Das Duell um die
Grafentochter
von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Als Ritter Rol...
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Das Duell um die
Grafentochter
von Günther Herbst scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Als Ritter Roland die Jungfer erblickte, war er sofort hingerissen. Ihre Anmut und ihre Grazie ließen an eine Fee denken, die geradewegs aus dem Märchenland kam. Sie hatte das Gesicht eines Engels und lange blonde Haare, die wie gesponnenes Gold wirkten. Und was ihre Gestalt anging ... Roland konnte sich nicht erinnern, jemals vollendetere Formen gesehen zu haben. Sie sehen und auf sie zugehen, waren eins für den Ritter
mit dem Löwenherzen. Galant verbeugte er sich vor ihr und lächelte sein strahlendstes Lächeln. »Ist es erlaubt...?« Weiter kam er nicht. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter, und eine dröhnende Stimme sagte: »Finger weg von meiner Braut, Hundsfott, oder ich schlage dir den Schädel ein!«
Hundsfott! Für ein paar Augenblicke stand Roland ganz starr, ganz unbeweglich da. Dann drehte er sich langsam um. Ein riesiger, ungemein breitschultriger Mann stand vor ihm. Mächtige Muskeln spannten das Kettenhemd, das er trug. Ein dichter schwarzer Bart machte sein Gesicht fast unkenntlich. Böse funkelnde Augen blickten Roland unter buschigen Brauen an. Keine Frage, der Mann sah gefährlich aus. Er war die Gestalt gewordene Gewalt. Die meisten wären diesem Koloß tunlichst aus dem Wege gegangen und hätten sich gehütet, einen Zwist mit ihm zu beginnen. Nicht so jedoch Roland. Der Mann, der ihn einschüchtern wollte, mußte erst noch geboren werden. Furchtlos blickte er seinem Gegenüber in die Augen. »Habt Ihr soeben Hundsfott zu mir gesagt?« fragte er schleppend. »In der Tat«, grollte der Schwarzbärtige. »Hundsfott, das war es, was ich sagte!« Der Ritter mit dem Löwenherzen nickte langsam. »Ich dachte schon, ich hätte mich vielleicht verhört. Aber da dies nicht der Fall ist ...« Er holte aus, klatschte dem Mann seine flache Hand ins Gesicht. »Nehmt dies als meine Antwort, Bube!« Der Schwarzbärtige fuhr zurück, als habe ihn eine Natter gebissen. Es war wohl nicht so sehr die Wucht des Schlags, die ihn dazu veranlaßte. Vielmehr hatte ihn gewiß die Maulschelle an sich erschüttert. Für einen Mann vom Stande gab es nichts Schimpflicheres, als von einem anderen geohrfeigt zu werden. Noch dazu wenn Damen anwesend waren und Zeugen des Geschehens wurden. Und es war nicht nur das blonde Mädchen gegenwärtig, das er als seine Braut bezeichnet hatte. Im großen Festsaal von Schloß Camelot drängten sich die Herzöge, Grafen, Ritter und ihre Damen. Es gab sicherlich nicht wenige, die den Vorfall beobachtet hatten. Und inzwischen waren auch diejenigen aufmerksam geworden, die sich bisher anderweitig beschäftigt hatten. Es waren an die 200 Augen, die sich jetzt auf die beiden Widersacher richteten. Man hätte eine
Feder fallen hören können, so still war es im Festsaal geworden. Niemand sagte ein Wort. Auch der schwarzbärtige Riese sagte zunächst nichts mehr. Rolands Ohrfeige schien ihm regelrecht die Sprache verschlagen zu haben. Seine fleischigen Nasenflügel bebten, und in seinen Augen funkelte es geradezu mörderisch. Roland kannte den Mann nicht. Er hatte ihn noch nie auf Camelot oder sonst irgendwo gesehen. Aber es handelte sich zweifelsohne um einen Angehörigen des adligen Standes. Das Wappen auf seiner Brust, zwei gekreuzte Klingen über einem Aar, zeigten das ganz deutlich an. Aber adlig hin, adlig her, der Mann hatte ihn Hundsfott genannt. Und das durfte sich kein Ritter, kein Graf und auch kein König erlauben. Schließlich fand der Schwarzbärtige die Sprache wieder. »Du ... hast es gewagt, mich zu ohrfeigen, Bube«, stieß er hervor. Seine Stimme klang dabei so, als könne er immer noch nicht fassen, was ihm widerfahren war. Gleichmütig nickte Roland. »Und wenn Ihr mich noch einmal Bube nennt, werde ich mich nicht scheuen, auch Eurer anderen Wange meine Hand zu spüren zu geben!« »Das würdest du wagen, Bube?« »Aber gewiß!« Und ehe sich der hünenhafte Mann versah, hatte Roland zwei Schritte nach vorne gemacht. Blitzschnell zuckte seine Linke nach oben. Klatsch! machte es. Jedermann im Festsaal hielt den Atem an. Die Blicke aller fraßen sich an dem Geohrfeigten fest. »Ich hatte Euch gewarnt, Freund«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen und trat wieder zurück. Er sah ganz kurz auf den Stein des Anstoßes - die blonde Jungfer. Irrte er sich, oder konnte er in ihren Zügen tatsächlich so etwas wie Bewunderung lesen? Es wäre ihm eine große, eine sehr große Freude gewesen.
»Das ... ist ... zuviel!« Die Worte des Schwarzbärtigen fielen schwer wie Steine. Sein Gesicht war ausdruckslos wie eine Maske. Ruckartig fiel seine Hand auf den Knauf des Schwertes. »Diese Beleidigung kann nur mit Blut abgewaschen werden!« Im nächsten Augenblick hielt er das Schwert in der Faust. Es war ein mächtiges Schwert, breit und wuchtig. Die meisten Männer hätten Mühe gehabt, es mit ausgestreckter Hand zu halten, ohne es dabei ins Zittern geraten zu lassen. Dieser Mann jedoch handhabte es so leicht wie einen Hirschfänger. »Zieh deine Waffe, Bube!« grollte er. »Niemand soll Jean de Villiers nachsagen, er hätte einem Wehrlosen den Schädel vom Rumpf getrennt!« Jean de Villiers hieß der Hüne also. Das sagte Roland nichts. Dem Klang nach handelte es sich um einen welschen Namen. Wahrscheinlich kam der Hüne auch aus den welschen Landen, was der Grund dafür sein mochte, daß Roland ihm nie begegnet war. Wie dem auch war, der Tag, an dem Roland einer Forderung aus dem Wege ging, würde niemals kommen. Er zögerte keine Sekunde und zückte sein Schwert ebenfalls. »Wohlan denn, Freund«, sagte er lächelnd. »Mir scheint, es ist an der Zeit, Euch das große Maul zu stopfen!« Jetzt löste sich das große Schweigen im Festsaal. Ein Raunen und Flüstern hob an, und es wurde auch so mancher erstickte Aufschrei aus erschrockener Damenkehle laut. Auch das blonde Mädchen war sichtlich erschrocken. Sie blickte von einem zum anderen und schluckte. Ein paarmal setzte sie an, um etwas zu sagen, fand aber wohl nicht die richtigen Worte. »Ich ... bitte Euch, Ihr Herren«, preßte sie schließlich hervor. »Ihr werdet Euch doch nicht wegen mir schlagen!« Es war nicht Rolands Art, einer Dame keine Beachtung zu schenken. Diesmal jedoch mußte er die Gebote der Höflichkeit mißachten. Er durfte seinen Widersacher nicht aus den Augen lassen, durfte sich nicht von ihm überraschen lassen. Jean de Villiers sah es
genauso. Auch er beachtete das Mädchen nicht, konzentrierte sich ganz auf den Ritter mit dem Löwenherzen. Dann aber griff eine andere Dame ein. Eine Dame, deren Wort sehr viel Gewicht hatte auf Schloß Camelot. »Halt!« Niemand anders als Ginevra, die Königin, war es, die den Kampf verhindern wollte. Majestätisch trat sie auf die beiden Widersacher zu, mit gebieterisch erhobener Hand. Die Umstehenden wichen zur Seite, um ihr Platz zu machen. Aber der schwarzbärtige Hüne ließ sich auch durch sie nicht beeindrucken. Er bedachte die Königin mit einem finsteren Blick. »Bei allem Respekt, mischt Euch nicht ein. Dies ist eine Angelegenheit der Ehre!« Einmal mußte Roland de Villiers recht geben. Er nickte beifällig. Die Königin jedoch blieb hartnäckig. »In den Räumen von Camelot wird nicht gekämpft. Ich verbiete es!« »Doch!« widersprach der Schwarzbärtige unerschütterlich. »Dieser Hundsfott hat mich geohrfeigt und mich dadurch unverzeihlichem Schimpf ausgesetzt. Dafür muß er sterben!« »Und er hat mich, wie Ihr selbst hören konntet, einen Hundsfott gescholten«, warf Roland ein. »Entweder nimmt er dies zurück und bittet mich in aller Form um Verzeihung oder ... « »Um Verzeihung bitten?« Der Hüne lachte röhrend. »Ein Jean de Villiers bittet nicht einmal Gott um Verzeihung!« Wieder wollte Ginevra etwas sagen, aber nun war es König Artus selbst, der ihr Einhalt gebot. »Laß den Dingen ihren Lauf, liebwerte Gemahlin«, sagte er und legte ihr sacht eine Hand auf die Schulter. »Auch ich würde es höchst ungerne sehen, wenn sich für einen tapferen Mann das Schicksal erfüllt. Aber unter den obwaltenden Umständen muß in der Tat der Ehre Genüge getan werden.« Er nickte den beiden Widersachern zu. »So lasset denn die Waffen sprechen.« »Danke, Majestät«, sagte Roland. Es wäre ihm zuwider gewesen, gegen den Willen seines Gebieters handeln zu müssen. Nun jedoch
war er dieser Sorge enthoben. Dann begann der Kampf ... Jean de Villiers machte den Anfang. Ansatzlos ließ er seinen rechten Arm nach vorne fliegen. Aber Roland war auf der Hut. Sein Schwert zuckte hoch und blockte die Waffe des Gegners ab. Er wurde jedoch zwei Schritte zurückgetrieben, so mächtig war der Schlag des schwarzbärtigen Hünen gewesen. Sofort setzte de Villiers nach. Links, rechts, links, rechts - seine Hiebe kamen schnell wie Blitze. Und auch ihre Wucht entsprach der Urgewalt eines mörderischen Unwetters. Roland mußte seine ganze Geschicklichkeit aufbieten, um nicht von vornherein entscheidend ins Hintertreffen zu geraten. Es gelang ihm mit Mühe und Not, die stürmischen Attacken seines Widersachers zu parieren. Er konnte allerdings nicht vermeiden, daß er weiter und weiter zurückweichen mußte. Die umstehenden Herrschaften beeilten sich, zur Seite zu springen. Auch König Artus und seine Gemahlin nahmen respektvoll Abstand. Wieder griff der schwarzbärtige Recke an. Ein grimmiges Lächeln lag auf seinen Zügen, während in seinen Augen der Haß brannte. »Gleich habe ich dich, Hundsfott!« stieß er hervor. Das schwere Schwert drang wie ein Rammbock auf den Ritter mit dem Löwenherzen ein. Und abermals kam Roland nur dazu, sich zu verteidigen. Bis jetzt hatte er noch keinen einzigen Angriffsschlag verteilen können. Den Knauf seines Schwerts mit beiden Händen umspannend, wehrte er auch diesen Angriff ab. Dann spürte er in seinem Rücken die Wand. Noch weiter zurück konnte er nicht. Jetzt sah Jean de Villiers den Sieg dicht vor Augen. »Stirb, Hundsfott!« keuchte er und schlug zu. Aber er hatte sich zu früh gefreut. Roland parierte den mörderischen Schlag nicht mit seiner Klinge, sondern duckte sich geschwind. De Villiers Schwert schwirrte über ihn hinweg, so dicht, daß seine Haare ins Flattern gerieten. Putz- und Steinsplitter wurden hochgewirbelt, als der Stahl gegen die Wand krachte.
Roland tauchte unter dem Arm seines Gegners hindurch und stand im nächsten Augenblick seitlich neben ihm. Und nun ging er zum Angriff über. Mit einem wuchtigen Stoß zielte er auf die Brust des Schwarzbärtigen. In allerletzter Sekunde schaffte es Jean de Villiers, seine Waffe wieder in Position zu bringen und Rolands Schwert zur Seite zu schlagen. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen war jetzt der Mann, der das Geschehen bestimmte. Er hatte die Rolle des Verteidigers abgelegt und war nicht gewillt, sich wieder in sie hineindrängen zu lassen. Nun deckte er seinen Gegner ein, mit Stößen, wuchtigen Hieben und gekonnten Finten, denen sofort wieder eine gekonnte Attacke folgte. Schnell geriet de Villiers in Schwierigkeiten. Er war ein vorzüglicher Schwertkämpfer. Er hatte das Auge eines Falken und die sichere Hand eines Bogenschützen. Und was die Kraft anging, hätte er es auch mit einem Bären aufnehmen können. Aber natürlich war er mit seinem riesigen, schweren Körper nicht außergewöhnlich schnell auf den Beinen. Roland, ebenfalls groß und kräftig, aber bei weitem nicht so massig, war schneller, erheblich schneller als sein Widersacher. Leichtfüßig ging er nach vorne und trieb den Schwarzbärtigen vor sich her. De Villiers keuchte. Schweißtropfen waren ihm auf die Stirn getreten. Sein Gesicht hatte sich verzerrt. Die Drohungen, die er noch vor wenigen Augenblicken von sich gegeben hatte, waren verstummt. Er hatte genug damit zu tun, am Leben zu bleiben. Es konnte eigentlich nicht mehr lange dauern, bis das Gefecht ent schieden war. Über den Sieger gab es unter den Zuschauern kaum Meinungsverschiedenheiten. Nur einige wenige hätten noch ein Goldstück auf den Schwarzbärtigen gesetzt. Da jedoch widerfuhr dem Ritter mit dem Löwenherzen ein Mißgeschick. Die Edelholzplatten des Festsaals waren von der Dienerschaft mit großer Sorgfalt geputzt und gewienert worden. An einer Stelle waren sie so glatt, daß Roland unglücklich darauf ausrutschte. Augenblicklich geriet er ins Straucheln. Das nutzte Jean de Villiers sofort. Zum ersten Mal kam er wieder
dazu, seinerseits einen Angriffsschlag zu führen. Und das tat er dann auch. Er führte ihn mit einer solchen Kraft, daß Roland ihn zwar abwehren konnte, dabei aber noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Fast wäre er zu Boden gestürzt. Im letzten Moment konnte er sich noch mit dem linken Knie abfangen. Seine Situation war jedoch nach wie vor überaus bedrohlich. Der Schwarzbart stand über ihm, sein Schwert mit beiden Fäusten umklammernd. Schon fuhr die Klinge auf Roland hinunter. Der Hieb wäre dazu angetan gewesen, den Stamm eines Baumes durchzuhauen. Wenn er getroffen hätte! Aber er traf nicht, weil sich Roland gedankenschnell zur Seite geworfen hatte. Jean de Villiers konnte den Schlag nicht mehr abbremsen. Die Klinge traf die Holzplatten des Fußbodens, traf sie mit einer derartigen Wucht, daß sie mehrere Zoll tief in das Holz eindrang. Der Schwarzbärtige wollte sein Schwert wieder hochreißen. Aber das gelang ihm nicht, so sehr er sich auch mühte. Der Fußboden gab die Waffe nicht frei, hielt sie unerbittlich fest. De Villiers mochte daran zerren und reißen, wie er wollte, er bekam sie nicht frei. Nun hatte Roland gewonnenes Spiel. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, seinen Gegner mit dem nächsten Schwerthieb in den Tod zu schicken. Aber das tat er nicht. Er wäre sich wie ein Schlächter vorgekommen. Deshalb beschränkte er sich darauf, dem Schwarzbärtigen die Schwertspitze auf die Brust zu setzen. De Villiers wußte, daß er verloren hatte. Er ließ den Knauf seiner steckengebliebenen Waffe los und machte ein ergebenes Gesicht. »Stoßt zu«, sagte er gepreßt. »Mein Leben gehört Euch.« Roland schüttelte den Kopf und lächelte. »Ich will Euer Leben nicht. Aber ich will etwas anderes.« Roland warf einen Blick in das weite Rund. Die Blicke aller Anwesenden ruhten auf ihm. Auch die des blonden Mädchens, um das der ganze Zwist gegangen war. »Ihr habt mich einen Hundsfott genannt«, sagte Roland. »Entschuldigt Euch dafür!« »Ich entschuldige mich niemals ... Hundsfott!« Finster blickte ihn
der Schwarzbärtige an. »Und nun tötet mich endlich!« Erregtes Gemurmel erhob sich im Festsaal. Empörte Rufe wurden laut. Aber so manch einer war auch beeindruckt von der ungebrochenen Trotzigkeit des Mannes. Auch Roland gehörte zu denen, die beeindruckt waren. Angesichts des sicheren Todes noch immer seinen Stolz zu bewahren, verdiente Anerkennung. Aber Roland war es sich selbst schuldig, den Besiegten nicht gänzlich ungeschoren davonkommen zu lassen. Schließlich konnte er sich nicht ungestraft beleidigen lassen. Schnell zog er sein Schwert zurück, nahm es in die linke Hand und versetzte de Villiers abermals eine schallende Backpfeife. »Und nun geht!« sagte er ganz ruhig. Jean de Villiers ging. Einen Augenblick lang sah es so aus, als ob ihm die blonde junge Frau folgen wollte. Aber das tat sie dann noch nicht. Statt dessen schenkte sie Roland ein unsicheres Lächeln. Und da wußte Roland, daß er einen seiner wertvollsten Siege errungen hatte. * Übermütig gab Anja von Kronburg ihrem Pferd die Hacken zu spüren. Der Braune wieherte und ging folgsam in einen scharfen Galopp über. So schnell, daß Anjas Begleiter sofort den Anschluß verloren. Die Grafentochter lachte heiter. Es bereitete ihr diebisches Vergnügen, die Ritter ein wenig zu necken, die ihr Vater ihr als Begleitschutz mitgegeben hatte. Sie hielt diesen Begleitschutz für völlig überflüssig. Was sollte bei einem Ausritt in die burgnahen Wälder schon passieren? Aber das Lachen verging ihr. Urplötzlich brach eine wilde Reiterhorde aus dem Unterholz hervor. Augenblicklich war sie von allen Seiten umringt. Erschrocken schrie sie auf. Sie versuchte, eine Lücke in den
Reihen der Männer zu finden, aber das gelang ihr nicht. Einer der Kerle fiel ihr in die Zügel und brachte den Braunen mit einem kräftigen Ruck zum Stehen. Johlendes Lachen und kehlige Wortfetzen, von denen sie keinen einzigen verstehen konnte, drangen auf sie ein. Wohin sie auch blickte, sie sah in grinsende, lüsterne Männergesichter. Die Kerle hatten struppige Bärte und wüste Haare, und ihre Augen sahen irgendwie ganz seltsam aus. Bekleidet waren sie mit zottigen Pelzen und schreiend bunten Pluderhosen. Sie saßen auf kleinen, wild blickenden Pferden, mit denen sie förmlich verwachsen zu sein schienen. Anja von Kronburg wußte auf Anhieb, wen sie da vor sich hatte. Tataren! Mit Schaudern dachte sie daran, was sie von diesen wüsten Gesellen schon alles gehört hatte. Sie hackten zugefrorene Flüsse auf, um darin zu baden, aßen das Fleisch roh und tranken so viel Kartoffelbrand, daß ein Christenmensch davon erblindet wäre. Ihre größte Freude war es, Hütten und Häuser in Brand zu setzen, besiegten Feinden die Bäuche aufzuschlitzen oder die Kehle durchzuschneiden und unschuldige Mädchen zu schänden und anschließend grausam zu Tode zu quälen. Und nun war ausgerechnet sie, die wohlbehütete Tochter des Grafen der Grenzmark Kronburg, in die Klauen dieser Unmenschen geraten! Hilfesuchend blickte sie sich nach den Getreuen ihres Vaters um, die sie schützen sollten. Wo blieben die Ritter nur? Eigentlich müßten sie inzwischen längst zur Stelle sein, denn so weit hatte sie sich doch gar nicht von ihnen entfernt. Ob die Männer die Gefahr gewittert und schnöde die Flucht ergriffen hatten? Nein, da kamen sie. Anja hörte das Hufgetrappel ihrer Pferde und ihre Rufe. Wenige Augenblicke später tauchten sie zwischen den Bäumen auf, die den Waldweg säumten. An der Spitze ritt der alte Kuno, ein in die Jahre gekommener Kämpe, dem ihr Vater vertraute wie einem leiblichen Bruder.
Jetzt wurden Kuno und die beiden anderen Ritter der Tatarenhorde ansichtig. Ruckartig zügelten sie ihre Reittiere. Die Barbaren aus dem Osten hatten die gräflichen Getreuen ebenfalls gesehen. Aber sie ließen sich dadurch nicht beunruhigen. Das Gegenteil war der Fall. Sie schleuderten den drei Rittern höhnische Zurufe entgegen und lachten gröhlend. Nein, sie hatten wahrlich keine Furcht vor den Begleitern der Grafentochter. Kuno und seine Gefährten zögerten. Sie waren sichtlich unschlüssig, was sie jetzt tun sollten. Schließlich faßte sich der Grauhaarige ein Herz und' lenkte sein Pferd ein paar Schritte nach vorne. »Gebt das Mädchen frei!« rief er mit lauter, fordernder Stimme. Rauhes, gemeines Gelächter war die Antwort. Der Tatar, der Anjas Reittier festhielt, beugte sich im Sattel vor und legte besitzergreifend seinen freien Arm um ihre Hüfte. Das ließ sich die Grafentochter nicht gefallen. Sie packte den Unterarm des Kerls und kratzte ihn so kräftig, daß Blutstropfen hervortraten. Wütend ließ sie der Barbar los. Dann versetzte er ihr eine schallende Ohrfeige, die sie beinahe aus dem Sattel geschleudert hätte. Er begleitete seine rohe Tat mit einigen Zischlauten, die aus der Kehle eines wilden Tiers zu kommen schienen. Anja von Kronburg wimmerte laut. Ritter Kuno, der treue Alte, konnte es nicht mit ansehen. Er riß sein Schwert aus dem Gehenk und ließ sein Pferd vorwärts stürmen. Mit der erhobenen Waffe sprengte er auf die Barbarenbande los. Es war das Beginnen eines Mannes, der das Unmögliche wagte. Drei der Tataren lösten sich von den anderen, trieben ihre Reittiere dem Ritter entgegen. Gleichzeitig zückten auch sie ihre Schwerter. Mit einem tückischen Grinsen auf den abstoßenden Zügen erwarteten sie den mutigen Angreifer. Bevor er heran war, blickte sich Kuno noch einmal kurz nach den anderen beiden Rittern um. »Kommt und kämpft!« rief er ihnen zu.
Aber die beiden zauderten. Anja von Kronburg sah, wie sie einen Blick tauschten, einen Blick, der voller Angst und Zagen war. Sie blieben, wo sie waren. Feiglinge! dachte die Grafentochter. Wenn es ihr gelingen sollte, ihre Freiheit wiederzugewinnen, würde sie dafür sorgen, daß die beiden zur Rechenschaft gezogen wurden. Ehrlose Kerle wie sie verdienten es, von den Burgzinnen gestürzt zu werden. Der alte Kuno war jetzt nur noch wenige Pferdelängen von den drei Tataren entfernt. Wilde Entschlossenheit stand in seinem zerfurchten Gesicht geschrieben. Mit nerviger Faust umklammerte er den Knauf seines Schwerts. Jetzt war er heran ... Mit einem mächtigen Hieb drosch er auf den ersten der Barbaren ein. Aber der Reiter aus dem Osten hatte aufgepaßt. Im richtigen Augenblick war seine Klinge oben und parierte die Attacke des Ritters. Und schon war Kuno in Not. Die beiden anderen Tataren drangen auf ihn ein. Den Schwerthieb des einen konnte er in allerletzter Sekunde abducken. Der Stoß des zweiten jedoch kam durch. So wuchtig war der Angriff, daß Kunos Brünne aufgeschlitzt wurde. Die Klinge zog einen blutigen Streifen über die Brust des alten Ritters. Nur mit Mühe konnte sich Kuno im Sattel halten. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, und er schwankte wie jemand, der zu tief in den Weinbecher geblickt hatte. Und wieder griffen die Tataren an. Heftig riß Kuno an den Zügeln, um ihnen auszuweichen. Schnaubend ging sein Pferd in der Hinterhand hoch. Das rettete ihn zunächst. Die wilden Schwerthiebe seiner barbarischen Gegner gingen fehl. Aber da war noch der dritte Tatar. Er hatte einen Bogen geschlagen, machte sich jetzt von hinten an Kuno heran. Ein mörderischer Schlag traf den alten Ritter in den Rücken. Seine Rüstung verhinderte, daß er in zwei Stücke gehauen wurde. Aber die Wucht des Hiebes war so groß, daß er sich nicht mehr auf dem Rücken seines Reittiers zu halten vermochte. Kopfüber stürzte er auf
den Boden. Das war sein Ende. Bevor er wieder auf die Füße kam, waren die Tataren über ihm. Ihre Schwerter wirbelten so schnell, daß Kuno keine Abwehrmöglichkeit mehr blieb. Der alte Ritter starb. Er starb als ein Mann, der seine Pflicht getreulich bis zum letzten Atemzug getan hatte. Anja von Kronburg stöhnte tief auf und wandte den Kopf zur Seite. Sie konnte den Anblick des Toten, der für sie sein Leben hingegeben hatte, nicht ertragen. Auch für die beiden ritterlichen Begleiter Kunos war der Anblick zu viel. Sie stießen einen heiseren Schrei aus und rissen ihre Pferde herum. Dann stoben sie in wilder Flucht davon. In Sekundenschnelle waren sie zwischen den Bäumen verschwunden. Die Tataren lachten voller Hohn. Sie verfolgten die Fliehenden nicht, denn sie hatten ihr Ziel bereits erreicht. Anja von Kronburg, die Tochter des Markgrafen, war ihre Gefangene. * »... kämpften wir wie die Löwen, aber die Übermacht war zu gewaltig. Fünf von ihnen konnten wir erschlagen. Dann jedoch mußten wir uns zurückziehen.« Mit böse funkelnden Augen blickte Graf Leander von Kronburg die beiden Ritter an, die abgehetzt und niedergeschlagen vor ihm standen. »Ihr habt es gewagt, meine Tochter im Stich zu lassen, die ich in eure Obhut gab?« stieß er hervor. »Dies also ist der Treueid, den ihr mir schwort.« Heftig schüttelte einer der beiden Ritter den Kopf. »Ihr tut uns bitter unrecht, Herr! Niemals wäre uns der Gedanke gekommen, aus freien Stücken das Weite zu suchen. Wir hätten weiter gekämpft, bis uns die Schwerter der Tataren ins Herz gefahren wären, aber... .« »Aber?« fragte der Graf scharf. Zornesfalten standen ihm auf der Stirn, während in seinen Augen gleichzeitig der Schmerz über den
Verlust seiner einzigen Tochter brannte. »Kuno hat uns befohlen, die Stätte des Kampfes zu verlassen«, sagte der Ritter. »Er wollte, daß die Kunde von dem schrecklichen Geschehen nicht verloren geht. Er wollte, daß wir Euch Bescheid sagen, Herr.« Mit gesenktem Kopf blickte der Ritter auf die grauen Steine des Burghofs zu seinen Füßen. Wie von selbst legte sich die rechte Hand des Grafen auf den Griff seines Schwerts. Er schien gewillt, den beiden Rittern jenes Schicksal zu bereiten, dem sie sich durch die Flucht vor den Barbaren aus dem Osten entzogen hatten. Bevor er die Waffe jedoch wirklich zog, fanden die beiden unglückseligen Ritter einen Fürspre cher. »Haltet ein, Graf Leander«, sagte Freiherr Helferich, der neben dem Burgherrn stand. »Mir scheint, der brave Kuno hat eine weise Entscheidung getroffen. Wenn auch diese beiden erschlagen worden wären ... Wie hätten wir jemals erfahren sollen, was aus Eurer holden Tochter geworden ist? Hättet Ihr geahnt, daß es Tataren waren, die sie in ihre Gewalt brachten, Graf?« Schweratmend ließ Graf Leander seine Rechte wieder sinken. Langsam nickte er. Er mußte sich selbst gegenüber eingestehen, daß der Schmerz wohl sein klares Urteilsvermögen etwas getrübt hatte. Es war einiges an dem, was die beiden Ritter und der Freiherr sagten. In der Tat wäre er kaum auf den Gedanken gekommen, daß Tataren seine Tochter geraubt hätten. Vor Jahren noch zogen die Horden des Khans sengend und plündernd durch die Mark Kronburg und die benachbarten Lande. Dann aber, nachdem es mehrere blutige Schlachten zwischen den wilden Reitern aus dem Osten und den Ritterheeren des Abendlandes gegeben hatte, war es zu einer Art stillen Einverständnisses gekommen. Die Tataren stellten ihre mörderischen Übergriffe ein, und die Krone nahm es hin, daß der Khan jenseits der Grenzen sein erobertes Reich festigte. Nun jedoch? Nun hatten die Tataren das Stillhalteabkommen gebrochen. Und ausgerechnet Anja, seine heißgeliebte Tochter, mußte als erste
darunter leiden. Wie ein Lauffeuer hatte sich die böse Nachricht auf der Kronburg verbreitet. Überall standen die Bewohner, Edelleute und Gesinde gleichermaßen, zusammen und redeten mit betroffenen Mienen aufeinander ein. Besonders Marika, die Gräfin, war ganz außer sich. Die Jahre hatten ihr ihre einstige Schönheit genommen. Aber das Temperament ihrer magyarischen Ahnen war ungebrochen. »Unternimm etwas, Leander!« schrie sie mit blitzenden Augen und stampfte dabei mit den Füßen auf wie ein ungebärdiges Pußtapferd. »Bring mir meine Tochter zurück!« Grimmig sah der Graf sie an. »Was soll ich tun? Mich aufs Pferd setzen und den Entführern Anjas nachreiten?« »Warum nicht? Du verfügst über genug Getreue, um mit einem räuberischen Barbarentrupp fertig werden zu können!« »Glaubst du, die Kerle warten auf uns? Mit Sicherheit haben sie längst wieder die Grenze überschritten und sind in ihr eigenes Reich zurückgekehrt. Und dort hätten wir es nicht mit einer kleinen Horde, sondern mit der geballten Macht des Khans zu tun.« »Ah, ich sehe schon«, sagte die Gräfin verächtlich. »Die Furcht verzehrt dich und hat dein Herz zu dem eines Hasen werden lassen!« Leander von Kronburg nahm seiner Gemahlin diese barschen Worte nicht übel. Der Schmerz sprach aus ihr, und das entschuldigte alles. Er sollte das Herz eines Hasen haben? Nein, gewiß nicht. Oft schon hatte er im harten Kampf seinen Mann gestanden und niemals war er einem Gegner aus dem Weg gegangen. Aber auch an ihm hatte der Zahn der Zeit unerbittlich genagt. Er war ein alter Mann geworden. Die Kraft war aus seinen Gliedern gewichen, und seine Sinne hatten sich im Lauf der Jahre getrübt. Es wäre ein aussichtsloses Unterfangen, wenn er selbst ins Tatarenreich ziehen würde. Wen sonst aber sollte er aussenden, um sein Kind zu retten, sofern es überhaupt noch zu retten war? Wenn er im Geiste die Reihen seiner Getreuen durchging, fiel ihm kein einziger ein, den er mit
dieser Aufgabe betrauen konnte. Es war ein Mann gefragt, der nicht nur Mut und Kampfkraft besaß, sondern auch über eine gehörige Portion Schläue verfügte. Eine offene Feldschlacht kam nicht in Frage. Dazu waren die Tataren in ihrem eigenen Reich viel zu mächtig. Nur mit listenreichem Vorgehen und einem überraschenden Handstreich mochte es gelingen, Anja wieder aus den Klauen der Barbaren zu befreien. Freiherr Helferich schien seine Gedanken zu erraten. »Ihr fragt Euch, wer Eure Tochter retten könnte, Graf?« Der Burgherr nickte bedrückt. »Ich wüßte einen Mann, der das Wagnis auf sich nehmen würde«, sagte der Freiherr. »So, wen meint Ihr?« »Mich!« antwortete Helferich mit entschlossener Stimme. »Ihr wollt...« Graf Leander sah den breitschultrigen Mann mit den etwas klobigen Gesichtszügen mit gerunzelter Stirn an. »Ja«, bekräftigte der Freiherr. »Ihr wißt, welche Gefühle ich für Eure Tochter hege. Um ihretwillen würde ich gar in die Hölle ziehen und es dort selbst mit dem Teufel höchstpersönlich aufnehmen!« Ein sinnender Ausdruck trat in die Züge des Grafen. Ja, er wußte in der Tat, daß Helferich ein Auge auf seine Tochter geworfen hatte. Seit längerer Zeit schon warb er um Anja. Es war seine erklärte Absicht, sie zur Frau zu gewinnen. Aber Leander hatte so seine Zweifel, ob dieses hartnäckige Werben aufrechter Liebe entsprang. Niemals war er den Gedanken los geworden, daß es dem Freiherrn mehr darum ging, durch eine Heirat mit Anja sein Nachfolger als Graf von Kronburg zu werden. Deshalb hatte er auch bisher Helferichs Anträge stets abschlägig beschieden. Jetzt jedoch wurde er in seiner Ansicht schwankend. Er bedachte den Freiherrn mit einem prüfenden Blick. Zweifellos war Helferich ein Mann, dem es an Mut und Kampfkraft nicht gebrach. Auf dem Turnierplatz hatte er sich stets als einer der Besten erwiesen. Beim Kampf gegen die aufständischen Slawen war er es gewesen, der den Anführer der Rebellen im Zweikampf bezwungen
und die Erhebung dadurch beendet hatte. Und auch was die Schärfe seines Verstandes anging, konnte er sich mit jedem messen. Vielleicht war er wirklich der einzige in der Mark Kronburg, der etwas zur Rettung Anjas tun konnte. »Nun, was sagt Ihr, Graf?« Erwartungsvoll blickte Helferich den Burgherrn an. Aber noch zögerte der Graf. Er war sich völlig im klaren darüber, welche Folgen es nach sich ziehen würde, wenn es dem Freiherrn tatsächlich gelingen sollte, seine Mission erfolgreich abzuschließen. Es würde sich kaum vermeiden lassen, ihm Anja zur Frau zu geben, falls er sie den Händen der Tataren entrissen hatte. Das Gebot der Ehre verlangte es in einem solchen Fall, einem Mann den Lohn zu geben, den er sich unter Einsatz seines Lebens mehr als redlich verdient hatte. Dem Freiherrn entging sein Zögern nicht. Eine Falte des Unmuts erschien auf seiner Stirn. »Haltet Ihr mich nicht für würdig, die Aufgabe zu erfüllen, Graf Leander?« fragte er offen heraus. Der Burgherr verzog den Mund. »Es ist keine Frage der Würde, Freiherr. Es ist ...« »Ja? Sprecht ganz offen mit mir, Graf!« Es war dem Grafen nicht möglich, das zu sagen, was er dachte. Niemand würde angesichts der trostlosen Situation Anjas Verständnis dafür aufbringen, wenn er nicht auf Helferichs Vorschlag einging. Schließlich wußte jedermann, daß der Freiherr wirklich derjenige war, dem man die Befreiung seiner Tochter zutrauen durfte. Langsam nickte er. »So sei es«, sagte er. »Wenn Ihr mir meine unglückliche Tochter zurückbringt, ist Euch meine ewige Dankbarkeit gewiß.« Alle Umstehenden begriffen sofort, wie diese Worte zu verstehen waren. Als erster natürlich der Freiherr selbst. Ein befriedigtes Lächeln huschte über seine groben Züge. »Ihr werdet nicht bereuen, mir Euer Vertrauen geschenkt zu haben,
Graf«, sagte er. »Ich bringe die holde Jungfer zurück. Es sei denn, ich finde vorher den Tod. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist!« »Wann werdet Ihr aufbrechen?« »Noch heute hefte ich mich an die Spuren der Barbaren«, versprach Helferich mit fester Stimme. * Roland konnte getrost von sich behaupten, daß er einiges von der Minne verstand. Als fahrender Ritter war er durch viele Lande gekommen und hatte dabei Frauen aus allen Schichten kennengelernt. Hochgestellte Damen aus den vornehmsten Adelsgeschlechtern waren darunter gewesen, aber auch Töchter des einfachen Volkes. Sie alle hatten ihre Vorzüge gehabt. Von wild lodernder, unersättlicher Leidenschaft bis hin zur stillen Hingabe, Roland hatte die Liebe in allen ihren Spielarten erlebt und genossen. Eine Frau wie Mylene de Roncourt jedoch war ihm nur höchst selten begegnet. Sie war nicht nur schön wie eine prächtige Blume, die man sich zu pflücken scheute. Sie besaß auch Seele. Und nicht zuletzt das war es, was den Ritter mit dem Löwenherzen regelrecht gefangennahm. Bisher war es meistens so gewesen, daß er die Damen schnell wieder vergessen hatte, nachdem sie einmal sein geworden waren. Bei Mylene sah das jedoch ganz anders aus. Jeden Tag, den er mit ihr zusammen war, jede Nacht, die er mit ihr verbrachte, banden ihn nur noch fester an sie. Es führte kein Weg daran vorbei - Roland hatte sich unsterblich in das Mädchen mit dem blonden Haar verliebt. Wie Jean de Villiers kam sie ebenfalls aus den welschen Landen. Sie war die Tochter eines Adligen, der es nie zu großem Ruhm und Vermögen gebracht hatte. Gegen ihren Willen war sie von ihrem Vater mit dem reichen und in seiner Heimat hochangesehenen de Villiers verlobt worden. Als ihr Bräutigam dann als Gesandter seines Landesherrn an den Hof von König Artus gekommen war, hatte sie ihn begleitet. Und sie war auf Camelot zurückgeblieben, als Jean de
Villiers blamiert und gedemütigt wieder von dannen gezogen war. Selbstverständlich hatte Artus nichts gegen ihr Bleiben einzuwenden gehabt und sie in den Kreis seiner Hofdamen aufgenommen. Und der König schien sogar Vergnügen daran zu haben, daß sie seinem tapfersten Ritter den Kopf verdrehte. Eigentlich wäre es längst an der Zeit gewesen, daß Artus Roland einen neuen Auftrag gab. Fünfzig Aufgaben mußte er erfüllen, um sein großes Ziel, Ritter der berühmten Tafelrunde zu werden, erreichen zu können. Einen Teil dieser Aufgaben hatte er bereits erfolgreich hinter sich gebracht. Aber es fehlten noch ein paar Dutzend, um das halbe Hundert vollzumachen. Als Roland seinen Gebieter kürzlich darauf angesprochen hatte, war die Antwort des Königs nur ein vielsagendes Lächeln und eine launige Bemerkung über die Schönheit Mylenes gewesen. Aber dann waren die schönen Tage in der Gesellschaft des blonden Mädchens schließlich doch gezählt. König Artus ließ den Ritter mit dem Löwenherzen zu sich rufen. »Kennst du die Tataren, Roland?« erkundigte er sich. »Nur dem Namen nach«, antwortete der Ritter. »Begegnet bin ich bislang keinem einzigen von ihnen. Aber ich wäre durchaus begierig darauf, diesem Mangel abzuhelfen.« »Warum?« »Nun, man sagt, daß die Tataren die mutigsten Kämpfer der Welt sind. Ich hätte nichts dagegen, meine Kräfte mit dem Besten der Barbaren zu messen.« König Artus lächelte. »Ich könnte mir vorstellen, daß du dazu sehr bald Gelegenheit bekommst.« Roland hob die Brauen. »Sind neue Kämpfe mit den Horden des Khans ausgebrochen?« »Davon ist mir nichts bekannt«, gab der König zur Antwort. »Soweit ich weiß, haben die Tataren in der letzten Zeit die Grenzen zu unseren Landen nicht mehr überschritten.« »Aber Sie sagten doch ...«
»Ich wollte dich aus einem anderen Grund zu den Männern von
Tugrik Khan schicken«, unterbrach ihn Artus. »Die Tataren sollen nicht nur die besten Kämpfer sein. Sie sollen auch die besten Pferde besitzen. Pferde, die ganz anders sind als die unseren. Ich möchte, daß du eins dieser Pferde nach Camelot bringst.« Roland nickte entschlossen. »Ich werde Ihnen das beste Pferd bringen, das es im ganzen Tatarenreich gibt.« Artus lachte auf. »Und wenn dieses dem Khan selbst gehört?« »Dann muß sich der Tatarenfürst leider einen neuen Gaul besorgen. Ich würde mich nicht scheuen, ihm sein Reittier unter dem Hintern wegzuziehen!« Roland wußte, daß der König ein großer Pferdefreund war. Die Zucht von Camelot war weithin berühmt. Und er konnte sich sehr gut vorstellen, daß tatarisches Blut der Zucht zum Vorteil gereichen würde. »Eins möchte ich klarstellen«, sagte der König. »Es mag sein, daß du mit den Tataren in Handgemenge verwickelt wirst. Heißes Blut fließt in ihren Adern, und sie lieben uns Abendländer nicht sonderlich. Dennoch sollst du sie nicht herausfordern. Man muß ein Pferd nicht unbedingt gewaltsam in seinen Besitz bringen. Man kann es auch kaufen. Ich werde dir genug Geld mitgeben, um damit eine ganze Herde zu erwerben. Du verstehst, was ich damit sagen will, Roland?« »Ja, mein König«, nickte Roland. Der König entließ ihn. Und Roland bereitete sich darauf vor, fürs erste Abschied von Mylene de Roncourt zu nehmen. * »Ich wünsche Euch viel Glück, Helferich!« Graf Leander von Kronburg streckte dem Freiherrn seine Rechte entgegen. Helferich nahm sie und schüttelte sie kräftig. »Das Glück kann ich brauchen«, sagte er. »Ansonsten aber werde ich alles tun, was in meiner Macht steht.«
Er wandte sich der Gemahlin des Burgherrn zu, die wie alle anderen auf den Burghof gekommen war, um den Retter ihrer Tochter zu verabschieden. »Grämt euch nicht, Gräfin Marika«, sagte er zuversichtlich. »Bald werdet Ihr die Jungfer Anja wieder in Eure mütterlichen Arme schließen können.« Und nach einer kurzen Pause: »Und mich dazu, hoffe ich!« Die Gräfin nickte heftig. »Wenn Ihr Anja zurückbringt, seid Ihr mir als Schwiegersohn hochwillkommen. Nicht wahr, Leander?« »Ja«, sagte der Graf, »so soll es sein.« Nach wie vor war er wenig davon begeistert, den ehrgeizigen Freiherrn als seinen Nachfolger hinnehmen zu müssen. Aber er wußte, daß es nach Lage der Dinge keine andere Möglichkeit gab. Außer Helferich war niemand da, der etwas für Anja tun konnte. Der Freiherr hatte sich inzwischen die Stelle, an der es zu dem Überfall gekommen war, angesehen. Wie er sagte, hatte er auch schon Spuren gefunden, denen er folgen konnte. So blieb nur zu hoffen, daß seine Taten mit seinen Versprechungen Schritt halten würden. Nun waren der Worte genug gewechselt. Helferich schritt auf sein bereits gesatteltes Pferd zu und nahm die Zügel aus der Hand eines Knappen entgegen. Er winkte den Umstehenden noch einmal zu, schwang sich dann in den Sattel. Und stürzte im nächsten Augenblick schwer auf die Pflastersteine des Burghofs! Graf Leander und einige andere waren sofort an seiner Seite. »Was, bei allen Heiligen, war das?« Die Frage beantwortete sich schnell von selbst. Ein Blick auf Helferichs Pferd genügte, um zu erkennen, daß der Sattel ganz schief hing. Offenbar war ein Gurt gerissen und hatte den Fall verursacht. Der Freiherr war sich der Peinlichkeit der Szene sehr bewußt. Ein Mann, der ausziehen wollte, um es mit den Tataren aufzunehmen, fiel ganz einfach nicht von seinem Pferd! Daß es sich um einen unglückseligen Zufall handelte, der letzten Endes jedem hätte widerfahren können, war nur ein schwacher Trost für ihn.
Er zwang sich zu einem Lächeln, wollte sich dann wieder auf die Füße stellen. Als er sich dabei mit dem rechten Arm abstützte, durchzuckte ihn ein wilder Schmerz. Der Arm knickte ihm weg, und er lag abermals flach auf den Steinen. Das erstaunte Murmeln der Umstehenden klang in seinen Ohren wie gellendes Hohngelächter. Unwillig wehrte er die beiden Knappen ab, die ihm beim Aufstehen behilflich sein wollten. Er schaffte es auch aus eigener Kraft. Aber der rechte Arm ... Helferich konnte nicht vermeiden, daß ein schmerzhaftes Zucken über sein Gesicht huschte. Dieses Zucken entging dem Burgherrn nicht. »Was habt Ihr, Helferich? Ihr seid doch nicht etwa ... verletzt?« Der Freiherr betrachtete seinen Arm, der in einem seltsamen Winkel vom Körper abstand. Oberhalb des Ellenbogen spürte er einen dumpfen, scharfen Schmerz. »Ich befürchte das ... Schlimmste«, sagte er gepreßt. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist der Arm gebrochen.« »Das darf doch nicht wahr sein!« rief Graf Leander erbittert. »Versucht, den Arm zu bewegen!« Helferich hob den Arm, schwenkte ihn hin und her. Der Schmerz brachte ein Stöhnen über seine Lippen. »Vielleicht nur ein bißchen verstaucht«, sagte der Graf hoffnungs voll. Wenn der Arm tatsächlich gebrochen war ... Teufel auch, mit einer solch schweren Behinderung konnte es der Freiherr unmöglich mit den Tataren aufnehmen. Und wenn er es nicht tat... Helferich wollte Gewißheit und fing an, Brünne und Kettenhemd abzulegen. Allein war er dazu nicht in der Lage. Er brauchte die Hilfe von zwei Knappen. Dann lag sein sehniger, kräftiger Arm frei. Und es bedurfte nicht der fachlichen Beurteilung durch einen Heilkundigen, um zu erkennen, wie die Dinge standen. Der Arm war ohne jeden Zweifel gebrochen... *
Roland unternahm die Reise in die östlichen Regionen nicht zum ersten Mal. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte er eine Wallfahrt nach Böhmen begleitet und dortselbst einen harten Kampf gegen einen verbrecherischen Grafen geführt. Auch seine beiden Begleiter, die treuen Knappen Louis und Pierre, waren auf der Wallfahrt dabei gewesen. Und wie damals führte Pierre auch jetzt wieder fortwährend laute Klagen über die Mühsal und den Strapazenreichtum der langen Reise im Munde. Pierre war ein untersetzter, zur Fettleibigkeit neigender Bursche. Er besaß einen ausgeprägten Hang zur Gemütlichkeit und hätte am liebsten Schloß Camelot niemals verlassen. Daß er es dennoch immer wieder tat, sprach für die Treue und Ergebenheit, die er Roland entgegenbrachte. Was dies betraf, stand ihm Louis kein bißchen nach. Auch er wäre jederzeit bereit gewesen, sich für seinen Herrn in Stücke hauen zu lassen. Vom Äußeren her war er das genaue Gegenteil von Piere. Schlank, dabei aber durchaus kräftig, drahtig, von heißblütigem, mitunter etwas über die Stränge schlagendem Temperament. Bevor er sich Roland als Knappe anschloß, war er der Anführer einer Räuberbande gewesen. In dieser Eigenschaft hatte er alle Schliche des Kriegshandwerks gelernt. Und da es ihm weder an Mut noch an Schläue gebrach, hätte sich Roland kaum einen besseren Gefährten wünschen können. Das bedeutete aber keineswegs, daß er etwa mit Pierre unzufrieden gewesen wäre. Der dickliche Knappe hatte zwar den Mut nicht gepachtet, aber wenn es darauf ankam, stand er sehr wohl seinen Mann. Und was ihm an purer Kampfkraft vielleicht fehlen mochte, verstand er stets durch Listigkeit und überraschende Einfälle zu ersetzen. Trotz Pierres ständigen Lamentierens verlief die Reise ohne größere Probleme. Der Name >Roland< war mittlerweile in allen Landen bekannt, und so brauchten sich der Ritter mit dem Löwenherzen und seine Begleiter unterwegs über mangelnde Gastfreundschaft nicht zu beklagen. Fast immer fanden sie in einer Burg oder in einem Gasthof ein gutes Essen und ein weiches Nachtlager. Innerhalb einer Zeitspanne, die sie selbst überraschte,
erreichten sie die Grafschaft Kronburg. »Kronburg ist eine der Grenzmarken, nicht war?« sagte Louis, der in seinem wildbewegten Leben schon weit herumgekommen war. Roland nickte. »Ja. Jenseits der Grenzen beginnt der Herrschaftsbereich der Tataren.« Unwillkürlich schüttelte sich Pierre. »Tataren! Schon wenn ich das Wort höre, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.« »Alter Angsthase«, sagte Louis verächtlich. Er lächelte, als er fortfuhr: »Obgleich mir an deiner Stelle im Tatarenreich auch nicht allzu wohl wäre!« »Wieso?« Pierres Stimme klang alarmiert. »Nun«, sagte Louis gedehnt, »wenn ich richtig informiert bin, pflegen die Barbaren ihr Fleisch am Spieß zu rösten - in ganzen Stücken! Ich könnte mir vorstellen, daß ihnen bei einem Mann von deinem Kaliber das Wasser im Munde zusammenläuft.« Der entrüstete Aufschrei Pierres veranlaßte Roland zu einem Grinsen. Er war es gewohnt, daß sich seine beiden Knappen fortwährend neckten, wobei sie manchmal recht grob zu Werke gingen. Er wollte nicht leugnen, daß er des öfteren seinen Spaß daran gehabt hatte. Die Hasenfüßigkeit Pierres forderte natürlich dazu heraus. Louis wurde wieder ernst. »Werden wir die Grenze heute noch überschreiten?« erkundigte er sich. Roland wiegte den Kopf hin und her, schüttelte ihn dann. »Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir zuvor ein paar Erkundigungen einholen. Die Menschen hier in der Grenzmark hatten gewiß schon des öfteren Kontakt mit den Barbaren und können uns nützliche Ratschläge geben.« »Warum suchen wir nicht die Burg des Markgrafen auf?« schlug Louis vor, der natürlich gleich wieder an ein weiches Lager dachte. Der Ritter mit dem Löwenherzen fand den Gedanken trotzdem gut. Der Markgraf mochte in der Tat der rechte Mann sein, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Als sie wenig später an einem Feld vorbeikamen, auf dem fleißige
Bauern arbeiteten, erkundigten sie sich nach der Kronburg. Sie brachten in Erfahrung, daß der Sitz des Landesherrn nicht weiter als zwei gute Reitstunden entfernt war. Sie würden keine Schwierigkeiten haben, ihr Ziel noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Zügig ließen sie ihre Reittiere wieder ausschreiten. Anderthalb Stunden später lag die Kronburg vor ihnen. * Die Gastfreundschaft des Markgrafen ließ nichts zu wünschen übrig. Während Pierre und Louis im Ritterhaus Aufnahme gefunden hatten, ließ es sich der Burgherr nicht nehmen, Roland an seine eigene Abendtafel zu bitten. Außer dem Grafen, einem nicht mehr jungen und schon recht gebrechlich wirkenden Mann, waren beim Mahl auch seine Gemahlin und ein paar ausgewählte Getreue. Aber obwohl sich alle Einheimischen Mühe gaben, ihrem Gast mit Freundlichkeit und Herzlichkeit zu begegnen, spürte Roland doch, daß ein Schatten über der Tafel lag. Irgend etwas schien Graf Leander und die Seinen schwer zu bedrücken. Die Höflichkeit gebot es Roland jedoch, keine aufdringlichen Fragen zu stellen. Auch die Kronburger wahrten die höfische Form. Niemand drang in Roland, um Ziel und Zweck seiner Reise in Erfahrung zu bringen. Sie warteten darauf, daß der Besucher von sich aus zu erzählen begann. Und das tat der Ritter mit dem Löwenherzen dann schließlich auch. Da er nicht das geringste zu verbergen hatte, berichtete er getreulich, mit welcher Weisung ihn sein Gebieter König Artus in den Osten geschickt hatte. Seine Worte erzielten eine etwas überraschende Wirkung. Sekundenlang sagte keiner der Anwesenden etwas. Roland runzelte die Stirn. »Ist es so außergewöhnlich, daß jemand ins Reich der Tataren ziehen will?« »In der Tat«, bestätigte Graf Leander. »Zwischen den Untertanen des Khans und uns herrschen nicht gerade freundschaftliche
Beziehungen. Insbesondere wir Kronenburger haben Anlaß ...« Er hielt inne und blickte Roland prüfend ins Gesicht. »Gestattet Ihr mir eine Frage, bevor ich weiterspreche?« »Gewiß doch!« »Seid Ihr der Ritter, den man den mit dem Löwenherzen nennt?« Roland nickte. »Diesen Beinamen hat man mir verliehen, ja.« »Derjenige, der den letzten Lindwurm bezwang, und der blutigen Gräfin das teuflische Handwerk legte?« »Nämlicher bin ich.« Die Gräfin Marika klatschte plötzlich in die Hände und lachte mit einer Fröhlichkeit, die so gar nicht zu ihrer bisherigen Leichenbittermiene passen wollte. »Dann seid Ihr ja ein echter Held!« Dazu konnte Roland nur die Achseln zucken. Als Held bezeichnet zu werden, machte ihn beinahe verlegen. Aber er wollte auch nicht ableugnen, daß ein Gefühl des Stolzes in ihm aufstieg. Welchen jungen Recken hätte es nicht gefreut, wenn seine Taten Ruhm und Achtung ernteten? »Ihr könnt es natürlich nicht wissen, Ritter Roland«, fuhr der Graf fort. »Aber wir haben derzeit hier auf der Kronburg einen echten Bedarf an Helden!« »Inwiefern?« Roland lachte. »Treibt auch hier noch ein Lindwurm sein Unwesen?« »Wenn es nur das wäre«, seufzte der Graf. »Ich und meine Gemahlin, wir haben ganz andere Sorgen.« Und dann erzählte er, erzählte von dem mörderischen Überfall der Tatarenhorde und der Verschleppung seiner Tochter, erzählte von dem Mißgeschick, das den einzigen möglichen Retter befallen hatte, und erzählte von dem schier unerträglichen Kummer, der ihn und die Gräfin beinahe auffraß. Er kam zu dem Schluß: »... und da Ihr ohnehin zu den Tataren wollt, da dachte ich ...« »... daß ich mich ein wenig nach Eurer unglücklichen Tochter umsehe«, vervollständigte der Ritter mit dem Löwenherzen.
»Ja, ja, ja!« rief die Gräfin. Sie war von ihrem Stuhl aufgesprungen. »Werdet ihr es tun, Ritter?« Roland brauchte nicht eine einzige Sekunde zu überlegen. Für ihn war die Rettung des verschleppten Mädchens nicht nur eine Gefälligkeit, sondern auch eine Verpflichtung. »Ja«, sagte er mit fester Stimme, »ich werde es tun!« Gräfin Marika schien gewillt, ihm um den Hals zu fallen. Und wenn der mit Speisen vollgestellte Tisch nicht dazwischen gewesen wäre, hätte sie es wahrscheinlich auch getan. Da jedoch erhob sich überraschend Widerspruch am Tisch. »Ich weiß nicht, ob es weise ist, diesen jungen Mann mit der Rettung der Jungfer Anja zu betrauen«, sagte der etwas grobschlächtige Mann, der links von Graf Leander saß. Roland blickte den Sprecher mit leicht zusammengekniffenen Augen an. Er hatte vorhin, als ihm die anwesenden vorgestellt worden waren, seinen Namen nicht richtig verstanden. Aber er ahnte schon, um wen es sich handelte. Die Tatsache, daß der Grobschlächtige seinen rechten Arm in einer Binde trug, sagte eigentlich alles. Die Augen aller richteten sich auf den Mann. »Was meint Ihr, Freiherr Helferich?« fragte der Graf. Der befremdete Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Ich meine, daß das Abschlachten eines Lindwurms wenig über die wahren Fähigkeiten eines Mannes aussagt«, gab der Grobschlächtige zur Antwort. »Und die Unschädlichmachung einer blutgierigen Götzenpriesterin auch nicht!« Roland lächelte spöttisch. »Ich zweifle nicht daran, daß auch Ihr diese Taten leicht vollbracht hättet, mein Herr. Zumindest mit dem Munde!« Helferich fuhr hoch. »Was wollt Ihr damit sagen, Ritter?« »Daß es vielleicht angebracht wäre, wenn Ihr zunächst einmal lernt, wie man sich auf dem Rücken des eigenen Pferdes hält«, sagte Roland freundlich. Der Grobschlächtige lief rot an im Gesicht. »Wenn Ihr ein paar
Tage später gekommen wärt und ich meinen Arm wieder richtig gebrauchen könnte, dann würde ich Euch für diese Frechheit den Schädel spalten!« »Das hat mir kürzlich bereits ein anderer angekündigt«, erwiderte Roland, der sich noch lebhaft an den Zweikampf mit Jean de Villiers erinnerte. »Jetzt hat er sich in die Einöde zurückgezogen und versucht dort, seine Schmach zu vergessen. Schätzt Euch glücklich, daß Ihr Euren Arm in der Schlinge tragt.« Wütend wandte sich der Freiherr an den Grafen. »Ihr gestattet, daß mich dieser junge Flegel verhöhnt und beleidigt?« Graf Leander machte eine vieldeutige Handbewegung. »Mir scheint, daß Ihr der erste wart, der unhöfliche Worte sagte.« »Ich hatte nur Euer Bestes im Auge, Graf! Und das Beste Eurer unglücklichen Tochter! Glaubt Ihr wirklich, daß ein Pferdedieb der richtige Mann für Euch ist?« »Pferdedieb!« Roland holte tief Luft. »Wer ein Tatarenpferd in seinen Besitz bringen will, kann es nur stehlen«, sprach der Freiherr weiter. »Und wenn ihm dies gelungen sein sollte, dann hat er so viel damit zu tun, sich in Sicherheit zu bringen, daß ihm für alles übrige keine Zeit mehr bleibt. Wie sollte er sich da um Eure Tochter kümmern?« »Dies laßt gefälligst meine Sorge sein!« warf Roland mit wütender Stimme ein. Helferich ging nicht auf ihn ein, blickte unverwandt den Burgherrn an. »Glaubt mir, Graf Leander, es sind nur lautere Beweggründe, die mich veranlassen, so zu sprechen. Wartet noch ein paar Tage. Dann ist mein Arm wieder so weit hergestellt, daß ich ein Schwert halten kann. Unverzüglich werde ich mich dann auf den Weg machen und...« »Nein!« fuhr Gräfin Marika mit schriller, aufgeregter Stimme dazwischen. »Wir haben ohnehin schon viel zuviel Zeit verloren. Jeder weitere Tag, der vergeht, macht eine Befreiung Anjas immer zweifelhafter. Und darum ...« »... sollte allerschnellstens etwas geschehen«, sagte Graf Leander.
Er blickte Roland an. »Ich kenne Euch zwar nicht näher, Ritter, aber ich habe vollstes Vertrauen zu Euch. Ein Mann, der in den Diensten eines Herrschers wie König Artus steht und in jungen Jahren schon solchen Ruhm erworben hat wie Ihr, der sollte auch mit den Tataren fertig werden können.« »Ich danke Euch, Graf«, sagte Roland. Dann beschäftigte er sich wieder mit dem Hirschbraten auf seinem Teller, der leider schon kalt geworden war. Als er wenig später aufschaute, sah er, wie der Blick des Freiherrn voller Haß auf ihm ruhte. Unwillkürlich wurde er abermals an Jean de Villiers erinnert. Aber er ließ sich dadurch den Appetit nicht verderben und langte anschließend wieder kräftig zu. Während des Essens wurde nicht mehr allzuviel gesprochen. Alle Anwesenden hingen ihren eigenen Gedanken nach. Nachdem die Tafel aufgehoben war, gab es jedoch noch genug Gelegenheit für Roland, allerlei Erkundigungen einzuholen. Bei diesen Gesprächen war allerdings der Freiherr Helferich nicht mehr dabei. * Der Freiherr Helferich war anderweitig beschäftigt. In dem Gemach, das ihm während seines Aufenthalts auf der Kronburg zugeteilt worden war, hatte er eine wichtige Unterredung mit seinem Knappen Eginolf. Eginolf war ein junger Bursche, der ärmlichsten Verhältnissen entstammte. Seine Ergebenheit gegenüber dem Freiherrn kannte keine Grenzen. Der Herr Helferich hatte ihn von der Fronarbeit im Erzbergwerk befreit und ihm versprochen, ihn eines Tages zum Ritter schlagen zu lassen. Um dieses große Ziel zu erreichen, war Eginolf bereit, alles zu tun, was sein Herr von ihm verlangte. Alles! Der Knappe wäre auch nicht zurückgeschreckt, wenn ihm Helferich befohlen hätte, den König selbst zu ermorden. Der Freiherr schätzte sich glücklich, einen so treuen Helfer zu haben, besonders wenn es um Dinge ging, die durchaus unehrenhaft waren.
Zwar lag ihm wenig daran, den König umzubringen. Aber es gab da eine andere Person ... Eginolf ahnte schon, was sein Herr mit ihm in aller Heimlichkeit besprechen wollte. »Ich habe gehört, was an der Tafel des Grafen erörtert wurde«, sagte er. »Es ist ganz und gar nicht in Eurem Sinne, nicht wahr, Herr?« »Du hast es erfaßt«, knurrte Helferich böse. »Dieser unselige Ritter Roland ist genau zum falschen Zeitpunkt auf die Kronburg gekommen. Ein paar Tage früher oder später, und er hätte keine Gelegenheit bekommen, sich einzumischen. So jedoch...« Der Freiherr stieß einen Fluch aus, der einen Heiden erschreckt hätte. Eginolf nickte verständnisvoll. Er kannte das Spiel, das sein Herr spielte, nur allzu gut. Schließlich hatte er selbst seinen Teil dazu beigetragen. »Ist dieser Roland wirklich ein so großer Held, wie man sich erzählt?« wollte er wissen. Helferich nickte mit finsterer Miene. »Ich fürchte, ja! Er hat nicht nur den Drachen erschlagen und die Zauberin entlarvt, sondern noch andere Ruhmestaten an sein Banner geheftet. Er war es auch, der dem Kloster zum Schwarzen Stein sein geraubtes Heiligtum zurückbrachte. Mit diesem Roland scheint der Teufel höchstpersönlich im Bunde zu sein!« »Dann wird es nicht einfach werden, ihn daran zu hindern, die Wahrheit herauszufinden.« »Das darf nicht geschehen!« Helferich ballte die Fäuste. »Roland muß. sterben!« Vielsagend blickte er seinen Getreuen an. Eginolf begriff sofort, was der Blick zu bedeuten hatte. Er sollte der Mann sein, der den Ritter mit dem Löwenherzen beseitigte. Dazu war er auch durchaus bereit. Nur über das >Wie< war er sich ganz und gar nicht im klaren. »Es wird nicht einfach werden ...« »Das sagtest du schon einmal«, fiel ihm Helferich ärgerlich ins Wort. »Auch ich weiß, daß es sinnlos wäre, wenn du den Roland
irgendwie herausforderst und ihm im Kampfe gegenübertrittst. Er hätte dich besiegt, noch bevor du die Hand gegen ihn erheben könntest.« Der Knappe war etwas erleichtert. Er hatte schon befürchtet, daß sein Herr einen Zweikampf von ihm verlangen würde. Aus diesem bitteren Krug mußte er also nicht trinken. »Dann kommt nur ein ... Meuchelmord in Frage«, stellte er wie selbstverständlich fest. »So ist es«, pflichtete ihm der Freiherr bei. »Aber selbst dabei ist höchste Vorsicht geboten. Dieser Roland ist mit allen Hunden gehetzt. Wenn er den Braten riecht ...« Sinnend blickte Eginolf vor sich hin. »Besteht Ihr darauf, daß ich die Tat selbst begehe?« fragte er dann. »Ich dachte an dich, weil du ein zuverlässiger und geschickter Mann bist«, schmierte ihm sein Herr Honig ums Maul. »Ich weiß Euer Vertrauen zu schätzen«, erwiderte der Knappe. »Aber wenn auch jemand anders ...« »Kennst du jemanden?« Eginolf machte eine bejahende Kopfbewegung. »Ich kenne jemanden, der mir ebenso ergeben ist wie ich Euch, Herr. Und da dieser jemand weitaus eher Gelegenheit bekommen könnte, sich unauffällig an den Ritter heranzumachen ... Ihr versteht, was ich sagen will, Herr?« »Durchaus, mein Freund«, sagte Helferich. »Durchaus!« * Roland war mit den Gesprächen des Abends überaus zufrieden. Er wußte jetzt weitaus mehr über die Tataren und ihre Gewohnheiten als vorher. Diese neuen Kenntnisse würden ihm eine große Hilfe sein, wenn er erst mal im Reich der Barbaren war. Das hoffte er jedenfalls mit großer Zuversicht. Er hatte gut gegessen und auch einiges von dem guten Wein getrunken, den Graf Leander kredenzte. Und da auch der lange Ritt
nicht spurlos an ihm vorübergegangen war, fühlte er sich rechtschaffen müde. Er freute sich auf das Bett. Die Gästekammer war groß und geräumig. Ein breites Lager, ein Bärenfell auf den Steinplatten des Fußbodens, eine große eherne Schüssel, bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Auf Camelot bot man den Besuchern zweifelsohne einiges mehr. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen war nicht verwöhnt und stellte keine großen Ansprüche an die Dinge des alltäglichen Lebens. Er sah nicht den geringsten Grund zur Klage. Flugs legte er seine Oberkleidung ab und trat mit nackter Brust an die Waschschüssel heran. Während er den Kopf hineintauchte, war ihm so, als hätte er ein Geräusch gehört. Prustend hob er den Kopf aus der Schüssel. Ja, da war es wieder. Irgend jemand hatte an die Tür der Schlafkammer geklopft. »Wer ist da?« fragte Roland, während ihm das eiskalte Wasser über den Oberkörper rann. »Ich bin es«, antwortete eine Frauenstimme. »Maria Elena.« Roland kannte keine Maria Elena. Aber das machte nichts. Frauen gegenüber war er immer höflich und zuvorkommend. Und die Frauenstimme draußen auf dem Gang hatte sich sehr angenehm angehört. »Tretet ein«, rief er. Die Tür öffnete sich. Eine junge Frau trat über die Schwelle und machte die Tür hinter sich wieder zu. Roland hatte sie während seines kurzen Aufenthalts auf Kronburg noch nicht gesehen. Sie hatte ein rundliches Gesicht, kurzgeschnittene braune Haare und große dunkle Augen. Im landläufigen Sinne war sie recht hübsch. Auch ihren Körper brauchte sie nicht zu verstecken. Und das tat sie auch nicht, denn das leichte, dünne Kleid, das sie trug, zeigte eine ganze Menge davon. Der volle Busen quoll aus dem herzförmigen Ausschnitt beinahe heraus, und die drallen Beine lugten verlockend unter dem kurzen Saum hervor. Schnell war sich Roland im klaren darüber, daß das Mädchen nicht
zu den Frauen vom Stande zählte. Sie gehörte dem Gesinde an und war offenbar gekommen, um ihm irgend etwas zu bringen oder auch nur auszurichten. »Ja?« fragte er und lächelte. Das Mädchen antwortete nicht sofort. Sie stand immer noch an der Tür und starrte ihn mit großen Augen an. Mit offenkundiger Bewunderung glitten ihre Blicke über seinen hochgewachsenen, breitschultrigen Körper, über seine prallen Muskeln und seine starken, männlichen Sehnen. »Ihr seid fürwahr ein Held, Ritter Roland«, sagte sie nach einer ganzen Weile. »So, bin ich das?« Roland verstärkte sein Lächeln. »Woher willst du das denn so genau wissen, mein Kind?« »Nur Helden können so prächtig gebaut sein, wie Ihr es seid«, sagte das Mädchen und starrte ihn immer noch wie gebannt an. Diese ungeschminkte Verehrung wollte ihm gar nicht gefallen. Er kam sich beinahe so vor wie der Tanzbär einer Gauklertruppe, der von allen Seiten begafft wurde. »Was willst du, Maria Elena?« fragte er nicht mehr ganz so freundlich wie zuvor. »Könnt Ihr Euch das nicht denken, Herr Ritter?« Das Mädchen trat näher, wiegte sich dabei aufreizend in den Hüften. Ihre vollen Brüste wippten. Roland kniff die Augen leicht zusammen. »Es war schon immer mein sehnlichster Wunsch, mit einem echten Helden zu schlafen«, sagte das Mädchen. »Und nun kann mein Wunsch endlich in Erfüllung gehen.« »So?« Roland konnte nicht verhehlen, daß er unangenehm berührt war. Üblicherweise suchte er sich die Frauen aus, mit denen er die Minne pflegen wollte. Dieses Mädchen hatte gewiß ihre Reize, aber er fühlte sich dennoch nicht sonderlich von ihr angesprochen. In Gedanken hatte er immer noch die herrliche Gestalt Mylene de Roncourts vor sich. Neben der prächtigen Blume verblaßte die junge Frau, die jetzt vor ihm stand, zu einem unscheinbaren Pflänzchen.
Zwar hatte er Mylene keineswegs unerschütterliche Treue geschworen, aber er wollte die süße Erinnerung an sie auch nicht durch ein überflüssiges, schales Abenteuer trüben. Außerdem wollte er, bevor er ins Reich der Tataren aufbrach, noch einmal ausgiebig schlafen. Das Mädchen war zwei Schritte vor Roland stehen geblieben. Sie sah ihm wohl an, daß seine Bereitschaft, sie mit in sein Bett zu nehmen, nicht allzu groß war. »Gefalle ich Euch nicht, Ritter Roland?« fragte sie und ließ die Mundwinkel dabei leicht nach unten sinken. Es lag nicht in Rolands Natur, grob und unhöflich zu den Vertreterinnen des schönen Geschlechts zu sein. Und schon gar nicht wollte er sie vorsätzlich verletzen, gleichgültig ob sie nun von vornehmen Geblüt waren oder im Gesindehaus lebten. »Doch, doch«, sagte er, »du bist ein sehr hübsches Mädchen. Es ist nur...« »Ja?« »Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir und einen noch anstrengenderen vor mir. Ich bin ganz einfach müde!« Da tat das Mädchen etwas Unerwartetes. Mit beiden Händen packte sie den Ausschnitt ihres Kleides und riß heftig daran. Der Stoff zerriß wie Pergament und hing in losen Fetzen herunter. Unter dem Kleid trug sie kein Leibchen, kein Mieder, nur ihren blanken Busen. Einen sehr ansehnlichen Busen, wie Roland zugeben mußte. Die Spitzen waren aufgerichtet und schimmerten wie Rosenknospen. »Nun, Herr Ritter, seid Ihr immer noch müde?« Siegessicher lächelte ihn das Mädchen an. Fast wäre Roland schwankend geworden. So viel geballte Weiblichkeit - da fiel es einem echten Mann schwer, nicht auf die Stimme seines Bluts zu hören. Aber der Ritter mit dem Löwenherzen gewann den Kampf gegen sich selbst. Der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich auf diese Weise von einem Weib unterkriegen ließ. »Es ist besser für dich, wenn du gehst, mein Kind«, sagte er mit abweisender Stimme. Dann tat er so, als ob das Mädchen gar nicht
mehr da sei und tauchte den Kopf wieder in die Schüssel. Als er wieder hochkam, war ihm Wasser in die Augen getreten. Er sah seine Umgebung nur leicht verschwommen. Die junge Magd war immer noch da. Und sie hielt jetzt etwas in der Hand. Was es war, konnte er allerdings auf Anhieb nicht erkennen. Als ihre Hand plötzlich auf ihn zuschoß, war es mehr ein Reflex, der ihn zur Seite weichen ließ. Das war sein Glück! Der Gegenstand, den das Mädchen in der Hand hielt, streifte ihn lediglich. Aber dieses Streifen genügte, um ihn einen jähen Schmerz an der linken Schulter spüren zu lassen. Und wieder drang das Mädchen auf ihn ein. Ein heiserer Laut kam dabei über ihre Lippen, der Roland unwillkürlich an eine Wölfin erinnerte, die für ihre Jungen kämpfte. Noch immer konnte der Ritter mit dem Löwenherzen nicht richtig sehen. Als er zugriff, um die Hand des Mädchens zu packen, griff er glatt daneben. Aber er wurde wenigstens nicht abermals getroffen. Die Hand der jungen Frau fuhr an ihm vorbei. Nun aber reichte es Roland. Der Schmerz an der Schulter hatte ihn wütend gemacht. Blitzschnell wischte er sich das Wasser aus den Augen. Sein Blick wurde wieder klar. Und als das Mädchen zum dritten Mal auf ihn losging, war er auf der Hut. Er sah jetzt auch, was sie da in der Hand hielt. Es war ein Messer, ein langes und sehr, sehr spitzes Messer. Kein Wunder, daß der Kratzer an seiner Schulter brannte wie Feuer. Wieder kam das Messer. Das Mädchen meinte es ernst, zielte genau auf sein Herz. Aber sie hatte jetzt nicht mehr den Hauch einer Chance, ihm gefährlich zu werden. Roland fing ihren Arm ab. Dann ein leichtes Verdrehen des Handgelenks, und das Messer polterte scheppernd auf den Fußboden. Trotzdem gab sich das Mädchen noch nicht geschlagen. Ihre freie Hand flog ihm mitten ins Gesicht. Mit den Fingernägeln fuhr sie ihm schmerzhaft über die Wange. Zornig spürte Roland, wie die Haut aufgerissen wurde.
Jetzt langte es ihm endgültig. Er packte auch die andere Hand des Mädchens, das immer noch heisere Wolfstöne von sich gab. Voller Wut schüttelte er sie wie eine Ährengarbe. Dann gab er ihr einen Stoß, der sie auf das breite Bett schleuderte. Breitbeinig baute er sich vor dem Lager auf und stemmte die Arme in die Hüften. »Warum tust du das, unglückseliges Weib?« fuhr er sie an. »Bist du von Sinnen?« Mit blitzenden Augen sah das Mädchen zu ihm hoch. Ihre nackten Brüste wogten, so schwer ging ihr Atem. Eine hektische Röte überzog Gesicht und Teile des Oberkörpers. »Ihr ... Ihr habt mich verschmäht«, zischte sie. »Ihr habt mich verschmäht, nur weil ich eine Niedriggeborene bin! Wäre die Jungfer Anja zu Euch gekommen, hättet ihr sie längst wie ein geiler Bock bestiegen!« Die Ausdrucksweise des Mädchens gefiel ihm nicht. Besonders mißbilligte er, daß sie die unglückliche Grafentochter ins Spiel brachte. »Du solltest dich schämen«, sagte er. »Deine Herrin auf diese häßliche Art und Weise zu schmähen ...« »Ich hasse sie!« zischte Maria Elena böse. »Anja hier, Anja da alle sprechen nur von ihr, als sei sie der wichtigste Mensch in der ganzen Mark. Dabei ist sie hochmütig und grausam! Wenn die Tataren eine wie mich verschleppt hätten, würde niemand ein Wort darüber verlieren. Aber ich bin ja auch nur eine erbärmliche Dienstmagd, die man behandeln kann wie ein Stück Dreck!« Plötzlich fing sie an zu schluchzen. Tränen flossen ihr über die geröteten Wangen. »Ich ... bin verloren«, flüsterte sie. »Wenn Ihr dem Grafen sagt, was ich getan habe ... Er wird mich auspeitschen und anschließend hinrichten lassen.« Ein Weinkrampf schüttelte sie, als sie den Kopf in den Händen verbarg und sich auf dem Bett zusammenkrümmte wie ein krankes Tier.
Plötzlich tat sie Roland leid. Gut, sie hatte versucht, ihn umzubringen. Aber in gewisser Weise verstand er sie sogar. Er kam selbst aus kleinen Verhältnissen und wußte wie es war, wenn man verschmäht und zurückgestoßen wurde. Daß er sie nicht zurückgewiesen hatte, weil er sie verachtete, sondern andere Gründe gehabt hatte, konnte sie nicht wissen. Sie fühlte sich verletzt, und in einer solchen Verfassung tat man manchmal Dinge, die man später bedauerte. »Mach dir keine Sorgen«, sagte Roland beruhigend. »Ich werde dem Grafen nichts sagen. Ihm nicht und auch keinem anderen.« Aus tränenverhangenen Augen sah sie zu ihm hoch. »Wirklich nicht? Ihr versprecht es?« »Ich verspreche es!« Sekundenlang blieb sie fast reglos auf dem Bett liegen, wischte sich nur schluchzend die Tränen aus den Augen. Dann sprang sie plötzlich auf und stürzte auf ihn zu. Schon dachte Roland, daß sie einen neuerlichen Anschlag im Sinne führte. Aber das lag nicht in ihrer Absicht. Sie ergriff nur seine Hand und drückte ihr einen Kuß auf. »Ich danke Euch, Herr Ritter«, hauchte sie. »Ich danke Euch von ganzem Herzen. Dann huschte sie auf schnellen Füßen zur Tür und hatte den Raum Augenblicke später verlassen. Kopfschüttelnd blickte Roland ihr nach. Der Zorn, der ihn gerade noch erfüllt hatte, war verflogen. Und da auch der kleine Schnitt an der Schulter nicht mehr blutete, beschloß er bei sich, den Zwischenfall schnell zu vergessen. Wenig später lag er auf dem Nachtlager und schlief alsbald ein. * Gähnend wälzte sich der Knappe Eginolf im Heu. Er überlegte, ob er sich nicht auf die Seite rollen und ein bißchen schlafen sollte. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis Maria Elena kam. Üblicherweise traf er sich hier in der Futterkammer mit der
Küchenmagd, um sich an ihrem drallen Körper zu erfreuen. In dieser Nacht jedoch ging es ihm um etwas anderes. Er erwartete eine Vollzugsmeldung von dem Mädchen. Und Gott mochte ihr gnädig sein, wenn sie ihn enttäuschte. Daß Maria Elena ihr Bestes tun würde, um seinen Auftrag auszuführen, bezweifelte er eigentlich nicht. Sie machte alles, was er sagte, denn sie liebte ihn und war fest davon überzeugt, daß er sie eines Tages heiraten und aus ihrem kläglichen Dienstbotendasein befreien würde. Das hatte er ihr versprochen, aber er dachte nicht im Traum daran, sein Versprechen zu halten. Bald würde Freiherr Helferich dafür sorgen, daß er zum Ritter geschlagen wurde. Und was sollte er dann mit einer Küchenmagd als Eheweib? Einem Ritter gebührte schließlich eine Gemahlin, die aus edlerem Geblüt stammte. Eginolf war nahe daran, einzunicken, als er das leise Quietschen der Kammertür hörte. Sofort war er wieder hellwach. Kam Maria Elena bereits - so schnell schon? »Eginolf?« Ja, sie war es. Der Knappe meldete sich, und wenig später war das Mädchen an seiner Seite. Wie immer drängte sich Maria Elena gleich in seine Arme, denn sie war ganz wild darauf, von ihm berührt zu werden. Gleich stellte er fest, daß ihr Kleid in Fetzen am Leibe hing und sie halb nackt war. Eginolf lachte auf. »Der Herr Ritter war wohl noch sehr leidenschaftlich, bevor ihn das Schicksal ereilte, was?« Maria Elena antwortete nicht. »Nun?« drängte der Knappe. »Der Ritter Roland lebt noch«, sagte das Mädchen leise. Gepreßt atmete Eginolf die Luft aus. »Du hast also nicht versucht...« »Doch, doch, ich habe es versucht, aber ...»Maria Elena berichtete, wie der Ritter Roland sie zunächst zurückgestoßen und ihr dann das Messer aus der Hand gewunden hatte. Zorn wallte in Eginolf hoch. Mit der linken Hand packte er das Haar des Mädchens und versetzte ihr mit der anderen mehrere schallende Ohrfeigen, die ihren Kopf hin
und her fliegen ließen. »Du miese kleine Schlampe«, zischte er. »Bist du zu dämlich, einen Mann ins Bett zu kriegen? Wenn dir das gelungen wäre, hättest du bestimmt keine Schwierigkeiten gehabt, ihm im passenden Augenblick das Messer in die Rippen zu jagen!« Das Mädchen fing an, herzzerreißend zu weinen. Aber das rührte Eginolf nicht im mindesten. Er zog ihr roh den Kopf in den Nacken. »Hast du ihm gesagt, daß ich dir aufgetragen habe, ihn zu töten?« »Nein, nein!« »Sondern?« »Ich habe ihm etwas vorgespielt«, antwortete Maria Elena schluchzend. »Ich habe so getan, als habe er mich furchtbar gekränkt. Und dafür wollte ich mich angeblich rächen.« »Und diesen Unsinn hat er geglaubt?« »Ja, wirklich!« Eginolf fühlte sich ein bißchen erleichtert. Wenigstens wußte der Ritter Roland noch nicht, daß er der Anstifter des Mordanschlages war. Noch nicht! Wenn Graf Leander Maria Elena aber erst einmal einer hochnotpeinlichen Befragung unterzog, würde sie gewiß mit der Wahrheit herausrücken. Das durfte natürlich unter gar keinen Umständen geschehen. Das Mädchen schien seine Gedanken zu ahnen. »Du brauchst wirklich nicht zu befürchten, daß der Schatten eines Verdachts auf dich fällt, Geliebter«, sagte sie. »Der Ritter Roland hat mir versprochen, zu niemandem über das Geschehen in seiner Schlafkammer zu sprechen.« »Versprochen«, wiederholte der Knappe verächtlich. »Was sind schon Versprechen? Wenn du wüßtest, was ich schon alles ...« Er merkte, daß er im Begriff war, etwas Unbedachtes zu sagen, und machte schleunigst den Mund zu. Aber Maria Elena war auf einmal hellhörig geworden. »Du... du glaubst nicht an die Heiligkeit des Versprechens, Eginolf?« »Doch, doch, natürlich«, antwortete erschnell. »Ich glaube dir nicht. Du hast mir auch versprochen, mich zur Frau zu nehmen. In Wirklichkeit aber denkst du gar nicht daran!«
Eginolf biß sich auf die Lippen. Verdammt, sie war drauf und dran, ihn zu durchschauen. Und wenn sie erst einmal diesen Punkt erreicht hatte, war es auch mit ihrer Ergebenheit vorbei. Dann würde sie wahrscheinlich wirklich zeigen, zu was eine enttäuschte und gekränkte Frau fähig war. Nach dem Geschehen der heutigen Nacht hatte sie ihn in der Hand. Er mußte etwas tun, um die Gefahr abzuwenden. »Aber, aber«, sagte er begütigend, »wie kannst du nur so reden, meine Liebe?« Er legte zärtlich den Arm um sie und zog sie an sich. »Natürlich werde ich dich heiraten. Ich liebe dich doch!« Er liebkoste ihren Busen, weil er wußte, daß sie das besonders gern hatte. Viel erreichte er damit jedoch nicht. Maria Elena versuchte sogar, sich aus seiner Umarmung zu befreien. »Nein, du liebst mich nicht«, meinte sie beinahe tonlos. »Wenn ein Mann eine Frau wirklich liebt, dann schlägt er sie nicht. Du aber hast mich gerade geschlagen. Laß mich los!« So hatte sie noch nie mit ihm gesprochen. Er begriff, daß in ihrem Herzen etwas gerissen war - das Band, das ihn mit ihr verband. Und er begriff auch, daß es ihm nur schwerlich gelingen würde, dieses Band wieder zu knoten. So gab es denn nur noch eine einzige Möglichkeit, aus der fatalen Lage wieder herauszukommen. »Nein«, sagte er gedehnt, »ich werde dich nicht loslassen, Maria Elena.« Er nahm auch noch den anderen Arm zu Hilfe und hielt sie ganz fest. »Eginolf ...« Seine Hände glitten über ihre vollen Brüste, krochen zu den Schultern hinauf. Schade, dachte er, sie war ein Mädchen gewesen, an dem ein Mann wirklich seinen Spaß haben konnte. Schon jetzt wußte er, daß er sie vermissen würde. Aber nach Lage der Dinge ... Seine Hände legten sich jetzt um ihren Hals, verharrten dort. »Eginolf, was ... tust. .. du?« Der Knappe antwortete nicht. Mit starren Augen blickte er in die Dunkelheit, während sich seine Finger verhärteten und zudrückten.
»Egi ...•« Die Stimme des Mädchens brach ab, ging in ein ersticktes, qualvolles Röcheln über. Verzweifelt versuchte sie, sich seinem gnadenlosen Griff zu entziehen. Aber es gelang ihr nicht. Ihre Bewegungen wurden schwächer und schwächer, die Töne, die über ihre Lippen kamen, leiser und leiser. Schließlich war nichts mehr. Ganz still, ganz lautlos lag Maria Elena in den Armen ihres Mörders. Eginolf wartete noch ein paar Augenblicke. Langsam wich die Starre aus seinen Augen. Er ließ das Mädchen aus seinen Händen gleiten und stand auf. Dann klaubte er mehrere Heubündel zusammen und begrub die Tote darunter. Irgendeinem Stallknecht stand in den nächsten Tagen eine unangenehme Überraschung bevor. Aber auch ihm stand noch etwas äußerst Unangenehmes bevor. Er mußte seinem Herrn eingestehen, daß er einen bedauerlichen Mißerfolg erzielt hatte... * Am anderen Morgen erwartete Roland eine Überraschung. Als er an die gräfliche Tafel trat, an der er natürlich auch jetzt wieder zu Gast war, trat ihm lächelnd ein Mann entgegen. Das Lächeln war etwas bemüht, ja, sogar etwas gequält, aber es war da. »Auf ein Wort, Ritter Roland!« Der Ritter mit dem Löwenherzen verhielt seinen Schritt, lächelte ebenfalls. »Ja, Freiherr Helferich?« »Ich wollte Euch sagen, daß mir meine unfreundlichen Worte von gestern abend leid tun.« Rolands Lächeln verstärkte sich. »Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr Euch bei mir entschuldigt?« Die Mundwinkel des Freiherrn zuckten. Deutlich war ihm anzusehen, wie schwer es ihm fiel, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Wenn Ihr Wert darauf legt, dann ... entschuldige ich mich«, sagte er leicht stockend. Roland nickte. »Gut denn, vergessen wir unsere kleine Meinungsverschiedenheit.« Er nickte dem grobschlächtigen Mann zu, verbeugte sich vor dem Grafen und seiner Gemahlin und nahm am Tisch Platz. Er konnte nicht sagen, daß ihm Helferich durch seine Entschuldigung wesentlich angenehmer geworden war. Nicht einen Augenblick zweifelte er daran, daß diese Entschuldigung keineswegs der Überzeugung des Freiherrn entsprach. Er hatte sich dazu zwingen müssen. Wahrscheinlich deshalb, weil es ihm von Graf Leander nahegelegt worden war. Aus freien Stücken hätte sich dieser trotzige Mann bestimmt nicht selbst derartig erniedrigt. »Habt Dir wohl geruht, Ritter Roland?« erkundigte sich die Gräfin Marika. »Gewiß, ich habe ganz ausgezeichnet geschlafen.« Er sagte nichts von der Attacke des Mädchens Maria Elena. Schließlich hatte er versprochen, Stillschweigen zu bewahren. Und den Kratzer an seiner Wange würde wohl niemand zur Kenntnis nehmen. »Freut mich, dies zu hören«, lächelte die Burgherrin. Sie schob Roland einen Laib Brot und ein großes Stück Schinken hinüber. »Langt kräftig zu. Damit ihr groß und stark bleibt!« Der Graf bedachte seine Gemahlin mit einem mißbilligenden Seitenblick. Zu offensichtlich waren ihre Gründe, aus denen sie sich um das Wohlergehen des Ritters kümmerte. Er sah Roland an. »Wann gedenkt Ihr, aufzubrechen?« fragte er. »Noch in dieser Stunde«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen. »Meine beiden Knappen sind bereits dabei, die letzten Vorbereitungen zu treffen.« Leander nickte. »Ich habe heute morgen noch einmal mit Freiherr Helferich über Euren Ritt ins Tatarenreich gesprochen.« »Ach, ja?« Roland biß herzhaft in den Schinken. Er war ganz hervorragend. Offenbar hatte die Gräfin das beste Stück für ihn
aufbewahrt. Ihm war das durchaus recht. »Ich würde alles dafür geben, wenn ich Euch begleiten könnte«, ergriff Helferich jetzt das Wort. »Aber leider ...»Er schwieg mit verbissener Miene. »Ich weiß«, sagte Roland. »Der Arm, der Arm.« »Ich könnte sehr zum Gelingen der Mission beitragen«, fuhr der Freiherr fort. »Mein Wohnturm liegt unmittelbar an der Grenze zum Tatarenreich, und es ist mehr als einmal vorgekommen, daß ich die Grenze auch überschritten habe. Ich kenne mich also ein bißchen im Reich der Barbaren aus.« »Tja«, machte Roland. »Jemand, der über gewisse Kenntnisse des Landes verfügt, wäre mir schon willkommen, aber ...« Er machte eine bedauernde Handbewegung,. die allerdings nicht unbedingt aufrichtig war. Er konnte sehr gut auf die Begleitung Helferichs verzichten. Seine Wertschätzung von dem grobschlächtigen Mann war nur gering. »Dennoch könnte ich Euch helfen«, sprach Helferich weiter. »Ich habe einen Knappen, der mich stets ins Tatarenreich begleitete. Auch er ist mit Land und Leuten ein bißchen vertraut. Wenn Ihr seine Dienste in Anspruch nehmen wollt...« »Danke, das wird nicht nötig sein«, wehrte Roland ab. »Ich komme schon allein zurecht.« Er dachte an die alte Weisheit, daß das Gescherr nicht besser war als der Herr. Eine Unmutsfalte erschien auf Helferichs Stirn, als er dem Grafen einen stummen Blick zuwarf. »Ich finde den Vorschlag des Freiherrn eigentlich recht gut«, sagte der Burgherr auch gleich. »Der Knappe Eginolf ist ein braver Bursche. Ich bin ganz sicher, daß er Euch sehr nützlich sein könnte.« »Zumal er auch gewisse Kenntnisse von der Sprache der Tataren hat«, warf Helferich noch ein. Roland überlegte. In der Tat, über diesen Punkt hatte er sich eigentlich noch gar keine ernsthaften Gedanken gemacht. Er selbst kannte kein einziges Wort der Tatarensprache, so daß es zwangsläufig zu Verständigungsschwierigkeiten kommen mußte. Jemand, der diesem Mangel abhelfen konnte, war unter Umständen
wirklich Gold wert. »Nun, was meint Ihr, Ritter Roland?« Warum eigentlich nicht? dachte der Ritter mit dem Löwenherzen. Wenn dieser Knappe sich als unbotmäßig erweisen sollte, konnte er ihn jederzeit zum Teufel schicken. Und außerdem waren da ja auch noch Pierre und Louis, um dem Burschen notfalls die Flötentöne beizubringen. »Einverstanden«, nickte er nach einer kurzen Weile. »Der Knappe soll mir recht sein.« »Ich freue mich sehr, daß es mir vergönnt ist, Euch hilfreich zu sein«, sagte der Freiherr Helferich und lächelte. * »Dort drüben beginnt das Reich der Tataren!« Der Knappe Eginolf hielt sein Reittier am Ufer des Flusses an und deutete zur anderen Seite hinüber. Viel war nicht zu sehen. Eine Kette dicht stehender Bäume, die unweit vom Wasser standen, säumte das gegenüberliegende Ufer. Die grelle Mittagssonne stand über der Landschaft und tauchte sie in flimmerndes Licht. Bewegung war kaum auszumachen. Lediglich ein paar Vögel kreisten über dem schmalen Streifen, der zwischen Fluß und Wald lag. Es war ein Bild tiefen Friedens, das in nichts darauf hindeutete, daß das Land von blutrünstigen Barbaren bewohnt wurde. »Gibt es irgendwo eine Brücke?« erkundigte sich der Ritter mit dem Löwenherzen. Eginolf schüttelte den Kopf. Er war ein mittelgroßer, stämmiger Bursche mit widerspenstigem, dunklen Lockenhaar. Sein Gesicht war recht grob geschnitten und erinnerte in gewisser Weise an seinen Herrn. Die Augen standen dicht beieinander und riefen den Eindruck hervor, als würden sie ständig einen ganz bestimmten Punkt in der Ferne fixieren. Insgesamt sah er nicht wie ein Mann aus, dem man unbedingtes Vertrauen entgegenbringen konnte. Bisher jedoch hatte er sich durchaus als geschickt und umsichtig erwiesen. Und auch an
dem erforderlichen Respekt Roland gegenüber ließ er es nicht fehlen. Pierre stöhnte auf wie ein gequältes Tier. »Wenn keine Brücke da ist... Soll das etwa bedeuten, daß wir den Fluß schwimmend überqueren müssen, Eginolf?« »Ganz so anstrengend wird es nicht werden«, gab der Knappe des Freiherrn Helferich Auskunft. »Es gibt hier ganz in der Nähe eine Furt, die uns den Übergang ermöglicht.« »Dem Himmel sei Dank«, freute sich Pierre. »Ich habe nämlich schon immer Schwierigkeiten mit dem Schwimmen gehabt.« »Das hätte ich nicht gedacht«, sagte Eginolf und machte ein betont erstauntes Gesicht. »Wieso nicht?« »Ich dachte immer, Fett schwimmt von selbst oben.« Pierre prustete vor Entrüstung. »Was fällt dir ein, du häßlicher Querschädel? Ich habe es nicht nötig, mich von einem wie dir beleidigen zu lassen. Wenn du glaubst...« »Schluß mit dem Gezeter«, griff Roland ein. »Wir haben Besseres zu tun, als hier alberne Händel auszutragen. Wo ist die Furt, Eginolf?« »Ich reite voran, Ritter Roland!« Der Knappe setzte sein Pferd wieder in Bewegung, und die anderen folgten ihm. Es ging etwa noch eine halbe Meile am Fluß entlang. Dann machte Eginolf wieder halt. »Hier ist es!« Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß der Fluß an dieser Stelle keine große Tiefe erreichte. Deutlich schimmerte der sandige Grund durch das Wasser hindurch. Roland machte den Anfang und lenkte seinen Samum in den Fluß hinein. Louis und Eginolf kamen direkt hinter ihm. Nur Pierre zögerte ein bißchen, schloß sich dann aber auch an. Ganz so leicht ging der Übergang allerdings doch nicht vonstatten. Nach wenigen Schritten schon reichte der Wasserspiegel den Pferden bis über den Bauch. Auch machte sich die Strömung sehr unangenehm bemerkbar. Etwa in der Mitte des Flusses verlor
Samum den Kontakt mit dem Boden vollkommen. Sofort machte das Tier Schwimmbewegungen. Und wenig später fanden die Hufe wieder festen Halt. Von da an wurde es einfacher. Die Strömung ließ nach, und der Fluß wurde zusehends flacher. Es dauerte nicht mehr lange, bis Roland das andere Ufer erreichte. Die anderen drei brauchten ein wenig länger, schafften es aber ebenfalls. Die Gefahrenstelle in der Flußmitte hatte auch ihnen nichts anhaben können. »So sind wir also im Tatarenland«, sagte Louis und blickte sich nach allen Seiten um. »Sieht auch nicht anders aus als bei uns.« Roland lachte auf. »Was hast du erwartet - Leichen, die mit aufgeschlitzten Bäuchen am Flußufer liegen?« »Nein, das wohl nicht. Aber ich hätte nicht gedacht, daß wir so ohne weiteres hier eindringen könnten.« »Das Reich der Tataren ist groß, sehr groß sogar«, warf Eginolf ein. »Es erstreckt sich über eine gewaltige Fläche. Die Barbaren können nicht überall gleichzeitig sein. Wir werden ihre Bekanntschaft noch früh genug machen.« Roland nickte und lenkte sein Pferd dem Waldrand entgegen. * Seit Stunden ritten Roland und seine drei Begleiter nun durch das Land der Tataren, und bisher war ihnen noch keine Menschenseele begegnet. Wenn Tataren überhaupt Seelen besaßen, hieß das. Sie hatten den Wald durchquert, der sich am Fluß hinzog, und hatten dann flacheres Gelände erreicht. Eine schier endlose Ebene dehnte sich vor ihnen. Fußhohes Gras, so weit das Auge reichte, nur gelegentlich unterbrochen von kleineren Baumgruppen, die überwiegend aus Pappeln und Akazien bestanden. Die Ortskenntnisse des Knappen Eginolf hatten sich mittlerweile als recht bescheiden entpuppt. Jedenfalls war es ihm bisher nicht gelungen, sie zu einem Tatarenlager zu führen. Und er schien auch nicht die geringste Ahnung zu haben, wo ein solches zu finden war.
»Ihr müßt das verstehen, Ritter Roland«, sagte er entschuldigend. »Die Landschaft sieht hier überall gleich aus. Da ist es nahezu unmöglich, sich eine markante Stelle zu merken. Und selbst wenn ich ganz genau wüßte, wo wir uns hier befinden, würde es uns kaum etwas nützen.« »Wieso nicht?« »Die Tataren sind kein seßhaftes Volk. Sie bauen keine Städte und Dörfer, wie wir das tun. Ackerbau ist ihnen nahezu unbekannt. Sie ziehen mit ihren Viehherden ruhelos umher und sind mal hier, mal dort. Für ein paar Tage schlagen sie ihr Zeltlager auf, und dann machen sie sich bereits wieder auf ihren ziellosen Weg. Sagt selbst, woher soll ich wissen, wo sich gerade eine ihrer Horden aufhält?« »Ich weiß gar nicht, warum wir dich überhaupt mitgenommen haben«, knurrte Pierre unfreundlich. »Du bist nur dafür gut, uns unsere Vorräte wegzufressen.« »Das ist deine einzige Sorge, was?« Eginolf blickte ihn böse an. »Wenn du dir nur ständig den Wanst vollschlagen kannst, dann ist alles in bester Ordnung.« »Ich habe dir schon einmal gesagt ...« Roland hörte nicht länger zu, ließ sein Pferd ausschreiten. Das ständige Streiten zwischen Pierre und dem Knappen Helferichs konnte er langsam nicht mehr hören. Pierre hatte schon immer ein großes und auch ziemlich loses Mundwerk gehabt und pflegte sich auch mit Louis oft herumzuzanken. Zwischen ihm und Louis war es jedoch nie zu einem echten Zerwürfnis gekommen, denn ihr Gezerre hatte stets einen freundschaftlichen Hintergrund. Mit Eginolf aber stritt er sich ernsthaft. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die beiden handgreiflich gegeneinander wurden. Mehr und mehr sah er ein, daß es wohl doch ein Fehler gewesen war, Eginolf nicht auf der Kronburg gelassen zu haben. Weiter und weiter ritten die vier Männer. Langsam neigte sich der Tag seinem Ende entgegen. Die Sonne, ein riesiger roter Ball, schickte sich an, bald hinter dem Horizont zu versinken. Ein leichter Wind war aufgekommen und brachte das hohe Gras allerorts zum
Schwanken. Louis, der unmittelbar neben Roland ritt, griff plötzlich in die Zügel seines Reittiers. »Was ist los?« fragte Roland. Er wußte, daß der ehemalige Räuberhauptmann die Augen eines Luchses hatte. Oft schon war es so gewesen, daß er etwas erspäht hatte, von dessen Gegenwart die anderen noch gar nichts ahnten. »Dort vor uns scheint eine Ansiedlung zu liegen«, gab der Knappe zur Antwort. Roland legte eine Hand vor die Augen, um besser sehen zu können. Und er erkannte tatsächlich etwas. Noch ziemlich weit entfernt drängten sich einige größere dunkle Punkte zusammen, bei denen es sich sehr wohl um Häuser handeln mochte. Oder um Zelte! Roland winkte den Knappen Helferichs an seine Seite. »Kennst du diese Ansiedlung dort?« Eginolf blickte angestrengt in die Richtung der dunklen Punkte, schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Aber wir können nicht ausschließen, daß es sich um ein Tatarenlager handelt. Wenn wir noch ein Stück näher heranreiten würden ...« »Zu nichts zu gebrauchen«, murmelte Pierre anzüglich. Die vier Männer setzten ihre Pferde wieder in Bewegung. Langsam und vorsichtig ritten sie weiter. Bald war mehr zu erkennen. Ja, es handelte sich ohne Zweifel um Häuser. Um eine ganze Reihe von Häusern sogar. Es schien ein Dorf zu sein, das sich praktisch nicht von denen auf der anderen Seite der Grenze unterschied. Nur eins fehlte offensichtlich: die Kirche, die in jedem christlichen Dorf den Mittelpunkt bildete. »Immer noch keine Erinnerung?« fragte Roland den Getreuen des Freiherrn Helferich. Der schüttelte abermals den Kopf. »Hast du nicht gesagt, daß die Barbaren keine Häuser bauen?« wunderte sich Louis. »Wenn das keine sind, dann will ich ab sofort
Adelheid heißen!« Noch vorsichtiger als zuvor schoben sich die vier Männer der Ansiedlung entgegen. Ein Grund für diese Vorsicht war bisher allerdings nicht ersichtlich. Nichts rührte sich in dem Dorf vor ihnen. Und bis auf das Zirpen der Insekten und das leichte Trappern der Pferdehufe war auch kein Laut zu vernehmen. Dann schließlich waren sie so nahe heran, daß sie Einzelheiten wahrnehmen konnten. Die Häuser, auf die sie freies Blickfeld hatten, waren samt und sonders zerstört. Große Löcher klafften in den Wänden, und die Spuren von Feuer ließen sich überall erkennen. In diesen Häusern konnte niemand mehr wohnen. »Jetzt begreife ich«, sagte Eginolf. »Wir haben hier ein Dorf vor uns, das erbaut wurde, längst bevor die Tataren kamen. Die Barbaren haben es erobert und niedergebrannt. Die Bewohner sind entweder geflüchtet oder niedergemetzelt worden. Ich bin sicher, daß wir zwischen den Trümmern nicht einmal mehr einen räudigen Köter finden werden.« Die Worte Eginolfs stellten sich bald als wahr heraus. Als Roland und seine Gefährten in das Dorf ritten, schlug ihnen eine tiefe Totenstille entgegen. Lebende Menschen gab es hier gewiß nicht. Aber es gab auch keine Toten. Sehr bald war klar, daß die Zerstörung des Dorfes schon eine recht lange Zeit zurückliegen mußte. Nicht nur Feuer und Keule hatten ihre schrecklichen Spuren hinterlassen, sondern auch die Zeit. Unkraut, Pilze und Moose hatten sich überall auf und zwischen den Trümmern ausgebreitet. Wind und Wetter hatten ein übriges getan und den Verfall beschleunigt. Wenn es Leichen gegeben hatte, woran man nicht zweifeln konnte, dann waren sie längst vermodert. Selbst die Ratten, bei derartigen Anlässen immer sogleich zur Stelle, hatten längst wieder das Weite gesucht. »Also immer noch keine Tataren«, sagte Roland. »Was sehr bedauerlich ist«, warf Louis knurrend ein. »Ich würde diesen Unmenschen wirklich gerne zeigen, was ich von ihnen halte. Wenn ich an die Greueltaten denke, die sie hier begangen haben
müssen ... Seht euch nur die Kirche an. Fast kein Stein steht mehr auf dem anderen.« In der Tat hatten die Eroberer besonders dem Gotteshaus übel mitgespielt. Es war fast völlig dem Boden gleichgemacht worden. Kein Wunder, daß man den Turm aus der Ferne nicht mehr hatte sehen können. Roland blickte zum Himmel, der sich mittlerweile mit immer dunkler werdenden Rosatönen überzogen hatte. In kurzer Zeit würde die Sonne untergehen. »Ich würde sagen, wir schlagen hier unser Nachtlager auf«, meinte er. »Wir suchen uns ein Haus, das noch halbwegs bewohnbar ist. Dort sind wir jedenfalls besser aufgehoben als in der offenen Ebene.« Pierre schüttelte sich. »Auf diesem riesigen Friedhof hier schlafen? Muß das denn sein?« »Warum nicht?« lachte Louis. »Oder hast du Angst vor den Geistern der Toten?« »Unsinn! Es ist ja nur...« Der dickliche Knappe druckste herum, zuckte dann mit den Schultern. »Meinetwegen, bleiben wir also hier. An mir soll es nicht liegen.« Ein Haus zu finden, das der Zerstörungswut der Tataren halbwegs getrotzt hatte, war gar nicht so einfach. Schließlich aber fanden die Männer doch ein Gemäuer, bei dem nicht die Gefahr bestand, das es über Nacht vollends einstürzen würde. Sie befreiten es von überall herumliegenden Trümmerstücken und verstopften eine klaffende Lücke im Dach. Dann hatten sie einen trockenen, windgeschützten Raum zur Verfügung, der sich gar prächtig zur Nachtruhe eignete. Bevor sie sich jedoch zum Schlafen niederlegten, entzündeten sie mitten im Raum ein Feuer und bereiteten aus dem mitgeführten Proviant das Abendessen vor. Zum Verzehren der Mahlzeit kamen sie nicht mehr. Gänzlich unerwartet hörten sie draußen Geräusche. Und ehe sie es sich versahen, standen mehrere bärtige, wüst aussehende Männer vor ihnen. Nicht sie hatten die Tataren, sondern die Tataren hatten sie
gefunden. * Schnell wurde ersichtlich, daß es mindestens zehn Tataren waren, die vor dem halb zerstörten Haus standen. Es handelte sich ausnahmslos um kräftige, sehnige Männer, was auch ihre Pelzkleidung nicht verbergen konnte. In den dunklen Gesichtern mit den leicht geschlitzten Augen lag ein wilder Ausdruck, der auf sofortige Kampfbereitschaft hindeutete. Und daß sie in einem solchen Kampf überaus ernste Gegner sein würden, verrieten allein schon die Waffen, die sie bei sich trugen: Keulen, lange Messer, Schwerter, die zum Teil eine bösartige Krümmung aufwiesen und mörderische Wunden verursachen konnten. Als Louis der Tataren ansichtig wurde, fuhr seine Rechte wie von selbst zum Gürtel, wo sein Hirschfänger steckte. Er verstand es auch vorzüglich, mit einem, Schwert umzugehen. Aber dieses schwere Jagdmesser verwendete er im Kampf am liebsten. Roland sah seine Bewegung und stieß ihm unverzüglich seinen Ellenbogen in die Rippen. »Laß die Waffe, wo sie ist«, zischte er. »Vergiß nicht, daß wir hergekommen sind, um mit ihnen zu sprechen.« »Außerdem würden sie uns schneller niedermachen, als ein Rabe dreimal krähen kann«, bemerkte Eginolf mit verkniffenem Gesicht. Pierre sagte gar nichts. Er blickte die Barbaren nur mit Augen an, die keineswegs von Furcht frei waren. Zögernd ließ Louis seine rechte Hand wieder nach unten sinken. Er tat es sichtlich ungern, aber das Wort seines Herrn war ihm unabdingbarer Befehl. Sekundenlang standen sich die Männer schweigend gegenüber, hier die Männer des Abendlands, dort die Krieger aus den Tiefen des barbarischen Ostens. Einer der Tataren, ein Stück größer und breitschultriger als seine Gefährten, war es schließlich, der als erster das anhaltende
Schweigen brach. Er tat es mit lauter, dröhnender Stimme, deren Worte allerdings völlig unverständlich blieben. »Was sagt er?« fragend blickte Roland den Knappen des Freiherrn Helferich an. Ein angestrengter Ausdruck war in Eginolfs Gesicht getreten. Er hielt den Kopf ein bißchen schief, um besser hören zu können. Viel kam dabei jedoch nicht heraus. »Ich kann den Mann nicht verstehen«, gab er schließlich zu. »Er muß einen Tatarendialekt sprechen, der ganz anders ist als der, mit dem ich vertraut bin.« »Ich sage es ja immer«, raunte Pierre seinem Herrn zu. »Dieser Bursche ist wirklich zu nichts zu gebrauchen!« Diesmal mußte ihm der Ritter mit dem Löwenherzen unbedingt recht geben. Dieser Eginolf war wirklich eine ziemlich taube Nuß. Der Sprecher der Tataren hatte jetzt aufgehört zu reden. Deutlich sah man ihm an, daß er eine Antwort erwartete. »Sag ihm, daß wir als Freunde gekommen sind«, forderte Roland Eginolf auf. »Das wirst du doch wohl noch fertig bringen, oder?« »Ich ... will es versuchen.« Eginolf wandte sich dem breitschultrigen Tataren zu. Mehrmals setzte er zum Sprechen an. Dann stieß er ein paar Laute aus, die ganz eigenartig klangen, aber keine erkennbare Ähnlichkeit mit den Tönen des Barbaren hatten. Dennoch antwortete der Tatar. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, kehlig und hart. »Was?« fragte Roland. Eginolf s Mundwinkel zuckten. »Ich habe den Eindruck, daß der Kerl mich nicht verstanden hat.« »Diesen Eindruck habe ich allerdings auch«, erwiderte der Ritter mit dem Löwenherzen ärgerlich. »Zu nichts zu gebrauchen«, warf Pierre ein. Roland nahm die Dinge jetzt selbst in die Hand. Er trat einen Schritt auf den Breitschultrigen zu. »Freund«, sagte er und lächelte breit. »Wir Freunde! Du
verstehen?« Der Tatar glotzte ihn nur an. Blöder Hund, dachte Roland. Aber er ließ sich seine Gedanken nicht anmerken, sondern behielt sein breites Grinsen bei. Wenigstens das Grinsen mußte der Wilde doch verstehen. »Freund«, wiederholte er. Dann nahm er seine linke und seine rechte Hand, legte sie ineinander und schüttelte sie. »Freund! Begreifst du endlich, du verdammter Mädchenschänder?« »Ugu?« sagte der Tatar fragend. »Ugu, ganz recht«, bestätigte Roland in der Hoffnung, daß der Tatar mit >Ugu< dasselbe meinte wie er. Jetzt grinste der Barbar ebenfalls. Er kam auf Roland zu und donnerte ihm seine Rechte auf die Schulter. »Ugu!« Roland war ein kräftiger Mann, der schon einiges vertragen konnte, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Hieb des Tataren jedoch hätte ihn beinahe zum Winseln gebracht. Außerdem mußte er sich zusammenreißen, um nicht in die Knie zu gehen. Na warte, Freundchen, dachte er. Dann hob er seinerseits die Hand und ließ sie dem breitschultrigen Mann auf die Schulter krachen. »Ugu!« sagte er. Und weil es so schön war, schlug er gleich noch einmal zu, einmal, zweimal, dreimal. »Ugu! Ugu! Ugu!« Der Tatar verzog den Mund. Zwei Tränen traten ihm in die Augen. Mit Genugtuung stellte Roland fest, daß auch sein Gegenüber alle Mühe hatte, die Beine gerade zu halten. Dann lachte der Tatar, lachte so laut, daß die Befürchtung aufkam, die noch verbliebenen Wände des Hauses könnten doch einstürzen. Und Roland lachte ebenfalls. Nicht ganz so dröhnend wie der Barbar, aber doch so kräftig, daß einem die Ohren davon weh tun konnten. Wenig später fielen auch die anderen Tataren in das
Gelächter ein. Louis, Pierre und Eginolf blieb nichts anderes übrig, als schließlich auch noch mitzumachen. Es dauerte fast eine Minute, bis sich alle Anwesenden wieder beruhigt hatten. Dann machte der Breitschultrige ein paar Handbewegungen, die auch ohne Worte für jeden verständlich waren. Kommt mit uns! »Mir scheint, wir haben gerade eine Einladung bekommen«, sagte Roland zu seinen drei Knappen. »Und ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir dieser Einladung Folge leisten.« * Der Weg zum Lager der Tataren war nicht weit. Keine halbe Stunde dauerte es, bis im Dämmerlicht die Umrisse des kleinen Zeltdorfs auftauchten. Nicht nur dem Knappen Pierre wurde es mulmig in der Magengegend. Auch Roland mußte zugeben, daß er sich in seinem Leben schon wesentlich wohler gefühlt hatte. Der Ritt war weitgehend schweigend verlaufen. Was sollten Christen und Barbaren auch miteinander reden? Sie verstanden ja ohnehin kein Wort von dem, was die anderen sagten. Eginolf hatte noch einmal versucht, eine Verständigung herbeizuführen, war dabei jedoch kläglich gescheitert.. Mehr und mehr kam Roland zu der Überzeugung, daß der Bursche überhaupt keines Dialekts der Tatarensprache mächtig war. Er fragte sich nur, warum der Freiherr Helferich so großen Wert darauf gelegt hatte, ihm seinen Knappen mitzugeben. Aber das war gegenwärtig ohne Belang. Jetzt ging es um ganz andere Dinge. Hatten die Tataren sie wirklich nur mit in ihr Lager genommen, weil sie freundlich sein wollten? Oder lag es vielmehr in ihrer Absicht, sie lediglich in Sicherheit zu wiegen, um dann ganz überraschend über sie herzufallen und sie niederzumachen? Nach allem, was Roland über die Barbaren gehört hatte, sprach alles für die zweite Möglichkeit. Die Tataren waren hinterhältig,
grausam und mörderisch, das hatte man ihm erzählt. Von Freundschaft und Gastlichkeit war niemals die Rede gewesen. So etwas paßte ganz einfach nicht zu Männern, die am liebsten Jungfrauen vergewaltigten und Bäuche aufschlitzten. Roland war sich im klaren darüber, daß er wachsam sein mußte, sehr, sehr wachsam. Immerhin, die Tataren hatten ihm und seinen Gefährten nicht die Waffen abgenommen. Das war vielleicht doch ein gutes Zeichen und verlieh Roland zudem ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Ein Ritter, der sein Schwert besaß, war noch lange nicht verloren. Wenig später war das Lager erreicht. Es war doch größer, als es aus der Ferne ausgesehen hatte. Mindestens fünfzig, zum Teil recht große Zelte ließen sich zählen. Sie bildeten ein großes Viereck und waren mit Pflöcken und Stricken solide im Grasboden verankert worden. Neben den Zelten befand sich eine Koppel, in der die berühmten Pferde der Tataren untergebracht waren. Noch weiter im Hintergrund, ziemlich verstreut, waren weitere Tiere auszumachen. Das Vieh der Tataren offenbar, das sie bei ihren Zügen durch das Land ständig begleitete. Ganz augenscheinlich war das Zeltlager nicht nur für eine Nacht, sondern für eine längere Zeit errichtet worden. Sehr schnell lernten Roland und die Knappen auch die anderen Bewohner des Lagers kennen. Es waren ein ganzer Schwarm von Männern, Frauen und Kindern in allen Altersklassen. Als die Ankömmlinge in der Mitte des Lagers haltmachten, kamen sie von allen Seiten und starrten die vier Fremden an. Leicht überrascht nahm Roland zur Kenntnis, daß die Blicke vor allem Neugier und Erstaunen ausdrückten. Mißtrauen, Feindschaft oder gar Mordlust konnte er nicht feststellen. Langsam begann er sich zu fragen, ob all das, was man ihm so über die wilden Reiterhorden aus dem Osten erzählt hatte, wirklich den Tatsachen entsprach. Wenn er sich die Bewohner dieses Zeltdorfs so ansah, hatte er diesen Eindruck ganz und gar nicht. Aber, sagte er zu sich selbst, man soll sich nicht durch den bloßen Augenschein täuschen
lassen. Schließlich durfte er nicht vergessen, daß es Tataren gewesen waren, die erst kürzlich die Grafentochter Anja von Kronburg geraubt und einen tapferen Ritter skrupellos hingemeuchelt hatten. Er mußte auch weiterhin auf der Hut sein und durfte zu keiner Zeit leichtsinnig werden. Ugu - in Ermangelung der Kenntnis eines anderen Namens nannte Roland bei sich den Breitschultrigen so - saß als erster ab. Sofort eilte ein junger Bursche herbei und führte sein Pferd weg. Auch die anderen Tataren sprangen vom Rücken ihrer Pferde. Ugu bedeutete Roland und den Knappen mit einer Handbewegung, es ihnen gleich zu tun. Was blieb den Abendländern übrig? Sie kamen der Aufforderung umgehend nach. Ugu rief etwas. Im nächsten Augenblick waren ein paar andere junge Stammesmitglieder zur Stelle, um sich ihrer Pferde anzunehmen. Roland zögerte, die Zügel freizugeben. Ein Ritter, sein Schwert und sein Pferd gehörten zusammen. Ihm fehlte etwas, wenn er Samum nicht in unmittelbarer Nähe wußte. Louis war zwar noch kein Ritter, aber er dachte genauso wie sein Herr. Auch er hielt die Zügel seines Reittiers nach wie vor in der Hand und bedachte den jungen Tataren, der nach ihnen greifen wollte, mit einem finsteren Blick. Ugu erkannte, wie es den beiden Männern widerstrebte, sich von ihren Pferden zu trennen. Wahrscheinlich verstand er ihre Beweggründe sogar, denn es hieß ja, daß auch die Tataren ihre Pferde sehr liebten und förmlich mit ihnen verwachsen waren. Er lächelte und deutete zu der Koppel hinüber. Louis wechselte einen Blick mit seinem Herrn, zuckte dann die Achseln und ließ die Zügel los. Auch Roland gab seinen Samum in die Obhut des Jünglings, der neben ihm stand. Inzwischen hatten andere Dorfbewohner einen regelrechten Ring um die Fremden gezogen. Es waren fast ausschließlich Kinder und Frauen, die sie anstarrten wie Wesen aus dem Märchenland.
Offenbar hatten sie noch nie Menschen mit weißer Haut gesehen. Vor allem erregte auch Rolands blondes Haar einiges Aufsehen. Eine junge Frau löste sich sogar aus den Reihen der anderen und trat auf den Ritter mit dem Löwenherzen zu. Ohne Scheu streckte sie die Hand aus und fuhr ihm damit durch die Haare. Sie befühlte ein paar Strähnen und war auch keck genug, ihm ein paar Haare auszureißen. Roland nahm es geduldig hin. Augenscheinlich war derlei Tun bei den Barbaren Sitte. Außerdem gefiel ihm das Mädchen. Sie war noch sehr jung, siebzehn Jahre höchstens, und ausgesprochen hübsch. Im Gegensatz zu ihren Stammesgenossinnen war die eigenartige Tatarenfalte an den Augen kaum wahrzunehmen. Und obwohl sie ein zwar sehr buntes, aber auch sehr grob gewebtes, dickes Kleidungsstück am Körper hatte, war nicht zu verkennen, daß sich darunter sehr wohlgerundete Formen verbargen. Ein paar grobe Worte von Seiten Ugus verscheuchten sie schließlich. Aber sie ging nicht, ohne Roland noch einen heißen, vielversprechenden Blick zuzuwerfen. Auch die übrigen Gaffer wichen ein Stück zurück. Ugu besaß offenbar großen Respekt bei seinen Leuten. Jetzt bedeutete ihnen der Breitschultrige, der wohl der Anführer dieser Tatarenhorde war, ihm zu folgen. Roland und seine drei Knappen taten es. Er führte sie zu einer Zeltreihe hinüber, sprach dabei fortwährend auf sie ein. Roland antwortete auch, aber leider kam dabei keine Verständigung zustande. Aber der Ton war unbedingt freundlich, vielleicht auch deshalb, weil der Ritter mit dem Löwenherzen ein paarmal das Wort >Ugu< einflocht. Wenig später hatte ihnen der Tatarenführer zwei Zelte zugeteilt, in der sie wohl die Nacht verbringen sollten. Roland bedankte sich gestenreich. Der Dank war um so angebrachter, als ein paar Tataren die Zelte vorher räumen und bei irgendwelchen Stammesgenossen unterkriechen mußten. Grausam und mordlustig sollten die Tataren sein? Vielleicht. In jedem Fall aber waren sie gastfreundlich. Der Gedanke, daß Ugu dies alles nur tat, um sie in eine Falle zu locken, geriet immer mehr in den
Hintergrund. Wenn die Tataren etwas Böses im Schilde führen würden, dann hätten sie längst über die Gefährten herfallen können. Ihre zahlenmäßige Überlegenheit war so groß, daß Roland und die Knappen kaum in der Lage gewesen wären, mehr als recht aussichtslosen Widerstand zu leisten. Die Gastfreundschaft war noch längst nicht erschöpft. Ganz im Gegenteil, sie fing jetzt erst richtig an. Der Himmel war schwarz geworden, und der Mond versteckte sich hinter den Wolken. Dennoch war es hell im Lager. Mehrere große Feuer brannten im Mittelkreis zwischen den Zelten. Und über diesen Feuern ... Halbe Ochsen! Gleich mehrere waren es, die sich an riesigen Bratspießen drehten. Roland war ein Ritter und gehörte darob dem gehobenen Stand an. Während das einfache Volk vielleicht zwei oder dreimal im ganzen Leben einen saftigen Braten zwischen die Zähne bekam, waren er und seine Knappen wesentlich besser dran. In den Fürstenburgen gab es meistens reichlich und gut zu essen. Aber Fleisch war auch dort sehr oft Mangelware oder wurde nur bei besonderen Anlässen auf die Tafel gebracht. Die Tataren aber konnten es sich an einem ganz normalen Abend leisten, aus dem vollen zu schöpfen. Das nannte man Lebensart! Roland warf einen schnellen Seitenblick zu seinem treuen Pierre hinüber. Dem dicklichen Knappen fielen fast die Augen aus dem Kopf. Und er sabberte. Roland konnte es nicht sehen, aber er zweifelte nicht daran, daß Pierres Hände vor Freßlust zitterten. Und diese Freßlust konnte er sehr bald mit Herzenslust befriedigen. Ugu führte sie an eins der Feuer, wo bereits ein paar Sitzdecken auf sie warteten. Andere Tataren, unter ihnen natürlich auch Ugu selbst, gesellten sich dazu. Und dann begann das große Fressen, das für die Barbaren wohl alltäglich, für die Abendländer jedoch etwas Besonderes war. Mit dem Messer schnitten die Tataren große Stücke von dem Ochsen ab und hieben ihre Zähne ein, so daß ihnen der Saft über das ganze Gesicht spritzte. Dabei schmatzten sie, daß es eine wahre Pracht war. Und sie rülpsten zum Zeichen, wie
sehr es ihnen schmeckte. Roland und die Seinen ließen sich nicht lange nötigen. Sie langten genauso zu wie ihre Gastgeber. Daß die wüste Fresserei mit höfischen Eßsitten nichts, aber auch gar nichts gemein hatte, kümmerte sie nicht im mindesten. Roland ertappte sich dabei, daß es ihm sogar ein besonderes Vergnügen bereitete, noch lauter zu rülpsen als die Tataren. Das wiederum bereitete Ugu großes Vergnügen. Er drückte es aus, indem er dem Ritter mit dem Löwenherzen wieder seine Pranke auf die Schulter krachen ließ. Da Roland in diesem Augenblick gerade einen dicken Fleischbrocken im Mund hatte, verschluckte er sich. Auch daran hatten die Tataren, insbesondere Ugu, großen Spaß. Sie lachten brüllend und hielten sich dabei die Bäuche. Es blieb aber nicht allein beim Essen. Auch das Trinken kam nicht zu kurz. Ganz und gar nicht! Ein paar junge Tataren schafften große Krüge heran, die bis zum Rand mit einer wasserhellen Flüssigkeit gefüllt waren. Handgroße Becher wurden ausgeteilt, und dann ging es los. Als sich Roland den ersten kräftigen Schluck in den Hals schüttete, glaubte er, pures Feuer getrunken zu haben, so sehr brannte das Zeug. Ein scharfer Haferbrand war dagegen so zart wie Ziegenmilch. Dabei schmeckte das Gesöff eigentlich nach ... nichts. Roland verkniff es sich, den Mund zu verziehen oder gar zu husten. Sehr wohl war er sich bewußt, daß ihn die Tataren beobachteten. Besonders Ugu hatte ihn ganz scharf im Auge. Mannhaft leerte er den ganzen Becher und tat dabei so, als habe es ihm ganz vorzüglich gemundet. »Kuruk?« sagte Ugu in fragendem Ton. »Kuruk!« antwortete Roland. »Sehr, sehr kuruk!« Der Tatarenführer sagte noch etwas, winkte dann eins der Schankmädchen herbei und ließ seinen und Rolands Becher abermals bis zum Rand vollgießen. Auch Louis und Eginolf ließen sich nachschenken, während Pierre seinen Becher noch nicht bewältigt hatte.
»Mach schon«, raunte ihm Louis zu. »Oder willst du, daß uns diese Burschen für Memmen halten?« Tapfer leerte auch der dickliche Knappe seinen Becher, wobei er nicht verhindern konnte, daß ihm ein paar Schweißtropfen auf die Stirn traten. Auch er bekam Nachschub. »Botok«, sagte Ugu und hob grinsend seinen Becher. »Botok!« Roland setzte den Becher an die Lippen und stürzte den Inhalt mit Todesverachtung hinunter. Mit Befriedigung stellte er fest, daß er sogar etwas schneller fertig war als Ugu. Auch Ugu selbst stellte es fest. Ein anerkennender Blick traf Roland. »Kuruk?« »Kuruk!« Louis und die anderen Tataren am Tisch hinkten ein wenig hinterher, hatten es jetzt aber auch geschafft. Das gleiche galt für Eginolf, der seinen Becher hin und her drehte, um anzuzeigen, daß sich kein einziger Tropfen mehr darin befand. Allein Pierre mühte sich noch. »Ob ich nicht statt dieser Teufelssuppe einen Humpen süffigen Weins haben kann?« flüsterte er hoffnungsvoll, »Sauf!« zischte Louis böse. Mit einer Miene, die zum Gotterbarmen war, tat der dickliche Knappe seine Trinkpflicht. Erneut wurden die Becher gefüllt. Erst jetzt bemerkte Roland, daß das Schankmädchen die Kleine war, die vorhin an seinen Haaren herumgespielt hatte. Sie blinzelte ihm zu, als wolle sie ihm Mut zusprechen. Aber Roland war sich nicht sicher. Vielleicht meinte sie mit ihrem Blinzeln auch etwas anderes. »Botok!« sagte Ugu. »Botok!« Zu seiner eigenen Überraschung merkte Roland, daß das Zeug anfing, ihm zu schmecken. Es brannte zwar nach wie vor wie Feuer, aber daran gewöhnten sich Gaumen und Kehle langsam. »Kuruk«, sagte er, bevor Ugu dazu kam, ihm das Wort
vorzusprechen. Er streckte verlangend die Hand mit dem leeren Becher aus. Sein Arm zitterte kein bißchen. * Wieder gelang es Eginolf, den Inhalt seines Bechers unauffällig neben sich zu schütten. Der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich auch nur noch einen Schluck von dem höllischen Gebräu durch die Kehle jagte. Wenn er all das tatsächlich getrunken hätte, was er angeblich getrunken hatte, wäre er längst stockbesoffen. Das aber konnte er sich nicht leisten, denn er hatte in dieser Nacht noch etwas vor. Während er vorgab, schon schwer angeschlagen zu sein, beobachtete er seine Mitzecher scharf und aufmerksam. Der Knappe Pierre war bereits erledigt. Er hing mehr auf seiner Decke, als daß er darauf saß, und er sabbelte irgend etwas vor sich hin. Louis hielt sich noch ganz gut, aber auch er zeigte schon ziemliche Wirkung. Dasselbe galt auch für einige der Tataren. Allein der breitschultrige Anführer der Barbaren und der Ritter Roland machten noch den Eindruck, einigermaßen klar im Kopf zu sein. Aber auch bei ihnen konnte es nicht mehr lange dauern, bis sich der Höllenbrand deutlich bemerkbar machte. Die Lage sah nicht gut aus für ihn und seinen Herrn, den Freiherrn Helferich. Roland war drauf und dran, echte Freundschaft mit diesem Tatarenführer zu schließen. Und wenn sich dann noch jemand fand, der die Sprachschwierigkeiten zwischen ihnen überbrücken konnte, würde die Wahrheit vermutlich sehr schnell ans Tageslicht kommen. Das aber durfte nicht geschehen. Eginolf hatte auch schon einen Plan geschmiedet, wie er das Verhängnis abwenden konnte. Zuerst war es seine Absicht gewesen, abzuwarten, bis Roland völlig betrunken war, und ihn dann mit einem schnellen Messerstich zu erledigen. Diesen Gedanken hatte er jedoch inzwischen wieder fallen gelassen. Leute, die so saufen
konnten wie der Ritter, wurden selbst dann im Handumdrehen wieder nüchtern, wenn sie voll wie eine Jauchengrube waren. Und wenn er mit dem ersten Messerstich nicht ganz genau ins Ziel traf ... Nein, er würde nicht selbst gegen Roland vorgehen. Das war ihm zu gefährlich. Viel besser würde es sein, wenn ihm die Tataren die Arbeit abnahmen. Weiter und weiter ging das wüste Gelage am Feuer. Und nun waren sehr schnell Opfer zu beklagen. Das erste war der Knappe Pierre. Er kippte nach hinten über und blieb in verkrümmter Haltung liegen, die Augen fest geschlossen und laut schnarchend. Eine Weile später machten auch die ersten Tataren schlapp. Sie mühten sich schwerfällig auf die Füße und torkelten davon, um in irgendwelchen Zelten zu verschwinden. Bald waren nur noch wenige Zecher übrig geblieben: Der Anführer, zwei seiner Stammesgenossen, Louis, der schnarchende Pierre und er selbst, Eginolf. Die anderen Feuer waren längst erloschen. Die Tataren, die an ihnen gesessen hatten, lagen längst auf ihren Schlaflagern. Nur das Mädchen, das Roland und den anderen Männern die Becher füllte, hatte sich noch nicht zurückgezogen. Und gerade dieses Mädchen war es, auf das sich Eginolfs Plan stützte. Er hatte die Kleine ganz genau beobachtet, hatte gesehen, daß sie nur Augen für Roland hatte. Begehrliche Augen, die einen ganz bestimmten Wunsch erkennen ließen. Und auch die Augen des Ritters hatten immer wieder mit großem Wohlgefallen auf dem Mädchen geruht. Eginolf war sich ganz sicher, daß nicht nur er diese gegenseitigen Blicke bemerkt hatte. Wenn sich also zwischen den beiden etwas abspielte, würden die Tataren bestimmt nicht überrascht sein. Alles andere ergab sich daraus nahezu zwangsläufig. Er, Eginolf, brauchte nur den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Dann würde er handeln. * »Bo ... tok!«
Roland merkte, daß seine Zunge nicht mehr so richtig wollte. Aber das spielte keine Fiedel. Hauptsache war, daß er noch den Mund aufbekam, um neuen Fusel hineinzuschütten. »Bo ... tok!« Auch Ugus Stimme war nur noch ein Lallen. Die Augen des Tatarenführers standen ziemlich schräg, und wenn er den Becher zum Mund führte, verschüttete er regelmäßig die oberste Lage. Aber auch sein Schluckvermögen hatte die Grenze noch nicht erreicht. Roland kippte seinen Becher hinunter und rülpste anschließend aus tiefster Seele. Mit glasigen Augen blickte er auf Ugu, der unmittelbar neben ihm saß. »Na, alter ... alter Bauch ... Bauchaufschlitzer, schaffst. .. schaffst du es nicht... nicht mehr?« Natürlich verstand der Tatarenführer kein Wort. Aber er ahnte wohl, was sein Zechkumpan gesagt hatte. Er grinste schief und machte den Trinkbecher leer. »Ku ... ruk?« »Ku ... ruk!« Roland blickte mit krampfhaft aufgerissenen Augen in die Runde. Nur noch »Leichen« waren um das Feuer versammelt. Pierre schnarchte wie ein Murmeltier, Louis war in sich zusammengesunken und rührte sich kein bißchen und Eginolf starrte mit leeren Augen ins Feuer, den umgekippten, noch halb gefüllten Becher neben sich im Gras. Von den Tataren war überhaupt keiner mehr da. Nur Ugu natürlich. Der Tatarenführer stammelte irgend etwas und machte eine vage Handbewegung, wobei er seinen Becher umstülpte, so daß die Öffnung nach unten zeigte. Dieser Geste entnahm Roland die Frage, ob er aufhören wolle, zu trinken. Grinsend schüttelte er den Kopf und hob seinen Becher. »Ku ... ruk!« Wenn Ugu dachte, daß er aufgeben würde, sah er sich getäuscht. Ihn trank niemand unter den Tisch. Auch kein Tatar! Ugu grinste ebenfalls und winkte dem Schankmädchen. Die Kleine
war sofort zur Stelle und füllte die Becher der beiden Männer erneut. Dabei kniete sie sich neben Roland und ließ wie unbeabsichtigt ihren Busen über seinen Arm gleiten. Roland war diese Berührung alles andere als unangenehm. Er streckte die freie Hand aus und tätschelte den reizvoll gerundeten Po der jungen Tatarin. Das Mädchen zuckte keineswegs zurück, sondern lächelte ihn nur schelmisch an. Der Tatarenführer sah es und lächelte dazu. Dann aber hob er schon wieder seinen Becher. »Botok!« »Bo ... tok!« Runter mit dem Zeug! Roland spürte, wie ihm der Fusel in der Kehle steckenzubleiben drohte. Er mußte echt würgen, um wieder richtig atmen zu können. Sein Zechkumpan hatte dieselben Schwierigkeiten. Um ein Haar hätte er sich erbrochen. Ein paar Augenblicke später jedoch hatte er den Übelkeitsanflug wieder überwunden. Er beugte sich zur Seite und legte Roland einen Arm und die Schulter. Dann sagte er etwas, das Roland zwar unverständlich blieb, aber sehr freundschaftlich klang. »Ich ... kann ... dich auch ver ... verdammt gut lei ... leiden, alter Wit... Wit... alter Witwenmörder«, antwortete er und erwiderte die Umarmung des Tataren. Die beiden Männer klopften sich gegenseitig auf die Schulter und lösten sich dann wieder voneinander. Roland hob den Becher hoch in die Luft - mit der Öffnung nach oben. Das Mädchen verstand und goß ein. Auch Ugu bekam seine Ration. »Bo ... tok!« »Botok!« Roland fing an, Sterne zu sehen. Sie tanzten flimmernd vor seinen Augen und machten ihn ganz schwindlig. Er mußte die Augen zukneifen, um sie wieder loszuwerden. Ugu rülpste und würgte. Und diesmal wurde er seiner
Schwierigkeiten nicht Herr. Er übergab sich und sah danach aus, als würde er jeden Augenblick sterben. Mit einer kraftlosen Bewegung hielt er den Becher in der zitternden Hand. Die Öffnung zeigte nach unten. Fast bittend blickte er Roland an. Er dauerte den Ritter mit dem Löwenherzen. Aber es hieß, daß die Tataren unbesiegbar waren. Und an diesem Abend hatte sich Roland vorgenommen, dieser Unbesiegbarkeit ein Ende zu setzen. Wenn nicht mit dem Schwert, dann wenigstens mit dem Trinkbecher. Er streckte die Hand mit dem Gefäß aus - Öffnung nach oben. Das Mädchen bedurfte keiner Aufforderung. Sie füllte die Becher ganz von selbst. »Bo ... tok!« »Bo ... Bo ... tok!« Und wieder runter mit dem Fusel! Diesmal waren es keine Sterne, die Roland sah. Die Sonne selbst schien vor seinen Augen zu zerplatzen. Und es dauerte verdammt lange, bis sie endlich damit fertig war. Ugu sah keine grell leuchtende Sonne. Bei ihm war die absolute Finsternis eingekehrt. Er fiel um wie ein naß gewordener Mehlsack und blieb regungslos auf seiner Decke liegen. Sofort ließ Roland seinen Becher fallen. Jetzt lag kein Grund mehr vor, sich an dem Ding festzuhalten. Er hatte gewonnen. Er hatte die Tataren besiegt! Das war unbedingt einen Triumphschrei wert. Roland öffnete den Mund, um ihn auszustoßen. Aber es kam nur ein kraftloses, unsagbar gequältes Röcheln über seine Lippen. Das Mädchen, das dicht neben ihm hockte, lachte. Vielleicht ahnte sie, was in ihm vorging. Sie legte die Hände unter seine Achseln und bedeutete ihm, daß er aufstehen sollte. Dabei deutete sie mit dem Kopf zu den Zelten hinüber. Roland nickte schwerfällig. Ins Zelt, ja. Das war genau der Ort, zu dem er wollte. Mit großer Mühe kam er auf die Füße. Wenn ihm das Mädchen nicht geholfen hätte, wäre er dazu wahrscheinlich gar nicht in der
Lage gewesen. Und alleine gehen konnte er auch nicht. Wieder war er auf die Unterstützung der Tatarin angewiesen. Das Mädchen offenbarte dabei erstaunliche Kräfte. Schwer lastete sein beträchtliches Körpergewicht auf ihr, aber das machte ihr nicht viel aus. Sie schleppte ihn in das Zelt, das ihm Ugu Stunden zuvor zugewiesen hatte. Schwer ließ sich Roland auf das Fellager fallen. Schlafen - das war sein einziger Gedanke. Das Mädchen jedoch hatte ganz andere Gedanken. Schließlich hatte sie nicht eine halbe Ewigkeit bei den Zechern ausgeharrt, um sich jetzt etwas vorschnarchen zu lassen. Sie kniete neben dem Ritter nieder und fing an, ihn seiner Kleidung zu entledigen. Roland ließ es geschehen. Nicht einmal ungerne, denn die sanften Berührungen ließen einen angenehmen Schauder in ihm aufsteigen, der stärker war als seine Trunkenheit. Schlafen? Gewiß, aber vielleicht doch nicht sofort. Denn zunächst... Er griff nach der jungen Tatarin, die inzwischen mit ihrer Entkleidungstätigkeit fertig geworden war. Bereitwillig drängte sie sich ihm entgegen, als seine Finger nach den Schnüren und Knöpfen ihres Umhangs suchten. Er stellte sich dabei sehr ungeschickt an. Einmal weil er das fremde Kleidungsstück nicht kannte. Und natürlich auch, weil seine Finger nicht ganz so wollten, wie er das gerne gehabt hätte. Aber das machte alles nichts. Die junge Tatarin wußte mit ihren eigenen Schnüren um so besser Bescheid und hatte sie in wenigen Augenblicken selbst gelöst. Mit Leichtigkeit konnte ihr Roland nun die Kleidung vom Körper ziehen, so daß sie genauso nackt war wie er. Es war stockdunkel im Zelt, aber Roland und das Mädchen brauchten auch kein Licht. Der Ritter mit dem Löwenherzen erkundete die Körperlandschaft der Tatarin mit seinen Händen und stellte dabei fest, daß es eine gar prächtige Landschaft war. Herrlich geformte Hügel, die steil ni die Höhe ragten, ein sanft bemoostes Tal, das eine einzige lockende Versprechung war. Und auch das Mädchen fand alles, was sie suchte. Hochbefriedigt
nahm sie zur Kenntnis, daß der abendländische Ritter zu jenen Männern gehörte, die nach einem wüsten Saufgelage immer noch Männer waren. Das lange Warten hatte sich für sie gelohnt. * Ein befriedigtes Lächeln huschte über Eginolfs Züge, als der Ritter Roland mit der jungen Tatarin davonwankte. Er hatte sie alle erfolgreich getäuscht. Jedermann hielt ihn für betrunken. Niemand ahnte, daß er so nüchtern und klar im Kopf war wie selten. Hellwachen Auges blickte er dem Ritter und dem Mädchen nach. Die beiden brauchten eine Weile, bis sie den freien Platz zwischen den Zelten überquert hatten. Schließlich aber waren sie am Ziel. Sie verschwanden in Rolands Zelt. Eginolf triumphierte innerlich. Besser hätten sich die Dinge gar nicht entwickeln können. Roland und die junge Tatarin befanden sich allein im Zelt. Louis und Pierre waren so besoffen, daß sie in dieser Nacht bestimmt nicht mehr zu sich kommen würden. Genau wie der Tatarenführer, der letzten Endes auch noch völlig zusammen gebrochen war, würden sie mit Sicherheit neben dem langsam niederglimmenden Feuer liegen bleiben und frühestens bei Sonnenaufgang wieder erwachen. Es war also nicht zu befürchten, daß einer der beiden Knappen zwischenzeitlich in Rolands Zelt hineinging. Die Voraussetzungen für das Gelingen seines Plans wurden immer idealer. Zunächst behielt er seine scheinbar schlafende Stellung bei und beobachtete weiterhin seine Umgebung. Die beiden Knappen und der Tatarenführer rührten sich nicht. Diese drei Männer konnte er wirklich vollkommen vergessen. Aber auch sonst war in dem ganzen Zeltdorf nirgendwo eine Bewegung festzustellen. Alle Dorfbewohner schienen in tiefem Schlaf zu liegen. Mit Ausnahme der beiden in Rolands Zelt, verstand sich, denn daß sich Roland und das Mädchen zum Schlafen hingelegt hatten, glaubte er wahrhaftig nicht. Und zum Vorschein gekommen, war die junge Tatarin auch noch nicht wieder.
Was sich also im Zelt abspielte... Eginolf grinste bei diesem Gedanken und war neidisch auf den Ritter mit dem Löwenherzen. Aber dieser Neid legte sich schnell, wenn er an den morgigen Tag dachte. Nach einer Weile kam Bewegung in den Knappen. Vorsichtig setzte er sich aufrecht. Pierre, Louis und der Tatarenführer nahmen keine Notiz von ihm. Sie röchelten und schnarchten weiter. Und auch als Eginolf in geduckter Haltung vom erlöschenden Feuer wegschlich, hob keiner von ihnen den Kopf. Wenig später hatte der Knappe Helferichs das Zelt erreicht, in dem er. Roland und die Tatarin wußte. Niemand hatte ihn unterwegs gesehen, da war er sich ganz sicher. Niederkauernd legte Eginolf den Kopf an die Eingangsplane. Die Geräusche, die er aus dem Inneren hörte, waren ganz eindeutig. Er hatte den Ritter mit dem Löwenherzen genau richtig eingeschätzt. Roland mochte zwar stockbesoffen sein. Handlungsunfähig war er deswegen jedoch nicht. Ganz und gar nicht, wie er im Augenblick gerade deutlich bewies. Geduldig wartete der Knappe. Dann endlich, nach einer ganzen Weile, wurde es ruhiger im Zelt. Und schließlich kam der Augenblick, dem er entgegengefiebert hatte. Der Zelteingang wurde zurückgeschlagen, und die junge Tatarin kam zum Vorschein. Als sie des Knappen ansichtig wurde, war es bereits zu spät für sie. Sie hatte bei Roland nicht versagt. Das war aber auch der einzige Unterschied, den es zwischen ihr und Maria Elena gab. * »Laß ... mich!« Unwillig schüttelte Ritter Roland die Hand ab, die ihn rüttelte und schüttelte. Er wollte weiterschlafen, sonst gar nichts. Aber derjenige, der da vor ihm stand, gab nicht nach. Schließlich blieb Roland gar nichts anderes übrig, als hochzufahren. Er stieß einen bösen Fluch aus, als er seinen Knappen Louis erkannte.
»Was fällt dir ein?« fuhr er seinen Getreuen an. »Siehst du nicht, wie müde ich noch bin?« Louis beachtete seinen Einwand gar nicht. Mit großen, entsetzten Augen blickte er seinen Herrn an. »Um des Himmels willen, Ritter Roland, wie konntet Ihr nur so etwas Entsetzliches tun?« »Was?« Roland verstand überhaupt nicht, was der Knappe von ihm wollte. Die Gedanken huschten nur ganz träge, ganz langsam durch seinen Kopf. Er fühlte sich noch vollkommen benebelt. Hinter seiner Stirn schien ein bösartiger Zwerg zu sitzen, der ihm immer wieder mit einem spitzen Schuh ins Gehirn trat. »Das Mädchen«, flüsterte Louis. »Wie konntet Ihr nur?« Roland verstand seinen Knappen noch immer nicht. »Was, zum Teufel, war denn dabei? Die Tatarentochter war sicherlich alt genug, um ...« »Gewiß«, fiel ihm Louis ins Wort. »Aber warum mußtet Ihr sie anschließend umbringen?« Umbringen? Das Wort wischte mit einem Mal die Nebel zur Seite, die durch Rolands Kopf gaukelten. »Was sagst du da?« Der Knappe sagte gar nichts, deutete nur mit einer stummen Gebärde neben seinen Herrn. Und dann sah der Ritter mit dem Löwenherzen die junge Tatarin. Verkrümmt und reglos lag sie da, die Kleidung zerfetzt, mit gebrochenen Augen an die Decke des Zeltes starrend. Roland war wie vom Donner gerührt. Das ... durfte doch ganz einfach nicht wahr sein! Er sprang auf die Füße, starrte fassungslos auf das Mädchen hinunter. Er wischte sich über die Augen, aber das schreckliche Bild blieb. Seine Minnegefährtin der Nacht war ohne jeden Zweifel tot. »Ihr habt sie in Eurer Trunkenheit erwürgt«, sagte Louis. »Deutlich sieht man noch die Male Eurer Finger am Hals des Mädchens.« »Unsinn!« entrüstete sich der Ritter Roland. »Wie kannst du mir so
etwas Ungeheuerliches unterstellen?« »Ihr ... wart es nicht?« »Natürlich nicht! Warum sollte ich eine derartig entsetzliche Tat begehen?« »Dieser Fusel, den Ihr wie Wasser getrunken habt...« »Ich habe schon oft sehr viel Fusel getrunken, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Und ich habe ihn auch in dieser Nacht nicht verloren. Ganz genau kann ich mich an jede Einzelheit erinnern. Als ich mich zum Schlafen niederlegte, war das Mädchen noch von blühendem Leben erfüllt.« »Aber wie ist es dann möglich ...« »Das weiß ich nicht. Aber ich weiß etwas anderes: ich habe sie ganz bestimmt nicht umgebracht.« Roland blickte seinen Knappen mit verengten Augen an. »Oder glaubst du mir etwa nicht?« Louis antwortete nicht sogleich. »Doch«, sagte er nach einer ganzen Weile des stillen Überlegens. »Wenn Ihr es mir sagt, dann glaube ich es in jedem Fall.« Seine Worte waren kein bloßes Lippenbekenntnis. Er war jetzt wirklich davon überzeugt, daß sein Herr die Wahrheit sprach. Eine solch schreckliche Tat... Sie paßte auch ganz und gar nicht zu einem so aufrechten Mann wie Roland. Aber es hatte trotzdem keinen Zweck, sich Sand in die Augen zu streuen. »Machen wir uns nichts vor, Ritter Roland«, sagte er mit ernster Stimme. »Außer mir - und wahrscheinlich auch Pierre - wird Euch niemand Glauben schenken.« Das dämmerte Roland auch langsam. Teufel auch, was für eine irrsinnige Situation! »Wir müssen das Mädchen wegschaffen«, sagte Louis. »Anderenfalls ...« Bedeutungsschwer ließ er die Worte in der Luft hängen. Roland wußte nicht, wie er sich entscheiden sollte. Und daran trugen nicht einmal die Nachwirkungen des Fusels Schuld. Wenn er die Tote heimlich wegschaffte, bedeutete das soviel wie ein Schuldeingeständnis. Das widerstrebte ihm zutiefst. Wenn man die
Tote jedoch in seinem Zelt fand, würde jeder darin einen unumstößlichen Schuldbeweis sehen. Was sollte er also tun? Er blickte zum Zelteingang hinüber, der einen Spaltbreit offenstand. Helles Morgenlicht drang herein. Das Lager war anscheinend längst erwacht. Die Stimm- und Geräuschkulisse außerhalb des Zeltes wurde immer lauter. »Wo sind die anderen?« wollte Roland von seinem Knappen wissen. »Eginolf und Pierre haben mit mir zusammen den Rest der Nacht am Feuer verbracht«, gab Louis Auskunft. »Die beiden liegen auch jetzt noch wie tot auf ihren Decken.« »Und Ugu?« »Ugu?« »Den Anführer der Tataren meine ich.« »Er hat es auch nicht bis zu seinem Zelt geschafft und ist am Feuer eingeschlafen. Als ich aufstand, wurde er allerdings auch gerade wach.« »Und wo ist er ...« Den Rest der Frage konnte sich Roland sparen, denn genau in diesem Augenblick wurde die Zeltplane zurückgeschlagen, und Ugu stand im Rahmen. Damit erübrigte sich auch eine Antwort auf die Frage, was mit der Toten geschehen sollte. * Das breite Lächeln des Tataren gefror zu einer Grimasse, als sein Blick auf das tote Mädchen fiel. Sekundenlang stand er schweigend da. Dann kam ein böses Grollen aus seiner Kehle. Mit Augen, in denen ein Gewitter zu toben schien, sah er Roland an. Die Worte, die er dann sagte, klangen wie Peitschenhiebe. »Ich war es nicht«, sagte Roland klar und deutlich. »Das mußt du mir glauben, Ugu!« »Ugu?« wiederholte der Tatar. Es folgte ein böses Lachen und weitere harte, peitschenartige Worte. Ganz schnell machte er zwei,
drei Schritte nach vorne. Dann zuckte ansatzlos seine geballte Faust nach vorne und krachte in Rolands Gesicht. Die Wucht des Schlages ließ Roland zurücktaumeln. Er spürte, wie ihm das Blut aus der Nase schoß. Nur mit großer Mühe gelang es ihm, sich auf den Beinen zu halten. Der Tatar spuckte ihm vor die Füße und machte ein angewidertes, haßerfülltes Gesicht. Louis' Hand legte sich auf den Knauf seines Hirschfängers. Aber er zögerte, das schwere Messer aus der Scheide zu ziehen. Natürlich verstand er den aufrechten Zorn des Barbaren. Andererseits galt es, seinen Herrn zu verteidigen. Der Tatarenführer nahm ihm die Entscheidung ab, indem er sich umdrehte und wortlos das Zelt verließ. Roland wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Auch er sagte kein einziges Wort. »Er wird wiederkommen«, sagte Louis leise. »Oder aber seine Leute schicken.« »Ja«, nickte Roland. »Es wäre vielleicht ratsam, wenn Ihr Euch ankleiden würdet«, schlug der Knappe anschließend vor. Erst jetzt merkte der Ritter mit dem Löwenherzen, daß er fast nackt war. Die kleine Tatarin hatte ihn zwar ausgezogen, sich aber nicht die Mühe gemacht, ihm die Kleidung wieder anzulegen. Der Gedanke an das Mädchen und die Nacht versetzte Roland einen Stich. Schmerzvoll blickte er auf die Tote hinab. Dann gab er sich einen Ruck und tat, was ihm Louis gesagt hatte. Es wäre würdelos gewesen, nackt zu sterben. Und daß das Sterben kurz bevorstand, bezweifelte er kaum. Aber er war nicht gewillt, sich so ohne weiteres in sein Schicksal zu ergeben. Ugu und die Seinen mochten nicht ohne eine gewisse Berechtigung denken, daß er ein feiger, von finsteren Trieben beherrschter Mädchenmörder war. Er aber wußte, daß dies nicht stimmte. Und deshalb ... Da kamen sie bereits. Fünf Tataren waren es, die den Zeltvorhang zurückrissen und sich drohend im Eingang aufbauten. Jeder einzelne von ihnen hielt ein Schwert in der Hand.
Einer von ihnen stieß in barschem Befehlston ein paar gutturale Worte aus, deren Sinn auch ohne Sprachkenntnisse ganz unmißverständlich war. Komm raus, du Schwein! So oder so ähnlich mußte man die Aufforderung wohl deuten. »Wenn ihr etwas von mir wollt, dann müßt ihr mich schon holen«, sagte Roland und zog gleichzeitig sein Schwert. Auch sein treuer Knappe Louis war zum Kampf bereit, den Hirschfänger in der Faust. Dann griffen die Tataren an. Gleichzeitig stürmten sie in das Zelt hinein, so heftig, daß sie sich gegenseitig behinderten. Das brachte Roland und Pierre zunächst einen kleinen Vorteil. Fast spielerisch konnten sie die erste Attacke der Tataren abwehren. Die Klingen der Barbaren fanden keine Lücke in ihrer Verteidigung. Ja, Roland hätte sogar Gelegenheit gehabt, seinerseits einen tödlichen Stoß zu führen. Für einen kurzen Augenblick wandte ihm einer der Barbaren seine ungeschützte linke Seite zu. Normalerweise hätte der Ritter mit dem Löwenherzen diese Chance genutzt. Aber dies war keine normale Situation. Roland konnte sich nicht entschließen, dem Widersacher seinen kalten Stahl in die Rippen zu bohren. Die Tataren sprangen zurück. So etwas wie widerwillige Anerkennung war in ihren Augen zu lesen. Gewiß waren sie es gewohnt, daß bei einem Kampf fünf gegen zwei schon der erste Angriff die Entscheidung zu ihren Gunsten brachte. Ihre zweite Attacke trugen sie weniger ungestüm, dafür aber mehr mit aufeinander abgestimmten Aktionen vor. Das Zelt war zwar außerordentlich groß, für einen solchen Kampf jedoch war es dennoch viel zu eng. Die Möglichkeiten, sich durch einen schnellen Sprung vor gegnerischen Hieben und Stößen in Sicherheit zu bringen, blieben gering. Dieser Umstand wirkte sich vor allem für die Verteidiger aus. Roland und Louis mußten die Klingen ihrer Gegner an Ort und Stelle parieren, ohne ausweichen oder zurückgehen zu können. Und so brauchten sie ihre ganze Geschicklichkeit, um auch dem zweiten Ansturm trotzen zu können.
Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich ihr Schicksal erfüllte. Auf Dauer konnten sie dieses Gefecht nur als Verlierer beenden. Wieder kamen die Tataren gleichzeitig, von vorne, von links und von rechts. Rolands Schwert brauchte die Schnelligkeit eines Blitzes, um alle Blößen abdecken zu können. Ohne Louis tatkräftige Hilfe wäre er längst ein toter Mann gewesen. Aber auch so konnte er nicht vermeiden, daß er und sein treuer Knappe die ersten Blessuren abbekamen. Die Spitze eines Krummschwerts streifte Roland am Hals und ließ Blutstropfen hervortreten. Und Louis zog sich eine leichte Stichwunde an der Hüfte zu, die zwar nicht fatal war, ihn aber doch schon schwer behinderte. Als die Tataren zum nächsten gemeinsamen Angriff rüsteten, stand das Ende der beiden Abendländler unmittelbar bevor. Bevor die Barbaren kamen, tat Roland deshalb etwas gänzlich Unerwartetes. Sein Schwert hieb nach links, hieb nach rechts. Die beiden Pflöcke, die die rückwärtige Hälfte des Zeltes stützten, wurden glatt durchgehauen. Das Zelt stürzte ein und begrub Angreifer und Verteidiger unter sich. Ein wildes Durcheinander entstand. Keiner der Kämpfenden konnte mehr etwas sehen. Sie alle hatten mit der Zeltdecke zu tun, die schwer auf ihnen lastete und ihre Bewegungsfreiheit einschränkte. Wieder wäre es Roland möglich gewesen, dem Kampf eine Wende zu seinen Gunsten zu geben. Er wußte ganz genau, wo sich Louis befand. Wenn er also mit dem Schwert wild um sich gehauen hätte, wären zwangsläufig einer oder gar mehrere der Tataren getroffen worden. Aber Roland wußte, daß die Tataren fest davon überzeugt waren, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Deshalb brachte er es nicht über sich, ihnen eine Wunde zuzufügen. Statt dessen packte er in der Dunkelheit den Arm seines Knappen und zog ihn mit sich. »Komm!« zischte er. Er hatte sich seinen Standort ganz genau gemerkt, war deshalb der Orientierung nicht verlustig gegangen. So bereitete es ihm wenig
Schwierigkeiten, sich unter der Zeltplane hindurchzuwinden und ins Freie zu gelangen. Louis schaffte es ebenfalls. Aber das Freie war nicht die Freiheit. Sämtliche Tatarenkrieger, die im Lager anwesend waren, hatten einen Ring um das zusammengebrochene Zelt gezogen. Und jeder einzelne von ihnen hielt eine Waffe in der Hand. Der Ring war lückenlos. Es konnte kein Entkommen für Roland und seinen treuen Knappen geben. Auch Ugu war dabei. Er trat einen Schritt nach vorne, ein grimmiges Lächeln auf den Lippen. Der Tatarenführer deutete auf Pierre und Eginolf, die Roland erst jetzt sah. Die beiden Knappen wurden von mehreren Tataren festgehalten, die ihnen ein Messer an die Kehle hielten. Dann zeigte Ugu auch auf Louis und machte eine Handbewegung, die klar zu erkennen gab, daß ihr Leben geschont werden sollte. Darauf deutete er auf Roland selbst. Die anschließende Bewegung war ebenfalls eindeutig. Es war die allgemein bekannte Bewegung des Halsabschneidens. Auch Louis hatte verstanden, was der Tatarenführer sagen wollte. »Laßt Euch nicht beeindrucken, Ritter Roland«, sagte er wild entschlossen. »Ich kämpfe an Eurer Seite bis zum letzten Atemzug.« »Nein«, sagte Roland. Er wollte nicht, daß Louis seinen letzten Atemzug tat. Und dasselbe galt auch für Pierre und Eginolf. Mit einer müden Bewegung ließ er sein Schwert ins Gras fallen und ging gesenkten Hauptes auf Ugu zu. * Genau an der Stelle, an der in der vergangenen Nacht das große Gelage stattgefunden hatte, spielte sich das Geschehen auch jetzt ab. Die ganze Tatarenhorde war versammelt, Männer, Frauen und Kinder. Auch die drei Knappen waren anwesend, ohne allerdings in das Geschehen eingreifen zu können. Sie wurden von mehreren Männern umringt, die sie mit vorgehaltenem Schwert zur
Tatenlosigkeit verurteilten. Und da man ihnen ihre eigenen Waffen abgenommen hatte, konnten sie sich nicht dagegen auflehnen. Im Mittelpunkt des Geschehens stand der Ritter Roland. Die Tataren hatten ihm die Hände auf den Rücken gebunden und sahen ihn von allen Seiten mit haßerfüllten Blicken an. Aus ihrer Sicht war dieser Haß wohl verständlich. Der feige, gemeine Mord an ihrer Stammesschwester mußte solche Gefühle hervorrufen. Es war ein Palaver vorangegangen, in dem der breitschultrige Stammesführer die bestimmende Rolle gespielt hatte. Obwohl die Knappen von all dem Gerede nichts verstanden hatten, war ihnen doch klar geworden, um was es ging: Der Stammesführer hatte eine Art Urteil über den Ritter mit dem Löwenherzen gesprochen. Und wie dieses Urteil ausgefallen war, stand außerhalb jeden Zweifels. Roland war ein todgeweihter Mann. Den Knappen blieb nichts anderes übrig, als mit knirschenden Zähnen zuzusehen, wie das Urteil vollstreckt wurde. »Was ... haben sie mit ihm vor?« fragte Pierre mit stockender, fast tonloser Stimme. Louis, der unmittelbar neben ihm stand, zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es noch nicht. Aber ich fürchte, wir werden jetzt erfahren, warum man die Tataren überall als blutrünstig und grausam bezeichnet.« Ein paar junge Burschen führten jetzt vier Pferde in den Kreis. Keine besonders großen, aber doch sehr kräftige, etwas zottige Pferde, denen man Ungestüm und Wildheit auf den ersten Blick ansah. Die jungen Burschen hatten Mühe, die Tiere ruhig zu halten. Dann wurden Stricke gebracht, vier an der Zahl. Die Männer, die Roland festhielten, fingen an, ihm ein Ende jedes Stricks um Arme und Beine zu schlingen. Der Knappe Louis stöhnte unterdrückt auf. Er ahnte jetzt, was die Tataren mit seinem Herrn vorhatten. Und seine bösen Ahnungen waren nur allzu berechtigt... Die Tataren legten Roland jetzt auf den Boden. Da auch seine Füße zusammengebunden waren, konnte er sich praktisch überhaupt nicht
bewegen, geschweige denn Widerstand leisten. Hilflos mußte er alles über sich ergehen lassen. Das erste Pferd wurde herangeführt. Dann befestigte einer der Tataren den Strick, der sich um Rolands rechtes Bein schlang, am Hals des Tieres. Schon kam das zweite Pferd. »Gütiger Himmel«, ächzte Pierre. Der Strick an Rolands rechtem Arm wurde am Hals des zweiten Pferds festgemacht. »Louis!« zischte Pierre. »Ja, Pierre?« »Weißt du, was diese Teufel da beabsichtigen?« »Ja«, antwortete Louis gepreßt. »Gleich werden sie unseren Herrn auch mit den übrigen beiden Pferden verbunden haben. Dann werden sie die vier Tiere in verschiedene Richtungen davonjagen, und der Körper Ritter Rolands ...« »... wird in vier Teile zerrissen!« beendete Pierre den angefangenen Satz. Louis nickte bebend. »Aber das können wir doch nicht zulassen?« Pierre war rot im Gesicht angelaufen und machte eine hastige Bewegung. Sofort spürte er die Spitze eines Krummschwerts an seiner Kehle. Der Tatar, der ihm das Schwert an den Hals gesetzt hatte, knurrte ein paar böse, unmißverständliche Worte. Der Strick an Rolands linkem Bein wurde inzwischen um den Hals des dritten Pferds geschlungen. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde sich sein Schicksal erfüllen. Pierre wollte sich nicht damit abfinden. Wild blickte er sich nach dem Knappen des Freiherrn Helferich um. »Eginolf, versuche noch mal, mit den Barbaren zu reden. Sag ihnen, daß Roland dieses Mädchen nicht getötet ...« Er brach ab, als er das Gesicht des untersetzten Mannes sah. Der Anflug eines Grinsens war darin zu erkennen. Und in seinen Augen leuchtete es triumphierend. Da wußte Pierre auf einmal Bescheid.
»Louis!« »Ja?« »Er ist der Mörder!« schrie Pierre. »Dieses Dreckschwein hat das Mädchen umgebracht und den Verdacht ganz bewußt auf den Ritter Roland gelenkt!« Louis fuhr herum und blickte den Knappen des Freiherrn an. Das Grinsen auf den Zügen des Mannes war verschwunden. Aber die Befriedigung, die in seinen Augen stand, war noch immer ganz deutlich wahrzunehmen. »Ja«, stieß Louis hervor. »Er war es!« Eginolf schüttelte den Kopf. »Was erzählt ihr denn da? Warum sollte ich denn so etwas getan haben?« »Das weiß ich nicht«, gab Louis scharf zurück. Er wollte auf den untersetzten Knappen losgehen, kam aber nicht dazu. Die Tataren neben ihm hielten ihn fest. Einer von ihnen hielt ihm das Schwert vor die Augen. »Ihr Narren!« brüllte Louis in ohnmächtiger Wut. »Merkt ihr denn nicht, was hier gespielt wird? Er ist der Mörder, nicht Ritter Roland!« Natürlich verstanden die Krieger kein einziges Wort von dem, was er sagte. Und deshalb dachten sie auch gar nicht daran, ihn aus ihrer Umklammerung freizugeben. Jetzt aber handelte Pierre. Er erkannte, daß die Tataren so mit Louis beschäftigt waren, daß sie kaum auf ihn achteten. Diese Gelegenheit nutzte er. Noch ehe es sich die Männer versahen, war er unter ihnen durchgetaucht und lief los. Aber er kümmerte sich nicht um Eginolf, sondern rannte zu dem Stammesführer hinüber, der mit finsterem Gesicht die Hinrichtungsvorbereitungen beobachtete. Alle waren so überrascht, so daß Pierre sein Ziel erreichte, ohne aufgehalten zu werden. Der dickliche Knappe war kein Dummkopf. Er wußte nur zu gut, daß er nur etwas erreichen konnte, wenn er sich friedlich verhielt. Deshalb warf der sich vor dem Führer auf die Knie und gab dadurch zu erkennen, daß er keine Gewalttätigkeit im Sinne hatte.
Zwei Krieger stürmten auf ihn zu, wollten ihn wegzerren. Aber Pierre zeigte jetzt, daß er kein Schwächling war. Er schüttelte die beiden ab und hob mit einer untertänigen Geste die Hände zu dem Mann empor, den Roland Ugu genannt hatte. Und sein Tun verfehlte die Wirkung nicht. Als sich die Krieger abermals auf ihn stürzen wollten, wies Ugu sie mit einer herrischen Handbewegung zurück. Er hatte erkannt, daß ihm Pierre etwas Bedeutsames mitteilen wollte. Ein Schwall von Worten kam aus Pierres Mund, begleitet von wilden Handbewegungen. Er deutete auf Roland, neigte den Kopf zur Seite und legte die zusammengefalteten Hände darunter. »Er hat geschlafen, verstehst du? Er konnte das Mädchen überhaupt nicht umbringen!« Dann richtete er einen anklagenden Finger auf den Knappen des Freiherrn Eginolf. »Er war es! Er hat das Mädchen getötet!« Er machte die Bewegung des Halsabschneidens, zeigte dabei immer wieder auf Eginolf . »Er war es! Nicht Roland, sondern er!« Eginolf machte ein betroffenes Gesicht und fing an, lautstark Widerspruch zu erheben. Er tat es mit schriller, scheinbar entrüsteter Stimme, der jedoch die falschen Töne nur allzu deutlich anzuhören waren. Der Stammesführer verstand kein einziges Wort. Aber er hatte ganz offenbar sehr wohl begriffen, um was es ging. Und er schien ein guter Menschenkenner zu sein, der das Falsche und das Wahre zu unterscheiden vermochte. In jedem Fall standen ihm plötzlich aufkommende Zweifel deutlich im Gesicht geschrieben. Er zögerte, dachte nach. Sein Blick ging zu dem gefesselten Roland hinüber, dann zu Eginolf, schließlich wieder zu Pierre. Und immer noch sagte er kein Wort. Unterdessen war auch der Strick am linken Arm des Ritters mit dem Löwenherzen um den Hals eines Pferdes geschlungen worden. Die vier Tiere standen bereit. Ein Hieb auf die Hinterhand, und sie
würden losjagen und den Mann in ihrer Mitte zerreißen. Händeringend kniete Pierre vor dem Stammesführer. »Ich bitte um Gande für meinen Herrn«, sagte er flehentlich. »Roland ist unschuldig!« Und dann kam der breitschultrige Tatar zu einer Entscheidung. Er bedeutete seinen Männern, Roland loszubinden ... * Stunden waren vergangen. Die Tataren hatten Roland gefesselt in ein Zelt gebracht und ihn dort liegengelassen. Zwei bewaffnete Krieger standen vor dem Zelt auf Wachtposten und verhinderten, daß jemand zu ihm hereinkam. So wußte Roland noch immer nicht, welchem Umstand er es zu verdanken hatte, daß er noch immer lebte. Er hatte nur mitbekommen, daß Pierre dem Stammesführer irgend etwas klargemacht hatte, wobei auch Eginolf eine Rolle spielte. Was das gewesen war, wußte er nicht, denn er hatte mit dem Gesicht nach unten im Gras gelegen und nichts von dem gesehen, was um ihn herum vorgegangen war. Wie nun alles weitergehen würde - auch davon hatte er nicht die geringste Ahnung. Er konnte nur hoffen. Und schließlich gerieten die Dinge in Bewegung. Ugu betrat das Zelt, in Begleitung einer Frau. Einer weißen Frau! Roland war überrascht. Die Frau trug die bunte Kleidung der Tataren, war aber ohne Zweifel eine Angehörige seines eigenen Volkes. Eine Gefangene? Diesen Eindruck hatte er nicht. Wenig später wußte er mehr. Während Ugu hinter ihr stehen blieb, ging die junge Frau neben ihm auf die Knie. Jetzt, da er ihr Gesicht unmittelbar vor sich hatte, sah er, daß sie nicht mehr ganz jung war, sich aber noch einen großen Teil einstiger Schönheit bewahrt hatte. Mit ernsten Augen sah sie ihn an. »Wer seid Ihr?« »Mein Name ist Roland«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen.
»Ritter Roland. Und wer seid ... Ihr?« Die Frau lächelte. »Ich heiße jetzt Ugra. Aber einst hörte ich auf den Namen Sighield.« »Das ... verstehe ich nicht.« »Nun, das ist gar nicht so schwer zu verstehen. Es sind einige Jahre her, da wurde ich bei einem Tatarenüberfall auf die Burg Steinfurt geraubt. Seitdem lebe ich bei den Tataren - als Eheweib eines Kriegers.« »Welch schreckliches Schicksal«, sagte Roland. »Ich bedaure Euch zutiefst.« Wieder lächelte die Frau. »Dazu liegt kein Grund vor. Das Leben bei den Tataren gefällt mir sehr. Es ist ein herrlich freies Leben, in dem es mir an nichts fehlt. Ich weiß, daß man in Euren Landen nur Greuelmärchen über die Tataren verbreitet. Aber sagt selbst, hattet Ihr den Eindruck, daß sie wirklich die Unmenschen sind, als die man sie hinstellt?« Roland atmete tief. »Zunächst hatte ich diesen Eindruck nicht. Als man mich jedoch zwischen die vier Pferde spannte ...« »Das habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben. Wer eine Stammesschwester hinmeuchelt...« »Ich habe sie nicht gemeuchelt!« schrie Roland leidenschaftlich. »Das sagt Ihr! Timur hat mir anderes berichtet.« »Timur? Wer ist Timur?« »Er steht vor euch.« Sie deutete auf den Tatarenführer, den Roland bisher stets Ugu genannt hatte. »Timur, der Sohn des großen Tugrik Khan.« »Der Sohn des ... Großkhans?« »Ja. Timur wurde von seinem Vater mit dem Befehl über die Grenzregionen betraut.« »Ah, dann ist er also für die blutigen Überfälle auf die Mark Kronburg verantwortlich!« Die Frau runzelte die Stirn. »Überfälle? Es ist, wie ich schon sagte, eine Reihe von Jahren her, seit ich bei einem Überfall geraubt wurde. Seitdem herrscht Frieden an der Grenze. Timur hat sich dem
Großkhan dafür verbürgt.« »So? Und wie erklärt Ihr Euch dann den Raub der Grafentochter Anja von Kronburg?« »Davon weiß ich nichts. Erzählt mir davon!« Roland ließ sich nicht lange bitten und berichtete. Sichtlich erstaunt hörte ihm die Frau zu. Als er zu Ende gekommen war, sagte sie: »Wartet, dies werde ich sofort an Timur weitergeben.« »Ihr sprecht die Sprache der Tataren?« »Gewiß. Warum, glaubt Ihr, hat mich Timur hierher holen lassen?« Sie wandte sich an den Tataren und redete mit ihm. Das finstere Gesicht Timurs wurde noch finsterer, als es ohnehin schon war. Mehrmals gab er der Frau in bösem Tonfall eine Antwort. Nach einer Weile wandte sich diese wieder Roland zu. »Timur sagt, daß Ihr schmutzige Lügen erzählt, Ritter! Seit langer Zeit hat kein Tatar mehr die Grenzen überschritten. Dieses Mädchen, Anja von Kronburg, kann also gar nicht von den Tataren verschleppt worden sein!« »Ich weiß es anders!« »Woher?« »Fragt Eginolf, einen meiner Begleiter. Er ist der Knappe des Mannes, der als Bräutigam der Verschleppten auserkoren wurde.« Die Frau sprach wieder mit Timur, der danach wild den Kopf schüttelte und wütende Worte hervorstieß. »Wenn dieser Eginolf derartiges behauptet, dann lügt er«, übersetzte die Frau. »Und Timur sagte noch: Wer einmal lügt, der lügt immer! Vielleicht habt Ihr das Mädchen tatsächlich nicht getötet, Ritter Roland.« Timur war unterdessen an den Eingang des Zeltes getreten und brüllte etwas nach draußen. Dann kehrte er zu Roland und der Frau zurück und sprach wieder auf sie ein. »Timur will wissen, was Ihr getan habt, nachdem Ihr das Lagerfeuer verlassen hattet.« forderte die Frau Roland anschließend auf. Der Ritter mit dem Löwenherzen erzählte es ihr. »Wenn es bei den
Tataren ein todeswürdiges Verbrechen ist, sich mit einer Tochter des Stammes der Minne hinzugeben, dann ist mein Leben wohl verwirkt«, sagte er zum Schluß. »Dies hab ich getan, und es dauert mich nicht. Aber das Mädchen getötet... Nein!« »Wenn dies alles ist, was Ihr getan habt, dann habt Ihr kein Unrecht begangen«, antwortete die Frau. »Die Tataren sind ein sinnenfrohes Volk. Sie würden es als sehr töricht empfinden, wenn jemand nicht auf die Stimme seines Blutes hört. Ihr braucht also ...« Die Frau brach ab, denn in diesem Augenblick erschienen mehrere Männer im Eingang des Zeltes. Mehrere Tataren und ... Eginolf. Der Knappe des Freiherrn Helferich machte ein ängstliches Gesicht und blickte verwirrt von einem zum anderen. Timur trat sofort auf ihn zu und packte ihn am Hals. Dann schrie er ihn mit dröhnender Stimme an. »Ich ... verstehe nicht, was du sagst, schlitzäugiger Hund«, preßte er hervor. »Schlitzäugiger Hund?« wiederholte die Frau. »Ich weiß nicht, ob Timur solche Worte gefallen werden!« Erst jetzt wurde der Knappe auf die Frau aufmerksam. Mit großen Augen blickte er sie an und erkannte, daß es sich um eine Abendländerin handelte. »Ihr... sprecht die Tatarensprache?« »So ist es, Knappe! Es werden schwere Vorwürfe gegen dich erhoben. Du hast behauptet, daß die Tataren die Braut deines Herrn geraubt haben?« »Ab....« Eginolf gab keine klare Antwort, blinzelte nur irritiert mit den Augen. »Ich höre, was du zu sagen hast«, drängte die Frau. »Ich ... äh ...« Timur schüttelte ihn, so daß sein Kopf hin und her flog. »Ja«, sagte Eginolf schnell, »es waren Tataren, die Anja von Kronburg überfallen haben!« Die Frau übersetzte dem Sohn des Großkhans seine Worte. Timur brüllte daraufhin wie ein Bär. Er versetzte Eginolf einen Faustschlag,
der ihn zu Boden schleuderte. Timur sagte etwas zu den Männern, die Eginolf hergebracht hatten. Zwei von ihnen zerrten Eginolf vom Boden hoch und fingen an, ihm die Kleider vom Leib zu fetzen. Der dritte hatte plötzlich ein Messer in der Hand und trat damit auf den Knappen zu. »Timur will die Wahrheit wissen«, sagte die Frau. »Deine Behauptung ist eine Lüge. Und wer lügt, hat etwas zu verbergen.« Das nackte Entsetzen stand im Gesicht Eginolfs. »Was ... was haben sie mit mir vor?« Die Frau hob und senkte die Schultern. »Wenn du weiter bei deiner falschen Behauptung bleibst, werden sie dich zwingen, mit der Wahrheit herauszurücken.« »Nein!« schrie Eginolf gellend. Der Mann mit dem Messer setzte dem Knappen die Klinge auf die Brust, blickte zu Timur hinüber. Der Stammesführer nickte. »Wartet!« brüllte der Knappe. »Ich ... ich will alles sagen!« Die Frau übersetzte, und Timur gebot seinem Stammesbruder mit einer Handbewegung Einhalt. Eginolf war völlig am Ende. Das Geständnis sprudelte förmlich aus ihm heraus. Nein, es waren nicht die Tataren gewesen, die den Überfall auf Anja von Kronburg und ihre Begleiter unternommen hatten. Der Freiherr Helferich war der wahre Schuldige. Er hatte mehrere seiner Männer in Tatarenkleidung gesteckt und die Grafentochter rauben lassen. Seine Absicht war es gewesen, anschließend als der große Retter aufzutreten und dadurch die Hand Anja von Kronsburgs zu erringen. Das Mädchen steckte jetzt in einem Verlies seines Wohnturms und wähnte sich bei den Tataren. Und Eginolf gestand noch mehr. Er gab auch zu, daß nicht Roland der Mörder der jungen Tatarin war, sondern er. Er hatte in der Tat den Verdacht auf den Ritter mit dem Löwenherzen gelenkt, um ihn im Auftrag seines Herrn zu verderben und somit am Herausfinden der Wahrheit zu hindern. Nachdem die Frau seine Worte übersetzt hatte, herrschte
sekundenlang tiefes Schweigen im Zelt. Dann trat Timur auf den Knappen des Freiherrn Helferich zu. Er sagte kein einziges Wort, hob nur die blanke Faust und schlug zu. Eginolf starb, ohne auch nur noch einen einzigen Laut von sich zu geben. Dann beugte sich der Sohn des Khans zu Roland nieder. Eigenhändig löste er seine Fesseln. Die Stricke hatten das Blut in Armen und Beinen des Ritters mit dem Löwenherzen gestaut. Er war nicht in der Lage, sich sofort aus eigener Kraft zu erheben. Aber das machte nichts, denn Timur half ihm auf die Füße. Er umarmte Roland und klopfte ihm auf die Schultern, nicht wuchtig und krachend wie gewohnt, sondern beinahe sanft und liebevoll. »Ugu«, sagte er. * Zum ersten Mal seit Jahren überquerte wieder ein Tatarentrupp den Fluß, der das Reich des Großkhans von den christlichen Ländern trennte. Aber es waren nicht nur Untertanen des Khans, die dem Wohnturm des Freiherrn Helferich entgegensprengten. Auch drei Männer aus dem Abendland waren dabei: der Ritter Roland und seine beiden Knappen Louis und Pierre. Und auch die einzige Frau, die die Männer begleitete, hatte das Licht der Sonne zum ersten Mal auf dieser Seite des Flusses erblickt. Roland fühlte sich so zufrieden wie selten in seinem Leben. Für einen Mann, der bereits mit seinem Leben abgeschlossen hatte, konnte es nichts Schöneres geben, als auf dem Rücken seines Pferdes zu sitzen und frei durch das Land zu reiten. Wenn Roland gewollt hätte, hätte er auch auf einem anderen Pferd reiten können. Timur, den er jetzt mit Fug und Recht als seinen Freund bezeichnen konnte, hatte ihm das beste Tatarenpferd geschenkt, das es in seinem Zeltdorf gab. König Artus würde seine helle Freude daran haben.
Und Timur hatte noch ein übriges getan. Er hatte Roland eingeladen, alsbald zurückzukommen. Dann würde er ihn mit an den Hof des Großkhans, seines Vaters, nehmen, und dort zu seinen Ehren ein Saufgelage veranstalten. Wie es das Tatarenreich noch niemals erlebt hatte. Der Ritter mit dem Löwenherzen blickte diesem Ereignis schon jetzt mit großer Freude entgegen. Aber noch war es nicht soweit. Zunächst galt es, die Grafentochter Anja von Kronburg zu befreien und den Freiherrn Helferich zur Rechenschaft zu ziehen. Und dann tauchte der Wohnturm des schurkischen Adligen am Horizont auf. Er lag auf einem kleinen Hügel und wurde ringsum von einem Wassergraben gesäumt. Der Turm hielt keinen Vergleich mit der Burg des Grafen von Kronburg aus. Er bestand nur aus einem einzigen massiven Gebäude, das jedoch trutzig genug war, um auch einer längeren Belagerung erfolgreich zu widerstehen. Aber Timur und seine Krieger dachten gar nicht daran, eine längere Belagerung vorzunehmen. Sie waren ein Reitervolk und hatten eine ganz besondere Angriffstaktik. Die Abenddämmerung senkte sich über den Turm Helferichs. Roland und die Tataren lagerten am Rande des Hügels, weit genug entfernt, um vor Pfeilschüssen geschützt zu sein. Natürlich war man im Turm längst auf die Reiterschar aufmerksam geworden. Und der Freiherr war sicherlich nicht einfältig genug, um die drohende Gefahr nicht auf Anhieb zu erkennen. Länger und länger wurden die Schatten. Und als die Dämmerung dann in den Abend überging, war der Zeitpunkt des Angriffs gekommen. In mehreren Gruppen sprengten die Belagerer auf den Turm zu. Ein Pfeilhagel jagte ihnen entgegen. Aber die Geschosse konnten keinen Schaden anrichten. Bei den herrschenden Lichtverhältnissen war es nicht möglich, einen gezielten Schuß abzugeben. Ganz nahe waren die Reiter jetzt an das Gemäuer herangekommen. Steinern und scheinbar uneinnehmbar stand der Turm da. Aber er besaß eine Schwachstelle. Das Turmtor bestand aus Holz. Und dieser
Umstand sollte Helferich und den Seinen zum Verhängnis werden. Die Tataren bildeten einen Kreis, der jederzeit in Bewegung war. So schnell die Füße ihrer Pferde sie tragen konnten, jagten die Krieger um den Turm herum. Und jedesmal, wenn einer von ihnen an dem Tor vorbeikam, schleuderte er mit aller Kraft einen Speer gegen die massiven Bohlen, aus denen das Tor bestand. Und die wilden Reiter aus dem Reich des Großkhans verstanden ihr Handwerk. Speer um Speer blieb im Holz haften. Bald schon war das Tor mit Spießen nur so gespickt. Die Verteidiger, die über dem Tor in ihren Schußscharten saßen, konnten nichts dagegen unternehmen. Bald schon waren die Speere im Holz so zahlreich, daß sie bequem als Leitern benutzt werden konnten. Und dann kam der eigentliche Angriff. Die Tataren sprangen aus den Sätteln und stürmten auf das Tor zu. Roland und seine Knappen waren mitten unter ihnen. Schon hatten die ersten von ihnen das Ziel erreicht. Katzengewandt kletterten sie an den Speeren hoch und strebten den Schußscharten der Verteidiger entgegen. Roland hatte eine Burg bisher nie auf diese Weise erstürmt. Aber das nahm ihm nichts von seinem Angriffsmut. Er hatte keine Schwierigkeiten, sich mit Hilfe der Speere schnell nach oben zu arbeiten. Helferich und seine Getreuen verteidigten ihre Stellung so gut, wie sie nur konnten. Sie schleuderten Gesteinsbrocken und siedendes Pech auf die Angreifer hinab. Nicht ohne Erfolg, denn so manch gellender Schrei verriet, daß einige der Tataren getroffen wurden und in die Tiefe stürzten. Aber die Lücken, die dadurch gerissen wurden, waren schnell wieder geschlossen. Roland war einer der ersten, die die Schießscharten erreichten. Mit der Linken hielt er sich an der »Leiter« fest, mit der Rechten schwang er sein Schwert. Zwei Männer verteidigten die Luke, die er sich ausgesucht hatte. Der eine versuchte, ihn mit einer Lanze zurückzustoßen. Aber
Roland gab ihm keine Chance. Mit einem wuchtigen Schwerthieb hieb er die Lanze in zwei Stücke. Der zweite Mann stellte sich ihm mit dem Schwert entgegen. Aber auch er konnte nichts gegen den Ritter mit dem Löwenherzen ausrichten. Roland parierte seine Schläge, ging dann selbst zum Angriff über. Mit kräftigen Hieben drang er auf den Getreuen Helferichs ein. Und sehr bald gelang es ihm, die Deckung des Mannes zu durchbrechen. Ein Stoß, der so schnell war wie der Blitz, und der Mann brach entseelt zusammen. Der Weg war frei! In Sekundenschnelle war Roland in die Schießscharte geklettert. Und schon im nächsten Augenblick befand er sich im Wehrgang des Turms. Mehrere Tataren hatten schon vor ihm das Ziel erreicht. Überall waren heftige Kämpfe im Gange. Kämpfe, die die Getreuen des Freiherrn nicht gewinnen konnten, denn sie waren schnell in der Minderheit. Roland beteiligte sich nicht an dem Handgemenge. Er suchte nur einen: Helferich. Er sah den schurkischen Freiherrn nirgendwo. Aber er konnte sich schon denken, wo der Halunke war. Mit zusammengepreßten Zähnen stürmte er den Wehrgang entlang und erreichte die Treppe, die weiter nach oben, aber auch nach unten führte. Immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, jagte Roland die Treppe hinunter, dorthin, wo die Verliese des Wohntums liegen mußten. Fackeln, die in die Wände eingelassen waren, erhellten sein Weg. Und er hatte richtig vermutet. Auf einmal hörte er Schritte vor sich. Keine Frage, da versuchte noch jemand, hastig nach unten zu gelangen. Roland flog jetzt die Stufen förmlich hinunter. Und wenig später sah er den Mann vor sich. Helferich! Die Absicht des Freiherrn war klar. Jetzt, da er wußte, daß sein Spiel verloren war, wollte er sich retten, in dem er die gefangene
Grafentochter als Geisel nahm. Aber dazu sollte er nicht mehr kommen. Mit einem gewaltigen Satz schloß Roland zu ihm auf. Mit verzerrtem Gesicht drehte sich Helferich zu ihm um. Er sah die Härte in Rolands Augen und wußte, daß er kämpfen mußte. Da er den rechten Arm noch in .der Schlinge trug, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit der linken Hand zu verteidigen. Es wurde der leichteste Zweikampf, den Roland jemals geführt hatte. Helferichs Gegenwehr war kläglich. Roland brauchte nur drei Schwerthiebe, um den Freiherrn zu entwaffnen. Hilflos stand der Schurke vor seinem Bezwinger. Aber er bewies eine Mannhaftigkeit, die ihm Roland gar nicht zugetraut hatte. »Tötet mich!« sagte er und neigte ergeben den Kopf. Aber diesen Gefallen tat ihm Roland nicht. Er wollte der Grafentochter nicht die Befriedigung nehmen, ihren Peiniger auf dem Richtblock sterben zu sehen.
ENDE
In 14 Tagen ist es soweit. Der erste Band von Ekkehart Reinkes großer und langerwarteter Trilogie kommt auf den Markt. Er heißt:
Roland und der
Meuchelmörder
Haggan vom Hörn, so hieß König Artus' gefährlichster Feind. Er war der Anführer einer Raubritter-Bande und kannte nur ein Ziel: Er wollte König Artus töten. - Für ein paar Stunden konnten die königliche Familie sowie die Bediensteten aufatmen, doch ein Haggan vom Hörn fand immer einen Trick, seine Gegner zu überrumpeln, und dann trumpfte er bei einem neuen Angriff nur um so gefährlicher und brutaler auf... Camelot ist verloren! Liebe Leser, holen Sie sich in 14 Tagen den Band 28 der Ritter Roland-Reihe! Er ist der erste Teil einer Trilogie. DM 1,60.