Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 558 Oggar
Das Multi‐Bewußtsein von H. G. Francis
Die Weltraum‐Odyssee des...
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Atlan ‐ Die Abenteuer der SOL Nr. 558 Oggar
Das Multi‐Bewußtsein von H. G. Francis
Die Weltraum‐Odyssee des Mischwesens
Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Generationenschiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den Mai des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff viele Lichtjahre zurückgelegt, und die Solaner haben in dieser Zeit viele Konflikte mit Gegnern von innen und außen mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, bahnt sich nun eine weitere Stabilisierung und Normalisierung an Bord an. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe. Ein solches unerwartetes Ereignis ist auch das, was mit Sternfeuer, der Mutantin, und CptʹCarch, dem Extra, geschieht. Ihre Bewußtseinsinhalte treten eine atemberaubende Weltraumodyssee an und werden DAS MULTI‐ BEWUSSTSEIN …
Die Hauptpersonen des Romans: CptʹCarch und Sternfeuer ‐ Zwei Bewußtseine auf Reisen. Insider ‐ Der Extra sucht seine Gefährten. Oggar ‐ Ein Körperloser. Waggaldan ‐ Ein Androide wird überwältigt. Mossanir ‐ Eine Chailidin. Alkin ‐ Ein Ulg.
1. Carch sah das Geschoß auf sich zukommen und zuckte erschrocken zusammen. Mit instinktiver Bewegung wich er ihm aus, war jedoch nicht schnell genug. Der Stein traf ihn an der Schulter, schleuderte ihn herum und warf ihn zu Boden. Benommen und verwirrt blickte der CptʹCpt auf die Steinfliesen, die unter ihm schimmerten, als seien sie mit glänzenden Metallfäden durchsetzt, und er hörte fremde Wesen neben sich schreien und wimmern. »Was ist denn hier los?« fragte er keuchend und drehte den Kopf zur Seite. Er sah zahlreiche humanoide Wesen neben sich liegen, kauern und stehen. Alle waren bewaffnet, und die meisten kämpften an einer steinernen Brustwehr gegen Angreifer, die Carch nicht erkennen konnte. Die Fremden waren etwa anderthalb Meter groß. Sie hatten spitze Köpfe, auf denen blaue Hautsäcke thronten, die bei manchen nur etwa faustgroß, bei anderen jedoch mächtiger als der ganze Kopf waren. Die beiden Augen lagen tief in dichtbehaarten Höhlen, zwischen denen eine fingerlange Nase hervorragte. Die fremden Wesen waren auffallend breitschultrig und unverhältnismäßig schmal in den Hüften. Mühelos bedienten sie mit ihren muskulösen Armen schwere Bögen. Carch vernahm einen Knall, und dann durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz. Als er sich ärgerlich herumwarf, bemerkte er
einen Mann, der ein aus vielen roten, gelben und grünen Mustern zusammengesetztes Gewand mit flauschigen Schulterstücken und einem schimmernden Brustschutz trug. Mit beiden Händen umklammerte er den Stiel einer Lederpeitsche, mit der er Carch geschlagen hatte. »Wenn du nicht sofort aufstehst«, brüllte er, »schlage ich dir die Seele aus deinem faulen Leib.« CptʹCarch wunderte sich, daß er ihn verstand, da er diese fremden Wesen in diesen Sekunden zum ersten Mal sah. Er wollte aufspringen, doch seine Arme und Beine gehorchten ihm nicht so, wie er es gewohnt war, und während er an sich herabblickte und sich mit dem verblüffenden Gedanken vertraut zu machen versuchte, daß er sich von seinem Gegenüber nur durch eine weniger auffällige Kleidung unterschied, sauste die Peitsche abermals auf ihn herab. Gepeinigt schrie er auf, und er hob die Fäuste, um weitere Hiebe abzuwehren. »Willst du meutern?« brüllte der andere. »Das wäre dein sicherer Tod. Hoffentlich ist dir das klar.« Er streckte einen Arm aus und wies auf die Mauerzinnen. »Du sollst kämpfen. Wirdʹs bald?« CptʹCarch begriff, daß es ein schwerer Fehler gewesen wäre, sich noch länger aufzulehnen. Ihm blieb keine andere Wahl, als zunächst einmal zu gehorchen. Er stammelte etwas, bückte sich, nahm einen Bogen und einige Pfeile auf, und eilte an die Zinnen. Hier legte er einen Pfeil auf die Sehne, schoß jedoch noch nicht. Etwa zwanzig Meter unter ihm rückte ein Heer von Tausenden von Wesen heran, die ihm und den Kriegern neben ihm verblüffend ähnlich sahen. Auch sie waren klein, humanoid und hatten unterschiedlich große Hautsäcke auf den spitzen Köpfen. Diese Säcke waren jedoch nicht blau, sondern leuchtend rot und violett. Die Angreifer suchten hinter zusammengezimmerten Holzwänden, die sie vor sich hertrugen, Schutz vor den Pfeilen, und sie schleppten Leitern heran, mit deren Hilfe sie offenbar die Mauer
zu überwinden hofften, auf der die Verteidiger der Anlage kämpften. CptʹCarch spürte, daß der mit einer Peitsche bewaffnete Antreiber sich ihm wieder zuwandte, und er schoß mehrere Pfeile ab, um sich den Anschein zu geben, als kämpfe er mit vollem Einsatz. »Was ist mit dir los, Karosh?« schrie der Antreiber. »Zielst du absichtlich daneben? Hast du vor, dich aufzulehnen, nur weil du das Weib nicht bekommen hast, das du für dich wolltest? Das spielt doch überhaupt keine Rolle mehr. Wir fahren alle zur Hölle. Mit oder ohne Weiber.« Carch verzichtete auf eine Antwort, zumal er nicht wußte, was er darauf erwidern sollte. Doch was sollte er tun? Sollte er so genau zielen, daß er tötete? ,Das darfst du auf keinen Fall tunʹ, klang es in ihm auf. ,Sternfeuerʹ, dachte er voller Freude. ›Du bist auch da?‹ ,Wo sollte ich wohl sonst sein?ʹ erwiderte sie belustigt. ,Glaubst du, ich wäre in Oggars HORT zurückgeblieben? Ich bin doch keine Selbstmörderin!ʹ Er hob den Bogen, zielte sorgfältig und schoß einem der Angreifer das Schwert aus den Händen. »So ist es schon besser«, lobte der Mann mit der Peitsche. »Mitten durch die Brust wäre allerdings richtig gewesen.« »So gut kann ich es auch wiederum nicht«, antwortete Carch. »Oder glaubst du, ich könnte einem Mann absichtlich die Waffe aus der Hand schießen?« Ein Peitschenhieb belehrte ihn darüber, daß er sich derartige Worte nicht erlauben durfte. »Verzeih«, stammelte er, um den Offizier zu besänftigen. »Ich muß von Sinnen sein.« »Den Eindruck habe ich auch«, schrie der Antreiber und schlug erneut zu. Dann entdeckte er einen anderen Mann, der offenbar nicht entschlossen genug kämpfte, und eilte davon. CptʹCarch horchte in sich hinein. Er hoffte, abermals etwas von Sternfeuer zu hören, doch sie meldete sich nicht.
Ein Pfeil fuhr hautnah an ihm vorbei und veranlaßte ihn, hinter einer Zinne Schutz zu suchen. Dabei bemerkte er, daß es den Angreifern gelungen war, Leitern an die Mauer zu stellen. Mehrere bis an die Zähne bewaffnete Krieger kletterten auf die Stelle zu, die er zu verteidigen hatte. Ein Bogenschütze mit dreigeteiltem Hautsack auf dem Kopf stellte sich neben ihn. »Es hilft nichts«, sagte er mit abgrundtiefer Stimme. »Wir müssen ebenso kämpfen wie die anderen.« »Sternfeuer«, rief Carch überrascht. »Du bist es.« »Ich sehe etwas anders aus als sonst«, erwiderte sie gelassen. »Aber du bist auch nicht gerade eine Schönheit.« »Wo sind wir?« fragte er. »Was wird hier gespielt?« »Wir sind auf einem Planeten angekommen«, erklärte sie, »aber das scheint nicht besonders erfreulich zu sein.« Sie stemmte sich gegen die oberste Sprosse der Leiter, über die die Angreifer heranrückten. »Hilf mir doch«, forderte sie ächzend. »Allein schaffe ich es nicht.« Carch warf sich mit seinem ganzen Körper gegen die Leiter, und es gelang ihm, dieser einen so kräftigen Stoß zu geben, daß sie nach hinten kippte. Laut schreiend versuchten die Angreifer, die Balance zu halten, schafften es jedoch nicht. Die Leiter stürzte um, und die Männer fielen mitten in die Schar der anderen Krieger. Dieser Erfolg beflügelte die anderen Verteidiger offenbar, denn unmittelbar darauf scheiterten auch alle weiteren Leiterattacken. Nur wenigen Feinden gelang es, die Burgzinnen zu überwinden. Carch sah, daß sie ausnahmslos niedergemacht wurden. Doch nicht nur unter den Angreifern hatte es Verluste gegeben. Auch die Verteidiger der Mauer hatten viele Tote zu beklagen, und zum ersten Mal wurde CptʹCarch in vollem Umfang bewußt, daß es für ihn beim nächsten Angriff tatsächlich nichts anderes gab, als mit aller Konsequenz zu kämpfen – oder zu sterben. Suchend blickte er sich nach Sternfeuer um. Sie war nicht mehr da.
Bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, wie er sich verhalten sollte, wirbelten kopfgroße Steinbrocken durch die Luft. Erschrocken duckte Carch sich und drückte sich an die Mauerzinnen. Er sah, daß auch die anderen Krieger Schutz suchten. Sie warfen sich auf den Boden, so daß die Steine über sie hinwegflogen. Dennoch richteten die Geschosse schwere Schäden an. Sie schlugen in die Wände von vier turmartigen Bauten, die offenbar das eigentliche Zentrum der Anlage darstellten. ,Wir sind in einer Art Burgʹ, meldete sich Sternfeuer auf telepathischem Weg. ,Sie ist nicht groß, aber sie hat offenbar eine erhebliche strategische Bedeutung.ʹ Carch hob den Kopf und spähte durch eine Mauerlücke zu den Angreifern hinüber, die große, hölzerne Katapulte aufgefahren hatten, mit deren Hilfe sie die Steine hochschleuderten. Die Maschinen standen unter Bäumen mit pilzartigen Kronen und waren über steil aufsteigendes Land herangeschafft worden. Vorsichtshalber zog sich der CptʹCpt wieder hinter die Zinne zurück. Er wollte abwarten, bis der Geschoßhagel abflaute. Doch dazu gaben ihm die Offiziere keine Gelegenheit. Sie stürzten plötzlich aus mehreren Türen hervor und brüllten Befehle. Unerschrocken rannten sie bis zu den Zinnen vor, wobei einige getroffen und getötet wurden. »Schießt«, befahlen sie. »Schnell sonst stellen sie die Leitern an und steigen über die Mauer.« Carch raffte einige herumliegende Pfeile zusammen und blickte erneut zu den Angreifern hinab. Entsetzt fuhr er zurück, denn gerade in diesem Moment warfen sich ihm zwei Angreifer entgegen. Sie hielten lange Messer in den Händen und ließen keinen Zweifel daran, daß sie ihn töten wollten. Ihm blieb keine andere Wahl, er mußte sich verteidigen. Entschlossen drehte er den Bogen um und stieß einem der beiden Krieger das Ende gegen die Brust. Der Mann stürzte rücklings über die Mauer auf die Männer, die ihm auf der Leiter folgten, und riß
diese mit in die Tiefe. Carch fuhr herum, doch er brauchte den anderen Krieger nicht mehr abzuwehren. Der Mann lag von einem Pfeil durchbohrt vor ihm auf dem Boden. »Wehrt die Leitern ab«, hallte ein Schrei über die Mauer. Zahlreiche Männer schleppten Bottiche mit einer brennenden Flüssigkeit heran und kippten diese über die Angreifer, die im Schutz des Geschoßhagels die Leitern wieder aufgestellt hatten. Carch wandte sich entsetzt ab. Der Kampf wurde immer härter. ,Schießʹ, wisperte die Stimme Sternfeuers in ihm, ,Tu etwas, sonst töten sie dich. Ich habe eben gesehen, daß einer der Offiziere einen der Männer erstochen hat, weil er nicht gekämpft hat.ʹ »Dieser Kampf geht uns überhaupt nichts an«, erwiderte er laut. ,Das stimmt. Für uns kann es nur darum gehen zu überleben, aber wir werden nicht überleben, wenn wir passiv bleiben.ʹ »Du hast recht. Ich werde versuchen, die Angreifer nur zu verletzen, nicht aber zu töten. Es genügt, wenn ich sie kampfunfähig mache. Aber komm zu mir. Ich muß wissen, wo du bist, und wo Oggar ist, falls er überhaupt hier ist.« ,Er ist hier. Ich werde versuchen, noch einmal zu dir zu kommen.ʹ Carch wandte sich wieder dem Kampfgeschehen zu und feuerte nun Pfeil auf Pfeil ab. Zu seiner eigenen Überraschung erwies er sich als nahezu perfekter Bogenschütze. Die Pfeile flogen mit geringfügiger Abweichung genau dorthin, wohin er zielte. So gelang es ihm, vierzehn Krieger durch Schüsse in die Arme auszuschalten. »Endlich«, sagte jemand anerkennend hinter ihm. »Ich habe mich schon gefragt, was mit dir los ist. Um ehrlich zu sein. Ich hätte dich nur ungern getötet.« Carch blickte zurück und erkannte den Antreiber mit der Peitsche. »Ich weiß es selbst nicht«, antwortete er und gab sich demütig. »Jedenfalls ist jetzt alles in Ordnung.« »Du solltest die Männer töten. Es genügt nicht, sie nur zu
verletzen.« »Ich habe es versucht«, beteuerte er, »aber es ist mir nicht gelungen.« Er schoß erneut einige Pfeile ab, ohne seine Taktik zu ändern. Danach stellte er fest, daß der Offizier ihn verlassen hatte. Immer neue Wellen von Angreifern brandeten heran. Jetzt flogen Töpfe mit brennendem Öl über die Mauer, und Teile der Burg gingen in Flammen auf. Männer in grünen Gewändern versuchten, das Feuer zu löschen, hatten dabei jedoch nur mäßigen Erfolg. Carch bemerkte, daß sich einige der Angreifer auf ihn konzentrierten und ihn mit Pfeilschüssen zu vertreiben suchten. Daher wich er einige Meter weiter zur Seite aus, um von einer anderen Position aus zu schießen. Kaum hatte er seinen Platz verlassen, als ein Behälter mit brennendem Öl heranflog und einen anderen Bogenschützen traf, der seine Stelle eingenommen hatte. Schreiend wälzte sich der Mann auf dem Boden, und Carch mußte hilflos mitansehen, wie er in den Flammen starb. Aufhören! schrie es in ihm. Das muß aufhören. Fieberhaft dachte er darüber nach, wie er den Kampf möglichst bald beenden konnte, doch ihm kam zunächst kein erlösender Gedanke. Etwa zwei Stunden vergingen, und als die Dunkelheit hereingebrochen war und beide Parteien den Kampf eingestellt hatten, fiel ihm eine Lösung ein. Erschöpft kauerte er an der Mauer, und erst jetzt erkannte er, daß die Burg in der Tat an einer strategisch äußerst wichtigen Stelle lag. Die Angreifer kamen aus einem langgestreckten Tal und mußten über einen steil aufsteigenden Berg anstürmen. Die Burg verwehrte ihnen den Zugang zu einem Paß, der über die schroffen Berge führte, die sich über dem Bollwerk erhoben. Ich muß helfen, dachte CptʹCarch. Ich darf hier nicht einfach nur so herumsitzen, sonst falle ich zu sehr auf. Er erhob sich und wollte sich einigen Verwundeten zuwenden, als
plötzlich eine gebeugte Gestalt aus der Dunkelheit auftauchte und sich an ihm vorbeidrängte. Instinktiv packte Carch zu, und er riß den Mann zurück, als er sich über die Mauer in die Tiefe stürzen wollte. »Bist du verrückt?« rief er. »Laß mich«, keuchte der andere. »Es ist doch gleichgültig, wann ich sterbe.« »Du wirst kämpfen, so wie wir alle. Und du wirst nicht sterben, sondern mit uns die Burg verteidigen. Wir werden siegen.« »Hast du den Verstand verloren, daß du es wagst, so etwas zu behaupten?« »Warum sollte ich das nicht sagen? Ich bin überzeugt davon, daß wir den Kampf gewinnen.« Der andere sank auf den Boden und schlug die Hände vor das Gesicht. »Warum hast du mich zurückgehalten?« fragte er klagend. »Ich weiß nicht, ob ich mich noch einmal dazu durchringen kann.« »Du solltest besser darüber nachdenken, wie du lebend aus dieser Schlacht herauskommst, als darüber, wie du dich umbringen kannst.« »Hüte deine Zunge. Wenn die Priester dich hören, klagen sie dich der Ketzerei an, und dann wirst du noch wünschen, von einem Pfeil getötet worden zu sein und nicht in der Folterkammer zu enden.« Carch hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Mit einem Mal erfaßte er, wie gefährlich die Situation für ihn war. »Du hast recht«, entgegnete er, nachdem er dem anderen schweigend einige Minuten lang gegenübergesessen hatte. »Ich sollte meine Zunge im Zaum halten.« »Du glaubst nicht an die Vorhersage, nicht wahr?« »Das ist schwer zu beantworten«, erwiderte Carch, nachdem er sorgfältig nachgedacht hatte. »Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß es wirklich so kommt.« Diese Antwort erwies sich als so geschickt, daß sie den anderen zu
einigen Erklärungen veranlaßte, durch die Carch wichtige Informationen erhielt. »Du hast recht. Auch ich werde hin und wieder schwankend. Aber das ist jetzt anders. Shanowhar hat viele Ereignisse richtig vorhergesagt. Über Jahrhunderte hinweg sind seine Prophezeiungen eingetreten. Aber einiges ist auch anders gekommen.« »Das ist es, was mich unsicher macht«, schwindelte Carch. »Mich hin und wieder auch. Aber in dieser Schlacht ist bis jetzt alles so verlaufen, wie es in dem Großen Buch beschrieben steht.« »Und am Ende …?« »Hast du es vergessen?« Der andere senkte die Stimme und zitierte danach in monotonem Singsang: »Achunreiß wird mit Toten übersät sein. Nicht einer seiner Helden wird überleben. Blau wird die Farbe der Trauer sein, aber die Roten und Violetten werden über die Berge nach Norden ziehen, und die Sonne wird sich verdüstern.« Niemand kann in die Zukunft sehen, dachte Carch gelassen. Vielleicht verlieren die Blauen die Schlacht. Für Sternfeuer, Oggar und mich aber kommt es nur darauf an, daß wir vorher von hier verschwinden. »Shanowhar hat es richtig gesehen«, fuhr der andere fort. »Die Burg wird fallen, und die Barbaren werden die Ebenen im Norden beherrschen. Damit ist eine lange Zeit des Friedens und des Wohlstands zu Ende. Heute ist Gazhar. Der letzte Tag für Achunreiß, diese Burg. Morgen ist Diezhar, und Achunreiß wird fallen. So, wie es geschrieben steht.« »Ich frage mich, warum wir dann alle überhaupt noch kämpfen«, entgegnete Carch. »Warum geben wir nicht auf?« »Hast du auch das vergessen? Weil Shanowhar festgelegt hat, daß wir Helden sind, die sich erbittert bis zum letzten Blutstropfen wehren, aber dennoch untergehen werden.« Was für ein Wahnsinn! dachte Carch. Sie klammern sich an die Vorhersagen eines Mannes, der vor Jahrhunderten gelebt hat und
dessen Prophezeiungen wahrscheinlich von den Priestern so ausgelegt worden sind, daß dieses Ergebnis eintreten muß. Und sie tun nichts, um die Entwicklung zu verändern. Plötzlich fing er ein telepathisches Signal von Sternfeuer auf. Er schloß die Augen, um sich auf sie zu konzentrieren. Dann vernahm er ein leises Scharren neben sich, und er blickte auf. Rasch streckte er die Hände aus, aber es war schon zu spät. Sein Gegenüber hatte sich erhoben und in die Tiefe gestürzt. Ein entsetzlicher Todesschrei hallte durch die Nacht, und dann hörte Carch ihn aufschlagen. ,Wir sitzen in der Falleʹ, meldete Sternfeuer sich. ,Hast du eine Ahnung, wie wir hier herauskommen können?ʹ ,Du lebstʹ, erwiderte er erleichtert. Warum bist du nicht gekommen?ʹ ,Ich kann nicht weg. Jedenfalls jetzt nicht.ʹ ,Weißt du, um was es hier geht?ʹ ,Ich habe einiges erfaßt, aber nicht alles. Die Blauen sind überzeugt davon, daß sie die Schlacht verlieren werden. Es ist ein Sakrileg, anderer Ansicht zu sein. Seltsam nur, daß sie dennoch so wild kämpfen.ʹ Carch wollte eine Frage stellen, doch er spürte, daß der Kontakt zu Sternfeuer wieder abgerissen war. Resignierend ließ er sich gegen die Mauer sinken. Unweit von ihm öffnete sich eine Tür, und fünf düster gekleidete Männer kamen heraus. Sie hatten auffallend große Hautsäcke auf dem Kopf, die bei jedem ihrer Schritte hin und her schwappten. Die Männer trugen dunkelrote Gewänder, die mit bedrohlich wirkenden Mustern bestickt waren. In den Händen hielten sie Stäbe aus einem schimmernden Metall, die länger waren als sie selbst. Carch war sicher, daß das die Düsteren Priester waren. Mit gesetzten Schritten gingen sie zu den Toten an der Mauer und berührten sie mit ihren Stäben. Dabei sangen sie einige Worte, die Carch nicht verstand. Er blickte auf seine Hände herab. Sie hatten vier Finger und einen langen Daumen, an dessen Gelenken zwei scharfe Dornenspitzen saßen.
Vielleicht sollte ich erst einmal herausfinden, was ich in diesem Körper eigentlich alles kann, dachte er. Vielleicht könnte ich das, wenn ich erst einmal geboren wäre. Er beobachtete die Priester, wie sie nach und nach zu allen Toten gingen und diese segneten. Ihnen folgten nun mehrere Männer, die alle Gefallenen aufnahmen und davontrugen, sobald die Priester mit ihnen fertig waren. Erst als auf diese Weise alle Toten bedacht worden waren, wandten sich die Priester den Verletzten zu, um ihnen Trost zuzusprechen. »Die Voraussagen sind eingetroffen«, verkündete einer der Düsteren. »Alle Anzeichen für den Untergang sind gegeben, aber dennoch werden wir kämpfen, denn wir dürfen die Zukunft nicht verändern. Denkt daran. Das Schicksal unseres ganzen Planeten hängt davon ab, daß bestimmte Männer in dieser Schlacht fallen, und daß andere – natürlich nur bei unseren Feinden – überleben. Es ist vorherbestimmt, wer das sein wird, und es wäre ein ungeheures Verbrechen gegen alle Völker, wenn auch nur einer von euch nicht so kämpfen würde, wie es seine Pflicht ist.« Jetzt möchte ich nur wissen, was der Prophet von Sternfeuer, Oggar und mir gesagt hat, dachte Carch. Vielleicht werfen wir alles über den Haufen, und die Zukunft für diese Welt sieht viel besser aus, als diese Priester es sich träumen lassen. Die Worte der Düsteren erzielten eine unglaubliche Wirkung auf die Blauen. Die Verletzten richteten sich auf, als wären ihre Wunden mit einem Mal geheilt, und die anderen, die unverletzt geblieben waren, erhoben sich. »Die Roten mögen nur kommen«, rief einer der Männer. »Sie sollen ihr blaues Wunder erleben.« Die andern Krieger lachten, und die Priester stießen ihre Stäbe applaudierend auf den Boden. »Wir alle werden in die Geschichte eingehen« verkündeten sie. »Und was könnten Männer mehr erreichen als das? Von uns wird
man noch in Jahrtausenden sprechen, von den Roten und Violetten da unten aber nicht.« Aus der Tiefe ertönten höhnische Schreie. Offenbar konnten die Angreifer die Stimmen der Priester hören. »Sie da unten sind wie der Sand der Wüste, der die Bäume der Oasen für einige Zeit verschüttet. Wie der Sand werden sie vom Wind weitergetrieben, bis die Bäume wieder frei werden und zu neuem Leben erwachen. Sie werden uns töten, aber der Wind wird sie weitertreiben, und unser ist das Leben.« Die Blauen stimmten einen Gesang an, der voller Zuversicht und Freude war. Sie schienen vergessen zu haben, welch schreckliche Stunden ihnen bevorstanden. Fast alle legten ihre Waffen zur Seite und drängten sich um die Priester, um zusammen mit ihnen zu singen. Kaum noch jemand schien daran zu denken, daß der Gegner angreifen könnte. Carch blickte über die Mauer nach unten. Verblüfft stellte er fest, daß die Roten und Violetten sich weit von der Burg zurückgezogen hatten. Unten im Tal brannten zahlreiche Feuer, in unmittelbarer Nähe der Mauer aber schien sich niemand aufzuhalten. Die Stimmen der Priester und Krieger verklangen. Es wurde still. Carch erhob sich. »Vielleicht wird man in der Zukunft noch in ganz anderer Weise von uns allen als Helden sprechen, wenn es uns gelingt, den Angriff abzuwehren«, sagte er laut. »Wenn wir die Roten daran hindern, die Mauer mit Hilfe der Leitern zu ersteigen, können sie nichts gegen uns ausrichten. Und ich weiß, wie wir das anstellen müssen. Es ist ganz einfach, die Leitern rechtzeitig umzureißen.« Er hatte gehofft, daß irgend jemand auf seine Worte eingehen würde. Doch eisiges Schweigen antwortete ihm. Carch wurde klar, daß er einen tödlichen Fehler gemacht hatte.
2. Dumpf krachend schloß sich die Tür des Kerkers hinter ihm. Carch stürzte auf den Steinboden und rollte gegen einen anderen Gefangenen, der in der Ecke kauerte. Benommen richtete er sich auf. »Grüß dich, Fremder«, krächzte der andere. »Willkommen in der Vorkammer des Todes.« Durch einige Ritzen über der Tür fiel ein wenig Licht herein. Carch erkannte einen untersetzten Mann mit kleinem, blauem Hautsack. »Wer bist du? Und warum hat man dich eingesperrt?« fragte er. »Mein Name ist Cru. Durch meine Dummheit ist ein Mann gestorben, von dem in den Versen des edlen Shanowhar steht, daß er in der Zukunft eine große Rolle spielen wird. Das kann er nun leider nicht mehr, weil er tot ist. Und deshalb sind die Priester wütend auf mich.« Cru kicherte. »Sie haben Angst, daß man ihnen nicht mehr glaubt, weil nun jeder weiß, daß zumindest ein Teil der Vorhersagen falsch ist.« Er neigte sich zu Carch hinüber, und diesem schlug ein übelriechender Atem ins Gesicht. »Und weshalb bist du hier, Bruder im Tode?« »Ich wollte einen Vorschlag machen.« »Das ist kein Verbrechen.« »Das dachte ich auch. Ich habe eine Methode entwickelt, mit der die Leitern der Angreifer mühelos umgestürzt werden können, bevor jemand über die Mauer steigen kann. Man brauchte nur eine Art Anker unter der Mauerkrone hin‐ und herwandern zu lassen, und er wird jede Leiter umreißen.« »Wie konntest du so etwas tun?« fragte Cru vorwurfsvoll. »Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich je gehört habe.« »Findest du?« Carch kroch beleidigt in eine Ecke der Kammer und kauerte sich auf den Boden. Er umschlang seine Knie mit beiden Armen. Ihm war kalt.
»In was für einer Welt lebst du? Oder weißt du tatsächlich nicht, was los ist?« »Ich war lange nicht hier«, erwiderte Carch. »Ach so. Das ist etwas anderes. Also. Hör zu. Vor zwei Jahren haben alle Völker unseres Kontinents ein Abkommen geschlossen. Darin wird genau festgelegt, welche Waffen jede Partei verwenden darf.« »Ja – und?« »Es ist verboten, neue Waffen zu entwickeln und einzusetzen. Und so ein Haken, mit dem man die Leitern umreißen kann, wäre eine neue Waffe. Sie würde nur dazu führen, daß unsere Feinde sich ebenfalls etwas ausdenken.« »Natürlich. Aber das stört uns doch nicht.« »Du bist ein Narr. Verstehst du denn nicht? Mit diesem Abkommen wird verhindert, daß immer gefährlichere Waffen gebaut werden. Einen Krieg kann man nicht verhindern. Also müssen wir dafür sorgen, daß er mit Waffen geführt wird, die zumindest einigen von uns ein Überleben ermöglicht.« »Und alle Parteien halten sich daran?« »Alle. Und sie wissen auch, warum. Denn wenn sie es nicht täten, würde es eines fernen Tages Waffen auf der Welt geben, die so schrecklich sind, daß man sie nicht einsetzen darf, weil sie uns alle vernichten würden.« »Logisch«, antwortete Carch wortkarg. Er lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Was die sich so denken! fuhr es ihm durch den Kopf. Wo im Universum ist ein solches Vorhaben schon gelungen? »Dein Vorschlag war also entsetzlich töricht und mußte besonders die Priester beleidigen, die dieses Abkommen ausgearbeitet haben.« »Sie werden mich also bestrafen.« »Ganz klar. Sie werden dich in die Hölle schicken.« »Davon sind wir alle nicht mehr weit entfernt.« »Aber du wirst uns vorangehen.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« »Ganz sicher«, behauptete Cru. »Wer sich mit denen anlegt, hat von vornherein verloren.« Carch wußte, daß er die Priester meinte, aber er fürchtete sich nicht. Er war davon überzeugt, daß er irgendeinen Weg in die Freiheit finden würde. Bedenklich stimmte ihn lediglich, daß es Sternfeuer bisher nicht gelungen war, ihren Körper zu verlassen und in einen anderen zu schlüpfen. Er fürchtete, daß er sich ebenfalls nicht auf diese Weise retten konnte. »Was passiert als nächstes?« fragte er. »Du wirst vor Gericht gestellt, und wenn du Glück hast, verzichten sie angesichts der Lage darauf, dich vorher in die Folterkammer zu schicken. Das tun sie sonst immer, weil sie es dann vor Gericht leichter haben. Bei mir sieht es schon anders aus. Mich werden sie foltern.« Carch fühlte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Entsetzt dachte er an die Folterinstrumente, an denen er vor wenigen Minuten vorbeigegangen war. »Und dabei bleibst du so ruhig?« fragte er. »Was soll ich mich aufregen«, entgegnete Cru. »Das würde doch nichts ändern. Ärgerlich ist allein, daß in den Versen des Propheten von mir nichts erwähnt wird.« Er behielt recht. Kaum eine Stunde später stand Carch vor seinen Richtern. Die fünf Männer musterten ihn flüchtig und begannen dann, aus einem Register vorzulesen, in dem seine verschiedenen Vergehen und Verbrechen festgehalten waren. »Hidex legt für derart schwere Verstöße gegen das geltende Recht die Todesstrafe fest«, erklärte danach einer der Richter. »Hat der Angeklagte den Wunsch, sich vor seiner Hinrichtung noch einmal zu äußern?« »Allerdings«, antwortete Carch. »Ich konnte von diesen Vorschriften nichts wissen, denn ich stamme nicht von dieser Welt.«
Seine Worte lösten heftige Reaktionen bei den Richtern aus, die erregt miteinander zu diskutieren begannen. Carch erfaßte, daß es in den Vorhersagen des Shanowhar einen Vers gab, dessen Aussage die Bewohner dieses Planeten bisher nicht hatten verstehen können. Jetzt debattierten die Priester darüber, ob in ihnen ein Wesen angekündigt wurde, das aus dem Kosmos stammte. Schließlich wandte sich ihm einer der Richter wieder zu. »Du lügst«, erklärte er. »Wir alle wissen, daß es nur auf Varak intelligentes Leben gibt und nirgendwo sonst. Dennoch wollen wir dir Gelegenheit geben, dich ausführlich zu äußern. Du wirst alles aufschreiben, was du zu sagen hast. Wir werden es gewissenhaft studieren und danach entscheiden, ob du nach den Vorschriften des Kriegsrechtes oder nach denen der Magiervernichtung hingerichtet wirst.« Damit war er entlassen. Ratlos wandte Carch sich von den Richtern ab. Nach wie vor erinnerte er sich nur schwach an das, was ihm widerfahren war. Doch als er in einer Schreibstube saß, in der er von drei Kriegern bewacht wurde, fiel ihm nach und nach alles wieder ein. Er begann zu schreiben: Ich war Teil eines Multiwesens geworden. Neben mir fühlte ich Insider und Sternfeuer, und als ich an mir herabblickte, stellte ich fest, daß ich im Körper des Grünen lebte. Und da war noch jemand. Ich spürte seine Nähe, konnte aber nicht erkennen, wo er war. Mir war lediglich klar, daß er sich an Bord des HORTS befand, ebenso wie ich, jedoch keine Einheit mit Insider, Sternfeuer und mir bildete. Also existierte dieses Wesen außerhalb des Körpers von Insider. Seltsamerweise hatte keiner von uns dreien das Verlangen, nachzuforschen, wo dieser andere war. Oggar nannte er sich. Ich wußte es, obwohl ich keinen einzigen Gedanken von ihm
empfangen hatte. Woher? Irrte ich mich auch nicht? Hatte sich mein Geist verwirrt? Wieso war ich hier in diesem HORT, während mein Körper noch in der SOL weilte? Wir handelten wie im Traum oder wie unter Zwang. So genau konnte ich das nicht unterscheiden. ,Was ist passiert?ʹ fragte Sternfeuer, die so hautnah bei mir war, daß es keine Trennung zu geben schien. Zum erstenmal vernahm ich ihre telepathische Stimme. ,Ich erinnere mich an alles, was geschehen ist, und doch weiß ich nicht, was jetzt ist.ʹ ,Mir geht es ebensoʹ, antwortete ich, und meine Worte waren nicht mehr als Gedanken. ,Klatsch‐hurra, würde ich sagen!ʹ rief Insider und gab damit zum Ausdruck, daß er unsere augenblickliche Situation als etwas Positives empfand. Er war es, der den HORT steuerte, ein Raumschiff von beträchtlichen Dimensionen. Meine Erinnerung setzte zu dem Zeitpunkt wieder vollständig ein, an dem der HORT vor einem Kugelsternhaufen materialisierte. »Das ist Pers‐Mohandot«, sagte Insider laut, und er reagierte nicht auf unsere verwunderten Fragen, woher er das wußte. Jenes fremde Wesen, das neben uns an Bord war, mußte es ihm mitgeteilt haben. ,Und was wollen wir hier?ʹ erkundigte ich mich. »Wir fliegen zum Planeten Vasterstat, der einzigen Welt der Sonne Auxon.« ,Und wie finden wir Vasterstat? Oder weißt du das auch schon?ʹ »Nein. Leider nicht. Dazu werden noch einige Berechnungen und Peilungen mit Hilfe des Mnemodukts nötig sein. Aber das wird nicht lange dauern.« Er fühlte sich erstaunlich sicher, so daß Sternfeuer und ich zu der Ansicht kamen, daß er schon vor unserer Ankunft in mentaler Verbindung mit Oggar gestanden haben mußte.
Es dauerte nicht lange, bis Insider seine Berechnungen und Peilungen beendet hatte. Danach programmierte er das Mnemodukt und flog weiter. Zu diesem Zeitpunkt ahnte keiner von uns, daß jemand auf uns lauerte, um uns zu vernichten. * Waggaldan wartete. Er wußte, daß früher oder später ein Raumschiff auftauchen und versuchen würde, zu dem Auxon‐System zu fliegen. Seine Aufgabe war, dafür zu sorgen, daß dieses Raumschiff sein Ziel niemals erreichen würde. Seit Stunden saß Waggaldan vor den Instrumenten der Ortungsanlage und überwachte das Raumgebiet, in dem das Schiff erscheinen würde. Er kannte keine Ungeduld. Der Schalter hatte einen Auftrag erteilt, und dieser mußte erfüllt werden – ob in wenigen Minuten oder in einigen Jahren, das spielte keine Rolle. Entscheidend war lediglich, daß mit bedingungsloser Härte vernichtet wurde, was in den Einflußbereich der Kampfmittel kommen würde. Waggaldan fragte nicht danach, woher der Schalter mit solcher Sicherheit wußte, daß der Raumer ausgerechnet diesen kosmischen Sektor durchqueren würde und nicht einen anderen, der vielleicht nur ein paar Parsec entfernt war. Er war gewohnt, die Anweisungen des Schalters zu befolgen, und nach den ihm vorliegenden Informationen war dem Schalter noch niemals ein Fehler unterlaufen. Waggaldan verließ das Instrumentenpult, da er wußte, daß die automatischen Einrichtungen ihn rechtzeitig warnen würden. Er bewegte sich in einer Energiekugel, die einen Durchmesser von 25 Metern hatte, und er fühlte sich absolut sicher, da er die Haut der
Energiekugel durch Schaltungen zu fester, kaum durchdringbarer Materie werden lassen konnte. Wenn er das tat, dann leuchtete sie in wechselnden Farben, die von zartrosa bis grün reichten. Wenn die Energiehaut sich in diesem Zustand befand, nannte er sie Irrealstoff. Als er eine geringfügige Reparatur an einem der Geräte der Kugel vorgenommen hatte, ertönte ein Summton. Waggaldan kehrte an das Instrumentenpult zurück, von dem aus er alle Aggregate der Kugeleinheit lenken konnte. Auf den Ortungsschirmen erschien ein Reflex, der sich rasch dem gekennzeichneten Operationsgebiet näherte. Waggaldan war keineswegs überrascht. Das wäre er möglicherweise nur gewesen, wenn das erwartete Objekt nicht erschienen wäre. So ließ er seine Hände über die Schaltungen gleiten und baute eine Raumfalte auf, in der das heranfliegende Objekt verschwinden und untergehen sollte, während es die letzte Flugetappe zum Auxon‐ System durchführte. Kaum hatte er die Schaltungen beendet, als er sich von einem Unsichtbaren berührt fühlte. Doch auch jetzt zeigte er sich unbeeindruckt. Er wußte, daß der HORT der aufgestellten Falle nicht mehr entgehen konnte. * Plötzlich meldete sich Oggar bei uns. Insider, Sternfeuer und ich vernahmen seine telepathische Stimme zu gleicher Zeit. Sie war in uns, und ich spürte die Nähe dieses fremden Wesens so deutlich wie noch niemals zuvor. Dabei schien es mir, als habe Oggar schon seit Äonen eine Einheit mit mir gebildet. Ich erfaßte einen Teil seiner Empfindungen und spürte, daß er
nicht frei von Furcht war, da er die Möglichkeit nicht ausschließen konnte, daß wir uns gegen ihn stellten. Nur kurz erwog ich, gegen ihn zu opponieren. Dann beugte ich mich ihm, obwohl ich wußte, daß ich mich von seinem mentalen Druck hätte befreien können. Ich fühlte mich jedoch nicht als Gefangener Oggars, zumal ich wußte, daß die Gefahr, an die er dachte, mich in dem gleichem Maße betraf wie ihn selbst. Ihr müßt den Körper Insiders verlassen. Sofort! forderte Oggar. Nur dann könnt ihr gerettet werden. Es bedurfte kaum noch dieser Warnung, um zu erkennen, was los war. Flieht! Flieht! Flieht! Der HORT schien plötzlich zu einem instabilen Gebilde geworden zu sein, das sich den Gesetzen der kosmischen Navigation entzog. Er verfolgte nicht mehr den bisherigen Kurs, sondern geriet in eine unwirklich erscheinende Spirale, in der die Zentrifugalkräfte so groß wurden, daß die Antigravaggregatoren bis über die Grenze ihrer Belastbarkeit beansprucht wurden. Insider wurde gegen eine Wand geschleudert und dort festgehalten, als sei er angenagelt. Sternfeuer wehrte sich gegen Oggar. Sie wollte trotz der offensichtlichen Gefahr nicht aus dem Körper Insiders weichen, doch dann gab sie schließlich doch nach. ,Ich schaffe es nicht alleinʹ, signalisierte sie. Eines der Geräte am Schaltpult implodierte. Ich helfe euch, versprach Oggar, denn ich komme mit euch. ,Und was wird aus Insider?ʹ Du brauchst dir keine Sorgen um ihn zu machen. Er wird einen Ausweg finden. In der mentalen Antwort Oggars lag eine derartige Zuversicht, daß Sternfeuer und ich unsere Bedenken aufgaben. Wir ließen uns davon überzeugen, daß Insider sich ebenfalls retten konnte. Und ich glaube auch jetzt noch daran, hohes Gericht.
Was dann folgte, war ganz leicht. Ich fühlte mich, als sei ich in angenehm warmes Wasser getaucht und werde von einer Strömung hinweggeschwemmt. Dann wußte ich, daß ich Insider verlassen hatte, und ich bildete eine Einheit mit Sternfeuer und Oggar. War ich geboren? Ich spürte eine vollkommene Harmonie, und die Empfindung einer engen und unlösbaren Verwandtschaft mit Sternfeuer und Oggar erfüllte mich. Als körperlose Wesen glitten wir in den Kosmos hinaus. Wir konnten nichts sehen. Daher weiß ich nicht, wo der HORT geblieben ist. Ich kann nur vermuten, daß er weitergeflogen und in einer Falle gestrandet ist. Doch daran dachten wir nur kurzfristig. Dann gingen wir auf die Suche nach einem geeigneten Körper, in dem wir weiterleben konnten, denn wir alle drei wußten, daß wir uns in dieser Existenzform nur für eine begrenzte Zeit halten konnten. Es soll nicht irgendein Körper sein, teilte Oggar uns mit. Insider beispielsweise war nur ein Transportmittel für mich. Aber ich will mehr. Ich will meinen Körper. Meinen eigenen Körper. ,Was meinst du damit?ʹ fragte ich verwundert. ,Wieso hast du einen eigenen Körper? Und wo ist dieser? Und was hat dieser mit uns zu tun? Was wird aus uns, wenn du deinen Körper gefunden hast?ʹ Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, erwiderte er. Gewiß. Ich werde meinen schlafenden Körper aufsuchen. Er befindet sich im Auxon‐ System, in dem es nur den Planeten Vasterstat gibt. Dort ruht mein Körper, und wir werden ihn erreichen, auch wenn der HORT dort niemals ankommt. Ich zweifelte keinen Moment daran, daß er die Wahrheit sagte. Auch jetzt glaube ich noch daran, daß er wirklich mit Sternfeuer und mir zu seinem schlafenden Körper wollte. Doch dort sind wir nicht angekommen.
Ich erinnere mich nicht daran, wann wir Varak erreicht haben und in eine andere Existenzform übergegangen sind. Ich weiß nur, daß mein Bewußtsein mitten in der Abwehrschlacht um die Burg einsetzte und daß ich Mühe hatte, mit der Wirklichkeit zurechtzukommen. Die Richter mögen mir verzeihen, daß ich so wenig von dem weiß, was ihnen und den Bewohnern von Varak heilig ist. Ich habe sie mit meinen Worten beleidigt, doch das war nicht meine Absicht. Ich wollte nur helfen. Weiter nichts. Und das – so meine ich – ist kein todeswürdiges Verbrechen. Ich bitte die hohen Richter um Gnade. Der Varaker ließ den Bogen Papier sinken, von dem er den Bericht CptʹCarchs abgelesen hatte. Seine Mundwinkel sanken herab, und er fixierte den Angeklagten mit forschenden Blicken. »Du behauptest, daß das die Wahrheit ist?« »Alles entspricht in jedem Punkt der Wahrheit«, beteuerte Carch. »Wie abscheulich«, erwiderte der Richter. »Ich habe nicht gewußt, daß es Menschen gibt, die sich derart herabwürdigen, nur um ihr jämmerliches Leben zu retten.« »Du machst es dir zu leicht«, sagte Carch rasch. »So einfach, wie du deine Welt siehst, ist sie wahrhaftig nicht.« »Das Urteil wird in der Weise vollstreckt, wie wir es verkündet haben«, erklärte der Richter. »Bindet ihn an den Pfahl. Das Ende wird ihn im Morgengrauen ereilen.« Mehrere Krieger stürzten sich auf Carch und schleppten ihn hinaus bis zu den Zinnen der Burgmauer. Hier erhob sich ein Pfahl, der im Licht der flackernden Feuer kaum zu erkennen war. Die Männer fesselten Carch so an ihn, daß er mit den Füßen auf den Zinnen stand und ins Tal hinabsehen konnte. Er verstand jetzt, was der Richter gemeint hatte. Beim ersten Licht des neuen Tages würden die Angreifer mit Pfeilen auf ihn schießen und ihn töten.
3. Insider stürzte auf die Knie, als er sich allein fühlte. Panik kam in ihm auf, und ein Gefühl grenzenloser Einsamkeit drohte, ihn zu übermannen. Warum konnten die anderen fliehen? fragte er sich. Warum nicht ich? Warum haben sie mich nicht mitgenommen? Doch der Zustand der Desorientierung dauerte nicht lange, und der Extra gewann die Kontrolle über sich zurück. Er stand auf und kämpfte sich auf heftig schwankendem Boden bis zu den Kontrollelementen des HORTS vor. Ich muß einen Ausweg finden. Irgendwie. Wenn ich nichts tue, habe ich überhaupt keine Chance. Doch was konnte er schon tun, wenn sogar Oggar das Schiff verlassen hatte, obwohl er – wie Insider meinte – sich wie kein anderer mit ihm auskannte? Der Extra stutzte. Wer war Oggar eigentlich? Er wußte so gut wie nichts von ihm, und gesehen hatte er ihn bisher auch nicht. War Oggars Körper noch an Bord? Und wieso konnte Oggar sich so ohne weiteres von ihm trennen? Dumme Frage, schalt er sich selbst. Wenn er Sternfeuer und Carch dazu bringen kann, ihre Körper zu verlassen und als Geisteswesen zu ihm zu kommen, dann muß er sich selbst wohl auch nach Belieben manipulieren können. Und warum sollte er in mir gewesen sein, wenn er irgendwo an Bord noch einen Körper hat. Nein – ich bin allein. Seine Blicke richteten sich auf das Mnemodukt, eine schwebende Kugel, die einen Durchmesser von etwa acht Metern hatte. Das Mnemodukt hatte eine glatte Oberfläche, unter der alle Sensoren, Fernsteuereinrichtungen, Spracherzeuger und andere
technische Finessen verborgen waren. Insider wußte, daß es sich nur innerhalb der Zentrale bewegen konnte. »Was sagst du?« fragte er. »Gibt es noch eine Chance für uns? Können wir uns aus dieser Falle befreien?« »Ich habe alles versucht, was in meiner Macht stand«, antwortete das Mnemodukt, als habe es nur auf diese Frage gewartet. »Wir sind in eine Raumfalte geraten, in der alle Systeme versagen. Unsere Chancen, dieser Raumfalle zu entgehen, sind gleich Null.« »Der HORT wird langsamer. Oder irre ich mich?« »Dein Eindruck ist richtig. Die Geschwindigkeit verringert sich in sehr starkem Maß. In wenigen Minuten wird der HORT auf der Stelle verharren.« »Und dann?« Insider ließ sich in einen der Sessel sinken. »Und dann ist nichts mehr.« »Könntest du dich etwas deutlicher ausdrücken? Was heißt das: Dann ist nichts mehr? Willst du damit sagen, daß der HORT zerquetscht wird oder explodiert oder sich auflöst?« »Der HORT wird sich nicht mehr bewegen. Nach meinen Berechnungen wird er bis an das Ende aller Zeiten in der Raumfalte bleiben.« »Patsch‐uuuh«, stöhnte Insider. »Schlimmer hätte es nicht kommen können.« Zwzwko war nur wenig größer als 1,60 Meter und von Kopf bis Fuß grün, wobei es bei den verschiedenen Körperpartien deutliche Helligkeitsunterschiede gab. Er war ein humanoides Wesen von unbestimmbarem Alter. Niemand hätte sagen können, wann er zum erstenmal in der SOL aufgetaucht war. Er selbst erinnerte sich nur an wenige schwierige Situationen, in denen er sich nicht selbst hatte helfen können, und in denen er die Hilfe anderer beansprucht hatte. Als Allroundman mit einem umfassenden Wissen und Können auf den verschiedensten Gebieten hatte er sonst fast immer einen Ausweg gefunden, wenn er vor
einem Problem technischer Art gestanden hatte. Doch jetzt wußte er nicht, was er tun sollte, zumal sogar das Mnemodukt, vor dem er den höchsten Respekt hatte, seine Hilflosigkeit erklärt hatte. »Wie alt wirst du eigentlich?« fragte er, um überhaupt etwas zu sagen und ohne wirklich an einer Antwort interessiert zu sein. »Das würde ich dir gern sagen«, erwiderte die Kugel zu seiner Überraschung, »doch jetzt kann ich es nicht mehr.« Er horchte auf. »Willst du behaupten, daß du es einmal gekonnt hast?« »Allerdings.« »Das mußt du mir erklären.« »Gern. Ich bin sehr alt. Wenigstens aus der Sicht eines organischen Wesens, so wie du es bist. Und eigentlich gehöre ich nicht zum HORT. Vor einer für mich kurzen Zeitspanne hat jemand meinen gesamten Speicherinhalt gelöscht und mich so umfunktioniert, daß ich den HORT bedienen und lenken kann.« »Wieso weißt du das, wenn dein Inhalt gelöscht wurde.« »Die Tatsache, daß gelöscht wurde, ist mir bewußt geblieben. Darüber hinaus habe ich einige unwesentliche Informationen über mich selbst.« »Und wer hat dich gelöscht?« »Das weiß ich nicht. Ich bin jedoch gezwungen, den neuen Befehlen zu folgen.« »Kann ich dich als meinen Partner ansehen?« »Absolut«, erklärte das Mnemodukt. »Auch ich will überleben.« Insider blickte auf die Bildschirme, die hin und wieder von Blitzen erhellt wurden. Dunkle Schatten zogen quer durch die Zentrale und ließen immer wieder das Gefühl in ihm aufkommen, in einen Abgrund gerissen zu werden. Die Schirme waren dunkel und zeigten nicht einen einzigen Stern. Die Raumfalte war das absolute Nichts. Zwzwko dachte gerade, daß der Zustand trotz seiner ganzen
Misere irgendwo noch zu ertragen war, als sich plötzlich das Mnemodukt verformte. Es wurde zu einem eiförmigen Gebilde und schien sich immer mehr in die Länge zu ziehen. Gleichzeitig veränderten sich die Linien der Instrumentenschränke und der Deckenkanten. Direkt vor Insider bildete sich eine birnenförmige Beule im Boden, und er selbst hatte das Gefühl, seitlich an der Wand zu hängen. Der HORT bewegte sich ruckend voran, so als sei er noch nicht weit genug in die Raumfalte vorgedrungen. Oder täuschten die Eindrücke? »Was ist los?« fragte der Extra in aufkommender Panik. »Ist das das Ende?« »Ich glaube nicht«, antwortete das Mnemodukt mit völlig veränderter Stimme. »Ich stelle lediglich Verzerrungen fest, die sich quer durch die Dimensionen ziehen. Der HORT scheint nicht gefährdet zu sein.« Überraschenderweise erhellten sich die Bildschirme, und einige Sonnen tauchten aus dem diffusen Dunkel auf. Die nächste von ihnen war nur ein paar Lichtsekunden entfernt. »Hoppla«, sagte Insider. »Das sieht ja gar nicht so schlimm aus. Oder?« »Ein Planet befindet sich in erreichbarer Nähe«, erklärte das Mnemodukt. »Es ist eine blaue Welt mit einer Sauerstoffatmosphäre.« »Ich könnte dort also existieren?« »Fast alle Geräte des HORTS sind ausgefallen«, erwiderte die Maschine. »Daher erhalte ich kaum Informationen. Ich kann nicht mit ausreichender Sicherheit sagen, daß der Planet für dich geeignet ist. Dazu müßtest du schon hinfliegen.« »Das ist leicht gesagt, mein Lieber, aber da der HORT nicht mehr funktioniert, bleibt mir diese Möglichkeit wohl verschlossen.« »Durchaus nicht.« Insider sprang auf.
»Klatsch‐hurra! Schnell. Heraus damit«, forderte er. »Was hast du vorzuschlagen?« »Du könntest die SCHNECKE nehmen. Möglicherweise bringt sie dich zu dem Planeten.« * Am Horizont zeigte sich ein erster Silberstreif, und immer wieder versuchte CptʹCarch aus dem Körper des Wesens zu entkommen, das sich Karosh nannte, und auch jetzt gab er noch nicht auf. »Eine Stunde vielleicht noch, dann schießen sie auf dich«, sagte jemand hinter ihm und lachte gehässig. »Du bist ein verdammter Narr.« Carch wandte den Kopf zur Seite, konnte den Mann jedoch nicht sehen, der ihn angesprochen hatte. Er hörte, wie er sich von ihm entfernte. Die beiden Wachen bewegten sich nicht. Sie streckten nur hin und wieder mal eine Hand aus, um seine Fesseln zu überprüfen. »Wodurch unterscheiden wir uns eigentlich voneinander?« fragte er sie. »Wir werden alle drei tot sein, bevor die Sonne wieder untergeht. Ich ein wenig früher als ihr, und ich werde mich nicht so gequält haben. Bei mir geht es schnell, bei euch kann es bis zum Abend dauern.« »Sei still«, antwortete einer von ihnen und stieß ihm das stumpfe Ende seiner Lanze in die Seite. »Wir können nicht weglaufen. Es ist alles vorherbestimmt.« »Unsinn«, lachte Carch. »Das reden euch die Priester nur ein. Niemand kann wissen, was die Zukunft bringt. Wenn ihr euch allerdings nicht dagegen wehrt, hier geopfert zu werden, seid ihr selbst schuld.« »Es ist alles eingetroffen, was der Prophet gesagt hat.« »Alles? Bestimmt nicht. Das wißt ihr ganz genau.«
»Halt den Mund.« Schritte näherten sich, und Waffen klirrten. »Wir sollen euch ablösen«, sagte jemand. Carch zuckte zusammen. Welch ein Lichtstrahl! Er wußte sofort, daß Sternfeuer gekommen war, und als er in sich hineinhorchte, spürte er die geistigen Impulse von Oggar. »Wir haben Befehl, bis zum Morgengrauen hier zu bleiben«, widersprach eine der Wachen. »Verschwindet endlich und schlaft noch ein wenig, damit ihr bei Kräften seid, wenn der Kampf weitergeht.« Die beiden Männer, die Carch während der Nacht bewacht hatten, flüsterten kurz miteinander und entfernten sich dann. »Na endlich«, sagte Sternfeuer. Sie hatte eine dunkle, ungemein männlich klingende Stimme. »Ich dachte schon, die würden Schwierigkeiten machen.« »Hättet ihr nicht ein wenig früher anrücken können?« fragte Carch. »Die Nacht ist fast vorbei.« »Ich wußte, daß er nur meckern würde, anstatt sich zu bedanken«, bemerkte Oggar. »Habe ich es dir nicht gesagt, Sternfeuer?« »Ja, das hast du.« »Und es ist genau so gekommen. Er meckert. Wir sollten ihn am Pfahl lassen.« Carch fühlte, daß Oggar seine Fesseln durchschnitt, und wenig später rieb er sich aufatmend die Handgelenke. »Und was nun?« fragte er. »Wir müssen uns durchschlagen«, erklärte die Telepathin. »Es wird schwierig werden, weil die Offiziere aufpassen, daß niemand flüchtet. Die Priester wollen, daß alle in dieser Schlacht sterben, damit sich die Vorhersage auch wirklich erfüllt. Sie wären beim Volk blamiert, wenn es anders käme.« »Dann sollten wir alles tun, damit die Schlacht anders ausgeht«, lächelte Carch.
»Das wäre ganz nach meinem Geschmack«, stimmte Oggar zu. »Ich wüßte nur gern, wie wir das anstellen sollen.« Sternfeuer führte ihn und Carch von den Zinnen der Mauer weg zu einem kleinen Vorbau, neben dem zahlreiche Krieger auf dem Boden lagen und schliefen. »Hast du es schon mal mit Telepathie versucht?« fragte der CptʹCpt. »Wie meinst du das?« Sternfeuer schien überrascht zu sein. Sie blieb stehen und blickte ihn unsicher an. Der Hautsack auf ihrem Kopf schwappte erst zur einen, dann zur anderen Seite. »Nun, ich habe deine Stimme einige Male deutlich gehört. Immerhin kannte ich das schon, weil ich so etwas auf dem Weg von Oggars HORT bis hierher erlebt habe. Für die Krieger da unten aber dürfte so etwas völlig neu sein.« »Ich habe einige Male etwas Ähnliches versucht«, erwiderte sie. »Es scheint mir nicht gelungen zu sein.« »Vielleicht geht es, wenn wir uns bei den Händen fassen und unsere Kräfte vereinen«, bemerkte Oggar. »Aber das sollten wir erst tun, wenn wir diese Burg verlassen haben. Ich will hier nicht versauern, sondern zu meinem schlafenden Körper.« »Hoffentlich ist der nicht so häßlich wie der, den du jetzt hast«, sagte Carch und grinste breit. »Hüte deine Zunge.« Die Stimme Oggars wurde scharf und verweisend, und seine Augen verengten sich. »Ich schätze Bemerkungen solcher Art nicht.« »Ich wollte dich nicht beleidigen«, beteuerte Carch, dem seine vorwitzige Bemerkung leid tat. »Und du solltest nicht so tun, als ob du es nicht wüßtest.« »Wie lange wollt ihr euch noch streiten?« fragte Sternfeuer. »Bis sie euch erwischen und an den Pfahl binden?« »Du hast recht. Wir benehmen uns wie die Dummköpfe«, lenkte Oggar ein. »Los. Verschwinden wir.« Er öffnete eine Tür und schlüpfte hindurch. Sternfeuer und Carch
folgten ihm. Vorsichtig schlichen sie sich an den Kriegern vorbei, die auf den Stufen einer Steintreppe schliefen. »Wohin gehen wir?« wisperte der CptʹCpt. »Das wirst du schon sehen«, antwortete Oggar. »Sei still.« Sie haben lange gebraucht, bis sie zu mir gefunden haben, dachte Carch. Wahrscheinlich sind sie die ganze Zeit über im Innern der Burg gewesen und haben dabei einen Fluchtweg entdeckt. Seine Überlegung erwies sich als richtig. Nachdem sie über eine Wendeltreppe etwa dreißig Stufen hinabgestiegen waren, betraten sie einen kleinen Raum, in dem zwei Priester gefesselt auf einer Bank saßen. »Deshalb hattet ihr es also so eilig«, sagte Carch. »Die beiden hätten Krach schlagen können.« »Es war nicht leicht, sie zu überwältigen«, entgegnete Oggar. »Sie waren viel stärker, als wir angenommen hatten. Offenbar werden die Priester hier erheblich besser verpflegt als die anderen.« Er versetzte einem der beiden Gefangenen einen leichten Tritt gegen die Beine und drohte ihm mit der Faust. »Ich glaube, es ist einer der Hundesöhne, die dich verurteilt haben«, bemerkte er dazu. »Laß ihn in Ruhe. Er hat nur getan, woran er glaubt. Er kann nicht anders.« »Unsinn. Er betreibt Volksverdummung. Er weiß, daß die Wahrheit nicht so ist, wie er sie den Kriegern da oben verkaufen will.« »Du irrst dich, Oggar. Wenn es so wäre, würde er bestimmt nicht bis zum Ende der Schlacht in der Burg bleiben und für seinen Glauben sterben wollen.« »Wahrscheinlich hatte er vor, sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen. So wie wir.« Er lachte und schlug sich die flache Hand vor die Brust. Inzwischen hatte Sternfeuer einen großen Mauerstein aus der Wand gelöst und zog nun einen zweiten heraus. Kühle Luft schlug
ihr aus der Öffnung entgegen. »Wir müssen uns beeilen«, drängte sie. »Noch ist es dunkel, aber in einigen Minuten ist es zu spät für uns. Dann wird es hell.« Oggar holte ein dickes Tau unter der Bank hervor, befestigte ein Ende an einem Wandhaken und schob sich dann durch das Loch in der Mauer. »Wir haben lange daran gearbeitet«, flüsterte Sternfeuer Carch zu. »Sonst wären wir früher bei dir gewesen. Aber es war nicht möglich. Von hier aus sind es nur noch fünf Meter bis unten. Das können wir schaffen.« Oggar verschwand lautlos in der Tiefe. »Jetzt du«, sagte Carch, doch Sternfeuer schüttelte den Kopf. »Ich gehe zuletzt«, erklärte sie und trat an die Tür der Kammer. Carch sah ein, daß es unsinnig gewesen wäre, mit ihr zu streiten. Er folgte Oggar. Wenig später berührten seine Füße weichen Waldboden. »Leise«, wisperte der Freund ihm zu. »Dort drüben stehen sie. Die Roten und Violetten. Sie warteten auf das erste Tageslicht. Dann greifen sie an.« Carch brauchte lange, bis es ihm endlich gelang, die Soldaten auszumachen, die unter einigen Bäumen Position bezogen hatten. Seine Augen waren nicht so gut wie die Oggars, der dafür jedoch mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Er bewegte sich oft ein wenig unsicher. Geräuschlos glitt Sternfeuer aus der Höhe herab. Sie griff nach den Armen Carchs. »Weg hier. Schnell.« Geschmeidig eilte sie Oggar und dem CptʹCpt voraus, und sie blieb erst wieder stehen, als wütende Schreie von der Burg her über klangen. »Das sind die beiden Priester«, erläuterte sie. »Ich habe ihre Knebel gelockert, damit sie sich bemerkbar machen können.« Sie überkletterten eine Felsbarriere, die etwa zweihundert Meter
von den Mauern der Burg entfernt war. Jetzt wurde es hell, und Tausende von Varakern, von denen einige rote und andere violette Hautsäcke auf dem Kopf hatten, traten unter den Bäumen hervor. Große Steinbrocken flogen, von Katapulten geschleudert, zur Burg hinauf. Von dem Felsen aus, auf dem sie lagen, konnten Carch, Oggar und Sternfeuer das Geschehen beobachten, ohne selbst durch die Kämpfe gefährdet zu werden. Nach einem kurzen Vorgeplänkel begann der Sturm auf die Burg. Laut brüllend rannten die Angreifer auf die Mauer zu. Viele von ihnen trugen Leitern. Töpfe mit brennendem Öl flogen zischend über sie hinweg und stürzten zwischen die Verteidiger. Dort erzielten sie eine grauenhafte Wirkung. »Wir könnten uns einfach verdrücken«, sagte Carch, »aber das würde mir gegen den Strich gehen. Ich will nicht, daß die Priester recht behalten.« »Gebt mir die Hände«, bat Sternfeuer. »Wir wollen mal etwas versuchen.« * Insider hastete durch den HORT. Er bezweifelte, daß die SCHNECKE noch flugfähig war, doch wollte er zumindest einen Versuch mit dem Beiboot machen. Die SCHNECKE stand in der Nähe der Zentrale in einem Hangar. Sie war ein Glaspanzerboot und hatte einen Durchmesser von 6,60 Metern. Auf geringstem Raum waren die wichtigsten Aggregate untergebracht, so daß gerade noch Platz für einen Piloten darin war. Insider hatte sie nie zuvor gesehen und wußte auch nicht, wie er sie bedienen sollte. Dennoch setzte er sich in die winzige Kabine und schloß das Schott. Im gleichen Moment begann der Antrieb zu summen.
»Es funktioniert«, meldete sich die Stimme des Mnemodukts. Sie kam aus keiner bestimmbaren Richtung. »Ich werde dich zum nächsten Planeten abschießen. Sobald du auf Kurs bist, mußt du die Leitung der SCHNECKE übernehmen. Dazu ist nicht viel zu tun. Ich werde es dir erklären.« Danach folgte ein Dialog mit dem Mnemodukt, das Insider genau auseinandersetzte, was er zu tun hatte. Er war kurz, da der Allround‐Könner über ein breites Basiswissen verfügte, so daß sich die Erklärungen auf das Wichtigste beschränken konnten. »Die Wirkung der Raumfalte bezieht sich nicht nur auf den HORT, sondern vor allem auf mich«, schloß das Mnemodukt. »Falls du auf dem blauen Planeten nicht nur Überlebensmöglichkeiten, sondern auch eine technisch entwickelte Zivilisation vorfinden solltest, so könntest du dich um einen Schirmfeldgenerator kümmern, mit dem ich die störenden Einflüsse der Raumfalte neutralisieren kann.« »Sicher«, spöttelte Insider. »Die liegen dort bestimmt überall herum.« »Das glaube ich nicht«, antwortete das Mnemodukt, das keinen Sinn für Humor zu haben schien. »Unter Umständen mußt du versuchen, es zu konstruieren. Entspanne dich und schließe die Augen, damit du dich ganz auf das konzentrieren kannst, was ich dir mitzuteilen habe. Du mußt dir eine Reihe von technischen Daten einprägen, damit du das Gerät notfalls nachbauen kannst.« »Also gut«, seufzte der Extra. Als er eine halbe Stunde später ins All hinausschoß, wußte er, was das Mnemodukt benötigte, und er war auch davon überzeugt, daß er ein solches Gerät bauen konnte, sofern er die technischen Voraussetzungen dafür vorfand. Die SCHNECKE glitt aus der Raumfalte und näherte sich dem blauen Planeten. Da die Ortungseinrichtungen auf die wichtigsten Einheiten beschränkt waren, konnte Insider nicht feststellen, ob der Planet besiedelt war. Erst als er in die Lufthülle der blauen Welt eindrang,
erkannte er, daß weite Flächen kultiviert waren, und daß es eine Reihe von großen Städten gab. Doch auch jetzt gewann er noch keine Erkenntnisse über den Entwicklungsstand der Wesen, die auf diesem Planeten lebten. Er beschloß, weitab von den großen Städten zu landen und sich dann langsam zu der beherrschenden Intelligenz dieser Welt vorzutasten. Ein wenig enttäuscht lenkte er die SCHNECKE auf dicht bewaldetes Gebiet zu, das nur durch wenige kultivierte Flächen und kleine Siedlungen aufgelockert wurde. Seine Hoffnungen, daß er auf dieser Welt irgend etwas finden würde, womit er den HORT aus der Falle befreien konnte, erfüllten sich offensichtlich nicht. Was hast du eigentlich erwartet? fragte er sich selbstkritisch. Hast du etwa gedacht, auf der einen Seite ist das Problem Raumfalte, und gleich daneben bietet sich die Lösung an? Das wäre wohl allzuweit hergeholt gewesen. Dennoch – so sehr er sich auch einzureden versuchte, daß er nicht hoffen konnte, daß sich so schnell eine Lösung der Probleme finden würde, seine Unzufriedenheit blieb. Sollte er den Rest seines Lebens auf einem Planeten verbringen, auf dem er immer ein Außenseiter bleiben würde? Gab es wirklich keine Chance, jemals wieder in die SOL zurückzukehren? Die SCHNECKE sank auf eine Lichtung herab, auf der der Boden offenbar zu schlecht war, um großen Bäumen ausreichende Lebensbedingungen bieten zu können. Nachdenklich blieb er in der Kabine sitzen, als er den Antrieb ausgeschaltet hatte. Er sah sich um. Die Lichtung hatte einen Durchmesser von etwa dreihundert Metern, und die SCHNECKE stand kaum zwanzig Meter vom Waldrand entfernt. Grünende Bäume bildeten ein undurchdringlich erscheinendes Dickicht. Doch das war ihm gerade recht. Auf einer offenen Ebene, auf der er ungedeckt gewesen wäre, hätte er sich unsicher gefühlt.
»Ich benötige ein paar Informationen über die Luft da draußen«, sagte er laut. »Kann ich sie atmen? Enthält sie für mich giftige Bestandteile? Gibt es gefährliche Mikroorganismen?« Er hoffte, daß das Mnemodukt antworten würde, doch es schwieg, und die Instrumente der SCHNECKE gaben ihm nicht die Hinweise, die er benötigte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die Schotte zu öffnen und sich der Umwelt dieses Planeten zu stellen. Er atmete zunächst flach, dann aber tief und kräftig durch. Die Luft war frisch und würzig und sagte ihm auf Anhieb mehr zu als die Luft, wie er sie von Bord der SOL oder vom HORT her kannte. Sie schien gut für ihn geeignet zu sein. Insider beschloß, die SCHNECKE etwas weiter zu den Bäumen hin zu versetzen. Als er danach wieder ausstieg, stand das Beiboot im Schatten der weit auslegenden Äste. Er wollte den Wald durchqueren und die nächste Siedlung, die nur wenige Kilometer entfernt war, aus sicherer Deckung heraus beobachten. Doch plötzlich vernahm er ein Geräusch über sich, und er blickte nach oben. Eine rote Gestalt stürzte auf ihn herab. Sie war humanoid, und aus ihrem Rücken kam ein silbrig schimmernder Faden, an dem sie sich herabließ. Bevor Insider ausweichen konnte, war der Rote über ihm und überwältigte ihn mit einem wuchtigen Schlag gegen den Kopf. Bewußtlos sank der Extra zu Boden. 4. »Womit willst du sie in die Flucht schlagen?« fragte Carch. »Mit Bildern des Schreckens«, antwortete Sternfeuer und lächelte. Der CptʹCpt blickte sie forschend an. »Und woran denkst du? An Hexen, Magier und Ungeheuer? Dinosaurier und Drachen von wilden Planeten?«
Die Telepathin lachte leise, und der dreigeteilte Hautsack auf ihrem spitzen Kopf schwappte hin und her. »Warum denn so etwas?« entgegnete sie. »Ich versuche, ihnen Bilder von dir zu übermitteln, wie du in deiner Normalgestalt aussiehst. Bilder von Insider und einigen anderen Besatzungsmitgliedern der SOL.« »Du meinst, mein Anblick ist erschreckend für die da unten?« rief Carch empört. Er richtete sich auf und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Und was ist mit Oggar?« Sternfeuer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Von dem weiß ich leider nicht, wie er aussieht.« »Auch richtig.« Mürrisch ließ sich Carch auf den Boden sinken. »Also fange schon an. Diese hartgesottenen Krieger grinsen sich eins, wenn du ihnen solche Bilder suggerierst, aber sie laufen nicht weg.« »Abwarten, Kleiner. Du vergißt, daß sie noch niemals Wesen wie dich oder Insider gesehen haben. Sie müssen ihnen vorkommen wie … wie …« »Na – wie?« fragte der CptʹCpt mit schriller Stimme. »Wie lange wollt ihr eigentlich noch streiten und zusehen, wie da unten Männer getötet werden?« fragte Oggar. »Du hast recht«, stimmte Sternfeuer zu. »Wir müssen handeln. Und zwar schnell.« Sie griff nach den Händen ihrer beiden Begleiter und konzentrierte sich. Dabei übersah sie, wie Carch lächelte. Das rätselhafte Wesen machte Kräfte frei, die niemand bei ihm vermutet hätte. Zusammen mit Sternfeuer gelang es ihm, eine hypnosuggestive Wirkung auf die angreifenden Krieger zu erzielen, und er ließ die Telepathin in dem Glauben, daß allein sie es war, die diesen parapsychischen Prozeß steuerte. Carch beobachtete die Angreifer, die immer wieder versuchten, über die Leitern auf die Mauer der Burg zu kommen, während andere mit Katapulten Steine und Töpfe mit brennendem Öl auf die
Verteidiger schleuderten. Plötzlich entstand Unruhe unter den Kriegern. y Der Angriff geriet ins Stocken. Einige Männer brachen zusammen und vergruben ihre Gesichter in den Händen. Offiziere wollten die Männer vorantreiben. Doch sie selbst wurden zu sehr durch die Schreckensbilder in ihren Hirnen verunsichert. Die angreifenden Roten und Violetten sahen plötzlich fremdartige Wesen vor sich. Sie wähnten sich von ihnen angegriffen, und sie vermochten die Wirklichkeit nicht mehr zu erkennen. Als einige der Krieger sich zur Flucht wandten, brach der Bann. Andere schlossen sich ihnen an. Viele begannen entsetzt zu schreien, und dann machte sich eine heillose Panik breit, die zu einem ungeordneten Rückzug führte. Kriegsmaterial verschiedenster Art blieb auf dem Kampffeld zurück. Die Blauen, die die Burg verteidigt hatten, standen jubelnd auf der Mauer. Sie ahnten nicht, was zu der Massenflucht geführt hatte. Enttäuscht schimpfend eilten die Priester auf der Mauer hin und her. Aber sie waren machtlos. Wo kein Gegner mehr vorhanden war, konnte nicht gekämpft werden, und wo es keine Schlacht gab, konnte niemand unterliegen. »Wir müssen warten«, sagte Sternfeuer. »Immerhin ist es möglich, daß sie zurückkommen und noch einmal angreifen.« Doch ihre Befürchtungen waren grundlos. Sie konnte mit ihren telepathischen Mitteln verfolgen, daß die Angreifer ihre Flucht fortsetzten. Die Roten und Violetten verstreuten sich in alle Winde, und selbst mit modernen Kommunikationsmitteln wäre es wohl nicht gelungen, die Krieger innerhalb weniger Stunden zu einem neuen Sturm auf die Burg zu formieren. »Sie sind abgeschlagen«, meldete die Telepathin schließlich. »Wir können also damit beginnen, unser Problem zu lösen.« »Richtig«, bestätigte Oggar. »Wir müssen zu meinem schlafenden Körper, das heißt, nach Vasterstat.«
»Wenn du weißt, wie das gehen soll, dann müßten wir so schnell wie möglich aufbrechen«, erwiderte Carch. »Aber was machen wir, wenn du deinen Körper hast? Was ist aus dem HORT geworden?« »Das ist ein anderes Problem«, erwiderte Oggar. »Wir sollten ein Problem nach dem anderen lösen. Nur dann haben wir Aussichten, zum Ziel zu kommen. Das vor allem auch deshalb, weil ich davon überzeugt bin, daß wir nicht zufällig mit dem HORT in eine Raumfalle geflogen sind.« »Du meinst also, daß uns jemand erwartet hat?« fragte Sternfeuer. Ihre Stimme schien noch dunkler und kraftvoller geworden zu sein. Carch wäre nicht überrascht gewesen, wenn sie ein paar Takte einer Melodie gesungen hätte, um alle Tiefen dieses Basses auszuloten. »Selbstverständlich«, antwortete das rätselhafte Wesen, dem sie so überraschend ausgeliefert worden waren. Es kletterte die Felsen hinunter, ohne sich darum zu kümmern, ob die beiden anderen ihm folgten oder nicht. Carch turnte mit verblüffender Geschwindigkeit über eine Steilwand herab und trat noch vor ihm in den Schatten der pilzartigen Baumkronen. Sternfeuer war weniger schnell und geschickt. Sie schien ihren Körper noch immer nicht so zu beherrschen wie Carch, und auch Oggar hatte in dieser Hinsicht unübersehbare Schwächen. »Willst du uns nicht ein wenig mehr von dir erzählen?« fragte der CptʹCpt, als sie durch den Wald eilten und sich zum Paß hocharbeiteten. »Du setzt einfach voraus, daß wir dir helfen, aber so selbstverständlich ist das wohl nicht.« »Nein. Das sehe ich ein«, entgegnete Oggar. Er sprang über einen Bach und blieb dann erschrocken stehen, als eine grüne Schlange vor ihm in ein Gebüsch flüchtete. »Verdammtes Biest.« »Ist sie gefährlich?« fragte Sternfeuer. »Woher soll ich das wissen?« Er spuckte in hohem Bogen über die Schlange hinweg und eilte dann weiter. Er schien vergessen zu haben, daß er etwas über sich
selbst berichten sollte, und er sprach erst wieder, als Carch ihn daran erinnerte. »Du bist selbst nicht sehr offen«, sagte er. »Vorhin hast du Fähigkeiten gezeigt, die ich nicht bei dir vermutet hätte. Sternfeuer allein hätte diese hartgesottenen Krieger nicht so beeindrucken können.« »Nein. Bestimmt nicht«, bestärkte die Telepathin ihn in seiner Ansicht. »Ich hatte noch nie Suggestivkräfte.« »Ich auch nicht«, eröffnete Carch ihnen und griff sich mit beiden Händen nach dem blauen Hautsack auf seinem Kopf. Er tastete ihn neugierig ab, schien mit dem Ergebnis jedoch nicht sehr zufrieden zu sein. »Ich konnte es vorhin. Jetzt könnte ich es nicht mehr. Manchmal kann ich etwas, und dann wieder nicht.« »Du weißt selbst nicht, was du kannst?« fragte Oggar zweifelnd. Carch kratzte sich die Wange. Er grinste schief. »Wenn ich erst geboren wäre, wäre das ganz anders«, erwiderte er. »Aber was reden wir von mir? Warum kommst du nicht endlich zur Sache? Du gehörst also einem Volk an, das früher den Planeten Vasterstat beherrscht hat, dann aber untergegangen ist. Ist das richtig?« »Ja, das stimmt. Ich selbst stamme aus einer fernen Vergangenheit, und ich habe lange, viel zu lange von meinem Körper getrennt gelebt.« »Was hat dich denn von deinem Körper gelöst?« forschte Carch. »Es würde zu weit führen, das jetzt alles zu erklären«, entgegnete Oggar. »Kommen wir lieber zu dem, was wichtig ist.« »Aha. Du hast also irgend etwas ausgefressen.« Oggar ging über diese Bemerkung des CptʹCpt hinweg, als habe er sie nicht gehört. »Ich habe den Auftrag, im entscheidenden Moment jenen zu helfen, die dem Schalter in die Hände fallen. Das hat ein heute nicht mehr existierender Freund meines Volkes, der Fastrap hieß und den man den wandernden Geist nannte, herausgefunden und mir
mitgeteilt.« »Der Schalter? Wer ist das nun wieder?« Carch hielt Oggar an der Schulter fest, doch dieser schüttelte seine Hand ab. »Über die weiteren Hintergründe weiß ich so gut wie nichts«, fuhr er fort. »Ich weiß nur, daß eine böse Macht mein Volk unterjochen wollte, daß wir aber etwas aufgebaut haben, was dieser Macht entgegentreten sollte. Die Erfolge meines Volkes gegen diese Macht sind jedoch ausgeblieben, denn nur noch ich lebe, während alle anderen untergegangen sind.« »Dieser Lohn eurer Arbeit ist allerdings bescheiden«, kommentierte Carch. »Ich muß zu meinem schlafenden Körper, weil ich nur dort zusammen mit euch ein Wesen entstehen lassen kann, das stark genug ist für meine Pläne.« »Ah, so ist das«, sagte Sternfeuer. »Du hast uns also ganz bewußt gesucht und aus der SOL herausgelockt.« »Nein, das ist falsch«, korrigierte Oggar. »Nicht gezielt. Ich habe euch instinktiv gefunden – und das ist etwas völlig anderes.« Abermals blieb Carch stehen. Er hielt Oggar am Arm fest. Sie waren nun nur noch etwa zwanzig Schritte von der Paßhöhe entfernt, die nicht bewacht wurde, und konnten über die Felsen hinweg in ein riesiges Tal sehen, das von sanft gewellten Bergen begrenzt wurde. »Weißt du eigentlich, wie wir zu deinem schlafenden Körper kommen können?« Er fuhr sich mit den Händen über den Kopf. »Wenn ich es richtig betrachte, hast du einen gewaltigen Fehler gemacht. Wir sind nicht auf Vasterstat, sondern auf dem Planeten Varak, also sogar im falschen Sonnensystem.« »Es stimmt«, bestätigte Oggar niedergeschlagen. »Das Auxon‐ System hat nur einen Planeten. Vasterstat.« »Und wie willst du Varak verlassen?« fragte Carch. Oggar zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, und ich hatte auch noch keine Zeit, darüber
nachzudenken. Wir müssen uns jedoch etwas einfallen lassen. Vielleicht gibt es hier noch eine andere Zivilisation, die höher entwickelt ist. Eine Zivilisation, in der es Raumschiffe gibt.« Er lächelte verzerrt, denn er rechnete selbst nicht damit, daß sie das Glück haben könnten, irgendwo ein Raumschiff aufzutreiben, mit dem sie nach Vasterstat fliegen konnten. »Kannst du nichts für uns tun, Carch?« fuhr er dann fort. »Ich glaube, daß du uns allen überlegen bist, wenn du nur willst. Kannst du auch teleportieren?« »Was glaubt ihr denn von mir?« schnaufte der CptʹCpt empört. »Bildest du dir ein, ich würde noch auf diesen beiden jämmerlichen Füßen herumlaufen, wenn ich es nicht müßte?« »Jedenfalls kannst du viel mehr, als du zugibst.« »Das stellst du dir alles so leicht vor. Du hast ja keine Ahnung, was für Probleme ich habe. Ja, das wäre natürlich ganz anders, wenn ich erst einmal geboren wäre. Aber so …?« »Du siehst nicht gerade wie ein Sämling aus«, bemerkte Oggar spöttisch. Carch würdigte ihn keines Blickes und ging an ihm vorbei über den Paß. * »Patsch‐uuuh«, sagte Insider und versuchte, mit seinen vier Armen um sich zu schlagen. Es gelang ihm nicht, weil sie von starken Fesseln gehalten wurden. »Patsch‐uuuh«, stöhnte er und wälzte sich auf den Rücken herum. Sein Kopf schmerzte noch immer von dem Schlag, den er erhalten hatte. Er lag unter den Bäumen auf weichem Waldboden, und vor ihm kauerte ein humanoides Wesen, das auf den ersten Blick eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihm hatte, wenngleich es nicht wie er
grün, sondern vom Kopf bis Fuß rot war. Es unterschied sich jedoch vor allem dadurch von ihm, daß es nur zwei und nicht vier Arme hatte. ‹ Mit rubinroten Augen blickte es ihn forschend an. Sie wurden von blaßrosa Wimpern überschattet, die so zart wie die Daunen eines Vogels waren. Insider spreizte die Finger seiner vier Hände. Sie waren mit silbrigen Fäden gefesselt, die ihn an Spinnenfäden erinnerten. Abermals rüttelte er daran, ohne sie lockern zu können. Sein Gegenüber lächelte und entblößte dabei zwei Reihen von leuchtend roten Zähnen. Und dann begann er zu reden. Insider hörte ihm gespannt zu. Er war fasziniert. Noch niemals zuvor war er einem Wesen begegnet, das ihm in dieser Weise ähnelte, und sein Interesse an ihm steigerte sich noch, als er den leichten Buckel bemerkte, den der andere hatte. War aus diesem nicht ein Faden gekommen, an dem der Rote sich von den Bäumen herabgelassen hatte? Es dauerte nicht lange, bis Insider zu verstehen begann, was das Wesen sagte, das ihn überwältigt hatte. Es sprach vom Wald und dem Leben darin, und Insider schloß daraus, daß es mit diesem Wald in einer Einheit oder zumindest in einer besonderen Verbundenheit lebte. Während er sich auf die Sprache des Roten konzentrierte, vergaß er nicht, immer wieder an seinen Fesseln zu arbeiten. Dabei gelang es ihm, sie allmählich mehr und mehr zu lockern, und schließlich streifte er sie einfach ab. Sein Gegenüber sprang erschrocken auf und wich vor ihm zurück, doch Insider blieb auf dem Boden sitzen und verschränkte die vier Arme vor der Brust, als habe sich überhaupt nichts verändert. »Wie heißt du?« fragte er. »Alkin«, antwortete der andere verblüfft. »Ich heiße Insider. Du siehst, ich bin frei wie die Tiere im Wald, aber ich laufe nicht weg, und ich versuche auch nicht, dir etwas zu tun. Warum setzt du dich nicht?«
Zögernd ließ Alkin sich auf den Boden sinken, hielt dabei jedoch einen respektvollen Abstand von ihm ein. Insider ließ sich nicht anmerken, daß ihn diese Vorsichtsmaßnahme des Roten belustigte. Auf einen mehr oder minder großen Abstand kam es bei ihm wahrhaftig nicht an. Wenn er angreifen wollte, dann war er so schnell, daß er auch eine wesentlich größere Distanz überwunden hätte, bevor Alkin auch nur einen Finger krümmen konnte. »Wer bist du?« fragte der Rote. »Woher kommst du? Gehörst du zu jenen, die fliegen und vor denen sich alle fürchten? Du mußt einer von ihnen sein, denn sonst kann niemand fliegen. Nur sie können es. Was willst du von mir? Ich kann dir nicht von Nutzen sein.« »Ich gehöre zu niemandem«, erwiderte er gelassen. »Von wem sprichst du überhaupt?« »Von jenen, von denen es heißt, sie werden aus dem Kosmos gelenkt.« Insider horchte auf. Sollte er auf dieser Welt tatsächlich Wesen finden, die etwas mit der Raumfalte zu tun hatten, in der sich der HORT gefangen hatte? War die Falle von hier aus errichtet worden? Bezog sie ihre Energie von hier oder von der nahen Sonne? »Ich habe nichts mit irgend jemandem zu tun, der auf deiner Welt lebt«, beteuerte er. »Ich komme von den Sternen, und ich benötige Hilfe.« Alkin lächelte. »Du solltest dich nicht über mich lustig machen«, bat er vorwurfsvoll. »Ein Wesen, das von den Sternen kommt, muß mächtig sein. Sehr mächtig. Was bin ich dagegen? Ein Staubkorn, das von dem nächsten Windhauch davongewirbelt wird.« »Ich bin ebenfalls nicht mehr als das«, beteuerte der Extra. »Ich weiß möglicherweise nur ein wenig mehr als du.« »Wissen ist Macht.« »Das ist eine uralte Erkenntnis. Laß uns miteinander reden, viel
reden, damit ich deine Sprache besser lerne.« Insider war erstaunt über die Unbefangenheit Alkins und die Offenheit, mit der dieser ihm begegnete. Er schien seine anfängliche Furcht vollkommen überwunden zu haben. Doch dieser Eindruck täuschte. Insider brauchte mehrere Stunden, bis es ihm endlich gelungen war, das Mißtrauen Alkins zu überwinden. Danach kam es zu einer wirklichen Verständigung. Aber auch dann konnte er noch nicht über die Dinge sprechen, die ihn interessierten. Alkin verharrte bei seinen eigenen Problemen, die sich im wesentlichen dadurch ergaben, daß irgend etwas im Gleichgewicht des Waldes gestört war. Insider fand erst am darauffolgenden Tag heraus, was Alkin meinte. Eine bestimmte Tierart, die sich von schädlichen Käfern ernährte, schien plötzlich ausgestorben zu sein. Die Folge war, daß die Käfer sich explosionsartig ausbreiteten und zahllose Bäume vernichteten. Das wiederum hatte unabsehbare Auswirkungen auf viele andere Tiere und schließlich auch auf Alkin und sein Volk, das in kleinen Siedlungen im Wald lebte. Insider hatte längst erkannt, daß er Geduld haben mußte. Und er hatte Zeit. Wenn es ihm nicht gelang, den HORT zu befreien, dann mußte er den Rest seines Lebens auf diesem Planeten verbringen. Daher kam es auf ein paar Tage nicht an. Wichtiger, als Zeit zu gewinnen, war, keinen Schaden in seinen Beziehungen zu Alkin und seinem Volk anzurichten. Am nächsten Tag verschwand der Rote plötzlich. Mitten in der Unterhaltung mit Insider stand er auf und ging in den Wald. Der Extra blieb ruhig im Gras sitzen. Er rechnete damit, daß Alkin sich bald wieder zeigen würde. Doch er täuschte sich. Die Dunkelheit brach herein, ohne daß der Rote erschien. Auch am nächsten Tag ließ er sich nicht mehr blicken, so daß Insider bereits plante, erneut mit der SCHNECKE zu starten und in einem anderen Teil des Waldes zu landen. Als er jedoch am nächsten Morgen aus dem Raumboot stieg, in
dem er geschlafen hatte, kauerte Alkin unter den Bäumen, als sei nichts gewesen. Er begrüßte ihn noch nicht einmal, sondern setzte das Gespräch an der Stelle fort, an der sie es unterbrochen hatten. Insider beschloß, sich nicht anmerken zu lassen, daß er irritiert war, und so zu tun, als sei das Verhalten Alkins für ihn nicht ungewöhnlich. Abermals sprach der Rote über den Wald, aber dann ging er zu einem Thema über, das den Grünen viel mehr interessierte. Er berichtete von fremden Wesen, die hin und wieder über dem Wald aufgetaucht waren und die offenbar das Gift verstreut hatten, an dem die Feinde der Käfer eingegangen waren. Es gibt also zumindest zwei Arten von intelligenten Wesen auf dieser Welt, erkannte Insider, der längst begriffen hatte, daß er es bei Alkin mit jemandem zu tun hatte, der zwar zur Technik keinerlei Beziehungen hatte, der aber dennoch auf einer hohen Entwicklungsstufe stand und ihm in vieler Hinsicht zumindest ebenbürtig war. Geschickt lenkte er das Gespräch immer wieder auf die Fremden, von denen Alkin gesprochen hatte, und er erfuhr, daß diese große Anlagen außerhalb der Wälder errichtet hatten, denen sich niemand nähern konnte, ohne sein Leben zu riskieren. Alkin hatte von Männern anderer Stämme gehört, die versucht hatten, die Anlagen zu erforschen. Keiner von ihnen war lebend zurückgekehrt. Einige Frauen, die den Expeditionszug der Männer begleitet hatten, hatten aus der Ferne beobachtet, das sie in gleißend hellem Feuer verbrannt waren. Allmählich schälte sich heraus, daß die Fremden bei den Ulgs, wie Alkin sich und sein Volk bezeichnete, verhaßt waren. Die Ulgs fühlten sich von ihnen zurückgedrängt und zu einer Lebensweise gezwungen, die sie verabscheuten. Sie hatten nie gegen irgend jemanden gekämpft, und sie wollten nicht kämpfen. Auf der anderen Seite wollten sie es jedoch auch nicht einfach hinnehmen, daß Fremde ihren Lebensraum immer mehr einengten.
Insider erkannte, daß er Glück gehabt hatte. Alkin hätte ihn schon bei der ersten Begegnung töten können. Und er hätte es sicherlich getan, wenn er in ihm einen jener Fremden gesehen hätte, die sein Volk bedrohten, und deren Auftreten dazu geführt hatte, daß die meisten großen Städte vollkommen evakuiert worden waren. 5. Der Ton eines Horns ließ Sternfeuer, Carch und Oggar aufhorchen. Sie befanden sich nun schon etwa zweihundert Meter unter der Paßhöhe. Hier führte der Pfad, dem sie gefolgt waren, in einen lichten Wald. »Sie kommen«, rief Sternfeuer und begann zu laufen. »Schnell. Wir müssen uns verstecken.« »Wer kommt?« fragte Oggar. »Soldaten von der Burg. Sie wissen genau, wer wir sind.« »Aber das ist unmöglich«, protestierte Carch, während er neben Sternfeuer her rannte. »Nicht so, wie du meinst«, erwiderte sie. »Aber sie kennen die Namen von den drei Männern, deren Bewußtsein wir verdrängt haben. Sie halten uns für Verräter und verfolgen uns deshalb. Sie wollen uns töten.« Als Carch zur Paßhöhe zurückblickte, sah er eine Gruppe von etwa hundert Kriegern, die mit Schwertern und Kampfbögen bewaffnet waren. Die Soldaten hatten Oggar, Sternfeuer und ihn ebenfalls bemerkt und stürmten nun den Pfad herunter. »Können wir sie nicht aufhalten?« fragte Oggar keuchend. Er hatte Mühe, bei Carch und Sternfeuer zu bleiben. »Können wir ihnen nicht Bilder vorgaukeln, mit denen wir sie in die Flucht schlagen?« »Wir könnten es versuchen«, sagte Sternfeuer. »Damit verlieren wir nur Zeit«, lehnte Carch ab. »Ich weiß, daß ich
euch zur Zeit nicht unterstützen kann. Also verzichten wir lieber auf Experimente.« Der Pfad schwang in weitem Bogen aus, und der Wald war so licht, daß sie den Weg unter sich sehen konnten, wie er sich serpentinenartig nach unten schlängelte. Oggar wollte den Berg in gerader Linie hinunterlaufen, um den Weg abzukürzen. Doch kaum hatte er den Pfad verlassen, als er auch schon bis zu den Hüften einsank. Erschrocken schrie er um Hilfe, und er klammerte sich an eine Baumwurzel, um nicht vollends einzutauchen. Sternfeuer und Carch zogen ihn unter großen Anstrengungen wieder auf sicheren Boden zurück. »So etwas ist einfach unmöglich«, keuchte Oggar. »Wieso stehen die Bäume auf einem derartigen Schräghang, wenn der Untergrund so locker und sumpfig ist? Der ganze Hang müßte eigentlich ins Tal rutschen.« »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Carch. »Es scheint wider die Naturgesetze zu sein.« Das Gebrüll der Soldaten kam näher. Es war nicht zu übersehen, daß die Männer von der Burg aufholten. Sternfeuer, der CptʹCpt und Oggar hasteten weiter, und bald darauf sahen sie die Krieger nur wenig über sich. »Jetzt verstehe ich«, stöhnte Sternfeuer, als die Krieger sich auf den Boden knieten und mit Pfeilen auf sie zu schießen begannen. Auch sie mußten dem Pfad folgen, da dieser aber in Serpentinen zu Tal führte, kamen sie ihnen an einer Kehre bis auf etwa fünfzig Meter nahe. Über diese geringe Distanz konnten sie sie mühelos mit ihren Pfeilen erreichen. Die Flüchtenden arbeiteten sich mit riskanten Sprüngen von Baum zu Baum voran, jede nur mögliche Deckung nutzend. Sie durften nicht stehenbleiben, da etwa zwanzig Soldaten in der Hoffnung weiterliefen, sie einholen zu können. »Verdammt. Wir müssen doch irgend etwas tun«, schrie Carch erregt. »Laufen allein genügt nicht.«
»Vielleicht doch«, antwortete Sternfeuer. »Da unten ist ein Bauernhof. Die Soldaten wollen nicht, daß wir ihn erreichen, weil wir dort Reittiere vorfinden werden.« »Ich habe es ja gleich gesagt«, ächzte Oggar und wich einem Pfeil aus, der ihn beinahe am Kopf getroffen hätte. »Es ist immer gut, wenn man eine Telepathin dabei hat. Dadurch erhält man wenigstens Informationen.« Er schrie gellend auf. Erschrocken fuhren Carch und Sternfeuer herum. Sie sahen, daß Oggar stocksteif auf der Stelle stand und mit beiden Händen einen Pfeil hielt, der ihm in die kräftig ausgeprägten Muskeln seines verlängerten Rückens gedrungen war. »Das ist mein Tod«, stöhnte er. Zwei weitere Pfeile pfiffen ihm um die Ohren. »Es ist nur dein Tod, wenn dir dein Herz in die Hose gerutscht ist«, erwiderte Carch. Er ging zu Oggar, packte den Pfeil und riß ihn heraus, bevor der Freund es verhindern konnte. »Das Ding hat noch nicht einmal Widerhaken.« »Laßt mich zurück«, bat Oggar. »Es ist vorbei mit mir.« »Du hast nur eine winzige Wunde«, rief Carch und gab ihm einen aufmunterndem Stoß in den Rücken. »Und beim Laufen behindert sie dich überhaupt nicht.« »Ich bin in einen Körper geraten, der keine Schmerzen ertragen kann«, klagte Oggar, während er mit komisch anmutenden Bewegungen neben Carch her trabte. »Mir ist, als müßte ich sterben.« »Das wirst du auch, und zwar in der Folterkammer, wenn du nicht ein wenig flotter läufst.« Oggar blickte ihn erschrocken an. Er schrie erstickt auf und rannte so schnell weiter, daß er sogar Sternfeuer überholte, die einen Vorsprung von fast zwanzig Metern gehabt hatte. Der Pfad führte nun aus dem Wald heraus auf freies Land und zu einem Anwesen hin, das aus sieben Giebelhäusern bestand. Davor
lag eine Koppel, auf der vierbeinige Vogeltiere ästen. Sie waren etwa zwei Meter hoch und hatten ein dichtes, gelbes Gefieder. Ihre Köpfe saßen auf einem langen, biegsamen Hals. »Das sind die Reittiere«, rief Sternfeuer. »Ich glaube, sie sind gutmütig. Los. Schwingt euch hinauf. Wir müssen es versuchen.« »Ich kann nicht sitzen«, jammerte Oggar. »Habt doch ein Einsehen.« »Dann reite von mir aus auf dem Bauch«, entgegnete Carch. Sie kletterten über einen Zaun hinweg. Carch blickte zurück und erschrak, denn wenigstens zwanzig Krieger waren nur noch etwa hundert Meter hinter ihnen. »Wir haben keine andere Wahl«, sagte er. »Wir müssen es riskieren.« Oggar klammerte sich ungeschickt an eines der Tiere, das laut krächzend auswich. Jedesmal wenn er sich auf seinen Rücken schwingen wollte, tänzelte der Vogel zur Seite, und Oggar rutschte ab. Da er den Freund nicht allein zurücklassen wollte, packte Carch ihn und warf ihn mit kräftigem Schwung auf das Tier. Oggar landete bäuchlings auf dem Rücken, und er krallte seine Hände in die Federn. Er kam nicht dazu, sich aufzurichten und hinzusetzen, denn der Vogel stürmte schreiend los, setzte mit weitem Sprung über das Gatter und jagte ins Tal hinein. Oggar brüllte auf, während er versuchte, die Probleme zu bewältigen, die er durch seinen Körper hatte. Sternfeuer und Carch hatten weniger Schwierigkeiten. Ihnen gelang es, mit einem Satz auf den Rücken der Tiere zu kommen, die sie ausgewählt hatten. »Man muß sie am Hals fassen«, rief die Telepathin. »Dann gehorchen sie.« Überraschend leicht konnten sie die Reittiere gegen die anderen Vögel lenken, die sich auf der Koppel befanden. Diese eilten mit weit ausgreifenden Schritten vor ihnen her und rasten mit ihnen davon.
»Wir haben es geschafft«, jubelte Carch. »Bis die Soldaten uns folgen können, haben wir einen so großen Vorsprung gewonnen, daß sie uns nicht mehr einholen werden.« Er blickte zurück und sah, daß die Krieger sich erschöpft ins Gras sinken ließen. Mehrere Männer kamen aus dem Bauernhaus. Sie fuchtelten mit den Fäusten in der Luft herum. * Auf einem anderen Planeten, Lichtjahre von Varak entfernt, deutete Alkin auf eine Reihe von Sanddünen, die sich quer durch das Land zogen. »Dahinter ist es«, erklärte er. »Wir müssen vorsichtig sein.« Zwei Tage lang war er mit Insider durch die Wälder gegangen, ohne daß sich etwas ereignet hatte. Bewußt hatte Insider darauf verzichtet, mit der SCHNECKE zu fliegen, weil er die Besetzer dieses Planeten nicht auf sich aufmerksam machen wollte. Jetzt endlich war es soweit. Er würde mehr über die Fremden erfahren. Er hatte Mühe, seine Ungeduld zu zügeln. Er merkte, daß Alkin ihn beobachtete, und er wollte keinen Fehler machen, weil die Vertrauensbasis, die er mit dem Ulg gefunden hatte, gar zu leicht zerstört werden konnte. Immer wieder fragte er sich, wer dem HORT eine Falle gestellt hatte, und wo sich der Unbekannte aufhielt. Hatte er ihn absichtlich entkommen lassen, oder war er durch den Ausbruch der SCHNECKE überrascht worden? War ihm gleichgültig, ob jemand aus dem HORT floh, oder würde er ihm folgen, um ihn zu vernichten? Vielleicht hat er das gar nicht nötig, dachte Insider. Möglicherweise laufe ich ihm gleich direkt in die Arme. Er überwand die letzte Anhöhe und legte sich dann bäuchlings in
den Sand. Die Anlage sah ganz anders aus, als er erwartet hatte. Bisher hatte er geglaubt, die Fremden hätten sich in einer Reihe von Kuppelbauten niedergelassen, in denen die verschiedenen technischen Geräte untergebracht waren. So sahen die meisten Stellungen aus, die von raumfahrenden Völkern auf Planeten errichtet wurden, da die Kuppeln sich als einfachste und rationellste Bauwerke erwiesen hatten. Vor Insider lag ein riesiges Gebilde, das einer Antenne ähnlich war. Auf einem runden Sockel, der einen Durchmesser von etwa hundert Metern hatte, ruhte ein stabförmiges Gebilde, das mehr als einen Kilometer lang und annähernd zweihundert Meter hoch war. Zahlreiche Nischen, Einbuchtungen, sinnlos erscheinende, vielfarbige Linien und Fenster lockerten die riesige Seitenfläche des Gebäudes auf, das frei in der Luft zu schweben schien. Auf seinem Flachdach parkten mehrere Flugmaschinen. Das seltsame Bauwerk stand in einem unübersichtlichen Gelände mit vielen Hügeln und zahllosen Baumgruppen, so daß Insider zunächst meinte, ausreichend Deckung finden zu können, wenn er sich ihm näherte. Eine Abzäunung oder einen Schutzschirm schien es nicht zu geben. Die Fremden, die sich hier niedergelassen hatten, schienen sich völlig sicher zu fühlen. Insider wandte sich Alkin zu, der mit untergeschlagenen Beinen neben ihm kauerte und mit stoischer Ruhe ins Nichts blickte. »Man kann sich anschleichen, ohne gesehen zu werden«, sagte er. »Hat es schon mal einer von euch versucht?« »Keiner hat es überlebt«, erwiderte der Rote. Natürlich haben sie Individualtaster, Infrarotortung und weitere Raffinessen, dachte Insider. Sie erfassen jeden, der sich ihnen nähert. Die Hügel und die Bäume sind unwesentlich. Sie spielen überhaupt keine Rolle. Vier rote Tiere, die den Extra an terranische Rehe erinnerten, trabten auf das Gebäude zu.
»Paß auf«, sagte Alkin, »gleich wirst du sehen, daß es unmöglich ist, zu dem Gebäude zu kommen.« Insider ahnte, was geschehen würde. Daher war er nicht überrascht, als es plötzlich aufblitzte, und die Tiere in einem gleißend hellen Feuerball verschwanden, der aus dem Nichts heraus entstanden zu sein schien. Als die Glut verschwand, blieb nur ein verbrannter Fleck auf dem Boden zurück. »Es ist sinnlos, es überhaupt zu versuchen«, bemerkte Alkin enttäuscht. »Die Fremden haben magische Kräfte, denen niemand gewachsen ist.« Eine der flügellosen Maschinen stieg auf und flog in östlicher Richtung davon. »Es ist weder unmöglich, das Gebäude zu erreichen, noch ist es sinnlos, einen Versuch zu unternehmen«, widersprach Insider, der bereits an einem Plan arbeitete, in die Zentrale der Fremden einzudringen. »Die da drüben werden sich wundern.« Er war jetzt davon überzeugt, daß ein Zusammenhang zwischen der Raumfalle und jenen Intelligenzen bestand, die das Gebäude errichtet hatten. Wenn er den HORT aus der Raumfalte herausführen wollte, dann mußte er das Abwehrfeuer der automatischen Sicherungsanlagen überwinden. »Wie fliegen sie?« fragte Alkin. »Sie haben keine Flügel wie die Vögel, und doch können sie sich in die Luft erheben.« Der Extra verfolgte das Flugobjekt, bis es in der Ferne verschwunden war. Er war versucht, Alkin einige technische Erklärungen zu geben, sah dann jedoch davon ab, da er sich sagte, daß der Rote ein zu geringes technisches Wissen hatte, um die Zusammenhänge begreifen zu können. »Es funktioniert«, sagte er, »und das hat nichts mit Zauberei zu tun.«
* Als das Reittier mit einem mächtigen Sprung über einen Bach setzte, konnte Oggar sich nicht mehr halten. Klatschend fiel er ins Wasser. Er kam prustend wieder daraus hervor und schlug zornig mit der flachen Hand auf das Wasser. »Ich werde diesen Körper noch in den Griff bekommen«, rief er. »Darauf könnt ihr euch verlassen.« »Dennoch würde ich ans Ufer kommen«, riet ihm Sternfeuer mit tiefer Stimme. Sie hielt ihr Reittier an, als es über den Bach gesprungen war, und lenkte es einige Schritte zurück. Carch blieb am anderen Ufer. Oggar wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, während er zum Ufer ging. »Dieser Körper scheint alles andere als für mich geeignet zu sein«, sagte er. »Ich übertreibe nicht. Er ist wirklich besonders schmerzempfindlich. Aber das ist ein Problem, das ich noch bewältigen werde. Verlaßt euch drauf.« Er strich sich über Arme und Beine, um das Wasser aus den Kleidern zu streifen. Sternfeuer und Carch beobachteten ihn besorgt. Sie spürten den Widerstand jener Persönlichkeiten, die sie verdrängt hatten, kamen ansonsten jedoch gut mit ihren neuen Körpern zurecht. »Können wir dir helfen?« fragte sie. Oggar antwortete nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern. Er wollte nicht, daß Sternfeuer und Carch sich mehr mit ihm befaßten, als unbedingt notwendig. Plötzlich schoß eine blaßgrüne Ranke aus dem Wasser, wickelte sich um sein rechtes Bein und zerrte so kräftig an ihm, daß er stürzte. Oggar warf sich geschickt herum und stemmte sich mit dem linken Fuß in einer Mulde ab, so daß er nicht ins Wasser gezogen werden konnte. Carch glitt vom Rücken seines Reittiers und eilte zu ihm. Er packte
die Ranke, legte sie über einen Stein und schlug mit einem anderen Stein dagegen. Sie löste sich und glitt ins Wasser zurück. »Danke«, keuchte Oggar. »Und jetzt weiter.« »Dafür bin ich auch«, stimmte Sternfeuer zu. »Ich habe mich telepathisch umgehört. Wir sind an einigen Bauernhöfen vorbeigekommen, und da habe ich einiges aufgeschnappt.« »Laß hören«, bat Oggar, während er sich auf den Rücken seines Reitvogels schwang. »Es gibt jemanden auf Varak, der sich Lehrerin nennt.« »Also eine Frau«, stellte Carch überflüssigerweise fest. »Diese Lehrerin ist offenbar …« »Paß auf«, unterbrach Oggar sie, wobei er sich weit nach vorn beugte und sich mit beiden Händen an den Hals seines Reitvogels klammerte. »Was ist denn?« fragte Carch. »Laß Sternfeuer doch erst einmal erzählen.« Doch Oggar schien ihn nicht gehört zu haben. »Seid ihr denn blind?« rief er. »Aber das ist doch unmöglich. Weiter. Weiter.« »Wovon redest du?« fragte Carch. Oggar hieb seinem Reitvogel die Hacken in die Seiten, und das Tier stürmte laut kreischend davon, wobei es wie ein Wunder erschien, daß es seinen Reiter nicht abwarf. »Was ist mit ihm los, Sternfeuer? Er kommt mir verändert vor.« Doch auch Sternfeuer antwortete nicht. Ihre Augen weiteten sich, dann warf sie ihren Reitvogel herum und trieb ihn heftig an. Carch jagte hinter ihr her, und erst jetzt sah er, daß eine Gruppe von berittenen Soldaten kaum zweihundert Meter hinter ihnen war. Doch das allein wäre nicht Grund genug für eine derartige Reaktion gewesen. Zwei weitere Gruppen von Soldaten hatten zu einer weiten Zangenbewegung angesetzt, um einen Kessel zu bilden, aus dem es dann kein Entkommen mehr geben konnte. »Es ist mir zu spät aufgefallen«, rief Sternfeuer, als Carch neben
ihr war. »Ich habe nicht darauf geachtet.« Sie holten Oggar ein, der Schwierigkeiten mit seinem Tier hatte, und drängten ihn in einen Hohlweg ab. »Die Soldaten befürchten, daß wir hier entlang fliehen«, erläuterte die Telepathin. »Nur so können wir ihnen entkommen.« Das Gelände fiel steil ab und wurde felsig und unwegsam, so daß es schien, als sei gerade dieser Fluchtweg nicht der richtige. Doch dann erreichten sie plötzlich einen reißenden Fluß, der etwa dreißig Meter breit war. In einer stillen Einbuchtung lag ein Floß, das von einem einzelnen Soldaten bewacht wurde. Neugierig blickte ihnen der Mann entgegen. »Besser hätte es nicht kommen können«, triumphierte Carch und ritt auf das Floß. Lachend sprang er ab, streckte dem Wächter die Hand entgegen und überrumpelte ihn mit einem überraschenden Faustschlag, als dieser ihn verwirrt anblickte. Der Mann brach betäubt zusammen, und Carch trug ihn zum Ufer, um ihn dort abzulegen. Währenddessen hatte Sternfeuer bereits die Tampen gelöst, mit denen das Floß vertäut war. Es trieb in die Strömung hinaus. Als die Soldaten auf ihren Reittieren das Ufer erreichen, war das Floß bereits so weit entfernt, daß sie es nicht mehr einholen konnten. »Sie geben bestimmt nicht auf«, sagte Sternfeuer. »Sie werden uns jagen, bis sie uns haben.« Doch weder Carch noch Oggar hörten ihr zu. Der CptʹCpt kniete neben dem Verletzten, der sich laut stöhnend das Hinterteil hielt. »Was ist mit dir los?« fragte er. »Irgend etwas stimmt nicht mit dir.« Die Telepathin lenkte das Floß mit Hilfe eines einfachen Ruders. »Er hat nicht nur Schwierigkeiten mit seinem Körper, sondern auch mit dem Bewußtsein, das er verdrängt hat. Es wird immer stärker, und Oggar hat Angst, daß er hinausfliegt.« »Wenn das passiert, kann er sich ja einen anderen Körper suchen.« »Das ist nicht so einfach. Oggar fürchtet, daß es ihm überhaupt
nicht mehr gelingt, weil er jetzt zu sehr geschwächt wird.« Carch stutzte. Er sah, daß rote, blaue und grüne Leuchtkugeln über der Stelle aufstiegen, an der sie das Floß übernommen hatten. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er. »Kannst du es herausfinden?« »Damit verständigen sie sich über weite Strecken«, erwiderte sie, während weitere Leuchtkugeln aufstiegen. »Wahrscheinlich geben sie irgend jemandem Bescheid, daß er uns aufhalten soll.« Plötzlich vernahm Carch eine wispernde Stimme in sich. Er konnte sie nicht verstehen, aber er wußte augenblicklich, von wem sie kam. Das Bewußtsein, das er verdrängt hatte, als er in diesen Körper eingedrungen war, meldete sich. Es zeigte Widerstand. Zugleich spürte er, daß ihn psionische Energien erfaßten und durchströmten, die Einfluß auf ihn nahmen. Sternfeuer machte ihn auf eine Siedlung aufmerksam, die an einer Flußbiegung errichtet worden war. Schon von weitem war deutlich zu erkennen, daß zahlreiche Männer ein Netz quer über den Fluß spannten, das von der Wasseroberfläche bis in eine Höhe von etwa drei Metern reichte. »Sie wollen uns abfangen«, rief sie. Oggars Hautsack blähte sich knarrend auf. »Jetzt sind wir geliefert«, jammerte er. »Daran kommen wir nicht vorbei.« »Klage nicht«, erwiderte Carch. »Wenn du zu deinem schlafenden Körper willst, mußt du kämpfen, sonst erreichst du ihn nie.« »Ich werde kämpfen, wenn du mir sagst, wie wir dem Netz entgehen können.« Das Floß schwamm schnell auf das Netz zu, das mittlerweile straff gespannt war. Am Ufer standen Hunderte von Männern und Frauen und warteten auf den Augenblick, in dem die Gejagten in der Falle landen würden.
Sternfeuer klammerte sich an das Ruder. Auch sie hatte jede Hoffnung verloren. Nur Carch kauerte ruhig und gelassen auf den Baumstämmen. »Wir müssen abspringen«, rief die Telepathin. »Vielleicht können wir unter das Netz tauchen.« »Nein«, widersprach der CptʹCpt. »Wir bleiben auf dem Floß.« Rasend schnell kam das Netz näher, und an den Ufern wurden Triumphrufe laut. Da sprang Carch plötzlich auf und klatschte in die Hände. »Es ist doch ganz einfach«, rief er. Es schien, als sei ein Blitz aus dem heiteren Himmel herabgefahren. Plötzlich brannte das Netz. Funken umtanzten es mitten auf dem Fluß, und dann zerrissen die Fasern. Zischend fiel es ins Wasser, und das Floß glitt unbehelligt an der Siedlung vorbei. Die Varaker standen am Ufer und blickten zu den drei Männern hinüber, die die Falle auf unbegreiflich erscheinende Weise aufgebrochen hatten. Fassungslos blickte Sternfeuer den CptʹCpt an. »Das gibt es doch nicht«, sagte sie. »Wieso kannst du plötzlich Feuer machen?« »Wieso plötzlich?« entgegnete er schelmisch schmunzelnd. »Das kann ich schon etwas länger. Mit einem halbwegs funktionierenden Feuerzeug …« »Sei nicht albern, Carch. Du weißt genau, was ich meine. Wieso hast du pyrotische Fähigkeiten? Davon hast du nie etwas gesagt.« »Habe ich die?« Er kratzte sich den Nacken. »Ja, eben habe ich sie wohl gehabt. Wiederholen könnte ich das nicht. Ja, wenn ich erst einmal geboren wäre, könnte ich das vielleicht. Aber so …?« »Du hast dich über uns lustig gemacht«, rief Oggar ärgerlich. »Du wußtest genau, was wir empfanden, aber du hast uns schmoren lassen.« »Unsinn. Du stellst dir das alles viel einfacher vor, als es ist. Sage uns lieber, wie wir diesen Planeten verlassen können, und wie wir
nach Vasterstat kommen, wo dein schlafender Körper liegt.« »Das kann ich dir vorläufig noch nicht beantworten, weil ich es selbst noch nicht weiß. Irgendeine Lösung wird mir jedoch schon noch einfallen. Vorläufig möchte ich die Wahrheit von dir hören.« »Die Wahrheit? Das wirst du«, versprach der CptʹCpt ernsthaft und fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Vielleicht.« Oggar vergrub das Gesicht in den Händen. Er wollte sich in sich zurückziehen, doch Sternfeuer ließ es nicht zu. Sie ging zu ihm und kniete sich neben ihm hin, und er schien froh zu sein, daß er von ihr abgelenkt wurde. »Du mußt dir doch Gedanken gemacht haben«, sagte sie. »Was ist, wenn es uns nicht gelingt, diese Körper zu verlassen?« »Das wäre eine Katastrophe. Aber ich bin zuversichtlich. Früher oder später werde ich die Kraft finden, uns alle drei zu befreien. Ich möchte heraus aus diesem Körper. Ich fühle mich nicht wohl in ihm, und er behindert mich.« »Das kann ich verstehen.« Carch blickte ihn forschend an. »Es muß nicht besonders angenehm sein, in dem Körper eines Mannes zu leben, der nicht nur ungeschickt, sondern auch überaus schmerzempfindlich ist.« »Nicht unangenehmer als für Sternfeuer, die als Frau mit dem Körper eines Mannes fertig werden muß«, erwiderte er gelassen. Er tat so, als habe er seine Schwierigkeiten bereits überwunden. »Ich habe mich ein wenig umgehört«, erklärte die Telepathin, ohne auf diese Bemerkungen einzugehen. »Während wir hier den Fluß hinunterfahren, kommen wir an Siedlungen vorbei, die an den Ufern liegen, die wir aber nicht sehen können, weil sie in Wäldern oder hinter Hügeln versteckt sind. Überall spricht man von uns und von der Legende.« Er blickte sie ratlos an. »Von welcher Legende?« »Die Varaker denken an eine Legende. Und sie fürchten sich. Die Legende hat mit uns zu tun, aber es ist mir nicht gelungen,
herauszufinden, was für einen Inhalt sie hat.« »Sie fürchten sich?« fragte Carch. »Ja – und zugleich macht sie unsere Anwesenheit aggressiv. Sie wollen uns vernichten. Um jeden Preis. Ich habe den Eindruck, daß unser Tod für sie lebenswichtig ist.« ʹ Oggar hob hilflos die Hände. »Aber das verstehe ich nicht«, rief er. »Sie können nicht wissen, wer wir wirklich sind. Sie können es noch nicht einmal ahnen.« »Warum nicht?« wandte Carch ein. »Vergiß nicht, daß ich dem Richter die Wahrheit aufgeschrieben habe. In meinem Bericht steht genau, was uns widerfahren ist.« »Niemand glaubt dir das. Kein Varaker kann sich vorstellen, daß es so etwas wie eine Bewußtseinswanderung gibt.« »Tatsache ist, daß sie uns jagen«, erklärte Sternfeuer mit dröhnender Stimme. »Ich kann ihre Gedanken verfolgen. Sie machen deutlich, daß wir nicht mehr lange auf dem Fluß bleiben dürfen, denn in etwa zehn Kilometern kommen wir an einen Wasserfall, den wir nicht überwinden können.« »Bist du sicher?« fragte Oggar. »Möglicherweise können wir ihn hinunterfahren.« »Er fällt über hundert Meter senkrecht ab«, antwortete sie. »Wir haben also keine andere Wahl. Wir müssen den Fluß verlassen, oder wir sind erledigt.« 6. Waggaldan stellte ohne jedes Gefühl der Befriedigung fest, daß er seinen Auftrag erledigt hätte. Der HORT befand sich in der Raumfalte und konnte aus eigener Kraft nicht mehr daraus entkommen. Er setzte eine Nachricht an den Schalter ab und richtete sich auf eine lange Wartezeit ein. Der Auftraggeber war weit von ihm entfernt, und er wußte nicht, ob überhaupt irgendwann eine
Antwort eintreffen würde. Später beobachtete er, daß ein kleines Objekt den HORT verließ. Er peilte es augenblicklich an und bereitete seine Vernichtung vor, doch dann fiel ihm auf, daß von dem Lebewesen in dem Flugkörper nicht jene Individualimpulse ausgingen, auf die es ihm ankam. Er ließ das Wesen unbehelligt und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den HORT. Auf einem Monitorschirm vor ihm erschien das Impulsgitter jener Entität, um die es eigentlich ging. Als Waggaldan die Peilgeräte jedoch hinzuschaltete, und ein grüner Gitterschatten auf dem Bildschirm hätte aufleuchten müssen, blieb die erwartete Ortung aus. Ein Warnlicht flackerte. Für einen kurzen Moment schien Waggaldan ratlos zu sein. Dann aber konstatierte er kühl und logisch: Die gesuchte Persönlichkeit ist nicht mehr an Bord. Sie hat den HORT verlassen, und das war nur als rein geistige Einheit möglich. Augenblicklich begann er mit einer Reihe von Messungen und Peilungen. Oggar durfte nicht entkommen. Die Raumfalle hatte ihm gegolten. In ihr hatte er sich fangen sollen und wenn er aus ihr geflüchtet war, dann blieb Waggaldan keine andere Wahl, als ihm zu folgen und ihn an anderer Stelle auszumerzen. Die Energiekugel setzte sich in Bewegung. Sie beschleunigte mit hohen Werten und raste auf ein Sonnensystem zu, das annähernd fünfzehn Lichtjahre vom HORT entfernt war. Waggaldan war sich dessen sicher, daß er Oggar aufspüren würde. Er wollte ihn erreichen, bevor es ihm gelang, in seinen schlafenden Körper zurückzukehren. *
»Das hätte ich nicht erwartet«, sagte Alkin, und er schien zum ersten Mal, seit Insider ihn kannte, wirklich verblüfft zu sein. Der Anblick, der sich ihm bot, wühlte ihn so auf, daß er sich kaum noch beherrschen konnte. Insider lag mit ihm und zwanzig weiteren Ulgs in der Deckung der Büsche und Bäume, die am Rand einer Schlucht wuchsen, die etwa dreihundert Meter tief war. Auf dem Grund der Schlucht standen drei Flugmaschinen, mit denen sechs insektoide Gestalten gelandet waren. Die Fremden durchstreiften die Schlucht und pflückten etwas von den Büschen, die dort unten wuchsen. »Hast du wirklich nicht gewußt, daß diese Wesen mit den Maschinen fliegen?« fragte der Extra. »Du hast geglaubt, die Maschinen seien lebende Wesen? Und du wußtest auch nicht, was sie hier treiben?« »Nein«, antwortete der Rote, und sein Gesicht verdunkelte sich. »Und ich begreife es auch jetzt noch nicht.« Eine der Maschinen startete, stieg auf und flog surrend davon. »Wir müssen angreifen«, erklärte Insider. »Wir müssen wenigstens eine dieser Maschinen haben, denn sonst können wir nicht in das große Haus eindringen.« »Du willst mit so einem Ding fliegen?« »Bin ich nicht auch mit einer Maschine gekommen?« »Aber die war viel größer. Das war etwas ganz anderes.« Insider verstand nicht, warum Alkin diesen Unterschied sah. Mußte die SCHNECKE nicht ein ebenso unbegreifliches Ding für ihn sein wie diese Personengleiter? Er zeigte auf die insektoiden Wesen in der Schlucht. »Was treiben sie da?« fragte er. »Weißt du, was sie pflücken?« »Sie stehlen die Blüten der heiligen Sonnenpflanze.« Alkins Stimme klang heiser. »Die Sonnenpflanze blüht nur alle neun Jahre. Niemand darf die Blüten nehmen, denn ohne die Blüten kann die Sonnenspinne nicht leben – aber das habe ich dir bereits erzählt.«
Insider verstand die Zusammenhänge nicht ganz, erfaßte aber, daß Alkin auf die ökologischen Probleme anspielte, die sich durch das Verhalten der Fremden ergeben hatten. »Es geht nicht anders«, sagte Insider. »Wir müssen angreifen. Wir müssen sie alle überwältigen, und das muß so schnell gehen, daß keiner von ihnen mit einer Maschine flüchten kann. Keiner darf auch nur zu seinem Fluggerät kommen.« Er überlegte, ob er dem Ulg auseinandersetzen sollte, daß es auch darum ging, zu verhindern, daß einer der Fremden eine Funknachricht an die Zentrale absetzte. Doch er zweifelte daran, daß Alkin schnell genug begreifen würde, weil ihm das technische Verständnis fehlte. »Gut«, erwiderte der Ulg. »Wir greifen an. Dich holen wir nach, sobald der Kampf zu Ende ist.« Insider überließ den Ulgs nur ungern die alleinige Entscheidung, doch in diesem Fall hatte er keine andere Wahl. Wer die insektoiden Wesen in der Schlucht angreifen wollte, mußte so schnell unten sein, daß niemand die Möglichkeit hatte, zu seinem Fluggleiter zu kommen. Dabei hatten einige der Insektoiden nur einige Schritte zurückzulegen. Er selbst konnte auf keinen Fall in ein oder zwei Sekunden am Grund der Schlucht sein. »Also – los«, stimmte er zu. »Greift an und holt mich dann nach.« Alkin erhob sich, so daß die anderen Ulgs ihn sehen konnten. Mit den Händen gab er das entscheidende Zeichen. Dann trat er einige Schritte von der steil abfallenden Felskante zurück, bückte sich und befestigte etwas auf dem Boden, rannte danach wieder auf die Kante zu und sprang mit einem weiten Satz in die Schlucht hinein. Die anderen Männer folgten ihm in gleicher Weise. Insider sah, wie sie rasend schnell in die Tiefe stürzten. Aus ihren Rücken flossen silbern schimmernde Fäden, die dünner als einer seiner Finger waren. Lautlos rasten die roten Körper in die Tiefe, und sie fingen sich
dicht über dem Boden ab. Sie kamen so schnell herab, daß die insektoiden Fremden sie erst bemerkten, als sie unmittelbar neben ihnen waren. Die Invasoren aus dem All hatten keine Chance. Keiner von ihnen konnte noch zu seiner Waffe greifen. Holzschlegel fuhren krachend auf sie herab, und nach wenigen Sekunden war der Kampf bereits vorbei. Alkin hangelte sich geschickt an seinem eigenen Spinnfaden zu Insider herauf, und er blickte ihn mit leuchtenden Augen an, als er vor ihm stand. »Ich habe eine ganz neue Erfahrung gemacht«, sagte er voller Stolz. »Kämpfen kann Spaß machen.« »So etwas habe ich noch nie gesehen«, erwiderte der Extra. »Die Fremden wurden völlig überrascht. Ich kann euch nur bewundern, und ich bin froh, daß wir Freunde und nicht Gegner sind.« »Wir werden niemals etwas anderes sein.« Alkin löste den Spinnfaden ab, der aus seinem Rücken kam, und befestigte ihn an den Felsen. Dann legte er einen Arm um Insider und stürzte sich mit ihm in die Tiefe. Bevor der Extra wußte, wie ihm geschah, war er bereits unten zwischen den Fremden, die betäubt auf dem Boden lagen. Ein eigenartig süßlicher Geruch ging von ihnen aus, der ihn abstieß, und ihre insektoiden Gesichter erschreckten ihn. Sie vermittelten ihm einen Eindruck von Gefühlskälte und Grausamkeit. Er wehrte sich dagegen, da er sich sagte, daß allein die extremen biologischen Unterschiede zwischen ihnen und ihm für diese Abneigung verantwortlich waren. Die Fremden waren intelligent, und es fiel ihm schwer zu glauben, daß sie böse und vernichtungswütig waren. Er wandte sich von ihnen ab und untersuchte einen der Fluggleiter. »Glaubst du, daß du mit so einem Ding fliegen kannst?« fragte Alkin zweifelnd. »Ich werde es versuchen.«
Insider setzte sich in einen Gleiter und führte einige Experimente durch. Dabei stellte er fest, daß die Flugapparatur relativ leicht zu bedienen war. Schon nach wenigen Minuten stieg er mit der Maschine auf und flog einige Male in der Schlucht hin und her. Dann landete er wieder neben Alkin, um nun die überwältigten Fremden zu untersuchen. Mit einigem Widerwillen berührte er sie, wobei ihn besonders irritierte, daß er nicht feststellen konnte, ob sie noch bewußtlos waren oder nicht. Er sah lediglich, daß sie atmeten. Bei einigen entdeckte er kleine Geräte, die möglicherweise Funkeinrichtungen enthielten. Er nahm sie ihnen weg, damit sie die Zentrale nicht alarmieren konnten. »Was machen wir mit ihnen?« fragte er dann. »Sie bleiben hier unten«, entschied Alkin. »Sicherlich werden ihre Freunde sie bald vermissen und abholen. Wir brauchen uns also nicht um sie zu kümmern. Wir müssen uns ganz auf den Angriff konzentrieren, und wir dürfen keine Zeit verlieren.« »Du hast recht. Je länger wir warten, desto schlechter werden unsere Chancen.« Insider versuchte nun, Alkin zu zeigen, wie der Fluggleiter geflogen werden mußte, doch der Ulg verstand ihn nicht. Abermals zeigte sich, daß ihm das technische Verständnis völlig fehlte. So blieb dem Extra nichts anderes übrig, als eine der Maschinen nach der anderen nach oben zu bringen, und sich jedesmal wieder mit einem Ulg zusammen in die Schlucht zu stürzen, um die nächste zu holen. Währenddessen wurden auch die Insektoiden aktiv. Sie versuchten, gegen die Ulgs zu kämpfen, mußten jedoch erkennen, daß sie gegen die Übermacht nichts ausrichten konnten. Schließlich kletterten alle Ulgs aus der Schlucht. Sie zogen die silbrigen Fäden hoch, damit keiner der Fremden sie für sich nutzen konnte, und Insider zerstörte die Fluggleiter, die er nicht benötigte. Der Angriff auf die Anlage der Insektoiden konnte beginnen.
* »Irgend etwas kommt auf mich zu«, sagte Oggar. »Ich spüre es. Da ist etwas, was mich bedroht. Es will sich zwischen mich und meinen schlafenden Körper schieben.« »Ich sehe etwas ganz anderes«, schrie Sternfeuer. »Dort. Eine Wolke.« Eine grüne Wolke breitete sich plötzlich über dem Fluß aus. »Nicht atmen«, rief CptʹCarch. »Haltet die Hände vor das Gesicht.« Er hatte kaum ausgesprochen, als das Floß bereits in die Wolke hineinglitt. Sternfeuer befolgte seine Ratschläge, Oggar zögerte jedoch. Er atmete einige Gaspartikel ein, hielt sich danach noch einige Sekunden lang aufrecht, brach dann aber bewußtlos zusammen. Die Telepathin hielt den Atem ebenso an wie Carch, doch nicht lange genug. Während der CptʹCpt sich beherrschen konnte, bis sie den Bereich der Gaswolke verlassen hatten, gab Sternfeuer ihrer Atemnot schließlich nach, und auch sie bekam die Wirkung des Giftes zu spüren. Doch verlor sie das Bewußtsein nicht. Sie stürzte zu Boden, behielt die Augen aber offen. Lediglich Carch überstand den Angriff schadlos. Er eilte an das Ruder, um das Floß zu lenken. Sternfeuers Lippen bebten. Sie versuchte, ihm etwas zu sagen, doch brachte sie keinen Laut hervor, und auch eine telepathische Verständigung kam nicht zustande. Dennoch wußte Carch, was sie ihm mitteilen wollte. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte er. »Ich weiß, daß wir den Wasserfall bald erreicht haben. Wir sind schon viel schneller als vorhin.« Tatsächlich wurde das Floß mehr und mehr beschleunigt. An zahllosen Klippen schäumte das Wasser auf, und die Strömung
zerrte das primitive Gefährt immer wieder zur Flußmitte, so sehr Carch auch versuchte, es zum Ufer zu lenken. Der CptʹCpt ließ sich nicht anmerken, daß er nicht mehr die geringste Hoffnung hegte, sich retten zu können. Sternfeuer blickte ihn flehend an. »Ich weiß, was du mir sagen willst«, sagte er leise und kauerte sich neben ihr hin. »Du möchtest, daß ich über Bord springe und ans Ufer schwimme. Doch das werde ich nicht tun, denn ich weiß, daß die Strömung zu stark für mich ist. Außerdem habe ich keine Ahnung, ob dieser Varaker, in dessen Körper ich stecke, überhaupt schwimmen kann.« Sie schloß die Augen. Sie wußte, daß er schwindelte. Er hätte sich retten können, aber er wollte sie nicht allein lassen. Als er nach vorn blickte, sah er Gischt und Wasserdämpfe über dem Fluß aufsteigen. Der Wasserfall rauschte. Am Ufer erschienen die Gestalten von farbig gekleideten Varakern. Die Männer und Frauen aus einer nahen Siedlung wollten sich das Schauspiel nicht entgehen lassen, das Floß mit den drei Gejagten in die Tiefe stürzen zu sehen. Carch zog Oggar zu Sternfeuer hin und schob seinen Arm durch eine Schlinge, die an einem der Baumstämme befestigt war. Sternfeuer lächelte freudlos. Sie sah diese Maßnahme als überflüssig an. Was half es ihnen schon, wenn das Floß über hundert Meter tief fiel und dann in brodelnder Gischt aufschlug? Carch legte der Telepathin die Hände auf die Schultern und blickte über sie hinweg auf die Abbruchkante, an der das Wasser in die Tiefe schoß. Sie kamen ihr rasend schnell näher. Er versuchte, den Körper zu verlassen, und er spürte, daß Sternfeuer und Oggar ebenfalls auf diese Weise fliehen wollten. Doch alle Konzentration half nichts. So sehr die körpereigenen Persönlichkeiten vorher versucht hatten, sie hinauszuwerfen, so sehr klammerten sie sich nun an sie. Um keinen Preis wollten sie sie freigeben. Sie wollten sie mit in den sicheren Tod ziehen.
Carch schloß die Augen. Das Floß tanzte auf den gischtenden Wellen. Mit hoher Beschleunigung glitt es auf den Abgrund zu. * Insider war allein, als er auf dem Dach des Gebäudes landete, das die insektoiden Wesen auf dem blauen Planeten errichtet hatten. Alkin hatte sich geweigert, ihn zu begleiten. So intelligent der Ulg auch war, er hatte sich nicht überwinden können, in die Flugkabine zu steigen. »Wir kommen zu dir, sobald du uns ein Zeichen gibst«, hatte er versprochen. Insider lächelte, als er die Kabine verließ und auf das Dach hinaustrat. Wenn er ein solches Zeichen geben konnte, dann brauchte ihm niemand mehr zu Hilfe zu kommen. Dann war die Macht der Insektoiden bereits gebrochen. Auf dem Dach hielt sich niemand auf, und automatische Überwachungsanlagen schien es auch nicht zu geben. Offenbar rechnete keiner der Fremden damit, daß es irgend jemandem gelingen könnte, ungehindert in den Stützpunkt einzudringen. Insiders Hand glitt unwillkürlich zur Hüfte. Doch er trug keine Waffe. Alkin hatte ihm keine geben können, und vom HORT hatte er nichts mitgebracht, was er gegen die Fremden hätte einsetzen können. Der Extra dachte daran, wie Alkin ihn angesehen hatte, als er nach einer Waffe gefragt hatte. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck absoluter Verständnislosigkeit getragen. Doch Insider sah es nicht als Nachteil an, daß er unbewaffnet war. Er verließ sich auf seine Schnelligkeit. Flüchtig blickte er sich auf dem Dach um.
Ihm fielen farbige Metall‐ und Keramikrohre auf, die etwa fingerdick waren und sich über das ganze Dach zogen. Sie bildeten ein Muster auf ihm, das ihn an die Mikroskopaufnahmen von positronischen Schaltungen erinnerten. Da muß ein Zusammenhang zwischen diesem Bau und der Raumfalte bestehen, dachte er. Es sieht ganz so aus, als ob die Falle von hier aus ihre Energie bezieht, oder als ob der Energiestrom zumindest von hier aus gesteuert wird. Er versteckte sich hinter einem abgestellten Gleiter, als eine Flugmaschine kam und landete. Ein insektoides Wesen stieg aus und stellte sich in einen großen Kreis mitten auf dem Dach. Der Boden sank unter ihm weg, und es verschwand im Haus. Insider wartete einige Minuten ab. Dann eilte er zu dem Kreis hinüber und trat hinein. Wenig später befand er sich in einem quadratischen Raum, von dem zwei Gänge abzeigten. In einem von ihnen sah er das insektoide Geschöpf, das kurz vor ihm angekommen war. Es entfernte sich von ihm. Entschlossen lief er hinterher. Lautlos huschten seine grünen Füße über den Boden, und er holte so weit auf, daß er schließlich nur noch etwa fünf Meter hinter dem Fremden war. Dann blieb dieser plötzlich stehen. Insider glitt in eine Türnische. Er vernahm ein bedrohliches Zischen und Sirren. Chitinflügel schienen sich aneinander zu reiben. Doch dann ging der Fremde offensichtlich weiter. Der Extra wartete, und als er danach auf den Gang blickte, stellte er fest, daß er allein war. Er öffnete die Tür, an der er sich versteckt hatte. Ein lautes Dröhnen schlug ihm entgegen, als er einen matt erleuchteten Maschinenraum betrat, der wenigstens hundert Meter lang und fünfzig Meter breit war. Apparaturen von gewaltigen Dimensionen arbeiteten unter der Aufsicht von zahllosen
insektoiden Wesen. Insider eilte sofort weiter. Mit unglaublicher Schnelligkeit rannte er durch die Halle, so daß kaum mehr als ein grüner Schatten von ihm zu sehen war. Einige der Insektoiden drehten sich erstaunt um. Sie hatten einen grünen Schemen wahrgenommen, waren sich jedoch nicht sicher, ob er wirklich da gewesen war. Sie diskutierten kurz miteinander, suchten dann ein wenig zwischen den Maschinen herum und wandten sich danach wieder ihrer Arbeit zu. Insider beobachtete sie. Er lächelte zufrieden, denn mit eben diesem Effekt hatte er gerechnet. Er beglückwünschte sich zu dem Entschluß, durch die Tür zu gehen, die er gewählt hatte, denn auf diese Weise war er auf direktem Weg zum Herzstück der Anlage gekommen. Wenn ich den HORT befreien will, sagte er sich, dann muß ich irgend etwas verändern. Ich muß etwas sabotieren. Der Zusammenhang mit der Raumfalte ist da. Wozu sonst sollte diese Anlage errichtet worden sein? Doch dann wurde er unsicher. Wenn tatsächlich ein Zusammenhang bestand, dann hieß das ja, daß irgend jemand genau gewußt hatte, daß der HORT in diesem Raumgebiet erscheinen würde. Unmöglich, sagte er sich. Vielleicht hat jemand auf den HORT gewartet. Eine automatische Station, die seit Jahrzehnten besteht. Aber diese insektoiden Wesen haben die Anlage erst in den letzten Jahren erbaut. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg. Es sei denn, daß es gar nicht um den HORT, sondern um Oggar ging! Insider war wie elektrisiert. Er wußte nur wenig über Oggar, doch er brauchte nicht mehr Informationen, um sich ganz eindeutig auf seine Seite zu stellen.
Wenn er etwas dazu tun konnte, Oggars Leben zu retten, dann wollte er nichts unversucht lassen. * Ein schäumender und gischtender Abgrund tat sich vor dem Floß auf. Mit hoher Geschwindigkeit schoß es über die Kante hinweg, überschlug sich und stürzte in die Tiefe. Sternfeuer, Oggar und Carch schienen endgültig verloren zu sein. Doch da geschah etwas Ungeheuerliches. Erneut fühlte CptʹCarch einen Strom psionischer Energien in sich aufsteigen, und er stemmte sich mit ihrer Hilfe dem drohenden Ende entgegen. Das Floß stürzte langsamer in die Tiefe. Es stieß gegen Wassermassen, die unversehens in die Höhe schossen und sich dem dröhnenden Strom entgegenwarfen. Über dem Wasserfall staute sich der Fluß, und von unten strömten Wassermassen in die Höhe. Ein brodelndes, gischtendes Chaos entstand, in dem das Floß wie ein Spielball hin und her geworfen wurde. Dabei sank es allmählich in die Tiefe. Eine gigantische Wasserwelle schob sich – allen Naturgesetzen zum Trotz – den Wasserfall hoch, und auf ihrem Rücken glitt das Floß hinab. Es schoß auf eine Insel zu, die mitten im Strom unter dem Wasserfall lag, und als Carch die Kräfte verließen, verfing es sich in einigen Bäumen, die tief geneigt über das Ufer der Insel hinausragten. Im nächsten Moment setzten sich die Naturgesetze wieder durch. Die aufgestauten und zum Teil in die entgegengesetzte Richtung geflossenen Wassermassen stürzten in Form eines riesigen Brechers aus der Höhe herab, und eine Welle, die etwa zwanzig Meter hoch war, raste über die Insel hinweg. Sie zerschmetterte viele Bäume und zerfetzte das Floß, aber sie riß Oggar, Sternfeuer und Carch nicht mit sich.
Ihr folgten einige kleinere Wellen. Aus ihnen tauchten die Köpfe der drei Freunde auf, und Carch gelang es, Oggar und Sternfeuer zu packen, die noch immer unter dem Einfluß des giftigen Gases standen. Das Wasser spülte ihn auf eine kleine Lichtung in die Krone eines Baumes. Kaum hatten sie dort Halt gefunden, als das Wasser nahezu schlagartig fiel und dann wieder in ruhigem, stetem Strom dem Meer entgegen eilte. Sternfeuer blickte Carch stirnrunzelnd an. »Es ist ein Wunder, daß ich nicht ertrunken bin«, sagte sie. »Was, zum Teufel, kannst du denn eigentlich noch alles?« »Moment«, erwiderte er. »Du glaubst doch nicht etwa, daß ich irgend etwas damit zu tun hatte?« »Carch!« Ihre Stimme wurde heller und schärfer. »Ich bin Telepathin.« »Nun gut. Das Wasser ist den Wasserfall hinaufgestiegen. Und ich hatte etwas damit zu tun. Aber ich könnte es nicht wiederholen. Vielleicht könnte ich es, wenn ich erst einmal geboren wäre, aber so …?« »Warum schimpfst du mit ihm?« fragte Oggar mühsam. »Sei froh, daß er uns das Leben gerettet hat. Wenn er nicht dafür gesorgt hätte, daß das Wasser bergauf fließt, wären wir längst tot.« »Das Leben gerettet? Da bin ich nicht so sicher.« Sie blickte zum Ufer hinüber, das etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt war. Dort standen Hunderte von Männern, Frauen und Kindern und beobachteten sie. Einige hoben drohend ihre Fäuste. Doch während Oggar und Carch schon darüber nachzudenken begannen, wie sie ihre Flucht nun fortsetzen sollten, kletterte sie aus dem Baum, lockerte ihre Muskeln mit einigen gymnastischen Übungen und setzte sich dann ins nasse Gras. »Du bist ein Genie, Carch«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich weiß wirklich nicht, wie du das anstellst, aber durch deine Hilfe haben wir die Insel der Lehrerin gefunden.«
»Was sagst du da?« Der CptʹCpt fuhr auf. »Die Lehrerin ist in der Nähe?« »Ja – und das ist der Grund dafür, daß die Leute es nicht wagen, uns zu folgen. Sie dürfen die Insel nicht betreten.« »Dann aber los. Worauf warten wir noch?« Carch winkte mit beiden Armen. »Kommt. Wir gehen zur Lehrerin. Wo ist sie?« »In der Mitte der Insel.« 7. Die Lehrerin saß vor den Resten ihrer Hütte und meditierte, als Oggar, Sternfeuer und der CptʹCpt sich ihr näherten. Alle drei hatten damit zu kämpfen, daß sich die Persönlichkeiten jener Körper, die sie übernommen hatten, immer stärker in den Vordergrund drängten und sich gegen die Unterdrückung durch sie wehrten. Es schien, als seien sie geradezu enttäuscht darüber, daß Oggar, Carch und Sternfeuer nicht den Tod im Wasserfall gefunden hatten. So hatten die drei kaum einen Blick übrig für die Verwüstungen, die die herabstürzenden Wassermassen in diesem Teil der Insel angerichtet hatten. Von der Hütte der Lehrerin waren nur noch Reste vorhanden, und daß sie Gärten für ihre eigene Versorgung angelegt hatte, war nur noch zu erahnen. »Da ist sie«, sagte Sternfeuer mit tiefer Stimme, und ein Lächeln spielte um ihre Lippen. »Ihr werdet überrascht sein.« Die Lehrerin hob den Kopf und blickte sie an. »Eine Chailidin!«, rief Carch und trat auf die weißhaarige Frau zu. »Du bist die Lehrerin? Wir sind hier, weil …« »Ich kenne eure Probleme«, unterbrach die Chailidin ihn freundlich. »Aber es sind nicht nur eure Probleme. Es geht um ihn.« Sie zeigte auf Oggar. »Mein schlafender Körper«, erwiderte dieser. Er ließ sich auf den
Stamm eines umgekippten Baumes sinken. »Ich muß zu meinem schlafenden Körper. Ich muß nach Vasterstat.« »Ich weiß. Und vielleicht werde ich dir helfen.« »Du mußt es tun, wenn du es kannst«, rief er beschwörend. »Wir können uns in diesen Körpern nicht mehr lange halten. Schon jetzt haben wir Schwierigkeiten. Und wir werden von Soldaten gejagt. Man will uns töten.« »Wir verstehen das nicht«, erläuterte Sternfeuer. »Warum verfolgt man uns? Was ist die Legende?« Das durchgeistigte Gesicht der Chailidin hob sich ihr entgegen. Mit dieser Frau gab es keine Verständigungsschwierigkeiten. Sternfeuer hatte Vertrauen zu ihr. »Was beinhaltet die Legende?« fragte Oggar ungeduldig. »Wir müssen es wissen, bevor diese Wahnsinnigen auf die Insel kommen und uns angreifen.« »Sie werden die Insel nicht betreten. Ich bin ihre Lehrerin, und sie müssen die Insel respektieren. Keiner von ihnen würde es wagen, ein Verbot von mir zu mißachten.« »Ich habe das Gefühl, daß die Legende ungeheuer wichtig für uns ist«, sagte Sternfeuer. »So wichtig nun auch wieder nicht«, schwächte die Chailidin ab. »Aber hört erst einmal, was der Kern ihrer Aussage ist.« Sie deutete auf Oggar. »Sein Volk ist, so steht es in der Legende, nach großem Kampf, der teilweise auch auf Varak ausgetragen wurde, untergegangen. Nur er ist übriggeblieben, aber er konnte sich nicht in seinem Körper halten. Während sein Körper auf Vasterstat verblieb, eilte sein Bewußtsein hinaus in das Universum. Danach erst wurde der Weg frei für die Varaker. Diese konnten sich unbeeinflußt von einer anderen Intelligenz entwickeln. Als ich auf Varak ankam, hatten sie bereits eine eigenständige Kultur entwickelt. Alle Voraussetzungen waren für mich als Lehrerin gegeben, und ich habe sie genutzt.« »Ganz so war es nicht«, bemerkte Oggar, »aber so ungefähr.«
»Du schweifst ab«, ermahnte Sternfeuer die Chailidin. »Oder hat das etwas mit der Legende zu tun?« »Nein.« Die Chailidin lächelte. »In dieser heißt es, daß die Varaker eine große Zukunft vor sich haben, doch diese wird irgendwann gefährdet werden, denn der Herr des Körpers wird auf dem Wege nach Vasterstat hierher zurückkehren. Das wird die große Krise der Varaker sein. Wenn es ihnen nicht gelingt, den Herrn des Körpers aufzuhalten, droht den Varakern der Untergang und der Rückfall in eine primitive Lebensform.« »Und du bist davon überzeugt, daß das stimmt?« fragte Carch. »Nicht unbedingt«, antwortete sie ruhig. »Wenn ich es wäre, hätte ich euch nicht geholfen.« Nach dieser für die drei Freunde nicht ganz verständlichen Erklärung senkte sie den Kopf und versank in Meditation. »Es hat keinen Zweck«, sagte Sternfeuer, nachdem sie sich vergeblich um weitere Antworten bemüht hatte. »Wir müssen geduldig sein.« »Das ist leicht gesagt«, entgegnete Oggar hitzig. »Um dich geht es ja auch nicht. Wohl aber um mich und meinen schlafenden Körper. Nur mit ihrer Hilfe kann ich nach Vasterstat kommen. Ich spüre es. Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, damit sie uns zu meinem schlafenden Körper bringt.« »Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie das tun sollte«, entgegnete Carch. Etwa eine Stunde verstrich, dann hob die Chailidin den Kopf und seufzte, als erwache sie aus tiefem Schlaf. »Ich habe noch eine Frage«, sagte Sternfeuer. »Ich hätte gern gewußt, woran die Soldaten uns erkannt haben. Niemand kann uns ansehen, wer wir wirklich sind, und doch haben sie uns verfolgt.« »Auch das steht in der Legende.« »Sie legt fest, wann ich, der Herr des Körpers, zurückkehre, um meinen schlafenden Körper zu übernehmen?« fragte Oggar. »So ist es. In der Legende steht: Die Varaker müssen warten, bis
der Herr des Körpers kommt, und ein untrügliches Zeichen für seine Ankunft ist, daß die Prophezeiung gebrochen wird.« Oggar ließ sich mit offenem Mund auf den Boden sinken. Mit tonloser Stimme wiederholte er die Worte der Lehrerin. »Wenn die Prophezeiung gebrochen wird«, sagte Carch danach und kicherte leise. Er schüttelte den Kopf und griff mit beiden Händen nach dem blauen Hautsack, der sich aufgebläht hatte. »Ist denn das zu fassen? Wir haben dafür gesorgt, daß die Schlacht um die Burg nicht so ausgeht, wie es vorhergesagt worden ist. Wir haben die Prophezeiung unmöglich gemacht. Wir haben alles auf den Kopf gestellt, indem wir die Angreifer in die Flucht gejagt haben.« »Ihr wart es nicht ganz allein«, bemerkte die Lehrerin. »Ich habe mir erlaubt, euch ein wenig zu helfen.« Sternfeuers Augen weiteten sich. »Du hast dafür gesorgt, daß ich suggestive Kräfte hatte?« »Eine Potenzierung der parapsychischen Kräfte führte zu einer ungewöhnlichen Leistung«, erwiderte sie ausweichend. »Es war interessant für mich, das zu verfolgen.« »Eine Potenzierung der Kräfte«, echote Oggar. »Das haben wir einige Male erlebt, und es hat uns von Anfang an verwirrt. Solltest du unseren Weg von der Burg bis hierher beeinflußt haben? Solltest du dafür verantwortlich sein, daß wir die Prophezeiung gebrochen haben?« Die Lehrerin antwortete nicht. Sie lächelte fein, und ihre Blicke schienen durch Oggar hindurch zu gehen. Carch sprang auf. Er ging auf die Chailidin zu. »Dann habe ich es dir wohl auch zu verdanken, daß ich das Netz über dem Fluß in Brand setzen konnte? Und das Wasser ist den Berg hinaufgelaufen, weil du es so wolltest. Und ich habe mir eingebildet, ich könnte so etwas.«
* Insider war ein Allroundkönner mit einer ungewöhnlich raschen Auffassungsgabe. Dennoch fand er nicht heraus, ob seine Vermutung richtig war. Eine Bestätigung dafür, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Anlage der Fremden und Oggar und seinem HORT bestand, erhielt er nicht. Er empfand es als unbefriedigend, daß er nicht sagen konnte, wozu die Maschinen dienten, die die Fremden errichtet hatten. Doch er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er nicht in das Gebäude eingedrungen war, um Informationen zu bekommen, sondern weil er zerstören wollte und mußte, denn nur dann konnte er etwas für die Befreiung der Ulgs tun. Wenn er darauf verzichtete, bestand die Gefahr, daß sie von den insektoiden Wesen irgendwann in eine Art Reservat zurückgedrängt, oder vielleicht gar völlig ausgerottet wurden. Daher konzentrierte Insider sich nun mehr auf die Frage, wo er bei seinem Zerstörungswerk ansetzen mußte, damit er den größtmöglichen Effekt erzielte. Doch so lange er auch darüber nachdachte und so intensiv er sich auch in der Halle umblickte, er entdeckte das neuralgische Herz der Anlage nicht. Ich habe keine andere Wahl, dachte er. Ich muß mich sehen lassen. Die Insektoiden müssen wissen, daß ich hier bin. Ihre Reaktion wird mir zeigen, wo ich ansetzen muß. Als einer der Fremden in seine Nähe kam, trat Insider aus seiner Deckung hervor und ging betont langsam quer über einen Gang zwischen zwei Maschinen, die bis fast zur Decke hinaufragten. Der andere blieb erschrocken stehen und hob abwehrend die krallenartigen Hände. Dann stieß er einige Schreie aus, mit denen er andere alarmierte. Insider hatte den Gang noch nicht ganz überquert, als bereits einige weitere Wesen auftauchten und sich zu einem Angriff auf ihn formierten. Sie trugen Werkzeuge in den Händen, mit denen sie auf ihn einschlagen wollten.
Doch der Extra wartete nur darauf, daß man ihn attackierte. Er spielte seine ungewöhnliche Schnelligkeit aus, bevor die insektoiden Intelligenzen wußten, wie ihnen geschah, war er an ihnen vorbeigerannt. Laut schreiend liefen die fremdartigen Wesen hinter dem Grünen her, und von mehreren Seiten rückten weitere Verfolger nach, so daß es schien, als könne Insider unmöglich entkommen. Doch er war so wendig und schnell, daß er einem Schemen gleich zwischen einigen Maschinenblöcken verschwand, bevor irgend jemand ihn fassen konnte. Aufgeregt schwärmten die Invasoren aus und suchten ihn, und als sie ihn nach einigen Minuten noch nicht gefunden hatten, reagierten sie so, wie Insider es gehofft hatte. Zehn von ihnen stellten sich als Wachen um ein Gebilde herum auf, das ihn an eine altertümliche Orgel erinnerte. Transparente Röhren von unterschiedlicher Dicke strebten vom Boden bis zur Decke. Sie waren von weiteren Röhren umgeben, die teils nur etwa einen Meter, teils aber auch bis zu drei Meter hoch waren. Sie alle leuchteten abwechselnd in rotem und blauem Licht. Während Insider noch überlegte, wie er dieses Gebilde angreifen und zerstören sollte, schleppten weitere Fremde schwere Energiestrahler herbei und verteilten sie an die Wachen. Je länger du wartest, desto schwieriger wird es, dachte der Extra. Er sah sich um und entdeckte in der Nähe ein kastenförmiges Werkzeug, von dem einige Drähte abgingen. Es war etwa kopfgroß und erschien ihm daher besonders geeignet. Er nahm es auf und bereitete seinen ersten Angriff sorgfältig vor, indem er einige Male zum Wurf ausholte, um sich auf das Gewicht des Werkzeugs einzustellen. Als er sich sicher genug fühlte, verließ er seine Deckung und warf das Gerät in hohem Bogen zu dem schimmernden Röhrengebilde hinüber, das die Fremden bewachten. Er wartete nicht ab, bis er sehen konnte, ob es in eine der Röhren fiel, sondern flüchtete wieder hinter eine Maschine.
Ein Energiestrahl zuckte hautnah an ihm vorbei. * »Wirst du mir helfen?« fragte Oggar. Die Uralte blickte ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. Sie antwortete nicht, und es schien, als habe sie seine Frage weder gehört noch verstanden. »Wie weit ist Vasterstat von Varak entfernt?« erkundigte sich Carch. »Es müssen mehrere Lichtjahre sein«, vermutete Sternfeuer. Sie sah, daß Oggar nickte. »Bist du überhaupt sicher, daß dein schlafender Körper noch dort ist?« fragte der CptʹCpt. »Absolut«, erwiderte Oggar in einem Ton, der deutlich machte, daß er nicht im geringsten zweifelte. »Und damit hast du recht.« Die Chailidin strich sich das weiße Haar aus der Stirn. »Aber wie soll sie uns helfen?« forschte Carch hartnäckig. Er zeigte auf die Chailidin. »Wenn ich mich recht erinnere«, sagte Sternfeuer, die von der geheimnisvollen alten Frau so fasziniert war, daß sie sich scheute, sie telepathisch zu durchleuchten, »sind die Uralten der Chailiden Teleporter. Du scheinst jedoch noch weitaus mehr zu können.« Ein flüchtiges Lächeln glitt über die welken Lippen der Alten. »Es gibt eine Kraft auf Varak«, erläuterte sie Oggar und seinen beiden Begleitern, »die manche so sehr erhöht, daß sie glauben könnten, der Kosmos wolle sich ihnen unterwerfen. Diese Kraft verändert, sie weckt neue Fähigkeiten und läßt andere verblühen. Ihr selbst habt sie gespürt.« »Was ist das für eine Kraft?« fragte Sternfeuer. Sie ließ sich auf die Knie herabsinken und legte die Hände in den Schoß. »Willst du
damit sagen, daß es etwas auf Varak gibt, das deine parapsychischen Möglichkeiten so außerordentlich erweitert hat?« »Diese Kraft ist da«, bestätigte die Chailidin. »Sie wirkt auch auf die Varaker. Euch hat diese Kraft geholfen, und ich lebe mit ihr. Schon viele Jahre.« »Hast du je versucht, herauszufinden, was diese Kraft ist? Woher sie kommt? Es muß doch eine Erklärung dafür geben.« »Muß man jede Frage beantworten? Muß man jedes Rätsel lösen? Kann man sich nicht damit zufriedengeben, daß etwas existiert?« »Man muß nicht alles wissen«, antwortete die Telepathin zögernd. Die Uralte lächelte mild. »Deine Lippen sagen nicht, was du denkst und fühlst. Du willst dich nicht mit einer offenen Frage zufriedengeben. Aber du wirst keine Antwort erhalten.« »Wie kommen wir nach Vasterstat?« fragte Oggar, den das angesprochene Phänomen nicht zu interessieren schien. »Bitte, kannst du mir nicht endlich eine klare Antwort geben?« »Baut meine Hütte wieder auf«, bat die Chailidin. »Ich muß nachdenken.« Sie erhob sich und verließ die Lichtung. Ihre Blicke waren in die Ferne gerichtet. Sie schien die Frage Oggars vergessen zu haben. »Das ist doch alles Wahnsinn«, sagte der CptʹCpt, als sie allein waren. »Es soll eine Kraft geben, die aus einem Teleporter einen Mutanten mit umfassenden Fähigkeiten macht? Daran glaube ich nicht. Was sollte das auch für eine Kraft sein?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Sternfeuer, die sehr nachdenklich geworden war. »Möglicherweise gibt es eine Strahlung auf diesem Planeten, die eine derartige Entwicklung verursacht. Erklären ließe sich so etwas durchaus mit Hilfe der Erkenntnisse der Quantenphysik. Wenn wir eine schlüssige Antwort haben wollten, müßten Wissenschaftler und Spezialisten umfangreiche Untersuchungen und Tests durchführen, und das ist nun mal völlig ausgeschlossen.«
»Die Alte hat recht«, bemerkte Carch. »Wir sollten damit zufrieden sein, daß es so ist, und nicht nebenbei auch noch ein solches Rätsel lösen wollen. Wir können froh sein, wenn sie uns nach Vasterstat und zum schlafenden Körper bringt. Ich habe das Gefühl, daß es höchste Zeit wird, daß wir zu unserem Ziel kommen, denn ich habe erhebliche Schwierigkeiten, mich in diesem Körper zu halten.« »Das geht nicht nur dir so«, sagte Oggar. »Für mich ist es ein ständiger Kampf, und ich fühle, daß ich bald unterliegen werde.« Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Es ist diese geheimnisvolle Kraft«, fuhr er fort. »Sie kräftigt den anderen, aber mich schwächt sie.« Er griff sich an den Hautsack auf seinem Kopf. »Vielleicht ist dies Ding so etwas wie eine Antenne. Könnte es nicht sein, daß darin ein Organ ist, das diese besonderen Energien aufnimmt und verarbeitet?« Sternfeuer hob einen Balken auf, der aus dem Dach der Hütte gebrochen war. Er brach auseinander, und ein fingerlanger Metallstab wurde sichtbar. »Nickel«, sagte sie. »Es ist reines Nickel.« »Na, woran erinnert mich denn das?« fragte Carch und schnippte mit den Fingern. »Sollte die Alte etwas mit Hidden‐X zu tun haben? Ist dieses Nickel so etwas wie ein Katalysator, der die parapsychische Potenzierung möglich macht?« »Mit Spekulationen kommen wir nicht weiter«, wies sie seine Überlegungen zurück. Sie warf den Nickelstab in die Hütte, so daß die Chailidin ihn sehen mußte. »Tun wir der Alten den Gefallen. Bauen wir die Hütte wieder auf. Ich bin sicher, daß sie uns danach helfen wird, Oggars Körper zu finden.« Carch und Oggar machten sich nun ebenfalls an die Arbeit, die Schäden zu beheben, die durch die Flutwelle hervorgerufen worden waren. »Wir haben wenigstens zwei Tage lang zu tun, bis die Hütte wieder steht«, stellte der CptʹCpt mürrisch fest. »Und das alles nur,
weil du den Topf zu deinem Deckel nicht finden kannst.« »Macht euch darüber keine Gedanken. Wir haben mit einem anderen Problem zu tun«, warnte Sternfeuer. »Wieso? Was meinst du?« fragte Carch. »Sieh dich um. Dann weißt du Bescheid.« Der CptʹCpt ließ den Balken fallen, den er kurz zuvor vom Boden aufgenommen hatte. Seine Augen weiteten sich, denn er sah, daß Hunderte von bewaffneten Varakern unter den Bäumen hervorkamen. Aus allen Richtungen schritten sie auf sie zu, und ihre düsteren Mienen verrieten nichts Gutes. * Eine Stichflamme stieg bis zur Decke der Halle auf, und eine krachende Explosion zeigte an, daß Insider den Angriff auf das richtige Ziel gerichtet hatte. Er sah zahllose Fremde herbeieilen. Sie trugen flaschenförmige Geräte in den Klauen, mit denen sie dem Feuer begegnen wollten. Keiner von ihnen schien jetzt noch daran zu denken, ihn zu verfolgen. Aller Aufmerksamkeit richtete sich auf die leuchtenden Röhren, von denen eine zerstört worden war, und auf die Stelle an der Positronik, die sich unmittelbar daneben befand, an der das kugelförmige Objekt gesessen hatte, das er erbeutet hatte. Sein Fehlen versetzte die Fremden in höchste Erregung. Insider blieb hinter einem summenden Maschinenblock stehen und wartete, bis eines der insektoiden Wesen in seiner Nähe erschien. Es war mit einem Energiestrahler bewaffnet, schien sich dadurch jedoch eher behindert zu fühlen. Sichtlich erregt hantierte es an den Schaltungen einer Steuerungsanlage herum, drückte einige Knöpfe, beobachtete danach die Reaktionen der geheimnisvollen Apparatur mit Hilfe der verschiedenen Instrumente, korrigierte sich durch weitere Schaltungen, schien aber
das Problem auch dadurch nicht in den Griff zu bekommen, das sich durch den Anschlag ergeben hatte. Lautlos glitt Insider auf die fremdartige Intelligenz zu. Er riß den Strahler an sich, der an der Maschine lehnte, wirbelte ihn in der Hand herum und schlug den Kolben gegen den Kopf des Insektoiden. Dieser brach augenblicklich zusammen und blieb mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden liegen. Insider kümmerte sich nicht um ihn. Geschickt kletterte er an der Maschine hoch, bis er die leuchtenden Röhren sehen konnte, an denen wenigstens vierzig der Fremden arbeiteten. Jetzt kommt es darauf an, dachte er, legte den Energiestrahler an, zielte sorgfältig und schoß. Ein fingerdicker Energiestrahl zuckte aus dem Projektor der Waffe, durchquerte die Halle und schlug krachend in das Röhrengebilde. Insider ließ den Strahler fallen und sprang von der Maschine. Im nächsten Moment raste eine Druckwelle über ihn hinweg, und das Dach der Halle brach auseinander, als sich eine Feuersäule mit aller Kraft Bahn ins Freie suchte. Der Boden des Gebäudes zitterte und bebte, so daß der Extra bereits fürchtete, er werde ebenfalls von einer Explosion zerrissen. Er klemmte sich das kugelförmige Gerät unter den Arm und stürmte zu einer nach oben führenden Treppe, da er hoffte, auf dem gleichen Weg fliehen zu können, auf dem er in das Gebäude eingedrungen war. Doch einige der insektoiden Intelligenzen, die er nicht sehen konnte, feuerten auf ihn und schnitten ihm auf diese Weise den Fluchtweg ab. Sie wollen dich haben! erkannte er. Und wenn ihnen der ganze Kasten um die Ohren fliegt. Sie wollen dich. Während er noch überlegte, wohin er sich nun wenden sollte, erschütterte eine weitere Explosion die Halle. Eine Feuerwand wuchs über dem Röhrengebilde auf, und dann ging ein Ruck durch das Gebäude. Der Boden neigte sich plötzlich scharf nach unten. Insider klammerte sich an ein Gitter, um nicht von den Beinen
gerissen zu werden, konnte sich jedoch nicht halten. Er rutschte über den Boden, prallte gegen eine Maschine und sah sich mit einem Mal einem der Fremden gegenüber, der sich in seiner Verzweiflung an ihn krallte. Zusammen mit ihm rollte er weiter, bis sich sein rechter Fuß an einem Werkzeug verfing. Der andere schrie auf, während er weiterrutschte und mit den Armen haltsuchend um sich schlug. Insider blickte ihm entsetzt nach. Er hatte nicht die Absicht gehabt, derart große Zerstörungen anzurichten, und er war nicht in diese Anlage eingedrungen, um zu töten. Doch nun war ihm die Kontrolle entglitten. Das Zerstörungswerk nahm seinen Lauf. Schwere Erschütterungen und lautes Krachen zeigten an, daß es in den verschiedenen Teiles des Gebäudes zu immer weiteren Explosionen kam. Und während der Extra nach einem besseren Halt suchte, brach etwa zwanzig Meter von ihm entfernt der Boden der Halle auseinander, und mit einem infernalischen Krachen und Donnern stürzte ein Teil des Gebäudes in sich zusammen. Insider sah, wie er in der Tiefe verschwand, und er erinnerte sich an die besondere Form der Anlage, die mit ihrem Mittelteil auf einem etwa hundert Meter hohen Sockel geruht hatte. Dieser Abschnitt, der sich genau über dem Sockel befand, hatte sich offenbar gehalten, während die beiden Flügel abgeknickt waren. Doch das konnte er vorläufig nur vermuten. Er hangelte sich zu einem Rohr hinüber, das zu einem mächtigen Träger führte, der schräg aus einem Chaos aus wallendem Staub und Trümmern emporragte. 8. Die Varaker rückten schnell auf Sternfeuer, Carch und Oggar zu. Ihre Haltung war drohend und feindselig, und auch die Waffen in ihren Händen sprachen eine deutliche Sprache.
»Hört mich an«, rief Sternfeuer. »Ich weiß nicht, was ihr euch vorstellt, aber eurer Lehrerin ist nichts geschehen.« Die Varaker ließen sich durch diese Worte nicht besänftigen. Sie rannten auf Sternfeuer, Oggar und Carch zu, als könnten sie es nicht erwarten, auf sie einzuschlagen. Dabei sprach niemand auch nur ein Wort. Der CptʹCpt griff nach einem Knüppel, der im Gras lag. »Wagt nur nicht, uns anzugreifen«, schrie er. »Ich schlage jedem den Schädel ein, der mir zu nahe kommt. Und wenn das nicht genügt, werde ich das Wasser des Flusses so hoch ansteigen lassen, daß eure Siedlungen überflutet und ins Meer gespült werden.« Diese Worte erzielten eine nachhaltige Wirkung. Die Varaker blieben stehen und blickten sich unsicher an. Sie alle hatten das unglaubliche Geschehen am Wasserfall verfolgt, und sie glaubten Carch, daß er in der Lage war, ihre Dörfer zu vernichten. »Na bitte«, sagte er triumphierend. »Das ist also die Sprache, die ihr versteht. Verschwindet. Verlaßt die Insel, oder ich mache euch Beine.« Ein armlanges Stück Holz wirbelte durch die Luft und traf den CptʹCpt am Hinterkopf. Unter der Wucht des Treffers taumelte er nach vorn, verlor den Knüppel aus den Händen und sackte schließlich auf die Knie. Vergeblich versuchte er, wieder auf die Füße zu kommen. Er streckte die Arme haltesuchend aus, griff ins Leere und kippte hilflos vornüber. Er fiel mit dem Gesicht ins Gras und blieb liegen. Das war für die Varaker das Signal zum Angriff. Sie brüllten voller Siegesfreude auf und stürmten auf Oggar und Sternfeuer zu. Diese beiden gaben sich verloren. Die Telepathin wollte sich zur Flucht wenden, lief jedoch einem Mann in die Arme, der sie weit überragte. Ein Messer blitzte auf. Sternfeuer sah es, konnte ihm jedoch nicht ausweichen, da zwei Männer sie inzwischen an den Armen festhielten. Doch die Klinge grub sich nicht in ihre Brust. Sie sank plötzlich
herab, und der Kreis der Varaker, der sich um Sternfeuer geschlossen hatte, öffnete sich wieder. »Mossanir«, rief jemand. Die hagere Gestalt der alten Chailidin trat unter den Bäumen hervor. »Verlaßt die Insel«, befahl die Lehrerin. »Schnell. Geht, und ich will vergessen, daß ihr euch widersetzt habt.« Die Uralte sprach leise und doch mit so viel Nachdruck, daß die Varaker widerspruchslos gehorchten. Sie wandten sich ab und gingen schweigend davon, ohne Sternfeuer, Carch und Oggar zu beachten. Es schien, als hätten sie vergessen, weshalb sie auf die Insel gekommen waren. Der CptʹCpt richtete sich mühsam auf und griff sich stöhnend an den Kopf. »Mir muß ein Baum auf den Kopf gefallen sein«, sagte er. »Oder hat jemand seine wundersamen Kräfte gegen mich eingesetzt?« Oggar blickte die Chailidin herausfordernd an. »Wann gibst du uns endlich die Antwort?« fragte er. »Du weißt genau, welche Schwierigkeiten wir haben. Wenn du mich und meine Freunde nicht bald nach Vasterstat bringst, wird es zu spät für uns sein.« »Ich mußte nachdenken«, erwiderte sie überraschend offen. »Ich habe euch von der Legende erzählt, in der steht, daß die Zukunft der Varaker gefährdet ist, wenn du den schlafenden Körper erreichst. Ich kann also nicht ohne weiteres mit dir und deinen Freunden nach Vasterstat teleportieren. Doch ich kann auch nicht zulassen, daß ihr hier zugrunde geht.« »Hast du einen Ausweg aus deinem Konflikt gefunden?« fragte Oggar. *
Als Insider einen Mauervorsprung erreichte, von dem aus er einen guten Ausblick hatte, erkannte er das ganze Ausmaß der Zerstörung. Ich kann zufrieden sein, dachte er. Schlimmer hätte es für die Fremden kaum kommen können. Er machte sich keine Vorwürfe, weil er so rigoros gegen die insektoiden Invasoren vorgegangen war. Diese hatten eine der ungeschriebenen, kosmischen Grundregeln mißachtet, nach denen jede einheimische Intelligenz eines Planeten angesprochen werden mußte. Wer eine bewohnte Welt betrat und sich dort mit einem umfangreichen technischen Apparat niederließ, der durfte sich nicht wundern, wenn man ihn eines Tages wieder hinauswarf und ebenfalls darauf verzichtete, nach seinem Einverständnis zu fragen. Ein Stahlträger, der aus der Deckenkonstruktion herausgebrochen war, führte schräg in die Tiefe bis in die Nähe einiger Felsen, Insider verlor keine Zeit. Er kletterte an ihm herunter, und er erreichte sein Ende, bevor die insektoiden Wesen sich von ihrem Schrecken erholt hatten. Aus der Deckung der Bäume und Büsche stürmten zahllose Ulgs herbei. Sie hoben sich deutlich vom Grün der Gräser und Moose ab, die den Boden bedeckten, so daß sie ein ausgezeichnetes Ziel abgegeben hätten, wenn da noch jemand gewesen wäre, der die Anlage verteidigt hätte. Doch die Fremden ließen sich nicht blicken. »Du hast es geschafft«, rief einer der Roten, als Insider auf die Felsen sprang. Er glaubte, Alkin in ihm zu erkennen. »Es ist unglaublich, aber du hast sie wirklich geschlagen.« »Sie sind noch lange nicht besiegt«, erwiderte er. »Ihr solltet euch schleunigst zurückziehen. Wenn ihr euch so offen im Gelände bewegt, können sie euch alle töten.« Ein dumpfes Dröhnen ließ Insider herumfahren. Er sah ein großes, geflügeltes Raumschiff von Süden her kommen. Es senkte sich rasch herab, und für den Extra war eindeutig, daß es zu dem zerstörten Gebäude fliegen würde, um die Besatzung der Anlage
aufzunehmen. »Schnell. Wir müssen weg hier«, rief er und zerrte Alkin mit sich, der wie gelähmt auf der Stelle verharrte und zu dem Raumer hinaufstarrte, der einen Durchmesser von wenigstens einem Kilometer hatte und einem gewaltigen Vogel mit starren Flügeln glich. »Wir hätten es nicht tun sollen«, stammelte der Ulg. »Sie kommen, um uns zu bestrafen.« »Das können sie nur, wenn wir nicht weglaufen«, erwiderte Insider. Beim Raumschiff blitzte es auf, und ein Energiestrahl schlug nur etwa hundert Meter von ihnen entfernt ein. Insider sah, daß zwei Ulgs von ihm getroffen und getötet wurden. Entschlossen riß er Alkin mit sich. Obwohl er wußte, daß es in der Zentrale des Raumschiffs Ortungsgeräte gab, mit deren Hilfe sie leicht ausgemacht werden konnten, rechnete er sich eine Chance aus. Und jetzt flüchteten auch die anderen Ulgs, die zum Sturm auf die zerstörte Anlage angesetzt hatten. In panischer Angst rannten sie zu einem kleinen Wäldchen. Insider wollte sich in eine andere Richtung wenden, doch das ließ Alkin nicht zu. »Wir müssen ebenfalls dorthin«, keuchte er, löste sich von ihm und lief vor ihm her. Insider verließ sich auf ihn. Er hatte nicht damit gerechnet, daß so schnell ein Raumschiff bei der Anlage auftauchen und die Jagd auf sie aufnehmen würde. Nun blieb ihm keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen, daß die Ulgs wirklich wußten, wo sie sich verstecken konnten. Zwei weitere Energieschüsse fielen und forderten ihre Opfer. Dann erreichten Insider und Alkin den Wald. Unmittelbar darauf stürzte er zusammen mit Alkin durch einen Bodenspalt in eine riesige Höhle. An fingerdicken Fäden, die aus den, Drüsen auf dem Rücken des Ulgs kamen, glitten sie bis in eine
Tiefe von wenigstens zweihundert Metern. Hier warteten bereits Dutzende anderer Ulgs auf sie. »Wir sind in Sicherheit«, sagte Alkin erleichtert. »Jetzt können sie keinen von uns mehr töten.« Insider schwieg. Wozu soll ich ihm sagen, daß es für unsere insektoiden Freunde keine Rolle spielt, ob wir oben sind oder in dieser Höhle? Wenn sie wollen, schicken sie uns eine Bombe herunter, die alles mit einem Schlag erledigt. Doch die Fremden griffen nicht zu diesem letzten Mittel. Etwa fünfzig Minuten verstrichen, dann brüllten die Triebwerke des Raumschiffs erneut auf. Das Schiff startete und entfernte sich. Als Insider zusammen mit den Ulgs an die Oberfläche zurückkehrte, sah er, daß von der Anlage nur noch ein Staubhaufen übriggeblieben war. Die Fremden hatten die Reste mit Hilfe von Desintegratorstrahlern aufgelöst. »Sie sind fort«, sagte er. »Und ich glaube nicht, daß sie euch noch einmal belästigen werden.« Nun zog es ihn zur SCHNECKE und zum HORT zurück. Er war davon überzeugt, daß die Raumfalle beseitigt und das Mnemodukt wieder handlungsfähig war. Aber erst vier Stunden später startete er, nachdem er sich ausgiebig von den Ulgs verabschiedet hatte, und als er die Atmosphäre des blauen Planeten verließ, bemerkte er den HORT, der sich ihm mit hoher Geschwindigkeit näherte. Sekunden später nahm er Verbindung mit dem Mnemodukt auf. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Ich habe sogar noch ein Ding dabei, mit dem wir vermutlich weitere Anschläge dieser Art verhindern können.« Das Mnemodukt antwortete nicht. Beunruhigt schleuste Insider sich ein. Dann klemmte er sich die Kugel unter den Arm, die er von der Positronik der Fremden abgelöst hatte, und machte sich auf den Weg zur Zentrale.
»Nicht … zerstö … ause«, kam es aus den Lautsprechern, in denen es so knackte und rauschte, daß er nicht mehr verstehen konnte. »Was ist los?« fragte er laut. Aus dem Nichts heraus tauchte plötzlich ein eiförmiger Gegenstand vor ihm auf, dessen Oberfläche aus nahtlos ineinander übergehenden sechseckigen Flächen bestand, die hellgrün und hellrot glitzerten. »Chybrain!« rief Insider überrascht. Das schimmernde und glitzernde Ei schwebte auf ihn zu. »Chybrain! Chybrain«, wisperte es. »Ihr werdet noch gebraucht.« Nach diesen rätselhaften Worten flog es mitten durch die Kugel hindurch, die Insider unter dem Arm hielt. Er sah, daß sich ein kleiner Brocken Metall aus der Kugel löste und auf den Boden polterte, während Chybrain so rasch verschwand, wie er gekommen war. Insider bückte sich. »Das ist reines Nickel, vermute ich«, tönte es aus den Lautsprechern über ihm. »Du bist wieder in Ordnung?« fragte der Extra verwundert. Er konnte sich nicht erklären, daß das Mnemodukt nun schon wieder einwandfrei zu funktionieren schien. »Chybrain hat das Nickel aus der Kugel geholt. Hast du es gesehen? Das war entscheidend«, antwortete das Mnemodukt. »Wäre er nicht gekommen, hätte es eine Katastrophe gegeben. Ich wußte, daß du uns mit der Kugel zur Explosion bringen würdest, aber ich konnte es dir nicht mitteilen. Bitte, trage die Kugel in die Zentrale. Ich benötige sie dringend, weil ich nur mit ihrer Hilfe die Schäden beheben kann, die durch die Einwirkung der Raumfalte auf den HORT und mich entstanden sind.« »Dann kann ich ja richtig froh sein, daß ich die richtige Kugel erwischt habe.« »Sie ist erst brauchbar für mich, seit Chybrain eingegriffen hat.« »Hm. Chybrain. Ich wüßte gern mehr über ihn. Hast du eine
Ahnung, wer das ist? Und welche Ziele er verfolgt?« Das Mnemodukt antwortete nicht. * »Ja«, antwortete die Chailidin. »Ich habe eine Lösung. Ich weiß jetzt, daß alles eine Frage des richtigen Zeitpunkts ist.« Oggar, Sternfeuer und Carch blickten sich unsicher an. Plötzlich spürten sie eine psionische Kraft auf sich einwirken, der sie nicht gewachsen waren. Sie mußten ausweichen und die Körper der Varaker verlassen. Keiner von ihnen leistete Widerstand. Carch und Sternfeuer schlossen sich Oggar an, den es mit aller Macht in den Kosmos hinauszog, und der nichts anderes wollte, als so schnell wie möglich nach Vasterstat zu kommen. Oggar, Sternfeuer und Carch vereinigten sich zu einem Dreierbewußtsein, das vollkommen abhängig von der Uralten wurde. Oggar schrie plötzlich auf. Mit aller Macht stemmte er sich der Chailidin entgegen. Sternfeuer und Carch erkannten gleichzeitig, weshalb diese vom richtigen Zeitpunkt gesprochen hatte. Sie halfen dem Freund, so gut sie konnten. Doch ihre Kräfte waren zu gering. Schon bald merkten sie, daß sie sich gegen die Chailidin nicht behaupten konnten. Es ist zu spät für den schlafenden Körper. Was sollen wir auf Vasterstat, wenn wir diesen Planeten später nicht mehr verlassen können? Doch die Chailidin antwortete nicht. Das Dreierbewußtsein unterlag. Von einem Moment zum anderen wechselte es von der Planetenoberfläche in den Kosmos über. Es überwand die Distanz von Lichtjahren in Bruchteilen von Sekunden und näherte sich dann dem vollkommen verwüsteten Planeten Vasterstat.
Doch es erkannte, daß es sein Ziel nicht erreichen würde, denn eine schimmernde Energieblase schoß mit hoher Geschwindigkeit auf einen Berg zu, der sich aus den Trümmern von Vasterstat erhob. Oggar, Carch und Sternfeuer erfaßten, daß ein Wesen darin war, das sich Waggaldan nannte und das entschlossen war, den schlafenden Körper zu vernichten. Sternfeuer übernahm in ihrer Verzweiflung die Initiative. Sie wußte, daß es auf Sekundenbruchteile ankam. Sie versuchte, Verbindung mit Waggaldan aufzunehmen und ihn von seinem Vernichtungswerk abzuhalten. Doch sie merkte, daß sie allein mit ihren parapsychischen Sinnen die Energiewand nicht durchdringen konnte, die Waggaldan umgab. Bevor Carch und Oggar sie jedoch unterstützen konnten, war es schon zu spät. Das Dreierbewußtsein schreckte vor Vasterstat zurück und bemühte sich, nach Varak zurückzukehren, doch da war die psionische Kraft der Chailidin, die sich ihnen entgegenstellte. Das ist das Ende, dachte Oggar entsetzt. Wir können nicht nach Varak, und wir können auch nicht verhindern, daß Waggaldan meinen Körper zerstört. Ein Energiestrahl schoß in diesem Moment aus der Blase, als habe Waggaldan nur auf diesen Gedanken Oggars gewartet, und bohrte sich in den Berg, in dem der schlafende Körper lag. Oggar schrie gepeinigt auf, als der Berg explodierte und zahlreiche Trümmerstücke nach allen Seiten davonwirbelten. Eine gigantische Staubwolke stieg über Vasterstat auf und breitete sich über der Stätte der Zerstörung aus. Zu spät, flüsterte Oggar, und ebenso wie Sternfeuer und Carch spürte er, daß er nahe vor der Auflösung stand. Der Tod rückte in greifbare Nähe, und es schien keine Hoffnung mehr zu geben. Doch, signalisierte Carch. Wir müssen Waggaldan angreifen und übernehmen. Die Energieblase entfernte sich bereits wieder, so daß keine Zeit blieb, über diesen Vorschlag nachzudenken. Das Dreierbewußtsein
konnte nur spontan handeln. Mit der letzten in ihm wohnenden Kraft stürzte es sich auf die Energieblase, und als es diese erreichte, fühlte es mit aller Deutlichkeit, daß noch jemand bei ihm war und ihm half. Das Dreierbewußtsein allein hätte die Schutzschirme des Raumschiffs nicht durchdringen können, doch mit der Unterstützung der Chailidin gelang der Angriff. Der richtige Zeitpunkt, dachte Sternfeuer. Das hat sie gemeint. Sie wollte nicht, daß Oggar in seinen schlafenden Körper zurückkehrt, aber auch nicht, daß wir sterben. Wir durften Vasterstat erst erreichen, als diese Energieblase eintraf, hätten aber auch nicht später kommen dürfen. Im nächsten Moment warfen sich Oggar, Sternfeuer und Carch auf Waggaldan, und es war spielend leicht für sie, ihn zu überwinden. »Er ist ein Kunstwesen«, stellte Carch erstaunt fest. Er sprach mit dem Mund Waggaldans. »Er hat eine positronische Steuerung«, bemerkte Oggar auf gleiche Weise. »Wir werden dieses Mnemodukt‐II leicht unter Kontrolle bringen.« Der Kampf war außerordentlich kurz und erfolgreich. Er dauerte nur wenige Sekundenbruchteile. Danach gab Waggaldan seine ihm einprogrammierte Persönlichkeit auf und wurde zu Oggar, und bei ihm waren Carch und Sternfeuer. Alle drei waren so erschöpft, daß sie eine Ruhepause einlegen mußten, und sie genossen sie, da sie sicher waren, daß sie aus Waggaldan nicht wieder vertrieben werden konnten. »Wir haben einen Fehler gemacht«, sagte Oggar plötzlich. »Das Raumschiff löst sich auf. Seht doch.« Hilflos drehte er sich um sich selbst, und er sah, daß sich sein neuer humanoider Körper in den Scheiben der Instrumente spiegelte. Er schimmerte in einem Farbton, der zwischen fahlrosa und grün wechselte. Doch darauf achtete das Dreierbewußtsein jetzt nicht, denn Oggar hatte richtig beobachtet. Das Raumschiff wurde durchsichtig und verschwand Stück für Stück, bis nichts mehr von ihm übrig blieb.
Danach schwebte Oggar im freien Raum. Welchen Fehler haben wir gemacht? fragte Sternfeuer. Das Mnemodukt‐II, unsere Positronik, besteht aus reinem Nickel, erläuterte Oggar. Es hat die Zerstörung des Schiffes veranlaßt. Erst anschließend konnte ich alle Eingaben löschen und die Positronik übernehmen. Aus reinem Nickel? entgegnete Carch. Meint ihr, daß ein Zusammenhang mit Hidden‐X und den Vorkommnissen im Ysterioon besteht? Ist mir egal, verkündete der CptʹCpt. Ich fühle mich geboren! Freue dich nicht zu früh, mahnte Oggar. Noch wissen wir nicht, wie lange dieser Kunstkörper im freien Raum existieren kann. Ich habe da meine Bedenken. Ich nicht, antwortete Carch, und er fügte jubelnd hinzu: Siehst du den HORT nicht? Er fliegt direkt auf uns zu. Insider kommt und holt uns ab. Er behielt recht. Es dauerte nicht lange, bis der HORT bei ihnen war. Eine hell erleuchtete Schleuse öffnete sich, und gegen den schimmernden Hintergrund zeichnete sich die schlanke Figur von Insider ab. Jetzt haben wir nur noch ein Problem, seufzte Carch. Wir müssen ihm beweisen, daß wir in diesem Körper stecken. Oggar Waggaldan glitt in die Schleuse, und die Schotte schlossen sich hinter ihm. »Ist das dein schlafender Körper, Oggar?« fragte Insider. Sternfeuer, Carch und Oggar wollten gleichzeitig antworten, doch nur eine Reihe von unverständlichen Wörtern kam aus dem Kunstmund, bis schließlich alle drei in Gelächter ausbrachen. Dann aber setzte Oggar sich durch. »Das ist eine lange und komplizierte Geschichte«, sagte er. »Mit einem Satz läßt sich deine Frage nicht beantworten. Aber vielleicht darf ich etwas ausführlicher sein? Ich muß meinen Bewußtseinspartnern ohnehin ein paar Erklärungen abgeben.«
ENDE Peter Griese, der Autor des nächsten Atlan‐Bandes, widmet sich den Hintergründen verschiedener Phänomene, mit denen SOL und Solaner erst kürzlich zu tun bekamen. So offenbaren sich u. a. am Schicksal der Pers‐Oggaren die tödlichen Aktivitäten von Hidden‐X … Mehr zu diesem Themenkomplex lesen Sie im Atlan‐Band 559 unter dem Titel: DER ÜBERLEBENDE