Das Monsterspiel Version: v1.0
Mallmanns Blutgier ist nicht mehr zu stoppen! Er ist zu einem wilden Tier geworden, der...
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Das Monsterspiel Version: v1.0
Mallmanns Blutgier ist nicht mehr zu stoppen! Er ist zu einem wilden Tier geworden, der Trieb nach dem Lebenssaft hat sogar seine ansonsten ra tionalen Pläne überdeckt. Für ihn zählt nur mehr das Blut seines Opfers. Und das ist ausgerechnet Sir James Powell!
Der Vampir hat den Mann in die Ecke gedrückt und lässt ihm keine Chance zur Gegenwehr. Auf der abgedunkelten Ladefläche des Kleintransporters ist Mallmann der Chef. Die beiden kämpfen mit vollem Einsatz! Und er lachte dabei. Es war kein normales Lachen, aus seinem Mund klang es ki chernd, triumphierend und trotzdem drohend. Mit ihm zusammen drang dem hohen Polizeibeamten eine widerliche Wolke entgegen, die irgendwo in der Tiefe des Vampirmagens entstanden sein muss te. Eine Mischung aus altem Blut und verfaultem Fleisch. Für Sir James war es wie ein Omen. Wenn es dem Vampir gelang, ihm die Zähne in den Hals zu schlagen und ihm sein Blut auszusau gen, dann würde es ihm bald ähnlich ergehen. Dann irrte er als Un toter umher, als eine lebende Leiche, als Zombie oder Wiedergänger. Etwas Schlimmeres gab es nicht. Die Brille war dem Superintendenten von der Nase gerutscht, hing aber noch an einem Ohr. Eigentlich hätte er lachen können, doch dazu war die Lage viel zu ernst. Ausgerechnet Sir James, der primär nichts mit dem Fall zu tun hatte, war in ihn hineingezogen worden. Man hatte ihn gekidnappt und wollte ihn als Geisel gegen John Sin clair einsetzen, dem es zusammen mit Suko gelungen war, Assun gas Zaubermantel in seinen Besitz zu bringen. Und Assunga, die Hexe, war eine gute Freundin des Vampirs. Der Mantel verlieh ihr eine nicht unbeträchtliche Macht. Zusam men mit Mallmann waren sie dann so etwas wie ein Bollwerk. Und dieses Bollwerk hatte einen Riss bekommen, den Mallmann wieder kitten wollte. Er ließ sich Zeit. Auf der Ladefläche war es nicht nur dunkel, son dern auch stickig. Durch die etwas geöffnete rechte Hälfte der Hin tertür drang ein schwacher Lichtschein in das Innere, sodass Umris
se schon zu sehen waren, auch für Sir James. Über ihm schwebte das Gesicht. Teigig und bleich. Verzerrt war der Mund, die Lippen nach oben gezogen, die Zähne gefletscht, so dass der böse Ausdruck voll durchkam. Trotz dieser Lichtverhältnisse konnte Sir James die beiden Zähne sehen, die wie krumme Dolche aus dem Oberkiefer ragten und dar auf warteten, in den Hals geschlagen zu werden. Seine Hände hatte der Blutsauger in die Schultern des Opfers ge krallt. Sir James trug nur ein weißes Hemd. Durch den dünnen Stoff spürte er den Druck der Finger und der Nägel, die sich wie kleine Messer in die Haut bohrten. Und Sir James merkte immer stärker, wie schwach er im Prinzip war. Er würde den Kräften des Vampirs kaum etwas entgegenset zen können. Dieser Untote war zu mächtig. Er drückte Sir James tiefer in die Ecke des Lieferwagens hinein. Durch diese Bewegung verlor Sir James auch seine ursprüngliche Haltung, und sein Knie rutschte von der Brust des Blutsaugers ab. Der erste Schritt ins Verderben. Mallmann drückte noch stärker. Der alte Mann unter ihm kippte zur Seite, und er gab einen Laut von sich, der stark nach Verzweif lung klang. Der Untote drehte ihn. Sir James kippte nach rechts. Er würde mit der Seite aufschlagen und wehrlos sein. Das schoss ihm durch den Kopf, und plötzlich gab er den Wider stand auf. Es hatte keinen Sinn mehr, wenn er es auch weiterhin ver suchte. Er würde immer der Unterlegene sein. Für ihn war es nur so verrückt, so unglaublich, so fassungslos und irreal. Dass ausgerechnet ihm so etwas passieren musste, damit hät
te er nie gerechnet. Eigentlich hätte er darüber lachen können, aber so, wie es gelaufen war, gab es dazu keinen Grund. Sir James war in diesen Strudel mit hineingerissen worden und stand dicht davor, von ihm verschlungen zu werden. Zuerst hatte er sich gefürchtet, dann war die Angst gekommen, und nun erlebte er die Todesangst. Sie schoss in ihm hoch, sie spülte alles weg. Er merkte mit einem Mal, dass er noch leben wollte, dass er ein Recht darauf hatte, auch wenn er kein junger Mann mehr war. Der nächste Druck. Sir James konnte ihm nicht standhalten. Er hat te sich mit dem angewinkelten Arm abgestützt, der aber knickte ihm einfach weg wie ein alter Strohhalm. Sir James brach endgültig zusammen. Er schlug sehr hart auf. Sein Kopf dröhnte gegen den Boden. Für einen Moment überkam ihn das Gefühl, hinter seinem Ohr würde etwas explodieren, aber er hatte es geschafft, sich auf den Bauch zu wälzen. Damit hatte er den Blutsauger überrascht. Mallmann fluchte leise. »Du willst dich wehren, alter Mann? Das kannst du versuchen, dein Blut wird mir trotzdem schmecken. Ich kriege dich, ich werde dich leer saugen.« Er unterstrich seine Worte durch einen gewaltigen Ruck. Mallmann wurde in den Händen des Blutsaugers zu einem Spiel ball. Er hätte zehn und mehr Hände haben müssen, um sich am Bo den festkrallen zu können. Er fiel auf den Rücken. Mallmann freute sich. Im nächsten Augenblick verwandelte sich die Freude in heiße Wut, weil es Sir James gelungen war, seine Arme um den Nacken des Blutsaugers zu schlingen. Der gleichzeitige Ruck nach links brachte den Blutsauger aus dem Gleichgewicht. Mallmann versuch te noch, sich zu halten, aber der Schwung war zu groß. Er konnte
ihn nicht mehr ausgleichen. Der Vampir kippte zu Boden. Und Sir James fiel auf ihn. Er konnte sein Glück noch nicht fassen. Mallmann hatte einen Feh ler begangen und ihn unterschätzt. Sir James nutzte die Gelegenheit aus. Seine Brille war wieder in die alte Position zurückgerutscht, er konnte alles normal sehen, und er wollte sich auch nicht länger auf einen Kampf mit dem Vampir einlassen, den er letztendlich doch verlieren würde. Er musste weg! Es war seine einzige Chance, und er durfte keine Sekunde mehr zögern. Wenn der Vampir seine Überraschung über wunden hatte, war die positive Phase vorbei. Sir James wusste selbst nicht, woher er die Kraft nahm. Er kochte innerlich. Vielleicht war es auch die kalte Wut, die ihn so handeln ließ, die Panik, die nackte Todesangst. Er schnellte hoch. Auch wenn er Mallmann dabei loslassen muss te, es gab keine andere Möglichkeit. Er konnte nur darauf hoffen, dass er schneller war als der Vampir, trotz seines Alters. Er musste den Überraschungseffekt ausnutzen. Deshalb drehte er sich um. Er schaffte es tatsächlich, sich auf den Beinen zu halten. Auch wenn er dabei auf die Tür zustolperte, das war ihm egal. Hinter sich hörte er einen knurrenden Laut, der sich steigerte und zu einem Schrei der Wut oder Enttäuschung wurde. Den Blutsauger hatte Sir James hinter sich gelassen. Er wusste aber, dass es noch einen zweiten Gegner gab, eine weibliche Person, die Hexe Assunga. Auch wenn sie ihren Mantel nicht mehr besaß, so blieb sie nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Feindin. Sie dachte ebenso wie Mallmann, auch sie wollte töten. Sir James stieß die rechte Hälfte der hinteren Ladetür auf. Bisher hatte er im Stockfinstern gelegen, jetzt schaute er hinein in die Hel
ligkeit, die bereits die Farbe des Himmels angenommen hatte und leicht grau geworden war. Er spürte noch, dass die Tür gegen ein Hindernis geprallt war, dann erstarrte er für einen Moment. Was er sah, wollte er nicht glauben. Es war zu unwahrscheinlich und kam ihm vor wie eine Szene, die jemand aus einem Märchen herausgerissen hatte. Sir James stolperte aus dem Wagen. Im Fallen sah er dicht in seiner Nähe die Hexe Assunga am Boden. Sie hielt ihren Zaubermantel in den Händen! Sir James schrie gepresst auf. Ein höllischer Schmerz zuckte durch seinen Fußknöchel, und er knickte um und stürzte. Aber dann vergaß er Assunga und seine Schmerzen, denn vor ihm und auch vor der Hexe standen zwei Personen, deren Anwesenheit ihn völlig überraschte. Einer war ein Fremder. Der andere aber war John Sinclair.
* Eine verrückte Reise lag hinter mir. Eine Reise, über die ich nicht länger nachdenken wollte, weil mir gar nicht die Zeit dafür blieb. Wichtig war Assunga, die mich und meinen Begleiter Zodiak, den Kopfjäger aus dem Reich des Spuks, wieder in diese Welt zurückge holt hatte, denn anders konnte ich mir unser plötzliches Erscheinen an diesem Ort nicht erklären. Jetzt hole ich mir den Mantel! hatte sie mir versprochen. Das glaubte ich ihr aufs Wort, aber da hatte ich noch ein Wörtchen mit zureden, und bisher hatte sie auch nichts getan, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Sie starrte mich nur an. Zuerst hart, dann verunsichert, denn ihr
Blick war auf meinen Begleiter Zodiak gefallen. Den wiederum konnte sie nicht einschätzen. Da ging es ihr nicht anders als mir, denn ich wusste mit ihm auch nichts anzufangen. Er hatte sich mir angehängt, und dies nicht einmal freiwillig, jedenfalls stammte er aus der Zukunft. Das war praktisch alles, was ich von ihm wusste. Assunga wollte ihren Mantel unbedingt zurückhaben. Der Mantel und Assunga standen miteinander in Verbindung. Das wusste ich, denn sonst hätte sie mich nicht auf eine derartige Art und Weise durch verschiedene Welten und Dimensionen leiten können. Er ge horchte ihr, er war ein Teil von ihr, und sie würde alles daransetzen, um ihn zu behalten. Um Zodiak kümmerte sie sich nicht. Ihr Interesse galt einzig und allein mir. Ich wollte den Zaubermantel behalten und – wenn möglich – auch zerstören. Ich hatte nicht einmal Interesse daran, ihn zu behalten, er war für mich zu schlimm. Man konnte ihn in gewisser Hinsicht mit einem fliegenden Teppich vergleichen, der seinen Benutzer zu Zie len schaffte, zu denen er nicht wollte. Dabei gelang es dem Mantel sogar, die Zeiten zu überwinden. Ich war ja in der Zukunft gewesen, beim Spuk, aber ich wollte es nicht mehr. Da gehörte ich nicht hin, ich wollte in meiner Zeit bleiben und nicht sehen, was sich weit in der Zukunft tat. Selbst stärkere Personen als ich wären daran zerbro chen. Es war vielleicht mein Fehler gewesen, dass ich zu lange gewartet hatte. Ich wusste ja, dass es den Kontakt der Hexe Assunga mit ih rem Mantel gab. Dazu brauchte sie ihn nicht einmal anzufassen, das schaffte sie auch so. Und plötzlich griff sie ein. Ich konnte nichts dagegen tun, als mich die gewaltige Kraft pack
te, die in Assunga ihre Quelle hatte. Ich wurde zwar nicht von den Beinen und in die Höhe gerissen, viel allerdings fehlte daran nicht, denn der Mantel schwang auf wie ein gewaltiges Zelt. Als hätten unsichtbare Hände seinen Saum gepackt, so wurde er nach oben gewirbelt. Von allen Seiten zerrten Kräfte an mir. Ich kam auch nicht dazu, mich um mein Kreuz zu kümmern und es zu akti vieren. Ich hatte voll und ganz damit zu tun, auf den Beinen zu blei ben, was mir leider nicht gelang, denn die Kraft verstärkte sich noch mehr und zerrte mich zu Boden. Ich fiel einfach um! Hart schlug ich auf. Mein Blick war nach oben gerichtet. Die Welt tanzte plötzlich vor meinen Augen. Wolken wurden zu einem zu ckenden Wirrwarr, doch ich ließ mich nicht unterkriegen und wollte mich aufrichten. Das war genau der Moment, wo Phase zwei begann. Jemand nahm mir die Luft! Es waren beileibe keine Hände, die sich um die Kehle klammerten, obwohl es sich so anfühlte. Es war der Mantel, der sich an einer bestimmten Stelle von selbst bewegte. Das war eben die Klammer, mit der der Mantel geschlossen wurde. Sie legte sich sehr eng um meinen Hals und hatte sich in eine Wür geschlinge verwandelt. Ich hörte mich selbst würgen. Für meine Umgebung hatte ich kei nen Blick mehr. Der Mantel bewegte sich noch immer. Seine Seiten kamen mir vor wie die mächtigen Schwingen eines Vogels, die sich jeder Kontrolle entzogen hatten. Sie schlugen wild um sich. Sie schnellten hoch, sie rasten nach un ten. Dabei hämmerten sie zu Boden, schleiften darüber hinweg, ris sen den Staub als mächtige Wolke hoch, und kleine Steine umwir belten mich wie spitze Eiskörner. Sie sprangen auch in mein Gesicht und raubten mir die Übersicht. Ich hatte wahnsinnige Mühe, meine
Arme zu heben und sie über der Brust zusammenzuführen, weil ich die Finger unter die Würgeklammer führen wollte, um den Griff zu lockern. Dazu kam es nicht mehr. Die Spange öffnete sich von selbst. As sunga hatte sie jetzt voll und ganz unter Kontrolle. Die beiden Hälf ten schnellten zur Seite. Ich konnte es kaum fassen, dass ich wieder Luft bekam, und musste mich erst auf die neue Lage einstellen. Hatte ich gewonnen? Keine Ahnung. Zumindest war ich mit dem Leben davongekom men. Auf dem Boden liegend drehte ich mich herum, um besser auf die Beine kommen zu können. Ich stand auf, rutschte etwas vor, fiel aber nicht hin und drehte mich um. Es war kaum zu fassen. Assunga hatte tatsächlich die Macht über ihren Mantel zurückgewonnen oder er über sie. Jedenfalls sorgte sie dafür, dass er geleitet wurde und einem bestimmten Ziel entgegen wehte. Es war sie selbst. Sie holte ihn zu sich heran. Und er flog auf sie zu wie ein großer Vogel, der sich nur schwerfällig bewegen konnte. Seine Seiten schwangen auf und nieder, und Assunga hatte einzig und allein Au gen für ihn. Leicht geduckt stand sie vor der hinteren Tür des Kas tenwagens, hatte die Arme ausgebreitet und vorgestreckt, weil sie den Mantel mit dieser bittenden Geste erwartete. Er blieb auch auf dem gleichen Weg, er gehorchte ihr, und zum ersten Mal hörte ich sie jubeln. Da aber stand ich bereits auf den Bei nen und hatte die Beretta gezogen. Was ich hier so extrem langsam schildere, lief tatsächlich mit einer beinahe schon rasenden Geschwindigkeit ab, aber ich bekam es eben nur so in die Reihe.
Der Mantel gehörte ihr. Aber sie vernahm auch meinen Befehl, der ihr wie der Knall einer Peitsche entgegenschwang. »Lass den Mantel los, Assunga!« Sie hatte mich gehört, drehte den Kopf mit einem Ruck und lachte mich fauchend an. Freiwillig gab sie ihn nicht her. Aber ich wollte nicht, dass sie ihn zurückerhielt, deshalb bewegte ich meine Hand mit der Waffe ein wenig nach rechts. Ich musste schießen! Der Zeigefinger brauchte den Abzug nur um eine Idee zurückzu ziehen. Verfehlen konnte ich den Mantel nicht, aber es kam alles ganz anders. Nicht das Schicksal griff ein, sondern ein gewisser Sir James Po well. Von innen stieß er die Tür des Lieferwagens schwungvoll auf, dass die in der Nähe stehende Assunga nicht mehr ausweichen konnte. Die Tür schlug in ihren Rücken! Assunga fluchte und schrie, und da sie mit diesem Zusammenstoß nicht gerechnet hatte, wurde sie regelrecht umgeworfen. Sie ver suchte noch, den Schlag auszubalancieren, stolperte und fiel hin. Das bekam ich am Rande mit, denn ich konzentrierte mich auf Sir James, den der Sprung aus dem Wagen ebenfalls arg mitgenommen hatte. Bei der Landung war er mit dem rechten Fuß weggeknickt. Ich hörte sogar noch seinen Wehlaut, als er zur Seite kippte. Er hielt sich dabei seinen Fuß. Wahrscheinlich hatte er sich den Knöchel ver staucht. Ich begriff überhaupt nicht, was das zu bedeuten hatte. Wieso hat te sich ausgerechnet Sir James in diesem verdammten Wagen befun den? Zeit, um diese Fragen zu beantworten, gab man mir nicht, denn kaum war Sir James zusammengeknickt, als hinter ihm und noch auf der Ladefläche, eine weitere Gestalt erschien. Auch ein Bekannter von mir! Auf ihn allerdings hätte ich liebend
gern verzichtet, denn es war Dracula. Beide erlebten wir die gleiche Überraschung und starrten uns zu nächst einmal an. Wenn sich je eine Frage auf dem Gesicht eines Menschen abge zeichnet hatte, so war das wohl bei mir der Fall. Ich kam mit Mall manns Erscheinen zunächst nicht zurecht, wobei es so einfach war, da er und Assunga seit geraumer Zeit ein Paar bildeten. Jetzt hatte ich zwei Gegner vor mir. Mallmann öffnete sein Maul. Ein Schrei wirbelte über seine Lip pen, dann warf er sich vor, um Sir James zu packen. Ich schoss. Und fehlte nicht. Die geweihte Silberkugel jagte in Mallmanns Körper. Jetzt hätte ich jubeln können, aber dieser verfluchte Blutsauger war kein nor maler Vampir. Er verfügte über eine immense Kraft, die ihm durch den Blutstein gegeben worden war. Er hatte ihn widerstandsfähig selbst gegen geweihte Silberkugeln gemacht. Zuerst zuckte er nur zusammen, dann jagte er mit einem gewalti gen Sprung zur Seite. Wo ihn die Kugel erwischt hatte, konnte ich nicht sagen. Ich feuerte noch einmal und verfehlte ihn diesmal, da Mallmann sehr schnell war und blitzartig hinter der Breitseite des Lieferwagens verschwand. Für mich war er unerreichbar. Ich unterdrückte einen Fluch und musste mich entscheiden, ob ich mich um Assunga oder um Mallmann kümmern sollte. Am liebsten wären mir beide gewesen. Leider konnte ich mich nicht zweiteilen, zudem gab es da noch Sir James Powell, dem es nicht eben gut ging und der so ein leichtes Opfer für die beiden Schwarzblüter hätte werden können. Ich schrie ihn an, doch er schüttelte den Kopf. »Kümmern Sie sich
nicht um mich! Packen Sie die Brut!« Das war der alte Sir James. Zwar ein Bürohengst, doch wenn es darauf ankam, sprang er über seinen eigenen Schatten und stellte seine Person zurück. Dracula II hielt sich versteckt. Ich drehte mich und wollte an Assunga heran. Vielleicht konnte ich sie als Druckmittel benutzen. Die Hexe hatte Zeit genug gehabt, um sich um den Mantel zu kümmern. Sie hatte ihn bereits um ihre Schultern gelegt und drückte die beiden Klammern genau in dem Augenblick zusammen, als ich sie halten wollte. Noch in derselben Sekunde war sie weg. Einfach verschwunden, aufgelöst, als hätte es diese Person niemals gegeben. Ich starrte ins Leere und auch die Mündung meiner Beretta fand kein Ziel. Den Ärger schluckte ich runter. Es war bisher so gut ge laufen, und nun passierte mir so etwas. Auf meinem Rücken bildete sich ein Schauer. Assunga konnte wer weiß wo sein, aber ich hatte noch Mallmann im Visier. Er hielt sich vornehm zurück, die breite Seite des Wagens gab ihm zudem eine hervorragende Deckung. Das musste anders werden. Sehr langsam bewegte ich mich vor. Ich schlich dabei an der Rück seite des Fahrzeugs entlang, blieb dann stehen und drückte mich vor, um nach rechts zu peilen. Der Lauf meiner Waffe machte die Bewegung mit. Für einen flüchtigen Moment dachte ich daran, dass es mir nicht gelungen war, das Kreuz einzusetzen und es zu aktivie ren. Dann hätte ich möglicherweise einen Sieg erringen können. Ich kannte Mallmann und seinen Blutdurst. Nichts hätte ihm mehr Vergnügen bereitet, als seine Zähne in meinen Hals zu schlagen. Da er sich in meiner Nähe befand, wunderte ich mich darüber, dass er
sich so stark zurückhielt. Da stimmte etwas nicht … Nach etwa fünf Sekunden verließ ich mit einem Sprung meine De ckung, kam gut auf, drehte mich auf der Stelle nach rechts und suchte Mallmann. Er war nicht mehr da! Mein Grinsen wurde zu einem Zeichen der Bitternis, als ich daran dachte, wie leicht es für ihn gewesen war, mich reinzulegen. Er hatte ja die beste Helferin, die er sich vorstellen konnte, Assunga, die Hexe, und deren Mantel. Sie war vor meinen Augen verschwunden. Nur konnte ich mir vorstellen, dass sie außerhalb meines Sichtbereichs wieder erschie nen war, um sich Mallmann zu holen und ihn in Sicherheit zu brin gen. Leerer konnte ein Fleck gar nicht sein. Mich überkam eine wilde Wut, aber ich wollte mich nicht beschweren. Zwar hatte ich nicht viel erreicht, doch Sir James war gerettet worden. Will Mallmann hatte ihn bereits auf seine Blutliste gesetzt. Ich drehte mich nach rechts. Sir James hockte nicht mehr auf der Erde. Er hatte sich aufgerichtet und stützte sich am Wagen ab. Als ich ihn sah, war er dabei, seine Brille zu richten. Er nickte. Ich nickte zurück, dann sah ich sein Lächeln. Auf seinem sonst so oft unbewegten Gesicht zeichnete sich die Erleichterung darüber ab, dass er es geschafft hatte. Hinter ihm und dabei ziemlich weit in den Hintergrund gedrängt, stand jemand, den ich erst jetzt richtig wahrnahm. Es war Zodiak, der Kopfjäger des Spuks und gleichzeitig eine Gestalt aus der Zu kunft, in die mich der Mantel transportiert hatte. Fassen konnte ich es noch immer nicht. Ich würde erst später dar über nachdenken, denn das große Problem war vorerst gelöst, auch
wenn wir eine relative Niederlage erlitten hatten, weil Assunga sich den Mantel wieder zurückgeholt hatte. Aber ein anderes Problem war hinzugekommen, und das hieß nun mal Zodiak. Ich steckte die Waffe weg, um ihm meine friedlichen Absichten zu zeigen. Dann ging ich auf ihn zu und musste dabei Sir James passie ren. Er sah abgekämpft, schlecht, schmutzig und müde aus. Mit einer ebenso müden Bewegung strich er über seine Stirn, ohne den dicken Schweißfilm abwischen zu können. Er schaute mir nur ins Gesicht und stellte eine leise Frage. »Wer ist das, John?« Ich blieb stehen. »Jemand, den ich unterwegs getroffen habe.« Sei ne Lippen zuckten. »Unterwegs?« »Ja, Sir, auf meiner Reise.« »Die Sie wohin führte?« Ich hob die Schultern. »Sie werden lachen, aber ich habe ein Stück Zukunft gesehen.« Da meine Stimme sehr ernst geklungen hatte, gab es für Sir James keinen Grund, mir nicht zu glauben. Er runzelte nur die Stirn und wollte nachfragen. Dazu ließ ich es nicht kommen. »Es war nicht die Zukunft in unserem Sinne, es war auch nicht die Erde, auf der ich mich befunden habe, sondern ein fernes Reich. Ich habe ihn aus der Welt des Spuks geholt, denn er ist einer seiner Diener gewesen. Man kann ihn auch als den Kopfjäger des Spuks bezeichnen.« Sir James begriff sofort. »Deshalb auch das Schwert.« »So ist es.« »Schön und gut, John. Sie wissen selbst, dass er nicht hierher ge hört. Was werden Sie mit ihm machen?« »Wenn ich das wüsste, wäre mir wohler. Wahrscheinlich kann ich nichts tun. Ich weiß nicht einmal, wie ich ihn dazu überreden soll,
dass er wieder in seine Zeit und zum Spuk zurückkehrt. Da habe ich mir selbst ein Kuckucksei ins Nest gelegt.« »Der Spuk muss ihn holen.« »Wollen Sie ihm das sagen, Sir?« »Nein, verdammt, das schaffe ich wohl nicht.« »Eben, und ich auch nicht.« Sir James schaute ihn an. »Kann er sprechen?« »Bestimmt, aber nicht unsere Sprache. Ich weiß nur, dass er sich Zodiak nennt.« »Ein relativ bekannter Name«, meinte der Superintendent und be wies damit, dass er auf dem Laufenden war. Zodiak rührte sich nicht. Das gab mir Gelegenheit, mich bei mei nem Chef zu erkundigen, wie er überhaupt in eine derartige Lage hatte geraten können. »Das ist eine kurze und sehr simple Geschichte. Assunga hat mich aus dem Club entführt. Sie war plötzlich da, und Sie können sich vorstellen, dass ich keine Chance gehabt habe.« Das konnte ich sehr gut. Da ich schwieg, sprach Sir James weiter. »Es ist ja nicht nur Assun ga gewesen, die den Plan ausklügelte, dahinter stand Mallmann, und der hat an alles gedacht. Er wollte den Austausch. Den Mantel gegen mich. Das klappte aber nicht, denn als ich bei Lady Sarah an rief, waren Sie verschwunden. Ich geriet in eine schlechte Position und musste erleben, wie Mallmann von einem Blutrausch überfallen wurde. Das war schlimm, ich habe mich so gut wie möglich gewehrt und hätte trotzdem verloren, wenn Sie nicht erschienen wären. So ist mein Versuch nur zu einem kleinen Teilsieg geworden, mehr nicht.« »Aber wir leben.«
Sir James lächelte. »Das merke ich immer mehr, und ich genieße es auch.« Für einen Moment sah ich die Erleichterung auf seinem Ge sicht, dann dachte er wieder praktisch. »Auf der Ladefläche muss ein tragbares Telefon liegen. Wir müssen den anderen Bescheid ge ben, dass alles glatt gegangen ist. Suko, Jane und Sarah Goldwyn machen sich sonst zu große Sorgen. Ich werde sie benachrichtigen.« »Tun Sie das.« »Und Sie kümmern sich um unseren neuen Freund?« Ich hob die Schultern. »Was man so kümmern nennt. Ich kann nur hoffen, dass er in mir nicht einen Feind sieht, denn ich möchte mei nen Kopf noch ein wenig behalten.« »Das kann ich mir denken. Versuchen Sie ihr Bestes …« Einen bes seren Ratschlag hatte Sir James auch nicht, konnte ich auch nicht von ihm erwarten, und so ging ich auf Zodiak zu und schritt dabei durch ein Klima, das diesen Namen überhaupt nicht verdiente, weil es eher in einen Dschungel gepasst hätte. Ich wusste auch nicht, was mit dem Wetter los war. Es gab einfach keinen schönen Sommer mehr. Wenn es einige Tage warm war, drehte der Wind auf südliche Richtung und brachte die verfluchte Schwüle mit, die allen zu schaffen machte. Dann schon lieber Winter … Zodiak erwartete mich. Unter dem dicken Bleigrau der Wolken wirkte er wie eine übergroße Zinnfigur, die nichts aus der Ruhe bringen konnte. Er stand da, schaute mich nur an, und ich sah wie der in sein Gesicht, das eigentlich keines war, denn er trug eine mausgraue Maske. Dahinter sah ich dunkle Augen, die sich leicht bewegten, aber nicht als Augen selbst, sondern es zuckte und zirku lierte das, was sich in ihrem Innern befand und ich gewissermaßen als Füllung ansah. Zodiak hatte sein Schwert nicht weggesteckt. Er hielt es mit der
rechten Hand fest, drückte es schräg von seinem Körper ab und hat te es mit der Spitze gegen den Boden gestemmt. Er hatte die Bis-hierher-und-nicht-weiter-Haltung eingenommen. Ich ging deshalb nicht an ihm vorbei. Zodiak war zu einem Problem geworden, wie ich ehrlich zugeben musste. Dieses Wesen war nicht nur ein Diener des Spuks, es stammte aus der Zukunft und hatte dort die Feinde des Dämons geköpft, wie ich es selbst erlebt hatte. Das war kein Spaß gewesen, und für mich gehörte dieses Wesen zu den schrecklichen aus einer anderen Dimension. Über seinen Kopf hatte er so etwas wie eine eng anliegende Kapu ze gestreift. Er wirkte wie ein Ritter, der es noch geschafft hatte, sich für den Kampf anzuziehen. Ich lächelte ihn an und hoffte, dass er mir ein Lächeln zurückgab. Seinen Mund konnte ich nicht sehen, aber man kann ja auch mit den Augen lächeln. Er tat es nicht. »Okay, Zodiak, wir beide scheinen uns nicht zu verstehen. Ist auch kein Wunder, alter Junge.« Ich nahm es mit Humor und grinste jetzt. »Aber du lebst nun nicht mehr in der Zukunft, sondern, wenn du von dir selbst ausgehst, in der Vergangenheit. Dabei allerdings in meiner Gegenwart. Dass dort andere Gesetze herrschen als in der Welt des Spuks, sollte dir klar sein. Jeder muss sich diesen Gesetzen fügen, leider auch du, mein Freund. Ich hoffe in deinem Interesse, dass dies auch geschieht. Wenn ja, könnten wir vielleicht gemein sam einen Weg finden, der dich wieder in deine Zeit schafft.« Daran glaubte ich zwar selbst nicht so recht, aber etwas musste ich ihm ja sagen. Er schwieg trotzdem. Ich unterstellte ihm dabei nicht einmal Ab sicht. Wahrscheinlich hatte er mich nicht verstanden. Um mit ihm zu reden, musste es wohl andere Möglichkeiten geben. Aberwelche?
Zukunftsforscher haben geschrieben, dass auch die nicht körperli chen Kräfte der Menschen irgendwann aus dem Dunkel hervorge holt werden würden. Dabei dachten sie an Gaben wie Telepathie, Teleportation und Telekinese. Wie gesagt, eine Zukunftsaussicht, aber das alles hatte Zodiak möglicherweise erlebt. Wir mussten nur einen Weg finden, um diese Barriere zu knacken. Dann konnte er uns auch von seiner Welt berichten. Ich sah darin interessante Per spektiven. Da er nichts sagte, hoffte ich zumindest, dass er mich verstand. Ich drehte mich um und deutete auf die Ladefläche des Wagens. Da ich ihn dabei beobachtete, merkte ich, wie er mit seinen Augen meinem Blick folgte und auf einmal nickte. Das war doch ein Anfang. Sir James kehrte zurück. Er sah erleichterter aus, anders als noch vor Minuten. »Ich habe mit Suko gesprochen und ihm erklärt, dass alles so weit in Ordnung ist.« »Was haben Sie abgemacht?« Er lächelte. »Wir werden zu ihnen fahren.« »Zu Lady Sarah?« »Sicher. Sie ist ganz begierig darauf, Ihren neuen Gast kennen zu lernen. Oder haben Sie eine bessere Lösung?« Ich war zwar etwas geschockt, hob aber die Schultern und sagte: »Nein, eigentlich nicht.« »Das ist gut.« »Wo sind wir hier eigentlich?« Es war eine simple Frage, aber die Antwort war wichtig für mich. »Da muss ich passen«, gab Sir James zu. »Ich weiß es selbst nicht. Ich nehme an, dass wir uns am Stadtrand von London befinden, ir gendwo im Süden.«
»Gut, das kriegen wir heraus. Wer soll fahren?« »Ich übernehme das.« Nach dieser Antwort musste ich lächeln, denn Sir James hatte ich noch nie hinter dem Lenkrad erlebt. Besonders nicht am Steuer eines kleinen Transporters. Ich fragte nicht danach, ob er auch in der Lage war, den Wagen zu fahren, jedenfalls würden Zodiak und ich einen anderen Platz fin den. Und zwar auf der Ladefläche, eingepackt in eine tiefe Finsternis und drückende Schwüle. Sir James hatte die Tür geöffnet und wartete darauf, dass wir die Ladefläche bestiegen. Zodiak kam mit. Er gehorchte mir wie ein folgsamer Hund. Ich hatte ihm nur einmal kurz zuzuwinken brauchen. Beide Türen hielt ich ihm auf. Aus dem Wagen drang mir eine widerliche Luft entge gen. Sie war nicht nur stickig, sie roch auch nach Moder und alten Blut. Eben ein typischer Vampirgeruch. Ich schüttelte mich und wäre am liebsten verschwunden, aber ich musste in den sauren Apfel beißen. Zodiak stieg vor mir ein. Jedenfalls sah es so aus. Er stellte ein Bein auf die Ladefläche, zog das linke dabei noch nicht nach, sondern schaute nach vorn, als wollte er zunächst einmal prüfen, ob die Luft rein war. Sie war es. Er kletterte hinein. Ich folgte ihm auf dem Fuß, und sehr bald schon umgab uns die tiefe Dunkelheit, denn ich hatte die Tür hinter mir zugezogen und den Griff nach unten gedreht. Zodiak saß schon. Er hatte es sich an der Trennwand bequem ge macht und seinen Rücken dagegen gepresst. Die Beine hatte er aus gestreckt, das Schwert lag schräg über seinen Oberschenkeln.
Auch ich ließ mich nieder. Nur drückte ich meinen Rücken gegen die Tür. Wir saßen uns also direkt gegenüber und schwiegen uns an. Es herrschte eine dumpfe Stille und gleichzeitig eine widerliche Luft, die säuerlich schmeckte, wenn ich sie einatmete. Sir James wartete noch mit einem Start. Wahrscheinlich musste er sich zunächst mit dem Wagen zurechtfinden. Er, der zumeist von ei nem Chauffeur gefahren wurde, hatte sicherlich seine Probleme. Zu mindest ließ er den Motor an. Leicht wurde der Wagen geschüttelt. Dann rollte er an, sehr lang sam, aber absolut normal. Später dann ruckartiger, denn Sir James hatte tatsächlich Neuland betreten und seine Schwierigkeiten. Zum Glück konnte er in dieser verkehrsarmen Gegend üben. Vielleicht würde ich später das Steuer übernehmen. Zunächst ein mal war ich froh, dass diese Sache hinter mir lag …
* Lag sie das wirklich? Ich konnte mir nicht sicher sein, denn nach wie vor existierte das Problem Zodiak. Ich sah ihn nicht, ich wusste nur, dass er mir gegenübersaß, und ich hatte das unbestimmte Gefühl, von ihm beobachtet zu werden, als wäre er in der Lage, auch im Dunkeln zu sehen. Ich stellte mir seine Augen hinter den Schlitzen der Maske vor und kam zu dem Schluss, dass diese Annahme nicht so verkehrt war, denn seine Ge stalt und sein Wissen hatte ich noch längst nicht enträtselt. Jedenfalls war er für uns ein Problem. Wir hatten es am Hals und mussten es auch wieder loswerden. Aber wie? Mir kam in den Sinn, ihn einzusperren. Das würde er jedoch nicht
hinnehmen und sicherlich ausbrechen. Was geschah dann? Wir wür den ihn jagen, durch London hetzen, und ich traute ihm zu, dass er eine schreckliche Blutspur hinterließ. Der Spuk hatte ihn als Kopfjäger eingesetzt. Ich konnte davon aus gehen, dass er diesen »Job« auch weiter durchführte. Dabei spielte es keine Rolle, in welch einer Zeit er sich befand. Sollte dieser Fall eintreten, waren wir gezwungen, gegen ihn zu kämpfen. Dann wür de eine Jagd beginnen, die mir schon bei dem Gedanken daran den Schweiß auf die Stirn trieb. Ein Kuckucksei im Nest, das war der richtige Ausdruck. Aber ein gefährliches, ein magisches Kuckucksei, das uns noch an den Rand der Verzweiflung treiben konnte. Ich wusste auch nicht, ob es richtig war, Zodiak mit zu Sarah Goldwyn zu nehmen. Sie war ja nicht allein, und ich konnte mir schlecht vorstellen, dass Zodiak mit diesen Personen zurechtkam. Da würden wir wohl auf Granit beißen, denn er war ein Wesen, das sich keinerlei Fesseln anlegen ließ. Ich wusste auch nicht über seine Fähigkeiten Bescheid. Wie hatten sich die Diener des Spuks in einer fernen Zukunft entwickeln kön nen? Sie waren mit den früheren nicht zu vergleichen, wie ich sie er lebt hatte, diese echsenköpfigen Wesen mit ihren Lanzen, die für Nachschub gesorgt hatten. Auch sie hatten sich demnach weiterent wickelt. Warum trug er die graue Maske? Bot sein Gesicht einen so schrecklichen Anblick, der keinem Menschen mehr zugemutet wer den konnte? Das war möglich. Ich hatte schon die schlimmsten An blicke einiger Dämonenfratzen erlebt, aber ich war nicht irgendwer, sondern hatte mich schon an derartige Anblicke gewöhnt. Aber auch ich war gespannt, was da unter der grauen Maske lauerte. Sir James fuhr. Und Sir James fuhr mittelprächtig. Mal kam er
ganz gut zurecht, zumindest auf den graden Strecken, dann wieder um geriet er ins Schwimmen, wenn er Kurven allzu hart nehmen musste. Dann schwankte das Fahrzeug wie ein altes Schiff nahe der Brandung. Mehr als einmal drohte ich das Gleichgewicht zu verlie ren, aber ich konnte mich immer wieder abstützen. Von den übrigen Geräuschen draußen bekam ich nicht viel mit. Ich hörte auch keine weiteren Fahrzeuge, die wir überholt hätten oder die uns überholten. Meiner Schätzung nach rollten wir noch immer durch eine einsame Gegend. Hin und wieder schaukelte der Wagen, wenn die Bodenwellen zu stark wurden oder sich kleine Mulden in den Erdboden hineinge fressen hatten. Ich glich die Stöße jedes Mal aus und fragte mich, wie es wohl meinem unsichtbaren Gegenüber erging. Noch merkte ich nichts von ihm. Das aber änderte sich. Das Kratzen oder hart klingende Schaben übertönte sogar die Fahrgeräusche. Stand er auf? Kam er auf mich zu? War er es leid, in der Dunkel heit zu hocken und weiterzufahren? Ich hielt den Atem an und war tete einige Sekunden. Den Atem hielt ich so gut wie möglich unter Kontrolle. Zodiak sollte nicht wissen, in welch einer Spannung ich mich befand. Natürlich hätte ich die kleine Lampe einschalten können. Das aber ließ ich bleiben, holte sie zwar aus der Tasche, behielt sie jedoch zu nächst in der Hand. Ich wartete … Er kam wohl nicht. Ich bildete mir ein, seine Nähe irgendwie zu spüren, doch die kratzenden Geräusche blieben. Zudem hörte ich einen dumpfen Druck, wenn er auftrat. Also doch! Ich änderte meine Position und kroch von der Tür weg, blieb aber
auf gleicher Höhe. Es war riskant, sich hinzustellen, durch einen leichten Schlenker des Wagens hätte ich zu leicht das Gleichgewicht verlieren können. Deshalb blieb ich sitzen. Sekunden vergingen. Sir James fuhr in eine Kurve. Ich glich diese Bewegung aus. Zodi ak anscheinend nicht, denn ich hörte, wie er mit dem Körper gegen die Innenwand prallte. Wahrscheinlich stand er doch! Diesmal wollte ich es genau wissen. Mit dem Rücken presste ich mich gegen die Wand, die Hacken stemmte ich so hart wie möglich gegen den glatten Boden. Dann richtete ich den Arm nach vorn und schaltete die kleine Leuchte ein. Hart, grell und messerscharf teilte der Lichtfinger die dichte Fins ternis in zwei Hälften. Manchmal muss man eben Glück haben, und ich hatte in diesem Fall das entsprechende Glück, denn das Ende des Lichtfingers traf zielgenau das Maskengesicht des Köpfers. Er hatte es zwar geschafft, sich auf den Beinen zu halten, aller dings nur in einer Schräglage, denn mit linken Hand musste er sich abstützen. Mit der Rechten hielt er nach wie vor den Griff seiner Mordwaffe umklammert. Er hatte auch die Spitze gegen den Boden gestemmt, um so einen noch besseren Halt zu haben. Sein Gesicht schwamm vor mir! Ein anderer Ausdruck fiel mir dazu nicht ein. Es sah aus wie ein grauer und trotzdem bleicher Mond, den der scharfe Strahl meiner Leuchte aus der Finsternis her vorgeholt hatte. Der Körper versickerte mit seinen Umrissen in der Dunkelheit der Ladefläche. Ich schwenkte den Strahl noch einmal, sodass sein Licht auch über die beiden Augenspalten hinwegglitt, und bekam mit, wie die dunkle Füllung darin aufblitzte, als hätte man sie mit schimmerndem Puder bestäubt.
Mir wurde nicht eben besser zu Mute, denn zum ersten Mal zeig ten die Augen des Köpfers so etwas wie eine Reaktion. Wie ich sie einschätzen sollte, wusste ich nicht, aber ich konnte Zodiak selbst einschätzen, denn was er vorhatte, machte er mir in den folgenden Sekunden klar. Er blieb nicht mehr auf seinem Platz stehen, sondern setzte sich in Bewegung und kam auf mich zu. Er wollte raus! Was tun? Ihn lassen und einfach weiterfahren? Das wäre irgendwie fatal ge wesen, denn ihn allein durch London irren zu lassen konnte ich nicht verantworten. Ich dachte wieder an die Blutspur, die er möglicherweise hinter ließ. Wahrscheinlich würde er auch Menschen köpfen, und so etwas durfte ich nicht zulassen. Deshalb warnte ich ihn. Zunächst nur mit Worten. »Keinen Schritt weiter!« Er blieb tatsächlich stehen, wobei ich hoffte, dass er den Sinn mei ner Worte verstanden und sich nicht allein nach dem scharfen Ton gerichtet hatte. Die Hälfte der Ladefläche hatte er bereits hinter sich gebracht. Er hielt den Kopf leicht gesenkt, so konnte er von oben auf mich herab schauen. Eine bezeichnende Geste. Zodiak hatte einmal seinen Plan gefasst, und den wollte er auch durchführen. Als er wieder einen Schritt nach vorn machte, da sah ich meine Chance bereits sinken. Ich wollte an meine Beretta heran und jetzt alles auf eine Karte set zen. Er ließ mich nicht, er war schneller, vor allen Dingen sein ver dammtes Schwert, das wie ein Blitz auf mich zujagte. In dieser einen Sekunde, in der es passierte, lief ein ganzer Film vor meinen Augen ab. Ich sah mich in einer gewaltigen Blutlache liegen, die immer mehr Nachschub bekam, weil mich das Schwert
geköpft hatte. Den Schlag bekam ich mit. Hart wuchtete er gegen meinen Schä del. Blut sah ich nicht, dafür Sterne. Sie funkelten vor meinen Augen auf, als wäre eine halbe Galaxis in die Luft geflogen. Mich schwindelte, und ich merkte, wie ich im Zeitlupentempo zur Seite kippte, wobei ich allerdings noch nicht be wusstlos wurde, sondern mehr in einen Zustand der Lethargie hin einglitt, wo mir eigentlich alles egal sein konnte. Natürlich auch Zodiak, der sich erst recht nicht mehr aufhalten ließ. Ich kam mir vor wie ein Betrunkener, denn ich sah diese un heimliche Gestalt tatsächlich doppelt. Sie hob ihre Waffe an, nahm Maß dann schlug sie zu. Die Klinge dröhnte gegen das Blech der Hintertür, was gar nicht nötig gewesen wäre. Er hätte nur den Griff in eine waagerechte Stel lung zu drehen brauchen, darauf verzichtete Zodiak, denn er wollte es mit Gewalt versuchen. So kam er durch. Die Tür sprang auf. Ich kriegte es nicht richtig mit, weil ich noch immer halb benom men in der Ecke lag. Warmer Fahrtwind fauchte in den Wagen. Er vermischte sich mit dem Grau der Dämmerung, und ich glaubte noch, den Schatten des Köpfers zu sehen, dann war er weg. Und mein Bewusstsein verabschiedete sich ebenfalls …
* Etwas Kühles lag auf meinem Kopf und weckte mich wieder. Kalte Finger strichen an meinen Wangen entlang und fanden ihren Weg in Richtung Kinn und Hals.
Es waren keine Finger, sondern die Bahnen der kalten Wassertrop fen, und diese wiederum stammten von einem nassen Tuch, das auf meiner Stirn lag und wahrscheinlich eine Beule kühlte. Der Samari ter, der sich um mich kümmerte, war mir auch bekannt. Ich schaute hoch in das Gesicht meines Chefs Sir James, dessen Mund sich zu ei nem wissenden Lächeln verzogen hatte. »Oje«, stöhnte ich, »das war keine Meisterleistung.« »Sie sagen es, John. Dieser Zodiak ist Ihnen entwischt. Verständ lich, glaube ich.« »Danke, Sir.« Ich musste mich erst einmal ausruhen. Hinter meiner Stirn tobte ein Heer von Handwerkern, die allesamt meinen Kopf als Werkstatt ausgesucht hatten. Sir James hatte mich etwas schräg hingelegt. Erst als ich den Kopf leicht drehte, stellte ich fest, dass ich Teil eines Hangs oder einer Bö schung geworden war. Mein Hinterkopf lag auf dem Gras, das mir weich wie ein Teppich vorkam. »Warten Sie, ich hole frisches Wasser.« Er nahm den Lappen von meinem Kopf und rutschte den Hang hinab bis zu einem kleinen Graben. Er wurde von einem Bach durchflossen, dessen Wasser re lativ kühl war. Mit dem frisch genässten Lappen kehrte Sir James zurück und presste ihn wieder auf meine Stirn. Himmel, das tat gut … Die Dämmerung war ziemlich weit fortgeschritten, ohne aller dings von der Dunkelheit abgelöst worden zu sein. Noch zeigte der Himmel ein gewisses Grau, und ebenso grau war auch der Schatten, der von der Oberseite des Hangs auf mich nieder glitt und mich wie ein leichter Schleier überdeckt hatte. Dieser Kastenwagen warf den Schatten, und ich konnte sogar se hen, dass die hinteren Türen wie zwei große Engelsflügel weit offen
standen. Meine Lippen verzogen sich. Einige Tropfen leckte ich ab und fragte dann: »Wann haben Sie es gemerkt, Sir, dass sich Zodiak aus dem Staub gemacht hat?« »Sehr schnell. Praktisch Sekunden danach, denn ich sah in den bei den Außenspiegeln, dass die Türen nicht mehr geschlossen waren und ihre beiden Flügel hin- und herschwangen.« »Ja, den Weg hat er genommen.« »Und warum?« Ich wollte nicht mehr liegen bleiben wie ein kleines Kind und rich tete mich mit Sir James’ Hilfe in eine sitzende Haltung auf, die ich zum Glück auch beibehalten konnte. »Eine einfache Frage, auf die ich keine Antwort weiß.« Ich legte meine Hand auf den nassen Lap pen und drückte ihn fest. »Aber ich befürchte Schlimmes.« Sir James wollte Konkretes wissen. »Was?« »Einen Amoklauf!« Er schluckte. Mein Chef sah sowieso schon ramponiert aus, jetzt aber wirkte er wie jemand, der innerlich allmählich verfiel, was sich auch in seinem Gesicht widerspiegelte. Seine nächsten Worte be standen nur aus einem Flüstern, als er sagte: »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, John, tun Sie das nicht!« »Habe ich auch nicht vor, Sir. Ich bin da Realist. Ich habe ihn in der Zukunft erlebt. Wenn er irgendwelche Feinde vor sich, hat, wird er zum Tier.« »Wer sollte ihm feindlich gesonnen sein?« »Keine Ahnung, Sir. Ich kenne ihn überhaupt nicht. Ich weiß nicht einmal, wie er zum normalen Leben steht. Jedenfalls habe ich mir vorgenommen, mit allem zu rechnen.« Auch der Superintendent war ratlos. Bevor er sich setzte, warf er einen Blick in die Runde. Er streckte die Beine aus, nahm die Brille
ab, reinigte die Gläser so gut wie möglich und fragte dann: »Was können wir tun, John?« Ich gab zunächst einmal keine Antwort, weil ich über die reine Fragestellung nachdachte. Sir James hatte im Plural gesprochen, das ließ darauf schließen, dass er so leicht nicht aufgeben würde, doch sicherheitshalber fragte ich noch einmal nach. »Wir – Sir?« Er nickte. »Ja, wir.« Dann grinste er spitzbübisch. »Oder haben Sie daran gedacht, mich wegzuschicken?« »Überhaupt nicht, Sir.« Dieser Lüge folgte die Strafe auf den Fuß, besser gesagt, auf den Kopf, denn durch ihn zirkelte der Stich wie ein sich verästelnder Blitz. Er hatte meine Reaktion mitbekommen, nickte nur und gab mir Zeit, mich auf die neue Frage einzustellen. »Sie werden sich wun dern, John, aber ich habe einmal Blut geleckt. Ich bin jetzt bereit, weiterzumachen!« Er ballte die rechte Hand zur Faust. »Da bei kann ich nicht einmal sagen, was es genau ist. Plötzlich habe ich diesen Trieb gespürt. Es kam mir vor, als wäre irgendetwas mit mir gesche hen, als hätte ich es endlich geschafft, alte Hemmungen abzuschüt teln. Ich will dabei sein, wenn wir uns auf die Suche nach Zodiak be geben, und ich werde weder zurück in meinen Club fahren noch in meine Wohnung, klar?« Ja, es war klar. Ich saß im Gras und staunte meinen Chef mit offe nem Mund an. Eine derartige Handlungsweise hätte ich nie im Le ben von ihm erwartet. »Da sehen Sie mal, John, wie man sich in einem Menschen irren kann. Das passiert auch Ihnen, obgleich wir doch schon so lange zu sammenarbeiten.« »Stimmt Sir, ich hätte damit nie und nimmer gerechnet. Ich will Ih nen ja nichts, aber haben Sie sich nicht trotzdem ein wenig zu viel
vorgenommen?« Er deutete ein Kopfschütteln an. »Wie können Sie das überhaupt fragen, John? Wem ist Zodiak entwischt? Ihnen oder mir? Und wer hat sich gegen einen Blutsauger namens Mallmann durchgesetzt? Das bin ich gewesen, und wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann weiß ich auch, dass diese Aktionen bei mir der Durchbruch gewesen sind. Ich habe es geschafft, ich will in dieser Nacht nicht mehr zu rück in mein altes Leben. Ich will dem Kopfjäger des Spuks auf den Fersen bleiben.« »Ich auch, Sir.« »Dann ziehen wir es gemeinsam durch, einen anderen Vorschlag kann ich Ihnen nicht bieten.« Ich schwieg und hatte zudem Mühe, mich gedanklich zu konzen trieren, weil ich mit dem Verhalten meines Chefs einfach nicht zu rechtkam. Irgendetwas war da schief gelaufen. Er hatte sich tatsäch lich so radikal verändert, wie ich es selten bei einem Menschen er lebt hatte. Aber war er sich auch der Gefahr bewusst? Nichts gegen ihn als einen großen Strategen und Analytiker, doch hier kam es auch auf körperliche Kräfte an, denn für mich war Zodi ak nur im Kampf zu besiegen. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, John, wie es in Ihnen aussieht, aber glauben Sie mir, Sie werden sich auf mich ver lassen können. Zudem sind Sie auch nicht ganz fit, und vier Augen sehen mehr als zwei.« »Nichts dagegen einzuwenden, Sir. Nur würde mich interessieren, wo wir anfangen sollen zu suchen. Zodiak hat den Wagen verlassen, er ist verschwunden. Wir befinden uns noch immer am Stadtrand von London. Er kann in die City hineingelaufen sein oder …« Sir James schüttelte den Kopf. »Was sollte er dort? Meinen Sie wirklich, dass er durch London läuft und mit seinem verdammten
Schwert wahllos zuschlägt?« »Das hoffe ich nicht. Auf der anderen Seite frage ich mich aber, wo er sonst stecken könnte.« »Nicht weit von hier entfernt.« Das war mir neu. Ich starrte meinen Chef an und schüttelte leicht den Kopf. »Ja, John, davon bin ich überzeugt.« »Was macht Sie denn so sicher?« »Das Gefühl.« »Da komme ich nicht mit.« »Sehen wir es mal anders. Angenommen, er sucht ein Versteck. Das kann er doch hier besser finden als in London, wo er immer auf fallen würde.« »Da haben Sie Recht.« »Deshalb glaube ich, dass er sich hier irgendwo verborgen hält.« »Und wie lange?« »Keine Ahnung, John. Möglicherweise wartet er darauf, dass ihn der Spuk wieder zurückholt.« »In die Zukunft?« »Wäre das so unmöglich?« »Ohne den Zaubermantel schon.« Sir James zog ein Resümee. »Einigen wir uns doch darauf, dass wir hier nach ihm suchen. Wenn wir ihn hier nicht finden, können wir noch immer die zuständigen Stellen in London alarmieren. Wir sind zu zweit, und wir werden auch zu zweit bleiben. Suko und Jane sollten wir vorerst aus dem Spiel lassen.« Mir lag einiges auf der Zunge, doch ich schluckte es hinunter. Da bei dachte ich daran, ob Sir James vielleicht größenwahnsinnig ge
worden war, auf mich machte er in diesen Minuten einen aufge peitschten Eindruck und fragte zudem noch mit scheinheilig klin gender Stimme: »Fühlen Sie sich etwa nicht gut, John? Wenn es das ist, ich kann Sie auch später hier abholen, wenn alles vorbei ist.« Ich verdrehte die Augen. »Sir, ich fühle mich munter wie ein Fisch im Wasser.« »Aber doch eher wie einer in der Themse.« »So ungefähr«, erwiderte ich stöhnend und nahm seine Hand, die er mir entgegenstreckte. Von meinem Chef ließ ich mir auf die Beine helfen, er stützte mich auch ab, was gut war, denn der Kopftreffer hatte meinen Gleichgewichtssinn ein wenig lädiert. »Ich werde wieder den Wagen fahren, denn ich habe mich schon an ihn gewöhnen können.« »Ist mir auch recht, Sir«, stöhnte ich, »aber tun Sie mir einen Gefal len, bitte.« »Welchen?« »Nehmen Sie das hier.« Ich zog meine Beretta und reichte sie ihm. Die Waffe lag auf meiner Handfläche, und mein Chef schaute sie skeptisch an. »Warum sollte ich das?« »Man kann ja nie wissen.« »Würde sie den Kopfjäger vernichten können? Reichen da geweih te Silberkugeln aus?« »Keine Ahnung, vielleicht bringen sie ihn aus dem Rhythmus, falls etwas passiert.« Sir James hatte einen weiteren Einwand. »Gegen Mallmann haben sie nicht ausgereicht.« »Er besitzt auch den Blutstein.« »Stimmt.« Sir James nahm die Beretta zögernd an sich. »Gut, ich werde Sie einstecken. Bevor Sie jetzt anfangen und mir Schießunter
richt geben wollen, ich kann es schon, John. Ich weiß, wie man mit einer Pistole umgeht.« »Sir, ich hätte auch nichts anderes von Ihnen erwartet.« »Danke.« Wir mussten den Hang hoch, um den Wagen zu erreichen. Ich hat te dabei so meine Schwierigkeiten, denn jedes Aufsetzen des Fußes hinterließ in meinem Schädel Stiche, über die ich keineswegs begeis tert war. Sir James hingegen schien nichts mehr in seinem rechten Fuß zu spüren, mit dem er beim Sprung von der Ladefläche umge knickt war. Als wir den Wagen erreichten, war ich noch stärker in Schweiß ge badet. Ich musste mich an den Aufbau lehnen und zunächst eine kleine Pause einlegen. Müde wischte ich über mein Gesicht. Dann erst schaute ich mich um. Es war nicht viel zu sehen, denn die Däm merung war übergegangen in das Dunkel der Nacht. Abgekühlt hatte es sich kaum. Wie ein Tonnengewicht lastete die Schwüle nach wie vor über dem Land. Ich hielt Ausschau nach ir gendwelchen Lichtern, denn in der Umgebung mussten sich einfach Dörfer und kleinere Vororte befinden. Die Nacht war nicht lichtlos. Irgendwo schimmerten die hellen Flecken schon durch, aber sie alle waren sehr weit entfernt. Ich woll te von meinem Chef wissen, ob er herausgefunden hatte, wo wir uns ungefähr befanden. »Ja, das habe ich. Noch immer ziemlich weit südlich. In der Nähe liegt Wimbledon.« Ach ja, Englands Tennis-Mekka. In gut zwei Wochen würde der Zirkus wieder beginnen. Mir war auch bekannt, dass um die Anlage herum einige Hotels lagen, die Gäste des Turniers aufnahmen und auch Spieler, damit sie möglichst kurze Wege zu den Spielfeldern hatten.
Waren die Hotels Verstecke für den Köpfer? Es konnte sein, musste aber nicht, und ich wünschte es mir auch nicht, denn wenn Zodiak mit unschuldigen Menschen in Berührung kam, konnte ich für nichts garantieren. In der Schwüle fühlte ich mich wie jemand, der festklebte und sich bei jedem Schritt nur schwerfällig lösen konnte. Es war zudem eine ungewöhnliche Nacht. So seltsam still, gefährlich ruhig. Da auch kein Wind wehte, schien sie den Atem anzuhalten, um ihn erst dann wieder auszustoßen, wenn etwas passiert war. Zum Glück ereignete sich nichts. Sir James steckte die Beretta seit lich in den Gürtel, und ich machte ihn darauf aufmerksam, dass ich schon zweimal geschossen hatte. »Damit werde ich leben können«, erklärte er. Wie ein junger Mann schwang er sich in den Wagen. Hätte ich nicht die Schmerzen in meinem Kopf gespürt, so hätte ich ihn mehrmals geschüttelt, denn was ich hier mitbekam, das war einfach unbegreiflich. Ich kletterte ebenfalls in den Wagen und klemmte mich auf den Beifahrersitz. Zuvor hatte ich die hintere Tür geschlossen. Sir James lächelte mir zu, als ich mit einer müden Bewegung über mein Haar strich. »Können wir, John? Fühlen Sie sich gut genug?« »Sie sind der Boss, Sir.« Er nickte, lächelte und startete. Ich konnte mich nur wundern. So gut drauf hatte ich ihn in den letzten Jahren noch nicht erlebt. Sir Ja mes schien einen dritten oder vierten Frühling zu erleben. Fehlte nur noch, dass er scharf auf junge Mädchen war. Aber man soll ja nichts übertreiben …
*
Wir rollten in die Nacht hinein. Ich kam mir dabei vor, als säße ich gar nicht im Führerhaus, sondern nur mein Geist, wobei mein wah res Ich irgendwo über ihm schwebte. Es konnte auch an den Kopfschmerzen liegen oder an der Situati on, die meiner Ansicht nach auf den Kopf gestellt war. Das war mir noch nie widerfahren. Ich hockte neben Sir James, meinem Chef, der den Wagen lenkte. Normalerweise wäre es umgekehrt gewesen, aber hier war er derjenige, der den Ton abgab. Es waren noch zwei Stunden bis zur Tageswende. Ich konnte mir vorstellen, wie es jetzt in den Londoner Vergnügungsbezirken aus sah. Da spielte sich jetzt die Open Night ab. Da waren die Lokale voll, da wurde durchgemacht bis in den Morgen, doch in dieser Ge gend, durch die wir rollten, war tote Hose angesagt. Verdammt zur Stille, zum Schweigen. Nicht einmal Gegenverkehr hatten wir bisher bekommen. Ich folgte mit meinen Blicken dem hel len Scheinwerferteppich, und der Untergrund kam mir geisterhaft bleich vor, als wären aus seiner Tiefe die unheimlichen Erdgespens ter gestiegen, um alles in ihrer Nähe zu umarmen. Irgendwo hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich an meine Freunde dachte. Jane, Sarah und Suko mussten sich einfach im Stich gelassen fühlen. Des Öfteren schielte ich auf das tragbare Telefon, das zwischen uns auf dem Sitz lag. Immer öfter geriet ich in Versu chung, bei Lady Sarah anzurufen, aber Sir James, der meine Blicke mitbekommen hatte, lächelte nur, schüttelte den Kopf und sagte: »Lassen Sie nur, John, es ist bestimmt besser.« In mir kochte es plötzlich. Verdammt, woher wollte er denn so ge nau wissen, dass es besser war? Darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Eine derartige Selbstgefälligkeit hatte ich bei ihm noch nie erlebt. Das musste einen Grund haben.
Wusste Sir James mehr? Hatte er irgendetwas in Erfahrung brin gen können, und war er mir deshalb voraus? Ich schielte ihn von der Seite her an und sah auf seinen Lippen tat sächlich so etwas wie ein dünnes, möglicherweise auch wissendes Lächeln. Meine Gedanken drehten sich natürlich auch um Assunga und Will Mallmann. Wohin mochten sie sich zurückgezogen haben? As sunga hatte den Mantel wieder zurückbekommen. Mir war es un möglich gewesen, mich gegen diese Kraft zu wehren, und ich muss te einfach davon ausgehen, dass ich ihn so leicht nicht mehr in die Hände bekommen würde. Das war unmöglich. Ab jetzt würde sie ihn hüten wie ihre Augäpfel. Das Pfeifen meines Chefs unterbrach meine Überlegungen. Wie derum konnte ich mich nur wundern, denn so etwas hatte ich bei ihm auch noch nicht erlebt. Er hatte eine Laune, die schon als unver schämt gut anzusehen war, und ich schlug mich mit dem verdamm ten Druck in meinem Kopf herum. Diesmal waren die Gaben ungerecht verteilt. Pfeifen und sich freu en. Das konnte nur jemand, der einen gewissen Fischzug gelandet hatte, was bei Sir James der Fall zu sein schien. Oder freute er sich deshalb so sehr, weil er Mallmann entwischt war? Konnte auch sein. Erfuhr jetzt gut und sicher. Ich enthielt mich eines Kommentars und lehnte mich nur zurück, wobei ich mit dem Kopf vorsichtig die Nackenstütze berührte. Nur nicht zu viel Druck bekommen, denn dann würde einiges explodieren. Die Gegend änderte sich kaum. Der Weg blieb gleich breit oder gleich schmal. Nach wie vor tanzten unzählige Insekten im Schein der Lampen, und einige von ihnen zerklatschten mit satten Ge räuschen an der breiten Frontscheibe. Eine Kreuzung kam in Sicht.
Ich nahm es kaum wahr, war viel zu sehr mit mir selber beschäf tigt. Nie hätte ich gedacht, dass ich in der Lage war, derartige Men gen von Schweiß zu produzieren. Ich atmete tief durch. Sir James hielt an. »Haben Sie was, John?« »Nein, Sir, überhaupt nicht. Mir geht es ausgezeichnet. Ich bin irre gut drauf.« Er lächelte. »Wie nett, mein Lieber. Das ist ja wunderbar.« Ich zwinkerte. Mir lagen zahlreiche Bemerkungen auf der Zunge, die aber schluckte ich hinunter. Wie sehr hatte sich mein Chef verän dert. Und das innerhalb kürzester Zeit. Ein Wahnsinn war das, einfach unerklärlich, aber ich nahm es hin. Der Motor tuckerte ziemlich laut. Irgendetwas war mit dem Fahr zeug nicht in Ordnung, und ich wunderte mich, wie lange wir schon hier an der Kreuzung stoppten. Ich kurbelte die linke Scheibe weiter nach unten. Würzige, aber auch eine leicht feuchte Luft strömte in den Wagen. »Jetzt wissen Sie nicht, wie es weitergeht, Sir?« Der Superintendent schob seine Brille in die richtige Lage. »Wissen Sie es denn?« »Nein.« »Aber ich.« Da staunte ich. »Woher denn?« Er lächelte hintergründig und sagte: »Lassen Sie sich mal überra schen, John. Wir fahren nach rechts. Ich bin sicher, dass wir an ein Ziel gelangen.« Ein Ziel sah ich nicht, dafür einen Wegweiser, dessen Spitze zum Tennis-Mekka hinzeigte. Wenn wir nach rechts fuhren, dann also in Richtung Wimbledon. »Sir, ich bin hier nur ein Statist mit Kopfschmerzen. Tun Sie, was
Sie für richtig halten. Vielleicht finden wir unterwegs ja unseren Freund Zodiak.« »Möglich ist alles«, antwortete er orakelhaft. »Ja, Sir«, flüsterte ich ergeben und verdrehte die Augen. Sir James startete wieder. Sehr bald schon beschrieb der Weg eine Rechtskurve, und an der rechten Seite erschien auch ein dunkles Waldstück. Dahinter schimmerte Licht. Nicht nur eine einzelne Lampe, sondern eine regelrechte Lichterkette. In der Dunkelheit wirkte sie wie eine Insel der Hoffnung. »Wollen Sie etwa dorthin, wo das Licht schimmert?«, fragte ich meinen Chef. »Ja.« »Was finden wir dort vor?« »Ein kleines Hotel. Ich kenne es. Es ist sehr nett, gepflegt, im Land hausstil. Es sind sogar Tennisplätze in der Nähe, wo die Cracks un gestört trainieren können. Sie werden sich sicher wohl fühlen, wenn wir dort die Nacht verbringen.« Hätte ich auf einem Hochsitz gesessen, wäre ich bestimmt vom Hocker gefallen. So aber blieb ich sitzen, bekam große Augen und schüttelte nur den Kopf. Zwei Laternen standen dort, wo die Zufahrt zum Hotel vom nor malen Weg abbog. Linker Hand schimmerte eine dunkle Wasserflä che. Rechts lagen die Tennisplätze hinter den Bäumen, beleuchtet von einigen wenigen Lampen. Der Weg drehte sich um einen Parkplatz herum, auf dem relativ viele Wagen standen. Wir hatten ihn kaum passiert, als ich die Stim men hörte. Ihr Klang drang durch das offene Seitenfenster bis in un seren Wagen hinein. Ich schwieg, denn ich war der Überzeugung, dass der gute Sir James noch weitere Überraschungen parat hatte.
Wir fuhren bis vor den Eingang. Die breite Glastür war beleuchtet. Sie wurde an den Seiten von zwei mächtigen Pfosten gestützt, die aussahen wie kräftige Beine. Sir James stoppte. Er schaute mich an und lächelte wieder. »So, da wären wir.« Ich war noch immer etwas unsicher und fragte nach. »Hier sollen wir tatsächlich die folgende Nacht verbringen?« »Ja.« »Sind denn noch Zimmer frei?« »Natürlich.« Er hatte es so selbstverständlich gesagt, als wären schon welche re serviert worden. Als wollte er mir auf seine Art und Weise eine Ant wort geben, nahm er das tragbare Telefon hoch und öffnete die Tür. Er stieg aus. Ich blieb noch für einen Moment sitzen, auch weiterhin unfähig, alles zu fassen. Die Stimmen waren auch jetzt noch zu hören, nur sah ich vor dem Gebäude keinen Menschen. Ich kletterte aus dem Wagen. Steifbeinig, auch jetzt noch von leich ten Kopfschmerzen gepeinigt. Sir James sprach bereits mit einem Be diensteten, der ein Hemd mit kurzen Ärmeln trug und vor seinem Bauch eine lange Schürze. Der Mann bekam den Wagenschlüssel und Trinkgeld und sollte den Wagen wegstellen. »Kommen Sie, John, kommen Sie …« Es wurde immer rätselhafter. Ich enthielt mich eines Kommentars. Die Glastür schwang vor uns auf. Wir betraten eine herrlich kühle Halle, in der alles so sauber war. Ich kam mir in meinem Aufzug di rekt wie ein Schmierfink vor. Ein heller Steinboden, wuchtige Möbel in der Lobby, ein rustikaler Hoteltresen, hinter der die Rezeption lag. Eine junge Frau schaute
uns lächelnd entgegen und nahm auch keinen Anstoß an unserer Aufmachung, wobei Sir James noch seine Pistole im Gürtel stecken hatte. »Sie sind Sir James Powell und John Sinclair?«, wurden wir ge fragt. »In der Tat.« Ich stand da und begriff die Welt nicht mehr. Wir waren sogar er wartet worden. Nein, das konnte alles kein Zufall sein, das hatte mein Chef organisiert. Er füllte das Anmeldeformular aus, wir erhielten die Zimmer schlüssel ausgehändigt. »Die Zimmer befinden sich in der ersten Etage und liegen nebeneinander.« »Danke sehr«, sagte Sir James. Er ging vor, und ich schritt hinter ihm her wie ein Schlafwandler. So etwas war mir noch nie passiert. In diesem Spiel war ich nicht mehr als ein Statist. Es gab sogar einen Lift, und den nahmen wir auch. Schweigend stieg ich ein. Sir James hatte bereits auf den entsprechenden Knopf gedrückt. Als er sah, dass ich eine Frage stellen wollte, winkte er schon im Voraus ab. »Moment noch, John, keine Fragen jetzt. Halten Sie sich bitte zurück.« Ich verdrehte die Augen. »Sir, das mache ich gern, aber ich darf doch davon ausgehen, dass dies hier alles kein Zufall ist – oder?« »Da haben Sie Recht.« »Was wird also …?« »Später.« Wir mussten auch aussteigen. Der Flur war breit. In kleinen Ni schen standen auf eisernen Tischen große Vasen, aus denen Som merblumen hervorschauten. Unsere Zimmer lagen ziemlich weit hinten. Wie zwei einsame
Wanderer gingen wir durch den leeren Flur. Mit einer lässigen Be wegung warf mir Sir James den richtigen Schlüssel zu und sprach davon, dass wir uns in einer halben Stunde in der Halle treffen soll ten. »Bis dahin können wir ja beide geduscht haben.« »Das denke ich auch.« »Dann bis später.« Er verschwand und ließ mich noch mehr als perplex zurück. Schließlich hob ich die Schultern und schloss meine Zimmertür auf. Der Service war hervorragend, denn neben dem Bett brannte eine Lampe, die ihren sanften Schein über die Möbel streute. Ich drückte die Tür zu. Das Bad lag an der Stirnseite des geräumi gen Doppelzimmers. Dorthin führte mich mein Weg nicht. Ich ging auf das Fenster zu, das zur Rückseite hin lag. Ich hatte mich an die Stimme erinnert, die ich von dort gehört hatte. Ich zog es auf, blickte nach unten, schaute auch in das Licht hinein – und glaubte plötzlich, einen Tiefschlag bekommen zu haben. Ein Hotelgarten. Tische, Stühle, Bänke, Lampions, Getränke und Speisen, das war alles normal. Nur nicht die Gäste. Es waren Monster, Fabelwesen und andere schreckliche Gestalten! Beim ersten Hinsehen kam es mir vor, als hätte mir die Fantasie einen Streich gespielt. Oder war ich durch den Treffer mit der fla chen Schwertklinge verrückt geworden? Gaukelte mir die Fantasie Bilder vor, die tatsächlich nicht existierten? Nein, das war es nicht. All die Szenen spielten sich tatsächlich un ten im Garten ab. Da hatte auch niemand eine große Leinwand auf gebaut, über deren Fläche der Film lief. Diese Gestalten hatten sich dort unten versammelt, bevölkerten den Garten und waren echt, auch wenn ich es noch immer nicht glauben konnte. Eine Gartenparty war das nicht. Eher ein Maskenball, aber ein Maskenball der Monster, denn normal aussehende und gekleidete
Menschen bekam ich so gut wie nicht zu Gesicht. Was da auf seinen zwei Beinen umherstolzierte, hatte sich verkleidet und sich dabei die unmöglichsten und außergewöhnlichsten Kostüme ausgesucht. Da sah ich menschengroße Vögel ebenso herumstolzieren wie wil de Werwölfe, schwer bewaffnete Krieger und halb nackte, gut ge wachsene, junge Frauen. Es wurde getrunken, gesprochen, gelacht und auch getanzt. Ir gendjemand hatte ein altertümliches Musikinstrument angeschla gen. Einige Frauen bewegten sich in diesem Takt, klatschten in die Hände und holten sich die Männer zum Tanz. Keiner von ihnen sah normal aus. Eine unheimliche Gestalt fiel mir besonders auf. Sie trug einen lan gen, dunklen Umhang und eine feuerrote Maske vor dem Gesicht, die auch weit über den Kopf hinwegragte. Die Maske sah aus, als wären Flammen erstarrt, und dieser Mann holte sich eine mit klei nen Fellen bekleidete Frau, um mit ihr einen erotischen Tanz aufzu führen. Was die beiden da zeigten, wie sie sich bewegten und dabei stöhnten, das war schon leicht jugendgefährdend. Ich wusste nicht, wie lange ich vor dem Fenster gestanden und be obachtet hatte. Trotz der summenden Kopfschmerzen wollte sich ein Gedanke nicht vertreiben lassen. In dieser Gruppe fielen Dracula II, Assunga und auch der Kopfjä ger des Spuks nicht auf. An ihn dachte ich besonders. Gab es überhaupt ein besseres Ver steck für diese Gestalt? Wohl kaum, und ich ahnte, dass auch ich mich unter die Personen würde mischen müssen. Das in meinem Aufzug! Ich würde auffallen, und Sir James eben falls. Jetzt fiel er mir wieder ein. Ich war ja nicht allein gekommen, und ich konnte einfach davon ausgehen, dass mein Chef nicht so überrascht am Fenster stehen und nach unten schauen würde. Ich
hatte einfach das Gefühl, dass er über dieses Fest informiert war. Bisher hatte ich keine Gewalt und auch nicht den Hang dazu ent decken können. Diese nächtliche Feier im Hotelgarten lief friedlich ab. Ich dachte daran, wie verschwitzt ich war und dass ich mich mit der Dusche nun beeilen musste. Das Bad war ziemlich geräumig. Es lag alles bereit, und ich braus te mich erst einmal ab. Es tat unwahrscheinlich gut, selbst die Kopf schmerzen verschwanden, aber meine Gedanken konnten die Strah len nicht wegspülen. Sie drehten sich einzig und allein um die Feier und natürlich um den Kopfjäger Zodiak. War dieser Garten ein ideales Terrain für ihn? Welch eine Rolle spielte Sir James? Der hatte mich so zielsicher hergeführt, wo wir na mentlich erwartet worden waren, dass einfach alles vorbereitet ge wesen sein musste. Leider fehlte mir zur absoluten Zufriedenheit Er satzkleidung. Ich reinigte die alte so gut wie möglich und streifte sie wieder über. Trotzdem fühlte ich mich besser. Dann verließ ich das Zimmer. Im Gang begegnete mir niemand. Durch ein offenes Fenster wehte die Musik aus dem Garten hoch. Es waren diesmal Flötenklänge. Fast hörten sie sich an, als würde der rote Ryan spielen, aber Aibon war hier wohl nicht vertreten, obwohl man nichts ausschließen konnte. Ich ging die breite Steintreppe hinab und, als ich einen ersten Blick in die Halle werfen konnte, da sah ich Sir James bereits, der auf mich wartete. Er saß in der Nähe eines Blumenkübels, hatte einen Kaffee vor sich stehen und genoss ihn in kleinen Schlucken. Ich hatte mich um drei Minuten verspätet. Er schaute auf, als ich dicht vor ihm stehen blieb. Dann nickte er
mir zu. »Setzen Sie sich doch. Auch einen Kaffee?« »Ja, den habe ich jetzt nötig.« Sir James schaute mich von der Seite her an und winkte einen Kell ner herbei, bei dem er die Bestellung aufgab. Danach erkundigte er sich, ob mir das Hotel gefiele. »Sehr nett.« »Finde ich auch, John. Es liegt so wunderbar einsam. Man ist unter sich, man hört keinen Lärm, und bald wird es hier wieder von Ten niscracks wimmeln.« »Kann sein.« Ich bekam meinen Kaffee. Er war aus der Maschine gezischt. Ich nahm etwas Zucker, rührte um und schaute gedankenverloren auf die Oberfläche der braunen Flüssigkeit. »Es kommt mir ja alles sehr seltsam vor, wie Sie sich bestimmt denken können. Ich war in mei nem Zimmer und schaute aus dem Fenster in den Garten. Dort sah ich dann ein Schauspiel, das ich mir nicht so recht erklären kann. Was ist hier los?« Nach dieser Frage trank ich den Kaffe und war mit ihm zufrieden. Sir James hob die Schultern. »Tja, was ist hier los? Ein Nachtfest, wenn Sie so wollen.« »Aber Karneval ist vorbei.« Sir James lächelte. »Da kann ich Ihnen nicht widersprechen, John. Sie würden die Gäste auch beleidigen, wenn Sie diese als Karneva listen ansprechen. Das hat damit überhaupt nichts zu tun, auch wenn sie sich verkleidet haben. Es sind andere Menschen, keine Au ßenseiter der Gesellschaft, obwohl sie ein sehr ungewöhnliches Hob by pflegen. Sie sind Rollenspieler und Fantasy-Freaks.« Ich nickte langsam. »Dahin läuft der Hase.« »Ja, und nicht anders.«
»Das haben Sie gewusst, Sir?« »Sicher.« »Aber Sie haben mir nichts gesagt.« Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich wollte Sie nicht verunsi chern, John. Aber glauben Sie mir, diese Menschen sind harmlos. Sie haben Spaß an ihrem Hobby und feiern ein Sommernachtsfest, das ist alles, und das ist auch normal.« »Mag sein, Sir. Mir kommt es nach dem, was ich erlebt habe, je denfalls nicht normal vor. Und gestatten Sie mir, dass ich Ihnen nicht so recht glaube.« Sir James blickte mich verwundert über den Rand seiner Kaffeetas se an. »Warum denn nicht?« »Es ist kein Zufall, Sir. Sie sind sehr zielstrebig hergekommen. Ich glaube, Sie haben alles vorbereitet. Organisieren ist ja Ihre Stärke, Sir.« Er schaute zu Boden, als wollte er die Quadrate der Steine zählen. »So, meinen Sie das?« »Ja, das meine ich. Und ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Wo könnte sich eine Person wie dieser Zodiak besser versteckt hal ten als in dieser Gruppe? Selbst bei seinem Aussehen würde der dort nicht auffallen.« »Könnte stimmen.« Ich ärgerte mich über Sir James. Er wusste mehr, als er zugab, ließ mich mit seinen Antworten aber in der Schwebe, obwohl er so rede te, dass ich misstrauisch werden musste. Ich sprach meinen Ver dacht glatt heraus. »Sie wussten also Bescheid.« »Ja.« »Schön. Und woher?« »Es ist ganz einfach gewesen, John. Ich habe nur nachgedacht.« Be
vor er die Einzelheiten anging, trank er einen Schluck Kaffee. Er setzte die Tasse ab und lächelte. »Ich wusste, dass hier ein Fest statt findet. Fragen Sie mich nicht, woher ich das wusste, jedenfalls war ich informiert.« Er korrigierte sich selbst. »Wahrscheinlich habe ich es in einer Zeitung gelesen, mir fiel die Werbung auf, und ich rea gierte dementsprechend, das heißt, ich behielt den Ort und das Da tum. Außerdem habe ich in diesem Hotel schon selbst einmal ge wohnt und kenne die Umgebung demnach aus eigener Erfahrung. Wimbledon hat mich ebenfalls schon als Gast gesehen. Das als Vor geschichte. Als sie für einen Moment, der eigentlich relativ lange dauerte, weggetreten waren, da kam mir die Idee. Ich konnte diesen Zodiak nicht aufhalten, das war unmöglich, das überstieg meine Kräfte, aber ich dachte mir, dass er ebenfalls einen Weg suchen wür de, um sich zu verstecken. Er muss sich zunächst in dieser Welt zu rechtfinden, er ist derjenige, der aus der Zukunft gekommen ist, und in diesem Club von Fantasy-Fans wird er kaum auffallen.« »Das dachte ich auch.« »Eben.« Ich musste lachen. »Gut gedacht, Sir. Wie ich Sie kenne, sollen wir uns also unter die Gäste mischen.« »Dagegen hätte ich nichts einzuwenden.« »Und das in unserer Kleidung? Wir würden auffallen wie der be rühmte Eskimo im Urwald.« »Stimmt. Deshalb mein Vorschlag. Vielleicht könnten wir uns ein Kostüm oder eine Verkleidung besorgen.« Ich runzelte die Stirn. »Darf ich fragen, wo das geschehen soll? Wollen Sie einer anderen Person die Klamotten ausziehen und sich selbst überstreifen?« »Nein, nein, das nicht. Ich hatte mich bereits bei der Hotelleitung erkundigt. Man wird versuchen, ob man etwas für uns tun kann.
Wenn’s klappt, umso besser.« »Meine ich auch.« Überzeugt war ich von meiner Antwort nicht. Ehrlich gesagt, ich wollte mich auch nicht verkleiden, ich kam mir darin lächerlich vor. Sir James erging es wohl kaum anders. Ich wunderte mich darüber, wie er sich überhaupt zu einem derartigen Vorschlag hatte hinreißen lassen können. Der Kaffee hatte mir gut getan. Sogar die Kopfschmerzen hatte er fast vollständig vertrieben. Von der Rezeption her näherte sich die junge Frau. Sie trug eine rote Bluse und einen schwarzen Rock. Ihr Lächeln verschwand und machte einem Bedauern Platz, als Sie ne ben uns stehen blieb und erklärte, dass es ihr leider nicht möglich gewesen war, noch zwei Kostüme aufzutreiben. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Sir James möglicherweise auch, aber das zeigte er nicht so. Er nickte nur, wobei sein Gesicht unbe wegt blieb. »Ja, schon gut, dennoch vielen Dank.« Die Frau mit den glatt nach hinten gekämmten Haaren, die in einen Pferdeschwanz ausliefen, erkundigte sich, ob sie noch etwas für uns tun könnte. »Im Moment nicht, danke.« Ich hatte eine Frage. »Dieses Fest findet sicherlich nicht zum ersten Mal statt. Können Sie aus Ihrer Erfahrung sagen, wie lange es mögli cherweise dauert?« »Bis in den Morgen hinein.« »Das heißt, bis es hell wird.« Sie lächelte und nickte dabei. »So ungefähr. Es wird nicht mehr lange dauern, da findet dann die große Aufführung statt. Immer um Mitternacht und immer in der Mitte des Monats Juni.« »Welche Aufführung?« »Das Monster-Spiel.«
Ich schaute Sir James an, weil ich mit der Antwort nicht zurechtge kommen war. Mein Chef hob nur die Schultern. Auch er wusste an geblich nicht Bescheid. Die junge Frau lachte. »Ich denke, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig, Gentlemen.« »Nun ja, ich würde darum bitten.« »Zunächst einmal muss ich betonen, dass sich der Begriff schlim mer anhört, als er tatsächlich ist. Das Monster-Spiel kann man im Prinzip als ganz harmlos ansehen. Es ist der große Kampf der Wel ten. Die Guten gegen die Bösen.« »Aber nicht nur auf dem Spielbrett?« »Nein, das nicht, Mr. Sinclair. Dieser große Garten hinter dem Haus wird als Bühne genommen. Es ist sogar eine kleine Treppe aufgebaut worden. Wenn Sie wünschen, kann ich Sie hinführen und Ihnen alles zeigen. Noch ist ja etwas Zeit.« »Danke, sehr freundlich, aber das schauen wir schon selbst an, wie ich denke.« »Bitte sehr, wie Sie wollen.« Sie räusperte sich. »Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann …« »Im Moment nicht«, sagte Sir James lächelnd. Er hatte seine Tasse geleert. Dann nickte er mir zu. »Wie ist es, John? Fühlen Sie sich in der Lage, mal einen Blick in den Garten zu werfen?« »Wieso nicht?« »Ich dachte da an Ihre Kopfschmerzen.« »Die lassen sich aushalten.« Während der Antwort hatte ich beide Hände auf die Holzlehnen gelegt und stemmte mich hoch. Aushal ten ließen sie sich zwar, aber ein leichter Schwindel war einfach nicht wegzukriegen. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, den Mittelpunkt eines Kreisels zu bilden, aber das ging vorbei.
Auch Sir James hatte sich erhoben. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Dann wollen wir uns das Monster-Spiel mal aus der Nähe anschauen, John.« »Hoffentlich bleibt es bei einem Spiel.« »Wieso nicht?« Ich winkte ab. »Wenn sich der Kopfjäger des Spuks zwischen die Gäste mischt, könnte aus dem Spiel sehr leicht Ernst werden, so denke ich, Sir.« Mein Chef räusperte sich. »Diese Befürchtung habe ich, wenn ich ehrlich sein will, auch …«
* Sie waren da, sie waren fern. Sie glitten durch den Lichtschein wie gespenstische Gestalten. Sie hatten oft keinen Blick für ihre nähere Umgebung oder für den Nachbarn, sie waren einzig und allein mit sich selbst beschäftigt und ihrer inneren Einstellung zu den Dingen, die bald ihren Höhepunkt finden würde. Das Monster-Spiel! Der Name war treffend, wie ich fand, denn unter den Gästen gab es keinen Normalen. Alle – ob Frau oder Mann – trugen eine Ver kleidung. Mal mit Maske, mal ohne. Sie waren Gestalten aus fernen Welten, die sich nur auf die Erde verirrt zu haben schienen. Sie waren nicht betrunken, aber manche machten auf mich den Eindruck, als hätten sie Drogen genommen. Das konnte zu negativ gedacht sein, wahrscheinlich waren sie gedanklich schon zu sehr mit der nahen Zukunft beschäftigt, denn nur einmal im Jahr lief das Monster-Spiel über die Bühne. Und auf dem Weg zur Bühne waren wir.
Sir James und ich hatten einen leichten Bogen geschlagen, da wir nicht schon zu früh entdeckt werden wollten. Das hatte später noch Zeit, am besten, wenn das Spiel lief. Noch erlebten wir die Ruhe vor dem Sturm. Neben einem Geträn kestand blieben wir stehen. Hier gab es alles, was das Herz begehr te. Natürlich Bier, aber auch Säfte und Spezialdrinks, die erst aus verschiedenen Zutaten zusammengemixt wurden. Viele waren rot. Dann sahen die Gläser aus, als wären sie mit Blut gefüllt worden. Über der Getränkebar, die von zwei Hotelangestellten bedient wurde, schaukelten Lichtgirlanden mit bunten Glühbirnen. Sie ga ben den Gesichtern der beiden jungen Männer einen fahlen, wenn auch farbigen Glanz. Wir wurden von einem angesprochen, und es war Sir James, der zwei Spezial-Drinks für uns bestellte, die auch ohne Alkohol erfrischten. Man drückte uns die hohen Gläser in die Hände, und mit ihnen marschierten wir weiter, denn wir wollten irgendwelchen Fragen möglichst entgehen. Der Drink schmeckte zwar etwas bitter, aber nicht unübel. Mein Gaumen zog sich nach dem ersten Schluck leicht zusammen, nach dem dritten hatte er sich daran gewöhnt. Die Bühne war im Hintergrund des Gartens aufgebaut worden. In ihrer Nähe war es relativ ruhig. Beim ersten Hinsehen entdeckten wir niemanden, der uns hätte stören können. Dunkel lag der Himmel über uns. Noch immer war er wolkenver hangen, sodass wir vergeblich nach dem Licht funkelnder Sterne Ausschau hielten. Nach wie vor hielt sich der Wind zurück. Wir be wegten uns durch eine schwüle, sattfeuchte Luft, und die Füße ver sanken dabei im weichen Gras, das wie ein Teppich wirkte. Natürlich konnten wir keine große Bühne erwarten. Einen einfa chen Aufbau aus Stein hatten die Fans errichtet. Zur Bühne selbst
führte eine Steintreppe hoch. Da waren große Platten kurzerhand übereinander gelegt worden. Vor der Bühne standen Stühle in mehreren Reihen und immer ver setzt zueinander, damit jeder Zuschauer in seiner Sicht so wenig wie möglich eingeschränkt wurde. Auf der Bühne selbst tat sich nichts. Es gab keinen Akteur, der sie jetzt schon betreten hätte, und wir sa hen auch keinen Vorhang, dafür eine rechteckige Plattform, die hin ter der Steintreppe begann und durch Balken abgestützt wurde. Am Rand blieben wir stehen. Sir James deutete auf die Bühne. »Hier wird ihr Spiel ablaufen.« »Sicher. Aber was geschieht dann?« Er lächelte. »Ich hoffe, dass sich unser Freund hier blicken lässt und mitmischt.« »Meinen Sie?« »Er würde hier nicht auffallen.« »Vorausgesetzt der Spuk hat ihn noch nicht wieder in seine Welt geholt. In die Zukunft, meine ich.« »Da könnten Sie Recht haben.« »Und an Mallmann oder Assunga denken Sie nicht, Sir? Haben Sie die beiden aus Ihrem Gedächtnis gestrichen?« Er nahm einen Schluck und gab die Antwort erst, als er das Glas sinken ließ. »Nicht aus dem Gedächtnis gestrichen, John. Aber ich frage Sie, was sie hier noch sollen? Assunga hat sich ihren Mantel zurückgeholt. Für uns geht es nur um Zodiak. Mallmann und As sunga haben ihr Ziel erreicht. Der Killer aber ist noch frei.« »Uns hat er bisher in Ruhe gelassen.« »Das ist auch gut so. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass er seine Meinung ändert.« »Was wäre der Grund?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, John. Aber wir sollten von hier verschwinden. Die Vorstellung scheint bald anzulaufen.« Erwies nach hinten. »Jedenfalls entnehme ich das der Unruhe.« Er hatte Recht. Nur wenige Gäste bewegten sich bereits auf die Stuhlreihen zu, um dort ihre Plätze einzunehmen. Da wir ziemlich dicht an der Bühne standen, waren wir einfach zu leicht zu entde cken, und deshalb zogen wir uns zurück. Ich sprach noch davon, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, was Sir James wiederum wunderte. »Weshalb denn?« »Wir hätten bei Lady Sarah anrufen und den anderen Bescheid ge ben sollen. Sicherlich machen sie sich Sorgen.« »Ja, stimmt.« »Ich werde es nachholen, die Rezeption ist ja noch besetzt, denke ich.« »Dann komme ich mit.« Er folgte mir. Wir fanden die Halle leer. Auch die Blonde stand nicht mehr hinter dem Hoteltresen. Deren Platz nahm ich ein. Die Buchungscomputer interessierten mich nicht, ich suchte ein völlig normales Telefon. Eine schmale Tür führte in einen hinteren Raum. Sie stand offen. Ich drückte sie bis zum Anschlag auf und sah ein helles Telefon auf einem Schreibtisch mit Stahlrohrbeinen stehen. An der Decke brann te die Lampe. Sie streute ihr kaltes Licht in den Raum. Ich kannte Lady Sarahs Telefonnummer auswendig, tippte sie ein, dann bat Sir James um den Hörer, weil er mit Suko reden wollte. Ich war froh darüber, dass er mir diese Aufgabe abnahm. Wie ich seinen Fragen und Antworten entnahm, zeigte sich Suko nicht eben begeistert, dass wir ihn in London in Sarahs Wohnung lassen woll ten, aber Sir James ließ sich auf keine Diskussion ein und erklärte, dass wir mit den Problemen allein fertig werden würden.
Als er auflegte, lächelte er. »Ich wäre an seiner Stelle auch sauer gewesen«, sagte er zu mir. »Verständlich.« »Dann kommen Sie mal, John. Wir wollen doch das tolle Schau spiel nicht verpassen.« Das wollte ich auf keinen Fall. Durch die menschenleere und kühle Halle schritten wir. Sie war völlig normal, mir aber kam sie nicht so vor. Ich hatte einfach das Gefühl, dass sich hier etwas anbahnte und gewisse Dinge in der Luft lagen. Sir James fiel mein unsteter Blick auf. »Was ist mit Ihnen los, John? Stimmt etwas nicht?« »Noch stimmt alles.« »Aber …?« »Es kann sich auch ändern. Meiner Ansicht nach wird der Beginn des Spiels zu einem regelrechten Horror-Trip. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kopfjäger einfach nur zuschauen wird. Was die se Fantasy-Fans aufführen, das ist doch eigentlich seine Welt. Und ich frage mich, ob er zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden kann.« »Hoffentlich malen Sie nur schwarz.« »Das hoffe ich auch.« Wir hatten den hinteren Ausgang erreicht. Auch diese Tür öffnete sich, wenn wir auf einen Kontakt getreten hatten. Sie schwang vor uns zurück, der Blick in den Garten war frei. Aber nicht nur er, auch der Blick in den Himmel. Und da sah ich etwas, was mir nicht so recht gefallen wollte. Ein nicht Eingeweihter wäre wohl davon ausgegangen, dass sich der Himmel in der Zwischenzeit noch mehr verdunkelt hatte. Aber ich war eingeweiht und sah diese große schwarze Wolke hoch über
dem Garten nicht als normal an. So dunkel konnte sie nicht sein. Für mich stand fest, dass wir Besuch bekommen hatten. Und zwar von einem Wesen, über das ich nicht eben begeistert war, dem Spuk …
* Sir James, der stets genau beobachtete, fiel mein Schweigen auf, und er sprach mich darauf an. »Was ist mit Ihnen los, John? Stimmt et was nicht? Sie sind mir zu ruhig.« »Was nicht stimmt, kann ich Ihnen sagen, Sir. Schauen Sie mal in die Höhe.« »Und dann?« »Bitte, sehen Sie hin.« Ich zeigte ihm die Richtung mit dem ausge streckten Finger an. Mein Chef legte den Kopf zurück, er ließ sich auch Zeit, er musste das Gleiche sehen wie ich auch, nur kam er zu keinem Schluss, und das sagte er mir auch. »Sorry, John, aber ich kann nichts entdecken, was anders gewesen wäre.« »Die Wolke, Sir James, es ist die schwarze Wolke. Sie sehe ich nicht als normal an.« »Sondern?« »Wir haben Besuch bekommen. Jemand ist aus seinem Reich er schienen, um uns zu beobachten.« Mehr brauchte ich nicht erklären, Sir James wusste auch so Be scheid. »Das ist der Spuk?« »Genau.« Mein Chef war überrascht und musste sich erst einmal räuspern. Danach hatte er sich wieder gefangen. »Himmel, was soll das? Was
will er denn hier? Was hat er …?« »Zodiak.« »Sie meinen, dass er ihn sucht? Seinen Kopfjäger, der eigentlich erst in der Zukunft existiert?« Ich bejahte die Frage nicht, sondern sagte: »Was ist schon Zukunft, Sir? Was sind die Zeiten für Mächte, die so unwahrscheinlich stark sind und andere überlebt haben? Der Spuk ist ein gestaltloses We sen geworden. Er stammt von den Sternen, das wissen wir. Ich will ihn mal als einen Weltall-Dämon bezeichnen, überspitzt gesagt so gar als ein magisches schwarzes Loch. So frage ich Sie, Sir, was er dann noch großartig mit der Zeit zu tun hat. Nichts, gar nichts. Er wird sich darum kaum kümmern, braucht sich auch nicht darum zu kümmern.« »Ich kann nicht dagegen sprechen, John.« Seine Stimme klang ziemlich leise, »aber es gibt gewisse Dinge, die auch ich jetzt anders sehe. Könnte es sein, dass sich die Mitglieder dieser Fantruppe in ei ner starken Gefahr befinden?« »Das weiß ich auch nicht.« »Er kümmert sich doch um andere Dinge. Er will sein Reich erwei tern. Er braucht die Seelen vernichteter Dämonen, aber nicht die ge töteter Menschen. Das unterscheidet ihn ja vom Teufel und den ver fluchten Mächten der Hölle.« »Alles wahr.« »Dann wäre sein Problem einzig und allein der Kopfjäger Zodiak, den er wieder zurückhaben will.« »Wir werden es sehen, Sir, und zwar sehr bald schon. Mein Gefühl verstärkt sich. Ich glaube einfach daran, dass sich hier etwas Fürch terliches anbahnt, und wenn wir nicht aufpassen, werden wir auch zwischen diese Mühlsteine geraten.« »So pessimistisch kenne ich Sie gar nicht, John.«
Mein Lächeln wirkte kantig. »Wissen Sie, Sir, es gibt da gewisse Erfahrungswerte, die ich mir im Laufe der Zeit aneignen konnte. Und hier reagieren sie nun mal sehr negativ. Jedenfalls sollten wir den Spuk im Auge behalten. Möglicherweise ist er auch nur ein Wächter, der alles überblicken und dafür sorgen will, dass das Spiel auch Spiel bleibt und nicht in blutigen Ernst ausartet.« Ich hob die Schultern. »Wie dem auch sein mag, Sir, ich möchte hier nicht länger bleiben.« »Sollen wir uns trennen?« »Noch nicht.« Es war ja alles so normal. Die Fans bewegten sich auch jetzt noch auf die aufgebauten Stühle zu. Sie redeten miteinander, sie waren lustig, so manches Lachen übertönte ihre Gespräche, und misstrau isch war keiner von ihnen. Ich umso mehr. Ich kannte den Spuk. Der zeigte sich nicht grund los. Er war meiner Ansicht nach auch nicht unbedingt als Beobach ter erschienen. Irgendwann würde er in die Auseinandersetzungen eingreifen, daran führte kein Weg vorbei. Ich hätte mir Katzenaugen gewünscht, um die bleierne Dunkelheit zu durchdringen. So aber musste ich mich auf die äußeren Beleuch tungskörper verlassen, die nahe des Hotels als kleine Gartenlaternen standen und ihren Schein gegen die Hausmauer warfen oder zu sammengestellte Liegestühle aus der Dunkelheit rissen. Durch die Lichtflecken schwirrten unzählige Mücken und andere Insekten. Manchmal sah es aus, als würden sie dabei eine dunkle Wolke über die Laternen stülpen. Mir fiel ein, dass auch wir zu sehr im Licht standen. Sir James war damit einverstanden, in den Schatten zu tauchen. Mit schnellen Schritten hatten wir auch die letzte Lichtquelle hinter uns gelassen und standen an der Seite des Hotels, eingepackt in die graue Dun
kelheit, wo wir uns überhaupt nicht abzeichneten und von den Ak teuren auch nicht gesehen werden konnten. Hinter uns befand sich ein kleiner Hotelanbau, nicht sehr hoch, auch nicht besonders lang. Anhand der Fenster sahen wir, dass der Anbau bewohnt war, mög licherweise vom Personal. Zu dieser Zeit jedenfalls brannte hinter keinem der Fenster auch nur eine Kerze. Mir gefiel die Dunkelheit immer weniger. Das hatte nicht nur mit dem Spuk zu tun, dessen amorphe Gestalt ihren Platz nicht um einen Yard verlassen hatte. Er schwebte über dem Ganzen als un heimlicher, tiefschwarzer Beobachter. Als ein Wesen aus einer ande ren Welt und Zeit. Selbst bei Sir James war eine gewisse Unruhe eingetreten. Er hatte meine Beretta schon vor sich in den Gürtel gesteckt, um sie mög lichst schnell ziehen zu können. Immer wieder schaute er sich um oder drehte sich auf der Stelle. »Entweder haben Sie mich mit Ihrem Gerede angesteckt, John«, sagte er leise, »oder ich habe tatsächlich das Gefühl, dass sich hier bald etwas ereignen wird.« »Zumindest was das Stück angeht.« Ich verwies auf den Beifall, dessen Echo von den Zuschauerbänken her dünn zu uns herüber klang. Auch auf der Bühne hatte sich etwas verändert. Sie wurde durch Lichtstreifen erhellt, und im Hintergrund glaubte ich, Kerzen schein flackern zu sehen. In mir wuchs die Unruhe. Hinter uns lag der Anbau in einer beina he drohenden Schwärze. Jenseits davon befanden sich die Parkplät ze, gut abgeschirmt von einigen Hecken. »Wenn Sie hier auf mich warten wollen, Sir, dann schaue ich mich mal etwas um.« »Wo denn?«
Ich deutete mit dem ausgestreckten Daumen über meine Schulter hinweg. »Es muss dort etwas zu finden sein. Ich gehe einfach davon aus, dass sich Zodiak in dieser Gegend versteckt halten kann. Wol len Sie hier warten oder sich näher an die Bühne herantrauen?« Der Superintendent verzog den Mund. »Herantrauen ist gut. Aber Sie haben Recht, John, ich werde mir dieses Spiel einmal aus der Nähe anschauen. Kann ja sein, dass es uns Hinweise gibt. Deshalb würde ich sagen, dass wir uns, von hier aus gesehen, links von der Bühne treffen, ungefähr in Höhe der ersten Reihe.« Er war mal wieder sehr präzise, typisch für ihn, und ich war eben falls einverstanden. »Eine Uhrzeit?«, fragte er noch. »Ich denke nicht, dass das Sinn hätte.« »Gut, ich warte dann auf Sie.« Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Wenig später stand Sir Ja mes allein, denn ich hatte bereits das Ende des Anbaus erreicht und fand das, womit ich gerechnet hatte. Ein schmaler Pfad führte an der Seite entlang auf die Buschgruppe zu, die den Parkplatz umsäumte. Es waren Rhododendronsträucher, deren Blattwerk selbst in dieser Dunkelheit einen feuchten Glanz zeigte. Der Pfad führte um eine Buschgruppe herum und mündete auf dem Parkplatz, wo die Mitglieder des Fantreffens ihre Wagen abgestellt hatten. Bis auf mich war der Parkplatz leer. Das jedoch wollte ich nicht so recht hinnehmen, ich verließ mich einfach auf mein Gefühl. Dies wiederum gehörte nicht eben zu den Sichersten. Ich fühlte mich im mer weniger wohl, als ich meine Schritte setzte, die zunehmend klei ner wurden. Der Parkplatz war nicht geheuer. Etwas stimmte nicht. Ich blieb stehen. Stille umgab mich. Selbst die Geräusche von der
Bühne waren nicht zu hören, weil der Hotelbau ihren Schall auffing. Ich konnte mich völlig auf mich und meine Umgebung konzentrie ren. Aber da war nichts. Bis auf ein leises Schleifen. Ich hatte herausgefunden, dass es links von mir aufgeklungen war. Möglicherweise in der seitlichen Lücke zwischen zwei geparkten Wagen. Hatten sich Blätter bewegt? Schlecht möglich, denn es ging über haupt kein Wind. Also war dort jemand … Aber wer? Ich drehte mich in die entsprechende Richtung. Meine Hand zuck te schon zur Waffe, als mir einfiel, dass ich sie Sir James gegeben hatte. In diesem Augenblick klang mir der dumpfe Aufprall an die Ohren, als hätte jemand irgendwo auf Blech geschlagen. Ich flirrte herum. Zwischen zwei abgestellten Wagen erhob sich ein Schatten. Groß mächtig, einen strengen Raubtiergeruch absondernd. Es war eine Mischung aus Wolf und Gorilla, jedenfalls eine Bestie, die es auf die ser Erde einfach nicht gab. Dafür in einer anderen Dimension, in der Zukunft, zum Beispiel, und im dortigen Reich des Spuks. Da war mir diese Bestie zum ers ten Mal vor die Augen gekommen. Und dort hatte sie den Kopfjäger attackiert. Hier nicht, denn hier war ich der Gegner … Ich hatte auch die Sprungkraft dieser Wesen erlebt und musste da mit rechnen, dass das Untier die Distanz zwischen ihm und mir mit einem Satz überbrücken konnte. Es hielt sich zurück. Stattdessen vier Wagenreihen weiter die nächste Bewegung, und ein Stück entfernt noch eine. Drei Gegner standen plötzlich vor mir.
In diesem Augenblick überkam mich das Gefühl, Eis geschluckt zu haben, das sich nicht nur in meinem Magen ausbreitete, sondern im gesamten Körper. Drei Bestien! Dreimal Tod aus der Zukunft, der gekommen war, um sich den Köpfer zu holen. Möglicherweise hatten sie jetzt ihre Chance gesehen und wollten sie eiskalt nutzen. Nur stand ich ihnen im Weg. Ich ließ das Kreuz, wo es war. Da ich mein Hemd ziemlich weit geöffnet hatte, lag es sowieso frei. Ich griff dann zur einzigen Waffe, die mir geblieben war, dem silbernen Dolch. Er ragte aus meiner Faust hervor. Eine helle Klinge mit entsprechender Spitze. Er strahl te ein wenig, zumindest hatte ich das Gefühl, und er gab mir eine geringe Hoffnung. Die drei Bestien standen auf ihren Plätzen wie festgenagelt. Sie mussten mich einfach gesehen haben, aber sie taten nichts, um mich aus dem Weg zu schaffen. Stattdessen schauten sie sich an. Es sah so aus, als suchten sie nach einer Übereinstimmung zwischen ihnen, und es war der Erste, der schließlich nickte. Er würde den Anfang machen. Durch seine große Gestalt lief ein Zucken, dann erst setzte er sich in Bewegung. Er schlich in meine Richtung, ich tauchte etwas zu rück und dachte daran, mir einen Fluchtweg zu suchen, denn drei dieses Kalibers waren einfach zu viel für mich. Sie blieben auf gleicher Höhe. Ich ging nach hinten, ohne mich umzuschauen, und spürte dann den Widerstand eines geparkten Fahrzeugs an meinen Kniekehlen. Weiter kam ich vorerst nicht, es sei denn, ich nutzte den schmalen Spalt zwischen zwei abgestellten Wagen aus. Dazu ließen mich die Bestien nicht kommen. Die Erste, die mich gesehen haben musste, griff plötzlich an. Und sie war irrsinnig
schnell. Ich begriff erst, dass ich gemeint war, als sie die Hälfte der Strecke hinter sich gelassen hatte. Ihr Maul war weit geöffnet, mir gelang ein Blick in den Rachen, in dem sich Schwärze und rotes Feu er vereinten. Eine Deckung konnte ich nicht finden, und so gab es nur eine Möglichkeit, um mich einigermaßen aus der Affäre zu ziehen. Ich drehte mich um und sprang mit einem Satz auf die Motorhau be eines Autos. Ich wusste nicht einmal die Marke, so schnell war al les gegangen. Von der Haube aus weiter auf das Dach, wo ich mich breitbeinig hinstellte und auf den Gegner wartete. Der stieß sich ab. Himmel, war das ein Sprung! Der hätte einem Tiger zur Ehre ge reicht und mich vom Dach des Autos gefegt. Ich handelte sofort. Noch als sich die Bestie in der Luft befand, sprang ich auf das Dach des rechts neben mir parkenden Fahrzeugs hinüber, beulte es durch mein Gewicht leicht ein und konnte zu schauen, wie mich die Bestie verfehlte und sich auf dem neben mir stehenden Auto festkrallte, wobei sie in einer für sie ungünstigen Lage lag, nämlich flach auf dem Bauch. Das war meine Chance. Ich wuchtete mich vor. Das Untier drehte sich auf dem Dach liegend. Der Dolch war schon unterwegs. Ich rammte meine rechte Hand von oben nach un ten. Treffer! Tief jagte die Klinge durch das zottige Fell in die Brust des Untiers hinein. Ich sah dicht vor mir die zuckende Schnauze. Ich hörte ein Geräusch, als würde Glanzpapier zerreißen, und die strampelnden Beine der Bestie hinterließen auf dem Blech ein dröhnendes Pochen. Ich zerrte den Dolch wieder hervor, drehte mich um, trat ins Leere und rutschte genau in die Lücke zwischen den beiden geparkten
Wagen, wo ich mir festgeklemmt vorkam. Über mir tobte die Bestie. Ich sah zunächst nur Teile ihres Schatten, die zuckend über den Rand des Wagens glitten. Dann veränderte sich der Schatten, er wurde kompakter. Im nächsten Augenblick rollte der Körper zur Seite. Er würde ebenfalls in die Lücke fallen und mich auf den Bo den nageln, wenn ich nicht schnell genug war. Ich war schnell genug. Wie ein Sprinter stürmte ich aus der Lücke, war aber sofort bereit, mich mit dem Dolch auf die beiden anderen Tierdämonen zu stürzen, wenn ich angegriffen wurde. Sie taten nichts, hielten sich zurück und beobachteten. Wahr scheinlich rechneten sie nicht damit, dass es jemandem gelungen war, einen der ihren zu verletzen. Aber es stimmte. Die Bestie kroch hervor. Sie war angeschlagen, kroch aber auf al len vieren weiter, und aus dem noch immer weit geöffneten Maul drangen dunkelgrüne Qualmwolken, die übel rochen, als wären Lei chenteile verbrannt worden. Ein Sprichwort besagt, dass angeschlagene Gegner oft die gefähr lichsten sind, und damit rechnete ich auch hier. Nicht nur das dämo nische Wesen keuchte laut, auch aus meinem Mund drang schweres Atmen. Ich kam mir ziemlich ausgelaugt vor, kein Wunder, nach dem, was hinter mir lag, nur blieb mir keine Zeit, mich auszuruhen, denn schlangengleich warf sich das Monster vor. Es hob dabei seinen Oberkörper leicht an. Jetzt konnte ich die Wunde erkennen, die mein Dolch hinterlassen hatte. Sie war sehr tief und blutete stark. In dicken Tropfen quoll eine sirupartige Flüssigkeit hervor, begleitet von irgendwelchen faustgroßen Stücken, die sich aus dem Körper lösten und aussahen wie dampfendes Fleisch.
Das Monster quälte sich weiter. Es riss sein Maul auf. Es brüllte und röhrte mich an. Es wollte sich in die Höhe stemmen, kam aber nicht auf die Füße, denn schon seine Knie gaben unter dem Druck des mächtigen Kör pers nach. So sackte es zusammen. Einen letzten Versuch unter nahm die Bestie, rollte sich auf die Seite, und da konnte ich sehen, dass die Wunde größer wurde. Mein geweihter Silberdolch hatte diese Magien freigesetzt, die denen der Bestie überlegen waren. Der Tierdämon verfaulte und verging vor meinen Augen. Ein wi derlicher Geruch breitete sich aus, der sich zudem auf dem Park platz wie eine Insel hielt, denn es war windstill. Ich war so weit zurückgewichen, dass ich die gegenüberliegenden Wagen schon berührte. Das rechte Bein hatte ich vorgestreckt, das linke etwas nach hinten gedrückt. Alles in allem jedoch hatte ich eine breitbeinige und standsichere Haltung eingenommen, den rech ten Arm mit dem Dolch dabei vorgestreckt, den linken ein wenig zurückgenommen. In dieser Haltung drehte ich mich nach rechts. Dort standen die beiden anderen. Sie hatten dem Sterben ihres Artgenossen tatenlos zugeschaut. Mir war klar, dass sie dem Mörder nicht tatenlos gegen überstehen würden. Und sie würden sich in Acht nehmen und nicht so leicht in meinen Dolch hineinrennen. Zwei eisige und harte Augenpaare funkelten mich an. Sie leuchte ten wie kleine, gelbe Spiegelstücke. Aus den halb geöffneten Schnauzen drang schwarzer Rauch hervor, der die Schädel wie flat ternde Nebelwolken umgab. Füße scharrten über den Boden des Parkplatzes. Sie schufen kleine Mulden, und winzige Steine wurden dabei in die Höhe geschleu dert. Das Fell hatte sich bei ihnen gesträubt, die kalten Augen zuck ten, wenn sie die Köpfe bewegten. Ich überlegte, ob ich den Rück
zug antreten und mir irgendwo ein Versteck suchen sollte. Das wäre erstens feige gewesen, und zweitens hätte ich die ah nungslosen Zuschauer des Monster-Spiels unter Umständen in Ge fahr gebracht. Es hätte für einige von ihnen tödlich enden können, wenn plötzlich echte Monster aufgetaucht wären. Also bleiben und versuchen, das Beste aus der verdammten Lage zu machen. Sie kamen. Zugleich gingen sie vor. Schritt für Schritt verkürzten sie die Distanz zwischen sich und mir. Ich konnte mir eigentlich aus suchen, wen ich mir als Ersten vornahm. Eines allerdings stand fest. Wen immer ich mir auch aussuchte, er würde sofort Unterstützung von seinem Artgenossen erhalten, und dann sah es bitter für mich aus. Beide zugleich setzten zum Sprung an! Ich sah es deshalb so genau, weil durch die Körper ein Zucken lief. Als hätten die mächtigen Muskeln unter dem Fell einen elektrischen Stromstoß erhalten. Und dann war er da. Woher er gekommen war, hatte ich nicht gesehen. Jedenfalls stand er plötzlich hinter ihnen, hob sein Schwert an und schwang es wie eine gewaltige Sense …
* Sir James war es nicht recht, dass sie sich getrennt hatten, aber er wollte auch nicht im Wege stehen. John Sinclair wusste schon, was er tat. Am besten gefiel ihm noch immer, wie er den Geisterjäger durch sein Wissen und durch seinen Plan überrascht hatte. Dies hat te ihm gezeigt, dass er noch nicht zum alten Eisen gehörte und geis
tig mehr als beweglich war. Die Erinnerung daran ließ ihn lächeln, als er allein durch die Dunkelheit schritt und sein Ziel nicht aus den Augen ließ. Es war die Bühne, wo das Monster-Spiel ablief. Die Zuschauer hat ten auf den Stühlen Platz genommen. Am Rand der Spielfläche wa ren zwei Scheinwerfer aufgestellt worden, die das Geschehen von zwei verschiedenen Seiten beleuchteten, ohne das durch Glasdeckel geschützte Kerzenlicht im Hintergrund der Bühne zu stören. Welches Spiel dort ablief, konnte der einsame Mann noch nicht er kennen. Jedenfalls spielten mehrere Personen mit, die sich nur etwas schwerfällig bewegten. Ein Dialog wurde gehalten, und die Zu schauer lauschten ihm ergriffen. Sie ahnten und wussten nichts. Im Gegensatz zu Sir James, der einen kleinen Bogen schlug, weil er auf keinen Fall in Gefahr geraten wollte, zu früh entdeckt zu werden. Er hatte sich mit John Sinclair am linken Rand der Bühne verabredet, und die Richtung behielt er auch im Großen und Ganzen bei. Den nächsten Stopp legte er an der hinteren Sitzreihe ein. Er stand noch im Schatten, wobei er die Zuschauer von dieser Stelle aus be obachten konnte. Ihre Kostüme hatten sie nicht abgelegt. Sie machten ebenfalls den Eindruck von Akteuren, die nur darauf warteten, im nächsten Au genblick in das Geschehen auf der Bühne eingreifen zu können. Sie saßen gespannt auf den Stühlen, manche murmelten ihre Kommen tare, andere sprachen sie lauter aus, aber keiner von ihnen schöpfte Verdacht, dass sich hier etwas Schlimmes würde ereignen können. Über allem schwebte die tiefschwarze und völlig lichtlose Wolke des Spuks. Er war der dämonische und unheimliche Beobachter die ses Spiels, ohne sich jedoch selbst zu verändern und seine Augen zu zeigen, die aus dem Schwarz hervorleuchteten.
Die Wolke vermischte sich mit dem grauen Nachthimmel, war aber trotzdem sehr deutlich zu erkennen. Nur hatte sich keiner der Zuschauer die Mühe gemacht und seinen Blick in die Höhe geho ben. Alle Augen waren auf das Geschehen gerichtet, das sich nun veränderte, denn wie bei allen Fantasy-Spielen fehlte auch hier nicht die Gewalt. Waffen wurden gezogen. Sir James sah das matte Schimmern, als sich die Kontrahenten mit gezückten Schwertern gegenüberstanden, laute Kampfschreie aus stießen, bevor es zum eigentlichen Gefecht kam. Beide gingen aufeinander los. Und beide schenkten sich nichts. Sir James hatte kein Interesse daran, sich den Kampf weiterhin an zuschauen. Er wollte sich nahe der Bühne umsehen und schon sei nen Warteplatz einnehmen. Er ging weiter, aber er sorgte dafür, dass er so gut wie kein Ge räusch verursachte. Das weiche Gras des Geländes machte seine Schritte unhörbar, und er ignorierte den Weg, der links von ihm zu den Tennisplätzen führte. Da wollte er nicht hin. Das Klirren der aufeinander treffenden Schwerter begleitete ihn. Zwischendurch klangen Kampfschreie auf. Beifall spornte die bei den Akteure zu noch größeren Leistungen an, und sie benutzten die gesamte Bühnenfläche als Kampfplatz. Sir James ging jetzt schneller. So ohne Deckung nahe den Zuschau erreihen fühlte er sich doch nicht wohl. Es war besser, wenn er so schnell wie möglich sein Ziel erreichte. Dort angekommen, blieb er stehen und stellte fest, dass er sogar einen sehr guten Blick auf die Bühne hatte. Von der Seite her konnte er sie in ihrer Länge überblicken. Die beiden kämpften noch immer. Mal huschten sie in den Licht
schein hinein, mal verschwanden sie in der Tiefe. Sie kämpften nicht nur auf den Holzbohlen, sondern näherten sich hin und wieder der Treppe und gerieten dabei noch deutlicher in das Licht der Schein werfer. Sir James konnte sie sehr genau sehen. Es waren schon zwei wilde Gestalten, die sich gegenseitig einen erbarmungslos aussehenden Schaukampf lieferten, der von einem echten Fight kaum zu unter scheiden war, denn die Männer gehörten wirklich zu den Könnern. Einer von ihnen trug nur einen Lendenschurz. Sein schwarzes Haar glich einer wilden Mähne. Er war mit einem Schwert bewaff net und hatte sich noch einen Schild als Deckung besorgt. Damit wehrte er die mächtigen Schwerthiebe seines Gegners ab, der ihm in punkto Aussehen in nichts nachstand, aber völlig anders wirkte und gleichzeitig sehr unheimlich war. In seiner schwarzen Kutte wirkte er wie ein böser Ninja-Killer. Auch er kämpfte mit einem Schwert, und er hatte sein Gesicht sogar teilweise geschwärzt. Er verkörperte das Böse an sich, während der Held im Lendenschurz mehr an Conan, den Barbaren, erinnerte, einen Mann auf der Seite des Guten. Der Dunkle war flinker. Er bewegte sich wie ein Irrwisch, führte sein Schwert mit einer nahezu artistisch anmutenden Grazie, sodass der Halbnackte Mühe hatte, die Schläge abzuwehren. Beiden konnte nur Beifall geklatscht werden, was die Zuschauer auch taten. Im Hintergrund der Bühne standen die anderen Akteu re, die in dieser Szene nichts zu tun hatten. Sie spielten trotzdem mit und mimten das Volk, das dem Ende des Kampfes entgegenfieberte, wobei klar ersichtlich war, dass sie auf der Seite des halbnackten Helden standen. Beide boten eine tolle, eine große Schau. Für einen Laien war nicht zu erkennen, dass sie sich nicht richtig töten wollten. Sie droschen
aufeinander ein, sie waren perfekt eingespielt, und der Böse beweg te sich immer schneller. Er trieb den anderen zurück, der bereits auf der Steintreppe stand und die Schläge nur abwehren konnte. Beide Schwerter waren geschliffen. Manchmal, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel auf die Klingen traf, leuchteten sie auf wie zuckende Blitze. Aus dem Hintergrund gellte zuerst eine Frauenstimme auf. Dann löste sich die Person. Sie war ziemlich kräftig gebaut, hatte den Kör per einer Bodybuilderin und war nur unzureichend bekleidet. Ihre Brüste schaukelten beim Laufen. Sie schrie noch immer, es sah so aus, als wollte sie den Schwarzen angreifen oder ihn irritieren. Der ließ es nicht zu. Dafür irritierte sie den anderen. Der Held bekam die Quittung. Ein Schlag erwischte seine Waffe. Er war so hart geführt worden, dass der Lendenschurzträger es nicht mehr schaffte, sein Schwert festzuhalten. Es wurde ihm aus den Händen gewirbelt und flog mit torkelnden Bewegungen über die Bühne, bis es einmal gegen den Rand tickte und darüber ver schwand. Der Schwarze hatte freie Bahn. Er schrie auf und hob seine Waffe mit beiden Händen über den Kopf. Die Frau, die den Helden irritiert hatte, klammerte sich an dem Schwarzen fest. Sie flehte um Gnade für ihren Geliebten, der auf der obersten Stufe der Steintreppe auf die Knie fiel und seine Hände verzweifelt gegen den Himmel reckte. Es sah alles sehr gut aus, und das Licht beleuchtete die Szene so günstig, dass jeder Zuschauer – egal, wo er saß – alles detailgetreu mitbekommen konnte. Der Schwarze schüttelte den Kopf. Er wollte nicht auf die Bitten und Vorschläge der Frau eingehen. Sein Lachen dröhnte von der Bühne her bis über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Dabei wechsel
te er das Schwert in die rechte Hand. Mit der linken stieß er die bit tende Frau so hart zur Seite, dass sie auf den Bühnenboden fiel und sich dort überrollte. War das noch Spiel? Sir James, der seitlich stehende Zuschauer, konnte es nicht fassen. Das alles sah ihm verdammt echt aus, denn so perfekt konnten Lai en eigentlich nicht spielen. Der Schwarze war noch nicht fertig. Er schleuderte den Zuschau ern einen Fluch oder eine Beschwörung entgegen und wandte sich dann seinem Gegner zu. Der Mann im Lendenschurz kniete noch immer in einer bittenden Haltung vor ihm, sprach den Schwarzen an, der jedoch auf die Worte oder die Bitte keine Rücksicht nahm und demonstrativ den Kopf schüttelte. Er hob das Schwert. Seinen Kopf hatte er gesenkt und starrte sei nen Gegner an. »Bist du verrückt?«, flüsterte der andere. Das gehörte nicht dazu. Sir James war wohl der Einzige, der diese Worte erfasste. Er dachte an die Anwesenheit des Bösen, die auch schon John Sinclair gespürt hatte, zog seine Waffe, näherte sich der Bühne und kletterte hoch, um einzugreifen. Dazu kam es nicht mehr. Der Schwarze war gnadenlos und auch schneller. Sein Schwert raste nach unten. Mit einem Schlag tötete er den Mann im Lenden schurz!
* Waren die Bestien unterwegs – waren sie es nicht? Ich kam nicht genau dahinter. Jedenfalls rasten sie nicht mehr auf mich zu, sondern kürzten ihre Sprünge ab, rutschten dabei über den
grauen steinigen Boden und kreiselten herum. Zodiak hielt sein Schwert nicht nur wie eine Sense, er schwang die Klinge auch so, und er erwischte mit dem ersten Schlag den haari gen Schädel der links von mir stehenden Bestie. Es war ein Treffer wie aus dem Bilderbuch. Der Kopf des dämoni schen Tieres flog davon wie ein hastig geworfener Ball, prallte zu Boden, sprang noch einmal auf, rollte weiter und blieb dicht vor den Vorderreifen eines abgestellten Autos liegen. Der Torso, in dem noch ein Restleben steckte, taumelte zuckend weiter, bis ihn eine Kühlerhaube stoppte, über der er zusammen brach. Noch war die zweite Bestie da. Natürlich gab sie nicht auf. Sie wollte den Tod ihrer beiden Artgenossen rächen. Und sie sprang Zo diak an. Der hatte sein Schwert angehoben. Dann drosch er zu. Es war eine heftige Bewegung, ein von oben nach unten geführter Streich, der die anspringende Bestie erwischte, eine tiefe Wunde bei ihr hinterließ und sie zu Boden schleuderte. Dort überrollte sich das dämonische Tier. Staub wallte auf und hüllte die zuckende und mit allen Pfoten und Krallen kratzende Gestalt dunstartig ein. Zodiak ging weiter. Was er einmal angefangen hatte, das wollte er unter allen Umständen zu Ende führen. Tod für die Bestie! Er drehte sich etwas zur Seite, nahm aus den Hüften heraus Schwung, und die Klinge pfiff von oben nach unten schräg durch die Luft. Wieder ein Treffer. Der widerliche Schädel flog weg wie ein Fuß ball, wobei aus dem Halsstumpf noch dünne Rauchwolken drangen, die über den Boden krochen und irgendwann verwehten.
Wieder einmal war Zodiak der Sieger geblieben, und das nicht nur in seiner Zeit, sondern auch in einer anderen. Ich aber wusste, dass in dieser Gegenwart für Kopfjäger und Rächer kein Platz war. Wir lebten nicht gesetzlos in einer Anarchie. Ich stellte mich darauf ein, dass er irgendwann wieder zurück musste. Aber wer holte ihn? Der Spuk, der als Wolke über dem Geschehen schwebte und es beobachtete, ohne einzugreifen? Zodiaks Arme sanken nach unten und damit auch sein Mörder schwert. Ich atmete auf, denn die Geste zeigte mir, dass er mich wohl nicht angreifen wollte. Stattdessen gab er dem noch knienden Torso einen Tritt. Dieser kippte zur Seite und blieb liegen. Zodiak schaute mich an. Ich hielt seinem Blick stand. Hinter der Maske rührte sich nichts, bis auf die Bewegungen seiner Augen. Gern hätte ich sein Gesicht gesehen, aber das zeigte er mir nicht. Die Maske blieb. Ich kam mir doch etwas deplatziert vor und streckte den Arm aus. Ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte, suchte nach Worten, was Zodiak wohl mitbekam. Er schüttelte den Kopf. Ein Zeichen, dass er mit mir nicht reden wollte. Er kam auf mich zu und dachte nicht daran, mir auszuweichen. Er hätte mich auch umgerannt, so musste ich nach rechts ausweichen, um von ihm nicht in den Boden gestampft zu werden. So ging jemand, der gesiegt hatte, der sich seiner Kraft ungemein sicher war. Gegen eine derartige Gestalt kam ich mir vor wie ein Zwerg. Ich schaute ihm nach. Der Mantel wehte hinter ihm her wie eine Fahne. Er bewegte seine Klinge und schlug sich den Weg frei. Mit drei Hieben hatte er eine Bresche in den Rhododendronbusch geschlagen. Dann war er untergetaucht. Ich blieb allein zurück und stand wie eine Statue mitten auf dem
Parkplatz, umgeben von modernen Autos. Das kam mir erst jetzt zu Bewusstsein, wie unterschiedlich diese Umgebung doch war. Auf dem Parkplatz hatten sich zwei Zeitströmungen getroffen oder auch eine weltliche und eine magische. Drei dieser tödlichen Wesen waren aus einer finsteren Welt in ei ner fernen Zukunft gekommen und waren von einem ebenfalls schrecklichen Wesen vernichtet worden. Ich musste davon ausgehen, dass Zodiak seiner Bestimmung auch weiterhin treu bleiben würde. Das wiederum konnte ich nicht hin nehmen. Ich war Recht und Gesetz verpflichtet. Solange er sich nur um Bestien aus dem Dämonenreich kümmerte, konnte es mir egal sein. Griff er jedoch normale Menschen an, war meine Zeit gekom men. Da musste ich dann gegen ihn antreten, und wenn ich ehrlich war, dann grauste mir davor, denn allzu viele Chancen rechnete ich mir nicht aus. Welche Waffe sollte ich gegen ihn einsetzen? Ich hatte keine. Auch wenn mir Sir James die Beretta zurückgege ben hätte, sie hätte wohl nicht viel genutzt. Ich stand echt auf dem Schlauch. Auf einmal zuckte ein Gedankenblitz durch mein Gehirn. Es war mir, als hätte jemand einen Vorhang weggezerrt. Doch, es gab eine Waffe. Nur befand sie sich nicht in meinem Besitz. Sie lag in meiner Wohnung, und ich hatte sie lange nicht mehr eingesetzt. Es war der magische Bumerang! In der nächsten Sekunde entwickelte ich mich zu einem Sprinter. Ich nahm auf nichts mehr Rücksicht und raste zurück in das Hotel, wo ich die blonde Frau erschrak, die vor ihrem Bildschirm saß. »Mr. Sinclair«, flüsterte sie. »Himmel, was ist denn geschehen? Sie sehen ja aus, als würden Sie …«
Den Vergleich konnte sie nicht mehr ziehen, weil ich sie unter brach. »Bitte, ich muss telefonieren. Sofort.« Innerhalb kürzester Zeit stellte sie mir den Apparat auf den Rezep tionstresen. Auch wenn Mitternacht schon vorbei war, ich konnte darauf keine Rücksicht nehmen. Jane Collins kam sofort an den Apparat, und ihre Stimme klang noch hellwach. »Gib mir Suko«, sagte ich nur. »Der ist nicht mehr hier.« Ich verdrehte die Augen. »Was sagst du? Wo ist er denn?« »In seine Wohnung gefahren.« »Okay, danke.« Ich hörte noch ihre Frage, hatte aber keine Zeit zu antworten und legte auf. In Windeseile wählte ich die Telefonnummer meines Freundes und trommelte nervös mit den Fingern auf das Holz, als es mehrmals durchläutete und Suko nicht abhob. Verflixt noch mal. War er unterwegs? Da meldete er sich. »Gott sei Dank, dass du zuhause bist, Suko! Hör zu und stell keine Fragen.« Wenn ich so sprach, wusste mein Freund, dass irgendwo in der Nähe der Busch brannte. Er war ganz Ohr, sagte auch zu, dass er so schnell wie möglich kommen würde. »Gib deinem BMW die Sporen! Es kommt wirklich auf jede Sekun de an. Ich brauche den Bumerang.« Noch einmal gab ich die An schrift durch, die ich von einem in der Nähe liegenden Hotelpro spekt ablas. Damit war alles gesagt, und ich konnte auflegen. Die Frau hinter der Rezeption schüttelte den Kopf. Sie war aufge standen, ihr Blick flackerte nervös. »Mr. Sinclair, was ist denn ge schehen, mein Gott?« »Beruhigen Sie sich, Madam. Es ist nichts geschehen, was Sie er
schrecken könnte oder Sie unmittelbar betrifft. Wirklich nicht, das müssen Sie mir glauben.« »Ich weiß nicht so recht.« »Wollen Sie mir einen Gefallen tun?« »Wenn ich kann, gern.« »Und ob Sie das können.« Ich erzählte ihr von Suko, dass er vielleicht in einer halben Stunde hier eintreffen würde. Ich beschrieb ihn, beschrieb seinen Wagen und erklärte ihr dann, dass sie sich über nichts wundern sollte. Das tat sie sowieso schon. »Moment, Sie haben da von einem Kol legen gesprochen. Wie …« »Wir sind Yard-Beamte.« »O Gott, die Polizei.« Sie presste beide Hände gegen ihr Gesicht. Bestimmt hatte sie noch einige Fragen auf der Zunge, die aber wollte ich ihr nicht mehr beantworten, denn ich befand mich bereits auf dem Weg zum Hinterausgang des Hotels. Ich trat wieder hinaus in die Nacht. Es war seltsamerweise still, was den Ort des anderen Geschehens anging. Von hier aus sah ich die Bühne noch schwach wie einen hel len, schwebenden Fleck. In der Stille aber klang der Schuss doppelt laut. Als ich ihn hörte, wusste ich noch in derselben Sekunde, dass er aus einer Beretta stammte. Das hieß: Sir James steckte in Schwierigkeiten!
* Die Tat war so schlimm und grauenhaft, dass sie keiner begreifen
konnte, obwohl die Zuschauer sie mitbekommen hatten. Nach die sem bösen Mord hatte sich so etwas wie ein Schleier über ihre Ge sichter gelegt, der jeden von ihnen erstarren ließ. Auch Sir James Powell war wie vor den Kopf geschlagen. Fast alle Jahre seines Lebens hatte er Scotland Yard gewidmet, er hatte in sei ner jungen Zeit viel Blut gesehen und auch schlimme Verbrechen mit erlebt. Später, als die Karriere in eine andere Richtung lief, hatte er die Taten nicht mehr hautnah mit erleben müssen, sondern sie aus einer gewissen Distanz betrachten können. Dies war nun nicht mehr der Fall. Er fühlte sich wie aus allen Träumen gerissen und wusste trotzdem, dass er etwas tun musste. Wahrscheinlich war er als Einziger dazu in der Lage. Und Sir James war auch der Erste, der sich bewegte. Bis zur Bühne war es nicht mehr weit. Wenn er zwei Schritte vorging und dann noch einen großen nachsetzte, konnte er die Treppe erreichen. Es war ihm auch egal, ob sie ihn sahen oder nicht, er sah es einfach als seine Pflicht an, den Mörder zu stellen. Dabei überlegte er, wie lange es wohl her sein mochte, als er zum letzten Mal geschossen hatte. Er konnte sich nicht mehr daran erin nern. Das musste Jahre zurückliegen. Sir James erreichte die Bühne und blieb an deren linkem Rand ste hen. Er rechnete damit, dass die Zuschauer von ihren Sitzen spran gen und in einer wilden Panik davonliefen, doch sie blieben starr hocken, als hätte sie jemand dafür bezahlt. Jeder von ihnen stand wie unter einem Bann. Sir James nahm sich die Zeit und schickte einen Blick zu den ersten Reihen, wo die Männer und Frauen auf ih ren Plätzen hockten, als wären sie Puppen. Das konnte er nicht begreifen. Es hatte auch keinen Sinn, länger darüber nachzudenken, er musste etwas unternehmen und zumin dest den verdammten Killer stellen.
Er war ein Mensch – oder? Normalerweise ja, doch es konnte auch möglich sein, dass dieser Mensch von einer dämonischen Kraft beeinflusst und durchdrungen war, und Sir James dachte an die amorphe Gestalt des Spuks, die in mitten der Wolken über dem Geschehen schwebte. Vielleicht hatte er sogar eingegriffen und seinen Geist in die Kör per der Akteure hineinfließen lassen. Der schwarze Killer stand noch immer vor der obersten Stufe der Steintreppe. Sein toter Widersacher lag zu seinen Füßen. Er war auf eine furchtbare Art und Weise getroffen worden. Von seinem Ge sicht war nicht mehr viel zu sehen. Der Schwarze starrte ihn nur an. Das Schwert hielt er mit beiden Händen. Die Klinge schwebte noch über dem Toten, als wartete sie darauf, im nächsten Augenblick nach unten zu jagen. Sir James stand auf der provisorischen Bühne. Er wünschte sich, jetzt dreißig Jahre jünger zu sein. Da dies nicht möglich war, musste er die Sache auch so durchziehen. Er duckte sich. Sein Blick war auf den Killer gerichtet, der ihn nicht sehen konnte, weil er ihm den Rücken zudrehte. Seine Kutte schien ihm zu groß zu sein, sie warf an zahlreichen Stellen des Kör pers dicke Falten, und der Superintendent kam sich bald selbst wie ein Schauspieler vor, als er den nächsten Schritt tat, die Waffe vor streckte und dabei sein rechtes Gelenk mit der linken Hand stützte. Die Mündung zielte auf den Rücken des Kuttenträgers. »Lass das Schwert fallen!« Die Worte klangen in der Stille übernatürlich laut. Viele hatten sie gehört, auch die jenseits des Kerzenlichts stehenden Akteure auf dem Bühnenboden. Doch auch sie bewegten sich nicht. Ihre Gesich ter sahen aus wie in die graue Schwärze des Hintergrunds fleckig eingezeichnet.
Das war nicht normal, hier hatte der mächtige Dämon Spuk einge griffen, und das Monster-Spiel lief nun nach seiner Regie ab. Der Schwarze rührte sich nicht! Sir James wiederholte den Befehl. Er dachte nicht darüber nach, dass er als einzelne Person gegen eine Übermacht stand. So etwas hätte ihn nur von den eigentlichen und wichtigen Dingen abgelenkt. »Ich wiederhole den Befehl kein drittes Mal! Wenn Sie nicht das Schwert fallen lassen, schieße ich!« Zum ersten Mal zuckte die Gestalt. Sie sah so aus, als wäre sie eben aus einem tiefen Schlaf erwacht. Sehr gemächlich richtete sie sich aus ihrer gebückten und angespannten Haltung auf. Der Mör der zählte nicht zu den großen Menschen, und auch jetzt, als er end lich stand, kam er Sir James ziemlich klein vor, aber er würde ihn auf keinen Fall unterschätzen. Der Schwarze drehte sich um. Sein Schwert hielt er noch fest. In Hüfthöhe beschrieb die Waffe einen Kreis, bis sich beide Männer anstarrten und die Spitze auf Sir James zeigte. Der Superintendent stand glücklicherweise nicht so, dass ihn einer der beiden Scheinwerfer geblendet hätte. Der Scheinwerfer am ge genüberliegenden Bühnenrand warf sein Licht an ihm vorbei und hinterließ auf den Bohlen eine blasse Fläche. Anders verhielt es sich mit dem Kuttenträger. Zwar wurde er nicht direkt geblendet, aber schon angestrahlt, sodass Sir James ihn jetzt auch deutlich von vorn erkennen konnte. Der Mörder hatte ein hartes Gesicht, das wie geschnitzt wirkte. Es konnte auch daran liegen, dass er es geschwärzt oder bemalt hatte. Da hätte Sir James nicht genau sagen können, was nun stimmte oder nicht. Jedenfalls zeigte dieses Gesicht keinerlei Regung und auch nicht die Spur eines Bedauerns.
Harte Augen stierten Sir James an. Auch wenn es Menschen gab, die den Superintendenten nicht ernst nahmen, so konnte diesem eine sehr gute Menschenkenntnis nicht abgesprochen werden. Und Sir James wusste, als er in das Ge sicht des Killers schaute, dass die Sache noch nicht gelaufen war. Der Kuttenträger hatte nicht aufgegeben! Er schüttelte den Kopf, als wollte er den Anblick des Pistolenträ gers verscheuchen. Dann bewegten sich seine Augen, als wären sie zu kleinen Rädern geworden. Er hob das Schwert an. »Lass es fallen!« Das tat der Kuttenträger nicht. Ein Schrei löste sich aus seinem Mund. Er riss die Waffe hoch, er wollte vorlaufen und zuschlagen, und es sah aus, als hätte Sir James nur auf diesen Moment gewartet. Er drückte ab. Die Waffe ruckte nicht einmal in seiner Hand, er hatte sie wunderbar abgestützt und gleichzeitig die Zielrichtung ein wenig verändert, denn die Mündung wies nun auf den unteren Teil des Körpers. Dort traf auch die Kugel. Sie drang in den Oberschenkel ein, und diesem harten Aufprall hatte der Kuttenträger nichts entgegenzusetzen. Die Kugel riss ihm das rechte Standbein weg. Der Killer versuchte noch, sich zu fangen, doch nicht einmal auf das Schwert konnte er sich stützen. Er fiel auf den Bretterboden, der unter seinem Gewicht vibrierte, und ließ die verdammte Waffe noch immer nicht los. Sir James hatte seine Haltung kaum verändert, aber er spürte selbst, unter welch einer Spannung er litt. Nur mühsam unterdrück te er ein eigenes Zittern, keiner sollte merken, dass er sich nicht ge rade topfit fühlte. Wenn jetzt John Sinclair in seiner Nähe gewesen wäre, hätte er sich besser gefühlt. So konnte er nur hoffen, dass der Geisterjäger den Schuss gehört hatte. Noch immer hielt die Stille die Bühne und deren unmittelbare
Umgebung wie ein finsteres Gespinst umklammert. Es kam Sir Ja mes vor wie ein böser Traum, in dem jegliche Bewegungen erstarrt waren. Kein Zuschauer rührte sich, keiner traf auch nur Anstalten, sich von seinem Sitz zu erheben, und niemand sprach ein Wort. Auch der Kuttenträger war still. Er hielt seinen Mund zusammen gepresst. In dem grauen Gesicht sahen die Lippen aus wie zwei dünne, etwas hellere Striche. Nur das leise Echo seiner eigenen Tritte war zu hören, als Sir Ja mes auf den Mörder zuging. Erst jetzt spürte der Mann, wie weich die Bretter der Bühne letztendlich waren. Alles hier bestand aus ei nem Provisorium, da schloss er die Steintreppe sogar mit ein, denn aus der Nähe betrachtet wirkten die Stufen wacklig. Bevor er den Killer erreichte, drehte er noch den Kopf und schaute zum Himmel. Er sah die dicken Wolken und den großen schwarzen Fleck, der zwischen ihnen schwebte. Als hätte dort jemand ein ge waltiges Tintenfass ausgeleert. Aber es war keine Tinte. Dort lauerte einer der gefährlichsten Dämonen, über den Sir James erst gar nicht nachdenken wollte, dann hätte er sich selbst aufgegeben. Wenn der Spuk eingriff, gab es für ihn keine Chance. Aber er hielt sich zurück. Sir James war mittlerweile zu der Über zeugung gelangt, dass die Starre allein auf die Magie des Spuks zu rückzuführen war. Durch seine Anwesenheit hatte sich hier alles verändert, und er würde diesen Druck auch lösen können. Dass Sir James nicht mit in diesen Strudel hineingerissen worden war, moch te daran liegen, dass sich der Spuk ihn als Spielball ausgesucht hat te, denn hier lief alles nach den Regeln des Dämons ab. Vor dem Kuttenträger blieb Sir James stehen. Er hörte das zischen de Atmen des Mörders, der sein Schwert endlich losgelassen hatte. Sir James trat es zur Seite. Der Kuttenträger glotzte in die Mündung. Im Licht des Scheinwer
fers wirkte sein Gesicht wie gemalt. Scharf konturiert, dazwischen die grauen Stellen, als hätte jemand seine Wangen mit grauer Asche bestäubt. Kalt schaute Sir James ihn an. »Das war Mord«, sagte er leise. »Eiskalter, brutaler, rücksichtsloser Mord vor einem Zeugen, nämlich von mir. Sie wissen, was das zu bedeuten hat?« Der Killer dachte über die Worte nach, bevor er ein dünnes Grin sen zeigte. »Nein, es war kein Mord. Wir haben hier ein Spiel durch geführt, verstehst du das, alter Mann? Ein Spiel, in dem es nur einen Sieger geben konnte.« »Ich weiß, dass Sie gewonnen haben. Aber Sie hätten sich großzü gig zeigen können. Der andere lag vor Ihnen auf den Knien, er war bereits besiegt, er hatte aufgegeben, doch Sie haben ihn getötet. Eis kalt und ebenso brutal …« »Ich musste es tun.« »Warum?« »Sonst hätte er mich getötet.« »Es war vorbei.« »So sind die Regeln!« Dieser Killer bereute nichts, aber Sir James konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Ritterspiele der Fanta sy-Fans derartig blutig endeten. Das wollte ihm nicht in den Sinn, und er fragte, ob es bei den Spielen immer Tote gab. »Das weiß ich nicht.« »Wie bitte? Was wissen Sie nicht?« »Ich musste es tun!«, keuchte der Killer. »Ja, ich musste es einfach tun. Er lag vor mir, ich hatte gewonnen, doch plötzlich gab es in mei nem Kopf einen Riss. Jemand anderer setzte sich mit mir in Verbin dung und erklärte mir, dass ich zuschlagen muss, um den endgülti
gen Sieg zu erringen. Alles andere konnte ich vergessen.« »Wer war der Jemand?« »Ich weiß es nicht!« »Was sagte er zu Ihnen?« »Tu es!« »Und Sie haben gehorcht!« »Was sollte ich denn machen?« Der Mann sprach nicht so, als hätte er etwas zu bereuen. Sir James schwieg. Ja, im Prinzip hatte der Kuttenträger Recht. Was sollte er machen, wenn er unter dem mächtigen Einfluss des Spuks stand? »Wie heißen Sie?« »Ist das wichtig?« »Ihren Namen!« »Kooman.« Diesen Namen hatte Sir James noch nie gehört. Es war auch nicht wichtig. »Ich werde Sie jetzt mitnehmen, Mr. Kooman. Es muss sein. Ich bin James Powell, Superintendent bei Scotland Yard, und habe …« Ein scharfes Lachen unterbrach ihn. Er wurde abgelöst von einem Husten. »Nein«, keuchte er, »das darf nicht wahr sein. Sind Sie tat sächlich ein Bulle, alter Mann?« »Es sieht so aus.« Kooman lachte weiter. »Sie haben gut geschossen, Sie haben mich sogar getroffen. Ihre Hände zitterten nicht. Sie scheinen ein beson derer Bulle zu sein.« Mit seiner Antwort bewies Sir James, dass ihm der Humor nicht ganz fremd war. »Ich bin sogar eine Edelzüchtung von einem Bul len. Und diese sind bekanntlich zäh, wie Sie wissen.« Kooman lachte wieder und hustete zugleich. »Aber was wollen Sie Spaßmacher denn tun?«
»Ich sorge dafür, dass Sie von hier weggeschafft werden.« »Wollen Sie mich tragen? Ich kann nicht laufen. Sie haben mich angeschossen.« »Das weiß ich. Aber können Sie sich nicht vorstellen, dass ich nicht allein hierher gekommen bin? Es wäre doch zu riskant gewesen. Ein alter Mann wie ich geht da auf Nummer sicher und verlässt sich auf einen Partner.« »Wo ist er denn?« »In der Nähe.« »Bluffen können Sie nicht, Mister! Ich glaube Ihnen nichts mehr. Und wenn schon, er hätte keine Chance. Schauen Sie sich die Zu schauer an. Keiner von ihnen bewegt sich mehr. Haben Sie das gese hen? Sie stehen dort wie die Ölgötzen!« »Ich habe Augen im Kopf.« Sir James atmete kraftvoll durch seine Mundwinkel aus. »Warum sollte ich mich darüber wundern? Ich kenne den Dämon, der dafür verantwortlich ist.« »Wer ist es denn?« »Der Spuk!« Kooman sagte nichts. Er schaute zur Seite. Eine Hand glitt über die Bohlen und verursachte ein schleifendes Geräusch. Wieder begann er zu sprechen. »Ich sah die Wolke, wir alle haben sie gesehen, aber ich spürte plötzlich, wie etwas in mich eindrang und meinen Körper erfüllte. Erst hatte ich Angst davor zu ersticken, weil es mir die Luft raubte. Dann breitete sich das andere aus. Es trieb durch meine Adern wie ein Schleier. Es war kalt und trotzdem heiß. Es war ein fach grauenhaft, aber es tat auch sehr gut, denn ich fühlte mich wie ein anderer Mensch, wie neugeboren, denn ich wusste, dass ich den Kampf nun gewinnen konnte, was sonst nicht der Fall gewesen wäre, denn nach den eigentlichen Regeln hätte der andere gesiegt. Das Gute muss siegen, der Held muss gewinnen, so sagen es die
meisten Regeln aus, damit die Zuschauer nicht enttäuscht werden. Auch bei uns war es so. Bei unseren Spielen gab es immer ein Hap py End. Bisher jedenfalls, aber plötzlich war alles anders. Da hat uns das Leben seine richtige Seite gezeigt. Jetzt habe ich gewonnen, und es tat mir gut, das können Sie mir glauben!« Kooman funkelte ihn an, bevor er den Blick senkte und auf sein verletztes Bein schaute, das er, im Gegensatz zu seinem normalen, ausgestreckt hatte. Das gesunde Bein hatte er unter dem Körper an gewinkelt. Sir James folgte dem Blick. Schon beim ersten Hinsehen hatte er sich darüber gewundert, kein Blut zu sehen. Okay, das hätte an der Kutte liegen können, die einiges verdeckte, aber eine Lache hätte sich zumindest auf dem Bretterboden abzeichnen müssen. Da war aber nichts zu sehen. Und jetzt zog der Angeschossene sein verletztes Bein noch an. Zu erst nur langsam, dann mit einer normalen Bewegung. Er freute sich, er lachte und flüsterte: »Na, sehen Sie was, Powell? Sie haben mich doch getroffen. Wo ist das Blut? Mein Bein kann ich bewegen, und nicht nur das. Glauben Sie mir, ich werde es schaffen und mich vor Ihnen auf die Beine stellen. Da bleibe ich dann stehen, lache Sie aus und fürchte mich nicht vor Ihrer Waffe. Aber Sie werden sich vor meinem Schwert fürchten, das verspreche ich Ihnen.« Mit einer blitzschnellen Bewegung griff er danach und umklammerte den Griff. Er zog die Waffe an sich! Sir James wich zurück. »Lassen Sie das, Kooman! Wenn Sie aufste hen, dann schieße ich!« »Tatsächlich, alter Mann?« Eine tiefe, grollende Stimme war aus der Höhe auf Sir James her abgedrungen, und als er den Kopf hob und von der Bühne weg ge
gen den Himmel oberhalb der Zuschauer schaute, da sah er, was ge schehen war. Der Spuk hatte sich eingemischt. Sir James fror plötzlich trotz der Schwüle … Er war ein Mann, der seine Chance genau einzuschätzen vermoch te. Und gegen den Spuk, der es selbst schaffte, das Kreuz des Geis terjägers zu beeinflussen, kam er nicht an. Der war einfach zu mäch tig. Der gehörte zur Gruppe der letzten uralten Dämonen, die all die Jahrmillionen überlebt hatten. Kooman stand an der Seite, wieder bewaffnet, und freute sich. Auch er hatte den Kopf gedreht, damit er die heranschwebende Wolke besser erkennen konnte. Sie bewegte sich lautlos über den Himmel. Es war nicht zu sehen, ob sie ihre Höhe beibehielt oder tiefer sank, weil sie mit dem Wol kenverbund eine Einheit bildete, aber sie bewegte sich doch auf die Bühne zu. Kooman wollte das Zentrum erreichen, und Sir James bekam mit, wie sich die Wolke veränderte. Sie sah aus, als würde sie in einem Zeitlupentempo auseinander gerissen, denn sie hatte ihre Lage ver ändert und wanderte aus verschiedenen Richtungen auf das Ziel zu. Schwarz wie Tinte, alles überdeckend. Selbst einige Zuschauer wa ren nicht mehr zu sehen, weil sich die Schwärze wie ein Sack über sie gestülpt hatte. Sir James konnte nichts tun. Es gab nichts, was er dem Spuk entge genhalten konnte. Die Beretta sah er als lächerlich an, und er wusste auch, dass es keinen Sinn hatte, es mit einer Flucht zu versuchen. So blieb er stehen. Die Wolke faszinierte ihn trotzdem. Zum ersten Mal erlebte Sir Ja mes das Eingreifen dieses Dämons so unmittelbar, und er merkte auch am eigenen Leibe, was es bedeutete, in den unmittelbaren Strahlungsbereich des Spuks zu gelangen.
Bisher hatten nur seine Mitarbeiter darüber berichtet, nun aber be kam er diese außergewöhnliche Kälte zu spüren, für die er kaum eine Erklärung fand. Er konnte sie nicht in Worte fassen, weil sie ganz anders war als der Kälteschock an einem Frosttag. Diese hier erreichte nicht nur die Hülle seines Körpers, die nahm weder Rücksicht auf Kleidung noch auf Haut, denn sie drang in ihn hinein. Und mit ihr kam die Veränderung, die Beeinflussung der Gedan ken. Als wäre sie dabei, die Psyche aus dem Mann herauszusaugen und sie durch eine andere zu ersetzen. Sir James dachte an Flucht und dann, dass es sinnlos war, sie zu versuchen. Eis in seinen Gliedern. Aber verteilt in langen Fäden, die bis in die Fingerspitzen hineinglitten und auch seine Seele nicht ausließen. Sie war einfach da, sie drängte sich noch tiefer in ihn hinein, sodass sein eigentliches Leben hervorgeholt und gegen ein anderes ausge tauscht wurde, das unter dem Befehl des Spuks stand. Er wollte Sir James zu einer Marionette machen. Noch hielt sich der Superintendent auf den Beinen, worüber er sich selbst wunderte. Die schwarze Wolke hatte alles verdeckt. Sein Sichtfeld war eingeschränkt wie nie. Nur der Spuk regierte. Und Kooman freute sich. Er stand da, auf sein Schwert gestützt. Er schaute zu, wie der Polizist in die Knie sank, als wollte er den ge waltigen Dämon anbeten. Die Waffe verlor er. Sie rutschte ihm aus der Hand und blieb ne ben ihm liegen. Er konnte nicht mehr. Sir James hatte sein Menschsein verloren, er war zu einer Marionette geworden, zu einer Kreatur des Spuks, und ihm erging es jetzt so wie Kooman vorher.
Er fiel auf den Rücken. Kooman, der Killer, schaute zu. Er lächelte, er sah wieder Land, während Sir James der Eindruck überkam, als hätte es der Spuk ge schafft, sich selbst in seinen Augen festzusetzen, denn er sah nur die Schwärze, die alles überdeckende Schwärze, ein Stück Tod. Die Schwärze blieb nicht so, denn sie bewegte sich. Von innen her drang eine Kraft hindurch, die er nicht erklären konnte. Es wurde al les anders, denn die Wolke bewegte sich wie eine Spirale, aber sie veränderte sich dabei nicht. Alles geschah im Innern, alles wirkte auch weiterhin grenzenlos und fließend. Gestaltlos eben … Und doch war da etwas. Zwei Augen, zwei Punkte, tief im Innern der Schwärze verborgen. Sie glotzten nieder, sie starrten Sir James an, als wollten sie seine Seele verbrennen. So fühlte sich Sir James auch. Ausgebrannt, leer und trotzdem an gefüllt von einer anderen Kraft. Starr lag er auf dem Bretterboden der Bühne. In seiner Nähe stand Kooman und schaute ihn kalt an. Das Lächeln auf dem Gesicht des Killers sagte eigentlich alles. Bei de gehörten jetzt zusammen, und Kooman bewegte sich und sein Schwert, das er in die Nähe der Beretta brachte. Er schob die Waffe seinem ehemaligen Kontrahenten zu. »Nimm sie!« Sir James rührte sich nicht. Totenbleich lag er auf dem Rücken. Die Kraft des Spuks hatte ihn voll erwischt. Selbst das Licht der Schein werfer schaffte es nicht mehr, die Schwärze zu durchdringen. Es wurde einfach verschluckt. Dennoch war Sir James zu sehen. Er lag in der Schwärze wie eine Puppe. Der Spuk spielte mit ihm, er dirigierte ihn, und er sorgte da für, dass ein Zucken durch den Körper des Mannes ging. Dabei blieb es nicht.
Sir James richtete sich auf. Er blieb normal sitzen, aber er war trotzdem ein anderer geworden. Ein Mensch unter der Kontrolle des mächtigen Dämons, mit einem Gesicht, in dem sich Blässe und Schatten vereinten. Die Wolke war geblieben, die starren Augen auch, aber deren Zeit lief allmählich ab. Es begann mit einem Zittern in der Wolke. Dann zog sie sich lautlos zurück. Es war nicht zu sehen, wohin. Für den Spuk zählte einzig und al lein, dass er Sir James unter seine Kontrolle gebracht hatte. Jetzt gehorchten ihm schon zwei. Von den Zuschauern rührte sich nach wie vor niemand. Auch die anderen Akteure auf der Bühne standen nach wie vor im Hinter grund, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie alle waren in den Bann des mächtigen Dämons geraten, aber nur mit zwei Perso nen spielte er tatsächlich. Sir James stand auf. Kooman schaute ihm dabei zu. Er sah es mit einem wohlgefälligen Nicken. Dann ging er zur Seite. Sir James bekam mit, wie er sein rechtes Bein nachzog. Die Wirkung der Kugel hatte er doch nicht ganz abschütteln können, aber er spürte keine Schmerzen, dafür sorgte schon die Kraft des mächtigen Dämons. Es gefiel Kooman nicht, dass Sir James nichts tat. Das musste er ändern, deshalb zerrte er ihn zu sich heran und brachte seine Lippen dicht an das Ohr des Mannes. Er flüsterte ihm etwas zu, Sir James nickte, und Kooman grinste. Er ging wieder zurück. Sir James blieb etwas verunsichert stehen wie jemand, der nicht auf die Bühne gehörte. Er dachte über etwas nach und hatte plötz lich einen Entschluss gefasst. Er ging drei Schritte weiter und näherte sich damit dem Hinter
grund, wo die Akteure wie Zinnfiguren standen. Frauen und Männer. Unterschiedlich alt. Sie alle hatten sich zu sammengefunden, weil ihnen die Spiele Spaß machten. Sie wollten etwas erleben, es waren einfach Gleichgesinnte. Für Sir James spielte es keine Rolle, wen er sich aussuchte. Das war wie beim Roulett. Noch hatte er Mühe mit dem klaren und genauen Sehen. Er wisch te über seine Augen, schüttelte dann den Kopf, während sein graues Gesicht den Ausdruck einer tiefen Entschlossenheit annahm. Er richtete die Waffe auf einen Körper. Es war der einer Frau. Dann hob er die Beretta an und suchte sich ein neues Ziel aus. Das Gesicht der Frau. Sehr genau zielte er dabei zwischen die Augen der Person, und sein rechter Zeigefinger umschloss den Abzug. Es gab keinen Zweifel. Superintendent Sir James Powell stand dicht vor seinem ersten Mord!
* Ich betrachtete die Wolke und verhielt meinen Schritt. Nur ein Schuss war gefallen. Er hatte mich alarmiert, und dementsprechend schnell war ich gelaufen. Das brauchte ich nun nicht mehr, denn ich wusste, dass ich nichts tun konnte und ein anderer die Regie in die sem Spiel übernommen hatte. An der letzten Stuhlreihe war ich stehen geblieben. Vor mir sah ich die Köpfe und Rücken der Zuschauer und hatte dabei den Eindruck, gegen Puppen oder starre Leichen zu schauen, die irgendjemand auf die Stühle gesetzt hatte. Alles war anders geworden. Nichts galt mehr. Die letzten Minuten
konnte ich vergessen, in diesem Spiel regierte nur noch die Kraft des Spuks. Ich war ausgeschaltet worden. Ich tippte einer Person auf die Schulter. Es war eine Frau, die ihr Fell schräg über den Körper gelegt hatte. Die nackte Haut der Schul ter schimmerte bräunlich. Die Person reagierte nicht. Sie war nicht einmal zusammenge zuckt. Ebenso gut hätte ich auch ein Stück Holz anfassen können. Damit hatte ich auch erfahren, wie weit die Macht des Spuks doch ging. Er übte tatsächlich die volle Kontrolle über die Zuschauer aus und ließ nur den agieren, den er dafür ausersehen hatte. Ich ging davon aus, dass der Schuss auf der Bühne abgegeben worden war. Denn nur dort hielten sich die Akteure auf, aber mir war leider die Sicht durch den pechschwarzen Dämon genommen worden, der hier regierte. Der Spuk herrschte, und ich wusste nicht einmal, welche Gründe ihn hergeführt hatten. Welches Spiel trieb er? Mich hatte er bewusst noch nicht zur Kenntnis genommen und ließ mir die entsprechende Bewegungsfreiheit. Ich hatte die Kette mit dem Kreuz über den Kopf gestreift, hielt es in der Hand, schaute es an und forschte danach, ob es sich verändert hatte. Nein, es sah normal aus. Der Spuk hatte sich nicht darum gekümmert. Seine Ausstrahlung lief noch an dem Talisman vorbei. Aber ich kannte es anders. Da war das Kreuz dann zu einem Schatten degradiert worden, wenn es in den unmittelbaren Bereich dieser dämonischen Strahlung geriet. Mit Sir James hatte ich mich an der Seite der Bühne verabredet. Das Treffen würde keiner von uns einhalten können, das stand fest. Mit ihm war etwas geschehen, er musste in den unmittelbaren Machtbereich des Spuks geraten sein, und was das für einen unbe darften Menschen wie Sir James bedeutete, war mir klar. Er hatte
bisher nie direkt mit den dämonischen Kräften zu tun gehabt. Nun aber würden sie mit ihm spielen, weil er ja unter ihrer Kontrolle stand. Ich bewegte mich geduckt auf das Ziel zu. Dabei schlug ich einen kleinen Bogen, denn zu nahe wollte ich an den Reihen der Zuschau er nicht entlang laufen. Es war seltsam still geworden. Möglicherweise schluckte auch die unheimliche Schwärze alle anderen Nebengeräusche, sodass ich meine eigenen Schritte besonders deutlich hören konnte. Ich dachte auch an Zodiak, den Kopfjäger des Spuks. Ein schlim mer Vasall, der nur die Gewalt kannte und sonst nichts. Auch er würde töten, ob mit oder ohne Befehl. Dieser Gedanke führte mich wiederum zu Suko, der sich sicherlich wünschte, jetzt fliegen zu können, um mir den Bumerang zu bringen. Leider musste er sich auf seinen Wagen verlassen. Mochte der BMW auch eine kleine Rakete sein, es würde trotzdem dauern, bis er das Ziel erreicht hatte. Mir erging es da besser. Nur noch wenige Schritte brauchte ich zu gehen, um in den Schat ten der Bühne zu gelangen. Dass ich dabei auch in den Bereich des Spuks geriet, lag auf der Hand. Noch immer spürte ich seine Magie nicht. Es ärgerte mich beinahe, dass er mich so einfach ignorierte, wahrscheinlich sah er mich nur als einen Statisten an. Rechts von mir schwebte die Wolke. Ich kannte sie ja, ich kannte auch das blutrote Schimmern der Augen tief in ihrem Innern. Dies mal sah ich sie von der Seite und schaute nicht direkt hinein. Der Spuk zog sich zurück. Natürlich verursachte er dabei kein Geräusch. In seiner absoluten Lautlosigkeit und Dichte glitt er von dem eigentlichen Zentrum weg und verlagerte seine Aktivitäten.
Ich war stehen geblieben und schaute ihm hinterher. Natürlich hatte er mich gesehen, ich stellte auch fest, dass mein Kreuz dunkler und schattenhafter aussah als gewöhnlich. Das alles machte dem Spuk nichts aus, denn er hatte seine Akzente woanders gesetzt. Und zwar auf der Bühne! Denn dort bewegten sich zwei Menschen. Keine Schauspieler, nur einer von ihnen gehörte zur Gruppe der Fantasy-Fans, wie seinem Kostüm, einer schwarzen Kutte, unschwer zu entnehmen war. Der andere aber war Sir James. Und er lebte! Als ich das sah, fiel mir zunächst ein Stein vom Herzen. Der Spuk hatte ihn also nicht ausgeschaltet. Ich wollte schon den Rest der Stre cke zurückgehen und auf die Bühne klettern, als mir an meinem Chef etwas auffiel. Er bewegte sich zwar auf seinen zwei Beinen, aber er ging so an ders und seltsam, als wäre er kein normaler Mensch mehr, sondern irgendeine steife Person, die auf die Befehle eines Mächtigen hörte. Das gefiel mir überhaupt nicht, machte mir aber gleichzeitig klar, dass der Spuk doch nicht als harmloses Etwas erschienen war. Der hatte hier schon seine Zeichen hinterlassen. Und er hatte ausgerechnet Sir James erwischt. Man hatte ihm die Waffe gelassen. Sir James hielt meine Beretta in der rechten Hand. Der Arm hing nach unten, als er über die Bühne zu seinem Ziel ging. Der Kuttenträger hatte mit ihm gesprochen. Worum es bei diesem Flüstern gegangen war, wusste ich nicht. Allerdings bekam ich die Folgen mit. Die folgenden Sekunden entwickelten sich für mich zu einem Hor ror ohnegleichen. Meine Nackenhaare stellten sich quer, ich kam mir plötzlich vor wie in einer anderen Welt, weil ich einfach nicht glau ben wollte, was ich sah.
Und ich erkannte mit Schrecken, dass ich noch zu weit von der verdammten Bühne und damit vom Zentrum des Geschehens ent fernt war. Ich startete. Aber das Unheil konnte ich nicht aufhalten …
* Sir James sah aus wie eine geschnitzte, sehr große Holzfigur, als er stehen blieb. Seine Augen waren kalt, und sie waren auch gleichzei tig leer, er wirkte ausgebrannt und trotzdem von einem wilden Feu er der Entschlossenheit durchtost. Er hatte die Waffe! Und er sah die Reihe der bewegungslosen Hob by-Schauspieler vor sich. Er verfügte auch über die andere Macht, denn in seinem Körper, in seiner Seele steckte die Kraft des Spuks. Ein anderes Leben. Das alte zählte nicht mehr. Sir James hatte die Waffe angehoben. Er zielte noch immer auf das blasse Gesicht. Der Finger lag am Drücker. In seiner Nähe stand Kooman und lachte leise, bevor erfragte: »Traust du dich nicht?« Sir James gab die Antwort auf seine Weise. Er schoss. Und er schaute zu, wie die Frau mit zerschmettertem Gesicht unter der Ein schlagwucht der Kugel zusammenbrach. In diesem Augenblick war der Superintendent Sir James Powell zu einem Mörder geworden …
* Suko fuhr wie der Teufel!
Er hatte mit einem verkehrsarmen oder leeren London gerechnet, aber nicht bei diesem Wetter. Auch nach Mitternacht befanden sich noch genügend Menschen in ihren Autos unterwegs. Glücklicherweise war Sukos Wagen mit einer Sirene und Blaulicht ausgestattet. Die musste er einsetzen, und man machte ihm tatsäch lich Platz, sodass der BMW wie ein Phantom über die dunklen As phaltstreifen hinwegjagen konnte. Suko war voll konzentriert. Er gehörte zu den Autofahrern, die sich blitzschnell auf die verschiedenen Situationen einstellen konn ten. Er war froh, als die Themse hinter ihm lag und er in Richtung Süden fuhr. Suko gab Gas. Der diamantschwarze BMW 535i schien sich für einen Moment zu schütteln, dann jagte er los, als wollte er von der Straße abheben. Es gab eine Straße, die an der Ostseite des großen Tennis-Areals vorbeiführte, die Wimbledon Park Side. Sehr breit gebaut, gut in Schuss, man musste den Gästen ja etwas bieten, und das nutzte Suko natürlich für seine Zwecke aus. Er drehte noch mehr auf. Neben ihm lag auf dem Beifahrersitz der silberne Bumerang. Entstanden war er vor Jahren aus den letzten Seiten des Buchs der grausamen Träume, und Suko dachte daran, dass es John Sinclair gelungen war, mit dieser Waffe den Schwarzen Tod zu besiegen. Himmel, wie lange lag das schon zurück! Er fuhr weiter. Der Wagen huschte über die Straße. Lichter flitzten vorbei. Kleine Ortschaften ließ er einfach stehen, so jedenfalls kam es ihm vor. Die Umgebung veränderte ihr Gesicht. Sie wurde einsa mer. Felder, Wälder und Wiesen huschten jetzt vorbei. Suko hatte dafür keinen Blick. Er konzentrierte sich voll und ganz auf die Straße und auf seine Fahrerei. Bei dieser Geschwindigkeit
konnte der kleinste Fehler tödlich sein, und noch immer hatte er Blaulicht und Sirene eingeschaltet. Hin und wieder überholte er andere Fahrzeuge. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der nahen Zukunft. Er stellte sich die letzte Strecke des Wegs vor und hoffte, das Hotel auf Anhieb zu finden. Nur nicht lange herumsuchen, weil jede Sekunde in diesem Fall kostbarer als Gold war. Er musste beinahe bis an das Ende des Areals, denn dort begannen die zahlreichen Golfplätze. Nicht weit entfernt befand sich ein klei ner See. Davon hatte John gesprochen. Und am südlichen Ufer lag das Hotel. Suko verringerte das Tempo. Er suchte nach Abfahrten, schaltete auch Sirene und Blaulicht aus, die brauchte er jetzt nicht mehr. Er bog nach links ab. Noch sehr schnell, denn die Reifen quietsch ten über den Asphalt. Irgendwo würde er auf ein Hinweisschild treffen, das ihm den genauen Weg zeigte. Er fand es, weil es beleuchtet war. Manchmal konnten diese Rekla metafeln auch einen guten Zweck erfüllen, und über seine Lippen glitt ein knappes Lächeln. War es zu schaffen? Er folgte dem Schild, blieb in der Richtung, und der Weg führte ihn durch einen dichten. Wald. Das Scheinwerferlicht glitt über die Stämme der Bäume hinweg, es machte aus dem Unterholz eine blei che, gespenstische Masse, aber das alles interessierte ihn nicht. Er hätte jubeln können, als er den hellen Pfosten sah, auf dem abermals das Hinweisschild des Hotels wie ein dreieckiger Vogelkäfig saß. Jetzt nach rechts. Der Weg durch den Wald wurde schmaler. Der Wald nahm an Dichte zu. Wer hier seinen Urlaub machte, hatte es wirklich gut. Über die Lippen des Inspektors huschte ein Lächeln.
Er wusste, dass er bald da war. Der Parkplatz, das Haus, das Licht, er sah es zugleich, und in sei ner Gesamtheit wirkte alles so wunderbar normal und einladend, was es aber sicherlich nicht war, denn hinter der Fassade lauerte das absolute Grauen. Sukos Ziel war die erhellte Glasfront des Landhotels, wo er den Wagen stoppte. Beinahe hätte er den Bumerang noch vergessen, als er ausstieg. An der Rezeption bekam die blonde Lady große Augen. Selten hatte sie einen Gast so in das Hotel stürmen sehen. »John Sinclair, wo befindet er sich?« »Sind Sie der Inspektor?« »Ja.« Die junge Frau war noch immer nervös. Sie musste erst schlucken, bevor sie eine Antwort geben konnte. »Hinten, Sir, er befindet sich hinten, wo das Spiel ablief.« »Was heißt hinten?« »An der Rückseite. Sie können durch die Tür dort …« Sie ver schluckte den Rest des Satzes, weil sich Suko schon mit langen Schritten auf den Weg gemacht hatte. In seinen Augen stand der Wille, es zum bitteren Ende durchzu stehen. Egal, was auch geschah. Trotz seiner Eile überstürzte er nichts und blieb stehen, als sich die Tür hinter ihm wieder schloss. Er stand im Freien und schaute nach vorn. John Sinclair hatte ihm in der Kürze der Zeit nicht alles erzählen können. Vieles war ungesagt geblieben, und so musste sich der In spektor zunächst selbst ein Bild von der Lage machen. Man hatte diesen Hotelgarten verändert und sich dabei den Wün schen der Gäste angepasst. Durch Lampions und Girlanden war er
farbig beleuchtet worden, aber das Licht gefiel dem Inspektor nicht so recht. Es hätte eigentlich viel mehr leuchten müssen, stattdessen hatte es einen Grauschleier angenommen, als wäre noch ein Rest ei ner ungewöhnlichen Dunkelheit zurückgeblieben. Suko wunderte sich. Er wunderte sich auch über die starren Menschen, die auf den Stühlen saßen und in eine bestimmte Richtung schauten, die auch er unter seine Kontrolle nahm. Der Schatten, der sich in der Finsternis als grauer Umriss abzeich nete, sah aus wie eine Bühne, auf der etwas gespielt wurde. So war es auch der Fall gewesen, wie John noch gesagt hatte. Nur konnte Suko nicht genau erkennen, ob sich dort jetzt etwas tat. Sein Blick glitt in die Höhe. Plötzlich huschte ein hartes Lächeln um seine Lippen. Er sah den Himmel, aber nicht nur ihn. Der große, breite und irgendwie auch ovale Schatten sagte ihm, dass er einen Beobachter mit ins Kalkül ziehen musste, und zwar den Spuk. Und der hatte seinen Helfer geschickt, den Köpfer! Bisher hatte Suko ihn noch nicht zu Gesicht bekommen, er ging al lerdings davon aus, dass sich dieser nicht versteckt hielt. Suko woll te nicht so lange warten, bis sich der Köpfer zeigte. Er musste Kon takt mit seinem Freund bekommen und natürlich auch mit Sir Ja mes. In der rechten Hand hielt er den silbernen Bumerang, und Suko hoffte nur, dass er, wenn er ihn einsetzen musste, auch richtig rea gierte. Ein Schuss peitschte auf. Suko schrak zusammen, er hatte am Klang eine Beretta erkannt. Der Schuss war in Höhe der Bühne oder sogar auf ihr abgegeben worden, so genau hatte er es nicht herausfinden können.
Eine Stimme gellte auf. Er identifizierte sie als die seines Chefs. Wenig später schrie John etwas, das er auch nicht verstehen konnte. Ihm war nur klar, dass er eingreifen musste! Dagegen allerdings hatte ein anderer etwas. Suko wusste nicht, woher die Gestalt so plötzlich gekommen war, jedenfalls erschien sie vor ihm und schnitt ihm den Weg ab. Von ihrem Gesicht konnte er nichts erkennen, weil es unter einer grauen Maske verschwunden war. Das wollte er auch nicht. Ihm reichte allein die Gestalt mit dem Mörderschwert in der rechten Hand. Wenn geweihte Silberkugeln gegen ihn ausgereicht hätten, hätte ihm John das schon gesagt. Wahrscheinlich lachte der Köpfer dar über, und so ließ Suko die Waffe stecken. Er verließ sich auf den Bumerang. Und er fragte sich, welche der beiden Waffen stärker war …
* Du erlebst einen bösen Traum! Du wirst irgendwann in deinem Bett wach, stehst auf und denkst dir, dass es zum Glück nur ein Traum gewesen ist. So und nicht anders sieht es aus, denn was du da mit eigenen Augen gesehen und erlebt hast, das kann einfach nicht der Realität entsprechen. So etwas ist unmöglich. Es war kein Traum. Es war die verfluchte, blutige und mörderi sche Wirklichkeit, denn Sir James hatte geschossen. Und ich hatte es als Zeuge gesehen. Ich hatte erlebt, wie das Gesicht zerstört wurde, ich war dann ste hen geblieben, vielleicht nur zwei Sekunden, vielleicht auch länger. Bei meiner Gefühlsaufwallung spielte die Zeit keine Rolle mehr. Ich
kam erst wieder richtig zu mir und konnte auch klar denken, als ich mich bereits mit großen Schritten auf die Bühne zu bewegte, um sie zu erklettern. Nur keinen zweiten Mord! Ich wusste nicht einmal, wie ich auf die Bühne gelangt war, aber das dabei entstehende Geräusch hatte Sir James glücklicherweise ir ritiert und aus seinem schrecklichen Zustand gerissen. Er drehte sich um. Im Licht der beiden Scheinwerfer wirkten wir alle wie bleiche Ge stalten in einem modernen Theaterstück, das mit wenig Kulisse aus kam und die Abgründe der Menschen aufzeigte. Sir James erkannte mich. »Weg mit dir!«, brüllte er mit einer Stim me, wie ich sie bei ihm noch nicht gehört hatte. »Nein, verdammt!« Ich ging weiter auf ihn zu. »Sie werden ver schwinden. Lassen Sie die Waffe fallen!« Er schüttelte den Kopf. Sein Gesicht zeigte einen derartig verbisse nen Ausdruck, dass ich mich erschreckte. Da konnte ich ihm tau send Worte sagen, er würde nicht auf mich hören. Stattdessen wollte er schießen! Ich wusste es, obwohl er es noch nicht in die Tat umgesetzt hatte. Aber ich erkannte es an seiner Reaktion, die sich in den Augen hin ter den dicken Gläsern der Brille widerspiegelte. In ihnen leuchtete der Wille wie eine Flamme. Schoss er? Ja, er schoss, aber er feuerte überhastet, und mir war es gelungen, mit einem blitzschnellen Schritt zur Seite zu weichen und nicht mehr zu stehen, wo er mich eigentlich erwartet hatte. Ich dachte nicht darüber nach, was in Sir James gefahren war, ich wollte ihn nur vor weiteren schlimmen Taten bewahren und schnell
te aus der Drehung auf ihn zu, wobei ich es zusätzlich schaffte, ihn zu unterlaufen. Das war wichtig, denn so zielte die Berettamündung nicht mehr auf mich. Ich hatte noch im Sprung zu einem gewaltigen Schlag ausgeholt, und der war, wie man so schön sagt, wirklich ein Hammer. Er traf genau das Ziel, das ich anvisiert hatte. Unter meiner Faust schien sich das Kinn des Superintendenten zu verschieben. Sir James flog zurück. Er fiel hinein in die im Hinter grund stehenden starren Menschen, riss einige von ihnen um, die dann auf ihn fielen. Ich blieb am Mann, denn Sir James durfte auf keinen Fall die Beretta behalten. Deshalb sprang ich zu ihm und riss sie ihm aus der Hand. Das be kam er nicht mit, er war bewusstlos geworden oder zumindest sehr groggy. Eine Ahnung ließ mich herumfahren. Und schon war der Kuttenträger da. Er schwang bereits sein ver fluchtes Schwert, an dessen Klinge noch das Blut des ersten Opfers klebte. Ich aber wollte auf keinen Fall sein zweites sein. Plötzlich kniete ich am Boden. Die Klinge pfiff im Halbbogen über mich hinweg, und der Schwung trug den Kuttenträger weiter. Er fing sich schnell wieder, wirbelte herum – und schaute genau in die Mündung meiner Beret ta, die ich ihm entgegenhielt. Dabei kniete ich noch am Boden. Mei ne Stimme klang völlig anders als sonst, als ich ihn ansprach. Viel rauer und kaum mehr kontrollierbar, denn Sir James’ Tat steckte mir noch in den Knochen. »Ich zerschieße dir deinen verdammten Schädel, wenn du das Schwert nicht aus der Hand legst!« Er zögerte, hatte meine Worte gehört, er saugte sie auf, er verarbei tete sie, aber er ließ die Waffe nicht fallen.
Das Lachen erschreckte mich. Aber nicht, weil es der Kuttenträger ausgestoßen hatte, sondern ein anderer, der mit dieser Gestalt nicht zu vergleichen war. Der Spuk! Ich stand jetzt langsam auf. Das gab mir zudem Zeit, mich an die neue Lage zu gewöhnen. Dabei schaute ich nach rechts und ließ meinen Blick über den Bühnenrand gleiten. Dort breitete sich wieder die pechschwarze, lichtlose Wolke aus wie ein gewaltiger Tintenfleck, und aus deren Zentrum war die grollende Stimme des Spuks an meine Ohren gedrungen. »Warum denn so wild, John Sinclair? Gefällt dir mein Spiel nicht, das ich eingeleitet habe?« Ich holte tief Luft, und das war auch zu hören. Der Kuttenmann war zurückgegangen. Er stand in leicht geduckter Haltung und grinste mich scharf an. Um ihn brauchte ich mir vorerst keine Sor gen zu machen, denn nun hatte ein anderer das Kommando über nommen. »Nein, Spuk, dein Spiel gefällt mir überhaupt nicht. Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, aber ich kann mich an Zeiten erinnern, da bist du froh gewesen, dass es mich gab, denn deine Feinde waren auch meine Feinde. Oder sollte sich das geändert haben?« »Überhaupt nicht, Geisterjäger!« »Dann weiß ich nicht, weshalb du es zu diesen Bluttaten hast kom men lassen.« »Man hat mich gereizt.« »Wer? Ich?« »Ja.« »Das möchte ich gern erklärt haben!« »Ich will es dir sagen!«, zischelte es aus der Wolke mir entgegen.
»Es sind Dinge passiert, die nicht hätten geschehen sollen. Du hast dich in die Zukunft verirrt, in meine Zukunft. Und ich hatte mir ge schworen, dass sie kein normaler Mensch sehen soll, auch du nicht. Ich will nicht, dass etwas weitergegeben wird. Aber nicht genug da mit. Du hast noch Zodiak mit in deine Zeit gerissen und …« »Nicht ich war es, der Mantel!« »Du hast ihn getragen, Sinclair. Du hast bei mir etwas zerstört, und ich habe mich dafür gerächt. Ich habe wieder einmal bewiesen, wie sehr ich die Menschen beeinflussen kann. Ich habe alle geleitet, ich hatte sie unter Kontrolle. Es war tatsächlich ein Zufall, dass sich die Fantasy-Freunde hier trafen, um ihre Spiele durchzuführen. Alle wollte ich nicht mit hineinziehen, zwei reichten. Und dann merkte ich, wer den Weg hierher fand. Da änderte ich meine Pläne und be schloss, auch dich und den alten Mann mit hineinzuziehen. Mittler weile weiß ich, wer er ist. Er geriet in meinen Bann. Ich schaffte es sogar, ihn zu einem Mord zu verleiten, stell dir das einmal vor. Sir James hat jemand ermordet. Ein hoher Polizeioffizier tötet bewusst einen unbewaffneten und unschuldigen Menschen. Das ist doch au ßergewöhnlich, und es wird sicherlich noch große Kreise ziehen, Sinclair.« »Da gebe ich dir teilweise sogar Recht. Aber du hast dir selbst einen Bärendienst damit erwiesen, denn Sir James Powell gehört zu den wenigen Menschen, die die Mächte der Finsternis ebenso hassen wie ich. Dazu zählt auch die Hölle mit all ihren Absonderlichkeiten. Oder ist Asmodis nicht auch dein Feind? Hasst ihr euch nicht, weil keiner den Machtbereich des anderen akzeptieren will? Sir James hat gegen den Teufel gekämpft, ebenso wie ich, nur auf seine Art und Weise. Du hast ihn zu einem Mord verleitet. Ich weiß nicht, wie oder ob er das überhaupt verkraften kann. Er hat sein Leben in den Dienst des Gesetzes gestellt. Mich würde es nicht wundern, wenn er sich selbst anzeigt und deshalb gezwungen wird, seinen Dienst zu
quittieren. Das bedeutet für uns eine sehr starke Schwächung und indirekt auch für dich. Du hättest dich nicht gehen lassen, sondern lieber die alten Regeln einhalten sollen. Es war ein Eigentor, das weiß ich, denn du hast uns geschwächt.« Mir war nicht klar, ob meine Worte gefruchtet hatten. Ich konnte mich auch nicht in den Spuk hineindenken, denn ich war ein Mensch und er ein Dämon. Aber ich hatte ihn auf keinen Fall ange logen, denn die Karten waren tatsächlich so verteilt. »Ein verdammt dreckiges Spiel, Spuk, bei dem es keinen Sieger ge geben hat. Mir gelang ein Blick in deine Zukunft. Ich habe akzeptie ren müssen, dass du noch existierst. Andere Kräfte haben dich nicht vernichten können, ich weiß auch nicht, wie lange im Voraus ich dich gesehen habe und wieso du dich auf Diener wie Zodiak verlas sen hast, aber ich weiß sehr gut, dass dieser Fall noch ein Nachspiel haben wird, mit dem uns allen nicht gedient ist. Es sei denn, du wirst auch mich zu töten versuchen. Bitte, Sir James hast du schon so gut wie getötet. Wenigstens innerlich. Er wird über seine Tat wohl kaum hinwegkommen. Du hast es geschafft, du hast auf deine Art und Weise gewonnen, und ich will dir zum Schluss sagen, dass ich deinen blutgierigen und mordlüsternen Zodiak auch nicht ak zeptieren kann. Ich habe erlebt, wie er die Bestien aus der Zukunft tötete, und ich sage dir nur eines: Nimm ihn wieder mit, wenn du kannst. Verschwinde mit ihm in die Zukunft!« Augen bewegten sich in der Schwärze. Durch meine harten Worte hatte ich den Spuk verärgert, und ich fragte mich, ob er das hinneh men würde. Bedauern bekam ich nicht zu hören, konnte ich auch nicht erwar ten. »Es war mein Spiel, ihr habt euch eingemischt, und ihr habt die Konsequenzen zu tragen.« »Das akzeptiere ich. Aber was ist mit den anderen Menschen? Die ser Mann in der Kutte ist wohl ebenso ein Mörder wie Sir James. Ich
weiß nicht, ob er sich daran erinnern kann, dass er einen Menschen umgebracht hat. Oder willst du ihn auch zu dir holen?« »Nein, das Spiel ist vorbei. Ich habe das Stück beendet. Im Spiel der Monster ist der Vorhang gefallen. Ich führte darin Regie, und ich fand mich gut.« »Und was ist mit den Menschen hier, verdammt?« »Ich will sie nicht. Sie waren Statisten.« Das wiederum war mir zu wenig. »Was heißt das? Sollen diese ar men Geschöpfe bis an ihr Lebensende in diesem verfluchten Zu stand bleiben? Willst du das?« »Nein!« »Okay, dann erlöse sie!« Der Spuk lachte mich aus. »Willst du denn noch Forderungen stel len?« »Ja, das will ich. Du hast genug Schaden angerichtet. Durch Zufall bin ich in deine verfluchte Zukunft geraten, habe einen Zeitriss ver ursacht, denn der Mantel reagierte bei mir nun mal so. Ich habe Zo diak geholt, und mir oder uns sind auch andere Gegner gefolgt, die se dämonische Brut. Aber die ist erledigt, wie ich meine. Pack dei nen Köpfer und verschwinde mit ihm. Aber löse zuerst den Bann.« »Was bist du großzügig!«, höhnte er. »Denk daran, dass es auch für mich und deine anderen Gegner noch eine Zukunft geben soll!«, schrie ich ihm entgegen. Ich befand mich in einem ziemlich be … scheidenen Zustand. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte, und konnte nur hoffen, dass ich den Spuk einigermaßen überzeugt hatte. Aber es war schon im mer schwierig gewesen, einen Dämon auszurechnen, auch in die sem Fall würde es mir nicht anders ergehen. Wie reagierte er?
»Gut, Geisterjäger, ich kann zufrieden sein. Ich habe mal wieder ein wenig Unruhe gestiftet. Ich werde dir den Gefallen tun und mei nen Bann von allen nehmen.« »Das war das Mindeste.« Die schwarze Wolke bewegte sich. Zuerst dachte ich, dass sie auf die Bühne zusegeln würde, dann aber entzerrte sie sich, wurde brei ter, größer, aber nicht dünner und über uns wie ein schwarzer, un heimlicher Geist. Und diesmal löste er sein Versprechen tatsächlich ein. Die magi sche Starre verschwand bei den Menschen. Sie wurden wieder sie selbst. Der Spuk verschwand. Die Schwärze zog sich zusammen, bis sie nur noch eine Kugel war, die in den Himmel zischte. Ich aber dachte an Zodiak. Was war mit ihm geschehen? Hatte der Spuk ihn zurückgelassen …?
* Suko war es im Gegensatz zu seinem Freund John Sinclair nicht so gewohnt, mit dem Bumerang umzugehen. Zwar hatte ihm John stets gesagt, dass die »silberne Banane« ihr Ziel so gut wie von allein fand, doch darauf wollte er sich nicht verlassen und das Ziel schon sehr genau anvisieren. Zudem hatte er Schwierigkeiten mit der Ge wichtung. Er wusste nicht, wie er die ungewöhnliche Waffe am bes ten halten sollte, dass sie beim Wurf nicht die Richtung verlor. Diese Entscheidung wurde von ihm während der nächsten Sekun den erwartet, denn ein Gegner wie Zodiak würde ihm keine Zeit ge ben, sich kurzfristig umzustellen. Er hatte sich darauf vorbereitet, den Mann zu töten – zu köpfen,
wie es ihm zustand. Und mit seinem Schwert konnte er perfekt umgehen. Als hätte die Waffe so gut wie kein Gewicht, bewegte er sie spielend hin und her, als er sich Suko näherte. Der ließ ihn kommen. Soll ich den Stab nehmen?, überlegte er. Fünf Sekunden Zeit wa ren nicht schlecht, aber er war sich auch nicht sicher, ob dieses We sen ihn überhaupt hörte, denn die graue Maske bedeckte nicht nur die vordere Front des Kopfes, sie zog sich, im Verbund mit einer Ka puze, um den gesamten Schädel herum. Da konnte er Pech haben. Suko entschloss sich dazu, sich zunächst auf den Bumerang zu verlassen. Wenn das nicht griff, dann wollte er es mit dem Stab ver suchen. Zodiak kam, fintierte, schlug wieder zu, und die Klinge zeichnete blitzende Gebilde in die Luft, auf die sich Suko konzentrierte. Es fiel ihm schwer, denn er wurde durch Stimmen von der Bühne her ab gelenkt. Dort hörte er John sprechen, und am dumpfen Klang der anderen Stimme erkannte er den Spuk. Auch Zodiak hörte ihn. Und es gab ihm neuen Mut! Sein Herr und Meister befand sich in der Nähe, besser konnte es gar nicht laufen, denn er würde ihn bei seinem Kampf unterstützen. Er war schnell, verflucht schnell sogar. Suko hatte damit nicht ge rechnet. Dieser Köpfer kam ihm plötzlich vor, als wäre er in der Lage zu fliegen, und als er so dicht vor ihm auftauchte, da erstarrte der Inspektor für einen Moment vor Schreck. Er huschte zur Seite. Die Klinge verfehlte ihn. Sukos Pläne waren urplötzlich durchkreuzt worden. Er konnte sich nicht mehr auf den Wurf konzentrieren, jetzt ging es um alles oder nichts.
Er rief sich in Erinnerung zurück, wie sein Freund Sinclair reagiert hatte, wenn er die Waffe schleuderte. Er war dabei immer ein wenig in die Knie gegangen, hatte während dieser Bewegung schon ausge holt und sich voll auf seinen Gegner eingestellt. Suko handelte ebenso. Allerdings vergrößerte er die Distanz zwi schen sich und dem Köpfer. Das war besser so … Der andere fuhr herum. Zum ersten Mal hörte Suko ihn schreien. Unter der grauen Maske klang ein sehr böser Ruf auf, der beinahe im eigenen Hass erstickte. Dann drehte sich Zodiak um, aber nicht, um seine Klinge auf Suko zu schleudern, er wollte nur noch einmal Kraft für den endgültigen Angriff sammeln, denn der Kopf des anderen sollte vor seine Füße rollen. Seine Aktion vor der eigentlichen Tötung nahm eine gewisse Zeit in Anspruch. Suko dachte wieder an die Regeln. Ducken, ausholen – und … Er schleuderte die Waffe. Der Köpfer jagte im selben Augenblick vor. Mit raumgreifenden Schritten hetzte er auf den Inspektor zu und gleichzeitig dem schnell fliegenden Bumerang entgegen. Der geduckt dastehende Suko verfolgte den Flug der außerge wöhnlichen Waffe mit gespannten Blicken. Auf die nächsten Sekun den kam es an, ob er oder der andere Sieger blieb. Zodiak war nicht dumm. Er spürte instinktiv die Gefahr, die ihm da entgegenraste, und in seiner Lage tat er das einzig Richtige, als er sein Schwert in die Höhe riss, um den Bumerang zu stoppen oder zumindest abzulenken. Suko erkannte dies mit Schrecken. Für ihn hatte sich die Zeit ver langsamt. Obwohl alles so rasend schnell ging, erlebte er jede winzi ge Zeitspanne doppelt und dreifach so lang. Traf der Bumerang? Vielleicht auch tödlich?
Und dann kollidierten Schwert und Bumerang. Suko hörte den lauten, hellen Klang, der ihm entgegenwehte. Der Bumerang verwandelte sich in einen Kreisel. Er wickelte sich um die Schwertklinge herum, und es sah so aus, als wäre alles ver geblich gewesen. Es sah nur so aus. Zodiak war auf der Stelle stehen geblieben. Er hatte seinen durch eine Maske verdeckten Kopf in den Nacken gelegt, um nach oben schauen zu können. Genau dort, an der Klinge und gleichzeitig um sie herum entwi ckelte der Bumerang seine gewaltigen Kräfte. Es war so, als hätte er noch einmal richtig ausgeholt, um sich selbst für den alles entschei denden Schlag vorzubereiten. Suko feuerte die Waffe durch sein scharfes Flüstern an. Er gönnte ihr den Sieg, und die silberne Banane ließ ihn nicht im Stich. An der Schwertklinge entlang rutschte sie nach unten. Dabei war sie wahn sinnig schnell, ein irrer, funkelnder Blitz, der senkrecht in die Tiefe jagte und sich urplötzlich von dem Schwert löste. Es war wie im Märchen. Der Bumerang, obwohl aus der Richtung gekommen, fand sein Ziel dennoch. Er schlug wuchtig wie ein Fallbeil gegen den Hals des Köpfers und rasierte ihm den Schädel vom Körper. Was Zodiak sonst mit seinen Feinden getan hatte, erlitt er nun selbst, und Suko erlebte in den folgenden Sekunden mit, welch ein Wesen er da vernichtet hat te. Eigentlich hätte aus der Halswunde des Torsos ein Blutstrom wie eine breite Quelle in die Höhe schießen müssen. Das war nicht der Fall, obwohl etwas Dunkles in die Höhe schoss, aber es war kein Blut, sondern eine zuckende, wirbelnde Masse, die aussah wie ein durch den Fleischwolf gedrehtes Stück Fleisch.
Suko ging näher an Zodiak heran, weil er genau wissen wollte, was da passiert war. Die Masse pulste weiter. Der Torso war noch nicht gekippt. Er stand da und schwankte. Suko bekam nur am Rande mit, dass er den Bumerang aufhob und ihn festhielt. Dann fiel der Körper. Da er genau in Sukos Richtung kippte und dicht vor dessen Füßen lande te, konnte der Inspektor erkennen, was da aus der Halsöffnung ge strömt war. Eine Masse, die an von Maden und Würmern durchsetztes Fleisch erinnerte. Rötlich und braun zugleich. Dick und widerlich. Suko schüttelte sich, er ging dorthin, wo der Kopf lag. Bisher war das Gesicht durch die graue Maske verdeckt worden. Der Inspektor wollte wissen, was sich dahinter verbarg. Dieses Glitzern in den Au gen hatte er ja schon wahrgenommen. Er drückte seine rechte Schuhsohle auf die graue Maske, verstärkte den Druck noch und hörte das Knirschen. Die Maske leistete ihm keinen Widerstand. Sie brach zusammen wie starres Papier. Knisternd und knackend. Dass sich überhaupt noch etwas darunter befand, wunderte ihn, aber er war nicht mehr so überrascht, als er in das Gewimmel der kleinen, schlangenglei chen, pechschwarzen Würmer schaute. Auch der Spuk war schwarz gewesen, und den Köpfer hatte John aus der Zukunft mitgebracht. Wahrscheinlich sah auch so die Zu kunft des Spuks und seiner Diener aus. Eine Rückentwicklung auf die Ebene der ersten Lebewesen, bezie hungsweise der schwarzen Würmer. Es würde, andere Zeiten und andere Orte geben, um darüber nachzudenken und zu spekulieren. Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, musste er zugeben, dass er die letzte halbe Stunde – oder waren es nur zehn Minuten gewesen – wie in einem Traum erlebt
hatte. Aus dem er nun hervorgerissen wurde, als er die zahlreichen Stimmen hörte, die durcheinander sprachen und des Öfteren von entsetzten Schreien unterbrochen wurden. Da wusste Suko, dass es außer ihm und seinen Problemen auch noch andere Dinge gab …
* Ich hatte alles getan, was getan werden musste. Die Kollegen alar miert, die dann auch erschienen waren, um die Toten zu untersu chen. Nun ja, das berührte mich nur am Rande. Ich hatte, ebenso wie Suko, andere Sorgen, und zusammen tröste ten wir einen Menschen, der Kooman hieß und nicht begreifen konnte, was er getan hatte. Doch ein anderer brauchte ebenfalls Trost. Dass war Sir James Po well. Nie hätte ich gedacht, dass es mit ihm einmal so weit kommen würde, dass er verzweifelt und wie ein Häufchen Elend in einer Ecke der Hotelhalle im Sessel saß und nicht darüber hinwegkam, dass er es gewesen war, der eine Frau erschossen hatte. Er wollte es wieder gutmachen, er sagte so viel, er war völlig durcheinander, fing auch an zu weinen, und wir erlebten einen Menschen, für den eine Welt zusammengebrochen war. So ähnlich musste sich auch Suko gefühlt haben, als er durch eine gefährliche Magie in ein Kind verwandelt worden war. Natürlich wollten wir unseren Chef trösten, doch Sir James nahm keinen Trost an. Einmal sagte er nur: »Damit muss ich allein fertig werden und auch die entsprechenden Konsequenzen tragen.« Wir fragten nicht nach, welche das wohl sein würden, und beide dachten wir daran, dass nicht allein Sir James’ nahe Zukunft ziem
lich düster aussah. Suko und ich hineingerissen …
wurden
sicherlich
in
den
Strudel
mit