Aristoteles Über die Welt Reclam
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Aristoteles
Über die Welt Übersetzt und kommentiert von Otto Schänberger
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Aristoteles Über die Welt Reclam
.--1,
Aristoteles
Über die Welt Übersetzt und kommentiert von Otto Schänberger
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Griechischer Original titel : IIEPI KOLMOY Umschlagabbildung: Weltkarte des arabischen Geographen AI-Idrisi (1154)
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 8713 Alle Rechte vorbehalten © 1991 Philipp Reclam jun. GmbH & Co .• Stuttgart Bibliographisch ergänzte Ausgabe 2005 Gesamtherstellung: Reclam. Ditzingen. Printed in Germany 2009 RECLAM. UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der PhiJipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart ISBN 978-3-15-008713-8
www.reclam.de
Über die Welt Erstes Kapitel [391aF Oft schon, lieber Alexander, erschien mir die Philosophie als etwas Göttliches und wahrhaft Wunderbares, vor allem aber dann, wenn sie allein sich zur Schau des Weltganzen erhob und die Wahrheit in ihm zu erkennen suchte; und wo alle anderen vor dieser zurückwichen wegen ihrer Hoheit und Größe, verzagte sie nicht vor diesem Wagnis, [5] hielt sich auch des Schönsten nicht für unwert, sondern glaubte, dessen Erforschung sei ihrem Wesen zutiefst verwandt und angemessen. Weil es nämlich unmöglich war, leiblich zum Himmel emporzusteigen, die Erde zu verlassen und jene heilige Stätte zu schauen, [10] wie einst die törichten Aloaden meinten, unternahm wenigstens die Seele mit Hilfe der Philosophie diesen Weg und diese Reise: Sie wählte sich den Geist zum Führer, entdeckte einen Weg, der nicht ermüdete, und führte, was weltenweit voneinander entfernt ist, durch das Denken zusammenj erkannte sie doch, wie ich meine, leicht, was ihr verwandt ist, [15] und erlaßte das Göttliche mit dem göttlichen Auge der Seele, um es den Menschen begeistert zu künden. Dies geschah ihr aber, weil sie, soweit wie möglich, allen in Fülle von ihren Schätzen mitteilen wollte. Deshalb kann man Menschen, die uns mit Eifer das Bild einer einzigen Landschaft oder die Anlage einer Stadt, die Größe eines Stromes [20] oder die Schönheit eines Berges schildern, wie es schon manche taten, welche die Ossa, Nyssa, die Korykische Grotte oder sonst etwas einzelnes beschrieben, nur bedauern wegen der Beschränktheit ihres Geistes, der vor dem ersten besten ins Staunen gerät und groß tut bei kleinem Anblick. Doch so geht es ihnen, weil
* Die Ziffern und Buchstaben können die übliche Zählung der AristotelesAusgabe von Bekker (1831) nur annähernd wiedergeben.
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Über die Welt
sie das Höhere nicht sehen, [25] ich meine den Kosmos und das Größte in ihm. Wäre ihr Sinn nämlich diesem gehörig zugewandt, [391b] würden sie nie etwas anderes bewundern, sondern alles übrige erschiene ihnen klein und wertlos gegenüber seiner Herrlichkeit. So wollen wir von all diesem sprechen und, soweit dies möglich ist, auf Gottes Spuren Wesen, Lage und Bewegung alles dessen betrachten. [5] Und ich meine: Wie es dir als dem besten Fürsten ansteht, dich der Erforschung des Höchsten zu widmen, so ziemt es auch der Philosophie, den Sinn nicht auf Kleines zu richten, sondern so hohe Gaben den Edelsten darzubringen. Zweites Kapitel Welt (Kosmos) nun ist ein Gebäude aus Himmel und Erde und den darin enthaltenen Wesenheiten. [10] In anderem Sinn aber nennt man Kosmos auch die Ordnung und Einrichtung des Alls, die von Gott und durch Gott bewahrt wird. Ihre Mitte, die unbewegt und ortsfest ist, hält die lebentragende Erde, Heimstatt und Mutter mannigfacher Wesen. Der Raum über ihr ist ein Ganzes und gänzlich abgeschlossen; [15] seine höchste Region, der Wohnsitz der Götter, wird Himmel genannt. Erfüllt mit göttlichen Körpern, die wir gewöhnlich Gestirne nennen, ist er in ewiger Bewegung und tanzt in kreisendem Umschwung mit all diesen Körpern ewig und unaufhörlich den Reigen. Weil aber der ganze Himmel und der Kosmos kugelförmig sind und sich, wie gesagt, unaufhörlich bewegen, [20] müssen zwei gegenüberliegende Punkte ortsfest bleiben, wie auch bei einer Kugel, die in der Drehbank kreist, diese Punkte unverändert bleiben und die Kugel festhalten; diese, um die sich die ganze Masse im Kreis dreht, [25] nennt man Pole. Denken wir sie durch eine Gerade verbunden, die manche Achse nennen, wird diese den Durchmesser der Weit bilden, in der Mitte [392a] aber die Erde haben und als Endpunkte die
Zweites Kapitel
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beiden Pole. Von diesen unbewegten Polen ist der eine, der sogenannte arktische, über uns am Nordhimmel stets sichtbar, der andere dagegen ist stets unter der Erde verborgen, liegt nach Süden und heißt antarktischer Pol. [sJ Den Stoff von Himmel und Sternen nennen wir Äther, nicht, wie manche sagen, weil er wegen -seiner Feuernatur leuchtet - sie verfehlen sein Wesen, das vom Feuer grundverschieden ist -, sondern weil er ewig im Kreis läuft, ein unvergängliches, göttliches Element und den vier anderen völlig ungleich. [lOJ Von den Sternen nun, die der Himmel umfaßt, kreisen die einen als Fixsterne mit dem ganzen Himmel und bleiben immer am selbigen Ort; mitten durch sie ist der sogenannte Tierkreis als schräger Gürtel zwischen den Wendekreisen gespannt, unterteilt in die Regionen der zwölf Tierbilder; die anderen Sterne aber, die Planeten, sind weder den Fixsternen noch untereinander an Geschwindigkeit gleich, [lS] sondern laufen auf jeweils verschiedenen Kreisbahnen, so daß sie teils erdnäher sind, teils höher stehen. Die Zahl der Fixsterne nun kann der Mensch nicht ergründen, mögen sie ihre Bahn auch auf der einen sichtbaren Oberfläche des ganzen Himmelsgewölbes ziehen. Die Planetenschar hingegen, im ganzen sieben, ist in ebenso vielen ineinander liegenden Kreisen so angeordnet, [20] daß immer die jeweils höhere Bahn größer ist als die untere, die sieben aber eine von der anderen umschlossen und alle zusammen von der Fixsternsphäre umfaßt werden. Nach dieser hat seinen festen Platz der Planet, den wir als den »Leuchtenden« oder auch als Kronos (Saturn) bezeichnen; dann kommt der Phaethon oder Zeus Gupiter) genannte, [25] weiter der »Feurige«, Herakles und Ares (Mars) geheißen, als nächster der »Glänzende«, den manche als dem Hermes (Merkur) geheiligt bezeichnen, andere wieder dem ApolIon; ihm folgt die Bahn des »Lichtbringers«, den einige nach Aphrodite (Venus), andere nach Hera Guno) benennen, weiter die Bahn der Sonne und schließlich die des Mondes, bis zu dem herab die Äthersphäre reicht, [30] die
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Über die Welt
die göttlichen Himmelskörper und das Gesetz ihrer Bewegung einschließt. An den göttlichen Äther, den wir ein Reich der Ordnung, .dazu unverrückbar, unwandelbar und unveränderlich nennen, grenzt der gänzlich wandelbare, veränderliche und, kurz gesagt, vergängliche und sterbliche Bereich. [35] In ihm wiederum kommt als erstes die feine, feurige Substanz, [392b] die vom Äther durch seine Ausdehnung und reißendschnelle Bewegung, entzündet wird. In dieser, wie man sagt, feurigen und ungeordneten Region aber schießen glänzende Lichter vorbei, werden »Fackeln« geschleudert, und vielfach treten sogenannte Balken, Gruben und Kometen auf und verlöschen wieder. [5] Gleich unter dieser Sphäre breitet sich die Luft aus, ihrem Wesen nach dunkel und eisig. Da sie aber von der Sphäre über ihr erleuchtet und zugleich durchglüht wird, wird sie hell und warm. In diesem Bereich aber, der gleichfalls von veränderlicher Wesensart ist und sich vielfach wandelt, ballen sich Wolken, [10] stürzt Regen herab, entstehen Schnee, Reif, Hagel, das Wehen der Winde und Stürme, dazu Donner, Blitze, niederfahrende Wetterstrahlen und riesige, dunkle Wolken, die zusammenschlagen. Drittes Kapitel An das Reich der Luft grenzt die Feste der Erde und des Meeres, [15] die in Fülle Pflanzen und Tiere hervorbringt, Quellen und Ströme, die teils in Windungen über die Erde ziehen, teils sich ins Meer ergießen. Sie prangt im bunten Schmuck von tausenderlei Grün, hohen Bergen, dichten Wäldern und von Städten, die sich das kluge Wesen, der Mensch, erbaut hat; auch sind Inseln in der Salzflut und Festländer. [20] Nun scheidet man allgemein die bewohnte Erde in Inseln und Festländer, ohne zu wissen, daß sie selbst insgesamt eine Insel .ist, um die das sogenannte Atlantische
Drittes Kapitel
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Meer fließt. Wahrscheinlich liegen ihr aber in der Ferne, jenseits des Ozeans, noch viele andere gegenüber, teils größer als sie, teils kleiner, alle jedoch, außer unserer Landfeste, für uns unsichtbar. [25] Im gleichen Verhältnis nämlich wie unsere Inseln zu den Meeren hier stehen, steht unser Erdteil zum Atlantischen Ozean und stehen viele weitere Kontinente zum ganzen Weltmeer. Auch sie sind ja nur eine Art großer Inseln, umflutet von riesigen Meeren. [30J Die gesamte Wassermenge auf der Erdoberfläche läßt als klippenartige Bodenerhebungen die sogenannten bewohnten Erd,teile herausragen und schließt sich wohl gleich an das Luftelement an. Dann erst folgt in den Tiefen, in der eigentlichen Mitte des Weltalls, fest und geballt die Erdmasse, die unbewegt und unerschütterlich ist. [35 ) Und diesen Punkt im Weltall nennen wir »ganz unten«. [393a] Diese fünf Elemente also liegen in fünf Schichten kugelförmig ineinander, wobei stets die kleinere von der größeren umschlossen wird, ich meine: Erde von Wasser, Wasser von Luft, Luft von Feuer, Feuer von Äther; und diese haben die gesamte Welt gebildet· und den ganzen oberen Bereich zum Wohnsitz der Götter gemacht, den unteren aber zur Stätte von Eintagswesen. [5 J Von diesem unteren Bereich nun ist ein Teil feucht, den wir gewöhnlich Flüsse, Quellen, Meere nennen, der andere aber trocken, ihn bezeichnen wir als Erde, Festländer, Inseln. Von den Inseln aber sind manche groß, wie schon von unserem ganzen bewohnten Erdteil gesagt [10] und von vielen anderen Kontinenten, die von gewaltigen Meeren umspült werden; andere wieder sind kleiner, uns sichtbar und im Inneren Meer gelegen. Unter ihnen ragen Sizilien, Sardinien, Korsika, Kreta und Euboia, auch Zypern und Lesbos hervor. Andere sind weniger bedeutend; [15] zu ihnen gehören die Sporaden, die Kykladen und Inseln mit anderen Namen. Das Meer aber außerhalb der bewohnten Erde heißt Atlantik oder Okeanos; er umspült uns rings. Im Westen eröff-
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net er sich mit einem schmalen Durchfluß den Zugang nach innen und strömt bei den sogenannten Säulen des Herakles ins. Innere Meer wie in einen Hafen, [20] doch wird er allmählich wieder breit, dehnt sich weithin und bildet große zusammenhängende Buchten, ist hier zu einem Hals mit enger Durchfahrt eingeengt und dort wieder weit geöffnet. Die Beschreibung sagt, zuerst bilde er, wenn man durch die Säulen des Herakles einfährt, rechts eine Doppelbucht, die sogenannten Syrten, [25] deren eine man die große, die andere die kleine nennt. Auf der anderen Seite aber buchtet es sich nicht mehr so aus, sondern bildet drei Meere, das Sardinische, das sogenannte Gallische und das Adriatische, dann quer zu diesen das Sizilische und weiter das Kretische, [30] dem sich auf der einen Seite das Ägyptische, Pamphylisehe und Syrische Meer anschließt, auf der anderen das Ägäische und das Myrtoische. Diesen Meeren kommt der starkgegliederte Pontos entgegen, dessen innerster Winkel Maiotis heißt, während er nach außen [393b] zum Hellespont hin mit der sogenannten Propontis mündet. Vom Sonnenaufgang her strömt wieder der Okeanos ein, erschließt den Indischen und Persischen Golf und beweist deren Zusammenhang mit dem Roten Meer, indem er sie alle umfaßt. [5] An einem anderen Landvorsprung dringt er durch einen schmalen langen Meeresarm ein, wird dann aber wieder breiter, indem er Hyrkanien und Kaspien umgrenzt. Jenseits davon aber nimmt er den weiten Raum nördlich des Maiotis.Sumpfes ein .. Oberhalb des Skythen- und Keltenlandes schnürt er die Oikumene dann allmählich ein, hin zum Gallischen Golf [10] und den vorhin erwähnten Säulen des Herakles, außerhalb derer der Okeanos die Erde umfließt. Im Okeanos befinden sich nun zwei riesige Inseln, die Britannischen genannt, Albion und lerne,' größer als die eben erwähnten; sie liegen oberhalb des Keltenlandes. Nicht kleiner aber als diese sind Taprobane, jenseits von Indien, schräg zur bewohnten Erde gelegen, [15] und die Phebol genannte Insel im Arabischen Meerbusen. Viele weitere
Viertes Kapitel
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kleine Inseln um die Britannischen Inseln und um Iberien kränzen ~ings unsere bewohnte Erde, die wir ja schon ihrerseits als Insel bezeichnet haben. Ihre Breite beträgt nach Angabe maßgeblicher Geographen am Ort der weitesten Ausdehnung des Festlandes [20] knapp vierzigtausend Stadien, die Länge aber höchstens siebzigtausend. Eingeteilt wird si~ in Europa, Asien und Libyen. Europas Grenzen nun bilden im Kreis die Säulen des Herakies, die Buchten des Pontos und das Hyrkanische Meer dort, wo sich die ganz schmale Landbrücke zum Pontos hinüberzieht. [25] Allerdings setzten manche an Stelle der Landenge den Fluß Ta.nais. Asien aber ist das Land von der genannten Enge zwischen Pontos und Hyrkanischem Meer bis zur anderen Landenge, die zwischen Arabischem Golf und Mittelmeer liegt und von diesem und dem äußeren Ozean umschlossen ist. [30] Manche freilich ziehen die Grenzen Asiens vom Tanais bis zu den Nilmündungen. Libyen endlich reicht von der Arabischen Landenge bis zu den Säulen des Herakles oder, wie andere sagen, [394a] vom Nil bis zu diesen. Ägypten aber, wo es von den Nilmündungen umspült wird, rechnen die einen zu Asien, die anderen zu Libyen, wie auch einige die Inseln eigens zählen, andere sie den jeweils benachbarten Erdteilen zuweisen. So sind nach unserer Forschung Natur und Lage von Land und Meer beschaffen, [5] die wir gewöhnlich bewohnte Welt nennen. Viertes Kapitel Nun wollen wir aber von den bemerkenswertesten Vorgängen in der Erde und über ihr sprechen, indem wir das Wichtigste kurz zusammenfassen. Zwei Arten von Ausdünstungen nämlich steigen andauernd von ihr empor in den Luftraum über uns, [10] aus feinen Teilchen und gänzlich unsichtbar, abgesehen davon, daß man sie manchmal mor-
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gens aus Flüssen und Quellen aufsteigen sieht. Die eine von ihnen ist trocken und rauchig, weil sie der Erde entströmt; die andere ist naß und dampfartig, weil sie aus dem feuchten Element aufsteigt. Aus ihr entstehen aber Nebel, [15] Tau und die verschiedenen Arten des Reifs, Wolken, Regen, Schnee und Hagel; aus der trockenen dagegen Winde und verschiedene Luftströmungen, Donner und Blitz, zündende und zerschmetternde Wetterschläge und sonstige damit verwandte Erscheinungen. [20] Nebel nun ist eine dampfartige Ausdünstung, aus der kein Wasser entsteht, dichter als Luft, doch dünner als eine Wolke. Er bildet sich aber entweder aus einer entstehenden Wolke oder aus ihrem Rest. Das Gegenstück zu ihm heißt und ist heiterer Himmel, nichts anderes als Luft ohne Wolke und Nebel. Tau aber ist Feuchtigkeit, die aus klarer Luft, zu feinen Tröpfchen verdichtet, herabfällt. [25] Eis ist verdichtetes Wasser, das bei klarem Himmel gefroren ist. Reif ist gefrorener, Taureif halbgefrorener Tau. Wolke ist eine zusammengeballte Dampfmasse, die Wasser erzeugt. Regen aber entsteht durch Auspressen einer stark verdichteten Wolke; er hat verschiedene Formen, die von der Stärke des Druckes auf die Wolke abhängen; [30] ist dieser nämlich sanft, sprüht sie nur schwache Tropfen, wird er aber stark, fallen die Tropfen dichter, und dies nennen wir Platzregen, .bei dem größere zusammenhängende ,Regenmassen auf die Erde herabstürzen. Schnee aber entsteht beim Zerreißen dichter Wolken, die an der Umwandlung in Wasser schlagartig gehemmt werden. Dieser Schlag bewirkt aber das Flockige und die leuchtend weiße Farbe des Schnees; [35] seine Kälte dagegen entsteht durch das Gefrieren der Feuchtigkeit in der Wolke, die noch nicht ausgetreten oder verteilt ist. [394b] Fällt Schnee heftig und massenhaft, spricht man von Schneesturm. Ein Hagelsturm .aber wird daraus, wenn sich Schnee zusammenzieht, durch Verdichtung schwerer wird und rascher herabfällt. Je nach Größe der abgesprungenen Stücke ist nun ihr Gewicht schwerer und ihr Fall
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heftiger. [s] Dies also sind die aus der feuchten Ausdünstung entstehenden Naturerscheinungen. Aus trockener Ausdünstung aber, die .von kalter Luft angestoßen wird, entsteht der Wind, denn dieser ist nichts anderes als eine geballte, strömende Luftmasse, die auch Hauch (Pneuma) heißt. [10] Doch nennt man Pneuma auch in anderem Sinn die lebendige und zeugende Kraft, die in Pflanzen und Lebewesen wirkt und alles durch waltet; über diese müssen wir hier aber nicht sprechen. Den in der Luft wehenden Hauch nennen wir Wind, Brisen dagegen die vom Feuchten aufsteigenden Dünste. Von den Winden heißen die von feucht gewordener Erde her wehenden Landwinde; entströmen sie Meerbuchten, sind es Buchtwinde; [15] ihnen sind etwa die Winde von Flüssen und Seen vergleichbar. Winde, die beim Zerreißen einer Wolke entstehen und deren sich lösende Masse in sich aufnehmen, heißen Wolkenwinde; entladen sich dabei Wasserrnassen, spricht man von Regenwinden. Die beständig von Sonnenaufgang her wehenden Winde heißen Ostwinde; [20] Boreas heißt die Gruppe der Nordwinde, Zephyr nennt man die Westwinde, Notos die Winde von Mittag her. Von den Ostwinden nun heißt Kaikias, der von dorther weht, wo im Sommer die Sonne aufgeht, Apeliotes, der vom Aufgangspunkt bei Tag- und Nachtgleiche her bläst, Euros der vom winterlichen Aufgang her wehende. [25] Von den entgegengesetzten westlichen Winden weht der Argestes vom sommerlichen Untergangsort der Sonne her; manche nennen ihn Olympias, andere Iapyx. Zephyr aber heißt der vom Untergangsort bei Tag- und Nachtgleiche her wehende Wind, Lips der Wind, der vom Untergang bei Wintersonnenwende her kommt. Von den Nordwinden heißt Nordwind (Boreas) im eigentlichen Sinn der dem Kaikias benachbarte, der nächste dann Aparktias, der vom Pol [30] nach Süden weht, und Thraskias der N achbarwind des Argestes, den manche Kirkias nennen. Und von den Südwinden heißt der vom unsichtbaren Pol her
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dem Aparktias entgegenwehende Wind Notos, Euronotos dagegen der Wind zwischen Notos und Euros. Den auf der anderen Seite zwischen Lips und Notos nennen die einen Libonotos, die anderen Libophoinix. [35] Die einen Winde wehen geradeaus - alle, die in gerader Richtung vorwärts wehen -, während die anderen Wirbelwinde sind, wie [395a] der sogenannte Kaikias; und die einen führen ihr Regiment im Winter, wie die Südwinde, die anderen im Sommer, wie die sogenannten Jahreswinde (Passatwinde), die eine Mischung aus den Nord- und Westwinden darstellen. Die sogenannten Zugvogelwinde sind eine Art von Frühlingswinden, gehören jedoch zur Gattung der Nordwinde. [s] Unter den Sturmwinden ist der Fallwind ein plötzlich von oben herabfahrender Windstoß, Windsbraut ein gewaltsam und plötzlich anspringender Wind; Wirbelwind und Kreisel sind Luftströmungen, die spiralig drehend von unten nach oben wehen; Erdwind aber heißt ein Luftstrom, wie er durch den Auftrieb aus einer Schlucht oder Kluft nach oben zieht; [10] kommt er als dichte, wirbelnde Masse, ist es ein Erdsturm. . Wird aber Wind, der in einer dicken Regenwolke zusammengepreßt war, mit Gewalt von ihr ausgestoßen, zerreißt die zusammenhängende Wolkenmasse und erzeugt ein mächtiges Krachen und Tosen, das Donner heißt, gerade so als ob Luft gewaltsam durch Wasser gepreßt wird. Gerät die Luft beim Aufreißen der Wolke [15] ins Glühen und Leuchten, spricht man von Blitz. Diesen nehmen wir ja, obwohl er später entsteht, vor dem Donner wahr, weil naturgemäß das Gehörte vom Gesehenen überholt wird und Licht schon in der Ferne wahrnehmbar ist, der Ton hingegen erst, wenn er das Ohr erreicht hat; dies gilt natürlich besonders, wenn das eine das schnellste aller Dinge ist, [20] ich meine das Feurige, das andere aber, der Schall, als Lufterscheinung nicht so schnell ist und erst im Auftreffen das Gehör erreicht. Schießt die als Blitz entzündete Luft gewaltsam zur Erde herab,
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heißt sie Wetterstrahl; ist sie nur halbfeurig, sonst aber heftig und geballt, heißt sie Glutwind, ist sie ganz ohne Flamme, sagt man Qualmer (Typhon). Jede dieser Erscheinungen wird, wenn sie zur Erde niederfährt Wetterstrahl genannt. [25] Die Blitze aber, die das Getroffene verkohlen, heißen Schwelblitze, andere, die rasch vorbei zucken, Leuchtblitze, und Schlängler sind die in Schlangenlinie dahinfahrenden; Wetterschläge aber heißen alle, die auf der Erde einschlagen. Überhaupt sind die Lufterscheinungen teils Spiegelungen, teils wirklich. [30] Spiegelungen sind Regenbogen, Ruten und dergleichen. Wirklich hingegen sind Himmelsleuchten, Sternschnuppen, Kometen und verwandte Phänomene. So ist der Regenbogen die Reflexion eines Sonnen- oder Mondausschnittes in einer hohlen Regenwolke, die dem Auge wie in einem Spiegel - als zusammenhängende Oberfläche erscheint; [35] der Zuschauer nimmt sie als Kreisbogen wahr. Eine Rute sieht aus wie ein gerader Regenbogen; Hof ist eine helle Glanzerscheinung [395b] rings um einen Stern; er unterscheidet sich vom Regenbogen dadurch, daß dieser gegenüber von Sonne und Mond erscheint, der Hof jedoch rings um den jeweiligen Stern. Himmelsleuchten ist die Entzündung einer Feuermasse in der Luft. Manche dieser Lichter werden geschleudert, manche sind ortsfest. Beim Schleuderlicht [5] nun liegt die Entzündung eines Feuers durch Reibung in der Luft vor, das rasch dahinfliegt und durch seine Schnelligkeit lang hingezogen erscheint. Das ortsfeste Leuchten steht still, be~itzt aber doch Längenausdehnung und gleicht einem zerfließenden Stern. Verbreitert er sich auf einer Seite, spricht man von einem Kometen. Oft [10] hält das Leuchten längere Zeit an, manchmal erlischt es sogleich. Man beobachtet darüber hinaus viele andere Lichterscheinungen, sogenannte Fackeln, Balken, Fässer und Gruben, die wegen der Ähnlichkeit mit diesen Dingen so heißen. [15] Manche davon sieht man im Westen, manche im Osten, andere in beiden Himmelsgegenden; selten jedoch
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stehen sie im Norden und Süden. Sie sind aber alle unbeständig, denn keine Überlieferung besagt, man habe eine solche Erscheinung andauernd an einem festen Platz gesehen. Von solcher Art also sind die Erscheinungen im Luftraum. Die Erde enthält aber in ihrem Innern ähnlich den Wasserquellen auch solche von Wind und Feuer. Manche von diesen sind unterirdisch und verborgen, [20] viele hinwiederum haben Abzugskanäle und Ausbruchsstellen, so die Vulkane Lipara, Ätna und die auf den äolischen Inseln; diese fließen oft wie ein Strom und schleudern glühende Massen empor. Manche Feuerquellen aber liegen unterirdisch bei Wasseradern und erwärmen diese, so daß die Abflüsse teils lauwarmes Wasser emporsehden, teils kochend heißes,· teils angenehm temperiertes. [25] Ähnlich gibt es an zahlreichen Stellen der Erde viele Abzüge für Gase; einige lassen Nähertretende in Verzückung geraten, andere lassen sie hinsiechen und wieder andere regen zu prophetischer Weissagung an wie in Delphi oder Lebadeia; wieder andere wirken sogar schlechthin tödlich wie die in Phrygien. [30] Oft bringt ein gutmütiges Luftgemisch, das im Erdinneren entstand und in Höhlengänge abgedrängt wurde, beim Verlassen seines ursprünglichen Standortes viele Teile der Erde mit ins Wanken. Desgleichen verfängt sich häufig ein größerer Luftstrom von außen in unterirdischen Hohlräumen, wird eingeschlossen, erschüttert die Erde heftig [35] bei der Suche nach einem Ausgang und ruft die Erscheinung hervor, die wir gewöhnlich Erdbeben nennen. [396a] Erdbeben, die schräg in spitzem Winkel wirken, heißen Neigungsbeben, die senkrecht auf und ab schleudernden heißen Rüttler, solche, die Setzungen in Hohlräumen verursachen, Einsturzbeben; eröffnen sie Spalten und reißen die Erde auf, nennt man sie Reißer. [5] Manche 'dieser Beben werfen Luft nach .oben, andere Felsen, andere Lava, und wieder andere fördern Quellen zutage, die zuvor nicht da waren. Manche stürzen alles mit nur einem Stoß um, und diese nennt man Stoß beben. Beben, die einen Rückprall
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auslösen und das Geschüttelte durch die Neigung erst nach dieser und dann nach jener Seite immer wieder aufrichten, [10] heißen Schwingbeben und verursachen eine Art von Zittern. Doch gibt es auch brüllende Beben, die die Erde mit Getöse erschüttern. Ebenso ist da oft ein Brüllen der Erde ohne Beben, wenn die Luft zwar nicht stark genug ist, die Erde zu erschüttern, jedoch, in ihr eingeschlossen, mit Wucht und Gedröhne anschlägt. Die einströmenden Luftmassen kondensieren aber auch [15] durch die in der Erde verborgenen Gewässer. Ähnliche Vorgänge finden im Meer statt. Vielfach tun sich darin Schlünde auf, das Wasser weicht zurück, Wogen stürmen heran, die manchmal zurückprallen, manchmal jedoch nur vorstoßen, [20] wie von Helike und Bura berichtet wird. Gleichfalls bläst häufig Feuer im Meer empor, Quellen sprudeln herauf, Flüsse strömen, Bäume sprossen auf, Strömungen und Wirbel entstehen in Art der Winde, zum Teil auf See, [25] zum Teil in Meerengen und Kanälen. Vielfach auch heißt es, daß Ebbe und Flut immer mit dem Mond zu bestimmten Zeiten rings um die Erde laufen. Grundsätzlich aber gilt: Weil die Elemente miteinander vermischt sind, ergibt sich, wie zu erwarten, in Luft, Erde und' Meer [30] eine Angleichung der Vorgänge, die den Einzeldingen Geburt und Tod bringen, das Ganze aber aJs etwas Unvergängliches und Ungewordenes bewahren. Fünftes Kapitel Und doch hat sich mancher verwundert, wie denn die Welt, die aus so gegensätzlichen Urstoffen besteht - nämlich aus Trockenem und Nassem, Kaltem und Warmem -, [35] nicht längst schon zerstört worden und [396b] zugrunde gegangen sei, wie man ja auch staunen kann, daß eine Stadt Bestand hat, die sich aus völlig entgegengesetzten Menschengruppen zusammensetzt, aus Arm nämlich und Reich, Jung und Alt,
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Über die Welt
Schwach und Stark, Böse und Gut. Man weiß eben nicht, daß dies das große Wunder der bürgerlichen Eintracht ist, 4.ie aus Vielen Einheit [s] und aus Ungleichartigen eine Ubereinstimmung schafft, die jede Art und jeden Stand einbezieht. Vielleicht aber strebt die Natur nach Gegensätzen und schafft gerade aus ihnen und nicht aus Gleichartigem den Einklang, wie sie ja gewiß das Männliche zum Weiblichen geführt - und nicht jedes Geschlecht zu seinesgleichen - [10] und so die Ureintracht durch Gegensätze und nicht durch Gleichartiges geknüpft hat. Aber auch die Kunst scheint dem Beispiel der Natur zu folgen. Mischt doch der Maler Weiß und Schwarz, Gelb und Rot und bringt so die Bilder in Einklang mit der Vorlage. Ebenso mischt die Musik gleichzeitig hohe und tiefe Töne, [15] lange und kurze und bewirkt so in v.erschiedenen Stimmen harmonische Einheit. Desgleichen mischte die Kunst der Sprachbildung Vokale und Konsonanten und gewann daraus ihr ganzes System. [20] Gerade dies ist es aber, was bei dem dunklen Heraklit steht: » Verbindungen sind: Ganzes und Nichtganzes, Eintracht und Zwietracht, Einklang und Mißklang; aus allem Eins und aus Einem alles.« Auf gleiche Weise ordnet nun den Bau des Ganzen, des Himmels, der Erde und des gesamten Alls [25] eine einzige Harmonie durch Mischung der völlig gegensätzlichen Urstoffe. Denn Trocken ist mit Feucht, Warm mit Kalt, Leicht mit Schwer, Gerade mit Krumm vermischt, und die ganze Erde und das Meer, Äther, SQnne und Mond und den ganzen Himmel ordnet eine alles durchdringende Kraft, die aus gesonderten und verschiedenen Grundstoffen, aus Luft, Erde, Feuer, Wasser [30] den ganzen Kosmos erbaut, ihn mit einer einzigen Kugelschale umschlossen, die gegensätzlichsten Wesenheiten in ihm zur Eintracht miteinander gezwungen hat und durch sie die ·Erhaltung des Ganzen bewirkt. Ursache dafür ist aber die Eintracht der Elemente, und deren Ursache wiederum liegt in ..der Gleichheit der Anteile, [35] die keinem von ihnen ein Ubergewicht [397a] im Verhältnis
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zum anderen gibt. Denn Schwer und Leicht, Warm und sein Widerpart halten einander die Waage, womit die Natur an den großen Vorbildern zeigt, daß Gleichheit sozusagen Retterin der Eintracht ist und Eintracht den alles erzeugenden, über die Maßen schönen Kosmos erhält. Welches Wesen wäre wohl vollkommener als dieser? [5] Denn was man auch nennt, es ist nur Teil von ihm. Alles Schöne hat seinen Namen von ihm und ebenso das Geordnete, das nach der Weltordnung als geordnet bezeichnet wird. Und welches Einzelding käme der Ordnung am Himmel gleich, dem Lauf von Gestirnen, Sonne und Mond, [10] die ihre Bahn im genauesten Gleichmaß von einer Ewigkeit zur anderen ziehen? Wo gibt es so untrügliche Gesetzmäßigkeit, wie sie die schönen Jahreszeiten bewahren, die alles zum Leben erwecken, Sommer und Winter heraufführen nach ihrer Ordnung, auch Tage und Nächte, damit sie Monate und Jahr runden? Wirklich überragt er alles an Größe, [15] ist seine Bewegung die rascheste, sein Glanz der strahlendste, seine Kraft alterslos und unvergänglich. Er schied die Arten der Tiere im Wasser, auf der Erde und in der Luft und bemaß ihr Leben nach seinen Bewegungen. Aus ihm haben alle Geschöpfe Atem und Seele. Auch die überraschenden Erscheinungen [20] laufen in ihm ordnungsgemäß ab, wenn Winde aller Art gegeneinander wüten, Blitze· vom Himmel fahren, riesige Unwetter losbrechen. Dadurch aber wird das Feuchte herausgepreßt und das Feurige verdampft, und so bringen sie das All zu Eintracht und Ordnung. Und die Erde, mit Pflanzen bunt geschmückt, von Quellen sprudelnd, [25] von Lebewesen rings bewohnt, bringt alles zu seiner Zeit hervor, nährt es, birgt es wieder in sich und führt unzählige Formen und Zustände herauf und bewahrt unverändert ihr altersloses Wesen, ob sie auch von Erdbeben erschüttert, von Fluten überschwemmt und da und dort von Feuerbränden versengt wird. [30] Dies alles jedoch scheint ihr nur zum Besten zu dienen und ihren Bestand auf ewig zu
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sichern. Erbebt sie nämlich, finden, wie oben gesagt, die eingedrungenen Winde durch die Risse Ausgang nach oben, wenn Regengüsse sie reinigen, wird alles Krankhafte von ihr abgespült, [35] und wenn Morgenluft sie umweht, klärt sich alles unter und über ihr. Auch [397b] lindern die Flammen den Frost, und das Eisige dämpft die Flammen. Und von den Einzelwesen wird das eine geboren, steht das andere in Blüte, und wieder andere vergehen. Das Werden gleicht das Vergehen aus, und das Vergehen erleichtert das Werden. [5] Die stete Erneuerung des Ganzen durch die fortwährende Ablösung der Einzelwesen, die bald übermächtig, bald unterlegen sind, sorgt für dessen unvergänglichen Bestand in Ewigkeit. Sechstes Kapitel Nun ist noch übrig, in großen Zügen - wie schon bisher über die das All zusammenhaltende Ursache zu sprechen. [10] Wäre es doch verkehrt, in einer Darstellung des Kosmos, wenn sie auch nicht ins einzelne geht, sondern nur der Erkenntnis der Grundzüge dient, das Höchste im Kosmos zu übergehen. Es gibt da ein altes, allen Menschen von den Vorfahren überliefertes Wort, daß alles von Gott und durch Gott besteht [15] und kein Wesen für sich allein und aus sich selbst existiert, wenn es von der lebenerhaltenden Kraft der Gottheit abgeschnitten ist. Demgemäß fühlten sich einige der alten Denker zu der Aussage getrieben, alles sei voll von. Göttern, was wir durch die Augen, unser Gehör und. alle Sinne wahrnehmen; doch fällten sie so ein Urteil, das zwar der göttlichen Allmacht entspricht, nicht aber ihrem Wesen. [20] Denn wirklich ist Gott zwar Erhalter und Schöpfer von allem, was irgendwie in dieser Welt vollendet wird, doch nimmt er dabei nicht die Mühe eines Geschöpfes auf sich, das selbst Hand anlegen und sich plagen muß; nein, er bedient sich einer unerschöpflichen Kraft, durch die er auch
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das scheinbar Fernste beherrscht. Den höchsten" und ersten Sitz nun hat er selbst inne [25] und heißt deshalb der »Höchste«, weil er nach dem Wort des Dichters »auf dem ragendsten Gipfel« des ganzen Himmels thront. Den größten Genuß von seiner Kraft hat wohl das ihm nächste Element, dann das daran anschließende und so immer fort bis in unseren Bereich. [30] Deshalb erscheinen die Erde und alles Irdische, da es Gottes helfender Einwirkung am fernsten steht, so schwach, disharmonisch und ganz voller Wirren. Dennoch wirkt das Göttliche, das ja seiner Natur nach alles durchdringt, auch auf die Dinge bei uns, [35] die je nach ihrer Nähe und Ferne zu Gott seine Hilfe mehr oder weniger [398a] erfahren. Besser also ist die Annahme, die zudem Gott gemäß und am schicklichsten ist, daß die im Himmel gegründete Kraft auch den allerfernsten, ja, mit einem Wort, allen Wesen Ursache ihrer Erhaltung ist. Dies ist besser, als zu meinen, sie dringe und komme dort hin, [5] wo es für sie weder schön noch geziemend ist, und lege selbst Hand an die Dinge auf Erden. Es schickt sich auch nicht für Herrscher über Menschen - ich denke an einen Heerführer, das .Oberhaupt einer Stadt oder eines Hauswesens -, sich um jede beliebige Arbeit zu kümmern, wenn es etwa gilt, einen Bettsack zu schnüren oder sonst eine niedrigere Arbeit zu verrichten, [10] die auch der erstbeste Sklave tun kann; n~in, es muß so sein, wie man es vom Großkönig erzählt. Der Hofstaat des Kambyses, Xerxes und Dareios war ja, um den Gipfel der Würde und Erhabenheit zu erreichen, prächtig eingerichtet. Er selbst nämlich, so erzählt man, thronte in Susa oder Ekbatana für jedermann unsichtbar in einem wunderbaren, [15] von Gold, Elektron und Elfenbein strah·lenden Schloß und Palastbezirk. Viele Torgebäude, eines nach dem anderen, dazu Vorhallen, die viele Stadien auseinander lagen, waren mit ehernen Toren und mächtigen Mauem befestigt. Außerhalb davon aber waren die vornehmsten und angesehenste.n Männer aufgereiht, [20] teils persönliche Leibwache und Gefolge des Königs, teils
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Aufseher der einzelnen Höfe, sogenannte Torhüter und Horcher, damit der König selbst, Gott und Herr genannt, alles sehe und alles höre. Außer ihnen waren andere aufgestellt als Verwalter der Einkünfte, als Anführer im Krieg und beim Jagen, [25] zur Entgegennahme von Geschenken und als Aufseher der übrigen jeweils nötigen Dienste. Die gesamte Herrschaft über Asien, im westlichen Reichsteil begrenzt vom Hellespont, vom lndus im östlichen, war nach Völkerschaften auf Feldherren, Statthalter und Könige, [30] die Diener des Großkönigs, verteilt. Diesen unterstanden Läufer, Kundschafter, Boten und Beobachter von Feuerzeichen. So großartig war die Einrichtung, besonders die Posten für Feuersignale, die einander in Staffette Zeichen gaben von den Grenzen des Reiches bis Susa und Ekbatana, daß der König alles, [35] was sich an Neuem in Asien zutrug, noch am gleichen Tag erfuhr. [398b] Man muß aber glauben, daß der Rang des Großkönigs ebenso hinter der Majestät Gottes zurückbleibt, der die Welt erhält, wie der Rang des geringsten und schwächsten Geschöpfes hinter dem des Königs. Wenn daher die Vorstellung unwürdig war, Xerxes besorge alles mit eigener Hand, setze selbst seinen Willen in die Tat um und führe allerorten Aufsicht und Herrschaft, [5] wäre dies noch viel unschicklicher für Gott. Würdiger jedoch Und geziemender ist der Gedanke, er throne am höchsten Ort, während seine Kraft, die den ganzen Kosmos durchdringt, Sonne und Mond bewegt, den ganzen Himmel lenkt [10] und für alles auf Erden Ursache der Erhaltung ist. Bedarf er doch keiner künstlichen Vorrichtung oder fremder· Hilfe, wie unsere Herrscher wegen ihrer Schwäche vieler Arme bedürfen; gerade dies war sein göttlichstes Werk, daß er mit Leichtigkeit und durch eine einfache Bewegung die verschiedenen Erscheinungen hervorruft, wie ja die Techniker [15] durch den Seilzug an einer Werkzeugrolle viele verschiedene Wirkungen erzielen. Ähnlich bewirken auch die Marionettenspieler durch Ziehen an einer einzigen Schnur, daß die Figur
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Hals und Hand, Schulter und Auge, ja manchmal alle Glieder in einern gewissen Takt bewegt. [20] So nun leitet auch die Gottheit durch einfachen Anstoß des ersten Bereiches ihre Kraft an die nächsten Regionen weiter und von da wieder bis zu den ferneren, bis sie das ganze All durchdrungen hat. Wird nämlich eines von anderen bewegt, bewegt es auch wohlgeordnet selbst wieder anderes, wobei jedes so handelt, wie es seiner Eigenart entspricht, und nicht alle dieselben Bahnen haben, [25] sondern verschiedene, abweichende und manchmal sogar gegenläufige. Der erste Anstoß jedoch, sozusagen der Einsatz, war nur einer, als ob man etwa aus einern Gefäß auf einmal eine Kugel, einen Würfel, einen Kegel und einen Zylinder würfe, deren jedes sich nach seiner Gestalt bewegen wird, [30] oder als ob jemand ein Wasser-, ein Landtier und einen Vogel zusammen im Gewand hielte und losließe. Gewiß nämlich würde das Schwimm tier in sein Lebenselement springen und davonschwimmen, das Landtier zu seinen Lieblingsplätzen und Weidegründen hinkriechen, der Bewohner des Luftkreises aber sich vom Boden emporschwingen und fortfliegen, [35] wobei ihnen allen die erste Ursache ihre eigentümliche Beweglichkeit verlieh. (399aJ So ist es auch in der Welt. Denn durch einfache Umdrehung des Himmelsganzen an einem Tag und in einer Nacht entstehen die verschiedenen Umläufe aller Himmelskörper, die zwar von nur einer Kugel umschlossen sind, sich aber entsprechend der Größe ihrer Abstände und ihrer eigentümlichen Einrichtung teils schneller, teils langsamer drehen. [5] Der Mond nämlich vollendet seinen Kreislauf in einem Monat, indem er zu- und abnimmt und verschwindet; die Sonne dagegen braucht ein Jahr, ebenso die ihr gleichlaufenden Sterne. Phosphoros (V enus) und Hermes (Merkur); der Feuerstern (Mars) braucht aber doppelt so lang wie diese, [10] der Zeus upiter) sechsmal so lang wie er, und schließlich benötigt der sogenannte Kronos (Saturn) die zweieinhalbfache Zeit des Sternes unter ihm. Durch sie alle aber, die gemeinsam singen und am Himmel
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tanzen, entsteht eine einzige Harmonie, die von Einem ausgeht, mit Einem aufhört und im wahren Sinn des Wortes dem All die Bezeichnung ))Weltordnung«, nicht aber »Unordnung« verlieh. Wie aber beim Chor [15] nach dem Einsatz des Chorführers die ganze Schar von Männern und manchmal auch von Frauen einstimmt und durch Mischung der verschieden hohen und tiefen Stimmen eine wohlklingende Harmonie erzeugt, so ist es auch bei Gott, der das All durchwaltet. Nach dem Auftakt nämlich, der von oben kommt, von dem wohl treffend so benannten Chorführer [20] kreisen ewig die Sterne und der ganze Himmel, zieht di~ alles erleuchtende Sonne ihre doppelte Bahn, indem sie durch Auf- und Niedergang Tag und Nacht scheidet, aber auch die vier Jahreszeiten heraufführt, langsam vorwärts nach Norden und rückwärts nach Süden schreitend. Regen, Winde und Tau [25J und überhaupt die Vorgänge in der Atmosphäre entstehen zu ihrer Zeit, und zwar alle durch die eine, uranfängliche Ursache. Daran reiht sich das Strömen der Flüsse, das regelmäßige Anschwellen des Meeres, Wachstum von Bäumen, Reifen von Früchten, die Geburt der Geschöpfe, das Wachsen, Blühen und Welken von allem, wobei auch, wie ich sagte, die besondere Einrichtung [30] jedes Dinges mitwirkt. Wenn nun der Lenker und Erzeuger alles dessen, der unsichtbar ist und nur vom Denken erfaßt wird, jeglicher Kreatur zwischen Himmel und Erde das Zeichen gibt, bewegt sich jede beständig in ihren Bahnen und Grenzen, verschwindet bald und erscheint wieder und läßt aus einem Ursprung zahllose Gestalten ans Lichttreten [35] und wieder verschwinden. Dieses Geschehen gleicht aber [399b] vöWg dem Vorgang besonders in Kriegszeiten, wenn die Trompete dem Heer das Zeichen gibt. Da nämlich ergreift jeder, der ihren Ruf hört, entweder seinen Schild oder legt den Panzer an, der dritte schnallt Schienen, Helm oder Gürtel um, dort zäumt einer sein Pferd, [5] hier steigt einer auf den Streitwagen, und noch einer gibt die Losung weiter. Rasch tritt der
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Zugführer vor seine Mannschaft, der Hauptmann vor seine Abteilung, der Reiter sprengt zum Flügel, der Leichtbewaffnete rennt vorwärts zu seinem Kampfplatz. Alles wirbelt auf das Zeichen des Trompeters herum, wie es der Oberbefehlshaber anordnet. [10] So muß man es sich auch im Weltall ~enken. Alles wird nämlich durch einen einzigen Anstoß getrieben und verfolgt seinen eigenen Weg, wobei diese Kraft unsichtbar und verborgen ist. Doch hindert dies weder sie zu wirken noch uns, an sie zu glauben. Ist doch auch die Seele, durch die wir leben und Häuser und Städte besitzen, unsichtbar und wird nur an ihren Wirkungen erkannt. [15] Die ganze Ordnung nämlich des Lebens ist von ihr gefunden, gefonnt und zusammengehalten: Pflügen und Bepflanzen des Bodens, .technische Erfindungen, Gebrauch der Gesetze, die Verfassung des Staates, Handel und Wandel im Land und jenseits der Grenzen Krieg und Frieden. Ebenso muß man sich das Walten der Gottheit denken, [20] die höchste Allmacht besitzt, wunderbare Schönheit, ewiges Leben, höchste Wertfülle, denn auch sie bleibt für jedes sterbliche Wesen unsichtbar und· wird nur an ihren Werken erkannt. Alle Vorgänge nämlich in Luft, Erde und Wasser kann man in Wahrheit Werke Gottes nennen, der die Weit zusammenhält. [25] Von ihm stammt nach dem Wort des Naturforschers Empedokles: Alles, was war, auch alles, was ist, und was künftig sein wird; Bäume wuchsen durch ihn, auch wuchsen Männer und Frauen, Tiere der Erde und Vögel, im Wasser sich nährende Fische . . Er ähnelt wirklich, mag der Vergleich auch zu niedrig greifen, den sogenannten Schlußsteinen im Gewölbebogen, [30J die durch ihre Mittellage und dank ihrer Einbindung auf heiden Seiten die ganze Fonn des Bogens unverrückt in Gleichmaß und Ordnung erhalten. Desgleichen soll der
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Bildhauer Pheidias bei der Arbeit an der Athenastatue auf der Akropolis mitten auf dem Schild der Göttin [35] sein eigenes Porträt angebracht und durch eine geheime Vorrichtung so mit dem [400aJ Bild verbunden haben, daß, wenn jemand es wegnehmen wollte, er unvermeidlich die ganze Statue zerstört und zum Einsturz gebracht hätte. Das gleiche Verhältnis nun hat Gott zur Welt und sichert Einklang und Bestand des Alls, nur weilt er nicht in der Mitte, [5] wo die Erde ist und der trübe Bereich um uns, sondern wohnt droben, rein in reiner Höhe, die wir im Ursinn des Wortes den oberen Himmel nennen, weil er die obere Grenze bildet; diese Höhe nennen wir auch Olymp, den gänzlich leuchtenden, entrückt jeglichem Dunkel und aller regellosen Bewegung, wie sie bei uns herrschen durch die Gewalt von Sturm und Winden. [10J SO sagt ja auch der Dichter: Hin zum Olymp, wo der ewig feste Wohnsitz der Götter Ist, wie man sagt, den Winde nicht schütteln noch je einmal Regen Netzte, auch Schnee nicht' bedeckt, über den sich immer nur breitet Wolkenlos strahlender Glanz und hell hinströmender . Schimmer. [15] Dies bezeugt gleichermaßen die ganze Weit, die Gott den oberen Bereich zuweist. Strecken wir Menschen doch alle die Hände zum Himmel, wenn wir Gebete verrichten. In diesem Sinn klingt auch jenes Wort nicht übel:
Zeus hat den weiten Himmel erlost in Glanz und in Wolken.
[20] Daher nehmen die köstlichsten Dinge der Sinneswelt die immer gleiche Stätte ein, Sterne, Sonne und Mond, und die Himmelskörper allein bewahren deshalb ewig dieselbe schöne Ordnung und erfuhren, frei von Wandel, niemals eine Veränderung ihrer Bahn, wie es bei den irdischen
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Dingen eintritt, die wandelbar sind und vielen Veränderungen und Einflüssen unterliegen. Gewaltsame Erdbeben rissen ja schon viele Teile der Erde auf, [25] mächtige Wolkenbrüche haben sie überflutet, anbrandende und zurückweichende Sturmfluten haben oftmals Festland in Meer und Meer in Festland verwandelt, gewaltige Winde und Stürme zerstörten manchmal ganze Städte, Brände und Flammen, [30] die nach der Sage einst zu Phaethons Zeiten vom Himmel fielen, verbrannten die Länder im Osten, andere wieder den Westen, indem sie aus der Erde quollen und bliesen wie die Feuer, die aus den Kratern im Ätna hervorbrachen und wie ein Sturzbach über das Land strömten. Damals ehrte das Übernatürliche das Geschlecht der Frommen [400b] in ausnehmender Weise. Als sie nämlich vom Lavastrom eingeschlossen wurden, weil sie ihre greisen Eltern, um diese zu retten, auf den Schultern trugen, spaltete sich der schon nahe gekommene Feuerstrom, lenkte seine Glut nach links und rechts [5] und hatte acht, daß die Jünglinge samt ihren Eltern ohne Schaden blieben. Mit einem· Wort: Was aufdem Schiff der Steuermann, auf dem Wagen der Lenker, im Reigen der Chorführer, im Staat das Gesetz, im Lager der Feldherr, das ist Gott in der Welt, nur daß jenen ihr Amt Mühsal, [10] schlimme Hetze und viele Sorgen bringt, während es für Gott leid- und mühelos ist, fern jeder Schwächung des Körpers. Denn an unbewegter Stätte thronend, bewegt er alles und führt es herum, wo und wie er will, in tausend Gestalten und Wesenheiten, wie· ja auch das Gesetz der Stadt unbewegt in der Seele derer wohnt, die ihm folgen, [15] und das ganze Staatsleben ordnet; ihm nämlich gehorsam gehen offenbar die Beamten in ihre Ämter, die Gesetzeswahrer in ihre Gerichtssäle, Ratsherren und Teilnehmer an Volksversammlungen in die für sie bestimmten Versammlungen, und der eine begibt sich ins Rathaus, um ein Ehrenmahl zu genießen, der andere zum Gericht, um sich zu rechtfertigen, [20] der dritte ins Gefängnis, dem Tod entgegen. Das Gesetz befiehlt des-
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gleichen öffentliche Speisungen, jährliche Feste, Götteropfer, Heroenverehrung, Totenspenden, und alles geschieht immer wieder anders nach Geheiß oder Ermächtigung des Gesetzes, so daß sich wirklich das Dichterwort bewährt:
[25] Die Stadt ist ganz von Weihrauchdüften voll, Ist überall voll Bittgebet und Klagelied. So muß man es auch bei der größeren Stadt denken, ich meine bei der Weh, denn Gott ist für uns das ausgewogene Gesetz, das keiner Verbesserung oder Veränderung bedarf und doch, wie ich meine, [30] besser und beständiger ist als alles, was auf unseren Gesetzestafeln steht. Nach seiner unwandelbaren und ausgeglichenen Fügung wird der ganze Weltenbau von Himmel und Erde verwaltet, der in all seinen Teilen durch die jeweils eigenen Keimkräfte in Pflanzen und Tiere nach Gattung und Art gegliedert ist, nämlich: [401a] Weinstöcke, Palmen und Pfirsichbäume, Süße Feigen dazu und Oliven, wie der Dichter sagt, auch Bäume ohne Frucht, die aber sonst von Nutzen sind, Platanen, Fichten, Buchsbäume, Erle auch und Pappel und, Wohlgeruch spendend, Zypressen,
[5] ferner solche, die im Herbst süße, werin auch schwer aufzubewahrende Frucht tragen, Birnenbäume, Granaten, auch Bäume mit prächtigen Äpfeln, sodann von den Tieren die wilden und zahmen, die in der "Luft, auf der Erde und im Wasser leben; sie alle entsteh~n, reifen [10] und vergehen im Gehorsam gegen Gottes Satzungen. »Denn alles, was da kreucht, wird mit der Geißel zur Weide getrieben«, wie Heraklit sagt.
Siebtes Kapitel Einer ist Gott, doch trägt er viele Namen, weil er nach all dem Geschehen genannt wird, das er selbst immerfort erneuert. Nennen wir ihn doch Zeus und den »Durchwaltenden«, indem wir die Namen nebeneinander gebrauchen, als wollten wir sagen »der, durch den wir lehen«. [lS] »Sohn des Kronos und der Zeit« (Chronos) heißt er, weil er aus einer grenzenlosen Ewigkeit in die andere schreitet. Der »Blitzende«, der »Donnerer«, der ),Heitere«, »Äthergott«, »Herr des Donnerkeils« heißt er und auch »Regengott« nach Regenfällen, Blitzschlägen und anderen W ettererscheinungen. »Fruchtbringer« heißt er von den Feldfrüchten, [20] »Städtebeschützer« von den Stadtgemeinden, auch »Schutzgott von Geschlecht, Haus und Stamm« und »Gott der Väter«, weil er an diesen Gemeinschaften Anteil hat. Desgleichen ist er der »Schützer von Gemeinschaft und Freundschaft, Gastrecht, Heerzug und Sieg«, »Reiniger«, »Rächer«, »Hort der Schutzflehenden« und »Herr der Sühneopfer«, wie die Dichter sagen, »Retter« und wahrer »Befreier«, [25] mit einem Wort: Der »Himmlische«, »Irdische«, nach jedem Wesen und jeder Lage benannt, weil er auch von allem selbst der Urheber ist. Darum heißt es nämlich in den Orphischen Gedichten treffend: Zeus entstand als erster und Zeus als letzter, der Blitzherr; Zeus ist Haupt, Zeus Mitte, durch ihn ist alles geschaffen; [401b] Zeus ist der Erde Grund und des sternübersäten Himmels; Zeus ist Mann und Zeus ist auch unsterbliche Jungfrau; Zeus ist der Windhauch im All und Sturm nie ruhenden Feuers; Zeus ist Urgrund des Meers, Zeus Mond und auch wieder Sonne;
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[5] Zeus ist König, der Herr aller Wesen; er schleudert die Blitze; Alle birgt er und bringt aus reinem Herzen sie wieder Hin ins heitere Licht und wirkt die herrlichen Wunder. Ich glaube aber, auch die »Notwendigkeit« ist nichts als ein anderer Name für ihn, der sozusagen die unüberwindliche Ursache darstellt, ebenso das »Schicksal«, weil er alles schickt und unaufhaltsam voranschreitet, [10] und »Bestimmung«, weil alles fest begrenzt und nichts in der Welt unbestimmt ist, auch »Schicksals anteil« , weil alles zugeteilt ist, und »Zuteilung«, weil jedem das Seine zugeteilt wird, unentrinnbares »Schicksal«, weil dieses nach dem Naturgesetz die Ursache ist, der nichts entrinnt, und Aisa (ewiges Schicksal), weil es ewig ist. Auch der Mythos von den Moiren [15] und der Spindel deutet wohl auf das gleiche hin, sind es doch drei Schicksalsgöttinnen nach den Zeitstufen, auf die sie verteilt sind, und der Faden der Spindel ist teils fertig gesponnen, teils noch zu spinnen, teils wird er eben gedreht. Und eine der Moiren ist über das Geschßhene gesetzt, Atropos (die Unabwendbare) - weil alles Vergangene unabänderlich ist -, über die Zukunft Lachesis [20] denn auf alles wartet das seiner Natur entsprechend zugeteilte Los -, und über die Gegenwart Klotho (die Spinnerin), die jedem vollendet und zuspinnt, was ihm zugehörig ist. So hat die Geschichte auch ihr passendes Ende. Alles dies aber ist nichts anderes als Gott, wie auch der edle Platon sagt: [25] »Gott also, der, wie das alte Wort lautet, Anfang, Ende und Mitte aller Dinge umfaßt, geht den geraden Weg, indem er gemäß der Natur wandelt. Ihm folgt aber stets die Gerechtigkeit, die jeden bestraft, der vom göttlichen Gesetz abweicht«, sie »an die sicl;! jeder, der selig und glücklich werden will, gleich von Beginn an halten soll. «
Anmerkungen 1. Kapitel 391a 1-16: Würde der Philosophie Der Eingangssatz ist eine ausgewogene Periode, vergleichbar dem Beginn der Schrift des Isokrates an Demonikos. Wie in der Vorrede der Quaestiones naturales (Naturwissenschaftliche Untersuchungen) Senecas sind auch hier Gedanken des Poseidonios verwendet, die bei Clemens von Alexandreia (2,416b) bezeugt sind. Daß Gott Ursprung der Philosophie ist, sagte Platon im Timaios (47a) und nannte die Philosophie göttlich (Politeia 497b); vgl. Aristoteles, Metaphysik 982b 28f. Die Schau der Welt als Aufgabe des Philosophen begegnet bereits bei Pythagoras; unser Autor legt dieser Gesamtschau großen Wert bei (vgl. 391 b 11), wie zuvor Platon (Politeia 486a). - Die Verwandtschaft zwischen Seele, Philosophie und Göttlichem betonte Platon (Phaidon 79a, unter Entdeckung der unkörperlichen Realität); er sprach auch vom Verlassen der Erde (Timaios 90a). Der himmlische Ort ist nur dem Denken erreichbar: Der Versuch der Aloaden, Otos und Ephialtes, den Himmel zu erstürmen, indem sie den Gebirgsgipfel Pelion auf das Gebirge Ossa setzten, bezeichnet den vernunftlosen Weg, im Gegensatz zum Weg des Geistes (Platon, Gesetze 70tc). Der Geist ist Führer der Seele (nach Platon, Phaidros 247c); auch die Unterscheidung von Seele und Geist und das Bild vom Auge der Seele ist platonisch (Politeia 519b; 533d). 391a 16-b 2: Gesamtsicht der Welt Der Gedanke der »neidlosen« Mitteilung ist alt und begegnet schon bei Xenophon, Memorabilien 1,2,60 (vgl. Buch der Weisheit 7,13).Ossa (heute Kissovo) ist ein Felsmassiv im Norden des Tempetales. Der Ort Nyssa ist vielleicht der Bischofssitz Gregors in Kappadokien. Die Korykische Grotte liegt auf dem Parnaß und ist Pan und den Nymphen geweiht. - Platon betont; der Philosoph befasse sich nicht mit Kleinlichem (Politeia 486a). 39tb 3-8: Sicht der Welt als Erkenntnis des Göttlichen Der Autor will den Kosmos in seiner Verbindung mit dem göttlichen Prinzip, also als »Theologe«,.. darstellen; der Ausdruck ist aristotelisch (Metaphysik 1026a 19). Ubrigens führt auch Iamblichos
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Anmerkungen
(Nieam. ar. 125,21) nach einer natürlichen Erklärung die theologische ein. - Die Einteilung der Dinge nach Natur (Wesen), Lage, Bewegung ist zugleich Gliederungsprinzip der Schrift. 2. Kapitel
391b 9-392a 4: Kosmos und Erde Seit hellenistischer Zeit begannen Abhandlungen über das Weltall mit einer Begriffsbestimmung, wohl nach dem Vorbild des Chrysippos~ dessen Kosmosdefinition auch hier wirkt (H. Diels [Hrsg.], Doxographi Graeci, Berlin 41966, S. 465 f. ; fast gleichlautend die des Poseidonios bei Diogenes Laertios 7,138). Unser Autor ergänzt jedoch die erste, eher physikalische Definition durch eine theologische, wobei die erste Definition auf den ersten, die zweite auf den theologischen Teil der Schrift zielt. - Gott wacht über den Kosmos, ist aber zugleich Ursache seiner Existenz und Dauer. - Die Erde tritt als Herdstatt des Kosmos bei Klean!~es auf; ihre unbewegte Mittelposition betont schon Aristoteles (Uber den Himmel 296b 22). Als lebentragend bezeichnet Hesiod (Theogonie 693) die Erde; deren Preis bei Gi cera (nat. deor. 2,98) ähnelt unserer Stelle. - Zur Götterwohnung vgl. Aristoteles, Über den Himmel 270b 6f.'- Die Gestirne hatten Platon (Timaios 40b) und Aristoteles (Über den Himmel 292b 32) göttlich genannt; den Chortanz der Gestirne beschreibt zuerst Euripides, Ion 1079. - Zur Kugelform des Himmels vgl. AristoteIes, Über den Himmel 286b lOf. - Pol hieß ursprünglich der sich drehende Himmel, dann der Endpunkt der Achse, um die er sich dreht. Die Bezeichnung arktischer und antarktischer Pol findet sich hier zum ersten Mal; Aristoteles spricht vom oberen und unteren Pol (Meteorologie 362a 33) .. 392a 5~31: Äther, Fixsterne, Planeten Der Kugel im Zentrum entspricht als,Oberfläche der Weltkugel die Sphäre des Äthers. Diese dreht· sich mit der Fixsternsphäre in 24 Stunden von Ost nach West um die Erde und zieht dabei die Planetensphäre mit; die Planeten selbst jedoch bewegen sich in entgegengesetzter Richtung . ..:.. Der Äther als fünftes Element ist eine Entdeckung des Aristoteles; vgl. aber schon Platon, Timaios 55c. Die Etymologie vom ewig laufenden Äther stammt v:on Platon (Kratylos HOb; vgl. Aristoteles, Über den Himmel 270b 22). Die richtige Etymologie vom Glühen des Äthers stellte bereits Anaxagoras auf. - Über den Tierkreis spricht Aristoteles Meteorologie 343a
Anmerkungen
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24f.!. über die verschiedene Geschwindigkeit der Himmelssphären in: Uber den Himmel 289b 34. - Der hier vorliegenden Anordnung der Planeten folgen die Pythagoreer, Platon (Timaios 38d) und Atistoteles (Metaphysik 1073b 17f.). Poseidonios ordnet anders an. - Zur Geschichte der Planetennamen vgl. F. Cumont, L'Antiquite Classique, Bd.4, Brüssel 1935, S. H. 392a 32-b 13: Sublunarer Bereich. Feuer. Luft. Meer. Erde Die Unterscheidung von Bereichen unter und über dem Mond gibt es seit Aristoteles; er betont die Vergänglichkeit des unteren Bereiches (Über den Himmel 298b 6). - Zur Stoffanordnung vgl. Meteorologie 370a 25 f. - Die Luft gilt bei Aristoteles als feucht und warm, bei Theophrastos (Vom Feuer 26) und den Stoikern als dunkel und kalt (z. B. Cicero, nato deor. 2,26; vgl. jedoch Anm. 10 bei Gohlke). - Die Unruhe im Luftreich ist Beweis für die Veränderlichkeit der sublunaren Welt. 3. Kapitel 392b 14-393a 15: Erde und Wasser. Festland und Inseln Der Preis der Erde ist wiederholtes Grundmotiv der Schrift (z. B. 397a 19) und wird auch stilistisch hervorgehoben. - Zu den Begriffen >Meer< und >bewohnte Erde< (oLXOU!lEvll) vgl. die Artikel »Okeanos« bzw. »Oikumene« von F. Gisinger (RE 17,2, Sp. 2308--49; RE 17,2, Sp. 2123-74). - Schon die Pythagoreer hatten auf der Erde vier inselförmige bewohnte Festländer, angenommen; später entschied sich auch Eratosthenes für die Inselnatur der OLKOUJ.tEVTJ. :.... Die Bezeichnung Atlantisches Meer (Atlantik) wurde seit dem Hellenismus vom äußeren Weltmeer auf das gesamte die OLKOUJ.t€VT) umströmende Weltmeer übertragen. Aristoteles meinte, von Gibraltar westwärts bis Indien liege nur Meer, doch vennutete bereits Platon (Phaidon 109a) viele andere bewohnte Länder auf der Erde. - Die Lehre von der »unten« liegenden Erde ist aristotelisch (Über den Himmef308a Hf.), die von den fünf Elementen stammt aus dem Nachwort (Epinomis 981c) zu Platons Gesetzen, das nach antiker Überlieferung sein Schüler Philippos von Opus verfaßte. 393a 16-b 23: Okeanos, Meere. Große Inseln. Erdumfang Der Verfasser schildert die Erde in einer Art von 3t8Q(3tA.OU~ (Rundfahrt), ausgehend von Gibraltar, dann vom Osten zum Norden und von dort zum Westen. - Zwei Syrten unterschied erstmals der unter
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Anmerkungen
dem Namen Skylax überlieferte Expeditionsbericht rrEQC3tA01J~ 'tfl~ -ij-aAcXOOT)t;; tfl~ otito'UI-tEVrJt;; [ ... ], eine Kompilation früher Reisebeschreibungen oder solcher des 4.Jh.s v. Chr. Das Meer von Sardinien bezieht hier auch das Tyrrhenische Meer ein. Das Gallische Meer ist mit dem Iberischen an der spanischen Ostküste zu verbinden. Das Pamphylische Meer entspricht dem Golf von Adalia. Das Myrtoische Meer ist der Teil der Ägäis nahe der Ostküste von Attika. Der Pontos bezeichnet das Schwarze Meer, der Maiotische Sumpf das Asowsche Meer, der Hellespontos die Dardanellen, die Propontis das Marmarameer. - Der Okeanos strömt durch drei getrennte Zuflüsse in die bewohnte Welt, durchs Medische, Indische und Kaspische Meer. Dabei ist unklar, was im einzelnen gemeint ist. Ob das Indische Meer die Buchten von Oman, Cutch oder Cambay bildet, ist umstritten. Das Rote Meer ist vielleicht der südöstliche Ozean, während unser Rotes Meer (zwischen Suez und Aden) nicht bezeichnet wird. Daß das Hyrkanische und Kaspische Meer ein Gewässer sind, hatte der Alexanderzug sichergestellt. Seitdem und nach Eratosthenes galt das Kaspische Meer als Busen des nördlichen Okeanos (wenngleich schon Herodot dessen Binnenseecharakter behauptet hatte). Beim Hyrkanischen Meer denken manche an die Ostsee. Die Maiotis (Asowsches Meer) wird stark dem nördlichen Weltmeer angenähert. Der Gallische Busen ist der Golf von Biskaya. - England (Albion) und Irland (Hibernia, lerne) waren seit der Fahrt des Pytheas von Massilia (um 320 v. Chr.) bekannt, Ceylon (Taprobane) seit dem Alexanderzug und der Fahrt des Nearchos (325 v. Chr.; vgl. RE 16,2, Sp.2132-54). - Unklar ist, was Phebol bedeutet, vielleicht eine fiktive große Insel, wohl kaum Madagaskar; manche denken an Sokotra. Bei Strabon (17,2,3) begegnet der Name Psebo für eine Insel im Abessinischen Tana-See. - Nach unserem Autor verhalten sich Länge und Breite der OLitO'U!!EVrJ wie 7:4; Aristoteles kam auf ein Verhältnis 5:3 (Über den Himmel 298a 12). Nach Bolchert (S. 87) hängt die Zahl 40 000 mit der Eratosthenischen Zahl 38000 zusammen. 393b 23-394a 6: Die Erdteile Schon seit Hekataios' »Erdbeschreibung« (um: 500 v. ehr.) wurde die OLXO'UJ.tEV'Yj in drei Teile, Europa, Asien, Libyen, eingeteilt. - Die schmale Stelle zwischen dem Hyrkanischeri und dem Schwarzen Meer bespricht Strabon 1,4,7; 11,1,5. - Zum Streit über die Zuteilung Ägyptens vgl. Herodot 2,16. - Übrigens fehlt in unserer Schrift die Einteilung der Erde nach Klimazonen.
Anmerkungen
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4. Kapitel 394a 8-b 7: Zwei Ausdünstungen als Urphänomene der sublunaren Zone. Wettererscheinungen durch feuchte Ausdünstungen Der Verfasser betont zu Beginn (wie auch sonst, z. B. 397b 9), er wolle nur zusammenfassende Resultate geben. - Beide Arten von Ausdünstungen hatte Aristoteles (Meteorologie 341b 6f.) als erster angenommen. Nicht berücksichtigt ist die stoische Lehre, nach der die Ausdünstungen auch die Gestirne nähren. - Die dampfartigen Ausdünstungen sind nach Dichte geordnet: Luft, Nebel, Wolke. Die Definitionen von Tau und Reif finden sich fast wortgleich im Scholion zu Aratos' Phainomena (126,25; 127,3). Die Wolke ist ähnlich bei Aristoteles (Meteorologie 346b 32f.) charakterisiert. Ausgangspunkt des Schnees ist eine komprimierte Dampfwolke, die Regen werden soll, doch vor dieser Umwandlung von der Kälte schlagartig zerrissen wird. 394b 8-34: Wettererscheinungen durch trockene Ausdünstungen. 1. Winde . Die Winde sind unterteilt nach Ursprungsart, Himmelsgegend, Haupt- und Nebenwinden. - Für Aristoteles ist die trockene Ausdünstung mit dem Pneuma (nvE'Üfla) identisch (Meteorologie 371a 4 f.); ob dies auch für unseren Verfasser gilt und ob für ihn das Pneuma mit dem Vitalprinzip der Dynamis (Ö'UvaflL~; 6. Kapitel) zusammenfällt, ist nicht klar. Heinze sieht in der Erwähnung der lebendigen, zeugenden Kräfte in unserem Text eine Anspielung auf die stoischen >logoi spermatikoi