Edgar Wallace
Bones vom Strom
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Ihr Schauplatz ist die afrikanische Wildnis - zu e...
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Edgar Wallace
Bones vom Strom
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Ihr Schauplatz ist die afrikanische Wildnis - zu einer Zeit, als Afrika für den Weißen noch der unbekannte, geheimnisvolle schwarze Kontinent war. Der kluge und mutige englische Distriktbeamte Sanders erlebt in dieser fremden, eben erst entdeckten Welt der Medizinmänner, Fetische, Menschenopfer, Kannibalen, Sklavenjäger und Stammeskriege packende Abenteuer, Kämpfe und Gefahren. Doch seine wichtigste Waffe ist das Wort: Seine Palaver mit Freund und Feind, vor allem mit dem verschlagenschlauen Ochori-Häuptling Bosambo, sind meisterhafte Beispiele köstlichen Humors. ISBN 3-442-06440-6 Titel des englischen Originals: Bones of the River Autorisierte Übersetzung von Richard Küas 1982 by Wilhelm Goldmann Verlag Umschlagentwurf: Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München Umschlagfoto: Studio Schmatz, München
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
In seinen Afrika-Romanen entwirft Edgar Wallace ein Zustandsbild Zentralafrikas zu Beginn unseres Jahrhunderts. Die Romanfiguren sowie die geschilderten Ereignisse, wiewohl fiktiv, entsprechen den damals herrschenden Verhältnissen, authentische Personen oder Ereignisse zu Beginn des Jahrhunderts dienten dem Autor als Vorlage. Edgar Wallace schrieb diese Bücher ab 1911, zu einer Zeit also, in der die europäischen Kolonialmächte Afrika zum Großteil unter sich aufgeteilt hatten. ›Kolonialpolitik ‹ und ›Kolonialismus‹ waren längst noch keine verwerflichen Begriffe; der Aufbruch Schwarz-Afrikas zu nationaler und politischer Selbstbestimmung lag noch in weiter Ferne. Es war nicht nötig, die Bände von Grund auf zu verändern; behutsam wurde nur da eingegriffen, wo es unumgänglich war. Die Afrika-Romane von Edgar Wallace bleiben, was sie sind: erzählerische Meisterleistungen auf dem Gebiet der Abenteuerliteratur. Der Herausgeber
In neuer Bearbeitung erscheinen: Sanders vom Strom (6435) Bosambo (6436) Bones in Afrika (6437) Leutnant Bones (6438) Sanders (6439) Bones vom Strom (6440) Sanders der Königsmacher (6441) Hüter des Friedens (6442)
Inhaltsverzeichnis Das schreckliche Wort ......................................................... 5 Der Gesundheitsinspektor .................................................. 29 Das schwarze Ei ................................................................. 48 Ein nettes Mädchen............................................................ 68 Die Messingbettstelle ......................................................... 88 Ein Hundeliebhaber .......................................................... 109 Der »Fotograf« ................................................................. 125 Der Heilkünstler ............................................................... 147 Die Wazoos ...................................................................... 165 Die Panafrikaner............................................................... 185 Das Weib, das zu den Vögeln sprach............................... 203 Der Teufelssee .................................................................. 219
Das schreckliche Wort »Passen Sie auf die Hühner auf, schmeißen Sie die Katze raus, und vergessen Sie nicht, die Uhr aufzuziehen!« sagte Hamilton mit einem Lächeln, das mehr Grimasse war. Leutnant Tibbetts neigte sein Haupt mit einem Ausdruck, den er für stille Würde hielt. »Und tun Sie was für Ihren steifen Hals!« fügte Hamilton hinzu. Hauptmann Hamilton kehrte vom Deck der ›Zaire‹ noch einmal zu der kleinen festen Mole zurück, die vom Stationsland in den Fluß ragte. Distriktsgouverneur Sanders war im Begriff, auf eine kurze Inspektionsreise zu gehen, und Hauptmann Hamilton und eine halbe Kompanie Haussa sollten ihn begleiten. Mr. Tibbetts, bekannt unter dem Namen ›Bones‹, blieb als Oberbefehlshaber zurück und sollte sieben Tage lang stellvertretender Distriktsgouverneur, stellvertretender Oberstkommandierender der bewaffneten Macht, stellvertretender Oberzahlmeister und Stabschef sein. Außerdem waren ihm augenblicklich fünfundzwanzig Orpingtonhennen, drei junge Hähne und ein neues Hühnerhaus unterstellt, die sämtlich das Eigentum seines Vorgesetzten waren. Katze und Uhr waren Phantasiegebilde Hauptmann Hamiltons. »Und - was ich noch sagen wollte -« Hamilton, einen Fuß auf dem Deck des kleinen Dampfers, den anderen auf der Mole, wandte sich um. »Lassen Sie das Märchenerzählen, Bones!« Mr. Tibbetts hob seine Augenbrauen; er sah geduldig drein. »Wenn Sie Besucher zu unterhalten haben, dann erzählen Sie Ihnen etwas Nützliches, wie: a2 + b2 = c2 . Ein wenig Algebra würde das sittliche Niveau vagabundierender Isisi heben.« Einmal nämlich, als Bones die Station unterstellt gewesen -5-
war, kam ein Kanu mit einem kleinen Isisihäuptling, der sich mit einer Klage an den Distriktsgouverneur wenden wollte. Und Bones, unfähig, das Palaver zu regeln, benutzte die glänzende Gelegenheit, ihm ein Grimmsches Märchen in oberflächlicher Übersetzung zu verzapfen. Das hatte sich nicht gerade als ein sehr glücklicher Versuch erwiesen, denn als der kleine Häuptling in sein Dorf zurückkam, versuchte er diesen neuen Märchenzauber. Der Erfolg war verheerend gewesen, denn als es ihm nicht gelang, sein nörgelndes Weib in einen Baum zu verwandeln, hatte er sie in seinem Ärger so tüchtig verprügelt, daß sie daran starb. »Gebieter«, hatte er sich damals entschuldigt, »ich hab' den Zauber genau nach Lord Tibbettis Worten ausgeführt, denn ich habe sie mit Wasser besprengt und dabei gesagt: ›Werde ein Baum!‹, aber da sie von einem bösen Geist besessen war, gehorchte sie Lord Tibbettis Zauberspruch nicht.« Bones schnaubte. »Sarkasmus, mein verehrter Befehlshaber, ist an mir verschwendet. Ich werde mich einfach mit meinen netten alten Studien einschließen und mich weigern, irgend jemand zu empfangen. Und was Ihre unanständigen alten Hähne und Hennen anlangt, so weigere ich mich, das geringste mit ihnen zu tun zu haben. In den Dienstvorschriften steht nichts davon, daß ich mich um Hühner zu kümmern hätte. Ich hasse es geradezu, Sie zu belehren. Aber Sie sollten es wirklich wissen, lieber Offizier, daß es nicht zu meinen Aufgaben gehört, ihnen ihre Milch oder sonst irgendwelches Futter zu verabreichen, das diese unglücklichen Viecher nötig haben...« »Leben Sie wohl, Bones!« rief Sanders von der Kommandobrücke. »Boy! Wirf das große Tau los!« Die Vertäuleine klatschte ins Wasser. Mit munter schlagendem Heckrad glitt die ›Zaire‹ in die Mitte des Fahrwassers und richtete ihre Nase gegen die lehmfarbene Strömung. -6-
»Lehren Sie den neuen Twostep!« brüllte Hamilton lachend. »Bringen Sie den Ihren Hühnchen gefälligst selbst bei!« kreischte Bones. Leutnant Tibbetts hatte drei Wachträume. In Wirklichkeit hatte er deren nahe an dreihundert, aber drei davon bevorzugte er. Der erste beschäftigte sich mit der Rettung schöner weiblicher Wesen aus verschiedenen Gefahren. Bones hatte in seinem Traum ein brünettes Mädchen mit großen, leuchtenden Augen und schlanker, biegsamer Gestalt. Dann ein blondes Mädchen mit einem milchhellen Teint, das nicht ganz so schlank war. Und schließlich eine kecke, draufgängerische Person, die gegen seine ernstgemeinten Ratschläge immer in Unannehmlichkeiten geriet, die ihm trotzte und ihre eigenwilligen Wege verfolgte, die einen aufrichtigen jungen Liebhaber verließ, dessen Leid und Kummer niemand mit einem Blick auf sein bleiches, gemeißeltes Gesicht zu erraten vermocht hätte. Und wenn er sie dann rettete, pflegte sie ihm weinend in die Arme oder mit Tränen auf ihre Knie oder lang ausgestreckt vor die Füße zu fallen. Aber unweigerlich fiel sie, so oder so, und erreichte seine Verzeihung oder auch nicht, je nach der Gemütsverfassung, in der sich Bones gerade befand. Sein zweiter Traum war, daß er ungeheure Schätze entdeckte und eine wundervolle Jacht kaufte, die mit schweigsamen, uralten, geheimnisvollen Männern bemannt war. Damit pflegte er unbekannte Meere zu befahren und ganz unerwartet in Cowes wieder aufzutauchen. Und wenn es auch nicht immer Cowes war - unabänderlich geschah es vor einer riesigen, elegant gekleideten und begeisterten Menge. Und schöne Mädchen pflegten dann zuzusehen, wie die Jacht majestätisch auf ihren Ankerplatz segelte, und pflegten zueinander oder zu irgend jemandem, der zufällig dabei war, zu sagen: »Das ist der ›Gelbe -7-
Vampir‹ der eben von einer seiner geheimnisvollen Reisen zurückkehrt. Sehen Sie! Der Mann auf der Brücke ist Kapitän Tibbetts, der Millionär. Man erzählt sich von ihm, er sei ein Weiberfeind. Ich möchte ihn zu gern kennenlernen.« Sein dritter Traum war ihm der liebste. Er träumte, daß die Hohen Behörden sein ungewöhnliches Organisations talent, seine erstaunliche Kenntnis des Verbrechertums und die Furcht, die sein Name in der Brust der Bösewichter erweckte, entdeckt hätten. Dann würden sich die zarten und verwöhnten jungen Reiterinnen im Park nach ihm umdrehen, seiner düsteren Gestalt nachstarren und einander bezeichnende Blicke zuwerfen. »Das ist Kommissar Tibbetts von der Kriminalabteilung. Kein Tag vergeht, an dem seine unerbittliche Hand nicht einen Mörder zum Galgen schleift. Wie schwarz und düster sein Leben sein muß! Ich wünschte, ich könnte eine Empfehlung an ihn bekommen!« Bones hatte viele Streifzüge in das Gebiet der Aufklärung von Verbrechen gemacht. Sie waren aber nicht sehr erfolgreich gewesen. Er hatte Bücher über Kriminologie gelesen und gelehrte Fachbücher studiert, in denen Wissenschaftler mit fremdländisch klingenden Namen die Größe von Verbrecherohren tabellarisch geordnet und merkwürdige Schlüsse aus der Form ihrer Nasen gezogen hatten. Dieser Wissenszweig wurde in dem Augenblick unbeliebt, als Bones in der Form von Hauptmann Hamiltons Augenbrauen positive Beweise für Anlagen zum Mörder entdeckte. Bones lag lang ausgestreckt auf der kleinen, mit Matten belegten Veranda vor seiner Hütte. Es war ein glühendheißer Tag ohne einen einzigen Hauch des Seewindes, um die Schmelzo fenatmosphäre zu lindern, die um die Station herrschte. Bones schlief nicht. Aber er wachte auch nicht. Er war gerade dabei, einen Kerl festzunehmen, der die Polizei der ganzen Welt -8-
zum Narren gehalten hatte - bis er, irregeführt, in den Aktionsradius dieses luchsäugigen Spürhundes, des Fährtenfinders Tibbetts von Scotland Yard, geriet. Da, plötzlich das Patschen nackter Füße. Bones blinzelte. Es war ein schlanker, barfüßiger Haussakorporal, der heraufkam und seine Hand an seinen scharlachroten Tarbusch legte. »Da ist ein Kanu vom Oberland angekommen. Ich habe den Leuten gesagt, daß sie warten sollen, bis Sie gesprochen haben.« »Ha?« fragte Bones dumpf. »Was ist das für ein Unsinn?! Nehmt den Kerl fest und bringt ihn zu mir!« Er hätte ebensogut die Ilias vortragen können, der Korporal würde sie ebensowenig verstanden haben; denn Bones sprach englisch. »Laßt sie hierherkommen!« befahl er schließlich. »Und Mahmet - hast du den Glück-Glücks Futter gegeben?« »Gebieter, du hast doch gesagt, du selbst würdest den GlückGlücks Futter geben. Wasser habe ich ihnen gegeben, weil sie einen fürchterlichen Spektakel machten.« Bones klemmte das Monokel ein und starrte den Mann an. »Bring die Kerle her! Dann schaff das Futter zu den Vögeln, die Hamiltons Augapfel sind, weil sie seine eigenen Tanten sind, die in Hühner verzaubert wurden...« Bones hielt inne. Er entsann sich Hamiltons Warnung, keine Märchen zu erzählen. Darauf kam M'gula von den Oberen Ochori zu ihm, ein Mann von vierzig Jahren mit einem großen Schädel und runzeligem Gesicht. »Ich sehe dich, Tibbetti«, platzte er los, als er sich im heißen Sonnenlicht niederhockte. »Ich sehe dich, Mann«, antwortete Bones. »Nun, sage mir, warum bist du in deinem großen Kanu gekommen? Sandi ist -9-
nicht bei mir. Er ist nach dem Isisiland gefahren. Aber ich vertrete ihn und halte Gericht«, bemerkte Bones geschwollen. »Gebieter, ich habe von dir und deiner Weisheit gehört. Von dem Wasser, das nur ein Ufer hat, bis zu den Bergen des alten Königs redet das Volk von dir und klatscht in die Hände. Man erzählt sich, daß du größer als Sandi selbst seiest, da du ein Zauberer bist. Denn du berührst Dinge mit deiner Hand, und sie verschwinden. Du holst Silberdollars aus der Luft. Und es geht das Gerücht, daß du schöne Dinge, wie Vögel und ganze Stücke Zeug und kleine Tiere, aus einem leeren Topf geholt hättest.« Bones hustete ein wenig schuldbewußt. Er hatte einmal einige Taschenspieler-Kunststückchen vor einer gebannten Zuschauerschaft ausgeführt. Glücklicherweise wußte Hamilton davon nichts. »Und weil ich wußte, daß der Gebieter Sandi zu den Isisi gegangen ist, kam ich zu dir, Gebieter. Denn ich habe viele Gedanken, die mich beunruhigen.« In einem Land, in dem Menschen tausend Meilen wanderten, um die Antwort auf ein Rätsel zu erfahren, war es weiter nicht merkwürdig, daß jemand die lange Reise vom Ochoriland machte, um sich von einer, wenn auch geringen, Sorge befreit zu sehen. Und Bones wartete. »Gebieter, ich bin ein Mann, der viele Jahre gelebt hat, der viel nachgedacht und wenig, wenig getan hat. Mein leiblicher Bruder ist Häuptling von K'mana; er trägt eine Medaille an seinem Hals, und die Menschen sagen ›Kwas‹ zu seinem Richterspruch. Und ich, der ich doch meiner Gedanken halber größer bin als er, stehe nur im Rang eines gemeinen Mannes. Nun sage mir, Tibbetti, müssen alle Menschen das bleiben, als das sie geboren sind?« Bones begann interessiert zu werden. »Wie heißt du, Mann?« Und als sein Besuch ihm das gesagt hatte: »M'gula, viele -10-
Menschen wurden niedrig geboren und haben es zu Bedeutung gebracht. Das ist wohlbekannt.« Je mehr Bones sich für den Gegenstand erwärmte, je mehr er sich des nützlichen Charakters seiner Vorlesung bewußt wurde, desto gesprächiger wurde er. Er erzählte die Geschichte eines jungen korsischen Artillerieoffiziers, der nach einem Thron gestrebt hatte. Er erzählte von einem armseligen Knaben in einer Walzmühle - ein eisernes Wunder nannte er ihn -, der reich geworden war. Er plünderte die Geschichte und legte sie falsch aus, um die Lehre von der Benutzung des Augenblicks zu predigen, und M'gula saß bewegungslos. »Nun sehe ich, daß du weiser bist als M'shimba selbst und größer als die Dämonen«, sagte M'gula, als Bones sich sattgeredet hatte. »Und ich habe ein warmes Gefühl im Magen, denn nun weiß ich, daß Menschen groß werden aus ihren Gedanken heraus.« Er kam am nächsten Morgen wieder, und Bones, der inzwischen einige weitere geschichtliche Daten zusammengeklaubt hatte, setzte seine Belehrung über Selbsthilfe fort. »Der Leopard kommt einmal ans Netz.« Er umschrieb auf diese Weise das Sprichwort von der Gelegenheit, die einmal an die Tür klopft. »Und wenn das Netz dauerhaft ist, siehe, dann wird er deine Beute. Aber, wenn das Netz alt ist und die Fallgrube nicht tief genug, dann trollt er sich und kehrt nicht wieder.« M'gula kehrte als ein belehrter Mann ins Ochoriland zurück. Einen Monat nach seiner Rückkehr wurde sein Bruder, der Häuptling, von einem leidenschaftlichen Drang ergriffen, vor seinem Dorfvolk aufzustehen und das Gedicht, ›M'sa‹ genannt, vorzutragen. Den Name n ›Gedicht‹ verdiente es vom weißen wie vom schwarzen Standpunkt aus, denn es behandelte den Tod in einer -11-
malerischen und phantasievollen Weise. Es gab keinen Mann oder Knaben, von einem Ende des Gebietes bis zum anderen, der nicht ›M'sa‹ hätte rezitieren können, wenn er es gewagt hätte, Teufeln und Ju-Ju-Zauber die Spitze zu bieten. Aber das Gesetz verlangte, daß ›M'sa‹ im Flüstern gelehrt wurde und an geheimen Plätzen, von denen alle Vögel verscheucht waren. Denn Vögel waren dafür berüchtigt, daß sie Mitglieder der Geisterwelt waren, die Neuigkeiten verbreiteten und auf ihre merkwürdige Weise über die Seelen der Menschen schwätzten. Im Flüstern mußte das Gedicht gelehrt werden; im Flüstern mußte es vorgetragen werden. Und sein Schlußwort, das Wort ›M'sa‹ durfte niemals über die Lippen kommen. Kein Mensch hat jemals erklärt, was ›M'sa‹ bedeutet. Genug, daß es ein so fürchterliches Wort ist, daß es schon allein beim Darandenken die Menschen erzittern läßt. Die Überlieferung sagt, daß kein Mensch, gesund oder wahnsinnig, in den letzten hundert Jahren das Wort ›M'sa‹ ausgesprochen habe. Und als Busubu, der kleine Ochorihäuptling, aufstand und beim Dorffeuer das große Gedicht mit einer fürchterlichen Stimme vortrug, saßen seine Leute zuerst starr vor Schrecken bei dieser Gotteslästerung und deren fürchterlicher Bedeutung. Dann stoben sie auseinander und flohen, sich die Ohren zuhaltend, in ihre Hütten. In der Nacht, als Busubu schlief, kamen seine beiden Söhne und sein Bruder in seine Hütte und weckten ihn sanft. Er stand auf und ging mit ihnen in den Urwald. Sie marschierten die ganze Nacht, bis sie an einen großen Sumpf kamen, wo die Krokodile ihre Eier legten. Die Wasser des Teiches kräuselten und drehten sich unaufhörlich im grauen Licht der Dämmerung. Sie rasteten am Ufer eines kleinen Sees, und der Bruder sprach. »Busubu! Du hast den schrecklichen Dämon auf unser Volk -12-
gehetzt, der uns alle zu Sklaven machen wird. Wir wissen das, denn unser Vater hat uns das gesagt. Dieser Dämon ist mit seinem Bein an den Grund dieses Sumpfes gefesselt und wartet darauf, bis er das Wort ›M'sa‹ hört. Denn dann soll er frei sein. Nun meine ich, Busubu, mußt du zu diesem Geist sprechen.« »O Mann und Bruder!« wimmerte Busubu, der Häuptling. »Ich würde die fürchterlichen Worte nicht ausgesprochen haben, wenn ihr mir nicht gesagt hättet, es sei der Befehl Sandis, ich solle es tun. Denn, kamt ihr nicht heimlich in meine Hütte, und sagtet ihr mir nicht, Sandi hätte den Geist getötet, damit alle Männer das Wort ›M'sa‹ ohne Furcht aussprechen könnten?« »Du bist wahnsinnig und ein Lügner!« sagte M'gula ruhig. »Laßt uns ein Ende machen!« Und da sie sein Blut nicht an ihren Händen haben wollten, fesselten sie ihn an einen Baum, nahe der Stelle, wo sich das Wasser am häufigsten kräuselte, blendeten ihn und verließen ihn. Sie warteten eine Weile in Hörweite des Ortes, und als sie am Nachmittag gewisse Schmerzenslaute vernahmen, wußten sie, daß ihr Werk vollbracht sei, und kehrten in ihr Dorf zurück. »Nun, ihr Söhne Busubus«, sagte der Onkel der jungen Männer, »wenn diese Angelegenheit zu Sandis Ohren kommt, werden seine Soldaten kommen, und wir werden baumeln. Laßt uns morgen ein ordentliches Palaver aller Dorfeinwohner und aller jener, die im Urwald wohnen, zusammenrufen und laßt uns ihnen sagen, daß Busubu wahnsinnig gewesen, in den Fluß gefallen und ertrunken sei.« »Und daß eine der Schrecklichen ihn an den Beinen erwischt habe«, sprang sein Neffe hilfreich ein. »Und, M'gula, ich will meines Vaters Stelle einnehmen und Recht sprechen. Wenn Sandi kommt und mich klug reden hört, wird er sagen: ›Dieser Sohn Busubus ist mein Häuptling‹.« Sein Vorschlag erweckte keine Begeisterung. «Ich will an meines Bruders Stelle sitzen, denn ich bin ein alter Mann, und alte -13-
Leute sind weise. Und wenn Sandi kommt, will ich für euch beide sprechen«, fügte Busubus Bruder M'gula hinzu. Und so wurde es vereinbart. M'gula saß auf dem Staatssessel in dem strohgedeckten Palaverhaus und gab sein Urteil ab und hielt Reden. Eines Tages lud er seine beiden Neffen zu einem großen Mahl von Fisch und Maniok (kartoffelähnlich schmeckende lange Knolle). Nach dem Mahl erkrankten beide Neffen. Sie wurden am nächsten Morgen in der Mitte des Flusses begraben, und M'gula nahm ihre Weiber in sein Haus. Bosambo, oberster Häuptling der Ochori, hörte Gerüchte und schickte einen Monat oder etwas später eine Brieftaube an Sanders. »M'gula? Wer zum Teufel ist M'gula?« fragte Hamilton. Sie waren gerade beim Frühstück in dem großen, luftigen Eßzimmer des Stationshauses. Sanders hatte die an diesem Morgen angekommene Brieftaubenpost laut vorgelesen. »Mein lieber alter Ham«, versetzte Bones, der diesem gegenüber saß, »mein lieber Hauptmann und Ehrwürden! Wollen Sie damit sagen, Sie kennen M'gula nicht?« Leutnant Tibbetts saß, die erhobene Kaffeetasse in der Hand, und hatte einen Ausdruck von Ungläubigkeit und Verwunderung im rosigen Gesicht. »Ich wünschte beim Himmel, Bones, Sie würden nicht immer mit vollem Mund sprechen. Wurden Ihnen als Junge denn gar keine Manieren gelehrt?« Bones verschluckte irgend etwas sehr schnell und mühsam. »Sie haben mich eben einen Pflaumenkern verschlucken lassen, Sie alter grausamer Präfekt«, sagte er vorwurfsvoll. »Ich behaupte nicht, jeden netten alten eingeborenen Schwarzen von Angesicht zu kennen. Aber M'gula kenne ich... Er ist so ein Fischerkerl, noch ein ganz junger Bengel... Isisifluß. Habe ich recht, Exzellenz?« -14-
Sanders schüttelte den Kopf. »Sie sind im Irrtum. Er gehört zu den Nord-Ochori.« »Wenn ich sagte Isisi«, fuhr Bones ohne jede Scham fort, »meinte ich natürlich die Ochori. Ich kenne seinen Vater. Hübscher, netter, liebenswürdiger alter Schuft.« »Ich hängte seinen Vater vor zehn Jahren«, entgegnete der geduldige Sanders. »Und mir scheint, das Gehängtwerden ist in der Familie erblich.« »Es scheint so«, murmelte Bones, noch immer nicht eingeschüchtert. »Nun, da Sie ihn erwähnen, entsinne ich mich seiner. M'gula, natürlich. Lieber alter Ham, ich bin wirklich überrascht, daß Sie einen Kerl wie M'gula vergessen können.« »Was hat er denn ausgefressen?« fragte Hamilton. »Gift - das ist sicher. Wahrscheinlich verblümter Mord, obwohl ich denke, daß das schwer nachweisbar sein wird. Busubu, der kleine Häuptling der Gegend, ist verschwunden. Ich glaube, er war etwas verrückt. Das letztemal, als ich durch die Gegend kam, entwickelte sich bei ihm die Schlafkrankheit. Die typischen Nackendrüsen. Nur glaubte ich, es würde länger dauern, ehe das Wahnsinnsstadium erreicht sein würde.« Sanders klopfte mit seinen Fingerspitzen auf seine weißen Zähne. Das war immer ein Zeichen der Unruhe bei ihm. »Ich habe halb und halb Lust, Sie in den Busch zu senden, Bones. Sie können den ›Wiggle‹ nehmen und unterwegs bei Bosambo anlaufen.« »Sicher ist es eine ziemlich einfache Sache, M'gula zu stellen«, bemerkte Hamilton. »Es ist nichts Ungewö hnliches. Ein Häuptling verschwindet auf geheimnisvolle Weise, ein Verwandter springt auf den frei gewordenen Platz...« Sanders schüttelte den Kopf. »Dieses Verbrechen weist einen merkwürdigen Zug auf - wenn es ein Verbrechen ist. Es findet sich keiner, der Angaben darüber machen kann oder machen -15-
will. Gewöhnlich, sogar in einem kleinen Dorf, kann man ein Dutzend Gerüchte hören, die ineinandergreifen. Bosambo sagt, daß M'gula vor zwei Monaten eine Reise hierher, nach der Station, gemacht habe. Ich kann mich aber seines Hierseins nicht entsinnen.« Irgend etwas in Bones' Gesicht lenkte die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten auf sich. »Bones! Sie haben ihn gesehen?« »Ob ich ihn gesehen habe, lieber alter Ham? Der Herr segne mich, wenn ich mich darauf besinnen kann. Wenn man die ganze Nacht mit Ihren netten alten Hennen...« »Sie haben ihn gesehen, und ich wette, Ihre verdammte Leidenschaft, die unglücklichen Eingeborenen erziehen zu wollen, ist dafür verantwortlich. Welchen Zweig der Wissenschaft haben Sie durchgenommen?« Bones stand vom Tisch auf. »Jedesmal, wenn ein ungezogener alter Häuptling verschwindet, legen Sie das mir zur Last, Sir«, meinte Bones bitter, »und jedesmal wenn...« Plötzlich hielt er inne, sein Ton wechselte. »Was sagten Sie eben, Exzellenz? Sie wollten mich hinaufschicken, um dort herumzuspüren? Ich will mich nicht selber loben, aber ich habe eine gute Witterung für die Sorte Arbeit. Dinge, die Sie gar nicht bemerken würden, lieber alter fledermäusiger Vorgesetzter, nagle ich in 'ner Minute fest. Sie kennen mich, Exzellenzchen... Wer fand Ihren Zigarettenhalter, als Sie ihn verloren hatten?« »Ich«, erwiderte Hamilton. »Aber wer hat Sie auf die Spur gebracht, lieber alter Ham? Wer hat Ihnen gesagt: ›Haben Sie schon in Ihrer Tasche nachgesehen?‹ Ich. - Ich wette, ich bringe dieses Geheimnis an den Tag, ehe Sie zweimal die Augen auf- und zumachen. Beobachtungsgabe macht's! Ein ganz wenig Zigarrenasche, ein zerrissener Brief, Dinge, die einem gewöhnlichen Sterblichen -16-
gar nicht in den Sinn kommen...« »Ich fürchte, Sie werden weder Zigarettenasche noch Brief im Ochoriland finden«, versetzte Sanders trocken. »Aber ich habe die Empfindung, daß man dieser Sache nachgehen muß. Nehmen Sie den ›Wiggle‹ und fahren Sie zu dem Dorf! Sie könnten Bosambo auf Ihrem Weg dorthin mitnehmen. Überlassen Sie es ihm, einen neuen Häuptling zu ernennen! Und seien Sie vorsichtig! Diese Völker im Norden sind eigentümlich und hängen aneinander wie Kletten. Sogar Bosambo ist ihrer nie ganz Herr geworden. Vielleicht haben Sie Erfolg.« Bones lächelte bei dem Wort ›vielleicht‹. Bosambo, Oberhäuptling der Ochori, hielt ein Palaver mit allen seinen fünfzig Häuptlingen, denn das Land war unruhig. Ganz unerwartet hatte es eine Mißernte gegeben; eine geheimnisvolle und verheerende Seuche war unter den Ziegen aufgetreten, und drei ansehnliche Stämme hatten den Tribut verweigert und eine trotzige Botschaft an ihren Oberherrn gesandt. Es ging ein Gerücht, daß diese drei sich zu einem Bündnis zusammengetan hätten, und das konnte nur Krieg bedeuten. Außerdem, ein Steuereintreiber war zu Tode geprügelt und ein anderer, wie Bosambo vermutete, ertränkt worden. Bosambo, der seinen Mantel von Affenschwänzen trug und seine drei kurzen Schlachtspeere bei sich hatte, hörte Stunde auf Stunde zu, als Sprecher auf Sprecher aufstand und ihn anredete. Als letzter Sprecher redete M'febi, ein Häuptling, der im Verdacht stand, ein großer Zauberdoktor zu sein. Den ganzen Tag hatte Bosambo auf das Auftreten dieses Mannes, des mächtigsten seiner Untertanen und ihm am feindlichsten gesinnten, gewartet. »Gebieter Bosambo, du hast gehört«, begann M'febi inmitten einer Totenstille, »Seuchen herrschen im ganzen Land, und keiner, der sich nachts niederlegt, weiß, was die Sonne des nächsten Tages beleuchten wird. Ich, als weiser Mann, der die Geheimnisse kennt, kenne die Veranlassung hierfür, und ich will -17-
sie dir nennen: Das fürchterliche Wort ist gesprochen worden, und der Dämon der Stillen Wasser ist los und geht um.« Ein angstvolles Murmeln lief durch die Versammlung. Die Männer rieben ihre Finger im Staub und beschmierten in Eile ihre Arme damit. »Darum«, fuhr M'febi, erfreut durch die Sensation, die er erregt hatte, fort, »verfault unsere Ernte. Aus diesem Grund legen sich unsere Ziegen hin und sterben, indem sie Geräusche mit ihren Kehlen machen. Und nun, Bosambo, sollst du, der du der Liebling Sandis und so ausnehmend klug bist, unser Getreide wieder aufstehen lassen und unsere Ziegen wieder munter machen.« Bosambo erhob seine Hand. »M'febi, bin ich ein Zauberer? Kann ich die Toten wieder lebendig machen? Antworte!« M'febi zögerte. Er witterte Gefahr. »Nein, Gebieter, das kannst du nicht.« »Gut, daß du das zugibst«, bemerkte Bosambo unheilvoll. »Denn, wenn ich ein solcher Zauberer wäre, würde ich dich dort, wo du stehst, gespeert haben. Und das mit dem furchtbaren Wort, das ist deine Erfindung. Und ich sage dir, M'febi, ich verfahre sehr schnell mit Männern und Häuptlingen, die mir Geister bringen, wenn ich Gummi von ihnen fordere. Die machen dann auch Geräusche mit ihren Kehlen und schlafen auf ihren Gesichtern. Ich will meinen Tribut haben! Denn das kommt mir zu, mir und Sandi und dessen König! Und was diese Leute aus dem Norden anlangt, die sich wider mich verschwören, so werde ich ihnen Feuer und Speere bringen. Und sie sollen Blut zahlen anstatt Tribut! Das Palaver ist aus!« An diesem Tag noch musterte Bosambo seine Kriegerscharen: junge Männer, die über Geister spotteten und M'shimba M'shamba selber ins Gesicht lachten. Und sie kamen auf den Ruf seines Lokolis: in Haufen von zehn und wieder zehn, von jedem Dorf, zu dem der Ton seiner Trommel reichte. Und sie -18-
führten auf der Ebene, die jenseits der Stadt lag, ihre Kriegstänze auf. Als Bones ankam, fand er die Stadt als ein einziges bewaffnetes Feldlager vor. Bosambo, der ihn am Ufer empfing, hielt es für klug, ihm nichts von der Unruhe in seinem Land zu sagen. Aber als Bones andeutete, daß der Häuptling ihn nach dem nördlichen Gebiet begleiten solle, wurde dieser sehr niedergeschlagen und fand es ziemlich schwierig, seine Unlust darüber zu erklären. »Gebieter Tibbetti, ich würde für Sandi bis ans Ende der Welt gehen, aber für dich sogar bis in die Hölle. Nur ist es gerade jetzt eine schlimme Zeit. Denn ich habe viele Palaver abzuhalten, und es ist der Monat der Steuereintreibung. Darum, Tibbetti, geh du allein, und ich werde dir folgen, noch ehe es Vollmond ist.« Das war ein Plan, der dem Amateurdetektiv paßte. Denn er wollte den Ruhm für die Entdeckungen, die er zu machen sich zutraute, für sich allein in Anspruch nehmen. »Dieser Busubu war wahnsinnig«, sagte Bosambo beim Abschied. »Was diesen M'gula anbelangt, so weiß ich nichts über ihn, weil er ein gewöhnlicher Mann ohne Rang ist. Ich meine, wenn du seine Füße ein wenig ansengtest, würde er schon gestehen, Tibbetti. Denn die Fußsohlen alter Männer sind sehr empfindlich.« Aber Bones wußte einen besseren Weg. Am Morgen des Tages, an dem Bones dort im Dorf ankam, hielt M'gula eine geheime Konferenz mit den Häuptlingen der drei aufsässigen Stämme, deren Landschaften an die seinige grenzten. »Meine Späher brachten mir Nachricht, daß Tibbetti mit Soldaten in seinem kleinen Schiff auf dem Weg hierher ist, um zu erfahren, auf welche Weise Busubu starb. Nun ist Tibbetti mein Freund, denn er hat mir den Weg zur Macht gezeigt. Und -19-
weil er mein Freund ist, darum werde ich ihn zu euch senden, damit er mit euch ein Palaver hält.« »Aber wenn er kommt, wird er seine Soldaten mitbringen, und dann würde es ein schlimmes Palaver werden«, antwortete bedenklich einer der Rebellenhäuptlinge. »Wie können wir wissen, ob du nicht Böses über uns zu Tibbetti, dem Sohn Sandis, sprichst? Denn es ist klar, daß du für dein Dorf zu groß geworden bist. Und man sagt, daß du nach der Herrschaft über die drei nördlichen Stämme strebst, wie es Gubula tat.« Gubula war ein Häuptling im grauen Altertum gewesen, der schon achthundert Jahre tot war. Aber achthundert Jahre sind beim Eingeborenen ›gestern‹, und ›gestern‹ heißt für sie ›vor Jahrhunderten‹. M'gula war bestürzt über die unverblümte Bloßstellung seiner geheimsten Gedanken und Bestrebungen. »Sobald Tibbetti wieder fort ist, wollen wir weiterreden«, sagte er. »Und nun kommt in mein Haus! Wir wollen ein Mahl halten!« »Besser, du kommst in mein feines Haus, M'gula, und wir halten dort ein Mahl«, versetzte der Sprecher der Nordstämme. »Denn ich möchte kein Bauchweh haben und auch nicht auf der Insel im Strom begraben werden.« Der Tod der Neffen M'gulas schien nicht unbemerkt geblieben zusein. Jedenfalls beschwichtigte M'gula die Leute, schickte sie mit gefestigtem Vertrauen in seine Aufrichtigkeit zurück und bereitete sich auf die Ankunft Bones' vor. Leutnant Tibbetts war kaum länger als eine halbe Stunde im Dorf, als er auch schon, eine lange Pfeife im Mund und einen wütenden Ausdruck im Gesicht, seine Nachfo rschungen begann. Willige, aber verlogene Männer und Weiber zeigten ihm genau die Stelle am Ufer, auf der Busubu gestanden hatte, als der Alligator ihn packte. Zur Bestätigung ihrer Angaben wiesen sie auf die angeschuldigte Echse, die sich in diesem Augenb lick -20-
mit offenem Rachen auf einer niedrigen Sandbank in der Mitte des Stromes sonnte. Bones empfand ein augenblickliches Verlangen, den Alligator zu erschießen und eine gründliche Untersuchung von dessen Innerem vorzunehmen. Aber er besann sich, daß es doch schon zu lange her sei, als daß das dort Aufgefundene noch von irgendwelchem Wert sein könnte. Mit Hilfe eines Bandmaßes und eines Bleistiftes machte er einen genauen Situationsplan, der die Entfernung von Busubus Haus zum Fluß aufwies. Darauf befragte er die Weiber des verstorbenen Busubu; störrische, dumme Frauenzimmer, die gänzlich von ihren häuslichen Beschäftigungen in Anspruch genommen waren. Diese konnten ihm nichts mitteilen, als daß Busubu seine Hütte verlassen habe und nicht zurückgekehrt sei. Die Veranlassung zu seinem Gang hatten sie, weil ihnen das bequemer schien, vergessen. Sie wußten nur, daß er nicht zurückkehrte und sie danach in das Haus M'gulas gegangen waren. »Sehr verwirrend«, meinte Bones, indem er ernst den Kopf schüttelte. Nachts schlief er auf dem kleinen Dampfer, der nahe am Ufer festgemacht war. Seine Tage waren mit den Bemühungen, die Sache aufzuklären, ausgefüllt, seine Abende mit Erweiterung seiner Kenntnisse. Wenn er nur M'gula dafür interessieren könnte! M'gula würde ihm sicher viel Fesselndes mitteilen können! Bones hatte eine Leidenschaft für die Sagen der Eingeborenen und lernte neue Geschichten von Schlangen und eine nagelneue Legende über M'shimba M'shamba und ein geheimnisvolles Gedicht kennen. »Herr, dieses Gedicht ist das größte Geheimnis meines Stammes«, berichtete ihm M'gula mit gedämpfter Stimme. »Denn jeder Mann, der dieses Gedicht weiß, hat Macht über alle in der Welt. Und wenn meine Leute eine Ahnung davon hätten, daß ich dich das Gedicht gelehrt habe, würde mein Volk mich sicher töten. Wenn ein weißer Gebieter dieses Wunder -21-
ausspricht, werden alle Menschen ihn anbeten. Und ich habe dich dieses gelehrt, weil ich dich liebe, Tibbetti. Nun wiederhole mir die Worte: ›Talaka in'sich lulanga...‹« Auf diese Weise lernte Bones es auswendig. Eine ganze Woche lang hatte er seine Nachforschungen angestellt, ohne etwas mehr zu entdecken, als er schon bei seiner Ankunft wußte. Am siebenten Tag kam eine Einladung aus Lusingi. »Gebieter, die Leute hier sind aufsässig gegen Bosambo, der sie grausam behandelt hat. Ich glaube, es würde Sandi gefallen, wenn du zu ihnen in deiner netten Art sprächest. Denn sie sind ein sehr einfaches Volk. Auch wenn du das Gedicht vortrügst, das ich dich gelehrt habe, würden sie dich sehr verehren und dir den Tribut zahlen, den sie Bosambo verweigert haben.« Das war eine Gelegenheit, auf die Bones gerade gewartet hatte. Jetzt handelte es sich darum, ob er zurückfahren und sein Versagen als Detektiv eingestehen sollte oder ob er die Befriedung eines aufsässigen Stammes erreichte. Sanders würde das letztere sogar mehr schätzen als die Aufklärung des Geheimnisses um Busubus Tod. Die Stadt Lusingi lag fünf englische Meilen vom Fluß entfernt, und Bones marschierte munter und ohne Gefolge dorthin. M'gula begleitete ihn bis an das Ende der Dorfstraße und ging dann mit seinen Ratgebern zurück. »Ich glaube, das Lusingivolk wird Tibbetti töten«, sagte er gut aufgelegt. »Dann werde ich Nachricht an Sanders schicken, und er wird begreifen, daß ich sein guter Freund bin, und wird mir die vier Stämme unterstellen. Auf diese Weise wird ein Mann groß, Osuru, genau wie der Gebieter Tibbetti das prophezeit hat.« Der arglose Bones gelangte in die Stadt, in der der Häuptling ihn empfing und nach dem Palaverhaus begleitete. Als Bones auf die Menge unfreundlicher Gesichter niedersah, die sich ihm zuwandten, schmunzelte er innerlich. -22-
Er kannte ihre Drangsale. Der Häuptling, der nicht wußte, welche militärischen Kräfte Tibbetts folgten, war beunruhigt und hatte ihm alles Mißgeschick kurz aufgezählt: Ein Teufel treibe im Land sein Unwesen, die Ziegen krepierten; und um das Unglück voll zu machen, habe Bosambo nach seinem Tribut gesandt - die alte bekannte Klage. »O Leute, ich sehe euch«, begrüßte Bones sie. Er sprach geläufig in dem weichen und seidigen Dialekt der Nord-Ochori, der sich wenig vom Bomongodialekt unterscheidet, der von einem Ende des Flusses bis zum anderen gesprochen wird. »Sandi hat mich hergesandt, um in eure Herzen zu sehen...« Seine Ansprache beschäftigte sich ha uptsächlich mit Wirtschaftsfragen der Eingeborenen. Und darin sprach Bones als Sachverständiger, denn er hatte sich gründlich mit den Aufgaben befaßt, denen diese Buschfarmer gegenüberstanden. Augenblicklich kam er zu seiner Schlußrede. »O Leute, hört mich! Ich spreche an Stelle Sandis und der Regierung! Wenn die Ernte gut ist und wenn ihr viele Ziegen habt, und wenn die kleinen Bäume im Wald euch viel Gummi geben, legt ihr euch dann nicht einen Vorrat von Korn und Gummi an? So daß ihr, wenn schlimme Zeiten kommen, weder hungern noch mit leeren Händen zu eurem Oberhäuptling zu kommen braucht? Nun sind solche Tage gekommen! Nun müssen eure Vorratskammern geöffnet und das, was vergraben ist, muß ausgegraben werden. Das ist nun einmal so in der ganzen Welt, daß schlimme Tage und gute Tage einander folgen.« Seine Zuhörerschaft starrte ihn regungslos an. Der geizige Charakter der Nord-Ochori ist berüchtigt. »Und nun werde ich euch ein Gedicht von großer Gewalt und großem Zauber vortragen«, fuhr Bones fort und feuchtete seine Lippen im Vorgeschmack. »Hört alle zu, ihr Leute...!« -23-
Grabesstille senkte sich auf seine Zuhörerschaft. Bones schloß seine Augen und begann. Er amüsierte sich selber gründlichst dabei. Er hörte das Rauschen einer Bewegung und zog einen ganz falschen Schluß über deren Ursache. Als er seine Augen öffnete, befand er sich allein. Der kleine Hügel, der dicht mit Stadtvolk übersät gewesen war, war verlassen. Männer und Weiber flüchteten in den Schutz ihrer eigenen Häuser, damit ihre Ohren nicht vom Klang des fürchterlichen Wortes entsetzt würden. »Großer Gott!« schnappte Bones und sah sich im Kreise um. Der Häuptling und seine Ratgeber waren bereits verschwunden, er selbst war gänzlich allein. In wenigen Augenblicken war kein menschliches Wesen mehr in Sicht. Bones' Nackenhaare begannen sich aufzurichten. Er witterte die Gefahr sofort. Er zog seinen langläufigen Browning aus dem an seiner Seite hängenden Futteral, fühlte nach dem Rahmen mit den Reservepatronen und schob, indem er die Sicherung zurückzog, eine Patrone in die Kammer. Dann stieg er langsam den Hügel herunter. Sein Rückweg zum Fluß führte durch die endlose Hauptstraße der Stadt. Er hielt sich in der Straßenmitte und schritt ohne Hast. Wilde Augen folgten ihm aus dem Dunkel der Hütten. Und doch gab es keine Bewegung. Als er sich umwandte, gewahrte er einen Kopf, der sich aus einer offenen Tür schob, aber er wurde fast augenblicklich zurückgenommen. Er wußte, daß ihm nichts geschehen würde, solange er sich in der Stadt selbst befand. Die Gefahr lag für ihn in dem dichten Gehölz außerhalb. Er hielt seine Hände hoch und maß die Entfernung der Sonne vom Horizont. Er hatte noch dreiviertel Stunden bis Sonnenuntergang, und er war fünf und eine halbe Meile von seinem Dampfer entfernt. »Das Gedicht hat schuld«, dachte er und brachte auf irgendwelche Weise das Gedicht in Verbindung mit dem -24-
Verschwinden Busubus. Als er das Ende des Ortes erreicht hatte, ging er schnell durch das üppige Gras, das ihn vom Waldpfad trennte. Wisss! Ein Speer flog an ihm vorbei, grub sich zitternd in einen Baum. Bones wirbelte herum, mit schußbereitem Revolver. Niemand zu sehen. Dann fing er zu laufen an. Sofort begannen Speere um ihn herum zu schwirren. Er stellte den Ort fest, woher der Angriff kam. Aus dem hohen Gras zu seiner Linken. Er zielte, feuerte zweimal. Eine dunkle Gestalt sprang auf und fiel wieder hin. Jetzt rannte Bones wirklich. Der Pfad drehte und wand sich, keine zwölf Yards verlief er gerade. Und solange Bones nur vor seinen Verfolgern bleiben konnte, war er sicher, denn das Gehölz an beiden Seiten war zu undurchdringlich für Speere. Schnell trabte er los, aber der Laut trabender Füße hinter ihm kam näher und näher. Bones hielt inne und drehte sich um. Da hörten auch die hinter ihm zu laufen auf. Bones konnte es sich nicht gestatten, zu warten. Denn er wußte, daß die Männer, die ihn verfolgten, sich in diesem Augenblick im Wald von Stamm zu Stamm arbeiteten, um ihn zu überflügeln. Wieder lief er, und diesmal kamen seine Verfolger in Sicht. Ein Speer flog so nahe an ihm vorbei, daß er die Gamasche seines Beines streifte. Halb unbewußt wunderte er sich, warum sie ihn noch nicht getroffen hatten, denn die Ochori sind berühmte Speerwerfer. Erst später erfuhr er, daß der Sumpf ein lebendes Opfer haben wollte. Er drehte sich um und feuerte dreimal mitten in den Haufen seiner Verfolger; das hielt sie eine Sekunde auf. Dann, als er dachte, er hätte eine Krümmung des Weges erreicht, geriet ihm ein Speer zwischen die Beine. Er stolperte und fiel, und ehe er -25-
sich noch erheben konnte, waren sie auf ihm. In der Nähe stand die Sterbehütte eines Wahnsinnigen, eines jener Häuser, zu denen das Stadtvolk seine betagten Verwandten brachte, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten und eine Last ihres Gemeinwesens wurden. Hier starben sie, und die wilden Tiere trugen sie in ihr Lager. »Was ihr hier tut, Mann«, sagte Bones, als er wieder zu Atem kam, »ist eine schlimme Sache. Denn jetzt wird Sandi kommen, und dann, glaube ich, wird es ein großes Hängen geben.« Er sprach zum Häuptling von Lus ingi, der ihn vor weniger als einer Stunde bewillkommnet hatte. »Tibbetti, und wenn wir alle hängen, sterben mußt du! Denn du hast das fürchterliche Wort gesprochen, das den Sumpfdämon befreit hat. Und nun wird Unheil über unser Land kommen, und unsere Kinder werden von Seuchen befallen werden, und Feuer wird auf unsere Hütten fallen. Da wir uns fürchten, werden wir dich zu dem Geistersumpf nehmen. Wir werden dich etwas blenden, und danach werden dich die Schrecklichen holen. Darum schlafe, Tibbetti, denn bei Mondaufgang müssen wir gehen!« Sie hatten ihm die Waffen abgenommen, aber sie hatten ihn nicht gefesselt, und Bones setzte sich auf den Boden der Hütte nieder, den Kopf in die Hände gestützt, und erwog die Möglichkeiten einer Flucht. Deren waren wenige, denn es schien, als ob jeder waffenfähige Mann die Stadt verlassen habe, um ihn zu fangen. Von dem Platz, auf dem er saß, konnte er wahrnehmen, daß das Gehölz von Menschenschwärmen bevölkert war. Die Aussicht war nicht ermunternd. In diesem Augenblick sah er den Häuptling in die Hütte treten und rief ihn an. »Sage mir, hat Busubu das fürchterliche Wort ausgesprochen?« -26-
Der Häuptling nickte zur Bejahung mit dem Kopf. »Und auf diese Weise starb er? An dem Teich beim Sumpf?« »Gebieter, so starb er!« gab der andere zu. »Gelöstes Geheimnis!« meinte Bones mit melancholischer Genugtuung. Er war an diesem Morgen zeitig aufgestanden und hatte einen ermüdenden Tag hinter sich. Die Ermahnung des Häuptlings, zu schlafen, wirkte suggestiv. Bones war gesund und jung und lebte für den Augenblick. Er hatte sich kaum lang auf den Fußboden ausgestreckt, als er auch schon einschlief. Als Bones aufwachte, war es heller Tag, und er setzte sich schnell auf. Durch die Türöffnung konnte er niemanden gewahr werden. Etwas, das von einem dünnen Dachsparren herunterhing, fesselte seine Aufmerksamkeit. Er hielt den Atem an. Es waren sein Ledergurt und sein Browning. »Ich träume«, murmelte Bones. Blinzelnd trat er ans Tageslicht. Am Rand des Waldweges standen zwei Bäume. Ein Mann saß da, der Bones den Rücken zuwandte und aufmerksam auf zwei elende Gestalten starrte, die sehr fest an die Stämme gebunden waren. »Bosambo!« rief Bones scharf. Der Wächter stand auf. »Herr, ich kam in der Nacht herauf. Ich und meine jungen Männer. Und M'gula zeigte mir den Weg, den du eingeschlagen hattest, und erzählte mir von dem fürchterlichen Wort, das er dich veranlaßt hatte auszusprechen.« »Er sagte dir...?« Bosambo vermied es, Bones anzusehen. »Lord Tibbetti, du besitzest die Klugheit der Schlangen. Folgend es hat man mir im Dorf erzählt: Du hast viele Dinge mit deinem feinen Band gemessen und hast viele Dinge durch das -27-
Glas, das kleine Dinge zu großen Dingen verwandelt, angesehen.« Bones errötete. »Auch hast du dir viele Blätter und Kochtöpfe angesehen und hast im Sand gegraben. Und hast durch andere listige Methoden versucht herauszufinden, welchen Weg Busubu gegangen ist. Alles das ist sehr wundervoll. Aber ich bin nur ein einfacher Mann. Ich habe M'gula ein wenig geröstet, und die Fußsohlen alter Leute sind sehr empfindlich... und da hat er gesprochen.« »Ich wußte die ganze Zeit, daß M'gula es war«, sagte Bones zu der bewundernden Zuhörerschaft. »In erster Linie war da ein Flecken von schwarzem Schlamm, am Fuß seines Bettes. Das bewies mir zwei Sachen - und hier ist es, wo die nette alte Kunst, Folgerungen zu ziehen, in Betracht kommt - er bewies mir, daß er von einer langen Wanderung kam - und - und...« »Daß er im Schlamm gestanden hatte«, äußerte Hamilton hilfsbereit. »Richtig!« sagte triumphierend Bones. »Woher kam der Schlamm?« »Vom Schlamm natürlich«, deutete Hamilton an. Ungeduldig schnappte Bones seine Lippen mit einem scharfen kurzen Laut zusammen. »Lieber alter Offizier. Lassen Sie mich den Hergang erzählen, bitte - das heißt, wenn Sie ihn hören wollen!« »Ich fürchte, man ist Ihnen zuvorgekommen, Bones Bosambo hat mir zwei sehr lange und sehr eingehende Berichte geschickt«, lächelte Sanders. »Und nach seiner Darstellung bekannte M'gula unter Anwendung einer sehr primitiven Art von Folter.« Nur für einen Augenblick gab sich Bones geschlagen. »Aber wer hat sein nettes altes Gewissen in Bewegung gesetzt?« fragte er triumphierend. -28-
Der Gesundheitsinspektor Für den Gebrauch von Mr. Augustus Tibbetts, Leutnant im Haussaregiment, von allen ›Bones‹ genannt, war einmal eine Hütte errichtet worden. Es war eine geräumige Hütte und in vieler Beziehung eine hübsche Hütte; sie würde neunhundertneunundneunzig jungen Offizieren von tausend gepaßt haben. Es befand sich sogar eine Dusche darin, die von einem in der Luft schwebenden Fäßchen aus in Tätigkeit gesetzt wurde. Aber die Interessen Tibbetts' waren sehr vielseitig. Seiner Steckenpferde waren viele. Sie kamen und gingen und hinterließen im Vorübergehen auf den Regalen, in den Schränken und unter Tisch und Bett deutliche Beweise ihres Vorhandenseins. Wie der Wissenschaftler durch Prüfung der geologischen Schichten die Geschichte der Erde verfolgen mag, so hätte ein Sachverständiger, der in Bones' häusliche Unordnung untergetaucht wäre, ihm anhand der Schichten abgelegten Krams seine jeweiligen Beschäftigungen der vergangenen Monate nachweisen können. Eine andere Hütte war hinzugekommen, um seine Sammlung zu beherbergen, und auf ihren von den Eingeborenen hergestellten Regalen ruhten alte Radioapparate, die nicht mehr funktionierten, ganze Bände für den Selbstunterricht, Haufen von Drucksachen, Tausende von Mustern, vom Linoleum bis zu Eßwaren, Kästen mit wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Instrumenten, unter anderem ein schriftlicher Kursus über den Bau von Gebirgsbahnen, obwohl es keine näheren Berge gab als die von Sierra Leone. »Welch ein höllischer Alteisenladen!« bemerkte Hamilton bestürzt. Hamilton war herübergekommen, um einige bissige Bemerkungen wegen des Schlüssels zum Warenlager zu machen; der war, wie gewöhnlich, wenn Bones ihn in -29-
Verwahrung hatte, während der ganzen Nacht in der Tür steckengeblieben. Eine Verlockung für Hamiltons Haussa, die zwar treu, aber unehrlich waren. »Ja, in Ihren unwissenschaftlich geschulten Augen, mein lieber Hauptmann und Kamerad! Nicht in meinen scharf geschliffenen alten Sehlöchern«, antwortete Bones ruhig auf des Hauptmanns letzte Bemerkung. »Alles hat hier seinen Wert, seine Raison d'etre. - Das ist ein französischer Ausdruck, lieber Ham, der Ihnen wahrscheinlich spanisch vorkommt, und heißt, seine Notwendigkeit.« »Was ist denn das?« fragte Hamilton, indem er einen sonderbar aussehenden Gegenstand aufhob. »Das«, antwortete Bones, ohne zu zögern, »ist ein Instrument, das bei der drahtlosen Telegrafie gebraucht wird. Es würde zu lange Zeit in Anspruch nehmen, Ihnen das zu erklären, Ham. Solange Sie keine wissenschaftliche Grundlage haben, lieber Ignoramus, würde jede Erklärung für Sie unentzifferbar sein...« »Unverständlich, sollten Sie sagen!« entgegnete Hamilton und las mühsam das Wort, das auf der Stahlseite des Instrumentes gestempelt war. »Robinsons Patent-Sicherheits-RasiermesserStreichrie men.« »Ich wünschte beim Himmel, Sie würden nicht alles durcheinanderbringen«, antwortete Bones verdrossen, indem er sein Monokel einklemmte und auf den unschuldigen Streichriemen starrte. »Um die Wahrheit zu sagen, Bones«, bemerkte Hamilton, als sie heraustraten und er mit beleidigender Auffälligkeit in langen Zügen Atem holte, »Sie sollten den ganzen Unrat verbrennen. Sie werden hier eine Seuche züchten.« Bones schloß seine Augen und hob die Brauen. »Im Gegenteil, ich bekämpfe Seuchen, lieber alter Laie«, entgegnete er würdevoll. Er ging zur Hütte zurück und kam mit einem großen hölzernen Kasten wieder. Er öffnete den Deckel und -30-
enthüllte eine Anzahl langer, schmaler, hölzerner Hülsen, die zwischen Watteschichten lagen. »Gütiger Gott! Sie sollen das machen?!« platzte Hamilton heraus. Bones nickte, noch um einen Grad würdevoller. »Wann ist das gekommen? - Sanders hat mir nichts darüber gesagt.« Der Schatten eines mitleidigen Lächelns huschte über Bones' eckiges Gesicht. »Es gibt Dinge, von denen unsere verehrte alte Exzellenz niemand Mitteilung macht«, sagte er leise. »Sie sind hinter unser Geheimnis gekommen, lieber Ham... Darf ich Sie bitten, als ein Mann von Ehre und Gefühl, lieber neugieriger Thomas, gegen niemand zu erwähnen, daß ich's Ihnen verraten habe? Ich vertraue Ihnen.« Hamilton ging zum Wohnhaus zurück und erwähnte seine Entdeckung trotz der Forderung, die Sache geheimzuhalten. Distriktsgouverneur Sanders sah von seiner Arbeit auf. »Impflymphe? Ja. Sie kam heute morgen, und ich habe sie rüber zu Bones geschickt. Möglich, daß wir sie nicht brauchen. Aber das Government hegt Befürchtungen, weil die Seuche im französischen Gebiet ausgebrochen ist. Vielleicht erweist es sich als notwendig, die Leute an der Grenze zu impfen. Am besten ist's, Bones besorgt das. - Einen Doktor können sie beim Government nicht entbehren.« »Gott segne den Jüngling!« sagte Hamilton, sichtlich erlöst. »Ich fürchtete schon, ich sollte das Karnickel sein.« Sanders kaute am Ende seines Federhalters. »Bones hat Phantasie. Und ich glaube, die wird er brauchen, wenn er den Stamm der Kleineren Isisi impfen soll.« »Um Lügen ist er sicher nie verlegen«, gab Hamilton zu. Die einzelnen Abteilungen bei der Verwaltungszentrale besitzen die Leidenschaft, jedem Mann, der, vorübergehend -31-
oder dauernd, eine Stelle unter ihrer Leitung bekleidet, ein Etikett anzuhängen. Es liegt auch ein gewisser Sinn in diesem Verfahren. Ein auf diese Weise charakterisierter Beamter kann von dem stumpfsinnigsten Schreiber in einer gewissen Rubrik untergebracht werden. Er kann ein besonderes Fach im Aktenschrank erhalten. Und durch die erhaltene Etikettierung können ihm Verantwortlichkeiten aufgebürdet werden, die mit seinem Aktenzeichen im Einklang stehen. Sanders erhielt ein Telegramm vom Government. - Der Telegraf hätte während eines Monats ununterbrochen funktioniert. Dank den Elefanten, die normalerweise die spielerische Gewohnheit hatten, Telegrafenpfähle umzureißen, die sich aber zur Zeit, um Junge zu werfen, ins Innere zurückgezogen hatten. Das Telegramm lautete: »Nr. 79174. Government. Betr. Ihre Drahtung Nr. 531 T. Lt. A. Tibbetts, Königshaussa, wird zum zeitweiligen Sanitätsoffizier und Gesundheitsinspektor Ihrer Gebiete ernannt, mit Zulage drei Shilling pro Tag, vom vierten dieses Monats bis auf weiteres. Hat zu registrieren und zu berichten unter Buchstaben S. O. und G. I. Bestätigt!« Sanders bestätigte den Empfang pflichtgemäß und teilte diese wichtige Neuigkeit seinem Untergebenen mit. Bones nahm die Nachricht würdevoll entgegen. »Natürlich, liebe alte Exzellenz, werde ich mein Bestes tun«, sagte er wichtig. »Die Verantwortlichkeit ist einfach fürchterlich.« Danach wurde das Leben dort, um Hamiltons eigene Worte zu gebrauchen, einfach zur Hölle. Unabänderlich kam Bones zum Morgenfrühstück zu spät, er roch stark nach Desinfektionsmitteln, sein Verhalten war herrschsüchtig, seine Sprache streng fachmännisch. »Guten Morgen, Exzellenz... Ham... Ham!« -32-
»Was zum Teufel ist los mit Ihnen?« fragte Ham erschrocken. »Haben Sie Ihre Hände gewaschen, lieber Offizier?« »Das ist Sonnenbrand, Sie Esel!« Bones schüttelte den Kopf. »Gebrauchen Sie eine schwache Karbollösung, lieber alter Aussätziger«, murmelte er. »Zu solchen Zeiten kann man nie vorsichtig genug sein.« Unabänderlich trug er einen Bogen weißes Papier bei sich, den er auf den Stuhlsitz legte, ehe er sich setzte. Und er bestand auf einer Tasse kochendheißem Wasser auf dem Tisch, damit er Messer und Gabel sterilisieren könne. Als Sanders eines Morgens zum Frühstück kam und das Eßzimmer dampfend von Karbol vorfand, streikte er. »Bones, ich würdige Ihre gewissenhaften Bemühungen im Interesse der Hygiene. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich lieber an einer Krankheit sterben, als diesen Gestank ertragen.« »Bazillen, liebe Exzellenz!« murmelte Bones. »Und das hier, das ist der Stoff, um Satan höchstselbst rot werden zu lassen.« »Ich ziehe es vor, wenn er blaß bleibt«, entgegnete Sanders und befahl seiner Ordonnanz, die Fenster zu öffnen. Noch verdrießlicher war der Brauch, den Bones einführte, den Schlafraum seines Vorgesetzten zu inspizieren. Hamilton fand ihn mit einem Bandmaß und einem Zug tiefsten Leids im Gesicht. »Ham, alter Schmierlapp, das geht auf keinen Fall«, sagte Bones, indem er seinen Kopf mißbilligend schüttelte. »Segne mein nettes altes Leben und meine Seele obendrein, Sie würden tot sein, wenn ich nicht hier hereingekommen wäre. Wie viele Kubikfüße haben Sie nach Ihrer Meinung?« »Ich habe zwei Füße«, antwortete Hamilton wütend, »und wenn Sie nicht sofort draußen sind, werde ich einen davon gebrauchen.« »Und was ist das alles?« Bones stocherte mit einem Stock in -33-
einem Haufen Anzügen herum. Röcke, Hüte... Werden Sie nicht verdrießlich, Ham. Wir Doktorsleute...« »Wir«, höhnte Hamilton. »Sie ungebildeter Wauwau! Raus!« Es ist quälend, in tägliche, ja stündliche Berührung mit einem Menschen zu kommen, der abwechselnd nach Naphthalin und Lysol riecht. Es konnte einen verrückt machen, wenn sich das Essen verzögerte, weil Bones in die Küche geraten war und die Kochvorrichtungen zum Teufel schickte. Aber den Höhepunkt seiner Boshaftigkeit erreichte er, als er einen neuen Filter erfand, der das Trinkwasser tief dunkelrot färbte und es nach Eisenfeilspänen schmecken ließ. »Können Sie nicht an den Gouverneur drahten und ihn zum Gemeinen degradieren lassen, Sir?« fragte Hamilton wütend, nachdem er Kristalle reiner Karbolsäure in seinem Rasiernapf gefunden hatte. »Ich werde zu Tode ›saniert‹!« Glücklicherweise stand eine Steuereintreibungsreise bevor. Sanders war nicht ärgerlich darüber. Bones ordnete natürlich die gründliche Durchräucherung der ›Zaire‹ an, und drei Tage lang, nachdem der kleine Dampfer seine Reise angetreten hatte, atmete die unglückliche Besatzung noch Schwefeldämpfe, trank Schwefelwasser und aß geschwefelten Reis. Bones kam runter zur Mole, ein sonderbar anzusehendes, furchteinflößendes Schauspiel: Ein dünner Schleier antiseptischer Gaze hing von den Rändern seines Tropenhelms herab. An seinen Händen trug er übelriechende Handschuhe. »Heil der Braut!« rief Hamilton bissig von der Kommandobrücke. »Wo haben Sie Ihre Orangenblüte, mein Vögelchen?« »Ich befehle Ihnen, sich von den Ochori fernzuhalten«, schrie Bones mit erstickter Stimme. »Dort grassieren die Masern! Trinken Sie nichts als Natronlösung...« Hamilton antwortete mit einer Beleidigung. -34-
Zwischen dem Sumpf der Schweigenden und den Kleineren Isisi erstreckt sich ein Stück Land, das weder Wald noch Sumpf ist und dennoch die Natur beider aufweist. Hier wachsen rauhe Bäume, die sogar die schmarotzerhafte Vegetation überleben, die in einer einzigen feuchten Nacht zu der Höhe eines großen Mannes aufschießt. Und hierher kommen ›die Schweigenden‹, um zwischen den Bäumen zu schlafen, in Sicherheit gewiegt durch die Sümpfe, die sie umgeben, und durch den Schutz der kleinen Vögel, die die Krokodile lieben und Wache bei ihnen halten, wenn sie schlafen. Von anderen Vögeln gibt es da nur wenige. Andere Tiere kommen nicht zum Wald an den Wassern, und der Spielplatz der Elefanten befindet sich auf dem festeren Ufer des Flusses. Dort haben sie Bäume gefällt und das Gelände flach gestampft, so daß sie spielen und Jagd aufeinander machen können. Und die Elefantenkälber fechten da bisweilen unter trompetendem Beifall und Schwingen der Rüssel. Viele faulende Hütten gibt es im Wald am Wasser. Denn die Isisi schicken ihre Alten, Erblindeten und Wahnsinnigen hierher, damit sie hier sterben können, ohne das Gemeinwesen und die Gesunden zu belästigen. Manchmal bringen diese sich gegenseitig um. Aber gewöhnlich kommt eine schuppenbekleidete Gestalt aus dem Schlamm hervorgekrochen, schleudert sie mit ihrem schnellen Schweif ins Wasser, und das ist das Ende. Distriktsgouverneur Sanders war wahnsinnig. Aber man konnte ihn nicht gut totschlagen wegen seiner Soldaten, seiner langnasigen ›Wurigwung‹, so nannten sie seine Revolverkanone, und der mit Bronzemantel bekleideten Maschinengewehre, die Taktaktak machten. Denn niemand als ein Wahnsinniger würde durch den widerlichen Schlamm dieses Waldes waten, in stinkende Hütten schielen und den Boden nach Anzeichen von Gerippen untersuchen. Alles, was die Krokodile übrigließen, gehörte von Rechts wegen den kleinen roten Ameisen. Und doch tat Sanders -35-
alles dieses. Er ließ sein schönes Fahrzeug langsamer gleiten und am Ufer anlegen. »Ich habe Lulaga eindrücklich auf die Ungehörigkeit, den Tod seiner Verwandten zu beschleunigen, hingewiesen«, sagte er zu Hauptmann Hamilton. »Und er hat mir bei M'shimba und seinem besonderen Teufel geschworen, daß es kein Blenden oder Pensionieren Altersschwacher mehr geben soll«, fügte er grimmig hinzu. Hamilton lächelte müde. »Die Sitten des Landes sollen nicht leichtsinnig zu Boden getrampelt oder ihnen gewehrt werden«, zitierte er aus einer berühmten, aus früherer Zeit kommenden Vorschrift des Kolonialamtes. Es gibt keinen Distriktsgouverneur von K'sala bis Tuli Drift, der das nicht auswendig hersagen könnte, besonders nach dem Dinner. »Noch«, fuhr Hamilton fort, »dürfen seine religiösen Gebräuche oder uralten Sitten zu streng unterdrückt werden, indem wir uns erinnern, daß der Eingeborene durch Beschluß der göttlichen Vorsehung ein Mensch und unser Bruder ist.« »Still!« schnappte Sanders bissig. Aber der unerbittliche Haussa ließ sich nicht zum Schweigen bringen. »Man muß sich ihm (dem Eingeborenen) in sanfter Weise nähern«, zitierte er weiter. »Mit Beweisen und Erläuterungen, die seinem einfachen Sinn verständlich sind. Körperliche Züchtigung darf unter keinen Umständen verhängt werden, außer bei ungewöhnlich schweren Verbrechen, und dann nur auf Anordnung der höchsten Gerichtsstelle des Landes...« »Das sieht mir wie eine neue Hütte aus«, sagte Sanders und trat über die hastig gelegte Laufplanke. Er drehte dabei einen Stock aus Mahagoni in seiner dünnen braunen Hand. Er schlängelte sich durch eine grüne, magere Anpflanzung, kam zu der Hütte und fand dort B'saba, der früher Ältester des Dorfes M'fusu gewesen war. B'saba war wahnsinnig und -36-
blödsinnig und kicherte und wimmerte abwechselnd, da er sich im fortgeschrittenen Stadium der Schlafkrankheit befand, die Menschen zu Tieren wandelt. Er war blind, und zwar war er erst seit kurzem geblendet. Die Nase Elaka Sandis zog sich in Falten. »O Mann, ich sehe dich, aber du kannst mich nic ht sehen. Ich bin Sandi, der Recht spricht. Nun sage mir, wer hat dich hierher gebracht?« »Häuptling Lulaga«, antwortete der alte Mann weinerlich. »Er hat mir auch meine hübschen Augen genommen.« Der Mann starb in dieser Nacht. Sanders hockte neben ihm auf der Erde und unterhielt das Feuer, das jenen wärmte. Sie gruben ihm ein tiefes Grab, und Sanders sprach gut von ihm, denn B'saba war dem Government lange Jahre ein treuer Diener gewesen. Bei Tagesgrauen drehte Sanders den Bug seiner ›Zaire‹ gegen den Strom der Schwarzen Wasser und kam zu dem Dorf des Häuptlings, sehr zu dessen Beunruhigung. Die Lokolis rasselten die Aufforderung, zu einem großen Palaver zu erscheinen, und Sanders saß in der rotbedachten Hütte, um Recht zu sprechen. »Gebieter«, sagte Lulaga zitternd, »ich tat das um eines meiner Weiber willen, das von dem alten Mann in seinem Wahn verspottet wurde.« »Sie soll hierherkommen«, befahl Sanders. Man führte ein schlankes Weib von sechzehn Jahren herbei, das sehr trotzig war. »Gib mir deine Medaille, Lulaga!« befahl Sanders, und der Häuptling hob die Schnur in die Höhe, die die Silbermedaille seiner Häuptlingswürde hielt. Und als Sanders diese einem vertrauenswürdigen Mann umgehängt hatte, fesselten Soldaten Lulaga an einen Baum, und einer von ihnen peitschte ihn -37-
zwanzigmal über die Schultern. Und die Peitsche hatte neun Schwänze, und jeder davon war knapp einen Meter lang. »Alte Leute und Wahnsinnige sollen sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist«, sagte Sanders. »Das ist das Gebot meines Königs! Und wenn dieses Gebot übertreten wird, dann werde ich mit einem Strick kommen. Hört ihr?! Das Palaver ist aus!« Auf dem Rückweg zum Schiff kam ein älterer Mann zu ihm. An der sonderbaren Form seines Speeres erkannte Sanders, daß er vom Hinterland stammte. »Gebieter«, begann dieser, »ich bin M'kema aus dem Dorf an der französischen Grenze. Ich bin Häuptling in dieser Gegend. Nun scheint es mir, daß du uns den Zauber weggenommen hast, den unsere Väter uns hinterlassen haben. Denn alle wissen, daß die Kranken und Alten Nester sind, in denen die Teufel hocken, und wenn wir sie nicht sachte totmachen, wird Krankheit im Land sein.« Sanders war sofort auf der Hut. »Wenn irgendwelche von den französischen Stämmen über den Fluß kommen, dann sollt ihr sie mit euren Speeren zurücktreiben«, befahl er. »Und wenn sie nicht zurückgehen, dann tötet sie und verbrennt ihre Leichen. Und ich werde euch Tibbetti hinaufschicken, der trägt viele Wunder in einem kleinen Kästchen, damit ihr nicht zu Schaden kommt.« Auf seinem Weg flußabwärts war Sanders ungewöhnlich nachdenklich. Nicht weniger war es Hauptmann Hamilton. Denn wie der Älteste ihnen sagte, hatte jeder Stamm, ausgenommen die Ochori, seine alten Männer und Frauen in den Wald getragen und sie dort umkommen lassen. Sanders hatte gedroht, er hatte bei Gelegenheit Männer beim Fortschleppen ihrer unglücklichen Verwandten ergriffen. Aber niemals zuvor hatte er so nachdrücklich für eine Sitte gestraft, die Jahrtausende heiligten. Sie rochen die Station, ehe sie den grauen Kai und die gefiederten Palmkronen sehen konnten, die die Station -38-
verbargen. Plötzlich schnüffelte Sanders in der Luft. »Was in des Himmels Namen ist das...?« fragte er. Ein sanfter Wind, der von der See her wehte, trug einen sonderbaren und durchdringenden Geruch zu ihm herüber. Es war nicht gerade der Geruch von Teer, noch war es der Geruch, den man mit einer brennenden Seifenfabrik in Verbindung bringt. Die aufdringlichen Eigenschaften beider lagen darin vereint. Später erfuhr Sanders, daß ein Trampdampfer in seiner Abwesenheit angelaufen sei und ein halbes Dutzend Behälter mit Kreosol für den Gesundheitsinspektor gelandet habe. Bones hatte in dieser Eigenschaft und in seinem Enthusiasmus den Versuch einer Generalausräucherung gemacht. Das Feuer, in dem das Kreosol in seinen natürlichen Gaszustand verwandelt worden war, rauchte noch im Mittelpunkt des Exerzierplatzes. Und Bones, ein gruseliger Gegenstand in einer Gasmaske - seine Leute hatten tatsächlich gemeutert und waren in ihre Hütten geflüchtet - war dabei, das Experiment fortzusetzen, als Sanders in schierer Verzweiflung die Sirene der ›Zaire‹ heulen und ein so das Blut erstarrendes Gellen hinaussenden ließ, daß dieses durch den Schutz von Bones' Gasmaske drang. »Um des Teufels Liebe willen, was machen Sie denn da?« rief Hamilton, nach Luft schnappend und hustend. Bones machte Gesten. Nachdem seine Gasmaske entfernt war, zählte er die Ergebnisse seiner Versuche auf. »Da ist keine nette alte Ratte am Leben geblieben«, meldete er triumphierend, »die Käfer haben sich in ihrer gesamten Anzahl auf den Rücken gelegt, und die Moskitos sind still verschieden.« »Sind noch welche von der Kompanie am Leben?« fragte Hamilton. »Puuh!« »Kreosol«, begann Bones in seiner dozierenden Weise, »ist einer von jenen netten Wanzenfeinden...« »Bones«, sagte Sanders hastig, »ich habe ein Stück Arbeit für -39-
Sie. Lassen Sie den ›Wiggle‹ Dampf aufmachen! Fahren Sie rauf zu den Kleineren Isisi und gehen Sie zur französischen Grenze! In der Nähe eines Dorfes - soviel ich erfahren habe, ist es M'taka - grassieren die Pocken. Impfen Sie jeden im Umkreis von zehn Meilen und werden Sie glücklich!« »Und halten Sie Distanz vom französischen Gebiet«, warnte Hamilton. Bones lächelte verächtlich. »Bin ich ein rasender Esel?« »Rasend nicht«, antwortete Hamilton. Innerhalb von zwei Stunden war Bones unterwegs, eine riesige Pfeife zwischen die Zähne geklemmt, eine mit Horn eingefaßte Brille auf der Nase - »Gott mag wissen, wo er die aufgetrieben hat«, sagte Hamilton in Verzweiflung - und auf seinen Knien ein umfangreiches medizinisches Buch wiegend. Daß dieses ein chirurgisches Buch war, das von den Nervenzentren handelte, machte für Bones keinen Unterschied. Es war das einzige medizinische Werk, das er besaß. Es war ihm als Antwort auf sein schriftliches Ersuche n, ihm die augenblicklich am meisten Aufsehen erregende Novelle zu schicken, von einem Londoner Verleger zugesandt worden. Und wenn beim Lesen von Bones' fürchterlicher Klaue der Verleger die Bestellung auf ›Walter Newman's Sister‹ (Walter Neumanns Schwester) in einen Auftrag auf ›Watt's Diseases of the Nervous System‹ (Watts Erkrankungen des Nervensystems) gedeutet hatte, so war der Verleger kaum dafür zu tadeln. Bones kam zu den Klein-Isisi- Leuten und wurde von dem neuen Häuptling mit großen Ehren empfangen. Es hatte den Anschein, als ob jede Menschenseele aus dem Dorf zu seinem Empfang herbeigeeilt sei. Aber es waren keine Anzeichen einer besonderen Begeisterung wahrzunehmen. Es lächelte auch niemand. Und das Klein- Isisi- Volk ist doch nur zu willig, zu lachen. »Gebieter«, grüßte ihn der neue Häuptling, »alle Leute -40-
wissen, daß du einen großen Zauber in deinen beiden Händen bringst. Denn Sandi hat Gutes von dir gesprochen, und es ist bekannt, daß du ein Freund von Geistern und Dämonen bist. Darum ist mein Vo lk gekommen, damit es diesen Zauber sieht, der größer ist als der Zauber unserer Väter.« Das waren die Worte, die er öffentlich sagte, damit alle Leute es hören konnten. In seiner Hütte redete er anders. »Das Volk hat Zorn in seinem Magen, weil Sandi den Lulaga gepeitscht hat, und es haben darum geheime Palaver stattgefunden. Und, Herr, ich glaube, sie werden ein Ende mit mir machen. Es geht auch das Gerücht, daß Sandi den Tod liebe und daß er das Isisivolk haßt und daß er es gern sehen würde, wenn die Kochtöpfe zerbrochen wären und die Dächer des Dorfes zusammenfielen.« Mit diesen Worten umschrieb er den Tod. Denn wenn ein Isisimann stirbt, werden die Töpfe, in denen er sein Essen gekocht hat, auf seinem Grab zerbrochen, und niemand kümmert sich um die Hütte des Toten, bis sie in Wind und Wetter zusammenbricht. »Das ist dummes Geschwätz«, sagte Bones, »da Sandi mich ja gerade hierher geschickt hat, um alle Leute durch das Wunder in meinem kleinen Kästchen gesund zu machen. Siehe, ich werde in ihre Arme eine große Zaubermedizin reiben, damit sie alle Geister verlachen und die Teufel verspotten können. Denn ich werde in meinem Land wegen meiner großen Weisheit in Heilmitteln sehr verehrt«, fügte Bones unbescheiden hinzu. Von vier Soldaten begleitet, marschierte er zwei Tagesreisen weit in den Wald und kam schließlich an das Dorf am Wasser. Er kam gerade zur richtigen Zeit, denn entgegen Sanders' Befehl waren drei Leute aus dem französischen Gebiet in der Nacht über die Grenze gekommen und vom Dorfältesten freund lich aufgenommen worden. Sie machten sich eiligst und lärmend aus dem Staub. Denn Bones jagte sie in ihr Kanu und bearbeitete sie -41-
mit seinem Spazierstock, solange er sie erreichen konnte. Dann kam er ins Dorf zurück und rief ein Palaver zusammen. Im Palaverhaus lagen auf einer umgekehrten Trommel, bedeckt mit einem seiner berühmten desinfizierten Taschentücher, unzählige kleine Röhrchen und eine funkelnde Lanzette. »O Leute«, begann Bones in geläufigem Bomongo, »Sandi hat mich hergesandt, weil ich größer bin als die Zauberer und wundervoller als die Teufel. Und ich werde eine große Wunderkraft in eure Körper gießen, die die alten Männer jung machen wird und die jungen Männer wie Leoparden und eure Weiber schön und eure kleinen Kinder stärker als die Elefanten.« Er hob eines der Glasröhrchen in die Höhe, so daß es im strahlenden Sonnenlicht glitzerte. »Diesen Zauber fand ich durch meine großartigen Gedanken. Er wurde mir durch drei Vögel von M'shimba M'shamba selbst überbracht, denn er liebt mich.« Er winkte dem Häuptling, und der alte Mann trat furchtsam vor. »Hört mich, alle ihr Geister!« sagte Bones orakelhaft, und seine Singsangstimme nahm das Kreischen eines Papageis an. »Hör mich, M'shimba M'shamba! Bugulu, du Fresser des Mondes und Verschlinger der Flüsse, hör mich!« Der alte Mann zuckte zusammen, als die Lanzette seinen Arm ritzte. »Abrakadabra!« sagte Bones und träufelte das Gift in die Wunde. »Gebieter, das schmerzt!« versetzte M'kema. »Es ist wie höllisches Feuer.« »So werden auch eure Herzen wie Feuer sein und eure Knochen jung. Und ihr werdet über hohe Bäume springen, und ihr werdet viele junge Weiber nehmen«, versprach Bones -42-
überschwenglich. Einer nach dem anderen defilierten sie an ihm vorbei, Männer, Weiber und Kinder. Furcht und Hoffnung arbeiteten in ihren Gesichtern, während Bones seine geheimnisvolle Zauberformel murmelte. Endlich waren sie alle geimpft, und Bones ging müde, aber befriedigt in die Hütte, die man für ihn zurechtgemacht hatte, nachdem er wütend das übliche Anerbieten des Häuptlings, dessen jüngste Tochter zum Weib zu nehmen, zurückgewiesen hatte. Sanders besaß stets eine höfliche und sanfte Art, in die er diese Absage kleidete, aber Bones errötete dabei stets und spuckte Wut. Er ging mit dem Gefühl zu Bett, der Zivilisation einen großen Dienst erwiesen zu haben. Denn zu dieser Zeit hatte Bones längst vergessen, daß eine Persönlichkeit wie Dr. Jenner, der Erfinder der Impfung, jemals existiert hatte, und nahm das Verdienst für jede von dessen Erfindungen für sich selbst in Anspruch. Er verbrachte drei berauschende Tage im Dorf und wälzte sich in einer wahren Orgie von Desinfektion, die das kleine Städtchen auf drei Hütten vermindert haben würde, wenn man seine Anweisungen buchstäblich ausgeführt hätte. Dann kam eines Morgens M'kema. »Gebieter«, begann er, »in meinem Arm steckt der Teufel, und dein Zauber brennt fürchterlich. Nun habe ich mir gedacht, ich will deinen Zauber lieber nicht haben, denn mir war viel wohler zumute ohne ihn. Auch meine Weiber schreien vor Schmerzen, und die kleinen Kinder machen einen ganz traurigen Spektakel.« Als Bones die Dorfstraße hinunterging, begrüßten ihn finstere Gesichter, und von jeder Hütte ging, so schien es, ein Wehklagen aus. In seiner Selbstüberhebung rief Bones zu einem Palaver. Seine vier Soldaten standen währenddessen hinter ihm, die Gewehrkammer geladen, die Büchsen schußbereit in der -43-
Krümmung ihrer unge impften Arme. Das Palaver erwies sich nicht als Erfolg für Bones. Er hatte kaum zu sprechen begonnen, als sich auch schon ein Wehklagen unter seiner unglücklichen Zuhörerschaft erhob. Die Unzufriedenen fanden einen Sprecher in der Person eines kleinen Häuptlings namens Busubu. »Gebieter, ehe du kamst, waren wir glücklich. Und nun hast du uns feurige Schlangen in unsere Arme gesetzt, so daß diese geschwollen sind. Nun mache uns durch deinen Zauber wieder gesund!« Das Geschrei, das diesen Worten folgte, übertönte alles, was Bones zu sagen hatte. In dieser Nacht beschloß er, zum Fluß zurückzumarschieren. Als er aus seiner Hütte trat, fand er Ahmet, der auf ihn wartete. »Gebieter, hier gibt's Unruhe«, berichtete der Kanojunge mit seiner tiefen Stimme. »Die jungen Männer haben ihre Speere mit zum Waldweg genommen.« Das waren beunruhigende Nachrichten, und ein Blick zeigte Bones, daß das Dorf vollständig wach war. Seinen Weg durch den Urwald zu erzwingen wäre Selbstmord gewesen. Zu bleiben, wo er war, hieß um eine sechszeilige Todesanzeige im ›Guildford Herald‹ bitten. Bones brachte seine Abteilung zum Kleinen Fluß, und sie hatten kaum die Hälfte des Weges dorthin zurückgelegt, als er auch schon in ein Rückzugsgefecht verwickelt wurde. Mit einiger Mühe fanden sie ein Kanu und paddelten in die Mitte des Stromes. Ein Schauer von Speeren folgte ihm, der einen seiner Leute verwundete. Eine Viertelstunde später setzte Bones seinen Fuß bei dem französischen Dorf an Land. Die Einwohnerschaft ließ es sich nicht nehmen, Zeuge eines so ungewöhnlichen Schauspiels zu sein, wie es die Ankunft eines britischen Offiziers auf fremdem Boden war. -44-
In dieser Nacht schlief er im Freien, und am Morgen kam der Häuptling des französischen Dorfes mit einer Klage zu ihm. »Gebieter, als drei meiner Leute über den M'takifluß gingen, hast du sie so geschlagen, daß sie stehend oder auf ihrem Bauch schlafen mußten. Und das hast du wege n unserer berühmten Krankheit getan. Nun sage mir, warum du hierher gekommen bist, denn meine jungen Männer brennen darauf, dich zu fressen.« »Mann«, antwortete Bones hochmütig, »ich kam mit einem Zauber für die Kle in-Isisi-Leute.« »Das scheint so«, meinte der Häuptling des französischen Dorfes bedeutsam, »denn ihr Zauber ist so groß, daß sie mir zehn Ziegen für deinen Kopf versprochen haben. Aber weil ich Angst vor Sandi habe, werde ich ihnen den Gefallen nicht tun«, fügte er hastig hinzu, als er den Browning in Leutnant Tibbetts' Hand sah. Kurz, aber einleuchtend erklärte Bones den Zweck seines Besuches. Der Häuptling hörte zu, war aber nicht überzeugt. »Gebieter«, sagte er schließlich, »es gibt zwei Wege, Krankheit zu heilen. Der eine ist der Tod, denn alle Toten befinden sich wohl. Der andere Weg ist der, daß man ein junges, jungfräuliches Mädchen tötet, wenn der Mond in einem bestimmten Viertel steht und der Fluß anschwillt. Nun fürchtet mein Volk, daß du gekommen bist, um sie durch Anschwellen ihres Armes zu heilen, und ich kann sie nicht zurückhalten.« Bones verstand den Wink, bestieg sein Kanu wieder und fuhr den Fluß entlang, bis er zu einem anderen Isisidorf kam. Aber der Lokoli hatte die Geschichte seines Auftrages verbreitet, und man widersetzte sich seiner Landung mit Waffengewalt. Der Häuptling dieses Dorfes ließ sich herbei, an das Ufer des Wassers zu kommen. »Hier kannst du nicht landen, Tibbetti! Denn Sandis Befehl an M'kema lautet, daß kein Mensch vom französischen Gebiet zu -45-
uns herüberkommen darf wegen der Krankheit, die dort wütet.« Sieben Tage und sieben Nächte trieb Bones obdachlos zwischen Ufer und Ufer, schlief in den Nächten ungesehen auf den Inseln in der Flußmitte, wenn er gerade solche antraf, und gelangte gegen das Ende dieser Zeit an den Ausgangspunkt seiner Reise zurück. M'kema kam zum Flußufer herunter. »Gebieter, hier darfst du nicht landen, denn seit deiner Abreise sind die Arme meiner jungen Männer, dank dem Zauber unserer Väter, gesund geworden.« Als sich Bones in dieser Nacht bereits dafür entschieden hatte, die Durchfahrt zum Großen Fluß mit Waffengewalt zu erzwingen, erkämpfte die Hilfsexpedition von der ›Wiggle‹ ihren Weg ins Dorf und machte Bones freie Bahn. Bones kehrte in Siegerstimmung zur Station zurück und berichtete seine Geschichte. »Und dort war ich nun, liebes altes Geschöpf! Ein Märtyrer sozusagen! Ein Märtyrer der Wissenschaft, gegen die Wand gequetscht! Ich gedachte des netten alten Jenner...« »Wo waren Sie, Bones? Ich kann den Ort Ihrer Verteidigung nicht feststellen«, bemerkte Hamilton und suchte auf der Karte des Schutzgebietes. »Waren Sie in M'kemas Dorf?« »Nein, Sir. Ich kniff aus«, antwortete Bones triumphierend. »Ich querte den Fluß nach...« »Ins französische Gebiet?« Hamilton sperrte den Mund auf. »Es ist ein diplomatischer Zwischenfall, ich gebe das zu«, sagte Bones. »Aber ich kann dem französischen Präsidenten die Beweggründe genau angeben, die mich dazu geführt haben, das Gebiet einer befreundeten Macht zu verletzen - oder wenigstens, ganz so freundlich war sie auch nicht, wenn Sie die ›Petite Parisienne‹ gesehen hätten, die da aus dem Lehm herauskam...« »Aber Sie waren in dem französischen Dorf? Das ist alles, -46-
was ich wissen will«, äußerte Hamilton mit unheimlicher Ruhe. »Gewiß war ich das, mein lieber alter...« »Kommen Sie mit!« befahl Hamilton. Er ging voran zu Bones' Hütte und öffnete deren Tür. »Hinein mit Ihnen! Und kommen Sie uns einen Monat lang nicht zu nahe! Sie sind hiermit isoliert !« »Aber lieber alter Offizier, ich bin doch Gesundheitsinspektor!« »Erzählen Sie das Ihren Bazillen!« riet Hamilton. Und isoliert blieb Bones. Jeden Morgen kam Hamilton mit einer großen Gartenspritze und bespritzte den Fußboden und das Dach mit einer übelriechenden Mischung. Und um der Bosheit die Krone aufzusetzen, bestand er darauf, dem unglücklichen Bones dessen Mahlzeiten am Ende einer langen Bambusstange durch das Fenster hineinzureichen. Als der Gesundheitsinspektor aus seiner Isolierhaft kam, hatte er aufgehört, auch nur das leiseste Interesse an der medizinischen Wissenschaft zu nehmen. Er widmete seine freie Zeit einem neuen schriftlichen Architektenkursus, als M'kema, der vor das Stationsgericht geladen war, unter Bewachung und in Ketten erschien, um sich wegen seiner Sünden zu verantworten. »Gebieter, Tibbetti tat ein großes Unrecht, denn er nahm unsere Leute, die gesund waren, und machte sie krank. Und weil ihnen ihre Arme so weh taten, versuchten sie, ihn zu töten.« Sanders saß auf seinem niedrigen Stuhl, das Kinn auf seine Faust gestützt, und hörte zu. »Du bist ein alter Mann und ein Narr«, sagte er. »Kam die Krankheit nicht zu den Isisi? Und haben nicht alle Dörfer mit Ausnahme des deinigen darum ihre Trauer gehabt?! Ausgenommen dein Dorf! Weil der Zauber, den Tibbetti in die Arme deiner Leute goß, das verhindert hat. Nun befinden sich deine Leute wohl, und die anderen Dörfer -47-
beklagen ihre Toten. Wie erklärst du dir das, M'kema?« M'kema schüttelte den Kopf. »Gebieter, das geschah nicht durch Tibbettis Zauber, denn der gerade machte uns krank. Wir sind ein gesundes Volk, und die Krankheit ging an uns vorüber, weil wir dem Brauch unserer Väter folgten. Denn wir nahmen ein sehr altes und verrücktes Weib in den Wald und blendeten es und überließen es den wilden Tieren. Es gibt keinen anderen Zauber, der diesem an Wirksamkeit gleichkäme.« »Wozu all diese Arbeit?« fragte Sanders verzweifelt. Und M'kema, der diese auf englisch geäußerten Worte hörte, zitterte, denn er argwöhnte eine neue Art von Verzauberung.
Das schwarze Ei Es gibt eine neue Legende am Fluß. Das is t die Legende von einem Teufel, der einem schwarzen Ei entsprang und der seinen neuen Herrn so wütend haßte, daß er ihn erschlug. Einmal, vor langer Zeit, hörten die Vögel mitten am Tag zu schwätzen auf; Ziegen und Hunde standen auf und sahen unruhig nach rechts und links; und in der Welt herrschte ein so plötzliches und unerklärliches Schweigen, daß die Menschen aus ihren Hütten gelaufen kamen, um zu entdecken, was los sei. Und während sie so dastanden und in eine Stille horchten, die beinahe fühlbar war, zitterte die Welt. Und die lange Straße der Isisistadt herunter kam es wie eine Welle und wie ein Wiegen der Erde, so daß die Häuser wankten und die Menschen in ihrer Angst auf die Knie fielen. Dann kam ein anderes Zittern und noch ein anderes Wogen des Erdbodens. Und das Wasser des Großen Flusses floß hoch wie ein Strom, überflutete die niedrigen Ufer und flutete sogar in den Urwald, der nie zuvor den Fluß zu Gesicht bekommen hatte. -48-
Zwischen den ersten und zweiten Erdstößen des Bebens wurde N'shimba geboren und wurde mit einer Umänderung, die ihren Grund in der Furcht zu suchen hatte, nach diesem Geist der Geister genannt. M'shimba M'shamba hauste berüchtigterweise in den Eingeweiden der Erde und neigte dazu, sich im Schlaf umzudrehen. Den Fluß herunter kamen drei Kanus, beladen mit weisen Männern und Häuptlingen. Feierlich traten sie vor Distriktsgouverneur Sanders. Nicht genug, daß dieser verantwortlich war für die Moral und die Wohlfahrt einiger Hunderttausend, die eine besondere Neigung zum Kannibalismus zeigten, man traute ihm auch zu, daß er Geister, Zauberer, den Regenfall und die Fruchtbarkeit der Ernte in seiner Hand hatte. »O Sandi, ich sehe dich!« sagte M'kema, der Häuptling der Abordnung. »Wir sind arme Leute, die weit hergekommen sind, um dir von den schrecklichen Vorkommnissen zu erzählen. Denn du bist unser Vater und unsere Mutter, und du bist sehr weise.« Das war die übliche Eröffnung. Und Sanders, der das Erdbeben gespürt hatte und wußte, daß es eine ungewöhnliche Erscheinung in diesen Gebieten war, wartete. Er wußte, was kommen würde. »... und darauf, Gebieter, stieg der Fluß fürchterlich, spülte durch die Hütten Busubus, des Fischers, und fraß dessen Salz auf. Und das Dach Kusus, des Jägers, fiel herab, während er im Bett lag. Und zwei Kanus wurden mit fortgeschwemmt und von den diebischen Akasava aufgefischt, die sie uns nicht zurückgeben wollen. Nun sage uns, Sandi, was macht die Welt zittern? Die einen meiner Ratgeber denken dieses, die anderen jenes. Einer behauptet, es sei M'shimba M'shamba gewesen, der seine Knie angezogen hat, während er schlief. Menschen machen das manchmal im Schlaf. Ein anderer meint, es sei ein Kampf zwischen zwei mächtigen Geistern gewesen. Was war -49-
es? Erkläre du uns das, Sandi!« Sanders war nicht darauf vorbereitet, eine Vorlesung über Erdbebenlehre zu halten. Aber er gab ihnen eine glaubhafte, annähernd zutreffende und nicht gänzlich phantastische Erklärung. »M'kema«, begann er, »was siehst du in dieser Welt? Die Erde, die Bäume, die auf ihr wachsen, und die Flüsse, die auf der Erde sind. Und wenn du in die Erde gräbst, dann stößt du auf mehr Erde. Und wenn du tiefer gräbst, dann stößt du auf Felsen und immer mehr Felsen. Und unter diesen auf...? Wer vermag es zu sagen? - Und wenn die Flüsse die unteren Schichten fortwaschen, setzen sich die Felsen, und der Grund setzt sich, und dann gibt es sonderbare Störungen. Und was die Geister anlangt, so kenne ich M'shimba M'shamba, denn er ist mein Freund und beim Government wohl gelitten. Aber wenn er kommt, dann geschieht das mit mächtigem Wind und Regen und Feuerspeien. Er hebt große Bäume und kleine Bäume und trägt Hütten fort und brüllt mit lauter Stimme.« »Gala Gala«, sagte ein alter weiser Mann, Foliti mit Namen, der im Ruf eines Zauberers stand, »dasselbe ereignete sich in den Tagen unserer Väter, und inmitten dieser Wunder wurde ein Mann geboren, dessen Name war Tod.« Sanders kannte die Sage vom alten N'shimba und hatte die Zeit seines Auftretens in die Nähe des siebzehnten Jahrhunderts gelegt. Dieser N'shimba, der auf so wundervolle Weise geboren wurde, war ein ganz gewöhnlicher Mann gewesen, der weder vor Königen noch Behörden Achtung gehabt und sich durch eigene Kraft zum Herrn des zwischen den Bergen und der See liegenden Gebietes aufgeschwungen hatte. Man erzählte sich, daß ein Geist ihm, als er noch ein Jüngling war, ein schwarzes Ei brachte; und aus diesem Ei wurde ein Teufel ausgebrütet, der N'shimba große Gewalt verlieh, so daß er mächtiger wurde als -50-
die Könige. »Das weiß ich«, antwortete Sanders. »Warum erzähls t du mir das, weiser Mann?« »Gebieter, ein solches Kind wurde eben jetzt in unserem Dorf geboren, und seine Mutter, die wahnsinnig ist, hat ihn N'shimba genannt. Und während sie das tat, zog sie sonderbare Gesichter und starb, wie die Mutter des N'shimba unserer Väter starb. Aus diesem Grund haben wir ein Palaver gehalten, das drei Tage und drei Nächte dauerte. Und manche forderten, daß das Kind lebendig begraben werden müsse, ehe der Geist kommt, der ihm Macht gibt. Und andere verlangten, man müsse es am Teich der Schweigenden aussetzen. Und wieder andere forderten, daß es geschlachtet werden müsse; und alle von uns müßten unsere Finger in sein Blut tauchen und damit unsere Sohlen beschmieren, denn dieses sei der wahre Zauber dafür.« Sanders runzelte seine Nase wie ein ärgerlicher Terrier. »Tut das nur«, sagte er grob, »und ihr könnt sicher sein, daß ich mit einem Zauberstrick kommen und den Mann hängen werde, der das Kind getötet hat. Geht in euer Dorf zurück, ihr Leute, und macht bekannt: Ich werde einen von den Jesusleuten zu diesem Kind schicken, und dieser wird alles Böse von dem Kind hinwegnehmen. Und dann werde ich selbst kommen und an seiner Stirn ein gewisses Teufelszeichen machen, das sehr sonderbar anzusehen sein wird. Danach laßt keinen Menschen es wagen, seine Hand gegen N'shimba zu erheben, denn mein Geist wird mit seiner ganzen Kraft bei ihm sein. Elaka!« Zwei Tage danach hatte ein Missionar N'shimba in aller Form getauft. Sanders kam und drückte dem zappelnden Kind in Gegenwart des gesamten schweigenden Dorfes einen kleinen Gummistempel auf die Stirn. Es war der Stempel, den Sanders gebrauchte, wenn er Glasplatten mit mikroskopischen Präparaten an das Institut für Tropenkrankheiten zur Prüfung sandte. Und dieser Stempel besagte: »Vorsicht! Zerbrechlich!« -51-
In einer Hinsicht eine ganz passende Inschrift. »Leute, ich habe meinen Zauber an diesem Kind gemacht«, redete Sanders die Menge an. »Der Zauber wird schwächer werden und verschwinden, denn mit Hilfe meiner Magie wird er sich in die Glieder und in sein junges Herz hineinfressen. Aber durch die Macht dieses Zaubers werde ich erfahren, wer seine Hand an den Kleinen gelegt hat. Und dann werde ich schnell mit meinen Soldaten und mit meinem Gewehr, das Taktaktak sagt, zur Stelle sein.« Und so groß war die Gewalt dieses Zaubers, daß Jahre danach ein etwas verrücktes Weib, das den Kleinen geschlagen hatte, noch in derselben Nacht unter großer Pein starb. Das alles geschah Gala Gala, in jenen Tagen, als Sanders das Geschick von fünf streitsüchtigen Völkern entschied. Von Zeit zu Zeit sah er den Jungen und entdeckte nichts Außergewöhnliches an ihm, außer, daß er ein wenig mürrisch und, wie dessen Vater sagte, sehr schweigsam war und einsame Spaziergänge liebte. Der Junge gab sich mit keinem seiner Familie ab, noch spielte er mit den anderen Jungen oder sprach offen zu den Mädchen. Die Leute sagten, er suche nach dem schwarzen Ei. Jedenfalls kletterte er auf viele Bäume, aber ohne Erfolg. Eines Tages, als N'shimba am häuslichen Feuer hockte, trug er ein Rätsel vor: »Ich fing einen jungen Leoparden und steckte ihn in das feine kleine Haus, in dem ich früher viele Vögel hielt. Hat mein Leopard gesungen? Flog er? Oder machte er ›Tschip-Tschip‹ wie die Hühner?« »Junge, du bist närrisch!« antwortete sein phantasieloser Vater. »Denn du hast weder einen Leoparden gefangen, noch hast du ein hübsches Haus, in dem Vögel gehalten werden.« »Das ist mein Geheimnis«, gab N'shimba zurück, ging in den Wald und wurde drei Tage lang nicht gesehen. Als er -52-
zurückkehrte, brachte er ein junges Mädchen von den MittelIsisi mit. »Das ist mein Weib!« sagte er. Der Vater sagte nichts dazu, denn der Junge war sechzehn Jahre alt und im heiratsfähigen Alter. Die junge Frau dagegen sagte sehr viel. »Ich mag diesen Mann, deinen Sohn, nicht«, erklärte sie offen. »Ich bin eine große Tänzerin, und mein Preis sind zehn Bündel Matakos in zehn Haufen, zehnmal zehn wiederholt. Ein Mann meines Stammes würde so viel Salz geben, als nötig ist, eine Hütte damit zu füllen, wenn ich sein Weib sein wollte. Und trotzdem kommt dein Sohn zu mir und nimmt mich und gibt weder meinem Vater noch mir selbst etwas. Und als ich mich von ihm abwandte, da schlug er mich nieder. Hier seht ihr die Spur.« Der Fleck war sehr deutlich zu sehen. N'shimbas Vater war beunruhigt und suchte seinen Sohn auf. »Warum hast du dieses Weib genommen? Jetzt wird ihr Vater kommen und ihren Kaufpreis verlangen. Und Sandi wird kommen und mich dazu verurteilen. Laß sie laufen! Denn selbst wenn du verheiratet mit ihr bist, was macht es aus? Gibt es nicht ein Sprichwort: ›Weiber heiraten viele Male, aber haben nur einen Ehemann‹?« »Ich bin dieser Mann«, antwortete N'shimba. »Und was Sandi anlangt, so bin ich das Kind seines Geistes, wie alles Volk weiß, und ich nehme mir, was ich brauche.« An diesem Tag schlug er sein junges Weib. Und ihr Vater, der wütend ankam, um das Beste aus einem schlechten Geschäft zu machen, wurde zu seiner großen Schande ebenfalls verprügelt. »Wer ist N'shimba?« fragte Hauptmann Hamilton neugierig, als diese Nachrichten zur Station gelangten. Sanders, sehr nachdenklich und beunruhigt, klärte ihn auf. -53-
»Ich würde mir nicht die geringsten Gedanken darüber machen, aber dieser junge Satan hat die Redensart des alten N'shimba gebraucht:›Ich nehme mir, was ich brauchen Und das ist ein sehr böses Zeichen. Und sobald ich nur von schwarzen Eiern etwas flüstern höre, werde ich N'shimba nehmen und ihn aufhängen.« Er schickte eine Warnung zu ihm hinauf und notierte sich N'shimba in seinem Notizkalender für eine Unterredung bei seiner nächsten Reise ins nördliche Gebiet. Dann traten eines Tages die ›Blutsfreunde junger Herzen‹ in Erscheinung. In Eingeborenengebieten schießen Geheimbünde und mit ihnen das ihnen eingehauchte Ritual in einer Nacht aus dem Boden. Wer sie ausgeheckt hat, weiß kein Mensch. Die Art, wie sie sich auflösen, ist ebenso geheimnisvoll; sie kommen und gehen, üben sonderbare Gebräuche aus und führen geheime Tänze ein. Menschen mögen einander begegnen und sinnlose, aber einem durch und durch gehende Worte sagen. Dem Leben wohnt ein Schauer inne, ein Auftrieb - und plötzlich ist beides wie weggeblasen. Manchmal gibt es ein kleines Zur-Ader- Lassen, wie damals, als das N'gombivolk einen Geheimbund hatte, der den Namen führte: ›Das Geheimnis der fünf geraden Striche ‹. Fünf Schnitte auf der linken Wange waren das Zeichen des Ordens. Sanders hörte nichts, sah nichts, sagte nichts. Im großen ganzen war er der Meinung, die persönliche Erscheinung des N'gombivolkes hätte durch diese Verunstaltung nur gewonnen. Aber als bei einem großen Palaver dieses Ordens ein Ochorimädchen enthauptet und ihre Haut zwischen die Mitglieder des Ordens verteilt wurde, war Sanders schnell zur Stelle, hängte die Führer, peitschte die Vormänner und verbrannte die Ortschaft. Danach verschwanden ›die fünf Zeichen‹ von der Bildfläche. »Ahmet sagt, N'shimba stecke hinter dieser neuen -54-
Gesellschaft«, bemerkte Sanders, als er Hamilton in sein luftiges kleines Arbeitszimmer rief. »Ich wäre außer mir vor Schrecken, sollte N'shimba entdecken, daß sich die Würde seines berüchtigten Namensvetters auf ihn vererbt hat. Tritt das ein, stehen wir vor bösen Unruhen. Ich beabsichtige, Bones mit einer Abteilung junger Kerle zu den Isisi zu schicken. Die wohltuende Anwesenheit der Behörde ist vielleicht imstande, die Tätigkeit dieser ›Jungen Herzen‹ im Keim zu ersticken.« »Junge Herzen? Wieso?« fragte Hamilton lässig. »Es sind meistens junge Männer, und die Bewegung gewinnt an Ausdehnung. Bosambo berichtet, ein Zweig dieses interessanten Ordens habe sich mitten in der Ochoristadt gebildet«, erklärte Sanders. »Schicken Sie Bones immer hin!« riet Hamilton. »Ich wüßte mir keinen deprimierenderen Einfluß.« »Bones? Was ist los mit ihm?« »Wenn wir uns hier in einem zivilisierten Land befänden und die dafür notwendigen Voraussetzungen gegeben wären, würde ich sagen, Bones sei verliebt«, bemerkte Hamilton. »Unter den herrschenden Umständen kann ich nur annehmen, er leidet an etwas.« »Die Masern können es doch nicht sein«, bemerkte Sanders. »Er hat sie ja schon zweimal gehabt.« Hamilton rümpfte die Nase. »Bones gehört zu der Sorte, die dreimal die Masern bekommen können. Aber es sind nicht die Masern. Ich hatte ihn erst gestern morgen bei mir und bestand darauf, er solle drei Pillen nehmen. Er schlug Radau, und ich mußte ihm erst die Armeeverfügung vorlesen. Und trotzdem ist er niedergeschlagen.« Sanders starrte nachdenklich auf den Exerzierplatz. »Ich glaube, eine Fahrt nach Isisi täte ihm sehr gut.« Es gab Augenblicke, in denen eine große Unruhe über die -55-
Seele des Leutnants Augustus Tibbetts kam, Zeiten, zu denen ihm selbst die Fortsetzung und Übung seines letzten Unterrichtskursus weder Frieden noch Trost brachten. Bones, wie er unter seinen Mitmenschen hieß, empfand eine melancholische Befriedigung in diesem rätselhaften Gemütsumschwung, denn diesem Zustand von Unruhe folgte gewöhnlich irgendeine sprühende Begeisterung. Es war, als ob die Natur auf ihre geheimnisvolle Weise es so angeordnet hätte, daß Bones sich erst nach einer ihm fürchterlich scheinenden Prüfung zu seinen glänzendsten Anstrengungen aufschwang. Ein solcher Anfall von Reizbarkeit überfiel ihn an einem sonnigen Apriltag, und zwar in einem Augenblick, da er alle Ursache hatte, vollkommen glücklich zu sein. Die Post hatte ihm ein Diplom gebracht, das ihm seine Befähigung als Buchhalter bescheinigte. Er war zum Mitglied der BuchhalterGenossenschaft in Wabash gewählt worden. Das war das Ergebnis davon, daß er einen schriftlichen Kursus absolviert hatte, der von dem Institut für praktische und theoretische Buchhaltung, ebenfalls in Wabash, USA, abgehalten worden war. Seine halbjährliche Inspektion war glänzend verlaufen bis auf den geringfügigen Umstand, daß seine Buchhaltung nicht in Ordnung war und daß die Summe von drei Pfund Sterling, ein Shilling in einer etwas geheimnisvollen Weise sich auf die Kreditseite verirrt hatte. Aber das war sofort durch die Entdeckung korrigiert worden, daß Bones das Monatsdatum hinzuaddiert hatte. Das passierte Bones jedesmal. Gewöhnlich addierte er das Geschäftsjahr hinzu. Manchmal fehlten £ 192,1 sh., manchmal hatte er £ 19,2 sh Überschuß. Sanders hatte einige seiner Arbeiten gelobt; sein unmittelbarer Vorgesetzter, Hauptmann Hamilton, war ungewöhnlich gnädig gewesen. Und doch fühlte Bones sich unglücklich. Dafür gab es in der Tat einen hervorragenden Grund. Bones war einer jener unglücklichen Menschen, die ein -56-
leidenschaftliches Interesse an jeder Phase menschlicher Tätigkeit nehmen, die außerhalb ihres besonderen Pflichtenkreises liegt. Er war Offizier bei den Haussa; er erfreute sich des Zuschusses eines reichen Onkels; er lebte ein Leben, das er jedem anderen vorzog. Und doch war Bones dauernd bestrebt, sich in Berufen zu vervollkommnen, die auch nicht das geringste mit seinem militärischen Beruf zu tun hatten. Er nahm fast jeden Zweig des Studiums auf, der ihm durch die Inserate in den illustrierten ›Magazinen‹ angeboten wurde. Er lernte Vortragskunst, freie Rede, Buchschmuck, Novellenschreiben, die Herstellung von Autos und Filmen, Ingenieurwesen und Säuglingspflege: alles mit Hilfe wöchentlicher Frage- und Prüfungsbogen, aber ohne die geringste Fähigkeit zur praktischen Ausführung auch nur eines dieser Berufszweige. Und was las er nicht alles! - Er las die ›Hundert besten Bücher‹, die Geschichte Ägyptens, John Stuart Mill, Bücher über Einführ ung zur Logik, Reisewerke und Sozialwissenschaften. Wenn er sie auch nicht las, jedenfalls kaufte er sie. Manchmal las er fast das ganze erste Kapitel, aber gewöhnlich überflog er die Vorrede und stellte das Buch beiseite, um es zu gelegener Zeit zu lesen, ›wenn ich mich ihm ganz überlassen kann‹. Aber dieser Tag kam nie. Möglich, daß die Einleitung genügt hatte, um ihn zu überzeugen, daß es Bücher seien, deren Inhalt er nicht zu kennen wünschte. Bones ging durch jene Phase geistiger Entwicklung, da sich ihm die Ungleichheit des Lebens zu auffällig aufdrängte. Er litt mit seinen Mitmenschen. Er verachtete Reichtum und sprach mit großer Zungenfertigkeit und verächtlich vom Kapitalismus. Wenn es nicht um Florence gewesen wäre, sein Leben würde ihm unerträglich erschienen sein. Florence war das Eigentum Hauptmann Hamiltons. Eine Henne! Vom Stamme der Plymouth-Rock-Hühner! Von ihrer Kükenzeit an hatte sie eine heftige Neigung für Bones gespürt, und Bones, der in allen -57-
lebenden Wesen eine Seele sah, erwiderte ihre Liebe. Diese Freundschaft hatte eine Seite, die Bones manchmal in Verlegenheit setzte, denn Florence folgte ihm überall hin wie ein Schoßhund und revidierte stets den Posten unter Gewehr zusammen mit ihm. Und der Haussa hat einen sehr feinen Sinn für Humor. Selbst Florence entschädigte nicht ganz für die soziale Lage, die Bones von Woche zu Woche durch die Seiten einer ihm zugesandten eleganten Wochenschrift aufgedeckt wurde. Bories wurde nachlässig in seinem Anzug und redete Abiboo, seinen Sergeanten, mit ›Kamerad‹ an. Sergeant Abiboo berichtete das Hamilton. »Es ist klar, daß der junge Gebieter Tibbetti Fieber hat. Denn heute morgen sprach er mit mir, als ob er ein gemeiner Soldat wäre. Er sagte ferner, das Land gehöre nicht der Regierung, sondern mir und Seiner Lordschaft. Das berichte ich hiermit dienstlich.« Da Hamilton nicht die Spur von Fieber an Bones fand, gab er seinem Untergebenen unter dessen lebhaftem Protest drei große Pillen. Als Bones ins Stationsgebäude gerufen wurde, nahm er die Nachricht seiner bevorstehenden Reise ohne Begeisterung auf. Gewöhnlich versetzte ihn schon die bloße Aussicht, das Kommando auf dem ›Wiggle‹ zu übernehmen, in den Zustand höchster Ekstase. »Ich danke Ihnen, Herr und Exzellenz«, sagte er düster. »Ich gehe, weil es me ine Pflicht fordert. Ich habe ein dunkles Vorgefühl, daß ich nicht zurückkehren werde. Instinkt, lieber alter Ham... Das ist bei mir immer so.« »Wovon haben Sie ein Vorgefühl, Bones?« fragte Sanders. Bones schnitt eine Grimasse, hob seine eckigen Schultern und streckte hilflos seine Arme aus. Gesten, die seine Unfähigkeit andeuten sollten, auf eine einfache Frage eine klare Antwort zu -58-
geben. »Ich möchte einen dunklen alten Schatten vorauswerfen oder ein hübscher alter Miesmacher sein. Ich möchte lieber nichts sagen...«, antwortete er trübe, »aber ich habe das Gefühl, Kamerad...« »Wenn Sie etwas weniger häufig das Wort ›Kamerad‹ gebrauchen wollten, würde das angenehm empfunden werden«, warf Hamilton ein. »Wir sind alle Kameraden, lieber Offizier!« versetzte Bones düster. »Wir haben unsere netten alten sozialen Begriffe etwas durcheinandergebracht. Der gesellschaftliche Zustand mit seinen ungezogenen alten künstlichen Unterschieden ist positiv entsetzlich. Das ist er in der Tat, lieber alter Ham. Schweinemacher (Schleiermacher?) sagt...« »Ob er das ist oder nicht, ist vollständig unwesentlich«, antwortete Hamilton. »Heute nachmittag fahren Sie nach Isisi! Und wenn Ihre dunkle Ahnung sich verwirklichen sollte, werde ich Ihnen die hübscheste Todesanzeige schreiben, die Ihnen jemals zu Gesicht gekommen ist.« Bones neigte würdevoll sein Haupt. »Die habe ich selber schon aufgesetzt«, antwortete er. »Sie werden sie in meinem Pult finden. Sie können sie an die ›Times‹ senden. Ich bin auf Jahre hinaus auf dieses nette alte Großmaul abonniert, und sie werden froh sein, es veröffentlichen zu können. Annähernd zwanzigtausend Worte, schätze ich. Aber wenn Sie noch etwas hinzufügen, würde ich das als Freundlichkeit auffassen.« Sanders kam an den Strand, um seinen Untergebenen abfahren zu sehen. »Mit N'shimba machen Sie kurzen Prozeß! Vorläufig ist er noch nicht gefährlich. Diese Kerle klammern sich fest an die Überlieferung, und bis zum Auffinden des schwarzen Eies meine Kundschafter sagen, er suche danach - wird es keinen allgemeinen Aufstand geben. Wenn notwendig, töten Sie -59-
N'shimba. - Sie nehmen Florence doch nicht mit?« Florence hatte sich auf das Geländer des Fahrzeuges gesetzt. Sie sah schläfrig aus und schien vor sich hinzudösen. Sie blieb unbehelligt dort sitzen, als der ›Wiggle‹ loswarf und seine stumpfe Nase in die schnelle Strömung des Großen Flusses grub. Bones lief, seinem Plan entsprechend, am Isisiland vorbei. Sein erster Besuch galt Bosambo, dem Oberhäuptling aller Ochori, einem Pfahl im Fleisch aller Könige, Häuptlinge und Vorleute der Isisi, Akasava und N'gombi. Wie Bosambo das auch verdiente, denn er war ein Krumann von Geburt, Abenteurer aus natürlicher Veranlagung und ein Sammler fremden Eigentums aus Leidenschaft. »Mir sehn dir sofort. Mir haben dir spitz gekriegt lange, lange, Bonesi. Du sein guten Keerl!« So sprach Bosambo auf englisch, denn er war in einer englischen Missionsschule erzogen worden. Bones kämpfte hart mit sich, ob er diese Intimität nicht scharf zurückweisen solle. Taktvoll antwortete er auf Bomongo: »Bosambo, Sandi hat mich heraufgeschickt, um mit deinen jungen Männern zu reden. Sandis Herz ist wegen dieser geheimen Gesellschaft beunruhigt.« »Gebieter!« sagte Bosambo gelassen. »In meinem Land gibt es keine geheime Gesellschaft. Wenn sich die alten Männer beim Tanzen zusammentun und sich dabei spukhafte Namen beilegen, sage ich kein Wort. Denn alte Leute sind große Schwätzer, aber danach kommt nichts. Aber wenn sich meine jungen Männer in geheimnisvoller Weise treffen, dann weiß ich, daß es Radau gibt. Diese ›Jungen Herzen‹ redeten schlecht über mich. Und das habe ich entdeckt. Jetzt - gibt es keine ›Jungen Herzen‹ mehr im Ochoriland«, fügte er bedeutsam hinzu. Bones erwog die Angelegenheit, indem er sich an der Nase kratzte. -60-
»Bosambo«, fuhr er dann ruhig fort, »in diesem Land sind alle Menschen gleich.« Der große Häuptling sah ihn frostig an. »Gebieter, alle Menschen sind gleich, wie einer dem anderen eben gleicht. Aber kein Mensch ist mir gleich, denn ich bin der Häuptling der Ochori. Und ich bin dir nicht gleich, noch bist du Sanders gleich. Wenn du meinst, daß du Sanders gleich bist, dann rede!« Bones sah bescheiden davon ab, und Bosambo fuhr fort: »Es ist gutes Recht, daß ich über die Ochori gesetzt bin. Denn einer muß hoch über dem Volk stehen, oder er würde es überhaupt nicht sehen können. Wenn sich zehntausend Ziegen auf einer Ebene befinden, was kann eine Ziege dann anderes sehen als gerade die nächste Ziege? Und wie können die Ziegen dann wissen, was am Rande ihrer Herde vorgeht, wenn die Leoparden schleichend und kriechend herankommen?« »Alle Menschen...«, begann Bones wieder, aber er überlegte es sich doch. Bosambo war nicht der Mann, der leicht zu überzeugen war. Bones verschaffte sich Nachrichten über die ›Jungen Herzen‹, Informationen, zu deren Erlangung Bosambo die drastischsten Mittel angewandt hatte. »Es sind Isisi«, sagte Bosambo. »Und der Isisikönig ist kein Mann, sondern eine Kuh. Denn er sitzt da und hört diese Jungen schwätzen und verprügelt sie nicht. Gehst du nach Isisi, Gebieter?« Bones zog seines Weges, und sein Wirt beobachtete ihn vom Flußufer aus, bis die weiße Hulk des kleinen ›Wiggle‹ um den waldbestandenen Vorsprung verschwunden war. Darauf kehrte Bosambo in seine Hütte und zu seinem Weib zurück, das sein Ratgeber war. »Licht meines Lebens!« sagte er auf küstenarabisch. »Tibbetti ist an vielen schlimmen Plätzen gewesen, aber ich denke, das Isisiland wird sich für ihn als noch schlimmer erweisen.« -61-
Nach zwei Nächten und einem Tag kam Bones zur Isisistadt und wurde vom König selbst mit Pomp empfangen. »Gebieter, ich weiß nichts von den ›Jungen Herzen‹«, sagte Bugulu nervös. »Kindernarrheiten gehören nicht vor mein Tribunal noch vor das meiner weisen alten Männer, sondern sind Sache ihrer Eltern. Und was diesen N'shimba anbelangt, was ist er denn anderes als ein Kind?« Bones versuchte nicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Bei seinem Gang durch die weit zerstreute Isisistadt des Königs drängte sich ihm die Wahrnehmung auf, daß er nirgends junge Männer sah, wohin er auch blickte. Die da um die Feuer hockten, waren alles alte Leute, und Weiber jeden Alters gingen ihren Pflichten nach. Er machte Bugulu auf diese Tatsache aufmerksam, und diesem wurde noch elender zumute. »Gebieter, sie sind zu einem Palaver in den Urwald gegangen«, sagte er. »Denn diese Nachtschwätzer müssen zu jeder Zeit Palaver halten.« Bones zögerte einen Augenblick. Dann ging er, begleitet vom König, die breite Straße der Stadt entlang. Bei der ersten Hütte machte er halt. Ein altes Weib war dort beschäftigt, den Mais zwischen zwei Steinen zu mahlen. Er sprach es an. »O Weib, ich halte dich für eine Mutter von erwachsenen Söhnen. Nun sage mir, wo befindet sich dein feiner Sohn? Ich möchte ihn sprechen.« Sie schielte von Bones zum Häuptling. Dann: »Gebieter, er ist zu einem Palaver in den Urwald gegangen!« »Was ist dein Sohn?« »Herr, er ist Fischer, und er ist sehr stark.« Bones lauschte der Aufzählung der Tugenden des jungen Mannes und forderte dann: »Bring mir seinen Schild und seinen Speer, ich möchte beides gern sehen.« Das Weib sah erst den König, dann Bones an, darauf wandte -62-
sie ihre Augen ab. »Gebieter, er hat Schild und Speer mitgenommen. Denn im Urwald gibt es Wild, und die Leoparden sind schrecklich gefräßig.« Anscheinend hatte jeder junge Mann, der die Isisistadt verlassen hatte, mit einem Zusammenstoß mit schrecklichen Leoparden gerechnet. »Diese jungen Männer bereden fürchterliche Dinge, Tibbetti«, sagte der alte Mann verstört. »Mein eigener Sohn, der Häuptling an meiner Statt zu sein verlangt, brachte mir Nachricht, daß du gesprochen habest, wie er auch denkt, und daß du in deinem Herzen wider alle Könige und Häuptlinge seiest. Und die jungen Männer glauben ihm. Sie glauben auch, daß das, was mein ist, allen Menschen gehöre und daß meine Ziege n dem Dorf gehören und meine Felder jedem meiner gewöhnlichen Leute.« »Um des Himmels Güte willen!« rief Bones entsetzt. Zum ersten Mal dämmerte vor seinen Augen eine Vision des ungeheuren Hindernisses, das zwischen Utopie und täglichem Leben stand. »Gebie ter, Sie sagen auch, daß alle Menschen einander gleich sind wie N'shimba der Große, Gala Gala, vor langer Zeit, einmal gesagt hat. Und daß die Jungen die Welt regieren sollen.« »Das wollen wir sehen!« sagte Bones. Aber da er englisch redete, glaubte der Häuptling, er fluche. Bones ging zum ›Wiggle‹ zurück. Seine erste Handlung war, daß er die gelehrte Abhandlung über Gleichheit, verfaßt von einem russischen Philosophen, der es niemals mit Kannibalen, die an Geister glaubten, zu tun gehabt hatte, ins Wasser warf. Das Buch wurde sofort von einem Alligator verschluckt, der vielleicht am fähigsten war, es zu verdauen. Hierauf schnallte Bones einen Browning an jede seiner Hüften und rief den Sergeanten Ali Ahmet zu sich. »Ali Ahmet, ich gehe zu den jungen Leuten von Isisi. Ich will Palaver mit ihnen halten.« -63-
»Gebieter, Kamerad...!« begann der irregeführte Ahmet. Bones fletschte die Zähne. »Wenn du mich ›Kamerad‹ nennst, dann lasse ich deine Fußsohlen prügeln, bis sie wund sind. Schick mir vier gute Schützen und vier Soldaten, die das kleine Gewehr tragen, das Taktaktak sagt!« Ahmet ging, um die Leute antreten zu lassen. Eine Stunde Marsch auf dem engen Urwaldpfad brachte Bones zu einer Lichtung, wo der Boden sich zu der Gestalt eines Amphitheaters neigte. N'shimba wartete auf ihn, denn die Nachricht von Bones' Ankunft hatte ihn erreicht. Lang und schlank, den Körper bedeckt von einem knapp sitzenden Gewand aus Leopardenfell das zu tragen zu den Vorrechten der Häuptlinge gehörte -, lehnte N'shimba, der Begnadete, auf seinem Speer und beobachtete das Herannahen der Gestalt in Khaki. »Ich sehe dich, Tibbetti!« rief er, aber erhob nicht die Hand zum Gruß. »Ich sehe dich, N'shimba!« erwiderte Bones. »Ich bin gekommen, um mit dir wegen gewisser Gerüchte zu reden, die zu Ohren meines Gebieters Sandi gekommen sind. Denn diese Gerüchte sagen, hier existiere ein Orden, ›Junge Herzen‹ genannt.« »Das stimmt«, sagte N'shimba herausfordernd. »Und ich, N'shimba, bin sein Oberhaupt und größer als alle Häuptlinge. Denn ich wurde von Geistern und Teufeln berufen, die Isisi zu einem freien Volk zu machen. Und ich werde der Größte im Land sein, wie es der große N'shimba vor mir war, denn sein Geist sitzt in meinem Bauch.« Zu N'shimbas Erstaunen war Bones weder aufgeregt, noch zeigte er irgendwelche äußere Zeichen von Ärger. »Das klingt alles sehr schön«, meinte Bones. »Aber die weisen Männer, die ich getroffen habe, erzählten mir, daß die -64-
Seele des großen N'shimba aus einem schwarzen Ei springe. Hast du das Ei schon gefunden?« N'shimba überfiel Unruhe. »Das wird schon kommen, Tibbetti, sobald ich erst meine Größe bewiesen habe.« »Führe mich zu den ›Jungen Herzen‹!« befahl Bones. Zögernd und mit einem besorgten Seitenblick auf die Soldaten führte N'shimba Bones zu dem Amphitheater, das Bones jetzt zum ersten Mal sah. Die Abhänge des Beckens waren schwarz von Menschen, schwarz, mit Gelb gesprenkelt, wo ovale Schilde zu sehen waren, schwarz, das an tausend Stellen glitzerte, wo das Sonnenlicht sich auf den polierten Stahlblättern der Speere fing. Und Bones sprach ohne Einleitung, und neben ihm standen rotbefezte Soldaten und stellten den Dreifuß des Maschinengewehrs auf. Bones sprach Bomongo so geläufig wie ein Eingeborener. Er verfügte über einen ausgedehnten Wortschatz der Bildersprache der Eingeborenen, der alle wachsenden und lebenden Wesen umfaßte. Er sprach schnell und überzeugend über das Eigentumsgesetz und über das Recht des Menschen, sich hervorzutun. Sie hörten ihm schweigend, N'shimba mit finsterem Gesicht, zu. Sie erlaubten ihm, ohne Belästigung fortzugehen, nachdem er geendet hatte. Bones sandte in Siegerstimmung folgende Botschaft durch eine Brieftaube an das Distriktsamt: »Erledigte Isisi-Palaver. Redete sie besoffen. Klopfte Ideen aus ihrem netten alten Gehirn.« Er hatte eben die Botschaft abgeschickt, als Ahmet mit einer Neuigkeit zu ihm kam; dabei hielt er etwas in seiner Hand. »Gebieter, während du mit diesen Jungen Palaver machtest, hat dich das Puttputt im Dorf gesucht. Und das hat es auf der Straße, gerade vor des Häuptlings Haus, gelegt.« Bones sah auf das Ei in des Soldaten Hand und sprang auf. -65-
Seine Augen quollen aus ihren Höhlen. Das Ei war schwarz wie Jett. »Moses!« stammelte er und darauf arabisch: »Wer hat das gesehen?« »Alles Volk, und sie waren alle sehr erschrocken.« »Pfui!« sagte Bones und warf einen vorwurfsvollen Blick auf Florence, die sich auf einer Stuhllehne schaukelte. »Du bist ein sehr, sehr ungezogenes Mädchen. Jawohl, das bist du!« Florence gab einen Laut von sich, der bei allen richtiggehenden Hühnchen gleichbedeutend mit »Bah!« ist. Eine Stunde später kam N'shimba. »Gebieter«, begann er ehrfurchtsvoll, »es geht das Gerücht von einem wunderbaren schwarzen Ei. Nun gib mir das, und ich werde dir mit meiner Kraft zur Verfügung stehen.« »Mann, meine eigene Kraft genügt mir«, entgegnete Bones. »Und was das schwarze Ei anbetrifft, so weiß ich von keinem.« N'shimba entfernte sich ohne weiteren Widerspruch. Um drei Uhr, mitten in der Nacht, gewahrte der Wachposten auf dem ›Wiggle‹, wie sich eine Gestalt leise die Decksplanken entlangschlich. Er schoß sofort, ohne sie vorher anzurufen. Bones kam aus seiner Kabine gestürzt und sah beim Licht von Ahmets Laterne einen toten Mann daliegen. Das Messer, das er zwischen seinen Zähnen geklemmt hielt, verriet genug. In Begleitung von vieren seiner Leute ging Bones ins Dorf. Glücklicherweise war er noch nicht weit gekommen, als der Überfall der ›Jungen Herzen‹ stattfand. Bones kämpfte sich den Weg zum Fluß zurück und warf eben die beiden stählernen Vertäutrossen los, als die Spitze der ›Jungen Herzen‹ das Ufer erreichte. Der ›Wiggle‹ besaß keinen Scheinwerfer, aber zwei Maschinengewehre, die das Ufer fleißig bestreuten. Bones ankerte in der Mitte des Fahrwassers, während Dampf aufgemacht wurde, und bei Tagesanbruch kam ein einsames -66-
Kanu an, das von einem zitternden Mann gepaddelt wurde. Der Mann reichte etwas in einem Bastsack von eingeborener Machart herauf, etwas, das schwer war und naß. Bones erriet den Inhalt, noch ehe das Gesicht des ermordeten Königs Bugulu ihn anstarrte. »Mann, wer schickt das?« fragte er den zitternden Boten. »N'shimba, Gebieter!« antwortete der Mann mit klappernden Zähnen. »Und er befahl mir: ›Sage Tibbetti, daß ich N'shimba bin, der König der Isisi und Akasava und aller Bergvölker und der größte Mann im ganzen Land!‹ Bring mir das schwarze Ei, Tibbetti, und du sollst am Leben bleiben.« Bones zögerte nicht einen Augenblick. »Ich gehe mit dir«, sprach er. Er wußte, daß die Isisi Nachtkämpfer waren. Kein Mann würde seinen Speer gegen ihn erheben, solange es Tag war. Bones ging an Land. Der Leichnam des alten Königs lag steif auf der Dorfstraße, und Bones sah ein totes Weib liegen, wo sie gespeert worden war, und mit ihr zwei betagte Leute, deren Alter ihr Verbrechen war. Kein Mensch hinderte ihn, als er langsam der Hütte des neuen Königs zuschritt, aber das Schweigen war unheilkündend. N'shimba saß vor der Hütte des alten Königs; um seinen Hals hing das Zeichen der Königswürde. »Ich sehe dich, weißer Mann. Gib mir mein hübsches Ei heraus, und du sollst am Leben bleiben.« Bones holte etwas aus seiner Tasche und legte es in die Hand des neuen Königs. »N'shimba, durch Zauber wurde dieses Ding geboren, und es ist ein Ei, wie ich es niemals gesehen habe. Halte es fest, König, und gleich wird dein Teufel aus ihm herauskommen und zu dir sprechen. Aber ich darf dann nicht hier sein, noch irgendein anderer.« -67-
N'shimba nickte würdevoll. »Laßt diesen Mann gehen!« befahl er, und Bones ging schnell die Dorfstraße hinunter. Er trat eben in das auf ihn wartende Kanu, als er den scharfen Knall einer Explosion hörte. Der Teufel in dem schwarzen Ei hatte gesprochen, wie nur ein Teufel sprechen kann, als der unvorsichtige N'shimba die MillsGranate fallen ließ, die ihm Bones in die Hand gedrückt hatte.
Ein nettes Mädchen Weil Terence Doughty ein ungeheures Vermögen besaß, unverheiratet war und weder Schwester noch Bruder hatte, war es eine heikle Sache, ihn auch nur sanft zu tadeln. Wenigstens dachten das seine Tanten, Vettern und Basen und andere, die möglicherweise dafür in Frage kamen, in seinem Testament bedacht zu werden. Er war dreißig Jahre alt, aufgeblasen in einer reservierten Art, ausnehmend hübsch und in einem so erschreckenden Grad gelehrt, daß sich gewöhnliche Leute erst einmal räusperten, ehe sie ihm gegenüber zu bemerken wagten, daß heute doch sehr schönes Wetter sei. Er hatte ein Buch über die arabische Sprache geschrieben und sprach die meisten lebenden Sprachen. Eine ganz zufällige Bezugnahme auf die unregelmäßigen Verben der Bomongosprache, die er in ›Bemerkungen und Fragen‹ gelesen hatte, veranlaßte ihn, das Studium von Eingeborenensprachen aufzunehmen. Zufällig befand sich um diese Zeit ein Missionar vom Großen Fluß auf Heimaturlaub, und von diesem Gentleman lernte Terence mit der bei ihm üblichen Leichtigkeit genug von dieser Sprache, um in ihm den Wunsch entstehen zu lassen, noch nähere Bekanntschaft damit zu machen. Er eröffnete diese Absicht ausgerechnet der Tante, die am -68-
wenigsten vor dem Junggesellen-Millionär-Gelehrten in Ehrfurcht erstarb. »Blech!« schnappte sie. »Hat man je solchen Unsinn gehört! Nach Zentralafrika gehen, um Verben zu lernen! Entweder du bist ein Poseur oder ein Narr, Terence! Such dir ein nettes Mädchen und laß dich irgendwo in England häuslich nieder!« Mr. Doughty überlief es kalt. ›Mädchen‹ ließ ihn jedesmal erschauern. »Liebe Tante! Nettes Mädchen!« äffte er nach. »Seit den letzten zehn Jahren sehe ich mich nach diesem netten Mädchen um. Unglücklicherweise lastet auf mir der Fluch, daß ich hierin noch Ideale besitze. Diese Damen, die ihr, du und die ganze übrige Familie, die Güte hattet, für mich auszusuchen, gütiger Gott! Sie sind fürchterlich! Da ist auch nicht eine unter ihnen, die nicht mein ganzes Schönheitsgefühl verletzte.« »Was für 'ne Sorte Mädchen verlangst du denn?« fragte Lady Morestel gespannt. Mr. Terence Doughty lehnte sich in seinem tiefen Stuhl zurück, schloß halb die Augen, legte die Fingerspitzen der einen Hand gegen die Fingerspitzen der anderen Hand und zählte die erforderlichen Vorzüge auf. »Sie muß hübsch sein, natürlich. Jene Sorte zarter, vergeistigter Schönheit, die das kostbarste Geheimnis um ein Weib webt. Sie muß geistig hochstehend und doch weiblich sein, was ihre innerste Sehnsucht betrifft. Ich muß imstande sein, ihre Gemütsart zu lieben. Verfeinerte Sprache und Gedanken, Unerschütterlichkeit ihrer Ideale - das sind einige von den Eigenschaften, die ich suche, aber nicht finde.« »Nun, in Afrika wirst du sie sicher nicht finden«, sagte die Lady erbost. Terence lächelte. »In Afrika werde ich nach Verben suchen, Tante, und nicht -69-
nach netten Mädchen.« Zwei Monate später schaukelte Terence Doughty sich, die eine Hand auf die nackte braune Schulter eines Ruderers gestützt, auf dem Rand eines Brandungsbootes, wartete den richtigen Augenblick ab und sprang, fast trockenen Fußes, auf den gelben, sandigen Strand. Einer der Bootsmannschaft warf ihm seinen neuen Koffer nach. »Danke!« sagte Terence. Er war von großer und ziemlich athletisch gebauter Gestalt, sein Gesicht mager und gebräunt; seine äußere Erscheinung ließ erraten, daß ein gutes Tropenausrüstungsgeschäft ihn beraten hatte. Er hielt nur einen Augenblick an, um sich eine Zigarette anzuzünden, nahm dann seinen Koffer auf und ging auf das Wohnhaus des Distriktsamtes zu. Sanders kam ihm entgegen. »Mr. Doughty?« fragte er. Doughty hob seinen Tropenhelm ein wenig. »Ich fürchte, Sie sehen mein Kommen nicht gern, Sir!« bemerkte er entschuldigend. »Ich genieße darin einen schlechten Ruf an der Küste«, lächelte Distriktsgouverneur Sanders, »und ich fürchte, er ist gerechtfertigt. Ich liebe Händler nicht und bin in der Regel auch nicht gerade für wissenschaftliche Forscher begeistert.« Er schritt neben dem Besucher. »Und wohin wollen Sie?« »Ich beabsichtige, bis zum Akasavaland zu gehen, von dort aus quer durch das französische Gebiet bis zum Kongo und dann den Strom hinauf bis zu den Stanleyfällen. Sobald ich die Stanleyfälle erreicht habe, werde ich mich entscheiden, ob ich mit der Bahn zum Tanganjika und weiter bis Rhodesia oder ob ich quer durch Uganda bis zur See gehe. Aber da ist ein Punkt, über den ich gern mit Ihnen sprechen wollte, Mr. Sanders, und das ist der: Ich habe mir keine Frist gestellt. Ich reise ganz, wie mir's paßt; und es ist wahrscheinlich, daß ich mich an gewissen -70-
Ortschaften monatelang aufhalten werde. Wenn ich dabei aus Ihrem Gesichtskreis gerate, hoffe ich, Sie damit nicht zu beunruhigen.« »Doch! Das tun Sie«, antwortete Sanders sofort. »Ich glaube zwar nicht, daß augenblicklich Gefahr besteht, denn gerade jetzt verhalten sich die Stämme recht ruhig. Aber hierzulande ›ist morgen ein anderer Tag‹ wie das Sprichwort sagt.« Mr. Doughty wurde Hamilton und Leutnant Tibbetts vorgestellt. Und während das Frühstück vorbereitet wurde, ging Doughty zum Kai hinunter, um nach seinem umfangreichen Gepäck zu sehen, das vor ihm angekommen war, und um sein Missionarsbomongo an der Besatzung des großen Kanus zu versuchen, das vom Akasavaland heruntergekommen war, um ihn flußaufwärts mitzunehmen. »Verdammt netter Kerl!« bemerkte Bones nachdenklich. »Wie Sie mir bezeugen werden, lieber alter Offizier, habe ich mir schon oft gewünscht, mich mal in diese netten alten Verben zu vertiefen. Was meinen Sie dazu, wenn Sie mich mit diesem tapferen alten Doughty hinaufschickten, um ihn ein wenig unter meine Fittiche zu nehmen?« »Lassen Sie mich Ihnen was sagen, Bones!« antwortete Hamilton. »Sie sind niemals um einen Grund zum Rumlungern verlegen. Sie bleiben hier und studieren die alten Verben und die Lohnliste und die Buchhaltung des Vorratsmagazins! Und dann könnten Sie mit den Leuten wieder mal 'ne Felddienstübung abhalten! Die Kerle lassen ganz fürchterlich nach.« Bones seufzte und gab seinen Traum auf. Mr. Terence ging darum allein und gelangte, nachdem er einen Monat lang verfaulenzt hatte, eines Abends beim Dunkelwerden an ein Ufer. »Wir wollen hier über Nacht bleiben«, erklärte er, aber der Vormann seiner Kanubesatzung zeigte sich plötzlich beunruhigt. -71-
»Gebieter, wir wollen lieber bis zur Stadt weiterfahren; die erreichen wir um den Morgen herum. Denn obwohl meine starken Paddler müde sind, werden sie das lieber sehen.« »Warum nicht hierbleiben?« fragte Terence überrascht. Der Mann klopfte mit seinen Handknöcheln auf seine Vorderzahne. »Herr, das hier ist ein verhexter Platz. Denn hier wächst der Weltenbaum, und Teufel treiben sich hier im Überfluß herum. Man kann hier keinen Schritt gehen, ohne einem von ihnen auf den Schwanz zu treten. Laß uns weiterfahren, Herr, denn meine Leute haben Furcht im Magen!« »Dann bringt mich und mein kleines Zelt allein an Land!« befahl Terence, jetzt wirklich interessiert. Er trat allein an das flache Ufer und beobachtete, wie man hastig und ängstlich sein Zelt aufschlug. Sie zündeten - in wahnsinniger Hast - ein Feuer für ihn an und paddelten fort. Terence hatte sich eine Tasse Tee gebrüht und war im Begriff, sich ein Mahl von Hühnerbrust in Dosen und Zwieback zurechtzumachen, als er plötzlich seine Augen hob und eine schmächtige Gestalt im Schein des Feuers stehen sah. Eine Sekunde lang stutzte er. »Ich bin M'mina vom Baum«, sagte das Mädchen schlicht, »und ich bin ein großer Freund der Geister.« »O Weib«, antwortete Terence, »setz dich zu mir und iß!« Sie gehorchte. Im Wald der Seligen Träume, der im Akasavaland liegt, gibt es einen Baum, der dort seit Urzeiten gestanden hat. Das ist der ›Baum der Welt‹, der, nach der von den Jeanoleuten glänzend bestätigten Sage, auf den Gewässern schwamm und der Uranfang alles Seins war. An die bloßen Wurzeln des Baumes klammerte sich Erde und mehr Erde und Felsen, um die Erde an ihrem Platz zu halten; und auf diese Weise gestaltete sich die -72-
Welt. Es ist eine Zeder von ungeheurer Höhe. Ein Wunder an sich, denn im Akasavaland wachsen keine Zedern. Seine Zweige spreizen sich in erstaunlicher Breite. Unter ihm kann man die faulenden Stümpfe anderer Bäume sehen, die im Laufe von Jahrhunderten abgehauen wurden, damit der »Baum der Welt« wachsen konnte. Der Legende nach wird dieser Baum eines Tages verdorren, und an diesem Tag wird die Welt anfangen, wieder ins Wasser zu versinken. Erst werden die Berge zerbröckeln und in den Großen Fluß fallen; dann werden die Felsen zu Staub werden, und zuletzt wird die Erde sich im Wasser auflösen, und es wird keine Erde mehr sein. In einer großen Hütte nahe bei diesem Baum wohnte Ogonobo, der Hüter des Baumes, ein weiser alter Mann, berüchtigt als Freund der Teufel und Genosse von Zauberern. So groß war die geheimnisvolle Macht Ogonobos, daß sogar M'shimba M'shamba, der erbarmungsloseste und vor nichts haltmachende aller großen Dämonen, dessen Haus in den Nächten verschonte, in denen der Orkan ganze Dörfer und Städte dem Erdboden gleichmachte und große Gummibäume mitsamt den Wurzeln wie Maisstengel ausriß. Trotz aller seiner Magie und Unnahbarkeit war Ogonobo kein Asket. Er nahm viele Weiber zu sich, und noch jede schickte er fort, weil sie ihm keine Kinder gebar. Dann hatte er ein Fischermädchen unbedeutender Herkunft zu sich genommen, und dieses gebar ihm M'mina, eine gerade gewachsene, ernst blickende Tochter. Es wurde viel hin und her geredet über das Wunder, daß Ogonobo in seinem hochbetagten Alter noch eine Tochter geboren wurde: So groß ist die Freude der Akasava an Skandalgeschichten. Daß sein Weib viele Liebhaber hatte, war zutreffend, aber welches Akasavaweib hat die Zahl? Sagen sie dort nicht an jedem Hochzeitsfest: »Heute habe ich ein Weib geheiratet, das drei Männer hat?« Sei dem, wie dem wolle, M'mina war jedenfalls eine Tatsache. Und als der alte Ogonobo sein Weib an einen untergeordneten Häuptling verkaufte, wurde -73-
diese M'mina das vornehmste Weib seines Haushaltes, beaufsichtigte seinen kleinen Garten, mahlte sein Korn und kochte für ihn. Männer, die sie zu Gesicht bekamen, Jäger, die, durch ihre Beute verlockt, im Geisterwald umherirrten, fürchteten sie. Einer erzählte eine Geschichte, er habe M'mina, umringt von Tausenden sie umkrächzenden, zu ihr schwatzenden Papageien auf dem Erdboden sitzen gesehen. Und ein anderer wollte sie gesehen haben, wie sie sich in der Gesellschaft von vielen kleinen Vögeln befand, die zu ihr kamen, wenn sie ihnen pfiff. Gewiß ist, daß M'mina einen großen Zauber auf die Vögel ausübte und daß sich sogar die wilden Habichte herbeiließen, sich mit flatternder Schwinge zu ihren Füßen niederzulassen. Das war ihr eigenster persönlicher Zauber. Zufällig kam der Geist des Waldes zu ihr, und sie hatte eine Zwiesprache mit Teufeln. Eines Tages kam sie zu dem alten Mann und erzählte ihm davon. »Ogonobo«, sagte sie, »ich habe einen kleinen gelben Teufel unter dem ›Baum der Welt‹ gesehen. Er hatte rote Augen, und aus seinen Knien wuchsen zwei Hände, die mich zwickten, als ich an ihm vorbeikam.« Ogonobo sagte nichts. Er nahm einen langen, biegsamen Streifen Flußpferdhaut und prügelte sie damit, bis er nicht mehr konnte. »Nun, Weib, sollst du keine Teufel mehr sehen!« M'mina verbrachte den Tag, als ob nichts vorgefallen wäre. Sie schlief in einer kleinen Hütte hinter ihres Vaters Haus, und eines nachts, als er Kopfschmerzen hatte, rief er sie, damit sie ihm heißes Wasser mache. Er fand sie nicht im Bett, aber um die Dämmerstunde sah er sie aus dem Wald schleichen und geradewegs in ihre Hütte gehen. Er beobachtete sie drei Nächte hintereinander, und jede Nacht ging sie in den Wald und kam in der Morgendämmerung -74-
zurück. Da sprach er mit ihr. »Weib«, sagte er, »wenn du einen Liebhaber hast, laß ihn zu mir kommen. Aber wenn du in der Nacht fortgehst, um mit Teufeln zu verkehren, ist das schlimm. Denn ein Liebhaber kann dir nichts als Leben geben, aber Teufel bringen Unruhe. Gestehe mir jetzt die Wahrheit!« »Herr, ich gehe, um mit Teufeln zu sprechen, und zwar mit einem, der größer ist als alle anderen. Denn er wohnt in einem Baum, und Feuer sprüht aus seinen Augen, und eines Tages wird er mich zu sich in seine Hütte nehmen, und wir werden zusammen glücklich sein.« Ogonobo ging, um seinen Riemen zu suchen, und diesmal fiel die Züchtigung sehr stark aus. »Du sollst mir keinen Teufelssohn ins Haus bringen, Weib!« sagte Ogonobo atemlos, den er war ein alter Mann. M'mina erhob sich vom Fußboden und rieb sich ihre gestraften Lenden. Ihre dunklen, ernsten Augen forschten in dem Gesicht des alten Mannes. »Heute nacht wird dein Arm sterben«, sprach sie. »Aber jetzt ist mein Arm noch stark«, antwortete Ogonobo und schlug wieder auf sie ein. In seiner primitiven Art kämpfte er gegen die Illusionen, die Einsamkeit und eine zu lange anhaltende Härte in einem phantasiereichen Kopf aufkommen ließen. Er saß vor seiner Hütte und nahm sein Mahl ein, als die Sonne unterging. M'mina zerquetschte Korn in einem großen steinernen Mörser. Als die Sonne die Äste der Bäume berührte, entfiel das Eßgefäß seinen Händen, und als er versuchte, es aufzuheben, versagte ihm der rechte Arm den Dienst. Von der Schulter bis zu den Fingern war er vom Schlag getroffen. »Weib, komm her!« befahl er. Das Mädchen gehorchte, stand vor ihm, schweigend und auf der Hut. »Mein Arm ist tot, wie du mir versprochen hast. Nun sehe ich, -75-
daß du eine große Hexe bist, und ich fürchte mich. Berühre meinen Arm und mache ihn wieder gesund!« Als sie sich zu ihm niederbeugte, um ihm diesen Dienst zu leisten, schnellte seine gesunde Hand hervor. Er packte sie schnell bei der Kehle und warf sie rückwärts über seine Knie. »Besser, ich habe einen Arm als keinen oder besser gar keine Arme als ganz tot. Ich bin zu alt, um mich zum Tod erschrecken zu lassen. Darum, M'mina, sollst du jetzt schnell ins Reich der Geister eingehen.« Sie lag widerstandslos da, als der Druck seiner sehnigen Finger zunahm. Und als es ihm schien, daß sie sich in ihren Tod ergeben hatte, riß sie sich mit einer Kraft, die er ihr nicht zugetraut hätte, von ihm los und flüchtete in ihre Hütte. Ungelenk erhob er sich und folgte ihr. Als er sich bückte, um durch die niedrige Türöffnung einzutreten, schlug sie ihn zweimal mit ihrer langstieligen N'Gombi-Axt, die sie brauchte, um den Baum zu beschneiden. Ogonobo röchelte heiser, brach in die Knie und hielt sich mit der einen Hand am Türpfosten. »Tot!« sagte M'mina und ließ die scharfe Schneide der Axt auf den ungeschützten Nacken mit all ihrer Kraft niedersausen. Als sie ihn begraben und den Platz gereinigt hatte, ging sie zu ihrem Korn zurück, trug die Mörserkeule in die Hütte und legte sich auf ihre Matte zum Schlafen nieder. Sie nahm Ogonobos Platz ein, murmelte dem Baum beschwörende Worte zu und hielt Zwiesprache mit Teufeln jeglicher Farbe. Eines Tages machte sie sich nach der Königsstadt auf und stand vor des Königs Hütte. Und Ofaba, der König, der von ihr gehört hatte, trat heraus. »Ich sehe dich, M'mina, Tochter Ogonobos, des Hüters des Baumes. Wo ist dein Vater?«, »Herr, er ist tot, und ich habe sein Geheimnis geerbt. Und ich sitze im Wald der Träume, und viele nette Teufel werben um mich. Einen werde ich bald heiraten, und in dieser Nacht wird M'shimba M'shamba an meine Hütte -76-
kommen und mir meinen Hochzeitsgesang singen.« Ofaba schauerte und spuckte. »Auf welche Weise ist Ogonobo gestorben? - Einer meiner jungen Männer sah Blut an den Blättern, als er dort jagte.« »Ein Teufel schlug ihn mit einer großen Axt tot, die größer war als der Baum der Welt. Und ich kämpfte mit meinem Zauber gegen diesen Teufel, und er ist auch tot. Ich zerstückelte ihn und warf eins seiner Beine in den Kleinen Fluß, und dieser trat über, wie jedermann weiß.« Daß der Kleine Fluß übergetreten war, wußte Ofaba. Es hatte schwere Regenzeiten gegeben, aber niemals zuvor war der Kleine Fluß über die Ufer getreten. Das hier war also eine mit Ofabas bekannter Vorliebe für das Mystische und Magische mehr in Einklang stehende Erklärung. »Um dir dieses zu sagen, kam ich zu dir, Herr. Auch habe ich einen Traum gehabt. Und in diesem Traum sah ich Bosambo, den Ochori, vor dir auf den Knien. Und du hattest deinen Fuß auf seinen Nacken gesetzt und sagtest ›Wa‹, und Bosambo zitterte vor Furcht.« Ofaba selber zitterte, aber dieses Gefühl war nicht Furcht, denn sie hatte seinen eigenen Traum geträumt. Das sagte er ihr aber nicht, sondern entließ sie mit Geschenken, nachdem er sie unter wundervollen Zeremonien in ihrem Amt bestätigt hatte. Es gibt ein Sprichwort im Akasavaland, das sagt: »Das Kind des aufgefressenen Mondes ist ein großer Vielfraß«, und Ofaba M'lama, der Sohn B'suris, König der Akasava und oberster Häuptling von den zehn kleinen Flüssen, war als solcher geboren. Denn der Mond stand im letzten Viertel, als Ofaba schreiend zur Welt kam, und B'suri sagte, da er einen Kummer hatte, in dem er auf den schwindenden Halbmond sah: »Dieses Kind will fressen! Es soll die Ochori auffressen.« Das war ein weiser Spruch, der Ofaba so oft wiederholt wurde, lange nachdem er B'suris Häuptlingsstuhl innehatte und -77-
dessen große Silbermünze, das Zeichen seiner Häuptlingswürde, trug und lange, nachdem B'suri steif zum Mitteleiland gerudert worden war, wo tote Menschen in seichten Gräbern ruhen. Es bedurfte wenig, um Ofaba zu erinnern, daß die Akasava die Ochori haßten, denn dieser Haß entsprach nur ihrer Überlieferung. Gala Gala, vor langer Zeit, waren die Ochori ein sklavischer Stamm gewesen, ein furchtsames, niedriges Volk, das beim ersten Schimmer von Gefahr in die Wälder flüchtete mit Weibern und Kindern und den Ziegen, die sich gerade greifen ließen. Manchmal ließen sie ihre Weiber zurück, aber niemals wurde berichtet, daß sie ihre Ziegen sämtlich zurückließen. So kam es, daß sich jeder Stamm das, was er brauchte, von den Ochori holte. Und wenn das ohne Blutvergießen geschah, gelangte auch niemals eine Anklage zum Ohr des Distriktsgouverneurs Sanders, der zwischen See und Fluß in einem großen überdachten Haus saß und unparteiisch Recht sprach. Aber da kam eines Tages ein gewisser Bosambo von der Kruküste, ein entwischter Sträfling, der durch Anwendung fragwürdiger Methoden seine Wahl zur Königswürde gesichert hatte. Und mit dessen Ankunft war ein neuer Geist über die Ochori gekommen, so daß, als die Akasava oder die Isisi deren Land plündern wollten, diese auf eine Kette ununterbrochener Schilde und eine Phalanx von Speeren stießen, und daß es eine Leiche gab oder auch zwei. Ofaba war jetzt ein Mann von zweiundzwanzig Jahren, und in dem Jahr, in dem M'mina Hüterin des Baumes wurde, hatten die Akasava ohne jeden besonderen und erklärlichen Grund eine Mißernte. Ofaba und seine weisen Männer versammelten sich in geheimem Rat. Und in den Mitternachtsstunden rissen sie einen jungen Menschen, der die Schlafkrankheit hatte und darum seines Verstandes nicht mächtig war, vom Lager, schleppten ihn -78-
in den Wald und schnitten ihm dort die Kehle mit dem Blatt von Ofabas rasiermesserscharfem Jagdspeer durch. Dann besprengten sie mit seinem Blut den alten und heiligen Baum, der seit uralten Zeiten dort stand. M'mina beobachtete die Zeremonie von der Hüttentür aus, und als alles vorüber war, trat sie hinzu. »Ich sehe dich, Ofaba, und auch den Mann, den ihr getötet habt, weil das Getreide verdarb. Nun habe ich mit meinem Ehemann gesprochen, der jede Nacht in Gestalt einer Fledermaus zu mir kommt, und er sagt mir, daß Bosambo, der Ochorihäuptling, die Ursache dieser Mißernte ist. An dem Tag, an dem du Bosambo zu mir bringst, wird das Getreide wachsen und das Wild in die Jagdgründe zurückkommen. Denn ich will einen großen Zauber an Bosambo ausführen, der ein wunderbares Schauspiel sein wird. Du sollst ein Ende mit Bosambo machen, wie ich es mit seinen Kundschaftern gemacht habe. Komm!« Bestürzt folgte ihr der König in den Wald und kam an das Ufer. Hier lagen, von Büschen verborgen, drei Gräber. »O Weib«, stammelte er, »was für ein Unheil hast du angerichtet! Denn wenn Sandi erfährt...« »Soll Sandi erfahren, daß der Baum geblutet hat?« antwortete sie bedeutsam, und Ofaba schwitzte vor Angst. »Nun sage ich dir«, fuhr sie fort, »wenn Bosambo selbst kommt, und das wird er, dann bringe ihn hierher, und du wirst glücklich sein.« In seiner Residenz war Distriktsgouverneur Sanders in einer besonders zufriedenen Gemütsstimmung. Zwei Monate lang hatte es nicht das geringste Anzeichen, nicht den geringsten Laut von Unruhe in seinem Bezirk gegeben. Mr. Terence Doughty, dieser eingebildete Sprachforscher, war zur französischen Grenze hinübergegangen, und Bosambo hatte eine -79-
lange Taubenbotschaft über dessen Durchmarsch geschickt. Die Ernte, ausgenommen die Mehlfrüchte bei den Akasava, war gut gewesen. Die Steuern waren willig gezahlt worden. »In der Tat«, sagte Sanders eines Abends, als sie unter der kühlen Veranda saßen, »es ist alles zu schön, um wahr zu sein.« In dieser Nacht wurde er durch einen Mordslärm geweckt, der ihn, Revolver in der Hand, ins Freie stürzen ließ. Irgendwo in der Finsternis kämpfte ein Menschenknäuel, und Hamilton, der sich ihm zugesellte, versuchte eine Erklärung. »Einer meiner verdammten Haussa«, fluchte er. »Der Himmel mag wissen, wo diese Teufel den Gin her haben... Bones!« Bones antwortete aus der Dunkelheit. »Ungezogener alter Dieb versuchte in das Stationshaus zu dringen, Ham, altes Geschöpf...« Fünf Minuten später erstattete ein gänzlich aufgelöster Bones in Pyjama und Moskitostiefeln Rapport. »Schmiß ihn in den Wachraum. Beim Herrgott, wenn ich ihn nicht gesehen hätte, hätte er Sie möglicherweise beraubt, liebe alte Exzellenz! Gemordet, lieber, alter Ham! Wenn das nicht einen Sonderbericht und eine Dienstauszeichnungsmedaille wert ist, dann gibt es keine Gerechtigkeit auf dieser alten Welt.« »Haben Sie ihn gestellt?« fragte Hamilton ungläubig. »Ich habe ihn eigentlich nicht gestellt, Herr und Bruder Offizier«, antwortete Bones vorsichtig. »In der Theorie habe ich ihn gefaßt. Ahmet sah ihn über den Paradeplatz schleichen, und natürlich war ich zur Stelle, ehe eine Ente ihre netten Schwanzfedern zweimal schütteln konnte.« Sergeant Ahmet vervollständigte den Bericht. Er hatte den Räuber gesehen und war auf ihn losgesprungen. »Als wir den Gebieter Tibbetti weckten, befahl er, den schlechten Kerl ins Loch zu stecken.« »Was willst du damit sagen, ›weckten‹?« fragte Bones -80-
entrüstet. »Oh Ahmet, war ich nicht da? Habe ich nicht...?« »Warum diesen unglücklichen Menschen auffordern, wissentlich falsch zu schwören?« fragte Hamilton. »Geh zu Bett, Phyllis, du verlierst deinen Schönheitsschlaf!« Die Trompeter bliesen Reveille, und die braunbeinige Wache stand steif vor dem Wachlokal, Gewehr bei Fuß. Ihre gewollt ausdruckslosen Gesichter starrten angestrengt in die leere Luft. Leutnant Tibbetts, in Khaki, einen langen Säbel zwischen seinen Beinen nachschleifend, stapfte von seiner Hütte herüber. Er hatte den Tropenhelm schief über dem einen Auge nach der Art, wie ein bekannter Admiral ihn dereinst trug, und blickte, nachdem er vor der Wache haltgemacht hatte, auf die vier harmlosen Soldaten. »Die Wache ist vollzählig, Gebieter!« meldete der Sergeant in seinen sonderbaren arabischen Kehllauten. »Laß sie wegtreten, Ahmet!« befahl Bones. »Und holt mir den Gefangenen her!« Da kam aus der dunklen Gefangenenhütte blinzelnd ein Mann ans Tageslicht getreten, bei dessen Anblick Leutnant Tibbetts Gesicht länger und länger wurde. - Und es erforderte - wie Bones oft sagte - einen ganzen Haufen, um es verdutzt zu machen. »Bosambo!« quiekte er auf englisch. »Alle gütigen, gnädigen, lebendigen Himmel! Ich bin zerschmettert!« Der gewaltige Mann grinste blöde. »Mir sein auch verdammt, ebenso! Gleichzeitig, Herr, ich spielen Narr ganzes Zeit, Bonesi.« »Nicht soviel Bonesi!« sagte Bones streng. »Du unartiger alter Nachtschwärmer, du ekelhafter, rumsumpfender alter Sünder. Wirklich, wirklich, Bosambo, ich wundere mich, daß du dich nicht schämst!« Bosambo sah gar nicht besonders beschämt aus, obwohl er, -81-
König und Oberhäuptling der Ochori, die Beschimpfung erlitten hatte, eine Nacht auf der Wache zubringen zu müssen, und in der Mitte der Nacht von vier starken Haussa gewaltsam dorthin geschleppt worden zu sein. »Ich nich sein besoffen, Tibbetti«, protestierte er ernstlich. »Mir sein guter Matthei, Marki, Luki Christ...« »Affengeschwätz!« antwortete Bones grob, und diesmal sprach er Bomongo. »Gebieter«, erwiderte Bosambo in der gleichen Sprache, »ich kam nachts hierher wegen gewisser Nachrichten, die mir meine Kundschafter überbrachten. Und weil ich im geheimen kam, da ich nicht wünschte, daß mich deine Soldaten erkennen sollten, Gebieter, gab ich mich ihnen nicht zu erkennen, als sie mich beim Durchqueren des Exerzierplatzes überfielen. Und ich habe mich mit ihnen rumgeschlagen und schreckliche Wörter gebraucht, weil ich dachte, ich könnte so in der Nacht von dem kleinen Gefängnis loskommen und meine eigenen Wege gehen.« Bones begab sich ins Wohnhaus und ließ den ›Gefangenen‹ in seiner eigenen Hütte. Hamilton, in seinem Pyjama, rasierte sich soeben auf der Veranda. Er sah die kriegerische Gestalt - auf alle Fälle würde er das Rasseln des Säbels gehört haben - und unterbrach seine Beschäftigung. »Morgen, Mars! - Irgendein Krieg in Sicht?« fragte er, indem er sein Grimassenschneiden im Spiegel und die Handhabung seines Rasierapparats wieder aufnahm. »Lieber alter Offizier, es gibt gewisse Lagen im militärischen Dienst, über die kein Kommandeur von Selbstachtung scherzt«, antwortete Bones mürrisch. »Wenn ich mir erlaubt hätte, nicht in meiner Regimentsuniform zu kommen, würden Sie Spuk gemacht haben.« »Nun, haben Sie den spektakelnden Teufel vor das Standgericht gestellt und erschossen?« fragte Hamilton. »Er hat -82-
Sanders aus dem Schlaf geweckt...! Wer war's denn? Und wer hat es getan? Abiboo sagte, jemand hätte hier einbrechen wollen.« »Es war Bosambo«, berichtete Bones mit dramatischem Pathos. Er genoß die Sensation, die seine Worte verursachten. »Bosambo? Unsinn!« Bones hob seine Brauen und schloß seine Augen. »Sehr gut, netter alter Herr. Ich habe jedenfalls meine Pflicht getan. Mehr kann ich nicht tun.« »Bosambo!« Sanders stand im Türrahmen, und Bones grüßte. »Ja, Exzellenz, Bosambo! Ich hatte einen Verdacht, daß er es in der letzten Nacht war.« »Sie sagten, Sie wüßten, es sei ein Fischer vom Unteren Fluß, der eine Geneverflasche erwischt habe«, begann Hamilton, aber Sanders' Hand gebot Schweigen. »Schicken Sie ihn her, Bones!« befahl er ruhig. Bosambo kam in einer selbstbewußteren Haltung an, als Bones für anständig hielt. »Gebieter, es ist wahr, ich kam wie ein Dieb, da ich im geheimen mit dir reden wollte«, sagte er offen. »Denn ich wollte über eine große Sache mit dir reden, und mein Magen war sehr beunruhigt.« »Du hast mir früher auch wichtige Nachrichten gebracht und bist dennoch am Tag gekommen«, entgegnete Sanders streng, »und du hast mich beim Palaver aufgesucht. Und jetzt kommst du wie ein Isisiräuber! Und meine Soldaten haben dich und dadurch auch mich und meinen König gedemütigt. Hattest du keine grauen Vögel oder schnellen Boten?« »Gewiß, Gebieter, gibt es das alles«, antwortete Bosambo ruhig. »Eine graue Taube kam letzte Woche zu mir, und um ihr -83-
kleines rotes Bein war ein Buch (Brief) befestigt, das befahl, ich solle nicht mehr nach Dotti (Doughty) suchen, da er auf eine längere Reise nach Niederisisi gegangen sei.« Sanders richtete sic h mit einem Ruck in seinem Stuhl auf. »Mensch, was sagst du? Ich habe dir nur eine Botschaft wegen der Steuern geschickt.« Bosambo kramte in seinem Gewand aus Leopardenfell und nahm ein zusammengefaltetes Papier heraus, das er dem Distriktsgouverneur, ohne ein Wort zu sagen, überreichte. Sanders las und runzelte die Stirn. »Den Brief habe ich dir nicht geschickt. Und was Dotti anlangt, so ist dieser vor zwei Monaten ins französische Gebiet gegangen, und du selbst hast mir das in deinem Brief gemeldet.« »Gebieter, einen solchen Brief habe ich dir niemals geschrieben, noch habe ich Dotti zu Gesicht bekommen. Und wegen gewisser Gerüchte sandte ich Kundschafter ins Akasavaland, aber sie kehrten niemals zurück. Ich wäre selbst dorthin gegangen, aber meine jungen und schlauen Horcher meldeten mir, daß Ofaba nur darauf warte, mich abzufangen, und daß seine Kanus den Fluß überwachten. Und darum, Gebieter, kam ich im geheimen.« Sanders rieb sein Kinn. Sein Gesicht nahm harte Züge an. »Lassen Sie die ›Zaire‹ Dampf aufmachen, Hamilton! Sobald Sie fertig sind, werde ich nach dem Oberen Fluß fahren. Ich brauche zehn Soldaten - und einen Strick.« Im dichtesten Dschungel des Traumwaldes und an einem versteckten Platz zwischen zwei sumpfigen Wiesen befand sich eine Hütte, vo r deren Tür, auf einem Fellbett ausgestreckt, ein junger Mann lag; gelb im Gesicht, abgemagert und unrasiert. Das Fieber, das die Menschen in diesem Wald der Träume überfällt, tobte in ihm, und seine Zähne klapperten fürchterlich. Dennoch lächelte er, und seine Augen leuchteten auf, als das -84-
Mädchen unter den Bäumen hervortrat und in ihren Armen einen großen, dampfenden Topf trug. »Bei Jupiter, M'mina, ich freue mich, dich zu sehen«, sagte er in englischer Sprache, während er seinen Arm ausstreckte und ihre Hand ergriff. »Mein Ehemann und Liebhaber«, murmelte sie, indem sie seine dünnen Finger zwischen ihren Handflächen liebkoste. »Ich verstehe nicht, wenn du in dieser Sprache sprichst. Ich habe dir hier zu essen gebracht, und ich habe mit den Teufeln gesprochen, damit du gesund wirst.« Terence kicherte schwach. »Die grauen Vögel sind noch nicht zurück?« »Einer muß bald kommen... mein Geist sagt mir das.« Sie kauerte sich auf den Erdboden neben ihn. Er ließ seinen Arm auf ihre Schultern sinken und sah zärtlich in das hübsche Gesicht. »Es gibt kein zweites Weib in der Welt wie du, M'mina. Du bist die schönste von allen. Und ich werde dich über das schwarze Wasser mit mir nehmen, und du sollst eine große Dame werden.« »Gebieter, ich werde hierbleiben und du auch. Denn ich wußte sofort, als ich dich das erstemal sah, daß du der Gatte seiest, von dem mir die Geister flüsternd erzählten.« Entzückt sah er sie an. »O Weib«, sagte er auf Bomongo, »du bist sehr schön.« Er hielt plötzlich inne, denn ihre Augen suchten den Horizont ab. Plötzlich sprang sie auf, ihre Lippen spitzten sich, sie stieß einen langen melodischen Triller aus. Es war kein richtiger Pfiff, eher ein hoher Ton aus ihrer Kehle, und obwohl dieser nicht sehr laut war, hielt der schnelle Vogel, der gerade diese Stelle überflog, in seinem Flug inne, wendete auf der Stelle, senkte sich in immer enger werdenden Kreisen niedriger, bis er zu -85-
ihren Füßen niederging. Sie bückte sich, hob die graue Taube auf und glättete deren Gefieder. Darauf nahm sie mit geübten Fingern das Seidenpapier, das mit einem Gummibändchen um das Beinchen des geflügelten Boten befestigt war, und gab es dem Mann. Dieser starrte auf die arabischen Buchstaben. »Es kommt von Sandi und ist an Bosambo gerichtet, und es sagt: ›Alles ist wohl‹.« Sie nickte. »Dann kann dieser kleine Vogel gehen, und du, Gebieter, brauchst keine Botschaft zu schreiben, um den fetten Ochorimann zu täuschen. Gebieter, ich fürchte diesen Mann, und ich habe mit Ofaba gesprochen, daß er getötet wird.« Terence fiel auf sein Kissen zurück und schloß die Augen. »Du bist ein wunderbares Mädchen!« murmelte er auf englisch, und sie versuchte, diese Worte nachzusprechen. »Gescheites Mädchen... Was für einen glänzenden Geist mußt du haben!« murmelte er. Sie bückte sich und bedeckte ihn mit einer Felldecke. Darauf wandte sie sich schnell um. Sie hatte Fußtritte gehört. Ein magerer Mann in weißem Tropenanzug kam quer über die Lichtung geschritten, und hinter ihm sah sie den Glanz stählerner Bajonette und die roten Feze von Soldaten. »O Sandi«, grüßte sie ohne Verlegenheit, »so hast du mich und meine Ehemann gefunden.« »Und drei kleine Gräber, M'mina«, bemerkte Sanders mit ruhiger Stimme. »Und nun bist du mir für dein Leben verantwortlich.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Mich wirst du nicht töten, Sandi. Denn das tust du nicht. Niemals hast du ein Weib an einem Baum aufgehängt. Und ich weiß, ich werde am Leben bleiben, weil gewisse Geister und Teufel mich liebhaben und weil mein Zauber mir hilft. Mir und diesem Mann.« -86-
Terence starrte Sanders an, einen düsteren Ausdruck auf seinem abgezehrten Gesicht. »Morgen!« sagte er, ein wenig empfindlich. »Sie kennen meine Frau?« »Ich kenne sie sehr gut«, antwortete Sanders sanft. »Hoffe, Sie haben nichts dawider, daß ich mit Ihren Botschaften Unfug ge trieben habe...! Was ich sagen wollte... schließlich habe ich doch das Bomongowort gefunden für...« Seine Stimme sank zu einem schläfrigen Murmeln herab. Mr. Terence Doughty erlangte nicht eher sein volles Bewußtsein wieder, als bis er sich schon auf halbem Weg nach England befand. Und dann war es ihm, als ob er aus einem bösen Traum aufwache. In diesem Traum spielte eine fremdartige, anmutige Gestalt eine Rolle, deren er sich nicht erinnern konnte und die er nicht kannte. Und sein ganzes Leben lang, als er schon längst standesgemäß verheiratet und zufriedener Ehemann war, schwang in seinem Unterbewußtsein die Vorstellung eines größeren Glückes mit, dem er irgendwo, irgendwann einmal begegnet sei. In dem Dorf der Ketten, in jener Abteilung, die für die Fraue n bestimmt war, die sich gegen das Government vergangen hatten, saß M'mina und sagte oft zu ihren Leidensgefährtinnen: »Sandi hat mir meinen Mann genommen, aber meine Seele, mein Geist und meine Erscheinung sind immer bei ihm, und mein Teufel soll ihm ins Ohr flüstern: M'mina wartet auf dich im Wald der Seligen Träume.« In einem Sinn war das buchstäblich wahr, obwohl Terence Doughty entsetzt gewesen wäre, wenn er das Weib in Wirklichkeit wiedergesehen hätte, das als unbestimmte Vorstellung durch seine Gedanken zog und den Gegenstand seiner vielen Träume bildete. Einmal wachte er mit einem Schrei auf, und seine Frau fragte -87-
ihn, ob er krank sei. »Nein, nein... ich dachte gerade... ein hübsches Mädchen... Ich quäle mich, wer sie war...!« Sie lächelte. Sie war klug genug, an ihres Mannes Vergangenheit nicht zu rühren; aber es gab Zeiten, in denen auch sie gern gewußt hätte, wer jenes ›schöne Mädchen‹ eigentlich war.
Die Messingbettstelle Es gibt keinen Stamm am Fluß, der nicht sein ureigenstes Geheimnis hätte. Im Laufe der Jahre hatte Distriktsgouverneur Sanders praktisch Kenntnis von einigen Hunderten solcher Geheimnisse erlangt. Dennoch war er sich wohl bewußt, daß er damit nur einen kleinen Bruchteil erfaßt hatte. Denn innerhalb jedes Geheimnisses lag, eingekapselt, noch ein weiteres. Er wußte, daß zwischen den Hülsen einer wilden Erbsenart ein wohltätiger Geist namens ›Cha‹ wohnte, der Glück und Wohlstand brachte. Und auch, daß, wenn diese Erbse in vier Teile gespalten und an vier Leute verteilt wurde, einer von ihnen innerhalb eines Monats sterben würde. Aber erst nach Jahren erfuhr Sanders, daß, wenn einer dieser vier Teile grün bliebe, es neun Monate lang keine Fische im Fluß geben würde. Jede Pflanze, jeder blühende Baum hatte seinen eigenen Charakter, gut oder schlecht. Und einmal wurde Sanders hundertundfünfzig Meilen weit zum Palaver geholt; und alles nur, weil der Stamm einer Mehlfrucht nur einen einzigen Kolben getragen hatte und das ein Zeichen kommender Seuchen war. Manchmal wollte eine besondere üble Vorbedeutung sich überhaupt nicht zeigen. Und dann saßen hunderttausend Männer und Weiber und zitterten vor Furcht, daß sie kommen würde. Dann wurden Streifen ausgeschickt, um das sichtbare Zeichen zu suchen, an das sich diese Vorbedeutung knüpfte. -88-
Schließlich brachte Sanders das auf eine Formel. In der Residenz befand sich ein massives Haus, das zur Zeit eines Krieges gebaut worden war, um Munition darin zu lagern. Das Magazin diente noch diesem Zweck, aber Sanders fand es noch zu etwas anderem gut. Es wurde ein Aufbewahrungsort von Zaubermitteln. Wenn M'shimba M'shamba - so wird ein Tornado bezeichnet ausblieb und die Isisi und N'gombi zusammenkamen, um in feierlicher Sitzung zu erörtern, welches Übel dem großen grünen Geist begegnet sein könne, da er nicht einherschritte, kam Sanders. »Habt keine Angst! M'shimba M'shamba weilt bei mir, in meinem Geisterhaus, da er sehr müde ist.« Als der berühmte »Baum der Welt« durch einen Sturm entwurzelt und vom Fluß außer Sicht geschwemmt wurde, konnte Sanders ein zitterndes Volk beruhigen. »Dieser große Baum ist. Er wohnt in meinem sonderbaren Geisterhaus, und kein anderer wird ihn sehen. Und dort bleibt er, um guten Zauber für die Isisi zu machen.« Bones wurde auf ganz natürliche Weise Kustos des Geisterhauses. Da er herausfand, daß mit dieser Stellung ein gewisser Vorteil verbunden war, beanspruchte er diesen Posten für sich. Und als das Volk vom Unteren Fluß sein Juju, seinen Zauberfetisch, verloren hatte - ein eingeborener Handwerker hatte ihn boshafterweise auf die ›Zaire‹ gebracht und im Maschinenheizraum versteckt -, gab Sanders sich ein gewichtiges Ansehen. »Dieser feine Zauberfetisch kam in mein Geisterhaus und wohnt jetzt dort. Und jeden Morgen spreche ich zu ihm, und er spricht zu mir.« »Gebieter, wir möchten gern unseren schönen Zauberfetisch sehen, denn er wurde auf eine ganz wundervolle Weise aus einem Zauberbaum unserer Väter hergestellt«, erklärte einer der -89-
Ältesten beunruhigt. »Den könnt ihr sehen«, sagte Bones bedeutungsvoll, »aber wenn ihr auf die anderen Geister seht, die mit ihm zusammenwohnen, fallen euch eure Augen aus.« Man entschied sich, den Zauberfetisch seiner zarten Fürsorge zu überlassen. Dieses System arbeitete außerordentlich gut, bis Bosambo mit den Akasava in Streit geriet. Bosambo, oberster Häuptling der Ochori, der meistgefürchtete von allen Häuptlingen, hatte eine elementare aber wirkungsvolle Art, Recht zu üben. Für ihn galten keine Grenzen, kein Machtbereich war ihm heilig, obwohl er selber die Wahrung der Grenzen und die Unantastbarkeit des Ochorigebietes rücksichtslos erzwang. Eine Abteilung jagender Akasava kam in das Waldland am äußersten Südrand seines Landes auf der Suche nach Wild. Und diese setzten sich mit einer herrischen Gleichgültigkeit über die Unverletzlichkeit seiner Grenzen hinweg und speerten und schossen, ohne auch nur soviel wie ›mit Ihrer gütigen Erlaubnis‹ zu sagen. Sie waren hinter den kleinen Affen mit weißen Bärten her, die von den Akasava-Feinschmeckern als Delikatesse angesehen und nur im südlichen Ochorigebiet gefunden wurden. Nun essen die Ochori selbst keine Affen. Sie fangen sie und zähmen sie zu Lieblingen des Haushalts, so daß man nicht durch ein Ochoridorf gehen kann, ohne auf die weißbärtigen kleinen Gestalten zu stoßen, die zufrieden auf den Hüttendächern hocken und hauptsächlich mit einer immerwährenden Flohjagd beschäftigt sind. Boten brachten Nachricht von dem Eindringen der Akasava. und Bosambo machte sich schleunigst mit fünfzig Speermännern nach dem Süden auf. Sie stießen auf die Akasava-Jagdstreife, als diese beim Feuer saß, über dem zusammengeschrumpftes Affenfleisch röstete. -90-
Was sich hierauf ereignete, braucht auf diesen Seiten nicht beschrieben zu werden. Bosambo hatte nicht das Recht, die Wilddiebe mit einem glühendheißen Speerblatt zu brennen, und sicherlich verirrte sich seine Behandlung nicht in die Richtung des Zartgefühls. Zehn Tage später kam die müde Jagdstreife nach der Akasavastadt und trug ihre Klagen vor. »Königlicher Gebieter, dieser Bosambo verprügelte uns und brannte uns mit glühenden Eisen. Und wenn wir von unserem König sprachen, schnitt er uns schreckliche Gesichter.« Das war ein Grund zum Krieg. Aber die Ernte war noch nicht eingebracht. Darum sandte der König seine Ältesten zu Sanders. Es gab ein Palaver, und Sandi fällte sein Urteil. »Wenn ein Mann in das Lager eines Leoparden geht, soll er dann zu mir kommen und sagen: ›Ich bin gekratzt worden‹? Denn die Leoparden haben ihren Platz, und der Jäger hat seinen Platz. Und wenn ein Mann seine Hand in den Kochtopf steckt, soll er dann das Weib am Feuer töten, weil er sich die Hand verbrannt hat? Es gibt einen Platz für die Hand und einen Platz für das kochende Fleisch. Nun gebe ich euch ein Rätsel auf: Wie kann ein Mann sich verbrennen, wenn er nicht an das Feuer geht? Sorgt, daß kein Akasava im Ochoriwald jagt! Und was den Oberhäuptling Bosambo anlangt, so werde ich ein Palaver mit ihm halten.« »Gebieter!« bemerkte einer der beleidigten Jäger, »wir schämen uns vor unseren Weibern, denn wir können uns nicht setzen.« »Dann steht!« antwortete Sanders lakonisch. »Und was eure Weiber anlangt, so sagt ein weises Sprichwort der Akasava: Kein Mann wendet sein Gesicht in die Sonne oder seinen Rücken seinem Weibe zu. Das Palaver ist aus.« Sanders suchte Bosambo in seiner Hütte auf. »Bosambo, du sollst weder verstümmeln noch töten. Noch -91-
sollst du ein anderes Volk demütigen. Wenn diese Männer in deinem Wald jagten, hast du nicht in ihren Gewässern gefischt? Man erzählt mir, daß du mit deinen Speeren ins Akasavaland gehst, um ihre Wälder vom Wild zu erleichtern. Das ist mein Befehl: Du sollst nicht wieder deren Jagdgründe betreten, solange sie nicht die deinigen betreten.« »O Ko!« sagte Bosambo traurig, denn das Verbot, das ihm jetzt auferlegt worden war, war das letzte, was er ersehnt hatte. Bosambo hatte eine Leidenschaft für Wildenten, die es nur in den Akasavamarschen gab, und diese Entbehrung kam ihm schwer an. »Gebieter, ich habe in meinem Herzen bereut, denn ich bin ein Christ genau wie du, und ich bin gut bekannt mit Marki, Luki und Johanni und anderen englischen Lords. Laß meinetwegen die Akasava in meine Wälder kommen, und ich will dafür in ihr Land gehen, um die kleinen Vögel zu fangen. Denn, Gebieter, ich habe diesen Akasavaleuten nicht wehe getan; ich habe sie doch nur zum Scherz gebrannt und geglaubt, sie würden darüber lachen.« Sanders lachte nicht darüber. »Männer lachen nicht, wenn sie so gebrannt werden«, entgegnete er und weigerte sich, das Verbot aufzuheben. »Wenn sie zu dir kommen, magst du zu ihnen gehen«, wiederholte er, als er fortging. Fast drei Monate lang spielte Bosambo den Versucher. Er zog seine Kundschafter aus dem Wald zurück. Er sandte geheime Botschaft zum Akasavakönig und lud ihn zu großen Jagden ein. Er übermittelte ihm Beleidigungen und Drohungen, um alles in dessen Busen zu entfesseln, was zum Krieg führen konnte. Aber der Akasavakönig wies diese Eröffnungen zurück und erwiderte Beleidigung mit Beleidigung. Und Bosambo dachte an Entenbraten und wurde schlechter Laune. Dann empfing Sanders eines Tages eine Botschaft von einem seiner Kundschafter, die ein wachsames Auge auf das -92-
Akasavavolk hatten. Und diese Wachsamkeit war höchst notwendig, denn abgesehen von dem Zwist mit Bosambo, hatte es eine ungewöhnlich gute Ernte gegeben. Und wenn die Ernte groß ist und die Ziegen sich bei den Akasava vermehren, so daß die Leute innerhalb einer Jahreszeit wohlhabend werden und für den Augenblick von dem Druck befreit sind, den gerecht angewandte Besteuerung und die Widerspenstigkeit des Bodens ihnen auferlegen, dann wenden sie ihre Gedanken den Speeren zu und den alten Sagen von Akasavatapferkeit, von denen die Alten erzählen und die jungen Mädchen singen. Und in ihrem Stolz sind sie dann geneigt, sich nach neuen Feinden umzusehen oder alte Zwiste auszugraben. Denn so ist es bei allen Völkern: Glück und Müßiggang sind die Ursachen allen Unheils. Gala Gala, vor langen Zeiten, hatten die N'gombi, die äußerst geschickte Arbeiter in Eisen waren, eine Bettstelle aus solidem Messing gestohlen, die dem Akasavakönig von einem irregeleiteten Missionar vermacht worden war. Dieser wiederum hatte sie von einem ebenso irregeleiteten Gönner erhalten. Und diese Bettstelle aus Messing war zwanzig Jahre lang ein Gegenstand der Verehrung und ehrfürchtiger Scheu gewesen. Darauf war die Akasavastadt in einem drei Monate dauernden kleinen Krieg zwischen den Akasava und den N'gombi erstürmt und geplündert worden. Und das Messingbett war quer über den Fluß in die Tiefen des Urwaldes geschleppt worden. Und dort war es unter geschickten N'gombihänden in Gestalt von Gefäßen und Ringen und dünnem Draht von fabelhaftem Wert wieder auferstanden. Denn ein Gegenstand aus Metall übt unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Handwerker des Waldes aus - hatte Sanders nicht selbst einen Stahlamboß vom Unterdeck der ›Zaire‹ verloren? Die Geschichte, wie zehn Mann, die dieses Metallgewicht mit sich führten, quer über den Fluß schwammen, ist heute noch eine Legende bei den N'gombi. Die wahre Stadt dieses Volkes liegt zwei Tagesmärsche weit im Urwald. Und dorthin kamen eines schönen Morgens Boten -93-
des Akasavakönigs - vier hochmütige Männer, die Federn in ihrem Haar und Leopardenfelle um die Hüften trugen -, und jeder von ihnen besaß einen neuen Schild und ein Bündel von blitzenden Schlachtspeeren, die die N'gombi mit Kennerblicken beäugten. »O König, ich sehe dich«, sagte der Führer der Gesandtschaft, ein gewisser M'guru. »Ich komme von eurem Herrn und König, dem Gebieter der Akasava, die, wie ihr wißt, das größte Volk in diesen Ländern sind, und die sogar von Sandi wegen ihrer Tapferkeit und ihres wunderbaren Mutes gefürchtet werden.« »Ich habe wohl von solchem Volk gehört«, entgegnete der N'gombikönig, »obwohl ich es niemals gesehen habe, außer den Leuten, die Fische speeren und am Flußufer wohnen.« Diese Worte waren als tödliche Beleidigung beabsichtigt und auch als solche aufgenommen worden. Denn die Akasava sind große Fischesser, und die N'gombi meiden Fische und ziehen Frösche und Schlangen vor, wie die Nachrede behauptet. »Mein König wird sein Volk hierherbringen, um euch zu sehen«, sagte der Gesandte mit Nachdruck. »Und das wird er sehr bald tun, wenn ihr uns nicht die Bettstelle wiedergebt, die ihr uns vor langer Zeit gestohlen habt und die mein König haben will.« Der N'gombikönig rauchte eine langstielige Pfeife mit einem winzigen Pfeifenkopf, und der beißende Geruch des Tabaks war eine Beleidigung für die Nase des Akasavaboten. »Bin ich M'shimba M'shamba, daß ich aus nichts etwas machen kann?« fragte der N'gombi. »Und was eure Bettstelle anlangt, so existiert sie nicht. Noch wird sie jemals wieder da sein. Nimm dieses Wort zu deinem kleinen Akasavakönig: Ich bin M'shulu M'shulu, der Sohn B'faros, Sohn des M'labo, Sohn des Egoro, der die Akasavastadt in Flammen setzte und das Bett mit sich nahm, das sein war von Rechts wegen. Und daß ich, der Mann, der jetzt spricht, die Akasava treffen werde. Und viele -94-
von ihnen werden dann schnell nach Hause laufen. Und die, die laufen werden, werden die Glücklichsten sein, denn sie werden am Leben sein. Das Palaver ist aus.« Alle diese Nachrichten brachte die Gesandtschaft zu den Akasava zurück. Und die Lokolis rollten, die jungen Männer tanzten Freudentänze, wie junge Männer es tun, wenn der Wahnsinn des Krieges über ein Volk kommt. Und dann, als die geheimen Vorbereitungen getroffen waren und alles in Bereitschaft war, sah ein Akasavamann, der durch den Wald am Flußufer ging, einen Fremden eine Taube in die Luft werfen. Der Fremde wurde gefesselt vor den Akasavakönig gebracht und ein Kriegsrat gehalten. »O Mann«, redete der König den Gefangenen an, »du bist einer von Sandis Kundschaftern. Und ich glaube, du hast übel von meinem Volk gesprochen. Darum sollst du sterben.« Der Kanojunge nahm das Urteil mit stoischem Gleichmut auf. »König, Gebieter«, sagte er, »ich habe einen großen Zauber in meinem kleinen Korb. Laß mich ein Wort zu ihm reden, ehe ich sterbe, und ich werde Gutes über euch zu den Geistern der Berge sprechen.« Sie brachten ihm den Korb und die Taube, die er enthielt. Er liebkoste sie fünf Minuten lang und keiner sah, wie er ein Schnitzel Papier, kaum eine Daumenlänge groß, in das rote Band um das Bein der Taube steckte. Noch ehe sie gewahr wurden, was vor sich ging, hatte er die Taube in die Luft geworfen. Die flog mit langen stetigen Flügelschlägen und immer weiter werdenden Kreisen höher und höher, bis sie außerhalb der Reichweite der Pfeile war, die die jungen Männer auf sie abschossen. Sechs junge Krieger schleppten Ali, den Kanojungen, in den Wald. Dort bogen sie einen jungen Baum herunter, befestigten einen Strick an dem Wipfel und das andere Ende des Strickes in einer Schlinge um den Nacken des Spähers. Seine Füße wurden -95-
an den Boden gefesselt, so daß er fast bis zum Erdrosseln durch die Spannung des Baumes langgestreckt wurde. Der König selber schlug ihm mit einem krummen N'gombimesser den Kopf ab, und das war das Ende Alis, des Spähers. Drei Tage vergingen, ehe die letzten Vorbereitungen getroffen waren, und am Morgen des vierten Tages versammelte der Akasavakönig seine Krieger am Ufer des Flusses. Der Strand war schwarz von ihren mit den Kriegsfarben bemalten Kanus, ihre Speere glitzerten wunderbar in der Sonne. »O Volk«, sprach der König, vor Überheblichkeit dem Wahnsinn nahe, »jetzt werden wir den N'gombi ein Ende machen...« Seine Rede näherte sich ihrem Ende - denn er war ein berüchtigter Schwätzer -, als der weiße Bug der ›Zaire‹ um den bewaldeten Vorsprung herumschoß, der dem Auge die Krümmung des Flusses verbirgt. »Das ist wirklicher Krieg!« rief der König, und er hatte kaum ausgesprochen, als ein weißes Rauchwölkchen von dem kleinen Dampfer aufstieg; darauf gab es ein Heulen, eine krachende Explosion, und alles, was vom Akasavakönig übrig blieb, war ein häßlicher blutiger Haufen am Strand - es war ein ungewöhnlich glücklicher Schuß. Sanders kam mit fünfzig Haussa und vier Maschinengewehren an Land. Es gab keinen Widerstand, und Kofaba, des Königs Neffe, regierte an dessen Statt. Bei dem Palaver mit dem gesamten Volk erledigte Sanders, wie er hoffte, die Angelegenheit mit dem Messingbett für immer. »Dieses Messingbett ble ibt für immer in meinem Geisterhaus, zusammen mit Zauberjujus und anderen wunderbaren Dingen. Denn Gala Gala, vor langer Zeit entführte ich es den N'gombi durch Zauberei und brachte es fort, damit es keine Kriege mehr darum geben sollte. Und Tibbetti, der der Hüter des -96-
Geisterhauses ist, sieht es jeden Morgen und jeden Abend und liebkost es. Denn es ist einzig in seiner Art in der Welt und bleibt das Eigentum der Akasava. Und kein anderer Stamm, weder die N'gombi noch die Isisi, weder die kleinen Buschmänner noch die Ochori sollen diesen großen Schatz je zu Gesicht bekommen.« Der wachsame Bosambo, der seine Kriegerscharen in Bereitschaft gehalten hatte, um dazwischenzutreten, entließ diese ärgerlich, als er von der verhältnismäßig friedlichen Beilegung des Streites erfuhr. Bosambo hatte im Traum schon neue Verträge gesehen und die Aufhebung der alten Beschränkungen, und es war eine Enttäuschung für ihn, als er erfahren mußte, daß der Streit so unblutig geendet hatte. Die Ursache des Zankes war ihm klar und machte eine Zeitlang gar keinen Eindruck auf ihn. Denn Geister und Jujuzauber und okkulte Geheimnisse jeder Art hatten keinen Platz in seiner nüchternen Denkweise. Er trat in neue Verhandlungen mit dem neuernannten König der Akasava ein und schickte zwei von seinen Ratgebern als Gesandte zu ihm, um ihn zu beglückwünschen. Gleichzeitig ließ er ihm einen großen Sack Salz als Friedensgeschenk übermitteln. Aber Kofaba erwies sich nicht zugänglicher als sein Vorgänger. »Geht zurück zu Bosambo, eurem kleinen Häuptling«, befahl er mit der Anmaßung des eben zur Würde Gelangten, »und sagt ihm, ich, Kofaba, bin ein Anhänger Sandis und werde Sandis Gebot halten. Und euer Salz ist schlechtes Salz, denn es ist in das Wasser gefallen und hart geworden.« Das war richtig. Bosambo, der sehr sparsam veranlagt war, behielt diesen Sack Salz als Dauergeschenk. Es war bei den Häuptlingen und Königen Sitte, sich gegenseitig mit Geschenken zu begrüßen, obwohl diese Zeremonie mehr oder weniger nur zum Schein beobachtet wurde, denn das Geschenk -97-
wurde fast immer mit höflichem Dank zurückgegeben. Es ist richtig, daß Bosambo selbst niemals etwas zurückgegeben hatte und daß er diesen Sack klumpigen Salzes zurückhielt, für den Fall, daß irgendein Würdenträger des Landes, der nicht genug Anstand besaß, das angebotene Geschenk zu erwidern, das Salz wirklich annehmen sollte. Bosambo war erbost über die Botschaft. »Dieser Kofaba scheint mir ein ganz gewöhnlicher Kerl zu sein«, meinte er. »Und nun setzt euch her zum Palaver! Wir wollen große Gedanken aushecken.« Dieses Palaver dauerte fast vier Tage, und jeder Plan, ein Eindringen in sein Königreich zu provozieren, wurde abgelehnt. Bosambo hätte seine eigenen Wilderer losschicken können, um seine gastronomischen Wünsche zu befriedigen. Aber in ihm mischten sich Gesetzlosigkeit und Gesetzesgehorsam auf eine seltsame Weise, und er würde sich nicht mehr Gedanken darüber gemacht haben, sein Wort Sandi gegenüber zu brechen, als darüber, sein eigenes Weib zu ermorden. Am vierten Palavertag verfiel er auf eine großartige Idee. Abends schickte er ein Kanu mit sechs Paddlern zur Mündung des Flusses. Denn er erinnerte sich, daß um diese Jahreszeit der Händler Halley zum Fluß zu kommen pflegte. Eines Tages nach Absendung dieser Mission kam ein verrückter alter Kasten, der das Äußere eines Bootes hatte, das einmal bessere Tage gesehen hatte, langsam die Küste entlanggekrochen. Das Fahrzeug hielt sich nahe am Strand, denn der Schiffer wollte keine Gefahr laufen. Schute oder Leichter, so etwas was war es einmal gewesen. Das Heckrad, das bei jeder Umdrehung krachte, war augenscheinlich selbst gefertigt und selbst aufmontiert worden. Der Maschinenraum war weiter nichts als ein Baldachin aus rostigem, galvanisiertem Eisen, durch den ein undefinierbares Etwas, das früher einmal eine kleine Hilfsmaschine für eine -98-
Dampfwinde gewesen sein mochte, seine schwarze Schnauze steckte. Jetzt war sie die Hauptbewegungskraft des seltsamen Fahrzeuges, das den Namen ›Komet‹ führte. Mittschiffs befanden sich drei strohgedeckte Hütten, die Schlafräume der ›Wachoffiziere‹. Vor diesen Hütten spannte sich ein Sonnensegel aus, das eine erhöhte Plattform schützte, auf der ein Mann in einem zerbeulten, ehemals weißen Tropenhelm das Steuerrad handhabte. Durch ein reines Wunder gelang es dem ›Komet‹, um die Landzunge herumzukommen und langsam in den Fluß einzulaufen. Gegenüber dem Anlegeplatz der Residenz schlug der Kapitän zweimal einen großen Messinggong, und vier triefende Eingeborene warfen einen Anker über Bord. Der Gong ertönte jetzt dreimal, und die Maschine stoppte. Der Kapitän ging zurück, um einen Blick auf das Manometer zu werfen, wusch seine Hände und zündete sich eine lange, dünne Zigarre an. Dann stieg er in ein Kanu, das für ihn heruntergelassen worden war, und wurde an Land gepaddelt. Er war groß und mager, und sein Gesicht hatte die Farbe ägyptischer Tonwaren. Er mochte fünfundzwanzig bis fünfunddreißig Jahre alt sein. Bones stand am Bollwerk und beobachtete das Einlaufen des Fahrzeuges. Das Manövrieren des ›Komet‹ war für ihn von besonderem Interesse. »Guter Halley, das nette alte Schiff schwimmt noch immer?!« »Ja, sie schwimmt noch«, gab der andere würdevoll zu. Er sprach sehr langsam, da er des Englischen entwöhnt war, denn er brauchte es nur sehr selten, obwohl es seine Muttersprache war. »Mr. Sanders anwesend? Ich möchte die Erlaubnis haben, bis Lobosolo auf der Isisiseite hinaufzugehen. Ich habe was für Bosambo.« -99-
»Was haben Sie für 'ne todbringende Ladung?« fragte Bones. »Whisky und Maschinengewehre, wie gewöhnlich«, foppte der andere mit noch würdevollerem Ausdruck. »Nächste Reise gedenken wir Kokain und elektrische Pianos einzuführen.« Halley und Halleys ›Komet‹ waren bekannt von Dakar bis Mossamedes. Er besorgte seinen Handel ganz allein und trotzte den Gefahren der See zu seinem unmittelbaren und persönlichen Vorteil. Mit diesem verrückten Kasten drang er in die Flüsse vor, erforschte unbekannte Ströme und tauschte seine Glasperlen und Spiegel gegen Gummi und Elfenbein und weniger wertvolle Produkte der Eingeborenen ein. Er war stets fair in seinen Handlungen und genoß im Umkreis von Tausenden Quadratmeilen den Ruf eines ehrlichen Mannes. Sanders bewillkommnete ihn mit einer Herzlichkeit, die er wenigen anderen Händlern entgegenbrachte. Er wußte, daß unter der Ladung des ›Komet‹ keine billigen belgischen Hinterlader verborgen lagen, noch, kunstvoll unter Ballen von Manchesterwaren versteckt, Flaschen unerlaubten synthetischen Genevers. Halley war ein ehrlicher Mann in jedem Sinn und am unbescholtensten in seinen Handlungen den Weibern des Hinterlandes gegenüber. »Das Land ist ziemlich ruhig und das Volk verhältnismäßig zufrieden«, bemerkte Sanders. »Meiden Sie den Tugesinifluß! Dort grassieren die Pocken... Die N'gombi haben Leoparden in Fallen gefangen. Sie sollten sich einige gut erhaltene Felle sichern.« Sie schwatzten von den Eingeborenen, von ihren Idiosynkrasien und ihrem eigentümlichen Geschmack, etwa, daß die Akasava niemals Spiegel kauften, und über die besondere Vorliebe des Klein- Isisi-Stammes für Aluminiumbratpfannen. An diesem Nachmittag setzte der ›Komet‹ unter dem lärmenden Puffen seiner Maschine seine Schneckenfahrt fort. »Komischer Vogel!« bemerkte Hamilton, der die Abfahrt des -100-
Bootes beobachtete. »Ich möchte gern wissen, was er mit den Ochoripaddlern will. Haben Sie die bemerkt, Sir?« Sanders nickte. »Bosambo hat sie vor einem Monat die Küste hinaufgeschickt. Er ist ein großer Schacherer. Ich möchte gern wissen, was für 'ne Sorte Ladung Halley für unseren Freund hinaufnimmt. Ich hatte auch die Absicht, ihn danach zu fragen.« Bosambo war der einzige Häuptling des gesamten Gebietes, der Beziehungen zur Außenwelt unterhielt. Er wartete geduldig auf die Ankunft des ›Komet‹, und als der Kasten sich um den grünen Schroffen wälzte, der den unteren Bereich des Flusses verbarg, ging Bosambo in seinem Staatsgewand hinunter, um seinen Besuch zu empfangen. Drei Tage lang gab es ein großes Feilschen und Schachern, bei welchem Bosambo auf dem schmutzigen Deck hockte und Halley auf seinem Stuhl saß. »Effendi«, sagte Bosambo (das war sein Ehrentitel für alle Fremden), »für alles, was ich kaufe, will ich in weißen Mannes Geld bezahlen.« Halley war damit zufrieden, aber glaubte es nicht. Und als Bosambo ganze Beutel voll klingender Münzen hervorzog, war er angenehm überrascht. Und wenn Halley auch einzelne Stücke aus dem ersten Beutel mit seinen starken weißen Zähnen einer Prüfung unterzog, unterließ er doch diese Probe beim Inhalt des zweiten Beutels. Halley brachte sein verrücktes Boot um die Mitternachtsstunden an die Flußmündung, und als Bones zum Strand ging, um sein Morgenbad zunehmen, sah er den ›Komet‹ längs an der Küste kriechen. Das war nichts Ungewöhnliches, denn der Händler hielt sich auf der Rückreise niemals hier auf, außer wenn eine schwere See lief. Aber wie die Umstände lagen, hatte Halley keinen Grund, sich aufzuhalten, da er kein ungewöhnliches Vorkommnis zu berichten hatte. »Haben Sie jemals nachgedacht, lieber alter Herr, was für 'ne niedliche kleine Eismaschine Sie in diesem alten Einbaum -101-
errichten könnten?« fragte Bones, die Arme eingestemmt, vor der grauen Tür des Vorratsschuppens stehend. »Eine Gefriermaschine, lieber alter Ham. Wir könnten sogar Schlittschuhbahn haben.« »Ich habe oft daran gedacht, daß es hier ein wenig sauberer aussehen könnte«, sagte Hamilton. »Lassen Sie hier ausräumen und kalken Sie die Wände, Bones! Aber um Himmels willen, lassen Sie die Leute das Ankalken besorgen!« Trotzdem kam Bones am nächsten Tag mit über und über mit Kalk übergossenen Schuhen und einem langen weißen Klecks auf seiner Nase zum Frühstück. »Was ich sagen wollte, Hamilton, haben wir viel Munition im Vorrat?« fragte Sanders, der sich während des Frühstücks sehr schweigsam verhalten hatte. »Den vorgeschriebenen Bestand, Sir«, antwortete Hamilton. »Tausend Patronen pro Mann - warum? Erwarten Sie Unruhen?« »Nein«, gab Sanders kurz zurück, und Hamilton wußte aus dieser scharfen Antwort, daß des Distrik tsgouverneurs unheimlicher Instinkt an der Arbeit war. »Möglich, daß die Kalkmilch in meinem Auge die liebe alte Exzellenz geärgert hat«, erlaubte sich Bones anzudeuten. »Wahrscheinlich hat es das nicht«, gab Hamilton zurück. »Ist das mit mir nicht komisch, lieber alter Ham«, begann Bones, aber sein Vorgesetzter befand sich nicht in der Stimmung, das häufig komische Aussehen von Bones, das ihm von Zeit zu Zeit aufgefallen war, einer Besprechung zu unterziehen. Sanders' Unruhe hatte sich ihm selbst mitgeteilt. Und doch lag kein wahrnehmbarer Grund zur Beunruhigung vor. Nach den Nachrichten, die an die Residenz gelangten, waren Friede und Gedeihen an der Tagesordnung, von einem Ende des Flusses bis zum andern. -102-
Aber Hamilton wie Sanders wußten, daß dieser Zustand unabänderlich die Einleitung zu allen Ausbrüchen und Störungen bildete. Die Schläge, die wirklichen Schläge, zuckten aus wolkenlo sem Himmel. Im stillen zog Sanders einen Zustand vor, in dem kleine Zänkereien untereinander die Stämme vollständig beschäftigten. Sie waren nicht imstande, an zwei Dinge zu gleicher Zeit zu denken. ›Gestern‹ war bei ihnen lange her und ›morgen‹ die schleierhafte, geheimnisvolle Zukunft. Und dann, an einem schläfrigen Nachmittag... Nach allen Gesetzen des Zufalls und des Durchschnitts hätte Bones eigentlich tot sein müssen. So, wie es war, nieste er, und wenn Bones nieste, dann verfiel sein Körper in sonderbare und fürchterliche Zuckungen. Gewöhnlich nieste er nach vorn, aber diesmal hatte er sein krampfhaft zusammengezogenes Gesicht zum Himmel erhoben und nieste die blauen Wolken an. Und der Pfeil, der seine Kehle verfehlte, traf einen Verandapfosten und blieb dort zitternd stecken. Leutnant Tibbetts starrte, einen Augenblick verdutzt, das tödliche Geschoß an. Dann stand er fix auf und sprang in seine Hütte. Im Handumdrehen war er wieder draußen, eine LeeMetford-Jagdbüchse in seiner Hand. Ein Blick nach dem Pfeil zeigte ihm die Richtung. Er kam aus den Baumwollsträuchern auf der gegenüberliegenden Seite des Exerzierplatzes. Bones ging aufs Knie, hielt auf die Bodenlinie und feuerte. Der Knall des Schusses ließ die Haussawache aus ihrer Hütte stolpern. Aber lange, ehe der Sergeant ihn erreichen konnte, flogen Bones' lange Beine über den Exerzierplatz in der Richtung auf den Wald zu. Er hörte einen Zuruf und sah aus seinem Augenwinkel, wie Hamilton über die Veranda setzte und hinter ihm her rannte. Aber Bones verlangsamte seinen Lauf nicht und brach schon durch das Gebüsch, ehe Hamilton die erste Fenz der Anpflanzung genommen hatte, bis er schließlich, geführt durch gewisse Wehlaute, mit seinem Untergebenen zusammentraf. -103-
Bones stand mit gespreizten Beinen, die Arme in die Seiten gestemmt, da und stierte auf einen sich windenden, tödlich erschrockenen Mann, der am Boden lag. Der Mann wies keine bemerkbare Verletzung auf, und Hamilton runzelte fragend die Stirn. »Kleine Zehe«, stieß Bones kurz hervor, und doch lag gerade in dieser Genauigkeit eine Beimischung von Ärger. »Und ich hatte auf die große Zehe gezielt«, fügte er später hinzu. »Ich muß diese unartige alte Büchse einmal nachsehen lassen. Ein derartig unheimlicher Irrtum wie dieser sieht mir sonst nicht ähnlich. Sie kennen doch Bones!« Hamilton überging diese Gesprächseröffnung. »Was ist denn passiert?« fragte er, und in diesem Augenblick kam Sanders durch die Bäume geschritten, ein Jagdgewehr unter dem Arm. Er hörte zu, als Bones seine Stellung vor der Hütte, seine Beschäftigung, seine Neigung, nach vorn zu niesen und seine Empfindungen, als er den Pfeil sah, genau beschrieb. Er berichtete über seine ersten Gedanken, seine Fixigkeit, seine erstaunliche Geistesgegenwart und seine Schießkunst. Als er geendet hatte, sah Sanders auf den getroffenen Mann. »Sprich! Warum hast du das getan?« »Gebieter, das ist mein Geheimnis.« Sanders betrachtete den Meuchelmörder mit seitwärts geneigtem Kopf unter halb geschlossenen Augenlidern. »Wenn ich dich aufhänge, was wird dann mit deinem Geheimnis?« Der Mann gab keine Antwort. Man legte den Mordkandidaten in Eisen und sperrte ihn in den Wachraum. »Das verstehe ich nicht«, sagte Sanders unruhig. »Der Kerl ist Akasava. Und die Akasava sind noch niemals hierhergekommen, um eine Mordtat hier auszuführen. Lassen -104-
Sie Dampf aufmachen auf der ›Zaire‹ und befehlen Sie Ihren Leuten, sich bereitzuhalten!« »Vielleicht ein Freund der verflossenen Majestät«, vermutete Hamilton. Aber Sanders schüttelte den Kopf. »Den Akasava ist ein König so gut wie ein anderer.« »Aber warum gerade Bones?« fragte Hamilton, und Bones lächelte traurig. »Vielleicht dämmert es Ihnen, lieber alter Ham, daß der einheimische Eingeborene langsam begreift, wer wichtig ist und wer unbedeutend ist. Er rüttelt jetzt an dem Grundstein der Verwaltung, lieber alter Vogel - nicht, daß ich die Bedeutung unserer gesegneten Exzellenz herabsetzen möchte...« »Es ist mir unangenehm, Sie zu enttäuschen«, sagte Sanders mit einem an ihm seltenen Lächeln. »Aber ich glaube kaum, daß es Ihre Bedeutung war, die Sie zum Ziel dieses Angriffs machte... Sie waren zufällig in der Nähe, und so erwischte es Sie.« Diesmal hatte Sanders ausnahmsweise nicht recht. Bones ging an diesem Abend in seine Hütte, nachdem er die lockere Postenkette, die er aufgestellt hatte, inspiziert hatte, fuhr in seinen Pyjama und ging zu Bett, ohne den geringsten Verdacht, daß sein Anspruch in irgendeiner Weise gerechtfertigt sei. Bones war für gewöhnlich nicht leicht aufzuwecken und pflegte zu schnarchen eine Gewohnheit, die er eifrigst ableugnete. Sein Bett hatte seinen Platz in der Mitte einer großen und luftigen Hütte. Zwei große Fenster befanden sich darin, die Tag und Nacht offenstanden, nur daß ein Rahmen mit dünnem Netz eingespannt war, um nachts die Insekten fernzuhalten. Ein schmerzhaftes Brennen an seinem Handgelenk ließ ihn mit einem Schnauben aufwachen. Er rieb die wunde Stelle und -105-
stellte als Ursache Moskitos fest. Die Hütte war voll davon, und er konnte das leise Summen der Insekten hören. Sofort war er aus dem Bett und schlüpfte in seine langen Moskitostiefel. Ein Blick auf das nächste Fenster enthüllte ihm die Tatsache, daß die Fenstergaze fort war, und gerade als er dorthin sah, bemerkte er gegen das schwache Licht, wie eine Hand sich leise hob und dann ein Kopf. »Twing!« Der Pfeil zischte an ihm vorbei, und er hörte den Ton, als das Geschoß das Bett traf. Bones ging lautlos durch die Hütte und zog die Repetierpistole aus dem Futteral. Zweimal feuerte er, warf die Tür auf und lief hinaus. Ein Schlachtspeer streifte ihn an der Schulter, und wieder feuerte er. Er sah einen Mann fallen und einen anderen in der Dunkelheit verschwinden. In diesem Augenblick knallte ein Schuß auf der anderen Seite des Vierecks - ein Posten hatte eine fliehende Gestalt gesehen und gefeuert. »Ein anderer Akasava«, sagte Sanders, der zuerst den Platz erreichte. Er drehte die steife Gestalt um, die zusammengeknickt gegen einen Verandapfosten lag. Der zweite Mann zappelte auf dem Exerzierplatz, eine Revolverkugel in der Hüfte, und auch er war ein Akasava - der dritte Mann war entwischt. Gegen Morgen stieß die ›Zaire‹ in den Fluß. Tag und Nacht dampfte sie vorwärts und hielt nur, um Feuerholz für ihre Kessel aufzunehmen. Die Dörfler sahen sie in der Dunkelheit vorbeikommen. Ein Banner aus glühenden Funken wehte aus ihren beiden Schornsteinen, und die Lokolis schickten die Botschaft durch die Nacht, daß Krieg sei - denn die ›Zaire‹ fuhr niemals des Nachts zwischen den tückischen Sandbänken, wenn nicht die Speere fertig zum Wurf waren. Die hölzerne Trommel trug die Neuigkeit den Interessierten zu, und zehn Meilen vor Akasava, wo der Fluß sich -106-
zusammendrängt, um sich durch einen richtigen Engpaß zu zwängen, fiel eine Wolke von Pfeilen auf das Deck nieder, verwundete einen Soldaten und ging nur durch ein Wunder um Haaresbreite am Steuermann vorbei. Die ›Zaire‹ stöhnte vorwärts, denn hier läuft der Strom sieben Seemeilen, und während die Scharfschützen den Rand des Schroffens bestreuten, prüfte Sanders die Pfeilspitzen. »Tetanus, glaube ich«, sagte er und wußte nun, wie ernst die Situation war, denn für gewöhnlich vergifteten die Akasava ihre Pfeilspitzen nicht. Die Akasavastadt war bis auf Weiber und alte Männer verlassen. »Gebieter«, berichtete ein zitternder Alter, »Kofaba ist zu den Ochori gega ngen, um sein schönes Bett zu holen, das Tibbetti dem Bosambo gegeben hat.« »Du bist der Vater von zehn Narren«, entgegnete Sanders bissig, »denn das Bett der Akasava ist in meinem großen Geisterhaus.« »Gebieter, ein Mann sah das Geisterhaus, und es war leer. Und ein Späher Kofabas hat das wundervolle und glänzende Bett vor der Hütte Bosambos gesehen.« Die ›Zaire‹ nahm einen neuen Vorrat an Holz und pflügte nordwärts. Nahe der Grenze des Ochorilandes bemerkte Sanders ein Kanu, das flußabwärts paddelte, und steuerte den Dampfer quer zum Fluß. Im Kanu befand sich ein toter Mann. »Es ist Kofaba, der König«, sagte der Vormann der Paddler. »Er wurde heute morgen in einem großen Kampf getötet, denn Bosambo wird von vielen Teufeln unterstützt. Wir fahren nach dem Mitteleiland, um Kofaba dort nach unserer Sitte zu begraben.« Später stieß Sanders auf das Gros der geschlagenen Armee -107-
und hielt ihre Kanus auf, nur um ihnen ihre Speere abzunehmen und die Unterführer, die die Führung hatten, gefangenzunehmen. Und jeder von ihnen erzählte Sanders die Geschichte von Bosambo und dessen Messingbett. »Ich verstehe das nicht«, sagte Sanders ratlos. »Die Akasava würden doch auf das bloße von Bosambo in Umlauf gesetzte Gerücht, daß er ihr verwünschtes Bett besitze, keinen Krieg anfangen.« Die Schatten wurden schon länger, als Sanders endlich zur Ochoristadt gelangte. Und so unerwartet war seine Ankunft, daß Bosambo völlig von seinem Kommen überrascht war, als Sanders die Hauptstraße entlangging. Als er die Hütte des Königs in Sicht bekam, blieb er wie vom Schlag getroffen stehen. Vor der Hütte, umringt von seinem bewundernden Volk, saß Bosambo in vollem Staat. Sein Thron war ein Messingbett, über dessen Gurte Felle ausgebreitet waren. Es war ein Bett von großer Schönheit. Es hatte vier blitzende Knöpfe, an jeder Ecke einen. Und am Kopfende waren schimmernde Medaillen angebracht, die das Licht der untergehenden Sonne auffingen und es in tausend leuchtenden Strahlen zurücksandten. »O Bosambo, ich sehe dich!« begann Sanders, und der große Mann strampelte mit den Füßen. »Gebieter«, antwortete er hastig, »diese Akasavaleute sind Diebe, denn sie kamen mit ihren Speeren in mein Land, um mir mein schönes Bett zu stehlen.« »Das bemerke ich«, sagte Sanders grimmig. »Aber nun wirst du deinen Leuten sagen, daß sie dein Bett an Bord meines Schiffes bringen. Denn du hast den Akasava doch gesagt, daß du dieses Bett durch Zauber aus meinem Geisterhaus entführt hast.« -108-
Die Aufregung Bosambos war zum Erbarmen. »Gebieter, das habe ich ihnen im Scherz erzählt. Aber das Bett hier habe ich von Halli gekauft! Und, Gebieter, ich habe ein Vermögen dafür geopfert! Ich habe mit richtigen Silberdollars dafür bezahlt, die ich mir erspart hatte.« »Du kannst ja dein Geld zurückhaben«, antwortete Sanders, und Bosambos Augen leuchteten auf, »denn wenn du ein Bett durch Zauber nehmen kannst, dann kannst du ja auch Geld durch Zauber nehmen.« Bosambo breitete seine Hände in Resignation aus. »Es steht geschrieben!« bemerkte er. Er war ein guter Mohammedaner, und die meisten der von ihm bezahlten Silberdollars waren von zweifelhaftem Wert. Mr. Halley entdeckte das später.
Ein Hundeliebhaber Der Postdampfer kam in Sicht, hatte einen Briefsack heruntergelassen und war bald nur noch eine Rauchfahne am Horizont. Sanders sortierte die Privatpost, indem er die Briefe neben jeden Teller auf den Frühstückstisch legte. Hauptmann Hamilton hatte drei Briefe gelesen, eine Abrechnung studiert und das Rundschreiben eines irregeführten Renntipgebers (dieses war von Hamiltons Rennklub geschickt worden). Er war gerade dabei, einen der Briefe zum zweiten Male zu lesen, als Sanders fragte: »Wo in aller Welt bleibt Bones?« »Bones, Sir?« Hamilton sah fast gekränkt auf den leeren Stuhl. »Sonderbar!« sagte Sanders. »Für gewöhnlich wartet er schon an der Schwelle auf die Post. Gerade jetzt lernt er Buchhaltung durch brieflichen Unterricht, und das macht ihn geweckter.« -109-
Leutnant Tibbetts, bei allen und jedermann, von Seiner Exzellenz angefangen bis herunter zum letzten Distriktsbeamten, unter dem Namen ›Bones‹ bekannt, nahm schriftliche Unterrichtskurse, wie ein Hypochonder Medizin nimmt. Diese schriftlichen Unterrichtskurse waren meistens amerikanischen Ursprungs, und sie gingen von Instituten aus, die, obwohl sie nur ein kleines Zimmer im neunzehnten Stock eines großen Gebäudes innehatten, nicht zögerten, Abbildungen des ganzen wichtigen Gebäudes auf ihren Briefbogen zu bringen. Sie verliehen auch Diplome und Titel, die imponierend und großartig waren. So wurde Bones nach drei Jahren wütenden Studierens Doktor juris (Universität von Tuxedo), Magister der Wissenschaft (der Universität Ippikosh), Mitglied der Eingeschriebenen Genossenschaft der Architekten (von Elma, Illinois) und Meister der Dramatischen und Kino-Kunst (von Spicys College der Dramaturgie, Sacramento, Kalifornien). »Kann sein«, meinte Hamilton nachdenklich, »dieser Buchhaltungskurs wird ihm das Addieren beibringen. Die letzten Abrechnungen, die wir an das Government schickten, wurden uns zweimal zurückgeschickt, weil Bones die Hunderter mit den Tausendern verwechselte.« »Ham, Ham! Lieber alter Offizier!« Leutnant Tibbetts' Stimme, abwechselnd schrill vor Aufregung und heiser vor Stolz, wurde draußen hörbar. Hamilton erhob sich und ging zur Tür. Sanders folgte. Bones stand vor den breiten Stufen, eine eckige Gestalt in weiß, sein großer Tropenhelm aus seiner Stirn, über die der Schweiß in Strömen rann, nach hinten geschoben, einen mageren Arm steif ausgestreckt. »Bockender Moses!« keuchte Hamilton. »Wo haben Sie den her?« Die größte und häßlichste Bulldogge, die er je gesehen hatte, zerrte und riß an einer Leine, die Bones mehrfach um seine -110-
Hand gewickelt hatte. Der Hund war weiß, ausgenommen einen schwarzen Fleck, der quer über sein Gesicht lief. Seine Zähne lagen bloß, seine Vorderbeine hatte er entschlossen hingepflanzt, und der Stumpf seiner Rute zitterte ekstatisch. »Gekauft, alter Junge! Wurde mir von 'nem netten alten Freund rausgesandt. Ah, schlimmer, unartiger Hektor!« Hektor war plötzlich herumgesprungen, als ob er Bones annehmen wolle, die Lefzen über die Zähne zurückgezogen, ein sonderbares grünes Licht in den Augen. »Hektor, Hektor!« tadelte Bones. »Ungezogener, ungezogener alter Wau-Wau! Ja, das bist du! Bist ein ungezogener alter WauWau!« Der ungezogene alte Wauwau brach in drohendes Gebell aus. »Nu, nu!« redete Bones und bückte sich, um den kugelrunden Kopf zu streicheln. Hektor verfolgte das Näherkommen der Hand mit argwöhnischen Blicken und mit Zweifel, schien sich aber die Liebkosung gefallen lassen zu wollen. Dann: schnapp! Bones fuhr mit einem gellenden Schrei zurück. »Ungezogen! Ungezogen!« quakte er. »Du schlechter, ungezogener, wilder Junge! Uff! Ich schäme mich über dich!« Hektor entblößte seine Zähne und schien sich zum Ansprung fertigzumachen. »Sie können doch nicht annehmen, lieber alter Ham«, sagte der stolze Eigentümer strahlend, aber doch in achtungsvoller Entfernung von dem Hund, »daß ein wilder alter Kerl wie Hektor so sanft wie ein hübsches junges Baby sein würde?« »Ich werde mich hüten. Was wollen Sie denn mit ihm anfangen?« fragte Hamilton. »Ihn trainieren. In drei Monaten wird Hektor meinen Spazierstock tragen und Männchen machen. Auf, Hektor! Sehen Sie, Ham! Wundervolle Intelligenz, lieber Ham! Da, sehen Sie, -111-
wie er auf den Hinterbeinen steht, lieber alter Herr? In fünf Minuten beigebracht! Hoch, Hektor!« Bones schnappte eifrigst mit den Fingern über dem Kopf der jungen Bulldogge, aber Hektor schielte nur nach ihm und stellte im Geist eine Kalkulation auf, ob er wohl die Finger erwischen könne, wenn er danach spränge. Zögernd entschied er, daß ihm das nicht möglich sei. Müde schloß er seine Augen. Hamilton betrachtete den Hund. »Ich an Ihrer Stelle würde ihn nicht ›Hektor‹ nennen, Bones. ›Helena von Troja‹ würde angemessener sein.« Bones sperrte den Mund auf. »Ist er eine Sie, liebes altes Ding? Wahrhaftig, er ist eine Sie. He, Helena! Hoch mit dir, Helena!« Aber nicht einmal ihr verändertes Geschlecht beeinflußte die dösende Helena, und schließlich band Bones sie am Verandageländer fest und ging ins Zimmer, um zu frühstücken. »Ich habe mir ihn als eine Überraschung für Sie gedacht, lieber Ham! Ihr Geburtstag kommt allmählich ran - wie doch die lieben alten Jahre schnell vergehen!« »Wenn Sie meinen, daß Sie mir das wilde Viech aufhalsen...! Überlegen Sie sich das noch einmal!« sagte Hamilton bestimmt. »Mein Geburtstag wurde, wie Sie wissen, vor zwei Monaten gefeiert.« »Aber das Weihnachtsfest naht«, plädierte Bones. »Sie werden doch nicht den lieben heiligen Nikolaus übergehen, Ham?« Sanders, der bis dahin den schweigenden und vergnügten Beobachter gespielt hatte, legte sich ins Mittel. »Beiläufig, Bones, die heutige Ankunft Ihrer vierbeinigen Freundin ist ein merkwürdiges Zusammentreffen. Ich würde Helena eingesperrt halten, solange Fobolo hier ist.«
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Vom Großen Fluß zweigt ein Seitenarm ab, der so klein und so von Winden und Elefantengras verdeckt ist, daß nur wenige Menschen das Geheimnis seines Laufes kennen. Deshalb führt er den Namen: »Kein-Fluß-Ein-Fluß« oder verständlicher »N'ba«, das ist eine Abkürzung der Worte: »Der Fluß, den die N'gombi fanden und den die Isisi verloren haben.« Das ist der Ausdruck eines Vorwurfs. Denn die Isisi sind ein Flußvolk. Und die N'gombi sind ein Waldvolk und in allem, was Wasser anbetrifft, so unerfahren, daß sie, wenn sie ins Wasser fallen, Laute von sich geben, die sich wie ›Gluck, Gluck‹ anhören, und ertrinken. Gala Gala, vor langer Zeit, als Leutnant Tibbetts verhältnismäßig noch Neuling am Fluß war, wohnte am Ende jenes Flusses, der ein verborgenes Dasein führte, und an der Stelle, wo der Große See in ihn abläuft, ein Mann namens Fobolo. Ein Mann, der viele Hütten und viele Weiber hatte und zweiundzwanzig unerwachsene Kinder. Von allen N'gombileuten war er der geachtetste und gefürchtetste, denn sein Vater Kulaba war ein weiser Mann und sehr erfahren im Gebrauch von Giften. Und viele unbequeme Leute lagen in seichten Gräben auf den Inseln und beunruhigten niemand mehr, weil sie von den bitteren Speisen aßen, die sie aus ihrer Weiber Hände empfangen hatten. Sie hatten gegessen und waren gestorben, und ihre Weiber hatten ihre Lenden mit grünen Blättern gegürtet und waren feierlich im Totentanz durch das Dorf gestampft und einherstolziert. Kulaba wurde reich und lehrte seinen Sohn Fobolo seine Geheimnisse, wie man zum Beispiel eine gewisse blaue Blume kochte und die Tropfen, die durch den Dampf entstanden, sammelte, und wie man die Knolle eines häßlichen Unkrauts zerquetschte und dessen Saft gebrauchte - und andere Dinge mehr. Fobolo horchte aufmerksam zu, und eines Nachts ging er in -113-
den Wald und fand ein kleines, blühendes Kraut, das einen starken und unangenehmen Duft hatte. Er sammelte dessen Blüten und kochte sie so lange, bis alles Wasser verdampft war. Dann nahm er den Brei und formte daraus ein kleines Kügelchen. In dieser Nacht bekam sein Vater Magenschmerzen und starb. Und Fobolo nahm allen Reichtum seines Vaters und dessen jüngere Weiber und zog zum Seeufer, um den Lohn seines Versuches zu genießen. Dabei pries er die ganze Zeit über die Weisheit seines Vaters, der gesagt hatte: »Das Unkraut, das Blüten trägt, ist Tod Mongo.« Auf diese Weise wurde Fobolo im Lande mächtiger als Häuptlinge und Älteste, und sogar kleine Könige kamen heimlich zu ihm und nahmen die Erzeugnisse mit sich, die er zusammenbraute. Denn Könige haben Feinde. Um Fobolos Hütte herum entstanden die Hütten seiner Verwandten und die von vereinzelten Fischern, die zu keinem Dorf gehörten. Fobolo war mager und lang, und er war habsüchtig. Reichtum erzeugte in ihm den Wunsch nach neuen Reichtümern. Obwohl seine tie f ausgeschachteten Vorratsräume mit Elfenbein und Gummi gefüllt waren und obwohl sich unter dem Boden seiner Hütte Tausende von Messingstangen befanden, war er stets auf der Suche nach neuen Mitteln, um reicher zu werden. An einem klaren Morgen, als nur die Sterne am Himmel standen, trat ein Weib mit einer Decke um die Schultern aus dem Haus des Akasavakönigs zusammenschauernd ins Freie. Sie kniete vor einem niedergebrannten Feuer nieder und blies in die Asche, bis sich die Luft um sie herum mit grauen Flocken füllte. Und als sie das Feuer zu richtiger Glut entfacht hatte, setzte sie einen Topf darauf und füllte ihn mit Wasser und Korn. Darauf ging sie, um des Königs Hunde zu füttern. Sie grüßten sie heute nicht mit ihrem dünnen Gekläff, noch rissen sie wütend an ihrem Graswandzwinger, wie sie sonst taten, wenn sie sie kommen hörten. Befremdendes und beunruhigendes Schweigen herrschte im Zwinger. Als sie in den leeren Raum -114-
starrte, erloschen eben die Sterne am Firmament, und die Sonne schoß herauf, und im Tageslicht sah sie: Die Hunde waren fort. Hustend und stöhnend vor Schreck ging sie ins Königshaus. »O schändliches und häßliches Weib!« rief der König, der nackend und blinzelnd im Tageslicht stand. »Habe ich dir nicht meine schönen Hunde anvertraut, und nun sind sie fort?!« »Gebieter«, wimmerte das Weib, »letzte Nacht habe ich ihnen noch Wasser und getrockneten Fisch gegeben, und sie waren glücklich. Einer hat mir noch die Zunge herausgestreckt, und alle haben ihren Schweif von einer Seite nach der anderen bewegt, wie es Hunde tun, wenn sie reden wollen.« Zehn Minuten später heulte ein arg verprügeltes Weib ihr Elend hinaus, und die Lokolis der Stadt rasselten die Kunde von dem großen Diebstahl in die Luft. Es schien, daß N'kema, der König, nicht der einzige Geschädigte war. Denn der Häuptling des Isisidorfes, das am gegenüberliegenden Ufer des Flusses lag, kam wütend zum Akasavaufer gepaddelt und stapfte zum König. »Gebieter, Sorge herrscht in meinem Magen, daß ich dir das sagen muß. Vergangene Nacht kamen deine jungen Leute in mein Dorf und stahlen mir zwei schöne, fette Hunde, die ich mir für die Hochzeit meines eigenen Sohnes aufgespart hatte. Und diese Hunde waren jeder vier bis fünf Säcke Salz wert.« Heftig lehnte der König die Anklage ab: »Es scheint, kleiner Häuptling, daß du mir vorlügst, deine eigenen Hunde seien gestohlen, nachdem du mir meine Hunde gestohlen hast. Wenn ich zu Zeiten meines Vaters und vor der Ankunft Sandis gelebt hätte, würde ich dir die Zunge herausschneiden und deinen Leib den Geistern hinwerfen. Aber nun werde ich zu Sandi gehen und es ihm sagen. Und er soll dir eiserne Ringe und Ketten an die Beine legen, wie das nach seinem Gesetz ist.« Sanders war um diese Zeit auf einer Inspektionsreise mit der ›Zaire‹ begriffen. Sie gingen zu ihm und mit ihnen vier kleinere -115-
Häuptlinge der Nachbarschaft, die geschädigt waren. Sie erhielten wenig Trost. Einige Monate später wurde das jüngste Weib N'kemas von seiner Lieblingstochter Militi, die wie des Königs Augapfel behütet wurde, gesehen. N'kemas Weib sprach gerade im Urwald zu ihrem Liebhaber. Militi brachte diese Nachricht ihrem Vater, denn sie haßte das Weib, das Militis Mutter als Favoritin abgelöst hatte. »Dein jüngstes Weib hat einen sehr gutmütigen Mann«, sagte sie und erzählte ihrem Vater alles. N'kema nahm sein jüngstes Weib beim Genick und verprügelte sie mit einem Streifen Flußpferdhaut. Das schmerzt. Während er auf einem Jagdausflug abwesend war, fand das Weib ihren Weg durch den verborgenen Fluß und gelangte in Fobolos Dorf. »Ich sehe dich, Weib N'kemas, des Königs!« begrüßte Fobolo sie, der am Ufer stand, als sie landete. »Ich sehe dich, Fobolo. Ich habe ein Rätsel für dich.« »Kein Mensch weiß Rätsel besser zu lösen als ich«, erwiderte Fobolo. »Erzähle es mir, und ich will dir eine Antwort darauf geben.« »Wenn eine junge Leopardin mit ihren Krallen kratzt«, sagte das Weib und verriet ihm ihr Geheimnis, »mußt du dann warten, bis die Kratzer geheilt sind, und dann hingehen, um wieder gekratzt zu werden?« »Meine Antwort auf dein Rätsel ist die«, antwortete Fobolo, der solche Rätsel schon früher gelöst hatte, »daß man besser täte, den Leoparden zu töten, denn dann kratzt er nicht mehr.« Der kratzende Leopard war ein gemeinverständliches Bild in einem Land, in dem die Gunst der Männer durch Messingringe bezeugt und ihr Mißfallen tief auf den Schultern ihrer Weiber eingekerbt wird. -116-
Während Fobolo in sein Haus ging, wanderte das Weib längs des Ufers. Und sie kam schließlich an einen Verhau auf dem bewaldeten Vorgebirge, in dem sich viele Hunde befanden. Zumindest zwei von ihnen erkannte sie wieder. Sie ging zum Strand vor Fobolos Hütte zurück. Nach einer Weile kam er mit leeren Händen zu ihr heraus. »Weib«, meinte er, »ich denke so. Kleine Leoparden können sterben, und niemand fragt danach. Aber wenn der Leopard groß ist, dann wird jeder reden und sagen: ›Letzte Nacht war dieser Leopard am Leben, heute ist er tot.‹ Und dann kommt Sandi, und dann gibt's ein Palaver. Und vielleicht ein Weib, das redet. Und Fobolos Hütte wird brennen und er selber ein Geist zwischen den Bäumen sein.« Schamlos behielt er das Geschenk, das sie ihm gebracht hatte. Das Weib des Königs ging krank vor Furcht nach Hause zurück. Und in der Nacht, in der ihr Mann zurückkehrte, erzählte sie ihm eine Lüge. »Gebieter, heute ging ich fischend durch den Fluß, den die N'gombi entdeckten. Und dort sah ich Fobolo mit vielen Hunden. Und von diesen waren zwei, die so aussahen wie dein fetter Hund Cheepi, den du so liebtest.« Das größte Pech für alle Beteiligten war, daß Bosambo, der Oberhäuptling der Ochori, sich in den Kopf gesetzt hatte, ausgerechnet in diesem Augenblick dem König der Isisi eine Staatsvisite zu machen. N'kema war mit zwei Kriegskanus abgefahren und unterwegs, um seine gestohlenen Hunde wiederzuerlangen, als Bosambos Flottille um die Flußmündung herum in Sicht kam. Bosambo hatte fünfzig Speerleute mit sich, denn der Häuptling der Ochori war durchaus nicht gewiß, daß die Einladung, die der Isisikönig auf ihn ausgedehnt hatte, gänzlich uneigennützig war. Beim Anblick von Bosambos bemalten Kanus hielten N'kema und dessen Leute mit Paddeln inne, denn Bosambo war -117-
berüchtigt als eine Kreatur Sandis. Und es war ausschlaggebend für N'kemas seelischen Frieden, daß seine Angelegenheit mit dem Hundedieb ohne jedes Aufsehen erledigt wurde. Er hatte gehofft, die Kanus würden vorbeifahren, aber Bosambo besaß sehr scharfe Augen. »Ich sehe dich, N'kema!« platzte er los, als sein Kanu längsseit des anderen glitt. »Ist eigentlich Krieg in diesem Land oder Frieden, daß du mit deinen jungen Speermännern losgehst?« »Bosambo, ich kam heraus, um dich zu treffen, denn, wie du weißt, liebt dich das Akasavavolk. Und außerdem gehe ich zum Großen See, um zu fischen.« »Es scheint mir«, antwortete Bosambo, »ich sehe viele Schilde auf dem Boden deiner Kanus. Nun sage mir, N'kema, fischen die Menschen mit Schilden?« N'kema, dem die natürliche Anlage zum Lügen fehlte, sprach darauf freimütig von dem Schimpf, den man ihm angetan hatte, und von seinem Verlangen, Gerechtigkeit an dem Räuber zu üben. »Ich werde mir sofort diesen Fobolo ansehen. Und verlaß dich darauf, daß Gerechtigkeit geübt werden soll, denn, wie du weißt, essen wir Ochorileute keine Hunde. Darum ist es sicher, daß wir alle Hunde abliefern, die wir vorfinden.« N'kema wußte, daß das seine Richt igkeit hatte. Denn aus irgendeinem ungewöhnlichen Grund war Hundefleisch für die Süd-Ochori tabu. »Aber, Bosambo, wie willst du wissen, welches meine Hunde sind, wenn ich nicht dabei bin, um sie mit Koseworten heranzurufen, und um dir zu sagen, dieser Hund ist mein und dieser ist nicht mein?« »Und wenn du behauptest, daß alle Hunde dein Eigentum seien, wie weiß ich, daß du die Wahrheit sprichst? N'kema, ich -118-
werde allein gehen und ein Palaver halten. Und schließlich wird Nachricht an Sanders gesandt werden, der über alles wie Gott selber Gericht hält.« Bosambo, der eine ganz erstaunliche Kenntnis des Landes hatte, fand den Kleinen Fluß ohne Schwierigkeit, und um die Mittagsstunde, als Fobolo im Schatten seiner Hütte schlief, kam Bosambo zu ihm. Darauf gab es ein langes Palaver. Eine Brieftaube hatte zu Sanders einen abgekürzten Bericht über Bosambos summarisches Gerichtsverfahren getragen. Später kam Fobolo selbst aufgeregt mit einer Menge Klagen. Im heißen Sonnenlicht vor dem Bezirksamt kauernd, erzählte er seine Geschichte. »Gebieter, dieser Bosambo kam und machte ein langes Palaver. Und sagte viele üble Dinge gegen mich.« »Was für üble Dinge? Erzähle mir alles, Fobolo!« befahl Sanders. »Gebieter, er nannte mich einen Hundedieb und einen Hundefresser. Und das war töricht, denn, wie du weißt, Gebieter, essen alle richtigen Männer Hundefleisch. Und dann, Gebieter, als das Palaver beendet war, begab Bosambo sich an einen gewissen Ort am Wasser, wo ich alle meine Hunde halte, und nahm sie alle mit sich. Und Gebieter, sie saßen in Bosambos Kanu und machten einen höchst traurigen Spektakel.« Sanders hatte sein Kinn auf die Hand gestützt und sann einen Augenblick nach. Darauf hub er an: »Nun hör zu, Fobolo! Wegen dieser Hunde werde ich ein Buch an Bosambo senden, und er wird mir sagen, wo sie hingekommen sind. Nachher wirst du mir sagen, woher du sie hast.« »Gebieter«, protestierte der Schwarze, »sie sind mein wohlerworbenes Eigentum. Ich hatte sie schon, als sie noch ganz klein waren...« -119-
»Das wird sich herausstellen«, antwortete Sanders. »Nun noch etwas, Fobolo! Eigentümliche Geschichten höre ich vom OberFluß: von Männern, die überraschend schnell und ohne sichtliche Ursache sterben. Und meine Späher berichten mir von Weibern, die im geheimen, in der Stille der Nacht, zu dir kommen und mit kleinen Kürbisfläschchen, die den Tod enthalten, von dir scheiden. Sage mir, Fobolo, wie hoch waren die Bäume eigentlich bei dir da oben am Ufer des Großen Sees?« Fobolo schauerte. »Gebieter, sie sind zu hoch für mich«, antwortete er heiser. »Aber nicht so hoch, daß nicht einer meiner Soldaten sie erklimmen und an einem Ast einen Strick befestigen könnte, an dem ein Mann aufgehängt werden kann«, entgegnete Sanders bedeutungsvoll. »Mir scheint, Fobolo, deine Tage sind gezählt.« In dieser Nacht saß Fobolo mit seinen Begleitern an dem Platz am Rande des Waldes nahe der Residenz, der für die Aufnahme solcher Gäste wie er bestimmt war. Am Morgen war er fort. Das Verschwinden Helenas wurde erst bei Tagesanbruch bemerkt. Bones hatte eine Hundehütte von ganz besonders sinnreicher Art konstruiert. Es war eine genaue Wiedergabe seiner eigenen Hütte, mit Verandastützen und Strohdach. Bones hatte sie mit Hilfe der halben Garnison angefertigt und hatte den Fußboden des Innenraumes mit einer dicken Lage von einheimischem Gras bedeckt. Und Helena schien zufriedengestellt und keinen anderen Wunsch zu haben, als zu schlafen. Sie war an einen dicken Lederriemen gelegt worden, und dieser wiederum war an einem der Verandapfosten befestigt. Dort hatte Bones Helena mit einem großen Knochen und einer Schüssel voll Wasser zurückgelassen; sie war anscheinend mit ihrem Schicksal versöhnt und richtete die Gedanken auf den kommenden Morgen. Und am Morgen war sie fort. -120-
»Nur ein Geistesschwacher würde eine Bulldogge an einer ledernen Leine befestigt haben«, bemerkte Hamilton. »Natürlich hat sie sie durchgebissen.« »Aber liebes altes Geschöpf«, antwortete Bones trübe, »sie war so vollkommen glücklich, als ich ihr gute Nacht sagte. Und sie sah in meine Augen mit einer Art ergebenem, glücklichen Blick und trollte sich ohne ein Wort.« »Mir kommen gleich die Tränen«, bemerkte Hamilton. »Und nun hat sie sich wieder ohne ein Wort getrollt. Wahrscheinlich werden Sie sie im Busch finden.« Nachforschungen, die von der gesamten Be völkerung angestellt wurden, erbrachten keine Spur des Flüchtlings. Bones fand nichts Greifbareres als einen seiner Morgenschuhe in der finsteren Ecke der Hundehütte. Der Schuh war halb aufgefressen. Sonderbar genug, fiel es niemandem ein, das Verschwinden Helenas mit Fobolo in Verbindung zu bringen. Und von den Kundschaftern Sanders' kam kein Wort. Drei Monate später rief Fobolo seine Verwandten zusammen und sprach zu ihnen. »Ihr wißt, daß ich reich bin. Sogar Sandi, der Bosambo hierhergeschickt hat, um mir meine Hunde zu nehmen, die Bosambo an die Isisihäuptlinge verkauft hat, beneidet mich. Und nun höre ich, daß Sandi mit seinen Soldaten heraufkommt wegen des Todes eines gewissen Mannes, der von seinem Weib vergiftet worden ist. Jetzt muß ich mich schnell aus dem Staube machen, sonst hänge ich. Denn das betreffende Weib wurde vom König der Akasava der Feuerfolter unterworfen, und sie gestand, daß sie das Gift von mir hatte und daß sie mir tausend Messingmatakos dafür gegeben habe. Und das ist wahr, daß sie mir sagte, das Gift sei für den Leoparden, der in ihren Garten eindrang und sie mit seinen Krallen verwundet hatte. Aber da -121-
N'kema mich haßt, hat er Sandi Nachricht geschickt, und länger zu weilen wäre Torheit. Heute nacht werden wir in den Urwald gehen, alle unsere Weiber und Schätze mit uns nehmen und den Hund mit dem schönen Gesicht, den ich in Sandis Garten fand. Wir werden auch Militi mit uns nehmen, die Lieblingstochter des Königs und das schönste Weib im ganzen Land. Und sie soll vor uns tanzen, und der König wird traurig sein.« In dieser Nacht, als die ›Zaire‹ ihren Weg zwischen den Sandbänken hindurch pflügte und weniger als zehn Seemeilen von der Akasavastadt entfernt war, landete Fobolo mit seinen Angehörigen lautlos am Ufer. Und nachdem er die Wache vor der Hütte der Königstochter erschlagen hatte, schleppte er diese mit sich fort und kam zu dem Dorf am See. »Nun, Weib, kannst du schreien. Aber keiner wird dich hören«, sagte Fobolo. Das Mädchen, Gegenstand einigen Interesses von Fobolos Weibern, lag stöhnend am Boden. Sie war mehr tot als lebendig, denn Fobolo hatte sie gewürgt, bis sie schwieg, als er sie fortschleppte. Seine Verwandten und Angehörigen waren fertig zum Abmarsch. Sie hatten ihre Kochtöpfe auf ihren Schultern, ihre jungen Ziegen und Hunde an den Leinen, und jeder von ihnen trug irgend etwas von seinen liebsten Habseligkeiten. Fobolo ging zu dem kleinen Kral auf der Landzunge und öffnete die Grastiir. »Komm, meine Hübsche!« sagte er. Helena öffnete ihre Augen und blinzelte ins Licht. Dann streckte sie ihre Vorder- und Hinterläufe und gähnte. Drei Monate lang hatte sie in diesem geräumigen Pferch zugebracht, hatte sich von Zeit zu Zeit hinausgetrollt, um das Dorf zu besichtigen, und hatte nicht ein einziges Mal in all dieser Zeit auch nur die leiseste Andeutung über ihren wahren Charakter gemacht. Helena erschien Fobolo nichts weiter als ein Durchschnittshund, der einmal ein ausgezeichnetes Hauptgericht -122-
bei einem Fest abgeben würde. Und Helena hatte diese Vorstellung genährt, denn sie hatte sich nur auf Fressen und Schlafen beschränkt. Und da nach Eingeborenensitte sie niemand darin gestört hatte, war auch sie niemand zu nahe gekommen. Gehorsam und sanft trabte sie auf Fobolos Fersen zurück zur Dorfstraße, auf der die Träger warteten. Das Mädchen saß zusammengekauert am Boden, hatte ihre Knie umschlungen und verbarg ihr Gesicht. »Komm, Weib«, befahl Fobolo, »denn du wirst einen langen Marsch machen müssen, ehe du schlafen darfst.« So weit war er gekommen, als seine scharfen Ohren das Rasseln einer entfernten Sprechtrommel vernahmen. Nun pflegen Lokolis eigentlich in der Nacht zu sprechen und am frühen Morgen, wenn die Luft am stillsten ist und der Laut am weitesten wandert. Fobolo neigte seinen Kopf und lauschte. Plötzlich stieß er einen langen, klagenden Seufzer aus. »Sandi ist unterwegs! Besser, wir machen, daß wir fortkommen.« In seiner Hand hatte er einen langen, biegsamen Lederriemen. Hart ließ er diesen jetzt auf die nackten Schultern des Mädchens fallen und riß sie auf die Füße. »Vorwärts!« herrschte er sie an. In diesem Augenblick begann Helena ein ernsthaftes Interesse an den Vorgängen zu nehmen. Bei dem Schrei, den das Mädchen ausstieß, gab der Hund ein leises Knurren von sich. Und als ob die Wildheit, die in seiner eigenen Sprache lag, ihn dazu ermutigt hätte, wurde aus diesem Knurren ein Bellen, wie Fobolo desgleichen noch nie zuvor gehört hatte. Die gemästeten einheimischen Hunde blickten mit Schrecken auf Helena. Dieses Bellen hatte eine prähistorische Erinnerung in ihnen geweckt, und sie brachen als Antwort in ein wildes Heulen aus. »Hund«, befahl Fobolo, »sei still!« Hoch schwang der Riemen und fiel klatschend auf Helena nieder. Fobolo kannte nur eine Sorte Hunde: Hunde, die -123-
aufwimmerten und flohen, wenn sie geschlagen wurden. Aber Helena tat keins von beiden. Sie stand, massiv, regungslos, mit wild stierendem Blick; die Lefzen über die Zähne heraufgezogen, in schweigend bissigem Hohn. »Los!« befahl Fobolo. Und dann sprang etwas, das etwa zwanzig Pfund schwer war, auf ihn zu. Er schlug es mit dem Bündel Speere nieder, das er in seinem Schildarm trug, aber der dadurch erzielte Aufschub dauerte nur einen Augenblick. Als die ›Zaire‹ ihre Nase durch das letzte Hindernis von Schlingpflanzen schob und das offene Wasser des Sees erreichte, sah Sanders eine Gestalt längs des sandigen Seeufers laufen. Der Mensch lief in einer Hast, die sofort auffiel und den Distriktsgouverneur stutzen ließ. Hinter der fliehenden Gestalt setzte ein kleiner weißer Punkt in Sprüngen her. »Was ist das, Bones?« Bones stellte sein Fernglas ein. »Sieht mir aus wie ein laufender Mann, Sir.« In diesem Augenblick erblickte der fliehende Eingeborene die ›Zaire‹. Er wandte sich um, sprang ins Wasser und schwamm in wahnsinniger Hast auf das Fahrzeug zu. Hinter ihm tauchte ein plumper Kopf aus dem Wasser und, in kurzer Entfernung davon, der weiße Stumpen eines Schweifes. Man holte die beiden gleichzeitig an Bord. Das erwies sich als notwendig, da Helena sich in dem Hüfttuch des Mannes verbissen hatte und nicht abzuschütteln war. »Hunde kenne ich«, japste Fobolo. »Die Menschen essen sie. Aber es ist nicht richtig, daß Hunde Menschen essen sollten. Ich glaube, sie ist ein Satan. Da ich ein weiser Mann bin, habe ich auch Teufel gesehen, aber einen wie diesen? Nein!« »Mann«, antwortete Sanders, »es gibt auch noch andere Teufel. Und wenn ich in deinem Dorf Militi, die Tochter -124-
N'kemas, finden sollte, dann wirst du heute nacht bei den Geistern wohnen.«
Der ›Fotograf‹ Tausend Jahre lang (was vielleicht nur einige Jahrhunderte bedeutet) war zwischen den ›Leoparden‹ und den »Feuergeistern« Fehde gewesen. Als die ›Leoparden‹ unter die Obhut britischer Verwaltung gerieten und als Soldaten aller Nationen das Hinterland mit Priestern, Richtern und Distriktsgouverneuren, die beides zugleich waren, besetzten und die ›Leoparden‹, diesen schlimmsten aller Geheimbünde, durch Peitsche und Hängestrick ausgerottet hatten, blieben die verhältnismäßig unschädlichen ›Feuergeister‹ als höchster dieser Orden allein übrig. Denn diese jagten die junge n Mädchen nicht mit Handschuhen an ihren Händen, die Leopardenpranken glichen und kleine Stahlmesser anstelle der Klauen hatten. Noch hielten sie schreckliche Zusammenkünfte, bei denen Dinge vorkamen, die man nur in ausschließlich technischen Büchern beschreiben kann. Sie waren ein sanftes Volk, das an Geister und Teufel glaubte, und nur gelegentlich schlachteten sie einen Feind ab. Aber gegenwärtig gerieten auch diese in Acht und Bann und schmolzen zusammen, bis all ihr Haß und ihre Feindseligkeiten, zusammen mit den Geheimnissen ihres Rituals, sich auf die Dorfschaften Labala und Busuri beschränkten. Und obwohl diese nur ein Dutzend Meilen voneinander entfernt lagen, hielten sie doch Frieden. Dann ereignete sich etwas, das ohne Beispiel in der Geschichte war. Ein Weib aus Busuri heiratete Obaga, den Jäger aus Labala. Als Grund dieser ungeheuerlichen Verbindung gab man dieses und jenes an. Zuerst trafen sich die beiden im Urwald, und jeder machte -125-
eine verächtliche Gebärde. Später trafen sie sich wieder und unterließen diese Gebärde. Noch später lächelten sie einander zu. Und dann kam Obaga zum Häuptling von Busuri und zum Vater des Mädchens, und ein Geschäft wurde abgeschlossen. Auf diese Weise kam M'libi aus Busuri in die Hütte Obagas und lebte mit ihm zwei Jahre, aber sie schenkte ihm keine Kinder. Darauf steckten alle alten Weiber des Dorfes ihre glattgeschorenen Köpfe zusammen und schnatterten erfreut, daß ihre Prophezeiung in Erfüllung gegangen sei, denn sie hatten vorausgesagt, daß einer so unnatürlichen Verbindung niemals Kinder entsprießen könnten. Ähnlich sprachen auch die alten Weiber von Labala bei ihrer Hausarbeit und verfluchten den Tag, an dem ein so begehrenswertes Mädchen zu den ›Feuergeistern‹ gegangen sei. So liefen die Dinge. Obaga war immer geduldig, freundlich und klagte nie. Er brachte ihr die feinsten Felle, die edelsten Affenschwänze, sonst das Vorrecht der Häuptlinge, wurden gespalten, um ihr ein Nachtkleid zu machen. Einige spöttelten im geheimen darüber, daß er geliebt wurde. Aber jeder hütete sich, das öffentlich zu tun, denn er wurde gefürchtet, weil seine Speere niemals ihr Ziel verfehlten und weil er Menschenleben nicht schonte. Darauf kehrte Obaga eines Tages sieben Tage früher von seiner Jagdstreife zurück, als er beabsichtigt hatte. Aber was noch wichtiger war, er wurde von seinem Weib nicht erwartet. Obaga fand seine Hütte leer, und als er aus ihr herauskam, runzelte er die Stirn. N'kema, der Fischer, schrie ihm einen Scherz zu, der auf das kurze Gedächtnis der Weiber im allgemeinen anspielte. Ohne ein Wort ging Obaga in seine Hütte zurück, sammelte seine kurzen Schlachtspeere, die er eben dort niedergelegt hatte, und putzte sie mit dem Staub, der vor seiner Hütte lag. Dann setzte er sich auf seinem Bett nieder, wetzte einen von diesen Speeren zwei Stunden lang, bis dessen Schneide die Schärfe eines Rasiermessers angenommen hatte. -126-
Darauf entfernte er sich, den Speer zwischen seinen Fingern drehend. Er strebte dem Ufer eines kleinen Flusses zu, der durch das Gehölz fließt, denn dieses war ein berüchtigter Treffpunkt für Liebende von einer gewissen Sorte. Aus diesem Grund wurde es auch das ›Wäldchen der veränderten Herzen‹ genannt wenn wir es so übersetzen dürfen, da bei den Eingeborenen doch der Magen vorzugsweise als der Sitz der Gefühle angesehen wird. Irgend jemand war gegangen und hatte M'libi gewarnt. Und auf halbem Weg zum Gehölz, sehr nahe dem Platz, auf dem sich eine Anzahl seichter Gräber befindet (die Nord-Ochori halten es für unheilvoll, ihre Toten über das Wasser zu den Inseln in der Strommitte zu bringen), fand er sie auf einem von Schwämmen überwachsenen Baumstumpf, ihre Hände auf der Brust verschränkt. Der finstere Ausdruck in ihrem Gesicht sprach von allem anderen als von Unterwürfigkeit. »O M'libi! Ich sehe dich!« sagte Obaga, der Jäger, leise. Sie biß ihre weißen Zähne zusammen in Erwartung dessen, was nun kommen mußte. Ihre Augen hefteten sich fest auf das blanke Speerblatt, das in der Nachmittagssonne funkelte und glitzerte. »Obaga, ich war im Busch, um Blätter für mein Trauerkleid zu sammeln. Mein Bruder ist heute in der Ochoristadt gestorben, und Bosambo hat mich davon unterrichten lassen.« »Viele Dinge sind heute gestorben«, antwortete Obaga. Er hielt seinen Speer in voller Armeslänge ausgestreckt an seiner Hüfte und kreiselte ihn zwischen Daumen und Finger herum, daß das Speerblatt ein einziger leuchtender Fleck war. Das war eine seiner Eigenheiten, wenn er unschlüssig war, und sie kannte das und faßte wieder Mut. »Als ich geboren wurde«, sagte sie langsam, während ihre Augen auf dem Speer hafteten, »wurde geweissagt, ich solle zwei Leben haben: eins, in dem Größe, und eins, in dem das -127-
Böse die Oberhand haben solle. Aus dem Schlamm wachsen die wundervollsten Blumen. Obaga, wer kann sagen, was aus diesem Schlamm entstehen soll?« Der Jäger befeuchtete seine Lippen mit seiner Zungenspitze. »Wer ist dein Liebhaber?« fragte er, und zum ersten Mal ließ sie den Speer außer acht. »Wenn es Mord geben soll, dann beginne!« antwortete sie und ließ ihre Hände auf den Baumstamm sinken. »Es wird keinen Mord geben«, entgegnete Obaga. »Komm!« Sie folgte ihm ins Dorf zurück, und zur Enttäuschung aller gab es weder Mord noch Prügel. Bei Tagesanbruch sammelte Obaga seine Speere, seine Bogen und die Pfeile mit den abnehmbaren Spitzen für die Affenjagd, gürtete sich ein breitblattiges Elefantenjagdmesser um die Hüften und nahm seinen Pirschgang wieder auf. Sein Weib beobachtete ihn, bis er außer Sicht war. Noch einer beobachtete ihn vom Waldrand aus: Tebeli, der Prahler. Und als dieser sicher war, daß der Ehemann fort war, eilte er zu M'libi. Bones besaß fraglos eine Leidenschaft, alle Dinge zu untersuchen. Und für sein Interesse am Fotografieren und an allem, was damit zusammenhing, lag im Augenblick ein besonderer Grund vor. »Sie stecken Ihren verdammten Riecher in jeden verfluchten Quark, der Sie nichts angeht«, rief Hamilton erbost. Er hatte eine neue Kamera erhalten, und Bones hatte eine Platte mit einer wichtigen Aufnahme rettungslos ruiniert. »Ich habe wochenlang darauf gelauert, diese Wolkenbildung über der See festzuhalten, und Sie, wie ein heulender Esel...« »Nicht heulender, lieber alter Ham, bitte...«, murmelte der geduldige Bones mit geschlossenen Augen, »ruhig, würdevoll, duldend, lieber alter Wilder, schweigend, wollen Sie wohl sagen, aber nicht heulend...« -128-
»Ich habe Ihnen gesagt...«, sprudelte Hamilton los. »Sie haben mir nichts gesagt«, antwortete Bones sanft, »und Jungens sollten belehrt werden. Das habe ich neulich in einem netten Buch gelesen. Einen Jungen sollte man unterweisen, wie der Verschluß und alles funktioniert. Eine gefüllte Kamera, lieber alter Tyrann, eine gefüllte Kamera ist schlimmer als ein geladenes Gewehr. Hören Sie auf die Stimme der Vernunft, lieber Ham! Auf die Vox Raisoni. Ich hab' das verrückte alte Ding aufgeklaubt und den Verschluß zugeschlagen...« »Man soll niemals Sachen in Reichweite von Kindern liegenlassen«, bemerkte Hamilton bitter. Bones zuckte die knochigen Schultern. »Lieber, aber platzender Offizier«, antwortete er ruhig, »in meiner netten alten Ungezogenheit dürfte Methode liegen. Es könnte Geld darin liegen, lieber alter Kurzsichtiger! Vielleicht hat der alte Bones einen großartigen Plan in seiner verzwickten Kokosnuß ausgeheckt, der uns alle reich machen wird.« »Orangen züchten?« fragte Hamilton spitz. Bones zuckte zusammen. Schon einmal hatte Bones ein Projekt zum schnellen Reichwerden ausgeklügelt, und Hamilton hatte sein Geld in ein Orangensyndikat gesteckt, das Bones ausfindig gemacht hatte. Sie hatten damals Bäume importiert und Bäume gepflanzt, die alles trugen, nur keine Orangen. Manche hatten Äpfel getragen, und einige hätten vielleicht, wenn sie nicht eingegangen wären, Walnüsse hervorgebracht. Bones hatte die jungen Bäume als Postsendungen von der Zeizermann-Postauftrag-Gesellschaft in. b. H. bezogen, deren Firmeninhaber heute noch in Sing-Sing sind. »Da Sie mein vorgesetzter Offizier und Hauptmann sind, Sir, können Sie sich's ja erlauben, über mich zu spötteln«, bemerkte Bones steif, zuckte von neuem die Schultern, grüßte militärisch und zog sich in seine Räume zurück. Er hätte natürlich eine vollständige und genügende Erklärung geben können, aber wenn -129-
er das getan hätte, würde er die Überraschung, die er für jeden in Vorbereitung hatte, verdorben haben. Und für Bones war Überraschung, die angenehme Überraschung anderer, höchste Daseinsfreude. Die meisten seiner Wachträume beschäftigten sich damit, andere Leute zu überraschen. Bones war - in diesen Wachträumen natürlich nur - bei vielen Gelegenheiten Eigentümer eines voraussichtlichen Derbygewinners. Und an dem Morgen des Rennens hatte Bones, da sein Jockey sich als bestechlich erwiesen hatte, selber die Farben getragen und zum Erstaunen seiner Freunde und zur Verwirrung seiner bösen Feinde den Gaul in einem verzweifelten Finish zum Sieg gesteuert. »Niemals gab es in der Geschichte dieses klassischen Rennens (so drückte sich das Sportblatt seines Wachtraumes aus) eine glänzendere Vorführung meisterhafter Reitkunst als die, die uns durch den berühmten Herrenreiter Hauptmann (oder Major) Tibbetts, gegeben wurde. Er ist ein vornehmer junger Mann mit ernsten blauen Augen und einem ausdrucksvollen Gesicht...« An dieser Stelle pflegte Bones befriedigt zu seufzen und ›das Mädchen‹ in seinen Wachtraum einzuführen. Ein Mädchen war immer dabei. Er sah sie am Sattelplatz, wie sie bleich, unruhig an ihrem Taschentuch (keinem kostbaren Taschentuch) riß oder nach ihrer Kehle griff. Und sie fiel ihm regelmäßig um den Hals, wenn er aus dem Sattel stieg. Das Kriegsministerium hatte er überrascht, indem er ein neues Armeegewehr erfand, die Admiralität, indem er eine neue Seestrategie entwarf. Aber am häufigsten überraschte er, wie bereits früher bemerkt, junge Mädchen durch seine Stärke, seinen Geist, seine Kunst, seinen Herzenstakt, seinen Witz, seinen adligen Charakter und ein Sichauszeichnen auf jedem Gebiet. -130-
Und das Motiv von Bones' Überraschungsplan in diesem Augenblick war eine Kamera für Filmaufnahmen, die er in einem amerikanischen Magazin angepriesen gesehen hatte und die sich bereits auf dem Weg zu ihm befand - sie würde sogar mit demselben Dampfer ankommen, der Pater Carrelli nach Hause trug. Bones hatte ein ungeheures Vertrauen in die Redlichkeit der Magazinannoncen. Und als er las, daß Keißlers Königkamera zu 150 Dollar angeboten wurde, schrieb er nach dem Prospekt und erhielt als Antwort darauf eine Lawine von Drucksachen, die allein diese Summe wert war. Aus diesem Grund war alles, was irgendwie mit Fotografieren in Verbindung stand, von großer Wichtigkeit für Bones. Er hätte seinen Irrtum mit einem Wort erklären können. Statt dessen verharrte er in Schweigen. Später würde es noch Zeit genug sein - und das Filmmanuskript mußte geschrieben werden. Denn zu jener Zeit begann der Film sich durchzusetzen. Und Bones war ein begeisterter Abonnent aller Filmzeitschriften, die herausgegeben wurden. Er hatte Stoff für viele Filme in seinem Kopf. Niemand zollte der Ankunft einer großen Kiste oder der verschiedenen umfangreichen Pakete besondere Aufmerksamkeit. Denn beide, Sanders wie Hamilton, hatten schon längst aufgehört, sich über das erstaunliche Ausmaß von Bones' Post zu wundern. Er hatte im Durchschnitt jeden Monat ein neues Steckenpferd, und die Einführung eines jeden wurde durch Postsendungen von geheimnisvollem Umfang angezeigt. Der erste Wink, den Hamilton erhielt, daß etwas Ausgefallenes im Anzug war, überraschte ihn wie ein Schlag. Eines Nachmittags schlenderte er zu der Hütte hinüber, in der Bones sein Domizil hatte. Und wie gewöhnlich ging Hamilton gerade auf das große Fenster zu, das Zutritt zu Bones' Wohnzimmer gestattete. Und als Hamilton hineinsah, blieb ihm der Atem weg. Am Tisch saß wohl ein junger Mann, aber das war nicht Bones. Sein Gesicht war ein einziges glänzendes -131-
grelles Gelb. Seine Hände und Arme waren ähnlich geschminkt. Um seine Augen zogen sich zwei blaue Ringe. Hamilton starrte ihn mit offenem Mund an und setzte dann mit einem Sprung durch die Tür in die Hütte. »Um des Himmels willen, Bones, was ist denn mit Ihnen los? Fieber?« Bones sah mit einem entsetzlichen Lächeln auf, denn seine Lippen waren mit einem Blau angemalt, das beinahe purpurn schien. »Machen Sie sofort, daß Sie ins Bett kommen!« befahl Hamilton. »Ich werde an das Government drahten, sie sollen sofort 'nen Doktor herunterschicken - Sie armer junger Teufel, Sie!« Bones sah ihn von oben herab an, als er einen dünnen, dunklen Schnurrbart an seiner Oberlippe befestigte. Und dann erst sah Hamilton den Schminkkasten und den Spiegel. »Was treiben Sie da, Sie großer Esel?« fragte er beleidigend, sobald er sich von seiner Angst befreit fühlte. »Bloß 'n bißchen schminken, liebes altes Theaterpublikum!« »Schminken? Gelb? Was sollen Sie denn vorstellen? Den König von der Goldküste?« »Das ist's, was ich vorstellen soll«, antwortete Bones lässig und übergab dem Besucher ein Stück Papier. »Reginald de Cursy, ein Mann von düsterer, aber angenehmer Erscheinung. Ein Mann, der gelebt hat.« »Sind Sie das?« fragte Hamilton. Bones nickte. »Sie sehen mehr aus wie ein Mann, der gestorben ist«, höhnte sein Vorgesetzter. »Was soll denn dieser verdammte Unsinn?« Er gebrauchte wirklich das Wort ›verdammt‹. Bones verzog sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes, und diese -132-
Grimasse ließ sein Gesicht noch entsetzlicher aussehen. »Proletenjargon, Geliebtester! Das ist eins von den Dingen, die ich nicht mag. Ich hasse es, Ihre Empfindungen zu verletzen, Ham, aber mein Atelier muß reingehalten werden.« »Atelier?« »Na ja. Einstweilen habe ich's ja noch nicht - das Atelier. Aber es kommt, lieber alter Felix... Sie sind nämlich Felix!« »Was bin ich?« fragte der bestürzte Hamilton. Bones suchte in dem Stoß Papiere neben der Schminkschachtel und fand einen anderen Papierstreifen, den er, ohne ein Wort zu sagen, seinem Vorgesetzten übergab. Darauf stand: »Felix Harington, ein junger Bursche von 26. Seine Züge sind offen und ehrlich, und ein Lächeln steht in seinen Augen.« Hamilton vermochte nur hilflos vom Papier zu Bones hinüberzublicken. »Hier liegt ein Vermögen drin, lieber Offizier«, bemerkte er gelassen. »Tatsächlich liegen zwei Vermögen drin. Nun ist meine Idee die, ein Stück zu verfassen, in dem eine anscheinend verbrecherische Person sich am Ende als ein netter Held entpuppt. Und die anscheinend heldenhafte Person entpuppt sich als ein netter fauler Kopf... beraubt seinen alten Vater und ist im Begriff, ihn zu ermorden, als Reggie auftritt... und das bin ich.« »Halten Sie 'nen Augenblick an!« bat Hamilton. »Verstehe ich recht, daß Sie mich für diese Rolle vorgesehen haben...? Und darf ich fragen, wer der Vater ist?« »Der gute alte Distriktsgouverneur«, antwortete Bones selbstgefällig. Hamiltons Gesicht wurde lang. Und als er seiner Stimme wieder mächtig wurde: »Bilden Sie sich ein, daß Sanders hier mit falschem Vollbart herumhüpfen wird, bloß um einen so kreuzdämlichen...« -133-
»Über den Vollbart bin ich mir noch nicht ganz sicher«, antwortete Bones nachdenklich. »Ich habe es in meinem Hirn hin- und hergewälzt, lieber alter Ham, und ich bin nicht ganz sicher, daß er's mit dem Vollbart tun wird. Aber mit einem kleinen Bart vielleicht oder möglicherweise mit ein paar Koteletten.« Dann kam Bones mit seinem Plan heraus. Er hatte ein großes Stück geschrieben, eins ohne jede weibliche Rolle. Er, Sanders und Hamilton sollten die Geschichte in ihrer freien Zeit aufführen, sich einarbeiten, um Bones' eignen Ausdruck zu brauchen, »'ne nette kleine Schlacht zwischen Wilden, wo ich dann hinzukomme und sie ganz allein überwinde...! Das wird 'ne Sensation, Hamilton! So was ist noch nie dagewesen und wird auch vielleicht nie wieder vorkommen, wenn ich es nicht mache. Sehen Sie sich bloß die Lebenswahrheit drin an, mein lieber alter Felix! Die wundervolle Szenerie...! 's wird 'ne Sensation, liebes altes Geschöpf!« Sanders erfuhr alles über dieses neue Projekt Bones', ohne Anstoß daran zu nehmen oder beunruhigt zu sein. »Aber Sie können ihm von mir sagen, Hamilton, daß ich unter keinen Umständen den Narren vor seiner elenden Kamera mimen werde. Was ich noch sagen wollte... haben Sie das neuartige Ding gesehen?« Hamilton nickte. »Es ist keine übel aussehende Kamera«, gab er zu. »Und Bones kann die Kurbel schon ganz gut drehen. Er ist in der Küche gewesen und hat sich an der Messerputzmaschine geübt, und er sagt, er hätte die genaue Geschwindigkeit 'raus.« Da ihm sein großer Versuch, ein Bild zu schaffen, das die Welt in Erstaunen setzen sollte, vereitelt wurde, entschied sich der anpassungsfähige Bones für ein großes Eingeborenendrama. »Das war noch nicht da, lieber alter Ham!« meinte er eifrig eines Abends beim Essen, als er die Story entwarf - und es war -134-
merkwürdig, wie schnell er sich die Fachausdrücke aneignete -, »das ist das einzige, worauf Sie besonders achtzugeben haben beim Filmen, alter Junge! Etwas zu machen, was noch nie dagewesen ist! Augenblicklich arbeite ich die Szenerie aus...« »Wohin verlegen Sie den Schauplatz?« fragte Sanders. »Irgendwohin, Exzellenz«, sagte Bones unbestimmt. »Meine Idee ist, Ahmet zum Helden zu machen. Er läuft mit der schönen Kalambala, der Favoritin des Sultans, weg. Und sie wird von einem hübschen jungen Engländer gerettet...« »Müssen Sie noch weiter gehen?« fragte Hamilton. »Auf jeden Fall wird sie gerettet.« »Und dann...? Was machen Sie dann mit ihr?« wollte Hamilton wissen. Aber so weit war Bones noch nicht. Er kurbelte die erste Szene dieses aufregenden Stückes, und Sanders und Hamilton kamen, um der Aufnahme beizuwohnen. Der Versuch war aus vielen Gründen ein Fehlschlag. Ahmet hatte über die Bühne zu gehen, seine Arme zu falten, seinen Kopf zu schütteln und zu lächeln. Dann hatte er seine Schultern zu zucken und abzugehen. Und er machte das auch merkwürdig gut, bis Bones anfing zu kurbeln. »Roll deine Augen! Mit den Augen rollen!« schrie Bones. »Gebieter, ich rolle meine Augen«, antwortete Ahmet, stand stramm und faßte grüßend an den Tarbusch. Bones stöhnte und hielt mit Kurbeln inne. »O Mann«, sagte er bitter, »wenn ich zu dir spreche, mußt du deine großen Flossen nicht zusammennehmen und mich grüßen. Rührt euch!« Er versuchte es nochmals, jedoch mit keinem größeren Erfolg. Denn jetzt stand Ahmet zwar, ohne zu grüßen, aber in der ›Rührt euch‹-Stellung. Als diese Szene richtig aufgenommen war, entstand eine neue Störung. Die entführte Sultana sollte vom Weib des Korporals -135-
Hafiz gemimt werden. Und Korporal Hafiz weigerte sich kategorisch unter vielem Füßestampfen und Zur-Erde-Spucken, zu erlauben, daß Ahmet Hafiz' Frau in seinen Armen trüge. »Sie wirken demoralisierend auf die Abteilung, Bones«, bemerkte Hamilton streng und schickte die Darsteller zu ihren verschiedenen dienstlichen Pflichten zurück. Bones sprach zwei Tage lang nicht mit seinem Kompanieoffizier. Nach Verlauf dieser Zeit hatte er einen neuen und verlockenderen Plan gefunden. »Ich hab's, lieber alter Ham!« rief er eines Tages und stürzte ins Eßzimmer, in dem die beiden Vorgesetzten bei ihrer Mittagszigarre saßen und so viel Kühlung wie nur möglich zu finden versuchten. Denn die Sonne brannte heiß, und von der See wehte wenig oder gar keine Brise. »Sie werden den Sonnenstich kriegen, wenn Sie ohne Tropenhelm rumlaufen«, äußerte Hamilton lässig. »Was haben Sie? Das Filmmanuskript?« »Das Filmmanuskript!« antwortete Bones triumphierend. »Den größten Schlager, den es je gegeben hat! Und alles aus der Kokosnuß des netten alten Bones entstanden! Leben und Sitten der wilden Stämme!« Bones trat einen Schritt zurück, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. »Leben und Sitten der wilden Stämme?« wiederholte Hamilton. »Das ist meine Idee. Wo immer ich hingehe, nehme ich die Kamera mit mir. Und wenn ich nicht tausend Pfund Sterling die Woche mache, lieber alter Freudentöter, indem ich Vorträge über ein Thema halte, das jedem netten alten Patrioten am Herzen liegt, dann heiße ich Schlamm.« »Wie Sie in Wirklichkeit heißen, dessen konnte ich mich niemals entsinnen, aber der eben erwähnte Name leuchtet mir mehr ein als die anderen«, bemerkte Hamilton. -136-
Danach verbrachte Bones einen großen Teil seiner Zeit damit, Bilder von Eingeborenen aufzunehmen. Und diesmal schien System in seinem Steckenpferd zu liegen. Er hatte Ahmet beigebracht, die Kurbel zu drehen, und so war es Bones möglich, selbst in den meisten aufgenommenen Szenen aufzutreten. Manchmal stand er in lässiger Stellung da und sprach zu einem eingeborenen Weib, als dieses gerade ihre Abendmahlzeit kochte. Auf anderen Bildern liebkoste er den Kopf kleiner schwarzer Babies, nachdem er fürsorglich ein Taschentuch um ihre Hüften gebunden hatte, damit besonders empfindliche Gemüter nicht verletzt würden. Manchmal stand er mit verschränkten Armen am Bug der ›Zaire‹, einen melancholischen, aber entschlossenen Zug im Gesicht. Und zu allen Aufnahmen lieferte er die Titel und auch den Text. Einige dieser ›Titel‹ zeigte er Hamilton. ›Oberdistriktsgouverneur überwacht Hüttenbau der Eingeborenen.‹ Oder flammender und mehr in Übereinstimmung mit dem Geist moderner Untertitel: ›Fern von dem geschäftigen Treiben der Welt geht der Eingeborene seinen täglichen Pflichten unter dem wachsamen aber wohlwollenden Auge des Oberdistriktsgouverneurs nach. ‹ »Wer ist denn dieser Oberdistriktsgouverneur, von dem Sie in diesen Filmtiteln sprechen?« fragte Hamilton gespannt. »Ich wußte nicht, daß Sanders Sie in Ihrem verruchten Unternehmen unterstützt, die niedrigen Instinkte des britischen Publikums zu streicheln.« Bones hüstelte. »Nun, um vollkommen aufrichtig zu sein, der gute alte Sanders sprach zu mir davon, einmal runterzukommen, aber er bekam Lampenfieber. Sie wissen doch, wie es Neulingen geht, nicht?« Bones konnte schelmisch sein, aber niemals so schelmisch, Hamilton von seinem Kriegspfad abzubringen. »Sie wollen mir doch nicht sagen, daß Sie als -137-
Distriktsgouverneur auftreten? Sogar der kleinste Gassenjunge, der jemals einen Sixpence stahl, um ins Kino gehen zu können, würde Ihre Täuschung erkennen.« Bones konnte sich gestatten, nachsichtig über die Kritik des anderen zu lächeln. »Was wir jetzt brauchen, Ham«, sagte er am Abend beim Essen in ernsthaftestem Ton, »ist ein netter kleiner Krieg! Wenn wir bloß einen richtigen Radau zwischen den mächtigen N'gombi und dem guten alten Bosambo hätten, mit meiner Person im Vordergrund! Nur, um zu zeigen, daß Britannias wachsames Auge noch immer Wache hält, wenn unartige Eingeborene schlafen...! Da haben Sie ein feines Stückchen Dichtkunst. Aber, bitte, geben Sie das nicht als Ihr geistiges Eigentum aus!« »Bones, wenn Sie Krieg herbeiwünschen, schlage ich Sie tot!« rief Sanders, der in diesem Augenblick eintrat. »Das Schutzgebiet ist ruhig, und wenn wir über den Herbst ohne ein ordentliches großes Blutvergießen hinwegkommen, werde ich sehr glücklich sein.« Bones war still, aber nicht gänzlich hoffnungslos. Jemand mußte zum Ochoriland hinaufgehen, denn es kamen Nachrichten über das Wiederausbrechen der ›LeopardenUnruhen‹, und Bones bediente sich dieser Gelegenheit gern. In der ersten Nacht, nachdem sie abgefahren und die ›Zaire‹ an einem Gehölz festgemacht hatten, suchte der Soldat Mahmud seinen Sergeanten auf. »Effendi«, sagte er auf küstenarabisch, »was ist das für ein kleiner Kasten, den Tibbetti trägt und dessen Kurbel du drehst? Manche behaupten, es sei ein neues Geschütz, andere sagen, daß der Kasten Bilder macht. Nun, wir wissen, daß er keine Bilder machen kann. Denn wenn Hamiltini will, daß ein Glied Haussa auf dem Papier erscheinen soll - was gegen das Gesetz des Propheten ist -, dann sagt er: ›Stillgestandenverdammt!‹ Das ist -138-
ein englisches Wort und macht ein knackendes Geräusch. Aber Tibbetti sagt nicht ›Stillgestandenverdammt!‹, denn er will, daß man gehen soll, während er die Kurbel dreht. Nun sage mir, Effendi, warum diese Dinge geschehen.« Sergeant Ahmet erklärte in aller Feierlichkeit so viel von der geheimnisvollen Kiste, als er selbst davon verstand: »Wenn Tibbetti die Kurbel dreht, werden Bilder sichtbar, eins nach dem andern, so daß sie alle wie ein Bild erscheinen, das sich bewegt, wenn man hinblickt.« »Das ist zuviel Geheimnis für mich«, gestand der Wißbegierige und ve rzichtete auf weitere Belehrung. Da Ahmet sich seiner Verantwortlichkeit und Wichtigkeit nicht ganz unbewußt war, beabsichtigte er nicht, es bei dieser Erörterung bewenden zu lassen. »An einem Tag, wenn Tibbetti nicht da ist, werde ich euch alle versammeln und ein besonderes Bild nur für euch aufnehmen, so daß eure Weiber es sehen können. Und dafür sollt ihr mir alle einen Silberdollar geben.« Obwohl sie bei dem Dollar zauderten, waren sie im Prinzip einverstanden. Die Gelegenheit, auf die Ahmet wartete, ergab sich, nachdem sie Ochoristadt verlassen hatten und jenen wilden Uferstrich hinaufmarschierten, über den die ›Zaire‹ selten hinausfuhr. Bones hatten bestimmtere Nachrichten über die Leoparden erreicht - nicht über das saubere gelbe Geschöpf, das schleic ht und schlägt, sondern über jenes gemeine und verabscheuungswürdige Etwas in Gestalt eines Menschen. Bones wurde sofort wieder Soldat und Vertreter des Gesetzes, und sein Innerstes wandte sich, für den Augenblick wenigstens, von Hollywood ab. Obaga kam von seinem Jagdausflug zurück. Er war einen -139-
Monat fort gewesen und hatte zehn Waldleute als Träger mitgebracht, deren jeder eine Last Felle trug, denn Obaga war ein geduldiger Mann, der sein Handwerk verstand. Sein Weib traf ihn außerhalb des Dorfes. Sie hatte zum Zeichen ihrer Unterwürfigkeit die Hände über die Brust gekreuzt, und er ging an ihr vorbei, ohne ein Wort zu ihr zu sagen. Denn wenn er alles gewußt hätte, was er noch erfahren sollte, würde er ohne sie zum Dorf zurückgekehrt sein. Sie bereitete ihm seine Mahlzeit und bot sie ihm auf den Flächen ihrer Hand. »Ich bleibe nun drei Monde und noch drei Monde hier«, sagte Obaga, »denn die Tiere jungen jetzt, und viele haben nun schon ihre abgelegenen Lager aufgesucht.« Das hatte sie erwartet, und nach ihrer Berechnung würde es einen Monat dauern, ehe er hinter die Wahrheit käme. In dieser Nacht, als ihr Mann den Schlaf tiefster Erschöpfung schlief, schlich sie aus der Hütte fort und eilte heimlich nach dem Gehölz, in dem der andere, nach dem sie geschickt hatte, schon auf sie wartete. »Obaga ist zurück«, berichtete sie ihm. »Was soll ich nun tun, mein Freund? Denn sobald er darum weiß, wird er mich töten.« »Wie soll er das erfahren?« tröstete sie der andere nach Mannesart. »Bist du denn nicht sein Weib? Und ist er nicht dein Mann? Ich halte es für das beste, wenn du ihm sagst: ›Mann, ich habe gute Nachrichten für dich! Du wirst einen Sohn haben.«« Sie gab einen Laut der Ungeduld von sich. »Er weiß, was er weiß«, bemerkte sie doppelsinnig, aber ihm verständlich. »Wenn ich ihm das sage, werde ich selbst seinen Schlachtspeer in meine Hand nehmen, damit es eher vorbei ist. Wenn du heute nacht in die Hütte kämst und ihn speertest oder ihm morgen auflauertest, sobald er in den Wald geht, wäre es am besten.« »Für dich, Weib, nicht für mich! Alle Leute in diesem Dorf wissen, daß ich dein Liebhaber bin. Und Sandi wird kommen -140-
mit seinen Kanonen und seinen Soldaten, und meine Hütte wird in Flammen aufgehen. Außerdem ist Tibbetti schon hier. Er sitzt in Busuridorf, wo das Leopardenpalaver stattfindet. Man sagt, es sollen welche gehängt werden. Ich weiß das, weil die Schlauen unter ihnen ihre Leopardenpranken in der Erde vergraben haben.« Ihr Atem kam und ging hastig. »Bring mir die Pranken!« flüsterte sie. »Morgen, wenn es finster ist, bringst du mir die Leopardenpranken.« Er erschrak bei ihrem Verlangen, aber sie bestand darauf. Mit Zittern und Bangen verließ er sie. Sie ging zurück und legte sich neben ihrem Mann zur Ruhe. In der nächsten Nacht traf sie sich mit Tebeli, um dessentwillen sie so viel gewagt hatte. Er zitterte wie Espenlaub. In seinen Händen befanden sich zwei häßlich aussehende Formen mit kleinen Messern an Stelle von Klauen, und am Fell klebte noch Erde, als ob die Dinger erst kürzlich aus der Erde gegraben worden wären. Er ließ die Dinger in ihre ausgestreckten Hände fallen, als ob sie glühend heiß wären. Darauf wandte er ihr hastig den Rücken und wollte in sein Dorf zurückfliehen, aber sie trat ihm in den Weg. »Und nun, mein Einziger, gehe nach Busuri, wo sich Tibbetti aufhält, und sage ihm, ein Leopard nähere sich dem Dorf, und wenn sie ihm am Weg auflauerten, könnten sie ihn fangen.« Er hatte keine Lust zu einem solchen Abenteuer, aber sie war stärker als er, und er gehorchte. M'libi kehrte, die Pranken wie Handschuhe über ihre Hände gestreift, in ihre Hütte zurück. Obaga war zu sehr mit seinen Speeren beschäftigt, um das sofort zu bemerken, aber als er sich umwandte, sah er beim flackernden Schein des Feuers die scheußlichen Dinger, die sie -141-
trug, ließ seinen Speer fallen und sprang mit einem Schrei auf. »Schamloses Weib, was hast du da?« »Ich fand sie in meinem kleinen Holzkästchen«, antwortete sie unverfänglich. Sie hob ihre Hände hoch, damit er sie bewundere, und die verrosteten Stahlklauen glitzerten tückisch. »O Ko«, rief Obaga aufgeregt, »wem gehören die Dinger?« »Sie gehören einem Mann aus Busuridorf: Lolaba, dem Fischer. Er gab sie mir, als ich ein kleines Mädchen war.« »Her damit!« befahl ihr Mann und riß sie ihr aus der Hand. Eine Sekunde später sah man ihn durch das Dorf in der Richtung des Waldweges gehen, der nach Busuri führte. Aber der Liebhaber des Weibes war schneller gewesen als er, und am Rand des Dorfes ergriffen drei Soldaten Obaga und schleppten ihn vor Bones. Nun ist von allen unumstößlichen Dingen dieses das sicherste: Jeder Mensch, der die Wahrzeichen des Leoparden an sich trägt oder in seiner Hütte verbirgt, ist bereits ein toter Mann. Von einem Ende Afrikas bis zum anderen gibt es kein Mitleid für die Söhne des Leopardenordens. Obaga wußte, daß sein Schicksal besiegelt war. »Mann!« redete Bones ihn an, als er den Beweis betrachtete, der den Mann zum Tode verurteilte, »was sind das für fürchterliche Dinger?« »Gebieter, sie wurden mir gegeben, damit ich sie hierherbringen sollte«, antwortete Obaga. »Wer gab sie dir?« fragte Bones. Aber der Mann blieb stumm, da sein eigenes Weib sie ihm gegeben hatte. »Gebieter, wenn ich hängen soll, werde ich hängen«, entgegnete Obaga. »Aber zuvor möchte ich dir sagen, daß die Leopardenleute meine Feinde sind. Denn mein Vater gehörte dem Feuergeistbund an, und wir Labalaleute haben die Leopardenbündler seit Menschengedenken bekämpft.« -142-
Bones wußte, daß sich das so verhielt. Er konnte sich deshalb gar nicht vorstellen, wie ein Labalamann zu diesen Dingern kam. Darum wurde auch der Befehl zu schleunigster Hinrichtung verzögert. Am Morgen brachten Kundschafter Nachrichten aus Busuri, die die Wahrheit ans Licht brachten. Als Obaga in seine Hütte zurückkehrte, sah er, daß sein Weib geflohen war. Das war die Geschichte Obagas. Sie würde hiermit zu Ende sein, wenn es nicht um das Dorfgeschwätz gewesen wäre. Diese Leopardenangelegenheit klärte sich zur Genugtuung eines jeden auf, außer für eine regungslose Gestalt, die an einem drei Meilen vom Dorf entfernten Baume hing. Bones wandte sein Interesse den Sitten und Gebräuchen der Eingeborenen zu. Der Künstler in ihm hatte einen Kampf herbeigewünscht, der Beamte in ihm war herzlich froh, daß der Streit ohne gewaltsame Auseinandersetzung beigelegt worden war. Bones hatte eine glänzende Idee. Er schickte nach dem Busunhäuptling und zeigte ihm die Kamera. »O Häuptling!« sagte Bones, »Das hier ist ein kleines Auge, das kann sehen und - vergißt nicht. Das Auge möchte gern die tapferen Ochori in der Schlacht sehen. Nun laß deine jungen Männer ein Spiel vor mir spielen! Sie sollen die Krieger zweier Feldlager darstellen, die sich gegenseitig bekämpfen. Aber das sage ich dir, wenn ein Mann den anderen dabei verwundet, dann lasse ich ihn peitschen«, fügte Bones hastig hinzu, denn er wußte, wie weit die Begeisterung manchmal die Teilnehmer an einem solchen Kriegsspiel fortriß. Auf dem Unterdeck der ›Zaire‹ beriet sich unterdessen Sergeant Ahmet aufgeregt mit einer Anzahl seiner Kameraden. »Daß ja keiner von euch mit Tibbetti spricht und ihm verrät, daß ich die Kurbel der Kamera gedreht habe, um eure Gesichter in diesem Wunderkasten festzuhalten!« sprach er. Denn er hatte -143-
in Bones' Abwesenheit seine aufgeblasenen Landsknechte fotografiert. »Morgen früh, sobald es Tag ist, werde ich selber die Bilder aus der Wunderkiste nehmen, denn Tibbetti hat mir gesagt, daß er alles herausnehmen will, was sich darin befindet. Und ich bin etatmäßiger Sergeant, und es ist dann möglich, daß Bones mich degradiert.« Beim Strahl der frühen Morgensonne öffnete Ahmet unter den Augen seiner neugierigen und höchlichst interessierten Freunde die Kamera, rollte den Filmstreifen sorgfältig ab und prüfte ihn Fuß auf Fuß. »Nun, Gott sei Dank!« sagte Ahmet erlöst. »Es scheint, daß ich euer Bild überhaupt nicht aufge nommen habe. Nichts ist hier als ein gelbes Band. Wir wollen es fix wieder aufrollen, damit Tibbetti nichts davon erfährt.« Die Vorbereitungen für den großen Schlachtfilm wurden in einem noch niemals dagewesenen Maßstab getroffen. Bones hielt Proben und immer wieder Proben ab, bis ihm das Hemd am Körper klebte. Und alle Dorfweiber und deren Kinder standen umher, die Finger an ihren Vorderzähnen, und beobachteten den Filmoperateur bei der Arbeit. »Nicht dorthin, du blödsinniger alter Esel!« kreischte Bones in englischer Sprache. »Dort hinüber, du verrückter alter Döskopf! Nicht da! Dorthin! Nein! Nicht dorthin! O du schauderhaftes Kamel!« Diese und ähnliche Zwischenrufe machten den bestürzten Eingeborenen noch etwas mehr verrückt, und ohne das Eintreten gewisser unvorhergesehener Ereignisse wäre der Schlachtfilm wahrscheinlich niemals aufgenommen worden. »Nun geht ihr alle weg! Niemand darf zu sehen sein. Und dann kommt ihr von da und ihr von dort und fechtet miteinander. Und wenn ich dann zu euch gelaufen komme und ›Halt!‹ rufe, müßt ihr alle eure Speere hinlegen.« -144-
In dem Augenblick, da die Schauspieler sich, fertig für die Theaterschlacht, zurückzogen, kam Obaga schnell den Buschpfad entlanggelaufen und mit ihm sein Bruder und zehn seiner Blutsverwandten und zehn ihm durch Heirat Versippte. »Mann, wo ist mein Weib?« redete er den langen Liebhaber M'libis an. »Wie soll ich das wissen, Jäger?« antwortete der Mann. »In diesem Augenblick weißt du's, aber wie lange wirst du das noch wissen?« rief Obaga und schlug ihn mit seinem Speer. Sein Feind zuckte leicht zusammen, fühlte eine Wunde auf der Schulter und begann zu laufen. Obagas Speer warf ihn zu Boden. Und im Augenblick war der Krieg da. Aus dem Busch hervor und ins offene Gelände stürzte die hauende, stechende, abwehrende Menge und stieß jene schrillen, gellenden, inhaltslosen, aber unheilverkündenden Schreie aus, die die Ochori seit Äonen ausgestoßen haben. »Drauf! Halt fest!« gellte Bones. »Dreh die Kurbel, Ahmet! So ist's recht! Los, Jungens!« kreischte er, wie es nur der beste Filmregisseur konnte. »Gut so! Etwas mehr nach rechts! Aber tut euch nicht weh, ihr verrückten Einfaltspinsel!« Und dann brüllte er auf Bomongo: »Ich komme!« Er stapfte mit einem würdevollen und malerischen Schwung seiner Schultern in ihre Mitte und erhob seine Hand mit gebieterischer Gebärde. »Stop!« rief er, aber sie hörten nicht auf. Ein Speer schlug ihm den Tropenhelm vom Kopf, ein Keulenschlag ließ ihn in die Knie sinken. Bones tastete nach seinem Revolver, aber er war unbewaffnet gekommen. Glücklicherweise hatte Ahmet... »Ich dachte mir wohl, es sei ein bißchen zu realistisch, zu naturgetreu«, erklärte Bones, der diesen Morgen damit zugebracht hatte, seinen verbundenen Kopf im Spiegel zu bewundern. »Aber natürlich ließ ich mir nicht träumen, daß da -145-
ein netter Krieg losging. Und wenn Sie sich's überlegen, lieber Ham, es war gar nicht so übel - ich, zu Boden geschlagen. Das wird so wundervoll erschauernd wirken, daß die Leute wie festgeklemmt auf ihren Plätzen sitzen und heulen werden. Ich wette, es wird in allen Zeitungen stehen.« Bones verbrachte die Nacht in einer dunklen, übelriechenden Hütte, die nur durch einen schwachen Schimmer seiner Entwicklungslampe erhellt war. Aber obwohl er sich von Kopf bis Fuß mit Entwicklerlösung bekleckste, obwohl er den Film immer und immer wieder in den Entwickler tauchte, bis sein Arm schmerzte, und gewissenhaft nach jeder Anweisung des Lehrbuches verfuhr, brachte er doch nichts zutage als eine Reihe kleiner, schiefer Kleckse. »Außerordentlich sonderbar, alter Junge!« sagte er, niedergeschlagen. »Ganz erstaunlich! Absolut unverständlich! Ein Vermögen zum Teufel gegangen! Ab solut zum Teufel gegangen!« »Wer hat denn gekurbelt?« fragte Hamilton. »Ahmet! Ich hab's ihm gezeigt. Hab's ihm gelehrt, und er tat, wie ihm geheißen ward. Das ist das schreckliche, scheußliche dabei!« Trotz allen Vertrauens in Ahmet stellte er diesen Gentleman dann doch zur Rede. »Du hast doch nicht etwa die kleine Klappe geöffnet, Ahmet! Die Tür, die niemals geöffnet werden darf?« fragte er. »Gebieter, ich hab’ sie geöffnet; aber bloß ganz kurze Zeit, während ich nach einigen Bildern sah, die ich ungehörigerweise und ohne das Wissen meines Gebieters aufgenommen hatte. Aber die Bilder waren nicht da.« »Im Tageslicht hast du's geöffnet?« fragte Bones entsetzt. »Nein, Gebieter, im Sonnenlicht«, versetzte Ahmet. »Aber da war kein Bild da. Nichts, wie ich dir schon sagte, Gebieter. Nur -146-
ein gelbes Band. Bilder nicht.«
Der Heilkünstler Die Menschen in den Ländern, die den Großen Fluß begrenzen, lügen mit einer gewissen durchsichtigen Naivität. Ihre Unwahrheiten werden leicht entdeckt und sind weniger Lügen als Erdichtungen. Denn sie lügen über merkwürdige Dinge und Ereignisse, die unmöglich sind, so zum Beispiel über zweiköpfige Hunde, die Feuer speien, und Bäume, die herumspazieren, und kleine Bienen, die sich in schöne Mädchen verlieben. Wenn sie ihrer Sicherheit wegen lügen oder zu geschäftlichen Zwecken, dann lügen sie zögernd oder so trotzig, daß sie durch ein scharfes Wort veranlaßt werden können, die Wahrheit zu sprechen. Ein Lügner wie Lujaga, der Unterhäuptling der BinnenN'gombi, war eine Seltenheit. Und er war einer von den drei Leuten, die den Distriktsgouverneur Sanders während eines Zeitraumes von zwanzig Jahren vollständig zu hintergehen verstanden. Und da wir gerade von Lügnern sprechen... »Vieles an Ihnen, Bones, erinnert mich an die Isisi«, sagte Hamilton. »Lieber alter Offizier!« murmelte Bones vorwurfsvoll, »warum müssen Sie einen netten Kameraden mit einem Eingeborenen vergleichen?« »Ich dachte eigentlich mehr an Ihre interessanten Beiträge für die ›Guildford Times‹«, fuhr Hamilton fort. Er saß nach dem Frühstück auf der Veranda und rauchte eine Zigarre. Und als er seinen Arm ausstreckte, hob er eine Zeitung vom Fußboden auf, die mit der Post angekommen war. Bones schielte nach dem Kopf der Zeitung und bewegte -147-
nervös seine großen Füße. »Lieber Offizier«, bettelte er, »wenn Sie mir vielleicht einen kleinen Irrtum in der Phantasie vorwerfen wollen...« »Ich habe Ihren Bericht gelesen, wie Sie das wilde Okapi durch den Wald gejagt haben«, sagte Hamilton erbarmungslos, »und wie es sich umwandte und Sie anbrummte, als Sie es stellten. Jedenfalls lebt das Okapi nicht in diesem Land, und wenn es eines hier gäbe, würde es nicht brummen. Es würde wiehern, oder es würde schreien - wie ein Esel. Möglich daß es schreien würde wie ein Esel, da es Sie als Bruder erkennen würde. Aber keinesfalls würde es brummen oder seine Stoßzähne zeigen. Obwohl ich zugeben will, daß es einige Stoßzähne sammeln könnte, wenn es Anlagen zu einem Steuereinnehmer zeigte.« Sanders kam in diesem Augenblick hinzu und blieb, interessiert aufhorchend, an der Türschwelle stehen. »Hören Sie mal zu!« bemerkte Hamilton. »Lieber Ham!« bettelte Bones aufgeregt. »Warum wollen Sie das Thema weiter verfolgen?« »Hören Sie mal zu!« wiederholte Hamilton gefühllos. »›Als das Okapi sich umdrehte und mir gegenüberstand, langte ich nach meiner Jagdbüchse. Sie war nicht da. Mein bestürzter eingeborener Träger war davongelaufen. Ich befand mich mit einem wilden Okapi allein im Dschungel. Es sprang mir an die Gurgel. Ich wich aus. In diesem Augenblick schwamm mein ganzes vergangenes Leben vor meinen Augen. Ich riß meinen Revolver heraus und feuerte zweimal. Leblos fiel es vor meine Füße.‹« Hamilton starrte Bones über die Zeitung hinweg an. »Lügner!« sagte er einfach. »Lieber, alter, skeptischer Vorgesetzter!« begann Bones mit einer gewissen Würde. »Sie scheinen das farblose Leben zu vergessen, das die netten Guildforder leben. Die Tatsache ist, sie -148-
schrieben an mich und baten mich, ihnen eine kleine abenteuerliche Geschichte für ihre Weihnachtsnummer zu schreiben.« »Das macht es verständlicher«, antwortete Hamilton. »Sie versuchten ein Märchen zu schreiben. Nun, das ist Ihnen auch gelungen. Aber Sie blamieren unseren Stand, Bones. Ein Offizier in diesen Gebieten müßte wissen, daß das Okapi ein Mittelding zwischen einem Zebra und einem Esel ist und daß es nicht einmal gegen eine Maus kämpfen würde.« Er nahm ein anderes Zeitungsblatt auf. »Wer hat Ihnen diese niederträchtigen Dinger geschickt?« fragte Bones gereizt. »Segne mein nettes altes Leben«, fügte er etwas unzusammenhängend hinzu, »ist da denn nichts mehr heilig? Nichts Persönliches? Darf ein Mensch nicht...« »Da ist nichts Heiliges an dem Zweipencestück, das ich für diese Zeitung bezahlt habe«, sagte Hamilton. Er öffnete die Seiten mit verzweifelter Umständlichkeit, und Bones wand sich verzweifelt, als er das sah. »Hier ist der zweite Teil der Serie. Er ist überschrieben...« Er schielte nach der Überschrift der Spalte - »Gefecht mit Vampiren.« »Bitte, nichts Unangenehmes«, meinte Bones, aber Hamilton war nicht davon abzubringen. »Das Stück gefällt mir am besten. ›In dieser Nacht wachte ich...‹ Beiläufig, man hat Ihre Orthographie korrigiert, wie ich bemerke... ›...von einem schrillen, pfeifenden Laut und einer heftigen Schmerzempfindung in meiner Zehe auf. Als ich aufsah, sah ich eine riesige, schattenhafte Gestalt am Fuße meines Bettes schweben. Es war ein Vampir. Ich wagte nicht, mich zu regen. Gebannt beobachtete ich das scheußliche Tier...‹« »Ich hätte auch sagen können ›Vogel‹«, murmelte Bones, »oder vielleicht ›Reptil‹.« -149-
»Oder ›Fisch‹«, schlug Hamilton vor. »Aber bitte, unterbrechen Sie mich nicht! ›Seine unheimlichen Augen waren auf mich geheftet wie zwei grüne Monde! Ich streckte verstohlen meine Hand aus und griff nach meinem Pistol, das auf dem Nachttischchen lag. Es war nicht geladen. Was sollte ich tun? Mit meiner ganzen Gewalt warf ich mich gegen das schaurige Insekt...‹« Ein lang anhaltendes, vergnügtes Lachen, das von Sanders kam, unterbrach das Vorlesen. »Bones, Sie sind geradezu wonnig«, sagte Sanders, näher kommend. Er zog sich einen Stuhl heran. »Ich nehme an, unser Besuch auf der Fledermausinsel hat Sie zu dieser klassischen Leistung begeistert.« Im Mittelfluß, vier Tage Dampferfahrt vom Bezirksamt entfernt, befindet sich eine lange Insel, wo die Fledermäuse tagsüber in großen Klumpen, nicht zu Tausenden, sondern zu Millionen, herumhängen. Und Bones und Sanders selbst hatten dort einen unheimlichen Abend zugebracht, indem sie das Erwachen dieser Nachtgeschöpfe zum Leben beobachteten. »Die Frage ist die«, meinte Hamilton, indem er die Zeitung zusammenfaltete, »ist ein Mann, der diese Sorte Zeugs schreibt, ein geborener Lügne r oder nicht? - Und: Hat Bones die charakteristischen Eigenschaften eines Isisi oder hat er sie nicht?« »Der Isisicharakter weist Eigenschaften eines Dichters auf, Bones. Und wenn ich Sie wäre, würde ich mich schuldig bekennen«, sagte Sanders. »Und da wir nun einmal bei dem Thema lustiger Flausenmacher sind, darf ich erwähnen, daß ich vielleicht schon morgen Ihre Abreise nach Mittel-N'gombi sehen möchte. Vielleicht für eine Woche oder so...? Dort ist ein ganz neuer Kult aufgeschossen, und ein gewisser Bobolara ist sein Verkünder.« Hamilton schnellte auf. »Leoparden?« Sanders schüttelte seinen Kopf. »Diesmal nicht. Steckt so 'ne -150-
kleine Zauberdoktorei dahinter, und ich möchte dem Einhalt getan sehen, ehe sich das weiterentwickelt. Die Krone aller Heilkünstler treibt sein Wesen unter uns und hat sich von allen Plätzen der Erde ausgerechnet Mittel-N'gombi zum Schauplatz ihres Auftretens ausgesucht.« Es hatte eine Zeit gegeben, da die Mittel-N'gombi dem Government ein Dorn im Fleisch waren. Keinem Untertan, nur sich selbst verantwortlich, erhoben sie nach Belieben und mit Gewalt Zoll von ihren Nachbarn. Dann hatte es ein oder zwei Hinrichtungen gegeben, ein paar Prügelstrafen, ein Häuptling war nach dem Dorf der Ketten deportiert worden, ein anderer in den Urwald gejagt, ehe Lujaga, der Sohn Lofurus, zum Häuptlingsrang erhoben wurde, und danach hatte jede Unruhe aufgehört. Es war richtig, seine Nachbarn klagten über mitternächtliche Beutezüge, die sich gegen ihr Eigentum richteten; einige Ochoriweiber waren verschleppt worden, und Bosambo hatte seine Speerkämpfer zur Grenze geschickt. Aber Lujaga hatte bei dem Palaver, zu dem er geladen worden war, eine sehr offene Erklärung abgegeben. »Gebieter«, sagte er, »meine Leute sind ein sehr stolzes und kriegerisches Volk, das niemals unterjocht gewesen ist. Und es gibt kleine Häuptlinge, die mich als König sehr nebensächlich ansehen und sich sehr laut große Herren nennen. Die Ochori wurden von einem kleinen Häuptling beraubt, der sie in den Urwald geschleppt hat. Meine junge n Krieger sind ihm augenblicklich auf der Spur.« In ähnlicher Weise hatte Lujaga sehr schnell die Schuldigen entdeckt, als sechs Kanus der Oberen Isisi mit ihrem Steuerbeitrag an Rohgummi auf dem Weg zum Bezirksamt verschwunden waren. Er kam persönlich zur Flußmündung und brachte mehr als die Hälfte des gestohlenen Gutes mit. »Ich bringe dir keine abgeschlagenen Köpfe, Sandi, da du das nicht haben willst«, äußerte er bezeichnend. »Aber wenn Diebe zu den Speeren greifen, sollen wir da zusehen? Beifall klatschen -151-
oder lachen? Es gibt Bösewichter im Flußwald, und diese zogen aus, fingen die Isisikanus ab und ermordeten die Paddler.« Lujaga gab Sanders einen Beweis nach dem anderen von seiner Ehrlichkeit. Einmal kam die Nachricht von einem Raubzug gegen die Isisi von Lujaga selbst. Und mit dieser Nachricht zugleich langten zwei Männer an, die von Lujagas Kriegern gefangengenommen worden waren - diese zwei Gefangenen waren sehr schweigsame, sich in Schmerzen windende Leute, sie sprachen nicht, weil man ihnen die Zunge abgeschnitten hatte, eine Übeltat, zu der Lujaga sich freimütig bekannte. »Krieger haben ihre eigenen Gewohnheiten, Gebieter!« sagte er. »Ich kann meine jungen Krieger in der Hitze des Gefechts nicht zurückhalten. Aber die Männer, die das verübt haben, wurden gepeitscht und verbrannt.« Lujaga zahlte regelmäßig seine Steuern. Seine Dörfer, die den Flußlauf säumten - denn obwohl der Hauptteil seines Gebietes im Waldinnern lag, erstreckte es sich doch bis zum Flußufer -, waren wahre Muster an Ordnung und Sauberkeit. Seine Kundschafter brachten wertvolle Nachrichten von der Grenze, und er brachte niemals Klagen gegen seine Grenznachbarn vor. »Lujaga ist ein Muster von einem Häuptling, wie er sein soll«, meinte Sanders nicht einmal, sondern oft und erwies ihm gewisse Vergünstigungen. So erließ er ihm einen Teil seiner Steuern und gab ihm das Jagdrecht innerhalb ›keines Mannes Land‹, das sich bis an die Grenze des französischen Gebietes erstreckte. Nur ein einziger Mann hatte den Versuch gemacht, Sanders' Glauben an diesen Häuptling zu erschüttern. Dieser Mann war Bosambo, der König der Ochori. Bosambo traute wenigen und achtete niemand. Eines Tages kam er zum Bezirksamt mit einer langen Geschichte von Beutezügen, von verletztem Jagdrecht, von -152-
Weibern und Ziegen, die aus einem Grenzdorf verschwunden sein sollten. Sanders hörte geduldig zu, machte an verschiedenen Stellen des Berichts seine Abzüge und fällte sein Urteil. »Ich werde Lujaga hiervon benachrichtigen«, sagte er. »Der Häuptling wird die Schuldigen herausfinden, und ihr sollt eure Weiber und Ziegen zurückerhalten.« »Alle?« fragte Bosambo skeptisch. »Gebieter, ich zweifle nicht, daß Lujaga von je drei Weibern eins und von je sechs Ziegen eine zurückgeben wird, denn das pflegt er so zu halten. Die übrigen wirst du in seinem Kral in der verborgenen Stadt finden. Denn dieser Kerl ist ein Lügner.« »Wer ist das nicht?« Damit endete das Palaver. Man nannte Lujagas Stadt ›die verborgene‹, weil sie mitten in einem dichten Wald versteckt und zwölf Wegstunden vom fließenden Gewässer entfernt lag und weil ihr aus diesen Gründen schlecht beizukommen war. In Lujagas verborgener Stadt lebte Bobolara, ein Heilkundiger, ein Mensch, der über die Grenzen seiner eigenen Landschaft bekannt war. Bobolara war ein schlanker Mann von besonders schönem Äußeren und gutem Charakter und hatte als Kind vielfach Wunder gewirkt. Denn er hatte Kranken den Rücken massiert, und sie waren gesund geworden. Und er hatte fürchterliche Kopfschmerzen geheilt, indem er den Kopf des Leidenden auf sonderbare und geheimnisvolle Weise herumgedreht hatte. Wenn ein Baum auf einen Holzfäller fiel und dieser sich eine Schulter ausgerenkt und ein Urteilsspruch der Dorfältesten ihn zum Tode verurteilt hatte, weil Mißgestaltete niemals geduldet wurden, hatte Bobolara durch seine Zauberkraft die ausgerenkte Schulter wieder eingerenkt, so daß der Holzfäller innerhalb einer Woche wieder seiner Arbeit nachgehen konnte. Bobolara wohnte in einer kleinen Hütte am anderen Ende der -153-
Hauptstraße des Dorfes und wurde allgemein für einen Sonderling gehalten, da er weder ein Weib hatte noch in Liebesgeschichten verwickelt war. Wenn er am Abend an den Hütten vorüberging, sah er weder rechts noch links, und kein verheiratetes Weib sandte ihm ihre sündigen Blicke zu. König Lujaga kannte ihn dem Namen nach und schickte in einer stürmischen, unheimlichen Nacht einen Boten zu ihm, er solle kommen. Bobolara ging zum Königshaus und sah ein Mädchen auf dem Estrich der Hütte liegen, das aus einer Rückenwunde blutete und, halb wahnwitzig vor Angst, ihre Klageschreie ausstieß. »Ich habe dieses Weib aus einer Ochorihütte geholt, und dabei hat einer meiner Krieger sie gespeert. Ich habe ihn töten lassen, aber dieses Weib muß gerettet werden, denn sie ist schön und ich will sie für meinen Harem haben. Darum nimm sie mit in deine Hütte und heile sie durch deine Zauberkraft, und in drei und nochmals drei Tagen hast du sie mir voll von Liebe und in gewisser Beziehung in dem gleichen Zustande, wie sie jetzt ist, zurückzuliefern.« Bobolara ließ das Mädchen in seine Hütte tragen, behandelte ihre Wunde, und nach drei Tagen hatte sie ihre Gesundheit wiedererlangt. Bobolara hatte das Mitleid gepackt, das bei allen Menschen schon etwas wie halbe Liebe ist. Am sechsten Tage schickte der König seinen Vertrauensmann, einen kleinen Mann, Ligi mit Namen, der seine Braut zu dem großen Fest holen sollte, das der König in der Mitte der Stadt vorbereitet hatte. Hier, vor seiner Hütte, hatte der König seine Tanzmädchen und seine Krieger zur Verlobungszeremo nie versammelt. »Wo ist das Mädchen?« fragte Lujaga. »Bei ihren Angehörigen«, antwortete Bobolara ruhig. »Denn, -154-
König, dieses Weib gehört nicht zu uns, und ich habe sie freigelassen. Ich selbst habe sie in der Nacht durch den Urwald geleitet.« Es dauerte eine Weile, ehe Lujaga sich von dem Schrecken erholte, und dann schlug er Bobolara mit seiner Peitsche quer über das Gesicht. »Du Hund«, heulte er wütend, »noch heute nacht sollst du bei den Geistern wohnen! Bringt diesen Mann zu dem Kleinen Volk!« Man packte Bobolara und schleppte ihn in die Nähe der großen Ameisenhaufen. Dort fesselte man ihn nackt, wie er geboren war, mit gespreizten Händen und Füßen auf den Erdboden. Dann ließ man von jedem Ameisenhaufen eine süße, sirupartige Spur in seiner Richtung laufen, die das Kleine Volk zu der am Boden ausgestreckten Gestalt führen mußte. Und in dieser Lage überließen sie ihn den Ameisen zur Beute, damit diese ihn holen sollten, Stück für Stück, bis nichts als seine Knochen übrigblieben. Am Morgen, als sie kamen, um zu sehen, was von Bobolara übrig war, fanden sie ihn schlafend. Der Boden um ihn herum war besät mit Ameisen, aber keine hatte ihn angerührt. Darum banden sie Bobolara los und brachten ihn zum König zurück. »Biegt einen Baum herunter!« schnappte Lujaga. Man befestigte ein Tau an dem Wipfel eines jungen Baumes und bog jenen herunter. Dann befestigte man das andere Ende des Taues am Hals des Mannes. »Schlag zu!« befahl Lujaga, und der Henker erhob sein krummes Messer, um Bobolaras Kopf vom Körper zu trennen. Aber ehe das Messer treffen konnte, war der Henker in einem krampfartigen Anfall zu Boden gestürzt, und niemand wagte das Henkersmesser aufzuheben, als der König dieses befahl. »Es ist mir klar, daß Bobolara über einen mächtigen Zauber verfügt« , sagte der erste Ratgeber verwirrt zum König. »Laß -155-
ihn laufen, Lujaga, denn ich fürchte mich!« Aus diesem Grund durfte Bobolara weiterleben, denn der König fürchtete den Unwillen seines Volkes. Nichtsdestoweniger schickte er seine Meuchelmörder zu Bobolaras Hütte. »Bringt mir blutige Speere zurück«, sagte er, »und ich will euch zu Dorfhäuptlingen machen.« Aber sie kamen mit sauberen Speeren zurück und erzählten von einem großen Dämon, der ein blaues Gesicht habe, und von einer Eule, die Feuer ausstrahle. Während eines weiteren Monats erlaubte man dem Heilkundigen, ein ungestörtes Dasein zu führen. Man erzählt sich, daß er Tote erweckte, aber das war wahrscheinlich erfunden. Er heilte Kranke, kurierte sonderbare Krankheiten und erleichterte Frauen von ihrer schrecklichen Not. Dann ereignete sich etwas Seltsames in der verborgenen Stadt. Der zweite Ratgeber des Königs starb unter fürchterlichen Schmerzen, Bobolara besuchte den Mann und erriet die Ursache. Denn der zweite Ratgeber des Königs hatte bekannterweise in Feindschaft mit seinem Herrn gelebt. Bobolara machte viele einsame Ausflüge in den Urwald, auf der Suche nach seltenen Kräutern, denn er besaß einen untrüglichen Instinkt für deren heilsame Eigenschaften. Eines Tages - es war nach dem Tode des zweiten Ratgebers sah er zwei Männer am Ende eines Sumpfes, die dort etwas zu suchen schienen. Es war ein Ort, an dem viele Krokodile hausten und fremdartige Kräuter wuchsen, die an keiner anderen Stelle des Landes gefunden werden konnten. Bobolara beobachtete sie lässig, als sie auf ihn zukamen. Sie trugen in ihren Händen die dicken Zweige eines Strauches, der mit roten Beeren übersät war. Bobolara erkannte Lujaga und dessen Vertrauten, und als -156-
Lujaga Bobolara bemerkte, wurde des Königs Gesicht dunkel vor Zorn. »O Zauberer, ich sehe dich!« sagte der König. »Ich sehe dich, Herr!« antwortete Bobolara. »Ist der König ein Doktor, daß er die kleinen Giftbeeren sammelt, die nicht einmal die großen Sumpftiere fressen mögen?« »Ich sammle sie, weil ihnen Zauberkraft innewohnt und weil sie Gespenster und Geister fernhalten.« Bobolara antwortete nicht, und der König haßte ihn dafür um so mehr. Tag für Tag wartete Bobolara, aber kein neuer Ratgeber wurde von einer unbekannten Krankheit ergriffen. Eines Nachts sagte der König vertraulich zu seinem Gefolgsmann: »Bring diese Botschaft zu Sandi in seinem feinen Haus am Fluß!« Der König verbrachte die Nacht, indem er seinem Boten ins einzelne gehende Anweisungen gab. Ehe der Morgen graute, befand sich der Königsbote mit einem kleinen Beutel weißen Pulvers in seinem Hüfttuch unterwegs. »Ich habe eine Nachricht von Lujaga erhalten«, bemerkte Sanders eines Morgens beim Frühstück. »Dieser verdammte Bobolara soll Tote aufwecken. Lujaga gehört niemals zu denen, die unnütz Lärm schlagen, aber in diesem Fall nimmt er die Sache ernst. Eine Anzahl Männer und Weiber verschwindet, und er fürchtet, dieser Zauberdoktor verarbeitet sie zu ›Medizin‹.« »Ich werde ihm was zu knacken geben, liebe alte Exzellenz«, antwortete Bones. »Ich glaube, Sie können mich ruhig beauftragen, mit solchen netten Vögeln dieser Sorte fertig zu werden. Ich werde ihn nächsten Mittwoch mit mir herunterbringen.« »Und bringen Sie gleichzeitig ein Okapi mit!« schlug Hamilton vor. »Und nehmen Sie sich in acht, daß es Sie nicht -157-
sticht!« Bones verließ das Bezirksamt voller Unternehmungslust. Ligi, des Königs Bote, begleitete ihn und versah ihn mit Nahrung. Der Tag war wunderbar, der Himmel ein einziges wolkenloses Blau. Das lebhafte Grün der Blätter, das kristallklare Glitzern des Flusses, die kühlenden Brisen, die von den tausend Meilen entfernten Bergen herunterwehten, vermehrten noch die Lebenslust. Am nächsten Morgen fühlte sich Bones nicht so wohl und unternehmend, obwohl der Tag schön und die Landschaft wunderbar war. Am dritten Tag hatte er ein sonderbares Ohrensausen, seine Augen fielen ihm zu, und es war ihm, als ob zwei Bleigewichte gegen seine Schädelwände drückten. Er nahm zehn Grains Chinin, riß sich zusammen und verfluchte alle Malariamücken. Am Ufer auf der N'gombi-Seite stolperte er an Land. In seinem Kopf hämmerte es, als er, wie aus weiter Ferne, die Stimme des kleinen Häuptlings vernahm, der ihn begrüßte, aber er verstand kein Wort. »Gebieter!« sagte Abiboo, sein Sergeant, beunruhigt. »Laß uns zu unserem schönen Schiff zurückgehen, und ich will dich zu Sandi zurückbringen, denn du bist ein kranker Mann.« Bones grinste blöde. Während des zwölfstündigen Marsches durch den Urwald stießen sie auf genügend Beweise, daß im N'Gombi- Gebiet nicht alles stimmte. Alle drei Meilen fanden sie eine Leiche mit einem sonderbaren Zeichen auf der Brust. »Die hat Bobolara getötet«, sagte Ligi, der Führer, »damit er sich eine gewisse Macht über das Volk verschafft.« Bones nickte stumpfsinnig. »Das ist ein Hängepalaver!« antwortete er mit schwerer Zunge und stolperte weiter. Nacht lag über einem zehn Meilen von der verborgenen Stadt -158-
entfernten Dorf. Man hatte die Feuer zu lichter Flamme geschürt, die Menschen gingen von einer Familiengruppe zur anderen und horchten von neuem auf schon hundertmal erzählte Geschichten von der Tapferkeit der Alten und von dem Mut der Jungen, während die Weiber sich angenehm über Krankheiten unterhielten. Da kam ein Fremder den gewundenen Pfad hinunter, der vom Urwald herführt, und lenkte auf die Dorfstraße ein, wo er scharf beobachtet und bestaunt wurde. Er war schlank, breitschultrig und von gefälligem Äußeren, denn sein Haar war mit Lehm beklebt, und über den Schultern trug er das neue Fell eines jungen Leoparden. Ein fünf Fuß hoher Schlacht schild hing an seinem linken Arm, und in der am Schild geschickt angebrachten Tasche trug er drei leichte Wurfspeere, deren polierte Spitzen im Feuer glitzerten. Außerdem hatte er einen langen Bogen auf seinen Rücken geschnürt. Das Holz dieses Bogens war zur Hälfte mit Affenfell umkleidet. Ein breiter Lederriemen gürtete seine Taille, und rechts und links hingen zwei kurze, breitklingige Schwerter. Er trug weder die Stammeszeichen der Isisi noch die der Akasava noch die der N'gombi im Gesicht. Ocho ri, das wußten sie, war er nicht, und für einen Mann vom Stamm des Unterflusses trug er sich zu stolz, denn dieser Stamm war ein unterwürfiges Volk. Obwohl der Mann ein Fremder war, schien er doch seinen Weg zu kennen, denn er ging unbeirrt auf die Hütte des Dorfhäuptlings zu und rief diesen beim Namen. »Kofo«, begann er, »laß uns ein wenig reden!« Kofo trat blinzelnd aus dem Dunkel seiner Hütte heraus und sandte einen forschenden Blick über die tanzenden Flammen hinweg. »O Mann«, sagte dieser, »wer kommt zu diesem großen Dorf und spricht zu Kofo, dem rechtmäßigen Häuptling und Gefolgsmann Lujagas?« -159-
»Ich bin aus der Stadt«, antwortete der Fremde. »Die Leute nennen mich ›den Heiler‹.« Kofos Kinnlade sank herab, er starrte den Fremden an. »O Ko!« rief er schließlich. »Das ist schlechte Nachricht für mich, denn ich dachte, du wohntest in König Lujagas Hütte. Was ist dein Begehren?« »Ein Kanu und zehn Paddler und einen Steuermann. Sie müssen mich über die Seen bringen, denn Sandi und seine Soldaten sind mir auf den Fersen.« Kofo schöpfte tief Atem. In diesem Augenblick kam ein Mann die Dorfstraße entlang gelaufen, und bei dem Geräusch, das dessen Füße verursachten, wandte sich Bobolara um. »O Bobolara, ich sehe dich!« sagte der Läufer, indem er schwankend vor der Häuptlingshütte haltmachte. »Etwas Schlimmes hat sich ereignet, denn Tibbetti, der Sandis Sohn ist, stirbt an Gift in der verborgenen Stadt des Königs, und man redet, du hättest ihn verzaubert.« Bobolara betrachtete den Boten lange und nachdenklich. »Ich kehre in die verborgene Stadt zurück«, bemerkte er einfach, wandte sich und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Der Bote folgte ihm auf dem Fuß. »Bobolara, wenn du zurückkehrst, stirbst du!« winselte er, denn das Stadtvolk liebte Bobolara. Bones lag auf einem Feldbett vor dem Königshaus, und die züngelnden Flammen des Feuers beleuchteten das bleiche, krampfhaft verzogene Gesicht des Halbbewußtlosen. Um ihn herum befand sich ein Dutzend befezter Soldaten, und weiter im Hintergrund beobachtete ein Halbkreis neugierig starrender Gesichter die Szene mit naivem Interesse. Abiboo kniete an der Seite des Bettes; er versuchte seinem Gebieter Brandy einzuflößen, und, die ganze Sache überragend, -160-
sah man die lange Gestalt Lujagas. »Nun können es alle sehen!« rief er. »Der Gebieter Tibbetti kam, um Bobola ra gefangenzusetzen, und dieser hat den Weißen mit seinem Zauberbann zu Boden geworfen. Nun müßt ihr Sandi-Soldaten den verruchten Heiler finden und ihn wegen seiner Missetaten hängen. Denn Sandi hängt mit seinem Herzen an Tibbetti...« In diesem Augenblick wurde er unterbrochen. Ein Mann schob sich durch die herumstehende Menge und schritt schnell auf das Feuer zu. Das Volk starrte ihn erstaunt an, und des Königs Pupillen zogen sich zusammen. »O Bobolara«, sagte Lujaga leise, »nun stirbst du, denn diese Soldaten werden dich wegen des Zaubers, den du über Tibbetti verhängt hast, töten.« »Laß sie töten, Herr«, antwortete Bobolara, »aber erst laß mich den Gebieter sehen!« Abiboos Hand senkte sich auf den Kolben des Revolvers in seinem Gürtel, und sein Gesicht zuckte vor Argwohn und Verdruß. »O Mann«, äußerte er, »um dessentwillen wirst du sterben.« Aber der Heiler nahm weder von der Drohung noch von der Gebärde Notiz. Er bückte sich, hob die reglose Gestalt wie ein Kind in die Höhe und trug, da niemand ihn daran hinderte, den bewußtlosen Bones durch die Menge. Abiboo folgte ihm, den Revolver in der Hand. Die ganze Nacht lang knetete und massierte Bobolara den kranken Bones im Halbdunkel seiner Hütte. Abiboo hockte am Türeingang und beobachtete Bobolara. Als das Frühlicht kam und der müde Heiler einmal aufsah, bemerkte er einen Baum und sah von dessen Ast einen langen Strick herunterhängen. Er starrte eine Weile auf diesen -161-
sonderbaren Anblick. Dann fragte er: »Soldat, was ist das?« »Wenn Tibbetti stirbt, sollst du auch sterben«, antwortete Abiboo. »Dann werde ich leben«, sagte Bobolara mit großer Zuversicht, »obwohl es eine Nacht und noch eine dauern wird, ehe Tibbetti spricht.« Am dritten Morgen kam Sanders, herbeigerufen durch eine dringliche Taubenbotschaft. Er war die ganze Nacht durch die Sandbänke des Flusses gefahren und hatte einen Gewaltmarsch durch den Urwald nach der verborgenen Stadt zurückgelegt. Lujaga war schnell von seinem Kommen unterrichtet worden und ging ihm entgegen. »Gebieter, das ist ein schlimmes Palaver, denn es scheint, Tibbetti geriet unter den Zauberbann des Heilers und liegt nun todkrank in des Mannes Hütte. Und weil deine Soldaten ebenfalls von Bobolara behext sind, sitzen sie draußen vor seiner Tür und sehen zu, wie Bobolara die Teufel in den Bauch des Gebieters Tibbetti hineinknetet.« Sanders starrte ihn betroffen an. »In Bobolaras Hütte? Was für eine Sorte Häuptling bist du denn, daß du Tibbetti in seinen Händen läßt?« Der König gab keine Antwort. Bones hatte an diesem Morgen sein Bewuß tsein wiedererlangt und man stützte ihn, als Sanders mit seinem katzenartigen Schritt in die große Hütte trat. »Hallo, liebe alte Exzellenz«, sagte Bones schwach, »bißchen Fieber, alter Herr. Konnte Bobolara nicht finden. Der Lump riß aus, ehe ich ankam. Tut mir fürchterlich leid, aber...« Bones lächelte schwach, »ich habe auch kein Okapi gesehen.« »Pech, Bones!« versetzte Sanders ohne zu lachen. »So! Sie haben Bobolara verfehlt? Gelang es ihm, fortzukommen?« »Ja, der Lump war gerade fort, ehe ich ankam. Aber dieser -162-
nette alte Doktor hat mich betreut; er ist wirklich ein guter Kerl.« »So, so«, meinte Sanders und rief den ›Heiler‹ vor die Tür. »Sag mir die Wahrheit, Bobolara, und ich werde dir das Leben leicht machen.« Sanders' Blick schweifte von dem Mann zu dem baumelnden Strick und er lachte innerlich, denn er erriet dessen Bestimmung. »Gebieter, was soll ich sagen? Ich bin ein Mensch, der heilt. Ich bin erfahren darin, den Grund der Schmerzen aufzufinden, und kenne das Verhalten fremdartiger Gifte, wie zum Beispiel das der kleinen roten Beeren, die in der Nähe von Sümpfen wachsen. Ich habe niemals einen Menschen getötet, aber viele geheilt. Und wenn Lujaga mich haßt, dann hat er seine Gründe dafür. Gebieter, ich glaube, dein Sohn wird am Leben bleiben.« Sanders ließ den Kopf sinken. »Mann, wenn du die Wahrheit sprichst, dann lügt ein anderer Mann. Warum verfolgt dich Lujaga mit seinem Haß?« Bobolara zögerte. »Wegen eines Weibes, das vom Ochoriland kam. Sie wurde bei einem Beutezug des Königs hierhergeschleppt.« »Von Lujaga?« Sanders' Stimme wurde schneidend. »Es finden viele Raubzüge statt«, fuhr Bobolara fort. »Manchmal werden Weiber angeschleppt, manchmal Ziegen. Jenes Weib schickte ich in ihre Heimat zurück, die sich an der Ochorigrenze befindet. Lujaga würde mich dafür getötet haben, aber er hatte Angst.« »Erzähle mir etwas mehr von den kleinen roten Beeren!« befahl Sanders. »Gebieter, ich weiß nichts von ihnen, außer, daß Menschen sterben müssen, die davon essen. Sie werden dann sehr schläfrig und haben schreckliche Kopfschmerzen.« Sanders verließ ihn unter Kopfnicken und ging langsam die -163-
Dorfstraße entlang, den Kopf auf die Brust gesenkt und seine Hände auf dem Rücken um den langen Spazierstock geklammert. Der König beobachtete ihn argwöhnisch, aber Sanders ging an seiner Hütte vorbei und blieb am Ende der Dorfstraße stehen. Er winkte einen Mann zu sich. »Hol mir Ligi, den Königsmann!« befahl er. Man holte Ligi aus dessen Hütte. »Ligi, du bist doch mit dem Gebieter Tibbetti in seinem feinen Schiff angekommen?« »Ja, Herr!« »Und nach einem und noch einem Tag befiel ihn die Krankheit.« Sanders beobachtete den Mann scharf. »Die Krankheit, die die Menschen anfällt, die kleine rote Beeren vom Sumpf essen.« Des Mannes nackte Zehen bohrten sich in den Staub, ein Zeichen innerer Aufregung, die dem Distriktsgouverneur nicht entging. Er wandte sich um und rief zwei Soldaten herbei. »Bindet den Mann an einen Baum! Dann peitscht ihn, bis er alles sagt, was er zu sagen hat!« Ligi wehrte sich nicht, als die großen Kanuleute ihn packten, noch empfand er eine Neigung, an einen Baum gefesselt zu werden. »Gebieter, ich bin des Königs Mann. Ich habe nur das getan, was er mir befohlen hat. Ich will dir die Wahrheit sagen.« Diese Wahrheit beanspruchte geraume Zeit, und am Schluß schickte Sanders ihn an Bord der ›Zaire‹ und ließ ihn in Eisen legen. Dann rief er Lujaga, den König, zu sich. »Lujaga, du gehst auf eine kurze Reise, und ich hoffe, sie wird dir wenig Schmerzen bereiten.« »Ich will dir die Wahrheit sagen...« begann Lujaga. Über Sanders' Gesicht kroch ein unangenehmes Lächeln. -164-
»Erzähle das den Geistern!« antwortete er und sah bedeutungsvoll zu dem Baum und dem herabhängenden Strick hinüber.
Die Wazoos Wenn Bones sein Haar pflegte, war das eine Prozedur; die Haarpflege einer Primadonna war im Vergleich dazu karg zu nennen. Unter dem breiten Fenster seiner Hütte befand sich eine Frisiertoilette, auf der, in genauer Abstufung, Reihen von Flaschen standen, die Haarstärkungsmittel jeglicher Art, Verschönerungsmittel, Pomaden zum Glätten der Haare, Klebemittel, Haarseifen und andere Lösungen und Essenzen zum Waschen, Baden und zur übrigen Körperpflege enthielten. Er hatte zwei Haarbürsten mit silbernem Rücken, auf denen sich sein wundervoll eingraviertes Monogramm befand, und eine solche mit Holzrücken, die zu jeder Periode ihres Daseins ein nettes heißes Bad willkommen geheißen hätte; mit dieser und einem Kamm machte Bones unter gewissen Gesichtsverrenkungen und Kopfneigungen seine Krone fertig für den Tag. An einem wundervollen Julitag hatte er einen triftigen Grund für besondere Sorgfalt, denn zwei Tage zuvor hatte der Dampfer die sehr ehrenwerte Muriel Witherspan gelandet. Und Bones verliebte sich in demselben Augenblick in sie, als ihr zierliches Füßchen den gelben Strand betrat. Die sehr ehrenwerte Muriel war die Tochter eines Staatssekretärs und die Nichte eines anderen Staatssekretärs. Sie war Künstlerin und auf die Idee gekommen, eine Ausstellung von Eingeborenengemälden zu veranstalten. Und im Laufe der Zeit, der viele Telegramme, dringende Privatbriefe und -165-
ängstliche Anfragen vom Government vorangingen, war sie schließlich angekommen, um ein kaltes, steifes, amtlichförmliches Willkommen bei Distriktsgouverneur Sanders, dagegen bei Leutnant Tibbetts gestammelte Anbetung zu finden. Sie war hübsch und schlank und sehr befähigt. Bones hielt sie für das wunderbarste Weib der Welt. Sicher war sie das wunderbarste Weib im Schutzgebiet, denn es gab dort kein anderes. Sanders und Hamilton saßen mit ihrem Gast beim Frühstück, als Bones nach beendeter Toilette herüberkam. Das junge Mädchen sah von ihrem Teller auf und unterwarf den Ankömmling einer kühlen, fast peinlichen Musterung. Sie begann damit an seinem Hals, was Bones sehr unglücklich machte, denn gerade dieser war der Gegenstand dauernder Lästerung Hamiltons, und endete bei seinen geglätteten Locken. »Guten Morgen, ehrenwerte Miß!« sagte Bones, dem es unbehaglich wurde. »Doch nichts los mit meiner netten alten Kokosnuß... Nix Beleidigendes für Ihr Künstlergemüt, meine junge Akademikerin?« »Setzen Sie sich und essen Sie Ihr Frühstück, Bones - und halten Sie den Mund!« befahl Hamilton. »Ich dachte gerade daran, wie hübsch Sie aussehen«, meinte Muriel, und Bones strahlte. »Wirklich, liebe Miß? Ich galt immer als ein hübsches Baby... ›Wo bist du hergekommen, liebes Baby? Von nirgendwo besonders her...‹ - Sie kennen die nette alte Hymne, ehrenwerte Miß? ›Wer gab dir die Äuglein, so blau schau'n sie aus? Ein netter, alter Engel, als ich kam heraus.‹« »Großer Gott!« stöhnte Hamilton leise vor sich hin. Wenn Bones Verse rezitierte, übte das immer die gleiche Wirkung auf ihn aus. -166-
»Ich glaube, Sie sind reizend, Mr. Tibbetts«, bemerkte Muriel. Es klang überzeugt. Bones kicherte. »Sie sind ein ungezogener alter Schmeichler«, gluckste er. »Und gleichzeitig, Ham, lieber alter Offizier, bin ich oft mit Henry Ainley verwechselt worden. Tatsache! Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es Henry Ainley ist oder der nette Owen Nares, aber einer von diesen beiden Komödianten ist's.« »Sind Sie sicher, daß Sie nicht die beiden dressierten Seehunde meinen?« fragte Hamilton, und Bones schloß die Augen ergebungs voll. »Ich nehme Sie beim Wort, Miß«, sagte er. »Ich behaupte nicht, daß ich hübsch bin, aber in der Masse geh' ich so mit durch...« »Wenn Sie 'n Tritt kriegen«, ergänzte Hamilton. »Und wenn Sie mich malen wollen, nun, hier haben Sie mich!« fuhr Bones, die Unterbrechung verächtlich übergehend, fort. »Und wenn Sie ihn in einem unsichtbaren Blau malten, so daß niemand ihn sehen kann, würden Sie der Allgemeinheit und dem Government einen großen Dienst erweisen«, fügte Hamilton hinzu. »Sie sind sehr unfreundlich!« bemerkte Muriel, indem sie ihren Toast zerbröckelte und ihre grauen anmaßenden Augen auf Bones gerichtet hielt. »Mr. Tibbetts hat ein vollkommen griechisches Antlitz.« »Da haben Sie's!« versetzte Bones grinsend. »Seine Nase ist ein wenig zu kurz für den vollkommenen Griechen, aber sein Kinn ist beinahe ein Traum, meinen Sie nicht, Hauptmann Hamilton?« »Haben Sie seine Frechheit bemerkt?« fragte Hamilton, sardonisch lächelnd. »Die ist ein Alp.« »An Bones ist eine ganze Masse sehr malerisch, lassen Sie -167-
das genügen!« unterbrach Sanders lächelnd. »Er ist ein bißchen zu dünn, und seine Gewohnheit, gebückt zu gehen, häßlich...« »Und seine Füße sind ungeheuerlich«, murmelte Hamilton. »Sie neidisches Ding«, sagte Bones gereizt. »Malen Sie mich lieber nicht, liebe, junge, ehrenwerte Miß!« »Malen Sie ihn doch als eine Abnormität!« schlug Hamilton vor. »Und lassen Sie nachts ein Licht vor seinem Bild brennen. Das würde den hartgesottensten Einbrecher abhalten.« Bones nahm die Besucherin ins Schlepptau, um ihr einige Lektionen in der Kunst malerischer Komposition zu geben. Sie hatte den Garten des Bezirksamtes gewählt und den mit hohen Gummibäumen bestandenen Flecken am Rande des Wassers - eine gesuchte Zufluchtsstätte an heißen Tagen. »Wenn Sie hier hübsch sitzen wollten, liebe Miß, werden Sie den Fluß und die nette kleine Dorfschaft sehen. Ist das nicht fein?« »Glänzend!« erwiderte das Mädchen. »Stellen Sie meine Staffe lei dorthin, Mr. Tibbetts! Und wollen Sie meinen Stuhl losmachen? Und, oh, ich habe meine Farben vergessen! Wollen Sie sie, bitte, holen?« Ganz aufgelöst tat Bones eine Viertelstunde Botendienst, danach begann die Künstlerin Muriel zu malen. Bones schlich sich nach vorn, bis er die Öffnung zwischen den Bäumen ausfüllte, stand zufällig gerade in der Mitte ihres Bildes, verschränkte seine Arme, nahm die Stellung eines Napoleons an und wartete. Er wartete eine halbe Stunde, und als sie dann sagte: »Würden Sie so gut sein und zur Seite treten, Mr. Tibbetts? Ich habe keine Aussicht«, war er begreiflicherweise verletzt. Außer ihrem Beruf als Malerin hatte Miß Muriel Witherspan die Leidenschaft, sich über Leben und Sitten der Eingeborenen zu unterrichten. Im Laufe eines Nachmittags quetschte sie -168-
Sanders völlig aus, und im Laufe eines Abends machte sie Hamilton zu einem nervösen Wrack. »Well, es ist gewissermaßen so, sehen Sie, die Isisi sind nicht genau dasselbe wie die Akasava... Nein, ich glaube nicht, daß sie besondere Sitten haben, verstehen Sie... Warum fragen Sie nicht Bones?« Bones unterrichtete seinen Vorgesetzten, daß ihm nichts ein größeres Vergnügen machen würde. »Natürlich, ich habe die eingeborenen Schwarzen eingehend studiert und...« »Besser schwindeln können Sie, das ist alles«, antwortete Hamilton rauh. »Sie möchte Schreckensdinge über diese unschuldigen Eingeborenen hören, und Sie können welche erfinden.« »Halten Sie mit Ihren Bluffs ein, lieber alter Ham!« murmelte Bones. »Halten Sie ein mit Ihren Bluffs!« Hamilton verließ Bones im Zustand völliger Selbstbeweihräucherung. Am nächsten Morgen hörte Muriel Witherspan von den Wazoos. Es gab keinen Stamm dieses Namens am Fluß. Aber Bones liebte es, seine Märchen an irgendein Volk zu knüpfen, und Miß Muriel hörte mit offenem Mund zu. »Mr. Tibbetts hat mir erzählt, wie die Wazoos Selbstmord begehen, indem sie sich, Kopf zuunterst, begraben«, sagte sie beim Frühstück. Und dann: »Die Wazoos leben, wie Mr. Tibbetts sagt, im Sommer in den Bäumen, um sich gegen die Moskitos zu schützen.« Um Sanders' Augen zuckte es verräterisch, aber er gab das zu. Bones hielt sich mit seinen Phantasiegebilden an die unglücklichen Wazoos. Ihrethalben erdichtete er ein Königreich - er zeichnete es in den Meeressand - und ein Herrscherhaus, das mit Wog-Wog dem Ersten begann und mit Buh-Bah dem -169-
Neunten endete. »Nun haben Sie's glücklich fertiggebracht, Bones«, sagte Hamilton eines Morgens, als er seinen Untergebenen auf dem Exerzierplatz traf. »Das Fräulein besteht darauf, nach Wazooland zu gehen, und Sanders mußte sie mit Gewalt abhalten, an ihren erlauchten Vater um Erlaubnis hierzu zu drahten. Das beweist nur, welches Unheil ein geborener Schwindler anrichten kann.« »Sehe ich so aus?« antwortete Bones entrüstet. »Natürlich tun Sie das... Sanders nimmt sie mit zu den Ochori und wird versuchen, ihr sachte die Tatsache beizubringen, daß es so was wie die Wazoos gar nicht gibt.« »Aber warum denn, Sie verräterischer Kerl von einem Offizier?!« protestierte Bones. »Haben Sie mir nicht gesagt...?« »Stehen Sie gefälligst stramm, wenn Sie mit Ihrem Vorgesetzten sprechen!« befahl Hamilton ernst. »Verflucht unfair«, murmelte Bones. »Verdammt unsportsmäßig, lieber alter Judas.« Sanders nahm das Fräulein auf der ›Zaire‹ mit zum OberFluß. Aber Bones' Kummer darüber, daß er des Vorrechtes, die schöne Besucherin zu begleiten, beraubt worden war, wurde gemildert, als am Tag nach der Abreise des Distriktsgouverneurs eine Taubenpost im Bezirksamt eintraf. Als Hamilton das winzige Papier von dem Beinchen der Taube löste, sah er, daß die Botschaft von Sanders kam und als ›dringend ‹ bezeichnet war. »Schicken Sie sofort Bones mit dem ›Wiggle‹ nach Lujamalababa! Soll Saka, den Zauberdoktor, festnehmen!« »Ich meine, Sie sollten sich fix auf die Strümpfe machen!« rief Hamilton nachdenklich. »Die Unke hat wieder mal Gesichte gehabt.«
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Im Akasavaland, jenseits Lujamalababas, auf der anderen Seite des Großen Sees, lebte Saka, der Zauberer, der der Sohn eines Zauberers und der Enkel zweier anderer Zauberer war. Dieser Magier besaß Macht über Leben und Tod. Wenn er Toten die Hand auflegte, öffneten sie sofort die Augen und redeten. Und wenn er einen Mann oder ein Weib anblickte, verschwanden sie auf Nimmerwiedersehen. So ging das Gerücht. Einmal zog ein Unterhäuptling, der ein sehr reicher Mann war, mit seinem Stamm nach dem französischen Gebiet, um dort Felle und Elfenbein zu handeln. Und weil er seinen Verwandten nicht traute - denn wer täte das? -, ließ er alle seine bewegliche Habe in Sakas Verwahrung zurück. Saka ve rgrub die Schätze im Beisein des Mannes unter dem Estrich seiner eigenen Hütte. Er stieß dabei gewisse Verwünschungen aus, die böse Geschwüre auf dem Nacken dessen hervorbringen sollten, der es wagen würde, den Erdboden über dem Schatz aufzuwühlen. Der kleine Häuptling entfernte sich mit dem beruhigenden Gefühl, daß seine Habe gesichert sei. Nach sieben Monden kehrte er zurück und ging nach Sakas Hütte. Sie gruben gemeinschaftlich nach dem Schatz, aber der Schatz war fort. »O Ko!« sagte Saka in erkünstelter Bestürzung, die eine Beimischung von Heiterkeit hatte. »Das kommt von meinem Zauber. Ich muß wohl zu scharf auf deine hübschen Wunder gestarrt haben, M'guru, daß sie so spurlos verschwinden konnten.« M'guru war Händler und als solcher argwöhnisch von Natur. Er brachte seine Klagen vor Sanders, und der Distriktsgouverneur lud Saka vor. »Mann!« redete er ihn an. »Man sagt mir, du seist ein großer Zauberer und daß alles, was du ansiehst, verschwindet. Auch ich bin ein Zauberer. Ich strecke meine Hand aus, und siehe, wo ist -171-
der freie Mann, der ohne Ketten an seinen Füßen herumläuft? Verschwunden ist er, in meinem Dorf der Ketten, wo Bösewichte lebenslänglich für das Government arbeiten und wo sogar große Häuptlinge nicht mehr bedeuten als ein einfacher Fischer. Nun gehe fort, Saka, und forsche mit deinen wundervollen Augen gehörig nach M'gurus Schatz. Und ich bin überzeugt, daß du ihn finden wirst, da du ein Zauberer bist.« Saka ging und kehrte nach drei Tagen mit der Erzählung seiner Entdeckung zurück. »Gebieter, durch die Zauberkraft meiner Augen habe ich M'gurus wundervolle Schätze entdeckt. Sie liegen unter den drei Bäumen am Wasser vergraben, und ich habe sie ausgegraben und M'guru übergeben.« »Das ist gut!« sagte Sanders. »Saka, ich bin ein Mann von wenig Worten und vielen Pflichten. Laß mich nicht wieder zu diesem oder zu jenem Palaver hierherkommen, oder in deiner Hütte wird Wehklagen sein!« Sanders fuchtelte dabei bezeichnend mit seinem Stock, und Saka, der Vorstellungsgabe besaß, fuhr zusammen. Danach unternahm er viel, um seinen Ruf bei seinem Stamm zu festigen, obwohl seine Versuche durchaus nicht überall einmütig bewillkommnet wurden. Er sah so lange auf M'gurus, seines Widersachers, junges Weib, daß sie ebenfalls verschwand. Der schlaue M'guru vermutete, daß sie nicht bei den drei Bäumen am Wasser begraben worden war. Kraft seines Amtes sandte er nach dem Zauberer. »Saka, entweder du bringst mir durch deinen Zauber mein Weib zurück, oder ich bringe dich gefesselt zu Sandi.« »M'guru«, entgegnete Saka überrascht, »ich wußte nicht, daß du ein Weib hast. Aber mit meinen wunderbaren Augen werde ich sie dir finden und an deine Hütte bringen, und du wirst mir zwei Elfenbeinzähne geben, weil ich mit den hübschen Teufeln -172-
spreche, die jede Nacht um mein Bett herumsitzen und mir Geschichten erzählen.« Zufällig befand Sanders sich in der Nähe, und das Palaver, das hierauf stattfand, war kurz und erwies sich als schmerzvoll für Saka. Danach traten des Zauberers Augen nicht mehr in Tätigkeit. Nun war Saka ein verdrießlicher Mann mittleren Alters. Wie alle Zauberdoktoren war er ungemein eitel. Die Züchtigung hatte ihn, nicht weniger als der Verlust seines Rufes, verbittert gemacht. Und da er eine erfinderische Veranlagung hatte, entdeckte er eine Methode, seine Autorität wiederzugewinnen: eine Methode, die ihm selbst zwar keinen großen Nutzen brachte, aber die denen, die er als seine Widersacher ansah, großen Ärger verursachte. Männer und Weiber, die des Nachts verstohlen in seine Hütte kamen, um seine Vermittlung in ihren Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen, hörten dort von einem neuen und mächtigeren Teufel als jene, die jemals in dem Land am See gehaust hatten. Der Name des Teufels war M'lo, er selbst von mikroskopischer Kleinheit. Und er übte einen Unfug von jeglichem Kleidungsstück aus, in dem er sich festgenistet hatte. »Du hast Feuer in deinen Zähnen!« rief Saka einem Bittenden zu, dessen geschwollene Backe und schmerzlicher Gesichtsausdruck beredt von seiner Qual sprachen. »Mein Zauber sagt mir, daß M'lo mächtig gegen dich am Werke ist.« Saka schloß seine Augen in einer Enträtselungsekstase. »Er wohnt in dem blauen Tuch E'garas, M'gurus Weib. Dieses Stück Zeug mußt du verbrennen. Wenn du mich an M'guru verrätst und wenn er erfährt, daß ich dir das gesagt habe, dann wird er dich töten.« Am nächsten Morgen verschwand das wunderbare blaue Stück Zeug, das die Gestalt E'garas, des Haupt- und Lieblingsweibes M'gurus, umgab, und wurde im Walddickicht ein Haufen schwarzer und rauchender Fasern. -173-
Einem Mann, dessen Weib diesem - um ein mildes Wort zu brauchen - Ursache zur Beunruhigung gegeben hatte, verriet Saka, daß sich M'lo in dem wachsenden Mais auf dem Feld eines von Sakas Widersachern aufhielte. Und am Morgen stand kein Mais mehr dort, wo der Betroffene auf der Suche nach seinem verhaßten Quälgeist herumgestöbert hatte. Saka entdeckte, wie M'lo das Dorf vom Feuer vor M'gurus Hütte boshaft beobachtete, und am nächsten Morgen war das Feuer erstickt. Und niemand verriet Saka aus Furcht vor diesem bazillenartigen Dämon. Nie mand, außer einem Kundschafter Sandis, dessen Aufgabe es war, zu wissen und zu berichten. Dieser hatte eine Aussprache mit Saka, bei der er sich als ein Mann ausgab, der einen Hund verloren hatte. Und Saka erzählte ihm von M'lo und wie dieser Teufel gebannt werden könne, wenn man M'gurus Hütte in Brand stecke. Das sagte er, weil der Kundschafter aus einem anderen Dorf stammte. Dann kam eines Tages Leutnant Tibbetts mit vier Soldaten und brachte den Zauberer Saka an einen Platz, wo M'lo keinen Einfluß mehr hatte. In dem blauen Dämmerschein, der unmittelbar nächtlicher Finsternis vorangeht, suchte ein kleiner weißer Dampfer seinen Weg durch die pestbringenden Sandbänke, die den Fluß gegenüber dem Dorf Lugala verseuchen. Und sämtliches Dorfvolk kam herunter ans Ufer; sie hofften, daß irgend etwas einträte, das einen willkommenen Gegenstand zum Klatschen während der noch verbleibenden Nachtstunden abgeben würde. Denn sie sind großartige Geschichtenerzähler und ungeheuer leichtgläubig. Schwere Regen waren gefallen; in dem seichten Bett hatte sich Schlamm abgelagert, neue Sandbänke tauchten auf, wo früher tiefe Fahrrinnen gewesen waren, und die Aussicht auf eine Sensation war nicht ungerechtfertigt. Der Möglichkeiten, die schwere Regen und sich verändernde Sandbänke mit sich bringen, völlig unbewußt, kam der Führer -174-
des Dampfers mit Volldampf angefahren. In seinem Auge leuchtete das Licht eines energischen Entschlusses, und der größere Teil einer halben Banane füllte seine Mundhöhle. Im Bug der ›Wiggle‹ schwang ein Kanujunge einen langen Stock, stieß damit ins Wasser und berichtete seine Entdeckungen in klagender Einförmigkeit. »Ein Faden und ein halber Faden« (Faden = sechs englische Fuß = 1,82 in), dröhnte er, und dann: »Ein Faden.« Der ›Wiggle‹ bumste in etwas Weiches, drehte sich dann, teilweise nachgebend, breitseits zum Strom und lag still. »Wuuf... Umph... hggg!« Bones' natürlicher Ausruf des Schreckens und der Betroffenheit wurde durch die Banane etwas entstellt. Er verschluckte sie hastig und wäre beinahe erstickt. »Oh ihr zehnmal und noch zehnmal Narren!« wütete er und starrte auf den vollkommen unschuldigen Kanojungen. »Hast du nicht eben einen Faden und einen Faden und einen halben ausgerufen? Und hier liegt nun mein feines Boot auf den Sandbänken!« »Gebieter, es ist kein Faden und ein Faden und ein halber hier«, antwortete der lotende Junge ruhig. »Als ich das aussang, waren wir in solchem Wasser. Nun liegen wir auf dem Sand. Es ist Gottes Wille.« Bones stieß einen Laut der Ungeduld aus und sah sich in der Runde um. Die Nacht war plötzlich hereingebrochen. Vom Land sah er das Flackern der Feuer vor den Hütten herüberleuchten. Aber er wußte, von den Isisi würde kein Mann zur Rettung des Bootes kommen, denn man hätte bis an die Hüften in einem Fluß stehen müssen, der von Krokodilen bevölkert war, wenn man den ›Wiggle‹ in tieferes Wasser bringen wollte. Bis zum Morgen lag er sicher genug, denn der Druck des Stromes würde den ›Wiggle‹ fest auf der Bank halten. Aber -175-
zwischen Sicherheit und Bequemlichkeit war ein weiter Spielraum. Der Fußboden seiner Schlafkabine neigte sich in einem Winkel von dreißig Grad. Es war unmöglich, bequem zu sitzen oder zu liegen. Bones befahl, das Boot fertig zu machen, und ließ sich an Land rudern. Daß er erwartet wurde, wußte er, noch ehe die Wachfeuer am Strand aufzulodern begannen. Eine Volksmenge von fünfhundert Leuten wartete darauf, ihn zu empfangen. Lugala hatte fünfhundertsechs Einwohner, aber sechs davon waren zu alt oder zu krank, um den Weg zum Fluß zurückzulegen. Borobo, der Häuptling, bot ihm Salz und Entschuldigungen an. »Gebieter, zu dieser Jahreszeit gibt es viele Alligatoren im Fluß. Gestern packten sie ein Weib aus dem Dorf Gobini, während sie ihr Baby am Flußufer wusch.« »Habe keine Furcht, Häuptling! Ich komme mit Frieden in meinem Herzen«, sagte Bones herablassend und stelzte die Dorf Straße hinauf bis zum Gästehaus, das für ihn vorbereitet war. Der Häuptling hatte im stillen angeordnet, daß man seine kostbaren Hunde, die gewöhnlich dann eingesperrt waren, daraus entfernen sollte. Leutnant Tibbetts' eigener Koch kam an Land und bereitete das Abendessen, das Bones vor einer Zuschauerschaft von fünfhundertdrei Personen einnahm, da drei von den Kranken und Betagten aus ihren Hütten getragen wurden, um dem erstaunlichen Schauspiel beizuwohnen, einen Mann in regelmäßigen Zeitabständen einen silbernen Speer in seinen Mund stecken zu sehen. »Man sagt«, flüsterte eine Klatschbase erschrocken zur anderen, »daß Tibbetti seine Finger nicht gebrauchen kann, da er von einer Schlange in die Finger gebissen wurde, als er noch jung war.« Als Bones im Laufe des Abends Nachricht erhielt, daß der ›Wiggle‹ sich in noch beunruhigenderer Weise auf die Seite -176-
gelegt hätte, befahl er alle Mann an Land, und Saka wurde am Ende des Dorfes unter Bewachung gestellt. Nun war Sakas Ruf nicht auf seine eigene Landschaft beschränkt. Er erfreute sich in Gegenden jenseits Lajumalababas (oder Lugalas, wie es zeitweilig genannt wurde) eines Rufes, um den ihn manche ortsbekannte medizinische Größe beneidete. Denn das ist einmal so in der Welt, daß kleine Leute ihren eigenen Ruf erhöhen, indem sie den Ruf über ihnen Stehender verkleinern. Und durch Bones wurde, je mehr die Nacht fortschritt, nicht die Hütte, in der er untergebracht war und schnarchend schlief, der Mittelpunkt des Interesses, sondern die größere Hütte, in der der schwarze Philosoph eines fremden Stammes Weisheit predigte und die Dorfbewohner von Lugala in die Geheimnisse und Verrücktheiten M'los, des Unsichtbaren, einweihte. Und niemand war daran mehr interessiert als die HaussaSchildwache, die ihn bewachte. Denn diese gehörte dem Kanovolk an und glaubte, daß seine Familie unter dem besonderen Schutz einer grünroten Schlange stände, von der die rote Hälfte männlich sei und die grüne Hälfte weiblich. Und dieser Kanomann ging des Abends niemals schlafen, ohne ein Gefäß mit Wasser in der Nähe seines Kopfes aufgestellt zu haben, damit der Schlangendämon nicht durstig würde. »Bringt mir die Toten herbei«, prahlte Saka, »und ich will sie lebendig machen durch die Wunderkraft M'los, der so klein ist, daß sein Dorf unter dem Fuß einer Ameise Platz hat! Und keiner kann ihn sehen, außer Saka, der wundervollere Augen hat als die Krokodile und glänzendere als die Leoparden. Und dieser, mein kleiner Teufel, befindet sich hier im Dorf. Er sitzt auf dem Blatt eines Baumes und macht deinen Schädel brummen, o Mann, mit dem Draht um deinen Kopf! Und er sitzt auf einem Kochtopf und flüstert böse Worte in die Ohren eurer Weiber, wenn sie den Fisch kochen. Aber am schrecklichsten ist er, wenn er in den Kleidern der weißen Männer wohnt.« -177-
»Meine Tochter hat Schmerzen in ihrem Magen«, sagte ein Mann, sich vordrängend. »Auch wächst auf meinem Feld kein Mais. Und die Affen haben meine wunderbaren gelben Früchte gefressen.« »Das hat M'lo getan«, antwortete Saka selbstgefällig, und seine Augen wurden weit und starr. »Ich sehe ihn! Er befindet sich in dem Anzug des weißen Mannes. Nun wird Tibbetti morgen früh nach der Gewohnheit seines Volkes zum Fluß hinuntergehen und sich über den ganzen Körper waschen. Dann nimm seine gesamte Kleidung, auch das kleine seidene Hemd mit den Röhren für die Beine, das er während des Schlafes trägt - das wirst du am Flußufer finden. Und lege Feuer unter alles und verbrenne es! Und dann will ich M'lo in ein anderes Dorf schicken.« »Aber Saka, wenn wir das tun«, wandte ein Patient beunruhigt ein, »dann wird er uns peitschen, denn er ist ein grausamer Mann. Auch ist Sandi nur einen Tagesmarsch von hier entfernt, und er wird mit seinen Soldaten kommen und uns züchtigen, wie er es damals zur Zeit des Krieges getan hat, als er meinen leibhaftigen Vater aufhängte.« »Wer wird euch am meisten züchtigen?« fragte Saka orakelhaft. »Dieser Sandi, der nur ein Mensch ist, oder M'lo, der ein Gott und ein Teufel, ein Zaub erer und ein Geist, alles in einer Person ist? Wer wird euer Dorf vor Feuersbrunst bewahren und eure jungen Mädchen vor ernsthaftem Mißgeschick und eure Weiber vor Treulosigkeit? Einzig und allein M'lo, der so klein ist, daß er sein Mahl in dem Auge eines Moskitos kochen kann, ohne daß dieser schreckliche Vogel etwas davon merkt!« »Herr«, versetzte ein betagter Mann und schüttelte furchtsam seinen Kopf, »wir waren ein glückliches Volk, bis du kamst, denn wir wußten nichts von M'lo, da wir unsere eigenen Teufel hatten, die aus unserer Väter Zeit stammten.« »Wissen heißt leiden!« meinte Saka doppelsinnig. »Wenn ihr -178-
diese Dinge nicht für mich tun wollt, dann müßt ihr vergehen, wie viele Dörfer zugrunde gegangen sind. Denn, was sah ich auf dem anderen Ufer des Flusses? Nur ein Dorf, das einmal ein Dorf gewesen war. Und das Elefantengras wächst zwischen den Dachsparren. Und die Gräber der Toten? Wo sind sie?« Zehn Meilen flußaufwärts war nämlich ein Dorf gewesen. Dort hatte Beriberi gehaust und die Einwohnerschaft ausgerottet, die nicht vor der Geißel fliehen wollte. »Wer brach die Mauern nieder und ließ die Dächer verfaulen? - M'lo!« sang Saka. »Und nun ist er hierhergekommen, und ich fürchte, ihr werdet alle sterben!« Bones hatte Auftrag gegeben, man solle ihn früh wecken. Er hatte die Entschuldigung für eine Unterbrechung seiner Reise mit Freude begrüßt, denn er war ungemein begierig, der ehrenwerten Miß Muriel unter Verhältnissen zu begegnen, die sehr schmeichelhaft für ihn selbst waren. Und die ›Zaire‹ war an diesem Tag dort fällig; der Häuptling hatte ihm das gesagt - und er selbst wußte es, denn der Lokoli hatte die Nachricht in dieser Nacht weitergetrommelt. Bones, Untergebener, solange er im Bezirksamt war, war nicht der Bones, der an der Spitze einer wichtigen und besonderen Mission stand. Es war nur angebracht, daß Miß Muriel das zu Bewußtsein geführt wurde. Vielleicht würde sie dieser neue Eindruck von ihm sogar zu einem Bild begeistern. Er stellte sich dieses Bild als das von der Königlichen Akademie preisgekrönte Gemälde vor: Ein ernster, hübscher junger Offizier, das Schwert an der Hüfte, den Tropenhelm zurückgeschoben, um die fast griechische Nase und das vollkommene Kinn eines geborenen Befehlshabers sehen zu lassen. Er stand im weißglühenden afrikanischen Sonnenlicht; die Hände ruhten leicht auf dem Lauf einer HotchkißRevolverkanone; im Hintergrund ein wütender Mob -179-
eingeborener Schwarzer, deren bluttriefende Speere und das Blut gerinnenlassende gellende Schreie den Mut des spöttisch lächelnden jungen Mannes nicht zu erschüttern vermochten. Und dieses Gemälde würde einfach mit ›Der Gründer eines Kaiserreiches‹ oder ›Die eiserne Faust und der Samthandschuh‹ oder mit etwas ähnlich Passendem bezeichnet sein. Er hatte weder die Zeit noch die nötigen Utensilien bei sich, um sein Haar, wie er es gern gewollt hätte, zu frisieren, aber das Vergnügen hatte er ja noch vor sich. Abiboo hatte ihm Nachricht gebracht, daß der ›Wiggle‹ wieder flott sei und im tiefen Wasser vor Anker liege. »Nimm die Leute an Bord!« befahl Bones scharf. »Vor einer Stunde oder zwei werden wir nicht abfahren. Ich muß die Maschine überholen.« Abiboo ging, sammelte seine Leute und seinen Gefangenen, ließ sie an Bord gehen, setzte sich nieder und wartete. Bones rasierte sich aufs sorgfältigs te mit einem Sicherheitsrasierapparat, warf einen Schlafrock über seinen Pyjama und schlurfte zu einer abgelegenen Stelle am Fluß, um sein Morgenbad zu nehmen. Der Gedanke, sein Bild in der Akademie hängen zu sehen, war bestrickend. Die Tatsache, daß Miß Muriel Witherspan in der Akademie oder sonst an einer Stelle, die höchste Belohnung zum Anreiz der Ausstellung machte, nicht ausstellte, kam Bones nicht. Er sah sich selbst vor dem Clou der Jahresausstellung auf und ab gehen und das Bild mit einem stillen, rätselhaften, abwehrenden Lächeln betrachten und fortschlendern, während sich die Köpfe nach ihm umwandten und flüsterten: »Das ist er! Tibbetts, der Kaiserreichgründer!« Er war so in diesen Gedanken vertieft, daß er längere Zeit brusttief im Wasser stand und feierlich nach dem in Stromesmitte ankernden ›Wiggle‹ hinüberstarrte. Der Clou der Jahresausstellung! Warum sollte sie das Bild -180-
nicht malen? Sie schien ein sehr intelligentes junges Weib zu sein; ihr Farbenkasten war beinahe neu und mußte eine Menge Geld gekostet haben. Und - auf jeden Fall war Malen nur eine Frage, wie man die richtigen Farben an der richtigen Stelle anbrachte. Mit einem langen ekstatischen Seufzer drehte er sich um und kam, die Haut rosig und klatschnaß, zu der Stelle, an der er sein Zeug und das Badehandtuch zurückgelassen hatte. Aber sogar das Badetuch war fort. Pyjama, Jacke, Beinkleider, alles verschwunden. Nur die Morgenschuhe fand er vor. »Hiii!« gellte Bones wütend. »Hiii!« kam das Echo vom Gehölz zurück und hatte den Klang eines Gelächters. »Gnadenvolle Güte, lebendiger Himmel!« hauchte Bones. Er befand sich nicht drei Minuten von seiner Hütte entfernt, aber um deren schützendes Dach zu erreichen, blieb kein anderer Weg als der durch die Dorfstraße. Bones sah sich hilflos nach Blättern um. Er hatte eine unbestimmte, verschwommene Erinnerung, irgendwo über jemand gelesen zu haben, der sich ein Notkostüm aus diesem ärmlichen Stoff gefertigt habe. Aber die einzigen Blätter, die er entdecken konnte, waren die winzigen Blätter des Gummibaumes. Und Bones erinnerte sich, daß er weder Nadel noch Zwirn bei sich hatte. »Hiiii!« gellte er von neuem, purpurrot im Gesicht. Aber keine Antwort kam. Er kehrte um und sah nach dem ›Wiggle‹ hin. Die Strömung lief schnell, aber er war ein guter Schwimmer und... Er sah einen Wirbel im Wasser, den zackigen Rückenkamm, als ein Krokodil flußabwärts schwamm. Es zog vorüber, nur um in einem weiten Kreis zu wenden und wieder flußaufwärts zu -181-
schwimmen. »O verflucht und hol dich der Teufel!« jammerte Bones. »Mach, daß du fortkommst, du ungezogene Krustazee!« Er meinte Silurier, aber das tat nichts zur Sache. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu versuchen, seine Hütte zu erreichen. Behutsam schlich er sich auf dem engen Pfad nach dem Dorf zu und kam jetzt in Steinwurfweite von der nächsten Hütte. Ein Weib mit einem Tonkrug auf dem Kopf kam vorüber. Bones stierte neidisch auf den Graslendenschurz, den sie trug. Niemand sonst war zu sehen; er kroch näher an die Hütte heran, drückte sich gegen die Schilfwände und warf einen Blick ins Innere; die Hütte war leer. Er stürzte hinein. Aber der Raum war nicht buchstäblich leer. Auf zwei Pflöcken ausgebreitet lag einer jener Graslendenschurze, den er eben sehnsüchtig begehrt hatte: ein Schurz, der aus langem biegsamem Gras angefertigt und an einer Schnur befestigt war. Augenscheinlich war die Arbeit soeben erst beendet, denn die letzte Strähne war noch nicht festgebunden. Bones riß den Schurz von der Wand und wickelte ihn sich um. Er war offenbar für eine Dame von umfangreicheren Körperverhältnissen bestimmt, denn Bones mußte sich ihn zweimal um den Körper wickeln, ehe er paßte. Das erschrockene Lugalavolk sammelte sich vor den Türen seiner Hütten, um den sonderbaren und sogar beängstigenden Anblick zu bestaunen. Aber Bo nes, seiner Würde eingedenk, klemmte sich sein Monokel ins Auge - dem Himmel sei Dank, die Räuber hatten ihm wenigstens das gelassen - und ging majestätisch die Straße in ihrer ganzen Länge entlang, augenscheinlich vollkommen uneingedenk der betroffenen oder schuldigen Blicke, die auf ihn starrten, als er vorüberging. Sein Diener war an Bord des ›Wiggle‹ gegangen, sein Wirt nicht in Sicht. Bones tauchte in seiner Hütte unter und begann ein wahnsinniges Suchen nach seinen Sachen. Auch die waren -182-
fort. Sein Be ttzeug war verschwunden, seine Breeches - in der Tat alles, ausgenommen ein kurzes seidenes Unterhemd, das sich nach jeder Richtung hin als unzulänglich erwies. Bones steckte seinen Kopf aus der Tür und brüllte nach dem Häuptling, aber er erhielt keine Antwort. Nicht, daß Borobo ihn nicht gehört hätte. Tatsächlich nahm dieser sich die Mühe, seinen Weibern zu erklären, was der Radau bedeutete. »Der Gebieter Tibbetti singt jeden Morgen, weil er ein junger und lustiger Mann ist. Da! Hört nur seine schöne Stimme. Sein Volk singt auf diese Weise.« »Himmel und Moses!« stöhnte Bones, als keine Hilfe kam. Er war nahe daran, wieder aus der Hütte zu treten, denn sein Pech hatte ihn schamlos gemacht. Da traf ein ihm bekannter Ton sein Ohr. Es war das »Honk-Honk« der Sirene an Bord der ›Zaire‹. Bones setzte sich und trocknete seine Stirn. Sanders hier! Und Hamilton, den er an der Mündung des Isisiflusses abgesetzt hatte, um sich mit Sanders zu treffen. Und die ehrenwerte Muriel! Füße trampelten hastig an der Hütte vorbei. Die gesamte Dorfschaft rannte zum Flußufer hinunter, um den Distriktsgouverneur zu begrüßen. Bones wartete, bis er dachte, die Luft sei rein, dann trat er aus der Hütte. Das Mädchen, das auf den Kochtopf vor des Häuptlings Hütte aufpaßte, stieß einen Schrei aus. Bones ging wieder in die Hütte zurück. Er glaubte, er träume. Er zwickte sich in Fleisch, um sich zu überzeugen, daß er wach sei. Er wartete. Jede Sekunde wurde ihm zur Stunde, jede Minute zu einer Ewigkeit. Und dann drang Sanders' Stimme an sein Ohr. »Das hier ist die Häuptlingshütte, Miß Witherspan. Und dieses hier ist das Gästehaus. Sie werden guttun, einen Blick ins Gästehaus zu werfen; es ist weniger zu verachten als die anderen.« -183-
Dann kam das Trippeln leichter Füße, und Bones schrie: »Bleiben Sie draußen, ehrenwerte Miß! Liebe Muriel! Draußen bleiben!« »Wer ist das? - Bones?« fragte Sanders erstaunt. »Was zum Teufel tun Sie denn hier?« »Kommen Sie nicht herein!« quäkte Bones. »Ich habe nichts an!« Er erzählte unzusammenhängend seine Geschichte. Draußen ließ sich unterdrücktes Lachen hören. Natürlich, Ham, der würde schon lachen. »Lachen Sie nicht, Sie verrückter alter Esel!« rief Bones wütend. »Machen Sie, daß Sie fortkommen, und besorgen Sie mir ein paar Kleider, Sie ungezogener Hauptmann!« »Ich mußte lachen«, antwortete Muriels musikalische Stimme. »Gütiger Himmel, das waren Sie!« stammelte Bones. »Ja, das war ich. Hauptmann Hamilton ist hinuntergegangen, um Ihnen ein paar Sachen zu besorgen. Darf ich nicht einen kleinen Blick hineinwerfen?« »Nein, Sie dürfen nicht!« schrie Bones. »Haben Sie doch etwas Sinn für Anständigkeit, liebe Künstlerin!« »Wer hat das getan? Die Wazoos?« In ihrer girrenden Stimme lag eine Bosheit, die Bones schauern machte. Hamilton mußte es ihr verraten haben, dieser gemeine Kerl! »Nun hören Sie mal, lieber alter Maler und Dekorateur...!« begann Bones. »Mr. Tibbetts, Sie haben mich gefoppt!« »Seien Sie nett!« drängte Bones. »Sie haben mich zum Narren gehalten. Das werde ich Ihnen nie vergessen. Ich werde hineingehen und eine Skizze von Ihnen -184-
machen.« »Ich habe nichts an!« brüllte Bones lügenhaft, »ausgenommen ein Paar Morgenschuhe und einen Schurz.« Hamilton kam mit einem Mackintosh und einem Tropenhelm zurück, indem er erklärte, daß das alles sei, was sich hätte auf treiben lassen. Der Mackintosh wäre sogar für Sanders etwas zu kurz gewesen. An der langen Gestalt von Bones wirkte er beinahe als Jackett. Es vergingen drei Monate, ehe das illustrierte Blatt im Bezirksamt ankam. Und als Hamilton es nachlässig aufschlug, sah er ein Bild und schrie laut auf. Was er sah, war eine Skizze in Schwarz und Weiß, die in der einen Ecke die gekritzelte Unterschrift M. W. trug. Die Skizze zeigte Bones in all der Glorie eines Unterhemdes und eines Graslendenschurzes, mit einem Tropenhelm auf dem Kopf und dem Monokel im Auge. Und darunter der Bildtext: ›Britischer Offizier im Eingeborenenkostüm der Wazoos.‹
Die Panafrikaner Das Innere des Distriktsgouverneurs Sanders war wie zwei Bücher. Das eine lag offen zur Einsicht und schloß gerade durch seine leichte Zugänglichkeit den Verdacht aus, daß ein zweites Buch vorhanden sein könnte; das zweite war ein kleines Bändchen, in Stahl gebunden und mit vielen Schlössern verschlossen. Einmal, als Hamilton die kürzlich von zu Hause angekommenen Zeitungen überflog, las er etwas, worüber er in Lachen ausbrach. »Ich wünschte, lieber alter Offizier, Sie würden das -185-
unterlassen«, bat Bones aufblickend, gereizt von der Qual, die ihm eine einfache Addition verursachte. »Ich war gerade im Begriff, die Lohnliste zusammenzuzählen. Nun muß ich damit von neuem anfangen.« »Und Sie werden's falsch machen«, antwortete Hamilton. »Können Sie die verdammte Liste nicht woanders hinnehmen oder lernen, im Kopf zu addieren?« Bones zuckte die Schultern. »Es gibt nur eine Art, lieber Ham, und das ist die richtige«, entgegnete er und begann seine Arbeit von vorn. »Worüber lachen Sie eigentlich?« fragte Sanders, der nachdenklich eine Zigarette rauchte und auf den Exerzierplatz hinübersah. »In einem der Blätter stand etwas über ein panafrikanisches Reich mit einer eigenen Armee, organisiert von amerikanischen Schwarzen und mit einem Generalinspekteur... Wo kriegen sie eigentlich solchen Mist her?« »Es ist wahr«, sagte Sanders. Hamilton setzte sich aufrecht. »Was...? - Aber nicht hier... in unserem Gebiet, meine ich?« Sanders nickte. »Seit drei Jahren weiß ich's«, bemerkte er mit überraschender Ruhe. »Natürlich ist es unvermeidlich. Es war vorauszusehen, daß gescheite und reiche amerikanische Neger früher oder später Afrika erforschen würden.« Bones hatte seine Abrechnung fallen lassen und horchte mit offenem Mund zu. »Sie wollen mir doch nicht weismachen, Herr und Exzellenz, daß die netten alten Eingeborenen eine... eine... organisierte...« »Gerade das wollte ich sagen«, entgegnete Sanders lächelnd. »Nächste Woche läuft ein französischer Dampfer hier ein, mit einem Mann namens Garfield an Bord und einer Dame, die Insektenforscherin ist. Sie will ins Innere gehen und -186-
Schmetterlinge jagen, und ich muß gestehen, gerade die Dame macht mir Sorge.« Sanders schien auf ein anderes Gesprächsthema kommen zu wollen, aber es sah nur so aus. »Bones und ich brechen heute abend auf«, sagte er unerwartet. »Und Sie, Hamilton, werden mir den Brief, den die Dame überbringt, nachsenden, öffnen Sie ihn, dechiffrieren Sie ihn und senden Sie mir den Hauptinhalt mit Taubenpost. Beiläufig - sie ist ziemlich hübsch, und das jagt mir etwas Furcht ein. - Jawohl! Das allafrikanische Reich ist eine Tatsache - ich wünschte, es wäre nicht so. Beiläufig - sehen Sie sich Mr. Garfields Hände etwas genauer an! Besonders seine Fingernägel! Er hat Erlaubnis von Downing Street, das Land zu erforschen. Schmeißen Sie ihn raus und sagen Sie ihm, ich sei beim Steuereintreiben!« Sanders stand auf und ging hinaus. Hamilton und Bones starrten einander an. »Sonnenstich oder kann auch Fieber sein«, sagte Bones feierlich. »Und dennoch muß es in seinem Kopf richtig sein... er nimmt mich mit.« »Es ist unglaublich«, versetzte Hamilton. »Und doch, wenn Sanders so spricht und so aussieht. - Sie haben verdammtes Glück!« Die ›Zaire‹ fuhr bei Sonnenuntergang los. Das war ungewöhnlich, denn der Fluß ist voller Sandbänke und die Schiffahrt dort eine Gefahr. In der dritten Nacht legte Sanders seinen Dampfer in einem Wasserarm in der Nähe des Dorfes Kafu an. Und dann lief ein Geraune durch das Dorf. Und bei diesem Raunen klatschten sogar die alten Männer auf ihre mageren Hüften, wie sie das beim Herannahen von Unheil zu tun pflegten, und riefen bestürzt: »Ok, ok, ok, ok, a!« -187-
Und das ist der Ausdruck tiefsten Elends am Großen Fluß. Ein böses Wunder hatte sich vollzogen! Hatte sich unter ihren leibhaftigen Augen verwirklicht! Zu sichtbarer Gestalt und in einem Ausmaß, das sich den Kühnsten fühlbar machte. Die fürchterlichste der Legenden, die man sich am Großen Fluß erzählte, war Wahrheit geworden. Sanders war in der Nacht gekommen. Und ein nächtlicher Sandi war eine besondere und tödlich wirkende Persönlichkeit! Aus dem Nichts war er aufgetaucht zwischen Sonnenuntergang und Mondaufgang. Und nun saß er vor der Hütte Molakas, des Fischers. Besonders Kühne, die furchtsam aus ihren kleinen Hütten einen Blick gewagt hatten, hatten ihn gesehen. Eine gebeugte Gestalt in einem graugrünen Anzug, der im verschwimmenden Mondlicht einen eigenartigen Glanz zu verbreiten schien. Sein Gesicht war in Dunkel getaucht, denn der Rand seines großen Tropenhelmes warf einen tiefen Schatten, und überdies hatte er dem majestätischen Gestirn, das die Wedel der Palmen mit einem Silberrand umgab, den Rücken zugewandt. Woher er kam, wußte niemand, es fragte auch keiner danach. Denn Sandi war dafür bekannt, daß in ihm Zauberkräfte wohnten, Kräfte, die ihn befähigten, durch die Luft zu fliegen oder in unglaublicher Eile mit seinen Füßen über das Wasser zu gleiten. Und er war nicht zum Häuptlingshaus gegangen, sondern zu der niedrigen Hütte des beredten Fischers, der so schöne Geschichten erzählen konnte. Sandi sprach in geläufigem Bomongo. »Es scheint auch, Molaka, daß du zum Waldvolk gesprochen hast.« »Gebieter«, verteidigte sich der Mann, »sie hören meine hübschen Geschichten gern. Und da ich ein armseliger Fischspeerer bin und allen Leuten gern einen Gefallen tue, erzähle ich ihnen Geschichten, obwohl ich oft müde bin.« -188-
Sanders lachte leise und weich. »Von welchem Stamm bist du eigentlich, Molaka? Denn ich sehe, du hast keine Schnitte im Gesicht, wie das Volk vom Mittelfluß sie an seinen Kindern macht.« »Ich bin beim Laporifluß nahe Bongunda zu Hause«, antwortete Molaka. Wieder lachte Sanders, der auf dem Stuhl hockte, den Molaka für ihn gebracht hatte. »O Bantu, du lügst!« sagte Sandi. Und dann fuhr er auf englisch fort: »Ihr Name ist Meredith! Sie sind aus Kingston, Jamaika, in Westindien! Und Sie sind General in der panafrikanischen Armee!« Eine Pause entstand. »Sie sind einer der fünfhundert Sendlinge, die vom SchwarzAfrika-Syndikat zu dem Zweck erzogen wurden, einen allgemeinen Aufstand der Eingeborenen zu organisieren«, meinte Sanders in beinah eintöniger Sprechweise. »Meine Leute haben Sie zwei Jahre lang beobachtet. Sie wurden im LouisvilleCollege für Farbige zu diesem Zweck erzogen, und Sie erhalten zweihundert Dollar monatlich für Ihre Dienste.« »Sic itur ad astra!« zitierte Molaka mit einer gewissen Aufgeblasenheit. »Das ist in der Tat der Weg zur Unsterblichkeit!« sprach Sanders grimmig. »Nun sage mir, Mann, wann hast du zuletzt einen Obersten Rat deines verfluchten Ordens gesehen?« Molaka gähnte sichtlich beflissen. »Ich fürchte, ich kann Ihnen keine Information darüber geben, Mister... eh... ich habe nicht die Ehre, Sie beim Namen zu kennen. Ich nehme an, Sie sind dieser Sanders, von dem die verdammten Nigger schwätzen. Bis jetzt habe ich ja das Glück gehabt, Ihnen aus dem Wege zu gehen.« Sanders schwieg einen Augenblick. Dann: »Wann haben Sie -189-
einen Ihrer Bosse zuletzt gesprochen?« »Ich kann Ihnen keine Auskunft geben«, antwortete Molaka oder Meredith -, indem er aufzustehen versuchte. »Ich nehme an, Sie werden mich ausweisen. Das wird mir nicht leid tun. Ich habe hier zwei elende Jahre in der Wildnis zugebracht, und ich freue mich, nach meiner Heimat, in meine liebe Vaterstadt, zurückzukehren.« Sanders erhob sich ebenfalls, und nun stand er über der vor ihm hockenden Gestalt. »Kommen Sie!« befahl er und schritt mit seinem Gefangenen durch das Dorf. Das Volk sah sie vorbeigehen und schlug vor Schrecken an die Zähne. Die beiden Männer verloren sich auf dem Pfad, der in den Wald führte. Um zwei Uhr morgens hörte der Dorfwachmann, der an einem Feuer vor sich hindöste, einen Schrei und sprang auf. Der Schrei wiederholte sich aber nic ht, und der Wächter schlief wieder ein. Am Morgen stießen sie außerhalb des Dorfes auf eine Stelle, wo allem Anschein nach ein Mann mit ausgespreizten Armen und Beinen an den Boden gepfählt worden war; denn die Fesseln, mit denen seine Hand- und Fußknöchel geknebelt worden waren, hingen noch an den Pflöcken. Auch die Überreste eines Feuers konnte man erkennen, und ebenso ein Stück Eisen, das man glühend gemacht hatte. Aus diesen Anzeichen schlossen die Männer des Dorfes, daß man peinliche Fragen an Molaka gerichtet hatte. Es steht fest, daß Molaka Sanders nichts von dem großen Palaver verriet, das im Land südlich vom Isisifluß stattfinden sollte. Denn der Bote, der Molaka die Vorladung zum Likambo brachte, kam erst an, nachdem Molaka verschwunden war. Wohin er verschwunden war, wußte kein Mensch, obwohl jene Sklaven, die im Dorf der Ketten für das Government fronen, Auskunft darüber hätten geben können. -190-
Was das Palaver anbetraf und wo es stattfinden sollte, dahinter sollte Sanders auf andere Weise kommen. In dem Landstrich hinter Bolibi lebte ein Mann, der sehr reich war. Er gestattete sich, jeden Tag Hundefleisch zu essen, und er brauchte siebzig Hütten, um seine Weiber unterzubringen. Deshalb nannte man ihn ›Jomo-Nsambo‹, das bedeutet ›Zehn und sieben‹. Seine Pflanzung von Mais und Maniok nahm große Striche des Landes ein, und auf diesen arbeiteten seine Weiber dauernd. Er war ein gerechter Mann und gebrauchte seine Flußpferdpeitsche nur sehr sparsam; niemals schlug er ein Weib, außer, wenn es eine Torheit begangen hatte. Eines Tages ging er mit seinem jungen Mann auf die Jagd. Denn obwohl er weder Häuptling durch freie Wahl noch vom Government eingesetzt war, übte er doch tatsächlich vermöge seines Reichtums sogar über andere Häuptlinge die Herrschaft aus und brauchte um das, was er nötig hatte, nur den kleinen Finger krumm zu machen. Während er sich im Wald aufhielt, traf sich sein zehntes Weib mit ihrem Liebhaber am Wolkenteich. Dieser ist im Sommer ein trockenes Becken und in der Regenzeit eine Marsch, und wird aus diesem Grund so bezeichnet. Der Liebhaber war ein großer junger Mann und bekannt als Schürzenjäger. Aber da er das zehnte Weib Jomo-Nsambos tatsächlich liebte, war er ihr eine Jahreszeit lang treu. Er hieß Lolango, das heißt in der Bomongosprache ›der Ersehnte‹. »Weib, ich habe sieben Nächte im Walde geschlafen, um dich zu erwarten«, sagte er, »und es ist sehr gut, dich zu berühren. Wie du weißt, habe ich zwei Monate nach dir verlangt, denn war ich nicht Gast in deines Mannes Hütte? Und habe ich dir nicht aufregende Dinge zugeflüstert, als er schlief? Aber du warst kalt wie ein toter Fisch, obwohl ich dir wunderbare Worte durch deine Dienerin M'saro sagen ließ.« »Gebieter«, antwortete sie demütig, »ich konnte es nicht -191-
glauben, daß ›der Ersehnte‹ nach mir verlangen würde. Und ich hielt alle Geschichten, die M'saro mir erzählte, für Unsinn. Nun bin ich hier.« Er bewies ihr seine Liebe auf seine Weise. Sie erschien ihm wunderbar, und er hatte nicht die Absicht, sie zu verlassen. Aber da war ein geheimes Likambo, eine geheime Beratung, im Urwald am Kasaifluß, und dorthin war es eine zweitägige Reise, deshalb mußte er sich von ihr trennen. »Laß mich mit dir gehen, Lolango!« sagte sie. »Denn ich glaube, M'saro haßt mich und wird mich meinem Manne verraten, wenn er zurückkehrt.« Lolango bekam einen tödlichen Schrecken und wollte das nicht tun. »Weib«, entgegnete er mit gedämpfter Stimme, »dieses Likambo ist ›Ta‹.« Er stieß einen pfeifenden Laut aus, um das Schreckliche der ganzen Angelegenheit auszudrücken, und öffnete seine Augen weit. Das Weib hörte das verbotene Wort ohne jedes äußere Zeichen der Erregung. »Dann werde ich dir einen schützenden Zauber mitgeben«, sagte sie und ging. Er wartete zwei Stunden, während sie in ihr Dorf zurückkehrte und mit einem Beutel wiederkam, der mit kleinen roten Beeren gefüllt war, die es in diesem Landstrich nicht gab. »Die habe ich von einem weißen Händler gekauft«, erklärte sie ihm, »und in jeder verbirgt sich ein mächtiger Teufel, der der ›Rückwärtsseher‹ heißt. Sobald du zu dem großen Walde am Kaisai kommst, der, wie alle wissen, voll von Geistern ist, mußt du jedesmal, wenn deine Füße ›Bonkama ‹ (= hundert, d. h. hundert Schritte) sagen, eine rote Beere fallen lassen. Dann wird der rote Teufel herauskommen, und kein Geist wird dich -192-
verfolgen.« Er schauerte, aber betrachtete froh die Beeren, die er in seiner Hand hielt. »In den Wäldern gibt es Geister von ungeheurer Größe und Häßlichkeit«, gestand er. »Nun liebe ich dich um dieses Zaubers willen, N'kama. Und wenn ich zurückkomme, werde ich dir ein wunderbares Stück Zeug mitbringen, wie es die Jesusfrauen tragen, um ihre Haut zu verbergen.« Er ging, und sie sah ihm nach und spuckte auf den Erdboden. Dann badete sie ihren Körper im Fluß und ging mit wiegenden Hüften zu ihrer Hütte zurück. Sie hatte ihre Rolle gespielt und fühlte kein Bedauern, außer wegen des Beutels voll schöner roter Beeren. Sie hätte gar zu gern ein Halsband aus ihnen gemacht. Aber besser, er hatte sie mit sich genommen, anstatt daß sie zwei Tage mit ihm hätte wandern müssen. An der Dorfgrenze traf sie mit einem Mann zusammen. Er hatte arabische Gesichtszüge und die den Arabern gleiche Schlankheit des Körpers, aber er trug sein Zeug auf die Weise der Eingeborenen. »O N'kama, wo ist der Mann?« fragte er. »Fort, Herr! Er hat auch die roten Beeren mit sich genommen.« »Sage mir, N'kama, stammt dieser Lolango vom Fluß oder vom Waldvolk?« »Gebieter, er stammt vom Waldvolk«, antwortete sie ohne Zögern. »Denn als er von dem geheimen Palaver sprach, sagte er das Wort ›Likambo‹, und wir Leute vom Fluß sagen ›Jikambo‹.« Der Mann schnalzte mit der Zunge, um seine Zufriedenheit auszudrücken, steckte eine Hand in seinen Überwurf und holte eine lange dünne Kette aus Messing hervor, die mit glitzernden Steinen besetzt war. »Das hier ist von Sandi«, sagte er und ließ die Kette in ihre -193-
Hand fallen. »Und wenn irgendein Mann oder Weib Böses von dir spricht, dann sage du ihnen, daß Sandi die Menschen sehr leicht zerbricht.« Er stelzte von dem hingerissenen Mädchen fort und ließ sie, die mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen auf den Schatz in ihren Händen starrte, zurück. Am Flußufer wartete ein Kanu auf den Araber, und vier Paddler brachten ihn schnell stromabwärts. Sie umfuhren die Flußkrümmung und richteten die Nase des Kanus auf eine anscheinend undurchdringliche Wand von Elefantengras. In dieser Wand befand sich jedoch ein Durchlaß, der weit genug für ihre Einfahrt war, und sogar breiter. Denn an der entfernten Seite des schützenden Grases lag die ›Zaire‹, an deren Bug Sanders saß und rauchte. Als der Araber an Bord kam, wandte Sanders sich um. »Hallo, Bones!« begrüßte er den ›Araber‹ auf englisch. »Ist das Weib mit Lolango gegangen?« »Nein, aber er hat die netten alten Bohnen mitgenommen.« Sanders nickte, die Stirn runzelnd. »Bones, mir gefällt das Ganze nicht! Ich habe niemals das Volk so unmitteilsam gefunden. Gewöhnlich konnte man, sogar wenn es sich um ein Zauberpalaver handelte, einen Kerl finden, der den Mund aufmacht. Aber diese Teufel sind stumm.« Sanders stand plötzlich auf, als das Tuten einer Dampferpfeife vom Fluß her ertönte. Es war der kleine, flachgehende französische Küstendampfer, der gelegentlich den Fluß hinauf bis zu den Fällen vordrang. Sanders stand auf dem walfischartig gebogenen Deck seines Fahrzeugs, um über die Grasspitzen hinwegsehen zu können, und brachte sein Prismenglas an die Augen. »Der französische Dampfer«, sagte er. »Und wenn ich mich nicht sehr irre, ist das unser Freund Garfield mit der -194-
Insektenforscherin dort auf dem Achterdeck.« »Was macht sie denn hier in diesem Lande?« fragte Bones betroffen. »Was machen Frauen sonstwo?« fragte Sanders fuchsteufelswild. Dann wandte er sich an den pfeiferauchenden Araber. »So, Lolango ist gegangen? - Und das Weib?« Bones spreizte seine Hände. »'s ist ein ungesundes Geschäft«, meinte Sanders mit einer Grimasse des Ekels. Bones paffte hörbar. »Meine liebe alte Exzellenz, sie ist eine lose Dame, und jedenfalls hat sie 'ne Million ungezogener Bengel hinter sich herlaufen.« »Ich glaube, das stimmt. Aber ich ha sse es, Weiber anzustellen, um Männer in eine Falle zu locken.« »Das ist keine Anstellung, alter Herr«, sagte Bones zynisch, »das ist eine Erholung.« Als er dann seine Augen erhob, sah er eine Taube ihre Kreise ziehen und hörte die aufgeregten Rufe der grauen Vögel, die in dem Käfig über der Deckkabine untergebracht waren. »Post für Sie, glaube ich!« sagte Bones und pfiff die Taube herunter. Der Dampfer, der die ehrenwerte Miß Brent und ihren Begleiter an Bord hatte, hielt bei dem Dorfe Bofuru, das kein regelmäßiger Halteplatz ist. Mr. Garfield war ein Mann von fünfzig Jahren. Er hatte ein vierschrötiges weißes Gesicht und steif in die Höhe stehendes Haar. Er selbst hatte diesen Halteplatz vorgeschlagen. Das Mädchen, das mit ihm an Land ging, hatte ihre erste Jugend überschritten, aber sie war hübsch, und in ihrer Stimme und ihren Bewegungen lagen Anzeichen einer Begabung, die ihrem Begleiter zu raten aufgab, denn sie waren Fahrtgenossen von London bis nach Sierra Leone gewesen. -195-
Bofuru konnte ihr zum Mittelpunkt des Interesses werden, denn der Zweck ihrer Reise nach dem Kongo war, wie sie sagte - ihre Schmetterlingssammlung zu vergrößern. Sonderbar genug hatte Garfield ihre Zustimmung zu diesem Halteplatz vorausgesetzt. »Es ist ein wundervoller Platz hier für Schmetterlinge«, bemerkte er. »Ich habe welche gesehen, die zehn Zoll von Flügelspitze zu Flügelspitze maßen.« »Sie kennen also die Gegend?« »Ich war drei- oder viermal hier«, antwortete er lässig. »Ich selbst bin am Palmölgeschäft interessiert.« Sie landeten zu einer Zeit auf dem Uferzipfel, als das Bofurudorf voll von schreckhafter Verwunderung war. Tagelang waren fremde Männer in ihren Kanus den Strom heruntergekommen, hatten ihre Fahrzeuge hoch und trocken auf das Ufer gesetzt, und die Dorfbewohner hatten sie in ehrfurchtsvollem Schweigen beobachtet. Denn, ging nicht ›Ta‹ um? Und war nicht geheime Botschaft von Hütte zu Hütte gegangen, daß die Großen des Landes durch Bofuru kommen würden, auf ihrem Weg zu einem Jikambo von übergroßer Pracht? Die Besucher langten gewöhnlich zwischen der Dämmerung und der Zeit an, wo die Sonne schräg auf den Bäumen lag, denn man mußte an einem Regierungsposten vorüber; und die Heimlichkeit und das Geheimnis, das über ihrer Ankunft lag, machte sie noch geheimnisvoller. Da waren einsame Paddler und Abgesandte, die in größeren Kanus und mit eigener Rudermannschaft anlangten. Da waren große und kleine Häuptlinge, bekannte und unbekannte, und alle, alle gingen sie in den großen Wald, und der Urwald verschluckte sie. Die Ankunft von zwei weißen Besuchern war der Gipfelpunkt zweier aufregender Tage. Die Dörfler standen mit verschränkten Armen und verfolgten mit ungläubigen Gesichtern die Landung, -196-
bis Mr. Garfield mit seinem Finger einen Mann heranwinkte, der, nach der Medaille auf seiner Brust, der Häuptling zu sein schien. »O Bantu«, sagte er, »mache eine Hütte für diese Dame zurecht, die eine Weile hier bleibt, denn sie ist ein sehr kluges Weib, das beschwingte Blumen sucht.« »Gebieter, wir werden die Hütte von meines Weibes eigene r Schwester nehmen«, entgegnete der Häuptling, »und wenn sie ein Gottesweib ist, werde ich alle meine Leute zu ihr schicken, um ihren schönen Worten zuzuhören.« »Sie ist kein Gottesweib«, meinte Garfield in tadellosem Bomongo. »Nun halte sie bei dir und bewache sie und lasse sie nicht in den Wald, der, wie du weißt, voll böser Geister ist!« Er erklärte Miß Brent, welche Anordnungen er in ihrem Interesse getroffen hatte. Sechs Träger, die den Bofuruleuten fremd waren, kamen aus dem Innern, um sein Gepäck zu tragen. Sie nahmen ihre Lasten auf und marschierten mit jenem tänzelnden Schritt ab, der eine Eigentümlichkeit der Eingeborenen ist. »Vielleicht begleiten Sie mich bis an das Ende des Dorfes«, sagte Garfield, und sie stimmte zu. Sie sprachen Gleichgültiges von Leuten und Dingen, bis sie das Dickicht außerhalb des Dorfes erreicht hatten. Hier wand sich der Pfad ganz plötzlich durch einen Wald großer Kopalgummibäume. »Ich möchte Ihnen hier Lebewohl sagen!« Die junge Dame lächelte. »Ich möchte meine Hütte mal sehen. In vier Tagen werden Sie zurück sein, sagten Sie, Mr. Garfield?« »Ich werde in vier Tagen zurück sein«, wiederholte Garfield und sah sie dabei sonderbar an. Eine Ahnung von der Gefahr, in der sie schwebte, überkam sie. Aber sie änderte weder ihre Gesichtsfarbe im geringsten, -197-
noch zuckte ein Muskel in ihrem Gesicht, als sie ihm die Hand hinhielt. Mr. Garfields schwere Hand schloß sich um ihren Arm. »Ich glaube nicht, Miß Brent, daß Sie Ihre Reise fortsetzen werden. Ich weiß nicht, ob das Ihr richtiger Name ist, aber ich bin nicht neugierig. Ihre Hütte ist für Sie bereitgestellt, und wenn Sie nicht dahin zurückkehren, werden die Eingeborenen wissen, was sie zu tun haben, denn dieser Wald ist voll von verräterischen Sümpfen.« »Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie und war jetzt bleich wie der Tod. »Ehe ich New York verließ, wurde ich gewarnt, daß ein Agent des Britischen Geheimdienstes in Plymouth an Bord kommen würde«, sagte er - er sprach sehr langsam -, »und daß dieser Agent wahrscheinlich eine Frau sein würde. Jeder Zweifel, den ich in dieser Angelegenheit gehegt hatte, wurde zerstreut, als ich Ihre Kabine während des Balles, den wir vor Madeira hatten, durchsuchte. Ihre Anweisungen lauteten, sich in mein Vertrauen einzuschleichen und mich zu begleiten, soweit das Ihre eigene Sicherheit zuließe. Sie sind gerade ein wenig über diese Grenze hinausgegangen.« Er lächelte, und es war das erstemal, daß sie ihn lächeln sah. »Und nun, Miß Brent, da man Ihnen befohlen hat, den Generalinspekteur der allafrikanischen Armee zu beobachten, werde ich Ihnen die Vergünstigung gestatten, bei einem Kriegsrat gegenwärtig zu sein. Sollte es Ihnen einfallen, zu schreien, werde ich Sie würgen, bis Sie still sind. Und dann - werde ich Sie meinen Trägern überlassen.« Ihr Atem ging schnell. »Wie lächerlich!« rief sie tapfer. »Das ist wohl eine kleine Komödie von Ihnen...« »Tragödie, glaube ich«, verbesserte er sie. Er nahm sie beim Arm, und da sie die Vergeblichkeit eines Widerstandes einsah, folgte sie ihm. »Wir haben nicht weit zu gehen, obwohl unser Rendezvous-198-
Platz für unseren Freund Mr. Sanders schwierig aufzufinden sein wird.« »Ich habe keinen Freund... Mr. Sanders habe ich nie gesehen«, sagte sie. Er kicherte. »Sie werden später schon noch mitteilsamer werden«, bemerkte er bedeutungsvoll. »Nach allem, was man hört, zögert Mr. Sanders nicht, Zwangsmittel anzuwenden, wenn er gern etwas von einem unserer Agenten erfahren möchte, der das Unglück hat, in seine Hände zu fallen.« »Ich sage Ihnen, daß ich ihn nicht kenne«, schrie sie, denn das Schreckliche ihrer Lage begann ihr zu dämmern. »Ich schwöre, daß ich niemals mit ihm zusammengetroffen bin und daß ich keine Ahnung von seiner Existenz habe.« »Das werden wir alles aufdecken!« meinte Garfield trocken. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, verließen dann den ausgetretenen Pfad und folgten einem eingeborenen Führer quer durch den Wald. Dieser unbetretene Weg war außerordentlich mühsam, und Miß Brent wußte auch, warum, denn ab und zu sah sie das Wasser eines großen Sumpfes schimmern. Alle zwei Stunden machten sie halt, und beim zweiten Halt gab ihr der Mann Schokolade und ließ sie Wasser aus einem großen Ledersack trinken, der über die Schulter des Führers herabhing. »Was werden Sie mit mir anfangen?« fragte sie schließlich, und brachte die Gedanken, die sie den ganzen Tag über beschäftigt hatten, zum Ausdruck. »Nachher?« Zum zweiten Mal lächelte er. »Sie werden Ihrem Freund Sanders keine Mitteilungen machen, darauf können Sie sich verlassen!« sagte er bedeutungsvoll. »Dann werden Sie mich also töten?« fragte sie, wild auffahrend. »Oh, nichts so Unangenehmes!« erwiderte er, gab aber keine -199-
weitere Auskunft. Schließlich kamen sie in das eigenartigste Dorf, das sie je gesehen hatte. Ein Kreis neuer Hütten war offenbar zum Zweck dieser Zusammenkunft gebaut worden. Der Platz war voll von Männern - sie sah kein Weib -, die ihr verwundert nachstarrten, als sie vorüberkam, aber sie grüßten Mr. Garfield mit allen Zeichen der Achtung und Furcht. Außerhalb des Dorfes trafen sie auf einen jungen Eingeborenen, der englisch sprach, bis Garfield ihn mit einem scharfen Wort zum Schweigen brachte. Sie wurde zu einer Hütte geführt, und ein Eingeborener hockte vor der Tür, um jeden Fluchtversuch ihrerseits zu verhindern. Und dort saß sie, bis die Nacht kam und der volle Mond durch das Astwerk der Bäume schien. Sie hörte, wie man sich hin- und herbewegte, nahm den Widerschein eines großen Feuers wahr, das vor einem kürzlich errichteten Palaverhaus brannte, und ab und zu hörte sie den Singsang eines Mannes, der ›Kwa‹, das heißt ›Schweigen‹, rief, und unterschied die Stimme Garfields, der im Bomongodialekt sprach. Und dann wurde sie hinausgeführt. Der Mann, der dort auf einem geschnitzten Stuhl unter dem strohgedeckten Dach des Palaverhauses saß, war nicht mehr der zuvorkommende Mr. Garfield, als den sie ihn gekannt hatte. Außer einem Stück Zeug, das er um seine Lenden trug, und dessen lose Zipfel über seiner Schulter zusammengenäht waren, war er so unbekleidet wie nur irgendeiner seiner Zuhörerschaft. Mit seiner todbleichen Haut und seinem schwarzen borstigen Haar machte er einen unheimlichen, widerlichen Eindruck, und das Abstoßende seiner Erscheinung wurde noch dadurch gesteigert, daß er eine schwarz umränderte Brille trug. Zu einer anderen Ze it wäre er ihr lächerlich erschienen, aber jetzt war sie sprachlos vor Furcht. »Brent!« Er sprach englisch und redete sie mit ihrem -200-
Familiennamen an. »Meine Brüder verlangen, daß du reden und ihnen von Sanders und dem Brief erzählen sollst, den du dem englischen Offizier an der Flußmündung heimlich übergeben hast.« Sie sah auf die drohenden Gesichter um sie her und blickte dann über sie hinweg in der Richtung, in der, wie sie meinte, Bofuru lag. Er erriet ihre Gedanken. »Es gibt kein Entrinnen für dich! Schlage dir das aus dem Kopf, meine Freundin! Kein menschliches Wesen könnte den Weg durch diese Sümpfe finden, selbst wenn dein Freund Sanders in der Nähe wäre. Nun gestehe«, sein Ton wurde rauh, sein Wesen änderte sich plötzlich, »wo befindet sich Sanders?« »Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme klang verschleiert. »Dann werde ich einen Weg finden, dich zum Sprechen zu bringen«, antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen. »Wie Sanders Molaka zum Sprechen brachte... Was stand in dem Brief? Du kennst seinen Inhalt.« Die Antwort blieb aus. Da! Durch die Reihen der hockenden Gestalten kam gebückt ein Mann gelaufen, ein Mann in einer graugrünen Uniform, der sich schnell näherte und der einen langläufigen Revolver in jeder Hand hatte. Er war auf einmal da. Und als Garfield mit weit starrenden Augen über ihn hinwegsah, bemerkte er das Glitzern von Bajonetten und im Schein des Feuers die roten Feze der Regierungssoldaten. Da griff Garfield nach seinem Revolver, den er unter seinem Hüfttuch umgeschnallt trug. Zweimal feuerte Sanders, einmal aus jedem Revolver. Der Mann mit dem vierschrötigen Gesicht stand plötzlich aufrecht und bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen - jenen Händen, deren Fingernägel mit den blauen Halbmonden seine -201-
Abstammung vom Neger verrieten. Dann stürzte er plötzlich zu Boden, und als Sanders ihn umdrehte, war kein Leben mehr in ihm. »Ihr, die ihr Häuptlinge wart, sollt nicht länger Häuptlinge sein!« sprach Sanders, als er eine Stunde später im Palaverhaus saß und die verwirrte und niedergedrückte Versammlung anredete. »So will es das Government! Und der junge Mann, der ein Fremdling zwischen euch ist und englisch spricht und euch die listige Kampfweise lehrt, soll in eurer Gegenwart gehängt werden.« Er schwieg einen Augenblick. »Lolango! Komm her!« Der Eingeborene, der den Namen ›der Ersehnte‹ führte, kam zitternd vor Furcht näher. »O Lolango«, spottete Sanders, »weil du die roten Beeren auf den Boden gestreut hast, die eine so große Zauberkraft haben, sollst du frei von Strafe ausgehen.« »Gebieter, ich habe das um eines Weibes willen getan«, stammelte Lolango. »Das weiß ich«, erwiderte Sanders grimmig. Er wußte das nur zu gut, denn durch die in Zwischenräumen fallen gelassenen Beeren hatte er den Weg durch die Sümpfe gefunden. Sanders wandte sich an die bleiche Frau an seiner Seite. »Ich meine, Miß Brent, daß das keine passende Aufgabe für Sie ist. Ich habe eine entschiedene Abneigung gegen die Verwendung von Frauen im Geheimdienst.« »Ich erwartete nicht, daß es zu dem kommen würde«, antwortete sie niedergeschlagen. »Ich - ich habe an Bord mein Bestes getan, um Garfield zum Sprechen zu bringen, aber er war sehr verschlossen.« »Ja, und nun ist er verschlossener denn je«, gab Sanders zurück.
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Das Weib, das zu den Vögeln sprach Es gab einen Mann, der Pinto Fernandez hieß und der ›Portugiese‹ genannt wurde. Er besaß unzweifelhaft Anspruch auf diese Bezeichnung, denn er war ein in Angola zur Welt gekommener Eingeborener und die Folge einer Verbindung zwischen einem kleinen Beamten aus Sao Paul de Loanda mit einer Mulattin, die die Zofe der Frau Seiner Exzellenz des Gouverneurs von Benguella war. Selbst an portugiesischem Maßstab gemessen, war Pinto ein Farbiger. Es erübrigt sich, seine Laufbahn von Loanda bis Sierra Leone zu verfolgen oder mehr als den Umstand zu erwähnen, daß er sein Abgangszeugnis von einer der Schulen hatte, die zu Mariott Brothers Erziehungsanstalten gehörten. Seine Frau war unzweifelhaft weiß. Sie war ein Fräulein Hermione de Vere-Biddiford gewesen und eine Zeitlang Kollegin von Professor Zoobola, dem berühmten Hypnotiseur und Zauberer, der die Küste zwischen Dakkar und Kapstadt ›bereiste‹. Sie sprach mit einem stark ausgeprägten ›Cockney‹Akzent, und ihr Vater hieß Juggs, so daß man eher dazu neigte, den Namen Vere-Biddiford für ein Pseudonym anzusehen, das sie angenommen hatte, um den Anforderungen eines Berufes zu genügen, der ›Klasse‹ beanspruchte. Pinto kannte die Küste wie seine Westentasche. Ehe er die Bekanntschaft seiner Frau machte, die von einem bankrotten Professor mittellos in Grand Bassam zurückgelassen worden war, hatte er Freiheitsstrafen wegen kleiner Diebstähle, falschen Namens und Gaunereien in französischen, deutschen, portugiesischen und englisch-westafrikanischen Gefängnissen abgesessen. Seine Frau dagegen hatte nur zweimal vor dem Richter gestanden. In beiden Fällen lag Erpressung vor. Mr. und Mrs. Pinto Fernandez trafen sich im Wartezimmer des Gerichtes in Lagos und wurden beide zusammen des Landes -203-
verwiesen. In Funchal auf Madeira wurden sie gesetzmäßig getraut und mieteten ein kleines Haus in einer jener steilen Straßen, die herunter Schlitten zu fahren zu den Vergnügungen der die Insel besuchenden Reisenden gehört. Und dort begannen sie, durch Pintos Beherrschung des Englischen wesentlich unterstützt, ihre Operationen, indem jeder von beiden seine eigene Kenntnis von Land und Leuten an der Küste der des anderen zugesellte. Es war fast zwölf Monate später. Leutnant Tibbetts sah von der Kleiderliste seiner Kompanie auf: »Entweder ich bin ein schlechter Rechner...« »Das möchte ich nicht sagen«, begütigte Hamilton. »Kann sein, Sie haben, wie gewöhnlich, das Monatsdatum hinzugerechnet oder das Rechnungsjahr abgezogen. Oder Sie haben vielleicht die Pfund Sterling in die Pennyspalte gesetzt... Versuchen Sie's noch einmal!« Bones seufzte müde und strich sich mit der Hand über die Augen. Hamilton hatte keine Ahnung, welche dumpfe Verzweiflung sich seines Untergebenen bemächtigt hatte. Der Tag war sengend heiß, und der Hauch, der vom Innern durch das offene Fenster von Bones' Hütte zog, hatte den Geruch und die Annehmlichkeit eines großen Holzfeuers an sich. Bones zuckte mit einer gewissen Anstrengung die Schultern, stieß die Feder in die Tinte, machte einen großen Tintenklecks auf seine weißen Beinkleider und begann von neuem. Hamilton glitt von der Kommode herunter, auf der er gesessen hatte, und ging auf die Tür zu. »Ich werde mich nach dem Gabelfrühstück eingehender damit beschäftigen«, schnarrte er unheilverkündend. »Man verlangt von Ihnen, daß Sie das Vorratsmagazin verwalten...!« »Gibt es irgend etwas, was man nicht von mir verlangt, lieber -204-
alter Ham«, antwortete Bones mit bemerkenswerter Geduld, »dann, bitte, sagen Sie mir das, liebe Seele! Ich bin Oberstkommandierender der Badezimmer, Generalkontrolleur der Müllkästen und Generalinspektor der Hühnerställe. Und überdies, Ham, bin ich Generalinspektor der Hemden und Militärinspizient von Hühnerfutter...« »Ich werde Sie nach dem Frühstück in meiner militärischen Eigenschaft aufsuchen«, sagte sein Vorgesetzter. »Als Mensch werde ich Ihnen jetzt einen ordentlichen prickelnden Trunk geben, wenn Sie mit mir auf mein Zimmer kommen wollen.« »Gerstenschleimwasser?« fragte Bones argwöhnisch. »Whisky mit luftblasenhaltigem Wasser und mit großen runden Eisklumpen dann!« »Führen Sie mich dorthin, Sie netter alter Satan!« rief Bones. Auf dem Weg zum Wohnhaus fuhr Hamilton fort: »Sie müssen diese Abrechnungen nun aber wirklich mal rausschaffen, Bones. Ich habe deswegen einen scheußlichen Anhaucher vom Government erhalten. Außerdem ist die halbjährige Lieferung unterwegs, und es ist möglich, daß Sanders Sie jeden Augenblick mit in den Busch nimmt. Und dämpfen Sie dieses unheilige Feuer der Begeisterung in Ihren Augen, Bones! - wenn diese Abrechnungen bis morgen nicht fertig sind, werde ich den Distriktsgouverneur begleiten, und Sie werden hierbleiben.« »Haben Sie doch ein Herz für Ihre Mitgeschöpfe, lieber alter Kerl!« flehte Bones vorwurfsvoll. »Ich habe doch wahrhaftig genug Mühe gehabt. Lassen Sie mich die Abrechnungen mitnehmen...!« »Und wenn Sie geradewegs in den Himmel gingen - nichts ist weniger wahrscheinlich als das -, würde ich Ihnen nicht erlauben, diese Abrechnungen mitzunehmen.« »Kann sein, Sie haben recht, möglich, Sie haben recht. Ich sage ›wenn‹«, fügte Bones hinzu, als Hamilton eine Flasche -205-
entkorkte. »Und vergessen Sie nicht, Ham: Ein Baby ersäufen ist ein kleines Vergehen, aber guten Whisky ersäufen ist ein häßliches Kapitalverbrechen!« Es war Tatsache. Bones war, wie er angab, genügend beunruhigt. Und diese Unruhe war von einer ganz besonderen Art. Diese Unruhe hatte ungefähr vor acht Monaten angefangen, als er einen duftenden Brief mit dem Poststempel Madeira erhielt. »Lieber Unbekannter!« fing der Brief an, und Bones war lieblich errötet. Der Brief enthielt die Geschichte einer jungen und schönen Frau, die ihn einmal gesehen hatte, als der Dampfer, mit dem sie fuhr, an der Flußmündung hielt, um die Post an Land zu werfen. Sie schickte ihm ihre Fotografie, sie erzählte ihm ihre Lebensgeschichte. Sie sei an einen Mann verheiratet, der vierzig Jahre älter sei als sie. Sie sehne sich nach Leben, nach Jugend, nach Freiheit. Sie habe im Augenblick einen Traum, und im Zentrum ihrer glänzenden und wohltuenden Visionen stehe ein schlanker großer Engländer, dessen blaue Augen wie Blumen in einer Wüste seien. Bones verbrachte jenen Tag so erhaben und würdevoll, daß Hamilton annahm, Bones habe einen schlimmen Hals. Bones brachte eine ganze regnerische Nacht damit zu, einen Brief zu verfassen. Das Schreiben riet zu Geduld, zu Mut, es verkörperte geradezu weisen und väterlichen Rat und endete, soweit Bones sich in gewisser Weise entsinnen konnte, mit einem Gedicht, das ihm sehr passend erschien. Es war kein schönes Gedicht, aber die Gefühle darin waren gesund. In der Antwort auf ihren zweiten Brief - ihr klangvoller Name war Anita Gonzalez -, der mit wendender Post ankam, war Bones nicht so väterlich. Er war nicht einmal brüderlich. Er war tatsächlich schon etwas leichtsinnig. Auf dieser Linie bewegte sich die Korrespondenz, bis ein düsterer Junimorgen kam, an -206-
dem Bones den von ihm sehnlichst erwarteten Brief nicht erhielt. Statt dessen kam ein förmlich gehaltenes Dokument in Schreibmaschinenschrift an, das von einem Alfonso Roderique y Trevisa y Gonzalez unterschrieben war. Und dieses Schriftstück forderte die Angabe von Mr. Tibbetts' Rechtsanwalt und drohte mit Scheidungsverfahren und gesellschaftlichem Ruhm. Der Brief enthielt auch mehrere Anlagen und eine Nachschrift: »Schon die Überwachung meines Weibes, das Auffangen von Briefen und so weiter durch erstklassige Detektive, hat mich mehrere hundert Pfund Sterling gekostet. Soll ich nun die Angelegenheit nicht weiter verfolgen und die Unkosten opfern, in die ich mich gestürzt habe?« Bones antwortete darauf nicht. Einmal war er im Begriff, sich Hamilton anzuvertrauen, aber die Furcht, sich lächerlich zu machen - Mr. Gonzalez ha tte eine Abschrift sämtlicher Briefe von Bones mitgeschickt -, hielt ihn davon zurück. Bones ließ einen zweiten und dritten Brief unbeantwortet, und jeder von ihnen war schrecklicher als der vorhergegangene. Als er an diesem Abend triumphierend mit einer halbwegs richtigen Abrechnung ankam, äußerte Hamilton Anerkennung und sagte: »Sie fahren bei Tagesanbruch los, Bones! Lassen Sie den Distriktsgouverneur nicht wieder warten wie das letztemal!« Da hatte Bones das Gefühl leicht getrübter Freude, wie sie ein Mann empfinden mag, dessen Todesurteil aufgeschoben worden ist. Er bat Hamilton beiseite, ehe er in seine Hütte ging, und stellte eine Forderung an Hamilton, für die ihn der entrüstete Haussahauptmann beinahe mit einem Tritt bedacht hätte. »Ihre Briefe öffnen? Natürlich werde ich Ihre Briefe nicht öffnen, Sie verdrehter Esel!« -207-
Bones stotterte vor Verlegenheit und Verwirrung. »Es ist nämlich... ein Brief von einer Dame, alter Herr...« Aber diesmal war Hamilton wirklich ärgerlich. Einen Tag oder zwei Tage nachdem Sanders und Bones fort waren, lief ein direkter Postdampfer an, der wenig Post, aber eine Quelle beträchtlichen Verdrusses mit sich brachte. Hamilton war an den Strand gega ngen, um den Postsack von einem der Schiffsoffiziere in Empfang zu nehmen, als zu seiner Überraschung der Kutter des Dampfers seine Nase in den weichen Sand wühlte und ein elegant gekleideter Herr vorsichtig an Land trat. Ein einziger Blick verriet Hamilton sowohl die Nationalität wie den Charakter des Besuchers. »Mr. Sanders, nehme ich an«, begrüßte ihn Senhor Pinto Fernandez mit einem breiten Lächeln auf seinem nicht gerade einnehmenden Gesicht. Er hatte diese Gegend noch niemals bearbeitet, und er glaubte deshalb, daß er in diesem Gebiet unbekannt sei. »Sie sind im Irrtum, mein Freund!« antwortete Hamilton, indem er den Besucher mit ungnädigen Blicken maß. »Dann müssen Sie Hauptmann Hamilton sein!« bemerkte Mr. Pinto, gar nicht eingeschüchtert. Er war nach den höchsten Anforderungen europäischer Mode gekleidet, trug einen Gehrock, gestreifte Beinkleider, weiße Gamaschen und einen grauen Zylinder, der an sich schon eine Beleidigung war. »Ich bin Don Gonzalez aus Madeira.« »Dann sollten Sie sich beeilen, denn Ihr Boot fährt ab«, entgegnete Hamilton. Aber Mr. Pinto Fernandez drückte mit einer graziösen Bewegung seiner Hand und einem Lächeln, das, wenn möglich, noch heiterer ausfiel, seine Absicht zu bleiben aus. -208-
Obwohl Sanders unberechtigte Besucher für nicht viel besser als Verbrecher ansah, gab es doch in Wirklichkeit nichts, um den freien Bürger irgendeiner Nation vom Landen am Strand vor dem Bezirksamt abzuhalten. Und niemand wußte das besser als Pinto Fernandez. »Der Distriktsgouverneur ist nicht hier, und ich bin allein auf der Station«, sagte Hamilton. »Wenn ich Ihnen irgendeine Auskunft geben kann, will ich das gern tun, aber ich rate Ihnen ernstlich, Ihr Boot warten zu lassen.« »Ich bleibe hier!« antwortete Pinto Fernandez mit Entschiedenheit. »Ich befinde mich hier in einer sehr delikaten Angelegenheit, und zwar in einer Ehrensache, wenn ich den Ausdruck brauchen darf.« »Das dürfen Sie«, warf Hamilton ein, als der andere zögerte. «... die Ehre eines Mannes, der Ihnen vielleicht ein lieber Freund ist... Leutnant Tibbetts.« »Den Teufel tut's!« gab Hamilton betroffen zurück. »Well, Sie können Mr. Tibbetts ebensowenig sprechen, weil er sich im Busch befindet und kaum vor einer Woche zurückkehren dürfte.« »Dann werde ich eine Woche hierbleiben«, versetzte Pinto kühl. »Vielleicht haben Sie die Güte, mir Ihr Hotel zu zeigen.« »Im Garten des Distriktsamts steht eine Hütte. Die können Sie haben«, antwortete er kurz. »Oder...«, ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf, »ich kann Ihnen ein Kanu und Paddler verschaffen, um Sie zum Isisifluß zu bringen. Dort werden Sie wahrscheinlich Mr. Tibbetts treffen.« Zu seiner Überraschung ging der Mann bereitwillig auf diesen Vorschlag ein. Mit einem Gefühl der Erlösung, das nicht ganz frei von einer gewissen Furcht war, sah Hamilton ihn abfahren und beobachtete mit Spannung den großen grauen Zylinder und dessen Träger, bis diese an der Flußbiegung verschwanden. -209-
Der Zweck von Pintos Besuch mag kurz erwähnt werden, obwohl Pinto in seiner Bescheidenheit von dessen Bekanntgabe absah. Er war gekommen, um sich fünfhundert Pfund Sterling zu sichern, und er war von vornherein gewillt, sich mit der Hälfte zu begnügen. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß Bones lieber zahlen als sich einer Bloßstellung aussetzen würde. Andere Leute hatten auch gezahlt. So hatte ein junger Hauptbuchhalter in Lagos dreihundert Pfund Sterling gezahlt; ein Distriksgouverneur in Nigeria hatte sogar mehr gegeben, ehe er gewahr wurde, was für ein Narr er gewesen war, und ehe er ein Rundschreiben mit einer Beschreibung Mr. Fernandez', alias Gonzalez', die Küste hinauf- und herunterschickte. Über diese beunruhigende Tatsache befand sich Pinto in segensreicher Unkenntnis. Mr. Pinto erschien in der Rolle des betrogenen Ehemannes unerwartet vor seinem im Busch befindlichen Opfer, das er dort fern vom Beistand eines beratenden Rechtsanwaltes und ebenso fern von dem Rat freundlich Gesinnter wußte, und hatte damit nach seiner Erfahrung immer den gewünschten Erfolg. In Lagos, wo er bekannt war, hätte es Schwierigkeiten geben können, aber sogar diese waren ausgeblieben. Menschen, die sich im Busch aufhielten - so glaubte er - müßten große Summen klingender Münze bei sich führen. Ihre Geldkatze ist ihre Bank, und Pinto zweifelte nicht, daß Bones aus dem ledernen Gürtel um seine dünne Taille genügend hervorholen konnte, um Pinto Fernandez und sein girrendes Weib während mancher langen und angenehmen Siesta mit allem Komfort zu umgeben. Als er den Fluß hinaufpaddelte, ließ er sich jedenfalls nichts von einem Mißerfolg träumen, und von der Existenz D'lamas war ihm auch nichts bekannt. D'lamain'popo war ein Waldmensch und schuldete wenig außer der nebelhaft unbestimmten Treue, die das Waldvolk dem nächsten Oberhäuptling entgegenbringt. Und wo der Begriff Treue hauptsächlich von dem Grad der Entfernung bestimmt -210-
wird, wäre es lächerlich, ein Wort wie Verrat anzuwenden. Und auf diese Weise hatte D'lama viele kleine Missetaten begangen und auch eine von größerem Ausmaß. D'lama schuldete einem Fischer einen halben Sack Salz. Und der Fischer, in seinem verzweifelten Bestreben, zu einer angemessenen Regelung zu kommen, bot D'lama den Gegenwert des anderen halben Sackes Salz, zusammen mit einem fetten Hund, einem mythischen Elfenbeinschatz und der Freiheit, im Dorf zu gehen und zu kommen, wann er wollte, unter der einzigen Bedingung, daß D'lama, der Junggeselle war, Kobali, die einzige Tochter des Fischers, heiratete. Kobali war nach ihres Vaters Angaben eine Jungfrau, zweifellos unverheiratet, und nach dem Maßstab, den man am Fluß anlegte, alt, denn sie hatte achtzehn große Regenzeiten gesehen. Wenn aber ein Weib vom Fluß das fortgeschrittene Alter von achtzehn Jahren erreicht, ohne für sich einen Mann, eine Hütte und die Hälfte des Essens zu finden, dann stimmt gewöhnlich etwas nicht mit ihr. Und was bei Kobali nicht stimmte, das war ihre Fähigkeit, mit den Vögeln zu sprechen. Solches war ein außer Fassung bringendes Talent, denn Vögel wissen um alle Geheimnisse, da sie an ganz unverdächtigen und sehr verborgenen Plätzen lauschen und unter sich selbst große Schwätzer sind. Im fernen Ituriwald hatte es einen Mann gegeben, der ihr Gezwitscher verstand, König wurde und sehr geehrt starb. Und manche behaupten, daß an seinem Sterbetag auf hundert Meilen kein Vogel gesehen wurde. Es gab noch einen andern Mann, der die Vögel verstand, dessen Laufbahn aber weniger glänzend war; dann war da noch das wahnsinnige Bolongoweib - und Kobali. Ihr Vater hätte das Geheimnis gehütet, denn Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten sind unbeliebt, und manchmal werden sie heimlich in dunklen Nächten geschlachtet. Aber ein -211-
Dorfältester hatte sie belauscht, wie sie ernsthaft mit drei kleinen Vögeln sprach. Diese drei kleinen Vögel saßen auf einem Ast, hatten ihre Köpfe auf eine Seite geneigt und waren in einem derartigen Zustand der Aufregung, daß der Dorfälteste wußte, sie hatte ihnen von dem Weib erzählt, das er im Wald ließ, damit sie dort stürbe, weil sie alt und krank war. Und, wahr genug, eine Woche später kam Distriktsgouverneur Sanders mit vier Soldaten und suchte nach dem Weib. Sie fanden, was die wilden Tiere von ihr übriggelassen hatten, und der Alte wanderte in das Dorf der Ketten und trug dort eine Kette, die sich von Knöchel zu Knöchel schlang. D'lamain'popo nahm den Vorschlag ohne Begeisterung auf, hockte vor seiner halb verfallenen Hütte und spielte mit dem Staub, von dem er niemals seine Augen erhob. »O Mann«, sagte er schließlich, »es ist wahr, ich schulde dir an Salz einen Sack, der kein Sack ist. Und wenn die kleinen Affen von dem geheimnisvollen Platz zurückkehren, an dem sie jungen, werde ich viele von ihnen töten und an das Government verkaufen, und dann werde ich dir so viel Salz bringen! Aber dieses Weib Kobali ist eine Hexe, und wer eine Hexe heiratet, verliert seine Augen. Das ist wohlbekannt, denn Hexen müssen viele Augen haben, um ihren Weg im Finstern zu finden.« »Das ist dummes Zeug, D'lama«, bemerkte Kobalis Vater - er war ein sanfter und magerer Mann und unfähig zu Gewalttaten. »Hat sie mir meine Augen genommen? Sie ist ein sehr gutes Mädchen...« Er begann ihre körperlichen Reize mit einer Freimütigkeit aufzuzählen, die zwischen zivilisierten Vätern nicht Sitte ist, indem er eine Sprache anwandte, die sich in Superlativen bewegte. »Sie mag so sein, und sie mag so sein«, versetzte D'lama völlig unbewegt am Ende der langen Aufzählung. »Aber ich bin ein einsamer Mann und habe keine Sehnsucht nach Weibern.« -212-
Darauf kam dem Vater des Mustermädchens die Eingebung zu lügen. »Die Vögel haben meinem kleinen Mädchen gesagt, daß du sie in deine Hütte nehmen wirst.« Das Gesicht D'lamas wurde lang. »O Ko!« sagte er. »Das bedeutet, daß ich verrückt werde. Denn wer anders als ein Wahnsinniger würde eine Vogelhexe zum Weibe nehmen? Ko, Ko! Das ist mir schrecklich!« Der Vater kehrte zu seinem Haus am Fluß zurück. Dort fand er Kobali unter einem Baume sitzen, in dessen Zweigen die Webervögel ihr Heim aufgeschlagen hatten. Sie starrte hinauf zu der aufgeregten Menge über ihr. Sie war so gefesselt von allem, was sie hörte, daß sie ihren Vater nicht beachtete, bis er sie zweimal gerufen hatte. »Weib«, rief er, »du gehst zu der Hütte D'lamas, des Waldmannes. Er ist ein tüchtiger Jäger, und er schuldet mir Salz. In der letzten Mondnacht werde ich einen großen Tanz dir zu Ehren abhalten.« »Für mich brauchst du keinen Hochzeitstanz zu machen, Mann meiner Mutter. Denn die Vögel haben mir gesagt, daß ich einen weißen Mann heiraten werde.« Das Gesicht des Fischers wurde lang. »Weib«, stammelte er mühsam, »jetzt weiß ich, daß du wahnsinnig bist. Dieses Palaver muß ich vor Sand i bringen, damit ich für dein verrücktes Geschwätz nicht getadelt werde. Er ist in der Nähe.« Seine Tochter jammerte nicht. »Die Vögel sprechen so, und so ist's!« entgegnete sie einfach. »Nun sage ich dir: Wenn ich innerhalb zweier Monde keinen Weißen heirate, will ich in D'lamas Hütte gehen, obwohl er keinem Stamme angehört und nur die Schwachen tötet. Denn die Vögel haben mir erzählt, daß er ein altes Weib getötet hat, um des Ringes willen, den sie um ihren Hals trug.« Der aufgeregte Vater brachte D'lama diese Neuigkeit, und D'lama war ungeschliffen genug, seine Befriedigung zu zeigen. -213-
»Wer weiß, ob ein solches Wunder nicht geschehen kann? Denn deine Tochter ist ein sehr schlaues Weib und versteht sich auf Zauber. Und mit ihrer Gescheitheit ist sie vielleicht imstande, einen weißen Mann aus der Erde wachsen zu lassen.« Der alte Fischer blinzelte. »Es ist wahr, D'lama. Denn Kobali spricht mit den Vögeln und lernt so, um fremde Geheimnisse zu wissen. An diesem Tage erzählte sie mir, daß du einmal vor langer Zeit ein altes Weib um des Messingringes willen, den sie um ihren Hals trug, im Busch getötet hast.« D'lama schwieg längere Zeit. »Wenn solche Sachen Sandi zu Ohren kommen«, sagte er mit ein wenig dumpfer Stimme, »dann gibt es ein Hängepalaver. Sieh zu, daß du dein Mädchen verheiratest, und ich will dir mehr als zwei Sack Salz dazu geben.« Der alte Mann ging zu seiner Tochter zurück und zankte sich und stritt die ganze Nacht hindurch mit ihr, ohne sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Am nächsten Morgen nahm er, sein Kanu und paddelte drei Stunden in der stillen Seitenströmung zur Gabelung des Isisiflusses, wo ein weißes HeckradKanonenboot vertäut lag, während Sanders Palaver hielt. Dieser hielt allein Gericht ab, denn Bones hatte er zum Isisifluß geschickt, um einen Unterhäuptling festzunehmen, der Zaubereien in seinem Bereich geduldet hatte. Sanders saß unter dem gestreiften Sonnensegel auf dem Achterdeck der ›Zaire‹, hörte die Klagen an, entschied Ehestreitigkeiten und erteilte kurz und manchmal etwas brutal Rat und Ermahnungen. Da kam der Fischer mit seiner Leidensgeschichte. Sanders hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, bis der Fischer, wie Kläger das so oft machen, die Erzählung von vorn begann. »Fischer, geh zu deiner Tochter zurück! Und sage ihr, in meinem Gebiet heiraten weiße Männer keine schwarzen Frauen. Und wenn sie, wie du sagst, eine Hexe ist, dann gibt es, wie das -214-
ganze Land und alle Leute wissen, eine Strafe dafür.« »Gebieter«, antwortete der Fischer, »sie spricht mit den Vögeln, und diese sagen ihr, daß ihr nichts geschehen könne.« »Dann hat sie nicht mit dem richtigen Vogel gesprochen!« entgegnete Sanders rauh und entließ ihn. Das Palaver war zu Ende, und Sanders erhob sich, etwas steif vom Sitzen, ging zum Bug, sah über die Reling und beobachtete gleichgültig, wie der breite Strom sich dem Meere zuwälzte. Dabei kam ein langes Kanu in seinen Gesichtskreis, das er an dem rhythmischen Takt seiner Paddler als das Distriktsamtskanu erkannte. Er nahm sein Glas und ließ seine Blicke über das ankommende Fahrzeug wandern, da er annahm, Hamilton werde sich in der kleinen grasgedeckten Kajüte am Achtersteven befinden. »Hopsender Moses!« sagte Sanders, setzte sein Doppelglas ab und wartete, bis das Kanu längsseits ging und Mr. Pinto Fernandez in grauem Zylinder und etwas beschmutzten Gamaschen an Bord stieg. »Mr. Tibbetts, nehme ich an«, sagte Pinto mit strenger Miene. Sanders lächelte. »Nein. Ich bin nicht Mr. Tibbetts. Ich bin der Distriktsgouverneur dieses Bezirks. Was kann ich für Sie tun?« »Ich möchte Mr. Tibbetts in einer heiklen Ehrensache sprechen«, äußerte Pinto aalglatt. Sanders kniff seine Augen zusammen. »Nehmen Sie Ihren Hut ab! Sie brauchen keinen Sonnenstich zu fürchten. Ich sehe, Sie sind von hier.« »Ich bin portugiesischer Untertan«, antwortete Pinto mit Würde. Aber er gehorchte. Sanders betrachtete ihn sehr lange. »Wollen Sie mir nun bitte den Zweck Ihres Besuches mitteilen?« sagte Sanders sehr sanft. -215-
»Das ist eine Angelegenheit, die lediglich für Mr. Tibbetts' Ohr bestimmt ist.« »Es hat doch auf keinen Fall mit einem Briefwechsel zu tun, in den Mr. Tibbetts sich eingelassen hat?« fragte Sanders. Die Überraschung des anderen entging ihm nicht. »Ich frage, weil sich, wenn ich mich recht entsinne, ein Herr in Nigeria in eine unvorsichtige Korrespondenz mit einer Dame in Funchal eingelassen hatte und veranlaßt wurde, sich von einer beträchtlichen Geldsumme zu trennen. Wie heißen Sie?« »Gonzalez«, antwortete Pinto. Sanders rieb nachdenklich sein Kinn. »Der Name stimmt nicht... Aber ich glaube, mich Ihres Gesichtes entsinnen zu können. Irgendwo muß ich Ihre Fotografie gesehen haben... Jetzt hab' ich's. Sie heißen Pinto Fernandez, und die Polizei von Nigeria sucht Sie wegen Unterschlagung. Sonderbarerweise...« Sanders schien mehr zu sich selbst zu sprechen - »...habe ich Sie niemals mit dem gerissenen Erpresser in Verbindung gebracht, und ich darf wohl sagen, auch niemand sonst hat das getan.« »Ich möchte erwähnen, Mr. Sanders, daß Ihr Tibbetts sich mit meinem verrückten Weib in Briefwechsel eingelassen hat...« sagte Pinto laut und leicht erregt. Sanders unterbrach ihn mit einer Gebärde. »Nach dem Polizeibericht, den ich aus Nigeria erhalten habe, war das auch der Grund Ihrer Auseinandersetzung mit einem anderen Herrn.« Sanders winkte dem aufmerksamen Ab iboo. »Wirf den Mann in Eisen!« Pinto Fernandez hatte sich schon in vielen gefährlichen Lagen befunden, und er war ein Mann von beträchtlicher Entschlußfähigkeit. Ehe die Hand des Sergeanten ihn packte, sprang er an die Reling und setzte mit einem Sprung über den vier bis fünf Fuß breiten Spalt, der die ›Zaire‹ vom Ufer trennte. Ehe noch der Haussa seine Büchse anlegen konnte, war Pinto im Busch untergetaucht und hatte seine graue Esse und seinen -216-
mit einem fast echt goldenen Knopf versehenen Spazierstock, die äußeren Zeichen seiner Biederkeit, zurückgelassen. Er hörte den Knall eines Schusses und das Pfeifen und Klatschen einer Kugel, als diese durch die Blätter der Bäume sauste, und sprang in langen Sätzen den schmalen Eingeborenenpfad entlang, der in den Urwald führte. Er war kein Fremdling in der Wildnis und besaß jenen tierhaften Instinkt, der ihn todsicher zu dem breiteren Eingeborenenweg führte, der parallel zum Flußufer lief. In den ganz frühen Morgenstunden kam er an eine kleine Waldblöße, und D'lamain'popo, der eben aus seiner Hütte trat, stand beim Anblick dieser beunruhigenden Erscheinung regungslos still. »O Herr, ich sehe dich!« sagte D'lama ehrerbietig. Pinto, der die meisten Flußdialekte kannte, antwortete schnell. »Gib mir zu essen, Mann! Ich gehe im Auftrage Sandis auf eine lange Reise. Ich muß auch schlafen, denn ich bin lange im Urwald gewandert und hatte die ganze Nacht mit wilden Tieren zu kämpfen. Und wenn jemand nach mir fragt, sollst du schweigen. Denn Sandi will nicht, daß jemand von meinem Aufenthalt hier erfährt.« D'lama machte ein Mahl zurecht, brachte Wasser vom Urwaldquell und überließ seinen Gast dem Schlaf. Am Abend wurde Pinto durch den Eintritt seines Gastgebers geweckt. »Mann, Sandi sucht dich!« sagte D'lama. »Denn da geht das Gerücht zwischen den Dorfleuten, daß ein Gefangener Sandis entwischt sei und Sandi befohlen hat, ihn zu ergreifen.« »Das ist dummes Geschwätz!« antwortete Pinto. »Siehst du nicht, daß ich ein Weißer bin, der Hosen trägt?« D'lama maß ihn kritisch. »Das ist wahr, denn ganz schwarz bist du nicht. Und wenn du ein Weißer bist, kommt mir ein wunderbarer Gedanke. Hier herum wohnt nämlich eine Hexe, die mit Vögeln spricht. Und die Vögel haben ihr gesagt, sie -217-
würde einen weißen Mann heiraten, und danach würde das La nd gedeihen.« »Ich bin schon verheiratet«, bemerkte Pinto hastig. »Wer ist das nicht?« fragte D'lama grob. »Dennoch mußt du sie heiraten, wenn ich schweigen soll. Und hier im Walde lebt niemand, der reden könnte, ausgenommen die Vögel. Aber wenn du nein sagst, dann nehme ich dich zu Sandi, und dann hat es ein Ende. Aber wenn du gewillt bist, das Mädchen zu heiraten, dann bringe ich das Mädchen zu dir.« »Hol das Weib!« antwortete Pinto nach kurzer Überlegung. Aber was für Pläne er auch gefaßt hatte, sie erwiesen sich als zwecklos. »Zunächst werde ich dich an Händen und Füßen fesseln, damit in meiner Abwesenheit nicht ein böser Geist über dich kommt und du wegläufst«, sprach D'lama ruhig. Obwohl Pinto protestierte, ließ er sich doch fesseln, denn D'lamain'popo war ein großer Kerl und fürchterlich stark. Das Weib, das mit den Vögeln sprechen konnte, befand sich an dem alten Fleck, unter den Nestern der Webervögel, als D'lama ankam. »Du bist D'lama, der Mörder alter Weiber«, rief sie, ohne sich umzusehen, »und ein Vogel hat mir mitgeteilt, daß du einen weißen Mann gefunden hast.« »Das stimmt, Kobali«, antwortete D'lama, während er vor Angst schwitzte. »Und was das alte Weib anbetrifft, so ist ein Baum auf sie gefallen...« Kobali erhob sich schweigend und ging voran in den Urwald. D'lama folgte ihr. Nach einer Weile kamen sie zur Hütte, in der Pinto unter Schmerzen lag. Sie brachten ihn zusammen an das Licht des Mondes, und das Mädchen betrachtete ihn kritisch, während ihm die Fesseln abgenommen wurden. »Er ist ein Weißer, der nicht schwarz ist, und ein Schwarzer, -218-
der nicht weiß ist«, erklärte sie. »Ich glaube, der Mann wird mir zusagen, denn er ist sehr hübsch.« Automatisch hob Pinto seine Hand, um seinen dünnen Schnurrbart zu drehen. »Ich kann tatsächlich nicht begreifen, was dem Kerl zugestoßen sein kann. Er muß einem Leoparden in den Weg gelaufen sein«, sagte Sanders. »Oder der Leopard ihm«, bemerkte Hamilton. »Aber was wollte er denn von Bones?« Sanders schüttelte den Kopf. Er war ein Muster an Verschwiegenheit. Und Bones, der doch oft den Fluß hinaufund hinunterfuhr, erriet niemals, daß hinter dem Busch, der den Fluß bei Isisi umsäumte, ein Mann wohnte, der sich in seiner glücklicheren Zeit als Don Gonzalez bezeichnete und der ein entzückendes Weib in Funchal besaß - oder besessen hatte. Denn sie wurde schließlich des Wartens müde und ging mit dem Zweiten Offizier eines Cadizer Bananendampfers eine Ehe zur linken Hand ein.
Der Teufelssee M'suru, ein Akasavahäuptling von ziemlicher Bedeutung, jagte eines Tages auf der unrichtigen Seite der Ochorigrenze, als dort, gerade im ungeeignetsten Augenblick, ein Mann namens Mabidini auftauchte. Dieser Mann war weder ein Grenzer noch ein Jäger; dennoch war er ein wenig von beidem, denn er bewachte die Grenze für seinen Gebieter Bosambo und schmuggelte heimlich Felle in das Akasavaland. Mabidini war ein junger Mann und nach dem Urteil der Weiber vom Oberfluß hübsch. Und beide Eigenschaften machten sein späteres Vergehen desto unverzeihlicher. Denn M'suru war ein Mann mittleren Alters, fett und über die Zeit -219-
hinaus, in der er Anziehungskraft ausübte. Darum gehörten ihm nur die Weiber, die er gekauft hatte, und aus Liebe tat kein Mensch etwas für ihn. Mabidini hingegen brauchte nur seinen kleinen Finger krumm zu machen, und wo blieb dann das Eheversprechen? Unglücklicherweise häutete M'suru in diesem Augenblick einen großen Wasserbock, und seine vier Jäger hatten das Fell ausgestreckt, um es zu salzen. »O Ko!« rief Mabidini. »Das wird mein Häuptling Bosambo sehr ungern vernehmen! Kein Mann außer ihm darf in diesem Strich jagen.« M'suru wischte sich mit der Hand, in der er das Jagdmesser hielt, den Schweiß aus den Augen. »Wer sieht, weiß«, sagte er bedeutungsvoll. »Du sollst den Vorderteil der Beute haben.« Aber Mabidini begehrte weder Fleisch noch Fell, und der Bericht ging an Bosambo und darauf an Distriksgouverneur Sanders. M'suru bezahlte als Strafe zehn Säcke Salz. Aber schlimmer als das, er wurde zum Spott Mabidinis, eines Kerls, der zu keinem Dorf gehörte, sondern der in einer Hütte inmitten des Urwaldes wohnte und keine Verwandten hatte. Eines Nachts schlichen sechs fremde Krieger in den Wald, holten Mabidini aus seiner Hütte, peitschten ihn mit Peitschen aus roher Haut und versengten seine Zehen dermaßen, daß er monatelang humpelte. Er zweifelte keinen Augenblick, daß die Angreifer Akasava waren, und er hätte seine Hand ins Feuer legen mögen, daß M'suru die ganze Sache angezettelt hatte. Eines Tages sandte Bosambo nach ihm. »Mabidini, ich habe mit Sandi gesprochen, der mein Bruder ist. Und Sandi sagt, über die Prügel, die du weg hast, könnte kein Palaver gehalten werden, denn du habest keine Zeugen. -220-
Und M'suru, der darum weiß, lüge. Nun sagt man, daß M'suru einen Zauberspeer besitze und aus diesem Grunde so mächtig sei. Auch hat er ein junges Weib, das er um zehntausend Messingstangen erstanden hat. Nun bist du ein einsam wohnender Mann. Und mir scheint, wenn dich wieder einmal Leute des Nachts überfallen, würde dir ein solcher Speer viel nützen. Denn dein Weib würde dich aufwecken, und der Speer wäre unter deinem Bette.« »Gebieter, ich besitze kein Weib«, entgegnete Mabidini, der nicht dümmer war als jeder andere Ochori. »Noch einen Speer«, ergänzte Bosambo. So nahm Mabidini sein Kanu und ließ sich den Strom bis eine Meile oder zwei von dem Dorf entfernt hinuntertreiben, in dem sein Widersacher wohnte. Und eines Tages begegnete er im Wald einem Mädchen, das weinte und seine Schwielen rieb. Er kannte sie als eine von M'surus Weibern und sprach sie an. Anfänglich hatte sie Angst... Nacht senkte sich plötzlich auf das Dorf Kolobafa und wurde vom dritten Weibe M'surus willkommen geheißen. Denn es fehlte ihr ein Stück an ihrer häuslichen Ausrüstung, und ihr Gebieter würde das mit seinen Fuchsaugen bald bemerkt haben. Aber so kam er zu müde nach Hause und zu hungrig, um Argwohn zu schöpfen, und nachdem er sich, allein vor dem Feuer sitzend, das vor der Hütte schwelte, sattgegessen hatte, nickte er und döste, bis der kalte Nachthauch ihn schlaftrunken aufjagte, so daß er sein Fellbett aufsuchte. Das dritte - und jüngste - Weib, das Kimi hieß, saß abseits und beobachtete ihn in einem krampfhaften Zustand unheilvoller Erwartung und griff, als er in die Hütte gegangen war, mit solcher Gewalt in ihre bloßen Lenden, daß diese schmerzten. Aber kein wütendes Stiergebrüll kündete an, daß er seinen Verlust entdeckt hätte. Sie kroch an die Seite der Hütte, horchte, hörte sein Schnarchen und kroch zurück. -221-
Sie erfreute sich einer eigenen Hütte. Und das eifersüchtige ältere Weib, das in der dunklen Türöffnung der Hütte, die sie mit der vertriebenen Zweiten teilte, Ränke schmiedete, sah, wie Kimi sich durch die Dorf Straße wegstahl; sie rief das mit schriller Stimme ihrer Gefährtin zu, denn wenn sie auch das zweite Weib haßte, haßte sie doch Kimi noch mehr, und in einer solchen Krisis erscheinen einem die weniger Gehaßten als Freunde. »Kimi ist zum Fluß gegangen, um sich mit ihrem Liebhaber zu treffen. Laß uns M'suru wecken und es ihm mitteilen!« Das zweite Weib schob seinen plumpen Schädel über die Schulter, die die Türöffnung ausfüllte, und spähte hinter dem verschwindenden Weibe her. »M'suru schickte heute nacht seine Speere zu dem N'gombimanne, der sie mit einem Steine scharf macht. Wenn wir ihn mit einer dummen Geschichte aufwecken, wird er uns schlagen.« »Sie trägt keine Speere«, sagte das erste Weib verächtlich. »Du hast Angst.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Wenn sie einen Speer mit sich genommen hat, dann ist das der Geisterspeer.« Ein erschrockenes ›Huh‹ kam vom zweiten Weib, denn der Geisterspeer stammte von M'surus Vater und von dessen Vaters Vater und von zahllosen Generationen von Vätern. Es war ein kurzer Schlachtspeer, dem Zauberkräfte innewohnten. Mit dessen Hilfe vermochte M'suru Wunder zu wirken. Wenn das breite Blatt des Speeres in das Flußwasser getaucht wurde, zwang es die Fische, die aus irgendeinem Grund die bekannten Fischgründe verlassen hatten, dorthin zurückzukehren. Und wenn der Speer in den Wald getragen wurde, dann bevölkerte er mit seiner Zauberkraft den Wald mit Jagdbeute. Aber seine wichtigste Eigenschaft war die: Wenn ein Mann sich im tiefen Urwald verlaufen hatte, brauchte er nur den Speer auf der -222-
Fingerspitze zu balancieren, dann zeigte das Speerblatt unweigerlich auf den richtigen Weg. Der Speer hatte viele andere seltsame und furchteinflößende Eigenschaften. So hängten sich alle anderen Speere an den des Königs und konnten nur mit Mühe von ihm weggezogen werden. Sogar das ältere Weib konnte nicht so viel Mut aufbringen, um ihren Gebieter zu wecken. Erst als der Häuptling von Kolobafa blinzelnd ins Tageslicht trat und nach seinem Weib brüllte, wurde der Verlust entdeckt. Denn der Zauberspeer war tatsächlich fort. Der Distriktsgouverneur hielt gerade ein Palaver am Krokodilsfluß in einer Steuereinziehungsangelegenheit, und M'suru wohnte diesem in voller Kriegsbemalung bei, um seine große Klage vorzubringen. »Gebieter«, sagte er, »ein fürchterliches Unglück hat mich und mein Volk befallen. Mein Weib hat einen Liebhaber, einen Mann vom Ochoristamme und dir wohlbekannt, denn er schwur falsch gegen mich. Da mein Weib ihn gern hatte, ging sie zu ihm, während ich schlief, und nahm den Speer mit sich, der, wie du, Gebieter, weißt, der heiligste Speer der ganzen Welt ist. Darum komme ich, um dich um die Erlaubnis zu bitten, meine Speere ins Ochoriland tragen zu dürfen.« »O Ko«, sagte Sanders spöttisch, »was für ein Mann bist du, daß du dich anmaßest, Strafen verhängen zu wollen? Denn anscheinend bin ich nichts in diesem Lande, und M'suru, der kleine Akasava häuptling, ist imstande, mich zu ersetzen. Und was deinen Speer anbetrifft, so ist er von einer gewissen Sorte Eisen gemacht, die ich sehr wohl kenne.« Sanders rief nach seiner Ordonnanz, gab auf arabisch einen Befehl, und Abiboo entfernte sich, um mit einem kleinen Magnetstahl zurückzukehren. »Sieh dir dieses Ding genau an, M'suru! Denn wenn deinem Speer eine Zauberkraft innewohnt, dann wohnt sie genau so in -223-
diesem kleinen Dinge, das wie das Knie des›Verlorenen Flusses‹ gebogen ist, der nach Bura Ladi fließt.« Sanders nahm den Speer aus des Häuptlings Hand und hielt den Magneten daran. »Nun zieh an deinem Speer!« befahl er, und es erforderte einen Ruck, um die Waffe von dem Einfluß des Magneten zu befreien. »Es darf weder ein Töten noch ein die Speere- insNachbarland-Tragen geben, M'suru«, sagte Sanders. »Mir scheint, du kennst das Ochoriland bereits so gut, daß deine jungen Krieger den Weg dorthin im Dunkeln zu finden wissen. Sobald ich in mein feines Haus an der See komme, werde ich dir einen anderen Speer machen lassen, und der soll ›der Speer von Sanders‹ genannt werden, und du sollst ihn in meinem Namen und im Namen meines Königs tragen. Und wenn dein Weib einen Liebhaber hat, dann tu sie fort, wie das Gesetz das vorschreibt. Ich werde zurückkehren, sobald der Mond neu ist, und dann sollst du die Angelegenheit vor mich bringen.« M'suru ging in keiner Weise befriedigt in sein Dorf zurück und rief die Ältesten und die Freunde, die er hatte, zusammen, und ihrer waren wenige, denn er war wegen seiner Strenge berüchtigt und in keiner Weise beliebt. »In zwei Tagen, von heute gerechnet, wird Sandi nach seinem schönen Hause am Fluß zurückkehren, und seine Kundschafter werden ihn begleiten. Denn es ist wohlbekannt, daß in den ersten Tagen nach dem Palaver die Späher weniger wachsam sind, denn alle Leute fürchten Sandi. Darum sendet eure jungen Speerleute in den ersten Stunden nach Mitternacht zu mir, und ich werde euch zur Hütte Mabidinis führen. Dort werden wir den Speer holen, der mir gehört, und die Ziegen und Weiber, die wir dort vorfinden.« Der Weg zur Hütte war weit, denn das Ochorigebiet erstreckt sich in einer messergestaltigen Halbinsel tief ins Akasavaland, -224-
und zwar in Gestalt einer wirklichen Halbinsel, denn es ist begrenzt von einem Fluß, der aber nur zur Regenzeit vorhanden ist. Und diesen Fluß muß man meiden. Er enthält zu allen Zeiten Wasser genug, aber das Gras wuchert schnell, und alle Sorten Wassertiere haben darin ihren Wohnsitz. Dieser Fluß mündet in jenen stillen tiefen See, der der Kafaguri, das heißt ›das Loch in der Welt‹ genannt wird. Am vierten Tag gelangte M'suru an die verlassene Hütte seines Widersachers und erfuhr hier von einem wandernden Buschmann, daß Mabidini ostwärts zu dem stillen See gegangen sei. »Dieser Mann hat keine Furcht, weil er meinen Speer hat, der sehr mächtig gegen die Geister ist«, sagte M'suru, als er diese Nachricht vernahm. Er folgte Mabidini, denn der versteckte Fluß war jetzt voll Wasser. Aber M'surus Krieger wußten nichts von dessen Plänen. »Mir gefällt Bones nicht«, äußerte Hamilton und schielte unter dem Rand seines Tropenhelms nach der Gestalt, die sich dem Wohnhaus des Distriktsgouverneurs mit langen Schritten näherte. Sanders strich die Asche von seinem Nikotinstengel und lächelte versonnen. »Ich habe den Eindruck, daß Sie niemals von Bones' persönlicher Erscheinung begeistert waren.« »Ich spielte nicht auf seine allgemeine Häßlichkeit an«, gab Hamilton zurück. »Meine konzentrierte Abneigung richtet sich gegen den besonderen Bones, wie er sich gegenwärtig dem nackten Auge zeigt. Ich mag Bo nes nicht, wenn er sich spreizt«, knurrte er, »denn wenn er sich spreizt, dann gefällt er sich. Und wenn Bones sich selbst schon gefällt, dann ist es Zeit für alle bescheidenen Menschen, Schutz zu suchen. Guten Morgen, Bones! Warum das dreckige Lachen?« -225-
Bones salutierte ruckhaft. Er hatte die Gewohnheit, die Hand dabei zu erheben und sie etwa einen halben Zoll vom Helmrand entfernt ›tremulieren‹ - kein anderes Wort drückt diese Bewegung besser aus - zu lassen. »Ich wünschte, beim Himmel, Sie würden endlich lernen, wie sich's gehört, zu grüßen«, sagte Hamilton bissig. »Ich hätte wahrhaftig große Lust, Sie zwei Stunden lang Ehrenbezeigungen üben zu lassen.« »Aber lieber alter Offizier, das ist die allerneuste Art«, antwortete Bones ruhig und wiederholte den Gruß. »Ich hab's einem schneidigen Sergeanten von der Garde abgesehen. Und was gut genug für die alten Grenadiere ist, ist gut genug für den armen alten Bones. Aber sagten Sie nicht was von ›dreckigem Lachen‹?« Er hielt seine Hand ans Ohr, als ob er ängstlich darauf bedacht sei, kein Wort zu verlieren. »Sie scheinen sehr mit sich zufrieden zu sein, Bones«, warf Sanders hastig ein. »Nicht so sehr zufrieden als vielmehr gratifiziert, liebe alte Exzellenz.« Bones zog sich einen Stuhl heran, setzte sich, stützte das Kinn auf eine seiner Hände und schielte zu Hamilton hinüber. »Haben Sie jemals daran gedacht, lieber Offizier«, fragte er mit hohler Stimme, die er unweigerlich annahm, wenn er unergründlich wurde, »daß wir hier sind, in diesem sonderbaren, beinah wilden Land? Wir kennen diesen Platz, wir kennen den Fluß - es ist Wasser. Wir kennen das Land - es ist Land. Wir kennen die Flora, und wir kennen die Fauna, und doch wissen wir vielleicht nichts von der wirklichen Länge und Breite unseres Geburtsheimes.« Er hielt inne, klemmte sein Monokel ein und stierte triumphierend auf den wie betäubt dasitzenden Hamilton. »Über was, zum Teufel, quasseln Sie?« -226-
»Ist es Ihnen niemals aufgefallen, liebes altes Geschöpf, daß wir nicht hier sein würden, wenn die braven und furchtlosen Seelen nicht gewesen wären, die uns sozusagen einen Pfad durch die Wildnis gesprengt haben?« Hamilton sah besorgt zu Sanders hinüber. »Haben Sie kein Chinin, Sanders?« »Nein, nein, lieber Medizinmann, ich habe kein Fieber.« Hamilton unterbrach ihn. »Was mir im Augenblick auffällt, Bones, ist, daß Sie einen getrunken haben.« »Ich, Sir?« antwortete Bones entrüstet. »Das ist eine Unterstellung, derentwegen Sie verklagt werden können, lieber Offizier! Als Wissenschaftler möchte ich...« »Soso! Sie sind ein Wissenschaftler? Ich wußte, daß irgend etwas mit Ihnen nicht stimmte. Welcher Zweig der Wissenschaft leidet unter Ihrer boshaften Verbindung mit ihr?« Bones lächelte nachsichtig. »Ich wollte lediglich darauf hinweisen, liebes Mitglied des netten alten Publikums, daß... tatsächlich, ich bin Mitglied der Königlichen Geographischen Gesellschaft.« Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, um die Wirkung zu beobachten. »Famos!« sagte Sanders. »Herzlichen Glückwunsch! Wie sind Sie Mitglied geworden?« »Indem er eine Guinee oder zwei bezahlt hat«, rief Hamilton verächtlich. »Jeder kann Mitglied werden, wenn er Beitrag bezahlt.« »Sie befinden sich im Irrtum, mein Junge«, antwortete Bones. »Ich schrieb einen schneidigen kleinen Artikel über die etymologischen Eigentümlichkeiten der Eingeborenenstämme, mit anderen Worten über den Unterschied zwischen einer Sorte dieser eingeborenen Fritzen und einer anderen Sorte eingeborener Fritzen.« -227-
»Gütiger Herrgott!« japste Hamilton. Damit die Unterhaltung nicht auf unangenehme Gebiete abschweife, zeigte Bones einen Brief, den er an diesem Morgen erhalten hatte. Der Brief war von einem Mitglied der Gesellschaft, und obendrein von einem sehr gelehrten Mitglied. »Lieber Mr. Tibbetts«, lautete der Brief, »ich war außerordentlich gefesselt von Ihrer interessanten Abhandlung über die ethnologischen Eigentümlichkeiten der Bantustämme, die ich das Vergnügen hatte, zum Zweck der Veröffentlichung durchzusehen. Es würde mich sehr interessieren, ob Sie wohl Gelegenheit haben, uns über die Seen Ihres Schutzgebietes mehr aufzuklären, von denen einige, wie ich glaube, noch nie erforscht sind. Besonders möchte ich gern etwas mehr über einen gewissen See Bura Ladi erfahren, über den so viele Gerüchte im Umlauf sind.« Sanders blickte hastig auf. In seinem Bezirk gab es noch viele unerforschte Stellen, und Bura Ladi war eine von ihnen. Dieser kleine stille See lag in einer Niederung, die allgemein für bodenlos gehalten wurde. Kein Fisch befand sich darin. Die Fischer mieden ihn. Sogar die wilden Tiere des Urwaldes kamen niemals an sein Ufer, um dort zu trinken, und der Erdboden war auf eine Viertelmeile im Umkreis entblößt von jeder Vegetation. Sanders hatte den Ort zweimal gesehen. Es war ein einsamer, düsterer Fleck. »Sie werden bald Gelegenheit haben, ihn kennenzulernen, Bones, und zwar in allernächster Zeit. Sie haben ihn noch niemals gesehen?« »Was das anlangt, habe ich das auch nicht«, meinte Hamilton. Und Bones gab ein ungeduldiges Tuttut von sich. »Lieber, alte Ham«, sagte er sanft, »der gute Distriktsgouverneur erörtert die Sache mit mir. Seien Sie nicht ärgerlich! Ich kann das vollständig verstehen, lieber Ham, aber das ist eine wissenschaftliche Angelegenheit.« -228-
»Das war Ihr letzter Essay auch«, gab Hamilton nachdrücklich zurück. Bones hüstelte. »Das, mein lieber Herr, war reine Phantasie. Ein kleines jeu d'esprit im Stile von ›Alice im Wunderland ‹ des verstorbenen Lewis Carroll. Vielleicht haben Sie das Buch nicht gelesen. Wenn Sie's nicht gelesen haben, verschaffen Sie sich's sofort! Es ist schr ecklich amüsant.« »Soviel ich weiß, haben Sie dem irregeführten und leicht zu nasführenden Redakteur der ›Guildford Times‹ geschrieben, Sie hätten eine neue Art Okapi mit zwei Schwänzen entdeckt«, fuhr Hamilton erbarmungslos fort. »Und - berichtigen Sie mich, falls ich mich irre - Sie sagten ihm, Sie wären auf einen neuen Affenstamm gestoßen, der Kleider trüge. Da der nächste italienische Orgeldreher annähernd dreitausend Meilen entfernt ist, erlaube ich mir, Sie als einen erfinderischen Flausenmacher hinzustellen, der der Wahrheit geflissentlich aus dem Wege geht. Nun ist der springende Punkt der, Bones: Was werden Sie in Bura Ladi entdecken?« »Es ist sonderbar«, mischte sich Sanders nachdenklich ein. »Wissen Sie, daß die Temperatur des Seewassers zwölf Grad höher ist als die des Flußwassers? Zur Regenzeit, wenn die Lufttemperatur vorübergehend kühl war, habe ich den See geradezu dampfen sehen. Kein Eingeborener wohnt innerhalb von zwanzig Meilen im Umkreis. Man sagt, es gäbe weder Fische noch Krokodile in seinen Wassern. Ich habe seit acht Jahren vor, eine gründliche Erforschung vorzunehmen. Und nun, Bones, haben Sie mir diese Arbeit aus der Hand gerissen«, sagte Sanders lächelnd. Hamilton schnaubte. »Und Bones wird in zehn Minuten mehr finden als Darwin in zwanzig Jahren. Alles in allem - es geht nichts über eine blühende Phantasie.« Bones ergriff die widerstrebende Hand seines Vorgesetzten. »Ich danke Ihnen, lieber Ham«, meinte er dankbar. »Gerade die -229-
besitze ich. Es hat lange bei Ihnen gedauert, meine guten Seiten herauszufinden. Aber besser spät als niemals, lieber Herr und Offizier! Besser spät als niemals!« Einen Monat später, als Sanders auf seine Steuereintreibungsreise ging, setzte er Leutnant Tibbetts an der Stelle ab, an der der Fluß dem See am nächsten kommt. Hamilton beugte sich über die Reling der ›Zaire‹, als das Kanu abfuhr. »Keine spaßhaften Geschichten, Bones! Keine Entdeckung von prähistorischen Tieren, die sich lustig in der Tiefe des Sees tummeln! Wissenschaft, Bones! Nur reine Wissenschaft!« Bones lächelte mitleidig. Er fand es bequemer, mitleidig zu lächeln, als über eine passende Antwort nachzudenken. An dem Tag, als er das Seeufer erreichte, kamen ein Mann und ein Weib über Land dorthin. »Hier wollen wir bleiben, bis M'suru zurückkehrt, Kimi. Denn hierher wird er uns wegen der Geister nicht zu folgen wagen.« Bones wußte davon nichts. Mit einem Boten kam folgender Brief an das Distriktsamt: »Lieber Herr und Exzellenz!« (schrieb Bones). »Ich habe die Ehre zu berichten, daß ich den See Bura-Ladi um elf heute morgen erreicht habe. Ich habe ein Lager auf der Nordseite aufgeschlagen. Es hat eine vulkanische Eruption gegeben. Heute nacht um neun Uhr gab es einen höllischen Spektakel im See. Der Lärm kam aus der Richtung des Sees. Nachdem ich zu dem Fleck gegangen war, fand ich die Wasser in einem Zustand großen Aufruhrs, und beim Licht des Mondes sah ich, daß ein Eiland in der Mitte des Sees aufgetaucht war. Das Eiland rauchte dampfartig. Seine Länge betrug fast hundert Yards. Aus Mangel an geeignetem Transportmittel (Kanu, Floß etc.) war ich unfähig, eine eingehende Prüfung vorzunehmen. -230-
Heute morgen fand eine weitere Explosion statt, und das Eiland verschwand.« »Aber in diesem Gebiet gibt es keine vulkanischen Schichten. Wenn wir nahe am Kilimandscharo wären...«, überlegte Sanders. »Ich glaube, Bones macht diesen Bericht für seinen unseligen Kollegen von der wissenschaftlichen Fakultät«, sagte Hamilton leidend. Aber in der Nacht wurde Sanders von dem Sergeanten der Wache geweckt. »Gebieter, der Lokolitrommler sagt, am heißen See hätte es bösen Stunk gegeben. Tibbetti habe gegen M'suru gefochten und sei gefangengenommen worden.« Wenige Minuten später klopfte Sanders an Hamiltons Schlafzimmertür. »Die ›Zaire‹ fährt beim Morgengrauen!« rief er. Ein Kundschafter kam mit Nachrichten über die Flüchtlinge zu M'suru. »Sie haben sich eine Hütte in der Nähe des Teufelssees gebaut«, meldete er. »Und, M'suru, dort sind schreckliche Dinge geschehen. Denn Land ist aus dem Wasser heraufgestiegen und wieder untergetaucht.« M'suru hatte Mühe, seine Begleiter zu überreden, mit ihm weiterzugehen, aber schließlich siegte der Schrecken, den er einzuflößen vermochte, über die Furcht vor dem Unbekannten, und sie zogen weiter, und als die Sonne unterging, ruhten ihre Augen auf der düsteren Szene. In einer weiten Wüstenei gelber Erde lag der See blutrot in dem schwindenden Licht der Sonne. Der See war wie ein Ei gestaltet, und über dem schmaleren Ende lag es wie blauer Dunst. »O Ko!« sagte M'suru mutlos und wies auf etwas hin. -231-
Sein scharfes Auge hatte am entfernten Ufer das vertäute Kanu bemerkt und auf dem Abhang weiterhin das winzige grüne Zelt, das er als das Zelt Leutnant Tibbetts' bezeichnete. »Sandi!« rief einer von M'surus Leuten. Verbissen wandte sich der Häuptling nach ihm um. »Du bist ein Narr. Sandi befindet sich auf seinem großen Schiff. Deshalb kann das nur ein Händler sein. Zeig mir, wo Kimi und der Mann sich aufhalten.« Der Kundschafter zeigte auf einen fernen Gürtel Grün hin, und M'suru grunzte befriedigt. In der Stunde vor der Morgendämmerung erreichten sie die Hütte, und aller Zauber des Geisterspeers half Mabidini nichts. Sie kreuzigten ihn an einen Baum. Kimi starb vor ihm, aber einen leichteren Tod. Bones in seinem Forschungseifer hörte die Schreie und ging, den Revolver in der Faust, um die Ursache zu entdecken. »Ich sehe dich, Mabidini!« M'suru hatte Schaum um den Mund, als er dem Sterbenden seinen ganzen Haß entgegenschleuderte. Er hörte einen Ruf hinter sich und wandte sich um, mit zum Angriff erhobenem Speer. Bones feuerte und fehlte zweimal. Der nächste Schuß traf den gefolterten Mabidini und machte dessen Qualen ein Ende. Dann warf einer von M'surus Leuten, von Angst getrieben, den Speer nach Bones. Der Speer traf den Zweig eines Strauches, aber sein Eisenholzschaft schlug im Herumwirbeln gegen Bones' Kehle, so daß dieser taumelte. Eine Sekunde lang zögerte M'suru mit erhobenem Speer. Dann sagte er sich, daß der Weiße nicht allein hier sein würde. Er floh, seine Leute hinter ihm, dem See zu. In weiter Ferne sah er den roten Tarbusch zweier Haussa. Sie waren so weit entfernt, daß er in Sicherheit das Lager erreichen konnte, wo das -232-
Kanu befestigt war. Er sah, wie die Soldaten liefen, hörte Bones' Wutschrei hinter sich und kam schnell zu einem Entschluß. Er befand sich in dem Kanu und zerhieb den Lianenstrick, der es festhielt, mit dem rasiermesserscharfen Blatt seines Speers. »Schießt!« brüllte Bones. Die Haussa gingen in Kniestellung, und zwei Kugeln trafen das Wasser rechts und links von dem davonschießenden Kanu. M'suru steuerte auf das gegenüberliegende Seeufer los. Bones kannte die Treffsicherheit der Schwarzen genügend, um zu wissen, daß nur eine Zufallskugel den fliehenden Mörder erreichen würde. »Aufhören mit Feuern!« befahl er, als ihn die atemlosen Soldaten erreichten. M'suru würden sie schon noch erwischen. »Geht zu der kleinen Hütte unter den Bäumen zurück und begrabt dort das Weib! Dann nehmt Mabidini, den Ochorimann, von dem Baum, an dessen Stamm er mit einem Speer genagelt ist!« befahl er weiter. Als die beiden Soldaten gegangen waren, verfolgte er das Kanu mit seinen Blicken. Das hatte die Mitte des Sees erreicht, und die Paddler nahmen sich jetzt mehr Zeit. »Du scheußlicher Kerl!« rief Bones. Das Wort starb ihm auf der Zunge. Den Mund weit offe n, starrte er auf das, was er jetzt sah. Die Seeoberfläche war unheimlich bewegt. Große Wellen trieben auf das Ufer zu. In der Mitte des Sees tauchte eine dunkle Masse auf, die mindestens zweihundert Fuß lang sein mußte. Die Leute im Kanu befanden sich westlich von dieser befremdlich auftauchenden Masse. Und M'suru, der das Ding sah, änderte den Kurs des Kanus. Er sah mehr als Bones, denn plötzlich drehte das Kanu um -233-
und kam auf das Lager zu. Die Paddler arbeiteten mit einer wahnsinnigen Hast. Und dann tauc hte aus der Tiefe des Sees ein riesiger spatenförmiger Kopf empor. Höher und höher erhob er sich, auf einem Nacken, der im Vergleich zu ihm dünn schien, türmte er sich in der Luft über dem Kanu und schnalzte dann mit unglaublicher Schnelligkeit nieder. Ein großer Klatsch ließ sich hören. Bones, zur Salzsäule geworden vor Schrecken, sah, wie der Kopf sich in ähnlicher Weise auf der Wasseroberfläche bewegte wie der Schnabel einer Ente, während sie im Wasser frißt. Noch einmal kam ein Laut. Dann war die Insel verschwunden. Nur die beiden Hälften des Kanus trieben auf der glatten Wasserfläche. »Ich wußte, Sie würden einen Ichthyosaurus sehen! Bones, Sie sind unverbesserlich! Sie hatten zwei Kerle dort, die Ihnen Ihr Gerede hätten bestätigen können! Und was taten Sie mit ihnen? Sie schickten sie fort! O Bones, Bones!« Leutnant Tibbetts stöhnte in tiefster Seelenqual auf. »Mein lieber Offizier... Ich hab's gesehen! Hundert Yards lang... Ich habe nicht geträumt!« Bones war nahe am Weinen. Die ›Zaire‹ hatte ihren Weg durch den von Gerank überwachsenen Fluß erzwungen und lag unter dem überhängenden Ufer des Sees. Sanders hatte dem Bericht seines Untergebenen schweigend zugehört. »Bones, ich glaub's Ihnen«, sagte er zu Hamiltons Verwunderung. »Das - glauben Sie, Sir?« fragte Hamilton. -234-
Sanders nickte. »Solche Dinge sind in der vulkanischen Periode Ostafrikas vorgekommen. Möglich ist's schon.« Nach der Entdeckung, daß die Erzählung von Bones' Gefangennahme nicht wahr sei, hatte Sanders beschlossen, sofort zurückzufahren... Welchem aufmerksamen Mitglied irgendeines Stammes er diese Warnung zu verdanken hatte, kam niemals ans Licht... Aber jetzt entschloß er sich zu warten und ließ zu Hamiltons Überraschung die ›Zaire‹ zum Kleinen Fluß zurückgehen. »Aber sicherlich, Sir...« begann Hamilton. »Kein Mensch kann's wissen«, meinte Sanders. Er brachte die Nacht zu, indem er mit Hamilton zusammen einen kleinen leeren, eisernen Wassertank mit verschiedenen Explosivkörpern füllte. Der Haussahauptmann wurde sehr eifrig bei dieser Beschäftigung. Früh am Morgen befestigte Hamilton einen Zeitzünder, und als die ›Zaire‹ langsam der Strommitte zulief, schwebte der Tank, fertig zum Fallen, über des Dampfers Bug. »Nehmen Sie das Steuerbordgeschütz, Bones!« befahl Sanders. Und Bones hockte an der Hotchkißkanone, die Hand am Abzug. »Ich weiß nicht, ob ich träume«, sagte Hamilton. »Aber ich habe das sichere Gefühl, daß Bones uns später wird Abbitte leisten müssen.« Sanders ließ die ›Zaire‹ nach der Strommitte drehen. Dann warf er den Hebel des Maschinentelegrafen auf »Volle Kraft« und gab den Haussa am Bug ein Zeichen. Der Tank klatschte ins Wasser, als die ›Zaire‹ kehrtmachte und dem Fluß zusteuerte; ihr Heckrad drehte sich in wahnsinniger Hast. Sie erreichten die grasüberwucherte Flußmündung und fuhren -235-
langsamer. »Das wird genügen!« sagte Sanders, die Uhr in der Hand. »Bones«, flüsterte dessen Vorgesetzter, »Sie haben den Distriktsgouverneur zum Narren gehalten.« In diesem Augenblick gab es einen zitternden Laut - ein Geräusch. Eine Fontäne weißen Seewassers schoß aus der Mitte des Sees in die Luft und - das war alles. »Nichts!« bemerkte Hamilton. Das Wort hatte er kaum gesprochen, als das Wasser des Sees zu wogen und sich zu werfen begann und sich jenes fürchterliche spatenförmige Haupt aus der Tiefe erhob. Höher und höher hob sich der Hals aus der Flut. »Bang!« Die Hotchkißkanone spuckte wütend, und irgendwo in der Nähe des fürchterlichen Hauptes stieg ein blauschwarzer Ball von Rauch in die Luft. Als er verschwunden war, war kein Haupt mehr zu sehen. Nichts als kochende Blasen werfendes Wasser und das Aufleuchten einer großen leblosen Oberfläche, die wie die Unterseite eines Riesenfisches aussah. »Wenn ich Sie wäre, Bones«, sagte später Sanders, »würde ich hierüber nichts schreiben.« »Lieber alter Herr«, gestand Bones, »meine Klaue zittert mir zuviel - ich halte mich lieber an die schneidigen, kleinen Affen mit Hosen.«
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