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Der Joker Louba, der Spieler Mary Ferrera spielt System Der Mann, der alles wußte Die Millionengeschichte Der Mixer Neues vom Hexer (Kurzgeschichten) Penelope an Bord der Polyantha Der Rächer Richter Maxells Verbrechen Der rote Kreis Der Safe mit dem Rätselschloß Die Schuld des anderen Der schwarze Abt Der sechste Sinn des Mr. Reeder Die seltsame Gräfin Der Teufel von Tidal Basin In den Tod geschickt Töchter der Nacht Die toten Augen von London Die Tür mit den 7 Schlössern Turfschwindel Überfallkommando Der Unheimliche Die unheimlichen Briefe Das Verrätertor Der viereckige Smaragd Die vier Gerechten Zimmer 13 Der Zinker
A. S. der Unsichtbare Bei den drei Eichen Die Bande des Schreckens Der Banknotenfälscher Die blaue Hand Der Brigant Der Derbysieger Die Diamantenbrosche Der Diamantenfluß Der Doppelgänger Die drei Gerechten Die Drei von Cordoba Ein gerissener Kerl Der Engel des Schreckens Der Frosch mit der Maske Das Gasthaus an der Themse Die gebogene Kerze Geheimagent Nr. 6 Das Geheimnis der gelben Narzissen Das Geheimnis der Stecknadel Das geheimnisvolle Haus Die gelbe Schlange Das Gesicht im Dunkel Großfuß Der grüne Bogenschütze Der grüne Brand Gucumatz der Allmächtige Hands up! Der Hexer Das indische Tuch
Edgar Wallace Das Gasthaus an der Themse
scanned by Harti
Ungekürzte und neuübersetzte Ausgabe Übertragung aus dem Englischen von Edith Walker Titel des Originals: „The India-Rubber-Men“
1 In der Dunkelheit eines nebligen Morgens glitt ein Ruderboot stromabwärts. Die Riemen bewegten sich im gleichen Takt, denn die beiden Männer, die sie führten, waren geübte Ruderer. Sie hielten dicht am Ufer von Surrey und folgten damit einem unüblichen Kurs, da sie aus guten Gründen in der Nähe der vor Anker liegenden Flußschiffe bleiben mußten. Diese bildeten einen Hintergrund, mit dem das Boot gewissermaßen verschmelzen konnte. Irgendwo im Osten ging die Sonne auf, aber der Himmel blieb dunkel und verhangen. Auf dem Fluß und an Land brannten Lichter. Billingsgate Market war strahlend hell erleuchtet, und über den Kais, an denen Frachtkähne vertäut lagen, blinkten weiße Bogenlampen wie Sterne. Der Fluß erwachte. Kleine Hilfsmotoren tuckerten, Drehkräne ratterten und quietschten, Ankerketten rasselten. Das Ruderboot hatte jetzt die lange Reihe der Flußschiffe hinter sich gelassen und zeigte mit der Nase zum nördlichen Ufer, als vor dem dunklen Himmel ein noch dunklerer Schatten sichtbar wurde. Der Schlagmann wandte den Kopf und entdeckte die Umrisse einer Barkasse, die auf seinem Kurs quer im Fluß lag. Er ließ die Ruder sinken. »Wade!« brummte er. Aus der Dunkelheit rief eine vergnügte Stimme: »Hallo, mein Lieber! Wohin des Weges?« Mit einem geschickten Manöver legte sich die Polizeibarkasse längsseits. Jemand schlug einen Bootshaken in die Seitenwand des Bootes. »Ich bin's doch bloß, Inspektor Wade«, sagte der zweite -5-
Ruderer. Er hatte eine hohe, piepsige Stimme und unterbrach seinen Redefluß immer wieder durch ein geradezu zwanghaftes Schnüffeln. »Tatsächlich, es ist Mr. Offer!« Die Stimme auf der Polizeibarkasse heuchelte übertriebenes Staunen. »Schnüffel-Offer! Was haben denn Sie um diese Zeit hier zu suchen? An einem so rauhen Morgen, an dem junge Menschen von schwacher Gesundheit noch brav im Bettchen liegen sollten. Kommen Sie, lassen Sie sich mal ansehen!« Ein starker Scheinwerfer flammte auf und durchleuchtete den kleinen Kahn mit schonungsloser Gründlichkeit bis in jeden Winkel. Die beiden Männer, die mit den Rudern in den Händen stocksteif dasaßen, blinzelten, weil das grelle Licht sie blendete. »Was haben wir denn da?« fragte die verhaßte Stimme Inspektor John Wades. »Das sieht ja aus wie eine Kiste Whisky — und, meiner Seel', da ist auch noch eine zweite.« »Wir haben sie aus dem Fluß geholt«, sagte der Mann, den Wade“Schnüffel« genannt hatte. »Sie trieben einfach so im Wasser, und da haben Harry und ich sie rausgefischt.« »Gefischt habt ihr? Darauf könnte ich wetten! Macht euer Boot fest, und kommt zu mir auf die Barkasse. Aber ein bißchen dalli!« Die beiden Flußdiebe sagten nichts, bis sie auf der Barkasse waren, die Kurs auf das Stationsgebäude der Flußpolizei nahm. »Um uns zu erwischen, brauchen Sie sich nicht besonders anzustrengen, Inspektor«, sagte Schnüffel plötzlich gehässig. »London ist so voll von Mördern und Räubern, die nie gefaßt werden, aber Sie sind hinter ein paar kleinen Ganoven her. Denken Sie an die Frau, die -6-
man mit durchgeschnittener Kehle in Cranston Gardens gefunden hat — denken Sie an die Gummimänner ...« »Halt den Mund!« knurrte sein Freund. »Nur weiter so, Schnüffel«, sagte Inspektor Wade hingegen freundlich. »Ich bin nicht so empfindlich. Sie erwähnen die Gummimänner, haben Vorwürfe erhoben und versucht, mich und die Stadtpolizei zur Schnecke zu machen. Nur weiter so, Schnüffel, sprechen Sie sich aus.« »Halt den Mund, Schnüffel«, ermahnte der zweite Festgenommene ihn noch einmal, und Offer sagte nichts mehr. Er ließ sich auch nicht durch die spöttischen Sticheleien und ironischen Bemerkungen des Inspektors aus der Reserve locken. »Also, was wolltet ihr mit dem Whisky anfangen?« fragte Wade. »Mich interessiert, wo man ganze Kisten Whisky — gestohlenen Whisky — loswerden kann. Ich bin mitten in der Ausbildung zum Alkoholschmuggler. Heraus mit der Wahrheit, Schnüffel! Es erfährt bestimmt niemand außer mir.« Als Antwort schnüffelte der Flußdieb ein paarmal empört. »Kommen Sie, vertrauen Sie sich mir an!« Die beiden Ganoven konnten das Lächeln auf dem schmalen, dunklen Gesicht des Inspektors nicht sehen, doch sie hörten das Lachen in seiner Stimme. »Wolltet ihr damit die Herzen der armen Seeleute im >Mekka< erfreuen? Das wäre eine fast lobenswerte Tat gewesen. Die armen Teufel, die sich auf allen sieben Meeren herumtreiben müssen, verdienen, daß man sie ein bißchen verwöhnt. Oder sollte vielleicht der alte Golly Oaks den Whisky kriegen?« -7-
Der Wurm krümmte sich. »Sie sind nicht berechtigt, mir diese Fragen zu stellen, Inspektor Wade, das wissen Sie genau. Daß Sie mich jetzt vernehmen, könnte Sie Ihre Uniform kosten. Sie verleumden und beleidigen uns, jawohl.« Die Barkasse ging bei einem schaukelnden Floß längsseits und wurde vertäut. Jemand, der in der Dunkelheit nicht zu sehen war, stellte eine Frage. »Nur zwei junge Fischer, Sergeant«, antwortete Wade. »Legt sie auf Eis.« Noch am selben Tag besuchte Inspektor Wade die Geschäftsführerin des »Mekka«-Clubs, Mrs. Annabel Oaks. Die zuständige Behörde hatte Mrs. Oaks so lange zugesetzt, bis sie sich gezwungen sah, ihren »Club« als ganz gewöhnliches Gasthaus anzumelden, was den großen Nachteil hatte, daß die Polizei berechtigt war, regelmäßig und häufig Kontrollen durchzuführen. Zu jeder Tages- oder Nachtzeit durfte jeder x-beliebige Polizeiinspektor hereinspazieren und sich umsehen, was sehr unangenehm sein konnte — und oft schon gewesen war. Annabel Oaks beschwerte sich wütend bei ihren Gästen. »Das ist eine schöne Bescherung! Ein Offiziers-Club, und jeder plattfüßige Bulle kann einfach hereinkommen und dich filzen.« Man könnte vermuten, daß es sehr unklug von ihr war, etwas breitzutreten, was einen gewissen Prozentsatz ihrer Pensionsgäste abschrecken mußte. Aber das »Mekka« lag für die niedrigeren Dienstgrade der Handelsmarine sehr günstig. Die Männer hatten es nicht weit zu den Hafenbüros der verschiedenen Reedereien, und der Pensionspreis für die Schlafgelegenheiten und das Essen, beides natürlich ganz -8-
einfach, war gering. Die Gäste fanden den »Club« jedoch auch aus einem ändern Grund äußerst praktisch. Annabel Oaks stundete nämlich, was man ihr für Kost und Logia schuldete, bis man mit der Heuer in der Tasche von großer Fahrt zurückkam. Mutter Oaks war überhaupt sehr entgegenkommend, besonders wenn ihr ein Mann gefiel. Und ihr gefiel jeder, der kein Angeber und trinkfest war, der keinen Krach machte und sich nicht mit Golly oder anderen Clubgästen prügelte. Der Club hatte früher »Mokker« geheißen, und weil niemand wußte, was der Name bedeutete, war mit der Zeit »Mekka« daraus geworden. Aber selbstverständlich, erklärte Mutter Oaks mit großem Nachdruck, hätte sie nie farbige Seeleute bei sich aufgenommen und wenn Mekka, wie man ihr immer wieder erzählte, tatsächlich ein von — so sagte sie — »Niggern« bewohntes exotisches Land war, hätten sie oder Golly jeden ganz kurz abgefertigt und hinauskomplimentiert, der wie einer dieser Eingeborenen aussah. Ihr kämen keine sogenannten »Mekka-Leute« ins Haus. Golly Oaks jedoch machte nicht den Eindruck, als könne er jemandem kurz und bündig die Tür weisen. Er war ein sanfter kleiner Mann und recht schwächlich. Ein rötlicher Schnurrbart hing traurig auf ein weichliches Kinn hinunter. Er war ehemals Schiffssteward gewesen, und wenn er getrunken hatte, verstieg er sich zu der Behauptung, er habe es bis zum Zahlmeister gebracht. Einmal, bei einer ganz besonderen Gelegenheit, hatte er sogar erklärt, er sei Kapitän eines Linienschiffes gewesen, das den Atlantik befuhr. Aber hinterher war er sehr krank -9-
geworden. Mit Vorliebe sang er mit hoher Falsettstimme sentimentale Balladen, und er hatte ein Faible dafür, an sich Ähnlichkeiten mit bekannten Filmhelden zu entdecken. In unbeachteten Momenten versuchte er sich selbst in der Schauspielkunst, wobei er sich an einen Leitfaden mit dem Titel »Zehn Schritte zum Filmruhm« hielt, den ein »Wohlbekannter Spitzendarsteller aus Hollywood« verfaßt hatte - ein Mann, der so berühmt war, daß er es nicht nötig hatte, seinen Namen unter das Opus zu setzen. Mr. Golly Oaks' Neigung galt der großen Oper nicht weniger als dem Film. Die Pensionsgäste des »Mekka«Clubs rissen oft ihre Fenster auf und taten lauthals ihre Meinung über Gollys Stimme kund, denn er sang am besten, wenn er Holz hackte -und er schien immer Holz zu hacken. Obwohl sie »Mutter« genannt wurde, hatte Annabel Oaks nichts Mütterliches an sich. Sie war mager, fast dürr und trug einen Bubikopf, was sie nicht schöner machte, denn das von dünnen grauen Haarsträhnen eingerahmte Gesicht war hart, beinahe abstoßend. Ein Teil ihrer Gäste nannte sie - hinter ihrem Rücken — »das alte Reibeisen«, doch für wenigstens hundert junge Seeleute auf allen sieben Meeren war sie »Mutter« Oaks. Der »Mekka«-Club war halb Holz- und halb Ziegelbau. In dem aus Ziegeln errichteten Teil, der ehemaligen Mälzerei eines Brauhauses, befanden sich die komfortabelsten Zimmer. Vor dem Club zog sich ein schmaler Rasenstreifen hin, auf dem zwei Gartenbänke standen. Jahr um Jahr säte Golly unterhalb des Hauses - 10 -
Blumen an, aber nie kam auch nur eine einzige Blüte heraus. Beim Fischen war Golly genauso erfolglos. Die Fenster des Clubhauses boten eine schöne Aussicht. Auf dem breiten Fluß wimmelte es von Schiffen. Am anderen Ufer, das zur Grafschaft Surrey gehörte, war bei Fenny's gewöhnlich eine Seilfähre vertäut. In der Nähe ankerten die deutschen Schiffe. An den hohen Masten der Überseedampfer flatterten die Wimpel, und an den Kais lagen meist ein oder zwei Frachter. Lila Smith stand oft an dem großen Fenster des Speisesaales und beobachtete fasziniert das Leben und Treiben auf dem Fluß. Dampfer glitten langsam und vorsichtig stromaufwärts. Die Positionslichter der Fischerboote blitzten. Da gab es die Orangenfrachter aus Spanien und die großen Schlepper, die »Herren« des Flusses - »Johnny O« und »Tommy O«, »John und Mary« sowie »Sarah Lane« und die »Fairway«. Lila erkannte sie alle, selbst bei Nacht. Clubgäste, die von großer Fahrt zurückkehrten, stellten erstaunt fest, daß Lila plötzlich kein Kind mehr war. Mit dem runden Gesichtchen und den großen Augen war sie immer hübsch gewesen, doch jetzt besaß sie einen schwer zu beschreibenden Charme. Ihre Züge hatten sich gefestigt, und das verlieh ihr einen besonderen Reiz. Auch jetzt stand sie am Fenster, eine zarte Gestalt in einem schäbigen schwarzen Kleid und Schuhen mit schiefgelaufenen Absätzen. Vom tiefen Heulen einer Sirene oder dem ungeduldigen Hupen eines Schleppers angelockt, sah sie auf den Fluß hinaus. »Stehst du schon wieder rum und hältst Maulaffen feil!« keifte Mutter Oaks, die eben hereingekommen war und - 11 -
das Mädchen bei seiner Lieblingsbeschäftigung ertappt hatte. »Reiß dich ein bißchen zusammen! Die Neue auf Nummer sieben will Tee.« »Ja, Tante.« Lila lief in die Küche. Die krächzende, nörgelnde Stimme jagte ihr Angst ein — hatte ihr schon immer Angst eingejagt. Manchmal wünschte sie sich ein anderes Leben, und sie hatte auch eine unklare Vorstellung davon, wie dieses Leben sein sollte. Es gab da Bäume und weite Rasenflächen wie im Greenwich Park und Menschen, die freundlich und rücksichtsvoll zueinander waren. Davon träumte sie meistens, wenn sie die Schiffe auf dem Fluß beobachtete. Sie träumte auch jetzt, als sie den Tee einschenkte und das schlampige Hausmädchen mit der dicken Tasse und den noch dickeren Butterbroten in Zimmer sieben schickte. Das kleine rechteckige Fenster, das die muffige Küche mit frischer Luft versorgte, stand weit offen. Es war ein kalter Morgen, aber die Sonne malte ein blaßgoldenes Muster auf das Wasser des Flusses. Plötzlich blickte Lila auf. Vom Kai her schaute ein Mann zu ihr herüber — ein hochgewachsener Mann mit einem anziehenden, gebräunten Gesicht. Er trug keinen Hut, und sein kurzgeschnittenes braunes Haar war leicht gewellt. »Guten Morgen, Prinzessin!« Sie lächelte ihm verschüchtert zu, und als das Lächeln erloschen war, sah ihr Gesicht noch ernster aus als vorher. »Guten Morgen, Inspektor Wade«, sagte sie und geriet dabei ein bißchen außer Atem. Er war der einzige Mensch, der diese Wirkung auf sie ausübte. Sie fürchtete sich vor ihm nicht etwa seines ehrenrührigen Berufs wegen. Mutter Oaks sagte immer. Polizisten seien nichts - 12 -
anderes als Ganoven, die nicht den Mut hätten, Diebe zu sein. Wade machte Lila auch nicht deshalb so nervös, weil sie sich immer nur heimlich treffen konnten. Er bedeutete ihr ungeheuer viel. Warum das so war, ahnte sie allerdings nicht, und das brachte sie völlig durcheinander. Lange Zeit hatte sie in ihm einen alten Mann gesehen — einen Mann, fast so alt wie Golly. Und eines Tages war sie selbst erwachsen und erkannte, daß er derselben Generation angehörte wie sie. Er stellte ihr nie peinliche Fragen und versuchte auch nicht, sie über »Familienangelegenheiten« im engeren und weiteren Sinn auszuhorchen. Das wütende Kreuzverhör, dem Mutter Oaks sie nach jedem Treffen mit Wade unterzog, ergab nie etwas Beunruhigendes. »Warum nennt man Sie eigentlich >Polyp