JANE FEATHER
Braut wider Willen Roman Aus dem Amerikanischen von Anke Koerten
Die Braut-Trilogie London, 11. Mai 164...
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JANE FEATHER
Braut wider Willen Roman Aus dem Amerikanischen von Anke Koerten
Die Braut-Trilogie London, 11. Mai 1641
Phoebe strich mit einer Hand über ihre Augen, während sie mit der anderen nach ihrem Taschentuch tastete. Dass es unauffindbar war, verwunderte sie nicht weiter, da sie mit ihren dreizehn Jahren schon Taschentücher in rauen Mengen verloren hatte. Mit einem energischen und wirkungsvollen Schnaubton verschwand sie hinter der gestutzten Lorbeerhecke, die sie den Blicken der angeregt plaudernden und scherzenden Hochzeitsgesellschaft entzog. Das laute und vergnügte Stimmengewirr der Gäste verschmolz mit dem wüsten Gejohle des Pöbels, das vom Tower Hill her unausgesetzt über den Fluss brandete, zu einem eigenartigen Gemisch. Sie warf einen Blick über die Schulter auf ihr Elternhaus. Der anmutige, auf einer kleinen Erhebung am Südufer der Themse gelegene Fachwerkbau bot Ausblick auf London und das umliegende Land. Die Fenster blinkten in der Nachmittagssonne, melancholische
Harfenklänge begleiteten in harmonischem Gleichmaß die an- und abschwellenden Geräusche der Gesellschaft. Niemand würde nach ihr suchen. Warum auch, da sie doch völlig uninteressant war? Nach ihrem dummen Missgeschick hatte Diana sie verbannt. Unter dem Eindruck dieser Erinnerung zuckte Phoebe zusammen. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, wie es kam, dass ihr Körper ihr zuweilen nicht gehorchte und selbstständig agierte, sodass es aussah, als wäre sie von Chaos und Malheur verfolgt. Eine Zeit lang würde sie hier in Sicherheit sein. Sie beschleunigte ihre Schritte und lief zum alten Bootshaus, ihrem heimlichen Versteck. Nachdem ihr Vater die Wassertreppe des Hauses an eine Stelle verlegt hatte, die den Stufen in Wapping genau gegenüberlag, war das alte Bootshaus verfallen. Nun duckte es sich mit eingesunkenem Dach ins hohe Uferschilf, von Salzluft und Wind verwittert. Es war der einzige Ort, an dem Phoebe heimlich ihre Wunden lecken konnte. Sie war gar nicht sicher, ob man im Haus von der Existenz des alten Schuppens noch wusste,
doch als sie näher kam, sah sie, dass die Tür nur angelehnt war. Ihre erste Reaktion war Zorn, da jemand ihr den einzigen Ort, den sie ihr Eigen nennen konnte, streitig machte. Gleich darauf regte sich Angst in ihr. Die Welt war voller Ungeheuer, menschlichen und tierischen, und in dieser Hütte, der man ansah, dass sie verlassen war, konnte sich Gott weiß wer eingeschlichen haben. Wer konnte wissen, was sie im Inneren erwartete? Innehaltend starrte sie den dunklen Spalt zwischen Tür und Rahmen an, fast so, als könne er sich öffnen und ihr aus sicherer Entfernung einen Blick in das düstere und modrige Innere gewähren. Dann gewann ihr Unmut die Oberhand. Da sie das Bootshaus als ihr Eigentum betrachtete, würde sie jeden Eindringling einfach verjagen. Auf der Suche nach einem Stück Treibholz wagte sie sich ins Schilf und entdeckte dort einen alten Sparren, der mit rostigen, gefährlich herausragenden Nägeln gespickt war. Dergestalt bewaffnet, näherte sie sich dem Bootshaus mit klopfendem Herzen, aber äußerlich ruhig. Als
sie die Tür mit dem Fuß aufstieß, fiel Licht in die dunklen, verstaubten Winkel. »Wer bist du ?«, fragte sie verblüfft den Eindringling, ein erschrocken blinzelndes Mädchen, das jedoch ruhig auf dem dreibeinigen Schemel sitzen blieb, den es ans offene Fenster gestellt hatte, um Licht für seine Lektüre zu haben. Phoebe trat ein und ließ ihre Waffe fallen. »Ach«, sagte sie, »dich kenne ich doch. Du bist Lord Granvilles Tochter. Was machst du hier? Warum bist du nicht auf dem Fest? Ich dachte, du solltest die Schleppe meiner Schwester tragen?« Das dunkelhaarige Mädchen klappte vorsichtig das Buch zu, nicht ohne einen Finger darin zu lassen. »Ja. Ich bin Oli- via«, sagte sie nach einer kleinen Pause. »Und i-ich w-wollte nicht bleiben. Mein Vater sagte, ich m-müsste nicht, wenn ich keine Lust hätte.« Am Ende dieser Rede, die sie einige Mühe gekostet hatte, atmete sie auf. Phoebe sah das Mädchen neugierig an. Sie war jünger als sie selbst, wenn auch gleich groß. Vor allem aber war Olivia gertenschlank, ein Grund
für Phoebe, sie zu beneiden, da sie ihre eigene angebliche Rundlichkeit ständig beklagte. »Das ist mein Geheimversteck«, sagte Phoebe ohne Groll, ließ sich auf einem heruntergefallenen Balken nieder und zog ein eingewickeltes Päckchen aus der Tasche. »Dass du nicht bei der Hochzeit bleiben wolltest, kann ich gut verstehen. Ich hätte meiner Schwester helfen sollen, stieß aber den Parfümflakon um und trat dann auf Dianas Schleppenvolant.« Sie wickelte das Päckchen auf und biss in das Ingwerkuchen, das es enthielt, ehe sie es Olivia anbot, die es mit einem Kopfschütteln ablehnte. »Diana verwünschte mich tüchtig und sagte, sie wolle mich niemals mehr sehen«, fuhr Phoebe fort. »Was auch der Fall sein wird, da sie weit weg in Yorkshire leben wird. Und mir täte es auch nicht Leid, wenn ich sie nie wieder zu sehen bekäme.« Trotzig blickte sie nach oben, als hätte sie mit dieser lästerlichen Bemerkung himmlischen Zorn herausgefordert. »I-ich mag sie nicht«, vertraute Olivia ihr an. »Ich möchte sie auch nicht als Stiefmutter ... Sie wird absolut grässlich sein! Ach, entschuldige. Immer sage ich etwas Falsches«,
rief Phoebe ärgerlich. »Ich sage nämlich immer, was ich mir denke.« »E-es ist jedenfalls die Wahrheit«, murmelte Olivia, die ihr Buch aufschlug und weiterlesen wollte. Phoebe runzelte die Stirn. Ihre Stiefnichte, die Olivia vermutlich jetzt war, benahm sich nicht sonderlich freundlich. »Stotterst du immer?« Olivia errötete tief. »Ich k-k-kann nichts dafür.« »Nein, natürlich nicht«, beeilte Phoebe sie zu beschwichtigen. »Ich war ja nur neugierig.« Da sie keine Antwort bekam, biss sie in das zweite Stück Ingwerkuchen und strich müßig über eine Ansammlung winziger Fettflecken, die sich auf ihrem rosa Seidenkleid zeigten. Ein Kleid, das eigens zur Hochzeit ihrer Schwester angefertigt worden war und einen wirkungsvollen Kontrast zu Dianas perlenbesticktem, elfenbeinfarbigem Damastkleid hätte bilden sollen, ein Effekt, der an Phoebe nicht zur Geltung kam, wie Diana mit ihrer gewohnt spitzen Zunge bemerkt hatte. Von der Tür her kam ein Luftzug, als diese von innen zugeworfen wurde, sodass in der Hütte Halbdunkel herrschte. »Herrje, eine
grässlichere Hochzeit kann es nicht geben!«, hörten sie eine Stimme mit Nachdruck sagen. Der Neuankömmling, ein junges Mädchen, lehnte sich schwer atmend an die geschlossene Tür und fuhr sich über ihre schweißnasse Stirn. Nun erst fiel der Blick ihrer hellgrünen Augen auf die anderen. »Ich wusste gar nicht, dass jemand diese Hütte kennt. Letzte Nacht schlief ich hier. Nur so konnte ich den zudringlichen Pranken dieser lästigen Kerle entgehen. Und jetzt sind sie wieder hinter mir her. Ich glaubte, hier würde ich Ruhe und Frieden finden.« »Das ist mein Zufluchtsort«, sagte Phoebe mit besonderer Betonung und stand auf. »Du befindest dich hier auf verbotenem Terrain.« Das Mädchen sah nicht wie ein Hochzeitsgast aus. Ihr Haar, eine leuchtend rote Lockenflut, schien wochenlang mit keiner Bürste in Berührung gekommen zu sein. Im Halbdunkel wirkte ihr Gesicht unsauber, obwohl man wegen der vielen Sommersprossen nicht unterscheiden konnte, was Schmutz war und was nicht. An dem Kleid aus grobem Leinen hing der Saum
schief, die Volants an den Ärmeln waren unordentlich und zerrissen. »Nein, stimmt nicht«, widersprach das Mädchen und setzte sich auf den umgedrehten Rumpf eines alten Ruderbootes. »Ich wurde zur Hochzeit eingeladen. Zumindest ist mein Vater Gast«, fügte sie hinzu. »Und wo Jack ist, bin natürlich auch ich.« »Ich weiß, wer du bist.« Olivia blickte zum ersten Mal seit dem Eintreten des Mädchens von ihrer Lektüre auf. »Du bist die leibliche Tochter des H-halbbruders meines Vaters.« »Ich bin Portia«, sagte das Mädchen daraufhin freundlich. »Der Bastard von Jack Worth. Und du musst Olivia sein. Jack hat von dir gesprochen.« Sie wandte sich an Phoebe. »Wenn du hier wohnst, bist du sicher die Schwester der Braut.« Phoebe setzte sich wieder. »Du scheinst ja sehr viel über uns zu wissen.« Portia zuckte die Achseln. »Ich halte Augen und Ohren offen. Nur eine halbe Sekunde nicht aufgepasst, und die Teufel erwischen einen.« »Welche Teufel?«
»Die Männer«, erklärte Portia. »Man würde es gar nicht meinen, wenn man mich ansieht.« Sie kicherte. »Ich bin mager wie eine Vogelscheuche, aber Männer nehmen eben alles, was sie kriegen können, solange es zu haben ist.« »Ich verabscheue Männer!« Diese hitzig, aber ganz klar geäußerte Erklärung kam von Olivia. »Ich auch«, pflichtete Portia ihr bei, um dann mit der Überlegenheit ihrer vierzehn Jahre zu sagen: »Aber für eine solche Behauptung bist du zu jung, Kleine. Wie alt bist du denn?« »Elf.« »Na, dann wirst du deine Meinung noch ändern«, sagte Portia altklug. »Nein. Ich werde nie heiraten.« Olivias braune Augen schössen Pfeile unter ihren dichten schwarzen Brauen hervor. »Ich auch nicht«, erklärte Phoebe. »Da mein Vater es nun geschafft hat, Diana so gut zu verheiraten, wird er mich sicher in Ruhe lassen.« »Warum willst du nicht heiraten?«, fragte Portia interessiert. »Für ein Mädchen vornehmer Herkunft ist es die einzige Bestimmung.«
Phoebe schüttelte den Kopf. »Niemand wird mich heiraten wollen. Ich bin linkisch, lasse immer Sachen fallen und spreche alles aus, was mir durch den Kopf geht. Diana und mein Vater sagen, dass ich nur mit Nachteilen behaftet bin. Nichts kann ich richtig machen. Deshalb möchte ich Dichterin werden und bedeutende Werke verfassen.« »Natürlich wird dich jemand heiraten wollen«, stellte Portia fest. »Du bist hübsch, gut gewachsen und weiblich. Ich bin diejenige, die unvermählt bleiben wird. Seht mich an.« Sie stand auf und deutete schwungvoll auf sich. »Ich bin flach wie ein Brett. Überdies bin ich unehelich geboren und habe weder Geld noch Besitz. Meine Aussichten sind hoffnungslos.« Sie setzte sich wieder und lächelte so unbekümmert, als sei ihre Prophezeiung kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Phoebe überlegte. »Ich verstehe, was du meinst. Du wirst nur schwer einen Mann finden. Was hast du also vor?« »Ich möchte Soldat werden. Schade, dass ich kein Junge bin. Eigentlich hätte ich einer werden sollen, doch es kam anders.«
»Ich w-w-werde Gelehrte«, erklärte Olivia. »Wenn ich älter bin, soll mein Vater einen Hauslehrer für mich engagieren. Ich möchte in Oxford leben und studieren.« »Frauen studieren nicht an der Universität«, gab Phoebe zu bedenken. »Ich schon«, erklärte Olivia hartnäckig. »O Gott, ein Soldat, eine Dichterin und eine Gelehrte! Was für ein Trio missratener Weiblichkeit!« Portia wollte sich ausschütten vor Lachen. Phoebe stimmte in das Lachen ein, von einer köstlichen und ihr bislang unbekannten, inneren Wärme erfüllt. Am liebsten hätte sie mit ihren Gefährtinnen gesungen und getanzt. Sogar Olivia, deren abweisender Trotz aus ihrem Blick verschwunden war, lächelte. »Wir müssen einen Bund schließen, um einander zur Seite zu stehen, sollte jemals eine versucht sein, vom richtigen Weg abzuweichen und so gewöhnlich zu werden wie die anderen.« Portia sprang auf. »Olivia, hast du eine Schere in deiner Tasche?« Olivia öffnete die Schnüre der kleinen spitzenbesetzten Tasche, die sie an ihrer Taille
trug, und holte eine kleine Schere hervor, die sie Portia reichte. Diese schnitt nun sehr sorgfältig drei rote Locken aus ihrer Mähne, die wie ein Heiligenschein ihr Gesicht umrahmte. »Phoebe, jetzt brauche ich drei von deinen blonden Locken und drei von Olivias schwarzen.« Sie ließ ihren Worten sofort Taten folgen und betätigte die kleine Schere. »Seht her.« Unter den neugierigen Blicken der anderen Mädchen flocht Portia mit langen schmalen Fingern, deren schmutzige Fingernägel abgebrochen waren, je drei verschiedene Strähnen zu ebenso vielen, dreifarbigen Ringen. »Jede von uns bekommt einen. Meiner ist außen rot, Phoebes Ring blond und Olivias schwarz.« Sie reichte ihnen die Ringe. »Also, wenn jemanden sein Ehrgeiz zu verlassen droht, soll er den Ring ansehen ... Ach, noch etwas, wir müssen unseren Bund mit Blut besiegeln.« In ihren grünen, leicht schrägen Katzenaugen blitzte es vor freudiger Begeisterung.
Sie ritzte ihr Handgelenk auf und drückte einen Blutstropfen heraus. »Und jetzt du, Phoebe.« Sie reichte ihr die Schere. Phoebe schüttelte ihren blonden Kopf. »Das kann ich nicht. Mach du es.« Mit geschlossenen Augen streckte sie den Arm aus. Portia ritzte ihr die Haut auf, um sich dann an Olivia zu wenden, die ihr schon das Handgelenk hinhielt. »So, und jetzt reiben wir unsere Gelenke aneinander, damit das Blut sich vermengt. So bekräftigen wir unseren Eid, mit dem wir geloben, einander durch dick und dünn beizustehen.« Olivia wusste, dass es für Portia nur ein Spiel war, ihr eigenes Erbeben bei der Berührung aber verriet, dass es für sie ernster war und über einen Spaß hinausging. Denn als eher nüchterner Typ war ihr Unsinn dieser Art nicht geheuer. »Sollte jemals eine von uns in Bedrängnis geraten, kann sie den Ring einer der anderen zukommen lassen, und diese wird ihr helfen«, rief Phoebe hochgestimmt aus. »Wie töricht und romantisch«, spottete Olivia aus einer momentanen Laune heraus.
»Was ist schlecht an Romantik?«, fragte Portia achselzuckend, woraufhin Phoebe sie mit einem kleinen dankbaren Lächeln bedachte. »Gelehrte sind nicht romantisch«, wandte Olivia ein. Sie runzelte die Stirn so angestrengt, dass ihre Brauen über den tief liegenden dunklen Augen fast zusammenstießen. Dann seufzte sie. »I-ich muss jetzt zurück zum Fest.« Sie steckte den geflochtenen Ring in ihr Taillentäschchen. Wie um sich Mut zu machen, fasste sie mit einer kleinen nachdenklichen Geste nach ihrem Handgelenk, an dem eine dünne Blutspur zu sehen war, und ging zur Tür. Als sie öffnete, drang der Lärm von der City über den Fluss und in die dunkle Abgeschiedenheit des Bootshauses, so ungezügelt und wild, dass Olivia ein Schauer überlief. »K-könnt ihr verstehen, was gerufen wird?« »Sie rufen: >Der Kopf ist ab! Der Kopf ist ab!