Vertumnus. Berliner Beiträge zur Klassischen Philologie und zu ihren Nachbargebieten Herausgegeben von Ulrich Schmitzer...
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Vertumnus. Berliner Beiträge zur Klassischen Philologie und zu ihren Nachbargebieten Herausgegeben von Ulrich Schmitzer
Band
4
Martin S. Harbsmeier Betrug oder Bildung Die römische Rezeption der alten Sophistik
Edition
(j) Ruprecht
Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.
Die Umschlagabbildung zeigt eine traditionell als Vertumnus bezeichnete Antonius-Statue aus dem Louvre, Paris, in einer historischen Abbildung der Sammlung des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Erlangen-Nümberg.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
@
Edition Ruprecht Inh.Dr.R.Ruprecht e.K. Postfach www.edition-ruprecht.de
1716, 37007 Göttingen- 2008
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung außerhaib der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach
Layout: mm interaktiv, Dortmund Satz: Martin S. Harbsmeier, Berlin Druck: buch bücher dd-ag, Birkach
ISBN:
978-3-7675-3048-5
§ 52 a
UrhG.
Meiner Familie und Dorli
Danksagung Das vorliegende Buch beruht auf einem Teil einer Preisarbeit, die
2004
manistischen Fakultät der Universität Kopenhagen ausgezeichnet und
von
der Uu
im selben Jahr
von der Uumboldt-Universität zu Berlin als Magisterarbeit angenommen wurde. F ür Anregungen und Kritik sowie für lIilfe bei der Fertigstellung des Manu skripts danke ich herzlich N. Blöllner, C. J. Classen, S. Ebbesen, W.-WO Ehlers, E. lIarbsmeier,
T. lIeine-)Jielsen, D. Uentschel, D. Konstan, J. Mejer, T. Poiss, '\T.
Rösler, 11. Sander, U. Schmitzer und D. Sonnemann sowie dem Sonderfor schungsbereich
644 "Transformationen der Antike" für die finanzielle Unterstüt
zung bei der Drucklegung.
Inhaltsverzeichnis Abktirzungen..................................................................................... 8 Einleitung . . . . 9 l. Methodische Vorbemerkungen .. . 14 2. Ciceros philosophische Schriften ................................................... 18 2.1. Lucullus . . . . . . . . .. . . 18 2.2. Cato Maior de senectute . . . . . . . . . 22 2.3. Definibus . . . 23 2.4. Thsculanae di.H: 1 3 1 ) fUhrt eine ganze Reihe von Paralleliih.,,-lieferungen auf. Cf. ferner Kerferd & �'Iashar (1 \/\//>: 44). 7.23. In dem kleinen Katalog erwahnt Cicero zuerst die Dichter (!\'um lIumL-rum ... ), dann Isokra !es und Gorgias (num qtw.� ante dh-.j, lsoc...>rat.em Gorgiam) und zuletzt die Philosophen (num philo:.f,ophurum prindpes Pythagorum, 1k�moc....,;rum . . . coegit in sui..� studiis olnnute.�ceTe senctu (.'tlele...m.a; ..'XX"Tute.", autem "rimus philm«Yphiam dc."'Vocat,.;t e caclo c..'t in
urhibu.", colux..,·U'{)it c...� in dcnn1L"C etium introdu.:dt (.,'t L'(�ijt de vita ct moriJnL.... reblL.'�que huni..., c..'t ma li.", quaerere.
4.1
.�Tam cum ea (..'uusa impulerit co.'" qui " rimi �e
ud philmmphiae studium contul(...,.-unt, ut pmrtJU1hitL� toto.� se in optumo vitae statu e..xquirendo (.'(JrUo(..urent. prqte(."to spc beute 'Vi'Vtwi tanturn in co studio curam cfT}('''TUmque pwruefUnt. Vgl. Gawlick & G"r1er (1\1\14 : 104 l f. ) und Wulf ( I \160: J\I). Siehe inshesundere 5 . 5 "itac philo."'Phia dux . . . und dazu lIummel ( 1 \l611: TJlL...ideretur, tamquam modo cx tkorum eondlio fmnru..'tUT. 1 . 1 1 H Quid i, qui dixerunt torum Je di."I inmorlalibus opinloTU..-1'J7l fie-"t.um esse alJ Itominibu.", supk�tihu.."J rei publiL'ue (.'uu.'«t, uf, I.(UCJ."J ratio non pO.'i.·u't. ... . co.'" ud offidum rd�i(J dm..'(.,.,-et, nonne (Jmru..� rcligionemlundirus ..nJ..�tul�Tl.l.nt? Cb�r Kritia."i als m{jglichen erheber dies�r Ätiologie der Religion al. politischen Werkzeugs cf. U)'ck (200J: 1 1).\0.; "V'lTol"'V e�f:\JpEtv ... ) . Ihid. Quid l-Toau..'U..'i Ciw�, qui cu, quae l'rode.'t.'i(..�t rnnninum 't.itae, deorum in numero Iwhita e:-rxe dhit, €.(Ultm tund(..'Tn religumem reliquit� Vgl. den Verweil< auf die sophistischen Religionskritiken ( 1 . 1 1 11 Quid ii qui ... funditu.. "u"tul�� runt) mit Cotta.. Kritik von Epikur ( l . I 2 I E"ieuru.. 'Vom . . . .'ialog.
2. Ciceros philosophische Schriften
31
diesen Aspekt i n seiner eigenen Kritik der Epikureer anlegt:' Die sophistischen Religionskritiken werden aber, anders als die epikureische Theologie, in Coteas Rede nicht an sich kritisiert, sondern lediglich als argumentative Analogien ver wendet. In der Doxographie des Velleius dagegen wird Protagoras zwar vordergrün dig für seinen Agnostizismus kritisiert, aber die allgemeine Diskreditierung des Velleius hat sozusagen sowohl Protagoras
als
auch die tibrigen Philosophen bereits
rehabilitiert, sobald sie der epikureischen Kritik ausgesetzt werden. Im Rahmen von Coteas
Kritik
an den Epikureern geht Ciceros positive Darstel
lung des Protagoras sogar über den unmittelbaren Kontext der Argumentation deutlich hinaus. Durch die suggestive Darstellung der Reaktion der Athener als unberechtigt
( 1 . 63
"sogar Zweifel hatte sich al� eine Straftat enviesen" ), aber vor
allem durch die philosophi�che Affinität zwischen dem Agnostizi�mus des Protago ras und dem Skeptizi�mus der Dialogfigur Cotta erscheint Protagoras generell in einem sehr sympathi�chen Licht. Kurz vor der Protagoras--S telle hat Cicero Cotta betonen lassen, er sei eher dazu imstande, eine Behauptung zu widerlegen als sie aufzustellen
(1.57
und
1.60).
Solle er aber dennoch gezwungen werden, in der
Frage nach der Existenz und Natur der Götter Stellung zu nehmen, würde er sich auf die Autorität des Dichters Sim onides berufen, der, als der Tyrann lIieron ihm genau diese Frage stellte, zuerst einen, dann zwei, dann vier Tage Bedenkzeit und so fort erbeten habe. Als Begriindung soll Simonides dem mittlerweile ungeduldi gen l Iieron geantwortet haben: "Je länger ich darüber nachdenke, desto dunkler erscheint mir die ganze Sache zu sein"
mihi
res
'L'idetur obscurior).
( 1 . 60 quanta diutius considero . . . tanto
Cotta fasst die Pointe der Anekdote so zusammen,
dass Simonides, der " nicht nur den Ruf eines reizenden Dichters genoss, sondern auch sonst al� ein gelehrter und weiser Mann galt", sich so viele scharfsinnige und subtile Gedanken gemacht habe,
dass er in Zweifel geraten sei,
was das
Wahrscheinlichste sei, und darum letzten Endes die Hoffnung aufgegeben habe, die ganze Wahrheit zu finden:' Mit der Anekdote über Simonides will Cicero offenbar den weisen Zweifel
dubitantem)
6.1
64
( 1 . 60
des gelehrten Dichters als Kontrast zum dogmatischen Selbstsicher-
1 . 1 Quu.' Wir besitzen hiermit eine plausible Erklärung dafür, dass Cicero die Existenz der Götter anerkennen und zugleich ein überaus positives Bild von Protagoras als einem frühen skeptischen Religionskritiker zeich nen kann.
2 . 6 . Oe oHiciis Als Abschluss des Abschnitts über die philosophischen Schriften Ciceros soll der Vollständigkeit halber angeführt werden, dass Cicero im ersten Buch von De officiis Prodikos' Mythos von IIerakles am Scheideweg nacherzählt. Cicero gibt zwar hier zu verstehen, der Myth os, den er Xenophons Memorabilien ent nimmt, stamme von Prodikos ( 1 . 1 18 JVam quod . . . Prodicus dicit, ut est apud Xenophontem, . . . . ), aber Prodikos spielt als Urheber des Mythos in diesem Kontext keine Rolle. Der Mythos wird lediglich als eine Art Gegenbeispiel für die traurige Tatsache angeführt, dass die meisten Menschen bei der Wahl ihres Lebenswegs nicht wie IIerakles zwei Göttinnen zur Wahl haben, sondern sich danach orientieren müssen, wer sich mehr oder weniger zufällig in ihrem Um gangskreis gerade befindet. Darüber hinaus dient der Prodikos-Mythos wahr scheinlich auch als - zweifellos beabsichtigtes - Beispiel der Gelehrsamkeit Ciceros.
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73
VIII. SÜ.. ( 1 952 ( 197 1 (: 1 66): _Mit einem iiberaWi lIIücklichen Griff verbindet Cicem in Cotta den pontifex. der von der Wahrheit der gilttlichen \)jnge überzeugt ist, mit dem Akademiker. der als Philosoph die Beweise fiir diese Frage fiir ungenügend und bruchig erachteL " Thraede ( 1 995: 469ff. und besonders 4721.). Im Vorwort zu lJe TC pubi;',... verwendet Ci"",m eine ähnliche Strategie der philo!lophi.""hen Im muni..ierung der Politik gegeniiber philosophische Kritik. Siehe hierzu ßli>ßner (2IJ() 1) und vgl. im Allgemeinen Leonhardt (21J1J() . Cher die Spannung zwischen diesen beiden Ebenen siehe Leonhardt ( 1 999: 76ff.) und Gawlick & Gilrler ( 1 994: 1 IJ99ff.), die dafür argumentieren, dass Cicems philosophische Methode von einem durchgängigen doppelten System von rational-dialektischer Argumentation auf der einen Seite und subjektiv-emotionalem Ut'!lmati..mWl auf der anderen Seite geprägt i.1:.
3 . Ciceros rhetorische Schriften "Oft und lange habe ich bei mir selbst überlegt, ob die Fähigkeit zu reden und das Streben, die höchste Beredsamkeit zu erreichen, für die Menschen und für das Gemeinwesen mehr zum Nutzen als zum Schaden gewesen sei. . . . Und indem ich lange überlegte, führte mich der reine Vernunft zur folgenden Auffassung: Ich mei ne, dass Wei.�heit ohne Beredsamkeit dem Gemeinwesen nur von geringem Nutzen ist, während Beredsamkeit ohne Weisheit zumeist zum großen Schaden und nie zum Nutzen i.� t."" So beginnt Cicero sein rhetorisches Jugendwerk De in'Ventiüne, und dieses Thema - das Verhältnis zwischen Politik, Rhetorik und Philosophie - sollte ihn für den Rest seines Lebens beschäftigen. Cicero selbst wurde bekanntlich nie müde, dafür zu argumentieren, Politik, Rhetorik und Philosophie müssten eine unteilbare Einheit bilden, obwohl es zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran geben kann, dass Cicero in den rhetorischen Werken und in De re publica dieses Einheitsideal als eine instrumentale Einordnung der Philosophie unter der Rhetorik verstand." Dies lässt sich deutlich aus einer Stelle im Dialog De omlore erkennen (1. 227ff. ). Hier bemerkt die Dialogfigur Antonius über Rutüius Rufus, den ,römischen Sokrates', der "in Unschuld, Integrität und Anstand alle übertraf", sich aber, als es zum Prozess gegen ihn kam, weigerte, auf andere rhetorische Mittel als "die einfache Form der Wahrheit" zurückzugreifen, und daraufhin zum Tode verurteilt wurde: "So ging ein solcher Mann verloren, indem er seine Sache so führte, als würde der Prozess in dem fiktiven Staat Platons stattfinden. ,,"
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1 . 1 . L'ku..7J(� (.'t. multum hlJC mc(.."Um L"ogitu'C;" hfmine un muH plu.'i attulL"fi.t homini"lL'� et L'i'Citutibu..'l copiu dioendi ae summum doquentiae s rudi um. . . . Ac me quidem diu (.vJJ,Jitantc.7n rutio ipsa in hune poti"h'iimum SL"71tennam dudt, ut exi.""tim(."71l sapu..."71tiam . sine eloquentia pantm prode..·ise dvirotilnLs, eloqt.U...lJ1tiam veTO ."Äne supk"71ria nimium obe.'lsc plerurnque, pnxk."h'lC! nurnquam. Sein politisch-rhetnrisch-philmmphisches Einheitsideal begninuet Cicero aUHführlich in den rheto rischen \Verktm De inventione, De orutoTe, nrutu.� und Orator, die er seihst mit Ausnahme des Lehrbuches lJe i ntJc...7Itione hezeichnenden\'eise zu seinen philosophischen 'Werken zählt (div. 2 . 1 4), sowie i n seinem Von\'on z u lJe re publii sapientiam nmnina'Junt. Oie Nennung von Lykurg, der im Gegensatz zu Pittakns und Solon nicht zur Gruppe der Sieben 'VI/eisen gehürte. zeigt! das."i auch Pittakos und Solon in diesem Zusammenhang primär als Staa.tlr männer unJ Gesetzgeber aufgefa"st wenlen .ullen (Leeman & al. 1')')6: 4 . 2 1 5). :l.St) Sed quod erunt quidam eique multi qui aut in re publicu propter urn..ipitem. qtute non pote."tt e."I..�e seiurn..>tu, flK>u,mdi diendi nullum ge.."r,us di..oqrutationi."1 a se uliL.'"1u 1 m l'uta.·"..'m uQL't..-pimu."( sc..�pL.�qu.e esse in in omni oTurumis rutione veTSato,s. 3 . 1 27 ,.Einer "on ihnen, l Iippia.. aus EHs, ... riihmte .ich einmal in Olympia. wahrend beinahe ganz Griechenland ihm zuhiejenigen, die ich genannt habe, und " ele andere der IIrf.ßten Theoretiker der Redekunst waren alle Zeitlten()s..�n" (hi qU{J..o.r numirut'Oi multique pra,.tt:erea Hummique dk.'(...,wi mK.rt."rcs uno temJKweJu,.".nt).
3 . Ciceros rhetorische Sch riften
41
Ciceros Eloquentio-Ideal und die alte Sophistik Als vorläufiges Ergebnis können wi r den Befund in De
oratore s o zusammenfassen,
dass Cicero mit den beiden historischen Abschnitten offenbar die Sophisten als eine
historische
Gruppe
aus
vornehmlich
auctoresque diccndi) darstellt,
rhetorischen
Theoretikern
(doctores
die in weitem Mal.\e genau das rhetorische Ideal der
Einheit zwischen Denken und Reden verkörperte, die Cicero mit seinem
eloquen�
Konzept \\iederherstellen will . Die damalige Verbreitung und der damalige Erfolg des
Einheitskonzepts soll dabei zugleich die Richtigkeit dieses Ideals zeigen.
Im Allgemeinen bezog Cicero wahrscheinlich sein Wissen über die Geschichte der griechischen Rhetorik aus AristoteIes sowie aus verschiedenen rhetorischen Handbüchern:' aber
im
Falle des Gorgias bezieht er sich in erster Linie auf die
De fi.nihu.� auch hier offenbar De De oratore jedoch nicht zugleich die
Figur des gleichnamigen Dialogs Platons, die er wie in
für eine zuverlässige Wiedergabe des historischen Gorgias hält." Anders als in
finihus
(siehe S.
23)
übernimmt Cicero in
kritische Perspektive des Platondialogs. Von einer Niederlage des Universal rhetorikers Gorgias im Kräftemessen mit der sokratischen Dialektik ist hier keine Rede. Wir sehen vielmehr, wie Cicero in
De oratore
das sophistische Einheitsideal
rehabilitiert, sowohl direkt durch die Betonung der damaligen Achtung und der Popularität der Sophisten als auch indirekt durch seine eigene universale Definition der Rhetorik, die nominell dem gorgianischen Programm entspricht. Dieses Pro
Dc in'Vcntionc als dasjenige des Gorgias präsentiert Dc oratore wird der universale Anspruch der Rhetorik zweimal explizit
gramm hatte Cicero bereits in und auch in
als das Programm des Gorgias dargelegt." Ciceros Behandlung der Sophistik beschränkt sich in
Dc oratorc jedoch nicht cxcmplum des rhetori
auf die positive Darstellung der SophL�tik als historisches
schen Einheitsideal� sowie auf die positive Übernahme des gorgianischen Universa litätsprogramms im Ilinblick auf das Wirkungsfeld des ideellen Redners. Als Crassu.� im ersten Buch (1. 103f.) dazu aufgefordert wird, zu der Frage Stellung
zu beziehen, ob die Rhetorik eine Kunst
(ars) sei
oder nicht, reagiert er empört, in
dem er antwortet, wenn jemand einen solchen Vortrag wünsche, solle er lieber ir gendeiner der "kleinen unbeschäftigten und redseligen Griechen"
otioso ce loquaci)
(1.103 Gracculo
kommen lassen, die ja mit ihrer Gelehrsamkeit und Bildung für
diese Form von improvisierten, epideiktischen Vorträgen Experten seien. Als Beispiel
führt Crassus Gorgias an, "der angeblich der erste gewesen sein soll, der diese Me thode praktiziert habe, " und bemerkt dazu in einem deutlich herablassenden Ton: "Damals fand man, dass es etwas ganz Besonderes war, was er auf sich nahm, als er
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\/J
Vgl. hierzu l Iarhsmeier (i m Druck). Siehe z . ß. de ,,,.. J. 12\/, zitiert in Anm. /-I\/. 3 . 1 2\/. Siehe hierzu S. 40 und d. l I.strup ( 1 9/-1 1 : 1 .2\/). Allerdings ist .uch die :-lähe des rn&�a zum Anf.ng.satz der ari.·totelischen '[()pik ( 100a Hf.) auffällig.
42
3 . Ciceros rhetorische Schriften
versprach, er sei bereit, tiber jedes Thema zu sprechen, das man von ihm wünsche. "••
Ilier gilt Gorgia.� also nach wie vor als Erfinder der epideiktischen Improvisation, aber
sein E1taYYEA�Hx, tiber ein beliebiges Thema aus dem Stegreif reden zu können, wird diesmal - ähnlich wie in Dcfinibus (siehe S.
23) - nicht als Vorbild einer universalen
Bildung, sondern al� typisches Beispiel ftir die angebliche Redseligkeit und Freizeit · mentalität der Griechen präsentiert. 5 So versucht ein dritter Gesprächsteilnehmer des Dialogs, Scaevola, an dieser Stelle den aufgeregten Crassu.�
zu
beschwichtigen,
indem er versichert, man wünsche sich keineswegs "das Alltagsgerede irgendeines Griechen ohne praktisch-politische Relevanz", sondern die Ansicht eines großen Römers, der seine Erfahrungen nicht in der Studierkammer, sondern in den größten Gerichtsprozessen gesammelt habe.'· Auch im Rahmen von Catulus' Rekapitulation von Crassus' Geschichte der so phistischen Bewegung findet sich ein ähnliches Doppelbild. Catulus betont einer seits, wie die theoretische Einheitslehre der Sophisten dazu geführt habe, dass die
akti'Oc
Redekunst damals unter den Griechen "sowohl kraft einer gröLleren inhalt
lichen Tiefe al� auch kraft eines größeren Ansehens" zu groLler Bltite gelangte�7 Dartiber hinaus wird die ursprüngliche ideale Verbindung zwischen Theorie und Praxis dadurch hervorgehoben, dass Catulus die Tätigkeit der Sophisten einerseits als tiberwiegend theoretisch, die einzelnen Sophisten aber zugleich als
oratore.'l Dc
bezeichnet. Andererseits lässt Cicero in unmittelbarem Anschluss an dieses - in
oratore
- tiberaus positive Prädikat Catulu.� beklagen, dass sich die Griechen mit
ihrer Neigung zu theoretischen und wissenschaftlichen Beschäftigungen in einem solchen MaLle einem Leben des MüLligganges hingegeben hätten, dass sie nicht imstande gewesen seien, das auszubauen oder auch nur zu bewahren, was ihr ei gentliches proprium war, nämlich die Einheitskultur der politischen Praxis und der philosophischen Theorie."
94 95
1 . 1 03 ... quod primumfL'n.mt ... .fi�;''''''ie G(J�Jian. qui p(.�num quühlam. SlL"iL";'1x:Te (J,(." T,nJjit(,� 't.:idc..�atur. L'U1Tl se ud omn-ia, de quihu.."i qui'«fUc uudiru veUct. e."h.'re lJUTatum denuntiuret. 1 . 1 02 Quando enim 'f'1lC i.."ftU. (,..'UrlL",,�e aut (,..·og itu.."ise et non s(:m.per in risi.."ise fJCJtiu.� eontm lunninum [ !ffiTU.-7L"TIt; qtLCJrlDll 1'1'inc...'f..7J.'" ..'Kx.."rl1.tes fuit, 1.'t qui . . . IuJe
L'(nnmune f1(mK.� c.-?"ipuit sapu_''fl.tL�e st.'TItic.."7IL1i et ornate diL'f..'1Uli sc.."ienriam TC cohtALn.'TIti.", dispuwtionilru.. sui.. "tllo.."f homine..., (:ontentUmis (."Upidiore•.., Cfl.U.'m 'Vc...'Ti.tati.�. 1 05 Vgl. die Fonnulierung in .1 . 1 29 .. . . . jener Gorgias seihst. unter dessen l'atrunat der Redner, so u.....e es Haton wollte, dem Philosophen unterlag" (/p.� üle . . . Ot)"�iu.."I'. qtW patnmo, ut Pluto 'tJoluit, phil"."''T,hcJ .
1 1 5 Zitiert in Anm. 97. Oie.., Art pen...rudver InterpretatiolL'I3l1leitungen in Cicems rhetorischen und phil",,, .phischen Schriften sind m. W. hwang noch nicht systematisch untenrucht worden. Dabei würde eine derartige Untersuchung im l linblick auf Cicems rhetorische Strategie und Methode vermutlich recht aufschlu."&Sreich Hein.
48
3 . Ciceros rhetorische Schriften
Wo es hingegen Ciceros Absicht ist, den römischen Redner a1� einen vir gravis hervorzuheben, der rund um die Uhr mit konkreten praktisch-politischen Tätigkei ten beschäftigt ist, schärft Cicero dieses Bild zu, indem er es mit der angeblich typisch griechischen Vorliebe für MüLliggang und Geschwätzigkeit kontrastiert. In diesem Zusammenhang bekommt Gorgias' berühmtes universales tnaYYtA!m nun die Funktion eines Urbeispiels für diese - negativ gewertete - Tendenz zur epideik tischen " art pour " art-Rhetorik.
3 . 3 . Brutus Im Brutu.� geht es um die Geschichte der römischen Redekunst, doch zunächst beginnt der Dialog mit einem längeren Abschnitt über die Entstehung der Rede kunst in Athen (2 6ff.). Dieser Abschnitt wird von Ciceros eigener persona vorge tragen und auch hier spielen die Sophisten eine gewisse Rolle. Der Abschnitt beginnt mit einem kurzen Überblick über die groLlen Redner hi� zum Perikles, darun ter Alkibiades und Kritias (29). Danach erklärt Cicero, wie die Erkenntnis von der Macht einer präzi�en und systematisch ausgearbeiteten Rede plötzlich zu der Entstehung einer groLlen Menge an Redelehrern (magi.�tri dicendi) geführt habe, darunter Gorgias, Thrasymachos, Protagoras, Prodikos und I1ippias, die "zu diesem Zeitpunkt in hohem Ansehen standen" . "6 Wie in De oratore be 117 zeichnet Cicero diese Redelehrer auch hier zusätzlich als oratore.�. M i t dieser kurzen Darstellung der Entstehung der Redekunst möchte Cicero die Rhetorik als eine groLle und bewunderungswürdige aTl! darstellen. Gleichsam in einer langen Evolution habe sich die Redekunst erst spät, dann aber explosiv (subito) entwickelt und zu einer umfassenden Theoriebildung und Unterrichts praxi� geführt, die mit Begeisterung aufgenommen wurde. Die Rhetorik sei also als die zuletzt entwickelte Kunst - eine Art Metafähigkeit, welche die Beherrschung einer ganzen Reihe anderer Disziplinen voraussetze, und darum bei weitem die schwierigste (25f. , Cf. Douglas 1966: 17f. ) . Im Rahmen dieser Geschichte der Rhe torik kann Cicero mit Vorteil die Sophisten gleichzeitig magistri dicendi und oratore.� nennen, weil die Dichotomie zwischen griechischer Theoriebildung und römischer Praxis aus De omtore im Brutu.� keine Rolle spielt. I1ier geht es im Ge genteil vielmehr darum, den hohen Status der praktischen Redekunst kmft der umfassenden Theoriebildung, mit der sie verbunden ist, zu betonen. An einer späteren Stelle im Brutu.� (45ff. ) bietet Cicero freilich eine neue Vari ante der Entstehung der systematischen Redekunst. Diesmal möchte er zeigen, 1 1 6 30 Seil ut intcUc Quintilians Formulierung: "Mag auch Thrasymachos der selben Auffassung gewesen sein, was das Vortragen bettifft [ sc. dass es nicht zu den fünf Teilen gehöre ] , " ist interessant, denn sie scheint zu implizieren, dass Thrasy machos' Ansicht noch allgemein bekannt war und offenbar eine gewisse Autorität besaß, über die sich Quintilian ausdrücklich hinwegsetzen zu müssen meince. Neben diesen historischen und technischen Partien setzt sich Quintilian in mehre ren Abschnitten mi t dem platonischen Dialog
Gorgia.� auseinander.
In Verbindung
mit seiner Diskussion des Wesens und des Gegenstands der Rhetorik ( 2 . 1 5 ) zitiert und kritisiert er mehrere Rhetorik-Definitionen der platoni�chen Dialogfigur Gor gias. Gorgias habe, erklärt Quintilian, bei Platon die Rhetorik ungefähr so definiert wie später auch Isokrates, nämlich als eine "Meisterin der Überredung", ". eine Definition, die Quintilian entschieden zuriickweist, weil sie ihm zu umfassend er scheint, da auch viele andere Dinge, wie z . B . Geld, Menschen tiberreden können ( 2 . 1 5 . 9 ) . In ähnlicher Weise hält Quintilian auch die präzisierte Definition des pla tonischen Gorgias, Rhetorik sei die Fähigkeit, durch Reden zu überzeugen ( 2 . 1 5 .10
vim dicendo persuadendi),
für rni�slungen, weil nicht nur Redner, sondern auch
viele andere - zweifelhafte - Personen, wie z . B . "Verführer"
(corruptores),
durch
Reden tiberreden ( 2 . 1 5 . 1 1 ) . Auch in der Frage nach dem Wirkungsfeld des Redners zitiert Quintilian erneut Platons Gorgias daftir, den Redner als einen "Überre dungskünsder" definiert zu haben, "der sich bei den Gerichtshöfen und in anderen öffendichen Versammlungen mit der Frage nach dem Gerechten und dem Un gerechten beschäftige" ( 2 . 1 5 . 18 , cf. Platon,
Gorg.
4 54b5ff. ). Dagegen wendet
Quintilian mit Berufung auf Sokrates ein, Gorgias habe mit dieser Definition nur eins unter tausend möglichen Gebieten des Redners genannt ( 2 . 1 5 . 15ff, bes. 23). So habe Sokrates im
Phaidros (261 a8ff. ), wie Quintilian in einem späteren Kapitel (demonstrat), dass die Rhetorik nicht nur in Gerichts
( 2 . 2 1 . 4 ) schreibt, gezeigt
prozessen und in Volksversammlungen auftrete, sondern auch im privaten Bereich. Auch was den Stoff der Rede betrifft, wendet sich Quintilian gegen die Definition des platonischen Gorgias, die Rhetorik bestehe aus "Rede " , ' " denn Sokrates, so eine wesendiche Begriindung Quintilians, scheine im
Gorgias
dieser Definition zu
encgegnen, der Stoff der Rhetorik bestehe nicht in Worten, sondern in Sachen ( 2 . 2 1 . 4 , cf.
Gorg.
44ge l ff. ).
'Vie diese Passagen zeigen, schlägt sich Quintilian in seiner Auseinandersetzung mit dem platonischen Gorgias durchgehend auf die Seite des Sokrates. Dies bedeu tet allerdings nicht, dass er die platonL
macht.'so Doch indem er somit die morali'lche
Verantwortung von der Rhetorik auf den Redner selbst überträgt, diesen aber zugleich moralisch unantastbar macht, beseitigt - ähnlich wie bereits Cicero (siehe S.
44)
- auch Quintilian das Problem der platoni'lch-sokratischen Kritik dadurch,
dass er sich ihr gar nicht stellt. "0 Quintilian verfolgt in seiner Auseinandersetzung mit Platons Kritik der Rhetorik allerdings auch ein weiteres Ziel, nämlich Sokrates und Platon als Autoritäten für sein Rhetorik-Ideal zu gewinnen. Diese Strategie ist bereits in den besprochenen Passagen erkennbar geworden, in denen sich Quintilian konsequent gegen Gorgias auf die Seite des Sokrates schlägt und dessen Argumente übernimmt. So schreibt Quintilian etwa in dem Abschnitt über den Stoff der Rede, es sei offenbar, dass Sokrates' Definition des Gegenstandes der Rhetorik als Sache
(res)
auch die An
sicht Platons gewesen sei, .60 und suggeriert damit aufs Kräftigste, er habe eine so kratisch-platonische Definition übernommen, wenn er im selben Kontext "nicht ohne Gewährsleute" den Gegenstand der Rhetorik als "sämdiche Gegenstände" definiert, "die dem Redner vorgelegt werden, damit er über sie spreche" . • • • Der entscheidende exegetische Schritt besteht freilich darin, dass Quintilian, massive sokratische Kritik der Rhetorik im gen des Dialogs
(460c
GoTgias
um
die
zu beseitigen, aus zwei Passa
und 508c) ableitet, Platons Kritik der Rhetorik sei aus
schließlich auf die zeitgenössische - und, dürfen wir hinzufügen,
sophistische
-
Rhetorik gemünzt. Platon sei nämlich - wie Quintilian selbst - der Auffassung ge wesen, es gäbe eine "wahre und ehrenhafte Rhetorik"
(2.15.27 veram autcm et
honestam [ sc. rhetoTicen )), die nur der "rechtschaffene und gute Mensch" (ibid.
1 5 6 Zu Q/Iintilians rhetorischem Uildungsideal siehe im Allgemeinen Seel ( l'J 7 7 : 1 9f1.). 157 V!lI. hierzu 1'1. Phaidr. 267a7t. 1 5 /1 2 . 1 6. 1 1 _Wenn sie I sc. die Rhetorik an sich (2. 1 6. 1 1 summam r/u.·lmicen)] dagegen eine Kunst des gut Reden. ist, was wir als ihr Ziel hetrachten, so das. der Redner in erster Linie ein guter :\Iann ist, dann mll5.' man zugeben, das.. oie ntitzlich ist" (si .,ern esl b,...., di