheiden. Bereits in wenigen Kilometern Tiefe würde man nur noch auf diese übermittelten Daten angewiesen sein. … VIER … DREI … ZWEI … EINS … … START … In dem Raum herrschte atemlose Stille. Die Solaner glaubten an diese Mission, die sie von dem Gebundensein an diese fremde Welt befreien sollte. Die wichtigsten Informationen wurden gleichzeitig in das Bord‐ Interkomnetz gespeist, so daß auch alle Solaner verfolgen konnten, was geschah. Zunächst meldete die Positronik aus der Kugelsonde nichts. Dann kam eine Schrift, die spontanen Beifall auslöste. ENDGESCHWINDIGKEIT VON 17 KM/H EINGENOMMEN. ALLE SYSTEME ARBEITEN FEHLERFREI. Brooklyn schlug dem neben ihr stehenden Palo Bow begeistert auf die Schulter. Der Neger sackte deutlich in die Knie. »Geschafft, Terranerin Sanny«, brüllte Argan U und verfiel dabei unwillkürlich in den alten Jargon der Terra‐Idealisten, zu denen er einmal gehört hatte. »Noch lange nicht, Argan«, wies ihn Sanny zurecht. »Die Sonde wird in zehn Tagen, zwölf Stunden und ein paar Minuten auf Nickel stoßen. Dann ist ein Teil geschafft.« »Sehr richtig«, bekräftigte Oserfan. »Dann beginnt ein neues
Problem, nämlich das Nickel an die Oberfläche zu schaffen.« »Du hast recht, Oserfan«, sagte Brooklyn. »Die Pläne dafür liegen bereits vor, aber es gibt noch viel zu tun.« Pünktlich nach einer Stunde meldete sich die Kugelsonde erneut. Sie hatte die vorherberechnete Tiefe von 17 Kilometern erreicht. Die Magnidin wollte sich ein paar Stunden zur Ruhe begeben und teilte eine Wachschicht ein, die aus dem Konferenzraum die weiteren Fortschritte verfolgen sollte. Wenn etwas Ungewöhnliches geschehen sollte, so wollte sie geweckt werden. Das Symbol des Funksenders in der Sonde leuchtete auf dem Datenschirm. Es war ein einfacher Stern, der den Solanern der SZ‐2 die Hoffnung gab, bald von Break‐2 befreit zu werden. Atlan wußte, daß dies nicht ohne Schwierigkeiten geschehen würde. Er achtete nicht auf Sanny und Argan U, die sich wieder um ihr Problem mit dem Stein in der planetaren Röhre unterhielten. Auch der Arkonide wollte ein paar Stunden ausspannen. Als er sich zum Gehen wenden wollte, erlosch der Stern auf dem Datenschirm. Gleichzeitig verschwand die letzte schriftliche Information. Brooklyn, die schon am Ausgang stand, wurde durch die entsetzten Schreie aufmerksam. Sie kam sofort zurück und tastete mehrere Abfragen in den Funksender, der in umgekehrter Richtung die Kugel im Planeteninnern erreichen sollte. Sie erhielt keine Antwort. Der Bildschirm blieb dunkel. Atlan stand neben ihr. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Das tat dann Argan U. »Kaputt«, sagte er mit trauriger Stimme. »Und unsere liebe Sanny hat sich total verrechnet.« Die Molaatin blickte verständnislos auf Atlan und den Puschyden. Aber sie schwieg. »Sanny kann sich nicht verrechnen«, behauptete Oserfan. Aber keiner der Anwesenden hörte auf ihn.
4. Der Freudentaumel wich lähmendem Entsetzen. Die Solaner, die mit Übereifer einem Hoffnungsschimmer nachgelaufen waren, sahen alles als zerstört an. Im Nu verbreiteten sich die wildesten Gerüchte über das, was mit Brooklyns Kugelsonde geschehen sein sollte. Die Wahrheit war jedoch, daß niemand einen konkreten Hinweis auf das geben konnte, was in der Tiefe geschehen war, denn es gab keinen Anhaltspunkt. Die Messungen der geologischen Instrumente, die noch in der Oberfläche von Break‐2 verankert waren, zeigten ebenfalls nichts, was den vermuteten Unglücksfall hätte begründen können. Brooklyn wollte sich nach dem Fehlschlag zurückziehen, aber Atlan hielt die Magnidin auf. »Du kannst jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen«, hielt er ihr vor. »Was kann ich nicht?« Die Augen Brooklyns waren gerötet, und ihre Körperhaltung zeigte, daß sie erschöpft war. »Du kannst nicht aufgeben.« Atlan hatte gemerkt, daß er eine Redewendung benutzt hatte, die Brooklyn nicht kannte. »Du bist so ziemlich die einzige Person, die über alles Bescheid weiß, was hier in den letzten Tagen geschehen ist. Du hast dich fest darauf verlassen, daß alles fehlerfrei funktioniert. Ein Rückfall ist noch lange kein Grund, alles hinzuwerfen. Wenn ich so gehandelt hätte, würde die SOL längst nicht mehr existieren.« Die Magnidin ließ sich schwer in einen Sessel fallen. Dankbar nahm sie die große Tasse Kaffee an, die ihr ein Ferrate reichte. Als sie ein paar Schluck davon getrunken hatte, blickte sie Atlan herausfordernd an. »Und was meinst du, Arkonide, soll nun geschehen?« »Wir müssen den Fehler finden. Du hast vorsorglich eine zweite Sonde bauen lassen. Wenn wir den Grund für den Ausfall der ersten
Kugel finden, können wir ihn bei der zweiten vermeiden.« Brooklyn lächelte verzweifelt. »Das klingt alles ganz gut. Wie aber sollen wir feststellen, was dort unten in etwa 20 Kilometern Tiefe geschehen ist? Wir müßten exakt wissen, warum die Sonde versagt hat.« »Das ist richtig«, gab Atlan zu. »Und da wir mit Fernmessungen bei diesen extremen Verhältnissen nichts erreichen können, gibt es nur einen Weg. Jemand muß hinunter und nachsehen.« Jetzt lachte die Magnidin entsetzt auf. »Mich kriegst du da nicht hinunter. Ich glaube auch nicht, daß es einer der Solaner wägen wird, sich in das Innere eines Planeten zu begeben. Vergiß nicht, was wir für Menschen sind. Für uns ist das normale Leben das in der SOL und mit ihr im freien Weltall. Allein hier auf der Oberfläche eines Planeten sein zu müssen, weckt bei den meisten furchtbare Gefühle. Aber in einen Planeten zu gehen, das ist für uns wohl schrecklicher, als ohne Raumanzug ins Vakuum gestoßen zu werden.« Die umherstehenden Frauen und Männer murmelten zustimmende Worte. »Dann gehe ich eben«, erklärte Atlan. Aber davon wollte Brooklyn auch nichts wissen. »Das werden Palo und ich nicht zulassen«, sagte sie entschieden. »Du hast uns in diese Misere gebracht, und du führst uns auch wieder hinaus.« »Genau das habe ich vor. Warum soll ich also nicht vor Ort prüfen, warum die erste Sonde versagt hat?« »Das Risiko ist zu groß. Wenn du nicht zurückkehrst, bricht hier alles zusammen. Ich leugne nicht, daß du es warst, der mich animiert hat, den Plan mit der Nickelgewinnung zu verfolgen. Du hast diesen Hoffnungsschimmer entstehen lassen, und das hat sich auf alle Solaner übertragen. Noch einmal, ich lasse dich nicht da hinunter in diese unbekannte Hölle.« Der Arkonide sah ein, daß er mit seinen Vorstellungen auf Granit biß. So sehr wie ihn das Vertrauen erfreute, das aus Brooklyns
Worten sprach, so sehr mußte er aber bedauern, daß sich die Solaner in mancher Beziehung zu einem exzentrischen Völkchen entwickelt hatten. Der kleine Puschyde Argan U drängte sich durch die Umherstehenden an Atlans Seite. »Ihr redet am Kern der Sache vorbei«, behauptete er etwas überschwenglich. »Atlan ist sowieso für die Röhre etwas zu groß. Er kann da nicht hinunter. Das ist eine Sache für ein kleines Kerlchen, wie ich es bin. Ich habe auch keine Angst vor Planeten oder deren Innern.« Atlan blickte zu dem Puschyden hinab. »Es ist sehr lieb von dir, daß du dich anbietest. Aber die Sache ist kein Zuckerlecken.« »Das kann ich mir vorstellen, aber mein Destilliergerät möchte ich trotzdem mitnehmen.« Nun mußte der Arkonide lächeln, denn der Puschyde hatte ihn offensichtlich ganz falsch verstanden, als er vom Zuckerlecken sprach. Er wandte sich noch einmal an Brooklyn. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich der Sache annehme? Wir werden einen Weg finden.« »Du hast freie Hand«, erklärte die Magnidin. »Hört zu Leute.« Atlan hob seine Stimme. »Wir legen eine Pause bis Mitternacht ein. Ihr alle habt Ruhe verdient. Dann treffen wir uns unten am Bohrloch. Ich will zunächst versuchen, durch Messungen herauszufinden, was geschehen ist. Führt das zu keinem brauchbaren Erfolg, so werden wir den Plan verfolgen, jemand in die Tiefe zu schicken. Wer und wann das sein wird, entscheiden wir später.« Kurz darauf verließ Atlan den Raum. Argan U und Sanny schlossen sich ihm an. »Wenn ich Argan begleiten soll«, meinte die Molaatin behutsam, »so bin ich dazu bereit. Ich will gern meinen Beitrag zur Lösung des Problems beitragen.« »Ich glaube, du hast ein schlechtes Gewissen«, antwortete Atlan
freundlich, »weil du dich zum erstenmal verrechnet hast. Das kann jedem passieren, und deswegen braucht man kein sinnloses Opfer zu bringen.« »Ich weiß nicht«, sagte die Paramathematikerin von Heimat‐11, einer Welt, die nicht mehr existierte, »ob ich mich verrechnen kann.« * Sie trafen sich eine halbe Stunde nach Mitternacht Planetenzeit an dem Bohrloch. Roboter hatten bereits das Gelände und die Baustelle abgesucht und nichts Gefährliches entdeckt. Man mußte ja damit rechnen, daß Giftgase oder andere gefährliche Stoffe aus dem Innern des Planeten durch das Bohrloch nach außen drangen. Nichts von alledem war jedoch der Fall. In Atlans Begleitung befanden sich die führenden Leute aus Brooklyns Technikerstab. Viele davon waren SOLAG‐Leute, aber die jüngsten Ereignisse hatten mehr und mehr die Grenzen innerhalb dieser Hierarchie verwischen lassen. Argan U hatte es sich nicht nehmen lassen, auch dabei zu sein. Die Molaaten waren auf Atlans Bitte in der SZ‐2 geblieben, aber Bjo Breiskoll und Breckcrown Hayes waren mit von der Partie. Ganz zum Schluß kam auch noch Brooklyn mit ihrem Gleiter aus der Solzelle. »Ihr werdet doch nicht ohne mich etwas versuchen«, schimpfte die Magnidin mit gespieltem Zorn, während sie aus dem Fahrzeug stieg. Über eine Rampe gelangte man unmittelbar an die Öffnung in das Planeteninnere. Roboter hatten hier bereits die Meßgeräte aufgestellt, mit denen Atlan eine erste Erkundung durchführen wollte. Im Prinzip handelte es sich dabei um verschiedene Verfahren, die mit Echoloten und Radargeräten vergleichbar waren. »Es ist fraglich«, erläuterte der Arkonide, »ob wir so zuverlässige
Ergebnisse bekommen. Die Form der Röhre und ihre vergleichsweise große Länge zum Durchmesser kann vieles verfälschen.« »Die Atmosphäre hat sich weitgehend stabilisiert«, sagte einer der Techniker. Er meinte damit die Luft in der Bohrröhre. »Allerdings klingen undefinierbare Geräusche von unten herauf.« Er schaltete einen Verstärker ein, der die Signale eines Mikrofons, das in dem Loch hing, für alle hörbar übertrug. Die Klänge, die an ihre Ohren drangen, waren in der Tat unerklärlich. Manchmal plätscherte es wie ein Wasserfall, dann wieder war völlige Stille, und dann hörte man ein deutliches Klappern. »Wir vermuten, daß es sich um überlagerte Klänge handelt«, versuchte ein anderer Techniker eine Deutung. »In der Röhre kommt es zu stehenden Wellen, Überlagerungen mit Auslöschungen und Verstärkungen. Auch die Laufzeitunterschiede zwischen direkter Ausbreitung und Mehrfachreflexion an der künstlichen Wandung kann undeutbare Verzerrungen erzeugen.« Die Meßvorrichtungen wurden nun in Betrieb genommen. Schon nach den ersten Versuchen zeigten sich völlig widersprechende Anzeigen. Auf Ultraschallbasis wurde die Tiefe des Loches mit 3,2 Kilometern angegeben. Verrückte man das Gerät jedoch um einen halben Meter zum Rand des Bohrlochs, so stieg dieser Wert auf 7,9 Kilometer. »Die Sache ist klar«, meinte Brooklyn. »Unsere Kugelsonde ist nicht exakt senkrecht zum Mittelpunkt von Break‐2 vorgedrungen. Aus irgendwelchen Gründen ist sie von der exakten Linie abgewichen. Es mag an Hohlräumen liegen, durch die sie gefallen ist, oder an unterschiedlichen Massekonzentrationen im Planeteninnern. Je länger ich über alle Eventualitäten nachdenke, desto deutlicher wird für mich, daß unser Versuch scheitern mußte.« Atlan ließ sich von dieser pessimistischen Aussage nicht
beeinflussen. Er gab den Männern einen Wink, damit die Röhre nun mit anderen Geräten vermessen wurde. Aber selbst ein haardünner Laserstrahl versagte, weil die Eigenkrümmung des Bohrlochs ihn zwangsläufig gegen eine Seitenwand brechen ließ. Auch hier waren verschiedene Messungen derart, daß sie alle völlig unterschiedliche Werte erbrachten. Zum Schluß wurde ein Funksender in Betrieb genommen, dessen Wellenlänge identisch mit der Kugelsonde war. Diese Frequenz war ja auf die Abmessungen des Bohrlochs abgestimmt und würde sich auch dann exakt ausbreiten, wenn das Loch leicht gekrümmt war. Die elektromagnetische Energie würde jede Krümmung mitmachen. Die an das Funkgerät angeschlossene Meßeinheit diente zur Laufzeitbestimmung einzelner Impulse, so daß man – ähnlich wie bei einem herkömmlichen Radar – die Entfernung und damit die Tiefe des Bohrlochs erfahren würde. Über das, was auf dem Grund und was mit der Kugelsonde geschehen sein konnte, bekam man freilich keine Informationen. Aber auch diese Messung brachte eine Enttäuschung, denn der berechnete Wert war absurd. 63,2 Kilometer lautete die Anzeige. »So erreichen wir nichts«, stellte Brooklyn fest. »Unter diesen extremen Verhältnissen versagen einfach alle unsere Methoden. Allmählich komme ich auf einen Vorschlag Palo Bows zurück, den er mir heute Abend unterbreitet hat.« »Ich höre«, sagte Atlan, während man über die Gerüste in Richtung SZ‐2 ging. »Wir begeben uns alle an Bord der SZ‐2«, erklärte Brooklyn. »Dann fahren wir die Schutzschirme hoch und veranstalten einen Feuerzauber, der diesen verflixten Planeten in Staub und Asche auflöst. Dann sind wir frei.« »Ich habe auch schon an diese Möglichkeit gedacht«, antwortete der Arkonide. »Sie scheidet jedoch aus. Nicht der Planet hält uns fest. Es ist die Strahlung, die aus dem Ysterioon kommt. Dort liegt die Wurzel allen Übels.«
An der Eingangsschleuse erwarteten Atlan die beiden Molaaten Oserfan und Sanny. »Na, wie warʹs?« fragte die Kleine neugierig. Atlan winkte nur ab. »Nichts, Sanny. Wir kommen nicht umhin, jemand nach unten zu schicken, der nachsieht, was uns aufhält.« Die Paramathematikerin machte ein betretenes Gesicht und schloß sich der Gruppe an, die durch einen Korridor zum nächsten Antigravschacht eilte. »Es wird nichts aus dem Stein«, meinte Argan U zu der Molaatin, »der durch den ganzen Planeten fliegen soll. Unsere Sonde steckt fest.« »Habt ihr nicht wenigstens feststellen können, in welcher Tiefe?« wollte Oserfan wissen. Der Puschyde erzählte von den verrückten Meßwerten und, wie er es nannte, dem »krumm gewordenen Bohrloch«. Als er sagte, daß die Funkmessung den idiotischen Wert von 63,2 Kilometern erbracht hatte, stieß Sanny einen spitzen Schrei aus. »Atlan«, rief sie und klatschte dabei in die Hände. »Ich habe mich nicht verrechnet. Es ist jetzt knapp eine Stunde nach Mitternacht. Gestern Abend gegen 21 Uhr ist die Kugel gestartet. Es ist eine so einfache Rechnung, daß ich mich wundere, daß ihr es nicht gemerkt habt. Die Sonde muß jetzt etwa 68 Kilometer erreicht haben. Als ihr gemessen habt, waren es 63,2. Sie ist unterwegs, Atlan. Sie kann nicht versagt haben. Ich weiß es. Daß keine Signale mehr kommen, muß einen anderen Grund haben. Vielleicht …« Hier brach sie ab, denn trotz ihrer phantastischen Fähigkeiten, komplizierteste Berechnung exakt in Sekundenbruchteilen zu einem richtigen Ergebnis führen zu können, verstand die Paramathematikerin nichts von technischen Dingen. Oserfan beendete den begonnenen Satz. »Vielleicht ist nur die Funkanlage ausgefallen«, vermutete er. »So etwas kann Sanny natürlich nicht berechnen.« »Ein neuer Hoffnungsschimmer?« fragte Atlan laut.
Dann ließ er Brooklyn holen, die sich gerade in den Antigravschacht schwingen wollte. Er erklärte ihr, welche Vermutung die beiden Molaaten aufgestellt hatten. »Es klingt phantastisch, und es wäre zu schön, um wahr zu sein«, war alles, was die Magnidin dazu sagte. »Wir brauchen Gewißheit«, unterstrich auch Breckcrown Hayes. »Dann steht nicht herum«, schimpfte Argan U. »Baut endlich die zweite Kugel so um, daß ich hineinpasse und damit nicht nur nach unten gehe, sondern auch wieder herauskomme.« »Du bist ein tapferer, kleiner Kerl, Argan«, sagte Atlan herzlich. »Willst du das wirklich wagen?« Der Puschyde deutete auf sein Destilliergerät, von dem er sich nie trennte. Für einen Moment lagen seine Augen auf Hayes, der ihm das auf Worsian‐IV verlorengegangene Gerät durch ein kleineres und handlicheres ersetzt hatte. »Wenn ich meine Destille mitnehmen kann«, strahlte der Kleine, »dann reise ich sogar zum Mittelpunkt von Break‐2. Oder zum Mittelpunkt des Universums. Die Sache geht klar. Vielleicht kann ich bei dieser Gelegenheit auch ausprobieren, was mit Sannys Stein geschieht.« »Ich fürchte«, lächelte Atlan, »dazu wirst du weder Zeit noch Gelegenheit haben.« * Die zweite Kugelsonde wurde noch in der gleichen Nacht wieder an Bord der SZ‐2 gehievt, um sie so umzubauen, daß Argan U und eine ausgefeilte Meß‐ und Prüfeinrichtung darin Platz hatten. Ferner sollte eine Antigrav‐Plattform installiert werden, die es ermöglichte, die Kugel nach Belieben zu steuern. Bei der Bohrsonde war nur ein einmaliges Abwärtsfahren und eine Rückkehr nach oben möglich, wobei die Werte für ein wenig
geschütztes Lebewesen unverträglich waren. Schließlich war man ja davon ausgegangen, daß es sich um ein unbemanntes Objekt handelte. Es zeigte sich sehr bald, wie recht der Puschyde mit seiner Behauptung gehabt hatte, Atlan sei zu groß für die Planetensonde. Es wurden nämlich auch verfügbare Reserveaggregate eingeladen, insbesondere eine verbesserte Funkausstattung, die Argan in die Sonde einbauen sollte, falls deren Anlage wirklich ausgefallen sei. Die Umbauarbeiten wurden mit Hochdruck vorangetrieben. Dennoch würde man zwei Tage benötigen. Diese Zeit brauchte Atlan aber auch, um Argan in seine Aufgabe einzuweisen. Da es mit der Intelligenz des orangeroten Bärenwesens vom Planeten Cur‐Cur U nicht sehr gut bestellt war, kam der Arkonide nicht umhin, Hypnoschulungen den Vorrang vor weitschweifigen Erklärungen zu geben. Breiskoll und Sternfeuer überwachten abwechselnd telepathisch das erworbene Wissen Argans. Man wollte diesmal keinen Fehler machen, und schließlich hing von einer gründlichen Vorbereitung vielleicht auch das Leben des Extras ab. Bei der Schulung zeigte sich, daß Argan leicht und schnell lernte, aber daß ihm das notwendige Verständnis für technische Zusammenhänge doch fehlte. Zur Sicherheit wurde daher eine zweite Positronik in die Sonde installiert, die notfalls einen Teil des Prüfprogramms selbst durchführen und außerdem den Puschyden beraten konnte. Während dieser Vorbereitungen wurden an dem Bohrloch ständig weitere Messungen auf der Basis der Funkimpuls‐Reflexion durchgeführt. Dabei bestätigte sich zunächst Sannys Behauptung, denn die ermittelten Tiefenwerte entsprachen Brooklyns Vorherberechnungen über die Eindringtiefe des Desintegrators. Schon am zweiten Tag stellte sich aber heraus, daß die zurückkommenden Echos zunehmend schwächer wurden. Einen Grund dafür konnte man nicht feststellen, aber für Atlan und Brooklyn war dies ein Grund mehr, Argan U an den Ort des
Geschehens zu schicken. Am vierten Tag nach dem Start der Kugelsonde verschwanden die reflektierten Echos vollständig. Die Wissenschaftler stellten eine Reihe von Theorien auf, aber das half nicht weiter. Als Argans Vorbereitung und Ausbildung abgeschlossen waren, kam der letzte Takt. Man steckte den Puschyden in einen umgebauten Raumanzug, der den besonderen Gegebenheiten angepaßt war. Die Schwerkraft ließ zwar zum Mittelpunkt des Planeten hin ständig nach, dafür nahm der Luftdruck aber erheblich zu. Außerdem würden in der Innenzone von Break‐2 teilweise Temperaturen herrschen, die besonders abgeblockt werden mußten. Ein Problem bei diesem Raumanzug war die Unterbringung des Destilliergeräts, auf das U keinesfalls verzichten wollte. Da das Gerät im Innern des Raumanzugs bleiben mußte (es hätte diesen Einsatz wegen der Temperatur‐ und Druckverhältnisse nicht überstanden und schon in einer Tiefe von etwa fünf Kilometern seine Funktion eingestellt), sah Argan reichlich unförmig aus, als er in die Planetensonde stieg. Er verabschiedete sich mit einem Lächeln. »Der Kerl verspürt wirklich keine Angst«, stellte Bjo Breiskoll fest. »Es muß an seinem sonnigen Gemüt liegen.« Die Antigravprojektoren schoben die Kugel direkt über das Bohrloch. Noch einmal wurden die Funkverbindungen überprüft, dann kam das Startsignal. Nun war der Puschyde auf sich allein gestellt, denn die Fachleute zweifelten nicht daran, daß der Kontakt ebenfalls abreißen würde, wenn das Gefährt in eine kritische Tiefe kam. Das konnte man jedoch diesmal in Kauf nehmen, denn es gab eine bessere, wenn auch nur einseitige Verbindung zu dem Puschyden. Der Einsatzstab für die Aktion befand sich in einer Baracke, die man direkt auf der Baustelle errichtet hatte. Hier hielten sich Atlan, Brooklyn und die wichtigsten Leute aus dem Kreis der Techniker auf.
Auch Bjo Breiskoll und Sternfeuer waren hier. Sie verfolgten mit ihren Parasinnen den Weg Argan Us in die Tiefe von Break‐2. Und dieser Kontakt würde nicht abreißen, auch nicht wenn der Puschyde, wie er mehrmals scherzhaft betont hatte, bis zum Mittelpunkt dieser Welt gelangen würde. 5. Als der Puschyde meldete, daß er sich bereits in einer Tiefe von 50 Kilometern befand, lag der endgültige Beweis dafür vor, daß die Sonde Brooklyns zumindest ihren Weg in das Planeteninnere fortgesetzt hatte. Die Solaner schöpften wieder Hoffnung, denn manch einer hatte weder den Berechnungen Sannys, noch den Funkmessungen Vertrauen geschenkt. Brooklyn blieb auch jetzt noch skeptisch. Sie sprach immer wieder von Unwägbarkeiten und drückte damit ihre Abneigung gegen Planeten generell aus. Bis zu einer Tiefe von 800 Kilometern steigerte sich die Begeisterung. In dieser Zeit, die Argan U in seiner Kapsel in neun Stunden zurücklegte, geschah kaum etwas Erwähnenswertes. Die einzige bedeutende Feststellung waren die vermessenen Abweichungen in der Lotlinie der Bohrung. Es gab in der Tat etwa alle 37 Kilometer einen Einbruch aus unbekannter Ursache, der die Röhre um Werte zwischen einem und sieben Meter aus der geplanten Senkrechten abweichen ließ. Diese Ausbeulungen waren jedoch sehr sanft. Sie stellten damit kein Hindernis dar. Brooklyn vermutete, daß sie auf eine Störung im Stabilisierungssystem ihrer Kugelsonde zurückzuführen seien. »Diese Unregelmäßigkeiten stellen den Erfolg nicht in Frage«, unterstrich Atlan. »Es darf nur nicht zu extremen Verlagerungen unserer Röhre kommen.« Dann wurde die Funkverbindung merklich schwächer, obwohl
Argans Kugel mit besonders starken Geräten ausgestattet war. Schließlich riß sie ganz ab. Die letzte übermittelte Tiefe lag bei 832 Kilometern. Nun ruhten alle Augen auf den beiden Mutanten Bjo Breiskoll und Sternfeuer. Der Katzer übernahm zunächst die Aufgabe, Argan U zu verfolgen. Er schloß die Augen und kapselte sich ganz von der Umgebung ab. Als er nach einer Weile immer noch nichts sagte, fragte ihn Atlan ungeduldig, was denn nun geschehe. »Nichts«, antwortete Breiskoll. »Er kutschiert in die Tiefe und nuckelt an dem Schlauch seines Zuckerwasser‐Destilliergeräts.« Wenig später kamen jedoch brauchbare Informationen. »Argan hat soeben Meßwerte abgelesen. Im Innern von Break‐2 existiert ein starkes Magnetfeld, das in sich selbst völlig geschlossen ist. Er hat es jetzt gerade durchquert. Die Hilfspositronik hat für ihn den Schluß gezogen, daß dieses Magnetfeld die Ursache für die unterbrochene Funkverbindung ist.« »Das bedeutet«, folgerte Atlan, »daß wir etwas tun müssen, um dieses Magnetfeld in der Röhre auszuschalten.« Die Magnidin setzte sich sogleich mit den Technikern in Verbindung, die in einer Werkhalle der SZ‐2 mit dem Bau des eigentlichen »Abräumers« beschäftigt waren. So hatte man das Gerät genannt, das den Eisen‐Nickel‐Kern von Break‐2 abbauen sollte. Die Weiterverarbeitung zu reinem Nickel sollte dann an der Oberfläche geschehen. »Argan ist weiter sehr unbekümmert«, berichtete Breiskoll. »Seine Tiefe beträgt jetzt 1000 Kilometer. Er hat den Wert abgelesen und auf dieses Jubiläum einen langen Schluck Zuckerwasser genommen. Alle anderen Werte in der Kapsel sind normal. Die Außentemperatur liegt mit 480 Grad etwas unter den vorhergesagten Werten.« Nach einer Stunde übernahm Sternfeuer den Puschyden in der Gedankenkontrolle. Argan paßte die Geschwindigkeit seiner Sonde
laufend den Meßergebnissen an. Das bedeutete, daß er langsamer wurde, wenn ihm irgend etwas auffiel. »Er hat bei 1470 Kilometern angehalten«, sagte die Mutantin. »Er untersucht verschiedene Anzeigen. Jetzt denkt er gezielt an Bjo und mich, weil er etwas mitteilen will.« Und dann: »Er ortet die Energieausstrahlung der Bohrsonde. Das bedeutet, daß das Ding tatsächlich noch arbeitet.« Die Mienen der Umherstehenden wurden zufriedener. Dann setzte Argan seinen Sturz in die Tiefe fort. Brooklyn stand an einer großen Tafel, die von einer Positronik gesteuert wurde. Hier wurden alle Meßwerte und Angaben aufgetragen, so daß man einen ausgezeichneten Überblick über die jeweilige Lage hatte. »Wenn unsere Bohrsonde wirklich fehlerfrei gearbeitet hat«, erklärte die Magnidin, »dann erreicht sie in wenigen Minuten eine Tiefe von 2000 Kilometern. Argan könnte in einer Viertelstunde an dieser Stelle sein, wenn er sich nicht mehr aufhält.« »Alle Werte in der Kapsel sind stabil«, warf Sternfeuer kurz dazwischen. »Der kleine Kerl ist sehr zuversichtlich. Er beschleunigt jetzt wieder.« Wenig später kam die entscheidende Nachricht. »Argan hat Sichtkontakt mit der Bohrsonde«, berichtete Sternfeuer. »Die Positronik beginnt mit der Abtastung der Systeme. Sie bekommt Antworten von der Steuereinheit der Bohrkapsel.« Brooklyn trat nervös von einem Bein auf das andere. Jetzt würde sich gleich entscheiden, ob das Unternehmen noch mit einem Erfolg abgeschlossen werden konnte. »Was denkt er jetzt?« fragte sie mehrmals, aber Sternfeuer schüttelte nur unwillig mit dem Kopf. »Er kann das Ding doch aus der Nähe desaktivieren und in aller Ruhe untersuchen«, meinte einer der Ahlnaten unwillig. »Das können wir ihm nicht mitteilen«, beruhigte Atlan den Solaner. »Selbst der Hyperfunk spielt bei diesen extremen Verhältnissen verrückt.«
Argan U ließ sich scheinbar viel Zeit, denn er dachte an nichts, was Sternfeuer oder Bjo Breiskoll, der die Frau jetzt unterstützte, in verwertbare Angaben umsetzen konnten. »Er glaubt«, sagte der Katzer zögernd, »daß seine Positronik defekt sei. Er bekommt keine Meßwerte, die angeben, daß die Steuereinrichtung der Bohrsonde auf die Fernbefehle reagiert.« »Verdammt!« Brooklyn konnte ihre Ungeduld nicht bezähmen. »Er will aussteigen«, berichtete Sternfeuer. »Das darf er nicht, wenn der Desintegrator noch arbeitet«, rief die Magnidin. »Das ist zu gefährlich.« »Er hat die Oberklappe seiner Kugel geöffnet und ist ausgestiegen.« Auf Breiskolls Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er fühlte mit dem kleinen Puschyden mit. »Mit dem Antigrav seines Raumanzugs steuert er die Bohrsonde an.« »Hat er seinen Schutzschirm aktiviert?« fragte Brooklyn. Das konnte der Mutant bestätigen. »Die Außentemperatur beträgt über 10 000 Grad«, übermittelte Sternfeuer. »Er scheint sich der Gefahr nicht bewußt zu sein, in die er sich begibt.« »Sein Raumanzug hält das aus«, beruhigte Atlan die anderen. »Jetzt ist er an der Oberseite der Bohrsonde.« Breiskoll berichtete weiter. »Er will die Klappe öffnen, aber das geht wohl nicht so einfach.« »Hoffentlich denkt er an die Notabschaltung«, stöhnte Brooklyn. »Sie befindet sich direkt unter dem Einstieg.« »Noch ist er nicht drin«, sagte Breiskoll. »Aber er hat jetzt den Schließmechanismus gefunden. Er wundert sich über die Staubablagerungen, auf die er nicht vorbereitet war.« Dann schwieg der Mutant eine Weile. »Er hat abgeschaltet.« Sternfeuer atmete auf. Von nun an berichtete Argan U über den Zustand der Bohrsonde. Im Prinzip war alles in Ordnung. Die Positronik reagierte normal auf die Testprogramme, die der Puschyde abfahren ließ.
Die Funkanlage war jedoch defekt. Wo der Fehler lag, konnte von Argan nicht festgestellt werden. Brav wechselte er die ganze Anlage gegen das mitgenommene Ersatzgerät aus. Da er alle Arbeiten ohne die Hilfspositronik seiner Sonde durchführte, brauchte er eine lange Zeit. Nach drei Stunden war es aber geschafft. Der Kleine war erschöpft, aber er dachte noch an die beiden Mutanten und übermittelte ihnen das Ergebnis der Überprüfung der Funkanlage. Da keine Fehler angezeigt wurden, machte er sich auf den Rückweg. Sorgfältig verschloß er die Sonde, nachdem er die Wiederaufnahme des Betriebs programmiert hatte. »Er denkt wirklich an alles«, beruhigte Breiskoll die Umherstehenden. Argan U wartete den Zeitpunkt ab, zu dem die Bohrsonde wieder aktiv wurde. Als es auch hier keine Schwierigkeiten gab, startete er zurück zur Oberfläche. »Er ist eingeschlafen« meldete Breiskoll. »Paßt weiter auf ihn auf«, bat Atlan die Mutanten. »Wir müssen uns jetzt um die Abschirmung des Magnetfelds kümmern, damit wir unsere Sonde und später den Abräumer von hier aus lenken können. Nun sieht die Sache ja wieder etwas besser aus.« Die Techniker in der SZ‐2 hatten inzwischen fleißig gearbeitet. Brooklyn erhielt die Meldung, daß ein Drahtgerüst fertiggestellt worden war, das man in die Bohrröhre ziehen wollte, damit sich dort die Funkwellen ungehindert ausbreiten konnten. Das Geflecht würde ähnlich wie ein Faradayscher Käfig wirken und die störenden Kräfte des Magnetfelds ablenken. Damit sollte dann die Steuerung der Bohrsonde wieder in vollem Umfang möglich sein. Als Argan U an die Oberfläche zurückkehrte, stand schon eine zweite, relativ kleine Robotsonde bereit, die das Geflecht in die Tiefe bringen sollte. Vor dem Einfahren verglich Brooklyn noch einmal mit ihrer Positronik die Daten, die Argan U´s Sonde gesammelt hatte. Dann war sie sicher, daß das Drahtgeflecht mit
einer Länge von 7,5 Kilometern ausreichen würde, um die Störzone zu überbrücken. Das Einbringen der Abschirmung geschah dann unter Aufsicht der Magnidin, die nach den jüngsten Erfolgen wieder ihre alte Tatkraft zurückgewonnen hatte. Atlan ließ es sich nicht nehmen, den kleinen Puschyden selbst zu empfangen und für seine tapfere Tat zu loben. Die umherstehenden Solaner brachen sogar in Beifall aus, denn für sie war es unverständlich, wie sich jemand in das Innere eines Planeten wagen konnte. Sie fühlten sich durch die augenblickliche Bindung an die Oberfläche von Break‐2 schon elend und unwohl. Drei Stunden später – Atlan hielt sich gerade in der Zentrale der SZ‐2 auf, um sich über den Zustand der Heimwehkranken und der Buhrlos zu erkundigen – erreichte ihn die Nacheicht von Brooklyn. Sofort begab er sich in den Konferenzraum. Schon beim Eintreten sah der Arkonide, daß sich das Problem der Nickelgewinnung nun endgültig zum Guten wendete. Auf dem Datenschirm tauchten wieder die Angaben auf, die von der Bohrsonde übertragen wurden. »Die Abschirmung funktioniert ausgezeichnet«, strahlte die Magnidin. »Und unsere Kugelsonde reagiert wieder auf unsere Befehle.« Sie begleitete Atlan an einen zweiten Bildschirm, auf dem mit Symbolen der Weg der Sonde in das Planeteninnere dargestellt war. »Sie steht augenblicklich in einer Tiefe von 2114 Kilometern«, erklärte die Frau. »Durch die Störungen haben wir etwas Zeit verloren, aber das dürfte nicht weiter kritisch sein, wenn es nicht zu neuen Zwischenfällen kommt. Ich gehe davon aus, daß sich Sanny nicht verrechnet hat. Wenn weiter alles planmäßig verläuft, kannst du in acht Tagen mit der Verarbeitung des Rohmaterials beginnen. Dann müßte die erste Ladung die Oberfläche erreichen.« »Welche Menge schafft der Abräumer?« »Etwa sechzig Tonnen pro Fahrt.« Brooklyn deutete auf ein
Zahlenfeld, das in die bildliche Darstellung eingeblendet war. »Hier findest du alle wesentlichen Angaben. Wenn das Abbauverfahren eingespielt ist, geht alles viel schneller. Wir haben dann vier Abräumer, die im überschlagenden Einsatz in die Tiefe gehen. Unter Ausnutzung der Höchstgeschwindigkeiten können wir alle Stunde mit einer Ladung rechnen. Natürlich wird der Schacht vorher luftleer gepumpt und mit einer Doppelschleuse abgesichert. Zur Zeit haben wir eine zweite Sonde unterwegs, die in 2000 Metern Tiefe eine Ausweichstelle baut.« Sie zeigte diese Position in der Skizze. »So kann ein Abräumer nach oben fahren, während ein anderer, der entladen wurde, wieder nach unten geht. Vor der Abbaustelle haben ohnehin zwei Maschinen Platz. Dadurch geht alles viel schneller. Du kümmerst dich um die Verarbeitung des Rohmaterials in reines Nickel?« »Unser kleines Werk ist fertig«, bestätigte der Arkonide. »Du hast es sicher bemerkt. Wir haben es unmittelbar neben der DUSTY QUEEN aufgebaut. Nach Aussagen der Fachleute werden wir Material von etwa 40 Prozent Nickelgehalt haben. Das ergäbe etwa vierundzwanzig Tonnen Nickel pro Stunde. Oder 576 Tonnen pro Tag.« Atlan tastete ein paar Zahlenwerte in eine Positronik. »Unsere abgemagerte Korvette hat noch die Masse von rund 7000 Tonnen. Also werden wir etwa die gleiche Nickelmenge benötigen. Das bedeutet, daß wir in etwa 12 Tagen die gesamte Nickelladung besäßen.« Brooklyn nickte. »Eine lange Zeit für die armen Buhrlos, aber es geht nicht schneller. Übrigens sehe ich gerade, daß du dann am Neujahrstag starten könntest.« »Neujahr 3792.« Atlan mußte an die vielen Neujahrsfeste denken, die er im Kreis der Terraner verbracht hatte. Dieses würde auch unter Menschen stattfinden. Die Umstände waren aber nicht dazu angetan, in Freudentaumel auszubrechen. Mit dem Einverständnis der auf Eile drängenden Buhrlos legte
man am Weihnachtstag des zu Ende gehenden Jahres 3791 eine zwölfstündige Pause ein, in der nur die robotischen Anlagen arbeiteten. Die Menschen begingen ein stilles Weihnachtsfest in der Einsamkeit von Break‐2. Am 2. Januar war es dann aber soweit. Das gewonnene Nickel war in kleinen Barren geschmolzen und an Bord der DUSTY QUEEN verstaut worden. Auf das Volumen des Schiffes bezogen, betrug die Nickelmenge zwar nur etwa 28 Prozent, in seiner Masse jedoch 52 Prozent. Jetzt sollte sich zeigen, ob die Aussage des alten Ysteronen Traug‐ Tul‐Traug etwas taugte. In den frühen Morgenstunden ging die kleine Mannschaft an Bord. Auf der SZ‐2 blieben der Magnide Palo Bow als Chef, sowie Bjo Breiskoll und Federspiel zurück. Insbesondere der Katzer sollte telepathischen Kontakt zu Sternfeuer halten, da man mit weiteren Störungen des Funkverkehrs rechnete. Die beiden Molaaten Oserfan und Sanny verabschiedeten sich herzlich von den drei anderen Angehörigen ihres Volkes. Breckcrown Hayes saß im Kontursessel des Ersten Piloten und fuhr zum verabredeten Zeitpunkt die verbliebenen zwölf Impulstriebwerke hoch. Sechs Antriebe hatte Atlan aus Platzgründen ausbauen lassen. Im Nahfeld eines Planeten würde man dadurch zwar einiges an Manövrierfähigkeit einbüßen, aber diesen Umstand bewertete der Arkonide als wenig bedeutsam. Der Fernantrieb mit dem Waring‐ Konverter war nicht geschmälert worden. Hayes hob einen Daumen in die Höhe und nickte Atlan zu, der die Funkverbindung zur SZ‐2 hielt. Brooklyn stand neben dem Arkoniden und überwachte die Kontrollen, um bei einem unvorhersehbaren Ereignis eingreifen zu können. »Positiv«, sagte die Magnidin laut. »Die DUSTY QUEEN stieg schnell in die Höhe, wobei der Antigrav‐Antrieb hier noch als
zusätzlicher Beschleunigungsfaktor wirkte.« »Keine Schwierigkeit«, ließ Hayes vernehmen. »Sie fliegt wie eine normale Korvette. Ich verstehe das nicht.« »Sei froh, daß es so ist«, antwortete Atlan. »Was das Nickel an Bord bewirkt, ist mir zwar auch ein Rätsel, aber so kommen wir wenigstens von hier weg.« Die Korvette stieg schnell höher und höher. Der Funkkontakt zur SZ‐2 blieb ohne Störung. Atlan registrierte aus dem Verhalten Palo Bows, daß dort verhaltener Jubel ebenso vorherrschten wie eine gewisse Mißstimmung. Er konnte dies nur zu gut verstehen, denn die große Masse der Solaner war ja weiter an Break‐2 gebunden. Die Hoffnungen dort lagen nun bei jenen knapp zwei Dutzend Menschen, dem Arkoniden, den beiden Molaaten, Girgeltjoff und Argan U. Ein Erfolg der DUSTY QUEEN konnte nur bedeuten, daß es gelingen würde, zu dem geheimnisvollen Ysterioon vorzustoßen und dort die Abschaltung jener unbekannten Strahlung vorzunehmen, die die SZ‐2 an den Planeten fesselte. Auch der telepathische Kontakt zwischen Sternfeuer und Bjo Breiskoll unterlag keinen Einschränkungen. »Wir gehen in zehn Minuten in den Linearraum«, teilte Atlan der SZ‐2 mit. »Nach einer vorberechneten Flugzeit von weiteren zehn Minuten, die wir für drei Lichtjahre kalkuliert haben, melden wir uns wieder.« Er sah Palo Bow auf dem Bildschirm, aber der Magnide wirkte plötzlich wie geistesabwesend. Atlan konnte nicht verstehen, was jemand in der Zentrale der Solzelle zu ihm sagte. »Warte noch mit dem Linearflug«, verlangte der Magnide sichtlich verwirrt. »Etwas stimmt nicht.« Er hielt eine Folie hoch und schwenkte sie vor der Aufnahmeoptik. »Unsere Ortungszentrale behauptet«, fuhr er dann erregt fort, »daß die DUSTY QUEEN bereits jetzt eine Geschwindigkeit hat, die 20 Prozent über der theoretischen Höchstgeschwindigkeit liegt, die ihr überhaupt haben könntet.«
Atlans Augen flogen über die Anzeigen. Er konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Alle Werte lagen exakt in Übereinstimmung mit den Berechnungen der Positronik. Auch Breckcrown Hayes schüttelte nur unwillig mit dem Kopf und deutete auf die zentrale Warneinrichtung. Hier leuchteten sämtliche Anzeigen auf grün. Brooklyn tippte in rascher Folge Werte in die Eingabe der Positronik. »Es gibt tatsächlich einen eklatanten Widerspruch«, rief sie. »Der Abstand zu Break‐2 ist größer, als er es jetzt schon sein dürfte. Das verstehe ich nicht.« »Bei mir ist alles normal.« Breckcrown Hayes zeigte deutlich seinen Unwillen über die vermeintliche Störung. »Wir gehen in 4,5 Minuten in den Linearraum.« Nun überzeugte sich auch Atlan davon, daß Brooklyn eine richtige Feststellung gemacht hatte. Tatsächlich war die DUSTY QUEEN schon viel weiter geflogen, als dies möglich war. Die Anzeigen der Energieversorgung, der berechneten Eigengeschwindigkeit aus Flugdauer und Schub, sowie aus den durchgeführten Manövern waren jedoch normal. Dadurch konnte die Positronik der Korvette auch keine Unstimmigkeit entdecken. Erst wenn man die Distanz zu Break‐2 über die Ortung ermittelte, kam der Unterschied ans Licht. »Sanny!« rief Atlan. Die Molaatin kam sofort in Begleitung von Oserfan an die Seite des Arkoniden. »Sieh dir bitte diese Werte an«, bat Atlan. »Etwas stimmt nicht.« Die Paramathematikerin brauchte keine Sekunde, um die richtigen Ergebnisse zu erkennen. »Wir werden mit 28,42 Prozent des Eigenschubs zusätzlich beschleunigt«, teilte sie mit. Noch bevor Atlan etwas erwidern konnte, sagte die Molaatin: »Jetzt sind es schon 28,57 Prozent. Steigerungsrate, 0,03 absolut in
Bezug auf die Zeiteinheit.« »Was bei allen Geistern des Universums«, stöhnte Brooklyn auf, »hat das jetzt schon wieder zu bedeuten.« »Es bedeutet«, erklärte Atlan, »daß wir zusätzlich beschleunigt werden.« »Und wodurch?« Die Stimme der Magnidin überschlug sich. »Es kann eigentlich nur einen Grund haben«, vermutete Oserfan und blickte zu Atlan auf. »Das Nickel«, sagte der Arkonide. Im gleichen Moment ging die DUSTY QUEEN, überraschend für alle an Bord, automatisch in den Linearraum. Ihre tatsächliche Eigengeschwindigkeit hatte den Wert erreicht, der für den Übergang erforderlich war. Daß die Anzeigen einen viel niedrigeren Wert anzeigten, spielte in diesem Fall offenbar keine Rolle. »Antrieb weg«, rief Atlan Breckcrown Hayes zu. »Sofort zurück in den Normalraum.« Der Solaner reagierte schnell und genau. Seine kräftigen Hände flogen über die Steuerelemente. Aber es geschah nichts. 6. Für den Solaner Orest Vida und den Buhrlo Morrosson Sum, die seit den internen Unruhen in der SZ‐2 als Verbindungsleute für die Heimwehkranken und die Gläsernen zu Palo Bow fungierten, bedeutete das unvermutete Verschwinden der DUSTY QUEEN von den Ortungsanzeigen und Bildschirmen einen argen Schock. »Das ist das absolute Ende!« brüllte der Weltraumgeborene. »Sie haben sich im Nichts aufgelöst. Du mußt sofort etwas unternehmen, Magnide.« Palo Bow war hilflos. »Es ist doch gar nichts passiert«, behauptete er, aber er wirkte
nicht sonderlich überzeugend. »Das Schiff ist nur vorzeitig in den Linearraum gegangen. Vielleicht erreichen Brooklyn und Atlan dadurch noch eher ihr Ziel und können uns befreien.« »Das glaubst du selbst nicht«, begehrte Vida auf. »Jch habe aber mit eigenen Augen gesehen, daß die DUSTY QUEEN diesen verflixten Planeten verlassen konnte. Also kann es die SZ‐2 auch.« »Ruhe!« befahl der Magnide scharf. »Ich habe das Kommando, und ich dulde keine Ausschreitungen.« Auf sein Zeichen fuhren die Wachroboter, die seit dem Überfall der Heimwehkranken ständig in der Kommandozentrale bereitstanden, ihre Waffenarme aus. Dann blickte sich Bow hilfesuchend nach Bjo Breiskoll und Federspiel um. Der Katzer hatte das zu frühe Verschwinden ebenfalls verfolgt. »Sie sind in den Linearraum gegangen«, stellte er leise fest. »Dadurch habe ich keinen Kontakt mehr zu Sternfeuer. Das kann viel bedeuten, aber auch nichts.« »Ich verlange einen sofortigen Startversuch«, erklärte Orest Vida noch einmal auf. »Vielleicht können wir in dem Sog der DUSTY QUEEN abheben.« »Von diesen Dingen verstehst du nichts«, wies ihn der Magnide zurecht. »Deine Ungeduld schadet uns nur.« Federspiel hob eine Hand und bat damit um Ruhe. »Ich kann euch zumindest eins mitteilen«, behauptete er. »Sternfeuer ist noch am Leben. Ich würde es spüren, wenn ihr etwas zugestoßen wäre.« Palo Bow atmete auf, denn diese Worte besänftigten die aufgeregten Solaner tatsächlich. Allerdings wußte er nicht, ob Federspiel die Wahrheit sagte, denn ein ausgeprägter Mutant war der ehemalige Schläfer ja nicht. Über die seltsame Bindung zwischen den Zwillingen gab es eigentlich eher Gerüchte als handfeste Aussagen. »Da hört ihr es«, unterstrich Bow die Worte Federspiels. Dann wandte er sich an Vida und Sum. »Ich bin gern bereit, einen neuen
Startversuch zu unternehmen. Mir wäre nichts lieber, als wenn wir Break‐2 auf dem schnellsten Weg verlassen könnten.« Der Magnide gab seine Anweisungen an das technische Personal. Schon wenige Minuten später konnte er den Start der SZ‐2 freigeben. Orest Vidas Augen leuchteten begierig. Sein Blick wurde erst wieder finster, als der Startversuch so kläglich scheiterte wie alle vorangegangenen. »Dann können wir nur noch eins tun«, stellte der Solaner fest. »Wir müssen die SZ‐2 ebenfalls in ein Nickelschiff verwandeln.« »Brooklyn hat bereits die notwendigen Berechnungen angestellt«, erklärte Palo Bow ruhig. »Abgesehen davon, daß wir die SZ‐2 dabei in einen Trümmerhaufen verwandeln müßten, um den notwendigen Platz zu schaffen, würde diese Aktion mindestens fünf Monate dauern. Bis dahin lebt keiner der Buhrlos mehr, und auch die Heimwehkranken, zu denen ich mich selbst zähle, wären wohl dem Wahnsinn verfallen. Es gibt nur einen Weg. Aber wir müssen auf Atlan vertrauen. Wenn es ihm nicht gelingt, die Quelle der Strahlung zu beseitigen, die uns hier an Break‐2 fesselt, dann gelingt es keinem.« Morrossom Sum und Orest – Vida starrten sich stumm an. »Moment!« Bjo Breiskolls Augen weiteten sich. »Ich habe soeben für ein paar Sekunden geistigen Kontakt mit Sternfeuer gehabt. Die DUSTY QUEEN muß also für kurze Zeit in den Normalraum zurückgekehrt sein. Auf alle Fälle existiert das Schiff noch.« »Was hat sie gedacht?« fragte der Magnide. »Etwas Merkwürdiges«, antwortete der Katzer. »Sie dachte, hoffentlich hat sich Sanny mit der Nickelmenge nicht verrechnet, die über Bord gegangen ist.« Palo Bow runzelte die Stirn. »Was hat das zu bedeuten?« »Es bedeutet«, erklärte der Mutant, »daß Atlan ein paar Schwierigkeiten hat. Aber er wird sie meistern. Da wir sowieso nichts tun können, empfehle ich euch, Ruhe zu bewahren und abzuwarten, bis sich die DUSTY QUEEN wieder meldet.«
* »Was Nickel für die Ysteronen bedeutet«, sagte Atlan, »wissen wir nicht oder noch nicht. Jedenfalls steht fest, daß dieses Element im Bereich des Lebensraums dieser Wesen anders reagiert als normal. Es liegt daher der Verdacht nahe, daß das Nickel, das wir an Bord genommen haben, genau das Gegenteil von dem bewirkt, was die SZ‐2 an Break fesselt. Es beschleunigt uns. Wir rasen auf das Ysterioon zu. Die logische Folgerung ist, daß wir nun wieder Nickel abladen müssen.« Brooklyn schaute Atlan verdutzt an. »Eine merkwürdige Logik«, räumte sie ein. »Ich gebe zu, daß ich sie nicht verstehe. Wenn wir das Nickel von Bord werfen, verfallen wir doch wieder in die Strahlung, die uns auf Break‐2 festgehalten hat.« »Richtig«, bestätigte Atlan. »Ich habe auch nicht vor, die ganze Ladung zu entfernen. Ein Teil müßte genügen.« »Ein Teil?« Die Magnidin schüttelte mit dem Kopf. »Und hier im Linearraum? Welcher Teil?« Die letzte Frage konnte auch der Arkonide nicht beantworten, da es keine direkt verwertbaren Angaben dazu gab. »Fürs erste genügen 244 Tonnen«, sagte Sanny unbekümmert. »Das müßte genügen, um uns wieder in den Normalraum zu werfen.« Atlan starrte die kleine Molaatin verdutzt an. Von ihren paramathematischen Fähigkeiten hatte Sanny schon so manche Kostprobe gegeben. Sie erfaßte Daten instinktiv und setzte sie in Ergebnisse um, die oft keine Positronik finden konnte. Die Molaatin stand inzwischen vor dem Halbraumtaster. Was sie dort ablas, konnte keiner der anderen beurteilen. Atlan zweifelte aber nicht an der Richtigkeit von Sannys Paramathematik. »315 Tonnen«, behauptete die Instinktmathematikerin plötzlich.
»Das bedeutet wohl, daß es immer mehr wird.« »Was?« Brooklyn hatte noch immer Schwierigkeiten, den merkwürdigen Aussagen der kleinen Molaatin zu folgen. »Sie meint«, erklärte Oserfan, der im Unterschied zu seiner Gefährtin wissenschaftliche Schlußfolgerungen ziehen konnte, »daß mit zunehmender Zeit die abzustoßende Nickelmenge größer wird. Je näher wir unserem Ziel kommen, desto größer wird die Kraft, die uns beschleunigt.« Atlan hatte unterdessen die notwendigen Schritte eingeleitet. Einer der Räume, in denen die Nickelbarren lagen, wurde vom übrigen Teil der Korvette hermetisch abgeriegelt. Dann wurde eine Außenschleuse geöffnet. Zwei Roboter, die aus der Zentrale gelenkt wurden, begannen damit, die Nickelbarren über Bord zu werfen. »Seht euch das an!« Die Magnidin deutete auf das Echobild des Halbraumtasters. Dort waren die Barren jeweils für Sekunden deutlich zu erkennen. »Sie beschleunigen weiter in unserer ursprünglichen Flugrichtung.« »Die mit der zum Ysterioon übereinstimmt«, ergänzte Breckcrown Hayes. Der Solaner versuchte noch immer, den Linearflug abzubrechen. Atlan gab eine erneute Anweisung an die Roboter in dem Laderaum. Die beiden Maschinen arbeiten jetzt mit Höchstgeschwindigkeit. Als 360 Tonnen Nickel entladen waren, fiel die DUSTY QUEEN ohne erkennbare Beeinflussung in den Normalraum zurück. Die Zeitspanne, in der sie sich dort aufhielt, betrug nur wenige Sekunden. »Der Sog schwankt«, behauptete Sanny. »Meine Berechnungen ergeben laufend unterschiedliche Werte. Jetzt müßten schon wieder über 500 Tonnen von Bord.« Atlan setzte diese Werte sofort in Anweisungen an die Roboter um. Gleichzeitig bereitete er in einem zweiten Lagerraum die Entlademöglichkeiten vor.
»Breck«, rief er dem Piloten zu. »Beim nächsten Rücksturz in den Normalraum gehst du sofort auf vollen Bremsschub.« Es dauerte eine Zeit, bis sich der erhoffte Erfolg einstellte und die DUSTY QUEEN den Linearraum verlassen konnte. Obwohl Hayes mit dem Antrieb die Korvette in kürzester Zeit auf die Geschwindigkeit Null brachte, behauptete Sanny, daß weiter Nickel entfernt werden müsse. »Ich kann jetzt die Schwankungen in dem Beschleunigungssog berechnen«, erklärte sie dazu. »In wenigen Minuten wird das Schiff wieder beschleunigt werden.« Während Brooklyn mit den Ortungsanlagen die Position des Schiffes ausmachte, setzte sich Sternfeuer über Hyperfunk mit der SZ‐2 in Verbindung. Dabei ergaben sich keine Schwierigkeiten. Die ehemalige Schläferin setzte die ersten Information an Palo Bow ab und hielt dabei gleichzeitig telepathischen Kontakt zu Bjo Breiskoll. Die DUSTY QUEEN hatte eine Strecke von nur 1,6 Lichtjahren zurückgelegt, aber sie befand sich auf exaktem Kurs zu der vermuteten Position der Heimat der Ysteronen. Auch hier konnte die Ortung keinen Raumschiffsverkehr oder Funkverkehr feststellen. Als Sanny die Entfernungsangaben hörte, klatschte sie in die Hände. »Ein guter Wert, Atlan«, sagte sie. »Es geht genau auf.« »Kannst du dich etwas deutlicher ausdrücken?« »Das Nickel reicht genau bis in die Nähe unseres Zieles«, behauptete die Paramathematikerin. »Es wird noch Schwankungen geben, aber wenn deine Roboter richtig arbeiten, werden wir nicht über das Ziel hinausschießen.« Oserfan griff wieder einmal ein. »Durch die Entladung des Nickels passen wir die DUSTY QUEEN allmählich wieder dem normalen Verhalten an. Wenn wir das nicht tun würden, würde das Schiff an dem Ziel vorbeischießen.« »Noch mehr«, erklärte Sanny. »Wir würden aus dem gesamten
Sperrbereich hinauskatapultiert werden.« »Der Nickelsog bewirkt also«, folgerte der Wissenschaftler der Molaaten, »daß Fremde mit Nickel ebensowenig das Ysterioon erreichen können, wie es solchen ohne Nickel möglich ist. Nur wenn man es dosiert freigibt, kann man an das Ziel gelangen.« Atlan verfolgte dieses Gespräch aufmerksam, während er beobachtete, was mit den entladenen Nickelbarren geschah. Hier im Normalraum gab es exaktere Möglichkeiten, um die Vorgänge zu analysieren. Das ausgestoßene Nickel beschleunigte sofort in Richtung ihres Flugziels. Es erreichte nach kurzer Zeit eine Geschwindigkeit, die dicht unterhalb der Lichtgeschwindigkeit lag, diese aber nicht überschritt. »Reines Nickel geht also nicht in den Linearraum«, folgerte er. »Hier nicht«, sagte die Molaatin. »Aber vielleicht woanders.« Plötzlich setzte sich die DUSTY QUEEN wieder in Bewegung. Auch diesmal war die Eigengeschwindigkeit nur über Berechnungen aus der Ortung feststellbar, denn Breckcrown Hayesʹ Anzeigen standen weiter auf Null. Sanny nannte erneute Werte über Nickelmengen, die abzuladen seien. »Es gibt offensichtlich eine pulsierende Strahlung«, erklärte Oserfan, der sich genaue Notizen über alle Aussagen der Paramathematikerin machte. Minuten später mußte Breckcrown Hayes hilflos zusehen, wie das Schiff trotz Bremsschub und Nullanzeige erneut in den Linearraum ging. Sternfeuer konnte gerade noch eine telepathische Nachricht an die SZ‐2 absetzen, um die Menschen dort zu informieren und zu beruhigen. »Nichts mehr abwerfen«, verlangte zu Atlans Erstaunen die Molaatin. »Auch wäre es empfehlenswert, wenn Breck den Fuß von der Bremse nähme.«
»Aber wir beschleunigen wie verrückt«, beschwerte sich Brooklyn. »Nur im Augenblick.« Sanny fuhr mit ihren kleinen Händchen durch die Luft. »Wir können das Ziel nur erreichen, wenn wir im voraus die richtigen Nickelmengen kennen.« »Verrückt«, stöhnte die Magnidin und warf Atlan einen Blick zu. Der Arkonide antwortete nichts. Seine Hände lagen auf den Steuereinheiten, mit denen er die Roboter unten in den Lagerhallen dirigierte. Er vertraute der Molaatin. Ohne erkennbaren Einfluß fiel die DUSTY QUEEN in den Normalraum zurück. »Alles Nickel von Bord«, rief die Paramathematikerin. Ihre kreisrunden Augen lagen auf dem Hauptpanoramaschirm, auf dem die Umgebung abgebildet und die Meßwerte der Ortungsanlagen eingeblendet wurden. Atlan hatte keine Zeit, um sich über die merkwürdigen Konturen auf dem Bildschirm zu kümmern. Er steuerte die Roboter, die das Nickel von Bord schaffen sollten. »Schneller!« drängte die Paramathematikerin. »Breck muß jetzt doch abbremsen.« Der Solaner führte diese Bitte wortlos aus. Ein Schütteln ging durch die Korvette, denn das Bremstriebwerk lief jetzt mit Vollast. In den Laderäumen leerten sich die Flächen mit den Nickelbarren. Gleichzeitig wurde das Schiff langsamer. »Was ist das?« Brooklyn deutete auf den Panoramaschirm. Noch hatte niemand Zeit, sich um das zu kümmern, was dort abgebildet war. »Wir schaffen es«, behauptete Sanny plötzlich. Neben ihr atmete Oserfan deutlich hörbar auf. »Alles Nickel von Bord«, konnte Atlan kurz darauf melden. Breckcrown Hayes führte ein paar einfache Manöver mit der DUSTY QUEEN aus. »Sie läßt sich wieder normal lenken«, teilte er dann mit. »Dann halte an«, verlangte der Arkonide. »Wir wollen in Ruhe
sehen und orten, wo wir herausgekommen sind.« Sternfeuer nahm Funkkontakt mit der SZ‐2 auf. Auch diesmal kam die Hyperfunkstrecke ohne Schwierigkeiten zustande. »Ich glaube«, sagte die Solanerin, »wir sind am Ziel unseres Höllenflugs. Wenn das nicht das Ysterioon ist, verspeise ich einen Nickelbarren ohne Pfeffer und Salz.« »Das geht nicht«, meinte Sanny allen Ernstes, »denn wir haben kein Stück Nickel mehr an Bord.« Die Feststellungen, die man von Bord der DUSTY QUEEN in der nächsten Stunde machte, waren mannigfaltig und verwirrend. Atlan verfolgte zunächst mit den Ortungsanlagen die abgeworfenen Nickelbarren. Auch hier beschleunigten diese sofort. Nun zeigte es sich aber, daß sie nicht auf das Gebilde zuhielten, das man für das Ysterioon hielt. Die Nickelbarren hielten vielmehr auf den einzigen Planeten zu, den man in großer Nähe eines blauen Riesensterns entdecken konnte. Da dieser Planet aus der Ortungsrichtung der DUSTY QUEEN auf einer gedanklichen Linie mit dem Riesenstern stand, konnte es aber auch sein, daß das Ziel des reinen Nickels diese Sonne war. Etwa acht Lichtminuten vor dem einzelnen Planeten beschleunigten die Wolken aus Nickelbarren erneut. Die Messungen der DUSTY QUEEN ergaben ganz eindeutig, daß die Materie die Lichtgeschwindigkeit erreichte und damit aus dem Normalraum verschwand. Untersuchungen, ob sie an anderer Stelle, beispielsweise jenseits der blauen Sonne, wieder auftauchten, blieben ohne Ergebnis. Das Nickel blieb verschwunden. »Ich hatte irgendwie damit gerechnet«, gestand der Arkonide, »daß die Ysteronen hier in ihrem Heimatgebiet riesige Mengen von Nickel ansammeln. Unser ausgeschleustes Material war nicht besonders viel, aber es hat uns gezeigt, daß hier ein ganz anderer und rätselhafter Prozeß abläuft.«
Er setzte sich mit Girgeltjoff in Verbindung, der in einer eigens geschaffenen Öffnung einen Teil seines Oberkörpers in die Kommandozentrale steckte. »Die Ysteronen rauben viel mehr Nickel«, bestätigte Girgeltjoff, »als sie selbst für sich brauchen. Warum das so ist, weiß ich nicht.« »Ich werde dem blauen Riesenstern erst einmal einen Namen geben«, sagte Brooklyn. »Ich nenne ihn Nickelmaul.« Atlan hatte gegen diese Benennung keine Einwände, aber Girgeltjoff erhob sanften Protest. »Ich sehe unsere Sonne zwar auch zum erstenmal«, erklärte der Ysterone, »denn ich habe nur im Innern des Ysterioons gelebt. Wenn man es verläßt, sieht man es und die Sonne nicht. Ich weiß aber, daß dieser Stern in unserer Sprache, Kores heißt.« »Nickelmaul oder Kores«, meinte Atlan. »Das ist egal. Wir haben die Kleingalaxis All‐Mohandot auch Flatterfeld genannt. Einprägsame Namen sind für uns besser. Hat der Planet auch einen Namen?« Girgeltjoff überlegte einen Moment. »Das müßte Pryttar sein«, sagte er dann. »Es gibt geheimnisvolle Geschichten über ihn. Auf Pryttar gibt es etwas, was man nur in der Tabuzone weiß.« Die Ortungsanlagen der DUSTY QUEEN liefen noch immer auf Hochtouren. Alle Ergebnisse wurden direkt über die Hyperfunkstrecke an die SZ‐2 auf die Break‐2 übertragen. Das interessanteste Objekt war das Ysterioon selbst. Es hatte an Bord der Korvette vom ersten Moment des Auftauchens in diesem Sonnensystem keinen Zweifel daran gegeben, welches der Objekte das Ysterioon war. Man hatte es in verkleinerter Form in der Sternballung Bumerang in Form einer Robotstation der Ysteronen gesehen. Die Aufzeichnungen darüber waren den Leuten der DUSTY QUEEN nicht nur in bester Erinnerung. Die Daten waren auch in der Bordpositronik gespeichert. Bjo Breiskoll war in Bumerang in die Station der Ysteronen
vorgedrungen, die äußerlich fast vollkommen dem Ysterioon glich. Atlan erkannte, daß die Nickelräuber diese Robotstation nach dem Vorbild ihrer Heimat gebaut hatten. Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Kugeloktogon, wie Bjo Breiskoll das merkwürdige Gebilde aus Nickel genannt hatte, und dem Ysterioon lag einzig und allein in der Größe. Das Ysterioon bestand aus 27 Kugeln, die durch mächtige Querstollen in allen Richtungen der waagrechten und senkrechten Ebenen miteinander verbunden waren. Der ganze Körper, der wie ein Planet die Sonne Nickelmaul umlief, besaß die Form eines Würfels mit der Kantenlänge 650 Kilometer. Die einzelnen Kugelzellen hatten jeweils einen Durchmesser von 150 Kilometern, und die Verbindungsstollen waren 30 Kilometer dick. Wie bei der Robotstation unterschied sich auch bei dem Ysterioon die zentrale Mittelkugel in ihrer Größe von allen anderen 26 Zellen. Sie hatte einen Durchmesser von 200 Kilometern. »Ein gewaltiges künstliches Gebilde«, stellte Brooklyn staunend fest. »Meine Heimat«, sagte Girgeltjoff matt. »Ich habe viele Beschreibungen darüber gehört, aber ich habe mir das wahre Aussehen doch nie vorstellen können.« Atlan holte mit der Ortungsanlage eine der Kugel vergrößert auf den Bildschirm. Auf der Oberfläche gab es unzählige kleinere Auswüchse, die er als Antennen, Schleusen oder Projektoren deutete. Das ganze Kugeloktogon strahlte hohe energetische Aktivität aus. »Trotzdem scheint man sich nicht um uns zu kümmern«, wunderte sich der Arkonide. »Auch kann ich keinen Raumflug in irgendeiner Form feststellen.« »Ich habe nie davon gehört«, bekräftigte Girgeltjoff Atlans Aussage, »daß wir mit Raumschiffen in unserem Sonnensystem fliegen. Ich glaube sogar, daß dies verboten ist.« »Durch wen?« fragte Breckcrown Hayes, der sein Erstaunen über
das riesige Ysterioon nicht verbergen konnte. »Ihr habt die Macht einmal Hidden‐X genannt«, antwortete der Ysterone. »Ich kenne ihren Namen nicht. Sie muß wohl in der Tabuzone der Mittelkugel ihren Sitz haben.« »Der Ring«, sagte Brooklyn und deutete auf den Panoramaschirm. »Was hat der zu bedeuten?« Durch die Ortung war das ganze System inzwischen genau vermessen worden. Nickelmaul oder Kores war ein blauer Riesenstern vom O‐Typ. Der Durchmesser dieser Sonne betrug 28 Millionen Kilometer. »Zwanzigmal so groß wie Sol«, ergänzte Atlan diesen Wert. Etwas verblüffend an den Daten von Kores war die geringe Dichte dieses Sterns. Sie lag bei einem Zweihundertfünfzigstel der irdischen Sonne. »Nickelmaul besteht somit nur aus 30 Sonnenmassen«, stellte Sanny sogleich fest. Der Planet Pryttar stellte sich bei näherer Betrachtung als eine Glutwelt heraus. Er kreiste in einer so dichten Bahn um Nickelmaul, daß organisches Leben in jeder Form dort für unmöglich gehalten werden mußte. Atlan vergaß dennoch nicht, was Girgeltjoff über diesen Planeten zu wissen glaubte, der etwa so groß wie Merkur war. Eine andere Merkwürdigkeit des Kores‐Systems war ein gewaltiger Ring, der das ganze System umschloß. Die DUSTY QUEEN stand oberhalb der Ebene, in der sich der Ring gebildet hatte und in der sich auch das Ysterioon und Pryttar bewegten. Das Licht der Riesensonne erhellte diesen Ring aus kosmischen Trümmern nur noch schwach, denn sein Abstand zu Nickelmaul betrug rund sechs Milliarden Kilometer. Der Trümmerring selbst war ziemlich gleichmäßig an allen Stellen 880 Kilometer dick. Als die Bahn des Ysterioons vermessen war, stellte Atlan auch hier einen Vergleich an. »Das Ysterioon bewegt sich in einer Entfernung von Nickelmaul,
die zwischen 4,8 und 2,7 Milliarden Kilometern schwankt. Die Bahn ist stark elliptisch. Vergleiche ich diese Werte mit dem Solsystem, so bewegt es sich etwa zwischen den Bahnen von Uranus und Neptun. Der Trümmerring selbst liegt dann hart jenseits der ehemaligen Plutobahn. Dazwischen ist nichts außer der Glutwelt Pryttar, die ganz nahe der blauen Sonne steht. All das paßt nicht zusammen.« »Du hast vollkommen recht, Atlan.« Sanny zupfte an der Bordkombination des Arkoniden und blickte mit ihren großen Augen zu ihm hoch. »Ich habe ein paar eigene Berechnungen angestellt. Vielleicht helfen sie dir weiter. Das Ysterioon wendet Nickelmaul immer die gleiche Seite zu und hat eine Umlaufzeit von 2707 Jahren.« »Das hilft mir nicht weiter«, gab der Arkonide zu. »Was hat dieser merkwürdige Trümmerring zu bedeuten?« »Ich weiß es nicht«, antwortete die Molaatin freimütig. »Aber wenn du seine Masse nimmst und um den Teil ergänzt, der normalerweise bei Planeten aus Nickel gebildet wird, so kannst du aus dem Ring etwa zwanzig Planeten machen.« Brooklyn ergänzte Sannys Feststellungen durch eine Messung. »Der Trümmerring driftet langsam nach außen«, sagte die Magnidin. »Diese Geschwindigkeit beträgt etwa 220 Kilometer pro Stunde. Sie ist also für planetare Verhältnisse lächerlich gering.« »Oh«, meinte Sanny. »Dann müßte sich der Ring vor rund 3000 Jahren gebildet haben, wenn er sich seit dieser Zeit immer weiter ausdehnte.« »Es muß etwas anderes gewesen sein«, sinnierte Atlan. »Aber wir haben jetzt einen weiteren Hinweis auf die Geschichte der Ysteronen. Nicht nur das Ysterioon ist ein künstliches Gebilde. Auch der Trümmerring muß etwas Ähnliches darstellen.« In diesem Augenblick sprach ein Hyperfunkempfänger auf einem Kanal an, den die SZ‐2 nicht benutzte. Eine Symbolfolge wurde hörbar. »Die Ysteronen melden sich«, stellte Girgeltjoff fest.
7. Aus den vielen Mosaiksteinchen an Wissen, die Atlan in den letzten Wochen über die Ysteronen hatte zusammentragen können, ergab sich noch kein vollständiges Bild. Es war zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch fraglich, ob sich die aufgeworfenen Rätsel überhaupt alle einmal lösen würden. Aber einige Zusammenhänge waren doch offensichtlich. Atlan war nach dem Verlassen des Guel‐Systems mit dem Planeten Chail mehr als je von dem Gedanken beseelt gewesen, überall dort, wohin ihn der Weg der SOL führen würde, Zonen des Friedens zu schaffen. Dieser Gedanke, der ihm als eine Art weiterer Auftrag von den Kosmokraten mitgegeben worden war, hatte ihn geleitet, dem Geheimnis der Sternballung Bumerang auf die Spur zu kommen. Jetzt sagte sich Atlan insgeheim, daß es vielleicht richtiger gewesen wäre, die Finger von diesem Abschnitt des kosmischen Niemandslands zwischen den Mächtigkeitsballungen von ES und Seth‐Apophis zu lassen, denn er fühlte, in welch unglückliche Lage er die Solaner gebracht hatte. Es war aber nicht nur das und nicht nur das Festsitzen der abgetrennten Solzelle‐2 auf dem einsamen Planeten Break‐2. Er selbst befand sich in einer Lage, für die es wegen der Verworrenheit und dem Abgeschnittensein von der SOL noch kein absehbares Ende gab. Der Weg zu dem mysteriösen Ysterioon, der Heimat der kosmischen Nickeldiebe, hatte in Bumerang begonnen. Dort war er auf die fünf Molaaten gestoßen. In der Kleingalaxis All‐Mohandot hatte er weitere Einzelheiten über die Ysteronen erfahren, in erster Linie von den irgendwie widersprüchlichen Pluuh und von Girgeltjoff selbst. Dann war man dem seltsamen Erzähler Traug‐
Trul‐Traug begegnet, der angeblich nur eine Geschichte kannte, und das war die der Ysteronen. Was Atlan von dem Alten gehört hatte, war jedoch unvollständig und durch die lange Zeit der Überlieferung bestimmt in einigen Punkten verfälscht gewesen. Nun war er dem Ysterioon zumindest von außen begegnet und hatte das Sonnensystem des blauen Riesensterns Nickelmaul kennengelernt. Das zentrale Rätsel lag weiterhin im dunkeln. Wer oder was war die Macht, die man Hidden‐X genannt hatte? Waren es die Ysteronen selbst, die um ihre wahre Vergangenheit eine Legende aufgebaut hatten? Oder steckte etwas dahinter, was den Weg zur den Superintelligenzen wies? Worin lag der Sinn der Nickelraubzüge, wenn die Ysteronen es gar nicht für eigene Zwecke verbrauchten? Es gab noch andere Fragen in diesem Zusammenhang, die einer Klärung bedurften. Welche Rolle spielten die übertrieben friedfertigen Pluuh in Flatterfeld? Sie besaßen eine Technologie, die man mit der der Terraner vergleichen konnte. Dennoch ließen sie sich von den Ysteronen narren, wenn sie glaubten, die Nickeldiebe in einem überwachbaren Abschnitt festgesetzt zu haben. Wo waren all die Molaaten geblieben, die nach Oserfans Erzählung spurlos verschwunden waren? Waren sie von den Ysteronen wirklich vernichtet worden? Atlan sah nur in einigen Punkten Klarheit. Er ergänzte diese mit ein paar Vermutungen, wobei er sich auf seine jahrtausendelange Erfahrung stützte. Irgendwann vor rund 3000 Jahren terranischer Zeitrechnung mußten die Ysteronen und die Pluuh schon in All‐Mohandot existiert haben. Die Pluuh mußten zu dieser Zeit an der Schwelle zu einer höheren Technologie gestanden haben, wie etwa die Menschen des Jahrhunderts, in dem er erstmals Perry Rhodan begegnet war. Die Ysteronen im anderen Teil der Kleingalaxis mußten zu dieser Zeit noch auf einem Planeten gelebt haben, denn Geschöpfe, die so wie sie gebaut waren, stufte Atlan als intelligente, großwüchsige
Pflanzenfresser ein, die durch Nahrungssuche an entsprechend hochgewachsenen Bäumen ihren Nahrungshaushalt bestritten. Sicher hatte in jener Zeit das Kores‐ bzw. Nickelmaul‐System auch noch an die zwanzig Planeten besessen. Dann mußte sich das zugetragen haben, von dem Traug‐Tul‐ Traug erzählt hatte. Jemand, der eigene Absichten verfolgte und den Ysteronen in wohl jeder Hinsicht überlegen gewesen war, hatte in den Lauf der Geschichte eingegriffen. Die Folge von diesem undurchschaubaren Geschehen, das den Ysteronen das höchste Glück bescheren sollte, war der Verlust ihrer Heimatwelt. Statt dessen lebte dieses Volk fortan in dem kalten und künstlichen Ysterioon. Atlan zweifelte nicht daran, daß bei dieser Gelegenheit alle Planeten des Kores‐Systems ein Opfer dieses Raubzugs geworden waren, von dem kleinen und unwirtlichen Glutplaneten Pryttar abgesehen. Er zweifelte auch nicht daran, daß diese Aktion nur dem Zweck gedient hatte, diese Planeten ihres Nickels zu berauben. Weiter folgerte er, daß Hidden‐X dann einen Machtfaktor in dem Ysterioon hinterlassen hatte, der fortan die Ysteronen so lenkte, daß diese auf Nickelraubzüge gingen. Dabei half den Riesen eine Technik, die sie kaum selbst verstanden. Die Reste der zerstörten Planeten fanden sich in jenem Trümmerring wieder, der Nickelmaul weit draußen im All umkreiste. Je weiter sich Atlan in die Geschichte hinzudenken versuchte, um so rätselhafter wurde alles. Die Rolle der Pluuh in diesem Geschehen konnte er noch am ehesten begreifen. Dieses Volk mit seiner friedlichen Grundhaltung riegelte sich und alle anderen Völker von Flatterfeld einfach von dem Machtbereich der Ysteronen (oder von Hidden‐X) ab. Daß es dabei Fehler machte und sich wenig einsichtig für Atlans Begehren gezeigt hatte, war in engem Zusammenhang mit der eigenartigen Mentalität der Pluuh zu sehen. Was aber war mit dem Nickel geschehen, das im Lebensbereich
der Ysteronen so merkwürdige Eigenschaften zeigte, die dieses Element von Natur aus gar nicht besaß? Atlan wußte hierauf keine Antwort, aber es waren gewisse Tendenzen eindeutig erkennbar. Das Ysterioon und seine Umgebung sollte von allen Fremden geschützt werden. Unter normalen Bedingungen konnte niemand in diese Zone vorstoßen. Die Pluuh unterstützten dies sogar noch, ohne etwas Konkretes um die Hintergründe zu wissen. Die Nickelstrahlung wirkte ferner auf die Ysteronen selbst. Oder es war ein großes Märchen aufgezogen worden, so daß dieses Volk nur glaubte, ohne dieses Element nicht mehr leben zu können. Dann waren da noch andere Faktoren. Im Nahbereich von wenigen Lichtjahren um das Nickelmaul‐System wurde dieses Element unwahrscheinlich beschleunigt. Dies galt zumindest dann, wenn Nickelmassen in reiner Form und in genügend großen Mengen auftraten. Dieses Nickel (wie wohl auch die unwahrscheinlichen Mengen, die die Ysteronen von ihren Raubzügen mitbrachten) verschwand in der Nähe der blauen Riesensonne im Hyperraum oder in einer anderen Dimension. An diesem Punkt seiner Überlegungen stieß der Arkonide auf einen Bereich, in dem er nur noch spekulieren konnte. Die Lösung all dieser Rätsel reizte Atlan nicht nur, weil er so die Möglichkeit sah, in All‐Mohandot oder in einem Teil dieser Kleingalaxis eine Friedenszelle bilden zu können. Das Rätsel an sich war eine Ergründung wert. Hinzu kam, daß inzwischen die Existenz vieler Solaner und seine eigene von einer Klärung abhingen. * Nach mehreren Schaltversuchen und Berechnungen durch die Bordpositronik der DUSTY QUEEN kam endlich ein brauchbarer Bild‐Sprech‐Kontakt zustande.
»Du bist ein Pluuh«, sagte der Ysterone, dessen Kopf auf dem Bildschirm sichtbar wurde. Atlan benutzte seinen Translator, als er antwortete. »Du irrst dich, Ysterone. Mein Name ist Atlan, und ich bin kein Pluuh, auch wenn ich den Leuten dieses Volkes sehr ähnlich sehe. Wir sind in einer friedlichen Mission hier. Nenne mir bitte deinen Namen und verbinde mich mit einem verantwortlichen Führer deines Volkes, dem ich unser Anliegen vortragen kann.« Der Ysterone starrte mit unergründlichem Gesichtsausdruck auf den Arkoniden herab. »Nenne mich Woz«, erklärte er nach einer Weile vorsichtig. »Und erkläre mir, wieso du hier bist.« »Wo bin ich denn, Woz?« fragte Atlan respektlos zurück. Der Ysterone wand sich, als ob er unsicher sei. »Ich habe die Information erhalten«, wich er aus, »daß in der Nähe des Ysterioons ein Fremdkörper aufgetaucht sei. Bist du dieser Fremdkörper?« Atlan folgerte sofort, daß dieser Ysterone offensichtlich über die grundsätzlichsten Dinge nicht Bescheid wußte. Er beschloß, bei der Wahrheit zu bleiben. »Ich bin hier mit einem Raumschiff«, gab er zur Antwort. »Und ich bin nicht allein. In größerer Entfernung befindet sich ein noch viel größeres Schiff. Es kann sich aber nicht bewegen, weil ihr eine Strahlung ausschickt, die es an einen Planeten fesselt.« Woz blickte den Arkoniden an, als ob er kein Wort verstanden hätte. Wieder ließ er sich mit einer Antwort viel Zeit. »Du kannst ja auch nicht in der Nähe des Ysterioons sein«, meinte er schließlich. »Und doch bist du da. Außerdem störst du uns in einem wichtigen Augenblick.« Der Ysterone Woz wich plötzlich zur Seite. An seiner Stelle erschien der Kopf eines anderen Angehörigen dieses Volkes auf dem Bildschirm. »Mein Name ist Jancef«, stellte er sich vor. Jancef sprach gewandt, schnell und sicher. »Wir haben im Moment wirklich keine Zeit, um
uns um das Rätsel zu kümmern, das ihr für uns bedeutet, Atlan. Wer befindet sich noch an Bord deines Raumschiffs und was wollt ihr?« »Wir wollen, daß unser Mutterschiff von der Oberfläche eines Planeten befreit wird, der in etwa vier Lichtjahren Entfernung steht.« Damit hatte Atlan das eigentliche Ziel seines Hierseins formuliert. »Das ist unmöglich und außerhalb unserer Möglichkeiten«, antwortete Jancef schroff. »Wer befindet sich noch an Bord deiner Raumkugel?« Er kennt zumindest die Form der Korvette, warnte Atlans Extrahirn. »Mehrere Angehörige meines Volkes«, antwortete der Arkonide. »Außerdem ein Ysterone und ein paar andere Wesen.« »Ein Ysterone?« brauste Jancef auf. »Du lügst.« Statt einer Antwort schwenkte Atlan die Aufnahmeeinrichtung so herum, daß sie nun Girgeltjoff zeigte. Jancef stieß einen undefinierbaren Laut aus. »Wer bist du?« »Girgeltjoff«, sagte der Ysterone einfach. »Wie konntest du das Ysterioon verlassen?« »Ich bin während eines Nickelraubzugs mit einem fremden Raumschiff zu den Pluuh geflohen, weil ich die Schmach nicht mehr ertragen konnte.« Diese Antwort war zwar ungenau, aber sie entsprach der Wahrheit. Nun war auch Jancef sichtlich verwirrt. »Ihr kommt zu einem Zeitpunkt, der völlig ungeeignet ist«, wiederholte er. »Das Gespräch ist damit beendet.« »Warte«, rief Atlan rasch. Jetzt half nur noch die Flucht nach vorn. Er schob mit einer schnellen Bewegung den Molaaten Oserfan vor die Optik. Der kleine Wissenschaftler war nun zusammen mit dem riesigen Girgeltjoff im Aufnahmebereich. »Das ist …«, stammelte Jancef und brach in einen wilden Schrei aus. Atlan sah deutlich, daß er noch etwas sagen wollte, aber in diesem
Moment wurde das Bild von Schlieren überzogen. Kurz darauf brach die Verbindung zusammen. »Was, zum Teufel«, schimpft Brooklyn, »hat das nun wieder zu bedeuten? Jetzt sind wir kurz vor dem Ziel, und da treffen wir auf lauter verwirrte Idioten.« »Ich glaube, Brooklyn«, behauptete Atlan sanft, aber nachdrücklich, »du stellst dir unsere Aufgabe etwas zu einfach vor. Die Reaktion des Ysteronen auf das Bild eines Molaaten kennst du doch noch von Worsian‐IV. Unsere kleinen Freunde können diesen Riesen einen panikartigen Schrecken einjagen.« Die Magnidin machte eine Handbewegung, die ihrer Unzufriedenheit Ausdruck gab. Sie verfolgte kaum, wie sich Sternfeuer erneut mit der SZ‐2 über Hyperfunk in Verbindung setzte und über das jüngste Ereignis berichtete. »Was soll nun geschehen?« Brooklyn deutete auf den erloschenen Bildschirm. Trotz mehrerer Versuche kam kein Kontakt mehr zu den Ysteronen zustande. »Sie wissen jetzt erst einmal, daß wir da sind und was wir wollen. Jetzt werden sie sich beraten, und wahrscheinlich weiß auch schon Hidden‐X, daß es jemand gelungen ist, zum Ysterioon vorzustoßen.« »Sie könnten uns angreifen«, befürchtete die Magnidin. »Wir können uns wehren oder fliehen.« Der Arkonide blieb gelassen. »Hier im Nahbereich des Ysterioons sind wir voll manövrierfähig. Raumschiffe habe ich bei den Ysteronen noch nicht festgestellt, und ihr Kugeloktogon ist unbeweglich. Angst brauchen wir daher nicht zu haben. Ich rechne allerdings damit, daß man sich über kurz oder lang um uns kümmern wird. Vielleicht stimmt es tatsächlich, daß wir in einem ungünstigen Augenblick hier aufgetaucht sind. Möglicherweise ist es noch nie vorgekommen, daß Fremde dieses System erreichten. Auch das muß die Ysteronen stutzig machen. Also warten wir erst einmal ab. Wenn in der nächsten Stunde nichts geschieht, fliegen wir vorsichtig näher an das Ysterioon heran.«
Brooklyn seufzte unzufrieden, aber sie hatte keinen besseren Vorschlag. Auch wenn sie es nicht offen aussprach, so verließ sie sich in einer ungewohnte Situation, wie es diese war, lieber auf den erfahrenen Arkoniden. »Es gibt eigentlich nur einen Grund«, sagte Girgeltjoff, »der unser Auftauchen in einem ungünstigen Moment erscheinen lassen könnte.« »Und der wäre?« fragte Atlan. »Ein Teil meines Volkes bereitet sich auf einen neuen Raubzug vor. Diese Vorbereitungen dauern in der Regel zwei oder drei Tage nach eurer Zeitrechnung. In dieser Zeit haben sie nur eins im Kopf, nämlich Nickel zu besorgen. Die technischen Vorbereitungen sind ebenfalls umfangreich, denn die Anlage, mit der der Sperrgürtel der Pluuh umgangen wird, arbeitet nicht ununterbrochen.« »Wir würden die Ysteronen also zu einem Zeitpunkt treffen«, folgerte der Arkonide, »in dem sie abgelenkt sind.« Girgeltjoff bestätigte dies. »Die Macht in der Tabuzone, die du Hidden‐X nennst«, warnte er aber gleichzeitig, »schläft nie.« »Egal«, entschied Atlan. »Dieser Zeitpunkt ist günstiger als jeder andere. Ich weiß zwar noch nicht, wie wir in das Ysterioon gelangen sollen, aber wir sollten es sofort versuchen. Schließlich haben wir nicht beliebig viel Zeit.« Die Solaner an Bord stimmten ihm sofort zu, auch wenn der Anblick des Ysterioons nichts Gutes verhieß. Die SZ‐2 wurde informiert. Auch Palo Bow hatte keine Einwände. Breckcrown Hayes beschleunigte die DUSTY QUEEN und hielt dabei direkt auf das mächtige Kugeloktogon zu. Die Triebwerke arbeiteten ohne jede Beeinträchtigung. »Energietaster und Ortung voll besetzen«, verlangte Atlan. »Ich möchte mehr über die Strahlungen wissen, die von dem Ysterioon ausgehen. Eine davon hält schließlich die SZ‐2 fest. Hier in der unmittelbaren Nähe sollten wir etwas mehr Klarheit in diese Sache bringen können.«
Brooklyn machte sich sofort an die Arbeit. Die DUSTY QUEEN erreichte sehr bald halbe Lichtgeschwindigkeit. So würde man in weniger als einer Stunde in der unmittelbaren Nähe des Ysterioons sein, das auf dem Hauptschirm nun schnell größer wurde. »Es existieren tatsächlich zwei unterschiedliche Hyperenergiekomponenten«, meldete Brooklyn schon bald. »Ich habe ein paar einfache Tests gemacht, um zumindest die Wirkungen beurteilen zu können. Eine Strahlung muß sehr weitreichend sein, also über diese Galaxis hinausreichen. Das muß der Anteil sein, den Breiskoll gespürt hat. Auch ist diese Komponente keinen Veränderungen unterworfen. Ich nenne diese Strahlung die Nickel‐ Mental‐Komponente. Um sie brauchen wir uns eigentlich nicht weiter zu kümmern. Sie kommt aus der Zentralkugel, also aus der von Girgeltjoff erwähnten Tabuzone. Die andere Strahlung ist unser eigentlicher Gegner. Sie hat ihren Ursprung am gleichen Ort, aber sie wirkt nicht nur anders, sie tritt auch mit unregelmäßigen Schwankungen auf. Diese Nickel‐Absorber‐Strahlung, wie ich sie genannt habe, bewirkt, daß künstliche Körper, wie es Raumschiffe sind, bei der Annäherung an das Ysterioon irgendwann abgebremst und zur Bewegungslosigkeit verdammt werden. Damit kennen wir zwar die Wirkung, aber nicht die Ursache. Es muß die gleiche Strahlung sein, die als zweite Auswirkung reines Nickel beschleunigt, in die Nähe von Nickelmaul bringt und dort in einem anderen Kontinuum verschwinden läßt. Auch hier kennen wir nur die Wirkung.« »Mir genügt es eigentlich«, sagte Atlan, »die Wirkungen genau zu kennen, wenn ich gleichzeitig den Ursprungsort weiß. Er ist dort.« Sein ausgestreckter Arm zeigte auf die Zentralkugel des Ysterioons. »Ihr erinnert euch daran, daß Breiskoll in der tausendmal kleineren Raumstation eine Statue vorfand, die einen Ysteronen darstellte. Ich wette, daß im Zentrum ein ähnliches Ding steht, in
dem dieser Hidden‐X als Drahtzieher wirkt. Das ist unser Ziel, denn nur dort können wir die Strahlung beseitigen, die die SZ‐2 fesselt.« »Zu dieser Wette kann ich nichts sagen«, meinte Sanny, »denn hier handelt es sich nicht um eine berechenbare Angelegenheit.« »Alarm«, rief Breckcrown Hayes im gleichen Moment. »Etwas zieht uns an.« Die Entfernung zum Ysterioon betrug nun nur noch knapp 10 000 Kilometer. »Ein normaler Traktorstrahl.« Brooklyn deutete auf die Anzeigen der Energieortung. »Wir können ihm ausweichen.« »Zielpeilung!« verlangte Atlan. Diesmal war Sanny wieder schneller als die von Brooklyn bediente Positronik. »Die mittlere Kugel der uns zugewandten Seitenfläche«, behauptete die Molaatin. »Dann lassen wir uns ziehen«, entschied der Arkonide. »Schließlich wollen wir in dieses Ding hinein, und so geht es vielleicht noch schneller.« Als er den sorgenvollen Blick Brooklyns sah, fügte er hinzu: »Schutzschirme auf halbe Energie. Antigrav zum Abblocken des Traktorstrahls vorbereiten. Triebwerke für Alarmstart klarmachen.« Breckcrown Hayes gab kurz darauf das Zeichen, aus dem Atlan ersehen konnte, daß man nun auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Die DUSTY QUEEN stürzte im freien Fall, nur von dem Zugstrahl der Ysteronen gezogen und gelenkt, auf das Ysterioon zu. Auch jetzt blieben die Funkanlagen stumm. Die Fahrt verlangsamte sich, je näher man dem Würfel aus 27 Kugeln kam, und damit beruhigten sich die Gemüter derjenigen, die das Schlimmste befürchteten. »Die Kugeln sind tatsächlich aus reinem Nickel.« Die Magnidin fand auch jetzt noch Zeit, um die Ortungs‐ und Tasteranzeigen auszuwerten. »Es öffnet sich eine Schleuse in der Außenhülle der von Sanny bezeichneten Kugelzelle. Das soll wohl unser Ziel sein.«
»Unser Ziel ist die Abschaltung des Absorberstrahls«, erklärte Atlan hart. »Vergeßt das nie.« »Funkverbindung abgerissen«, rief Sternfeuer im gleichen Moment, in dem die DUSTY QUEEN durch die Öffnung in die Kugelzelle schwebte. »Ich spüre auch Bjo und Federspiel nicht mehr.« »Ganz ruhig bleiben.« Atlan schaltete die Außenbeobachtung ein. Er erblickte nur kahle Wände unter schwacher Beleuchtung. Die DUSTY QUEEN setzte etwas unsanft auf. Mit einem dröhnenden Krachen, das sich über den Boden der Halle in das Innere der Korvette übertrug, schloß sich die Wand des Ysterioons. »300 Kilometer bis Hidden‐X«, sagte Atlan mit einer Spur Sarkasmus. »Die müssen wir noch schaffen.« »In der Tabuzone kann niemand existieren«, behauptete Girgeltjoff matt. Er war in seine Heimat zurückgekehrt, aber er wußte selbst nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Wie würden die Ysteronen reagieren? Und wie die Macht in der Zentralkugel? Auch Atlan wußte auf diese Fragen keine Antwort. Er wußte auch zwei Stunden später nicht mehr, als die Naherkundung ergeben hatte, daß insgesamt vier große Korridore aus der Halle führten. Sonst tat sich nämlich absolut nichts. Die Funkanlagen schwiegen, und die Ysteronen ließen sich nicht blicken. 8. Während der Wartezeit blieb die Mannschaft der DUSTY QUEEN nicht untätig. Als die nähere Umgebung der Halle, in die die Korvette gebracht worden war, bekannt war, ging man daran, alles über das Ysterioon zu erfahren, was sonst noch möglich war. Leider lieferten die Energietaster nur verschwommene Ergebnisse.
Es gab unterschiedliche Energien aus allen Richtungen, die zum Bereich des Kugeloktogons gehörten. Auch die Massetaster zeichneten kein klares Relief der Umgebung auf, denn überall herrschte eine diffuse Hyperenergiekomponente, die alle Messungen verfälschte oder verwischte. Einzig und allein die Schwerkraft ließ sich genau ermitteln. Sie betrug 0,8 Gravos. Girgeltjoff konnte mit diesem Wert, der für die Solaner angenehm war, nichts anfangen. Er erklärte jedoch, daß dies die normale Schwerkraft des Ysterioons sei und daß die Bezugsrichtung sich nie ändern würde. Das bedeutete, daß es eine gemeinsame Richtung der Anziehung gab und daß es in dem Kugelgebilde ein ständiges Oben und Unten geben mußte. Brooklyn fertigte mit Hilfe dieser Angaben eine Skizze des Ysterioons auf einem positronischen Bildschirm und trug dort auch die Position der DUSTY QUEEN ein. In Bezug auf die Schwerkraft befand man sich in einer Randkugel der mittleren Ebene. Die Verbindungsstollen von 30 Kilometern Durchmesser zu den drei seitlich angrenzenden Kugeln, von denen eine die Zentralkugel war, verliefen also waagrecht. Zu der darüber und darunter liegenden Kugelzelle führten nach Girgeltjoffs Aussage Antigravschächte, aber auch Verkehrswege, die von Rad‐ und Antigravfahrzeugen benutzt werden konnten. Diese Korridore bestanden aus mehreren Decks, die quer zur Stollenrichtung verliefen. Ein letztes kleines Geheimnis konnte man dem Ysterioon noch entreißen, als man begann, das umgebende Nickel genauer zu analysieren. Dabei war es so, daß knapp die Hälfte allen erkennbaren Materials aus Nickel bestand. Die übrige Masse setzte sich aus den anderen Elementen zusammen. Sie enthielt auch in geringen Spuren Nickel, das nicht die Besonderheit der Masse dieses Elements besaß. Diese Masse strahlte, weil sie von einer Quelle, die eigentlich nur
in der Zentralkugel liegen konnte, ununterbrochen angeregt wurde. Dabei veränderte sich die Zusammensetzung der Atomkerne pausenlos. Die dabei abgegebene Strahlung war von reiner Hypernatur und wurde von der Quelle in der Mitte des Ysterioons ständig ersetzt. Die geringen Mengen Nickel, die sich diesem Prozeß nicht anschlossen, waren solche, die von einem seltenen Isotop dieses Elements stammten. »Das Nickel ist also nicht verändert«, folgerte Oserfan, der mit wissenschaftlicher Begeisterung Brooklyn und Atlan unterstützte. »Es wird nur in einem permanenten Zustand einer Scheinveränderung gehalten, um die beiden Hyperkomponenten abzugeben.« »Das wiederum unterstreicht«, ergänzte der Arkonide, »daß unsere ursprüngliche Annahme richtig war. Die Wurzel des Übels liegt in der ominösen Tabuzone der Mittelkugel.« Atlan versuchte noch einmal von Girgeltjoff mehr über diesen Abschnitt des Ysterioons zu erfahren, aber der junge Ysterone schüttelte nur mit dem Kopf. Er war in seinem Leben nie dort gewesen. Sein Herkunftsort mußte einer der oberen Querstollen sein. Diesen Bereich hatte er nur einmal verlassen, als man ihn zu einem Raubzug nach der Sternballung Bumerang mitgenommen hatte. Der »Tunnel«, durch den er dabei gegangen sei, sei »tiefer« gelegen. Viel konnte Atlan in der Tat mit diesen dürftigen Aussagen nicht anfangen. So faßte er schließlich einen anderen Entschluß. »Wenn sich die Ysteronen nicht mit uns in Verbindung setzen«, erklärte er, »dann müssen wir es eben tun. Ich bin die Warterei leid. Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir handeln.« »Und wie stellst du dir das vor?« wollte die Magnidin wissen. »Ich sehe mich um, und ich nehme dazu ein paar Leute und Roboter mit.« Als er sah, wie Brooklyn das Gesicht verzog, fuhr Atlan sogleich
fort: »Ich weiß, Schwester der ersten Wertigkeit, daß du mich nicht gern aus den Augen läßt. Trotzdem möchte ich dich bitten, in der DUSTY QUEEN zu bleiben. Jemand muß hier für Ordnung sorgen und als kompetente Person da sein, wenn hier doch noch Ysteronen auftauchen.« Die Magnidin zögerte noch mit ihrer Zustimmung. »Wen willst du mitnehmen?« »Auf alle Fälle Girgeltjoff. Auch wenn er diesen Abschnitt des Ysterioons nicht kennt, kann er mir helfen. Außerdem brauche ich drei Kampfroboter und natürlich Sternfeuer, damit ich laufend erfahre, was hier geschieht. Sie kann sich auf deine Gedanken schalten, und so kannst du mich jederzeit erreichen.« »Das klingt vernünftig, Atlan«, gab Brooklyn zu. »Aber wie erfahre ich, was mit euch geschieht?« »Ich komme auf alle Fälle zurück. Natürlich versuchen wir per Funk Kontakt zu halten. Da die Verbindung zur SZ‐2 aber unterbrochen ist, nehme ich nicht an, daß es unter uns besser klappt.« Als Brooklyn schließlich einverstanden war, meldete sich Sanny zu Wort. Gestenreich begann sie zu erklären, daß sie Atlan eine wertvolle Hilfe sein würde. »Ich bin klein«, sagte sie mit ihrer melodischen Stimme. »Ich kann mich jederzeit verstecken, am besten in Girgeltjoff s Kombination. Außerdem kannst du keine Positronik mitschleppen. Und ich kann nützlich sein, wenn es etwas zu berechnen gibt.« Atlan wartete auf den Protest Oserfans, aber der nickte zustimmend. Er wurde den Verdacht nicht los, daß die Molaaten jetzt, wo sie nach den Erlebnissen auf Worsian‐IV ihre Rachegelüste endgültig abgelegt hatten, nicht minder verbissen an der Aufklärung des Schicksals ihres Volkes arbeiten wollten. Also willigte er in den Vorschlag Sannys ein. Sie wählten willkürlich einen der vier Ausgänge aus der Halle, in
der sich nach dem Schließen der Eingangsschleuse ein atembares Luftgemisch angesammelt hatte. Um so rätselhafter war das Verhalten der Ysteronen, die sich um ihre Gäste oder Gefangenen überhaupt nicht zu kümmern schienen und auch sonst nichts getan hatten, was einem Eindringen in das Ysterioon entgegenstand. Der Gang, durch den sie schritten, war 25 Meter hoch. »Diese Höhe findet man überall im Ysterioon«, klärte Girgeltjoff die anderen auf. »Sicher gibt es höhere Räume, aber niedrigere habe ich noch nie gesehen.« An einer Seiten wand schimmerte ein Leuchtband, das den Weg ausreichend erhellte. Die Wände waren glatt und eckig und ausschließlich aus Metall. »Nickel«, behauptete der Ysterone. Dumpfe Klänge ertönten wie aus weiter Ferne und brachen sich an den kantigen Wänden. Lebewesen waren weit und breit nicht zu sehen, auch nicht in den Quergängen, die man passierte. »Ist es überall so leer im Ysterioon?« fragte Sanny Girgeltjoff. Die Molaatin hockte in einer Schultertasche der Kombination des Ysteronen und schaute dort nur mit ihrem Oberkörper heraus. »Ich weiß es nicht.« Girgeltjoff setzte schwankend seine vier Beine voreinander. »In dem Abschnitt, in dem ich aufgewachsen bin, sieht es völlig anders aus. Hier scheint es sich eher um eine technische Zone zu handeln, und von diesen Dingen verstehe ich fast nichts.« Der Weg, den sie gekommen waren, mündete in eine breite Straße, auf der vier Spuren vorgezeichnet waren. Auch hier blieb die Höhe mit 25 Metern konstant, allerdings war dieser Gang fast 80 Meter breit. Girgeltjoff, der die kleine Gruppe anführte, blieb stehen. Atlan blickte neben ihm vorsichtig um die Ecke. Dieser Korridor war hell erleuchtet, aber es war niemand zu sehen. »Solche Wege kenne ich nicht«, gab der Ysterone kleinlaut zu. »Die Geräusche kommen von dort.« Er zeigte mit einem Arm nach
rechts. »Wo entlang soll es weitergehen?« Der Arkonide zögerte, denn dieser breite Gang bot keine Deckungsmöglichkeiten, so weit er ihn überblicken konnte. Er versuchte von hier aus, wo man sich etwa zwei Kilometer von der DUSTY QUEEN entfernt befand, Funkkontakt mit Brooklyn aufzunehmen. Die Verbindung kam noch zustande, aber sie war von heftigen Rauschtönen überlagert. Er berichtete, was sich bis jetzt zugetragen hatte. »Ich rechne damit«, schloß er, »daß wir euch nicht mehr über Funk empfangen können, wenn wir in diesen breiten Gang eingebogen sind.« »Viel Erfolg«, klang die Stimme Brooklyns durch die überlagernden Störgeräusche. »Vorsicht!« warnte im gleichen Moment Sanny. Girgeltjoff zog sich sogleich in den Seitengang zurück, denn er hatte ebenfalls das sich nahende Gefährt erblickt. Ein offenes Radfahrzeug eilte in hoher Geschwindigkeit heran. Wilde, sich überschlagende Töne erklangen aus vielen Kehlen. Das Fahrzeug schoß vorbei, ohne daß Atlan und seine Begleiter bemerkt wurden. Der Arkonide erkannte etwa 40 Ysteronen, die auf der breiten Plattform des Gefährts saßen und die seltsamen Laute von sich gaben. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er Girgeltjoff, als das Mobil in der Ferne verschwunden war. »Es ist so, wie ich schon vermutet habe. Es steht ein Nickelraubzug bevor, und die meisten Angehörigen meines Volkes befinden sich in einer Art Rausch. Sie überdecken damit das starke Schamgefühl, denn das, was sie tun werden, widerstrebt ihnen zutiefst. Sie folgen einem inneren Drang.« »So ist es«, bestätigte Sternfeuer dem Arkoniden. »Ich konnte mehrere Gedanken der Ysteronen auffangen, als diese in Sichtweite waren. Weiter reichen meine telepathischen Fähigkeiten bei diesen
Riesen allerdings nicht.« Atlan wollte von Girgeltjoff noch wissen, wohin sich das Fahrzeug begeben haben könnte, aber der Ysterone konnte diese Frage nicht beantworten. »Dann soll es uns egal sein«, entschied er. »Eine Richtung ist wahrscheinlich so gut wie die andere. Wir folgen dem Fahrzeug.« Die seltsamen Klänge, die durch diesen Bereich des Ysterioons schwangen, ebbten ab, während die kleine Gruppe durch den breiten Korridor eilte. Girgeltjoff stürmte voran, Sanny in seiner Schultertasche. Dann folgten die drei Roboter. Den Schluß bildeten Atlan und Sternfeuer, die Mühe hatten, bei diesem Tempo zu folgen. Schon nach wenigen Minuten trafen sie auf eine kleinere Abzweigung. Atlan lauschte einen Augenblick. »Wenn mich nicht alles täuscht«, meinte er, »dann kommt das Dröhnen und Donnern aus dem Nebengang.« »Es kommt aus beiden Richtungen gleichzeitig«, rief Sanny von oben herab. Wortlos eilte der Arkonide in den Nebengang, und die anderen schlossen sich ihm an. Da dieser Weg nur wenige Meter breit war, kam man etwas langsamer voran. Auch hier herrschte eine künstliche Beleuchtung vor, die einen leichten Blauschimmer hatte. Atlan dachte unwillkürlich an die Heimatsonne Kores der Ysteronen, die ja ebenfalls in einem sanften Blau erstrahlte. Es war durchaus möglich, daß die Ysteronen in ihrem künstlichen Gebilde diese Sonnenstrahlung nachgebildet hatten. Oder Hidden‐X hat es für sie getan, fügte sein Extrasinn hinzu. Kurz darauf entdeckten sie eine breite Öffnung in der Decke, in die ein heftiger Luftstrom zog, der von voraus kam. »Es scheint sich um eine Art Be‐ oder Entlüftungssystem zu handeln«, vermutete Atlan. Der weitere Gang war nicht beleuchtet. Auf Atlans Aufforderung schaltete einer der Roboter einen Scheinwerfer ein.
Der Korridor fächerte vor ihnen in mehrere Dutzend wabenähnliche Einzelgänge auf, von denen jeder nur etwa zwei Meter hoch und einen Meter breit war. Aus dieser Anordnung wurde die Luft geblasen, die in dem Schacht nach oben abgezogen wurde. Für Girgeltjoff war der Weg hier zu Ende. »Wir haben in etwas unrichtigen Maßstäben gedacht«, überlegte Atlan, »als wir in diesen Seitengang gingen. Für mich wirkte er wie ein breiter Korridor in der SOL. Für die Ysteronen handelt es sich wohl eher um einen schmalen Pfad, der zu einer Stelle führt, an der irgendwelche Wartungsarbeiten durchgeführt werden können.« Die merkwürdigen Geräusche, die sie von Anfang an wahrgenommen hatten, schwollen plötzlich zu einem schrillen Pfeifen an. Girgeltjoff stieß ein Stöhnen aus und schloß seine Augen. »Vorsicht«, piepste Sanny, wobei zunächst nicht klar war, was sie meinte, denn der Ysterone schwankte merkwürdig. Aus der Wabenordnung flogen mehrere weiße Gebilde heran und zogen an den Eindringlingen vorbei. Die Stücke waren etwa so groß wie ein menschlicher Oberkörper und sahen aus wie riesige Wattebäusche. Auch mehrere kleinere Fetzen waren dabei. Sie strichen vorbei und verschwanden in dem Luftstrom, der nach oben führte. Erst als das Singen verklang, beruhigte sich Girgeltjoff wieder. »Entschuldigt mein Verhalten«, bat er seine neuen Freunde. »Aber dieses Geräusch hat mich an etwas erinnert, das ich gern als nicht geschehen betrachten würde.« Er stockte. »Sprich ruhig weiter, Girgy«, rief ihm Sanny zu. »Wir sind bei dir, und wir werden dir helfen.« Der Ysterone ließ sich auf seinen vier Gliedmaßen nieder. »Dieses Geräusch stammt von dem Tunnel«, erklärte er zögernd, »der von meinem Volk benutzt wird, wenn wir das Ysterioon verlassen.«
»Du meinst«, sagte die Molaatin, »um von fremden Planeten das Nickel zu rauben?« Der Ysterone nickte dumpf. »Und was bedeuten die Watteballen«, wollte Atlan wissen, »die uns um die Ohren flogen?« »Nichts Wichtiges. Ich glaube, es handelt sich um ein gelegentliches Abfallprodukt, das bei der Inbetriebnahme des Tunnels auftritt.« »Das bedeutet«, folgerte der Arkonide, »daß wir uns in der Nähe der Stelle befinden müssen, von der aus die Nickelräuber zu ihren Ausflügen starten.« Wieder nickte Girgeltjoff. »Es kann aber sein, daß es mehrere solche Startplätze gibt.« Atlan deutete auf die Waben. »Dieses riesige Gitter sieht nicht so aus, als könnte es mir den Weg versperren. Ich möchte zu gern sehen, was dahinter ist.« Sie berieten sich kurz. Girgeltjoff paßte natürlich nicht in diese für ihn viel zu engen Maschen. Sternfeuer war sofort bereit, Atlan zu begleiten. »Ich möchte hier nicht allein bleiben«, jammerte der riesige Ysterone, als er merkte, was Atlan beabsichtigte. »Kann wenigstens Sanny auf mich aufpassen?« Es war grotesk für den Arkoniden, daß der ungeheuer große Ysterone sich Schutz und Zuspruch von einem nur 47 Zentimeter großen Wesen erhoffte. »Sanny bleibt hier«, sagte Atlan. »Außerdem nehmen wir nur einen der Roboter mit.« Girgeltjoff atmete hörbar auf. Bevor sich Atlan mit Sternfeuer und dem Roboter auf den Weg in das Wabengeflecht machte, vergewisserte er sich bei der Mutantin, daß in der DUSTY QUEEN alles in Ordnung war. »Dort hat sich nichts ereignet«, teilte ihm Sternfeuer mit.
* Der Weg durch die Waben war einfach, denn es gab keine Hindernisse. Der ständige Luftzug hemmte sie nicht am Vorwärtskommen. Nach einer Strecke von etwa 100 Metern erhellte sich die Umgebung wieder. Helles Licht kam von vorn. Atlan pirschte sich nun vorsichtig weiter. Sternfeuer und der Roboter blieben dicht hinter ihm. Als die verschachtelten Waben den Blick freigaben, fanden sich die drei auf einer Art Empore wieder. Vor ihnen lag eine riesige Halle, deren Durchmesser Atlan auf mindestens 500 Meter schätzte. Die obere Decke war nur undeutlich zu erkennen, weil nur die Bodenregion stark beleuchtet war. Der Raum war jedoch mindestens einen Kilometer hoch.. Zahlreiche Eingänge führten in den 60 kreisrunden Saal, auf dessen einer Seite riesige Maschinen standen. In der Mitte der Bodenfläche leuchteten in einem Abstand von etwa einhundert Metern zwei grellrote Punkte. Auf einer dünnen Linie, die diese beiden Punkte verband, versammelten sich etwa 30 oder 40 Ysteronen. Die Nickeldiebe schwangen ihre kurzen Arme und winkten damit mehreren hundert Ysteronen zu, die am Rand der Halle standen. Dabei stießen alle Ysteronen jene seltsamen Laute aus, die man zuvor schon gehört hatte. Atlan schob Sternfeuer und den Roboter hinter einen mächtigen Pfeiler in Deckung. Der Lärm in der riesigen Halle war so groß, daß sie sich unbehindert unterhalten konnten. »Ich will wissen, was sich dort unten abspielt«, sagte er zu der ehemaligen Schläferin. »Das kann ich dir schon jetzt in groben Zügen sagen.« Sternfeuer gab ihm damit zu verstehen, daß sie die Gedanken der aufgebrachten Ysteronen auffing. »Sie bereiten sich auf etwas vor,
was man Abreise nennen könnte. Es handelt sich um den von Girgeltjoff erwähnten Auszug, um Nickel zu holen. Die geistige Verwirrung bei den Ysteronen ist groß. Es ist so, als ob ein unstillbarer Drang ihre normale Mentalität völlig überlagert. Sie schämen sich auch jetzt noch für ihr Handeln, aber sie stellen dies nur unterbewußt fest.« Plötzlich erklang wieder der schrille, singende Ton. Atlan nahm wahr, daß er von den mächtigen Maschinenblöcken kam. Kurz darauf schossen helle Flammen aus den beiden grellroten Punkten in der Mitte der Halle. Die beiden Strahlen vereinigten sich dicht unter dem kilometerhohen Gewölbe. Wie übergroße Schneeflocken rieselten von dort oben die wattebauschähnlichen Gebilde herab. Sie wurden von mehreren Seiten abgesogen, bevor sie den Boden erreichten. Die Ysteronen am Rand der Halle brachen in laute Jubelrufe aus, und im gleichen Moment verschwanden jene Nickelräuber, die unter dem strahlenden Bogen standen. »Also ist das, was Girgeltjoff den Tunnel nannte«, sagte Atlan, »doch nichts weiter als ein riesiger Transmitter. Damit narren die Ysteronen seit einer Ewigkeit ihre Wächter, die Pluuh. Und diese Narren sorgen durch ihre Abriegelung auch noch dafür, daß die Nickelräuber ungestört auf ihre Raubzüge gehen können.« »So ist es wohl«, bestätigte Sternfeuer, während sich unter ihnen bereits weitere Ysteronen bereit machten, um auf der Linie zwischen den roten Punkten Aufstellung zu nehmen. Der Lichtbogen der transmitterähnlichen Maschine war inzwischen erloschen. Plötzlich spürte Atlan, wie ihn Sternfeuer heftig am Oberarm packte. Er drehte sich um und blickte der Frau in die Augen »Brooklyn schlägt Alarm«, sagte Sternfeuer heiser. »Ysteronen sind zur DUSTY QUEEN vorgedrungen. Sie tragen der Magnidin eine Art Ultimatum vor. Sie wissen auch, daß wie in ihren Lebensbereich vorgedrungen sind, und sie suchen nach uns.«
9. Sie eilten durch das Wabengebilde zurück zu Girgeltjoff und Sanny. Als Sternfeuer dem Ysteronen mitteilte, was sie in Erfahrung gebracht hatte, stieß dieser einen entsetzten Schrei aus. »Es hat eine Weile gedauert«, klagte Girgeltjoff, »aber jetzt haben sie wohl gemerkt, wer ich bin. In ihren Augen bin ich ein Verräter. Sie suchen nur mich.« »Das glaube ich weniger«, meinte Atlan. »Verliere bitte nicht den Kopf. Die Lage ist für uns alles andere als angenehm.« Gemeinsam nahmen sie den Weg, den sie gekommen waren. Sternfeuer hielt schon nach wenigen Schritten an. »Neues von Brooklyn«, teilte sie Atlan mit. »Es sind zwanzig Ysteronen bei der DUSTY QUEEN. Sie sind mit eigenartigen Stöcken bewaffnet, die die Magnidin an Neuropeitschen erinnern. Brooklyn meint, wir sollten uns genau überlegen, ob wie der Aufforderung der Nickeldiebe Folge leisten.« »Welche Aufforderung?« Atlan setzte den Weg fort. »Sie verlangen, daß wir alle umgehend zu unserem Raumschiff zurückkehren. Was die Ysteronen wirklich vorhaben, weiß Brooklyn auch nicht.« »Sie suchen mich«, jammerte Girgeltjoff. »Ich will aber lieber bei euch bleiben, denn ich fürchte mich vor der Bestrafung.« Atlan überlegte, was in dieser Situation am besten zu tun wäre. Sein oberstes Ziel war nach wie vor die Befreiung der Solzelle von Break‐2. Wenn er dieses erreichen wollte, mußte er in näheren Kontakt mit den Ysteronen kommen. Wenn er diese weiter verärgern würde, käme er immer weiter von diesem Ziel ab. »Wir kehren zurück«, erklärte er laut. »Nur dann haben wir eine Chance zu Verhandlungen. Ich möchte unser Ziel möglichst mit friedlichen Mitteln erreichen.« Als Girgeltjoff wieder einen Klagelaut ausstieß, fügte der
Arkonide hinzu: »Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, damit dir nichts geschieht.« Der Ysterone war damit vorerst zufrieden und schwieg. Mit seinem schwankenden Paßgang trabte er weiter. Sie erreichten den breiten Korridor und bogen dort in die Richtung ab, aus der sie zuvor gekommen waren. Auf dem halben Weg zu dem Nebengang brauste wieder ein Plattformgleiter der Ysteronen heran. Es war zu spät, um sich irgendwo zu verbergen. Die drei Kampfroboter signalisierten ihre Einsatzbereitschaft, aber Atlan gab den Befehl abzuwarten. Das lange Gefährt hielt neben den Ausgebrochenen. Es befanden sich sieben Ysteronen auf ihm. Drei von ihnen sprangen herab und stellten sich neben den Flüchtigen auf. »Girgeltjoff« dröhnte die Stimme eines Ysteronen. Atlans Translator übersetzte die Worte simultan. »Was suchst du bei denen, die unserem Volk Schaden zufügen wollen?« Der Ysterone war so verschüchtert, daß er kein Wort hervorbrachte. Da streckte Sanny ihren Kopf aus der Brusttasche Girgeltjoffs. Sie blickte zu dem Riesen hoch und fuchtelte wild mit ihren Ärmchen. »Nun sage ihnen endlich«, verlangte sie nachdrücklich, »daß wir in friedlicher Absicht hier sind und nichts Böses wollen.« Zuerst bemerkten die Ysteronen die kleine Molaatin nicht. Verstehen konnten sie sie ebenfalls nicht. Girgeltjoff sank matt auf seinen vier Beinen zusammen und schwieg weiter. Der Arkonide griff in das begonnene Gespräch ein. »Wir sind nicht hier, um euch zu schaden. Ich möchte verhandeln. Wie wir eurem Volk schon mitgeteilt haben, geht es um die Befreiung unseres Mutterschiffs, das auf einem Planeten festsitzt. Wir haben herausgefunden, daß dies auf eine Strahlung zurückzuführen ist, die aus dem Ysterioon kommt.«
Die Ysteronen blickten verdutzt auf Atlan und dessen sprechendes Gerät. Unterdessen kletterte Sanny aus Girgeltjoffs Tasche und sprang behend die letzten Meter auf den Boden herab. Jetzt erst sahen die Ysteronen die Molaatin. Zwei von den Umherstehenden schlugen die Hände vors Gesicht. Der dritte drehte sich um und rannte zu dem Gefährt zurück. »Die Stunde ist gekommen«, schrie einer der Ysteronen. »Die Stunde, in der wir für unsere Untaten büßen müssen.« Nun rannten auch die beiden zögernden Ysteronen zu dem Fahrzeug und schwangen sich auf die Plattform. Sofort startete das Gefährt. Es war in wenigen Sekunden verschwunden. »Ich weiß es nicht, Sanny«, beschwerte sich Atlan, »ob du uns einen Gefallen getan hast.« »Sie müssen doch wissen«, wies die Paramathematikerin den angedeuteten Vorwurf zurück, »daß auch Molaaten mitgekommen sind. Sie haben doch Oserfan auf dem Bildschirm gesehen.« »Grundsätzlich hast du recht.« Atlan winkte seinen Begleitern, denn er wollte jetzt so schnell wie möglich zur DUSTY QUEEN zurück. »Ich habe das Gefühl, daß der interne Informationsaustausch unter den Ysteronen nicht richtig funktioniert. Girgeltjoff hat recht gehabt. Sie scheinen sich in erster Linie um ihn kümmern zu wollen.« »So ist es«, bestätigte der Ysterone, während er Sanny wieder behutsam in seiner Brusttasche verstaute. »Um euch kümmern sich die Leute meines Volkes nicht. Das ist eine Angelegenheit für die Macht in der Tabuzone.« Sie eilten weiter und erreichten die Abzweigung, die zu der Halle mit der Korvette führte. Als sie von der breiten Straße aus nicht mehr gesehen werden konnten, stoppte Sternfeuer erneut. »Sie drohen an«, teilte sie mit, »unsere Leute durch den Tunnel zu schicken, wenn wir nicht sofort zurückkehren. Auch Brooklyn ist der Meinung, daß es den Ysteronen in erster Linie um Girgeltjoff
geht. Sie suchen jeden Winkel in der Umgebung der DUSTY QUEEN nach ihm ab.« »Dann haben wir noch einen Trumpf«, stellte Atlan zufrieden fest, ohne zu erklären, was er meinte. Als sie einen weiteren Quergang passierten, hielt der Arkonide an. »Ihr bleibt alle hier außer Sanny«, ordnete er an. »Ich gehe mit ihr allein weiter. Versteckt euch in der Nähe. Sternfeuer kann verfolgen, was geschieht. Sie kann dann selbst entscheiden, was getan werden soll. Außerdem könnt ihr von hier über Funk mithören, auch wenn die Nachrichten überlagert werden.« »Was hast du vor?« fragte die Mutantin. »Ich darf unser Ziel nicht aus den Augen verlieren«, unterstrich der Arkonide. »Es geht um die SZ‐2 insgesamt und um die Heimwehkranken und die Buhrlos. Deshalb werde ich den Ysteronen nicht ohne Forderung entgegentreten.« Girgeltjoff reichte Sanny herunter. Dann begab er sich mit Sternfeuer und den Robotern in den Seitengang. »Komm!« Atlan nahm Sanny auf den Arm. Mit der anderen Hand schaltete er sein Funkgerät ein und rief Brooklyn. Die Magnidin meldete sich sofort. »Endlich«, stöhnte sie auf. »Ich bin schon ins Schwitzen geraten. Wo seid ihr?« »Ich bin mit Sanny ganz in der Nähe. Erkläre den Ysteronen, daß ich mit ihnen sprechen möchte. Bevor keine vernünftige Unterredung stattfindet, werden sie Girgeltjoff nicht zu Gesicht bekommen.« Brooklyn verzog unzufrieden ihr Gesicht, aber sie gab Atlan zu verstehen, daß sie seiner Bitte Folge leisten würde. Wenig später, als Atlan keine hundert Meter mehr von der DUSTY QUEEN entfernt war, meldete sie sich wieder. »Erstaunlicherweise waren die Ysteronen sofort mit seinem Vorschlag einverstanden. Ich weiß nicht, ob man ihnen trauen kann.«
»Ich weiß, was ich tue«, erklärte der Arkonide. »Ich bin in wenigen Minuten in der Halle. Sage den Ysteronen, daß ich in Begleitung einer Molaatin komme und daß ich erwarte, daß sie nicht vor Scham und Pein in Panik ausbrechen und die Flucht ergreifen.« Die Verhandlung war kurz. Sie verlief auch für Atlan, der schon mit vielen Fremdlebewesen in seinem langen Leben diplomatische Gespräche geführt hatte, in einer höchst merkwürdigen Atmosphäre. Um ihn herum hockten fast zwei Dutzend der riesigen Nickeldiebe auf ihren vier Gliedmaßen. Im Innern dieses Kreises stand der Arkonide und neben ihm die viel kleinere Sanny. Die Ysteronen hörten sich schweigend an, als Atlan nun zum wiederholten Mal seine friedliche Absicht beteuerte und sein Anliegen vortrug. Die Ysteronen waren sichtlich unruhig und verwirrt, woran vor allem Sannys Gegenwart schuld war. Hinter der seltsamen Konferenz ragte die Kugel der DUSTY QUEEN in dem halbdunklen Raum des Ysterioons empor. An einem Schott standen Brooklyn, Breckcrown Hayes und weitere Solaner, um die Verhandlung zu verfolgen. »Ich weiß, daß ihr an Girgeltjoff interessiert seid«, schloß Atlan seine Rede. »Ich garantiere für seine Sicherheit. Ihm darf nichts geschehen. Ihr könnt mit ihm sprechen, wenn wir die Möglichkeit erhalten, mit der Macht, die wir Hidden‐X nennen und die in der Tabuzone der Mittelkugel existiert, Kontakt aufnehmen können.« »Du bist erstaunlich gut informiert«, antwortete der Sprecher der Ysteronen. »Zu deiner Beruhigung können wir dir sagen, daß wir an Girgeltjoff nur interessiert sind, um die Motive für sein Handeln zu erfahren. Geschehen wird ihm nichts.« »Dieses Problem können wir sofort lösen.« Atlan hatte nicht damit gerechnet, daß die Ysteronen auf sein eigentliches Anliegen eingehen würden. »Girgeltjoff ist nicht abhängig von dem Vorhandensein des Elements Nickel in seiner Nähe. Die seltsame Affinität zwischen Nickel und eurer Lebensform gibt es bei ihm
nicht.« »Das haben wir uns fast gedacht«, gab ein anderer Ysterone zu. »Wirklich glauben können wir es aber nicht.« Schließlich ergriff ihr Sprecher wieder das Wort. »Wir stellen das Problem Girgeltjoff zurück«, sagte er. Atlan hoffte, daß Sternfeuer jetzt ein paar Gedankenfetzen dieses Ysteronen auffangen konnte. »Wir sichern euch zu, euch vorerst unbehelligt zu lassen, wenn alle, die noch außerhalb dieser Halle sind, in der nächsten Stunde in euer Schiff zurückkehren. Was mit euch weiter geschehen soll, können wir nicht entscheiden.« Die Ysteronen erhoben sich und verließen durch die verschiedenen Ausgänge die Halle. Nur ihr Sprecher blieb zurück. »Ich sehe«, sagte Atlan zu dem Riesen, »daß ihr Anweisungen von Hidden‐X benötigt. Die Zeit sollt ihr haben. Meine Leute werden in unser Schiff zurückkehren. Doch eins sollst du wissen. Wir haben nicht endlos Zeit zur Verfügung. Es muß sehr bald etwas geschehen, das unsere Probleme löst. Wir könnten sonst unangenehm für euch werden.« Nun erhob sich auch der Ysterone. »Eure Führer werden in Kürze Gelegenheit bekommen«, erklärte er tonlos, »über alles mit der maßgeblichen Stelle zu sprechen.« »Der maßgeblichen Stelle?« »Ja. Ich werde dafür sorgen, daß ihr zur Statue gebracht werdet.« »Der Statue«, überlegte der Arkonide halblaut. Er dachte an die Robotstation mit der Statue, die Bjo Breiskoll in Bumerang gefunden und betreten hatte und die nur ein um den Faktor 1000 verkleinertes Ysterioon gewesen war. Langsam schritt er auf die DUSTY QUEEN zu, wo Brooklyn und die anderen ihn mit unsicheren Blicken erwarteten. Kurz darauf kamen auch Sternfeuer, Girgeltjoff und die Roboter in die Halle. »Hat der Ysterone mir die Wahrheit gesagt?« fragte Atlan die Mutantin.
»Ich weiß es nicht«, mußte Sternfeuer zugeben. »Die vielen verschwommenen Gedanken waren zu schwach.« Als sie die Korvette betraten, schlossen sich die vier Ausgänge aus der Halle mit krachendem Getöse. ENDE Die DUSTY QUEEN hat das Ysterioon erreicht. Solaner sind somit ins eigentliche Reich der Ysteronen vorgestoßen. Atlan will verhandeln, um die auf Break‐2 festsitzende SZ‐2 zu befreien, doch man behandelt die Solaner als GEFANGENE DES YSTERIOONS … GEFANGENE DES YSTERIOONS – unter diesem Titel erscheint auch der Atlan‐Band der nächsten Woche. Autor des Romans ist H. G. Francis.