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Fred McMason Das Höllenriff 1. Der Abend senkte sich über den Hafen von Nuevitas. Die Sonne war hinter den Bergspitzen der spanischen Siedlung verschwunden, und die Menschen atmeten auf. Denn trotz der Nähe der offenen See war es in Nuevitas heiß, die Glut der Sonne fing sich in den Felsen, den Seewind schirmte die große vorgelagerte Insel ab, die aber auch zugleich eine natürliche Schutzbarriere für die Bucht bildete. Denn das war der Vorteil der Bucht von Nuevitas: der gutgeschützte Hafen bot Zuflucht vor jedem noch so schweren Sturm, die dort ankernden Schiffe befanden sich in Sicherheit. Außerdem ließ sich die etwa zehn Meilen lange Einfahrt, die an ihrer breitesten Stelle etwa eine Meile maß, leicht kontrollieren. Ungebetene Eindringlinge hatten keine Chance, ungeschoren an den Befestigungen vorbeizusegeln. Im Palast des Alkalden gingen die Lichter an. Don Fuega betrat den Speisesalon mit schnellen Schritten. Unter der breiten Tür blieb er stehen und blickte die Gästß, die sich zum Festmahl versammelt hatten, aus seinen kohlschwarzen Augen an. Gleichzeitig fuhren die Finger seiner Rechten durch den ebenfalls pechschwarzen Kinnbart. Er deutete eine leichte Verneigung an, und ein Lächeln huschte über seine Züge. »Ich freue mich, daß sie meiner Einladung gefolgt sind, Senores, Senoritas. Wie Sie wissen, ist es in Nuevitas Brauch, am Vorabend des Gerichtstages ein Festessen zu geben. Ich werde diese gute Sitte meines Vorgängers beibehalten.
Außerdem befürchte ich, daß wir es alle nötig haben, uns für den morgigen Tag zu stärken. Denn sicherlich wird der morgige Tag für etliche Bösewichter der letzte sein!« Wieder deutete er eine leichte Verneigung an, aber das Lächeln, das jetzt auf seinen Zügen lag, war grausam. Einige der Gäste, die Don Fuega bei seiner kurzen Ansprache angesehen hatten, spürten, wie ihnen eiskalte Schauer über den Rücken krochen. Sie kannten den Alkalden, sie wußten, wie grausam dieser Mann Gericht hielt. Don Fuega ergötzte sich an den Qualen seiner Opfer. Niemand wurde jemals verurteilt, ohne vorher gefoltert zu werden. Öffentlich, unten am Hafen. Dort, wo sich auch die Richtstätte auf einem roh gezimmerten Podest aus schweren Bohlen befand. Der Alkalde setzte sich und zog mit einer raschen Bewegung den Stuhl näher an den Tisch heran. Gleichzeitig beugte er sich zu einem Mädchen, das zu seiner Rechten saß. Die Züge des Mädchens wirkten verkrampft, obwohl sie sich Mühe gab, das zu verbergen, besonders vor Don Fuega. »Ich freue mich ganz besonders, daß Sie nun doch meiner Einladung gefolgt sind, Maria. Ich ersehe daraus, daß Sie sich meinen Vorschlag überlegt und Vernunft angenommen haben. Ich denke, wir werden uns später über alles unterhalten und vielleicht einen Weg finden, einen gewissen Jose vor dem Henker zu retten. Also, Kopf hoch, Senorita, so manche Nacht hat schon ihr kleines Geheimnis gehabt!« Er strich ihr leicht und rasch über die Schenkel, ohne daß einer der Anwesenden das sehen konnte. Maria spürte, wie sie wieder der Ekel zu übermannen drohte. Sie haßte den Alkalden. Sie wußte auch ganz genau, daß ihr geliebter Jose einer Intrige zum Opfer gefallen war, und zwar zu dem Zweck, sie den Plänen Don Fuegas gefügig zu machen. Außerdem rächte sich der Alkalde auf diese Weise dafür, daß sie ihn in aller Öffentlichkeit hatte abblitzen lassen. Don Fuega schenkte ihr Glas voll Wein. In der dunkelroten
Flüssigkeit brach sich das Licht der Kerzen, die den Speisesalon erhellten. Einen Moment hatte Senorita Maria das Gefühl, als fließe Blut über den Tisch. Vor ihren Augen drehte sich alles, aber sie zwang sich eisern wieder zur Ruhe. Es hing jetzt alles davon ab, daß sie nicht die Nerven verlor. Der Alkalde hatte einen schweren Fehler begangen, Jose in den Gefängnisturm werfen zu lassen. Denn er hatte nichts weiter getan, als ein blutjunges Indianermädchen am vergangenen Markttag vor den Zudringlichkeiten einiger Soldaten zu schützen. Unter den Indios, die am meisten unter der Grausamkeit des Alkalden zu leiden hatten, gärte und brodelte es seit langem. Jenes Mädchen aber, das Jose beschützt hatte, war die Tochter eines alten Mayapriesters, dessen Herkunft in einem geheimnisvollen Dunkel lag. Aber die Indios verehrten den Alten, der außerhalb der spanischen Siedlung in einer Höhle wohnte. Er heilte sie, wenn sie von Krankheiten befallen wurden, er half den Sterbenden, und er rief die Indios immer wieder auf, nicht den Mut sinken zu lassen. Die weißen Teufel würden eines Tages auch wieder verschwinden, man müsse alles tun,« um ihnen heimlich zu schaden, man müsse sie bekämpfen, aber auf eine Art, die sie nicht kannten. Und bald, sehr bald würde die Stunde der Vergeltung über die fremden Eindringlinge hereinbrechen. Von alledem ahnte Don Fuega nichts. Gleichfalls ahnte er nicht, daß sich ihm das Verhängnis noch von einer ganz anderen Seite her näherte, und daß es von nun an unerbittlich seinen Lauf nehmen würde. Wieder prostete er der blutjungen und atemberaubend schönen Senorita an seiner Seite zu. Und schon malte er sich in Gedanken aus, wie er sie in seine Arme nehmen, wie er sie küssen und ihr die Kleider vom Leib streifen würde, wenn dieses verdammte Mahl erst beendet war. Inzwischen wollte er allerdings dafür sorgen, daß sie genügend Wein zu trinken
kriegte.
* Zu dieser Stunde sichtete der Posten an der Einfahrt einen Verband von drei Schiffen, die sich unter vollen Segeln der vorgelagerten Insel näherten und auf die Felsnase zuhielten, die den Beginn der schmalen Einfahrt bildete. Als die Schiffe nahe genug heran waren, erkannte er, daß es sich um eine schwerarmierte Galeone und zwei ebenfalls ungewöhnlich gut bestückte Karavellen handelte. Sofort gab der Posten Alarm. Denn in der Hafenbucht von Nuevitas ankerten ein paar große Galeonen, die bis oben hin mit Schätzen aus der Neuen Welt beladen waren und auf das Geleit nach Havanna warteten. Natürlich konnten die drei Schiffe dieses Geleit sein, das der Alkalde wegen der verheerenden Verluste, die unbekannte Freibeuter den Spaniern in letzter Zeit immer wieder zugefügt hatten, angefordert hatte. Es war vom spanischen Gouverneur in Havanna striktes Verbot ergangen, daß Kauffahrer künftig ohne Geleit segelten, sei es auch nur, um zum Sammelpunkt zu gelangen. Zuwiderhandlungen bedrohten Kapitän und Steuermann mit der Todes strafe. Eben wollte der Posten einen seiner Meldereiter losjagen, um das in der Einfahrt gelegene Fort zu alarmieren, als die Galeone Böllerschüsse in einem ganz bestimmten Rhythmus abfeuerte. »Halt, warte, Juan!« Der Posten griff dem Meldereiter in die Zügel. »Das sind Schiffe von uns!« Er kniff die Augen zusammen, um die bereits herrschende Dämmerung besser zu durchdringen, während sich die Galeone näher und näher an die Einfahrt heran schob. »Das Schiff kenne ich doch«, sagte er schließlich, »das ist die
,Sevilla, eins der stärksten Schiffe, über die unsere Leute in Havanna verfügen. Ich habe auf dem Schiff während der Überfahrt in die Neue Welt Dienst getan. Sein Kommandant ist Capitan Roca, einer der schärfsten Hunde, die ich je kennengelernt habe. Wenn der hier auftaucht, dann bedeutet das nichts Gutes, darauf kannst du Gift nehmen!« Juan sah seinen Sergeanten an. »Vielleicht will der nur die Kauffahrer abholen...« Aber der Sergeant unterbrach ihn sofort. »Nein, glaube ich nicht. Roca ist der militärische Befehlshaber von Havanna. Die ,Sevilla ist sein Flagschiff, das überläßt er keinem. Weißt du, der Kerl ist von der Sorte, die sich nicht mit ihrem Hintern in einen Palast setzen, er gehört zu denen, die alles selber tun wollen. Er hat schon viele Piraten zur Strecke gebracht, aber Gefangene gibt es keine bei ihm. In diesem Punkt hält er es genauso wie die Halsabschneider von Tortuga und wie diese verdammten Piratennester alle heißen. Er sollte Caligu jagen, aber den hat ja irgend so ein anderer Bursche erledigt.« »Du meinst den Seewolf?« fragte Juan, und seine Augen weiteten sich vor Furcht. Er hatte von diesem unheimlichen Korsaren bereits so viel Legenden gehört, daß ihn die Furcht schon bei bloßer Nennung dieses Namens packte. »Ja, ja, genau den. Man hört da so Gerüchte, der soll neulich wieder ein paar Goldschiffe von uns geschnappt haben, und er soll hier irgendwo einen geheimen Schlupfwinkel haben, den niemand kennt und den man auch nicht finden kann.« Wieder lösten sich Böllerschüsse, und diesmal antworteten ein paar Kanonen des Forts. »Los, Juan, reite, oder der Alkalde macht uns die Hölle heiß. Ich fürchte, er wird seine verdammte Fresserei mit den Weibern, die er immer dabei hat, und mit diesem Affenvolk, das sich bei ihm vollf rißt, vorzeitig beenden müssen. Roca
fackelt nicht lange. Und der ist bestimmt nicht hier, um sich bei Don Fuega den Wanst vollzustopfen!« Juan grinste. Dann schwang er sich auf sein Pferd und jagte den Pfad zwischen den Felsen entlang, der am Fort vorbei nach Nuevitas führte. Er hatte etwa die halbe Strecke zurückgelegt, da scheute sein Pferd plötzlich. Juan war zwar ein leidlich guter Reiter, trotzdem flog er aus dem Sattel und landete ziemlich unsanft auf dem harten Felsgestein. Benommen richtete er sich auf, anschließend begann er zu fluchen. »Verfluchte Schindermähre!« schrie er und rieb sich sein Hinterteil. »Was für ein Satan ist in dich gefahren, daß du mich einfach abwirfst, he?« Er rappelte sich auf, blickte sich um und gewahrte in einiger Entfernung die Umrisse seines Pferdes. Fluchend und ächzend humpelte er den Pfad entlang. Er sah nicht die dunklen Gestalten, die hinter den Felsen kauerten und aus ihren schwarzen Augen jede seiner Bewegungen verfolgten. Er sah auch nicht, wie einer der Indios sein Blasrohr hob. Aber Juan hatte Glück, denn ein anderer Indio fiel seinem Gefährten in den Arm. »Halt, laß ihn. Es ist Juan, er hat noch niemandem etwas zuleide getan. Außerdem würde man sein Ausbleiben bald entdecken, er soll dem verfluchten Alkalden die Ankunft der Schiffe melden. Wir lassen ihn durch, denn dann wird sich die Aufmerksamkeit der Spanier auf die einlaufenden Schiffe richten, und wir haben leichteres Spiel.« Derjndio setzte sein Blasrohr wieder ab. »Er ist ein weißer Teufel, wir sollten ihn töten«, sagte er. Aus seinen dunklen Augen starrte er Juan nach, dessen Umrisse langsam in der Dunkelheit verschwammen. Doch dann gehorchte er dem Befehl seines Anführers. Denn eins stimmte der Soldat Juan war bei den Indios beliebt, er hatte schon
manchem von ihnen geholfen. Juan erreichte sein Pferd. Ächzend zog er sich am Sattel hoch und setzte dann, Verwünschungen ausstoßend, seinen Weg fort. Die Indios, die den Pfad überwachten, um vor Überraschungen sicher zu sein, kauerten sich wieder hinter die Felsen. Noch war die Zeit zum Handeln nicht da, und die unerwartete Ankunft der drei Schiffe, die die Indios auch bereits erspäht hatten, konnte noch vieles ändern. Wenn sie Erfolg haben wollten, mußten sie sehr vorsichtig zu Werke gehen.
Die Kriegsgaleone »Sevilla« glitt als erste in die Bucht. Auf den aus schweren Bohlen gezimmerten Piers drängten sich Neugierige, die den Schiffen entgegenstarrten. Die Meldung, die Juan dem Alkalden überbracht hatte, war wie ein Lauffeuer in der Siedlung herumgegangen, außerdem waren die Spanier durch die Böllerschüsse der »Sevilla« und der Forts an der Einfahrt aufgeschreckt worden. Etwas im Hintergrund stand Don Fuega. Er beherrschte sich nur mühsam. Aber er durfte sich keinesfalls anmerken lassen, daß er vor Wut über diesen unerwarteten Besuch kochte. Das zerstörte seine Pläne bezüglich der hübschen Senorita für diese Nacht unter Garantie. Don Fuega kannte die »Sevilla«, und er kannte auch Capitan Roca. Daß man Roca inzwischen zum Generalkapitän in Havanna ernannt hatte, wußte Don Fuega noch nicht. Es hätte seine Laune endgültig auf den Nullpunkt gebracht. Don Fuega starrte der einlaufenden »Sevilla« aus schmalen Augen entgegen. Dieser Roca war genau das, was er zutiefst verabscheute: ein riesiger Kerl, dessen Narben im Gesicht
deutliches Zeugnis der Kämpfe ablegten, die er bereits durchgestanden hatte. Zudem war Roca völlig unbestechlich und unzugänglich und wegen seiner unglaublichen Härte, die er aber auch von sich selbst verlangte, bei allen, die mit ihm zu tun hatten, gefürchtet. Don Fuega wußte genau, daß Roca ihn, wenn er herausbrachte, auf welche Weise er hier regierte, sofort in Ketten legen, wenn nicht sogar aufhängen lassen würde. Capitan Roca hatte schon des öfteren mit harter Hand der Selbstherrlichkeit so manches Alkalden ein jähes Ende bereitet. Aber die Spanische Krone schien sein Vorgehen zu billigen warum, das mochte der Satan wissen. Wahrscheinlich sorgte Roca dafür, daß die Bäuche der Schiffe, die seinem Kommando unterstanden, randvoll mit Gold, Silber und Edelsteinen beladen waren. Das aber, wußte Don Fuega, war bei Hof seiner Allerkatholischsten Majestät immer ein gewichtiges Argument. Der Alkalde beobachtete, wie auf der »Sevilla« die Segel geborgen wurden und der schwere Anker ins Wasser klatschte. Weiter hinten tauchten nun auch die beiden Karavellen des kleinen Geschwaders auf, die von Roca im Kampf immer als Fühlungshalter und Jäger benutzt wurden. Der Capitan hatte diese Kampftechnik bis zur Perfektion entwickelt. , »Verdammt«, murmelte Don Fuega, als die Sevilla ein Boot aussetzte, »das alles bedeutet nichts Gutes. Aber wenn ich dieses Flittchen Maria heute nicht in mein Bett kriege, stirbt ihr Jose morgen früh!« Don Fuega sah, wie das Boot von der »Sevilla« ablegte und dann zur Pier hinübergepullt wurde. Es glitt durch die Lichtreflexe, die die lodernden Feuer, die nachts die Bucht beleuchteten, über die Wasseroberfläche tanzen ließen. Undeutlich erkannte er Rocas massige Gestalt. Neben ihm, auch auf der Achterducht, saß ein ebenfalls großer, aber offenbar sehr schlanker Mann. Wahrscheinlich sein erster
Offizier, der fast so gefürchtet war, wie der Capitan selber. Verzweifelt versuchte Don Fuega, sich seines Namens zu erinnern. Endlich fiel er ihm wieder ein: Ramirez Mateo, ebenfalls Capitan. Schon das war ungewöhnlich, aber bei diesem Roca paßte sowieso nichts ins übliche Schema. Wenig später legte das Boot an, und Don Fuega beeilte sich, den Capitan zu begrüßen. »Welche hohe Ehre, Senor Capitan, Sie hier in Nuevitas zu ...« Roca richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Sparen Sie sich Ihre verdammten Floskeln, Don Fuega. Führen Sie mich in den Palast, und sorgen Sie dafür, daß man die notwendigsten Sachen für Sie zusammenpackt und Ihr Stellvertreter erscheint. Er wird für einige Zeit Ihr Amt verwalten.« Don Fuega wurde bleich. Sein Magen krampf te sich zusammen. »Bitte, Senor, ich verstehe nicht ganz, wieso ...« »Keine Fragen, Sie erfahren alles früh genug. Und noch etwas, Sie verfügen über Männer, die sich in ganz besonderem Maße auf das hochnotpeinliche Verhör verstehen. Veranlassen Sie, daß auch diese Männer gerufen werden, und zwar sofort!« Don Fuega spürte, wie seine Knie nachzugeben drohten. »Senor - ich - morgen ist Gerichts, tag, wir - ich meine ...« stotterte er und bemerkte gleichzeitig den eiskalten Blick, der ihn aus den rauchgrauen Augen des Capitans traf. »Wir segeln nach Sonnenaufgang. Die dringendsten Fälle werden noch vorher erledigt, ich übernehme das. Bitte ein vollständiges Protokoll aller Anklagen und Angeklagten bis morgen früh, eine Stunde vor Sonnenaufgang,« Er wandte sich seinem ersten Offizier zu. »Senor Mateo, veranlassen Sie, daß alle meine Befehle genau befolgt werden, Sie sind mir dafür persönlich verantwortlich.
Und jetzt Schluß mit dem Palaver. Folgen Sie mir, Don Fuega, ich habe nicht die Absicht, meine Zeit hier zu verplempern!« Der Capitan stampfte los. Don Fuega folgte ihm, und ein paarmal er wog er, ob er nicht einfach irgendwo in die Dunkelheit fliehen sollte. Er hegte die allerschlimmsten Befürchtungen, denn wenn der Capitan tatsächlich den Gerichtstag am nächsten Morgen persönlich abhielt, dann würde er einiges zu hören kriegen, was ihm, Don Fuega, bestimmt nicht gut bekam. Und was, um Himmels willen, sollten die Folterknechte, die dieser Capitan sofort sehen wollte? Galt diese Maßnahme schon seinem eigenen Verhör? Er sah sich gehetzt um, aber an Flucht war nicht mehr zu denken. Ein Trupp von Seesoldaten hatte ihn längst in die Mitte genommen. Er und die beiden Offiziere wurden sorgfältig eskortiert. Nein, das Verhängnis nahm seinen Lauf, und er, Don Fuega, konnte nichts dagegen tun. 2. Sie waren keine Wilden mehr. Jedenfalls äußerlich nicht. Außerdem hatten die Spanier sie bei Androhung der Folter gezwungen, sich taufen zu lassen. Erreicht hatten sie damit allerdings nur das Gegenteil, und Pater Joseph wußte das genau. Die erzwungene Taufe hatte nur bewirkt, daß sie im Verborgenen ihrem alten Kult um so mehr huldigten, auch wenn keiner der Spanier so recht wußte, wer die Triebfeder zu diesem Tun war. Es gab dunkle Gerüchte. Pater Joseph hatte von jenem alten Indianerpriester gehört, auf dessen Ergreifung eine hohe Belohnung von Don Fuega ausgesetzt worden war. Aber niemand wußte, ob es ihn wirklich gab und wo er sich versteckt hielt. Der Alkalde hatte schon versucht, einigen Indios durch die
Folter die Zunge zu lösen, aber auch das war mißglückt, denn die Indios waren tot, noch bevor der Folterknecht sein Ziel erreicht hatte. Gift, hieß es. Ein geheimnisvolles Gift, das die Eingeweihten stets bei sich führten. Anuk, wie sein indianischer Name lautete, gab den Seinen ein Zeichen. Pedro hatten ihn die Spanier getauft, aber dafür hatte er nur ein verächtliches Lächeln übrig. Von allen Seiten schoben sich die dunklen Körper hinter den Felsen hervor, kaum zu unterscheiden von dem Untergrund, auf dem sie sich bewegten. Vor Anuk und seinen Gefährten ragte der alte Pulverturm in den Nachthimmel. Er war von den ersten Spaniern gebaut worden, die mit ihren Schiffen in die einst so stille und damals auch friedliche Bucht eingedrungen waren. Aber seit man das Fort an der Einfahrt errichtet hatte, diente der Pulverturm nur noch als Kerker. Er galt als absolut ausbruchssicher, und das war er auch. Wer sich einmal in seinen engen, vermoderten Zellen befand, der konnte mit seinem Leben abschließen, so oder so. Der Turm wurde scharf bewacht. Jedenfalls immer dann, wenn sich Gefangene in seinen Zellen befanden. Anuk konnte sich nicht daran erinnern, daß das irgendwann einmal nicht der Fall gewesen wäre. An diesem Abend beherbergte der Turm einen Weißen namens Jose, der es gewagt hatte, ein IndioMädchen vor den Zudringlichkeiten einiger Soldaten zu schützen. Daß dieses Mädchen die Tochter des alten Priesters war, wußte außer Anuk und seinen Gefährten niemand, denn das wäre für Anara tödlich gewesen. Außer Jose befanden sich im Turm noch ein paar Indios, die gestohlen haben sollten. Sie würde man am nächsten Morgen erst foltern und dann hängen. Ein weiterer Gefangener war ein Portugiese, der sich geweigert hatte, an einer Strafexpedition gegen ein Dorf
der Indios teilzunehmen, weil sein christlicher Glaube ihm ein derartiges Handeln verbot. Auch er würde sterben müssen, um so mehr, als der Alkalde seine nicht unbeträchtliche Habe bereits konfisziert hatte, nachdem er ihn des Verrats an der spanischen Krone angeklagt hatte. Anuk warf einen schnellen Blick zum Hafen hinunter. Dort herrschte in diesem Moment lebhaftes Treiben. Leider verhinderte es den zweiten Teil ihres Planes, nämlich die dort ankernden Schatzgaleonen in Brand zu stecken. Das war unter diesen Umständen zu riskant und ohne jede Aussicht auf Erfolg. Denn die Wav chen der drei in di_e Bucht eingelaufendenen Kriegsschiffe würden es sofort bemerken. Abermals gab Anuk seinen Gefährten ein Zeichen, und die Indios krochen weiter. Die Ankunft der Kriegsschiffe war für sie von Nutzen, denn auch die beiden Wachen am Turm wurden durch den Trubel im Hafen abgelenkt. Sie hatten sogar ihre Musketen an die dicke Mauer gelehnt, die den Turm wie ein Festungswall umgab. Sie starrten zum Hafen und diskutierten lautstark über die Ankunft der drei Schiffe. Anuk bedeutete seinen Gefährten, sich ruhig zu verhalten. Danach verständigte er die beiden Indios, die unmittelbar neben ihm kauerten. »Sie müssen sterben, ohne daß sie einen Laut von sich geben können. Einer von ihnen hat den Schlüssel für den Turm. Die Schlüssel für die Eisen und Ketten, mit denen die Gefangenen an die Kerkerwände angeschlossen sind, befinden sich bei dem dritten, der sich im Innern des Turms aufhält. Wir müssen schnell sein, es darf ihm nicht gelingen, jene kleine Kanone abzufeuern, mit der er Hilfe herbeiholen kann!« Anuk hatte nur geflüstert. Die beiden anderen nickten ihm zu. Ein letzter Blick, und die drei Indios sprangen auf. In langen Sätzen stürmten sie zum Turm hinüber, die Messer bereits in ihren Händen.
Sie erreichten die beiden Soldaten, noch bevor die überhaupt etwas davon bemerkten, was in ihrem Rükken vorging. Sie starben unter den Klingen der drei Indios, ohne auch nur einen einzigen Laut auszustoßen. Anuk richtete sich hoch auf, nachdem er den einen der Soldaten hatte zu Boden gleiten lassen. Die anderen Indios huschten heran, ebenfalls auf nackten Sohlen, völlig unhörbar. »Den Schlüssel, rasch!« drängte Anuk, und einer seiner Gefährten reichte das klobige Ding. »Sobald ich die Tür geöffnet habe, dringt ihr mit mir ein. Der Wächter im Turm bleibt am Leben, er soll die Gefangenen losschließen, anschließend sperren wir ihn ein.« Einer der Indios trat auf Anuk zu. »Nein«, erwiderte er. »Der Wächter stirbt. Ich habe gehört, was er mit den Gefangenen treibt und wie er sie quält. Außerdem erkennt er uns vielleicht später, dann sind wir alle des Todes. Nein, wir können ihn nicht am Leben lassen, mit den Fesseln kenne ich mich aus, und den Turm kenne ich auch genau, ich war dabei, als man ihn zum Kerker umbaute.« Einen Moment herrschte Schweigen, aber dann stimmte Anuk durch kurzes Kopfnicken zu. Behutsam führte er den Schlüssel in das schwere Eisenschloß. Er bemühte sich dabei, jedes Geräusch zu vermeiden. Noch einmal stoppte ihn der Indio, ein schon etwas älterer Krieger. »Hör zu, Anuk, es kann sein, daß im Turm Pulver aufbewahrt wird. Vor zwei Monden liefen eine Reihe von Schiffen ein, alle brachten sie Pulver und Musketen. Soweit ich weiß, konnte man nicht alles im Fort lagern, dazu ist es zu beengt, denn man hat die schweren Geschütze in Kavernen untergebracht, die man sich erst mühsam in die Felsen sprengen mußte. Aber dafür kann jetzt auch kein Schiff passieren, ohne daß es zusammengeschossen wird.«
Anuk hielt inne. »Warum sagst du das erst jetzt?« fragte er, und in seiner Stimme schwang Unwillen. »Ich habe es erst vorhin von Aina erfahren, sie mußte für die weißen Teufel die Schiffe entladen und alles in den Turm schaffen. Ich weiß nur nicht, ob die Soldaten es von dort weggebracht haben. Aber wir sollten den Turm genau untersuchen.« Anuk nickte abermals, dann drehte er den Schlüssel herum. Das Schloß quietschte infernalisch, aber der Wächter, der das hörte, kümmerte sich nicht darum. Er glaubte, daß es einer seiner Kameraden war, der in den Turm wollte. Er sah die dunklen Schatten erst, als es zu spät war. Zwar griff er noch nach seiner Muskete, aber abzufeuern vermochte er sie nicht mehr. Die Klinge eines schweren Wurfmessers durchbohrte seine Brust. Röchelnd sank der Wächter zu Boden. Anuk starrte ihn an. Er war kein Mörder, er tötete nicht gern. Aber er hatte schon zu viele Menschen, zumeist Indios, in Nuevitas sterben sehen. Grausam und lange. Deshalb empfand er auch kein Bedauern. »Los, weiter! Du befreist die Gefangenen, nimm dir ein paar Krieger mit«, sagte er zu dem älteren Indio. »Ich werde den Turm durchsuchen. Und zwei von uns übernehmen die Wache, obwohl ich nicht glaube, daß irgend etwas passieren wird. Die weißen Teufel sind zu beschäftigt.« Die Indios arbeiteten schnell. Die Gefangenen hatten sie innerhalb einer knappen Viertelstunde befreit. Jose starrte seine Befreier an. »Was ist mit Maria?« fragte er. Aber der Indio schüttelte den Kopf. »Du kannst ihr nicht helfen, du würdest nichts erreichen. Sorge jetzt für dein eigenes Leben, oder du stirbst dennoch durch die Folterknechte Don Fuegas.«
Jose sah den Indio an. Dann drückte er ihm die Hand, aber gleichzeitig schüttelte er den Kopf. »Würdet ihr jemanden von euch im Stich lassen? Ich kann Maria diesem Teufel nicht überlassen, ich werde sie herausholen oder sterben!« Er lief davon, noch bevor die Indios ihn umstimmen konnten. Sie achteten und verstanden ihn, denn sie kannten den Alkalden noch weit besser als Jose. Anuk stellte sich Jose in den Weg. Er erkannte sofort, was in ihm vorging. »Warte, wir werden dir helfen. Es wird bei den weißen Teufeln große Verwirrung geben. Die werden wir ausnutzen, und vielleicht kann ich dann noch etwas tun.« Jose wollte sich losreißen, aber Anuk hielt ihn fest. »Ohne uns wirst du alles verderben, Jose. Ich verspreche dir, daß ich die Senorita mit dir befreien werde, wenn das möglich ist. Du kannst mir und meinen Gefühlen vertrauen. Wir müssen sie befreien, denn wenn du geflohen bist, dann ist sie sowieso der Rache des Alkalden ausgeliefert, und du weißt, was das bedeutet.« Jose atmete schwer. »Gut«, sagte er dann. »Was habt ihr vor? Bei der heiligen Jungfrau, beeilt euch!« Anuk erklärte es ihm, und plötzlich erkannte Jose die einmalige Chance, die das Vorhaben der Indios für die Befreiung Marias bot. »Ich glaube, ich kann euch helfen«, sagte er nach einem kurzen Moment des Überlegens. »Los, Anuk, dieses verfluchte Schwein von einem Alkalden soll sich wundern!«
Capitan Roca und Don Fuega hatten den Palazzo erreicht. Capitan Mateo ebenfalls, sogar etwas früher als sie.
Roca blieb stehen. »Wo sind wir ungestört, Fuega?« fragte er, und die Art, wie er diese Frage stellte, zeigte dem Alkalden, daß es diesem Mann gegenüber keine Ausflüchte gab. »In meinem Arbeitszimmer, Senor Capitan. Aber würden Sie mir nicht erklären, was das alles zu bedeuten hat?« Don Fuega konnte nicht verhindern, daß seine Stimme bei dieser Frage zitterte, und dem Capitan entging das nicht. »Hören Sie, Don Fuega«, erwiderte er und warf dem Alkalden dabei einen scharfen Blick zu, der dem Don durch und durch ging. »Ich kenne genügend Leute Ihres Schlages. Sie haben keine reine Weste, Senor, das merke ich aus Ihrem ganzen Verhalten.« Wieder warf er dem Alkalden einen scharfen Blick zu. »Ich sollte Sie einer strengen Überprüfung unterziehen, wahrscheinlich würden Sie dann am nächsten Morgen neben einigen anderen Angeklagten am Galgen hängen. Sie haben bestimmt genug von mir gehört, um zu wissen, daß das keine leere Drohung ist. Aber Sie haben Glück, Senor: Ich bin nicht hier, um eine Untersuchung gegen Sie zu führen, es geht um eine andere Sache, bei der Sie mir helfen werden. Und jetzt genug von diesem Geschwätz, führen Sie mich in Ihr Arbeitszimmer, damit wir endlich weiterkommen!« Der Alkalde war totenblaß. Er starrte den Capitan aus großen Augen an, und eben dieser Blick verriet seine Gedankengänge überdeutlich. Voller Entsetzen dachte er daran, daß Maria, jene junge Frau, die neben ihm an der Tafel gesessen hatte, in seinem Schlafgemach gefangengehalten wurde. Aber dann faßte er sich, denn eine unmittelbare Gefahr schien nicht zu bestehen. »Selbstverständlich, Senor Capitan!« stieß er erleichtert hervor und dienerte dabei. »Wenn Sie mir bitte folgen würden, Senor Capitan ...« Er eilte voran, und Roca marschierte hinter ihm her. In
seinem Gesicht wetterleuchtete es. Er nahm sich vor, diesem verdammten Alkalden noch gehörig auf den Zahn zu fühlen, sobald seine eigentliche Aufgabe gelöst war. Roca betrat das geräumige Arbeitszimmer. Ihm entging nicht, mit welchem Aufwand und mit welcher Pracht es eingerichtet worden war. Zorn stieg in ihm hoch, denn zu diesem Pomp hätten die Mittel des Alkalden niemals ausgereicht. Er hatte also wieder einen dieser verfluchten Blutsauger vor sich, die das Ansehen der Spanischen Krone bei den Bewohnern der Neuen Welt schädigten, die Schuld daran trugen, daß es immer und immer wieder zu blutigen Aufständen kam. Roca gehörte nicht zu der Sorte, die die Probleme der Eingeborenen ignorierte. Don Fuega schob ihm einen der kostbaren Stühle zurecht und nahm selber Platz, nachdem der Capitan sich gesetzt hatte. Einen Moment herrschte peinliches Schweigen. Die geladenen Gäste, die zum Teil noch anwesend waren, starrten die beiden Männer neugierig an. Roca quittierte das mit einem unwilligen Stirnrunzeln. »Schaffen Sie diese verdammten Gaffer weg, Don Fuega. Ich hatte Sie gefragt, wo wir ungestört miteinander verhandeln könnten! Und, verdammt noch mal, beeilen Sie sich. Ich habe keine Lust, in diesem verdammten Hafen solange herumzuliegen, bis meine Schiffe Muscheln ansetzen, klar?« Don Fuega sprang sofort auf. Er klatschte ein paarmal in die Hände, und sofort stürzten ein paar Bedienstete herbei. Gleichzeitig mit ihnen betraten jedoch Capitan Mateo und die Folterknechte des Alkalden das Arbeitszimmer, das unmittelbar neben dem großen Salon lag, in dem noch immer die reich gedeckte Tafel stand. Capitan Roca blickte Mateo an. »Lassen Sie diesen und den angrenzenden Raum räumen, Mateo. Und dann lassen Sie die Wache vor dem Arbeitszimmer
aufziehen. Die anderen«, er deutete auf die Folterknechte, die den Alkalden schon lüstern anstarrten, »warten in einem der anderen Räume, halten sich aber zur sofortigen Verfügung ! Vorwärts!« Capitan Mateo gab den Seesoldaten, die im Hintergrund sichtbar geworden waren, ein Zeichen. Sofort setzten die Soldaten sich in Bewegung und drängten die Schar der Gaffer aus dem Palast. Wütende Proteste wurden laut, aber sie wurden von den Soldaten ignoriert. »So, und jetzt zu uns, Senor Fuega. Ich habe den Auftrag«, sagte Capitan Roca, »die Piraten Killigrew und Siri-Tong zu jagen und zu vernichten,« Don Fuega wurde noch blasser. Ihm schwante sofort Böses, denn er hatte von dem Seewolf und dessen Aktivitäten in der Karibik nicht nur gehört, sondern sogar einen ganzen Verband von Schiffen verloren, die die Schatzgaleonen, die im Hafen von Nuevitas ankerten, nach Havanna zum Sammelpunkt hatten geleiten sollen. Don Fuega hatte davon gehört, daß dieser englische Freibeuter der reinste Teufel sein mußte, und diese Siri-Tong nicht weniger. Schlimmer noch als Caligu, der den Spaniern von Tortuga aus zugesetzt hatte. »Sehr wohl, Senor, sehr wohl«, sagte er. »Und was kann ich dabei tun, ich meine ...« Capitan Roca ließ sich nicht beeindrucken. Er fixierte den Alkalden nur scharf, ehe er weitersprach. »Der Seewolf, wie man diesen Killigrew nennt, ist zu einer ernsten Gefahr für die spanische Krone geworden. Zudem soll er neuerdings über ein Versteck verfügen, über einen Schlupfwinkel, der so gut wie uneinnehmbar ist. Außerdem«, der Capitan hob seine Stimme, »soll sich der Seewolf nicht nur mit der seit langem gesuchten und gejagten Piratin Siri-Tong, sondern auch noch mit dem berüchtigten Wikinger
zusammengetan haben. Und zwar auf Little Cayman. Haben Sie von diesem Kerl schon mal gehört, Senor?« Don Fuega schüttelte den Kopf, aber ihm war, als zöge sich seine Rückenhaut unter eisigen Schauern zusammen. »Nicht? Nun, Sie werden diese drei Piraten kennenlernen, denn Sie werden mich auf meiner Strafexpedition begleiten und mit mir siegen oder untergehen.« Der Alkalde war bei diesen Worten des Capitans zusammengezuckt. Das wurde ja immer schlimmer. »Senor Capitan«, versuchte er einen Einwand, »Sie wissen, daß ich von der spanischen Krone in Nuevitas als Alkalde eingesetzt wurde, daß meine Aufgaben völlig andere sind, daß ich ...« Mit einer Handbewegung wischte der Capitan die Einwände zur Seite. »Ich wurde mit allen nötigen Vollmachten ausgestattet, Senor Fuega«, erwiderte er grollend. »Und ich habe keine Lust, mich mit Ihnen auf fruchtlose Debatten einzulassen. Sie werden mich und meine Männer begleiten, weil ich Sie und Ihre Folterknechte benötige. Sie sehen, auch eine solche Berühmtheit spricht sich herum, oder glauben Sie etwa, ich wüßte nicht, was sich an Ihren sogenannten Gerichtstagen hier abgespielt hat und immer noch abspielt?« Der Alkalde kroch in sich zusammen, aber der Capitan ließ ihm keine Zeit zu irgendwelchen Ausflüchten. »Wir segeln von hier nach Tortuga. Ich werde dieses verdammte Piratennest umdrehen. Dort soll es Leute geben, die schon mal von jener geheimnisvollen Insel gehört haben, die dem Seewolf und seinen Kumpanen als Schlupfwinkel dient. Und wenn ich diese ganze Brut foltern lassen muß, ihr Leben haben sie ohnehin verwirkt, ich werde herausfinden, wo diese verfluchten Kerle stecken. Dazu brauche ich Sie und Ihre Folterknechte, denn Sie sollen da über gewisse Methoden verfügen.«
Wieder kroch der Alkalde in sich zusammen, aber dann kam ihm die rettende Idee, wie er glaubte. »Selbstverständlich, Capitan«, versicherte er eilig, »ich stehe Ihnen gern zur Verfügung. Eine Strafaktion gegen dieses Verbrecherpack ist sowieso längst überfällig. Allerdings schlage ich vor, daß ich meine eigene Karavelle benutze, mit ihr nach Tortuga segle und nach Beendigung der Aktion hierher zurückfahre. Meine Geschäfte, meine Pflichten - Sie verstehen sicher, Capitan...« Roca hatte sich unwillkürlich auf seinem Stuhl gestrafft. »Ja, ich verstehe durchaus, Fuega«, erwiderte er verächtlich. »Sie sind ein erbärmlicher Feigling. Sie wollen sich auf diese Weise um den Kampf mit dem Seewolf und den anderen drücken. Aber daraus wird nichts. Sie segeln auf der ,Sevilla mit mir, unter meiner persönlichen Aufsicht. Und Sie werden später auch den Seewolf, diese Siri-Tong und den Wikinger foltern, denn diese Kerle werden nur sehr schwer zum Reden zu bringen sein. Diese Sorte kenne ich, manche von Ihnen sterben unter unsäglichen Qualen, ohne einen Laut von sich zu geben. Ich brauche Sie und Ihre Leute, und damit basta!« Capitan Roca wandte sich seinem ersten Offizier zu, um einige Anweisungen zu erteilen, und in diesem Moment brach die Hölle los. 3. »Runter, Deckung!« Jose hatte es Anuk, seinen indianischen Gefährten und den Gefangenen, die mit ihm zusammen befreit worden waren, zugerufen. Gleichzeitig ließ er sich fallen und rollte sich blitzschnell hinter einen der großen Felsblöcke, die den Pfad säumten, der vom Hafen aus zu dem höher gelegenen Gefängnisturm führte.
Anuk und die anderen folgten seinem Beispiel. Sie waren in den letzten Sekunden um ihr Leben gelaufen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die Indios hatten die durch die Haft geschwächten Gefangenen einfach mitgerissen. Denn sie wußten, daß hinter ihnen die Lunten tief im Innern des Turms brannten und diese Lunten verdammt kurz waren. In den unteren Kammern des Turms aber lagerten viele Tonnen von Pulver und Waffen. Auch jetzt noch, nachdem sie alles in fliegender Hast zusammengerafft hatten, was sie zum weiteren Kampf gegen ihre Unterdrücker brauchten. Jose hielt den Atem an. Schweiß rann über sein Gesicht. Er wartete auf die schmetternde Explosion, mit der in Nuevitas die Hölle losbrechen würde. Er brauchte nicht lange zu warten. Knapp fünf Sekunden, nachdem er und seine Gefährten in Deckung gegangen waren, schoß eine gewaltige Stichflamme hoch. In ihrem Schein zerbarst der aus schweren Quadern und Steinen erbaute alte Turm. Er schien von Gigantenfäusten aus der Erde gerissen und dann zerfetzt zu werden. Gleich darauf brach der Donner der Explosion über Jose und die anderen herein. Dem Donner folgte die Druckwelle, die ihnen den Atem nahm. Anuk, der neben Jose lag, preßte sich an den Boden, denn nun brach ein Inferno um sie herum aus. Tonnenschwere Trümmer stürzten in den Hafen. Zwei dieser gigantischen Brocken krachten auf eine der ankernden Schatzgaleonen. So gewaltig war der Aufprall, daß das große Schiff ins Wasser des Hafens gestaucht wurde, bevor der Rumpf unter der ungeheuren Wucht des Aufpralls zerbarst und die Galeone regelrecht zerplatzte. Menschen, Masten, Rahen und Geschütze wurden durch die Luft geschleudert, dann schoß das Wasser in den geborstenen Rumpf. Ein weite rer, aber nicht so großer Brocken traf eine der ankernden
Kriegskaravellen und schlug ein Loch ins Hauptdeck. Dunkler Qualm schoß in den Himmel, Menschen liefen schreiend durch die Gassen Nuevitas, einige von ihnen wurden durch niederprasselnde Trümmer erschlagen oder verletzt. Die Galeone kenterte. Die Reste ihrer Takelage verfingen sich in den Masten der neben ihr ankernden anderen Schatzgaleone. Dann sackte das Schiff weg. Durch seine kostbare Ladung an Gold, Edelsteinen und Silber war es so schwer, daß es die neben sich ankernde Galeone, in die es sich verfangen hatte, mitzog. Dieses Schiff kränkte mehr und mehr nach Backbord, und dann kenterte es. Die Besatzung sprang über Bord, aber nicht alle entkamen schnell genug dem Sog der beiden sinkenden Schiffe. Der Hafen hatte sich innerhalb weniger Augenblicke in eine Stätte des Todes verwandelt, im Wasser kämpften spanische Seeleute verzweifelt um ihr Leben. Im Ort selbst brach Panik aus, alles rannte und hastete durcheinander, zum Teil trampelten sich die Menschen gegenseitig nieder. Capitan Roca war durch die Druckwelle vom Stuhl gefegt worden. Er prallte zu Boden, als die Scheiben des Palazzos zerbarsten und sich Tausende von Glassplittern in den Raum ergossen. Ein schwerer Felsbrocken durchbrach die Wand des angrenzenden Speisesalons und schlug alles kurz und klein. Don Fuega war ebenfalls zu Boden geschleudert worden. Als endlich wieder Stille eintrat und sich lähmend über die Bucht und Nuevitas ausbreitete, wagte sich Don Fuega nicht zu rühren. Er hatte keine Vor stellung, was geschehen war. Wahrscheinlich ist die »Sevilla« durch eine Unvorsichtigkeit explodiert, dachte er, während eine wohltuende Ohnmacht seine Sinne zu umnebeln drohte. Erst die harte Hand Capitan Rocas, die ihn brutal emporriß, brachte ihn in die raune Wirklichkeit zurück. Don Fuega wurde unbarmherzig durch den Raum getrieben, bis zum Fenster, in dem die Scheiben fehlten. Unter seinen Füßen knirschten die
Splitter des geborstenen Glases. Der Capitan blutete aus etlichen Wunden, die ihm die Glassplitter gerissen hatten, aber das kümmerte ihn nicht. »Ich verlange eine Erklärung, Senor Fuega!« brüllte er und deutete zum Hafen hinunter, in dem eben die zweite Schatzgaleone kenterte und versank. Dann wies er auf den pechschwarzen Qualm, der sich über der Bucht ausbreitete von dorther, wo der Pulverturm gestanden hatte. Don Fuega starrte auf das Inferno. Er spürte nicht einmal, wie ihn Capitan Roca voller Wut beutelte. »Erklärung?« ächzte er nur, und vor seinen Augen tanzten feurige Kreise. »Ich habe keine Erklärung, ich...« Schatten huschten heran, schwangen sich plötzlich durch die Fenster und fielen über Capitan Roca und Capitan Mateo, der sich gerade aufrappelte, her. Der Capitan gab dem Alkalden einen heftigen Stoß, der ihn in eine Ecke des Raumes katapultierte. Dann riß er seinen Degen heraus und stürzte sich auf die schattenhaften Angreifer, die von überall zugleich auf ihn einzudringen schienen. Roca war ein Kämpfer, der seine Waffen beherrschte. Zwei der Angreifer säbelte er nieder, dann durchschnitt eine laute Stimme den Raum. »Laßt sie, nur wenn ihr den Alkalden, dieses Schwein findet, schlagt ihn tot!« Und dann brüllte dieselbe Stimme einen Namen. »Maria! Maria! Wo steckst du? Wir holen dich raus, antworte!« Undeutlich ertönte aus den oberen Stockwerken eine Antwort, mehr ein verzweifelter Schrei, wie der Capitan registrierte. Die Angreifer ließen von ihm ab, er sah, wie sie die breite Treppe hinaufstürmten. Capitan Roca blickte sich schweratmend um - nur Mateo war da. Seine Soldaten schienen von den Unbekannten überwältigt
worden zu sein. »Los, Mateo!« brüllte der Capitan und stürmte jetzt ebenfalls die Treppe hoch, den Degen in der Faust. Er übersah den dunklen Schatten, der sich hinter einer Säule hervorschnellte und ihm eine Keule auf den Schädel schmetterte. Roca spürte nur noch, wie etwas in seinem Gehirn explodierte, dann stürzte er rücklings die teppichbelegten Stufen hinunter. Sein erster Offizier sah noch, während er sich erbittert seiner Haut wehrte und den bewußtlosen Capitan zu schützen versuchte, wie die unbekannten Angreifer im ersten Stock auftauchten. Einer von ihnen trug eine Frau oder ein junges Mädchen auf seinen Armen. Als Mateo sich auf ihn stürzen wollte, hielt er ihm eine Pistole entgegen. »Zurück, oder ich bringe Sie um! Ich will es nicht, denn ich bin Spanier wie Sie, Senor.« Mateo wich voller Verblüffung einen Schritt zurück. Im selben Moment streckte auch ihn ein Hieb auf den Schädel zu Boden. Er sah nicht mehr, wie Jose, Anuk, die Indios und die Gefangenen, die Anuk aus dem Turm befreit hatte, davonstürmten, Jose mit Maria auf den Armen. Einer der Gefangenen warf einen Kerzenleuchter in den Speisesalon, und als das nicht sofort Wirkung zeigte, schleuderte er noch eine der Öllampen, die das Portal erhellten, hinterher. Sofort leckten Flammen hoch und griffen rasend schnell um sich. Nur herbeistürmenden Soldaten, die sofort mit einem der Boote an Land gerudert waren, verdankten Capitan Roca, sein erster Offizier und Don Fuega es, daß sie nicht in den Flammen jämmerlich verbrannten. Sie schleppten den Capitan zum Hafen hinunter und brachten
ihn an Bord. Dort versorgte ihn der Arzt der »Sevilla«, während Mateo und Don Fuega bereits an Land verarztet worden waren.
Ein paar Stunden später herrschten wieder Ruhe und auch leidliche Ordnung in Nuevitas. Der Palazzo brannte immer noch, der Schein der lodernden Flammen warf Reflexe über das dunkle Wasser der Bucht, in der jetzt nur noch die beiden Kriegskaravellen und die »Sevilla« ankerten. Wo der Pulverturm gestanden hatte, klaffte in den Felsen ein tiefer Krater. Der Alkalde saß, streng bewacht von zwei Seesoldaten, in der Kammer des Capitans. Mateo war gerade dabei, einen der Schiffschreiber holen zu lassen. Capitan Roca, dessen Schädel unerträglich schmerzte, sah den Alkalden an. »Ein letztes Mal, Senor Fuega: Was für eine Bewandtnis hat es mit jener Maria? Wenn Sie mir nicht augenblicklich antworten, lasse ich Sie durch Ihre eigenen Leute nach Ihren Methoden foltern, bis Sie reden. Die spanische Krone hat zwei wertvolle Schatzgaleonen verloren, Gefangene sind ausgebrochen, Tote sind zu beklagen. Das alles scheint mir auf Ihr Konto zu gehen, auch wenn ich die Aufrührer unnachsichtlich bestrafen lassen werde, sobald mein eigentlicher Auftrag erledigt ist. Aber ich will wissen, was hier geschehen ist. Sofort. Reden Sie!« Roca hatte sich erhoben und stand jetzt unmittelbar vor dem Alkalden. Seine Miene zeigte äußerste Entschlossenheit. Der Schreiber erschien. Fuega brach der Schweiß aus, aber er schwieg immer noch. »Gut, wie Sie wollen.« Roca wandte sich ab. »Holt die Folterknechte, bereitet auf dem Geschützdeck alles zur Folter
vor!« Einer der Seesoldaten verschwand. »Nein!« Fuega schrie das Wort in den Raum. »Nein! Ich werde reden, Senor Capitan, keine Folter, bitte!« wimmerte er und warf sich zu Boden. Roca sah ihn kalt an. Dieser Fuega war genauso erbärmlich, wie er ihn eingeschätzt hatte. »Also, ich höre. Schreiber, Sie protokollieren mit!« Fuega redete. Zwar versuchte er immer wieder, zu beschönigen, aber das half ihm bei Capitan Roca wenig. Als er fertig war, war er schweißnaß am ganzen Körper. Angstvoll starrte er den Capitan an. Roca winkte den Schreiber heran. Dann nahm er ihm das Protokoll ab und verlas es. Anschließend legte er es auf den Tisch in seiner Kammer. »Unterschreiben Sie, Fuega«, sagte er, und seine Stimme hatte einen unheilvollen, düsteren Klang. Er wartete, bis der Alkalde unterzeichnet hatte. Dann nahm er das Protokoll wieder an sich. »Sie werden wie besprochen die Aktion Tortuga durchführen und dann den Seewolf und seine Spießgesellen verhören. Nach unserer Rückkehr«werde ich entscheiden, was mit Ihnen geschieht. Sollten Sie einen Fluchtversuch unternehmen, werden Sie entweder sofort erschossen oder bei Wiederergreifung auf der Stelle gehängt. Und jetzt weg mit Ihnen, Capitan Mateo wird Ihnen Ihre Kammer anweisen!« Der Alkalde verschwand. Für den Moment war er gerettet, und nur das zählte. Eine Stunde später liefen die drei Schiffe aus der Bucht von Nuevitas aus. Sie mußten gegen den von Norden wehenden Wind von ihren Booten gezogen werden. Es war eine mühselige Prozedur, die Stunden dauerte. Dann aber blähten sich ihre Segel im Wind, und sie nahmen Kurs auf Tortuga.
4. Während alles dies geschah, herrschte auf der SchlangenInsel Hochbetrieb. In der Bucht hinter dem Felsentor befanden sich drei Schiffe: die »Isabella«, die »Le Vengeur« und der Schwarze Segler. Letzterer lag im hinteren Teil der Bucht vor einem Stück weißen Sandstrandes. Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann der »Isabella«, hatte gerade vor ein paar Stunden den ersten Teil der Arbeiten an diesem Schiff abgeschlossen. Das Unterwasserschiff des Schwarzen Seglers war von Algen und Muscheln befreit, alle Planken und Verbände kontrolliert. Und das Ergebnis hatte Ferris Tucker verblüfft. Diesem Rumpf schienen weder die Jahre noch Wind und Wetter etwas anha ben zu können. Ferris Tucker schüttelte wieder einmal zweifelnd den Kopf, während er abschließend eine der Planken an der Steuerbordseite überprüfte, die beim ersten Hinsehen einen verwitterten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Der Wikinger, der neben ihm stand und die ganze Zeit zusammen mit Tucker und seinen Mannen am Unterwasserschiff geschuftet hatte, grinste. »Ho, Freund«, sagte er, »warum soll es dir besser gehen als mir? Ich begreife auch nicht, was diese Fremden mit dem Holz angestellt haben. Ein normales Schiff wäre in all den Jahren, die es in der Bucht von Little Cayman gelegen hat, längst verrottet. Nicht einmal eure Jsabella hätte das überstanden, und die ist bestimmt erstklassig!« Tucker bedachte den Wikinger mit einem langen Blick - und wieder mußte er grinsen. Thorfin Njal war schon eine Nummer. Ein Riesenkerl, größer und schwerer als er selbst. Ein wandelnder Muskelberg, dem es aber an Grips durchaus nicht fehlte. Nur seine äußere Aufmachung! Er war in graue Felle
gekleidet, die die Hüften und normalerweise auch den Rücken und die gewaltige Brust bedeckten. Dazu trug er Riemensandalen, deren Riemen nach Wikingermanier um die Waden geschnürt waren. Das Prunkstück Thorfin Njals aber war sein Helm, den er auch jetzt, in der glühenden Hitze nicht ablegte. Ein Ungetüm aus Kupfer, das seinen Schädel umschloß. Dem fehlen bloß noch die Hörner, wie sie die Nordmänner einst trugen, dachte der Schiffszimmermann, aber er sagte es nicht laut. Und so wie Thorfin Njal sahen auch die anderen vier Wikinger aus, die mit ihm die Schlacht in der Windward Passage überlebt hatten. Sie bildeten zusammen mit Thorfin eine Art Leibgarde für Siri-Tong, die Rote Korsarin. Aus Gründen, die Ferris Tucker nie begriffen hatte, hatte sich der Wikinger darauf eingelassen, als Siri-Tongs erster Steuermann und Partner auf dem schwarzen Segler zu fahren. Der Henker mochte wissen, warum dieser Koloß von einem Kerl sich auf solche Sachen einließ. Aber zwischen Siri-Tong und dem Wikinger gab es etwas, von dem nicht einmal der Seewolf wußte, was es war. Und auch die Rote Korsarin schwieg sich darüber beharrlich aus. Dem Wikinger war das Grinsen Tuckers nicht entgangen. Er fuhr sich mit der Rechten durch den eisgrauen Bart, in dem sich aber immer noch ein kräftiger Rotschimmer befand. »Ich weiß, woran du eben wieder gedacht hast«, sagte er. »Aber wenn ihr Seewölfe euch samt und sonders auf den Kopf stellt oder euch eure Mäuler zerreißt über uns - unsere Felle und unsere Helme haben ihren Grund, punktum. Aber erkläre mir jetzt lieber, wieso dieses Holz das alles ausgehalten hat, ohne die geringste Spur von Verfall zu zeigen?« Ferris Tucker schüttelte den Kopf. »Ich kann es dir auch nicht sagen, obwohl ich einiges davon verstehe. Die fremden Zopfmänner müssen entweder über ein Holz verfügen, das wir
nicht kennen, das es bei uns gar nicht gibt, oder sie haben es vor dem Zusammenbau einer Spezialbehandlung unterzogen.« Er hob die Schultern. Der Wikinger kratzte sich am Helm - weiß der Teufel warum. Aber es war eine seiner verrückten Angewohnheiten und irritierte Ferris Tucker immer wieder aufs neue. »Das würde dann aber unter Umständen bedeuten, daß dieses Schiff in jenem fremden Land gebaut worden sein muß, über das sich Siri-Tong auch mir gegenüber so standhaft ausschweigt. Nur, wie paßt das alles zu jenem Schiff, das euch diese geheimnisvolle Botschaft auf die Jsabella geschossen hat und über die Siri-Tong so sehr beunruhigt ist? Es war nach alledem, was sie oder Hasard mir darüber berichtet haben, von ganz anderer Bauart, mit versetzten Masten und so einer Art Mattensegeln. Es muß so ausgesehen haben wie jene, die ihr damals im Saragossameer entdeckt habt, zumindest ähnlich. Dieses Schiff aber, das ist so gebaut wie alle Schiffe, die ich kenne. Nur eben aus einem unbekannten Holz. Und wenn du weiter nachdenkst, Ferris, dann müssen also Schiffe dieser Art bereits in jenes fremde Land gesegelt sein, und die Zopf männer haben sie dann nachgebaut. Ich denke über diese Sache schon eine ganze Weile nach, ich habe auch Siri-Tong bereits danach gefragt, aber sie gibt auf solche Fragen keine Antwort. Sie schweigt einfach, bis mir mal wieder die Geduld reißt, Und das ist wahrscheinlich schon verdammt bald der Fall!« Wieder grinste Ferris Tucker, obwohl die Überlegungen des Wikingers durchaus Hand und Fuß hatten. »He, Thorfin, du willst doch wohl deinen Kapitän nicht verprügeln oder?« Wieder kratzte sich der Wikinger am Helm. »Na ja, darüber muß ich wirklich noch mal nachdenken. Aber vielleicht erinnere ich mich in dem Moment dann auch daran, daß wir ja ebenfalls Partner sind, Siri-Tong und ich. Das Schiff
gehört uns zu gleichen Teilen. Und dann ist es doch etwas anderes, wie, was?« äffte er Carberry nach, weil er sah, daß der Profos seinen narbigen Schädel ge rade über das Schanzkleid streckte. »Verdammt noch mal, ihr lausigen Decksaffen!« brüllte er aufgebracht. »Wir hier oben schwitzen uns vor lauter Schufterei die Seele aus dem Leib, und ihr steht da unten und quatscht dusselig rum! Hör zu, du behelmter Nordpolaffe: Wenn ihr nicht augenblicklich wieder in die Hände spuckt und zupackt, dann säuft sich der alte Carberry den Ranzen so voll, daß er erst am Kap der Dämonen wieder aufwacht, ist das klar? Und jeder, der Lust hat, kann mitsaufen. So, jetzt wißt ihr Bescheid, ihr Rübenschweine!« Carberry wollte noch etwas sagen, aber irgend jemand trat von hinten auf ihn zu und sagte etwas zu ihm. Wer es war, konnten sie von unten nicht sehen. Carberry verschwand für einen Moment, aber dann erschien sein Rammkinn wieder über dem Schanzkleid. »Los, setzt euch in Bewegung, ihr beiden lausigen Kakerlaken. Hasard will uns sprechen. Siri-Tong ist schon bei ihm, Ribault und von Hütten ebenfalls. Das Boot liegt drüben in der Bucht, und wenn ihr euch nicht beeilt, dann könnt ihr von mir aus schwimmen!« Carberry warf einen grimmigen Blick zur »Isabella« hinüber, die weiter draußen in der Bucht vor Anker lag. Ferris Tucker packte seine riesige Zimmermannsaxt fester. »He, Carberry! Wenn du mich noch einmal eine lausige Kakerlake nennst, dann ziehe ich dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch ab, und zwar mit dieser Axt hier, klar?« Der Profos starrte ihn an, als verstünde er die Welt nicht mehr. »Wie? Was? Mir die Haut in Streifen vom...« Seine weiteren Worte gingen in dröhnendem Gelächter unter, und schließlich bog sich der Profos selber vor Lachen.
Ferris und der Wikinger gingen gemeinsam zum Boot hinüber, das auf dem Strand der Bucht lag. W,einige Augenblicke später schoben sie es zusammen mit Carberry ins Wasser und begannen zu pullen. Carberry hatte den Platz an der Ruderpinne übernommen. Sie näherten sich rasch der »Isabella«. Aber trotzdem blieb für ein paar Fragen noch genügend Zeit. »Was hat Big Old Shane über die Geschütze gesagt, Ed?« forschte der Wikinger. Carberry wiegte den Kopf. »So richtig draus schlau geworden bin ich nicht, Thorf in. Sie sind absolut in Ordnung, haben aber ein verdammt großes Kaliber, das sich nach unseren Maßen nicht genau bestimmen läßt. So was um die fünfundzwanzig Pfund, meinte Shane, ganz schöne Brocken. Zwölf an jeder Seite, damit kannst du so manchen in Stücke schießen. Was anderes haben wir auch entdeckt. Gestelle, ähnlich wie Ferris sie schon mal für die Brandsätze gezimmert hat Aber diese hier sind aus Bronze. Im Vor und Achterschiff befinden sich Luken, hinter denen auch Verankerungen sind, in denen die Gestelle befestigt werden können. Außerdem haben sich noch einige von diesen teuflischen Brandsätzen gefunden. Wir sind gerade vorhin wieder auf eine versteckte Kammer gestoßen, die randvoll von den Dingern ist. Aber sie sehen zum Teil anders aus als unsere. Sowohl Shane als auch Al Conroy haben die Kammer erstmal wieder fest verschlossen. Sie trauen den Dingern nicht so recht. Siri-Tong soll sie sich erst ansehen, ehe entschieden wird, was mit ihnen geschehen soll.« Der Wikinger kniff die Augen zusammen. »Verdammt, warum habt ihr uns nicht gerufen, Ed?« Der Profos schob sein Rammkinn vor. »Weil wir alle Hände voll zu tun hatten, einen neuen Fockmast einzusetzen, du Hammel. Dabei stießen wir so ganz nebenbei auf diese Kammer, deren Existenz man sonst nicht ahnt. Das ist
überhaupt ein ganz vertracktes Schiff, Thorf in. Ich sage dir, das Ding steckt immer noch voller Geheimnisse, diese Zopfmänner müssen seltsame Kerle gewesen sein, Geheimniskrämer besonderer Güte. Wahrscheinlich hat keiner der Mannschaft diesen schwarzen Segler wirklich gekannt, von El Diabolo ganz zu schweigen. Wie der bloß an das Schiff gekommen sein mag?« Carberry hatte damit etwas ausgesprochen, was allen immer wieder arge Kopfschmerzen bereitete. Rein äußerlich glich der schwarze Segler mit seinen vier Masten durchaus einem ganz normalen Schiff, wie sie es alle schon gesehen hatten. Daß die Rumpfform etwas anders war, etwa eine gelungene Mischung aus Galeone und Dschunke, jedenfalls soweit es Vorder und Achterkastell betraf, war nicht weiter schlimm. Aber das Innere des schwarzen Seglers barg ziemliche Überraschungen. Angefangen bei Hohlräumen, die man nur per Zufall entdeckte und die dann voller Gold und Juwelen waren, bis hin zu jener Truhe mit den Karten, die die Zopfmänner durch einen gefährlichen und unbedingt tödlichen Mechanismus gegen jedes unbefugte Öffnen zu schützen gewußt hatten. Sogar SiriTong, die offenbar eine Menge über alle diese Dinge wußte, hatte der giftige Dorn, der beim Öffnen der Truhe hervorgeschnellt war, beinahe erwischt. Überhaupt - Siri-Tong wurde den Seewölfen immer rätselhafter. Sie hatte die gleichen Augen wie jene Zopfmänner, auch fast deren Haut färbe, aber sie schwieg und war durch kein Zureden zu bewegen, etwas über jenes fremde Land auszusagen. Das Boot hatte die »Isabella« erreicht. Old OFlynn warf ihnen eine Leine zu. »Wird auch verdammt Zeit, daß ihr euch endlich mal herbemüht, Freunde!« schimpfte er und grinste dabei gleichzeitig. »Hasard wartet schon ungeduldig auf euch. Shane, Al Conroy, Ben Brighton und natürlich Siri-Tong sind bei ihm.
Wenn mich nicht alles täuscht, dann gehts bald ankerauf.« »Und wohin, Alter?« fragte Ferris zurück. »Wenn ich das wüßte, dann brauchte ich nicht hier rumzustehen und rumzurätseln. Los, an Bord mit euch, ich kümmere mich um das Boot!« Mit einer für sein Holzbein unglaublichen Gewandtheit schwang sich Old OFlynn über Bord und enterte ab. Carberry und die anderen sahen sich an. »Na, mal sehen, was unser Freund Hasard wieder ausgebrütet hat«, murmelte der Wikinger und schwang sich an Bord der »Isabella VIII.«, die ihm wegen ihrer modernen Linienführung immer wieder Respekt abnötigte.
Der Seewolf lud sie mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen, nachdem sie seine Kammer betreten hatten. Siri-Tong saß auf der Kante des schweren Tisches, der in der Mitte der geräumigen Kammer stand und mit den Bohlen des Fußbodens fest verbunden war. Dabei kamen ihre Rundungen unerhört vorteilhaft zur Geltung, und natür lich war auch die Bluse wieder um einen Knopf zu weit auf, so daß der Ansatz ihrer apfelsinengroßen, festen Brüste gut zu sehen war. Sogar noch etwas mehr. Carberry konnte nicht anders, er starrte Siri-Tong an. Nicht grinsend, sondern eher nachdenklich, was die Rote Korsarin mit einem undefinierbaren Blick aus ihren schrägen Augen quittierte. Aber sie sagte nichts, sie wußte, daß Carberry eine Schwäche für sie hatte, und sie mochte diesen wilden und rauhen Burschen gern. »Ed, komm wieder zu dir«, raunte der Wikinger ihm zu und schob ihn kurzerhand weiter. Hasard hatte sich gerade über eine der Karten gebeugt, er schien irgendeine Stelle zu suchen. Doch dann richtete er sich
auf und streifte dabei Siri-Tong. Unter seiner Berührung zuckte die Rote Korsarin zusammen, glitt dann jedoch mit einer blitzschnellen Bewegung vom Tisch. Der Seewolf schenkte bereitgestellte Becher voll Rum. Carberry warf ihm einen langen Blick zu. Er kannte das. So überraschende Bewirtungen bedeuteten zumeist, daß der Seewolf einen außergewöhnlichen Entschluß gef aßt hatte. Hasard hob den Becher, trank und setzte ihn dann ab. »Zur Sache«, sagte er. »Ich habe euch hergebeten, um euch zweierlei zu sagen. Erstens, die Jsabella läuft noch heute aus, sobald die Wasserverhältnisse es gestatten und uns das Riff freigeben. Der BostonMann hat Siri-Tong auf etwas hingewiesen, was ich durchaus für beachtenswert halte. Ich hatte ihn mit hierhergebeten, ich denke, er wird noch aufkreuzen.« Der Seewolf hatte es gerade ausge sprechen, als Rufe an Deck der »Isabella« laut wurden. Deutlich erkannten sie die Stimmen von Old OFlynn und die von Bill, dem neuen Schiffsjungen der »Isabella«. »He, BostonMann, warum erscheinst du erst jetzt?« nörgelte Old OFlynn. Aber von dem schweigsamen Steuermann Siri-Tongs, der auch auf dem schwarzen Segler zur Schiffsführung gehörte, erhielt er keine Antwort. Statt dessen polterten gleich darauf Schritte über Deck, und dann wurde die Tür zu Hasards Kammer von Bill, dem schmächtigen Bürschchen mit den kohlschwarzen Haaren,aufgerissen. »Der BostonMann, Sir!« meldete er Hasard den neuen Besucher. Hasard nahm die Meldung todernst entgegen. »Danke, Bill, komm her, nimm Old OFlynn auch einen Becher Rum mit, damit seine Laune wieder etwas besser wird!« Bill spritzte heran, und Hasard drückte ihm einen randvoll geschenkten Becher in die Hand, den er dann vorsichtig nach
draußen balancierte. »Ein brauchbares Kerlchen«, stellte Ed Carberry fest. »Aus dem wird noch etwas, werde mich mal mehr um ihn kümmern.« »Aber laß gefälligst die Haut auf seinem kleinen Affenarsch, klar?« erwiderte Ferris Tucker grinsend. »Oder du kriegst es mit mir zu tun!« Carberry grinste ebenfalls. »Klar, Ferris. Das Bürschchen muß erst noch etwas wachsen, bevor man ihm...« Hasard unterbrach das Geplänkel. »Hört zu!« Er reichte auch dem BostonMann einen Becher mit Rum. »Der BostonMann hat Siri-Tong auf einen wichtigen Punkt hingewiesen. Die Spanier sind durch die Schläge, die wir ihnen in letzter Zeit zugefügt haben, bestimmt wütend. Sie werden nach uns suchen, und sie können das auch. Denn sie verfügen in diesem Seegebiet über eine ganze Reihe von schwerbewaffneten Galeonen. Der BostonMann meint, daß wir die SchlangenInsel so rasch wie möglich verlassen sollten, wenn unser Schlupfwinkel auch weiterhin unentdeckt bleiben soll. Wobei es keine Rolle spielt, ob die Spanier durch das Tor per Zufall eindringen. Denn heraus können sie dann nie wieder. Von den anderen Seiten her ist eine Landung bei einem massierten Angriff zwar schwierig, aber keineswegs unmöglich. Es ist tatsächlich besser, wenn wir hier mal für eine Weile verschwinden. Siri-Tong konnte zwar ihren roten Zweimaster hier verstecken, aber mit drei Schiffen ist das eine andere Sache. Kurz gesagt: der schwarze Segler ist fast seeklar - stimmt doch, Thorf in?« Der Wikinger nickte. »Sobald die Takelage in Ordnung ist und wir die neuen Segel zurechtgenäht haben, ist alles klar. Den Rest bringen wir auf See in Ordnung.« »Aber ihr braucht eine Besatzung, und zwar so rasch wie
möglich. Siri-Tong und ich werden mit der ,Isabella nach Tortuga segeln und sehen, was sich dort an brauchbaren Männern finden läßt. Du, Thorf in, solltest uns begleiten, denn es geht auch um deine Besatzung. Ebenfalls der BostonMann. Wenn wir zurück sind, ist der schwarze Segler klar, dann laufen wir aus. Unser Freund Ribault und auch von Hütten werden in der Karibik bleiben. Wir segeln zum Kap der Dämonen und von dort die Küste wieder ein Stück hoch. Und dann«, der Seewolf legte eine Pause ein und blickte die Männer der Reihe nach an, zuletzt blieb sein Blick auf Siri-Tong hängen, »und dann nehmen wir Kurs auf jenes fremde Land, von dem wir nichts weiter wissen, als daß es viele Geheimnisse birgt.« Siri-Tong blitzte den Seewolf an. »Du bist der halsstarrigste Mann, den ich je kennengelernt habe!« fauchte sie ihn an, und ihre schrägen Augen verengten sich noch mehr. »Ich habe dich gewarnt, euch alle. Dich auch, Thorfin Njal. Aber ihr wollt nicht hören. Gut, so segelt in euer Verderben. Aber ich lasse euch nicht allein segeln, dann habt ihr nämlich überhaupt keine Chance mehr, zu überleben. Ihr ahnt ja nicht, auf was ihr euch da einlaßt!« Plötzlich wich der Roten Korsarin alle Farbe aus dem Gesicht. Für einen Moment stand sie wie gelähmt da. Sie dachte an die Botschaft, die ihr die Zopfmänner in den Hauptmast der »Isabella« geschossen hatten. »Nie wirst du entkommen. Wir werden dich an jedem Punkt der Weltfinden!« Aber sie faßte sich rasch wieder, und das Blut schoß in ihre Wangen zurück. »Überlegt es euch noch einmal. Überlegt es euch gut, bis wir zurück sind von Tortuga. Denkt an den Spruch, deh ihr auch auf dem schwarzen Segler vorgefunden habt: Wer hier eingeht, des Leben ist für immer verwirkt!« Sie sah die Männer noch einmal an, dann verließ sie die
Kammer des Seewolfs. Zwischen den Männern herrschte betretenes Schweigen. Hasard war der erste, der es brach. »Ich habe mich entschlossen, in dieses fremde Land zu segeln, und ich werde es tun. Wenn wir aus Tortuga zurück sind, werden wir abstimmen. Nur Freiwillige sollen mich auf dieser Reise begleiten.« Ferris Tucker trat auf den Seewolf zu. »Du glaubst doch nicht im Ernst, Hasard, daß auch nur einer von uns zurückbleibt?« sagte er, und in seiner Stimme schwang ein bedrohliches Grollen mit. Carberry nickte, Big Old Shane und die anderen stimmten dem rothaarigen Hünen ebenfalls zu. Hasard blickte die Männer an. »Nein, ganz sicher wird * keiner zurückbleiben wollen. Aber trotzdem werden wir alle fragen, jeder soll das ganz allein für sich entscheiden. Vergeßt eines nicht: Jeder von uns ist reich genug, um ein eigenes und völlig selbständiges Leben zu beginnen, ohne daß er jemals wieder in materielle Not geraten würde.« Die Männer verstanden ihn. Aber Hasard war noch nicht fertig. »Ich glaube Siri-Tong aufs Wort, wenn sie uns vor diesem Land und seinen Gefahren warnt. Sie scheint von dort zu stammen, so ist es doch, Thorfin?« Thorfin Njal nickte. »Du weißt mehr als wir, Thorfin«, setzte Hasard nach. »Erzähl uns jetzt, was du weißt, das bist du uns schuldig.« Thorfin Njal richtete sich hoch auf. Seine grauen Augen blitzten. »Du bist mein Freund, Seewolf. Aber Thorfin Njal ist kein Verräter. Ja, es stimmt, die Rote Korsarin hat mir einiges aus ihrem Leben anvertraut. Sie hat mir sogar beigebracht, jene geheimnisvollen Schriftzeichen zu entziffern, jedenfalls einen
Teil von ihnen. Und Siri-Tong und mich verbindet auch etwas, wovon ihr keine Ahnung habt. Das ist auch der Grund, warum ich als ihr erster Steuermann auf dem schwarzen Segler mit ihr fahre, wenn es sein muß, geradewegs in die Hölle. Aber ich werde zu niemandem darüber sprechen, auch zu dir und deinen Seewöl fen nicht, ehe sie zustimmt. Frage mich also vorher nie wieder, Seewolf!« Wieder herrschte Schweigen in der Kammer im Achterkastell der »Isabella VIII.«, durch die Fenster des Achterkastells fiel gedämpftes Licht herein. Der Wikinger brach das Schweigen, das über ihnen allen lastete. »Ho, Jungs, schenkt uns allen noch einen Rum ein, der vertreibt die schlimmen Gedanken. Und nichts für ungut, Seewolf, aber du würdest dich nicht anders verhalten!« Es wurde noch mancher Becher getrunken, dann kehrten die Männer an Deck zurück. Ferris Tucker wollte gerade abentern, um in das längsseits liegende Boot zu steigen, als der Seewolf ihn zurückhielt. »Ferris, fast hätte ich es vergessen. Du, Shane und Al Conroy, ihr arbeitet am schwarzen Segler weiter. Und zwar mit vollem Wind ...« Tucker hatte sich umgedreht. »Ich rate ab, Hasard. Shane oder ich. Aber nicht beide und schon gar nicht Al Conroy. Wer, zum Teufel, soll die Geschütze unserer Lady bedienen, wenn das notwendig werden sollte? Vergiß nicht, daß die Jsabella sowieso eine zahlenmäßig recht schwache Besatzung hat, auch wenn jeder von uns für fünf andere gut ist. Aber an den Culverinen hat auch von uns jeder nur zwei Arme und zwei Hände!« Hasard biß sich auf die Lippen. Tucker hat recht, verdammt recht sogar. »Gut«, sagte er dann, und er konnte nicht verhindern, daß
eine leichte Röte sein Gesicht überzog, »du oder Shane, macht das unter euch aus.« Tucker nickte. »Schon entschieden, Hasard. Shane bleibt, denn die Arbeiten, die jetzt auf dem schwarzen Segler notwendig sind, meistert er besser als ich. Ich bin Zimmermann, aber Shane ist ein hervorragender Schmied.« Ferris Tucker verschwand. Er mußte noch ein paar Sachen vom schwarzen Segler holen, außerdem blieb noch Zeit, verschiedene Arbeiten abzuschließen oder anzukurbeln für die Tage, die er fort war. Mit Sonnenaufgang des nächsten Tages, als das Wasser die notwendige Höhe erreicht hatte, glitt die »Isabella« über das Höllenriff in die Dunkelheit des Felsendoms. Siri-Tong stand am Ruder, denn noch immer kannte sie die äußerst schmale Passage am besten. Um so mehr, als das Wasser seinen höchsten Stand noch nicht erreicht hatte. Als das Schiff über das gezackte Höllenriff glitt, starrten zwei kalte Augen den Rumpf der Galeone an. Ein paar mächtige Saugarme schossen aus der Tiefe hoch und tasteten den Kiel des Schiffes ab. Sie zogen sich erst wieder zurück, als die Isabella im Felsendom verschwand und das offene Wasser wenig später erreichte. Bill, der auf der Achtergalerie stand, weil er eben die Kammer des Seewolfs aufgeklart hatte, sah im klaren Wasser einen mächtigen, dunklen Schatten davonschießen. Er ahnte in diesem Moment noch nicht, daß er diesem Schatten noch einmal begegnen sollte, aber unter ganz anderen Umständen. Die »Isabella VIII.« nahm Kurs auf die CaicosInseln, um von dort aus dann nach Tortuga zu segeln. Der Wind stand günstig, und über der Karibik spannte sich ein strahlendblauer Himmel, Das Schiff lief gute Fahrt, und sogar der Profos lag faul auf dem Vorderkastell in der Sonne. »Ein Wetterchen zum Eierlegen«, sagte er zu dem
Schiffszimmermann und grinste dabei. Ferris Tucker grinste zurück. »Tu dir bloß keinen Zwang an«, erwiderte er. »Aber mit deinen krummen Eiern kannst du höchstens die Haifische füttern!« Die beiden Männer verstummten, denn die Rote Korsarin schlenderte heran, und ihre schrägen Augen richteten sich auf die beiden in der Sonne liegenden Männer. Carberry richtete sich langsam auf. »Hm, Ferris, ich glaube, wir beenden die Ruhepause mal wieder, oder die Kerls schlafen uns endgültig ein.« Damit verließ Carberry seinen Sonnenplatz auf dem Vorderkastell, und Ferris Tucker grinste hinter ihm her. Um die Blicke Siri-Tongs kümmerte er sich nicht im mindesten. 5. Am frühen Vormittag des dritten Tages scheuchte die helle Stimme Bills, des neuen Schiffsjungen der »Isabella«, die Männer hoch. Er hockte zusammen mit Dan im Ausguck des Großmastes, und seit Stunden hatte er sich fast die Augen aus dem Kopf gestarrt. Dan warf Bill einen anerkennenden Blick zu. Der schmächtige, magere Bursche hatte sich inzwischen ganz schön gemausert. Außerdem hatte er scharfe Augen und einen wachen Verstand. Und Mut, das mußte man ihm lassen. »Land voraus in Sicht!« wiederholte Bill soeben seine Meldung und fixierte dabei gleichzeitig den runden Buckel der Insel Tortuga, die langsam aus der dunklen See emporwuchs. »He, Deck«, fügte er hinzu, »es ist Tortuga, die Schildkröteninsel!« Carberry, der narbengesichtige Profos, legte den Kopf in den
Nak ken. »In Ordnung, Bill, gut gemacht!« dröhnte seine gewaltige Stimme über Deck. »Aber jetzt runter mit dir vom Mast. Es gibt hier noch eine Menge zu tun, beeil dich, oder ich ziehe dir...« Der Profos unterbrach sich, als er Dans grinsendes Gesicht über der Marsverkleidung erscheinen sah und gleichzeitig den Schimpansen Arwenack keckem hörte, der offenbar vor Vergnügen auf einer Rah von einem Bein aufs andere sprang. »Also los, runter mit dir, Bill! Dan, du bleibst im Mast. Paß ja auf, ob sich irgendwo Masten zeigen, diese Gegend hier ist verdammt nicht ohne!« Irgend etwas vor sich hinmurmelnd ging er das Hauptdeck nach achtern entlang. »Ferris, Al - verflucht, wo steckt ihr denn eigentlich alle, zum Donnerwetter? Wollt ihr Rübenschweine nicht endlich mal die Geschütze gefechtsbereit machen? Oder glaubt ihr, der alte Carberry läuft mit der Lady so ein dreckiges Piratennest an, ohne eine gehörige Portion Eisen und Pulver in den Rohren zu haben?« Der Seewolf und Ben Brighton grinsten. Sie hörten auf dem Achterkastell das Gebrüll Carberrys. Und sie sahen, wie die Männer hoch spritzten, angetrieben jetzt auch von Smoky, dem Decksältesten der »Isabella«, und von Ferris Tucker. Thorfin Njal, der Wikinger, der zusammen mit Siri-Tong und dem BostonMann ebenfalls auf dem Achterdeck stand, kratzte sich wieder am Helm. »Ein guter Mann, dein Profos«, sagte er. »Ganz nach meinem Geschmack, der versäumt so leicht nichts. Und er hat recht. Dieses Rattennest von Tortuga sollte kein ehrlicher Seemann anlaufen, ohne eine gehörige Ladung in den Rohren der
Geschütze zu haben. Ich habe das Gefühl, Siri-Tong, daß Carberry mal ein paar Wochen zu uns an Bord steigen sollte. Dann würde er dort so manchem Affenarsch die Haut in Streifen abziehen, und zum Schluß würde ein gehöriger Teil der Besatzung unseres schwarzen Seglers mit gehäuteten PavianHintern an Deck herumhopsen!« Der Wikinger brach in dröhnendes Gelächter aus, und auch der sonst so ernste BostonMann konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Recht hast du, Wikinger«, sagte er nach einer Weile. »Wir werden bei uns an Bord andere Seiten aufziehen müssen, bis alles so klappt wie auf diesem Schiff hier!« Siri-Tong sah die beiden Männer an. »Meine Meinung ist hier wohl nicht gefragt, oder?« versetzte sie spitz, und dabei blitzten ihre dunklen Augen. Der Wikinger drehte sich langsam zu ihr herum, sein Kupferhelm funkelte in der Sonne. »Natürlich nicht, kleine Korsarin. Das Abhäuten von Affenärschen ist nun mal Männersache, oder möchtest du am Ende gar selber...« Die Rote Korsarin beherrschte sich nur mühsam, aber dann lachte sie plötzlich. »Du bist ein Ungeheuer, Thorfin Njal. Ein Walroß, eine alte Seekuh ...« Sie stockte plötzlich, denn wieder brach der Wikinger in tosendes Gelächter aus. »Hast du das gehört, BostonMann? Thorfin Njal, der Wikinger, ist eine alte Seekuh!« Er erstickte fast an seinem Lachanfall. Siri-Tong wandte sich ab. Sie ging zum Seewolf hinüber. »Hasard, was soll ich mit diesem Kerl bloß anfangen?« beschwerte sie sich, und dabei tanzten Lichter in ihren kohlschwarzen Augen. »Ich glaube, ich werde meinen ersten Steuermann eines Tages wegen Unbotmäßigkeit seinem
Kapitän gegenüber über Bord werfen lassen.« Ben Brighton mischte sich ein. »Das wäre sinnlos, Madam, die WindwardPassage hat es bewiesen«, sagte er. »Der Meergott persönlich würde ihn wieder an Bord Ihres Schiffes schaffen lassen. Nein, so werden Sie Thorfin Njal nicht los!« Am späten Vormittag lief die »Isabella« in die Bucht auf Tortugas Südseite ein. Ein paar kleinere Karavellen lagen da, aber sie alle sahen aus, als wären sie schon lange nicht mehr gesegelt worden. Hier und da lungerte eine verkommene Gestalt am Hafen herum und starrte der heransegelnden Galeone neugierig entgegen. Aber sonst wirkte der Hafen der Schildkröteninsel wie verlassen. Kein Vergleich mehr mit den Zeiten, in denen hier der Pirat Caligu das Zepter geschwungen hatte. Ferris Tucker stand mit einigen anderen Männern der Crew am Steuerbordschanzkleid. In ihren Fäusten hielten sie schon die Brassen für das bevorstehende Segelmanöver. Andere hingen in den Wanten oder standen auf den Rahen bereit, sofort auf Befehl Ben Brightons die Segel zu bergen. Die »Isabella«, die sich im Windschatten der Insel befand, bewegte sich nur noch langsam. Majestätisch glitt sie durch das dunkle Wasser, umschwommen von gierigen Haien, die wieder Beute witterten. »Gefällt mir nicht!« stieß Ferris Tucker hervor und packte seine Axt fester. »Gefällt mir ganz und gar nicht. Was sagst du dazu, Ed?« fragte er den neben ihm stehenden Prof os. Aber Carberry antwortete nicht. Er stieß lediglich sein Rammkinn vor und starrte aus zusammengekniffenen Augen in den Hafen. Und das war schlimmer als alles, was er hätte sagen können. Das scharfe Kommando Ben Brightons entriß die Männer ihren Gedanken. Sie stemmten sich in die Brassen, liefen über die Decks. Gleichzeitig begannen die Männer auf den Rahen,
die Segel zu bergen. Das Schiff verlor weiter an Fahrt, dann rauschte der Anker auf einen Befehl des Seewolfs in die Tiefe. Die Ankertrosse straffte sich, die »Isabella« stoppte. Aber niemand sah jenes Augenpaar, das der Galeone vom Zeitpunkt ihres Erscheinens vor dem Hafen an bis zum Ankern zuerst voller Schrecken, dann jedoch voller Haß entgegengestarrt hatte. Es verfolgte jede Bewegung an Deck, nichts entging diesen Augen. »Ihr seid wieder da«, murmelte die Frau, deren Gesicht durch drei lange Messernarben, eine davon kaum verheilt, auf schreckliche Weise entstellt war. »Ihr habt es gewagt und seid wiedergekommen!« stieß sie hervor, und ihre Stimme erstickte fast vor Haß. »Diesmal wirst du bezahlen, Seewolf, und wenn ich dich eigenhändig umbringen muß!« Juanita, die einstige Geliebte des gefurchteten Piraten Caligu, ahnte nicht, welche Gelegenheit sich ihr zur Rache an ihren verhaßten Feinden, vor allem aber am Seewolf, noch bieten sollte. Denn von See her nahten drei Schiffe, unsichtbar für Hasard und seine Männer. Und sie hatten ebenfalls Kurs auf die Schildkröteninsel genommen.
Hasard, Ben Brighton, Siri-Tong, der Wikinger und der BostonMann hatten sich an Land pullen lassen. Sie wollten sich auf der Insel nach ein paar geeigneten Männern umsehen. Edwin Carberry blickte ihnen nach. »Ich habe sie gewarnt«, murmelte er. »Auf so einer verdammten Pirateninsel nimmt man sich eine handfeste Crew mit, oder man kriegt allzuleicht eins auf die Rübe. Aber SiriTong und dieser verdammte Wikinger sind ja noch halsstarriger als die verfluchten Mulis, die uns damals zum
Golf von Darien transportiert haben. Man sollte diesen beiden doch glatt...« Dan und Old OFlynn, die beide neben dem Profos standen, grinsten. »Keine Sorge, Ed, der kriegt eines Tages auch noch eine auf seinen Blechhut, und leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen bekanntlich die Denkfähigkeit...« Der Profos fuhr herum. »Du bist doch das allergrößte Rindvieh unter Gottes Sonne, das mir je über den Weg gelaufen ist, Dan!« brüllte er den völlig Überraschten an. »Kapierst du mit deinem Spatzenhirn eigentlich gar nicht, daß ich gerade das vermeiden will? Denn wenn Thorfin eine auf seinen Blechhut kriegt, dann sind Hasard und die anderen auch dran, klar? Und was ist die Folge? Wir werden losrücken und sie heraushauen müssen. Dabei lassen wir dann unsere .Isabella zwangsläufig mit ein paar lausigen Figuren in diesem noch lausigeren Hafen zurück. Und was das bedeutet, das brauche ich dir ja wohl nicht erst zu erklären? Ich bin der letzte, der an Entscheidungen Hasards herummäkelt, aber die Siri-Tong hat ihm total den Kopf verdreht verständlicherweise, denn auch unser Seewolf ist nur ein Mann. Ist das nun endlich klar?« Der Profos schob sein Rammkinn drohend vor. Old OFlynn und Dan, von diesem Ausbruch total überrascht, starrten ihn an. Old OFlynn wollte eine Schimpfkanonade loslassen, aber Carberry fuhr ihn an. »Maul halten, verdammt noch mal. Los, Geschütze überprüfen, Drehbassen klarmachen. Und Himmelarschunddonnerwetter, beeilt euch!« Old OFlynn kochte über. »He, du verlaustes Rübenschwein, was sind denn das für Töne? Für wen hältst du dich eigentlich? Wenn ich ...« Der Profos packte ihn mit einem blitzschnellen Griff.
»Wenn du was?« fragte er, und dabei dämpfte er seine Stimme, bei ihm ein alarmierendes Zeichen. »Ben ist mit von der Partie, algo habe ich jetzt an Bord das Kommando. Und ich rate jedem, meine Befehle pünktlich und sofort zu befolgen. Wenn ihr noch immer nicht begriffen habt, in welch einem Halunkennest wir stecken, dann tut ihr mir leid. Außerdem spüre ich förmlich den Verdruß. Ich sage euch, da liegt was in der Luft!« Er sah auch die anderen Männer der Crew an, die neugierig herangetreten waren und einen Halbkreis um den wütenden Profos und die beiden OFlynns bildeten. Der hünenhafte Schiffszimmermann schlug sich auf Carberrys Seite. Auch Matt Davies stellte sich neben ihn. »Ed hat völlig recht. Es ist falsch, daß die fünf allein losgezogen sind. Ein paar von uns, bis an die Zähne bewaffnet, hätten die Aktion um einiges harmloser werden lassen. Ed hat recht, wir werden die ,Isabella sofort gefechtsklar machen. Besser ist besser!« Er drehte sich um. Mit einer Handbewegung scheuchte er die Männer zu den Geschützen. »Batuti, Smoky, Gary, Luke - ihr kümmert euch mit mir um die Drehbassen. Ferris, du solltest vorsichtshalber auch das Gestell für die Raketen an Deck holen. Die Dinger wirken Wunder, wenns nötig ist!« Tucker nickte grimmig, dann zog er los, nachdem er sich Dan OFlynn, Pete Ballie und Sam Roskill geschnappt hatte. Auf dem Weg zum Vorschiff griff er sich Bill, den Schiffsjungen. »In den Großmars mit dir, Junge. Halte mir die Augen offen, aber nach allen Seiten, klar?« Das Bürschchen, das die Nachfolge des inzwischen zum Mann herangereiften Dan übernommen hatte, nickte voller Eifer.
»Aye, aye, Sir!« schmetterte er mit seiner hellen Stimme und enterte wie der Blitz auf, gefolgt von Arwenack, dem Schimpansen, der längst enge Freundschaf t mit ihm geschlossen hatte. Bevor er im Innern des Schiffes verschwand, warf Tucker noch einen Blick in die Takelage. Die Segel waren von den Männern zwar aufgeholt, aber nicht richtig verzurrt worden. Und das sollte sich schon wenig später als äußerst wichtig erweisen. Nur ahnte der rothaarige Hüne davon in diesem Moment noch nichts.
Capitan Roca und sein erster Offizier Mateo standen auf dem Achterkastell der »Sevilla«. Die Galeone kämpfte mit dem widrigen Wind, der auf Nordost gedreht hatte und an Stärke Stunde um Stunde zunahm. Grimmig starrte Roca zur Schildkröteninsel hinüber, deren Buckel sich deutlich über der See abzeichnete. »Bei diesem Wind werden wir Schwierigkeiten haben, in den Hafen von diesem Piratennest einzulaufen. Ich ordne folgendes an, und Sie geben meinen Befehl bitte unverzüglich weiter, Senor Mateo. Eine der Karavellen, und zwar die ,Valencia bleibt draußen und kreuzt dort. Ihr Kommandant ist mir dafür verantwortlich, daß keiner der Piraten zu fliehen vermag, Schiffe, die dennoch den Hafen verlassen, sind unverzüglich zu vernichten. Die ,Cartagena ankert an der Hafeneinfahrt. Nur wir laufen ein. Die .Cartagena hat so zu ankern, daß ihre Geschütze die Hafeneinfahrt unter Kontrolle haben. Wir selber legen uns so, daß wir den Hafen und dieses verfluchte Nest vor den Mündungen unserer Kanonen haben. Lassen Sie jetzt das Kommando zusammenstellen, das an Land geht. Senor Fuega und seine Folterknechte bleiben zunächst an Bord, ich brauche sie später.«
Capitan Mateo salutierte, dann verließ er das Achterkastell. Inzwischen war der Buckel der Schildkröteninsel deutlich größer geworden. Tortuga lag nunmehr an Steuerbord voraus. Capitan Roca ließ die Galeone weiter nach Süden abfallen. Er wußte, daß es eine üble Schinderei werden würde, den Hafen Tortugas anzulaufen. Aber er verspürte wenig Lust, die Pirateninsel erst zu umrunden, was unter den herrschenden Windverhältnissen zwar einfacher gewe sen wäre, aber auch wesentlich länger gedauert hätte. Er beobachtete, wie Mateo Signale an die beiden Kriegskaravellen absetzen ließ und von beiden das »Verstanden« gemeldet wurde. Wieder warf er einen Blick auf die Schildkröteninsel. Er war fest entschlossen, das Versteck des Seewolfs und der Roten Korsarin aufzuspüren und zu vernichten. 6. MariaJuanita, die einstige Geliebte des gefürchteten Piraten Cali gu, der auf Tortuga eine Schreckensherrschaft errichtet hatte wie zuvor noch keiner, hatte die »Isabella« nicht aus den Augen gelassen. Denn der Haß auf den Seewolf und seine Männer, durch die sie alles verloren hatte und alle ihre Träume zunichte geworden waren, raubte ihr fast die Sinne. Einmal hatte sie sich auf dem Weg nach Spanien befunden, mit genügend Geld und Gold, um in Spanien genau das Leben zu führen, das sie sich in all den Stunden ihrer Demütigung als Prostituierte erträumt hatte. Der Seewolf war aufgekreuzt, hatte die Spanier angegriffen, be \ siegt, ein Sturm hatte den Verband spanischer Schiffe zersprengt, und mit all ihren Träumen war es vorbei gewesen.
Dann war sie Caligu in die Hände gefallen, einem riesenhaften Kerl von einer solchen Brutalität, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte. MariaJuanita hatte rasch begriffen, daß jeder Widerstand gegen Caligu sinnlos war, und so war sie seine Geliebte geworden, um ihn als Werkzeug ihrer Rache zu benutzen. Aber der Pirat hatte kein Glück, denn immer wieder entrann der Seewolf seinen tödlichen Fallen und brachte ihm schwere Niederlagen bei. Dann brach die Zeit auf Tortuga an. Von einer furchtbaren Niederlage abgesehen, die Caligu seine eigene Unvorsichtigkeit und der glühende Haß jener Roten Korsarin beigebracht hatte, eine gute Zeit, in der MariaJuanita Caligu mehr und mehr verfiel und er ihr auch. Sie griffen spanische Schiffe an, erbeuteten ungeheure Reichtümer und herrschten unangefochten über Tortuga und die Karibik. Bis der Seewolf abermals auftauchte, Caligu zusammen mit Siri-Tong vor Tortuga stellte und den Piraten im Zweikampf tötete. Caligus Schiffe wurden vernichtet, sie, MariaJuanita entkam, zwei schlimme Messernarben im Gesicht. Kaum hatte sie sich erholt und etwas Fuß gefaßt, da kreuzte der Seewolf erneut ihren Weg. Und wieder stieß er sie an den Rand des Abgrunds, eine dritte Messernarbe, die das einst hübsche Gesjcht noch mehr entstellte, brachte Siri-Tong ihr mit ihrem Degen bei. Aber jetzt war es MariaJuanita gelungen, wieder ein paar Männer um sich zu scharen. Eine Horde von › Kerlen, die für ihre Dienste auf ihre Weise belohnt wurden - auf der in zwischen frauenarmen Pirateninsel, keine Kleinigkeit. Was aber niemand wußte, MariaJuanita verfügte insgeheim noch über einen Rest der damals mit Caligu erbeuteten Schätze, genug für sie, noch immer an ihre Träume zu glauben. Nur über eines war sie sich im klaren: erfuhr auch nur einer der
Kerle davon, dann war sie tot, sobald diese Kreaturen ihr durch die Folter das bisher sorgsam gehütete Versteck entlockt hatten. Noch mit Caligu hatte sie es damals angelegt, falls sich jemals wieder auf Tortuga eine Situation für sie ergeben sollte, die ihr sofortiges Verschwinden erforderte. An all das dachte die einstige Geliebte Caligus, als sie beobachtete, wie ein Boot der »Isabella« an einem Steg im Hafen festmachte. Sie kannte auch die Männer, die diesem Boot entstiegen. Tonga, ein riesiger Kreole, an den sie sich in letzter Zeit mehr und mehr angeschlossen hatte, weil er in manchen Eigenschaften an Caligu erinnerte, blickte sie fragend an. Aber seine Züge verhießen nichts Gutes. »He, Juanita, was starrst du diese verfluchten Hunde da unten so an? Du kennst sie, das sehe ich dir doch an! Ist dieser schwarzhaarige Bastard dort etwa der Seewolf?« MariaJuanita fuhr herum. »Ja, Tonga, er ist es! Und ich schwöre dir, diesmal wird er mir nicht entwischen. Diesmal werde ich mich rächen, schlimmer, als Caligu es je vermocht hätte! Hör mir jetzt genau zu, Tonga, und du sollst es nicht bereuen, wenn du tust, was ich sage!« Der Kreole dehnte die mächtigen Schultern, dabei spielten die gewaltigen Muskelstränge unter der Haut seiner Schultern. »Er ist nicht allein. Es sind drei Männer und eine Frau bei ihm. Sie sehen nicht so aus, als ob sie sich so einfach umbringen ließen. Und diese Frau da, das muß die Rote Korsarin sein, stimmts?« MariaJuanita zwang sich gewaltsam zur Ruhe. »Ja, ja!« brach es aus ihr hervor. »Natürlich ist sie es, und ich will sie genau wie den Seewolf lebend! Sie soll tausend Tode sterben. Sieh mein Gesicht an, Tonga, dann weißt du warum!« Der Kreole sah MariaJuanita an. Aber er sagte nichts, sondern
wandte sich wieder dem Hafen zu. »Und dieser Kerl da mit den Fellen und dem Helm auf dem Kopf? Was ist das für einer?« fragte er und spürte gleichzeitig, wie ihn düstere Ahnungen zu erfüllen begannen. MariaJuanita stampfte vor Zorn mit dem Fuß auf. »Man nennt ihn den Wikinger, weiß der Teufel, wieso dieser Hund noch lebt, er ist in der WindwardPassage mit Mann und Maus in die Luft geflogen, er ...« »Quatsch, der Kerl lebt, also ist er nicht in die Luft geflogen!« unterbrach der Kreole sie. »Aber von dem habe ich gehört, er ist gefährlich. Dieser Kerl hat Kräfte, die niemand begreifen kann, vielleicht ist er sogar unverwundbar...« MariaJuanita riß die Geduld. »Verflucht, hast du schon jetzt die Hosen voll? Bist du der Mann, dem ich gehöre, der alles von mir haben kann, oder bist du ein verdammtes Großmaul, das nur solange Mut besitzt, wie es bei einer Frau im Bett liegt?« Die Augen Tongas begannen zu funkeln. Blitzschnell langte er zu und zog Juanita zu sich heran. Seine gewaltigen Pranken preßten dabei ihre Arme so stark zusammen, daß sie vor Schmerz aufschrie. »Sag so etwas nie wieder, ode^ ich bringe dich um«, sagte er drohend. »Also, was soll ich tun?« Er ließ sie los und Juanita zog sich ein paar Schritte zurück. »Ja, Tonga, so gefällst du mir schon besser. Nimm dir ein paar Männer, die geschickt genug sind. Ich will vorerst nur genau wissen, was die Kerle da unten auf Tortuga wollen. Ich will wissen, wohin sie gehen, ich will...« Sie unterbrach sich plötzlich und kniff die Augen zusammen. Sie befand sich mit Tonga im Eingang ihrer Felshöhle, die sie mit ihm bewohnte. Die Höhle lag in den Felsen des Buckels der Insel, und man hatte von ihr aus einen weiten Überblick über den Hafen und auch über die See, die sich zur WindwardPassage hin öffnete. Und dort erblickte MariaJuanita
in diesem Moment die Masten dreier Schiffe, die auf die Insel zuhielten. Im Nu war sie bei Tonga. Sie packte ihn. »Dein Spektiv - nimm dein Fernrohr! Kannst du erkennen, was das für Schiffe sind?« fragte sie keuchend. Der Kreole zog sein Spektiv, das er einmal auf einem spanischen Schiff erbeutet hatte, aus der Tasche seiner Jacke. Eine ganze Weile blickte er hindurch, dann reichte er es Juanita. »Spanier«, sagte er dumpf, und Unruhe spiegelte sich in seinen Zügen. »Zumindest die Galeone, die voraussegelt, ist ein Spanier. Und verflucht - gib mal her, rasch!« Er entriß Juanita das Spektiv, blickte wieder hindurch, und dann verfärbte er sich plötzlich. Seine dunkle Haut wurde grau. »Es ist die .Sevilla, ich kenne dieses Schiff!« stieß er hervor und beobachtete die Schiffe immer noch. Aber dann setzte er das Spektiv ab. »Weißt du, wer dieses Schiff dort unten be fehligt?« fragte er dann, und in seinen dunkten Augen glomm die Furcht. MariaJuanita starrte ihn an. »Wer, Tonga, verdammt, wer?« »Ein gewisser Capitan Roca, der Mann, der jeden Piraten auf der Stelle hängt, gleich, wo er ihn erwischt. Und jetzt rate mal, was der hier auf Tortuga will? He, weißt du es nicht? Dann will ich es dir sagen: Er wird dieses Piratennest ausräuchern, er wird nicht ruhen, bis auch der letzte von uns gehängt ist!« MariaJuanitas Gesicht verzog sich zu einer Fratze. »Capitan Roca?« flüsterte sie. »Oh, das ist gut, das ist...« Tonga packte sie. »Gut?« schrie er sie an. »Weib, bist du von Sinnen, bist du verrückt geworden? Es ist gut, wenn dieses Schwein von einem Spanier über Tortuga herfällt und uns alle aufhängt?« Juanita entwand sich seinem Griff. »Du Narr, er wird weder dich noch mich kriegen. Aber die da unten - auf die legt er bestimmt allergrößten Wert. Ich habe einen Plan, hör mir zu,
alles, was ich vorhin gesagt habe, kannst du vergessen ...« Eine Weile flüsterte sie mit Tonga, so als könnten der Seewolf und die anderen sie hören, und dann nickte auch der Kreole. Er wollte sich bereits herumdrehen und verschwinden, um zu tun, was Juanita ihm aufgetragen hatte, aber sie hielt ihn noch einmal zurück. »Wie lange wird es dauern, Tonga, bis auch der Ausguck der .Isabella die Spanier sichtet?« Der Kreole warf einen abschätzenden Blick zu den Schiffen hinunter. »Eine halbe Stunde vielleicht, die Masten der Jsabella sind ziemlich hoch. Warum?« »Gut, das reicht. In einer halben Stunde ist der Seewolf mit der kleinen Hure und den anderen in der .Schildkröte. Er weiß, daß er dort am schnellsten Leute findet, außerdem ist dieser Scheißkerl von Wirt sein Freund. Du, Tonga, mußt verhindern, daß er an Bord seines Schiffes zurückkehrt, wenn es Warnschüsse abgibt, sobald die Spanier gesichtet sind. Er darf nicht wieder an Bord, er nicht, Siri-Tong nicht und der Wikinger erst recht nicht. Wenn du das schaffst, dann haben wir gewonnen, dann bist du ein reicher Mann, Tonga, vergiß das nicht!« Dem Kreolen schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Aber dann siegte die Gier nach den versprochenen Schätzen in ihm, die Gier nach Juanita und ihren Liebeskünsten, die Gier danach, Herrscher über Tortuga zu werden, wie es Caligu einst war. Er lief los. Geschmeidig übersprang er Felsbrocken, die den Pfad versperrten. Seine Muskeln spielten unter der dunklen Haut. O ja, er würde es diesem Seewolf schon zeigen. Irgendwo in seinem Unterbewußtsein meldeten sich Zweifel. Da war noch Capitan Roca, der durfte ihn so wenig zu fassen kriegen, wie der Seewolf oder der Wikinger. Aber der Plan
Juanitas war genial. Längst hatte Tonga gemerkt, daß Juanita eine Frau war, die sich nicht mit den Maßstäben jener Flittchen und Huren messen ließ, die in den Kneipen Tortugas ihr Dasein zwischen den ewig betrunkenen Kerlen fristeten, ihnen zu Willen sein mußten oder erbarmungslos verprügelt wurden.
Von diesem Augenblick an begannen sich die Ereignisse zu überschla gen, und zwar für alle Beteiligten. Hasard, Siri-Tong, der Wikinger, Ben Brighton und der BostonMann waren an Land gesprungen und befanden sich auf dem Weg zur »Schildkröte«, die Hasard und die Rote Korsarin bereits hinreichend kennengelernt hatten. Das Boot befand sich auf der Rückfahrt zur »Isabella«. Tonga erreichte eine verborgene Hütte, in der ein paar Kerle hausten, um die jeder, der sie erblickte, von vornherein einen weiten Bogen schlug. Und wie sie aussahen, so waren sie auch. Bill stand im Großmars der »Isabella« und starrte sich die Augen aus dem Kopf. An Deck der »Isabella« herrschte eine fast hektische Betriebsamkeit. Der Profos hatte die anderen Seewölfe mit seinen düsteren Ahnungen angesteckt. Keiner traute dem Frieden der Schildkröteninsel so recht. Die Geschütze waren geladen, die Drehbassen gefechtsklar, selbst das Gestell der Raketen war an Deck geschafft worden. Ferris Tucker war eben dabei, der Kiste in Hasards Kammer einige der Flugkörper zu entnehmen. Er tat das mit großer Vorsicht. Unterdessen bereitete Batuti zusammen mit Will Thorne, dem äußerst geschickten und handwerklich beschlagenen Segelmacher Brandpfeile vor. Und zwar jene Pulverpfeile, die Old Shane als einstiger Schmied und Waffenmeister von Arwenack entwickelt und dann wiederholt mit bestem Erfolg eingesetzt hatte.
Carberry hatte unterdessen seine Augen überall, ihm wäre nicht die geringste Nachlässigkeit entgangen. Capitan Roca stieß zu dieser Zeit eine Verwünschung nach der anderen aus. Der Wind war für seine schwere Galeone so ungünstig, wie er nur sein konnte. Längst hatte er begriffen, daß sich der Umweg um Tortuga dennoch gelohnt hätte, denn unter den herrschenden Windbedingungen, war es fast unmöglich, mit dem schweren Schiff die Einfahrt zu meistern. Capitan Mateo, seinem ersten Offizier, entging das alles natürlich nicht. Er war ein hervorragender Seemann und begriff nach dem dritten Anlauf der »Sevilla«, daß es nicht nur schwierig, sondern im höchsten Grade gefährlich und widersinnig sein würde, zu versuchen, die Einfahrt dennoch zu versuchen. »Capitan«, begann er nach einer Weile langen Zögerns, denn er kannte Roca und wußte, daß er einen einmal gefaßten Entschluß so gut wie niemals aufgab, »wir sollten die ,Sevilla vor der Hafenmündung Anker werfen lassen und mit der ,Cartagena einlaufen. Die Lateinertakelung dieses Schiffes ermöglicht es, höher an den Wind zu gehen, als die .Sevilla es jemals fertigbringt. Das Landkommando und ich können von der .Cartagena übernommen werden, die .Sevilla blockiert die Ausfahrt des Hafens weitaus besser, als es die schwächer armierte Karavelle tun könnte. Zudem sind wir mit der ,Cartagena im Hafen selbst wesentlich beweglicher, ich meine ...« Capitan Roca sah seinen ersten Offizier an. In seinen grauen Augen wetterleuchtete es. »Man muß einen Fehler, den man begangen hat, auch zugeben können, Senor Mateo«, erwiderte er. »Sie haben recht, und wir werden so verfahren, wie Sie es eben vorgeschlagen haben.« Er trat an den wesentlich jüngeren Capitan heran.
»Ich wollte es unbedingt mit der ,Sevilla deshalb versuchen, weil sie eine sehr viel stärkere Wirkung erzielen würde. Sowohl bei einer mög 34 liehen Kampfhandlung als auch bei der Einschüchterung dieses Gesindels dort. Aber es ist momentan unmöglich, veranlassen Sie sofort alles Notwendige. Die ,Cartagena soll längsseits gehen, sobald wir die nächste Wende hinter uns haben. Wir segeln dann sofort in den Hafen - Sie, Senor Mateo, übernehmen an Bord der .Sevilla das Kommando.« Capitan Roca wandte sich ab, verließ das Achterkastell und verschwand gleich darauf in seiner Kapitänskammer, die aber weit eher einem außerordentlich geräumigen Salon glich. Als er wieder an Deck zurückkehrte, lag die »Cartagena« längsseits und das Landkommando stand bereit. »Halten Sie die Augen auf, Senor Mateo!« ermahnte er den jungen Capitan nochmals. »In dieser Ecke der Karibik weiß man nie, was der nächste Augenblick bringt. Alle Ausgucks besetzen lassen, achten Sie auf jedes Schralen des Windes, oder die ,Sevilla kriegt Legerwall.« Capitan Mateo nickte, dann verließ Capitan Roca die Galeone und enterte mit überraschender Behendigkeit auf das tiefer gelegene Hauptdeck der »Cartagena« hinunter. Gleich darauf wurden die Leinen der Karavelle losgeworfen und sie glitt, hoch am Wiryl liegend, davon. Eine knappe Viertelstunde später erspähte Bill die Mastspitzen des heransegelnden Spaniers, der sich trotz der widrigen Winde schnell näherte. Er stand einen Moment wie erstarrt, dann aber beugte er sich über den Rand des Ausgucks. »Wahrschau, Deck!« rief er mit seiner hellen Stimme. »Mastspitzen, ein Schiff läuft die Bucht von Tortuga an!« Die Männer an Deck verharrten in ihrer Arbeit.
Dan OFlynn, der immer noch die schärfsten Augen der »IsabellaCrew« hatte, lief zu den Wanten des Großmastes hinüber und enterte auf. Das war genau der Moment, in dem sich auch die Mastspitzen der zweiten Karavelle über die Kimm schoben, gleich darauf gefolgt von denen der Galeone, die sich nur mühsam gegen den ständig aufbrisenden Wind herankämpfte. Auch Dan stand einen Augenblick wie erstarrt im Großmars. Carberry hatte ihm schon vorher das Spektiv Hasards übergeben. Jetzt holte er es aus einer der Taschen seiner verwaschenen Segeltuchhose und zog es auseinander. Er setzte es an sein linkes Auge und blickte eine Weile hindurch. Anschließend reichte er es Bill und beugte sich über die Segeltuchverkleidung. »Wir sitzen in der Falle, Männer!« brüllte er. »Drei Dons segeln heran. Eine dicke Galeone und zwei Karavellen. Wenn die uns die Ausfahrt blockieren, dann sind wir erledigt!« An Deck der »Isabella« herrschte atemloses Schweigen. Die Männer kannten Dan und seine Adleraugen. »Auslaufen«, sagte Old OFlynn, und Ferris Tucker fuhr wie von der Neunschwänzigen getroffen herum. »Ohne den Seewolf? Ohne Ben? Ohne Siri-Tong, den Wikinger und den BostonMann? Bist du von Sinnen? Was glaubst du, was dieses Rattenpack dort auf der Insel mit denen anstellt, wenn wir abhauen? Von den Dons ganz abgesehen! Kommt nicht in Frage. Bei so was spielt der alte Tucker nicht mit.« Smoky, Batuti, Matt Davies, Jeff Bowie und Pete Ballie stimmten ihm zu. Nur der Kutscher nicht, der aus seiner Kombüse an Deck geeilt war. »Old OFlynn hat recht. Wir hauen den Seewolf und die anderen hinterher heraus, aber die Dons dürfen uns hier nicht erwischen. Die schießen uns in Grund und Boden, wir haben gar keine Chance.«
Al Conroy, der Stückmeister, ein sonst ruhiger und zurückhaltender Mann trat auf Carberry zu, dem der Schweiß in diesem Moment in dicken Tropfen auf der narbigen Stirn stand. »Los, einen Böllerschuß. Dann sind Hasard und die anderen gewarnt. Ehe wir seeklar sind, sind sie an Bord. Wenigstens diese Chance müssen wir ihnen geben. Eine Scheißsituation ist das!« »Wenn wir das tun, dann können wir den Dons auch sofort eine Einladung schicken«, erwiderte er. »Dan, was ist los? Los, sag endlich was!« »Die Galeone schafft die Einfahrt nicht. Eine Karavelle segelt auf die Einfahrt zu, das dritte Schiff scheint draußen kreuzen zu wollen. Ich muß abwarten, was die Galeone der Dons vorhat, meiner Meinung nach wird sie sich vor den Hafen legen und die Ausfahrt blockieren! Himmel und Hölle, der Kahn hat ganz schöne Brocken von Geschützen an Bord, sie hat eben wieder eine Wende gefahren, ich kann mit dem Kieker das Deck ein sehen!« Carberry war in Schweiß gebadet. Vor einer solchen Entscheidung hatte er noch nie gestanden. Aber dann hatte er seine Entscheidung gefällt. »Böllerschuß abgeben. Spanische Flagge hissen. So gewinnen wir Zeit. Bis die Dons auf der Karavelle kapieren, was wirklich los ist, haben wir sie mit unseren Culverinen ausgeblasen. Los, ein paar Mann auf das Vorkastell, klar zum Anker hieven. Wenn es noch schneller gehen muß, kappt ihr die Ankertrosse, klar, ihr Affenärsche?« Zum erstenmal seit der Hiobsbot schaft grinsten die Seewölfe wieder. Der Profos fing wieder an, in der gewohnten Weise herumzubrüllen und zu fluchen sollten die Dons ruhig kommen. Der Teufel sollte sie alle holen! Al Conroy lief zu einem der Geschütze an Backbord, griff
nach der Lunte und setzte sie in Brand.
Hasard und seine Gefährten hatten unterdessen die »Schildkröte« erreicht. In der Grotte, die sich die Piraten als Kneipe eingerichtet hatten, hatte sich nichts verändert. Nur Caligu und seine Horde und die kreischenden Weiber fehlten. Aber trotzdem war sie keineswegs leer. Männer lungerten angetrunken auf den Bänken herum, manche hatten ihre Köpfe auf die Tische aus schweren Bohlen gelegt und schliefen. Auch ein paar Mädchen gab es in der Grotte, offenbar ebenfalls angetrunken und nur notdürftig bekleidet. Allem Anschein nach hatte hier eine wüste Orgie stattgefunden, und jetzt waren die Teilnehmer erschöpft. Der Seewolf erfaßte das mit einem Blick. Siri-Tong hob angewidert ihre Augenbrauen. »Elendes Gesindel!« stieß sie hervor. »Von diesen Trunkenbolden betritt mir keiner den schwarzen Segler!« Sie ließ ihre Blicke durch die Grotte wandern, und erst nach und nach gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, die im krassen Gegensatz zur Helligkeit draußen stand. Hinter der Theke regte sich etwas. Ein unheimlich fetter und schwergewichtiger Mann richtete sich auf und starrte die Neuankömmlinge an. Doch dann kam plötzlich Leben in ihn. »Der Seewolf!« stieß er hervor. »Und Siri-Tong, die Rote Korsarin!« Einen Moment gab er sich seiner Verblüffung hin, dann aber watschelte er hinter der Theke hervor, so rasch er konnte. Der Wikinger kratzte sich vor Überraschung am Helm. Einen solchen Fettwanst hatte er noch nie gesehen. Er war ganz perplex, daß diesen Kerl seine Beine überhaupt noch trugen. »He, Hasard«, röhrte er, und seine Stimme war so laut, daß ein paar der angetrunkenen Kerle erschrocken in die Höhe
fuhren. »Ho, Seewolf, was ist denn das da für ein wandelndes Rumfaß auf Beinen?« Gleichzeitig fuhr seine Hand rein gewohnheitsmäßig« zu der schwertähnlichen Waffe an seiner Rechten. Diego, der Wirt der Schildkröte, sah das, ruderte verzweifelt mit den Armen und brachte seine Massen endlich zum Stehen. »Senor Seewolf«, sagte er, »pardon, Mister Seewolf«, verbesserte er sich eilfertig, weil er daran dachte, daß dieser große schwarzhaarige Mann Engländer war, »sagen Sie um Himmels willen Ihrem Freund da, wer ich bin, daß wir gute Freunde sind!« Der Wikinger kratzte sich abermals verblüfft an seinem Helm und warf Hasard einen undefinierbaren Blick zu. »Freund?« wiederholte er, nahm die Rechte jedoch von der Waffe an seiner Seite. »Sehen so die Freunde des Seewolfs aus, he?« Der Seewolf winkte ab. »Laß gut sein, Thorfin«, erwiderte er knapp. Dann wandte er sich an den Dicken. »Wir suchen ein paar ordentliche Männer, Diego«, sagte er in die herrschende Stille hinein. »Können Sie uns behilf lieh sein?« Diego begriff sofort. Ein Grinsen überzog sein Gesicht. »Vielleicht - doch, ich denke, das läßt sich machen«, sagte er dann, und plötzlich hatte seine Stimme wieder jenen festen, energischen Klang wie damals, als er Hasard und seinen Männern aus der Klemme geholfen hatte. »Doch, ich denke, ich kann da etwas für Sie tun, Mister Seewolf. Vor ein paar Tagen zerschellte eine Galeone an der Nordküste der Insel. Neun Mann konnten sich retten, Portugiesen, kein solches Gesindel, wie die da hinten!« Er deutete verächtlich über die Schulter. »Ich werde Sie verständigen, wenn Sie solange ein Fäßchen Rum haben wollen, ich werde sogleich ...«
In diesem Moment geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Im Hafen entlud sich eine der überlangen Culverinen der »Isabella«. Der Donner rollte über den Hafen und brach sich an den Felsen der Schildkröteninsel. Die Männer im Innern der Grotte fuhren fluchend aus ihrem Dahindösen empor. Der Seewolf wirbelte herum und wollte nach draußen. In genau diesem Moment schwangen die schweren Flügel der Bohlentür herum, begannen sich zu schließen, und die trockenen Angeln kreischten infernalisch dabei. Irgendeine Titanengewalt fegte den Seewolf zur Seite. Dann erfüllte ein geradezu unmenschliches Gebrüll die Grotte. Hasard und die entsetzte Siri-Tong sahen gerade noch, wie der riesige Wikinger auf die Tür zustürmte und mit einem schmetternden Schlag gegen die schweren Türflügel prallte. Irgend etwas schepperte metallisch, wieder ein uriger Schrei, und dann, noch ehe die anderen begriffen hatten, was da vor ihren Augen geschah, flogen die schweren Flügel der Bohlentür zurück, und der Wi kinger krachte brüllend zu Boden. Sekunden später war buchstäblich der Teufel los, denn Thorfin Njal war blitzartig wieder auf den Beinen. »Ho, ihr Halunken!« brüllte er. »Ihr wolltet Thorfin Njal, den Wikinger einsperren wie eine lausige Ratte? Ihr wolltet den Seewolf, seinen Freund, in dieser stinkigen Falle fangen? Und Siri-Tong, die Rote Korsarin, auf eure stinkenden Lager werfen? Ho, ihr sollt erfahren, wie der Teufel persönlich aussieht, wenn er aus der Hölle gefahren ist, um euch Gelichter in seinen Höllenfeuern zu schmoren!« Hasard löste sich aus seiner Erstarrung. Noch immer klang ihm der gewaltige Donner des Böllerschusses in den Ohren. Und woran der Wikinger im Moment offenbar noch nicht dachte - er wußte es: Dieser Schuß bedeutete höchste Gefahr für sie, für die »Isabella«, für alle.
Er warf sich mit einem Hechtsatz nach draußen und sah gerade noch, wie der Wikinger einem Mann mit einem gewaltigen Hieb den Schädel spaltete. Da sprang Hasard ein Gegner an, ein riesiger Kerl mit Muskeln und Sehnen wie aus Stahl. Gleichzeitig warfen sich ein paar Kerle auf Siri-Tong und Ben Brighton und wurden von dem dazwischenspringenden BostonMann buchstäblich in allerletzter Sekunde daran gehindert, Ben Brighton mit einem Belagnagel den Schädel zu zerschmettern. Wieder ertönte das gewaltige Gebrüll des Wikingers, während Hasard seinen Gegner zu packen versuchte, der aber immer wieder blitzschnell und mit teuflischer Geschicklichkeit auswich. Hasard wußte, daß keine Zeit zu verlieren war. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß auf der »Isa bella« bereits die Segel gesetzt wurden. Er rammte dem Herkules, der kein anderer war als Tonga, der Kreole, und der jetzt noch von zwei anderen Kerlen Verstärkung erhielt, den Ellenbogen mit aller Kraft in den Leib, sprang auf ihn zu, schlug die Hand mit dem Entermesser zur Seite und versetzte ihm einen mit aller Kraft geführten Stoß mit dem Schädel unters Kinn. Tonga wurde zurückgeworfen, vor seinen Augen kreisten nur noch feurige Sterne, er ruderte wie wild mit den Armen, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Das Entermesser des BostonMannes traf ihn, mit aller Kraft geworfen, in die Schulter. Gleichzeitig versetzte der Wikinger ihm einen Tritt, der ihn den Abhang hinunter katapultierte, während der Hüne brüllend sein Schwert kreisen ließ und sich damit die anderen Kerle vom Leib hielt, die ihn jetzt wie ein Rudel blutgieriger Wölfe von allen Seiten anfielen. Hasard bekam etwas Luft, Ben Brighton und Siri-Tong hatten sich auf die beiden Angreifer gestürzt, die Tonga zu Hilfe geeilt waren. Die Rote Korsarin kämpfte wie eine Wilde, ihr
Degen blitzte in der Sonne und durchbohrte einen der beiden. Ben Brighton streckte den anderen mit einem gewaltigen Fausthieb nieder, bückte sich, packte ihn und schleuderte ihn in hohem Bogen den Abhang hinunter, auf dem sich die Grotte befand. »Recht so, zeigt es diesen Halunken!« röhrte der Wikinger und ließ sein Schwert abermals kreisen, aber es war kein Gegner mehr da. Die Halunken hatte der Mut verlassen, schreiend stürzten sie davon. Diesen Moment benutzte Hasard. »Mir nach, zur .Isabella, dort unten muß der Teufel los sein, rasch!« Der Wikinger fuhr herum. Und jetzt sah er es auch. Der Wind bauschte die ersten Segel, ein paar Männer waren damit beschäftigt, in Windeseile den Anker zu hieven, am Mast stieg die spanische Flagge empor. »Ho, der Seewolf hat recht!« brüllte Thorfin Njal. »Wir kriegen anscheinend Besuch, na, die werden ihre Freude an uns haben!« Er stürmte los. Der Seewolf, Siri-Tong, Ben Brighton, der aus einer Schulterwunde blutete, und der BostonMann folgten ihm. Ein Boot stieß von der »Isabella« ab, ein zweiter Böllerschuß dröhnte über den Hafen, während Siri-Tong und die vier Männer zum Hafen hinunterliefen. Der Seewolf konnte sich später nicht erinnern, jemals in seinem Leben so schnell gelaufen zu sein. Fassungslos starrte der dicke Diego ihnen nach. Aber dann setzte auch er sich in Bewegung. Er bewegte sich so schnell, wie ihm das bei seiner Körperfülle kaum jemand zugetraut hätte. Er erreichte die Theke und riß seine Pistole unter der Theke hervor. Knackend spannte er die beiden Hähne. Ein paar der immer noch betrunkenen Männer, die zu benebelt waren, um überhaupt etwas zu begreifen, starrten ihn an. Diego richtete die beiden Läufe seiner zweischüssigen Pistole
auf einen von ihnen. »Raus!« sagte er drohend. »Das Fest ist zu Ende. Verschwindet, aber ein bißchen schnell. Und ich rate euch, verkriecht euch irgendwo, spanische Kriegsschiffe laufen in den Hafen ein!« Was die Pistole nicht bewirkte, die letzten Worte schafften es. Die Männer stoben davon, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her. Diego verriegelte hinter ihnen die schwere Bohlentür und verschwand dann selbst im Hintergrund der Grotte. Es gab eine Stelle, von der aus er die weiteren Ereignisse beobachten konnte, ohne selber gesehen zu werden. Und die würden nicht auf sich warten lassen, das wußte er. 7. Die »Cartagena« hatte die Einfahrt der Bucht erreicht, als sich der erste Schuß der »Isabella« löste. Capitan Roca zuckte zusammen. Er fuhr herum und sah Leutnant Alvarez, den Kommandanten der Karavelle, an. »Ein Kanonenschuß, in der Bucht!« stellte er sodann mit gerunzelter Stirn fest. »Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten?« Leutnant Alvarez zog ebenfalls ein bedenkliches Gesicht. »Schießereien sind auf Tortuga an der Tagesordnung. Es wurde berichtet, daß sich die Piraten manchmal sogar in der Bucht mit ihren Schiffen blutige Gefechte liefern. Es geht um Beute, oder es geht um eine Frau ...« Capitan Roca schnitt ihm das Wort ab. »Unsinn, alles Unsinn. Es war ein einzelner Schuß, so, als ob man jemanden über unsere Ankunft verständigen wollte. Gut, soll man. Es ändert nichts, wir werden diese Brut diesmal ausräuchern, und zwar gründlich. Und wir werden erfahren, wo
dieser Seewolf mit seinen Spießgesellen seinen Schlupfwinkel hat. Leutnant, lassen Sie die Geschütze setzen, wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gibt, wird sofort geschossen!« Der Leutnant nickte nur kurz und verschwand in Richtung Geschützdeck. Sein Verhalten wurde von Ca pitan Roca mit einem Stirnrunzeln quittiert. Er spürte, daß dieser Leutnant ihn nicht gern an Bord hatte. Die »Cartagena« hatte die Einfahrt passiert, die Bucht öffnete sich den Blicken ihrer Besatzung. Und dann erstarrte Capitan Roca abermals. Unwillkürlich kniff er die Augen zusammen, als er die Galeone sah, die ihnen entgegensegelte. Sofort erkannten seine scharfen Augen die ungewöhnlich moderne Form des Dreimasters, das flache Vorderkastell, das niedrige Achterkastell. Desgleichen erfaßten seine Blicke sofort die überhohen Masten und die verbreiterten Rahen, die mehr Segel zu tragen vermochten als bei Schiffen dieser Größe üblich. »Zum Teufel«, murmelte er, »was ist das für ein Schiff? So eins gibt es in der gesamten spanischen Flotte nicht!« Er erblickte die spanische Flagge, die am Großtopp wehte. Zur Sicherheit zog er sein Spektiv aus der Jakke, aber er kam gar nicht mehr dazu, es auseinanderzuziehen. Denn wie von Geisterhänden gezogen, verschwand die spanische Flagge, und gleich darauf stieg die englische am Mast empor. Capitan Roca war so perplex, daß er ein paar Sekunden brauchte, um seinen Schrecken zu meistern. Dann aber dröhnte seine Stimme über Deck: »Klar Schiff zum Gefecht, alle Mann...« Die »Isabella« war heran. Donnernd löste sich an Backbord die erste Breitseite. Zehn Culverinen spien ihre tödlichen Ladungen aus, der Schein der Mündungsfeuer zuckte über das Wasser, dichter Qualm wölkte auf. Gleichzeitig fuhren Brandpfeile zischend in die Takelage der Karavelle. Capitan Roca hatte einen Moment das Gefühl, daß sich die Welt um ihn
herum in ein Inferno aus Blitz, Donner, Rauch, Flammen und stürzenden Masten verwandelt habe. Die Breitseite der »Isabella« lag voll im Ziel. Sie fällte den Großmast, zerfetzte das Schanzkleid und warf die Geschütze quer über das Deck, indem sie zum Teil die Lafetten und die Brooktaue zerschmetterte. Menschen schrien, stürzten davon - und dann begannen über Capitan Roca die Brandpfeile Batutis ihr vernichtendes Werk. Der Capitan, der wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war, hörte das infernalische Zischen über sich. Er warf sich herum, blickte in die Takelage und sah die zischenden, sprühenden Brandpfeile, deren Pulverladung im Schaft soeben gezündet hatte. Sofort griff das Feuer auf die riesigen Lateinersegel über und breitete sich durch den starken Wind im Handumdrehen aus. Er blickte sich gehetzt um. An Deck wälzten sich Männer in ihrem Blut. Die gesamte Backbordseite der Karavelle war zerschmettert, die Geschütze bis auf wenige Ausnahmen völlig unbrauchbar. Die »Isabella« befand sich jetzt auf gleicher Höhe mit der Karavelle. In Windeseile hatten die Seewölfe ihre Geschütze nachgeladen, während die Drehbassen ihr tödliches Blei ausspuckten. Zu irgendwelchen Segelmanövern blieb keine Zeit, die Backbordgeschütze mußten ungenutzt bleiben. »Feuer!« befahl der Seewolf, der mit Siri-Tong, Ben Brighton, dem Wikinger und dem BostonMann die absegelnde »Isabella« gerade noch erreicht hatte. Auch das Boot hatte noch aufgeheißt werden können, lag aber noch ungesichert an Deck. Die zweite Breitseite löste sich. Unter der Wucht des Rückstoßes der schweren Culverinen krängte die »Isabella« nach Backbord. Aber wieder fand die Breitseite ihr Ziel, und diesmal zerfetzte sie das Unterwasserschiff der »Cartagena«.
Gurgelnd schoß das Wasser ins Schiffsinnere, bahnte sich brausend seinen Weg durch die Laderäume und stieg unheimlich schnell. Capitan Roca war von der Wucht des Aufpralls zu Boden geschleudert worden. Er lag auf den Decksplanken des Achterkastells. Der Zorn über diese Niederlage brachte ihn fast um, aber er wußte in diesem Moment nur eins, hatte nur einen einzigen Gedanken. »Ich werde dies hier überleben, Seewolf. Und dann werde ich dich jagen, du sollst mir diese Schmach büßen, du Hund!« Er richtete sich mühsam auf, aus mehreren Wunden blutend. Dann taumelte er über Deck, stützte sich auf das Schanzkleid und schüttelte die Fäuste in ohnmächtiger Wut, während der donnernde Schlachtruf der Seewölfe über das Wasser zu ihm herüberdröhnte: »Arwenack!« Deutlich erkannte Roca den hochgewachsenen Mann mit den pechschwarzen Haaren, die im Winde flatterten, den Hünen neben ihm, in seiner seltsamen Kleidung und mit dem Kupferhelm auf dem Kopf, die zierliche Gestalt der Roten Korsarin. Gleich darauf war die »Isabella« vorüber und rauschte mit prall gefüllten Segeln davon. Sie ließ ein sterbendes Schiff in der Bucht zurück, das tiefer und tiefer ins Wasser eintauchte und dessen Takelage ein einziges brüllendes Flammenmeerwar. Die ersten Seesoldaten sprangen über Bord, und wieder ertönten gräßliche Todesschreie, denn die Haie Tortugas waren zur Stelle und holten sich ihre Beute. Roca sah sich gehetzt um. Deutlich hatte er die grauen, langgestreckten Körper der blutgierigen Räuber gesehen, deutlich spürte er, wie die »Cartagena« ihm buchstäblich unter den Füßen wegsackte. Er mußte einen Ausweg finden, mußte weiterleben, um Rache zu nehmen.
Er nahm alle Kraft zusammen und hastete zum Hauptdeck hinunter. Gleichzeitig riß er seine doppelläufige Pistole aus dem Gürtel. Für alle Fälle, falls er auf Widerstand stoßen sollte. Er griff sich ein paar Männer, die in panischer Angst über Deck irrten, ihrer Sinne fast nicht mehr mächtig. Dann sah er das Boot, das wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war. »Das Boot zu Wasser! Beeilt euch, oder sollen euch die Haie fressen? Wer nicht sofort tut, was ich sage, der erhält eine Kugel!« Er spannte die beiden Hähne. »Vorwärts! Denkt dran, die ,Cartagena kann jeden Moment absaufen oder in die Luft fliegen!« Seine Blicke streiften die Brände, die überall an Deck aufzulodern begannen. »Das Boot ist unsere einzige Rettung, verflucht, fangt endlich an!« Die Männer gehorchten. Sie sahen ein, daß der Capitan recht hatte. Nur weg von diesem Schiff, nur nicht ins Wasser, wo die Haie auf sie lauerten! Sie fierten das Boot in Rekordzeit ab. Unterdessen sah sich Capitan Roca noch einmal an Bord der Karavelle um. Den Leutnant und Kommandanten des Schiffes fand er völlig zerschmettert auf dem Hauptdeck wieder. Trümmer des Großmastes hatten ihn unter sich begraben, und nun leckten bereits die Flammen gierig an seinen Kleidern. Schaudernd wandte sich Roca ab. Die »Cartagena« krängte inzwischen stark nach Backbord, außerdem tauchte ihr Vorkastell bereits ins Wasser ein. Es rann über das Hauptdeck, stand schon am ersten Luk und ergoß sich durch den Niedergang zur Back ins Schiffsinnere. Roca zögerte nicht mehr länger. Es war unmöglich, noch irgend jemandem an Bord der »Cartagena« zu helfen. Er enterte ab, im Boot warteten bereits die Männer voller Unruhe
auf ihn. Sie hielten die Riemen in den Fäusten. Einer von ihnen warf die Leine los, an der das Boot noch hing. »Ablegen!« befahl Roca und packte die Ruderpinne. Das Boot löste sich von der Karavelle, die Männer pullten aus Leibeskräften. Sie waren noch nicht zweihundert Yards von der »Cartagena« entfernt, da kenterte die Karavelle. ‹ Capitan Roca starrte auf das Schiff, das nun mit dem Bug voran in die Tiefe glitt, Tote wie Lebende mit sich reißend. »Vorwärts, pullt Männer! Zur ,Sevilla! Ich werde es diesen Hunden besorgen, und wenn ich sie durch alle Meere hetzen müßte!«
Der Seewolf sah die schwere spanische Galeone. Sie hatte ihren An kerplatz noch nicht erreicht, sondern kämpfte sich immer noch gegen den Wind auf den Hafen zu. Die Wellen gingen höher, Gischtkronen durchzogen die See. »Angreifen?« fragte Ben Brighton, sein erster Offizier. Hasard beobachtete die »Sevilla«. Es juckte ihm in allen Fingern, sich auch diesen Gegner noch vorzuknöpfen und den Spaniern abermals eine vernichtende Niederlage beizubringen. In seine Überlegungen hinein platzte Dans Ruf: »Mastspitzen Steuerbord voraus. Der Takelung nach eine spanische Karavelle. Sie hält auf uns zu!« Der Seewolf sah Ben Brighton an. »Was meinst du, Ben, sollen wir es mit beiden aufnehmen? Oder wäre es besser, wenn wir uns sofort zur SchlangenInsel verholen?« Auch Ben Brighton kämpfte mit sich. »Verdammt«, sagte er dann. »Daß ich vor einem Kampf
grundsätzlich keine Angst habe, weißt du. Aber hier sollten wir Vernunft walten lassen. Wer sagt uns denn, daß nicht noch mehr Spanier im Anmarsch sind? Noch ein paar Karavellen, und dann wird uns der Weg zurück bestimmt abgeschnitten. Irgend etwas hat die Kerle mobilisiert, vielleicht sogar unsere letzten Aktionen. Ich halte es nicht einmal für unmöglich, daß die ganze Aktion uns und Siri-Tong gilt. Woher auch immer die Dons ihre Informationen haben mögen!« Der Seewolf überlegte. Ben konnte durchaus recht haben. Schließlich hatten die Spanier gerade in der letzten Zeit erhebliche Schlappen erlitten. Und Überlebende konnten durchaus in einem der spanischen Stützpunkte ihre Einheiten zur Jagd auf den Störenfried mobilisiert ha ben. Warum sie allerdings bei Tortuga suchten, war ihm nicht ganz klar. Siri-Tong schaltete sich ein, indem sie dem Seewolf die Rechte plötzlich auf den Unterarm legte. »Ich glaube, ich habe des Rätsels Lösung, Hasard.« Die Männer, die sich außer Hasard und Ben Brighton auf dem Achterkastell befanden, blickten sie überrascht an. »Und die wäre?« fragte der Seewolf, dem die Rote Korsarin in diesem Moment wieder - wie schon so oft geradezu unheimlich war. Siri-Tong spürte das, und ein Lächeln huschte über ihre Züge. »Keine Zauberei, Hasard, nur genau überlegt, gründlich nachgedacht. Du weißt, daß auch mich die Spanier seit langem jagen, mich aber wegen meines Schlupfwinkels nie haben aufspüren können. Natürlich hatten auch sie ihre Leute auf Tortuga, auch zu Caligus Zeiten. Es kann leicht sein, daß dort einmal etwas von einer geheimnisvollen Insel in der Karibik gemunkelt wurde, so etwas läßt sich bei den vielen Mitwissern, die ich v zwangsläufig hatte, nicht vermeiden. Die Spanier haben inzwischen Kunde davon erhalten und ein Geschwader von Schiffen in Marsch gesetzt, die uns aufspüren und
vernichten sollen. Uns alle. Mich, dich, den Wikinger und alle anderen. Wo könnten sie besser mit ihren Nachforschungen beginnen, als auf der Schildkröteninsel? Wenn überhaupt etwas über die SchlangenInsel zu erfahren ist, dann dort. Und ich sage dir, die Dons sind in ihren Methoden nicht gerade zimperlich. Sie hätten jeden einzelnen so lange gefoltert, bis sie entweder etwas Brauchbares erfahren oder die Gewißheit erhalten hätten, daß die Aktion auf Tortuga ein Fehlschlag war.« Sie machte eine Pause und genoß es, daß die Männer sie aus schmalen Augen anstarrten. »Und deshalb stimme ich Ben zu: Zurück zur SchlangenInsel. So rasch wie möglich. Vielleicht versuchen die Dons, Fühlung zu halten, dann können wir es auch nicht ändern, sondern werden jeden Angriff, den sie wagen, abschlagen. Wir müssen dort sowieso verschwinden, auf Dauer läßt sich der Schlupfwinkel nicht mehr geheimhalten. Und es nutzt uns auch nicht viel, daß kaum ein Schiff in der Lage sein wird, die Passage durch den Felsendom zu meistern. Mit genügender Ausrüstung und einer Menge Soldaten kann man die Insel dennoch stürmen.« Der Seewolf starrte sie an wie eine Erscheinung. Auch der Wikinger wiegte sein behelmtes Haupt. »Gar nicht so dumm, die Kleine«, sagte er dann. »Man sollte gar nicht glauben, wieviel Raffiniertheit in so einem kleinen Köpfchen Platz hat.« Dann sah er den Seewolf und die anderen an. »Aber sie hat recht. Je mehr ich darüber nachdenke, diese kleine Krabbe hat recht, Hasard. Wir haben es mit den Dons zu toll getrieben, die sind jetzt ernstlich böse und wollen uns ans Leder. Außerdem hatten wir ja wohl sowieso nicht vor, auf der SchlangenInsel Wurzeln zu schlagen. Eine Frage bleibt allerdings, was wir mit unseren Schätzen tun. Die müssen wir in einem besseren, unzugänglichen Versteck unterbringen, und
ein Teil von ihnen nehmen wir mit, damit uns unterwegs das Kleingeld nicht ausgeht!« Er lachte dröhnend, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich habe auch nicht die geringste Lust, meinen schwarzen Segler an diese Cerle einzubüßen...« »Unseren schwarzen Segler wolltest du sagen, Thorfin, nicht wahr?« fuhr Siri-Tong den Wikinger an. »Natürlich, natürlich, aber seit wann nehmen wir zwei das denn so genau? Ho, du infames Weibsbild, Thorfin Njal hat noch nie einen Freund betrogen, Carberry sollte dir auf der Stelle deinen süßen Affen ...« Die Rote Korsarin warf dem Wikinger einen Blick zu, der sogar ihn verstummen ließ. Unbehaglich kratzte er sich am Helm, und irritierte damit diesmal sogar den BostonMann. »Also, wir lassen die Dons und nehmen Kurs auf die SchlangenInsel. Falls uns die Karavelle folgt, werden wir sie abschütteln oder vernichten. Die Dons wissen schließlich nichts von unseren Raketen, die uns die Zopfmänner hinterlassen haben.« Alle stimmten zu. Aber sie hatten sich in Capitan de Toria verrechnet, gründlich verrechnet sogar. Denn der Kommandant der spanischen Kriegskaravelle »Valencia« war ein erfahrener Mann. Längst hatte er begriffen, daß auf Tortuga etliches schief gegangen war. Außerdem hatte er sich von einem Augenzeugen die »Isabella« des Seewolfs schon lange vor dem Beginn der Strafexpedition genau beschreiben lassen. Er wußte ebenfalls von jenen gefährlichen Brandpfeilen, die die Seewölfe verwendeten. Er führte ein brandneues, modernes Schiff. Es war weitaus wendiger und schneller als die »Isabella«, und de Toria beschieß, die Seewölfe zwar zu verfolgen, sie aber niemals auf Schußentfernung an sich heran zu lassen. Die Vernehmungen der Überlebenden hatten damals viel Zeit in Anspruch genommen, jetzt zahlte sich diese Mühe aus.
De Toria war auch nicht einfältig genug, einen Befehl der »Sevilla« abzuwarten, sondern nahm die Verfol gung sofort auf, nachdem er ein entsprechendes Signal an das Flaggschiff des Verbandes abgesetzt hatte. Die einzige Schwierigkeit bildete die bevorstehende Nacht. Und deshalb wanderte der Kommandant der »Valencia« unruhig auf dem Achterkastell hin und her. Er hatte einmal .gehört, daß die CaicosInseln hervorragende Schlupfwinkel für Piraten boten. De Toria verschwand in seiner Kammer und begann nach strengen Anweisungen an seinen ersten Steuermann die Karten zu studieren, über die er an Bord verfügte. Und auch in dieser Hinsicht hatte er gut vorgesorgt. Gewiß, es gab da eine ganze Reihe von Inseln. Aber irgendwie gelangte er immer wieder zu dem Schluß, bei Nacht, falls er die »Isabella« trotz des herrschenden Vollmondlichtes aus den Augen verlieren sollte, den Kurs auf die CaicosInseln beizubehalten. Als er wieder an Deck erschien, pflügte weit vor ihm die »Isabella« unter vollen Segeln durch die See. De Toria nahm sein Spektiv und studierte das Schiff lange und in allen Einzelheiten. Dann überzog ein grimmiges Lächeln sein ebenmäßiges Gesicht. »Na, mal sehen, wer von uns beiden der Schlauere ist, Seewolf«, murmelte er. »Ich habe zwar viel von dir gehört, und das, was du eben wieder angestellt hast, paßt genau dazu. Aber manchmal werden um einen Mann auch Legenden gewoben, und unsterblich bist du bestimmt auch nicht!«
Hasard und seinen Männern blieb nicht lange verborgen, wie geschickt der Spanier sie verfolgte. Zu allem Unglück wurde es auch noch eine
mondhelle Nacht, die sich über der Karibik ausbreitete. Lediglich der aus Nordost blasende Wind blieb ihnen treu. »Dieser Hundesohn, dieses verdammte Rübenschwein läßt sich nicht abschütteln!« grollte Ed Carberry, der zusammen mit Old OFlynn und Ferris Tucker am Schanzkleid des Achterkastells stand. »Warum, beim Satan, muß heute auch eine Mondnacht sein, wie man sie selbst in der Karibik nur alle Jahre einmal erlebt? Und dieser Kerl ist gerissen genug, auf jeden Versuch, ihm auf den Pelz zu rücken, sofort zu reagieren!« Old OFlynn nickte. »Der Bursche da drüben versteht sein Handwerk. Wir haben nur zwei Möglichkeiten. Entweder den Kurs zu ändern und wer weiß wohin zu segeln, um ihn von der SchlangenInsel wegzulokken. Dabei laufen wir dann Gefahr, daß Ribault und von Hütten ihm mit der ,Le Vengeur vor den Bug laufen.« »Wären die doch da«, sagte Carberry. »Die würden schon mit ihm fertig werden.« Tucker schüttelte den Kopf. »Nein, die .Vengeur ist ein gutes Schiff, Ed. Aber für den da auch nicht schnell genug. Meiner Ansicht nach sollten wirs riskieren und den Kerlen bei der SchlangenInsel einen Kampf liefern, der sich gewaschen hat. Und danach verschwinden, und zwar so rasch wie möglich.« Der Wikinger, der in dieser Nacht ebenfalls keine Ruhe fand, mischte sich in das Gespräch ein. »Recht so, Ferris. Den Burschen müssen wirs zeigen. Wenn wir es geschickt anstellen, dann .entkommt uns keiner. Und damit wäre das Geheimnis der SchlangenInsel gewahrt. Früher oder später entdeckt sie sowieso jemand. Nein, ich halte auch nichts davon, den Kerlen auszuweichen, wenn wir sowieso nach Süden segeln wollen!« Hasard und Siri-Tong befanden sich zu dieser Zeit in der Kammer des Seewolfs. Auch den Seewolf plagten Sorgen. Siri-Tong glitt auf ihn zu und legte ihm die Arme um den
Hals. Dann küßte sie ihn, lange und zärtlich, und Hasard entzog sich ihr nicht. »Heute ist heute, Seewolf, und morgen ist morgen«, flüsterte sie. »Nimm mich in die Arme, du halsstarriger Mann, der unbedingt ins Land der Zopfmänner segeln will. Noch habe ich dich, aber ich weiß nicht, ob das noch sehr lange sein wird, denn ihr alle ahnt nicht, auf was ihr euch einlaßt!« Sie schmiegte sich an ihn, und während Hasard ihr die Bluse von den Schultern streifte, küßte sie ihn wieder. Unterdessen glitt die »Isabella« weiter und weiterdurch die gischtende See, in ihrem Kielwasser die »Valencia«, die sich nicht abschütteln ließ, sondern so beharrlich wie ein Hai ihrer Beute folgte. Noch jemanden gab es, der in dieser Nacht keinen Schlaf fand. MariaJuanita auf Tortuga. Ruhelos wanderte sie in ihrer Höhle auf und ab. Die neuerliche Niederlage brachte sie fast um den Verstand. »Du Hund, du mußt mit dem Teufel im Bunde sein, daß es dir immer wieder gelingt, meiner Rache zu entkommen. Aber ich weiß, Seewolf: Wir sehen uns wieder. Irgendwann. Ich vergesse dich nicht, und ich werde solange leben, bis du tot bist!«
Am nächsten Morgen, die »Valencia« war zwar etwas weiter zurückgeblieben, aber immer noch deutlich sichtbar, faßten die Seewölfe und die Rote Korsarin ihren Entschluß. »Wir werden um die SchlangenInsel kämpfen, Hasard«, sagte Smoky, der als Decksältester der »Isabella« der Sprecher der Crew war. »Wir haben dem Tod schon oft ins Auge geblickt und gesiegt. So wird es auch diesmal sein. Die Karavelle muß erst zurücksegeln, ehe sie mit Verstärkung wieder da sein kann.
Entweder sind wir dann schon fort, oder wir werden diese spanischen Hunde vernichten.« Alle Seewölfe stimmten zu, und damit war die Entscheidung gefallen. Daß Smoky Capitan Roca und Capitan de Toria dennoch unterschätzte, konnte niemand von ihnen wissen. 8. Am Abend des zweiten Tages segelte die »Isabella« an den CaicosInseln vorbei. Schon eine ganze Weile hatte der Seewolf fast unbeweglich auf dem Achterkastell gestanden. Immer wieder spähte er aus zusammengekniffenen Augen zu der ihnen beharrlich folgenden Karavelle hinüber. Ihn ärgerte es gewaltig, daß er gegen diesen gerissenen und dabei unerhört zähen Spanier offenbar nichts ausrichten konnte. Er war immer noch nicht gesonnen, den Schlupfwinkel Siri-Tongs so einfach preiszugeben. Siri-Tong hatte den Seewolf schon seit geraumer Zeit beobachtet. Sie wußte genau, was in ihm vorging. Als er sich endlich zu ihr umdrehte, lächelte sie. Es war einer der Augenblicke, in denen Hasard sie so hinreißend fand, daß er sie am liebsten vor aller Augen in die Arme genommen hätte, aber er beherrschte sich. »Du hast dich zu irgend etwas ent schlossen«, sagte die Rote Korsarin. Sie trug an diesem Tag eine weiße Leinenhose aus bestem Segeltuch, die Will Thorne, der Segelmacher der »Isabella«, ihr zu ihrer größten Überraschung genäht und eines Tages überreicht hatte. Die Hose sah zusammen mit der roten Bluse, deren obere zwei Knöpfe auch jetzt wieder offen standen und die Ansätze ihrer festen Brüste sehen ließen, geradezu phantastisch aus. Siri-Tong hätte den Alten damals fast vor Freude in die Arme genommen, und er hatte das wohl auch
gemerkt und sie behutsam daran gehindert. »Ich hatte auch mal eine Tochter, sie wäre jetzt wohl so alt wie Sie, Madam«, hatte er nur gesagt. »Lassen Sie mir diese kleine Freude. Ich bin froh, daß es Sie gibt, schon des Seewolfs wegen. Er hätte es ohne Sie schwer gehabt, den Verlust seiner Gwen und seiner beiden Söhne zu überwinden. Helfen Sie ihm dabei, Madam, und ich werde immer alles für Sie tun, was in meinen Kräften steht!« Mehr hatte der alte Mann nicht gesagt, aber SJriTong hatte ihn verstanden. Sie hatte ihm nur wortlos die Hand gedrückt. Damals waren sie allein an Deck gewesen, keiner hatte von dieser Szene etwas bemerkt, und Siri-Tong und Will Thorne hatten ihr kleines Geheimnis auch weiterhin zu bewahren gewußt. Sie trat auf Hasard zu. »Laß mich mal raten«, sagte sie. Sie warf einen Blick auf die CaicosInseln. »Wenn ich es zu tun hätte, dann würde ich den Dons dort eine Falle stellen. Ich würde um eine der Inseln herumsegeln, so daß er mich aus den Augen verlieren müßte, und ihn dann ganz überraschend angreifen. Stimmt das?« Der Seewolf nickte, und in seinen eisblauen Augen tanzten kleine Funken. »Du kennst mich bereits recht gut, Siri-Tong! Nur weiter so. Wenn ich nur ein Zehntel so gut über dich, deine Vergangenheit und deine Beziehung zu jenem fremden Land Bescheid wüßte, wäre ich schon froh.« Siri-Tongs Antlitz verdüsterte sich. Das Lachen, das eben noch in ihren Augen gestanden hatte, erlosch schlagartig. Ganz kurz nur berührte sie mit den Fingerspitzen den Unterarm des Seewolfs. »Sei nicht so ungeduldig, du halsstarriger Mann«, erwiderte sie leise. »Du wirst es noch erfahren, aber dränge mich nicht. Und jetzt denke lieber an den Spanier hinter uns!« Hasard winkte Ben Brighton zu sich heran, der sich neben
Pete Ballie im Ruderhaus aufgehalten hatte. »Ben, wir ändern den Kurs. Hinter der östlichen CaicosInsel gehen wir auf Nordwest. Sobald die Insel uns genügend Deckung gibt, setzen wir einen Mann aus, und zwar Dan, der von der Insel aus beobachtet, was der Don unternimmt. Bill geht mit Dan, außerdem noch ein paar bewaffnete Männer, falls es Ärger mit irgendwelchen Wilden geben sollte. Bill dient als Melder, er wird uns über alles informieren, was Dan sieht.« Ben Brighton begriff sofort. Er grinste übers ganze Gesicht. »Wird dem gescheiten Don aber gar nicht gefallen, Hasard. Denn damit vermasselst du ihm die Tour ziemlich gründlich!« Der Seewolf nickte. »Warten wir es ab, Ben. Der Kerl ist nicht dumm, vielleicht riecht er den Braten auch, mal sehen!« Die »Isabella« segelte an der Insel vorbei, dann, als eine der Bergkuppen Deckung bot, änderte sie ganz überraschend den Kurs. Sie glitt weiter in die Deckung der Insel hinein und warf dann an einem Sand strand den Anker. Wenig später war ein Boot zu Wasser gebracht, das Dan und sein Kommando an Land schaffte. Die Männer bewegten sich schnell. Es konnte nicht lange dauern, dann mußte der Spanier ebenfalls an der Insel vorbeisegeln. In fieberhafter Eile bereiteten die Seewölfe ihr Schiff auf den bevorstehenden Kampf vor. Eine knappe Viertelstunde später hatten Dan und Bill, der vor Eifer geradezu glühte, ihre Position bezogen. Dan zog das Spektiv aus der Tasche und dann stieß er eine Verwünschung aus. Bill blickte ihn fragend an. »Der Hund ändert den Kurs. Er segelt weiter nach Nordosten. Er rechnet damit, daß wir hinter der Insel auf ihn lauern. Außerdem weiß er genau, daß er mit seiner Lateinertakelung höher an den Wind gehen kann als wir. Unser Plan hätte nur
dann Erfolg haben können, wenn er an der Insel vorbeigesegelt wäre und wir ihn vor uns gehabt hätten. Dieser dreimal verfluchte Bastard von einem Don!« Dan beobachtete die Karavelle noch eine Weile. Kein Zweifel, der Kerl schlug einen weiten Bogen nach Nordost. Nicht weit genug, um die »Isabella« dabei aus den Augen zu verlieren, aber weit genug, um keiner unliebsamen Überraschung ausgesetzt zu sein. »Los, Bill, an Bord mit dir. Berichte Hasard, was wir gesehen haben. Dann kommst du wieder und sagst mir, was Hasard tun will, klar?« »Aye, Sir!« Das Bürschchen flitzte los. Dan starrte ihm nach. ,«Aye, Sir! hat er gesagt«, murmelte er. »Ho, Dan, alter Junge,vso ganz allmählich wird ja was aus dir!« Er grinste trotz des Ärgers über den Spanier von ei nem Ohr zum anderen. Der Seewolf nahm die Hiobsbotschaft gelassen zur Kenntnis. »Dan soll mit den anderen wieder an Bord kommen, sobald der Don die Insel passiert hat, es hat keinen Zweck, daß wir uns zwischen den Inseln verstecken, denn dieser Hundesohn wartet eiskalt, bis wir wieder auftauchen. Außerdem ist er mir jetzt schon viel zu nah an unserem Schlupfwinkel dran. Wenn einer der anderen Dons auf Tortuga noch etwas erfahren haben sollte, dann schneiden sie uns womöglich noch die Zufahrt zum Felsendom ab. Nein, jetzt kämpfen wir wirklich um die SchlangenInsel. Aber da werden sich diese Kerle die Zähne an uns ausbeißen!« Bill pullte an Land. Eine halbe Stunde später ging die »Isabella« ankerauf und segelte wieder auf ihrem alten Kurs, so, als ob nichts gewesen sei. Capitan de Toria grinste, aber es war kein gutes Grinsen. »Nicht mit mir, Freund Seewolf«, sagte er. »Hättest du besseren Wind gehabt, vielleicht wäre dir deine List geglückt. So aber hattest du nur die Wahl, nach Steuerbord zu segeln.
Mal sehen, was du dir noch alles einfallen lassen wirst!«
Unterdessen war Capitan Roca nicht untätig geblieben. Nachdem er sich wieder an Bord der »Sevilla« befand, stellte er sofort ein Kommando zusammen, mit dem er an Land ruderte. Einer seiner Herolde verkündete am Hafen die Botschaft, daß er Auskunft über das geheime Versteck der Roten Korsarin und des Seewolfs wünsche. Wer immer ihm zweckdienliche Hinweise liefern könne, ginge nicht nur straffrei aus, son dern erhalte eine angemessene Belohnung. Sollte sich jedoch keiner melden, dann würde er auf der Insel eine Razzia durchführen lassen und jedermann der Folter unterwerfen, bis er etwas erfahre. Zwar hoffte Roca, daß die »Valencia« dem Seewolf folgen werde, aber er kannte auch die Gefährlichkeit dieses Gegners, der durch die Rote Korsarin und den Wikinger nicht unerhebliche Verstärkung erhalten hatte. Capitan Roca hatte Glück. MariaJuanita, fast wahnsinnig vor Haß, meldete sich bei dem Capitan. Sie wußte genug über ihn, vor allem aber, daß er Wort halten würde, sofern sie ihm Hinweise geben konnte, wo die SchlangenInsel lag. Und MariaJuanita konnte. Sie hatte alle ihre Energie darauf verwendet, etwas über diesen geheimen Schlupfwinkel zu erfahren. Wenn es auch nichts Genaues war, so hatte sie doch eine genaue Beschreibung der Insel erhalten, auf der Meergeister hausen sollten, die jedes Schiff zerschmetterten, das sich zu nahe an den riesigen Felsendom heranwagte. Auch das ungefähre Seegebiet kannte sie. Als MariaJuanita sich bei Capitan Roca melden ließ, fuhr der Capitan beim Anblick ihres völlig entstellten .Gesichtes zurück.
Roca wußte nicht, daß MariaJuanita die einstige Geliebte Caligus gewesen war. Er bezwang sich und bot ihr Platz an. »Also, zur Sache, Senora!« forderte er sie ohne Umschweife auf. »Was können Sie mir über den geheimen Schlupfwinkel der Roten Korsarin sagen, was über den Seewolf und den Wikinger?« MariaJuanita trat einen Schritt auf den Capitan zu. »Sehen Sie sich mein Gesicht an, Capitan. Denken Sie sich die Narben weg, dann wissen s Sie, daß ich einst eine hübsche Frau war. Solange, bis ich dieser Siri-Tong in die Hände fiel, denn ich hatte ihr den Mann weggenommen, den sie liebte«, log Caligus einstige Geliebte. »Sie machte das aus mir, was ich heute bin. Eine Hure, die sich auf Tortuga mit dem Geld durchs Leben schlagen muß, das ihr die Kerle zustecken, die ihre Narben nicht stören. Sie werden verstehen, daß ich niemanden auf dieser Welt so hasse wie Siri-Tong. Und ich will mich rächen, aus diesem Grunde begrüße ich Ihre Ankunft auf Tortuga, Capitan.« Sie legte eine Pause ein, um die Wirkung ihrer Worte zu beobachten. Der Capitan sah sie an, in seinen dunklen Augen loderte Zorn, aber auch Mitleid mit MariaJuanita. »Senora, ich bedaure Ihr Schicksal sehr, es muß entsetzlich sein, so zu leben. Wie gerieten Sie nach Tortuga?« »Ich befand mich auf der Rückseite nach Spanien. Caligu überfiel unser Geleit, alle Männer wurden niedergemetzelt, nur die hübschen und jungen Frauen blieben am Leben. Unter diesen auch ich.« Sie bog die Geschichte zu ihren Gunsten um. »Caligu verschleppte mich auf die Schildkröteninsel. Alles weitere möchte ich verschweigen, Senor Capitan ...« MariaJuanita brachte es fertig, die Hände vor ihr einst hübsches Gesicht zu schlagen und herzzerreißend zu schluchzen. Capitan Roca erhob sich, legte ihr die Hände auf die Schultern und zog sie an sich.
»Beruhigen Sie sich, Senora, bitte. Und berichten Sie weiter, Sie ahnen ja nicht, welchen Dienst Sie der spanischen Krone erweisen. Ich werde mich erkenntlich zeigen, das verspreche ich, und ich halte immer Wort!« MariaJuanita blickte auf, Tränen in den Augen. »Senor, ich vertraue Ihnen, ich werde Ihnen erzählen, was weiter geschah, aber ersparen Sie mir jetzt bitte Einzelheiten«, bat sie mit erstickter Stimme. Capitan Roca nickte und nahm wieder Platz. »Sie wissen, daß Siri-Tong Caligus erbittertste Feindin war, weil er sie einmal an Bord seines Schiffes vor allen Männern seiner Besatzung erst ausgepeitscht und danach vergewaltigt hatte. Siri-Tong verbündete sich mit dem Seewolf, einem gefährlichen Mann, nun, Sie wissen es, denn er war es, der Ihre Karavelle vorhin ...« Sie brach ab, denn das Gesicht des Capitans verdüsterte sich. »Ich will mich kurz fassen. Siri-Tong und der Seewolf lauerten Caligu auf, stellten ihm eine Falle und vernichteten ihn. Anschließend herrschte Siri-Tong auf dieser Insel«, log sie frech. »Den Rest kennen Sie.« Capitan Roca nickte. Caligus einstige Geliebte wirkte so überzeugend auf ihn, daß sie ihm wirklich aufrichtig leidtat. Trotzdem wollte er zur Sache kommen. »Und was wissen Sie nun über den Schlupfwinkel, Senora? Bitte verzeihen Sie diese Eile, aber meine Zeit drängt. Ich will dem Seewolf und seinen Kumpanen ein Ende bereiten, das ist mein Auftrag, deshalb bin ich hier.« »Die Insel liegt nördlich der CaicosInseln. Irgendwo, die Lage kenne ich nicht. Aber man erkennt sie leicht an dem riesigen Felsendom, der die Zufahrt zur Insel bildet, aber für fremde Schiffe völlig unpassierbar seinsoll!« Sie beschrieb die SchlangenInsel, so gut sie konnte. Capitan Roca hörte ihr aufmerksam zu. »Und woher wissen Sie das alles, Senora?«
MariaJuanita hatte diese Frage erwartet. »Einer jener Männer, die Siri-Tong hier auf dieser Insel stationierte, damit sie immer genau wußte, was hier geschah, hat es mir verraten. Siri-Tong hatte ihn wegen eines kleinen Vergehens grausam auspeitschen lassen, er wollte sich an ihr rächen.« Capitan Roca war plötzlich hellwach. »Bringen Sie mir diesen Mann, Senora. Sofort. Er soll uns führen!« MariaJuanita schüttelte den Kopf. »Es geht nicht, Senor Capitan. Er ist tot. Siri-Tong hat ihn töten lassen, sie muß von seinem Verrat erfahren haben. Wie das geschehen konnte, weiß ich nicht, denn ich habe geschwiegen, wie Sie sich denken können«, log sie abermals. Sie verschwieg dem Capitan, daß sie diesen Mann zu sich gelockt, ihm Liebe versprochen, ihn dann aber langsam und qualvoll zu Tode gefoltert hatte, bis er redete. Sein Wissen hatte er von einem der Männer Siri-Tongs, von einem gewissen Sidi Mansur, der bei der Meuterei auf der SchlangenInsel ums Leben gekommen war. Capitan Roca erhob sich. »Schade, sehr bedauerlich«, murmelte er. Dann straffte er sich. »Sie können sich verbürgen, daß ihre Angaben stimmen, Senora?« fragte er. MariaJuanita nickte. »Gut, ich will Sie fürstlich belohnen, Senora, ich ...« »Nein, Senor Capitan. Nicht mit Gold oder Silber, ich bitte Sie inständig um eine Gnade. Gewähren Sie mir eine Bitte.« »Und welche Gnade wäre das?« fragte Capitan Roca milde. »Helfen Sie mir, aus dieser Hölle wieder unter menschenwürdige Verhältnisse zu gelangen. Nehmen Sie mich an Bord, Senor Capitan, bringen Sie mich in eine spanische Siedlung, in einen Hafen, von wo aus ich eine Chance habe, wieder in unser Mutterland Spanien zu gelangen! Ich flehe Sie an! Ich werde an Bord Ihres Schiffes
jede Arbeit verrichten, die Sie mir auferlegen, Senor Capitan. Aber erlösen Sie mich aus dieser Hölle!« Capitan Roca spürte, wie ihn das Mitleid übermannte. »Senora, sind Sie sich darüber im klaren, daß die .Sevilla ein Kriegsschiff ist und einen Kampf auf Leben und Tod vor sich hat? Wissen Sie, daß wir im Falle einer Niederlage alle einen grausamen Tod erleiden werden? Ich kann es kaum verantworten, Ihnen diesen Wunsch zu erfüllen.« MariaJuanita fiel vor ihm auf die Knie und küßte seine Hände. »Senor Capitan, welchen Wert hat das Leben einer Frau, die so entstellt und vom Schicksal geschlagen wurde wie ich? Ich will lieber sterben, als hier in dieser Hölle dahinzuvegetieren, begreifen Sie das nicht, Senor?« Sie weinte wieder herzzerbrechend. Capitan Roca zog sie vom Boden hoch. »Gut, Senora, ich nehme Sie an Bord. Als Gast. Sie werden keine Arbeiten verrichten. Beten Sie zu Gott, daß wir siegen. Holen Sie jetzt Ihre Habe, ich gebe Ihnen zwei Seesoldaten mit. In einer halben Stunde rudern wir zur .Sevilla hinaus. Und wenn wir die Kerle vernichten sollten, dann werde ich dafür sorgen, daß Sie eine Belohnung erhalten, die Sie für alle Zeiten materiell absichert.« MariaJuanita richtete sich auf. Sie hatte Mühe, den grenzenlosen Triumph zu verbergen, der sie erfüllte. Oh, sie würde den Seewolf und Siri-Tong sterben sehen. Sie würde dem Capitan unterwegs noch mehr Schauergeschichten erzählen, sie würde seinen Zorn noch weit mehr aufstacheln. »Senor, ich brauche keine Soldaten. Ich werde in einer halben Stunde zurück sein. Was ich besitze, kann ich leicht tragen. Ich danke Ihnen Senor Capitan, der Himmel möge Ihnen vergelten, was Sie an mir tun!« Abermals küßte sie seine Hände, dann verließ sie das Zelt, das Capitan Roca für sich hatte aufschlagen lassen.
Eine gute Stunde später lichtete die »Sevilla« die Anker. Jetzt half ihr ihre gewaltige Segelfläche, zumal sich der Wind zu ihren Gunsten gedreht hatte. Sie pflügte mit schäumender Bugwelle durch die See und näherte sich Stunde um Stunde ihrem Ziel. An Bord MariaJuanita, die mit brennenden Augen auf den Horizont starrte, hinter dem irgendwann jene Insel auftauchen würde. 9. Es war den Seewölfen nicht gelungen, die »Valencia« abzuschütteln. Aber nach wie vor erwies sich Capitan de Toria als ein Gegner, der nichts riskierte, sondern beharrlich sein Ziel verfolgte. Er wollte feststellen, wo sich der Schlupfwinkel des Seewolfs befand, und das tat er. Er kreuzte weit draußen vor der Insel, aber so, daß er in seinem Spektiv beobachten konnte, was er sehen wollte. Er stellte verwundert fest, daß die »Isabella« nicht durch den gewaltigen Felsendom in die Bucht einlief, sondern ebenfalls vor der Insel kreuzte - fast sechs Stunden lang. De Toria begriff nicht, wozu das gut sein sollte. Liebend gern wäre er näher an die geheimnisvolle Pirateninsel herangesegelt, aber er riskierte es nicht. Durch den hohen Felsendom wirkte sie düster und drohend. Nichts verriet nach außen hin, daß sich hinter dem Felsendom eine liebliche, paradiesische Bucht öffnete. Ein Paradies mit Tücken allerdings, wie sich noch herausstellen sollte. Nach sechs Stunden beobachtete de Toria, wie plötzlich Leben in die Männer an Bord der »Isabella« kam. Er ahnte nicht, daß eben der Mahlstrom eingesetzt hatte, mit dem allein es möglich war, durch den Felsendom zu gelangen. Und dann auch nur, wenn man das Höllenriff genau kannte oderwie einst der Seewolf ein fast unglaubliches Glück entwikkelte.
De Toria traute seinen Augen nicht, als wiederum eine gute Stunde vergangen war. Die »Isabella« jagte unter vollen Segeln auf den Felsendom zu. So rasch, als wolle sie ihn rammen, und plötzlich war sie verschwunden. Capitan de Toria juckte es in allen zehn Fingern, ihr zu folgen, um das Geheimnis dieser Pirateninsel zu ergründen. Aber er war nüchtern genug, es zu unterlassen. Statt dessen beschloß er, zwei weitere Tage zu kreuzen und Beobachtungen anzustellen. Die Seewölfe sahen es voller Ärger, machtlos, daran irgend etwas zu ändern. Bis plötzlich doch etwas geschah. An der Kimm tauchten Mastspitzen auf. Eine weitere Karavelle rauschte heran. Hasard stürmte zusammen mit Siri-Tong und dem Wikinger auf die Klippen, so schnell er konnte. Das Schiff wurde rasch größer, und dann erkannte er es. »Die ,Le Vengeur! Ribault und von Hütten sind zurück!« Immer mehr Seewölfe und auch Männer vom schwarzen Segler waren auf die Klippe gestiegen. Und plötzlich brandete ein Ruf über die Insel, daß die Felsen erzitterten: »Arwenack!« Ribault und von Hütten hatten den Spanier sofort bemerkt, und äugen blicklich begriffen sie die Situation. Die »Le Vengeur« griff sofort an, und diesmal gelang es dem Spanier nicht mehr rechtzeitig, dem Gegner davonzusegeln. Der Kanonendonner rollte über die See. Die Schiffe verschwanden hinter pechschwarzen Qualmwolken, aber keiner gab nach. Breitseite um Breitseite donnerte über die See, während sich die beiden Karavellen mehr und mehr entfernten. »Verflucht, und wir stehen hier und können nicht raus, um der ,Le Vengeur zu helfen! Es ist zum Kotzen, so was habe ich noch nie erlebt, daß ich zusehen muß, wenn Freunde für mich kämpfen!« Big Old Shane war es, der diese bitteren Worte ausstieß und
vor Wut mit den Füßen aufstampfte. Aber es half nichts, zur Zeit konnte die »Isabella« nicht auslaufen, ohne am Höllenriff, das die Ausfahrt versperrte, zu stranden. Die »Le Vengeur« und die »Valencia« verschwanden hinter dem Kimm. Und sie kämpften immer noch, der Spanier schien ein zäher, schlauer Gegner zu sein, der es zu verhindern wußte, daß sein Gegner enterte. Dann, als die beiden längst verschwunden waren und der Donner ihrer Geschütze nicht mehr zu hören war, brach der Morgen an, an den später alle nur noch voller Schrecken dachten. Mit Sonnenaufgang sichtete Dan, der wegen seiner scharfen Augen Dauerposten auf der Klippe bezogen hatte, die »Sevilla«, die unter vollen Segeln heranrauschte. Von der »Le Vengeur« und ihren tapferen Männern war nichts zu sehen. Der Profos stieß eine Reihe von Flüchen aus, die selbst alte Fahrensleute erblassen ließen. »Verdammt, woher haben diese Rübenschweine die Lage der SchlangenInsel erfahren?« brüllte er. »Hat dieser Don unsere Freunde etwa besiegt, so daß er es diesem verdammten Don da hinten mitteilen konnte? Himmel und Hölle, und wir sitzen hier wie in der Mausefalle und können nicht raus, um diese Dreckskerle da draußen zu den Fischen zu schikken!« Carberry tobte noch eine ganze Weile, und der Wikinger stand ihm darin in nichts nach. Die Stimmung unter den Männern sank von Minute zu Minute. »Los an Bord!« bereitete der Seewolf alledem ein Ende. »Wir werden die .Isabella so vor die Einfahrt legen, daß wir dem Don eine volle Breitseite verpassen können, falls er nachher versucht, mit dem Mahlstrom hereinzusegeln. Freunde es gilt jetzt wir oder sie!« Die Seewölfe sahen ihren Kapitän an. Sie spürten, daß Hasard es noch nie so ernst gemeint hatte wie in diesem Augenblick.
Sie gingen ans Werk. Mit Booten verholten sie die »Isabella«. Der schwarze Segler schied für diesen Kampf noch aus, ihn flott zu kriegen blieb keine Zeit mehr. Dann begann an Bord eine fieberhafte Tätigkeit. Sie verankerten und vertäuten die »Isabella« so, daß auch der Mahlstrom sie nicht abtreiben konnte. Aber sie achteten darauf, daß die Taue, wenn nötig, auch sofort zu kappen waren. Die Männer schufteten wie die Besessenen, während die Galeone Capitan Rocas unter vollen Segeln und bei günstigstem Wind auf die SchlangenInsel zulief. Das große Schiff schob eine mächtige Bugwelle vor sich her, die im ersten Sonnenlicht weithin sichtbar leuchtete. Dan, der zusammen mit Bill immer noch auf seinem Ausguck in den Fel sen saß, schüttelte wiederholt den Kopf. »Der Kerl muß verrückt sein, Bill«, sagte er zu dem mageren Schiffsjungen, der ebenfalls aus großen Augen auf die spanische Kriegsgaleone starrte. »Wenn der so weitersegelt, dann knallt er auf die Felsen, und dann hats aber gründlich gescheppert, Mann.« Noch eine Weile beobachtete Dan die Galeone, aber ihr Kommandant dachte gar nicht daran, den Kurs auch nur im geringsten zu ändern. »Himmel, dieser Idiot weiß nicht, daß der Mahlstrom jeden Moment einsetzen kann. Los, Bill, runter mit dir zur »Isabella«, sag Hasard Bescheid. Wenn er diesen Brocken dort erst im Felsendom auftauchen sieht, dann ist alles zu spät!« Bill flitzte los, und damit hatte das zweite Drama, das sich an diesem Morgen auf der SchlangenInsel ereignen sollte, seinen Anfang genommen.
MariaJuanita stand auf dem Achterkastell. Nach einigem Hin
und Her hatte Capitan Roca ihr das erlaubt. Aus brennenden Augen starrte sie auf die SchlangenInsel, die mit jeder Minute höher aus dem Wasser wuchs. Die »Sevilla« war gefechtsklar, jeder Mann stand auf seinem Posten. Der Plan des Capitans war so einfach wie verhängnisvoll. Er ließ seine Galeone eine kleine Schwenkung vollführen, so daß sie nunmehr genau auf die Passage im Felsendom zulief. MariaJuanita erkannte seine Absicht. Sie hatten bei ihrer Suche nach der SchlangenInsel ein geradezu unheimliches Glück entwickelt, und der Capitan nahm das für ein gutes Omen. Trotzdem erschrak MariaJuanita zutiefst, als sie seine Absicht erkannte. Mit ein paar Schritten war sie bei ihm. »Senor Capitan, um Himmels willen, nein, tun Sie es nicht! Durch diesen Felsendom kann kein normales Schiff segeln, das wird immer wieder erzählt. Lassen Sie Ihre Männer von der Landseite aus angreifen, bitte, Senor Capitan! Ich habe von diesem Seewolf gehört, er hat sich bestimmt abgesichert, er ...« Capitan Rocas Züge verfinsterten sich. »Hören Sie, Senora, ich dulde nicht, daß Sie sich in das einmischen, was ich für richtig halte. Ich verbiete Ihnen, zu kritisieren, was ich angeordnet habe. Ich will nicht unhöflich werden, Senora, aber auf diesem Schiff gibt nur ein Mann Befehle, und der bin ich. Haben Sie das verstanden?« MariaJuanita nickte, äußerlich zerknirscht, und das besänftigte den Capitan. Er wurde wieder etwas zugänglicher. »Senor Mateo, geben Sie der Senora das Spektiv. Ich will ihr etwas zeigen, sicher beruhigt sie das sofort und sicher glaubt sie dann nicht mehr an all jene unsinnigen Legenden, wie sie schließlich in allen Häfen der Welt erzählt werden.« Mateo reichte ihr das Fernrohr, nachdem er es ausgezogen hatte. »Bitte, sehen Sie hindurch, Senora. Was sehen Sie?« MariaJuanita starrte durch den Felsendom in die Bucht. Sie
sah die »Isabella« dort liegen, quer zur Einfahrt. Alle Geschützpforten hochgezogen. »Die Jsabella!« stieß sie hervor. »Diese dreimal verfluchte Jsabella, und ich glaube, ich erkenne auch den Seewolf!« »Stimmt genau, Senora. Sie liegt dort, gefechtsklar. Können Sie mir die Frage beantworten, warum sie das tun sollte, wenn die Einfahrt in die Bucht wirklich so unpassierbar wäre, wie immer behauptet wird? Der Seewolf ist kein Dummkopf, Senora. Er hat immer genau gewußt, was er tat. Sehr zum Schaden der spanischen Krone!« MariaJuanita setzte das Fernrohr ab. »Sie glauben, Senor Capitan...« »Ja, man hat diese unsinnigen Geschichten erfunden, um Fremde davon abzuhalten, in die Bucht einzulaufen. Zugegeben, die Durchfahrt ist eng, Senora, aber wir haben einen vorzüglichen ersten Steuermann, nämlich Senor Mateo. Er wird das Ruder im entscheidenden Moment übernehmen. Am besten übernehmen Sie bereits jetzt, Senor Mateo, damit wir ganz sichergehen!« Der Capitan salutierte und ging zum Kolderstock. Er hatte zwar seine Bedenken, aber die Befehle gab Roca. Und bisher hatten sie unter seiner Führung nur ganz selten eine Niederlage einstecken müssen. Außerdem hatten die Argumente Rocas etwas für sich. Zudem hatte Mateo weiter hinten in der Bucht noch ein Schiff gesehen. Einen großen Viermaster, pechschwarz, unheimlich. Wenn der in der Lage war, die Einfahrt zu passieren, dann mußte das der »Sevilla« auch möglich sein. Vom Mahlstrom wußten weder er noch Capitan Roca etwas. Auch die »Valencia« hatten sie bisher noch nicht wieder gesehen und daher nicht erfahren können, was bei der SchlangenInsel geschehen war. Roca schob das Spektiv zusammen. »Ich hoffe, es ist mir gelungen, Senora, Ihre Ängste zu
bannen. Sie sollten jetzt aber unbedingt unter Deck gehen, denn eine volle Breitseite werden wir hinnehmen müssen. Aber dann rammen wir die ,Isabella und entern. Danach wird alles schnell vorbei sein.« Er deutete eine Verbeugung an und wandte sich an den hinter ihm stehenden Don Fuega. »Sie bereiten alles zur Folter vor. Eine einzige Breitseite bringt unsere .Sevilla nicht um. Davon hat sie schon viele ausgehalten. Ich habe Anweisung gegeben, den Seewolf, SiriTong und wenn möglich auch den Wikinger lebend gefangenzunehmen. Ein Spezialkommando unter meiner oder Senor Mateos Führung wird das besorgen. Wir haben genug Seesoldaten an Bord, um die Seewölfe innerhalb von Minuten zu überrennen. Ich wünsche, daß Sie sofort mit der Folter beginnen, sobald wir alle, zwei oder auch nur einen von diesen Piraten haben. Und ich warne Sie, Don Fuega, ich will Erfolge. Wenn Sie die nicht bringen, oder wenn einer der Gefolterten stirbt, ohne geredet zu haben, sind Sie selber dran. Gehen Sie jetzt!« MariaJuanita glaubte, nicht recht zu hören. Das war ja herrlich. Man wollte den Seewolf also nicht einfach vernichten, sondern er sollte gefoltert werden! Sie ließ sich nichts von alledem anmerken, was sie in diesem Moment empfand. Sie tat, als würde sie gehorsam unter Deck gehen. »Viel Glück, Capitan. Ich hoffe, ich darf dabeisein, wenn Sie diese Kerle der Folter unterwerfen!« Der Capitan schickte ihr einen nachdenklichen Blick hinterher. Manchmal war ihm diese Senora geradezu unheimlich. Wiemußte dieses Weib hassen, um solche Wünsche zu äußern! Mehr Zeit blieb ihm nicht mehr für derartige Überlegungen, denn die »Sevilla« lief jetzt mit voller Fahrt auf den Felsendom zu. Der dunkle Fels türmte sich gigantisch vor dem Schiff auf.
In der engen Durchfahrt glitzerte das Wasser. An Bord der Galeone hielten die Männer den Atem an und bekreuzigten sich.
Bill hatte das Ufer erreicht. Er nahm sich nicht die Zeit, das Boot zu benutzen, wie der Seewolf es ihm ausdrücklich befohlen hatte. Statt dessen warf er sich mit einem gewaltigen Satz ins Wasser und wollte die knapp hundert Yards zur »Isabella« hinüberschwimmen. Ed Carberry sah das, Siri-Tong ebenfalls. »Bill, zurück! Schnell!« schrien beide, aber der Junge hörte nicht. Der Seewolf fuhr herum und erfaßte sofort, um was es ging. »Bill, zurück!« brüllte auch er, aber es war schon zu spät. Ein dunkler Schatten zuckte unter dem Schiff hervor. Im nächsten Moment fuhr ein riesiger, dicht an dicht mit Saugnäpfen überzogener Fangarm aus dem Wasser und umschlang den Jungen. Bill schrie auf, schlug mit Armen und Beinen um sich, aber das nutzte ihm nichts. Der Riesenkrake hatte zugepackt und zog ihn erbarmungslos unter Wasser in sein dunkles Reich. Der Seewolf überlegte in diesem Moment nicht. Er wußte nur, daß er versuchen mußte, den Jungen vor diesem entsetzlichen Tod zu bewahren. Denn allen an Bord, ihn selbst eingeschlossen, war das Bürschchen zumindest genauso ans Herz gewachsen wie damals Dan. Er fetzte sich mit einem Ruck das Hemd vom Oberkörper, riß sein breites Entermesser aus dem Gürtel und sprang über Bord. Siri-Tong schrie auf. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht, aber die weiteren Ereignisse ließen ihr keine Zeit mehr, irgend etwas zu unternehmen, obwohl sie die beste Schwimmerin weit und breit war.
Die »Sevilla« wuchs in der Einfahrt des Felsendoms genau in dem Moment empor, als Hasard tauchte. Das Gischten der gewaltigen Bugwelle der Galeone, die der einsetzende Mahlstrom noch zusätzlich beschleunigte, drang bis zur »Isabella« hinüber. Carberry, Ferris Tucker und alle anderen starrten das schwere Schiff an. Sie hätten feuern müssen, aber sie konnten es nicht, denn Hasard befand sich genau dort, wo möglicherweise fehlgegangene Eisenkugeln und Trümmer ins Wasser zischen würden. Der Profos stieß einen ellenlangen Fluch aus, als ihm die schlimme Lage klar wurde, in der sie sich befanden. Außerdem mußte die Galeone den Seewolf überrennen, sobald er wieder auftauchte. Es kam jedoch anders. Plötzlich hob sich der Bug der »Sevilla« hoch aus dem Wasser. Krachen und Bersten erfüllten die Luft. Vor den Augen der entsetzten Seewölfe zersplitterte das massive Vorschiff der Galeone. Der Fockmast stürzte, der Großmast folgte, die Rahen streiften die Felsen und wurden abrasiert. Aber die Fahrt, die Wucht, die die spanische Kriegsgaleone auf das Riff getrieben hatten, waren nicht so schnell zu stoppen. Die scharfen Felsen rissen das Schiff bis zur Mitte auf, das Vorschiff brach ab und trieb auf die »Isabella« zu, während das Wasser unter entsetzlichem Gurgeln in die Hohlräume schoß. Menschen stürzten, fielen oder sprangen über Bord. Irgendwo ging eins der schweren Geschütze los, der Donner hallte grauenhaft im Felsendom wider. Capitan Roca spürte, wie ihn Gigantenfäuste packten und aufs Hauptdeck hinunterschmetterten. Die stürzenden Rahen und Stengen begruben ihn unter sich, eins der schweren Geschütze überrollte und zermalmte ihn. Er starb, noch ehe er seinen tödlichen Fehler begriff. Capitan Mateo stürzte über Bord. Ein Geschütz, das ihm
folgte, erschlug ihn und riß ihn mit in die Tiefe. Die »Sevilla« bäumte sich auf. Holz zerbarst krachend auf den scharfen Felsen, der gewaltige Rumpf neigte sich zur Seite, dann saß er fest, unverrückbar fest auf jenem Riff, das die Einfahrt in die Bucht blockierte und von dem Capitan Roca nichts geahnt hatte. Irgendwo auf dem Schiff flackerten Brände auf. Die Seewölfe und auch einige Männer des schwarzen Seglers stürzten zum Schanzkleid. Noch immer dröhnten ihnen die Ohren vom Krachen und Bersten. Außerdem stellten sie alle sich in diesem Augenblick die bange Frage: Was war mit dem Seewolf, was mit Bill? Genau dort, wo der Seewolf getaucht war, hatte es die »Sevilla« erwischt. Die Trümmer mußten den Jungen und den Seewolf erschlagen haben. Ferris Tucker wollte gerade etwas sagen, da passierte es. Irgendwo auf der spanischen Kriegsgaleone entlud sich donnernd eine Drehbasse. Ein Pulverfaß, das die Flammen erreicht hatten, ging ebenfalls hoch und zündete weitere Fässer, die in Sekundenschnelle donnernd explodierten. Gehacktes Blei, Stangenkugeln, Eisenteile wurden emporgeschleudert. Die Ladung der Drehbasse schlug in das Schanzkleid der »Isabella« ein und erwischte Bob Grey, der sich gerade in Deckung werfen wollte, im Rücken. Auch Bill the Deadhead, der sich mit einem gewaltigen Hechtsatz hinter eines der Geschütze retten wollte, traf ein Stück Blei in den Hintern. Er schrie auf und kroch auf allen vieren davon. Smoky wollte ihm zu Hilfe eilen, ein Eisenstück knallte ihm aber im selben Augenblick auf den Schädel. Lautlos brach der Decksälteste zusammen. Verkrümmt lag er auf den Planken, und um seinen Kopf bildete sich eine Blutlache. Ben Brighton fluchte erbittert. Das war ein schwarzer Tag für die Seewölfe. Hasard und Bill wahrscheinlich tot. Smoky, Bob Grey und Bill the Deadhead verwundet, Smoky vielleicht sogar
tot. »Ed, Kutscher, Batuti - los, her mit euch, wir müssen ...« In diesem Augenblick tauchte über dem Schanzkleid der Kopf eines riesigen Spaniers auf. Bill Brighton starrte den Don an wie eine Erscheinung. Aber dann begriff er, daß dieser Mann von der Galeone zu ihnen herübergeschwommen sein mußte und Rettung suchte aus dem Inferno des Untergangs. Aber Ben Brighton irrte sich, denn der Spanier, halb irre vor Angst, drehte durch. Er riß ein breites Entermesser aus seinem Gürtel und stürzte sich brüllend auf den ersten Offizier der »Isabella«. Ben war so überrascht, daß seine Abwehr zu spät erfolgte. Mit rollenden Augen, Schaum vor dem Mund, entsetzliche Schreie ausstoßend drang der Spanier auf Ben Brighton ein ein Kerl wie ein Berg, muskelbepackt. Ben Brighton wich unter dem ungestümen Ansturm des in Panik geratenen Spaniers zurück. Die Klinge des Spaniers zuckte vor und drang in seinen linken Oberarm. Ben Brighton spürte den wahnsinnigen Schmerz, das Messer mußte Muskeln und Nervenstränge durchtrennt haben. Der linke Arm Brightons fiel herab, er war wie gelähmt. Und wieder drang der Spanier brüllend auf ihn ein. Ben Brighton hatte Mühe, diesen Angriff abzuwehren. Batuti tauchte auf dem Hauptdeck auf. Er rollte die Augen und schwang seinen Morgenstern. »Verfluchtes Don!« schrie er. »Batuti dir helfen, auf ,Isabella Ben abstechen wie Schwein, da!« Er schlug zu. Sein Morgenstern sauste herab und traf den Spanier, der sich blitzschnell abduckte, ins Kreuz. Batuti ließ ihm nicht mehr die Zeit, auf die Planken zu gehen, sondern packte ihn und schleuderte ihn über Bord. Dann sah er sich mit rollenden Augen um und wollte zu Ben Brighton, aber der winkte mit schmerzverzerrtem Gesicht ab.
»Kümmere dich um Smoky, Batuti, ihn hat es am schlimmsten erwischt.« Wenig später war der Kutscher zur Stelle. Er bestätigte, was Ben Brighton gesagt hatte. Smoky hatte es tatsächlich übel erwischt. Er erinnerte sich an nichts und wußte nicht mehr, wo er sich befand. Der Kutscher verband ihn zuerst, dann kümmerte er sich um Bob Grey und Bill the Deadhead. Zuletzt sah er sich die tiefe Wunde Ben Brightons an. »Nicht lebensgefährlich, Ben«, stellte er fest. »Aber daran wirst du noch deine helle Freude haben. So, und jetzt halt still, auch wenn es weh tut!« Er säuberte die Wunde und legte einen Verband an. Ben Brighton verzog nicht einmal das Gesicht. In seinem Kopf und bei den anderen, die ihn und den Kutscher umstanden, verhielt es sich ebenso - rotierte nur eine einzige Frage: Was war mit Hasard, was mit Bill? * Der Seewolf tauchte. Er wußte, daß er verdammt schnell sein mußte. Der Krake würde sich zunächst festen Halt verschaffen, irgendwo auf dem Riff, um seine Beute dort in aller Ruhe zu verzehren. Der Seewolf betete in diesem Moment, daß der Krake nicht zu tief getaucht sein möge, denn sonst war Bill nicht mehr zu helfen. Er hatte Glück. Er erblickte den Kraken, und er sah den Jungen, der in einem der gewaltigen Fangarme des Kraken hing, mit dem Kopf nach unten. Er wehrte sich immer noch verzweifelt. Aus! dachte der Seewolf. So schnell konnte er gar nicht sein, daß er den Jungen noch befreite, bevor er jämmerlich ertrank. So schnell kam er an den Kraken nicht heran. Erwischte ihn
das Biest auch nur mit einem seiner Fangarme, dann war alles vorbei. Er dachte in diesem Moment blitzartig an jene grauenhafte Szene, als er Siri-Tong damals den Fangarmen eines Kraken entrissen hatte, in dem er ihm den Lebensnerv direkt über dem Hornschnabel durchbiß. Diese Methode hatte ihn Jean Ribault gelehrt, der es wiederum von den KaribikPiraten gelernt hatte. Nur, der Krake damals war gegen diesen hier glatt ein Zwerg gewesen. So ein riesiges Exemplar hatte Hasard noch nie gesehen, nicht einmal gewußt, daß es so etwas gab. Der Krake hatte ihn entdeckt. Seine beiden Augen blickten den Seewolf tückisch an, und gleichzeitig zog er den zappelnden Jungen näher und näher an seinen gewaltigen Hornschnabel heran. Aus! dachte der Seewolf noch einmal, und dann passierte es plötzlich. Der Seewolf dachte, ein Seebeben wäre ausgebrochen. Die schmetternden Schläge, die das Wasser der Bucht durchliefen, drohten ihm die Trommelfelle zu sprengen. Irgend etwas Dunkles schob sich über ihn. Der Krake zuckte ebenfalls zusammen. Dann ließ er plötzlich den Jungen los und verschwand blitzartig in der pechschwarzen Tiefe neben dem Höllenriff. Hasard glaubte nicht, was er sah, aber er handelte. Mit ein paar Stößen war er bei Bill, packte ihn und spürte gleichzeitig, wie ihn der Mahlstrom ergriff. Verzweifelt wehrte Hasard sich ein paar Sekunden, den Jungen im Arm. Aber das Wasser war stärker. Und immer noch waren um ihn herum das Brechen und Bersten der sterbenden »Sevilla«. Der Strom katapultierte den Seewolf an die Oberfläche, der Junge hing bewußtlos in seinen Armen. Noch einmal hatte der Seewolf Glück. Er wurde an den Strand gespült, bevor die zweite Welle des Mahlstroms
einsetzte und sich die gefährlichen Strudel in der Bucht bildeten. Hasard watete an Land. Er wollte sich total ausgepumpt in den weichen Sand fallen lassen, aber dann sah er den Jungen. Augenblicklich begann er seine Arbeit. Er drückte Bill den Brustkorb zusammen, stellte ihn auf den Kopf, preßte das ganze Wasser aus den Lungen des Bürschchens, bis Bill wieder ein Lebenszeichen von sich gab. Bill hustete und spuckte und würgte eine Weile, während der Seewolf ihm beruhigend zusprach. Dann erst blickte er sich in der Bucht um. Er sah das riesige Wrack und die »Isabella«. Langsam ging er am Strand ent lang, Bill auf den Armen, und ihm selbst zitterten alle Glieder. Immer wieder sah er den Riesenkraken vor sich, die tückischen Augen, die das Biest auf ihn richtete. Erst nach einer ganzen Weile, als die Todesschreie der Menschen in der Bucht erstorben waren, als plötzlich Totenstille herrschte und nur das Gurgeln des Mahlstroms zu vernehmen war, der an der »Isabella« zerrte, begriff Hasard, daß er und das Bürschchen in seinen Armen noch einmal davongekommen waren. Er rief die »Isabella« an, und der Seewolf sah, wie die Männer auf das Achterkastell stürzten. Eine Viertelstunde später waren sie bei ihm. Thorfin Njal erdrückte den Seewolf fast, als er ihn immer wieder umarmte. Nur Siri-Tong stand etwas abseits, aber in ihren Augen war alles zu lesen, was sie in diesem Moment empfand. Sie lächelte, als der Seewolf ihren Blick erwiderte, aber es kostete sie eine wahnsinnige Anstrengung, denn am liebsten hätte sie vor Glück und Dankbarkeit geheult wie ein kleines Mädchen.
Erst gegen Mittag begaben sich Siri-Tong, der Seewolf, der Wikinger, Ben Brighton, der BostonMann, Ferris Tucker, Dan OFlynn und Carberry auf das Wrack der »Sevilla«. Der Seewolf blieb auf dem geborstenen und völlig verwüsteten Deck stehen. »Das wird eine Mordsarbeit«, sagte er nur. »Ehe wir das Wrack hier nicht beseitigt haben, können wir aus der Bucht nicht wieder raus und Ribault nicht rein.« Ferris Tucker nickte nur. Das konnte Tage dauern, wenn nicht länger. Dan OFlynn ging langsam weiter. Ihm wurde speiübel, als er die völlig zerschmetterten Toten sah, die unter den Trümmern begraben lagen. Doch dann blieb er plötzlich wie erstarrt stehen. Sein Blick fiel auf eine Frau, die der vom Achterdeck aufs Hauptdeck niederstürzende Besan der Galeone erschlagen hatte. Er sah die entsetzlichen Narben in ihrem Gesicht, drei blutrote Narben. Dans Magen krampfte sich zusammen. Bleich wie eine Lage Segeltuch winkte er den Seewolf, Siri-Tong und die anderen zu sich heran. Auch der Seewolf blieb wie angewurzelt stehen, als er das Gesicht der Toten sah. Siri-Tong krampfte ihre Rechte in seinen Unterarm. »MariaJuanita«, sagte sie leise. »Sie also war es, die die ,Sevilla hierher führte und Schiff wie Besatzung mit sich ins Verderben riß, weil sie ihre Rache wollte!« Der Seewolf bückte sich und drückte ihr die gebrochenen Augen zu. Dann wandte er sich wortlos ab und ging mit SiriTong davon. Erst am Nachmittag dieses Tages fanden andere Männer der »Isabella« und die vier Wikinger Eike, Ölig, Arne und der Stör auch Don Fuega und seine Folterknechte. Ihre Leichen trieben im Schiffsinnern, unter ihnen, auf den zerborstenen Planken
lagen ihre Folterwerkzeuge. Aber keiner der Männer, der sie sah, wußte, welche Rolle sie hatten spielen sollen. Denn niemand kannte Don Fuega und seine Folterknechte.
Am Abend, als sich die Dämmerung über die SchlangenInsel senkte, kehrte die »Le Vengeur« zurück. Das Schiff sah schlimm aus. Als Ribault und von Hütten erfuhren, was sich auf der SchlangenInsel zugetragen hatte, ankerten sie kurzerhand an der windgeschützten Seite der Insel und stiegen an Land. »Die Dons sind uns entwischt. Der Kerl kämpfte wie ein Teufel, und er segelte noch besser. Die Lage wird brenzlig, denn die Dons werden Verstärkung holen, auch wenn sie eine Weile brauchen werden, bis sie einen Hafen erreichen. Sie sehen noch schlimmer aus als wir, ihre »Valencia« hat viel abbekommen. Aber Karl und ich mußten aufgeben, weil uns das Pulver ausging. Laßt uns das Wrack so rasch wie möglich beseitigen, viel Zeit wird uns nicht bleiben!« Wieder am Abend desselben Tages ging Carberry seine Runde durch das Schiff. Aber nicht zufällig, sondern er hatte noch etwas zu erledigen, wie er es nannte. Er fand Bill, der sich in einer Taurolle zusammengeringelt hatte, aber noch wach war. Dort blieb der Prof os stehen. »Es schläft sich nicht gut mit einem schlechten Gewissen, wie, was?« fragte er, aber seine Stimme klang nicht unfreundlich. Der Junge schluckte. »Ich wäre schuld gewesen, wenn der Seewolf ums Leben gekommen wäre, wenn ihn dieser entsetzliche Krake ebenfalls erwischt hätte. Ich, Profos, ich ganz allein.« Bill schluchzte, und Carberry setzte sich zu ihm auf die Taurolle.
»So?« fragte er. »Du wärst schuld gewesen, Junge? Kannst du mir erklären, warum? Natürlich hätte jeder von uns versucht, dich zu retten. Seewölfe lassen einander nie im Stich, hörst du? Also, wenn das aber selbstverständlich ist, warum bist du dann schuld, Bill?« »Weil ich mich nicht an die Befehle des Seewolfs gehalten habe. Deshalb. Denn wenn ich es getan hätte, dann wäre das alles nicht passiert! Ich hätte das Boot benutzen müssen, weil er es ausdrücklich befohlen hatte!« Das Bürschchen schluchzte. Carberry hob das Gesicht des Jungen behutsam mit seiner Pranke an und blickte ihm in die Augen. »Gut, daß du das weißt, Bill«, sagte er dann. »Und damit, daß der Seewolf dich gerettet hat, ist für dich die Sache nicht erledigt, habe ich das richtig verstanden?« Bill nickte. »Ich habe Strafe verdient, Profos. Jeder Mann der Besatzung würde dafür bestraft worden sein, und ich will ein Mann werden, Profos. Ich will werden wie der Seewolf, wie du, wie Tucker, wie Dan...« Carberry grinste. »Du hast recht, und deshalb werden wir das jetzt erledigen, Söhnchen. Dann ist die Sache ausgestanden, dafür sorge ich. Es wird niemals wieder davon gesprochen, klar?« Der Profos langte blitzschnell zu und legte Bill übers Knie. Dann verabreichte er ihm eine Tracht Prügel, wie er sie für einen Jungen in Bills Alter für angemessen hielt. Anschließend legte er ihn in die Taurolle zurück, und Bill wehrte sich nicht. »Schlaf jetzt, Söhnchen. Morgen früh ist alles wieder gut. Und wenn du mal Sorgen hast, zum alten Carberry kannst du immer kommen, klar?« Carberry wartete keine Antwort ab, sondern ging. Er wußte genau, was in dem Jungen seit der Sache mit dem Kraken vorgegangen war, und er hatte es auf seine Weise gelöst. Er hatte Bill verziehen, das war für den Jungen ungeheuer
wichtig, denn der Profos war an Bord der »Isabella« neben dem Seewolf das Gesetz. Als er eine Stunde später noch mal bei Bill vorbeischaute, schlief der Junge fest. Seine Züge wirkten gelöst. »In Ordnung!« brummte der Profos und hob die Öllampe wieder an. »Und jedem, der davon noch mal anfangen sollte, dem werde ich die Haut von seinem Affenarsch in Streifen abziehen. Aber so einen Dreckskerl gibt es an Bord der .Isabella nicht, jeder von uns macht schließlich mal Fehler, größere oder kleinere ...«
Wochen später erreichte die Kunde vom Tode und von der Niederlage Capitan Rocas und Don Fuegas Nuevitas. Erst nur als Gerücht, dann, als ein neuer Alkalde den wieder aufgebauten Palast bezog, wurde das Gerücht zur Gewißheit. Anuk, Jose und Maria standen dort, wo sich einst der Gefängnis turm befunden hatte. Sie blickten auf die Bucht von Nuevitas hinunter, in der nur das Schiff ankerte, mit dem der neue Alkalde gebracht worden war. »Er hat eine Amnestie erlassen, für alle, die damals mit dem Aufstand zu tun hatten. Es ist offenbar geworden, was für ein Regiment dieser Don Fuega hier errichtet hatte, welch eine Terrorherrschaft er hier ausübte.« Jose sagte es leise. Maria schmiegte sich an ihn. Dann sah sie Anuk dankbar an. »Du hast unser Leben gerettet, Anuk, wir werden dir das nie vergessen, nie!« Sie löste sich aus den Armen Joses und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Anuk sah sie aus seinen dunklen Augen an. »Es wird noch
lange dauern, bis alles wirklich besser wird in Nuevitas. Vielleicht werden wir wieder einmal kämpfen müssen. Meine Freunde und ich werden es immer wieder tun. Aber wir werden leben, wir werden niemals zu willenlosen Sklaven werden. Kommt jetzt, es ist sicherer, wenn ihr noch eine Weile bei uns bleibt, da findet euch niemand!« Er wandte sich ab und ging langsam in die Dunkelheit. Maria und Jose folgten ihm, denn sie wußten, daß Anuk recht hatte. ENDE Das Vermächtnis des toten Kapitäns von Fred McMason Es war Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann der Seewölfe, dem beim Vermessen des schwarzen Seglers auffiel, daß mit den Maßen des Laderaums etwas nicht stimmte. Thorfin Njal, der Wikinger, hingegen behauptete steif und fest, es sei alles in Ordnung, er kenne das Schiff bis in den letzten Winkel. Dafür war er sogar bereit, ein Faß Branntwein zu verwetten und er verlor es. Aber was sie entdeckten, ließ ihnen buchstäblich die Haare zu Berge stehen ...