Springer-Lehrbuch
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Springer-Lehrbuch
Thomas Zerres
Bçrgerliches Recht Ein einfçhrendes Lehrbuch in das Zivil- und Zivilprozessrecht Fçnfte, çberarbeitete und erweiterte Auflage Mit 57 Abbildungen
12
Professor Dr. jur. Thomas Zerres Fachhochschule Erfurt Fachbereich Wirtschaftswissenschaft Zivil- und Wirtschaftsrecht Steinplatz 2 99085 Erfurt
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet çber abrufbar.
ISBN 3-540-22687-7 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 3-540-43771-1 4. Auflage Springer Berlin Heidelberg New York
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschçtzt. Die dadurch begrçndeten Rechte, insbesondere die der Ûbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfåltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfåltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulåssig. Sie ist grundsåtzlich vergçtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de ° Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1993, 1996, 2000, 2003, 2005 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wåren und daher von jedermann benutzt werden dçrften. Umschlaggestaltung: design & production GmbH, Heidelberg SPIN 11308690
64/3130-5 4 3 2 1 0 ± Gedruckt auf såurefreiem Papier
Vorwort zur fünften Auflage
Die vorliegende Veröffentlichung ist als ein einführendes Lehrbuch in das Bürgerliche Recht konzipiert. Es wendet sich an Studierende an Universitäten, Fachhochschulen, Berufsakademien und Industrie- und Handelskammern, die sich zu Beginn ihres Studiums mit diesem Rechtsgebiet auseinander zu setzen haben bzw. die sich im späteren Verlauf ihres Studiums vor einer Prüfung noch einmal einen wiederholenden Überblick verschaffen wollen. Um dieser Intention gerecht werden zu können, beschränkt sich das Buch im Wesentlichen auf den Inhalt der ersten drei Bücher des Bürgerlichen Gesetzbuchs, den Allgemeinen Teil, das (allgemeine und besondere) Schuldrecht sowie das Sachenrecht; den Abschluss bilden grundlegende Ausführungen zum Zivilprozessrecht. Das Buch basiert auf Lehrveranstaltungen, die der Verfasser an der Hochschule und an anderen Bildungseinrichtungen abgehalten hat. Vor dem Hintergrund seiner früheren beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt und als Verbandsgeschäftsführer hat sich der Verfasser um eine größtmögliche Praxisnähe bemüht, die ihren Ausdruck in erster Linie in einer Veranschaulichung der theoretischen Grundlagen durch eine Vielzahl von Beispielen findet. Die vorliegende fünfte Auflage ist umfassend überarbeitet und um einige prüfungsrelevante Aspekte erweitert worden. Struktur und didaktische Konzeption sind unverändert. Der Verfasser bedankt sich auch weiterhin für Anregungen und Kritik zu diesem Buch.
Dreieich, im Juli 2004
Thomas Zerres
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
XXI XXV
Teil A. Zivilrecht I.
II.
Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
3
1. Juristische Arbeitsmethodik 2. Rechtsquellen 3. Grundstruktur des Bürgerlichen Gesetzbuches 4. Einfluss des Europäischen Rechts 5. Sonderprivatrechte 6. Öffentliches Recht 7. Rechtsanwendung am Fallbeispiel 8. Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung Anhang zur juristischen Arbeitsmethode
3 7 8 13 16 18 21 24 27
BGB - Allgemeiner Teil 1. Rechtssubjekte und Rechtsobjekte a. Rechtssubjekte b. Rechtsobjekte 2. Die Rechtsgeschäftslehre
33 33 33 35 36
a. Rechtsgeschäft b. Willenserklärung aa. Begriff und Bedeutung bb. Bestandteile einer Willenserklärung cc. Schweigen als Willenserklärung
37 38 38 38 41
VIII
Inhaltsverzeichnis dd. Wirksamwerden einer Willenserklärung ee. Auslegung einer Willenserklärung
43 50
c. Vertrag aa. Bedeutung und Erscheinungsform bb. Grundsatz der Vertragsfreiheit cc. Zustandekommen eines Vertrags d. Willensmängel aa. Einführung bb. Bewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung . . . cc. Unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung . dd. Täuschung und Drohung
54 54 55 59 64 64 64 66 70
e. Formvorschriften f. Dissens g. Zusätzliche Wirksamkeitserfordernisse aa. Übersicht bb. Bedingung cc. Befristung
72 75 75 75 76 76
dd. Zustimmung h. Nichtigkeitsgründe aa. Geschäftsfähigkeit bb. Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot
77 79 79 81
cc. Sittenwidrigkeit i. Stellvertretung aa. Begriff und Bedeutung bb. Voraussetzungen cc. Vertreter ohne Vertretungsmacht dd. Grundsätze der Rechtsscheinvollmacht ee. Mittelbare Stellvertretung
82 83 83 84 90 91 92
III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil 1. Schuldverhältnis 2. Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse a. Arten und Entstehung b. Inhalt eines Schuldverhältnisses c. Leistungspflichten d. Leistungsgegenstand
95 95 97 97 98 99 103
Inhaltsverzeichnis e. Zeit und Ort der Leistung f. Vertrag zugunsten Dritter g. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 3. Beendigung von Schuldverhältnissen a. Übersicht b. Erfüllung
IX 105 107 108 111 111 111
c. Leistung an Erfüllungs Statt d. Hinterlegung e. Aufrechnung
113 113 114
f. g. h. i.
115 116 116 116
Erlass Aufhebungsvertrag Novation Vergleich
j . Konfusion, Konsolidation k. Rücktritt und Kündigung 4. Verbraucherschutz bei besonderen Vertriebsformen a. Überblick über den Verbraucherschutz im BGB
116 117 117 117
b. Haustürgeschäfte c. Fernabsatzverträge d. Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr e. Widerrufsrecht 5. Leistungsstörungen a. Einleitung b. Schuldnerverzug aa. Voraussetzungen bb. Rechtsfolgen c. Gläubigerverzug
118 119 120 122 122 122 126 126 129 131
d. Unmöglichkeit aa. Überblick bb. Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB cc. Faktische Unmöglichkeit dd. Persönliche Unmöglichkeit ee. Rechtsfolgen e. Schlechtleistung aa. Begriff und Überblick über die gesetzliche Regelung bb. Schadensersatz statt der Leistung
133 133 134 136 137 138 143 143 144
X
Inhaltsverzeichnis cc. Mangelfolgeschaden dd. Rücktritt f.
146 146
Verletzung von Schutzpflichten aa. Schutzpflichtverletzung im Schuldverhältnis bb. Schutzpflichtverletzungen im vorvertraglichen Schuldverhältnis g. Wegfall der Geschäftsgrundlage 6. Gläubigerwechsel a. Einleitung
148 150 152 152
b. Gesetzlicher Forderungsübergang c. Forderungsübergang durch Hoheitsakt d. Forderungsübergang durch Rechtsgeschäft 7. Schuldnerwechsel 8. Gläubigermehrheit und Schuldnermehrheit 9. Einwendungen und Einreden
152 153 153 155 156 156
a. Übersicht b. Einreden aa. Einleitung bb. Einrede der Verjährung cc. Einrede des Zurückbehaltungsrechts dd. Einrede des nichterfüllten Vertrags ee. Einrede der Vorausklage
146 146
156 157 157 158 160 163 164
IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse 165 1. Übersicht über die wesentlichen Vertragsarten des Schuldrechts . . . 165 2. Kaufvertrag a. Charakter, Gegenstand und Zustandekommen b. Pflichten des Verkäufers aa. Sachkauf bb. Rechtskauf c. Pflichten des Käufers d. Gefahrtragung beim Kauf e. Haftung für Sachmängel aa. Beschaffenheitsabweichung bei Gefahrübergang bb. Montage und Montageanleitung cc. Aliud und Zuweniglieferung
168 168 170 170 172 173 174 176 176 180 182
Inhaltsverzeichnis f. Haftungsausschluss g. Rechte des Käufers wegen eines Mangels aa. Überblick bb. Nacherfüllung
XI 182 183 183 184
cc. Rücktritt dd. Minderung ee. Schadensersatz h. Verjährung aa. Dauer bb. Beginn i. Vertragliche Modifikationen der Mängelhaftung
190 191 193 197 197 198 199
j.
Garantien aa. Bisher geltendes Recht bb. Regelung der „Garantie" k. Konkurrenzen
200 200 201 204
aa. Abgrenzung zu §§ 119 ff. BGB bb. Vorvertragliche Pflichtverletzungen cc. Abgrenzung zur Verletzung mangelunabhängiger Nebenpflichten dd. Abgrenzung zum Deliktsrecht 1. Sondervorschriften für den Verbrauchsgüterkauf
204 204
aa. Zwingendes Recht bb. Beweislastumkehr cc. Sondervorschriften zu Garantien dd. Rückgriff des Letztverkäufers m. Besondere Arten des Kaufs aa. Kauf unter Eigentumsvorbehalt bb. Kauf als Teilzahlungsgeschäft cc. Kauf auf Probe dd. Wiederkauf ee. Vorkaufsrecht n. Grenzüberschreitender Kauf 3. Mietvertrag a. Gegenstand und Vertragsabschluss b. Vertragliche Pflichten c. Gewährleistung
205 205 206 206 207 208 209 211 211 213 215 215 215 216 218 218 218 221
XII
V.
Inhaltsverzeichnis d. Wechsel der Vertragsparteien e. Beendigung
221 221
4. Leasingvertrag 5. Darlehensvertrag a. Gelddarlehensvertrag b. Kündigung c. Verbraucherdarlehensvertrag d. Sachdarlehensvertrag 6. Dienstvertrag
222 224 224 224 225 226 227
7. Werkvertrag a. Gegenstand b. Vertragliche Pflichten aa. Pflichten des Unternehmers
230 230 231 231
bb. Pflichten des Bestellers c. Gefahrtragung d. Gewährleistung e. Verjährung f. Beendigung durch Kündigung 8. Allgemeine Geschäftsbedingungen a. Zweck und Bedeutung b. Begriff und Anwendungsbereich c. Einbeziehungsvoraussetzungen d. Inhaltskontrolle e. Rechtsfolgen f. Anwendbarkeit der §§ 305 ff. in besonderen Fällen aa. Verwendung gegenüber Unternehmer bb. Verbraucherverträge
231 233 234 235 236 236 236 237 238 240 242 242 242 242
Schuldrecht BT: Gesetzliche Schuldverhältnisse
245
1. Übersicht 2. Geschäftsführung ohne Auftrag a. Begriff und Bedeutung b. Berechtigte GoA aa. Voraussetzungen bb. Rechtsfolgen c. Unberechtigte GoA
245 246 246 247 247 250 251
Inhaltsverzeichnis aa. Voraussetzungen bb. Rechtsfolgen d. Unechte GoA 3. Ungerechtfertigte Bereicherung a. Einleitung b. Leistungskondiktion
XIII 251 251 252 254 254 255
aa. Etwas erlangt bb. Leistung eines anderen cc. Ohne rechtlichen Grund c. Kondiktion in sonstiger Weise (Nichtleistungskondiktion) aa. Eingriffskondiktion bb. Rückgriffskondiktion
255 256 257 259 259 261
cc. Verwendungskondiktion d. Sonderprobleme - Leistung bei Beteiligung Dritter e. Verfügung eines Nichtberechtigten aa. Bedeutung
261 262 266 266
bb. Entgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten cc. Unentgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten dd. Leistung an einen Nichtberechtigten f.
Umfang der Herausgabeverpflichtung aa. Anspruch auf Herausgabe bb. Anspruch auf Wertersatz cc. Wegfall der Bereicherung dd. Verschärfte Haftung 4. Unerlaubte Handlungen a. Überblick b. § 823 Abs. 1 BGB aa. Rechtsgutverletzung bb. Verletzungshandlung cc. Haftungsbegründende Kausalität dd. Rechtswidrigkeit ee. Verschulden ff. Schaden gg. Haftungsausfüllende Kausalität hh. Art und Umfang des Schadensersatzes c. § 823 Abs. 2 BGB
266 267 268 269 269 271 271 273 274 274 274 275 278 280 282 283 283 284 284 288
XIV
Inhaltsverzeichnis
d. e. f. g. h.
aa. Tatbestand bb. Rechtswidrigkeit
288 290
cc. Verschulden §826 BGB § 831 BGB Schmerzensgeldanspruch Zivilrechtliche Beamtenhaftung Gefährdungshaftung
290 290 291 293 294 295
VI. Sachenrecht 1. Begriff
299 299
2. Grundprinzipien des Sachenrechts a. Absolutheitsprinzip b. Typenzwang c. Spezialitätsprinzip d. Publizitätsprinzip 3. Besitz a. Begriff b. Erscheinungsform c. Erwerb und Verlust des Besitzes
300 301 301 302 303 303 303 304 307
d. Schutz des Besitzes e. Funktion 4. Eigentum a. Begriff b. Erscheinungsformen c. Schutz des Eigentums aa. Eigentumsherausgabeanspruch nach § 985 BGB bb. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 5. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis a. Begriff und Anwendungsbereich b. Vindikationslage c. Nutzungen
308 311 311 311 312 313 313 315 317 317 318 318
d. Schadensersatz e. Verwendungen 6. Erwerb des Eigentums a. Einleitung
320 322 324 324
Inhaltsverzeichnis b. Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen. aa. Einigung bb. Übergabe cc. Einigsein dd. Berechtigung c. Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb an Grundstücken 7. Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten a. Gutgläubiger Erwerb von beweglichen Sachen aa. Gutgläubiger Erwerb nach § 932 BGB bb. Gutgläubiger Erwerb nach § 933 BGB cc. Gutgläubiger Erwerb nach § 934 BGB
XV 325 325 326 329 330 330 331 332 332 334 335
b. Erwerb einer Anwartschaft c. Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs gem. § 935 BGB
336 337
d. Gutgläubiger lastenfreier Erwerb von Eigentum e. Gutgläubiger Erwerb von Grundstücken
338 338
8. Sonstige Formen des Eigentumserwerbs a. Einleitung b. Ersitzung c. Verbindung, Vermischung und Verarbeitung aa. Grundstücksverbindung bb. Fahrnisverbindung gem. § 947 BGB cc. Vermischung (§ 948 BGB) dd. Verarbeitung (§ 950 BGB) ee. Ausgleichsansprüche d. Fruchterwerb, Aneignung, Fund 9. Sonstige dingliche Rechte a. Begriff und Überblick b. Grundpfandrechte aa. Grundprinzipien bb. Hypothek cc. Grundschuld
339 339 339 339 339 341 342 342 344 344 345 345 347 347 349 352
Teil B. Grundzüge der Zivilprozessordnung 1. Allgemeine Grundlagen zur Gerichtsbarkeit
357
XVI
Inhaltsverzeichnis 2. Aufbau, Organisation und Instanzenzug der Zivilgerichtsbarkeit . . . 3. Erkenntnisverfahren a. Einleitung b. Ablauf des Zivilprozesses aa. Überblick bb. Klageerhebung cc. Früher Verhandlungstermin oder schriftliches Vorverfahren dd. Mündliche Verhandlung ee. Rechtsmittel 4. Verfahrensgrundsätze a. b. c. d. e. f. g.
Einleitung Dispositionsmaxime (Verfügungsgrundsatz) Verhandlungsgrundsatz Grundsatz des rechtlichen Gehörs Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit Konzentrationsgrundsatz (Beschleunigungsmaxime) Bestreben nach gütlicher Einigung
360 363 363 366 366 366 369 369 371 371 371 372 372 374 374 376 376
5. Anhängigkeit und Rechtshängigkeit
377
6. Streitgegenstand
378
7. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage a. Überblick b. Sachurteilsvoraussetzungen aa. Zulässigkeit des Zivilrechtsweges bb. Zuständigkeit des angerufenen Gerichts cc. Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung dd. Parteifähigkeit ee. Prozessfähigkeit ff. Prozessführungsbefugnis gg. Postulationsfähigkeit hh. Rechtsschutzbedürfnis ii. Fehlen anderweitiger Rechtshängigkeit 8. Schlüssigkeit der Klage 9. Verhalten des Beklagten a. Einlassung b. Säumnis c. Anerkenntnis
380 380 381 381 381 383 383 384 385 386 386 388 389 389 389 391 392
Inhaltsverzeichnis d. Erledigung der Hauptsache e. Prozessvergleich 10. Beweis a. Beweisbedürftigkeit b. Beweismittel aa. Einleitung bb. Beweis durch Augenschein cc. Urkundenbeweis dd. Zeugenbeweis ee. Sachverständigenbeweis ff. Parteivernehmung c. Beweiswürdigung d. Beweislast 11. Rechtsmittel a. Grundprinzipien b. Berufung c. Revision d. Beschwerde 12. Besondere Verfahrensarten a. Mahnverfahren b. Prozesskostenhilfe c. Urkunden- und Wechselprozess d. Arrest und einstweilige Verfügung e. Schiedsgerichtsverfahren Sachverzeichnis
XVII 392 393 393 393 395 395 396 396 397 398 399 400 400 401 401 402 404 404 406 406 407 408 409 411 413
Abbildungsverzeichnis
1.1
Übersicht über das deutsche Rechtssystem
6
II. 1 11.2 11.3
Rechtssubjekte Rechtsobjekte Rechtsgeschäfte
34 35 38
11.4 11.5 11.6
Willenserklärung Wirksamwerden einer Willenserklärung Anfechtungsgründe
38 44 67
11.7 II. 8 11.9 11.10 II. 11
Beschränkte Geschäftsfähigkeit Stellvertretung Selbstkontrahieren Doppelvertretung Mittelbare Stellvertretung (Kommissionsgeschäft)
80 83 89 90 93
III. 1 111.2 111.3 111.4 111.5 111.6 111.7 111.8 111.9 III. 10 III. 11 III. 12 III. 13 III. 14
Recht der Schuldverhältnisse Vertragliche Schuldverhältnisse Gegenseitige Leistungspflichten Einigungspunkte Vertragspfiichten Pflichten aus dem Schuldverhältnis Vertrag zugunsten Dritter Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Beendigung von Schuldverhältnissen Voraussetzungen des Schuldnerverzugs Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs Unmöglichkeit Arten des Gläubigerwechsels Forderungsabtretung
96 97 98 99 100 102 107 109 111 129 130 134 152 153
XX
Abbildungsverzeichnis
III. 15
Einwendungen, Einreden
157
IV. 1
Versendungskauf
175
IV.2 IV.3 IV.4 IV.5
Abgestufte Mängelrechte des Käufers Berechnung der Minderungssumme Struktur des Schadensersatzanspruchs Unternehmerregress beim Verbrauchsgüterkauf
185 192 194 211
IV.6 IV.7 IV.8
Verbundene Verträge Vorkaufsrecht Finanzierungsleasing
215 216 223
IV.9
Werkvertrag
230
VI V.2 V.3
Gesetzliche Schuldverhältnisse Geschäftsführung ohne Auftrag Ungerechtfertigte Bereicherung
245 247 255
V.4 V.5
Dreiecksverhältnis Geschäftsherrnhaftung
264 292
VI. 1 VI.2 VI.3 VI.4 VI.5 VI.6 VI.7 VI.8
Grundsätze des Sachenrechts Numerus clausus der Sachenrechte Besitzformen Besitzmittlungsverhältnis Zeitbestimmung Eigentumsformen Herausgabeanspruch nach § 986 Abs. 1 S. 2 BGB Übereignung nach § 931 BGB
301 302 305 306 309 313 314 329
VI.9 VI. 10
Gutgläubiger Erwerb nach § 934, 1. Hs. BGB Eigentumserwerb nach § 934, 2. Hs. BGB
335 336
B.l B.2 B.3 B.4 B.5 B.6
Rechtsprechende Gewalt in Deutschland Instanzenzug in Zivilsachen Verfahrensablauf Inhalt einer Klageschrift Klagearten Beweismittel
357 361 366 368 368 396
Literaturverzeichnis
Bamberger, H. G., Roth, H: Kommentar zum BGB, Bd. 1, München 2003; zit.: Bamberger/Roth-Bearbeiter Baumbach, A., Hopf, K.: Handelsgesetzbuch, 31. Aufl., München 2003; zit.: Baumbach/Hopt Baumbach, A., Lauterbach, W., Albers, J., Hartmann, P.\ Zivilprozessordnung, 62. Aufl., München 2004 Baur, J., Stürner, R.: Sachenrecht, 17. Aufl., München 1999 Bahr, P.: Grundzüge des bürgerlichen Rechts, 10. Aufl., München 2004 Bitter, G., Meidt, E.: Nacherfüllungsrecht und Nacherfüllungspflicht des Verkäufers im neuen Schuldrecht, ZIP 2001, 2114 Brox, H.: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 27. Aufl., Köln, Berlin 2003; zit: Brox, BGB AT Brox, H.: Handelsrecht und Wertpapierrecht, 17. Aufl., München 2004 Brox, H., Walker, W.-D.: Allgemeines Schuldrecht, 30. Aufl., München 2004; zit.: Brox/Walker, SchuldR AT Brox, H., Walker, W.-D.: Besonderes Schuldrecht, 29. Aufl., München 2004; zit.: SchuldR BT Dauner-Lieb, B., Heidel, T., Lepa, M., Ring, G., (Hsrg.): Schuldrecht (Anwaltskommentar), Bonn 2002 Dauner-Lieb, B., Heidel, T., Lepa, M., Ring, G., (Hsrg.): Das neue Schuldrecht ein Lehrbuch, Heidelberg 2002 Dethloff, N.: Verträge zur Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung, NJW 2000, 2225 Diederichsen, U., Wagner, G.: Die BGB-Klausur, 9. Aufl., München 1998 Dücker, von, H.-G.: Das kaufmännische Bestätigungsschreiben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, BB 1996, 3 Erman, W.: Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. I, 11. Aufl., Münster 2004; zit.: Erman-Bearbeiter
XXII
Literaturverzeichnis
Erman, W.: Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II, 11. Aufl., Münster 2004; zit: Erman-Bearbeiter Fikentscher, W: Schuldrecht, 9. Aufl., München 1997 Gieseler, D.: Die Strukturen der Schlechterfüllung im Leistungsstörungsrecht, ZGS 2003,408 Grigioleit, H.-C, Herresthai, C: Grundlagen der Sachmängelhaftung im Kaufrecht, JZ 2003, 118 Haas, L.: Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Kauf- und Werkvertragsrecht, BB 2001, 1313 Haas, L, Medicus, D., Rolland, W., Schäfer, C: Das neue Schuldrecht, München 2002 Hoffmann, H: Zur Entwicklung des Internet-Rechts, NJW 2001, Beil. zu Heft 14, S. 5-39 Huber, R: Der Nacherfüllungsanspruch im neuen Kaufrecht, NJW 2002, 1004 Huber, R, Faust, F.: Schuldrechtsmodernisierung,München 2002 Jauernig, O.\ Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl., München 2004; zit.: Jauernig-Bearbeiter Jauernig, O.: Zivilprozessrecht, 27. Aufl., München 2002 Hunzinger, E.: Einführung in das Bürgerliche Recht, 11. Aufl., München 2002 Kothe W., Micklitz H. W., Rott, R, Tonnen K., Willingmann A.: Das neue Schuldrecht, Kompaktkommentar, Neuwied 2003 Köhler, H.: BGB - Allgemeiner Teil, 28. Aufl., München 2004; zit.: Köhler, BGB AT Lorenz, K.: Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., München 1987; zit.: Larenz, SchuldR AT Larenz, K.: Lehrbuch des Schuldrechts, Besonderer Teil, Bd. II., 1. Hb., 13. Aufl., München 1986; zit.: Larenz, SchuldR BT Larenz, K., Canaris, C. W.: Lehrbuch des Schuldrechts, Besonderer Teil, Bd. II., 2. Hb., 13. Aufl., München 1994; zit.: Larenz/Canaris, SchuldR BT Larenz, K., Wolf, M.: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., München 2004; zit.: Larenz/Wolf, BGB AT Lehmann, M.: Informationsverantwortung und Gewährleistung für Werbeangaben beim Verbrauchsgüterkauf, JZ 2000, 280 Lorenz, S., Riehm, T.: Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, München 2002
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XXIII
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XXIV Literaturverzeichnis Schmidt, K.: Die BGB-Außengesellschaft: rechts- und parteifähig, NJW 2001, 993 Schmidt-Kessel, M.: Auf dem Weg zu einem Europäischen Vertragsrecht, RIW 2003,481 Schreiber, K.\ Sachenrecht, 4. Aufl., Stuttgart, 2003 Schwab, K.-H., Prütting, H.\ Sachenrecht, 31. Aufl., München, 2003 Soergel, T.\ Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 3, Schuldrecht II, 12. Aufl., Stuttgart, Berlin 1991 Soergel, T.\ Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 6, Sachenrecht, 12. Aufl., Stuttgart, Berlin 1990 Staudinger, J. v.: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Zweites Buch - Rechte der Schuldverhältnisse (§§ 249-254 BGB), 13. Aufl., Berlin 1998 Staudinger, J. v.: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Zweites Buch - Rechte der Schuldverhältnisse (§§ 443-535 BGB), 13. Aufl., Berlin 1995 Taupitz, J, Kritter, T.: Electronic Commerce - Probleme bei Rechtsgeschäften im Internet, Jus 1999, 839 Thomas, H., Putzo, H.: Zivilprozessordnung, 25. Aufl., München 2003 Ulmer, P., Brandner, H.-E., Hensen, H.-D.: AGB-Gesetz (Kommentar), 9. Aufl., Köln 2001 Wesel, U.\ Fast alles, was Recht ist, 6. Aufl., Frankfurt 1999 Westermann, H. P.: Das neue Kaufrecht einschließlich des Verbrauchsgüterkaufs, JZ 2001, 530 Westermann, H. P: Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241 Wieling, H.-J.: Sachenrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2001 Wolf, M.\ Sachenrecht, 20. Aufl., München 2004 Zerres, T.: Marketingrecht, München 2002 Zöller, R.: Zivilprozessordnung, 24. Aufl., Köln 2004 zit.: Zöller-Bearbeiter
Abkürzungsverzeichnis
a.A. a.a.O. Abs. AcP ABI. ADSp a.E. AG AG AGB AGB-Gesetz AktG Anm. Art. AT Aufl. BAG BayObLG BB BGB BGB1. BGH BGHSt BGHZ BR Bsp. BT BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw.
anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Band, Seite) Amtsblatt Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen am Ende Aktiengesellschaft Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbe dingung Aktiengesetz Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Bundesarbeitsgericht Bayrisches Oberstes Landesgericht Der Betriebsberater (Jahr, Seite) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Band, Jahr, Seite) Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Strafsachen (Band, Seite) Entscheidungen des BGH in Zivilsachen (Band, Seite) Bürgerliches Recht Beispiel Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des BVerfG (Band, Seite) beziehungsweise
XXVI Abkürzungsverzeichnis C1C
CISG DB ders. d.h. EDV EFZG EG EGBGB EGV EU EuGH e.V. EWIV f., ff. FernAbsG FGG Fn. GbR GG GmbH GmbHG GoA GVG GWB HGB h.L. h.M. Hs. HWiG i.d.R. Incoterms InsO i.S.d. i.V. m. i. w. S. JA JuS JZ KG
culpa in contrahendo Convention on Contracts for International Säle of Goods (UNKaufrecht) Der Betrieb derselbe das heißt Elektronische Datenverarbeitung Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft Einfühungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäische Gemeinschaft Europäische Union Europäischer Gerichtshof eingetragener Verein Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung folgende, fortfolgende (Seiten oder Paragraphen) Fernabsatzgesetz (aufgehoben) Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Gesellschaft bürgerlichen Rechts Grundgesetz Gesellschaft mit beschänkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschänkter Haftung Geschäftsführung ohne Auftrag Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Halbsatz Haustürwiderrufsgesetz (aufgehoben) in der Regel International Commercial Terms Insolvenzordnung im Sinne der/des in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Juristische Schulung (Jahr, Seite) Juristenzeitung (Jahr, Seite) Kammergericht
Abkürzungsverzeichnis XXVII KG KGaA LG Lit. MDR m. w. N. NJW NJW-RR Nr., Nrn. OHG OLG PflVersG pFV/pVV ProdhaftG RG RL Rn., Rnn. Rspr. S. SchuldR SigG sog. StGB str. st. Rspr. StVG StVO TzWrG u.a. u.U. UKlaG UWG VerbrKrG VerbrKfRL VersR vgl. VO VOB VVG VwGO VwVfG
Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Landgericht Literatur Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahr, Seite) mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer, Nummern offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (Pflichtversicherungsgesetz) positive Forderungsverletzung/positive Vertragsverletzung Produkthaftungsgesetz Reichsgericht Richtlinie der EG Randnummer, Randnummern Rechtsprechung Seite/Satz Schuldrecht Signaturgesetz sogenannte/sogenannter Strafgesetzbuch streitig ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Teilzeit-Wohnrechtegesetz unter anderem unter Umständen Unterlassungsklagengesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verbraucherkreditgesetz (aufgehoben) Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Versicherungsrecht vergleiche Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz
XXVIII Abkürzungsverzeichnis WE WEG WM z.B. ZGS ZIP ZPO
Willenserkärung Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) Wertpapiermitteilungen zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zivilprozessordnung
Ergänzend wird verwiesen auf Kirchner, H., Butz, C.: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl., Berlin, New York 2003.
A. Zivilrecht
I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
1. Juristische Arbeitsmethodik Wer eine juristische Fallbearbeitung vornimmt, wird von der „Gesetzesflut" erschlagen. Ob es Jura-Studierende sind oder Studierende anderer Fakultäten, jeder hat das Problem: „Wie bearbeite ich den Fall?" Eine Patentlösung für dieses Problem gibt es nicht, da die Arbeitsweise individuell verschieden ist. So ist nicht jeder Ansatz für jeden gleich gut geeignet. Es besteht aber die Möglichkeit, durch Disziplin und eine gewisse Arbeitstechnik, jeden Fall auf annehmbare Weise zu lösen. Warum nur auf „annehmbare" Weise, wird verständlicherweise gefragt. Nun, die Antwort ist relativ einfach. Im Bereich der Jurisprudenz gibt es eigentlich kein richtig oder falsch. Bei korrekter Gesetzesanwendung kommt stets ein „richtiges" Ergebnis einer Begutachtung heraus. Die Begutachtung eines juristischen Sachverhalts ist die Basis für eine weitere Verwertung der Ausarbeitungen. Jeder Richter, jeder Rechtsanwalt und auch jeder juristische Mitarbeiter eines Rechtsamts beginnt mit der Begutachtung des betreffenden Sachverhalts. Ob er dabei schriftliche Aufzeichnungen vornimmt oder die Begutachtung „im Kopf" ausführt, spielt dabei keine Rolle. Er kommt jedenfalls nicht daran vorbei, den Fall zu begutachten. Bevor überhaupt daran gedacht werden kann, ein juristisches Gutachten zu erstellen, muss zunächst festgelegt werden, wie ein solches aussehen soll. Dabei ist eins von großer Wichtigkeit: die Arbeitsmethodik. Mit einer besonderen Arbeitsmethodik gelingt es dem Juristen, sich auch auf unbekannten Rechtsgebieten zurechtzufinden, mit denen er mitunter konfrontiert wird. Der NichtJurist hingegen, der sich keiner besonderen Arbeitsmethodik bedient, ist deshalb hoffnungslos unterlegen. Er verliert Zeit und er gerät in die Gefahr, wichtige Dinge zu übersehen. Es kommt deshalb letztlich nicht auf die speziellen Einzelkenntnisse an, die jemand besitzt, sondern auf seine ökonomische Arbeitsmethodik. Diese Arbeitsmethodik, d. h. der Umgang mit den Gesetzen, muss durch ständiges Training geschult und automatisiert werden; nur so führt es zu einer Vereinfachung der Begutachtung und zur Fehlervermeidung. Ist dies erst einmal geschafft, bleibt Zeit für die wichtigen Detailfragen. Um diese Methodik zu trainieren, muss man natürlich wissen, wie sie aussieht. Sie lässt sich im Prinzip in drei Schritte untergliedern.
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
Die juristische Arbeitsmethodik beginnt damit, sich ein genaues Bild davon zu machen, um was es in dem zu bearbeitenden Fall geht. Der erste Schritt ist also das „Erfassen des Sachverhalts" (Diederichsen-Wagner, S. 20). Dies stellt sich in der Praxis oftmals als schwierig dar, weil die Beteiligten ihre subjektiven Eindrücke miteinbringen oder schlichtweg lügen. Kommt eine Einigung zwischen den Beteiligten nicht zustande, wird dieser Konflikt regelmäßig vor einem Gericht ausgetragen werden müssen. Hier steht nun der Richter, dem die Akte zugeteilt worden ist, vor dem Problem unterschiedlicher Behauptungen und Ansichten. Er hat jetzt die Möglichkeit, eine „Beweisaufnahme" durchzuführen, um „Licht in das Dunkel der Angelegenheit" zu bringen. Wie eine derartige Beweisaufnahme zu erfolgen hat, bestimmt sich nach der Zivilprozessordnung. So kann eine Beweiserhebung durch Urkunden, Sachverständige, Inaugenscheinnahme (durch den Richter), Zeugen oder - unter bestimmten Voraussetzungen - durch Parteivernehmung erfolgen. Zu beachten ist, dass man selbst in einem Zivilprozess grundsätzlich nicht sein eigener Zeuge sein kann. Im Studium hat man es dagegen, z.B. bei Klausuren und Hausarbeiten, mit einem feststehenden Sachverhalt zu tun, so wie er sich (vielleicht) nach einer Beweisaufnahme auch dem Richter darstellt. Dieser im Wege einer Beweiswürdigung „festgestellte" (besser: „angenommene") Sachverhalt wird sodann einer Norm unterworfen. Dieser Vorgang wird von Juristen als Subsumtion bezeichnet. Da die Tatsachen feststehen, steht daher die rechtliche Prüfung eindeutig im Vordergrund. Dies gelingt umso besser, je gründlicher man den Sachverhalt studiert und sich die Einzelheiten eingeprägt hat, denn der gesamte Sachverhalt muss juristisch ausgewertet werden. Hilfsmittel zum Erfassen des Sachverhalts (auch des unstreitigen) sind im Übrigen Zeittafeln (Festhalten der Daten im zeitlichen Ablauf) und Skizzen zur Darstellung der beteiligten Personen/Unternehmen, die vor allem, wenn der Sachverhalt umfangreicher ist und mehrere Personen beteiligt sind, zur Ordnung der ersten „Gedankenblitze" sehr zu empfehlen sind. Damit kann das unbewusste Fehlverständnis des Sachverhalts vermieden werden. Es kommt aber trotzdem manchmal vor, dass sich dem Bearbeiter beim Lesen des Falls bestimmte Rechtsprobleme aufdrängen. Der Bearbeiter gerät dann in die Gefahr, den Sachverhalt so zu verändern, dass dieser auf die ihm bekannten Rechtsprobleme passt. Dies ist zu unterlassen, ebenso wie Sachverhaltsunterstellungen, denn im gestellten Sachverhalt ist i. d. R. jedes Wort abgewogen und hat somit Bedeutung. Steht ein bestimmter Lebenssachverhalt fest, ist das „Erfassen der Fallfrage" der nächste große Punkt auf dem Weg zur gelungenen Arbeitsmethodik (vgl. Diederichsen-Wagner, S. 25). Unter der Fallfrage ist die juristische Problemstellung zu verstehen. Diese besteht im Wesentlichen darin, die bestimmten Ansprüche und Rechte zu erkennen. Es muss also je nach Fallfrage geklärt werden, wer Ansprüche stellt. Dem Richter stellt sich diese Frage in Form des Klageantrags; der Rechtsanwalt muss sich dagegen mit bestimmten (möglichen) Ansprüchen auseinandersetzen und der Studierende hat sich i. d. R. mit einer konkreten Fallfrage zu beschäftigen.
1. Juristische Arbeitsmethodik
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Zudem ist zu prüfen, wer als Anspruchsgegner für das entsprechende Begehren in Betracht kommt. Weitehin gilt es eine Rechtsvorschrift zu finden, die das Begehren deckt. Diese Einzelschritte lassen sich in einem Satz zusammenfassen, der als Prämisse für diese Prüfung dient: Wer will was von wem woraus. Beispiel'. V verlangt von K die Zahlung des Kaufpreises; E verlangt von B Herausgabe einer Sache; Z begehrt von seinem Nachbarn Unterlassung des Lärms; A verlangt Schadensersatz von B. Über das „woraus" kommt der Jurist nun zum dritten Schritt der Arbeitsme-
thodik, nämlich dem „Auffinden der einschlägigen Rechtsnorm". Unter der „einschlägigen Rechtsnorm" ist zunächst die Anspruchsgrundlage zu verstehen, also jede Rechtsnorm, die geeignet ist, das aus dem Sachverhalt ermittelte Begehren zu stützen (Diederichsen-Wagner, S. 39). Man erkennt im Gesetz eine Norm als Anspruchsgrundlage regelmäßig an der Formulierung „kann. .. verlangen" bzw. „ist... verpflichtet". Ein Beispiel ist § 433 Abs. 2 BGB: „Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen". Hier nun beginnt das eigentliche juristische Gutachten. Seine Erstellung erfolgt im Prinzip in drei Schritten („Gutachtenstil"): - Hypothese, - Untersuchung und - Ergebnis. Nach der Aufstellung einer Hypothese, in der festgelegt wird, was es rechtlich zu prüfen gilt, steht im Mittelpunkt eines derartigen Gutachtens die eigentliche rechtliche Untersuchung, die mit einem Ergebnis abschließt (vgl. auch zur Methode der Fallbearbeitung, Brox, BGB AT, Rnn. 833 ff.). Wie findet man aber nun eine Anspruchsnorm, die eine mögliche Rechtsgrundlage für den zur Entscheidung stehenden Anspruch sein kann? Der erste Gedanke ist, sämtliche Gesetze durchzusehen, in der Hoffnung eine zutreffende Bestimmung zu finden. Diese „Methodik" ist eigentlich keine Methodik und auch äußerst zeitintensiv. Eine weitere Möglichkeit wäre, die ebenfalls keiner besonderen geistigen Anstrengung bedarf, das Auswendiglernen aller (oder wenigstens der wichtigsten) Anspruchsnormen aus dem BGB. Diese Vorgehensweise ist zeitraubend und überdies unzuverlässig, da sie sich nur auf gesetzlich normierte Anspruchsgrundlagen im BGB beschränkt. Letztlich bleibt eine Methode, die sich an dem viel zitierten Satz orientiert, wonach ein Jurist nichts auswendig wissen muss; er muss nur wissen, „wo etwas steht" (und wenn er das nicht weiß, muss er jemand kennen, der es weiß). Diese Aussage ist zwar übertrieben, bringt aber die Sache auf den Punkt. Nicht das sture
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
Auswendiglernen ist gefragt, sondern das flexible Reagieren auf verschiedene Fallkonstellationen, zumal auch Fälle in Betracht kommen können, die gerade nicht mit den gängigen Anspruchsgrundlagen zu lösen sind. Deshalb ist der sicherste und schnellste Weg zum Auffinden einer Anspruchsgrundlage oder einer bestimmten Norm zunächst ein gründliches Studium des Gesetzes und dessen innerer Zusammenhänge. Kennt man den Aufbau der Gesetze und die entsprechenden Querverbindungen, dann weiß man auch im voraus, an welcher Stelle man die für die Falllösung entscheidenden Paragraphen finden kann. Es ist also erforderlich, zunächst den Aufbau des deutschen Rechtssystems vorzustellen. Das Rechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland besteht aus einer Vielzahl, teilweise sehr unterschiedlicher, oftmals dabei auch nicht immer ganz eindeutig voneinander abgrenzbarer Rechtsgebiete. Herkömmlicherweise wird in der deutschen Rechtsordnung zwischen Öffentlichem und Privatem Recht unterschieden, eine Unterscheidung, die auf dem ius publicum und dem ius privatum des römischen Rechts beruht, von dem wesentliche Teile in das Bürgerliche Gesetzbuch Eingang gefunden haben (Larenz/Wolf, § l,Rnn. 1 ff.;Münch-Komm-Säcker,Einl., Rnn. 2 ff.). Die nachstehende Übersicht zeigt dies in Grundzügen auf (vgl. Abb. 1.1).
Privatrecht
Öffentliches Recht
Bürgerliches Recht - Allgemeiner Teil - Schuldrecht - Sachenrecht - Familienrecht - Erbrecht Nebengesetze zum BGB - WEG - Beurkundungsgesetz - Produkthaftungsgesetz - Unterlassungsklagengesetz - Umwelthaftungsgesetz Sonderprivatrechte - Handelsrecht - Arbeitsrecht - Gesellschaftsrecht - Wettbewerbsrecht - Gewerblicher Rechtsschutz
Staats- und Verfassungsrecht
Verwaltungsrecht - Polizei- und Ordnungsrecht - Baurecht - Kommunalecht - Gewerberecht - Subventionsrecht Steuer- und Abgabenrecht Sozialrecht Strafrecht Prozessrechte
Abb. 1.1. Übersicht über das deutsche Rechtssystem
2. Rechtsquellen
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2. Rechtsquellen Seinem Entstehungsgrund nach besteht das Recht aus gesetztem Recht und Gewohnheitsrecht. Das gesetzte Recht ist das von den staatlichen oder staatlich ermächtigten Organen geschaffene „gesetzte" Recht. Das Gesetz im formellen Sinne wird durch den Gesetzgeber (Legislative) erlassen. Die Zuständigkeiten und das Zustandekommen sind auf Bundesebene im Grundgesetz (Art. 20 Abs. 2, 70 ff. GG) und auf Länderebene in den jeweiligen Landesverfassungen geregelt. Staatsverträge, die ordnungsgemäß ratifiziert worden sind, stehen einem formellen Gesetz im Rang gleich. Rechtsverordnungen sind die von einer Stelle der Exekutive auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassenen Rechtsnormen (Art. 80 Abs. 1 GG). Sie stehen im Rang unter dem (formellen) Gesetz, d. h. sie dürfen nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Die Satzung wird von nichtstaatlichen Verbänden auf Grund einer ihnen durch Gesetz verliehenen Rechtssetzungsbefugnis erlassen, z.B. Gemeindesatzungen oder Satzungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften. Auch der normative Teil eines Tarifvertrages ist Gesetz im materiellen Sinne und gehört damit begrifflich zu den autonomen Satzungen (BAG, NJW 1985,1238). Von diesen Normen sind die Satzungen privater Verbände bzw. Vereine zu unterscheiden, die keine Rechtsnormen darstellen, sondern privatautonome Regelungen (Palandt-Heinrichs, Einl., Rnn. 21 ff.). Das Privatrecht beruht fast ausschließlich auf Gesetzen im formellen Sinne. Zu den relativ wenigen Rechtsverordnungen zählen etwa die Erbbaurechtsverordnung oder die BGB-Informationspflichtenverordnung. Gewohnheitsrecht entsteht dagegen durch eine lang andauernde Übung, die von den beteiligten Rechtskreisen als rechtsverbindlich anerkannt worden ist (BVerfGE 28, 21 (28)); es muss also eine einheitlich herrschende Rechtsüberzeugung vorliegen („opinio necessitatis"). Heute entsteht Gewohnheitsrecht praktisch nur noch durch Richterrecht. Der Richter ist dazu berufen, das Recht anzuwenden und damit zugleich fortzubilden. Eine richterliche Entscheidung entfaltet jedoch grundsätzlich keine bindende Wirkung für die anderen Rechtsanwender. Ein Gericht ist nicht an die Rechtsauffassung gebunden, die es selbst oder ein anderes Gericht in vergleichbaren Fällen vertreten hat. Hält das Gericht eine Rechtsauffassung für unrichtig, kann es davon abweichen (BGHZ 59, 343; 69, 323). Auch höchstrichterliche Entscheidungen sind nicht Gesetzen gleichzusetzen und entfalten damit auch keine vergleichbare Rechtsbindung (BGHZ 132, 119, 129). Die fachliche Autorität und die Wahrscheinlichkeit, dass (zukünftig) dieses Gericht und die nachgeordneten Gerichte in entsprechender Weise entscheiden, verleihen ihren Entscheidungen eine besonders große praktische Bedeutung. Aus einer ständigen Rspr. kann zunächst ohne weiteres noch kein Gewohnheitsrecht abgeleitet werden. Aus höchstrichterlichen Entscheidungen erwächst zunächst das sog. Richterrecht, das eine Quelle für die Bildung von Gewohnheitsrecht werden kann. Viele Rechtsinstitute, die die
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
Rspr. unter Billigung der Rechtslehre in Fortentwicklung des BGB geschaffen hat, sind heute Gewohnheitsrecht, weil die beteiligten Kreise sie akzeptiert haben und danach verfahren. Beispiel: Rechtssätze zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder zur Sicherungsübereignung. Im Rahmen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sind zahlreiche gewohnheitsrechtliche Rechtsinstitute, insbesondere die cic (§311 Abs. 2 BGB), die pFV (§ 280 Abs. 1 BGB) oder die Grundsätze zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (§313 BGB) in das BGB implementiert worden. Weitere wichtige Rechtsquellen sind das höherrangige Verfassungsrecht (vgl. im Folgenden unter 6. zu den Auswirkungen auf das BGB) und das Recht der EG (hierzu Palandt-Heinrichs, Einl., Rnn. 36 ff.), für das ein Anwendungsvorrang besteht (EuGH, NJW 1964, 2371; NJW 1999, 2355). Keine Rechtsnormen ist die Verkehrssitte (unter Kaufieuten „Handelsbrauch"). Sie sind eine im Verkehr der beteiligten Rechtskreise herrschende tatsächliche Übung. Im Unterschied zum Gewohnheitsrecht sehen die Beteiligten sie aber nicht unmittelbar als rechtsverbindlich an. Sie ist also keine Rechtsnorm. Nach den §§ 157, 242 BGB ist sie bei der Auslegung von Rechtsgeschäften und der Abwicklung von Schuldverhältnissen zu berücksichtigen. Eine Verkehrssitte kann, wenn die Überzeugung der Beteiligten von ihrer Rechtsverbindlichkeit hinzu kommt, regelmäßig durch Richterrecht vermittelt, zum Gewohnheitsrecht erstarken. Beispiel: Die Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben, wonach der Inhalt eines solchen Schreibens Vertragsinhalt wird, wenn der Empfänger eines solchen Schreibens nicht unverzüglich widerspricht, sind von einem bloßen Handelsbrauch (§ 346 HGB) zu einem Gewohnheitsrecht geworden. Technische Normen und berufliche Verhaltensregeln, z.B. DIN-Normen oder Regeln der ärztlichen Kunst, haben keine normative Geltung, da sie nicht von einem zur Rechtssetzung befugten Organ erlassen worden sind; diese können aber durch Verweisungen in gesetzlichen Vorschriften mittelbar den Rang einer Rechtsnorm erhalten (Palandt-Heinrichs, Einl., Rnn. 33 ff.).
3. Grundstruktur des Bürgerlichen Gesetzbuches Zum Privatrecht zählen alle Normen, die die Rechtsbeziehungen der Bürger (lat.: cives, daher Zivilrecht) und der auf einem freiwilligen Zusammenschluss beruhenden privatrechtlichen Vereinigungen, z.B. in Form der Vereine oder Gesellschaften regeln. Durch sie wird im Wesentlichen festgelegt, welche Freiheiten, Rechte, Pflichten und Risiken die Menschen im Verhältnis zueinander haben. Das Privatrecht ist typischerweise durch eine Gleichordnung der am Rechtsverhältnis beteiligten Personen gekennzeichnet.
3. Grundstruktur des Bürgerlichen Gesetzbuches
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Den Kern des Privatrechts bildet das bürgerliche Recht, gesetzlich geregelt im Bürgerlichen Gesetzbuch. Es wird ergänzt durch einige Nebengesetze, z.B. das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) oder auch das Produkthaftungsgesetz (ProdhaftG). Das BGB stellt somit den Kern des Privatrechts dar, dessen Regeln insoweit Anwendung finden, als sie nicht durch Sondervorschriften ergänzt oder abgeändert werden. Darüber hinaus enthält das Privatrecht einige Sondergebiete, zu denen u. a. das Handelsrecht, das Gesellschaftsrecht, das das Marketing besonders betreffende Wettbewerbsrecht, die gewerblichen Schutzrechte und schließlich das Arbeitsrecht gezählt werden. Diese privatrechtlichen Sondergebiete beziehen sich auf einzelne Berufsgruppen oder Lebensbereiche, die wegen ihrer Komplexität besonderer und eingehender Regelung bedürfen. Historisch betrachtet haben sie sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch als Reaktion auf die wirtschaftlichen, sozialen und technischen Wandlungsprozesse in Deutschland herausentwickelt. So wird z.B. das Handelsrecht als ein Sonderrecht für Kaufleute angesehen oder das Arbeitsrecht als Sonderrecht für Arbeitsverhältnisse. Das Bürgerliche Gesetzbuch trat am 1. Januar 1900 in Kraft. Es bildete den vorläufigen Abschluss einer Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts in Deutschland. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es mehrere, zum Teil unterschiedliche landesrechtliche Kodifikationen, so z. B. für alle linksrheinischen Staaten den Code Civile von 1804, für Preußen das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, für Bayern den Codex Maximüianeus Bavaricus Civilis und für Baden das Badische Landrecht von 1809. Lediglich auf dem Gebiet des Handels- und Wechselrechts bestanden schon einheitliche Rechtsvorschriften in Form der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung von 1848 und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches von 1861. Der Weg zu einer Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts wurde erst durch den Zusammenschluss der deutschen (Klein-) Staaten zum Deutschen Reich 1871 möglich. Während das Strafrecht mit der Schaffung eines einheitlichen Reichsstrafgesetzbuchs bereits im gleichen Jahr eine Rechtsgrundlage fand, dauerte es dann doch noch allerdings fast 30 Jahre bis zur „Fertigstellung des BGB". Inhalt und Grundprinzipien des BGB spiegeln die herrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Anschauungen des 19. Jahrhunderts wider. Im Vordergrund stand ein extremer Liberalismus, zu verstehen als Reaktion auf die erst nach Jahrhunderten überwundenen ständischen und obrigkeitlichen Beschränkungen. Man versuchte, die Freiheit und Gleichheit auch im bürgerlichen Gesetz zu sichern. Das BGB geht daher von einer Rechtsgleichheit aller Bürger aus und gewährleistet in weitem Umfang Privatautonomie. Ausdruck dafür ist etwa die Vertragsfreiheit oder die Eigentumsfreiheit. Als geeignete Handlungsform zur Verwirklichung der grundsätzlichen Privatautonomie wird von der Rechtsordnung der Vertrag zur Verfügung gestellt. Der einzelne Bürger sollte grundsätzlich darin frei sein, ob, mit wem und mit welchem Inhalt er Verträge schließt. Beschränkungen der Privatautonomie findet man kaum. Die Verfasser des BGB gingen davon aus, dass alle Privatpersonen im Rechtsverkehr chancengleich seien und dass sich durch die Privatautonomie stets ein gerechter Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen erzielen lassen werde („Wer würde schon einen für sich nachteiligen Vertrag schließen"). Eine derartige extrem liberale Konzeption konnte jedoch den drängenden Fragen, die die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Indus-
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
trialisierung aufwarfen, nicht gerecht werden. Es blieb unberücksichtigt, dass eine Vertragspartei, die (ökonomisch) mächtiger als eine andere ist, diese Vertragsfreiheit missbrauchen kann. So waren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber auch Produzent und Konsument nicht chancengleich. Durch Schutzvorschriften im Bereich des Dienstvertragsrechts oder durch die Schaffung des Abzahlungsgesetzes von 1894 (heute: §§ 491 ff. BGB), das den besonderen Umständen beim Ratenkauf Rechnung tragen sollte, versuchte man zwar diesen Problemen zu begegnen, doch war insgesamt das BGB nach Otto von Gierke „nur mit einem Tropfen sozialistischen Öls gesalbt". Den sozialen Missständen wurde erst später - in der Weimarer Zeit - durch Schaffung von zahlreichen Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer weitgehend Rechnung getragen. Dies geschah etwa in der Form einer Tarifvertragsordnung, einer Arbeitszeitordnung und eines Betriebsrätegesetzes, die die Verfügungsgewalt der Arbeitgeber als alleiniger „Herr im Haus" beschränken sollten. Es lassen sich hier die ersten Grundstrukturen unseres heutigen Arbeitsrechtes erkennen.
Das BGB stellt die Grundlage aller privatrechtlichen Vorschriften dar. Viele Regelungen der sog. Nebengesetze ebenso wie der „Sonderprivatrechte" sind oftmals ohne die Vorschriften des BGB nicht zu verstehen. Das BGB besteht aus fünf Büchern: l.Buch: 2. Buch: 3. Buch: 4. Buch: 5. Buch:
Allgemeiner Teil Schuldrecht Sachenrecht Familienrecht Erbrecht
(§§ (§§ (§§ (§§ (§§
1-240) 241-853) 854-1296) 1297-1921) 1922-2385)
In einem zum BGB ergangenen Einführungsgesetz (EGBGB) sind neben Übergangsvorschriften, die das Verhältnis des BGB zu den Landesgesetzen betrifft, auch das Internationale Privatrecht geregelt, das das Verhältnis des deutschen Rechts zum ausländischen Recht beinhaltet. Der Begriff „Internationales Privatrecht" ist dabei insoweit missverständlich, als es sich um ein nationales Recht handelt, das grundsätzlich zur Anwendung kommt, wenn ein Sachverhalt grenzüberschreitenden Charakter hat, d. h. wenn also z. B. ein Partner eines Kaufvertrags aus dem Ausland stammt. In diesem Bereich spielen insbesondere die grundsätzlich vorrangigen völkerrechtlichen Verträge und die sonstigen internationalen Abkommen eine Rolle, wie z.B. das Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf (sog. UN-Kaufrecht), das für die Bundesrepublik 1991 in Kraft getreten ist. Zu beachten bei diesem Abkommen ist allerdings, dass seine Geltung zur Disposition der Vertragsparteien steht. Der Allgemeine Teil des BGB enthält die allgemeinen Regeln für das gesamte bürgerliche Recht; zunächst - der römisch-rechtlichen Einteilung personae, res und actiones folgend - Vorschriften über natürliche und juristische Personen, Sachen und Rechtsgeschäfte, also z. B. über Willenserklärung, Verträge und Stellvertretung. Hieran schließen sich dann unter anderem Vorschriften über Fristen und (Anspruchs-)Verjährung an.
3. Grundstruktur des Bürgerlichen Gesetzbuches
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Mit der mathematischen Methode „etwas vor die Klammer zu ziehen" wird erreicht, dass die im Allgemeinen Teil enthaltenen Grundsätze auch für die weiteren vier Bücher des BGB gelten, soweit nicht entgegenstehende Regelungen enthalten sind. Im Umkehrschluss dazu bedeutet dies aber auch, dass die Vorschriften, die in den anderen vier Büchern niedergelegt sind, nur in den jeweiligen Büchern gelten. Jedes Buch muss man im Prinzip als ein Gesetz für sich betrachten. Durch das „Zusammenpacken" der einzelnen Bücher im BGB wird die viermalige Wiederholung vermieden. Während z. B. das Preußische Allgemeine Landrecht kasuistisch aufgebaut war und in fast 18 000 Paragraphen sich auf Einzelfälle bezog, zeichnet sich das gesamte BGB durch eine äußerst abstrakte Darstellung aus, da es für eine möglichst große Zahl von Anwendungsfällen konzipiert ist. Dies lässt viele Formulierungen, insbesondere für einen juristischen Laien, oftmals nur sehr schwer verständlich erscheinen. Hinzu kommt außerdem die, im Gegensatz etwa zum allgemein verständlicheren Schweizer Zivilgesetzbuch, antiquierte Sprache sowie der didaktisch nicht nachvollziehbare Aufbau. Das BGB ist ein Gesetzbuch von Juristen für Juristen. Sprache und Aufbau des BGB sind von der Pandektistik geprägt, einer im 19. Jahrhundert vorherrschenden Richtung der Rechtswissenschaften. Sie hatte die Verarbeitung des römischen Rechts („Gemeines Recht") zu einem geschlossenen, widerspruchsfreien System des Privatrechts zum Ziel. Das zweite Buch des BGB, das Schuldrecht, behandelt vertragliche und gesetzliche Schuld Verhältnisse. Es regelt die Rechtsverhältnisse zwischen „Gläubiger" und „Schuldner" und gliedert sich seinerseits wieder in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil. Im Allgemeinen Teil des Schuldrechts sind die Vorschriften enthalten, die auf alle Schuldverhältnisse Anwendung finden. Es geht u. a. um die Frage, welche Rechte und Pflichten zwischen Vertragsparteien bestehen und welche Folgen es hat, wenn eine der Parteien ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, sei es, dass die Leistungserbringung verspätet oder schlecht erfolgt oder gar unmöglich geworden ist. Im Besonderen Teil des Schuldrechts sind die am häufigsten vorkommenden Schuldverhältnisse, z.B. Kauf-, Miet- oder Werkvertrag normiert. Zu beachten ist, das diese gesetzlich vorgegebenen Normierungen von den Vertragsparteien weitgehend abgeändert oder ergänzt werden können („Grundsatz der Vertragsfreiheit"), soweit nicht spezielle zwingende Regelungen, z. B. verbraucherschützende Vorschriften, bestehen. Als Beleg für die grundsätzliche Dispositivität der schuldrechtlichen Normen lassen sich die in vielen Branchen verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (besser bekannt als das „Kleingedruckte", i. d. R. auf der Rückseite eines Vertragsformulars) anführen. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz v. 26.11.2001 führte zu strukturellen und inhaltlichen Veränderungen im Schuldrecht. Neben einer Reformierung des Kaufrechts, veranlasst durch die Verbrauchsgüterkauf-Rl, Änderungen im Werkvertragsrecht und Neuregelungen im allgemeinen Schuldrecht wurden darüber hinaus die - regelmäßig als Umsetzung von EG-Richtlinien außerhalb des BGB in Nebengesetzen normierten - Verbraucherschutzbestimmungen in das BGB integriert; ebenfalls im BGB umgesetzt wurden die Richtlinien zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Geschäftsverkehr und die zivilrechtlichen Teile der E-Commerce Richtlinie.
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
Das Dritte Buch des BGB, das Sachenrecht, regelt die Rechtsbeziehungen von Personen zu Sachen oder Rechten. Es geht also um Fragen des Besitzes, des Eigentums, des Pfandrechts (sowie der Sicherungsübereignung) und der Grundpfandrechte. Während Besitz juristisch dabei die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache meint (so wird beispielsweise der Dieb einer Sache ihr Besitzer), bedeutet Eigentum die rechtliche Sachherrschaft. Hinsichtlich der (möglichen) Rechte, die eine Person an Sachen haben kann, unterscheidet das Gesetz zwischen dem Eigentum als dem unbeschränkt dinglichen Recht an einer Sache und den beschränkt dinglichen Rechten, zu denen in erster Linie Pfandrechte und Grundpfandrechte gezählt werden. Grundpfandrechten (z. B. Hypothek oder Grundschuld) kommen vor allem bei der Kreditsicherung eine hohe wirtschaftliche Bedeutung zu. Im Rahmen der Kreditsicherung wurde den Bedürfnissen der Wirtschaft vor allem mit der Ausformung eines „Anwartschaftsrechts" beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt und mit der Anerkennung der „Sicherungsübereignung" sowie sonstiger Formen dinglicher Sicherheiten Rechnung getragen. Das vierte Buch des BGB, das Familienrecht, enthält im Wesentlichen Vorschriften, die sich mit den Fragen der Ehe sowie den nach der Ehescheidung auftretenden Fragen des Unterhalts und des Versorgungsausgleichs beschäftigen. Daneben klärt das Familienrecht verwandtschaftliche Rechtsbeziehungen, insbesondere das Verhältnis Eltern und Kind, die Stellung des nichtehelichen Kindes, die Adoption und die Betreuung. Das Familienrecht wurde seit dem Inkrafttreten des BGB mehrfach geändert, um den Bemühungen, eine Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen, Rechnung zu tragen (Art. 3 Abs. 2 GG). So hob erst 1957 das Gleichberechtigungsgesetz den § 1354 BGB auf, in dem, auf alten patriarchalischkonservativen Vorstellungen beruhend, dem Mann die Entscheidung in allen, das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten sowie die elterliche Gewalt über die Kinder zuerkannt worden war. Auch der Verfassungsauftrag zur Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern (Art. 6 Abs. 5 GG) wurde (in mehreren Schritten) erfüllt. Durch das Lebenspartnerschaftsgesetz wurde die Lebenspartnerschaft als rechtlich anerkannte Form des Zusammenlebens von Personen gleichen Geschlechts geschaffen. Die Rechtsstellung behinderter Menschen und physisch kranker Menschen wurde u.a. durch Abschaffung der Entmündigung und Ersetzung der Vormundschaft und Gebrechlichkeitspflegschaft durch das Rechtsinstitut der Betreuung verbessert. Das letzte Buch des BGB, das Erbrecht, regelt die vermögensrechtlichen Folgen beim Tod einer Person, d. h. die Erbfolge auf Grund des Gesetzes, durch Testament oder durch Erbvertrag, in deren Rahmen in Form eines Vermächtnisses auch Nichterben bedacht werden können. Die gesetzliche Erbfolge bedeutet, dass zunächst der Ehegatte und die unmittelbaren Verwandten in erster Linie, d. h. die Kinder erben. Die weitere Erbfolge bestimmt sich dann nach dem Gesetz. Der Erblasser kann durch Testament die gesetzliche Erbfolge ausschließen. Setzt er andere Personen als seine unmittelbaren Angehörigen als Erben ein, so behalten diese dennoch grundsätzlich ihren Pflichtteilsanspruch, der die Hälfte des Erbteils ausmacht.
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Im Gegensatz zum Testament ist der Erbvertrag, mit dem der Erblasser ebenfalls die gesetzliche Erbfolge ausschließen kann, nicht frei widerruflich. Will der Erblasser einer Person, z. B. einem Freund, einen Gegenstand aus seinem Nachlass, z.B. ein Bild, zuwenden, dann muss er ihm durch Testament oder Erbvertrag ein Vermächtnis aussetzen. Der Vermächtnisnehmer wird dann zwar nicht Erbe, er kann aber von dem/den Erben Übereignung der Sache bzw. Zahlung des Geldbetrags verlangen. Das Vermögen des Erblassers geht grundsätzlich als Ganzes auf den/ die Erben über (Grundsatz der Universalsukzession), so dass die Erben auch für Nachlassverbindlichkeiten einzustehen haben, und zwar auch mit eigenem, nicht ererbten Vermögen. Will der Erbe dem entgehen, so kann er (innerhalb einer bestimmten Frist) die Erbschaft ausschlagen oder durch bestimmte Maßnahmen die Haftung ausschließen.
4. Einfluss des Europäischen Rechts Das Bürgerliche Recht wird zunehmend durch das Europäische Recht beeinflusst. Zu den Zielen der Europäischen Gemeinschaft zählt nach Art. 3 h EGV die Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedsstaaten, soweit es für das Funktionieren bzw. zur Aufrechterhaltung des Binnenmarktes erforderlich ist (Larenz/ Wolf, § 3, Rnn. 20 ff.). Die vorrangige Rechtsquelle stellt der EG-Vertrag dar (Primärrecht). Wesentlicher Bestandteil dieses Vertrags sind die Grundfreiheiten. Hierzu zählen: -
Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Freizügigkeit des Personenverkehrs, Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs.
Bereits diese Grundfreiheiten wirken auf das BGB ein. Dies zeigt sich z.B. bei der Vorschrift des § 239 Abs. 1 BGB. Diese Norm besagt, dass eine Person nur dann als Bürge „tauglich" ist, wenn sie ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Diese Regelung diskriminiert dadurch mittelbar die Angehörigen aus anderen EUStaaten und verstößt damit gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV). Auf Grund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht darf dann eine innerstaatliche Norm nicht mehr angewendet werden, wenn die verletzte Gemeinschaftsnorm unmittelbare Wirkung hat. Die Grundfreiheiten sind unmittelbar anwendbares Recht, so dass im Ergebnis § 239 Abs. 1 BGB im Wege der gemeinschaftskonformen Auslegung auch für Personen gelten muss, die eine Bürgschaft übernehmen, aber ihren allgemeinen Gerichtsstand in einem anderen Mitgliedsstaat der EU haben (vgl. hierzu eingehender Köhler, BGB AT, § 3, Rn. 42). Das bürgerliche Recht wird vor allem beeinflusst durch das Sekundärrecht. Unter sekundärem Gemeinschaftsrecht versteht man das von den Organen der EG
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
auf der Grundlage der Gründungsverträge geschaffene Recht. Dem europäischen Gesetzgeber stehen als Mittel der Rechtsangleichung („Harmonisierung") im Wesentlichen die Verordnung und die Richtlinie zur Verfügung. Die Verordnung (VO) gilt gem. Art. 249 Abs. 2 EGV in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar und bedarf keines weiteren Umsetzungsakts. Es handelt sich im Prinzip um ein „Europäisches Gesetz". Die Rechtssetzung durch Verordnung spielt als Instrument zur Harmonisierung zivilrechtlicher Regelungen praktisch keine Rolle; von größerer Bedeutung ist sie z.B. im Sozialrecht, im Arbeitsschutzrecht, im Straßenverkehrsrecht, aber auch im Gesellschaftsrecht; ein Beispiel im Gesellschaftsrecht ist die VO über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) als einer supranationalen Rechtsform. Das wesentliche Instrument zur Harmonisierung im bürgerlichen Recht ist die Richtlinie. Es handelt sich hierbei um einen verbindlichen Rechtsakt der EG, der an die Mitgliedsstaaten gerichtet ist. Sie enthält eine verbindliche „Zielvorgabe" mit der Verpflichtung, diesen Inhalt innerhalb einer gesetzten Frist (i. d. R. innerhalb von drei Jahren) in das nationales Recht umzusetzen (vgl. Art. 249 Abs. 3 EGV). Im Gegensatz zur Verordnung entfaltet sie zunächst keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung. Den einzelnen Mitgliedsstaaten steht es z. B. frei, ob sie die Vorgaben der Richtlinie in ein bereits bestehendes Gesetz einbauen oder ein eigenständiges Gesetz verabschieden (vgl. Köhler, BGB AT § 3, Rn. 38). Eine Bindung an bestimmte Formulierungen besteht grundsätzlich nicht. Im Bereich des BGB sind seit Mitte der 80er Jahre in zunehmendem Maße EG-Richtlinien verabschiedet worden, deren Zweck neben einer Verbesserung des Binnenmarkts durch Erleichterung der grenzüberschreitenden Verbrauchertransaktionen vor allem im speziellen Schutz des Verbrauchers bestand. Nicht nur das BGB, sondern auch die im Folgenden unter 5. darzustellenden Sonderprivatrechte sind Gegenstand von Harmonisierungsbestrebungen des europäischen Gesetzgebers. Harmonisierungsschwerpunkte lagen zunächst im Gesellschaftsrecht (vgl. hierzu Hopt, ZIP 1998, 96), im Versicherungsrecht (vgl. hierzu Herrmann, ZEuP 1999, 661) sowie im Arbeitsrecht (vgl. hierzu Hanau, DB 1998, 69). So beruhten vor allem die verbraucherschützenden Nebengesetze, insbesondere das HWiG, das FernabsatzG, das VerbrKrG, das Teilzeit-Wohnrechtegesetz auf EGRichtlinien. Maßgeblich beeinflusst durch das EG-Recht wurde auch das Reisevertragsrecht (§§ 651 a ff. BGB), das Bankrecht (§§ 675 a ff. BGB) und das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (ABG-Gesetz), letzteres durch die sog. „Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen". Mit Ausnahme des ProdhaftG sind diese Gesetze mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in das BGB implementiert worden (vgl. §§ 312 ff., 481 ff., 491 ff. BGB); auch der materiellrechtliche Teil des AGB-Gesetzes wurde in diesem Rahmen im BGB umgesetzt (§§ 305 ff. BGB). Der prozessuale Teil ist dagegen in den §§ 1 ff. UKlaG enthalten. Zahlreiche Regelungen im BGB beruhen damit auf europarechtlichen Vorgaben. Im Streitfall ist die richtlinienkonforme Auslegung zu beachten. Das bedeutet, dass das auf einer Richtlinie beruhende nationale Recht im Lichte der Richtlinie auszu-
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legen ist. Würde die Auslegung des nationalen Rechts, welches auf entsprechenden Richtlinien beruht, den Gerichten in den Mitgliedsstaaten überlassen bleiben, bestünde dort die Gefahr einer unterschiedlichen Auslegung in den Mitgliedsstaaten. Damit könnte das Ziel einer Harmonisierung gefährdet werden. Die Richtlinie kann jedoch ihrerseits auslegungsbedürftig sein. Damit hier eine einheitliche Interpretation erreicht werden kann, gibt es das sog. Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH. Das bedeutet, dass in einem Rechtsstreit die nationalen Gerichte dem EuGH eine Frage vorlegen können (Art. 234 Abs. 2 EGV) bzw. müssen (Art. 234 Abs. 3 EGV). Eine Vorlagepflicht entfällt dann, wenn nur eine Auslegung ohne Zweifel möglich ist (acte clair-Doctrin) oder die vorzulegende Frage bereits vom EuGH in einem anderen Verfahren beantwortet worden ist. Auf Grund der Entscheidung des EuGH kann das nationale Gericht die streitentscheidende Norm richtlinienkonform auslegen und den Rechtsstreit durch ein Urteil abschließen. Das nationale Gericht kann den EuGH dagegen nicht fragen, wie die innerstaatliche Norm auszulegen ist, da der EuGH gem. Art. 234 Abs. 1 EGV nur die Kompetenz besitzt, Gemeinschaftsrecht auszulegen und nicht auch die nationalen Vorschriften. Das Vorabentscheidungsverfahren ist von großer praktischer Bedeutung. So hat sich der EuGH bereits mehrfach mit der Auslegung von Richtlinien befassen müssen, die im BGB umgesetzt worden waren. So befasste sich z. B. der EuGH nach einer Vorlage durch den BGH (BGH, NJW 2000,521) mit der Frage, ob der nationale Gesetzgeber durch die Richtlinie über Haustürgeschäfte daran gehindert ist, das Widerrufsrecht nach Art. 5 dieser Richtlinie für den Fall, dass der Verbraucher nicht nach Art. 4 dieser Richtlinie belehrt worden ist, zeitlich zu befristen. Nach Auffassung des EuGH (EuGH, NJW 2002, 281 - Heininger) kann die Richtlinie nicht dahingehend ausgelegt werden, dass das Widerrufsrecht in jedem Fall innerhalb eines Jahres ausgeübt werden müsse, selbst wenn der Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist (vgl. Köhler, BGB AT, § 3, Rn. 40, ebenso zur Frage der Rechtsfolgen einer fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie). In der Diskussion steht die Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs. Das Europäische Parlament hat 1989 und 1994 die Organe der EG aufgefordert, mit der Vorbereitung für ein Europäisches Zivilgesetzbuch zu beginnen. Hierzu gibt es bisher in der Wissenschaft zahlreiche Arbeiten (vgl. Palandt-Heinrichs, Einl., Rn. 43 m. w. N.). Von diesen wissenschaftlichen Arbeiten sind vor allem die sog. Principles of European Contract Law (PECL) der sog. Lando-Gruppe zu nennen. Die PECL enthalten — ähnlich wie die US-amerikanischen Restatements — keine präzisen Kodifikationen, sondern Prinzipien eines allgemeinen Vertragsrechts. Das CISG hatte hier - ebenso wie für die VerbrKf-RL - Vorbildfunktion (vgl. Möllers, JZ 2002, 121 (132 f.)). Daneben treten die nicht speziell auf Europa beschränkten Principles of International Commercial Contracts (PICC), welche unter der Ägide von „Bonell" bei UNIDROIT entstanden sind und eine große Ähnlichkeit zu den PECL aufweisen (zu den weiteren diesbezüglichen Initiativen, vgl. ausführlich Schmidt-Kessel, RIW 2003, 481 (483)). Bis zu einer möglichen Kodifikation werden aber sicherlich noch Jahre vergehen.
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5. Sonderprivatrechte Zum Bereich des Privatrechts zählen auch die anfangs erwähnten Sonderprivatrechte, vor allem das Handelsrecht, das Arbeitsrecht, das Gesellschaftsrecht, das Wertpapierrecht, das Urheberrecht, die gesamten gewerblichen Schutzrechte sowie das Wettbewerbsrecht. Das Handelsrecht ist im Wesentlichen im Handelsgesetzbuch (HGB) normiert und enthält als Sonderrecht der Kaufleute Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen des Handelsverkehrs nach schneller und problemloser Abwicklung der Rechtsgeschäfte, nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sowie nach Vertrauensschutz Rechnung trägt. Die im BGB Handelsgeschäfte betreffenden Vorschriften sind im HGB teilweise modifiziert, aber auch ergänzt. So ist z.B. die Vollmacht durch Erteilung der handelsrechtlichen Prokura (§§ 48 ff. HGB) äußerst weitreichend, bedarf eine Bürgschaftserklärung keiner Schriftform (§ 350 HGB), gilt Schweigen manchmal als Annahme eines Angebots (§ 346 HGB, z. B. beim „kaufmännischen Bestätigungsschreiben") und muss sich der Kaufmann sofort melden, wenn etwa Gekauftes nicht in Ordnung ist (§ 377 HGB). Letzteres fuhrt in der Praxis häufig zu Irrtümern und Missverständnissen. Nach den Vorschriften des BGB verjähren die Ansprüche eines Käufers nach dem Gesetz, wenn die Sache mangelhaft ist, in zwei Jahren ab Ablieferung. Beim Handelskauf, der vorliegt, wenn beide Vertragsparteien Kaufleute sind, trifft den Käufer dagegen eine unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht (§ 377 HGB). Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, läuft er Gefahr, seine Gewährleistungsrechte - unabhängig von Verjährungsfristen - zu verlieren (vgl. Baumbach/Hopt, § 377 HGB, Rnn. 1 ff.). Das Arbeitsrecht stellt das Sonderrecht der Arbeitsverhältnisse dar. Als Arbeitsverhältnis bezeichnet man dabei das Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Arbeitgeber ist, wer mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigt. Wer Arbeitnehmer ist, ist rechtlich nicht eindeutig definiert, sondern anhand von mehreren Kriterien zu ermitteln. Als Anhaltspunkt kann die Definition in § 5 Arbeitsgerichtsgesetz dienen. Arbeitnehmer ist danach, wer in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen steht und für diesen abhängige, weisungsgebundene Arbeit leistet (Dütz, Arbeitsrecht, Rnn. 29 ff.). Für Personengruppen wie Beamte, Richter oder Soldaten, die in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zum Staat stehen, gelten spezielle Regelungen, z.B. Bundes- oder Landesbeamtengesetze. Ein Arbeitsverhältnis wird durch einen privatrechtlichen Vertrag, einem Dienstvertrag, begründet. Rechtliche Grundlage sind zunächst die §§ 611-630 BGB, die im BGB diesbezüglich das komplexe Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer regeln und einen Ausgleich der Interessengegensätze schaffen sollen. Da dies nur schwer möglich ist, wurden im Laufe der Zeit vom Gesetzgeber, insbesondere zum Schutz der „wirtschaftlich und sozial unterlegenen" Arbeitnehmer zahlreiche Schutzvorschriften geschaffen, so z.B. das Kündigungsschutzgesetz, das Arbeitszeitgesetz, das Schwerbehindertengesetz (heute SGB IX) und das Mutterschutzgesetz. Das heutige Arbeitsrecht ist also außerhalb des BGB entwickelt worden. Im Gegensatz zu diesem gibt es aber kein einheitliches Arbeitsgesetzbuch. Diese zum Zeitpunkt des In-
5. Sonderprivatrechte
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krafttretens des BGB enthaltenen „alten" Paragraphen zum Dienstvertrag waren es u. a., die auch 1900 nur einen „Tropfen sozialistischen Öls" (Otto von Gierke) enthielten. Interessant ist eine Betrachtung der Entwicklung des Arbeitsrechts. So wurde z.B. erst im Jahre 1891 ein Arbeitsschutzgesetz geschaffen, das die Sonntagsruhe anordnete und die tägliche Arbeitszeit für Frauen auf 11 Stunden beschränkte. Im Laufe der Zeit sind die arbeitsrechtlichen Vorschriften sowie die Rspr. besonders auf dem gesetzlich nicht normierten Feld des kollektiven Arbeitsrechts, d. h. der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, immer zahlreicher geworden, bis es sich zu einem eigenen komplexen Rechtsgebiet entwickelt hatte. Es besteht eine besondere Gerichtsbarkeit, die Arbeitsgerichtsbarkeit. Verfahren sollen hier schneller und kostensparender durchgeführt werden als vor den Zivilgerichten.
Das Gesellschaftsrecht umfasst grundsätzlich das Recht der Personengesellschaften und der Kapitalgesellschaften. Diese Vorschriften sind teilweise im BGB (Gesellschaft bürgerlichen Rechts, kurz: GbR) und im HGB (u. a. Offene Handelsgesellschaft, kurz: OHG, Kommanditgesellschaft, kurz: KG, Stille Gesellschaft) enthalten, teilweise auch in anderen Gesetzen. So sind z. B. die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Aktiengesellschaft (AG) in eigenen Gesetzen geregelt, im GmbH-Gesetz und im Aktiengesetz. Sowohl die GmbH als auch die AG gehören zu den sog. Kapitalgesellschaften, deren Hauptmerkmale die eigene Rechtspersönlichkeit und die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen sind. Die Gesellschafter haften hier im Gegensatz zu den Personengesellschaften nicht mit ihrem Privatvermögen. Zu den Sonderprivatrechten gehört auch das Wertpapierrecht, das in mehreren Gesetzen geregelt ist, neben dem BGB und teilweise dem HGB insbesondere im Wechsel- und im Scheckgesetz. Wertpapiere, wie Aktien, Wechsel oder auch Schuldverschreibungen sind Urkunden, deren Besitz zur Ausübung des in ihnen verbrieften Rechts erforderlich ist. Im Prinzip werden also Geldforderungen verbrieft und damit verkehrsfähig gemacht. „Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier". Das Urheberrecht wird in einem eigenen Gesetz, dem Urhebergesetz geregelt. Schutzgegenstand sind Werke wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Kulturschaffens, wie etwa Romane und Musikkompositionen, aber auch Computerprogramme. Dem Urheber wird ein eigentumsähnliches Recht an seinem Werk gewährt, das ihm alle gegenwärtigen und zukünftigen Verwendungsmöglichkeiten einräumt. Das Urheberrecht ist vererblich. Es kann nicht unter lebenden Personen übertragen werden, allerdings können Nutzungsrechte (Lizenzen) eingeräumt werden. Zu den gewerblichen Schutzrechten zählt man herkömmlicherweise das Patentrecht, das Gebrauchsmusterrecht, das Geschmacksmusterrecht, das Markenrecht und teilweise auch das Wettbewerbsrecht. Das Patentrecht schützt Erfindungen; es kann sich dabei um Produktinnovationen wie auch um Prozessinnovationen handeln. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines „Patents" wird im Rahmen eines Anmeldeverfahrens vor dem Deutschen Patentamt in München, bei dem die sog. Patentrolle geführt wird, von sachverständigen Technikern geprüft. Das Patent ist veräußerlich und vererblich.
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Eine Besonderheit kann sich ergeben, wenn ein Arbeitnehmer eine Erfindung macht, die entweder zu seinem Tätigkeitsbereich gehört oder die maßgeblich auf den an seinem Arbeitsplatz gewonnenen Erfahrungen beruht. In diesem Fall verpflichtet ihn das Arbeitnehmererfindungsgesetz, diese seinem Arbeitgeber gegen Zahlung einer entsprechenden Vergütung zur Verfügung zu stellen. Das Gebrauchsmusterrecht schützt „Minipatente", kleine Erfindungen, z.B. elektrische Schaltungen an Arbeitsgeräten. Diese werden in die sog. Gebrauchsmusterrolle eingetragen, die ebenfalls beim Deutschen Patentamt in München geführt wird. Das Geschmacksmusterrecht schützt die ästhetischen Gestaltungsformen eines Gegenstands, wie etwa eines Schmuckstücks oder auch das Design einer Tapete. Von großer Bedeutung ist das Markenrecht. Es schützt den Markennamen einer Ware, der aus einem Wort (z. B. Mercedes) und/oder einem Zeichen (z. B. dem „Stern") bestehen kann. Der Schutz setzt grundsätzlich die Eintragung in das Markenregister des Patentamtes voraus. Gegen diejenigen, die die ausschließlichen Nutzungsrechte der Inhaber der Schutzrechte oder Lizenznehmer verletzen, kann ein Unterlassungsanspruch und ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden. In einigen Fällen kann sich derjenige, der ein gewerbliches Schutzrecht vorsätzlich verletzt, sogar strafbar machen. Das Wettbewerbsrecht, gesetzlich geregelt einmal im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) soll den freien Wettbewerb schützen. Das UWG schützt dabei Wettbewerber, aber auch Verbraucher vor unlauteren Wettbewerbspraktiken, wie z. B. irreführender oder belästigender Werbung.
6. Öffentliches Recht Im Gegensatz zum Privatrecht umfasst das Öffentliche Recht die Normen, die die staatliche Organisation und das hoheitliche Handeln des Staates betreffen. Es umfasst also die Rechtsnormen, die die Rechtsbeziehungen des Staates, in Deutschland also des Bundes und der Länder, und der mit sog. hoheitlicher Gewalt ausgestatteten Körperschaften oder Anstalten im Verhältnis zueinander sowie darüber hinaus auch zu den ihrer Hoheitsgewalt unterworfenen Personen regeln. Das Öffentliche Recht ist im Prinzip durch ein „Über- und UnterordnungsVerhältnis" des einen des Staates - gegenüber dem anderen - dem Bürger - gekennzeichnet. Typisch für das Öffentliche Recht ist deshalb grundsätzlich die einseitig verbindliche Regelung durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsakt, für das Privatrecht dagegen der Vertrag. Diese anschauliche, aber vereinfachende Darstellung berücksichtigt allerdings nicht die Fälle, in denen der Staat fiskalisch, d. h. privatrechtlich tätig wird. Hierunter fallen in erster Linie die sog. Beschaffungsgeschäfte (z.B. der Einkauf von Büromaterial oder das Anmieten von Räumen) sowie die Fälle im Rahmen der Leistungsverwaltung, in denen der Staat ein Wahlrecht zwischen privatrechtlichem
6. Öffentliches Recht
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oder öffentlich-rechtlichem Handeln hat (Köhler, BGB AT, § 2, Rnn. 3 ff.). Nach der heute herrschenden Subjektstheorie ist eine Norm dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn an dem zu beurteilenden Rechtsverhältnis ein Träger hoheitlicher Gewalt gerade in dieser Eigenschaft beteiligt ist (Medicus, AT des BGB, Rn. 10). Zu den wichtigsten Bereichen des Öffentlichen Rechts zählt in erster Linie das Verfassungsrecht. Das Verfassungsrecht ist im Wesentlichen im Grundgesetz (GG) normiert. Das Grundgesetz von 1949 ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und steht damit über den übrigen Gesetzen. Um den provisorischen Charakter des damals neugeschaffenen westdeutschen Teilstaates zum Ausdruck zu bringen, wählte man die Bezeichnung „Grundgesetz" statt „Verfassung". Das Grundgesetz wurde ohne Volksabstimmung erlassen. Heute jedoch nach fast 50 Jahren und vor allem nach dem Betritt der ehemaligen DDR kommt dem Grundgesetz uneingeschränkter Verfassungscharakter zu. Es regelt die rechtliche und politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Um ihre überragende Bedeutung für das staatliche Leben zu betonen, wurden die Grundrechte in den Artikeln 1-19 an den Anfang gestellt. Sie sind - im Gegensatz noch zur Weimarer Verfassung keine Programmsätze, d. h. gesetzliche Bestimmungen ohne unmittelbare Verbindlichkeit, sondern binden nach Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rspr. Wird ein Bürger beispielsweise durch hoheitliches Handeln in seinen Grundrechten verletzt, dann besteht für ihn die Möglichkeit, mit einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diese Verletzung zu rügen. Auch das BGB ist durch die im Grundgesetz enthaltenen Grundsätze und Wertordnungen in Bezug auf seine Fortgeltung, Auslegung und Fortbildung geprägt (Larenz/Wolf, § 4, Rnn. 53 ff. zur Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht; Rüthers/Stadler, ATdes BGB, § 2, Rn. 10). Das Grundgesetz bestätigte im Wesentlichen die vorgefundene Ordnung des BGB; so blieb die Vertragsfreiheit, das freie Eigentum und das Erbrecht erhalten, allerdings mit einer Betonung der sozialen Pflichtbindung („Eigentum verpflichtet"). So haben sich als unvereinbar mit der Wertordnung des Grundgesetzes die zahlreichen patriarchalisch und konservativen Regelungen des Ehe- und Familienrechts erwiesen (vgl. BVerfGE 72, 155). Ansonsten erfolgte die Orientierung des BGB am Grundgesetz im Wege der verfassungskonformen Auslegung. Vor allem die Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe erfuhren von den Wertungen des Grundgesetzes eine inhaltliche Konkretisierung und inhaltliche Neubestimmung („mittelbare Drittwirkung von Grundrechten"). Bei Gesetzeslücken wurde der Richter als befugt angesehen, durch richterliche Rechtsfortbildung die Wertordnungen des Grundgesetzes rechtsschöpferisch zu verwirklichen (vgl. Köhler, BGB AT, § 3, Rn. 32, § 4, Rnn. 22 ff.). Zum Öffentlichen Recht zählt weiterhin das Verwaltungsrecht, das die Aufgaben und Kompetenzen der öffentlichen Verwaltung in den verschiedenen Lebensbereichen regelt. Hierzu zählt im Wesentlichen das Polizeirecht, das (öffentliche) Baurecht, das Kommunalrecht, das Gewerberecht und das Subventionsrecht.
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Weitere wichtige Rechtsgebiete des Öffentlichen Rechts sind außerdem das Steuer- und Abgabenrecht, das Art und Umfang der Besteuerung der Bürger regelt, das Strafrecht, das bestimmte sozialschädliche Verhaltensweisen unter Strafe stellt, das Sozialrecht, das die soziale Sicherung des Bürgers zum Gegenstand hat sowie das gesamte Prozessrecht, das die gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung des „materiellen Rechts" regelt. Zu erwähnen sei letztlich noch das Völkerrecht, das die Beziehung der Staaten untereinander regelt und das Kirchenrecht, das die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zum Gegenstand hat. Der Staat kann durch Anordnung (mit Zwang) handeln (Eingriffsverwaltung) und so dem Bürger - etwa durch Einkommensteuerbescheide - Beschränkungen und Verpflichtungen auferlegen. Wichtigstes Handlungsinstrument stellt hier der Verwaltungsakt dar. Dabei ist der Staat nach dem Grundgesetz an „Gesetz und Recht" gebunden. Das Sozialstaatsprinzip lässt den Staat daneben in Form der sog. Leistungsverwaltung tätig sein. Hierzu zählt u. a. die Gewährung finanzieller Leistungen in Form von Subventionen, Sozialhilfe und Ausbildungsförderung sowie vor allem die Bereitstellung von Einrichtungen, die die Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern versorgen, z.B. die Versorgung mit Wasser, Energie, Fernwärme, Verkehrsbetriebe, Abwasserbetriebe, Abfallbeseitigung, Gesundheitsvorsorge, Krankenhäuser sowie Errichtung und Unterhaltung von Ausbildungsstätten, kulturellen Einrichtungen oder Sportanlagen („Daseinsvorsorge"). Im Rahmen der Leistungsverwaltung kann der Staat auch durch zivilrechtliche Handlungsformen tätig werden. Die Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht hat historische Gründe und ist insbesondere von Bedeutung für die Gesetzgebungszuständigkeiten und den Rechtsweg. Sie ist in der Praxis jedoch nicht immer gegeben. Nicht selten ist es so, dass ein Sachverhalt sowohl von privatrechtlichen wie auch öffentlich-rechtlichen Vorschriften tangiert wird (vgl. Köhler, BGB AT, § 2, Rnn. 13 ff. zum Zusammenwirken von Privatrecht und öffentlichem Recht). Beispiel: Ein Unternehmer errichtet ohne Genehmigung der zuständigen Behörde eine umweltbelastende Anlage. In diesem Fall können die durch die Immissionen beeinträchtigten Nachbarn privatrechtliche Abwehr- und Schadensersatzansprüche gegen den Unternehmer geltend machen. Es kann aber auch die entsprechende Behörde mit öffentlich-rechtlichen Sanktionen, z.B. mit einer Beseitigungs- oder Unterlassungsverfügung (i.d.R. ein Verwaltungsakt gem. § 35 VwVfG, der das typische und häufigste Handlungsmittel der öffentlichen Verwaltung darstellt) gegen den Unternehmer vorgehen. Für die Klagen der Nachbarn sind die ordentlichen Gerichte (in Zivilsachen: AG, LG, OLG und BGH), für die Klage des Unternehmers auf Aufhebung der belastenden Verfügung die Verwaltungsgerichte zuständig. Im Strafrecht, das mittlerweile neben dem Privatrecht und dem Öffentlichen Recht als ein eigener Rechtsbereich angesehen wird, erhebt bei hinreichenden Verdachtsmomenten die Staatsanwaltschaft Klage (diese wird als „Anklage" bezeichnet) beim zuständigen Gericht. Zuständiges Gericht ist hier wiederum das AG, LG,
7. Rechtsanwendung am Fallbeispiel
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OLG sowie der BGH. Das Strafrecht ist in seinem Kern im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Es wird aber durch Hinzufügen von zahlreichen Einzeltatbeständen in Nebengesetzen ergänzt. Zu diesen Nebengesetzen zählt u. a. das AktG, das GmbHGesetz, das Betäubungsmittelgesetz und die Steuergesetze. Einzelne Nebengesetze enthalten ausschließlich Strafgesetze, wie z.B. das Wehrstrafgesetz und das Wirtschaftsstrafgesetz (sog. „Nebenstrafrecht").
7. Rechtsanwendung am Fallbeispiel An einem (einfachen) Beispiel soll nun das Auffinden der einschlägigen Rechtsnorm sowie die Erstellung eines Gutachtens (in stark verkürzter Form) dargestellt werden. Beispiel: E verlangt von S 500 € Schadensersatz. S hatte aus Nachlässigkeit beim Einparken das daneben geparkte Auto des E beschädigt. Hier handelt es sich um eine privatrechtliche Streitigkeit. Wurde die passende Norm gefunden, die eine Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch darstellen kann (hier: § 823 Abs. 1 BGB), folgt an dieser Stelle die Fortsetzung der juristischen Arbeit im Rahmen des „dritten Schritts". So sagt etwa - bezogen auf den vorliegenden Fall - § 823 Abs. 1 BGB aus, dass derjenige, der das Eigentum eines anderen rechtswidrig und schuldhaft verletzt, diesem zum Schadensersatz verpflichtet ist. Es gilt nun zu prüfen, ob diese abstrakt formulierte Rechtsnorm auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden ist. Um die Bewältigung des „dritten Schritts" zu vereinfachen, könnte man auf die Idee kommen, sich (ausführliche) Anspruchschemata bis in alle Einzelheiten einzuprägen und auswendig zu lernen. Dies ist in letzter Konsequenz nicht erforderlich und auch nicht sehr hilfreich. Ein Schema hilft nur bei „normal gelagerten" Standardfällen. Tauchen einmal spezielle Probleme auf, versagen die Schemata. Im Anhang dieses ersten Kapitels ist ein kurzes Schema mit einigen wichtigen Anspruchsgrundlagen und den entsprechenden Erläuterungen enthalten. Es ist allerdings (wegen der vorgenannten Gründe) nicht erforderlich, dass man sich dieses Schema im Detail einprägt. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit sollten jedoch die vertraglichen bzw. vertragsähnlichen Ansprüche (falls vorhanden) vor den gesetzlichen Ansprüchen, z. B. Ansprüchen aus §§ 812 ff. BGB, §§ 823 ff. BGB, geprüft werden. Sofern vertragliche Ansprüche vorliegen, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die anderen Ansprüche haben. So kann ein Vertrag für einen Anspruch aus § 985 BGB ein Recht zum Besitz begründen oder für einen Anspruch aus § 812 BGB einen „rechtlichen Grund" darstellen (ausführlich Medicus, BR, Rnn. 8 ff.). Ein Gutachten ist von einem richterlichen Urteil sowohl durch Aufbau als auch durch den Stil der Darstellung zu unterscheiden; regelmäßig hat der Richter, bevor er das Urteil verfasst, den Sachverhalt (wenn auch nur „im Kopf") im Gutachtenstil geprüft.
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Ein richterliches Urteil gliedert sich in zwei Abschnitte: 1. Die Sachverhaltsdarstellung, im Urteil (verwirrenderweise) als „Tatbestand" bezeichnet und 2. die Entscheidungsgründe, die im „Urteilsstil" verfasst werden. Gutachten und Urteil unterscheiden sich wesentlich in der gedanklichen Reihenfolge. Der Urteilsstil nimmt eine Feststellung vorweg, um sie anschließend zu begründen, während der Gutachtenstil „abtastend" alle in Betracht kommenden Möglichkeiten überprüft. Der Urteilsstil ist zweistufig. Er besteht aus Ergebnis (bzw. Entscheidung) und Begründung. Beide Stufen sind durch Worte verbunden wie z. B. „denn, weil, da". Der Gutachtenstil ist dagegen vierstufig. Er besteht aus 1. 2. 3. 4.
Fragesatz, Voraussetzungssatz (mit Definitionssatz), Subsumtionssatz und Folgesatz.
Das Erlernen dieses „Gutachtenstils" ist nicht so schwer, wie es vielleicht auf den ersten Blick den Anschein hat. Es werden lediglich Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens (1. Hypothese, 2. Untersuchung, 3. Ergebnis) auf die Fallbearbeitung in der Rechtswissenschaft angewendet. Es wird zuerst gesagt, was geprüft werden soll, dann folgt die rechtliche Untersuchung und am Schluss steht das Ergebnis. Die vier Stufen des Gutachtenstils sind dabei keine isolierten Stufen, sondern sie gehen ineinander über. Vermeiden sollte man also die einzelnen Stufen „abgehackt" darzustellen. Sprachlich gelungener ist es, wenn eine Sach- und Sinnverbindung die Stufen verknüpft. Das gelingt z. B., wenn man ein Wort, das erläutert oder definiert werden soll (am besten ein Hauptwort oder ein Verb) herausgreift und im nächsten Satz verwendet. So entsteht eine (Satz-)Kette, die den Leser leitet. Zur Lösung des zu Anfang dieses Abschnitts genannten Beispiels soll im Folgenden der § 823 Abs. 1 BGB ansatzweise im Gutachtenstil geprüft werden. 1. Schritt Der Fragesatz formuliert genau die durch das Gutachten zu beantwortende Frage, bei Anspruchsklausuren also die Frage nach der möglichen Anspruchsgrundlage. Wichtig ist, dass der Fragesatz stets eine Norm enthält. Dieser könnte wie folgt lauten: „E könnte gegen S einen Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten in Höhe von 500 € aus § 823 Abs. 1 BGB haben."
7. Rechtsanwendung am Fallbeispiel
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2. Schritt Der Voraussetzungssatz stellt fest, welche Voraussetzungen diese Anspruchsnorm hat. Er ist seiner Natur nach abstrakt, geht also noch nicht auf den konkreten Sachverhalt ein, sondern benennt nur die abstrakten gesetzlichen Voraussetzungen für die zu findende Antwort. In der Regel handelt es sich bei den Voraussetzungen um unbestimmte Rechtsbegriffe, die, bevor eine Subsumtion erfolgen kann, erst definiert werden müssen. Der Definitionssatz ist dann sozusagen der zweite Teil des Voraussetzungssatzes. Ein FormulierungsVorschlag: „Erste Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ist das Vorliegen einer Rechtsgutverletzung. Als verletztes Rechtsgut kommt hier das Eigentum des E in Betracht. Eine Eigentumsverletzung bedeutet eine Einwirkung auf eine Sache in der Weise, dass ein adäquater Schaden eintritt, z. B. durch Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung einer Sache" (Palandt-Thomas, § 823 BGB, Rnn. 7, 8). 3. Schritt Im Subsumtionssatz wird geprüft, ob jede einzelne Voraussetzung in dem zu überprüfenden Fall gegeben ist. Im Gegensatz zum Voraussetzungssatz ist der Subsumtionssatz also konkret, das bedeutet, dass man „prüft", ob jedes einzelne Tatbestandsmerkmal der Rechtsvorschrift durch die Einzelheiten des Sachverhalts ausgefüllt ist. Das ist eine „lästige Kleinarbeit", aber man muss sie sehr genau ausführen, weil sonst Fehler unterlaufen können, sei es, dass man ein Tatbestandsmerkmal übersieht, sei es, dass man etwas in den Sachverhalt hineininterpretiert, um ihn für den Obersatz „passend" zu machen; der Fachjargon spricht dann von „Tatbestandsquetsche". Ein Formulierungsvorschlag: „Durch den Zusammenstoß beim Einparken hat S das Auto des E beschädigt. Die Beschädigung hatte zur Folge, dass E, um den früheren Zustand wiederherstellen zu lassen, eine Reparatur durchzuführen hat. Somit liegt eine Eigentumsverletzung vor." Im Folgenden sollte dieser Fall nach dem Schema weiter durchgeprüft werden, d. h. jede mögliche Tatbestandsvoraussetzung des § 823 Abs. 1 BGB ist auf den Sachverhalt anzuwenden. 4. Schritt Der Folgesatz ergibt sich somit aus der Durchführung der (vollständig durchgeführten) Subsumtion. Er enthält die genaue Antwort auf den Fragesatz und soll dabei möglichst die im Fragesatz gebrauchte Formulierung in der Aussageform wiederholen. Dieser könnte dann wie folgt lauten: „Demnach hat E gegen den S einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 500 € aus §823 Abs. 1 BGB."
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
8. Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung Seit der Verabschiedung des BGB hat sich die Methode seiner Anwendung und Auslegung verändert. Bei Inkrafttreten des BGB war die im 19. Jahrhundert entstandene Begriffsjurisprudenz die (noch) herrschende juristische Methode. Die Vertreter dieser Ansicht (Savigny, Windscheid) waren der Ansicht, dass sich aus dem vorhandenen Normenbestand ein lückenloses System von Rechtsbegriffen entwickeln lasse. Die Ausdifferenzierung der Begriffe und ihrer Zusammenhänge zu einem geschlossenen System wurde als rein logisch formaler Prozess verstanden, der von Wertungen weitgehend frei zu halten sei. Dem auf diese Weise entwickelten System sei für jeden Konflikt eine Lösung zu entnehmen. Der Rechtsanwender brauche den Lebenssachverhalt nur unter die Rechtsbegriffe zu subsumieren. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts kritisierten die Vertreter der sog. Interessenjurisprudenz (Heck, Müller-Erzbach) diese Methode. Sie ging im Anschluss an Jhering davon aus, dass jede Rechtsnorm eine Entscheidung über einen Interessenkonflikt enthalte. Der Rechtsanwender habe zunächst zu ermitteln, welche Interessen in dem zu beurteilenden Fall eine Rolle spielen, um dann zu prüfen, ob und ggf. wie das Gesetz den Interessenkonflikt entschieden habe. Fehle eine Entscheidung, müsse der Rechtsanwender die Entscheidung danach ausrichten, wie das Gesetz die Interessen in ähnlichen Fällen gegeneinander abgewogen habe (vgl. Palandt-Heinrichs, Einl., Rnn. 44ff. m.w.N.). Seit über 30 Jahren bekennt sich der überwiegende Teil der privatrechtlichen Schriften zur Wertungsjurisprudenz. Die Vertreter dieser Interpretationstheorie vertreten kein einheitliches Konzept, stimmen aber in wesentlichen Grundthesen überein. Es wird davon ausgegangen, dass die Tätigkeit des Gesetzgebers und des Rechtsanwenders im Endeffekt wertender Natur sei. Jeder, d. h. auch der unbestimmte Rechtsbegriff sei Ausdruck einer Wertung und in Randbereichen unscharf. Im Rahmen einer Auslegung sei auf die der betreffenden Norm und der Rechtsordnung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen abzustellen. Soweit das Gesetz Lücken enthalte, sei es Aufgabe des Richters, diese Lücken unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Gesetzes, insbesondere der Verfassung, unter dem Aspekt des Zwecks einer Norm zu schließen (vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 119 f.; Palandt-Heinrichs, Einl., Rn. 46, 47 m.w.N., u.a. mit Hinweis auf die kritische Jurisprudenz; Hauptvertreter: Esser, Säcker). Die aus den USA rezipierte ökonomische Analyse des Rechts versucht das Recht nach ökonomischen Prinzipien zu erklären. Die Anhänger dieser Lehre halten - trotz Unterschieden in Grundsatz- und Detailfragen - eine „optimale Allokation von Ressourcen" für ein Hauptziel der Rechtsanwendung und Gestaltung. Die sozialen Kosten sollen richtig „internalisiert" werden, die „Transaktionskosten minimiert" und alle wirtschaftlichen Ressourcen optimal genutzt werden. Danach ist im Zweifel der ökonomisch effizienteste Lösungsweg auch der rechtlich richtige Weg. Die anzustrebende gesamtwirtschaftliche Effizienz dient zugleich dem Gemeinwohl. Heute wird ein absoluter Vorrang dieser Methode kaum noch befürwortet. Es ist zunehmend anerkannt, dass die ökonomische Analyse des Rechts nur Teil einer Gesamtbetrachtung sein kann und dass die Auffassung, das Recht nach Effizienzkriterien auszurichten, dem Gesetzgeber und der Rechtswissenschaft obliegt, nicht aber dem Richter (Palandt-Heinrichs, Einl., Rn. 48 m. w. N.).
8. Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung
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Mit der Subsumtion, d. h. mit der Anwendung der Vorschrift bzw. der einzelnen Tatbestandsmerkmale auf den zu beurteilenden Fall kann man nun zu dem Ergebnis kommen, dass - der Sachverhalt erfüllt ist. - der Sachverhalt den Tatbestand nicht eindeutig erfüllt, so dass durch Auslegung der Sinn des Gesetzes zu ermitteln ist. - der Sachverhalt von keinem Tatbestand erfasst wird, so dass eine mögliche Regelungslücke im Wege der Analogie oder auch im Wege der Rechtsfortbildung geschlossen werden muss (Larenz/Wolf, § 4, Rnn. 1 ff.). Ein Gesetz auslegen bedeutet seinen Sinn ermitteln. Maßgebend ist dabei nicht der Wille des historischen Gesetzgebers. Dieser ließe sich oft auch gar nicht feststellen oder ist durch veränderte Lebensumstände überholt. Maßgebend ist daher der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. objektive Theorie, BVerfG 1,312; 10, 244; 62,45). Als Auslegungsmethoden kommen im Einzelnen in Betracht: -
Sprachlich-grammatische Auslegung, historische Auslegung, systematische Auslegung und die teleologische Auslegung.
Ausgangspunkt der Auslegung ist die Bedeutung des Wortes, die sog. sprachlich-grammatische Auslegung. Enthält das Gesetz für den Ausdruck eine gesetzliche Festlegung, ist diese maßgebend (z.B. § 121 Abs. 1 BGB „unverzüglich"). Sie setzt ansonsten am Gesetzeswortlaut an und fragt nach dem Wortsinn, wie er sich aus dem allgemeinen und speziell dem juristischen Sprachgebrauch und den Regeln der Grammatik ergibt. Der noch mögliche Wortsinn legt zugleich die Grenzen einer zulässigen Auslegung fest, jenseits derer die Lückenfüllung oder die Rechtsfortbildung beginnt. Die Auslegung nach dem Bedeutungszusammenhang, die sog. systematische Auslegung, geht davon aus, dass der einzelne Rechtssatz im Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung zu verstehen ist. Sie fragt insbesondere nach dem Sinnzusammenhang, in den der Rechtssatz oder der einzelne Rechtsbegriff hineingestellt ist (vgl. Köhler, BGB AT, § 4, Rnn. 15 ff.). Ein Unterfall der systematischen Auslegung ist die verfassungskonforme Auslegung. Das bedeutet, dass sich die Auslegung eines Gesetzes an übergeordneten Rechtsnormen zu orientieren hat. Lässt ein Gesetz mehrere Auslegungen zu, ist diejenige vorzuziehen, die der Wertentscheidung der Verfassung als dem ranghöheren Recht besser entspricht (BVerfGE 2, 282; 48, 40; 64, 241 st.Rspr.). In diesem Zusammenhang ist auch die richtlinienkonforme Auslegung von Rechtsnormen von Bedeutung, die in Vollzug einer EG-Richtlinie erlassen worden sind. Die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte, d. h. die historische Auslegung, ist vor allem zur Ermittlung des Gesetzeszwecks von Bedeutung (vgl. BGHZ 46, 74 (80); 62, 340 (350)). Für
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
die Entscheidung eines konkreten Falls ist sie i. d. R. wenig ergiebig. Häufig ist ein Problem nicht gesehen worden oder noch gar als solches aufgetreten oder der Rspr. und Lehre überlassen worden. Eventuelle ausdrückliche Stellungnahmen in den Gesetzesmaterialien sind nicht bindend, verdeutlichen u. U. aber den Gesetzeszweck. Maßgebend für die Auslegung ist die teleologische Auslegung, die sich am Gesetzeszweck (ratio legis) orientiert. Der BGH bezeichnete sie als Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes (BGHZ 2, 176 (184); 78, 263 (265); 87, 381 (383)). Dahinter steht die Erwägung, dass das Gesetz eine gerechte und sachgemäße Regelung, insbesondere einen angemessenen Interessenausgleich bewirken soll. Die vorgenannten Auslegungsmethoden stehen zueinander im Verhältnis der wechselseitigen Ergänzung. Das Schwergewicht liegt jedoch auf der teleologischen Auslegung (Münch-Komm-Säcker, Einl., Rn. 128; Palandt-Heinrichs, Einl., Rn. 57 ff. m. w. N.). Je nachdem, ob ein Begriff weit oder eng auszulegen ist, spricht man von extensiver oder restriktiver Auslegung. Seit Überwindung der Begriffsjurisprudenz besteht allgemeines Einverständnis darüber, dass der Richter zur Rechtsfortbildung berechtigt ist. Kein Gesetzgeber kann alle künftigen Fälle voraussehen. Jedes Gesetz ist wegen der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte und ihres ständigen Wandels lückenhaft. So darf der Richter eine Entscheidung nicht mit der Begründung verweigern, das Gesetz enthalte für den zu entscheidenden Fall keine Regelung. Die Rechtsfortbildung ist damit nicht nur ein Recht des Richters, sondern auch seine Pflicht (vgl. Palandt-Heinrichs, Einl., Rn. 64 ff. m. w. N.). Enthält ein Gesetz für einen bestimmten Fall keine Regelung, wohl aber für einen ähnlichen Fall, entspricht es dem Gebot der Gleichbehandlung, diese Regelung auf den zu entscheidenden Fall zu erstrecken. Dieses Verfahren nennt man Analogie. Eine Analogie setzt das Bestehen einer „planwidrigen Unvollständigkeit" des Gesetzes und die Gleichheit der Interessenlage voraus (vgl. BGH, NJW 1981, 1726 (1727). Sinn und Zweck der Norm müssen eine analoge Anwendung gebieten. Anstelle der Analogie ist ein Umkehrschluss (argumentum e contrario) vorzunehmen, wenn das Gesetz bewusst eine Rechtsfrage nicht in einem bestimmten Sinne behandelt hat. Die teleologische Reduktion hat (ähnlich wie die restriktive Auslegung) das Ziel, den Anwendungsbereich einer Norm einzuschränken. Während sich die restriktive Auslegung unter mehreren möglichen Wortinterpretationen für die engere entscheidet, setzt sich die teleologische Reduktion mit dem Wortlaut in Widerspruch. Diese Norm soll nach ihrem Sinn und Zweck her nicht angewandt werden, obwohl sie nach ihrem Wortlaut zutrifft. Restriktive Auslegung und teleologische Reduktion verhalten sich ebenso zueinander wie extensive Auslegung und Analogie. Beispiel: Die Vorschrift des § 181 BGB normiert das Verbot des Insichgeschäfts. Der Zweck dieser Regelung besteht in dem Schutz des Vertretenen, da die Gefahr besteht, dass der Vertreter seine Interessen über die des Vertretenen stellt. Eine teleologische Reduktion ist in dem Fall vorzunehmen, wenn es sich um Rechtsgeschäfte handelt, die dem Vertretenen lediglich einen „rechtlichen Vorteil" bringen, etwa eine Schenkung. Die
Anhang zur juristischen Arbeitsmethode
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Anwendung des § 181 BGB würde z.B. das lebensfremde Ergebnis zur Folge haben, dass Eltern ihren geschäftsunfähigen Kindern nur noch unter Hinzuziehung eines Ergänzungspflegers etwas schenken können. Die Kompetenz des Richters geht sogar über die Lückenfüllung hinaus (Art. 20 Abs. 3 GG, Bindung an „Gesetz und Recht"). Er darf - wie bereits erwähnt das Gesetz im Rahmen der ratio legis und der Wertentscheidungen des GG auch ohne konkreten Nachweis einer Regelungslücke ausdifferenzieren und ergänzen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Rechtsordnung Wertentscheidungen, sei es auch in unvollkommener Form, für eine Rechtsfortbildung in einem bestimmten Sinne enthält. Beispiel: Rechtsgrundsätze zur Anscheinsvollmacht; Grundsätze zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter; Gewährung von Schmerzensgeld bei (schweren) Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; die Einschränkung der Rechtsfolge der Nichtigkeit bei vollzogenen Arbeits- und Gesellschaftsverträgen.
Anhang zur juristischen Arbeitsmethode 1. Begriff: Anspruchsgrundlage Eine Anspruchsgrundlage (Anspruchsnorm) ist jede Norm, die zum Ausdruck bringt, dass jemand unter bestimmten Voraussetzungen von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen kann (vgl. Legaldefinition des Begriffs „Anspruch" in § 194 Abs. 1 BGB). Die Norm kann z.B. die Worte „kann verlangen" (z.B. § 987 BGB) oder „ist verpflichtet" (z. B. § 433 Abs. 2 BGB) enthalten. Keine Anspruchsgrundlagen sind daher Normen, die Definitionen enthalten (z. B. § 90 BGB) oder Verweisungen (z.B. § 437 BGB) oder bestimmen, dass jemand selbst etwas tun kann, z.B. Gestaltungsrechte, wie z.B. ein Anfechtungsrecht oder Rücktrittsrecht auszuüben. Diesen Sinn und Zweck einer Norm (sog. „ratio") sollte man sich bei deren Anwendung immer verdeutlichen. 2. Grundstruktur eines Anspruchssprüfungsschema (mit Erläuterungen) I.
Ansprüche aus Vertrag - Ansprüche auf Vertragserfüllung (§§ 433, 488, 535, 631 BGB auf Zahlung oder eine sonstige Leistung) - Sekundärvertragliche Ansprüche (§§ 280, 281 BGB - Anspruch auf Schadensersatz bei verschuldeter Unmöglichkeit; §§ 280 Abs. 1, 2, 286 - Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens; §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung von Nebenpflichten)
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I. Einführung in die juristische Arbeitsmethodik
II. Ansprüche aus vertragsähnlichen Verhältnissen -
§ 179 BGB - Anspruch gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht § 122 BGB-Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens § 670 BGB - Anspruch auf Aufwendungsersatz §§ 677 ff. BGB - Ansprüche im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag
III. Dingliche (= sachenrechtliche) Ansprüche - Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den (unrechtmäßigen) Besitzer (§ 985 BGB) - Beseitigungs-und Unterlassungsansprüche (§ 1004 BGB) - Grundbuchberichtigungsanspruch (§ 894 BGB) - Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung (§ 1147 BGB) IV. Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen - SpezialVorschriften - Familien- und erbrechtlicher Art - Unterlassung und Beseitigung bei schuldlos-rechtswidrigem Verhalten, z. B. nach § 12 BGB (Namensrecht), als negatorischer und quasinegatorischer Unterlassungsanspruch bei der Beeinträchtigung sonstiger rechtlich geschützter Interessen nach dem Rechtsgedanken der §§ 1004, 12, 862 BGB - Eigentümer-Besitzer Verhältnis - Schadensersatz nach §§ 989-992 BGB - Herausgabe von Nutzungen nach §§ 987, 988 BGB - Ersatz von Verwendungen nach §§ 994 ff. BGB - Unberechtigte, angemaßte Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 678, 687 Abs. 2 BGB - Ungerechtfertigte Bereicherung nach §§812 ff. BGB - Unerlaubte Handlung nach den §§ 823 ff. BGB und aus Gefährdungshaftung, z.B. § 7 StVG, § 833 BGB, § 25 AtomG, § 1 HaftpflichtG (zur Reihenfolge der Anspruchsprüfung, vgl. Medicus, BR, Rnn. 8 ff.; Brox, BGB AT, Rn. 839). Die rechtliche Begutachtung eines Falls geht i. d. R. von einer Anspruchsnorm aus. Das vorgenannte Schema soll einen Überblick verschaffen, in welcher Reihenfolge die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zweckmäßig zu prüfen sind. Ist bei der Fallbearbeitung die Fallfrage konkret gestellt, z.B. „Kann A von B die Herausgabe verlangen?", dann sind auch nur die in Frage kommenden Herausgabeansprüche zu prüfen.
Anhang zur juristischen Arbeitsmethode
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Ist die Fallfrage allgemeiner gehalten, z.B. „Was kann A von B verlangen?", so ist zunächst zu prüfen, welche wirtschaftlichen Ziele A gegenüber dem B verfolgen kann. Sodann konkretisiert man diese Ziele zu Rechtsfolgen, für die dann schließlich die passende Anspruchsnorm gefunden werden muss. Bei noch allgemeineren Fragen, wie z.B. „Wie ist die Rechtslage?", muss die Lösung zunächst durch eine Aufgliederung in Zwei-Personen Verhältnisse vorbereitet werden. Im Anschluss daran ist zu fragen, welche im Sachverhalt genannte Person von einer anderen überhaupt etwas verlangen kann, d. h. es sind alle in Betracht kommenden Ansprüche zu prüfen. Steht vor der Frage nach der Rechtslage eine konkretere Fragestellung, wie z.B. „Kann A von B Zahlung verlangen?", dann handelt es sich bei der Frage nach der Rechtslage nur um ein (überflüssiges) Anhängsel. Aus Zweckmäßigkeitsgründen sind „vertragliche Anspruchsgrundlagen" vorrangig zu prüfen. Der Vertrag kann die Grundlage bilden, die auf alle anderen Ansprüche Auswirkungen hat. Gegenüber den Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag ist der Vertrag eine Vorfrage, weil § 677 BGB fordert, dass der Geschäftsführer das Geschäft im Verhältnis zum Geschäftsherrn unbeauftragt oder sonst unberechtigt geführt hat. Das wäre dann nicht der Fall, wenn ein wirksamer Vertrag (z. B. Auftrag) oder ein gesetzliches Schuldverhältnis (z. B. elterliche Vermögensfürsorge) vorliegt. Gegenüber dem Anspruch aus § 985 BGB (Herausgabeanspruch) sind Verträge vorrangig, weil sie ein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB darstellen können (z.B. Mietvertrag, Leihe) und damit auch die Folgeansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis der §§ 987 ff. BGB ausschließen. Gegenüber Ansprüchen aus Delikt (§§ 823 ff. BGB) können vertragliche Beziehungen das Maß des Verschuldens nicht unerheblich beeinflussen, z. B. wenn V eine Sache des Z unentgeltlich verwahrt und diese infolge leichter Fahrlässigkeit beschädigt. Auf Grund der vertraglichen Beziehung käme man zu einem milderen Haftungsmaßstab (§§ 690, 277 BGB, keine Haftung für leichte Fahrlässigkeit), der auch Auswirkungen auf den deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB hat. Würde man mit § 823 Abs. 1 BGB beginnen, wäre dann im Rahmen des Tatbestandsmerkmals des „Verschuldens" die vertraglichen Ansprüche mit zu behandeln. Man würde also bei diesem Anspruch bereits alles prüfen, was der Fall überhaupt enthält, was zur Übersichtlichkeit sicherlich nicht beitragen würde. Vertragliche Ansprüche können auch einen Rechtfertigungsgrund bilden; so sind z. B. gem. § 538 BGB die durch vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführten Verschlechterungen der Mietsache vom Mieter nicht zu vertreten. Gegenüber Ansprüchen aus Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) ist die Bedeutung des Vorrangs von vertraglichen Ansprüchen besonders deutlich. Der Vertrag kann den Rechtsgrund für eine Vermögensverschiebung darstellen. Im Anschluss an die vertraglichen Ansprüche sind eventuelle Schadensersatzansprüche aus rechtsgeschäftsählichen Schuldverhältnissen zu prüfen. Diese Ansprüche sind vor den Ansprüchen aus Delikt zu untersuchen, weil zum einen eine mildere Haftung aus dem beabsichtigten (aber nicht zustandegekommenen) Vertrag den deliktischen Haftungsmaßstab beeinflussen könnte. In einer BGH-Entscheidung hatte eine minderjährige, selbst nicht einkaufswillige Tochter ihre Mutter in einen Selbstbedienungsladen begleitet. Dort ist die Tochter auf einem Ge-
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müseblatt ausgerutscht und verletzt worden. Nachdem deliktische Ansprüche bereits verjährt waren, hat der BGH einen eigenen Anspruch der Tochter aus culpa in contrahendo gegen den Ladeninhaber bejaht (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, vgl. Medicus, BR, Rn. 199 m. w. N.). Nach heutigem Recht hätte die Tochter einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 u. 3, 241 Abs. 2 BGB (vgl. Lorenz/Riehm, Rn. 376). An nächster Position sind die Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu prüfen, denn die „berechtigte Geschäftsführung" hat ähnliche Wirkungen wie ein Vertrag. Sie kann ein Rechtfertigungsgrund sein oder ein Recht zum Besitz geben. Durch § 680 BGB wird auch der deliktische Haftungsmaßstab beeinflusst. Im Verhältnis zum Bereicherungsanspruch kann die Geschäftsführung ohne Auftrag einen Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung darstellen. Die nächste Station in der Prüfungsreihenfolge sind die „dinglichen Ansprüche". Diese Anspruchsgrundlagen haben mit den dinglichen Rechten zu tun. Dingliche Rechte sind Herrschaftsrechte einer Person über einen Gegenstand mit Zuordnungsfunktion. Hinsichtlich des Umfangs und der Zuordnung bestehen zwei Möglichkeiten. Die umfassendste Zuordnung und damit ein grundsätzlich unbeschränktes Herrschaftsrecht begründet das Eigentum (§ 903 BGB). Eine teilweise Zuordnung und damit ein gegenständlich beschränktes Herrschaftsrecht begründen die beschränkt dinglichen Rechte, wie z. B. die Pfandrechte bzw. Grundpfandrechte (zur Verwertung) oder der Nießbrauch (zur Nutzung). Dingliche Ansprüche begründen als Ansprüche das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können (§ 194 Abs. 1 BGB). Sie stellen also selbst keine dinglichen Herrschaftsrechte dar, sondern sind - wie jeder Anspruch gegen eine andere Person gerichtet. Sie entstehen aber auf Grund eines dinglichen Rechts, z.B. dadurch, dass ein Dritter störend auf das dingliche Recht eingewirkt hat. Der dingliche Anspruch dient dann der Herstellung des dem dinglichen Recht entsprechenden Zustands (vgl. §§ 894, 985, 1004, 1133, 1227 BGB). Bezieht sich die Fallfrage auf die dingliche Rechtslage, so z. B. „Wer ist Eigentümer?" oder „Ist das Grundbuch richtig?", ist anhand eines feststehenden zeitlichen Ausgangspunkts dieser Fall aufzubauen (historischer Aufbau). Von dort aus werden dann die dinglichen Veränderungen der Rechtslage in ihrem zeitlichen Ablauf dargestellt. Zu prüfen ist aber auch hier nur, was für den Fall relevant ist. Die dinglichen Ansprüche - vor allem die §§ 985, 2018 BGB - enthalten hinsichtlich Schadensersatz und Ersatz von Nutzungen gegenüber den §§ 812 ff., 823 ff. BGB spezielle Regelungen. Übrig bleiben die Ansprüche aus Delikt, zu denen im weitesten Sinne auch die Ansprüche aus Gefährdungshaftung zu zählen sind sowie die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Zwischen diesen beiden Anspruchsformen gibt es kein Rangverhältnis, da sie sich gegenseitig nicht beeinflussen. Man beginnt die Fallbearbeitung daher mit derjenigen Vorschrift, die am ehesten zutreffen kann (ausführlich Medicus, BR, Rnn. 8 ff.).
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Mitunter liegen die Schwierigkeiten eines juristischen Gutachtens statt bei den Anspruchsgrundlagen teilweise oder auch ganz bei den Gegenrechten (des Anspruchsgegners). Hierzu zählen die Einwendungen und Einreden (vgl. im Einzelnen Abschn. III.9.). Der aufgezeigte Anspruchsaufbau ist dann nicht geeignet, wenn es sich - wie oben erwähnt - um Fragen nach der dinglichen Rechtslage handelt. Hier eignet sich der historische Aufbau, bei dem zunächst ein zeitlicher Ausgangspunkt gesucht werden muss, ab dem man die Veränderungen der Rechtslage in ihrem historischen Ablauf verfolgt. Der Rahmen ist durch die Fallfrage vorgegeben. Mitunter kann auch eine prozessuale Vorfrage im Sachverhalt enthalten sein. Die Zulässigkeit einer Klage ist regelmäßig vor der Begründetheit zu prüfen. In Klausuren wird relativ häufig die Frage nach der Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtsweges sowie der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gestellt. Schwerpunktmäßig geht es jedoch um die Begründetheit der Klage, d. h. um die vorher dargestellte Anspruchsprüfung. Bei einer „Anwaltsklausur" (im Gegensatz zur üblichen „Richterklausur") wird keine richterliche Entscheidung verlangt, sondern es wird danach gefragt, was ein Anwalt raten oder unternehmen wird. Diese Klausuren sind besonders gekennzeichnet durch Fragen, wie z. B. „Was kann A von B verlangen?" oder „Was ist B zu raten?" Letztlich geht es auch um die Begründetheit der Anträge, doch sind diese - anders als bei Richterklausuren - nicht vorgegeben, sondern müssen entwickelt werden (vgl. ausführlich, Medicus, Grundwissen BR, Rnn. 3 ff.). 3. Regeln zur Fallbearbeitung Bekannterweise zeigt sich erst am Fall der Jurist, d. h. in der konkreten Rechtsanwendung. Für Studierende, denen am Anfang (verständlicherweise) die Fallbearbeitung schwer fällt, empfiehlt es sich, das Klausurenschreiben häufig zu üben. Hierbei sind einige Regeln zu beachten: - Sachverhalt gründlich lesen und genau auf Fragestellung achten, - Eine Skizze anfertigen, - Entwicklung eines Lösungskonzepts, -
Ausreichend Zeit für die Niederschrift einplanen, Anspruchsgrundlagen jeweils einzeln und systematisch prüfen, Das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden, Rechtsnormen vollständig zitieren, Im „Gutachtenstil" schreiben (in möglichst kurzen verständlichen Sätzen), Ergebniskontrolle in Bezug auf den Aspekt der „Vernunft".
II. BGB - Allgemeiner Teil
Der Allgemeine Teil des BGB weist eine Vielzahl von Rechtsbegriffen auf, die auch für die anderen vier Bücher des BGB gelten. Insofern ist es wichtig, ausführlicher auf die einzelnen Begriffe einzugehen. Diese Begriffe sind dem juristischen Laien nicht immer zugänglich. Mitunter ist die Bedeutung einiger Begriffe in der Umgangssprache deutlich verschieden von deren juristischer Bedeutung.
1. Rechtssubjekte und Rechtsobjekte Das BGB ist in seinem Allgemeinen Teil so konzipiert, dass es zunächst zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten unterscheidet. a. Rechtssubjekte Rechtssubjekte, also Träger von Rechten und Pflichten, sind nach dem BGB nur natürliche und juristische Personen sowie (teil)rechtsfähige Personengesellschaften. Als natürliche Personen bezeichnet man jeden lebend geborenen Menschen. Die §§ 1-14 BGB enthalten grundsätzliche Regelungen zur Rechtsstellung des Menschen. Rechtsfähigkeit bedeutet diesbezüglich, Träger von Rechten und Pflichten sein zu können, z. B. Eigentümer einer Sache, Inhaber eines Rechts oder Erbe eines Vermögens. Das prozessuale Gegenstück zur Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, im Zivilprozess parteifähig zu sein. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt (§ 1 BGB), ohne dass sie an irgendwelche körperlichen oder geistigen Fähigkeiten geknüpft ist. In bestimmten Fällen wird darüber hinaus die Rechtsfähigkeit des erzeugten, aber noch nicht geborenen Kindes anerkannt (§§ 331 Abs. 2, 844 Abs. 2, 1923 Abs. 2 BGB). Mit dem Tode des Menschen endet die Rechtsfähigkeit, wobei nicht der Herztod, sondern der Hirntod maßgebend ist. Mit diesem Zeitpunkt geht das Vermögen (und die Schulden) des Erblassers als Ganzes auf den/die Erben über (§§ 1922,1967 BGB). Höchstpersönliche Rechte, wie z. B. die Mitgliedschaft in einem Verein (§ 38 BGB), erlöschen mit dem Tod.
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II. BGB - Allgemeiner Teil
Natürliche Personen sind selbst handlungsfähig, also fähig, durch eigene Handlungen Rechte zu erwerben und Pflichten zu begründen. Im Gegensatz zu den juristischen Personen brauchen sie keine anderen Personen, die für sie handeln. Natürliche Personen benötigen für rechtsgeschäftliche Handlungen die Geschäftsfähigkeit. Um für unerlaubte Handlungen zivilrechtlich haftbar gemacht werden zu können, muss die Deliktsfähigkeit gegeben sein. Bei den Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit handelt es sich im Wesentlichen um Schutzvorschriften für bestimmte Personengruppen, bei denen der Gesetzgeber davon ausgeht, dass sie (noch) nicht über die geistige Reife und Einsichtsfähigkeit verfügen. So sind z. B. rechtsgeschäftliche Erklärungen von Kindern unter 7 Jahren generell nichtig und diejenigen von beschränkt geschäftsfähigen, d. h. von Personen zwischen 7-18 Jahren, schwebend unwirksam. Dies hat zur Folge, dass die Wirksamkeit oder Nichtigkeit abhängig ist von der Genehmigung oder Verweigerung der Eltern. Rechtssubjekte natürliche Personen (= alle Menschen) Rechtsfähigkeit (§ 1 BGB) Handlungsfähigkeit beinhaltet: — Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff.) — Deliktsfähigkeit (§§ 827, 828 BGB) — Realaktfähigkeit
juristische Personen (= Kunstschöpfungen der Rechtsordnung) des Privatrechts — Vereine — Stiftungen — GmbH — AG — Genossenschaft
des öffentlichen Rechts — Körperschaften (z.B. Gebietskörperschaften) , IHK, Handwerkskammer — Anstalten _ Stiftungen
Abb. II.l. Rechtssubjekte Den Menschen gleichgestellt sind Personenvereinigungen, die als juristische Personen bezeichnet werden. Diese lassen sich untergliedern in juristische Personen des Privatrechts (z. B. Verein und Kapitalgesellschaften) und juristische Personen des Öffentlichen Rechts (u.a. Gebietskörperschaften, z.B. Bund, Länder oder Gemeinden oder etwa auch Kammern und Innungen). Ebenfalls zu den juristischen Personen zählen Sacheinrichtungen, wie z. B. Stiftungen. Zu beachten ist, dass die Offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft nicht zu den juristischen Personen gezählt werden. In der Praxis werden sie aber diesen in der Mehrzahl aller Fälle gleichgestellt. So wird darüber hinaus auch die (Wechsel- und) Scheckfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bejaht (BGH, NJW 1997, 2754, 2755). Die Entwicklung geht sogar dahin, dass neben der OHG und der KG auch der GbR, soweit sie als „Außengesellschaft" am Rechtsverkehr teilnimmt, die Rechtsfähigkeit zugestanden wird (vgl. BGH, BB 2001, 374; BGH, NJW 2003, 1803, hierzu ausführlich Schmidt, K., NJW 2003, 1897). Ob man dann so weit geht, sie auch als juristische Person anzusehen, ist im Wesentlichen eine terminologische Frage. Im Vordergrund steht eine funktionelle Betrachtungswei-
1. Rechtssubjekte und Rechtsobjekte
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se, die am jeweiligen Sachproblem (Grundbuchfähigkeit, Erbfähigkeit usw.) ansetzt und danach fragt, ob es sachgerecht ist, die jeweilige Personenvereinigung insoweit als rechtliche Einheit anzuerkennen. Die juristischen Personen werden teilweise auch als „Kunstschöpfungen der Rechtsordnung" bezeichnet, denn die Gleichstellung mit den Menschen hat vor allem rechtstechnische Bedeutung. Mit der Zuerkennung der Rechtspersönlichkeit für Personenvereinigungen soll das organisierte und zweckgerichtete Handeln im Rechtsverkehr erleichtert werden. Juristische Personen können als solche nicht handeln, sondern benötigen „Organe", um handlungsfähig zu sein. Entsprechende Gesetze (etwa das Aktiengesetz oder das Genossenschaftsgesetz) bestimmen, welche Organe (z. B. ein Vorstand) für eine bestimmte Personenvereinigung vorhanden sein müssen und wie sie handeln können. b. Rechtsobjekte Von den Rechtssubjekten sind die Rechtsobjekte zu unterscheiden. Rechtsobjekte sind (nicht rechtsfähige) Gegenstände - Sachen und Rechte -, die von den Rechtssubjekten „beherrscht" werden (Brox, BGB AT, Rn. 776). Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände (§ 90 BGB). Ein Gegenstand ist dann „körperlich", wenn er sinnlich wahrnehmbar, räumlich abgegrenzt und tatsächlich beherrschbar ist. Im Rechtssinne sind auch Pflanzen Sachen, nicht dagegen elektrischer Strom oder Wärme. Auf den Aggregatzustand kommt es grundsätzlich nicht an. Flüssigkeiten oder Gase sind freilich nur dann Sachen, wenn sie konkret gefasst (z.B. in Behältern) oder doch anfassbar sind. Computersoftware ist eine Sache, wenn sie auf einem Datenträger gespeichert ist (Palandt-Heinrichs, § 90 BGB, Rn. 2 m. w. N.). Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetzte geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist (§ 90 a BGB). Rechtsobjekte (= Gegenstände)
Sachen, § 90 BGB Bewegliche Sachen
Unbewegliche Sachen
Rechte Absolute Rechte
Relative Rechte
Abb. II.2. Rechtsobjekte So kann beispielsweise ein Erblasser nicht wirksam sein Vermögen seinem Hund testamentarisch vermachen, der juristisch gesehen einer Sache gleichgestellt und damit nicht rechtsfähig ist. Dem Erblasser verbleibt allerdings die Möglichkeit, sein Vermögen einer „rechtsfähigen" Stiftung mit der Verpflichtung zu hinterlassen, sich um den Hund entsprechend zu kümmern.
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II. BGB - Allgemeiner Teil
Rechtsobjekte untergliedert man in körperliche und unkörperliche Gegenstände. Zu den körperlichen Gegenständen zählen die beweglichen und die unbeweglichen Sachen. Bewegliche Sachen (= Mobilien = Fährnis) sind alle Sachen, die weder Grundstück noch Grundstücksbestandteil sind, z.B. ein PKW oder ein PC. Die Unterscheidung wirkt sich bei Verpflichtungsgeschäften (vgl. z.B. § 311b BGB), bei Verfügungen (vgl. z. B. §§ 929 ff., §§ 873 ff. BGB) oder in der Zwangsvollstreckung (vgl. z. B. §§ 803 ff., §§ 864 ff. ZPO) aus. Um den Rechtsverkehr über Grund und Boden zu ermöglichen und überschaubar zu machen, ist eine Aufteilung in einzelne Grundstücke (= Immobilien = Liegenschaften) und ihre Registrierung im Grundbuch (vgl. § 3 GBO) erfolgt. Unter einer unbeweglichen Sache oder Grundstück ist ein abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der im Grundbuch eingetragen ist, zu verstehen. Zum Grundstück gehören auch die sog. wesentlichen Bestandteile (z.B. darauf errichtete Gebäude, § 94 BGB). Bei beweglichen Sachen spielt im Gesetz weiterhin die Unterscheidung zwischen vertretbaren Sachen und unvertretbaren Sachen eine Rolle. Vertretbare Sachen sind bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt werden (§91 BGB). Es gelten für sie - da sie wirtschaftlich untereinander austauschbar sind - einige Sonderreglungen (vgl. §§ 607, 651, 700, 706, 783 BGB); hierzu zählen u.a. Naturprodukte (Kartoffeln, Wein), Geld und Wertpapiere oder fabrikneue serienmäßig hergestellte Industrieprodukte, z.B. PKW. Nicht vertretbare Sachen sind demgegenüber nach bestimmten Bestellerwünschen angefertigte Produkte (vgl. insbesondere zu § 651 S. 3 BGB). Rechtsobjekte können aber auch absolute und relative Rechte als sog. „unkörperliche Gegenstände" sein. Während absolute Rechte dadurch gekennzeichnet sind, dass sie jedermann gegenüber wirken, z. B. Eigentum oder Urheberrecht, besteht bei relativen Rechten dagegen eine Wirksamkeit nur zwischen bestimmten Personen, z. B. bei einer Kaufpreisforderung. Bei Sachen wird der Berechtigte Eigentümer, bei Rechten Rechtsinhaber oder Gläubiger genannt.
2. Die Rechtsgeschäftslehre Aus dem Gedanken der Privatautonomie hat sich für den Bereich des Privatrechts die Rechtsgeschäftslehre entwickelt. Danach soll der einzelne seine Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach seinem Willen gestalten können. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind durch die drei Grundelemente der Rechtsgeschäftslehre vorgegeben: Die Willenserklärung, das Rechtsgeschäft und der Vertrag.
2. Die Rechtsgeschäftslehre
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a. Rechtsgeschäft Das BGB regelt die Rechtsverhältnisse von natürlichen und juristischen Personen. Die Gestaltung der Rechtsverhältnisse erfolgt i. d. R. durch Rechtsgeschäfte. Aber nicht jedes menschliche Verhalten führt zu rechtlichen Konsequenzen. Unter Rechtsgeschäften sind vielmehr nur bestimmte äußerliche Verhaltensweisen zu verstehen, in denen sich der Geschäftswille einer oder mehrerer Personen offenbart, d. h. dass sie eine bestimmte Rechtsfolge herbeiführen wollen (vgl. Köhler, BGB AT, § 5, Rn. 5). Hierzu zählen vor allem Verträge, z.B. Kauf- und Mietverträge, aber auch diejenigen Willenserklärungen, die einen Vertrag begründen, gestalten oder beenden können; so bewirkt die Annahme eines Kaufangebots den Abschluss eines Kaufvertrags, der Rücktritt die Beendigung des Vertrags oder die Aufrechnung das Erlöschen der Forderung. Es gibt allerdings auch Konstellationen, in denen Rechtsfolgen durch die Verletzung fremder Rechtsgüter, z.B. Leben, Gesundheit, Eigentum, herbeigeführt werden. Diese Handlungsform, durch die etwa mittels einer „unerlaubten Handlung" eine Rechtsfolge, nämlich die Verpflichtung zum Schadensersatz herbeigeführt wird, ist streng zu unterscheiden von der Herbeiführung von Rechtsfolgen durch Rechtsgeschäfte. Mitunter können Rechtsfolgen in einigen Fällen auch durch Realakte bewirkt werden. Hierbei knüpft das Gesetz Rechtsfolgen allein an die Verwirklichung eines bestimmten realen Vorgangs. Diese treten daher auch dann ein, wenn kein oder ein nur unzureichender Wille zu einer rechtlichen Bindung zu erkennen ist. Als Beispiele sind zu nennen der Fund (§§ 965 ff. BGB) einer verlorenen Sache, der Eigentumserwerb durch Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung einer Sache (§§ 946-950 BGB) oder die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung der Eltern gegenüber dem Kind. Da bisher noch nicht ganz geklärt wurde, was ein Rechtsgeschäft ist, muss demzufolge tiefer in die „Anatomie" des Rechtsgeschäfts eingedrungen werden. Grundelement des Rechtsgeschäfts - und auch des Vertrags - ist die Willenserklärung. Mit rechtserheblichen Willenserklärungen werden Rechtsfolgen herbeigeführt. Das Rechtsgeschäft besteht aus einer oder mehreren Willenserklärungen, die auf Herbeiführung einer Rechtsfolge ausgerichtet sind (Palandt-Heinrichs, Überbl. v. § 104 BGB, Rn. 2). Ob eine Willenserklärung bereits zur Begründung einer Rechtsfolge ausreicht oder ob zwei oder mehrere Willenserklärungen vorliegen müssen, hängt davon ab, um welche Art von Rechtsgeschäft es sich handelt. Es wird im Regelfall unterschieden zwischen:
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II. BGB - Allgemeiner Teil
Rechtsgeschäfte Streng einseitige Rechtsgeschäfte (z.B. Auslobung, Testament)
Einseitige Rechtsgeschäfte (z.B. Kündigung, Rücktritt, Aufrechnung)
Mehrseitige Rechtsgeschäfte (z.B. Vertrag oder Vereinsgründung)
Die Rechtswirkung tritt bereits mit der Abgabe der Willenserklärung (WE) ein.
Zur Begründung einer Rechtswirkung bedarf es des Zugangs der WE beim Erklärungsempfänger.
Zur Begründung einer Rechtsfolge bedarf es zweier oder mehrerer übereinstimmender WE.
I
Abb. II.3. Rechtsgeschäfte Im Folgenden soll auf den Begriff der Willenserklärung näher eingegangen werden. b. Willenserklärung aa. Begriff und Bedeutung Der Begriff Willenserklärung wird zwar im Gesetz mehrfach verwendet, so u. a. in den §§ 104 ff., 116 ff. BGB, aber nicht definiert. Eine Willenserklärung wird in der Rechtswissenschaft einhellig als die Erklärung einer Person definiert, die den auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichteten Willen zum Ausdruck bringt (BGH, NJW 2001, 289, 290; Palandt-Heinrichs, Einf.v. § 116 BGB, Rn. 1). Die Willenserklärung setzt sich - wie sich bereits aus dem Wort ableiten lässt - aus zwei Elementen zusammen, ohne dass diese jedoch getrennt nebeneinander stehen; vielmehr bilden diese Elemente eine Willenseinheit. Auf der einen Seite steht die objektive Erklärung (äußerer Tatbestand) und auf der anderen Seite der subjektive Wille (innerer Tatbestand). bb. Bestandteile einer Willenserklärung Die einzelnen Bestandteile einer Willenserklärung lassen sich wie folgt aufgliedern: Willenserklärung
Erklärung — ausdrücklich (schriftlich oder mündlich) — konkludent
Abb. II.4. Willenserklärung
Wille — Handlungswille — Erklärungsbewußtsein — Geschäftswille
2. Die Rechtsgeschäftslehre
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Unverzichtbare Voraussetzung für das Vorliegen einer Willenserklärung ist zunächst die Erklärung. Was nicht nach außen erklärt wurde, ist für die Rechtsordnung grundsätzlich ohne Bedeutung. Dabei ist jedes äußerlich erkennbare Verhalten, sei es ausdrücklich (mündlich oder schriftlich - beispielsweise mittels Brief, Telefax, als „elektronische" Willenserklärung per Mausklick im Internet oder als E-Mail) oder konkludent, d. h. ein Verhalten, das nach der allgemeinen Lebenserfahrung (besser: „Verkehrsauffassung") auf einen dahinterstehenden rechtlich erheblichen Willen schließen lässt, als Erklärungstatbestand ausreichend. Beispiele: Inanspruchnahme einer entgeltlich abgebotenen Leistung, z. B. das Besteigen einer Straßenbahn lässt auf den Willen zum Vertragsabschluss schließen; der Auszug des Mieters aus den gemieteten Geschäftsräumen unter Rücksendung der Schlüssel lässt auf den Willen zur Kündigung schließen; bloßes Kopfnicken beim Zeitungskauf lässt auf den Willen zum Kauf schließen. Die meisten Willenserklärungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit keiner bestimmten Form. Nur in Ausnahmefällen müssen bestimmte Formvorschriften eingehalten werden, z. B. Schriftform, Textform oder notarielle Beurkundung (hierzu ausführlicher unter Abschn. II.2.e.). Die subjektive Seite einer Willenserklärung ist dagegen komplexer. Dieser Teil gliedert sich in einen Handlungswillen, ein Erklärungsbewusstsein und einen Geschäfts willen. Unbedingte Voraussetzung für das Vorliegen einer Willenserklärung ist, dass der Erklärende einen Handlungswillen hatte. Mit Handlungswillen ist nur der bewusste Willensakt gemeint. Liegt bereits kein gewolltes Handeln vor, z.B. bei Reflexbewegungen, Bewegungen im Schlaf oder in Hypnose, dann liegt auch keine Willenserklärung vor. Beispiel: A möchte seinem schlafenden Nachbarn N während einer Auktion einen Streich spielen und hebt dessen Arm während der Gebotsphase hoch. Hier liegt mangels Handlungsbewusstsein des N keine Willenserklärung vor. Einer Anfechtung (wegen Irrtums) durch N (mit der Folge der Schadensersatzverpflichtung nach § 122 BGB) bedarf es daher nicht. In der Jurisprudenz umstritten ist die Frage, ob ein Erklärungsbewusstsein für das Vorliegen einer Willenserklärung gegeben sein muss. Hierbei geht es um das Bewusstsein des Handelnden, dass seine Handlung irgendeine rechtserhebliche Erklärung darstellt. Das Erklärungsbewusstsein fehlt, wenn der Erklärende zwar bewusst handelt, aber nicht weiss, dass sein Handeln nach außen rechtsgeschäftliche Bedeutung hat, z. B. Unterzeichnung eines Schecks in der Annahme, es sei eine Besuchsbestätigung für einen Vertreter. Den Schulfall hierfür bildet (noch immer) die Trierer Weinversteigerung, auf der das Handheben ein Mehrgebot bedeutet.
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II. BGB - Allgemeiner Teil
Jemand, der diese Bedeutung nicht kannte, betrat (nichtsahnend) eine Kellerwirtschaft in Trier, in der gerade die besagte Weinversteigerung stattfand, hob die Hand zur Begrüßung eines Freundes und erhielt den Zuschlag, weil der Versteigerer dieses als Gebotsabgabe auffasste. Die Lösung war umstritten (vgl. Medicus, BGB AT, Rn. 130 m. w. N.). Nach einem Teil der Lehre liegt ohne Erklärungsbewusstsein gar keine Willenserklärung vor, weil es einen Verstoß gegen die Privatautonomie darstelle, wenn jemand an eine rechtliche Erklärung gebunden sei, die er nicht bewusst abgeben wollte (vgl. Nachweise bei BGHZ 91, 324, 327). Die heute h. M. stellt dagegen auch auf die Interessen des Erklärungsempfängers ab und lässt den Vertrauensschutz darüber entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung gewertet wird. So liegt bei fehlendem Erklärungsbewusstsein eine Willenserklärung auch dann vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass seine Erklärung als Willenserklärung aufgefasst wird (BGHZ 91, 324). So lautet auch der Kernsatz dieser grundlegenden BGH-Entscheidung: „Trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins liegt eine Willenserklärung vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat." (ausführlicher Medicus, BGB AT, Rn. 608 a; Larenz/Wolf, BGB AT, § 24, Rnn. 6 ff.). Der Handelnde muss also unverzüglich anfechten und dem anderen Teil dessen Vertrauensschaden ersetzen (vgl. §§ 119 ff. BGB). Unter einem Geschäftswillen ist der Wille zu verstehen, eine konkrete inhaltliche Rechtsfolge herbeizuführen, also das „bestimmte" Rechtsgeschäft vorzunehmen. Wer beispielsweise das Angebot zum Kauf einer bestimmten Sache macht, hat einen auf den Abschluss eines Kaufvertrags ausgerichteten Geschäftswillen. Der Geschäftswille ist nicht notwendiger Bestandteil einer Willenserklärung. Bei dessen Fehlen, z. B. wenn ein Scheckaussteller versehentlich einen höheren Betrag einsetzt, kommt eine Anfechtung wegen Irrtums gem. §§119 ff. BGB in Betracht. Die Willenserklärung ist abzugrenzen von einer rechtlich unverbindlichen sog. Gefälligkeitszusage, wie sie im täglichen Leben häufiger vorkommt. Diesbezüglich hat eine Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (§§ 153, 157 BGB) zu erfolgen und muss die gesamten Umstände, insbesondere die zugrundeliegende wirtschaftliche und soziale Situation, berücksichtigen (vgl. BGH, NJW 1985, 313). Ein Rechtsbindungswille ist anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass für den Empfänger der Zusage wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Zusage verlässt oder wenn der Zusagende an der Angelegenheit ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies nicht der Fall, kann ein Rechtsbindungswille nur unter besonderen Umständen angenommen werden (vgl. BGH, NJW 1992, 498).
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Ein Rechtsbindungswille fehlt i. d. R. bei Zusagen im rein gesellschaftlichen Bereich (Einladung zu einem Essen) oder ähnlichen Vorgängen. Diese Gefälligkeiten bewirken keine rechtlichen Verpflichtungen - allenfalls moralische - und können ohne Verpflichtung zu einer Schadensersatzleistung widerrufen werden. Auch bei anderen Gefälligkeiten des täglichen Lebens wird ein Wille zu einer rechtlichen Bindung i. d. R. nicht vorliegen. Keine Willenserklärungen sind im Übrigen Schaufensterauslagen, Zeitungsinserate, Werbeanzeigen, Speisekarten in einem Restaurant oder Angebote auf Websites im Internet (hierzu Taupitz/Kritter, JuS 1999, 840); anders ist es dagegen bei Warenautomaten. Bei diesen Verlautbarungen an die Allgemeinheit fehlt erkennbar ein Geschäftswille. In diesen Fällen kann man davon ausgehen, dass der „Erklärende" noch kein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vertrags abgeben möchte. Der Unterschied besteht darin, dass in diesem Fall der Kunde das Angebot macht und dem Geschäftsinhaber freigestellt ist, dieses anzunehmen. Der Geschäftsinhaber will sich dadurch auch noch nicht rechtlich binden, da er nicht weiss, ob und in welchem Umfang Nachfrage nach seinen Leistungen besteht und ob seine Leistungsfähigkeit ausreicht. Wären es hingegen Angebote, so könnte eine unbegrenzte Anzahl von Personen durch Annahme bereits einen Vertragsschluss herbeiführen. Alle Verträge wären somit gültig. Der Anbieter (oder Geschäftsinhaber) wäre nun verpflichtet, alle Verträge zu erfüllen. Könnte er nur einen Vertrag erfüllen, wäre er den übrigen „Vertragspartnern" gegenüber wegen Nichterfüllung dieser Verträge schadenersatzpflichtig. Auch könnte jemand ein „Angebot" annehmen, den der Anbieter vielleicht nicht als Vertragspartner haben will, z. B. wenn dieser als potenziell zahlungsunfähig gilt. Diese Problem bleibt einem Anbieter nur erspart, wenn es sich lediglich um Aufforderungen zur Abgabe eines Angebots bzw. um eine „invitatio ad offerendum" handelt (vgl. Brox, BGB AT, Rn. 170; Palandt-Heinrichs, § 145 BGB, Rn. 2m.w.N.). cc. Schweigen als Willenserklärung Grundsätzlich wird im bürgerlichen Recht ein Schweigen nicht als Willenserklärung angesehen. Ein bloßes Schweigen wird ausnahmsweise dann als Willenserklärung angesehen, wenn die Parteien es vorher vereinbart haben oder das Gesetz an das Schweigen besondere Rechtsfolgen knüpft (Köhler, BGB AT, § 6, Rnn. 5 ff.). Ausnahmetatbestände im bürgerlichen Recht sind z. B. das Schweigen auf ein Schenkungsangebot gem. § 516 Abs. 2 S. 2 BGB und das Schweigen nach Empfang einer zur Probe gekauften Sache (§ 455 S. 2 BGB) Schweigen wird hier als Zustimmung angesehen. Als Ablehnung wird das Schweigen in den §§ 108 Abs. 2 S. 2, 177 Abs. 2 S. 2 BGB gewertet. Schweigen gilt u. a. auch dann als Willenserklärung, wenn der Schweigende nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB zu einer Erklärung verpflichtet war (Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 BGB, Rnn. 9 ff.). Ein in der Praxis häufiger Fall ist das Zusenden unbestellter Waren.
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II. BGB - Allgemeiner Teil Beispiel: Eine Versandfirma bietet im Wege des Postversands einen bestimmten Artikel „besonders günstig" an und vermerkt am Ende des Anschreibens u. a. „Sollten wir innerhalb von 10 Tagen nichts Gegenteiliges von Ihnen hören, gehen wir davon aus, dass sie unser günstiges Angebot angenommen haben.". Muss der Empfänger die erhaltene Ware, die weder bestellt noch dementiert wurde, bezahlen? Eine Zahlungspflicht würde nur dann gegeben sein, wenn ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen worden wäre. Dann müsste der Empfänger das Angebot der Versandfirma angenommen haben. Da das Schweigen grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung hat und kein Ausnahmetatbestand vorliegt, ist somit mangels Annahmeerklärung kein Kaufvertrag zustandegekommen. Das Ansinnen der Versandfirma, dass das Schweigen des Empfängers als Zustimmung gewertet wird, ist unbeachtlich, denn dem anderen Teil kann dadurch keine in Wirklichkeit nicht abgegebene Willenserklärung aufgezwungen werden. Die „Lieferung unbestellter Sachen" ist nun in § 241 a BGB gesetzlich geregelt.
Auch im Handelsverkehr, d. h. bei den Rechtsgeschäften mit oder unter Kaufleuten, gilt Schweigen grundsätzlich nicht als Zustimmung, obwohl es hier mehr Ausnahmen gibt als im sonstigen Geschäftsverkehr, da der Handelsverkehr auf eine schnelle Verständigung und zügige Abwicklung von Rechtsgeschäften angewiesen ist. Zu nennen ist hier u. a. das Schweigen auf ein Geschäftsbesorgungsangebot (§ 362 HGB). Von großer praktischer Bedeutung sind auch die Grundsätze zum
kaufmännischen Bestätigungsschreiben (§ 346 HGB). Wird ein Vertrag mündlich oder telefonisch abgeschlossen, entsteht mangels sicherer Grundlage mitunter Streit darüber, ob und mit welchem Inhalt ein Vertrag zustande gekommen ist. Um diese Unsicherheit zu beseitigen, ist es im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen üblich, durch eine schriftliche Bestätigung das Zustandekommen und den Inhalt des Vertrags zu dokumentieren; der Empfänger muss bei einer abweichenden Bestätigung unverzüglich widersprechen, anderenfalls wird die Bestätigung als Zustimmung angesehen. Die Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben, die sich aus einem entsprechenden Handelsbrauch (§ 346 HGB) entwickelt haben, gelten heute als Gewohnheitsrecht (BGH, NJW 1994, 1288). Aus dogmatischer Sicht wird heute die rechtliche Bedeutung des „Schweigens" mit den Grundsätzen zur Rechtsscheinhaftung begründet. Der schweigende Empfänger setzt durch sein Schweigen den Rechtsschein der Zustimmung. Die Rspr. hat - unter Zugrundelegung dieser dogmatischen Begründung - bestimmte Voraussetzungen entwickelt, bei deren Vorliegen von einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben ausgegangen werden kann (BGH, NJW 1974,991; vgl. auch Schmidt, K., Handelsrecht, § 19 II, 3,4 u. 5). Die Anwendbarkeit der Grundsätze zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben setzt zunächst voraus, dass es sich um Kaufleute bzw. um vergleichbar am Geschäftsverkehr teilnehmende Personen handelt. Weiterhin muss es sich um ein echtes Bestätigungsschreiben handeln. Dieses liegt vor, wenn mündliche bzw. fernmündliche Vertragsverhandlungen stattgefunden haben und der wesentliche Vertragsinhalt enthalten ist; dies ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall. In der Praxis stellt sich das Problem der Abgrenzung zur (bloßen) Auftragsbestätigung,
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die in rechtlicher Hinsicht den Vertrag erst zustande bringt, also eine Annahme eines Angebots darstellt (BGH, NJW 1974, 991; BGH, JZ 1977, 603). Der Absender muss redlich gewesen sein. Eine Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Branchenüblichkeit ist zulässig sowie eine Ergänzung in unwesentlichen Nebenpunkten. Die Absendung des Schreibens muss unmittelbar nach den Verhandlungen erfolgt sein. Da keine besondere Form vorgeschrieben ist, kann dies auch per Fax oder E-Mail erfolgen (OLG Hamm, NJW 1994, 3172). Erforderlich ist, dass die Absendung alsbald erfolgt und dem Empfänger zugegangen ist. Letztlich darf das Schreiben keine wesentliche Abweichung enthalten und kein unmittelbarer Widerspruch des Empfängers vorliegen. Die Rechtsfolge besteht darin, dass dem Schweigen konstitutive Bedeutung zukommt und der Vertrag im Interesse der Rechtssicherheit als so abgeschlossen gilt, wie er im Bestätigungsschreiben formuliert ist (hierzu v. Dücker, BB 1996, 3 ff.). In der Praxis bestehen die Problem vor allem im „tatsächlichen" Bereich, d. h. bei der Frage, ob (überhaupt) ein kaufmännisches Bestätigungsschreibens vorliegt. Der „Clou" des kaufmännischen Bestätigungsschreibens besteht also darin, dass die mündlichen Absprachen grundsätzlich verdrängt werden können. Werden rechtsgeschäftliche Erklärungen von automatisierten Datenverarbeitungsanlagen hergestellt, handelt es sich um echte Willenserklärungen. Der Grund besteht darin, dass dahinter der Wille des Betreibers der Anlage steht, da die Anlage selbst keine autonomen Entscheidungen trifft. dd. Wirksamwerden einer Willenserklärung Vom Inhalt einer Willenserklärung losgelöst, stellt sich nun die Frage, ab wann eine Willenserklärung wirksam wird, d. h. ab welchem Zeitpunkt sie ihre intendierte Wirkung entfaltet. Es wird dabei zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unterschieden, denn es gibt Fälle, in denen eine Willenserklärung zwar existent, aber noch nicht wirksam ist. Es lässt sich zunächst feststellen, dass lediglich eine Konstellation, nämlich der Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Abwesenden (§ 130 BGB) gesetzlich geregelt ist. Die übrigen Erscheinungsformen sind in rechtlicher Hinsicht von der Rspr. entwickelt worden und gehören zum Basiswissen (zu den §§ 130-132, Coester-Waltjen, Jura 1992, 272).
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Wirksamwerden einer Willenserklärung "
nicht empfangsbedürftig
~
-
•
—
.
empfangsbedürftig unter Anwesenden
verkörperte WE
mit Abgabe
mit Zugang (i.d.R. Aushändigung)
unter Abwesenden
nicht verkörperte WE
mit Vernehmung
mit Zugang, § 130 BGB
Abb. II.5. Wirksamwerden einer Willenserklärung
Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen sind Willenserklärungen, die nicht an eine andere Personen gerichtet sind. Hier genügt regelmäßig die Abgabe einer solchen Erklärung. Eine entsprechende Abgabe liegt vor, wenn der Erklärende sie vollendet bzw. fertigstellt. Es darf jedoch kein Zweifel an der Endgültigkeit der Erklärung bestehen (Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 4). Schulbeispiele für nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen sind das Testament (§ 1937 BGB) und die Auslobung (§ 657 BGB). Mit der formgerechten Errichtung des Testaments und der Auslobung sind diese Willenserklärungen wirksam abgegeben. Bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist dies anders. Eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist eine Erklärung, die an eine andere Person gerichtet ist, z.B. eine Kündigung oder ein Vertragsangebot. Hier reicht hingegen die Abgabe der Erklärung alleine nicht aus. Das liegt daran, dass der Erklärende selbst entscheiden können muss, ob und wann er die Erklärung dem Empfänger zukommen lassen will. Deshalb kommt hier eine Zugangskomponente hinzu, d. h. der Erklärende muss seinen Willen in Richtung auf den Empfänger geäußert haben. Handelt es sich also um eine empfangsbedürftige Erklärung, so ist erforderlich, dass diese mit Willen des Erklärenden in den Verkehr gelangt ist und er damit rechnen konnte bzw. gerechnet hat, sie werde den Empfänger erreichen (BGH, NJW 1979, 2032, 2033; Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 4). Umstritten ist, ob eine Willenserklärung auch dann als abgegeben gilt, wenn sie versehentlich, also ohne Wissen und Wollen des Erklärenden in den Verkehr gebracht worden ist. Wird z. B. das von einem Unternehmer vorsorglich vorbereitete Vertragsangebot von einem Mitarbeiter des Sekretariats versehentlich abgeschickt, stellt sich die Frage, ob ein Vertrag mit dem Empfänger des Schreibens zustande gekommen ist und ob der Unternehmer für eventuelle Schadensansprüche haftet. Ist der Empfänger gutgläubig, soll dieser Fall einem Fehlen des Erklärungsbewusstseins gleichgestellt werden (Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 4; Medicus, BGB AT, Rn. 266). Danach ist die Erklärung wirksam, wenn der Erklärende hätte erkennen und verhindern können, dass die Erklärung in den Verkehr gelangt ist. Der
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Erklärende soll aber nach § 119 Abs. 1 BGB analog anfechten können, jedoch nach § 122 BGB ersatzpflichtig sein. Nach anderer Auffassung (Köhler, BGB AT, § 6, Rn. 12) widerspricht dies der in § 172 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Wertung, wonach sich der Aussteller einer Urkunde deren Inhalt nur dann zurechnen lassen muss, wenn er sie einem anderen ausgehändigt hat. Ist die Erklärung ohne seinen Willen in den Verkehr gelangt (und kann dies bewiesen werden), so sei ihm dieses - auch unter Rechtsscheingesichtspunkten - nicht zuzurechnen. Einer Anfechtung bedürfe es nicht, jedoch hafte der Erklärende nach §§311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz des Vertrauensschadens, wenn er die Absendung bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Ein Vertrag kommt nicht zustande, weil die Erklärung ohne den Willen des U in den Verkehr gelangt ist. Es bedarf daher keiner Anfechtung und auch keiner analogen Anwendung. Hat der U das „Abhandenkommen" der Erklärung zu vertreten, dann haftet er aus cic (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB). Die praktischen Auswirkungen dürften jedoch gering sein, da in beiden Fällen bei Verschulden auf das Vertrauensinteresse gehaftet wird (Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 4). Im Einzelnen ist zu unterscheiden zwischen Erklärungen unter Abwesenden und unter Anwesenden. Damit eine empfangsbedürftige Willenserklärung unter Abwesenden Rechtsfolgen auslösen soll, bedarf sie - wie bereits erwähnt - des Zugangs an den Erklärungsempfänger (§ 130 Abs. 1 BGB). Mit „Abwesenheit" ist das Fehlen eines unmittelbaren Kontakts zwischen dem Erklärenden und dem Empfänger gemeint. Es besteht dann ein zeitlicher Abstand zwischen der Abgabe der Erklärung - der Absendung des Briefes oder des Telefaxes - und der Kenntnisnahme durch den Empfänger und wirft somit die Frage auf, in welchem Zeitpunkt eine Erklärung wirksam wird (LarenzAVolf, BGB AT, § 26, Rnn. 12 ff.). Der Begriff des Zugangs wird im Gesetz nicht definiert. Nach h.M. ist eine Erklärung aber zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser Kenntnis nehmen kann und nach der Verkehrsanschauung unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist (BGH, NJW 1998,976 (977) st. Rspr.). Ob eine Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht, ist unter Zugrundelegung „gewöhnlicher Verhältnisse" zu beurteilen. Auf Hindernisse im Bereich des Empfängers kann dieser sich nicht berufen, da er diesen durch geeignete Vorkehrungen begegnen kann und muss. Ist der Empfänger wegen Urlaub, Krankheit, Haft oder sonstiger Ortsabwesenheit nicht in der Lage, von dem Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen, so steht das einem Zugang nicht entgegen. Wusste der Erklärende z.B. von der Ortsabwesenheit und kannte er die aktuelle Anschrift, kann er sich auf den Zugang nur dann berufen, wenn er die Erklärung an den Aufenthaltsort des Empfängers gesandt hat (Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 5).
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Zum Bereich des Empfängers zählen vor allem die Wohnung oder die Geschäftsräume, aber auch die von ihm zur Entgegennahme von Erklärungen bereitgehaltenen Einrichtungen, wie z.B. Briefkasten, Postfach, Anrufbeantworter oder Telefax. Vollendet ist der Zugang erst, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist (Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 5). Beispiele: 1. Wirft ein Absender einen Brief nachts persönlich ein, tritt der Zugang erst am nächsten Morgen ein, weil erst dann mit einer Leerung verkehrsüblicherweise zu rechnen ist (BGH, VersR 94, 586, Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 6). Bei Privatbriefkästen ist ein Zugang noch am gleichen Tag zu bejahen, wenn die Erklärung am Tag eingeworfen wird, also auch Freitag nachmittag und Samstags, grundsätzlich nicht aber nach 18.00 Uhr und nicht an Sonn- und Feiertagen. Anderes gilt für Geschäftsbriefkästen. Hier ist kein Zugang gegeben, wenn die Erklärung nach dem üblichen Geschäftsschluss (Freitag u. U. bereits ab 14.00 Uhr) oder am Samstag eingeht. So geht ein am Freitag gegen 16.00 Uhr eingeworfener Brief erst am folgenden Montag zu. 2. Bei Einlage in ein Postfach tritt Zugang dann ein, wenn üblicherweise mit der nächsten Leerung zu rechnen ist (grundsätzlich während des gesamten Arbeitstages) (vgl. hierzu ausführlich Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 6). 3. Hat der Empfänger einen Nachsendeantrag gestellt, so bewirkt die Aushändigung am Aufenthaltsort den Zugang; soll die Nachsendung postlagernd erfolgen, geht sie bereits mit der Einordnung in das Postfach zu. 4. Kann der Einschreibebrief wegen Abwesenheit des Empfängers nicht zugestellt werden, ist er auch dann nicht zugegangen, wenn der Postbote einen Benachrichtigungszettel hinerlässt. Einwurf-Einschreiben, die dem Absender den Nachweis des Zugangs ermöglichen sollen, gehen wie normale Briefe zu (vgl. Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 7m.w.N.). Die gleichen Grundsätze gelten auch beim Einsatz moderner Kommunikationssysteme, z. B. Telefax, Anrufbeantworter oder E-Mail. Beim Telefax kommt es (ebenfalls) darauf an, wann mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Bei Privatanschlüssen ist ein Zugang am Tage des Ausdrucks erfolgt, bei geschäftlichen Erklärungen während der Geschäftsstunden mit Eingang, sonst mit dem nächsten Geschäftsstundenbeginn; entsprechendes gilt für den Zugang von Erklärungen auf Anrufbeantwortern oder per E-Mail (vgl. hierzu ausführlich, Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rnn. 6 ff.; Köhler, BGB AT, § 6, Rn. 18 zu weiteren Einzelfragen). Wer auf seinem Briefkopf seine Faxnummer oder eine E-Mail Adresse verwendet, gibt zu erkennen, dass ihm auch auf diesem Wege Nachrichten übermittelt werden können. Der Empfänger kann sich daher nicht darauf berufen, dass er mit dem Fax oder PC nicht umgehen kann (vgl. OLG Köln, NJW 1990, 1608). Willenserklärungen an einen Empfänger, der im Rechtsverkehr unter seiner E-Mail Adresse auftritt, gelangen in den Machtbereich mit dem Eingang im „Empfangsbriefkasten" („mailbox") des Providers und gehen zu, sobald nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit dem Abruf gerechnet werden kann, beim Eingang zur Unzeit aber erst am folgenden Tag (Hoffmann, NJW 2001, Beil. zu Heft 14, S. 7 m. w. N.; instruktiv Taupitz/Kritter, JuS 1999, 841).
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Handelt es sich um Angebote im Internet, ist diesbezüglich zu differenzieren, ob es um eine unverbindliche Aufforderung zur Abgabe eines Angebots handelt oder um ein echtes Angebot (ad incertas personas). Handelt es sich um unverbindliche Aufforderungen zur Abgabe eines Angebots (Regelfall), enthält die Bestellung „per Mausklick" das Angebot des Kunden. Dieses geht dem Internet-Anbieter dann zu, wenn er die Bestellung unter gewöhnlichen Umständen abrufen kann, d. h. regelmäßig zu den üblichen Geschäftszeiten. Liegt dagegen ein verbindliches Angebot vor, wie z.B. bei Internet-Auktionen (vgl. BGH, NJW 2002, 363), so tritt ein Zugang dieses Angebots mit Aufruf dieser Seite durch einen Nutzer ein (vgl. Köhler, BGB AT, § 6, Rn. 18 m. w. N.). Für den Beweis des Zugangs gilt der Grundsatz, dass der Erklärende den Zugang und ggf. den Zeitpunkt zu beweisen hat (BGHZ 70, 234; 101, 55). Der Nachweis der Abgabe reicht dazu nicht aus. Der Erklärende muss also, wenn er „sicher gehen will", eine Form der Übermittlung wählen, die er auch beweisen kann. Beispiele: Einwurfeines Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten des Mieters unter Zeugen; Übersendung eines „Einschreibens mit Rückschein" (Einschreiben allein genügt nicht, da der Einlieferungsbeleg nur die Absendung beweist; allerdings ist auch der Beweiswert eines Einschreibens mit Rückschein dann zweifelhaft, wenn Streit über die Frage entsteht, welches Schriftstück ausgehändigt worden ist); bei Übermittlung per Telefax beweist das Absendeprotokoll (,,O.K."-Bestätigung) nicht den Zugang (BGH, JZ 1995, 628 mit Anm. Fritzsche), auch nicht prima facie.
Wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber Anwesenden abgegeben, so ist die Zugangskomponente nochmals zu unterscheiden, je nachdem, ob es sich um eine körperliche oder nicht körperliche Erklärung handelt. Hinsichtlich einer verkörperten Erklärung ist die Sache einfach. Händigt der Erklärende dem Empfänger die körperliche Willenserklärung aus, so ist diese nach § 130 BGB analog zugegangen. Schwierigkeiten können beim Zugang von nicht körperlichen Erklärungen vorkommen. Mündliche bzw. telefonische (vgl. § 147 Abs. 1 S. 2 BGB) Erklärungen werden wirksam, wenn sie akustisch richtig verstanden werden (sog. Vernehmungstheorie, vgl. Palandt-Heinrichs, § 130 BGB, Rn. 14 m.w. N.). Das gesprochene Wort kann aber mitunter auch falsch verstanden werden. Hat der Empfänger die Erklärung nicht richtig vernommen, z. B. wegen Sprachunkenntnis oder Schwerhörigkeit, dann ist die Erklärung nicht wirksam geworden. Dies kann unter Umständen für den Erklärenden eine gewisse Härte bedeuten, die ihm aber zumutbar ist, da er die Möglichkeit hat, sich durch eine Rückfrage über die Vernehmung zu vergewissern. Andererseits dürfen dem Erklärenden nicht alle Vernehmungsrisiken aufgebürdet werden. Die Erklärung ist wirksam, wenn keine Zweifel mehr bestehen, dass die Erklärung zutreffend vernommen wurde. Die Wirksamkeit einer bereits (einem Abwesenden gegenüber) abgegebenen Willenserklärung kann verhindert werden, wenn diesem vorher oder wenigstens gleichzeitig ein Widerruf zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB). Nach § 130 Abs. 2
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BGB ist es im Übrigen ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe der Willenserklärung stirbt oder geschäftsunfähig wird. Ebenso wie für das Angebot ist es auch für die Annahmeerklärung grundsätzlich ohne Bedeutung, ob der Anbietende zwischenzeitlich verstorben oder geschäftsunfähig wurde (vgl. § 153 BGB). Nach § 153 BGB kommt aber ein Vertrag dann nicht zustande, wenn „ein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist". Entscheidend hierfür ist der hypothetische Wille des Anbietenden (Palandt-Heinrichs, § 153 BGB, Rn. 2). Gelegentlich kommt es vor, dass die Erklärung nicht an den Empfänger, sondern an eine auf der Empfängerseite eingeschaltete Mittelsperson gerichtet wird. In diesem Fall ist zu unterscheiden, ob es sich dabei um einen Vertreter oder um einen Boten handelt. Im Falle der Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB gilt das „Repräsentationsprinzip", d.h. es treten die gleichen Wirkungen ein, als ob der Empfänger selbst die Erklärung entgegengenommen hätte. Der Vertreter auf Empfangsseite unterscheidet sich von einem Empfangsboten durch eine gewisse Selbstständigkeit. Der Empfangsbote ist derjenige, der nach der Verkehrsanschauung zur Entgegennahme von Erklärungen ermächtigt ist, z. B. ein Familienangehöriger oder ein kaufmännischer Angestellter einer Firma, sofern dieser nicht bereits Vertreter ist. Erfolgt die Abgabe der Erklärung also einer anderen Person gegenüber, die nicht „Vertreter" ist, aber zur Sphäre des Empfängers gehört, z. B. ein Familienangehöriger, dann kommt es darauf an, ob der Erklärende darauf vertrauen darf, dass diese Person zur Weiterleitung von Erklärungen geeignet und befugt ist. Darf er darauf vertrauen, (was bei erwachsenen Familienangehörigen und sonstigen Angestellten i. d. R. der Fall sein dürfte), dann ist die Erklärung in dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem regelmäßig die Weitergabe an den Empfänger zu erwarten ist (Brox, BGB AT, Rnn. 155 ff.). Das Risiko der Weiterleitung trifft also den Empfänger. Durfte der Erklärende nicht darauf vertrauen, dass die Person geeignet und befugt war, z. B. bei Kindern, dann ist die Erklärung mit Entgegennahme durch diese Person dem Empfänger noch nicht zugegangen. Das Risiko der Übermittlung trägt dann der Erklärende; es handelt sich hier um einen Erklärungsboten. Diese Aufteilung und die unterschiedlichen Rechtsfolgen mögen kompliziert erscheinen; man sollte jedoch - um sich das Verständnis zu erleichtern - stets den zu Anfang erwähnten Grundsatz im Auge behalten, dass die Erklärung wirksam wird, wenn man nach der Verkehrsanschauung mit der Kenntnisnahme rechnen darf. Für die Einschaltung einer „Mittelsperson" bedeutet dies, ob im Einzelfall mit einer zuverlässigen Weiterleitung der Erklärung zu rechnen ist oder nicht; ist das nicht der Fall, muss der Übermittler als Erklärungsbote angesehen werden. Ebenfalls gesetzlich nicht geregelt sind die Fälle, in denen die Willenserklärung wegen eines Verhaltens des Empfängers diesem nicht oder nur verspätet zugeht. Auch hier kann eine Lösung nur unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gefunden werden. Welche Rechtsfolgen Zugangshindernisse auslösen, bestimmt sich danach, ob eine Annahmeverweigerung des Empfängers bzw. seines Vertreters vorliegt oder
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der Zugang anderweitig verhindert wird. Beruht das Zugangshindernis auf einer Annahmeverweigerung, so ist zu differenzieren. Je nachdem, welche Gründe dazu führen, unterscheidet man zwischen berechtigter und unberechtigter Annahmeverweigerung. Die berechtigte Annahmeverweigerung geht zu Lasten des Absenders. Jeden einzelnen Fall der berechtigten Verweigerung aufzuzählen, würde hier zu weit führen. Beispielhaft erwähnt sei hier nur die fehlende oder unzureichende Frankierung oder die fehlende Anschrift. Eine unberechtigte Verweigerung geht dagegen zu Lasten des Erklärungsempfängers. Hier geht die Erklärung im Zeitpunkt der Aushändigung zu (Zugangsfiktion), z. B. wenn der Empfänger oder Vertreter den angebotenen Brief zurückweist. In den Fällen der sonstigen Zugangsverhinderung kann nach § 242 BGB eine Erklärung dann als rechtzeitig zugegangen gelten, wenn der Empfänger eine Obliegenheitsverletzung begangen hat und der Erklärende alles Erforderliche und Zumutbare für einen ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Zugang getan hat. Grundsätzlich besteht (für einen Empfänger) keine Verpflichtung, für den Zugang von Erklärungen Sorge zu tragen. Der Erklärende ist ggf. auf die Zustellung nach § 132 BGB (Ersatzzustellung) angewiesen. Von diesem Grundsatz gibt es allerdings einige Ausnahmen, in denen eine Obliegenheit besteht, für einen Zugang zu sorgen: - bei angebahnten Geschäftsbeziehungen (BGH, NJW 1998, 976,977), - nach vorheriger Ankündigung, z. B. der Vermieter stellt dem Mieter eine Kündigung in Aussicht; der Mieter muss in diesem Fall die Urlaubsadresse hinterlassen (vgl. OLG Hamburg, MDR 1978,489), - bei Kaufleuten (§§ 1 ff. HGB), - bei Geschäfts- oder Betriebsverlegungen. Der Erklärende muss darüber hinaus alles Erforderliche und Zumutbare für einen ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Zugang getan haben, z.B. durch ausreichende Frankierung und eine eindeutige Anschrift. Wird für den Erklärenden erkennbar, dass die Willenserklärung den Empfänger nicht erreicht hat, dann muss er sich, soweit möglich und zumutbar, nach dem Grund erkundigen und seine Erklärung wiederholen. So muss der Erklärende, der ein Einschreiben mit Rückschein versandte, Nachforschungen über den Grund des Fehlschlagens der Zustellung anstellen, wenn aus dem Rückschein zu ersehen ist, dass diese missglückte und ggf. einen neuen Versuch starten (vgl. BGH, NJW 1983, 929 (931)). Einen verspäteten Zugang muss der Erklärungsempfänger dann nach Treu und Glauben nach § 242 BGB als rechtzeitig gegen sich gelten lassen (Medicus, BR, Rn. 50; BGH, NJW 1996,1967 (1968)). In der Praxis ist insbesondere die Zugangsverzögerung von Bedeutung, wenn es auf die Rechtzeitigkeit der Willenserklärung ankommt, z. B. einer fristgemäßen Kündigung. Die Kündigung erreicht z. B. den Empfänger verspätet, weil dieser
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verzogen ist oder sich im Urlaub befindet. Wird das Wirksamwerden der Erklärung durch Umstände verspätet, die in der Sphäre des Empfängers liegen, z.B. der bereits erwähnten Abwesenheit wegen Urlaubs, so darf sich der Empfänger auf die Verspätung nicht berufen. Dies würde andernfalls zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch stehen und gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen. Hat die Erklärung den Empfänger nicht erreicht, muss der Erklärende allerdings, soweit zumutbar, nochmals die Übermittlung versuchen (BGH, NJW 1983, 929, 931). Im Falle der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber gilt grundsätzlich, dass eine an die häusliche Adresse gerichtete Kündigung auch dann zugeht, wenn sich der Arbeitnehmer im Urlaub oder im Krankenhaus befindet. Nach der Rspr. des BAG gilt der „objektive Zugangsbegriff" (BAG, NJW 1989, 606 ff.). Eine andere Frage ist allerdings, ob ihm die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage (§ 5 KSchG) bewilligt werden muss, wenn er von der Kündigung keine Kenntnis genommen hat und aus diesem Grund die 3-wöchige Klagefrist des § 4 KSchG versäumt hat. ee. Auslegung einer Willenserklärung Abgesehen von der Zugangsproblematik gibt es noch andere Schwierigkeiten, die hinsichtlich des Wirksamwerdens einer Willenserklärung auftauchen können. Mitunter ist die Sprache der Anlass dafür. Die Sprache ist nicht immer ein zuverlässiges Ausdrucksmittel für die vielseitigen Interessen. Selbst ein scheinbar eindeutiger Ausdruck kann je nach Situation, auf die er bezogen ist, einen anderen Sinn haben. Nicht selten sind Äußerungen auch wegen sprachlicher Ungewandtheit oder Nachlässigkeit von vornherein unklar formuliert. Beispiel: G ist auf Geschäftsreise und geht in ein typisches Lokal in der Düsseldorfer Altstadt. Er bestellt die Spezialität des Hauses, die als „Hämmchen" bezeichnet wird. Er glaubt, es handele sich hierbei um sein Lieblingsgericht Hammelbraten; tatsächlich handelt es sich um Schweinshaxe. Ist ein Vertrag über Hammelbraten oder Schweinshaxe zustandegekommen? In diesem Fall stellt sich die Frage, ob ein Vertrag über Hammelbraten oder Schweinshaxe zustande gekommen ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn G eine entsprechende Willenserklärung abgegeben hat. Willenserklärungen bedürfen deshalb einer Auslegung, d. h. einer „Sinnermittlung". Die Auslegung von (Willens-)Erklärungen ist im gesamten Privatrecht und sogar im öffentlichen Recht von großer Bedeutung und zwar nicht nur bei Willenserklärungen, sondern auch bei (privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen) Verträgen (zur Gesetzesauslegung, vgl. Köhler, BGB AT, § 4, Rnn. 12 ff., unter 18.). Der Auslegung geht die Feststellung des Auslegungsgegenstands und des Auslegungsmittels voraus. Auslegungsgegenstand ist das konkrete Verhalten oder die konkrete Äußerung, dem eine Erklärung entnommen werden soll, z. B. ein Schreiben oder ein Anruf. Auslegungsmittel sind die Umstände, die zur Sinnermittlung des Verhaltens bzw. der abgegebenen Erklärung heranzuziehen sind, z. B. Vertragsverhandlungen, Verkehrsitte, Ort und Zeit oder Bildungsstand der Parteien. Die
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Ermittlung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmittel ist Tatsachenfeststellung, die Auslegung als solche ist rechtliche Würdigung. Mitunter wird gesagt, dass absolut eindeutige Erklärungen nicht auslegungsbedürftig seien. Ob indessen eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, muss vielmehr erst durch Auslegung festgestellt werden. Auslegungsbedürftig ist daher jedes Verhalten, dessen rechtsgeschäftlicher Sinn Zweifel hervorrufen kann. Das BGB enthält in §§ 133, 157 BGB zwei Auslegungsregeln. Die Vorschrift des § 157 BGB gilt jedoch nach ihrem Wortlaut nur für Verträge. Sie wird aber nach allgemeiner Ansicht auch auf die Erklärungen des einzelnen Vertragspartners angewendet, ebenso wie § 133 BGB auf Verträge angewendet wird (Rüthers/Stadler, BGBAT, § 18,Rn.4). Ausgangspunkt ist der konkrete Wortlaut der Erklärung bzw. das konkrete Verhalten des Erklärenden. Es ist der „wirkliche Wille" herauszufinden. Man könnte bei der Auslegung nun auf die Idee kommen, allein den Willen des Erklärenden als Anknüpfungspunkt zu berücksichtigen, da dieser die Erklärung schließlich abgegeben hat. Diese Auslegung wird als natürliche Auslegung bezeichnet. Das würde jedoch das schützenswerte Interesse des Erklärungsempfängers in manchen Fällen missachten, an den sich die Erklärung richtet und dadurch zu einer erheblichen Unsicherheit im Rechtsverkehr führen. Es kann aber auch nicht der Inhalt zugrundegelegt werden, den der jeweilige Erklärungsempfänger verstanden hat. Um einen gerechten Ausgleich der beiderseitigen Interessen zu erreichen, wird das Verhalten des Erklärenden zwar vom Erklärungsempfänger aus betrachtet, da die Erklärung auch an ihn gerichtet war, aber vom Standpunkt eines objektiven Beobachters aus, der alle Umstände kennt, die dem Erklärungsempfänger erkennbar waren. Dies wird als eine Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont bezeichnet („normative Auslegung"). Lediglich bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen, z.B. einem Testament - es fehlt hier an einem Erklärungsgegner, dessen Interessen zu berücksichtigen wären - ist der Wille des Erklärenden sowie die außerhalb der Erklärung liegenden Umstände im Falle einer Auslegung maßgeblich („natürliche Auslegung"). Zu beachten ist, dass eine Auslegung nicht nur in Betracht kommt, um den Inhalt einer Willenserklärung festzustellen, sondern bereits die Frage betreffen kann, „ob" eine Willenserklärung vorliegt (BGH, NJW 1986, 3131 (3132)). Zu Anfang dieses Abschnittes wurde gesagt, dass die Erklärung auf einen Geschäftswillen schließen lassen muss (unabhängig davon, ob dieser tatsächlich vorliegt); so erfolgt beispielsweise die Beurteilung, ob eine invitatio ad offerendum vorliegt, im Wege der Auslegung. Lässt sich bei mehrdeutigen oder widersprüchlichen Willenserklärungen ein übereinstimmender Wille der Parteien feststellen, so ist dieser allein rechtlich maßgeblich, unabhängig davon, ob die Parteien irrtümlich oder absichtlich eine falsche Bezeichnung verwendet haben. Das wirklich Gewollte hat Vorrang vor einer absichtlichen oder irrtümlichen Falschbezeichnung („falsa demonstratio non nocet", hierzu BGH, NJW 2001, 486 (487); Rüthers/Stadler, § 18, Rn. 13). Die Auslegung kann sich in diesem Fall - ebenso wie bei den nicht empfangsbedürftigen
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Willenserklärungen - ausschließlich an dem Willen des Erklärenden orientieren. Der Empfänger ist dann nicht schutzwürdig, wenn er den wirklichen Willen des Erklärenden trotz der abweichenden Erklärung richtig erkennt. Nicht erforderlich ist dabei, dass der Empfänger sich diesen Willen zu eigen macht. Ausreichend ist, dass er ihn erkannt hat. Beispiele: 1. A bietet dem B schriftlich 100 Klaviere zu einem bestimmten Preis zum Kauf an. Aus den Vertragsverhandlungen ergibt sich jedoch, dass A und B Waffengeschäfte tätigen und aus Geheimhaltungsgründen die Maschinengewehre als Klaviere bezeichnet haben. Die eindeutige Erklärung „Verkauf von 100 Klavieren" kann, da ein übereinstimmender Wille vorliegt, als „Verkauf von 100 Maschinengewehren" ausgelegt werden (Brox, BGB AT, Rn. 127). 2. A bietet dem B „Haaksjöringsköd", das in der norwegischen Sprache Haifischfleisch bedeutet, zum Kauf an. Beide verstehen darunter Walfischfleisch, so dass das gemeinsam Gewollte (Walfischfleisch) Kaufgegenstand ist (Schulfall: „Haakjöringsköd", RGZ 99, 148). Ansonsten erfolgt die Auslegung der Erklärung nach dem bereits erwähnten objektiven Empfängerhorizont. Diese Vorgehensweise wird - wie erwähnt - als „normative Auslegung" bezeichnet. Bei der Auslegung sind außerdem noch andere Umstände zu berücksichtigen, z. B. die Verkehrssitte und der Handelsbrauch (u. a. Handelsklauseln, Incoterms) sowie der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck und die bestehende Interessenlage. Weiß z. B. der Empfänger, dass der Erklärende Ausländer ist, muss er auch die Gefahr von Übersetzungsfehlern in Betracht ziehen, wo Anhaltspunkte dafür vorliegen können, z. B. bei einer Ausgleichsquittung, mit der der Arbeitnehmer auf alle Ansprüche verzichtet; hier muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass der Arbeitnehmer nicht an seinen Entgeltfortzahlungsanspruch gedacht hat (BAG, NJW 1981, 1285). Passen bei einem Überweisungsauftrag der angegebene Empfänger und die angegebene Kontonummer nicht zueinander, so muss die Bank regelmäßig die Empfängerbezeichnung für vorrangig halten (OLG Frankfurt, NJW 1983, 1681; vgl. Medicus, BGB AT, Rn. 323). In dem „Düsseldorfer Altstadt-Fall" war die Erklärung des Geschäftsreisenden als Bestellung von Schweinshaxe zu verstehen. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass auf der Speisekarte die Gerichte unter der Bezeichnung angeboten werden, wie sie in der Düsseldorfer Mundart verwendet werden, vor allem dann, wenn es sich um besonders hervorgehobene Spezialitäten des Hauses handelt. Eine andere Interpretation käme nur dann in Betracht, wenn die Begleitumstände den Schluss auf einen anderen Inhalt zulassen würden. Hätte der Geschäftsreisende mit dem Ober vor der Bestellung ein längeres Gespräch geführt, aus dem deutlich hervorgegangen wäre, dass er ortsfremd ist und gerne Hammelbraten essen würde, dann könnte der Ober - falls der Geschäftsreisende schließlich „Hämmchen" bestellte nicht davon ausgehen, dass er tatsächlich das Gericht bestellen möchte. Seine Erklärung wäre dann zumindest zweideutig. Er müsste sich daher um weitere Aufklärung bemühen, was der Geschäftsreisende wirklich will (vgl. Bahr, S. 78). Die normative Auslegung bedarf in einer bestimmten Fallgestaltung einer Korrektur. Zugunsten des Erklärenden müssen bei der Auslegung zumindest solche Umstände außer Betracht bleiben, die dieser in keiner Weise erkennen konnte (Me-
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dicus, BGB AT, Rn. 323 (325) m. w. N.) und die eher in die Sphäre des Erklärungsempfängers gehören, auch wenn sie von ihm nicht nach den §§ 276 ff. BGB zu vertreten sind. Beispiel: Ein Jurastudent hat in einer Gaststätte eine reich verzierte Speisekarte mitgehen lassen. Zehn Jahre später - aus dem Studierenden ist inzwischen ein Staatsanwalt geworden plagt ihn sein Gewissen und er legt die Speisekarte unbemerkt wieder zurück. Ein Gast hält diese Karte für die geltende und bestellt sich, erfreut über die niedrigen Preise, ein reichhaltiges Menü. Erst mit der Rechnung stellt sich heraus, dass die bestellten Speisen mehr als doppelt soviel kosten sollen (aus Medicus, BGB AT, Rn. 324). In diesem Fall darf nicht allein auf den Empfängerhorizont abgestellt werden, denn dieses Missverständnis beruht auf der unrichtigen Speisekarte und diese gehört in die Sphäre des Wirtes. Hier handelt es sich um eine vom Empfänger vorformulierte Erklärung (Speisekarte), von der der Erklärende Gebrauch macht, so dass die Erklärung in dem Sinne gilt, wie sie der Erklärende verstehen durfte. Danach wäre in dem „Speisekarten-Fall" ein Vertragsabschluss zu den niedrigen Preisen der alten Karte zu bejahen. Der Gast braucht seine Bestellung nur gegen sich gelten lassen, wie er sie nach der ihm vorliegenden Speisekarte allein verstehen konnte. Der Vertrag ist daher zu den niedrigen Preisen zustandegekommen. Der Wirt könnte demgegenüber seine Erklärung wegen Irrtums nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten mit der Folge, dass der Vertrag wieder beseitigt wird. Doch ist fraglich, ob er einen Nutzen davon hat, da er nämlich nach § 122 BGB zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet wäre. Manchmal ergibt sich in Verträgen eine Lücke, da Fragen auftreten, die von den Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bedacht worden sind. Hier führt eine normative Auslegung nicht zum Ziel. In diesen Fällen kommt die ergänzende Vertragsauslegung zum Zuge, die ihre rechtliche Grundlage in § 157 BGB findet und die Lücke nach Maßgabe dessen ausfüllt, was die Parteien nach Treu und Glauben, d. h. als redliche Geschäftspartner, vereinbart hätten, wenn sie an diese Möglichkeit gedacht hätten (sog. hypothetischer Parteiwille). Es handelt sich um ein „Zu-Ende-Denken" der vertraglichen Interessenbewertung, um eine Ausdehnung dieser Bewertung auf nicht geregelte Punkte. Ein instruktives Beispiel für eine ergänzende Vertragsauslegung enthält die folgende Entscheidung des BGH
(BGHZ 16, 71 ff., „Ärztepraxistausch-Fall") Beispiel: Der praktische Arzt Dr. A in K tauschte mit dem praktischen Arzt Dr. B in M die Praxis. Die beiden Orte liegen ca. 150 km voneinander entfernt. Nachdem Dr. B mit der Praxis in K keinen Erfolg hatte, kehrte er einige Monate später nach M zurück und eröffnete in unmittelbarer Nähe seiner alten Praxis eine neue Praxis. Ein großer Teil seiner alten Patienten kehrte zu ihm zurück. Dr. A verklagte Dr. B auf Unterlassung. Der Vertrag ist wirksam zustande gekommen. Allerdings besteht eine Vertragslücke, weil die Parteien den Fall der Rückkehr in den räumlichen Bereich der alten Praxis nicht in Betracht gezogen haben. Dieser Punkt hätte aber geregelt werden müssen, da bei einer Arztpraxis damit gerechnet werden kann, dass die langjährigen Patienten zu ihrem Arzt zurückkehren würden, wenn dieser nach kurzer Zeit wiederkäme. Das Offenlassen dieses Punktes bedeutet eine schwere Gefährdung des Vertragszwecks. Zur Schließung dieser Vertragslücke führt der Bundesgerichtshof hierzu auf S. 81 aus:
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II. BGB - Allgemeiner Teil „..., dass die Parteien bei verständiger Würdigung des mit dem Praxistausch verfolgten Zweckes dann, wenn sie die Rückkehr eines Vertragsteils innerhalb einer gewissen Zeit (etwa zwei bis drei Jahre) seit Vollzug des Praxistausches vorausbedacht hätten, für diesen Fall ein entsprechendes Rückkehrverbot vereinbart haben würden. Denn während eines solchen Zeitraumes ist es dem Übernehmer einer Praxis regelmäßig nicht möglich, seine Beziehungen zu den bisher von seinem Vorgänger betreuten Patienten so zu festigen, dass er durch dessen Rückkehr keine wesentliche Einbuße mehr erfahren würde. In diesem Umfang ist mithin ein Rückkehrverbot jedenfalls als Vertragsinhalt zu betrachten."
Es ist also zu fragen, wie die Parteien, eine redliche Denkweise unterstellt, die offene Frage geregelt haben würden (sog. hypothetischer Parteiwille). Richtschnur sind dabei das Gebot von Treu und Glauben und die Verkehrssitte. Beispiel: A hatte ein Grundstück an den B verkauft, ihm aber verschwiegen, dass es durch Ölablagerungen verunreinigt war. B verkaufte das Grundstück an den C weiter und schloss dabei die Gewährleistung für Sachmängel aus. Da B nichts von dem Mangel wusste, war der Gewährleistungsausschluss wirksam (§ 444 BGB). C konnte aber nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung Abtretung der dem B gegen A zustehenden Mängelansprüche (§ 437 BGB) verlangen (BGH, NJW 1997, 652). Unabhängig davon kann unter Umständen auch eine berichtigende Auslegung erforderlich sein, wenn der Erklärende oder die Parteien infolge fehlender Rechtskenntnis ungeschickte oder sogar unrichtige Bezeichnungen verwenden, aber das bezweckte Ziel bzw. der wirkliche Wille ausreichend zum Ausdruck gekommen ist, z. B. wenn in einem Vertrag von Verpfändung gesprochen wird, aber auf Grund der Begleitumstände offensichtlich an Sicherungsübereignung gedacht war. Zu beachten ist, dass sowohl die ergänzende als auch die berichtigende Auslegung nur bei Verträgen eine Rolle spielt. c. Vertrag aa. Bedeutung und Erscheinungsform Der Vertrag ist eine der wichtigsten Gestaltungsformen, durch die eine Person durch eigenen Willensentschluss gemeinsam mit einer anderen Person Rechtsverhältnisse begründen und inhaltlich gestalten kann, ohne staatliche Stellen hinzuziehen zu müssen. Der Vertrag ist die auf dem Willensentschluss mindestens zweier Personen, den Vertragsparteien, beruhende Einigung über die Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs (Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 145 BGB, Rn. 1). Im Rahmen privatautonomer Gestaltung von Rechtsverhältnissen hat ein Vertragsabschluss zwei Aufgaben: Zum einen wird durch ihn festgestellt, ob und mit wem es zur Begründung oder Änderung von Rechtsverhältnissen kommt, zum anderen wird ausgehandelt und bindend geregelt, welchen Inhalt dieses Rechtsverhältnis haben soll. So soll grundsätzlich der Einzelne selbst darüber entscheiden, ob und mit wem er ein Mietoder Arbeitsverhältnis eingeht oder beendet, ob er ein Haus kauft oder verkauft, bei wem er seine Lebensmittel bezieht oder an wen er sein Vermögen vererbt.
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Am häufigsten sind Verträge im Schuldrecht „anzutreffen". Dort unterscheidet man einseitig verpflichtende Verträge, wie z.B. eine Schenkung oder eine Bürgschaft, unvollkommen zweiseitig verpflichtende Verträge, z. B. die Leihe oder Bürgschaft und schließlich vollkommen zweiseitig verpflichtende Verträge. Hierzu zählt man den Kauf-, den Miet- oder auch den Werkvertrag. Ein anderes mehrseitiges Rechtsgeschäft ist der Beschluss als Akt der Willensäußerung eines Personenverbands, insbesondere im Verein oder in einer Gesellschaft. So hat z. B. ein Beschluss, der nach dem Mehrheitsprinzip zustande gekommen ist, auch für diejenigen bindende Wirkung, die dagegen gestimmt oder sich der Stimme enthalten haben. Im Sachenrecht werden durch Verträge dingliche Rechte, d. h. Rechte von Personen an Sachen begründet, übertragen oder abgeändert, z.B. bei der Eigentumsübertragung oder der Bestellung eines Grundpfandrechts. Im Familienrecht zählen zu den Verträgen der Ehevertrag, das Verlöbnis und sonstige, die vermögensrechtlichen Verhältnisse unter Angehörigen betreffenden Verträge (z.B. Güterrechts- und Unterhalts vertrage); für die Eheschließung gelten Sonderregeln. Im Erbrecht sind in diesem Zusammenhang der Erbvertrag und der Erbverzicht zu nennen. Auch im Öffentlichen Recht können Rechtsverhältnisse durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden. Derartige Verwaltungsverträge (= öffentlichrechtliche Verträge gem. § 54 VwVfG) haben in der Praxis erheblich an Bedeutung gewonnen. So kann die öffentliche Verwaltung in bestimmten Fällen ihre Anordnungen dadurch vollziehen, in dem sie mit dem Bürger einen Vertrag schließt, z. B. einen „Baudispensvertrag". bb. Grundsatz der Vertragsfreiheit Die Vertragsparteien setzen untereinander „Recht". Der Grundsatz der Vertragsfreiheit äußert sich dabei in zwei Grundfreiheiten, der „Abschlussfreiheit" und der „Inhaltsfreiheit". Das Prinzip der Abschlussfreiheit bedeutet, dass es jedem frei steht, ob und mit wem er einen Vertrag schließt. Der Grundsatz der Inhaltsfreiheit bedeutet, dass die Parteien den Inhalt des Vertrags frei gestalten können. Die Vertragsfreiheit ist Kernbestandteil der Privatautonomie. Privatautonomie ist die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen. Sie ist als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt (BVerfG NJW 1994, 36). Weitere Bestandteile der Privatautonomie sind u. a. der Grundsatz der Formfreiheit und der Beendigungsfreiheit. Der Grundsatz der Privatautonomie ist kennzeichnend für das gesamte Privatrecht. Rechtspolitisch wird die Vertragsfreiheit vielfach damit begründet, dass durch sie ein angemessener Interessenausgleich stattfinden kann und dass frei disponierende Marktteilnehmer wohl am besten in der Lage sind, die Wirtschaftsgüter rationell zu produzieren und zu verteilen. Vertragsfreiheit kann nur dann funktionieren, wenn ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen den Vertragsparteien besteht.
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Dies belegt ein berühmtes Beispiel aus der Antike: Als die Einwohner der griechischen Insel Melos gegen die drohende Plünderung durch die militärisch weit überlegenen Athener mit dem Hinweis protestierten, es bestünden Verträge, die dies verbieten, antworteten die Athener nur: „Recht gilt nur unter Gleichberechtigten"! Die Vertragsfreiheit stößt also offensichtlich dann an ihre Grenzen, wenn eine gleichberechtigte Stellung der Vertragsparteien nicht (mehr) gegeben ist, wenn also eine Partei - heute meist in wirtschaftlicher Hinsicht - der anderen so überlegen ist, dass sie die Bedingungen diktieren kann. So meinte schon Otto von Gierke in seinem berühmten Vortrag im Jahre 1889 „Die soziale Aufgabe des Privatrechts" zum Problem der Vertragsfreiheit: „Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst. Eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen, wird sie zum Mittel der Unterdrückung des einen durch den Anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher Übermacht. Das Gesetz, welches mit rücksichtslosem Formalismus aus der freien rechtsgeschäftlichen Bewegung die gewollten oder als gewollt anzunehmenden Folgen entspringen lässt, bringt unter dem Schein einer Friedensordnung das „bellum omnium contra omnes" in legale Formen. Mehr als je hat heute auch das Privatrecht den Beruf, den Schwachen gegen den Starken, das Wohl der Gesamtheit gegen die Selbstsucht des Einzelnen zu schützen" (Wesel, S. 124). Wenn auch im Bürgerlichen Gesetzbuch diese Gedanken im Wesentlichen unberücksichtigt blieben, fanden sie später doch ihren Niederschlag in vielen, zum Teil neuen Gesetzen. So wurden bereits zu Anfang dieses Jahrhunderts Maßnahmen ergriffen, etwa im Hinblick auf die Wohnraumbewirtschaftung, Mietpreisregulierungen und den Kündigungsschutz, um den Missständen auf dem Wohnungsmarkt entgegenwirken zu können. Gerade auch im Arbeitsrecht bedurfte es zum Teil gravierender Einschränkungen der Vertragsfreiheit. Ein Arbeitsvertrag stellt rechtlich betrachtet einen Dienstvertrag dar. Das Dienstvertragsrecht umfasst im BGB relativ wenige Vorschriften. Der Arbeitsvertrag galt ursprünglich nur als Austauschvertrag, auf Grund dessen „Arbeit gegen Lohn geliefert" wurde. Die Arbeit wurde ausschließlich als Produktions- und Erwerbsmittel angesehen. Die besondere Situation des Arbeitnehmers, d. h. desjenigen, der in persönlicher Abhängigkeit Dienste leistet, blieb dabei unberücksichtigt. Die Folge dieses extremen Liberalismus waren zwar große wirtschaftliche Fortschritte einerseits, aber auch große soziale Missstände andererseits, die ein Eingreifen des Staates erforderlich machten. Man erkannte, dass es sich bei den an einem Arbeitsverhältnis beteiligten Personen nicht um gleichberechtigte Partner handelte, da für den Arbeitnehmer der Arbeitsplatz bzw. dessen Verlust von erheblich größerer Bedeutung ist als für den Arbeitgeber, der i. d. R. zwischen mehreren Arbeitnehmern auswählen kann. So entstanden insbesondere in der Zeit der Weimarer Republik die Grundstrukturen unseres heutigen Arbeitsrechts, z. B. durch die erste verfassungsmäßige Garantie der Koalitionsfreiheit, der Tarifverordnung (später Schlichtungsverordnung), des Betriebsrätegesetzes, der Arbeitszeitordnung, des Schwerbehindertengesetzes oder des Arbeitsgerichtsgesetzes. Bereits an den Gesetzesbezeichnungen wird deutlich, dass es sich um unmittelbare Vorbilder heutiger arbeitsrechtlicher Gesetze handelte. Eine weitere gravierende Einschränkung erfolgte auf dem Gebiet des Kartellrechts. Während bis zum zweiten Weltkrieg Deutschland ein bevorzugter Standort für Monopole, Kartelle und „Trusts" war, galten danach im westlichen Teil des Landes die amerikanischen Kartellgesetze als Besatzungsrecht und seit 1958 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Danach sind insbesondere Kartellverträge grundsätzlich verboten.
Eine weitere Einschränkung der Vertragsfreiheit, speziell der Abschlussfreiheit, besteht beim Vorliegen eines Kontrahierungszwangs. So sind Verkehrs- und Versorgungsbetriebe auf Grund eines öffentlichen Versorgungsauftrags durch eine Viel-
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zahl von speziellen Gesetzen (§ 22 PBefG; § 3 EVO; § 21 Abs. 2 LuftVG) zum Abschluss entsprechender Verträge verpflichtet. Ein Kontrahierungszwang kann sich auch aus § 826 BGB ergeben, wenn einem Antragenden durch eine Verweigerung der Annahme in einer gegen die „guten Sitten" verstoßenden Weise Schaden zugefügt wird. So besteht etwa eine grundsätzliche Abschlusspflicht für Ärzte und Krankenhäuser, die den Abschluss des Vertrags nicht willkürlich, sondern nur aus sachlich gerechtfertigten Gründen verweigern dürfen. Für Unternehmensberater, Steuerberater und Rechtsanwälte gilt dies dagegen nicht (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 145 BGB, Rnn. 8 ff.). Marktbeherrschende Unternehmen unterliegen nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ebenfalls einem Abschlusszwang, soweit eine Ablehnung gegen das in ihm geregelte Diskriminierungsverbot (§ 20 Abs. 1 u. 2 GWB) verstößt. Beispiele (BGH, NJW 1976, 801, „Rossignol"): L war in Deutschland alleiniger Lieferant von „Rossignol"-Skiern. Er stellte die Belieferung des großen Sportfachgeschäfts S ein, weil es die Skier unter dem gewünschten Endverkaufspreis weiterverkaufte und damit „Unruhe" in den Markt brachte. S erhob Klage auf Weiterbelieferung, weil es die Marke Rossignol im Sortiment führen musste, um konkurrenzfähig zu bleiben. Der BGH entschied zugunsten des Wiederverkäufers S mit der Begründung, dass ein Wiederverkäufer in seiner Preisgestaltung frei sein soll (vgl. § 14 GWB „Preisbindungsverbot"); L war daher zur Weiterbelieferung verpflichtet. Im Hinblick auf den Grundsatz der Abschlussfreiheit ist auf eine EG-Richtlinie hinzuweisen, die sich gegen Diskriminierungen im privaten Bereich wendet und vom deutschen Gesetzgeber umgesetzt werden muss („Antirassismusrichtlinie"). Der (problematische) Entwurf eines „Antidiskriminierungsgesetzes" (§§ 319 a bis 319 g BGB), der vorgesehen hatte, dass u. a. bei der Begründung, Beendigung und Ausgestaltung von Verträgen, die öffentlich angeboten werden oder eine Beschäftigung, medizinische Versorgung oder Bildung zum Gegenstand haben, niemand aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität unmittelbar oder mittelbar benachteiligt werden darf, wird vor Inkrafttreten nächstes Jahr modifiziert (vgl. hierzu Brox/Walker, SchuldR AT, § 4, Rn. 9; Medicus, SchuldR AT, § 10, Rn. 74 a, b m. w. N.; grundsätzlich zu Diskriminierungsverboten, vgl. Larenz/Wolf, § 2, Rnn. 61 ff., § 34, Rnn. 38 ff.). Das Prinzip der Inhaltsfreiheit beinhaltet das Recht, vom Gesetz abzuweichen und sogar andere Vertragstypen zu wählen, die das Gesetz gar nicht kennt oder die gesetzlichen Regelungen oder Vertragstypen miteinander zu kombinieren. Beispiel: Der Pianist P ist besonders lärmempfindlich. Er vereinbart mit seinem Nachbarn N, dass dieser nur einmal in der Woche, und zwar zischen 10.00-12.00 Uhr seinen Rasen mäht. Als Gegenleistung wird eine monatliche Vergütung in Höhe von 50 € vereinbart. Wie lautet die Anspruchsgrundlage? Es handelt sich um einen atypischen, d. h. gesetzlich nicht geregelten Vertragstyp. Der Anspruch des N gegen P ergibt sich aus §§311 Abs. 1 i.V. m. § 241 Abs. 1 BGB.
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Allerdings ist auch die Inhaltsfreiheit in vielen Fällen beschränkt, das bedeutet, dass die Gestaltung des Vertragsinhalts nicht zur Disposition der Vertragsparteien steht. Die inhaltlichen Beschränkungen sind sogar häufiger als Beschränkungen hinsichtlich der Abschlussfreiheit. Die weitestgehendste Inhaltsfreiheit besteht im Schuldrecht. Die dort enthaltenen gesetzlichen Vorschriften sind zu einem großen Teil dispositiv. Sie gelten nur insoweit, als sie von den Parteien nicht ausgeschlossen oder abgeändert werden. Diese grundsätzliche Freiheit der vertraglichen Gestaltung ist hier unbedenklich, da i.d. R. nur Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsbeteiligten (sog. obligatorische Rechte) begründet und Rechte Dritter hiervon nicht berührt werden. Diese obligatorischen Rechte wirken nämlich nur relativ, d. h. nur der „Gläubiger" kann vom „Schuldner" eine Leistung verlangen. Im Schuldrecht ist u. a. der Kauf-, Darlehens-, Miet-, Pacht-, Leih-, Werk- oder Auftragsvertrag gesetzlich geregelt. Als gesetzlich nicht geregelte, von den Parteien - auf Grund der Inhaltsfreiheit - geschaffene Vertragsarten zählen u. a. der Leasingvertrag oder auch der Franchisevertrag. Im Schuldrecht sind allerdings auch unabänderliche gesetzliche Vorschriften enthalten, die für die Vertragsparteien stets verbindlich sind. Diese Bestimmungen werden als zwingendes Recht bezeichnet. Hierzu zählen neben den allgemeinen, auf alle Verträge anwendbaren Vorschriften des BGB zur Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und Verstöße gegen gesetzliche Verbote (§ 134 BGB), z.B. das Schwarzarbeitsgesetz, die Bestimmungen, die zum Schutz derjenigen Personen erlassen worden sind, denen durch das Prinzip der Vertragsfreiheit eine mögliche Benachteiligung drohen könnte. In diesem Zusammenhang sind auch die bereits erwähnten Bestimmungen des Arbeitsrechts zu nennen, die besonderen Schutzbestimmungen im Rahmen des Wohnungsmietrechts sowie diejenigen Vorschriften, die den Verbraucher vor Übervorteilung schützen sollen, wie etwa - vor der Schuldrechtsreform - durch das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGesetz), das Verbraucherkreditgesetz (als Nachfolgegesetz des alten Abzahlungsgesetzes) oder auch das Haustürwiderrufsgesetz (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 145 BGB, Rnn. 13 ff.). Das Sachenrecht betrifft die Rechtsbeziehung von Personen an Sachen. Die Rechte sind „absolut", d.h. sie wirken gegenüber jedermann. Deshalb muss auch verständlicherweise durch das Gesetz dafür Sorge getragen werden, dass diese Rechte auch von jedermann zu erkennen sind. Um dies zu gewährleisten, lässt das Gesetz bei sachenrechtlichen Verträgen nur eine Auswahl zwischen bestimmten, scharf umrissenen dinglichen Rechten, wie vor allem dem Eigentumsrecht zu. Es besteht also Typenzwang („numerus clausus des Sachenrechts"). Die Inhaltsfreiheit ist ebenso im Familienrecht erheblich eingeschränkt. Auch im Erbrecht, das die vermögensrechtlichen Folgen beim Tod einer Person regelt, bestehen größtenteils zwingende Rechtsvorschriften, z.B. in Bezug auf die Erbfolge oder im Falle eines Testaments oder Erbvertrags. Schließlich bestehen auch im Gesellschaftsrecht wesentliche Einschränkungen der Inhaltsfreiheit durch einen gesetzlichen Typenzwang („numerus clausus der Gesellschaftsformen"). So müssen Gesellschafter grundsätzlich eine vom Gesetz zur Verfügung gestellte Rechtsform
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auswählen, z.B. GbR, OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft (für „Freiberufler"), GmbH oder AG. cc. Zustandekommen eines Vertrags Ein Vertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande, der Abgabe eines Angebots und dessen Annahme (§ 151 Abs. 1 BGB). Durch eine derartige Erklärung bringt eine Person ihren Willen zum Ausdruck, sich rechtlich zu binden. Dies kann zum einen ausdrücklich (mündlich oder schriftlich), zum anderen aber auch konkludent geschehen. Unter einer konkludenten Erklärung versteht man eine Erklärung, die sich aus den Umständen heraus als Willenserklärung erkennen lässt, z. B. beim Zeitungskauf am Kiosk. Infolge der technischen Entwicklung werden heute Willenserklärungen auch zunehmend auf elektronischem Wege übermittelt, z. B. beim Versandhandel oder beim Telebanking. Abzugrenzen hiervon sind Erklärungen, bei denen der Wille zu einer rechtlichen Bindung fehlt. Diese sog. Gefälligkeitsverhältnisse, so z.B. eine Einladung zu einem Ausflug, haben bei einer Absage keine rechtlichen Konsequenzen (etwa Schadensersatzansprüche), auch wenn tatsächlich die Enttäuschung groß ist. Schwierig wird diese Abgrenzung bei anderen (unentgeltlichen) Gefälligkeiten, bei denen größere Vermögenswerte auf dem Spiel stehen. Hier ist anhand der Umstände und Indizien festzustellen, ob im Einzelfall ein Rechtsbindungswille vorliegt. Allein die Unentgeltlichkeit eines Vertrags spricht noch nicht gegen einen Rechtsbindungswillen, wie man an den gesetzlich geregelten Vertragstypen des Leihvertrags oder Auftragvertrags, deren Kennzeichen ebenfalls die Unentgeltlichkeit ist, erkennen kann. Charakteristikum eines Vertragsabschlusses ist die Einigung der Vertragsparteien. Der Vertrag kommt - wie erwähnt - zustande durch Angebot (=Antrag) und Annahme. Das Angebot muss dabei alle für den Vertragsabschluss wesentlichen Punkte enthalten, so dass die Annahme durch ein bloßes „Ja" oder durch konkludentes Verhalten angenommen werden kann; zu den wesentlichen Punkten zählen die Individualisierung der Vertragsparteien, der Vertragsgegenstand und die Gegenleistung. Beispiel: Bei einem Kaufvertrag zählen hierzu neben der Bestimmbarkeit von Verkäufer und Käufer, der Kaufgegenstand und der Kaufpreis. In den §§ 145 ff. BGB sind die Einzelheiten zum Vertragsabschluss geregelt, z. B. innerhalb welcher Frist die Annahme erfolgen muss. Die Individualisierung des Vertragspartners kann in bestimmten Fällen entbehrlich sein und zwar dann, wenn dem Anbietenden die Person des Vertragspartners gleichgültig sein kann. Ist ein Angebot lediglich an die Allgemeinheit gerichtet (lat: ad incertas personas), kann trotzdem ein bindendes Angebot gewollt sein, was allerdings im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln ist. So beinhaltet das Aufstellen eines Warenautomaten, z.B. eines Zigarettenautomaten, ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags, unter dem Vorbehalt, dass der Vorrat reicht
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und dass der Automat ordnungsgemäß funktioniert (BGH, NJW 2002, 363 (364); Erman-Armbrüster, § 145 BGB, Rn. 4). Keine rechtliche Bindung ist in den Aufforderungen zur Abgabe eines Angebots (invitatio ad offerendum) gewollt. Bei Selbstbedienungstankstellen macht der Betreiber der Tankstelle das Angebot. Das Angebot ist verkörpert in der betriebsbereiten Zapfsäule und ist gerichtet auf den Abschluss eines Kaufvertrags über die vom Kunden zu bestimmende Menge an Treibstoff zum angegebenen Preis. Die Annahme erfolgt konkludent durch das Tanken. Bei Selbstbedienungsläden geht das Angebot vom Kunden aus, der die Ware an der Kasse vorlegt; die Registrierung des Rechnungsbetrags stellt dann die Annahme dar (vgl. Köhler, BGB AT, § 8, Rnn. 11 ff.). Ein Vertragsangebot ist für den Erklärenden grundsätzlich bindend. Die Bindungswirkung kann aber durch entsprechende Vorbehalte, wie z.B. „unverbindlich" „Angebot freibleibend" oder „ohne obligo" ausgeschlossen werden (vgl. Köhler, BGB AT, § 8, Rn. 13 zur Bedeutung). Ein mündliches Vertragsangebot kann nur sofort angenommen werden (§ 147 Abs. 1 BGB). Entsprechendes gilt für ein fernmündliches oder mittels einer „sonstigen technischen Einrichtung" gemachtes Angebot (§ 147 Abs. 1 S. 2 BGB); letzteres erfasst die Kommunikationsmöglichkeiten der Videokonferenzen und so genannter Chats (simultaner Austausch von Botschaften über das Internet). Ein schriftliches Vertragsangebot kann dagegen je nach den Umständen des Einzelfalles auch einige Zeit später angenommen werden (§ 147 Abs. 2 BGB). Deshalb ist es im Geschäftsverkehr zweckmäßig und üblich, bei Abgabe eines auf den Vertragsabschluss gerichteten Angebots eine Frist für die Annahme zu bestimmen (§ 148 BGB). Nach § 147 Abs. 2 BGB bestimmt sich der Zeitpunkt danach, wann mit dem Eingang der Antwort unter gewöhnlichen Umständen zu rechnen ist. Der Antragende muss dabei die regelmäßige Dauer der Beförderung des Angebots zum Empfänger, eine angemessene Überlegungsfrist und die regelmäßige Dauer der Beförderung der Antwort einkalkulieren. Der Absender kann davon ausgehen, dass der andere dasselbe Kommunikationsmedium nutzt. So darf z.B. bei einem Angebot per Fax oder E-Mail mit kurzer Überlegungsfrist und rascher Antwort gerechnet werden. Nach § 150 Abs. 2 BGB gilt eine verspätete Annahme oder die Annahme unter Einschränkungen, Erweiterungen und sonstigen Änderungen als Ablehnung, verbunden mit einem neuen Angebot. Dieses neue Angebot kann angenommen werden, um einen Vertrag zu begründen. Die Annahme ist - ebenso wie das Angebot - eine empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der der Antragsempfänger seine Zustimmung zum Vertragsabschluss erklärt. Die Annahmeerklärung bedarf zu ihrer Wirksamkeit des Zugangs beim Anbietenden. In Ausnahmefällen wird auf den Zugang verzichtet. Nach § 151 BGB kommt ein Vertrag durch die Annahme in zwei Fällen zustande, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht. Ist eine solche Erklärung „nach der Verkehrssitte" nicht zu erwarten, z.B. bei einer kurzfristigen brieflichen Bestellung eines Hotelzimmers, auf Grund derer der Hotelier eine ent-
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sprechende Eintragung in die Hotelzimmerliste vornimmt, kann auf den Zugang verzichtet werden. Hat der Antragende auf den Zugang einer Annahmeerklärung verzichtet, z. B. bei Waren, die starken Preisschwankungen unterliegen und per „express" bestellt werden, liegt die Annahme in der Erfüllungshandlung, d.h. im Verpacken und Absenden der Ware; diese bringt den Vertrag zustande (Brox, BGB AT, Rnn. 181, 182). Durch diese beiden Ausnahmen vom Zugangserfordernis wird das Zustandekommen eines Vertrags beschleunigt. § 151 BGB betrifft aber nicht den Fall des „Schweigens" auf eine Willenserklärung. In den oben bezeichneten Fällen wird lediglich auf den Zugang dieser Willenserklärung verzichtet. § 151 BGB setzt jedoch gedanklich einen entsprechenden Annahmewillen voraus, auch wenn dieser nicht erklärt, sondern lediglich betätigt werden muss. Man spricht insoweit auch von einer „Willensbetätigung" (BGH, NJW 1999, 2179; Köhler, BGB AT, § 8, Rn. 22). Rechtsgeschäfte werden zunehmend - auch von Privatpersonen - im Internet getätigt. So bieten Versandhandelsunternehmen ihre Waren nicht mehr nur in Katalogen an, sondern auch auf ihrer Homepage. Auch Reisen und Hotels können im Internet gebucht werden. Ebenso können Bankkunden ihre Bankgeschäfte „online", d. h. in Form von „homebanking" tätigen. Neuerdings werden auch gebrauchte Sachen über „ebay" meistbietend zum Kauf angeboten. Willenserklärungen können - wie erwähnt - grundsätzlich auch durch elektronische Übermittlung einer Datei im Internet („online") abgegeben und wirksam werden. Das bedeutet, dass auch im Internet ein Vertrag durch Angebot und Annahme zustande kommen kann (§§ 145 ff. BGB). Bei einem Vertrag zwischen einem Verbraucher (§ 13 BGB) und einem Unternehmer (§ 14 BGB) sind die Regeln über Fernabsatzverträge (§§ 312 b ff. BGB) zu beachten. Bietet ein Unternehmen, z. B. ein Versandhandelsunternehmen, Waren auf ihrer Homepage an, handelt es sich um eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (vgl. Köhler, BGB AT, § 8, Rn. 59 m.w.N.); insoweit besteht eine Parallele zu den Schaufensterauslagen. Das Angebot macht in diesen Fällen der Kunde, der es „online" per Mausklick vornehmen kann. Bei einer Versteigerung im Internet geht dagegen das Angebot regelmäßig von dem Bieter aus. Die Annahmeerklärung ist nicht zwingend bereits mit der Bestätigung des Zugangs der elektronischen Bestellung erfolgt (zu den diesbezüglichen Pflichten, vgl. § 312e Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB), es sei denn, der Unternehmer hätte die Annahme bereits in der Zugangsbestätigung zum Ausdruck gebracht. Anderenfalls kommt der Vertrag mit der Annahme, die jedoch nach § 151 BGB durch Betätigen des Annahmewillens, d. h. etwa durch Absenden der Ware, erfolgen kann. Bei Internet-Auktionen kann die Annahme vorweg, nämlich als Zustimmung zu dem höchsten Gebot, das innerhalb des Auktionszeitraums abgegeben wird, erklärt werden (vgl. BGB, NJW 2002, 363 (364); Köhler, BGB AT, § 8, Rn. 60 m.w.N.).
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Bei Massenverträgen, z.B. Beförderungsverträgen, im öffentlichen Personenverkehr oder bei der Inanspruchnahme der Leistungen von Energieversorgungsunternehmen wird teilweise die Auffassung vertreten, dass vertragliche Beziehungen nicht durch Angebot und Annahme, sondern allein auf Grund der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistung zustande kommen (unabhängig von einem rechtsgeschäftlichen Willen). Danach soll bereits ein bestimmtes „sozialtypisches Verhalten", z.B. Besteigen der Straßenbahn, das Schuldverhältnis (den „faktischen Vertrag") begründen. Dieser Auffassung ist anfänglich auch der BGH gefolgt, so z.B. in dem berühmten „Parkplatz-Fall" (BGHZ 21, 319 ff.): Ein Autofahrer benutzt - unter ausdrücklichem Protest gegen die Gebührenpflicht - einen Parkplatz (am Rathausmarkt in Hamburg) mit der Begründung, dass das Parken nach wie vor zum Gemeingebrauch gehöre. Das Gericht verurteilte ihn zur Zahlung der Gebühr wegen des vorliegenden „faktischen Vertrags". Inzwischen wird diese „Lehre vom faktischen Vertrag" einhellig abgelehnt (Medicus, BGB AT, Rn. 248 m.w.N; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 145 BGB, Rnn. 25 ff.). Diese Lehre ist abzulehnen, weil nach geltendem Recht durch bloße Tathandlungen kein Vertragsverhältnis entstehen kann und sachgerechte Ergebnisse sich auch ohne diese Lehre erreichen lassen (Erman-Brox, Einf. v. § 104 BGB, Rn. 10). Zudem können auch Schwierigkeiten bei der Frage des Minderjährigenschutzes auftreten. Ein Minderjähriger, der ohne Wissen seiner Eltern in eine Straßenbahn steigt, wäre nach der Lehre vom faktischen Vertrag zur Zahlung des Entgeltes verpflichtet (so LG Bremen, NJW 1966, 2360 ff.). Diese Fälle lassen sich nämlich auch mit der herkömmlichen Dogmatik lösen, denn i. d. R. liegt eine tatsächliche Willenserklärung des Benutzers vor. Sie ist zwar oft, z. B. beim Besteigen der Straßenbahn, stark abgekürzt oder wird auch nur durch konkludentes Verhalten - so vor allem bei der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen (Gas, Elektrizität, Wasser) - ausgedrückt. Aber sie ist eben doch vorhanden und reicht für die Annahme eines „klassischen Vertragsschlusses" - notfalls über § 151 BGB - völlig aus. Dass in diesem Fall kein Spielraum für Verhandlungen über den Vertragsinhalt besteht, ist insoweit ohne Bedeutung. Bei den Geschäften des täglichen Lebens wird in Mitteleuropa seit langem nicht mehr gefeilscht. Auch wer Brötchen kauft, handelt nicht um den Preis, sondern nennt nur die gewünschte Anzahl. Trotzdem passt das Vertragsrecht (hierzu Medicus, BR, Rnn. 188 ff.; Brox, BGB AT, Rnn. 199, 200); ein Widerspruch wäre bei Inanspruchnahme der Leistung unbeachtlich. Die Partei muss die objektive Erklärungsbedeutung gegen sich gelten lassen, so dass ein wirksamer Vertrag anzunehmen ist (protestatio facto contraria; BGHZ 95, 393 (399); Medicus, BGB AT, Rn. 250; abweichend Köhler, BGB AT, § 8, Rn. 29). Ist ein Vertrag wirksam geschlossen, dann ist er grundsätzlich bindend (pacta sunt servanda). Eine einseitige Aufkündigung vertraglicher Verpflichtungen ist dann nur dort möglich, wo dies entweder vertraglich vereinbart oder vom Ge-
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setz gestattet ist, z.B. bei Anfechtung wegen Irrtums oder Rücktritt wegen einer vertraglichen Pflichtverletzung. Eine Anfechtung wegen Irrtums ist etwa möglich, wenn man sich versprochen oder verschrieben hat. Der betreffende Vertrag ist dann rückwirkend nichtig. Allerdings muss derjenige, der angefochten hat, dem anderen den „Vertrauensschaden" ersetzen, d. h. die Auslagen, die derjenige, der auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut hat, hatte. In der Praxis besteht häufig die irrtümliche Annahme, dass man jeden Vertrag innerhalb einer bestimmten Frist widerrufen könne. Ein solches Widerrufsrecht besteht aber nur in bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen. Zum Zwecke des Verbraucherschutzes wird ein solches (innerhalb einer zweiwöchigen Frist auszuübendes) Widerrufsrecht (§ 355 BGB) besonders schutzwürdigen Verbrauchern eingeräumt. Hierzu zählen vor allem Kunden von Haustürgeschäften, Kreditnehmern sowie Kunden, die Waren im „Fernabsatz" erwerben, d. h. ohne in persönlichen Kontakt zu dem Verkäufer zu kommen (z. B. beim Kauf im Internet). Dieses Widerrufsrecht steht nur sog. Verbrauchern (§13 BGB) zu, die mit einem Unternehmer (§ 14 BGB) einen Vertrag abgeschlossen haben. Unter einem Verbraucher i. S. d. Vorschrift ist jede natürliche Person zu verstehen, die ein Rechtsgeschäft abschließt, das weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Unternehmer i. S. d. Vorschrift ist dagegen jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss des Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Bei „Haustürgeschäften", z.B. bei der Akquisition von Zeitungsabonnenten, ist die Gefahr der Überrumpelung sehr groß. Vielfach wird dem Käufer erst nachdem sich der „Werber" verabschiedet hat, klar, dass er sich bei ruhiger Überlegung ganz anders verhalten hätte. Eine Anfechtung, sei es wegen Irrtums oder auch arglistiger Täuschung, ist in diesen Fällen nur selten möglich. Hier gewährt § 312 Abs. 1 BGB i.V. m. § 355 BGB (vormals: Haustürwiderrufsgesetz) ein - binnen einer Frist von zwei Wochen auszuübendes - Widerrufsrecht, auf das der Verbraucher besonders hinzuweisen ist. Es darf nicht zu seinem Nachteil abgeändert werden. Ähnliches gilt bei Verträgen, die bei „Kaffeefahrten" oder „auf der Straße" zustande kommen. Ebenfalls ein Widerrufsrecht innerhalb von zwei Wochen gewährt § 312 d Abs. 1 BGB i.V.m. § 355 BGB (vormals: Fernabsatzgesetz), wenn das Geschäft ausschließlich über „Fernkommunikationsmittel" nach § 312b Abs. 2 BGB (z.B. Versand, per Fax oder im Internet) zustande gekommen ist. Kreditnehmern, die den Kredit zu privaten Zwecken aufgenommen haben, steht ebenfalls ein befristetes Widerrufsrecht des Verbraucherdarlehensvertrags nach § 495 BGB i.V. m. § 355 BGB (vormals: Verbraucherkreditgesetz) zu. Der Zweck dieser Vorschriften besteht in dem Schutz des typischerweise sozial schwächeren, rechtlich unerfahrenen Verbrauchers vor einer Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit.
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d. Willensmängel aa. Einführung Die Frage nach Willensmängeln stellt sich erst, wenn die Mindestvoraussetzungen einer Willenserklärung vorliegen. Nach der Rspr. ist hierfür, abgesehen von der Erklärung und dem Handlungswillen, ausreichend, dass für den Erklärungsempfänger das Erklärte einen bestimmten Geschäftswillen zum Ausdruck bringt und der Erklärende dies auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. Schulbeispiel in diesem Zusammenhang ist der - bereits erwähnte - „ Trierer-Weinversteigerungs-Fall", in dem eine mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraute Person während einer Weinversteigerung die Hand hebt, um einen hinter dem Auktionator stehenden Bekannten zu grüßen. Der Geschäftswille, d. h. der Wille, das bestimmte Geschäft zu tätigen, ist für das Vorliegen einer Willenserklärung ohne Bedeutung. Fehlt dieser, dann wurde etwas anderes erklärt als gewollt war; diese Inkongruenz kann unter Umständen zur Anfechtbarkeit führen. Bei Willensmängeln wird unterschieden zwischen bewussten und unbewussten Auseinanderfallen von Wille und Erklärung. bb. Bewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung Die Fälle des bewussten Auseinanderfallens von Wille und Erklärung sind in den §§ 116-118 BGB gesetzlich geregelt. Kennzeichen dieser Willensmängel ist, dass der Erklärende bewusst etwas anderes äußert, als er tatsächlich will. Das Gesetz behandelt den geheimen Vorbehalt (§116 BGB), das Scheingeschäft (§117 BGB) und die Scherzerklärung (§118 BGB). Ein geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB) liegt vor, wenn der Erklärende eine Willenserklärung abgibt und sich insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Der Erklärende wird an seiner Erklärung festgehalten (§ 116 S. 1 BGB). Das Schutzinteresse des vertrauenden Vertragspartners geht vor. Die Lage ändert sich, wenn dieser den Vorbehalt erkennt. Dann ist er auch nicht mehr schutzwürdig und kann den Erklärenden nicht mehr an der Erklärung festhalten. Dies hat zur Folge, dass der geheime Vorbehalt nichtig ist (§ 116 S. 2 BGB). Beispiel: Vermieter V kündigt dem Mieter M das Geschäftsraummietverhältnis zum Jahresende, obwohl er das in Wirklichkeit nicht will. Ihm kommt es vielmehr darauf an, dass der Mieter sich einschüchtern lässt und ihn bittet, das Mietverhältnis zu veränderten Konditionen fortzusetzen. V ist an die Erklärung gebunden. Das bedeutet, dass die Kündigung wirksam geworden ist. Anders wäre es, wenn M vor der Kündigung von einem Dritten erfahren hätte, dass V ihm kündigen wolle, ohne aber eine wirkliche Beendigung des Mietverhältnisses zu wollen.
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Beim Scheingeschäft werden Willenserklärungen mit dem Einverständnis des Erklärungsempfängers nur zum Schein abgegeben. Der Rechtsbindungswille fehlt, da die damit verbundenen Rechtsfolgen nicht gewollt sind (BGH, NJW 1980, 1572). Diese Willenserklärung ist nach § 117 S. 1 BGB nichtig. Nicht selten soll mit einem Scheingeschäft ein anderes, wirklich gewolltes Rechtsgeschäft, verdeckt werden und dadurch ein Dritter (z. B. das Finanzamt) getäuscht werden. Nach § 117 Abs. 2 BGB finden in diesem Fall die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung. Beispiele: A will einem bedürftigen Verwandten einen Geldbetrag schenken. Da er Vorwürfe seiner Frau erwartet, tarnen beide das Geschäft als Darlehen. Es ist als Handschenkung (§516 Abs. 1 BGB) wirksam. Wird bei einem Grundstückskaufvertrag, um Grunderwerbssteuer und Notarkosten zu sparen, ein niedrigerer Preis als der vereinbarte beurkundet (Schwarzkauf), ist der beurkundete Vertrag gem. § 117 Abs. 1 BGB nichtig, der vereinbarte wegen §§ 311 b Abs. 1 S. 1, 125 BGB ebenfalls. Der Vertrag kann jedoch durch Auflassung und Eintragung wirksam werden (§ 311 b Abs. 1 S. 2 BGB).
Das Scheingeschäft ist von den Treuhand-, Strohmann- und Umgehungsgeschäften zu unterscheiden. Nach h. M. greift § 117 Abs. 1 BGB in diesen Fällen nicht ein, da diese Rechtsgeschäfte (z.B. Übertragung von Forderungen zu treuen Händen; Lohnschiebungsverträge, vgl. Brox, BGB AT, Rn. 358) nicht nur zum Schein, sondern ernsthaft gewollt sind, wenn auch nicht mit allen Konsequenzen. Beispiel (für ein Umgehungsgeschäft): Arbeitnehmer N schließt mit seinem Arbeitgeber G einen Arbeitsvertrag. Darin wird bestimmt, dass N keinen Arbeitslohn erhält, sondern der Ehefrau des N Zahlungsansprüche gegen den G zustehen sollen. Grund für diese Abrede ist die Befürchtung des (überschuldeten) N, dass seine Gläubiger seine Lohnforderung pfänden werden. Um eine Pfändung zu umgehen, sollen die Lohnforderungen ausgeschlossen und statt dessen der Ehefrau des N eingeräumt werden (vgl. „Lohnschiebungsverträge", § 850 h ZPO). Die Scherzerklärung gem. § 118 BGB ist eine nicht ernsthaft gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, „der Mangel an Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden". Der Unterschied zum geheimen Vorbehalt besteht somit darin, dass der Erklärende in diesem Fall hofft, dass der Mangel an Ernstlichkeit erkannt wird. Vom Scheingeschäft unterscheidet sich die Scherzerklärung durch das fehlende Zusammenwirken mit dem Erklärungsempfänger. Der „Spaßvogel", der seinen Scherz so herausbringt, dass kein vernünftiger Mensch daraus einen rechtsgeschäftlichen Willen schließen würde, gibt bereits keine Willenserklärung ab, so dass § 118 BGB unanwendbar ist. Der „ungeschickte Spaßvogel" verhält sich so, dass der Schluss auf einen rechtsgeschäftlichen Willen immerhin möglich ist. Die Besonderheit des § 118 BGB besteht darin, dass die Erklärung auch dann nichtig ist, wenn der andere die fehlende Ernstlichkeit der Erklärung nicht erkennt. Dem Erklärungsempfänger steht allerdings dann ein
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Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 Abs. 1 BGB zu, wenn er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat. Dieser Anspruch soll dann ausgeschlossen sein, wenn der Erklärungsempfänger die Nichternstlichkeit kennt oder die fehlende Ernstlichkeit infolge (leichter) Fahrlässigkeit nicht erkannt hat. In diesen Fällen fehlt es an einem Vertrauensschutz (vgl. § 122 Abs. 2 BGB). Die praktische Bedeutung des § 118 BGB ist eher gering, denn in den meisten Fällen wird der Erklärungsempfänger die Nichternstlichkeit gleich erkennen. Beispiel'. Ein Kunde beschwert sich über einen Angestellten und verlangt seine Entlassung. Der Geschäftsinhaber zitiert seinen Angestellten herbei und kündigt ihm schriftlich (§ 623 BGB). Dabei geht er davon aus, dass der Angestellte merkt, dass die Kündigung nicht ernst gemeint ist, sondern zur Beschwichtigung des Kunden ausgesprochen wird. Der sensible Angestellte nimmt sie jedoch ernst und bewirbt sich um eine neue Stelle (vgl. Köhler, BGB AT, § 7, Rn. 13). Nach § 118 BGB ist diese Erklärung des Geschäftsinhabers nichtig. Nach § 122 Abs. 1 BGB hat der Angestellte einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens (z.B. Inseratskosten für Stellenanzeige), wenn die fehlende Ernstlichkeit ohne den Vorwurf von Fahrlässigkeit nicht erkannt werden konnte. cc. Unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung Das unbewusste Auseinanderfallen von Wille und Erklärung beruht auf einem Irrtum des Erklärenden. In diesen Fällen ist die Willenserklärung nicht von vornherein nichtig, sondern das Gesetz gewährt in bestimmten Fällen ein Anfechtungsrecht. Dadurch erhält der Anfechtungsberechtigte die Möglichkeit zur Vernichtung des ungewollten Rechtsgeschäfts. Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, ist es gem. § 142 BGB als von Anfang an (ex-tunc-Wirkung) nichtig anzusehen. Die Parteien sind dann verpflichtet, die bereits empfangenen Leistungen zurückzugewähren (gem. § 812 Abs. 1 BGB). Die rückwirkende Nichtigkeit führt bei Dauerschuldverhältnissen, z. B. Arbeits- oder Gesellschaftsverträgen, die bereits in Vollzug gesetzt worden sind, zu Abwicklungsproblemen. Wird ein Arbeitsvertrag wirksam angefochten (vgl. BAG, NJW 1991, 2723), tritt die Rechtsfolge der Nichtigkeit erst im Zeitpunkt des Zugangs der Anfechtungserklärung ein (für den Arbeitsvertrag, vgl. u.a. BAG, NJW 1980, 1302). Es entstehen nämlich gegenseitige Leistungspflichten, die einer Rückabwicklung nicht zugänglich sind. Der Arbeitnehmer kann seine bereits erbrachte Arbeitsleistung nicht zurückfordern. Der Arbeitgeber hat Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt, auf Kranken-, Unfall- oder Rentenleistungen gegenüber den Sozialversicherungsträgern, auf Urlaub und auf ein Zeugnis aus dem Arbeitsverhältnis würden rückwirkend vernichtet werden, falls die Nichtigkeit im Anfechtungsfall auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurückwirken würde. Die Anfechtung hat damit praktisch die gleiche Wirkung wie eine Kündigung. Entsprechendes gilt für den Gesellschaftsvertrag, nachdem eine Gesellschaft im Rechtsund Wirtschaftsverkehr ihre Tätigkeit aufgenommen hat (BGHZ 63, 343; Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft).
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Nach dem Gesetz berechtigen die in den §§119 ff. BGB aufgezählten Irrtumsformen zur Anfechtung. Eine darüber hinausgehende Anzahl der Anfechtungsgründe würde zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen, da sich sonst niemand mehr im täglichen Geschäftsverkehr auf die Verbindlichkeit von abgegebenen Erklärungen verlassen könnte. Eine Anfechtung setzt deshalb - das Vorliegen eines Anfechtungsgrunds und - eine Anfechtungserklärung voraus. Anfechtungsgründe §119 Abs. 1 BGB Erklärungs- und Inhaltsirrtum
§119 Abs. 2 BGB Eigenschaftsirrtum
§ 120 BGB Anfechtung bei falscher Übermittlung
§ 123 BGB Anfechtung bei arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung
Abb. II.6. Anfechtungsgründe Ein Anfechtungsgrund liegt nach § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB vor, wenn der Erklärende bei der Abgabe der Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war („Inhaltsirrtum"). Hier liegt ein Irrtum über die Bedeutung der abgegebenen Erklärung vor. Der Erklärende „weiß zwar, was er sagt, aber er weiß nicht, was er damit sagt". Ein Inhaltsirrtum bedeutet daher ein Irrtum über die Bedeutung und Tragweite der abgegebenen Erklärung. Beispiele: 1. A bestellt einen Martini in der Annahme, es sei ein Weinbrand. 2. A bestellt bei einem Zeitschriftenverlag die Zeitschrift „Pig International" in der Annahme, es handelt sich um ein Pornomagazin. Als die Zeitschrift bei ihm eintrifft, stellt er enttäuscht fest, dass es sich um eine Fachzeitschrift des Internationalen Schweinezüchterverbands handelt. 3. Die Leiterin einer Schule unterschrieb eine von einem Vertreter ausgefüllte Bestellung über „25 Gros Rollen Toilettenpapier, die Rolle zu 1 000 Blatt". Sie wusste nicht, dass „Gros" soviel wie 12 Dutzend bedeutet, nahm vielmehr an, lediglich 25 große Rollen Toillettenpapier bestellt zu haben. Ergibt die Auslegung, dass das Wort „Gros" im üblichen Sinne zu verstehen ist, geht die Bestellung zwar auf 3 600 Stück, jedoch kann die Bestellung wegen Inhaltsirrtums angefochten werden (vgl. LG Hanau, NJW 1979, 721). Nach § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB ist auch derjenige zur Anfechtung berechtigt, der bei Abgabe der Willenserklärung „eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte". Der Erklärende „will nicht das, was er sagt". Man bezeichnet diese Irrtumsform auch als „Erklärungsirrtum". Dieser liegt vor bei einem Versprechen, Verschreiben oder Vertippen des Erklärenden. Beispiel: V macht K ein schriftliches Kaufangebot über bestimmte Maschinenteile. Das Angebot beträgt 102,00 € . V vertippt sich und schreibt als Angebotspreis 100,20 € .
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Zur Anfechtung berechtigt auch der Übermittlungsfehler gem. § 120 BGB. Nach § 120 BGB sind solche Willenserklärungen anfechtbar, „welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden sind". Die Besonderheit besteht darin, dass nicht der Erklärende sich selbst verspricht, sondern der Wortlaut der Erklärung bei deren Weitergabe durch die Übermittlungsinstanz verändert wird, wobei von dieser Vorschrift nicht nur die unrichtige Übermittlung an den richtigen Empfänger, sondern auch die richtige Übermittlung an den falschen Empfänger erfasst wird (Köhler, BGB AT, § 7, Rn. 22). Ansonsten wird die unrichtige Übermittlung wie ein Erklärungsirrtum behandelt. § 120 BGB greift aber nur ein bei der Einschaltung eines Dritten als „Werkzeug" zur Übermittlung der Erklärung (Bote, Post), nicht dagegen bei der Einschaltung eines Vertreters. Der Vertreter gibt eine eigene Erklärung ab, während der Bote eine fremde Erklärung übermittelt. Hier können im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Bote und Vertreter auftreten. Beispiele: Der zum Einkaufen bestellte Auszubildende bringt die Bestellungen durcheinander; dem Sekretär unterläuft bei der Durchgabe eines telefonischen Vertragsangebots ein Fehler. Eine Willenserklärung kann aus unterschiedlichen Gründen abgegeben werden. Man kauft ein Geschenk, um jemand eine Freude zu machen oder man bucht eine Reise, um sich zu erholen. Enttäuschte Erwartungen können grundsätzlich eine Anfechtung nicht rechtfertigen. Kauft z.B. der Bräutigam beim Juwelier die Eheringe oder kauft sich die Braut in einer Boutique ein schickes Kleid für die Hochzeit und findet diese nicht statt, berechtigt das entfallene Motiv nicht zur Anfechtung. Diese Fälle betreffen alle die Frage nach dem Motiv („warum eine Willenserklärung abgegeben worden ist"). Für den Geschäftsgegner ist das Motiv regelmäßig ohne Bedeutung, es sei denn, es wurde ausdrücklich zum Inhalt des Vertrags gemacht. Die enttäuschten Erwartungen rechtfertigen daher im Regelfall keine Anfechtung. Der „Motivirrtum" ist deshalb grundsätzlich unbeachtlich. Beispiel: Ein Loskauf kann nicht aus dem Grund angefochten werden, weil man dachte, man würde einen Preis gewinnen. Beim Kalkulationsirrtum irrt der Erklärende über einen Umstand (Rechnungsfaktor), den er in seiner Berechnung, z. B. Preis oder Menge, zugrunde legt. Ist die Kalkulationsgrundlage dem Geschäftspartner nicht offengelegt, handelt es sich um einen Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt. Beispiel: Malermeister M macht dem Hauseigentümer E ein Angebot über Anstreicharbeiten zu einem Gesamtpreis von 2000 € . Dieses Angebot basiert darauf, dass M bei der Berechnung von einer geringeren Quadratmeterzahl der Wandfläche und von einem zu geringen Stundenlohn ausgegangen ist. In diesem Fall kann M nur 2 000 € verlangen
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Unbeachtlich ist grundsätzlich, ob der Geschäftspartner diesen Irrtum hätte erkennen können oder sogar kannte (BGHZ 139, 177, 181 ff.); im Einzelfall kann der Ausschluss der Anfechtung über § 242 BGB als unzulässige Rechtsausübung korrigiert werden (vgl. Köhler, § 7, Rnn. 25 ff.). Einen weiteren Anfechtungsgrund stellt § 119 Abs. 2 BGB dar. Dieser betrifft den Irrtum über Eigenschaften einer Person oder einer Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden („Eigenschaftsirrtum"). Dieser Irrtum ist dem Inhaltsirrtum nach dem Gesetz gleichgestellt und berechtigt daher ebenfalls zur Anfechtung. „Eigenschaften einer Sache" i. S. d. Vorschrift sind alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge von Beschaffenheit und Dauer für die Brauchbarkeit und den Wert der Sache von Einfluss sind (BGH, NJW 2001, 226; RGZ 64, 269), d. h. alle wertbildenden Faktoren. Der Begriff „Sache" ist weit auszulegen und umfasst nicht nur körperliche Gegenstände (§ 90 BGB), sondern auch unkörperliche Gegenstände, insbesondere Rechte. Verkehrswesentlich heißt, dass die Eigenschaft vereinbart wird oder zumindest in der Erklärung Anklang findet. Beispiele: - Urheberschaft eines Gemäldes; - Größe, Lage, Bebaubarkeit eines Grundstücks (u. U. liegt hierin auch ein Sachmangel beim Kauf, daher speziellere Regelungen der §§ 434 ff. BGB beachten); - Belastbarkeit einer Maschine; - Goldgehalt einer Münze; - Alter eines Gebrauchtwagens. Nicht zu den Eigenschaften zählt daher der Preis (= Wert) einer Sache, da dieser erst durch äußere Umstände bestimmt wird (Palandt-Heinrichs, § 119 BGB, Rn. 27). Eigenschaften einer Person sind Merkmale, die ihr für eine gewisse Zeit anhaften oder sie charakterisieren (BGH, NJW 1992, 1222), z. B. Kreditwürdigkeit, Zahlungsfähigkeit, Vorstrafen oder Gesundheitszustand. Das Anfechtungsrecht allein genügt nicht. Die Anfechtung ist - als Willenserklärung — auch gegenüber dem Anfechtungsgegner zu erklären (vgl. §§ 142, 143 BGB). Die Irrtumsanfechtung muss zudem nach § 121 BGB „ohne schuldhaftes Zögern" (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Der Begriff „unverzüglich" wird im Gesetz an mehreren Stellen (z.B. § 377 HGB) verwendet, wobei stets die Legaldefinition in § 121 BGB maßgebend ist. Dem Erklärenden steht eine angemessene Überlegungsfrist zu. So kann je nach Sachlage auch die Einholung von juristischer Beratung noch als unverzüglich gelten. Unabhängig davon ist eine Anfechtung nach § 121 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre vergangen sind. Nach § 122 BGB ist der Anfechtende dem Vertragspartner zum Schadensersatz verpflichtet; seine Ersatzpflicht ist aber begrenzt. Er hat lediglich den Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass der andere auf die Gültigkeit des
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Vertrags vertraut hat, d. h. er muss ihn so stellen, als wäre vom Vertrag nie die Rede gewesen (Brox, BGB ÄT, Rn. 397). Juristen bezeichnen diesen Schaden deshalb als Vertrauensschaden. Die Vorschrift des § 119 Abs. 2 BGB wird in ihrem Anwendungsbereich eingeschränkt durch das Sachmängelrecht beim Kauf nach §§ 434 ff. BGB. Weist eine gekaufte Sache Mängel auf, so stehen dem Käufer ab Gefahrübergang (§ 446 BGB, i. d. R. mit Übergabe) bestimmte Rechte zu. Hierzu zählt der (vorrangige) Nacherfüllungsanspruch, das Rücktritts- und Minderungsrecht sowie u. U. ein Anspruch auf Schadensersatz. Im Falle einer mangelhaften Lieferung kann man auch sagen, dass sich der Käufer über eine verkehrswesentliche Eigenschaft geirrt hat. Das Sachmängelrecht geht der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB als lex specialis vor. Der Grund besteht im Wesentlichen in den unterschiedlichen Verjährungsfristen. Während die Verjährung bei den beweglichen Sachen grundsätzlich zwei Jahre beträgt (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB), unterliegen die Ansprüche aus der Anfechtung der regelmäßig (subjektiven) dreijährigen Verjährungsfrist. Dies gilt auch nach neuem Recht, auch wenn sich die Verjährungsfristen angenähert haben (vgl. hierzu Lorenz/Riehm, Rnn. 572 ff.). Zwischen der Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB und den „Gewährleistungsrechten" besteht dagegen kein Konkurrenzproblem, da es sich um unterschiedliche „Fehlerquellen" handelt. dd. Täuschung und Drohung Das Gesetz durchbricht den Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivs - abgesehen von dem nicht zu erörternden Ausnahmefall des § 2078 BGB - nur für den Fall der Beeinflussung der Motivation durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung, (§ 123 BGB). Durch § 123 Abs. 1 BGB werden zwei Fälle erfasst, die bereits erwähnte arglistige Täuschung und die widerrechtliche Drohung. In diesen Fällen ist der Erklärungsempfänger nicht schutzwürdig, da er durch verwerfliches Verhalten die Abgabe der Willenserklärung herbeigeführt hat. Aus dem Grund entfällt auch die Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB. Der Unterschied zu den bisher erörterten Tatbeständen liegt darin, dass hier kein Irrtum des Erklärenden vorliegt. Schutzzweck dieser Anfechtungsgründe ist die Freiheit der Willensentschließung. Die arglistige Täuschung ähnelt dem strafrechtlichen Betrugstatbestand (§ 263 StGB). Das Hauptmerkmal besteht im „Hervorrufen oder Aufrechterhalten eines Irrtums durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen" (BGH, NJW 2001, 64), z.B. wenn ein Verkäufer eines Handelsgeschäfts gefälschte Bilanzen vorlegt. Arglistig ist eine Täuschung, wenn sie in dem Bewusstsein vorgenommen wird, dass der Getäuschte durch sie zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt wird, die er ohne die Täuschung nicht oder nicht so abgegeben hätte (BGH, NJW 2001,
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64). Eine Bereicherungsabsicht ist dabei nicht erforderlich; ebensowenig muss die Täuschung zu einer Vermögensschädigung geführt haben. Die Täuschungshandlung kann auch in einem Unterlassen begangen werden. Dies setzt voraus, dass eine Rechtspflicht zur Aufklärung des anderen Teils besteht. Dies ist dann der Fall, wenn das Schweigen den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) widerspricht und der andere Teil nach der Verkehrsanschauung eine Aufklärung erwarten durfte (BGH, NJW 2001, 64). Beispiele: 1. Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens unterlässt den Hinweis auf einen nicht unerheblichen Verkehrsunfall, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen wäre (BGH, NJW 1968, 436, 437). 2. Der Verkäufer eines Hausgrundstücks verschweigt, dass das Grundstück zur Straßenerweiterung in Anspruch genommen werden soll. 3. Ein Versicherungsnehmer verschweigt wesentliche Vorerkrankungen beim Abschluss einer Lebensversicherung (weitere Beispiele, vgl. Palandt-Heinrichs, § 123 BGB, Rnn. 5 ff.). Es sind in diesem Zusammenhang auch Fälle denkbar, dass nicht der Erklärungsempfänger, sondern ein Dritter die Täuschung verübt hat. Nach § 123 Abs. 2 BGB ist die Anfechtung dann ausgeschlossen, wenn die Täuschung durch einen Dritten verübt wurde und der Erklärungsempfänger die Täuschung weder kannte noch kennen musste. Entscheidend ist hierbei die Definition, wer Dritter ist. Der Begriff des „Dritten" ist umstritten. Die Rspr. (vgl. BGHZ 33, 302; 47, 224, 227; BGH, NJW 1996, 1051) entscheidet im Einzelfall nach Billigkeit und Interessenlage. „Dritter" soll nicht sein, wer Vertrauensperson des Erklärungsempfängers ist oder diesem sonst nach Treu und Glauben zugerechnet werden kann. Dritter ist z.B. der bloße Vermittler des Erklärungsempfängers, nicht dagegen sein Vertreter oder ein sonstiger Gehilfe, der den Vertrag weitgehend vorbereitet hat. Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch eine widerrechtliche Drohung bestimmt worden ist, kann diese Erklärung ebenfalls anfechten. Dies setzt das Vorliegen einer Drohung voraus, die rechtswidrig ist und ursächlich für die Abgabe der Erklärung gewesen ist. Unter Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, auf dessen Eintritt der Handelnde glaubt einwirken zu können (BGH, NJW 1988, 2599). Das „Übel" braucht nicht besonders schwerwiegend zu sein oder den Erklärenden selbst zu treffen. Erforderlich ist lediglich, dass die Ankündigung beim Bedrohten eine subjektive Zwangslage auslöst. Bei der Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1 Fall 2) tritt vor allem folgendes Problem auf: Zweifelsfrei widerrechtlich sind Drohungen mit einem rechtswidrigen Mittel (z. B. mit Verprügeln oder der gewaltsamen Wegnahme einer Sache) oder zu einem rechtswidrigen Zweck (z.B. zur Hergabe von Rauschgift)Zweifelhaft ist dagegen, wann sich eine Widerrechtlichkeit aus der ZweckMittel-Relation ergibt, also wann selbst ein erlaubtes Mittel (z.B. eine Strafanzeige) für einen erlaubten Zweck (z.B. zur Entschädigung des Drohenden) nicht angedroht werden darf.
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II. BGB - Allgemeiner Teil Beispiel: Der Gläubiger droht, den Ehemann wegen Betrugs anzuzeigen, wenn sich nicht die Ehefrau für die Schulden des Mannes verbürgt; dort wurde Rechtswidrigkeit verneint, allerdings auch mit Rücksicht auf besondere Umstände (BGHZ 25, 217; ausführlicher Medicus, BGB AT, Rn. 818; Brox, BGB AT, Rn. 470).
Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung kann nach § 124 BGB nur binnen Jahresfrist erfolgen, wobei die Frist im Falle der Täuschung dann beginnt, sobald der Erklärende von der Täuschung Kenntnis erlangt hat und im Falle der Drohung, in welchem die Zwangslage aufhört (Palandt-Heinrichs, § 124 BGB, Rn. 2). Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen sind (§ 124 Abs. 3 BGB). e. Formvorschriften Im bürgerlichen Recht gilt der Grundsatz der Formfreiheit. Dieser Grundsatz bedeutet, dass die von den Parteien vorgenommenen Rechtsgeschäfte „formlos", d. h. ohne Beachtung einer vom Gesetz oder vertraglich vereinbarten Form gültig sind. Ist vom Gesetz die Einhaltung einer bestimmten Form vorgeschrieben, so ist das Rechtsgeschäft im Falle der Nichteinhaltung gem. § 125 S. 1 BGB nichtig. Bei der Nichtbeachtung der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form (§ 125 S. 2 BGB) hat dies nur im Zweifel gleichfalls die Nichtigkeit zur Folge. Die Tragweite der Nichteinhaltung ist durch Auslegung zu ermitteln. Soll die Formvorschrift lediglich der Beweissicherung oder Klarstellung dienen, ist das Rechtsgeschäft auch bei Nichteinhaltung der Form wirksam (Palandt-Heinrichs, § 125 BGB, Rn. 12). Im Falle der Nichteinhaltung der gesetzlichen Formvorschriften kann in einigen wenigen Fällen der Formmangel durch Erfüllung des Rechtsgeschäfts geheilt werden (z. B. § 311b Abs. 1 S. 2 BGB). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang § 167 Abs. 2 BGB. Soll ein formbedürftiges Rechtsgeschäft von einem Stellvertreter vorgenommen werden, so bedarf die Bevollmächtigung zu diesem Geschäft grundsätzlich nicht der Form. Die Anordnung von Formvorschriften hat einen mehrfachen Zweck: -
Beweisfunktion, Warnfunktion, Belehrungsfunktion sowie Kontrollfunktion.
Zu den wichtigsten Formvorschriften zählen: Schriftform (§ 126) bedeutet, dass die Erklärung schriftlich (nicht unbedingt handschriftlich) aufgesetzt und von dem Aussteller „eigenhändig" zu unterzeichnen ist; eine Unterzeichnung durch einen Stellvertreter ist zulässig.
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Das Schriftformenerfordernis des § 126 BGB erfüllen grundsätzlich nicht der Faksimilestempel oder die Übersendung eines Telefaxes. Beim Telefax ist zwar die Unterschrift auf der Originalurkunde, diese ist jedoch nicht zugegangen und damit nicht wirksam (vgl. BGH, NJW 1993, 1126 - Bürgschaft per Telefax). Beispiel: Beendigung oder Befristung von Arbeitsverträgen (§ 623 BGB); Verbraucherkreditverträge; Übernahme einer Bürgschaft (§ 766 BGB); Abgabe eines abstrakten Schuldanerkenntnisses oder -Versprechens (§§ 780, 781 BGB) - beachte bei Kaufleuten i.S.v. §§ 1 ff. HGB die Formfreiheit dieser Erklärungen nach § 350 HGB - oder die Befristungsabrede bei Miet- und Pachtverträgen nach §§ 550 BGB. Bei Miet- und Pachtverträgen, die länger als ein Jahr gelten sollen (§§ 550, 581 BGB), hat die Nichtbeachtung dieser Formvorschrift allerdings nicht die Nichtigkeit dieses Vertrags, sondern nur die Ungültigkeit dieser Befristung zur Folge. Die öffentliche Beglaubigung (§ 129 BGB) bedeutet, dass die Echtheit der Unterschrift oder des Handzeichens von einem Notar beglaubigt wird. Die Beglaubigung bezieht sich nur auf die Unterschrift, nicht auf die Urkunde; der Notar bestätigt, dass die Unterschrift von der Person herrührt, die die Erklärung abgegeben hat.
Beispiel: Anmeldungen zur Eintragung ins Handelsregister (§ 12 HGB) oder Vereinsregister (§ 77 BGB); Erklärungen gegenüber dem Grundbuchamt (§ 29 Abs. 1 GBO). Notarielle Beurkundung (§§ 127 a, 128 BGB) als strengste Form bedeutet, dass der Gesamttext eines Vertrags vom Notar beurkundet wird. Einzelheiten über die Beurkundung finden sich im Beurkundungsgesetz. Die Erklärung wird nach vorangegangener Beratung vor dem Notar abgegeben, von diesem niedergeschrieben, den Erklärenden vorgelesen, von diesen genehmigt und unterschrieben sowie anschließend durch den Notar unterzeichnet. Für besonders wichtige Verträge ist vom Gesetz notarielle Beurkundung vorgeschrieben. Beispiele: Vertrag über die Veräußerung oder den Erwerb eines Grundstücks (§ 311 b Abs. 1 BGB); Erbverzichtsvertrag (§ 2348 BGB); Erbschaftskauf (§ 2371 BGB); Gründungsvertrag zur Errichtung einer GmbH (§ 2 GmbHG); Abgabe eines Schenkungsversprechens (§518 Abs. 1 BGB). In bestimmten Fällen ist eine Heilung des Formmangels vorgesehen. Beispiele: Erfüllung des Schenkungsversprechens (§ 518 Abs. 2 BGB); beim Grundstücksverkauf durch Bewirken der versprochenen Leistung, d. h. durch Auflassung und Eintragung (§ 311 b S. 2 BGB).
Die bestehenden Formvorschriften wurden den Anforderungen des modernen Rechts- und Geschäftsverkehrs nicht mehr gerecht, wenn neue Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden. Willenserklärungen können - wie erwähnt - auch auf elektronischem Wege, z.B. per E-Mail oder lediglich als
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Mausklick wirksam abgegeben werden; dies gilt im Übrigen auch für Computererklärungen (zum Vertragsabschluss im Internet, vgl. BGH, NJW 2002, 363). Mit der Abgabe von Willenserklärungen konnte bisher keine gesetzliche Form gewahrt werden, da beim Empfänger keine verkörperte Erklärung zugeht. Der Gesetzgeber hatte mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr (vgl. BGB1. I 2001, 1542) zwei neue Formtatbestände in das BGB eingefügt; die „elektronische Form" und die „Textform". Mit der elektronischen Form kann nach § 126 Abs. 3 BGB die schriftliche Form grundsätzlich ersetzt werden, wenn die andere Partei damit einverstanden ist (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, § 126 a BGB, Rn. 6). Soll nach § 126 a BGB die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen zufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen (§ 126 a Abs. 1 BGB, vgl. Legaldefinition der elektronischen Signatur in § 2 Nr. 3 SigG); diesbezügliche Einzelheiten regelt das Signaturgesetz (SigG). Bei einem Vertrag müssen die Parteien jeweils ein gleichlautendes Dokument in der nach § 126 a Abs. 1 BGB bezeichneten Weise elektronisch signieren (§ 126 a Abs. 2 BGB). Der Anwendungsbereich der elektronischen Form entspricht grundsätzlich dem der Schriftform. In den Fällen der §§ 484 Abs. 1 S. 2 BGB („Teilzeitwohnrechtevertrag"), 492 Abs. 1 S. 2 BGB („Verbraucherdarlehensvertrag"), 623 BGB („Kündigung" oder „Aufhebung" eines Arbeitsverhältnisses), 630 (Zeugniserteilung), 761 S. 2 (Leibrentenversprechen), 766 S. 2 (Bürgschaft), 780 (Schuldversprechen), 781 BGB (Schuldanerkenntnis) kann die Schriftform (noch) nicht durch die elektronische Form ersetzt werden; damit steht die elektronische Signatur der eigenhändigen Unterschrift nur in verhältnismäßig unbedeutenden Fällen gleich, z. B. bei den §§ 368 (Quittung), 550 S. 1,568 Abs. 1 (Abschluss und Kündigung von Mietverträgen über Wohnraum), 1154 (Abtretung von Hypotheken oder Grundschuldbriefen) sowie bei § 355 Abs. 2 S. 2 BGB (Unterzeichnung der Widerrufsbelehrung durch den Verbraucher im Rahmen von Verbraucherverträgen). Neu eingefügt ist auch die in § 126 b BGB geregelte Textform, mit der - dem Bedürfnis nach zunehmender Automatisierung Rechnung tragend - lesbare, aber unterschriftslose Erklärungen erfasst werden sollen, z. B. Erklärungen per Fax oder per E-Mail. Es handelt sich um eine gegenüber der Schriftform erleichterte Form, bei der also eine eigenhändige Unterschrift oder eine qualifizierte elektronische Signatur entbehrlich ist. Für die Textform ist ausreichend, dass die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere Weise zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneter Weise abgegeben wird, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden. Die Textform kommt in den Fällen in Betracht, in denen sie im Gesetz ausdrücklich zugelassen ist (vgl. Lozenz/Riehm, Rnn. 11 ff.). Beispiele: Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 S. 2 BGB; Mieterhöhungsverlangen
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nach § 558 a Abs. 1 BGB; Zurückweisung der Anzeige von Reisemängeln gem. § 651 g Abs. 2 S. 3 BGB; vgl. ausführlich Palandt-Heinrichs, § 126 b BGB, Rn. 2.
f. Dissens In der „Nachbarschaft" von Irrtum und Auslegung steht auch der Dissens. Allerdings gilt dies nicht für den „offenen Dissens" (§ 154 BGB). Hier wissen die Vertragsparteien, dass sie sich nicht geeinigt haben. Beim „versteckten Dissens" (§ 155 BGB) nimmt dagegen mindestens eine Vertragspartei eine solche Einigung an. Kennzeichnend für einen Dissens ist, dass sich die bereits einer Auslegung unterzogenen Erklärungen nicht miteinander decken. Im Falle eines Irrtums besteht eine Inkongruenz von Wille und Erklärung. Dissens bedeutet dagegen eine Inkongruenz beider Erklärungen. So kann ein Irrtum daher auch bei einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung möglich sein, ein Dissens dagegen nur beim Vertragsschluss. Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist zu unterscheiden: - Betrifft der Dissens wesentliche Vertragsbestandteile, so ist kein Vertrag zustandegekommen. Betrifft der Vertrag lediglich Nebenpunkte, so findet die Auslegungsregel des § 155 BGB Anwendung. - Haben sich die Parteien bei einem Vertrag, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt das Vereinbarte (nur), wenn anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde. g. Zusätzliche Wirksamkeitserfordernisse aa. Übersicht In der Regel tritt die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts mit dessen Abschluss ein, das bedeutet „sofort". Die Parteien können jedoch - j e nach den individuellen Bedürfnissen - durch Vereinbarung von Bedingungen oder Befristungen diese Wirkungen abändern. Man unterscheidet in dieser Hinsicht folgende Erscheinungsformen: Bedingung:
Auflösende und aufschiebende Bedingung, § 158 BGB
Befristung:
Anfangstermin und Endtermin, § 163 BGB
Zustimmung:
Einwilligung und Genehmigung, §§ 182 ff. BGB
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bb. Bedingung Ein Rechtsgeschäft kann unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung vorgenommen werden. Dadurch machen die Vertragsparteien die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts vom Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses abhängig. Eine Bedingung wird meist aus dem Grund in ein Rechtsgeschäft aufgenommen, um bereits bei Abschluss des Geschäfts einen möglichen zukünftigen Umstand zu berücksichtigen und das Geschäft der künftigen Entwicklung anzupassen. Ein in der Praxis häufiger Fall, wo ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen wird, ist der Eigentumsvorbehalt beim Verkauf einer Sache (§ 449 BGB). Durch Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts steht die Eigentumsübertragung der Kaufsache unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Zahlung des Kaufpreises. Ein anderes Beispiel ist der Kauf auf Probe (§ 454 BGB). Der Kaufvertrag auf Probe wird hier unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung des Kaufgegenstands durch den Käufer abgeschlossen. Wird ein Rechtsgeschäft unter einer auflösenden Bedingung vorgenommen, so endet mit dem Eintritt der Bedingung die Wirkung des Rechtsgeschäfts. Vom Zeitpunkt des Bedingungseintritts an tritt der frühere Rechtszustand wieder ein, (vgl. § 158 Abs. 2 BGB). Beispiel für eine auflösende Bedingung ist vor allem die Sicherungsübereignung. Hier erfolgt die Übereignung einer Sache zum Zweck der Kreditsicherung. Die RückÜbertragung des Eigentums soll bei vollständiger Tilgung der Verbindlichkeit erfolgen. Auflösende Bedingungen stellen auch die unter Kaufleuten gelegentlich verwendeten Selbstbelieferungsklauseln dar. Die Vertragsklausel „Selbstbelieferung vorbehalten" macht die Wirksamkeit des Kaufvertrags davon abhängig, dass der Verkäufer von seinem Lieferanten die Waren erhält, die er an den Käufer verkauft hat. Nicht alle Rechtsgeschäfte können unter einer Bedingung abgeschlossen werden. In bestimmten Fällen ist aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit die Vereinbarung einer Bedingung vom Gesetz nicht gestattet. Beispiele: 1. Die Ausübung von Gestaltungsrechten (Kündigung, Anfechtung) darf nicht unter einer Bedingung stehen; der Erklärungsempfänger soll wissen, woran er ist. 2. Rechtsgeschäfte (statusbegründende) im Familienrecht, etwa die Eheschließung gem. §§ 1303 ff. BGB oder die Ehelicherklärung nach § 1724 BGB sind bedingungsfeindlich. 3. Die Auflassung von Grundstücken (§ 925 BGB) ist bedingungsfeindlich; die Eintragung darf nicht von Ungewissheiten abhängen.
cc. Befristung Unter einer Befristung versteht man eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung, wonach die Rechtsfolgen von einem zukünftigen gewissen Ereignis abhängen sollen (Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 158 BGB, Rn. 2). Das Gesetz kennt die Anfangs- und Endtermine. Der Oberbegriff ist die Zeitbestimmung. Nach § 163 BGB gelten die Vorschriften über die Bedingungen grundsätzlich entsprechend.
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dd. Zustimmung Durch Erfordernisse der „Zustimmung" wird die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften von zusätzlichen Voraussetzungen, nämlich der Zustimmung Dritter, abhängig gemacht. Es handelt sich bei den Rechtsgeschäften, die die Mitwirkung dritter Personen erfordert, im Wesentlichen um folgende Konstellationen. Die erste Konstellation betrifft den Fall, wenn Dritte Aufsichtsrechte ausüben. In diesem Fall bedürfen Rechtsgeschäfte von beschränkt Geschäftsfähigen nach den §§ 107 ff. BGB der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Der Minderjährige soll dadurch vor möglichen Nachteilen durch eigenes Handeln geschützt werden. Die zweite Konstellation betrifft den Fall, wenn Rechtsgeschäfte in die Rechtssphäre Dritter eingreifen. Diese Konstellation ist weitaus häufiger. Hier kann die Wirksamkeit von derartigen Rechtsgeschäften (selbstverständlich) nur von der Zustimmung des betroffenen Dritten abhängig gemacht werden (Klunzinger, S. 138 ff.). Beispiele: 1. Die Rechtsgeschäfte, die ein Vertreter ohne Vertretungsmacht getätigt hat, bedürfen nach § 177 BGB der Genehmigung des Vertretenen. 2. Die Verfügung eines Ehegatten über sein Vermögen im Ganzen bedarf der Zustimmung des anderen Ehegatten (§§ 1365, 1369 BGB). 3. Die (befreiende) Schuldübernahme zwischen Alt- und Neuschuldner gem. § 415 BGB muss vom Gläubiger genehmigt werden. Die vorherige Zustimmung wird als Einwilligung bezeichnet (Legaldefinition in § 183 BGB). Die Einwilligung kann vom Einwilligenden gem. § 183 Abs. 1 BGB bis zur Vornahme des zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäfts grundsätzlich frei widerrufen werden. Die nachträgliche Zustimmung wird als Genehmigung bezeichnet nach der Legaldefinition in § 184 Abs. 1 BGB. Die Genehmigung wirkt, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück. Durch diese Rückwirkung (ex-tunc-Wirkung) wird erreicht, dass das zustimmungsbedürftige Geschäft so behandelt wird, als wäre der Mangel der Zustimmung überhaupt nicht vorhanden. Besonders geregelt ist die Verfügung eines Nichtberechtigten in § 185 BGB. Zum Verständnis dieser Vorschrift ist an dieser Stelle ein Hinweis auf das im bürgerlichen Recht geltende Abstraktionsprinzip nötig. Im bürgerlichen Recht besteht - anders als beispielsweise im anglo-amerikanischen Rechtskreis - die Besonderheit, dass zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften unterschieden wird. Das Verpflichtungsgeschäft, durch das sich eine Person zu einer Leistung verpflichtet (Grundgeschäft), ist von der Erfüllung dieses Rechtsgeschäfts in rechtlicher Hinsicht zu trennen. Das Verpflichtungsgeschäft ist der Grund (lat.: causa) für die Vornahme des Erfüllungsgeschäfts. Das Verpflichtungs- und das Erfüllungsgeschäft sind also zwei voneinander zu trennende Verträge. Das Abstraktionsprinzip lässt sich am folgenden Beispiel veranschaulichen.
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II. BGB - Allgemeiner Teil Beispiel: Wer eine Sache kauft, schließt regelmäßig - ohne sich dessen bewusst zu sein - drei Verträge: einen Kaufvertrag, einen Übereignungsvertrag hinsichtlich der Sache und einen Übereignungsvertrag hinsichtlich des Geldes.
Man muss sich dabei vor Augen halten, dass der Gesetzgeber bei der Verwendung des Begriffs „Kaufvertrag" nur die schuldrechtliche Verpflichtung für die Vertragsparteien meinte, das Eigentum an der Sache und des Geldes zu übertragen. Davon losgelöst ist die Eigentumsübertragung als eigenständiger Vertrag vorgesehen. Eine Konsequenz aus dem Abstraktionsprinzip ist, dass sich jeder durch einen schuldrechtlichen Vertrag zu einer Leistung verpflichten kann; ob er sie dann auch erfüllt, ist ein anderes Problem. Das führt zu dem Ergebnis, dass eine Sache u. U. mehrfach „verkauft" werden kann. Es liegen dann mehrere Verträge vor, die den Schuldner zur Eigentumsverschaffung an der Sache verpflichten. Der Verkäufer kann deshalb auch Sachen verkaufen, die ihm nicht „gehören". Er verpflichtet sich zwar, das Eigentum daran zu verschaffen. Ob dies letztlich verwirklicht wird, hängt aber davon ab, ob der Eigentümer (oder der Berechtigte) diesem Rechtsgeschäft zustimmt. Nach § 185 Abs. 1 BGB ist eine Verfügung, über die ein Nichtberechtigter verfügt, dann wirksam, wenn sie mit Einwilligung des Berechtigten erfolgt. Häufig ist eine solche Konstellation im Handelsverkehr zu finden. Es werden Waren unter Eigentumsvorbehalt von einem Lieferanten an den Händler geliefert, die dieser an den Endabnehmer veräußern will. Der Lieferant bleibt zunächst durch den Eigentums Vorbehalt Eigentümer der Ware, auch wenn sich die Ware schon beim Händler befindet. Veräußert nun der Händler an den Endabnehmer, so verfügt er über das Eigentum des Lieferanten (an sich) als Nichtberechtigter. Er hat aber die Einwilligung des Lieferanten (der ja will, dass seine Ware verkauft wird), so dass das Rechtsgeschäft mit Zustimmung des Eigentümers stattgefunden hat. Regelmäßig ist die Verfügung über das Eigentum des Lieferanten mittels der Lieferbedingungen (Allgemeine Geschäftsbedingungen) gestattet. Der Eigentümer erklärt darin also seine Einwilligung. Eine Verfügung eines Nichtberechtigten wird gem. § 185 Abs. 2 BGB auch dann wirksam, wenn der Berechtigte sie (später) genehmigt. Beispiel: Dieb D stiehlt dem Eigentümer E einen PC und veräußert diesen zum Preis von 800 € an den K. Welche Rechte hat E? E könnte gegen K auf Herausgabe nach § 985 BGB klagen. Er ist Eigentümer geblieben, da trotz guten Glaubens an gestohlenen Sachen kein Eigentumserwerb möglich ist (vgl. § 935 BGB). Regelmäßig ist aber K nicht mehr auffindbar, so dass schon aus diesem Grunde E ein Interesse daran hat, statt der Herausgabe des gestohlenen Geräts von D die Herausgabe des erzielten Kaufpreises zu verlangen. Als Anspruchsgrundlage kommt § 816 Abs. 1 BGB in Betracht. Wenn ein Nichtberechtigter eine Verfügung trifft, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, hat der Berechtigte Anspruch auf Herausgabe des erzielten Erlöses. Zwar ist die Verfügung des D unwirksam, E kann jedoch
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diese Verfügung genehmigen. Sie wird dann nach § 185 Abs. 2 BGB ihm gegenüber wirksam. E verliert damit rückwirkend (vgl. § 184 Abs. 1 BGB) das Eigentum durch Veräußerung des Nichtberechtigten D. Folglich liegen die Voraussetzungen des § 816 Abs. 1 BGB vor. E hat gegen D einen Anspruch auf Herausgabe der erzielten 800 € .
h. Nichtigkeitsgründe Es kommt aber auch vor, dass ein Rechtsgeschäft so schwere Mängel aufweist, dass das Gesetz diesem keinerlei rechtliche Wirkung zubilligt. Das Rechtsgeschäft ist dann „nichtig". Die wichtigsten Fälle, in denen das Gesetz eine Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts vorsieht, sind die fehlende Geschäftsfähigkeit, der Verstoß gegen gesetzliche Verbote und das sittenwidrige Rechtsgeschäft. aa. Geschäftsfähigkeit Unter Geschäftsfähigkeit versteht man die Fähigkeit, Willenserklärungen wirksam abzugeben und entgegenzunehmen. Die §§ 104 ff. BGB enthalten Schutzvorschriften zugunsten des Minderjährigen und der anderen in den Paragraphen genannten Personen. Danach sind die Willenserklärungen von Minderjährigen unter 7 Jahren nichtig (§§ 104 Nr. 1 BGB, 105 BGB), ebenso wie die Willenserklärungen von Personen, die sich in einem, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach vorübergehend ist" (§§ 104 Nr. 2 BGB, 105 BGB). Beispiel: Ein 4-jähriges Kind ist zwar rechtsfähig, so dass es Eigentümer eines Grundstücks sein kann. Es kann aber keine Rechtsgeschäfte tätigen, selbst wenn es einen Kaufvertrag über ein Spielzeugauto abschließt. Mit dem Betreuungsgesetz wurde die Entmündigung wegen Geisteskrankheit abgeschafft. Die frühere Regelung bedeutete einen zu starren Eingriff und berücksichtigte die Restfähigkeiten des Betroffenen nicht ausreichend. Die Stellung eines Betreuers hat keine Auswirkung auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten. Zu seinem Schutz wird für bestimmte Geschäfte ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet (vgl. Köhler, BGB AT, § 10, Rn. 7, ebenso Rüthers/Stadler, BGB AT, § 23, Rnn. 42 ff. zum Rechtsinstitut der Betreuung). Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unwirksamkeit macht § 105 a BGB für Geschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können. Das vom Geschäftsunfähigen getätigte Geschäft ist wirksam, sobald Leistung und Gegenleistung bewirkt sind. Sinn und Zweck dieser Regelung ist die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit des Geschäftsunfähigen und die Förderung seiner sozialen Emanzipation, nicht dagegen die Sicherheit des Rechtsverkehrs. Etwas anderes gilt nach § 105 a S. 2 BGB nur bei einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Geschäftsunfähigen. Der Gedanke, z.B. bei Volltrunkenheit auf eine Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB zu schließen, geht fehl, da die Volltrunkenheit nur eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit darstellt, auch wenn die Völltrunkenheit
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II. BGB - Allgemeiner Teil
möglicherweise ein Dauerzustand des Betreffenden ist. Gibt der Volltrunkene eine Willenserklärung ab, so ist diese aber nach § 105 Abs. 2 BGB („vorübergehende Störung der Geistestätigkeit") nichtig. Minderjährige zwischen 7 und 18 Jahren sind beschränkt geschäftsfähig. Die Rechtsgeschäfte des beschränkt Geschäftsfähigen sind im Gegensatz zu denen des Geschäftsunfähigen nicht unheilbar nichtig, sondern schwebend unwirksam. Das bedeutet, dass sie von der Einwilligung oder Genehmigung des gesetzlichen Vertreters abhängig sind (§ 107 BGB). Bei der beschränkten Rechtsfähigkeit ist zu unterscheiden zwischen zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäften (vgl. Abb. II.7). Zustimmungsbedürftige Rechtsgeschäfte
Nicht zustimmungsbedürftige schäfte
Rechtsge-
Rechtsgeschäfte, die nicht lediglich rechtlich vorteilhaft sind, Das sind alle Rechtsgeschäfte, die für den Minderjährigen eine Verpflichtung begründen, sozusagen alle gegenseitigen Verpflichtungsgeschäfte, wie z.B. Kauf-, Miet- oder Werkvertrag
Höchstpersönliche Rechtsgeschäfte, z. B. Rücktritt vom Verlöbnis. Rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte, z. B. Schenkung Rechtlich neutrale Rechtsgeschäfte, z.B. Rechtsgeschäfte, die der Minderjährige als Vertreter vornimmt
Abb. II.7. Beschränkte Geschäftsfähigkeit Hinsichtlich der Frage, ob ein Rechtsgeschäft für einen Minderjährigen „lediglich rechtlich vorteilhaft" ist, kommt es allein auf die rechtlichen Folgen für den Minderjährigen an, nicht dagegen auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. So liegt ein zustimmungsbedürftiges Rechtsgeschäft z.B. auch dann vor, wenn der Minderjährige einen besonders günstigen Kauf tätigt, da er allein hierdurch eine persönliche Verpflichtung (Zahlung des Kaufpreises) eingeht. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass nach h. M. die Erbringung einer Leistung an einen Minderjährigen keine Erfüllung auslöst, sondern nur dann, wenn der gesetzliche Vertreter zustimmt, da der Untergang der Leistungsverpflichtung für den beschränkt Geschäftsfähigen rechtlich nachteilig wäre (Köhler, BGB AT, § 10, Rn. 18). Beispiel: Erbe E schuldet seinem minderjährigen Neffen A 10 000 € aus einem Vermächtnis. E zahlt das Geld an A, ohne die Eltern zu informieren. A „verjubelt" das ganze Geld. Liegt hier eine Erfüllung der Verpflichtung vor? Hier liegt keine Erfüllung des E aus dem Vermächtnis vor, da es an der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters fehlte. Der „beschränkt Geschäftsfähige" kann allerdings in bestimmten Fällen auch „allein" nicht lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte abschließen, und zwar in den vom Gesetz bestimmten Einwilligungstatbeständen der §§ 110, 112 und 113 BGB.
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§ 110 BGB ist ein Sonderfall der Einwilligung durch Überlassen von Mitteln des gesetzlichen Vertreters („Taschengeldparagraph"). Wie weit diese Einwilligung allerdings reicht, ist durch Auslegung zu ermitteln (Brox, BGB AT, Rn. 281). Beispiel: Der 13-jährige Z erhält monatlich 100 € Taschengeld. Kann er davon Zigaretten kaufen? Der Kaufvertrag ist schwebend unwirksam, da er weder einen rechtlichen Vorteil bringt noch eine Einwilligung der Eltern vorliegt. Die Auslegungsregel des § 110 BGB greift hier nicht ein. Soweit dem Minderjährigen das Geld zur freien Verfügung überlassen wird, ist die von dem gesetzlichen Vertreter getroffene Zweckbestimmung entscheidend. Überlassen die Eltern einem 13-jährigen 100 € monatlich zur freien Verfügung, so geht diese Einwilligung nicht soweit, dass er davon Zigaretten (oder pornographische Literatur) kaufen kann. Mit der Verweigerung wird der von Z geschlossene Kaufvertrag endgültig unwirksam. Beispiel: Der 16jährige M kauft sich von seinem Taschengeld ein Los für 2 € . Er gewinnt damit 2 000 € und kauft sich ein Motorrad. Ist der Kaufvertrag wirksam? Der Kaufvertrag über das Los ist wirksam nach § 110 BGB. Der Kaufvertrag über das Motorrad hingegen ist unwirksam, weil die konkludente Einwilligung der Eltern nicht so weit reicht, dass M auch über den Losgewinn verfügen können soll (vgl. RGZ 74, 234).
Echte Ausnahmen zu den §§ 107,108 BGB sind die §§ 112,113 BGB. In diesen Fällen ist der Minderjährige für einen bestimmten Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gem. § 112 BGB, im Falle „eines Dienst- und Arbeitsverhältnisses" gem. § 113 BGB unbeschränkt geschäftsfähig. Hiervon ausgenommen sind die Rechtsgeschäfte, für die der gesetzliche Vertreter die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts benötigt. bb. Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot Rechtsgeschäfte müssen einen zulässigen Inhalt haben, um eine rechtliche Wirksamkeit entfalten zu können. Für alle Rechtsgeschäfte gilt § 134 BGB, wonach ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. Es muss also ein Verbotsgesetz vorliegen. Ob eine Rechtsnorm ein gesetzliches Verbot enthält und im Falle eines Verstoßes zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, lässt sich aus § 134 BGB nicht entnehmen. Hier ist im Wege der Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Gesetzesvorschrift zu ermitteln, ob die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts vorliegt (Brox, BGB AT, Rn. 321). Durch § 134 BGB soll ein rechtswidriger Leistungsaustausch zwischen den Parteien verhindert werden. Richtet sich das Verbot nur gegen die äußeren Umstände, beispielsweise gegen den Ort, die Zeit oder die Art und Weise der Vornahme des Rechtsgeschäfts, so ist dieses grundsätzlich wirksam. Entscheidend ist aber stets der Schutzzweck des jeweiligen Gesetzes.
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II. BGB - Allgemeiner Teil
Trifft das Verbot den Regelungsgehalt, d. h. den Inhalt des Rechtsgeschäfts, so ist dieses regelmäßig nichtig. Insbesondere bei einem Verstoß beider Parteien gegen ein Inhaltsverbot wird es i. d. R. mit dem Sinn und Zweck der Norm unvereinbar sein, den wirtschaftlichen Erfolg des verbotenen Geschäfts hinzunehmen. Ein wesentliches Indiz für ein gesetzliches Verbot ist es insoweit, wenn das Verhalten für beide Beteiligten mit Strafe oder Bußgeld sanktioniert ist. Wendet sich das Verbot demgegenüber nur gegen das Verhalten einer Partei, so ist besonders zu prüfen, ob das Rechtsgeschäft im Interesse der redlichen Partei nicht doch wirksam sein soll. Verträge, bei deren Abschluss nur eine der Parteien ein gesetzliches Verbot verletzt, sind regelmäßig gültig (vgl. BGHZ 46,24,26); so ist ein Werkvertrag auch dann wirksam, wenn der Bauhandwerker pflichtwidrig nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist (BGH, NJW 1984,230). Einseitige Verbotsverstöße führen nur dann zur Nichtigkeit, wenn es mit dem Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung bestehen zu lassen (vgl. BGH, NJW 1991, 2955, 2956; Rüthers/Stadler, BGB AT, § 26, Rnn. 4 ff.). Wird z. B. gegen das Ladenschlussgesetz verstoßen, indem nach Ladenschluss eine Sache verkauft wird, so bleibt das abgeschlossene Rechtsgeschäft wirksam, da der Sinn und Zweck des Gesetzes vor allem der Arbeitnehmerschutz ist. Ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot liegt z. B. vor bei Hehlergeschäften, beim Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz, bei einem Verstoß gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz und bei einem Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz (weitere Fälle, vgl. PalandtHeinrichs, § 134 BGB, Rnn. 14 ff.). cc. Sittenwidrigkeit Im Privatrecht gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Dieser beinhaltet die bereits erwähnte Befugnis, die Lebensverhältnisse mittels Rechtsgeschäft eigenverantwortlich zu gestalten. Andererseits hat auch diese Befugnis ihre Grenzen. Als Grenze hat der Gesetzgeber die „guten Sitten" angesehen. Darunter versteht wohl jeder etwas anderes. Die Rspr. hat versucht, diesen dehnbaren Begriff einzuengen und hat ihn definiert „als das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" (BGH, NJW 1999, 2266 (2267); BGHZ 10, 228 (232); RGZ 80, 219). Ein Verstoß hiergegen ist als sittenwidrig zu betrachten. Aber auch diese Formel ist unpräzise und bedarf deshalb ebenfalls einer weiteren Ausfüllung. Anknüpfungspunkt ist dabei nicht die „Sitte" oder „Sittlichkeit", sondern die bestehende Rechts- oder Sozialmoral in der Gemeinschaft oder der beteiligten Gruppe. Es ist hierbei auf die Auffassung eines „anständigen Durchschnittsmenschen" abzustellen (Brox, BGB AT, Rn. 329). Aber auch nach diesen Anknüpfungspunkten ist die Frage, wann die Voraussetzungen des § 138 BGB vorliegen, nicht einfach zu beantworten. Zur Vereinfachung kann man zwei Fallgruppen heranziehen. So kann in der ersten Fallgruppe die Sittenwidrigkeit in dem bewusst schädigenden Verhalten eines Vertragspartners liegen. Das ist der Anwendungsbereich des § 138 Abs. 2 BGB (Wucher oder wirtschaftliche Knebelung). So liegen die Fälle, in denen der Vertragspartner seine Machtposition bewusst missbraucht, z. B. indem er sich übermäßig hohe Zinsen oder andere Sicherheiten für einen Kredit geben lässt.
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Die zweite Fallgruppe betrifft die Fälle, in denen beide Vertragsparteien bewusst einen Dritten schädigen oder gegen gewisse „ungeschriebene Gesetze" der Gesellschaft verstoßen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an die Verträge, die auf eine Belohnung oder Förderung der Unzucht gerichtet sind. Aber auch Abwerbungsversuche mit Angestellten fremder Unternehmen können sittenwidrig sein, wenn der Angestellte dadurch zum Vertragsbruch gegenüber seinem derzeitigen Arbeitgeber verleitet wird; des weiteren sind alle Schmiergeldversprechen sittenwidrig (Auflistung von Einzelfallentscheidungen in Palandt-Heinrichs, § 138 BGB, Rnn. 77 ff.). i. Stellvertretung aa. Begriff und Bedeutung Die vorgenannten Fälle betrafen Konstellationen, in denen die Willenserklärung von der Person abgegeben wurde, die auch die Rechtsfolge herbeiführen wollte. Wie immer im Leben gibt es Situationen, in denen man sich anderer Personen bedient, um ein Rechtsgeschäft herbeizuführen bzw. eine Willenserklärung abzugeben (Stellvertreter). Stellvertreter benötigen natürliche Personen, die nicht (voll) geschäftsfähig sind. Vor allem (teil-)rechtsfähige Personengesellschaften (z.B. OHG, KG) oder juristische Personen (z.B. GmbH, AG) wären ohne die Möglichkeit der Stellvertretung nicht handlungsfähig. Aber auch das einzelkaufmännische Unternehmen erlangt durch die Möglichkeit der Stellvertretung einen größeren Handlungsspielraum. Zu beachten ist jedoch stets, dass eine Vertretung nur bei Willenserklärungen möglich ist. Bei Tathandlungen (= Realakten) werden die Rechtswirkungen nur an die tatsächliche Vornahme angeknüpft; ein besonderer Erklärungswille ist hierfür nicht nötig. Kennzeichnend für die Stellvertretung ist es, dass regelmäßig drei Beteiligte vorhanden sind. Dazu gehört ein Vertreter, der für einen anderen handelt, einen, für den der Vertreter die Willenserklärung(en) abgibt (Vertretener) und einen Dritten (Geschäftspartner), der mit dem Vertreter das Rechtsgeschäft vornimmt. = Innenverhältnis Vertretener
(Vertreter) l.d.R. Arbeitsvertrag, Auftrag = Außenverhältnis
Dritter
Abb. II.8. Stellvertretung Die Rechtsbeziehung zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter wird als Innenverhältnis bezeichnet. Zwischen beiden besteht i. d. R. ein Dienstvertrag in
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Form eines Arbeitsvertrags oder im Falle der Unentgeltlichkeit ein Auftragsvertrag, woraus sich die Rechte und Pflichten des Vertreters ergeben. Im Außenverhältnis bewirkt die Vertretung Rechtsfolgen zwischen dem Vertretenen und dem Dritten, d. h. es kommt ein Vertrag zwischen dem Dritten und dem Vertretenen zustande. bb. Voraussetzungen Stellt sich im Einzelfall die Frage nach der Wirksamkeit der Stellvertretung, so bestimmt sich dies nach den §§ 164 ff. BGB. Grundsätzlich ist die Stellvertretung bei jeder Willenserklärung zulässig. Unzulässig ist die Stellvertretung allerdings bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften, z.B. bei der Eheschließung (§§ 1303 ff. BGB) und der Testamentserrichtung (§ 2064 BGB). Der Vertreter handelt selbst rechtsgeschäftlich, so dass seine Willenserklärung bzw. die ihm gegenüber abgegebene Willenserklärung wirksam sein muss. Unwirksam ist die Willenserklärung, wenn der Vertreter geschäftsunfähig ist. Für die Wirksamkeit der Willenserklärung ist aber nicht erforderlich, dass der Vertreter voll geschäftsfähig ist. Es reicht eine beschränkte Geschäftsfähigkeit aus, da die Rechtsfolgen der Willenserklärung nicht ihn, sondern den Vertretenen treffen und dadurch kein rechtlicher Nachteil für den Vertreter entsteht. Der Stellvertreter ist vor allem abzugrenzen von einem Boten. Der Unterschied wird bei der Abgabe der Willenserklärung deutlich. Der Stellvertreter gibt eine „eigene Willenserklärung" ab, während der Bote lediglich eine „fremde Willenserklärung" übermittelt (Brox, BGB AT, Rn. 518). Der Bote ist im Prinzip nur ein Erklärungsüberbringer und braucht deshalb auch nicht geschäftsfähig zu sein. Ob eine Hilfsperson Stellvertreter oder Bote ist, hängt davon ab, wie er auf Geheiß des Geschäftsherrn auftritt. Es ist abzustellen auf den individuellen Handlungs- und Entscheidungsspielraum, auf die soziale Stellung des Mittlers zum Geschäftsherrn und die sonstigen Umstände, die für einen objektiven Empfänger erkennbar sind. Merksätze: - Der Vertreter sagt: „Ich schließe das Geschäft im Namen meines Auftraggebers." - Der Bote sagt: „Mein Auftraggeber lässt Ihnen sagen, dass er das Geschäft abschließt." Der Unterschied zwischen Stellvertreter und Bote wird durch mehrere Punkte deutlich (Gegenüberstellung Stellvertreter - Bote; vgl. Hunzinger, S. 146). Der Bote braucht im Gegensatz zum Stellvertreter nicht geschäftsfähig zu sein (weder beschränkt noch voll geschäftsfähig). Merksatz: „Ist ein Kind noch so klein, Bote kann es immer sein." Wenn der Bote die Willenserklärung unbewusst falsch übermittelt, ist der Geschäftsherr daran gebunden. Er kann jedoch die unrichtig überbrachte Willenserklärung gem. § 120 BGB anfechten. Die bewusste Falschübermittlung durch den Boten bewirkt hingegen keine rechtliche Bindung (Brox, BGB AT, Rn. 521; Larenz/Wolf, § 36, Rn. 26). Demgegenüber gibt der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung ab. Bei einer Anfechtung kommt es daher darauf an, dass er sich - und nicht der Vertretene - in einem Irrtum befunden hat, der zur Anfechtung berechtigt (§ 166 Abs. 1 BGB).
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Ausnahmsweise soll es bei einer rechtsgeschäftlich erteilten Vertretungsmacht auch auf die Person der Vertretenen ankommen, und zwar dann, wenn der Vertreter nach den Weisungen des Vertretenen gehandelt hat (§ 166 Abs. 2 BGB; vgl. Köhler, BGB AT, §11, Rnn. 50, 51, auch zur Anwendung auf den Fall, dass die Erteilung der Weisung an den Bevollmächtigten von Willensmängeln beeinflusst war). Der Vertreter muss außerdem „im fremden Namen" auftreten, d. h. er muss den Willen, für einen anderen zu handeln, hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen. Es gilt dabei das „Offenkundigkeitsprinzip". Es ist unerheblich, ob die Erklärung ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgt (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) oder ob die Umstände ergeben, dass sie in dessen Namen erfolgen soll (§ 164 Abs. 1 S. 2 BGB). Wird der Wille des Vertreters im fremden Namen zu handeln, nicht deutlich zum Ausdruck gebracht, treten die Rechtswirkungen für und gegen den Vertreter selbst ein. Es liegt dann ein Eigengeschäft vor, d. h. der „Vertreter" wird nun selbst verpflichtet. Eine Ausnahme von dem Offenkundigkeitsprinzip gilt, wenn die dem Erklärungsgegner - dessen Interessen durch das Prinzip geschützt werden sollen - die Person des Geschäftspartners gleichgültig ist. Das ist der Fall bei dem „Geschäft, für wen es angeht". Hierunter fallen insbesondere die „Bargeschäfte des täglichen Lebens". Der Dritte schließt in diesen Fällen das Rechtsgeschäft ab, unabhängig davon, ob der Geschäftspartner für sich oder einen anderen handelt. Er überlässt es dem Handelnden, ob die Wirkungen bei sich oder bei dem Dritten eintreten sollen. Bei Kreditgeschäften hingegen, mögen sie noch so häufig im täglichen Leben vorkommen, muss deutlich werden, wer den Vertrag schließen will. Der Kreditgeber legt Wert auf die Kreditwürdigkeit der jeweiligen Person, mit der er den Vertrag schließt. Von dem Handeln in fremden Namen ist das „Handeln unter fremden Namen" zu unterscheiden. Das sind die Fälle, in denen jemand unter fremden Namen eine Willenserklärung abgibt. Diese Art der „Stellvertretung" ist besonders beliebt bei Hochstaplern und denjenigen, die sich einen „Schabernack" erlauben wollen. In rechtlicher Hinsicht sind zwei Unterscheidungen zu machen. Wird bei dem Erklärungsgegner kein Irrtum über die Person des Vertragspartners ausgelöst, weil ihm der Name des Handelnden gleichgültig ist, dann liegt ein Eigengeschäft des unter einem fremden Namen Auftretenden vor. Beispiel: Der berühmte Schauspieler M will ein Hotelzimmer mieten. Da er incognito bleiben will, unterzeichnet er unter fremden Namen. Der Hotelier will regelmäßig das Geschäft mit der vor ihm stehenden Person abschließen. Der Vertrag kommt daher zustande zwischen dem Hotelier und dem M (und nicht mit dem, in dessen Namen er handelt). Kommt es dem Dritten dagegen entscheidend auf die Person des Vertragspartners an, liegt kein Eigengeschäft des Handelnden vor. Der schützenswerte Erklärungsempfänger, der das Geschäft mit dem wahren Namensträger abschließen wollte, wurde über die Person getäuscht. Es liegt ein Fremdgeschäft für den (wahren)
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Namensträger vor. Den wahren Namensträger dürfen aber aus dem Geschäft auch keine Rechtsfolgen treffen, es sei denn, wenn er mit dem Handeln des Handelnden einverstanden war. Die geschilderte Interessenlage entspricht derjenigen, wenn jemand im fremden Namen ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. Es finden daher die Vorschriften der §§ 164 ff., 177 ff. BGB entsprechend Anwendung (BGHZ 45, 193). Beispiel: Der zahlungsunfähige G kauft unter dem Namen des Z bei T ein Kfz auf Kredit. T glaubt, den kreditwürdigen Z vor sich zu haben. Unter Umständen kann T gegen G nach § 179 BGB - im Falle der Verweigerung durch Z - einen Schadensersatzanspruch haben. Die Wirkungen einer Stellvertretung treten nur ein, wenn der Vertreter Vertre-
tungsmacht hat. Die Vertretungsmacht kann sich zum einen aus dem Gesetz ergeben. So ergibt sich die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern aus §§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB und für den Vormund für das Mündel aus § 1793 BGB. Mitunter kann sich die gesetzliche Vertretungsmacht unmittelbar aus der Bestellung zum „Organ" einer juristischen Person ergeben, so z. B. für den Vorstand einer AG (§ 78 AktG), den Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 GmbHG), für die Gesellschafter einer OHG oder für die Komplementäre einer KG aus den jeweiligen Gesetzen (Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 164 BGB, Rn. 5). Die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters, der Organe juristischer Personen sowie des vertretungsberechtigten Gesellschafters von Personenhandelsgesellschaften ist grundsätzlich unbeschränkt (vgl. Köhler, BGB AT, § 11, Rn. 2). Eine Vertretungsmacht kann auch durch Rechtsgeschäft erteilt werden. Diese rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht entsteht durch Erteilung einer Vollmacht (§ 167 Abs. 1 BGB). Durch die Vollmacht wird geregelt, inwieweit der Vertreter Rechtsfolgen zwischen dem Dritten und dem Vertretenen herbeiführen kann. Da diese Frage gegenüber dem Dritten von Bedeutung ist, betrifft sie das Außenverhältnis. Regelmäßig bestehen - wie erwähnt - auch Rechtsbeziehungen zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen (z.B. durch Dienst- oder Arbeitsvertrag). Dadurch bestimmt sich, zu welchen Maßnahmen der Vertreter intern berechtigt bzw. verpflichtet ist. Diese Verbindung wird als Innenverhältnis bezeichnet. Das Außen- und Innenverhältnis sind hinsichtlich des Entstehens und des Umfangs voneinander unabhängig. Es gilt das Abstraktionsprinzip. Der Dritte ist, da er bezüglich des Innenverhältnisses keinen Einblick hat, schutzwürdig. Maßgebend ist daher nur die Vollmacht und ihr Umfang. Hat der Vertreter im Namen und mit Vollmacht des Vertretenen gehandelt, so wirkt das Geschäft für und gegen diesen auch dann, wenn der Vertreter seine intern bestehenden Beschränkungen überschritten hat.
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Beispiel: A schreibt an den Antiquitätenhändler B, dass er in den folgenden Tagen den C vorbeischicken werde, der für ihn ein Gemälde kaufen solle. Daraufhin vereinbart A mit dem C, dass er kein Bild über 1 500 € kaufen soll. C kauft bei B ein Bild für 2 000 € . Der Umfang der Vollmacht bezog sich auf den Kauf eines Gemäldes. Der Kauf ist daher wirksam zustande gekommen. Die interne Beschränkung hinsichtlich des Preises hat nur Auswirkungen auf die rechtlichen Beziehungen zwischen A und C. Unter Umständen käme ein Schadensersatzanspruch des A gegen den C wegen Vertragsverletzung in Betracht. Nach § 167 Abs. 1 BGB kann eine Vollmacht entweder gegenüber dem Bevollmächtigten (Innenvollmacht) oder gegenüber dem Dritten (Außenvollmacht) erteilt werden. Diese Begriffe sind nicht zu verwechseln mit dem Innen- und Außenverhältnis. Sowohl die Innen- als auch die Außenvollmacht betreffen das Außenverhältnis. Diese Unterscheidung ist hinsichtlich des Widerrufs der Vollmacht von Bedeutung. Die Außenvollmacht ist bis zu ihrem in gleicher Weise erfolgenden Widerruf bestandskräftig. Die Erteilung der Vollmacht ist grundsätzlich formlos gültig, selbst wenn das Rechtsgeschäft, für das die Vollmacht bestimmt ist, einer Form bedarf. In Einzelfällen ist jedoch auch für die Bevollmächtigung eine bestimmte Form einzuhalten (vgl. Köhler, BGB AT, § 11, Rn. 27). Ausschlagung einer Erbschaft (§ 1945 Abs. 3 BGB), Abschluss eines GmbH-Vertrags durch einen Bevollmächtigten und Grundbuchanträge sowie in den Fällen, in denen Sinn und Zweck es erfordern, z.B. bei einer unwiderruflichen Vollmacht zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrags (§ 311 b Abs. 1 BGB, vgl. BGHZ 132, 119 (124 ff.)). Die Vollmacht kann für alle Arten von Rechtsgeschäften erteilt werden, indem der Vollmachtgeber Inhalt und Umfang der Vertretungsmacht festlegt. Dabei kann er zwischen mehreren Arten der Vollmacht wählen und zwar zwischen Spezialvollmacht, die sich nur auf das vorzunehmende Rechtsgeschäft beschränkt, einer Gattungsvollmacht (Artvollmacht), die sich auf eine ganze Gruppe bestimmter Rechtsgeschäfte bezieht sowie einer Generalvollmacht. In diesen Fällen bezieht sich die Vollmacht auf alle in Betracht kommenden Rechtsgeschäfte des Vollmachtgebers. Durch Auslegung der (Haupt-)Vollmacht ist auch zu ermitteln, ob der Bevollmächtigte einem Dritten Untervollmacht erteilen darf. Um den besonderen Bedürfnissen im Handelsverkehr nach Rechtssicherheit und zügiger Abwicklung von Rechtsgeschäften gerecht zu werden, kennt das HGB drei Formen, in denen der Umfang der Vertretungsmacht gesetzlich vorbestimmt ist. Es handelt sich dabei um die Prokura (§§ 48 ff. HGB), die Handlungsvollmacht (§ 54 HGB) und die Ladenvollmacht (§ 56 HGB). Die umfangreichste Vertretungsmacht hat der Prokurist, d. h. er darf alle Geschäfte vornehmen, die zum Betrieb „irgendeines" Handelsgewerbes gehören. Die Prokura darf im Außenverhältnis, d. h. im Verhältnis zu Dritten, nicht beschränkt werden.
II. BGB - Allgemeiner Teil Beispiel: Kaufmann K untersagt seinem Prokuristen P, Verträge über einen Betrag in Höhe von 50 000 € hinaus abzuschließen. Trotzdem kauft P beim Kaufmann V Waren im Wert von über 70 000 € ein. Ist K verpflichtet zu zahlen? Würde es einen Unterschied machen, wenn V die interne Beschränkung gekannt hätte? Der Vertrag zwischen K und V über die Waren im Wert von 70 000 € ist wirksam zustandegekommen. Die Beschränkung der Prokura im Innenverhältnis auf Vertragsabschlüsse bis zu 50 000 € gilt nicht im Außenverhältnis, d. h. nicht gegenüber V. P macht sich allerdings gegenüber K, da er sich über die internen Beschränkungen hinweggesetzt hat, u. U. schadenersatzpflichtig nach § 280 Abs. 1 BGB. Wenn V die interne Beschränkung gekannt hätte, dann würde das Rechtsgeschäft nicht gegenüber K wirken, da V in diesem Fall nicht schutzwürdig wäre. Trotz der grundsätzlich Unbeschränkbarkeit der Prokura werden vom Gesetz der Rechtsmacht des Prokuristen Schranken gesetzt. So ist ein Prokurist zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken (nicht der Erwerb von Grundstücken!) nur befugt, wenn er vom Inhaber des Handelsgeschäfts besonders bevollmächtigt ist (sog. Immobiliarklausel, § 49 Abs. 2 HGB; vgl. ausführlich Brox, Handels- und Wertpapierrecht, Rnn. 204 ff.). Wegen der Abstraktheit der Vollmacht kann also ein Vertreter an sich wirksam Geschäfte tätigen, selbst wenn er dabei die (vertraglichen) Pflichten im Innenverhältnis verletzt. Dies ist wegen des weitreichenden Umfangs häufiger bei der Prokura der Fall. Die Wirksamkeit der Vertretungsmacht wird daher zum Schutz des Vertretenen bei schweren Missbräuchen eingeschränkt. Die Rspr. unterscheidet dabei zwei Fälle: - Ein Rechtsgeschäft, bei dem der Vertreter mit dem Dritten bewusst zum Nachteil des Vertretenen handelt, ist sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB und daher nichtig („Kollusion"). - Der Vertretene, der das Risiko des Vollmachtsmissbrauchs trägt, ist weiterhin dann geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in erkennbar verdächtiger Weise - aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers Gebrauch macht, so dass beim Dritten begründete Zweifel entstehen müssen, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliegt (BGH, NJW 1996, 1961, sog. „Evidenz des Missbrauchs", vgl. Rüthers/Stadler, BGB AT, § 30, Rnn. 64 ff.). Das Erlöschen der Vollmacht richtet sich nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhälntis (§ 168 S. 1 BGB), sofern sich das Erlöschen nicht bereits aus ihrem Inhalt ergibt (z. B. bei Fristablauf oder Bedingungseintritt). Hat sich die dem Vertreter übertragene Aufgabe erledigt, bedarf es keiner Vollmacht mehr. Ist beispielsweise der Auftrag ausgeführt oder das Arbeitsverhältnis beendet, dann erlischt auch die Vollmacht. Beispiel: T beauftragt seinen Bruder S, für ihn sein Kfz zu verkaufen. S gibt Inserate auf und
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verkauft kurze Zeit später das Kfz. Die Vollmacht erlischt hier mit Erledigung des Auftragvertrags. Unabhängig von dem Fortbestand des Innenverhältnisses kann die Vollmacht jederzeit widerrufen werden, sofern sich aus dem Innenverhältnis nichts anderes ergibt (§ 168 S. 2 BGB). Adressat dieser Willenserklärung kann sowohl der Vertreter als auch auch der Dritte sein (§§ 168 S. 3, 167 Abs. 1 BGB); bei Widerruf sind zum Schutz des Dritten die §§ 170-173 BGB zu beachten. Die Vollmacht kann auch unwiderruflich erteilt werden. Wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung des Vollmachtgebers ist eine unwiderrufliche Vollmacht nur zulässig, wenn ein berechtigtes Eigenintersse des Vertreters am Gebrauch der Vollmacht vorliegt (Köhler, BGB AT, § 11, Rn. 32). Taucht später ein wichtiger Grund für den Widerruf der Vollmacht auf, so kann sie ausnahmsweise widerrufen werden (BGH, NJW 1988, 2603). Die Vollmacht erlischt im Übrigen mit dem Tod oder dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Bevollmächtigten. Über den Widerruf hinaus kann die Vollmacht auch durch Anfechtung beseitigt werden. Bei der Vollmacht handelt es sich nämlich um eine Willenserklärung und die ist wie jede Willenserklärung bei Willensmängeln (§§ 119, 120, 123 BGB) anfechtbar. Wird die Vollmacht wirksam angefochten, so hat der Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt und haftet dem Dritten aus § 179 BGB und der Anfechtende dem Dritten aus § 122 BGB. Wird der Vertreter von dem Dritten in Anspruch genommen, so kann dieser, da er von der Anfechtbarkeit der Vollmacht keine Kenntnis hatte, von dem Vollmachtgeber eine Freistellung von den Ansprüchen des Dritten verlangen. Eine Anfechtbarkeit der Vollmacht ist nach Abschluss des Geschäfts mit einem Dritten ausgeschlossen, wenn die Grundsätze der Anscheinsvollmacht vorliegen (Larenz/Wolf, BGB AT, § 47, Rn. 35). Durch § 181 BGB wird für den Vertreter die Möglichkeit des Selbstkontrahierens sowie die Mehrvertretung eingeschränkt. Es gilt grundsätzlich das „Verbot der In-Sich-Geschäfte". Hierdurch soll eine Interessenkollision vermieden werden, die dadurch zwangsläufig entsteht, wenn eine Person auf beiden Seiten des Vertrags steht. § 181 BGB beinhaltet zwei Fallgestaltungen und zwar einmal in Form des Selbstkontrahierens und zum anderen bei der sog. Doppelvertretung (vgl. die folgenden Abbildungen). Selbstkontrahieren, § 181, 1 .Alt. BGB Vertretener
(im Namen des Vertretenen)
Vertreter
(im eigenen Namen)
Vertreter
Abb. II.9. Selbstkontrahieren Entgegen dem Gesetzeswortlaut führt ein Verstoß gegen § 181 BGB nicht zur Nichtigkeit, sondern (nur) zu einer schwebenden Unwirksamkeit, mit der Folge
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II. BGB - Allgemeiner Teil
dass der Vertrag durch Genehmigung des Vertretenen bzw. der beiden Vertretenen voll wirksam gemacht werden kann (BGHZ 65, 125). Doppelvertretung, § 181, 2. Alt. BGB Vertretener V
Vertretener K
Vertreter (handelt für V und K) i
Abb. 11.10. Doppelvertretung Die Vorschrift des § 181 BGB enthält zwei Ausnahmen: Zum einen, wenn das Selbstkontrahieren von dem Vertretenen gestattet worden ist (i. d. R. durch folgende Formulierung „unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB"), zum anderen, wenn das Rechtsgeschäft ausschließlich in dem Erfüllen einer Verbindlichkeit besteht, z. B. der Vertreter begleicht eine Schuld gegenüber dem Vertretenen durch Zahlung einer Geldsumme in die von ihm verwaltete Kasse des Vertretenen. Darüber hinaus hat die Rspr. noch weitere Fälle des Selbstkontrahierens als zulässig erachtet, und zwar in den Fällen, in denen kein Interessenkonflikt vorliegt und auch Belange Dritter nicht berührt werden (BGHZ 56, 97). § 181 BGB findet keine Anwendung auf Rechtsgeschäfte, durch die der Vertretene lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt i. S. v. § 107 BGB (BGHZ 59, 236; 94, 232, 235). cc. Vertreter ohne Vertretungsmacht Handelt der Vertreter ohne Vertretungsmacht, ergibt sich eine Interessenkollision zwischen dem Vertrauensinteresse des Dritten und dem Schutzinteresse des Vertretenen. Diese Interessenkollision wird in den §§ 177 ff. BGB geregelt. Handelt der Vertreter ohne Vertretungsmacht, so gilt § 179 BGB. Der Vertrag ist in dem Fall schwebend unwirksam und kann vom Vertretenen genehmigt werden (§§ 177, 178, 184 BGB; wichtig: §§ 75 h, 91 a HGB). Wird die Genehmigung verweigert, so gilt § 179 BGB. Nach § 179 Abs. 1 BGB haftet der Vertreter, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht kannte, dem Gegner nach dessen Wahl auf Erfüllung oder auf Schadensersatz in Geld. In dem letzteren Falle muss der Vertreter den Gegner durch Geldzahlung so stellen, als wenn der Vertrag durch den Vertretenen ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Der Vertreter hat danach das Erfüllungsinteresse (positive Interesse) zu ersetzen. Sofern der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte, haftet er ohne Rücksicht auf Verschulden oder NichtVerschulden auf Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse). Das bedeutet, er hat den Gegner so zu stellen, als wäre vom Vertrag nie die Rede gewesen. Die Geltendmachung des Vertrauensscha-
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dens wird allerdings durch die Höhe des Erfüllungsinteresses beschränkt gem. § 179 Abs. 2 BGB. § 179 BGB stellt insoweit eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. Kannte der Dritte den Mangel der Vertretungsmacht oder musste er ihn kennen (vgl. Legaldefinition des § 122 Abs. 2 BGB), so entfällt der Anspruch. Eine Schadensteilung kommt gem. § 179 Abs. 3 S. 1 BGB nicht in Betracht. Der beschränkt geschäftsfähige Vertreter haftet überhaupt nicht aus § 179 BGB, wenn er nicht mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters handelte (§ 179 Abs. 3, S. 2 BGB). dd. Grundsätze der Rechtsscheinvollmacht Tritt im Rechtsverkehr ein Vertreter ohne Vertretungsmacht auf, dann wird der Vertretene grundsätzlich nicht verpflichtet. Der Vertreter haftet dem Dritten (= Geschäftsgegner) aus § 179 BGB. Von diesem Grundsatz sind im Gesetz in den §§ 170-173 BGB Ausnahmen zugunsten des Dritten vorgesehen, der bei Vornahme des Rechtsgeschäfts das Erlöschen der Vertretungsmacht weder kennt noch kennen musste (§ 173 BGB). Obwohl die Vollmacht nicht (mehr) besteht, wird in diesen Fällen im Interesse des gutgläubigen Dritten die Vollmacht als fortbestehend angesehen. Der Vertretene hat hier in zurechenbarer Weise einen Rechtsschein für eine bestehende Vollmacht gesetzt. Es gibt drei gesetzlich geregelte Fälle einer Vollmacht kraft Rechtsschein. Nach § 170 BGB gilt die Vollmacht, die gegenüber dem Dritten erklärt wurde (sog. Außenvollmacht), so lange als fortbestehend, bis diesem das Erlöschen vom Vollmachtgeber angezeigt wird. Ist die Bevollmächtigung durch besondere Mitteilung an den Dritten oder öffentlich bekanntgemacht worden (z.B. besondere Ankündigung des Vertreterbesuchs, Zeitungsanzeigen, Eintragungen ins Handelsregister), wird ein gutgläubiger Dritter so lange in seinem Vertrauen auf das Bestehen der Vollmacht geschützt, bis der durch die Mitteilung oder Bekanntmachung erzeugte Rechtsschein wieder beseitigt worden ist. Das bedeutet, dass die Vertretungsmacht so lange bestehen bleibt, bis die Kundgebung in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird (§171 BGB). Wer dem Vertreter eine Vollmachtsmachtsurkunde aushändigt, die der Vertreter dann dem Dritten vorlegt, setzt ebenfalls einen Rechtsschein, der erst wieder durch Rückgabe der Vollmachtsurkunde oder durch „Kraftloserklärung" beseitigt wird (§§ 172, 176 BGB). Die §§ 170 ff. BGB gehen also davon aus, dass dem Dritten die Nachprüfbarkeit der Vollmacht nicht zuzumuten ist, wenn das Verhalten des Vertretenen nach der Verkehrsauffassung auf das Bestehen einer Vollmacht schließen lässt. Wer also wissentlich durch besondere Kundgabe einem Dritten gegenüber den Rechtsschein einer Vollmacht setzt, ist diesem gegenüber daran gebunden. Die Rspr. hat weitergehend die Grundsätze über die Duldungsvollmacht und Anscheinsvollmacht entwickelt (Palandt-Heinrichs, § 173 BGB, Rnn. 9 ff.). Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftsgegner
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II. BGB - Allgemeiner Teil
dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt war (Palandt-Heinrichs, § 173 BGB, Rn. 10; BGH, NJW 2002, 2325 (2327)). Die Duldungsvollmacht unterscheidet sich von der stillschweigend erteilten Vollmacht durch den fehlenden Willen zur Vollmachtserteilung. Die Abgrenzung der Duldungsvollmacht von einer stillschweigend erteilten Vollmacht ist mitunter schwierig. Eine Duldungsvollmacht liegt nur dann vor, wenn das Verhalten des Vertreters vom Vertretenen zwar wissentlich geduldet wird, aber das sonstige Verhalten des Vertretenen keinen eindeutigen Schluss auf eine Vollmachtserteilung zulässt. Eine Abgrenzung ist aber praktisch unerheblich, da in beiden Fällen den Vertretenen die Rechtsfolgen des Geschäfts treffen. Beispiel: Die Sekretärin S des Firmeninhabers U nimmt seit einiger Zeit die Bestellungen der Kunden selbst entgegen, anstatt diese mit dem dazu bevollmächtigten Angestellten A zu verbinden. Der Dauerkunde D verlangt von U Erfüllung des mit der S abgeschlossenen Vertrags. Mit dem Vertragsabschluss ist U nicht einverstanden. U, dem das Verhalten der S bekannt war, wendet ein, er habe der S keine Vollmacht erteilt. Zu Recht? Nein, denn U kannte das Verhalten der S und ist nur aus Nachlässigkeit nicht eingeschritten, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre. U ist also von S auf Grund einer „Duldungsvollmacht" wirksam verpflichtet worden. Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Auftreten eines anderen als Stellvertreter zwar nicht kennt (sonst Duldungsvollmacht), er aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Geschäftsherr dulde und billige das Auftreten seines scheinbaren Vertreters (Palandt-Heinrichs, § 173 BGB, Rn. 13; BGH, VersR 1992, 990 (991)). Beispiel: Hätte U in dem vorherigen Beispiel keine Kenntnis von dem Verhalten der S gehabt, weil er sich um seinen Betrieb zuwenig gekümmert hat, so wäre eine rechtliche Bindung auf Grund einer Anscheinsvollmacht anzunehmen. Denn hätte U sich selbst um seinen Betrieb mehr gekümmert oder einen zuverlässigen Angestellten damit beauftragt, dann wäre ihm das Verhalten der S aufgefallen. Der Vertretene haftet in beiden Fällen also auf Erfüllung aus Gründen des erzeugten Rechtsscheins. Er muss sich so behandeln lassen, als habe er den Handelnden tatsächlich bevollmächtigt. (BGHZ 86, 275; Palandt-Heinrichs, § 173 BGB, Rnn. 9 ff., 13 ff. m.w.N.). Wenn im Gesetz von Stellvertretung die Rede ist, ist damit die in diesem Abschnitt besprochene (unmittelbare) Stellvertretung gemeint. Das BGB regelt in den §§ 164 ff. BGB nur die offene Stellvertretung, nicht dagegen die mittelbare (verdeckte) Stellvertretung, die im Folgenden kurz behandelt werden soll. ee. Mittelbare Stellvertretung Unter einer mittelbaren Stellvertretung versteht man das Handeln im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung. Hier wird jemand im Interesse eines anderen
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tätig, tritt aber in eigenem Namen auf und wird selbst Vertragspartner. Um die Ergebnisse seines Handelns auf den eigentlichen Interessenten zu übertragen, sind weitere Rechtsgeschäfte erforderlich ( Offenkundigkeitsprinzip). Der wichtigste Fall der mittelbaren Stellvertretung ist das Kommissionsgeschäft gem. §§ 383 ff. HGB. Übergibt der Kommittent dem Kommissionär Waren, die dieser veräußern soll, so überträgt er ihm damit i. d. R. nicht das Eigentum gem. § 929 BGB. Er erteilt ihm nur die Befugnis (§ 185 BGB), über diese Waren als Nichtberechtigter (Nichteigentümer) im eigenen Namen zu verfügen. Der Kommissionär schließt im Rahmen seines Handelsgewerbes die Geschäfte im eigenen Namen, d. h. er wird im Gegensatz zur Stellvertretung selbst Vertragspartner, aber im Interesse des Kommittenten. Die praktische Bedeutung des Kommissionsgeschäfts ist durch das vermehrte Auftreten des Handelsvertreters und der Vertragshändler gesunken und hat im Wesentlichen nur noch im Kunsthandel, bei Warenimport und -export und im Wertpapiergeschäft Bedeutung. Eine weitere Form einer mittelbaren Stellvertretung ist im Übrigen das - ebenfalls im HGB geregelte - Speditionsgeschäft. Kommissionsvertrag Kommittent
Kommissionär (Abwicklungsgeschäft) l.d.R. Kaufvertrag (Ausführungsgeschäft) Dritter
Abb. 11.11. Mittelbare Stellvertretung (Kommissionsgeschäft) Eine weitere - der Stellvertretung ähnliche Erscheinungsform - ist das „Treuhandverhältnis". In diesem Fall hat der Eigentümer einer Sache bzw. der Inhaber einer Forderung diesen Gegenstand (i. d. R. langfristig) auf einen anderen übertragen unter gleichzeitiger (schuldrechtlicher) Vereinbarung, dass dieser den Gegenstand nur „zu treuen Händen" haben soll. Der Treugeber tritt zur Ausübung der ihm eingeräumten Rechte im eigenen Namen auf, mit der Einschränkung, die sich aus dem Innenverhältnis zum Treugeber ergibt (vgl. zur „uneigennützigen Treuhand" und zur „Sicherungstreuhand", Köhler, BGB AT, § 5, Rnn. 18 ff.). Beispiel: Ein Arzt (Treugeber) überträgt seine Forderung gegen seine Patienten an die ärztliche Verrechnungsstelle (Treuhänderin) „zu treuen Händen". Dadurch wird die ärztliche Verrechnungsstelle Inhaberin (Gläubigerin) der Forderung. Gegenüber dem Arzt ist sie verpflichtet, die Forderung einzuziehen und die eingegangenen Beträge an ihn abzuführen (Brox, BGB AT, Rn. 406).
III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Das zweite Buch des BGB, das Schuldrecht (§§ 241-853 BGB) regelt die einzelnen Rechte und Pflichten, die in einem Schuldverhältnis bestehen. Das Schuldrecht besteht wiederum aus einem Allgemeinen und einem Besonderen Teil. In den §§ 241-432 BGB sind die allgemeinen Regeln, die grundsätzlich alle Schuldverhältnisse betreffen, enthalten, z. B. die Vorschriften über Entstehen der Schuldverhältnisse, deren Erlöschen, die unter Umständen auftretenden Leistungsstörungen, die Abtretung von Forderungen sowie die Übernahme von Verpflichtungen.
1. Schuldverhältnis Im Allgemeinen Teil des Schuldrechts wird zunächst das Schuldverhältnis behandelt. Nach § 241 Abs. 1 BGB ist ein Schuldverhältnis eine Rechtsbeziehung zwischen (mindestens) zwei Personen - diese werden als Gläubiger und Schuldner bezeichnet -, auf Grund dessen der Gläubiger berechtigt ist, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Nach § 241 Abs. 1 S. 2 BGB kann die „Leistung" auch in einem Unterlassen bestehen, z. B. die Verpflichtung einer Person auf Unterlassen von Wettbewerb (vgl. Palandt-Heinrichs, § 241 BGB, Rn. 4). Sowohl auf der Gläubigerais auch auf der Schuldnerseite ist eine Beteiligung von mehreren Personen möglich („Gesamtgläubiger, Gesamtschuldner", §§ 420 ff. BGB). Als Gläubiger wird jeder bezeichnet, der von einem anderen auf Grund eines Schuldverhältnisses etwas verlangen kann. Der Begriff ist weiter gefasst als in der Umgangssprache, in der mit Gläubiger häufig der Darlehensgläubiger und mit Schuldner nur derjenige, der Geld zu zahlen hat, gemeint ist. Die Leistungsbeziehung kann den Austausch von Gütern betreffen (Ware gegen Geld, Ware gegen Ware), aber auch die (zeitweilige) Gebrauchsüberlassung sowie Dienstleistungen und vieles andere mehr. Hierbei sind angesichts der Privatautonomie und der Dynamik wirtschaftlicher und technischer Entwicklungen eine Vielzahl von neuen Vertragsarten entstanden, an die der Gesetzgeber zum großen Teil gar nicht gedacht hatte, wie z. B. Leasing-, Factoring- oder Franchiseverträge. Aus der Definition des Begriffs „Schuldverhältnis" ergibt sich, dass die Berechtigungen und Verpflichtungen immer nur zwischen bestimmten Personen, nämlich zwischen Gläubiger und Schuldner bestehen. Das Recht des Gläubigers gegenüber dem Schuldner bezeichnet man als „Forderung" (oder „obligatorisches
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Recht"). Dies korrespondiert mit einer entsprechenden Verpflichtung des Schuldners. Die Rechte zwischen Gläubiger und Schuldner bezeichnet man im allgemeinen als „relative Rechte". Die Forderung ist streng zu unterscheiden von den absoluten Rechten oder Rechtsgütern, insbesondere Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum. Mit § 241 BGB wird der Begriff des Schuldverhältnisses nur unvollständig umschrieben. Danach kann der jeweilige Anspruch auf den Gegenstand der Leistung bereits ein Schuldverhältnis sein (z. B. bei §§ 275, 362 BGB, auch als Schuldverhältnis im engeren Sinne bezeichnet). Das Schuldverhältnis wird auch in einem umfassenden Sinne verstanden. Der Vertrag als Ganzes kann ein Schuldverhältnis sein, so dass die Gesamtheit der durch den Vertrag begründeten Berechtigungen und Pflichten vom Begriff „Schuldverhältnis" umfasst werden, wie die Leistungs- und Sorgfaltspflichten, die Ansprüche aus der Verletzung dieser Pflichten, die Gestaltungsrechte, wie z. B. die vertraglichen Kündigungs- und Rücktrittsrechte (zum Begriff des Schuldverhältnisses vgl. Larenz, SchuldR AT, Bd. 1, S. 1 ff.; Brox/Walker, SchuldR AT, § 2, Rnn. 1-3). Ein Schuldverhältnis kann auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sein, z.B. beim Kauf, Tausch oder Schenkung. Es kann aber auch vereinbart werden, dass die Leistung des Schuldners in einem dauernden Verhalten oder in einer wiederkehrenden, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden, Einzelleistung besteht (Palandt-Heinrichs, Einl. v. § 314 BGB, Rn. 2). In diesen Fällen handelt es sich um Dauerschuldverhältnisse. Für Dauerschuldverhältnisse z.B. Miet- oder Arbeitsverhältnisse, gelten einige Besonderheiten. Auf Grund der Dauerhaftigkeit der schuldrechtlichen Beziehungen ist eine stärkere Rücksichts- und Loyalitätspflicht anzunehmen. Dauerschuldverhältnisse werden regelmäßig nicht durch Rücktritt, sondern durch Kündigung beendet, weil die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen einer Rückabwicklung nicht oder nur schwer zugänglich sind. Schuldverhältnisse lassen sich unterscheiden zwischen rechtsgeschäftlichen bzw. vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen. Erstere entstehen kraft Rechtsgeschäft, letztere entstehen unmittelbar kraft Gesetzes ohne rechtsgeschäftliches Handeln, sondern durch Verwirklichung der zur Anspruchsbegründung normierten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale. Recht der Schuldverhältnisse Allgemeine Vorschriften (§§ 241 - 432 BGB)
Arten der Schuldverhältnisse (vgl. § § 4 3 3 - 8 5 3 BGB)
Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse Ausnahme: Einseitiges Rechtsgeschäft
Regelfall: Vertrag (§311 Abs. 1)
Abb. III.l. Recht der Schuldverhältnisse
— : — ' Gesetzliche Schuldverhältnisse Geschäftlicher Kontakt
§§812 ff.
GoA
§§823 ff.
2. Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
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Im Schuldrecht gibt es vier wichtige Gruppen gesetzlicher Schuldverhältnisse, nämlich die unerlaubte Handlung, die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag und den geschäftlichen Kontakt (§§ 311 Abs. 2 u. 3 BGB; vgl. Medicus, SchuldR AT, § 14, Rn. 112; Brox/Walker, SchuldR AT, § 3, Rn. 10 zur Einordnung der Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen als gesetzliche Haftung; hierzu unter III.5.f.bb. Die vertraglichen Schuldverhältnisse lassen sich danach wie folgt einteilen: Umsatzverträge: Kaufvertrag, Tauschvertrag, Schenkungsvertrag Gebrauchsüberlassungsverträge: Mietvertrag, Pachtvertrag, Leihvertrag, Darlehensvertrag Verträge über Tätigkeiten: Dienstvertrag, Werkvertrag, Maklervertrag, Reisevertrag, Auftragsvertrag, Verwaltungsvertrag sonstige Schuldvertragstypen:
Gesellschaft, Gemeinschaft, Verträge zur Sicherung und Bestärkung einer Schuld (Bürgschaft, Schuldversprechen und -anerkenntnis, Vergleich)
Abb. III.2. Vertragliche Schuldverhältnisse
2. Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse a. Arten und Entstehung Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse entstehen i. d. R. durch Vertrag (vgl. § 311 Abs. 1 BGB). § 311 Abs. 1 BGB bestimmt ausdrücklich, dass „zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft ein Vertrag zwischen den Parteien erforderlich ist, soweit das Gesetz nicht ein anderes vorschreibt". Ausnahmsweise entstehen rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse durch ein einseitiges Rechtsgeschäft (z.B. Auslobung, § 657 BGB; Testament, § 1937 BGB; Vermächtnisse, § 1939 BGB). Einseitige Gestaltungsrechte, wie z.B. Anfechtung, Widerruf, Kündigung und Aufrechnung begründen kein Schuldverhältnis, sondern verändern den Inhalt eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses. Innerhalb der vertraglichen Schuldverhältnisse wird nach dem Grad der gegenseitigen Verpflichtungsabhängigkeit wie folgt unterschieden: „Einseitig verpflichtende Verträge" verpflichten nur eine Vertragspartei zu einer Leistung, z. B. ein Schenkungs- oder Bürgschaftsvertrag. „Unvollkommen zweiseitig" verpflichtende Verträge sind typisch dafür, dass nicht nur für eine Vertragspartei, sondern auch für die andere Vertragspartei Pflichten entstehen, diese aber nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Durch den Auftrag gem. § 662 BGB - das unentgeltliche Tätigwerden für einen anderen - verpflichtet sich der Beauftragte zum Tätigwerden. Diese Tätigkeit muss der Auftraggeber zwar nicht vergüten (andernfalls läge ein Dienst- oder Werkvertrag vor), er muss dem Beauftragten jedoch seine Aufwendungen ersetzen. Durch den Leihvertrag (§ 598 BGB) verpflichtet sich der Verleiher zur unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung (im Falle der Entgeltlichkeit läge ein Miet- oder Pachtvertrag vor) und
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
der Entleiher zur Erhaltung sowie zur Rückgabe der entliehenen Sache. Eine gegenseitige Verpflichtung des Entleihers enthält § 598 BGB nicht. Die Rückgabepflicht des Entleihers nach § 604 Abs. 1 BGB steht nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, da der Verleiher die Sache nicht verleiht, damit er sie zurückbekommt, sondern damit der Entleiher die Sache unentgeltlich gebrauchen kann.
„Vollkommen zweiseitig" verpflichtende Verträge (gegenseitige Verträge) zeichnen sich dadurch aus, dass beide Vertragsparteien gleichzeitig Gläubiger und Schuldner sind. Die Leistung erfolgt nur auf Grund einer Gegenleistung. Man spricht auch von einer synallagmatischen Verknüpfung der gegenseitigen Verpflichtungen (sog. „do ut des-Verhältnis", d. h. „Ich leiste, damit Du leistest."). Forderung auf die Leistung Gläubiger ist zugleich Schuldner
gegenseitiger Vertrag
Schuldner ist zugleich Gläubiger
Forderung auf die Gegenleistung
Abb. III.3. Gegenseitige Leistungspflichten Da die Terminologie im Gesetz hinsichtlich „Leistungspflicht" und „Gegenleistungspflicht" etwas verwirrend ist, sollte man sich zur Vereinfachung wie folgt orientieren: Die Leistungspflicht geht grundsätzlich auf die Sachleistung (z. B. Übereignung der Kaufsache, § 433 Abs. 1 BGB; Überlassung der Mietsache, § 535 Abs. 1 BGB; Leistung von Diensten, § 611 Abs. 1 BGB; Erstellung eines Werks, § 631 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Gegenleistungspflicht ist regelmäßig auf eine Geldleistung gerichtet (vgl. § 433 Abs. 2, § 535 Abs. 2, § 611 Abs. 1, § 631 Abs. 1 S. 1 BGB). Eine Ausnahme stellt der Tauschvertrag i.S.v. § 515 BGB dar, da hier beide Leistungen sog. Sachleistungen sind. b. Inhalt eines Schuldverhältnisses In diesem Abschnitt geht es um die Frage, was alles Inhalt und Gegenstand des Schuldverhältnisses sein kann; es geht also darum „was, wann, wo und an wen" der Schuldner leisten muss. Auf Grund des im deutschen Recht bestehenden Grundsatzes der Privatautonomie ist daher maßgebend, was die Vertragsparteien vereinbart haben. Die gesetzlichen Vorschriften im Schuldrecht sind weitgehend dispositiv.
2. Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
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Einigungspunkte Notwendige Einigung
Vertrags Parteien
Gegenstand der Leistung
Grds. keine Einigung erforderlich, nur wenn eine Partei es wünscht
Ob und ggf. welche Gegenleistung
Beschaffen- Ort heit
Zeit
Weitere Umstände z.B. Bedingung
Abb. III.4. Einigungspunkte Für das Zustandekommen eines Vertrags gelten die Regeln des Allgemeinen Teils des BGB über Rechtsgeschäfte. Danach müssen sich die (geschäftsfähigen) Parteien über wesentliche Vertragsbestandteile (unerlässlicher Vertragsinhalt) und über solche Punkte einigen, worüber nach dem Willen einer Partei eine Einigung erzielt werden soll, andernfalls der Vertrag im Zweifel als nicht geschlossen gilt (vgl. § 154 BGB). Zu den wesentlichen Vertragsbestandteilen gehört eine Einigung darüber, wer Vertragspartei sein soll, welche Leistungen zu erbringen sind sowie ob und ggf. welche Gegenleistung geschuldet werden soll. Die Leistung muss dabei bestimmt oder zumindest bestimmbar sein (vgl. §§ 315-319 BGB). Darüber hinaus können sich die Parteien insbesondere über die Leistungsmodalitäten, d. h. Ort und Zeit der zu erbringenden Leistung und über die Beschaffenheit des Leistungsgegenstands einigen. Weiterhin können sich die Vertragsparteien darüber einigen, welche Rechtsfolgen eintreten sollen, wenn eine Partei ihre Leistungspflicht nicht erfüllt oder unter welchen Voraussetzungen die eine oder andere Vertragspartei vom Vertrag zurücktreten kann. c. Leistungspflichten Der Begriff der Leistung ist gesetzlich nicht definiert. Nach § 241 Abs. 1 BGB kann die Leistung in einem Tun oder Unterlassen bestehen. Es kann mithin jedes bestimmte Verhalten einer Person sein, dass einen Vermögenswert darstellt. Auf Grund des Schuldverhältnisses ist der Schuldner zur Erbringung der Leistung verpflichtet. Diese lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Nach dem Wortlaut des § 241 BGB und der Gesetzesbegründung ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Leistungspflichten und Schutzpflichten. Unter Leistungspflichten sind diejenigen Pflichten des Schuldners zu verstehen, denen ein Forderungsrecht des Gläubigers entspricht (§ 241 Abs. 1 S. 1 BGB). Sie sind selbstständig einklagbar. In diesem Rahmen ist zu differenzieren zwischen Hauptleistungspflichten und Nebenleistungspflichten. Die Verletzung von Leistungspflichten nach § 241 Abs. 1 BGB führt zum Eingreifen der Leistungsstörungsregeln der §§ 280, 281, 283, 311a, 323, 326 BGB, wobei dann genauer
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
zwischen Leistungsstörungsarten der Unmöglichkeit, des Verzugs und der Gewährleistung zu differenzieren ist. Hauptleistungspflichten sind diejenigen Leistungspflichten, die für das konkrete Schuldverhältnis wesentlich sind, ihm also sein Gepräge geben. Pflichten aus dem zustandegekommenen Vertrag Pflicht ergibt sich gemäß Einigung
Hauptleistung (Auslegung: §§157,242, gesetzl. Auslegung, z.B. § 311c)
Nebenleistung (= Hilfsleistung §242)
Pflicht besteht auch dann, wenn keine Einigung vorliegt
Beschaffenheit (gesetzl. Auslegung z.B. § 434)
Ort Zeit weitere Sorgfalts§ 269 § 271 Umstände pflichten §§158 ff.
Abb. III.5. Vertragspflichten Beispiel: Beim Kaufvertrag ist der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 S. 1 u. 2 BGB zur Übereignung und Übergabe der Sache in mangelfreiem Zustand, der Käufer nach § 433 Abs. 2 BGB zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet. Inhalt und Umfang der Hauptleistungspflichten ergeben sich aus der getroffenen Vereinbarung. Gesetzliche Auslegungsregeln enthalten u.a. die §§ 612 Abs. 2 BGB, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB. Eine Vertragslücke kann ggf. durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden. Ist eine Leistung lediglich bestimmbar, hat eine Leistungsbestimmung zu erfolgen (§§315 ff. BGB). Entsprechendes gilt für die Leistungsmodalitäten, etwa Leistungszeit und Leistungsort. Liegen insoweit keine Vereinbarungen vor, greifen die gesetzlichen Regelungen (§§ 269-271 BGB). Bei einem gegenseitigen Vertrag stehen die Hauptleistungspflichten der beiden Teile in einem Austauschverhältnis. Daran knüpfen die §§ 320, 326 BGB besondere Rechtsfolgen. Die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenleistungspflichten ist deshalb von Bedeutung, da nur auf die Hauptleistungspflichten die §§ 320 ff. BGB angewendet werden. Jedoch hat die Frage nach der Abgrenzung insoweit an Bedeutung verloren, als § 280 Abs. 1 BGB sowohl für die Verletzung von Hauptund Nebenleistungspflichten Grundlage für einen Schadensersatzanspruch ist. Nebenleistungspflichten sind alle anderen selbstständig einklagbaren Pflichten. Sie können auf die ordnungsgemäße Erbringung und Nutzung der eigenen Hauptleistung, d. h. auf das Erfüllungsinteresse des Gläubigers, gerichtet sein, aber auch einen anderen, selbstständigen Zweck verfolgen, z. B. Schutz des Integritätsinteresses des Gläubigers. Nebenleistungspflichten können sich aus Vertrag oder aus dem Gesetz ergeben. Einige wenige Nebenpflichten sind gesetzlich normiert, wie
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z.B. in §§ 402, 617, 666 BGB; bei den Pflichten nach § 402 BGB (Auskunftspflicht; Urkundenauslieferung) und § 666 BGB (Auskunfts- und Rechenschaftspflicht) handelt es sich um (einklagbare) auf die Hauptleistung bezogene Nebenpflichten, während es sich bei der Pflicht des Dienstberechtigten (Arbeitgebers) zur Krankenfürsorge und zu Schutzmaßnahmen nach den §§ 617, 618 BGB um eine sonstige Nebenpflicht handelt; entsprechendes gilt auch für die Abnahmepflicht des Käufers nach § 433 Abs. 2 BGB. Nebenpflichten können vertraglich vereinbart werden, so dass ihr Umfang maßgeblich von dem konkreten Schuldverhältnis abhängt; ggf. ist dieses durch Auslegung zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Auch ohne eine spezielle Vereinbarung ergeben sie aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB. Danach ist die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrsitte es erfordern. Beispiel: V verkauft K eine Computeranlage für 30000 € . Nach der Anlieferung kann K die Anlage nicht in Gang setzen. Die Bedienungsanleitung ist viel zu kompliziert. K bittet den V um Einweisung, was dieser mit Hinweis auf eine bereits erfolgte Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten verweigert. Grundsätzlich trägt der Käufer einer Sache auch das Risiko dafür, dass er die Sache zweckentsprechend benutzen kann, z. B. kann der Käufer eines Speisefisches vom Verkäufer nicht verlangen, dass er ihm bei der Zubereitung behilflich ist und ihn darüber aufklärt, wie man diesen isst. Dieser Grundsatz kann jedoch in den Fällen nicht gelten, in denen der Verkäufer einer Sache nach den gesamten Umständen damit rechnen muss, dass der Käufer den Kaufgegenstand erst nach seiner Einweisung zweckentsprechend benutzen kann. Der Verkäufer hat alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um einem durchschnittlichen Käufer einen funktionsgerechten Einsatz zu ermöglichen. Das bedeutet, dass V die einweisenden Hinweise nicht verweigern darf. Den Leistungspflichten des § 241 Abs. 1 BGB stehen die sog. Schutzpflichten, die teilweise auch als weitere Verhaltens-, Sorgfalts- oder Nebenpflichten bezeichnet werden, gegenüber. Sie sind nunmehr in § 241 Abs. 2 BGB speziell normiert. Werden diese Pflichten verletzt, so ergeben sich die Rechtsfolgen allein aus den §§ 280, 282, 324 BGB. § 241 Abs. 2 BGB wurde im Rahmen der Schuldrechtsreform eingefügt und kodifiziert die Rücksichtnahmepflichten, die nach der bisherigen Rspr. und Lit. zu § 242 BGB entwickelt worden sind; aus dem Grund kann auf die hierzu von der Rspr. und Lit. gebildeten Fallgruppen zurückgegriffen werden. Danach kann das Schuldverhältnis seinem Inhalt nach jeden Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Diese Pflichten sind - anders als die Leistungspflichten - nicht selbstständig einklagbar, da der Begünstigte keinen Anspruch auf ihre Beachtung hat. Im Falle ihrer Verletzung können Schadensersatzansprüche, in Ausnahmefällen auch ein Rücktrittsrecht in Betracht kommen. Diese Schutzpflichten dienen vor allem dem Integritätsinteresse des anderen Teils. Dieser soll vor Schäden bewahrt werden, die ihm aus der Durchführung des Vertrags entstehen können (vgl. hierzu Brox/Walker, SchuldR AT, § 2 , Rnn. 11 ff.).
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil Beispiel: Der Malermeister, der sich vertraglich zum Tapezieren einer Wohnung verpflichtet hat, hat nicht nur diese Arbeit fachgerecht auszuführen, sondern auch darauf zu achten, dass bei der Arbeit die Wohnungseinrichtung des Auftraggebers nicht beschädigt wird.
Die Annahme von Schutzpflichten setzt nicht das Bestehen von Leistungspflichten voraus. Ein Schuld Verhältnis kann sich auch auf solche Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB beschränken. Es handelt sich dann um ein Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflichten. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, die Anbahnung eines Vertrags oder ähnliche geschäftliche Kontakte. Ansonsten bestimmt sich die Abgrenzung zwischen Nebenleistungspflichten (§ 241 Abs. 1 BGB) und Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) auch nach den Auswirkungen auf die Hauptleistung. Bei Dauerschuldverhältnissen, z.B. bei Gesellschafts- oder ArbeitsVerhältnissen, sind diese Schutzpflichten stärker ausgeprägt als bei solchen Geschäften mit einmaligem Leistungsaustausch, etwa bei einem Kaufvertrag. Von den bisher erörterten Primärpflichten sind die Sekundärpflichten zu unterscheiden. Sie ergeben sich - anders als diese - nicht unmittelbar aus dem Schuldverhältnis. Sie können vielmehr erst als Folge der Störung primärer Pflichten, d. h. der Leistungs- und Schutzpflichten entstehen. Sie treten neben die Primärpflicht (§§ 280 Abs. 1 u. 2 BGB) oder an ihre Stelle (§§ 280 Abs. 3 BGB u. 346 BGB). Pflichten aus dem Schuldverhältnis
Sekundärpflichten
Leistungspflichten Schutzpflichten (einklagbar, § 241 Abs. 1) (nicht einklagbar, § 241 Abs. 2)
Hauptleistungspflichten
Nebenleistungspflichten
Hauptleistungsbezogene (z.B. Auskunftserteilung, § 666)
Sonstige (z.B. Krankenfürsorge, § 617)
Abb. III.6. Pflichten aus dem Schuldverhältnis (in Anlehnung an Brox/Walker, SchuldR AT, §2, Rn. 16) Bei einer sog. Obliegenheit handelt es sich nicht um eine Pflicht gegenüber der anderen Partei, sondern um „Pflichten gegen sich selbst" (Brox/Walker, SchuldR AT, § 2, Rn. 16). Die Nichtbeachtung einer Obliegenheit, z. B. einer Rüge bei mangelhafter Lieferung, kann die Rechte einer Partei ausschließen oder beschränken
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(§ 377 HGB). Es entstehen weder Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche einer Partei. d. Leistungsgegenstand In diesem Zusammenhang geht es um die Art der geschuldeten Leistung. Die Vertragsparteien können im Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Gegenstand der Leistung und Gegenleistung im Einzelnen bestimmen. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einigung ist das aber nicht; es reicht aus, wenn die Leistungen auf Grund der vertraglichen Vereinbarungen bestimmbar sind. Gesetzliche Regeln zur Leistungsbestimmung enthalten § 243 BGB und die §§ 262 ff. BGB bzgl. der Wahlschuld; ergänzend können die Auslegungsregeln der §§315 ff. BGB greifen. Bei einer Wahlschuld werden mehrere Leistungen in der Weise geschuldet, dass nur die eine oder andere zu bewirken ist. Im Falle einer Gattungsschuld wird keine individuell bestimmte Sache (Spezies- oder Stückschuld), sondern nur eine Sache aus einer bestimmten Gattung, d.h. aus einer Sachgruppe mit gleichen (z.B. Sorte, Typ, Serie) Merkmalen geschuldet. Der Schuldner hat dann einen Gegenstand von mittlerer Art und Güte gem. § 243 Abs. 1 BGB zu leisten, der die vereinbarten Merkmale der betreffenden Gattung aufweist (Larenz, SchuldR AT, Bd. I, S. 151, 152). Beispiel: Ein VW Golf, drei Zentner Kartoffeln. Dem entspricht die für den Kaufmann im Handelsverkehr aufgestellte Verpflichtung, dass dieser bei Gattungsschulden „Handelsgut mittlerer Art und Güte" nach § 360 HGB zu leisten hat. Nicht zu verwechseln ist diese Einteilung mit der Unterteilung in vertretbare und nicht vertretbare Sachen (§91 BGB). Während die Frage der Vertretbarkeit objektiv durch die Verkehrsauffassung bestimmt wird, legen hier die Vertragsparteien fest, ob eine Stück- oder Gattungsschuld vorliegt. Der Schuldner kann also die betreffenden Sachen auswählen, wobei auf einen Durchschnittsmaßstab abzustellen ist. Es darf weder unterdurchschnittliche Qualität sein, noch braucht es herausragende Qualität zu sein. Im Falle der Lieferung von unterdurchschnittlicher Qualität erfüllt der Schuldner seine Leistung nicht. Im Falle der Gattungsschuld ist zu unterscheiden zwischen einer unbeschränkten und beschränkten Gattungsschuld. Bei der unbeschränkten Gattungsschuld besteht die Verpflichtung des Schuldners so lange, wie ein Gegenstand aus der Gattung überhaupt noch vorhanden ist. Die Leistungspflicht beschränkt sich dann nicht auf die in seinem Besitz befindlichen Sachen. Sie ist daher stets eine Beschaffungsschuld. Eine Beschränkung der Leistungspflicht könnte sich nur daraus ergeben, dass eine derartige
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Beschaffung im Einzelfall wegen außergewöhnlicher Leistungserschwernisse, die dem Schuldner zumutbare Opfergrenze überschreiten würde und ihm daher nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist (RGZ 102, 98, 100). Eine beschränkte Gattungsschuld liegt dagegen vor, wenn sich aus der Auslegung des Vertrags ergibt, dass zwar der Gattung nach bestimmte Sachen geschuldet sind, die Leistung aber auf einen bestimmten Vorrat beschränkt bleiben soll. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Vorratsschuld (PalandtHeinrichs, § 243 BGB, Rn. 3; Brox/Walker, SchuldR AT, § 8, Rn. 1). Beispiele: Holz von einem bestimmten Lagerplatz; Kohlen einer bestimmten Zeche; Flaschenweine eines bestimmten Jahrgangs und Anbaugebiets; 50 Zentner Hafer der diesjährigen Ernte. Hiervon zu unterscheiden ist die Stückschuld, bei der der Schuldner eine konkrete, individuell bestimmte Sache zu leisten hat, z. B. ein bestimmter (besichtigter) Pkw. Der Schuldner kann in diesem Fall nur durch Lieferung dieser konkreten Sache seine Leistungspflicht erfüllen, der Gläubiger nur Lieferung dieser bestimmten Sache verlangen (Larenz, SchuldR AT, Bd. 1, S. 151). Gattungsschulden sind für den Schuldner bei Übernahme eines Beschaffungsrisikos insoweit riskant, als er gem. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB zur Leistung verpflichtet bleibt, solange eine Leistung aus der Gattung möglich ist (anders bei der beschränkten Gattungsschuld). Der Schuldner kann sich im Einzelfall nicht darauf berufen, dass ihm „persönlich" die Leistung nicht möglich ist, z.B. beim anderweitigem Verkauf oder Untergang der Sache, solange es den zu leistenden Gegenstand der Gattung noch gibt. Etwas anderes gilt, wenn es sich um eine Stückschuld handelt. Obwohl im gewerblichen als auch im privaten Bereich die Vereinbarung einer Gattungsschuld trotz dieses Risikofaktors recht häufig vorkommt, ist dieses Risiko dennoch überschaubar. Der Grund liegt darin, dass aus einer vereinbarten Gattungsschuld durch Vornahme bestimmter Handlungen eine „Konkretisierung" zu einer Stückschuld erfolgt. Diese Umwandlung der Gattungsschuld in eine Stückschuld („Konzentration" oder „Konkretisierung") tritt ein, wenn der Schuldner das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche getan hat (§ 243 Abs. 2 BGB). Wann dies der Fall ist, hängt davon ab, welche Leistungspflichten der Schuldner im Einzelfall zu erbringen hat. Mindestvoraussetzung ist zunächst, dass der Schuldner eine den Erfordernissen des Vertrags entsprechende Sache ausgewählt und ausgesondert hat. Die weiterhin erforderlichen Leistungsverpflichtungen sind je nach Schuldverhältnis verschieden. Ob eine Geldschuld als Sonderfall der Gattungsschuld angesehen werden muss, ist umstritten (Münch-Komm.-Grundmann, §§ 244, 245 BGB, Rn. 84). In jedem Fall ist zu beachten, dass der Gefahrübergang durch Konkretisierung abweichend von § 243 Abs. 2 BGB in § 270 BGB geregelt ist. Der Schuldner trägt danach die Übermittlungsgefahr, nicht aber die Verzögerungsgefahr. § 243 BGB passt im Übrigen insoweit nicht für eine Geldschuld, da Geld nicht von mittlerer Art und Güte zu leisten ist, sondern in der vereinbarten Währung (Brox/Walker, SchuldR AT, § 9, Rnn. 1 ff.); Sondervorschriften finden sich in den §§ 244, 245 BGB.
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Zur Feststellung, ob der Schuldner seine Leistungspflicht vertragsgemäß erfüllt hat, gehören Leistungszeit und Leistungsort. e. Zeit und Ort der Leistung Regelmäßig werden die Vertragspartner neben dem Leistungsort auch eine Leistungszeit (= Fälligkeit) vereinbaren. Wurde von den Vertragsparteien in dieser Hinsicht keine Vereinbarung getroffen oder lässt sich die Zeit nicht aus den sonstigen Umständen entnehmen, dann greifen die gesetzlichen Bestimmungen ein. Nach § 271 Abs. 1 BGB ist die Leistung „sofort" zu bewirken und der Gläubiger kann sie auch sofort verlangen. In einigen Sonderfällen ist die Leistungszeit abweichend gesetzlich geregelt. Beispiele: Dienstvertrag (§614 BGB; ArbeitsVergütung nach Leistung der Dienste); Werkvertrag (§ 641 BGB; Werklohn grundsätzlich bei Abnahme des Werks). Zu einer ordnungsgemäßen Leistung gehört auch, dass der Schuldner am richtigen Ort leistet. Nur dann hat er das seinerseits Erforderliche getan. Wo dies ist, bestimmt sich nach dem Leistungsort. Der Leistungsort wird regelmäßig von den Vertragsparteien durch Vereinbarung festgelegt. Diese Vereinbarung kann entweder ausdrücklich oder konkludent erfolgen oder sich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben. Innerhalb der gesetzlichen Vorschriften für einzelne Verträge finden sich auch Sondertatbestände,- die aber oft dispositiv, d. h. vertraglich abdingbar sind. Als Leistungsort bezeichnet man - wie erwähnt- den Ort, an dem der Schuldner die Leistungshandlung zu erbringen hat (Palandt-Heinrichs, § 269 BGB, Rn. 1). Mit dem Leistungsort kann die Gemeinde oder die Stadt gemeint sein, aber auch die Wohnung oder das Geschäft des Schuldners in derselben Gemeinde (bei sog. Platzgeschäften). Es ist nicht erforderlich, dass dort auch die Erfüllung des Vertrags, der sog. Leistungserfolg, eintritt. Diese beiden Begriffe sind genau voneinander zu unterscheiden. Hinsichtlich der Bestimmung des Leistungsortes enthält § 269 BGB folgende Regelung. Zu dessen Bestimmung ist zunächst von der Parteivereinbarung auszugehen. Soweit diese fehlt, greifen die dispositiven gesetzlichen Vorschriften ein. Es wird zwischen folgenden Leistungsmodalitäten unterschieden, und zwar kann es sich um eine Hol-, Bring- oder Schickschuld handeln. Grundsätzlich ist jede Schuld eine Holschuld. Der Schuldner muss den Leistungsgegenstand aussondern und bereithalten und dem Gläubiger anbieten, wobei ein wörtliches Angebot gem. § 295 BGB ausreicht. Ist für die Abholung ein Kalendertermin vereinbart, so ist auch ein wörtliches Angebot nicht erforderlich. Bei einer Bringschuld liegt der Erfüllungsort (= Leistungsort) beim Gläubiger. Der Schuldner hat das seinerseits Erforderliche erst getan, wenn er dem Gläubiger
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den Leistungsgegenstand an dessen Wohnsitz oder seiner gewerblichen Niederlassung tatsächlich angeboten hat, und zwar in der Weise, dass nur noch zwei Möglichkeiten in Betracht kommen: Entweder tritt Erfüllung ein (§ 362 BGB, wenn der Gläubiger annimmt) oder es kommt zu einem Annahmeverzug des Gläubigers (§§ 293, 294 BGB). Bei der Schickschuld (z.B. einem Versendungskauf) liegt der Erfüllungsort beim Schuldner, wobei die Ware vom Schuldner an einen anderen Ort verschickt werden soll. Erfüllungs- und Bestimmungsort fallen auseinander. Der Schuldner hat am Erfüllungsort den Leistungsgegenstand ordnungsgemäß zu verpacken und an eine sorgfältig ausgesuchte Transportperson (z.B. Spedition, Deutsche Post, Deutsche Bahn) zu übergeben (Palandt-Heinrichs, § 243 BGB, Rn. 5). Eine Besonderheit gilt für den Fall, dass die Leistungspflicht in einer Geldzahlung besteht. Geldschulden sind immer Schickschulden (§ 270 Abs. 1 BGB). Hat der Schuldner diese Leistungshandlungen erbracht, tritt eine Konkretisierung der zunächst nur der Gattung nach geschuldeten Sache zu einer Stückschuld ein. Ist der Leistungsgegenstand beispielsweise im Rahmen der Vertragsabwicklung ohne Verschulden des Schuldners untergegangen, dann findet § 275 Abs. 1 BGB Anwendung, mit der Folge, dass der Schuldner infolge der Konkretisierung auf einen bestimmten Gegenstand von seiner Leistungspflicht frei wird. Die Festlegung des Leistungsortes kann - wie erwähnt - ausdrücklich oder stillschweigend geschehen, so z. B. die Aussage eines Möbel Verkäufers, diese „frei Haus" zu liefern. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so erfolgt die Bestimmung des Leistungsortes aus den Umständen heraus, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (und des Handelsbrauchs im Handelsverkehr). Wenn die Leistungspflicht notwendig an einem bestimmten Ort erbracht werden muss, so wird mit der Leistungsvereinbarung auch der Leistungsort bestimmt. Beispiele: - Bei den Ladengeschäften des täglichen Lebens ist der Geschäftsraum der Leistungsort. - Malerarbeiten oder Reparaturarbeiten an einem Gebäude sind dort auszuführen. Verpflichtet sich der Verkäufer bei den normalen Geschäften des Alltags zur Anlieferung der Ware, so wird i. d. R. eine Bringschuld anzunehmen sein. Das bedeutet, dass Leistungsort die Wohnung des Käufers ist. Im Handelsverkehr sind dagegen Warenschulden grundsätzlich Schickschulden (Palandt-Heinrichs § 269 BGB, Rn. 12). Wenn ein Kaufmann als Käufer nach den gesamten Umständen die Ware nicht selbst abholen kann, dann kann der Verkäufer grundsätzlich davon ausgehen, dass die Versendung gewollt ist und dass er seine Leistungshandlung bereits an seinem Wohnort vornimmt, indem er die Kaufsache an die Transportperson aushändigt.
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f. Vertrag zugunsten Dritter Grundsätzlich ist das Schuldverhältnis nur ein Rechtsverhältnis zwischen zwei Personen, so dass regelmäßig die Vertragsparteien gegenseitig Gläubiger und Schuldner der durch den Vertrag begründeten Leistungsverpflichtungen sind. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass die Vertragspartner vereinbaren, dass die Leistung einem Dritten zustehen soll. Man spricht dann von einem Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB). Beispiele: - Ein Arbeitgeber vereinbart mit einer Versicherungsgesellschaft für seine Arbeitnehmer eine zusätzliche Altersversorgung. - Sparvertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall (§§ 488, 328, 331 BGB). - Abschluss einer Lebensversicherung des Ehemannes zugunsten seiner Ehefrau. - Herstellergarantie zugunsten des Endabnehmers im Liefervertrag mit dem Zwischenhändler (weitere Bsp., vgl. Palandt-Heinrichs, § 328 BGB, Rnn. 8 ff. m. w. N.). Es handelt sich hierbei nicht um einen eigenständigen Vertragstyp, wie z. B. den Kaufvertrag oder den Werkvertrag. Vielmehr kann er für alle Vertragstypen vereinbart werden, wo immer eine Leistung an einen Dritten erfolgen soll. Der Anspruch des Dritten ergibt sich aber niemals allein aus § 328 BGB, sondern stets nur im Zusammenhang mit einer Anspruchsgrundlage. Deshalb steht dieser Vertragstyp auch nicht im Besonderen Teil des Schuldrechts, sondern im Allgemeinen Teil unter dem Titel „Versprechen der Leistung an einen Dritten". Zu beachten ist, dass Verträge zu Lasten Dritter, d. h. Verträge, durch die gegen einen Dritten ein Anspruch begründet wird, nicht zulässig sind. Sie sind mit dem Grundsatz der Privatautonomie nicht vereinbar (Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 328 BGB, Rn. 10). Dem Dritten soll dann unmittelbar ein eigener Anspruch zustehen. Die drei beteiligten Personen nennen sich Versprechender, da dieser sich zu einer Leistung verpflichtet hat, Versprechensempfänger, dem die Leistung versprochen wurde und Dritter, an den die Leistung bewirkt werden soll (Brox/Walker, SchuldR AT, § 32, Rn. 7). Versprechender (Schuldner)
(Deckungsverhältnis)
Eigener Anspruch Valutaverhältnis (Zuwendungsverhältnis) Berechtigter^ (Dritter)
Abb. III.7. Vertrag zugunsten Dritter
Versprechensempfänger (Gläubiger)
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Das Schuldverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner, durch das der Leistungsanspruch des Dritten begründet wird, nennt man Deckungsverhältnis, weil dieses Rechtsverhältnis den Rechtsgrund für die Zuwendung des Schuldners an den Dritten darstellt, d.h. also diese Zuwendung im Prinzip rechtlich deckt. Das Schuldverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Dritten, durch das der Gläubiger seinerseits eine Verpflichtung gegenüber dem Dritten erfüllen oder ihm ein Geschenk machen will, wird als Valutaverhältnis bezeichnet, weil der Gläubiger den Vertrag zugunsten Dritter mit dem Schuldner schließt, um dadurch die Rechtsbeziehung mit dem Dritten zu valutieren; es gibt also Aufschluss darüber, warum der Gläubiger dem Dritten etwas zuwendet. Das Valutaverhältnis bildet im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner den Rechtsgrund (i. S. v. § 812 BGB) für das Behaltendürfen der Leistung des Schuldners. Im Falle eines Schenkungsvertrags zugunsten eines Dritten wird der Dritte als Beschenkter angesehen, so dass im Hinblick auf groben Undank nach § 530 BGB auf seine Person abzustellen ist (OLG München, NJW 2000, 1423). Beispiel: Eine Lebensversicherungsgesellschaft verpflichtet sich, an den hinterbliebenen Ehegatten eine bestimmte Summe zu zahlen. Der Grund für die Auszahlung der Versicherungssumme (Deckungsverhältnis) liegt in dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag zwischen dem Versprechenden (Versicherungsgesellschaft) und dem Versprechensempfänger (derjenige, der die Versicherung zugunsten der Hinterbliebenen abgeschlossen hat (Klunzinger, S. 200). Man unterscheidet zwischen einem echten und einem unechten Vertrag zugunsten Dritter. Beim echten Vertrag zugunsten Dritter steht dem Dritten ein eigener Anspruch auf die Leistung gegen den Versprechenden zu. Im Falle eines unechten Vertrags zugunsten Dritter besteht die Verpflichtung des Schuldners, an den Dritten zu leisten, nur gegenüber dem Versprechensempfänger. Der Dritte hat keinen eigenen Anspruch auf die Leistung. Ob ein echter oder unechter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, bestimmt sich nach § 328 Abs. 2 BGB „aus den Umständen, insbesondere aus dem Zweck des Vertrags"; Auslegungshilfen ergeben sich aus den §§329-331 BGB. g. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Neben dem eigentlichen Vertrag zugunsten Dritter, der für den Dritten einen Anspruch auf die (Haupt-)Leistung begründet, hat die Rspr. als eine besondere Form den „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter" entwickelt (Larenz, SchuldR AT, Bd. I, S. 224; Medicus, SchuldR AT, Rnn. 722 ff.). Der Anspruch auf die Hauptleistung steht allein dem Gläubiger zu. Der Dritte ist jedoch insoweit in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, dass er bei deren Verletzung einen (vertraglichen) Schadensersatzanspruch geltend machen kann (PalandtHeinrichs, § 328 BGB, Rn. 13).
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Schuldner (z.B. Vermieter, Arbeitgeber)
Zurechnung des schädigenden Verhaltens, § 278 BGB
Mietvertrag oder Arbeitsvertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
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Gläubiger (z.B. Mieter)
Vertraglicher Schadensausgleich
Erfüllungsgehilfe (z.B. Hausmeister des Vermieters)
Dritter (z.B. Familienmitglied des Mieters)
Abb. III.8. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Der Grund für die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter war die Unzulänglichkeit des Deliktsrechts, insbesondere die für einen Geschädigten unbefriedigende Regelung der Gehilfenhaftung. Im deliktischen Bereich kann bei der Gehilfenhaftung (§ 831 BGB) der sog. Exkulpationsbeweis geführt werden, während der Verletzte im Falle einer Verletzung vertraglicher Pflichten i. d. R. durch die Anwendung des § 278 BGB erheblich günstiger steht. Nach § 278 BGB ist im Falle der Einschaltung eines Erfüllungsgehilfen ein Exkulpationsnachweis ausgeschlossen; weitere Gründe sind die günstigere Beweislastverteilung und die Möglichkeit, auch Vermögensschäden ersetzt zu bekommen. Rechtsgrundlage des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist nach der Rspr. eine ergänzende Vertragsauslegung, durch die festgestellt wird, ob und in welchem Umfang eine Schutzwirkung zugunsten des Dritten besteht, während in der Literatur die Ansicht vorherrscht, dass es sich um eine, auf § 242 BGB beruhende, Rechtsfortbildung handelt. Im Ergebnis macht das aber keinen Unterschied (Palandt-Heinrichs, § 328 BGB, Rn. 14 m. w. N.). Die Schutzwirkung zugunsten Dritter kann auch schon während laufender Vertragsverhandlungen in Betracht kommen, wenn z.B. das seine Mutter begleitende Kind im Laden auf einem Gemüseblatt ausrutscht („Gemüseblatt-Fall", BGHZ 66, 51). Diese Konstruktion darf allerdings nicht dazu führen, jedem Dritten, der durch eine Sorgfaltspflichtsverletzung des Schuldners einen Schaden erlitten hat, einen Schadensersatzanspruch aus dem Vertrag zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner zu gewähren. Dies würde die grundsätzliche Regelung missachten, dass eine vertragliche Haftung nur zwischen Gläubiger und Schuldner besteht, die durch den Vertrag miteinander verbunden sind. Außerdem würde der Unterschied zwischen mittelbarem und unmittelbarem Schaden unbeachtet bleiben. Die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrags soll daher nur unter bestimmten, engen Voraussetzungen möglich sein (Brox/Walker, SchuldR AT, § 33, Rn. 7). Voraussetzung für das Vorliegen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist, dass zunächst eine „besondere Leistungsnähe" des Dritten gegeben ist. Das bedeutet, dass der Dritte den Gefahren der Sachleistung ebenso stark
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst, z.B. die Angehörigen des Mieters bei der Wohnungsmiete. Weiterhin muss ein Schutzinteresse des Gläubigers „gegenüber dem Dritten" bestehen. Die Rspr. hat ursprünglich eine Schutzwirkung zugunsten Dritter nur dann bejaht, wenn der Gläubiger für das „Wohl und Wehe" des Dritten mitverantwortlich ist, d.h. wenn er diesem Schutz und Fürsorge schuldet („Sorgen wie ein Vater", Palandt-Heinrichs, § 328 BGB, Rn. 17 m. w.N.). Dementsprechend hat die Rspr. verlangt, dass zwischen dem Gläubiger und dem Dritten eine Rechtsbeziehung mit personenrechtlichem Einschlag bestehen soll, wie z.B. im Falle einer familienrechtlichen, arbeitsrechtlichen oder mietvertraglichen Beziehung. Inzwischen hat die Rspr. aber den Schutz des Dritten auch dann anerkannt, wenn die Leistung nach dem Vertragsinhalt bestimmungsgemäß dem Dritten zugute kommen soll (BGH, NJW 1984, 355; Palandt-Heinrichs, § 328 BGB, Rn. 17). Die Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags muss für den Schuldner auch „erkennbar" gewesen sein (Medicus, SchuldR AT, Rn. 776); andernfalls entfällt eine Haftung. Die Einbeziehung des Dritten ist abzulehnen, wenn kein Schutzbedürfnis besteht. Sie ist grundsätzlich dann abzulehnen, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche - egal gegen wen - zustehen, die denselben oder zumindest einen vergleichbaren Inhalt haben wie die Ansprüche, die ihm zustehen würden, wenn er in den Schutzbereich einbezogen wäre. In § 311 Abs. 3 S. 1 BGB ist der vertragliche Drittschutz enthalten (vgl. Lorenz/Riehm, Rn. 376). Beispiele: Beförderungsvertrag: Mitbeförderte Personen. Mietvertrag: Außer den Eltern - als Vertragspartner des Vermieters - werden die Kinder sowie die anderen Familienmitglieder, die für den Vermieter erkennbar zum Benutzerkreis der Wohnung gehören, in den Schutzbereich des Mietvertrags miteinbezogen. Arbeitsvertrag: Der Arbeitnehmer fällt in den Schutzbereich des Kaufvertrags zwischen Arbeitgeber und Hersteller der Maschine. Aus dem Vertrag eines Händlers mit einem Hersteller kann dagegen keine besondere Schutzpflicht zugunsten des Endverbrauchers hergeleitet werden. Die Probleme, die bei der „Produzentenhaftung" entstehen, lassen sich nicht mit der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter lösen (Palandt-Heinrichs, § 328 BGB, Rn. 17). Tritt bei einer Vertragsverletzung ein Schaden nicht bei dem Gläubiger, sondern (zufällig) bei einem Dritten ein, kann der Gläubiger ausnahmsweise diesen Schaden (für den Dritten) liquidieren (Drittschadensliquidation). Der Unterschied zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter besteht darin, dass der Anspruch nicht zum Schaden, sondern der Schaden zum Anspruch gezogen wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt z.B. (eingeschränkt) noch beim Versendungskauf, beim Vermächtnis oder beim Treuhandgeschäft. Beispiel: Wird der einem Vermächtnisnehmer vermachte Gegenstand, der sich noch im Eigentum
3. Beendigung von Schuldverhältnissen
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des Erben befindet, durch Verschulden eines Dritten zerstört, scheitert ein Schadensersatzanspruch des Erben aus § 823 Abs. 1 BGB daran, dass dieser rechnerisch kein Schaden erlitten hat, da er nach § 2174 BGB von seiner Übereignungspflicht frei geworden ist. Den Schaden hat vielmehr auf Grund der in § 275 BGB enthaltenen Regelung zur Sachgefahr der Vermächtnisnehmer; dieser hat aber keinen Anspruch.
3. Beendigung von Schuldverhältnissen a. Übersicht Es gibt verschiedene Varianten, die eine Beendigung eines Schuldverhältnisses zu Folge haben. Die Beendigung begründet - im Gegensatz zu den Leistungsverweigerungsrechten - keine bloße Einrede, sondern ist im Falle eines Prozesses von Amts wegen zu berücksichtigen. Beendigung des Schuldverhältnis durch
Erfüllung Aufrechnung
Konfusion, Konsolidation
Zweckerreichung
Hinterlegung
Erlass
Rücktritt, Kündigung
Abb. III.9. Beendigung von Schuldverhältnissen
b. Erfüllung Unter Erfüllung versteht man das Bewirken der tatsächlichen Leistung. Eine Erfüllungswirkung tritt nur dann ein, wenn der richtige Schuldner dem richtigen Gläubiger die richtige Leistung am richtigen Ort erbringt. In diesem Fall erlischt das Schuldverhältnis (§ 362 Abs. 1 BGB). Umstritten ist die Rechtsnatur der Erfüllung (vgl. hierzu Brox/Walker, SchuldR AT, § 14, Rn. 3). Nach der heute herrschenden Theorie der realen Leistungsbewirkung (Jauernig-Stürner, § 362 BGB, Rn. 2) wird grundsätzlich nur auf die Herbeiführung des Leistungserfolges durch die Leistungshandlung abgestellt, die in erkennbarer Weise der geschuldeten entspricht. Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen (z. B. zur Zahlung) verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung aus, stellt sich die Frage, welches Schuldverhältnis durch die Zahlung erlischt. Meistens besteht kein Zweifel zwischen den Parteien, welche Forderung nach dem Willen des Schuldners durch dessen Leistung getilgt werden soll.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Liegt jedoch keine Vereinbarung vor, so hat der Schuldner das Recht, die Schuld zu bestimmen, die getilgt werden soll (§ 366 Abs. 1 BGB). Hat er dies getan, ist auch alles klar. Schwierig wird es in dem Fall, in dem auch der Schuldner keine „Zweckbestimmung" vorgenommen hat. Dann richtet sich die Tilgung nach der gesetzlichen Regel des § 366 Abs. 2 BGB. Es wird danach durch die Zahlung getilgt die - zunächst fällige Schuld, - unter mehreren fälligen die weniger sichere Schuld, - unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere Schuld (z.B. bei mehreren Darlehensschulden die mit dem höheren Zinssatz), - bei mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und - bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig. Merkregel: „Fällig, sicher, aber lästig ist das ältere Verhältnis" (Klunzinger, S. 225). Betrachtet man den Wortlaut des § 362 BGB, so fällt auf, dass der Schuldner nicht wörtlich erwähnt ist. Daraus ergibt sich, dass der Schuldner nicht unbedingt persönlich leisten muss. Die Leistung kann auch von einem Dritten erbracht werden (§ 267 BGB). Der leistende Dritte muss aber dann, damit es zu einer Erfüllungswirkung führt, zum Ausdruck bringen, dass er eine fremde Schuld erfüllen will. Für die Erfüllung enthält § 363 BGB zudem noch eine Beweislastbestimmung, die dem Gläubiger, der die geschuldete Kaufsache entgegennimmt und verwendet oder veräußert, die Beweislast aufbürdet. Regelmäßig muss die Leistung an den Gläubiger bewirkt werden. Diese Leistung bringt das Schuldverhältnis zum Erlöschen. Ausnahmsweise kann aber auch die Leistung an einen Nichtgläubiger befreiende Wirkung haben. Einen solchen Fall regelt § 362 Abs. 2 BGB durch Verweisung auf den § 185 BGB. Die Leistung an einen Dritten befreit, wenn der Gläubiger dazu vorher seine Einwilligung erteilt hat (§ 185 Abs. 1 BGB). Die Leistung an einen Dritten hat gem. § 362 Abs. 2 BGB auch dann befreiende Wirkung, wenn der Gläubiger sie nachträglich genehmigt oder wenn einer der beiden anderen Fälle des § 185 Abs. 2 BGB eintritt (d.h. der Empfänger Gläubiger wird oder der Gläubiger beerbt den Empfänger und haftet unbeschränkt für die Nachlassverbindlichkeiten). Weitere Fälle, in denen die Leistung an einen Nichtberechtigten befreiend wirkt, liegen vor, wenn dem Gläubiger an der Forderung ein Nießbrauch oder ein Pfandrecht zusteht (§§ 1074, 1282, BGB, §§ 835, 836 Abs. 1 ZPO; Palandt-Heinrichs, § 185 BGB, Rn. 4) oder wenn der Schuldner an jemand leistet, den er gutgläubig für empfangsberechtigt hält. Diese Fallgestaltungen finden sich bei der Forderungsabtretung und bei den Wert- und Legitimationspapieren (§§ 370, 407, 408, 893, 2367 BGB).
3. Beendigung von Schuldverhältnissen
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Der Gläubiger hat auf Verlangen eine Quittung zu erteilen (§ 368 BGB), damit dieser notfalls die Erfüllung beweisen kann. Ferner muss der Gläubiger einen möglicherweise ausgestellten Schuldschein zurückgeben (§ 371 BGB). c. Leistung an Erfüllungs Statt Der Anspruch des Gläubigers auf die Leistung erlischt, wenn der Gläubiger eine andere als die geschuldete Sache annimmt, u. U. durch vorherige Vereinbarung einer Ersetzungsbefugnis (Leistung an Erfüllungs Statt, § 364 Abs. 1 BGB). Weist die an Erfüllungs Statt gegebene Sache Mängel auf, dann hat der Gläubiger die Rechtsstellung eines Käufers (hierzu ausführlich Medicus, SchuldR AT, Rnn. 247 ff., vor allem zu den Fragen, wenn sich der an Erfüllungs Statt gegebene Gegenstand als fehlerhaft erweist). Von der Leistung an Erfüllungs Statt gem. § 364 Abs. 1 BGB ist die „Leistung erfüllungshalber" nach § 364 Abs. 2 BGB zu unterscheiden. Wenn der Schuldner gegenüber dem Gläubiger neben der bereits bestehenden Verpflichtung eine neue Verbindlichkeit begründet, so bleibt im Zweifel die bisherige Verbindlichkeit bestehen (vgl. die gesetzliche Auslegungsregel des § 364 Abs. 2 BGB). Die bereits bestehende Forderung, z. B. auf Zahlung des Kaufpreises, wird allerdings insoweit verändert, als der Gläubiger aus dieser Forderung so lange nicht vorgehen darf, als er Befriedigung aus der neu begründeten Verbindlichkeit erlangen kann. Die bisherige Verbindlichkeit gilt solange als gestundet. Eine typische Leistung erfüllungshalber ist die Hingabe eines Wechsels oder Schecks für eine - beispielsweise aus Kauf- oder Werkvertrag - bestehende Zahlungspflicht oder die Zahlung mit Kredit- oder ec-karte im POS-System (PalandtHeinrichs, § 364 BGB, Rnn. 6 ff. m. w. N.). Das Schuldverhältnis erlischt dann erst, wenn der Gläubiger bei Fälligkeit des Wechsels oder bei Einreichung des Schecks tatsächlich die Zahlung erhält. Wie aus der Übersicht (vgl. unter a.) zu ersehen ist, bestehen außer der eigentlichen Leistungsbewirkung noch andere Tatbestände, die zur Beendigung des Schuldverhältnisses führen können. Diese Folgenden Tatbestände werden auch als „Erfüllungssurrogate" bezeichnet. d. Hinterlegung Nimmt der Gläubiger die geschuldete Leistung nicht ab, so kann dennoch eine Erfüllungswirkung eintreten. Durch die Hinterlegung (i. d. R. beim AG) nach § 372 BGB erhält der Schuldner die Möglichkeit, sich von einer Verbindlichkeit zu befreien, wenn er dazu aus Gründen, die aus dem Bereich des Gläubigers stammen, nicht oder nicht mit Sicherheit in der Lage wäre. Die einzelnen Voraussetzungen, unter denen der Schuldner eine Sache hinterlegen kann, ergeben sich aus den §§ 372 ff.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
BGB. Ein Schwerpunkt der Prüfung, ob eine wirksame Hinterlegung vorliegt, betrifft die Frage, ob ein Hinterlegungsgrund vorliegt. Dieser liegt u. a. vor, wenn sich der Gläubiger im Annahmeverzug befindet (§ 372 S. 1 BGB). Der zweite Schwerpunkt ist die Hinterlegungsfähigkeit der Sachen, die in § 372 S. 1 BGB aufgezählt sind, (wobei das Problem bei „.. .sonstige Urkunden und Kostbarkeiten" liegt). Die §§ 372 ff. BGB regeln die privatrechtliche Seite der Hinterlegung, nämlich die Voraussetzungen und Wirkungen, während sich das Verfahren nach einer Hinterlegungsordnung von 1937 bestimmt (vgl. Brox/Walker, SchuldR AT, § 15, Rnn. 4 ff.).
e. Aufrechnung Die Aufrechnung ist in den §§ 387-396 BGB geregelt. Es ist eine Möglichkeit, ein Schuldverhältnis ohne Erfüllung zum Erlöschen zu bringen. In der Praxis spielt die Aufrechnung eine große Rolle. Sie wird dabei nicht immer als Aufrechnung, sondern oft als „Verrechnung", „Saldierung" oder „Anrechnung" bezeichnet. Man versteht darunter die Tilgung zweier einander gegenüberstehender Forderungen. Die Aufrechnung ist ein Erfüllungssurrogat, deren Zweck zum einen in einer Tilgungserleichterung besteht, da durch sie ein umständliches Hin- und Herzahlen vermieden und zum anderen auch eine gewisse Sicherungsfunktion erfüllt wird. Beispiel: Der Käufer K schuldet dem Verkäufer V aus einem Kaufvertrag 1 000 €. K steht demgegenüber gegen V eine Forderung in Höhe von 800 € aus einem Darlehensvertrag zu. Jeder ist also Gläubiger und Schuldner des anderen. Unter den Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB ist jeder zu einer Aufrechnung berechtigt. Mit der Aufrechnungserklärung erlöschen die Forderungen in Höhe der betragsmäßiger Übereinstimmung, d. h. in diesem Fall in Höhe von 800 €. Die Parteien können im Rahmen der Vertragsfreiheit entweder den einzelnen Leistungsanspruch oder das gesamte Schuldverhältnis abändern. Wählen die Parteien die Aufrechnung, um ein Schuldverhältnis zum Erlöschen zu bringen, so müssen dennoch einige Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Aufrechnung vorliegen. Zunächst müssen zwei Personen einander etwas schulden, d. h. jeder muss zugleich Schuldner und Gläubiger sein (§ 387 BGB). Die geschuldeten Leistungen müssen dabei ihrem Gegenstand nach gleichartig sein, i. d. R. gegeben bei Geldforderungen. Zudem muss die Forderung des Aufrechnenden nach § 387 BGB fällig sein („sobald er ... fordern kann"). Außerdem darf sie nicht einredebehaftet sein (§ 390 BGB) und muss erzwingbar sein, d. h. es darf sich nicht um eine Naturalobligation handeln. Sodann muss auch die Erfüllbarkeit der Forderung gegeben sein (§ 387 BGB „... bewirken kann").
3. Beendigung von Schuldverhältnissen
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Die Aufrechnung muss gegenüber der anderen Person erklärt werden (§ 388 S. 1 BGB), wobei Bedingungen oder Zeitbestimmungen die Aufrechnung unwirksam werden lassen. Letztlich darf die Aufrechnung nicht ausgeschlossen sein. Ein Ausschluss kann sich kraft Gesetzes gem. § 393 BGB bzw. § 394 S. 1 BGB, durch Vertrag oder durch Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben ergeben. Nach § 393 BGB ist eine Aufrechnung nicht zulässig, wenn die Hauptforderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt. Nach § 394 S. 1 BGB kann nicht gegen eine unpfändbare Forderung aufgerechnet werden; welche Forderungen darunter fallen, bestimmt sich nach § 850 ZPO. Zu beachten ist stets, dass nach § 389 BGB die aufgerechneten Forderungen nur insoweit erlöschen, wie sie sich decken und zwar in dem Zeitpunkt, in dem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber gestanden haben (§ 389 BGB). f. Erlass Ein Schuldverhältnis erlischt nach § 397 Abs. 1 BGB, wenn der Gläubiger dem Schuldner durch Vertrag die Schuld erlässt, da man auf einzelne Forderungen nicht einseitig verzichten kann. Gegen seinen Willen soll niemand aus der Schuld entlassen werden. Das kann aus steuerlichen Gründen wichtig sein, da sonst der Gläubiger dem Schuldner durch einseitigen Verzicht höhere Steuern aufbürden könnte (Fikentscher, SchuldR, Rn. 296). Zu beachten ist, dass der Erlass nur einzelne Forderungen zum Erlöschen bringen kann. Wollen die Parteien das ganze Schuldverhältnis („Schuldverhältnis im weiteren Sinne") zum Erlöschen bringen, kann dies nur durch einen Aufhebungsvertrag geschehen. Der Erlassvertrag kann ausdrücklich oder konkludent geschlossen werden und bedarf keiner besonderen Form. Weil mit seinem Abschluss die Forderung erlischt, ist er ein Verfügungsvertrag. Damit bedarf er eines Kausalverhältnisses, das regelmäßig eine Schenkung sein dürfte. Das gleiche gilt, wenn der Gläubiger gem. § 397 Abs. 2 BGB durch Vertrag mit dem Schuldner anerkennt, dass das Schuldverhältnis nicht besteht. Man spricht insoweit auch von einem „negativen konstitutiven Schuldanerkenntnis". Das negative Schuldanerkenntnis ist eine besondere Form des Erlasses und bedarf wie dieses keiner besonderen Form; ein wichtiger Anwendungsfall ist die sog. Ausgleichsquittung im Arbeitsrecht, durch die ein Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärt, dass er keine weiteren Ansprüche gegen den Arbeitgeber hat. Bei den „unverzichtbaren Ansprüchen" ist sowohl ein Erlass als auch ein negatives Schuldanerkenntnis nicht zulässig. Verzichtsverbote sind vor allem im Arbeitsrecht enthalten (z. B. § 4 Abs. 4 TVG).
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
g. Aufhebungsvertrag Das Schuldverhältnis kann von den Parteien auch durch vertragliche Abrede aufgehoben werden. Somit wird im Unterschied zum Erlassvertrag nicht nur eine einzelne Forderung, sondern das gesamte Schuldverhältnis beendet. Die Besonderheit ist außerdem, dass der Aufhebungsvertrag hierzu nicht der Form des Begründungsvertrags bedarf. Mitunter wird häufig, auch wenn die Parteien fälschlicherweise von einer Kündigung sprechen, in der Praxis ein Aufhebungsvertrag vorliegen. Allerdings kann die Hinnahme einer Kündigung nicht ohne weiteres als stillschweigender Abschluss eines Aufhebungsvertrags aufgefasst werden. h. Novation Die Novation (bzw. Schuldumwandlung) ist die Aufhebung des alten in Verbindung mit der Begründung eines neuen Schuldverhältnisses, z.B. wenn sich Verkäufer und Käufer darüber einig sind, dass die noch offene Kaufpreisforderung in ein langfristiges Darlehen umgewandelt werden soll. i. Vergleich Unter einem Vergleich - gesetzlich geregelt in § 779 BGB - versteht man einen Vertrag, durch den der Streit und die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird. Ein Vergleich i. S. v. § 779 BGB ist auch der Prozessvergleich in einem Rechtsstreit. Er unterliegt aber als Prozesshandlung auch den Regeln des Prozessrechts. Der Prozessvergleich ist deshalb so bedeutungsvoll, weil es sich hierbei um einen Titel i. S. v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO handelt, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. j . Konfusion, Konsolidation Auch eine Konfusion bringt ein Schuldverhältnis zum Erlöschen. Darunter versteht man den Fall, dass sich Forderung und Schuld in einer Person vereinigen. Beispiel: A, der gegen seinen Sohn eine Forderung von 5 000 € hat, wird von diesem allein beerbt. Das sachenrechtliche Pendant dazu ist die Konsolidation. Hierbei vereinigen sich Berechtigung und Belastung in einer Person.
4. Verbraucherschutz bei besonderen Vertriebsformen
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k. Rücktritt und Kündigung Der Rücktritt ist ein einseitiges Gestaltungsrecht mit dem Ziel, das Schuldverhältnis in ein AbwicklungsVerhältnis umzugestalten. Durch die Ausübung des Rücktritts erlöschen die noch bestehenden Verpflichtungen und es entsteht bezüglich der bereits erbrachten Leistungen ein sog. Rückgewährschuldverhältnis (vgl. §§ 346 ff. BGB). Die Rücktrittsregeln finden grundsätzlich auf vertragliche und gesetzliche Rücktrittsrechte Anwendung (§ 346 Abs. 1 BGB). Nach § 346 BGB sind die Parteien verpflichtet, die einander empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben (vgl. zum Inhalt §§ 346 ff. BGB). Die vollständige Beendigung des Schuldverhältnisses tritt daher erst dann ein, wenn auch die Leistungen aus dem Rückgewährschuldverhältnis erfüllt worden sind. Bei Dauerschuldverhältnissen, z. B. Miete, Pacht, Leihe, Dienstverträge, tritt an die Stelle des Rücktritts i. d. R. die Kündigung (vgl. § 313 Abs. 3 S. 2 BGB). Sie ist im BGB nicht zusammenfassend geregelt, sondern bei den einzelnen Vertragstypen besonders ausgestaltet. Bei einer Kündigung ist zu unterscheiden zwischen einer ordentlichen Kündigung, die den Vertrag nach Ablauf der Kündigungsfrist beendet und der außerordentlichen (= fristlosen) Kündigung aus wichtigem Grund, die den Vertrag mit sofortiger Wirkung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung beendet. Die außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ist in § 314 BGB geregelt, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die Kündigung beendet das Schuldverhältnis im Gegensatz zum Rücktritt nur für die Zukunft. Der Grund hierfür besteht darin, dass bei einem in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis eine Rückabwicklung der gegenseitig empfangenen Leistungen i. d. R. nicht durchführbar ist und darüber hinaus auch nicht im Interesse der Parteien sein dürfte (Fikentscher, SchuldR, Rn. 36).
4. Verbraucherschutz bei besonderen Vertriebsformen a. Überblick über den Verbraucherschutz im BGB Schließt ein Unternehmer (§ 14 BGB) mit einem Verbraucher (§13 BGB) einen Vertrag, dann ist der Verbraucher im Zweifel die unterlegene Partei, die es durch zahlreiche Vorschriften zu schützen gilt. Verbraucher ist nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Der Verbraucherbegriff wird auf die Rolle beim Abschluss eines Rechtsgeschäfts bezogen. Somit ist man nicht stets Verbraucher, sondern nur dann, wenn man i. S. v. § 13 BGB am Rechtsverkehr teilnimmt.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil Beispiel: Ein Schriftsteller kauft Papier für das Manuskript seines nächsten Romans. Hier tritt er nicht als Verbraucher auf; anders ist es, wenn er z. B. Brötchen kauft.
Unternehmer ist nach § 14 BGB jede natürliche oder juristische Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts ihre gewerbliche oder selbstständige Tätigkeit ausübt. Zum Teil bezieht sich der Verbraucherschutz auf einzelne Vertragstypen, z. B. auf den Teilzeitwohnrechtevertrag (§§ 481 ff. BGB), den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB), den Verbraucherdarlehensvertrag (§§ 491 ff. BGB), die Finanzierungshilfen (§§ 499 ff. BGB) oder Ratenlieferungsverträge (§ 505 BGB). Soweit der Verbraucherschutz alle oder jedenfalls mehrere Vertragstypen betrifft, ist er im Allgemeinen Schuldrecht geregelt. Die bisher in verschiedenen Nebengesetzen normierten Verbraucherschutzgesetze, z.B. Haustürwiderrufsgesetz (HWiG), Fernabsatzgesetz (FernabsatzG), Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) oder das Teilzeitwohnrechtegesetz (TzWrG) wurden im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung in das BGB implementiert. Zu den besonderen Vertriebsformen gehören nach den §§ 312—312f BGB die Haustürgeschäfte, die Fernabsatzverträge sowie die im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossenen E-Commerce-Verträge. Die Gemeinsamkeit dieser Vertriebsformen besteht darin, dass die Verträge auf unübliche Weise, unter unüblichen Umständen oder an einem unüblichen Ort abgeschlossen oder angebahnt werden. Einheitlich ist in § 312 f BGB das grundsätzliche Verbot vertraglicher Dispositionen oder sonstiger Umgehungen zu Lasten der Kunden vorgesehen. Die Vorschriften dieses Untertitels finden danach, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden. b. Haustürgeschäfte Beruht der Vertragsabschluss zwischen Unternehmer und Verbraucher auf einer anbieterinitiierten Kontaktaufnahme am Arbeitsplatz, im Bereich einer Privatwohnung, anlässlich einer vom Unternehmer oder von einem Dritten zumindest auch im Interesse des Unternehmers durchgeführten Freizeitveranstaltung oder im Anschluss an ein überraschendes Ansprechen in Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen (Haustürgeschäfte), steht dem Verbraucher ein zweiwöchiges Widerrufsrecht gem. § 312 Abs. 1 BGB i.V. m. § 355 BGB zu. Beispiele: Partyverkäufe, „Kaffeefahrten", Heimvorführungen. Das bedeutet, dass der Verbraucher mit fristgerechter Ausübung seines Widerrufsrechts an seine gegenüber dem Unternehmer abgegebene Willenserklärung nicht mehr gebunden ist.
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Hintergrund dieser Vorschrift ist, dass bei „Haustürgeschäften" für den Verbraucher typischerweise die Gefahr einer „Überrumpelung" besteht. Vielfach wird dem Käufer erst, nachdem sich der „Werber" verabschiedet hat, klar, dass er sich bei ruhiger Überlegung ganz anders verhalten hätte; eine Anfechtung, sei es wegen Irrtums oder auch arglistiger Täuschung, ist in diesen Fällen nur selten möglich. Dem Verbraucher kann anstelle des Widerrufsrechts ein Rückgaberecht nach § 356 BGB eingeräumt werden. Die Anwendung des § 312 BGB ist ausgeschlossen, wenn die mündlichen Verhandlungen auf Grund einer vorhergehenden Bestellung des Verbrauchers geführt worden sind, wenn die Leistung bei Vertragsabschluss sofort erbracht und bezahlt wird und ihr Wert 40 € nicht übersteigt sowie schließlich, wenn die Willenserklärung des Verbrauchers notariell beurkundet worden ist (§ 312 Abs. 3 BGB). Zu beachten ist, dass bei Versicherungsverträgen eine spezielle Regelung bzgl. des Widerrufsrechts besteht, sofern der Versicherungsvertrag für eine längere Dauer als ein Jahr abgeschlossen worden ist (§ 8 Abs. 4 VVG). c. Fernabsatzverträge Unter Fernabsatzverträgen sind nach § 312 b BGB alle Verträge über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen zu verstehen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden. Ausgenommen sind Unternehmer, die kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem unterhalten, also etwa nur gelegentlich am Telefon Verträge abschließen. Fernkommunikationsmittel sind Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer „ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien" eingesetzt werden können, insbesondere Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telefaxe, E-Mails sowie Rundfunk, Tele- und Mediendienste. Die Regelung erfasst daher sowohl die klassischen Fernabsatzgeschäfte (z. B. Bestellung per Katalog) als auch einen Großteil des sog. elektronischen Geschäftsverkehrs. Darüber hinaus sind in § 312 b Abs. 3 BGB Bereichsausnahmen enthalten, denen jeweils unterschiedliche Erwägungen zugrunde liegen. Beispiele: Verträge über Fernunterricht (§ 1 Fernunterrichtsschutzgesetz), Verträge über die Teilzeitnutzung von Wohngebäuden (§ 481 BGB), Verträge betreffend Finanzgeschäfte, insbesondere Bankgeschäfte, Finanz- und Wertpapierdienstleistungen, Versicherungen sowie deren Vermittlung; ausgenommen sind weiterhin Verträge über Vermittlung von Darlehensverträgen, Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken, sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs (z. B. regelmäßige Lieferung von „Mineralwasser"), die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort oder am Arbeitsplatz eines Verbrauchers von Unternehmern im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden sowie Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung (z. B. Hotelreservierung), Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken (z. B. Pizzabestellung).
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Die besondere Gefährdung des Verbrauchers bei Fernabsatzgeschäften besteht darin, dass die Beurteilung des Vertragsgegenstands und des Vertragspartners sowie ggf. die Rechtsverfolgung gegenüber diesem erschwert ist. Der Unternehmer hat daher den Verbraucher rechtzeitig nach § 312 c Abs. 1 BGB „vor Abschluss eines Fernabsatzvertrags" über zahlreiche Details klar und verständlich zu informieren, z.B. muss er bei Telefongesprächen seine Identität und den gewerblichen Zweck des Vertrags zu Beginn des Gesprächs offen legen. Die Einzelheiten der Informationspflichten des Unternehmers ergeben sich aus der Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach BGB (BGBInfo V), auf die § 312 c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB verweist. Diese wiederholt und ergänzt insbesondere die Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr; in Anl. 2 enthält sie zudem das Muster einer Widerrufsbelehrung. Dem Verbraucher sollen also die erforderlichen Informationen über den wesentlichen Vertragsinhalt, seinen Vertragspartner und das Widerrufsrecht zur Verfügung gestellt werden, damit er seine Entscheidung für den Vertragsabschluss informiert treffen kann. Nach § 312 c Abs. 2 BGB hat der Unternehmer diese Informationen spätestens bis zur vollständigen Erfüllung des Vertrags diesem in Textform mitzuteilen, bei Waren spätestens bei Lieferung an den Verbraucher. Bei einem Verstoß des Unternehmers gegen seine Informationspflichten kommt eine Schadensersatzhaftung nach § 311 Abs. 2 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten in Betracht. Bei nicht hinreichender Information beginnt die Widerrufsfrist nach § 312d BGB nicht zu laufen. Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein zweiwöchiges Widerrufsrecht nach § 312d BGB i.V.m. § 355 BGB zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 BGB eingeräumt werden. Das Widerrufsrecht besteht grundsätzlich nicht bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind oder die auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet sind oder schnell verderben können oder deren Verfalldatum überschritten würde, bei der Lieferung von Audio- oder Videoaufzeichnungen oder von Software, sofern die gelieferten Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden sind, bei der Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten, bei der Erbringung von Wett- und LotterieDienstleistungen oder bei Verträgen im Rahmen von Versteigerungen (§ 312d Abs. 4 BGB). d. Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr § 312 e BGB setzt die (privatrechtlichen) Vorgaben der E-Commerce-RL 2000/31/ EG, die für den elektronischen Geschäftsverkehr Anforderungen an die Ausgestaltung des Vertragsabschlusses und weitere Informationspflichten enthalten, in das
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deutsche Recht um. Während die oben erwähnten Vorschriften vornehmlich dem Verbraucherschutz dienen, betreffen die Regelungen über Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr grundsätzlich auch Verträge unter Unternehmern. Die Regeln zum elektronischen Geschäftsverkehr sind nach § 312e BGB dann anwendbar, wenn sich der Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen eines Tele- oder Mediendienstes bedient (zum Begriff, vgl. § 2 Abs. 1 TDG, § 2 Abs. 1 MDStV). Diese besonderen Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr treffen nur Unternehmer, jedoch nicht beschränkt auf das Verhältnis zu Verbrauchern, sondern zu allen Kunden, d. h. auch gegenüber anderen Unternehmern. Die einzige Besonderheit im unternehmerischen Bereich besteht darin, dass nach § 312 a Abs. 2 BGB die Parteien grundsätzlich frei über die Regeln disponieren können. Im elektronischen Geschäftsverkehr besteht die Gefahr von Eingabefehlern und das Bedürfnis der Kunden, vor Abgabe einer endgültigen Bestellung noch Berichtigungen vornehmen zu können. Der Unternehmer hat daher dem Empfänger (Kunden) angemessene, wirksame und zugängliche technische Mittel zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe der Kunde Eingabefehler vor Abgabe seiner auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung (Bestellung) erkennen und berichtigen kann. Der Unternehmer hat dem Kunden weiterhin rechtzeitig vor Abgabe seiner Bestellung klar und verständlich die den Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr betreffenden Informationen zu erteilen, den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen und die Möglichkeit zu verschaffen, die Vertragsbestimmungen einschließlich der einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen alsbald, spätestens bis zur vollständigen Erfüllung des Vertrags, bei Waren spätestens bei Lieferung an den Kunden abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern (vgl. § 312e BGB). Zu beachten ist, dass es sich bei einem Vertrag, der „im elektronischen Geschäftsverkehr" zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher zustande kommt, auch um einen Fernabsatzvertrag i. S. v. § 312b BGB handelt. Unmittelbare Rechtsfolgen sind mit einer Nichteinhaltung der in § 312e BGB enthaltenen Pflichten nicht verbunden. Handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag, steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht gem. den §§ 312d, 355 BGB zu. Für diesen Fall bestimmt § 312e Abs. 3 S. 2 BGB - ohne freilich dem Verbraucher ein eigenes Widerrufsrecht einzuräumen -, dass die Widerrufsfrist erst nach Erfüllung der in § 312 e Abs. 1 S. 1 BGB geregelten Pflichten beginnt. Der Verstoß gegen eine oder auch mehrere Pflichten des § 312e Abs. 1 S. 1 BGB führt nicht zur Nichtigkeit des Vertrags. Eine solche Rechtsfolge widerspricht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, den Kunden zu schützen. Würde nämlich die Nichtbeachtung der Informationsund Verhaltenspflichten durch den Unternehmer die Nichtigkeit des Vertrags zur Folge haben, hätte der Kunde nicht einmal einen (durchsetzbaren) Anspruch auf nachträgliche Information. Verstöße gegen die in § 312e Abs. 1 BGB bestimmten Pflichten begründen im Übrigen auch die Möglichkeit einer Unterlassungsklage
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nach § 13 UWG und nach § 2 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG). Mit der Nichteinhaltung der besonderen Pflichten beim E-Commerce kann der Anbieter auch Schutz- und Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Kunden verletzen. Wenn dies zu einem Schaden führen sollte, könnte eine Haftung aus §§311 Abs. 2, 241 Abs. 2 i.V. m. § 280 Abs. 1 BGB begründet sein. In Betracht kommt auch ein Anfechtungsrecht des Kunden wegen eines Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB. e. Widerrufsrecht Für das Widerrufsrecht gelten die allgemeinen Vorschriften. Das Widerrufsrecht bezweckt den Schutz des Verbrauchers vor einer vertraglichen Bindung. Der Verbraucher ist nach § 355 Abs. 1 S. 1 BGB nach Ausübung seines Widerrufsrechts an seine Vertragserklärung nicht mehr gebunden. Der Vertrag ist solange schwebend wirksam. Sie kann durch den Widerruf endgültig unwirksam gemacht werden. Der Verbraucher kann seine Willenserklärung innerhalb von zwei Wochen durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer ohne Begründung in Textform oder durch Rücksendung der Ware widerrufen (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn dem Verbraucher eine Belehrung über das Widerrufsrecht in Textform mitgeteilt (§ 126 b BGB; § 355 Abs. 2 S. 1 BGB) oder bei einem schriftlich abzuschließenden Vertrag (z.B. § 492 Abs. 3 BGB) zur Verfügung gestellt worden ist. Um dem Verbraucher die zwei Wochen als Überlegungsfrist zu lassen, genügt zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung des Widerrufs; es kommt also nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs an. Nach § 355 Abs. 3 BGB erlischt das Widerrufsrecht spätestens sechs Monate nach Vertragsabschluss. Diese Regelung sollte nach der Fassung im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz auch dann gelten, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden war. Dies war jedoch europarechtswidrig (vgl. EuGH, NJW 2002, 281). Deshalb bestimmt nunmehr § 355 Abs. 3 S. 3 BGB, dass für das Widerrufsrecht des nicht ordnungsgemäß belehrten Verbrauchers die Höchstfrist von sechs Monaten nicht gilt.
5. Leistungsstörungen a. Einleitung Schuldverhältnisse, vor allem Verträge sind darauf ausgerichtet, dass der Schuldner seiner Leistungspflicht ordnungsgemäß nachkommt, d. h. durch Erfüllung oder
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Erfüllungssurrogat. Werden diese Verpflichtungen erfüllt, ergeben sich keine Probleme. Nicht immer verläuft jedoch die Abwicklung eines Schuld verhältnisses problemlos. Oftmals treten nach seiner Entstehung und vor seinem Erlöschen Störungen auf. Der Verkäufer kann eine Sache nicht (mehr) übereignen, die Leistung wird zu spät oder mangelhaft erbracht oder es wird eine sonstige Pflicht verletzt oder der Gläubiger kommt mit der Annahme der Leistung in Verzug. In allen Fällen handelt es sich um Leistungsstörungen. Die Neuregelungen in den §§ 275-288 BGB fassen grundsätzlich sämtliche Tatbestände der Leistungsstörungen unter den einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung zusammen (§ 280 Abs. 1 BGB). Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB ist das Vorliegen eines Schuldverhältnisses, einer Pflichtverletzung und eines Vertretenmüssens. Die Vorschrift des § 280 Abs. 1 BGB gilt für die Verletzung von Hauptpflichten, Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB. Aus den Verweisungen in §§ 281-283, 437 Nr. 3 BGB sowie 634 Nr. 4 BGB auf die Vorschrift des § 280 BGB wird deutlich, dass alle Leistungsstörungen auf diesem Grundtatbestand beruhen, soweit es sich um Schadensersatzansprüche handelt. Eine Pflichtverletzung liegt danach vor, wenn der Schuldner die Leistung zu spät, gar nicht oder schlecht erbringt, d. h. nicht in der geschuldeten Qualität oder unter Verletzung von Nebenpflichten. Die Pflichtverletzung führt dazu, dass der Gläubiger grundsätzlich einheitlich Schadensersatz wegen Pflichtverletzung verlangen kann, sofern diese schuldhaft erfolgt ist. Sie löst damit den bisher zentralen Begriff der Unmöglichkeit im Leistungsstörungsrecht ab. Das bedeutet allerdings nicht, dass die bisherigen Differenzierungen zwischen den unterschiedlichen Formen an Leistungsstörungen ohne Bedeutung sind. Diese Differenzierungen sind nunmehr auf der Rechtsfolgenebene von Relevanz, indem das Gesetz neben dem allgemeinen Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung (§ 280 Abs.l BGB) noch besondere Regelungen für den Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 3 BGB i.V.m. §§ 281-283 BGB) und wegen des Schadensersatzes wegen Verzugs (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB) enthält. Die Zusammenfassung ist allerdings nicht stringent durchgeführt worden. So bleibt die Unmöglichkeit als Grund für das Freiwerden von der Verbindlichkeit erhalten (§§ 275 BGB, 326 Abs. 5 BGB). Diese liegt vor, wenn der Schuldner die geschuldete Leistung nicht erbringen kann, wobei § 275 BGB eine Erweiterung auf vergleichbare Fälle enthält; § 275 Abs. 2 BGB betrifft den „unzumutbaren Aufwand" und § 275 Abs. 3 BGB die „unzumutbare persönliche Leistungserbringung". Der Verzögerungsschaden wird nur unter besonderen Voraussetzungen des Verzugs ersetzt (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB). Ein Schuldnerverzug liegt vor, wenn der Schuldner eine fällige Leistung auch nach einer Mahnung nicht erbringt (§ 286 BGB). Schadensersatz statt der Leistung (früher: Schadensersatz wegen Nichterfüllung) kann grundsätzlich nur nach einer Fristsetzung i. S. v. § 281 BGB verlangt werden. Im Besonderen Teil des Schuldrechts enthält das Gesetz ergänzende Regelungen zu den sog. Mängelrechten, z. B. in den §§ 437 ff. BGB für den Kaufvertrag, in den
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
§§ 536 ff. BGB für den Mietvertrag, in den §§ 633 ff. BGB für den Werkvertrag und in §§ 651 c ff. BGB für den Reisevertrag. Im Mietrecht (§ 536 a Abs. 1 BGB) und im Reiserecht (§§ 651 f BGB) gibt es jeweils einen eigenen Schadensersatzanspruch. Sonstige Pflichtverletzungen sind direkt nach der Vorschrift des § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Schadensersatz statt der Leistung kann nach § 282 BGB bei sonstigen Pflichtverletzungen nur verlangt werden, wenn die Pflichtverletzung wesentlich ist und dem Gläubiger die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist. Regelmäßig handelt es sich um eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten i.S.v. §241 Abs. 2 BGB. Eine Besonderheit besteht bei der anfänglichen Unmöglichkeit. Diese führt nach neuem Recht nicht mehr zur Unwirksamkeit des Vertrags (§ 311 a Abs. 1 BGB). Bei anfänglicher Unmöglichkeit besteht eine an die Kenntnis vom Unvermögen anknüpfende Verschuldenshaftung (§ 311a Abs. 2 BGB). Für die gedankliche Prüfungsreihenfolge im Rahmen eines Gutachtens ergibt sich auf Grund der neuen Gesetzessystematik eine wichtige Änderung. Während früher zunächst die Art der Leistungsstörung festgestellt werden musste, um über die Anwendung der richtigen Norm (z.B. §§ 325, 326, 463 BGB a.F.) zu einer Rechtsfolge zu kommen, ist nach der neuen Rechtslage von der begehrten Rechtsfolge auszugehen. Es kommt darauf an, ob der Gläubiger Schadensersatz „statt der Leistung" (früher: Schadensersatz wegen Nichterfüllung), Ersatz von (reinen) Verzugsschäden, Schadensersatz „neben" der Leistung ( d. h. Mangelfolgeschäden) oder Rückgewähransprüche nach Rücktritt geltend macht. Sämtliche Schadensersatzansprüche setzen ein Vertretenmüssen voraus. Regelmäßig geht es hier um das Verschulden. Das Verschulden bestimmt sich - wie bisher - nach § 276 BGB, bei zurechenbarem Fremdhandeln über die §§ 278, 31 BGB. Der Schuldner hat nach § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Ein strengerer oder milderer Haftungsmaßstab kann sich insbesondere aus dem Inhalt des jeweiligen Schuldverhältnisses ergeben. In dieser Vorschrift sind beispielhaft die Übernahme einer Garantie und eines Beschaffungsrisikos genannt. Die Übernahme einer Garantie bedeutet, dass der Schuldner verspricht, verschuldensunabhängig für den Eintritt oder Nichteintritt eines bestimmten Erfolges einstehen zu wollen. Die Garantie ist vor allem im Kaufrecht von Bedeutung, wenn der Verkäufer das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft der Kaufsache garantiert. Die Übernahme eines Beschaffungsrisikos geschieht regelmäßig in den Fällen, in denen der Schuldner verspricht, eine am Markt erhältliche Gattungssache zu liefern. In diesem Fall hat der Schuldner grundsätzlich für seine Leistungspflicht so lange einzustehen, wie eine Beschaffung dieser Sachen am Markt möglich ist.
5. Leistungsstörungen
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Überblick: - §§ 280 Abs. 1 u. 2 i.V. m. § 286 BGB - Anspruchsgrundlage für den Ersatz von reinen Verzögerungsschäden bei Verzug. - §§ 280 Abs. 1 u. 3 i.V. m. § 283 BGB - Anspruchsgrundlage für Schadensersatz wegen nachträglicher Unmöglichkeit. - §§ 280 Abs. 1 u. 3 i.V.m. § 281 BGB - Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz statt der Leistung, wenn eine Leistung schuldhaft nicht oder nicht wie geschuldet erbracht wird und eine angemessene Frist erfolglos abläuft. - §§ 280 Abs. 1 u. 3 i.V. m. § 282 BGB - Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz statt der Leistung bei Verletzungen von Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB und Unzumutbarkeit. - §§ 280 Abs. 1 BGB - Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz bei sonstigen schuldhaften Pflichtverletzungen. - Sonderfall: § 311 a Abs. 2 BGB - Anspruchsgrundlage für Schadensersatz wegen anfänglicher Unmöglichkeit.
Das Verschulden wird durchgehend vermutet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Behauptungs- und Beweislast liegt damit stets beim Schuldner, so dass dieser Umstände darzulegen und zu beweisen hat, dass die Pflichtverletzung nicht die Folge eines von ihm zu vertretenden Umstands ist. Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Gläubiger auch Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen verlangen (§ 284 BGB). Bei gegenseitigen Verträgen kann ein Rücktritt des Gläubigers dann erfolgen, wenn der Schuldner ohne Verschulden eine angemessene Nachfrist zur Leistung oder Nacherfüllung verstreichen lässt (§ 323 Abs. 1 BGB). § 325 BGB lässt eine Kumulierung von Rücktritt und Schadensersatz zu. Zu beachten ist, dass das BGB hier keine einheitliche Terminologie verwendet. So ist z. B. in § 323 Abs. 1 BGB die Rede davon, dass der Schuldner die Leistung „nicht oder nicht vertragsgemäß" erbringt. Rücktritt und Widerruf sind nun zusammen in den §§ 346 ff. BGB geregelt. Wesentliche Änderungen betreffen vor allem das Rücktrittsrecht, und zwar bei Störungen des Rückabwicklungsverhältnisses. Zu beachten ist, dass die Unmöglichkeit der Rückgewähr das Rücktrittsrecht nicht ausschließt. Derartige Störungen werden über die Pflicht zum Wertersatz ausgeglichen. Beim Widerrufsrecht besteht eine wesentliche praktische Änderung darin, dass ein ordnungsgemäß über die Folge unterrichteter Verbraucher nunmehr auch im Falle des Widerrufs Wertersatz für die auf Grund bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme eingetretene Wertminderung leisten muss, sofern er spätestens bei Vertragsabschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden (§ 357 Abs. 3 BGB).
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Die bisher als Einrede der Vermögensverschlechterung ausgestaltete Vorschrift des § 321 BGB ist zur allgemeinen Unsicherheitseinrede erweitert worden. Im Hinblick auf die Gegenleistung enthält § 326 BGB im Falle der Unmöglichkeit eine Sonderregelung. Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden die richterrechtlich entwickelten Rechtsinstitute kodifiziert. So sind vor allem die positive Forderungsverletzung (pFV, jetzt: § 280 Abs. 1 BGB), das Verschulden bei Vertragsverhandlungen (cic; jetzt: § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB), die Störung/Wegfall der Geschäftsgrundlage (§313 BGB) und die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) gesetzlich geregelt. Die folgende Darstellung des Leistungsstörungsrechts orientiert sich aus didaktischen Gründen nicht an den Rechtsfolgen, sondern an den Typen der Störungen im Schuldverhältnis. b. Schuldnerverzug aa. Voraussetzungen Häufig kommt es zu der Situation, dass die vertraglich geschuldete Leistung nicht termingemäß erbracht wird, obwohl dies möglich gewesen wäre. Der Schuldner kommt grundsätzlich dann in Verzug, wenn er auf eine Mahnung des Gläubigers hin nicht leistet. In systematischer Hinsicht ist das Verzugsrecht auch nach der Schuldrechtsmodernisierung ein eigenständiger Abschnitt im Leistungsstörungsrecht geblieben. Die Einbindung in die allgemeine Haftung für Pflichtverletzungen hat jedoch dazu geführt, dass sich der Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens jetzt aus §§ 280 Abs. 1 u. 2 BGB ergibt. Die bisherigen §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 1 BGB, die den Übergang vom Anspruch auf Leistung zum Schadensersatz bzw. zum Rücktritt im Verzugsfall regelten, sind in den neuen §§281, 323 BGB aufgegangen, die den Verzug nicht mehr explizit voraussetzen. Der Schuldnerverzug hat „nur" noch zur Folge, dass der Gläubiger Ersatz von (reinen) Verzögerungsschäden (§§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 BGB), z.B. Verzugszinsen (§ 288 BGB) verlangen kann und dass eine Haftungsverschärfung nach § 287 S. 2 BGB eintritt (vgl. Lorenz/Riehm, Rn. 255 m. w. N.). Der Schuldnerverzug hat keine Auswirkungen auf den Erfüllungsanspruch. Diese Ansprüche treten vielmehr neben den Erfüllungsanspruch. Der Gläubiger kann nur Schadensersatz statt der Leistung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten, wenn die Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1 u. 3, 281 bzw. 323 BGB vorliegen, d. h. grundsätzlich erst nach einer erfolglosen Fristsetzung. Der Schuldnerverzug nach den §§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 BGB setzt voraus: - Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des Anspruchs, - Nichtleitung trotz Möglichkeit der Leistung,
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- Mahnung. Die Fälligkeit des Anspruchs bestimmt sich nach der Leistungszeit. Sie ist gegeben, wenn der Gläubiger die Leistung zu fordern berechtigt ist. Die Leistungszeit ergibt sich häufig nach der Parteivereinbarung. Liegt keine besondere Abrede vor, ist die Leistung nach § 271 BGB im Zweifel sofort fällig. Gesetzliche Sonderregeln für die Fälligkeitfindensich in den §§ 556 b Abs. 1, 579 BGB für die Miete, in § 604 BGB für die Leihe, in § 488 Abs. 2 u. 3 BGB für das Gelddarlehen oder in § 641 BGB für den Werkvertrag. Der fällige Anspruch muss durchsetzbar sein. Stehen dem Anspruch Einreden oder Einwendungen des Schuldners entgegen, kann der Gläubiger nicht erwarten, dass der Schuldner seinen Anspruch erfüllt. Die mangelnde Durchsetzbarkeit hindert den Verzugseintritt, auch wenn dies nicht explizit in § 286 Abs. 1 BGB erwähnt ist. Ob bereits das Bestehen einer Einrede oder deren Geltendmachung den Schuldnerverzug ausschließt, hängt davon ab, um welche Art von Einwand es sich handelt. So schließt z. B. wegen der gegenseitigen Abhängigkeit von Leistung und Gegenleistung nach h. M. das bloße objektive Bestehen der Einrede des § 320 BGB die Durchsetzbarkeit des Anspruchs und damit den Schuldnerverzug aus. Entsprechendes gilt für die Verjährungseinrede (§ 214 Abs. 1 BGB), die Mängeleinrede (§ 438 Abs. 4 S. 2 BGB, bisher: § 478 BGB a.R), die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB), die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 821 BGB) und die Arglisteinrede (§ 853 BGB). Anders ist es bei dem Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB. Da der Gläubiger nicht in jedem Fall damit rechnen muss, dass der Schuldner ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen wird, schließt daher allein das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB den Eintritt des Verzugs nicht aus; diese Einrede muss daher hier geltend gemacht werden (vgl. Palandt-Heinrichs, §286BGB,Rnn. 12 ff.). Weitere Voraussetzung des Schuldnerverzugs ist eine Mahnung. Eine Mahnung ist die an den Schuldner gerichtete eindeutige und bestimmte Aufforderung, die Leistung zu erbringen (vgl. Palandt-Heinrichs, § 286 BGB, Rn. 16). Die Mahnung selbst ist keine Willenserklärung, sondern eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Der Verzugseintritt und die Verzugsfolgen werden durch das Gesetz und nicht durch den Willen des mahnenden Gläubigers bestimmt. Die Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn der Gläubiger bei der Aufforderung zur Leistung gar nicht an den Verzug gedacht hat. Die Mahnung kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. Sie ist formlos gültig. Auf sie finden die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend Anwendung (vgl. BGH, NJW 1987, 1546, 1547 BGB). Die Mahnung kann grundsätzlich erst nach Eintritt der Fälligkeit wirksam erklärt werden. Eine vor Fälligkeit ausgesprochene Mahnung ist rechtlich ohne Bedeutung; sie erlangt auch nach Eintritt der Fälligkeit keine Wirksamkeit (BGH, NJW-RR 1997, 622, 623). Nach h.M. kann die Mahnung aber mit der die Fälligkeit begründenden Handlung verbunden werden, z.B. in einem Schreiben (Palandt-Heinrichs, § 286 BGB, Rn. 16). Der Gläubiger muss zur Erbringung der vollen Leistung aufgefordert haben; hat er lediglich eine Teilleistung angemahnt, so hat das nur einen
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Verzug hinsichtlich der tatsächlich angeforderten Leistung zur Folge. Nach § 286 Abs. 1 S. 2 BGB steht die Erhebung einer Leistungsklage sowie die Zustellung eines Mahnbescheids der Mahnung gleich. Nach § 286 Abs. 2 BGB ist die Mahnung in bestimmten Fällen entbehrlich. Eine Mahnung ist nicht erforderlich, wenn der Leistungszeitpunkt nach dem Kalender bestimmt ist, z. B. wenn der Schuldner zusagt, am 1.6... zu liefern. Nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt eine kalendermäßige Bestimmung nicht nur bei einer exakten Datumsangabe vor, sondern auch dann, wenn der Zeitraum, z. B. Ende Juni, festgelegt ist. Nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist die Mahnung weiterhin entbehrlich, wenn der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und die Leistungszeit von dem Ereignis ab nach dem Kalender berechenbar ist. Ein Ereignis i. d. S. ist z. B. die Formulierung „2 Wochen nach Lieferung" oder „ 1 Woche nach Abruf". Etwas anderes gilt bei der Formulierung „zahlbar sofort nach Lieferung", da in dieser Bestimmung keine Mahnung liegt, da sie vor Fälligkeit erfolgt. Die Mahnung ist ebenso entbehrlich bei einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). In diesem Fall wäre eine Mahnung offensichtlich sinnlos (Jauernig-Stadler, § 286 BGB, Rn. 29 m. w. N.). Nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB bedarf es keiner Mahnung, wenn besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Verzugseintritt rechtfertigen. Mit dieser Regelung wird die bisherige Rspr. zur Entbehrlichkeit der Mahnung nach § 242 BGB anerkannt. Zu dieser Fallgruppe zählt z. B. die Selbstmahnung, d. h. der Schuldner kündigt die Leistung sofort oder zu einem bestimmten Termin an und hält damit den Gläubiger von einer Mahnung ab (BT-Drs. 14/ 6040, S. 146). Sofern nach den vorgenannten Voraussetzungen noch kein Verzug eingetreten ist, kommt der Schuldner einer Entgeltforderung nach § 286 Abs. 3 S. 1 BGB spätestens 30 Tage nach Fälligkeit der Forderung und Zugang einer Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufstellung in Verzug. Entgeltforderungen sind solche (Geld-)Forderungen, mit denen der Gläubiger das Entgelt für eine auf Grund eines gegenseitigen Vertrags erbrachte Leistung verlangt, d. h. für die Lieferung von Gütern oder Erbringung einer Dienstleistung. Auf Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche findet § 286 Abs. 3 BGB keine Anwendung. Somit sind nicht alle Geldforderungen gleichzeitig auch Entgeltforderungen. Im Unterschied zur Mahnung kann die Rechnung auch vor Fälligkeit zugehen. Diese Vorschrift stellt keine verdrängende Sonderregel zu § 286 Abs. 1 u. 2 BGB dar, sondern ergänzt diese. Gegenüber Verbrauchern (§ 13 BGB) beginnt die 30-Tage-Frist nur dann zu laufen, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Weitere Voraussetzung ist ein Vertretenmüssen des Schuldners. Das bedeutet, dass der Schuldner den Umstand, der zum Ausbleiben der Leistung führt, vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat (§§ 276, 278 BGB). Aus § 286 Abs. 4 BGB ergibt sich, dass der Schuldner die Beweislast für das Nichtvertretenmüssen trägt. Es ist daher grundsätzlich von einem Verschulden auszugehen, es sei denn,
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der Sachverhalt enthält Hinweise, die ein Verschulden ausschließen. So liegt kein Verschulden vor, wenn tatsächliche oder rechtliche Leistungshindernisse vorliegen, z. B. eine schwere Krankheit des Schuldners oder Einfuhrbeschränkungen.
Voraussetzungen des Schuldnerverzugs (§§ 280 Abs. 1, 2 i.V.m. §§ 286 ff. BGB)
Erfüllungsanspruch (§ 271 BGB)
Nichtleistung trotz Möglichkeit (keine Unmöglichkeit)
Mahnung oder ihre Entbehrlichkeit oder 30-Tage-Regel bei Entgeltforderung)
Vertretenmüssen (vgl. §§ 286 Abs. 4, 276, 278 BGB)
Abb. 111.10. Voraussetzungen des Schuldnerverzugs
bb. Rechtsfolgen Nach den §§ 280 Abs. 1 u. 2,286 BGB kann der Gläubiger Ersatz des Verspätungsbzw. Verzögerungsschadens ersetzt verlangen. Es handelt sich dabei um den Schaden, der adäquat kausal durch den Verzug entstanden ist. In diesem Zusammenhang ist der Unterschied zur Anspruchsgrundlage der §§ 280 Abs. 1 u. 2, 281 BGB zu beachten. Der Verzugs- bzw. Verzögerungsschaden nach §§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 BGB zeichnet sich dadurch aus, dass er „neben" dem Erfüllungsanspruch bestehen kann. Welche von beiden Anspruchsketten hier Anwendung findet, bestimmt sich nach dem geschützten Interesse. Beispiele: Entgangener Gewinn, wenn der gewinnbringende Weiterverkauf wegen der Verspätung scheitert (zum entgangenen Gewinn aus Spekulationsgeschäften, vgl. BGH, ZIP 2002, 895); Kosten der Rechtsverfolgung, die nach Eintritt des Verzugs entstanden sind (nicht hierzu zählen die Kosten der verzugsbegründenden Mahnung); Mietzahlungen für eine Ersatzwohnung infolge verspäteter Herstellung eines Wohnhauses; Zinsverluste (bei Geldschulden), z.B. Verlust von Anlagezinsen oder Aufwendungen für Kreditzinsen (vgl. Palandt-Heinrichs, § 286 BGB, Rnn. 45 ff).
Soweit der Gläubiger einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung geltend machen will, muss er - wie erwähnt - nach §§ 280 Abs. 1 u. 2, 281 BGB vorgehen, d. h. eine Frist setzen. In einer solchen Fristsetzung ist stets auch eine Mahnung zu sehen. Der Gläubiger kann den Ersatz des Verzögerungsschadens auch dann verlangen, wenn der Schuldner innerhalb der gesetzten Frist leistet. Macht der Gläubiger beide Ansprüche nebeneinander geltend, darf die gleiche Schadensposition nur einmal berücksichtigt werden. Handelt es sich um Geldschulden, so werden i. d. R. Verzugszinsen verlangt. Für Entgeltforderungen aus Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher beteiligt
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
ist, beträgt der Verzugszinssatz nach § 288 Abs. 1 BGB fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, dessen jeweilige, sich zweimal im Jahr verändernde Höhe aus § 247 BGB ergibt. Ist kein Verbraucher beteiligt, ist eine Entgeltforderung mit acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (§ 288 Abs. 2 BGB). Während des Schuldnerverzugs ist die Haftung des Schuldners verschärft. Nach § 287 S. 1 BGB hat er jede Fahrlässigkeit zu vertreten, und zwar auch dann, wenn er nach allgemeinen Regeln nicht für jede Fahrlässigkeit (§§ 690, 708 BGB) haften würde. Nach § 287 S. 2 BGB haftet der Schuldner wegen der Leistung auch für Zufall, es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. Will der Gläubiger auf Grund der Verzögerung von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, sind die §§ 320 ff. BGB zu beachten. Der Gläubiger einer fälligen Leistung (Ausnahme: § 323 Abs. 4 BGB) muss dem Schuldner eine angemessene Frist zur Leistung gesetzt haben. Sie soll dem Schuldner Gelegenheit zur Vertragserfüllung geben und braucht daher nicht so lange zu sein, dass der Schuldner eine noch nicht begonnene Leistung anfangen und fertig stellen kann. Ausnahmsweise ist eine Nachfrist entbehrlich nach § 323 Abs. 2 BGB, wenn der Schuldner endgültig die Leistung verweigert, bei einem relativen Fixgeschäft oder wenn besondere Umstände vorliegen. Die Regelung in § 323 Abs. 2 BGB stimmt mit ihren Nummern 1 und 3 mit § 281 Abs. 2 BGB überein, in dem eine vergleichbare Regelung für den Schadensersatz getroffen worden ist. Der Rücktritt ist nach § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder überwiegend verantwortlich ist oder wenn er sich zu diesem Zeitpunkt in Annahmeverzug befindet. Ein Verschulden des Schuldners ist keine Voraussetzung. Rechtsfo Igen des Schuldne rverzuges
Schadensersatz
Sonstige Ans srüche
- Verzögerungsschaden (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB) — Statt Leistung (§§ 280 Abs. 3, 281 BGB)
- Erfüllungs;anspruch - Verzugszirisen (§ 288 BG 3) — Haftungsv 3rschärfungen (§ 287 BG 3)
Abb. III.ll. Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs
Rücktritt bei gegenseitigem Vertrag - Fristsetzung (§ 323 Abs. 1, 2 BGB) — Ausnahme (§ 323 Abs. 6 BGB Gläubigerverschulden/ Annahmeverzug)
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c. Gläubigerverzug Nicht nur der Schuldner kann in Verzug kommen. Es ist auch denkbar, dass die Erfüllung der Leistung durch Gründe, die aus dem Verantwortungsbereich des Gläubigers stammen, gestört wird. Damit der Schuldner seine Leistungspflicht erfüllen kann, bedarf es hierzu regelmäßig einer Mitwirkungshandlung durch den Gläubiger, sei es, dass er die angebotene Leistung annimmt oder eine sonstige Mitwirkungshandlung unterlässt. Diese Mitwirkung stellt keine Hauptpflicht des Gläubigers dar, sondern im Regelfall lediglich eine Obliegenheit. Würde es sich bei der Annahme um eine Hauptpflicht handeln, läge kein Gläubiger-, sondern Schuldnerverzug vor. Unterlässt der Gläubiger die Mitwirkung, wobei ein Verschulden nicht vorausgesetzt wird, gerät er in Gläubigerverzug; daraus können ihm rechtliche Nachteile erwachsen. Der Gläubigerverzug ist in den §§ 293 ff. BGB gesetzlich geregelt. Voraussetzung ist, dass der Schuldner die Leistung ordnungsgemäß, d. h. am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der richtigen Weise tatsächlich angeboten hat (§ 294 BGB). Das Leistungsangebot muss also so beschaffen sein, dass der Gläubiger nichts weiter tun muss als zuzugreifen und die angebotene Leistung anzunehmen (RGZ 109, 324; Brox/Walker, SchuldR AT, § 26, Rn. 5). Ausnahmsweise ist nach § 295 BGB ein wörtliches Angebot ausreichend, wenn der Gläubiger dem Schuldner erklärt, er werde die Leistung nicht annehmen oder wenn zur Erfüllung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist, z. B. die Überbringung der zu reparierenden Sache oder die Abholung der Sache bei Holschulden. Ein Angebot des Schuldners ist weiterhin gem. § 296 BGB entbehrlich, wenn für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und der Gläubiger diese Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Der Gläubiger kommt also ohne weiteres in Verzug, wenn er die Ware nicht am Fixtag abholt. Ist dagegen verabredet, dass die bestellte Ware „auf Abruf" bis zum Fixtag an ihn verschickt werden soll und ruft der Gläubiger rechtzeitig ab, dann ist ein „Angebot" des Schuldners durchaus erforderlich. Das gleiche gilt, wenn der Handlung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Handlung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt (vgl. § 296 S. 2 BGB). Eine kalendermäßige bestimmte Mitwirkungshandlung ist beispielsweise die einem Arbeitgeber obliegende Zuweisung von Arbeit. Der Arbeitgeber, dessen Kündigung unwirksam ist oder der bestimmten Arbeitnehmern rechtswidrig die Arbeitsmöglichkeit verweigert, kommt daher in Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf (Palandt-Heinrichs, § 296 BGB, Rn. 2 m. w. N.; u. a. BAG, NJW 1985, 935, 2662).
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Der Gläubiger kommt allerdings nur dann in Annahmeverzug, wenn der Schuldner zur Leistung (schon) berechtigt ist (vgl. § 271 BGB) und der Schuldner im Stande ist, die Leistung auch tatsächlich zu erbringen (§ 297 BGB). Durch die Nichtannahme der angebotenen Leistung gerät dieser in Gläubigerverzug (vgl. § 293 BGB). Gleichgültig ist, aus welchem Grund der Gläubiger die Leistung nicht annimmt. Er kommt auch dann in Annahmeverzug, wenn er die Nichtannahme oder die Nichtmitwirkung nicht zu vertreten hat (Ausnahme: § 299 BGB). Annahmeverzug setzt also kein Verschulden des Gläubigers voraus (PalandtHeinrichs, § 293 BGB, Rn. 10). Der Gläubigerverzug führt als solcher für den Schuldner noch nicht zur Befreiung von der Leistungspflicht (Ausnahme: bei Hinterlegung nach § 372 BGB), bringt diesem aber eine Haftungserleichterung in der Hinsicht, dass nur noch für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gehaftet wird (vgl. § 300 Abs. 1 BGB). Bei „Gattungsschulden" geht mit dem Annahmeverzug auch die Leistungsgefahr auf den Gläubiger über (vgl. § 300 Abs. 2 BGB). Der Schuldner trägt bei Gattungsschulden bei Übernahme eines Beschaffungsrisikos die Leistungsgefahr, solange die Lieferung aus der Gattung möglich ist. Unmöglichkeit tritt insoweit nicht ein. Im Falle des Annahmeverzugs wird der Schuldner allerdings auch bei Gattungsschulden von seiner Leistungspflicht frei, wenn die Sache während dieses Zeitraums untergeht. Die praktische Bedeutung des § 300 Abs. 2 BGB ist relativ gering, bereitet aber Studierenden mitunter Schwierigkeiten. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf die Leistungsgefahr (des Schuldners). Regelmäßig hat der Schuldner im Falle des Gläubigerverzugs „das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche bereits getan", so dass nach § 243 Abs. 2 BGB bereits eine Konkretisierung der Gattungsschuld auf eine Stückschuld eingetreten ist. Mit der Konkretisierung beschränkt sich die Leistungspflicht des Schuldners nur noch auf die von ihm ausgesonderte Sache mit der Folge, dass er im Falle der Unmöglichkeit von seiner Leistung frei wird. § 300 Abs. 2 BGB ist also nur für die Fälle von Bedeutung, in denen der Gläubiger in Annahmeverzug gerät, ohne dass zuvor eine Konkretisierung eingetreten ist sowie bei Geldschulden, da hier gem. § 270 Abs. 1 BGB der Gefahrübergang durch Konkretisierung abweichend von § 243 Abs. 2 BGB geregelt ist. Beispiel: Verkäufer V verpflichtet sich, an den Käufer K 10 Tonnen Sommerweizen „frei Haus" zu liefern, und zwar in Säcken, die der K vor der Anlieferung noch rechtzeitig dem V zu übergeben hat. Es handelt sich um eine Bringschuld. Kurz vor dem Liefertermin erklärt K eindeutig, dass er die Lieferung nicht annehmen werde. V bietet seine Leistungsbereitschaft wörtlich an gem. § 295 BGB. Die Gefahr eines (möglichen zufälligen) Untergangs der Sache geht gem. § 300 Abs. 2 BGB auf K über. Es liegt hier noch immer eine Gattungsschuld vor, da der V die zur Konkretisierung erforderlichen Leistungshandlungen, nämlich das Abfüllen des Weizens in die vom Gläubiger K bereitzustellenden Säcke, (noch) nicht vorgenommen hat bzw. vornehmen konnte.
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Im Falle des Gläubigerverzugs hat der Schuldner nach § 304 BGB einen Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen (z.B. Transportkosten). Weitere Folgen des Gläubigerverzugs enthalten die §§ 274 Abs. 2, 326 Abs. 2 S. 1, 372 S. 1, 642644 BGB. d. Unmöglichkeit aa. Überblick Kann der Schuldner die geschuldete Leistung nicht erbringen bzw. kann der Leistungserfolg nicht mehr eintreten, bezeichnet man dies als „Unmöglichkeit" (der Leistung). Im bisherigen Recht war die Unmöglichkeit - entgegen ihrer praktischen Bedeutung der zentrale Tatbestand im Leistungsstörungsrecht. Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung sollte die Unmöglichkeit als eigenständiger Tatbestand schließlich ganz entfallen. Auf Grund heftiger Kritik (u. a. von Canaris, JZ 2001, 521) ist die Unmöglichkeit als eigenständiger Tatbestand des Leistungsstörungsrechts erhalten geblieben, wobei die Rechtsfolgen zwar grundsätzlich in die allgemeine Pfiichtverletzungsdogmatik eingebunden, aber doch speziell geregelt sind (§§ 283, 285, 311a, 326 BGB). Im bisherigen Recht war zwischen der objektiven und der subjektiven Unmöglichkeit zu unterscheiden. Während bei der objektiven Unmöglichkeit niemand in der Lage war, die Leistung zu erbringen, konnte bei der subjektiven Unmöglichkeit nur der Schuldner die Leistung nicht erbringen (theoretisch aber ein Dritter). Zu unterscheiden war weiterhin zwischen der anfänglichen Unmöglichkeit (bei Vertragsabschluss) und der nachträglichen Unmöglichkeit (nach Vertragsabschluss). Die Varianten führten zu unterschiedlichen Rechtsfolgen (vgl. §§ 275, 306 a. F., 323 ff. BGB a.F.), die teilweise Wertungswidersprüche enthielten. So haftete z.B. der Schuldner verschuldensunabhängig, wenn die verkaufte Sache „eine Sekunde vor Vertragsabschluss" gestohlen worden war (anfängliche subjektive Unmöglichkeit; Garantiehaftung), während der Schuldner, wenn der Diebstahl „eine Sekunde nach Vertragsabschluss" geschah, nur bei Verschulden (§ 276 BGB) Schadensersatz zu leisten hatte. Wurde die Sache „vor Vertragsabschluss" nicht gestohlen, sondern zerstört, so trat an die Stelle der Garantiehaftung u. U. eine Haftung auf das negative Interesse bei Nichtigkeit des Vertrags (vgl. §§ 306 ff. BGB a. F.). Diese Differenzierungen sind im Rahmen der Reform weitgehend beseitigt worden. Nach dem heutigen Recht spielt die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Unmöglichkeit keine Rolle mehr. Unerheblich ist, ob die Leistung „für den Schuldner" oder „für jedermann" unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Auch die Unterscheidung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit ist nur noch für den Schadensersatzanspruch von Bedeutung (vgl. § 311 a BGB). Entfallen ist die Rechtsfolge der Nichtigkeit bei anfänglich objektiver Unmöglichkeit (§ 306 BGB a. F.). Der Vertrag bleibt auch in diesem Fall (und bei den anderen Formen der Unmöglichkeit) wirksam.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Die Vorschrift des § 275 Abs. 1 BGB regelt den Ausschluss des Leistungsanspruchs bei tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit. Nach § 275 Abs. 2 u. 3 BGB stehen dem Schuldner dagegen Leistungsverweigerungsrechte in den Fällen zu, in denen die Erbringung der Leistung unzumutbar ist. Die Auswirkungen des Freiwerdens von der Leistungspflicht ergeben sich aus § 326 BGB. Zu beachten ist, dass sich die §§ 320 ff. BGB nur auf gegenseitige Verträge beziehen. Unmöglichkeit
Ausschluss der Leistungspflicht (§275 Abs. 1-3)
Schadenersatz statt der Leistung
anfängliche Unmöglichkeit (§311 a Abs. 2)
Sonderfälle der §§ 446 oder 447
Rücktritt vom Vertrag (§ 326 Abs. 5)
nachträgliche Unmöglichkeit (§§280 Abs. 1,3, 283)
§ 326 Abs. 1 S.2
Befreiung von der Gegenleistung (§ 326 Abs. 1, S. 1)
Herausgabe des Ersatzes (§285 Abs. 1)
Ausnahmen
§ 326 Abs. 2 Alt. 1
§ 326 Abs. 2 Alt. 2
§ 326 Abs. 3
Abb. 111.12. Unmöglichkeit
bb. Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB In § 275 Abs. 1 BGB wird der Begriff der Unmöglichkeit selbst nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Mit dieser Formulierung sind objektive und subjektive Unmöglichkeit einander gleichgestellt. Die Unmöglichkeit kann darauf beruhen, dass die Leistung tatsächlich (z. B. Untergang des Leistungsgegenstands) oder aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Anspruch aus rechtlichen Gründen nicht erfüllt werden kann. Beispiele: Einfuhrverbot beim Handelsgeschäft; Verweigerung einer behördlichen Exportgenehmigung; Beschlagnahme der zu liefernden Sache; Einreiseverbot beim Reisevertrag.
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Handelt es sich um eine Gattungsschuld, tritt Unmöglichkeit dann nicht ein, solange noch Sachen aus der Gattung verfügbar sind; dies ist erst dann der Fall, wenn die ganze Gattung untergeht, d. h. die Sache auf dem Markt nicht verfügbar ist. Handelt es sich um eine beschränkte Gattungsschuld, d. h. haben die Parteien vereinbart, dass die geschuldete Leistung nur aus einem bestimmten Teil der Gattung zu erbringen ist, liegt Unmöglichkeit vor, wenn dieser Teil der Gattung nicht mehr verfügbar ist (Vorratsschuld). Ob es sich um eine normale oder beschränkte Gattungsschuld handelt, bestimmt sich - wenn es an konkreten Vereinbarungen fehlt - durch Auslegung (Jauernig-Mansel, § 243 BGB, Rn. 8). Unmöglichkeit tritt weiterhin dann ein, wenn sich nach § 243 Abs. 2 BGB das Schuldverhältnis auf einen bestimmten Gegenstand konkretisiert hat und dieser Gegenstand untergeht. Dies ist der Fall, wenn der Schuldner das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche getan hat. Welche Pflichten dies sind, hängt davon ab, ob es sich um eine Hol-, Schick- oder Bringschuld handelt. Handelt es sich um eine Geldschuld, ist zu beachten, das Geldmangel den Schuldner regelmäßig nicht entlastet. Dass der Schuldner das geschuldete Geld nicht hat, führt also nicht zur Unmöglichkeit der Leistung. Der Schuldner hat sein finanzielles Unvermögen stets nach § 276 Abs. 1 S. 1 BGB zu vertreten („Geld hat man zu haben"; vgl. Brox/Walker, SchuldR AT, § 9, Rn. 9). Eine Unmöglichkeit kann lediglich nach einer Konkretisierung eintreten, z.B. nach § 300 Abs. 2 BGB. Der Geldmangel wird regelmäßig erst bei der Zwangsvollstreckung berücksichtigt. Ist der Leistungshandlung weiterhin möglich, kann der Leistungserfolg aber aus bestimmten Gründen nicht mehr herbeigeführt werden, spricht man von einem Zweckfortfall, z.B. wenn ein Kinderarzt zur Behandlung eines Kindes, dass sich eine Erbse ins Ohr gesteckt hat, gerufen wird und die Erbse auf andere Weise bereits entfernt werden konnte. Die Regelung dieser Fälle bleiben - wie bisher der Rspr. und Lit. überlassen, die beide grundsätzlich als Fälle der Unmöglichkeit ansehen; Für die Gegenleistung gilt § 326 BGB (vgl. Palandt-Heinrichs, § 275 BGB, Rnn. 18 ff. zur „Unmöglichkeit und Zweckstörungen"). Eine Leistung kann in bestimmten Fällen auch durch Zeitablauf unmöglich werden, vor allem bei absoluten Fixgeschäften und zeitgebundenen Dauerschuldverhältnissen. Bei einer Terminüberschreitung kommt es für das Vorliegen einer Unmöglichkeit darauf an, ob das Gläubigerinteresse noch befriedigt werden kann. Grundsätzlich kommt ein Schuldner bei verspäteter Lieferung unter den Voraussetzungen des §§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 BGB in Verzug. Unmöglichkeit infolge Zeitablaufs ist jedoch dann gegeben, wenn die Leistung nicht mehr nachholbar ist (absolutes Fixgeschäft). Ein absolutes Fixgeschäft liegt vor, wenn die Einhaltung der Leistungszeit so wesentlich ist, dass die verspätete Leistung keine Erfüllung mehr darstellt. Bei Fristüberschreitung kann der Leistungserfolg nicht mehr herbeigeführt werden, so dass Unmöglichkeit vorliegt. Beispiele: Bestellung eines Taxis, um einen bestimmten Zug zu erreichen; Buchung einer Flugreise; Bestellung von Einladungen für eine bestimmte terminlich festliegende Veranstaltung (Palandt-Heinrichs, § 271 BGB, Rn. 16).
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Das absolute Fixgeschäft ist von dem relativen Fixgeschäft zu unterscheiden. Hier bleibt die Leistung auch bei einer Terminüberschreitung möglich. Ein relatives Fixgeschäft liegt vor, wenn im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags eine Fristvereinbarung getroffen wird, aus der hervorgeht, dass das Geschäft mit der Einhaltung der Frist steht und fällt (vgl. BGHZ 110, 88, 96; Palandt-Heinrichs, § 271 BGB, Rn. 17). Grundsätzlich müssen Formulierungen wie z. B. „fix, prompt, genau, spätestens" gewählt werden, um eindeutig auf den Willen der Parteien zum Abschluss eines (relativen) Fixgeschäfts schließen zu können. Neu im Rahmen der Unmöglichkeit ist die Kategorie der qualitativen Unmöglichkeit (vgl. zum Begriff, Lorenz/Riehm, Rn. 302 m. w. N.). Schuldet der Verkäufer bzw. der Werkunternehmer die Erbringung einer mangelfreien Sache, liegt ein Fall der Unmöglichkeit auch dann vor, wenn ein Mangel nicht behoben werden kann (vgl. die Verweise auf das Unmöglichkeitsrecht in §§ 437 Nrn. 2, 3, 634 Nr. 3, 4 BGB). Beispiel: Gebrauchtwagenhändler V verkauft an K einen PKW als unfallfrei. Stellt sich nachträglich heraus, dass dieser Wagen bereits einen Unfallschaden hatte, liegt eine qualitative Unmöglichkeit vor. Eine Nacherfüllung führt nicht zum Erfolg, da zum einen eine Nachlieferung bei einer Speziesschuld ausscheidet, zum anderen der PKW auch mit einer Nachbesserung nicht unfallfrei gemacht werden kann. § 275 BGB erfasst auch die teilweise Unmöglichkeit. Teilunmöglichkeit setzt voraus, dass die Leistung teilbar ist. Die Rechtsfolgen treten dann grundsätzlich nur hinsichtlich des unmöglich gewordenen Teils ein. Hinsichtlich des noch möglichen Teils der Leistung bleibt der Schuldner weiter leistungspflichtig. Beispiel: Von der geschuldeten antiken Sitzgruppe wird ein Sessel durch einen Brand zerstört. Dann beschränkt sich die Leistungspflicht auf den Rest. Der Gläubiger kann aber zum Rücktritt vom ganzen Vertrag berechtigt sein (vgl. § 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 BGB). Die Verpflichtung zur Gegenleistung wird entsprechend gemindert. Ausnahmsweise steht die teilweise Unmöglichkeit der vollständigen Unmöglichkeit gleich (Palandt-Heinrichs, § 275 BGB, Rn. 7 ff. zur qualitativen Unmöglichkeit und dem Interessenfortfall). Beispiel: Kauft jemand ein spezielles Kaffeeservice, bestehend aus 10 Teilen und werden z. B. die Kaffeekanne und drei Tassen zerstört, ist eine vollständige Unmöglichkeit anzunehmen, weil die zerstörten Gegenstände und die übrig gebliebenen zusammen gehören und nur in kompletter Form den Leistungsgegenstand bilden. Anders ist es, wenn etwa jemand drei Maschinen eines bestimmten Typs zum Zwecke der Weiterveräußerung kauft und eine davon zerstört worden ist. Hier ergibt der verbleibende Rest noch eine durchaus sinnvolle Leistung. cc. Faktische Unmöglichkeit § 275 Abs. 2 BGB erfasst die sog. faktische oder praktische Unmöglichkeit. Dabei geht es um Fälle, in denen die Leistung zwar theoretisch möglich ist, sie aber
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von einem vernünftigen Vertragspartner nicht erwartet werden konnte. Während die Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB automatisch erlischt, gewährt § 275 Abs. 2 (und § 275 Abs. 3 BGB) eine Einrede Beispiele: Der geschuldete Ring liegt auf dem Meeresgrund. Hier erfordert die Erbringung der Leistung einen unzumutbaren Aufwand nach § 275 Abs. 2 BGB (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 130) Steht der Leistungsgegenstand im Eigentum (und/oder Besitz) eines Dritten, ist es fraglich, ob Unmöglichkeit vorliegt. Der Schuldner kann (theoretisch) die Sache gegen Zahlung eines Entgeltes erwerben und dem Gläubiger übertragen. Das Vorliegen der Unmöglichkeit hängt davon ab, ob der Dritte zur Eigentumsübertragung bzw. zur Herausgabe bereit ist. Ist das der Fall, kann der Gläubiger Erfüllung verlangen; Schadensersatzansprüche kommen nicht in Betracht. Ist der Dritte zur Herausgabe des Leistungsgegenstands nicht bereit (oder verlangt er vom Schuldner einen „utopischen" Preis), liegt Unmöglichkeit vor; der Gläubiger hat einen Ersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1 u. 3, 283 BGB. Steht die Leistungsbereitschaft nicht fest, besteht der Erfüllungsanspruch des Gläubigers im Falle der ungeklärten Lage fort, wobei dieser Anspruch nur durchgesetzt werden kann, wenn der Schuldner den Gegenstand vom Dritten erwirbt. Die Rspr. und ein Teil der Lit. gehen, wenn der Gläubiger Schadensersatz verlangt, von Unmöglichkeit aus, wenn der Dritte Inhaber des Leistungsgegenstands ist und der Schuldner nicht darlegt, dass er bereit und in der Lage ist, dem Gläubiger den Leistungsgegenstand zu verschaffen (vgl. BGH, NJW 1999, 2034 ff.; BGH, NJW 1992, 3224 ff.; hierzu auch Palandt-Heinrichs, § 275 BGB, Rn. 25 m. w. N.). Anders ist die Rechtslage bei der sog. wirtschaftlichen Unmöglichkeit. Nach der h. M. wurde die wirtschaftliche Unmöglichkeit, bei der die Leistungserbringung unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert, die eine für jeden Schuldner anzuerkennende Opfergrenze übersteigen, über den Wegfall der Geschäftsgrundlage geregelt; das Vorliegen einer Unmöglichkeit wurde verneint. Auch nach der Gesetzesbegründung wird die wirtschaftliche Unmöglichkeit als Fall des § 313 BGB angesehen (BT-Drs. 14/6040, S. 130; Brox/Walker, SchuldR AT, § 22, Rn. 21 m. w. N.). dd. Persönliche Unmöglichkeit § 275 Abs. 3 BGB enthält eine Sonderregelung für den Fall, in denen der Schuldner die Leistung persönlich zu erbringen hat. In diesen Fällen sollen nicht nur objektive, sondern auch persönliche Umstände des Schuldners Berücksichtigung finden. Diese Vorschrift betrifft in erster Linie Dienst- oder Arbeitsverträge. Dem Schuldner steht in diesen Fällen ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Beispiele: Ein ausländischer Arbeitnehmer wird zum Wehrdienst in sein Heimatland einberufen und muss bei Nichtbefolgung mit der Todesstrafe rechnen (vgl. BAG, NJW 1983, 2782); eine Sängerin weigert sich aufzutreten, weil ihr Kind lebensgefährlich erkrankt ist (BTDrs. 14/6040, S. 130).
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Dagegen soll eine Verweigerung der Leistung, deren Erfüllung der Schuldner in Gewissenskonflikte stürzen würde, als Störung der Geschäftsgrundlage (§313 BGB) anzusehen sein (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 130). ee. Rechtsfolgen (1) Auswirkung auf die Gegenleistung Ist der Schuldner nach § 275 BGB von seiner Leistungspflicht frei geworden, richtet sich bei einem gegenseitigen Vertrag das Schicksal der Gegenleistung (i. d. R. der Geldleistung) nach § 326 BGB. Häufig handelt es sich bei der Gegenleistung um die Geldleistung, da es i.d. R. die Sachleistung ist, bei der eine Leistungsstörung eingetreten ist. Grundsätzlich erlischt der Anspruch auf die Gegenleistung nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Von diesem Grundsatz gibt es einige Ausnahmen. Eine Ausnahme betrifft die qualitative Unmöglichkeit. Hier ist § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) wegen § 326 Abs. 1 S. 2 BGB nicht anwendbar. Stellt sich etwa im Rahmen einer mangelhaften Lieferung heraus, dass die Nacherfüllung unmöglich ist, erlischt der Anspruch auf die Gegenleistung nicht automatisch. Der Grund besteht darin, dass auch eine mangelhafte Sache noch ihren Wert hat. Es bleibt dem Käufer überlassen, ob er vom Vertrag zurücktritt, den Kaufpreis mindert oder einen entstandenen Schaden ersetzt verlangt (vgl. Lorenz/Riehm, Rn. 327). Der Gläubiger kann auch hier vom Vertrag zurücktreten nach § 326 Abs. 5 BGB i.V. m. § 323 Abs. 5 BGB, wenn die Pflichtverletzung nicht unerheblich ist. Kann der Schuldner nur teilweise leisten, ist der Anspruch auf die Leistung auch nur hinsichtlich des unmöglich gewordenen Teils ausgeschlossen und bleibt im Übrigen bestehen. Der Anspruch auf die Gegenleistung bleibt auch dann bestehen, wenn der Gläubiger für die Unmöglichkeit allein oder überwiegend verantwortlich ist (§ 326 Abs. 2 S. 1 1. Alt. BGB). Den Gläubiger trifft keine Pflicht, die Leistung nicht unmöglich zu machen. Es handelt sich um eine Obliegenheit, deren Verletzung dazu führt, dass der Gläubiger die Gegenleistung erbringen muss, ohne die Leistung zu erhalten. § 326 Abs. 2 BGB tritt an die Stelle des § 324 BGB a. F. Da der Gläubiger die Unmöglichkeit nicht „zu vertreten" hat, da man grundsätzlich nur Pflichtverletzungen zu vertreten haben kann und der Gläubiger diese Leistung nicht schuldet, ist in § 326 Abs. 2 BGB nun korrekterweise von einer „Verantwortlichkeit" die Rede; sachlich hat dies aber zu keiner Änderung geführt. Beispiele: Käufer K beschädigt die gekaufte Sache vor Übergabe, so dass V seiner Erfüllungspflicht nicht mehr nachkommen kann; Mieter M verstößt gegen seine Obhutspflicht, auf Grund dessen eine Gebrauchsüberlassung nicht mehr möglich ist. Tritt die Unmöglichkeit zu einem Zeitpunkt ein, in dem sich der Gläubiger in Annahmeverzug befindet und ist der Schuldner für die Unmöglichkeit nicht
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verantwortlich, bleibt der Gegenleistungsanspruch ebenfalls bestehen (§ 326 Abs. 2 S. 1 2. Alt. BGB). Der Gläubigerverzug ist in § 293 ff. BGB geregelt. Dazu muss der Schuldner die Leistung ordnungsgemäß, d. h. am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Weise angeboten haben. Nach § 326 Abs. 3 BGB bleibt der Anspruch auf die Gegenleistung bestehen, wenn der Gläubiger nach § 285 BGB das Surrogat, z.B. die Abtretung eines Ersatzanspruchs oder die Herausgabe des Ersatzes verlangt; in diesem Fall erhält er eine Leistung, die den Fortbestand des Gegenleistungsanspruchs rechtfertigt. Beispiet V verkauft sein Haus, das hoch versichert war. Das Haus brennt nach Abschluss des Kaufvertrags vollständig ab. V erlangt in der Folge einen Anspruch gegen die Versicherung. In diesem Fall könnte K statt der Übereignung des Hauses Abtretung des Anspruchs gegen die Versicherung verlangen (§§ 326 Abs. 3, 285 BGB). Der Gegenleistungsanspruch bleibt weiterhin dann bestehen, wenn besondere Gefahrtragungsregeln eingreifen (vgl. §§ 446, 447, 644, 645 BGB). Beispiel: Autohändler V verkauft an K ein gebrauchtes Kfz. Da K den Kaufpreis nicht sofort bezahlt, behält sich V das Eigentum vor. Ein Tag nach der Übergabe wird das Kfz durch einen umgestürzten Baum vollständig zerstört. Mit der Übergabe nach § 446 BGB war die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den K übergegangen. Er bleibt daher zur Zahlung verpflichtet. Im Arbeitsrecht erlischt der Lohnanspruch nicht nach § 326 BGB, soweit eine der Sonderregeln zu den Fällen eingreifen, in denen „Lohn ohne Arbeit" in Betracht kommen, z. B. bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, beim Annahmeverzug des Arbeitgebers (§615 BGB) oder bei der Lehre vom Betriebsrisiko. Mitunter kann es vorkommen, dass beide Parteien die Unmöglichkeit der Leistungserbringung zu vertreten bzw. zu verantworten haben. Verlangt der Schuldner die Gegenleistung, z.B. Zahlung des Kaufpreises nach § 433 Abs. 2 BGB, ist im Rahmen der Prüfung, ob der Kaufpreisanspruch nach § 326 Abs. 1 BGB erloschen ist, die Vorschrift des § 326 Abs. 2 S. 1 BGB zu beachten, nach der der Vertragspartner allein oder überwiegend für die Unmöglichkeit verantwortlich gewesen sein muss. Hierfür ist eine Verantwortungsquote von 90 %, mindestens aber 80 % erforderlich. Die unterschiedliche Verschuldensquote wird im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs unter Berücksichtigung eines entsprechenden Mitverschuldens nach § 254 BGB zu berücksichtigen sein (vgl. Palandt-Heinrichs, § 326 BGB, Rn. 9; Brox/Walker, SchuldR AT, § 22, Rn. 41). (2) Schadensersatzanspruch Handelt es sich um eine anfängliche (objektive und subjektive) Unmöglichkeit, ergeben sich die Voraussetzungen und Rechtsfolgen aus der speziellen Regelung des § 311 a Abs. 2 BGB Nach § 311 a Abs. 1 BGB steht es der Wirksamkeit eines
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Vertrags nicht entgegen, wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 u. 3 BGB nicht zu leisten braucht und das Leistungshindernis bereits bei Vertragsabschluss vorlag. Der Gläubiger kann grundsätzlich Schadensersatz statt der Leistung oder Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen verlangen, Dies gilt nicht, wenn der Schuldner das Leistungshindernis bei Vertragsabschluss nicht kannte und seine Unkenntnis auch nicht zu vertreten hat (§ 311 a Abs. 2 BGB). Beispiel: V vermietet an M Räume zum Betrieb einer Praxis. V verpflichtet sich zum Umbau der Räumlichkeiten. Da das Haus, in dem sich die Räume befinden, unter Denkmalschutz steht, können die versprochenen Umbaumaßnahmen nicht vorgenommen werden. M nimmt die Räume nicht in Besitz. Er sucht andere Räumlichkeiten und verlangt von V Schadensersatz wegen Unmöglichkeit. Der Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich hier aus § 311 a Abs. 2 BGB. Ein Mietvertrag liegt vor. Der Umbau, zu dem sich V verpflichtet hatte, war nicht möglich. V hätte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, dass denkmalschutzrechtliche Vorschriften entgegenstehen können. Ein Rückgriff auf § 536 a Abs. 1 BGB (538 BGB a. F.) bedarf es nicht, weil mit dieser Vorschrift die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Mietvertrags bei anfänglich objektiver Unmöglichkeit verhindert werden sollte. Da die Anordnung der Nichtigkeit nach der Reform entfallen ist, besteht kein Bedürfnis nach einem Vorrang des § 536 a BGB. Im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit ergeben sich die Voraussetzungen und Rechtsfolgen für einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1 u. 3, 283 BGB. Es muss danach ein Schuldverhältnis vorliegen und der Schuldner braucht nach § 275 Abs. 1 u. 3 BGB nicht zu leisten. Eine Fristsetzung (zur Leistung) ist hier (verständlicherweise) nicht erforderlich. Ein Anspruch entfällt, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Vorschriften der §§ 280 ff. BGB gelten grundsätzlich auch für die unmöglich gewordenen Leistungspflichten aus den gesetzlichen Schuldverhältnissen. Keine Anwendbarkeit besteht dagegen bei den sog. dinglichen Ansprüchen, da hier Sonderregeln bestehen. So finden auf den dinglichen Eigentumsherausgabeanspruch aus § 985 BGB im Falle einer „Leistungsstörung" die speziellen Regeln zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nach den §§ 987 ff. BGB, insbesondere die §§ 989, 990 BGB Anwendung (Jauernig-Jauernig, Vor §§ 987-993 BGB, Rnn. 10 ff.). Bei Vorliegen der Voraussetzungen kann der Gläubiger entweder Schadensersatz statt der Leistung oder Aufwendungsersatz in dem in § 284 BGB bestimmten Umfang verlangen. Nach § 285 BGB hat der Gläubiger einen Anspruch auf das Surrogat, z.B. einer Versicherungszahlung; in diesem Fall bleibt er allerdings zur Gegenleistung verpflichtet (§ 326 Abs. 3 S. 1 BGB). Der Gläubiger kann nach § 326 Abs. 4 BGB eine bereits geleistete, aber nicht geschuldete, Gegenleistung nach den §§ 346-348 BGB zurückfordern. Darüber hinaus hat der Gläubiger ein verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht vom Vertrag ohne Fristsetzung (§§ 326 Abs. 5 BGB, 323 BGB).
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Der Schadensersatz ist auf das positive Interesse (= Erfüllungsinteresse) gerichtet. Der Gläubiger kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte (§§ 249 ff. BGB). Ersatzfähig ist also der Marktwert der ausgebliebenen Leistung. Aber auch die höheren Kosten für eine Ersatzbeschaffung sowie ein entgangener Gewinn aus einer geplanten Weiterveräußerung können ersetzt verlangt werden. Beispiel: V verkauft an K einen gebrauchten PKW im Wert von 7 000 € für 6 000 € , die er auch bezahlt. Der PKW wird nach Abschluss des Vertrags durch Verschulden des V zerstört. Das Erfüllungsinteresse des K beträgt 7 000 € . Bei gegenseitigen Verträgen kann der Gläubiger wählen, ob er seinen Schaden
nach der Differenzmethode oder nach der Austausch- bzw. Surrogationsmethode berechnet (vgl. BGHZ 20, 338). Nach der Differenzmethode tritt der Schadensersatz an die Stelle von Leistung und Gegenleistung. Der Gläubiger ist nicht mehr zur Leistung verpflichtet. Sein ersatzfähiger Schaden besteht in der Differenz zwischen Leistung und Gegenleistung. Der Wert der unmöglich gewordenen Leistung und der Wert der nicht mehr zu erbringenden Gegenleistung sind also lediglich Rechnungsposten des einseitigen Schadensersatzanspruchs. Nach der Austauschmethode erbringt der Gläubiger der unmöglich gewordenen Leistung weiterhin seine Gegenleistung und verlangt Schadensersatz hinsichtlich der gesamten ausgebliebenen Leistung. Der Gläubiger wird (ausnahmsweise) diese Form wählen, wenn er seine Gegenleistung loswerden will. Grundsätzlich hat der Gläubiger den Schaden konkret zu berechnen, d. h. er muss die Vermögenseinbußen im Einzelnen offen legen. Etwas anderes gilt unter Kaufleuten, wenn es um den Handel mit beweglichen Sachen geht. Es wird ihnen zugestanden, den Schaden auch abstrakt zu berechnen. Bei einer teilweisen Unmöglichkeit kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung nur hinsichtlich desjenigen Teils verlangen, den der Schuldner nicht erbringen muss. Das ist der sog. kleine Schadensersatz. Beispiel: V verkauft an K 100 Flaschen Wein, kann aber nur 90 liefern. Hier richtet sich der Schadensersatz statt der Leistung auf den Wert der nicht gelieferten 10 Flaschen oder auf die ggf. höheren Kosten einer Ersatzbeschaffung bei einem anderen Händler. Unter den Voraussetzungen der §§ 281 Abs. 1 S. 2, 283 BGB hat der Gläubiger auch die Möglichkeit, auf die Teilleistung zu verzichten und „Schadensersatz statt
der ganzen Leistung" zu verlangen; das ist der sog. große Schadensersatzanspruch. Voraussetzung ist, dass der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse hat (§ 281 Abs. 1 S. 2 BGB) oder das der unbehebbare Mangel der Leistung erheblich ist (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB). Diese zusätzliche Voraussetzung entspricht derjenigen des § 326 Abs. 5, § 323 Abs. 5 BGB beim Rücktritt wegen einer teilweisen Unmöglichkeit oder eines unbehebbaren Leistungsmangels.
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Das ist konsequent, da sich der große Schadensersatzanspruch wie eine Kombination aus Rücktritt und Schadensersatz auswirkt. Macht der Gläubiger den großen Schadensersatzanspruch geltend, muss er nach §§ 283, 281 Abs. 5 BGB die bereits erhaltene Teilleistung nach den §§ 346 ff. BGB an den Schuldner zurückgegeben. Beispiel: G bestellt für einen Veranstaltungsraum 300 Stühle. Auf Grund eines Verschuldens auf Seiten des Verkäufers werden nur 150 Stühle geliefert. Der gleiche Stuhltyp ist nicht mehr lieferbar. G kommt es auf die einheitliche Bestuhlung an; die gelieferten 150 Stühle kann er nicht verwenden. G kann Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen. Er ist dann verpflichtet, die gelieferten Stühle zurückzugeben. Wird die Leistung dagegen nicht wie geschuldet erbracht, d. h. handelt es sich um eine mangelhafte Leistung, bedarf es für die Geltendmachung eines Schadensersatzes statt der ganzen Leistung keines Interessenfortfalls, sondern nach § 281 Abs. 1 S. 3 BGB lediglich der Feststellung, dass es sich nicht um einen unerheblichen Mangel bzw. eine unerhebliche Pflichtverletzung gehandelt hat. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass ein Gläubiger wegen eines unerheblichen, d. h. ganz geringfügigen Mangels, keinen (großen) Schadensersatz geltend machen soll. Eine entsprechende Regelung enthält § 325 Abs. 5 S. 2 BGB zum Rücktritt. Beispiel: K kauft von V einen gebrauchten PKW. Einen Tag später stellt sich heraus, dass das Radio defekt ist. In diesem Fall soll K verständlicherweise nicht Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen können. Anstelle des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung kann der Gläubiger wie erwähnt - auch Aufwendungsersatz nach § 284 BGB verlangen. Zu beachten ist, dass der Aufwendungsersatzanspruch keine spezielle Regelung im Recht der Unmöglichkeit ist, sondern bei allen Schadensersatzansprüchen statt der Leistung in Betracht kommen kann. Mit dieser Vorschrift sollen auch „vergebliche" bzw. „frustrierte" Aufwendungen geltend gemacht werden können. Es geht um Aufwendungen, die im Hinblick auf einen Vertragsabschluss gemacht worden sind, die aber vergeblich waren, weil der Vertrag nicht zustande kam. Nach bisher geltendem Recht konnten vergebliche Aufwendungen nach der Rspr. nur dann ersetzt verlangt werden, wenn sie rentabel waren, d. h. wenn sie im Falle des Vertragsabschlusses mit vergütet worden wären (BGH, NJW 2000, 2342 m. w. N.).Verfolgte der Betroffene allerdings nur ideelle Zwecke, z. B. Anmietung von Räumen zum Abhalten einer Informations- oder Unterhaltungsveranstaltung, fehlte eine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Beispiel: G hat ein Hundewelpen gekauft, der ihm im Alter von 10 Wochen übergeben werden soll. In der Zwischenzeit erwirbt G für seinen kleinen „Liebling" bereits teure Halsbänder, Körbchen und sonstige Ausstattungsgegenstände. Kann das Hundewelpen durch ein Verschulden des Verkäufers nicht übergeben werden, schuldet dieser Ersatz der entstandenen Kosten nach § 284 BGB.
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e. Schlechtleistung aa. Begriff und Überblick über die gesetzliche Regelung Statt Verzug und Unmöglichkeit gibt es weiterhin die Fälle, in denen der Schuldner seine Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbringt. Von einer Schlechtleistung spricht man, wenn die erbrachte Leistung ganz oder teilweise nicht der vereinbarten Qualität entspricht. Das Gesetz beschreibt die Schlechtleistung mit den Worten „Leistung ... nicht wie geschuldet" (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB) oder „Leistung ... nicht vertragsgemäß" (§ 323 Abs. 1 BGB). Unerheblich ist nach dem Gesetzeswortlaut, worin die Schlechterfüllung besteht. Sie kann auf einer Schlechterfüllung einer Hauptpflicht oder auf einer Verletzung einer Nebenpfiicht beruhen (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 138, 184). In diesem Fall kann der Gläubiger nach den §§ 280 Abs. 1 u. 3,281,283, 311a Abs. 2 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen oder nach §§ 323 Abs. 1, 326 Abs. 5 BGB vom Vertrag zurücktreten. Vor der Schuldrechtsmodernisierung war die Schlechtleistung nur unvollständig geregelt. Die Rspr. und Lit. entwickelten hier das Rechtsinstitut der positiven Forderungsverletzung (pFV). Die Anspruchsgrundlage ist heute § 280 Abs. 1 BGB. Die genannten Vorschriften erfassen zunächst die Schlechtleistung einer Hauptpflicht solcher Schuldverhältnisse, für die das Gesetz keine besonderen Vorschriften enthält. Dies gilt z. B. für den Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB), den Auftragsvertrag (§§ 662 ff. BGB) sowie für alle Vertragstypen, die im Gesetz nicht geregelt sind, z. B. den Automatenaufstellvertrag. Die bedeutsamen Vertragstypen Kaufvertrag und Werkvertrag enthalten zwar ein besonderes Sachmängelrecht (vgl. §§ 434 ff. BGB, §§ 633 ff. BGB), ohne aber dort eine abschließende eigenständige Regelung zu treffen. Die Mängelrechte des Käufers und des Werkbesteller ergeben sich vielmehr über die Verweisungsnormen (§ 437 BGB, § 634 BGB) aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht. Abschließende eigenständige Mängelrechte enthält dagegen der Mietvertrag (§§ 536 ff. BGB) und der Reisevertrag (§§ 651 c ff. BGB). In diesen Fällen kann wegen einer Schlechtleistung grundsätzlich nicht auf die allgemeinen Regeln, insbesondere der §§ 281 ff. BGB, 323 ff. BGB zurückgegriffen werden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn Mängelansprüche bereits vor Gefahrübergang geltend gemacht werden, z. B. beim Mietvertrag vor Überlassung der Mietsache oder beim Reisevertrag vor Antritt der Reise; zu diesem Zeitpunkt greifen die besonderen Mängelrechte noch nicht ein. Im Rahmen einer Schlechtleitung werden weiterhin die Verletzung von leistungsbezogenen Nebenpflichten erfasst (z. B. Beratungs-, Hinweis-, Aufklärungsoder Verpackungspflichten). Werden Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, also nicht leistungsbezogene Nebenpflichten, nicht beachtet, sind die Sonderregeln der §§ 282, 324 BGB zu be-
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achten. Ihre Verletzung führt zwingend zu einem Schaden, der durch Nacherfüllung (nach Fristsetzung) nicht behoben werden kann (vgl. Gieseler, ZGS, 2003,408). Die Vorschriften der §§ 282, 324 BGB gewähren einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung bzw. ein Recht auf Rücktritt nicht wegen der Verletzung eines Leistungsinteresses, sondern ausschließlich wegen Verletzung der Schutzpflichten i. S.v. §241 Abs. 2 BGB. bb. Schadensersatz statt der Leistung Voraussetzung für einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen einer Schlechtleistung nach §§ 280 Abs. 1 u. 3, 281 BGB ist das Vorliegen eines Schuldverhältnisses. Regelmäßig handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag. Weiterhin muss es sich - ebenso wie bei den Verzugsvoraussetzungen - um einen fälligen, durchsetzbaren Anspruch handeln. Die Leistung darf weiterhin nicht oder nicht wie geschuldet erbracht worden sein. Soweit es die Nichtleistung betrifft, ist damit rein begrifflich auch die Unmöglichkeit erfasst. Die Unmöglichkeit ist jedoch in § 283 BGB speziell geregelt, die eine Anwendung des § 281 BGB ausschließt. Erbringt der Schuldner die Leistung nicht wie geschuldet, handelt es sich um eine „Schlechtleistung". Damit werden grundsätzlich auch die Vertragstypen mit einem speziellen Mängelrecht erfasst. Mit dieser Formulierung „nicht wie geschuldet" sollen aber auch alle anderen Schuldverhältnisse erfasst werden, die kein spezielles Sachmängelrecht haben und die nach bisherigem Recht eine Fallgruppe der pFV darstellten. Der Gläubiger muss den Schuldner auffordern, innerhalb einer angemessenen Frist zu leisten (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Fristsetzung ist ein zentrales Merkmal des neuen Leistungsstörungsrechts zur Sicherung des Erfüllungsanspruchs. Die Angemessenheit der Frist bestimmt sich nach den Umständen des konkreten Vertrags. Dabei sind die Interessen beider Vertragsparteien zu berücksichtigen. Während das Interesse des Gläubigers darin besteht, möglichst kurzfristig Klarheit darüber zu erhalten, ob der Schuldner seine Leistung noch erbringt, soll dem Schuldner mit der Fristsetzung eine letzte Möglichkeit gegeben werden, die Leistung noch zu erbringen. Aus dem Grund muss die Frist so lang sein, dass der Schuldner in der Lage ist, die (begonnene) Leistung noch zu erbringen; sie muss aber auf der anderen Seite nicht so lang sein, dass der Schuldner die Möglichkeit hat, erst ab diesem Zeitpunkt mit der Leistungshandlung zu beginnen. Hat der Gläubiger eine zu kurze Nachfrist gesetzt, hat das zur Folge, dass eine angemessene Nachfrist in Lauf gesetzt wird (Palandt-Heinrichs, § 281 BGB, Rn. 10 m. w. N.). Die Fristsetzung ist in folgenden Fällen entbehrlich. Einer Fristsetzung bedarf es nach § 281 Abs. 2 1. Alt. BGB nicht, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. An die Weigerung werden hohe Anforderungen gestellt. So muss erkennbar werden, dass es des Schuldners „letztes Wort" ist (vgl. BGH, NJW 1997, 51, 52; Jauernig-Stadler, § 281 BGB, Rn. 9). Die Fristsetzung ist weiterhin nach § 281 Abs. 2, 2. Alt. BGB entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltend-
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machung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. Diese besonderen Umstände können in der besonderen Zeitbezogenheit der Leistung liegen. Beispiel: Bei „ Just-in Time"-Lieferverträgen ist ein Zulieferer verpflichtet, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu liefern, damit die Produktion des Gläubigers ordnungsgemäß nach Plan verlaufen kann (BT-Drs. 14/6040, S. 140). Weitere Voraussetzung ist, dass die Fristsetzung ergebnislos gewesen ist. Zur Einhaltung der Frist reicht es grundsätzlich aus, wenn der Schuldner die geschuldete Leistung vorgenommen hat.
Beispiel: V verkauft an K 1 000 T-Shirts. K setzt dem V (nach Fälligkeit) eine Nachfrist bis zum 20.5... Übergibt V am 20.5. die T-Shirts einem Spediteur, ist die Frist gewahrt, selbst wenn die T-Shirts einige Tage später eintreffen; etwas anderes gilt, wenn V dies erst nach Fristablauf getan hätte. Letztlich setzt § 280 Abs. 1 BGB ein Vertretenmüssen voraus (vgl. §§ 276,278 BGB), das nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird. Das Verschulden muss sich dabei auf die Pflichtverletzung und nicht auf den eingetretenen Schaden beziehen. Für das schuldhafte Verhalten seiner „Hilfspersonen", d.h. der Personen, die zur Erfüllung des Vertrags eingesetzt werden, hat er nach § 278 BGB wie für eigenes Verschulden einzustehen. Nach Fristablauf kann der Gläubiger Schadensersatz „statt der Leistung" verlangen. Der Erfüllungsanspruch erlischt nicht mit Fristablauf, sondern nach § 281 Abs. 4 BGB erst dann, wenn der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangt oder den Rücktritt erklärt hat (§ 349 BGB). Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte, d. h. der Schadensersatz ist auf das positive Interesse gerichtet (zur grundsätzlichen Wahlfreiheit zwischen Differenzmethode und Austauschmethode zur Berechnung des Schadensersatzes, vgl. bereits zur Unmöglichkeit, u. a. hierzu auch Lorenz/Riehm, Rnn. 208 ff.). Ist die Schlechterfüllung erheblich, kann der Gläubiger statt des kleinen Schadensersatzanspruchs auch den großen Schadensersatzanspruch (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB) geltend machen („Schadensersatz statt der ganzen Leistung"). Dies gilt auch bei einer quantitativ zu geringen Leistung, wenn die Zuweniglieferung erheblich ist (vgl. § 281 Abs. 1 S. 2 BGB). Bei Kauf- und Werkverträgen stellt die Zuweniglieferung jedoch keine Teilleistung i. S.v. § 281 Abs. 1 S. 2 BGB dar, sondern eine Schlechtleistung nach § 281 Abs. 1 S. 3 BGB (zur vergleichbaren Rücktrittsproblematik, vgl. § 323 Abs. 5 BGB). Wird die Leistung teilweise nicht erbracht, besteht ein Rücktrittsrecht nur bei Interessenwegfall (§ 323 Abs. 5 S. 1 BGB). Wird eine Leistung nicht vertragsgemäß erbracht, besteht kein Rücktrittsrecht, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist (§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB). Anstelle des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung kann der Gläubiger auch Aufwendungsersatz nach § 284 BGB verlangen.
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cc. Mangelfolgeschaden Führt die Schlechtleistung nicht nur zu einem Minderwert der Leistung, sondern zu einer Verletzung anderer Rechtsgüter des Gläubigers, kann dieser die daraus resultierenden Mangelfolgeschäden ersetzt verlangen. Hier handelt es sich dann nicht um einen Schadensersatz statt der Leistung, da eine Nachbesserung der Leistung diesen Mangelfolgeschaden nicht beseitigen würde. Diese Mangelfolgeschäden können sowohl unabhängig von der Mangelhaftigkeit der Hauptleistung eintreten oder aber eine Folge der Mangelhaftigkeit der Hauptleistung sein. Der Anspruch ergibt sich direkt aus § 280 Abs. 1 BGB. Dieser besteht - wie erwähnt - neben dem Anspruch auf Erfüllung und dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung. Bei Kauf-, Miet-, Werk- und Reiseverträgen existiert jeweils ein spezielles Sachmängelrecht, das in seinem Anwendungsbereich der Vorschrift des § 280 Abs. 1 BGB vorgeht. Wenn es um den Ersatz von Mangelfolgeschäden geht, kommt § 280 Abs. 1 BGB (§ 437 Nr. 3 BGB) unmittelbar zur Anwendung. Spezielle Regeln zu Mangelfolgeschäden enthalten nur der Miet- und der Reisevertrag. Beispiel (nach BGH, NJW 1990, 908): Die Lieferung mangelhafter Weinkorken verursachen beim Käufer das Verderben seines Weines. Vor der Schuldrechtsmodernisierung wurde diese Fallgestaltung mit der pFV erfasst; diesbezüglich kann auf die bisherige Rspr. zurückgegriffen werden. dd. Rücktritt Der Gläubiger kann bei Vorliegen dieser Voraussetzungen daneben auch vom Vertrag zurücktreten, wobei - wie erwähnt - auf Seiten des Schuldners ein Verschulden nicht vorliegen muss. § 323 Abs. 1 BGB setzt allerdings voraus, dass es sich um einen gegenseitigen Vertrag handelt. Nicht erforderlich ist, dass der Anspruch des Gläubigers, der Gegenstand der Pflichtverletzung des Schuldners ist, im Gegenseitigkeitsverhältnis steht. § 323 BGB ist insoweit weiter gefasst als § 326 BGB a.F. Mit der Rücktrittserklärung erlöschen die beiderseitigen Leistungspflichten. Das Schuldverhältnis wandelt sich in ein Rückgewährschuldverhältnis (vgl. §§ 346 ff. BGB). Der Rücktritt ist nach § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen, wenn der Gläubiger den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend zu verantworten hat oder wenn der Rücktrittsgrund während des Annahmeverzugs eintritt. f. Verletzung von Schlitzpflichten aa. Schutzpflichtverletzung im Schuldverhältnis Nach § 241 Abs. 2 BGB „kann" das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Anderen verpflichten. Grundlage der Nebenpflicht ist also nicht § 241 Abs. 2 BGB, sondern das jeweilige
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Schuldverhältnis, das Umfang und Intensität der Nebenpflichten bestimmt. Es kann sich dabei um vertragliche und - wenn auch selten - um gesetzliche Schuldverhältnisse handeln. Die Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht hat regelmäßig zur Folge, dass ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB entsteht, der neben den Leistungsanspruch tritt. § 280 Abs. 1 BGB ist damit unmittelbar anwendbar, wenn es sich um die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB handelt, z.B. Schutzpflichten. Beispiele: Ein Verkäufer unterlässt eine Aufklärung über die spezielle Wartungsbedürftigkeit einer Zementwaage bei Frost; ein Handelsvertreter unterrichtet den Unternehmer nicht über seine Bedenken bzgl. der Kreditwürdigkeit eines Geschäftspartners; ein Architekt erkennt auf Grund seiner besonderen Sachkenntnis Falschberechnungen des Statikers und teilt diese dem Bauherrn nicht mit; ein Kellner schüttet einem Gast infolge einer Ungeschicklichkeit Bratensoße über den Anzug; ein Verkäufer unterlässt die Mitteilung an den Käufer über ein neues, verbessertes Produkt, dass er in Kürze auf den Markt bringt (vgl. Palandt-Heinrichs, § 280 BGB, Rnn. 28 ff. m. w. N.). Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB hat der Gläubiger einen Anspruch auf Ersatz des durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Dieser Ersatz des Integritätsinteresses ist an keine weiteren Voraussetzungen mehr gebunden, weil es sich hier weder um einen durch Verzögerung noch durch Nichterfüllung entstandenen Schaden handelt. Ausnahmsweise kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangen (§§ 280 Abs. 1 u. 3, 282 BGB) oder vom Vertrag zurücktreten (§ 324 BGB), wenn dem Gläubiger die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist. Während § 282 BGB und § 324 BGB explizit die Verletzung einer Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB voraussetzen, erfasst § 280 Abs. 1 BGB als (alleinige) Anspruchsgrundlage alle Fälle, die nicht in §§ 281-283, 311a BGB geregelt sind. Beispiel: Maler M soll die Wohnung des T streichen. Bei der Ausführung richtet M aber Verwüstungen an. T möchte die Arbeiten daher von einem anderen Maler durchführen lassen und entsprechende Mehrkosten ersetzt bekommen. Hier sind die Pflichtverletzungen so erheblich, dass der Gläubiger T eine Möglichkeit erhalten soll, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen (§§ 280 Abs. 1, 282 BGB) oder vom Vertrag zurückzutreten (§ 324 BGB). Verletzt der Schuldner eine „leistungssichernde" Nebenpflicht und hat dies zur Folge, dass er die ihm obliegende Leistung nicht vertragsgerecht erbringen kann, z . B . wenn der Verkäufer eine Gebrauchsanweisung nicht liefert und auch sonst nicht in der Lage ist, dem Käufer eine entsprechende Anleitung zu geben, kommt § 281 BGB zur Anwendung. Der Gläubiger kann Schadensersatz „statt der Leistung" nur unter diesen zusätzlichen Voraussetzungen geltend machen.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
bb. Schutzpflichtverletzungen im vorvertraglichen Schuldverhältnis (1) Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Die von Rudolf von Jhering entwickelte Lehre von der culpa in contrahendo (cic) ist im Laufe der Zeit von der Rspr. und Lit. weiter entwickelt worden. Grundgedanke dieses Rechtsinstituts ist, dass nicht erst mit dem Zustandekommen des Vertrags, sondern bereits in dessen Vorfeld eine „besondere" Rechtsbeziehung besteht. Die (potenziellen) Parteien sind schon in diesem Stadium zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet. Ein schuldhafter Verstoß gegen diese Pflichten kann zu einem Schadensersatzanspruch führen. Der Gesetzgeber hat nun dieses Rechtinstitut im BGB verankert, ohne dass eine sachliche Änderung oder sogar eine „Festschreibung" der cic auf dem derzeitigen Stand der Rechtsentwicklung damit verbunden sein sollte; auch nach Einfügung des § 241 Abs. 2 BGB und des § 311 Abs. 2 u. 3 BGB können auf die bisher entwickelten Fallgruppen zurückgegriffen werden. Nach § 311 Abs. 2 u. 3 BGB kann ein Schuldverhältnis mit Pflichten i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB auch schon in einem vorvertraglichen Stadium entstehen. Bei diesen Rücksichtnahmepflichten handelt es sich insbesondere um Schutzpflichten, Aufklärungspflichten und die Pflicht, einen wirksamen Vertragsabschluss nicht zu gefährden. Im Falle einer Pflichtverletzung ist (auch hier) Anspruchsgrundlage § 280 Abs. 1 BGB. Die Anspruchsgrundlage ist zwar dieselbe wie bei der Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus vertraglichen Schuldverhältnissen. Die Pflichten im vorvertraglichen Bereich unterscheiden sich allerdings teilweise von diesen, so dass sie insoweit eine Sonderstellung einnehmen und in einem eigenen Abschnitt behandelt werden. Die Schutzpflicht beinhaltet, dass jeder Partner auf Grund des vorvertraglichen Schuldverhältnisses aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet ist, sich so zu verhalten, dass die Rechtsgüter des anderen nicht verletzt werden; insbesondere ist die persönliche Sicherheit zu gewährleisten. Wer z. B. Geschäftsräume eröffnet, hat für die Sicherheit der Kunden zu sorgen, die darauf vertrauen dürfen, nicht geschädigt zu werden. Beispiel: G betritt das Kaufhaus in der Absicht, sich über Preise von Herrenanzügen zu informieren. G rutscht auf einer Bananenschale aus und erleidet einen Beinbruch. Hat G Ansprüche gegen den Betreiber des Kaufhauses? G hat einen Schadensersatzanspruch nach §§ 311Abs. 2, 241 Abs. 2, 280, Abs. 1 BGB. G durfte darauf vertrauen, dass sein Vertragspartner alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensabwendung trifft. Das Verschulden des Inhabers wird vermutet. Dieser Fall ist vergleichbar mit der „Linoleumrollen-Entscheidung" des RG (RGZ 78, 239). Hier hatte ein Angestellter eines Kaufhauses so ungeschickt mit einer Linoleumrolle hantiert, dass ein Kunde verletzt worden war. Das schuldhafte Verhalten des Angestellten war über § 278 BGB dem Unternehmensinhaber zuzurechnen. Hintergrund dieser Entscheidung waren die „Härten" des Deliktsrechts in
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Bezug auf die „Gehilfenhaftung" nach § 831 BGB. Im Rahmen einer vertragsähnlichen Sonderverbindung, wie es die cic darstellte, war § 278 BGB anwendbar; einen Entlastungsbeweis sieht § 278 BGB nicht vor. Die Aufklärungs- und Mitteilungspflichten haben zum Inhalt, dass jeder Partner den anderen über die für das Zustandekommen des Vertrags wesentlichen Umstände unterrichten und auf Gefahren hinweisen muss. Der Vertragspartner muss verständlicherweise nicht auf sämtliche in Betracht kommende Umstände hinweisen, sondern nur insoweit, als der andere mit Rücksicht auf Treu und Glauben darauf vertrauen durfte. Weitere Beispiele von Pflichtverletzungen i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB sind der grundlose Abbruch von Vertragsverhandlungen, wenn ein Vertragspartner die Unwirksamkeit eines Vertrags verschuldet hat oder die arglistige Täuschung. Liegen die Voraussetzungen - Gesetzliches Schuldverhältnis (z. B. Aufnahme von Vertrags Verhandlungen; ähnliche geschäftliche Kontakte), - Verletzung einer sich daraus ergebenden Rücksichtnahmepflicht (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB), - Schaden, - Vertretenmüssen des Schuldners (§§ 276, 278 BGB) vor, besteht die Rechtsfolge nach § 280 Abs. 1 BGB in der Verpflichtung des Schuldners zum Ersatz des durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens (§§ 249 ff. BGB). Grundsätzlich wird der Vertrauensschaden ersetzt. Ausnahmsweise kann sich der Schadensersatzanspruch auch auf das Erfüllungsinteresse beziehen. (2) Konkurrenzen § 280 Abs. 1 BGB kommt in seiner direkten Anwendung kommt nur in Betracht, wenn keine speziellen Vorschriften eingreifen, z. B. Unmöglichkeit, Verzug, Nichtleistung nach Fristsetzung oder spezielle Mängelregeln. Macht der Verkäufer vor Abschluss des Vertrags Falschangaben über die Beschaffenheit der gekauften Sache, führt dies i.d.R. zu einem Sachmangel. Die §§ 280 ff. BGB finden nicht neben den vertragstypischen Mängelrechten, sondern als Bestandteil dieser Rechte, Anwendung. So verweist § 437 Nr. 3 BGB für das Kaufrecht und § 634 Nr. 4 BGB für das Werkvertragsrecht u. a. auf § 280 BGB; hier greifen spezielle Verjährungsregeln. Liegt dagegen kein Sachmangel vor, z.B. weil die Pflichtverletzung des Verkäufers in einer fehlerhaften oder nicht erfolgten Aufklärung über die sachgerechte Bedienung der mangelfreien Sache oder über von ihr ausgehende Gefahr besteht, greifen die besonderen Mängelrechte nicht ein, so dass wegen der Schutzpflichtverletzung § 280 Abs. 1 BGB direkt Anwendung findet; für die Verjährung gilt hier § 195 BGB.
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(3) Drittwirkungen In Rspr. und Lit. war anerkannt, dass das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung sowohl auf Schuldner- als auch auf Gläubigerseite Erweiterungen auf Personen erfahren kann, die nicht selbst Partei des Vertrags werden sollen. Danach kann ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch zu Personen entstehen, die nicht Vertragspartei werden sollen. So gelten die Grundsätze zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch im vorvertraglichen Bereich. Beispiel (BGHZ 66, 51 ff. „Gemüseblatt-Fall"): Die minderjährige Tochter T begleitet ihre Mutter beim Einkaufen. Sie rutscht im Supermarkt auf einem Gemüseblatt aus und verletzt sich. Dieser Fall wird heute von § 311 Abs. 3 S. 1 BGB erfasst. Zu beachten ist, dass § 280 Abs. 1 BGB die Anspruchsgrundlage ist, wobei die Voraussetzungen für das Schuldverhältnis durch § 311 Abs. 2 bzw. 3 BGB präzisiert werden und durch die Nennung des § 241 Abs. 2 BGB klargestellt ist, welche Pflichten verletzt sind. Für den umgekehrten Fall der Haftung Dritter, die zwar an der Vertragsanbahnung beteiligt sind, nicht aber selbst Vertragspartei werden sollten, ist der Begriff der „Sachwalterhaftung" entstanden. Der Grundgedanke dieser Haftung besteht darin, dass ein Dritter, der als Vertreter oder als bloßer Verhandlungsgehilfe beteiligt ist und dabei besonderes Vertrauen für sich selbst in Anspruch nimmt, in eigener Person in Bezug auf die Rechte oder Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksichtnahmepflichten treffen (vgl. Lorenz/Riehm, Rn. 374 m. w. N.). g. Wegfall der Geschäftsgrundlage Bei jedem Eingehen eines Schuldverhältnisses haben die Parteien bestimmte Vorstellungen, Erwartungen und Umstände als selbstverständlich angesehen. Fallen diese nachträglich weg oder ändern sich die Umstände, kann ein Festhalten am Vertrag in dieser Form für eine Partei unzumutbar sein. Die gesetzlichen Instrumentarien, z. B. Anfechtung, Rücktritt, Kündigung oder Schadensersatz reichen mitunter nicht aus, um eine interessengerechte Lösung zu erreichen. Diese „Lücke" wurde im Wesentlichen mit der von Oertmann entwickelten Lehre von der Geschäftsgrundlage geschlossen („Die Geschäftsgrundlage-ein neuer Rechtsbegriff", 1921), um eine Anpassung von Verträgen an schwerwiegende Veränderungen der äußeren Umstände zu erreichen, die dem Vertrag gewissermaßen zugrunde lagen. Angesichts der Wirtschaftskrise 1923 übernahm das RG diese Lehre und verankerte sie in § 242 BGB, also im Grundsatz von Treu und Glauben. Nach dem zweiten Weltkrieg hat auch der BGH auf diese Lehre zurückgegriffen, vor allem, als er über die wirtschaftlichen Folgen des zweiten Weltkrieges und der Währungsreform und schließlich auch im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung zu entscheiden hatte. Die Anwendungsfälle der Lehre von der Geschäftsgrundlage sind jedoch nicht auf solche Extremsituationen beschränkt. Auch in wirtschaftlich stabileren Zeiten gibt es Fallgestaltungen, z. B. im Hinblick auf die Anpassung von langfristig geschlossenen Verträgen an geänderte Verhältnisse. Zu beachten ist
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allerdings, dass eine Berufung einer Partei auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage, um den Grundsatz „pacta sunt servanda" nicht auszuhöhlen, grundsätzlich nur in Ausnahmefällen möglich ist. Unter einer Geschäftsgrundlage versteht man nach einer Formel des BGH die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, beim Vertragsabschluss aber zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragsteils oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Teile vom Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille auf diesen aufbaut (BGHZ 133, 281, (293); 131, 209). Der Gesetzgeber hat nun den bisher auf § 242 BGB gestützten Grundsatz zum Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB verankert und damit die bisherige Rspr. bestätigt, deren Kontinuität durch diese Kodifikation gesichert bleibt. Der wesentliche Unterschied zur bisherigen Rechtslage besteht darin, dass § 313 Abs. 1 BGB als primäre Rechtsfolge der Störung der Geschäftsgrundlage einen Anspruch auf Vertragsanpassung festschreibt; es kommt darauf an, was die Parteien vereinbart hätten. Die Vertragsanpassung ist inhaltlich darauf gerichtet, das eingetretene Risiko zwischen den Parteien angemessen zu verteilen, z. B. durch eine Herabsetzung der geschuldeten Gegenleistung, durch Zahlung eines angemessenen Ausgleichs oder durch eine vollständige bzw. eine teilweise Befreiung von einer Leistungspflicht. Subsidiär kommt eine Vertragsaufhebung in Betracht. Zu den wichtigen Anwendungsfällen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gehört der Fall des gemeinsamen Motivirrtums, etwa ein gemeinsamer Kalkulationsirrtum, z.B. über einen Umrechungskurs (vgl. RGZ 105, 406 - „Rubel-Fall"). Das RG behandelte den Irrtum über die Grundlagen des Geschäfts noch als Erklärungsirrtum. Weiterhin zählt hierzu ein Irrtum über den mit einem Pachtobjekt erzielbaren Umsatz oder über die öffentliche Förderung eines Bauvorhabens (BGH, NJW-RR 1990, 601,602). Ein weiterer Fall betrifft die sog. Zweckstörung. Beide Vertragsparteien gehen bei Vertragsschluss davon aus, dass die vertraglich vorgesehene Leistung zu einem bestimmten Zweck verwendet werden kann; anschließend stellt sich heraus, dass dieser Zweck nicht verwirklicht werden kann. Beispiel: V vermietet seinen Fensterplatz an M zur Besichtigung eines festlichen Umzugs. Später stellt sich heraus, dass der Umzug nicht stattfindet. Eine Anpassung des Vertrags kommt hier nicht in Betracht. M kann Rückzahlung des Mietzinses verlangen (hierzu Medicus, BR, Rn. 160). Letztlich gibt es den Fall der Äquivalenzstörung. Beide Vertragsparteien gehen bei Vertragsschluss davon aus, dass beide Leistungen im Wesentlichen ausgewogen sind und auch bleiben. Durch später eintretende extreme wirtschaftliche und politische Veränderungen geraten Leistung und Gegenleistung in ein grobes Missverhältnis.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil Beispiel: A verkauft an B Whisky zu einem bestimmten Preis. In der Folgezeit wird die Whiskysteuer so erhöht, dass A von dem vereinbarten Preis nicht einmal die Steuer bezahlen kann. Zu erwähnen seien hierzu besonders die Entscheidungen des RG während der Zeit der Inflation nach dem ersten Weltkrieg im Falle eines extremen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die „normale Geldentwertung" nicht von der Geschäftsgrundlage erfasst wird (vgl. BGH-Entscheidung „Kaliabbau"-Fall, NJW 1959, 2203).
6. Gläubigerwechsel a. Einleitung In Rahmen eines Schuldverhältnisses hat der Gläubiger gegen den Schuldner einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung. Diesem Anspruch, der auch als Forderung bezeichnet wird, kann unter Umständen eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Bedeutung zukommen. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass eine Forderung übertragbar ist, abgesehen davon, dass der Gläubiger sie auch selbst geltend machen kann. Das Gesetz kennt drei Formen des Gläubigerwechsels. In den §§ 398 ff. BGB ist der Forderungsübergang durch Rechtsgeschäft (Abtretung) geregelt. Diese Vorschriften finden nach § 412 BGB auf einen gesetzlichen Gläubigerwechsel („cessio legis") entsprechende Anwendung. Ein Gläubigerwechsel kann schließlich auch durch einen staatlichen Hoheitsakt eintreten. Forderung sübergang du xh
_ Hoheitsakt
—
1r——^
Rechtsc eschäft
Gesetz
Abb. 111.13. Arten des Gläubigerwechsels
b. Gesetzlicher Forderungsübergang In einigen Fällen sieht das Gesetz einen automatischen Forderungsübergang vor. Man spricht in diesen Fällen von der sog. cessio legis. Beispiel: Der Bürge hat die Forderung des Gläubigers gegen den (Haupt-)Schuldner bezahlt. Nach § 774 Abs. 1 BGB geht diese Forderung auf diesen über, d. h. der Bürge erwirbt den Anspruch gegen den (Haupt-)Schuldner.
6. Gläubigerwechsel
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Dasselbe Prinzip gilt bei Gesamtschuldnern (§ 426 Abs. 2 BGB), im Versicherungsrecht (§ 67 VVG), im Arbeitsrecht (z. B. § 6 EFZG), sowie im Falle der § 268 Abs. 3 BGB, § 1225 BGB, § 1143 Abs. 1 BGB, § 116 SGB X. Mit dem Tod einer Person geht deren Vermögen, d. h. auch deren Forderung, auf den Erben über (§ 1922 Abs. 1 BGB). c. Forderungsübergang durch Hoheitsakt
Ein Gläubigerwechsel kann auch durch einen staatlichen Hoheitsakt (d. h. auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften) eintreten. Hierunter fällt vor allem die Zwangsvollstreckung in Forderungen. In diesem Falle erwirbt der Vollstreckungsgläubiger die gepfändete Forderung des Altgläubigers mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§§ 829, 835 ZPO) an den Drittschuldner, soweit die Forderung an Zahlungs Statt und nicht nur - wie es in der Praxis üblich ist - „zur Einziehung" überwiesen wurde. Der Drittschuldner kann dann, um sich von der Verbindlichkeit zu befreien, nur noch an den Pfändungsgläubiger leisten. Häufigster Fall einer Forderungspfändung ist die Lohnpfändung bei einem Arbeitnehmer. d. Forderungsübergang durch Rechtsgeschäft Ein rechtsgeschäftlicher Forderungsübergang erfolgt durch einen Abtretungsvertrag zwischen Neugläubiger und Altgläubiger. Der „alte" Gläubiger wird als Zedent, der „neue" Gläubiger als Zessionar und die Forderungsabtretung an sich als Zession bezeichnet. Mit dem Abschluss des Vertrags übernimmt der neue Gläubiger die Position des bisherigen Gläubigers (§ 398 S. 2 BGB). Ein Mitwirken des Schuldners, insbesondere seine Zustimmung, ist nicht erforderlich. Abtretungsvertrag Altgläubiger (= Zedent)
(= Zession)
Neugläubiger .. (= Zessionar)
Forderung abgetretene Forderung
Schuldner
Abb. 111.14. Forderungsabtretung Durch eine Forderungsabtretung wird regelmäßig ein entsprechendes Kausalgeschäft erfüllt. In Betracht kommen hierbei Kauf, Schenkung, Auftrag, Geschäftsbesorgung oder sonstige Vereinbarungen.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Die Abtretung ist ein Verfügungsgeschäft und daher von dem zugrundeliegenden schuldrechtlichen Rechtsgeschäft zu unterscheiden. Etwaige Mängel im Kausalgeschäft sind grundsätzlich ohne Auswirkungen auf die Abtretung. Allerdings steht dann dem bisherigen Gläubiger gegen den neuen Gläubiger ein Anspruch aus §§812 ff. BGB auf Grund der Abtretung zu. Nicht selten stellt ein Kaufvertrag den Rechtsgrund für die Abtretung dar. Das ist vor allem beim Factoring-Vertrag der Fall, durch den ein Gläubiger - zur Verbesserung seiner Liquidität - seine Außenstände gegen einen Kosten- und Bonitätsabschlag i. d. R. auf ein Kreditinstitut überträgt. Die Forderungsabtretung ist auch im Bereich des Kreditgeschäfts von großer Bedeutung. Die Sicherungsabtretung (= Sicherungszession) einer Forderung hat gegenüber der Verpfändung einer Forderung den Vorteil, dass sie keine bonitätsschädigende Anzeige an den Schuldner erfordert (§ 1280 BGB). Im Wesentlichen gibt es verschiedene Arten von Abtretungsgeschäften. Zunächst gibt es den Fall, dass der Schuldner von der Abtretung benachrichtigt wird. Das bezeichnet man als offene Zession (Gegensatz: stille Zession). Es gibt auch die Möglichkeit, dass der Gläubiger sämtliche ihm zustehende Ansprüche abtritt (Globalzession). Der Gläubiger kann die Forderung aber auch nur treuhänderisch zur Einziehung abtreten. Dies bezeichnet man als Inkassozession. Mithin kann der Gläubiger eine Abtretungsurkunde ausstellen, bei der der Empfänger der „blanco" ausgestellten Abtretungsurkunde ermächtigt wird, sich selbst oder einen Dritten als Zessionar zu bestimmen („Blankozession"; vgl. Palandt-Heinrichs, § 398 BGB, Rn. 4). Voraussetzung einer Forderungsabtretung ist - wie erwähnt - zunächst der Abschluss eines Abtretungsvertrags. Wesentlicher Inhalt dieses Vertrags ist die Einigung über den Forderungsübergang. Er ist grundsätzlich formlos gültig (Ausnahme: § 1154 BGB, Abtretung einer Hypothekenforderung). Weiterhin ist das tatsächliche Bestehen einer Forderung erforderlich. Anders als bei Gründstücken und beweglichen Sachen (vgl. §§ 932 ff., 892 BGB) gibt es bei Forderungen keinen gutgläubigen Erwerb, da es an einem entsprechenden Vertrauenstatbestand fehlt. Von diesem Grundsatz macht § 405 BGB eine Ausnahme, wenn die Forderung in einer Urkunde verbrieft ist, z. B. ein Lagerschein (PalandtHeinrichs, § 405 BGB, Rn. 3). Beispiel: T, der sich in argen Geldproblemen befindet, erzählt dem S, dass er gegen M eine Darlehensforderung in Höhe von 1 000 € besitzt. Da das Darlehen aber erst in einem Jahr zurückzuzahlen ist, er aber das Geld sofort brauche, sei er bereit, ihm die Forderung gegen den M für 700 € zu verkaufen. S ist damit einverstanden und zahlt den gewünschten Preis. Tatsächlich hat T niemals gegen M eine Forderung gehabt. Kann S von M Zahlung der 1 000 € nach Fälligkeit der Darlehensforderung verlangen? Nein, da S die Forderung nicht erworben hat. Auch der gute Glaube an das Bestehen der Forderung hilft ihm nicht. Der Grund für den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs an Forderungen besteht darin, dass es an einem Kennzeichen fehlt, das - wie
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bei beweglichen Sachen der Besitz oder bei Grundstücken das Grundbuch - auf die Berechtigung des Verfügenden hinweist und damit einen Rechtsschein schafft, auf den der Gutgläubige vertrauen darf. Etwas anderes wäre der Fall gewesen, wenn M (zum Schein) einen Schuldschein ausgestellt hätte. Dann hätte sich M nach § 405 BGB nicht darauf berufen können, dass er den Schuldschein nur zum Schein ausgestellt hatte. S hätte in diesem Fall also die Forderung erworben. Weiterhin muss die Forderung, wie jeder Gegenstand einer Verfügung, bestimmbar sein. So lässt die Rspr. zu, auch künftig entstehende Forderungen zu übertragen (sog. Vorausabtretung), vorausgesetzt, es besteht zur Zeit ihrer Entstehung Klarheit über Inhalt und Höhe der Forderung sowie über die Person des Schuldners (BGH, NJW 1988, 3204). Diese Frage nach der Bestimmbarkeit ist vor allem bei der Globalzession und bei der Abtretung künftiger Forderungen im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehaltes von Bedeutung (Jauernig-Stürner, § 398 BGB, Rn. 11). Schranken können sich hier aus § 138 BGB ergeben („Knebelung", vgl. BGH, WM 1990, 1326). Eine Forderungsabtretung ist unzulässig bei unpfändbaren Forderungen (§ 400 BGB), wenn die Abtretung vertraglich ausgeschlossen war (§ 399 BGB) sowie in einigen gesetzlich bestimmten Fällen (z. B. § 717 BGB). Der Schuldner muss, da er an der Abtretung nicht beteiligt wird, geschützt werden. So kann der Schuldner nach § 404 BGB dem neuen Gläubiger alle Einwendungen und Einreden entgegenhalten, die er auch gegenüber dem alten Gläubiger hätte geltend machen können. Weitere Schutzvorschriften enthalten die §§ 405 ff. BGB. Erfährt der Schuldner von der Abtretung nichts und leistet er an den alten Gläubiger, der nunmehr Nichtberechtigter ist, greift § 407 BGB ein. Der neue Gläubiger muss dann die Leistung des Schuldners gegen sich gelten lassen. Es ist also eine Erfüllung der Verbindlichkeit eingetreten; nach § 407 BGB gilt dies auch für jedes andere Rechtsgeschäft. Es tritt demnach eine für §§812 ff. BGB typische Bereicherungssituation auf, denn der bisherige Gläubiger erlangt etwas, was nicht ihm, sondern dem neuen Gläubiger zusteht. Nach § 816 Abs. 2 BGB kann der neue Gläubiger vom Altgläubiger die Herausgabe des Erlangten verlangen.
7. Schuldnerwechsel Durch die Abtretung erfolgt ein Wechsel auf der Gläubigerseite. Der Wechsel auf der Schuldnerseite erfolgt durch eine Schuldübernahme. Die Schuldübernahme setzt eine Beteiligung des Gläubigers voraus, da diesem i. d. R. die Bonität seines Schuldners nicht gleichgültig sein dürfte. Nach § 414 BGB kann die Schuldübernahme durch einen Vertrag zwischen dem Gläubiger und dem Übernehmer (als. sog. Neuschuldner) bewirkt werden oder nach § 415 BGB durch einen Vertrag zwischen dem Neuschuldner und Altschuldner. Dieser Vertrag bedarf allerdings (verständlicherweise) für die Wirksamkeit der Genehmigung des Gläubigers.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Die Rechtsstellung des Schuldübernehmers im Einzelnen sowie die besonderen Haftungsvorschriften sind in den §§ 417 ff. BGB geregelt. Die Schuldübernahme gem. §§ 414, 415 BGB ist von der „gesetzlich nicht geregelten Schuldmitübernahme" (auch als Schuldbeitritt oder kumulative Schuldübernahme bezeichnet) zu unterscheiden. Bei der Schuldmitübernahme wird die Schuld in der Weise übernommen, dass der Übernehmer als Gesamtschuldner neben dem bisherigen Schuldner in das Schuldverhältnis eintritt. Der Gläubiger erhält in diesem Fall einen zweiten Schuldner. In einigen Fällen entdeckt ein Schuldbeitritt kraft Gesetz (vgl. § 613 a BGB; § 25 HGB).
8. Gläubigermehrheit und Schuldnermehrheit Bis zu diesem Zeitpunkt wurde immer nur von dem Gläubiger bzw. dem Schuldner gesprochen. Als Gläubiger oder Schuldner können auch mehrere Personen auftreten. Im Gesetz ist die Mehrheit von Gläubigern und Schuldnern in den §§ 420 ff. BGB gesetzlich geregelt. Die wichtigste Form in diesem Zusammenhang ist die sog. Gesamtschuldnerschaft gem. § 421 BGB. Diese liegt vor, wenn jeder der Schuldner auf das Ganze haftet, der Gläubiger die Leistung aber nur einmal verlangen kann. Eine Gesamtschuld entsteht durch rechtsgeschäftliche Verpflichtungen, insbesondere wenn mehrere eine unteilbare Leistung schulden (z. B. Verpflichtung zur Erstellung eines Werks, Herausgabe einer bestimmten Sache) oder wenn es vom Gesetz angeordnet ist (z. B. §§ 830, 840 BGB; Jauernig-Stürner § 421 BGB, Rn. 3). Nach § 427 BGB besteht im Zweifel im Falle einer gemeinschaftlichen Leistungsverpflichtung eine Gesamtschuld. Beispiel: Die Ehegatten unterschreiben beide den Mietvertrag über die gemeinsame eheliche Wohnung. Damit haften sie als Gesamtschuldner. Der Vermieter kann sich wegen der Mietzinszahlung über die volle Höhe sowohl an den Ehemann als auch an die Ehefrau halten.
9. Einwendungen und Einreden a. Übersicht Auch wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Anspruchsnorm vorliegen, kann die Durchsetzung dieses Anspruchs im Endeffekt scheitern, wenn der Anspruch erloschen ist oder der Schuldner Gegenrechte vorbringen kann. Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen „Einwendungen" und „Einreden".
9. Einwendungen und Einreden
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Gegenrechte gegen einen Anspruch
Einwendungen
rechtshindernde
rechtsvernichtende
Einreden
dilatorische
peremtorische
Abb. 111.15. Einwendungen, Einreden Einwendungen sind „Gegentatsachen". Sie beschreiben die Voraussetzungen, unter denen ein Recht ausnahmsweise trotz Vorhandenseins der zur Entstehung erforderlichen Voraussetzungen nicht entsteht (rechtshindernde Einwendung) oder ein bereits entstandenes Recht wieder erlischt (rechtsvernichtende Einwendung). Zu den rechtshindernden Einwendungen zählen u. a. die Geschäftsunfähigkeit (§ 105 BGB), die Formnichtigkeit (§ 125 BGB), die Gesetzeswidrigkeit (§ 134 BGB), die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder das Scheingeschäft (§ 117 BGB). Rechtshindernde Einwendungen sind in einem juristischen Gutachten bereits bei den Anspruchsvoraussetzungen zu überprüfen. Rechtsvernichtende Einwendungen bezeichnen die Voraussetzungen, unter denen ein bereits entstandenes Recht wieder erlischt. Hierzu zählen u. a. die Erfüllung und die Erfüllungssurrogate (Leistung an Erfüllungs Statt, Hinterlegung, Aufrechnung, Erlass) oder die Verwirkung (§ 242 BGB). Die rechtsvernichtenden Einwendungen bewirken das Erlöschen einer bereits entstandenen Forderung und werden demzufolge dann geprüft, wenn feststeht, dass der Anspruch besteht, aber u. U. wieder erloschen sein kann. Einwendungen sind im Prozess von Amts wegen zu berücksichtigen. Von Amts wegen heißt, dass sie nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie sich aus dem unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen vortrag der Parteien ergeben. Von sich aus darf der Richter sie nicht berücksichtigen (Larenz/Wolf, BGB AT, § 18, Rn. 47). b. Einreden aa. Einleitung Liegen Einwendungen nicht vor, so steht damit noch nicht fest, ob der Anspruch auch durchsetzbar ist. Dies hängt davon ab, ob dem Anspruchsgegner Leistungsverweigerungsrechte, sog. Einreden, zustehen. Unter Einreden sind Gegenrechte zu verstehen, die der Anspruchsgegner (im Prozess: Beklagter) dem Anspruch des Anspruchsstellers (im Prozess: Kläger) entgegensetzen kann. Im Unterschied zur Einwendung hat die Einrede nicht zur Folge, dass der Anspruch erlischt. Dieser wird nur in seiner Durchsetzbarkeit gehemmt. Zudem entfalten die Einreden nur dann eine Rechtswirkung (im Gegensatz zu den Einwendungen, die von Amts wegen beachtet werden), wenn der Beklagte dieses Recht geltend macht.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Man unterscheidet Einreden, die die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Dauer ausschließen (sog. dauernde bzw. peremtorische Einrede) und solche, die die Durchsetzbarkeit des Anspruchs nur aufschieben (sog. aufschiebende bzw. dilatorische Einrede). Zu den dauernden Einreden zählen z.B. die Einrede der Verjährung (§ 214 BGB) und die Mängeleinrede (§ 438 Abs. 4 BGB). Zu den Einreden, die hingegen die Geltendmachung eines Anspruchs nur aufschieben, zählen u. a. die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (§ 273 BGB), die Einrede der Stundung, die Einrede der Vorausklage des Bürgen (§ 771 BGB) sowie die Dreimonatseinrede des Erben (§ 2014 BGB). Die Einrede im prozessrechtlichen Sinn bezieht sich auf die Einwendungen und Einreden im materiell-rechtlichen Sinn. Einwendungsbegründende Tatsachen sind im Prozess stets, d. h. von Amts wegen, zu berücksichtigen. Einredebegründende Tatsachen sind dagegen nur zu berücksichtigen, wenn gleichzeitig feststeht, dass der Schuldner die Einrede erhoben hat. Die praktisch wichtigsten Einreden sind: - Die Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB), - die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (§ 273 BGB), - die Einrede des nichterfüllten Vertrags (§ 320 BGB) und - die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB). bb. Einrede der Verjährung Die Verjährung bedeutet den Verlust der Durchsetzbarkeit eines Anspruchs durch Zeitablauf. Der Schuldner ist mit Eintritt der Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern. Ihm steht die Einrede der Verjährung zu (§ 214 Abs. 1 BGB). Die Verjährung dient der Sicherheit des Rechtsverkehrs und des Rechtsfriedens (BGHZ 59, 72 (74)). Der Gläubiger soll nicht beliebig lange mit der Geltendmachung seines Anspruchs warten können. Ansprüche, die über einen längeren Zeitraum hinweg nicht geltend gemacht worden sind, begründen für den Schuldner einen gewissen Vertrauensschutz, da er damit rechnen darf, in dieser Sache nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Je länger der Gläubiger mit seinem Anspruch wartet, desto schwieriger kann auch die Klärung der Beweislage sein. Daraus können Streitigkeiten entstehen und der Schuldner in Beweisschwierigkeiten geraten, z.B. durch Unauffindbarkeit einer Quittung oder durch den Tod eines Zeugen. Diese Probleme sollen mit den Verjährungsregeln vermieden werden, indem der Gläubiger gezwungen ist, seinen Anspruch in einer bestimmten Zeit geltend zu machen. Der Verjährung unterliegen nur Ansprüche (§ 194 Abs. 1 BGB), nicht dagegen Gestaltungsrechte (vgl. aber § 218 BGB in Bezug auf die Gestaltungsrechte „Rücktritt" und „Minderung" im Rahmen der Gewährleistung); für diese kann es Ausschlussfristen geben, nach deren Ablauf das Recht erlischt (z.B. § 122 Abs. 1, § 124 BGB).
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Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Diese Frist gilt für sämtliche Ansprüche, soweit nicht innerhalb des BGB oder anderer Gesetze besondere Fristen vorgesehen sind. Nach § 196 BGB verjähren Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie Ansprüche auf die Gegenleistung in 10 Jahren. Nach § 197 Abs. 1 BGB verjähren in 30 Jahren, sofern nicht ein anderes bestimmt ist, Herausgabeansprüche aus Eigentum und anderen dinglichen Rechten, familien- und erbrechtliche Ansprüche sowie die eben erwähnten titulierten Ansprüche. Besondere Verjährungsfristen gelten nach wie vor im Gewährleistungsrecht in den §§ 438, 548, 634 a, 651 g BGB. Diese Vorschriften sehen für Mängelansprüche eine kürzere, objektiv zu bestimmende, Verjährungsfrist vor. Diese Fristen erfassen damit nicht nur die verschuldensunabhängigen Gewährleistungsrechte, sondern nach ihrem eindeutigen Wortlaut auch die verschuldensabhängigen Schadensersatzansprüche nach §§ 280 Abs. 1, 437 Nr. 3, 536a Abs. 1 2. Alt., 634 Nr. 4, 651 f BGB. Diese Fristen gelten aber nicht für Garantieverträge nach § 443 BGB, die grundsätzlich der regelmäßigen Verjährungsfrist nach §§ 195,199 BGB unterliegen. Nach § 199 Abs. 1 BGB setzt der Beginn der regelmäßigen Verjährung voraus, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Zunächst muss der Anspruch entstanden sein (vgl. BGHZ 113, 188 (193); sobald er geltend gemacht werden kann, i. d. R. mit Fälligkeit) und zweitens muss der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen sowie von der Person des Schuldners haben; grob fahrlässige Unkenntnis ist allerdings gleichgestellt. Da die Anknüpfung an den Tatbestand der Entstehung oder Fälligkeit beim Verjährungsbeginn unverzichtbar ist, liegt die eigentliche rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers darin, dass er an die Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers anknüpft und damit an ein subjektives Merkmal. Die Verjährung beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des betreffenden Jahres zu laufen, also am 31.12. um 24 Uhr (Jahresendverjährung). Mit dieser Regelung sollen Streitigkeiten über das genaue Datum der Kenntniserlangung vermieden und die Überwachung des Verjährungsablaufs erleichtert werden. Die kenntnisabhängige Regelverjährung wird in § 199 Abs. 2 u. 3 BGB durch zwei verschiedene kenntnisunabhängige Verjährungsfristen ergänzt. Die regelmäßige Verjährungsfrist wird durch Höchstfristen ergänzt, deren Dauer entweder 10 oder 30 Jahre beträgt. Diese Höchstfristen sind als objektives Korrektiv zu der auf dem subjektiven System beruhenden regelmäßigen Verjährung zu verstehen. Für Ansprüche, die nicht der regelmäßigen Verjährung unterliegen, beginnt die Verjährungsfrist grundsätzlich mit der Entstehung des Anspruchs (§ 200 S. 1 1. Hs. BGB). Titulierte Ansprüche (§ 197 Abs. 1 Nrn. 3-5 BGB) verjähren nach § 201
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
BGB 30 Jahre nach dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung, der Errichtung des vollstreckbaren Titels (d. h. vollstreckbare Urkunden) oder der Feststellung im Insolvenzverfahren. Dem normalen Ablauf der Verjährungsfrist können Hindernisse entgegenstehen, die eine Hemmung, Ablaufhemmung oder einen Neubeginn bewirken. Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung sind die einzelnen Tatbestände der Hemmung, Ablaufhemmung und des Neubeginns an die Entwicklung in der Rspr. angepasst und teilweise erweitert worden. Weiterhin wurden die wichtigsten Fälle der Verjährungsunterbrechung nun als Hemmungstatbestand ausgestaltet, nämlich die Fälle der gerichtlichen Geltendmachung. Neubeginn bedeutet nach § 212 BGB, dass die Verjährung erneut zu laufen beginnt. Dieser Begriff ersetzt die sog. Unterbrechung; eine sachliche Änderung ist damit nicht verbunden gewesen, da bereits § 217 BGB a. F. den Neubeginn als Rechtsfolge für die Unterbrechung angeordnet hat. Fälle des Neubeginns sind nach § 212 Abs. 1 BGB lediglich das Anerkenntnis und die Zwangsvollstreckung. Hemmung bedeutet ein Anhalten der Verjährungsfrist. Nach dem Wegfall der Hemmung läuft die Verjährungsfrist weiter. Es wird also lediglich der Zeitraum der Hemmung in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Die Verjährungsfrist wird z.B. gehemmt bei Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner über den Anspruch, bei prozessualer Geltendmachung oder aus familiären oder ähnlichen Gründen (vgl. §§ 203 ff. BGB). Die Ablaufhemmung schiebt den Eintritt der Verjährung hinaus. Sie tritt ein bei Ansprüchen, die vorübergehend nicht geltend gemacht werden können. Die Verjährungsfrist läuft hier grundsätzlich weiter, jedoch tritt die Verjährung erst eine bestimmte Zeit nach Wegfall des Ablaufhemmungsgrundes ein, z. B. sechs Monate nach Eintritt der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit (§ 210 BGB). Die Wirkung der Verjährung entspricht grundsätzlich derjenigen des bisherigen Rechts. Die Verjährung führt zu einer Einrede. Der Schuldner ist nach Vollendung der Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB). Das gleichwohl Geleistete kann nicht zurückgefordert werden (§ 214 Abs. 2 BGB). cc. Einrede des Zurückbehaltungsrechts Ebenfalls in der Praxis bedeutsam ist die Einrede des Zurückbehaltungsrechts gem. § 273 BGB. Dabei muss man im Auge behalten, dass grundsätzlich eine Zurückbehaltung bzw. Leistungsverzögerung unberechtigt ist, wenn die Voraussetzungen für einen Anspruch des Gläubigers gegeben sind und der Schuldner keine Hinderungsgründe vorbringen kann. Der Schuldner bleibt zur Leistung verpflichtet und kommt ggf. in Verzug. In bestimmten Ausnahmefällen ist es denkbar, dass der Schuldner seine Leistung zurückhalten darf, weil umgekehrt der Gläubiger seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist daher möglich, dass sich der Schuldner auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen kann.
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Das (allgemeine) Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB gewährt dem Schuldner ein Recht, seine Leistung zu verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt ist. Es kann grundsätzlich gegenüber Leistungen aller Art geltend gemacht werden, d. h. auch gegenüber sachenrechtlichen, familien- oder erbrechtlichen Ansprüchen (Palandt-Heinrichs, § 273 BGB, Rn. 2); eine Sonderregel besteht bei gegenseitigen Verträgen (§ 320 BGB). Im Handelsrecht ist das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht des § 369 HGB zu beachten, das auf die speziellen Bedürfnissse des kaufmännischen Rechtsverkehrs ausgerichtet ist und an die Voraussetzungen für ein Zurückbehaltungsrecht weniger Anforderungen knüpft und weitergehende Wirkungen hat als § 273 BGB. So ist u. a. für Forderungen aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft eine Konnexität nicht erforderlich (vgl. hierzu Baumbach/Hopt, § 369 HGB, Rnn. 1 ff.). Die zulässige Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts setzt zunächst eine Gegenseitigkeit (besser: Gegenläufigkeit) voraus. Das bedeutet, dass der Gläubiger einen schuldrechtlichen oder sachenrechtlichen Anspruch geltend macht und der Schuldner einen Gegenanspruch hat. Das Erfordernis einer Gegenläufigkeit der Forderungen ist nicht zu verwechseln mit einer Gegenseitigkeit der Forderungen. Diese müssen nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander stehen; § 273 BGB gilt nicht für die in einem Austauschverhältnis stehenden Leistungen bei gegenseitigen Verträgen. Weiterhin muss die Gegenforderung des Schuldners fällig und vollwirksam sein. Ist der Gegenanspruch noch nicht fällig, dann kann der Schuldner nicht zurückbehalten, sondern muss dann zu einem späteren Zeitpunkt seinen Anspruch geltend machen und notfalls Klage erheben. Diese Voraussetzung beinhaltet auch, dass dem Anspruch (des Schuldners) keine Einreden (des Gläubigers) entgegenstehen dürfen. Die Zurückbehaltung einer Leistung ist nach § 215 BGB auch mit einer bereits verjährten Gegenforderung möglich. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verjährung noch nicht eingetreten war, als der Anspruch des Gläubigers entstand, d. h. beide Forderungen müssen sich einmal vollgültig gegenüber gestanden haben. Außerdem muss zwischen beiden Ansprüchen eine Konnexität bestehen. Unter Konnexität versteht man das Erfordernis, dass der Anspruch des Gläubigers und der Gegenanspruch des Schuldners auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen müssen. Es ist aber nicht erforderlich, dass die beiderseitigen Ansprüche in demselben Vertrag oder Schuldverhältnis ihre Grundlage haben. Nach der Rspr. soll es ausreichen, dass ein „einheitlicher Lebensvorgang" vorliegt, d. h. die beiden Ansprüche in einem „inneren, natürlichen bzw. wirtschaftlichen Zusammenhang" stehen (BGHZ 47, 157, 167; Palandt-Heinrichs, § 273 BGB, Rnn. 9 ff. m.w.N.). So besteht eine Konnexität beispielsweise bei Ansprüchen aus ständigen Geschäftsbeziehungen, sofern die verschiedenen Verträge wegen ihres zeitlichen oder sachlichen Zusammenhangs als eine natürliche Einheit erscheinen.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Als Kurzformel für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts kann man sich merken: Gegenseitigkeit, Fälligkeit, Konnexität. Einen besonderen Fall der Konnexität regelt § 273 Abs. 2 BGB. Danach steht dem Besitzer einer Sache ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem dinglichen Herausgabeanspruch zu, wenn er Verwendungen auf den Gegenstand gemacht hat oder wenn ihm durch diesen ein Schaden entstanden ist. So kann beispielsweise der Finder eines Hunds ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Herausgabeanspruch des Eigentümers wegen der Fütterungskosten (vgl. § 970 BGB) geltend machen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Herausgabepflichtige den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung (z.B. Diebstahl, Betrug) erlangt hat. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist die Ungleichheit des Inhalts von Forderung und Gegenforderung. Sind nämlich beide Forderungen gleichartig, kommt nur eine Aufrechnung in Betracht. Eine Zurückbehaltung von 500 € wegen eines Gegenanspruchs auf 500 € wäre genauso sinnlos wie ein auf einen solchen Leistungsaustausch lautendes Urteil. Schließlich darf die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht ausgeschlossen sein. Dieser Ausschluss kann einen vertraglichen oder gesetzlichen Grund haben. Ein vertraglicher Ausschluss eines Zurückbehaltungsrechts findet sich häufig in Mietverträgen, wobei allerdings die Vorschrift des § 556 b BGB zu beachten ist. Diese Vorschrift schützt das Zurückbehaltungsrecht des Wohnraummieters wegen einer Schadensersatzforderung sogar gegen einen individualrechtlichen Anspruch. Generell verboten ist der Ausschluss in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. § 309 Nr. 2 b BGB). Für den kaufmännischen Rechtsverkehr ist dies grundsätzlich zulässig, es sei denn, es handelt sich um unbestrittene, rechtskräftig festgestellte oder entscheidungsreife Forderungen (BGHZ 92, 312,316). Das Zurückbehaltungsrecht ist im Übrigen ausgeschlossen kraft gesetzlicher Anordnung, aus der Natur des Schuldverhältnisses heraus oder wenn dies rechtsmissbräuchlich wäre. So verbieten beispielsweise die §§ 570, 578, Abs. 1, 581 Abs. 2 BGB dem Mieter oder Pächter ein Zurückbehaltungsrecht gegen den auf Rückgabe seines Grundstücks klagenden Vermieter (Verpächter), denn bei Grundstücksmiet- oder -Pachtverträgen steht der Gegenanspruch des Mieters (Pächters) in keinem Verhältnis zum Wert der Mietsache. Die Vorschrift des § 175 BGB verbietet die Zurückbehaltung der Vollmachtsurkunde; diese ist nach Erlöschen der Vollmacht stets zurückzugeben, um einem Missbrauch vorzubeugen. Das Zurückbehaltungsrecht ist ferner ausgeschlossen, wenn eine Aufrechnung nicht zulässig wäre, da sonst eine „verschleierte Aufrechnung" vorliegen würde (Klunzinger, S. 208). Dies gilt insbesondere für die Zurückbehaltung gegenüber unpfändbaren Ansprüchen, soweit § 394 BGB (§§ 850 ff. ZPO) diese gegen eine Aufrechnung schützt. Eine Unzulässigkeit der Zurückbehaltung wegen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Hierzu zählen beispielsweise die Zurückbehaltung einer sehr wertvollen Leistung gegenüber einer relativ unbedeutenen Gegen-
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forderung oder wenn der Zurückbehaltende seine Gegenforderung schon anderweitig (z. B. durch Bankbürgschaft) gesichert hat (Medicus, SchuldR AT, Rn. 217). Die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB bewirkt ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners (kein Befriedigungsrecht; anders als im Fall des § 1003 BGB). Der Verzug wird dadurch ausgeschlossen. Er muss allerdings zur Vermeidung des Verzugs leisten, wenn der Gläubiger Sicherheit (§§ 232 ff. BGB) leistet (ausgenommen durch Bürgschaft, § 273 Abs. 3 BGB). Erhebt der Gläubiger Klage, dann führt die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht zur Abweisung der Klage, sondern zur Verurteilung Zug um Zug gegen Empfang der Gegenleistung (vgl. § 274 Abs. 1 BGB). dd. Einrede des nichterfüllten Vertrags Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB ist von dem besonderen Fall der Leistungsverweigerung nach § 320 BGB zu unterscheiden. Ein Zurückbehaltungsrecht besonderer Art in Form einer Einrede des nichterfüllten Vertrags (§ 320 BGB) kann dem jeweiligen Schuldner in einem gegenseitigen Vertrag bezüglich der Leistungspflichten zustehen. Hier stehen die geschuldeten Leistungen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (z. B. beim Kauf). Wegen der besonderen Abhängigkeit von Leistung und Gegenleistung soll gewährleistet sein, dass kein Vertragspartner die Leistung erbringen muss, ohne gleichzeitig die Gegenleistung zu erhalten. Durch die Einrede nach § 320 BGB kann die Erfüllung der Leistung solange verweigert werden, bis der andere Teil die von ihm versprochene Leistung erbracht hat. Beispiel: Der Verkäufer kann die Auslieferung der Ware verweigern, solange der Käufer den Kaufpreis nicht entrichtet. Der Käufer kann die Einrede nach § 320 auch geltend machen, wenn der Verkäufer ein Recht auf Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB hat, d.h. der Käufer Beseitigung des Mangels oder Lieferung einer mangelfreien Sache verlangt. Dieser Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB ist kein Gewährleistungsanspruch. Es handelt sich vielmehr um den ursprünglichen Erfüllungsanspruch aus § 433 Abs. 1 BGB. Die Einrede nach § 320 BGB kann allerdings von demjenigen nicht mehr erhoben werden, der zur Vorleistung verpflichtet ist, sei es aus Vertrag, kraft Gesetzes (z. B. §§ 579, 614, 641 BGB) oder aus der Natur des Schuldverhältnisses heraus. Um die Vereinbarung einer „Vorleistung" handelt es sich z. B. beim Teilzahlungsgeschäft. Der Verkäufer einer Sache erklärt sich bereit, die Kaufsache sofort zu übergeben. Der Käufer erhält den Besitz (und eine Anwartschaft auf das Eigentum) sofort. Er braucht den Kaufpreis nur in Raten zu zahlen; auf § 320 BGB kann sich der Verkäufer nicht berufen.
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III. Schuldrecht - Allgemeiner Teil
Der Verkäufer hat allerdings die Möglichkeit, sich durch Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts eine gewisse Sicherheit zu verschaffen. Wird z. B. „Kasse gegen Faktura" oder „Zahlung (Kasse) gegen Dokumente" vereinbart, bedeutet das ebenfalls eine Vorleistungspflicht des Käufers (Palandt-Heinrichs, § 320 BGB, Rn. 16). Zu beachten ist § 321 BGB, wenn sich die Vermögensverhältnisse des anderen Vertragspartners nach Vertragsabschluss wesentlich verschlechtern und dadurch der Gegenanspruch gefährden ist. Der Unterschied zum (allgemeinen) Zurückbehaltungsrecht besteht darin, dass die Einrede des nichterfüllten Vertrags nicht durch eine Sicherheitsleistung des Gläubigers abwendbar ist, da nicht der Sicherungszweck, sondern die Erzwingung der Gegenleistung im Vordergrund steht. Das bloße objektive Bestehen dieses Leistungsverweigerungsrechts verhindert den Eintritt des Schuldnerverzuges; der Schuldner braucht diese Einrede (anders im Fall des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB) zur Verhinderung des Verzugseintritts nicht geltend zu machen (Palandt-Heinrichs, § 320 BGB, Rn. 12). Im Falle eines Prozesses muss die Einrede allerdings erhoben werden, um eine uneingeschränkte Verurteilung zu vermeiden. Nach § 215 BGB begründen auch verjährte Ansprüche dann die Einrede nach § 320 BGB, wenn die Verjährung noch nicht eingetreten war, als der Gegenanspruch des Gläubigers entstand.
ee. Einrede der Vorausklage Wichtig ist letzlich noch die Einrede der Vorausklage des Bürgen nach § 771 BGB. Danach kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange nicht der Gläubiger eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat. Der Bürge haftet grundsätzlich nur subsidiär, d. h. nur dann, wenn beim Hauptschuldner „nichts mehr zu holen ist". Dadurch wird der Wert einer Bürgschaft (für den Gläubiger) erheblich gemindert, insbesondere wenn man das langwierige und kostenaufwändige Procedere eines Klageverfahrens mit anschließender Zwangsvollstreckung bedenkt. In der Praxis wird deshalb häufig von einem Bürgen der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage verlangt. Man spricht dann von einer selbstschuldnerischen Bürgschaft (vgl. § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Im Übrigen ist die Einrede der Vorausklage nach § 773 Abs. 1 Nrn. 2-4 BGB in den Fällen ausgeschlossen, in denen von Anfang an beim Schuldner eine Zwangsvollstreckung offensichtlich zwecklos ist; hier kann sich der Gläubiger sofort bei Fälligkeit an den Bürgen halten (Merkvers: Einen Bürgen soll man würgen). Zu beachten ist, dass einem Kaufmann i.S.v. §§ 1 ff. HGB die Einrede der Vorausklage gem. § 349 HGB nicht zusteht.
IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
1. Übersicht über die wesentlichen Vertragsarten des Schuldrechts Der Besondere Teil des Schuldrechts ist in den §§ 433-853 BGB geregelt. Hier wird auf die einzelnen Schuldverhältnisse speziell eingegangen. Dabei versuchte der Gesetzgeber, die wichtigsten und häufigsten schuldrechtlichen Beziehungen vorsorglich für den Fall zu regeln, dass die Parteien keine speziellen Vereinbarungen treffen. Den Parteien sollten damit aber nicht bestimmte (gesetzgeberische) Interessen, die sich an dem Normalfall orientieren, aufgedrängt werden. Die meisten Vorschriften über vertragliche Schuldverhältnisse sind daher dispositiv. Sie können von den Parteien durch anderweitige Vereinbarungen abgeändert werden, d. h. sie stehen „zur Disposition der Parteien". Dies geschieht in der Praxis auch häufig durch die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Ausnahmen von der grundsätzlichen Disposivität der schuldrechtlichen Vorschriften bestehen bei den speziellen verbraucherschützenden Vorschriften oder im Wohnungsmietrecht. Die ebenfalls im Besonderen Teil des Schuldrechts enthaltenen gesetzlichen Schuldverhältnisse beruhen nicht auf einer Willenserklärung bzw. Willensübereinstimmung, sondern entstehen „kraft Gesetzes", sobald die rein objektiven Voraussetzungen bestimmter Tatbestandsmerkmale erfüllt werden; hierzu zählen insbesondere die Geschäftsführung ohne Auftrag, die ungerechtfertigte Bereicherung und die unerlaubte Handlung. Schuldverhältnisse findet man aber nicht nur im Schuldrecht, sondern auch in den anderen Büchern des BGB, z. B. im Sachenrecht (Ansprüche aus einem Eigentümer-BesitzerVerhältnis), im Familienrecht (Unterhaltsansprüche nach §§ 1601 ff. BGB oder die Zugewinnausgleichsansprüche eines Ehegatten gegen den anderen) oder auch im Handels- und Gesellschaftsrecht. Im Besonderen Teil des Schuldrechts sind die wesentlichen Vertragsarten geregelt. Die vielfältigen Vertragsarten weisen dabei eine Reihe von Gemeinsamkeiten, aber auch erhebliche Unterschiede auf. Der am häufigsten im Rechtsverkehr vorkommende Vertragstyp ist der Kaufvertrag der im Besonderen Teil des Schuldrechts gleich zu Beginn in den §§ 433479 BGB geregelt ist. Darunter versteht man (vereinfacht) den Austausch eines Kaufgegenstands gegen Entgelt auf Dauer.
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IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
Im Unterschied dazu verpflichten sich die Parteien bei einem Tausch zum dauerhaften Austausch von Sachen oder Rechten (vgl. § 480 BGB). Bei der Schenkung (§§ 516 ff. BGB) erfolgt hingegen die Hingabe eines Gegenstands auf Dauer ohne eine Gegenleistung (i. d. R. Entgelt). Demgegenüber bedeutet Miete die Überlassung einer Sache auf Zeit gegen Entgelt (§§ 535 ff. BGB). Im Verhältnis zur Miete ist die Pacht die Überlassung einer Sache (auch Rechte oder Sachgesamtheiten) gegen Entgelt zum Gebrauch, mit der Berechtigung, die Früchte aus dem Gegenstand zu ziehen (§§ 581 ff. BGB). Erfolgt die Überlassung einer Sache unentgeltlich zum Gebrauch für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit, so spricht man von einer Leihe (§§ 598 ff. BGB). Im täglichen Sprachgebrauch wird häufig (juristisch unkorrekt) von einem „Leihwagen" gesprochen, obwohl es sich hierbei um Miete handelt. Durch einen Darlehensvertrag nach §§ 488 ff. BGB wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das geschuldete Darlehen zurückzuzahlen. Handelt es sich auf Seiten des Darlehensgebers um einen Unternehmer (§14 BGB) und auf Seiten des Darlehensnehmers um einen Verbraucher (§13 BGB), gelten zusätzlich besondere Vorschriften (vgl. §§ 491 ff. BGB - Verbraucherdarlehensvertrag; es handelt sich im Wesentlichen um die - im BGB implementierten - Vorschriften des (früheren) Verbraucherkreditgesetzes). Hiervon zu unterscheiden ist der Sachdarlehensvertrag (§ 607 BGB). Durch einen Sachdarlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer eine vereinbarte vertretbare Sache (§91 BGB) zu überlassen. Der Darlehensnehmer ist zur Zahlung eines Darlehensentgelts und bei Fälligkeit zur Rückerstattung von Sachen gleicher Art, Güte und Menge verpflichtet. Im Gegensatz zur Leihe muss nicht dieselbe Sache zurückgewährt werden, sondern eine andere gleiche Sache. Die zusätzliche Vereinbarung eines Entgelts kann, muss aber nicht getroffen werden. Beispiel: A bittet seinen Wohnungsnachbarn, „er möge ihm doch fünf Eier leihen", da er einen Kuchen für eine Feier backen möchte. In rechtlicher Hinsicht kommt hier ein sog. Sachdarlehensvertrag nach § 607 BGB zustande. Der Dienstvertrag beinhaltet eine Tätigkeit gegen Entgelt (§§ 611 ff. BGB). Hauptbeispiele sind i. d. R. der Arztvertrag, der Vertrag mit einem freien Mitarbeiter oder das Arbeitsverhältnis mit Angestellten. Demgegenüber wird beim Werkvertrag ein „Erfolg" gegen Entgelt geschuldet (§§ 631 ff. BGB). Im Gegensatz zum Dienstvertrag steht nicht die Leistung von „Diensten" im Vordergrund, sondern das Erreichen eines bestimmten „Erfolgs", z. B. der Bauplan beim Architektenvertrag, die Zahnprothese beim Zahnarztvertrag,
1. Übersicht über die wesentlichen Vertragsarten des Schuldrechts
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das Bauwerk beim Bauunternehmervertrag oder die Reparatur bei einem Vertrag mit einem Handwerker. Verpflichtet sich allerdings jemand mittels vertraglicher Absprache zum unentgeltlichen Tätigwerden, liegt ein Auftrag vor (§§ 662 ff. BGB). In der Umgangssprache wird fälschlicherweise von einem Auftrag gesprochen, wenn damit die Übernahme einer entgeltlichen Tätigkeit gemeint ist. Auf einen Dienstvertrag oder Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, findet in weiten Teilen das Auftragsrecht Anwendung (§ 675 BGB). Der Begriff „Geschäftsbesorgung" ist allerdings enger auszulegen als in § 662 BGB „Geschäft zu besorgen". Es muss sich um eine „selbstständige Tätigkeit" wirtschaftlichen Charakters im Interesse eines anderen handeln, die innerhalb einer fremden wirtschaftlichen Interessensphäre wahrgenommen wird, z. B. das Mandat eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters. Ohne diese Einschränkung wäre bei jedem Dienst- oder Werkvertrag auch Auftragsrecht anwendbar. Der Überweisungsvertrag (§§ 676 a-c BGB) zählt neben dem Zahlungsvertrag (§§ 676 d-e BGB) und dem Girovertrag (§§ 676 f-g BGB) zum Bankvertragsrecht. Durch den Überweisungsvertrag verpflichtet sich das (überweisende) Kreditinstitut gegenüber dem Überweisenden, dem Begünstigten einen bestimmten Geldbetrag zur Gutschrift auf dessen Konto beim überweisenden Kreditinstitut zur Verfügung zu stellen. Durch den Verwahrungsvertrag verpflichtet sich der Verwahrer, eine ihm vom Hinterleger übergebene Sache aufzubewahren (§§ 688 ff. BGB). Die Bürgschaft ist ein Vertrag, durch den sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen (§§ 765 ff. BGB). Die Bürgschaft ist vor allem ein Mittel zur Kreditsicherung, und zwar in Form eines Personalkredits. Der Vergleich ist ein gegenseitiger Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (§ 779 Abs. 1 BGB). Bei Vertragsabschlüssen ist man - wie erwähnt - aber nicht auf die gesetzlich vorgezeichneten Vertragsarten beschränkt, da im Schuldrecht im Wesentlichen Vertragsfreiheit besteht. Die Vertragsparteien können von den gesetzlichen Regelungen abweichende Vereinbarungen treffen, sofern sie die Schranken der §§ 134, 138 BGB oder der §§ 305 ff. BGB nicht überschreiten; sie können also umfassend von den gesetzlichen Vertragstypen abweichen. Es ist somit auch möglich, die gesetzlich vorgegebenen Vertragsarten zu kombinieren. Solche gemischten Verträge sind recht häufig anzutreffen. Hierzu gehört u. a. der sog. Bierlieferungsvertrag. Dieser Vertrag beinhaltet eine Verpflichtung zum langfristigen und ausschließlichen Bezug von dem Vertragspartner. Er ist meist kombiniert mit der Vergabe von Darlehen oder der Einräumung von sonstigen Vergünstigungen. Beispielhaft erwähnt sei auch der Beherbergungsvertrag. Dieser Vertrag enthält die Vertragselemente von Miete, Dienstleistung, Werkvertrag und u. U. auch Kaufvertrag. Letztlich stellt
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IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
auch der Automatenaufstellvertrag eine Kombination von miet-, darlehens- und gesellschaftsrechtlichen Elementen dar. Es können aber auch neue Vertragstypen geschaffen werden. Zu diesen „neu geschaffenen" Vertragstypen (auch Verträge „eigener Art" bzw. Verträge „sui generis") zählen beispielsweise der Leasingvertrag, der Factoringvertrag, das Franchising, der Baubetreuungsvertrag oder der Garantievertrag (ausführlicher zu „typengemischten und typenfremden Verträgen", Medicus, SchuldR BT, Rnn. 585 ff., Rnn. 596 ff.; ders. BR Grundwissen, Rnn. 79 ff.).
2. Kaufvertrag a. Charakter, Gegenstand und Zustandekommen Der Kaufvertrag zählt zu den am häufigsten vorkommenden Rechtsgeschäften. Dieser ist ein auf die dauernde Überlassung einer Sache, eines Rechts oder eines „sonstigen Gegenstands" gerichteter, gegenseitiger schuldrechtlicher Vertrag. In der Umgangssprache sind unter einem „ Kauf" alle Vorgänge von den Vertragsverhandlungen bis zur Übergabe bzw. Rechtsverschaffung zu verstehen. In rechtlicher Hinsicht ist jedoch genau zwischen dem Verpflichtungsgeschäft, d. h. dem Kaufvertrag und dessen Erfüllung, d. h. dem Verfügungsgeschäft, zu unterscheiden. Verfügungsgeschäfte sind vor allem die Einigung und Übergabe einer (beweglichen) Sache nach den §§ 929 ff. BGB, die Einigung (Auflassung) und Eintragung bei Grundstücken (§§ 873, 925 BGB) sowie die Abtretung bei Forderungen bzw. Rechten (§§ 398, 413 BGB). Es ist nicht erforderlich, dass der Verkäufer Eigentümer der Sache oder Inhaber des Rechts ist. So ist es durchaus möglich, dass jemand gestohlene Sachen verkauft; ob derjenige den Kaufvertrag auch erfüllen kann, ist eine andere Frage. Es gilt hier weiter das Trennungs- und Abstraktionsprinzip zwischen dem Kaufvertrag als schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft und den Verfügungsgeschäften (Trennungsprinzip), die in ihrer Wirksamkeit grundsätzlich unabhängig voneinander sind. Gegenstand eines Kaufvertrags nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB sind zunächst alle beweglichen und unbeweglichen Sachen (§ 90 BGB). Wegen des Anspruchs auf Mängelfreiheit einschließlich des Nacherfüllungsanspruchs (§§ 433 Abs. 1 S. 2, 439 BGB) ist die bisherige differenzierte Regelung zwischen Spezies- und Gattungskäufen (§§ 480 ff. BGB) entfallen, so dass die §§ 433 ff. BGB für beide gelten; unberührt bleiben die §§ 243 Abs. 2, 300 Abs. 2 BGB. Nach § 453 Abs. 1 BGB finden diese Vorschriften eine entsprechende Anwendung auf den Kauf von Rechten und sonstigen Gegenständen. Der Rechtskauf umfasst den Forderungskauf, den Kauf von GmbH-Anteilen, Wertpapieren, gewerblichen Schutzrechten oder Grundpfandrechten. Unter „sonstigen Gegenständen" sind
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darüber hinaus - der bisherigen Rspr. folgend - alle verkehrsfähigen Güter zu verstehen. Hierzu zählen z.B. Kaufverträge über Gewinnchancen, technisches Knowhow, Werbeideen, Domainadressen, Strom und Wärme, Standardsoftware, freiberufliche Praxen von Ärzten, Rechtsanwälten oder Steuerberatern und vor allem Unternehmen (Palandt-Putzo, § 433 BGB, Rn. 8; Büdenbender, in Dauner-Lieb/ Heidel/Lepa/Ring, SchuldR, § 453 BGB, Rn. 3 m.w.N.). Mit der Vorschrift des § 453 BGB sind die bisherigen Sonderregeln für kaufähnliche Verträge entbehrlich (§§ 445, 493 BGB a.R). § 452 BGB erstreckt die Geltung des besonderen Kaufrechts für Immobilien (§§ 435 S. 2,436,442 Abs. 2,448 Abs. 2 BGB) auch auf den Schiffskauf. Das Kaufrecht gilt auf Grund einer besonderen Verweisung auch für Tauschverträge (§ 480 BGB). Unter einem Tauschvertrag versteht man einen gegenseitigen Vertrag, in dem sich die Parteien zum Austausch von Sachen und rechten verpflichten. Im Unterschied zum Kaufvertrag wird also keine Kaufpreiszahlung vereinbart. Weiterhin gelten die Vorschriften für Verträge, die die Lieferung einer noch herzustellenden oder zu erzeugenden beweglichen Sache zum Gegenstand haben (§ 651 S. 1 BGB). Damit ist die komplizierte Unterscheidung in § 651 BGB a.F. zwischen der Herstellung vertretbarer oder nicht vertretbarer Sachen infolge der Annäherung des Kauf- und Werkvertragrechts, insbesondere durch den gesetzlichen Nachbesserungsanspruch im Kaufrecht, grundsätzlich entbehrlich geworden. Soweit nicht vertretbare Sachen in Rede stehen, werden aber einige Vorschriften des Werkvertragsrechts für zusätzlich anwendbar erklärt (§ 651 Abs. 1 S. 2 BGB), z. B. bei den Mitwirkungspflichten des „Bestellers". Der Kaufvertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande. Diesbezüglich gelten die §§ 145 ff. BGB. Erforderlich ist eine Einigung über die „essentialia negotii" des Kaufvertrags, d. h. Parteien, Kaufgegenstand und Preis. Darüber hinaus können die Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit noch weitere Vereinbarungen über Leistungsort, Leitungszeit sowie über die Haftung treffen. Für den Verbrauchsgüterkauf, also für Kaufverträge zwischen Unternehmern als Verkäufer und Endverbrauchern als Käufer (§§ 13, 14 BGB), gelten Sonderregeln in den §§ 474 ff. BGB, die zugleich auch den Rückgriff zwischen Unternehmern in der Lieferkette erfassen. Die Bestimmungen im Allgemeinen Teil des BGB über Willenserklärungen, Geschäftsfähigkeit oder Stellvertretung sind ebenfalls zu beachten. Grundsätzlich ist ein Kaufvertrag formfrei wirksam. Grund hierfür ist vor allem eine Erleichterung des Warenumsatzes. In bestimmten Fällen ist vom Gesetzgeber die Einhaltung einer bestimmten Form vorgeschrieben. So ist z.B. die notarielle Beurkundung - zum Schutz vor Übereilung und Gelegenheit zur sachverständigen Aufklärung durch den Notar und der Beweissicherung - erforderlich bei einem Kaufvertrag über ein Grundstück (§ 311b Abs. 1 BGB) oder beim Erbschaftskauf (§ 2371 BGB).
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IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
b. Pflichten des Verkäufers aa. Sachkauf Nach § 433 Abs. 1 BGB ist der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Eine Sache übergeben bedeutet die Verschaffung der tatsächlichen Sachherrschaft (Besitz, § 854 BGB, wobei die Erlangung mittelbaren Besitzes gem. § 868 BGB ausreicht). Der Verkäufer verschafft dem Käufer Eigentum, in dem er Handlungen vornimmt, die zum Eigentumserwerb führen. Diese Handlungen sind je nach Kaufgegenstand unterschiedlich. Die Pflicht zur Verschaffung des Eigentums erfüllt der Verkäufer bei beweglichen Sachen durch Einigung und Übergabe nach den §§ 929 ff. BGB und bei Grundstücken durch Auflassung und Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch (§§ 873, 925 BGB). Übereignung bedeutet also die Verschaffung der rechtlichen Sachherrschaft über eine Sache (§ 903 BGB, Art. 14 GG). Beim Rechts- oder Forderungskauf erfolgt die Erfüllung durch Abtretung nach § 398 BGB (beachte: § 413 BGB). Sonstige Vermögenswerte Güter, z.B. Knowhow, Geschäftsgeheimnisse, überträgt der Verkäufer durch rein tatsächliche Handlungen, die dem Käufer eine entsprechende Rechtsposition verschaffen (vgl. hierzu Jauernig-Berger, § 433 BGB, Rn. 19; § 453 BGB, Rn. 3, 13, 16). Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Die Verpflichtung des Verkäufers zur Lieferung einer mangelfreien Sache ist nun Gegenstand der Erfüllungspflicht. Damit ist der Theorienstreit zwischen der bisher herrschenden Gewährleistungstheorie, wonach für den Verkäufer (beim Sachkauf) eine solche Pflicht gerade nicht bestand und der Erfüllungstheorie zugunsten der letzteren entschieden worden (vgl. nur Lorenz/Riehm, Rn. 472 m. w. N.). Die verkaufte Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat (§ 434 Abs. 1 BGB) oder - falls es an einer Beschaffenheitsvereinbarung fehlt -, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Verwendung eignet (§ 434 Abs. 1 S. 2 BGB). Beispiele: Lieferung von ungenießbarem Bier; Lieferung eines PC mit defekter Festplatte; Lieferung eines defekten Fernsehers; Lieferung einer Maschine mit einer geringeren Leistungsfähigkeit als vereinbart. Der Verkäufer ist verpflichtet, die Sache frei von Rechtsmängeln zu liefern. Eine Sache ist nach § 435 S. 1 BGB frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Unter Rechte Dritter fallen zunächst die dinglichen Rechte (z. B. Hypothek), schuldrechtliche Rechte (z. B. Miet- oder Pachtrechte) oder öffentlichrechtliche Befugnisse (z. B. Veräußerungsverbote). Dagegen sind
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öffentlichrechtliche Beschränkungen, die aus Gründen des Gemeinwohls bestehen und vom Verkäufer nicht beseitigt werden können, insbesondere öffentlichrechtliche Baubeschränkungen, keine Rechtsmängel, sondern Sachmängel (BGH, NJW 1992, 1384(1385)). Beispiel: Eine auf dem verkauften Grundstück im Baulastenverzeichnis eingetragene Baulast eines Dritten stellt einen Rechtsmangel dar, der zur Anwendung der Mängelrechte führt. Das bedeutet, dass ein Käufer zunächst einen Anspruch auf Nacherfüllung nach §§ 439 Abs. 1, 437 Nr. 1, 435 BGB hat. Da eine Nachlieferung wegen der Einzigartigkeit des Grundstücks unmöglich ist, kommt nur ein Anspruch auf Nachbesserung in Betracht, d. h. der Verkäufer muss versuchen, eine Löschung der Grunddienstbarkeit zu erreichen. Nach ergebnislosem Ablauf der gesetzten Nachfrist kommen Rücktritt und Minderung in Betracht. Ein Rechtsmangel liegt auch vor, wenn im Grundbuch ein Recht eingetragen ist, das nicht besteht (§ 435 S. 2 BGB). Zwar besteht in diesen Fällen des § 435 S. 2 BGB kein Recht eines Dritten, das den Käufer beeinträchtigen könnte. Diese „Buchrechte", d.h. eingetragene, aber nicht bestehende Rechte sollen einem Rechtsmangel gleichgestellt werden. Zwar beeinträchtigen sie die Rechtsposition des Käufers nicht unmittelbar, allerdings können sie ihn bei der Verfügung über ein Grundstück behindern und bergen die Gefahr eines gutgläubigen Erwerbs in sich mit der Folge, dass das eingetragene Recht tatsächlich entsteht. Ein Rechtsmangel wird nach wie vor objektiv verstanden. Es kommt nicht darauf an, ob das Recht des Dritten den Käufer (tatsächlich) bei der gewöhnlichen oder der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung beeinträchtigt oder nicht. Dies entspricht im Wesentlichen der bisherigen Rechtslage. Mit der grundsätzlichen Gleichstellung von Sach- und Rechtsmängeln in Bezug auf die Rechtsfolgen sind Abgrenzungsprobleme im Prinzip bedeutungslos geworden, z. B. in Bezug auf öffentlichrechtliche Baubeschränkungen bei einem als Bauland verkauften Grundstück, die von der Rspr. (ergebnisorientiert) als Sachmangel i. S. d. §§ 459 ff. BGB a. F. qualifiziert worden sind (vgl. BGHZ 67, 134 (136)). Für öffentliche Lasten enthält § 436 BGB eine spezielle Regelung. Der Verkäufer eines Grundstücks haftet nach § 436 Abs. 2 BGB nicht für die Freiheit des Grundstücks von anderen öffentlichen Abgaben und von anderen öffentlichen Lasten, die zur Eintragung in das Grundbuch nicht geeignet sind; dies gilt jedoch nicht für Baulasten (Palandt-Putzo, § 436 BGB, Rn. 11). Die praktische Bedeutung in Bezug auf Baulasten ist jedoch gering, da es in notariellen Grundstückskaufverträgen üblich ist, die Risikoverteilung für das etwaige Vorhandensein von Baulasten ausdrücklich zu regeln. Die Sach- und Rechtsmängelfreiheit gehört zur Hauptleistungspflicht des Verkäufers. Die Lieferung einer mangelhaften Sache ist daher keine Erfüllung. Der Käufer kann also die Annahme verweigern, ohne in Annahmeverzug zu geraten; zudem steht ihm nach § 320 BGB die Einrede des nicht erfüllten Vertrags zu. Die weiteren Rechte ergeben sich aus § 437 BGB, mit der teilweise auf die allgemeinen
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Vorschriften zum Rücktritt (§§ 323 ff. BGB) und zum Schadensersatz (§§ 280 ff. BGB) verwiesen wird. Soweit in § 437 BGB auf die allgemeinen Vorschriften des Leistungsstörungsrechts verwiesen wird, hat der Gesetzgeber die Sachmängelvorschriften in das allgemeine Leistungsstörungsrecht integriert. Dies ist konsequent, da die Lieferung einer mangelhaften Sache eine Nichterfüllung der Verkäuferpflicht ist (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) und diese Nichterfüllung eine Pflichtverletzung i. S. v. § 280 BGB bzw. eine nicht vertragsgemäße Leistung nach § 323 BGB darstellt. Die Nebenpflichten des Verkäufers ergeben sich aus dem Gesetz oder durch Vertragsauslegung unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§§ 133,157,242 BGB, vgl. auch § 241 Abs. 2 BGB), z. B. zur Verpackung, Versendung oder Versicherung der Ware, zur Aufklärung, Beratung, Warnung, Vorhalten von Ersatzteilen oder Lieferung einer Betriebsanleitung. Der Gesetzgeber hat von einer Kodifikation sog. leistungsbezogener Nebenpflichten, z. B. die Verpflichtung des Verkäufers einer EDV-Anlage zur Lieferung eines Benutzerhandbuchs, abgesehen, da sich deren Umfang und Ausgestaltung nach dem Einzelfall bestimmt. Nicht leistungsbezogene Nebenpflichten, etwa die Verpflichtung des Verkäufers, den Käufer an sonstigen Rechtsgütern nicht zu schädigen (z.B. Schutz- und Obhutspflichten), sind generalklauselartig in § 241 Abs. 2 BGB erfasst. Diese Unterscheidung ist aus haftungsrechtlicher Sicht relevant. Die Verletzung nicht leistungsbezogener Nebenpflichten begründet nur einen Anspruch auf Ersatz des daraus resultierenden Schadens (§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB). Anspruch auf Schadensersatz statt der (ganzen) Leistung bzw. Rücktritt kommt bei diesen nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 282, 324 BGB in Betracht. bb. Rechtskauf Beim Rechtskauf finden nach § 453 BGB die Vorschriften zum Sachkauf entsprechend Anwendung. Danach ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer das Recht mangelfrei zu verschaffen und, wenn das Recht zum Besitz einer Sache berechtigt, die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu übergeben (§ 453 Abs. 3 BGB). Die Pflicht zur mangelfreien Verschaffung bedeutet grundsätzlich nur die Freiheit von Rechtsmängeln, da das verkaufte Recht als solches keinen Sachmangel haben kann (vgl. hierzu Brox/Walker, SchuldR BT, § 2, Rnn. 11 ff.). Beim Rechtskauf, insbesondere beim Forderungskauf, gehört die Realisierung der Forderung bzw. die Werthaltigkeit des Rechts nicht zu deren „gewöhnlicher Beschaffenheit" i. S.d. objektiven Fehlerbegriffs, so dass trotz der Aufhebung der in § 437 BGB a. F. enthaltenen Regelung eine Bonitätshaftung des Verkäufers einer Forderung oder eines Rechts nur bei besonderer Vereinbarung in Betracht kommt (vgl. Lorenz/Riehm, Rn. 485 m. w. N.). Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/ 6040, S. 242) ergibt sich hierzu nichts, so dass es im Ergebnis auf die Rspr. ankommen wird. Die Vorschrift des § 437 BGB a. F. enthielt eine verschuldensunabhängige Veritätshaftung, d. h. der Verkäufer einer Forderung, die nicht bestand, haftete nach den Grundsätzen zur Garantiehaftung für deren Bestand auf Schadensersatz
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nach §§ 440, 320 ff. BGB a.F. Wegen § 453 Abs. 1 BGB ist ein Bedürfnis für diese Regelung entfallen. In der Praxis werden sich keine wesentlichen Änderungen ergeben, da sich z.B. Factoringbanken und Leasinggeber üblicherweise nach der Durchsetzbarkeit von Forderungen erkundigen. Beim Unternehmenskauf kommt der Unterscheidung zwischen dem Kauf von Anteilen („share deal") und dem Kauf der einzelnen Wirtschaftsgüter („asset deal") nach wie vor Bedeutung zu, wobei hier regelmäßig detaillierte vertragliche Vereinbarungen getroffen werden. c. Pflichten des Käufers Nach § 433 Abs. 2 BGB ist der Käufer verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen. Die Höhe des Kaufpreises bestimmt sich nach der Vereinbarung. Eine Regelung, wie z.B. im Werkvertrag nach § 632 Abs. 1 u. 2 BGB („taxmäßige" oder „übliche Vergütung"), existiert im Kaufrecht nicht. Preisänderungsvorbehalte in AGB für Waren, die innerhalb von vier Monaten nach Vertragsabschluss geliefert werden sollen, sind unwirksam (vgl. § 309 Nr. 1 BGB). Der Kaufpreis ist grundsätzlich in bar zu zahlen. Der Käufer hat dem Verkäufer also Geldscheine bzw. Geldstücke in der vereinbarten Höhe zu übereignen. In der Praxis ist jedoch weitgehend die bargeldlose Zahlung üblich. Der Verkäufer dokumentiert sein Einverständnis in der Angabe seiner Kontonummer auf der Rechnung oder der Auftragsbestätigung oder der Annahme von ec-Karten, Geld- oder Kreditkarten. Eine Erfüllung tritt grundsätzlich erst mit der Gutschrift auf dem Konto des Verkäufers ein. Entsprechendes gilt bei der Hingabe eines Schecks oder eines Wechsels (§ 364 Abs. 2 BGB), so dass die bis dahin gestundete Kaufpreisforderung erst mit Einlösung erlischt. Der Käufer ist ferner verpflichtet, die Sache abzunehmen. Unter Abnahme versteht man die tatsächliche Entgegennahme des Kaufgegenstands, durch den der Verkäufer vom Besitz der Sache befreit wird (Palandt-Putzo, § 433 BGB, Rn. 43). Mit der Abnahme ist allerdings noch keine Billigung des Kaufgegenstands verbunden. Die Abnahmepflicht ist nach wie vor regelmäßig eine Nebenpflicht, es sei denn, sie wurde ausnahmsweise zur Hauptpflicht gemacht, z. B. wenn auf Seiten des Verkäufers - für den Käufer erkennbar - ein besonderes Bedürfnis an einer Lagerräumung bestand. Mit der Änderung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts hat die Charakterisierung als Haupt- oder Nebenpflicht an Bedeutung verloren. Während der Verkäufer bei Nichtabnahme nur in Ausnahmefällen, wenn die Abnahmepflicht als synallagmatische Hauptpflicht qualifiziert werden konnte, nach § 326 BGB a. F. vom Vertrag zurücktreten bzw. Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen konnte und im Übrigen Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur bei verzugsbedingtem Interessenfortfall in Betracht kamen (§ 286 Abs. 2 BGB a. F.), setzt § 323 BGB für den „Rücktritt wegen nicht erbrachter Leistung" nun nicht mehr
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voraus, dass die nicht erbrachte Leistung Gegenstand einer Hauptleistungspflicht ist (BT-Drs. 14/6040, S. 183); entsprechendes gilt für den Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB). Den Käufer treffen über die Abnahmeverpflichtung hinaus noch eine ganze Reihe von Nebenpflichten, die sich vereinzelt aus dem Gesetz ergeben (§ 448 BGB) oder aus der Vereinbarung unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und des Vertragszwecks aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. d. Gefahrtragung beim Kauf Nicht immer fallen der Abschluss eines Kaufvertrags und dessen Erfüllung zeitlich zusammen. Wird dem Verkäufer nach Abschluss des Kaufvertrags die Erfüllung infolge eines Umstands unmöglich, den weder er noch der Käufer zu vertreten hat, stellt sich die Frage, ob er gleichwohl die Gegenleistung verlangen kann. Der Verkäufer wird von seiner Leistungspflicht befreit (§ 275 Abs. 1 BGB) und unterliegt auch mangels eines Verschuldens keiner Schadensersatzpflicht (§ 280 BGB). Er verliert jedoch grundsätzlich seinen Anspruch auf die Gegenleistung nach §326 Abs. 1 S. 1BGB. Diese Regel wird im Kaufrecht durch spezielle Vorschriften (§§ 446, 447 BGB) modifiziert. Der Käufer bleibt in bestimmten Fällen zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet, ohne die Leistung zu erhalten. Dieses Risiko wird als Preisgefahr oder Gegenleistungsgefahr bezeichnet. Sie ist zu unterscheiden von der Leistungsgefahr, d. h. ob der Verkäufer (trotz des zufälligen Untergangs der Sache) weiterhin zur Leistung verpflichtet ist. Nach § 446 S. 1 BGB geht mit der Übergabe die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung auf den Käufer über; der Übergabe steht es gleich, wenn der Käufer im Verzug der Annahme ist. § 446 BGB betrifft den Fall, dass die Sache zwar übergeben worden, aber ein Eigentumsübergang noch nicht erfolgt ist, z. B. beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt. Mit dem Eigentumsübergang hätte der Verkäufer den Kaufvertrag nämlich vollständig erfüllt und der Käufer hätte als Eigentümer selbstverständlich das Risiko des zufälligen Untergangs zu tragen; das Problem der Gefahrtragung stellt sich dann nicht. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, den Verkäufer zu schützen. Nach der Übergabe hat er keine Möglichkeit mehr, Vorkehrungen gegen eine Gefährdung der Sache zu treffen. Beispiel: K kauft vom Antiquitätenhändler V eine wertvolle Vase. Da K die Vase nicht gleich voll bezahlen kann, behält sich V bei der Übergabe das Eigentum vor. Drei Tage später wird die Vase durch einen Brand in der Wohnung des K, der von niemand zu vertreten war, vollständig zerstört. Der Verkäufer ist hier nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht zur Verschaffung des Eigentums frei geworden. Grundsätzlich müsste er damit auch den Anspruch auf die Kaufpreiszahlung nach § 326 Abs. 1 BGB verlieren. Auf Grund der Sonderregelung in § 446 S. 1 BGB behält er aber den Anspruch auf die Kaufpreiszahlung, da die Gefahr mit der Übergabe auf den Käufer übergegangen ist.
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Ab Übergabe stehen dem Käufer auch die Nutzungen zu (§ 446 S. 2 BGB), so dass er auch das Risiko für Untergang und Verschlechterungen tragen soll. Eine Besonderheit gilt auch beim Versendungskauf nach § 447 BGB. Versendet der Verkäufer die Sache an einen anderen Ort als den Erfüllungsort (= Leistungsort), geht die Gefahr nicht erst mit der Übergabe auf den Käufer über, sondern bereits dann, wenn der Verkäufer die verkaufte Sache an eine ordnungsgemäß ausgesuchte Transportperson (z.B. Spedition, Deutsche Bahn, Deutsche Post) übergeben hat. Die Gefahr, dass durch den Transport die Kaufsache untergeht oder beschädigt wird, soll nicht den Verkäufer, sondern den Käufer treffen, da der Transport nicht mehr zu seiner Pflicht und seinem Verantwortungsbereich gehört, sondern nur auf Verlangen des Käufers veranlasst ist. Nach § 447 Abs. 1 BGB i.V. m. § 446 BGB geht allerdings nur die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer über. Wie bei § 446 S. 1 BGB liegt kein Zufall vor, wenn den Verkäufer ein Verschulden trifft, z.B. bei unsachgemäßer Verpackung oder fehlerhafter Weisung an die Transportperson. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Transportpersonen daher auch keine Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) sind, deren Verhalten sich der Verkäufer wie ein eigenes zurechnen lassen muss. Die Vorschrift des § 447 BGB findet im Übrigen auch Anwendung, wenn die Versendung innerhalb derselben Stadt erfolgt („Platzgeschäft"), da der Erfüllungsort die Niederlassung oder die Wohnung des Schuldners ist. ,, , .. t Verkaufer
Kaufvertrag -=^
Kaufer
Transportvertrag
Transportunternehmer
Abb. IV.l. Versendungskauf Der Käufer ist wegen des Übergangs der Gegenleistungsgefahr zur Zahlung des Kaufpreises auch dann verpflichtet, wenn die Sache nach der Ablieferung verloren gegangen, zerstört oder beschädigt worden ist. Der Käufer kann gegen den Verkäufer in diesem Fall wegen der Transportschäden keine Rechte nach den §§ 434 ff. BGB geltend machen. Liegt ein Verschulden des Frachtführers vor, haftet dieser nach §§ 425,426 HGB für Güter- und Verspätungsschäden. Der Verkäufer ist als Absender zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs befugt, obwohl er auf Grund der (zufälligen) Schadensverlagerung keinen Schaden hat. Nach § 421 Abs. 1 S. 2 HGB kann auch der Käufer (als Empfänger der Sache) die Ansprüche aus dem Frachtvertrag im eigenen Namen geltend machen. Dies gilt (in dem praktisch seltenen Fall) dann nicht, wenn der Transport von einer Privatperson durchgeführt worden ist. In diesem Fall greifen aber zugunsten des Käufers die
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Grundsätze zur Drittschadensliquidation. Das bedeutet, dass der Verkäufer (der auf Grund der Gefahrtragungsregel des § 447 BGB keinen Schaden hat) den Schaden des Käufers (Kaufpreiszahlung ohne Erhalt der Leistung) gegenüber dem (nicht gewerblichen) „Transportunternehmer" ersetzt verlangen kann. Da der Käufer gegen den Transportunternehmer keine eigenen Ansprüche hat (§ 421 HGB greift nicht ein), steht ihm gegen den Verkäufer ein Leistungsverweigerungsrecht zu, da er den Kaufpreis nach §§ 320, 285 BGB nur Zug um Zug leisten muss gegen Abtretung der Anspruchs aus der Transportversicherung oder des Anspruchs gegen denjenigen, der für den Transportschaden verantwortlich ist oder auf Grund von Vertragsverletzungen des Frachtvertrags haftet.
Nach § 447 Abs. 2 BGB geht die Gefahr beim Verbrauchsgüterkauf erst mit der Übergabe der Sache auf den Verbraucher über. Das Transportrisiko im Versandhandel soll damit nicht beim Verbraucher liegen. e. Haftung für Sachmängel aa. Beschaffenheitsabweichung bei Gefahrübergang Die Vorschrift des § 434 BGB bestimmt im Einzelnen, wann die verkaufte Sache frei von Sachmängeln ist. Nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 445 BGB) die vereinbarte Beschaffenheit aufweist. Diese Vorschrift geht auf Art. 2 VerbrKfRL zurück (BT-Drs. 14/6040, S. 211). Eine Beweislastumkehr ist jedoch damit nicht verbunden. Der Käufer hat grundsätzlich das Vorliegen eines Sachmangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs zu beweisen. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB kodifiziert damit den bisher im geltenden Recht maßgebenden „subjektiven Fehlerbegriff", in dem in erster Linie auf den Inhalt der getroffenen Vereinbarung abgestellt wird. Auch dann, wenn ein Muster oder eine Probe vor oder bei Vertragsabschluss nicht nur zu Werbezwecken vorgelegen hat, sondern zur Darstellung und Festlegung der Eigenschaften der Kaufsache, ist die Beschaffenheit der Probe bzw. des Musters als Beschaffenheit der verkauften Sache vereinbart worden. Eine Abweichung von dem Muster oder der Probe stellt dann einen Sachmangel dar (BT-Drs. 14/6040, S. 212). Der Begriff „Beschaffenheit" ist nicht definiert. Der Gesetzgeber hat nicht entschieden, ob damit nur Eigenschaften erfasst werden, die der Kaufsache unmittelbar physisch anhaften oder ob auch Umstände heranzuziehen sind, die „außerhalb" der Sache liegen (z.B. Mietertrag, Umsatz, Gewinn, vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 213). In der Lit. wird überwiegend die Auffassung vertreten, den Beschaffenheitsbegriff in § 434 Abs. 1 S. 1 BGB an den Begriff der (zusicherungsfähigen) Eigenschaft nach § 459 Abs. 2 BGB, 463 BGB a. F. anzulehnen, da nach neuem Recht für eine einschränkende Definition des „Eigenschaftsbegriffs" in § 459 Abs. 2 BGB a. F. kein Raum mehr sei (Huber, in Huber/Faust, S. 202 ff.; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118 (123); Tonner/Echtermeyer, in: Kothe/Micklitz/Rott/Tonner/Willing-
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mann, § 434 BGB, Rn. 11; wohl auch Palandt-Putzo, § 434 BGB, Rnn. 14 ff.; anders wohl OLG Hamm, ZGS 2003, 394). Ist keine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen worden, kommt es auf der nächsten Stufe darauf an, dass sich die Sache für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB). Die Gesetzesbegründung lässt offen, ob es sich dabei um eine echte vertragliche Vereinbarung oder um Vorstellungen der Parteien im Vorfeld des Vertrags handelt (BT-Drs. 14/6040, S. 213). Diese Regelung ist eine Art Auffangtatbestand, mit der Fälle erfasst werden sollen, bei welchen die Beschaffenheit zwar nicht konkret abgesprochen und damit Vertragsinhalt geworden ist, jedoch gleichsam im Vorfeld des Vertrags als selbstverständlich zugrunde gelegt wurde. Bringt z. B. der Käufer einer Yacht zum Ausdruck, dass er eine Atlantiküberquerung plant, so muss sie demnach entsprechend „hochseetauglich" sein. Ausreichend ist also eine konkludente Übereinstimmung. Einseitige Vorstellungen des Käufers, über die er mit dem Verkäufer keine Übereinstimmung erzielen konnte, reichen jedenfalls nicht aus. Hierfür spricht, dass die Vorschrift auf die „nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung" abstellt (vgl. auch Huber, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 300 m. w. N.; Haas, in Haas/Medicus/Rolland/Schäfer, Kaufrecht, S. 188 ff.; Palandt-Putzo, § 434 BGB, Rn. 21). Auf der nächsten Stufe kommt es, wenn also eine Vereinbarung der Parteien nicht festzustellen ist, auf objektive Kriterien an. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB bestimmt, dass die Sache fehlerfrei ist, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht diejenige Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB). Maßgebend ist der Erwartungshorizont eines „Durchschnittskäufers" (BT-Drs. 14/6040, S. 214). Den Vergleichsmaßstab bilden dabei Sachen der gleichen Art. So bestehen insbesondere Unterschiede zwischen neuen und gebrauchten Gegenständen, zwischen Gebrauchsartikeln des täglichen Lebens und Luxusartikeln und zwischen einem Einsatz unter normalen oder extremen Bedingungen. Beispiel: V verkauft an K einen gebrauchten Opel Vectra für 13 000 € . Bald nach der Übergabe stellt sich heraus, dass der Wagen sehr viel Öl verbraucht. Eine Überprüfung in einer Werkstatt ergibt, dass der Motor einen Riss aufweist. Liegt ein Sachmangel vor? Hier liegt ein Sachmangel vor, da nach der Verkehrsauffassung ein normal beanspruchter Opel Vectra, der zu diesem Preis verkauft wird, verkehrssicher und verkehrstüchtig ist und außer den üblichen altersbedingten Verschleißerscheinungen keine besonderen Mängel aufweist. Etwas anderes würde gelten, wenn es sich um ein Fahrzeug gehandelt hätte, das für 800 € verkauft worden wäre und zahlreiche Roststellen bzw. abgenutzte Sitzpolster aufweist. Darüber hinaus gehören nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zur (üblichen) Beschaffenheit einer Sache auch die Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen
Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers (§ 4 ProdhaftG) oder eines Gehilfen
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insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann. Damit wurde fast vollständig der Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 VerbrKfRL einschließlich der Ausnahmen übernommen (Lehmann, JZ 2000,280). Im Unterschied zur bisherigen Rechtslage bedeutet dies eine Erweiterung des Maßstabs, nach dem die übliche, vom Käufer zu erwartende Beschaffenheit einer Sache festzustellen ist. Werbeaussagen erhalten damit also ein größeres Gewicht, als ihnen in Rspr. und Lit. bislang beigemessen wurde (Münch-Komm-Westermann, § 459 BGB, Rnn. 63 ff.); eine Verantwortlichkeit des Werbenden bestand bisher grundsätzlich nur im Rahmen von § 1 UWG. Praktische Bedeutung hat diese Erweiterung vor allem bei Äußerungen Dritter, etwa des Herstellers oder seines Gehilfen, da Werbeaussagen des Verkäufers ohnehin meist als Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB gewertet wurden (BGHZ, 132, 55; Bamberger/Roth-Faust, § 434 BGB, Rn. 75). Der Gesetzgeber sieht diese Regelung als gerechtfertigt an, da zum einen der Verkäufer der Nutznießer der Werbung ist, auf Grund derer ihm Kunden zugeführt werden, zum anderen soll der Käufer (nicht nur der Verbraucher) vor unrichtigen Werbeaussagen geschützt werden. Der Verantwortungsbereich des Verkäufers wird auch außerhalb von Verbrauchsgüterkäufen erheblich erweitert mit der Konsequenz eines größeren Käuferschutzes (BT-Drs. 14/6040, S. 214). Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um Werbeaussagen handelt, die sich auf bestimmte Eigenschaften der Sache beziehen. Grundsätzlich geht es um Werbeaussagen bzgl. der Haltbarkeit, Verträglichkeit, Wirkung oder des konkreten Nutzens eines Produkts. Im bisherigen Recht war eine Haftung des Verkäufers für solche Aussagen zwar nicht ausdrücklich vorgesehen. Es gab jedoch einige Fälle, in denen ein Sachmangel angenommen wurde, weil die Kaufsache nicht die in der Werbung versprochenen Eigenschaften hatte, etwa weil der Kraftstoffverbrauch eines gekauften Neuwagens über den Herstellerangaben lag (BGH, NJW 1997, 2590; Tonner/Echtermeyer, in Kothe/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann, § 434 BGB, Rn. 19 m. w. N.). In diesen Fällen war es jedoch grundsätzlich so, dass die in den Prospekten enthaltenen Herstellerangaben vom Verkäufer in die Vertragsverhandlungen einbezogen worden waren und auf diese Weise Eingang in die Parteivereinbarung gefunden hatten (Huber, in: Huber/Faust, S. 302). Daraus folgt, dass allgemein gehaltene Werbeaussagen, die also nur einen reklameartigen Inhalt aufweisen, nicht zu einer Haftung des Verkäufers führen; entsprechendes gilt für „marktschreierische" Werbung mit ersichtlich nicht ernst gemeinten Anpreisungen, z. B. „Red Bull verleiht Flügel". Beispiel: K hat in einem vom Hersteller X herausgegebenen Prospekt entnommen, dass ein dort beworbener Fahrradträger für den Transport von bis zu 4 Fahrrädern geeignet ist. In einem in einer Tageszeitung veröffentlichten Testbericht heißt es außerdem, der Träger sei auch für den Transport eines Surfbretts geeignet und zugelassen. Nach Abschluss des Kaufvertrags mit V stellt sich heraus, dass max. drei Fahrräder transportiert werden
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können. Für den Transport von Surfbrettern ist der Träger weder geeignet noch zugelassen. Nach bisherigem Recht lag kein Sachmangel vor, da zwischen dem Verkäufer und dem Käufer weder eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen wurde noch eine Eigenschaft zugesichert worden war. Nach neuem Recht handelt es sich in beiden Fällen um öffentliche Äußerungen über die Kaufsache i. S. d. Vorschrift. Der Prospekt beinhaltet eine unrichtige Angabe des Herstellers X über die Beschaffenheit des Fahrradträgers, die geeignet war, die Kaufentscheidung zu beeinflussen. Da nur 3 statt 4 Fahrräder transportiert werden konnten, handelt es sich hier um einen Sachmangel; wenn dem Verkäufer ein Haftungsausschluss nicht gelingt, stehen dem Käufer seine Rechte nach § 437 BGB zu. Kein Sachmangel liegt allerdings vor, wenn in einem Warentest unrichtige Angaben enthalten sind, da es sich hier um Aussagen handelt, die weder vom Hersteller noch von einem Gehilfen stammen. Kannte V diesen unrichtigen Test, ist er zur Vermeidung einer Haftung nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB verpflichtet, den Käufer auf den Fehler hinzuweisen, sofern er hätte erkennen können, dass es dem Käufer auch um den Transport von Surfbrettern ging. Der Verkäufer kann sich von der Haftung nur befreien, wenn er die Äußerung nicht kannte und auch nicht kennen musste (§ 434 Abs. 1 S. 3 2. Hs. 1. Fall BGB). Da von dem Verkäufer zu erwarten ist, dass er sich - soweit möglich und zumutbarüber fremde Werbung hinsichtlich der von ihm verkauften Produkte informiert und er für diesen Umstand beweispflichtig ist, dürfte angesichts der Verbreitung der Werbung über die Medien eine Haftungsbefreiung nur selten gelingen (vgl. hierzu Westermann, JZ 2001, 533; Bamberger/Roth-Faust, § 434 BGB, Rn. 85). Eine Haftungsbefreiung ist ferner dann gegeben, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in gleichwertiger Weise berichtigt war (§ 434 Abs. 1 S. 3 2. Hs. 2. Fall BGB) oder sie keinen Einfluss auf die Kaufentscheidung hatte (§ 434 Abs. 1 S. 3 2. Hs. 3. Fall BGB). Die Berichtigung der unrichtigen Werbeaussage ist gleichwertig, wenn sie mit dem gleichen oder mit einem vergleichbaren Medium erfolgt. Beispiel: Eine groß angelegte fehlerhafte Plakatwerbung kann nicht durch eine Kleinanzeige in einer Tageszeitung korrigiert werden. Der Verkäufer hat darüber hinaus die Möglichkeit, die unrichtige Werbung im Verkaufsgespräch zu korrigieren und damit eine Beschaffenheitsvereinbarung zu treffen. In der Praxis besteht das Problem darin, dass der Verkäufer erhebliche Beweisprobleme haben dürfte und dass eine negative Wirkung von einer Richtigstellung der Herstellerwerbung gegenüber dem Kunden ausgeht (und dessen Kaufbereitschaft nicht gerade fördert). Die Erheblichkeit (vgl. § 459 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. betreffend „Fehler") ist keine Voraussetzung mehr für die Mängelhaftung. Unerhebliche Mängel sind nun ebenfalls Sachmängel. Eine solche Einschränkung wäre auch mit den Vorgaben von Art. 3 Abs. 5 u. 6 VerbrKfRL nicht zu vereinbaren gewesen. Beispiel: Vertragshändler V verkauft an Käufer K einen Neuwagen. Im Katalog wird der Benzinverbrauch mit 6,0 Liter pro 100 km angegeben. Nach der Übergabe stellt K fest, dass
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IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse der durchschnittliche Benzinverbrauch 6,3 Liter pro 100 km beträgt. Hier liegt ein Sachmangel vor, da der tatsächliche Benzinverbrauch vom vereinbarten Benzinverbrauch abweicht. In § 434 BGB wird nicht mehr zwischen erheblichen und unerheblichen Mängeln unterschieden. In Betracht kommt zunächst ein Anspruch auf Nacherfüllung nach §§ 439, 437 Nr. 1, 434 BGB. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist könnte K den Kaufpreis mindern oder bei schuldhafter Vertragsverletzung Schadensersatz verlangen. Ausgeschlossen ist dagegen ein Rücktritt nach §§ 323, 437 Nr. 2 1. Alt., 434 BGB wegen § 323 Abs. 5 BGB, da die Pflichtverletzung unerheblich ist. Der Rücktritt vom Vertrag ist nur bei erheblichen Mängeln möglich (§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB). Mit dieser Regelung wird die frühere „Bagatellklausel" speziell für den Fall der Vertragsauflösung beibehalten.
Die Differenzierung erfolgt damit auf der Ebene der Rechtsbehelfe. Den Interessen des Verkäufers ist dadurch Rechnung getragen, indem bei geringfügigen Mängeln nur ein Anspruch auf Nacherfüllung und Minderung besteht. Die Minderung ist nach §§ 437 Nr. 2 2. Alt., 441 BGB möglich, weil der Ausschlussgrund nach § 323 Abs. 5 S. 2 nach § 441 Abs. 1 S. 2 BGB keine Anwendung findet. Der maßgebende Zeitpunkt für das Vorliegen eines Sachmangels ist der Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Die Gefahr geht regelmäßig über mit der Übergabe. Die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels ist nicht ausdrücklich geregelt. Es gelten diesbezüglich die von der Rspr. in Analogie zu § 363 BGB entwickelte Regel. Die Beweislast für die Mängelfreiheit trifft bis zum Gefahrübergang den Verkäufer, nach Gefahrübergang den Käufer. Für den Verbrauchsgüterkauf gilt die Sonderregel des § 476 BGB. Für Garantiefälle ist die besondere Beweislastregel des § 443 Abs. 2 BGB zu beachten. bb. Montage und Montageanleitung Ein Sachmangel ist weiterhin dann gegeben, wenn der Verkäufer die vertraglich vereinbarte Montage, d. h. den Zusammenbau der Sache, nicht sachgemäß durchführt (§ 434 Abs. 2 S. 1 BGB). Beispiel: V, Inhaber eines Elektrogeschäfts, verkauft an K eine Waschmaschine. Auf Grund eines fehlerhaften Wasseranschlusses durch den Verkäufer dringt Wasser in Teile der Maschine (die eigentlich trocken bleiben sollten), so dass diese beschädigt wird (BTDrs. 14/6040, S. 215). Nach bisherigem Recht wurde bzgl. der Montageleistung regelmäßig Werkvertragsrecht (§§ 631, 633 ff. BGB) angewendet, sofern diese nicht völlig untergeordnet war. Die Waschmaschine selbst wies danach keinen Sachmangel auf, so dass der Käufer keine kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche geltend machen konnte. Es konnte nur Nachbesserung der Montageleistung nach § 633 Abs. 2 BGB, d. h. in diesem Fall ein richtiger Anschluss, verlangt werden. Nach § 434 Abs. 2 S. 1 BGB wird eine mangelhafte Montage nicht mehr isoliert betrachtet und braucht daher nicht mehr dem Werkvertragsrecht unterstellt zu werden. Eine fehlerhafte Montage führt nun zu einem Mangel an der Sache selbst, auch wenn es nicht zur Beschädigung an dieser, z. B. an den Einzelteilen bei einer
2. Kaufvertrag
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fehlerhaften Schrankmontage, gekommen ist. Die Montage muss vom Verkäufer vertraglich übernommen und durchgeführt worden sein. Dem Käufer stehen bei einer fehlerhafter Montage des Verkäufers die kaufrechtlichen Rechtsbehelfe zu; schwierige Abgrenzungsfragen zu anderen Vertragstypen stellen sich nicht mehr (BT-Drs. 14/6040, S. 215). Die weitere Regelung in § 434 Abs. 2 S. 2 BGB betrifft die sog. IKEA-KIausel. Danach liegt ein Sachmangel auch dann vor, wenn die Montageanleitung mangelhaft ist. Prototyp für diese Regelung sind die Kaufverträge über Möbel, die erst noch vom Käufer zusammengebaut werden, weil sie aus Kostengründen, z. B. durch Einsparen von Transport- und Montagekosten, in Einzelteilen geliefert werden. Mit dieser Regelung trägt der Gesetzgeber den Vorgaben der VerbrKfRL Rechnung, die sich in erster Linie auf den Verbraucherschutz bezieht. Der Gesetzgeber sieht es allerdings als gerechtfertigt an, diese Vorgaben auf alle Kaufverträge auszudehnen. Der Verkäufer hat für die mangelhafte Montageanleitung dann nicht einzustehen, wenn sie sich nicht ausgewirkt hat (§ 434 Abs. 2 S. 2 2. Hs. BGB), d. h. wenn es dem Käufer trotz dieses Mangels gelungen ist, die Sache fehlerfrei zu montieren. Das Gesetz will den Käufer nur dann schützen, wenn im konkreten Fall die Gebrauchstauglichkeit tatsächlich beeinträchtigt worden ist. Der Käufer soll nicht vor einer bloßen Wertminderung durch eine mangelhafte Montageanleitung geschützt werden. Beispiel: K kauft von V ein Kinderturngerät für den Garten zum Selbstaufbau. Da die Montageanleitung vom Schwedischen ins Deutsche übersetzt wurde, ist sie im Prinzip unverständlich. Trotzdem gelingt es K, der handwerklich geschickt ist, das Turngerät einwandfrei zusammenzubauen. K ist der Ansicht, dass das Turngerät mit einer unbrauchbaren Montageanleitung weniger wert ist. Ein angemessener Preis sei nicht zu erzielen, weil er im Falle eines Weiterverkaufs keine brauchbare Montageanleitung mitliefern könne. K verlangt die Rückgängigmachung vom Vertrag. K hat in diesem Fall kein Recht zum Rücktritt nach §§ 323 Abs. 1, 437 Nr. 2 1. Alt., 434 Abs. 2 S. 2 BGB, da kein Sachmangel vorliegt. Zwar ist die Montageanleitung unverständlich. Ein Sachmangel liegt jedoch nicht vor, weil er sich nicht ausgewirkt hat Nicht erwähnt in § 434 Abs. 2 BGB sind die Bedienungs- und Gebrauchsanleitungen. Diesbezüglich ist streitig, ob sie den Montageanleitungen gleichzustellen sind. Vereinzelt wird auf Grund einer vergleichbaren Schutzwürdigkeit eines Käufers, der z. B. wegen mangelhaft übersetzter Anleitungen ein technisches Gerät, z. B. einen Videorecorder oder ein Computerprogramm, nicht nutzen kann, eine Gleichstellung befürwortet (Büdenbender, in Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 434 BGB, Rn. 19). Nach richtiger Ansicht dürfte jedoch eine Gleichstellung zu verneinen sein, da eine Montageanleitung auf eine „Erstnutzung" abstellt und ein Haftungsausschluss bei erfolgreicher Montage in Betracht kommt; in diesem Fall liegt bereits ein Sachmangel nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB vor (vgl. Bamberger/Roth-Faust, § 434 BGB, Rn. 96; Brox/Walker, SchuldR BT, § 4, Rn. 25; Palandt-Putzo, § 434 BGB, Rn. 48).
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IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
cc. Aliud und Zuweniglieferung Nach § 434 Abs. 3 BGB steht es einem Sachmangel gleich, wenn der Verkäufer eine „andere Sache" (aliud) oder eine „zu geringe Menge" (minus) liefert. Der Gesetzgeber hat mit dieser Gleichstellung einen Streit zwischen Rspr. und Lit. zur Abgrenzung von aliud und Sachmangel beim Gattungskauf (BGH, NJW, 1968, 640 „Winterweizen/Sommerweizen") zugunsten eines extensiv interpretierten Fehlerbegriffs entschieden. Auf Grund dieser Erweiterung ist der § 378 HGB beim beiderseitigen Handelskauf obsolet geworden. Die für den beiderseitigen Handelskauf in § 377 HGB geregelte Untersuchungs- und Rügeobliegenheit gilt damit, da sie jeden Fall eines Sachmangels erfasst, auch für die aliud-Lieferung und die Manko-Lieferung. Auch beim Stückkauf soll § 434 Abs. 3 BGB gelten (vgl. Brox/Walker, SchuldR BT, § 4, Rn. 26). Hat der Verkäufer versehentlich (zu beachten: § 814 BGB) eine wertvollere Sache als die geschuldete geliefert, kann er das aliud als nicht geschuldete Leistung nach § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB zurückfordern. Der Verkäufer hat nicht mit „Erfüllungswillen" gehandelt (BT-Drs. 14/6040, S. 216), so dass eine mangelhafte Leistung ausscheidet (vgl. hierzu Lorenz/Riehm, Rn. 493, 574). Zuviellieferungen werden von § 434 Abs. 3 BGB nicht erfasst. Der Verkäufer kann das zuviel Gelieferte als nicht geschuldet unter den Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB im Wege der Leistungskondiktion zurückfordern, es sei denn, die Parteien hätten den ursprünglichen Kaufvertrag entsprechend erweitert. Auf der anderen Seite braucht der Käufer das zuviel Geleistete nicht zu bezahlen und er kann vom Verkäufer die Rücknahme verlangen. f. Haftungsausschluss Nach § 442 BGB sind die Rechte des Käufers ausgeschlossen, wenn er bei Vertragsabschluss den Mangel kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die Unkenntnis auf einer besonders schweren Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beruht. Im Falle der groben Fahrlässigkeit bestehen die Gewährleistungsrechte jedoch dann, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Bei der Lieferung neu herzustellender Sachen, d.h. bei dem bisherigen „Werklieferungsvertrag", ist die Mängelhaftung außerdem ausgeschlossen, wenn der Mangel auf den vom Besteller gelieferten Stoff zurückzuführen ist (§ 651 S. 2 BGB). Beim Pfandverkauf in öffentlicher Versteigerung unter der Bezeichnung als Pfand ist die Mängelhaftung im Interesse des Pfandgläubigers grundsätzlich ausgeschlossen (§ 445 BGB). Im kaufmännischen Rechtsverkehr bleibt die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nach § 377 HGB grundsätzlich bestehen.
2. Kaufvertrag
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Diese Vorschrift umfasst nun - wie bereits erwähnt - auch die aliud-Lieferung und Zuweniglieferung. Beide sind im gewöhnlichen Mangelbegriff enthalten gehen in § 377 HGB auf; auf die Genehmigungsfähigkeit kommt es künftig nicht mehr an.
Ein Haftungsausschluss kann ferner vertraglich vereinbart werden. Die §§ 437 ff. BGB sind grundsätzlich abdingbar. Zu beachten sind dabei zunächst die Grenzen des § 444 BGB. Auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Verkäufer nicht berufen, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Werden beim Verkauf neu hergestellter Sachen die Mängelrechte des Käufers durch AGB ausgeschlossen bzw. beschränkt, kann auch ein Verstoß gegen § 309 Nr. 8 b BGB vorliegen. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist jedoch relativ gering, da beim Verbrauchsgüterkauf nach den §§ 474 ff. BGB nach § 475 Abs. 1 BGB grundsätzlich keine abweichenden Regelungen zum Nachteil des kaufenden Verbrauchers zulässig sind. Nur soweit in AGB das Recht auf Schadensersatz ausgeschlossen bzw. beschränkt wird, findet auch beim Verbrauchsgüterkauf eine Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB statt. Der Grund besteht darin, dass die VerbrKfRL bezüglich des Schadensersatzes keine verbindlichen Vorgaben enthält. Kein Haftungsausschluss, aber ein Leistungsverweigerungsrecht, begründen die Fälle der Verjährung des § 438 i.V. m. §§ 214 Abs. 1,218 BGB. g. Rechte des Käufers wegen eines Mangels aa. Überblick Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz gab es wesentliche Änderungen bei den Mängelrechten des Käufers (§ 437 BGB). Diese Norm erfasst Sach- und Rechtsmängel gleichermaßen. Sie stellt keine Anspruchsgrundlage dar, sondern enthält eine Übersicht über die Rechte des Käufers im Sinne einer Rechtsgrundverweisung. Rechtsgrundlagen für die jeweiligen Rechtsfolgen sind die in § 437 Nrn. 1-3 BGB genannten Normen. Das neue Sachmängelrecht unterscheidet sich von dem bisherigen Recht vor allem durch seine Zweistufigkeit. An erster Stelle steht ein verschuldensunabhängiger Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung, d. h. auf Nachbesserung oder auf Ersatzlieferung. Nach bisherigem Recht bestand beim Stückkauf kein Nacherfüllungsanspruch und beim Gattungskauf auch nur in Form des Ersatzlieferungsanspruchs nach § 480 BGB (gleichrangig neben Wandlung und Minderung). Mit der Implementierung eines solchen Nachlieferungsanspruchs wird das Kaufrecht dem Werkvertragsrecht angenähert und darüber hinaus auch der bisherigen Vertragspraxis Rechnung getragen (vgl. hierzu die Rspr. zu § 11 Nr. 10 b des früheren AGB-G und den Grenzen, die Wandelung und Minderung gegen ein Nachbesserungsrecht zu ersetzen). Diese Regelung, die den Vorgaben der Richtlinie entspricht, bringt darüber hinaus auch eine Annäherung an die Regeln im CISG (Schlechtriem, in: Ernst/
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IV. Schuldrecht BT: Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse
Zimmermann, 2001, S. 205 ff.)- Die Hierarchie der Käuferrechte ist aber im CISG insoweit abweichend geregelt, weil sowohl für Nachlieferung als auch für den Rücktritt eine „wesentliche Vertragsverletzung" verlangt wird. Damit sollen die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Handelskaufs Berücksichtigung finden, insbesondere die Vermeidung hoher Transportkosten. Der Käufer kann nun im Falle einer mangelhaften Lieferung nicht mehr sofort Wandlung oder Minderung verlangen. Erst wenn die Nacherfüllung nicht innerhalb einer gesetzten Frist vorgenommen wird, unmöglich ist, verweigert wird oder fehlschlägt, kommen entweder Rücktritt (bisher: Wandlung) oder Minderung als alternativ nebeneinander stehende Gestaltungsrechte in Betracht. Das Erfordernis der Fristsetzung ist ein wesentliches Strukturmerkmal des neuen Leistungsstörungsrechts und sichert den Vorrang des Erfüllungsanspruchs. Der Vorrang der Nacherfüllung ergibt sich nicht ausdrücklich aus § 437 BGB, sondern erst aus einem Umkehrschluss zu den §§ 281, 323 Abs. 1,441 Abs. 1 BGB. Damit erhält der Verkäufer gleichzeitig ein Recht zur zweiten Andienung. Der Anspruch auf Schadensersatz ist ebenfalls grundsätzlich nachrangig, sofern Schadensersatz statt der Leistung verlangt wird (vgl. §§ 437, 440, 280 Abs. 1, 3, 281, 283, 311a BGB); diese Form entspricht im bisherigen Recht dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Schadensersatz ist neben Rücktritt und Minderung (§§ 437 Nr. 2, 325 BGB) möglich. Die Beseitigung der Alternative von Rücktritt und Schadensersatz ist für die Praxis von großer Bedeutung. Im Rahmen der Schadensberechnung ist allerdings zu berücksichtigen, dass dasselbe Interesse - wie bisher auch - nicht doppelt verlangt werden kann. Alternativ zum „Schadensersatz statt der Leistung" kann der Käufer auch Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen verlangen (§§ 437 Abs. 3, 284 BGB). bb. Nacherfüllung (1) Wahlrecht des Käufers Der Anspruch auf Nacherfüllung nach § 439 BGB beinhaltet zwei Varianten: die Nachbesserung („Beseitigung des Mangels") und die Ersatzlieferung („Lieferung einer mangelfreien Sache"). Nach § 439 BGB hat der Käufer (nicht der Verkäufer) ein Wahlrecht zwischen beiden Formen. Dies ist das Ergebnis der Umsetzung von Art. 3 Abs. 3 der VerbrKfRL. Diese Regelung steht im Gegensatz zur parallelen Bestimmung im Werkvertragsrecht (§ 635 Abs. 1 BGB), nach der das Wahlrecht dem Unternehmer zusteht. Für die sonstigen Kaufverträge, etwa unter Kaufleuten, ist das jedenfalls nicht zwingend. Mitunter ist es der Verkäufer, der besser beurteilen kann, auf welche Art und Weise das Ziel der Mangelfreiheit sicher und kostengünstiger zu erreichen ist. Hier ist Raum für eine individuelle oder formularmäßige Vertragsgestaltung (vgl. hierzu Haas, BB 2001, 1315; Westermann, NJW 2002, 248).
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