John Grey
Das Massaker Ronco Band Nr. 51
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Ba...
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John Grey
Das Massaker Ronco Band Nr. 51
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Der Scout von Fort Calhoun soll zweihundert Frauen und Kinder in die Sicherheit des Forts bringen – und gerät in eine grauenhafte Falle. William Fly – Dem Major ist der Verrat nicht geheuer, aber Geld stinkt nicht – und noch weniger die Aussicht, befördert zu werden. Helen Gardner – Ronco rettet sie als einzige überlebende ihrer elterlichen Ranch und weiß nicht, daß er damit zum Todfeind eines Mannes wird. Mahon Tabor – Der Zahlmeister von Fort Calhoun braucht Geld, und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Cameron Standford – Ein Dunkelmann und Vertrauter Andrew Hiltons, in dessen Auftrag er ein Massaker an Frauen und Kindern plant – um Profit herauszuschlagen.
Das Massaker 10. Februar 1882 Gerade habe ich noch einmal gelesen, was ich zuletzt in mein Tagebuch geschrieben habe. Stichwortartig, mit wenigen Sätzen schreibe ich alles nieder, was mir im Verlauf meines Lebens bislang widerfahren ist. Ich hoffe, daß diejenigen, die diese Aufzeichnungen eines Tages lesen, vor allem natürlich die für die sie bestimmt sind, verstehen werden, was für Empfindungen hinter meinen knappen Beschreibungen stehen. Ich bin froh, gerade jetzt weiterschreiben zu können, denn nachdem ich meine letzten Eintragungen überflogen habe, fühle ich mich innerlich aufgewühlt und erregt. Alles steht wieder vor mir, wie es damals war, im Sommer 1866 im südlichen Texas: die hungernden Apachen in der Reservation am Rio Doro, die zynische Erpressungspolitik der Indianerbehörden, der schamlose Betrug und Vertragsbruch durch weiße Beamte und der Mord an dem alten Häuptling Taglio, jenem Mann, der mäßigend gewirkt und trotz aller empörenden Begebenheiten immer zum Frieden und zur Geduld gemahnt hatte. Der weise Führer war tot, und der Mord an ihm war der letzte Anstoß für die folgenden grauenvollen Ereignisse, die für mich von ganz besonderer schicksalhafter Bedeutung waren. Die Geschehnisse überstürzten sich. Ich hatte keinen richtigen Überblick mehr. Zuviel geschah zur selben Zeit. Hinzu kam, daß ich damals die Hintergründe nicht alle kannte, die ich im Verlauf von Jahren schließlich herausfand. Ich habe nichts vergessen, keinen Tag, nichts, dessen Zeuge ich wurde. Am Ende war ich auch der Leidtragende, aber davon ahnte ich am Anfang nichts. Ich war voller Wut über die demütigende Behandlung, die dem Stamm Taglios zuteil geworden war, erbittert und verzweifelt über den Mord an dem alten Häuptling. An mich dachte ich dabei zuletzt. Mich betraf das alles ja nur insoweit, als ich Informationen zusammenzutragen und Schlüsse daraus zu ziehen
hatte. Ich dachte nicht daran, daß ich mit meinen Aktivitäten in den zurückliegenden Monaten einigen Leuten ziemlich auf die Nerven gegangen war. Ich hatte in ein Wespennest gestochen. Durch die Ausschaltung eines einflußreichen Beamten des Innenministeriums, der mit den Indianerhändlern zusammengearbeitet hatte, hatte ich mir die Männer, die mit schmutzigen Geschäften an der Grenze ihr Geld verdienten, zu Feinden gemacht. Trotzdem hielt ich es nicht für möglich, zur Zielscheibe eines Komplotts zu werden. Ich hielt mich für zu unbedeutend, für zu klein. Obwohl ich nach allem, was passiert war, nur wenig Hoffnung hatte, daß sich an der verfahrenen Situation noch etwas ändern ließ, ging ich mit großem Eifer daran, nach dem Mörder von Taglio zu suchen. Ich war dabei sicher, daß es keiner der Farmer aus dem RioDoro-Gebiet gewesen war. Ich lief einer Illusion nach. Heute weiß ich, daß ich die Entwicklung der Dinge auch dann nicht hätte aufhalten können, wenn ich den Mann gefunden hätte und er vor ein Gericht gestellt worden wäre. Es war nichts mehr zu ändern. Alles nahm seinen Lauf …
1. Die Feuerstelle war kalt. Der Westwind stieß hinein und wirbelte die zu Staub zerfallene graue Asche hoch und mit sich fort. Nur die großen Feldsteine, die zu einem Kreis um die flache Mulde gelegt worden waren, in der das Feuer gebrannt hatte, blieben liegen. Sie waren an den Innenseiten rußgeschwärzt. Der Wind verwehte auch die übrigen Spuren, die die Männer hinterlassen hatten, die hier gelagert hatten. Ich schätzte, daß das Lager vor zwei oder drei Tagen abgebrochen worden war. Ich saß müde im Sattel und blickte mich um. Buschbewachsene Hügel buckelten sich in der Nähe, keine dreißig Yards entfernt begann ein dicht verfilzter Waldgürtel. Das Land war karg, der Boden hart. Das Gras, das hier wuchs, war braun. Bei den meisten Pflanzen handelte es sich um Stachelgewächse, mannshohe Yuccapflanzen und hier und da etwas bunten Salbei.
Zehn Meilen hinter der mexikanischen Grenze: Ich hatte das Lager der Waffenschmuggler gefunden, aber sie waren ausgeflogen. Bis vor zwei oder drei Tagen hatte hier noch jener Mann gelebt, der Taglio auf dem Gewissen hatte. Ich fragte mich, was für ein Mann das war, der es fertigbrachte, einen steinalten, nahezu hilflosen Mann aus dem Hinterhalt abzuknallen. Ich mußte mich in acht nehmen. Nicht nur vor den Schmugglern, die sich noch in der Nähe aufhalten konnten, auch vor Patrouillen der Federales oder der Rurales. Ich war ein großes Risiko eingegangen, und wenn ich geschnappt wurde, landete ich in einem mexikanischen Kerker, wenn ich nicht gleich erschossen wurde. Ich zog mein Spencer-Gewehr aus dem Scabbard und glitt etwas steifbeinig aus dem Sattel. Langsam ging ich umher und betrachtete die verbliebenen Spuren. Neben der Feuerstelle blieb ich stehen. Unweit davon mußten zwei Zelte gestanden haben. Daneben entdeckte ich die Abdrücke von Wagenrädern im Boden. Der Wagen war offenbar schwer beladen gewesen. Die Abdrücke der Räder waren tief. Es war die am besten erhaltene Fährte im Camp. Ich brauchte nicht viel Phantasie, um mir vorzustellen, was der Wagen geladen hatte. Hier war nichts mehr zu holen. Ich vergeudete meine Zeit. Seit ich die Grenze überschritten hatte, nagte in mir das Gefühl, daß das, was ich tat, sinnlos war. Ich weigerte mich lediglich, es mir einzugestehen und verdrängte die düsteren Gedanken. Aber sie kehrten beharrlich wieder zurück. Ich schwang mich in den Sattel und trieb meinen Hengst an. Das Pferd war genauso müde wie ich. Aber ich konnte weder ihm noch mir eine Pause gönnen. Ich ritt an der kalten Feuerstelle vorbei und versuchte, der Fährte des Wagens zu folgen. Die Hufspuren der Reiter, die ihn begleitet hatten, waren kaum noch zu erkennen. Ein Stück nordöstlich des Camps wurde auch die Wagenfährte zusehends schwächer, der Boden wurde härter. Ich gab dennoch nicht auf. Mir war klar, wohin der Weg der Reiter geführt hatte, und ich dachte an die Apachen in der Reservation. Bitterkeit stieg in mir auf. Warum begriffen sie nicht, auf was sie sich einließen?
Auf dem Wagen lagen Waffen, und diese Waffen würden bald in der Reservation sein. Vielleicht war es zu viel verlangt, daß die Krieger ruhig und überlegt handeln sollten. Nach allem, was ihnen widerfahren war, konnte ich sie verstehen. Was ich nicht verstand, war, daß sie sich von denselben Leuten Waffen liefern ließen, die sie in einen Aufstand trieben. Daß sie mit den Männern einen Pakt abschlossen, die Schuld an ihrem elenden Zustand waren und die nur ein Interesse hatten: die in die Enge getriebenen Stämme in den Untergang zu schicken. Die Mörder des alten Taglio lieferten dem Stamm des Häuptlings Waffen – es war eine bittere Ironie. Resignation erfaßte mich. Ich folgte der Fährte des Wagens dennoch, nur, um mir selbst zu bestätigen, daß meine Vermutungen zutrafen. Mir war längst klar, daß ich nichts mehr ändern konnte. Der Wagen war auf die Grenze zugerollt. Die Fährte führte in gerader Linie auf die Reservation der Apachen zu. Ich ritt Stunde um Stunde. Der Boden wurde immer steiniger. Unvermittelt hörte die Spur auf. Der Rio Grande war nahe. Ich fand die Fährte nicht mehr. Trotzdem gab es für mich nur noch wenige offene Fragen. Ich zog mein Pferd herum. Die Waffen auf dem Wagen waren längst am Ziel. Die Männer, die das alles eingefädelt und ausgeführt hatten, waren bestimmt nicht mehr in meiner Reichweite. Sie hatten es wahrscheinlich vorgezogen, ein Gebiet, in dem die Luft nach Krieg schmeckte, schleunigst zu verlassen. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan und konnten der Entwicklung ihren Lauf lassen. Auch der Mörder Taglios war fort. Ich gab auf. Was sollte ich tun? Ich war an meine Grenzen gestoßen und hatte feststellen müssen, wie machtlos ich im Grunde war und wie wenig Vernunft ausrichten konnte. Nicht einmal Taglios Mörder konnte ich zur Verantwortung ziehen. Mir blieb nichts weiter, als nach Fort Calhoun zurückzureiten und zu melden, was ich gesehen hatte. Als ich den Rio Grande durchfurtete und wieder amerikanischen Boden erreichte, ging die Sonne unter. Heiße Luft lag wie ein unsichtbarer Schleier über der Ebene. Es
regte sich kein Windhauch. Nur nach und nach wurde es kühler. Ich merkte es kaum. In Gedanken versunken ritt ich weiter. Noch weigerte ich mich, an das Schlimmste zu denken. Noch glaubte ich, auf irgendeine Weise die Indianer besänftigen und den Frieden bewahren zu können. Aber mir war klar, daß hierzu der erste Schritt von der Armee und von den Indianerbehörden ausgehen mußte. Ich zweifelte nur daran, ob es dazu kommen würde. Dunkelheit umfing mich, und ich achtete kaum auf meinen Weg. * Als ich das langgestreckte Stallgebäude von Fort Calhoun verließ, lag die Mittagshitze brütend über dem Exerzierplatz. Ich sah nur ein paar Posten auf den Palisaden. Vor dem Handelsposten im Fort stand ein halbbeladener Farmwagen. Fango, der große Neger, der im Store arbeitete, hatte sich unter dem Wagen verkrochen, lag dort im Schatten zusammengerollt und schlief wie ein Maulwurf. Ich schlenderte über den Exerzierplatz zu den Quartiergebäuden. Zur Kommandantur warf ich nur einen kurzen Seitenblick. Colonel Lester hielt Siesta, das wußte ich. Er würde sich bestimmt nicht von mir stören lassen. Seit einigen Tagen herrschte im Fort eine eigentümliche Gleichgültigkeit gegenüber den Vorfällen an der Grenze, als ob die Besatzung ein Interesse daran hätte, die möglichen Folgen zu verdrängen. Seit ich hier war, hatten die Soldaten und Offiziere in Fort Calhoun ein bequemes Leben geführt. Ich konnte mich an keinen Konfliktfall erinnern, der so groß gewesen wäre, daß die Besatzung sich hätte auf einen Krieg einstellen müssen. Selbst Colonel Lester schien nichts davon wissen zu wollen. Er war ein Gegner gewaltsamer Lösungen, aber er war als einzelner Offizier genauso machtlos wie ich, der Scout. Ich war so müde, daß ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Als ich die Tür zu dem Quartier aufstieß, das ich mit Jicarilla, dem zweiten Scout, teilte, fielen mir fast die Augen zu. Jicarilla saß auf der Kante seiner Pritsche und blickte mir aus leicht glasig schimmernden Augen entgegen.
»Na«, sagte ich, »schon zu Mittag gegessen?« »Ja«, sagte er und tippte auf eine leere Flasche, die neben ihm am Boden stand. »Willst du nicht wenigstens mal die Marke wechseln?« fragte ich. Ich hockte mich ihm gegenüber auf mein Bett und begann, mir die Stiefel auszuziehen. »Nein«, sagte er. »Mehr kann ich mir nicht leisten. Das ist die billigste.« »Das riecht man.« Ich warf meinen Hut auf den Tisch. »Du warst lange weg«, sagte er. »Ich habe nach Taglios Mörder gesucht«, erwiderte ich. »Hat sich im Fort etwas getan?« »Nicht viel«, sagte Jicarilla. »Die beiden Fettsäcke aus dem Osten sind weg.« »Wie?« Ich beugte mich vor. »Swift und Randolph?« »Genau«, sagte Jicarilla. »Gestern wurde eine Depesche aus Fort Leavenworth gebracht. Danach wurde ein Wagen bereitgestellt. Die beiden Fettsäcke sind eingestiegen. Sie haben wild herumgeflucht und dem Alten einiges angedroht. Er hat stumm danebengestanden und ein Gesicht geschnitten, als wenn er den beiden am liebsten die Bäuche aufgeschlitzt hätte. Dann sind sie abgefahren.« »Washington hat es aber eilig«, sagte ich. »Wie konnte die Depesche so schnell hier sein?« »Telegramm von Fort Leavenworth nach Austin«, sagte Jicarilla. »Von da aus mit einem Kurier hierher.« »Schade«, sagte ich. Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich hätte Swift und Randolph gern noch eine Weile hiergehabt. Sie waren zu Verhandlungen mit den Apachen aus Washington hergeschickt worden, zusammen mit Donald Vance, den ich als Kumpan der Waffenhändler entlarvt hatte. Daraufhin hatte Colonel Lester Swift und Randolph unter Arrest gestellt. Obwohl ich inzwischen sicher war, daß es zwischen ihnen und den Waffenhändlern keine direkte Verbindung gab und sie wahrscheinlich nichts mit den krummen Geschäften ihres Delegationsleiters Vance zu tun hatten, hatte ich mir von ihnen
einigen Aufschluß darüber erhofft, wie in Washington gearbeitet wurde und welche Verbindungen die indianischen Behörden pflegten, um auf diese Weise mögliche Ansatzpunkte zu erhalten. Damit war es nun auch vorbei. Es war sehr viel schiefgelaufen in den letzten Tagen und Wochen. Ich dachte daran, daß ich mir vorgenommen hatte, meinen Job als Scout nach Abschluß der Verhandlungen mit den Apachen aufzugeben. Im Grunde konnte mich nichts mehr halten. Die Verhandlungen waren abgebrochen worden, nachdem die hungernden Krieger die Reservation verlassen hatten, um auf die Jagd zu gehen. Der Verhandlungsleiter war als Gauner entlarvt worden und tot. Die beiden anderen Beamten waren auf dem Weg zurück nach Washington. Entscheidungen waren nicht gefallen, und Lebensmittel wurden noch immer nicht in die Reservation geliefert, obwohl der Vertrag mit den Apachen dies eindeutig vorschrieb. Statt dessen kauften die Indianer Waffen. Ich wußte selbst nicht, warum ich noch blieb. Ich hätte meine wenigen Habseligkeiten zusammenpacken und abhauen sollen. Mir wäre viel erspart geblieben. Ich hatte das Gefühl, daß ich noch bleiben mußte. Wenn ich in der verfahrenen Situation, die jetzt herrschte, gegangen wäre, hätte ich mich wie ein Deserteur gefühlt. Ich mußte bleiben, bis die ganze Angelegenheit durchgestanden war. Das war ich mir selbst, aber auch Taglio schuldig. Es war nur ein Gefühl, das mich zum Bleiben zwang. Mehr nicht. Eigentlich war das kein guter Grund. »Im Fort tun sie alle, als sei nichts passiert«, sagte Jicarilla unvermittelt. »Ich werde Colonel Lester schon erzählen, was passiert ist«, sagte ich. »Es werden Waffen in die Reservation geschickt.« »Ich denke, die brauchen Lebensmittel?« »Waffen sind eine ganz besondere Kost«, erwiderte ich. »Ich rede heute abend mit dem Colonel, wenn es ihn überhaupt interessiert.« »Er will keinen Krieg«, sagte Jicarilla. »Wer will das schon?« »Fly will ihn«, sagte ich und dachte an den arroganten Major, den Adjudanten Lesters. »Die Leute, die die Waffen liefern, wollen Krieg, und ich glaube, die Krieger in der Reservation wollen ihn auch – Lightman, Ta-pe, Little Raven und die anderen, die nach
Taglios Tod etwas zu sagen haben.« Ich drehte mich auf die Seite. »Damit, daß man nicht darüber redet, wird der Krieg nicht vermieden.« »Wird er überhaupt vermieden?« Jicarilla trank einen großen Schluck. »Du warst in den letzten Wochen öfters draußen als ich. Aber ich habe im Fort eine Menge gehört.« »Beim Whisky holen«, sagte ich. »Ja. Im Store wird viel geredet. Ich glaube nicht, daß sich irgend etwas an den Dingen ändern läßt. Ich bin lange genug hier draußen. Die Entscheidung über Krieg und Frieden wird nicht hier gefällt, damit mußt du dich abfinden. Wir haben darauf keinen Einfluß. Wir sind nur kleine Scheißer und beißen uns am Ende selbst in den Schwanz. Wir rennen mit 'raushängender Zunge durch die Gegend und glauben, etwas ändern zu können. Aber wir können garnichts ändern, verstehst du?« »Ja«, sagte ich. »Ich verstehe. Aber ich finde mich damit nicht ab. Ich fange auch nicht an zu saufen. Ich tue etwas!« »Was tust du denn?« Jicarilla lachte freudlos und rülpste dann. »Was hast du erreicht? Hast du dafür gesorgt, daß die Apachen in der Reservation etwas zu fressen kriegen? Hast du dafür gesorgt, daß ihnen nicht schon wieder ein Stück Land geklaut wird? Hast du verhindern können, daß Taglio ermordet wurde? Was hast du getan? Du hast nicht mal den Kerl erwischt, der auf Taglio geschossen hat.« Ich blickte Jicarilla an. So besoffen war er gar nicht. Er konnte noch ziemlich klar denken. Er hatte recht. Mit jedem Wort, das er sagte. »Glaubst du etwa, in Washington wissen sie nicht, daß die armen Schweine in der Reservation verhungern?« »Doch«, erwiderte ich. »Sie wollten die Apachen vor den Verhandlungen um das Land bei den Halcon-Bergen unter Druck setzen.« »Richtig«, sagte er. »Aber jetzt gibt es keine Verhandlungen mehr. Einen dieser Schleimscheißer hast du als Gauner entlarvt. Aber werden nun etwa Lebensmittel geschickt? Nein. Es wird weiter gehungert.« »Dann können wir den Kram hier auch hinschmeißen und einfach
abhauen.« »Können wir«, sagte er. »Kein Hahn wird nach uns krähen. Aber von was bezahle ich dann meinen Whisky?« »Du bist ein Dreckskerl!« fauchte ich. »Nein«, sagte er. »Nur vernünftig. Ob der Sold eines Scouts mir gegeben oder einem anderen in den Rachen geworfen wird, ist schließlich egal.« Er lehnte sich ebenfalls zurück und setzte die Flasche wieder an den Mund. »Ein anderer Scout kann genausoviel tun wie ich, nämlich nichts. Du siehst müde aus.« »Ich bin müde«, sagte ich. Meine Stimme klang gereizt. »Aber ich frage mich, was ich tun soll.« »Nichts«, erwiderte er. »Abwarten. Du kriegst deine Aufgaben zugewiesen, du tust deine Arbeit, und um mehr kümmerst du dich nicht.« »Das ist zu wenig.« »Das ist mehr als genug«, erklärte er. »Glaubst du, daß sich einer von den Blaubäuchen groß den Kopf zerbricht? Die haben ein paar Möglichkeiten mehr als wir. Aber sie tun auch nichts.« Er wälzte sich auf die Seite. »Laß mich schlafen. Und merk dir: Der Ärger läuft dir nach, du brauchst ihn nicht zu suchen.« Ich sagte nichts mehr, sondern legte den Kopf zurück und starrte an die Decke. Alles, was Jicarilla gesagt hatte, hatte ich längst gedacht. Ich fühlte mich klein und hilflos, hatte in diesem Moment das Gefühl, daß die ganze Welt über mir zusammenstürzte, und wünschte mich weit weg. Mir fielen die Augen zu, ich schlief ein. Ich träumte schlecht.
2. 6. Juni 1866. Der Tag schien heißer zu werden als alle Tager vorher. Beim Flaggenappell hatte die Sonne vom Himmel geglüht. Die in Reih und Glied angetretene Fortbesatzung hatte geschwitzt, während der Trompeter auf dem Turm über dem Tor »Boots und Daddles« geblasen hatte. Lustlos waren die Infanteristen anschließend zum
Schießplatz marschiert. Die Wachen auf den Palisaden hatten sich bereits eine Stunde nach Sonnenaufgang wie ausgedörrt gefühlt. Der heiße Südwind umfächelte sie und blies ihnen feinkörnigen Staub in die Gesichter, der sich überall in den Poren der Haut festsetzte, in Mund und Nase eindrang und die Schleimhäute austrocknete. Als im Südwesten ein Reiter auftauchte, der sich dem Fort rasch näherte, lehnten die beiden Wachen über dem Tor nebeneinander an der Brüstung des Turms und blickten schläfrig vor sich hin. Sie hatten eine Weile darüber gesprochen, daß es ein Fehler gewesen war, zur Armee zu gehen, zumal jetzt, da es im Apachengebiet kriselte. Der Sold war miserabel, das Quartier schäbig, das Essen schlecht, die dauernde Hitze und Trockenheit zum Kotzen. Das ständige Exerzieren hing ihnen zum Hals heraus, und wie es jetzt aussah, schien es auch noch gefährlich zu werden. Sie waren sich einig gewesen, und das Thema war rasch erschöpft. Jetzt schwiegen sie, dann nahmen sie den Reiter wahr. Der eine Soldat, ein schmalbrüstiger Neger mit pechschwarzen Locken, die widerspenstig unter seiner Schildmütze hervorlugten, hob den Kopf und blickte dem Mann entgegen, während dichte Schweißbahnen über sein ebenholzfarbenes Gesicht rannen. »Da kommt einer«, sagte er. »Ein Verrückter«, sagte der andere, ohne sich zu rühren. Er war Anfang Zwanzig, rothaarig und sommersprossig. »Wer sich bei dieser Affenhitze auf ein Pferd setzt und im Höllentempo durch die Gegend reitet, kann nicht normal sein.« »Er reitet, als seien tausend Teufel hinter ihm her«, sagte der Neger. »Und, sind sie?« »Ich sehe keinen.« Der Rothaarige hob den Kopf und beobachtete nun ebenfalls den Mann, der herangaloppierte. »Das sieht nach Ärger aus«, sagte der Neger. Er griff nach der Trompete, die auf der Bank des Turms lag. »Ich wußte schon, als ich aufstand, daß heute noch was passiert«, sagte der Rothaarige. Er beugte sich ein Stück vor und rief zu dem
Mann am Tor hinunter: »He, öffne das Tor!« Im selben Moment blies der Neger ein Signal. Der Reiter erreichte wenig später das Tor. Schaumflocken hingen von den Nüstern des Tieres. Es taumelte, als es auf dem Exerzierplatz stehenblieb. Ein qualvolles Wiehern rang sich aus seiner Brust. Der Reiter rutschte schwerfällig aus dem Sattel und fiel hart zu Boden, ehe einer der Soldaten, die von allen Seiten heraneilten, hinzuspringen und ihn auffangen konnten. Ein blutiger Riß zeichnete sein Gesicht, aus seinem linken Arm ragte das abgebrochene Ende eines Pfeils. Beim Sturz brach die Wunde auf. Blut quoll heraus. Jemand fluchte. Ein schnauzbärtiger Sergeant trat heran und beugte sich über den Mann. »Das ist Wade Beaven«, sagte er. »Ein Farmer vom Rio Doro.« Er stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte die Rekruten an, die mit weitaufgerissenen Augen um den bewußtlosen Mann herumstanden. »Wie lange wollt ihr euch noch die Seine in den Bauch stehen!« schrie er. »Habt ihr vergessen, wo das Lazarett ist? Hört auf zu glotzen und setzt euch in Bewegung!« Zwei junge Soldaten liefen auf den Mann am Boden zu und hoben ihn auf. »Einer führt das Pferd eine halbe Stunde herum und reibt es ab«, sagte der Sergeant »Zu saufen erhält es nur wenig. Wenn es in einer Stunde nicht wieder in gutem Zustand ist, reiße ich euch den Arsch bin zum Stehkragen auf.« Er drehte sich um und bewegte sich schwerfällig über den Exerzierplatz zur Kommandantur hinüber. * Ich saß beim Frühstück im Speiseraum der Mannschaft. Vor mir stand eine dicke weiße Porzellankanne, die mit Kaffee gefüllt war. Als das Trompetensignal verklang, war ich gerade fertig gewesen. Ich hatte aus dem Fenster geschaut und den Mann gesehen, der vom Rücken des abgetriebenen Pferdes gestürzt war. Ich war trotzdem nicht hinausgegangen. Während die Soldaten
zusammengeströmt waren, hatte ich mich wieder an meinen Tisch gesetzt und mir Kaffee nachgeschenkt. Ich wußte, daß man mich früher oder später holen würde. Dann war es immer noch Zeit genug, um zu gehen. Ich war innerlich völlig ruhig, und das wunderte mich. Am gestrigen Abend hatte ich noch mit Colonel Lester eine längere Unterhaltung gehabt und ihm meine Beobachtungen geschildert und die Schlüsse dargelegt, die ich daraus zog. Da hatte mich noch eine ungeheure Anspannung erfüllt. Das Gefühl, das unbedingt etwas geschehen müsse, hatte mich fast zerbersten lassen. Bei Colonel Lester aber war mir eine tiefe Resignation und Gleichgültigkeit begegnet. So kannte ich ihn nicht. Andeutungen zufolge, die er im Verlauf unseres Gesprächs machte, konnte ich annehmen, daß die Depesche aus Washington, die auch zur sofortigen Freilassung von Swift und Randolph geführt hatte, Grund für seine Stimmung war. Lebensmittellieferungen aus Armeebeständen in die Reservation waren ihm untersagt und ein strenges Vorgehen gegen rebellische Indianer empfohlen worden. Im übrigen habe er sich abwartend zu verhalten, bis aus Washington neue Anordnungen eintreffen würden. Ihm waren die Hände gebunden. Was ich auch sagte, es änderte nichts daran, daß die Würfel bereits gefallen waren. Ich hatte mich furchtbar aufgeregt, war in mein Quartier zurückgegangen und hatte mit Jicarilla herumgeschnauzt, was der klaglos ertragen hatte. Danach war ich ruhiger geworden, und jetzt war ich nahezu soweit wie Lester selbst. Ein Corporal betrat den Speiseraum, in dem ich mich allein befand. Er schaute sich um und näherte sich dann meinem Tisch. »Sie sollen sich in der Kommandantur melden«, sagte er. Er warf einen Blick auf meine Kaffeetasse und fügte hinzu: »Sofort.« Ich nickte schweigend, trank die Tasse leer und erhob mich. Im Gehen rückte ich meinen Revolvergurt zurecht. Die Tür der Kommendantur stand offen, als ich das Gebäude erreichte. Corporal Lester hatte Dienst in der Schreibstube. Er wieselte aufgeregt herum, erinnerte mich mehr denn je an ein aufgeschrecktes Huhn, und es hätte nur noch gefehlt, daß er
begonnen hätte, zu gackern. Ich ging wortlos an ihm vorbei und betrat das Office des Colonels. Hampton Lester stand hinter seinem Schreibtisch. Seine Uniform wirkte ungewohnt nachlässig, er strahlte Hektik und Anspannung aus. Unweit von seinem Schreibtisch gewahrte ich Major William Fly. Damit war mein Tag bereits verdorben. Das arrogante Gesicht von Lasters Adjudant löste in mir fast einen Brechreiz aus. Ich beherrschte mich mit Mühe, was mir um so schwerer fiel, als ich außer dem Captain Lewis und Clay im Raum bemerkte, einen griesgrämigen Mann, der mir herzlich unsympathisch war, obwohl ich bislang kaum mit ihm zu tun gehabt hatte. Neben ihm stand eine Bahre am Boden. Darauf lag der Mann, den ich verletzt hatte ins Fort reiten sehen. Er war bereits versorgt worden. Um seinen linken Arm spannte sich ein weißer Verband. Er war blaß und wirkte erschöpft. »Ich bin hier, Sir«, sagte ich und nickte Lester zu. Fly ignorierte ich, Clay ebenfalls. »Es ist soweit«, sagte Lester ohne Einleitung oder Gruß. »Was Sie mir gestern abend angedeutet haben, ist eingetroffen.« Er wirkte steif und förmlich wie häufig, wenn Fly zugegen war, dem Lester sich unterlegen fühlte. »Sie haben Mister Beavan ins Fort reiten sehen?« »Ja, Sir.« Ich blickte den Farmer auf der Bahre an. »Ein Überfall?« »Kein Überfall«, sagte Fly. Er legte die Hände auf dem Rücken zusammen. »Ein Aufstand.« Er blickte mich bedeutsam an, als sei ich dafür verantwortlich. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. So rasch hatte ich nicht mit Konsequenzen gerechnet. »Erzählen Sie alles noch einmal, Mister Beavan«, sagte Colonel Lester. »Ronco ist unser Scout. Er muß alles wissen.« »Es ging gestern abend los«, sagte Beavan. Seine Stimme klang schwach. »Wir sahen plötzlich Rauch südlich von uns, wo die Farm der McLeods liegt, oberhalb der Stelle, wo der Rio Doro in einem scharfen Knick nach Westen biegt. Eine Stunde später brannte die Farm der Fergussons. Als die Sonne unterging, standen vier Rauchsäulen über dem Land, und in der Nacht fielen sie plötzlich über uns her. Mindestens vierzig oder fünfzig Apachen. Sie zündeten die Gebäude an und töteten meine Frau, meine beiden Töchter,
meinen Sohn und meinen Bruder. Es ist ein Wunder, daß ich davongekommen bin. Es waren keine streunenden Banden, sondern Reservationsapachen. Einige hatten nagelneue Repetiergewehre, die meisten nur Pfeile und Bogen.« »Die Sache dürfte klar sein«, sagte Fly. »Ja«, sagte ich. »Man hat die Apachen lange genug hungern lassen und sie lange genug provoziert. Die Zeche bezahlen jetzt die Farmer am Fluß.« »Ihre Ansichten über die Ursachen interessieren keinen Menschen«, sagte Fly. »Wir kennen Ihre Einstellung. Darum geht es jetzt nicht. Wir haben einen Aufstand und müssen damit fertigwerden. Wie es möglicherweise dazu gekommen ist, ist jetzt völlig gleichgültig.« »Ihnen ist offenbar nur eins nicht gleichgültig«, sagte ich, »so schnell wie möglich alle greifbaren Indianer auszurotten.« »Meine Herren, wir haben wirklich keine Zeit, uns jetzt untereinander zu streiten.« Lesters Stimme klang unerwartet scharf. »Sie werden zusammenarbeiten, und ich erwarte von Ihnen gute und reibungslose Einsätze.« Er wandte sich an mich. »Sie kennen das Land am besten«, sagte er. »Sie werden sofort aufbrechen und die Situation sondieren. Im Farmland bei der Reservation liegen etwa achtzig Farmen. Diese Menschen haben Anspruch auf Schutz durch die Armee. Ich überlasse es Ihnen und vor allem Major Fly, an Ort und Stelle die notwendigen Entscheidungen zu fällen, etwa ob und wie eine Evakuierung erfolgen soll. Wenn ich die Information bedenke, die Sie gestern abend noch mitgebracht haben, werden wir um eine Evakuierung nicht herumkommen. Im Fort wird alles Nötige veranlaßt. Major Fly und Captain Clay werden Ihnen mit der Kavallerie folgen. Ich habe aus San Antonio bereits Verstärkung angefordert. Wir werden in spätestens zwei Tagen genügend Soldaten haben, um den Aufstand zu unterdrücken. Erkunden Sie, welches Ausmaß der Aufstand hat, ob alle Indianer der Reservation beteiligt sind oder nur ein Teil. Sorgen Sie dafür, daß die Truppe auf ihrem Marsch ins Indianerland vor Überraschungen sicher ist.« »Ich habe darauf bestanden, daß Sie der einzige Scout sind«, sagte Fly. Er grinste mich schlangenhaft an. »Ich weiß, daß ich mich auf
Sie verlassen kann, auch wenn wir häufig verschiedener Meinung sind. Sie kennen sich ja mit Apachen aus und brauchen keine Unterstützung.« »Sicher, Sir.« Ich quittierte die zweifelhafte Ehre, die er mir zuteil werden ließ, mit einem steifen Lächeln. »Verlieren Sie keine Zeit«, sagte Lester. Er sah jetzt sorgenvoll und deprimiert aus. »Ich war gegen diesen Krieg, aber jetzt ist er da. Ich konnte nichts tun.« Er wirkte hilflos. Ich wußte, daß er die Wahrheit sagte und konnte nichts erwidern. Ich hatte ja auch versucht, was möglich war, ohne etwas verhindern zu können. Wortlos ging ich hinaus und zu meinem Quartier. Jicarilla schlief noch. Er wälzte sich herum, als ich eintrat, und stierte mich verschlafen an. »Ist was?« fragte er. »Die Welt geht unter«, sagte ich und schnappte mein Gewehr, meine Feldflasche und meine Satteltaschen. »Was soll das heißen?« »Der Aufstand ist da«, sagte ich. »Jetzt gibt es Krieg.« »Werden wir gebraucht?« »Vorerst nicht. Vorerst darf ich allein meinen Kopf hinhalten.« »Das ist gut«, sagte Jicarilla und streckte sich genießerisch. »Ich mag keinen Krieg.« Ich hätte ihm seine Flaschen um die Ohren schlagen können, aber ich ließ es, denn ich mochte ihn trotz allem, und ich wußte, daß er einer der besten Scouts war, die es in Texas gab, solange er halbwegs nüchtern war. Ich verließ das Quartier und ging zu den Ställen. Auf halbem Weg hielt mich ein Mann an. Er war etwas kleiner als ich, schlank, drahtig. Er trug einen Maßanzug aus teurem Stoff. Wahrscheinlich hatte er einmal gut ausgesehen, aber eine rötlich schimmernde Brandnarbe entstellte sein Gesicht und verlieh ihm eine häßliche Männlichkeit, die ihn sicher auf manche Frauen bereits wieder anziehend wirken ließ. »Sind Sie der Scout?« fragte er. »Ja«, sagte ich. »Sie reiten jetzt in das Aufstandsgebiet?«
»Ja.« »Duke«, sagte er. »Meine Name ist Sadie Duke. Ich bin Geschäftsmann aus San Luis.« »Interessant«, sagte ich. »Über Geschäfte können wir später reden.« »Warten Sie!« Er hastete neben mir her. »Ich bin gestern erst eingetroffen.« »Wie schön für Sie«, sagte ich. »Genießen Sie die gute Luft, solange sie noch nicht nach Pulver schmeckt.« »Wollen Sie sich über mich lustig machen?« Ich bemerkte, daß seine Narbe sich verfärbte. Der rötliche Schimmer vertiefte sich. »Ich arbeite unter anderem auch für die Armee. Ich bestehe darauf, daß Sie mir zuhören.« »Was wollen Sie?« Ich blieb stehen. »Ich habe keine Zeit. Da draußen im Land ist wahrscheinlich die Hölle los. Wenn der Aufstand der Apachen sich ausweitet, ist das Leben von über achtzig Farmerfamilien bedroht, und kein Mensch weiß, was daraus noch werden wird.« »Ich bin hier, um meine Verlobte abzuholen«, sagte Duke. Er schien sich zwingen zu müssen, ruhig zu sprechen. »In vier Wochen wollen wir heiraten. Sie heißt Gardner. Helen Gardner. Ihre Familie hat draußen am Rio Doro eine Farm. Verstehen Sie mich jetzt.« »Ja«, sagte ich. »Aber die Gardners sind nicht die einzigen, die bedroht sind. Nach Möglichkeit sollen alle gefährdeten Familien geschützt und in Sicherheit gebracht werden.« »Sie müssen sich um die Gardners kümmern!« brüllte er. »Reden Sie leiser, Mann, ich höre sehr gut«, sagte ich. »Ich werde mich um jeden kümmern, der in Gefahr ist. Wahrscheinlich werden die Farmer ohnehin alle hierher ins Fort evakuiert, dann wird Ihre Braut auch mitgebracht. Ich werde dafür sorgen, daß ihr nichts zustößt, und jetzt lassen Sie mich reiten.« »Wer leitet die militärische Aktion?« schrie Duke hinter mir her. »Major Fly«, sagte ich. »Gehen Sie zu ihm, und tragen sie Ihre Wünsche vor.« Ich ließ Duke stehen und eilte in den Stall, um mein Pferd zu holen. Als ich auf den Exerzierplatz hinausritt, stand Sadie Duke
noch immer da, wandte sich abrupt ab, als er mich sah, und hastete zur Kommandantur. Ich ritt zu den Magazingebäuden hinüber, ließ mir Proviant geben und ergänzte meinen Munitionsvorrat. Dann verließ ich das Fort und ritt im raschen Trab nach Süden. Major Fly hatte recht: Es war jetzt müßig, lange über die Ursachen nachzudenken, die zu dem Aufstand geführt hatten. Es war nichts mehr zu ändern, es mußte gehandelt werden. Ich hoffte nur, daß das Ziel derjenigen, die den Aufstand geschürt hatten, nicht erreicht würde. Ich hoffte, daß ein großer Krieg vermieden werden konnte und die Gründe der Rebellion nicht vergessen wurden, wenn alles vorüber war. Ich hoffte, daß eine große Strafaktion gegen die Apachen unterblieb, in der sie zu alleinigen Sündenböcken gestempelt werden würden. Das waren fromme Wünsche. Nach allem, was ich inzwischen wußte und erst in den letzten Tagen hatte erfahren müssen, hätte ich mir darüber im klaren sein müssen, daß sie genausowenig realistisch waren wie meine Bemühungen, den Konflikt zu verhindern. Aber ich hatte eben nicht verlernt, zu hoffen, auch wenn ich es manchmal glaubte. Ich wollte nicht aufgeben und retten, was zu retten war – und dabei ritt ich selbst bereits in einen Strudel, der mich mitreißen sollte, aus dem ich selbst nicht mehr zu retten war.
3. Ich sah den Rauch, nachdem ich etwa drei Stunden unterwegs gewesen war – einen dünnen, schwarzen Strich am farblos hellen Himmel. Ich hatte fünfzehn Meilen zurückgelegt, seit ich das Fort verlassen hatte. Auf einem Hügelkamm zügelte ich mein Pferd und richtete mich steil im Sattel auf. Zwei oder drei Meilen vor mir brannte es. Dichte Rauchwolken stiegen auf, wurden vom Wind zerteilt, trieben nach Osten und schwebten schließlich schräg nach oben. Noch zehn Meilen bis zum Rio Doro. Ich befand mich am Rand des Farmlandes und hatte nicht damit gerechnet, bereits jetzt, so dicht beim Fort, auf Apachen zu stoßen. Sie hatten sich weit
vorgewagt und schienen mit der Schwerfälligkeit der Armee zu rechnen. Vielleicht aber hatte ihr Zorn sie auch alle Vorsicht vergessen lassen. Ich zog mein Gewehr aus dem Scabbard, während ich mein Pferd antrieb und weiterritt. Unwillkürlich lockerte ich mit einer kurzen Handbewegung den Sitz des Navy-Colts in meiner Halfter. Nach einer knappen Viertelstunde tauchte ein Wagenweg vor mir auf, auf den ich einschwenkte. Ich ritt schnell. Die Rauchwolken vor mir verdichteten sich. Ich beugte mich im Sattel vor. Die Hufe meines Pferdes trommelten dumpf auf den Boden. Reitwind peitschte mein Gesicht. Nach fast einer halben Stunde, einer Zeitspanne, die mir wie eine Ewigkeit erschien, erreichte ich die Farm. Das Feuer war fast schon niedergebrannt. Drei Gebäude standen in Flammen, nur eins war noch unversehrt. Das Wohnhaus war bereits eingestürzt und schwelte nur noch. Die Scheune und der Geräteschuppen brannten. Wie ein feiner Nebel schwebten Rußwolken über dem Tal. Der Wind wirbelte glühende Ascheteilchen hoch und mit sich fort. Unweit des Brunnens standen drei Pferde, kurzbeinige, stämmige Apachenponies. Es war kein Mensch zu sehen. Ich ritt langsam näher. Meine Haltung straffte sich. Ich registrierte jedes Geräusch, jeden Schatten, jeden Windhauch. Meine Sinne waren bis zum äußersten gespannt. Rauch wehte mir entgegen. Ich unterdrückte den Hustenreiz. Neben dem Brunnen hielt ich an. Als ich aus dem Sattel glitt, sah ich die Leichen. Eine Frau lag mit einem Pfeil in der Brust auf der Schwelle des eingestürzten Wohnhauses. Die schwelenden Trümmer hatten sie zur Hälfte unter sich begraben. Mitten auf dem Hof lag ein Mann mit dem Gesicht nach unten. Schwarzgraue Schwaden wehten über ihn weg. Unweit von ihm lag ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren, den eine Kugel in den Hals getroffen hatte. Ich hatte einen galligen Geschmack im Mund, als ich über den Hof lief und neben der Leiche des Mannes stehenblieb. Ich wußte, ich war nicht allein mit den Toten, und mit einem Schlag wurde mir richtig bewußt, daß ich gezwungen sein würde, gegen Krieger zu
kämpfen, die ich bis jetzt als meine Freunde angesehen hatte. Das war ein Aspekt, der für mich in den letzten Tagen bei aller Turbulenz noch gar nicht aufgetaucht war. Ich hatte die drohende kriegerische Entwicklung immer nur in einem größeren Rahmen gesehen und sie auf die Armee und die Apachen beschränkt. Aber ich gehörte dazu, ich konnte mich nicht drücken. Ich stand auch auf einer Seite, und das war nicht die Seite der Indianer. Bis jetzt hatte ich mich als eine Art Mittler gesehen, aber damit war es nun vorbei. Das Stalltor knarrte. Ich drehte mich um und näherte mich dem Stallgebäude, das als einziges nicht von den Flammen erreicht worden war. Ein Schuß krachte. Ich ließ mich sofort fallen, spürte den sengenden Luftzug der Kugel und sah eine bronzehäutige Gestalt aus dem Stall springen. Ich feuerte im Liegen instinktiv, ohne nachzudenken. Es blieb kein Raum mehr für Skrupel. Ich durfte nicht zögern. Der Frieden war vorbei, und damit war alles verloren, für das ich mich eingesetzt hatte. Wer jetzt zögerte, mußte sterben. Ich wollte nicht sterben. Mein erster Schuß ging fehl. Der Apache stürmte auf mich zu. Er schwang einen Schädelbrecher in der Rechten. Ich kannte den Mann, aber er griff mich an wie einen Fremden. Für ihn war ich ein Todfeind. Ich bäumte mich auf und schoß. Der Aufprall der Kugel ließ den Krieger um einige Zoll wachsen. Dann sank er wortlos nieder. Aus dem Stall sah ich zwei weitere Männer stürmen. Ich richtete mich auf und schmeckte Pulverdampf auf den Lippen. Der beißende Rauch des Feuers reizte meine Schleimhäute und trieb mir Tränen in die Augen. Ich preßte den Karabiner fest in die Hüfte und feuerte in schneller Folge. Den ersten Apachen erwischte ich in der Brust. Er stieß einen lauten Schrei aus und stürzte zu Boden, wo er sich noch ein Stück durch den Staub wälzte, bis er schließlich reglos liegenblieb. Der zweite Krieger erreichte mich. Ich traf ihn in die linke Schulter, aber er griff dennoch an und riß einen Tomahawk hoch. Ich stieß das Gewehr vor. Der Lauf grub sich in den Körper. Er
krümmte sich mit verzerrtem Gesicht zusammen, während ich den Karabiner blitzschnell zurückzog und herumwirbelte. Die Kolbenplatte knallte an den linken Kinnwinkel des Apachen. Seine Augen schimmerten plötzlich glasig. Er sackte wie eine leblose Gliederpuppe in sich zusammen und blieb in seltsam verrenkter Haltung liegen. Es wurde still. Ich lud das Gewehr nach. Nur das Knistern und Knacken des Feuers war noch zu hören. Ich ging zum Stall und stieß das Tor mit dem Gewehrlauf auf. Das ängstliche Blöken von Kälbern hallte mir entgegen. Auf dem Stallboden lag ein totes, enthäutetes Rind. Es war bereits teilweise zerlegt. Ich verließ den Stall und spähte über das Land, als der Wind die Rauchschwaden hochtrieb. Ich war sicher, daß die drei Krieger nicht allein gewesen waren. Der Überfall war gewiß von einer größeren Gruppe ausgeführt worden. Die drei Apachen waren zurückgeblieben, um das erbeutete Fleisch abzutransportieren. Ich kümmerte mich nicht weiter um die Toten auf dem Hof. Ihnen konnte niemand mehr helfen. Ich lief zu meinem Pferd, schwang mich in den Sattel, zog das Tier herum, trieb es an und lenkte es nach Osten auf die Hügel zu. Als ich einige grasbewachsene Hügel überwunden hatte, tauchte ein kleines Wasserloch vor mir auf. Ich ritt darauf zu, ließ das Pferd ins Wasser waten und saufen, während ich mich aufmerksam umblickte. Noch immer hielt ich meinen Spencer-Karabiner in der Faust und war bereit, sofort auf mögliche Angriffe zu reagieren. Als das Pferd gesoffen hatte, trieb ich es aus dem Wasser und umritt den kleinen Tümpel. Rings um das Wasserloch war der Boden von Hufen und Fußabdrücken zertrampelt. Unweit davon neben einem Mesquitestrauch fand ich die Spur eines Mokassins. Ich wußte genug. Das Land schien sich verändert zu haben. Abgesehen von einigen wenigen Vorstößen marodierender Kriegerbanden, die auf der mexikanischen Seite der Grenze lebten, hatte hier monatelang Frieden geherrscht. Die Farmer waren unbehelligt ihrem Tagewerk nachgegangen. Es war kein Risiko gewesen, allein über die Prärie zu reiten. Jetzt spürte ich die Anwesenheit der Gefahr nahezu
körperlich, obwohl auf den ersten Blick alles so war wie immer. Aber ich hatte die Toten gesehen, die vielen Spuren am Wasserloch, ich war gezwungen gewesen, mich meiner Haut zu wehren und hatte töten müssen, und noch immer war in der hitzeflimmernden Luft schwach die Rauchfahne über der niedergebrannten Farm zu erkennen. Nichts war mehr so wie früher. Ich hatte das Gefühl, durch ein völlig anderes, fremdes Land zu reiten. Obwohl ich rings um mich her kein Anzeichen erkennen konnte, das auf die Anwesenheit von Menschen schließen ließ, wußte ich doch, daß hinter jedem Strauch, hinter jeder Bodenerhebung Krieger lauern konnten. Ich fror trotz der Hitze und hatte das Gefühl, von einem eisernen Reif umgeben zu werden, der sich immer enger zog und mich langsam zerquetschte. Ich saß sehr steif im Sattel, den Karabiner schußbereit vor mir. Der eigene Schatten, der mir folgte, wurde mir zur Bedrohung. Noch heute, während ich das schreibe, sind mir die Empfindungen gegenwärtig, die mich erfüllten. Wie sehr haßte ich es, zu kämpfen und zu töten, wie sehr verfluchte ich das Schicksal, das mich immer wieder dazu zwang. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Ich ritt nordwärts, ohne das Gewehr aus der Hand zu legen, obwohl ich die ganze Zeit keine Menschenseele sah, bis die Soldaten vor mir auftauchten. * Es war Spätnachmittag und noch immer drückend heiß. In Viererformation zog die Kavallerie von Norden heran. Müde und staubig saßen die Soldaten in den Sätteln. Eine Regimentsfahne flatterte im Reitwind. Ich schob den Spencer-Karabiner in den Scabbard zurück und zügelte mein Pferd. Neben einer Gruppe von Douglasbüschen wartete ich, bis die Spitze des Zuges heran war. Major Fly und Captain Clay ritten voraus. Sie lenkten ihre Pferde auf mich zu. Hinter ihnen hob ein Sergeant die rechte Faust und schrie: »Haalt!«
»Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie bereits hier zu treffen«, sagte Fly. Er blickte mich kühl, aber nicht feindselig an, wie ich es von ihm gewöhnt war. »Hat es Schwierigkeiten gegeben?« »Fünf Meilen von hier ist eine Farm niedergebrannt worden«, sagte ich. »Alle sind tot. Drei Apachen wären gerade dabei, das Vieh zu schlachten und das Fleisch abzutransportieren.« Ich fixierte ihn. »Es geht vorerst nur um Fleisch und Lebensmittel. Wenn die Apachen nicht hätten hungern müssen, hätte es keinen Aufstand gegeben.« »Mag sein.« Flys Gesicht wurde maskenhaft starr. »Haben Sie Spuren gefunden?« »Ja«, erwiderte ich. »In der Nähe bei einem Wasserloch haben sie gerastet. Es waren mindestens dreißig oder vierzig Krieger.« »Was ist mit den Indianern, die Sie auf der Farm angetroffen haben?« »Tot, Sir. Es ließ sich nicht vermeiden.« »Wir haben seit heute früh Krieg«, sagte Fly. »Da läßt sich so etwas nun mal nicht vermeiden. Sie haben richtig gehandelt, daß Sie nicht weitergeritten sind, sondern auf uns gewartet haben. Ich brauche Sie. Den versoffenen Jicarilla will ich nicht dabeihaben.« Ich staunte. Seit ich in Fort Calhoun war, war dies die erste Wertschätzung, die Fly mir gegenüber zum Ausdruck brachte. Auch wenn wir verschiedener Meinung waren, ließ sich vielleicht doch mit ihm auskommen. Im Grunde saßen wir ja in einem Boot. »Die letzten Stunden waren ruhig«, sagte ich. »Keine weiteren Feuer, keine Indianer. Es besteht aber kein Zweifel, daß sich die Krieger noch im Farmgebiet aufhalten. Wahrscheinlich ruhen sie sich aus, um in der Nacht oder gegen Morgen wieder zuzuschlagen.« Fly blinzelte in die Sonne und schien nachzudenken. Er sagte: »Wir brauchen einen Stützpunkt im Kampfgebiet, wo wir rasten und von wo aus wir operieren können.« »Taylors Station wäre eine Möglichkeit«, sagte ich. »Sie ist zwar klein, liegt aber mitten im Farmgebiet und dicht am Rio Doro.« »Der kleine Handelsposten, der vor ein paar Wochen gebaut worden ist, nicht wahr?« »Ja, Sir.«
»Einverstanden. Ist die Station bis zum Einbruch der Dunkelheit zu erreichen?« »Ich denke, Sie werden bis Mitternacht unterwegs sein.« »Das ist nicht zu ändern. Gerastet wird vorher nicht.« Fly drehte sich um und gab Captain Clay eine Anweisung. Der Captain zog sein Pferd herum und ritt zur wartenden Truppe. Wenig später setzte die Kolonne sich wieder in Bewegung. Ich trieb mein Pferd an und setzte mich in einigem Abstand an die Spitze. Auch wenn Fly sich anschickte, ein einigermaßen gutes Verhältnis zwischen uns herzustellen, drängte mich nichts dazu, direkt neben ihm zu reiten. Außerdem hielt ich es für richtig, das Gelände zu sondieren, um zu verhindern, daß die Truppe womöglich in eine Falle ritt. Ich schätzte, daß Fly von etwa sechzig Mann Kavallerie begleitet wurde. Das war nicht viel. Für einen offenen Kampf war es ausreichend, da die Kavalleristen trotz der Waffenanlieferungen in die Reservation besser ausgerüstet waren als die Apachen. Aber ich war sicher, daß sich in der Reservation gut hundertfünfzig kampffähige Krieger befunden hatten. Für einen Hinterhalt genügte schon die Hälfte davon, um Flys Truppe aufzureiben. Aber nichts geschah. Wir ritten ohne Behinderung auf den Rio Doro zu. Wir hielten auch nicht an, als die Dämmerung auf das Land sank. Die Nacht kam, aber alles blieb ruhig.
4. Ich war seit Sonnenaufgang unterwegs. Der Himmel über dem Farmland am Fluß war ohne Wolke. Die Fluten des Rio Doro spülten träge an die sandigen Ufer. In der Trockenheit der letzten Wochen war der Wasserstand des Flusses gesunken, und wenn die Hitze anhielt, war abzusehen, daß der Rio Doro bald noch weniger Wasser führen würde. Am Rande der Felder, die links und rechts des Flusses angelegt worden waren, drehten sich müde im schwach von Westen heranstreichenden Wind die Windräder, die auf hohen Gerüsten montiert waren. Sie pumpten Wasser in schmale Bewässerungsgräben, die die Felder in regelmäßigen Abständen
durchzogen. Obwohl ihre Leistung täglich abnahm und die engen Gräben genau wie der Fluß immer weniger Wasser führten, sah es so aus, als würde zumindest die Maisernte dieses Jahres gut ausfallen. Vorausgesetzt, es würde noch genug Menschen in diesem Gebiet geben, um den Mais zu ernten. Vielleicht war das Land in wenigen Wochen leer und ausgestorben, und die Menschen, die hier jetzt noch lebten, waren dann vertrieben oder tot. Dann würde der Mais auf dem Halm verdorren. Ich dachte nicht weiter und ritt nach Süden. Eine Farm tauchte vor mir auf, ich ritt darauf zu. Die Gebäude lagen wie ausgestorben da. Kein Leben rührte sich. Aus dem Schornstein kräuselte sich kein Rauch. Als ich den Hof erreichte, hatte ich meinen Karabiner quer vor mir im Sattel liegen. In gespannter Haltung hockte ich im Sattel. Neben dem Brunnen zügelte ich den Hengst und beugte mich vor. Aufmerksam tasteten meine Blicke die Fassade des Wohnhauses ab. »Ist da jemand?« rief ich. Meine Stimme klang seltsam hohl zwischen den Gebäuden. Drückend lag die Hitze auf dem Hof. »Ist jemand im Haus?« Die Sonne stand schräg über der Farm. Die Fensterscheiben reflektierten das grelle Licht, so daß ich nicht ins Haus schauen konnte. Unvermittelt ertönte das scharfe metallische Knacken eines Gewehrhahns. Ich hob den Kopf und sah, daß im Obergeschoß des Hauses ein Fenster einen Spalt breit offenstand. Ein Gewehrlauf schob sich hindurch. »Nicht schießen!« rief ich. »Wer sind Sie?« »Scout aus Fort Calhoun!« rief ich. Das Fenster öffnete sich ein Stück mehr. Ich sah einen untersetzten, massigen Mann hinter dem Gewehr. Sein Gesicht war übernächtigt. Er blickte mißtrauisch zu mir herunter. Ich blieb ruhig im Sattel sitzen. Die meisten Leute am Rio Doro kannten mich. Wenn sie auch noch nie mit mir gesprochen hatten oder sonst irgendwie näheren Kontakt zu mir gehabt hatten, so hatten sie mich doch fast alle schon einige Male gesehen. Dabei war mir
klar, daß ich nicht sonderlich vertrauenerweckend aussah. Ich hatte mich seit Tagen nicht rasiert. Ein dichter Stoppelbart bedeckte Kinn und Wangen. Mein blondes Haar hing lang bis auf meine Schultern herunter. Den Revolver trug ich tiefgeschnallt, meine Kleidung war abgewetzt und staubbedeckt. Der Gewehrlauf verschwand. Es dauerte eine Weile. Dann öffnete sich die Haustür. Der Farmer trat heraus. Er hielt sein Gewehr noch immer in den Fäusten. »Was wollen Sie?« »Nachsehen, ob alles in Ordnung ist.« »Da lassen Sie sich reichlich früh sehen.« »Das Gebiet ist groß«, erwiderte ich. »Ich bin allein. Die Armee lagert bei Taylors Station. Wir sind seit vier Tagen am Rio Doro, aber erst seit gestern sind regelmäßig Patrouillen unterwegs. Vorher bin ich allein herumgeritten. Das braucht seine Zeit.« »Wir leben noch«, sagte der Farmer. »Aber das ist bestimmt nicht das Verdienst der Armee.« »Sind Sie angegriffen worden?« »Zweimal. Bis jetzt nur kleine Banden. Beim erstenmal waren es zehn, beim zweitenmal vielleicht sechs oder sieben Krieger. Aber überall am Fluß hat es gebrannt.« »Ich rechne mit einem größeren Schlag«, sagte ich. »Bis jetzt sind zwar einige Farmen niedergebrannt worden, aber es hat noch keine großen Zusammenstöße gegeben.« »Wie sieht es auf Taylors Station aus?« »Taylor ist tot.« Ich dachte daran, wie ich mit Fly und den Kavalleristen die Station erreicht hatte. Der kleine Handelsposten, in dem viele Siedler am Rio Doro schon die Keimzelle für eine künftige Stadt gesehen hatten, war äußerlich unversehrt gewesen. Jeremias Taylor, der Besitzer, ein Mann in den Vierzigern, hatte tot hinter dem Magazin gelegen. Das Lager war leergeräumt gewesen. Major Fly und Captain Clay hatten ihr Hauptquartier im Wohnhaus Taylors aufgeschlagen. Das Magazingebäude war zu einem notdürftigen Lazarett eingerichtet worden. Die Truppe war zum Stillhalten gezwungen, denn noch war völlig unklar, ob die Indianer einer klaren Linie folgten oder unabhängig voneinander
operierten, also in kleinere Gruppen zerfallen waren. Fly hielt es für sinnlos, in die frühere Reservation zu marschieren. Ich teilte diese Ansicht. Dort waren wahrscheinlich nur die sehr alten und schwachen Frauen und Männer zurückgeblieben, die uns nicht weiterhelfen konnten. Wo die jungen Krieger mit ihren Familien ihr Lager aufgeschlagen hatten, wußten wir noch nicht. Das mußte erst erkundet werden. Ich hatte am Vortage eine Spur gefunden, die vielversprechend war. Ich folgte dieser Fährte mit Widerstreben. Einerseits war es zwar auch meine Absicht, dazu beizutragen, den Aufstand zu einem schnellen Ende zu bringen. Jeder Tag, den die Auseinandersetzung andauerte, forderte Opfer auf beiden Seiten. Andererseits hatte sich die Situation bereits so sehr zugespitzt, daß die Armee mit Sicherheit eine Strafexpedition unternehmen würde, wenn feststand, wo die Apachen sich festgesetzt hatten. Es würde zweifellos ein Massaker geben. Wie man es auch drehte und wendete, es kam nichts Gutes heraus. Die Fronten waren bereits so sehr verhärtet, daß ich nicht mehr die Wahl zwischen einem größeren und einem kleineren Übel hatte. »Es werden noch viele sterben«, sagte der Farmer. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. »Ich will nicht sterben. Ich will auch nicht, daß meine Frau und meine Kinder sterben.« »Wir tun, was wir können.« »Die Reservation war immer ein Unsicherheitsfaktor«, sagte der Farmer, »Man hätte die Apachen nie in der Nähe der Farmen ansiedeln dürfen.« »Wo dann?« fragte ich. »Es hat doch immer funktioniert. Wenn die Behörden in Washington die Apachen anständig behandelt hätten, wäre jetzt noch Frieden.« »Davon weiß ich nichts«, sagte der Farmer. »Ich habe ein Recht auf Sicherheit. Mehr interessiert mich nicht. Was soll jetzt werden?« »Ich kann keine Entscheidung fällen«, sagte ich. »Ich vermute, daß das Gebiet evakuiert werden wird, aber das bestimmt der Kommandeur, Major Fly.« »Evakuiert nach Fort Calhoun?« »Ja.«
»Das wäre das Beste. Die Armee sitzt in Taylors Station, nicht wahr? Ich werde noch heute aufbrechen.« »Tun Sie das. Wahrscheinlich sind Sie dort sicherer als auf Ihrer Farm.« »Ich habe gedacht, hier hätten wir Ruhe.« Der Farmer blickte an mir vorbei. »In Kansas sind wir wegen der Heuschrecken weggegangen. Vorher waren wir in Nebraska. Da waren es auch die Indianer. Man braucht einen Platz, wo man hingehört, verstehen Sie?« »Ich verstehe sehr gut«, sagte ich. »Sie werden bestimmt hierher zurückkehren können.« »Das hoffe ich auch«, sagte der Mann. »Wo sollen wir sonst hin? Und überall muß man neu anfangen.« »Reiten Sie zu Taylors Station.« Ich trieb mein Pferd an und ritt zur Tränke auf dem Hof, einem ausgehöhlten Baumstamm. Der Hengst soff. Ich tippte mit der Rechten grüßend an die Hutkrempe und ritt vom Hof. Der Farmer blieb stehen. Er wirkte verloren und in Gedanken versunken. Ich ritt auf den Fluß zu. Unvermittelt sah ich Indianerspuren vor mir, die Fährten unbeschlagener Ponies. Es handelte sich zweifelhaft um die Krieger, die versucht hatten, die Farm zu überfallen. Ich ritt der Spur auf gut Glück nach. Nach fast zwei Meilen stießen andere Fährten zu der ersten. Auf einmal hatte ich die Spur einer größeren Kriegergruppe vor mir. Ich war sicher, daß ich die Fährte vom Vortag wiedergefunden hatte. Meine Aufmerksamkeit stieg schlagartig. Ich ritt weiter und ließ dabei meine Blicke beständig über das Land ringsum schweifen. Nach abermals zwei Meilen trennten sich zwei Pferdespuren von der großen Fährte. Instinktiv schwenkte ich herum und folgte den beiden Reitern. Die große Fährte konnte ich jederzeit wiederfinden. Aber ich war schon nach kurzer Zeit sicher, daß die beiden Apachen, die vor mir geritten waren, Kundschafter waren. Ihre Spur führte am Fluß entlang nach Süden. Vielleicht wußte ich, welche Pläne die Apachen verfolgten, wenn ich das Ende der Fährte ihrer Späher erreichte. Es war nur eine Hoffnung, und sie bedeutete soviel oder sowenig wie alles andere auch an diesen Tagen. Instinkt und
Erfahrung zählten in diesen Tagen mehr als sichere Tatsachen, denn sichere Erkenntnisse gab es noch nicht. * Die Farm lag direkt am Fluß. Sie unterschied sich kaum von den anderen Farmen im Land am Rio Doro. Die Gebäude waren in der Form eines Hufeisens angeordnet. In der Mitte des Hofes stand ein Wagenkasten auf zwei Holzböcken. Die Räder dazu lehnten an der Wand des Stalls, an dessen Westseite sich eine kleine Schmiedewerkstatt befand, die zum Hof hin offen war. Hinter den Gebäuden lag ein ausgedehntes Maisfeld, daneben war ein Rübenacker angelegt worden. Zwischen beiden Feldern führte ein ausgefahrener Weg nach Süden. Die Farm wirkte genauso verlassen wie das letzte Anwesen, das ich gestreift hatte. Auf dem Hof war kein Mensch zu entdecken. Aber aus dem Kamin, der aus dem schindelgedeckten Dach des Wohnhauses aufragte, kräuselte sich eine dünne Rauchfahne. Ich war nicht beunruhigt, bis ich die Fährten der beiden Kundschafter ganz dicht bei der Farm wiederentdeckte. Meine Haltung straffte sich unwillkürlich. Ich hob den SpencerKarabiner an die Hüfte, während ich weiterritt und mein Pferd durch Schenkeldruck lenkte. Die Sonne hatte den Zenit überschritten und spiegelte sich in den Fensterscheiben, die blankgeputzt waren; wie überhaupt alles einen sehr sauberen und gepflegten Eindruck erweckte. Ich zügelte den Hengst im Schatten der Scheune, glitt aus dem Sattel, blickte mich um und steckte dann das Gewehr in den Sattelscabbard zurück. Es konnte für mich in diesem Moment nur hinderlich sein. Ich lockerte den Navy-Colt in der Halfter, als ich auf das Haus zuging. Noch immer stieg der Rauch aus dem Kamin und herrschte Friedhofsstille. Es war unerträglich heiß auf dem Hof. Die Hitze hatte sich zwischen den eng stehenden Gebäuden gestaut wie in einem Kessel.
Ich schwitzte, aber das war nicht allein die Hitze. Meine Handflächen waren feucht, ich rieb sie am Hemd trocken. Sand knisterte zwischen den Falten meiner Kleidung. Als ich das Wohnhaus erreichte, verhielt ich kurz und lauschte angespannt. Kein Geräusch. Ich drückte die Klinke der Tür hinunter. Die Tür schwang auf. Ich war überrascht. Schweigend spähte ich in den Gang dahinter. Der Geruch von Tabak und kaltem Essen strich mir entgegen. Alles blieb still, nichts rührte sich. Ich betrat den Gang, meine Rechte lag am Griff des Revolvers. Nacheinander stieß ich die Türen im Gang auf und blickte in die darunterliegenden Räume. Hinter der ersten Tür befand sich der Wohnraum, der ähnlich einfach ausgestattet war wie in fast allen Siedlerhäusern. Die meisten Möbel waren selbstgefertigt worden. Ich drehte mich um, ging zur nächsten Tür und fand eine Vorratskammer. Dann stieß ich die Nebentür auf. Mit jeder Sekunde wuchs meine innere Spannung. Ich war überzeugt, daß hier etwas nicht stimmte. Ich stand auf der Schwelle einer geräumigen Küche. Erst sah ich die Schränke mit den Tellern und Töpfen, dann die Kochstelle. Neben dem Tisch lagen drei Tote. Der Tisch war umgestürzt, auch zwei Stühle. Dazwischen lagen die Leichen. Eine Porzellanschüssel war am Boden zerbrochen. Ihr Inhalt, Fleischbrühe, hatte auf den Dielen ein Pfütze gebildet. Das Feuer in der Kochstelle brannte noch. Ich tat einen großen Schritt in den Raum, bückte mich und legte dem Mann, der der Tür am nächsten lag, die Hand auf die Stirn. Die Stirn war noch warm. Ich untersuchte auch die Frau, die im gleichen Alter gewesen sein mochte wie der Mann, um die Fünfzig. Der junge Bursche, der zwischen ihnen lag, war vielleicht zwanzig gewesen. Sie waren noch nicht lange tot. Der Mann war erschossen worden. Die Frau und der Junge zeigten Stichwunden. Ich war sicher, daß ich nicht allein im Haus war. Ein eigenartiges
Gefühl kroch in mir hoch. Meine Rückenmuskeln verkrampften sich unwillkürlich. Ich fühlte mich wie ein Schlachtopfer. Meine Gegner waren unsichtbar. Sie hatten es in der Hand, zuzuschlagen. Ich wußte nicht, wann ich einen Angriff zu erwarten hatte und woher. Langsam drehte ich mich um und verließ die Küche. Ich ging weiter den Gang hinunter, bis ich eine schmale Stiege erreichte, die ins Obergeschoß führte. Ich zögerte, blickte die Stiege hinauf und überlegte, was ich tun sollte. Im selben Moment spürte ich einen Luftzug im Nacken. Ich wirbelte sofort herum. Meine Reflexe waren immer gut gewesen. Wer in der Wildnis überleben wollte, mußte auf einen Angriff im Schlaf reagieren können. Ich hatte es gelernt. Ich war nicht schnell genug, aber ich wich dem wuchtigen Schlag aus, der nach meinem Kopf geführt worden war. Der Hieb traf mich auf die linke Schulter. Er hätte mich töten können. Schleier wallten vor meinen Augen auf. Ich riß beide Hände hoch und hielt sie schützend vors Gesicht, denn der Mann vor mir wirbelte den Kriegshammer bereits wieder hoch und schlug abermals zu. Diesmal wurde mein linker Unterarm getroffen, daß ich dachte, er sei gebrochen. Ich stürzte rücklings gegen die Treppenstufen. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Verschwommen sah ich zwei Krieger, die aus einer Tür links des Ganges stürmten, hinter die ich vorher nicht geschaut hatte. Irgendwo im Haus schrie eine Frau. Der Krieger vor mir hielt den Kriegshammer mit beiden Fäusten gepackt und hob ihn hoch über den Kopf, um meine Deckung zu zerschmettern und mir den Schädel zu zertrümmern. Obwohl ich kaum sehen und vor Schmerz kaum atmen konnte, warf ich mich nach vorn, als der Indianer zuschlug. Der Hieb ging über mich hinweg. Der Krieger wurde von der Wucht des eigenen Schlages mitgerissen. Ich rammte ihm den Schädel in den Leib, und er stürzte fast kopfüber über meine rechte Schulter. Er fing sich, taumelte seitlich gegen die Wand des Gangs und zog sein Messer. Der Kriegshammer war ihm entglitten und polterte auf die Bodendielen. Er war ein Krieger von ungewöhnlicher Größe für einen Apachen.
Sein Oberkörper war bis auf eine ärmellose Weste nackt. Das fettig glänzende Haar hing bis auf seine muskulösen Schultern. Quer über die Stirn hatte er sich einen gelben Strich gemalt. Seine Wangen wurden von weißen Schrägstrichen gezeichnet. Er hielt das lange Jagdmesser in der Rechten. Die Klinge zeigte nach oben. Er bewegte sich gleitend auf mich zu und stach von unten nach oben. Ich riß gleichzeitig mein rechtes Bein hoch. Sein Handgelenk prallte mit meiner Stiefelspitze zusammen. Das Messer wirbelte hoch und bohrte sich in eine Stufe der Stiege, wo es steckenblieb. Der Apache gab keinen Schmerzenslaut von sich. Er umklammerte lediglich mit der Linken das geprellte Gelenk und beugte sich etwas vor. Ich hob das rechte Bein und trat ihm mit voller Wucht in den Bauch. Jetzt schrie er und taumelte rückwärts. Hinter ihm tauchte ein weiterer Krieger auf, der ihn auffing und verhinderte, daß er stürzte. Beide Krieger wichen zum Eingang zurück. Der Große blieb zusammengekrümmt und leise wimmernd stehen. Der zweite schob sich an ihm vorbei und zielte mit einem Smith-und-Wesson-Revolver auf mich. Ich ließ mich nach hinten fallen. Vor mir krachte der Revolver. Die Kugel streifte wie ein Peitschenhieb über meine Stirn. Ich spürte einen scharfen Schmerz und war für einen Sekundenbruchteil betäubt. Dann lag ich rücklings auf den Stufen der Treppe. Meine Rechte packte den Griff des Navy-Colts. Ich drückte die Waffe hoch und feuerte durch den Boden der Halfter, ohne die Waffe zu ziehen. Die Kugel traf den Apachen in die Brust Er stürzte gegen den Türrahmen zurück, kippte zur Seite, rollte aufs Gesicht und blieb liegen. Wieder schrie im Haus eine Frau. Ich zog den Revolver und richtete ihn auf den zweiten Indianer, der sich jetzt wieder aufrichtete. Mein Schädel brummte, meine Stirn schmerzte wie Feuer. Ich tastete mit der Linken über das Gesicht und stieß mit den Fingerkuppen gegen einen dünnen Riß. Ich fühlte einen leichten Schwindel.
Der zweite Krieger sprang wie ein Puma auf mich zu. Ich taumelte, aber ich konnte den Revolver halten und abdrücken. Dann war es vorbei. Stinkend hing ein Pulverdampfschleier im Gang. Ich richtete mich auf. Heftige Schmerzen wühlten in meiner linken Schulter. Das Brennen an der Stirn ließ langsam nach. Ich schob den Colt in die Halfter zurück. Einen Moment schloß ich die Augen, um wieder eine aufwallende Schwäche zu überwinden. Dann ging ich an den Toten vorbei und betrat den Raum, aus dem sie gekommen waren und mich angegriffen hatten. Es war ein Schlafzimmer, einfach eingerichtet. Am Fenster stand ein Bett mit blaukarierten Bezügen. Neben dem Bett kauerte eine junge Frau am Boden. Sie war fast nackt. Ein paar Kleidungsstücke hingen zerfetzt an ihrem Körper herunter. Sie hatte die Knie an den Leib gezogen und die Arme darum geschlungen. Ich sah erst nur eine Flut von wirren, dunkelblonden Haaren und hörte ein durchdringendes Wimmern. Unvermittelt hob die Frau den Kopf und schaute mich an. Ich sah ihr Gesicht. Es war schmal geschnitten und kreidebleich. Die Augen hatten eine smaragdgrüne Farbe und waren weit aufgerissen. In ihnen spiegelte sich nichts als Angst. Langsam ging ich auf sie zu. Da fing sie an zu schreien und streckte abwehrend beide Hände aus. Ich tat noch einen Schritt und blieb dann stehen. Aber sie sprang auf. Tränen rannen über ihre Wangen. Der Rest des Kleides, der kaum noch ihre Blöße bedeckt hatte, fiel nun auch herunter. Jetzt war sie völlig nackt, und so stand sie vor mir. Sie war sehr schlank, aber sie wirkte kräftig. Ein außerordentlich hübsches Mädchen. Obwohl mir der Sinn weiß Gott nicht danach stand, registrierte ich, daß sie volle, feste Brüste hatte, die sie jetzt mit beiden Händen zu verdecken suchte. Sie wich vor mir zurück, stieß gegen die Bettkante und stürzte rücklings in die Kissen. Sie schrie wieder vor Schreck und Entsetzen. Dann wurde sie still, denn ich blieb stehen und erwiderte ruhig ihren angsterfüllten Blick »Hören Sie auf zu weinen«, sagte ich. Ich ließ meine Stimme so
dunkel, ruhig und weich wie möglich klingen. »Es ist alles vorbei. Kein Grund mehr, Angst zu haben.« Ich tat einen Schritt auf sie zu. Sie schrie nicht mehr. Sie zuckte nur zusammen. »Ich bin Scout der Armee«, sagte ich. »Mein Name ist Ronco. Ich arbeite in Fort Calhoun.« Sie blickte mich schweigend an, antwortete nicht und rührte sich auch nicht. Ich war nicht sicher, ob sie mich verstanden hatte. Ich war mir klar, daß ich die Spannung, die im Raum lag, durchbrechen und versuchen mußte, trotz allem was geschehen war, mich so ungezwungen und normal wie möglich zu geben, um ihr über den Schock hinwegzuhelfen. Ich ging zum Fenster, schaute hinaus und tat so, als wäre ich schon oft hiergewesen. Ich bewegte mich, als sei nichts Besonderes passiert. Hinter dem Haus sah ich neben der Stallwand die beiden Pferde der Apachen stehen. Ich drehte mich um und sagte: »Waren die beiden allein?« Sie nickte. Ich war froh. Sie reagierte zumindest. Viel Zeit hatte ich nicht. Je schneller sie sich mit der Situation abfand, um so besser. Was geschehen war, war nicht mehr zu ändern. Ich hatte selbst oft ähnliche Erfahrungen machen müssen: Binnen Minuten hatte sich etwas, was man für ewig und unumstößlich gehalten hatte, total verändert. Es blieben zwei Lösungen: Man konnte mit dem Schicksal hadern, darüber sich selbst vergessen und ebenfalls untergehen. Oder man fand sich damit ab, stellte sich auf die neue Lage ein und versuchte, das Beste daraus zu machen. Das war eine harte Regel. Zugegeben. Es war das Gesetz der Wildnis. Ich hatte es nicht erfunden, ich hatte lediglich gelernt, mich beizeiten daran zu halten, Und ich hatte bis jetzt überlebt. Das Mädchen mußte sich auch damit abfinden. Sonst konnte sie nicht überleben. Ich war bereit, ihr dabei zu helfen. Viel konnte ich nicht tun. Sie brauchte in den nächsten Stunden Halt, sie durfte nicht allein sein und keine Zeit zum Grübeln haben. Sie mußte sich statt dessen damit befassen, was vor ihr lag. Ich versuchte, sie anzulächeln. Es fiel mir schwer, denn ich war
schließlich nicht aus Stein. Was ich in der Küche des Hauses gesehen hatte, war mir an die Nieren gegangen, und nach dem Kampf mit den beiden Kriegern mußte auch ich erst wieder innerlich zur Ruhe kommen. Aber es gelang mir. »Ziehen Sie sich etwas an«, sagte ich. »Und keine Angst. Sie sind nicht mehr allein.« Ich ging zur Tür, schleifte die beiden Toten den Gang hinunter und legte sie hinter die Stiege. Dann schloß ich die Küchentür. Es war keine Zeit dazu, die Toten zu begraben. Ich würde Fly bitten, eine Patrouille herzuschicken. Wahrscheinlich aber würde das erst geschehen, wenn der Aufstand vorbei war. Es würde dann eine Menge Gräber zu schaufeln geben. Ich kehrte ins Schlafzimmer zurück. Die junge Frau stand neben dem Schrank. Sie weinte wieder, aber sehr leise. Als ich eintrat, zuckte sie zusammen. Ihre Hände zitterten. Sie hatte ein weites Männerhemd übergezogen und schlüpfte jetzt in eine abgetragene Levis-Hose. »Was haben die Apachen mit Ihnen getan?« fragte ich. Sie schaute mich einen Augenblick stumm an. Dann sagte sie: »Noch nichts.« »Gut«, sagte ich. »Sie haben Glück gehabt. Wie heißen Sie?« »Gardner«, sagte sie. »Helen Gardner.« Ich kannte den Namen. Einen Augenblick überlegte ich. Dann fiel mir der gutgekleidete Mann mit dem Brandmal ein, der mich in Fort Calhoun bestürmt hatte, bevor ich fortgeritten war. Helen Gardner – sie sei seine Verlobte, hatte er gesagt. Er erwartete sie im Fort, um sie zu heiraten. Wie hatte er noch geheißen? Es fiel mir wieder ein: Duke, Sadie Duke. »Kennen Sie Mister Sadie Duke?« Sie blickte mich überrascht an und sagte: »Ja. Mein Verlobter.« Auf einmal traten wieder Tränen in ihre Augen. »Weinen Sie nicht«, sagte ich. »Er wartet in Fort Calhoun. Seien Sie froh. Sie sind nicht allein, Sie wissen doch, was passiert ist?« »Dad und Mutter«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Und Jim, mein Bruder. Ich weiß, aber …«
»Sie haben überlebt«, sagte ich. »Daran müssen Sie jetzt denken. Und Sie haben Ihren Verlobten, der auf Sie wartet. Das ist eine ganze Menge nach allem, was geschehen ist. Andere haben in so einer Situation schon völlig allein dagestanden.« Ich dachte dabei an mich. Wie oft hatte ich alles verloren, an dem ich gehangen hatte, wie oft hatte ich damit fertigwerden müssen, daß mein Leben sich radikal änderte? Ich hatte meist allein gestanden. Sie stand mit gesenktem Kopf da. »Sie können nicht hierbleiben«, sagte ich. »Das Land ist voller Apachen. Die beiden Krieger hier waren wahrscheinlich Kundschafter. Ich habe ihre Spuren sechs Meilen oberhalb des Flusses gefunden.« »Wo – wo soll ich jetzt hin?« Ihre Tränen waren versiegt. »Bringen Sie mich nach Fort Calhoun?« »Vielleicht, aber jetzt nicht. Jetzt bringe ich Sie zu Taylors Station ins Feldlager der Armee.« Ich tat unwillkürlich einen Schritt auf sie zu und griff nach ihrer Hand. Da schluchzte sie auf und fiel mir um den Hals. Ich ließ es überrascht geschehen. Sie legte den Kopf an meine Brust und klammerte sich an mir fest, als wenn sie mich nicht mehr loslassen wollte. Dabei zitterte sie am ganzen Körper und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Ich legte ihr zögernd die Hände auf die Schultern und strich ihr dann sanft über den Kopf. Ein etwas eigenartiges Gefühl erfaßte mich. Ich hatte selten so nahen Kontakt zu Frauen gehabt. So erfahren ich in den meisten Dingen des Lebens in der Wildnis war, so unerfahren war ich auf diesem Gebiet. Ich wußte nicht recht, was ich tun sollte. Auch wenn mir dieses Mädchen gefiel, aber es war nicht der richtige Ort und die richtige Zeit, an so etwas zu denken. Und in Fort Calhoun wartete ihr Verlobter. Ich redete auf sie ein, und plötzlich hörte sie auf zu weinen, richtete sich auf und ließ mich los. »Entschuldigen Sie«, sagte sie leise. Ich sah etwas in ihrem Blick, das mich unsicher werden ließ. Sie schaute mich anders an als vorher. Mir wurde heiß. Ich sagte: »Schon gut. Kommen Sie jetzt.«
Meine Stimme klang barscher, als ich wollte. Jetzt wirkte sie verwirrt. Ich griff nach ihrer Hand und zog sie hinter mir her. Sie ging mit mir hinaus. Sie fragte nicht nach den Leichen der Apachen und auch nicht nach ihren toten Eltern und ihrem Bruder. Ich war froh darüber. Wir gingen zum Stall, und ich sattelte ihr ein Pferd. Die anderen Tiere ließ ich frei. Sie nutzten niemandem mehr, und es war niemand mehr da, um sie zu versorgen. Helen Gardner nahm nichts mit. Mir war das recht. Je weniger Ballast vorhanden war, um so schneller würden wir uns bewegen können. Wenig später ritten wir nebeneinander her nach Norden.
5. Die Sonne stand weit im Westen, als ich mit Helen Gardner das Feldlager erreichte. Taylors Station lag auf einem flach ansteigenden Hügel, von dem man einen guten Überblick über das Land hatte. Die Gebäude waren fest und wehrhaft aus ungeschälten Stämmen gebaut worden. Es gab zwei langgestreckte Magazingebäude, einen Stall und das Haupthaus, in dem sich ein Store mit Schnapsausschank befunden hatte. Darüber hatte Taylor seine Wohnung gehabt. Die Fenster waren schmal und hatten als Schießscharten dienen sollen – im Notfall. Als es soweit gewesen war, hatten sie zu gar nichts gedient. Auf dem Dach des Haupthauses stand eine Kanone aus dem Bürgerkrieg. Taylor war mächtig stolz darauf gewesen. Es war außerhalb von Fort Caloun das einzige Geschütz gewesen. Genutzt hatte es auch nichts, als die Indianer angegriffen hatten. Taylor war ein Mann gewesen, der großen Wert auf Sicherheit gelegt hatte. Er hatte sein ganzes Anwesen mit einem halbhohen Erdwall umgeben, aus dem spitze Pfähle ragten. Alles sah sehr beeindruckend aus, aber es war einen Dreck wert gewesen. Nichts von alledem, was die Station hatte absichern sollen, hatte Taylors Sterben verhindern können. Taylor war nicht einmal dazu gekommen, einen einzigen Schuß abzugeben. Er war im Schlaf
überrascht worden. Er war sehr schnell tot gewesen. Trotz Schießscharten, trotz Kanone und trotz Palisade. Ich hatte Taylor nicht gemocht, aber so ein Ende hätte ich ihm nicht gegönnt. Ich hatte ihn auch zu wenig gekannt, um über ihn urteilen zu können, denn ich war nur ein einziges Mal bei ihm gewesen, damals, kurz nachdem er sich niedergelassen hatte. Taylor hatte sich immer lautstark gegen die Reservation gewandt. Seiner Meinung nach hätten sie verschwinden sollen. Wahrscheinlich würde es nun so kommen, aber er würde sich darüber nicht mehr freuen können. Mit seiner Hetze war Taylor einer von denen gewesen, die die Grundlage für den Aufstand erst geschaffen hatten. Er hatte keine Waffen geliefert, hatte die Apachen auch nicht hungern lassen. Aber er hatte die Feindseligkeit herbeigeredet. Taylor hatte einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Die Männer, die in weitaus höherem Maß die Schuld an den Ereignissen trugen, würden weiterleben, sich die Hände reiben und gut an dem Aufstand verdienen. Es war sinnlos, weiter darüber nachzudenken. Inmitten von Taylors Einfriedung hatten die Soldaten ihre grauen Mannschaftszelte aufgeschlagen. Die Pferde befanden sich teilweise in dem geräumigen Stall, teilweise außerhalb in rasch errichteten Rope-Korrals. Über dem Handelsposten war das Sternenbanner gehißt worden. Es bewegte sich müde im schwachen Abendwind. Auf dem Dach des Haupthauses stand ein Wachtposten, vor dem Tor der Einfriedung ebenfalls. Hinter den Fenstern des Gebäudes brannte bereits Licht. Die Soldaten hockten um den Brunnen herum beim Essen. Sie hatten ihr Blechgeschirr vor sich auf den Knien. Aus dem Schornstein des Küchenbaus von Taylors Station stieg Rauch in den Abendhimmel. Als ich mit Helen Gardner auf den Hof ritt, schauten alle auf. Vor dem Hauptgebäude hielten wir an. Ich stieg ab, trat zu dem Mädchen und half ihr aus dem Sattel. Sie wirkte schweigsam und verschlossen, ihr Blick war leer. Sie bemerkte nicht, daß die Soldaten sie neugierig anstarrten. Sie sah verloren und erschöpft aus.
Ich nickte einem jungen Rekruten zu, der in unserer Nähe stand, und drückte ihm die Zügel beider Pferde in die Hand, als er herantrat. Dann nahm ich Helen am Arm und führte sie ins Haus. Im Aufenthaltsraum der Station hatte Major Fly eine Schreibstube einrichten lassen. Von hier aus gingen die Berichte an Fort Calhoun hinaus. Corporal Bill Madox befand sich als einziger im Raum, als wir eintraten. Er war ein Mann von über fünfzig Jahren, wirkte aber jünger. Ab und zu hatte er in Fort Calhoun auch Dienst in der Kommandantur getan, daher kannte ich ihn gut. Er war nicht mit Corporal Jones zu vergleichen. Madox blickte uns entgegen, schaute erst Helen und dann mich an uns sagte: »Fly und Clay warten schon lange auf dich.« »Ich kann nicht fliegen«, sagte ich. Ich ließ Helens Arm nicht los, als ich zu der Tür ging, die in den früheren Schankraum führte. Hier befand sich Flys Kommandozentrale. Als wir eintraten, saß der Major an einem Tisch im Hintergrund und hatte eine Landkarte vor sich liegen. Neben ihm stand Captain Clay. Beide Offiziere schauten auf, als ich mit Helen eintrat. »Da sind Sie ja.« Fly erhob sich. Er war schlank und drahtig, hatte dunkles Haar und ein energisch geschnittenes Gesicht. Seine kerzengerade Haltung wies ihn als erstklassig ausgebildeten West-Point-Kavallerieoffizier aus. Ich wußte, daß er während des Bürgerkrieges kurze Zeit im Stab von General Grant gedient hatte, und war froh, daß er mir damals nicht begegnet war, denn ich war sicher, daß Fly zu jenen Offizieren gehört hatte, die aus lauter Ehrgeiz den ohnehin schon furchtbaren Krieg noch verschlimmerten. Angeblich hatte er mächtige Freunde an der Spitze der Armee. Ich hatte auch schon das Gerücht gehört, daß Fly nur in Fort Calhoun sei, um für ein oder zwei Jahre Erfahrungen mit Indianern zu sammeln, um später auf einen wichtigen Posten im Kriegsministerium berufen zu werden. Niemand wußte etwas genaues. Mich ließ dieser Tratsch kalt, besonders in diesem Moment. Wir befanden uns im Kriegszustand. Ich mußte mit Fly zusammenarbeiten. Warum er hier war und welche Pläne er hatte, brauchte mich nicht zu interessieren.
»Guten Abend, Sir.« Ich nickte Captain Clay zu und wandte mich dann halb um. »Miß Helen Gardner«, sagte ich. Ich deutete auf Fly und Clay und stellte beide vor. Lewis Clay verbeugte sich sofort. Fly trat auf uns zu, ergriff Helens Hand und brachte es sogar fertig, sie mit einer Eleganz zu küssen, als sei er auf einem Offiziersball. »Zwei Apachenkundschafter haben die Farm der Eltern von Miß Gardner überfallen«, erklärte ich. »Ich kam gerade noch zurecht, um sie …« Ich sprach nicht weiter. Fly blickte mich an und sagte: »Ich verstehe.« Er wandte sich Helen zu. Ich sah in seinem Blick einen seltsamen Glanz und konnte ihn verstehen. Helen Gardner war außergewöhnlich hübsch, obwohl sie sich im Augenblick in einem nicht sehr guten Zustand befand. Das viel zu weite Männerhemd verbarg zu einem guten Teil ihre Figur, die ich für einige Minuten immerhin hüllenlos gesehen hatte. Ich wußte, was Fly entging. »Ich darf Sie meiner ehrlichen Teilnahme versichern, Miß Gardner«, sagte Fly. »Unsere Möglichkeiten, Sie unterzubringen, sind beschränkt, wie Sie verstehen werden. Trotzdem werde ich alles veranlassen, was Ihnen die nächsten Tage erleichtern wird, bis Sie nach Fort Calhoun reisen können. Gibt es noch Verwandte, bei denen Sie Aufnahme finden können?« »Miß Gardners Verlobter wartet in Fort Calhoun«, sagte ich. »Wir wollten in vier Wochen heiraten«, setzte sie leise hinzu. »Es handelt sich um Mister Duke aus San Luis. Er ist auch für die Armee tätig.« »Der Name ist mir nicht unbekannt, Miß Gardner. Zerbrechen Sie sich nicht unnötig den Kopf. Wir werden alles für Sie regeln. Sie werden bald bei Ihrem Verlobten sein, der Ihnen sicherlich über die schlimmen Ereignisse hinweghelfen wird.« »Sicher. Ich – ich danke Ihnen, Sir.« Sie blickte zu Boden und schaute dann mich von der Seite an. Captain Clay ging an uns vorbei zur Tür. Er rief nach Corporal Madox. Der gedrungene Mann erschien und salutierte knapp. »Sorgen Sie dafür, daß Miß Gardner ein gutes Quartier erhält«,
sagte Fly. »Sie werden das selbst überwachen und sind mir dafür verantwortlich, daß sie so gut wie nur irgend möglich untergebracht wird. Verstanden?« »Jawohl, Sir.« Fly wandte sich wieder Helen zu. »Sie können mit Corporal Madox gehen, Madam. Wenn Sie einen Wunsch haben, teilen Sie es ihm mit. Haben Sie schon gegessen?« »Nein.« »Corporal Madox wird dafür sorgen, daß Sie eine Mahlzeit erhalten.« »Danke, Sir.« Sie wandte sich um und ging mit Madox hinaus. Dabei blickte sie zu Boden. Ich hatte das Gefühl, daß sie mit sich kämpfte, um nicht wieder loszuweinen. Fly setzte sich wieder. Ich zog mir ebenfalls einen Stuhl heran und ließ mich nieder. »Haben Sie eine Spur finden können, die uns weiterhilft?« »Ja, Sir. Ich bin ihr bis zur Gardner-Farm gefolgt.« Ich lehnte mich zurück und fühlte mich plötzlich müde und ausgelaugt. »Weiter konnte ich nicht wegen des Mädchens. Die Fährte führt aber in gerader Richtung nach Süden. Es war eine größere Bande. Die meisten Fährten, die ich gefunden habe, führten nach Süden, mal größere, mal kleinere Gruppen.« »Wahrscheinlich haben sich die Apachen in die Santo-DomingoBerge verzogen.« Fly lehnte sich ebenfalls zurück. »Da sind sie uns haushoch überlegen. Mit Kavallerie haben wir in den Bergen nichts zu bestellen. Ich denke, ich werde trotzdem Captain Clay morgen mit einer Patrouille losschicken. Wir sind im Aufstandsgebiet, und wir müssen den Apachen zeigen, daß wir nicht nur hier sind, um die Trümmer von niedergebrannten Farmen zusammenzukehren.« »Werde ich mitreiten?« »Nein. Es gibt andere Aufgaben.« Fly schwieg einen Moment, ehe er fortfuhr: »Die Apachen spielen mit uns Katz und Maus. Bevor wir die Situation im Land unter Kontrolle haben, sind alle, die am Rio Doro lebten, in akuter Gefahr. Wir wissen nicht, wo sie es tun werden. Die Farmen liegen zu einsam und sind schutzlos. Wir können nicht gleichzeitig überall sein. Es wird daher das Beste sein,
zumindest die Frauen und Kinder des Gebiets nach Fort Calhoun zu evakuieren. Die Männer können sich der Gruppe anschließen. Ich habe ohnehin zu wenig Leute, und mir ist jeder recht, der ein Gewehr halten kann. Oder glauben Sie, daß sich jemand weigern wird?« »Kaum, Sir. Solange hier eine so große Unsicherheit herrscht wie im Moment, ist es das Beste, die Frauen und Kinder aus dem Verkehr zu ziehen. Und jeder Farmer wird bereit sein, sich Ihnen zur Verfügung zu stellen. Es geht um ihr Land. Sie sollen das, was sie aufgebaut haben, retten. Je schneller der Aufstand niedergeschlagen ist, um so besser.« »Captain Clay ist ebenfalls meiner Meinung«, sagte Fly. Clay lehnte an der Theke des Raumes und schwieg. »Die Apachen nehmen auf nichts mehr Rücksicht«, sagte Fly. »Die kleinen Zusammenstöße, die unsere Patrouillen in den letzten Tagen mit ihnen hatten, haben gezeigt, daß sie mit einer Aggressivität vorgehen, mit der wir anfangs nicht rechnen konnten. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber wenn sich die Situation weiter so entwickelt, steht uns ein großer Indianerkrieg bevor. Ich will, daß Sie die Farmerfamilien in Sicherheit bringen, Ronco.« Ich blickte den Major abwartend an. »Sie werden einen Treck zusammenstellen, nur mit Frauen und Kindern. Sammelpunkt ist hier. Von hier aus führen Sie die Leute nach Fort Calhoun.« »Das wird nicht so einfach sein, Sir. Die Farmen liegen einsam und ziemlich weit auseinander.« »Sie erhalten fünf Soldaten als Hilfe. Mehr kann ich nicht abstellen. Sie werden von Farm zu Farm reiten und die Leute benachrichtigen. Die meisten besitzen Wagen und Pferde oder Maultiere. Es wird kaum Schwierigkeiten mit dem Transport geben. Am besten wird es sein, wenn Sie sofort losreiten. Der Treck sollte in vier oder fünf Tagen aufbrechen. Es ist bereits ein Kurier zu Colonel Lester unterwegs, damit er von meinen Plänen unterrichtet wird. Sie werden eine besonders kurze und sichere Route zum Fort festlegen. Das überlasse ich aber alles Ihnen. Haben Sie noch Fragen?« »Nein, Sir.« Ich richtete mich auf. »Aber ich habe seit fast
vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen.« »Ich weiß.« Fly erhob sich ebenfalls. »Trotzdem bitte ich Sie, sofort loszureiten. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Suchen Sie sich fünf Soldaten aus, die Sie bei der Benachrichtigung der Farmen unterstützen.« Ich nickte. Fly reichte mir die Hand. Das hatte ich nicht erwartet. Ich zögerte, griff aber dann doch danach und erwiderte den kräftigen Druck. Als ich mich umdrehte, stand Captain Clay noch immer an der Theke. »Ich wünsche Ihnen für morgen viel Glück, Captain«, sagte ich. Clay nickte nur. Im Gegensatz zu Fly schien er an einem guten Verhältnis zu mir nicht im geringsten interessiert. Sein Gesicht war verdrießlich wie meistens. Flys Entgegenkommen versetzte mich immer aufs Neue in Erstaunen. Vielleicht hatte nur der Druck der Ereignisse seinen Sinneswandel bewirkt, oder er führte etwas im Schilde. Aber was? Ich ging hinaus. In der Schreibstube saß Corporal Madox wie vorher. Er blickte auf, als ich auftauchte. »Die Miß wohnt im ersten Magazingebäude«, sagte er. »Wir haben ihr den kleinsten Lagerraum als Stube eingerichtet. Sie ist zufrieden.« Er grinste. »Eine feine Frau«, fügte er hinzu. »Sie hat ihre Eltern und ihren Bruder verloren«, sagte ich. »Laßt sie bloß zufrieden.« Madox wurde ernst. »Was wird jetzt?« »Die Frauen und Kinder werden evakuiert«, sagte ich. »Tu mir einen Gefallen und suche mir fünf Soldaten heraus, die sich ein bißchen im Land auskennen. Die Farmer müssen benachrichtigt werden.« Madox nickte. Er stand auf und folgte mir, als ich hinausging. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Zwei Feuer flackerten. Die Soldaten legten sich gerade zum Schlafen nieder. Obwohl der Tag vorbei war, war es noch immer schwül. Der Wind wehte nur schwach und brachte kaum Kühlung. Ich ging über den Hof zum ersten Magazingebäude. Nach Helens Unterkunft brauchte ich nicht lange zu suchen. Der Raum, in dem sie untergebracht worden war, war klein, aber
er hatte eine verschließbare Tür. Das war wichtig. Ein Feldbett war darin aufgestellt worden, ein Tisch und zwei Stühle. Es gab auch eine Waschschüssel und sogar einen Spiegel. »Wie geht es Ihnen?« fragte ich. Sie stand mitten in der Kammer, blickte mich schweigend an und begann unvermittelt wieder zu weinen. Sie wirkte deprimiert. Tränen rannen in immer dichterem Strom aus ihren Augen. Ich stand schweigend dabei und unterbrach sie nicht. Ich hatte das Gefühl, daß es besser war, jetzt nichts zu sagen. Nach einiger Zeit sagte sie leise: »Ich bin undankbar. Alle bemühen sich um mich und helfen mir, und ich …« »Sie sind nicht undankbar«, erwiderte ich. »Viele Frauen an Ihrer Stelle wären vielleicht nicht so beherrscht. Sie werden sicher nicht so schnell vergessen können, was geschehen ist, aber ich sage Ihnen: Es geht vorbei. In ein paar Tagen sind Sie in Fort Calhoun. Ich werde einen Treck zusammenstellen. Die Frauen und Kinder des Gebiets werden nach Fort Calhoun gebracht. Ich nehme Sie mit, wenn es soweit ist.« Sie schluchzte wieder, und dann umarmte sie mich wie auf der Farm. Ich ließ es wieder geschehen, denn ich spürte, daß sie einen Halt brauchte. Sie weinte, sagte kein Wort und hielt sich nur an mir fest. Ich spürte ihren heißen Atem, ihre Tränen, die an meinem Hals hinunterrannen, und fühlte ihr dichtes, weiches Haar an meinem Gesicht. Als sie mich losließ, sah ich einen eigenartigen Schimmer in ihren Augen. Aber das konnten auch die Tränen sein. Ich wußte, daß es nicht die Tränen waren. Ich spürte ihren Blick noch intensiver als ihre Umarmung. Aber ich weigerte mich, daran zu denken, was sie damit ausdrücken wollte. Ich strich ihr über das Gesicht, drückte ihre Hand und verließ sie dann ohne ein weiteres Wort. Als ich das Magazingebäude verließ, sah ich bereits Corporal Madox mit fünf Soldaten über den Hof gehen. In diesem Moment vergaß ich Helen Gardner. Ich mußte an das denken, was vor mir lag. Ich erklärte den Soldaten die Aufgabe, die uns gestellt war, während ich mit ihnen zum Küchenanbau ging, um Proviant zu besorgen.
Ich hätte schlafen müssen, und für ein paar Sekunden fühlte ich mich unfähig, etwas zu unternehmen, als ich in der Küche stand. Aber ich ließ mir einen Kaffee geben, schwarz und sehr stark, und als ich den Becher geleert hatte, fühlte ich mich besser. Wenig später verließ ich Taylors Station. Hinter mir ritten die Soldaten in alle Himmelsrichtungen davon. Bald war ich wieder allein, um mich herum waren nur Nacht und die Einsamkeit, und da war auch lauernd und allgegenwärtig die Gefahr. Ich hatte keine Ahnung, daß in diesem Moment in Taylors Station ein Mädchen an mich dachte, daß sie begann, einen Brief zu schreiben, einen Brief an ihren Verlobten, Sadie Duke, der mir jahrelang Ärger verschaffen sollte, zusätzlich zu allen Problemen, die ich jetzt noch nicht voraussah. Ich wußte nicht, daß Helen Gardner mit meinem Bild vor Augen einschlief. Und wenn ich es gewußt hätte, hätte ich mir wahrscheinlich nichts dabei gedacht. Ich ahnte ja nichts, ich wußte nicht, daß die Weichen für mich bereits gestellt waren und es nicht mehr lange dauern sollte, daß mein Leben sich völlig änderte. Helen Gardner war nur ein kleinerer Teil dieser großen Verstrickung, die mir bevorstand. Als ich die Bedeutung ihrer Schwärmerei begriff, war es schon zu spät.
6. Fort Calhoun schien sich in den Tagen, die ich nicht dagewesen war, verändert zu haben. Ich hatte es nie als eine Garnison mit Festungscharakter empfunden. Seit ich hier war, hatten von morgens bis abends die Tore offengestanden, hatte das zivile Leben der RioDoro-Region im Fort eine gleichgroße Rolle neben dem millitärischen gespielt. Jetzt wirkte das Fort trutzig und kämpferisch. Obwohl es fast Mittag war, war das Haupttor geschlossen. Die Posten auf den Palisaden waren verstärkt. Auf der Wagenstraße, die am Fort vorbeiführte, bemerkte ich keinen zivilen Verkehr. Während meines ganzen Ritts war mir keine Menschenseele begegnet. Ein Trompetensignal kündigte mich schon von weitem an. Aber das Tor wurde erst geöffnet, als ich noch etwa zehn Yards entfernt war. Ich ritt hindurch, und die Torflügel schwangen hinter mir sofort
wieder zu. Krachend rasteten die wuchtigen Riegelblöcke ein. Am Rande des Exerzierplatzes bemerkte ich drei oder vier Planwagen mit Farmerfamilien, die dort lagerten. Offenbar hatten schon einige Familien aus eigenem Antrieb Fort Calhoun aufgesucht, um im Schutz der Palisaden den Aufstand abzuwarten. Überall bemerkte ich erhöhte Alarmbereitschaft. Die Soldaten erschienen mir hektisch, bei den jüngeren Männern waren Unruhe und Unsicherheit unverkennbar. »Wie sieht es draußen aus?« rief mir ein Wachsoldat zu. »Es riecht nach Hölle«, gab ich zurück. »Tote?« »Zu viele.« Ich lenkte den Hengst über das weite Rund des Exerzierplatzes und hielt vor der Kommandantur an. Der Posten vor dem Eingang stand in peinlich korrekter Haltung da. Er hatte sein langläufiges Springfieldgewehr geschultert – exakt, wie ich es bisher nur auf den bunten Darstellungen des Exerzierreglements gesehen hatte, die in den Handbüchern für Offiziere und Unteroffiziere abgebildet waren. Ein Mustersoldat, und das in dieser Hitze. Die Uniform natürlich ohne Stäubchen, die Stiefel gewienert, daß die Sonne sich in ihnen spiegelte. Ich stieg ab, und für einen Moment waren meine Sorgen verflogen. »Guten Tag, Corporal Jones«, sagte ich. »Zum Wachdienst abkommandiert?« Er gab mir keine Antwort. Er starrte an mir vorbei als sei ich Luft. Sein Gesicht hatte etwas Furchterregendes. »Sie haben wohl etwas zuviel gekleckst«, sagte ich. »Wie fühlt man sich, statt in der Schreibstube zu sitzen, mal davor zu stehen?« Corporal Jones würdigte mich immer noch keiner Antwort. »Sie glauben wohl, daß Ihnen mal ein Denkmal gesetzt wird, wie?« sagte ich. Ich blieb vor Corporal Jones stehen und grinste ihm mitten ins Gesicht. »Sie üben wohl schon dafür. Es fehlt nur noch der Sockel.« »Mit Ihnen rede ich nicht«, sagte Jones. »Wie schade«, erwiderte ich.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte Jones. »Wachdienst ist anstrengend«, sagte ich. »Passen Sie auf, daß Ihnen die Sonne nicht zu lange auf den Kopf scheint.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Ich denke, Sie reden nicht mit mir.« »Sie sind unverschämt«, sagte Corporal Jones. »Stören Sie mich nicht bei der Ausübung meines Dienstes.« »Ich bitte um Entschuldigung, Sir, wollen Sie etwa auch in den Krieg ziehen und ein paar Apachen erschießen?« Jones antwortete wieder nicht. Er schnaubte nur. Sein Gesicht färbte sich rötlich. »Passen Sie gut auf, daß die Kommandantur nicht geklaut wird«, sagte ich. »Die Apachen sind fixe Burschen. Die klauen so eine Kommandantur, bevor Sie sich umgedreht haben. So ein Indianerkrieg bringt jeden Tag Überraschungen.« Ich ging an Corporal Jones vorbei, der offensichtlich kurz vor dem Zerplatzen war. In der Schreibstube saß kein Mensch, also klopfte ich an der Tür von Colonel Lesters Office. Es dauerte eine Weile, bis ich die Stimme des Colonels hörte. Ich drückte die Klinke hinunter und trat ein. Colonel Lester saß hinter seinem Schreibtisch. Er hatte sich über einen Packen Papiere gebeugt und hielt in der rechten Hand einen Bleistift Auf der Nase trug er einen randlosen Kneifer. Er nahm ihn mit der Rechten ab, als er jetzt den Kopf hob und mir entgegenschaute. Lester sah meiner Meinung nach schlecht aus, grau, übernächtigt, unruhig. Sein kantiges Gesicht schien schmal geworden, die Augen lagen in tiefen Höhlen. Ich hatte den Eindruck, daß seine Miene sich etwas aufhellte, als er mich sah. Er legte den Bleistift weg und rückte die Papiere, die er vor sich liegen hatte, zur Seite. »Es ist schön, Sie lebend zu sehen«, sagte er. Er reichte mir die Rechte über den Tisch. Ich ergriff sie, drückte sie und setzte mich. »Ich bleibe nicht lange, Sir«, sagte ich. »Major Fly hat mir mitteilen lassen, daß die Frauen und Kinder aus dem Kampfgebiet evakuiert werden sollen.«
»Ja«, sagte ich. »Das dürfte die einzige Möglichkeit sein, sie zu schützen. Außerdem haben danach die Farmer den Rücken frei, um ihr Land selbst zu verteidigen, ohne sich um ihre Familien sorgen zu müssen.« »Wir bereiten alles für die Aufnahme der Leute vor«, sagte Lester. »Was schätzen Sie: Wie viele Personen werden es sein?« »Bis jetzt weiß ich das auch nicht genau, Sir. Wahrscheinlich über hundertfünfzig, aber nicht über zweihundert. Wenn Sie sich auf zweihundert Leute einrichten, sind Sie gut vorbereitet.« »Gibt es Neuigkeiten?« »Major Fly wird mit seiner Truppe nicht auskommen, Sir«, sagte ich. »Auch wenn die Farmer zu ihm stoßen, ist die Mannschaft nicht stark genug. Das Land ist damit nicht zu schützen, und Fly kann von sich aus wenig unternehmen, weil er den Apachen zahlenmäßig unterlegen ist. Wahrscheinlich haben sich die Indianer in die Berge zurückgezogen. Die letzten Spuren, die ich gefunden habe, weisen darauf hin. Dort könnten sich ein paar Krieger wochenlang verschanzt halten, selbst gegen eine dreimal so starke Truppe, wie Major Fly sie hat.« »Die Verstärkung, mit der ich gerechnet habe, ist noch nicht eingetroffen«, sagte Lester. »Ich verstehe das nicht. Vielleicht denkt man in San Antonio, der Krieg bei uns sei noch nicht groß genug.« »Es sterben fast jeden Tag Menschen, Sir«, sagte ich. »Sie wissen, daß ich gegen diesen Konflikt war und noch immer bin. Aber jetzt ist der Krieg da, und jetzt muß es gelten, ihn so schnell wie möglich zu beenden. Je länger er dauert, um so grausamer ist er, um so mehr Menschen müssen sterben. Solange Major Fly nicht stark genug ist, eine entscheidende Schlacht herbeizuführen, wird sich alles noch länger hinziehen.« »Es ist nicht meine Schuld«, sagte Lester. »Ich weiß, daß Sie recht haben, aber ich kann keine Soldaten herbeizaubern!« »Ich weiß, Sir, aber Sie haben mich gefragt.« Ich erhob mich wieder. »Ich werde mich nicht länger aufhalten, Sir. Ich habe lediglich die kürzeste Route erkundet, um den Treck auf dem schnellsten Wege hierher bringen zu können.« »Wie sehen Ihre Pläne aus?«
»Der kürzeste Weg von Taylors Station nach Fort Calhoun führt zweifellos durch den Halcon Canyon, Sir. Diesen Weg brauchte ich nicht neu zu finden. Aber ich denke, er ist nicht nur der kürzeste, sondern auch der sicherste Weg. Ich habe während der Stunden, die ich unterwegs war, nicht eine Indianerspur gefunden.« »Das klingt erfreulich. Es wäre fürchterlich, wenn dem Treck etwas zustoßen würde. Ihnen ist eine Menge anvertraut, Ronco. Aber Sie sind der beste Scout, den ich je hatte. Sie werden es schon schaffen.« »Danke, Sir.« »Die Frauen lenken die Wagen selbst?« »Ja, Sir.« »Wird das während des langen Weges nicht zu schwer für sie werden? Ich denke besonders daran, wenn wider Erwarten etwas passieren sollte.« »Sir, es sind Farmersfrauen. Die sind es gewohnt, zuzupacken. Sie haben schon oft Pflüge geführt, die meisten werden auch schießen können. Ich habe keine Sorge.« »Sie haben recht. Ich wünsche Ihnen und dem Treck Glück, Ronco«, sagte Lester. »Und grüßen Sie Major Fly. Sowie Verstärkung eintrifft, schicke ich sie weiter.« »Ich werde es ausrichten, Sir.« Ich ging zur Tür. »Auf Wiedersehen, Sir.« »Auf Wiedersehen, Ronco.« Ich ging hinaus und ahnte nicht, daß es länger dauern würde, als ich in diesem Moment dachte, bis ich Colonel Lester wiedersehen würde. Diese Begegnung sollte unter Voraussetzungen stattfinden, die ich erst recht nicht vorhersehen konnte. Dieses Wiedersehen würde in jedem Fall nicht so ruhig und freundlich vonstatten gehen. Ich trat in die grelle Sonne hinaus, blinzelte und sah Corporal Jones von hinten. Er sah von hinten genauso korrekt aus wie von vorn. Ich räusperte mich und sagte: »Sie haben einen Fleck auf Ihrer Uniform, Corporal.« Jones zuckte zusammen, als hätte ich ihn mit einem Messer durchbohrt.
»Genau im Kreuz, Corporal«, sagte ich. »Das ist sehr nützlich. Man weiß jetzt genau, wo bei Ihnen die Mitte ist.« Corporal Jones veränderte seine korrekte Haltung auf äußerst groteske Weise. Er wandte den Kopf, beugte sich nach hinten, versuchte, den Oberkörper zu drehen und verrenkte sich fast den Hals. »Noch ein kleines Stück, Corporal«, sagte ich. »Dann können Sie ihn vielleicht sehen.« »Ist er groß?« Ich merkte Jones an, daß es ihn Überwindung kostete, überhaupt das Wort an mich zu richten. »Es geht«, sagte ich. »Ich habe schon Schlimmeres gesehen. Die Soldaten draußen im Feld können manchmal ihre Uniformen wochenlang nicht wechseln und sind völlig verdreckt. Dagegen ist Ihr Fleck nicht der Rede wert.« Jones lehnte sein Gewehr gegen die Wand der Kommandantur und versuchte abermals verzweifelt, seinen Kopf so zu drehen und zu wenden, daß er seinen eigenen Rücken betrachten konnte. »Tinte«, sagte ich fachmännisch. »Es kann gar nichts anderes sein. Vielleicht haben Sie sich gegen den Schreibtisch gelehnt, bevor Sie auf Wache gegangen sind, und sind dabei an das Tintenfaß gestoßen.« »Das kann sein«, sagte Jones. Es klang kleinlaut und alles andere als hochfahrend. Fast tat er mir leid. »Ich darf die Uniform jetzt nicht wechseln«, sagte er. »Meine Wache ist erst in einer Stunde zu Ende. Wenn Colonel Lester mich so sieht …« »Das wäre peinlich, Corporal«, sagte ich. »Sie haben mein ganzes Mitgefühl. Ich drücke Ihnen die Daumen, daß sie die Wache überstehen, ohne Ärger zu kriegen.« »Danke«, sagte Corporal Jones. »Ich glaube, ich habe Sie falsch eingeschätzt« »Die meisten Menschen sind Opfer ihrer eigenen Fehler«, sagte ich. »Sie werden es schon schaffen, Corporal. Ich weiß doch, was Kameradschaft ist.« Ich lächelte Corporal Jones an und bedauerte nur, daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wenn seine Wache vorbei war, er sein
Quartier aufsuchte und dort feststellen würde, daß nicht ein Staubkörnchen seine Uniform verunzierte, geschweige denn ein Tintenfleck. »Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar«, erklärte Corporal Jones, »daß Sie mich auf den Fleck hingewiesen haben. Eine korrekte Uniform ist eine Lebenshaltung, sage ich immer. Sie können bezeugen, daß ich unschuldig bin und völlig unwissend war?« »Ich werde mit Freuden bezeugen, daß Sie unwissend sind, Corporal«, erwiderte ich. »Das hätte ich nie von Ihnen gedacht«, versicherte er mir. »Ich wundere mich über mich selbst«, sagte ich. Ich ging an Corporal Jones vorbei und war sicher, daß die folgende Stunde die längste in seinem Leben werden würde. Er würde jede Sekunde zitternd darauf warten, daß Colonel Lester die Kommandantur verließ und seine vermeintlich schmutzige Uniform sah. Wie ich ihn kannte, würde er Höllenqualen ausstehen und mich später, wenn er wußte, daß ich ihn 'reingelegt hatte, in Gedanken in der Luft zerreißen. Ich ging über den Exerzierplatz zu meinem Quartier. Auf halbem Weg drehte ich mich einmal um. Corporal Jones hatte sein Gewehr geschultert und seine starre Haltung wieder eingenommen. Sein Gesicht aber spiegelte tiefe Bestürzung wider, Verwirrung und Unsicherheit. Ich hätte am liebsten schallend gelacht. Mit einem Mann wie Corporal Jones wurde die beschissenste Situation erträglich. Als ich die Tür des Quartiers aufstieß, saß Jicarilla auf seinem Bett und zog sich gerade die hochschäftigen Mokassins aus. Sein Gesicht war grau wie Asche, er wirkte erschöpft, seine Kleidung war staubig. »Hallo, mein Freund«, sagte er. »Hast du einen Spaziergang unternommen?« Ich setzte mich ihm gegenüber auf mein Bett. »Irgend jemand muß sich um die Wagenstraße nach Westen kümmern«, sagte er. »Seit du weg bist, bin ich fast jeden Tag draußen. Westlich vom Fort ist alles ruhig. Ich habe nur einmal Apachenspuren gefunden. Sie führen zu den Bergen.« »Ich weiß«, sagte ich. »Der Colonel setzt dich also doch wieder
ein.« »Ich muß was tun für mein Geld«, sagte Jicarilla. »Wahrscheinlich wäre ich längst zusammen mit dir draußen im Aufstandsgebiet. Aber Fly mag mich nicht. Das wird er dem Alten gesagt haben, und Lester tut meistens, was Fly ihm sagt.« »Ich muß gleich wieder weg«, sagte ich. »In ein paar Tagen bin ich wieder da, mit allen Frauen und Kindern vom Rio Doro. Wenn du willst, kann ich mit Fly reden, ob du zusammen mit mir eingesetzt werden kannst. Seit wir draußen im Farmland aufeinander angewiesen sind, benimmt er sich vernünftiger als hier im Fort.« »Ich lege keinen Wert darauf, meinen Kopf in ein Pulverfaß zu stecken.« Jicarilla ließ sich auf sein Lager zurücksinken. »Laß die Dinge so, wie sie sind. Ich bin zufrieden, wenn ich hierbleiben kann.« »In Ordnung.« Ich erhob mich. »Mir geht eins nicht aus dem Kopf, seit ich draußen am Rio Doro herumreite und die Farmer zusammenrufe, damit sie ihre Frauen und Kinder ins Fort schicken: Wer ist der Bursche hier im Fort, der mit den Schurken gemeinsame Sache macht, die die Apachen aufgestachelt und ihnen dann die Waffen geliefert haben?« »Glaubst du, daß es wichtig ist?« »Vielleicht.« »Der Aufstand wird dadurch nicht beendet.« »Vielleicht aber wird er abgekürzt. Wir wissen nicht, welche Informationen aus dem Fort sickern oder auch aus dem Feldlager in Taylors Station. Wir wissen, seit der Häuptling, dieser Snakeman, damals aus dem Arrestgebäude befreit wurde, daß ein Verräter im Fort sitzt.« »Du solltest mit Colonel Lester darüber reden.« »Ich werde den Teufel tun, solange ich keine anderen Beweise habe.« »Dann wirst du mit dem Burschen leben müssen.« Jicarilla verschränkte die Arme hinter dem Kopf und gähnte. »Hast du in den letzten Tagen nichts bemerkt?« »Nichts«, sagte Jicarilla. »Außer daß die jungen Blaubäuche Schiß haben und bei der Morgenmesse alle ein bißchen lauter singen.«
»Hat sich niemand auffällig benommen?« »Nein.« »Hat jemand das Fort verlassen, ohne eine dienstliche Order zu haben?« »Ich glaube nicht.« Jicarilla runzelte die Stirn. »Doch«, sagte er dann. »Tabor ist im Moment nicht da.« »Tabor?« Ich sah den Zahlmeister vor mir: Drahtig, schwarzhaarig, braungebrannt, ein Typ für Frauen. Für mich war er ein zwielichtiger Mann. Er hatte mir nie gefallen. Ich war sicher, daß er krumme Kreditgeschäfte mit den schlecht bezahlten Soldaten abschloß, um seine eigenen Taschen zu füllen. Als Zahlmeister hatte er die Möglichkeit dazu, und er war nicht der einzige, der das tat. »Er ist heute früh weggeritten«, sagte Jicarilla. »Er hat vier Tage dienstfrei und wollte nach San Antonio.« »Er hat dienstfrei? Jetzt? Während eines Aufstands?« »Der Colonel hatte offenbar nichts dagegen. Tabor ist Zahlmeister. Er wird jetzt nicht gebraucht.« »Im Moment wird jeder gebraucht.« Ich blickte über Jicarilla hinweg aus dem Fenster. »Traust du Tabor zu, daß er mit Waffenhändlern zusammenarbeitet und Indianerkriege schürt?« »Tabor betrügt beim Pokern. Tabor traue ich alles zu«, sagte Jicarilla. »Im Ernst?« »Das war Ernst«, sagte Jicarilla. »Tabor kann es genauso sein wie jeder andere.« Ich zuckte resigniert mit den Schultern. »Danke«, sagte ich. »Dann weiß ich jetzt soviel wie vorher.« Ich ging hinaus und holte mein Pferd. Es war von einem eifrigen jungen Soldaten abgerieben, getränkt und gefüttert worden. Als ich über den Exerzierplatz ritt, sah ich Corporal Jones wie ein Häuflein Unglück vor der Kommandantur stehen. Er schien sich unter der Last seines Springfield-Gewehrs zu krümmen. Dabei versuchte er, mit der linken Hand über den Rücken zu tasten und kugelte sich dabei fast den Arm aus. Armer Corporal Jones. Meine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Als ich zum Tor ritt, hastete ein Mann auf mich zu und blieb vor mir
stehen. Ich zügelte mein Pferd und erkannte den anderen. Er war wie beim erstenmal teuer und gut gekleidet. Ich blickte auf sein Brandmal. »Mein Name ist Duke!« rief er. »Ich weiß, Mister Duke«, sagte ich. »Sie können beruhigt sein. Ihre Braut ist in Sicherheit. Sie befindet sich im Feldlager von Major Fly. In den nächsten Tagen wird sie zusammen mit den anderen Frauen und Kindern der Farmer hier im Fort sein.« »Ihr ist nichts passiert?« »Ihre Eltern sind tot«, sagte ich. »Ihre Braut ist unversehrt.« »Ich wollte losreiten, um selbst nach ihr zu sehen. Man läßt mich nicht aus dem Fort.« »Aus gutem Grund«, sagte ich. »Da draußen gibt es genug Leute, die in Gefahr schweben und um die wir uns kümmern müssen. Es ist nicht nötig, daß es noch mehr werden. Warten Sie in Ruhe hier ab, Mister Duke. Ihrer Braut kann nichts mehr passieren.« »Sind Sie dafür verantwortlich?« »In gewisser Weise Ja.« »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.« »Ich weiß meistens, was ich tue, Mister Duke.« »Wann kann ich sie erwarten? Über welchen Weg bringen Sie die Frauen und Kinder her? Ist für die Sicherheit des Trecks ausreichend gesorgt?« »Ich kann Ihnen keine Antwort geben. Das ist alles streng geheim. Sie können unbesorgt sein.« Ich trieb mein Pferd wieder an und ritt an ihm vorbei. Das Tor wurde geöffnet, und ich sprengte hinaus. Sengend strich mir der Wind entgegen, als ich den Weg zum Rio Doro einschlug.
7. Das Rancho lag klein und verloren in der Sonnenglut. Der Rio Grande war keine Meile entfernt. Wenn man auf das Dach des Hauses stieg, konnte man den Fluß in der Ferne blinken sehen. Am Brunnen stand eine Mexikanerin. Sie betätigte die Winde, die sich quietschend drehte. Nach einiger Zeit tauchte ein Holzeimer am
Brunnenrand auf. Die Frau verankerte die Winde, beugte sich vor und hob den Eimer heraus. Als sie ihn neben sich auf den Boden setzte, sah sie vom Fluß her einen Reiter auftauchen. Sie blieb abwartend stehen. Der Reiter näherte sich rasch. Es war ein Amerikaner. Schwarzhaarig, drahtig. Er saß locker im Sattel und zügelte sein Pferd am Rande des Hofes. Das Tier trug den US-Brand. Es war ein Armeepferd. Der Reiter war in Zivil gekleidet. »Buenos dias, Senora«, sagte er. Er sprach Spanisch fast ohne Akzent. »Gehen Sie 'rein, Senor.« Die Frau sprach ein hart klingendes Englisch, ohne den Reiter weiterreden zu lassen und ohne darauf einzugehen, daß er ihre Muttersprache offenbar verstand. Der Mann zögerte. Sie blickte ihn schweigend an, bis er schließlich mit den Schultern zuckte und abstieg. Er führte sein Pferd bis zu einer einfachen Tränke, einem ausgehöhlten Baumstamm, ließ es hier stehen und ging zum Haus. Die Frau schaute ihm nach. Als er die Tür erreichte, bückte sie sich nach ihrem Eimer und schleppte ihn zum Stall hinüber. Der Mann betrat das Wohnhaus des Rancho. Es bestand nur aus zwei Räumen. Im ersten saßen zwei Männer am Tisch. Sie schauten auf, als der Ankömmling eintrat. Einer war ein stiernackiger, dickleibiger Mann mit dem Gesicht einer Bulldogge. Er trug einen Maßanzug, ohne deshalb schöner auszusehen. Es gab nichts an ihm, was nicht bullig und fett gewesen wäre. Ihm gegenüber saß ein schlanker, hochgewachsener Offizier der US-Armee. »Na endlich«, sagte der Stiernackige. Er blickte dem dritten Mann herrisch entgegen. »Sie haben sich verdammt Zeit gelassen, Mister Tabor.« »Der Weg von Fort Calhoun ist weiter, als man denkt. Außerdem sollte mich möglichst niemand sehen.« Mahon Tabor blickte demonstrativ an dem Dicken vorbei. »Guten Tag, Major«, sagte er. »Sie haben sich in voller Uniform über die Grenze gewagt?« »Nicht ganz eine Meile.« Major Fly lehnte sich zurück. Er griff in
die Brusttasche seiner Uniformbluse und zog eine schlanke, schwarze Zigarre heraus. Genießerisch führte er sie zur Nase und roch daran, bevor er sie zwischen die Lippen schob, ein Zündholz anriß und sie anzündete. »Und wenn es nur ein paar Yards wären.« Tabor zog sich einen Stuhl heran. »Für eine Ruralespatrouille bleibt das gleich.« »In den letzten Tagen ist kein einziger verdammter uniformierter Mexikaner an der Grenze zu sehen gewesen«, sagte Fly. »Die haben hier gemerkt, daß bei uns der Teufel los ist und haben keine Lust, davon etwas abzukriegen. Wir sind hier sicher.« Tabor blickte sich um. Er sah die primitive Einrichtung, selbstgezimmert aus schlechtem, rissigen Holz. Nur wenige Möbelstücke. Das beste Stück war ein abgetretener handgeknüpfter indianischer Teppich vor der Feuerstelle. »Wie sind Sie an dieses Loch geraten?« »Wir haben es schon öfters gemietet«, sagte der Stiernackige. »Solche Ranchos sind unauffällig und bestens für unsere Zwecke geeignet, und die Besitzer fragen nicht viel. Die brauchen Geld, und das kriegen sie. Zur Sache, Gentlemen. Ich erwarte Ihre Berichte.« »Sie sind nicht unser General, Mister Standford«, sagte Tabor. »Aber Ihr Geldgeber, Mister Tabor. Fangen Sie an zu reden.« Tabor zog pikiert die Augenbrauen hoch. »Das Fort ist in Alarmbereitschaft versetzt«, sagte er dann. »Die Evakuierung der Frauen und Kinder aus dem Aufstandsgebiet wird erwartet, ebenso Verstärkung vom Bereichskommando aus San Antonio. Soweit ich es beurteilen kann, unternimmt Colonel Lester nichts mehr, um die Entwicklung zu bremsen. Er läßt alles laufen, wie es läuft. Wahrscheinlich hat er von Washington aus etwas auf den Hut gekriegt, weil er sich für die Rothäute eingesetzt hatte.« »Dafür haben wir über unsere Verbindungsleute gesorgt«, sagte Stanford. »Wir haben nichts anderes erwartet, Mister Hilton hat sehr viel Geld investiert, um dafür zu sorgen, daß Lester einen Dämpfer kriegt. Der Kerl hätte glatt Lebensmittel in die Reservation geschickt, und wir hätten immer noch keinen Pfennig.« »An allem ist nur dieser Scout Schuld. Lester hört in letzter Zeit mehr auf ihn als auf mich«, sagte Fly. »Der Bursche setzt sich für die
Rothäute ein, als wäre er einer von ihnen, und er tritt in einer Weise auf, die Lester beeindruckt« »Das wird sich ändern«, sagte Stanford. »Darüber haben wir schon gesprochen. Wir müssen das einmal entfachte Feuer jetzt am Brennen halten. Was wir nicht brauchen können, ist ein schnelles Ende des Aufstands. Mister Hilton steht von Ysleta aus bereits in Verhandlungen mit der Armee wegen Nachschublieferungen von Material, Waffen, Munition und anderen Waren. Gleichzeitig sind unsere Leute dabei, die Indianer mit Waffen zu versorgen. Der Krieg muß ausgeweitet werden, damit es sich für uns lohnt. Wir wollen Geld verdienen an diesem Aufstand, und Sie verdienen mit, Gentlemen, wenn Sie uns dabei so unterstützen wie bisher. Am Ende siegt die Armee sowieso. Dann sind die Apachen von der Bildfläche gefegt, und das Land, auf dem jetzt noch die Reservation liegt, ist frei. Mister Hilton hat bereits in Washington begonnen, das Vorkaufsrecht für große Parzellen dieses Gebiets zu kaufen.« »Sie denken an alles, wie?« »Wenn wir das nicht täten, säße ich jetzt nicht mit Ihnen hier«, sagte Standford. »Die Hilton Company ist bereits heute das größte Frachtfuhrunternehmen im Grenzgebiet. In den nächsten Jahren werden wir noch ausbauen. Das schafft man nur, wenn man nie etwas vergißt. Es gibt schon heute an der Grenze kein Gewehr, das illegal in indianische Hände gelangt, das nicht aus unseren Magazinen stammt. Und daß die Apachen in den letzten Monaten hungern mußten, bis sie vor lauter Wut den Aufstand begonnen haben, ist auch kein Zufall gewesen. Mister Hilton hat einigen Leuten in Washington viel Geld dafür bezahlt. Das muß jetzt wieder verdient werden! Das Leben ist ein einziges Geschäft, Gentlemen. Wenn Sie weiterhin so klug sind wie in den letzten Jahren, werden Sie es mit unserer Hilfe zu etwas bringen. Nicht nur Geld. Sie wollen sicher auch mal befördert werden. Wir können das alles regeln. Sie helfen uns, wir helfen Ihnen. Wir sitzen in einem Boot. So sieht das aus. Diese Sache jetzt an Rio Doro ist eins der größten Unternehmen, das wir je begonnen haben. Die Vorbereitungen laufen seit Jahren. In den letzten Monaten hat es ständig Verzögerungen gegeben. Alles wegen Ihres Scouts, Major.«
»Ich habe keinen Einfluß auf die Einstellung eines Scouts«, sagte Fly. »Vielleicht waren die Leute, die Sie eingesetzt hatten, auch zu schlecht, daß Ronco Ihnen ständig in die Suppe spucken konnte.« »Vielleicht.« Standford runzelte die Stirn. »Fest steht jedenfalls: Er hat uns in die Suppe gespuckt. Er hat uns einige todsichere Geschäfte vermasselt, und ich befürchte, er wird nicht aufhören, hinter uns her zu schnüffeln. Es ist reiner Zufall, wenn er bis jetzt noch nicht herausgefunden hat, daß Sie mit uns zusammenarbeiten, Gentlemen. Nach allem, was er bisher getan hat, können wir davon ausgehen, daß er dazu in der Lage ist.« »Das befürchte ich auch«, sagte Tabor. »Wenn der Aufstand vorbei ist, wird er erst richtig anfangen.« »Eben.« Standford stützte beide Fäuste auf den Tisch. »Für Sie würde die Sache schlimm werden. Dieser Ronco muß verschwinden, bevor der Aufstand beendet ist. Er darf keine Gelegenheit mehr haben, Nachforschungen anzustellen, und er muß so aus dem Weg geräumt werden, daß für alle feststeht, daß er selbst derjenige war, der illegale Geschäfte mit den Indianern getrieben hat.« »Das wäre in der Tat die beste Lösung, Sir«, sagte Fly. »Dann kann auch niemand auf die Idee verfallen und sagen, Ronco sei aus dem Weg geräumt worden, weil er der Wahrheit auf der Spur war, sondern weil er ein Halunke war, der sich selbst das Genick gebrochen hat.« »Sie sagten, er wird den Treck der Frauen und Kinder vom Rio Doro nach Fort Calhoun führen?« »So ist es geplant.« »Sie kennen die Route schon, die er benutzen wird?« »Er fährt durch den Halcon Canyon, soweit ich weiß. Er wird mir das bestätigen, wenn er nach Taylors Station zurückkehrt. Aber er hat es vorher schon angedeutet. Die Route ist die kürzeste ins Fort.« »Wer weiß davon?« »Offiziell nur der Scout, ich, vielleicht mein Schreiber, und Colonel Lester selbstverständlich.« Fly zog an seiner Zigarre. Der Rauch des teuren Tabaks erfüllte den Raum. »Die Apachen werden den Treck überfallen«, sagte Standford. Er blickte zwischen Fly und Tabor hindurch.
»Wie?« Tabor wirkte ein wenig aus der Fassung gebracht. »Es sind nur Frauen und Kinder, Sir.« »Eine leichte Beute«, sagte Standford. »Ein Fest für die Apachen, nachdem ihre Frauen und Kinder teilweise verhungert sind. Glauben Sie, daß man die Apachen auf den Treck hetzen kann, Major?« Fly nahm die Zigarre aus dem Mund. »Ist das Ihr Ernst?« »Ich bin nicht zum Spaß hier.« Standford schnaufte unwillig. »Sind die Apachen in der Stimmung, daß sie den Treck überfallen würden?« »Die befinden sich in wilder Raserei«, sagte Fly. »Wir haben sie lange genug provoziert. Jetzt sind sie wie von Sinnen. Sicher würden sie den Treck überfallen.« »Vielleicht sollte man einen zusätzlichen Anreiz bieten, indem man ein paar Wagen mit Waffen dranhängt.« »An den Treck der Frauen und Kinder?« Tabor schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich rede von nichts anderem, falls Sie Ohren haben, Mister Tabor«. sagte Standford. »Wie stark wird die Eskorte sein, Major?« »Ich weiß noch nicht.« Fly wirkte nachdenklich. »Meinen Sie wirklich, daß …« »Hören Sie genau zu!« Standford blickte Fly und Tabor nicht an. Sein feistes Gesicht hatte einen brutalen Ausdruck angenommen. »Sie werden die Indianer informieren, auf welcher Route der Treck sich ins Fort bewegt. Sie werden von uns schnellstens einen oder zwei Wagen mit Waffen und Munition erhalten, zu Taylors Station. Die Lieferung wird aussehen wie ein offizieller Armeetransport. Wie Sie die Wagen in den Treck praktizieren, ist Ihre Sache. Sie werden die Indianer von dieser feinen Beute unterrichten. Außerdem, Major, werden Sie nur eine minimale Eskorte bereitstellen.« »Es werden rund zweihundert Frauen und Kinder in dem Treck sein«, sagte Fly. Er schien sich unbehaglich zu fühlen. Seine Zigarre ging aus, ohne daß er es bemerkte. »Um so besser«, sagte Standford. Seine Augen waren völlig kalt. »Je größer das Blutbad, um so größer die Wirkung.« »Sie sind verrückt«, sagte Tabor.
»Das ist die beste Idee meines Lebens«, erklärte Standford. »Wir schlagen mehrere Fliegen mit einer Klappe. Erstens wird ein Überfall auf den Treck der Frauen und Kinder den Krieg derartig ausweiten, daß es noch Wochen dauern wird, bis die Apachen unterworfen sind. Kein Mensch wird mehr irgend welche Rücksichten auf die Rothäute nehmen wollen. Die Öffentlichkeit wird fordern, sie auszurotten. Der Lärm wird so groß sein, daß am Ende niemand mehr danach fragen wird, wie alles angefangen hat. Alle Welt wird nur noch von dem Massaker und den unmenschlichen Wilden reden, niemand mehr von Hunger, Vertragsbruch, Betrug oder gar illegalem Indianerhandel und dergleichen. Auch um das Verschwinden der Reservation wird sich kein Aas mehr kümmern. Und nun zu dem Scout: Er ist der einzige Zivilist bei dieser Aktion, nicht wahr? Er führt den Treck. Er hat die streng geheime Route erkundet. Von ihm weiß man, daß er ein Indianerfreund ist. Sie dagegen, Gentlemen, sind Offiziere der Armee. Sie sind keine Indianerfreunde. Dieser Ronco wird bei dem Massaker mit sterben. Umgebracht von Indianern. Jeder wird sagen, daß er den Treck verraten hat – wenn wir es geschickt anstellen –, und dabei selbst umgebracht worden ist. Er wird tot sein. Er wird Ihren Darstellungen nicht mehr widersprechen können, Major. Sollte er wider Erwarten mit dem Leben davonkommen, wird er trotzdem als der große Verräter dastehen, als der einzige, der Gelegenheit hatte, den Treck zu verraten, weil er der militärischen Disziplin nicht unterworfen war. Was er auch sagen wird, kein Mensch wird ihm glauben. Er wird vor Gericht gestellt und gehängt werden, ganz offiziell. Sie stehen in jedem Fall fein da. Es wird niemand nach einem anderen Verräter suchen, wenn man den einen schon sicher hat.« »Das klingt gut«, sagte Fly. »Das ist gut«, sagte Standford. »Ich weiß nicht«, bemerkte Tabor. »Nur um den Scout loszuwerden, zweihundert Frauen und Kinder opfern?« »Nicht nur. Auch um den Aufstand auszuweiten. Sind Sie immer so zimperlich, Mister Zahlmeister?« »Ich bin noch nie zimperlich gewesen«, sagte Tabor. »Ich bin einverstanden.« Fly zündete seine Zigarre wieder an.
»Große Entwicklungen fordern große Opfer. Es geht nicht nur um uns, um die Absicherung unserer Karriere, Es geht nicht nur um den Scout Es geht um die Ausrottung der Rothäute. Alles, was dazu dient, ist richtig. Wir werden ihnen die Frauen und Kinder der Farmer als Opfer hinwerfen, und sie werden zupacken und nicht merken, daß sie damit ihr eigenes Todesurteil unterschreiben.« »Dann ist alles geregelt.« Standford lehnte sich zurück. »Ich würde es begrüßen, wenn Sie die Sache überwachen könnten, Mister Tabor. Major Fly darf seinen Posten nicht verlassen, wenn der Treck unterwegs ist. Er braucht Zeugen, daß er im Feldlager ist. Sie haben dienstfrei, soweit ich orientiert bin. Sie müssen aber auch unmittelbar nach dem Massaker ins Fort zurückkehren.« »Offiziell bin ich in San Antonio«, sagte Tabor. »Ich werde am Halcon Canyon sein. Der Gedanke beginnt mir zu gefallen.« »Er ist genial«, sagte Standford. »Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Gentlemen. Die nächsten Zahlungen erfolgen wie üblich durch Boten.« Fly drückte seine Zigarre diesmal endgültig aus. Er erhob sich als erster. Tabor zögerte und schien noch etwas sagen zu wollen, stand dann aber auch auf. »Ich hätte gern einen Vorschuß, Mister Standford.« Tabor blickte Standford nicht an. Er wirkte nervös. »Spielschulden, Sir, verstehen Sie?« »Ich frage mich, ob Sie ohne Ihre ständigen Spielschulden bei uns mitarbeiten würden.« Standford griff in die Innentasche seines Jacketts, zog einen Packen mit Dollarnoten hervor und zählte zwanzig Zehn-Dollar-Scheine ab. »Auf Wiedersehen, Gentlemen.« Fly blickte Tabor von der Seite an und lächelte verächtlich. Er nickte Standford zu und ging hinaus. Tabor folgte ihm langsam. Er blickte dabei andächtig auf die Geldscheine. Standford blieb am Tisch sitzen, auch dann noch, als die Tür schon ins Schloß gefallen war. Durch eins der Fenster sah er Tabor und Fly ihre Pferde besteigen und in einigem Abstand nordwärts reiten. Standford fühlte ein leichtes Kribbeln, wenn er daran dachte, was
in wenigen Tagen aufgrund seiner Anweisungen geschehen würde. Er genoß es, Macht auszuüben, Macht über Leben und Tod. Er wäre gern dabei gewesen, um zu sehen, wie sein genialer Plan verwirklicht wurde, aber er wußte, daß das nicht ging. Er schätzte es auch nicht sonderlich, in der Wildnis herumzureiten und sich die Sonne aufs Kreuz brennen zu lassen. Er war froh, wenn seine Mission hier erfüllt war und er nach Ysleta zurückkehren konnte, dem Hauptquartier der Organisation, die seit Jahren für Unruhe und Not und Leid an der Grenze sorgte. Als er sich schließlich doch erhob, um ebenfalls zu gehen, hatte er die Tatsache, daß er ein Todesurteil über zweihundert Frauen und Kinder gesprochen und seine Vollstreckung in die Wege geleitet hatte, fast schon vergessen. Er dachte nur noch an das Geld, das der Aufstand einbringen würde.
8. Die Schatten waren lang, als Major Fly die Ausläufer der Berge erreichte. Er ritt langsam und blickte sich immer wieder um. Aber er sah keinen Menschen. Er war allein. Als zwei einsam stehende Felssäulen vor ihm auftauchten, die wie riesige, steinerne Figuren in den Abendhimmel deuteten, schwenkte er nach Westen und ritt wenig später in eine Bodensenke, in deren Mitte sich ein kleines Wasserloch befand. Fly zügelte sein Pferd am Wasser und stieg ab. Er hockte sich neben dem Tümpel, fuhr mit der linken Hand hinein, schöpfte etwas Wasser heraus und wischte sich mit der nassen Hand über das verschwitzte Gesicht. Er wartete. Langsam ging er auf und ab. Im Westen neigte sich die Sonne den Bergen zu. Sie färbte sich rötlich, aus den Rändern schienen Flammen zu schlagen. Fly blieb vor seinem Pferd stehen und überlegte, ob er in den Sattel steigen und wieder fortreiten sollte. Vielleicht war es das Beste. Fly fühlte sich nicht wohl. Er fühlte sich seit der Stunde nicht mehr wohl, da Mister Cameron Standford, der stellvertretende
Direktor jener nach außen hin so seriösen Firma in New Mexico, die in Wahrheit aber den gesamten illegalen Indianerhandel im Grenzraum kontrollierte, ihm nahegelegt hatte, den Treck der Frauen und Kinder nach Fort Calhoun zu verraten. Fly arbeitete seit Jahren mit Standford und mit dem Kopf des ganzen Unternehmens, Andrew Hilton, zusammen. Er bezog seit dieser Zeit beträchtliche Summen, die es ihm gestattet hatten, trotz der nicht gerade üppigen Bezahlung eines Majors der US-Arme ein ansehnliches Vermögen zurückzulegen. Er wußte, daß das bei Mahon Tabor nicht anders war. Bislang war es meist darum gegangen, interne Armeeangelegenheiten vertraulich weiterzugeben. Auch das Anheizen eines Indianeraufstandes hatte Fly bisher nicht zu denken gegeben. Er war sich immer darüber im klaren gewesen, daß er für das Geld, das aus New Mexico zu ihm floß, Gegenleistungen bringen mußte. Aber er hatte nie damit gerechnet, einmal einen solchen Auftrag übernehmen zu müssen. Fly hatte es immer vermieden, sich die Hände schmutziger als nötig zu machen. Er war immerhin Offizier. Ihm war klar, daß er nach dieser Sache am Rio Doro nicht nur schmutzige Hände haben, sondern von oben bis unten mit Dreck bedeckt sein würde. Fly hatte wenig Skrupel. Aber ein aus Frauen und Kinder bestehender Treck, der den Indianern in die Hände gelenkt werden sollte … Fly bezweifelte, daß man das von ihm verlangen konnte. Er dachte an die bisherigen Zahlungen und daran, daß Standford und Hilton ihn jederzeit erpressen konnten. Sie konnten ihn ruinieren, hinter Gitter bringen, seine Karriere zerstören. Aber würden sie das tun? Sie brauchten Offiziere in der Armee, die sie jederzeit mit Informationen versorgten. Hohe Offiziere vor allen Dingen. Sie konnten ihm, Fly, gar nichts anhaben, wenn er sich weigerte, bei diesem Verrat mitzuspielen. Fly griff in jäher Entschlossenheit nach den Zügeln und schob das linke Bein in den Steigbügel. Im selben Moment ertönte ein Hufschlag, der sich rasch näherte. Fly ließ die Zügel resigniert los und drehte sich um. Es war zu
spät. Er hätte früher darüber nachdenken müssen. Auf einem Hügel knapp fünfzig Yards entfernt tauchte ein Reiter auf, ein Apache. Er zügelte sein Pferd und blickte zum Wasserloch herüber. Fly sah ihn und fühlte sich nicht nur unwohl, sondern auch unbehaglich. So etwas wie Angst erfaßte ihn und schnürte sekundenlang seine Kehle zu. Vielleicht brachten die Indianer ihn um, sobald sie die gewünschten Informationen hatten. Grund genug hatten sie. Fly hatte einige Male die Leichen von Männern gesehen, die den Apachen in die Hände gefallen waren. Neben dem Krieger auf dem Hügel tauchten weitere zwei Reiter auf. Sie setzten sich gemeinsam in Bewegung und ritten auf das Wasserloch in der Bodensenke zu. Fly zwang sich, tief durchzuatmen und ruhig zu bleiben. Ein leichter Wind strich von den Bergen herüber. Die Dämmerung sank aus der Wölbung des Himmels, die langen Schatten verschmolzen mit ihr zu einem immer dichter werdenden Spinnwerk der Dunkelheit. Die drei Krieger erreichten das Wasserloch. Sie blickten Fly durchdringend an. Nacheinander stiegen sie ab. Sie waren mittelgroß und breitschultrig. Fly bemerkte, daß sie erstklassige SharpsGewehre bei sich trugen. Langsam umrundeten sie das Wasserloch und blieben keine fünf Schritte entfernt von Fly stehen. »Du bist der Soldat, mit dem wir uns treffen sollen«, sagte der Mittlere. »Ja«, sagte Fly. »Ich bin Lightman«, sagte der Krieger. »Das ist Ta-pe, das ist Little Raven.« Er deutete zuerst auf den rechten, dann auf den links von ihm stehenden Apachen. Fly versuchte, hinter die maskenhaft starren Mienen zu schauen und herauszufinden, was sie dachten. Aber ihre Gesichter blieben ausdruckslos. Ihre Augen schimmerten kalt. »Du bist einer der Männer aus Fort Calhoun, die uns belogen und betrogen haben, die uns haben hungern lassen und jetzt ausgezogen sind, um uns zu töten.« »Ich stehe hier, um euch zu helfen«, sagte Fly. »Daß ich die
Uniform trage, ändert daran nichts. Wenn ihr mich beleidigen wollt, kann ich auch gehen.« Er wollte sich umdrehen. Die Krieger hoben ihre Gewehre an und richteten sie auf ihn. Fly fühlte einen eisigen Druck in seinem Leib und blieb stehen. »Du gehst, wenn wir es wollen, und du bleibst, wenn wir es sagen. Du tust nichts gegen unseren Willen«, sagte Ta-pe. »Wenn ich euer Gefangener bin, sage ich kein Wort«, erklärte Fly. Seine Haltung straffte sich. »Von mir aus geht zum Teufel. Ihr könnt mich totschlagen, aber ihr werdet kein Wort von mir hören. Wenn ihr nicht wie Partner mit mir reden wollt, dann gar nicht.« »Wir brächten dich zum Reden«, sagte Little Raven. »Aber wir haben keine Lust, uns lange mit dir zu befassen. Wir wollen hören, was du uns zu sagen hast, und dann magst du gehen.« »Du bist unser Feind«, fauchte Lightman, »was du auch immer sagst. Wir hören auf den Verräter, aber wir verachten ihn.« Fly lief rot an. »Rede jetzt«, sagte Lightman. »Die Farmer am Fluß werden ihre Frauen und Kinder fortschicken, um sich zusammenschließen und gegen euch kämpfen zu können«, sagte Fly. Er erkannte seine eigene Stimme kaum. Sie klang gepreßt und fremd. »Sie werden ihre Farmen verlassen, weil sie ihre Familien in Sicherheit wissen, und gegen euch ziehen. Gemeinsam sind sie stark. Ihr könnt sie trotzdem treffen.« »Wie?« »Indem ihr nicht zulaßt, daß die weißen Frauen und Kinder Fort Calhoun erreichen«, sagte Fly. »Wir kämpfen nicht gegen Frauen und Kinder«, sagte Little Raven. »Wir kämpfen gegen alles, was weiß ist«, sagte Lightman. »Dieses Gebiet soll wieder unser Land werden, ein Land, in dem es keine Weißen mehr gibt. Sprich weiter.« »In den nächsten Tagen wird ein Treck Taylors Station verlassen«, fuhr Fly fort. »Ich werde ihm nur eine kleine Eskorte mitgeben. Außer den Frauen und Kindern werden nur diese wenigen Soldaten und ein Scout den Treck begleiten. Ich werde dafür sorgen, daß
außerdem zwei oder drei Wagen mit Waffen und Munition mitgeführt werden.« »Wir brauchen Waffen und Munition. Warum wird uns beides nicht so geliefert wie bisher?« fragte Lightman. »Es ist nicht mehr möglich, im Augenblick so wie sonst zu liefern«, erwiderte Fly. »Die Forts im Norden, Westen und Osten dieses Gebiets sind benachrichtigt und kontrollieren die Überlandstraßen nach Fort Calhoun und zum Rio Doro. Die Männer, die bis jetzt die Waffen geliefert haben, bringen die Wagen zu mir, weil das unauffälliger ist, als wenn sie selbst in euer Gebiet fahren würden. Danach verlassen sie dieses Land. Im Augenblick könnt ihr nur an die Waffen gelangen, wenn ihr den Treck überfallt.« »Du darfst uns nicht für dumm halten, weißer Soldat«, sagte Lightman. »Du willst, daß dieser Treck überfallen wird. Deshalb hast du es so eingerichtet, daß wir nur dann die Waffen erhalten, wenn wir den Treck überfallen. Warum?« »Es kann euch doch egal sein, auf welche Weise ihr Waffen kriegt«, sagte Fly. »Ihr braucht nicht dafür zu bezahlen wie sonst. Diese Waffen erhaltet ihr umsonst, weil die Männer, die sie euch sonst liefern, nicht länger im Aufstandsgebiet bleiben wollen und die Waffen loswerden wollen, bevor sie entdeckt werden. Sie haben mir die Waffen überlassen, und ich sorge dafür, daß ihr sie empfangt. Mehr braucht euch nicht zu interessieren.« »Es gefällt mir nicht, wie du mit uns redest, weißer Soldat«, sagte Ta-pe. »Es gefällt mir auch nicht, daß ich euch die Waffen offenbar noch auf einem silbernen Tablett servieren soll«, sagte Fly scharf. »Wir wollen nicht in eine Falle gehen«, erklärte Lightman. »Euch ist von den Leuten, die euch mit Waffen versorgt haben, gesagt worden, daß ihr euch mit mir treffen sollt. Glaubt ihr, daß ich euch in eine Falle schicke?« »Wir vertrauen keinem weißen Mann.« »Dann hättet ihr nicht kommen dürfen.« »Was bist du für ein weißer Mann, daß du Frauen und Kinder deines eigenen Volkes opferst?« fragte Little Raven. »Das kann euch genauso egal sein wie alles andere«, erwiderte
Fly. »Warum sollen wir Squaws und Kinder töten? Die Männer müssen wir töten«, sagte Little Raven. »Wir können keinen Unterschied machen«, sagte Lightman. »Welchen Weg wird der Treck nehmen?« »Er wird durch den Halcon Canyon fahren, die kürzeste Route nach Fort Calhoun«, sagte Fly. »Wir werden beraten, was geschehen wird«, meinte Lightman. »Nein«, sagte Fly. »Ich will eure Entscheidung jetzt. Ich habe mich nicht mit euch getroffen, um zu palavern. Ich will, daß ihr mir jetzt antwortet, ob ihr den Treck überfallen werdet, oder ob ihr es nicht tut. Ich habe euch ein Angebot unterbreitet, das ihr nicht noch einmal hören werdet. Dafür kann ich eine Antwort verlangen.« »Du kannst gar nichts verlangen«, sagte Ta-pe verächtlich. »Doch«, sagte Fly. »Wenn ihr den Treck nicht überfallt, werde ich die Wagen mit den Waffen nicht mitschicken. Wenn der Treck unversehrt Fort Calhoun erreicht, werden die Waffen im Fort entdeckt. Dann bin ich erledigt. Die Waffen werden nur mitgeschickt, wenn ihr den Treck aufhaltet. Sonst lasse ich die Waffen sprengen.« »Wir werden den Treck überfallen«, sagte Lightman. »Aber wir werden nicht in eine Falle gehen. Solltest du versuchen, uns zu betrügen, wirst du kein Glück haben.« »Wir werden den Treck nicht überfallen«, sagte Little Raven verächtlich. »Der weiße Mann soll uns die Waffen auf andere Weise geben. Er will, daß wir Frauen und Kinder umbringen, und als Belohnung erhalten wir seine Waffen. Vielleicht ist es keine Falle, aber er meint es auf keinen Fall ehrlich.« »Sie haben uns gedemütigt«, sagte Lightman. »Sie haben uns in ein kleines Gebiet gepfercht, obwohl alles Land unser gewesen ist. Sie haben uns belogen und betrogen, und sie haben uns hungern lassen, daß unsere Kinder verreckt sind wie krankes Vieh. Sie haben Taglio umgebracht, der nichts als Frieden wollte. Ich habe kein Mitleid mit den Weißen, nicht mit den Jungen und nicht mit den Alten, nicht mit den Starken und nicht mit den Schwachen. Nicht mit den Männern und nicht mit den Frauen und auch nicht mit den
Kindern. Sie sind alle gleich. Ich werde alle töten, wo immer ich sie treffe. Und wenn ich selbst sterben muß, dann weiß ich, warum ich sterbe.« »Wir werden den Treck überfallen«, sagte Ta-pe. »Wir werden den Weißen zeigen, wie es ist, Squaws und Kinder zu verlieren. Und wir brauchen die Waffen. Mir sind die Schreie der weißen Frauen egal. Ich höre nur die Schreie unserer Squaws. Blut muß mit Blut vergolten werden.« »Nicht mit dem Blut von Schwachen«, sagte Little Raven verbissen. »Ihr solltet euch bald einigen«, sagte Fly. »Ich muß zurück.« »Ihn sollten wir töten«, sagte Little Raven. »Er ist ein Soldat. Er hat viele von uns getötet, und er führt die anderen Soldaten an, die uns töten wollen. Er hat den Tod verdient.« »Wenn ihr mich umbringt, gibt es keine Waffen«, sagte Fly. »Dann wird der Treck auch nicht aufbrechen. Dann kriegt ihr gar nichts.« »Du kannst gehen, weißer Mann«, sagte Lightman. »Du kannst die Waffen auf den Weg schicken. Wir werden sie uns holen, wir werden nicht zögern.« Er wandte sich Little Raven zu. »Der Stamm wird beraten und entscheiden. Dein Mitleid ist für die Falschen da, mein Bruder. Es ist Krieg. Unsere Feinde müssen sterben. Alle.« Little Raven schwieg. Major Fly drehte sich schweigend um und fühlte sich nicht besser als zu Beginn des Gesprächs. Er ging zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. »Hüte dich vor einem neuen Betrug, weißer Mann!« rief Lightman. Fly zog sein Pferd herum, ohne zu antworten. Die Dämmerung hatte sich sehr verdichtet. Die Sonne war untergegangen. Fly ritt davon, ohne sich umzudrehen. Es war geschehen: Er hatte den Treck verraten. Es war nichts mehr zu ändern. Die Frauen und Kinder würden in den Tod gehen. Fly dachte an die Folgen und gelangte zu dem Schluß, daß das Ereignis dieses Vorgangs durchaus in seinem Sinne war: Die Indianer würden von der Wut der weißen Siedler fortgefegt werden.
Das Land, das sie als Reservation besessen hatten, würde ebenfalls an weiße Siedler übergehen, an Mister Andrew Hilton, der daran gut verdienen würde. Er selbst, Fly, würde ebenfalls nicht schlecht dabei fahren. Für ihn war eine fette Prämie sicher, vielleicht sogar eine Beförderung. Cameron Standford hatte es angedeutet. Alles forderte eben seinen Preis, jeder mußte Opfer bringen. Jeder? Fly empfand es durchaus als ein Opfer, das er persönlich gebracht hatte, als er den Treck verraten hatte. Immerhin hatte er gegen seine eigene Überzeugung gehandelt. Er hatte Skrupel zu überwinden gehabt. Er fühlte sich auch jetzt noch innerlich ziemlich miserabel. Das war auch ein Opfer für ihn. Und die Frauen und Kinder? Nun ja, die waren wenigstens tot. Er aber mußte weiterleben, mit der Schuld, die er auf sich geladen hatte. Das war wirklich schlimmer als der Tod. Fly dachte wirklich so, und er gedachte, sich alle diese »Opfer«, die er bringen mußte, gut bezahlen zu lassen. Je weiter er sich von dem Treffpunkt entfernte, um so sicherer fühlte er sich. Um so mehr rückten seine Gedanken von dem in Kürze stattfindenden Geschehen ab. Was hatte er schon groß getan? Wenn die Apachen Taylors Station beobachteten, hätten sie die Route des Trecks sowieso erfahren. Zudem hatte er ja mit dem Mord direkt nichts zu tun, und wenn der Überfall geschehen war, würde er natürlich sofort mit allen Soldaten losreiten, um die Schuldigen zu bestrafen. Die Nacht umfing ihn. Fly trieb sein Pferd zu größerem Tempo an. Er wollte vor Mitternacht zurück sein. Die Wagen mit den Waffen konnten eintreffen, und er wollte dabei sein und sie selbst in Empfang nehmen. Außerdem wollte er nicht, daß sein Verschwinden unnötigerweise für Gerede unter den Soldaten sorgte. Er war bis jetzt immer unter dem Vorwand weggeritten, sich als leitender Offizier der Aktion persönlich mit dem Land vertraut machen zu wollen. Da er vor dem Aufstand das Reservationsgebiet und das Farmland am Rio Doro nie besucht hatte und als eigenwilliger Offizier, der nur sich selbst vertraute, bekannt war, hatte sich niemand über seine Ausritte gewundert. Fly dachte an Ronco, den Scout, aber nur sehr kurz, denn Ronco
hatte ihm und seinen Auftraggebern in den vergangenen Monaten sehr viel Ärger bereitet. Es war Zeit, daß er kaltgestellt wurde. Als Fly die Lichter von Taylors Station vor sich sah, das Feuer, das seine Truppe Tag und Nacht unterhielt – bei Tage als Kochfeuer, nachts als Signalfeuer –, hatte er keinerlei Gewissensbisse mehr. Er fühlte sich sogar gut und freute sich auf sein Bett. Corporal Madox salutierte nachlässig, blieb vor dem Schreibtisch des Majors stehen und räusperte sich. Fly hob den Kopf. Er schrieb an einem Bericht und sah den Corporal gereizt an. »Was ist los?« »Sir, wir haben bald keinen Platz mehr auf dem Hof«, sagte Madox. »Fast alle zehn Minuten treffen weitere Farmer hier ein.« »Was behelligen Sie mich damit?« Fly zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Sehen Sie zu, daß die Leute untergebracht und versorgt werden. Ich kann mich nicht auch noch darum kümmern. Ist der Scout noch nicht zurück?« »Ronco? Nein, Sir. Bis jetzt nicht. Es sind auch noch nicht alle Farmer da.« »Dann kann ich auch nichts ändern. Ich hoffe nur, daß ihm nichts passiert ist.« Fly senkte den Kopf wieder. »Sir, entschuldigen Sie, aber da sind noch drei Wagen, Sir.« Fly blickte abermals auf. »Noch drei Wagen?« »Die Fahrer wollen die Ladungen nur an Sie übergeben. Frachtwagen, Sir.« »Frachtwagen?« Fly legte die Feder hin, mit der er geschrieben hatte, und stand auf. Er rückte mit routinemäßigem Griff seine Uniform gerade und umrundete seinen Schreibtisch. »Vorräte, Corporal. Die Farmer haben uns gestattet, ihre Vorräte zusammenzupacken, damit sie nicht den Apachen in die Hände fallen. Aushungern müssen wir die roten Hunde, verstehen Sie, Corporal? Aushungern! Es nutzt nichts, die Farmen zu räumen und die vollen Speicher zurückzulassen. Die Farmer haben das eingesehen. Die haben aufgeladen, was sie mitkriegen konnten, und wir haben uns den Rest gesichert.«
»Ich kenne die Wagenlenker nicht, Sir.« »Wie? Natürlich nicht. Ich habe sie aus Fort Calhoun schicken lassen. Sie sind direkt zu den Farmen gefahren. Wahrscheinlich gehören sie zu einem zivilen Unternehmen, das gerade im Fort war und den Store beliefert hat, oder sie sind aus San Antonio mit den Verstärkungstruppen hergefahren.« Fly ging an Madox vorbei, durchquerte das »Vorzimmer« seines Hauptquartiers und trat hinaus. Die Sonne stand schon hoch. Auf dem Hof vor der Station lag wabernde Hitze des Vormittags. Rings um die Station standen Wagen von Farmern. Der ganze Hof war durcheinander. Hühner, die in Käfigen mitgeführt wurden, gackerten laut, und hier und da grunzte und quiekte ein Schwein in einem Bretterverschlag. Fly schritt rasch durch das Gewimmel auf dem Hof zur Toreinfahrt. Hier standen zwei Posten und hinderten drei flache, mit Planen überspannte Wagen an der Weiterfahrt. »Passieren lassen!« befahl Fly. Die Wagen setzten sich in Bewegung und rollten auf den Hof. Corporal Madox wies sie in eine Lücke zwischen den beiden Magazingebäuden. »Sie bringen die Vorräte, nicht wahr?« rief Fly. Der Kutscher auf dem Bock des ersten Wagens blickte Fly irritiert an, dann nickte er eifrig: »Die Vorräte, Sir. Wir haben zusammengekratzt, was wir finden konnten.« »Sie hätten sofort damit nach Calhoun fahren sollen, Mann.« »Nun, Sir, die Strecke dorthin ist gefährlich. Wir sind ohne Bedeckung. Nur drei Männer, und jeder von uns hat vollauf mit dem Gespann zu tun. Wir können uns nicht auch noch verteidigen. Außerdem dachten wir, daß Sie die Vorräte vielleicht auch brauchen könnten.« »Sehr umsichtig«, sagte Fly. Er nickte den drei Kutschern anerkennend zu. »Aber wir sind versorgt. Dagegen wird Fort Calhoun die Sachen wahrscheinlich dringender brauchen als wir. Die Wagen werden mit dem Treck der Frauen ins Fort geschickt.« »Wir könnten aber wirklich einige Vorräte gebrauchen, Sir«, sagte Madox. »Wenn wir schon drei Wagen hier haben, sollten wir
wenigstens einen davon hierbehalten.« »Keiner, Corporal. Dies ist kein Erholungslager. Wir befinden uns im Krieg. Vollgefressene Soldaten können nicht kämpfen. Wir haben, was wir brauchen. Zuviel tut nicht gut. Im Fort ist das Zeug besser aufgehoben.« »Sir, wenigstens ein paar Würste und Schinken. Sie haben doch Schinken dabei, oder?« Madox schaute zu dem ersten Kutscher hoch. »Nichts«, sagte Fly. »Gehen Sie, und stellen Sie zwei Wachen vor jeden Wagen. Niemand wird sich diesen Wagen nähern. Niemand wird sie anrühren!« »Jawohl, Sir.« Madox salutierte wieder. Seinem Gesicht war anzusehen, daß ihm diese Regelung nicht paßte. Er drehte sich aber gehorsam um und trottete davon. »Bleiben Sie in der Nähe der Wagen«, sagte Fly zu den Fahrern. »Sie brauchen den Treck nicht zu begleiten. Ich werde Soldaten auf die Böcke setzen.« »Wir haben den Auftrag, sofort wieder zu verschwinden, Major«, sagte der erste der drei. »Unmöglich. Das fällt auf. Sie bleiben, bis die Farmer die Station verlassen. Kein Mensch wird auf sie achten, hier ist der Teufel los. Sie bleiben wie alle anderen auch, und Sie verschwinden wie alle. Niemand wird sich an Sie erinnern. Anders geht es nicht.« Fly drehte sich um, ohne auf Antwort zu warten, und ging zum Hauptgebäude zurück. Er war jetzt wieder völlig ruhig. Die Übergabe der Wagen war besser gelaufen, als er sich vorgestellt hatte. Keine lästigen Fragen, keine übergroße Neugier. Die Menschen, die im Hof der Station und um die Station herum lagerten, hatten genug mit sich selbst zu tun. Das galt auch für die Soldaten, sogar für Corporal Madox, der von Natur aus neugierig war. Aber es gab jeden Tag tausend Dinge zu tun. Es blieb einem kaum Zeit, lange über etwas nachzudenken. Flys einzige Sorge war jetzt nur, daß die noch fehlenden Farmerfamilien bald eintrafen und Ronco zurückkehrte, damit der Treck bald starten konnte. Dann war er jede Last und Verantwortung los und brauchte nur noch abzuwarten. Alles andere würde sich von selbst entwickeln.
Fly hatte die letzte Nacht gut geschlafen, nachdem er zurückgekehrt war. Keine Angstträume, keine Gewissensbisse. Er hatte sich am Morgen über sich selbst gewundert, war aber der Überzeugung, daß das ein gutes Zeichen war. Er betrat das Hauptgebäude und fand Corporal Madox wieder an seinem Schreibtisch. »Sir«, sagte Madox, als er vorbeiging. »Entschuldigen Sie, Sir, aber unsere Vorräte sind wirklich sehr begrenzt. Ich hab das nicht nur gesagt, um ein paar Zusatzrationen herauszuschinden. Wenn wir schon drei Wagen mit Lebensmitteln zur Verfügung haben, dann …« »Kein Wort mehr.« Fly blieb auf der Schwelle zu seinem provisorischen Office stehen. »Ich habe entschieden und in meiner letzten Depesche diese Entscheidung auch schon ins Fort gemeldet, und es wird nichts daran geändert. Sie sollten bedenken, Corporal, daß Fort Calhoun nicht darauf eingerichtet ist, an die zweihundert Zivilisten zusätzlich zu versorgen. Wer weiß, wie lange die Farmerfamilien im Fort bleiben müssen. Wir haben gar nicht das Recht, etwas zurückzuhalten. Damit ist das Thema beendet, verstanden?« »Natürlich, Sir.« Madox senkte den Kopf über den Schreibtisch. Fly ging weiter und schloß die Tür hinter sich. * Ich hatte den Halcon Canyon fast durchritten. Mehr noch als sonst erschien mir die schmale Schlucht mit den rechts und links aufsteigenden Fels- und Geröllwänden wie ein Schlauch. Ich war mir der Schwächen dieser Route durchaus bewußt. Die Schlucht konnte vorn und hinten leicht verstopft werden, sie konnte sich in eine tödliche Falle verwandeln. Ich versuchte, nicht daran zu denken, aber es gelang mir nicht. Hohl klang der Hufschlag meines Pferdes von den steilen Felshängen zurück. Ich dachte daran, die Route des Trecks doch noch zu ändern. Aber genaugenommen war jeder Weg von Taylors Station nach Fort Calhoun gefährlich. Der Halcon Canyon war gemessen daran sogar
einer der ungefährlichsten Wege, denn er führte nahezu um das Aufstandsgebiet herum und war noch dazu einige Meilen kürzer. Ich hatte wenige Tage vorher die verschiedenen Routen gründlich abgesucht. Nur im Halcon Canyon hatte ich keine Indianerspuren gefunden. Das Ende der Schlucht tauchte vor mir auf. Die brütende Hitze staute sich zwischen den Felswänden und verwandelte den Canyon in eine Backröhre. Ich schwitzte, aber meine Aufmerksamkeit war dadurch nicht beeinträchtigt. Ich ritt langsam, um meine Umgebung genau beobachten und den Boden gründlich absuchen zu können. Als ich das Ende des Canyons erreichte, schwenkte ich auf eine wenig benutzte Wagenstraße ein und bemerkte unvermittelt eine Hufspur seitlich des Weges. Ich zügelte den Hengst sofort und beugte mich tief im Sattel vor. Die Fährte war schwach zu erkennen und endete schon nach wenigen Yards: die Umrisse eines Vorderhufs, ein von einem Eisen zermahlener Kiesel, eine Scharte an einem faustgroßen Stein. Das war alles. Es war genug für mich, um zu erkennen, daß hier jemand geritten war. Aber es war kein Apache gewesen. Er hatte ein beschlagenes Pferd geritten. Ich versuchte, der Fährte zu folgen, mußte meine Bemühungen aber nach kurzer Zeit abbrechen. Die Spur führte auf einen Felshang zu, der Boden wurde immer härter und steiniger. Ich kehrte um. In der Nähe der Fährte suchte ich den Boden in größerem Umkreis ab, aber ich fand außer den kargen Hufabdrücken nichts, was darauf hätte schließen lassen, daß weitere Reiter hiergewesen waren. Ich war ziemlich sicher, daß die Spur noch nicht dagewesen war, als ich den Canyon und seine Umgebung zum erstenmal untersucht hatte. Ich konnte mich täuschen, aber ich glaubte es nicht. Für einen Moment dachte ich daran, den ganzen Treck abzublasen, dann trieb ich mein Pferd wieder an und ritt weiter. Es gab nach wie vor keine Indianerspur hier. In der Nähe aller anderen möglichen Routen dagegen wimmelte es nur so von Indianerfährten. Die Spur besagte im Grunde nichts. Es konnte ein Farmer dort geritten sein. Es gab meines Wissens zwei oder drei Farmen in der Nähe des Halcon
Canyons. Ich glaubte nicht daran, daß die Fährte von einem der Waffenschmuggler stammte. Diese Leute waren bestimmt nicht mehr hier und wenn, so traten sie nicht einzeln auf. Ein Rest von Beunruhigung blieb. Ich war noch aufmerksamer als vorher, als ich weiterritt, aber mir begegnete nichts, was mich beunruhigt hätte. Erst als ich in die Nähe von Taylors Station gelangte, häuften sich die menschlichen Spuren. Ich sah jetzt aus der Ferne auch ab und zu die Dächer von Farmen, aber nirgends stieg Rauch aus den Kaminen. Die meisten Anwesen waren geräumt, die Familien längst in der Station. Sie warteten auf mich. Ich würde sie in die Sicherheit Fort Calhouns führen. Das war eine gewaltige Verantwortung. Und es war ein großes Risiko. Vielleicht war ich deshalb so nervös, bestimmt sogar, sonst hätte mich die an sich harmlose Fährte nicht so sehr aus der Fassung bringen können. Je mehr ich mich Taylors Station näherte, um so überzeugter war ich, daß es mit der Hufspur nichts auf sich hatte. Das war ein Irrtum, aber das konnte ich jetzt noch nicht wissen. Niemand hätte das an meiner Stelle gewußt. Ich vergaß die Spur, und erst Jahre später sollte sie mir wieder einfallen. Da war ich klüger. Da wußte ich, daß die Spur nicht von einem Farmer stammte, sondern von einem Mann, den ich sehr gut kannte, der sich in den zerklüfteten Felsen über den Halcon Canyon versteckt hielt und darauf wartete, Zuschauer einer entsetzlichen Tragödie zu werden. Es sollte viele Jahre dauern, bis ich herausfand, daß Mahon Tabor nicht nur in das Komplott verstrickt war, in das ich ahnungslos hineintappte, sondern daß er die Ausführung des teuflischen Plans auch selbst überwachte. Ich verschwendete weiter keinen Gedanken an die Fährte. Es gab Wichtigeres, was zu bedenken war. Der Treck mußte zusammengestellt werden. Ich wußte noch nicht, wie viele Wagen sich dazu eingefunden hatten und wie viele Frauen und Kinder sich der Evakuierung anschließen würden. Ich würde darauf zu achten haben, daß ältere und erfahrenere Frauen so im Treck verteilt waren, daß die jüngeren und schwächeren nicht zurückblieben oder das Vorwärtskommen der Wagen hemmten. Ich hatte mir vorgenommen,
zwischen der Station und dem Fort keine Rast einzulegen. Es würde ein hartes Stück Arbeit für die Frauen werden, aber ich war sicher, daß sie es alle schaffen würden. Ich hörte von weitem Stimmengewirr. Der Wind trug die Geräusche von Taylors Station über die Ebene. Ich sah die Kochfeuer und die vielen Wagen. Kinder spielten am Rand des Camps. Alle schauten mir entgegen, als ich die Station erreichte und zwischen den Wagen hindurchritt. Die Kinder liefen neben mir her. Die Jungen starrten mit weitaufgerissenen Augen auf meinen tiefhängenden Revolver und den Kolben des Gewehrs, der aus dem Scabbard ragte. »Haben Sie Indianer gesehen?« rief mir ein Farmer zu. »Auf dem Weg, den der Treck nehmen wird, gibt es keine Spur von Indianern«, antwortete ich. »Und welchen Weg wird er nehmen?« »Den Weg, den ich ihn führe«, erwiderte ich. Dann war ich vorbei. Niemand würde die genaue Route erfahren – außer Major Fly und Colonel Lester. Nicht einmal die Frauen würden informiert werden. Sie hatten mir zu folgen, mehr brauchten sie nicht. Ich wollte ganz sicher gehen, daß keine Information in falsche Hände geriet. Den geheimnisvollen Verräter, der sich unter der Besatzung von Fort Calhoun befand, hatte ich nicht vergessen. Vielleicht war er im Fort, vielleicht war er aber auch hier draußen und gehörte zu Flys Truppe. In jedem Fall genügte es, wenn ich den Weg des Trecks kannte. Ich stieg vor dem Hauptgebäude ab und warf die Zügel meines Pferdes dem Posten vor der Tür zu. »Abreiben, tränken und füttern«, sagte ich. Der Posten blickte mich entgeistert an, aber ich wartete nicht auf Antwort, sondern betrat sofort das Haus. Corporal Madox war nicht an seinem Schreibtisch. An der Tür zu dem provisorischen Office des Majors stand Master-Sergeant Peterson. Seit dem Fortgang von Captain Clay war er Flys Ordonanz. »Guten Tag, Sergeant«, sagte ich. »Der Major wartet schon auf Sie. Wir dachten, Ihnen sei etwas passiert?«
»Ich war in Fort Calhoun«, erwiderte ich. »Ich habe die Route noch einmal gründlich überprüft. Alles dauert seine Zeit« »Gehen Sie rein«, sagte Peterson. Ich ging an ihm vorbei und sah Fly an seinem Schreibtisch. »Tag, Major«, sagte ich. »Sie haben mich vermißt?« »Man muß mit allem rechnen«, antwortete er. Sein glattes Gesicht wirkte beinahe freundlich. »Wie Sie gesehen haben, sind die Farmer fast vollzählig versammelt. Ich glaube nicht, daß noch viele fehlen.« »Ich auch nicht, Sir. Es sind alle benachrichtigt worden. Wer nicht hergekommen ist und allein im Kriegsgebiet zurückbleibt, hat selbst Schuld, wenn ihm etwas passiert.« »So ist es. Liegt Ihre Route fest?« »Ich habe meinen Plan nicht geändert, Sir. Der Halcon Canyon ist etwas schwieriger zu befahren als die Overlandstraße, aber er ist kürzer, und es gibt keine Spuren, die darauf hinweisen, daß Indianer in der Nähe sind.« »Sehr gut. Wann werden Sie aufbrechen?« »Am liebsten morgen abend, Sir. Ich will nachts fahren.« »Nachts?« »Sicher ist sicher, Sir. Nachts geben wir auch einem Apachenspäher ein paar Rätsel auf. Außerdem beeinträchtigt uns die Hitze nicht so sehr.« »Gut«, sagte Fly. Ich hatte den Eindruck, daß er nicht ganz zufrieden war, aber er ging mit keinem Wort weiter darauf ein. Er fuhr fort: »Mir geht es darum, die Familien loszuwerden, damit ich mit der Truppe die Station verlassen kann. Im Moment hindern uns die Frauen und Kinder am Einsatz. Bevor sie nicht weg sind, kann ich auch die Farmer nicht einsetzen.« »Ich bin sehr müde, Sir«, sagte ich. »Mir wäre es auch lieber, wenn der Treck schon heute abend starten könnte, aber ich möchte ausgeschlafen sein, wenn es soweit ist. Die Sache ist zu wichtig.« »Ich gebe Ihnen recht. Sie wissen, daß Sie so schnell wie möglich zurückkehren müssen, wenn der Treck im Fort ist?« »Sicher, Sir.« Ich nickte. »Ich gehe etwas essen und lege mich dann hin.« »Tun Sie das.« Fly wirkte wieder freundlich, locker und entspannt.
Ich drehte mich um und ging hinaus. Meine einzige Sorge in diesem Moment war, wo ich in dieser Hektik und dem überall herrschenden Durcheinander einen ruhigen Platz zum Schlafen finden sollte. Wenn ich heute daran denke, wie klein die Sorgen waren, die ich zu diesem Zeitpunkt hatte, stößt es mir noch immer bitter auf. Hätte ich gewußt, was mir bevorstand, ich hätte nicht mehr geschlafen, keine Sekunde. Ich hätte … Ja, was hätte ich getan? Das Schicksal eines Menschen ist nur geringfügig zu beeinflussen. Ich habe mein eigenes Schicksal zu jenem Zeitpunkt schon gar nicht mehr in der Hand. Der Weg war bereits vorgezeichnet, nur ich konnte ihn nicht sehen. Ich fühlte mich sicher. Was konnte mir passieren? Man rechnet zu selten damit, daß einem etwas Schlimmes zustößt. Wenn es dann soweit ist, ist man nie darauf vorbereitet. Man ist machtlos. So machtlos wie ich es damals war. Man treibt dem Verhängnis entgegen, ohne es zu merken.
10. Feuer glühten auf dem Hof von Taylors Station. Männer drängten sich an der Einfriedung des Hofes. Vor dem Tor der Station stand der Treck. Die letzten Wagen reihten sich ein. Auf den Böcken saßen Frauen mit schwieligen, verarbeiteten Händen. Sie hielten die Zügel und lenkten die Gespanne. Wagenräder knarrten auf den Achsen, Geschirrketten klirrten, Flüche ertönten hie und da, Kinderstimmen waren zu hören. Dämmerung lag über dem Land. Im Westen sank die Sonne. Ich trat aus dem Hauptgebäude der Station und sah das alles vor mir. Eine eigenartige Erregung hatte mich erfaßt. Ich überquerte den Hof und ging hinaus zum Treck. In den letzten Stunden hatte ich geschlafen. Vor einer halben Stunde hatte ich ein wenig gegessen. Jetzt fühlte ich mich zu allem bereit. Ich trug einen zweiten Revolver, einen langläufigen Army-Colt, und hatte mir das Holster links am Hosengurt befestigt. Im rechten Stiefelschaft steckte ein Messer mit beidseitig geschliffener Klinge. Ich hoffte, daß ich die beiden zusätzlichen Waffen nicht benötigen würde.
Ich drängte mich zwischen den Soldaten und Farmern hindurch, die in Gruppen an der Einfriedung standen. Draußen schritt ich an den Wagen vorbei. Hier und da schwang ich mich auf den Bock und erklärte den Frauen die Handhabung der schweren, zwei Zoll breiten Zügelriemen. Ich kontrollierte, ob man sich an meine Anordnungen gehalten hatte und konnte befriedigt feststellen, daß die Wagen sich alle dort in den Treck eingereiht hatten, wo ich sie hinbeordert hatte. Die Gespanne befanden sich alle in gutem Zustand. Ich hatte die Männer dazu angehalten, nur die besten Zugtiere zu verwenden, sie hatten sich daran gehalten. Viel brauchte ich den Frauen nicht zu erklären. Die meisten hatten alle bereits auf dem Bock eines großen Wagens gesessen und mehrköpfige Gespanne gelenkt. Ich strich einigen Kindern über den Kopf, die sich neben ihren Müttern auf der Bockbank drängten und mich halb ängstlich, halb neugierig musterten. Nirgends hielt ich mich lange auf. Die Zeit drängte. Im Vorübergehen klopfte ich prüfend gegen einige Achsen, zurrte ein paar Geschirriemen fester und half beim Aufladen von angeblich unverzichtbaren Gegenständen, die unbedingt mit nach Fort Calhoun genommen werden mußten, obwohl sie meist völlig überflüssig waren. Ich hatte keine Zeit und war auch nicht in der Stimmung, den Frauen zu erklären, daß es nur eine einzige unverzichtbare Sache für sie gab, nämlich ihr Leben. Ich wollte es ihnen auch nicht noch schwerer machen, als es schon war. Immerhin hatten sie alles verlassen, was sie sich aufgebaut hatten, und trennten sich nun auch von ihren Männern. Mancher davon würde vielleicht bald nicht mehr leben, und ob sie ihren Besitz, ihre Männer, ihre Felder, unversehrt wiedersehen würden, war ebenfalls fraglich. Das Ende des Trecks befand sich am Fuß des Hügels, auf dem die Station stand. Insgesamt zählte ich zweiunddreißig Wagen der unterschiedlichsten Bauart. Vorwiegend handelte es sich um schwere Planwagen mit denen die Farmerfamilien einst ins Land gekommen waren. Conestoga- und Studebaker-Schoner. Aber es gab auch zahlreiche einfache, leichte Farmwagen ohne Plane. Ich blieb an jedem Wagen kurz stehen und schärfte den Frauen ein, während der
Fahrt immer dicht auf das vordere Fahrzeug aufzuschließen, so daß keine Lücken im Treck entstehen konnten. Schließlich kehrte ich um und ging langsam zurück. Die Sonne stand wie ein Feuerrad am Himmel. Es würde bald dunkel sein. In einer Stunde waren wir schon unterwegs. Während ich selbst immer ruhiger wurde, je näher der Moment des Aufbruchs rückte, spürte ich die wachsende Erregung und Nervosität, die überall herrschten. Sie schien sich sogar auf die Tiere zu übertragen. Ich sah Farmer neben den Wagen ihrer Familien stehen und sich zum letztenmal von den Frauen und Kindern verabschieden. Als ich das Tor der Einfriedung wieder erreichte, hatte ich das Gefühl, nur vor einem der üblichen Routineritte zu stehen. Mir war fast leicht zumute. Ich dachte schon wieder an die Rückkehr sowie an den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung und rechnete damit, daß der Aufstand schnell zusammenbrechen würde, nachdem die Schwachpunkte im Land, die Farmerfamilien, in Sicherheit gebracht waren. Plötzlich stand ein Mädchen vor mir. In Levis-Hosen. Helen Gardner. In den letzten Tagen hatte ich sie kaum gesehen. Sie war blaß und wirkte hilflos. Als sie mich sah, leuchtete es in ihren Augen auf. Ich registrierte es, ohne darüber nachzudenken. »Wollen Sie nicht mit?« Ich blieb vor ihr stehen. »Sind Sie nicht untergebracht worden?« Sie schüttelte den Kopf. Mit glänzenden Augen blickte sie mich an. Ich spürte eine leichte Unsicherheit. »Sie sehen gut aus«, sagte ich. »Geht es Ihnen besser?« »Ja«, sagte sie. Ich hatte keine Ahnung, daß sie mich liebte, obwohl ich es hätte sehen müssen. Sie zeigte es mir deutlicher, als sie es vielleicht selbst beabsichtigte. Aber ich war ein Schaf, mit Frauen wenig erfahren, und ich wußte ja, daß sie verlobt war. Ich wußte nicht, daß ihr diese Verlobung nichts mehr bedeutete, seit sie mich kannte und ich ihr das Leben gerettet hatte. Sie sah diese Tat mit anderen Augen als ich. Ich hätte jedem Menschen in einer vergleichbaren Situation geholfen, nicht nur ihr. Aber das war ihr offenbar nicht klar.
Ich bin heute nicht einmal sicher, ob ich etwas unternommen hätte, wenn ich gewußt hätte, welche Gefühle sie für mich hegte und daß sie diese Gefühle ihrem Verlobten brieflich mitgeteilt hatte, der mich dann jahrelang mit seinem eifersüchtigen Haß verfolgte. Ich empfand für Helen Sympathie, aber sonst nichts. Ich konnte nicht ahnen, welche Bedeutung ihre Schwärmerei erhalten sollte. Während ich mich am Vortag ausgeschlafen hatte, war der Brief Helens mit einem Kurier Major Flys nach Fort Calhoun gebracht worden. Sadie Duke hielt ihn bereits in den Händen, während ich den Treck kontrollierte. Das alles ahnte ich nicht, denn um mich herum geschah so vieles, was mich ablenkte und mich ganz in Anspruch nahm. Ich faßte Helen kurzentschlossen am linken Arm und führte sie zu einem Wagen, auf dem die Frau und der Sohn des Farmers Bucket saßen. Es handelte sich um einen nur wenig beladenen StudebakerSchoner. Ich tippte an die Hutkrempe und sagte: »Madam, würden Sie so freundlich sein, Miß Gardner in Ihrem Wagen mitzunehmen? Sie ist die einzige Überlebende der Gardner-Farm und hat nichts retten können außer ihrem Leben.« Die mütterlich wirkende Frau auf dem Bock mit den stämmigen Armen und dem rosigen Gesicht blickte Helen einen Moment an. »Steigen Sie auf, mein Kind«, sagte sie dann. »Wir haben viel Platz.« Sie rückte zur Seite. Ich half Helen beim Aufsteigen. Sie lächelte mir vom Bock aus zu. Ich lächelte ermutigend zurück und wandte mich ab. Als ich den Stationshof erreichte, war die Sonne untergegangen. Gerade stiegen einige Soldaten auf ihre Pferde und ritten auf den Treck zu. Ich blieb stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. Ich zählte fünfzehn blutjunge Soldaten, kaum der Grundausbildung entwachsen, unter Führung eines bärbeißig wirkenden Sergeants. Sie verteilten sich rechts und links des Wagenzuges. Ich ging auf den Sergeant zu. »Was hat das zu bedeuten?« Gleichzeitig bemerkte ich drei Wagen, die vom Hof aus zum Ende des Wagenzuges rollten.
Der Sergeant beugte sich im Sattel vor. Ich erkannte ihn. Er hieß Trevor Berry, ein erfahrener Mann. Von seiner Sorte hätte ich mir eine ganze Kompanie gewünscht. »Wir sind die Eskorte«, sagte er. Er schnitt dabei ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Unwillkürlich tat ich es ihm nach. »Die Eskorte?« Ich warf abermals einen Blick auf die Soldaten – unerfahrene Grünschnäbel – und war sicher, daß die wenigsten von ihnen schon mal Indianer gesehen hatten. Gekämpft hatte bestimmt noch keiner. »Soll das ein Witz sein, Sergeant?« »Ich fürchte, nein.« Berry deutete zum Hauptquartier hinüber. »Fragen Sie Major Fly. Er meint es verdammt ernst.« »Ich habe richtig gezählt, Sergeant: Die Eskorte ist fünfzehn Mann stark?« »Fünfzehn Mann.« »Im Treck befinden sich zweihundert Frauen und Kinder.« »Das ist mir bekannt, Ronco.« Der Sergeant zog eine Stange Kautabak aus der Tasche und biß einen Priem ab. »Ich bin froh, daß die Burschen wenigstens gerade im Sattel sitzen können. Ich hab ihnen selbst das Reiten beigebracht. Wenn die Gäule im Trab gehen, fällt garantiert keiner 'runter. Bei Galopp bin ich nicht so sicher.« »Vielleicht sollten Sie zu Fuß gehen, Sergeant«, sagte ich. »Wer soll diesen Treck im Notfall schützen?« »Vielleicht die Pferde«, sagte der Sergeant. »Ich finde das nicht besonders lustig.« Ich deutete auf das Ende des Trecks. »Und was ist mit den drei Wagen?« »Keine Ahnung«, sagte Berry und kaute seinen Priem. Ich drehte mich wortlos um und ging zurück auf den Hof. Meine Schritte beschleunigten sich. Als ich das Hauptgebäude erreichte, erfüllte mich eine nur schwer zu unterdrückende kalte Wut. Ich durchquerte die Schreibstube mit großen Schritten und trat in Flys Hauptquartier. Fly saß hinter seinem Schreibtisch. Neben ihm stand Corporal Madox. Er hatte dem Major die Mappe mit den Tagesbefehlen und Berichten zur Unterschrift vorgelegt. Als ich ohne zu klopfen eintrat, schauten beide überrascht auf. Ich ging bis zum Tisch und blieb hier stehen.
»Meine Eskorte hat gerade Aufstellung genommen«, sagte ich langsam. Es fiel mir immer schwerer, mich zu beherrschen. Das Wort »Eskorte« betonte ich besonders. »Und?« Fly wirkte kühl und unnahbar. Er schaute von unten hoch, änderte seine Sitzhaltung nicht und behielt den Federkiel in der Hand. »Glauben Sie im Ernst, daß ich das hinnehme, Sir? Fünfzehn Mann? Grünschnäbel, die kaum ein Gewehr halten können? Dieser Kindergarten soll einen Treck mit zweihundert Frauen und Kindern schützen?« »Ich kann nicht mehr Soldaten entbehren. Sergeant Berry ist ein erfahrener Mann.« »Sergeant Berry wird genug damit zu tun haben, auf seine Säuglingstruppe aufzupassen. Ich lehne es ab, den Treck unter diesen Voraussetzungen zu führen«, erklärte ich. »Wenn wir überfallen werden, sind die Frauen und die Kinder praktisch schutzlos. Die Eskorte ist einen Dreck wert.« »Mäßigen Sie sich.« Fly legte den Federkiel zur Seite. »Ich werde den Treck nicht führen, wenn nicht für ausreichend Schutz gesorgt wird.« »Sie sind im Begriff, sich einer Befehlsverweigerung schuldig zu machen.« »Ich bin nicht Soldat«, sagte ich. »Von Befehlsverweigerung kann keine Rede sein. Aber Sie sind im Begriff, zweihundert Menschen in Todesgefahr zu bringen.« »Das verbitte ich mir!« Fly sprang auf. Er starrte mich einen Augenblick schweigend an. Ihm war anzusehen, daß er gern noch mehr gesagt hätte, aber er hatte sich bereits wieder unter Kontrolle. »Ich werde nicht aufhören, zu behaupten, daß Ihr Vorhaben, den Treck mit nur fünfzehn Mann Bedeckung loszuschicken, verantwortungslos ist«, sagte ich. »Ich sollte Sie festnehmen und erschießen lassen«, erwiderte Fly. »Sie haben kein Recht, Urteile zu fällen. Sie können mich höchstens unter Arrest stellen, aber dann haben Sie niemanden mehr, der den Treck nach Fort Calhoun bringt.«
»Sie fühlen sich wohl sehr stark, wie?« Fly umrundete den Tisch und ging im ehemaligen Schankraum der Station auf und ab. Corporal Madox stand mit bleichem Gesicht neben Flys Stuhl und starrte mich fassungslos an. »Ich kann die Eskorte nicht verstärken«, sagte Fly. Seine Stimme klang jetzt wieder ruhig, beherrscht, eindringlich. »Sie wissen genau, daß ich ohnehin zu wenig Soldaten habe, kaum genug, um den Aufstand so rasch niederzuschlagen, wie es nötig wäre.« »Das ist kein Grund, Frauen und Kinder in Todesgefahr zu bringen.« »Todesgefahr?« Fly kehrte zum Tisch zurück. »Wir wollen mal nicht übertreiben: Ich erkenne ausdrücklich an, daß Sie mit größter Umsicht gehandelt und die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen außerordentlich gründlich getroffen haben. Sie fahren nachts. Kein Mensch kann damit rechnen. Es steht nicht einmal in meinen Berichten. Die Indianer haben von dem Treck ohnehin keine Ahnung. Die Route ist geheim. Am späten Vormittag des nächsten Tages sind Sie in Port Calhoun. Wo ist da ein großes Risiko?« »Jede Meile ist ein Risiko«, erwiderte ich. »Bis heute sind mehr als zwanzig Farmen niedergebrannt worden. Das ist Beweis genug, wie groß die Gefahr ist.« »Das ist nicht vergleichbar.« Fly setzte sich wieder. »Sie waren mit mir der Meinung, daß es besser sei, die Frauen und Kinder nach Fort Calhoun zu evakuieren.« »Dieser Meinung bin ich noch immer.« »Dann wägen Sie das Risiko einmal richtig ab. Wo sind die Leute wohl eher gefährdet? Hier im Kampfgebiet oder die paar Stunden, die der Treck unterwegs ist?« Flys Stimme klang jetzt versöhnlich. »Wenn Sie den Treck nicht führen, was sollen die Leute dann tun? Wollen Sie die Verantwortung übernehmen für das, was aus den Frauen und Kindern wird?« »Ich kann die Verantwortung für den Treck nicht übernehmen, Sir.« »Diese Verantwortung trage ich. Sie werden von mir voll gedeckt. Wenn etwas passiert, halte ich meinen Kopf hin. Genügt das?« Ich zuckte mit den Schultern. Eine Diskussion brachte nichts mehr
ein. Fly hatte seinen Standpunkt und ich meinen. Aber vielleicht hatte er recht, vielleicht überschätzte ich das Risiko wirklich. »Und was ist mit den drei Wagen?« fragte ich. »Die Wagen am Ende des Zuges?« »Habe ich Sie bisher nicht informiert?« Fly lachte gekünstelt. »Die Farmer haben, so weit es möglich war, ihre Vorratsspeicher geräumt und uns ihre Lebensmittel zur Verfügung gestellt. Die Sachen werden in Fort Calhoun gut gebraucht werden.« Ich zuckte mit den Schultern. Ich sagte: »Gut, Sir. Ich bin nicht überzeugt. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Aber ich werde den Treck führen. Ich hoffe, daß alles gut geht. Dann bin ich in zwei Tagen wieder zurück.« »Sie werden das schon schaffen.« Ich antwortete nicht mehr, sondern ging hinaus. Mein Pferd stand bereits gesattelt auf dem Hof. Ich führte es durch das Tor und merkte, daß es plötzlich still wurde. Es war jetzt dunkel. Einige Feuer brannten. Die vielen Blicke, die auf mich gerichtet waren, spürte ich beinahe körperlich. Ich schwang mich in den Sattel und gab Sergeant Berry ein Zeichen. Als ich zur Spitze des Wagenzuges ritt, knallten die ersten Peitschen. Pferde und Maultiere stemmten sich in die Geschirre. Knarrend begannen die breiten Räder sich zu drehen. Langsam setzte sich der lange Treck in Bewegung. Er rollte den Hügel hinunter nach Norden. An keinem Wagen brannte eine Laterne. Ich hatte das angeordnet. Wir durften nicht auffallen. Rasch entfernte sich der Wagenzug von der Station. Als ich zurückschaute, sah ich die Farmer und Soldaten am Rand der Umfriedung stehen und uns nachblicken. Ihre Umrisse verschwammen mit der Dunkelheit. Bald war ich mit dem Treck allein. Niemand sprach ein Wort. Nur die Wagengeräusche, das Klirren der Geschirrketten, das Ächzen und Knarren und das dumpfe Klappern der Hufe waren zu hören. Stunden verstrichen. Der Treck bewegte sich ohne Pause nach Norden. Ich ritt die Reihe der Wagen mehrfach ab, aber nirgends
bemerkte ich Erschöpfungserscheinungen. Die Frauen hatten meine Ratschläge befolgt und sich vor Antritt der Fahrt ausgeruht. Die Anspannung trug dazu bei, daß gar keine Müdigkeit aufkommen konnte. Je länger wir unterwegs waren, um so mehr schwanden meine Befürchtungen. Ich hatte mich geirrt. Vielleicht war ich überreizt. Bei dem, was ich in den zurückliegenden Tagen erlebt hatte, war das kein Wunder. Wieder dachte ich daran, meinen Job als Scout aufzugeben. Ich hatte schon oft daran gedacht. Erst hatte mich der Beginn der Verhandlungen mit den Apachen daran gehindert, jetzt war es der Aufstand, der mich an Fort Calhoun fesselte. Obwohl ich mittlerweile hatte einsehen müssen, wie wenig ich ausrichten konnte, hatte ich die Hoffnung doch nicht völlig aufgegeben, zumindest jetzt, in diesem Konflikt, das Schlimmste zu verhindern. Die Männer, die den Aufstand angezettelt hatten, sollten nicht so leicht zum Ziel gelangen und die Apachen von der Bildfläche fegen können. Ich dachte wirklich, noch etwas verhindern zu können – trotz meiner Erfahrungen. Vielleicht war ich wirklich naiv, aber von was sollte ich leben, wenn nicht von der Hoffnung? Trotzdem nahm ich mir vor, nach dem Aufstand wirklich die Armee zu verlassen. Ärger konnte ich auch woanders haben. Vielleicht blieb mir woanders aber wenigstens der Anblick von soviel Elend erspart, wie es sich in der Reservation am Rio Doro immer wieder geboten hatte. Vielleicht gab es woanders auch nicht soviel Heuchelei und Lüge.
11. Das Morgengrauen legte sich wie eine muffige Wolldecke über das Land. Feucht, klamm, dichtfaserig. Die Nacht war vorbei. Die Felsen ragten schemenhaft unwirklich aus dem Nebel. Monumentale Gebilde der Unvergänglichkeit. Alles war grau: das Land, der Himmel, die Felsen. Auch wir waren grau, die Wagen und die Pferde und auch die Menschen, der ganze Treck, der auf den Halcon Canyon zurollte.
Der Eingang des steinernen Schlauchs gähnte uns einladend und drohend zugleich entgegen. Mein Herz schlug unvermittelt schneller. Ich schob es meiner Ermüdung zu, die sich nun doch auswirkte. Ich fror und wünschte, der Canyon läge hinter uns. Eine Meile Weg, eine vergleichsweise kurze Strecke. Aber der gefährlichste Teil der Route, die einzige wirklich schwache Stelle des Weges. Das Klappern der Hufe klang jetzt hell auf dem harten Boden, auch das Geräusch der Räder klang lauter, schärfer, weniger monoton. Ich setzte mich wieder an die Spitze des Wagenzuges und ritt als erster in den Canyon. Keine zwanzig Yards hinter mir folgte der erste Wagen. Ich trieb mein Pferd zu rascher Gangart an, setzte mich etwas von dem Treck ab und ritt in größerem Abstand voraus. Führung brauchte der Treck jetzt nicht, er brauchte Sicherheit. Ich mußte eine möglicherweise vorhandene Gefahr rechtzeitig erkennen und dafür sorgen, daß der Treck darauf reagierte. Mehr konnte ich im Halcon Canyon nicht tun. Ein scheußliches Gelände, unübersichtlich, tausend Verstecke bietend, mit den besten Eigenschaften einer hervorragenden Falle. Da war nicht einmal Platz zum Wenden für die Wagen. Es gab nur eine Richtung: geradeaus. Wir mußten durch die Schlucht hindurch, egal, was passierte. Selbst wenn wir von vorn angegriffen wurden, mußten wir den Angreifer überrollen und versuchen, das andere Ende der Schlucht zu erreichen. Wenn wir steckenblieben, war es aus. Ich ritt noch weiter voraus. Mit Blicken suchte ich gründlicher als je zuvor den Boden und die Felswände rechts und links ab. Ich fühlte mich wie eine Sprungfeder. Steil aufgerichtet saß ich im Sattel, die Sinne aufs äußerste gespannt, die rechte Faust auf dem Griff des Navy-Colts. Ich fand keine Spur. Die Sicht war noch immer schlecht. Der Morgennebel löste sich nur zögernd auf. Die Sonne blieb lange Zeit verborgen. Nebelschwaden hingen im Canyon wie die Fetzen eines Bahrtuches. Ich hörte den Treck hinter mir. Aber als ich mich umdrehte,
konnte ich ihn nicht sehen. Der Canyon hatte fast genau in der Mitte einen Knick, so daß es unmöglich war, die Schlucht von einem Ende bis zum anderen zu übersehen. Ich griff zu meiner Feldflasche am Sattelhorn, entkorkte sie, ohne anzuhalten, und trank einige Schlucke, um den schalen Geschmack aus meinem Mund wegzuspülen. Noch drei oder vier Stunden bis Fort Calhoun. Ich begann mich auf das Fort zu freuen. Das war in der Zeit, die ich als Scout dort arbeitete, selten geschehen. Ich passierte einige terrassenartige angeordnete Plateaus und sah einige Minuten später bereits das Ende des Canyons vor mir. Die Anspannung in mir wich. Ich fühlte mich erleichtert. Meine Sorgen waren umsonst gewesen. Ich nahm mir vor, mich bei Fly zu entschuldigen. Im selben Moment, als ich die Feldflasche zurück ans Sattelhorn hängte, klang Lärm hinter mir auf. Donnernde und splitternde Geräusche, verstärkt vom Echo. Steinschlag! Ich riß die Zügel zurück und wandte mich im Sattel um. Von der Felsterrassen hatte ich mich gut fünfzig Yards entfernt. Der Treck war jetzt dort angelangt. Ich konnte ihn sehen – zwischen einem Nebel von Gesteinsstaub. Von den Terrassen stürzten Geröllmassen und riesige Felsblöcke. Ich sah Gestalten auf den Plateaus umherhuschen. Immer neue Lawinen stürzten in den Canyon hinunter. Gesteinstrümmer häuften sich vor dem Treck auf, füllten die Schlucht aus und bildeten einen Wall, unüberwindbar für die Wagen. Pferde wieherten grell, ich hörte die Schreie von Frauen und Kindern. Überall an den Rändern des Canyons sah ich Bewegung: Menschen tauchten auf. Untersetzt, breitschultrig, grau wie der Fels, staubverschmierte, getarnte Körper. Apachen! Hinter Felsquadern und Geröllhängen, aus Felsspalten und Bodenvertiefungen hervor griffen sie an. Der Staub der Lawinen senkte sich. Ich sah die Planen der Wagen. Der Treck saß fest. Er bewegte sich nicht mehr. Es bedurfte keiner weiteren Steinstürze mehr. Die Falle war zugeschnappt. Und überall
waren Indianer. Überall! Sie schienen aus dem Boden zu wachsen und aus dem Nichts zu entstehen. Glutpunkte tauchten in der Luft auf und zogen ihre Bahnen durch den sich lichtenden Morgennebel wie kleine Kometen. Brandpfeile. Ich sah das alles, hörte den Lärm und glaubte zu träumen. Wie gelähmt saß ich im Sattel und konnte kaum fassen, was vor meinen Augen ablief. Es war der entsetzlichste Moment meines Lebens, und ich, der ich sonst immer schnell reagierte, der ich schon soviel erlebt und gelernt hatte, mit den ungewöhnlichsten Situationen fertigzuwerden, vermochte nicht zu begreifen, was geschah. Ich weiß bis heute nicht, was mit mir passierte, warum ich so und nicht anders reagierte. Irgend etwas setzte in mir aus. Ich fühlte mich von unsichtbaren Fesseln gehalten und hatte den Eindruck, das alles, was ich sah, sei unwirklich. Ich hielt den Atem an und dachte nur immer wieder: Es ist passiert! Es ist wirklich passiert! Aber es durfte doch nicht, es konnte doch nicht passieren! Aus, alles aus … * Die Planen der Wagen brannten lichterloh. Das Feuer erfaßte auch das trockene Holz und verschonte es nicht. Pferde und Maultiere brüllten vor Angst und bäumten sich in den Geschirren auf. Ich sah zwei Wagen umstürzen. Ein anderer wurde von dem durchgehenden Gespann aus der Reihe des Zuges gezerrt und verkeilte sich zwischen der Felswand zur Linken und einem anderen Wagen. Die Geschirriemen rissen. Die Pferde stürmten grell wiehernd an allen Wagen vorbei bis zu dem Steinwall an der Spitze des Trecks. Schüsse krachten. Revolver und Gewehre. Das Weinen von Kindern schwoll zu einer Symphonie der Verzweiflung an. Frauen schrien. Ich sah sie auf den Böcken stehen und nach ihren Gewehren greifen. Sie kämpften, sie schossen. Mündungsfeuer durchzuckten wie ein Wetterleuchten den Canyon. Aber die Apachen waren überall.
Ich sah die Soldaten der Eskorte und hörte die rauhe Stimme Sergeant Berrys, ohne zu verstehen, was er rief. Die jungen Trooper ritten schießend an den Seiten des Wagenzuges entlang. Ich sah sie getroffen aus den Sätteln stürzen. Einige wurden von Apachen direkt angegriffen und vom Pferderücken gerissen. Es dauerte keine Minute, bis die Sättel leer waren. Dann sah ich bereits Krieger auf den brennenden Wagen. Sie schwangen Tomahawks und Kriegskeulen, warfen die größeren Kinder zu Boden und schleppten die Kleinen mit sich. Die Frauen kämpften wie Löwinnen. Ich sah die knorrige, riesengroße Missis Baker, die ich auf den ersten Wagen gesetzt hatte, weil sie die erfahrenste von allen war. Sie schwang ihr leergeschossenes Gewehr wie eine Keule und drosch fünf oder sechs Indianer, die auf den Wagen springen wollten, vom Bock, bevor sie das Gleichgewicht verlor und hinuntergerissen wurde. Ich sah seitlich des Trecks mehrere Frauen eine dichte Traube bilden, hinter der sich in rasender Angst schreiende Kinder verbargen. Es dauerte auch hier nicht lange, bis der Widerstand gebrochen war und die Frauen am Boden lagen. Rauchschwaden und Pulverdampf füllten den Canyon wie ein Pesthauch. Mein Pferd scheute, ich konnte es kaum unter Kontrolle halten. Der scharfe Brandgeruch trieb zu mir herüber. Aber ich konnte mich von dem Anblick nicht losreißen. Die Schreie wurden immer schwächer, immer weniger. Der Widerstand zerbrach mehr und mehr. Das Feuer griff immer rascher um sich. Im dichten Rauch sah ich die Apachen, die sich zum Ende des Trecks zurückzogen. Ich sah, daß sie zu den drei Wagen gingen, die am Schluß in den Wagenzug eingereiht worden waren. Es waren die einzigen Gefährte, die nicht brannten. Die Krieger sprangen auf die Wagen und hantierten an den Planen. Mehr konnte ich nicht sehen. Der Rauch wurde immer dichter. Nacktes Entsetzen packte mich. Ein Schwindelgefühl erfaßte mich und raubte mir fast die Sinne. Erst jetzt wurde mir bewußt, was ich mitangesehen hatte, erst jetzt begann ich, das Geschehen zu begreifen. Ich fühlte, wie Tränen aus meinen Augen schossen, ohne daß ich
es wollte oder verhindern konnte. Ich heulte hemmungslos und sank für einen Moment nach vorn auf den Pferdehals. Es dauerte nicht lange. Mit tränenverhangenem Blick richtete ich mich auf, hielt plötzlich mein Gewehr in den Fäusten und feuerte in einem Anfall wahnsinniger Wut das Magazin leer. Es war so sinnlos wie alles, was hier geschehen war. Das Echo der Schüsse verhallte. Das Knacken und Prasseln des Feuers schien sich zu verstärken. Ich sah einzelne Krieger auftauchen und zu mir herüberschauen. Sie gestikulierten. Ich ließ den Karabiner in den Scabbard gleiten und trieb mein Pferd an. Sie waren tot, alle tot! Diese Erkenntnis war wie ein Blitzschlag. Der Treck war vernichtet. Aber ich lebte. Ich! Warum ausgerechnet ich? Warum hatte ich nichts getan? Warum hatte ich nicht gekämpft? Mein Verstand hätte mir sagen müssen, daß ich gar nichts tun konnte, daß es nichts genutzt hätte, zu kämpfen. Ich wäre nicht imstande gewesen, das Unheil zu verhindern. An die hundert Indianer hatten den Treck überfallen. Ich hätte als einzelner Mann überhaupt nichts unternehmen können, um das Ende aufzuhalten. Aber mein Verstand arbeitete in diesen Minuten nicht wie sonst. Mein Kopf war wie leer. Ich handelte aus dem Instinkt, aus dem Gefühl heraus. Ich stoppte knapp zwanzig Yards vor der Steinbarriere, die die Apachen aufgeschüttet hatten, und hielt auf einmal beide Revolver in den Fäusten. Ich schrie wie ein Wahnsinniger und schoß die Revolver leer. Drei oder vier Apachen, die auf dem Steinwall standen, wurden getroffen und stürzten über das Geröll. Die anderen gingen in Deckung. Ich riß mein Pferd herum, als die Schlaghähne klickend auf leere Patronenhülsen prallten, und warf mich im Sattel nach vorn. Dann sprengte ich dem Ende des Canyons zu. Ich war nicht mehr bei Sinnen. Ich wußte nichts mehr. Um mich drehte sich alles in rasendem Wirbel. Die Bilder des Grauens, die ich zum Greifen nah vor mir gesehen hatte, fraßen sich in mir fest. Die Verzweiflung in mir war so groß, daß ich dachte, sie würde mich
zersprengen. Wohin sollte ich reiten? Wohin sollte ich gehen? Wohin gehörte ich? Mein Treck war vernichtet. Ich gehörte nicht mehr auf diese Welt, nicht mehr unter die Lebenden. Ich gehörte zu den Toten. Warum hatte es mich nicht auch erwischt? Ich wollte sterben! Ich ritt wie der Teufel aus dem Canyon. Die grelle Morgensonne, die hinter den dichten Rauchschwaden und Pulverdampfwolken verborgen gewesen war, stach mir unbarmherzig ins Gesicht. Ich schloß die Augen und trieb mein Pferd zu noch rascherer Gangart an. Sterben – das war das einzige, was ich dachte. Mein ganzer Körper schmerzte, ich wußte nicht, von was. Ich wandte mich nach einiger Zeit im Sattel um und sah die dunklen Wolken über den Felsen stehen. Verfolger sah ich nicht. Ich war allein. Und ich ritt südwärts. Südwärts! Warum nicht nach Fort Calhoun? Warum zur Grenze? Ich wußte es nicht. Ich war zu keinem klaren Gedanken fähig, zu keiner logischen Handlung. Ich spürte keinen Boden mehr unter meinen Füßen und hatte das Gefühl, daß die Welt unter mir gebebt hatte, und jetzt hatte ich keinen Halt mehr. Ich habe mich oft gefragt, warum ich so reagierte und wie es geschehen konnte, daß bei mir einfach alles aushakte. Das ist eine Frage, die ich noch immer nicht beantworten kann. Ich stand sicher unter einem schweren Schock. Aber obwohl mein Verstand mir heute sagt, daß ich mich instinktiv richtig verhalten hatte, habe ich gefühlsmäßig noch immer Gewissensbisse, wenn ich daran denke, daß ich wie gelähmt dabeistand, als zweihundert Menschen in den Tod gingen. Aber diese Schuld kann nicht auf Erden gesühnt werden, wenn es überhaupt als Schuld bezeichnet werden kann. Es ist eine Last die mich bedrückt, die mir aber niemand abnehmen kann, mit der ich ganz allein fertigwerden muß. Mein erster Gedanke, nachdem ich wieder denken konnte, war jedoch, daß der Treck verraten worden war. Daran bestand für mich vom ersten Moment an kein Zweifel. Daß man mich dafür verantwortlich machen würde, daran dachte ich nicht. Ich war ja völlig unschuldig. Aber all das greift den Ereignissen voraus.
Es war noch keine Stunde seit dem Massaker vergangen, als ich die Grenze von Mexiko erreichte, mein Pferd in den Rio Grande trieb und die Grenze überschritt. Das Grauen erfüllte jede Faser meines Körpers. Ich wollte einfach weg, weit weg, und dem Entsetzen entfliehen. Noch immer hatte ich den beißenden Geschmack des Rauches im Mund, den Pesthauch von Blut und Tod in der Nase. Ich ritt in Mexiko an Land und galoppierte auf meinem verschwitzten, abgetriebenen Pferd weiter. Wohin? Ich hatte kein Ziel, ich wußte nicht wohin. Ich wußte nicht einmal, wo ich war. Ich ritt einfach nach Süden. Vor mir lag eine große, alles umfassende Leere, und auch ich begann mich immer substanzloser, immer leerer zu fühlen. Ich hatte das Gefühl, ins Nichts zu reiten. Aus, dachte ich immer wieder, alles vorbei. Dabei ritt ich der Hölle entgegen. Nichts war vorbei. Jetzt fing alles erst an, und ich sollte mir bald noch öfter wünschen, zusammen mit dem Treck untergegangen zu sein. Die Tatsache, daß ich überlebt hatte, sollte zum Fluch werden …
ENDE
Vorschau Pearson stolperte hinter dem Felsen hervor, die Winchester in die Hüftbeuge gepreßt. Er jagte Schuß um Schuß aus der Waffe und bestand nur noch aus Vorwärtsgehen, Repetieren und Feuern. Ronco stand auf der anderen Seite des Weges. Er ging keinen Schritt vor und keinen zurück. Er feuerte seine vier Kugeln ab, eine nach der anderen, und verriß keinen Schuß. Er sah sie alle einschlagen. Er war in einem Zustand, in dem er selbst kaum gespürt hätte, wenn er selber getroffen worden wäre. Aber er wurde nicht getroffen, obwohl Pearson weiter auf ihn zumarschierte, als wolle er auch mit vier Kugeln im Körper noch beweisen, daß er ebenfalls dazu fähig sei, alle Hindernisse zu überwinden … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 351 dieser großen deutschen Western-Serie:
Durch die Feuerhölle