Fantasy R.A.Salvatore
Die Masken der Nacht DAS LIED VON DENEIR 3
Goldmann Verlag In der Stadt Carradoon erwirbt Cadder...
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Fantasy R.A.Salvatore
Die Masken der Nacht DAS LIED VON DENEIR 3
Goldmann Verlag In der Stadt Carradoon erwirbt Cadderly neue Kenntnisse im Umgang mit der Magie: zudem entwickelt er hellseherische Fähigkeiten. Doch Aballister Bonaduce, der machtgierige Magier aus dem rauhen Norden, hat eine Bande Assassinen auf Cadderlys Fährte gesetzt. Und so muss der junge Kleriker zusammen mit der schönen Danica einer furchtbaren Gefahr ins Auge sehen. Denn der Meuchelmörder Geist hat die besondere Gabe, mit anderen Wesen den Körper tauschen zu können. Und Cadderlys Tod ist für ihn bereits beschlossene Sache ... ISBN 3-442-24705-5 Die amerikanische Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Forgotten Realm: Night Masks« bei TSR, Inc. Aus dem amerikanischen von Imke Broderson Deutsche Erstveröffentlichung 2/97 Copyright © 1992, 1996 TSR, Inc.
Autor Robert A. Salvatore, geboren 1959 in Massachusetts, ist der international erfolgreiche Autor der Saga um die Vergessenen Welten und der Dunkelelf-Saga. R. A. Salvatore lebt mit seiner Frau Diane und ihren drei Kindern in Massachusetts. R. A. Salvatore im Goldmann Verlag Die Vergessenen Welten: Der gesprungene Kristall (24549) • Die verschlungenen Pfade (24550) • Die silbernen Ströme (24551) • Das Tal der Dunkelheit (24552) • Der magische Stein (24553) • Der ewige Traum (24554) Die Saga vom Dunkelelf: Der dritte Sohn (24562) • Im Reich der Spinne (24564) • Der Wächter im Dunkel (24565) • Im Zeichen des Panthers (24566) • In Acht und Bann (24567) • Der Hüter des Waldes (24568) Das Vermächtnis (24663) • Nacht ohne Sterne (24664) • Brüder des Dunkels (24706) Die Drachenwelt-Saga: Der Speer des Kriegers (24652) • Der Dolch des Drachen (24653) • Die Rückkehr des Drachenjägers (24654) Das Lied von Deneir: Das Elixier der Wünsche (24703) • Die Schatten von Shilmista (24704) • Die Masken der Nacht (24705) Weitere Bände in Vorbereitung.
Prolog Der Krieger sah sich nervös in der fast leeren Taverne um. »Nicht viel los heute abend«, stellte der schlanke, etwas schläfrig aussehende Mann fest, der ihm gegenübersaß. Er lehnte sich faul zurück, schlug die Beine übereinander und stützte den mageren Arm darauf. Der größere Mann betrachtete ihn misstrauisch, während es ihm langsam dämmerte. »Und du kennst alle Gäste«, erwiderte er. »Natürlich.« Der Krieger sah sich gerade rechtzeitig um, um zu bemerken, dass der letzte der übrigen Gäste aus der Tür schlüpfte. »Sie sind auf deine Veranlassung hin gegangen?« fragte er. »Natürlich.« »Mako hat dich geschickt.« Der schlanke Mann verzog die Lippen zu einem verschlagenen Grinsen, das noch breiter wurde, als der bullige Kämpfer mit offensichtlicher Verachtung die mageren Arme seines Gegenübers betrachtete. »Um mich zu töten«, endete der Krieger mit mühsam beherrschtem Zorn. Er knetete seine Finger, als ob er etwas bräuchte, um sie beschäftigt zu halten, und verriet dadurch, wie nervös er war. Er leckte sich die trockenen Lippen und blickte sich rasch um, ohne die dunklen Augen dabei länger als einen Moment von dem Assassinen abzuwenden. Ihm fiel auf, dass der Mann Handschuhe trug, einen weißen und einen schwarzen, und er machte sich insgeheim Vorwürfe, nicht aufmerksamer gewesen zu sein. Schließlich antwortete der dünne Mann: »Du wusstest, dass Mako dir den Tod seines Cousins heimzahlen würde.«
»Er hatte selber schuld!« schimpfte der Krieger. »Er war es, der zuerst zugeschlagen hat. Ich hatte keine Wa- « »Ich bin weder Richter noch Geschworener«, erinnerte ihn der andere. »Nur ein Mörder«, gab der Kämpfer zurück, »der dem dient, der ihm den größten Sack Gold dafür gibt.« Der Assassine nickte. Die Beschreibung beleidigte ihn nicht im geringsten. Er bemerkte, dass sein Opfer verstohlen die Hand in die versteckte Tasche schob, den V-förmigen Schlitz in seiner Tunika über der rechten Hüfte. »Bitte nicht«, sagte er. Er hatte diesen Mann wochenlang überaus sorgfältig beobachtet und wusste von dem Messer, das dort verborgen war. Der Kämpfer hielt inne und sah ihn ungläubig an. »Natürlich kenne ich den Trick«, erklärte der Assassine. »Verstehst du nicht, lieber, toter Vaclav? Du kannst mich durch nichts überraschen.« Der Mann überlegte, dann protestierte er. »Warum jetzt?« Je frustrierter er wurde, desto zorniger wurde er auch. »Jetzt ist es Zeit«, erwiderte der Assassine. »Ein jedes Ding hat seine Zeit. Sollte es mit dem Töten anders sein? Außerdem habe ich dringend etwas im Westen zu erledigen und kann das Spielchen nicht mehr länger fortführen.« »Du hattest bereits reichlich Gelegenheit, diese Angelegenheit zu erledigen«, wandte Vaclav ein. Tatsächlich war der kleine Kerl seit Wochen immer wieder aufgetaucht, hatte irgendwie sein Vertrauen erlangt, ohne auch nur seinen Namen preiszugeben. Vaclavs Zorn wurde noch größer, als ihm dieser Gedanke kam und er erkannte, dass die schwächliche Gestalt des Mannes - zu schwächlich, um als Bedrohung angesehen zu werden - diesem Vertrauen Vorschub geleistet hatte. Wenn dieser Mann, der sich jetzt als
Feind zeigte, bedrohlicher gewirkt hätte, hätte er ihn nie so nahe an sich herangelassen. »Mehr Chancen, als du denkst«, antwortete der Assassine mit höhnischem Kichern. Der große Mann hatte ihn oft gesehen, aber nicht annähernd so häufig, wie er seinerseits - in unterschiedlichen perfekten Verkleidungen - Vaclav gesehen hatte. »Ich bin stolz auf meinen Beruf«, fuhr der Assassine fort, »anders als viele der simplen Killer, die durch die Welt ziehen. Die halten lieber Abstand, bis sich die Gelegenheit zum Zuschlagen von selbst ergibt, aber ich«, seine Knopfaugen flackerten vor Stolz, »ziehe es vor, die Sache persönlicher zu gestalten. Ich war die ganze Zeit in deiner Nähe. Mehrere deiner Freunde sind tot, und jetzt kenne ich dich so gut, dass ich jede deiner Bewegungen vorhersehen kann.« Vaclavs Atem ging schneller. Mehrere seiner Freunde tot? Und dieser Schwächling bedrohte ihn so offen? Er hatte zahllose Monster besiegt, die zehnmal so schwer waren wie der hier, hatte in drei Kriegen ehrenvoll gedient, hatte sogar einen Drachen geschlagen! Dennoch bekam er es jetzt mit der Angst zu tun, das musste er zugeben. Etwas an dieser ganzen Szene mochte nicht so recht passen, was sie um so schauerlicher machte. »Ich bin ein Künstler«, schwatzte der schmächtige Mann weiter. »Deshalb irre ich mich nie, deshalb überlebe ich, obwohl so viele andere gedungene Mörder ein vorzeitiges Ende finden.« »Du bist ein einfacher Killer, weiter nichts!« schrie der große Mann, dessen Frustration nicht mehr zu bändigen war. Er sprang auf und zog ein riesiges Schwert. Ein scharfer Schmerz hielt ihn auf, und irgendwie sackte er auf die Bank zurück. Er zwinkerte, um das alles irgendwie zu
begreifen, denn er sah sich selbst in der leeren Gaststube sitzen, starrte tatsächlich in sein eigenes Gesicht! Er riss den Mund auf, als er - sein eigener Körper! - das schwere Schwert wieder in die Scheide steckte. »So plump«, hörte Vaclav seinen eigenen Körper sagen. Er sah an sich hinab, sah die Gestalt an, in der er nun steckte, die schwache Gestalt des Mörders. »Und so schmutzig«, fuhr der Assassine fort. »Wie ...?« »Ich fürchte, ich habe keine Zeit für Erklärungen«, erwiderte der Assassine. »Wie heißt du?« schrie Vaclav, dem jede Ablenkung recht war. »Geist«, antwortete der Assassine. Er gab sich einen Ruck, denn er war sicher, dass die scheinbar androgyne Gestalt, die er so gut kannte, nicht schnell genug sein würde, um ihm zu entkommen, und nicht stark genug, um ihn abzuwehren. Vaclav spürte, wie er selbst vom Boden gehoben wurde, spürte, wie sich die riesigen Hände um seinen Hals legten. »Wessen Geist?« brachte der verzweifelte Mann noch heraus. Er trat so fest zu, wie sein neuer Körper es gestattete, ein armseliger Angriff gegen die breite, kräftige Gestalt, die sein Feind jetzt besaß. Dann ging ihm die Luft aus. Vaclav hörte seine Knochen knacken, und das war das letzte Geräusch, das er jemals hören würde. »Niemandes Geist«, antwortete der siegreiche Mörder. »Einfach >GeistDrachenbörseWunder< im Elfenwald nicht vollbringen können«, fuhr Pertelope fort, die ihre Schlussfolgerungen laut aussprach, um ihre Vermutungen zu stärken. »Ich habe Mitleid mit ihm, und doch beneide ich ihn, denn er ist jung und stark, stärker als ich je war. Wie mächtig wird er werden?« Wieder keine Antwort, nur die fortwährende Melodie in Pertelopes Kopf. Deshalb war sich die Großmeisterin oft vorgekommen, als wäre sie verflucht. Niemals gab es irgendwelche Antworten. Immer hatte sie alles selbst herausfinden müssen. Und so, das wusste sie, würde es auch Cadderly gehen.
Ein Bettelmann, ein Dieb Cadderly vermied es absichtlich, den Wachmann anzusehen, als er durch den kurzen Tunnel und unter dem hochgezogenen Fallgitter hindurchging, um die Stadt am See hinter sich zu lassen. Den ganzen Weg zum Westtor hatte der junge Gelehrte Leute jedes Standes und jeder Art beobachtet, und die Vielfalt der Schattenbilder, die von ihren Schultern gesprungen waren, hatte ihn nahezu überwältigt. Wieder spielte in seinen Gedanken das Lied von Deneir, als ob er es unbewusst herbeigerufen hätte, und wieder blieb als einziges verständliches Wort der Begriff Aurora. Cadderly konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Er befürchtete, diese neue Hellsichtigkeit würde ihn in den Wahnsinn treiben. Erst als er das geschäftige Carradoon hinter sich gelassen hatte, beruhigte er sich ein wenig. Auf den von Hecken und Bäumen gesäumten Wegen verlangte nur das Vogelgezwitscher und das Rascheln der Eichhörnchen, die über ihm ihre Wintervorräte zusammentrugen, seine Aufmerksamkeit. »Ist mein Los der Fluch der Eremiten?« fragte er sich laut. »Das ist es!« verkündete er dann und schreckte dadurch ein Eichhörnchen auf, das reglos an der tarnenden, grauen Rinde eines Baumes verharrt hatte. Cadderlys lauter werdende Stimme ließ den Nager blitzschnell den Baum hinaufspringen, wo er wieder erstarrte. Nicht einmal der buschige Schwanz zuckte. »Doch, das ist es!« rief Cadderly dem Tier mit gespielter Empörung zu. »All diese armen, verlassenen, einsamen Seelen, über die wir anderen die Stirn runzeln. Sie sind nicht freiwillig Eremiten. Sie werden von denselben Visionen
gequält, die mich jagen, und das macht sie verrückt, treibt sie so lange umher, bis sie den Anblick eines anderen intelligenten Wesens nicht mehr ertragen.« Cadderly trat unter den Baum, um das Tier besser sehen zu können. »Auf deinen Schultern sehe ich keine Schatten hocken, Herr Grau«, rief er. »Du hast keine heimlichen Wünsche, keine Gelüste außer denen, denen du ganz offen nachsetzt.« »Wenn nicht gerade ein Weibchen in der Nähe ist!« kam ein Ruf vom Weg her. Cadderly wäre beinahe aus seinen Stiefeln gefahren. Als er sich umschaute, sah er einen großen, schmutzigen Mann in zerlumpten, schlechtsitzenden Kleidern und Stiefeln, deren Kappen seit langem durchgestoßen waren. »Ein Weibchen würde es schon von seinen Nüssen ablenken«, fuhr der stoppelbärtige Mann fort, der beständig näher kam. Cadderly fasste unwillkürlich seinen Wanderstab mit dem Widderkopf fester. Auf den Wegen um die Stadt herum waren Diebe häufig, besonders zu dieser Jahreszeit, wenn bald der Winter Einzug halten würde. »Allerdings ... «, fuhr der große Mann fort und legte nachdenklich einen Finger an seine Unterlippe. Cadderly fiel auf, dass er fingerlose Handschuhe trug, einen schwarzen und einen aus braunem Leder. »Wenn das Weibchen in der Nähe wäre, hätte der Eichkater noch immer keine >heimlichen WünscheMan muss Gold geben< - oder Silber, in meinem Fall - >um Gold zu machenDrachenbörserausgeworfen< werden.« »Religiöse Berufung?« antwortete Cadderly. »Wenn man es so nennen muss, dann fürchte ich, ich bin noch nie Mitglied des Ordens gewesen. Ich bin nicht berufen.« »Das ist absurd«, erwiderte Pertelope. »Ich habe nie jemanden kennengelernt, der so auf die Forderungen von Deneir eingestimmt wäre wie du. Das, mein junger Priester, ist es, was eine religiöse Berufung ausmacht! Zweifelst du an den Kräften, die du entfesselt hast?« »Nicht an den Kräften«, gab Cadderly mit seiner üblichen Sturheit zurück, »nur an ihrer Quelle.« »Das ist Deneir.« »Das sagst du«, antwortete Cadderly, »und es steht dir frei, dies zu glauben.« »Du wirst auch noch so weit kommen. Du bist ein Priester des Deneir; folgst einem Gott, der Unabhängigkeit, die Benutzung des freien Willens und geistige Arbeit fordert«, fuhr Pertelope fort, als ob sie Cadderlys Gedanken gelesen hätte. Er begann, sich zu fragen, ob Pertelope diese Szene vor vielen Jahren wohl selbst erlebt hatte. »Es wird von dir erwartet, dass du fragst - alles hinterfragst, selbst die Existenz der Götter und den Sinn des Lebens«, fuhr Pertelope fort, deren Haselaugen einen abwesenden, mystischen Blick annahmen. »Wenn du blind von Ritual zu Ritual laufen würdest, wärst du nicht besser als das Vieh und die Schafe auf den Feldern um Carradoon. Deneir will das nicht«, erklärte Pertelope ruhig und tröstend. Sie sah den verängstigten jungen Priester direkt an. »Er ist ein Gott der Künstler und Poeten, alles Freidenker, denn sonst wären ihre Werke nichts als Abklatsch von dem, was andere
für ideal halten. Die Frage, Cadderly, ist stärker als die Antwort. Durch sie beginnt Wachstum - Wachstum zu Deneir.« Irgendwo tief drinnen betete Cadderly, dass Pertelope die Wahrheit sagte, dass die offensichtliche Weisheit ihrer Worte nicht nur die matte Hoffnung einer Frau war, die ebenso verwirrt und verzweifelt war wie er. »Du bist erwählt«, fuhr Pertelope fort, um die Unterhaltung auf konkretere Themen zurückzulenken. »Du hörst das Lied, und mit der Zeit wirst du immer mehr Noten entziffern können, um deinen Platz in dieser verwirrenden Erfahrung, die wir Leben nennen, besser zu verstehen.« »Ich bin ein Zauberer.« »Nein!« Jetzt wirkte die Großmeisterin zum ersten Mal in diesem Gespräch ärgerlich, und Cadderly wehrte sich klugerweise nicht sofort. »Deine magischen Gaben sind klerikaler Natur«, versicherte Pertelope. »Hast du irgend etwas getan, was über die Magie anderer Priester hinausging?« Cadderly dachte lange und angestrengt nach. In Wirklichkeit war alles, was er bisher bewirkt hatte, zumindest eine Abwandlung von Klerikersprüchen gewesen. Selbst diese Affinität unterschied sich nicht so sehr von den gestaltwandlerischen Fähigkeiten der Waldpriester, der Druiden. Aber dennoch wusste Cadderly, dass seine Kräfte anders waren. »Ich bete nicht um diese Sprüche«, wandte er ein. »Ich stehe nicht morgens auf und nehme mir vor, dass ich heute Licht machen will oder dass es nötig wird, meine Hände in Eichhörnchenpfoten zu verwandeln. Ich bete eigentlich nie zu Deneir.«
»Du liest das Buch«, überlegte Pertelope. »Das ist dein Gebet. Was das Aussuchen der Sprüche und das Einprägen der speziellen Lieder und Betonungen angeht, so hast du das nicht nötig. Du hörst das Lied, Cadderly. Du bist einer der Erwählten, einer der wenigen. Ich hatte das schon jahrelang vermutet und habe erst vor wenigen Wochen begriffen, dass du meinen Platz einnehmen wirst.« »Was redest du denn da?« fragte Cadderly, dessen Entsetzen sich nur noch verstärkte, weil Pertelope beim Sprechen begonnen hatte, ihr langes Kleid aufzuknöpfen. Cadderly riss vor Staunen den Mund auf, als die Großmeisterin ihre Kleider herunterzog und einen konturlosen Körper entblößte, dessen Haut der eines Haifischs ähnelte. Diese Haut war rauh wie Sandpapier. »Ich habe meine Kindheit an der Schwertküste verbracht«, begann die Großmeisterin müde, »nahe der See. Mein Vater war Fischer, und häufig fuhr ich mit ihm hinaus, um nach den Netzen zu sehen. Siehst du, ich habe eine Zuneigung zu den Haien gefasst wie du zu den Eichhörnchen - besonders zu Percival. Ich lernte, ihre anmutigen Bewegungen zu bewundern, die Perfektion dieser oft bösartigen Tiere. Ich habe dir schon erklärt, dass Affinität eine Praktik ist, die nicht ohne Gefahren ist«, fuhr Pertelope mit leisem, ironischem Lachen fort. »Siehst du, auch ich wurde ein Opfer des Chaosfluchs. Unter seinem Einfluss habe ich meiner Affinität nachgegeben, ohne auf Sicherheit oder irgendwelche praktischen Grenzen zu achten.« Cadderly schmerzte der Gedanke, dass diese wunderbare Frau, die ihm immer eine gute Freundin gewesen war, noch immer unter dem Fluch litt, den er über die Bibliothek gebracht hatte.
In Pertelopes Stimme klangen weder Ärger noch Beschuldigungen durch, als sie weitersprach. »Die Veränderung, die ich hervorgerufen habe, ist von Dauer«, sagte sie und rieb mit einer Hand über ihren Arm, wobei die rauhe Oberfläche ihre menschliche Handfläche mehrfach blutig einritzte. »Es ist auch schmerzhaft, denn mein ganzer Körper ist teils Mensch, teils Fisch. Allein die Luft ist Gift für mich - genau wie es das Wasser der weiten See wäre. Auf dieser Welt gibt es keinen Ort mehr für mich, mein Freund. Ich sterbe!« »Nein!« »Ja«, erwiderte Pertelope schlicht. »Ich bin nicht jung, wie du weißt, und habe mich lange mit diesem verwirrenden Weg abgemüht, den wir Leben nennen. Der Fluch tötet mich, ohne Zweifel, und ich habe mich bemüht, für diesen einen Zweck durchzuhalten, nur für diesen Tag. Du, Cadderly, bist mein Nachfolger.« »Das nehme ich nicht an.« »Du kannst nichts dagegen tun«, antwortete die Großmeisterin. »Wenn das Lied einmal beginnt, geht es nie mehr zu Ende. Nie mehr.« Diese Worte klangen für Cadderly wie ein Donnerschlag. Plötzlich entsetzte es ihn, welche Schrecken er durch die Seiten dieses erhabenen Buches entfesselt haben mochte. »Du wirst die Grenzen deiner Macht kennenlernen«, fuhr Pertelope fort. »Und es gibt tatsächlich Grenzen.« Beunruhigt sah sie ihre versehrten Arme an. »Du bist nicht unbesiegbar. Du bist nicht allmächtig. Du bist kein Gott.« »Ich habe nie behauptet -« »Demut wird dich schützen«, unterbrach Pertelope prompt mit scharfer Stimme. »Prüfe die Energien, Cadderly, aber prüfe sie voller Respekt. Sie werden dich auslaugen und etwas
von dir mit sich nehmen, wann immer du sie rufst. Erschöpfung ist dein Feind, und wisse, dass die Ausübung von Magie unweigerlich an ihrem Urheber zehrt. Aber wisse auch, dass Deneir, wenn er dich erwählt hat, von dir fordern wird.« Pertelope lächelte voller Vertrauen, dass Cadderly der Herausforderung gewachsen sein würde. Leider sah sich Cadderly nicht imstande, ihren Optimismus zu teilen.
»Wolltet Ihr irgendwohin?« wisperte Geist Bogo Rath zu, als er den jungen Zauberer im oberen Gang der »Drachenbörse« mit einem Sack in der Hand sah. Der Assassine trat aus Cadderlys Zimmer und winkte Bogo, ihm in sein eigenes Zimmer zu folgen. »Die Stadtwache ist alarmiert«, erklärte der Zauberer. »Sie werden hier überall herumschnüffeln.« »Und was werden sie finden?« erwiderte Geist mit höhnischem Lachen, weil er seine Bemerkung für ironisch hielt, nachdem er gerade Brennans Körper in Cadderlys Raum geschleppt hatte. »Jedenfalls nichts, das auf einen von uns hindeutet.« »Ich habe den grünbärtigen Zwerg mit einem Blitzstrahl getroffen«, gestand Bogo. »Er hat Euch nicht gesehen«, schimpfte Geist. »Sonst wäret Ihr nämlich tot. Er und sein Bruder sind unten bei Fredegar. Sie wären schon längst wieder hier, um nach Euch zu suchen, wenn der blöde Zwerg vermuten würde, dass diese Magie von Euch kam.« Bogo entspannte sich etwas. »Sind Cadderly und Danica entkommen?«
Geist zuckte die Schultern. Außer dem Blutbad, das bei diesem gewaltsamen Angriff herausgekommen war, hatte er wenig gesehen. »Zeitweise vielleicht«, antwortete er schließlich mit aller Überzeugung, die er aufbringen konnte. »Aber die Nachtmasken haben ihre Fährte aufgenommen. Sie werden nicht ruhen, bis der junge Priester tot ist.« »Dann kann ich also nach Burg Trinitatis zurückkehren«, überlegte Bogo hoffnungsvoll. »Wenn Ihr jetzt verschwindet, werdet Ihr nur Verdacht erregen«, erwiderte Geist. »Und falls Cadderly es geschafft hat, den Assassinen zu entwischen, wird er wahrscheinlich hierher zurückkehren. Hier ist immer noch der beste Platz im Spiel für alle, die den Mut haben, bis zum Ende mitzuspielen.« Die letzten Worte klangen deutlich nach einer Drohung. »Helft der Stadtwache bei ihren Ermittlungen«, fuhr Geist fort, über dessen Gesicht plötzlich ein ironisches Lächeln glitt. Er war der Künstler, erinnerte er sich insgeheim, der schon wieder neue Intrigennetze spannte. »Sagt ihnen, dass Ihr etwas von Magie versteht und dass Ihr glaubt, im oberen Gang wäre ein Blitzschlag losgegangen. Wenn der Zwerg Eure Geschichte bestätigt, wirft das ein gutes Licht auf Euch.« Bogo beäugte den Assassinen zweifelnd, um so mehr, als er sich daran erinnerte, dass Kierkan Rufo Informationen hatte, die Bogo sicherlich verdammen konnten. »Was ist denn?« fragte Geist, der seine wachsenden Bedenken bemerkte. »Rufo.« Geist kicherte böse. »Der kann nichts sagen, ohne sich selbst zu belasten. Und nach all Euren Beschreibungen ist er dazu viel zu feige.« »Allerdings«, gab Bogo, zu, »aber ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es klug wäre, im Gasthaus zu bleiben. Wir
haben Cadderly und seine Freunde anscheinend unterschätzt.« »Möglich«, stimmte Geist widerstrebend zu, »aber macht den Fehler nicht noch komplizierter, indem Ihr den Priester jetzt überschätzt. Nach allem, was wir wissen, dürfte Cadderly tot in einer Gasse liegen.« Bogo zögerte, dann nickte er. »Verschwindet«, wies Geist ihn an, »zurück in Euer Zimmer oder als Helfer zu den Ermittlungen, aber kein Wort zu Rufo. Besser, wenn der feige Priester allein in seiner Suppe aus Schuld und Schrecken schmort.« Wieder nickte Bogo, dann verschwand er. Geists Zuversicht verschwand, sobald er allein war. Dieser Besuch in Carradoon war kompliziert, war kein sauberer Mord gewesen. Selbst wenn Cadderly tot war, war der Preis astronomisch hoch, denn über die Hälfte der ausgeschickten Nachtmaskenbande war umgekommen. Geist war sich in Wirklichkeit gar nicht mehr so sicher, ob es für ihn oder Bogo gut sein würde, in der »Drachenbörse« zu bleiben, aber er fürchtete die Konsequenzen des Versuchs, sich davonzuschleichen, wenn die Stadtwache und zwei unberechenbare Zwerge herumschnüffelten. Er ging zur Tür und zog sie einen Spalt auf, weil er neugierig war, was sich draußen wohl abspielte. Sorgfältig hielt er nach Rufo Ausschau, denn wenn der verräterische Priester etwas Gefährliches tat, würde er ihn vielleicht töten müssen. Nein, es war nicht ohne Komplikationen abgelaufen, aber das war doch Teil des Spaßes, oder? Es war eine neue Herausforderung für den Künstler, eine vielfältige Landschaft auf der voller werdenden Leinwand.
Geist lächelte böse. Es tröstete ihn, dass er persönlich nicht in Gefahr war - nicht, solange er den Ghearufu hatte und Vander als hilfloses Tauschobjekt außerhalb der Stadt wartete.
Cadderly war erleichtert, dass Danica immer noch stand, als er auf dem Dach der »Drachenbörse« wieder in seinen Körper zurückkehrte. Das Gesicht der jungen Frau war immer noch schmerzverzerrt. Ein Armbrustbolzen steckte in ihrer rechten Seite, umgeben von einem sich ausbreitenden dunkelroten Fleck. Cadderly ging nicht sofort zu ihr. Er schloss die Augen und zwang das Lied in seine Gedanken zurück. Die Töne trieben vorbei, bis er den Teil des Liedes, die Seite im Buch erkannte, die er drüben auf dem Balkon gehört hatte, als er seine Eichhörnchengestalt angenommen hatte. Danica flüsterte ihm leise etwas zu. Es klang, als wäre sie mehr um seine Sicherheit besorgt als um ihre eigene. Mit einiger Anstrengung schob Cadderly ihre Worte weg, um sich auf die Musik zu konzentrieren. Sein Mund bewegte sich in lautlosem Gebet, und als er schließlich die Augen aufschlug, bemühte sich Danica zu lächeln, und seine Arme und Beine waren wieder normal. »Du hast deine Antworten gefunden«, bemerkte die junge Frau. »Zusammen mit neuen Fragen«, erwiderte Cadderly. Er steckte die Spindelscheiben ein und ging zu seiner Liebsten. »Du hast geredet«, sagte Danica zu ihm, »aber nicht mit mir. Es klang fast wie ein Gespräch; die andere Hälfte -« »War Pertelope«, erklärte Cadderly. »Ich - oder jedenfalls mein Bewusstsein - war oben in der Bibliothek.« Er nahm
Danicas Staunen kaum wahr, denn er war mehr an ihrer verwundeten Seite interessiert. Als er diesmal das Lied zurückrief, klang es ferner und war nur mit Mühe zu erreichen. Pertelopes Warnungen vor Erschöpfung klangen in ihm nach, aber er verdrängte seine wachsenden Ängste. Danicas Gesundheit war wichtiger. Cadderly konzentrierte sich gleichermaßen auf den Pfeil wie auf die Wunde, die dieser verursacht hatte; seine Gedanken waren sowohl auf Zerstörung wie auf Heilung aus. Er presste sein Lied durch zusammengebissene Zähne. Danica stöhnte und zuckte zusammen. Schwarzer Rauch stieg aus ihrer Wunde auf. Bald hüllte eine kleine Rauchwolke ihre Seite ein. Der Bolzen war sein Feind, war Danicas Feind, beschloss Cadderly. Arme Danica, liebe Danica. Als der Rauch sich auflöste, waren auch der Bolzen und die Wunde verschwunden. Danica richtete sich auf und machte eine hilflose Geste, denn sie wusste einfach nicht, wie sie Cadderly für seine Hilfe danken sollte. »Bist du verletzt?« fragte sie besorgt. Cadderly schüttelte den Kopf und nahm ihren Arm. »Wir müssen verschwinden«, sagte er leise, als spräche er mehr mit sich selbst als mit Danica. »Wir müssen uns irgendwo allein zusammensetzen und versuchen, die augenblicklichen Wendungen unseres Schicksals zu durchschauen.« Er legte den Kopf schief und achtete mehr auf den zunehmenden Lärm in den erwachenden Straßen um die »Drachenbörse«, besonders auf das Hufgeklapper, das aus allen Richtungen erklang. »Die Stadtwache kommt«, erklärte Danica. »Sie werden wissen wollen, was los war.«
Cadderly zog sie weiter mit sich. »Wir können nirgendwohin«, widersprach Danica, als sie sich der Rückseite des Gebäudes näherten, wo auf dem Marktplatz viele Soldaten in Sicht kamen. Cadderly hörte nicht zu. Seine Augen waren wieder geschlossen, und er war mitten in einem Lied. Danicas Augen wurden noch einmal größer, als sie merkte, wie sie leichter wurde. Irgendwie hielt Cadderly sie weiter am Arm fest, und zusammen ließen sie sich einfach vom Dach forttreiben und ritten auf den Strömungen des Windes.
Bogo Rath schlüpfte etwas später aus der »Drachenbörse«. Er lief einfach schnurstracks an den Zwergen und dem trauernden Wirt im Schankraum vorbei. Nach kurzer Überlegung hatte der verängstigte junge Zauberer beschlossen, dass Geists Spekulationen es nicht wert waren, dafür sein Leben aufs Spiel zu setzen, und er hatte auch beschlossen, dass es unverdächtig wirkte, wenn man nach solch einer Tragödie das Wirtshaus verließ. Das einzige, was die Stadtwache von ihm verlangte, als er durch das Loch der früheren Eingangstür trat, war, dass er in der Stadt bliebe. Bogo nickte und zeigte auf ein Gasthaus einige Häuser weiter an der Promenade, obwohl der Zauberer nicht die Absicht hatte, noch sehr lange hierzubleiben. Er würde zu dem Gasthaus gehen und ein Zimmer nehmen, aber würde nur so lange in Carradoon verweilen, bis er sich die Sprüche eingeprägt hatte, die es ihm gestatteten, schnell zu verschwinden, ohne aufgehalten zu werden.
Wasserspiegelungen Der Morgen war immer noch jung, und der Nebel über dem Wasser des Impresksees hatte sich noch nicht gehoben. Die große, dreibögige Steinbrücke, die das Festland mit Carradoons Inselteil verband, ragte geisterhaft über Cadderly und Danica auf, als sie in einem kleinen Ruderboot dahintrieben, schweigend ihren Gedanken nachhingen und dem leisen Plätschern der Wellen am Bug lauschten. Das Wetter passte zu Cadderlys schlechter Laune. Er hatte einen Menschen getötet, ihn zu einer schwarzen Kugel verbrannt, und einen anderen vom Balkon gestoßen, den er ebenfalls für tot hielt. Er hatte kaum eine Wahl gehabt, das stimmte, aber er konnte seine Schuld nicht so einfach abtun. Was auch immer der Grund war, er hatte ein menschliches Wesen getötet. Er gab sich große Mühe, nicht an die Familie oder gar die Kinder des Mannes zu denken, die auf einen Vater warteten, der nie zurückkommen würde. Auch Danica saß schweigend, tief in Gedanken versunken, im Bug des kleinen Bootes. Da ihr das Kämpfen vertrauter war als ihrem unschuldigen Begleiter, sorgte sich die junge Frau mehr darum, was dem heimtückischen Angriff vorangegangen war. Was hatte die Nachtmasken auf sie und Cadderly aufmerksam gemacht? Cadderly nahm die Riemen auf, um die Richtung zu ändern und das Boot weiter von der imposanten Brücke wegzulenken. Er ließ sie wieder ins Wasser hängen und drehte sich auf der Bank um, damit er Danica ansehen konnte. »Nachtmasken«, murmelte Danica grimmig. Das sagte Cadderly nicht viel.
»Aus Westtor«, erklärte Danica. »Sie gehören zu den gefährlichsten Banden der ganzen Welt. Wir haben Glück, dass wir ihnen entkommen sind, und jetzt glaube ich, dass ich ihnen schon zweimal entgangen bin.« Cadderlys Miene verriet, dass er immer noch nichts verstand. »Auf unserem Weg von der Bibliothek hierher«, fuhr Danica fort, »wurden die Zwerge und ich von fünf Männern überfallen.« »In diesen unruhigen Zeiten sind viele Banditen auf den Straßen«, stellte Cadderly fest. Danica schüttelte den Kopf, denn sie war sicher, dass ein Zusammenhang zwischen dem Angriff unterwegs und dem im Wirtshaus bestand. »Warum sollte eine Assassinenbande aus Westtor hinter uns her sein?« überlegte Cadderly. »Uns?« wiederholte Danica. »Nein, ich fürchte, sie sind hinter mir her. Es waren die Nachtmasken, die vor Jahren meine Eltern getötet haben. Jetzt sind sie gekommen, um ihre Arbeit zu beenden.« Cadderly glaubte kein Wort von dieser Erklärung. Er spürte, dass - falls Danicas Theorien über die Identität der Mörderbande richtig waren - hier mehr am Werk war als die Erfüllung einer zehn Jahre alten Blutrache. Cadderly überdachte seine eigenen Erfahrungen der letzten paar Tage, dachte an seine Begegnung mit Rufo im Wirtsraum und an die Gegenwart des unsichtbaren Zauberers. Und was war eigentlich in jener Nacht in seinem eigenen Zimmer geschehen? Er sah Danica forschend an. »Ich habe dich zu Tode erschrocken auf dem Boden vorgefunden. Erzähl mir von deinem Traum.«
»Ich kann mich nicht an sehr viel erinnern«, gab Danica zu, deren Stimme verriet, dass sie keinen rechten Sinn in seinem Anliegen sah. Cadderly jedoch war fest entschlossen. Er dachte kurz nach, dann holte er seine Spindelscheiben mit dem Kristallkern heraus. Er hielt sie vor Danicas Augen und ließ sie sich drehen. Selbst im schwachen Licht blitzte das gespiegelte Feuer der Kristalle. »Konzentrier dich«, bat Cadderly die Frau. »Lass den Kristall in deinen Geist ein. Schließ mich jetzt bitte nicht mit irgendwelchen Meditationstechniken aus.« »Was soll dabei rauskommen?« wehrte sich Danica. »Es war doch nur ein Traum.« »War es das?« Danica zuckte die Achseln. Es war immerhin ein Traum, der irgendwie mit den Nachtmasken zu tun gehabt hatte. Dann entspannte sie sich und konzentrierte sich auf die Spindelscheiben. Cadderly schloss die Augen und dachte an das heilige Buch. Er hörte, wie das Lied die Worte eines einfachen Hypnosezaubers spielte. Danica sank tiefer, und ihre Schultern sackten sichtlich zusammen, als Cadderly leise sang. Seine Worte wurden bohrende Fragen, die Danica nur unterbewusst hörte. Auch Cadderly ließ sich in Hypnose sinken, um sich vollständig in Danica einfühlen zu können. Die Fragen rollten aus seinem Mund, obwohl er sich ihrer kaum bewusst war. Und Danica antwortete. Die Antworten lagen in ihrer Haltung und ihrem Gesicht, ebenso wie in ihren Worten. Danica öffnete zwinkernd die Augen; Cadderly tat es ihr nach. Keiner der beiden wusste, wieviel Zeit verstrichen war, doch nun verstand Cadderly ohne jeden Zweifel, dass Danicas nächtliche Erfahrung tatsächlich ein wichtiger Hinweis war.
»Es war kein Traum«, erklärte er. Cadderly erinnerte sich an das, was Danica ihm unter Hypnose mitgeteilt hatte: das Gefühl, sich von einer schwarzen Kugel zu entfernen, die nach allem Wissen des jungen Priesters ihre Identität darstellte. Das Bild erinnerte den Priester lebhaft an seine eigenen telepathischen Erfahrungen mit dem Teufelchen Druzil und der Zauberin Dorigen. Ob diese beiden hinter alledem steckten? Cadderly schob eine Hand in die Tasche, um nach dem Amulett zu tasten, das er Rufo im Wald von Shilmista abgenommen hatte, ein Amulett, das Druzil Rufo angesteckt hatte, um den telepathischen Kontakt zwischen den beiden zu stärken. Mit diesem Gegenstand war Cadderly dazu fähig gewesen, die Nähe des Teufelchens zu spüren, und es tröstete ihn, dass es seit vielen Wochen nicht auf Druzils Gegenwart hingewiesen hatte, seit der großen Schlacht im Wald. Aber wer dann? Dorigen blieb eine gewisse Möglichkeit. »Besitz ergreifen?« murmelte er, um dadurch Bewegung in seine Gedanken zu bekommen. Da kam Cadderly ein neues Bild, das Bild von Namenlos, dem Bettler auf der Straße, und den schrecklichen, schattenhaften Gestalten, die sich auf seiner Schulter gewunden hatten. Er erinnerte sich auch an jene Nacht, als Brennan mit derselben verschlagenen Aura in sein Zimmer gekommen war. Vielleicht hatte das Lied von Deneir ihn nicht belogen; vielleicht war der Versuch bei Danica nicht der erste Versuch des Feindes, jemanden in Besitz zu nehmen. Cadderly zuckte zusammen, weil ihm einfiel, dass er den jungen Brennan seit jenem Abend nicht mehr gesehen hatte. Er versuchte, sich an Hinweise zu erinnern, während er die
Riemen zur Hand nahm, um einen neuen, einzelnen Schlag gegen die Strömung zu tun. »Was ist?« fragte Danica. »Sie sind nicht deinetwegen gekommen«, antwortete der junge Priester mit Bestimmtheit und warf einen Blick über die Schulter. »Sie waren schon vor dir hier, rund um mich, in meiner Nähe.« Cadderly atmete tief aus, denn er fürchtete um Brennan und Namenlos. Dann ließ er seinen Blick über das Wasser zur grauen Silhouette der großen Brücke schweifen. »Zu nahe.« Danica wollte etwas antworten - etwas Tröstendes sicher -, dann brach sie ab und legte neugierig den Kopf schief. Cadderly verstand, dass etwas nicht stimmte, und fürchtete, dass die junge Frau mental angegriffen wurde. Danica fuhr herum, wodurch das Boot so unerwartet ins Schaukeln geriet, dass Cadderly, obwohl er fast in der Mitte saß, fast über Bord gegangen wäre. »Hartnäckig!« schrie Danica. Sie griff gerade noch rechtzeitig nach vorn, um das Handgelenk des Mannes zu ergreifen, der versucht hatte, ihr einen Dolch in den Rücken zu stoßen. Danica hielt ihn fest, sprang auf, streckte den Arm ihres Angreifers, so weit es ging, und zog ihn weiter über den Bootsrand. Sie verrenkte den Arm ihres Gegners mit einem schnellen, gewaltsamen Ruck und legte ihre freie Hand über seine Finger, um sie rückwärts zum Handgelenk hin abzuknicken. Cadderly versuchte, Danica in dem schaukelnden Boot zu Hilfe zu kommen, aber dabei stolperte er nur über die Mittelbank und schlug sich an einem der Riemengriffe den Kopf an.
Ihm wurde jedoch klar, dass sein Stolpern ein Glück für ihn gewesen war, als ein Messer über den Bootsrand sauste und über seinen Kopf hinwegflog. Cadderly reagierte instinktiv auf die Drohung, fasste den Riemen mit dem Unterarm und löste ihn aus seiner Verankerung, so dass er dicht bei dem unsichtbaren Angreifer im Wasser versank. Der junge Gelehrte schlang seine Spindelscheiben an den Finger. Das Boot schaukelte. Als er zur anderen Seite sah, kletterte dort noch ein Assassine über die Bootswand. Danica hielt in dem schaukelnden Boot leicht das Gleichgewicht. Sie setzte den Druck auf die Hand ihres Gegners fort, bis er endlich den Dolch losließ. Sie war noch nicht mit ihm fertig. Nachtmasken! Danica hakte den Fuß hinter den Kopf des Mannes und zwang sein Kinn über die Bugkante. Während sie ihn fest aufs Holz drückte, riss Danica seinen Arm zurück über das Wasser hinaus. Sie hielt seinen Ellenbogen so, dass er den Arm nicht beugen konnte, und drückte direkt nach unten. Die Augen des Mannes wurden starr, als die Bootskante ihm die Luft abdrückte. Cadderlys wackeliger Wurf traf tiefer, als der Priester gehofft hatte, aber während er den Kopf seines Angreifers nicht erwischte, traf er immerhin ein paar Finger - und die oberste Planke des Boots. Holz splitterte, der zweite Riemen riss ab, ebenso der Assassine, der seinen getroffenen Bauch umklammerte, während er in die See kippte. Das von seinem Gewicht befreite Boot schaukelte so weit zurück, dass Cadderly befürchtete, auf die andere Seite geschleudert zu werden - wo der Messerwerfer wartete.
Der junge Priester erkannte, wie verwundbar er und Danica waren. Sie brauchten eine Ablenkung, etwas, das ihnen erlauben würde, wieder zu sich zu kommen. Dann drang wirklich Wasser ein, und zwar über die geborstene Bootsseite, als es wieder zurückschaukelte, aber Cadderly achtete nicht darauf, denn er war mit dem Verwundeten beschäftigt, der im Wasser an dem treibenden Riemen herumfummelte. Die Form des Riemens erregte Cadderlys Aufmerksamkeit. Mit einem Fuß in dem schaukelnden Boot verwurzelt und dem erstickenden Mann, der sich verzweifelt gegen sie wehrte, hielt Danica erstaunlich gut Balance. Der zappelnde Assassine versuchte, über die Seite zu klettern, doch Danica riss seinen Arm mit Macht herunter und renkte ihm die Schulter aus. Der Mann konnte bei diesem starken Schmerz nicht einmal das Gesicht verziehen. Es wurde ausdruckslos und seltsam gelöst. Danica verstand. Sie nahm ihren Fuß weg, ließ den Kopf des Mannes los, und dieser glitt unter Wasser. Jetzt kam sie wieder zur Besinnung, denn ihre unglaubliche Wut über das Auftauchen der Nachtmasken war durch diesen Tod vorläufig besänftigt. Es waren noch andere da - es mussten noch andere da sein! Sie drehte sich um und sah zu ihrem Entsetzen, wie Cadderly von einem der Mörder unter Wasser gezogen wurde. Ein zweites Boot mit mehreren Männern darin näherte sich von hinten. Danica wusste nicht, ob es Freunde oder Feinde waren - bis ein Armbrustbolzen an ihrem Kopf vorübersauste. Instinktiv warf sie sich auf den Boden des Bootes. Sie wusste, dass sie zu Cadderly musste, aber wie? Wenn sie unter Wasser
war, wie konnte sie dann hoffen, diese neue Bedrohung aufzuhalten? Ein Schrei ließ Danica herumfahren. Sie spähte über die zerbrochene Planke. Dort trieb die verwundete Nachtmaske, der Mann, den Cadderly mit seinen Spindelscheiben getroffen hatte. Er kämpfte verzweifelt gegen die Umklammerung einer Schlange, die ungefähr so lang und dick wie einer der Riefen war. Der Mann riss sich irgendwie los und begann, mit aller Kraft auf das nahende Boot zuzuschwimmen. Die Schlange nahm die Verfolgung auf und tauchte dabei unter Wasser ab. Trotz der Gefahr musste Danica lächeln. Sie wusste, dass das Auftauchen dieser Schlange kein Zufall war: Cadderly und seine mysteriöse Kraft hatten wieder einmal zugeschlagen. Danica kam auf die Knie hoch. Das andere Boot war jetzt näher. Sie konnte einen Mann im Bug sehen, der mit einer Armbrust auf sie zielte. Sie zuckte hoch, als ob sie aufstehen wollte, dann warf sie sich flach hin und hörte das Pfeifen eines heranfliegenden Bolzens. Jetzt hatte sie Gelegenheit, ins Wasser zu springen und Cadderly nachzutauchen. Bevor sie jedoch aus dem Boot sprang, tauchte eine Nachtmaske mit schreckverzerrtem Gesicht auf, denn die zweite Schlange - der zweite Riemen wickelte sich um seine Brust und Schulter. Der Mann griff nach dem Boot, schlug auf das Wasser und auf das Tier ein. Dann war er verschwunden. Wieder brodelte das Wasser, ein Stück weiter seitlich. Dort tauchte Cadderly auf, unglaublich schnell; sein Körper brach geradezu aus dem Wasser. Er stand auf dem Wasser! Und trug immer noch seinen Hut, auf dessen Vorderseite das heilige Symbol wie verrückt strahlte.
Die junge Frau hätte beinahe gelacht, denn sie war zu überrascht für jede andere Reaktion. Cadderly holte ein paarmal tief Luft. Er wirkte noch überraschter als Danica. Er sah zu dem neuen Boot zurück, das der Schwimmer gerade erreicht hatte. Der Schütze bereitete einen neuen Schuss vor. »Rein mit dir!« schrie Danica, der Cadderly dort auf dem Wasser viel zu verwundbar vorkam. Der junge Priester schien sie nicht zu hören. Er murmelte, ja sang und winkte langsam mit einer Hand hin und her. Danica blickte zu dem anderen Boot zurück, sah den Mann die Armbrust anlegen - und sah Cadderly ungeschützt im Freien stehen. Sie warf sich zur Seite, griff nach einem Stück Bruchholz am Boden des Bootes. Dann kam sie hoch, warf das Holz ... das dann einfach ein Dutzend Fuß neben dem anderen Boot ins Wasser platschte. Aber der Schütze hatte gezuckt, hatte in ihre Richtung gesehen. Ein plötzlicher Wasserschwall brach aus dem ruhigen See nahe der Stelle, wo Danicas Holz eingetaucht war. Das Wasser bäumte sich auf und rollte gezielt auf das feindliche Boot zu. Der Schütze hatte sich wieder auf Cadderly konzentriert, als die Welle gegen das Boot schlug. Da der Mann überhaupt nicht darauf gefasst war, kippte er über Bord und hätte beinahe seine Waffe verloren. Zuerst wunderte sich Danica, wie das kleine Stück Holz die stille Wasseroberfläche so hatte aufwühlen können. Dann aber erkannte sie, dass dies kein Zufall war, und drehte sich zum wahren Urheber der Welle um. Cadderly, der immer noch ruhig dastand, sang leise sein Lied und winkte mit der Hand.
Eine neue Woge stieg auf und krachte gegen das Boot ihrer Feinde, das sich nun zur Brücke hin drehte. Cadderly lächelte. Die nächste Welle trug das Boot zum Strand hin und von ihm weg. »Komm«, sagte er zu Danica und streckte die Hand aus. »Bevor sie wieder zu sich kommen.« Danica verstand ihn zunächst falsch, denn sie dachte, Cadderly wollte sich von ihr ins Boot helfen lassen. Doch er widerstand ihrem Zug und winkte sie zu sich. Der Assassine, der Cadderly unter Wasser gezogen hatte, trieb mit dem Gesicht nach unten an die Wasseroberfläche. Die Schlange, die sich um ihn gewickelt hatte, wurde auf Cadderlys Befehl hin wieder zum Riemen und trieb als harmloses Stück Treibholz dahin. »Komm«, wiederholte Cadderly. Danica sprang auf seinen Rücken und hielt sich gut fest. Cadderly sah sich um. Dann rannte er auf die Insel zu. Danica blickte über seine Schulter. Ihr fiel auf, dass das Wasser unter seinen Schritten nicht aufspritzte, er hinterließ eher Dellen in der Wasseroberfläche, die schnell wieder verschwanden, als liefe er über einen weichen Untergrund. Hinter ihnen hatte sich das feindliche Boot schließlich ausgerichtet, und der Armbrustschütze zog den Schwimmer herein. Der Riemen, der ihn gejagt hatte, tanzte auf den Wellen. Danica küsste Cadderly auf den Hals und legte ihren müden Kopf an seine Schulter. Die Welt war verrückt geworden. Als Cadderly das Ufer erreichte, murmelte er weiter vor sich hin. Er lief tapfer weiter, wurde unter dem Gewicht seiner Last jedoch langsamer, als er festen Boden betrat. »Cadderly ... «
»Wenn das Profikiller sind«, sagte er, »müssen wir davon ausgehen, dass sie von unseren Feinden angeheuert wurden, vielleicht von Dorigen.« »Cadderly... « »Jemand hat die Verbindung zu uns hergestellt«, fuhr Cadderly uneingeschüchtert fort. »Jemand hat beschlossen, dass wir - oder wenigstens ich - eine Bedrohung darstellen, die beseitigt werden muss.« »Cadderly ...« »Aber wie lange sind sie schon in meiner Nähe?« murmelte der junge Priester. »Oh, Brennan, ich bete, dass ich mich irre.« »Cadderly!« Zum ersten Mal, seit sie Land betreten hatten, sah Cadderly Danica an. »Was ist?« »Du kannst mich jetzt runterlassen«, meinte Danica. Sie rannte sofort weiter, griff nach Cadderlys Handgelenk und zog ihn mit sich. Durch das Gebüsch hinter ihnen hörten sie, wie das Boot der Feinde das Ufer erreichte. »Hartnäckig«, sagte Danica, die ernst über die Schulter schaute. Cadderly wusste, dass sie umkehren und den Kampf ausfechten wollte. »Nicht jetzt«, bat er. »Wir müssen ins Gasthaus zurück.« »Vielleicht haben wir unsere Feinde nie wieder so offen vor uns«, gab Danica zu bedenken. »Ich bin müde«, erwiderte Cadderly. Und das war der junge Priester wirklich. Das Lied spielte nicht mehr in seinem Kopf. Es war den schlimmsten Kopfschmerzen gewichen, die Cadderly je erlebt hatte. Danica nickte und hetzte weiter. Sie brachen durch eine Hecke in den Hinterhof eines der wohlhabenderen Anwesen von Carradoon. Irgendwo in der Nähe schlugen Hunde an,
aber Danica hielt unbeirrt die Richtung bei, lief durch eine andere Hecke und in einen weiteren Hof. Ein paar Leute, ältere Händler und deren Frauen, starrten das flüchtende Paar ungläubig an. »Geht in Deckung und ruft die Stadtwache!« rief Cadderly ihnen zu, während er Danica nachsetzte. »Diebe und Mörder verfolgen uns! Ruft die Stadtwache und schickt sie zur Brücke!« Das Paar brach durch eine weitere Hecke, landete auf einer breiten, ebenen Pflasterstraße und rannte zwischen neugierigen, gaffenden Leuten an schönen Herrenhäusern vorbei. Weder Pferd noch Wagen waren zu dieser frühen Stunde auf der Brücke zu sehen, was Cadderly ein wenig tröstete. Der junge Priester hätte es gehasst, wenn irgend jemand seinen tödlichen Verfolgern direkt in den Weg geraten wäre, und aus dem fortgesetzten Bellen der Hunde in der Ferne schloss er, dass die Nachtmasken die Jagd noch nicht aufgegeben hatten. Sie waren dicht hinter ihnen. Cadderly blieb abrupt stehen, als sie den höchsten Punkt des ersten Brückenbogens erreichten. Danica wollte nachfragen, doch sein verschwörerisches Lächeln hielt sie davon ab. »Du hältst Ausschau nach den Assassinen«, sagte er zu ihr, während er in die Knie ging. Mit seinem durchnässten Mantel malte er ein Viereck auf die Steine der breiten Brücke. »Die erste Seite, die ich in Großmeisterin Pertelopes Buch einst angesehen habe, hat mich immer wieder in Erstaunen versetzt«, erklärte er, ohne langsamer zu werden. »Ich wusste, dass es ein Zauber war, der einem aus Belisarius' Buch ähnelte.«
Als das Viereck fertig war - zwei nasse Linien verliefen parallel über das Bauwerk -, stand Cadderly auf und führte Danica ein paar Dutzend Schritte weiter weg. Cadderly begann zu singen. Diese Worte kannte er ganz genau. Dennoch musste er abbrechen und sich die Schläfen reiben, um die Schmerzen zu lindern, die die gerufenen Kräfte verursachten. Immer, wenn du sie rufst, werden sie an dir zehren und etwas von dir mitnehmen, hatte Pertelope ihn gewarnt. Erschöpfung ist dein Feind ... »Sie sind auf der Brücke!« hörte er Danica sagen, und er fühlte ihr Zerren an seinem Arm. Es half alles nichts. Cadderly bekämpfte den Schmerz und die Müdigkeit, zwang das Lied in sein Hirn und auf seine Lippen. Was ist das Band, das Steine hält? Ein Band, das Nässe bricht. Was bist du ohne dieses Band? Danica riss ihn zu Boden; er nahm kaum wahr, wie der Armbrustbolzen an ihnen vorbeizischte. Immer noch sang er vollkonzentriert. Triefe, Wasser, trief Durch das Band, so tief Der vorderste Assassine stolperte plötzlich, kippte nach vorn, als ob seine Füße in einer Schlinge steckten, fiel vornüber ... und sank in den Schlamm, zu dem dieser Teil der Brücke geworden war.
Danica und Cadderly hörten es unten platschen, als Schlamm und Steine in den See fielen. Ein weiterer Assassine betrat das Gebiet, konnte jedoch - knietief im Morast - noch zurückweichen. Der Mann, der kopfüber hineingelaufen war, schrie, als er unten herausfiel und gut zwanzig Fuß tiefer in den auf gewühlten See stürzte. Der ganze Teil, den Cadderly markiert hatte, stürzte hinter ihm ein. Vier entgeisterte Assassinen standen am Rand der fünfzehn Fuß breiten Kluft, die sie von ihrem Opfer trennte, und starrten ungläubig hinunter. »Sie hat gesagt, Deneir würde etwas von mir fordern«, meinte Cadderly zu Danica, während er sich die pochenden Schläfen rieb. »Und das wird er wieder, sobald wir das Gasthaus erreichen.« »Hast du deinen Glauben wiedergefunden?« fragte Danica, als sie davonrannten und die Flüche der frustrierten Assassinen und das Hufgeklapper der Pferde der Stadtwache hinter sich ließen. Cadderly sah Danica an, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. Dann beruhigte er sich achselzuckend, denn gegen ihre Logik kam er nicht an. Sie hörten die Rufe der Wachen und der Mörder, als die Assassinen, die nur noch einen Ausweg sahen, einer nach dem anderen ins schützende Wasser sprangen. Der Weg war frei, der ganze Weg zurück zur »Drachenbörse«, zu toten Feinden und toten Freunden.
Leid und heilige Freude Cadderly und Danica hörten die Schreie noch, nachdem sie die Brücke verlassen hatten und auf die Promenade zuhielten. Der Nebel verflog rasch, denn die heißen Strahlen der aufsteigenden Sonne lösten ihn auf. Carradoon war in hellem Aufruhr. Die Promenade war von neugierigen Bürgern und Stadtwachen verstopft. Cadderlys breitkrempiger Hut war triefnass, so dass es an allen Seiten von ihm heruntertropfte und viele Köpfe sich nach dem jungen Priester und seiner Begleiterin umdrehten. Man zeigte mit den Fingern auf sie, und bald drängte sich eine berittene Stadtwache durch die Menge, um Cadderly aufzuhalten. »Seid Ihr ein Priester aus der Erhebenden Bibliothek?« kam die schroffe Frage der Wache. »Ich bin Cadderly aus dem Orden des Deneir«, antwortete der junge Priester. Er drehte sich zu Danica um und zuckte beschämt und fast entschuldigend die Schultern. »Wir sind auf dem Rückweg zur >DrachenbörseDrachenbörse