Arne Ernst Rolf-Dieter Battmer Ingo Todt Cochlear Implant heute
Arne Ernst Rolf-Dieter Battmer Ingo Todt
Cochlear Implant heute Mit 30 Abbildungen
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Prof. Dr. med. Arneborg Ernst
Dr. med. Ingo Todt
Unfallkrankenhaus Berlin Direktor der HNO-Klinik Warener Str. 7 12683 Berlin
Unfallkrankenhaus Berlin Oberarzt der HNO-Klinik Warener Str. 7 12683 Berlin
Prof. Dr. rer. nat. Rolf-Dieter Battmer Unfallkrankenhaus Berlin Leiter des Zentrums für klinische Technologieforschung Warener Str. 7 12683 Berlin
ISBN 978-3-540-88235-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2009 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Hanna Hensler-Fritton, Heidelberg Projektmanagement: Ulrike Dächert, Heidelberg Copy-Editing: Hilger Verlagsservice, Heidelberg Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg SPIN: 12438747 Gedruckt auf säurefreiem Papier
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Geleitwort Das 1986 hier bei Springer erschienene erste Buch zum Thema Cochlear Implant (CI) hatte den Hals-Nasen-Ohren-Arzt auf diese damals neue Hilfe für beidseitig Taube aufmerksam und ihn mit der grundsätzlichen Funktionsweise vertraut machen sollen; zugleich wollten wir versuchen, anhand der ersten, beeindruckenden Ergebnisse die bei Kollegen herrschenden Zweifel zu zerstreuen. Über tief greifende Erfahrungen verfügten wir damals noch nicht; sie mussten sich erst ergeben. Zunächst, seit 1984, operierten wir ausschließlich vollständig ertaubte Erwachsene. Würden die Ergebnisse befriedigen und würden sie anhalten? Sie waren überraschend gut und sie blieben gleich oder besserten sich noch über die Zeit. Die Implantate erwiesen sich als zuverlässig und über viele Jahre dauerhaft. Aber würde, wenn einmal eines ausfiele, eine ReOperation möglich sein? Sie erwies sich als möglich, war aber glücklicherweise in nur sehr, sehr wenigen Fällen notwendig und die Patienten hörten wieder wie zuvor. Wir hatten also gelernt, dass sich störende Narben in der Schnecke vermeiden lasen, allerdings wohl nur, wenn die Cochleostomie sehr bedächtig gehandhabt und der Elektrodenträger entsprechend behutsam eingeführt wurde. Dürften wir auch taube Kleinkinder mit dem CI versorgen? Obwohl die Physiologen es für gänzlich aussichtslos hielten, wagten wir es (ab 1988) und sahen auch bei ihnen überraschend gute Resultate – so gute, dass bald mehr Kinder als Erwachsene operiert wurden. Beeindruckt waren wir, als wir schon intraoperativ sahen, dass selbst bei den taub geborenen Kindern der bis dahin nie gebrauchte Stapediusreflex nun über das Implantat auszulösen war – für uns zugleich ein Zeichen dafür, dass das Implantat funktionierte und der Hörnerv intakt war. Durften wir neben den gänzlich Tauben auch Hörrestige mit dem CI versorgen? Diese Frage stellten zunehmend häufiger Eltern und Pädagogen, deren Kinder vom Hörgerät keinen Nutzen erkennen ließen. Als wir deren Drängen schließlich nachgaben, überraschten die Erfolge in doppelter Hinsicht: Die Kinder lernten auffallend rasch zu verstehen und zu sprechen und ganz überraschend zeigte sich außerdem, dass die Hörreste erhalten bleiben können (1992). Damit erweiterte sich die Indikation zum CI ganz wesentlich; allein in Deutschland hat die Zahl der inzwischen mit dem CI versorgten Patienten längst die 10.000-Marke überschritten und sie wächst in jedem Jahr um etwa weitere tausend. Aus nur einer Handvoll interessierter Operateure, Ingenieure und Pädagogen erwuchsen Gemeinschaften mit Hunderten von Mitgliedern und Kongresse mit Tausenden von Teilnehmern. Aus zaghaften Publikationen entstand eine kaum noch übersehbare Fachliteratur. Seit sich also bestätigt hatte, dass das Restgehör trotz intracochleärer Platzierung des Elektrodenträgers nicht verloren gehen muss, ließ sich der Begriff Resthörigkeit zunehmend weiter fassen – zunächst in Richtung hochgradiger Schwerhörigkeit und dann auch extremer Hochtonschwerhörigkeit mit Steilabfall oberhalb 500 Hz. Für die letztgenannten Patienten bahnt sich nun eine Kombination aus Hörgerät (für die tiefen) und Cochlear Implant mit kürzerem Elektrodenträger an (für die mittleren und hohen Frequenzen). Mit dieser Entwicklung parallel verliefen faszinierende Fortschritte in der digitalen Elektronik des Implantats und des Prozessors; die Reizkodierungsprogramme arbeiten jetzt mit mehr als 16.000 gegenüber anfänglich weniger als 1000 Spikes pro Sekunde. Objektive Messdaten erleichtern die pädagogische Nachsorge und dies insbesondere bei den Kindern,
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Geleitwort
die, soweit taub geboren, möglichst schon im ersten oder zweiten Lebensjahr versorgt werden sollten. So hat das Cochlear Implant uns Ohrenärzten die Möglichkeit gegeben, sich auch derjenigen Patienten anzunehmen, denen wir zuvor hilflos gegenüber standen und es hat zugleich – unbeabsichtigt und unerwartet – tief eingegriffen in die Welt der Gehörlosen und Ertaubten. Es ist das Verdienst der Herausgeber und Autoren, hier verschiedene, fachübergreifende Aspekte dieser jüngsten Disziplin der Otologie kritisch beleuchtet zu haben – jetzt aus der Sicht einer bis zu 20-jährigen Erfahrung. Ernst Lehnhardt Hannover, im Herbst 2008
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Vorwort Das jetzt vorliegende Buch ist Ausfluss eines Festsymposiums, das anlässlich des 10-jährigen Bestehens des CI-Programms der HNO-Klinik im ukb (Unfallkrankenhaus Berlin) im Herbst 2007 veranstaltet wurde. Dabei wurden von namhaften, im Buch mit einzelnen Beiträgen vertretenen Fachreferenten ein Blick zurück auf die Entwicklung der CI-Programme und der Blick nach vorne in die nahe und fernere Zukunft der Rehabilitation von hochgradig schwerhörigen und tauben Patientinnen und Patienten jeglichen Alters geworfen. Ernst Lehnhardt aus Hannover hatte mit Rolf Battmer seinerzeit Anfang der 80er Jahre richtungsweisend den klinischen Teil der CI-Entwicklung in die Praxis gebahnt und wenig später gelang es Bodo Bertram, im CIC »Wilhelm Hirte« die Grundlagen der (Re)Habilitation zu legen. Aus gegebenem Anlass hatten wir zu unserem Festsymposium auch die Berliner und die Brandenburger Landespolitiker eingeladen. Frau Senatorin Lompscher (für Berlin) und Frau Ministierin Ziegler (für Brandenburg) hoben die Bedeutung der neuzeitlichen Rehabilitation unserer Patienten mit der klinisch-chirurgischen Arbeit im ukb und der (Re)Habilitation im Hörtherapiezentrum Potsdam (HTZ) für eine länderübergreifende, dem Wohle der Patienten dienenden Zusammenarbeit hervor. Wir freuen uns deshalb besonders, dass aus gegebenem Anlass dieser kleine Leitfaden für Patienten, deren Angehörige, Interessierte aller Berufs- und Fachgruppen entstanden ist. Mit Hilfe des Springer-Verlages soll an dieser Stelle ein weiterer, kleiner Meilenstein auf dem weiteren, bislang schon höchst erfolgreichen Weg der CI-Versorgung gesetzt werden! Wir bedanken uns an dieser Stelle bei den Autoren für Ihre Zuarbeit, bei der DCIG und unserer auf lokaler Ebene tätigen Gesellschaft für Integrative Hörrehabilitation (GIH) für die jahrelange, vertrauensvolle Zusammenarbeit und wünschen dem Buch eine möglichst weite Verbreitung!
Arne Ernst Rolf-Dieter Battmer Ingo Todt Berlin, im Herbst 2008
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Inhaltsverzeichnis 1
25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven: Indikationserweiterung, Reliabilität der Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Rolf-Dieter Battmer Indikation zum Cochlear-Implantat . . . . . . . . . . . . Zuverlässigkeit der Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technologische Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . . . Operationstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systemanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilaterale Versorgung und elektroakustisches Hören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
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Subjektive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Objektive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Bildgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Promontorialtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Geschmack. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Bilaterale Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Weiteres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
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Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 M. Ptok Formen der Hörstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Hören als komplexer Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Schallleitungsschwerhörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Schallempfindungsschwerhörigkeit . . . . . . . . . . . 14 Genetische Hörstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Syndromale und nichtsyndromale Hörstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Schweregrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Erkennung von Störungen des Schalltransports bis zum Trommelfell . . . . . . . . . . . . . . . 18 Erkennung von mittelohrbedingten Schwerhörigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Erkennung von cochleären Schwerhörigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Subjektive Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Auswertmodi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Auswahl eines adäquaten Hörprüfverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Objektive Hörtests. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Untersuchungen der zentralen Hörbahn . . . . . . 23
Cochlear-Implant-Voruntersuchungen . . . . 27 I. Todt
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Perioperatives Monitoring objektivaudiologischer Daten im Rahmen der Cochlear-Implant-Versorgung . . . . . . . . . . . . 31 D. Basta Erste Funktionsprüfung – die Messung der Elektrodenwiderstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Elektrisch evozierter Stapediusreflex . . . . . . . . . . 32 Bestimmung des elektrischen Dynamikbereichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Funktionsprüfung der aufsteigenden Hörbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Monitoring der Elektrostimulation in der Cochlea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Objektivierung von postoperativen Beschwerdebildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
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Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation . . . . . . . . . . . . 39 A. Aschendorff, K. Gollner, W. Maier, R. Beck, T. Wesarg, S. Kröger, S. Arndt, R. Laszig Zur Indikation der Cochlear-ImplantVersorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Das Alter bei Cochlear-Implant-Operation. . . . . 40 Zur Entwicklung der Implantate aus chirurgischer Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
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Inhaltsverzeichnis
Chirurgischer Zugang zum Cochlear Implant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Elektroakustische Stimulation, HybridCochlear-Implant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Qualitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
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Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur CochlearImplant-Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 A. Ernst, I. Todt Der Beginn der Cochlear-Implant-Chirurgie . . . 47 Standardisierung der Operationstechnik . . . . . . 49 Chirurgische Spezialversorgung bei Begleiterkrankungen des Ohres und des Felsenbeins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Minimal-invasive Cochlea-Implant-Chirurgie . . 51 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
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Bilaterale CI-Versorgung heute . . . . . . . . . . . 53 T. Steffens Die Vorteile des binauralen Gehörs. . . . . . . . . . . . 53 Der Schallschatten des Kopfes . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Neurophysiologische Effekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Untersuchung zum Hörvorteil sequentiell bilateral implantierter Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Sozialrechtliche Grundlagen und medizinische Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Sozialrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Medizinische Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
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Gründe der Gehörlosen gegen das CI . . . . . . . . . 68 Vergleich der CI-Versorgung von Kindern hörender Eltern mit der von hörgeschädigten Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Hörende Eltern und CI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Hörgeschädigte Eltern und CI. . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Zufriedenheit der Eltern mit der CochleaImplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Probleme im Rehabilitationsprozess . . . . . . . . . . 70 Abschließende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 A. Leonhardt Der Weg zum CI für prälingual gehörlose Kinder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Gehörlose Eltern und CI-Kinder? . . . . . . . . . . . . . . 64 Hintergründe der Forschungsaktivitäten . . . . . . 65 Forschungsfragen und Forschungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Teilnehmer der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Ausgewählte Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Pro und Contra Cochlea-Implantat . . . . . . . . . . . . 66 Das soziale Umfeld – Reaktionen Gehörloser und der Gehörlosengemeinschaft. . . . . . . . . . . . . 68
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Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 T. Ringhut 20 Jahre CI- Selbsthilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 CI-Selbsthilfe heute – selbstbewusst und sichtbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Förderung von CI-Trägern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Information und Öffentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . 74 Hand in Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Vernetzung und Kooperation – Aufgaben für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
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Autorenadressen PD Dr. Antje Aschendorff
Tanja Ringhut
Universität Freiburg HNO-Klinik, Sektion Cochlear Implant Killianstr. 5 79106 Freiburg
Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V. Geschäftsführerin Rosenstr. 6 89257 Illertissen
Dr. rer. nat. Dietmar Basta
Dipl.-Ing. Thomas Steffens
Unfallkrankenhaus Berlin Funktionsdiagnostiker der HNO-Klinik Warener Str. 7 12683 Berlin
Universität Regensburg HNO-Klinik, Audiologie Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensbrug
Prof. Dr. rer. nat. Rolf-Dieter Battmer
Dr. med. Ingo Todt
Unfallkrankenhaus Berlin Leiter des Zentrums für klinische Technologieforschung Warener Str. 7 12683 Berlin
Unfallkrankenhaus Berlin Oberarzt der HNO-Klinik Warener Str. 7 12683 Berlin
Prof. Dr. med. Arneborg Ernst Unfallkrankenhaus Berlin Direktor der HNO-Klinik Warener Str. 7 12683 Berlin
Prof. Dr. Dr. Ernst Lehnhardt Siegestr. 15 30175 Hannover
Prof. Dr. habil. Annette Leonhardt Ludwig-Maximilians-Universität München Abteilung für Präventions-, Integrations- und Rehabilitationsforschung Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik Leopoldstr. 13 80802 München
Prof. Dr. Martin Ptok Medizinische Hochschule Hannover Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie Carl-Neuberg-Str. 1 30625 Hannover
1 25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven: Indikationserweiterung, Reliabilität der Systeme Rolf-Dieter Battmer
Taubheit oder extreme Schwerhörigkeit ist auch in der heutigen Gesellschaft ein kaum zu überwindendes Hindernis für den Betroffenen. Die fehlende Möglichkeit, akustische Informationen auszuwerten, hat auf die zwischenmenschlichen Beziehungen entscheidenden Einfluss und führt in den meisten Fällen sogar zur Isolation. Noch bis vor wenigen Jahren konnte solchen Menschen nicht geholfen werden; ihre Verständigung war im günstigsten Fall auf das Lippenlesen beschränkt oder aber führte bei angeborener Taubheit zur Ausbildung einer eigenen Kommunikationsform, der Gebärdensprache, die von der normalhörenden Umwelt nicht verstanden wird. Diese für den Tauben scheinbar aussichtslose Situation hat sich durch die Entwicklung der elektronischen Innenohrprothese – dem Cochlea-Implantat (CI) – entscheidend verbessert. Bereits vor mehr als fünf Jahrzehnten konnten Djourno u. Eyriés (1957) den Nachweis erbringen, dass mittels direkter elektrischer Reizung des Hörnervs Hörempfindungen ausgelöst werden können. Diese Erkenntnis führte in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zur Konzeption und Konstruktion unterschiedlicher Implantatsysteme, mit
denen inzwischen weltweit mehr als 120.000 Menschen versorgt sind. Unter den vielen Pionieren des Cochlear-Implantats sind insbesondere zwei zu nennen, ohne dabei andere Forscher herabwürdigen zu wollen. William House in Los Angeles ist es wesentlich zu verdanken, dass das CI von der Forschung in die klinische Routine eingeführt wurde und so den Tauben unmittelbar zugute kam (House u. Urban 1973). Graeme Clark in Melbourne hat sich mit Akribie und Ausdauer über mehr als 40 Jahre mit allen Aspekten des CI beschäftigt und kann zu Recht als Vater des Nucleus-Implantats angesehen werden (Clark et al. 1977; ⊡ Abb. 1.1). Cochlear Implant in Deutschland ist untrennbar mit dem Namen Ernst Lehnhardt verbunden (Lehnhardt et al. 1986; ⊡ Abb. 1.2). Ihm gelang es, mit dem in Australien entwickelten Nucleussystem eine nunmehr bundesweite klinische Versorgung zu initiieren, die auch im europäischen Ausland ihre Verbreitung fand. 1984 wurden erstmals vier Patienten mit diesem System in Hannover versorgt; inzwischen sind daraus fast 4000 geworden. Mit Bedacht hatte Lehnhardt das Nucleussystem gewählt; erfüllte es doch erstmalig die schon von Zöllner und Keidel 1963 postulierten Mindestanforderungen: Lage der Reizelektroden in der
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Kapitel 1 · 25 Jahre Cochlear-Implantat in Deutschland – eine Erfolgsgeschichte mit Perspektiven
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⊡ Abb. 1.1. Prof. Graeme Clark, »Vater« des Nucleusimpantats. Emeritierter Direktor der HNO-Klinik und Leiter des »Bionic Ear Institute« der Universität Melbourne, Australien
Scala tympani, mehrkanaliges System, Betonung der Ortskodierung und transkutane Übertragung von Signal und Energie (⊡ Abb. 1.3). Die systematische Verbesserung von Operationsverfahren und Implantattechnologie hat erhebliche Implikation auf die Indikation zur Implantation und damit auf das Patientenklientel: So steigt beispielsweise der Anteil der Kleinstkinder unter einem Lebensjahr und die Zahl der Patienten mit erheblicher Resthörigkeit stetig. Die beidseitige (bilaterale) Versorgung wird ebenso wie die kombinierte Nutzung von Hörgerät und CI auf der gleichen Seite untersucht. Neue modiolusnahe intracochleäre Elektroden sowie komplexere und schnellere elektrische Stimulationsmuster (Sprachverarbeitungsstrategien) haben zu deutlichen Verbesserungen des Sprachverstehens insbesondere im Geräusch geführt. Objektive Messverfahren sollen helfen, die individuelle Einstellung von Sprachprozessoren zu vereinfachen. Dieses sind sicher nur einige, aber unseres Erachtens wesentliche Aspekte, die die Cochlear-Implant-Versorgung heute charakterisieren. Die Forschung um das CI ist ein Prozess mit großer Dynamik; entsprechend schnell verändern sich Anschauungen und Erkenntnisse. Eine »Erfolgsgeschichte« kann daher nur einen Ausschnitt aufzeigen
Indikation zum Cochlear-Implantat ⊡ Abb. 1.2. Prof. Dr. Dr. Ernst Lehnhardt, emeritierter Direktor der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover
⊡ Abb. 1.3. Das erste kommerzielle Nucleussystem 1981. 1984 wurde dieses CI erstmals in Europa an der HNO-Klinik der MHH durch Prof. Lehnhardt implantiert
Ein Cochlear-Implantat ist indiziert, wenn bei funktionsfähigem Hörnerv eine reine cochleäre hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vorliegt. Während in der Frühzeit der CIVersorgung nur postlingual ertaubte Erwachsene berücksichtigt wurden, werden seit langem Kinder – in jüngster Zeit auch Klein- und Kleinstkinder – implantiert. Dies lässt sich eindrucksvoll anhand der Implantationszahlen der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover nachweisen. Der Anteil der implantierten Kinder beträgt seit 1991 relativ konstant 55–60%. In den letzten Jahren hat sich das Implantationsalter deutlich nach unten bewegt – das jüngste implantierte Kind in unserer Klinik war erst 4 Monate alt. Es gibt eine Reihe von Argumenten, die eine Implantation im frühen Kindesalter unterstützen. Das wichtigste ist vielleicht, dass je früher der auditorische Input (wieder)hergestellt wird, desto besser lernt das
3 Zuverlässigkeit der Systeme
Kind, diesen zu nutzen. Während früher eine zu lange Zeit bis zur Entdeckung einer Schwerhörigkeit oder Taubheit im Kindesalter verstrich, hat sich dies durch das Einführen des NeugeborenenHörscreenings deutlich verbessert. Wenn auch mit objektiven audiologischen Messmethoden eine geringe Resthörigkeit nicht völlig auszuschließen ist, so kann ein Hörgeräteversuch, der bei Kleinkindern obligatorisch sein sollte, bereits im 1. Lebensjahr abgeschlossen sein und bei negativem Ergebnis frühzeitig zu einer Indikation zum CI führen. Nicht zuletzt soll an dieser Stelle auch auf die Implikation einer frühen CI-Versorgung in Hinblick auf eine Kosten-Nutzen-Analyse hingewiesen werden, die einen deutlichen Vorteil für die Implantation in den ersten zwei Lebensjahren aufweist (Schulze-Gattermann 2002). Bedingt durch die positiven Ergebnisse mit technisch verbesserten Implantatsystemen wurde die Indikation in Hinblick auf Resthörigkeit auch bei den Erwachsenen ausgeweitet. Die Beurteilung beruht dabei im Wesentlichen auf dem Sprachaudiogramm. Als Grenzwerte gelten heute allgemein ≤ 30% Verständlichkeit im Freiburger Einsilbertest und/oder ≤ 50% im HSM-Satztest (Leitlinie »Cochlear-Implant Versorgung einschließlich auditorisches Hirnstammimplantat« 2002). Diese Grenzen ergeben sich aus den Resultaten, die im Mittel heute von CI-Patienten erreicht werden (Ruh et al. 1997). Auch Missbildungen und Obliterationen der Schnecke können mit Hilfe von Spezialimplantaten und einer besonderen Operationstechnik versorgt werden und gelten wie auch die Mehrfachbehinderung keineswegs mehr als kontraindiziert. Bei der Zusatzbehinderung gilt es insbesondere, den individuellen Fall zu betrachten und aufgrund der Art und Schwere eine Indikationsstellung vorzunehmen.
Zuverlässigkeit der Systeme Das folgenschwerste technische Problem bei der CI-Versorgung ist der Implantatausfall. Es wird verständlicher, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass Cochlea-Implantate technische Systeme sind. Diese können trotz aller Kontrolle fehlerhaft sein, Fehler entwickeln oder ganz ausfallen. Darü-
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ber muss und wird jeder Patient (oder die Eltern von CI-Kindern) vor der Implantation aufgeklärt. Neue Implantatsysteme werden zunächst immer mit Erwachsenen getestet, um möglichen Schaden zu begrenzen und um ein möglichst umfangreiches Feedback zu erhalten. Die entscheidenden Ursachen von Implantatausfällen wurden allerdings erst bei der Versorgung von Kindern entdeckt (Beispiele: Nucleus – Antennenbrüche, Clarion – Gehäusebrüche) und waren zumeist Folge des unterschiedlichen Verhaltens von Erwachsen und Kindern. Ein Implantatausfall lässt sich folgendermaßen definieren: Das Implantat kann die spezifizierte Funktion nicht mehr ausführen, wobei sich der Ausfall abstufen lässt in einen totalen Ausfall, der den kompletten Verlust des klinischen Nutzens zur Folge hat, und in Abweichungen von den technischen Spezifikationen, die nicht zum Verlust des klinischen Nutzens führen. Für die Verifizierung eines Implantatausfalls sind heranzuziehen: ▬ die Telemetrie des Implantats, mit der Elektrodenimpedanzen und elektrische Schaltkreise getestet werden, und ▬ der Integritätstest (Battmer et all. 1994), bei dem durch Ableitung von Oberflächenpotentialen die Gesamtfunktion des Implantats überprüft wird. Schließlich müssen ggf. medizinische Ursachen abgegrenzt werden, wobei mittels elektrisch evozierter Potentiale (E-Bera) und Stapediusreflexmessung Aussagen über die Funktion der weiterführenden auditorischen Bahnen getroffen werden können. Diese verschiedenen Methoden erfordern neben qualifiziertem Personal auch einen erheblichen apparativen Aufwand. Insbesondere die Überprüfung der Funktion der nachgeschalteten auditorischen Bahnen kann nicht durch die Hersteller geleistet, sondern muss von der implantierenden Klinik durchgeführt werden. Ein Maß für die Zuverlässigkeit von Implantaten ist die »kumulative Überlebensrate (CSR)«. Sie gibt an, wie groß prozentual die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Implantat einen Zeitpunkt x nach der Implantation funktionstüchtig erreicht
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(ISO 5841/2-2000) und beruht damit auf der Zahl defekter Implantate pro Zeiteinheit. CSR verbindet die beiden beeinflussenden Parameter: Zeit des Ausfalles nach Implantation und prozentuale Ausfallrate eines bestimmten Modells. Das Maß wurde bereits länger von der Herzschrittmacherindustrie verwendet und wurde erstmalig 1991 durch E. v. Wallenberg für CI eingeführt (von Wallenberg et al. 1993). Überlebensraten bei modernen Implantaten liegen zwischen 95 und 100%. Die Berechnung der CSR-Werte beruht auf der Zahl ausgefallener Implantate und ist damit von der Definition eines Implantatausfalls abhängig. Um zu erreichen, dass diese seitens der Hersteller einheitlich Verwendung findet und damit zu vergleichbaren CSR-Raten führt, hat sich eine internationale Gruppe von Professionals (Global Consensus Group on Cochlear Implant Reliability) zusammengefunden, die inzwischen eine solche Definition erarbeitet hat. Das Ergebnis dieser Arbeit wird demnächst publiziert werden.
Technologische Verbesserungen Operationstechnik Seit ihrer Einführung unterliegt die Versorgung mit Cochlea-Implantaten kontinuierlich technologischen Verbesserungen. Dieses gilt für die Operationstechnik ebenso wie für die Hardwarekomponenten sowie für die Anpass- und Betriebssoftware. Die technologischen Möglichkeiten der CI-Systeme haben mit größerer Verbreitung zugenommen, um den gestiegenen Anforderungen der Patienten und Wissenschaftler gerecht zu werden. Mit wenigen Ausnahmen (z. B. Banfai 1979) wurde bereits in den frühen achtziger Jahren die intracochleäre Platzierung des Elektrodenbündels favorisiert (z. B. House 1982; Clark et al. 1979; Lenarz 1998). Um die Elektrode dorthin zu bekommen, bedarf es einer konventionellen Mastoidektomie mit anschließender posteriorer Tympanotomie. Die Elektrode wird schließlich über eine Cochleostomie anteroinferior zum runden Fenster in die Scala tympani eingeführt. Der Implantatkörper wird im Mastoidknochen versenkt, wobei bei Kindern evtl. der Knochen bis auf die Dura abge-
tragen werden muss. Ein Knochenkanal bis zum Kortikalisüberhang schützt den Elektrodenträger gegen mechanische Kräfte. Diese Vorgehensweise mit kleinen Unterschieden ist heute allgemein anerkannt und hat sich in den letzten 10 Jahren nur geringfügig verändert. Wichtige Voraussetzung für eine intracochleäre Vorgehensweise ist die Beschaffenheit des Elektrodenträgers. Er soll einerseits leicht und schonend zu inserieren sein, er muss aber auch, z. B. bei einem möglichen Systemausfall, ebenso leicht wieder entfernt werden können. Zudem wird eine modioliusnahe Lage in der Scala tympani bevorzugt, um mit geringen Strömen möglichst effektiv elektrisch zu reizen. Als Beispiel einer solchen Elektrode sei die Nucleus-Contour-Elektrode genannt – eine vorgeformte Elektrode, die zur Einführung mittels eines Drahts, dem sog. Stilett, gerade gehalten wird. Nach der Einführung wird das Stilett entfernt, die Elektrode nimmt ihre gekrümmte Form ein und nähert sich so dem Modiolus. Modifiziert gerade in letzter Zeit wurde der Hautschnitt. Während die neunziger Jahre noch geprägt waren durch einen umfangreichen J- oder C-förmigen Schnitt, neigt man heute zur Anlage einer möglichst kleinen Inzision, insbesondere bei der Versorgung von Kleinstkindern. Diese Methodik, die dem Chirurgen deutlich mehr an operativem Geschick abverlangt, bedeutet für den Patienten eine erheblich schonendere Operation mit entsprechend geringeren Nachwirkungen und geringeren postoperativen Komplikationsraten. Für weitere und detailliertere Informationen über die Operationstechnik sei auf Kap. 5, »Technologischchirurgischer Fortschritt bei der Cochlear-Implantation« von Frau Professor A. Aschendorf in diesem
Buch, verwiesen. Die Versorgung von Patienten mit Teilobliteration oder Missbildungen der Schnecke ist heute dank einer speziellen Operationstechnik, bei der eine zweiteilige Elektrode verwendet wird, erfolgreich möglich. Dabei wird jeweils ein Elektrodenträger in die basale und einer in die zweite Windung der Schnecke eingebracht (Lenarz et al. 2001). Eine weitere wichtige Neuerung ist die Möglichkeit der intraoperativen Funktionskontrolle des Implantats. Mittels Telemetrie lassen sich – zumindest bei drei der vier zurzeit kommerziell erhältlichen
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⊡ Abb. 1.4. Das zurzeit aktuelle Nucleus-»Freedom«-System
Implantate – die Impedanzen der Elektroden messen. Damit ist nicht nur die Funktion des Implantats, sondern auch die Integrität der Elektrodenkontakte gewährleistet. Die Funktion der peripheren Hörbahn lässt sich ebenfalls bereits intraoperativ über das Implantat mittels der Ableitung von Nervenaktionspotentialen (Neural Response Telemetry, NRT, bzw. Neural Response Imaging, NRI) überprüfen. Neben der Funktionalitätskontrolle werden mittels der NRT-Schwellen auch objektive Daten gewonnen, die für die spätere Anpassung des Sprachprozessors verwendet werden können (Brown et al. 2000). Auch die intraoperativ registrierte Stapediusreflexschwelle lässt sich zu diesem Zweck verwenden und wird daher bei allen unseren Operationen bestimmt (Battmer et al. 1990).
Systemanpassung Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation nach einer Cochlea-Implantation ist die individuelle Anpassung des Sprachprozessors. Sie wird auch heute noch überwiegend subjektiv durchgeführt und verlangt von Untersucher und Patienten ein hohes Maß an Kooperation und Konzentration.
Die Anpassung des Sprachprozessors unterscheidet sich bei Erwachsenen und Kindern deutlich im methodischen Verfahren. Bei Erwachsenen liegt die Vorgehensweise mehr auf rationaler Ebene; es kann auf ihre Hörerfahrung und ihre Fähigkeit, sprachlich exakte Angaben zu machen, zurückgegriffen werden. Besonders bei sehr kleinen Kindern ist dieses nicht möglich. Daher ist hier die Anpassung geprägt durch ein spielerisches Gestalten und durch das Beachten der individuellen altersbedingten Besonderheiten. Es ist zu bedenken, dass Kooperationsbereitschaft und Aufmerksamkeit der Kinder starken Fluktuationen unterliegen und die aktuelle Befindlichkeit einen erheblichen Einfluss auf den Ablauf der Anpassung ausübt. Das Ziel der Erstanpassung bei Erwachsenen besteht zunächst darin, eine möglichst große Anzahl von Elektroden zu aktivieren – bei guter Kooperation des Patienten sofort alle verfügbaren. Damit wird das individuelle Hörfeld erfasst und Höreindrücke können darin adäquat abgebildet werden. Aus diesen Daten wird – mittels des Computers – ein Sprachprozessorprogramm erstellt, mit dem der Patient sofort hören kann. Die Anzahl der angepassten Elektroden bei Kindern ist abhängig
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von ihrer Bereitschaft mitzuarbeiten. Bei Erwachsenen ist ein schnelles Vorgehen möglich, da mit den oben genannten Schwierigkeiten kaum zu rechnen ist. Das Ziel der Erstanpassung bei Kindern besteht daher primär in der Akzeptanz des angeschalteten Sprachprozessors in alle Wachstunden. Mit steigender Implantationszahl und immer jüngeren Kindern, aber auch zur Verkürzung des Prozedere wird intensiv versucht, objektiv, zumeist bereits intraoperativ ermittelte Daten für die Anpassung zu verwenden. Hier bieten sich insbesondere die intra- und postoperativ über das Implantat messbaren Aktionspotentiale an (Brown et al. 2000). Allerdings ist es bisher nicht gelungen, diese Messergebnisse eindeutig entweder der elektrischen Hör- oder Unbehaglichkeitsschwelle zuzuordnen. Vielmehr scheint die Verwendung der intraoperativ ermittelten Stapediusreflexschwelle als annäherndes Äquivalent zur Unbehaglichkeitsschwelle, wie bereits von uns vor längerer Zeit beschrieben (Battmer et al. 1990), die beste objektive Annäherung darzustellen.
Sprachverarbeitung Obwohl die genaue Art der Sprachkodierung im Innenohr noch immer nicht komplett bekannt ist, besteht kein Zweifel an einer Zeit- und einer Ortskodierung. In der Einzelfaser des Hörnervs werden Lautstärke und auch Frequenz durch die Folgerate der Spikes kodiert, die Tonhöhe durch die Zuordnung zum jeweiligen Bereich der Basilarmembran. Dieses scheinbar eindeutige Prinzip wird jedoch insofern durchbrochen, als Lautstärke auch durch Zuschaltung benachbarter Nervenfasern verschlüsselt werden kann. Auf der Basis dieser physiologisch bedingten Tatsache entstand eine Reihe unterschiedlicher Sprachverarbeitungsstrategien, die sich im Wesentlichen durch ihre verschiedenen Reizformen (pulsatil oder analog) und dem zeitlichen Auftreten dieser Reize (gleichzeitig oder nacheinander) unterscheiden. Eine der wichtigsten davon ist die von Wilson et al. (1993) entwickelte »Continous Interleaved Sampling«(CIS)-Strategie. Charakteristikum dabei ist, dass zeitlich nacheinander auf jedem vorhandenem Kanal ein Puls ausgelöst wird. Da die Pulse un-
mittelbar aufeinander folgen, wird die Reizfolgerate durch die Pulsdauer bestimmt – je kürzer die Pulse, desto schneller der Ablauf. Die Technik außerhalb des Labors ließ lange Zeit nicht zu, dass sehr schnelle Reizfolgeraten an einem größeren Patientenkollektiv untersucht werden konnten. Das hat sich mit Einführung des neuen Clarion-HiRes90KImplantats geändert; zumindest theoretisch können damit Folgeraten von bis zu 90.000 Pulsen/s (pps) als Summenrate erreicht werden. Als Ergebnis zeigte sich, dass eine Gruppe von Patienten einen deutlichen Zugewinn an Verständnis mit diesen höheren Raten erreichte; ein statisch signifikanter Unterschied zwischen den Programmen mit unterschiedlich hohen Reizraten fand sich nicht. In jüngster Zeit wurde von Nogueira et al. (2007) ein Sprachalgorithmus auf der Basis des psychoakustischen Maskingeffekts konzipiert. Diese Strategie basiert auf einer auch bei MP3-Spielern verwendeten Datenreduktion, die nur solche Frequenzen berücksichtigt, die auch im Normalfall vom auditorischen System weitergeleitet werden. Die Reduktion erfolgt etwa in einem Verhältnis 1:10. Das bedeutet einerseits eine Verminderung des Strombedarfs, andererseits wird erwartet, dass das Sprachgehör insbesondere im Geräusch eine Verbesserung erfährt. Inzwischen wird eine europäische multizentrische Studie durchgeführt, um den Nutzen der »MP3000«-Strategie nachzuweisen.
Bilaterale Versorgung und elektroakustisches Hören Eine weitere Möglichkeit, das Sprachverstehen deutlich zu verbessern, ist die Versorgung von CI-Patienten mit zwei Implantaten. Das erscheint insbesondere im frühen Kindesalter von Bedeutung, um das Ausbilden eines binauralen auditorischen Systems zu ermöglichen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass nur innerhalb eines gewissen Zeitfensters eine solche Bahnung möglich ist. Daher sollten alle Kleinkinder heute bilateral versorgt werden. Der Nutzen zweier Implantate ist bereits seit langem bei postlingual ertaubten Erwachsenen nachgewiesen worden. Dabei konnten beim Sprachverstehen im Geräusch und insbesondere beim Richtungs-
7 Technologische Verbesserungen
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Cochlear Implant (hohe Frequenzen)
Sprachprozessor
Im-OhrHörgerät (tiefe Frequenzen, Restgehör)
⊡ Abb. 1.6. Beispiel einer Elektrode für die elektroakustische Stimulation. Die in Hannover zusammen mit der Fa. Cochlear entwickelte Hybrid-L-Elektrode im Vergleich zur ContourAdvance Standardelektrode
hören deutliche Verbesserungen registriert werden (Müller et al. 2002; van Hoesel et al. 1999). Für ausführliche Information zur bilateralen Implantation sei auf das Kap. 7, »Bilaterale CI-Versorgung heute« von T. Steffens in diesem Buch, verwiesen. Ein weiterer interessanter Ansatz für die Verbesserung des Hörvermögens einer bestimmten Gruppe von Patienten ist die sog. »Elektroakustische Stimulation (EAS)«, bei der Patienten mit gut erhaltenem Restgehör im Tieftonbereich zu ihrem Implantat auf dem gleichen Ohr zusätzlich ein Hörgerät nutzen (⊡ Abb. 1.5). Diese von v. Ilberg et al. (1999) initiierte Methode der »bimodalen Versorgung« erfordert den Erhalt des Restgehörs bei der CI-Operation. Vorteile einer solchen Versorgung werden darin gesehen, dass das CI nicht in der Lage ist, Frequenzen unterhalb 250–300 Hz zu übertragen. In den Frequenzen unterhalb dieser Grenze sind aber
⊡ Abb. 1.5. Prinzip der elektroakustischen Stimulation (EAS). Der taube Hochtonbereich wird durch das Cochlea-Implantat elektrisch stimuliert, während das Restgehör im Tieftonbereich durch ein Hörgerät verstärkt wird
durchaus Informationen, die zum Sprachverstehen und zum Musikhören beitragen. Zudem könnte der Erhalt von Haarzellen sich insgesamt für das periphere auditorische System positiv auswirken, da dort neurotrophine Faktoren produziert werden, die neuronale Prozesse im peripheren auditorischen System unterstützen. Mehrere Studien wurden zu diesem Thema bisher durchgeführt: Zu nennen sind dabei die Studie von Gantz et al. (2005) in den USA, der zunächst mit einer 6 mm, dann mit einer 10 mm langen Elektrode und 6 Elektrodenkontakten sehr gute Resultate bei der Hörerhaltung erzielte (im Mittel nur ~10 dB Verschlechterung prä- zu postoperativ); weiterhin die Frankfurter Studie von Gestöttner et al. (2004) mit verschieden langen Med-ElElektroden, bei der bei ca. 70% der Patienten eine Hörerhaltung mit im Mittel 20 dB zusätzlichem Hörverlust zu registrieren waren, und schließlich die multizentrische europäische Studie von James et al. (2005), bei der eine herkömmliche NucleusContourelektrode verwendet wurde. Hier war die Erhaltung des Resthörvermögens bei weniger als 70% der Patienten möglich; der mittlere zusätzliche Hörverlust betrug 30 dB. In jüngster Zeit wurde in Kooperation mit Cochlear Ltd. eine weitere Studie mit einer speziell konzipierten Elektrode (Hybrid-L) in Hannover initiiert (Lenarz et al. 2006). Diese ist 16 mm lang, verfügt über 22 Elektrodenkontakte und ist so dünn, dass sie über das runde Fenster inseriert werden kann (⊡ Abb. 1.6). Die Ergebnisse der ersten 30 Patienten sind sehr ermutigend; bei mehr
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als 90% konnte das Resthörvermögen mit nur im Mittel 10 dB Verschlechterung der Tonschwelle postoperativ erhalten werden. Die Sprachtestergebnisse zeigen eine statistisch signifikante Verbesserung, wenn Hörgerät und CI zusammen verwendet werden, gegenüber nur einem Hörsystem allein. Inzwischen befindet sich die Elektrode in einer europäischen multizentrischen Studie; es bleibt abzuwarten, ob die Hannoverschen Ergebnisse reproduziert werden können.
Fazit Die Zukunft des Cochlear-Implants liegt zweifellos in der Nutzung neuer technologischer Entwicklungen. Das bezieht sich wesentlich auf die Elektronik mit der Verwendung kleinerer, höher integrierter und stromsparender Schaltkreise. Damit lassen sich beispielsweise noch schnellere und komplexere Sprachverarbeitungsstrategien realisieren. Ein geringerer Strombedarf würde auch bedeuten, dass ggf. kleinere Batterien oder Akkus verwendet werden könnten, so wie es heute bereits seit langem in der Hörgerätetechnik üblich ist. Eine weitere Miniaturisierung sowohl der Implantate als auch der Sprachprozessoren bis hin zu einem total implantierbaren System könnte dadurch erreicht werden. Die steigende Anzahl an implantierten Patienten ermöglicht es auch, dass weltweit an verschiedenen Orten mit Hilfe von psychophysikalischen Untersuchungen und Sprachtestverfahren neue Wege zur Verbesserung des Sprachverstehens beschritten werden können. Eine Tendenz geht hier zur Verwendung immer höherer Reizraten, um eine mehr stochastisch verteilte Erregung auf den Nervenfasern – so wie sie auch beim Normalhörenden zu messen ist – zu erreichen. Bilaterale Versorgung wie auch das elektroakustische Hören gewinnen an Bedeutung – es bleibt abzuwarten, ob, wie in der Hörgeräteversorgung, die bilaterale Implantation zum Regelfall wird. Nicht zuletzt soll darauf hingewiesen werden, dass mit den heutigen technischen Möglichkeiten der Implantate auch die individuelle Anpassung an den Patienten verbessert werden kann. Die intraoperative Ermittlung des Aktionspotentials mit Hilfe von intracochleären Elektroden (NRT, NRI) ist sicher ein Weg,
um die elektrischen Hörschwellen zu bestimmen, aber auch, um die Wahl der Elektrodenkontakte für das Sprachprozessorprogramm objektiv zu unterstützen. Ein Ansatz zur objektiven Ermittlung der Unbehaglichkeitsschwellen liegt ferner in der konsequenteren Nutzung intraoperativ ermittelter Stapediusreflexe. Entsprechende Algorithmen zur Berechnung der C-Level ließen sich in Sprachprozessoren oder Anpasssystemen integrieren. Verbesserungswürdig ist auch die Zuverlässigkeit der Implantate und im Besonderen auch die offene Kommunikation von Ausfällen. Hier müssen wir Anwender die Hersteller unter Vorgabe der Randbedingungen zu einem offeneren Dialog hin bewegen – zum Wohle unserer Patienten und im Interesse einer korrekten Aufklärung. Diese wenigen und zum Teil auch nur spekulativen Bemerkungen zur Zukunft sollen vermitteln, dass Cochlear-Implantate noch lange nicht vollkommen sind. Vielmehr ist zu erwarten – und zum Wohl der unzähligen Tauben weltweit auch zu hoffen –, dass sie auch weiterhin das Feld für möglichst vielfältige Forschungsaktivitäten darstellen.
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2 Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten M. Ptok
Dem Gehör kommt eine Schlüsselrolle beim Erlernen der Sprache zu. Ohne Sprache und Gehör kann die Beziehung zwischen den Menschen auf Dauer stark beeinträchtigt sein. So wurden früher Kinder, die nicht auf akustische Reize reagierten und Sprache weder verstehen noch spontan erwerben konnten, als »taub« bzw. »taubstumm« bezeichnet. Das Wort »taub« ist wie das Wort »dumm« aus dem altdeutschen Wort »tumb« hervorgegangen (Stichnoth 1985). Dies deutet an, welchen Vorurteilen betroffene Kindern ausgesetzt waren. Erst mit zunehmenden Kenntnissen der Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Hörorgans gelang es, für die verschiedenen Formen der Schwerhörigkeit diagnostische, therapeutische und (re)habilitative Verfahren zu entwickeln oder entscheidend zu verbessern. Dadurch kann heute vielen Kinder, die früher als »taub« (und/oder »dumm«) eingestuft worden wären, so geholfen werden, dass die Schwerhörigkeit bzw. deren Auswirkungen abgemildert oder beseitigt werden können. Orientiert man sich an der Internationalen Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen (ICIDH), dann kennzeichnet der Begriff »Hörstörung« allerdings eine Störung des hochkomplexen Vorgangs »Hören« und stellt somit eine
Beschreibung einer Fähigkeitsstörung, nicht aber die Beschreibung einer Schädigung dar. Somit handelt es sich streng genommen nicht um eine »Diagnose«.
Formen der Hörstörungen Die verschiedenen Formen der Hörstörungen im Kindesalter lassen sich nach Qualität und Topik, Ursachen und Schweregrad einteilen. Im klinischen Alltag üblich ist die Unterteilung nach Schallleitungsstörungen, Schallempfindungsstörungen und zentralen Hörstörungen bzw. Kombinationen, üblicherweise mit einem Hinweis auf eine (vermutete) Ursache und einem Hinweis auf den Schweregrad (z. B. hochgradige, nichtsyndromale, autosomal-rezessive Schallempfindungsschwerhörigkeit).
Hören als komplexer Prozess Der Gesamtprozess des Hörens kann, auch in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht, grob in folgende Teilfunktionen unterteilt werden (Ptok 1997):
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Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
Im äußeren Ohr (Ohrmuschel und Gehörgang) wird das Schallsignal auf das Trommelfell geleitet. Hierbei kommt es zu einer Modifizierung des Frequenz-Intensitäts-Verhältnisses des ursprünglichen Schallsignals. Die Verstärkung beträgt bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu 20 dB bei 3–4 kHz, also in dem Frequenzbereich, der für das Verstehen von Sprache besonders wichtig ist. Am Trommelfell als Grenze zwischen äußerem Ohr und Mittelohr wird das Schallsignal von einem Luftschall in einen Körperschall umgewandelt. Eine weitere Aufgabe des Trommelfells ist die Schallprotektion, d. h., durch ein intaktes Trommelfell wird vermieden, dass Schallsignale gleichzeitig am runden und ovalen Fenster des Innenohres auftreffen. Im Mittelohr mit den Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel wird der Körperschall zum Innenohr transportiert. Die spezielle Anordnung des Trommelfells und der Gehörknöchelchen bewirkt neben einer Vorverstärkung eine Impedanzanpassung vom akustischen Widerstand der Luft zum akustischen Widerstand der Innenohrflüssigkeiten: Würde das Schallsignal unmittelbar auf die flüssigkeitsgefüllten Räume der Hörschnecke treffen, würde der größte Teil der Schallenergie reflektiert werden und könnte nicht für den eigentlichen Hörvorgang ausgenutzt werden.
⊡ Abb. 2.1. Graphische Darstellung eines tonschwellenaudiometrischen Ergebnisses bei normalem Hörvermögen. Auf der x-Achse sind die Prüffrequenzen eingetragen, auf der y-Achse die Intensität, die nötig war, damit das Kind den Prüfton hörte. Die gestrichelte Linie zeigt die sog. Knochenleitung, diese spiegelt die Funktion des Innenohres näherungsweise wieder. Die durchgezogene Linie zeigt die sog. Luftleitung
Im Innenohr wird zunächst die mechanische Energie des Schallsignals nochmals aktiv verstärkt (elektromechanische Transduktion) und anschließend in bioelektrische Energie (Nervenimpulse – mechanoelektrische Transduktion) umgewandelt (Zenner 1994). Diese beiden Prozesse können nur funktionieren, wenn bestimmte Ionenkonzentationsgradienten bestehen und die schwingenden Teile im Innenohr exakt aufeinander abgestimmt sind (Gummer et al. 1996; Preyer 1996). Die Impulse werden im Hörnerv zum Nucleus cochlearis im Hirnstamm weitergeleitet. Im Hirnstamm werden akustisch evozierte Nervenimpulse verarbeitet (Kodierung von Frequenz, Intensität, Phase und Stimulationszeit, Signalmerkmalsextraktion). Dies ermöglicht die Funktionen Lokalisation, Summation, Fusion, Separation, Diskrimination, Identifikation, Differenzierung und Integration von Signalen. Dem auditorischen Kortex (primäre, sekundäre und tertiäre Felder) werden die Funktionen Laut- und Geräuschempfindung, Klang- und Wortverständnis, akustische Aufmerksamkeit und Speicherung von Wort-, Musik- und Sprachinhalten zugeschrieben. Bei einer Hörstörung können alle Teilfunktionen einzeln oder in Kombination betroffen sein. Grob orientierend spricht man von einer Schallleitungsschwerhörigkeit (⊡ Abb. 2.1, 2.2), wenn der
13 Schallleitungsschwerhörigkeit
Schalltransport bis zum ovalen Fenster gestört ist. Ist die Umwandlung der mechanischen Energie des Schalls in ein bioelektrisches Signal gestört, spricht man von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit (⊡ Abb. 2.3). Unter einer auditiven Verarbeitungsund Wahrnehmungsstörung (zentrale Hörstörung) versteht man die Störung der Verarbeitung (Hirnstammniveau) und Wahrnehmung (höhere auditorische Funktionen unter Einbeziehung kognitiver Funktionen) dieser nervalen Impulse.
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Schallleitungsschwerhörigkeit Schallleitungsschwerhörigkeiten sind im Kindesalter außerordentlich häufig: bei jeder Tubenventilationsstörung (z. B. im Rahmen banaler Erkältungskrankheiten oder aber bei vergrößerten bzw. chronisch entzündeten Rachenmandeln und bei Gaumenspalten) bzw. bei jedem Paukenerguss ist eine solche Schwerhörigkeit zu vermuten. Nach Angaben aus den 1970er und 1980er Jahren litten
⊡ Abb. 2.2. Graphische Darstellung eines tonschwellenaudiometrischen Ergebnisses bei typischer Schallleitungsschwerhörigkeit. Zwischen Knochenleitung und Luftleitung besteht in den niedrigen Frequenzen eine Dissoziation (sog. Mittelohrkomponente)
⊡ Abb. 2.3. Graphische Darstellung eines tonschwellenaudiometrischen Ergebnisses bei typischer leichter Innenohrschwerhörigkeit (sog. C5-Senke). Kochen- und Luftleitung verlaufen parallel
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Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
ca. 200.000 Kinder der damaligen Bundesrepublik an chronisch-rezidivierenden Mittelohrerkrankungen. Daneben können Störungen der Schallleitung auch durch Traumen einschließlich Fremdkörper, Infektionen, Fehlbildungen oder (selten) durch gut- oder bösartige Tumore entstehen. Traumen können entweder primär zu einer Schädigung von Trommelfell und/oder Gehörknöchelchenkette oder sekundär (durch Auslösen einer Infektion) zu einer Hörstörung führen. Häufig sind z. B. Trommelfelldefekte und/oder Unterbrechungen der Gehörknöchelkette nach Ohrfeigen. Gerade im Kindesalter sind nicht selten Fremdkörper (Erbsen, kleine Legosteine, Schrauben etc.) im Gehörgang zu finden. Werden sie nicht umgehend entfernt, besteht die Gefahr einer sekundären Infektion mit Verschwellung des Gehörgangs. Fehlbildungen der Ohrmuschel stellen in erster Linie ein ästhetisches Problem dar. Fehlbildungen des Gehörgangs können als extrem enger Gehörgang, als Gehörgangsatresie oder als Verdoppelung des Gehörgangs beobachtet werden. Folgende Fehlbildungen des Mittelohres sind bekannt: ▬ Fehlbildungen der Gehörknöchelkette (Malleus, Inkus, Stapes), ▬ Fehlbildungen der Binnenohrmuskeln, ▬ Gefäßanomalien, ▬ Fehlbildungen aufgrund von Keimversprengungen, ▬ kongenitales Epidermoid (kongenitales Cholesteatom), ▬ kongenitales Dermoid, ▬ Liquor-Mittelohrfisteln, ▬ indirekte (tranlabyrinthäre) Liquorfisteln, ▬ direkte (paralabyrinthäre) Fisteln. ▬ kombinierte Fehlbildungen. Tumore der Ohrmuschel und des Gehörgangs sind im Kindesalter selten. Die klassische Therapie der Schallleitungsschwerhörigkeit ist die (operative) Beseitigung des Schalltransporthindernisses, medikamentöse Maßnahmen können vorgeschaltet sein (Beispiel: Paukenerguss).
Schallempfindungsschwerhörigkeit Ein bis zwei pro Tausend Neugeborene leiden an einer sofort interventionspflichtigen (z. B. hörgerätepflichtigen) Innenohrschwerhörigkeit, d. h. einer Schallempfindungsschwerhörigkeit. Neugeborene mit entsprechenden Risikofaktoren (insbesondere diejenigen, die nach der Geburt einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen, ⊡ Tabelle 2.1) haben ein zehnfach höheres Risiko, an einer interventionspflichtigen Schallempfindungsschwerhörigkeit zu leiden. Während die Ursache von Schallleitungsstörungen in der Regel einfach festzustellen ist, lässt sich auch durch eine genaue Diagnostik nur bei etwa der Hälfte aller kindlichen Innenohrschwerhörigkeiten die Ursache ermitteln. Jegliche Störung funktionstragender Elemente in der Cochlea (insbesondere Basilarmembran, innere oder äußere Haarzellen einschließlich Stereozilien, Stria vaskularis, Axone) kann zu einer Hörstörung führen. Da eine Endoskopie oder eine Gewebeentnahme nicht möglich ist (die sofortige Ertaubung wäre die sehr wahrscheinliche Folge!), wird die Bestimmung des genauen Pathomechanismus im Einzelfall nur durch eine postmortale histologische Untersuchung des Felsenbeins möglich sein. Die Konstellation verschiedener Ergebnisse audiologischer Untersuchungen lassen allerdings Hinweise auf den Pathomechanismus zu. Funktionsstörungen des Innenohres können metabolisch, traumatisch (z. B. bei Schädelhirntraumen, Lärmtraumen) oder genetisch verursacht sein. Sie können als reine Funktionsstörungen oder als Funktionsstörung bei radiologisch nachweisbarer Fehlbildung der Hörschnecke (z. B. bei der Mondini-Dysplasie) auftreten. Tumore des Innenohres sind nicht bekannt. Typische Ursachen sind Fehlbildungen (kongenitale Folgezustände exogener Fetopathien und echte Fehlbildungen durch Entwicklungshemmung), syndromale Erkrankungen (z. B. Pendred-, Usher-, Alport-Syndrom), prä- und perinatale Asphyxie, Schwangerschaftsinfektionen, Einnahme von teratogenen Medikamenten während der Schwangerschaft, Geburtstraumen, Infektionen des Labyrinths und Traumen. Etwa 50% aller hochgra-
15 Syndromale und nichtsyndromale Hörstörungen
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⊡ Tabelle 2.1. Risikofaktoren für Schwerhörigkeit Risikofaktoren, die bei Neugeborenen einen Hörtest erforderlich machen:
Postnatal erforderliche intensivmedizinische Behandlung (Risiko einer beidseitigen Schwerhörigkeit 1–3%!) Kraniofaziale Anomalien Bekannte familiäre Schwerhörigkeit Intrauterine Infektion Perinatale Zytomegalieinfektion Erstrebenswert ist ein Hörscreening bei allen Neugeborenen!
Risikofaktoren, die bei allen betroffenen Kindern einen Hörtest erforderlich machen:
Von Eltern geäußerter Verdacht auf eine Schwerhörigkeit Ausbleiben altersentsprechender sprachlicher Fortschritte Bakterielle Meningitis Schädelhirntrauma mit Hör- oder Gleichgewichtsproblemen Virale Labyrinthitis und Enzephalitis Lärmtrauma Einnahme ototoxischer Medikamente Bekannte familiäre Schwerhörigkeit Chronische Lungenkrankheiten Diuretische Therapie Wiederholte Mittelohrentzündungen und persistierender Paukenerguss
digen Innenohrschwerhörigkeiten im Kindesalter gelten als vererbt (Frazer 1976).
Genetische Hörstörungen Fortschritte bei der Identifizierung von Genen, die für die Innenohrfunktion wichtig sind, haben bereits jetzt zu einem besseren Verständnis der Ätiologie von Schwerhörigkeiten geführt. Rezessiv vererbte Schwerhörigkeiten sind in der Regel hochgradig, treten häufig nur sporadisch auf und sind deshalb schwer zu diagnostizieren. Dominante sowie gonosomal kodierte Mutationen lassen sich häufiger nachweisen. Insbesondere bei x-chromosomal vererbten Hörstörungen weisen männliche Betroffene einen ausgeprägteren Phänotyp auf, da männliche Familienmitglieder nur ein x-Chromosom aufweisen. Klinisch sind die weiblichen Genmutationsträger meist anhand einer leicht- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit zu erkennen. Bei autosomal dominanter und mitochondrial ererbter Schwerhörigkeit ist der klinische Verlauf innerhalb der Familie dagegen sehr ähnlich. Mutationen im mitochondrialen Genom können Ursache für nichtsyndromale Gehörlosigkeit sein, allerdings reichen solche Mutationen allein für die Ausbildung einer Hörstörung in der Regel nicht
aus. Es müssen wohl zusätzliche genetische oder Umweltfaktoren (bisher aber nicht identifiziert) hinzukommen. Inwieweit eine solche Kombination z. B. auch für eine besondere Vulnerabilität des Innenohres gilt, die dann in Kombination mit einer starken Lärmbelastung bei Jugendlichen (Diskobesuchen o. Ä.) zu einer Schwerhörigkeit führt, ist noch nicht bekannt.
Syndromale und nichtsyndromale Hörstörungen Bei 70–75% aller Patienten mit genetisch bedingten Hörstörungen finden sich keine weiteren Fehlbildungen oder Krankheiten (nichtsyndromale Hörstörungen), bei 25–30% der Patienten werden weitere Fehlbildungen gefunden (syndromale Hörstörungen). Es gibt beim Menschen über 300 Syndrome, bei denen Hörstörungen unterschiedlichen Ausmaßes bis zur Taubheit als Symptom vorkommen. Etwa 85% der nichtsyndromalen Hörstörungen werden autosomal rezessiv vererbt, 13–15% werden autosomal dominant und 1–3% x-chromosomal rezessiv vererbt. 1995 war ein einziges Gen beim Menschen detailliert bekannt, das für eine nichtsyndromale Hör-
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Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
störung verantwortlich gemacht werden konnte. Es handelt sich um das Gen für den Transkriptionsfaktor P0U3F4 auf dem x-Chromosom. Mutationen in diesem Gen verursachten eine Schallleitungsschwerhörigkeit aufgrund einer Stapesfixation und eine progressive Schallempfindungsschwerhörigkeit, die in Taubheit einmündet und durch den Untergang der Haarzellen im Corti-Organ bedingt ist. In den Jahren 1997 und 1998 sind sechs weitere Gene beschrieben worden, bei denen Mutationen zu Schwerhörigkeit und Taubheit führen. Das derzeit wichtigste Gen für die Differentialdiagnostik bei nichtsyndromalen Hörstörungen bzw. Gehörlosigkeit ist das Gen für Connexin 26 (Cx26). Connexine sind Gap-junction-Proteine, die an der interzellulären Kommunikation beteiligt sind. Es sind 13 verschiedene Connexin-Gene bekannt, die unterschiedliche Funktionen haben. Die kodierende Region für das Connexin 26 sind 790 Basenpaare auf dem Chromosom 13q11-q12. Da diese Region klein ist, kann die kodierende Region bequem sequenziert werden. Man hat bei den betroffenen Patienten unterschiedliche Mutationen im Connexin-26-Gen gefunden – die häufigste Mutation ist die Mutation 35deIG. Sie macht etwa 2/3 aller gefundenen Mutationen aus. Bei Kindern unter 5 Jahren mit nichtsyndromaler Gehörlosigkeit bzw. Schwerhörigkeit, bei denen ein weiteres Geschwister betroffen ist und man daher autosomal rezessive Vererbung annehmen kann, findet man in etwa 50% der Fälle Mutationen im Connexin-26-Gen. Bei hörgestörten Kindern ohne betroffene Geschwister (sporadische Fälle) findet man in etwa 35% der Fälle Mutationen im Connexin-26-Gen. Die Eltern der Kinder sind heterozygote Anlageträger. Mindestens 2,8% aller Menschen sind heterozygot, d. h., sie sind Anlageträger. Das bedeutet, dass jeder 36. Mensch heterozygot für eine Mutation im Connexin-26-Gen ist. Ist auch sein Partner heterozygot, so hat das Paar ein Risiko von 25% für ein Kind mit einer schweren Hörstörung bis zur Taubheit. Die klassische Therapie bzw. Habilitation besteht in der Versorgung mit Hörgeräten und ggf. UKW-Funkanlagen sowie einem Hörtraining und ggf. sonderpädagogischer Betreuung/Beschulung.
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen Angaben zur Prävalenz auditiver Verarbeitungsund Wahrnehmungsstörungen im o. g. Sinne liegen nicht vor. Angaben zu »central auditory processing disorders« (der in etwa korrespondierende Begriff in der angloamerikanischen Literatur) berichten eine Prävalenz von 10–20% bei älteren Erwachsenen und 2–3% bei Kindern. Das Geschlechtsverhältnis von Betroffenen wird auf 2:1 (männlich zu weiblich) geschätzt. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen beruhen auf einer Dysfunktion der Afferenzen und Efferenzen der zur Hörbahn gehörenden Anteile des zentralen Nervensystems. Es ist bisher nicht bekannt, ob diese Störung isoliert nur die Hörbahn betrifft oder ob vielmehr ein generelles Defizit (z. B. Defizit der schnellen neuralen Kodierung) vorliegt. Aufgrund klinischer Beobachtungen kann allerdings vermutet werden, dass einzelne Abschnitte der Hörbahn in unterschiedlichem Maße von einer Dysfunktion betroffen sein können. Die Kenntnis einer bevorzugten Dysfunktion auf bestimmten Abschnitten der Hörbahn sollte zu einer Unterklassifizierung einer im individuellen Fall vorliegenden auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung führen (siehe Symptome). Eine besondere Form dieser Schwerhörigkeit ist die auditorische Neuropathie (Ptok 2000): Hierbei sind zwar die (für das Neugeborenen-Screening derzeit favorisierten otoakustischen) Emissionen nachweisbar, die auditorisch evozierten Hirnstammpotentiale fehlen aber oder sind deformiert. Diese Kinder können ein weitgehend normales Tonschwellengehör haben, haben andererseits aber Schwierigkeiten beim Sprachverständnis. Deshalb muss bei Kindern mit einer Sprachentwicklungsverzögerung trotz audiometrisch nachgewiesenen normalen Tongehörs an eine solche Störung gedacht werden. Die genauen Ursachen einer auditiven Verarbeitungsstörung (zentrale Hörstörung, Fehlhörigkeit) lassen sich nicht nachweisen; vermutet werden genetische Einflüsse, peri- und postnataler Sauerstoffmangel, Nikotin-, Alkohol-, Drogenund Medikamentenabusus während der Schwangerschaft, Frühgeburt oder Übertragung, schwere
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17 Schweregrad
Ernährungsstörungen mit Toxikose und rezidivierende Mittelohrentzündungen und -ergüsse. Klassische Therapieverfahren sind übend. Hierbei werden einerseits Hörleistungen geübt, andererseits metalinguistische und metakognitive Fähigkeiten vermittelt. In besonderen Fällen kann auch eine Hörgeräteversorgung oder eine Versorgung mit einer individuellen FM-Anlage erfolgen. Mittlerweile gibt es auch für diese Kinder Angebote zur sonderpädagogischen Betreuung.
Schweregrad Für die Einleitung eines adäquaten therapeutischen Prozederes ist nicht nur die Identifizierung
der Form der Schwerhörigkeit (Schallleitungs-, Schallempfindungsschwerhörigkeit, auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung) mit der Angabe der (ggf. vermuteten) Ursache eminent wichtig, sondern auch eine Beschreibung des Schweregrades. Typischerweise bezieht sich die Einteilung nach dem Schweregrad in der Regel auf den mittleren Hörverlust im Hauptsprachbereich (⊡ Tabelle 2.2). Diese Einteilung ist allerdings nicht ganz unproblematisch, da damit lediglich der Hörschaden hinsichtlich des Tonschwellengehörs beschrieben wird. Hauptaufgabe des Gehörs ist es aber, in überschwelligen akustischen Signalen schnelle Frequenz- und Intensitätsänderung zu detektieren und damit gesprochene Sprache zu verstehen. Die
⊡ Tabelle 2.2. Die gutachterliche Bewertung kindlicher Schwerhörigkeiten GdE (MdE) 1
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Taubheit beiderseits (Hörreste für Lauterkennung nicht verwertbar, mittlerer Hörverlust für Töne nach Röser durch Schallempfindungsstörung über 90 dB) a) seit Geburt oder nach Frühertaubung (vor dem 9. Lebensjahr)
100%
b) nach Ertaubung vor voll gefestigtem Sprachbesitz und vor Abschluss der Schulbildung (9.–18. Lebensjahr)
90%
c) bei sprachlichen Spätfolgen einer Spätertaubung (nach dem 18. Lebensjahr) mit schlechter Sprachverständlichkeit
80%
Hörrestigkeit auf dem besseren Ohr (entspricht etwa der Möglichkeit zur Erkennung von Vokalen, mittlerer Hörverlust für Töne durch Schallempfindungsstörung 90–80 dB) a) bei Eintritt der Hörrestigkeit vor dem 9. Lebensjahr
90%
b) bei Eintritt der Hörrestigkeit im 9.–18. Lebensjahr
80%
c) bei sprachlichen Spätfolgen einer nach dem 18. Lebensjahr eingetretenen Hörrestigkeit mit schlechter Sprachverständlichkeit
80%
An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (Satzverständnis ohne Absehen der Sprache möglich zwischen laut am Ohr und 0,25 m, mittlerer Hörverlust für Töne durch Schallempfindungsschwerhörigkeit 80–60 dB, bei Schalleitungskomponente ggf. auch über 80 dB) a) bei Eintritt des Schwerhörigkeitsgrades vor dem 9. Lebensjahr mit eingeschränktem Wortschatz
80%
b) bei normalem Wortschatz bzw. Eintritt des Schwerhörigkeitsgrades nach dem18. Lebensjahr und schlechter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung
70%
4.
Hochgradige Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (sicheres Satzverständnis bei Umgangssprache zwischen 0,25 m und 1 m, mittlerer Hörverlust für Töne ohne Berücksichtigung der Art der Schwerhörigkeit 60-50 dB), bei eingeschränkter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung je nach Schwerhörigkeitsgrad auf dem schlechteren Ohr
55–60%
5.
Mittelgradige Schwerhörigkeit auf dem besseren Ohr (Satzverständnis bei Umgangssprache zwischen 1 und 4 m, mittlerer Hörverlust für Töne 50-40 dB), bei eingeschränkter Sprachverständlichkeit durch gehörbedingte Artikulationsstörung je nach Grad der Schwerhörigkeit auf dem schlechteren Ohr
40–50%
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Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
bei Erwachsenen gebräuchliche Einteilung nach dem Grad der Sprachverständnisstörung (sprachaudiometrische Bestimmung des Gesamtwortverstehens und Hörverlust für Zahlen), insbesondere für die Ermittlung des Grades der Behinderung, ist bei Kindern häufig nicht möglich. Eine solche Einteilung ist weiterhin problematisch, da sie das Hörvermögen »statisch« beschreibt. Kinder, die intermittierend schwerhörig sind (z. B. durch rezidivierende Paukenergüsse), leiden durchaus an einer relevanten Hörstörung. Hier ist ggf. die Erstellung einer Jahreshörbilanz, d. h. einer Beschreibung, wie häufig (i. S. kumulierter Zeiträume) Kinder an einer Schwerhörigkeit leiden, sinnvoll und sollte dann für das weitere Prozedere wegweisend sein (Schönweiler 1992). Selbst eine genaue Einteilung nach den Ergebnissen routinemäßig angewendeter sprachaudiometrischer Untersuchungen wird zentralen Schwerhörigkeiten und Fehlhörigkeiten nicht gerecht. Hier kommt insbesondere dem Pädiater als dem Arzt, der die Kinder kontinuierlich betreut, die wichtige Aufgabe zu, im Anamnesegespräch Hinweise auf eine relevante Einschränkung des Sozialgehörs (d. h. der »Hörfähigkeit in der alltäglichen Kommunikationssituation«) zu finden.
Diagnostik Hörstörungen können auf allen genannten Stationen (Ohrmuschel, Gehörgang, Trommelfell, Mittelohr, Innenohr, Hörnerv, Hirnstamm, auditorischer Kortex) entstehen. Eine exakte differentialdiagnostische und topodiagnostische Abklärung ist die Vorbedingung für spezifische therapeutische und/oder rehabilitative Maßnahmen.
Erkennung von Störungen des Schalltransports bis zum Trommelfell Vor der Durchführung von audiometrischen Verfahren muss neben der Anamneseerhebung zunächst eine kompetente Organuntersuchung erfolgen. Diese beinhaltet neben der Inspektion des Mastoids und des äußeren Ohrs eine bino-
kularmikroskopische Untersuchung des Gehörgangs und des Trommelfells. Hierbei lassen sich bereits Störungen des Schalltransports bis zum Trommelfell, z. B. Ceruminalpröpfe oder Gehörgangsatresien sowie Defekte des Trommelfells erkennen.
Erkennung von mittelohrbedingten Schwerhörigkeiten Zur audiometrischen Erkennung von mittelohrbedingten Schwerhörigkeiten werden neben der Ohrmikroskopie (zur Erkennung z. B. von Defekten des Trommelfells oder der Gehörknöchelchen wie beim Spontantyp III) die Tympanometrie, die Stapediusreflexregistrierung und die Messung der otoakustischen Emissionen eingesetzt.
Erkennung von cochleären Schwerhörigkeiten Hörtests zur Erkennung von cochleären Schwerhörigkeiten lassen sich grundsätzlich in sog. subjektive und objektive Untersuchungen unterteilen. Unter subjektiven audiometrischen Tests versteht man diejenigen Verfahren, bei denen Reaktionen des Kindes auf akustische Reize (Reflexe, Bewegungen, Orientierungsreaktionen, Spielhandlungen, Wiedergabe des Gehörten etc.) bewertet werden. Daher wird bei diesen Untersuchungen nicht nur die cochleäre Funktion, sondern auch in unterschiedlichem Maß die Funktion von Hirnstamm und auditorischem Kortex überprüft. Bei allen subjektiven Testverfahren ist zu beachten, dass für die Kinderaudiometrie gepulste Sinustöne, Wobbeltöne und interessante Geräusche (z. B. Pfeifen, Hundegebell, Säuglingsgeschrei, Kinderlieder u. v. m.) besser geeignet sind als Sinustöne. Geeignete akustische Stimuli sind auf CD erhältlich und können wahlweise über Lautsprecher oder Kopfhörer dem Kind angeboten werden. Da deutliche spektrale Unterschiede der verwendeten Stimuli zu den in der Erwachsenenaudiometrie verwendeten Sinustönen bestehen, müssen diese Besonderheiten bei der Interpretation der Befunde mit berücksichtigt werden.
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Subjektive Tests Reflex- bzw. Reaktionsschwellenaudiogramm im freien Schallfeld Die zunehmende Reifung der Hörbahn bedeutet, dass die Kinder bei immer leiseren Geräuschen reagieren und auch ein immer komplexeres Hörverhalten, wie z. B. die Lokalisation der Schallquelle, entwickeln. Neugeborene reagieren ab 80 dB, 3 Monate alte Säuglinge ab 60 dB, 6 Monate alte Säuglinge ab 50 dB, 1 Jahr alte Kinder ab 40 dB, 2 Jahre alte Kinder ab 20 dB und 4 Jahre alte Kinder ab 10 dB (jeweils ein regelrechtes Gesamthörvermögen vorausgesetzt). Untersuchungen ergaben Standardabweichungen von +/–10 dB bei Hörfrequenzen von 250 bis 8000 Hz als Ausdruck der individuellen Variabilität dieser Hörbahnreifung. Die gemittelte Schallintensität, ab der eine Reaktion des Kindes zuverlässig hervorgerufen werden kann, wird, in Analogie zur Hörschwelle, als Reaktionsschwelle bezeichnet. Indirekt erhält der Untersucher auch eine Information über das seitenbezogene Hörvermögen durch die Fähigkeit des Kindes, die Schallquelle zu lokalisieren. Die Lokalisation ist allerdings nur dann möglich, wenn sich die Hörschwellen beider Ohren nicht mehr als 20 dB voneinander unterscheiden und wenn das Kind das entsprechende Entwicklungsalter zur Lokalisationsfähigkeit erreicht hat. Unterscheiden sich die Schwellen beider Ohren um mehr als 20 dB, geben die Reaktionen des Kindes nur über die Schwelle des besser hörenden Ohres Auskunft. Bei Säuglingen sind innerhalb von 2 Sekunden nach dem Reiz bei normalem Hörvermögen folgende unbewusste Hörreaktionen zu erwarten: 1. Wimpernzucken (Auropalpebralreflex), 2. leichtes Schütteln des Körpers, 3. Augenöffnen, 4. leichte Kopfbewegung zur Schallquelle, 5. eine kurze Bewegung von Armen oder Beinen, 6. reflektorische Atemhemmung, 7. eine Kombination von 1. bis 6. Bei der reflektorischen Atemhemmung verharren die Säuglinge meist in Inspiration, um der Schallquelle zu lauschen. Möglicherweise ist dies nicht
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ein unbedingter Reflex, sondern sie erkennen die eigenen Atemgeräusche als Störschallquelle und versuchen, diese auszuschalten.
Zuwendungsaudiometrie Der Begriff Zuwendungsaudiometrie wird für die Art der Reaktionsaudiometrie (im weiteren Sinne) verwendet, bei der die Zuwendungsreaktion zu einer Schallquelle untersucht wird. Vom 4. Lebensmonat an beginnen Säuglinge, die Schallquelle rechts und links zu lokalisieren. Diese Lokalisationsfähigkeit kann zur Bestimmung der Hörschwelle benutzt werden. Technische Voraussetzung ist eine Ringsumanordnung der Lautsprecher. Die akustischen Stimuli werden unregelmäßig wechselnd über Lautsprecher rechts und links angeboten. Die Kinder wenden den Kopf zur Schallquelle hin, wenn sie den Stimulus wahrgenommen haben. Durch Verringerung der Stimulusintensität kann die Reaktionsschwelle aufgesucht werden.
Spielaudiometrie mit operanter Konditionierung Die Spielaudiometrie mit operanter Konditionierung kann sowohl beim Tonschwellenaudiogramm als auch beim Freifeldaudiogramm vom 2. Lebensjahr aufwärts angewendet werden. Es werden bewusste Hörreaktionen ausgewertet. In der Konditionierungsphase wird zunächst ein akustischer Stimulus mit einer bestimmten einfachen, kurzen Spielhandlung verbunden. Das Kind kann z. B. beim Hören des Prüftons bunte Klötzchen in ein Lochbrett stecken oder Spielsteine bewegen. In der Testphase werden dann immer leisere akustische Stimuli angeboten, die in der trainierten Weise beantwortet werden sollen.
Operante Konditionierung mit visueller positiver Verstärkung Die Audiometrie mit visueller positiver Verstärkung (Visual Reinforcement Audiometry, Operant Reinforcement Audiometry, Operant Head Turn Procedure, Conditioned Head Turn Procedure) kann nur in Freifeldtechnik angewandt werden. In der Konditionierungsphase wird das Kind trai-
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niert, beim Wahrnehmen eines kurzen akustischen Stimulus eine bewusste Kopfdrehung zur Seite auszuführen. Dazu wird ein über Lautsprecher dargebotener akustischer Stimulus innerhalb eines definierten Zeitintervalls optisch bestätigt, z. B. durch Aufleuchten einer seitlich angebrachten Signallampe oder durch ein seitlich angebrachtes sich bewegendes Spielzeug. Der optische Stimulus wird dabei auf der gleichen Seite wie der akustische Stimulus angeboten. In der Testphase wird durch schrittweises Verringern der akustischen Stimulusintensität die Reaktionsschwelle aufgesucht, wobei das Kind in Erwartung des zusätzlichen visuellen Stimulus den Kopf bereits zur untersuchten Seite dreht, bevor dieser visuelle Stimulus aktiv wird. In einer Modifikation werden wie beim oben beschrieben Verfahren bewusste Hörreaktionen operant konditioniert und visuell positiv verstärkt. Dann werden die akustischen Stimuli nicht kurzzeitig, sondern so lange kontinuierlich angeboten, bis das Kind reagiert. Wenn das Kind korrekt reagiert hat, wird der akustische Stimulus abgebrochen und visuell bestätigt. Wenn innerhalb von 5 Sekunden keine Reaktion auf den akustischen Stimulus erfolgt, wird das Kind darauf hingewiesen, dass aus einem der beiden Lautsprecher der Ton kommt und aufgefordert, zu diesem Lautsprecher zu schauen oder auf ihn zu zeigen. Erfolgt jedoch eine »Reaktion«, ohne dass ein akustischer Stimulus angeboten wird, pausiert die Untersuchung für 5 Sekunden.
n-Alternative Forced-Choice Procedure (n-AFC) Das zu erkennende Merkmal wird in einem von zwei oder mehreren Alternativen dargeboten. Der Untersuchende muss sich für eine Antwortalternative entscheiden (»forced choice«). In der Regel wird der Schwierigkeitsgrad in einem adaptiven Algorithmus immer mehr gesteigert. Testabbruchkriterien werden vorher definiert und die Erkennungsschwelle über bestimmte statistische Verfahren errechnet. Insbesondere in der Psychoakustik (z. B. in der Diagnostik von auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen) finden nAFC-Verfahren Anwendung.
BOEL-Test (Blicken Orienterar Efter Ljud) Dieser Test ist für die Altersstufe 6–8 Monate sinnvoll. Dem zu untersuchenden Kind wird ein visueller Stimulus z. B. in Form eines sich bewegenden Mobiles angeboten, das die Säuglinge aufmerksam beobachten. Gleichzeitig werden Geräusche (Glöckchen und Rassel) mit annähernd bekanntem Frequenzspektrum und Lautstärke dargeboten. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass das Kind die Schallquelle und deren Betätigung nicht sehen kann. Eine Ablenkbarkeit von der Fixation des visuellen Stimulus z. B. in Form einer Kopfdrehung zur Schallquelle hin wird als Hörreaktion bewertet.
Auswertmodi Die Bewertung der Hörreaktionen kann einerseits durch den Untersucher erfolgen (Observer-Based Behavioral Testing) oder andererseits automatisiert registriert werden (z. B. Crib-O-Gram; MultiChannel Infant Reflex Audiometry, MIRA). Für die subjektive Bewertung sind prinzipiell zwei verschiedene Möglichkeiten beschrieben worden: ▬ Ein Untersucher: Die Reaktionen des zu untersuchenden Kindes werden nur von einer Person, die gleichzeitig die Schallreizanbietung steuert, ausgewertet. Diese Bewertung ist aus der Erwachsenenaudiometrie gut bekannt, eignet sich aber wegen der häufig nicht ganz eindeutigen Reaktionen bei Kindern nur sehr bedingt. ▬ Zwei Untersucher: Der erste Untersucher bietet dem Kind akustische Stimuli an, der zweite Untersucher beobachtet und bewertet die Reaktionen des Kindes, ohne aber zu wissen, wann akustische Stimuli gegeben wurden. Hierzu ist es notwendig, dass der zweite Untersucher weder die Schallreize hört noch den ersten Untersucher bzw. die Betätigung des Audiometers sieht. Er zeigt lediglich, z. B. durch Druck einer Taste, an, wann er meint, eine Reaktion des Kindes gesehen zu haben. Nur wenn der Stimulus gegeben wurde und der das Kind beobachtende Untersucher innerhalb von
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2 Sekunden anzeigt, dass er eine Reaktion des Kindes gesehen hat, wird die Reaktion als Hörreaktion verwertet. Durch diese Maßnahme soll vermieden werden, dass ein Untersucher allein, in Kenntnis der Stimulusapplikation und in Erwartung einer Reizantwort, falsch-positive und falsch-negative Einschätzungen kindlicher Reaktionen abgibt. Dieses Verfahren kann prinzipiell auch für n-AFC-Verfahren eingesetzt werden. Hier erhält der zweite Untersucher Informationen über die Alternativen (bzw. Intervalle) und entscheidet über beobachtetes Antwortverhalten. Die unbewussten Hörreaktionen von Säuglingen können auch automatisiert registriert werden. Dazu sind spezielle Apparaturen notwendig, die motorische Aktivitäten oder vegetative Reaktionen als Reaktionen auf akustische Stimuli mit geeigneten Sensoren aufnehmen und mit entsprechenden Computerprogrammen als reizkorreliert oder nicht reizkorreliert bewerten (z. B. Herzfrequenz über eine EKG-Ableitung). Die Auswertung der objektiv aufgezeichneten Reaktionen bzw. die Programmierung von Auswertroutinen beinhaltet jedoch eine subjektive Wertung.
Auswahl eines adäquaten Hörprüfverfahrens Bei der Wahl eines oder mehrerer der zahlreichen subjektiven Verfahren zur Überprüfung des kindlichen Hörvermögens muss Folgendes immer bedacht werden: Das Hörvermögen von Säuglingen und Kleinkindern unterscheidet sich grundsätzlich vom Hörvermögen Erwachsener. Auch die Folgen einer Einschränkung des Hörvermögens sind bei Säuglingen und Kindern ganz unterschiedlich im Vergleich zu den Auswirkungen einer Schwerhörigkeit im Erwachsenenalter. Der Ablauf einer subjektiven Hörprüfung beim Kind muss sich grundsätzlich nach dem Entwicklungsalter des Kindes richten, da die Hör- und Wahrnehmungsleistungen ebenso wie das Verhalten während der Audiometrie in verschiedenen Entwicklungsstufen unterschiedlich sind.
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Das Lebensalter der Kinder ist nur ein Anhaltspunkt für das Entwicklungsalter. Bei frühgeborenen Säuglingen und entwicklungsverzögerten Kindern ist das Entwicklungsalter nicht identisch mit dem Lebensalter. Häufig sind übermüdete oder hyperaktive Kindern mit der Hörprüfung überfordert, so dass der Ablauf vereinfacht werden muss. Ein negatives Testergebnis bei gleichzeitig unauffälligem Mittelohrstatus bedeutet nicht automatisch, dass eine cochleäre Schwerhörigkeit vorliegt. Vielmehr können auch Störungen des zentralen Hörens Ursache dafür sein, dass das Kind nicht adäquat reagiert hat.
Objektive Hörtests Objektive Hörtests sind keine wirklich objektiven Hörtests, sie erfordern lediglich keine Mitarbeit des Kindes. Bei den meisten sog. objektiven Hörtests ist es sogar von Vorteil, wenn das Kind schläft. Die Schallreizdarbietung erfolgt (halb-)automatisch, gleichzeitig werden bestimmte neurobiologische Reaktionen registriert. Auch hier erfordert die Bewertung der registrierten Biosignalantworten auf den Schallreiz eine große Erfahrung, insbesondere wenn die Reizantwort durch die durch Muskelaktivitäten hervorgerufenen elektrischen Signale überlagert ist. Bekannte objektive Hörtests sind die Stapediusreflexmessung, die Messung otoakustischer Emissionen und die Messung akustisch evozierter Potentiale.
Stapediusreflexmessung Bei der Stapediusreflexmessung wird der akustikofaziale Reflex, der im Hirnstamm mit dem Nervus cochlearis als afferentem Schenkel und dem Nervus facialis als efferentem Schenkel verschaltet ist, gemessen: Bei lauter überschwelliger Beschallung mit Tonreizen (70–90 dB SL) oder mit weißem Rauschen (40–50 dB SL) wird der durch einen Seitenast des Gesichtsnerven versorgten Musculus stapedius aktiviert. Bei physiologischen Verhältnissen kommt es zu einer registrierbaren Änderung (Erhöhung) des akustischen Widerstands am Trommelfell und zu einer Abschwächung der
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Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
Schallübertragung. Der Stapediusreflex wird meist bei Schallstimuli mit 500, 1000, 2000 und 4000 Hz bei einem Sondenton von 220 Hz geprüft. Normalerweise ist die Reflexantwort ipsi- und kontralateral auslösbar bzw. registrierbar. Ist der akustische Widerstand, z. B. durch einen Erguss im Mittelohr, ohnehin deutlich erhöht, lässt sich der Stapediusreflex nicht mehr auslösen. Die Schwelle für den Stapediusreflex liegt bei gesundem Gehör für die genannten Töne zwischen 70 und 90 dB, bei ipsilateralen Messungen ist sie etwas niedriger als bei kontralateralen Messungen. Bei Innenohrschwerhörigkeiten, zumindest bei gering- bis mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeiten, findet man nicht selten eine normale Stapediusreflexschwelle. Aufgrund dieses häufig anzutreffenden Metz-Recruitments ist es nicht möglich, nur aus den Reflexschwellen für Töne eine subjektive Hörschwelle, die mit den tonaudiometrischen Ergebnissen korreliert, abzuschätzen. Bestimmt man allerdings die Stapediusreflexschwellen für Töne, weißes Rauschen und Schmalbandrauschen, kann man aus den gewonnenen Werten eine frequenzspezifische subjektive Hörschwelle abschätzen, wobei 73% der Schätzwerte innerhalb eines Fehlers von +/– 10 dB liegen. Der Stapediusreflex kann nicht nur durch akustische Reize, sondern auch taktil ausgelöst werden. Stärkere taktile Reize an der Ohrmuschel führen, ebenso wie das Anblasen des Auges, zu einer Kontraktion des Musculus tensor tympani. Zwar sind die durch ihn bewirkten ComplianceÄnderungen schwächer als beim Stapediusreflex und halten nicht länger als 2 Sekunden an, können aber dennoch zu Fehlinterpretationen führen.
Messung otoakustischer Emissionen Die Messung otoakustischer Emissionen erlaubt eine Aussage über die Funktion des aktiven Verstärkungsmechanismus in der Cochlea. Für die Messung der transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen, die als Antwort auf einen überschwelligen Schallreiz im äußeren Gehörgang gemessen werden können, wird in der Regel ein 80 ms dauernder Klick verwendet, der einen breitbandigen Reiz mit einem Frequenzspektrum bis 8 kHz darstellt. In den ersten 10 ms nach dem Klickreiz treten überwiegend hochfrequente
Emissionen, im Zeitbereich 10–15 ms tieferfrequente Emissionen (entsprechend der »Laufzeit« des Schallreizes bzw. der Emissionsantwort in der Cochlea) auf. Seitdem die verwendete Software des Gerätes zur Messung transitorisch evozierter otoakustischer Emissionen auch die Ergebnisse für die einzelnen Frequenzbänder sichtbar macht, hat sich gezeigt, dass anhand der Frequenzaufschlüsselung der TEOAE-Ergebnisse durchaus Rückschlüsse auf die frequenzspezifische Hörschwelle erlaubt sind. Kleine »Einkerbungen« mit einer Frequenzbreite bis 300 Hz im ansonsten regelrechten TEOAEAntwortspektrum gelten als physiologisch. Die Sensitivität der TEOAE ist mit 98% sehr hoch, die Spezifität beträgt ca. 73%. Ab einem Hörverlust (im Tonaudiogramm) von mehr als 30 dB oder bei Vorliegen von Tubenventilationsstörungen sind keine sicheren Antworten mehr nachweisbar. Die Messung Distorsionsprodukt otoakustischer Emissionen beruht auf der Erkenntnis, dass die Cochlea wie ein nichtlinearer Verstärker arbeitet. Wird die Cochlea mit 2 Tönen, die im Frequenzverhältnis von 1:1,2 stehen und die in etwa die gleiche Lautstärke (L1 = L2) haben, beschallt, kommt es zu messbaren Verzerrungsprodukten. Bei einer solchen Stimulation (F1 zu F2 = 1:1,2) werden viele Verzerrungsprodukte gebildet. (Die Verzerrungsprodukte lassen sich nach der Formel n x F1 +/– m x F2 beschreiben.) Die breite klinische Anwendung hat gezeigt, dass das Distorsionsprodukt 2 F1 – F2 in der Regel am lautesten ist und mit einem Sondenmikrofon im Gehörgang registriert werden kann. Dies bedeutet, dass bei der klinischen Anwendung die Amplituden in der Regel in Bezug zum geometrischen Mittel der Frequenzen F1 und F2 dargestellt werden, obwohl ja eigentlich im Gehörgang die Emissionsfrequenz 2 F1 – F2 gemessen wurde. Extrem wichtig für die Interpretation, gerade bei Kindern, ist, dass zwar durchaus bis zu einem Hörverlust von ca. 50 dB DPOAE nachweisbar sein können, für den Nachweis eines normalen Hörvermögens müssen aber die DPOAE eine bestimmte Mindestamplitude haben. Screening-OAE-Geräte zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur in einem begrenzten Frequenzbereich messen (z. B. 2–4 kHz) und dass die Ergebnisse signalstatistisch (z. B. durch Verfahren der Binominalstatistik) bewertet werden.
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Messung akustisch evozierter Potentiale
Untersuchungen der zentralen Hörbahn
Die Messung akustisch evozierter Potentiale ermöglicht eine topodiagnostische Zuordnung der Schwerhörigkeit. Zur Abklärung einer peripheren Schwerhörigkeit eignen sich die Messung der cochleären Mikrophonpotentiale (CM), des Compound Action Potentials (CAP) sowie des Nervensummenpotentials (SP). Die CM sind Potentiale, die am apikalen Ende äußerer Haarzellen entstehen und die, zumindest bei niedrigen Frequenzen, entsprechend der Tonotopie ortsabhängig gemessen werden können. Bei höheren Frequenzen weicht allerdings das Maximum in Richtung der Cochleabasis ab. Die Intensität wird, am Ort der charakteristischen Frequenz nichtlinear, fernab der charakteristischen Frequenz linear kodiert. Als CAP wird eine Verschiebung der Grundlinie der cochleären Mikrophonpotentiale bezeichnet. Das SP beruht vermutlich auf einer stimulusinduzierten Änderung der Gleichspannungsanteile des Rezeptorpotentials der äußeren, möglicherweise auch der inneren Haarzellen. Die Freisetzung von Transmittern an den inneren Haarzellen in den synaptischen Spalt bewirkt konsekutiv ein postsynaptisches Potential am distalen Ende der afferenten, bipolaren Nervenzellen Typ I, die im Ganglion spirale im Rosenthal-Kanal lokalisiert sind. Dies ist die Grundlage zur Entstehung des CAP. Das CAP entspricht der Welle I in der BERA. Die Zeitdauer des Schallreizes wird durch die Zeitdauer der Aktivierung der Nervenfasern, der Schalldruckpegel durch die Entladungsrate, auch hier wieder nichtlinear respektive durch Rekrutierung benachbarter Fasern kodiert. Die Frequenz in Schwellennähe wird, da afferente Fasern jeweils nur einer inneren Haarzelle zugeordnet sind, nach Tonotopie und, allerdings nur bis zu einer Frequenz von 5 kHz, der Phasenkopplung verschlüsselt. Die Frequenzkodierung deutlich oberhalb der Schwelle berücksichtigt zusätzlich das Prinzip der überschwelligen Spreizung der Frequenzdispersion bei einer Zentralfrequenz von 1 kHz, d. h., hier wird das Tonotopieprinzip quasi aufgeweicht. Die technische Durchführung ist ähnlich wie die der Hirnstammaudiometrie (s. unten), die ebenfalls Auskunft über die cochleäre Funktion gibt.
Für die Diagnostik zentraler Hörstörungen im Säuglings- und Kindesalter ist die Hirnstammaudiometrie (brainstem-evoked response audiometry = BERA) unerlässlich. Die BERA wird mit Klickstimuli oder Tonreizen durchgeführt. Die meistens verwendeten Klicks erzeugen am Schallgeber breitbandige akustische Signale mit einem Frequenzspektrum zwischen 1000 und 5000 Hz, so dass trotz guten Hinweises auf die Hörschwelle allgemein keine genauen frequenzspezifischen Hörschwellenmessungen möglich sind. 1977 wurden erstmals Verfahren vorgestellt, mit gefilterten Klickreizen oder mit Ton-Bursts akustisch evozierte Potentiale abzuleiten, die frequenzspezifisch mit der Hörschwelle korrelieren. Die verwendeten Tonstimuli von 2–10 ms Dauer führen gegenüber kurzen Klicks zu verminderter Synchronisation der cochleären und neuralen Reizantwort und zu breiten und eingeschränkt frequenzselektiven Stimulationen der Cochlea. Deshalb wurde die Ableitung mittellatenter Potentiale vorgeschlagen, bei denen die Synchronisation der Neuronen durch Tonstimuli langer Dauer (um 10 ms) unkritisch ist. Diese Methode hat sich in der Pädaudiologie nicht durchsetzen können, da die Nachweisbarkeit mittellatenter Potentiale stark von individuellen zentralen Reifungsprozessen abhängig ist und während der häufig notwendigen Sedierungen oder Narkosen generell nicht evozierbar sind. Bei der Ableitung früher akustischer tonfrequenzevozierter Potentiale sind zusätzliche selektive Maskierungen notwendig, um die Reizantworten nicht zu prüfender cochleärer Abschnitte zu unterdrücken und somit die Frequenzspezifität zu verbessern. Die umfangreichste Literatur liegt über die Notched-Noise-Maskierung vor. Hierbei erfolgt eine Stimulation mit einem 2 ms dauernden Ton-Burst, der mit einer Reizwiederholfrequenz von 40/s angeboten wird. Dem Ton-Burst wird ipsilateral ein Rauschen überlagert, das durch spezielle Filterung eine spektrale Kerbe im Bereich der Frequenz des Ton-Bursts, den sog. Notch, aufweist. Durch die hohe Reizfolgefrequenz von 40 Hz und die Analysezeit von 22 ms tritt eine Überlagerung früher Potentiale mit mittellatenten Potentialen ein und führt zu einer Amplitudenverstärkung der
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Kapitel 2 · Ursachen und entwicklungsphysiologische Diagnostik kindlicher Schwerhörigkeiten
Reizantworten. Die mittellatente Komponente ist vom individuellen altersabhängigen Reifungszustand der Hörbahn abhängig und bei Säuglingen, Kleinkindern und in Narkose nicht nachweisbar. Prinzipiell ist bei Säuglingen und Kleinkindern die Hirnstammaudiometrie in Sedierung oder Narkose einfach durchzuführen. Allerdings handelt es sich um ein recht zeitaufwendiges Verfahren. Durch eine computergestützte Online-Analyse der evozierten Potentiale ist es aber heute möglich, die Hörschwelle in 3–5 Minuten zu bestimmen. Dadurch wird die Hirnstammaudiometrie auch für Screening-Zwecke äußerst interessant. Zur Differentialdiagnose cochleäre Schwerhörigkeit oder zentrale Hörstörung bewährt sich der Vergleich von Ergebnissen der verschiedenen audiometrischen Verfahren. So hat z. B. die breite klinische Anwendung der TEOAE und DPOAE gezeigt, dass es – viel häufiger als zunächst angenommen – Kinder gibt, bei denen die TEOAE bzw. DPOAE-Ergebnisse auf einen normalen cochleären Verstärker hinweisen, jedoch keine akustisch evozierten Hirnstammpotentiale messbar sind. Kann ein Messartefakt sicher ausgeschlossen werden, muss bei der Konstellation »fehlende akustisch evozierte Hirnstammpotentiale und regelrechte TEOAE bzw. DPOAE« von einer Hörminderung ausgegangen werden, die ihren Ursprung in den inneren Haarzellen oder weiter zentral hat. Für diese Befundkonstellation wird der Begriff »auditorische Neuropathie« verwendet. Auch kann die Konstellation »regelrechtes peripheres Hörvermögen (einschließlich regelrechter BERA-Ergebnisse) und expressive Sprachstörung« ein Hinweis auf eine zentrale (kortikale) Hörstörung sein. Die BERA kann darüber hinaus eingesetzt werden, um zwischen mittelohrbedingten und nicht mittelohrbedingten Schwerhörigkeiten zu unterscheiden, wenn man hintereinander Luft- und Knochenleitungshörer verwendet.
Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen Das Vorgehen zur Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen ist derzeit weder im angloamerikanischen noch im deutsch-
sprachigen Raum einheitlich. Weitgehender Konsens besteht allerdings in der Literatur, dass sowohl subjektive als auch objektive Testverfahren zum Einsatz kommen müssen, die die verschiedenen Aspekte der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung überprüfen. Hierzu zählen u. a. die folgenden neurophysiologisch bzw. psychoakustisch basierten Verfahren:
Objektive Tests Messung otoakustischer Emissionen, Stapediusreflexmessung mit Bestimmung der Dissoziation zwischen Reflexschwelle für Sinustöne und der für Terzbandrauschen, kontralaterale Stapediusreflexmessung, Ableitung akustisch evozierter Hirnstammpotentiale mit Latenz- und Amplitudenauswertung, Messung des binauralen Interaktionsproduktes, Messung der Mismatch-Negativität, Messung mittellatenter und später akustisch evozierter Potentiale.
Subjektive Tests Tonschwellenaudiometrie, standardisierte Sprachaudiometrie, Überprüfung des Hörens im Störschall, dichotische Tests, Lautunterscheidungstests, Hörtests mit zeitkomprimierter Sprache, Überprüfung der Hörmerkspanne, Hörtests zu basalen Hörverarbeitungsfunktionen wie Zeit- und Frequenzauflösung, Tests zur phonologischen Bewusstheit, Untersuchungen zum Richtungsgehör, der Lautidentifikation und Lautdifferenzierung u. a. Viele der genannten Tests sind nicht standardisiert und darüber hinaus in ihrer Wertigkeit umstritten. Die Re-Test-Stabilität ist bei einigen Tests nicht bekannt. Zur Bewertung muss eine Gesamtschau der Befunde standardisierter und nichtstandardisierter Tests, der Beobachtungen und der Anamnese vor dem Hintergrund der allgemeinen kognitiven Fähigkeiten des zu untersuchenden Patienten erfolgen. Ziel der Diagnostik ist es, basierend auf den bisher vorhandenen neurophysiologischen und psychoakustischen Erkenntnissen einerseits das symptomatische Defizit möglichst exakt zu beschreiben, um andererseits Hinweise auf die Natur (einschließlich Lokalisation) der Dysfunktion zu gewinnen.
25 Literatur
Fazit Eine Vielzahl von Erkrankungen des äußeren Ohres, des Mittelohres, des Innenohres oder der zentralen Hörbahnen können Hörstörungen verursachen. Wegen der erheblichen Konsequenzen einer nicht behandelten Schwerhörigkeit sollte eine adäquate Therapie und Rehabilitation umgehend eingeleitet werden. Hierfür ist es zwingend erforderlich, Art und Ausmaß der Schwerhörigkeit zu kennen. Die heute zur Verfügung stehenden audiometrischen Verfahren erlauben in der Regel eine dem Entwicklungsstand des Kindes angepasste, sichere differentialdiagnostische Abklärung.
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3 Cochlear-Implant-Voruntersuchungen I. Todt
Die Bedeutung der Voruntersuchungen vor einer Cochlear-Implant-(CI)Operation ergibt sich aus dem Wunsch, den Patienten mit dem für ihn individuell optimalen System zur Hörverbesserung zu versorgen. Aber nicht nur der Hörerfolg des Patienten, sondern auch der Erfolg eines ganzen Hörsystems hängt in erheblichem Maße von der Auswahl der richtigen Kandidaten ab. Dies gilt für alle Hörsysteme, die eine Besserung des Hörvermögens des Patienten vermitteln sollen. Somit gilt es, bei der CI-Voruntersuchung zum einen eine Abgrenzung zu anderen Möglichkeiten der Versorgung der Hörstörung zu ermöglichen. Ziel ist es, mit dem CI ein der Versorgung mit Hörgeräten überlegenes Hörvermögen zu vermitteln. Zum anderen sollte die Möglichkeit der CI-Versorgung an sich festgestellt werden. Ebenso bedeutsam ist aber auch, eine präoperative Statuserhebung zu erbringen, um die Einflussnahme der Operation und des CI-Systems auf die Strukturen des Felsenbeins feststellen zu können. Unserer Einschätzung nach sollte die CI-Voruntersuchung neben der reinen medizinischen Indikationsstellung auch eine psychosoziale Beurteilung mit beinhalten. Hier sollte durch entsprechendes Fachpersonal die Rehabilitationsfähigkeit des Patienten präoperativ
eingeschätzt werden. Eine realistische Einschätzung des zu erwartenden Ergebnisses sollte vermittelt werden und der Patient sollte einen Eindruck über die postoperativ auf ihn zukommende Rehabilitation erhalten. Der Patient muss präoperativ wissen, was auf ihn zukommt, und sollte sowohl operativ, also in der Klinik, als auch in Bezug auf die Rehabilitation keine Überraschungen erleben. Hierbei ist es wichtig, dass der Patient sich ohne Druck von außen frei für die CIVersorgung oder auch gegen sie ausspricht. Die Indikation zur CI-Versorgung von medizinischer Seite beruht auf einer ganzen Reihe von Untersuchungen. In erster Linie sind hier Verfahren zu nennen, die die Hörfähigkeit genauer beleuchten. Hier können wir subjektive Verfahren von objektiven Verfahren trennen.
Subjektive Verfahren Zu den subjektiven Verfahren rechnen wir die Tonaudiometrie und die Sprachaudiometrie (Einsilber- und Mehrsilber-Testung). Mittels dieser Tests können wir einschätzen, welche Hörschwelle vorliegt und ob eine CI-Versorgung indiziert oder gegebenenfalls eine Form der Hörgeräteversor-
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Kapitel 3 · Cochlear-Implant-Voruntersuchungen
gung sinnvoller ist. Es ist absolut notwendig, sowohl Tonaudiometrie als auch Sprachaudiometrie durchzuführen, da sich von dem Ergebnis der Sprachaudiometrie auf das Tonaudiogramm und umgekehrt schließen lässt. Sollte hier eine Divergenz bestehen, kann ggf. eine Hörverarbeitungsstörung oder eine Neuropathie vorliegen und eine andere Form der Versorgung/Unterstützung indiziert sein. Des Weiteren sollte auch eine sprachaudiometrische Testung mit Hörgeräten erfolgen. Nur so kann eine Abgrenzung zwischen der evtl. sinnvollen Optimierung der Hörgeräteversorgung und der CI-Indikation erfolgen. Da die Einschätzung, wann eine CI-Versorgung sinnvoll erscheint und wann nicht, verschiedenen variablen Einflussgrößen unterliegt, ist an dieser Stelle kein Kriterium genannt, ab wann ein CI und ab wann kein CI indiziert ist. Vielmehr sei darauf hingewiesen, dass viele Faktoren diese Einschätzung beeinflussen. Hauptfaktor ist sicherlich das Restgehör mit Hörgerät und das, dem jeweiligen wissenschaftlichen Stand zufolge, wahrscheinlich zu erreichende Verständnis mit dem CI. Dies unterliegt wiederum Einflussfaktoren wie dem technischen Stand der CI-Entwicklung, dem Restgehör, der Ertaubungsdauer, dem Spracherwerb und der Rehabilitationsfähigkeit des Patienten. Generell wird heute aufgrund der umfangreichen Erfahrungen mit dem CI und der technischen Entwicklung der Systeme in Bezug auf das Restgehör deutlich früher implantiert als vor 5 oder 10 Jahren. Es ist hier sicher am sinnvollsten, sich mit einem CI-Zentrum in Verbindung zu setzen, das über aktuelle Entwicklungen auf diesem Gebiet auf dem Laufenden ist.
Objektive Verfahren Neben den subjektiven Verfahren zur Hörschwellenbestimmung sollten immer auch objektive Verfahren angewandt werden. Hier seien, neben den otoakustischen Emissionen (TEOAE, DPOAE) die verschiedenen Formen der BERA (»brainstemevoked respones audiometry«) genannt. Die Bestimmung von otoakustischen Emissionen sollte immer erfolgen, da mittels dieser Verfahren eine objektive Hörschwellenbestimmung zwischen 30 dB und 50 dB möglich ist und
dies bei Kindern eine zusätzliche Auskunft zur BERA- Schwelle geben kann. Dies gilt ebenso zur Erkennung von erwachsenen Patienten, die ihre Hörschwelle bewusst oder unbewusst falsch angeben (Aggravation, psychische Erkrankungen). Außerdem spielt die Beurteilung von otoakustischen Emissionen bei der Erkennung von Patienten mit auditorischer Neuropathie und zentralen Hörstörungen eine bedeutsame Rolle. Die BERA-Untersuchung sollte bei Kindern und Erwachsenen immer zusätzlich zu den subjektiven Verfahren der Hörschwellenbestimmung erfolgen, um die ermittelte Hörschwelle auf der Basis eines objektiven Verfahrens zu bestätigen. Die Beurteilung der BERA sollte immer unter gleichzeitiger oder zeitnaher Beurteilung der durchgeführten radiologischen Verfahren erfolgen. Wir können hinsichtlich der BERA-Verfahren zwischen verschiedenen Stimuli unterscheiden. Die Klick-BERA beruht auf der Stimulation des natürlichen Hörweges über das Trommelfell. Bei der Knochenleitungs-BERA erfolgt die Stimulation mittels eines Knochenleitungshörers über die Kalotte. Bei der E-BERA erfolgt die Stimulation elektrisch über eine transtympanale Sonde. Die Bedeutung der BERA für die Indikationsstellung bei Kindern ist ungleich größer als bei Erwachsenen, denn die Hörschwellenbestimmung mittels Audiometrie (Spielaudiometrie) kann deutlich häufiger eine Unsicherheit hinterlassen, da eine gewisse Abhängigkeit von der Kooperation des Kindes besteht. Beim Erwachsenen kommt der BERA eher die Funktion der Bestätigung der auf der Basis subjektiver Verfahren ermittelten Hörschwelle zu. Die Klick-BERA als Basisuntersuchung sollte frequenzspezifisch erfolgen (Notch-noise-BERA). Sollten sich hier keine Potentiale ableiten lassen und in der erfolgten Computertomographie Verschattungen im Bereich von Mastoid und Mittelohr befinden (flaches Tympanogramm), sollte immer eine Knochenleitungs-BERA, möglichst ebenfalls frequenzspezifisch, erfolgen. Dies ist von großer Bedeutung, da durch das Vorliegen einer Entzündung im Bereich des Mittelohrs die Schallübertragung eingeschränkt sein und somit eine falsche Hörschwelle widergespiegelt werden kann.
29 Geschmack
Für die Bedeutung der gleichzeitigen Beurteilung von Verfahren der BERA und bildgebender Verfahren finden sich noch zwei weitere Beispiele. So kann eine chronische Entzündung im Bereich der Felsenbeine, ermittelt durch eine Computertomographie, zu einem Absinken der Hörschwelle führen, die sich in der BERA-Schwelle widerspiegelt. Hier sollte man eine operative Sanierung des Mastoids vor einer möglichen CI-Operation aus zweierlei Gründen durchführen: Zum einen kann die Sanierung zu einem Anstieg der Hörschwelle führen, die eine CI-Versorgung nicht mehr notwendig machen würde. Zum anderen sollte man eine CI-Versorgung nicht in einem nichtsanierten Ohr durchführen, um die Möglichkeit einer Keimverschleppung in die Cochlea zu minimieren und die Einheilung des CI-Systems nicht zu gefährden. Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung von objektiven und bildgebenden Verfahren ist das Fehlen von BERA-Potentialen und der fehlende Hinweis in der Kernspintomographie auf einen N. vestibulocochlearis (Hörnerv) als Voraussetzung für eine erfolgreiche CI-Versorgung. Hier kann die E-BERA Hinweise auf die Anlage eines Hörnervs geben. Die CI-Versorgung ohne bildgebenden Hinweis auf einen Hörnerv und fehlende E-BERA-Potentiale wird kontrovers diskutiert.
Bildgebung Bildgebende Verfahren sind als Grundvoraussetzung für eine CI-Versorgung zu sehen und sind Teil jeder CI-Voruntersuchung. Neben der Beurteilung der Cochlea an sich ergeben sich Hinweise auf Voroperationen, Anomalien und Infektionen. Hier kommen sowohl die Computertomographie der Felsenbeine als auch die Kernspintomographie zur Anwendung. Üblicherweise erfolgt die Durchführung eines hoch-auflösenden CT der Felsenbeine, um die Cochlea auf die Möglichkeit, eine CI-Elektrode zu platzieren, zu beurteilen. Finden sich in der CT Hinweise auf Veränderungen im Bereich der Cochlea als Folge von Infektionen, Otosklerose oder Anomalien, sollte eine Kernspintomographie erfolgen. Aus den hieraus gewonnen Erkenntnis-
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sen können sich dann wiederum Veränderungen der Operationsverfahren ergeben. Die Möglichkeit, generell immer ein CT und ein MRT durchzuführen, ist, insbesondere bei Kindern, ebenfalls zu diskutieren. Das MRT ermöglicht, wie bereits erwähnt, die Beurteilung der Anlage des N. vestibulocochlearis und zusätzlich die Füllung der Cochlea mit Lymphe.
Promontorialtest Die Anlage bzw. Funktion des N. vestibulocochlearis ist als Grundvoraussetzung einer erfolgreichen CI-Versorgung anzusehen. Daher erfolgt die gesonderte Austestung. Dies geschieht üblicherweise mittels eines Promontorialtests. Hierbei wird nach lokaler Betäubung von Trommelfell und Gehörgang eine Sonde durch das Trommelfell auf das Promontorium aufgebracht. Das Promontorium ist die knöcherne Struktur über der Cochlea. An die Sonde wird eine elektrische Spannung angelegt, mittels derer ein Stimulus übertragen wird. Hierbei kommt es zu einer Hörwahrnehmung. Dies wird als Hinweis auf einen intakten Hörnerv gewertet und ist als Grundvorausetzung für die CI-Operation anzusehen. Das Trommelfell verschließt sich nach Entfernung der Sonde üblicherweise nach kürzester Zeit. Der Test kann bei nicht ausreichender Lokalanästhesie und großer Empfindlichkeit etwas schmerzhaft sein. Andere Verfahren haben sich bisher aufgrund größerer Schmerzhaftigkeit oder unsicherer Potentialableitung nicht durchsetzen können.
Geschmack Als weitere Testung innerhalb der CI-Voruntersuchung sollte eine Geschmacksprüfung durchgeführt werden. Da der Nerv (Chorda tympani), der für die Vermittlung des Geschmacks auf der jeweilige Seite der Zunge zuständig ist, recht nah am operativen Zugangsweg zur Cochlea liegt, besteht das Risiko der Verletzung und der Geschmacksbeeinträchtigung. Eine vorübergehende postoperative Beeinträchtigung des Geschmacks
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Kapitel 3 · Cochlear-Implant-Voruntersuchungen
auf der Seite der Zunge, welche operiert wurde, ist nicht unüblich. Eine dauerhafte Beeinträchtigung kommt hingegen sehr selten vor. Die Überprüfung des Geschmacks der Zunge erfolgt mittels Lösungen, die auf die Zungenseite aufgebracht werden. Hierbei werden die Qualitäten süß, sauer, salzig und bitter getestet.
Gleichgewicht In ähnlicher Weise verhält es sich mit dem Gleichgewichtssystem. Da die Cochlea und die Gleichgewichtsrezeptoren benachbart sind und einem gemeinsamen Flüssigkeitshaushalt unterliegen, kann eine Veränderung in einem System zu einer Funktionsbeeinträchtigung des anderen Systems führen. Dies ist mit der Einführung einer Elektrode in die Cochlea der Fall. Wir wissen heute, dass das Auftreten von postoperativem Schwindel in engem Zusammengang mit der Positionierung der Elektrode steht. Glücklicherweise sind die Schwindelbeschwerden in den meisten Fällen vorübergehend, da, sollte es zu einem dauerhaften Ausfall des Gleichgewichtsrezeptors der operierten Seite kommen, die Rezeptoren der anderen Seite diesen Ausfall kompensieren. Die Funktion der Gleichgewichtsrezeptoren wird überprüft mittels der Spülung von kaltem und warmem Wasser in den Gehörgang zur Beurteilung der Bogengangsrezeptoren (kalorische Prüfung) und mittels akustischer Reize nach Aufbringen von Elektroden an Hals und Kopf bei verdrehtem Kopf zur Beurteilung von Beschleunigungsrezeptoren (vestibulär evozierte myogene Potentiale).
Bilaterale Versorgung Mit der zunehmenden Anzahl an bilateralen Implantationen, stellt sich die Frage nach notwendigen Voruntersuchungen vor der bilateralen Versorgung. Erfolgt die Operation einzeitig, beispielsweise bedingt durch eine Meningitis mit Gefahr der Obliteration der Cochlea, erübrigt sich die Frage. Erfolgt die Operation zweizeitig, erscheint der Zeitraum zwischen erster und zweiter Operation in Bezug auf die nochmalige Durchfüh-
rung eines CT wichtig. Fanden sich im CT vor der ersten Operation Auffälligkeiten (Otosklerose) sollte in jedem Falle ein zweites CT erfolgen, um das Fortschreiten der Otosklerose beurteilen zu können. Liegt ein Zeitraum von weniger als zwei Jahren zwischen erster und zweiter Operation und fand in der Zwischenzeit keine Infektion statt, führen wir derzeit kein zweites CT durch. Eine ton- und sprachaudiometrische Kontrolle erfolgt in jedem Fall. Auf die nochmalige Durchführung eines Promontorialtests bei regelrechtem Test vor der ersten Implantation verzichten wir. Eine besondere Bedeutung kommt der Geschmacks- und Gleichgewichtsprüfung zu. Diese ist als absolutes Muss jeder bilateralen Versorgung anzusehen. Hier muss bei einseitigem Verlust der Geschmacks- und/oder der Gleichgewichtsrezeptoren die Möglichkeit eines beiderseitigen Verlusts der Geschmacks- und Gleichgewichtsfunktion diskutiert werden. Es muss kritisch der Nutzen einer bilateralen CI-Versorgung gegen das Risiko eines Geschmacksverlusts oder einer bilateralen Vestibulopathie abgewogen werden.
Weiteres In Bezug auf Patienten mit Restgehör, die allein schon über ihr Tonaudiogram nachweislich über eine Funktion des N. vestibulocochlearis verfügen, ist die Notwendigkeit eines Promontorialtests kritisch zu diskutieren. Patienten mit V. a. zentrale Schwerhörigkeit sind auch heute noch schwierig zu diagnostizieren. Hier bieten sich Verfahren wie das PET in Kombination mit der E-BERA oder das fMRT an, um Hinweise auf die Lokalisation der Schädigung zu bekommen.
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4 Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten im Rahmen der CochlearImplant-Versorgung D. Basta
▬ Messung der Elektrodenwiderstände, ▬ Ermittlung der elektrisch evozierten Stapediusre-
Das Monitoring von objektiv-audiologischen Daten während und nach der Operation hat die Aufgabe, möglichst detaillierte Informationen über die technische und physiologische Funktion des implantierten Cochlear-Implant(CI)-Systems zu ermitteln. Einerseits soll dabei die fehlerfreie Arbeitsweise des Systems nachgewiesen werden. Andererseits sind die erhobenen Daten von großer Bedeutung für die postoperative Nachsorge. So ergeben sich aus den Messungen wichtige Anhaltspunkte für die Einstellparameter des Sprachprozessors. Gerade bei Kindern oder bei anderen Patienten, die unzureichende Angaben über die Wahrnehmung von Tonreizen geben können, werden die objektiv ermittelten Daten herangezogen. Letztendlich stehen die objektiven Verfahren des CI-Monitorings zur Verfügung, um postoperative Komplikationen auszuschließen bzw. die Ursache von Rehabilitationsstörungen ermitteln zu können. Welche Verfahren im speziellen Fall angewendet werden sollen, wird gemeinsam vom Operateur, dem Audiologen sowie dem Rehabilitationspädagogen anhand der individuellen Gegebenheiten des Patienten entschieden. Als Standard haben sich bisher folgende Verfahren etabliert:
flexschwelle an mindestens drei Elektroden des CI-Elektrodenträgers, ▬ Bestimmung der elektrischen Erregungsschwelle des Hörnerven an mindestens vier Elektroden des CI-Elektrodenträgers.
Erste Funktionsprüfung – die Messung der Elektrodenwiderstände Auf dem Elektrodenträger befinden sich je nach Implantatmodell zwischen 12 und 22 Kontaktflächen. In der Cochlea werden diese von der Perilymphe umgeben, die aufgrund ihres Gehalts an gelösten Salzen den elektrischen Strom sehr gut leitet. Um eine Prüfung der fehlerfreien Elektrostimulation an allen Kontakten des Implantats nach dem Einführen des sehr feinen und verletzlichen Elektrodenträgers durchzuführen, wird während der Operation nacheinander an allen Elektroden ein schwacher Strom appliziert und die Leitfähigkeit bzw. der Widerstand in allen Stimulationsmodi ermittelt. Das sind bis zu 2 monopolare und 2 bipolare Modi. Bei den monopolaren Modi (⊡ Abb. 4.1)
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Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
Bipolar (BP, BP+1,.. BP+5) E1
E22
Elektrodenarray
Common Ground
(CG)
Ballelektrode E1
4
E22
Monopolar 1 (MP1) Gehäuseelektrode
Monopolar 2 (MP2)
E3
E22
E3
E22
⊡ Abb. 4.1. Darstellung der vier verschiedenen Modi für die Überprüfung der elektrischen Stimulationsfähigkeit eines CochleaImplantats anhand der Elektrodenwiderstände
erfolgt die Stimulation zwischen Elektroden auf dem Elektrodenträger und einer extracochleären Ballelektrode unter der Kopfhaut (Modus 1) bzw. dem Titangehäuse der Implantatelektronik (Modus 2). Im bipolaren Modus (⊡ Abb. 4.1) wird die Stimulation zwischen benachbarten Elektroden (mindestens eine inaktive Elektrode als Zwischenraum, BP) oder zwischen einer Elektrode auf dem Elektrodenträger und nacheinander allen anderen intracochleären Elektroden (»common ground«, CG) getestet. Diese Messungen werden auch postoperativ bei jeder Einstellung des Sprachprozessors durchgeführt, um feststellen zu können, ob alle Elektroden auf dem Elektrodenträger für die geplante Elektrostimulation verwendet werden können. Liegt ein sehr hoher Widerstand in einem monopolaren Modus vor (am häufigsten verwendeter Stimulationsmodus), kann die Elektrode nicht für die Stimulation in dem Modus verwendet werden, da kein ausreichender Stromfluss zwischen der intracochleären Elektrode und der extracochleären Gegenelektrode (Gehäuse- oder Ballelektrode) möglich ist. Bei der Messung im bipolaren Modus kann zusätzlich festgestellt werden, ob ein elektrischer Kurz-
schluss zwischen zwei Elektrodenkontakten (meist infolge einer Beschädigung des Elektrodenträgers) vorliegt. Wird ein Kurzschluss oder der Ausfall von Elektroden intraoperativ ermittelt, kann sofort der möglichen Ursache nachgegangen werden. Anzuführen wären dabei Luftblasen oder Bohrstaub (entstanden bei der Eröffnung der Cochlea) auf der Elektrodenoberfläche. In diesen Fällen kann ein sonst vollständig intakter Elektrodenträger nach eventueller Reinigung erneut inseriert werden. Außerdem kann auch die mechanische Beschädigung des Elektrodenträgers während der Insertion in die Cochlea durch den Chirurgen zu den oben genannten negativen Ergebnissen der Widerstandsmessung führen. Derartige Szenarien sind jedoch in der aktuellen klinischen Praxis ebenso selten wie eine herstellungsbedingte Fehlfunktion des Implantats.
Elektrisch evozierter Stapediusreflex Der Stapediusmuskel kontrahiert sich infolge eines positiven Reflexbogens bei Lautstärken über ca. 80 dB und hebt dadurch den Stapes (Steigbügel)
33 Bestimmung des elektrischen Dynamikbereichs
leicht an, wodurch die Mittelohrleitfähigkeit um ca. 20 dB verringert wird. Diese Änderung in der Beweglichkeit der Mittelohrkette kann im äußeren Gehörgang anhand von Druckänderungen gemessen werden. Der Nachweis des Stapediusreflexes ist ein wichtiger Teil der audiologischen Diagnostik und kann Hinweise für die Differentialdiagnose neurootologischer Krankheitsbilder geben. Er ist nur bei Patienten auslösbar, deren Hörverlust aufgrund einer Innenohrschwerhörigkeit in der Prüffrequenz unter 80 dB liegt. Der Stapediusreflex kann jedoch auch nach einer Ertaubung durch elektrische Stimulation des Hörnervs bzw. der Spiralganglionzellen in der Cochlea ausgelöst werden (Battmer et al. 1990). Das macht diesen Funktionstest für die Cochlea-Implantat-Diagnostik interessant. Vor allem bei den intraoperativen physiologischen Funktionstests hat sich die Überprüfung der Schwellen des elektrisch evozierten Stapediusreflexes als sehr hilfreich erwiesen. Die Messung bietet die Möglichkeit, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusagen, ob eine Stimulation der Hörbahn bei einer vorliegenden Elektrodenposition mit normalen Stromwerten erreicht werden kann. Sie gibt zudem Auskunft, ob die Signalleitung in der unteren Hörbahn (bis zum oberen Olivenkomplex im Hirnstamm) funktionstüchtig ist. Meist werden die Schwellen ermittelt, indem die Stimulation an einer Elektrode des Elektrodenarrays in kleinen Schritten gesteigert wird und der Chirurg mit Hilfe des Operationsmikroskops die Kontraktion des Stapediusmuskels (bzw. die Bewegung der ansetzenden Sehne) registriert und angibt (semiobjektiv). Eine solche Vorgehensweise wird für meist 3–4 Elektroden wiederholt und bietet vor allem die oben genannte qualitative Aussage. Um die Schwellen exakt und objektiv bestimmen zu können, kann das Auftreten einer Druckänderung im kontralateralen Ohr als Folge einer konsensuellen Reaktion bestimmt werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die zentrale Verarbeitung nicht der bei ipsilateraler Stimulation entspricht. Direkter und schneller ist die kontinuierliche Ableitung der EMG-Aktivität des Stapediusmuskels während der Stimulation an einzelnen Elektroden. Derartig exakt bestimmte Stapediusreflexschwellen korrelieren gut mit den postoperativ empfundenen oberen Lautstärkewerten (Komfort-Level) und
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können deshalb für die objektive Einstellung des Sprachprozessors herangezogen werden (Caner et al. 2007).
Bestimmung des elektrischen Dynamikbereichs Die Möglichkeiten einer postoperativen Hör- und Sprachrehabilitation hängen zum großen Teil von einem optimal angepassten Sprachprozessor ab. Schlecht auf die individuelle physiologische Situation angepasste Prozessoren ermöglichen ein nur unausgeglichenes Hören und erhöhen zudem den Eindruck von Störgeräuschen. Obwohl die enorm große neuronale Plastizität der zentralen Hörbahn vor allem bei jungen Patienten in kurzer Zeit eine Habituation an unterschiedlichste Höreindrücke ermöglicht und somit das Hören im Laufe der Zeit natürlicher erscheinen lässt, gehen Informationen, die aufgrund unzureichender Prozessoreinstellungen nicht dargeboten werden, verloren. Um bei Kindern und anderen Patienten, die schlecht reproduzierbare Angaben während der Prozessoreinstellung machen, alle Eigenschaften eines akustischen Signals möglichst ausgeglichen (natürlich) anbieten zu können, wird objektiv möglichst exakt je Elektrode ermittelt, wie viel Strom benötigt wird, um gerade einen Ton bei elektrischer Stimulation wahrzunehmen und wie viel Strom notwendig ist, um angenehm laut zu hören. Vor allem der Verlauf der Schwellen innerhalb des Elektrodenarrays (alle Frequenzen ausgeglichen laut) ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Der absolute elektrische Dynamikbereich (Hörschwelle bis angenehm laut) kann insgesamt nachträglich bei allen Elektroden gleichzeitig verschoben werden (ohne ihn aufzuweiten). Ein aufgrund der noch sehr experimentellen Messerfassung bisher selten angewendetes Verfahren stellt hierbei die oben beschriebene objektive Ermittlung der Stapediusreflexschwellen mittels EMG dar. Vielmehr wird die von allen Herstellern mittlerweile im Implantat integrierte Möglichkeit der Messung von elektrisch evozierten Hörnervpotentialen verwendet. Dafür wurde ein Messverstärker im Implantat installiert, der telemetrisch (wie auch bei der Stimulation) angesteuert wird. Zudem wurde das Senden der Mess-
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Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
⊡ Abb. 4.2. Messparadigma zur Aufnahme von elektrisch evozierten Hörnnervpotentialen mit Hilfe eines Cochlea-Implantats. Die Stimulation erfolgt zwischen einer Elektrode auf dem Elektrodenträger in der Cochlea und dem Implantatgehäuse. Das Hörnervpotential wird zwischen einer benachbarten Elektrode und einer separaten extracochleären Elektrode gemessen. Das Insert stellt Hörnervpotentiale bei ansteigender elektrischer Stimulation dar
Aufnahme Aufnahme
ergebnisse vom Implantat ermöglicht (Reverse-Telemetrie). Um die elektrische Auslösbarkeit einer physiologischen Reaktion am Hörnerv zu prüfen, kann an einer beliebigen Elektrode stimuliert und an einer benachbarten Elektrode die Reaktion registriert werden. Während der Stimulation dient das Titangehäuse des Implantats als Referenzelektrode und bei der Ableitung der Antwort wird eine weitere extracochleäre Elektrode als Referenz verwendet (⊡ Abb. 4.2). Nur so kann die zeitliche Trennung zwischen Stimulation und Aufnahme sowie das benötigte gute Signal-Rausch-Verhältnis ermöglicht werden. Wie bei den meisten Messungen biologischer Ströme werden alle Antworten gemittelt. Da das gemessene Potential sehr klein ist (ca. 50–500 μV) und mit sehr geringer Latenz dem Stimulus folgt (ca. 500 μs), können zusätzlich verschiedene Messparadigmen verwendet werden, um eine gute Aufnahme zu ermöglichen. Dazu zählen die Foreward-masker- oder die Alternatingpolarity-Technik. Mit Hilfe dieser Methoden wird der Stimulusartefakt erkannt und aus der Messung herausgerechnet. Die kleinste erkennbare neuronale Antwort wird für die Einstellung des Sprachprozessors herangezogen. Der für diese minimale Reaktion benötigte Stromwert korreliert im Verlauf über die Elektroden bei den meisten Patienten hinreichend gut mit der elektrischen Hörschwelle (Basta et al. 2007). Die Ergebnisse dieser objektiven Messungen liegen jedoch oft deutlich über
Stimulation Stimulation
den subjektiv angegebenen Werten und müssen im Falle einer auf objektiven Messdaten basierender Prozessoreinstellung mit Hilfe von Patientenangaben oder -reaktionen angepasst werden.
Funktionsprüfung der aufsteigenden Hörbahn Trotz regelmäßigen, sorgfältig erstellten Prozessoreinstellungen kann es bei CI-Patienten zu Verzögerungen in der Hör- und Sprachrehabilitation kommen. In diesen Fällen besteht die Möglichkeit, eine Funktionsprüfung der Erregungsleitung bzw. der Signalverarbeitung in einzelnen Strukturen der zentralnervösen Hörbahn durchzuführen. Dazu können bildgebende Verfahren verwendet werden, die eine Quantifizierung der Erregung in bestimmten zentralnervösen Strukturen bei Aktivierung des Cochlea-Implantat-Systems ermöglichen. In der Praxis findet vor allem die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) Anwendung. Die funktionelle Magnetresonanztomographie stellt aufgrund des implantatinduzierten Bildschattens und der für hoch auflösende Bilddaten notwendigen Entfernung des Haltemagneten aus dem Implantat eine nachrangige Methode dar. Bei beiden Untersuchungen werden dem Patienten über den Audioeingang des Sprachprozessors Ton- oder Sprachsignale angeboten, die im Normalfall eine, vom
35 Funktionsprüfung der aufsteigenden Hörbahn
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⊡ Abb. 4.3. Ergebnisse der Positronen-Emissions-Tomographie eines einseitig versorgten CI-Patienten. Die Rauten und Kreuze zeigen die Aktivität am Anfang der zentralen Hörbahn (Nucleus cochlearis). Rauten markieren die implantierte Seite. Rechtecke und Kreise stellen die Aktivität im Colliculus inferior (Mittelhirn) dar. Die Rechtecke geben dabei die Signale der implantierten Seite an. Vom Zeitpunkt 5 bis 14 wurde über den Sprachprozessor stimuliert. Die Zunahme der Differenz zwischen der Aktivität beider Seiten ist während der Stimulation im Nucleus cochlearis deutlich zu erkennen. Hingegen führt die Stimulation zu keiner veränderten Aktivität im Colliculus inferior. Es liegt somit eine postoperativ erworbene zentrale Leitungsstörung vor
Grundumsatz verschiedene Aktivierung innerhalb der Hörbahn hervorrufen. Diese Aktivierung ist im PET-Bild als Kontrast sichtbar (⊡ Abb. 4.3). Weit häufiger wird für die Funktionsprüfung der zentralen Hörbahn die Ableitung evozierter Potentiale eingesetzt. Dabei kann, wie auch in der normalen audiologischen Praxis üblich, die durch einen Stimulus erzeugte Aktivität in den Zentren der Hörbahn als Summenaktionspotential der erregten Neuronen von der Kopfhaut abgeleitet werden. Den Stimulus bildet normalerweise ein Ton mit definierter Frequenz und Lautstärke. Die Zuordnung der gemessenen Aktivität zu bestimmten Abschnitten der Hörbahn erfolgt anhand der für die Areale spezifischen Latenz. Diese Methode kann in der gleichen Art und Weise auch für die CI-Diagnostik verwendet werden, mit dem Unterschied, dass anstelle eines Tons ein elektrischer Reiz die Erregung in der Hörbahn auslöst. Dabei ist jedoch die Verkürzung aller Latenzen infolge der direkten Stimulation des Nervus acusticus (Spiralganglien) zu beachten. Werden die Nervenfasern direkt stimuliert, wird die Zeit für die Weiterleitung des Signals im Mittel- und Innenohr sowie an der 1. Synapse zwischen Haarsinneszelle und Ganglienzelle eingespart. Zudem sind meist die Antworten der ersten beiden Zentren der Hörbahn aufgrund des geringen Zeitabstands zum elektrischen Stimulus und seinem kapazitiven Einfluss auf die Messerfassung nicht ableitbar. Die
Aktivität aller weiteren Verarbeitungszentren der Hörbahn ist bis hin zu dem für die Wahrnehmung zuständigen Areal (auditorischer Kortex) registrierbar. Die Untersuchung der elektrisch evozierten frühen (eBera, Hirnstamm und Mittelhirn, bis ca. 10 ms), mittleren (eMLR, Thalamus, bis ca. 60 ms) und späten (eCera, auditorischer Kortex, bis ca. 300 ms) Potentiale wird jedoch meist aufgrund unterschiedlicher Anforderungen an die Messeinstellung und verschiedener Dimensionen der Antworten in separaten Messungen durchgeführt. In der CI-Praxis kommt der eBera die größte Bedeutung zu. Sie ist wie die normale Hirnstammaudiometrie nicht von der Vigilanz des Patienten abhängig und kann auch in Narkose durchgeführt werden (Messungen während der Operation möglich). Da die abgeleiteten Potentiale sehr klein sind (nV-Bereich), müssen zeitaufwendige Messwiederholungen (> 1000) und Mittelungen der Antworten durchgeführt werden, um das Signal vom Rauschen zu trennen. Aufgrund dieses Zeitaufwands findet die Methode bisher keinen routinemäßigen Einsatz in der objektiven Bestimmung der kanalspezifischen elektrischen Hörschwelle. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich die Korrelation zwischen den objektiv ermittelten Schwellen und den subjektiven Patientenangaben in dem Maße verbessert, in dem die objektiven Daten von möglichst höheren Abschnitten der Hörbahn erfasst werden. Deshalb werden oft bei Patienten mit verzögerter Entwick-
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Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
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⊡ Abb. 4.4. Ergebnisse des Electric Field Imaging. Das linke Bild zeigt die Resultate der kombinierten Widerstandsmessungen zwischen den Elektroden des Cochlea-Implantat-Elektrodenträgers. Rechts sind daraus errechnete Modelle hinsichtlich des dreidimensionalen Stromflusses in der Cochlea dargestellt
lung der Hör- und Sprachrehabilitation Prozessoreinstellungen auf der Basis von eBera-Messungen erstellt. Potentiale später und mittlerer Latenz sind aufgrund der Beeinflussbarkeit durch den Patienten weniger in ihrer Schwelle reproduzierbar und werden deshalb eher zur Abklärung zentraler auditorischer Pathologien als zur Optimierung der Sprachprozessorprogrammierung verwendet.
Monitoring der Elektrostimulation in der Cochlea Bei einigen Fragestellungen ist es hilfreich, exakte Informationen über den individuellen Verlauf des Stromflusses in der Cochlea und über die Ausbreitung der Erregung innerhalb der peripheren neuronalen Gewebe zu gewinnen. Um ein Bild über den Stromfluss in der Cochlea zu erhalten, verwendet man eine Kombination von Widerstandsmessungen zwischen den Elektroden des Elektrodenarrays. Aus den Ergebnissen kann ein Modell des individuellen Stromflusses in der dreidimensionalen Cochlea berechnet werden (⊡ Abb. 4.4). Das als Electric Field Imaging (EFI) bezeichnete Verfahren kann Anomalien hinsichtlich der Lage der Elektrode in der Cochlea sowie Kurzschlüsse zwischen den Elektrodenkontakten aufdecken. Die
räumliche Verteilung des Stimulationsstroms hat auch für die Messung der Erregungsausbreitung in der Cochlea (»spread of excitation«; SOE) eine große Bedeutung. Im Gegensatz zum EFI werden bei der Messung des SOE aktive Antworten der Hörnervfasern registriert. Es wird geprüft, ob Spiralganglienzellen an benachbarten Elektrodenkontakten antworten, wenn an einem Elektrodenkontakt stimuliert wird. Die Messung gibt somit Auskunft darüber, wie stark die Erregung bei einer lokalen Stimulation streut (⊡ Abb. 4.5). Die Information darüber ist sehr wichtig, da jedem Elektrodenkontakt ein bestimmter Frequenzbereich im Audiosignal zugewiesen ist. Wird bei der Stimulation eines Kontaktes der Bereich benachbarter Elektroden miterregt, kommt es zu einer Verringerung der Tonhöhenunterscheidungsfähigkeit und somit zu einem undifferenzierteren bzw. unnatürlicheren Höreindruck. Gerade weil sich die aktuelle Weiterentwicklung von CI-Systemen mit der Verbesserung des Musikhörens beschäftigt, nimmt die Bedeutung der Messung des SOE stark zu. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Messung an den untersten Strukturen der Hörbahn (Hörnerv) erfolgt und somit vor allem die individuellen physiologischen und medizintechnisch/anatomischen Vorraussetzungen einer guten Frequenzunterscheidung getestet wird.
37 Objektivierung von postoperativen Beschwerdebildern
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⊡ Abb. 4.5. Ergebnisse einer Messung der Erregungsausbreitung in der Cochlea (»spread of excitation«). Die Stimulation erfolgte an Elektrode 5. Die Amplituden der Hörnervantworten werden mit zunehmendem Abstand zur Stimulationselektrode kleiner. Das linke Insert zeigt Hörnervpotentiale bei Stimulation an Elektrode 5 und Ableitung an den Elektroden 8–11 [bei gleich bleibender Stimulationsstromstärke von 210 Einheiten (≈ 703 μA)]. Das rechte Insert beschreibt eine mögliche Quantifizierung der Erregungsstreuung anhand des linearen Anstieges der auf- und abfallenden Flanke der Verteilung
Objektivierung von postoperativen Beschwerdebildern Medizintechnische und chirurgische Innovationen der letzten 20 Jahre haben Cochlea-Implantate zu einer sehr sicheren Therapieform entwickelt. Neben den allgemeinen Risiken einer Operation im Kopf-Hals-Bereich unter Vollnarkose kann die Cochlea-Implantat-Operation im Einzelfall jedoch sehr spezifische postoperative Probleme mit sich bringen. Diese lassen sich durch verschiedene Messverfahren objektivieren bzw. noch während der Operation ausschließen. Die häufigste Nebenwirkung aktueller Cochlea-Implantat-Operationen ist ein postoperatives Schwindelgefühl. Meist ist dieser Schwindel von kurzer Dauer und wird im Verlauf der ersten ein bis zwei Wochen vollständig eliminiert. Einige Patienten berichten jedoch über lang anhaltende Schwindelbeschwerden, die ihre Lebensqualität
stark beeinträchtigen. Es hat sich gezeigt, dass diese Schwindelbeschwerden meist mit einer gestörten Funktion der Otolithenorgane (speziell des Sacculus) oder einer elektrischen Kostimulation des Gleichgewichtsnerven einhergehen (Basta et al. 2008). Das Auftreten des letzteren Effekts kann intraoperativ ausgeschlossen werden, indem mit einem maximal zu erwartenden Stromwert speziell an den apikalen Elektroden stimuliert wird und die reflektorischen Muskelantworten (als Potentiale) am tonisch aktivierten (gestreckten) Musculus sternocleidomastoideus registriert werden. Treten derartige Potentiale auf, liegt eine Kostimulation des Nervus vestibularis vor. Falls diese nicht durch eine Repositionierung der Elektrode behoben werden kann, sollten die individuell ermittelten Schwellen für die Kostimulation bei der Programmierung des Sprachprozessors beachtet werden. Aufgrund der engen Lagebeziehung des Nervus facialis zur Cochlea, wird seine ungestörte Funk-
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Kapitel 4 · Perioperatives Monitoring objektiv-audiologischer Daten
tion oft während der gesamten Operation anhand der Aktivität der Effektoren (Teile der Gesichtsmuskulatur) überwacht. Postoperativ liegt eine Gefahr der Funktionsbeeinträchtigung des Nervus facialis in der elektrischen Kostimulation (Smullen et al. 2005). Diese ist im Falle hoher Stromwerte im monoploraren Modus (große Streuung der Erregung) deutlich beim Patienten zu beobachten und wird von ihm auch klar als störend angegeben. In der normalen Anwendung des Cochlea-ImplantatSystems sollte der Nervus facialis jedoch keinesfalls mitstimuliert werden, um funktionelle Ausfälle infolge einer Parese zu vermeiden. Die Schwellen für eine eventuelle Kostimulation können intraoperativ mit Hilfe der Registrierung der Aktivität des Musculus orbicularis oculi und Musculus orbicularis oris bei intracochleärer elektrischer Stimulation ermittelt werden. Postoperativ kann eine Ableitung der Aktivität dieser beiden Muskeln bei aktiviertem Cochlea-Implantat-System Klarheit über eine mögliche Kostimulation bringen. Wird diese festgestellt, kann sie durch den Wechsel des Stimulationsmodus (monopolar zu bipolar) oder die Reduzierung des maximalen Stromlevels an einzelnen Elektroden verhindert werden.
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5 Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation A. Aschendorff, K. Gollner, W. Maier, R. Beck, T. Wesarg, S. Kröger, S. Arndt, R. Laszig Sektion Cochlear Implant, Univ.-HNO-Klinik Freiburg
Einleitung Die Cochlear-Implant (CI)-Versorgung ertaubter und taub geborener Kinder und Erwachsener ist eine heute allgemein akzeptierte Therapie. Technologisch-chirurgische Fortschritte, die allgemein in der Medizin beobachtet werden, führen jedoch auch bei der CI-Versorgung zu Veränderungen. So erweitert sich die Indikation von der kompletten beidseitigen Taubheit hin zur Resthörigkeit. Auch das Alter bei Operation ist einer stetigen Veränderung unterworfen. Nicht nur werden Kinder immer früher, heute idealerweise im Alter von etwa 12 Monaten, bei angeborener Taubheit mit einem CI versorgt; auch Erwachsene können selbst im hohen Lebensalter von einer CI-Versorgung profitieren. Implantate und Sprachprozessoren profitieren in ihrer Weiterentwicklung von Verbesserungen der Prozessortechnik, so dass die Größe der Implantate reduziert werden kann, aber auch die Stromversorgungsmöglichkeiten (zum Beispiel Batterien oder Akkus) weiter verbessert werden. Selbst die Operation unterliegt einer Weiterentwicklung, indem heute in erster Linie minimal-invasive Verfahren zur Anwendung kommen, wodurch die Operations- und Krankenhauszeit für die Patienten insgesamt reduziert werden konnte, dies unter Beachtung höchster Qualitätsstandards, um ein optimales
Ergebnis zu erreichen. Auch die in die Hörschnecke eingeführten Elektroden unterliegen Weiterentwicklungen, so dass heute die von Lehnhardt beschriebene Soft-Surgery-Technik (Lehnhardt 1993) einen sehr hohen Stellenwert hat. Die heute und auch zukünftig einzusetzenden Elektroden werden weitgehend atraumatisch sein und erlauben die Erhaltung eines Restgehörs. Um dem hohen Standard der Cochlear-Implant-Versorgung in Deutschland gerecht zu werden, halten wir Qualitätskontrollen für unabdingbar, da wir zeigen konnten, dass die Art der Positionierung einer Elektrode im Innenohr (idealerweise in der Scala tympani) einen Einfluss auf die möglichen Rehabilitationsergebnisse, mindestens im Erwachsenenalter, hat. Weitere zukunftsträchtige Technologien wie die Navigation oder der Einsatz von Operationsrobotern werden zum Teil bereits realisiert und mögen weiterhin helfen, in der Zukunft die chirurgischen Ergebnisse noch zu verbessern. Im Folgenden gehen wir auf die genannten Einzelpunkte ein.
Zur Indikation der Cochlear-ImplantVersorgung Ende der achtziger Jahre war eine beidseitige komplette Taubheit Indikation für die Versorgung mit
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Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
einem Cochlear Implant. Generell erfolgte zu dieser Zeit die CI-Versorgung einseitig, dabei wurde nach Möglichkeit das Ohr mit der kürzestens Taubheitsdauer und den anatomisch günstigsten Bedingungen ausgewählt. Unklar war zu diesem Zeitpunkt, ob die CI-Versorgung bei Mehrfachbehinderungen, Teilobliterationen oder sogar bei einem Restgehör erfolgversprechend sei. Die Erfolge der CI-Versorgung (Lehnhardt und Aschendorff 1995) waren letzten Endes so überwältigend, dass bereits 1993 Lehnhardt den Soft-Surgery-Zugang vorschlug, um auch Resthörige von einem CI profitieren lassen zu können. Insgesamt hat sich zum jetzigen Zeitpunkt ein Sprachverstehen von 30 % Einsilbern mit Hörgerät auf dem besseren Ohr (gemessen bei 70 dB SPL) durchgesetzt. Hier sind jedoch in der Zukunft weitere Veränderungen in Richtung eines besseren Restgehörs zu erwarten. Betrachtet man die Hörschwelle vor Operation, so ist im amerikanischen und englischen Raum ein durchschnittlicher Hörverlust von > 70 dB im Reintonaudiogramm (Mittelung über die einzelnen Frequenzen) sowie ein Sprachverstehen < 50 % bereits ein akzeptierter Standard. Eigene Untersuchungen bei erwachsenen Patienten, die ein CI an der Universitäts-HNO-Klinik erhalten haben, zeigten bei n=200 Erwachsenen einen mittleren Hörverlust von rechts 86,1 dB (Standardabweichung 20,6) und links 85,1 dB (Standardabweichung 21,5). Die mittlere Einsilberverständlichkeit für diese Erwachsenengruppe betrug 5 % Einsilber bei 70 dB mit Hörgerät (Bereich 0–25 %). Das bedeutet, dass heute im Mittel zumindest in Deutschland die Patienten relativ spät ein Cochlear Implantat erhalten, auch das mittlere Einsilberverständnis zeigt, dass der im Moment allgemein akzeptierte obere Bereich von 30 % Einsilbern nicht erreicht wird. Dennoch ist zu erwarten, dass mit weiteren Verbesserungen der intracochleären Elektroden (s. u. Abschnitt Hybridversorgung) die Einschlusskriterien auf 50 % Einsilber gemessen bei 65 dB SPL mit Hörgerät steigen werden. Betrachtet man die Ergebnisse der Rehabilitation, so ist unter diesen Voraussetzungen zu erwarten, dass unsere Patienten mit CI über ein signifikant besseres Sprachverstehen als vor der Versorgung verfügen werden. Während die Indikation bei beidseitiger kompletter Taubheit im Kindesalter mit fehlenden
Reizantworten in der BERA-Untersuchung sowie fehlenden Potentialen in der Elektrocochleographie recht klar zu stellen ist, so findet sich bei älteren Kindern, die ein Restgehör hatten und dies durch eine Progredienz ihrer Schwerhörigkeit verloren haben, zumindest im Durchschnitt ein schlechteres gemitteltes Reintonaudiogramm, wenn diese Kinder dann tatsächlich ein Cochlear Implant erhalten. Es scheint also sinnvoll, hier die Indikation insbesondere bei der Versorgung älterer Kinder zu überdenken und wissenschaftlich zu verfolgen, um genau diesen Patienten optimale Rehabilitationsvoraussetzungen zu geben. So besteht aus unserer Sicht vermehrt Aufklärungsbedarf der betreuenden Kinderärzte, HNO-Ärzte und Pädaudiologen.
Das Alter bei Cochlear-ImplantOperation Voraussetzung der Cochlear-Implant-Versorgung ist eine sichere Diagnose der beidseitigen hochgradigen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit oder Taubheit sowie ein vertretbares chirurgisches und anästhesiologisches Risiko. Betrachten wir beispielsweise die an der Universitäts-HNO-Klinik Freiburg versorgten Patienten (n>1300), so findet sich für Kinder zur Zeit ein Altersgipfel zwischen 1 und 2 Jahren, das mittlere Alter der erwachsenen Patienten liegt bei knapp über 40 Jahren. Während im englischsprachigen Raum (USA und Großbritannien) eine CI-Versorgung im Kinderalter regelmäßig erst ab dem Alter von 12 Monaten erfolgt (dies bedingt durch die Vorgaben der FDA=US amerikanische gesetzliche Regulierungsbehörde und weiterer gesetzlicher Vorgaben), so findet sich in Deutschland die Tendenz, Kinder bereits innerhalb des ersten Lebensjahres zu operieren. Bedingt durch immer mehr Geburtskliniken, Kinderärzte und HNOÄrzte, die an einem Neugeborenen-Hörscreening teilnehmen, kann bei angeborener Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit eine sichere Diagnose bereits im Alter von 4 Monaten gestellt werden. Erfolgt dann zügig eine Hörgeräteversorgung beidseits, die jedoch nicht zum Einsetzen einer Sprachentwicklung führt, so ist
41 Zur Entwicklung der Implantate aus chirurgischer Sicht
in Zukunft zu erwarten, dass Kinder im Alter zwischen 6 und 10 Monaten mit einem CI versorgt werden können (Gross et al. 2004). Das chirurgische Vorgehen bei sehr jungen Kindern im Alter < 12 Monate verlangt jedoch spezielle Voraussetzungen von der implantierenden Klinik. So ist neben einer sicheren chirurgischen Technik mit kurzen Operationszeiten, idealerweise unter einer Stunde, die anästhesiologische Betreuung durch spezialisierte Anästhesisten erforderlich. Der Blutverlust während der Operation muss minimal sein und Möglichkeiten der kinderintensivmedizinischen Betreuung müssen zur Verfügung stehen. Aus eigener Erfahrung kann die Operation auch im Alter von < sechs Monaten unproblematisch sein. Unser jüngstes Kind wurde im Alter von 123 Tagen nach bakterieller Meningitis mit beginnender Obliteration simultan beidseitig mit einem Cochlear Implant versorgt. Dennoch stellt dieses Vorgehen heute noch eine Ausnahme dar. Sinnvoll erscheint die CI-Versorgung sehr junger Kinder in hochspezialisierten Zentren durchzuführen, um die perioperativen Risiken so gering wie möglich zu halten. Bei Erwachsenen ist generell die CI-Operation als unproblematisch anzusehen. Dennoch beobachten wir in letzter Zeit eine Veränderung, indem auch ältere Patienten zunehmend mit einem CI versorgt werden (unser ältester Patient war zum Zeitpunkt der CI-Operation 82 Jahre alt). Angesichts des demographischen Wandels in Deutschland ist zu erwarten, dass in Zukunft das mittlere Alter bei CI-Versorgung von heute knapp über 40 Jahren deutlich ansteigen wird. Auch hier bestehen aus anästhesiologischer Sicht Herausforderungen, da mit zunehmendem Alter zusätzliche Erkrankungen, insbesondere des Herz-Kreislauf-Systems, eine Operation erschweren können. So ist auch für die Versorgung älterer Patienten eine verlässliche Operationstechnik und kurze Operationszeit zu fordern, um die perioperative Morbidität so gering wie möglich zu halten. Die Ergebnisse nach CI-Versorgung im höheren Lebensalter sind ausgezeichnet. Eigene Untersuchungen, aber auch internationale Erfahrungen, zeigen auch für ältere Erwachsene vergleichbar sehr gute Ergebnisse (Orabi et al. 2006, Vermeire et al. 2005).
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Zur Entwicklung der Implantate aus chirurgischer Sicht Standard in der CI-Versorgung ist heute der Einsatz intracochleärer Elektroden mit unterschiedlicher Kanalzahl (22 bei Nucleus-Implantaten, 16 bei Advanced Bionics-Implantaten, 12 bei Med-El-Implantaten) sowie die Verwendung von teilimplantierbaren Systemen, das heißt, dass nach wie vor ein sogenannter Sprachprozessor getragen wird. Dieser nimmt über ein Mikrophon die Hörsignale auf, codiert sie und sendet sie an das Implantat. Auch die Stromversorgung erfolgt über den Sprachprozessor. Die Signalübertragung erfolgt transkutan, das heißt durch die intakte Haut, wobei die sogenannte Spule des Sprachprozessors über einen inneren und äußeren Magneten gehalten wird. In der Entwicklung der Implantate zeigt sich eine deutliche Verkleinerung; auch wurden Keramikkapseln mittlerweile weitgehend verlassen. Zum Einsatz gelangen Metalle wie Platin-IridiumLegierungen, umhüllt von Silikon. Hierbei hat sich gezeigt, dass für diese Implantate eine sehr hohe Biokompatibilität besteht. Allergische Reaktionen stellen Raritäten dar. Aufgrund der Verkleinerung der Implantate ist eine sichere Platzierung auch bei Kindern mit noch sehr dünnem Schädelknochen heute sicher durchzuführen; auch dies ist eine Voraussetzung für die CI-Versorgung immer jüngerer Kinder. Während noch initial Bedenken bestanden, ob eine intracochleäre Elektrodenpositionierung nicht zu einer Traumatisierung des weitgehend tauben Innenohres mit anschließender neuraler Degeneration führen könne (Simmons 1969, Schindler und Merzenich 1973 und Clark et al. 1975), ist es mit den heutigen Implantaten möglich, eine Insertion, also das Einführen des Elektrodenträgers weitgehend atraumatisch durchzuführen (Clark 1977, Klenzner et al. 2004, Richter et al. 2001). Zur Verfügung stehen heute gerade, vorgeformte, perimodioläre, kurze oder lange Elektroden, die je nach anatomischer Situation verwendet werden können. Auch die Sprachprozessoren haben eine Weiterentwicklung durchgemacht, dies insbesondere bedingt durch Fortschritte in der Computertechnologie. So ist heute die Verwendung eines HdO- (Hinter dem Ohr) Sprachprozessors selbst-
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Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
verständlich. Dadurch werden im Gegensatz zu den früheren Taschenprozessoren unsere Patienten weitgehend nicht mehr durch störende Kabel eingeschränkt. Dennoch ist hier insbesondere im Hinblick auf die Versorgung von Kleinstkindern eine weitere Verkleinerung der Systeme zu fordern. Die Sprachkodierungsstrategien, die für jeden Implantattyp, je nach Hersteller, spezifisch verwendet werden, zeichnen sich heute durch immer schnellere Kodierungsstrategien, fortschrittliche Sprachund Musikkodierungen sowie durch den Einsatz virtueller Kanäle aus. Dadurch soll eine feinere Darstellung des Klang- und Sprachspektrums erreicht werden, um nicht nur das Sprachverstehen, sondern auch das Musikhören (z. B. MP3000/ Nucleus, HiRes/Advanced Bionics, FSP/Med-El) zu verbessern. Bereits die Sprachvorverarbeitung bemüht sich heute, die aus der Hörgerätetechnologie bekannten Techniken einzusetzen, in denen beispielsweise das Hintergrundrauschen, also der Störlärm, weitgehend reduziert wird. Die Weiterentwicklung der Sprachkodierungsstrategien ist insbesondere für das Sprachverstehen von Bedeutung. Bisherige Untersuchungen konnten bei Verwendung fortschrittlicher Kodierungsstrategien gegenüber den herkömmlichen (z. B. MPEAK, CIS, CA) mehrheitlich eine Verbesserung des Sprachverstehens nachweisen; dies ist auch für die derzeit in Erprobung befindlichen zu erwarten. In Erprobung befinden sich zurzeit erste vollimplantierbare Systeme. Problematisch ist dabei die reduzierte Empfindlichkeit des unter Haut und Muskulatur liegenden Mikrophons, das auch körpereigene Geräusche (z. B. Blutfluss, Kaugeräusche etc.) überträgt. Auch bedingt die notwendige Implantation eines Akkus das Potential einer Reimplantation, da diese nur eine beschränkte „Lebenszeit“ von einigen Jahren haben. Dieser Akku muss darüber hinaus regelmäßig wieder aufgeladen werden. Weitere Entwicklungen sind hier abzuwarten, bevor ein klinischer Einsatz möglich wird.
Chirurgischer Zugang zum Cochlear Implant Die Cochlear-Implant-Operation stellt heute einen weitgehend standardisierten chirurgischen
Eingriff dar. Die einzelnen Operationsschritte werden im Folgenden erläutert. Während initial die sogenannte erweiterte endaurale Inzision, mit einem großen Hautschnitt über 10 cm, eine weite Verbreitung gefunden hatte, wird diese Inzision heute nur noch bei spezieller Indikation (z. B. bei Versorgung von Radikalhöhlen, speziellen Hauterkrankungen und anderen) angewendet. Durchgesetzt hat sich seit etwa 5 Jahren ein minimal-invasiver Zugang (Aschendorff et al. 2005). Hierbei folgt vergleichbar mit dem Zugang zur Tympanoplastik eine relativ kurze retroaurikuläre Inzision (⊡ Abb. 5.1). Nach unserer Erfahrung handelt es sich hierbei um einen sehr sicheren Zugang, der in jedem Alter angewendet werden kann. Voraussetzung dafür ist eine verlässliche Blutversorgung. Auch muss jedweder chirurgische Zugang die Möglichkeit einer Reimplantation erlauben. Es ist heute davon auszugehen, dass es z. B. bei der Versorgung von Kleinkindern mit einer Lebenserwartung von über 80 Jahren in ihrem Leben zu technischen Ausfällen und Reimplantationen kommen wird. Dem Hautschnitt schließt sich die Mastoidektomie, das Ausbohren des Warzenfortsatzes, sowie die Anlage eines Knochenbettes für das Implantat und die Elektrodenträger an. Dies erscheint von besonderer Bedeutung, um eine Migration des Implantates zu vermeiden. Zwar gibt es im Rahmen der Verkleinerung des Hautschnitts immer wieder Berichte, ein Knochenbett nicht mehr anzulegen und das Implantat bei nur geringer Knochendichte nicht zu fixieren. Hiervon muss jedoch dringend abgeraten werden, um kein Risiko für Revisionsoperationen durch eine Migration des CI einzugehen Um einen Zugang zur Hörschnecke, dies vom Mittelohr aus, zu erreichen, wird über die Mastoidektomie eine sog. posteriore Tympanotomie angelegt (⊡ Abb. 5.2). Dabei wird vom Warzenfortgang ein Zugang zwischen Nervus facialis (Gesichtsnerv) und der Chorda tympani (Anteil des Geschmacksnervs) gefräst. Die Cochleostomie, die Eröffnung der Hörschnecke, folgt den Grundsätzen der Soft-Surgery-Technik (Lehnhardt 1993). Dabei wird der Knochen anterior-inferior des runden Fensters abgeflacht, bis das Endost der Scala tympani dargestellt wird. Diese wird
43 Chirurgischer Zugang zum Cochlear Implant
⊡ Abb. 5.1. Nach Implantation mit retroaurikulärem Hautschnitt
⊡ Abb. 5.2. Blick in das Mastoid nach posteriorer Tympanotomie (1: kurzer Amboss-Fortsatz, 2: posteriore Tympanotomie, 3: Promontorium, Ort der Cochleostomie)
schlitzförmig eröffnet und der Elektrodenträger in die Hörschnecke eingeführt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das sorgfältige Abdichten der Cochleostomie, z. B. mit kleinen Muskelstückchen. Dies erfolgt einmal, um eine sichere Narbenbildung um den Elektrodenträger herum zu erreichen und um möglichen Infektionen vorzubeugen. Darüber hinaus ist diese Abdichtung von Bedeutung bei das Restgehör erhaltenden Operationen, um einen Austritt von Perilymphe mit der Möglichkeit des Verlusts des Restgehörs zu vermeiden. Die Soft-Surgery-Technik wurde ursprünglich für einen geraden Elektrodenträger entwickelt, kann jedoch modifiziert ebenfalls mit dem Ziel des Restgehörerhalts für andere Elektrodenträger (z. B.
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Contour-Advance-Elektrode/Cochlear sowie FlexEAS-Elektrode/MedEl) angewandt werden. Wieder im Fokus ist heute die Insertion eines Elektrodenträgers über das runde Fenster direkt. Hierbei werden sehr zarte, gerade Elektrodenträger (HybridLElektrodenträger/Cochlear) verwendet. Dazu muss der knöcherne Überhang des runden Fensters abgefräst werden, anschließend erfolgen eine sehr kleine schlitzförmige Eröffnung der Membran des runden Fensters und dann die Insertion des Elektrodenträgers. Ziel ist hier ebenfalls die Erhaltung eines Restgehörs (s. unten). Herausfordernd kann für den Operateur die Implantation bei Obliteration oder Ossifikation der Cochlear sein. Eine derartige intracochleäre Einengung des normalerweise flüssigkeitsgefüllten Raumes tritt insbesondere nach bakterieller Meningitis auf. Auch wenn heute die Dringlichkeit der CI-Versorgung nach bakterieller Meningitis außer Zweifel steht (Aschendorff et al. 2005), kann sich eine intracochleäre Verknöcherung dennoch als erhebliche Erschwernis der Operation herausstellen. Hierzu wurden Techniken entwickelt, entweder einen Teil der Schnecke aufzufräsen, dies unter mikroskopischer Kontrolle mit entsprechendem Mikroinstrumentarium. Ebenso wurden spezifische Elektrodenträger (Double Array/Cochlear) entwickelt, um nach Auffräsen sowohl der Basalwindung der Hörschnecke als auch der zweiten Windung der Hörschnecke das Platzieren von möglichst vielen Elektrodenkontakten in der Nähe des Hörnerven zu erlauben. Bei einer kompletten Ossifikation ist es jedoch möglich, dass eine CI-Versorgung nicht mehr erfolgreich ist, dann stellt sich heute die Frage des Einsatzes eines ABI (Auditory Brainstem Implant), um eine völlig verknöcherte Hörschnecke mit eventuell degeneriertem Hörnerven direkt zu überbrücken. Erste Ergebnisse hierzu erscheinen vielversprechend und ermöglichen bei beidseitiger kompletter Ossifikation eine auditorische Ankopplung (Coletti 2006). Ebenso von besonderer Bedeutung ist die CIVersorgung im Rahmen von Fehlbildungen. Untersuchung von Jackler 1987 zeigten, dass in der Computertomographie, die regelmäßig vor der CI-Operation durchgeführt wird, bei angeborener Taubheit Fehlbildungen des Innenohres mit einer
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Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
Häufigkeit von etwa 15–20 % zu beobachten sind. Während diese anatomischen Veränderungen zu erheblichen chirurgischen Schwierigkeiten bei der Platzierung intracochleärer Elektroden führen können und dementsprechend früher eine Kontraindikation zur CI-Versorgung darstellten, werden heute auch komplexe Innenohrfehlbildungen erfolgreich mit einem CI versorgt. Hierbei hat sich der Einsatz neuester Technologie, nämlich der Navigation, bewährt (Schipper et al. 2004). Gleichzeitig erlaubt heute die Anwendung der intraoperativen 3D-Volumen-Computertomographie eine direkte Kontrolle des chirurgischen Ergebnisses, also der Elektrodenposition. Dies erlaubt eine Verbesserung der chirurgischen Qualität, verhindert gleichzeitig Komplikationen, reduziert die Operationszeit und den Operationsaufwand und verhindert zusätzliche operative Eingriffe. Allerdings stehen aufgrund der Kosten derartige Systeme nur in hochspezialisierten Zentren zur Verfügung. Dennoch ist anzunehmen, dass sie aufgrund der genannten Vorteile eine weitere Verbreitung finden werden. Eigene Erfahrungen zeigen, dass mittels intraoperativer Navigation und intraoperativer radiologischer Kontrolle die sichere Elektrodenplatzierung auch bei komplexesten Fehlbildungen sicher durchführbar ist.
Elektroakustische Stimulation, Hybrid-Cochlear-Implant Bedingt durch die guten Erfahrungen in der Implant-Rehabilitation resthöriger Patienten sowie die Forschungsergebnisse über einen möglichen Restgehörerhalt bei Cochlear-Implant-Operation werden heute Systeme entwickelt, die neben einer sicheren chirurgischen Elektrodeninsertion mit Erhalt des Restgehörs einen späteren gleichzeitigen Gebrauch von Sprachprozessor und Hörgerät an einem Ohr erlauben. Hierdurch erwartet man Synergien zwischen der Elektrostimulation des Hörnervs und der gleichzeitigen akustischen Stimulation des noch funktionsfähigen Innenohres. Insbesondere das Sprachverstehen im Störlärm und auch die Musikwahrnehmung sollen hierdurch verbessert werden. Insbesondere bei Vorliegen eines sehr guten Restgehörs im Tiefton-
a
b ⊡ Abb. 5.3a,b. a Blick durch die posteriore Tympanotomie nach Freilegen des runden Fensters (Pfeil: Rund-Fenster-Membran), b Insertion einer Hybrid-Elektrode durch das runde Fenster
bereich kommen diese CI-Systeme zum Einsatz. Ursprünglich schlugen von Illberg et al. (1999) die Verwendung eines kürzeren Elektrodenträgers, der über eine Cochleostomie in Soft-Surgery-Technik eingeführt wird, in Kombination mit einem Med-El-Implantat vor. Aktuell wird eine Multicenter-Studie durchgeführt, bei der ein ebenfalls kürzerer Elektrodenträger über das runde Fenster in die Scala tympani inseriert wird (⊡ Abb. 5.3). Die Ergebnisse von von Illberg et al. und folgende sowie erste Ergebnisse der HybridL-Multicenter-Studie (Leitung: Prof. Dr. T. Lenarz) sind erfolgversprechend. Insbesondere aus chirurgischer Sicht erscheint die Insertion eines kürzeren Elektrodenträgers über das runde Fenster mit einer hohen Sicherheit das Restgehör zu erhalten. Weitere Ergebnisse, vor allem zum Langzeitverlauf, sind jedoch abzuwarten.
45 Qualitätskontrolle
Die derzeitige Indikation für eine elektroakustische Stimulation wird bei maximal 50 % Einsilbern mit Hörgerät bei 65 dB SPL auf der zu implantierenden Seite gesehen.
Qualitätskontrolle Nicht nur in der Industrie, auch im medizinischen Bereich gewinnt die Kontrolle der Qualität an zunehmender Bedeutung. In einer von uns durchgeführten PORT-Studie (Postoperative Rotationstomographie, Aschendorff et al. 2004, 2005 und 2007) untersuchten wir die intracochleäre Elektrodenposition nach Einsatz eines Contour- oder Contour Advance-Elektrodenträgers. Ziel der Untersuchung, die bei erwachsenen CI-Patienten mit progredienter Schwerhörigkeit ohne Fehlbildung durchgeführt wurde, war die Fragestellung, wie häufig es tatsächlich gelang, eine Elektrode innerhalb der Scala tympani zu platzieren. Dazu erhielten erwachsene Patienten postoperativ eine der Computertomographie ähnliche Untersuchung (Rotationstomographie bzw. 3D-Volumen-CT). Mittels dieser Technik ist es heute möglich, die intracochleäre Lage innerhalb der verschiedenen Scalen der Hörschnecke zu bestimmen. Ziel jeder Cochlear Implantation ist heute die Insertion eines Elektrodenträgers möglichst in der Scala tympani. Dies einmal aus anatomischer Sicht, da die Scala tympani ein größeres Volumen aufweist. Auch erlaubt sie die Platzierung der Elektroden näher am Hörnerven. Darüber hinaus ist ein Restgehörerhalt und ein weitgehend atraumatisches Inserieren des Elektrodenträgers nur über die Scala tympani zu erreichen. In einem ersten Studienabschnitt hatten wir wider Erwarten eine hohe Rate an Scala vestibuli-Insertionen gefunden. Diese Ergebnisse beeinflussten direkt die chirurgische Qualität und veränderten die Positionierung der Cochleostomie, so dass im weiteren Verlauf nun eine Scala tympani-Insertionsrate von 84 % gegenüber initial nur 33 % erreicht wird. Bei Verwendung des Contour advance-Elektrodenträgers konnten wir ebenfalls beobachten, dass aufgrund des verbesserten anatomischen Verständnisses und der Optimierung des Elektrodenträgers im Vergleich
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zum früheren Contour-Elektrodenträger eine Dislokationsrate, d. h. das Übertreten der Elektrode aus der Scala tympani in die Scala vestibuli, von 71 auf 22 % gesenkt werden konnte. Das bedeutet also, dass die Kontrolle der chirurgischen Qualität einen direkten Einfluss hat auf das chirurgische Vorgehen. Es stellte sich darüber hinaus die Frage, ob denn tatsächlich die Elektrodenlage einen Einfluss auf die Rehabilitationsergebnisse hat. Interessanterweise konnte bei einer Untersuchung von 43 erwachsenen Patienten, ebenfalls mit progredienter Schwerhörigkeit ohne Fehlbildungen, eine signifikante Abhängigkeit der Rehabilitationsergebnisse von der Elektrodenlage gezeigt werden (Aschendorff et al. 2007). Dabei zeigte sich in der Cochlear-Implant-Versorgung für alle Patienten eine erhebliche Verbesserung im Vergleich zum präoperativen Hörvermögen. Dennoch zeigte eine statistische Auswertung, dass eine Implantation in die Scala tympani vorteilhaft ist und die Ergebnisse signifikant besser waren als nach einer Insertion in die Scala vestibuli. Entsprechend werden heute weltweit Anstrengungen unternommen, eine möglichst hohe Insertionsrate in die Scala tympani zu erreichen, dies einmal durch Verbesserungen der Cochleostomietechnik oder aber durch Insertionen über das runde Fenster. Demgegenüber muss erwähnt werden, dass in Ausnahmefällen anatomische Situationen bestehen, die zu einer Insertion in die Scala vestibuli zwingen können. Dies kann der Fall sein bei einer Teilobliteration / Vernarbung der Hörschnecke, z. B. nach Meningitis oder Labyrinthitis. Eigene Untersuchungen, aber auch Berichte von Bacciu et al. 2002 sowie Kiefer et al. 2000 zeigen, dass in diesen Fällen eine Scala vestibuli-Insertion vorteilhaft ist und die Rehabilitationsergebnisse ausgezeichnet sind. Zu bedenken ist allerdings, dass bei diesen Patienten regelmäßig eine extrem kurze Taubheitsdauer vorliegt, die diese sehr guten Ergebnisse erklären mag. Eigene Erfahrungen bei der Scala vestibuli-Insertion nach Meningitis zeigen ebenfalls exzellente Ergebnisse. Dennoch ist die chirurgische Qualitätskontrolle von Bedeutung und beeinflusst das chirurgische Vorgehen und trägt damit zur Verbesserung der Rehabilitationsergebnisse bei.
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Kapitel 5 · Technologisch-chirurgischer Fortschritt bei der Cochlear Implantation
Fazit
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Die Cochlear-Implant-Versorgung erfolgt heute in standardisierter Weise, die eine Implantation praktisch in jedem Lebensalter ermöglicht. Eine verlässliche Operationstechnik hilft, das chirurgische Ergebnis zu verbessern und damit optimale Voraussetzungen für die Rehabilitation zu schaffen. Weitere technische Verbesserungen werden in Zukunft erfolgen. Auch sie lassen erwarten, dass der Hörerfolg mit einem Cochlear Implant, zukünftig auch bilateral, weiter verbessert wird.
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6 Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur Cochlear-Implant-Versorgung A. Ernst, I. Todt
Es ist das Ziel eines jeden CI-Chirurgen, möglichst atraumatisch und schonend im Rahmen des operativen Vorgehens das Implantat und insbesondere die Elektrode einzusetzen, um so die Belastung für den Patienten möglichst zu minimieren bei gleichzeitig erhaltener, hoher Qualität der Versorgung. Dabei gibt es einige wichtige Eckpunkte zu berücksichtigen: ▬ Die äußerlich sichtbare Schnittführung hinter dem Ohr sollte so klein wie möglich dimensioniert werden. ▬ Trotz minimal-invasiver Schnittführung muss jederzeit eine optimale Übersicht über das Operationsfeld garantiert sein, so dass bei Arbeiten unter dem Operationsmikroskop und mit dem Diamantbohrer jederzeit eine gute Sicht auf das Operationsfeld gewährleistet ist und so auch intraoperative Gefahrensituationen oder anatomische Besonderheiten jederzeit sicher beherrscht werden können. ▬ Es sollten möglichst alle Elektroden in das Innenohr (die Cochlea) unter Sicht und so atraumatisch wie möglich (vgl. »soft-surgery technique«) eingeführt werden.
Wenn man diesen heutigen Standard bedenkt und die historische Entwicklung der CI-Chirurgie nachverfolgt, so wird der immense Fortschritt in der Versorgung von tauben und ertaubten Patienten im Bereich der Chirurgie deutlich. Dies soll auf den nächsten Seiten etwas umfänglicher beschrieben werden.
Der Beginn der Cochlear-ImplantChirurgie Die Cochlear-Implant-Chirurgie (CI-Chirurgie) ist in ihren Anfängen mit dem Namen W.F. House, G. Clark und E. Lehnhardt verbunden. Diese Chirurgen waren erfahren in der Chirurgie des Felsenbeins bzw. des Ohres, konnten mit einem Operationsmikroskop, den dafür erforderlichen Mikroinstrumenten und insbesondere den Diamantfräsen souverän umgehen. Die chirurgische Anatomie des Ohres und des Felsenbeins ist eine komplexe und komplizierte Angelegenheit, da sich Hirnnerven (z. B. der Gesichtsnerv), große blutführende Gefäße und Blutleiter (z. B. der Sinus sigmoideus) sowie das Hör- und Gleichgewichtsorgan (Labyrinth) auf engstem Raum begegnen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrun-
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Kapitel 6 · Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur Cochlear-Implant-Versorgung
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⊡ Abb. 6.1. Beginn der CI-Chirugie in den 80er Jahren (Nucleus 22, COCHLEAR AG): Schnittführung, Implantatelage und Systemkonfiguration im Überblick
gen und dem Spezialistenwissens konnten die oben genannten Chirurgen so – mit individuellen Variationen – Zugangswege entwickeln, die eine sichere Einführung der CI-Elektrode ermöglichten bei gleichzeitig gutem, nicht verrutschendem Sitz des Implantatkörpers (⊡ Abb. 6.1). Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang, dass im frühen Anfangsstadium der CI-Chirurgie auch extracochleäre Elektroden zur Anwendung kamen. Diese befanden sich außerhalb des Innenohres und wurden auf die Außenwand des Innenohres (das Promontorium) oder das runde Fenster aufgeklebt bzw. dort platziert (Banfai et al. 1978). Prinzipiell waren die Chirurgen sich darüber einig, dass das Vorgehen zur CochleaImplantation standardisiert werden sollte und neben einer variablen Schnittführung ein Zugang
über den Warzenfortsatz (das sog. Mastoid), die Nische des Gesichtsnervs (Recessus facialis) in das Mittelohr erfolgen sollte (Clark 1978; Lehnhardt u. Hirshhorn 1987). Die Öffnung in das Mittelohr (posteriore Tympanotomie) birgt besonders das Risiko der Gesichtsnervverletzung (Fazialisparese) in sich. Auf diese Weise waren jedoch die relevanten Strukturen, die für das Einführen der Elektrode notwendig sind, besonders gut, sicher und gleichzeitig anatomisch geschützt durch die knöcherne Umgebung zu erreichen. Unklar blieb viele Jahre, wie die Schnittführung gestaltet und wo das eigentliche Implantat platziert werden sollten. Daneben wurde häufig diskutiert, ob eine drahtlose oder eine transkutane Verbindung (Steckerprinzip) für eine Verbindung zum Sprachprozessor sinnvoll wäre (Clark 2003).
49 Standardisierung der Operationstechnik
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Standardisierung der Operationstechnik Prinzipiell war man sich Anfang der 80er Jahre einig geworden, dass der Eingriff so dimensioniert sein sollte, dass auch beim Wachstum des kindlichen Schädels keine Verschiebungen des Implantats auftreten dürfen, dass die Operation so risikolos wie jede andere Ohroperation verlaufen sollte und dass der Hautmuskellappen über dem Implantat sicheren Schutz bieten sollte. Mittlerweile war man von transkutanen Steckverbindungen abgekommen, so dass das eigentliche Implantat komplett unter der Haut verschwinden konnte. So entwickelte Pyman und Clark ein standardisiertes Vorgehen für das seinerzeit technologisch am weitesten entwickelte CI (Nucleus 22) (Lehnhardt u. Hirshhorn 1987; Clark 2003). Unter antibiotischem Schutz wurde der Ohrbereich rasiert und ein in die Scheitelregion führender Hautschnitt entwickelt (⊡ Abb. 6.2), der das über dem Implantat liegende Areal der Hautmuskelschicht möglichst nicht tangiert. So sollte vermieden werden, dass Infektionen sich in diesem Bereich ausbreiten können und über dem Implantat die Hautschicht zerstört werden würde (Clark 2003). Es wurde dann eine Mastoidektomie mit Freilegen des kurzen Ambossfortsatzes durchgeführt. Dies umfasst ein weitgehendes Ausbohren der lufthaltigen Zellen im Warzenfortsatz unter Belassen überhängender Knochenränder mit Darstellung des Eingangs zum Mittelohr. Oberhalb, auf der Oberfläche des knöchernen Schädels, wurde ein Knochenbett gebohrt, das hinter der Schnittführung lag, sodass in das Knochenbett nach Ausmessen mit einer Schablone das Implantat eingesenkt werden konnte (⊡ Abb. 6.3). Dieses wurde mit Fäden fixiert und ein schmaler knöcherner Tunnel führte zum Mastoid, in das die Elektrode geführt werden konnte. Als nächsten Operationsschritt eröffnete man den sog. Chorda-facialis-Winkel, d. h. eine dünne Knochenlamelle zwischen dem Geschmacksnerv (Chorda facialis) in der hinteren Gehörgangswand und dem Gesichtsnerv wurde mit einer feinen Diamantfräse eröffnet. Hier bestand auch schon damals die Gefahr einer Gesichtsnervverletzung bei anatomisch-untypischem Verlauf. Entlang der hinteren Gehörgangswand ging man dann weiter
⊡ Abb. 6.2. Klassische Schnittführung (nach Clark/Lehnhardt) aus den 80er bzw. 90er Jahren zur Cochlea-Implantation
⊡ Abb. 6.3. Anlage des Implantatbettes (nach Lehnhardt) in den 80er Jahren
in Richtung Mittelohr vor, bis man den Zugang zum Mittelohr erreicht hatte und man dann auf das Amboss-Steigbügel-Gelenk und die Steigbügelsehne schauen konnte. Dann erfolgte mit einem dünnen Diamantbohrer (1-mm-Diamantbohrer) die Eröffnung des Innenohres (»Cochleostomie«). Die Cochleostomie (⊡ Abb. 6.4) sollte möglichst in der Nähe des runden Fensters erfolgen. Das Einführen der Elektroden gelingt im Allgemeinen bis zu einer Tiefe von mindestens 20 mm, oft auch bis zu 25 mm, so dass seinerzeit alle 22 Elektro-
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Kapitel 6 · Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur Cochlear-Implant-Versorgung
⊡ Abb. 6.4. Aufsicht auf das eröffnete Innenohr (»Cochleostomie«)
den gut in der basalen und mittleren Windung des Innenohres platziert werden konnten. Mittels Spezialinstrumenten (»the claw«) konnte man den Elektrodenträger sanft vorschieben (Clark 1978). Wenige Jahre später entwickelte aus diesem Standard heraus Lehnhardt die sog. »soft surgery technique«, bei der nach Freilegen des Endostes (Knochenhaut) am Innenohr vorher Healon in das Innenohr eingespritzt wurde, um so ein möglich gleitend-atraumatisches Einführen des Elektrodenträgers zu ermöglichen. Nach der Hautnaht sollte möglichst ein Druckverband angelegt werden, um hier eine Hämatombildung zu minimieren. Erst später wurde das operative Vorgehen auch für Fehlbildungen des Ohres und/oder des Schädels (z. B. Mondini-Dysplasie) oder für spezielle Krankheitszustände (z. B. chronische Mittelohrentzündung) modifiziert (s. unten; Issing et al. 1998).
Chirurgische Spezialversorgung bei Begleiterkrankungen des Ohres und des Felsenbeins In den 90er Jahren etablierte sich die CochleaImplantation als chirurgische Standardtechnik bei taub geborenen Kindern und bei ertaubten Erwachsenen. Insbesondere im kindlichen Bereich (Ernst et al. 1998) ergab sich die Notwendigkeit, Kinder nach durchgemachter Meningitis, bei denen die Gehörschnecke bereits teil- oder komplett
⊡ Abb. 6.5. Im Rahmen des intraoperativen, neurophysiologischen Monitorings überprüft während der Operation ein Ingenieur (im Bild vorn) die Funktionsfähigkeit der benachbarten Hirnnerven und des dann eingesetzten Implantates – während dieser Messungen hat der Operateur (im Bild hinten) dann ein paar Minuten Pause
verknöchert war, ebenfalls zu versorgen und Kinder mit angeborenen knöchernen Fehlbildungen zu versorgen. Hierfür wurden verschiedene Techniken entwickelt, die darauf beruhten, entweder Teile des Innenohres separat frei zu legen (Bohren einer Rinne für das Einsenken von Elektroden) oder durch alternative Zugangswege (z. B. Einführen des Elektrodenträgers in die Scala vestibuli der zweiten Windung aufwärts) Abhilfe zu schaffen, wenn ein normales Einführen der CI-Elektrode in die untere Windung des Innenohres aus anatomischen Gründen unmöglich war. Speziell für solche Fälle wurden auch Sonderelektroden (z. B. »double array«) entwickelt, die eine Versorgung ermöglichten. Diese CI-Spezialversorgungen erfordern ein hohes technisches Können seitens des Chirurgen und eine optimale intraoperative Überwachung durch intraoperatives, neurophysiologisches Monitoring (⊡ Abb. 6.5) des Gesichtsnervs und ggf. auch des Gleichgewichtsnervs (Nölle et al. 2003; Ernst et al. 2006). Im Bereich der Erwachsenen tauchte das Problem auf, dass Patienten mit einer über Jahrzehnte bestehenden chronischen Mittelohrentzündung ertaubten, so dass hier eine Technik entwickelt werden musste, die einerseits sicher die Entzündung beseitigt und andererseits die Einführung eines
51 Minimal-invasive Cochlea-Implant-Chirurgie
Cochlea-Implantats ermöglicht. Hierzu etablierte sich der sog. »Blindsackverschluss« des äußeren Gehörgangs nach subtotaler Petrosektomie, wodurch die chronische Mittelohrentzündung ausgeräumt werden konnte (Issing et al. 1998). In seltenen Fällen gelang sogar die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat bei erhaltenem Hörnerv, obwohl an diesem ein gutartiger Tumor (Akustikusneurinom) lag, der funktionsschonend unter Erhalt des Nervs entfernt werden konnte (Nölle et al. 2003). Besondere anatomische Situationen (z. B. erweiterter innerer Gehörgang mit Austreten von Liquor bei Cochleostomie bzw. hochstehendem N. facialis oder vorspringendem Sinus sigmoideum) sind Situationen, mit denen der erfahrene CI-Chirurg in der Regel umzugehen weiß, da dazu spezielle Richtlinien des Vorgehens entwickelt wurden (Clark 2003). Auch hier muss betont werden, dass ein optimaler Operationserfolg von der präoperativen Planung (Durchführung entsprechender radiologischer Spezialuntersuchungen, einschließlich hoch auflösendem Felsenbein-CT sowie MRT) und einem hoch entwickelten intraoperativen neurophysiologischen Monitoring (⊡ Abb. 6.5) zur Vermeidung von Komplikationen abhängen (vgl. Jöhr et al. 2008).
Minimal-invasive Cochlea-ImplantChirurgie Nachdem sich die CI-Chirurgie zu einer sicheren und komplikationsarmen Methode der Patientenversorgung innerhalb der ersten 20 Jahre ihrer stürmischen Entwicklung entwickelt hatte, begann man Modifikationen einzuführen, die vor allem dazu dienen sollten, das Vorgehen so atraumatisch und für den Patienten so wenig belastend wie möglich zu gestalten. Ein wichtiger Punkt war dabei, die Schnittführung zu modifizieren und zu minimieren (⊡ Abb. 6.6), so dass eine kleine retroaurikuläre Inzision ausreichend wäre. Dies gelang auch weitgehend, so dass heute eine 3–5 cm lange Schnittführung hinter dem Ohr zur Cochlea-Implantation in den meisten Fällen üblich und möglich ist. Ausgenommen von diesem Vorgehen sind
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⊡ Abb. 6.6. Minimal-invasive Hautschnittführung zur CochleaImplantation (im oberen Rand ist auf der Haut der spätere Sitz des CI markiert)
Fälle der Spezialversorgung (s. oben), bei denen eine Beseitigung begleitender Ohrerkrankungen notwendig ist oder bei denen veränderte anatomische Verhältnisse ein modifiziertes Vorgehen erforderlich machen. Während man unterschiedlicher Auffassung über die Ausdehnung der Mastoidektomie war und ist, hat sich weitgehend die Durchführung der Cochleostomie in der Nähe des runden Fensters etabliert (Todt et al. 2005; 2008; Roland et al. 2007), um so die Scala tympani der Basalwindung zu treffen. Damit soll eine Verletzung der Basilarmembran ausgeschlossen und gleichzeitig vermieden werden, dass postoperativ Gleichgewichtsstörungen auftreten, wie sie gelegentlich bei Insertion in der Scala vestibuli möglich sind (Todt et al. 2008). Hierzu dient ebenfalls das IOM, bei dem intraoperativ überwacht werden kann, in welchem Umfang der Chirurg seine Elektrode optimal platziert (Ernst et al. 2006, 2008). Während in den 80er Jahren die Elektrode »einfach« in das Innenohr »vorgeschoben« wurde, versucht man heute, durch eine Optimierung der Elektrodenposition zu erreichen, dass diese möglichst nah an der Schneckenspindel (d. h. modiolusnah) liegt. Hierzu wurde von Todt et al. (2005, 2008) die sog. »Pull-back-Technik« etabliert, mit deren Hilfe sich eine deutlich verbesserte und mit geringeren Stromstärken auskommende elektrische Stimulation des Hörnervs realisieren lässt. In jüngster Zeit sind daneben einige chirurgische Besonderheiten beschrieben worden, wie sie bei der Cochlea-Implantation sehr junger Klein-
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Kapitel 6 · Die Entwicklung minimal-invasiver chirurgischer Verfahren zur Cochlear-Implant-Versorgung
kinder (unter einem Jahr) zu berücksichtigen sind (Jöhr et al. 2008). Insbesondere die Besonderheiten des anästhesiologischen Managements, der Blutstillung und kardiopulmonaler Risikofaktoren wurden dabei betont (Jöhr et al. 2008). Bei Erwachsenen wurde kürzlich (Labadie et al. 2008) beschrieben, dass mit Hilfe einer computerisierten Software (»computer-aided surgery«) ein dünner Kanal bis zum Innenohr gebohrt werden konnte, sodass der Hautschnitt noch verkleinert werden kann. Dieses Vorgehen erscheint bei normalen anatomischen Verhältnissen durchaus möglich, ist jedoch in der Kindheit und bei möglichen Besonderheiten mit zu großen Risiken hinsichtlich der Verletzung wichtiger Strukturen behaftet. Zusammenfassend kann man nach über 10.000 weltweit durchgeführten CI-Operationen feststellen, dass sich die CI-Versorgung als sicheres, für die Patienten segensreiches und auch für die Allgemeinheit als kosteneffizientes Verfahren etabliert hat, das noch eine große Zukunft vor sich hat (z. B. Vollimplantat).
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7 Bilaterale CI-Versorgung heute T. Steffens
Seit den ersten Anfängen der direkten Hörnervstimulation zur Reaktivierung des Hörens bei Taubheit im Jahre 1950 (CIark 2003) blicken wir heute auf weltweit über 140.000 Menschen, die mit einem CI versorgt wurde. In Deutschland kommt man nach einer Schätzung auf der Basis von Herstellerangaben zum Stichtag 01.11.2007 auf etwa 16.000 CI-Träger. Davon wurden etwa 1200 Patienten, also ca. 7%, auf beiden Ohren (bilateral) versorgt. Aus der Patientenstatistik des Bayerischen Cochlear Centrums an der Universitäts-HNO-Klinik in Regensburg lässt sich exemplarisch die Geschichte der bilateralen (beidseitigen) Implantation im Zusammenhang mit Meilensteinen der technischen Entwicklung der CI-Systeme (Implantat und Sprachprozessor) darstellen. Den entscheidenden Anstoß zum Start eines klinischen Programms zur bilateralen Implantation gab die Einführung kleiner Hinter-dem-Ohr-(HdO-)Sprachprozessoren. Obwohl alle Hörvorteile einer bilateralen Implantation auch mit der Technik der Taschenprozessoren (große, in der Tasche oder am Gürtel zu tragende Sprachprozessoren) realisiert werden konnten, ergaben Patientenbefragungen, dass der tägliche Umgang mit zwei Taschenprozessoren als zu aufwendig angesehen wurde. Alle befragten CI-Träger gaben der
Anwendung von HdO-Sprachprozessoren den Vorzug. Die bei den ersten bilateral implantierten Patienten erzielten Hörvorteile waren subjektiv wie objektiv so überzeugend, dass sich in Regensburg schon ab dem ersten Jahr nach Einführung der bilateralen Implantation etwa die Hälfte der Patienten bzw. Eltern gehörloser Kinder für eine bilaterale Versorgung entschlossen. Dieser Trend ist bis heute ungebrochen.
Die Vorteile des binauralen Gehörs Das sog. binaurale Gehör bezeichnet die Eigenschaft unseres Hörsystems, die von beiden Ohren empfangenen Schallsignale so miteinander zu verarbeiten, dass wir besondere Fähigkeiten und dadurch Hörvorteile gewinnen, die mit nur einohrigem Hören nicht erzielt werden können. Das binaurale Gehör entfaltet seine Hörvorteile vor allem unter den schwierigen Bedingungen des Sprachverstehens im Störgeräusch und beim Richtungshören. Generell lassen sich zwei Klassen von Effekten identifizieren, die dem binauralen Hören zugrunde liegen: 1. der rein physikalisch-akustische Effekt des Schallschattens durch den Kopf, der unabhän-
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Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
gig vom Stand der Hörentwicklung genutzt werden kann und 2. neurophysiologisch basierte Effekte der binauralen Informationsverarbeitung im auditorischen System, die erst durch Training der beteiligten Neurone mit Hilfe von Hörsignalen etabliert werden müssen.
um mehr als 20 Prozentpunkte verbessert werden, das Satzverstehen sogar um mehr als 40 Prozentpunkte. Die Größenordnung des Zugewinns an Sprachverstehen ist aber sehr von den raumakustischen Bedingungen abhängig und reduziert sich, wenn das Störgeräusch aus mehreren Richtungen kommt, z. B. durch mehrere Störschallquellen oder Nachhall.
Der Schallschatten des Kopfes Neurophysiologische Effekte
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Trifft Schall auf ein festes Hindernis, wird er dann vom Hindernis zurückgeworfen, wenn die Schallfrequenz (Tonhöhe) so hoch ist, dass die damit verbundene Schallwellenlänge kleiner als die Größe des Hindernisses ist. Ähnlich wie die optische Erscheinung eines Lichtschattens ist der Schallpegel hinter dem Hindernis deutlich niedriger als seitlich davon oder davor. Beim Hören stellt der Kopf ein solches Hindernis dar. Kommt der Schall z. B. von links, tritt auf dem rechten Ohr der Schallschatten auf, wodurch die Lautstärke erheblich reduziert wird. Der Kopfschatteneffekt vermindert hohe Frequenzen über 1 KHz (Wellenlänge kleiner als Kopfdurchmesser) um bis zu 20 dB, tiefe Frequenzen unter 1 KHz wegen ihrer größeren Wellenlängen nur um 0–6 dB (Blauert 1974; Tyler et al. 2003). Der Effekt des Schallschattens durch den Kopf muss nicht erlernt werden, sondern steht jedem Hörer unmittelbar zur Verfügung. Beim Sprachverstehen im Störgeräusch ist er von besonders großem Nutzen, wenn ein Störgeräusch vor allem aus einer seitlichen Richtung kommt und gleichzeitig Sprache entweder von vorne auf beide Ohren oder von der Gegenseite auf das der Störgeräuschquelle abgewandte Gegenohr gelangt. Der, durch den Schallschatten auf dem Gegenohr verminderte Störgeräuschpegel, führt dort zu einem verbesserten Signal-Rausch-Verhältnis (Differenz zwischen Sprach- und Störgeräuschpegel) und verbessert damit das Sprachverstehen. Die Größenordnung der Verbesserung des Sprachverstehens bei CI-Patienten ist individuell sehr verschieden und kann hier nur exemplarisch als typische, von vielen Patienten erreichte Größenordnung angegeben werden. Bei bilateral versorgten CI-Trägern kann durch den Kopfschatteneffekt das Verstehen von Einzelworten typischerweise
Die neurophysiologischen Effekte des binauralen Gehörs stehen uns nicht sofort mit dem Beginn des Hörens zur Verfügung. Sie müssen durch Training der beteiligten Neurone auf der Basis von akustischen Reizen, die zur Stimulation von Hörbahn und Hörkortex (Bereich der Hörverarbeitung in der Großhirnrinde) führen und dadurch spezifische Neuronenverknüpfungen auslösen, erworben werden. Sie entwickeln sich bei normal hörenden Kindern erst in den ersten Lebensjahren und erreichen die größten Hörvorteile erst im Alter von 12–15 Jahren. Wesentliche Prozesse des binauralen Gehörs laufen in der Hörbahn ab. Die Hörbahn beginnt direkt hinter dem Innenohr und besteht aus dem Hörnerv und einer Vielzahl hoch spezialisierter Nervenzellen, deren Aufgabe es ist, die im ursprünglichen Schallsignal enthaltene Information vorzuverarbeiten und an den Hörkortex weiterzuleiten. Schon auf der Hörbahn werden die Signale des linken und des rechten Ohrs das erste Mal direkt miteinander in Beziehung gebracht und damit die erste Stufe des binauralen Gehörs geschaffen. Dadurch werden wesentliche Elemente des Richtungshörens und eine Verbesserung des Sprachverstehens im Störgeräusch oder Nachhall realisiert. Die Signalvorverarbeitung muss aber den beteiligten Neuronen im Hirnstamm durch aktives Hören erst antrainiert werden. Erst durch beidohriges Hören können sich die entscheidenden Nervenzellen richtig miteinander verknüpfen und ihre Signalverarbeitungsprozesse optimieren. Die Hörbahn reift durch ausreichende beidseitige Stimulation und erlangt ihre endgültigen binauralen Fähigkeiten bei normal hörenden Kindern in den ersten beiden Lebensjahren. Das Gleiche gilt für den Hörkortex,
55 Neurophysiologische Effekte
der die vorverarbeiteten Signale aus der Hörbahn zu einer identifizierbaren Hörwahrnehmung aufbereitet. Auch wenn die Reifung der Hörbahn schon abgeschlossen ist, verbessern die kortikalen neuronalen Verknüpfungen des Sprachverstehens und des Richtungsgehörs weiterhin ihre Wirksamkeit durch fortlaufendes Training im Verlauf der folgenden Jahre. Bei normalhörenden Kindern lassen sich beispielsweise altersabhängige Verbesserungen des Sprachverstehens unter schwierigen Störgeräuschbedingungen durch fortlaufendes Neuronentraining bis zur Pubertät nachweisen. Fehlt innerhalb dieser kritischen Zeitspannen zur Entwicklung des binauralen Gehörs eine adäquate beidseitige akustische Stimulation, können sich die notwendigen neurophysiologischen Prozesse nicht oder nur unzureichend entwickeln. Die nachfolgend beschriebenen neurophysiologisch basierten Effekte des binauralen Gehörs ermöglichen ein verbessertes Sprachverstehen im Störgeräusch und das Richtungshören. Als grober Anhaltspunkt für die Größenordnung der binauralen neurophysiologischen Hörvorteile bei CIPatienten, die vor ihrer Ertaubung normal gehört haben und über ein voll entwickeltes binaurales Gehör verfügten, werden typische Ergebnisbereiche von bilateral implantierten spätertaubten Erwachsenen aus einer Übersichtsarbeit von Ching et al. (2007) vorgestellt. Binaurale Rauschunterdrückung. Die größte neurophysiologisch basierte Verbesserung des Sprachverstehens im Störgeräusch bewirkt die binaurale Störgeräuschunterdrückung im Hirnstamm (»binaural squelch«). Sie entsteht durch die vergleichende Verarbeitung der Nervensignale beider Hörbahnen (Zurek 1993). Bei CI-Trägern kann eine Störgeräuschreduktion von 1–2 dB nachgewiesen werden. Die daraus resultierende Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses kann zu einer Verbesserung des Sprachverstehens von 5–15 Prozenzpunkten für Einzelwörter und 10–30 Prozentpunkten für Sätze führen. Binaurale Redundanz. Einen graduell schwächeren Effekt stellt die binaurale Redundanz dar. Sie basiert auf der gegenseitigen Ergänzung der Hörinformationen beider Seiten und führt zu einer
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Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnis von ca. 1 dB, entsprechend einer Verbesserung des Sprachverstehens von Einzelwörtern von 5 Prozentpunkten und von Sätzen um 10–15 Prozentpunkte. Binaurale Summation. Der dritte neurophysiologische Effekt stellt die binaurale Summation dar. Die doppelte Schallverarbeitung durch zwei Ohren führt zu einem stärkeren zentralen Erregungsmuster. Dieser Effekt wirkt sich vor allem in Ruhe aus und hat die Wirkung einer Erhöhung der Sprachlautstärke von 1–3 dB. Die Verbesserung des Sprachverstehens beträgt hierbei ca. 5–20 Prozentpunkte für Einzelwörter und 10–45 Prozentpunkte für das Satzverstehen. Richtungshören. Die Fähigkeit zum Erkennen der Richtung in der Horizontalebene, aus der ein Schallsignal kommt, basiert auf der neuronalen Verarbeitung von Zeitunterschieden des Eintreffens der ersten Wellenfront des Schallsignals und auf Schallpegel- und Klangunterschieden zwischen den Ohren, wenn ein Schallsignal aus einer seitlichen Richtung den Kopf erreicht. Das Richtungshören wird auch als Lokalisation bezeichnet. Die Zeitunterschiede der ankommenden Schallwelle zwischen beiden Ohren werden schon kurz hinter dem Innenohr durch spezielle Nervenzellen auf der Hörbahn, die Zeitunterschiede zwischen der linken und rechten Hörbahn verarbeiten, detektiert und in speziellen Bereichen des Hörkortex zu einer Richtungsempfindung umgewandelt (Møller 2000). Die daran beteiligten Neurone müssen ihre Arbeit aber auch erst durch beidohriges Hören trainieren. Gleiches gilt für den Hörkortex, der sowohl die im Hirnstamm ermittelten Zeitunterschiede, als auch die Pegel- und Klangunterschiede dann abschließend zu einem Richtungseindruck zusammenfügt. Das beste Lokalisationsvermögen erreicht ein Normalhörender erst ab etwa 15 Jahren (Röser 1965). Erwachsene Patienten, die vor der Ertaubung normal gehört haben, konnten also in ihrer Kindheit ein Richtungsgehör entwickeln. Mit der bilateralen CI-Versorgung können sie diese Fähigkeit reaktivieren und ein eingeschränktes Lokalisationsvermögen zurückgewinnen (Laszig et al. 2004). Das Richtungshören mit CI erlernen die
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Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
Patienten innerhalb von etwa einem Jahr Hörerfahrung mit zwei CIs (Tyler et al. 2006). Typische Werte für die gerade noch erkennbare Richtungswinkeländerung aus der Vornerichtung liegen bei ca. 25° (Brown u. Balkany 2007, zum Vergleich 1–2° für Normalhörende), mit einem CI war nur ein Richtungsunterschied von etwa 50–70° zu erreichen. In einigen Fällen wurden jedoch sogar Werte in der Größenordnung von Normalhörenden erzielt (Seeber et al. 2004).
Untersuchung zum Hörvorteil sequentiell bilateral implantierter Kinder
7 Die Entwicklung des Hörsystems bei gehörlos geborenen Kindern unterscheidet sich wesentlich im Vergleich erst spät ertaubter Patienten, da sie ohne eine bilaterale Implantation kein binaurales Hören entwickeln können. Weil wesentliche Prozesse des binauralen Gehörs in der Hörbahn ablaufen, muss für eine rechtzeitige bilaterale Implantation der Zeitraum der Hörbahnreifung beachtet werden, innerhalb dessen sich die für das binaurale Hören notwendigen Neuronenverknüpfungen aufbauen. Nach den bisherigen Erkenntnissen erscheint da-
⊡ Abb. 7.1. Röntgenbild eines Kindes mit bilateraler CI-Versorgung
für eine beidseitige CI-Versorgung innerhalb der ersten beiden Lebensjahre notwendig zu sein. Eine bilaterale Implantation (⊡ Abb. 7.1) kann innerhalb einer einzigen Operation (einzeitig) oder sequenziell (nacheinander, zweizeitig) in zwei Operation mit einem Zeitabstand dazwischen durchgeführt werden. Die einzeitige bilaterale Implantation hat generell den Vorteil, dass sich das Hörsystem sofort an die beidseitige Stimulation anpassen kann und stellt die beste Möglichkeit zur frühzeitigen bilateralen CI-Versorgung gehörlos geborener Kinder dar. Bei einer frühzeitigen sequentiellen bilateralen Implantation sollte darauf geachtet werden, dass der Zeitraum zwischen beiden Implantationen nur einige Monate beträgt, um noch während der natürlichen kritischen Periode der Hörbahnreifung eine beidseitige Hörbahnstimulation zu erzielen. Aber auch für einseitig implantierte Kinder besteht auch noch nach Jahren des einohrigen Hörens die Möglichkeit, mit einer späten Implantation des zweiten Ohres ein, wenn auch wahrscheinlich geringer ausgebildetes binaurales Hören zu erreichen. Da die bilaterale Implantation erst seit etwa 7 Jahren als klinisches Verfahren in größerer Zahl angewendet wird, könnten noch viele Kinder mit einer späten bilateralen Implantation ein besseres Hörvermögen als mit nur einem CI erzielen.
57 Untersuchung zum Hörvorteil sequentiell bilateral implantierter Kinder
Die Größe der Hörvorteile im Störgeräusch und beim Richtungshören in alltäglichen Hörsituationen von frühzeitig einseitig implantierten Kindern, die sequentiell mit unterschiedlichen Zeitabständen auf dem zweiten Ohr implantiert wurden, wurde an einer Gruppe von 20 Kindern untersucht (Steffens 2007). Der Zeitraum zwischen den Implantationen betrug zwischen ½ und 7 Jahren. Zum Zeitpunkt der Untersuchung hatten die Kinder zwischen 5 Monaten und 4½ Jahren bilaterale Hörerfahrung. Für die Bestimmung des Sprachverstehens im Störgeräusch wurde ein Rauschen auf ein Ohr, das Sprachsignal auf das andere Ohr gerichtet. Diese Situation ist vergleichbar mit einer Unterhaltung im Störgeräusch, bei der z. B. Straßenverkehrsgeräusche von einer Seite kommen und der Sprecher von der anderen Seite spricht, so dass ein Ohr vor allem den Störschall aufnimmt, das andere die Sprache. Wurden beide Implantate aktiviert, konnte eine mittlere Verbesserung des Sprachverstehens im Vergleich zum einohrigen Hören von 37% auf der erstimplantierten Seite und 39% auf der zweitimplantierten Seite nachgewiesen werden. Mit Hilfe der Alters- und Hördaueran-
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gaben lassen sich wichtige Zusammenhänge mit der Höhe des bilateralen Hörgewinns nachweisen. So spielte das Alter bei zweiter Operation (3–9 Jahre) für den Hörgewinn keine entscheidende Rolle. Wichtiger war der Abstand zwischen beiden Operationen. Es zeigte sich eine geringe Tendenz, dass die Ergebnisse bei kürzerer Wartezeit auf das zweite CI von unter 2 Jahren besser ausfielen, als bei einem längeren Abstand von 3 bis 7 Jahren. Die größten Hörgewinne konnten nach mindestens 1–2 Jahren bilateraler Hörerfahrung erzielt werden. Ein sehr wichtiges Ergebnis ergab sich im Vergleich der Verbesserung des Sprachverstehens im Störgeräusch und der Hörleistung mit dem ersten CI alleine. Die größten Zugewinne ergaben sich bei den Kindern, die mit ihrem ersten CI nur mittlere oder schlechte Ergebnisse erzielten. Sie profitierten am meisten von der bilateralen Versorgung (⊡ Abb. 7.2). Zur Untersuchung des Richtungshörens sollten die Kinder angeben, aus welchem von drei Lautsprechern das Schallsignal kam: links, rechts oder von vorne. Mit beiden CIs konnten im Mittel 75% der dargebotenen Richtungssignale richtig
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⊡ Abb. 7.2. Der mittlere bilaterale Hörgewinn durch 2 CIs in Prozenzpunkten (durchgezogene Linie) im Vergleich mit dem Sprachverstehen bei einohrigem Hören mit dem ersten CI war umso größer, je geringer das einohrige Sprachverstehen war und lag bei vielen Kindern in der Nähe des maximal möglichen Gewinns (gestrichelte Linie, Differenz des einohrigen Sprachverstehens zum maximalen Sprachverstehen von 100%)
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Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
erkannt werden. Mit nur einem CI dagegen nur 58% auf dem erstimplantierten Ohr und 51% der Richtungssignale auf dem zweitimplantierten Ohr. Die sequentiell im Abstand einiger Jahre bilateral implantierten Kinder entwickelten erst nach etwa 1–2 Jahren beidseitigem Hörens ihre maximale Lokalisationsfähigkeit. Der minimal erkennbare Richtungsunterschied sequentiell bilateral implantierter Kinder liegt typischerweise in der Größenordnung von 20° und ist damit wesentlich geringer im Vergleich zu etwa 50° mit nur einem CI (Litovsky et al. 2006).
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Sozialrechtliche Grundlagen und medizinische Indikation Nachdem die vielfältigen Verbesserungen der Hörfähigkeit durch die beidseitige Implantation dargelegt wurden, werden im Folgenden die sozialrechtlichen Grundlagen, also die Frage des Rechtanspruchs auf eine bilaterale Versorgung, und die Faktoren, die der medizinischen Indikation zugrunde liegen, erläutert.
Sozialrechtliche Grundlagen Der Rechtsanspruch eines beidseitig hörbehinderten Menschen auf eine beidseitige CI-Versorgung ist durch die Sozialgesetzgebung im Sozialgesetzbuch (SGB) IX und V eindeutig festgelegt. In § 1 (»Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft«) des SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) ist grundsätzlich festgelegt: »Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken«. Daraus hat das Bundessozialgericht das Recht der Patienten auf Versorgung mit Hörhilfen, und damit auch die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen genau definiert: »Soll ein Hilfsmittel die Ausübung einer beeinträchtigten Körperfunktion unmittelbar ermöglichen, ersetzen oder erleichtern
(z. B. Prothesen), ist grundsätzlich ein Hilfsmittel zu gewähren, das die ausgefallene bzw. gestörte Funktion möglichst weitgehend kompensiert, also den umfassendsten Gebrauchsvorteil bietet«. Der Hörbehinderte hat damit das Recht auf Maßnahmen, so das Bundessozialgericht, die es ihm ermöglichen, soweit wie möglich mit Normalhörenden gleichzuziehen [Urteil vom 16.09.2004 (B 3 KR 20/04 R, SozR 4-2500 § 33 Nr.9)], selbst wenn erhebliche Mehrkosten für die bestmögliche Versorgung entstehen [Urteil vom 06.06.2002 (B 3 KR 68/01, SozR 3-2500 § 33 Nr.44)]. Auf der Basis der höchstrichterlichen Urteile ist die vieldiskutierte Frage nach dem Recht auf eine bilaterale Versorgung explizit schon bis zu den Landessozialgerichten positiv für die Patienten entschieden worden [z. B. in Bayern: LSG FSB: Urteil vom 08.12.2005 (L4 KR 6/05)]. Das Recht auf die bilaterale Versorgung basiert demnach auf dem festgestellten Grundbedürfnis auf beidseitiges Hören: »Eine zusätzliche Verbesserung (Anm. d. V.: im Vergleich zur einseitigen Versorgung) für bestimmte Lebensbereiche habe nur dann eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge, wenn es sich um Lebensbereiche handelt, die zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Entgegen der Auffassung der Beklagten (Anm. d. V.: der Krankenkasse) und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Beigeladenen geht der Senat davon aus, dass nicht nur Hören, sondern beidseitiges Hören zu den Grundbedürfnissen zählt. Deshalb ist im Fall der Klägerin die Versorgung des zweiten Ohres notwendig. Unbestritten ist, dass der Ausgleich der Behinderung der beidseits tauben Klägerin durch die Versorgung nur eines Ohres nicht vollständig erreicht ist. Die Versorgung ist zweckmäßig.« Da sich dieses Urteil auf die Grundsätze der rechtskräftig entschiedenen o. g. höchstrichterlichen Urteile des Bundessozialgerichts stützt, wurde eine Revision nicht zugelassen. Besonders hervorzuheben ist abschließend, dass die Rechtsprechung keine Altersgrenze für das Recht auf weitestgehende Gleichstellung mit Normalhörenden kennt. Dementsprechend ist die bilaterale Implantation allen Patienten, vom Säugling bis zum betagten Senior zu gestatten, wenn die medizinische Indikation gegeben ist.
59 Sozialrechtliche Grundlagen und medizinische Indikation
Medizinische Indikation Die derzeit gültige Rechtslage gibt unmittelbar den Rahmen für die medizinische Indikation vor. Es geht erstens darum zu entscheiden, ob ein hörbehinderter Mensch signifikant schlechter als ein Normalhörender hört. Zweitens, bei zutreffendem Ergebnis, die Art von Hörhilfe zu ermitteln, die den Patienten am weitesten mit Normalhörenden gleichziehen lässt. Für jedes Ohr ist getrennt zu bewerten, ob der größtmögliche Hörerfolg mit einem Hörgerät oder einem CI zu erzielen ist. Sollte sich dabei eine gemischte Versorgung ergeben, ein Ohr mit Hörgerät, die andere Seite mit CI, ist nach einer ausreichenden Gewöhnungszeit zu klären, ob der Patient mit den unterschiedlichen Höreindrücken von Hörgerät und CI tatsächlich einen Hörvorteil gegenüber dem Hören mit dem CI alleine erreichen kann. Sollte dies nicht der Fall sein, ist die Implantation der zweiten Seite indiziert. Unabhängig von dem Recht auf weitestgehende Hörrehabilitation bestehen starke medizinische und audiologische Gründe für die beidseitige CIImplantation. Im Falle einer Ertaubung durch Meningitis (Hirnhautentzündung) ist eine schnelle einzeitige beidseitige Implantation aufgrund der Gefahr einer Verknöcherung der Innenohren angezeigt. Eine Verknöcherung kann dazu führen, dass keine CIElektrode mehr in das Innenohr eingeführt werden kann oder nur eine Teileinführung gelingt, die zu einem wesentlich schlechteren Hörergebnis führt. Im Falle der einseitigen CI-Versorgung bei beidseitiger Taubheit ist zu berücksichtigen, dass nur ein Hörorgan nutzbringend stimuliert wird, die andere Seite davon aber keinen Gewinn hat. Je länger die nur einseitig CI-Versorgung besteht, desto größer ist die Gefahr einer Degeneration der Hörbahn auf der brachliegenden unversorgten Seite, da durch den Ausfall der Hörzellen (innere Haarzellen) der Hörnerv auf der unversorgten Seite nicht mehr stimuliert wird. Es kommt durch diese Inaktivität im Laufe der Zeit zu einer Verminderung der Hörnervenfasern, wodurch die Hörergebnisse einer anschließenden CI-Versorgung verschlechtert werden können. Aus Untersuchungen bei normal hörenden Tieren ist ein teilweise dramatischer, unumkehrbarer Abbau neuronaler Strukturen der
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Hörbahn nach einer Ertaubung bekannt (Spöndlin 1984; Spöndlin u. Schrott 1989; Hardie u. Shepherd 1999; Glueckert et al. 2005). Zumindest im Tierexperiment konnte diese Neurodegeneration durch elektrische Nervenstimulation mittels eines CI nur aufgehalten, nicht aber im Sinne eines neuen Nervenfaserwachstums umgekehrt werden (Coco et al. 2007). Neueren Untersuchungen zufolge sind diese Ergebnisse bei Tieren insofern mit Vorsicht auf den Menschen zu übertragen, da die Degeneration des Hörnervs beim Menschen möglicherweise langsamer als bei den Versuchstieren ablaufen könnte (Fayad u. Linthicum 2006; Nadol u. Eddington 2006). Bei Kindern besteht die Gefahr, dass bei früher Ertaubung noch vor Beendigung der Reifung von Hörbahn und Hörzentrum durch eine nur einseitige CI-Versorgung zusätzlich zur Nervendegeneration eine umfangreiche Fehlentwicklung der Hörbahn und des Hörzentrums resultiert. Bei nur einseitiger Stimulation reift nur der Hörbahnanteil der stimulierten Seite (Steffens 2004). Der unstimulierte Teil und die Neurone, die für das binaurale Gehör den Vergleich beider Hörbahnseiten durchführen, werden nicht trainiert, was zu einer funktionellen Fehlentwicklung der Hörbahn führt. Bisher ist die Frage noch offen, ob bei frühzeitiger einseitiger Versorgung eine Hörbahnfehlentwicklung in späteren Lebensjahren noch vollständig korrigiert werden kann. Nicht nur die Nervensignalverarbeitung im Hirnstamm weist bei nur einseitiger Implantation drastische Veränderungen gegenüber normal hörenden Kindern auf, auch die zentrale Hörverarbeitung im Hörkortex zeigt große physiologische Abweichungen gegenüber Normalhörenden (Ponton u. Eggermont 2001). Leider muss auch für die zentrale Hörverarbeitung eine kritische Zeitspanne angenommen werden, nach der eine Neuorganisation der Neurone im Hörkortex vom einseitigen zum binauralen Hören nicht mehr effizient vorgenommen werden kann, die Hörergebnisse mit dem zweiten CI nicht mehr verbessert werden können und die Hörfähigkeit des »neuen« zweiten Ohres alleine wesentlich hinter der des erstimplantierten Ohres bleibt. Generell gilt, dass beide Ohren einzeln und unabhängig voneinander betrachtet werden müssen und für jedes einzelne Hörorgan nur eine
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Kapitel 7 · Bilaterale CI-Versorgung heute
frühe Implantation zu bestmöglichen Hörergebnissen führen kann. Nach derzeitigem Wissen besteht die ideale Zeit zur beidseitigen Implantation, unabhängig ob simultan oder sequentiell zweiseitig, in den ersten beiden Lebensjahren. Werden gehörlos geborene Kinder zwar sehr frühzeitig, also im 1. oder 2. Lebensjahr auf dem ersten Ohr implantiert, besteht für das unversorgte zweite Ohr nach den bisherigen Erkenntnissen die Gefahr, dass das binaurale Hören nicht mehr oder nicht ausreichend erlernt werden kann, wenn die zweite Implantation erst zwischen dem 4. bis 7. Lebensjahr durchgeführt wird. Ab etwa dem 12. Lebensjahr scheint das zweite Ohr für ein binaurales Hören in der Mehrheit der Fälle nicht mehr geeignet zu sein (Sharma et al. 2002; Sharma et al. 2005), die Hörergebnisse auf diesem Ohr bleiben enttäuschend. Allerdings beruhen diese Aussagen noch auf einer begrenzten Anzahl von Patienten. In Zukunft wird die steigende Zahl an bilateral implantierten Kindern eine genauere Einschätzung der kritischen Zeiträume ermöglichen. Die Degeneration und Fehlentwicklung der Hörbahn und die reguläre Entwicklung des Hörzentrums im Gehirn können nach heutigem Wissen also nur mit einer frühzeitigen Stimulation beider Ohren verhindert werden. Die Argumentation, bei nur einseitiger Implantation ein Ohr für technisch fortschrittlichere Implantate in »Reserve« zu halten, ist deswegen höchstens noch für einen sehr kurzen Zeitraum von wenigen Monaten zu verantworten. Ohne besondere Aufklärung und expliziter Zustimmung der Erziehungsberechtigten ist eine nur unilaterale Implantation aufgrund der drohenden Fehlentwicklung der Hörbahn und des Hörzentrums im Gehirn nicht zu vertreten. Was nützt in späteren Jahren ein bessere CI-Technik oder andere Möglichkeiten der Hörrehabilitation (z. B. nachwachsende Hörzellen), wenn das Hörzentrum im Gehirn die neuen Signale nicht mehr angemessen verarbeiten kann? Hier muss aber auch erwähnt werden, dass ein Restgehör auf dem nichtimplantierten Ohr unbedingt so gut wie möglich genutzt werden sollte, z. B. durch ein Hörgerät, selbst dann, wenn es alleine nicht mehr zu einem nutzbaren Sprachverstehen führt, um wenigstens ein minimales Hörtraining für dieses Ohr zu gewährleisten. In nicht wenigen Fällen konnte so
bei einer späteren Implantation der Seite mit dem Restgehör ein besseres initiales Hörvermögen, sowohl binaural als auch alleine auf der zweiten Seite, erzielt werden als bei Patienten, die das zweite Ohr nicht gefördert hatten. Ein pragmatischer, für die Patienten aber relevanter Aspekt für die bilaterale Implantation stellt abschließend die Tatsache dar, dass nur in Ausnahmen beide Ohren die gleiche Hörfähigkeit mit CI aufweisen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gibt es eine Seite mit besserem Sprachverstehen als die Gegenseite. Da es vor einer Implantation oft nicht sicher möglich ist, das bessere Ohr zu prognostizieren, stellt die bilaterale Implantation dem Patient mit Sicherheit das Ohr mit der höchsten Hörleistung zur Verfügung.
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8 Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern? A. Leonhardt
Das Cochlea-Implantat ist eine technische Hörhilfe, die ursprünglich für ertaubte Personen entwickelt wurde. In seiner heutigen Erscheinungsform kennen wir es seit den 80er Jahren. Die Anfänge der klinischen Anwendung lagen aber bereits in den 70er Jahren mit einem noch einkanaligen und transkutanen Implantat, das heute keine Anwendung mehr findet. Recht bald nach der Versorgung ertaubter Personen zeigte sich, dass diese von einem Cochlea-Implantat (nach einer entsprechenden Hörtrainings- und Übungsphase) erheblich profitieren können, vor allem dann, wenn der Zeitpunkt der Ertaubung noch nicht weit zurücklag (vgl. u. a. Lehnhardt u. Aschendorff 1993, Lehnhardt 1997, 1998). Ertaubte Personen haben bereits gelernt zu hören und können neben allgemeinen Erfahrungen und Wissen auch auf Erfahrungen mit dem Hören, konkret auf ein akustisches Erinnerungsvermögen, zurückgreifen. Sie sind zudem im Vollbesitz der Sprache und haben diese vormals auf auditivem Weg erlernt. Sie müssen nach der CI-Versorgung ihren neuen Höreindruck mit dem früheren »in Deckung« bringen bzw. die neuen akustischen Reize verarbeiten lernen. Das gelingt erfahrungsgemäß umso besser, je kürzer die Ertaubungsdauer ist. Heute werden Perso-
nen, die ihr Gehör verlieren oder erheblich eingebüßt haben, zeitnah zum Ertaubungszeitpunkt mit CI versorgt oder bei progredienten Hörstörungen, wenn das Ausmaß des Hörverlustes hochgradig bzw. an Taubheit grenzend ist und die Person sich zu einer CI-Versorgung entschließt. Die Dauer des Taubseins oder der an Taubheit grenzenden Hörstörung hat sich damit erheblich verkürzt.
⊡ Abb. 8.1. Hören lernen macht Spaß – erstes, im Alter von einem Jahr bilateral versorgtes CI-Kind gehörloser Eltern
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Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
Der Weg zum CI für prälingual gehörlose Kinder
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Während sich das Cochlea-Implantat relativ rasch als echte Alternative für ertaubte Personen etablieren konnte, galt das CI für (geburts-)gehörlose Kinder als umstritten. Man verfügte in den 80er Jahren über keinerlei wissenschaftliche Studien über den Erfolg und die langfristige Wirksamkeit eines CI. Die Gehörlosen nahmen im Gegensatz zu den Ertaubten, die in hohem Maße dankbar waren, wieder über ein Hören zu verfügen, eine kritische Haltung gegenüber dem CochleaImplantat ein. Trotz hitzig geführter Debatten entschloss sich Lehnhardt 1988 zur CI-Versorgung von noch sehr jungen Kindern. Es handelte sich u. a. um ein 1½-jähriges Mädchen und um einen im Alter von 3 Jahren nach einer Meningitis ertaubten Jungen, der etwa ein Jahr nach der Ertaubung das CI erhielt. Beide Implantationen verliefen so erfolgreich, dass man sich zu weiteren Frühversorgungen entschloss (Lehnhardt 1997, 27f.). Diese Implantationen gelten deutschlandweit als die Geburtsstunde der CI-Versorgung von (jungen) Kindern. Wenn zunächst auch nur zögerlich, dann aber kontinuierlich ansteigend, konnte sich das Cochlea-Implantat schrittweise als echte Alternative zu konventionellen Vorgehensweisen für gehörlose Kleinkinder etablieren. Während in der Anfangszeit auch ältere Vorschulkinder und jüngere Grundschulkinder mit CI versorgt wurden, werden heute prälingual gehörlose Kinder etwa um das erste Lebensjahr (teilweise auch früher) implantiert. Bei vielen dieser Kinder zeigt sich, dass ihnen bei angemessener rehabilitationspädagogischer Förderung eine altersentsprechende oder -nahe Hör- und Sprachentwicklung möglich ist. Die zumeist hörenden Eltern gehörloser Kinder sehen im Cochlea-Implantat eine Chance, ihrem Kind ein Hören zu ermöglichen. Sie verbinden damit die Hoffnung auf eine möglichst altersgerechte (Laut-)Sprachentwicklung ihres Kindes, die wiederum die Kommunikation mit ihrem Kind und letztendlich seine Integration in die Welt der Hörenden erleichtern soll. Nach nahezu 20 Jahren Erfahrung mit der CI-Versorgung von jungen hochgradig hörgeschädigten Kleinkindern
gilt diese heute als etablierte Maßnahme. Nahezu alle hörenden Eltern wählen heute diesen Weg für ihr Kind. Die schrittweise Umsetzung des universellen Neugeborenenhörscreenings trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass die Eltern frühzeitig um die Hörschädigung ihres Kindes wissen, sich rasch über Rehabilitationsmöglichkeiten umfassend informieren (Leonhardt u. Wendels 2007) und sich mit Alternativen für ihr Kind auseinandersetzen. Für die hörenden Eltern erweist sich diese frühe Diagnose – wie auch die zu einem späteren Zeitpunkt – zunächst als ein Schock. Sie haben aber im Gegensatz zu einer späten Diagnose nicht das Gefühl, »etwas verpasst oder übersehen« zu haben. Erleichternd wirkt hier offensichtlich auch, dass sich die Säuglinge zunächst wie (normal-) hörende entwickeln und Defizite noch nicht offen zum Tragen kommen.
Gehörlose Eltern und CI-Kinder? Anders als bei hörenden Eltern stellt sich die Situation dar, wenn die Eltern ebenfalls gehörlos sind. Lange Zeit galten gehörlose Kinder gehörloser Eltern nicht als potenzielle Kandidaten für ein Cochlea-Implantat. Dies wurde erst zum Thema fachwissenschaftlicher Diskussionen, als sich Mitte der 90er Jahre erste gehörlose Eltern entschlossen, ihr gehörloses Kind bzw. ihre gehörlosen Kinder mit CI versorgen zu lassen. In Deutschland handelte es sich um zwei Familien mit je zwei gehörlosen Kindern, die aus heutiger Sicht zum Zeitpunkt der Implantation relativ alt waren (Begall 1995; Wittasek 2000), aber auch aus der Schweiz (Bastian 1997) oder den USA (Chute et al. 1995) wurden vergleichbare Beispiele bekannt. Als besonders spannend erwies sich der Fall einer vierköpfigen Familie, in der Eltern und beide Söhne (damals sechs und drei Jahre alt) gehörlos waren und alle vier nahezu zeitgleich mit CI versorgt wurden. Erwartungsgemäß konnten die Kinder größeren Gewinn als ihre Eltern aus dem CI ziehen (Begall 1995). Nachdem weitere Familien bekannt geworden waren, in denen die Eltern gehörlos bzw. hochgradig hörgeschädigt und deren Kinder CI-versorgt waren – es handelte sich hier jedoch um Einzelfälle
65 Forschungsfragen und Forschungsmethoden
– wurde das Thema zum Gegenstand fachwissenschaftlicher Untersuchungen. Im Rahmen einer Pilotstudie beschäftigte sich der Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik von 2001 bis 2004 zunächst mit allgemeinen Fragestellungen zur CI-Versorgung gehörloser Kinder gehörloser bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern. Aufbauend auf den Ergebnissen dieses Projekts wird seit 2006 ein Nachfolgeprojekt bearbeitet, in dessen Zentrum die Erarbeitung von Informationsmaterialien für gehörlose bzw. hochgradig hörgeschädigte Eltern über die CI-Versorgung von Kindern und die Evaluation dieser Materialien steht. Kennzeichnend für dieses Projekt, aber auch für die sich verändernde Situation ist, dass in diesem von Anfang an gehörlose Elternpaare mitarbeiten, die Eltern CI-versorgter Kinder sind, und damit über einschlägige Erfahrungen verfügen.
Hintergründe der Forschungsaktivitäten Während das zweite Forschungsprojekt sich unmittelbar aus den Ergebnissen des ersten Projektes ergab, bildeten folgende Überlegungen die Basis für die Initiierung des ersten Projektvorhabens: Fast alle Gehörlosen fühlen sich der Gehörlosengemeinschaft und deren Kultur zugehörig. Verbunden damit ist der Gebrauch (und die Wertschätzung) der Gebärdensprache, die ihnen eine barrierefreie Kommunikation mit anderen Gehörlosen ermöglicht. Von der Gehörlosengemeinschaft wurde das CI anfänglich vehement abgelehnt. Diese Ablehnung bestand auch noch zum Zeitpunkt der ersten CIVersorgungen von gehörlosen Kindern gehörloser Eltern. Gehörlose Eltern erleben die Gehörlosigkeit ihres Kindes weit weniger problematisch als hörende Eltern. Sie verfügen über die Erfahrung, dass man auch mit Gehörlosigkeit ein sinnerfülltes und reichhaltiges Leben führen kann. Auch können sie über Gebärden von Anfang an mit ihrem gehörlosen Kind kommunizieren. Sie sind damit in einer anderen Position als hörende Eltern, die zum Zeitpunkt der Diagnose der Gehörlosigkeit ihres Kindes nahezu immer erstmalig mit dem
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Phänomen »Gehörlosigkeit« konfrontiert sind und entsprechend verunsichert reagieren. Fachwissenschaftlich wurden bisher – wenn überhaupt – hörende Kinder (Leonhardt u. Grüner 2001a,b; Grüner 2004; Funk 2004) hörgeschädigter Eltern diskutiert. Mit dem Beginn der CI-Versorgung von gehörlosen Kindern hörgeschädigter Eltern ergibt sich neben hörenden und hörgeschädigten Kindern hörgeschädigter Eltern eine weitere Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die fachwissenschaftlich und pädagogisch zu begleiten ist, nämlich die CI-Kinder.
Forschungsfragen und Forschungsmethoden Wie erwähnt, wurde das erste Projekt als Pilotstudie konzipiert, um zunächst erste Informationen über die Zielgruppe zu erfahren. Im Einzelnen wurde folgenden Forschungsfragen nachgegangen: ▬ Was sind die Motive der gehörlosen bzw. hochgradig hörgeschädigten Eltern, ihr Kind (oder ihre Kinder) mit CI versorgen zu lassen? ▬ Wie reagierte bzw. verhielt sich das soziale Umfeld der Familien auf deren Entscheidung, ihr gehörloses Kind/ihre gehörlosen Kinder mit CI versorgen zu lassen? ▬ Welche Kommunikationsformen herrschen innerhalb der Familie vor? Wie gestaltet sich die Hör-Sprech-Spracherziehung der Kinder? ▬ Wie sieht die Betreuung und Förderung dieser Kinder im Rahmen der Frühförderung und vorschulischen Erziehung aus und welche Beschulungsformen (Schule für Hörgeschädigte/ allgemeine Schule) werden gewählt oder anvisiert? ▬ Wie beurteilen die Eltern ihre Entscheidung für eine CI-Versorgung ihres Kindes bzw. ihrer Kinder zum Interviewzeitpunkt? ▬ Welche Probleme gab und gibt es im Rehabilitationsprozess? Dem Charakter einer Pilotstudie entsprechend, ging es zunächst um das Erfassen grundlegender Informationen. Zu diesem Zweck wurden leitfadengestützte Interviews mit hörgeschädigten Eltern durchgeführt, die für ihr Kind bzw. ihre
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Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
Kinder eine Cochlea-Implantat-Versorgung in Anspruch genommen hatten.
Ausgewählte Ergebnisse Wer gab den Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem CI?
Teilnehmer der Studie
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Die Interviews der ersten Studie wurden in 18 Familien durchgeführt, zu denen insgesamt 22 CI-versorgte Kinder gehören. In vier dieser Familien waren jeweils zwei Kinder Cochlea-Implantat-Träger. Das Alter der Kinder zum Zeitpunkt der Implantation zeigte eine erhebliche Spannbreite: Das jüngste wurde mit 8½ Monaten und das älteste mit 8½ Jahren mit Cochlea-Implantat versorgt. Zum Zeitpunkt des Interviews waren die Kinder zwischen 1;8 und 15;10 Jahren. Der Erfahrungszeitraum mit dem CI lag von 5 Monaten (kürzester Zeitraum) bis 9;2 Jahren (längster Zeitraum). Die Auswahl der Familien erfolgte danach, ob beide Elternteile gehörlos oder hochgradig hörgeschädigt und eines oder mehrere ihrer Kinder CIversorgt sind sowie der Wohnort in Deutschland, Österreich oder der deutschsprachigen Schweiz liegt. Die Eltern müssten ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme am Interview signalisieren. In Abhängigkeit vom Wunsch der Eltern wurde das Interview lautsprachlich oder gebärdensprachlich unter Einbezug eines Gebärdensprachdolmetschers durchgeführt. In Einzelfällen war auf Wunsch der Eltern ein hörendes Familienmitglied anwesend.
Alle befragten Familien fühlten sich der Gehörlosengemeinschaft zugehörig. Der Anstoß zur Auseinandersetzung mit einer möglichen CI-Versorgung des Kindes bzw. der Kinder kam entweder unmittelbar nach der Diagnose vom diagnostizierenden Arzt oder von den Pädagogen der Einrichtungen, in denen das Kind betreut wurde. Zum Zeitraum des ersten Projekts waren das vorzugsweise die Erzieherinnen der schulvorbereitenden Einrichtung bzw. des Kindergartens, vereinzelt auch Lehrer der Grundschule oder Frühförderinnen. Im zweiten Projekt verlagerte sich dies ausschließlich in Richtung der Frühförderinnen. Zu Beginn der CI-Versorgung gehörloser Kinder gehörloser bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern waren es nicht selten die hörenden Großeltern/Großmütter, die die Auseinandersetzung mit dem CI forcierten. Sie motivierten die Eltern des Kindes, sich mit der Cochlea-Implantat-Versorgung auseinanderzusetzen, da sie im CI für ihr Enkelkind eine Möglichkeit sahen, ihm den Hör-, Sprech- und Sprachlernprozess zu erleichtern. In Einzelfällen war es auch der Wunsch des Kindes selbst. Hier handelte es sich um ältere Kindergartenkinder oder jüngere Grundschüler. Sie hatten das CI bei anderen Kindern ihrer Kindergartengruppe bzw. ihrer Schulklasse kennen gelernt und wollten dann ebenfalls ein CI haben. Hier reagierten die (gehörlosen bzw. hochgradig hörgeschädigten) Eltern auf den Wunsch des Kindes bzw. gaben dem Drängen des Kindes nach.
Pro und Contra Cochlea-Implantat
⊡ Abb. 8.2. Eltern gehörlos, ein Sohn schwerhörig mit Hörgeräten, ein Sohn CI-Träger
Alle von uns befragten Eltern gaben an, dass sie dem CI ursprünglich ablehnend gegenüberstanden. Die Gründe dafür waren vielfältig. So waren ihnen Beispiele bekannt, bei denen das CI keinen Nutzen brachte. Sie befürchteten, dass die Technik noch nicht ausgereift sei, und äußerten, dass
67 Ausgewählte Ergebnisse
sie anfänglich auch Angst vor dem medizinischen Eingriff hatten. Ebenso gab es das Argument, dass die gesamte Familie »eben gehörlos« sei und dies für sie auch in Ordnung und akzeptabel wäre. Eine besonders ablehnende Haltung gegenüber dem CI entstand und entsteht immer dann, wenn die Eltern das Gefühl haben, dass die Pädagogen oder Ärzte die Entscheidung für ein CI forcieren wollen. Hierdurch fühlen sich die gehörlosen bzw. hochgradig hörgeschädigten Eltern unter Druck gesetzt. Dieses Gefühl ruft eher Reaktanz als Akzeptanz hervor. Ein weiteres Gegenargument der befragten Eltern aus der Anfangszeit der Forschungsarbeiten war die aus ihrer Sicht unsichere Prognose des Nutzens einer CI-Versorgung. Dieses Argument verwenden die Eltern der aktuellen Studien nicht mehr. Da sich die interviewten Eltern trotz ihrer anfänglichen Ablehnung und/oder Verunsicherung letztlich dann doch für eine CI-Versorgung ihres Kindes bzw. ihrer Kinder entschieden, stellt sich die Frage, welche Motive für das Umdenken ausschlaggebend waren. Hier ist besonders die Vielfalt der Argumente auffallend. Ein wesentlicher Aspekt war die Optimierung der Lebensqualität und der Zukunftschancen für das Kind. Die Eltern hofften, dass durch das Cochlea-Implantat der Hör-, Sprech- und Sprachlernprozess erleichtert wird. Durch die verbesserten Kompetenzen in diesen Bereichen erwarteten sie eine leichtere und einfachere Lebensbewältigung für ihr Kind. Auch beobachteten die Eltern den Rückgang an gehörlosen Schülern an den Gehörlosenschulen. Da immer mehr hörende Eltern für ihr Kind den Weg der CI-Versorgung in Anspruch nehmen, geht die Zahl der Schüler in den Schulen für Gehörlose immer weiter zurück, so dass die Klassen für Gehörlose – sofern sie überhaupt vorhanden sind – jahrgangsübergreifend gebildet werden müssen und in diesen oftmals auch gehörlose Schüler mit weiteren Behinderungen lernen. Die hörgeschädigten Eltern bezweifelten, dass ihre Kinder unter diesen Umständen optimal gefördert werden könnten. Zugleich schätzten die Eltern die Hör- und Kommunikationssituation ihres Kindes (ohne CI-Versorgung) jedoch so ein, dass es die Anforderungen eines Unterrichts mit schwerhörigen Schülern nicht würde bewältigen können.
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Mit der Entscheidung für die CI-Versorgung waren aber auch sehr weit reichende Hoffnungen verbunden: Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen wegen der Entfernung zwischen Wohn- und Schulort während der Woche im Internat wohnen zu müssen, erhofften einige gehörlose bzw. hochgradig hörgeschädigte Eltern vom CI eine wohnortnahe, also integrative Beschulung ihres Kindes. Dem Hören gegenüber wurde aber auch Wertschätzung geäußert: Hören sei etwas, dass das Leben bereichern könne (z. B. Hören von Musik, einfachere Kommunikation mit Hörenden, Erleben der akustischen Umwelt). Im Zentrum der Äußerungen stand stets auch der leichtere Lautspracherwerb für ihr Kind mit dem Cochlea-Implantat. Äußerungen wie »das Kind soll es besser haben als die Eltern«, waren kennzeichnend für die Meinung der Eltern. Nicht zuletzt äußerte man auch die Sorge vor späteren Vorhaltungen des Kindes, ihm die Möglichkeit einer CI-Versorgung vorenthalten zu haben.
⊡ Abb. 8.3. Fußballfan Markus, CI-Träger
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Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
Das soziale Umfeld – Reaktionen Gehörloser und der Gehörlosengemeinschaft
8
Geht man der Frage nach, ob und welchen Einfluss die Versorgung der Kinder auf die Kontakte bzw. das Verhältnis zu anderen Gehörlosen hatte, ist zwischen der Zeit »vor der Implantation« und »nach der Implantation« zu unterscheiden. Für den Zeitabschnitt »vor der Implantation« lassen sich im Verhalten und Vorgehen der gehörlosen und hochgradig hörgeschädigten Eltern im Wesentlichen zwei Strategien beobachten. Die eine bestand darin, dass die Eltern ihre Überlegungen zum CI zielorientiert gegenüber anderen Gehörlosen thematisierten und sich mit ihnen und deren Meinung auseinandersetzten. Die andere Strategie von Eltern war, dass sie ihre Überlegungen bzw. ihr Vorhaben bewusst verschwiegen, um einer Auseinandersetzung von vornherein aus dem Weg zu gehen und eine Konfrontation mit entgegengesetzten Auffassungen zu vermeiden. Für den Zeitabschnitt »nach der Implantation« stellte sich das Bild recht einheitlich dar. Alle Eltern berichteten, dass ein Teil der Kontakte zu anderen Gehörlosen abgebrochen sei. Auch fühlten sie sich unter Erfolgsdruck. Sie beschrieben verschiedene Vorkommnisse, bei denen sie beobachtet hatten, wie Gehörlose hinter ihren Kindern Geräusche machten und so prüften, ob sie tatsächlich hören können.
Gründe der Gehörlosen gegen das CI Analysiert man die ablehnende Haltung von Gehörlosen gegenüber dem Cochlea-Implantat genauer, so kristallisiert sich heraus, dass unter den Gehörlosen zum Teil falsche und zum Teil veraltete Vorstellungen über das CI vorherrschen. So ist in der Vorstellung der Gehörlosen noch immer das mehrkanalige extracochleäre Implantat der 70er/80er Jahre präsent. Es handelt sich hier um ein Implantat, das seit ca. 20 Jahren keine Anwendung mehr findet und Personen, die ehemals mit diesem versorgt wurden, sind heute reimplantiert bzw. wurden mit neuen, modernen CI-Systemen versorgt. Auch wurde dieses Implantat damals
überwiegend geburtsgehörlosen Jugendlichen (und Erwachsenen) eingesetzt. Der Hörerfolg dieser Patientengruppe blieb beschränkt: Zum einen war das CI-System damals noch nicht ausgereift und zum anderen wissen wir heute, dass sich gehörlose Babys und Kleinkinder wesentlich besser für ein Hörenlernen mit CI eignen als Jugendliche. Durch Forschungen von Schlote und Klinke und dessen Arbeitsgruppe ist inzwischen bekannt, dass die sensiblen Phasen zum Erlernen des Hörens im frühen Kleinkindalter liegen (Schlote 1989; Klinke 1997, 1998; Klinke et al. 2001). Neben der einseitig negativ geprägten Wahrnehmung des Cochlea-Implantats seitens eines Teils der Gehörlosen wird mitunter noch die Auffassung vertreten, dass das CI die Gehörlosengemeinschaft sowie die Gebärdensprache und Gehörlosenkultur bedrohe. Aber auch hier kommt es zunehmend zu differenzierteren Sichtweisen (vgl. Gerkens auf der Podiumsdiskussion »Was bedeutet das CI für die Gehörlosenkultur?«, dokumentiert von Hermann 2002).
Vergleich der CI-Versorgung von Kindern hörender Eltern mit der von hörgeschädigten Eltern Hörende Eltern und CI Betrachtet man die Anfänge der CI-Versorgung von Kindern hörender Eltern mit der von Kindern hörgeschädigter Eltern, so zeigen sich Parallelen, die jedoch zeitversetzt abliefen. Als Ende der 80er Jahre sich erstmalig die Möglichkeit zur Implantation bei jungen gehörlosen Kindern eröffnete, verhielten sich die Eltern zögerlich, die Hörgeschädigtenpädagogen eher ablehnend und selbst Mediziner, die sich nicht oder noch nicht mit der CI-Versorgung beschäftigt hatten, verwiesen auf das Fehlen von Langzeitstudien. Dennoch gingen erste Eltern diesen Schritt. Wie man Gesprächen mit ihnen entnehmen muss, taten sie das erst nach reiflicher Überlegung, zahlreichen Kontroversen mit Freunden, Bekannten und Fachleuten sowie tiefgründiger Auseinandersetzung. Erst danach – folglich war es bei keinem Elternpaar eine Spontanentscheidung – entschlossen sie sich, ihr Kind
69 Zufriedenheit der Eltern mit der Cochlea-Implantation
mit CI versorgen zu lassen. Diese Eltern begleiteten dann den Rehabilitationsprozess ihres Kindes hoch motiviert und hoch engagiert. Heute ist die CI-Versorgung hochgradig hörgeschädigter Kinder Alltag geworden. Fachwissenschaftlich geht es nicht mehr darum, ob ein Cochlea-Implantat bei hochgradig hörgeschädigten Kleinkindern in Frage kommt oder nicht. Dieser Grundsatzfrage ist fortführenden Fragestellungen gewichen. Heute stehen beispielsweise die bilaterale Versorgung oder die Gestaltung des Rehabilitationsprozesses bei Kindern nichtdeutscher Herkunft, vor allem dann, wenn auch die Eltern nicht oder nicht ausreichend über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, im Mittelpunkt. Mit Letzterem verbunden sind Überlegungen zur bilingualen Förderung, hier bezogen auf zwei gesprochene Sprachen, z. B. deutsch und türkisch oder deutsch und russisch usw.
Hörgeschädigte Eltern und CI Als die ersten Wünsche hörgeschädigter Eltern nach CI-Versorgung ihrer Kinder an die Ärzte und Pädagogen herangetragen wurden, reagierten beide Berufsgruppen verunsichert. Niemand konnte sich anfänglich vorstellen, wie eine Rehabilitationsmaßnahme mit Eltern zu gestalten ist, die den Hörlern- und Sprachlernprozess ihrer Kinder nur begrenzt begleiten können. Nicht zuletzt waren die hörgeschädigten Eltern in mehrfacher Hinsicht im Konflikt: Sie wollten optimale Entwicklungschancen für ihr Kind, waren verunsichert, welche Langzeitwirkungen eine CI-Versorgung haben wird, es fehlte an Erfahrungen und sie fühlten sich in erster Linie der Gehörlosengemeinschaft zugehörig, ebenso ihrer Sprache und Kultur. Noch weit weniger als bei den hörenden Eltern war bei den gehörlosen bzw. hochgradig hörgeschädigten Eltern die Entscheidung für das CI eine Spontanentscheidung. Die Phase der Entscheidungsfindung war mit zahlreichen Gesprächen und seelischen Auseinandersetzungen verbunden, deren Resultat dann aber zielorientiert verfolgt und in der Diskussion mit anderen Gehörlosen getragen wurde. Auch hier handelte es sich um hoch motivierte und hoch engagierte Eltern.
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⊡ Abb. 8.4. Eltern gehörlos, beide Kinder bilateral CI-versorgt
Heute wird die CI-Versorgung von einer wachsenden Zahl gehörloser bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern für ihre Kinder in Anspruch genommen. Letztendlich haben sich die meisten Gehörlosen bzw. hochgradig Hörgeschädigten spätestens in der Zeit der Schwangerschaft Gedanken darüber gemacht, ob sie eine CI-Versorgung für ihr Kind in Anspruch nehmen würden oder nicht, falls das Kind gehörlos zur Welt kommt. Diese, zunächst fiktive Entscheidung, wird, wenn das Kind auf der Welt ist, noch einmal neu durchdacht und neu entschieden. Eine beträchtliche Zahl der gehörlosen Erwachsenen hat in der Rolle als Eltern Ablehnung zugunsten von Aufgeschlossenheit und Interessiertheit abgelegt. Im Gegensatz zu den ersten CI-Versorgungen gehörloser Kinder gehörloser bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern kommt es kaum noch vor, dass die Implantation durch hörende Bezugspersonen forciert wird. Die hörgeschädigten Eltern entscheiden zunehmend selbst und frühzeitiger, so dass sich das Implantationsalter der Kinder dem der Kinder der hörenden Eltern angleicht.
Zufriedenheit der Eltern mit der Cochlea-Implantation Zum Zeitpunkt der Interviews verfügten die von uns befragten Eltern über mindestens fünf Monate bis maximal neun Jahre und zwei Monate Erfahrung mit der CI-Versorgung ihres Kindes
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Kapitel 8 · Cochlea-Implantate für gehörlose Kinder gehörloser Eltern?
bzw. ihrer Kinder. Alle Eltern betonten ihre grundsätzliche Zufriedenheit mit der CI-Versorgung. Sie schätzten auch zum Interviewzeitpunkt ihre Entscheidung als richtig ein und würden nach den bisher gemachten Erfahrungen ihr Kind wieder mit CI versorgen lassen. Alle Kinder tragen ganztägig das Cochlea-Implantat bzw. die Cochlea-Implantate; einige der Kinder bzw. Jugendlichen sind inzwischen bilateral versorgt. Ambivalente Gefühle äußerten die Eltern bezüglich der sprachlichen Entwicklung der Kinder. So gaben sie an, den Stand der Hör- und Sprachentwicklung ihres Kindes bzw. ihrer Kinder nicht einschätzen zu können. Gleiches gilt für den Umfang des ergänzenden Absehens bei der Lautsprachperzeption. Sie offenbarten aber auch ihre Ängste bezüglich eines Totalausfalles des Implantats und einer Reimplantation.
Probleme im Rehabilitationsprozess Alle Interviewpartner bemängelten den fehlenden Kontakt zu Familien in vergleichbarer Situation. Die hörgeschädigten Familien mit CI-Kindern wohnen bundesweit verstreut, was den Kontakt untereinander einschränkt. Dieser Kontakt wäre jedoch wünschenswert, da er wesentlich zu ihrer Stabilisierung beitragen und den Austausch untereinander befördern könnte. Die Eltern wünschen sich mehr Austauschmöglichkeiten und ihren Kindern mehr Sozial- und Spielkontakte zu gleichaltrigen, hörenden Kindern im Wohnumfeld, also der unmittelbaren Nachbarschaft. Durch Letzteres erhoffen sich die Eltern alltägliche, natürliche Sprachangebote, die es ihren Kindern ermöglicht, Sprache in Alltagssituationen zu erlernen. Durchweg betonen sie für die alltägliche Kommunikation in der Familie (und bei Zusammensein mit anderen Hörgeschädigten) die Rolle der Gebärdensprache. Noch nicht allen CI-Zentren gelingt es ausreichend, die gehörlosen Eltern in die Förderzeiten bzw. pädagogischen Angebote während der RehaTage einzubeziehen. Viele der befragten Eltern fühlten sich zu wenig in die Förderarbeit integriert, wobei sie zum Ausdruck brachten, dass sie keine Rehabilitationszeiten mit ausschließlich gehörlosen bzw. hörgeschädigten Eltern wünschten.
Es wird eingeschätzt, dass jüngeren Kindern vielfältigere Förderangebote zur Verfügung stehen. Ältere Kinder hingegen erhalten lediglich HörSprech-Sprachförderung im Rahmen des Unterrichtsalltags. Insgesamt hat sich gezeigt, dass es vor allem gilt, die Erstinformation für die gehörlosen bzw. hörgeschädigten Eltern über die CI-Versorgung von Kindern zu verbessern. Sie geht oftmals zu schnell, wird mitunter nicht im Beisein von Gebärdensprachdolmetschern durchgeführt und ist zu wenig auf die Gehörlosen zugeschnitten. Die Folgen sind nicht selten Missverständnisse und Unzufriedenheit auf Seiten der hörgeschädigten Eltern.
Abschließende Bemerkungen Zum Wohlbefinden der hörgeschädigten Eltern könnten wesentlich Selbsthilfegruppen beitragen. In jüngster Zeit haben sich die ersten zwei etabliert. Diese gilt es, mit Rat und Tat zu unterstützen, da sie wesentlich dazu beitragen können, ähnlich erlebte Probleme zu bewältigen, offene Fragen zu beantworten und sich bei Schwierigkeiten wechselseitig soziale Unterstützung zu gewährleisten. Aktuelle Aktivitäten des Lehrstuhls für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der Universität München richten sich auf die Erstellung von Informationsmaterialien für Gehörlose bzw. hochgradig Hörgeschädigte über die CI-Versorgung von Kindern. Diese sollen neutral, sachlich und
⊡ Abb. 8.5. Lars und Malte beim Spielen
71 Literatur
objektiv informieren sowie unter dem Aspekt der Text- und Inhaltsgestaltung auf die Zielgruppe zugeschnitten sein. Als wissenschaftliche Basis für die Textgestaltung wird der mehrdimensionale Verständlichkeitsindex nach Langer et al. (2006) herangezogen. Die Erarbeitung der Materialien erfolgt in Zusammenarbeit von Vertretern des Lehrstuhls für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der Universität München und des CIC Schleswig-Kiel mit gehörlosen Elternpaaren, deren Kinder CITräger sind. Die Broschüre und der Flyer sollen Gehörlosen bzw. hochgradig Hörgeschädigten, aber auch anderen Personen mit Kommunikationsproblemen, z. B. Eltern mit Migrationshintergrund und eingeschränkten Deutschkenntnissen, den Informationszugang über die CI-Versorgung von jungen Kindern erleichtern.
Literatur Bastian E (1997) Der Weg zum CI. Der Entscheidungsprozess gehörloser Eltern für ihr gehörloses Kind. In: Diller G, Gall V, Ilberg C v et al. (Hrsg) Aktuelle Aspekte der Indikation, Rehabilitation und Technik. 3. Friedberger CochlearImplant-Symposium vom 13.–14. Juni 1997. Eigendruck, Niddatal, S 76–92 Begall K (1995) Versorgung Gehörloser mit dem CochleaImplant. Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter, Vaduz, S 59–90 Chute PM, Kretschmer RE, Popp AL et al. (1995) Cochlear implant performance in a deaf child of deaf parents. A case study. Ann Otol Rhinol Laryngol Suppl 166: 316–318 Funk H (2004) Das nicht-gehörte Kind. Brandes und Apsel, Frankfurt a.M. Grüner B (2004) Die Sprachentwicklung hörender (Vorschul-) Kinder hochgradig hörgeschädigter bzw. gehörloser Eltern. Kovač, Hamburg Hermann H (2002) Was bedeutet das CI für die Gehörlosenkultur? Schnecke 14: 10–14 Klinke R (1997) Hören als zentralnervöser Verarbeitungsprozeß. Hörgeschädigtenpädagogik 51: 355–370 Klinke R (1998) Hören lernen: Die Notwendigkeit frühkindlicher Hörerfahrungen. In: Leonhardt A (Hrsg) Ausbildung des Hörens – Erlernen des Sprechens. Luchterhand, Neuwied Kriftel Berlin, S 77–95 Klinke R, Kral A, Hartmann R (2001) Sprachanbahnung über elektronische Ohren – So früh wie möglich. Dtsch Ärztebl 98: A3049–A3053 Langer I, Schulz von Thun F, Tausch R (2006) Sich verständlich ausdrücken. Reinhardt, München Basel Lehnhardt E (1997) Das Cochlear-Implant von den Anfängen bis zur verlässlichen Hilfe für gehörlose Kinder. In:
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Leonhardt A (Hrsg) Das Cochlear-Implant bei Kindern und Jugendlichen. Ernst Reinhardt, München, S 19–30 Lehnhardt E (1998) Entwicklung des Cochlea-Implantats und das Cochlea-Implantat. Projekt in Hannover. In: Lenarz T (Hrsg) Cochlea-Implantat. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 1–8 Lehnhardt E, Aschendorff A (1993) Prognostic factors in 187 adults provided with the Nucleus Cochlear Mini-System 22. In: Fraysse B, Deguine O (eds) Cochlear implants. New perspectives. Adv Otorhinolaryngol 48: 146–152 Leonhardt A (2008) Gehörlose Eltern und Kinder mit CI. Schnecke 19: 12–15 Leonhardt A, Grüner B (2001a) Hörende Kinder hörgeschädigter Eltern. Erste Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt zur Sprachentwicklung von hörenden Kindern hochgradig hörgeschädigter und gehörloser Eltern. Hörgeschädigtenpädagogik 55: 28–34 Leonhardt A, Grüner B (2001b) Lautunterscheidungs- und Lautbildungsfähigkeit von hörenden (Vorschul-)Kindern hochgradig hörgeschädigter und gehörloser Eltern. Eine Untersuchung anhand des Lautunterscheidungstests (LUT) und des Lautbildungstests (LBT) für Vorschulkinder. Sprache, Stimme, Gehör 25: 118–123 Leonhardt A, Wendels S (2007) Auf zu neuen Ufern – wie das Neugeborenenhörscreening die Frühförderung hörgeschädigter Kinder verändert. Erste Teilergebnisse eines Projekts zur Entwicklung eines Beratungskonzeptes für Familien mit beim Neugeborenenhörscreening hörauffälligen Kindern in Frühförderstellen. Sonderpädagogische Förderung 52: 87–98 Schlote W (1989) Grundlagen der neurophysiologischen Entwicklung von Kindern im Vorschulalter. Stiftung zur Förderung körperbehinderter Hochbegabter, Vaduz, S 38–60 Wittasek N (2000) Ein »Märchen«. Schnecke 11: 28, 45
9 Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V. 20 Jahre CI-Selbsthilfe in Deutschland – Anlaufstelle für Ratsuchende T. Ringhut
20 Jahre CI- Selbsthilfe Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V. hat sich seit ihrer Gründung 1987 zu einem Dachverband mit zwischenzeitlich 10 Regionalverbänden und über 80 CI- Selbsthilfegruppen entwickelt. Eine kleine Gruppe von engagierten Ärzten, Technikern, Fachkräften und Betroffenen hat in Hannover vor 20 Jahren eine Basis geschaffen, die es Betroffenen heute möglich macht, auf ein stetig wachsendes Selbsthilfenetzwerk zuzugreifen. Den Gründern gebührt daher ein hohes Maß an Respekt und Dankbarkeit für ihre Weitsicht und ihr herausragendes Engagement.
CI-Selbsthilfe heute – selbstbewusst und sichtbar Heute nimmt die CI-Selbsthilfe und damit die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft (DCIG) eine wichtige Stellung in der CI-Versorgung ein. Betroffene sind nicht mehr ausschließlich Patienten, sondern aktive und vor allem selbstbewusste Ratsuchende und Ratgebende, Menschen, die sich in Gruppen austauschen, gegenseitig bestärken
und ihre Bedürfnisse und Vorstellungen öffentlich machen. Eine starke Entwicklung. Selbsthilfe ist nicht mehr nur noch eine Ergänzung der CIVersorgung, sondern eine Komplettierung. Unter dem Motto »taub und trotzdem hören« arbeitet der Selbsthilfe-Bundesverband heute ehren- und auch hauptamtlich in den Bereichen Information, Aufklärung, Beratung, Interessenvertretung und Öffentlichkeitsarbeit für und mit CITrägern.
Förderung von CI-Trägern Kernaufgabe des Verbandes ist die Förderung von Hörgeschädigten, die mit einem Cochlea-Implantat (CI) oder anderen Hilfsmitteln versorgt worden sind oder versorgt werden wollen. Hierzu setzen sich die Engagierten neben der Interessensvertretung auf Bundesebene vor allem in der persönlichen und individuellen Beratung vor und nach der Implantation ein. Diese Beratung findet nicht nur im Zweiergespräch statt. Ratsuchende erhalten vor allem in Selbsthilfegruppen wichtige Unterstützung durch Gleichbetroffene. Die Grundsätze der Selbsthilfe finden in diesen Gruppen aktive Anwendung und
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Kapitel 9 · Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V.
ermöglichen den »Neulingen« wichtige Orientierung. Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Solidarität, Selbstvertretung und Wahrung der Integrität stehen im Vordergrund. Beratung von Betroffenen durch Betroffene hat sich nicht nur traditionell bewährt, sondern ist auch ein Modell mit Zukunft. Die Anzahl an Neugründungen von CI-Selbsthilfegruppen im Bundesgebiet steigt in den vergangen Jahren merklich an. Dies liegt nicht nur an der wachsenden Anzahl von CI-Trägern, sondern an der Erkenntnis, dass die CI-Selbsthilfe für Betroffene einen hohen Nutzwert erbringt. Die DCIG unterstützt deshalb aktiv Neugründungen von Selbsthilfegruppen.
Die CI-Selbsthilfe hat sich zu einer selbstbewussten und öffentlichkeitsorientierten Komponente in der deutschen CI-Landschaft entwickelt. Ein sichtbares Zeichen für das gewachsen Selbstbewusstsein der CI- Selbsthilfe ist die Etablierung des Deutschen CI-Tages. Durch eine Vielzahl an Aktionen rund um die Themen CI und Hörschädigung macht er Bedürfnisse von Betroffenen bundesweit sichtbar. Der 2005 zum ersten Mal ins Leben gerufene Aktionstag fördert die Wahrnehmung des Themas Hörbehinderung in der Bevölkerung und ruft zur Solidarisierung auf. Der CI-Tag reiht sich somit in eine Liste erfolgreicher Aktionstage zu unterschiedlichsten Themen in Deutschland ein.
Information und Öffentlichkeit Hand in Hand
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Die Wichtigkeit von Information und Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der CI-Träger in Deutschland wurde von den Aktiven bereits früh erkannt. Seit rund 15 Jahren ist das Hauptinformationsmedium des Verbandes die Zeitschrift »Schnecke«. Die Verbandszeitschrift der DCIG hat sich zu einer Fachzeitschrift für die Themen Cochlea-Implantat, Schwerhörigkeit, Taubheit, Tinnitus, Hörgeräte und Hörhilfsmittel im deutschsprachigen Europa entwickelt. Mit einer Auflage von 5500 Exemplaren zeichnet sie sich durch die Kombination wissenschaftlicher Fachbeiträge mit Erfahrungsberichten aus. Diese Konstellation bietet dem Leser einen besonders tiefen Einblick in die Problematik der Hörschädigung und ihrer Bewältigung. In der Hörgeschädigten-Selbsthilfe stellt das Internet eine wichtige Kommunikationsmöglichkeit dar. Die Internetseiten des Verbandes bieten Informationen rund um das Cochlea-Implantat und ermöglichen Interessierten, bereitgestellte Informationsblätter zu Hause auszudrucken. Die Barriere, durch hohen Aufwand an neutrale Informationen zu gelangen, wurde so gesenkt. Die Seiten geben außerdem eine Übersicht zu Anlaufstellen im Bundesgebiet, so dass konkrete persönliche Kontakte zu regionalen Gruppen gefördert werden. Den virtuellen Austausch von emotionalen und sachlichen Themen ermöglicht das 2006 entwickelte Forum der Website. Auch hier soll nach dem Prinzip der Selbsthilfe der Informationstransfer bei CI-Trägern aktiv gefördert werden.
Da die Anzahl der CI-Träger in Deutschland im Vergleich zu anderen Betroffenengruppen noch relativ klein ist, hat sich die DCIG größeren Verbänden angeschlossen. Dadurch wird die Einflussnahme auf politischer Ebene gestärkt. Die DCIG ist heute Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten-Selbsthilfe und Fachverbände und der European Association of Cochlear Implant Users. Diese bewusst entwickelten Netzwerke auf Bundesebene ermöglichen einen Informationsaustausch, der ohne diese wichtigen Partner, insbesondere mit Blick auf künftige Entwicklungen unmöglich wäre.
Vernetzung und Kooperation – Aufgaben für die Zukunft Die wichtigste Aufgabe der Deutschen Cochlear Implant Gesellschaft e.V. bleibt, neben der Beratung, die Stärkung der CI-Selbsthilfe und ihrer Kernkompetenzen. Als Kernkompetenzen der Selbsthilfe sind die Bereitstellung von Erfahrungswissen zur Unterstützung des professionellen Handelns und die Stärkung von Eigeninitiative auch künftig hervorzuheben. 20-jährige Erfahrung in der Verbandsarbeit zeigt, dass eine wechselseitige Akzeptanz und Wertschätzung von Profession und Betroffenen die
75 Vernetzung und Kooperation – Aufgaben für die Zukunft
Basis für eine positive Weiterentwicklung des CI Versorgungssystems darstellen. Kooperation und Vernetzung um den höchstmöglichen Nutzen für CI-Träger zu erreichen, sind deshalb Kernaufgaben für die Zukunft. »Betroffenheit macht stark und ein gemeinsamer Wille kann Berge versetzen.«
Kontakt Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e.V. Rosenstraße 6 89257 Illertissen Tel.: 07303/3955 Fax: 07303/43998 E-Mail:
[email protected] Internet: www.dcig.de
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Stichwortverzeichnis
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Stichwortverzeichnis
A Akustikusneurinom 51 Alter 40 − bei Operation 39 Altersgrenze 58 Anpassung des Sprachprozessors 5 auditive Verarbeitungsstörungen 16 auditive Wahrnehmungsstörungen 16 auditory brainstem implant 43
B bakterielle Meningitis 43 beidseitige (bilaterale) Versorgung 2 beidseitige Implantation 59 BERA 28 bilaterale Implantation 56 bildgebende Verfahren 34 binaurale Redundanz 55 binaurale Störgeräuschunterdrückung 55 binaurale Summation 55 binaurales auditorisches System 6 binaurales Gehör 53 binaural squelch 55 Biokompatibilität 41 Blindsackverschluss des äußeren Gehörgangs 51 BOEL-Test (Blicken Orienterar Efter Ljud) 20 Bundessozialgericht 58
C chronische Mittelohrentzündung 50 Cochlea-Implantat (CI) 1
Cochlear-Implant-Chirurgie 47 − Cochleostomie 49 − extracochleäre Elektroden 48 − Fazialisparese 48 − posteriore Tympanotomie 48 Cochleostomie 42 computer-aided surgery 52 Computertomographie 43
D Degeneration der Hörbahn 59 demographischer Wandel 41 double array 50 DPOAE 28
E E-BERA 28 Effekte, neurophysiologische 54 einzeitig 56 electric field imaging 36 elektrische Hörschwelle 35 elektroakustische Stimulation 7, 44 − Hybrid-L 7 Elektrodenlage 45 Erhalt des Restgehörs 44 evozierte Potentiale 35
F Fehlbildungen 43 Fehlentwicklung 59 Fenster, runde 43, 44 fMRT 30 Förderung von CI-Trägern 73 Frequenzunterscheidung 36
G Gehör, binaurales 53 genetische Hörstörungen 15 Geschmacksprüfung 29 Gleichgewichtsstörungen 51 Gleichstellung mit Normalhörenden 58 Global Consensus Group on Cochlear Implant Reliability 4 Grundbedürfnis auf beidseitiges Hören 58 Grundlagen, sozialrechtlichen 58
H Hautschnitt 4 − J- oder C-förmiger 4 − kleine Inzision 4 Hirnhautentzündung 59 Hörbahn 34, 54 Hörgerät 60 Hörnervpotentiale, elektrisch evozierte 33 Hörschwelle, elektrische 35 Hörstörungen − Formen 11 − Genetische 15 − nichtsyndromale 15 − Syndromale 15 Hörverarbeitung, zentrale 59 Hörvorteile 57 Hybrid-Cochlear-Implant 44
I Impedanzen 5 Implantatausfall 3 Implantation − beidseitige 59 − bilaterale 56 − sequentiellen bilateralen 56 Implantatsysteme 1
79 Stichwortverzeichnis
Indikation 39 − medizinische 59 − zum Cochlear-Implantat 2 Integritätstest 3
K kalorische Prüfung 30 Klick-BERA 28 Knochenbett 42, 49 Knochenleitungs-BERA 28 Kopfschatteneffekt 54 Ko-Stimulation 37 kritische Zeitspanne 55 kumulative Überlebensrate 3
Neural Response Imaging 5 Neural Response Telemetry 5 neurophysiologische Effekte 54 Notch-noise-BERA 28 NRI 5 NRT 5 Nucleus-Contour-Elektrode 4 Nucleus-Implantat 1
O Obliteration 3, 43 Operationsschritte 42 Ortskodierung 2 Ossifikation 43
L Labyrinthitis 45 Landessozialgericht 58 Lokalisation 55
M Mastoidektomie 42 medizinische Indikation 59 Meningitis 45, 50, 59 − bakterielle 43 Messungen 32 minimal-invasiver Zugang 42 Missbildungen 3 Mondini-Dysplasie 50 Monitoring 31 − intraoperatives 50 − neurophysiologisches 50
N Navigation 44 Nervus facialis 38
P PET 30 Petrosektomie, subtotale 51 posteriore Tympanotomie 42 postoperative Probleme 37 Potentiale, evozierte 35 Probleme, postoperative 37 Promontorialtests 29 Prozessoreinstellung 33 Prüfung, kalorische 30 Pull-back-Technik 51
Q Qualitätskontrolle 45
R Rechtsanspruch 58 Redundanz, binaurale 55 Rehabilitationsergebnis 45
Reifung der Hörbahn 55 Restgehör 40 Resthörigkeit 2 Richtungshören 6, 54 runde Fenster 43, 44
S Scala tympani 42, 45 Scala vestibuli 45 Schallempfindungsschwerhörigkeit 14 Schallleitungsschwerhörigkeit 13 Schnittführung, minimal-invasive 47 Schwindelgefühl 37 sequentielle bilaterale Implantation 56 Signal-Rausch-Verhältnis 54 Soft-Surgery 40 Soft-Surgery-Technik 39, 42, 47 Sozialgesetzbuch 58 sozialrechtliche Grundlagen 58 Spielaudiometrie 19 Sprachkodierungsstrategie 42 Sprachprozessor 41 Sprachverarbeitungsstrategien 2, 6 − Continous Interleaved Sampling (CIS)-Strategie 6 − MP3000-Strategie 6 − Reizfolgeraten 6 Sprachverstehen − im Geräusch 6 − im Störgeräusch 54 spread of excitation 36 Stapediusreflex 33 Stapediusreflexschwelle 5, 6 Stimulation, Elektroakustische 44 Störgeräuschunterdrückung, binaurale 55 Summation, binaurale 55 System, mehrkanaliges 2
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Stichwortverzeichnis
T Telemetrie des Implantats 3 TEOAE 28 Tympanotomie, posteriore 42
V Verfahren, bildgebende 34 Verknöcherung 59 vestibulär evozierte myogene Potentiale 30 voll-implantierbare Systeme 42 3D-Volumen-Computertomographie 44 3D-Volumen-CT 45
W Widerstand 31
Z Zeitunterschiede 55 zentrale Hörverarbeitung 59 Zuwendungsaudiometrie 19 zweizeitig 56
Printing: Krips bv, Meppel, The Netherlands Binding: Stürtz, Würzburg, Germany