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Blutiges Gras Es war nicht schwer für Truck Haggertys Männer. Binnen einer Woche hatten sie es geschafft. Nun floß der Creek nicht mehr durch die Hügel und unser schönes Grasland; er bog jetzt vorher nach Osten ab und füllte die weite Senke auf Truck Haggertys Land. Irgendwann würde dort ein großer See entstehen. Ich begriff, daß ich verloren hatte – und mit mir alle anderen kleinen Rancher und Siedler, die sich in der weiten Ebene des Green Grass Creek niedergelassen hatten. Ja, wir alle hatten verloren. Haggerty nahm uns die Lebensader, das Wasser. Für ihn war das ein Kinderspiel. Er brauchte nur einen kleinen Damm zu bauen und ein neues Creekbett über eine Länge von knapp zweihundert Yard auszuschachten. Dann war bereits wieder natürliches Gefälle vorhanden. Indes ich mir das alles ansah, kam Stag Pinalto angeritten. Sein roter Hengst war ein Vierhundert-Dollar-Pferd, und nur sein Boß Truck Haggerty ritt ein noch besseres Tier. Stag Pinalto war Haggertys Vormann – besser gesagt sein »Erster«. Denn die H-im-Kreis-Ranch hatte stets drei oder vier Vormänner, die mit ihren Mannschaften überall auf den Weiden verteilt waren. Stag Pinalto kam gemächlich herangeritten … Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe schon als
Band 249 und im Western-Bestseller als Band 891.
Und wieder einmal dachte ich bei seinem Anblick: Warum haben ihn seine Eltern nur Stag – Hirsch – getauft. Verdammt, was ist das für ein Name für einen Bullen, der eher an einen Toro, einen Kampfstier, denken läßt. Stag Pinalto hielt nun auf der anderen Seite des schon fast trockenen alten Creekbettes und grinste. »Na, Sohn, wie gefällt dir das?« Es klang gönnerhaft. Daß er mich »Sohn« nannte, war natürlich ein Witz, denn er war im besten Falle drei oder vier Jahre älter als ich – keinesfalls älter als fünfunddreißig. Ich nickte ihm zu. »Diese Idee ist sicherlich nicht auf deinem Mist gewachsen«, sagte ich. »Denn es ist eine gute Idee. – Nur hätte ein redlicher Mensch sie nicht in die Tat umgesetzt. Um so etwas zu tun, muß man schon ein ziemlicher Hundesohn sein. Und daß du für solch einen Burschen reitest und die Dreckarbeit erledigst, das macht dich nicht gerade ehrenwert. – Auf was eigentlich bist du so stolz, Bulle?« Er knirschte so stark mit den Zähnen seines Nußknackergebisses, daß ich es bis zu mir herüber hören konnte. Dann sagte er: »Ich glaube, wir steigen erst mal von unseren Pferdchen und tun das, was wir schon immer tun wollten. – Jedenfalls ich wollte dir schon immer mal gern das Maul breitschlagen, so daß du nur noch wie ein Frosch quaken kannst. – Na, wie ist es?« Ich nickte ihm zu. »Es ist mit deinem Kopf sicherlich so wie mit einem trockenen Kürbis: Er muß geschüttelt werden, bevor die Kerne klappern. – Ja, steigen wir ab. – Komm, Bulle, komm nur!« Er rutschte aus dem Sattel und ging die paar Schritte bis zur Mitte des Creekbettes. Hier wartete er grinsend. Ich überlegte noch, und ich bedauerte schon, die
Herausforderung angenommen zu haben. Denn selbst wenn ich diesen Bullen schlug, so mußte ich doch ganz zwangsläufig eine Menge abbekommen. Er würde mir wahrscheinlich wirklich die Lippen breitschlagen. Die Narben dieses Kampfes würden Zeichen fürs ganze Leben bleiben. Sollte ich kneifen? Ich konnte mein Pferd herumziehen und wortlos fortreiten. Wahrscheinlich hätte ein kluger Bursche das getan. Denn mit einer Schlägerei ließen sich keine Probleme lösen. Aber ich konnte nicht fortreiten. Ich war ein dickköpfiger Hammel, und ich dachte einen Moment an das Bild, wenn Widder immer wieder mit ihren Köpfen gegeneinander rennen. Schließlich rutschte ich vom Pferd. Nein, ich konnte nicht anders. Ich mußte wenigstens jetzt einen Sieg erringen. Dann würde die Niederlage mit der Ranch vielleicht nicht bis in alle Ewigkeit auf meinem Stolz lasten. Denn ich hatte mit meiner kleinen Ranch eine Niederlage erlitten. Ohne Wasser war sie erledigt. Der Creek war trocken. Die Weide würde nur nach längeren Regenzeiten grün und frisch sein. Meine Rinder würden kein Wasser finden. Gewiß, ich konnte sie aus dem Brunnen tränken, wenn ich jeden Tag einige Stunden Wasser schöpfte. Doch bald schon würden sie die Weide in Ranchnähe kahl gefressen haben und kein Futter mehr finden. Eine kleine Herde war dennoch mit Wasser und Futter zu versorgen. Aber ich wollte ja eines Tages eine große Herde haben. Und die konnte ich ohne Wasser nicht halten. Ich hätte dann überall auf der Weide Brunnen abteufen müssen. Und an jedem Brunnen hätte dann jemand täglich viele Stunden schöpfen müssen. Aber wer tat das schon ohne Lohn? Denn Lohn konnte ich noch nicht zahlen. Erst mußten meine Rinder sich vermehren.
Ohne Wasser konnte ich meine kleine Ranch nicht zu einer großen machen. Ich hatte verloren. Und mit mir hatten ein halbes Dutzend anderer Leute verloren. Die weite Green-Grass-Ebene war trockengelegt worden. Auch Felder, Gärten und Äcker konnten nicht mehr aus dem Creek bewässert werden. Die Haggerty-Ranch hatte sich eine »Pufferzone« geschaffen, die nun alle Siedler und Klein-Rancher aufhielt. Denn ein wasserloses Land blieb unbesiedelt. Ich überdachte dies alles, indes ich mein Pferd verließ und mich Stag Pinalto näherte, der mich erwartungsvoll ansah. »Das wird ein Fest«, sagte er. »Nachher wird selbst Sue dich nicht mehr wiedererkennen, die schöne Sue, ha!« Plötzlich dachte auch ich an Sue. Ich würde auch Sue verlieren, aufgeben müssen, denn meine Zukunft sah finster aus. »Vielleicht werde ich jetzt Sue bekommen«, sagte Stag Pinalto. »Denn ich bin ein Mann, der ihr etwas bieten kann.« Er griff plötzlich an, und obwohl er mehr als zweihundert Pfund wog, war er so schnell wie ein Leichtgewicht. Ich dachte vielleicht noch zu sehr an Sue und war deshalb nicht schnell mit meinen Reflexen. Wenn er mich voll getroffen hätte, wäre dies wahrscheinlich schon das Ende gewesen. Aber ich nahm dem Schlag durch mein Zurückzucken doch etwas die Wirkung. Dennoch fiel ich auf den Rücken und warf die Beine hoch. Dann rollte ich mich im allerletzten Moment zur Seite. Dort, wo soeben noch mein Bauch war, wuchtete Pinalto mit beiden Füßen in den noch feuchten Sand des Creekbettes. Ich warf mich herum und trat ihm von der Seite in Kniehöhe gegen das Bein. Er brüllte auf und fiel. Als er hochkam, erwartete ich ihn schon. – Nein, ich brachte
es nicht fertig, auf ihn niederzuspringen. Ich konnte es nicht tun. – Aber es war üblich in diesen wilden Grenzkämpfen. Wenn man hier an der Grenze kämpfte, dann wollte man den Gegner möglichst schnell erledigen und selbst ungeschoren bleiben. Stag Pinalto kam hoch – aber sein Bein knickte unter ihm ein. Er brüllte vor jähem Schrecken und hilfloser Wut. Denn er war sozusagen einbeinig geworden, und er wußte, was das für ihn bedeuten konnte. Oha, ich hatte den Sieg jetzt so gut wie in der Tasche! Ich konnte ihn jetzt kleinmachen, weil ich sehr viel beweglicher war. Ich konnte ihn umtanzen. So schnell würde er sich gar nicht drehen können. Ich würde ihn immer wieder treffen. In Stücke konnte ich ihn jetzt hämmern. Ich umkreiste ihn, sprang vor, traf ihn mit langen Geraden auf die Ohren und den Kinnwinkel. Denn er konnte sich nicht schnell genug drehen. Ich war immer an einer geraden ungedeckten Seite. Aber dann machte es mir keinen Spaß mehr. Ich trat zurück und ließ die Fäuste sinken. »Lassen wir’s«, sagte ich. »Du bist wohl doch nicht mehr fit für einen richtigen Männerkampf. Eigentlich täte ich jetzt ein gutes Werk, wenn ich einen Knüppel nähme und dich erschlüge. – Doch das ist nicht mein Stil. – Hau ab, großer Bulle, hau ab!« Er erstickte fast an der Schmach, die ich ihm dadurch zufügte, daß ich ihn nicht mehr für fähig hielt, mit mir zu kämpfen. Und daß ich ihn gehen ließ, ohne ihn zu zertrümmern, machte es für ihn noch schlimmer. Er versuchte noch mal einen Schritt gegen mich. Es sollte ein Sprung werden, doch es wurde nur ein Stolpern daraus. Und der Schmerz in seinem Bein ließ ihn aufjaulen. Er fiel auf sein gesundes Knie und stützte sich mit den Händen und steifen Armen ab. So sah er zu mir empor.
Ich sah auf ihn nieder – und dabei erinnerte ich mich an all die vielen kleinen Begebenheiten, die uns zu Feinden machten. Sein Boß hatte mich immer zum Vormann haben wollen – und wenn ich es geworden wäre, hätte Pinalto mit dem Rang des zweiten Vormannes vorlieb nehmen müssen. Er wußte das. Und daß ich mehr Glück bei Sue hatte als er, vertiefte die Feindschaft noch. Ja, wir waren Feinde von Anfang an. Bei jeder Begegnung wuchs die Gegnerschaft nur noch. Jetzt kauerte er vor mir am Boden und konnte nicht mehr kämpfen. Das konnte er kaum ertragen. Er erstickte fast daran. »Hau ab«, sagte ich nochmals. »Glaub nur nicht, daß ich dir den Rücken zuwende, bevor du außer Schußweite bist. – Hau ab, Bulle!« Wir trugen noch unsere Waffengürtel mit den Colts. Allerdings waren die Waffen von Schlaufen gesichert. Ja, ich traute ihm zu, daß er auf mich schießen würde, sollte ich ihm den Rücken drehen und zu meinem Pferd gehen. Er sah mich nicht mehr an. Auf seinen Händen und einem Bein kroch er davon. Ich ging zu meinem Pferd, saß auf und zog das Gewehr aus der Sattelhalfter. Auch er hatte nun sein Pferd erreicht. Noch bevor er sich umsah und nachdem er sich an seinem Pferd hochgezogen hatte, griff er nach dem Gewehr, riß es aus der Sattelhalfter. Ich rief: »Wenn du dich damit umdrehst, geb’ ich dir was! – Schieb es wieder ins Halfter und sitz auf! Dann kannst du zum Doc reiten, damit er dir das Knie wieder einrenkt!« Er sah über seine massige Schulter zu mir her. Er sah, daß ich das Gewehr in den Händen hielt. Auf diese Entfernung war ein Gewehr schon sicherer als ein Colt. Wir hatten ja noch Perkussions-Revolver, und diese Dinger schossen nur bis auf zwanzig Schritte einigermaßen genau. Am besten war ein Abstand von weniger als acht Schritten. Das war auch die Distanz bei Revolverduellen. Denn wenn man
von der Hüfte aus schoß, konnte man ja nur gefühlsmäßig zielen. Er saß mühsam auf und ritt davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Auch gedroht hatte er mir nicht. Das war ein böses Zeichen. Ich mußte machen, daß ich aus dem Land kam. * Als ich meine Ranch erreichte, hatte ich schon Besuch von einigen meiner Nachbarn. Wir alle hatten zwar jeweils einige Meilen Raum zwischen uns, doch waren wir alle CreekAnlieger. Sie empfingen mich ernst, und der grauköpfige Jim Peters fragte: »Nun, Elroy Cashmoore, hast du schon nachgesehen, warum der Creek kein Wasser mehr führt?« Elroy Cashmoore, das war mein Name. Ich nickte ihnen zu, blieb noch im Sattel, weil ich dann von oben besser in alle Gesichter sehen konnte. Und dann erzählte ich ihnen, was ich gesehen hatte. Als ich verstummte, schwiegen sie – und sie wirkten auf mich in diesem Moment sehr hilflos. Ich konnte ihre Gedanken lesen wie die Worte in einem Buch. Ich wußte auch über ihre Empfindungen Bescheid. Da war Hoffnungslosigkeit, Bitterkeit, Resignation – aber auch hilfloser Zorn. Und dann kam plötzlich die Erkenntnis, daß sie verloren hatten und aufgeben mußten. Denn um den Creek wieder in sein altes Bett leiten zu können, würden wir erst die HaggertyReiter schlagen müssen. Ohne Weidekrieg ging das nicht. Denn einen Sheriff gab es nicht. Wir waren drei Tagesritte von Elkhorn und damit auch vom Gesetz entfernt. – Und selbst der Sheriff in Elkhorn – wenn er sich für uns hier überhaupt zuständig fühlen sollte – würde es sich überlegen, mit Truck
Haggerty einen Streit anzufangen. Haggerty war schon zu groß, zu mächtig – und er war auch als absolut rücksichtslos bekannt. Mit Haggerty legte sich niemand an. Und deshalb erkannte ich in den Gesichtern meiner Nachbarn jetzt nur noch Hoffnungslosigkeit. »Was machen wir?« Diese Frage stellte Sam Fisher. Er war nicht älter als ich und hatte schon eine Frau und fünf Kinder. Er war ein typischer Siedler, der Schweine züchtete und das Fleisch einpökelte. »Ja, was machen wir?« fragte auch Jake Wells. Sie alle starrten zu mir hoch, denn ich saß ja immer noch im Sattel. Ich begriff, daß sie einen Anführer suchten, einen Mann, um den sie sich scharen konnten und der ihnen Hoffnungen machte und sagte, was sie tun mußten. Unter ihnen war kein Anführer. Sie waren alle gleichwertig. Sie alle waren zu mir auf die kleine Ranch gekommen, um sich Rat zu holen. Denn für sie war ich ein Bursche, der sich immer zu helfen wußte. Ich schüttelte den Kopf. »Die Quelle des Creeks liegt auf Haggertys Gebiet. Es ist sein Creek. Er will nicht, daß das Land an seinen Grenzen dicht besiedelt wird, daß die Stadt wächst und wir eines Tages ein selbständiges County werden, dessen Behörden auch er sich unterordnen muß. Der Creek war die Lebensader dieser weiten Grasebene. Nun ist er tot. – Wer hier bleiben will, wird mit Brunnenwasser auskommen müssen – und natürlich dem Regenwasser. Aber das ist nicht genug und auch nicht sicher. – Wer von uns klein bleiben will, der wird hier weiterhin sein Auskommen finden. Wer aber größer werden möchte, hat ohne reichlich Wasser keine Chance. Diese Ebene ist größer als tausend Quadratmeilen. Und der Creek war die Lebensader. – Jetzt wird diese Ebene bald Prärie sein, die nur nach Regenfällen grünt. – Aus euren Brunnen könntet ihr gewiß
einige Dutzend Tiere und auch eure Gärten versorgen. – Wer damit zufrieden ist, mag bleiben. In ihm wird Truck Haggerty auch keine Bedrohung mehr sehen. – Er will nur ein weiteres Aufblühen des Landes an seinen Grenzen verhindern. – Ich selbst werde aufgeben.« * Es war schon Nacht, als ich nach Green Creek kam. Die Lichter des kleinen Ortes leuchteten warm und freundlich; sie waren nicht so unirdisch kalt wie die blanken Sterne am Himmel. Dort in der kleinen Stadt waren Menschen, die gewiß nicht weniger eingesetzt und gewagt hatten als ich. Da waren Handwerker und Geschäftsleute, die daran geglaubt hatten, daß die mächtig weite Blaugras-Ebene in den kommenden Jahren von fleißigen Menschen besiedelt und erschlossen würde. Nun wußten sie vielleicht schon, daß sie in dieser Stadt keine Zukunft mehr hatten. Der kleine Ort war heute ruhiger als sonst. Eigentlich wollte ich am Saloon vorbei und gleich zu Sue reiten, doch ich sah den schwarzweißen Pinto von Pete Jacks vor dem Saloon stehen. Und so lenkte ich meinen Red neben den Pinto. Pete Jacks spielte Billard in der Ecke. Er hatte das Glas auf der Kante des Billardtisches stehen. Er sah mir ernst entgegen. »Na«, sagte er, »was hab’ ich dir nicht immer prophezeit?« Ich nickte nur. Dann nahm ich sein noch halbvolles Glas und trank es leer. Mac Mullen, der Wirt, nickte, als ich zwei Finger hob. Er begann zwei Gläser zu füllen. »Ich treibe morgen meine Rinder zusammen«, sagte ich zu Pete Jacks. »Hilfst du mir? Ich will die Herde nach Elkhorn
treiben und dort verkaufen.« Er starrte mich an. »Und dann?« Ich zuckte mit den Achseln. »Mal sehen«, erwiderte ich. »Reiten – irgendwohin, nichts anderes, weit und lange reiten.« Er legte den Billardstock hin. »Das hört sich gut an«, sagte er. »Ich bin ohnehin zu lange in diesem Land. Die Haggerty-Reiter würden mich eines Tages doch mal erwischen und aufhängen. Es wird immer gefährlicher, Haggertys Vieh zu stehlen. – Ich helf’ dir treiben. Die alten Zeiten kommen wieder. – Wir reiten wieder zusammen. – Willst du dich darauf mit mir besaufen oder erst Abschied von Sue nehmen? – Denn das mußt du wohl – oder?« Ich preßte die Lippen zusammen und nickte. Dann traten wir an den Schanktisch. Der Wirt hatte die Gläser gefüllt. Er fragte: »Was soll nur werden, wenn das ganze Land austrocknet? – He, was soll aus Green Creek werden – Sand Creek vielleicht?« Wir tranken ihm zu. Er braute das Bier selbst, und es war gutes Bier. »Green Creek«, sagte ich zu ihm, »ist tot – oder so gut wie tot. Es wird nur noch von der Haggerty-Ranch leben können. Aber was ist das für ein Leben?« Ich stellte das leere Glas hin, warf fünfzig Cent auf den Tisch und nickte Pete Jacks zu. »Bis morgen«, sagte ich. Er nickte grinsend. Dann ging ich hinaus. Draußen nahm ich meinen Red an die Zügel. Es lohnte ein Aufsitzen nicht mehr. Ich dachte an Pete Jacks’ Grinsen. So grinste er immer, auch wenn er in der Klemme saß, vor einem Kampf stand – oder großen Spaß hatte. Pete Jacks ging grinsend durchs Leben. Seit zwei Jahren stahl er Truck Haggertys Rinder. Es war gut,
daß er von dieser Weide ritt. Sonst würden sie ihn tatsächlich eines Tages aufhängen. Er hatte zwar einen Grund, Truck Haggerty die Rinder zu stehlen, doch darüber redete er nicht. Das ging nur Truck Haggerty und ihn etwas an, so meinte er. Denn er war ein stolzer Dickschädel, dieser Pete Jacks. Ich kannte ihn gut genug. Denn wir waren lange zusammen geritten. Ich hatte Sue Wagoners kleines Haus erreicht, das ihr die Stadt zur Verfügung stellte. Unten war der Schulraum. Oben wohnte sie in zwei kleinen Räumen. Als ich mein Pferd anband, sah sie oben aus dem Fenster. »Die Tür ist offen, Elroy. – Komm nur herauf. Ich hab’ das Abendbrot fertig.« Ich staunte nicht. Nein, Sue wußte viel von mir. Sie konnte mich fast immer ausrechnen. Und so wußte sie wahrscheinlich auch, daß ich um diese Zeit zu ihr kommen würde. Denn meine Probleme waren auch ihre. – Schließlich wollten wir ja heiraten, sobald meine Ranch uns ernährt hätte. Aber das war jetzt wohl nicht mehr möglich. Als ich hinauf ging zu ihr, war in mir ein tiefes Bedauern. Oben kam sie in meine Arme. Wir küßten uns – aber es war anders als sonst. Sie löste sich von mir und sah zu mir auf. Für eine Frau war sie etwa mittelgroß, und sie wog gewiß nicht mehr als einhundertundzehn Pfund. Es war alles richtig an ihr, ja, es war prächtig. Es konnte gar nicht besser sein. Sie war blond, hatte schwarze Augen und einen lebendigen Mund. »Verletzter Stolz …«, sagte sie. »Das ist es wohl, was dich so spröde macht, Elroy. – Verletzter Stolz. – Am liebsten würdest du Truck Haggerty einen Kampf liefern um das Wasser. Ja, das würdest du gern tun. – Doch dann müßtest du Blut vergießen. Es würde Tote geben. – Das schreckt dich. Du möchtest nicht wieder …«
»Nein«, unterbrach ich sie. »Ich möchte nicht wieder mit einem rauchenden Colt reiten. Aber ich kann auch nicht in Haggertys Schatten bleiben als kleiner Mann, der sein Wasser nur aus einem Brunnen schöpft. – Sue, ich treibe morgen meine Rinder zusammen und bring’ sie nach Elkhorn zum Verkauf. – Und dann reite ich irgendwohin – ohne dich. – Verstehst du?« O ja, sie verstand mich sofort. Einen Moment kam ein zorniges Funkeln in ihre Augen, und ihr lebendiger Mund verriet mir eine Menge von ihren Gedanken. Aber dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck – und in ihren Blick kam der Ausdruck von Mitleid, Nachsicht und Verständnis. Sie nickte stumm. »Sicher – ich verstehe dich gut«, sagte sie. »Du weißt, du könntest ihn zerbrechen. – Aber du fürchtest dich vor deinem Colt, vor dem Blut auf der Weide. Und so willst du aufgeben – alles, auch mich. Du willst dich dafür auch noch selbst bestrafen, indem du auch mich aufgibst. – Oh, Elroy, wie starr ist dein verdammter Stolz?« Sie wartete keine Antwort ab, sondern ging in die kleine Küche nebenan, um das Abendbrot auf den Tisch zu bringen. Dann saßen wir uns schweigend gegenüber und aßen unser letztes gemeinsames Essen, wie ich an diesem Abend glaubte. Wir hatten beide keinen Appetit. Unsere Kehlen waren wie zugeschnürt. Aber wir würgten Bissen um Bissen hinunter. Als wir fertig waren, half ich ihr beim Abräumen und Spülen – das heißt, ich trocknete ab. Dann fragte sie mich ernst: »Bleibst du bis morgen – zum Abschied?« »Nein«, sagte ich. »Denn ich will morgen bei Tagesanbruch meine Rinder zusammentreiben. Pete Jacks hilft mir. – Ich hatte schon mit Stag Pinalto eine Schlägerei. Er mußte zum Doc. – Ich möchte ihn nicht erschießen müssen, wenn er mit einem Rudel kommt, um mich kleinzumachen. – Ich muß fort.«
*
Als ich am nächsten Morgen mein Pferd sattelte, kam Pete Jacks angeritten. Er trieb schon ein halbes Dutzend Rinder vor sich her, die sämtlich mein Brandzeichen trugen. Wahrscheinlich fand er sie unterwegs am Creek, wo sie Wasser suchten. »Laß sie einfach stehen«, sagte ich. »Die Wassertröge sind gefüllt. Deshalb werden sie in der Nähe bleiben. – Und es macht nichts mehr aus, wenn sie den Hof mit Fladen pflastern.« »Nein, das macht nichts mehr aus«, grinste er. »Sie düngen den Hof, und nach dem nächsten Regen wächst auch hier gutes Gras. – Ich mach’ mir nur ein Frühstück. Dann reite ich wieder. – Wieviel Rinder hast du denn eigentlich?« »Genau einhundertundsiebenundfünfzig«, sagte ich. Ich saß auf und wollte anreiten. Er war abgesessen und band sein Pferd an. »Wie nahm Sue es auf?« fragte er beiläufig. Ich dachte nach, und in mir war Enttäuschung. So sagte ich: »Ach, eigentlich ziemlich leicht, jedenfalls leichter, als ich befürchtete.« Dann ritt ich davon. Ich brauchte nicht lange und nicht weit herumzureiten, um ein größeres Rudel meiner Rinder zu sammeln und in Richtung Ranch zu treiben. Die Sonne war inzwischen aufgegangen. Als ich zwischen einigen flachen Hügeln hindurchkam mit meinen Rindern, da sah ich links vor mir einen Reiter auftauchen, der ebenfalls ein Rinderrudel trieb wie ich. Zuerst dachte ich, daß es schon wieder Pete Jacks sei. Aber so sehr hatte dieser sich gewiß nicht mit dem Frühstück beeilt. Plötzlich erkannte ich den Reiter.
Es war Sue Wagoner.
Und sie saß im Sattel und trieb Rinder wie ein Cowboy. Ich begriff sofort, warum sie es gestern so scheinbar leicht nahm. Sie hatte gar nicht daran gedacht, mich einfach ziehen zu lassen. Sue war nur wütend gewesen über meinen starren Stolz.. Unsere kleinen Rudel näherten sich, vereinten sich bald zu einer kleinen Herde. Sue kam dichter herangeritten. Sie rief herüber: »Einen billigeren Koch und Treiber bekommst du nicht, Boß! Oh, du glaubtest doch wohl nicht, daß ich dich allein mit Pete ziehen lassen würde? Ich reite mit euch – basta!« * Gegen Mittag trafen wir Pete Jacks, der ebenfalls ein Rinderrudel herbeigetrieben hatte. Da es jetzt schon recht warm war, hielten sich die Rinder alle in Ranchnähe auf, weil sie hier in den Wassertrögen bei den Corrals und dem Brunnen saufen können. Sie hatten ja schon den ganzen vergangenen Tag und die Nacht kein Wasser mehr gefunden, draußen auf der Weide am Creek. Pete Jacks nickte Sue zu. »He«, sagte er, »wenn ich solch ein Girl gehabt hätte, wär was aus mir geworden.« Sie lächelte. »Da ich von jetzt an bei euch bleibe«, sagte sie, »werde ich auf dich achten, du rotköpfiger Ire. – Du hast zwar in mir kein Mädchen, dafür aber eine Art Schwester bekommen. – Ich passe schon auf, daß ihr zwei Burschen nicht wieder irgendwelche Wege reitet, die nirgendwohin führen. – Ich passe auf! Ihr entkommt mir nicht mehr. – Verstanden?« Pete staunte. Dann sah er mich an.
»Die liebt dich wirklich«, sagte er. »Die bringt’s fertig und geht mit uns in die Saloons Whisky trinken. – Oder willst du uns das verbieten?« Seine letzten Worte galten Sue. Die schüttelte den Kopf. »Bin ich denn närrisch? Ich bin euer Partner und immer mit dabei. – Ja, ich reite von nun an mit euch und betrinke mich auch mit euch, wenn’s nicht anders geht. Ich häng’ mich wie eine Klette an euch. – Verstanden? Ihr werdet mich nicht mehr los!« Pete schluckte mühsam. Seine ziemlich großen Ohren schienen zu wackeln. Dann zog er sich den Hut wieder fest auf den Kopf. »Wie schön«, sagte er ohne besondere Begeisterung. »Dann wirst du sicherlich unser Talisman, unsere gute Medizin.« Er wandte sich an mich. »Oder wollen wir gar nicht fort?« Er wirkte plötzlich sehr ernst, so hart, wie er sich sonst nie gab. »Oder sollen wir Truck Haggerty das Maul breitklopfen und den Creek in sein altes Bett zurückscheuchen?« Er haßte Truck Haggerty. Das wußte ich längst. Er haßte ihn so sehr, daß er ihm Rinder stahl. Und einmal sagte er zu mir auf meine Vorhaltungen hin, daß Truck Haggerty ihm eine Menge schuldig wäre, was er mit Rindern gar nicht bezahlen könnte. Pete Jacks würde bleiben und kämpfen. Ich sah es ihm an. Aber ich wollte nicht. Wenn wir es schafften, den Creek wieder in sein altes Bett zu leiten, dann würde die Blaugras-Ebene grün bleiben. – Doch es würde auch Blut im Gras sein, viel Blut. Und blutiges Gras mochte ich nicht, gar nicht. Denn eine Menge dieses Blutes würde ich dann vergießen. Ich sagte: »Wir brechen morgen auf! Wir hauen hier ab, bevor Stag Pinalto wieder rüstig genug ist, mir was zurückzuzahlen.«
*
Meine Herde war nicht besonders groß, und so konnten Pete und ich sie ohne große Mühe treiben. Denn wir waren erstklassige Cowboys. Wir kannten uns aus mit den Biestern. Wir waren schon Wildpferdjäger und weiter im Süden Maverickjäger gewesen. Uns konnte auch der schlimmste Longhornstier keine Tricks mehr zeigen. Wir trieben also die Herde. Sue fuhr den Wagen mit unserer wenigen Habe. Hinter dem Wagen waren noch drei Reservepferde angebunden. Das war alles. Sue hatte nicht viel in Green Creek zurücklassen müssen. Hinter dem Sattel hatte sie eine pralle Sattelrolle festgezurrt. Dazu besaß sie noch zwei volle Satteltaschen. Das war es schon. Die Wohnung über den Schulräumen mit der Einrichtung hatte ihr die Stadt zur Verfügung gestellt. Denn es war gar nicht einfach gewesen, eine Lehrerin zu bekommen. Wir kamen gleich am ersten Tag zehn Meilen vorwärts. Morgen würden sich die Rinder schon etwas an das Treiben gewöhnt haben. Da konnten wir gewiß noch mehr Meilen schaffen. Doch bis Elkhorn würden wir zwei Wochen brauchen, das war sicher. Sue kochte gut. Sie war ein echter Partner und eine erstklassige Hilfe. Ich hatte ihr das alles gar nicht zugetraut. Doch sie war jeden Abend erschöpft. Sie fuhr ja den Wagen, sorgte für das Gespann und die Reservepferde, sammelte Holz, machte Feuer, kochte, buk Bisquits. Sie war nach Anbruch der Nacht stets ziemlich erschossen. Einer von uns Männern war immer bei der Herde. Wir
konnten also immer nur eine halbe Nacht schlafen. Sue schlief im Wagen. Ich legte meine Deckenrolle stets unter dem Wagen aus. Nein, es gab in diesen Nächten keine Liebe zwischen Sue und mir, und das lag nicht nur daran, daß wir müde waren und unseren Schlaf brauchten. Nein, es war auch noch etwas anderes, was ich nicht so leicht erklären kann. Es kam da so sehr viel zusammen. Und am schlimmsten war für mich dieses Aus-dem-Lande-Schleichen, dieses Gefühl, aufzugeben und Haggerty das Feld zu überlassen. Ich war in diesen Tagen und Nächten störrisch wie ein Esel. Mein Stolz war schlimm verletzt, und deshalb war mir nicht nach Zärtlichkeit zumute. Nun, wir trieben unsere Herde östlich an Green Creek vorbei und hielten uns immer an dem Wagenweg nach Norden, also nach Elkhorn. Es war ein kümmerlicher Weg, den manchmal ein paar Frachtwagen und einmal in der Woche eine Postkutsche befuhren. Einige Meilen führte dieser Wagenweg am Green Creek entlang. Wir befanden uns auf dem Gebiet der Haggerty-Ranch. Es gab keine andere Möglichkeit nach Norden. Aber wenn wir uns dicht an der Straße hielten, konnte Truck Haggerty nichts gegen uns unternehmen. Denn es war eine offene Wagenstraße, auf der Postkutschen verkehrten. Ich hoffte, daß Truck Haggerty klug genug war, mich ziehen zu lassen. Nach dem dritten Tag, als wir im Camp gerade mit dem Abendessen fertig waren und Pete mich als Herdenwächter ablöste, kam Truck Haggerty. Und weil er sich wie ein King fühlte, kam er natürlich nicht allein, sondern mit Reitern, die sich als seine Ritter vorkamen. Denn sie ritten auf erstklassigen Pferden und wurden nicht für Lassoarbeit bezahlt. Sie verrichteten keine Weidearbeit. Ihr »Handwerkszeug« war der Colt. Und auf ihren Colts stand Haggertys Macht.
So war das. Sie kannten mich, hatten zumindest schon von mir gehört. Denn meine rauchige Zeit war noch nicht lange vorbei – kaum mehr als zwei Jahre. Ich trat etwas vom Feuer zurück, bis ich den Wagen als Rückendeckung hatte. In der Rechten behielt ich die Blechtasse mit dem heißen Kaffee. Meine Linke aber hing nun hinter dem Colt. So wartete ich ruhig. Sue trat nicht neben mich – o nein, das tat sie nicht. Denn das wäre für mich keine Hilfe gewesen. Ich hätte dann auch auf sie achten müssen. Sie ging zur vorderen Ecke des Wagens. Auf dem Fußbrett des Fahrersitzes lag unsere Schrotflinte. Sie verhielt dicht bei ihr, um sie gegebenenfalls greifen zu können. Die Reiter verhielten. Ich zählte fünf außer Haggerty. Und Haggerty kam an das Feuer geritten. Vier seiner Reiter blieben am Rand des Feuerscheins. Nur einer hielt sich an seiner Seite. Ich kannte ihn. Der Bursche hieß Johnny Ringloke, und er hatte sich in Laredo einen Namen als Schießer gemacht und inzwischen eine rauchige Zickzackfährte gezogen. Brazos, Hills Boro, Wichita, Fort Worth, Abilene, Dodge City – dies waren seine Stationen. Und überall hatte er mit dem Colt gekämpft und überlebt. Jetzt hatte Haggerty seinen Colt gemietet. Johnny Ringloke starrte mich an. Im Feuerschein konnte ich das Glitzern seiner Augen erkennen. Er war ein eitler Revolverheld, einer von der Sorte, die keine Ungewißheit ertragen kann, wenn es um die Frage geht, wer schneller ist mit dem Colt. »Hallo, Cashmoore«, sagte er. »Ich hätte nie gedacht, daß aus dir mal ein Drei-Kühe-Rancher würde. – Kein Selbstvertrauen mehr? Nerven? Ist es das Alter?« Seine Fragen klangen spöttisch.
Und Truck Haggerty saß neben ihm im Sattel und grinste wie ein Biber. Ich grinste auch. Und dann sagte ich zu Johnny Ringloke: »Du solltest mir dankbar sein, Laredo-Johnny, sehr, sehr dankbar – und mir Prozente von deinem Revolverlohn geben. – Denn Haggerty zahlt dir besonders viel, weil er damit rechnete, daß …« »Ich weiß«, unterbrach mich Johnny Ringloke. »Du hättest uns Ärger machen können. Dich wollten sie zum Anführer haben, und dann hätten sie auch gekämpft. Ich hätte dich abschießen müssen. – Aber nun ist das ja wohl nicht mehr nötig – oder?« Seine Stimme, sein Lächeln und sein Blick waren eine einzige Herausforderung. »Richtig«, sagte ich. »Es ist nicht mehr nötig. Denn ich kneife. – Ich laufe fort und gebe auf. – Sonst noch etwas?« Einen Moment wirkte er unsicher. Er wußte nicht, ob ich ihn verhöhnte oder es ernst meinte. Aber dann spürte er mit seinem Wolfsinstinkt, daß ich keine Furcht hatte. Haggerty mischte sich nun ein. »Eigentlich müßte ich von meinen Männern jetzt deine Herde überprüfen lassen, Cashmoore. Es könnten wohl einige von meinen Rindern darunter sein – oder?« »Nein«, sagte ich. Er starrte mich im Feuerschein unter dem Mond- und Sternenhimmel an. »Aber du hast einen Rustler als Treiber«, sagte er dann. »Und wer sich mit Leuten abgibt, deren Ruf schlecht ist, der …« »Vorsicht, Haggerty«, unterbrach ich ihn, »schön vorsichtig. – Sonst kannst du’s gleich rausfinden. – Wenn’s dir nicht genügt, daß ich abziehe, weil ich lieber kneife als Blut vergieße – nun, dann kannst du’s haben. – Sag nur deinem Revolverschwinger, daß er anfangen soll. – Sag’s ihm nur! Na
los!« Ja, in mir war plötzlich jener kalte und im innersten Kern doch wieder so heiße Zorn. Das mochte sich widersprechen, ja, ja, ja. – Aber es war so. In mir brannte ein wildes Feuer, aber an die Oberfläche drang es nicht. Da wirkte ich kalt. Und Haggerty zögerte. Er wandte seinen Blick und sah auf seinen Revolvermann. Johnny Ringloke zitterte leicht – nein, es war kein Zittern, mehr ein Vibrieren. So vibrierte ein Terrier vor dem Kampf. »Soll ich, Boß?« Haggerty betrachtete ihn einige Atemzüge lang, und es war, als studierte er ihn genau. Dann sah er wieder auf mich, und nun war eine Nachdenklichkeit in seinem Blick. »Nein«, sagte er zur Seite. »Es genügt mir, daß er abzieht. – Das ist genug. Auch ich will kein Blut im Gras.« Er machte eine kleine Pause. Sein Blick richtete sich auf Sue. Er kannte sie genau. Denn als sie in die Stadt kam, machte er ihr zuerst den Hof. Sein Werben um sie war sogar stürmisch, denn er war ein Mann, der daran gewöhnt war, alles zu bekommen – oder sich alles nehmen zu können. Bei ihr war er abgeblitzt. Ich war der glücklichere Mann bei Sue. Er fragte: »Sue, haben Sie ihn dazu gebracht, fortzugehen und alles kampflos aufzugeben? Haben Sie das vollbracht?« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist seine Entscheidung«, sagte sie. »Er will nicht wieder töten und Blut vergießen. – Haggerty, Sie sind ein Narr, wenn Sie etwas anderes vermuten. Und wenn Sie nicht mit Ihrem Revolverschwinger sofort das Camp verlassen, dann wird er ihn von den Beinen schießen und bleiben. – Sie Narr, was glauben Sie denn, wie lange er noch seinen Stolz unterdrücken kann?« *
Irgendwann erreichten wir Elkhorn. Und wir hatten Glück. Aus dem großen Indianer-Reservat weiter im Norden war der Indianer-Agent gekommen, um Rinder zu kaufen. Er hätte weiter bis nach Kansas gemußt, um Rinder zu bekommen. Auch ein Zahlmeister der Armee war da, der ebenfalls Fleischrinder für einige Armee-Posten zwischen Elkhorn und Fort Laramie kaufen wollte. Ich machte ein gutes Geschäft. In Texas war ein Longhornstier nur sechs bis sieben Dollar wert. In den Verladestädten an der Kansasbahn zahlte man schon bis zu dreizehn Dollar für einen Stier. Und ich schlug meine kleine Herde für achtzehn Dollar je Tier los. Da unterwegs noch einige Kälber geboren wurden und die Kopfzahl meiner Herde sich vermehrte, erhielt ich fast dreitausend Dollar. Das war eine Menge Geld. Aber ich hatte ja auch zwei Jahre dafür gearbeitet und einige Gebäude und den Brunnen zurücklassen müssen. Nein, ich war nicht besonders gut weggekommen. Ich hatte draufgezahlt. Dies war klar. Und immer, wenn ich daran dachte, daß ich vor Burschen wie diesem Truck Haggerty, Stag Pinalto und Johnny Ringloke fortgelaufen war, überkam mich ein böser Zorn. Manchmal wollte ich zurück. – Denn ich sagte mir oft genug, daß ein Bursche wie ich nicht überall fortlaufen konnte. Und das würde er tun, wenn er erst einmal mit dem Fortlaufen anfing. Dann war es schon besser, gleich beim ersten Mal alles auszukämpfen. Wir mieteten im Hotel ein Zimmer. Sue und ich gaben uns als das Ehepaar Mr. und Mrs. Cashmoore aus. Pete nahm das Nebenzimmer. Ich ging mit Pete zum Barbier, der auch die Badeanstalt betrieb. Sue ließ sich eine Badewanne und viel
heißes Wasser auf unser Zimmer bringen. Als ich später dann das Zimmer betrat, lag Sue im Bett und schlief wie ein Murmeltier. Aber das war nur natürlich. Die letzten zwei Wochen waren hart gewesen. Es war anzunehmen, daß sie länger als zwölf Stunden so tief und fest schlief. Ich ging wieder und nahm den Schlüssel mit. Die Tür ließ sich von außen nur mit einem Schlüssel, von innen aber mit Hilfe des drehbaren Knaufs öffnen. Ich sperrte Sue also nicht ein. Pete saß unten in der Halle. Er hatte sich einen neuen Hut gekauft und war dabei, ihn in die richtige Form zu biegen. »Bis der richtig paßt«, sagte er, »hab’ ich noch viel Arbeit. – Am besten wäre, ich badete ihn, nicht wahr?« »Sicher«, nickte ich. »Vorläufig sieht er zu seriös für dich aus. – Warum sitzt du hier herum mit deinem neuen Hut?« Er grinste breit. Sein Vater hatte dieses Grinsen aus Irland mitgebracht, und wahrscheinlich war es auch dort schon eine Herausforderung für viele Burschen gewesen. »Ach«, sagte er, »ich dachte mir schon, daß du runterkommen würdest. Denn Sue wird jetzt erledigt sein. – Da magst du noch so sehr nach Fliederseife riechen. Davon wird sie nicht wach. – Aber wir harten Jungens sind nicht müde – oder? Wäre es nicht Zeit, mal die Kehle zu schmieren? Oder haben wir uns das nicht verdient bei diesem Treiben?« Ich nickte nur. Und dann gingen wir. Zuerst aber gingen wir noch einmal in den Mietstall, um nach unseren Tieren zu sehen. Wir hatten ja insgesamt fünf Reitpferde und die beiden Zugtiere des Wagens. Der Wagen war im Hof abgestellt. Die sieben Tiere befanden sich in einem kleinen Corral und waren gut versorgt. Es standen noch einige andere Wagen im Hof – und einer fiel mir gleich auf, kaum daß ich einen Blick darauf geworfen hatte. Es war ein schwerer Wagen, der gewiß von nicht weniger als
sechs Maultieren gezogen werden mußte. Und es ragten merkwürdige Dinge über die Ladefläche heraus. Es waren Vierkantbalken verschiedener Längen, an deren Enden Eisenwinkel mit Löchern festgeschraubt waren, so als wären diese Löcher dazu bestimmt, andere Winkel daran zu befestigen. Was da in diesem Wagen lag, mußte eine Holzkonstruktion sein, die ein turmähnliches Gebilde ergab. Doch es lag noch mehr in diesem Wagen, sorgfältig festgezurrt. Da waren Eisenteile, Eisenrohre, Stangen, Zahnräder, flügelartige Gebilde, ähnlich wie Windmühlen. – Und eine Pumpe war zu erkennen. Ich sah es nun ganz deutlich, denn ich war näher an den Wagen getreten und sah hinein, lüftete auch die Plane. Allmählich begriff ich den Sinn dieser Ladung. Pete Jacks war neben mich getreten. Da er kleiner war als ich, mußte er sich auf die Zehenspitzen stellen und konnte immer noch nicht richtig in den Wagen sehen. »Was ist das?« »Ich habe es noch nicht in Betrieb gesehen«, erwiderte ich. »Doch ich sah es schon mal gezeichnet in einem Katalog einer Pumpenfabrik. – Das war vor drei Jahren an Bord der ›Missouri Queen‹. Im Leseraum lag solch ein Katalog. – Man kann diese Wasserpumpen auf verschiedene Weise betreiben. – Auch als Windräder. – Diese Windradpumpen sind Membranpumpen mit zwei Ventilatoren und einem Schwimmer. Langsam fällt mir alles wieder ein. – Ja, in diesem Wagen hier wird eine Wasserpumpe mit Windradantrieb transportiert.« Er starrte mich seltsam an. Aber auch mir war in diesem Moment merkwürdig zumute. Denn ich ahnte, daß sich das Schicksal mal wieder einen seiner Späße erlaubt hatte. Ich mußte erst meine kleine Ranch aufgeben und meine Herde verkaufen, um dann durch einen Zufall auf die mögliche Lösung unserer Probleme zu stoßen.
War das nicht verrückt? Eine Wasserpumpe mit Windradantrieb!!! Es war mir, als brüllte mir das jemand ins Ohr. Und vor drei Wochen etwa, da hatte ich noch nach Möglichkeiten gesucht, wie ich die Blaugras-Ebene bewässern konnte. Mir waren diese Windpumpen nicht eingefallen. Ich hatte den Katalog damals an Bord eines Missouri-Dampfschiffes nur zum Zeitvertreib durchgeblättert. – Erst jetzt, da ich das Ding auseinandergenommen in einem Wagen verstaut sah, erinnerte ich mich wieder. So war das manchmal im Leben. Und jetzt? – Was war jetzt? Pete Jacks starrte mich immer noch erwartungsvoll an. »Dieser Truck Haggerty«, sagte er langsam und schwer, »könnte sich den Green Creek in die Haare schmieren – oder sonst was damit machen. Wir wären nicht auf seinen Creek angewiesen. – Verstehst du?« Er fragte es zuletzt richtig gierig. Und ich wußte sofort, daß er zurück wollte, um gegen Truck Haggerty zu kämpfen. Er haßte Haggerty so sehr, daß er’s ihm zeigen wollte. Aber ich schüttelte nach einer Weile den Kopf. »Soviel Geld haben wir nicht«, sagte ich. »Und was nützte mir jetzt Wasser ohne Herde? Unser Geld würde nicht reichen, dieses Ding zu kaufen und eine neue Herde auf die Weide zu stellen. – Und überdies müßte ich Stag Pinalto wahrscheinlich erst töten, um vor seiner Rache sicher zu sein. – Nein, Pete, nein!« Er schluckte und nickte schließlich. »Na gut«, sagte er, »na gut, Mister. – Aber es wäre ein Fest geworden, wenn wir die Blaugras-Ebene bewässert hätten ohne Haggertys Creek. – Jawohl, ein Fest!« Wir gingen vom Hof langsam ins Stadtinnere. Nach einigen Schritten fragte ich: »Willst du mir nicht endlich sagen, Pete, warum du Haggerty so haßt? Du kennst ihn von früher, ja? –
Was hat er dir angetan?« »Ach, er kam nach dem Krieg nach Texas«, brummte Pete Jacks. »Er war einer dieser Yankees mit viel Geld in der Tasche. Er ließ uns Mavericks jagen und mit seinem Brand versehen. – Aber dann zahlte er nichts dafür. – Verstehst du? Er ließ uns wochen- und monatelang in der Brasada Rinder jagen und branden, bis er eine große Herde hatte. – Dann trieben wir diese Herde für ihn nach Kansas, nach Abilene. Er wollte uns faire Anteile zahlen. – Aber als wir uns am Ziel vor Vorfreude betranken, blieb er nüchtern. – Und als wir aus unseren Räuschen erwachten, war er fort mit dem ganzen Geld. – Wir hatten ein ganzes Jahr lang umsonst für ihn gearbeitet und Rinder getrieben. Ich hab’ ihn dann ein ganzes Jahr gesucht. Dabei traf ich auf dich. – Wir ritten dann gemeinsam unsere Zickzackfährte. Es traf sich gut, daß du auf der Blaugras-Ebene seßhaft werden wolltest. Denn inzwischen hatte ich den Hundesohn ja gefunden. – Er hat mich nicht mal wiedererkannt, als wir uns zum ersten Male in Green Creek begegneten. – Damals war ich nur ein Rindertreiber, den er kaum beachtete. Er verkehrte ja nur mit unserem Vormann, reiste der Herde stets voran und wartete dann gemütlich auf sie. – Er spielte den großen und reichen Boß, ließ uns Dummköpfe die ganze Arbeit machen und kassierte dann groß in Abilene. Dieser Gewinn war die Basis seines Reichtums. Nein, er erkannte mich nicht mal, als ich neben ihm an der Bar stand. Er bot mir sogar einen Job an als Cowboy. – Weil ich ablehnte, ließ er mich wohl beobachten. Ich geriet bald schon in den Verdacht, daß ich seine Rinder stahl. – Aber sie konnten mich nie dabei erwischen. – Dabei war er ein sehr viel größerer Rinderdieb. – Und ein Mädchen hat er damals in Texas am Brazos auch unglücklich gemacht. Es ging mit ihm – aber unterwegs verließ er sie. Ich traf sie später in einem Saloon. Sie bediente dort und ließ sich befingern. – Und sie
sagte mir, daß sie keinem Mann mehr trauen könnte, keinem.« Nun begriff ich, wie Truck Haggerty es schaffte, so schnell ein reicher und mächtiger Bursche zu werden. Ich begriff auch, warum er sich eine rauhe Mannschaft und gefährliche Männer als Leibwächter hielt. Wir hatten den Elkhorn Saloon erreicht, gingen hinein und standen bald schon an der Bar. Wir tranken uns zu. Als wir beim zweiten Glas waren, sagte Pete: »Du und Sue, ihr gehört zusammen. Ich würde nur stören. – Also machen wir’s kurz. – Gib mir Geld, damit ich mich anständig besaufen kann, bevor ich morgen weiter nach Norden reite. – Gib mir meinen Treiberlohn.« Ich gab ihm hundert Dollar, und das war für die zwei Wochen vierfacher Treiberlohn. Er nahm das Geld, nickte mir zu und ging. Er drehte sich einfach um und ging, so als wären wir keine Freunde geworden. Ich spürte, es war vorbei mit unserer Freundschaft. Denn ich hatte Sue. Er war allein. Doch was sollte aus Sue und mir werden? Ich dachte: Weiter im Norden wird Gold gefunden. – Ob ich mit Sue in die Goldfundgebiete gehe? Ob wir dort unser Glück versuchen? Aber dann sah ich in den Spiegel hinter der Bar. Und da dachte ich an nichts mehr – nur ans Überleben. Denn ein Mann war durch die Schwingtür hereingekommen, ein Mann, den ich gut genug kannte. Stag Pinaltos Bein war wieder in Ordnung. Er hinkte nur noch kaum merklich. Und er kam mit einer schußbereiten Schrotflinte im Hüftanschlag herein. Er starrte auf mich. Das erkannte ich deutlich im Spiegel. Wahrscheinlich hatte er mich schon von draußen durch die offene Schwingtür beobachtet und nur darauf gewartet, daß ich allein am Schanktischende stand. Er kam herein, um mich zu töten.
Da er mit dem Colt gegen mich keine Chance hatte und ich ihn auch mit den Fäusten schlug, wollte er nun alle Chancen für sich. Deshalb die doppelläufige Schrotflinte. Ich fragte mich in dieser Sekunde, warum er es hier vor allen Leuten tun wollte und nicht draußen auf mich gelauert hatte. Wahrscheinlich ließ sich dies nur damit erklären, daß er Augenzeugen brauchte für seinen Sieg wie ein Artist den Beifall der Zuschauer für eine besondere Leistung. Das gehörte zur Befriedigung seiner Rache. Ich wandte mich nicht um, beobachtete ihn nur im Spiegel. Auch andere Gäste waren inzwischen auf ihn aufmerksam geworden. Es wurde stiller im Saloon. Zecher schoben sich zur Seite. Ich war plötzlich isoliert, allein. – Und auch Pete war weg. Der Barmann sah mich an. Ich erwiderte seinen Blick. Dieser Barmann war ein grauköpfiger, narbiger Bursche. Er füllte ein Bierglas und brachte es mir. Dabei murmelte er durch seinen Bart: »Können Sie nicht weggehen? Der wird mir den guten Spiegel zerschießen!« »Sicher«, murmelte ich zurück. »Wenn ich ihn nicht schlagen kann, wird er nicht nur mich, sondern auch den Spiegel treffen.« Ich deckte den Barmann fast völlig mit meinem Körper. Stag Pinalto konnte nicht viel von ihm sehen. Und der Barmann starrte mich an. Oh, der war ein erfahrener Bursche. Er wußte, daß Pinalto hinter mir abdrücken würde, sobald ich nach meiner Waffe griff und damit herumwirbeln wollte. Er wußte aber auch, wie er mir zu einer besseren Chance und damit auch zu einer Chance für seinen guten Spiegel verhelfen konnte. Denn er griff unter den Schanktisch und holte einen Colt hervor. Er legte ihn vor mich hin neben das Bierglas. Und alles deckte ich mit meinem Körper. Stag Pinalto konnte es nicht mal im Spiegel sehen. Überdies
wischte der Barmann mit einem Lappen die Tischplatte. Dann schob der Barmann sich zur Seite, nahm auch das leere Bierglas mit, welches ich geleert hatte, als Pete noch bei mir war. Stag Pinaltos Stimme grollte jetzt durch die Stille: »He, willst du dich nicht umdrehen? – Soll ich das Loch in deinen Rücken schießen?« Ich sah ihn im Spiegel an. Der Colt, den der Barmann mir zugeschoben hatte, war nun unter meiner Hand halb verborgen. Ich tastete mit meinen Fingern nach dem Kolben, umschloß diesen fest, legte mit dem Daumen den Hammer zurück, indes ich laut fragte, um das Knacken zu übertönen: »He, Pinalto, bist du wirklich gekommen, mich zu töten? Wollen wir nicht lieber hier an der Bar einen Drink nehmen und miteinander reden?« »Nein«, sagte er. »Wenn du dich nicht umdrehst, bekommst du es in den Rücken. Ich geb’ dir drei Sekunden.« »Nein«, sagte ich, »laß mich erst das Bier austrinken.« Ich nahm das Glas, hob es an den Mund und begann zu trinken. Indes ich trank, drehte ich mich langsam nach der Seite. Ich wandte ihm die linke Seite zu, hielt auch das Glas in der Linken. Er sah, daß ich mit dieser Hand nicht nach dem Colt greifen konnte, den ich ja auch links trug. Aber ich schoß rechts fast ebensogut. Und ich hielt schon den Colt in der Rechten und schoß unter dem linken Arm hindurch, wobei ich Colt und Hand fest quer gegen meine Brust drückte. Ich traf Stag Pinalto mit der ersten Kugel gut genug. Er schwankte zurück, taumelte auf seinen Absätzen. Er war nicht vorbereitet darauf, daß ein biertrinkender Mann unter dem Ellenbogen schießen würde. Weil er rückwärts schwankte, zeigte die Doppelmündung seiner Schrotflinte schräg nach oben. Er drückte beide Läufe ab und schoß über dem Schanktisch in die Decke. Er traf den
Spiegel nicht. Der Barmann hatte diesen Spiegel wahrhaft dadurch gerettet, daß er mir einen Colt zuspielte und zu einer fairen Chance verhalf. Stag Pinalto brach auf die Knie nieder. Er ließ das Gewehr fallen und hielt sich die Hände vor den Leib. »Warum – warum – hast du immer solch ein Glück?« brach es aus ihm, nachdem er dreimal ansetzte. Ich sagte nichts. Was sollte ich auch sagen? Ich sah mich nach dem Barmann um. »Danke«, murmelte ich und warf einen Dollar auf die Bar. »Gut gemacht«, nickte er zurück. »Solch ein Spiegel kostet hier zweihundert Dollar. Ich kann mir doch nicht von jedem Bullen den Spiegel zerschießen lassen.« »Nein«, sagte ich. Von draußen kam ein Mann herein, der einen Marshal-Stern trug. Er sah auf Pinalto, der immer noch am Boden kniete und sich die Hände gegen den Leib preßte. »Jungens, schafft ihn zum Doc!« Er rief es ruhig und deutete auf einige Zuschauer. Dann kam er zu mir an die Bar. Er sah mich hart an, und er war auch ein harter Bursche. Der Barmann sagte: »Der andere wollte ihn ermorden, kam mit schußbereiter Schrotflinte herein. Es war Notwehr. – Und ich schob ihm den Colt zu, damit er überhaupt eine Chance hatte. – Es war Notwehr, Charly.« Der Marshal nickte und sah mich an. »Ihr Name?« »Cashmoore, Elroy Cashmoore. – Ich wohne im ElkhornHotel. Ich brachte die Herde her, die an das Reservat und an die Armee verkauft wurde.« »Ach ja«, nickte er. »Morgen um elf Uhr ist die Leichenschau. Ich möchte dann Ihre Aussage zu Protokoll nehmen. – Auch deine, Bill.« »Sicher«, nickte der Barmann.
*
Hartes Klopfen weckte mich. Irgendwann nach Mitternacht war ich doch eingeschlafen. Sue gähnte neben mir und sagte verschlafen: »Da will jemand was von uns. Sieh doch mal nach, Roy.« Dann gähnte sie noch mal, drehte sich auf die andere Seite und schlief schon wieder. Ich dachte wieder daran, wie hart das Treiben für sie gewesen sein mußte. Schließlich war sie als Lehrerin solche Arbeit nicht gewöhnt. Ich stand auf und öffnete die Tür. Es war schon Tag. Draußen schien die Sonne. Ein alter Bursche stand auf dem Gang. Er sah aus wie einer der Saloonausfeger, die sich durch Botengänge einen Drink und ein Essen verdienen. Er sagte: »Ihr Partner Pete schickt mich. Und er hat mir einen Dollar gegeben, weil es wichtig ist.« »Was?« Ich fragte es etwas mürrisch und hatte schon ein merkwürdiges Gefühl. Es war eine Vorahnung von Ereignissen, die mein Leben beeinflussen mußten – und die ich dennoch nicht erraten konnte. »Was ist los?« »Sie sollen in Browns Spielhalle kommen«, sagte der alte Bursche. »Und Sie sollen Ihr ganzes Geld mitbringen. – Ihr Partner wartet darauf, und er läßt Ihnen sagen, daß er fest damit rechnet. – Bekomm’ ich auch von Ihnen einen Dollar? Denn es ist wirklich eine wichtige Nachricht.« »Was ist mit meinem Partner?« fragte ich sofort. »Sag es – dann bekommst du vielleicht einen Dollar.« »Er hat ein erstklassiges Blatt«, sagte der Alte. »Doch er kann nicht mehr im Spiel bleiben, weil ihm das Geld fehlt. – Er muß ein Blatt haben, mit dem er bis in die Hölle und zurück im Spiel bleiben kann. – Im Topf liegen schon fast siebentausend. Dollar. – Er wartet auf seinen Partner und auf Geld. – Das
Spiel ist nur zehn Minuten unterbrochen. – Dann ist er draußen, wenn er den Einsatz nicht bringt.« Nun wußte ich Bescheid. Pete Jacks war in einem Pokerspiel und wollte sich nicht rausbluffen lassen. Er wollte weiterhin mithalten und brauchte Geld. Er mußte eine wirklich gute Karte haben. – Nein, ich glaubte nicht, daß er bluffte: Denn dann hätte er mein und Sues Geld nicht riskiert. »Ich komme«, sagte ich. »Und dann bekommst du auch den Dollar, Opa.« Damit schloß ich die Tür. Denn ich wollte Sue nicht wieder wecken lassen durch irgendwelche Geräusche. Als ich angekleidet aus dem Zimmer trat, stand er noch auf dem Gang. »Ein Dollar«, sagte er, »ist für mich so groß wie ein Wagenrad.« Das glaubte ich ihm, und ich gab ihm den Dollar. Dann machte ich mich auf den Weg zu Browns Spielhalle, wo Pete Jacks auf mich wartete. Der Weg war nicht weit, nur so weit, wie ich einen faustgroßen Stein hätte werfen können. Ich brauchte nur schräg über die Fahrbahn zu gehen. Die Pokerrunde in der Ecke am runden Tisch war übernächtigt. Sie alle hatten rote Augen und Bartstoppeln in den furchigen Gesichtern. Es stank nach Tabakrauch, Whisky und Bier. Sie alle hätten schon ins Bett gehört, doch die Spannung hielt sie noch auf den Plätzen. Denn mitten auf dem Tisch lag eine Menge Geld. Pete Jacks grinste mir mit seinem irischen Grinsen entgegen – breit, trotzig, herausfordernd, wachsam trotz aller Müdigkeit. Ihm gegenüber saß ein kleiner Bursche mit einem Knabengesicht und einer Nickelbrille. Sein Bartwuchs war kaum stärker als der eines fünfzehnjährigen Knaben. Doch er war älter als vierzig. Dies erkannte man. Er nahm eine Nickeluhr vom Tisch und sagte: »Sie hatten
noch eine volle Minute Zeit, Mister. Dann wären die zehn Minuten Pause umgewesen. – Das Spiel geht weiter, Freund. Sie müssen Ihren Einsatz bringen.« Die letzten Worte galten Pete. Dieser hatte seine fünf Pokerkarten vor sich liegen. Auch der Kleine mit der Nickelbrille hatte das. Die anderen Spieler waren ausgeschieden. Sie hatten gepaßt, wie man so sagte. Aber Pete und der Kleine waren noch im Spiel. Pete sah mich an. »Gib mir dein Geld, Roy«, sagte er. »Ich lasse mich von diesem Gentleman nicht aus dem Spiel bluffen. Ich will doch mal sehen, wie lange er noch erhöhen kann, bevor er endlich seine Karte zeigt.« Nun war also alles klar. Pete Jacks wollte, daß ich mein ganzes Geld riskierte. Aber es war ja nicht nur mein Geld; es gehörte Sue genauso wie mir. Denn seit Sue sich entschloß, mit mir zu gehen und bei mir zu bleiben, gehörte ihr alles, was auch mir gehörte. Das war ja wohl klar. Nun aber verlangte Pete, daß ich unsere letzte Sicherheit riskierte. Denn Geld war nun mal wichtig für einen Mann, der für eine Frau zu sorgen hatte und ihr einen festen Platz und Sicherheit schaffen wollte. Ohne Geld würden wir nicht mal in Hotelzimmern übernachten können. Aber ich kannte Pete. Ich sah seine vibrierenden Nasenflügel. Pete hatte Witterung genommen wie ein Wolf von einer fetten Beute. Pete war bereit, alles zu riskieren. Und warum sollte ich ihm nicht einen großen Coup zutrauen? Jeder Mensch hatte irgendwann im Leben die Chance für einen großen Coup. Er mußte sie nur erkennen und sein Glück wagen, mußte entschlossen zupacken. War das jetzt bei Pete der Fall? Hatte er einen Royal Flush, also die höchste Karte im Pokerspiel?
Oder bluffte er nur? Pete war alles zuzutrauen. Ich entschloß mich, griff in die Tasche meiner Jacke und holte das Geld hervor. Ich gab es Pete, und es war ein ziemlich dicker Packen. Es waren fast dreitausend Dollar. Wenn Pete sie verlor, würden wir unsere Pferde verkaufen müssen, um die Hotelrechnung bezahlen zu können. So war das also. Und ich vertraute jetzt Pete. Ich glich einem Blinden, der in ein Boot sprang, welches er gar nicht sehen konnte, so daß er gar nicht wußte, ob es schwimmfähig war oder untergehen würde. Pete zählte tausend Dollar ab und warf sie auf den Geldhaufen. »Nun, mein Freund«, sagte er zu dem kleinen Mann mit der Nickelbrille, »was jetzt, mein Bester? Ich kann noch eine Weile weitermachen, wie Sie sehen.« Der kleine Mann sah ihn an, als versuchte er seine Gedanken zu lesen, als wolle er in ihn hineinblicken wie in eine Glasvase. »Sie bluffen, Cowboy – Sie bluffen«, murmelte er. »Ich weiß genau, daß Sie nur bluffen, mein Guter.« Pete Jacks grinste. »Dann steigern Sie doch weiter oder decken Sie auf«, sagte er. »Aber der Bluffer sind Sie, Mister. Dessen bin ich sicher. – Na, wie wollen wir das herausfinden?« Der Kleine starrte auf sein vor ihm liegendes Kartenhäufchen. Es sah fast aus, als wollte er diese Karten hypnotisieren. Dann sagte er: »Ich habe kein Bargeld mehr. – Doch ich möchte noch nicht aufhören, wissen Sie, ich hab’ im Hof des Mietstalles einen Wagen, sechsspännig. – Und die Ladung ist was Besonderes. – Eine Windrad-Wasserpumpe. – Unter Brüdern ist das Ding zweitausend Dollar wert mit dem Wagen und dem Gespann. – Nehmen Sie das als Einsatz gegen den Rest Ihres Geldes? – Dann könnten wir aufdecken und sehen, wer von uns geblufft hat. – Na?«
Dieser Pete war ein Hundesohn. Ich begriff mit einem Mal, warum er Poker gespielt hatte und immer noch spielte bis in die Hölle und zurück. Pete mußte vom Teufel geritten worden sein, nachdem er sich mit hundert Dollar von mir verabschiedet hatte gestern im Saloon. Und zugleich mußte das Schicksal ihm mit einer seiner Launen beigestanden haben. Er grinste mich wieder an – voller Triumph, als wollte er sagen: Nun, nun – ich krieg’ dich schon noch, Freund Elroy. Dich pack’ ich schon noch. – Und dann zählen deine Ausreden nicht mehr. Er wandte sich an den Kleinen, nickte ihm zu. »Abgemacht, Mister Scott«, sagte er. »Sie glauben gar nicht, wie scharf ich auf Ihre Windrad-Wasserpumpe bin.« Seine Worte sollten spöttisch klingen, so als meinte er in Wirklichkeit genau das Gegenteil. Doch ich wußte es besser. Und auch dieser kleine Mister Scott hatte den Ernst gespürt. Pete warf mein ganzes Geld in die Tischmitte. »Aber ich möchte es schriftlich«, sagte er. Der kleine Mann, welcher Scott hieß, nickte. Er holte ein Notizbuch aus der Rocktasche. Er mußte eine Weile darin blättern, bis er eine leere Seite fand. Das Buch war vollgekritzelt mit Zahlen, Zeichnungen und dergleichen. Es war das Notizbuch eines Ingenieurs, und ich hielt ihn auch plötzlich für einen solchen. Er fand endlich eine leere Seite, schrieb darauf, riß sie aus und legte sie auf das Geld. Dann sah er Pete an, holte tief Atem und deckte auf. Wir alle schnauften hörbar. Denn eines wurde uns in dieser Sekunde klar, da wir seine Karten sahen: Scott war ein Bluffer. Denn mit diesem Blatt hätte er nicht so hoch mitbieten und mit aller Macht im Spiel bleiben dürfen. Mit solch einem Blatt paßte man entweder früh oder war sicher, daß man den Gegenspieler aus dem Spiel
bluffen konnte. Doch mir fiel ein, daß Pete mit seinem Geld ja eigentlich am Ende war. Dieser kleine Mann da hätte ihn wahrhaftig aus dem Spiel geblufft, wenn ich nicht mit meinem Geld gekommen und es Pete gegeben hätte. Diesem Scott wäre es wahrhaftig gelungen. Und plötzlich hielt ich ihn gar nicht mehr für leichtsinnig oder dumm. Nein, er war es nicht. Er hatte Petes Geldmenge genau abgeschätzt. Sein Geld reichte länger. Es war so einfach für ihn. Und daß er schließlich doch noch im Spiel blieb unter Einsatz all seiner Mittel, dies war gewiß damit zu erklären, daß er Pete ebenfalls für einen Bluffer hielt. Und darauf nämlich zwei jämmerliche Paare und einen König aufgedeckt, also zwei Zweier, zwei Vierer und den King. Das war wirklich nicht viel. Und Pete? Er grinste wieder und machte zwei Vierer. Es waren genau die Gegenstücke. Und da beim Poker alle Farben gleich sind, kam es bei Pete auf die fünfte Karte an. Sollte es auch ein König sein? Das wäre ein besonderer Witz des Schicksals gewesen. Aber es war kein König. Es war ein As. Das Kreuz-As. Pete hatte gewonnen. – Und er war ein Bluffer wie Scott. Denn auch seine Karte war nicht mal Durchschnitt. Mit solch einer Karte bot man nicht lange mit. Da konnte man ja schon von einem einzigen Dreier geschlagen werden. Pete hatte geblufft und sich dabei auf mein Geld verlassen. Er hatte alles auf diese miese Karte gesetzt, um diese Windrad-Pumpe zu bekommen. Jetzt hatte er sie. Und ich wußte, was er damit wollte.
Denn er gewann ja nicht nur die Windrad-Wasserpumpe und den Transportwagen, nein, es lag ja noch ein Haufen Geld auf dem Tisch. Bevor ich kam, sollten es siebentausend Dollar etwa gewesen sein. Das hatte der Bote gesagt, den er zu mir sandte. All die anderen Mitspieler mußten also am Anfang kräftig mitgehalten haben. Nun stöhnten sie. Einer, der städtisch gekleidet war und wie ein erfolgreicher Geschäftsmann aussah, sagte bitter: »Und ich hatte drei Damen und lasse mich aus dem Spiel bluffen. Aaaah, man lernt doch nie aus beim Poker.« Er schob seinen Stuhl zurück, trat dann an den Tisch, auf dem die Getränke standen, und schenkte sich einen Whisky ein. Andere folgten seinem Beispiel. Sie bildeten eine übernächtigte, trinkende, enttäuschte Gruppe, die ihre Bitterkeit mit Whisky besänftigen mußte. Pete Jacks steckte zuerst die Überschreibung ein. Dann begann er das Geld zu zählen. Jener Scott saß ihm gegenüber, sah ihm zu, schluckte manchmal. Pete sagte zwischen dem Zählen: »Mister Scott, wenn Sie was trinken wollen … Natürlich geb’ ich noch einen aus. Ist ja selbstverständlich.« Er war ein Hundesohn, dieser Pete. Er hatte diesen Mann abrasiert, ihn blank gemacht wie einen Salzstein, an dem die Tiere leckten. Warum war er so hart und schob ihm nicht einen Hunderter hinüber? Aber als ich mich das fragte, wußte ich es auch schon. Es war ja klar, daß Pete diesen Mann brauchte. Und nur, wenn dieser völlig blank war, würde er für Pete arbeiten. Pete wandte sich mir zu, indes die anderen Mitspieler mürrisch und schnaufend die Spielhalle verließen. John Brown, der Besitzer, hatte selbst mitgespielt. Er fragte: »Können wir schließen?«
»Gleich«, erwiderte Pete. »Nur noch zwei oder drei Minuten.« Er sah dabei nicht John Brown an, sondern mich. Und er reichte mir mein Geld zurück, welches er leicht aussortieren konnte, weil es ja oben lag und überdies besondere Kniffe hatte, weil ich es auf eine bestimmte Art zu falten pflegte. »Natürlich sind wir Partner«, sagte er, und ich erkannte die wilde Freude in seinen Augen, sein Frohlocken, daß ihm alles geglückt war und er mich nun in der Klemme zu haben glaubte. »Denn für dein Vertrauen zu meinen Karten mußt du ja wohl belohnt werden. – Du hast eine Menge riskiert für deinen guten Freund Pete. – Dir gehört die halbe Windrad-Wasserpumpe.« Ja, das war es also. Ich traute ihm zu, daß er von Anfang an hinter dieser Windrad-Wasserpumpe hergewesen war, nach ihrem Besitzer fragte und ihn in Browns Spielhalle fand. Dann kaufte er sich mit seinen hundert Dollar in dieses Spiel ein und gewann offenbar, so daß sein anfänglich geringes Spielkapital wuchs. Das Schicksal wollte also, daß er die Pumpe gewann, daß alles so kam, wie es Pete sich wünschte Ich wußte auch schon, was er im Sinn hatte. Er wollte zurück auf die Blaugrasebene. Verdammt ja, das wollte ich auch. Seit ich gestern das Ding im Hof des Mietstalles sah, dachte ich immer wieder daran. Und ich spürte, wie alles, was ich in meinen innersten Kern verbannt hatte, immer wieder sich zu regen begann. Wir blickten auf dieser kleinen Scott, der immer noch am Tisch saß und mit sich kämpfte. Nun erhob er sich und goß sich am Getränketisch ein. Er schüttete ihn mit einem Ruck herunter. Dann sah er uns an. »Vielleicht brauchen Sie mich«, sagte er. »Ich hab’ diese Windrad-Wasserpumpe konstruiert. – Wir haben eine kleine
Werkstatt in Ohio. Meine Brüder stellen diese Dinger her. – Ich war unterwegs, um sie überall anzubieten. Bestellungen aufzunehmen und …« Seine Stimme wurde heiser. Er brach ab. Wahrscheinlich fühlte er sich als Versager, weil er das Vorführstück im Poker verloren hatte. »Mich muß wohl der Teufel geritten haben«, murmelte er nach einer Weile. »Meine Familie wartet auf Aufträge – und ich …« Pete Jacks grinste. »Mister Scott«, sagte er, »wenn Sie mit uns kommen und die Tauglichkeit dieses Dings demonstrieren, werden Sie Aufträge genug bekommen. Denn dort, wo wir dieses Ding aufstellen, weht immer Wind und ist das Wasser nicht tiefer als fünf Yard zu finden. – Ja, wir brauchen Sie, Scott. – Wie ist denn Ihr Vorname?« »Pernel«, erwiderte er. »Und ich bin ein richtiger Maschinenbauingenieur. Bitte unterschätzen Sie mich nur nicht, weil ich so klein bin und beim Poker bluffte. Das wäre falsch.« Wir sahen ihn an. Und wir spürten, daß dieser kleine Mann wirklich ernst zu nehmen war. »Gehen wir frühstücken«, sagte Pete. »Und dann besprechen wir alles. – Nicht wahr, Roy? – Übrigens, Pernel Scott, dies ist mein Partner Elroy Cashmoore.« Wir gingen, und John Brown war froh, daß er hinter uns seine Spielhalle schließen konnte. »Ich habe mehr als fünfhundert Dollar verloren«, sagte er zu Pete. »Wann geben Sie mir Revanche, Cowboy?« »Wenn ich wieder nach Elkhorn komme«, grinste Pete. »Und das könnte bald sein, wenn wir die nächste WindradWasserpumpe holen.« Ich staunte über Pete. Denn er war siegesgewiß, so als könnte gar nichts schiefgehen.
Hatte er denn ganz und gar Truck Haggerty vergessen? Glaubte er denn, unser Problem wäre gelöst, dadurch, daß wir genug Wasser auf die Ebene und in das alte Creekbett brachten? * Ich nahm für Sue das Frühstück auf unser Zimmer. Als ich an einer Zimmertür vorbeikam, öffnete sich diese. Ein bulliger Mann trat im Unterzeug halb heraus und sagte: »Ich möchte auch das Frühstück hier oben im Zimmer. Aber schnell!« »Ja, ich beeile mich, Sir«, sagte ich eifrig. »Sie bekommen gleich ein richtiges Schlemmerfrühstück ins Bett.« Er brummte zufrieden und zog sich wieder in sein Zimmer zurück. Im Halbdunkel hatte er mich kaum angesehen, nur auf das Tablett mit dem Frühstück gestarrt. Ich ging in unser Zimmer und deckte den Tisch. Dann weckte ich Sue. Sie rieb sich die Augen und fragte dann: »Ja, brauchst du denn gar keinen Schlaf? – Was wird das für ein Leben mit dir, wenn du ständig wach bist?« Ich sagte nichts, sah ihr nur zu, wie sie aus dem Bett stieg und sich zu mir setzte. Sie sah mir bald schon an, daß ich Probleme hatte; sie spürte das mit dem untrüglichen Instinkt einer liebenden Frau. Und so trank sie nur zwei Schluck Kaffee und aß nur zwei Bissen von den Eiern mit Speck. Dann sprach sie schon: »Also sag es! Sag es frei heraus! Was ist los? Es muß doch etwas geschehen sein, daß du nicht mal richtig wahrnimmst, wie dünn mein neues Nachthemd ist.« Ja, sie hatte recht. Eigentlich hätte ich sie in die Arme nehmen müssen, weil mir bei ihrem Anblick das Frühstück gar nicht mehr hätte wichtig sein dürfen. Und wahrscheinlich hatte sie sogar darauf gewartet, daß ich ihr zeigte, wie sehr ich sie begehrte und mich
nach ihren Zärtlichkeiten sehnte – vor dem Frühstück. Doch ich hatte ja dieses Problem mit Pete Jacks und der Windrad-Wasserpumpe. Ja, es war ein gewaltiges Problem. Denn ich wußte eines: Wenn wir zurück auf die Blaugrasebene gingen, würde Truck Haggerty nicht lange zusehen, wie wir Wasser aus der Tiefe holten. Das Gras würde bald schon mit Blut getränkt werden – nicht nur mit Wasser. Ich sah Sue an und erzählte ihr alles. Sie hörte wortlos zu. Doch sie frühstückte dabei. Auch ich tat das, indes ich erzählte. Plötzlich war alles ein nüchternes Gespräch. Ich endete mit den Worten: »Natürlich hat es mich mächtig viel Überwindung gekostet, von Green Creek und der Blaugras-Ebene wegzugehen. Immerhin hatte ich mir bereits eine kleine Ranch geschaffen. – Doch ich gab auf, um kein Blut vergießen zu müssen. – Aber was nützte mir das? Stag Pinalto war immer noch hinter mir her und zwang mich zum Kampf. Ich denke jetzt, daß es Schicksal ist, ob ein Mann kämpfen muß oder nicht. – Und wohin wir auch gehen mögen, würde sich in einer Sache nichts ändern: Ich könnte nicht noch mal fortlaufen. Also ist es besser, einfach zu bleiben. Daß Pete Jacks eine solche Menge Kleingeld gewann, um damit mehr als die doppelte Anzahl von Rindern kaufen zu können, daß auch ich von unserem Erlös für die Herde eine neue und größere in Texas kaufen kann – und daß wir diese Windrad-Wasserpumpe bekamen – dies kann doch nur der Wille eines Schicksals sein, dem wir folgen müssen. – Oder?« Sie sah mich fest an. »Glaubst du an die Unwandelbarkeit eines Schicksals?« Ich nickte. »Ja.« Sie sah mich an und lächelte ernst. »Dann gehen wir also zurück«, sagte sie. »Bekomm’ ich
vorher noch ’nen Kuß?« Es wurde keine Hochzeit mit einer Feier, sondern nur eine Trauung. Sue Wagoner wurde Mrs. Cashmoore. Wir nahmen einige Dinge aus Elkhorn mit, die in Green Creek nicht zu bekommen waren. Dann brachen wir auf. Pete Jacks ritt an der Spitze. Ihm folgten Pernel Scott mit dem Transportwagen der Windradpumpe. Dieser kleine Pernel Scott sagte nicht viel. Er schien uns immer noch zu studieren. Zu Sue war er höflich wie ein Gentleman. Er hatte alle Hände voll zu tun mit dem MaultierSechsergespann, und es wurde für uns erkennbar, daß er trotz seines kleinen und fast schmächtig wirkenden Wuchses ein harter und zäher Bursche war, der über einige Körperkraft verfügte. Er gehörte zu diesen kleinen Männern, die auch einen um mehr als einen Kopf größeren Burschen mit einem präzise geführten Schlag von den Beinen zu schlagen imstande sind. Sue und ich machten mit unserem Wagen den Schluß. Und wir kamen gut vorwärts und konnten hoffen, daß wir in fünf Tagen etwa in Green Creek eintreffen würden. Dann aber, ja, was würde dann sein? Ich traute Truck Haggerty zu, daß er schon wußte, was in Elkhorn geschehen war und wir mit einer Wasserpumpe zurück auf die Blaugrasebene kamen. Stag Pinalto war gewiß nicht allein nach Elkhorn gekommen. Und wenn ja, dann hatte Haggerty ihm jemand nachgeschickt. Ja, Haggerty würde schon Bescheid wissen. Was würde er tun? Daran dachte ich manchmal. Aber dann wieder freute ich mich zu sehr über meine schöne Frau. Wir hatten einige schöne Tage und Nächte unterwegs. Es war ja gewissermaßen unsere Hochzeitsreise. Und wir genossen sie geradezu hungrig, so als wüßten wir, daß wir bald keine Zeit mehr haben würden für Zärtlichkeiten.
Manchmal kamen wir erst eine Stunde später in das Camp, welches Pete Jacks und Pernel Scott schon aufgeschlagen hatten. Sie grinsten dann stets verständnisvoll. Pernel Scott wurde im Verlauf der Tage zugänglicher. Manchmal diskutierte er mit Pete über Poker und darüber, daß sie sich beide hätten bluffen wollen und Pete nur ein geringfügig besseres Blatt gehabt hätte. – Pernel Scott schien es nicht übelzunehmen. Es wurde mir beim Zuhören ihrer Unterhaltung immer wieder klar, daß dieser Pernel Scott ein Spieler war, zumindest ein Bursche, der den Reiz des Abenteuers liebte, und auch solch ein riskantes Pokerspiel war ein Abenteuer für ihn. In diesem kleinen Mann steckte eine gewisse Lust am Nervenkitzel. Und so war er wahrscheinlich auch für uns der richtige Mann. Denn inzwischen hatten wir ihn aufgeklärt über die Verhältnisse im Green-Creek-Land und auf der Blaugrasebene. Er wußte, daß es sehr risikoreich sein konnte, wenn wir eine Windrad-Wasserpumpe aufstellten und damit ein Beispiel gaben für alle Nachbarn. Er war furchtlos und würde so schnell nicht davonlaufen. Eines Tages erreichten wir Truck Haggertys Gebiet. Wir hielten Ausschau nach ihm, und ich war fast sicher, daß er kommen würde. Aber er war viel schlauer, als ich dachte. Er kam nicht selbst. Er schickte seinen Revolvermann Johnny Ringloke. Ich hätte das gleich wissen sollen. Ein Mann wie Truck Haggerty sicherte sich ab. Vielleicht weilte er jetzt in Green Creek und ließ sich dort die Haare schneiden, war also weit weg vom Schuß. Johnny Ringloke kam mit drei Reitern. Aber sie hielten sich zurück. Es waren Revolverreiter. Sie würden auf Pete Jacks und Pernel Scott achten, natürlich auch
auf Sue. Ich spürte, wie Sue sich neben mir auf dem Wagensitz anspannte, als Johnny Ringloke mit seinen Männern die Furt versperrte, durch die wir auf die andere Seite mußten, weil der Wagenweg drüben weiter nach Green Creek führte. Wir hielten an. Johnny Ringloke kam aus dem Creek geritten. Er sah im Vorbeireiten auf Pete Jacks. Dieser sagte etwas zu ihm, was ich nicht verstehen konnte. Und Ringloke grinste nur als Antwort. Dann sah Pete Jacks auf die drei Begleiter des Revolvermannes. Ich verstand sofort, daß unsere Aufgaben verteilt waren. Pete Jacks würde die drei Revolverschwinger nicht durch die Furt lassen. Ich aber mußte mit diesem Johnny Ringloke zurechtkommen. Oder er mit mir! Er hielt knapp acht Schritte vor unserem Wagen an, nachdem er im Vorbeireiten einen Blick auf Pernel Scott und den langen Wagen mit den hinten herausragenden Bauteilen geworfen hatte. Vor Sue griff er an die Hutkrempe und machte eine leichte Verbeugung im Sattel. »Wir haben schon gehört, daß ihr in Elkhorn geheiratet habt«, sagte er und ließ uns durch diese Worte schon erkennen, daß sie uns auch in Elkhorn beobachten ließen und über jeden unserer Schritte informiert waren. »Meinen herzlichen Glückwunsch.« Er grinste nach dieser Einleitung. Wir nickten nur, schwiegen und warteten. Er kam auch sofort zur Sache. »Dieser Bulle Stag Pinalto«, sprach er weiter, »hat dich also nicht mal mit einer Schrotflinte schaffen können. – Wie dumm er doch war, als er zum ersten Male in seinem Leben auf einen richtigen Mann stieß, auf einen Großen, von denen es nur sehr
wenige gibt außer dir und mir. – Stag Pinalto war nur für grobe Arbeit brauchbar.« Wieder machte er eine Pause. Ich schwieg. Sue schwieg neben mir, doch ich spürte, wie angespannt sie war und wie sehr sie sich sorgte. Johnny Ringloke wandte sich an sie. »Ma’am, wenn Sie etwas Einfluß auf ihn haben und ihn noch eine Weile in diesem Leben behalten wollen, dann überreden Sie ihn bitte zur Umkehr. – Jetzt, auf der Stelle.« »Ist das ein Befehl, Mister?« Er lächelte blitzend, und er war ein hübscher Bursche – er wirkte wie ein schwarzer Panther. An ihm war alles dunkel – Haare, Augen, und unter seiner Haut schimmerte bläulich der Bartwuchs. In diesem dunklen Gesicht blinkten seine Zahnreihen besonders auffällig. »Eine Bitte, Ma’am«, erwiderte er. »Und ein Rat.« Ich griff nun ein, denn ich wollte nicht länger herumtändeln. Ich hielt ihn für einen Burschen, der auf diese Art seinen Gegner nervlich fertigmachen wollte. Er arbeitete mit allen Tricks. Und er war völlig von sich überzeugt. Er war ein Bursche, der an keine Niederlage dachte. Dies drückte er jetzt besonders deutlich aus; es »strömte« von ihm aus, traf mich fast körperlich. Ja, er war ein Großer der Gilde. Bei ihm war alles anders als mit all diesen Revolverschwingern, die mir bisher begegnet waren. Einen Moment verspürte ich Sorge. Denn ich dachte an Sue. Doch dann warf ich all diese Gedanken gewissermaßen über Bord. Ich hörte mich sagen: »Komm endlich zur Sache, Freund.« Es war etwas in meiner Stimme, das ihm sagte, daß meine Nerven gewiß nicht schlechter waren als seine. Er begriff in diesem Moment, daß sein Tändeln mich nicht nervös machen
würde. Und so änderte er seine Taktik. Er schwang sich vom Pferd. Er tat es langsam und machte keine schnelle Bewegung, die mißverstanden werden konnte. Ich stieg vom Wagen. Hinter mir hörte ich Sues stöhnendes Atmen – aber sie sagte nichts. Sie verhielt sich still, griff nicht ein, versuchte nichts. Sie wußte, daß sie mir dadurch half. Denn die geringste Ablenkung würde mich vielleicht jenen winzigen Sekundenbruchteil kosten, von dem mein Leben abhing. Man konnte sich auf Sue verlassen. Sie stand solch eine höllische Sache durch, obwohl es ihr sehr, sehr schwer fiel. Ringloke stellte sich breitbeinig hin. Seine Hand hing hinter dem Revolverkolben. Ich wurde mir nur beiläufig bewußt, daß ich nicht anders handeln konnte. Wir suchten beide besten Stand, um die Kugeln aufzufangen, ohne besonders zu schwanken. Denn nur bei ruhigem und festem Stand konnte man selbst genau schießen. Ja, wir wußten, daß wir uns mit heißem Blei treffen würden. Es war nur die Frage, wie gut oder wie schlecht wir einander trafen. Johnny Ringloke lächelte wieder blitzend. »Ich wollte schon immer gern wissen, wie schnell du bist«, sagte er. »Und gleich finden wir’s heraus, nicht wahr? – Gleich werden wir’s wissen! Du Narr, warum bist du zurückgekommen?« »Weil ich Haggertys Wasser nicht mehr brauche«, erwiderte ich. »Weil ich glaubte, mit Haggerty nicht um den Creek kämpfen zu müssen.« Er schüttelte den Kopf. Dann zog er. Ich sah die Bewegung – und meine Reflexe waren schneller als meine Gedanken.
Als ich in Johnny Ringlokes Mündungsfeuer sah, spürte ich auch den Rückstoß meiner Waffe in der Faust. Ich sah, wie meine Kugel traf, und schwankte einen halben Schritt rückwärts, weil mich Ringlokes Kugel stieß. Ich schoß weiter, sah sein Mündungsfeuer, wurde eingehüllt von meinem Pulverrauch – und mußte nieder auf ein Knie. Ringloke saß am Boden – nein, er kauerte, hockte auf seinen Fersen. Dann legte er sich auf die Seite. Ich spürte meine Wunden. Sue kam und kniete neben mir. »Roy!« Es drang wie durch Nebel in mein Bewußtsein. Und dann erhob ich mich mit ihrer Hilfe. Aber ich konnte nicht gehen. Mein rechtes Bein schmerzte und knickte unter mir weg. Und in meiner Schulter mußte ein mächtiges Loch sein. Denn das Blut lief mir unter dem Hemd am Körper nieder. Pernel Scott war plötzlich an meiner anderen Seite. Er half Sue. »Stopft die Löcher zu«, sagte ich mühsam. Dann wurde mir erst mal schwarz vor Augen. * Ich erwachte, als sie mich in Green Creek aus dem Wagen hoben und ins Haus des Doc trugen. Sue half dann dem Doc. Wahrscheinlich war Hank Warwik gar kein richtiger Doc. Es gab ein Gerücht, daß er es mal in der Armee bis zum Sanitätssergeant gebracht hatte, dann aber wegen ständiger Trunkenheit degradiert und aus der Armee gejagt worden wäre. Doch in unserem Land war ein einstiger Sanitätssergeant als Doc doch besser als gar kein Arzt. Denn er verstand sich auf Schußwunden, Knochenbrüche und Geburten. Auch meine Wunden behandelte er gut. Die Kugel im Muskel des Oberschenkels mußte er herausschneiden. Meine
Schulterwunde war ein glatter Durchschuß. Ich fragte Sue, was denn mit Johnny Ringloke geschehen sei. Sie zuckte mit den Schultern. »Seine Begleiter haben ihm die Kugellöcher zugestopft. Du hast ihn dreimal getroffen. Sie mußten eine Schleppbahre anfertigen und …« Jemand klopfte an die Tür. Eine rauhe Stimme rief: »Doc, Sie sollen sofort zu unserem Vorwerk an der Furt bei den ›Seven Sisters‹ kommen. – Es eilt! – Ringloke ist schlimm angeschossen. – Der stirbt, wenn Sie sich nicht beeilen! Und Haggerty macht Ihnen Beine, wenn Sie nicht flink sind. – Verstanden? – He, Doc, hören Sie mich eigentlich?« Der Mann rüttelte an der Tür, brach fast den Knauf. Und der Doc brüllte: »Ich komme! – Ja doch, ich komm’ ja schon! Hol mir lieber das Pferd aus dem Mietstall, du Brüllkopf!« Er war ja auch schon fast fertig mit mir. Sein aufgeschwemmtes Säufergesicht zuckte nervös. Er sah auf mich nieder, indem er meine Schulterwunde versorgte. »Da bekomme ich wohl mächtig Arbeit«, brummte er. »Jetzt ist bei euch allen wohl ein mächtiger Knoten geplatzt? – Und ihr werdet euch gegenseitig umbringen, weil jeder für sich das Beste haben möchte. – Ihr solltet euch zusammensetzen und besaufen. – Im Rausch werdet ihr vielleicht gute Freunde. – So, das wäre hier alles erledigt. – Ich bin fertig. Ich bekomme zwanzig Dollar für ärztliche Bemühungen, Verbandszeug und dergleichen. – Legt mir das Geld unter den Aschenbecher auf meinem Schreibtisch, bevor ihr das Haus verlaßt. – Ich muß eilen!« Er packte seine Instrumente in eine große schwarze Tasche, setzte seine Melone auf, nahm eine fast leere Schnapsflasche und trank sie aus. Dann lief er hinaus.
Er hatte Angst vor Haggerty. Ich saß im Reitsitz auf dem Stuhl, hatte meine Arme auf der Lehne und sah zu Sue hoch. »Da wärst du fast schon Witwe geworden«, sagte ich. »Und vielleicht wirst du es auch bald. – Damit mußt du rechnen. – Aber ich kann und will jetzt nicht mehr davonlaufen. Verstehst du?« Sie nickte und kam dann, um mir in das Hemd zu helfen. Sie hatte mein Reservehemd geholt. Pete Jacks kam herein. Er sagte: »Draußen ist die ganze Bürgerschaft der Stadt zusammengelaufen und läßt sich von Pernel Scott die Funktion und Arbeitsleistung seiner WindradWasserpumpe erklären.« »Das ist gut«, erwiderte ich. »Dann glauben sie hier in Green Creek vielleicht doch wieder an die Zukunft und geben nicht so schnell auf. – Das ist gut. Wir sollten das Ding so schnell wie möglich aufbauen und in Betrieb nehmen. Los, Pete, wir brechen auf zur Cashmoore-Ranch. – Helft mir!« Sie halfen mir. Pete schob seine Schulter unter meine Achselhöhle, so daß ich ihn gewissermaßen als Krücke benutzen konnte und mein verwundetes Bein schonte. Die Leute standen draußen wirklich um den großen Wagen und betrachteten staunend die Bauteile des Windrades. Ich hörte jemanden fragen: »Aber weht denn der Wind stark genug für solch eine Windrad-Wasserpumpe?« Pernel Scotts Stimme erwiderte aus dem dichten Kreis der Neugierigen: »Diese Pumpe holt bei Windstärke zwei tausend Liter Wasser in einer Stunde aus einer Tiefe von fünf Yard. – Und sie fördert Tag und Nacht ohne Pause. Bei steigender Windstärke erhöht sich die Pumpleistung noch. Erst bei Windstärke fünf wird eine automatische Bremse wirksam. Denn das Rad würde sich zu schnell drehen. Die Drehzahl darf hundert Umdrehungen in der Minute nicht übersteigen. – Und eines müßt ihr wissen, Leute! Dieses
Wasserversorgungssystem hat eine fünfhundert Jahre alte Tradition. Es wurde technisch nur immer verfeinert. – Diese Pumpe wurde von mir und meinen Brüdern konstruiert und ist das modernste Ding dieser Art. – Wir verkaufen diese Windpumpe an jeden Interessenten. – Hier hab’ ich einige Prospekte mit genauen Zeichnungen. – Bitte sehr, Leute! Seht euch das alles in Ruhe an.« Ich hörte das, indes sie mich zum Wagen brachten. Ich kam gut hinauf, und Sue setzte sich neben mich und nahm die Zügel. Die Leute hatten sich jetzt mir zugewandt. Jemand fragte: »Cashmoore, stellen Sie das Ding auf Ihrer Ranch auf?« »Sicher«, sagte ich. »Und ein paar von diesen Dingern bewässern die ganze Blaugrasebene. – Ihr könnt es euch ja ansehen in ein paar Tagen.« Sue fuhr an. Pete Jacks schwang sich in den Sattel. Und auch Pernel Scott nahm seinen Fahrersitz ein und löste die Bremse. Wir verließen die Stadt. Ich mußte schnell wieder gesund werden. Hoffentlich kam das Wundfieber nicht so früh, sondern erst, wenn wir die Ranch erreicht hatten. * Nun, meine Ranch, auf der ich bisher allein gelebt hatte, war zu klein für uns alle. Einige meiner Nachbarn hatten überdies auch noch weggeholt, was sie gebrauchen konnten. Für sie war das ja eine verlassene Ranch. Es fehlte also einiges an Möbeln und Gebrauchsgegenständen, Bauholz und Werkzeugen. Ich lag drei Tage flach und hatte Fieber. Am vierten Tag ging es mir besser. Und am fünften Tag stand ich schon auf und hinkte mit Hilfe eines Stockes vor die Tür. Sue war drüben bei den Männern. Sie zogen einen Graben zum Creek. Die Windpumpe war
aufgebaut. Es war ein Holzturm, auf dem sich das Windrad befand. Der Turm stand über dem Brunnen. Ich schätzte die Höhe des Windrades auf etwa sieben Yard. Ein verzinktes Eisenrohr führte über Lagerböcke nach unten in den Brunnen. Unten befand sich die Membranpumpe. Sie saß auf einem Schwimmer und hatte ein oberes und ein unteres Ventil. Die Membrane war aus Naturgummi. Die Windmühlenblätter waren noch so gedreht, daß das Rad nicht rotieren konnte. Auch war die Bremse fest. Die Männer und Sue arbeiteten noch an dem Kanal, welcher ein Creek werden würde. Dieser kleine Bachlauf führte durch die Corrals, den geplanten Gemüsegarten und über die voraussichtlichen Weidekoppeln. Unser kleiner Bach mündete dann in den jetzt trockenen Green Creek. Er würde ihn ein wenig befeuchten. Aber man konnte ihn da und dort anstauen, so daß Tümpel entstanden. – Und vielleicht gab es eines Tages hier noch mehr Pumpen. Wasser war genug in der Erde. Da hatte ich keine Sorge. Mit Hilfe des Windes, welcher fast immer über der Blaugrasebene wehte, würden wir es an die Oberfläche fördern. Und Truck Haggerty konnte uns den Buckel rauf- und runterrutschen. Sue und die beiden Männer waren nun fertig. Sie schulterten ihre Hacken und Schaufeln und kamen herüber. Als sie mich auf der Bank an der Hauswand sahen, winkten sie mir zu. »Jetzt kommt der große Moment!« Pete Jacks rief es. Sue kam zu mir. Wir sahen, wie Pernel Scott auf den Holzturm kletterte und die Flügel des Windrades verstellte. Dann kam er herunter und löste die Bremse. Das Ding setzte sich langsam in Bewegung. Der Wind war nicht sehr stark. Es war ein leichter Frühsommerwind. Wir blickten auf das Abflußrohr, welches ein Stück über dem Brunnenrand vom großen Trägerrohr abzweigte.
Wir hörten unten im Brunnen das Schmatzen der Pumpe. Dann wurde es leiser und leiser und veränderte sich in ein surrendes Geräusch. Und dann kam das Wasser aus dem Abflußrohr. Es war ein armdicker Strahl wie von einer kräftigen Handpumpe. Und dieser Strahl würde nun Tag und Nacht fließen, solange der Wind das Rad drehte. Wir freuten uns. Pete Jacks klopfte Pernel Scott auf die schmalen Schultern. »Kamerad«, sagte er, »du wirst noch mächtig froh sein über die Nacht und den Morgen, an dem du diese Windpumpe an mich im Poker verspielt hast. – Du wirst Aufträge bekommen, Aufträge, daß ihr in eurer kleinen Fabrik gar nicht so rasch liefern könnt. – Ich würde schon mal auf dem Postweg eine Bestellung von einem ganzen Dutzend aufgeben. – Denn bis die Dinger aus Ohio hier eintreffen, wird hier alles in unserem Sinne geklärt sein. – Dann werden sich einige Dutzend Leute um Windpumpen reißen. – Glaub’s mir, Kamerad! Zeig mal, daß du nicht nur beim Poker was zu wagen bereit bist. – Zeig’s uns!« Pernel Scott blieb ernst. Er sah auf mich und auf Sue – dann schweifte sein Blick über die unendlich weite Ebene, welche voller Blaugras war, das fast wie ein Meer wogte. Der Blick reichte fünfzig Meilen weit. Es war fruchtbare Weide. Noch war sie blaugrün. Die Trockenheit würde aber bald schon alles braun färben, wenn es nicht regnete und der Creek kein Wasser mehr bekam. Es war eine weite, fruchtbare Ebene, allerbeste Weide, weil das Blaugras ganz besondere Mineralien enthielt, die jede Züchter von Rindern, Pferden und Maultieren begünstigten. Aber auch als Farmland würde dieser Boden reiche Ernten versprechen. – Und es war Platz für Dutzende von Ranches und Farmen. Ja, hier würden Dutzende von Windpumpen gebraucht
werden. Nach solch einem Stück Land hätte Pernel Scott sehr lange suchen können. Er sah auf Pete Jacks. »Mit den Windpumpen«, sagte er, »geht es sehr schnell. Wir brauchen sie nicht aus Ohio kommen lassen. Wir haben zwei Dutzend verschifft. – Sie lagern jetzt in Kansas City. – Und von Kansas City nach Nebraska ist es nicht weit. – In zwei Wochen könnten die Dinger hier sein, wenn mein Brief nicht länger als vier Tage mit der Expreßpost unterwegs ist. – Und so schnell könnt ihr die Windpumpen hier gewiß gar nicht brauchen.« Pete Jacks war sprachlos. Ich sagte zu ihm: »Also mach dich auf die Socken. Wir brauchen Rinder! Reite nach Kansas und kauf Rinder. – Bring eine Herde. – Wenn du sie günstig kaufen kannst, könnte das Geld für fünfhundert Tiere reichen. – Warum bist du eigentlich überhaupt noch hier?« Er schnappte nach Luft, der gute Pete. Dann begriff er, daß ich ihn so schnell wie möglich wieder bei mir haben wollte. Und je früher er losritt, um so schneller war er auch mit den Rindern wieder hier. Wir mußten diese Weide besetzen. Sonst brachte vielleicht Haggerty eine Herde her. Ja, dies traute ich Haggerty zu. * Die Tage vergingen. Ich wurde langsam gesund, lief schon ein wenig umher an meinem Stock und begann leichte Arbeiten zu verrichten. Pernel Scott zeigte mir, wie man die Lager und Stangen der Pumpe schmieren mußte. Das Wasser lief Tag und Nacht aus dem Rohr, füllte unseren kleinen Bach, bewässerte Weidekoppeln, Corrals, Garten und
rann weiter zum Creek. Wir hatten einige Stauvorrichtungen geschaffen, so daß wir den Wasserstand ständig kontrollieren konnten. Tümpel entstanden. Manchmal kamen Nachbarn herbei, um sich alles anzusehen. Einige dieser Nachbarn brachten uns auch das Zeug zurück, welches sie sich von der Ranch geholt hatten, weil sie dachten, sie wäre von uns aufgegeben und verlassen. Pernel Scott verehrte Sue, und er machte sich nützlich da und dort. Er war ein rastloser Bursche. Manchmal zwar war er fort, weil er die Nachbarn beriet in der Aufstellung weiterer Windpumpen. Nach einigen Tagen hatte er bereits mehrere Aufträge. Ich fragte ihn: »Und du vertraust darauf, daß Haggerty sich das gefallen lassen und nichts unternehmen wird?« Da sah er mich ernst an. »Ich setze meine Chips auf dich«, sagte er. »Ich hab’ dich kämpfen sehen. Ja, ich glaube, daß Haggerty an dir zerbrechen wird, sollte er die neue Zeit aufhalten wollen. Ich setze alle meine Chips auf dich. – Und bald werden es auch die anderen Leute tun. Dann wird Haggerty kommen. Du wirst ihn zerbrechen. – Und wir werden einige Dutzend Windpumpen in diesem Land verkaufen. – Meine Familie wird sich freuen über die vielen Aufträge. – Was bedeutet da schon eine Pumpe, die ich im Poker gegen einen listigen Burschen verlor?« Ich sah Sue an, die mit uns am Tisch saß und das Abendbrot verzehrte. Sie machte sich Sorgen und versuchte sie zu verbergen. Schließlich sagte sie: »Ich wundere mich schon die ganze Zeit, warum Haggerty uns bisher gewähren ließ und noch nichts unternahm. – Roy, was bedeutet das?« Ich lächelte, und mein Lächeln war gewiß etwas bitter. Dann erwiderte ich: »Oh, mein Liebes, das ist einfach zu erklären. – Haggerty hat gegen mich schon zwei seiner besten Männer verloren – Pinalto und Ringloke, die vielleicht nie
wieder kämpfen können, wenn sie jemals gesund werden. Haggerty wird einen noch besseren Mann anwerben. – Und das dauert seine Zeit. Meine Schonzeit ist bald vorbei. – Wen Haggerty auch suchen und kommen läßt, er wird bald kommen – wenn er nicht schon hier im Land ist.« Sue sagte nichts. Aber als sie dann das Geschirr abwusch, klapperte sie damit lauter als sonst in der Spülwanne. Sie war erregt. Und in der Nacht dann, als sie in meinem Arm lag, da sagte sie: »Roy, wie kannst du dich schützen? – Was wirst du tun?« »Ich weiß es nicht«, murmelte ich und küßte sie. »Weißt du, ich kann es nicht so leicht erklären. Doch ich will es versuchen. Es ist nämlich eine merkwürdige Sache mit uns Revolvermännern. – Wenn sie auf einen Gegner warten, dann sind sie wahrscheinlich übersensibel. Denn sie vermögen Strömungen aufzufangen, haben irgendwelche Ahnungen, spüren Warnsignale. – Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber es ist wahrscheinlich ganz einfach so, daß ein geheimnisvoller Instinkt sie warnt. Es geht solch einem Revolvermann etwa so wie einem Wolf, der plötzlich unruhig und noch wachsamer als sonst wird, weil er spürt, daß ein anderer Wolf in sein Revier eingedrungen ist.« »Oh, ich versteh’ dich gut«, sagte Sue. »Alle Lebewesen haben Instinkt – oder wie man es auch sonst nennen mag. Ja, ich glaube schon, daß man spüren kann, wenn ein Todfeind naht. Es gibt gewiß Strömungen. Aber wird dieses Warnsignal genügen für dich?« »Vielleicht«, murmelte ich. Wir lagen eine Weile still. Draußen zirpten die Grillen, klangen alle die Geräusche einer schönen Nacht. Der Wind war eingeschlafen. Unsere Windpumpe arbeitete zur Zeit nicht. Aber im Morgenwind würde sie wieder ihre Arbeit tun. Sue fragte: »Und was spürst du jetzt – ich meine im Zusammenhang mit diesem Killer, der kommen wird, wenn du
Truck Haggerty richtig ausgerechnet hast –, was also spürst du jetzt?« Ich wollte einen Scherz machen, wollte ihr sagen, daß ich jetzt nur sie spürte und mir das so gefiele, daß ich sie gern noch ein wenig mehr spüren würde. Aber ich begriff zugleich, daß sie Angst hatte und jetzt nichts anderes im Sinn hatte als das, was auf uns zukam. Ich hatte ihr versprochen, stets ehrlich zu sein und ihr nie etwas vorzumachen oder zu verschweigen. Aber das war ja eigentlich die Basis zwischen Eheleuten. Und dennoch kam ein Mann in meiner Situation in Versuchung, seiner Frau nicht alles zu sagen, um ihr Angst und Sorge zu ersparen. Aber ich verdrängte diese Versuchung. Und so sagte ich: »Truck Haggerty wird keinen Mann mehr auf mich ansetzen, der mich im offenen Duell zu schlagen versucht. – Mit Stag Pinalto und Johnny Ringloke war das eine andere Sache. Die waren persönlich motiviert. Pinalto haßte mich, weil er genau wußte, daß Haggerty mich als seinen Stellvertreter und obersten Vormann hatte haben wollen. Er wußte immer, daß er für Haggerty nur zweite Wahl war. Und deshalb wollte er Haggerty, sich und überhaupt der ganzen Welt beweisen, daß er besser war als ich. Mit Johnny Ringloke war es ähnlich. – Er kannte meinen bitteren Revolver-Ruhm im Süden. Er dachte immer wieder darüber nach, ob er schneller sein könne als ich. Diese Ungewißheit ließ ihm keine Ruhe, und weil er ein eitler Revolverheld war, mußte er es im Duell versuchen. Haggerty verlor zwei wertvolle Männer. Die werden vielleicht nie wieder richtig gesund. – Jetzt läßt er einen Killer kommen, der es aus dem Hinterhalt versucht. Darauf würde ich wetten. Er muß mich umbringen und diese Windpumpen dort draußen zerstören lassen. – Sonst wird die weite Blaugrasebene doch besiedelt von vielen Menschen. Die Gemeinschaft der
Kleinen hat schon so manchen Mächtigen besiegt. Er muß mich töten lassen, um die anderen zu erschrecken.« Sie zitterte in meinem Arm. »Und du? – Spürst du schon seine Nähe? Sagt dir dein Instinkt schon etwas?« Sie flüsterte es kaum verständlich. Ich lauschte durch das offene Fenster in die Nacht. Noch war draußen alles normal. Alle Laute, Töne und sonstigen Geräusche waren wie immer. Doch das würde sich gewiß bald ändern. Ich murmelte: »Ja, ich spüre eine innere Unruhe, eine ungute Ahnung. Es kommt etwas auf mich zu. Das spüre ich dann und wann, wenn ich verharre und an die Zukunft denke. Es kommt etwas auf mich zu, Sue. – Und ich glaube, daß es der Killer sein wird, den Haggerty kommen ließ. – Jetzt wird er schon im Lande sein, vielleicht in der Stadt, vielleicht irgendwo auf der Weide. Er wird sich tarnen. – Ich kannte mal einen Burschen von dieser hinterhältigen Sorte, der tarnte sich als Prediger, hielt Andachten bei den Siedlern und tötete in den Nächten ihre Anführer. Und angeworben hatten ihn zwei große Rinderzüchter im Süden. – Ich hab’ ihn dann erwischt. Damals war ich Deputy im Angela-Arch-Gebiet.« Nun hatte ich ihr alles gesagt. Aber sie fragte noch: »Wirst du ihn als Killer erkennen, selbst wenn er sich als harmloser Bursche tarnen sollte?« »Wahrscheinlich, mein Liebes, wahrscheinlich«, erwiderte ich. »Denn solch ein Killer strömt in jeder Maske den Atem des Todes aus. – Und ich als Revolvermann habe das sensible Ahnungsvermögen meiner Gilde. Denn es gehört dazu wie das schnelle Ziehen und Schießen. – Ja, ich werde ihn als meinen Feind erkennen.« Da war sie etwas erleichtert. Und sie schmiegte sich noch enger an mich.
*
Es kamen in diesen Tagen immer wieder Leute zu uns heraus, um sich die Windrad-Wasserpumpe anzusehen und vor allen Dingen herauszufinden, ob sie überhaupt genügend Förderleistung besaß. Es kamen auch meine nächsten Nachbarn, die schon damals auf mich gewartet hatten, als ich nachsah, warum der Creek plötzlich kein Wasser mehr führte. Sam Fisher, Jim Peters, Jake Wells und Bob Duane hatten wieder Hoffnung gefaßt. Und auch andere Siedler, Farmer und Rancher auf der Blaugrasebene taten das. An einem Morgen kamen sie alle vier, so als hätten sie besprochen, sich zu treffen und dann zu mir zu kommen. Wir empfingen sie freundlich, wie sich das gehört unter Nachbarn. Sue brachte Kaffee und hatte auch noch genügend ziemlich frische Bisquits. Aber dann kamen sie auch schon zur Sache. Sam Fisher sagte: »Es ist uns unheimlich geworden. – Wir glauben nicht daran, daß Truck Haggerty nichts unternehmen wird und sich damit abfindet, daß wir in einigen Jahren durch unsere Überzahl mächtiger sein werden als er. Denn wenn abgestimmt wird bei Wahlen, wird er seine Interessen nicht mehr durchsetzen. – Wir glauben also, daß er etwas unternehmen wird. Diese Stille jetzt ist wie die unheilvolle Ruhe vor einem Sturm. – Elroy, dein Partner Pete Jacks ist fort. Er holt Rinder für euch. Du bist allein. – Wenn diese Windpumpe zerstört wird, wenn man dich tötet, wenn …« »Was wollt ihr?« fragte ich knapp, »Dir beistehen«, sagte Bob Duane. »Wache halten bei der Windpumpe! Aufpassen! Du bist mit Sue und dem kleinen Pernel Scott hier allein. – Wenn Pete Jacks wenigstens schon wieder hier wäre …«
»Reitet wieder heim«, sagte ich. »Bereitet lieber alles für eure Windpumpen vor. In knapp zwei Wochen werden welche geliefert. – Ich kann Truck Haggertys Killer – sollte er einen schicken – besser allein erledigen. Denn wenn wir hier keine Wache haben, wird er weniger vorsichtig sein. Reitet ruhig wieder heim. Wir kommen hier ganz gut zurecht.« Sie staunten, denn sie waren nun mal Männer jener Sorte, die sich gern zusammenscharten und so den Dingen ruhiger und entschlossener entgegensahen. Ich aber war ein Einzelgänger. Gewiß, Pete Jacks war mein Freund. Doch auch er war im Grund ein Einzelgänger. Unsere Freundschaft beruhte wahrscheinlich auf dem Wissen, daß wir uns aufeinander verlassen konnten in Gefahr. Gerade das Mißtrauen gegen andere Männer – oder die Menschen überhaupt – hatte uns ja zu Einzelgängern gemacht. Wir redeten noch eine Weile mit unseren vier Besuchern. Dann ritten diese wieder fort, und mir kam es so vor, als wären sie erleichtert und froh darüber, nicht gebraucht zu werden. Das konnte ich gut verstehen. Sie alle hatten Familie. Aber daß sie gekommen waren, war schon eine anständige Geste. Sie hatten begriffen, daß unsere Sache davon abhing, ob Truck Haggerty mich erledigen konnte oder an mir zerbrach. Ich machte mir Sorgen um Sue. Denn die nahe Zukunft würde mächtig hart und rauchig werden. Es würde viel Blut ins Gras rinnen. Das wertvolle Blaugras würde zu blutigem Gras werden. * Am nächsten Tag schon kam ein Wagen angefahren, auf dem ein Pärchen saß, welches recht durchschnittlich und ein wenig
verhungert wirkte. Der Wagen war einer dieser leichten Kästen, die von einem Pferd gezogen werden konnten, aber hinter dem Sitz auch etwas Platz für Ladung hatten. Mit solchen Wagen fuhren die Siedler und Farmer gern zur Stadt, brachten Gemüse und andere Dinge hin und kauften selbst ein. Sie hielten mit ihrem Wagen beim Brunnen und der Windpumpe an, staunten empor und blieben im Wagen sitzen, bis ich bei ihnen war und sie zum Aussteigen aufforderte. »Wir sind neu hier«, sagte der Mann. »Ich bin Leo Baker. Das ist meine Frau Ann. Wir sind gekommen, uns diese Windpumpe anzusehen. Die arbeitet ja prächtig. Aber wie ist das mit dem Wind?« »So wie jetzt weht er immer«, erwiderte ich. »Man kann die Tage im Jahr fast an den Fingern beider Hände abzählen, wenn auf dieser Ebene mal kein Wind weht. Er reicht aus für die Pumpe. – Wollen Sie auch hier farmen? Oder sind Sie Rinderzüchter?« Ich fragte es höflich, und ich betrachtete den Mann dabei so freundlich, wie ich nur konnte. Er war rotblond, wirkte schmächtig und hatte wasserhelle Augen. Sein Zeug war abgetragen. »Ich bin Siedler«, sagte er. »Aber ich möchte natürlich auch ein paar Rinder und Pferde züchten. – Diese weite Ebene ist prächtig. – Hier kann man nach dem Heimstättengesetz siedeln, nicht wahr? Wieviel Parzellen haben Sie denn, Mister Cashmoore?« »Es sind eintausendsechshundert Acres«, sagte ich. »Es sind zehn sogenannte ›Heimstätter-Parzellen‹. – Ich habe sie gekauft von Leuten, die ihre Besitztitel ersessen hatten, dann aber zu ihren Glaubensbrüdern nach Utah wollten.« »Aha, Mormonen waren das«, sagte er verstehend. Sue bat seine Frau nun auf die Veranda unseres Hauses. Sie wollte ihr eine Erfrischung anbieten.
Ich trat mit dem Mann zur Windpumpe und erklärte ihm die technischen Einzelheiten. Und die ganze Zeit warnte mich mein Gefühl. Ich gab mir Mühe zur Freundlichkeit. Denn es war ja hier in unserem Land selbstverständlich, daß man jedem Neuankömmling zu helfen versuchte. Wir alle hier wollten ja ein schönes, gutes und aufblühendes Land haben. Dazu gehörte zuerst eine solidarische Gemeinschaft. Ich war also freundlich zu diesem Leo Baker. Dennoch warnte mich immerzu ein feines Gefühl. Er war ein unscheinbarer Bursche. Seine hellen Augen waren etwas rötlich umrändert, so als wären sie entzündet. Er trug auch keine Waffe. Nur unter dem Wagensitz hatte ich ein altes Gewehr liegen sehen. Dennoch blieb das warnende Gefühl. War er der Killer, den Truck Haggerty schickte? Ich nahm die hölzerne Schöpfkelle, hielt sie an den Rand des Wasserstrahls und reichte sie dann diesem Leo Baker. »Es ist herrlich kühles und köstlich schmeckendes Wasser«, sagte ich. »Kosten Sie mal. Die ganze Ebene ist von unterirdischen Wasseradern durchzogen. Sie befinden sich etwa fünf Yard tief. – Kosten Sie mal.« Er nahm die hölzerne Schöpfkelle. Und da sah ich seine Hand dicht genug vor mir. Ich konnte nur einen kurzen Blick auf diese Hand werfen, die mir die Holzkelle abnahm – ein Sekundenbruchteil, der genügte. Dann sah ich wieder in sein Gesicht, sah ihm beim Trinken zu. Er hatte sich etwas abgedreht, so daß ich seine Hand, die nun den Kellenstiel hielt, nicht mehr sah. Er trank bedächtig und setzte schließlich die Kelle ab. Er reichte sie mir leer, und nun warf ich wieder beim Annehmen einen Blick auf seine Hand. Ich hörte ihn sagen: »Ja, das ist wirklich köstliches Wasser – ein Geschenk der Erde. Wasser ist
ja so wichtig für alles, was lebt. – Ja, es ist gutes Wasser.« Ich nickte und grinste. Ja, ich verstellte mich. Aber tief in meinen Gedanken dachte ich: Das ist kein Siedler. – Der hat nicht mal diesen Wagen weiter als zehn Meilen gefahren. – Der hat Hände wie ein Spieler, weich und geschmeidig. Das sind die Hände eines Mannes, der nicht damit sein Brot verdienen muß. – Ein Siedler hat andere Hände. Diese da aber sind nicht mal gebräunt. Aber sie können gewiß gut mit einem Gewehr oder einem Revolver umgehen. Sie sind so geschmeidig wie die eines Zauberkünstlers. – Es sind Killerhände. Ich wußte nun, daß mein Instinkt wieder einmal funktionierte. Mein ungutes Gefühl in seiner Nähe war nun erklärlich. Haggertys Killer war gekommen, um sich hier umzusehen und mit den örtlichen Verhältnissen vertraut zu machen. Er war vorsichtig wie ein Coyote. Gewiß kannte er meinen Ruf als Revolverkämpfer, wußte wahrscheinlich auch, daß mich zwei gefährliche Kämpfer von vorn im Duell nicht schafften – einer sogar nicht mal mit einer Schrotflinte, die er schon schußbereit in den Händen hielt. Leo Baker war gewiß nicht sein richtiger Name. Er war einer dieser Killer, die sich geschickt tarnten, bescheiden kamen und ebenso unauffällig wieder verschwanden. Mein Instinkt warnte mich nun scharf. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Die beiden Frauen waren indes im Haus verschwunden. Auch daran war nichts Auffälliges. Hier in diesem Land zeigte man sich gegenseitig stolz alles, was man geschaffen hatte. Oft genug lernte man voneinander. Leo Baker sagte: »Ich glaube, ich werde mir auch auf dieser Ebene meine Parzelle abstecken. Hundertundsechzig Acres, nicht wahr? – Und wenn man zehn Acres mit Bäumen bepflanzt und diese Bäume acht Jahre lang pflegt, bekommt
man nochmals hundertundsechzig Acres. – Also werde ich mir gleich dreihundertundzwanzig Acres abstecken, weil ich Bäume pflanzen und diese auch pflegen will. – Nicht wahr?« Ich nickte. Dann fragte er, ob ich ihm einen guten Tip geben könnte, wo er noch besonders gutes Land auf der Ebene fände und die unterirdischen Wasseradern möglichst hoch anzubohren wären. Ich gab ihm Auskunft. Nun kamen die beiden Frauen aus dem Haus. Bald schon fuhren die Bakers wieder fort in Richtung Stadt. Wir sahen ihnen schweigend nach. Dann fragte ich Sue: »Was hattest du für einen Eindruck von ihr?« Sue sah von der Seite her zu mir hoch. »Sie war keine Siedlerfrau«, sagte sie dann. »Nie und nimmer gehört sie zu dieser Sorte. Sie hat nie mit ihren Händen gearbeitet. Und sie roch nach einem billigen Parfüm. Es kam unter ihrer groben Kleidung hervor, weil es in ihrer Unterwäsche zu stark vorhanden war. – Sie hat ausgezupfte Augenbrauen. – Ich wette, sie arbeitete vor wenigen Tagen noch in einem Saloon. – Aber sie erzählte mir, daß sie aus Tennessee kämen und zwei Kinder hätten. – Sie log zwar geschickt. Doch sie log. Es kann aber auch sein, daß sie ein Flittchen aus den Saloons ist, welches Leo Baker heiratete, um neu anzufangen. Es kommt vor, daß ab und zu ein Mädchen aus den Saloons auf diese Weise nach einer Chance sucht. – Solch ein Mädchen wird natürlich nicht sagen, woher es kommt.« Ich schüttelte den Kopf. »Auch er war kein Siedler«, sagte ich. »Ich glaube, er ist der Killer, den Haggerty kommen ließ. – Was hat die Frau dich alles gefragt?« Sue sah mich mit großen Augen an. »Ach, sie hat unseren Eßplatz bewundert«, sagte sie. »Sie
sagte, solch einen Eßplatz in der Wohnküche möchte sie auch haben. Sie fragte mich auch, welches dein Platz wäre. – Ich zeigte ihr deinen Platz. Ich sagte, du würdest beim Frühstück schon gern aus dem Fenster über die Blaugrasebene blicken.« Als ich dies aus Sues Mund hörte, war ich fast schon sicher, daß es keinen Irrtum gab. Dieser Leo Baker war der von Haggerty gesandte Killer. Und er würde bald kommen, um mich aus dem Hinterhalt zu töten – vielleicht schon in der kommenden Nacht. Er kannte jetzt die örtlichen Verhältnisse gut. Seine angebliche Frau würde ihm sogar erzählen können, wo mein Platz am Eßtisch war. Als ich daran dachte, wußte ich auch schon, wie es ablaufen würde. Sue sah immer noch von der Seite her zu mir auf. Ich deutete zur Scheune hinüber. »Von dort wird er schießen – von dieser Ecke aus, wenn drinnen im Haus Licht ist und er die Silhouette meines Oberkörpers hinter dem Vorhang erkennen kann. Sue, wir dürfen diesmal keine Fensterläden schließen. So können wir ihn vielleicht täuschen und zum Schuß verleiten. – Denn ich werde natürlich nicht dort hinter dem Vorhang am Tisch sitzen. – Ich werde auf den Killer lauern. – Wir machen mit meinen Kleidungsstücken eine Puppe, die du bewegen wirst mit Hilfe des Besenstiels und einiger Bindfäden. Wir werden das üben. Es muß echt aussehen. – Es trifft sich gut, daß Pernel Scott diese Nacht nicht zurückkommt. – Er ist zu einigen Leuten geritten, um mit ihnen Verträge über weitere Windpumpen abzuschließen. Der kommt vielleicht erst in zwei Tagen wieder.« Sue staunte immer noch. Dann schluckte sie mühsam, »Du bist hartgesotten, Roy«, sagte sie, »wenn es ums Kämpfen und Töten geht.« Ich sah sie an und nickte.
»Ich mußte daheim in Texas schon mit dreizehn Jahren meinen ersten Gegner erledigen«, sagte ich. »Es war ein mexikanischer Bandit, der mit seiner Bande über die Grenze kam. Sie hatten meinen Vater niedergeschossen, trieben unsere Pferde aus den Corrals – und jener, den ich erschoß, wollte meine Mutter vergewaltigen. – Ich schoß ihn mit der Schrotflinte fast in zwei Hälften. – Ja, Sue, ich bin hartgesotten, wenn es ums Kämpfen und Töten geht. – Aber vergiß nicht, ich bin am Anfang hier weggelaufen, weil ich kein Blut mehr vergießen wollte. – Ich wollte mit Haggerty nicht um das Wassers eines Creeks kämpfen. – Doch um mein eigenes Wasser, welches wir dort mit der Windpumpe fördern, da werde ich auch gegen solche Killer kämpfen. – Und wenn ich erfahren sollte, daß Haggerty ihn schickte, werd’ ich mir Haggerty holen.« Meine Stimme knirschte. Ich sah Sue an, daß sie vor mir erschrak. * Als es Nacht wurde und in unserem Haus die Lampe brannte, da schlich ich mich durch die Hintertür hinaus. Die Vorhänge der Fenster waren zugezogen. Doch wir hatten die Läden der Fenster nicht geschlossen. Hinter den Vorhängen glaubte man die Silhouetten von menschlichen Oberkörpern zu sehen. Es sah wirklich so aus, als würden zwei Menschen am Tisch der Wohnküche sitzen und sich die Zeit zwischen Abendbrot und Schlafengehen vertreiben. Sue hatte Mut. Denn auch sie saß als Zielscheibe am Tisch – nur auf der anderen Seite. Quer über den Tisch lag ein Besenstiel, mit dessen Hilfe sie die Kleiderpuppe bewegte. Sie brauchte nur immer einige Zoll zu stoßen oder zu ziehen. Zwei Fäden führten zur Zimmerdecke hinauf und durch zu Ösen gebogenen
Nägeln wieder zur Kleiderpuppe hinunter. So konnte Sue die ausgestopften Ärmel heben, daß es aussah, als bewegte ich die Arme. Dem Killer mußte in der Nacht alles sehr echt vorkommen. Ich sah es mir selbst an und war zufrieden. Auch ich hätte mich täuschen lassen, würde ich mir nicht die Zeit genommen haben, eine längere Zeit zu beobachten. Doch der Killer wußte, daß er vielleicht sehr wenig Zeit hatte. Denn nach einem langen und arbeitsreichen Tag gingen die Menschen in diesem Land auf Farmen und Ranches zeitig schlafen. Die Nächte bis zum Sonnenaufgang waren um diese Jahreszeit kurz. Wenn der Killer also zu lange wartete, konnte es geschehen, daß er kein Ziel mehr fand. * Es war leicht für mich, die richtige Position zu wählen. Ich fand sie hinter einem Stapel Corralpfählen. Es war eine ganze Wagenladung Pfähle. Sie boten mir gute Deckung. Nicht weit von mir war der schmale Pfad, der von der Post- und Wagenstraße zu meiner Ranch überführte. Auf diesem Pfad würde er kommen. Und unter einem alten Nußbaum dicht bei der Scheune würde er sein Pferd oder den Wagen zurücklassen. Aber wahrscheinlich würde er mit dem leichten Wagen kommen. Er war kein Reitertyp, sondern ein Mann, der in Postkutschen reiste und sich dann an Ort und Stelle eine Fortbewegungsmöglichkeit verschaffte. Er würde wahrscheinlich mit dem Wagen und seiner angeblichen Frau kommen, weil sie ja ein Siedlerpaar spielten, welches Land suchte. Diese Tarnung würde er beibehalten. Ich brauchte in der stillen und klaren Nacht nicht sehr lange zu warten. Es war höchste Zeit, daß ich meine Position eingenommen hatte. Denn er kam.
Er kam leise. Der Wagen machte kaum Geräusche auf dem weichen Boden. Im Mond- und Sternenschein konnte ich ihn dann schon bald sehen Ja, er hatte sich bei Tag alles gut angesehen. Er fuhr vom schmalen Pfad herunter bis in den Schatten des alten Nußbaumes, dessen Äste und Zweige einen großen Kreis überdachten. Der Wagen wurde im Schatten dieses alten Baumes fast unsichtbar. Ich sah, daß zwei Personen auf dem Fahrersitz saßen. Er hatte die Frau also mitgebracht. Das gehörte zu seiner Tarnung. Nach geglückter Tat würde er den von der Stadt heimgekehrten Farmer spielen. Der Bursche hatte gute Nerven. Gewiß hatte er dieses Spiel schon mehrmals betrieben. Ich traute ihm zu, daß er einem Aufgebot, welches ihn auf einer Straße einholte, eine gekonnte Rolle vorspielte. Bald schon verließ er den Schatten des Nußbaumes. Er trug ein Gewehr. Das konnte ich im Mond- und Sternenlicht erkennen. Dieses Gewehr war gewiß nicht der alte Schießprügel, den ich bei seinem Besuch am Tage unter dem Sitz liegen sah. Dieses Gewehr, welches er jetzt trug, war gewiß eine besonders zuverlässige Waffe. Er bewegte sich langsam, etwa so mißtrauisch und sichernd wie ein Fuchs zu einem Hühnerstall. Immer wieder hielt er an, verharrte geduckt, lauschte, witterte. Ich konnte mir vorstellen, daß er einen ausgeprägten Instinkt für Gefahr besaß. Wahrscheinlich verspürte er Warnsignale. Aber weil er nichts erkennen konnte an Gefahr, war er unsicher. Vielleicht redete er sich jetzt ein, daß seine Nerven heute nicht besonders gut waren. Immer wieder ging er weiter und verschwand bald hinter der Scheunenecke. Ich wußte, daß er von der vorderen Ecke der Scheune eine gute Schußposition hatte und wahrscheinlich auch von dort aus
schießen würde. Es waren nur etwa dreißig Schritte bis zu den Silhouetten hinter dem Fenstervorhang. Für einen Gewehrschützen war das eine lächerlich geringe Entfernung. Solch ein Killer konnte auf diese Entfernung einem Menschen ein Dollarstück zwischen Zeigefinger und Daumen wegschießen. Ich folgte ihm geduckt und war sicher, daß die Frau mich vom Wagen und dem alten Nußbaum her nicht sehen konnte. Denn der Holzstapel deckte mich. Ich trug leichte Mokassins und bewegte mich lautlos wie ein Schatten. Als ich um die hintere Ecke der Scheune glitt, sah ich ihn vor mir. Er stand da und zielte schon auf den Schatten hinter dem erhellten Fenstervorhang. Das war der Fehler, den er machte. Er wollte es schnell hinter sich bringen. Er nahm sich nicht die Zeit zu langen Beobachtungen. Sonst hätte er vielleicht erkannt, daß sich dort nur eine Kleiderpuppe mit Hilfe eines Besenstiels und zwei Bindfäden bewegte. Er schoß sofort. Die Kugel schlug durch die rechte untere Fensterscheibe und schlug sicherlich in die Kleiderpuppe. Nein, sie stieß die Puppe nicht vom Sitz. Dazu war sie nicht dicht genug ausgestopft. Sie leistete einer Kugel keinen Widerstand. Es war ja auch nicht möglich, einem Mann den Hut vom Kopfe zu schießen – es sei denn, er wäre aus Blech oder einem ähnlich festen Material. Durch einen gewöhnlichen und normalen Hut ging jede Kugel leicht durch, ohne ihn auch nur leicht zu rütteln. Aber die Kleiderpuppe fiel drinnen um, weil Sue sie mit dem Besenstiel vom Sitz stieß. Als der Killer das sah, machte er auch schon kehrt. Nun sah er mich, und ich war ihm schon so nahe, daß ich ihm den langen Lauf meines Colts quer über das Gesicht schlagen
konnte. Ja, es war ein gemeiner Hieb, der Stirn und Nase traf. Aber dieser Bursche hatte mich soeben umbringen wollen, ja, sogar geglaubt, dies getan zu haben für Killerlohn. Ich gab es ihm richtig. Ja, ich machte ihn klein. Ich zerbrach ihn binnen weniger Minuten, und ich will hier nicht die Einzelheiten schildern. Denn es war keine Sache, auf die ein Mann stolz kann. Ich wollte, daß er nie wieder Menschen tötete. Er sollte keinen Nerv mehr dazu haben. Er war ein hinterhältiger Mörder, der an den Galgen gehörte. Aber ich war kein Richter und kein Henker. Ich wollte ihn nur zerbrechen und ihn dann seinem Schicksal überlassen. Und er sollte mir sagen, von wem er geschickt worden war. Ja, das wollte ich wissen. Wenn es Haggerty war, würde ich ihn töten müssen. Denn sonst würde er immer wieder neue Killer aussenden. Als er am Boden lag und nur noch röchelte, kam Sue aus dem Haus gelaufen und verhielt bei mir. Sie atmete rasch und heftig. »Dieser Hundesohn«, sagte sie. »Er hätte dich voll getroffen, Roy, wenn du dort gesessen hättest. – Er hätte dich aus dem Hinterhalt totgeschossen. – Wie viele Menschen mag er schon auf diese Weise für Geld getötet haben? – Und wie vielen Menschen würden wir das Leben retten, wenn wir ihn einfach töteten?« Sie war erregt. Ich sagte, wobei ich ihr über das Haar strich: »Bleib hier bei ihm, Sue. Nimm sein Gewehr und schlag es ihm über den Schädel, wenn er sich auch nur bewegt. – Ich hol’ jetzt die Frau. – Aber ich glaube nicht, daß er sich rühren wird. Nein, ich glaube es nicht.« Ich ging. Als die Frau mich kommen sah, wollte sie mit dem Wagen die Flucht ergreifen. Doch sie brachte das Gefährt nicht schnell
genug unter den niedrigen Ästen und Zweigen hindurch ins Freie. Ich mußte mich zwar beeilen, doch aber zuletzt nicht mehr als ein Dutzend schnelle Sprünge machen. Dann schwang ich mich zu ihr hinauf und entriß ihr die Zügel. Nein, ich schlug sie nicht. Sie tat auch nichts, was ich als Bedrohung hätte auffassen müssen. Doch ich kannte diese Saloonflittchen. Sie hatten zumeist einen kleinen doppelläufigen Derringer im Strumpfband. Wir hielten jetzt draußen im Mond- und Sternenlicht. Ich konnte sie genau ansehen und auch ihren Gesichtsausdruck erkennen. Ich sagte: »Schwester, stell dich auf den Sitz und heb deine Röcke bis zu den Hüften! Los, oder ich reiß’ sie dir einfach runter!« Sie gehorchte, denn sie hörte meiner Stimme an, was die Glocke geschlagen hatte. Sie stellte sich auf die Sitzbank und hob ihre Röcke. Sie trug nicht die übliche Unterwäsche einer Siedler- oder Farmerfrau. – Nein, sie trug Reizwäsche. Und ich roch nun auch das Parfüm, welches schon Sue gewittert hatte. Aber sie hatte weder eine Stich- noch eine Schußwaffe in ihren Strumpfbändern oder sonstwo verborgen. Nachdem ich dies festgestellt hatte, fuhr ich mit ihr zu Sue und diesem Killer, der sich Leo Baker genannt hatte, wahrscheinlich aber völlig anders hieß. Sie weinte nicht. Ich hielt sie für eine dieser Frauen, welche längst keine Tränen mehr hatten. Denn sie waren angefüllt mit der Bitterkeit der Welt, und sie waren schlecht geworden, weil auch ihre Umwelt schlecht war. Es waren Frauen, die als junge Dinger einmal hofften und glaubten, die noch Wünsche hatten und bisher die Schlechtigkeit noch nicht kennenlernten. Doch das änderte sich schnell.
Und nun war sie verloren. Sue sah die Frau an, sagte dann: »Er hat sich noch nicht gerührt, Roy. Es wäre nur gut, wenn du ihn erschlagen hättest. – Ist das dein Mann, Missis Baker?« Sie saß bewegungslos auf dem Sitz und hielt die Hände wie kraftlos im Schoß. »Ja«, sagte sie dann, »wir sind wirklich verheiratet. – Vor sechs Wochen etwa. Und er war meine letzte Rettung, so glaubte ich. Er holte mich raus aus einem Saloon. Ich bin ihm eine Menge schuldig. – Was muß ich tun, damit ihr ihn am Leben laßt? Er mag schlecht sein – ein Mörder – aber zu mir war er gut. – Was also kann ich tun?« Sie weinte und wimmerte nicht. Es war auch kein Betteln. Nein, sie sprach sachlich, bitter zwar, doch ganz wie eine Frau, die schon immer für alles bezahlen mußte in irgendeiner Form. Und auch jetzt würde sie versuchen, den vollen Preis zu zahlen. Sollte sie uns leid tun? Ich konnte und wollte nicht darüber nachdenken. Aber ich fragte: »Wer hat ihn angeworben? Wer schickte ihn aus, mich zu ermorden? Was bekam er dafür?« Sie saß still auf dem Wagen und zuckte mit den schmalen Schultern. Schon vorhin – als ich sie ihre Röcke heben ließ – konnte ich erkennen, wie mager sie war. Ihre Beine waren spindeldürr. Jetzt fielen mir ihre mageren Schultern auf, die sie ratlos bewegte. »Im Hotel«, sagte sie, »war ein Brief für Leo. – Ja, er heißt wirklich Leo. Wir haben auch unter dem Namen Baker geheiratet. – Es war also ein Brief im Hotel, in dem Ihr Name, Mister, stand und zehn halbe Hundertdollarscheine waren. – Halbe Scheine. – Durchgerissen! – Leo hat sie in der Brieftasche. Man kann sie nicht zusammensetzen. – Die anderen Hälften fehlen. – Und weil sie nicht glatt
durchgerissen wurden, passen nur die richtigen Hälften. – Leo wollte sie sich verdienen. Wir hätten sie postlagernd nach Omaha bekommen in einem anderen Brief. – Von wem, wissen wir nicht. – Aber das müßten Sie, Mister, besser wissen. – Oder?« Ihre Stimme wurde immer herber. Ich bückte mich zu diesem Leo Baker nieder und durchsuchte seine Kleidung. Er trug eine derbe Jacke, wie Siedler und Farmer sie bevorzugten. In der Innentasche fand ich seine Brieftasche. »Unsere Heiratsurkunde habe ich«, sagte Ann Baker vom Wagensitz. »Auch die anderen Papiere. – Er hat einen Entlassungsschein aus der Armee. Er war bei den Konföderierten und lange in Gefangenschaft. Der Entlassungsschein ist von einem Gefangenenlager. – Soll ich …« »Nein«, sagte ich. »Es ist mir völlig gleich, aus welchem Loch diese Giftviper gekrochen ist.« Inzwischen fand ich außer etwas Geld, einigen Zetteln und Papieren auch den Brief. Ich las die Anschrift: »Mr. Leo Baker, Green Creek, Green Creek Hotel.« Der Inhalt waren wirklich halbe Hundertdollarnoten, die man offenbar absichtlich nicht glatt, sondern schräg und im Zickzack abgerissen hatte. »Und woher wußte Ihr Mann, daß er nach Green Creek kommen sollte?« fragte ich hart. Wieder zuckte sie mit den mageren Schultern. »Es gibt Vermittler«, sagte sie. »Überall in den größeren Städten, vor allen Dingen längs des Missouri und Mississippi. – Leo suchte in solchen Städten stets irgendwelche Leute auf. – Dann wußte er immer, wo er benötigt wurde.« Sie sprach mit immer tonloser werdenden Stimme, so als begriffe sie erst jetzt richtig, um was es ging. »Ich denke, daß ihr erst sechs Wochen verheiratet seid?«
Sie nickte. »Aber wir kennen uns schon länger«, sagte sie. »Ich lief ihm schon dreimal fort und versuchte mein Glück. – Aber ich landete bald schon in einem Saloon und mußte dort fast immer mehr tun, als nur animieren. – Immer dann, wenn ich glaubte, nicht mehr weiter zu können … immer dann, wenn ich soweit war, ein starkes Mittel zu nehmen, welches mich so fest einschlafen ließ, daß ich nicht wieder aufzuwachen brauchte, da kam Leo und holte mich heraus. – Und zuletzt hat er mich sogar geheiratet. Er war der einzige Mensch auf dieser Erde, der gut war zu mir. – Warum sollte ich ihm nicht die Treue halten? Warum sollte ich nicht mit ihm ziehen? Und warum sollte er sich nicht auf mich verlassen können? – Haben Sie ihn totgeschlagen, Mister? Er rührt sich nicht mehr.« Ich gab ihr keine Antwort. Da sprang sie vom Wagen und kniete bei ihm nieder. Nun erst sah sie, was ich mit ihm gemacht hatte. Sie jammerte nicht. Doch sie stand wieder auf und sah mich an. »Na schön«, sagte sie, »wir haben ja wohl auch nichts anderes verdient. Aber Sie hätten ihn dann besser totschlagen oder totschießen sollen. – Sie sind ein harter Mann, Mister, ein sehr harter Mann, der keine Gnade kennt. – Richtig so, richtig so, Mister. – Und was nun?« Sie stand da, als erwartete nun auch sie eine schreckliche Bestrafung. Ich hatte Mitleid mit ihr – jawohl. Sie war gewiß schlecht. Aber wie konnte sie gut sein, wenn sie das Gute nicht kannte, wenn der einzige Mann, der jemals gut zu ihr war, als hinterhältiger Killer durch diese Welt zog? Sie lebten von Mordgeld. Was sollte ich tun? Sue beobachtete mich. Ich spürte ihren Blick. Auch diese Ann Baker wartete, sah mich an und wartete. Ich wußte, daß sie bereit war für alles – für eine Bestrafung, für
den Tod – für alles. Die ganze Widerwärtigkeit der Sache stieg in mir hoch. Mein Zorn war verraucht. Und es gab in mir keinen Wunsch mehr nach Rache oder Bestrafung. Ich packte diesen Leo Baker, der nur noch ein hilfloses Bündel war, hob ihn hoch und warf ihn hinten in den Wagen. Er hatte kaum Platz auf der kleinen Ladefläche, und er stieß ein jämmerliches Stöhnen aus. Mir wurde bewußt, wie leicht er war. »Jetzt können Sie fahren«, sagte ich zu Ann Baker. »Ich glaube nicht, daß er noch einmal einen Menschen aus dem Hinterhalt töten kann. Er wird kein Gewehr mehr halten können. – Wenn Sie ihn zu einem Doc bringen sollten, der die Knochenbrüche versorgt, dann sollten Sie sagen, daß Ihr Mann unter eine Stampede geraten ist. Aber wahrscheinlich wird er irgendwo auf einer Bank seine ›Ersparnisse‹ haben. Ihr werdet von seinem Mordgeld vielleicht gar nicht schlecht leben. – Verschwinden Sie mit ihm. Ich kann ihn nicht töten. – Und es gibt hier kein Gericht, nicht mal einen Sheriff. – Also …« Ich verstummte und machte eine ungeduldige Bewegung. Sie aber zögerte. Sie überlegte. Sue und ich spürten es und beobachteten sie genau. Doch ich hatte ihr einen Köder hingelegt – nämlich seine Ersparnisse, die er unbedingt haben würde. Sie begriff, daß sie nicht zurück in die Saloons mußte, um nun nicht nur für sich, sondern auch noch für ihn sorgen zu müssen. Sie sprach kein Wort mehr. Sie bedankte sich nicht, daß sie davonkommen konnten. Sie kletterte in den Wagen, nahm die Zügel auf und fuhr davon. Sue trat neben mich, indes wir dem Wagen nachsahen und dann auf die leiser werdenden Geräusche lauschten. Dann sagte Sue zu mir: »Wasch mir das Blut von den Händen, Elroy Cashmoore.«
Sie sprach es hart, so als hätte ich mir etwas vorzuwerfen. Aber ich hatte nichts anderes getan, als einen heimtückischen Killer zerbrochen. Ich sah Sue an. »Was ist, Sue?« Sie sah zu mir empor. »Warum hast du ihn nicht getötet? Es wäre gnädiger gewesen, ihn zu töten. Er wird sein ganzes Leben lang ein kranker Mann sein, der sich vor Schlägen fürchtet.« Ich nickte. »Das wird er.« Dann wendete ich mich ab und trat zu einem der Wassertröge, die vom Windrad aus dem Brunnen ständig gefüllt wurden und einen Ablauf hatten. Ich steckte meine schmerzenden Hände hinein und wusch mir auch den ganzen Kopf, so als wollte ich mich nicht nur abkühlen, sondern richtig säubern. Dann ging ich ins Haus. Als ich mich neben dem Herd abtrocknete, kam Sue angelaufen. Ich sah ihr sofort an, daß sie in meine Arme wollte. Und dann standen wir eine Weile da und hielten uns fest, küßten uns und spürten durch unsere Kleidung die Körperwärme – ja sogar unseren Pulsschlag. Sue sagte: »Verzeih mir, Roy. – Er war ein gemeiner Killer und verdiente nichts anderes. – Und du, du bist nur so hart, wie es notwendig ist. – Du wolltest von Anfang an kein blutiges Gras. – Doch Haggerty zwingt dich.« Als sie den Namen Haggerty sagte, fiel mir wieder ein, daß ich zehn halbe Hundertdollarnoten besaß. Und wenn Haggerty den Killer hatte kommen lassen, dann mußten die anderen zehn Hundertdollarnotenhälften bei Haggerty zu finden sein. Mit diesem Beweis hatte ich dann ein Recht, ihn zu töten. Dann war das Notwehr, weil er sonst einen neuen Killer holen würde.
*
Eine halbe Stunde später war ich unterwegs. Jawohl – und ich hatte Sues Worte noch in den Ohren und sah ihr Gesicht vor meinen Augen. Denn als ich ihr sagte, wohin ich reiten wollte, da fragte sie: »Muß das sein, Roy?« Ich nickte. »Es ist Notwehr«, sagte ich. Oh, sie wollte mir eine Menge Dinge sagen. Doch sie ließ es sein. Denn sie hatte mehr begriffen als fast jede andere Frau an ihrer Stelle. Sie hatte ja keinen durchschnittlichen Farmer oder Kleinrancher geheiratet, sondern einen Burschen, der einmal zu Revolverruhm gekommen war und sich einen Namen als harter Kämpfer gemacht hatte. – Ich war schon fortgegangen, um kein Blut vergießen zu müssen. Denn ich hielt es für Truck Haggertys Recht, seinen Creek, dessen Quelle auf seinem Land lag, umzuleiten. Doch er mußte auch mir das Recht zubilligen, für meinen eigenen Bedarf eine Windpumpe aufzustellen – ebenso meinen Nachbarn. Aber er wollte mich töten lassen. Sue wußte, daß sie mich nicht mehr aufhalten konnte. Pernel Scott hatte recht gehabt, als er sagte, daß ich Haggerty zerbrechen müßte. Und das sah wohl auch Sue ein. Ich hatte noch ihren Kuß auf den Lippen, indes ich durch die Nacht ritt. Es war ein weiter Weg zu Haggerty. Damals, als das Wasser im Creek ausblieb, war ich nur bis zum Staudamm geritten, der den Creek umleitete. In dieser Nacht mußte ich noch ein Stück weiter. Ich schlug einen weiten Bogen, blieb dem nun trockenen
Creekbett fern und sah nur einmal die Lichter von Green Creek zu meiner Linken in der Ferne leuchten. Dann kam ich in die Hügel, die unsere Ebene von Haggertys Weiden trennten. Ich erreichte nun unübersichtlicheres Land und konnte etwas sorgloser reiten – was meine Befürchtungen, gesehen zu werden, betraf. Ich wußte, daß Haggerty sein weites Gebiet von Grenzwächtern und Revolverreitern überwachen ließ. Und dennoch hatte ihm Pete Jacks eine Menge Vieh gestohlen. Pete kannte sich aus in diesem Land. Aber ich stand ihm darin nicht nach. Als wir hierherkamen, hatten wir Raubzeug gejagt – auch für Haggerty. Und weil sich Raubwild nur an den besonders schwer zu findenden Stellen verbarg, hatten wir auch all die tausend verborgenen Winkel des Landes kennengelernt – auch in Haggertys Reich. Es war aber dann fast schon grauer Morgen, als ich Haggertys Ranch zu sehen bekam. Sie war in den vergangenen zwei Jahren noch größer und stattlicher geworden. Diese Ranch war wie eine Burg. Und wahrscheinlich fühlte Haggerty sich auch schon wie ein König, der mit Rittern und Knappen sich umgab, der herrschen wollte über sein Reich aus eigenen Gnaden mit eigenem Recht. Ich konnte nicht weiter, mußte mir ein Versteck für den ganzen Tag suchen. Aber ich kannte einen guten Platz, von dem aus ich die Ranch beobachten konnte. Ich beeilte mich – und als dann der Tag richtig da war, lag ich schon auf einem Hügel und hatte mein Pferd weiter hinter mir unter Bäumen und zwischen Büschen angebunden. Denn der Hügel war hier oben ziemlich dicht bewachsen, richtig überwuchert von Bäumen und Büschen. Meine Deckung war gut, und ich hatte auch bald einen Platz gefunden, von dem aus ich gute Übersicht besaß.
Auf der Ranch kam gerade alles in Betrieb. Ich beobachtete und nahm mein Frühstück ein, welches Sue mir mitgegeben hatte. Ich mußte immerzu an Sue denken, und weil das so war, wurde mir bewußt, daß meine Situation jetzt völlig anders war als in all meinen wilden und rauchigen Jahren zuvor. Ja, ich hatte schon oft wie ein Jäger gelauert und zweibeiniges Wild beobachtet. Ich war Sheriff gewesen im Süden an der Grenze. Ich hatte gefährliches zweibeiniges Raubwild gejagt. Aber bisher war ich stets nur für mich allein verantwortlich. Es gab niemanden, der auf mich wartete. Doch nun gab es Sue. Und Sue würde um mich weinen. Ein Leben mit Sue würde wunderschön für mich sein und durfte nicht so schnell zu Ende gehen. Das alles wurde mir bewußt, indem ich von dem kleinen Hügel aus die große Haggerty-Ranch beobachtete. * Etwa eine Stunde später dann sah ich, daß einige Reiter bei den Corrals ihre Pferde sattelten. Eines dieser Sattelpferde wurde vor das Haupthaus gebracht. Truck Haggerty erschien auf der Veranda, ließ sich die Zügelenden geben und saß auf. Irgendwie wirkte dieser Truck Haggerty auf mich wie ein Biber. Seine Kopf- und Gesichtsform, seine großen Vorderzähne – dies alles ließ bei seinem Anblick an einen Biber denken. Er war ein Mann mit abfallenden Schultern, aber sein Hals war sehr kräftig und muskulös. Die abfallenden Schultern täuschten. Er besaß keine Taille, und seine Beine waren im Verhältnis zu seinem Oberkörper sehr stämmig, krumm und kurz. Er war kein gutaussehender Mann. Vielleicht fand er deshalb noch keine Frau, mit der er eine Familie gründen konnte. Seine Ranch war ihm vielleicht Ersatz für
viele andere Dinge. Macht, Reichtum und Selbstherrlichkeit entschädigten ihn. Er ritt mit seinen Begleitern davon. Wahrscheinlich würde ich ihn niemals ohne Leibwache erwischen. Ich wartete noch eine weitere Stunde. Auf der großen Ranch war nun alles in Betrieb. Leute arbeiteten auf den benachbarten Feldern und Äckern. In den Corrals und Weidekoppeln versorgte man die Tiere. Zureiter ritten Wildpferde ein. Aus der Schmiede klangen Hammerschläge. – Diese große Ranch war in vielen Dingen selbständig – das hieß, sie brauchte kaum die Hilfe der Stadt Green Creek. Ich machte mich dann zu Fuß auf den Weg, nachdem ich noch einmal nach meinem Pferd sah und mich überzeugte, daß es gut angebunden war. Überall war Deckung für mich. Es war ziemlich leicht, ungesehen an die Ranch heranzukommen. Nur manchmal mußte ich dicht über den Boden kriechen. Dann gaben mir die Gebäude Deckung. Es gab viele Schuppen, Scheunen, Werkstätten, Unterkünfte, Ställe, das Küchenhaus mit dem Speiseraum – ah, es war eine mächtig große Ranch. Natürlich war mein Eindringen ein Wagnis. Doch etwas Glück konnte ich wohl erhoffen. Und ich kannte mich ja hier auch einigermaßen aus, auch wenn sich eine Menge verändert hatte. Sogar Jack, der große Wolfshund, erkannte mich wieder und sprang nicht nach meiner Kehle, sondern hielt mitten im Angriff inne, schnüffelte an mir und richtete die angelegten Ohren wieder auf. Ich legte ihm die Hand zwischen diese Ohren und redete freundlich zu ihm. Er ließ mich gehen, folgte mir nicht. Er hatte sich daran erinnert, daß ich früher kam und ging. Durch ein Seitenfenster gelangte ich ins Haus und fand
schnell Haggertys Arbeitszimmer, welches zugleich auch das Ranch-Office war. Das Hauptbuch lag auf seinem Schreibtisch. Ich warf einen Blick auf die Endzahl seines Rinderbestands. Ich las die Zahl fünfzehntausendsiebenhundertsiebenundfünfzig. Wenn er doppelt so viele Rinder hatte, würde er die Blaugrasebene zu besetzen beginnen. Das war mir klar. Aber ich war nicht hergekommen, um in seinem Hauptbuch die Bestände zu kontrollieren. Ich war auch nicht an seinen Lohnlisten und sonstigen Dingen interessiert. Ich wollte vorerst nur eines: die zehn abgerissenen Hälften der Hundertdollarnoten finden. Denn nur sie würden der letztgültige Beweis dafür sein, daß Truck Haggerty mir ans Leben wollte mit Hilfe gekaufter Killer. Nun, ich fand die zehn Hundertdollar-Hälften. Sie lagen schon in einem Brief, auf dem als Adresse geschrieben stand: »Mr. Leo Baker, Missouri-Hotel, Omaha, Nebraska.« Das war es also. Truck Haggerty war schon so überzeugt gewesen, daß dieser hinterhältige Killer es schaffen würde, seinen Auftrag auszuführen und mich zu töten, daß er die andere Hälfte des Killerlohnes schon postfertig machte. Ich holte die zehn Gegenstände aus meiner Tasche und hielt sie gegen die im Brief gefundenen Hälften. Die Rißlinien paßten genau. Ich hatte also den letztgültigen Beweis. Truck Haggerty wollte meinen Tod. Wenn ich ihn tötete, handelte ich in Notwehr. Denn den nächsten Killer, den er gegen mich ausschickte, würde ich vielleicht nicht erkennen. Ihm würde glücken, was Leo Baker mißglückte. Ja, ich mußte Truck Haggerty stellen und töten.
Als ich ein Geräusch hörte, wandte ich schnell den Kopf. Meine Hand schnappte dabei den Colt heraus. Aber es war eine Frau. Sie war jung und trug einen ziemlich verwaschenen Morgenrock. Ihr Haar hing ihr offen bis über die Schultern. Sie war recht hübsch, doch sie schien keine von jener Sorte zu sein, deren Lebenszweck es war, den Männern zu gefallen und ihnen die Taschen zu leeren. Ich kannte sie nicht, hatte sie nie in Green Creek gesehen. Sie mußte neu im Lande sein. Wie kam Truck Haggerty wohl zu ihr? Denn sie war aus Haggertys Schlafzimmer getreten. Die Tür stand noch offen. Ich sah das benutzte Doppelbett. Ja, sie hatte mit Haggerty geschlafen. Sie sah mich vorsichtig an, biß sich auf die Unterlippe und sagte dann: »Es war wohl dumm von mir, Ihnen in die Quere zu kommen? Sie sind doch gewiß ein Dieb, nicht wahr? Und wenn ich jetzt um Hilfe rufe, schlagen Sie mich gewiß nieder oder drücken mir sogar den Hals zu, ja?« Sie beendete jeden ihrer Sätze mit einer Frage, und ich erkannte daran, wie unsicher sie war. »Ich bin kein Dieb«, sagte ich. »Doch Haggerty ist mein Feind – mein Todfeind. Er gab einem Killer zehn halbe Hundertdollarnoten. – Ich kam, um nachzusehen, ob die anderen Hälften bei Haggerty sind. – Sie waren es. – Hier, Ma’am – sehen Sie es sich selbst an.« Ich zeigte ihr die Geldscheine. Und sie trat näher, hatte offenbar keine Furcht mehr vor mir. Sie sah auf die Scheine, begriff, daß sie zusammenpaßten und demnach gewissermaßen eine Anzahlung und eine Restzahlung waren. Sie leckte sich über die Lippen. In ihren rauchgrauen Augen war ein Verlangen. Ich spürte, daß sie hinter Geld her war wie eine Maus hinter Speck oder Käse. Vielleicht war sie doch nur ein Flittchen, das sich Haggerty
für eine Weile ins Haus und in sein großes Doppelbett nahm – weil er ja auch nicht wie ein Mönch leben wollte. Ich sagte: »Am besten, Sie legen sich wieder ins Bett und tun so, als hätten Sie fest geschlafen. Dann wissen Sie nichts, haben nichts gehört und nichts gesehen, Schwester.« Sie trat einen Schritt zurück – aber sie tat es offenbar nur deshalb, um mich besser betrachten zu können. Zuletzt hielt ihr Blick dem meinen stand. Sie sagte: »Vielleicht könnten wir ein Abkommen schließen, Mister.« Ich staunte. Aber dann glaubte ich zu begreifen. Sie wollte offenbar nur Geld. Vielleicht war sie doch nur ein Flittchen. Und welches Flittchen wollte kein Geld? Ich fragte: »Geld?« »Ja«, sagte sie, »davon könnte ich auch etwas gebrauchen. – Aber das ist es nicht allein. – Ich möchte fort von hier. – Ich möchte zur nächsten Poststation gebracht werden. – Dann würde ich auch jetzt nicht schreien.« Sie hatte sich indes noch einige Schritte von mir entfernt. Nun stand sie fast schon in der offenen Schlafzimmertür. Sie konnte im anderen Zimmer verschwinden und mir wahrscheinlich sogar noch die Tür vor der Nase zuschlagen. Wenn auf der anderen Seite ein Riegel war, den sie mit einer raschen Bewegung zuzuschieben vermochte, kam ich gar nicht so schnell an sie heran. – Und dann konnte sie aus dem Fenster um Hilfe rufen und die ganze Ranch alarmieren. Ich mußte mich irgendwie mit ihr einigen. »Haggerty kommt erst in zwei oder drei Tagen wieder«, sagte sie. »Er reitet seine Grenzen ab. – Und er will wohl auch etwas gegen diese Leute auf der sogenannten Blaugrasebene unternehmen. – Da sollen Windpumpen unterwegs sein. Ich glaube von Omaha her. Ich kann mir unter einer Windpumpe nichts vorstellen. Doch ich hörte, wie er mit seinen Vor- und Bestmännern sprach und ihnen Befehle erteilte – Mister, ich
möchte weg von hier!« Meine Gedanken jagten sich. Und ich hatte eine Menge zu überdenken. Dennoch interessierte mich, warum sie von hier weg wollte. Deshalb fragte ich: »Warum wollen Sie weg, Schwester? Haggerty ist ein großer, reicher und mächtiger Mann. Er kann Ihnen eine Menge bieten. – Und wenn Sie gut sind dort drinnen im Bett, dann wird er gewiß nicht kleinlich sein. – Gefällt Ihnen etwas nicht an ihm?« Sie hatte einen Moment funkelnde Augen. Aber dann bekam ihr Blick einen fast mitleidigen Ausdruck. »Er ist ein Ekel«, sagte sie. »Ich schrieb ihm auf eine Heiratsanzeige, die er in den Zeitungen von Saint Louis erscheinen ließ. Ich schickte ihm auch mein Bild. Er ließ mich kommen, und zuerst glaubte ich, daß ich den großen Fang gemacht hätte. – Aber er hat kein Herz. In ihm ist nur Gier und Kälte. – Ich glaube nicht, daß er gut sein könnte zu einer Frau. Er gebraucht sie nur wie einen Gegenstand. – Ich sagte ihm schon vor einigen Tagen, daß ich wieder fort wollte, und bat ihn um das Geld für die Rückreise. – Aber er lachte nur und sagte mir, daß er mich noch eine Weile behalten wollte. – Er nahm mir die Kleider weg. Der Chinese drüben in der Küche bringt mir Essen. – Und die Negerin, die hier sauber macht im Haus, grinst mich nur an. – Ich will hier weg. – Bringen Sie mich zur nächsten Poststation und geben Sie mir hundert Dollar von diesem Geld da. – Ich klebe es mir schon zusammen. – Oder ich schreie diese ganze Ranch zusammen!« Sie meinte es ernst. Und ich staunte. Denn ich war hinter ein Geheimnis von Haggerty gekommen. Er gab Heiratsanzeigen auf und ließ sich Frauen kommen. Er war also in seinem Kern einsam. Seine Macht konnte ihn also nicht für Dinge entschädigen, nach denen jeder Mann sich sehnt.
Aber er blieb kalt, war ohne Herz. Vielleicht wurde er gemein zu jeder, wenn er spürte, daß sie ihn nicht mochte, daß er sie enttäuschte als Mann, als Mensch. Ich fragte: »Wie heißen Sie, Schwester?« »Ellen Linhart«, erwiderte sie. »Und ich kann nicht mal reiten. – Verstehen Sie, Mister?« Ich nickte. Denn jetzt begriff ich erst richtig, wie sehr sie auf Hilfe angewiesen war. Ich nickte. – »Es gefällt mir, daß ich Ihnen helfen kann, weil ich damit Haggerty ärgere. – Aber Sie brauchen wahrscheinlich gar nicht die Flucht ergreifen. Denn wenn ich leben will, muß ich Haggerty töten. – Dann löst sich hier Ihr Problem von selber.« Aber sie schüttelte sofort heftig den Kopf. »Vielleicht tötet er Sie«, sagte sie herbe. »Er hat viele Reiter, die jeden seiner Befehle ausführen. Vielleicht wird er Sie bald wie einen Hasen jagen. Und solch eine Chance, von hier wegzukommen, finde ich sicherlich so schnell nicht wieder. – Schwören Sie mir jetzt auf der Stelle, daß Sie mir hundert Dollar geben und mich zur nächsten Poststation bringen. – Schwören Sie es mir. – Oder ich renne ans Fenster und kreische!« Ich sah ihr an, daß sie jetzt ihre einzige Chance erkannt hatte und konsequent nutzen würde. Sie glich einer Ertrinkenden, die sich an etwas klammerte und es nicht mehr loslassen würde. Einen Moment noch zögerte ich. Vielleicht war ich doch schnell genug und konnte sie erreichen, bevor sie mir die Tür vor der Nase zuschlug. Aber sie sah so aus, als wäre sie schnell wie eine Katze. Nein, ich konnte es nicht schaffen. Und sie würde ja schon bei meinem ersten Sprung zu kreischen begingen. Ich nickte. »Also gut«, sagte ich. »Sie haben mein Wort, daß ich Ihnen hundert Dollar gebe und Sie zur nächsten Poststation bringe.«
»Schwören Sie es!« »Ich schwöre es.« Sie atmete langsam aus, entspannte sich. Dann deutete sie auf einen Schrank in der Ecke. »Dort drinnen sind meine Kleidungsstücke – auch der Koffer und die Reisetasche. Brechen Sie das auf, damit ich mich endlich anziehen kann. – Haben Sie einen Wagen in der Nähe? Sie kamen doch nicht zu Fuß.« »Ein Pferd«, sagte ich. »Wir müssen zu meinem Pferd schleichen. – Und Sie können deshalb den Koffer nicht mitnehmen – nur Ihre Reisetasche. – Aber ich werde Ihnen zweihundert Dollar geben. – Gut so?« Sie nickte sofort. »Das Zeug, das ich hierlassen muß«, sagte sie, »ist gewiß keine hundert Dollar wert. Sie sind großzügig, Bruder. – Wie heißen Sie denn?« »Cashmoore«, sagte ich. »Elroy Cashmoore.« Da nickte sie. »Ja«, murmelte sie, »diesen Namen hörte ich schon, wenn er Befehle gab. – Er haßt Sie. – Ja, er haßt Sie.« * Nun, ich brachte diese Ellen Linhart unbemerkt von der Ranch. Wieder sah mich niemand, obwohl es ziemlich schwer war, Ellen in Deckung zu halten. Aber wahrscheinlich hatten wir nur Glück. Bei den Corrals wurden Wildpferde zugeritten. Sie mußten dort ein besonderes Teufelsbiest haben, welches schon alle Reiter abgeworfen hatte. Nun wollte wohl jeder Mensch auf der Ranch sehen, wie die nächste Runde ausging. Dieser Umstand war uns natürlich eine große Hilfe. Wir kamen unbemerkt zu meinem wartenden Pferd. Ich überlegte, ob wir es wagen konnten, jetzt bei Tage zu reiten. Doch wir mußten es wagen. – Bald schon würde man Ellen Linharts Verschwinden
auf der Ranch bemerken. Entweder der Koch oder die Negerin, die das Haus sauber hielt, würden Alarm geben. – Und dann würden alle Reiter, die jetzt bei den Corrals waren, ausschwärmen und suchen. Die Spur zum Hügel hinauf und vor allen Dingen die Stelle, wo mein Pferd stand, waren gewiß nicht schwer zu finden. Wir mußten fort. Ellen Linhart saß hinter mir auf dem Pferd und hielt sich an meinem Gürtel fest. Wir sprachen nicht viel. Nur einmal fragte ich: »Sie sind aus Saint Louis? – Was taten Sie dort?« »Ach«, sagte sie, »ich pflegte eine alte Lady. Sie war reich, schwer wie ein Berg, so reich. Ihre erwachsenen Kinder waren in alle Himmelsrichtungen verstreut, entweder aus beruflichen Gründen oder durch Heirat. – Die alte Lady sagte mir jeden Tag, daß ich ein liebes und tüchtiges Mädchen wäre. Ich mußte ihr jeden Tag stundenlang vorlesen. Ich fuhr sie mit dem Rollstuhl aus. – Und jeden Tag wusch ich sie von Kopf bis Fuß. Ich war Tag und Nacht für sie da. – Sie sagte mir auch oft, daß sie mich in ihrem Testament bedenken würde und ich mir dann keine materiellen Sorgen mehr zu machen brauchte. – Denn ich wäre ihr wie eine Tochter oder Enkelin geworden. Sie müßte sich ja im Grabe umdrehen, würde sie mich nicht versorgt zurücklassen. Und dann starb sie eines Tages. – Ich war der einzige Mensch, der in ihrer letzten Stunde bei ihr war. Ich hielt ihre Hand, wischte ihr den Schweiß aus dem Gesicht und drückte ihr die Augen zu.« Sie verstummte herb, sagte nichts mehr. Ich aber blickte nach einer Weile während des Reitens über die Schulter und fragte: »Und dann? – Was war dann? Hat sie Ihnen etwas vererbt?« »Alles, was sie besaß«, erwiderte Ellen Linhart. »Und war sie reich?« fragte ich ahnungsvoll.
Ellen Linhart lachte leise. »Sie war es einmal gewesen – vor vielen Jahren. – Aber ihr Vermögen war längst alle. Sie hatte es nach und nach ihren Kindern geschenkt und selbst nur noch Schulden gemacht. – Ihre Schulden waren größer als das Haus und die gesamte Einrichtung. – Wenn ich das Erbe angenommen hätte, würde ich nur ihre über den Sachwertbesitz hinausgehenden Schulden geerbt haben. – Auch von ihren eigenen Kindern nahm keiner das Erbe an, nachdem ich abgelehnt hatte. – Was sie an Sachwerten noch hinterließ, wurde versteigert. – Sie starb mit Schulden. – Drei Söhne und zwei gut verheiratete Töchter lehnten es ab, ihre Schulden zu begleichen. – Sie war eine feine alte Dame, nicht wahr?« »Ja«, sagte ich. Dann ritten wir schweigend weiter. Ich mußte scharf aufpassen, daß uns nicht zufällig irgendwelche Weidereiter der Haggerty-Ranch sahen. Wir hielten uns also ständig in Deckung der Hügel, die die Blaugrasebene von Haggertys Weidegebieten trennten. Wir kamen nur langsam vorwärts. Der Tag verging. Die Müdigkeit kroch durch meine Glieder wie Blei. Ich hatte ja die vergangene Nacht nicht geschlafen. Nun wußte ich es genau. Hinter mir auf dem Pferd saß ein Mädchen, welches zu den Pechvögeln gehörte, wahrscheinlich immer gehören würde. Es war Nachmittag, als wir die Poststation erreichten. Der Stationsmann sah uns staunend entgegen. Ich sagte: »Die Lady hat unterwegs ihr Pferd verloren. – Wann kommt die nächste Kutsche nach Omaha hier durch?« »Über Elkhorn nach Omaha«, sagte er. »Morgen – am nächsten Vormittag irgendwann, wenn kein Rad bricht.« Ich nickte nur. Dann sah ich Ellen Linhart an. Das Geld hatte ich ihr schon gegeben. Die beiden
Hundertdollarscheine hatten wir bereits in Haggertys Arbeitszimmer zusammengeklebt. In einer Dose hatten wir ein weißes Pulver gefunden, welches mit Wasser angerührt werden konnte zu einem durchsichtigen Kleister. »Viel Glück, Ellen«, sagte ich zu ihr. Sie nickte, trat an mich heran, zog sich an mir hoch und gab mir einen Kuß. »Danke«, sagte sie. »Gleichfalls, viel Glück, Elroy. Schade, daß nur ein paar sehr glückliche Frauen solche Männer wie dich bekommen.« Sie wandte sich ab und ging in das Stationshaus. Es gab dort eine Gaststube. Ich sah durch die offene Tür die Frau des Stationsmannes am Herd. Der Stationsmann folgte mir zum Brunnen, wo ich mein Pferd versorgte. Er fragte plötzlich: »Sind Sie nicht Elroy Cashmoore von der Blaugrasebene südlich von Green Creek?« Ich nickte und sah ihn fest an. Da er mich zu kennen schien, kannte er gewiß auch meinen Ruf und bitteren Ruhm. Er sagte plötzlich: »Haggerty ließ diese Frau damals von hier abholen. – Hat er sie jetzt weggeschickt?« »Nein«, sagte ich und trank ebenfalls Wasser. Ich wusch mein Gesicht. Und der Stationsmann sah mich danach immer noch fragend an. »Sie läuft ihm weg«, sagte ich. »Sie läuft ihm weg, weil ihm etwas fehlt. Es fehlt ihm so sehr, daß es sein Reichtum nicht ausgleichen kann. – Er stinkt. – Verstehen Sie, Freund, er stinkt gewissermaßen – symbolisch gemeint. – Bei dem hält es keine Frau aus, es sei denn, sie wäre ständig betrunken.« »Sie hassen ihn?« Sah man mir an, daß ich ihn haßte? Hörte man es an meiner Stimme? Sah man es in meinen Augen? Ich saß auf und ritt weiter.
Denn ich mußte Haggerty suchen, um ihn zu töten. Sonst war Sue bald Witwe. Und das Leben war doch so schön für mich mit Sue. * Ich ritt nach Osten und blieb in der Hügelkette, die von West nach Ost verlief. Erst nach Anbruch der Dämmerung – als die Sicht schlecht wurde –, da ritt ich auf die Blaugrasebene. Aber ich hielt immer noch östliche Richtung ein. Denn Ellen Linhart hatte mich ja gewarnt. Sie hatte mir gesagt, daß Haggerty losgeritten war mit seinen Revolverreitern, um das weitere Hereinbringen von Windpumpen ins Land zu verhindern. Und diese Windpumpen kamen vom Missouri her, also von Omaha. Es gab dort im Osten nicht viele Möglichkeiten. Der Loup River teilte sich in drei Arme. Es gab den North Loup, den Middle Loup und den South Loup. Letzteren mußten die Wagen durchfurten. Und weil die Flüsse hier in Nebraska alle mehr oder weniger voller Treibsand waren, gab es nur sehr wenige brauchbare Furten. Wenn von Omaha ein Wagenzug mit Windpumpen kam, dann mußte er durch die Broken-Bow-Furt. Und dort würde Truck Haggerty ihn wohl erwarten. Ich fragte mich, ob Pernel Scott im Verlauf dieses Tages heimgekommen war. Es konnte auch sein, daß er aus der Stadt kam und einen Brief bekommen hatte. Dann würde er dem Wagenzug entgegenreiten wie wir alle – also Haggerty und ich. Pernel Scott wartete ja sehnsüchtig auf weitere Windpumpen. Sie waren schon alle fest verkauft. Er hatte überall die Vorbereitungen für ihre Aufstellung getroffen und die Fundamente legen lassen von den Käufern, die ja meine
Nachbarn waren. Ich mußte also Ausschau nach Pernel Scott halten – nicht nur nach Haggerty und seinen Reitern. Es wurde Nacht. Mein Pferd war jetzt erschöpft. Es konnte nicht weiter. Und auch ich mußte mal ausruhen und ein oder zwei Stunden schlafen. – Sonst war ich nur noch ein halber Mann mit verlangsamten Reflexen. Ich hielt also an und fand einen Platz dicht beim Wagenweg. Nachdem ich mein müdes Pferd versorgt hatte, streckte ich mich auf dem noch sonnenwarmen Boden aus und schlief sofort ein. Irgendwann schreckte ich auf. Aber ich hörte sofort, was mich aus meinem Schlaf holte. Es war trommelnder Hufschlag. Ein Reiter jagte auf dem Wagenweg ziemlich dicht an meinem Rastplatz vorbei nach Osten. Oh, ich wußte sofort, daß dieser Reiter ein Bote war. Aber was für eine Botschaft brachte er zu Haggerty? Und war es wirklich nur ein Bote? Oder machte es ihm einfach nur Spaß, in einer hellen Mondnacht auf einem schnellen Pferd zu galoppieren? Heimkehrende Cowboys, die nicht betrunken waren, brachten so etwas fertig. Denn es gab nun mal keine größeren Individualisten. – Ich konnte also nur hoffen, daß es ein auf eine einsame Ranch heimkehrender Cowboy war, der in der hellen Mondnacht sein Pferd ausprobieren wollte. Oder war es Pernel Scott? Aber ich hatte ein ungutes Gefühl. Scott war es sicherlich nicht. Wenn es ein Bote für Haggerty war … Oha, da gab es viele Möglichkeiten des Verdrusses. Sicherlich hatten sie auf der Ranch herausgefunden, daß Ellen Linhart weg war. Sie fanden mit Sicherheit auch meine Fährte und den Platz, wo mein Pferd gestanden hatte. – Wenn
sie dann dieser Fährte zur Poststation gefolgt waren und den Stationsmann … Halt! Ich hielt erschreckt inne mit meinen Gedanken. – Denn wenn sie sehr schnell zur Poststation geritten waren, hatten sie auch Ellen Linhart erwischt. Und da gab es auch wieder einige Möglichkeiten. Sie hatte immerhin zwei zusammengeklebte Hundertdollarnoten. Wenn Haggertys Männer sie durchsuchten – und wenn sie glaubten, daß sie Haggerty das Reisegeld aus dem Schreibtisch holte – nun, dann würden sie ihm davon Meldung machen. – Und dann … Denn es war mir völlig klar, wie die Dinge laufen konnten, wenn alles schiefging. Verdammt noch mal. Ich sattelte mein Pferd. Es hatte sich ein wenig ausgeruht. Auch ich war nun etwas ausgeruht, ja, ich war sogar hellwach. Ich schwitzte vor Grimm und Ungeduld. Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als diesem nächtlichen Reiter möglichst rasch zu folgen. So konnte ich vielleicht hoffen, an Truck Haggerty heranzukommen, bevor er die große Jagd auf mich eröffnete. Wenn sie Ellen Linhart gefunden hatten, wenn sie die beiden zusammengeklebten Geldscheine bei ihr fanden und Haggerty davon Meldung machten, dann würde er den Rest leicht erraten. Aber vielleicht hatte ich Glück. Ich schwang mich in den Sattel und ritt los. Vor mir war noch der Staub des Reiters in der Luft. Er hatte ihn aufgewirbelt. Dieser trockene Staub hielt sich lange. Er war eine »schwebende Fährte«, und ich brauchte nur meiner Nase zu folgen. Denn solange ich diesen Staub in die Nase bekam, war ich dem Reiter ziemlich dicht auf den Fersen. Es war ein langer Ritt. Denn bis zur Broken-Bow-Furt des
South Loup waren es mehr als zwanzig Meilen. Die Nacht ging schon ihrem Ende zu, als ich mich dem Fluß näherte. Die flachen Hügel gaben kaum noch Deckung. Aber dafür gab es hier Baum- und Buschinseln, auch einige flache Senken. Und je näher ich dem Fluß kam, um so zahlreicher wurden die Inseln des Grüns. In einer Senke, die ziemlich mit Buschzeug und Bäumen gefüllt war, sah ich dann Truck Haggertys Camp. Er hatte diese Senke gewählt, um ein Feuer anzünden zu können. Denn der Fluß war ganz nahe. Und drüben beim Fluß war auch die einzige Furt weit und breit. Sie war schmal. Es mußte ein schmaler Felsrücken sein, der da im Treibsand eine feste Basis bildete. Drüben auf der anderen Seite des Flusses – kaum eine Meile weit von Haggertys Camp entfernt, da leuchteten die Feuer des Wagenzuges in der sterbenden Nacht. Sie wurden schon angezündet. Denn solch ein Wagenzug war bei Sonnenaufgang schon unterwegs. Und vorher gab es noch eine Menge zu tun. Ich blickte auf Haggertys Camp. Und ich wußte, daß er von seinen Revolverschwingern den Wagenzug nicht nur aufhalten lassen würde. Er wollte ihn vernichten. Was konnte ich tun? Sollte ich durch die Furt und den Wagenzug warnen? Die Windpumpen mußten auf die Blaugras-Ebene. Hatte Pernel Scott sie erst aufgestellt und in Betrieb gesetzt, wurde unsere Position nahezu unangreifbar. Was also sollte ich tun? Es gab nur eine Möglichkeit. Und so wartete ich. Denn ich mußte erst einmal abwarten, bis Haggerty seine Revolverschwinger zur Furt schickte. Er selbst würde sie gewiß nicht anführen. Er würde Im Hintergrund bleiben und zusehen, daß seine Befehle ausgeführt wurden.
Ich mußte also warten, bis er allein war, und konnte nur hoffen, daß ich mir sein Vorgehen richtig ausrechnete. Denn wenn er mit seinen Reitern ritt, hatte ich nur Zeit verschwendet. Ich ließ mein Pferd zurück. Es stand gut zwischen einigen Sandsteinfelsen, welche bei Tageslicht gelb zwischen dem sie umgebenden Grün leuchteten und einen wunderschönen Kontrast bildeten. Die Nacht ging nun in ein Grau über. Am Himmel verblaßten die Gestirne. Nebel stiegen aus dem Fluß. Die Sicht zum Wagencamp wurde schlecht. Man konnte jenseits des South Loup River nichts mehr erkennen. Haggertys Männer löschten das Feuer. Ich arbeitete mich langsam den kurzen Hang zur Senke hinunter. Es gab reichlich Deckung. Die Büsche waren so hoch, daß ich mich nicht sehr tief bücken mußte. Bald war ich so nahe, daß ich wittern konnte, daß sie Kaffee gekocht und Speck gebraten hatten. All diese Düfte und Gerüche hielten sich in der Senke. Sie gingen zu den Pferden, saßen auf und formierten sich. Ich duckte mich jetzt tiefer, denn vom Sattel aus hatten sie einen besseren Überblick. Im Morgengrauen erkannte ich, daß Sloan Slade sie führen würde. Sloan Slade war nach Stag Pinalto der zweite Vormann, und weil Pinalto wahrscheinlich noch viele Wochen krank im Bett liegen mußte und vielleicht nie wieder reiten konnte, war Sloan Slade aufgerückt zum Ersten Vormann und Stellvertreter des Ranchers. Jetzt würde er seine Beförderung zum Ersten der HaggertyRanch durch eine besondere Leistung im Sinne Haggertys beweisen müssen. Oder er konnte nicht der Erste bleiben. So war das. Ich stellte mir ihn vor. Er war ein sandfarbener, hellhäutiger, zweibeiniger Wolf, dieser Sloan Slade. Er kam ebenfalls aus dem Süden, war ein schneller Revolvermann und
Lassokünstler. Er ritt jedes Pferd zu und war auf allen Gebieten als Vormann wirklich erste Klasse. Denn nicht viele Revolvermänner verstanden auch etwas von der Arbeit und den Aufgaben eines Ranch-Vormannes. Ich hörte noch Stimmen, doch die Worte waren nicht verständlich. Die Pferde machten zu viele Geräusche. Sie schnaubten, stampften. Die Sättel der Reiter knarrten. Sporen klingelten. Dann ritten sie los. Und Truck Haggerty blieb noch im Camp. Er konnte sich Zeit nehmen, erst noch eine Zigarre rauchen. Dann würde er aufsitzen, aus der Senke reiten und sich vielleicht in der Nähe eine kleine Bodenerhöhung suchen, von der aus er sich die Sache bei der Furt ansehen konnte wie ein Feldherr von einem Hügel. Ja, ich hatte den Verdacht, daß er sich so vorkam. Der Hufschlag der Pferde seiner Revolverschwinger verklang. Ich glitt weiter vorwärts und erhob mich dann hinter ihm. Mein Gewehr trug ich in der Rechten. In meiner Linken hielt ich den Colt. Es wäre leicht gewesen in diesem Augenblick, Haggerty zu erschießen. Ich brauchte nur abzudrücken. Er war mein Todfeind. Er hatte einen heimtückischen Killer angeworben, um mich töten zu lassen. Ich war ihm im Weg, weil ich der Mann war, der all die anderen Leute auf der Blaugrasebene zum Bleiben und Weitermachen brachte und ihnen sogar noch die Möglichkeiten zeigte, unabhängig zu werden vom Wasser des Green Creek. Ich war der Anführer, hinter dem sich die Leute der Blaugrasebene sammeln würden. Durch mich kam eine neue Zeit – und genau die Zeit wollte Haggerty aufhalten. Denn diese neue Zeit duldete keine Großen und Mächtigen, die ihren Schatten über die Kleinen warfen. Ja, er wollte meinen Tod.
Und ich konnte ihn mit einem einzigen Schuß töten. Nicht wenige Männer hätten das getan. Aber ich konnte nicht – nein, es ging nicht. Ich konnte selbst einen Todfeind nicht von hinten erschießen. Er wandte sich plötzlich um, als hätte er meine Nähe deutlich gespürt – oder zumindest die Nähe eines anderen Menschen. Er erschrak nicht, sah mich nur an und nickte mir schließlich nüchtern zu. »Ich wußte es plötzlich«, sagte er. »Wir sind so sehr Feinde, daß ich dich schon riechen kann wie einen Wolf oder Puma. Gut gemacht, Cashmoore.« »Was?« Ich fragte es, weil ich herausfinden wollte, was er schon wußte. Und er sagte es mir, indes er seine Zigarre rauchte und im Morgengrauen manchmal die Asche betrachtete. Seine Revolverhand brachte er nicht in die Nähe seines Colts, den er tief unter der Hüfte wie ein Revolvermann trug. »Das war eine gute Idee von dir, mein Junge«, sprach er, »bei mir auf der Ranch einen Besuch zu machen. – Daß dieser Leo Baker es auch nicht schaffen würde, hätte ich niemals geglaubt. Ich war sicher, daß er dich endlich dorthin schickt, wohin du schon lange gehörst. – In die Hölle!« Bei seinen drei letzten Worten wurde seine Stimme böse und wild. Nun ließ er erkennen, wie sehr er mich haßte. Ich grinste nur kalt und wartete. Er sog heftig an seiner Zigarre, so als wollte er sich in Rauch einhüllen und auf diese Weise unsichtbar machen. Hart sprach er weiter: »Wie hast du denn dieses verdammte Weibsstück dazu gebracht, mir einfach wegzulaufen? Wie hast du das geschafft? – Sie hatte es gut bei mir. – Es war ein Fehler von dir, sie erst zu einer Poststation zu bringen. Sloan Slade ist ein guter Vormann, wahrscheinlich ein besserer, als Pinalto je einer war. – Als er sie durchsuchte, fand er die beiden zusammengeklebten Hundertdollarnoten. – Er brachte sie mir
persönlich mit der Nachricht, daß er Ellen Linhart wieder zur Ranch schaffen ließ. Und nun ist er hier und macht sich gleich für mich noch unentbehrlicher und nützlicher. – Ich brauche jetzt nur noch zuzusehen.« Ich wußte nun, daß Sloan Slade jener Reiter war, dessen galoppierendes Pferd mich mit trommelndem Hufschlag weckte. Haggerty hatte Sloan Slade auf der Ranch gelassen. Und das war auch vor allen Dingen Ellen Linharts Pech. Denn Sloan Slade brachte mehr in Gang, als es nur einfache Reiter getan hätten. Haggerty warf die nur zur Hälfte gerauchte Zigarre auf die schon zertretene Asche des Feuers. Er trat noch mit dem Absatz drauf. Er sagte: »Du bist schon tot, Cashmoore. – Als ich die Nachricht erhielt, was alles geschehen war, konnte ich mir leicht ausrechnen, daß du immer noch hinter mir her sein würdest. – Du warst zur Ranch gekommen, um mich dort in meinem Hauptquartier zu erwischen. – Nun würdest du hier an diesen Ort kommen. – Ellen Linhart konnte dir gewiß genügend Anhaltspunkte geben. – Ich rechnete sofort damit, daß du ganz in der Nähe sein würdest. – Und weil ich dich sehr genau zu kennen glaube, setzte ich all meine Chips darauf, daß du mich nicht von hinten umlegen würdest. – Nein, dies konntest du nicht tun. – Ich habe einen guten Schützen in die Büsche geschickt. Und ich stand hier als Köder. – Jetzt steht der Mann hinter dir und zielt auf dich. Manchmal ist es einfach, einen Wolf zu erwischen. Man muß nur die richtige Falle aufstellen und die günstigen Gelegenheiten nutzen. – Du bist schon so gut wie tot, Cashmoore. – Ich möchte nur noch hören, was du zu sagen hast.« Ich hatte einen Fehler gemacht. Da er nicht zur Waffe griff, steckte ich meinen Revolver in die Halfter. Das Gewehr in meiner Rechten genügte. Doch ich hielt es nicht schußbereit im Hüftanschlag. Gewiß, es war durchgeladen. Doch ich hielt es
nur mit einer Hand um den Kolbenhals gefaßt. Der Zeigefinger berührte leicht den Abzug. Doch die Mündung zeigte zu Boden. Wenn ich den Lauf hob oder auch nur einige Zoll bewegte, bekam ich die Kugel des Mannes in den Büschen. Dieser Mann war tatsächlich da. Ich brauchte nur etwas den Kopf zu wenden und mit einem Auge über die Schulter zu blicken. Dann konnte ich ihn sehen. Denn er stand nicht genau hinter mir. Seine Kugel würde – wenn sie wider Erwarten vorbeigehen sollte – Haggerty nicht gefährden. Aber dieser Mann würde gewiß nicht vorbeischießen. Da standen die Chancen hundert zu eins gegen mich. Er hatte mich. Ich war in die Falle gerannt – und begonnen hatte es damit, daß ich Ellen Linhart zur Poststation brachte und sie zu lange auf die Postkutsche warten mußte. Sie konnte Haggertys Männern nicht entkommen. Ich hörte das Krachen von Schüssen. Hier in der Senke konnten wir es nicht sehen, doch es war sicher, daß der Wagenzug inzwischen in der Furt war und jetzt Feuer bekam von Haggertys Männern. Sie würden die Zugtiere erschießen – und wenn später die Wagen umkippten, rutschte die Ladung vielleicht vom festen Grat der Furt in den Treibsand. – Die Hölzer der Windpumpentürme – es waren ja genau und präzise gearbeitete Holzteile, die man zusammensetzen mußte – würden mit der Strömung fortschwimmen. Ich konnte dem Wagenzug nicht helfen. Denn ich steckte selbst in der Klemme. Ich war wie ein Hammel in eine Falle gerannt. * Das Schießen bei der Furt nahm zu. Offenbar setzten sich die
Frachtfahrer zur Wehr. Frachtwagenfahrer waren oft
verwegene und auch wehrhafte Burschen. Auf ihren Wegen mußten sie nicht selten gegen Indianer und Banditen kämpfen. Ja, es war ihnen zuzutrauen, daß sie auch hier an der Broken Bow-Furt den Kampf aufnahmen. Haggertys Revolverschwinger hatten es vielleicht gar nicht so leicht, wie sie es sich am Anfang dachten. Doch was konnte mir das alles helfen? Nichts! – Gar nichts! Ich saß in der Falle. Ich dachte an Sue – und daran, wie schön es mit ihr gewesen wäre. Ob wir eines Tages auch im Jenseits Zusammensein würden? Ich wünschte es mir. Denn nun ging es wohl ans Sterben. Ich versuchte es mit einem Trick, warf mein Gewehr zur Seite, so als wollte ich es wegwerfen, um anschließend meine Hände in die Luft zu strecken. Aber dann wurde ich schnell wie ein Wildkater, dem ein Hund in den Schwanz beißen will. Ich duckte mich, wirbelte herum, zog dabei den Colt und landete am Boden. Die erste Kugel streifte nur meinen Rücken. Dann schoß ich auf den Mann, der hinter mir gestanden hatte. Ich traf ihn vom Boden aus mit einem Schnappschuß. Vielleicht war es sogar ein sehr glücklicher Schuß. Doch warum sollte ich nicht auch mal wieder etwas Glück haben? Er taumelte zurück. Im Morgengrauen sah ich, wie er sein Gewehr fallen ließ. Ich war pausenlos in Bewegung, rollte mich am Boden herum, um nun auf Haggerty schießen zu können. Doch ich sah in sein Mündungsfeuer und spürte den Schlag am Kopf. Haggerty hatte Zeit genug gehabt, selbst zum Schuß zu kommen. Und er traf mich. Ich schien in bodenlose Tiefen zu sinken, und ich konnte
nichts dagegen tun. Es war mir, als wäre ich ein Schwimmer, den es in schwarze Tiefen zog, der zwar verzweifelt kämpfte, um hinaufzugelangen, zu Luft und Licht – dem es aber nicht gelang. – Und plötzlich war ich weg, hörte und spürte nichts mehr, war ohne jede Empfindung. War das der Tod? Nein, es war nicht der Tod. Denn irgendwann spürte ich Schmerz. Mein Kopf drohte immer wieder zu zerspringen. Dieses Hämmern im Schädel kam und ging im Rhythmus des Pulsschlages. Ich spürte auch den Schmerz im Rücken, wo eine Kugel eine Furche riß wie ein Schwerthieb. Aber ich lebte, ja, ich war noch nicht im Jenseits. Denn dort würde ich gewiß nicht solche Schmerzen spüren. Ich bewegte meine Hand zum Kopf, fühlte vorsichtig nach der so böse schmerzenden Stelle. Meine ganze Gesichtshälfte war voll Blut. Ich suchte nach der Wunde und fand sie. Stöhnend dachte ich: »Schon wieder eine Narbe mehr – nein, zwei Narben. Auch quer über meinem Rücken wird solch ein Ding entstehen. – Oha, wie viele Narben hab’ ich schon bekommen in diesem verdammten Leben mit dem Colt?« Ich lag noch still, bewegte mich nicht. Ich wußte, daß die Hölle der Schmerzen noch böser würde, wenn ich mich erst zu bewegen begann. Da hörte ich Schüsse. Bei der Furt wurde offenbar immer noch gekämpft. Haggertys Männer hatten es also ziemlich schwer. Wahrscheinlich konnten sie die Zugtiere der ersten Wagen erschießen. Doch an die Wagen selbst kamen sie noch nicht heran. Der Wagenzug kämpfte bei der Furt. Haggerty hatte zuwenig Revolverschwinger mitgenommen. Ich stand auf, schwankte wie ein Betrunkener. Die Welt schien sich mit mir im Kreise zu drehen wie ein Karussell.
Es war mir klar, daß ich verschwinden mußte. Denn wenn Haggerty erst merkte, daß ein vermeintlich toter Mann verschwunden war, dann mußte ich möglichst weit weg sein von ihm und seinen Revolverschwingern. Ich stolperte dann über mein Gewehr, das ich weggeworfen hatte. Als ich es aufheben wollte, fiel ich nach vorn, und ich lag stöhnend eine Weile da und fragte mich, ob mein armer Kopf schon beim nächsten oder erst beim übernächsten Pulsschlag platzen würde. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich wieder dazu bereit war, ein neues Aufstehen zu wagen. Und dabei wußte ich die ganze Zeit, daß Haggerty gewiß noch einmal nachsehen würde. Er hatte mich zwar für tot liegen lassen und war zur Furt geritten, um seine Mannschaft, die wohl nicht recht vorankam, anzutreiben – aber er würde noch einmal nachsehen kommen wie ein Jäger, der die erlegte Beute noch einmal betrachten wollte. Ich kam endlich hoch. Das Gewehr diente mir als Stütze. Und dann quälte ich mich den leichten Hang der Senke hoch und schwankte zu meinem Pferd. Der Weg kam mir unendlich weit vor. Zweimal fiel ich, stöhnte vor Schmerz und kam schließlich immer wieder hoch – weil mir ja nichts anderes übrigblieb. Ich mußte zu meinem Pferd, wollte ich mein Leben retten. Irgendwie erreichte ich mein Tier und kam auch in den Sattel. Und da saß ich nun und hatte Angst, anzureiten. Denn meine Schmerzen im Schädel würden mit Sicherheit noch schlimmer werden, sobald mein Red sich in Bewegung setzte. Diese Kugel hatte mich wie ein Keulenschlag getroffen und mir eine Gehirnerschütterung zugefügt. Es war die Kugel aus einer Sharps – und mit solch einem Ding konnte man noch auf dreihundert Yard einen Büffelbullen töten. Es war eine gewaltige dicke Kugel, die von einer starken Pulverladung in Bewegung gesetzt worden war. Hätte sie mich nur einen halben
Zoll weiter links getroffen, so würde sie mir den Schädel richtig aufgerissen haben. Ich ritt endlich an. Hinter mir krachten die Schüsse des kämpfenden Wagenzuges und der Haggerty-Mannschaft. Wie lange konnte ich im Sattel bleiben? Ich mußte im Sattel bleiben. Dem Wagenzug konnte ich nicht helfen. Ich konnte mir vielleicht bald selbst nicht mehr helfen. * Als ich die Schüsse hinter mir nicht mehr hörte, sah ich vor mir auf dem Wagenweg einen Reiter kommen. Ich hielt an. Meine Hand wollte schon das Gewehr aus der Sattelhalfter ziehen. Doch inzwischen war schon die Sonne hochgekommen. Die Sicht war recht gut geworden. Ich erkannte den Reiter. Es war Pernel Scott. Er kam von der Blaugrasebene herüber. Irgendwo dort bei einem Farmer oder Rancher, den er die Fundamente für den Windradturm herstellen ließ, war er aufgehalten worden. Nun ritt er dem längst schon erwarteten Wagenzug entgegen. Er erkannte mich erst spät. Denn ich war ohne Hut. Mein Gesicht war von Blut verklebt. Zuerst hatte er sein Pferd vom Trab in Schritt fallen lassen. Nun trieb er es wieder an. Und dann war er auch schon bei mir. »Elroy!« Er rief es erschrocken. Ich mußte also ziemlich übel aussehen. Ich erklärte ihm mit wenigen Worten, was dort an der Broken-Bow-Furt geschah. Ich schloß mit den Worten: »Also, Pernel, du mußt dich jetzt erst mal verkriechen wie ein Präriehund. – Du kannst dem Wagenzug nicht helfen. Das könntest du nur von der anderen
Seite des Flusses her. Also verkrieche dich und warte ab. – Wenn Truck Haggerty erst herausfindet, daß ich gar nicht tot bin, sondern angeschossen die Flucht ergreifen konnte, dann wird er vom Wagenzug ablassen und erst einmal mit allen Reitern hinter mir hergesaust kommen. – Du mußt ihn nur vorbeilassen und kannst dich dann um den Wagenzug kümmern. – Nach den Schüssen, die ich hörte, wußten die Frachtfahrer sich zu wehren. – Haggerty wird mehr Reiter herbeiholen müssen. – Doch solange er mich nicht erwischt, wird er dem Wagenzug nichts tun. Er weiß, daß er mich erwischen muß, bevor ich wieder gesund bin und ihn erledige. Also …« Ich wollte ihm zunicken, doch ich ließ es lieber, machte nur eine leichte Bewegung zu einigen flachen Hügeln hinüber, wo Pernel Scott Deckung finden konnte. Dann ritt ich weiter. Er rief mir nach: »Viel Glück, Roy – viel Glück! Aber ich muß mich um unsere Pumpen kümmern. Ja, ich werde alles tun, was du geraten hast! Ich werde mich erst einmal verstecken und Haggerty an mir vorbeilassen …« Mehr hörte ich nicht. Denn der Hufschlag meines Pferdes war lauter als seine Stimme. * Es war der längste Tag meines Lebens – und es wurde auch der längste Ritt. Es schien kein Ende zu nehmen. Manchmal wollte ich mich einfach aus dem Sattel fallen lassen. Dann wieder hielt ich im Schatten von Sandsteinfelsen oder Bäumen und hielt mir den Kopf. Einmal lag ich an einer Wasserstelle und steckte immer wieder meinen Kopf hinein. Aber immer wieder ritt ich weiter. Denn ich wußte, daß
Haggerty kommen würde. Es kam dabei nur darauf an, wann sie mein Verschwinden bemerkt hatten. Längst schon hatte ich die Wagenstraße verlassen und war eine Zickzackfährte geritten. Nur so konnte ich ein schnelles Einholen verhindern. Ich mußte ihnen Rätsel aufgeben und meine Fährte möglichst verwischen – und doch nicht so sehr verwischen, daß sie diese Fährte verloren. Es war dann schon später Nachmittag, als ich sie kommen sah. Haggerty hatte nicht mehr so viele Reiter bei sich wie heute morgen in seinem Camp. Aber nach dem heftigen Schießen, welches ich hörte, mußte er ja Verluste gehabt haben. Ich zählte außer ihm noch sieben Mann. Ja, er ritt an der Spitze – und er wirkte ungeduldig. Er wußte, daß er mich schnell erwischen mußte, sehr schnell, möglichst schon in der nächsten Stunde. – Denn er hatte den Wagenzug gewiß nicht vernichten können. Die Windpumpen kamen auf die Blaugrasebene. Und dies wieder würde die Leute dort motivieren. Er würde es schwerer haben, sie zum Aufgeben zu bringen. Er mußte die Windpumpen vernichten, wollte er die Besiedlung des Landes aufhalten und selbst der Mächtige bleiben. Ich schätzte die Entfernung. Sie betrug mehr als drei Meilen. Haggerty und seine Reiter kamen über eine kleine Ebene, die bei mir endete. Ich hielt schon in guter Deckung. Um mich waren Sandsteinformationen, dazwischen da und dort etwas Grün. Ich ritt nach Westen, also immer noch in Richtung Blaugrasebene. Als ich mein Pferd wieder in Bewegung setzte, da konnte ich hoffen, daß er mich bis zum Anbruch der Nacht nicht mehr erwischte. Ich wußte ziemlich genau, wo wir uns befanden. Als ich einen trockenen Creek durchritt – es war einer dieser Creeks,
die nur nach Regenfällen Wasser führten, also gewissermaßen nur »Ablaufrinnen« waren –, hielt ich an. Ich saß ab, nahm mein Gewehr und die Wasserflasche und brach eine Distel ab. »Verzeih mir, Red«, knurrte ich heiser und schlug das arme Tier. Es wieherte vor Schmerz, keilte aus, traf mich fast und sauste davon. Ja, es war gemein von mir, mein treues Pferd zu schlagen. Doch ich wollte am Leben bleiben. – Und meine Kopfschmerzen waren schon viele Stunden gewiß sehr viel schlimmer als der kurzfristige Schmerz, den ich meinem Tier zufügte. Ich löschte meine Fußspuren im Creekbett, ging rückwärts zu einigen Felsen, die von Dornenbüschen umsäumt waren. Hier in diesem Land gab es nur Sandsteinfelsen, in die Wind und Wetter Löcher gefressen hatten. Ich kroch in solch ein Loch, welches von Dornengestrüpp völlig verdeckt wurde. Dann lag ich still, stöhnte nur manchmal und atmete flach. Mein Puls wurde schwächer und langsamer – und weil das so war, schienen auch die Schmerzen in meinem Schädel nachzulassen. Oh, es tat gut, so zu liegen. Ob mein Pferd weit genug gelaufen war? Dies war die Frage. Denn sie durften es nicht vor Anbruch der Nacht finden. Es mußte sie weit von mir fortlocken, so daß sie in der Nacht meine Fährte nicht aufnehmen konnten. Ich brauchte einige Stunden Ruhe. Als ich fast schon eingeschlafen war und die Schmerzen in meinem Schädel erträglich wurden, da hörte ich sie kommen. Sie ritten in den trockenen Creek und fanden schnell heraus, daß ich nicht herausgeritten war. Die Spur des Pferdes führte im Creek nach Süden. Ich hielt den Atem an. Denn nun hing alles davon ab, daß sie keinen erfahrenen Scout bei sich hatten. Denn solch einem wirklichen Fährtenleser würde jetzt aufgefallen sein, daß die
Hufabdrücke des Pferdes nicht mehr so tief waren. Immerhin wog ich um die hundertundsiebzig Pfund, und die lasteten nicht mehr auf dem Tier. Überdies war es auch rasch angesprungen, so als wäre es von einer Peitsche gejagt worden. Diese Zeichen hätten einen wirklichen Scout mehr als nur nachdenklich gemacht. Aber sie merkten nichts, denn Haggerty führte sie an, und Haggerty war kein Fährtenleser mit großer Erfahrung. Auch war er zu ungeduldig. Sie folgten der Fährte meines Pferdes – und es wurde Abend. Bald würde die Nacht mein Verbündeter sein. Ich entspannte mich noch mehr und schlief ein. Bis zum Morgen konnten sie mich wahrscheinlich nicht mehr aufspüren. * Als ich erwachte, waren etwa drei Stunden vergangen. Dies erkannte ich am nächtlichen Himmel. Die Nacht war wieder hell – aber nicht so hell, daß man meine Fährte verfolgen konnte, sollte man sie durch Zufall an einer besonders günstigen Stelle entdecken im Mond- und Sternenlicht. Ich fühlte mich besser. Was doch drei Stunden fast völlige Ruhe und ein betäubungsähnlicher Schlaf alles vollbringen konnten. Als ich mich erhob und in Bewegung setzte, benahm mein Kopf sich recht manierlich. Ich wußte natürlich, wohin ich gehen mußte. Nicht ohne Grund hatte ich hier in diesem trockenen Creekbett mein Pferd davongejagt. Und so machte ich mich auf den Weg zu White-Man Eagle. Er war ein ziemlich alter Bursche, der als kleines Kind zu den Indianern kam, als es hier noch keine Weißen gab. Er kannte den Namen seiner Eltern nicht und sah auch ganz gewiß nicht wie ein Indianer aus. Aber er wurde als Sohn von Eagle, einem
Häuptling der Arapahos, angenommen. Und weil er keine Rothaut war, nannte man ihn einfach White-Man Eagle. Diesen Namen behielt er auch dann noch, als er längst schon nicht mehr bei den Indianern lebte, sondern als Scout und Jäger sein Leben fristete. In letzter Zeit war er viel mit meinem Freund Pete Jacks zusammengewesen. Er half Pete dabei, Haggerty-Rinder zu stehlen. Denn auch er war der Meinung, daß Haggerty ihm eine Menge schuldig sei. Schließlich war er der erste Weiße gewesen, der in diesem Land lebte. Und dann war Haggerty gekommen und hatte sich breitgemacht in White-Man Eagles Jagdrevier. Es waren zwei Meilen bis zu White-Man Eagles Hütte. Sie lag versteckt in einem Gewirr von flachen Hügeln, die sich alle glichen. Ich rief dann rechtzeitig zur Hütte, wer ich war. Als Antwort erklang, ging ich weiter. White-Man Eagle hatte mich ganz sicherlich schon kommen hören. Er empfing mich in der offenen Hüttentür und hatte sein Gewehr im Hüftanschlag. Er senkte es erst, als er mich richtig erkannt hatte, und sagte: »Dir geht es wohl gar nicht gut, Elroy?« »Jetzt schon wieder etwas besser«, sagte ich. Wir verharrten noch einige Atemzüge, lauschten in die Runde. Doch auch der so sehr mißtrauische Eagle hörte und spürte nichts. Er ließ mich eintreten. Und indes er meine Kopfwunde versorgte, erzählte ich ihm alles mit kurzen Worten. Er fragte dann: »Soll ich dir helfen, Elroy?« »Nur – indem du mir ein schnelles und zähes Pferd gibst«, sagte ich. »Dann werde ich mit Haggerty abrechnen. Und solange Haggerty und seine Männer keine frischen Pferde haben, werde ich ihnen überlegen sein. – Verstehst du?«
Ja, er verstand das gut. Denn auch er würde so handeln. Er sagte nur: »Vergiß nur Pete Jacks nicht, mein Freund. – Wie ich hörte, seid ihr in Elkhorn zu einer Menge Geld gekommen und Pete ist unterwegs, neue Rinder zu holen. Er war bei mir und wollte, daß ich ihm helfe beim Treiben. Doch ich wollte nicht. – Ich konnte nicht. Denn ich reite gerade ein Rudel Wildpferde zu. – Aber vergiß nicht, Freund, daß Haggerty in diesem Land nichts entgeht. Er wird vielleicht Pete und die Herde vernichten wollen, wenn er dich nicht erwischt oder du ihn nicht vorher abschießt wie einen tollen Hund. – Natürlich hab’ ich ein Pferd für dich, ein gutes sogar. – Und es ist gut, daß du mich warnst. Ich werde mich vorsehen müssen. Wenn er nämlich dich erwischen sollte, wird er aufräumen wollen in diesem Land. Dann kommt er auch zu mir.« Ich nickte nur. Es gab nichts mehr zu sagen. Bald schon war ich recht gut ausgerüstet, saß auf einem zähen und schnellen Pferd, hatte Proviant und mein Gewehr. Die Nacht war längst noch nicht um, als ich mich auf die Suche nach Haggerty machte. Auf meinem frischen Pferd war ich ihm und seinem Rudel überlegen. Ich konnte mit ihnen spielen wie ein Kater mit einem Rudel Ratten. Und ich war jetzt entschlossen, endlich die ganze Sache bis zum bitteren Ende auszukämpfen. Das Gras auf dieser Weide würde blutig werden. * Ich sah sie im Morgengrauen. Sie hatten meinen Red bei sich und waren zurückgeritten zu jener Stelle, von wo aus ich das Tier davongejagt hatte. Ich konnte sie in den Morgennebeln schemenhaft erkennen. Sie ritten langsam, wollten offenbar meiner Fährte folgen, die ich zu Fuß hinterlassen hatte. Ich saß ab, wickelte die Zügelenden um meine Hand, nahm
das Gewehr, kniete nieder und begann zu schießen. Ja, ich schoß ohne Warnung. Denn sie waren ja in der Überzahl. Alle waren sie Revolverreiter, die schon dem Wagenzug Verluste zugefügt hatten. Ich hatte einen Spencer-Karabiner mit sieben Schuß. Ich jagte alle sieben Kugeln aus dem Lauf, und ich konnte einigermaßen erkennen, daß ich auch einige Male traf. Dann mußte ich mich in den Sattel werfen und die Flucht ergreifen. Denn sonst hätten sie mich in die Zange genommen. Auf meinem frischen Pferd entkam ich ihnen leicht. Als ich wieder anhielt, war es Tag. Die Sonne kam im Osten herauf. Die Sicht wurde mit jeder Minute besser. Ich sah nun meine Verfolger. Truck Haggerty saß noch im Sattel. Ihn hatte ich also nicht erwischt. Er saß jedoch etwas schief. Vielleicht hatte ich ihn angeschossen. Zwei seiner Reiter fehlten. Es konnte aber auch sein, daß ich nicht sie, sondern ihre Pferde getroffen hatte. Haggerty führte nur noch fünf Reiter an, nicht mehr sieben. Mir wurde die schreckliche Konsequenz jetzt erst richtig klar. Denn ich mußte dieses Rudel niederkämpfen. Es würde noch mehr blutiges Gras geben. Ich saß im Sattel, hielt hinter einer Bodenwelle und nahm das Gewehr hoch. Ich begann wieder zu schießen. Mit dem ersten Schuß traf ich Haggertys Pferd. Die Kugel hatte ihm gegolten. Doch das Tier nahm in diesem Moment den Kopf etwas hoch, so daß er für Haggerty zum Schutzschild wurde. Ich sah das Tier stürzen, doch ich schoß weiter auf Haggertys Männer. Sie jagten auseinander, lösten ihre Traube, die sie ja bildeten, sofort auf. Eines der Tiere stürzte, warf den Reiter in einen Dornenbusch. Ein anderer Reiter schwankte im Sattel, hielt sich aber am Sattelhorn fest.
Dann waren meine Chancen auch schon wieder vorbei. Ich konnte mich ihnen immer noch nicht stellen. Denn Haggerty war nur vom Pferd gesprungen, bevor dieses sich überschlug. Und er hatte immer noch drei Reiter, mit denen er mich einkreisen und ins Kreuzfeuer nehmen konnte. Ich mußte noch einmal flüchten. Und wieder konnten sie mir auf ihren erschöpften Pferden nicht folgen. Nachdem Haggertys Reiter es erfolglos versuchten, mich zu umreiten, gaben sie eine Verfolgung sofort auf. Was nun? Ja, was würden sie nun tun? Haggerty hatte kein Pferd mehr. Wenn er sich von einem seiner Reiter ein Tier geben ließ, hatte er nur noch zwei Mann, die ihn begleiten konnten. Würde er es wagen, mir mit zwei Mann zu folgen? Er mußte jetzt begriffen haben, daß ich nur darauf wartete und ihm wieder irgendwo auflauerte. Und wenn er nochmals welche von seinen Männern verlor, dann hatte ich ihn. Es konnte aber auch sein, daß ich ihn mit dem ersten Schuß traf. Er konnte also beim nächsten Zusammentreffen schnell tot sein. Würde er dieses Risiko eingehen? Ich hielt auf einer kleinen Anhöhe und beobachtete sie. Haggerty war ratlos, dies sah ich sofort. Er fühlte sich vielleicht sogar geschlagen. Dieses Spiel gefiel ihm gewiß nicht. Und es war so einfach. Auch gab es kein Mittel dagegen, solange mein Pferd schneller war als ihre Tiere. Ich konnte ihnen immer wieder auflauern. Sie mußten auf meiner Fährte kommen. Und ich vermochte ihnen immer wieder schnell zu entkommen. Indes ich sie beobachtete, wünschte ich mir, daß Haggerty es noch einmal versuchte. Doch er tat es nicht. Er hatte seine Lektion geschluckt.
Einer seiner Reiter stieg ab, überließ ihm das Tier und saß hinter einem anderen Reiter wieder auf. Dann ritten sie langsam davon. Sie gaben auf. – Oder es sollte so aussehen. Wenn ich ihnen jetzt folgte, so wie sie mir gefolgt waren, würden sie mir Hinterhalte legen können. Und dann hätte Haggerty gewissermaßen den Spieß umgedreht. Ja, ich war natürlich etwas enttäuscht. Denn das Spiel – wenn man dieses Blutvergießen überhaupt so nennen durfte – hatte sich gedreht. Haggerty lud mich jetzt gewissermaßen ein, ihn zu verfolgen. Wenn ich ihn ziehen ließ, würde sich seine Situation bald wieder bessern. Denn Haggerty konnte noch zwei oder drei Dutzend Reiter aufbieten, genug jedenfalls, mich in die Hölle zu jagen. Wenn ich ihm Zeit ließ, würde er eine neue Jagd in Gang bringen. Und dann saß ich nicht mehr auf einem besseren Pferd. Aber ich mußte ihn ziehen lassen. Mein Kopf, der sich eine Weile recht manierlich benommen hatte, machte sich wieder bemerkbar mit einem heftigen Pochen. Ich konnte nicht mehr schnell reiten – und wenn, dann war es möglich, daß sich bald schon vor meinen Augen alles drehte und ich einen Zustand erreichte, der zwischen Bewußtlosigkeit und Wachsein war. Ich hatte ohnehin schon schlechter geschossen, als ich das normalerweise konnte. Nein, ich konnte Haggerty und den Rest seiner Männer nicht verfolgen. Ich mußte froh sein, daß sie aufgaben und ich eine Verschnaufpause bekam. Und so sah ich ihnen nur nach. Es war nicht schwer für mich, mir vorzustellen, was Haggerty tun würde. Er brauchte Männer mit frischen Pferden. Und er würde mich nicht noch mal unterschätzen oder gar für tot liegen lassen.
Als sie mich nicht mehr sehen konnten, wandte ich die Nase meines Pferdes nach Süden. Denn die Sache war einfach und leicht zu begreifen. Wenn Haggerty wußte, daß Pete Jacks mit einer Herde von Süden her auf meine Weide zog, dann würde er nicht nur diese Herde vernichten wollen. Nein, er würde auch sehr sicher sein, daß er mich bei Pete Jacks und der Herde fand. * Ich ritt nicht mehr weit. Dann hielt ich an und legte mich in den Schatten einiger Sandsteinfelsen. Ich mußte ausruhen, mochte Haggerty in Gang bringen, was er nur wollte. Ich konnte nicht mehr. Oha, mein armer Kopf! Was mußte er nur alles aushalten, ohne zu zerspringen? Ich lag und entspannte mich. Langsam wurde es besser, und ich schlief ein. Ja, ich schlief wahrhaftig ein, was nur ein Zeichen dafür war, wie mies es mir ging und ich solch eine Pause brauchte. Die Sonne weckte mich, denn ich lag nicht mehr im Schatten, weil sie höher gestiegen war. Ich schreckte hoch. Mein Kopf benahm sich wieder manierlich. Ich sicherte nach allen Seiten. Doch es gab keine Gefahr weit und breit. Ich hatte etwa zwei Stunden geschlafen. Ich mußte weiter nach Süden reiten, Pete Jacks entgegen. Denn dort bei der Herde würde der nächste Kampf stattfinden. Pete Jacks konnte mit der Herde noch hundert Meilen entfernt sein – aber auch schon in der Nähe unserer Blaugrasebene. Ich mußte zu ihm, und so ritt ich in Richtung Kansas.
*
Noch einmal mußte ich mich hinlegen und ausruhen. Ich konnte nicht anders. Dann wurde es Abend. Ich ritt langsam, ließ das Tier nur dann und wann ein wenig traben. Nun wurde auch dieses Pferd müde. Immer wieder sah ich mich um, ritt auf kleine Anhöhen, spähte in die Runde. Aber ich sah weder was von Haggerty – noch von Pete Jacks mit der Herde. Und immer wieder wünschte ich mir, daß Pete mit der Herde noch hundert Meilen weit entfernt wäre. Einige Male sah ich Staub in der Ferne. Eine große Indianersippe zog mit ihrer Habe nach Nordwesten. Ich kreuzte dann die Fährte der Schleppschlitten. Ein paar Coyoten folgten mir. Vielleicht hielten sie mich für einen Jäger, von dessen Beute etwas abfallen würde. Doch selbst wenn ich ein Jäger gewesen wäre, so hätte ich nirgendwo eine Beute entdecken können. Das Land war wie ausgestorben. Früher zogen hier die gewaltigen Büffelherden umher, gab es Indianerstämme. Jetzt war alles leer. Männer wie Haggerty versuchten alles in Besitz zu nehmen und die nachdrängenden Siedler aufzuhalten. Doch nur Siedler und Farmer konnten dieses Land zum Aufblühen bringen. Nicht mal Rinderzüchter vermochten dies. Es wurde Abend. Als ich durch die flachen Hügel ritt, sah ich den Platte River im Mond- und Sternenlicht glänzen. Und schon auf dieser Seite des Flusses brannte das Feuer des Herdencamps. Ich wußte sofort, daß es nur Pete Jacks sein konnte. Er hatte
die Herde schon über den Platte gebracht. Ich konnte die Rinder im Licht der Gestirne erkennen. Die meisten Tiere hatten sich niedergetan – ein Zeichen, wie hart sie getrieben worden waren. Doch Pete trieb ja keine Fleischherde zum Verkauf. Es kam nicht auf das Gewicht an, und auf unserer Blaugrasebene konnten die Tiere schnell wieder Fleisch ansetzen. So ähnlich hatte Pete sicherlich gedacht. Er wollte so schnell wie möglich zurück sein. Ich ritt auf das Feuer zu, kam auch an der Herde vorbei. Ein Reiter näherte sich mir. Es war der Herdenwächter. Er war schon alt und saß schief im Sattel. Pete hatte ihn gewiß in Kansas – wahrscheinlich in Abilene, wo er die Herde geholt hatte – angeworben für dieses Treiben. »Hoi, sind Sie vielleicht Elroy Cashmoore?« »Sicher«, erwiderte ich, »der bin ich bestimmt. – Ist Pete Jacks dort am Feuer?« »Er muß mich gleich ablösen«, erwiderte der alte Cowboy. »Und ich mach’ mich dann sofort auf die Socken nach Abilene. Ich bin schon viel zu lange weg.« »Und warum?« fragte ich ahnungsvoll. »Weil Pete Jacks meine Medizin vernichtet hat«, erwiderte der alte Cowboy. »Ich habe drei Flaschen Wundergeist mitgenommen für dieses Treiben. – Aber ich konnte nur die erste Flasche einnehmen. Die beiden anderen Flaschen hat dieser Teufel mir weggenommen. – Der hat kein Herz für alte Cowboys, die vom Rheuma schlimmer geplagt werden als von einer bösen Frau. – Der wird vielleicht auch mal krumm und schief werden und voller Schmerzen sein. – Aaaah, ich reite sofort los, nachdem er mich bezahlt hat. – Sagen Sie ihm das nur gleich. – Nun hat er ja in Ihnen einen neuen Helfer.« Er verstummte grimmig und kehrte zur Herde zurück. Dort begann er mit etwas zittriger Stimme zu singen: »Oh, meine lieben Mädchen, haltet nur gute Ruh! Ich bringe meiner Mary ein paar goldene Schuh!
Wenn ich heimkomme, wenn ich heimkomme von diesem Trail.« Ich dachte in diesem Moment an Sue. Oh, ich hatte oftmals in den vergangenen Stunden an sie gedacht. Nun aber waren meine Gedanken sehr intensiv bei ihr. Sie würde gewiß voller Bangen auf meine Rückkehr warten und sich immer wieder fragen, was alles geschehen sein mochte irgendwo im weiten Land. Ich ritt weiter auf das Feuer zu. Pete Jacks stand dort und wartete mit einem Becher voll Kaffee auf mich. Er sah meinen Kopfverband und konnte auch erkennen, daß ich noch im Sattel verharrte, weil ich zu erschöpft zum Absitzen war. Da trat er mit dem Kaffee an mein Pferd, reichte mir den Becher empor. »Der bringt auch einen drei Tage toten Indianer wieder hoch«, sagte er. Ich trank. Dann saß ich ab. Wir wechselten nur einige Worte. Aber er wußte, daß ich gekommen war, um ihn vor Haggerty zu warnen. »Dieser versoffene Charly wird jetzt gleich wegreiten«, sagte Pete. »Der heult nach Whisky wie ein Wolf bei Mondschein. – Dann sind wir allein mit der Herde, Freund Roy. Es sind hundertfünfzig gute Rinder, zumeist tragende Kühe. – Aber was wird Haggerty tun? – Warum lebt er noch? Warum hast du ihn noch nicht zur Hölle geschickt? – Das kann uns die Herde kosten. – Was ist los mit dir, Roy?« Ja, er hatte recht mit der Frage. Ich hatte Truck Haggerty vor dem Colt gehabt – nein, vor meinem Gewehr, um es genau zu sagen – und ihn nicht umgebracht. Und weil das so war, floß noch mehr Blut. Ich saß langsam ab, gab keine Antwort. »Ruh dich aus«, sagte Pete schließlich. »Ich löse Charly ab.
Der wird sofort seinen Lohn verlangen und zur nächsten Whiskytränke reiten.« Er ging sporenklirrend zu seinem Pferd, welches in der Nähe angebunden stand. Er zog den Sattelgurt stramm und saß auf. Pete war auf dem Trail ein mürrischer Bursche geworden. Aber das war kein Wunder, wenn man mit hundertfünfzig Rindern möglichst schnell vorwärtskommen wollte und nur eine Schnapsruine als Helfer hatte. Ich versorgte noch mein Pferd. Dann legte ich mich flach. Ich mußte mich hinlegen. Sonst kippte ich bald um. Und damit war ich keine Hilfe für Pete. Ich dachte mit meinen letzten Gedanken an Sue und Haggerty. Hoffentlich hatte Sue nicht zu große Angst um mich. Und hoffentlich kam Haggerty nicht in dieser Nacht noch. * Doch er kam. Ja, er kam, denn er war mir dichter auf den Fersen gewesen, als ich geglaubt hatte. Er mußte unwahrscheinlich schnell seine Reiter zusammengeholt haben – vielleicht sogar durch Rauchsignale. Er kam im Morgengrauen, als aus dem Fluß die Nebel krochen. Für uns war alles von Anfang an ungünstig. Denn gegen Morgen wurde jede Treibherde unruhig. Sie hatte sich ausgeruht und wollte sich gerne über die Weide zerstreuen. Aber das durfte sie nicht. Rinder wanderten nicht gerne unter Zwang. Und sie mußten bald wieder marschieren. Das wußten sie genau. Ich wurde durch den Lärm wach, sprang hoch und rannte zu meinem Pferd. Mit einem Ruck zog ich den Bauchgurt stramm – mit der anderen Hand löste ich unmittelbar danach die an
einen Busch gebundenen Zügelenden. Dabei hörte ich die Schüsse, das Brüllen der erschreckten Herde, das Johlen und Schreien der Reiter. Sie hatten von drei Seiten die Herde angegriffen und trieben sie zum Fluß zurück, aus dem die Nebel krochen. Zu sehen war nichts – nur zu hören. Wo mochte Pete Jacks stecken? Rechts und links von mir tauchten Rinder auf. Sie rannten brüllend und mit gesenkten Hörnern. Sie waren nicht aufzuhalten. Ich riß mein Pferd herum, so daß es in die gleiche Richtung wie die Rinder rannte, bevor diese so dicht formiert waren, daß sie uns umrannten. Mein Pferd wieherte, schnaubte. Es war voller Furcht. Die Stampede hatte es angesteckt. Die Nebel im Fluß waren so dicht, daß ich kaum weiter als fünf oder sechs Schritte sehen konnte. Ich ritt also fast blind durch die sterbende Nacht. Wasser klatschte und patschte unter den Hufen meines Pferdes. Ich wußte, daß der Platte River kaum knietief sein konnte, dazu noch sandig. Das war ein Trost und eine Hoffnung. Auf Hindernisse konnten wir also alle nicht rennen. Aber die Stampede würde wahrscheinlich erst drüben außerhalb der Flußnebel aufzuhalten sein. Ich blieb deshalb an der Spitze der Herde und wollte sie später herumdrücken, so daß sie allmählich im Kreis zu laufen begann. Der Platte River war mächtig breit. Manchmal ging es auch über Sandinseln. Dann wieder war Wasser unter den Pferdehufen. Alles schien eine Ewigkeit zu dauern. Dann aber waren wir auf der anderen Seite und kamen auch endlich aus den Nebeln heraus. Ich drückte von rechts gegen die Leitstiere, brüllte sie an, schlug sie mit dem Lasso – und allmählich wichen sie zur Seite aus. Sie begannen auch schon langsamer zu laufen. Aber wir hatten schon Meilen hinter uns, wie mir bewußt wurde. Die Rinder waren in unwahrscheinlich kurzer Zeit die ganze Strecke eines Tages-Wanderwegs
zurückgelaufen. Um sie wieder zurück zum Fluß zu bringen, würden wir einen ganzen Tag brauchen. Wo, zum Teufel, war jetzt Pete Jacks? Dies fragte ich mich, und ich machte mir Sorgen. Denn ich hatte ja eine Menge Schüsse gehört, und alle waren gewiß nicht nur deshalb abgefeuert worden, um die Herde aufzuscheuchen und in Stampede zu versetzen. Als ich die Herde zu einem Kreis herumgedrückt hatte, ritt ich von ihr weg und in Richtung des Flusses. Aus dem Nebel dort kam ein Reiter. Bald schon erkannte ich ihn. Ja, es war Pete Jacks, mein Freund und Partner, der einst von Haggerty betrogen wurde. Ich sah schon bald, daß er angeschossen war. Denn er hing schief auf seinem Pferd und konnte sich offenbar nur mit letzter Kraft im Sattel halten. Ich saß dann schnell ab, um ihn aufzufangen, und ich schaffte dies gerade noch. Als ich ihn vorsichtig auf den Boden legte, sah ich die Wunde in seiner Brust. O du lieber Vater im Himmel, laß ihn nicht sterben! Das war mein Gedanke. Er öffnete die Augen, sah zu mir auf. »Warum hast du Haggerty nicht längst zur Hölle gejagt?« Das waren seine letzten Worte. Ich konnte ihm keine Antwort geben. Er hätte sie auch nicht mehr verstanden. Er atmete nämlich für immer aus. Ich verharrte bewegungslos. Aber meine Gedanken jagten sich. Ja, es war meine Schuld, daß auch Pete Jacks sterben mußte. Ich war zu feige gewesen, Haggerty zu töten. Ich konnte ihn nicht in den Rücken schießen. Er hatte das vorausgesehen und mir einen Hinterhalt gelegt. Ich war ein Narr gewesen. Jetzt war Pete Jacks tot.
Ich stand auf, ging zu meinem Pferd und zog das Gewehr aus der Sattelhalfter. Und dann kniete ich nieder und wartete. Denn sie mußten ja wohl kommen. Sie waren immer noch hinter mir her und wollten auch den angeschossenen Pete finden. Sie kamen bald. Ich schoß meinen Karabiner leer, und ich schoß an diesem grauen Morgen besser. Ich schoß eiskalt und sicher. Sie purzelten nur so, zahlten einen blutigen Preis für das, was sie uns antaten, weil Haggerty es so wollte. Aber es waren zu viele für mich. Mein Karabiner war bald leer. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Sie schwärmten nach den Seiten zu einer Zangenbewegung aus. Sie wollten mich einkreisen und festnageln. Deshalb mußte ich in den Sattel und die Flucht ergriffen. Ich konnte Pete Jacks nicht einmal mehr zudecken. * Sie bekamen mich nicht. Das Pferd, das ich von White-Man Eagle bekommen hatte, war zu gut. Es hatte sich ja auch mehr als eine halbe Nacht ausruhen können. Sie konnten mich nur einige Meilen jagen – mehr nicht. Leider war es mir nicht möglich, mich zum Kampf zu stellen. Es waren mehr als ein Dutzend. Ich entkam ihnen doch in den Hügeln des Quellgebietes des Little Blue River – und ich schlug dann einen großen Bogen nach Westen. Denn ich wollte ja unbedingt wieder zurück nach Green Creek. Die Rechnung, die ich mit Haggerty zu begleichen hatte, wurde immer höher. Meinem Kopf ging es nun besser. Die letzten Stunden Schlaf hatten mir sehr geholfen. An diesem Tag würde ich durchhalten im Sattel.
Meine Sorgen jedoch wuchsen mit jeder Meile, die ich zurücklegte. Denn meine Gedanken waren fortwährend bei Haggerty. Ich stellte mir vor, was er tun würde, nachdem er mich abermals nicht bekommen hatte und ich Pete Jacks, meinen guten Freund, und die Herde verlor. Haggerty sollte mir das alles bezahlen. Ich mußte ihn suchen, und ich wußte, wo ich ihn finden würde. Denn wenn Pernel Scott inzwischen den überfallenen Wagenzug wieder in Bewegung gebracht hatte und die Windpumpen die Blaugrasebene erreichten, würde dort der Endkampf stattfinden. Dabei mußte ich Haggerty erwischen – oder wir würden alles verlieren. So ritt ich also den ganzen Tag und hielt Ausschau. Aber sie verlegten mir nicht den Weg. Vielleicht wollte Haggerty mich sogar absichtlich auf die Blaugrasebene reiten lassen. Er konnte sich ja leicht ausrechnen, daß ich kommen mußte, wollte ich nicht völlig aufgeben. Es wurde ein langer Tag im Sattel. Mein Pferd hielt durch bis zum Abend. Dann war es so erschöpft wie ich. Mein Kopf schmerzte schon wieder viele Stunden. Als die Nacht kam, rasteten wir. Ich lag auf dem noch sonnenwarmen Boden und dachte an sie, an Pernel Scott, an die Windpumpen und den Wagenzug, der sie brachte – und an Haggerty. Zuletzt dachte ich an Pete Jacks, der gestorben war. Pete war immer ein Rebell gewesen, der sich nirgendwo einfügen und unterordnen konnte. Haggerty hatte ihn einmal um den Lohn betrogen, und so war er Haggertys Feind geworden. Wenn ich Haggerty damals getötet hätte, würde Pete Jacks noch leben. Als ich dann einschlief, träumte ich von Sue.
Es war immer das gleiche Bild, das ich im Traum sah. Sue kam mir mit ausgestreckten Armen entgegengelaufen. * Gegen Mitternacht erwachte ich und stieg wieder in den Sattel. Ich war längst schon weit genug nach Westen ausgebogen und konnte wieder nach Norden reiten. Als es Tag wurde, erreichte ich die Blaugrasebene von Süden her. Der Weg führte dicht neben dem nun trockenen Green Creek entlang. Weit und breit war nichts von Haggerty und seinen Reitern zu sehen. Nur dann und wann entdeckte ich in der Ferne rechts und links kleine Hütten und Siedlerstätten, neben denen noch die Wagen standen, mit denen die Siedler ins Land gekommen waren. Aber dann – gegen Mittag, und mein Pferd und ich, wir waren schon wieder ziemlich müde – erreichte ich Bob Duanes Anwesen. Es lag dicht beim Creek. Seine Frau Anni und die beiden Söhne kamen mir entgegen. Anni Duane machte sich große Sorgen. Sie fragte: »Wo kommst du denn her, Elroy Cashmoore? Bob und die anderen Nachbarn sind dem Wagenzug entgegengeritten, der unsere Windpumpen bringen soll. – Und sie kommen und kommen nicht zurück! Was mag da geschehen sein? Und warum kommst du nicht von Osten her?« Ich zögerte, ihr alles zu erklären. Doch dann begriff ich, daß ich es tun mußte. Das war ich ihr schuldig. Ich durfte sie nicht ahnungslos lassen. Und so erzählte ich ihr alles, so knapp ich konnte, ohne ihr etwas zu verschweigen. Die Jungens waren zwischen zwölf und vierzehn Jahren alt. Sie konnten schon alles gut verstehen. Anni Duane sagte plötzlich schrill: »Bob hat immer gesagt,
daß Haggerty an dir zerbrechen würde, daß du Haggerty zur Hölle jagen würdest, Elroy Cashmoore, wenn er uns angreift. – Bob war immer der Meinung, daß wir alle zu dir halten müßten und wir Haggerty gemeinsam …« Sie brach ab, wischte sich mit einer hastigen Bewegung über das Gesicht und sagte dann noch schriller als zuvor: »Wären wir nur nicht in dieses Land gekommen. Hätten wir nur nicht auf dich vertraut, Elroy Cashmoore. – Du warst doch mal ein berühmter Revolvermann und Sheriff im Süden. – Aber hier gegen Haggerty versagst du!« »Ja, so ist das wohl, Anni«, erwiderte ich und ritt weiter. Es hatte keinen Sinn, mit Anni Duane zu streiten. Und wahrscheinlich hatte sie sogar in ihrer Bitterkeit die Wahrheit ausgesprochen. Ich hatte versagt, als ich Haggerty nicht töten konnte. Ich ritt weiter. Mein Ziel war jetzt meine eigene Ranch. Mein Pferd war nun so müde, daß ich im Schritt reiten mußte. Ich dachte an Sue. Wie würde sie mich empfangen? Oder konnte es sein, daß Haggerty mich bei Sue erwartete? Im Nordosten tauchten einige Reiter auf. Ich hielt an und zog das Gewehr aus der Sattelhalfter. Denn im ersten Moment glaubte ich, daß es Haggerty-Reiter wären. Aber es waren meine Freunde und Nachbarn. Ich erkannte Bob Duane, Jim Peters, Jake Wells, Sam Fisher und Ted Ballard. – Sie erkannten mich nun und kamen mir entgegen. Ich erwartete sie reglos. Denn es tat mir gut, mal ruhig zu sitzen und mich zu entspannen. Als sie dann bei mir hielten, sahen sie mir sicherlich an, daß es mir gar nicht gutging und ich eine Menge hinter mir hatte. Sam Fisher sagte: »Du hast Haggerty nicht lange genug hinter dir hergelockt. Er muß begriffen haben, was du wolltest, und ist rechtzeitig umgekehrt. – Er traf dann auf den Wagenzug, den Pernel Scott aus der Furt geholt und auf die Blaugrasebene gebracht hatte. – Dieser Wagenzug hatte schon
in der Broken-Bow-Furt einige böse Verluste. – Nun aber haben sie unsere Windpumpen gründlich zerstört – vernichtet! Es ist aus. – Pernel Scott sagte, daß seine Familie ruiniert wäre, weil sie ja für nichtgelieferte Windpumpen keine Bezahlung fordern könnte. – Ja, auch Pernel Scott gab auf. – Das war vor zwei Stunden etwa. – Und wir reiten jetzt heim, um unsere Siebensachen zu packen und das Land zu verlassen. – Gegen Haggerty kommen wir nicht an. Auch du nicht, Elroy Cashmoore. – Wir haben verloren.« Nun also wußte ich es genau. Ich hatte gegen Haggerty auch die zweite Runde verloren. Denn ich konnte ihn nicht lange genug hinter mir herlocken. Ich hatte ihn zu hart bedrängt. Zwar holte er sich Verstärkung, doch er gab auch diesmal ziemlich früh die Verfolgung auf. – Inzwischen war der Wagenzug mit den Windpumpen von der Broken-Bow-Furt in unser Land gekommen. – Haggerty hatte die Windpumpen vernichtet. Ja, wir hatten verloren. Ich wollte noch etwas sagen, doch ich brachte kein Wort heraus. Ich nickte den Männern zu und ritt weiter. Erst nach einem Dutzend Yard hielt ich wieder an und sagte laut genug über die Schulter zu ihnen zurück: »Ich vernichte ihn! – Ja, ich vernichte ihn doch noch! Ich schlage ihn! Und er zahlt uns den Schaden mit Zinsen!« Dann ritt ich weiter. Als ich mich einmal umsah, hielten sie immer noch als bewegungslose Gruppe und sahen mir nach. Aber sie folgten mir nicht. Sie hatten keinen Mut mehr. Es war mir klar, wo Truck Haggerty auf mich warten würde: bei Sue auf meiner Ranch. Denn er konnte sich ausrechnen, daß ich heimkommen würde. Irgendwann würde ich zu meiner Frau kommen. Er brauchte nur darauf zu warten, das war für ihn leichter und bequemer, als mich zu jagen.
Ich durfte also nicht heim zu Sue. Denn Sue war zum Köder in einer Falle geworden. Diese Erkenntnis war schlimm für mich. Denn alles in mir drängte danach, heimzukehren, Sue zu sehen, sie in meinen Armen zu halten. Doch ich würde gar nicht bis zu Sue kommen. Und weil sie dies sehr genau wußte als Haggertys Gefangene oder Geisel, würde sie jetzt gewiß schon heiße Gebete gen Himmel schicken, daß ich Verstand genug besaß, ihr fern zu bleiben. Ich ritt bis zu einer Formation von Sandsteinfelsen, zwischen denen es auch etwas Grün gab. Hier hielt ich an und saß ab. Mein Pferd und ich brauchten wieder mal eine Pause. Ich hatte nach allen Seiten gute Sicht, und ich fand auch noch etwas Proviant in der Satteltasche, den White-Man Eagle mir mitgegeben hatte. Ich ruhte aus, aber ich erhob mich immer wieder und hielt Ausschau nach allen Himmelsrichtungen. Doch niemand kam. Die Blaugrasebene war wie ausgestorben. Ich dachte daran, wie sehr viel Blut schon in dieses Gras geflossen war. Und erst wenn ich Haggerty erwischt hatte, würde alles beendet sein. Als dann endlich die Dämmerung kam und die Sicht schlecht wurde, schwang ich mich wieder auf das gute Pferd und ritt weiter. Mein Ziel war Green Creek. Vielleicht gab es dort etwas, womit ich Haggerty eine Überraschung bereiten konnte. Nach etwa fünf Meilen sah ich links von mir ein Licht in der Nacht. Es brannte so still und sah so friedlich aus, einladend, freundlich. Dort bei diesem Licht in der Nacht war Sue. Dort lag meine
Ranch. Und dort lauerten sie auf mich. Ich ritt vorbei. * Kurz nach Mitternacht sah ich die Lichter von Green Creek. Es waren nicht mehr viele, kaum ein halbes Dutzend. Ich ritt offen in die Stadt. Das war kein besonderes Wagnis, denn Haggerty würde mir solch eine Frechheit nicht zutrauen. Seiner Meinung nach würde ich so unklug nicht handeln. Natürlich hielt ich meinen Colt bereit. Aber die Stadt wurde nicht bewacht. Als ich den Saloon erreichte, standen dort noch einige Sattelpferde. Ich sah sie mir genau an, doch keines der Tiere trug den Haggerty-Brand. Es waren irgendwelche Reiter, die von irgendwoher kamen und irgendwohin ritten. Doch eines der Pferde trug mein eigenes Brandzeichen. Es war das Tier, welches ich Pernel Scott zur Verfügung stellte, als er zu meinen Nachbarn zu reiten begann und oft tagelang abwesend war. Ja, es war der rammnasige Schecke. Also mußte Pernel Scott drinnen im Saloon sein. Ich saß ab, band das Pferd an und ging hinein. Mac Mullen, der Wirt, staunte mich an, als wäre ich ein Geist. Die wenigen Gäste waren im Raum verteilt. Drei Mann spielten in der Ecke Karten. Zwei andere Männer waren beim Billardspiel. Pernel Scott stand allein am Ende des Schanktisches. Er hatte sich aufgestützt und starrte in sein Glas. Als ich neben ihn trat, wandte er den Kopf und sah mich an. Auch in seinem Gesicht war nun ein Staunen.
»Na, großer Meister«, sagte er, »bist du auch gekommen, dich zu besaufen? Oder kannst du diese Niederlage nüchtern ertragen?« Mac Mullen schenkte mir wortlos ein Glas ein. Es war ein guter Whisky. »Der geht auf meine Rechnung«, murmelte er. »Hast du keine Sorge, daß Haggerty auf dich lauert? – Mit einigen Revolverschwingern, die dich ihm tot zu Füßen legen möchten.« »Nein«, sagte ich. »Ich habe keine Sorgen in dieser Richtung.« Pernel Scott zuckte zusammen, riß seine Augen auf und sah mich noch einmal an, diesmal gab er sich Mühe, wenigstens für einen Moment nüchtern zu sein. Und er schien etwas zu erkennen. »He«, sagte er zum Wirt, »der hat ja immer noch nicht aufgegeben. Oder irre ich mich da?« »Nein«, sagte ich. »Und wenn du keine Pfeife bist, dann kommst du mit. Ich lade dich ein zu einem Vergnügen, bei dem du voll auf deine Kosten kommen wirst.« Sein Gesicht zuckte. »Meine Familie – unsere ganze Windpumpen-Fabrik in Ohio – sie sind ruiniert, pleite, erledigt. – Wenn dieser Pete Jacks mir nicht in Elkhorn …« »Pete Jacks ist tot«, sagte ich. »Sie haben ihn erschossen, als sie unsere Herde in Stampede versetzten. – Haggerty muß bezahlen – alles – mit Zinsen. – Willst du dich hier weiter besaufen oder mitkommen?« Er schluckte und leckte sich dann über die Lippen. »Ich komme mit«, sagte er. »Ich war noch nie im Leben eine Pfeife. Sag das nicht noch mal. – Ich bin keine Pfeife.« Ja, er war ein wenig betrunken, doch noch nicht so sehr, daß er nicht genau gewußt hätte, um was es ging. Er wurde mit jedem Atemzug nüchterner.
Mac Mullen fragte: »Kann ich mitkommen? Ich mach’ den Laden zu, wenn ihr Hilfe braucht.« Ich sah ihn abschätzend an, und ich spürte, daß er es wahrhaftig ernst meinte. »Eigentlich müßte die ganze Stadt mit dir gehen«, sagte er. Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Zwei Mann sind genug. – Aber ich werde dein Angebot nicht vergessen, Mac.« Und dann gingen wir hinaus und traten zu den Pferden. »Und jetzt?« fragte Pernel Scott. Ich trat dicht zu ihm und beugte mich etwas nieder, denn er war ja viel kleiner als ich. »Jetzt wecken wir den Storehalter«, sagte ich. »Und dann?« »Er bekam irrtümlich mal eine falsche Kiste. – Er wollte Wachskerzen, aber es waren Preßpulverstangen. Sie sollten nach Wyoming. – Wenn er diese Kiste noch nicht zurückgeschickt hat, haben wir fünfzig Kilo Sprengstoff. – Wird das genügen, den Damm wegzupusten, mit dem Haggerty unseren Creek umleitete?« »Ich glaube schon«, sagte Pernel Scott. »Wenn man die Ladungen richtig anbringt. Wir brauchen aber zwei Spitzhacken und auch Schaufeln.« »Sicher«, sagte ich. »Und Zündhölzer. – Und die Windpumpen wird Haggerty auch bezahlen müssen. – Wetten?« * Wir erreichten den Damm im Morgengrauen. Es war niemand da, der ihn bewachte. Haggerty hatte seine Leute hier abgezogen. Er brauchte jeden Mann, und er hatte gewiß keine geringen Verluste. Seine Herden konnte er auch nicht lange unbewacht auf den weiten Weidegebieten lassen. Denn von
Elkhorn her kamen immer wieder Viehdiebe und stahlen seine Rinder. Die Auswanderer-Wagenzüge am Oregon Trail kauften jedes Frischfleisch zu guten Preisen, nahmen gern auch lebende Rinder mit auf den langen Weg. Wir waren also allein am Damm und begannen sofort mit der Arbeit. Auch Proviant hatten wir uns geben lassen vom Storehalter, der sehr froh war, die Kiste mit dem Sprengstoff loszuwerden. Wir arbeiteten abwechselnd. Einer von uns paßte immer auf und stärkte sich manchmal. Gegen Mittag waren wir dann soweit. Wir hatten tiefe Löcher in die Basis des Dammes getrieben und auch rechts und links die Verankerungen ausgehöhlt. Wir stopften die Sprengladungen hinein und legten die Lunten aus. Es ging dann alles sehr schnell und glatt. Pernel Scott war auch auf diesem Gebiet ein Fachmann. Aber schließlich war er ja auch Ingenieur. Als es dann krachte, lagen wir in guter Deckung, und der Knall war so laut, daß wir glaubten, unsere Trommelfelle müßten platzen. Erdbrocken flogen neben uns zu Boden. Wir sprangen auf – und wir sahen vorerst nicht mehr viel. Denn der Damm schien unversehrt. Aber dann hörten wir ihn knirschen und ächzen. Das Wasser von der anderen Seite drückte, schob – und dann brach alles auseinander, zerfiel, wurde weggeschwemmt. Ja, wir hatten den Damm zerstört. Und wenn man das gewaltige Krachen nicht gehört hatte in Green Creek, dann würde man jedoch bald schon das Wasser im trockenen Creekbett steigen sehen und wissen, daß etwas geschehen war. Ich nickte Pernel Scott zu. »Jetzt hab’ ich’s eilig«, sagte ich. »Wenn Haggerty bei mir auf der Ranch ist und dort auf mich lauert, dann wird er gewiß zum Vorschein kommen, wenn der Creek wieder Wasser führt.
Er wird hinlaufen und sich das ansehen. – Wenn ich vor dem Wasser dort bin, kann ich auf ihn warten. – Also, Freund!« Ich lief zu meinem Pferd, saß auf und ritt los. Wenn ich jetzt nur ein wenig Glück hatte, würde ich Haggerty erwischen. Diesmal würde ich nicht zögern, sofort zu schießen. * Zuerst war das Wasser schneller als mein Pferd. Es schoß nur so dahin in seinem alten Bett. Aber bald ließ der Druck des kleinen Stausees offenbar nach. Ich war auf meinem Pferd bald schon schneller, überholte die erste Welle und gewann Vorsprung. Bald schon konnte ich langsamer reiten, brauchte mein Pferd nur noch traben zu lassen. Ich hielt ständig scharf Umschau. Nur einmal sah ich einige Reiter. Doch sie ritten nach Norden. Sie hatten wahrscheinlich den gewaltigen Knall gehört und waren nun unterwegs zum Damm. Mich sahen sie offensichtlich gar nicht, denn hier am Creek wuchsen viele Büsche, Bäume, gab es also für mich überall Deckung. Nein, sie konnten mich nicht sehen. Ich setzte meinen Weg fort. Als ich in die Nähe von Green Creek kam, standen dort einige Leute am Ortseingang, sahen mir entgegen. Der Ort lag am westlichen Ufer des Creeks. Als ich nahe genug war, rief der Storehalter: »Wir haben den Knall gehört! Ist es der Damm?« Ich staunte nicht darüber, daß man bis Green Creek den Knall hatte hören können. In diesem Lande konnte man ja oft auch einen Gewehrschuß meilenweit hören. Ich rief zurück: »Das Wasser kommt! – Es dauert nicht mehr lange, dann ist es hier bei euch! Pernel Scott reitet mit der ersten Welle!« Dann war ich vorbei. Und ich wußte, sie würden nun auf
Pernel Scott warten. Und auf die erste Welle. * Es endete dann sehr einfach, eigentlich lächerlich einfach. Aber gerade die schlimmsten Dinge enden manchmal so. Es war schon fast Abend, als das Wasser auch bei meiner Ranch anlangte. Zuvor aber traf dort ein schneller Reiter ein, der Haggerty Meldung machte. Denn bis zu meiner Ranch hatte man die Sprengung doch nicht gehört. Haggerty war noch ganz ahnungslos und wartete auf mich. Als der Reiter die Meldung gemacht hatte, lief Haggerty zum Creek. Er kam im Laufschritt, denn er wollte es sehen. Es war nur einen Steinwurf entfernt. Ich hockte zwischen den Büschen. Als er mir nahe genug war, erhob ich mich. Er hielt sofort an und sah sich nach seinen Männern um. Aber die waren noch weit zurück. Sie kamen erst aus dem Haus. Der Bote stand noch bei seinem Pferd. Haggerty wußte, daß ich ihn hatte. Er würde keine Hilfe mehr bekommen. Er mußte es ganz allein mit mir austragen. Da zog er wortlos. Jetzt, da er in die Ecke gedrängt war und es keinen Ausweg gab für ihn, da kämpfte er wahrhaftig. Aber was blieb ihm übrig? Er zog schnell, fast so schnell wie ich. Er war schneller, als ich glaubte. Doch ich traf ihn mitten ins Herz. Als er fiel, schoß er vor sich in den Boden. Und seine Leute verharrten noch. Nein, sie kamen nicht. Sie begriffen schnell, daß sie keinen Boß mehr hatten. Und ihre Treue hielt nur so lange, wie ihr Boß ihnen Revolverlohn zahlte.
Jetzt konnte er das nicht mehr. Es war vorbei. Sue kam aus dem Haus. Sie hinderten sie nicht. Sue kam herübergelaufen. Es war so, wie ich es schon im Traum gesehen hatte. ENDE
Der Roman-Hit der nächsten Woche ist Band 715 und trägt den Titel:
Starretter Im Santa-Rosa-Land führte Orson Hickman, der Raubrancher, ein blutiges Regiment. Das wurde erst anders, als sein größenwahnsinniger Sohn dem Pferdejäger John Starretter den Zuchthengst raubte …